Sonderlinge

By Peter Rosegger

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Title: Sonderlinge

Author: Peter Rosegger

Release date: March 5, 2025 [eBook #75532]

Language: German

Original publication: Leipzig: L. Staackmann Verlag, 1922

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SONDERLINGE ***



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                     Anmerkungen zur Transkription.

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                              Sonderlinge

                                  Von

                            Peter Rosegger




            Achtundzwanzigste bis zweiunddreißigste Auflage

      (Der neubearbeiteten Ausgabe elfte bis fünfzehnte Auflage)


                           [Illustration]


                               1922

                     L. Staackmann Verlag Leipzig




                        Alle Rechte vorbehalten

                   Druck von C. Grumbach in Leipzig.




                               Inhalt.


                                                Seite

          Vorwort                                    5

          Karl der Große                             7

          Der Fischer im Olymp                      18

          Der Geistbrenner                          32

          Der ordentliche Augustin                  42

          Meister Sani                              51

          Der falsche Himmelträger                  59

          Der unglückliche Kammerdiener             68

          Die Einsiedler                            76

          Ein Wildling Christi                      90

          Der mißratene Evangelist                 109

          Der alte Adam                            121

          Der Säemann                              130

          Der scheltend' Schuster                  136

          Herr Trotzkopf, der Heiratsbeflissene    142

          Der Samer-Sim                            150

          Der Zillacher-Anderl                     155

          s' Guderl                                162

          Der Figurlmacher                         182

          Der junge Geigenspieler                  192

          Der singende Schabelwirt                 209

          Das reiche Waldschulmeisterlein          224

          Der Orgler zu Sankt Thomas               241

          Der Naturfreund                          247

          Der lange Rauk                           258

          Hans Johanns Hauptsache                  269

          Der Himmelherrgottswirt                  279

          Herr v. Florin                           289

          Der Steinschädel                         300

          Der Feuermann Balthasar                  309

          Herr Meyer, der Belehrende               317

          Ein Mann, ein Wort                       327

          Hauptmann Alles                          339

          Die Tafelrunde der Berühmten             348

          Der Mann mit den dreizehn Talern         361

          Der glücklichste Mann von Graz           401

          Der Waldteufel                           405




                               Vorwort.


Wenn man die Menge betrachtet, sind fast alle Leute gleich. Und wenn
man in den Einzelnen schaut, ist fast jeder ein Original. Man soll auf
allen Bäumen der Welt ja nicht zwei Blätter finden, die ganz gleich
sind, und im unermeßlichen Menschenwald ja nicht zwei Gesichter, die
in gar nichts verschieden wären. Jeder Mensch existiert nur in einem
einzigen Exemplar.

Ganz so sind die Sonderlinge dieses Buches nicht gemeint. Das
sind vielmehr wunderliche Charaktere, durch Naturanlage, äußere
Verhältnisse, besondere Weltanschauungen und Leidenschaften so
gebildet. Bevorzugt habe ich die Harmlosen, Humorvollen, Gut- und
Edelherzigen, besonders die froh verzichtenden Weltabweisenden, die
meine Lieblinge sind. Aber es gibt auch finstere, dämonische Gesellen
darunter; dann solche mit genialer Begabung und solche, die im Volk
»halbe Narren« genannt werden, weil sie ganze Weise sind. Oft auch
Menschen, die ihren Beruf verfehlt haben, oder die so eckig sind,
daß sie sich in keinen einordnen lassen. Solche grollen dann gerne
mit der Welt, führen ein verkümmertes, wunderliches Dasein. Manche
machen sich aus Kleinlichkeit ein absonderliches Leben, manche aus
Weltüberlegenheit.

Gefunden habe ich derlei Leute nicht, denn ich habe nie nach ihnen
gesucht. Auf langem, reichlich gewundenem Lebensweg und mit einem
Auge für innere Eigenarten begegnet man ihnen auch so. Manche, die
Plaudersamen, sich selbst Ausspielenden machen es einem leicht, sie zu
fassen; nur darf man sich nicht zu sehr foppen lassen. Dann hängt man
ihnen gern einmal ein anekdotisches Mäntlein um. Etliche sind mir bloß
erzählt worden und ein paar sind mir im Traume untergekommen, weniger
aus der Umwelt, als aus mir selbst hervorgegangen.

Und so ist eine wunderliche, gemischte Gesellschaft zusammengekommen,
die sich gewiß nirgends anders als im duldsamen Buche miteinander
vertragen würde.

                                                  ~Der Verfasser.~




                            Karl der Große.


Karl Oberbergbreitebner war so groß, das der Witz seiner Dorfgenossen
zwei aus ihm machen wollte, einen Langen und einen Dicken. Wäre noch
auf einen Dritten etwas übrig geblieben, so hätte ich für einen Klugen
gestimmt. Karls Gehirn war entweder so klein, wie bei einem Huhn, oder
so groß, wie bei einem Büffel. Doch hatte er sein Lebtag nie etwas
Dummes gesagt, denn er sprach nicht viel, hatte nie etwas Albernes
gedacht, denn er dachte nicht, er handelte bloß. Er hätte aber auch das
tollste Zeug schwatzen können, seine Körperstärke war so groß, daß er
kaum viel Widerspruch erfahren haben dürfte. Zwei derbe Arme sind eine
doppelte Beweisführung.

Karl war der Sohn des Dorfschneidermeisters, hatte das ehrwürdige --
nein, das ist zu viel -- das ehrsame Handwerk des Vaters gelernt und
ging mit diesem, einem kümmerlich kleinen und hageren Männl, auf der
Ster um, von Hof zu Hof. Seit sein Karl groß geworden war, konnte das
Meisterlein die entlegensten Höfe auch zur Winterszeit bei Schnee und
Sturm besuchen. »Pack mich, Karl!« sagte er, und Karl nahm ihn auf
den Rücken oder unter die Achsel und trug ihn gemächlich bergauf und
talab; doch mußte der kleine Alte dem großen Jungen fortwährend den
Weg zeigen. Karl konnte nicht Kleider anmessen, nicht zuschneiden,
überhaupt selbständig nichts fertig machen. »Das nähe!« sagte sein
Vater, und er nähte es, aber auch um keinen Stich mehr und keinen
weniger. »Das bügle!« sagte sein Vater, und wenn er ihm eine lebendige
Katze hingehalten, so hätte er sie gebügelt. Wozu das Nähen und wozu
das Bügeln? Ich glaube nicht, daß Karl jemals auch nur im Gedanken
danach gefragt hatte. Warum auch?

Aber die Leute schätzten seinen Wert. Wenn irgendwo ein großer
Holzblock zu schleifen, ein schwerer Stein zu wälzen oder eine
Kohlentracht zu schleppen oder eine andere Last zu bewältigen war, so
schickte man nach dem Schneider.

Da kam eines Tages eine Stadtherrschaft ins Dorf gefahren, mit der
Absicht, den Hochstandel zu besteigen. Nun war aber der Hochstandel ein
stattlicher Berg und die Dame der Herrschaft eine stattliche Frau, ein
Gleich und Gleich, das sich nicht gerne gesellt. Ein alter, magerer
Herr und die zwei munteren Töchterlein waren mutig, die stattliche Frau
jedoch ließ Umfrage halten nach einem Wagen, um auf den Hochstandel
zu fahren. Wägen leide der Berg nicht, wurde ihr gesagt; Maultiere,
Esel oder dergleichen zum Reiten seien auch nicht vorhanden, hingegen
lebe im Orte ein Schneider, der die Stelle genannter Vierfüßler recht
gern übernehme und die Frau auf den schönen Berg tragen wolle. -- Ein
Schneider! Die vierfältige Herrschaft rümpfte ihre Nasen, ließ aber
doch den Mann holen. Der erschien mit seinem riesigen Kohlenkorbe,
dessen Boden er mit Reisig bedeckt hatte, so daß ein gar einladendes
Nest ward. Als ihm dargetan ward, um was es sich handle, nahm er
zuerst den großen Pack mit Eßwaren, legte ihn hinein, dann nahm er
ohne Umstände die Dame und hob sie in den Korb; nahm hierauf eines der
Fräulein und hob es in den Korb, nahm hernach das andere Fräulein und
hob es in den Korb. »So,« murmelte er, »jetzt tut sich's, jetzt brauch
ich nur noch etwas zum Festkeilen.« Nahm auch den alten Herrn her und
steckte ihn zu seiner werten Familie in den Korb. Dann packte er sich
die ganze Bergpartie auf den Rücken und stieg langsam an.

Die beiden Stadtfräulein gehörten zur Gattung der Backfische, sie
fürchteten sich daher gleich anfangs vor dem Riesen und hatten Angst
davor, daß er sie unterwegs ermorden würde. Das Ungetüm zeigte sich
jedoch überraschend harmlos, es ging mit dem Rückkorbe sachte den
sonnigen Hang hinan und pflückte Erdbeeren. Ohne mündliche Artigkeiten
warf er zwei Erdbeersträußchen hinter sich in den Korb. Die Fräulein
verstanden das so, als sollte es für sie eine kleine Aufmerksamkeit
sein, sie naschten daher die Beeren von dem Strauß und überlegten jedes
für sich, ob man sich in diesen gewaltigen und doch so netten Mann
nicht verlieben könne? Mittlerweile wimmerte die Frau Mama in ihrer
Einpfropfung und der Herr Papa hielt eine Vorlesung über die
Naturkraft.

Nach drei Stunden waren sie dort, wo es nach allen Seiten abwärts
geht, und wo man stehen muß, wenn man nachträglich will sagen
können, wir standen zweitausend Meter hoch über dem Meere. -- Karl
Oberbergbreitebner ging immer vorwärts, als ob er ohne Säumen in
die freien Lüfte weiter steigen oder ohne weiteres auf der anderen
Bergseite wieder hinabgehen wollte. Die Bergpartie im Korbe mußte
ihm ein vierfach donnerndes Halt! zurufen, bis er stehen blieb. Also
stellte er den Korb auf das Gestein, die Insassen stiegen mit vieler
Umständlichkeit aus und rieben sich die Beine. Während Karl zurückblieb
beim Korb, suchte die Herrschaft den schönsten Aussichtspunkt, und
das würdige Oberhaupt erklärte die Fernsicht. Sie wäre furchtbar
hübsch, erklärte Frau Mama, während die Fräulein auf Steinblöcken
saßen und auf Ansichtskarten kritzelten, wie das reizend gewesen wäre
auf dem Hochstandel, ein junger schöner Mann habe sie alle zusammen
hinaufgetragen, oben hätten sie dann die Aussicht angesehen und einen
guten, reichlichen Imbiß eingenommen.

Auch Frau Mama erinnerte sich daran, daß es Zeit wäre zum Imbiß, und
sie riefen den Karl, der hinter einer Felswand gelegen war, daß er mit
dem Korbe herüberkommen solle. Karl kam mit dem Korbe herüber, aber es
war nichts drinnen, als Reisig.

»Wo ist der Pack mit den Speisen?« fragte die Dame.

Karl schaute sie mit einigem Befremden an und antwortete: »Der Pack?
Der ist nicht mehr.«

»Um Gottes willen, er war ja im Korbe!«

»Ich habe ihn herausgetan,« sagte Karl.

»So hole ihn!«

»Er ist halt nicht mehr.«

»Was ist mit ihm geschehen?«

»Weiter nichts,« antwortete Karl, »aufgegessen habe ich ihn.«

»Ungeheuer!« Ein vierfacher Schreckensruf war's, gräßlich genug, daß
Karl der Große vor Grauen umfallen konnte; aber er stand. Ganz ruhig
und schlicht stand er da und blickte so treuherzig drein, als ob nichts
geschehen wäre.

Die Fräulein fielen den Eltern um den Hals und riefen: »Vater! Mutter!
Wir müssen Hungers sterben auf diesem Berge!«

Nun war Karl schier verzagt und meinte, er habe nicht gewußt, daß das
Essen für die anderen wäre. Sie sollten aber nur rasch wieder in den
Korb steigen, daß er sie hinabbringen könne, bevor sie verhungerten.

Na, das war doch klug! Und also ist es auch geschehen. Da die
Herrschaft glücklich in das Dorfwirtshaus zurückgekommen war und der
Papa den Karl nach dem Trägerlohn fragte, bedeutete der Große, es sei
nichts, es zähle sich nicht aus.

Es waren sehr vornehme Leute aus der Stadt, und so gering waren sie in
ihrem Leben nicht geschätzt worden, als von diesem Schneider.

Wenn Karl sechs Tage lang bei der Nadel gesessen war, wußte er am
Samstag nicht mehr, wohin mit seiner Kraft. Da fiel es ihm ein, daß
es eine ganz gute Erholung sein müsse, wenn er am Sonntag Steine
auf den hohen Standel tragen würde. Die Steine waren vom Berge ja
herabgekollert, weshalb sollten sie nicht wieder hinaufgetragen werden?
Als er jedoch mit seiner Ladung zu den Almen hinaufgekommen war, brach
der Kohlenkorb, und die Steine kollerten wieder talwärts. Als sie in
hohen Sätzen dahinsausten und bei ihrem Auffallen tief in den Boden
schlugen, daß hier Sand emporsprang, dort Funken aufstoben, erscholl
ein Schrei. Karl blickte hin und sah eine kleine Sennerin, die Gras
schnitt. Das Dirnlein war so niedlich und zart, daß die Arbeit nur mit
Mühe und Anstrengung von statten ging. Nun geschah es, daß Karl zu ihm
hintrat, aber nicht um die Kleine in den Sack zu stecken, sondern um
unter Stottern und Mühen zu fragen, ob sie sein Schatz sein wolle?

Das Dirnlein antwortete natürlich, daß er ihr für einen zu viel sei,
und daß sie zwei nicht brauche.

Als sie hernach in die Sennhütte ging, schlich ihr der Große trotzdem
nach. Aber als er zur Tür kam, da plagte es. Diese war nicht allein
viel zu niedrig, sondern auch zu schmal; er wand sich zwar hinein,
aber die Türpfosten ächzten. Drinnen stand er mit gebeugtem Haupte vor
der Kleinen, denn aufrecht stehend hätte sein Kopf durch die morschen
Bodenbretter ein Loch gebohrt hinauf in den Dachraum, wo er nichts zu
tun hatte. Also in demütiger Haltung fragte er sie noch einmal, und sie
antwortete ihm spottweise, ein Schneider sei ihr zu windig.

Karl setzte sich ruhig auf einen Schemel, da knickte dieser ein, mit
zwei Füßen zugleich, und Karl der Große lag mit gekrümmten Beinen
ungefüg auf der Erde. Die Sennerin war ein gescheites Dirnlein und
dachte: Die schwersten Baumstämme können ihm nichts anhaben, und ein
armseliges Fußschemlein bringt ihn zum Falle. So steht es mit diesen
starken Männern. -- Sie foppte ihn weiter, da meinte er lächelnd, er
würde ihr noch einmal etwas Schlimmes antun, wenn sie so arg gegen ihn
wäre.

»Hascherlein, was kannst denn du mir antun?« fragte die Kleine den
Großen.

»Ich?« sagte er, »dieweilen du einmal auf der Wiesen bist, trag' ich
dir deine Hütten davon. Christel, was tust denn nachher, he?!«

»Ja,« rief sie, »nachher lauf' ich dir mit einer Brennessel nach, bis
du die Hütten fallen laßt!«

Karl schwieg. Vor Brennesseln hatte er immer Grauen empfunden, und er
beschloß, das Dirnlein nicht mehr zu reizen.

»Nein, ich tu' dir nichts,« sagte er gutmütig, »mich kränkt es recht,
daß du mich nicht magst, aber tun tu' ich dir deswegen doch nichts.«

»Da bist du wohl brav,« antwortete sie, »und hat auch der Elefant zur
Mücke gesagt, die lustig in den Lüften summt: Mückerl, fürcht' dich
nit, ich tu' dir nichts. -- Bist wohl brav, Karl!«

Sie hat gesagt, ich bin brav. So mag sie mich ja. -- Mit diesem
tröstlichen und wirklich logischen Gedankenanflug stieg er vom Berge
herab.

Als das Gerede umging, der Schneider Karl wolle heiraten, rief sein
Vater, das Meisterlein: »Wie soll denn der heiraten! Kann ja kein Weib
ernähren.«

»Wer eins ertragen kann, wird auch eins ernähren können,« antwortete
der Pfarrer, der gegen Heiraten, Kindstaufen und Todesfälle selten was
einzuwenden hatte.

»Er kann nichts als tragen, ziehen und schieben,« gestand der Vater.

Hierauf ein Nachbar: »Das ist ja genug. Kann mein Ochse auch nit mehr
und baut mir doch den Acker an. Halt geleitet muß er werden.«

Wie? Der Karl Oberbergbreitebner will sich beweiben? Da wollen wir
den baumstarken Kerl doch besser nutzen. Soldat werden! so sagt
die Militärbehörde. Vaterland verteidigen! sagt sie. In das Feld
marschieren! sagt sie. Der Recke hebt an zu zagen. Im Felde tun sie ja
schießen und stechen! Ist es nicht so? Tun sie im Felde nicht schießen
und stechen? Und wir sind ja in einer viel größeren Gefahr, als jeder
andere, weil wir sehr leicht zu treffen sind. -- Und da sage man noch
einmal, daß Karl nicht tiefsinnig denken könne!

Drei Wochen war er bei den Soldaten, als endlich der Hauptmann laut
ward: »Mit diesem Lümmel ist nichts anzufangen! Er hat in keiner Montur
Platz und beim Exerzieren! Gott, beim Exerzieren ist er viel zu stabil.
Wo er steht, da steht er, und es bedarf zu vieler Kraft und Taktik, um
ihn in Bewegung zu setzen. Marschiert er, so marschiert er und findet
nicht leicht einen hinreichenden Grund, um nach rechts oder links
kehrtzumachen, oder gar stehenzubleiben. Wenn sich der alte Herkules
einmal pensionieren läßt, so mag der Karl Oberbergbreitebner angestellt
werden zum Weltkugeltragen -- bei den Soldaten können wir ihn nicht
brauchen.«

Nun kam Karl wieder heim und klagte es seiner kleinen Sennerin: »Sie
sagen, sie könnten mich nicht brauchen.«

»Das will ich doch sehen!« rief die Kleine, »spute dich zum Pfarrer
und sag', ich wollt' dich heiraten in vierzehn Tagen. Marsch!«

Die Leute schüttelten den Kopf, und warum sollten sie es nicht, es
war ja der ihrige, und nicht der des kleinen Almdirndels, in welchem
besondere Pläne webten. Wer pachtete jetzt das Straßenhäusel am Fuße
des Sattelberges? Die kleine Christel pachtete. Wer vertröstete den
Eigentümer mit dem Pachte auf das nächste Jahr, bis man sich mit
dem Vorspannfuhrwerk Geld verdient haben würde? Die kleine Christel
vertröstete. Und wer hatte kein Pferd und keinen Ochsen, als er
Vorspann leisten sollte über den Sattelberg? Die kleine Christel
hatte nicht. Wer aber spannte den Kohlen- und Roheisenfuhrwerken
ihren jungen Ehemann vor über den Sattelberg? Die kleine Christel
spannte vor. Jawohl, die kleine Frau Oberbergbreitebner spannte den
Oberbergbreitebner vor, und der zog im Vereine mit Pferden und Ochsen
tapfer an; die Pferde und Ochsen waren höchst verwundert, einen
zweibeinigen Genossen an ihrem Gespann zu sehen, und sie mußten sich
sehr zusammennehmen, um von ihm nicht beschämt zu werden.

Die Löhnung, welche Klein-Christel für solche Vorspann einzog,
berechnete sie auf zwei Pferdekraft, und sie begegnete damit keinem
Widerspruche.

Hatte sie den Karl zu Hause, so hegte und pflegte sie ihn mit allem
Notwendigen, damit er gesund und stark bliebe. Er war ihr Kapital, und
Karl fühlte sich sehr gehoben, nun eine seiner Natur entsprechende
Tätigkeit gefunden zu haben. Christel mietete auch einen Acker, und da
konnte man sehen, wie sie hinten am Pfluge dreinging, ihn führte und
das Zuggespann mit Hi und Hott leitete. Das Zuggespann war ihr Karl.

Also ging es nun in Eintracht und gemeinnütziger Wirksamkeit voran.
Da geschah etwas Unerwartetes. Zwischen dem Heimatsdorfe des Karl
Oberbergbreitebner, das Lehbach hieß, und dem Nachbarsorte Standelegg
war ein Streit ausgebrochen. Es lag nämlich zwischen diesen Orten
die kleine Gemeinde Hüttel, deren Insassen »lebendige Lehbacher
und tote Standelegger« waren. Mit ihren Kirchengängen, Hochzeiten,
Taufen, Geschäften usw. kamen sie nämlich nach Lehbach herüber,
ihre Leichen gehörten jedoch auf den Kirchhof des kleinen und näher
gelegenen Standelegg. Als durch die Gemeinde-Autonomie die Dörfer
zum Gebrauche ihrer Vernunft kamen, sagten die Standelegger: Wenn
die Hüttler lebendigerweise nach Lehbach neigen, so brauchen wir sie
auch toterweise nicht. Mit den Behörden ließ sich nichts anfangen,
die sagten, es habe zu bleiben, wie es bisher gewesen, und so sahen
die beiden Ortschaften, sie müßten die Angelegenheit unter sich
entscheiden. Mit Reden und Schreien ging es nicht, das hatten sie schon
erfahren; also schlug ein kluger Kopf vor, Lehbach und Standelegg
sollten durch Krieg entscheiden, wie Deutschland und Frankreich
entschieden hätten, nämlich tapfer miteinander raufen, und der Stärkere
sei der Sieger. Aber nicht etwa so dumm, wie es die Reiche machen, wo
ganze Völker aneinanderprallen und sich gegenseitig durch Mord und
Brand schreckbar zugrunde richten, sondern vielmehr so, daß jedes
der beiden Dörfer einen Mann auf den Kampfplatz schicke. Die beiden
hätten miteinander ohne Waffe, nur mit ihren natürlichen Gliedern
und körperlichen Fähigkeiten zu ringen, und der zuerst falle, dessen
Gemeinde sei die besiegte.

Das wurde abgemacht. Also hielt die Dorfgemeinde Lehbach Umschau nach
ihrem stärksten Manne, und natürlich fiel die Wahl auf Karl den Großen.

»Ja, ja,« sagte der, »ich tu's schon. Will schon raufen.« Tat aber
weiter nichts desgleichen, als ob die Wahl ihn freue oder aufrege, und
ganz gleichmütig trottete er an dem bestimmten Tage auf den Kampfplatz.
Siegte Karl, so gab es in der Zwischengemeinde Hüttel wie bisher
lebendige Lehbacher und tote Standelegger. Siegte der von Standelegg
gesandte Streiter, so sollte Hüttel fürderhin auch bei lebendigem
Leibe, mit seinen Kirchgängen, Hochzeiten, Kindstaufen und Geschäften
den Standeleggern zu eigen sein. Der Standelegger Kämpfer war ein ganz
gefüger, flinker Tischlergeselle, mit dem ein Karl Oberbergbreitebner
Fangball spielt. Aber bevor die hellen Haufen der Zuschauer und Zeugen
sich noch recht versammelt hatten, lag der Karl schon im Sande, der
Tischlergeselle saß festgeklammert auf seiner mächtigen Brust und
zündete sich eine Pfeife an.

Der Karl blieb ganz ruhig liegen und horchte gelassen dem Geschrei
der Menge, die ihn verlachten und den Gegner bejubelte. Erst als
Klein-Christel kam, ward es anders mit ihm. Totenblaß im Gesichte,
leise flüsternd befahl sie, daß er aufstehe. Also begann er mit
Händen und Füßen Anstalten zu treffen, daß er sich erhebe, und schon
nach drei Minuten war es so weit, daß die Kleine den Großen vor sich
hertreiben konnte gegen das Straßenhäusel. Die lebendigen Hütteler
waren für Lehbach verspielt, alle Schmach entlud sich über das arme
Straßenhäusel, und es schien kein Mittel mehr zu geben, die Ehre des
Großen wieder herzustellen.

Da kam ein schwerer Winter. Der Schnee lag mannshoch in der Gegend und
alle Wege waren geschlossen. Seitdem die lustigen Hütteler nicht mehr
nach Lehbach kamen, ging es hier recht langweilig zu und man tröstete
sich nur mit dem Gedanken, daß sie bei dem großen Schnee auch nicht
nach Standelegg gehen könnten; sie waren eingemauert in ihrem Dorfe
Hüttel. Es nahten die Faschingstage. Zu dieser Zeit sagte eines Tages
Klein-Christel zu ihrem Großen: »Karl, mach' dich auf und geh' hinüber
nach Hüttel. Geh' heute hinüber und morgen wieder zurück.«

Karl fragte nicht warum; er verzehrte eine weite Schüssel Heidenbrei,
dann ging er nach Hüttel. Der Schnee reichte ihm bis an die Brust, der
Karl schob sich langsam voran und hinter ihm her war ein Hohlweg. Am
nächsten Tage kam er wieder zurück, und hinter ihm her zog eine lange
Reihe faschingslustiger Hütteler, Männlein und Weiblein, die bei dem
frischgetretenen Pfad nach Lehbach eilten, um im Wirtshause zu tanzen,
zu essen, zu trinken und beim Kaufmann Lebensmittel einzukaufen.

Nun erst merkten die Leute von Lehbach, was Karl der Große als
Schneepflug bedeutete, und als solchen mieteten sie ihn von
Klein-Christel, so oft im Winter die Pfade verschneit waren zwischen
Lehbach und Hüttel. Also gewöhnten die Hütteler sich neuerdings an
Lehbach, sie waren wieder »lebendige Lehbacher und tote Standelegger.«

Klein-Christel konnte sich wieder freuen an ihrem Karl; ihr Ansehen und
der Wohlstand ihres Hauses wuchs. Sie wäre in der Lage gewesen, eine
junge Familie zu ernähren, allein diese war nicht da und kam nicht, und
es ist jammerschade, daß weder die kleine, fleißige und kluge Christel,
noch der große Karl fortgepflanzt werden. Die Zukunft könnte beide
brauchen, und zwar zusammen vermählt; mit Klugheit allein, oder mit
Kraft allein läßt sich doch nicht viel machen.




                         Der Fischer im Olymp.


Dort, wo der Wildgarten des Schlosses an die Landstraße stößt, neben
dem Einfahrtstor, steht eine Steingruppe von Ungehörigkeiten aus der
griechischen Mythologie. Die größten Auswüchse der Phantasie sind schon
wiederholt durch Steinwürfe weggeschlagen worden, allein der Schloßherr
steift sich auf das alte Herkommen und läßt die verwundeten Arme, Beine
und Nasen allemal wieder herstellen.

Unter dieser alten weltmunteren Sandsteingruppe nun saß ein Bettelmann.
Er saß jahrelang dort, immer nur an sonnigen Tagen, er saß auf dem
Sockel, er saß sogar manchmal der einen Göttin auf dem Schoß und lehnte
sich rückwärts an den schönen Busen, der allerdings nicht ganz so lind
war, als der Künstler ihm mit kundigem Meißel den Anschein gegeben.
Der Bettelmann trug stets ein weites blaues Beinkleid und einen gelben
Pelzmantel, wie man sie bei ungarischen Schafhirten sieht, ferner hatte
er ein grellrotes Tuch um das Haupt gewunden, ähnlich wie die Türken
ihren Turban tragen; die Füße hielt der Mann in braune Lappen gewickelt
und mit grünen Bändern umwunden. Das Gesicht war nicht fahl und nicht
mager, war vielmehr rosig und rundlich und hatte zwei ungleiche Augen.
Das eine gutmütig ausblickend, das andere verwulstet und mit manchmal
zuckenden Wimpern, hinter welchen sich Schelmerei zu verstecken schien.
Zur Zeit, als ich den Mann das erstemal sah, mochte er etwa fünfzig
Jahre jung gewesen sein. Ja, es war eine Jugend und Frische in ihm, die
Straßenbettler, wenn sie tatsächlich ein wenig davon haben, sonst nicht
hervorzukehren, vielmehr zu verstecken pflegen.

Da er hoch auf dem Sockel der Götter saß, so hatte er an einer langen
Stange ein Binsenkörblein, das er dem Wanderer entgegenhielt, ähnlich
wie der Fischer seinen Angelstab niedersenkt. Gab es nichts, so
zog er seine Angel ruhig wieder ein, lehnte sich an die Götter und
wartete. Witzige Leute nannten ihn den Fischer im Olymp. Ich, der
wöchentlich ein paarmal des Weges zu gehen hatte, warf ihm fast allemal
einen Pfennig in das Körbel, nicht etwa, weil dieser Bettelmann so
erbarmungswürdig aussah, als vielmehr weil er stets ein so heiteres
Gesicht machte. Manchmal aber, wenn das bartlose Rundgesicht gar zu
heiter und aufgeweckt dreinsah, dachte ich: Na, schenk' lieber du
~mir~! und ging zugeknöpft vorüber.

Man wunderte sich, daß dem Manne die Polizei gelassen zusah, allein
diese hatte diesmal Humor und meinte, fischen sei nicht betteln und es
möge sich erst der beschweren, dem der Fluß gehöre. Der sickernde Fluß
der Wanderer aber gehört Gott dem Herrn, und der läßt alle Fischer und
alle Wilderer gewähren. Auch der Schloßherr fand nichts einzuwenden
gegen eine Gestalt, die den Eingang in seinen Park so wunderlich
schmückte. Er war ein Freund heiterer Gesichter und sagte, ein so
glücklich munteres Antlitz gäbe es in seinem ganzen Schlosse nicht.
Auch er warf dem Fischer manche kleine Münze in das Binsenkörbchen.
Anfangs soll ein hoher Herr mit teilnahmsvoller Gebärde mehrmals einen
Taler hineingelegt, damit aber den Bettelmann erzürnt haben. Er lasse
sich nichts schenken! sagte der Fischer, zerteilte die große Münze in
mehrere kleine und spendete sie den Armen.

Bei schlechtem Wetter war er nicht vorhanden. Die liebe Sonne genoß er
mit den Olympischen gemeinsam, in Sturm und Regen ließ er sie allein
stehen mit ihren verrenkten nackten Gliedern. Es fragte auch weiter
niemand nach ihm, oder vielmehr, ich horchte nicht danach aus. Mir aber
-- und das ist seltsam genug! Ging ich auch, wenn er oben saß, fast
gleichgültig vorüber, wenn er nicht oben saß, war mir geradezu bang um
ihn. Dem Wege fehlte der Sonnenschein des Bettlerangesichts. Er wird
doch nicht unpaß sein? Wo er nur wohnt? Was ihn doch verhindern mag,
daß er heute nicht fischt? Was mag der Mann nur eigentlich gewesen
sein, ehe er sich in den Olymp versetzte? Man sprach einmal davon,
daß er in der Stadt Häuser besäße; das glaubte ich nicht, denn dann
hätte er die Taler eingesteckt. -- Demnächst war er doch wieder da mit
seinem gelben Schafspelz und seinem roten Turban, und kein Engländer
kann geduldiger am Bache angeln, als da oben der Bettler auf die
kleinen Almosen wartete. Ein paarmal wollte ich ihn ansprechen; in dem
Augenblick, als mein Fuß über den Straßengraben stieg, neigte er sich
seithin, und sein Gesicht nahm einen unguten Ausdruck an. Da ließ ich
ihn einsam sitzen auf seinem Thron und ging den kümmerlichen Geschäften
des Tages nach.

Nun war es eines Tages, daß vor mir ein barfüßiger Handwerksbursch die
Straße dahinpatschte und unterwegs in der hohlen Hand mißmutig die
Münzen besah, die er an dem Tage erfochten haben mochte. Eine schien
dabei zu sein, die ihm nicht gefiel; war es nun ein schweizerischer
Pfennig, der hierzulande ungültig ist, oder war es ein messingener
Hosenknopf, der ebenfalls ungültig ist, ich weiß es nicht. Ich sah nur,
wie der Handwerksbursch, als er zur Stelle kam, wo an der Steingruppe
der Fischer saß, diesem zwar nichts in das Körbel warf, hingegen
aber die Münze in die Luft schleuderte, dem Bettler zu. Der wollte
die metallene Mücke abfangen, glitschte dabei aus und fiel in den
Straßengraben herab.

Ich eilte hinzu, um ihn aufzuheben, er wartete aber nicht auf mich,
erhob sich gelassen und murmelte: »Das härteste Bett wäre es nicht«
(denn es war weicher Lehm und langes Gras im Graben). »Und so kurz, wie
die Bauernbetten ist es auch nicht.« (Denn der Straßengraben war viele
Meilen lang.)

»Warum Ihr nur nicht liegen geblieben seid in dem guten Bett!« sagte
ich laut, um eine Anrede zu haben, und machte dabei mein Gesicht
lachen, daß er sah, es wäre nicht bös gemeint.

»Warum?« fragte er entgegen, »weil es noch zu früh ist zum
Schlafengehen. Muß ja erst den Gruß und Kuß aufsuchen, den mir der Herr
Vagabund zugeworfen hat.«

Und er begann auf dem Boden umherzulugen, rechts und links und vorn und
hinten, und das Geldstück war nirgends. Als er wieder hinanstieg zu den
Himmlischen, rief er plötzlich: »Aha, jetzt hebt die auch an!« denn der
schweizerische Pfennig lag auf dem Schoß der sitzenden Aphrodite. Dann
hub er hell an zu lachen: »Der soll nur liegen bleiben drin, das ist
ein Falscher! O Schand und Spott!«

Ich wollte den angeknüpften Verkehr nicht sogleich wieder abgebrochen
wissen, daher bat ich den Bettelmann, daß er mir den Schweizerischen
schenke.

»Wenn du ihn selber herausnehmen willst!« antwortete er mit komischer
Miene und drückte fast beide Augen zu. »Ich hab' jetzt nicht Zeit, ich
muß lachen. Ich muß lachen über des Vagabunden guten Witz, ha ha ha!«

»Wenn ich auch so herzlich lachen könnt'!« war meine Bemerkung, denn
jetzt wollte ich um jeden Preis mit ihm anbinden.

»Kannst nicht?« sagte er, stieg nieder und hub an, mit seinen kurzen
Fingern unter meinem Kinn herumzukrabbeln, »da muß man dich halt
kitzeln -- lach, lach, lach!«

Da lachte ich wirklich, sagte aber: »Lasset das. So ein Lachen tut
weh.« Denn ich hatte gerade meinen sauren Tag.

»Du bist gewiß einer von solchen, denen das Flennen lustiger ist, als
das Lachen!«

»Wenigstens wäre jenes eher am Platz, als dieses. Wie es zugeht in der
Welt!«

»Wie geht es denn zu?« fragte er, dieweilen er sich wieder auf seinen
Sitz schwang, die Stange mit dem Binsenkörblein zur Hand nahm und über
die Stange hinausblickte.

»Ihr seht es doch!« sprach ich, den falschen Pfennig betupfend, »falsch
im kleinen, falsch im großen, alles falsch, alles Betrug.«

»Mich betrügt keiner,« antwortete er, machte die Augen auf und schaute
so kühl über mich hinweg, als ob ich Luft wäre.

»Ich wollt Euch um etwas gebeten haben,« so wand ich jetzt ein.

»Gebeten? Du bitten? Du mich?« Sein Gesicht leuchtete auf wie Werg, an
das man mit dem Zündflämmchen gefahren.

»Ich wollt Euch gebeten haben um ein Stück Brot.«

Nun schaute er mich forschend an. Mein Stadtherrengewand, das keinen
Flicken und keinen Riß hatte, wollte ihm nicht recht stimmen zu dieser
Bitte. Daß ich eigentlich nur um ein Stück geistigen Brotes bat, um ein
warmes Menschenwort, um einen Funken seines frohen Wesens, er konnte
das freilich nicht wissen.

Sein Antlitz war ernst geworden, und völlig gedämpft sagte er: »Wenn
du Hunger hast, dann ist's freilich nicht zum Lachen. Auch nicht zum
Weinen. Dann ist's zum Essen. Schau! daß du so spät daherkommst! Vor
einer Stunde hätte ich noch einen Apfel und eine Traube gehabt. Ich
trage mir des Morgens mein Essen allemal im Körbel mit hierher. Jetzt
müssen wir was anderes suchen gehen. Aber es ist nicht weit.«

»Wohin denn?«

»Nach Hause.«

Um so besser, dachte ich. Meine Obliegenheit war an diesem Tage
vollzogen, ich hatte Zeit, auf Abenteuer auszugehen. Man kennt ja das,
mit diesen Professionsbettlern! In Paris war einer, der dreißig Jahre
lang mit verkrüppeltem Leib und in armseligen Lumpen an der Pforte
von Notre-Dame saß. Abends nach Hause gekommen, zogen ihm täglich
livrierte Diener die Saloneleganz an und dann ging's mit lustigen
Freunden und Freundinnen zur Tafel, bei der man mit Champagner anfing
und aufhörte mit was weiß ich. -- Zu Madrid in Spanien soll es sogar
eine Aktiengesellschaft auf Bettler geben. Die Krüppel, Kretins und
Aussätzigen sind Kapital und Produktion zugleich. Sie werden im Volke
zusammengekauft, entsprechend auf günstige Plätze verteilt, der
Impresario leitet die Geschäfte, nimmt des Abends die Einnahme in
Empfang, und führt sie wohlverbucht in die Hauptkasse ab, während die
Bettler in ihren Pensionen standesgemäß verpflegt werden.

Derlei ist mir eingefallen, als ich dem Manne folgte, der, in seinem
langen Pelz, über der Achsel die Stange, hastig vor mir hinlief,
dem Dorfe zu. Er war viel kleiner, als er auf seinem Stammsitze
aussah, seine in Lappen gewickelten Füße huschten lautlos dahin. Den
Dorfleuten, die uns, ohne zu grüßen oder gegrüßt zu werden, begegneten,
schien er eine gewohnte Erscheinung zu sein, um so verwunderter
betrachteten sie mich, der hinter dem gelben Pelz dreinlief. Durch
einen großen Bauernhof ging der Weg, hinaus in einen Obstgarten,
dort zwischen Busch und Baum stand die Klause. Ursprünglich mochte
sie als Hüterhaus gedient haben, jetzt war sie die Wohnung meines
Götterlieblings. Im Stübchen ein Tisch, ein Stuhl, ein Kasten, ein
Ofen, ein schmales kurzes Bett, ein Buch und ein Kerzenleuchter. Durch
ein helles Fenster strömte Licht auf diese Herrlichkeiten.

Sogleich öffnete mein Gastherr den Kasten, begann mit weißen Linnen den
Tisch zu decken, einen kleinen zierlichen Kübel mit Butter, einen Laib
Brot und ein Salzfäßchen herzurichten.

Ich fiel ihm in den Arm: »Nein, mein Lieber, so ist es nicht gemeint.
Ihr habt, wie ich sehe, hier die Bibel, und da drin steht's, daß der
Mensch nicht allein vom Brote lebt, sondern auch vom Worte. Ihr sollet
mir zuerst hübsch verzeihen, daß ich falsch, wie die Welt schon einmal
ist, mich an Euch gemacht habe und sollet mir dann etwas sagen.«

»Aber essen wirst du doch etwas!« rief er besorgt.

»Ich sehe Euch nämlich schon seit Jahr und Tag an der Straße sitzen und
Almosen heischen,« begann ich.

»Da siehst du ganz richtig,« antwortete er.

»Und nun möchte ich gerne wissen -- nein, es wird doch nicht gehen. Ihr
werdet böse sein, -- und Euch beleidigen? Nein.«

»Du mich beleidigen?!« fragte er mit langgezogenem Tone und blickte
mich dabei mitleidig, aber sehr überlegen, mit halbem Auge an. »Du
armer Narr!«

»Nun gut. Ich möchte nämlich gerne wissen, warum Ihr bettelt.«

»Warum ich --? Ha ha ha? -- warum ich bettle?« fuhr er lustig drein.
»Sage mir doch, warum du Luft schöpfest! Sage es mir doch!«

»Ihr seid gesund und stark wie einer. Ihr habet da ein gutes Brot, man
sieht ihm's an, daß es Euch schmeckt. Aber würde es nicht noch besser
schmecken, wenn Ihr es Euch verdient hättet? -- Mit Arbeiten --«

Jetzt trat er ein paar Schritte zurück, zog über der Brust seinen Pelz
zusammen, legte die Arme darüber, schaute mich mit seinem munteren
Gesicht herzlich mitleidig an und sprach: »Jetzt hast es gesagt. Jetzt
hast es gesagt, das große Wort. Und wenn die sieben Weltweisen sieben
Jahre lang dran studiert hätten -- besser hätten sie es auch nicht
sagen können. -- Arbeiten!«

»Na, ich meine nur ...«

»Arbeiten!« rief er aus, und seine Züge verzogen sich wie im Schmerze.
»Aber Freund, arbeiten tut ja weh! Schwitzen! Pfui Teufel! Schau her,
das steht auch in diesem Buche: Im Schweiße deines Angesichtes sollst
du dir dein Brot verdienen, weil du gesündigt hast!«

»Nun, da habt Ihr es.«

»Ich ~habe~ aber nicht gesündigt!« rief er frisch und munter aus.
»Ganz unschuldigerweise bin ich auf die Welt gekommen, hab's nicht
betreiben und nicht hindern können. Zuleid' hab' ich auch niemand etwas
getan, außer daß ich meiner Kindsfrau in den Finger gebissen haben
soll, weil sie mir statt der rechtmäßigen Muttermilch Kuhmilch in den
Mund schmuggeln wollte. Denn ich glaube schon mit Zähnen geboren worden
zu sein. Und da soll man kein Naturrecht haben aufs Essen? Da soll
man sich ein solches Recht erst durch allerlei Anstrengungen erwerben
müssen? Tu' mir den Gefallen, Kindskopf, und glaube das nicht.«

»Ihr zieht es also vor, andere für Euch arbeiten zu lassen.«

»Jetzt wirst du bitter, mein Freund,« sagte er gutmütig. »Und das
taugt wieder nicht. Ärger ist kein kleineres Unrecht, als Arbeit. Ich
will niemand verleiten, und ich habe all meiner Tage keinem Menschen
befohlen, für mich zu arbeiten. Siehst du es denn nicht? die ganze Welt
ist voller Tiere, alle sind frisch und munter, und kein einziges ist so
dumm wie der Mensch, und arbeitet. Arbeiten die Menschen für sie? Lasse
diese zweibeinigen Herrschaften nur erst aussterben, dann arbeitet
niemand mehr, und die Welt wird doch voll Leben sein.«

Als ich in das Häuschen getreten, hatte ich nicht gedacht, in wenigen
Minuten hier vor einem hohen Herrn zu stehen. Nun sah ich's, das war
einer. Das war einmal ein anderer, als die gewöhnlichen sind. Um ein
Stück Brot war ich gekommen. Er gab ein großes. Ob es auch nahrhaft
war, das sollte sich zeigen. Im ersten Augenblick fühlte ich mich
schier betäubt. Wie? das Tier arbeitet nicht und lebt doch? Und
glücklicher als der Mensch, gerechter, schuldloser?

Es ist naturgemäß, nicht zu arbeiten.

Diesen Gedanken hatte ich noch nie gedacht.

Während ich noch befangen war, begannen sie heranzukommen. Zuerst
die krabbelnde Ameise: »Es ist nicht wahr! Wir arbeiten.« -- Dann
die summende Biene: »Verleumdung! Wir arbeiten!« Dann der Biber, die
Spinne, die Vögel, die Schlangen und andere in langen Reihen, und alle
riefen pfeifend, piepsend, gröhlend, knurrend, bellend, krähend: »Wir
arbeiten! Wir arbeiten!«

Ich sagte es dem Bettler. Er lächelte freundlich und sprach: »Mein
viellieber Gast! das weiß ich ja, daß der Maulwurf wühlt. Aber denke
an, zwischen Arbeit und Arbeit ist eine breite Straße. Bin ich ein
Müßiggänger? Nein, ich bin ein Bettler. Ich gehe aus, um zu sammeln.
Ich strecke meinen Stab aus, um Gaben in Empfang zu nehmen, ich
trage sie nach Hause, die Münzen setze ich in Lebensmittel um, die
Lebensmittel bereite ich zu, bewahre sie auf, achte, daß sie nicht
verderben. Ist das Arbeit? Nein, es ist Tätigkeit. So betätigt sich
freilich auch das Tier. -- Aber ich mache keine Arbeit, die anderen
zugute kommt, solchen, die nicht arbeiten, die faulenzend in Prunk und
Hochmut das genießen, was andere erworben. ~So~ arbeite ich nicht.«

»Das ist eben eine menschliche Erfindung,« sagte ich.

»Nein, eine teuflische!« rief er. Da war er erregt.

»Tätigkeit und Arbeit, den Unterschied kennt man,« sagte ich. »Pflügen
und Säen ist Arbeit, ernten ist nur Tätigkeit. Ihr, lieber Bettelmann,
habt Euch für die letztere entschieden.«

»Und das ist das Richtige!« fiel er ein. »Nicht arbeiten, nur sammeln.
Die Natur, wenn sie gesund ist, produziert mühelos ihre Früchte aus
sich selbst. Arbeit ist Sünde gegen die Natur. Töte mich, wenn's nicht
wahr ist.«

»Ich töte Euch nicht,« darauf meine Entgegnung, »denn Ihr müsset mir
vorerst noch Antwort geben, Ihr wollet also nicht für andere arbeiten?«

»Nein.«

»Aber andere sollen für Euch arbeiten?«

»Schaf Gottes, wer sagt denn das?« rief er aus. »Ich sammle ja nur
Brosamen. Sie geben mir doch nur das in den Korb, was sie zu viel
haben, was sie verstreuen wollen. Sie tun's nicht aus Barmherzigkeit,
sie tun's, weil ihr Überfluß in ihnen das Bedürfnis gezeitigt
hat, Abfälle zu haben, armen Kreaturen manchmal etliche Brocken
hinzuwerfen. Sie sollen nur geben. Dankbar müssen sie sein, daß sie
geben dürfen.«

»Wie kann man bei so hartem Urteil über die Menschen ein so heiteres
Auge haben?« fragte ich ihn.

»Junger Freund,« antwortete er, »das kann man, wenn man fertig ist. --
Glaubst du: daß meine Mutter mich als Bettler geboren hat? Meine Wiege
war der Reichtum, lieber Mensch! -- Das, was ich heute bin, habe ich
selbst aus mir gemacht!« Im stolzen Tone des Emporkömmlings waren diese
Worte gesprochen. »Aber viel braucht's, bis man es so weit bringt!«
fuhr er fort. »Viele Jahre lang, o meine schönste Lebenszeit, habe ich
mich vom Besitz knechten lassen. Man glaubt sein Leben zu schmücken,
und man belastet es nur. Die tausenderlei Dinge und Dingeln, die an
den Reichen sich kletten, ein abscheulicher Ballast! Man kann nicht
weiter, man kann nicht hinan, man ist ein Sklave und trägt die schwere
Kette nur deshalb mit Gier, weil sie von Gold ist, und ist ein durch
und durch lumpiger Lump. -- Du hast gewiß Bekanntschaft mit reichen
Leuten. Nun also. Ich war auch so einer. Betrachte ihr dummes Leben,
und du hast das meine vor Augen. Aber endlich, als mir übel war aus-
und inwendig, gerade schon auf dem Punkt, wo die Besseren sich zu
töten pflegen, erwachte in mir der Egoismus. Hol's der Teufel! dachte
ich, und schmiß den ganzen Krempel von mir. Es war eine wanstige
Ledertasche.« --

Als er nicht weiter sprach, fragte ich: »Was war mit dieser
Ledertasche?«

»Ins Wasser hab' ich sie geworfen.«

-- Man spricht auch bildlich so, aber bildlich war's nicht gemeint.
Eine Stunde unterhalb der großen Stadt, in den Auen. Genau hat er den
Platz bezeichnet, wo er seine Papiere, im Werte von mehr als einer
Million Gulden, in die Donau geworfen hat.

»Ihr seid nicht klug!«

Er klopfte mir auf die Achsel: »Das muß ich besser wissen.«

»Das mag ja sehr philosophisch sein, aber gut ist es nicht.« Also mein
überlegener Einwand. »Ein guter Mensch hätte das Vermögen, anstatt ins
Wasser zu werfen, einem Armen geschenkt.«

»Der wäre davon ja reich geworden, du Tropf!« rief der Bettler. »Ich
habe mir ohnehin nachher Vorwürfe gemacht. Wie leicht konnte die
Ledertasche aufgefangen werden und in Menschenhände kommen. Gift wirft
man nicht ins Wasser.«

»Ihr hättet das Vermögen ja an ~tausend~ Arme verteilen können.«

»Du hast leicht reden,« entgegnete er darauf. »Du bist sicherlich nicht
aufgewachsen unter der Torheit der Million. Wäre ich damals weise
gewesen, so hätte mir das Geld nichts angehabt. Ich habe nur gesehen,
daß das Geld mein Unglück ist, so habe ich gemeint, es müßte auch
das Unglück anderer sein. Und ob's nicht denn doch so ist, sage es,
Mensch. Glaubst du nicht auch, daß dir geschenktes Geld zuwider ist?
daß es dich verwüstet? daß dich nur der Besitz freut, den du dir selber
erworben hast?«

»Und so spricht ein Mann, der an der Straße sitzt und bettelt?«

Er sprach: »Das verstehst du nicht. Die Pfennige, die ich bekomme,
sind ehrlich erworben. Halte ich doch die Stange hinaus! Sage ich doch
mein Vergeltsgott dafür! Der Taler, wenn er in den Korb fiele, wäre
geschenkt. Ich lebe von Pfennigen, begleiche meinen Wohnungszins, nähre
mich, kleide mich, bin niemandes Herr, niemandes Knecht, und stärker
wie der König.«

»Das wäre!«

»Ja, das ist,« fuhr er lustig fort. »Der König hat ein großes Heer und
muß immer noch fürchten, daß ihm der Feind etwas wegnimmt. Mir kann
niemand was wegnehmen.«

Ich langte wie raubend nach dem Butterkübel.

»Ha ha ha, sie gehört dem Hausherrn!« lachte er, »sie ist noch nicht
bezahlt. Und deswegen, Freund, muß ich wieder ans Tagwerk.« Er langte
seinen Korbstab vom Winkel.

Ich hielt ihm die Hand hin: »Hat mich gefreut, endlich einmal die
Bekanntschaft eines Glücklichen gemacht zu haben.«

Er wendete sich rasch um, als ob der, zu dem ich sprach, hinter ihm
stünde.

»Ein Glücklicher -- wo?« fragte er wie verblüfft. »Solltest du mich --?
Ja, ja, es geht mir soweit gut, aber glücklich bin ich nicht. Du siehst
es ja.« Er deutete auf seine Lagerstätte. »Viel zu kurz. Ich bin fünf
Schuh lang, und der Trog vier. Was kannst machen? Bei den Bauern findet
man's nicht anders. Man grübelt nicht weiter, klappt sich zusammen und
gut ist's.«

Ich sah es wohl ein. Auf sechs Schuh langen Erdenraum hat sogar der
Tote Anspruch, und dieser Lebendige besaß ein Drittel weniger. Er hätte
vielleicht nur das Fußbrett ausstoßen müssen ....

So nahe ist mancher Mensch seinem vollkommenen Glücke. Aber er stößt
das Brett nicht durch. --

Als wir selbander die Straße dahingingen, begegnete uns der Schloßherr,
er fuhr vierspännig und grüßte den Bettelmann mit einer Handbewegung.
Dieser dankte »von oben herab«. Dann blieb er stehen, schaute ihm nach,
schüttelte den Kopf und murmelte: »Armer Bruder! Das Kamel hat vier
Beine, und du hast achtzehn. Und kannst nicht gehen. Denn du fahrst
ja.«

»Sagt Ihr auch zu dem ~du~?« meine Frage.

»Ha ha ha! das ist der erste gewesen, den ich geduzt. Zu den Eltern
hat man damals Sie gesagt. Welche Narrheit. Aber die Geschwister
untereinander ... immer du.«

Er war zur Stelle. Ohne weiteres kletterte er mit guter Übung an den
steinernen Statuen empor, setzte sich in den Schoß der Aphrodite und
streckte den Stab mit dem Binsenkörbchen aus -- nach mir.

Ich reichte dem Bruder des Schloßherrn zwei Pfennige und schritt
nachdenklich meines Weges.




                           Der Geistbrenner.


Wer einmal fünfzig Jahre lang Zeuge des Weltlaufes gewesen, bei dem
müßte sich, so sollte man meinen, der ganze innere Mensch geändert
haben. Alles ist ja so unerhört anders, als man's in der Jugend
gesehen, geträumt hat. Die lange Reihe von Hoffnungen, Überraschungen
und Enttäuschungen, von Freuden und Qualen, von Entwickelungen und
Verwickelungen und Lösungen, bei denen immer wieder alles erwartet
wird und immer wieder nichts herauskommt: diese Reihe von großartig
aufgedonnerten Nichtigkeiten müßte ein denkendes Wesen doch endlich
gleichgültig machen, in den Zustand jenes Träumenden versetzen,
der bei keiner Feuersbrunst mehr aufschreit, bei keinem Sturz mehr
zusammenzuckt, weil er in seinem Halbschlummer weiß: es ist doch nur
ein Traum.

Jawohl, wer fünfzig Jahre lang am sausenden Webstuhl der Zeit steht,
der müßte es endlich doch weghaben, wie die Fäden geknüpft, geschlungen
und die Knoten wieder gelöst oder zerhauen werden. Er müßte sehen,
daß jeder, der da mit hineingewoben wird, eigentlich gleich gut daran
ist, ob sein Faden nun geradeaus oder querüber läuft. Ein Kreuz
bildet's immer. Der mitverwobene, mit den übrigen Fäden ringende und
sich verklemmende, auf andere Fäden sich stützende, in andere Fäden
sich bergende und doch für sich ein freier selbstsüchtiger Ichfaden
sein wollende Hascher und Haber leidet ganz verzweifelt. Einer, der
sich als von außen Sehender fühlt, ändert sich im Lauf seines Lebens.
Der Haschende und Habende ändert sich nicht. Der ist lediglich Stoff,
der nach gemeinsamen Naturgesetzen steigt und fällt, sich physisch
ausdehnt, chemisch verbindet und nicht anders als ein Klumpen Erde
mittun muß in dem Kessel, aus dem ewig die Blasen steigen und in
dem der Bodensatz in die Tiefe sinkt. Die Haschenden und Habenden,
sie sind es, die den Kampf ums Dasein mit demselben trostlosen
Stumpfsinn ringen wie der Wurm und die Milbe und die Eintagsfliege.
Die Haschenden und Habenden, sie sind für sich nichts; erst wenn sie
sich mit Gleichartigem, mit der Stoffmasse verbinden, scheinen sie
etwas zu sein, wenigstens so viel, daß sie sich selbst genügen. Sie
schauen nicht, sie denken nicht, sie sind bloß, wie ein Schwammtier
oder ein Weichtier ist. Diese rein materiellen Menschen sind eigentlich
das Unschuldigste, was es geben kann; sie sind ja halb unbewußte
Wesen; sie dämmern so hin im Verdauungsschlummer, als ob sie zu viel
gefressen hätten, oder sie greifen instinktiv immer und immer mit
ihren Fängern aus wie Seetiere, die alles, was sie erhaschen können,
einmal an sich ziehen, wenn sie auch, längst übersättigt, alles wieder
fallen lassen müssen. Die Hascher und Haber, diese Ärmsten! Und diese
Glücklichen! Weil sie ja so kurzsichtig sind und so tief in ihren Tag
hineingebettet, daß sie keine Ahnung haben von den ewigen, glühenden,
göttlichen Dingen, die den Schauenden nimmer zur Ruhe kommen lassen.

Der reine Stoffmensch ändert sich nicht durch ein Erleben; er ist als
Greis innerlich derselbe, der er als Kind gewesen, wenn auch nicht
immer ein Habender, wohl aber immer ein Haschender. Er denkt nicht weit
genug, um sich zu fragen, wie er die erhaschte Beute nutzen werde;
er denkt kaum daran, welchen Wert sie für ihn hat; er lebt in der
dämmernden Vorstellung dahin: Das gehört mir! Es ist ein Versunkensein
in die Stoffwelt, ein fast friedlicher Schlaf. Aber der Schauende wird
anders bis in seinen späteren Tagen. Er mag in der Jugend von den
Sinnen zum Stoff hingezogen worden sein; aber als ihm das Auge aufging,
trat er ein wenig zurück von dem sausenden Webstuhl, um nicht in das
grobe Tuch der Menge mitverwoben zu werden.

Was da aufsteht, das wird von der Menge mit Jubel begrüßt, was
hinfällt, mit Schreck und Klage bestattet. Der Schauende jubelt
nicht, erschrickt nicht und klagt nicht. Er weiß: diese Schürzungen
und Lösungen sind selbstverständliche Vorgänge am Webstuhl. Er sieht
den Wandel und Wechsel im kleinen, er empfindet mit, wie die einzelne
Kreatur vergehend aufschreit: Ich sterbe, jetzt ist alles aus! Und
doch ist nichts aus; alles flutet im gleichen mächtigen Lebensstrom
weiter dahin und der Lebensstrom ist und bleibt so urfrisch wie am
ersten Schöpfungstage. -- Dieses Sehen hat den Schauenden verwandelt.
Er war Stoffwesen und ist ein vergeistigter Mensch geworden; er steht
gleichsam außerhalb des Schlagbalkens, der die Fäden aneinanderstößt;
er schaut vergnüglich dem Weber zu. Aber wenn er ihn fragt: »Meister,
wozu das viele Tuch, das du webest und auf die Rolle windest?«, so
bekommt er keine Antwort.

                   *       *       *       *       *

Vor etlichen Jahren war ich eines Tages an der Reichsstraße in eine
Hütte eingekehrt. Eine armselige Hütte, in deren Mauerspalten Gras
keimte. An der schiefwinkligen Tür, deren Fugen mit Moos verstopft
waren, klebte ein Blatt Papier, auf dem in ungefüger Handschrift die
Worte standen: »Hotel zum Napoleon«. In der Hütte saß ein alter Mann in
einem Zwilchkittel, aber barfuß. Er hatte einen schönen weißen Bart,
einen Holzblock zwischen den Händen und stampfte im Bottich Vogelbeeren
ein. Meine Anfrage, ob ich während des Gewitterregens in seinem Haus
Unterstand halten dürfe, wurde damit beantwortet, daß der Alte Körbe
und Stiefel von der Wandbank wegräumte, auf daß der Gast sich behaglich
niederlassen könne. Sogar einen Lodenmantel rollte er zusammen zu einem
Hauptkissen, falls ich mich ein bißchen hinlegen wollte. Ich sei,
meinte er, gewiß schon weit gegangen und hingestreckt ruhe sich der
Wandersmann am besten aus. Auch in der ewigen Ruhe verlege sich der
Mensch aufs Liegen.

»Hab' mir's gleich gedacht, daß das ein vornehmes Hotel ist, das Hotel
Napoleon,« sagte ich spaßend.

»Das wohl; nobel sind wir schon!« Der Alte lachte und goß aus einer
großen Flasche eine wasserklare Flüssigkeit ins kleine Kelchgläschen,
das er vor mich auf die Tischecke stellte.

Auf meine nähere Erkundigung nach der Geschichte dieser Firma
antwortete er: »Will der Herr die zwei Dukaten sehen, die der Napoleon
meinem Vater hat auszahlen lassen?« Und mit dem dürren Finger
durchs Fenster zeigend: »Dort, wo jetzt der Brennofen steht, beim
Hollerbuschen, ist die Schmiede gestanden. Von gestern und vorgestern
rede ich nit. Ist ja mein Vater noch ein junger Bursch gewest.
Hufschmied an der Straßen. Ein gutes Geschäft dazumal. Wenn auch nit
gerade jeder fürs Pferdebeschlagen drei Dukaten hat gegeben wie der
Franzosenkaiser, als er vorbei ist geritten gen Graz. Später, als es
mein Vater erfahren, wer der kleine Reiter ist gewesen, hat er freilich
die Dukaten auf den Steinhaufen geschleudert. Und noch später, viel
später, wie es geheißen hat, der große Napoleon sei auf eine Insel im
Weltmeer verstoßen worden, hat's die Leut' umgewendet und mein Vater
hat den Steinhaufen abgetragen. Zwei hat er richtig wiedergefunden von
den Goldstücken; und die sind in der Familie verblieben zum ewigen
Andenken.«

Es wollte mir nicht übel gefallen, daß dieser Hufschmied, entgegen
dem Weltbrauch, den Mächtigen gehaßt und den Unglücklichen geehrt hat.
Ich nahm einen Schluck von der klaren Flüssigkeit. Das war Feuer,
eines Hotels Napoleon würdig. Es regnete stundenlang, der Weg bis
zum nächsten Bahnhof war nachher immer noch leicht zu machen und so
verlor ich mich mit dem frohen alten Mann in ein anmutiges Gespräch,
während er mit dem Kolben im Bottich seine Vogelbeeren stampfte. Dort,
wo angeknüpft war, erzählte er weiter. Sein Vater habe neben der
Schmiede eine Schänke aufgetan, damit den Fuhrleuten, die etwa in der
Reihe auf das Pferdebeschlagen zu warten hatten, die Zeit nicht lang
werde. Aus der Schänke sei allmählich ein Wirtshaus geworden und aus
diesem ein großer Gasthof, wo alle Fuhrwerke und Herrschaftkutschen
Einkehr gehalten. Um diese Zeit sei er, mein jetzt so weißbärtiger
Mann, ans Licht gekommen, gehegt und erzogen und »von den Leuten
verhunzt wie ein Prinz«. Der einzige Sohn des reichen Napoleonwirtes!
Denn so hat der Gasthof geheißen und die Deutschen sind lieber beim
»Napoleon« eingekehrt als beim »Kaiser Rotbart« auf der nächsten
Poststation, weil beim Napoleon eben der Wein besser gewesen. Dann
kamen die Eisenbahner ins Land. Da gab es Fuhrwerk über die Maßen und
ungeheuer viel Geld. Die Leute hatten nur so gelacht dazu, obwohl
ihnen der Strick schon um dem Halse lag. Aber er war noch locker.
Der Napoleonwirt selbst hatte Tag für Tag vierundzwanzig schwere
Pferde auf der Straße und am Tag der Eisenbahneröffnung saß er an der
Ehrentafel fast ganz oben in der Nähe der hohen Herren und einer von
ihnen feierte ihn durch einen Trinkspruch als den König der Straße.
Das war vielleicht ein unbeabsichtigter Spott; aber ein großer. König
der Straße hieß in diesem Fall König ohne Reich, denn wenige Jahre
später: und auf der Straße konnten sich Schafe satt weiden. Der alte
Napoleonwirt kränkte sich sehr darüber, daß die Eisenbahn, die er so
emsig miterbauen half, so treulos war. Kein Mensch, sagte er, sei noch
so grob betrogen worden wie er, der Napoleonwirt. Der Eisenbahnzug,
der oben am Berghang hinrollte, pfiff auf ihn herab und kein Gesetz
kümmerte sich um die Straße. Ohne gewöhnlich andere Gäste zu haben als
manchmal einen durstigen Nachbar, wirtschaftete er in seiner Weise noch
eine Weile fort; und als er endlich Haus und Hof verkaufte, geschah es
gerade so, daß die Gläubiger keinen Schaden hatten. Da meinte der alte
Napoleonwirt, für ihn sei es nun die höchste Zeit, zu sterben, denn
ein paar Jahr später hätte es nicht einmal mehr für einen Grabstein
gereicht. Ein Leben ohne Nachlaß und ohne Grabstein hätte er für die
überflüssigste Arbeit von der Welt gehalten.

Und der junge Mensch, der Sohn, stand nun allein auf der Straße.
Manchmal saß er auf der Bank vor der verfallenden Schmiede und
beobachtete die Leute, wie deren doch von Zeit zu Zeit wieder
vorüberkamen. Und wenn er sich so ins Schauen verlor, da war ihm
anfangs, als vermöge er den Insassen des Viergespannes und den
hinkenden Handwerksburschen nicht zu unterscheiden. Es sei denn,
daß dieser einen munteren Marsch pfiff und jener ein gelangweiltes
Gesicht machte. Und dann wieder zu sich kommend, fragte er: »Was
tue ich jetzt? Am vollen Trog habe ich schon gesessen.« Nichts war
davon übrig geblieben als der Nachteil, daß ihn nun der leere doppelt
verdrießen konnte. Doch er verdroß ihn nicht eigentlich. Er war gegen
alle weiteren Unfälle gut versichert bei der Assekuranzgesellschaft
Habenichts & Co. Der Pfarrer seines Ortes hatte einmal gepredigt, der
Christ solle dem Geiste leben. Und weil er das nicht weiter erklärte,
so legte der Zuhörer es sich selber zurecht. Es wird auch am besten
sein. Das braucht kein großes Betriebskapital. Ich will dem Geist
leben. Und gründete eine kleine Branntweinbrennerei. Die Wurzeln,
Beeren und Abfälle, aus denen er den Geist zog, hatte er umsonst; er
brauchte sie nur zu sammeln, manchmal dafür ein »Vergelt's Gott!« zu
sagen und ein »Stamperl Branntwein« zu versprechen. Wenn dann der
Nachbar kam, um ihn zu trinken, griff er doch in den Sack; denn man
hatte den fröhlichen Burschen nicht ungern und vermutete, daß er
auch ein bißchen leben wolle. Er scheint auch in seiner Unterhaltung
Geist geschenkt zu haben und nicht etwa Fusel, wie mancher zünftiger
Ritter vom Geist zu destillieren pflegt. Da das große Einkehrhaus
an der grünen Straße keine rechte Verwendung mehr finden konnte, so
wurde es abgetragen und aus seinen Ziegeln am Bahnhof eine Waggonhalle
erbaut. Nur die alte kleine Schmiede blieb stehen, um dem einzigen
Übriggebliebenen zur Brennerei zu dienen. Das Wohnhaus dazu hatte er
sich aus dem Fachgebälk des abgetragenen Gasthofes selbst gezimmert.
Und hier lebte der Mann nun gelassen dahin, länger als fünfzig Jahre.

Er war Zeuge, wie sich in dieser Zeit alles mehrmals umstürzte. Die
Menschheit machte Purzelbäume. Stand sie auf den Füßen, so behauptete
sie, die einzig richtige Grundlage für den Fortschritt sei der Kopf;
und stand sie auf dem Kopf, so klagte sie, daß alles in der Welt
verkehrt sei. Der Schauende stand abseits und war ein wenig verblüfft.
Nicht der Wandel befremdete ihn, sondern die Stetigkeit der Kreatur.
Trotz allem unbegreiflichen Wandel blieben die Leute sich gleich.
Bauten diese Leute Häuser, so tranken sie Branntwein, um Kraft zu
gewinnen. Brannten die Häuser nieder, so tranken sie Branntwein,
um sich zu trösten. Die Felder wurden zu Wald: die Leute tranken
Branntwein und wanderten aus. In den Wildnissen streiften Jäger und
tranken Branntwein. Und der Alte machte seinen Branntwein gerade so,
wie man ihn vor so viel hundert Jahren gemacht haben mag. Und auch wo
sie es anders machen, ist's im Grunde dasselbe. Alles kreist um den
Punkt; und dieser Punkt rührt sich nicht vom Fleck. Zur Zeit der Ritter
war es Mode geworden, in Kutschen zu fahren; zur Kutschenzeit ist es
Sitte geworden, auf der Eisenbahn zu reisen; in der Eisenbahnzeit wurde
es nobel, den Motorwagen zu hetzen; zur Zeit des Motorwagens wird es
vornehm sein, im Luftschiff zu fliegen; und zur Zeit des Luftschiffes
werden die Herren plötzlich finden, das Vornehmste, das Stolzeste, das
Ritterlichste sei das Reiten auf dem Pferd. Dann ist man rund herum.
Ein Ringelspiel wie auf Jahrmärkten. An einzelnen Stellen wurde wieder
gerodet, wurde wieder gebaut: und immer tranken sie Branntwein und
haschten nach Habe, nach grobem Genuß und waren stumpfsinnig für alles
andere. So war die Masse immer gewesen und das Erdbeben der jungen Welt
hatte wenig geändert. Die Masse ist Rohstoff, an dem die Wetter der
Zeiten immerwährend formen und zerstören. So streute die Natur ihren
Menschenstaub auch wieder einmal auf die Straße. Eines Tages kam der
närrisch gewordene Scherenschleifer und der sausende Teufel. Der erste
ein Reiter ohne Roß, der zweite ein Roß ohne Reiter. So der wörtliche
Ausdruck des Alten; ich kann mir nur denken, daß damit die Radfahrer
und Autofahrer gemeint sein sollten. -- Und so, fuhr er fort zu sagen,
habe sich seit fünfzig Jahren allerlei hingeändert und zurückgeändert,
im Weltkasten sei alles ganz toll durcheinandergerüttelt. Aber die
Zwetschken, seien sie braun oder blau, süß oder herb, frisch oder faul:
der Kern sei gleich geblieben. Es sei derselbe harte Kern mit etwas
Gift im Innern. Der Mensch turne und bade, »doktere« und schneide
an sich grausam herum, sei aber inwendig der Alte geblieben. Vor
Zeiten habe eines Tages ein armes Weib verschmachtend an der Straße
gelegen und ein vornehmer Vierspänner sei lustig vorübergefahren. Vor
einigen Wochen habe da unten bei der Telephonstange Nummer 321 der
Blitzschlag einen alten Hausierer betäubt und ein Automobiler sei
lustig an ihm vorübergefahren. Einen Menschen aufheben und laben: Das
kann man von so einem nicht verlangen. Muß noch froh sein, wenn er
selber keinen niederrennt. Ja, der Kern ist hart und ein wenig giftig.
Aber abgewöhnen mag man sich's doch nicht, das Zwetschkenessen. Das
Auswendige nascht man und auf den Kern läßt man sich nicht ein. Dann
bleibt man halt abseits stehen und schaut zu. Und brennt Geist.

Während solcher Reden hatte der alte Schnapsbrenner mir einen
angeschnittenen Laib Weißbrot vorgelegt und mich eingeladen, die
Stiefel auszuziehen, damit sich die Füße besser ausrasten könnten. Ja,
er stellte sich ausgespreitet hin und wollte sie mir von den Beinen
reißen.

Ich lachte und sagte ihm offen, was mich wunderte. Daß er bei seiner
Weltverachtung noch so gut sein könne. Ich sei in seinen Augen ja auch
nichts anderes als ein Körnchen des Menschenstaubes auf der Straße. Da
fuhr er munter in die Höhe: »Ja, glaubt Ihr denn, Ihr bekommt das alles
geschenkt? O, das Hotel Napoleon ist ein gar teures Hotel!«

»Ich hoffe, daß Ihr Euch die Sachen bezahlen lassen werdet.«

»Bezahlen! Geht mir weg mit dem Wort Bezahlen! Allerlei Geist habe ich
Euch vorgesetzt. Guten Geist!« fügte er mit ernsthafter Miene hinzu.
»Und seit wann tut man den Geist mit Ziffern und Zahlen ab, seit wann?
Ich denk', Ihr werdet Euch selber dalassen müssen. Ich denk' wohl.«

Der Gewitterregen war vorüber, die Straße hatte kalkgraue Tümpel
und die Sonne schien wieder drein. Als ich zu Dank und Abschied dem
Alten die Hand reichen wollte, nahm er sie nicht an. »Bleiben wir nit
beisammen?« sagte er. »Wir bleiben ja beisammen!«

                   *       *       *       *       *

Damals dachte ich, er spreche doch Unsinn, manchmal. Heute denke ich
das nicht. Über zwei Jahre sind seitdem dahingegangen, in jene Gegend
kam ich nicht mehr, den Alten habe ich nicht mehr gesehen: und doch
muß ich oft, sehr oft an ihn denken. Ja, so oft ich selbst mich als
Weltbeschauer empfinde, muß ich an jenen Schauenden denken. »Wir
bleiben beisammen!« hatte er gesagt. Es dürfte stimmen. Ich war an
seiner Weisheit hängen geblieben.

Aber, mein lieber alter Geistbrenner, es wird uns nicht viel helfen.
Wenn wir zwei uns auch außerhalb des sausenden Webstuhles stellen,
einer links und der andere rechts, und dem Weber mit Fadenknüpfen
Handlangerdienste zu leisten vermeinen: wir sind doch mitten im Gewebe;
nur sind wir als Fäden vielleicht widerhaariger als andere und bilden
häßliche Knoten. Alle miteinander machen wir das liederliche Tuch aus.




                       Der ordentliche Augustin.


Als der Vater Augustin Kernschimmlers sein vierzigjähriges
Geschäftsjubiläum beging, sagte der Festredner unter anderem auch
die großartigen Worte: »Unser teurer Jubilar nährte andere und wurde
selbst fett, machte andere wohlhabend und wurde reich dabei. Sein
Glück gründet auf seinen Tugenden!« Und Sekt darauf. -- Denn der Vater
Augustin Kernschimmlers war Bäcker und Fleischermeister gewesen --
der einzige in dem Städtlein. Als einziger Fleischer hatte er die
einzige Bäckerin geheiratet, und Augustin war von diesem einzigen
Paar das einzige Kind. Jemand behauptete, der Vater habe das aus
Geschäftsrücksichten so eingerichtet, denn er konnte keine Konkurrenten
leiden und wollte dem lieben Söhnlein auch die Konkurrenz von
Geschwistern ersparen.

Als nun bei dem oben erwähnten Jubiläum das Wochenblatt einen
Festartikel über die Doppelfirma brachte und sogar die Bildnisse des
verehrten Ehepaares Kernschimmler, da war es plötzlich ausgemacht, daß
der kleine Augustin weder Fleischer noch Bäcker werden dürfe, sondern
ein Doktor oder Professor, womöglich ein sehr berühmter. Zwar sagte
der Vater zu seiner Frau, berühmt werde man ja auch als Fleischer, was
eben der große Festartikel und das mit einem Lorbeerkranz umgebene
Doppelbild des Jubelpaares im Wochenblatte bezeuge. Sie wußte das
freilich besser, sagte es aber nicht, daß ihr die Veranlassung zu
diesem illustrierten Festartikel runde hundert Gulden von ihrem
Nadelgelde gekostet hatte.

Der Augustin kam in die Stadt, ins Gymnasium, und ward ein sehr
ordentlicher Student. Seine Schulbücher hatten nicht ein einziges
Eselsohr, doch bei den Examinationen ging es manchmal nicht ab ohne
jegliche Erinnerung an das populäre Tier, auch wenn es nicht just
Zoologie gab. Die Mutter schickte dem Söhnlein häufig Geräuchertes,
Milchbrot, Krapfen und Zwieback, vor allem Powidlkuchen, die er so
gerne aß. Einen Teil dieser guten Dinge verzehrte der Junge, der andere
verschimmelte ihm im Nachtkästchen, der seine Vorratskammer war.
Und als der Rest verschimmelt war, verzehrte er ihn auch, schon aus
Ordnungsliebe und weil es ihm leid tat, die mütterlichen Liebesgaben
wegzuwerfen. Seine Schulhefte waren stets wie neu und die Schriften
und Ziffern wie gestochen, nur recht oft unrichtig. Über Fleiß und
Sittlichkeit sangen seine Zeugnisse wahre Lobeshymnen, im übrigen
jedoch gaben sie ihm Anlaß zur Unzufriedenheit mit den Professoren.
So kam der Tag der Reifeprüfung. Die schwarzen Kleider mit dem
Seidenzylinder hatte der junge Kernschimmler sich schon am Vorabend
auf das musterhafteste zurechtgerichtet, also auch im Notizbuche die
Gegenstände, in denen er bereits geprüft war und noch geprüft werden
sollte, mitsamt den erhaltenen und zu erhoffenden Noten sorgfältigst
aufgeschrieben. Als er nun auf der Gasse schon nahe dem Schulgebäude
dahinging, bemerkte er mit Entsetzen, daß seine Stiefel nicht frisch
gewichst waren. Er kehrte in seine Wohnung zurück, fand aber weder die
Quartierfrau vor, sie war auf den Markt gegangen, noch den Schlüssel
zum Schrank, wo das Stiefelputzzeug aufbewahrt lag. Er mußte also zum
Krämer und zum Bürstenbinder, um Wichse und Bürsten zu kaufen und
dann die Beschuhung selbst in einen des Tages würdigen Zustand zu
versetzen. Als er hernach die Stiefel wieder an die Beine zog, riß sich
an einem derselben eine Strupfe los. Man sah zwar den Schaden hinter
der Hose nicht, aber der junge Mann konnte keine Schlamperei leiden,
er ging zu seinem Schuster, der die kleine Angelegenheit auch zur
besten Zufriedenheit schlichtete. Als er hernach an den Lehrsaal kam,
schritten die Kollegen und Professoren gerade zum Tore heraus, die
Abgangsprüfung war vorüber. Augustin hatte nun ein ganzes Jahr Zeit, um
vor seiner Prüfung vielleicht auch noch andere Mängel, als die an den
Kleidern, zu beseitigen.

Mittlerweile starben rasch hintereinander seine Eltern. Der Schlag
würde für den guten Jungen vernichtend gewesen sein, wenn nicht durch
denselben in Haus und Geschäft eine Welt von Unordnung aufgetaucht
wäre, die in Ordnung gebracht werden mußte. Das zerstreute ihn ein
wenig. Das Ordnungmachen dauerte aber Jahr und Tag, und mich wundert es
nicht, daß darob die Reifeprüfung ganz und gar vergessen worden war.

Augustin Kernschimmler fand sich plötzlich allein auf der Welt,
aber als Erbe eines großen Fleischergeschäftes und einer Bäckerei,
die sich auch auf Mühle und Kornhandel verzweigte. Die Mühle und
die gewerblichen Rechte verkaufte er, ebenso auch die Grundstücke;
die beiden alten Häuser aber, das Fleischerhaus des Vaters und
das Bäckerhaus der Mutter, behielt er aus Gründen der Pietät, und
seine Lebensaufgabe bestand von nun an darin, diese Häuser und ihre
Einrichtung in Ordnung zu halten. Jahraus, jahrein beschäftigte er
eine Anzahl Dienstboten, um die Möbel abzustauben, die Spinnweben von
den Ecken zu fegen, den Schwamm im Fußboden zu vernichten und alles
Geschirr und Gezier blank und rein zu erhalten. Er konnte sich nicht
entschließen, irgendein Kleidungsstück seiner Eltern wegzugeben, die
Dienstboten rangen für und für einen wahren Verzweiflungskampf mit
den Motten und anderem Insekt, aber mit Kampfer und anderen Mitteln
gelang es immer noch, die Sachen zu erhalten, so daß sie in ihren
Schränken und Kästen genau so liegen und hängen konnten, wie sie zu
Lebzeiten oder beim Tode seiner Eltern gelegen oder gehangen waren.
Die Wohnungen der beiden Häuser waren denn auch stets in dem Zustande,
die ehrenwertesten Besuche zu empfangen, die nicht kamen. Auf der
Fleischbank konnte zu jeder Stunde geschlachtet, im Ofen jeden Tag
gebacken werden, es war alles dazu in bester Bereitschaft. Geschlachtet
und gebacken wurde aber nicht. Doch, so fleißig auch gelüftet wurde, es
war ein Modergeruch vorhanden, und die Schritte des Wandelnden hallten
lauter in den Wänden als anderswo.

Kernschimmler war ein stattlicher Mann geworden, dem außer Hause seine
wunderliche Art nicht einmal angesehen werden mochte. Er pflegte sich
gut und kleidete sich stets mit peinlicher Genauigkeit, freilich
nicht gerade nach der Mode, aber doch mit gutem Geschmacke und mit
größter Akkuratesse. Wenn an einem Kleidungsstücke ein Knopf verloren
ging, so mußte seine alte Dienerin von Schneider zu Schneider, von
Krämer zu Krämer laufen, um genau den gleichen aufzutreiben, und wenn
das nicht glückte, so wurde das ganze Kleidungsstück dem Trödler
übergeben. Sein Aus- und Eingang war pünktlich, wie eine Uhr, sein
Verkehr mit Bekannten verbindlich, aber gemessen, im Gespräche stets
der gleichen Worte und Redewendungen sich bedienend. Alle Samstage ging
er des Abends in heitere Gesellschaft, lachte aber nur, wenn bei ihm
Lachenszeit war, nämlich der Ordnung halber bloß bei bestimmten, stets
wiederkehrenden Späßen. Neue Witze mochten besser sein, er machte keine
Ausnahme von der Regel.

Er hätte sich zurzeit -- denn die Weiber garnten um und um --
sicherlich verliebt, allein das lag nicht in seiner Tagesordnung, und
wie er schon so sehr dem Gesetze der Trägheit unterworfen, so wäre nach
dem einmaligen Verlieben zu befürchten gewesen, er könnte sich der
lieben Ordnung halber jeden Tag wieder verlieben.

Augustin Kernschimmler war unverheiratet geboren und blieb also
unverheiratet. Er lebte so nach seiner Art behaglich und zufrieden
dahin und eine Entgleisung von dieser Lebensbahn schien ausgeschlossen.
Da -- in seinem sechsundvierzigsten Lebensjahre -- erkrankte er.
Es geschah so allmählich, so sachte, daß er die Ordnungswidrigkeit
nicht einmal inneward. Er wurde ein wenig magenleidend, dann ein
wenig leberleidend, hernach ein wenig halsleidend, endlich ein wenig
brustleidend. Seine große Sorge war, die Erscheinungen, die er an sich
wahrnahm, ordentlich zu verbuchen und vom Arzte die lateinischen oder
griechischen Namen dafür zu erfahren. Damit konnte der Doktor recht
sehr aufwarten. Wenn es aber einmal nicht stimmte, wenn der Doktor
und die medizinischen Werke, die Kernschimmler genau studierte, sich
widersprachen, dann war er gebrochen. Als es sich aber sachte, doch
haarscharf auf eine Lungensucht wies und alle Anzeichen dazu auf das
glänzendste auftraten, da rieb sich der gute Kernschimmler fröstelnd
die Hände, vergnügt darüber, daß doch noch wenigstens bei schweren
Krankheiten eine gute Ordnung obwalte. Sicherheitshalber hatte er
mehrere Ärzte rufen lassen, und alle stimmten darin überein, daß der
rechte Lungenflügel ganz kaput, der linke noch fast zur Hälfte intakt
sei. Eine Frage der Zeit. In der Bestimmung dieser aber widersprachen
sich die Herren, die gutmütigeren gaben ihm Monate, sogar Jahre, die
berühmten gestanden fast derb, daß es sich nur noch um Tage handeln
könne. -- In Gottes Namen! Es liegt ja in der ewigen Ordnung der Natur,
daß der Mensch sterben muß. Wenn's jedoch wirklich schon ernst ist,
dann frägt es sich um die testamentarischen Angelegenheiten. Ein
paar Verwandte, etliche gute Freunde werden ja wohl so gut sein, die
Hinterlassenschaft in Empfang zu nehmen und ordentlich zu verwalten.
Die hohe Erbsteuer ist nicht in Ordnung und ist das überhaupt ein sehr
umständlicher Weg durch Behörden und Advokaten, dessen Ausgang mancher
Erbe gar nicht erlebt. Da wird's vernünftiger sein, die Sachen unter
der Hand zu verschenken.

Also hat Augustin Kernschimmler am nächsten Tage seine entfernten
Vettern und Muhmen und einige gute Bekannte der Samstagsgesellschaft
zu sich beschieden. Wäre schier zu spät gewesen, er hatte kaum noch
eine vernehmliche Stimme, es versagte ihm schon der Atem. Zur Not
wenigstens das wichtigste: Die Häuser gehören den Verwandten, die
Einrichtungsstücke den Freunden, das vorhandene Papier der Gemeinde
für wohltätige Zwecke. Das alte Gewand in den Schränken soll verbrannt
werden.

Die Beschenkten weinten vor Rührung, vor freudiger. Wer seine Sachen
mitnehmen konnte, der nahm sie gleich mit. Der Sterbende konnte sich
nun auf die andere Seite legen -- es war in Ordnung.

Am nächsten Morgen erwachte er später als sonst. Ah, das war ein
erkleckliches Schläfchen gewesen, diesmal. Er fühlte sich nachgerade
erfrischt. -- Nun muß aber der Erzähler sich sputen mit der
Entwicklung, sonst errät es der Leser vorwegs, wo es hinaus will. Also
gut, der Augustin Kernschimmler wurde wieder gesund, stocksteingesund,
so gesund, als er vorher nie gewesen. Und war arm wie eine Kirchenmaus,
wenn der Küster die Wachskrusten von den Leuchtern geschabt hat. Er
hatte ja alles verschenkt und es war in Ordnung.

So ein Testament ist doch ein gutes, kluges Ding. Man gibt sein
Vermögen so selbstlos, so großmütig hin -- aber erst, wenn man es
selber nicht mehr braucht. Das, was einer im Testament voll Edelsinn
und Barmherzigkeit jemand vermacht, kann er unbedenklich aufbrauchen,
da ist keine Pflicht vorhanden, es über den Tod hinaus zu bewahren,
damit jenem, dem es vermeint gewesen, das auch richtig zukomme.
Testamentarisch vermachte Sachen bleiben Eigentum des ursprünglichen
Besitzers, solange er lebt; nach dem Papier kann man ganze Häuser
vererben, die der Erblasser mittlerweile vertrinkt oder verspielt.

Wie brutal hingegen ist das Schenken! Was du heute verschenkest, das
ist morgen nicht mehr dein, und selbst wenn dein Leben darauf stünde.
Wolltest du es zurücknehmen, so könnte der Beschenkte dich gerichtlich
belangen, als strecktest du deine Hand nach fremdem Eigentum aus. --
In diesem Falle war unser armer, stocksteingesunder Kernschimmler.
Aber er fand es in Ordnung. Es fiel ihm durchaus nicht ein, auch nur
auf einen Groschen seines großen verschenkten Vermögens Anspruch zu
machen, oder scheinen zu lassen, daß er etwas bedürfe. Er griff seine
gewohnte Lebensordnung wieder auf und führte sie so lange, bis der
für sein Begräbnis bestimmt gewesene Betrag verbraucht war. Dann ging
er ins Gemeindeamt und ersuchte um eine Versorgung. Er hatte früher
das Wort »reich« nie ausgesprochen, jetzt sprach er das Wort »arm«
nicht aus. Er war jetzt so wenig arm, als er früher reich gewesen. Er
hatte früher den Lebensunterhalt gehabt, und den mußte er jetzt auch
haben. Die Gemeinde hatte über seine Widmung zu wohltätigen Zwecken
bereits verfügt, sie tat nichts desgleichen, als ob der Mann bei ihr
etwas besonders gut haben könne; sie fand nur, daß er für das Spital
zu gesund, für das Armenhaus zu fröhlich und für die Altersversorgung
zu jung war. Sie ließ in sehr vorsichtiger Form bei ihm anfragen,
ob er die zur Zeit offene, sorgenfreie und achtunggebietende Stelle
eines Gemeindedieners würde übernehmen wollen. Wenn ja, so wäre er
der Bevorzugte. Diese einflußreiche Stelle sei weitaus gesicherter,
als die des Bürgermeisters, der von drei zu drei Jahren abgelehnt
werden konnte, während der Gemeindediener ohne ganz besonderen
Anlaß nicht bedankt werde, sondern bestimmt sei, die Tradition des
Bürgermeisteramtes von Geschlecht zu Geschlecht zu übertragen und zu
überwachen.

Augustin Kernschimmler ward Gemeindediener und als solcher ein wahrhaft
bedeutender Mensch. Er hatte zwar nichts zu tun, als den Willen anderer
auszuführen, aber die Ausführung ist ja schließlich Hauptsache. Er
war ganz glücklich, der Selbstbestimmung enthoben zu sein, denn
er hatte nie etwas mit sich anzufangen gewußt, er fühlte sich als
Werkzeug anderer geborgen und gekräftigt und arbeitete mit wunderbarer
Genauigkeit. Sein Wirkungskreis erstreckte sich nicht etwa über die
Kanzlei, sondern über die ganze Gemeinde bis zum Bezirksgerichte
und zu der Landeshauptmannschaft hinauf. Man soll gerade einmal
nachdenken, was ein Gemeindediener zu tun hat. Kernschimmler besorgte
sein Amt mit so unerhörter Ordnung, daß die Leute sich fragten, wer
denn das Räderwerk eingefettet haben könne, daß es nun so glatt
ginge? Sie wurden sich der Ursache kaum bewußt, merkten nur, daß der
Gemeindediener ein ordentlicher Mensch sei.

Als er fünfundzwanzig Jahre lang der musterhafte Gemeindediener
gewesen, machte er etwas Dummes. Er ließ sich pensionieren. Als
siebzigjähriger Mann, meinte er, sei es in Ordnung, sich zur Ruhe
zu setzen. Bald sah er aber, daß bei ihm die Ruhe als solche nicht
in Ordnung war. Denn er hatte zu lange in regelmäßiger Tätigkeit
gelebt; jetzt auf einmal nichts zu tun, als spazieren zu gehen,
das war doch die größte Schlamperei. Jeden und jeden Tag dieselbe
Schlamperei. Das war freilich auch Regelmäßigkeit -- aber in diese
neue Ordnung konnte er sich nicht mehr finden. Er erbot sich dem neuen
Gemeindediener freiwillig zu Diensten und wurde des Dieners Diener.
Die schwersten Kränkungen seines Alters bestanden darin, wenn in
der Kanzlei ein Foliant statt im dritten Fach, etwa im vierten lag;
wenn die Empfangsbestätigung für Zustellungen von dem Empfänger mit
Bleistift geschrieben war, anstatt mit Tinte; wenn der Bürgermeister
ihn »~Herr~ Kernschimmler« nannte, da er doch fünfundzwanzig Jahre
lang in treuen Diensten bloß der Kernschimmler gewesen war.

Seine persönliche Tagesordnung war das Uhrwerk geblieben, das seit
einem halben Jahrhundert kaum ein einziges Mal stillstand -- täglich
dieselbe Sekunde zum Aufstehen, dieselben dreiundzwanzig Minuten zum
Anziehen des immer gleich geformten Gewandes, dieselben neun Minuten
zum Rasieren, und die Haare kämmte er sich mit der gleichen gewohnten
Sorgfalt auch noch zur Zeit, als er längst keine mehr am Kopfe hatte.

Eines Tages aber ließ Augustin sich eine große Unregelmäßigkeit
zuschulden kommen. Er kämmte sich nicht und rasierte sich nicht, er
kleidete sich nicht einmal an. Lange über die gewohnte Zeit hinaus
blieb er in seinem Bette liegen und war tot.

Als der Schreiner ihm den Sarg zurechtmachte, sagte er zu einem
Nebenstehenden: »Ich wüßte schon, was zu machen wäre, daß der
Kernschimmler wieder aufstände. -- Man brauchte bloß einige Hobelspäne
auf den Boden zu verstreuen, alsogleich wäre er mit dem Besen da, um
Ordnung zu schaffen.«

Tue es nicht. Laß ihn rasten mit neunundsiebzig Jahren -- es ist in
Ordnung.




                             Meister Sani.


Er war Maler, aber ich rede nicht von seinen Bildern. Er war Geizhals
und ich rede von seinem Gelde. Er verdiente sich sehr viel Geld,
buchstäblich mit Gold aufgewogen wurden seine bemalten Leinwandblachen.
Aber ich interessiere mich nicht für Kunstwerke, ich interessiere mich
für Dukaten. Dem Meister mußten ja auch diese lieber gewesen sein als
jene, sonst hätte er seine Gemälde nicht verkauft. Denn er benötigte
es nicht, das viele Geld. Er war aus ganz einfachen Verhältnissen
emporgekommen und bedurfte für sich sehr wenig. Er war Junggeselle, was
schon an sich eine Ursache des Geizes ist; wer für die Familie immer
Geld ausgeben muß, der kann sich keinen Geiz angewöhnen.

Meister Sani lebte so weit anständig und stets adrett; wie er auf
der Gasse einherging, merkte man ihm das Laster nicht viel an. Auch
hat ihn damals niemand unter seinen Geldsäcken sitzen gesehen oder
wie er etwa mit dürren Fingern im Münzhaufen gewühlt hätte. Er hatte
weder dürre Finger noch Geldsäcke. Seine Ersparnisse waren in mehreren
Sparkassebücheln verbucht, die er in einem eisernen Kästchen unter
seinem Wäschevorrate verwahrte. Jetzt kann man ja alles sagen. Nebst
seiner künstlerischen Tätigkeit hatte der Meister die größte Freude am
Sparen und in der Vorstellung, was er um sein gutes Geld alles haben
könnte. In der ersteren Zeit dachte er, jetzt -- wenn ich wollte --
könnte ich schon zehn Jahre faulenzen und naturbummeln, zu leben hätte
ich. Bald war so viel da, daß er ans Reisen denken konnte, und er
reiste in Gedanken ein zweitesmal nach Italien, denn ein erstesmal war
er wirklich schon dort gewesen. Diesmal konnte er bis Sizilien gehen
und über Spanien nach Frankreich zurück. Später wäre er schon in der
Lage, sich eine Villa zu bauen, unweit der Stadt, die täglich nach den
Atelierstunden leicht zu erreichen. Wenige Jahre später war er so weit,
daß er sich ein größeres Landgut kaufen könnte mit Garten-, Feld-,
Vieh- und Waldwirtschaft und er ginge umher und sähe, wie die Arbeit
des Gesindes schleunt und die Früchte gedeihen und die Schweine und
Hühner heranwachsen für die Festtafel. Alles das und mancherlei anderes
könnte er haben, wenn er wollte. Er konnte sich gleichsam als den
heimlichen Herrn betrachten über so vieles. Aber es konnte noch besser
kommen und deshalb ließ er das Geld ruhig in der Sparkasse liegen; es
kam immer noch reichlicher Zuzug und üppigeres Wachstum, und eines
Tages war er Schloßherr. Ein großes Schloß mit Lustgärten, Meierhöfen,
Waldungen, Jagden und sonstigen vornehmen Ergötzlichkeiten -- könnte
er haben, wenn er wollte. Und da er es haben könnte, so war es just so
viel, als er hätte es. Diese Gedanken an seine Güter hatten sich in
seinem Kopf festgeflochten wie ein Spinngewebe, in dem Spinnen gaukeln
und Mücken hängen. Er malte noch fleißig, aber er malte nicht mehr so
gut als früher, sein Herz war bei den Gütern. In der Nacht schlief er
unruhig, die Sorge um das Vermögen und daß es sich ja nicht vermindere,
verwüsteten seine Träume, die einst so schön gewesen waren. Immer hatte
er die Wirtschaften, Schlösser und Fabriken zu verwalten, die doch nur
erst festgeplättet -- in den Sparkassebücheln existierten.

Da sagte Meister Sani zu sich: Das ist nichts, Meister Sani, das ist
nichts. So in die Gefangenschaft zu geraten! Das muß wieder anders
werden. Und befreite sich mit Jugendkraft. Er ging hin, nahm die Gelder
aus der Sparkasse und -- verschenkte sie. Wo er Mangel und Not sah,
da gab er hin, aber ungenannt. Er wollte nicht, daß die Leute wußten,
wie dumm reich er geworden war. Auf einem Spaziergange kam er zu einer
rauchenden Brandstätte. Er wühlte in der Asche, zog eine Blechkapsel
hervor und sagte zu den jammernden Abbrandlern: »Das wird euch gehören,
es war wohl im Hause und ist nicht mitverbrannt.« In der Blechkapsel
war so viel Geld, daß sie ihr Haus wieder aufbauen konnten. -- Ein
anderesmal mischte er sich unter einen Trupp Zigeuner und verlangte von
einem braunen Mädchen, daß es ihm wahrsage.

Sie las in seiner hohlen Hand und sprach: »Dem edlen Herrn steht viel
Geld bevor.«

»Da ist es auch schon,« lachte er und ließ aus dem Rockärmel die darin
versteckte Rolle von Silberlingen hervorgleiten. »Da nimm! Du hast es
wahrgesagt, so gehört's auch dir.«

Einer Schullehrers Familie steckte er nächtig als Nikolo Geld zum
Fenster hinein und lief nachher davon, als ob er etwas gestohlen hätte.

Von einem Knaben verlangte er einen Krug Wasser; als der Junge es
vom Brunnen geholt und Meister Sani es getrunken, sagte er: »Ein
anderesmal, Junge, mußt du den Krug besser auswaschen; siehe, was er
für einen Bodensatz hat!« Da lag ein Dukaten drinnen.

In der Zeitung stand, daß eine arme Frau auf dem Wege zum Markte ihr
ganzes Geld verloren hätte. Meister Sani »fand« es und ließ ihr den
gleichen Betrag schicken. Die Frau hatte mittlerweile aber selbst ihr
Geld wieder gefunden und wußte nicht, an wen jener irrtümliche Fund
zurückzuschicken sei. Noch heute brennt ihr das unrechtmäßige Geld auf
der Hand und ich soll nichts verraten.

So wurde er sein Geld auf die bequemste Weise los. Endlich hatte er
noch hundert Gulden.

Die gab er nicht weg, die behielt er. Und an diesen hatte er eine
Freude. Dann begann er neuerdings zu sparen und sammelte Gulden. Jetzt
im kleinen machte ihm das Sammeln wieder Vergnügen; in der geringen
Anzahl waren die Dinge so leicht zu übersehen, war so leicht Ordnung
mit ihnen zu halten. Das war alles wieder so einfach, wie zur Zeit, als
er seine Laufbahn begann und ungefähr so viel einnahm, als was er für
sich nötig hatte. Er freute sich wieder an jedem Guldenstücke, an jeder
kleinen Ziffer. Die Träume waren weg und die eingebildeten Sorgen, die
schier so wirklich sind als die wirklichen. Er hatte ein leichtes Herz
bekommen, ganz jugendlich war ihm zumute. Er gab sich mit frischer
Liebe wieder seiner Kunst hin. Sein Lebensbedarf war höchst einfach und
manchmal, wenn es ihm nach etwas gelüstete, dachte er: Nein, 's ist
nicht vonnöten, da mache ich mir lieber einen größeren Genuß und lege
das Geld zu dem anderen. Und in stiller Abendfeierstunde, da holte er
sein Sparkassenbüchel und freute sich des kleinen glatten Besitzes.

Aber die Idylle sollte nicht immer so dauern. Seine Bilder trugen Geld;
selbst die, so er nicht verkaufte, brachten in den Ausstellungen, in
den Vervielfältigungen Geld ein. Er besaß schon wieder große Summen
und die Berechnungen wurden kompliziert. Die Villen und Schlösser, die
er sich wieder kaufen konnte, machten ihm zwar keine Sorgen, denn er
dachte sie nicht mehr, seine Phantasie hatte den Schwung verloren, er
war älter geworden. Träume wie einst hatte er auch nicht mehr, weil
er wenig schlief. Wachend dachte er an sein Vermögen, ob es wohl auch
gut angelegt sei, ob es nicht mehr Zinsen tragen könnte, als es bisher
getragen? Ob es bei einer großen Krisis nicht verloren gehen könnte?
-- Auch von seiten des Steueramtes war eine Gefahr nicht unmöglich.
Er hatte nämlich in letzterer Zeit gefunden, daß die Steuer horrend
ist, und hatte etwelches verschwiegen. Wenn man draufkäme! Die Angeber
bekommen von der unterschlagenen Steuer ein gutes Teil, da kann sich
leicht einer finden. Und die Strafe ist furchtbar. Das Fünfzigfache! --
Oder soll er sein Geld verstecken, daß kein Mensch was davon weiß? Dann
finden sie es am Ende auch nach seinem Tode nicht. Wie schade das wäre!
Aber wer soll denn erben? Nur auslachen wird man einen, der so ärmlich
gelebt und so viel Geld gehabt hat. Da könnte man am Ende gar noch
einen Nachruf als Geizhals bekommen. -- Solcherlei Gedanken quälten ihn
die halben Nächte lang. Und einmal, als es schon gegen Morgen ging und
die Geldsorgen ihn immer noch nicht hatten schlafen lassen, sprang er
zornig auf, stürzte zum Schrank, riß die Sparkassebücheln hervor und
wollte sie in die noch glosende Ofenglut schleudern. Aber die Bücheln
wollten nicht aus seiner Hand. Als ob die Finger einen Krampf hätten,
so hielten sie fest und in diesem Augenblicke fiel es ihm ein: So viel
man in den Blättern liest, wird jetzt gesammelt zur Errichtung einer
Heilstätte für brustkranke Frauen. Dorthin mit diesem Ludersgeld.

Doch am nächsten Morgen bettete er die Urkunden seines Vermögens wieder
sorglich in den Wäschekasten. Waren sie ihm doch liebe Hausfreunde
geworden -- die einzigen, die er hatte. Geselligkeit und Freude
an seinem Künstlerruhm waren ihm völlig abhanden gekommen, seit
er sein Geld gar so lieb gewonnen hatte. Aber -- war es denn sein
~Geld~, das da im Kasten lag? Das waren nichtige Scheine. Nach der
~Persönlichkeit~ des Geldes begann er sich zu sehnen. Er wollte
es bei sich in seiner Wohnung haben, selbst um den Preis der Zinsen.
Nur dem baren Gelde in der Nähe sein! Der Schrank nah' dem Bette, dann
wollte er Ruh' haben. Monatelang mußte er warten, bis die Sparkassen
ihm seine großen Guthaben zurückgeben konnten. Dann aber schloß er sich
oft stundenlang in sein Schlafzimmer ein, betrachtete die Goldmünzen,
die Reichsnoten, die Banknoten und zählte und ordnete sie und legte sie
zärtlich wie liebe kleine Kindlein in die Wiegen der Kistchen. Und war
der Schrank wohlverschlossen, so setzte er sich zu seinem Kassenbuche
und rechnete und rechnete, bis er wieder den Schrank aufschloß, das
Geld herausnahm und prüfte, ob wohl noch alles stimme. Die Tür zur
Wohnung im vierten Stocke hatte er mit Eisenblech beschlagen und mit
Wertheimschlössern versehen lassen. Aber trotzdem wagte er die Wohnung
kaum zu verlassen und in den Nächten fürchtete er sich vor den Räubern
und Mördern. Er magerte ab, er fühlte sich krank und in seinem Atelier,
das zwei Häuser weit von der Wohnung entfernt war, saß er selten und
überhaupt nicht mehr, um schöne Bilder zu malen, sondern um Geld zu
verdienen. Er verzichtete auch auf neue Kleider, weil die alten noch
gut waren; er begnügte sich mit der einfachsten Kost, weil sie am
gesündesten sei. Sein Gemeinsinn war pädagogisch geworden, er gab
kein Almosen mehr, weil das die Bettelei züchte, er verleugnete dem
Steueramt sein Einkommen, weil jeder ein dummer Kerl sei, der das nicht
tut. Er sperrte sich gegen fällige Posten, die von ihm zu zahlen waren,
weil es nobel ist, warten zu lassen. Und überhaupt, was nützt das liebe
Geld, wenn man es wieder ausgeben soll!

Manchmal aber brach in ihm die Wut los gegen das Ungeheuer, das ihn zum
elendesten Sklaven gemacht hatte. In solcher Verzweiflung nahm er sich
vor, alles wieder zu verschenken; aber das Beest hatte sich so fest an
seine Natur geklammert, mit widerhakigen Zähnen in sein Herz gebissen,
daß er nicht einen Gulden losbrachte. Er konnte sich von dieser Qual
nicht mehr befreien. Er ahnte, daß er daran zugrunde gehen würde, und
doch saß er wieder bei seinen Kistchen und zählte und ordnete.

Eines Tages ging er auf den Gemüsemarkt, um einzukaufen. Denn er
hatte sich entschlossen, die häuslichen Angelegenheiten persönlich
zu besorgen. Man kann sich auf fremde Leute ja nie verlassen.
Erstens kaufen sie viel zu teuer ein, zweitens betrügen sie noch
obendrein, drittens fordern sie alles mögliche und viertens hat man
überhaupt nicht gern unverläßliche Leute im Hause. Er hatte seinen
Handkorb schon ziemlich gefüllt, denn er pflegte gleich für die ganze
Woche einzukaufen, und feilschte eben noch um zwei Kilo Erdäpfel,
als mit ihren schmetternden Signalen einige Wägen der Feuerwehr
vorbeirasselten. Erst fragte Meister Sani erschrocken, wo es denn wohl
brennen könne? niemand wußte es. Die Stadt ist groß. So ging er ruhig
nach Hause. Je näher er kam, je erregter war heute das Straßenleben,
und als er um die letzte Ecke bog, sah er, wie aus den Fenstern seiner
Wohnung Qualm und Flammen wirbelten und darüber gerade der Dachstuhl
zusammenstürzte.

»Ist die Einrichtung gerettet?« schrie er dem Feuerwehrhauptmanne zu.

»I was! Wie soll denn da gerettet sein, wenn alles steinfest versperrt
ist. Aber die Nachbarswohnungen intakt.«

»Danke schön!« antwortete Meister Sani. Ganz ruhig, fast mit Behagen
sagte er es.

Nun war er wieder frei.

Er schaute den Flammen zu, die über seiner dachlos gewordenen Wohnung
aufstiegen. Glühende Sterne und Vöglein flogen empor -- Funken und
losgelöste Fetzchen. Flog da nicht sein Geld gegen Himmel? ... Es war
ordentlich fein zum Ansehen, er hatte seine Freude daran, wie dieses
höllische Geld so schön und fromm geworden war.

Als endlich das Feuer gedämpft war und Meister Sani gesehen hatte, daß
alles reinlich vertilgt worden, ging er in sein Atelier. Im Korbe hatte
er Schwarzbrot und einige Äpfel, davon aß er. Dann legte er sich auf
die hölzerne Bank und schlief -- wie von einer schweren Last befreit --
ununterbrochen neun Stunden lang und gut, wie ein leichtsinniger König.

Nachdem das Geld so mit Gotteshilfe überwunden war, erwachte in dem
Künstler wieder der göttliche Leichtsinn, der von Anfang an in seiner
Natur gelegen. Gerade die herrlich auflodernden Flammen hatten seinen
Schönheitssinn wieder erweckt und das Farbenleuchten übertrug er
auf seine Bilder. Diese stiegen noch einmal im Werte und begannen
neuerdings Geld ins Haus zu bringen. Aber er ging nicht mehr darauf
ein. Zweimal war's ihm gelungen -- ein drittesmal könnte es schief
gehen. Meister Sani gibt alles aus, was er einnimmt, und erst in seinen
alten Tagen, wenn sie überhaupt kommen, will er, seiner alten Passion
fröhnend, wieder anfangen zu sammeln -- auf öffentlichem Platze mit
gezogenem Hute -- kleine Münzen.

Ob es seine Verehrer zu einer ~solchen~ Münzensammlerei kommen
lassen werden, weiß man noch nicht. Wahrscheinlich.




                       Der falsche Himmelträger.


Zehn Sekunden lang hatte ich -- um im Volke Ärgernis zu vermeiden
-- mich mit vorgeneigtem Körper auf ein Knie gestützt. Als das
Sanktissimum vorüber war, richtete ich mich rasch auf und sagte zum
Professor, der hinter mir stand: »Na, kurios, wie man das Knien
verlernen kann! Noch zehn Sekunden lang und ich wäre ohnmächtig
geworden auf diesem Sandkorn, das sich so bereitwillig unters Knie
geschoben hat, um mir die Sünden abbüßen zu helfen. Und einst hielt
ich so was stundenlang aus, mit Leichtigkeit. Du weißt ja, die untere
Volksschichte steht sich besser beim Knien als beim Stehen. Merkwürdig
genug, daß gerade kleine Leute sich so sehr bücken müssen, um
durchzukommen.«

»Ja, lieber Freund,« antwortete der Professor, »davon wüßte ich auch
ein erbauliches Kapitel zu erzählen. Vom Bücken und Knien. Wenn
dem Künstler nicht ohnehin alles erlaubt wäre und er beliebig alle
möglichen Sünden haben könnte, damals hätte ich sie alle bezahlt. Ja,
der liebe Herrgott hätte mir noch was herausgeben müssen.«

Wir gingen am Fußsteige dem Bache entlang spazieren und er erzählte das
Erlebnis.

Du weißt, daß ich für das Frauenkloster die Altarstatue geschaffen
habe. Vor Jahren schon. Seither war mein Künstlerherz oft in jener
Klosterkirche bei den reichen Kunstschätzen, bei dem glanzvollen
Kultus und bei den anmutigen Gestalten der Schwestern und Novizinnen.
Die bekam man aber selten zu sehen, da dem profanen Erdenpilger die
heiligen Mysterien eines Frauenklosters möglichst verborgen bleiben
müssen. Nun kam aber der hohe Gedächtnistag der Gründung dieses
Klosters und der sollte durch ein großes Kirchenfest begangen werden.
Aller Glanz sollte aufgeboten werden, alle Schwestern, Jungfrauen in
ihrer Zier sollten im weißen Festgewande unverschleiert den Einzug
halten und in vielen Reihen sich um den Hochaltar gruppieren. Du kannst
dir denken, daß ich diesen Aufzug sehen wollte. So habe ich mich bei
der Oberin angemeldet und ersucht, dem Feste mit beiwohnen zu dürfen.

»Ja, mein geschätzter Herr,« sagte die Matrone, »das wird wohl nicht
gehen, da nach unseren Regeln kein fremdes männliches Wesen an unseren
Gottesdiensten teilnehmen darf.«

»Aber ehrwürdige Mutter,« sagte ich, »ich bin ja kein fremdes
männliches Wesen. Ich bin der Künstler, der von Ihrer Gottseligkeit
gewürdigt worden war, die Altarstatue zu verfertigen. Und sollte nicht
die Gnade haben können, bei der hohen Feier, die diesen erhabenen
Gegenstand betrifft, dabei sein zu dürfen?«

»Aber mein Gott, Herr Professor, wenn Sie so reden! Was machen wir denn
da? Sie sehen doch ein, daß ich eine unserer wichtigsten Ordensregeln
unmöglich übertreten kann.«

»Haben Euer Ehrwürden in Ihrer sonst so vollkommenen Anstalt kein
Hintertürchen, das zufällig offen bleibt und durch das ein frommes
Christenherz sich ungesehen hineinschleichen könnte?« So sagte ich halb
scherzend, denn die Oberin -- das war mir schon von früher her bekannt
-- versteht auch Spaß. Sie lächelte denn auch zu meinem Vorschlage,
drohte aber mit dem Finger; vor einem, der so redet, müsse man sich
erst recht in acht nehmen. Indes falle ihr ein Ausweg ein, der ihr
ermögliche, den Eintritt zum Festgottesdienst zu gestatten.

»Und der ist?«

»Sie müssen dafür etwas leisten.«

»Herzlich gern. Wie viel denn?«

»Nein, in Geld nicht,« rief sie fast fröhlich. »Aber an der Feier
mitwirken, wenn Sie das wollten. Können Sie an der Orgel den Blasebalg
treten?«

»Das Blasebalgtreten, ehrwürdige Mutter, wäre keine Kunst, wenn der
Blasebalg nicht gerade im Winkel hinter der Orgel wäre, wo man nichts
sieht.«

»Ach ja,« sagte die Äbtissin, »das ist wahr, da sehen Sie nichts.«

»Natürlich,« glaubte ich sogleich beisetzen zu müssen, »geht es mir
nicht bloß ums Sehen. Wohl auch der Erbauung wegen --.«

»Na na,« unterbrach sie mich, »das wissen wir uns schon zu reimen.
Die Künstler sind ja alle mehr oder weniger Heiden. Nun -- fällt mir
was ein. Wollen Sie Himmel tragen? Da wären Sie mitten im Einzug und
könnten alles gut sehen.«

»Himmel tragen? Das wäre schön, Euer Ehrwürden,« stotterte ich,
»allein, da werden gewiß andere sein, Bestimmte, Würdigere.«

»Es sind ihrer vier. Aber einer ist krank. Eine Stange ist
augenblicklich vakant. Dann hätte es weiter kein Bedenken.«

»Meinen ehrerbietigen Dank, aber ich muß mir's doch erst überlegen, ob
-- ob ich zu diesem ehrenden Amte nicht etwas zu ungeschickt bin.«

»So überlegen Sie sich's. Und lassen mir's bis morgen sagen. Der Herr
mit Ihnen.«

So die Unterredung mit der Oberin. Dann überlegte ich. Eine Stange
des viereckigen Baldachins tragen, unter dem ein wohlgenährter Prälat
einherschreitet. Ob sich das mit dem akademischen Künstler und dem
kaiser-königlichen Professor wohl verträgt? Aber das glänzende
Gepränge. Meiner Hände Bildwerk in einem Meere von Lichtern und Rosen.
Und dann die weißen Jungfrauen. Besonders die eine mit dem länglichen
Angesichte, die großen blauen Augen drin und die Wangengrübchen ...

Am nächsten Morgen, als ich auf dem Bette saß, während meine Frau mir
einen entsprungenen Knopf an die Weste heftete, begann ich über die
Sache mit ihr zu sprechen. Sie blickte mich befremdet an und sagte
endlich: »Mann, das soll wohl nur ein Witz sein? Mit drei Banausen
Himmel tragen -- du!«

»Das einzige Mittel, um diesen interessanten Aufzug mit ansehen zu
können.«

Sie lachte laut, sehr laut und grell -- fast widerwärtig.

»So ein Künstler hat seine Sachen,« sagte ich. »Man bedarf Anregung.«

»Die du zu Hause natürlich entbehren mußt!«

»Und gerade will ich diesen Aufzug sehen.«

»So tu's eben.«

»Ist verboten, wie gesagt. Ist nur erlaubt, wenn ich etwas zu der
Begehung leiste. Wir haben beraten, die Oberin und ich; es gibt kein
anderes Mittel, als daß ich eine Stange des Baldachins übernehme.«

»Im roten Radmantel natürlich!« lachte sie.

»Was es da nur so dreist zu lachen gibt. Von einem roten Mantel ist
ja keine Rede. Ob man nur so an einem Einzuge teilnimmt oder ob man
+pro forma+ eine rote Stange in der Hand hat. Sind stets nur die
würdigsten Männer dazu ausersehen.«

»Und das Gerede der Leute, daß Professor Hertner bei den
Marienschwestern Himmelträger geworden ist?«

»Aber es erfährt's ja kein Mensch. In so einem Kloster, das ist ja eine
geschlossene Gesellschaft.«

»Ich sage dir, in allen Witzblättern bist du nächstens mit deiner
Himmelstange. Nein, so was könnte einem doch im Traum nicht einfallen!
Herr Jesses, wenn der Zaruzel draufkäme!«

Sie legte die Weste hin und ging etwas lebhaft ins Nebenzimmer. Ich
mußte sehr den Kopf schütteln. Wie die Frauen gleich alles auf die
Spitze treiben! Wo sie doch sonst so viel Verständnis für meine
künstlerischen Interessen hat! -- Der Zaruzel, meinte sie, dieser
Karikaturenschmierer! In die Witzblätter! Na, das wäre so was!
-- Aber all diese Vorstellungen und Bedenken verblaßten vor den
weißen Jungfrauen, die ich just einmal sehen wollte. Der Oberin wurde
angezeigt, daß ich mich zum Feste rechtzeitig einfinden würde.

Meiner Frau sagte ich nichts mehr davon und auf ihre Frage, weshalb
ich mich so feierlich schwarz ankleide, schützte ich dreist eine
Aufwartung beim Statthalter vor. Du kannst dir denken, daß ich an
diesem Tage nicht auf geraden Wegen dem Kloster zuging, sondern durch
die Gassen und Gäßchen hinterwärts, wo man durch ein Pförtlein in den
Klostergarten gelangen kann. Das Pförtlein war natürlich versperrt. Auf
mein Läuten erschien der alte Gärtner, der mich auf meine Versicherung,
ein Himmelträger zu sein, mit einiger Säumnis passieren ließ. Im
großen Klosterhof wurde der Festzug zusammengestellt. Meine drei
Berufsgenossen waren alte Männer mit Glatzen und grauen Bärten, die
sich über den fremden vierten, der statt des erkrankten Schusters da
war, ein wenig zu wundern schienen. Wir bekamen scharlachrote Mäntel;
eiskalt ging es mir durchs Gebein, als ich den meinen über die Achsel
legte. Doch für alle Fälle war das eine willkommene Vermummung. Wir
holten aus der Kirche den rotseidenen, goldbefransten Baldachin mit
den vier Tragstangen. Der Hof füllte sich mit ornadierten Priestern,
dunkelgekleideten Nonnen und den weißen Jungfrauen. Nachdem der
Patriarch in golddurchwirktem Meßkleide unter dem Himmel stand, bewegte
sich der Zug um die Kirche und zum Hauptportal hinein. Ich sage dir,
es war eine Pracht! Dieses Lichtgespiel, diese bunte Gestaltenreihe.
Die weißen Jungfrauen, eine lange Reihe, waren geschmückt mit roten und
blauen Schleifen; ihre Locken schwarz und gold und bis zum lichtesten
flachs, wallten über den Nacken; ihre Augen, ganz entweltlicht,
möchte ich sagen, schauten groß und unschuldig gleichsam in die
himmlischen Räume auf; andere senkten die Lider oder schlossen sie
ganz. In den Händen trugen sie brennende Kerzen. Und dieses Singen,
Freund! Man hört manchmal das Wort Engelsgesang und denkt sich nichts
dabei. Ganz himmlische Stimmen sind es gewesen, auf Erden gibt es
keine solchen. Die rote Stange in meiner Hand und der rote Mantel
über mir waren rein vergessen über dieses wunderschöne Bild, über
diesen bezaubernden Gesang. Nun in der Kirche angelangt, stellten die
Jungfrauen sich am Altare auf in Reihen, die rückwärtigen höher als
die vorderen, so daß es ein wunderbares Mosaik aus Engelsgesichtern
ward -- ein unbeschreiblicher Liebreiz. Der Himmel, umdrängt von
andächtigen Frauen, hatte mitten in der Kirche angehalten, der
Prälat stieg zwischen den Jungfrauen zum Altar hinauf. Es begann das
Hochamt. Die Priester knieten nieder, die Nonnen knieten nieder, die
Jungfrauen knieten nieder. Alles kniete in großer Demut nieder auf
beide Knie. Auch meine drei Himmelträgergenossen. Und auch ich. Aber
die Minute, die der erste Segen dauerte, war schmerzlich lang, denn
die feinen Sandkörnchen des Steinbodens bissen durch das Beinkleid
in das verweichlichte Knie, das seit meiner Knabenzeit nicht mehr
geübt worden war. O Freund! Ich ahnte nicht, daß es erst der Anfang
einer qualvollen Stunde sein sollte. Unmittelbar nach dem Segen wollte
ich mich aufrichten, aber -- alles blieb knien. Auch meine Banausen
knieten so fest, als ob sie in den Steinboden hineingewachsen wären.
Ich allein aufstehen und stehen bleiben neben der Stange? Unmöglich.
Abgesehen von dem unsühnbaren Ärgernisse, das damit gegeben worden
wäre, hätte ich mich unberufenen Blicken ausgesetzt -- der akademische
Bildhauer Professor Hertner als Himmelträger hätte alles überragt.
Ich blieb knien, aber frage nicht wie und in welchem Jammer. Es war
eine wahre Folter. Ein weniges geschah mir wohler, daß ich mich fest
an die Stange klammern konnte, erst mit der einen Hand, dann mit
beiden Händen. Aber diese Stütze wurde bald belanglos und die Last des
Körpers lag auf den armen Knien, die auf dem unbarmherzigen Stein laut
geächzt hätten, wenn Knie ächzen könnten. Ich konnte es, durfte es
aber nicht. Mußte in schweigender Frommheit bewegungslos daknien. Die
anderen, so weit ich sie beobachten konnte, knieten ganz behaglich,
dem regen Mundgebete, den weidenden Augen sah man an, daß sie alles
eher als an ihre Knie dachten. Keiner ahnte den Büßer in ihrer Mitte,
der seinen Vorwitz so blutig sühnen mußte. Ich hatte es ja versucht,
mich in die Schönheit des Bildes zu versenken, das gerade vor mir so
lieblich und licht entfaltet war, dem Gesang zu lauschen, dessen Klang
in die Hallen aufstieg, aber ich empfand nichts, als den Schmerz an den
Knien. Das Ovalgesicht suchte ich, das mit den runden Blauaugen und den
Wangengrübchen; dort hinten, zwischen zwei brünetten Lärvchen guckte es
hervor, schier himmlisch verzückt und ein bißchen schalkisch. Allerlei
liebliche Gedanken und Vorstellungen wollte ich anspinnen an dieses
Engelsbild, aber es gelang nichts -- mein Knie, mein Knie! Da gedachte
ich der Warnung meiner Frau, doch es war zu spät. Ich fühlte mich als
Verdammter unter den Seligen. In meinem Leben nie hatte ich mich so
heiß dem Evangelium entgegengesehnt als in dieser Stunde. Du weißt es,
beim Evangelium steht man auf. Es kam endlich, alles erhob sich, ich
mich fast zu früh, und atmete auf. Eine kleine Hoffnung leuchtete, als
würde man von nun ab stehen dürfen, doch als das Evangelium vorüber
war, kniete alles wieder nieder. In Gottesnamen, fest an die Stange
geklammert, kauerte ich da und war entschlossen, knien zu bleiben, bis
sie mich ohnmächtig hinaustragen würden. Aber so weit kam es nicht. Als
die Not wieder sehr groß geworden war, entdeckte ich eine Kunst, die,
auf den Waden zu sitzen. Was die anderen darüber dächten, das kümmerte
mich nicht mehr, in dieser Selbsterniedrigung sahen mich ja auch nur
die nächsten der dichtgedrängten Nachbarn und sie waren mitleidig. Die
Knie waren sanft entlastet, ich saß auf meinen Beinen. Jetzt dachte
ich wieder an das Gesicht mit den Wangengrübchen, aber ich konnte über
die Köpfe nicht mehr hinwegsehen, der breite Buckel meines Vormannes
begrenzte meinen Horizont. Doch nun war leicht standzuhalten und als
es endlich vorüber, kräbelte ich mich mit Hilfe der Himmelstange
krampfhaft und schier ungern empor.

Gesehen hatte ich's also. Dann den Mantel los, das Beinkleid an den
Knien mit dem Taschentuch entstaubt, durch das Gartenpförtchen wieder
hinaus und mit der unschuldigsten Miene die Gasse entlang. Rief mich
eine bekannte Stimme an: »Professorlein, he! Ich dachte, wer einmal im
Himmel gewesen, der käme nicht wieder zurück.«

Und war's der kleine Zaruzel, der berüchtigte Karikaturenzeichner für
Witzblätter.

»Woher des Weges?« fragte ich mit kühn gespielter Harmlosigkeit.

»Von der Kirche der Marienschwestern, wo es heute so schön gewesen
ist!« antwortete er mit widerlicher Süßlichkeit. »Du kennst ja den
gelbhaarigen Teufelszwerg.«

»Von der Klosterkirche?« tat ich überrascht, »aber da darf ja kein
Mannsbild hinein.«

»Doch, doch,« antwortete er. »Entweder es geht hinten durch das
Gartenpförtchen oder es geht durch ein Dachfenster der Sakristei.
Ersteren Weg pflegen die Bildhauer zu wählen; der letztere,
beschwerlichere, bleibt für arme Witzblattzeichner übrig. Ich sage
dir, Freund, köstlich warst du im roten Mantel an der Himmelsstange,
unbezahlbar. An fünf Witzblätter verschicke ich.«

Hub ich an stark zu leugnen. Da sagte er ganz gütig: »Mühe dich nicht,
es hilft dir nichts,« und zog seinen photographischen Momentapparat aus
der Tasche.

Der schneidigste Mut kommt allemal, wenn nichts mehr zu verlieren ist.
Ich blieb stehen und sagte leise: »Also Zahn um Zahn. Gut. An dem Tag,
als das Bild im Blatt steht, wirst du umgearbeitet. Ich bin Bildhauer
in Stein und Bein!« -- -- Das hat er verstanden. -- Seitdem sind Jahre
vorüber, es hat niemand etwas erfahren. --

So erzählte mir der Professor am Fußsteig entlang. Da wunderte ich mich
laut, daß er es selbst ausplaudere, was ein so tiefes Geheimnis hätte
bleiben sollen.

»Jetzt ist alles verjährt,« entgegnete er. »Wenn's die Leute nun auch
erfahren, sie glauben es nicht. Und wenn sie es glauben, so macht's mir
nichts mehr. Übrigens geschah es doch nur aus Liebe zur Kunst und das
vorzeitige Eindringen unter den Himmel habe ich an Ort und Stelle ja
gründlich gebüßt.«




                    Der unglückliche Kammerdiener.


»Glauben Sie ja nicht,« sagte die Königin zur Gesellschaft, die nach
dem Diner im Zerkle sich um sie versammelt hatte, »glauben Sie ja
nicht, meine Herrschaften, daß unsereins so mächtig sei und alles nach
Herzenswunsch schlichten könne. In vielen Fällen können wir das weit
weniger als andere Leute; oft nicht einmal das Selbstverständlichste.
Ach allzuoft war ich schon in heller Verzweiflung darüber, wie uns die
Hände gefesselt sind, und das Herz, und ich sage sogar, auch der Kopf.
Soll ich Ihnen eine Geschichte erzählen? Die Geschichte hat sich vor
etwa einem halben Jahre im Schloß zugetragen und ist sehr tragisch.
-- Wollen die Damen und Herren nicht rauchen? Schön, ich will, wie es
Pflicht der Fürsten ist, mit gutem Beispiele vorangehen.«

Bei dieser launigen Bemerkung nahm sie aus der Kupferschale eine
Zigarette und der Lakai hielt ihr das Flämmchen vor. Die Königin sog es
mit einem Atemzug in die »Ägypter spezial« und winkte dem Diener mit
einem gütigen Blick, daß er sich entfernen könne.

Der General strich seinen langen weißen Schnurrbart und horchte
schmunzelnd der tragischen Geschichte entgegen, die im phantastischen
Lockenhaupt Ihrer Majestät sich wieder zugetragen haben mochte.

»Die Herrschaften erwarten jetzt den Vortrag einer Romanze oder
dergleichen,« lächelte die Königin, weil sie zum schwarzen Kaffee
manchmal eine ihrer neuerstandenen Poesien zum besten zu geben pflegte.
»Diesmal werden Sie irren. Die unerhörtesten Geschichten macht nicht
der Dichter, macht das Leben. Und Sie, mein General, dürften der
Tragödie wohl etwas weniger skeptisch entgegensehen, als es offenbar
der Fall ist. Vielleicht werden die kommenden Dinge sogar Ihr Herz
engagieren!«

»Mein Herz wird nicht mehr engagiert,« lachte der alte Weißbart, »außer
Majestät geruhen zu gestatten, daß ich mir Kognak einschenke.«

»Der König,« so begann die Königin zu erzählen, »hatte einen
Kammerdiener aufgenommen. Ein junger Magyar wars, ein hübscher
sympathischer Bursche mit braunen Augen und perlweißen Zähnen. Die
blaue Livree mit den weißen Seidenschnüren stand ganz prächtig zu
seinem frischen, glattrasierten Rundgesicht. Sehr bald wußte er sich
in seine Stellung zu finden, bei seiner ruhigen und flinken Art. Dabei
hatte er einen heimlichen Humor, der sich allerdings nur in den Mienen
ausdrückte, trotzdem aber nicht weniger sprechend war. Anfangs war er
zum Laufburschen aufgenommen worden, allein, nachdem unser alter Onkel
Tom gestorben, machte ihn der König zu seinem Kammerdiener. Obschon der
Bursche einige Jahre Soldat gewesen, hatte er von seiner Einfalt, die
er aus der Pußta mitgebracht, noch den Löwenanteil bei sich behalten.
Es war ein guter braver Junge, der sich selbst die Stiefel putzte,
weil er es für unbegreiflich hielt, daß der Kammerdiener wieder einen
Kammerdiener hätte. Wenn er dann im Vorzimmer nach dem Takte eines
Tschardas drauf losbürstete, oder wenn er schwermütige Pußtalieder
sang, da habe ich manchmal ein wenig an der Türe gehorcht. Das Liebchen
und die Mutter, diese zwei Frauen rangen in den Liedern um sein Herz
-- es war ganz rührend. Der kleine Prinz stand oft bei ihm und hatte
seinen Spaß, wenn Lajosch sang und die Melodie manchmal lustig mit
ein paar hüpfenden Sprüngen mittanzte, in der einen Hand die Bürste,
über die andere den Stiefel gestreift -- es war furchtbar komisch.
Einmal machte er dem Prinzen den Vorschlag, ob sie nicht miteinander
Sprachstudien treiben wollten. Er möchte von dem Prinzen französisch
lernen und würde hingegen diesem das Ungarische beibringen. Der Prinz
ging darauf ein und ich glaube, er hat bei dieser philologischen
Gegenseitigkeit mehr profitiert als der andere. Doch glaubte der
Prinz eine Klage verstanden zu haben, die Lajosch in seiner Sprache
ausdrückte: Nichts sei ihm furchtbarer als die drei Tage in der
Woche! -- Was sind das nur für drei Tage in der Woche? Wir verstanden
es nicht. Wenn durch den Schloßhof die bärtigen Husaren in ihrer
schmucken Uniform ritten, und hinaus ins Weite, da konnte Lajosch
ganz melancholisch werden. Da vergaß er sein Singen und Tanzen, ging
schwermütig umher und versah mürrisch seinen Dienst. Oft, wenn der
König vorüberging, blickte er ihm verstohlen nach und einmal will die
Kammerfrau ihn murmeln gehört haben: Wie beneide ich ihn! Werde ich's
auch einmal erreichen? Da soll ihr schrecklich unheimlich geworden
sein. Mit der übrigen Dienerschaft hat er gar nicht verkehren wollen.
Diese nackten Rundscheiben! Diese Vollmondgesichter! So soll er bei
sich geknirscht haben, und es hätte ihn der Ekel geschüttelt. Dann
hat er die braune Gesichtsfarbe verloren und das Feuer in den Augen
und ist abgemagert und ist immer trauriger geworden. Da fragte ich
ihn eines Tages: Lajosch, hast du noch eine Mutter? Er antwortete auf
ungarisch. Hast du Heimweh? Was ist dir, Lajosch? Er brummte etwas und
wendete sich ab. Gerne hätte ich ihm noch wegen einer unglücklichen
Liebe auf den Zahn gefühlt, denn nach meiner Überzeugung konnte es
nur die Liebe sein. Mein Gott, vielleicht wäre dem Braven zu helfen.
Warum sollte er sein Magyarenmädchen nicht an den Hof bringen? Es ist
gewiß sehr hübsch. Ich liebe Naturkinder und brauche ein Kammermädchen.
Aber es war nichts herauszukriegen vom armen Lajosch. Wieder einmal
hörte man eine Klage über die drei Tage in der Woche. Dann versank
er ganz in eine stumme Schwermut. Der König sagte, er würde den
Lajosch weggeben müssen, der Arme müsse krank sein. Dem Arzt, der ihn
konsultieren wollte, rief er ein ungarisches Fluchwort zu. Dann ging
er auf sein Zimmer und zertrümmerte den Toilettespiegel. Nun dachten
wir allen Ernstes an eine Geisteskrankheit. Der arme junge Mensch! Es
war furchtbar traurig. Dabei war eine so weiche, ich möchte sagen, um
Hilfe flehende Melancholie in ihm, daß uns allen betrübt zu Mute ward
und wir uns entschlossen, doch noch eine Weile mit dem Burschen Geduld
zu haben und recht gütig mit ihm zu sein. Wäre es irgend ein Anliegen
gewesen, gewiß -- hatten wir gedacht -- ließe es sich erfüllen. Aber
eine solche Krankheit -- das ist schrecklich. Auch weinen soll man ihn
einmal gesehen haben, und bei sich jammern, daß es ein Unglück sei,
wenn er einen solchen Posten verlassen müsse. Aber es sei gräßlich,
es sei zu gräßlich, das zu ertragen! Die Kammerfrau glaubte nicht an
Krankheit. Sie meinte, da sei ein Geheimnis dahinter. Mein Himmel, ein
dunkles, wenn nicht gar blutiges Geheimnis! Ich habe ihn gar nicht mehr
sehen können, ohne daß mich Grauen anwandelte. Die Entlassung wird
notwendig werden. Doch habe ich mir vorgenommen, ihn erst noch einmal
ernstlich zur Rede zu stellen. Da findet sich eines Tages unter den
eingelaufenen Bittschriften auch ein Gesuch von unserem Kammerdiener
Lajosch. -- Ich merke, die Herrschaften werden aufmerksam,« unterbrach
sich die Königin. »Sehen Sie, das war ganz mein Fall. Neugierde kann
man es nicht mehr nennen. Ein Taumel höchster Spannung, unter dem ich
die unbehilfliche Schrift entzifferte, die schlechte Behandlung der
Landessprache nicht achtete, um das Geheimnis endlich zu enthüllen. --
Ich könnte die Herren nun raten lassen. Doch abgesehen davon, daß Sie
es kaum erraten würden, ist es nicht danach. Ich habe ja gesagt, daß es
eine tragische Geschichte ist, vielleicht eine tragisch komische -- ich
finde es geradezu packend und das Herz seiner Exzellenz wird am Ende
doch noch engagiert --«

Denn der General lehnte nachlässig und ziemlich teilnahmslos in seinem
Fauteuil und drehte seine Schnurrbartspitze.

»Wir brennen, Majestät!« sagte der Graf.

»Meine Herren, nur Geduld! Es wird episch erzählt,« entgegnete die
Königin. »Man sollte das Schriftstück ja eigentlich vorlesen. Aber
es ist besser, ich ziehe bloß den Inhalt heraus. Es ist zu rührend.
Lajosch dankt für die Auszeichnung, ins Schloß aufgenommen worden zu
sein. Er sagt, so gut wie jetzt ihm, sei es in seinem Heimatskomitat
noch keinem Menschen ergangen, seit die Welt steht. Nur ein Anliegen
trage er, es sei vielleicht dumm, aber er könne sonst nicht leben. Beim
Militär sei er es so arg gewohnt worden und bei ihm zu Hause sei ein
Mannsbild gar nicht anders denkbar. Gut und Blut wolle er mit Freuden
opfern für den König, nur um die eine Gnade bitte er; wenn er schon
bei Hof bleiben dürfe, so bitte er um einen Schnurrbart. Daß er nicht
wöchentlich dreimal unter das schreckliche Messer kommen müsse, daß er
einen Schnurrbart tragen dürfe, das sei sein untertäniges Bitten.«

»Einen Schnurrbart?!« Die Gesellschaft brach in ein unbändiges
Gelächter aus.

Die Königin machte eine Gebärde des Mißmutes: »Ich wußte ja, daß Sie
lachen würden. Mir war nun aber gar nicht ums Lachen. Der arme Bursche
bittet ja um gar nichts anderes, als um seine Persönlichkeit, um das
Selbstbestimmungsrecht über sich selbst. Kann man in unserer Zeit
der Freiheit und der Menschenrechte um weniger bitten? Kann man um
etwas Selbstverständlicheres bitten, als um sich selber? Um seinen
Schnurrbart bittet er, der aus seiner eigenen Haut hervorwächst -- und
siehe, ~ich kann ihm den Schnurrbart nicht bewilligen~. Ich bin
Königin und habe nicht einmal die Macht, zu sagen: Ja, mein Junge,
deinen Schnurrbart sollst du haben. Ist das nicht tragisch? Ist es
nicht lächerlich tragisch? Wir regieren die Völker, und den Sitten
unseres Hauses gegenüber sind wir ohnmächtig. Hofetikette! Die Diener
haben stets in vorgeschriebener Livree und glatt rasiert zu erscheinen
-- punktum. Welche Palastrevolution, wenn der König entschieden hätte:
Lajosch, dir ist gestattet, den Schnurrbart zu tragen! Nach einem
Monat prangten alle Diener in Schnurr-, Backen-, Spitz- und weiß der
Himmel was für Bärten. Was bliebe dem König übrig, als sich den Bart --
rasieren zu lassen! Es ist ja ein Unding und man kann's nicht ändern,
man kann nicht. Wahrlich, diese Bartgeschichte des armen Lajosch hat
mich sehr demütig gemacht. Wir, die sogenannten Mächtigen, in welchen
Fesseln wir liegen! Spinnengewebe und doch unzerreißbar, so lange wir
der Vorurteile nicht Herr werden können.«

»Wenn ich mir eine Bemerkung gestatten dürfte,« sagte mit einer
Verneigung der Professor.

»Die kann ich nicht zulassen!« rief halb ernsthaft, halb humoristisch
erregt die Königin. »Um höfische Torheiten zu schützen, muß ich die
Zensur verhängen. Denn ich weiß, was sie sagen wollen, Professor. Sie
wollen sagen, der König habe gottlob doch noch andere Eigenschaften, um
sich von den Lakaien zu unterscheiden, so daß er für sich wie für jeden
andern die Bartfreiheit unbedenklich gestatten könnte. Dem Könige eines
freien Staates gezieme es, von freien Männern umgeben zu sein, selbst
in seinem eigenen Hause, so daß das Volk sehe: im persönlichen Dienste
des Königs zu stehen sei Rittersart, aber nicht Lakaienart. Das wollten
Sie sagen!«

»Ei doch nein, Majestät, so weit hätte ich mich nicht erdreistet --«

»Ich bitte Sie, Professor, Sie sind zufällig glücklicher Besitzer Ihres
Schnurrbartes -- behalten Sie ihn oben und gestehen Sie offen Ihre
Meinung.«

»Nun allerdings, wenn auch nicht ganz so geradeweg, ungefähr allerdings
hatte ich mir so gedacht. Mir fällt nur noch ein, daß man -- anstatt
den Schnurrbart bis auf das »Es ist erreicht« aufzustrammen -- auch
sagen könnte: Wenn einer, so sollte der König bartlos gehen, weil er
der erste -- Diener des Staates ist.«

»Das nenne ich Schnurrbart!« lachte die Königin.

Die Königin-Mutter hatte diesem Gespräche anfangs mit freundlichem
Kopfnicken, nun aber mit einiger Unbehaglichkeit zugehört. Sie war auf
Besuch im Schlosse und der freie Ton, der hier herrschte, war ihr neu
und befremdlich. Sie warf nun die ablenkende Frage ein, ob der arme
Lajosch sich getröstet habe.

»Nein, teuere Mama,« antwortete die Königin, »der hat sich nicht
getröstet. Wir haben uns trösten müssen. Als er merkte, daß sein
Bittgesuch unberücksichtigt bleibe, hat er kurz und höflich den Dienst
gekündigt. Noch nie habe ich einen Diener so ungern ziehen sehen als
diesen, der seine Existenz dem Schnurrbart opferte.«

»Dem Manne kann geholfen werden,« sagte nun der General. »Ich
rekrutiere ihn neuerdings zum Heere. Dort muß der Mann -- sozusagen
-- zwar auch manchmal Haare lassen, doch der Schnurrbart bleibt ihm
stehen.«

»Ich wußte es ja, General, daß Ihr Herz engagiert wird. Und Sie werden
ihn doch gleich wenigstens beim Hauptmann anfangen lassen?«

»Das allerdings, Majestät, dürfte sich schwer machen lassen. Es rückt
alles nach der Rangordnung.«

»Auch im Fall, daß einmal Verdienst und Tüchtigkeit --?«

»Alles stets nach der Rangordnung, Majestät.« --

Als der Zerkle aufgehoben war, die Gäste vor der Königin ihre
gebührende Reverenz gemacht hatten und davongegangen waren, trällerte
der Professor, auf der Straße dahinschlendernd: »Trallala, trallala!
Rangordnung! Stehen die Haare vorne, so heißen sie Schnurrbart, stehen
sie hinten, so heißen sie Zopf -- trallala, trallala!«

Daß nun der General die Allerhöchste Protektion unberücksichtigt ließ,
das hielt er für Schnurrbart, war in diesem Falle aber -- Zopf.




                            Die Einsiedler.


Vom alten Hofe des Plattenbauer auf der Hohe steigt ein junges
Frauenzimmer talwärts gegen die Grazerstadt. 's ist ihr schon seit
etlichen Jahren vorgegangen, sie müßt' ins Kloster gehen. 's ist
nichts, weltlicher Weise, 's freut sie nichts mehr, so lustig sie
früher einmal ist gewesen. Bauernweis' ist allerweil arbeiten, aber
der Mensch kann nicht genug beten. Immer ist ihr auch nicht so zu Mut
gewesen. Aber -- die lieben Leut' laufen davon oder sterben ab.

Abgestorben ist ihr Vater vor zwölf Wochen und jetzt hat sich's
herausgestellt, daß sie ihrem Wunsch kann nachgehen. Zweihundert
Gulden und noch was dazu hat sie Erbschaft. Jetzt hindert sie nichts
mehr daran, sie kann in's Kloster gehen. Aber wie fängt man das lauter
nur an? In der Grazerstadt gibt's ja Klöster genug, um den ganzen
Schloßberg herum. Doch sie sagen, der Kaiser wollt' sie abstiften. 's
wird nicht wahr sein, so grob wird er doch nicht sein. Wer schon einmal
drin ist, wird ja sitzen bleiben dürfen. Aber wie hineinkommen? Halt
aufnehmen werden sie niemand mehr wollen. Frauenkloster natürlich!
Einen Bekannten wüßt' sie wohl, der sie könnt' weisen und der's gewiß
auch gerne tät, weil er selber auch ist in die Buß' gegangen. Aber mein
Eid, wo wird dieser Mensch zu finden sein. In einer Schloßberghöhle,
hört man, soll er Einsiedler sein. Aber Schloßberghöhlen gibt's viele
und in etlichen, sagen sie, täten Räuber hausen. Da kann ein schwach
Weibsbild doch nicht gehen suchen. Daheim die Knechte haben eh schon
g'lacht. Daß man's nit tät wissen, ob der Markel ein Einsiedler sei
worden oder ein Räuberhauptmann. 's ist nur G'spött, weiß doch jeder,
daß es dem Markel um den Himmel geht und nit um die Höll. Wenn er die
Höll' hätt' wollen, hätt' er auch in Rinneg verbleiben können und ich
hätt' leicht Ursach' sein können; nein, vor dem hätt' ih mich nit lang
mögen derwehren. Aber jetzo, wenn er in der haarenen Kutten steckt --
und die Raben werden ihm mit dem täglichen Brot auch nit gar zu ratlich
(reichlich) sein -- da wird er schon frumm Lampel worden sein. Der
kunnt mir freilich raten, der Markel. Wills halt doch probieren, ob ich
ihn find.

Das waren der Maid trautsame Gedanken, als sie herabstieg von der
Plattenhöhe. Ein gesund Bröckel Weibsbild war's: wie alt, wie schön,
das weiß man nicht genau. Sie hatte einen Stecken bei sich und um die
Faust, in der sie ihn hielt, einen Rosenkranz gewunden, da war sie
doch wehrhaft genug. Im Mariagrünerwald sah sie einen Hasen; er war
vor ihr über den Weg gelaufen -- von links nach rechts. Das hat was zu
bedeuten. Bei den Elisabetherinnen wird sie aufgenommen -- sicherlich.
Lauf' nur, lauf' Has', daß dich der Jäger nit derwischt! Um dich
wär's schad. Oder gar bei den Ursulinerinnen! Wenn sie fromm ist und
zweihundert Gulden mitbringt! Aber sie kennt sich nit aus in der großen
Herrenleutstadt. Ein einzigesmal ist sie drinnen gewest mit Milch. Hat
ihr einer's Geld herausgelogen. Seitdem nimmermehr. Ganz schlechte Leut
und ganz gute Leut sind bei einand in so einer Stadt. Achtgeben muß
man.

Ein Obersteirer begegnet ihr, oder wer er ist. Just so gewandet mit der
ledernen Kniehose und dem grünen Hut. Der lange schwarze Backenbart
dazu, der steht nit gut. Da tät ehenter ein Schnurrbartel gehören.
-- Wie er vorbei ist, wendet die Maid sich um und schaut ihm nach.
Der, wenn er nit so ein Bauerngewand tät anhaben. Den möcht' eins für
den Mariagrüner Waldbruder halten -- so ähnlich ist er ihm. Den kunnt
sie eigentlich auch aufsuchen, den Waldbruder. Nein, da geht sie doch
lieber zum Markel, mit dem ist sie besser bekannt. Lachen wird er
schon, der, daß sie jetzt auch so was Heiliges will werden.

Wie sie über den Rücken des Rosenberges hinausgeht, sieht sie schon den
Schloßberg. Der steht mitten auf aus der Eben' -- wie ein Heuschober,
vergleichsweise. Und um und um die Laster von Häusern. Hoch auf dem
Berg steht ein großes Schloß, viel Spitztürme und graue Mauern. Der
steile Berg ist nackend über und über und lauter Steinwänd' und Löcher
hinein. Dort, in einer solchen Höhl' wird er hocken, der Markel, und
bußwirken. Aber nirgends ein Weg hinauf, man sieht keinen. Die Straßen
zum Schloß ist auf der anderen Seiten. Jetzt läutet die Liesel[1] -- 's
ist Mittag, die Maid steht still und betet den Englischen Gruß.


Fußnoten: [1] Name der großen Glocke auf dem Grazer Schloßberg.


Nachher steigt sie den Steig hin bis zu den Häusern. In einer Krämerei
fragt sie an, ob man nichts wisse von einem Einsiedler Markel; am
Schloßberg soll er seine Höhl' haben!

»Wird's halt derselbig sein, der Markarius heißt und den Leuten die
Schwindsucht kann abbeten. Schau hinauf einmal, dort zwischen den zwei
Steinwandeln, siehst das schwarze Loch? Dort is er drinnen.«

Denkt sie sich: Ist eh merkwürdig genug, daß ein Landmensch in die
Stadt geht, um Einsiedler zu werden. Aber da oben, das glaub' ich,
da bleibt er freilich hübsch allein. Möcht' schon wissen, wie ich da
hinaufkomm'!

Zur selbigen Stund' ist es gewesen, daß der fromme Einsiedler Markarius
seine Lodenkutte sich vom Leibe reißt und heftig in den Winkel
schleudert: »Jetzt soll dich schon der Teufel holen -- hätt' ich bald
gesagt!«

Lodenhosen hat er noch an, die gehen ihm bis unter die Achseln hinauf.
Hemed keins, mit nackten Armen steht er da, schier glatt und weiß.
Oft scheint die Sonne nicht drauf. Ist's doch das allererstemal, daß
er tagsüber seine Kutte wegschmeißt. Aber das Gesicht voller Haar.
Der Kopf geschoren wie ein Schaf zu Micheli. Die Kapuze hängt an der
weggeschmissenen Kutte.

Was ist denn das? Über dem Steinwall schaut ein Weiberkopf her. Auf
allen Vieren ist sie emporgeklettert und ist rot im Gesichte und
schnauft:

»Markel!«

»Katzl!«

»G'funden hab' ich dich!« lacht sie auf. »Aber jetzt mußt dein' Rock
anlegen.«

»Die Kutten meinst. Die leg' ich nimmer an, mein liebes Katzel!«

»Wir dürfen ja kein Fleisch mehr anschau'n. Denk dir Markel, ich auch.
Ich will ins Kloster!«

»Du?« sagt er. Dann patscht er mit den flachen Händen auf seine
Schenkel: »Du ins Kloster?!« Und lacht hell heraus.

»Wenn du ein frommer Einsiedler bist worden!« erinnerte sie vorsichtig.

»Bins ja nimmer!« rief er und hob ein Papier auf, das im Schutte lag.
»Da les'!«

»Mein Gott, wie kann denn ich lesen!«

»Der Kaiser hat mir schreiben lassen. Uns allen, uns Klosterleuten
und Eremiten. Sollten schauen, daß wir weiterkommen, Faulenzer
kunnt er nit brauchen. Alles aufgehoben. Nur die schulhaltenden und
krankenwartenden Klöster hat er ausgenommen. Den Mariagrüner-Bruder
sollen's auch schon abgesetzt haben. Ist aller Einsiedler um Graz
Oberhaupt gewest.«

»Jesses, ich hab's Haupt ja laufen sehen.«

»Was für ein Haupt?«

»Nau, euer Oberhaupt. Ist schon im Steirerg'wand g'west.«

»Wird mir auch nix anderes übrig bleiben. Wenn ich in drei Tagen nit
weg bin von da, so kommt der Wachter. Les' nur, da steht's.«

»Was sagst denn, Markel!« schrie sie auf. »Ja, nachher wär's bei mir
auch nix. Schulhalten kann ich nit, krankenwarten mag ich nit.«

»Und mir gehts auch nit anders. Heut' steig' ih noch auffi, da ins
Gschloß und red mit dem Guferneer!«

»Red' für mich auch. Wenn ich nu wieder müßt' heimgehen zum
Plattenbauer! Hab'ns dich nit brauchen können! möchtens sagen, und das
G'lachter! -- Na, heim geh' ich nimmer. Ein bissel ein Kloster wird
doch noch wo übrig bleiben für unsereins. Ich zahl' ja mein' Sach' und
mein Beten und Fasten und Frommsein wird doch niemand irren. Geh',
Markel, tu' anfragen. Im Kapuzinergraben wart' ich, bei der Kirchen.«

So tat der Eremit Markarius seine alte Bauernjoppen wieder an und den
schwarzen Strohhut mit dem breiten Dach und ging hinauf ins Schloß, um
sich zu beschweren. Bis zum »Guferneer« kam er zwar nicht vor, aber der
Schreiber in der Kanzlei hat ihn ins Gebet genommen. »Ja, mein Lieber,«
sagte der, »jetzt ist eine andere Zeit, jetzt heißt's arbeiten. Unser
Kaiser Josef ist der erste Arbeiter im Reich, der kann die Müßiggänger
schon einmal gar nicht leiden, und sollten sie noch so fromm sein.«

»Herr Amtmann,« antwortete der Bruder Markarius, »wenn unsereiner
einmal nit mehr fromm sein darf, dann wird einer ein schlechter Mensch
und tut Leut' ausrauben!«

»Und wenn einer Leut' ausrauben tut,« antwortete der Schreiber in
gleichem Ton, »dann lassen wir ihn henken.«

»Beileib' nit,« sagte der Einsiedler und zog sein bärtiges Gesicht ins
Lachen, »kein schlechter Mensch, das mag ich dennoch wohl nit werden.
's ist nur so ein G'spaß gewest. Halt anfangen, wenn ich wüßt, was ich
jetzt sollt!«

Hat der Schreiber mit den Achseln gezuckt:

»Sollt' ich etwan dem Kaiser nach Wien nachlaufen und fragen, was alle
die Leut', die er aus den Klöstern und Höhlen verjagt hat, jetzt machen
sollen? Arbeiten soll'ns. Gestern hättet Ihr auf der Triesterstraße
ganze Scharen von Klostergeistlichen wandern sehen können, etliche noch
in der Kutte, die andern schon in ihrem weltlichen Gewand und auf dem
Buckel Zegger und Binkel. Die einen taten laut Rosenkranz beten, die
anderen greinen und lachen, und gejuchzet haben ihrer auch ein paar,
daß sie wieder in der lustigen Welt taten sein. So sind sie fort.
Loschament und Arbeit suchen, wo sie sie halt finden. Euch kann ich
auch nichts anders raten. Fleißig arbeiten, vor der Arbeit eins beten,
nach der Arbeit eins juchzen, so wirds dem Kaiser am liebsten sein und
dem Herrgott auch.«

Mit diesem Bescheid hat der Bruder Markarius wieder gehen können.
Unterwegs in den Kapuzinergraben wollte er bei dem Eck-Kramerstandel
für das Katzerl einen Wecken kaufen. Etliche Pfennige hatte er noch in
der Wilflingjacke gefunden. Aber das Standel war heute geschlossen und
die Kramerin war gestorben am Tag zuvor. Bleibt er stehen, denkt nach
und geht weiter.

Vor der Kirche steht sie.

»Bist da, Katzerl?« ruft er ihr zu. »Ist's dir recht, daß ich alleweil
noch Katzerl zu dir sag'?«

»Wennst schon Katherl ganz und gar nit kannst sagen, muß es mir wohl
recht sein. Magst's Katzerl derleiden, mußt auch 's Kratzerl
derleiden.«

»Will dich Katherl nennen. Ist eh ein schöner Nam'! Weil wir zwei itzo
allein dastehen und zusamm'halten müssen.«

»Was hat er denn gesagt, der Guferneer?« fragte die Maid.

»Nix. Bin nur bei seinem Schreiberknecht gwest.«

»Und was hat der gesagt?«

»So viel wie nix. Das hätt' ich selber auch gewußt, daß 's jetzt
arbeiten heißt. Wenn ich ein bissel Geld hätt'! Da enten beim
Wildkästenbaum ist eine Kramerin g'west. Die ist gestorben. Das Standel
möcht' ich gleich, da wollt' ich drauskommen. Kein schlecht's Platzl
beim Kästenbaum, gehen drei Straßen z'samm!«

Da sagte sie ihm nahe ans Ohr: »Ein bissel Geld hätt' ich.«

Und ist's also geworden. Sie haben sich das Kramerstandel erworben,
haben gehandelt mit Wecken, Bockshörndln und Feigen, mit heilsamen
Wurzeln und Kräutern und anderlei guten und nützlichen Dingen. Drüben
in Geidorf haben sie sich zwei Wohnungen genommen; denn das stand
fest, hatten sie auch das Geschäft gemeinsam, persönlich wollten sie
Einsiedler sein und verbleiben. Und die zwei Wohnungen sind gleim
nebeneinandergestanden. Die Tür dazwischen war fest zugesperrt. Hat
sich also jedes in seiner Stuben ein Altarl aufgerichtet an dieser
Tür und hielt jedes für sich seine Vesper ab jeden Abend, so daß es
war, als stünden zwei Klöster nebeneinander, ein Mannskloster und ein
Frauenkloster. Und just an der Verbindungstür, damit sie nicht konnte
aufgemacht werden, hatten sie ihr Altarl errichtet, sie herüben, er
drüben. Und wenn sie davor knieten bei der Vesper, so knieten sie
eigentlich voreinander, und ob die Andacht just immer am Altar haften
blieb und nicht bisweilen durchs Türholz ging, das getraue ich mir
nicht zu entscheiden.

Beträchtlich klostermäßig ging es auch im Kramerstandel her. Das
einemal saß der Markel drin, das anderemal die Kathel; beisammen nie,
hätten auch schwer Platz gehabt. Die Preise waren christlich, maßen sie
sich mit wenigen Pfennigen Gewinn begnügten im Erdentag. Ging ein armes
Weibel vorbei, so erhielt es wohl gar den Wecken umsonst; schnaufte
ein alter Mann daher, so schenkte ihm der Markel eine Gamswurzel, so
für schweren Atem heilsam ist. Das alles sah sich gar erbaulich an
für die Nachbarschaft, und dennoch ist der Spott laut geworden über
das Einsiedlerpaar. Ein Schustergeselle erdreistete sich, das alte
Volksliedel für den Markel umzubiegen:

      »Der Mann auf dem G'wänd
      Hat die Kutten verbrennt,
      Hat die Beten verschmissen,
      Ist dem Dirndl nachgrennt.«

Ob solcher Kränkung wollte der Markel sich doch einmal gründlich
verteidigen bei der Kathel, und eines Abends begann er das Altarl
wegzuräumen, das an der Verbindungstür stand. Sie aber räumte das
ihre derweil noch nicht weg, versuchte vielmehr den Schlüssel, ob er
wohl sicher umgedreht war. Er war nicht umgedreht, die Tür war nicht
verschlossen, was die Kathel für ein Mirakel hielt, weil sie sich
alle Abend von dem Gegenteil überzeugt hatte. Fest glaubte sie das
erstemal noch nicht dran; aber wenn das Mirakel ein zweites- und gar
ein drittesmal geschehen sollte, dann müßte sie dem Altarl schon einen
andern Platz anweisen. Aber wo ist der »Geistler« dazu?

Zur Zeit war der Markel viel auswärts und stieg mit Krampen und
Kräunzen auf dem Plawutsch oder auf dem Geierkogel herum, oder gar auf
dem hohen Schöckelberg, um heilsame Wurzeln und Kräuter zu sammeln,
weil er sich bei derlei wohl auskannte. Solche Waren wurden von den
Käufern auch belobt. Aber der Pfarrer vom Kapuzinergraben blieb eines
Tages stehen vor dem Standel und fragte deutsam an, ob da nicht auch
ein Kräutel für den Tod zu haben sei?

Bisher, antwortete der einfältige Markel, hab' er so eins noch nit
gefunden.

»Nun also, wenn du weißt, daß du sterben mußt, was lebst denn nachher
mit dem Kebsweib? Kommst ja in die Höll' mit ihr!«

Der Kramer verstund' die Lehr' nur zu halb und am Abend räumte er das
zweitemal sein Altarl weg, um die Kathel fragen zu gehen, wie die
Ansprach' wohl gemeint sein könne? Aber der Schlüssel war umgedreht. --
Ihr alter Brauch; ganz nach dem Sprüchel: »Schmecken laßt sie, anbeißen
nit.«

Und ereignete es sich dann, daß der Markel von seinen Bergwanderungen
einmal mehrere Tage lang nicht zurückkehrte. Zwei Tage war er öfter
schon ausgewesen, aber drei Tage noch nie und jetzt fiel es der Maid
aufs Herz, wie die wahrhaftige Einsiedelei ganz und gar nicht zu
ertragen sei. Am vierten Tage kam er. Die Kräunzen voller Krautwerk
und den Mund voller wundersamer Berichte. -- Er sei weiter hinteri
gegangen, ganz hinteri ins Gebirg. Was es da für Wildnis gibt überall!
Wald soweit das Aug' tragt. Und mitten auf steht er. ~Das~
ist ein Steinberg! Da ist der Schloßberg wie ein Schotterhäuferl
dagegen. Wundershalber steigt er hinauf, schier einen ganzen Tag. Und
oben Arnika, ganze Wiesen voll zwischen den Steinen. Und Speik und
Gamswurzeln und sonst Wurzelwerch allerhand. Und ist er über einem
schaudervollen Gewänd gewest, wohl wie zwanzig Kirchtürm so hoch,
und kirchturmsteil nieder ins tiefe Tal. Ist aber so ein Gamssteig
zwischen den Wänden niedergangen und denkt er sich: Vielleicht sogar
Edelweiß! und knorzt hinab ins Gewänd soweit er kann, und wo erst der
schauderhaft Abgrund anhebt. Und findet unter der Wand ein eben Platzl
und ein Wasserbründel, und darüber ein Bildnis: Unser' liebe Frau! --
Fallts ihm ein: Hier ist das recht Ort für einen Einsiedler! In der
Grazerstadt tun's eh alleweil spötteln. Was gilts, er packt z'samm,
nimm sein Katzl und geht hinauf in die Felsenwildnis! Ein Hüttel sei
leicht gebaut, habe sich das Fallholz und die dicken Baumrinden schon
ausgeschaut. Kein Mensch hätt' ein' festere Burg.

So lang und so viel erzählt er und macht alles so gut, daß die Kathel
zuletzt sagt: Ihr sei's schon bald recht auch. Hätt' man sich das fromm
Leben schon einmal vorgenommen -- dort oben gibts keine spöttelnden
Leut', und dem Kaiser seine Hand wird wohl auch nit so lang sein. --
Ob sie nit vorher der Geistler sollt' zusammentun allzwei, fällt ihr
ein; und lacht sich auch schon darüber aus: Verheiratete Einsiedler!
Ein bissel ein' Anfechtung macht ja nix. Wo wär' denn das Verdienst,
wenn's kein' Anfechtung nit hätt! -- Geht in ihre Kammer und versucht
den Schlüssel, der ist in Richtigkeit.

Und eine Woche nachher: Die Waren haben sie teils verkauft, teils
verschenkt und wie das Standel leer ist, rucken sie sich ihre Kräunzen
mit Gewand und Werkzeug auf den Buckel und wandern ab. Einen Tag lang
auf der Straßen der Mur entlang ins Gebirg. Dann rechterhand in eine
Schlucht, und dräuen die Wänd schon himmelhoch herab, daß der Maid ein
Schauder durch den Leib geht. Begegnet ihnen ein Halter, hat statt der
Gert eine Flinten und sagt, sollten sich in acht nehmen vor Wölfen und
Bären.

»Hat mich keiner g'fressen, frißt mich keiner!« ruft der Markel -- und
nachher halt anwärts, steil, durch Strupp, über Gefäll und Gestein. Mit
ehrfürchtiger Freud sieht es die Kathel, wie in der Wildnis überall
der Tisch ist gedeckt. Erdbeeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Pilze und
Tierwerch zu fangen überall, wer geschickt ist. Und überall frisches
Wasser, und ein Brunnen ist, der fällt so dick wie ein Startinfaß viele
Klafter hoch herab und ist's kein Rauschen mehr, ist's ein Krachen, daß
man sein eigen Wort nicht versteht.

Mit harter Plag sind sie endlich oben auf der wüsten Höh'. Die
Kathel muß sich die Augen verhalten, so packt sie der Schwindel, wie
sie in die Tiefen will schauen. Da ins G'wänd soll sie hinab? Das
Gamssteigel, wo sie nachher nit weiter kunnt und nit mehr zurück! --
Just einmal probieren! sagt der Markel und führt sie niederwärts in
die schauderlich Felswand, bis zum Platzel, wo das Bildnis ist und das
Brünnel in eine Steinschale tut rinnen.

Gott wird's mit Willen gemacht haben, daß es zurzeit wochenlang ist
schön geblieben und warm Tag und Nacht. Jedes in einer andern Felskluft
hat geschlafen auf Moos und des Tags haben sie gesammelt und gebaut
an der Klause bei dem Brünnlein. Also, da lehnt die Hütte an der
überhängenden Wand. Eine Rindentür hat sie und zwei Fensterlein und
einen Steinblock zum Tisch und zwei Holzblöcke zum Sitzen und eine
Steingrube für das Herdfeuer und zwei Lager aus Bergheu und Moos. Und
an der Wand zwei Baumäste gequert zu einem Kreuz. Die Vorratskammer
ist draußen in einer Felsspalte, und hätten sie denn alles beisammen,
was der Mensch braucht, um so lang zu leben, bis er selig ist. --
Seligwerden, das ist beider ernsthaftes Fürnehmen.

»Sie taten beten und arbeiten,« heißt es von den beiden Menschen in
einer Chronik zu Breitenau. Und ist derselben zu entnehmen, daß sie
allerlei wilde Früchte sammelten, daß sie aus Kraut und Wurzeln und
manchen Beeren einen »Geist« haben gebrannt, mit dem der Markarius
zeitweilig in den umliegenden Tälern hausieren ist gegangen. Auch
sollen sie Wallfahrern, die weit her zum Bildnisse »Unserer lieben
Frau« auf den Berg gekommen, mancherlei Dienste geleistet und
Stärkung gespendet haben. Etliche Zeit der Einsiedler soll bitter
hart gewesen sein. Es ist nicht gemeint die kalte Winterszeit, da sie
monatelang eingemauert waren mit Schnee und den unbändigen Alpenstürmen
preisgegeben. Es ist nicht gemeint der Mangel mancher Lebensmittel
und es ist auch nicht gemeint die Bedrängnis, wenn eins krank war
oder Steinlawinen sie bedrohten. Ein anderes Bedrängnis war's, das
ihnen bisweilen bitterhart hat zugesetzt. Da ist der Markarius wohl
aufgestanden in der Nacht und hinausgegangen zur Quelle, um kaltes
Wasser zu trinken. Und wenn er, von Frost geschüttelt, in die Hütte
zurückgekehrt und auf seinem Lager zur Ruhe gekommen war, stand die
Kathel auf und ging auch hinaus, um zu trinken. Einsiedler sein, meint
besagte Chronik, sei nicht das härtest', aber sotane Zweisiedler sein
und gleichwohl Einsiedler verbleiben wollen, das sei vergleichbar
einem Fegefeuer, wo ein Mensch all' Sündhaftigkeit könnt' löschen.
Und hätten es nicht erzwungen, wenn der heilige Brunn' nicht wär
gewest, also, daß der Gnadenquell sich geoffenbaret. So haben sie das
Klosterleben, als davon sie vertrieben worden, auf hohem Birg streng
geführet, als Zeugnis, was möglich ist an starkem Willen. Sind aber
sonder Rast gewest und ist solchen Anachoreten das Fleisch abgefallen
von den Knochen, und doch ein Augenlicht, brennend und begehrend,
so daß sie angefangen, sich voreinander zu fürchten. Und ist dem
Einsiedler die heilige Jungfrau erschienen und der Einsiedlerin der
heilige Jüngling Aloisius. Und haben die Anachoreten vor Verzückung
einander mit Wacholdergerten gegeißelt bis aufs Blut.

Einer der Ortskundigen will aber dieser Schrift nicht Glauben
schenken; sie sei aus einer alten Sagung gezogen und zum Spott auf
die Leutlein oben am Schüsserlbrunn angewandt worden. Wahrheit sei
vielmehr solches: Eines Tages seien die zwei herabgekommen zum Kuraten
von Sankt Erhard und hätten lachend erklärt, die Sach' tät ihnen auf
die Läng zu dumm werden. Gar jung seien sie freilich nicht mehr, aber
auszahlen tät sich's vielleicht noch alleweil. Sie hätten einmal
ernsthaftig Einsiedler werden wollen, jedes für sich, seien nachher der
Umstände wegen Zweisiedler worden. Und jetzo möchten sie halt wiederum
Einsiedler werden, ein einziger, aus zweien einer. Aus ihrer zwei eins
machen, wenn er so gut wär'.

Der Kurat war schon einer von solchen, die man später Josefiner genannt
hat. Er sagte also: »Leutlein, das ist gescheit. Eins in der Gesinnung
und in der Lieb', das ist eine gar heilsame Einsiedelei.«

Und lacht die Kathel auf: Was sie doch einfältig wär'! Solang' hätt'
sie sich vor dem Geistler gefürchtet und jetzo tät sich das so leicht!
-- Der Wochen zwei und sie sind eins gewesen.

Aus einem solchen Eins kommt gerne noch Eins. An drei Jahr' später
ist's, an einem Hochsommermorgen, hält der Markari ein blondhaarig
Bübel auf dem Arm. Das Bübel juchzet und schlagt die Ärmelein
auseinand, als wollt' es den Sonnenball auffangen, der dort hinter den
Bergspitzen aufsteigt. Und sagt der Vater: »Kerl, kleiner! Schau sie
nur an. Wo sie aufgeht, dort weit hinterwärts ist die Wienerstadt. Und
dort ist der Kaiser daheim. Und wenn der nit wär g'west, tätest du
jetzt freilich kaum juchezen auf derer Höh'!«

Zur Zeit ist anstatt der schlechten Klausen schon ein besseres Häuslein
fertig gewesen und daneben ein Ziegenstall und daneben eine Kapelle mit
Turm und Glöckel. Und die Wallfahrer, wenn sie von Schüsserlbrunn heim
sind gekommen, haben erzählt von den guten Leutln, die mit gar Geringem
so glückselig leben da oben auf wildem Birg. Also daß wir ohn' Sorg und
Kümmernis können von ihnen scheiden.




                         Ein Wildling Christi.


Gregor, der Hirtenhauser auf der Niederalm, hatte nun glücklich
abgewirtschaftet. Das zerlemperte Gütel hatte er seiner Tochter
übergeben, diese ihrem Mann, und der Alte hatte sein Ziel erreicht --
er war der irdischen Sorgen und Güter frei geworden und konnte sich den
himmlischen Freuden hingeben, mit denen er längst umgegangen, die ihm
das kindliche Gemüt bewahrt, aber ihn um Haus und Vieh gebracht hatten.
Er war ihnen dafür dankbar. Wozu braucht der Christenmensch solche
Sachen! Hat der Apostel Jacobus ein Haus gehabt? Oder der heilige
Joseph ein Vieh? Man liest nichts davon. Dach findet der Mensch,
dessen Hut der Himmel ist, überall. Und wo er um einen Löffel Suppe
zugesprochen, da hatte er stets auch die Brocken dazubekommen. Der
Gregor war ein kluger Mann, doch benutzte er seine Klugheit nicht, um
zu gewinnen, was Sorgen macht, vielmehr um die Sorgen und ihre Ursachen
zu verlieren. Sein Lebtag war's ihm nicht so gut ergangen, denn jetzt
als Bettelmann. Bettelmann? Ein Mann Gottes wollen wir werden, wenn
uns nicht etwa die Demut abhanden kommt. Des Frommen größte Gefahr, er
fürchtete sie, ist heimliche Hoffart.

Der Halter-Gregl, wie er genannt war, hatte für sein gottseliges Leben
einen besonderen Hinterhalt, an den er sich aber bisher nicht gelehnt.
Sein einziger Bruder war Ordenspriester im Stift Hubertusbrunn. Seit
der Gregl damals brieflich angesucht hatte, als Laienbruder in das
Kloster eintreten zu dürfen und ihm vom Abte die Antwort zurückgekommen
war, er möge nur hübsch bei seinem angestammten Beruf bleiben und
die Arbeit auf Wiese und Feld zur Ehre Gottes verrichten, das wäre
für ihn gescheiter als das Kloster -- seit dieser wunderlichen, ganz
unpriesterlichen Antwort wollte er mit Hubertusbrunn nichts zu tun
haben. Nun war's aber in diesem Stifte anders geworden. Und schon wie
anders! Der alte Abt war gestorben, und Gregors Bruder, der Pater
Dominikus, war zum Prälaten gewählt worden.

Ob man in der Gegend der Niederalm umherbettelt, wo es doch immer nur
in der Runde geht, oder einen mehr geraden Weg nimmt, den Häusern der
Straße entlang -- für die alten Beine bleibt das gleich. Weiter kommt
man aber auf gerade Art. Und kommt wohl gar bis Hubertusbrunn. Ob die
Herren dort die Klostersuppe einem wildfremden Menschen vorsetzen, oder
dem alten Bruder des Prälaten, das wird für Kloster und Suppe auch
gleich sein. Ihm, dem Gregl, wäre doch damit gedient, daß er endlich in
den Mauern des Gebets, der Betrachtungen und der guten Werke für seine
letzten Lebenstage könnte Unterschlupf finden.

Also hat der Halter-Gregl seinen Sack genommen und seinen Stecken, und
ist barhäuptig, wie er stets gewesen, straßab und talaus gegangen,
bis er am dritten Tage im weiten fruchtprangenden Talkessel auf einer
Anhöhe stolz und herrlich das Gebäude ragen sah. Es war nicht wie ein
Schloß, es war wie sieben Schlösser neben- und übereinander, mitten
aufragend zwei Türme, eine Kuppel und die Schindeldächer schimmerten
wie Silber. Um die Anhöhe schlang sich in Halbrund ein breiter,
glitzernder Fluß, kleine Ortschaften und große Gärten bestreichend,
die sich hinten in Laubwäldern verloren. Der Gregl saß am Wegrand und
wollte von der einen langen Front die Fenster zählen. Bis achtzig oder
neunzig kam er hinauf, dann vergingen ihm die Augen.

Und das war Stift Hubertsbrunn.

Der Erzähler ist in Klostersitten nicht recht bewandert, er muß
sich auf die Berichte verlassen, die ihm zugekommen von den
Berichterstattern zu dieser Geschichte.

Am nächsten Tage wußte der Hirtenbauer Gregor schon, wie es da zuging.
Aber es gefiel ihm nicht. Über die Aufnahme war so weit keine Klage
gewesen. Der hochwürdige Bruder, Seine Gnaden ward er genannt, hatte
ihn an beiden Händen gehalten, ihn besorgt angeblickt und gesagt:
»Bruder Gregor, du gefällst mir gar nicht. Hast du denn kein besseres
Gewand?«

Und der Gregor: »Bruder Benedikt, oder wie du heißt, du gefällst mir
auch nit. Was ich zu wenig am Leib han, das hast du zu viel.«

Denn der Prälat trug einen Talar aus Seiden und Schuhe mit
Silberschnallen und über der Brust eine Kette und ein Kreuz aus
schwerem Golde. Der hochwürdige Herr lachte zum Ausspruch seines
Bruders, tätschelte ihm mit zwei Fingern die rauhbraune Wange und
sprach:

»Na na, du bist immer noch der Alte. Glaubst du mir's, daß ich so
arm bin, wie du? Dieses Kleid siehe, das deinen Augen Ärgernis gibt,
es gehört nicht meiner Person, es gehört meiner Würde. Und das Stift
gehört dem Orden. So viel erlaubt mir aber meine Armut, daß ich dich
einlade, etliche Tage im Stifte zu bleiben und daß du dir gut sein
lassest.«

»Du sagst etliche Tage! Und ich wollte als Laienbruder eintreten, die
Kirche ausfegen jeden Tag oder die Glocken läuten, oder wozu ihr mich
verwenden möget, daß ich dem Herrgott ein wohlgefälliger Knecht sein
darf.«

»Tue dieser paar Tage gerade einmal, was dich freut, Bruder Gregor.
Wie du doch unserem Vater ähnlich siehst, Gott habe ihn selig!«

Und der Alte antwortete: »Wenn du mägerer wärest, kunnt ich dasselbe
auch von dir sagen. Unser armer Vater, gelt! Wie sich der hat plagen
müssen und sich die Bissen absparen, daß er dich hat können in die
Studie geben.«

»Laß es gut sein, Gregor, nach den ersten paar Jahren hat mich ja schon
das Stift versorgt, so daß ich den Orden für meinen wahren Nährvater
halten muß.«

»Immer einmal wirst wohl doch noch eine heilige Messe lesen für unseren
Vater?«

»Wir beten für alle,« antwortete der Prälat.

Da deuchte es dem Gregor schier, daß im Stifte auf Blutsverwandtschaft
wenig gegeben würde. Trotzdem genoß er die Gastfreundschaft so gut es
anging. Zufrieden fand er sich nicht, es war ihm alles zu viel, zu gut,
zu weltlich, was es da gab. Des Prälaten abgelegte Hosen und Stiefel,
die er geschenkt bekommen, waren -- von der vornehmen Art abgesehen --
immer noch weit kostbarer als das schönste Ostersonntagsgewand, das er
je auf der Niederalm getragen hatte. Desgleichen auch die Wäsche, in
der so gar nichts von den härenen Hemden und stacheligen Gürteln zu
spüren war, die nach seiner Heiligenlegende die Mönche gerne am Leibe
gehabt.

Eine einzige Weltsorge hatte der alte Mann noch an sich, die ihn
manchmal sehr beunruhigte. Als vor Jahren sein Weib gestorben, hatte
sie auf dem Totenbette ihm ein Lederbeutelchen um den Hals gehangen
mit der Bitte, daß er es am bloßen Leib trage und nur in höchster Not
davon Gebrauch machen solle. Der Gregor versprach das, weil er der
Meinung war, es sei ein Amulett darin. Erst später kam er darauf, daß
im Lederbeutelchen fünf Dukaten enthalten waren, die das gute Weib
dem unpraktischen Mann als Notpfennig hinterlassen hatte. Dieses Geld
nun brannte ihn, erstens aus Besorgnis, daß es sündhaft sein könne,
nebst dem beinernen Kreuzlein, das er an der Brust trug, auch Geld
dort verborgen zu halten, und zweitens aus Angst, er könne die Dukaten
-- verlieren. Oft war er daran, diesen Mammon, der ihm so manche
Unruhe machte, von sich zu werfen, aber es war ihm leid drum. Und das
beunruhigte ihn noch mehr, weil es das Zeichen eines geldgierigen
Herzens wäre.

Nicht ungern ging Gregor mit dem Pater Isidor, dem die Landwirtschaft
anlag, über die Felder. Da standen an Wegen und Rainen Kreuzsäulen und
Heiligenstatuen, vor denen der Gregor zwar nicht den Hut zog, weil er
eben keinen auf seinem weißhaarigen Kopf hatte, wohl aber niederkniete,
um ein paar Vaterunser zu beten. Pater Isidor achtete nicht darauf,
sondern besah sich die herbstlichen Ackerfurchen, ob sie tief genug
wären und Erdschmalz hätten, und wenn der Gregor ein Gespräch über die
Himmelskönigin Maria anheben wollte, wies der Pater ihm froh gestimmt
die weiten Kohlgärten und Rübenfelder. Der Gregor ärgerte sich darüber,
hielt sich aber vor: Du hast kein Recht, es ihm zu verübeln, so lange
du selbst noch am Gelde hängest.

Ein anderes Mal zog er mit dem Pater Hubert aus, der die Flinte auf
der Achsel trug, auf dem Kopf den Federhut, und der die Forst- und
Jagdangelegenheiten zu besorgen hatte. Als sie ins finstere Gebirge
kamen, wo im tiefen Grund ein schwarzer See lag und zackige Schroffen
in den hellen Himmel emporstanden, legte der Gregor seine Hände
zusammen und sagte die Worte: »Wenn man's betrachtet! Die Allmacht
Gottes!«

»Pst!« machte der Pater. »Sie müssen still sein. Dort im Lärchschachen
-- sehen Sie? Zwei Rehe! Ein altes und ein junges! Und ein -- Gott
verdamm' mich, hätte ich bald gesagt, wenn das kein Bock ist, dort
hinter dem Fichtenbusch. Ah, sapperment!« Er riß die Flinte von der
Schulter, durfte aber nicht schießen.

»Sie müssen dableiben bis zur Jagd!« sagte er zum Alten, »da sollen Sie
einmal sehen, wie es purzelt! Da geht's lustig her!«

»Tun Ihnen die armen Tiere denn nit derbarmen?«

»Gott hat alle Kreatur erschaffen zur Freude und zum Nutzen des
Menschen.«

Dachte sich der Gregor: An Gott denkt er halt doch. --

Dann suchte er weiter unter den Mönchen des Stiftes. Einen würde
er doch finden, mit dem sich auch was Erbauliches reden ließe.
Freundlich waren ja alle mit ihm, doch wenn er des Rosenkranzbetens
erwähnte, sprachen sie vom Kugelschieben; wenn er der Wallfahrten
gedachte, kamen sie auf Scheibenschießen und Fischfang, und wenn er
über die Notwendigkeit des Bußwirkens sprach, meinten sie, das wäre
brav von ihm, nur solle der Mensch die lieben Gottesgaben auch nicht
verschmähen, und machten sich mit Behagen an den Krug. Freilich sah
er, daß sie zu gewissen Tageszeiten auch beteten und Psalmen sangen,
daß sie die Fasttage strenge einhielten, daß sie Almosen gaben. Ja,
es war sogar ein Pater bestellt, der tat gar nichts anderes, als für
die Armen zu sorgen, wie sie da dreimal in der Woche am Vormittag in
der rückwärtigen Halle zusammenkamen. Da wollte auch der Gregor einmal
sein Lederbeutelchen loslösen und dessen Inhalt den Armen auf die Hand
schütten. Doch fiel ihm ein, so viel würde sie verderben, sie sind nur
Kupferstücke gewohnt. Behielt seine Goldenen am Busen, war bekümmert
sie zu besitzen und war bekümmert sie zu verlieren.

Eines Tages gegen die Vesperzeit geschah es, daß der Gregor einen
Mönch wandeln sah entlang den Kreuzgang und hinabsteigen eine dunkle
Treppe in unterirdische Räume. Da war am Ende so etwas wie Katakomben,
in denen die ersten Christen ihre Zusammenkünfte und Gottesdienste
gehalten, nachdem sie überirdisch ein scheinbar ganz weltliches
Leben geführt hatten. Gregor schlich dem Mönche nach und kam in die
Weinkeller. Der Mönch lud ihn ein, sich mit einem Krüglein das Herz
zu stärken, was denn auch geschehen ist, so gründlich, daß der alte
Hirte in den feuchten Dämmerungen herzhaft anhub zu jodeln, wie er
es in früheren Zeiten auf der Niederalm getan hatte. Am nächsten
Tage hatte er wieder Durst, und zwar nach Wasser. Er stellte sich im
Garten zu dem rieselnden Brunnen und schaute ihm zu. Er lechzte nach
Wasser, sah es immer an, trank aber nicht, und das war seine Buße für
gestern. Dann geschah es, daß er glaubte, endlich auf dem Wege nach
dem Rechten zu sein. Er hörte von dem großen Büchersaale und wollte
nun auch einmal all die frommen Gebet- und Erbauungsbücher sehen, in
denen die ehrwürdigen Brüder den gottseligen Geist aufbewahrt hätten.
Er hatte nicht gedacht, daß es auf der Welt so viele Bücher gebe; der
große Saal war über und über mit Büchern bestanden, man sah nicht
ein handbreit Stück Wand. Ein paar fremde Herren waren da, denen der
Mönch immer wieder Bücher und Schriften hervorholte und auf den Tisch
legte. Gebetbuch war keins dabei, fast lauter alte weltliche Schriften
und -- wie es dem Gregor vorkam -- sogar heidnische darunter. Einige
vorhandene Bildwerke, die so herumlagen, zeigten geradezu entsetzliche
Sachen in den offenen Tag hinein. Weil dem Alten unheimlich ward,
so ging er hinaus. In einer Wegkapelle, wo das Volk vorüberzog, war
die heilige Jungfrau, darunter die Darstellung der armen Seelen
im Fegefeuer. Hier kniete der Gregor nieder und murmelte seine
altgewohnten Gebete. Er betete um Bekehrung der Heiden; plötzlich kam
ihm das an sich selber ganz abscheulich pharisäerhaft vor und er betete
demütig um Demut. Das erleichterte seine Bange.

Am unbegreiflichsten war es schon im Speisesaal. Der Bruder des
Prälaten sollte auch an der Tafel sitzen, wenn zwar weiter unten;
allein die silbernen Schüsseln und die kristallenen Becher kamen auch
zu ihm. Es wird halt heut ein Festtag sein, dachte er und ließ sich's
nicht schlecht schmecken. Sein Beisitzer hatte ihm gesagt, daß auch
Christus der Herr gerne Lammbraten gegessen und Wein getrunken habe. --
Es ging mäßig ruhig und gemütlich dabei her.

Gerne saß er im kühlen und stillen Münster. Die Kirche war sehr groß
und herrlich anzuschauen -- aber zumeist ganz leer. Er saß in einem der
schöngeschnitzten Chorstühle und betete stundenlang den Rosenkranz ab
und konnte es nicht verstehen, daß die Mönche lieber weltlichen Freuden
nachgingen, als hier im lieben Frieden zu sitzen und sich mit Gott zu
unterhalten. Hatte er sich endlich müde gebetet, so nahm er den Besen
oder den Fächel und fegte die schönen Steinbodentafeln, und staubte die
Stühle ab, die Heiligenstatuen aus weißem Marmelstein, und scharrte das
von den Kerzen abgetropfte Wachs zusammen und bat seinen Gott, er möge
sich den armseligen Dienst gnädig gefallen lassen. In solchen Stunden
war er am glücklichsten.

Da kam der Sonntag. Alles Volk strömte bei dem Geläute der
Klosterglocken zusammen und füllte die weiten Kirchenräume. Die Mönche,
ihrer dreizehn waren, kamen in kirchlichen Gewändern, der Prälat, eine
wahre Würdegestalt, im Ornat von lauter Seide und Gold. An allen
Kronleuchtern brannten die Kerzen, aus silbernen Rauchfässern qualmten
die Schleier des Weihrauchs am Hochaltare empor bis zu den dunklen
Spitzbogengewölben. Wie ein jubelnder Sturm, so brauste die Orgel, und
der Gesang der Chorknaben klang wie das lieblichste Glockengeläute. Und
als im Hochamte das Sanctus kam, da erhob der Prälat seine Stimme und
sang hell und feierlich das hehre Lied zum Allmächtigen. -- Der Gregor
war außer sich vor Entzücken. Jetzt erst ging's ihm auf, was das heißt:
Klosterleben, Priesterleben!

Darauf im Refektorium, als Seine Gnaden schon bei Tische saß, kniete
der Gregor nieder und wollte dem hochwürdigen Bruder die Schuhe
küssen. Der Prälat lachte ihn stark aus und sagte: »Vorhin haben
wir Gott gelobt im Gebete und jetzt wollen wir ihn loben in seinen
Gaben. Tue das deine, Gregor!« Was nun alles erschien, das mußte der
beisitzende Mönch dem alten Hirten erklären: Einmal das Gläschen
»Sherry«, das schließt Magen und Herz auf. Die Krebssuppe drauf, die
weckt den Appetit auf. Dann der Hummer, der frißt Sorg' und Kummer.
Dann beim Fleisch vom Rind das Essen eigentlich beginnt. Dann auf
Schweinskopf und gebrat'ne Enten muß man auch noch Andacht verwenden.
Von den Eier- und Mandelkuchen lassen wir uns auch gerne versuchen.
Käse, Obst und Kaffee tut keinem Christenmenschen weh. Und Bier und
Wein laß dir gesegnet sein. Endlich und schließlich ist ein feiner
Rauchstengel alleweil der beste Friedensengel. -- So lebhaft der Mönch
seine Tafelsprüche belachte, so wenig zeigte der alte Hirte dafür
Verständnis. Der hielt sich mehr an das Gemüse, obschon das gar nicht
besungen wurde. Vom Glase hielt er -- Erfahrungen beherzigend -- sich
fern. Nur als der Prälat ein feierliches Prosit ausbrachte auf das
Kirchweihfest, das heute begangen wurde, trank auch der Gregor in
Ehrerbietung seinen Becher aus. Die Festheiterkeit war in sangliche
Tafellustigkeit übergegangen. Dann stand Bruder Isidor auf, klopfte
ans Glas, erhob es, hielt eine frohe Rede von seinen Krautköpfen und
Kartoffeln. Der Bruder Hubertus feierte mit vielem Humor die Rehböcke
und Hirsche, die sich demnächst das Vergnügen machen würden, bei
Seiner Gnaden Tafel die Aufwartung zu machen. Der Bruder Kellermeister
erinnerte bei seiner Ansprache sogar an Luthers Wein, Weib und
Wonnesang, bedauernd, daß die Klosterbuße nicht vollständig sei, weil
von den drei W leider eins fehle.

Das helle Gelächter, das diese Rede entfesselte, wurde unterbrochen. Am
anderen Ende der Tafel war der alte Hirtenbauer aufgestanden und hatte,
wie es die Redner vor ihm getan, mit dem Messer an sein Glas geschlagen.

»Hört, hört! der Gregor!«

»Ja freilich,« sagte dieser in gemütlicher Art, »der alte Gregor will
auch was sagen.« Erst lugte er ein Weilchen vor sich hin und dann
begann er halb grollend und halb schmunzelnd mit einigem Stottern
anfangs, dann immer geläufiger also zu sprechen: »Der alte Halter von
der Alm hat zwar das Predigen nit gelernt, will euch aber doch eine
Predigt halten. Nehmt Ihr's für Spaß, ist's mir recht, nehmt Ihr's für
Ernst, ist's mir noch lieber. Ich will nur sagen: Was die hochwürdige
Geistlichkeit auf dem Stift Hubertusbrunn für ein Leben führt, das
ist ein recht lustiges Leben, ist aber wenig Christentum dabei. Mit
Verlaub, ihr seid viel zu weltliche Herren! Wie wollt ihr denn in
den Himmel kommen, wenn ihr schon drinnen seid? 's Hineinkommen ist
nit mehr möglich, aber 's Hinauskommen ist möglich. Alltag leset ihr
Zeitung, wie viel Jammer und Pein es gibt auf der Welt, und ihr lebt
in Freud, als ob euch allmiteinand nix tät angehen. Und nachher --
auweh, mich deucht, ihr seid mir schon bös'. Alsdann will ich gleich
aufhören. Amen.«

Die Wirkung dieses Sermons war fürs Erste überlautes Gelächter. Doch
soll es im Augenblicke einem der Festgenossen eingefallen sein:
Bei diesen zwei Brüdern müsse es eine Verwechslung gegeben haben.
Pater geworden sei der Unrechte! -- Der Prälat, ob der rechte oder
unrechte, hatte ein schier röteres Gesicht bekommen, als es sonst bei
Tafelfreuden der Fall war. Er trommelte mit den Fingern, an deren einem
der große Ring funkelte, auf den Tisch, die andere Hand spielte mit dem
goldenen Kreuz, das ihm über der Brust hing. Dann schüttelte er ein
paarmal den Kopf. In dieser Beklemmnis erhob sich der Pater Franziskus,
der Bibliotheksverwalter war, gab das Zeichen, daß er sprechen wolle
und begann in wohlgesetzten Worten -- er war ja zugleich auch der
Stiftsprediger -- zu sprechen, wie folgt:

»Teure, ehrwürdige Patres und Fratres! Wir haben eben ein Beispiel
erlebt, wie über einen der Geist kam, bei dem wir es nicht vermeint
hätten. Vielleicht hat sich Gott der Stimme dieses einfachen Mannes
deshalb bedient, um uns Ordenspriestern wieder einmal zu Gehör zu
führen, wie die Welt über uns denkt. Wenn da draußen Leute wären, so
möchte ich ein wenig zum Fenster hinaussprechen. Die draußen haben
nämlich jetzt das Christentum entdeckt. Sie sagen, es sei eine Religion
für die Welt, Christus selbst habe die Lebensfreuden geliebt, nur müsse
man in Vertrauen und Liebe das Reich Gottes im Herzen haben. So sagen
sie, ob sie das letzte tun, weiß ich nicht. Wenn ja, so bin ich damit
einverstanden. Nun höret: Wenn wir ~Priester~ so leben, wie sie
sagen, daß man solle, nämlich in der weltsinnlichen Gottfreudigkeit,
dann heißt es gleich, es wäre unchristlich und ~wir~ sollten in
Armut und Entsagung leben. ~Wenn~ wir's aber wirklich tun, wie ja
gar viele Welt- und Ordenspriester in Armut und Entsagung leben müssen,
hei, da nennen sie uns Mucker, Heuchler und Aszeten. Kurz, wir können
machen was wir wollen, so ist es denen nicht recht. Anders ist es mit
unserem lieben Gregor. Das ist die ehrliche Haut, die bloß zurückruft,
was wir hingerufen haben. Wir, das heißt, viele von uns. Diese haben
Aszese gepredigt, so verlangt der Mann, daß die Priester selbst das
halten, was sie anderen predigen. Das ist ganz in Ordnung. Wir aber --
und nun wende ich mich an unsern Freund Gregor -- wir Ordenspriester
im Stifte Hubertsbrunn predigen nicht Aszese, sondern Freude in Gott.
Wem sie gegeben wird, der soll sie nehmen. Sie haben selbst gesagt,
lieber Gregor, daß es in der Welt draußen viel Jammer und Pein gibt.
Ist es ein Wunder, wenn mancher ins Kloster flüchtet, wo man im Vereine
mit Gleichgesinnten seiner Seele lebt? Wir persönlich besitzen keine
weltlichen Güter, aber wir verwalten mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit
die Güter des Ordens, die gestiftet worden sind, damit die Brüder
im sorglosen Frieden des Herrn leben können, wie heute, so auch in
Zukunft. Ebenso verwalten wir viele Wissenschaften, die durch Klöster
aus alten Zeiten der Zukunft übermittelt werden. Wir pflegen die
Künste und schmücken damit unser Gotteshaus, unsern Gottesdienst,
erhöhen damit unsere Freude am Göttlichen, unsere Liebe zu Gott. So
sind wir fern dem Unfrieden der Welt, sind eingefriedet ins Bereich,
wo Lebensfreude und Gottseligkeit eins geworden sind. Das findet
man nur im Kloster so, und nirgends anders. Und ich sehe die Zeit,
da viele, des Streites und der Ungerechtigkeit da draußen übersatt
geworden, die Klostermauern suchen werden. Vielleicht wird man ihrem
Klosterleben einen anderen Namen geben, in der Tat wird es dasselbe
sein, denn das Bedürfnis vieler Menschen nach Weltabgeschiedenheit
und Frieden, nach harmlosem Lebensgenuß und nach Gottesfroheit wird
nicht aussterben. Wenn sie, die weltlichen Leute da draußen, die
Freiheit, die persönliche Freiheit so hoch halten, so wird man doch,
wenn man will und kann, auch in das Kloster gehen und ein ruhiges
beschauliches Leben führen dürfen? Unser Herrgott will nicht, daß
der Mensch sich um Geld und Gut, um Lust und Ehre zu Tode hetze, er
will auch nicht, daß einer Not leide, hungere, von anderen zertreten
werde und zugrunde gehe, wie ein Wanderer bei den wilden Tieren in der
Wüste. Denket doch an die übelriechenden Städte mit ihrem törichten
Jagen; denket an die großen Fabriken, überfüllt mit Unzufriedenen und
Mißgünstigen; denket an das kümmerliche, halbvertierte Leben in den
Bauerndörfern -- und betrachtet euch diese friedensvolle Stätte des
heiligen Hubertus, von lachenden Tälern und grünen Bergen umgeben, und
wie wir hier leben in trauter Gemeinschaft mit allen großen Geistern
der Erde und der Himmel. ~So~ zu leben ist Gotteswille, und daß
wir den Himmel schon auf Erden anfangen sollen. Eigentlich gerade das,
was die draußen auch angeblich wollen. Also warum gönnen sie uns nicht
den Klosterfrieden? Und auch unser Freund Gregor hat unrecht, wenn er
meint, der Christenmensch sei auf der Welt zur Selbstqual, anstatt zum
Glücklichsein. Er soll das eine sein lassen und das andere bei uns
versuchen. Fröhlich leben und selig sterben, das muß dem Teufel die
Freud' verderben. Amen.«

In fröhlichem Tone hatte der Pater also gesprochen, dann war er zum
alten Hirtenbauer hingetreten, hatte ihm die Hand gekneipt, und er
möchte die redlichen Worte nicht übelnehmen.

»Hau,« sagte der Gregor, »so schön kann ich freilich nit. Da muß ich
schon still sein. 's wird eh wahr sein, was ihr gesagt habt. Für's
Gutleben laßt sich der Mensch gerne überzeugen, ich bin ganz bekehrt.
Jetzt bleib' ich im Kloster, bitt' schön, kleidet mich ein. Und weil
ich schon der Ältere bin, komm' ich vielleicht bei der nächsten
Prälatenwahl dran. Will gleich anheben und Lateinisch lernen, hi, hi.«

So war alles wieder ins Gemütliche übergegangen und als sie dann zur
Vesper in die Kirche zogen, fand sich der Alte schon drein und während
der Litanei dachte er, es wäre gescheiter gewesen, das Hirtenhaus auf
der Niederalm dem Stifte Hubertsbrunn zu vermachen als dem groben
Schwiegersohn, der sich mit seiner unfreiwilligen Elendigkeit doch
nicht den Himmel, nur die Hölle kauft.

Von diesem Tage an gefiel es ihm im Stifte besser und er fand, daß
eine solche Vereinigung irdischer Freuden und himmlischer Beseligung
eigentlich recht annehmbar wäre. Beten und Bußwirken könne ja auch
jeder noch ein übriges. Der Klostergehorsam, nächtlicherweile doch
manchmal aus dem warmen Bette aufzustehen zur Gebetstunde, hatte für
ihn einen besonderen Reiz. Leider wurde er nicht geweckt, weil er ja
nicht zum Orden gehörte, sondern nur Gast war. Dafür kniete er, wieder
bange geworden, sonst lange Stunden auf dem kalten Kirchenpflaster und
bat Gott in flehenden Gebeten um den rechten Weg in den Himmel. Sei der
Weg dornig oder blumig, nur gottgefällig sein, das war sein einziges
Verlangen.

Da kam jene Nacht mit dem glühenden Atem Gottes. In einer Scheune
war Feuer ausgebrochen und ein rasender Novembersturm hatte
die brennenden Latten auf die Schindeldächer des Stiftsgebäudes
gepeitscht. Die Flammen lohten nicht aufwärts, sondern gruben sich,
vom Sturm geschärft, mit tausend Zungen pfeifend ins Gebäude ein,
so daß nach kaum einer halben Stunde alle Fenster des weitläufigen
Stiftes in weißem Lichte standen. Die Mönche huschten, nicht in ihrem
priesterlichen Gewande, nur mit gekrümmten, schlecht verhüllten
Körpern stumm oder angstvoll stöhnend durch die rauchigen, qualmenden
Gänge, durch die Höfe, ins Freie; sie dachten nicht an die Güter, die
verbrannten, sie dachten nicht an Gott -- ihr Einziges und Alles war
die Rettung des nackten Lebens. Am nächsten Morgen war die Stätte
ausgebrannt und aus hundert kahlen, dachlosen Mauern und geschwärzten
Löchern stieg träger Rauch auf. Die Kirche allein war verschont
geblieben und in der waren die Mönche versammelt, klagend, weinend,
fröstelnd und schaudernd. Etliche brüteten stumpf vor sich hin. Andere
verbanden mit feuchten Lappen ihre Brandwunden, wobei ihnen der alte
Gregor beistand. Einer war da, der Pater Hubertus, der schüttelte
fortwährend den Kopf und war sehr nachdenklich. Er hatte sonst manchmal
an die Stunde des Unglücks, an Todesnot gedacht, aber so hatte er
sich's nicht gedacht, daß man dabei ganz an alle Gottheit vergessen
könne! Man rief wohl im Schreck die heiligen Namen, ohne auch nur
flüchtig an die Himmlischen zu denken. Nicht einmal die Todesangst
war eine christliche. Der stumpfe Instinkt des Tieres allein waltet,
jagt dich, rettet dich. Und da fiel es ihm ein: Mensch, in solchen
Stunden bist du just so gottlos und hilflos wie das arme Tier des
Waldes, das du so oft verfolgt hast! -- Die Steinplatten der Kirche
waren kalt und die Mönche hatten keine Decken, keine Kleider. Es kam
der Hunger und sie hatten nichts zu essen. Ein Einziger war gefaßt.
Auch dem Gregor war sein Bündel verbrannt, doch er fror nicht so sehr
in seinem schlechten Nachtgewand, als die anderen, ihm tat der Hunger
nicht so weh, ihn schüttelte die Verzweiflung nicht so arg, denn er
hatte ja eigentlich nicht viel verloren. Er hatte nicht verloren die
großen Vorratskammern, nicht verloren das heimliche Stübchen mit
dem vergoldeten Marienbildnisse, nicht die fürstlichen Säle mit den
Kunstwerken, nicht die Schriften der Weisen und der Dichter aller
Zeiten. Da wollte er sagen zu den händeringenden Vätern und Brüdern:
»Ihr habt ja doch wohl auch nix verloren, denn ihr habt ja nix
besessen!« Aber er sagte es nicht, der Spott schien ihm zu herzlos.
Umso eifriger wusch er die Brandwunden, deckte er die Fiebernden mit
Stroh, machte Botengänge in die nächsten Ortschaften und tat, was er
konnte. Sein Bruder, der Prälat, der auch nichts anderes hatte, als ein
blaues Unterkleid, um sich zu schützen, der klopfte ihm einmal halb
weinend auf die Achsel: »Bruder, jetzt bist du reicher und stärker
als wir. Du bist das gewohnt, wir sind es nicht gewohnt. Und da wir's
verloren und da wir jetzt nichts haben, deucht mich doch, es wäre unser
Eigentum gewesen.«

»Deucht dich, Bruder?« antwortete der alte Gregor. »Mich deucht auch.
Aber wenn euer Christentum das richtige ist, so müßt ihr auch in
schlechten Zeiten feststehen.«

»Das werden wir auch, mein guter Gregor. Nur weh tut's, wenn's so
plötzlich trifft. Das große Kreuz wird uns heilsam sein, wir wollen
beten und uns kasteien.«

Bald merkte es der alte Hirtenbauer, wie das gemeint war mit dem Beten
und Kasteien. Wie Ameisen am zerstörten Haufen, so begannen die Mönche
zu arbeiten, jeder in seiner Art. Was der Brand übrig gelassen, sie
rafften es zusammen und bargen es; mehr war's, als man erwartet.
Bauleute wurden herbeigezogen, anfangs für den Notbau, später für
die Wiederaufrichtung des Stiftes, das allmählich aus seiner Asche
herrlicher erstand. Wie Wunderbrunnen, so flossen die Hilfsquellen
von allen Seiten, besonders von dem in der Welt weit verzweigten
Orden. Die Mönche waren ohne Rast. Sie nahmen fürlieb mit spärlichster
Kost; mancher brachte seinen heimlichen Pfennig herbei und gab ihn
dem entstehenden Vaterhause. Der unermüdlichste und froheste aller
Arbeiter war der alte Gregor. Jetzt konnte er nach Herzenswunsch
»bußwirken«, nämlich Hand anlegen zum Wiederaufbau des Reiches Gottes.
Nicht wie einst handelte es sich um eine melkende Kuh oder um einen
fetten Ochsen, es handelte sich um eine Friedensstatt auf Erden.
Brauchen ließ er sich überall, beim Steinegraben, beim Ziegeltragen,
beim Karrnen und Zimmern und bei viel schlechteren Verrichtungen.
Als sich niemand finden wollte, der auf den Dachgiebel das dreifache
Kreuz trüge, gab er sich dazu her. Er sei in der Jugend auf allen
hohen Bäumen der Niederalm umhergeklettert; fehle ihm jetzt gleichwohl
die Eichhörnchengelenkigkeit, so werde doch der Schutzengel seine
Schuldigkeit tun. An Nahrung und Verpflegung war er ganz anspruchslos.
Lohn nahm er überhaupt keinen, sondern sagte, bei den Bauern sei der
Brauch, daß die Kinder des Hauses umsonst arbeiteten.

Der Prälat war schon lange wieder wohlgemut geworden, und so sagte er
nun lachend einmal zu seinem Bruder: »Aber Gregor, wenn du immer so
fleißig gewesen wärest, so müßtest du ein reicher Mann sein!«

»Reich! Reich!« antwortete der Alte. »So ein schlecht Wort sollten
Gnaden Herr Bruder nit im Mund haben!«

Freilich hatte der Gregor ein heimliches Glück im Herzen, von dem er
niemandem was sagte. Er war seines nagenden Kummers losgeworden. Das
Ledersäckchen war ihm beim Brande abhanden gekommen, die fünf Dukaten
verbrannt. Jetzt brauchte er sich nicht mehr zu fürchten, sie könnten
seiner Seele schaden, sich nicht zu ängstigen, er könnte sie verlieren.
Sie hatten seiner Seele geschadet, nun erst merkte er es recht. Nun
war er frei. Alle Existenzsorgen hatte ihm ja der hochwürdigste Bruder
abgenommen: »Du gehörst unserem Orden, Bruder Gregor, und daß du nicht
Latein kannst, je nun! Du bist halt ein Wildling. Ein Wildling Christi.
Ich meine, man könnte dich trotzdem weihen.«

»Ich dank' dafür,« antwortete der Alte. »Bin einer Last glücklich los,
will keine andere mehr haben. Wenn mir Gott zur Armut noch die Demut
schenkt, dann bin ich aus dem Gröbsten heraußen.« --

Nach fünf Jahren stand das neue Stiftsgebäude fertig und in hohem
Glanze da. Jeder der dreizehn Mönche hatte es erlebt, nicht einmal der
dreizehnte war gestorben. Einer von ihnen gestand, seit dem Unglücke
fühle er sich ein wenig besser und stärker, er habe gelernt, etwas
zu ertragen. Man stimmte ihm bei. Nur den Prälaten hatten die Sorgen
der Wiedererrichtung alt und kränklich gemacht. Er erklärte, seine
Würde und Bürde ablegen zu wollen. Alles war unschlüssig, ratlos
darüber und mancher der Brüder verwahrte sich schon vorwegs gegen
die Möglichkeit, Abt zu werden. Jeder wollte der Unwürdigste sein,
vielleicht heimlich erwägend, daß gerade ~der~ erhöht werde, der
sich selbst erniedrige. Bei der Wahleinleitung für seinen Nachfolger
erzählte der Prälat die Geschichte von der Taube. Einmal bei einer
Papstwahl zu Rom -- bei welcher, das wußte er nicht genau -- hätten die
Kardinäle sich nicht einigen können. Da sei zum Fenster eine weiße
Taube hereingeflogen, sei dreimal über den Köpfen der Versammelten
herumgeflogen und habe sich dann auf das Haupt des Geringsten gesetzt,
des Türhüters an der Pforte. Der sei auf diesen Wink Gottes zum Papste
gewählt worden. »Und meine hochwürdigen Brüder,« so schloß der Prälat,
»wenn heute auf dem Stifte Hubertusbrunn der heilige Geist in Gestalt
einer Taube käme, um uns die Wahl des Oberen anzudeuten, auf wessen
Haupt würde er sich setzen?«

Die Brüder neigten sich und einer flüsterte dem andern zu: »Vielleicht
gar auf das Haupt Gregors?«




                       Der mißratene Evangelist.


In einer Tischgesellschaft von ernsten Männern kam eines Abends
das Gespräch auf die Welttauglichkeit des Evangeliums. Mehrere der
Anwesenden behaupteten, die christliche Lehre trage nicht allein die
Bürgschaft der ewigen Seligkeit an sich, sondern auch das Glück der
Erde, den Frieden in der Gesellschaft, das Gedeihen jedes einzelnen.

Einer war da, der solches bestritt. »Wenn ~jedermann~ nach der
christlichen Lehre lebt,« sagte dieser, »dann vielleicht. Dann gebe
ichs zu, daß sie auch auf Erden zum Glücke führen kann. Anders ist
es, wenn nur einzelne darnach leben. Für diese ist sie dann durchaus
nicht förderlich, der einzelne geht vielmehr zeitlich daran zugrunde.
Vorausgesetzt, daß es möglich ist, die Lehre in ihrer ganzen Strenge zu
befolgen, macht sie den Menschen für die Aufgaben und Bestrebungen der
modernen Gesellschaft ganz und gar unfähig, ja kann -- mißverstanden --
auf Irrungen und Abwege führen, wovon ich ein Beispiel aus dem Leben zu
erzählen wüßte.«

Hierauf sagte ein anderer: »Wenn Sie ~ein~ Beispiel wissen, daß
die Befolgung der christlichen Lehre auf Abwege leitet, so weiß ich
hunderte und tausende von Beispielen, daß die ~Nicht~befolgung zum
Verderben führt.«

Nun, das sei selbstverständlich, meinten mehrere und sei längst
bewiesen. Merkwürdig jedoch dürfte der Ausnahmsfall sein, wenn ihn
jener erzählen wolle.

Der Aufgeforderte sprach: »Da wohl nicht zu befürchten ist, daß das
Schicksal des Helden meiner Geschichte einen von uns der christlichen
Lehre noch mehr entfremden könnte, als es, wie wir uns kennen,
wahrscheinlich ohnehin schon der Fall ist, und da sich ferner von uns
wohl überhaupt keiner so wörtlich in die Bergpredigt einlassen wird,
als es mein Herr Eberhard getan, so werde ich die Geschichte ohne
jeden Widerspruch erzählen dürfen. Die Lehre, wenn man schon eine
daraus ziehen wollte, könnte ja immerhin die sein: der eine ging an der
Befolgung des Christentums nur deshalb zugrunde, weil es nicht auch die
übrigen befolgten.«

Und hierauf begann er zu erzählen.

Im Landstädtchen K. lebte ein junger Buchhandlungsgehilfe namens
Eberhard Roland. Er war aus einem Nachbarsorte eingewandert, nachdem er
dort seine Mutter und seine Schwester begraben hatte. Das waren seine
einzigen Verwandten gewesen, er hatte ihnen wacker leiden geholfen. Die
Rolande waren einst eine geachtete Bürgersfamilie gewesen und dann von
einem unermeßlichen Unglück heimgesucht worden. Ein Roland war nämlich
einer schweren Gewalttat wegen zum Tode verurteilt und dann durch
den Strang hingerichtet worden. Das war der Großvater des Eberhard
gewesen. Von jener Zeit an war es mit der Familie abwärts gegangen,
sie war entehrt, gemieden, verachtet. Das Geschäft stockte, ging zu
Grunde, die Familie verarmte, brachte sich viele Jahre lang zwar
redlich, aber kümmerlich durch. Man hatte nichts einzuwenden gegen die
fleißigen Leute, daß aber jener Roland gehenkt worden war, blieb ihnen
unvergessen und blitzte bei jeder Gelegenheit hervor. Eberhards Vater
war als Leineweber in jungen Jahren gestorben, er selbst hatte die
Buchbinderei gelernt und mit diesem Handwerk Mutter und Schwester recht
und schlecht ernährt, bis beide bei einer Seuche in einer und derselben
Woche verschieden.

Seither wohnte Eberhard in der Stadt K., wo er vom Buchbinder zum
Buchhändler aufstrebte, nachdem er es vorher mit mehreren anderen
Erwerbsarten vergebens versucht hatte. Er war ein unruhiger Geist und
sprang in Gegensätzen hin und her. Von einigermaßen beschaulicher und
sogar schwärmerischer Naturanlage, trug er sich eine Zeitlang mit dem
Gedanken, in ein Mönchskloster zu gehen, bis er in ein Bankgeschäft
als Briefschreiber eintrat. In kurzer Zeit war er Buchhalter und hatte
sich etliche hundert Taler Vermögen erspart. Da mietete er sich vor
der Stadt einen Heuschoppen und begann mit Holz und Kohlen zu handeln.
Als höchst anständiger Geschäftsmann bald bekannt, begann der Handel
zu blühen, aus dem Schoppen ward ein stattliches Magazin, dem sich
größere Lager anschlossen, aus dem schlichten Buchbinderjungen war
ein geachteter Kaufmann geworden. Bei dem allein blieb es aber nicht.
Von hübscher Gestalt und freundlichem Wesen, gewann er die einzige
Tochter des Bankinhabers, bei dem er in Diensten gestanden und wurde
ein wohlgesetzter Ehemann und Hausvater. Ein Jahr später kam ein
kleines Kind und ein großer Treffer, er hatte in der Staatslotterie das
Hauptlos gezogen. Jetzt war er auf einmal halber Millionär und wußte
eigentlich selbst nicht, wie das zugegangen.

Nun hatte in ihm aber sachte eine Änderung stattgefunden, die er wohl
selber erst etwas spät bemerkte. Einst in armen Kreisen lebend, war er
sehr mitleidig gewesen und hatte er schon in der Tat nur wenig Gutes
tun können für die Notleidenden, so hatte er für sie doch stets ein
warmes Herz, und das Wort der Teilnahme tröstete manchen Leidenden
mehr, als eine Gabe auf die Hand. In dem Maße aber, als Herr Eberhard
wohlhabend wurde, kühlte sich sein Gemüt ab für die Armen. Er war zwar
wohltätig, gab Almosen, doch weniger aus innerem Drange, denn weil er
sich als reicher Mann dazu verpflichtet fühlte. Die Armut vor sich zu
sehen, war ihm unangenehm, und manchmal erschien sie ihm wie ein Makel,
das etwa dem Leichtsinnigen oder Fahrlässigen anhaftet. Einst hätte er
den hungernden Bettler sättigen mögen, ohne ihn erst seines Hungers
wegen zur Rechenschaft zu ziehen, jetzt fragte Herr Eberhard schon:
»Warum arbeitet Er nicht? Was hat Er getrieben, daß Er so verkommen
ist?«

Früher hatte er sich zu den wenigen Feierstunden in seinem Stübchen mit
den paar Holzmöbeln und den kleinen Bildern seiner Mutter und Schwester
an der Wand sehr heimlich und behaglich gefühlt. Jetzt in seinen reich
ausgestatteten Gemächern war ihm einmal dieses, einmal jenes nicht
recht und seine Wünsche und Bedürfnisse waren den Tatsachen immer um
eine Spanne voraus. Manchmal empfand er die Last des Reichtums, die
Last der damit verbundenen Pflichten, dann wieder kam es ihm vor, als
nütze er seine Kraft, seinen Kredit, die Verhältnisse zu wenig aus und
als sei es seine Aufgabe, noch reicher zu werden -- so reich als nur
menschenmöglich. Er gönnte sich daher nur wenig Ruhe, rechnete, plante
neue Unternehmungen, und wenn er dann zum Jahresschluß die Bilanz zog,
soweit sie bei den ausgedehnten Besitzungen und Geschäften zu ziehen
war, sah er immer mit freudigem Schreck, wie rasch die Millionen
wachsen. Aber schon allemal in den nächsten Stunden fragte er sich,
warum sie denn eigentlich nicht noch schneller wüchsen und was daran
wohl die Ursache sein könne?

In einer solchen Stunde, als er über den Teppich seiner Treppe
herabstieg zum bereitstehenden Wagen, um auszufahren zur Sitzung in
einem wohltätigen Verein, kauerte an der Pforte eine verwahrloste
Bettlergestalt, schlotternd, mit eingefallenem, grünem Gesicht und
verglastem Auge. Fast verstellte er dem Herrn den Ausgang, zudringlich
hielt er seine mumienhafte Hand hin und verlangte ein Almosen.

»Wie?« fragte Herr Eberhard aufgebracht über den vordringlichen
Gesellen, »bin ich dem Kerl was schuldig? Arm? Aus Ihm riecht der
Branntwein, dünkt mich. Warum arbeitet Er nicht? Schämt Er sich nicht,
von anderer Leute Arbeit zu leben? Und frech?! Fort, Er ist mir
zuwider, ich teile nichts!« Damit stieg er rasch in den Wagen, aber
noch bevor der Diener den Schlag zuwarf, stürzte der Bettler zusammen
und ein Blutquell sprang aus seinem Halse. Mit einem spitzen Messerchen
hatte er sich den tödlichen Stich versetzt.

Von diesem Tage an stieg der Reichtum des Herrn Eberhard nicht mehr.
Nicht etwa, als ob auf dem Hause von nun an ein Fluch lastete, vielmehr
ein Segen. Herr Eberhard hatte sich vorgenommen, mehr den Armen zu
leben. Er verzichtete auf den bisher bezogenen großen Gewinn seiner
Geschäfte und begnügte sich mit geringerem, den er nicht allein an
wohltätige Anstalten, sondern auch an einzelne Arme verteilte. Dadurch
aber wurde sein Geschäftshaus nur noch gesuchter und er konnte kaum
so viel Wohltaten üben, daß der Reichtum nicht doch immer wieder
stieg. Von seinem Katecheten hatte er als Knabe »Die Nachfolge
Christi« zum Geschenk erhalten. Das war sein Lieblingsbuch gewesen in
der leidensreichen Zeit seiner Jugend. Jetzt holte es Herr Eberhard
wieder hervor und anstatt im Kurszettel las er im Erbauungsbuche. --
Es war ihm ernst. -- Den schweren Prunk hatte er aus seiner Wohnung
entfernt. Mit seiner Familie gab's Kämpfe, als es daranging, einen
Überfluß um den anderen abzuschaffen, er aber sagte: »Meine Lieben,
wir haben uns verirrt in die Wüste des Geldes, wir müssen umkehren und
Menschen werden.« Die jungen Herrschaften mußten sich's wohl oder
übel gefallen lassen, Menschen zu werden -- sie wurden es. Die Söhne
entsagten dem Sporte, die Töchter dem Putze. Das taten sie aber erst,
als Herr Eberhard ihnen eines Tages mitgeteilt hatte, bei einer großen
fehlgeschlagenen Spekulation hätte er beinahe sein ganzes Vermögen
verloren. In Wahrheit war dem nicht genau so, nur daß er selbst täglich
tausende von Talern hinweggab an Armenhäuser, Krankenhäuser, Schulen,
Kirchen und Bettler. Er arbeitete noch einige Stunden des Tages, die
übrige Zeit verbrachte er, um Statistiken zu studieren, Armut und
Elend zu erforschen und da sah er denn freilich, daß Armut und Elend
über alle Maßen unergründlich sei, mit keinem Reichtum der Welt wett
zu machen. Das ließ ihn nicht verzagt werden. Er wollte das Seine tun
und sich ganz den Nebenmenschen opfern. Er las fleißig im Evangelium
Christi: -- Selig sind die Armen im Geiste, ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen. Gib
dem, der dich bittet, und wende dich von dem nicht ab, der von dir
borgen will. Deine Linke wisse nicht, was deine Rechte tut und achte,
daß dein Almosen verborgen bleibe. Sammle nicht Schätze auf der Erde,
wo Rost und Motten fressen; sammle Schätze für den Himmel. -- Und wenn
Herr Eberhard sich so versenkte in diese Lehren und sie befolgte, da
atmete er oft wie erleichtert auf. Jener Sterbende an seiner Tür, er
starrte ihn nicht mehr an mit seinem unendlichen Vorwurf, er blickte
fast freundlich auf ihn ...

An der Pforte des reichen Mannes drängten sich die Armen aller Art.
Herr Eberhard unterschied nicht mehr strenge zwischen verdienter und
unverdienter Armut, er half wo und wie er konnte. Dem einen zahlte
er die Zinsen, dem anderen die Steuern, dem dritten schrieb er sich
als Bürgen auf den Schuldschein. Einem Geldunterschlager, dem die
Entdeckung drohte, gab er Geld zur Ersetzung des Abganges. Und wenn er
von seiner Gemahlin, von seinen Kindern gefragt wurde, was denn die
vielen Leute immer wollten, wenn sein Geschäft so ganz und gar ruiniert
sei, so antwortete er: »Das sind eben die Gläubiger, die ihre Güter
holen kommen, die ich ihnen bisher verwaltet habe.«

Die Frau schwieg und blickte ahnungsvoll einer schlimmen Zukunft
entgegen. Dabei war ihr aber süß, daß ihre Familie von der Bevölkerung
geradezu vergöttert wurde, daß sie als die Gemahlin des reichen
Wohltäters bei jeder Gelegenheit Ehren genoß, als wäre sie die Fürstin
der Stadt und des Tales. Allerdings wurden im Hintergrunde auch Stimmen
laut: Die Eberhardischen würden wohl wissen, warum sie so viel Gutes
tun; sie könnten wohl noch mehr geben. Wenn so einer, wie der Eberhard
hundert Taler gibt, die er nur aus der Kasse zu nehmen braucht, da
ist's gerade so viel, als wenn der arme Mann einen Kreuzer schenkt. So
einer kann eine Million verschenken und er tut sich nicht so weh, als
wenn ein Armer ein Paar Stiefel versetzen muß.

Herr Eberhard hörte von solchen Stimmen wenige, denn im Vordergrunde
stand das laute Lob. Er kam sich selbst manchmal vor wie ein Heiliger,
der aus Nächstenliebe die Güter der Erde hingibt. Seinen Kindern sprach
er von der Unsittlichkeit ererbten oder nicht persönlich erworbenen
Reichtums und wies sie an, ihren Lebensunterhalt sich selbst zu
verdienen. Es ward ihm bitter hart, er kämpfte übermenschlich, ehe er
sie verstieß, doch endlich siegte er durch den Ausspruch: Du sollst
deine Familie verlassen und mir nachfolgen! -- Und er fuhr fort, die
Reste seines Vermögens hinzugeben. Seine Gemahlin hätte ihn wohl
rechtzeitig unter gerichtliche Aufsicht stellen lassen, wenn sie von
seiner Darstellung, als wäre längst durch unglückliche Spekulation
alles verloren worden und die seitherigen Weggaben seien nichts als das
Zurückstellen aufbewahrten Geldes, sich nicht hätte irreführen lassen.
Nun fiel sie ihm freilich um den Hals und sprach: »Lieber Mann, wir
werden noch selber betteln gehen müssen.«

»O kurzsichtiges Menschenkind,« sagte zu ihr Herr Eberhard, »denke
an das Wort des Heilands: Wer zwei Röcke hat, der gebe den einen
davon dem, der keinen hat. Siehe die Blümlein auf dem Felde, sie säen
nicht, sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernährt und kleidet
sie doch. Wenn mir ein kleines Dachstübchen bleibt, wie ich es einst
besessen, dann bin ich schon zufrieden.«

Darauf vergingen noch wenige Jahre, dann war sein Ziel erreicht. Herr
Eberhard wohnte in einem schiefwändigen frostigen Dachstübchen. Und
wenn seine Frau, die auf dem Siechenbette lag, seinen Rock flicken
wollte, so konnte er nicht ausgehen, um Lebensmittel zu sammeln,
denn er hatte nur einen Rock. Seine in der Jugend verweichlichten
Söhne hatten dem harten Existenzkampfe nicht standzuhalten vermocht
und waren verkommen, die Töchter hatten sich einem Gewerbe ergeben,
das ihnen unmöglich machte, noch einmal unter die Augen der Eltern
zu treten. So waren die zwei alternden Leute nun ganz allein. Herr
Eberhard hatte in seinem Dachstübchen aber doch die Beschaulichkeit
und den Herzensfrieden nicht wieder gefunden, den er sich erhofft.
Sein christliches Wohltun -- wie Schuld pochte es nun manchmal an sein
bangendes Herz, besonders wenn er an die verlorenen Kinder dachte.
Dazu ward er täglich beleidigt von der Roheit derer, zu denen er
bittend kam; sie nannten ihn einen Verschwender, dem jetzt ganz recht
geschehe. Von den nachgerade zahllosen Leuten, denen er einst Gutes
getan im großen wie im kleinen, waren nur wenige vorhanden; von diesen
entschuldigte sich der eine mit eigenen Sorgen, der andere reichte
ihm widerwillig eine kleine Gabe und den guten Rat, sich doch selbst
wieder etwas zu verdienen, auch der Hände Arbeit schände nicht. Von
der Verehrung, die er einst genossen in der Gegend, war nichts mehr
übrig geblieben, ja man erinnerte sich nun wieder, daß der Taugenichts
doch im Blute liegen müsse, da ja sein Großvater stranguliert worden
sei. -- Für solche Herzensbitterkeit fand Herr Eberhard in seinem
Evangeliumbuche keinen rechten Spruch. Und bei den schönen Worten von
der Seligkeit der Sanftmütigen, Traurigen und Verachteten war ihm, als
paßten sie nicht auf seine Verhältnisse, als habe der Heiland eine so
ungeheuerliche Undankbarkeit der Welt nicht voraussetzen können.

Eines Tages kam ein gerichtlicher Auftrag, Herr Eberhard Roland habe
tausendfünfhundert Taler zu zahlen für eine Bürgschaft, die er einst
geleistet. Darauf antwortete er: »Machet, was ihr wollt, ich habe
nichts.« Da erschien nach einem Weilchen ein Gerichtsbeamter mit zwei
Dienern, und mit ihnen der Gläubiger, ein reicher Bäckermeister von
K. Dieser riß seine große, mit Banknoten wohlgefüllte Brieftasche
aus dem Sacke, zog aus derselben aber keine Banknoten, sondern den
Schuldschein, unter dem Herr Eberhard als Bürge stand. Der Bäcker
schimpfte und fluchte eine Weile über den voreinstigen Prasser und
Windbeutel, der jetzt von anderer, von ehrlicher Leute Arbeit leben
wolle und dann wurden die wenigen Möbel und Einrichtungsstücke in
Beschlag genommen und dem Herrn Eberhard die Wohnung gekündigt.

Am rechten Arm ein Bündel, am linken sein krankes Weib, so wankte
Herr Eberhard hinaus. Bei wohlhabenden Leuten klopfte er an, die
einst seine Nachbarn gewesen, sie hatten Ausflüchte. Eine alte arme
Tabaksverkäuferin, die selber fror in ihrer Bude, lud die armen Leute
ein, bei ihr zu rasten. Dem Herrn Eberhard aber war jetzt nicht
ums Rasten; als er sein Weib in die Obhut der Ständlerin gegeben
hatte, ging er hinaus in die Auen. In ihm war ein unerhörter Sturm.
Er verfluchte nicht die undankbaren Menschen, nein, er wütete in
grenzenloser Bitterkeit gegen das Evangelium, dem er so gläubig und
opferwillig gefolgt war, und das ihn dahin geführt hatte, wo er sich
jetzt befand.

Dem Mühlbache ging er entlang. Da fiel ihm etwas ein. Er schlug
es rasch von sich, sein Weib konnte er nicht verlassen. Aber was
sonst? Was nun sonst? -- Nach langem Irren kehrte er um gegen die
Stadt, es begann schon das Dunkeln des Abends. Vor sich sah er einen
großen dicken Mann dahinwackeln, sein Stöcklein bei jedem Schritt
gar selbstbewußt auf den steinigen Boden stoßend. Das war der
Bäckermeister, der ihn vorher entheimt hatte. Er war wohl bei seiner
Mühle draußen gewesen. Dem Herrn Eberhard wurde das Blut rasend, als
er in diesem Manne gleichsam verkernt seinen ungeheueren Irrtum, sein
Unglück sah. Der Bäcker war durchaus nicht christlich; er war hart
und rücksichtslos, er zertrat unbedenklich Existenz um Existenz, wenn
er daraus Nutzen ziehen konnte. Und wie ging's ihm gut und wie lief
er sogar nicht Gefahr, einmal zu verarmen, einmal die Achtung der
Mitmenschen zu verlieren. Hatte er diesen Bäcker nicht einst selbst aus
einer großen Geschäftsverlegenheit gerissen? War das Geld seiner heute
gefüllten Brieftasche nicht vielleicht Eberhards Geld? Konnte er es
nicht wieder zurücknehmen jetzt ...?

Plötzlich bückte sich Herr Eberhard, hob einen scharfkantigen Stein auf
und schleuderte ihn nach dem Kopfe des Bäckers. Dieser stürzte fast
zusammen.

Herr Eberhard vergaß, weshalb er den Stein geworfen, ließ den
Sterbenden liegen und ging der Stadt zu, um sich dem Gerichte zu
stellen. Da lief ihm jemand nach und flüsterte: »Herr Eberhard! Herr
Eberhard! Sie wollen Ihrem Großvater nach! Das dürfen Sie nicht.«

Herr Eberhard blieb stehen und fragte den etwas unheimlich aussehenden
Mann, was er wolle.

»Nein,« wiederholte dieser, »das dürfen Sie nicht. Den Bäcker nehme
ich auf mich. Wissen Sie noch? Der Geldunterschlager auf der Post! Der
Fundler!«

»Der Johann Fundler sind Sie? Jener Johann Fundler.«

»Der bin ich. Und wissen Sie, was Sie damals gesagt haben, wie Sie
mir die veruntreute Summe vorgestreckt? Der Herr im Himmel freue
sich über ein verlorenes Schaf, das gerettet werde. Ich bin wieder
ein ordentlicher Mensch geworden damals, ohne daß jemand eine Ahnung
hatte, daß ich ein Lump gewesen. Und habe noch manch glückliches Jahr
genossen.«

»Wollen Sie mir jetzt etwa das Geld zurückzahlen?« fragte Herr Eberhard.

»Das kann ich nicht.«

»Ich brauch's auch nicht.«

»Ich habe weniger als nichts,« sagte der Postbeamte, »ich habe wieder
gestohlen und die Polizei ist mir schon auf den Fersen, jetzt hilft mir
nichts mehr, und deswegen nehme ich auch gleich den Bäcker auf mich und
Sie sind so gut und streichen mir die Schuld.«

So hatte der Mensch in hastigen Stößen gesprochen und dann eilte er
dahin.

Herr Eberhard lehnte sich an den Stamm einer Wildkastanie. -- Also doch
noch Dankbarkeit!

Spät abends kam er zu seinem Weibe zurück, das in der Kammer jener
Tabakverkäuferin auf einem alten Tuchmantel lag, und zu ihr sagte
er: »Wärest du nur bei mir gewesen auf diesem Spaziergang, so hätten
wir in Zukunft beide ein Quartier, nicht bloß ich allein. Weißt du
etwas Neues? Just haben sie den toten Bäcker vorbeigetragen, der uns
gepfändet hat. In der Au mit einem Stein erschlagen. Der Postbeamte
Fundler will's getan haben. Der Fundler ist ein Lügner. Ich werde es
den Herren schon beweisen, daß der Fundler ein Lump ist. Aber dieser
schlechte Lump ist der bravste Mensch in der ganzen Stadt. -- Er ist
dankbar.«

Am nächsten Tag wurde das Weib ins Armenhaus gebracht und Herr Eberhard
ins Gefängnis. Er hatte tüchtig zu tun gehabt, seinem dankbaren
Postbeamten den erschlagenen Bäcker zu entwinden; es schien auch so
unglaublich, daß Herr Eberhard einen Mord sollte begangen haben. Er
legte einen freiwilligen Eid drauf ab. Ob's ein Rachemord oder ein
Raubmord hätte sein sollen, das wüßte er selber nicht. -- Und nun
hatte er wieder seine Beschaulichkeit. Nun konnte er nachdenken, warum
er eigentlich dem Heiland bis zum Dachstübchen nachfolgen wollte,
und nicht weiter -- nicht bis zur Kreuzigung? Warum er denn seine
gesellschaftliche Stellung, sein Vermögen, ja selbst seine Familie
hingeopfert hatte, um dem Evangelium gerecht zu werden, wenn er dann
doch auf einmal der menschlichen Natur nachgab? Jetzt sah er, wohin
die Nachfolge Christi führt: Wenn man dem Heiland auf dem ganzen Wege
nachfolgt, so kommt man freilich in den Himmel, wenn man auf halbem
Wege ablenkt, so kommt man in den Kerker. Und das passiert manchem.

So der Erzähler. Die Gesellschaft schwieg.




                            Der alte Adam.


Mit vernünftigen Gründen vermag die Weiserin Natur bei uns vernünftigen
Leuten selten was auszurichten, und so steckt sie sich zuweilen hinter
Sonderlinge und Narren; denn nur den Unverständigen belehrt der
Vernünftige, des Weisen Lehrmeister aber ist und bleibt in Ewigkeit der
Narr.

Allerdings scheint es, als hätten die Strubacher-Leut' vom Lehm-Lamel
nicht viel gelernt; der Lamel war gerade noch um ein halb Köpflein zu
vernünftig für sie.

In vergangenen Jahren war er eigentlich gar sehr vernünftig und
tüchtig gewesen, der Lamel. Er besaß eine Lehmgrube, die ihm guten
Gewinn und den Namen Lehm-Lamel eintrug; zu Recht aber war er Wegwart
an der Reichsstraße, die damals in weißen staubigen Bändern mit
Wagengeknarre, Rossegewieher, Fuhrmannsgeschrei, Peitschengeknatter
und Handwerksburschengetriller durch die Länder schlängelte. Damals
war noch die Zeit, in der die Dörfer und Flecken groß, die Postmeister
reich, die Wirte dick wurden, die Städte aber, durch steinerne Gürtel
zusammengeschnürt, an Engbrüstigkeit litten.

Damals sind Wegwarte bedeutende Leute gewesen, ohne sie hätte das
Räderwerk der Straße, des Landes, des Reichsverkehres gestockt, wäre
versunken in Schlamm. Der Lamel hatte seine Pflicht wohl erfüllt, seine
Strecke war stets die bestgeschotterte, auch hatte er an derselben
eine Allee von Obstbäumen gepflanzt, wofür er anfangs gerügt, später
aber, als sie zwar nur wenig Schatten, aber um so mehr Obst gaben,
belobt wurde. Und er freute sich baß, wenn ihm Handwerksburschen Äpfel
und Zwetschken stahlen, weil er wohl wußte, daß verbotene Früchte süß
schmecken. So war er stolz auf sein süßes Obst, das geschenkt oder
selbst gegessen schier ein wenig stark säuerlich schmecken wollte.

Auch um sein Haus hatte der Lamel einen Garten von Obstbäumen; der war
seine Erquickung, denn die Bäume trugen Äpfel, die ließ er pressen, den
Most wahren und gären, und wenn das Getränke klar und herbe geworden,
so trank er es als echten Wein. Und der Apfelwein -- dem Vater Noah zu
Trutz sei's gesagt -- gab dem Traubenwein nichts nach, hingegen gab
der Lamel dem Apfelwein nach, und zwar nicht selten auf Kosten seiner
Selbständigkeit.

Auf die kleine Schwäche müssen wir einen großen Vorzug erwähnen. Der
Lamel war schriftgelehrt und ging in den Feierstunden daran, die sieben
Siegel der Bibel zu lösen, wobei ihm der Apfelwein stets behilflich
war, so daß er schließlich die Offenbarungen des heiligen Johannes
leibhaftig um sich herumtanzen sah, mitsamt den vier Ältesten und dem
Lamel.

Eines Abends sprach ein alter hinkender und schielender
Handwerksbursche im Hause des Wegwarts zu, nahm am Brunnen einen Trunk
und wusch sich hierauf den Staub von den Füßen. Weil der Wegwart nicht
weit davon stand und dem Alten lächelnd zusah, so wurde dieser dreist
und bat um Nachtherberge. Bei Wegwächtern kehrt man sonst nicht zu,
aber der Lamel wollte auch einmal ein Hausvater sein und sagte: »Hat Er
ein Wanderbuch?«

»Ein Wanderbuch?« fragte der Geselle schielend entgegen, »-- ein Wander
-- -- das heißt -- ja freilich, freilich hab' ich ein Wanderbuch.«

Der Lamel nahm das blau eingebundene Ding in Empfang, legte es in
seinen Schrank und ließ dem Fremden Nachtmahl und Nachtlager geben.

Am anderen Morgen, noch ehe die Sonne und der Lamel aufgingen, war
der alte Wanderbursche davon und mit ihm das neue Paar Juchtenstiefel
des Wegwart. -- Fand es eigentlich soweit in Ordnung, der Lamel, denn
gute Stiefel müssen wandern und ein echter Haderlump muß stehlen. Aber
wie ein Mensch so leichtfertig sein kann, sein Wanderbuch im Stiche
zu lassen! -- Das blaue Buch lag noch im Schranke, der Lamel öffnete,
durchblätterte es -- ja, was ist denn das für ein wunderlich Wesen?
Ein Wanderbuch allerdings, aber ein gedrucktes. »Das Buch über die
Seelenwanderung« war es benamset und bei näherer Untersuchung enthielt
es große Abhandlungen in langen Kapiteln mit geheimnisvollem Dunkel und
tiefer Weihe geschrieben. Der Verfasser war nicht genannt -- so konnte
es auch der heilige Geist selber diktiert haben.

Und als wieder die Feierstunden kamen, da schaffte sich der Lamel einen
Krug Weines ins Stübchen und begann das Buch von der Seelenwanderung
zu lesen. Das erzählte fürs erste die Geschichte des Glaubens an die
Seelenwanderung, wobei natürlich viel von den alten Ägyptern die Rede
war, kam auch später auf das Feld der Spiritisten. Und schließlich
verharrte das Buch gläubig bei folgender Lehre:

»Jene Engel, die im Himmel sich versündigt hatten, verstieß Gott in
eine Ödnis, so die Erde heißet. Auf der Erde lebten die Verstorbenen
in Leibern aus Lehm und waren anheimgestellt der Drangsal und sollten
ihren Fehltritt sühnen, bevor ihr Leib wieder zu Lehm sich lösete.
Wenigen gelang es, in ihrer irdischen Natur, sozusagen in einer Hülle
von Kot, sich zu reinigen; denen es gelang, die wurden wieder in die
Himmel aufgenommen; denen es nicht gelang, die mußten von neuem in
irdische Leiber zurückkehren, und dies immer wieder und so lange, bis
sie durch Not und Trübsal genugsam rein geworden, etwas Großes hier
gewirkt hätten und endlich dereinst in die Himmel aufgenommen werden.
So ist das Menschengeschlecht entstanden und so muß es fortbestehen,
bis der letzte Engel seinen letzten Fehl, er rühre noch vom himmlischen
Reiche oder von seinem vorhergegangenen Erdenleben her, gesühnt
hat. Zum Beispiel Abraham, Moses, Paulus, Mohammed, Karl der Große,
Kolumbus, Schiller usw. gehören nun zu den Erlöseten, die, wie oft
sie auch früherhin in Erdenleibern gewesen sein mögen, ihre Büßerbahn
erst mit dem Dasein, in dem sie das Große gewirkt, beschlossen haben.
Hingegen, um nur weltberühmte Übeltäter zu nennen, zum Beispiel Pharao,
Herodes, Nero, Alexander V., Napoleon und andere haben mit diesen ihren
Existenzen nicht abgeschlossen, müssen so oft und so lange wieder in
menschliche Leiber zurückkehren, bis nicht allein ihre Verbrechen in
den Himmeln, sondern auch ihre bösen Taten auf Erden gebüßt sind. Wie
oft, Leser -- so schaltete das Buch packend ein --, magst du schon auf
Erden gewesen sein? Wer weiß es denn, ob du nicht der Kain warst, oder
Alexander der Große geheißen, oder Pontius Pilatus, der unsern Herrn
ans Kreuz schlagen ließ, oder Robespierre, der Wüterich von Paris? Der
Urvater Adam selbst kann heute noch auf Erden wandern, etwa in deinem
Gebietiger (so zu lesen), der dich schützt und schlägt, etwa in dem
Bettelmann, der dich um Almosen anfleht, etwa in dir, in deinem Sohne!«
--

Fast hätte der Lehm-Lamel über das merkwürdige Buch des Apfelweines
vergessen. ~Das~ war ein Buch. Das leuchtet ein. Ja, jetzt
ist das Rätsel gelöst. Darum die Welt, darum die vielen armseligen
Menschen, darum die wenigen großen Taten und darum das Sprichwort
von einem großen Wohltäter: »So einer kommt nicht wieder!« Und das
Böse wird bestraft und das Gute belohnt und die Erde ist eigentlich
das Fegefeuer. Wie das stimmt! -- Und ein solches Licht für ein paar
Juchtenstiefel! Wer weiß! Der alte Handwerksbursche kann ein guter
Engel gewesen sein; man kann's nicht wissen -- gar nichts kann man
wissen auf der Welt, als was in diesem Buche steht.

Und wieder und immer wieder las der alte Wegwart in der wunderlichen
Schrift. Oft sann er lange und ernstlich über sich selbst. -- »Jetzt
steht die Welt schon sechstausend Jahr', und du bist noch nicht
fertig, Lehm-Lamel, gefallener Engel, bist noch immer da? An die
neunzig Menschenalter sind seit der Erschaffung der Welt, hast sie
alle durchgemacht und bist erst noch nichts als der dumme Wegwächter,
dem alle Rösser der Welt auf die Arbeit pissen. Was hast denn immer
getrieben, du Haderlump? Viel mag ich nicht wetten, du bist bei den
Zigeunern gewesen ...«

Er las sich streng die Leviten und trank Apfelwein dabei, und
tatsächlich, es war ihm zumute, als hätte er auch vor mehreren tausend
Jahren schon aus dem Kruge getrunken -- zu Noahs Zeiten -- nur bedünkte
ihm, der Wein wäre damals nicht ganz so sauer gewesen als heute. --
Der Wein hat auch seinen Geist; seine Seele demnach. Wie wenn auch
diese wanderte? Der Saure, der Gewässerte, der künstlich Gezuckerte und
Durchgeistigte -- nimmer erfüllte er seinen Beruf, er muß noch einmal
in die Kelter. Aber der Apfelwein ist ohne Falsch und vermag -- wenn
man betrachtet, wie der kräftige Lamel zuweilen auf dem Boden liegt --
Großes zu vollbringen. -- So wird der Apfelwein über kurz den reinen
Geistern beigesellet sein ...

Der Lamel war bisher Junggeselle geblieben, so war fürs erste niemand
da, der zu seiner seelischen Reinigung beitrug, und der ihn fürs zweite
in seinen Grübeleien zerstreut hätte. Also verbiß er sich immer mehr
in das Buch von der Seelenwanderung, und also wurde er allmählich ein
Narr. Die Idee, ob er nicht etwa doch einer aus dem Alten Testamente
sei -- er las nebenbei auch immer die Bibel -- und ob nicht gar die
Seele des unerlösten Adam in ihm stecke, trug er lange mit sich herum.
Und in seiner Vermutung wurde er bestärkt, als er sich jählings in ein
junges Weib verliebte. Er war noch nicht zweimal zwanzig Jahre alt und
durchaus, vom Fuß bis zum Kopf, ein Wegwart, der sich sehen lassen
durfte. Sie war eine Kalkbrennerin in der Gegend; die schöne Strinerl
geheißen; ihre Haare waren so gelb wie das Korngehalme auf dem Felde
zur Zeit, wenn der Schnitter kommt. Ging der Lamel zur Schnittzeit über
die Felder, so las er nicht ungerne die bauchigen Körnlein aus den
Ähren und zermalmte sie mit seinen urtüchtigen Zähnen. Und dachte dabei
an den Schatz.

Aber -- Lehm-Lamel-Adam, kannst du dich denn nicht mehr erinnern, das
voreinstmalen die goldhaarige Eva schuld war an deinem Falle, an deiner
Austreibung aus dem Paradiese und an deiner ruhelosen Seelenwanderung
durch die Geschlechter der Menschen? -- Der Apfelbiß in der Bibel!
nichts als Blumensprache, du weißt es recht gut. Lehm-Lamel-Adam! Was
zieht doch täglich für ein Volk die Straße entlang, an dir vorbei?
Ein unselig Volk von Bettlern, Vagabunden, Tagedieben! Dort wankt
ein Blinder, geführt von seinem halbnackten Kinde; dort schleppt ein
kraftloses Maultier einen lahmen Mann; dort geleiten Schergen einen
Übeltäter heran und drüberhin flattern und krächzen die Raben. Hier
sprengt mit Roß und Wagen ein anderer Übeltäter vorüber; dort liegt ein
Waisenknabe im Straßengraben und ächzt. Sechs schwarze Hengste führen
die Leiche eines reichen Selbstmörders ihrer prunkenden Gruft zu. Dort
am Steinhaufen kauern Mann und Weib und Kinder in Lumpen; die Kinder
schreien nach Brot, der Mann verflucht sein Geschick. Und hier wankt
ein Enttäuschter, Vernichteter des Weges zurück, den er vor kurzer Zeit
erst mit fliegenden Plänen und Hoffnungen gezogen. Und so zieht's Tag
für Tag und Jahr für Jahr die breite Straße entlang; ganze Kriegsheere
dazwischen, ausfahrend, um zu morden und zu rauben. Und das -- all das
ist das Menschengeschlecht. Adam, das ist deine Sippe! -- Und wiederum
gehst du auf Freiersfüßen, anstatt anzupacken, daß die ganze mißratene
Brut vertilgt werde!

So schrie das Gewissen dem Wegwart in die Ohren.

Es war nur ein alter Eseltreiber, der eines Tages beim Wegwart zusprach.

»Lehm-Lamel!« rief er durchs Fenster hinein, »weißt du schon, daß
die Strubacher-Leut' nicht mehr sprechen können? Sie heißen dich den
Lahm-Limmel.«

»Treib' deine Esel in meinen Obstgarten,« sagte der Lamel, »und setz'
dich zu mir, ich muß dir doch etwas aus diesem Buche vorlesen.« Dann
hub er an und teilte dem Treiber die Lehre von der Seelenwanderung mit.
-- »Und für ein Paar Stiefel hat mir ein Landstreicher dieses Werk im
Haus gelassen!«

»Der hat gewußt, was er getan hat,« rief der Eseltreiber und schlug mit
der flachen Hand aufs Buch, »aber Leder ist hier ~mehr~ drin.«

Als sie tiefer in das Gespräch kamen und der Lamel mitgeteilt hatte,
daß mutmaßlich die Seele des Adam aus dem Paradiese in ihm stecke,
neigte der Treiber zustimmend den Kopf. Und als sich jener Rates holte,
was er denn eigentlich werde tun müssen, um sich zu erlösen, sagte
dieser: »Luderleben sollst keins führen, das ist die verbotene Frucht.
Selbst meine Esel möchten Heu haben und müssen Stroh fressen. Aber das
Müssen gilt nicht. Wer's freiwillig tut, dem ist's ein Verdienst.«

»Ich hüte mich wohl,« sagte der Lamel, »da schau meine Obstbäume an,
die schönsten Äpfel, die prächtigsten Äpfel! Du, ich sag' dir, nicht
einen einzigen ess' ich im Jahr. Gott hat schon im Paradiese den Apfel
verboten.«

»Geh,« lachte der Eseltreiber, »du bist schlau, die Äpfel ißt du nicht,
aber ihren Saft pressest du heraus und damit trinkest du dir die
Räusche!«

Schier zu Tode erschrak der Lamel über diesen Vorwurf; er sah es
plötzlich ein, der Eselmann hatte recht, im Apfelwein genoß er die
verbotene Frucht.

Und von dieser Zeit an hatte sich der Wegwart fest vorgenommen, nicht
einen Tropfen des falschen Getränkes mehr zu trinken, als bis er im
Reiche Gottes zur »Rechten« säße. Es gelang ihm eine erkleckliche
Weile, seine argen Gelüste zu zähmen und seinen sündigen Menschen
zu verleugnen, und er hatte schon gegründete Hoffnung, daß Adams
langwierige und langweilige Seelenwanderung in dem schlichten Wegwart
endlich ihren guten Abschluß finden würde.

Da war einmal ein heißer Sommertag und da kam die schöne Strinerl
die staubige Straße gegangen. Sie sah den Schatten in des Wegwarts
Obstgarten, sie hörte den Brunnen rieseln; so trat sie in den kleinen
Hof, um zu trinken.

Schon hielt sie die braune, hohle Hand unter den klaren Strahl, als sie
der Lamel vom Fenster aus bemerkte.

»Närrchen, Närrchen!« rief er, »was wirst Wasser trinken! Ich habe
einen guten Apfelwein im Keller, ich selber brauch' ihn nicht; für wen
hätt' ich ihn, Dirndl, als für dich?«

Er eilte in den Keller, entspundete ein Fäßchen und steckte einen
Schlauch hinein, um die Gottesgabe in den bereiten Krug herauszuheben.
Doch, als er mit dem Atem hob und als es kühl und feucht wurde unter
seinem lechzenden Gaumen, da kam er ins Saugen und der Wein ging durch
den Schlauch geradewegs in seine Gurgel. Er trank herzhaft drauflos,
vergaß die gelblockige Strinerl, vergaß den Adam, trank und trank die
langentbehrte Labe -- trank und sank endlich auf den kühlen Lehm des
Kellers hin.

»Lamel!« lallte er schläferig, »war ~das~ ein Durst! Und er ist
noch -- nicht gelöscht. Will ihn gründlich löschen -- den Durst, weil
ich schon dabei bin. -- Strinerl, komm' her! -- 's hilft nichts dafür,
der Mensch ist wie er ist. Er mag sich drehen und spreizen wie er will,
er mag ein Röckel tragen, blau oder rot. Oder gar keins. Er mag sich
die Haut umwenden. Mag auf dem Fuß stehen oder auf dem Kopf. 's ist
alles eins. 's ist und 's bleibt der alte Adam ...«




                             Der Säemann.


Seit Jahrhunderten gab es im Tale keinen merkwürdigeren Mann als den
Samstag-Christof. Er hätte dreimal Anrecht gehabt auf das Spital, denn
er war übel geboren. Eine Krankheit hatte ihn zugerichtet, er war
stocktaub und einäugig und hatte eine verstümmelte rechte Hand. Aber
seine Linke war gesund und ernährte drei Gemeinden. Der Christof war
arm und wohnte unter dem Strohdach einer Scheune. Als Knabe entsprang
er dem Krankenhause, in das ihn der Vormund nach dem Tode der Eltern
gesteckt hatte; die erste Nacht nach seiner Flucht verschlief er in der
Scheune, und seitdem war diese sein Daheim gewesen, und er hatte in ihr
seinen ersten Bart und seine weißen Haare erwartet. Aus Stroh hatte er
sich ein Stübchen geflochten, das sah aus wie ein mächtiger Korb, und
hielt die Kälte und Hitze ab. Das Stroh beschützte den Mann ja gern,
denn jeder Halm verdankte ihm das Leben und die Ähren ließen gerne ihre
rundesten Körner dem guten Christof zum Brot. Der Mann war eine Gestalt
zum Erbarmen; aber es gab keinen Amtmann weit und breit, der so geehrt
und in sich so glückselig war, als der Samstag-Christof.

Der Samstag-Christof war wie die Kraft Gottes, des Schöpfers, könnte
man sagen; worüber er seine Hand ausstreckte -- und es war doch nur
die linke -- das wurde gesegnet. Man wußte nicht, woher es kam, es war
eine angeborene Eigenschaft; Christof war der berühmteste Säemann im
ganzen Bergland. Es gab sehr geschickte und erfahrene Bauern im Tal,
sie hatten -- darüber war nicht zu klagen -- fleißige Hände und volle
Speicher, sie verstanden das Ernten -- aber das Säen verstanden sie
lange nicht immer. Einmal ging das Korn zu dicht auf und erstickte
sich, das andere Mal standen die Halme schuhweit auseinander und jede
Ähre hatte ein ganzes Ländchen für sich -- dafür trugen sie auch den
Kopf hoch und waren leer und spießig, statt voll und glatt. Oft waren
mitten in den Äckern leere Gassen, durch die Roß und Wagen hätten
ziehen können, ohne ein Hälmlein zu beschädigen. Ein Sträfling kann
die Gassen, durch die er Spießruten laufen muß, kaum stärker hassen,
als der Bauer solch eine leere Gasse durch sein Kornfeld haßt. Die
Samenkörner mit vollen Händen hinzuwerfen, ist freilich leicht, aber
das Erdreich ist braun und die Körner sind braun, und es ist schwer,
die Gleichmäßigkeit einzuhalten, daß kein Fleckchen leer bleibt oder
keine Handvoll auf die andere fällt. Gute Augen, ein gleicher Schritt
und eine sichere Hand gehören dazu.

Der Samstag-Christof hatte nur ein einziges Auge, das gewiß nicht über
die Ecke der Nase sah, und er hatte sichelkrumme Füße, und er hatte nur
die »dengge« Hand, und dennoch blieb, wenn er säete, auf dem ganzen
weiten Felde keine Handbreit leer und kein Korn fiel auf das andere.
Wenn auf Christofs Acker der Same aufging, so war das so gleichmäßig
wie eine grünende Wiese, und wenn er reifte, legte ein Halm seine
schwere Ähre auf die Achsel des andern.

Darum suchten alle den Christof auf in seinem Strohkorbe, darum tat der
Christof im Frühjahre und Herbste zwei Monate nichts als säen, und er
säete auf allen Feldern des ganzen weiten Tales. Da trug er ein großes,
weißes Tuch um die Lenden, und darin hatte er das Samenkorn, ein
strotziges Bündel. So legte er fast mit Grazie seine Linke hinein und
schwang sie dann gefüllt -- nicht auf das gelockerte Feld. -- Die erste
Handvoll warf er auf sandigen Boden oder auf einen Felsen, oder hin
über das Heidekraut des Raines. Warum er's tat, das sagte er nicht und
keiner stellte ihn darob zur Rede. Dann aber ging's über das Feld, von
einem Rain bis zum andern. Wie er die Hand so schwang im Halbkreise,
da zogen von ihr die braungelblichen Strahlen der Körner aus, und sie
verdünnten sich in der weiten Runde und wurden unsichtbar, bis sie zur
Erde fielen. Gleich kamen auch die Vöglein herbeigeflogen von den nahen
Bäumen und von den Büschen. Sonst hüpfen sie gerne auf den Erdschollen
herum und picken die frischgesäeten Körner auf, aber dem alten Christof
flogen sie auf die Achsel oder die Lederhaube, und einmal ließen sie
sich gar wundersam nieder zum Kornsack und schnappten nach Lust die
Dingelchen heraus. Als ob es ihnen gesagt worden wäre, daß das Körnlein
im Sacke geradeso sättigt wie das Körnlein im Erdreiche, obwohl das
erstere nur ein einzig Körnlein bedeutet, das letztere aber eine ganze
schwere Ähre.

Keine Handlung im formreichen Kultus des Landmanns ist so würdevoll und
heilig wie das Hinlegen des Samenkornes in die Erde. Das ist Glaube
und Hoffnung, das ist ein Begräbnis mit der kindlichsten Zuversicht
an die Auferstehung. Ich habe noch keinen lachenden, singenden oder
plaudernden Säemann gesehen; der tollste, ausgelassenste Bursche
schreitet bei dieser Arbeit still und ernst einher, als sei er zur
selbigen Stunde ein Wundermann, der mit wenigen Broten viele speist. Es
ist, als ob den Säemann bei dieser Handlung eine Ahnung überkäme von
seinem eigenen Hinsinken in das Erdreich und Wiederhervorgehen zu neuem
Leben.

Freilich wohl liegt über diesem tiefen Meere der Poesie, sowie immer im
Volke, der Schaum des Aberglaubens. Der Säemann soll ein Sonntagskind
sein und die Arbeit nur bei aufnehmendem Monde verrichten. Gesagt ist,
daß der Same besser gedeiht, wenn er früher mit Weihwasser übergossen
wird; das Wasser müßte aber nicht gerade geweiht sein, die Hauptsache
ist nur, daß es befeuchtet. Sonst wird beim Säen die erste und die
letzte Handvoll kreuzweise hingeworfen, damit nicht etwa der böse Feind
Unkraut unter den Weizen menge. Aber der Christof tat das nicht, die
erste legte er auf unfruchtbaren Grund und die letzte -- es war recht
und billig -- behielt er sich zum Eigentum. Hatte er an einem Tage
zehn Äcker besäet, so hatte er sich zehn Hände voll Korn erworben;
so ließ sich in der Säezeit der Lebensunterhalt für das ganze Jahr
zusammenbringen.

Im Tale lebte ein häßliches Weib, die Brennessel-Gret. Es war eine arme
Witwe, mit drei kleinen Kindern; es war auch ein Säeweib und hatte sich
und anderen durch seine böse Zunge schon viel Unkraut ausgestreut. Die
Gret liebte keinen Unglücklichen, umsomehr haßte sie den Glücklichen.
Der Samstag-Christof, arm und häßlich wie sie, aber geachtet von
allmänniglich und geliebt von jedem Kinde, selbst von den Vöglein der
Lüfte, war ihr ein Dorn im Auge. Im allgemeinen achtete man nicht auf
die Brennessel-Gret, was sie auch sagen und tun mochte. Auf einmal aber
ging ein Gerücht durch aller Leute Mund: Nun, endlich wisse man's,
warum der Samstag-Christof so trefflich säe, er benütze den Bösen
dazu, der müsse ihm jedes Korn auf den genau abgemessenen Platz in die
Erde legen und bekäme dafür die erste Handvoll, die der Christof auf
unfruchtbaren Boden wirft. Der Samstag-Christof sei ein Hexenmeister.

Man weiß, wie Bauern sind -- im nächsten Jahre säete jeder sein
Kornfeld eigenhändig, und dem alten Christof wich man aus und grüßte
ihn kaum mehr. Dieser lebte verborgen in seiner Scheune, während
draußen der Frühling war. Aber als die Saat aufging, gab es über die
Felder hin viele aschgraue, kahle Streifen und zur Blütezeit wucherte
Nesselkraut und Hederich zwischen den Halmen und in den Erntetagen
lagen die Garben dünn zerstreut auf den Stoppeln.

Im nächsten Herbste wurde in der Hütte der Brennessel-Gret viel gebetet
und geflucht. Das Weib hatte sein Kornackerl bestellt, aber nun bekam
es, wie sonst alljährlich, keinen Samen von der Nachbarschaft; erstens,
weil solcher in diesem Jahre rarer war als sonst, zweitens, weil sich
das Weib immer mehr verhaßt gemacht hatte. Alles bestellte seine
Wintersaat, aber der Acker der Witwe blieb brach liegen. Christof hatte
in seinem Vorrat einen Kübel Korn; da dachte er bei sich: Streue ich
diese Körner auf ihr Feld, so bin ich wieder der Hexenmeister, und
bleibt ihr Acker leer, so verhungert sie mit ihren Kindern. -- Da war
der alte Mann einmal über eine Nacht nicht in seiner Scheune.

Der Winter kam und ging vorüber; in der Hütte des Nesselweibes war
Trostlosigkeit; die Grete betete für ihre Kinder und verfluchte alle
übrigen Menschen. Aber im Frühjahre, als alle Felder grünten im weiten
Tale, grünte auch das der Witwe; es ging aus demselben das Korn auf in
saftiger Fülle und schöner Gleichmäßigkeit, erquickender zu sehen, wie
alle Äcker der Großbauern. Der Samstag-Christof hatte hier gesäet, es
ließ sich nicht leugnen. Nächtlicherweile mußte er es getan haben, und
dennoch stand jedes Hälmlein von den anderen wie abgemessen. Das hätte
den Argwohn von dem »Hexenmeister« wohl bestärkt, aber der Pfarrer
sagte: »Er hat Almosen gegeben mit der Linken, ohne daß es die Rechte
wußte; er ist, umgekehrt wie im Evangelium, gegangen auf den Acker des
Feindes um Mitternacht und hat das Unkraut zertreten und guten Samen
gestreut.«

Ich habe den alten Samstag-Christof noch gekannt. Über seinen Körper
schienen alle Übel kommen zu wollen; in seinen letzten Jahren war
er so buckelig, daß er wie ein Ballen herangewandelt kam. Sein
niedergebeugter Kopf war kaum einen Fuß von der Erde entfernt, seine
hageren Hände, wovon die Rechte fingerlos war, hingen nieder bis zum
Boden; es war, als ob er alle Körner wieder auflesen wollte, die er
in seinem Leben ausgestreut hatte. An einem Samstagabend fand man ihn
mitten auf einem reichen Kornfeld leblos, tief zusammengekauert wie ein
Samenkorn, das, in Verwesung übergehend, keimen will. Man konnte den
Greis nicht mehr gerade legen, der Sarg mußte kurz und breit sein.

Das Grab des alten Christof wurde bald weit und breit bekannt; es
wuchsen Halme auf ihm und Kornähren daran. Die alte Brennessel-Gret
führte ihre drei Kinder zum Hügel, pflückte jedem eine Ähre und sagte:
»Nehmt und bauet sie an.«

Zwei dieser Kinder besitzen heute weite Kornfelder, herausgewachsen aus
den zwei Ähren; das dritte aber hat seine Ähre verworfen und zieht hab-
und heimatlos durch die Länder.




                       Der scheltend' Schuster.


Da stand in den Zeitungen der Bericht von einem Manne in Boston, der
jedesmal, wenn er fluche, ein Geschenk zu kirchlichen Zwecken gebe, auf
diese Art bereits ein Bethaus erbaut habe und nun dabei wäre, einen
Turm auf die Presbyterianerkirche zu fluchen.

Dieser Bericht erinnerte mich an den Flucher Martin Leitner in
Fischböckgraben, welcher Leitner unter dem Namen: »Der scheltend'
Schuster« weit und breit bekannt war. Um ein guter Flucher zu sein,
braucht man rhetorisches Talent; mit etlichen groben Redensarten allein
ist's da nicht abgetan, die bringt jeder ungehobelte Bauer zuweg,
ja selbst der Stadtherr und die Stadtfrau, was mir eine ganze Welt
von dienstbaren Geistern beweisen helfen kann. Der geborene Flucher
flucht mit Grazie, mit Humor, mit Wärme und Empfindung, mit schönem
Pathos, kurz, mit dichterischem Schwung. Ihm steht eine unerschöpfliche
Mannigfaltigkeit der Form zu Gebote, ein Bilderreichtum gewaltiger
Phantasie, sein Fluch ist als Ausdruck der Empfindung ein poetisches
Werk lyrischer Art. Fluchen und Beten sind scheinbar sich ganz
entgegengesetzte Dinge, in Wahrheit aber gleichartiger Natur: Beides
ist eine Wunschäußerung des Gemütes gegenüber einem übernatürlichen
Geiste. Zum Glücke wird so selten andächtig geflucht als andächtig
gebetet.

Der Schuhmachermeister Martin und sein Geselle, der fromme Barthel,
leisteten in beiden Fächern ganz Erkleckliches. So oft der Martin
den Mund auftat, zitterten alle tausend Mordelemente im Himmel und
auf Erden; und wenn der alte Barthel während des Drahtziehens seine
frommen Stoßgebetlein ins Pech oder ins Leder murmelte, hatte es
eine Art, daß, wie der Meister sagte, nur gerade das kreuzweis
verschweifelte Donnerwetter dreinpfeifen müßte! Sie eiferten sich
gegenseitig an zu ihren Tugenden; je mehr der eine fluchte, je mehr
betete der andere, und je mehr dieser betete, je mehr fluchte jener.
So gab es denn in der Schusterwerkstatt oftmals einen Geruch wie von
Weihrauch und Schwefel durcheinander.

Den Meister ärgerte des weiteren das Beten nicht, insofern war er
duldsamer als sein Geselle, dem das Fluchen seines Herrn ein Greuel war.

Nicht ungern erzählte der Schustergeselle die Geschichte von dem
fluchenden Weber, der so lange in das bei einem ungeduldigen Weber
stets verknüpfte und verworrene Garn hineinfluchte, bis er umgarnt war
und ihn mit Haut und Haar der Böse holte, den er so oft angerufen hatte.

»Das muß schon ein sternhageldick verzweifelter Narr gewesen sein,«
meinte der Meister, »wer wird denn so fluchen?«

Der Barthel glotzte ihn ganz dumm an, und eines Tages rückte er den
Dreifuß und sagte: »Der Meister ist sonst kein zuwiderer Mensch nicht,
aber halt das gottlose Schelten und Eitelnennen Gottes! So oft der
Meister tut fluchen, gibt's mir einen Stich ins Herz, als wie wenn eins
mit dem Ahl-Ertel ohne Schmer hinein tät' rennen. Das bin ich gar nicht
gewohnt, und jetzt sag' ich meinen Dienst auf.«

Wickelte der Meister den Pechdraht um die Hand, rückte auch seinerseits
den Dreifuß und antwortete: »Was heißt das, Barthel? Wer nennt den
Gottesnamen eitel, ich oder du? Schelten! Fluchen! Du tust ja, als
wie wenn ich ein siebendoppelter Heid' tät' sein! So ein blitzblau
vernagelter Unsinn! Ob mich schon wer fluchen gehört hat, möcht' ich
wissen, du gottverdammter Ehrabschneider, du vermaledeiter, daß dich
der Teufel hol--lertee trink' ich gern.«

Aber fluchen tat er nicht.

So klagte der Barthel seine Not einmal den Kirchenpröbsten, unter
welchen die Sakristeidiener und Vorbeter verstanden sind, und zu denen
er selber gehörte. Und sie einigten sich darin, daß der Meister Mirtl
(Martin) wirklich der greulichste Flucher sei, der je Menschenfüße in
Ochsenhaut steckte, daß man ihn allerwärts den scheltenden Schuster
heiße, was dem Sprengel, in dem er lebe, keine Ehr' sei, und daß
der Mann stumm gemacht werden müsse. -- Was half's, daß der Geselle
nach jedem Fluch des Meisters ausrief: »Gott verzeih'!« wenn der
andere sofort wieder mit einem: »Gott verdamm'!« dreinfuhr, und es
drauflosging, daß sich ordentlich das bockigste Stierleder unter dem
Knieriemen wand vor Entsetzen.

Wenn der Meister bei guter Laune war, so hörte man von ihm
fortwährend Gefühlsausbrüche harmloserer Art, als: »Bassama
hint' auf d' Höh'!« oder: »Kruzi-Adaxel-Türkensabel, Ludervieh
und Heugabel!« oder: »Kreuz-divi-domini, daß dich!« oder auch:
»Fixzaunmarter-dürre-Krautstingelbutten!« Wenn er aber in Zorn und Wut
kam, da ging ein ganz anderes, ein schweres Wetter nieder.

»Geldstrafe!« sagte einer der Kirchenpröbste, »sonst weiß ich
kein Mittel. So oft der Mirtel einen Flucher laßt, zahlt er einen
Kupfersechser. Barthel, du passest auf und verwahrst das Geld, das
nachher der Kirchen gehört.«

»O, ihr lieben Eselein!« rief der Barthel, »da möcht' ich wohl wissen,
wer ihm das Zahlen wollt' schaffen. Den schilt er maustot.«

»Das laß gut sein, Schuster,« sagte der andere, »ich werd' mit dem
Kaplan reden.«

Und nach einiger Zeit, als der Meister Mirtel eines Tages von der
Kirche heimkehrte, war er verzagt und fluchte nicht, so daß der Barthel
glaubte, sein Meister müsse krank sein, und ihn darob befragte.

»Ja, mein lieber Barthel,« antwortete der Meister traurig, »'s ist
nicht richtig mit mir; bei der Beicht' bin ich gewesen. 's mag wohl
sein, daß meine arme Seel' zum Teufel geht. Weil ich so viel schelten
tät', sagt der geistliche Herr. Glaub's aber nicht, 's müßt mich nur
zeitweilig der Höllsaggra so viel reiten. Sollt' mir's abgewöhnen, sagt
der geistliche Herr. Der hat leicht reden, der hat alleweil die sieben
Sakrament' im Mund und ist fromm dabei; und unsereinem darf nur eins
auf die Zungen kommen, so heißt's, man schilt! Muß aber doch derlogen
sein, daß ich mir das mordsschwerenots Fluchen nicht sollt' können
abgewöhnen. -- Nu, so hat halt der geistliche Herr gesagt, sagt er: so
oftmals ich einen feisten Flucher tät' loslassen, sollt' ich allemal
einen Dreier für den Opferstock geben.«

»Einen Sechser, Meister, einen Sechser!« rief der Barthel drein.

»Einen Sechser? Wie kannst denn du das wissen, du neunmal verzweifelte
Judashaut; hast leicht gelost?!«

»Gar nicht, Meister, gar nicht; hab' nur gemeint, so ein Flucher vom
Meister ist seinen Sechser schon wert.«

»Hat's auch gesagt, der geistliche Herr, daß ich mich allemal um einen
Sechser sollt' strafen. Meint er 'leicht, ich hätt' nicht Herr über
mich! Justament will ich ihm's zeigen, dem Sakermenter, daß ich das
Schelten kann lassen.«

»Meister, ich bitt' um den Sechser.«

»Was hast denn? Es gilt auch: so oft ich was fluch', kriegst du für die
Kirche den Sechser. Daß ich euch weis', was ich kann, und das verdammte
Gered' einmal aufhört: nicht ~einen~ setzt's, oder es soll mich
das Kruzifix-Millionen-Donnerwetter in den Erdboden schlagen!«

»Meister, ich bitt' um den Sechser.«

Das Donnerwetter schlug nicht, aber er gab den Sechser: den ersten und
bald noch etliche dran in derselbigen Woche. Jeder »Satan« und jedes
»Mordselement«, jede »Pestilenz«, jeder »pechrabenschwarze Gallteufel«,
sogar jede »Galgenstrick-Latern'« und jedes »Saggramosthosen« wurde mit
einem Sechser belegt. Allerlei Drohungen und Träume, die dem braven
Schuhmachermeister nächtlicher Weil' vorkamen, bewirkten es, daß er die
Strafgelder nicht verweigerte, sondern mehr und mehr seinen Mund in
acht nahm.

Als die Kirchenpröpste wieder zusammenkamen, brachte der Barthel zwar
ein nettes Häufchen Sechser mit, tat aber gleichzeitig kund, daß die
Kupferquelle allbereits versiegt sei.

»Das kömmt mir recht verdrießlich,« meinte der Lichtanzünder, »wie ihr
sehen könnt, ist der Weihbrunnkessel an der Kirchentür kaputt geworden,
worauf wir beim heurigen Geldanschlag nicht gezählt haben. So ist mir
der Einfall gekommen, ob uns nicht der Schustermeister einen neuen
Kessel zusammenfluchen wollt'.«

»Flucht nimmer,« berichtete der Barthel. »Es müßte denn sein, daß man
ihn reizen tät'. Wenn's zum Besten des Kessels ist ...«

Und was geschah?

Der Barthel ging heim in die Werkstatt, verknüpfte in Abwesenheit
des Meisters den Draht, tauchte das Pech in kaltes Wasser, verklebte
auch ein wenig den Leisten in den halbfertigen Schuh, brach ein paar
Ahl-Erteln die Spitze ab, versteckte den Knieriemen unter das alte
Lederwerk und bereitete in schöner Dienstfertigkeit noch dies und das
für ein ausgiebig Flucherstündchen. Dann rückte er sich in seine Ecke
und stach und schmierte und nähte mit der harmlosesten Miene von der
Welt an seinem Stiefel.

Bald darauf trat der Meister lustig pfeifend in die Stube und setzte
sich an die Arbeit. Fürs erste wackelte der Dreifuß; den rückte er
gelassen zurecht. Dann langte er nach dem Garnknäuel, um die Drahtfäden
auf seine Finger und den Ellbogen zu haspeln. Dabei murmelte er etwas
Unverständliches, denn das Garn war ein wenig verworren. Der Geselle
lauerte, aber es kam weiter nichts. Das Pech zeigte sich heute, obwohl
in der Stube geheizt war, ausnehmend spröde, das Schmer hinwiederum
floß schier auseinander. Als der Meister den Leisten aus dem Schuh
ziehen wollte, brach der Zughaken und er schleuderte die Trümmer
zu Boden und starrte stillen Grimmes auf den Gesellen hin, der in
musterhafter Ordnung weiter arbeitete. Der Meister nahm die Ahle zur
Hand, da war die Spitze weg -- wieder ein Blick auf den Barthel. Bebend
vor Wut, aber stumm wie ein Fisch, suchte der Meister den Knieriemen,
schleuderte alle Leisten und Lederfetzen durcheinander, fand ihn
endlich unter der zerfahrenen Beschuhung, stürzte damit auf den
Gesellen und salbte ihm kräftigen Armes mit dem Riemen den Rücken.

Und fluchte nicht.

Aber der Weihbrunnkessel ist neu. Man sagt, der Barthel selbst hätte
ihn zusammengescholten an demselbigen Tag.




                Herr Trotzkopf, der Heiratsbeflissene.


Bertram Siebener ging auf dieser Erde fünf Jahre lang mit
Heiratsgelüsten um. Es tat ihm die Wahl weh unter den schönen Töchtern
des Landes, und aus lauter Bedenken und Zuwarten passierte es mehrmals,
daß ein anderer ihm die Braut vor der Nase weg heiratete. Denn gern
haben die Frauen des Mannes Herz, aber dessen Hand haben sie noch
lieber. Zudem hatte Bertram Siebener -- ein so prächtiger Mann er sonst
war -- keinen sehr starken Willen, hingegen besaß er einen kräftigen
Widerspruchsgeist. Ein Trotzkopf war er. Bei allem, was er vorhatte,
befragte er seine Freunde um Rat, um hernach gerade das Gegenteil zu
tun von dem, was sie ihm rieten.

So saß er eines Tages im Extrastübel des Eschenwirtshauses und sagte
zum Wirt: »Julius, was sagst du dazu? Jetzt hab' ich eine aufgestöbert.
Blutjung ist sie und bildsauber. Hast noch keine gesehen, die so schön
wäre. Ganz dumm bin ich dir vor Liebe. Die werde ich nehmen -- was
meinst?«

Der Wirt zuckte die Achseln: »Wenn du verliebt bist, dann ist dir nicht
mehr zu raten.«

»Daß man sich's halt etwa noch überlegt.«

»Das tät' ich auch an deiner Stell', und diesmal schon gar.«

»Meinst also, daß ich's bleiben lassen soll?«

»Weißt, Bertram, ein anderer kann da nichts sagen, das kommt auf dich
selber an. Ich red' nur das: geheiratet ist's bald, aber das Hausen
währt lang'. Und just auf die Schönheit allein ginge ich auch nicht.
So lang' das Weibel schön ist, gehört es oftmals nicht dem Ehemann
allein; und ist es nicht mehr schön, nachher magst es leicht auch
selber nicht. So ist die Sach'.«

Der neidet mir die schöne Braut, dachte Bertram, als ob just ich kein
sauberes Weib haben sollte! --

Er ging zu seinem Freunde, dem jungen Tischlermeister, einem sehr
einsichtsvollen Mann, der selber noch ledig war und bei seiner dicken
Stiefmutter lebte.

»Du, Franzel,« rief Bertram Siebener, »eilends laß dir Tanzschuhe
machen. Ich bin Bräutigam. In die Allerschönste bin ich vernarrt, in
die schöne Traut. Ich denk', ich mach' Ernst! Rate mir, Freund, aber
rate mir nicht ab.«

»Dazu läge nach meiner Meinung keine Ursache vor,« sagte der Tischler,
»daß sie deinem Auge gefällt, und daß du sie lieb hast, ist die
Hauptsache. Alles andere findet sich.«

»Nur Vermögen, wenn sie zu ihrer Schönheit hätte, würde ich nicht
verachten,« meinte Bertram.

»Vermögen, Vermögen,« sagte der Tischler, »dann bist du der Herr im
Hause nimmer. Du bist der Anwalt ihres Geldes und mußt durch das
Kapital deiner Arbeitskraft den täglichen Bedarf schaffen, und dennoch
würde sie dir's bei jeder Gelegenheit zu verstehen geben, daß sie dir
Geld mitgebracht hätte.«

»Wenn sie nur auch ein gutes Herz hat?« wendete Bertram ein.

»Pah, ein gutes Herz haben alle, wenn es der Mann verlangt; nur
häßliche Weiber sind auch böse Weiber. Greif' zu, Bertram, greif' zu
mit allen Vieren!«

Was der nur hat? dachte der Freier bei sich. Gerade auf der Stelle will
er mich verheiraten. Er hat leicht reden; leben müßte ich mit ihr. Spät
gefreit hat niemand gereut. Ich warte noch. --

Ein halbes Jahr später saß Bertram Siebener wieder im Eschenwirtshause
und zupfte den Wirt am Ärmel: Er hätte etwas zu reden.

»Wenn's nur auch was Gescheites ist!« sagte Julius.

»Das will ich schon meinen. Ich habe wieder eine Braut -- eine mit
Geld!«

»Das läßt sich hören!«

»Aber gerade nicht mehr ganz jung -- so in den besten Jahren, eine
Vierzigerin.«

Der Wirt tat einen lauten Pfiff. -- »Nachher könnte sie ja deine Mutter
sein.«

»Ist's aber nicht. Ist eine recht angesehene Hausbesitzerin, auch
gesund und heiter. Ich setz' mich in die Wirtschaft und bin ein
gemachter Mann.«

»Mensch!« rief der Wirt, »ich sage dir, nimm eine ältere! Eine
Achtzigjährige, die wenigstens bald stirbt. Die Vierzigerin überdauert
deine schönsten Jahre; du bist an sie gebunden wie der Kettenhund ans
alte Hoftor. Bertram, ich bitte dich: renn' nicht in dein Unglück!«

»Du hast ja selber eine Alte.«

»Eben darum rede ich aus Erfahrung. Junge, nimm eine Häßliche, eine
Dienstmagd, eine Dirne -- nur keine Alte!«

Bertram ging mißmutig davon. -- Just weil sie glauben Nein, so sage ich
Ja. Möchte doch sehen, wer mit mir schaffen kann! --

Er ging zum Tischler.

»Freund, du wirst Augen machen. Wie du mich da stehen siehst: ich bin
so viel als Großbauer! Ich heirate die Hochschlagerin.«

»Was?« lachte der Tischler, »o du Schelm du! So bist du's, der den
fetten Vogel abschießt! Ich gratuliere!«

»Sie ist just nicht alt.«

»Na freilich nicht,« sagte der Tischler. »Vierzig ist ja noch kein
Alter. Und so gut erhalten!«

»Just, daß halt ~ich~ ein bissel jung für sie bin.«

»Ist nicht deine Schuld. Brauchst du nicht eifersüchtig zu sein.
Eifersucht ist ein Elend. Auf die Hochschlagerin kannst dich verlassen
-- bist geborgen. Und sind die zufriedensten Ehen, dergleichen.
Dann keine Brotsorgen, mein Lieber, keine Brotsorgen, das ist die
Hauptsache.«

»Es ist wahr,« bemerkte Bertram sinnend, »daß man auch -- der
Nachkommenschaft wegen -- Kinder --«

»Eins kriegst, mehr brauchst du nicht. Denke dir das Kinderkreuz! Den
Kummer! Ich selbst, wenn ich heiraten würde, nähme so eine, wie die
brave Hochschlagerin.«

»So nimm sie!«

»Ei, du siehst ja, daß ich mit meiner Stiefmutter ganz zufrieden lebe.
Sie ist eine gutherzige, praktische Frau, besorgt mir die Wirtschaft.
Und so lebt man fröhlich dahin.«

»Und warum man just mich in den Ehestand jagen will?«

»Jagen? Das nicht, aber mit gutem Gewissen dazu raten kann man dir. Du
zögerst, aber du wirst heiraten, es ist eine Naturnotwendigkeit für
dich. Du bist vielleicht gar nicht für den Ehestand geboren. Aber du
bildest dir einmal ein, zu heiraten, du wirst keine Ruh' und keine Rast
haben, so lange du nicht verheiratet bist.«

»Und dann?«

»~Dann~ gibt es keine Wahl mehr.«

»Also gezwungen und gebunden leben!«

»Bertram, du bist eine unentschlossene Natur, jede Wahl peinigt dich.
Immer hin und her. Das Muß tut dir besser, das ist der Stock, an den
gebunden du erstarken wirst.«

»Franz, du redest in den Tag hinein. Du verstehst mich nicht. Weißt du,
was ich tun werde? Ich bleibe ledig!« --

Darauf verging ein Jahr. Die schöne Traut hatte einen schönen Förster,
die reiche Hochschlagerin einen reichen Holzhändler geheiratet. Bertram
Siebener war noch frei.

Da saß er eines Tages wieder beim Eschenwirt und trank sich ein Herz
an. Es war bei ihm, als ob er den Apfelwein nicht in den Magen, sondern
in das Herz hinabschlürfte; denn mit jedem Humpen schwoll dieses und
wurde voll, und wurde schwer. Und endlich begann er zu schluchzen ob
seiner großen Verlassenheit.

»Ich glaube gar, du hast Zahnreißen?« sagte der Wirt.

»Laß mich gehen. Ihr alle miteinander versteht mich nicht -- ich fühle
mich so einsam auf der Welt. -- Ich werde doch noch einmal mit der
Meisterin reden.«

»Am Ende hast du schon wieder eine Braut?«

»Ich ~habe~ auch eine, ich verhehle dir's gar nicht, gleichwohl
ich weiß, daß du mir sie wieder abreden wirst wollen.«

»Abreden? Ich abreden? Was dir nicht einfällt. Im Gegenteile, ich habe
dir immer gesagt, daß du heiraten mußt. Aber eine, die für dich paßt.
Zweimal fragtest du mich schon, und ich will nicht fürchten, daß du es
bereuest, mir gefolgt zu haben.«

»Ich dir gefolgt, Julius! Nicht im Traume. Wenn ich zwei Weiber bisher
laufen ließ, so waren es andere Gründe.«

»Die dritte wirst du doch nicht mehr laufen lassen? Sie ist
wahrscheinlich sehr hübsch?«

»Sie ist nicht hübsch.«

»Oder wenigstens jung?«

»Sie ist nicht jung.«

»So doch reich?«

»Ist auch nicht reich.«

»Also häßlich, alt und arm. Bertram, sei versichert, die rede ich dir
nicht ab. Es ist nicht nötig.«

»Und gerade die werde ich heiraten.«

»Ich gratuliere!«

»Du höhnst mich. Ich aber sage dir: Die werde ich heiraten.« --

Aufgebracht ging er davon -- ging zu seinem andern Freunde, dem
Tischler.

»Hast du wieder eine?« rief ihm der entgegen.

»Eine gutmütige, bescheidene, ältliche Person, arm, aber häuslich und
brav.«

»Siehst du, ~das~ ist die Rechte.«

»Eine Witwe ohne Kinder. Nur ein Stiefsohn ist da.«

»Für einen gescheiten, anspruchslosen Mann gewiß eine passende Partie.
Mache nur diesmal Ernst.«

»Aber --«

»Ist sie eine Hiesige!«

»Freilich, du kennst sie recht gut. Und daß der Sohn um ein paar Jahre
älter sein wird als der Vater, hörst, das macht nichts.«

»Was sprichst du denn?«

»Geh', geh', ich laß dich nicht raten. Wir sind auch schon auf gleich.
Hat sie dir wirklich noch nichts gesagt?«

»Wer?«

»Deine Frau Stiefmutter.«

Der Tischler schrak zurück. -- Meine Stiefmutter will er heiraten?
Meine Mutter, von der ich hoffe, daß sie mir in nächster Zeit die
Wirtschaft übergibt, und mich zum Erben ihres Ersparten machen wird?

»Freund!« sagte er mit dumpfer Stimme und legte seine Hand dem
Heiratsbeflissenen auf die Achsel: »Das wäre ein unglücklicher
Gedanke. Glaube mir, ich würde sehr erfreut sein, dich in unserer
Familie zu wissen. Aber als Freund muß ich dir im Vertrauen mitteilen:
Meine Stiefmutter ist kein Weib für dich. Erstens hat sie das Alter
wirklich etwas sehr häßlich gemacht; die Leute würden ordentlich
zurückschrecken, wenn du sie ihnen als deine Braut aufführtest.«

»Was geht das die Leute an!«

»Dich, dich geht's an. Und das eben ist das Schlimme. Ferner glaube ja
nicht, daß diese Frau so überaus gutmütig ist. Ich kenne sie besser!«

»Du kennst sie als Stiefmutter, da glaub' ich's schon.«

»Wenn es je eine eitle, geschwätzige, geizige, schmutzige, launenhafte
und mürrische Alte gibt, so ist es meine Stiefmutter.«

»Du übertreibst, wie hätte denn dein seliger Vater --«

»Der nahm sie vor einem Vierteljahrhundert. Und wenn es je ein Mann bei
diesem Weibe aushalten könnte, so würde mein Vater noch leben.«

»Diesmal ist alles dagegen,« murmelte Bertram, »nur mir keine Frau.
Jetzt möchte ich aber doch sehen, wer mir das Heiraten wehren kann.
Justament!«

O, Tischler Franz, das hast du schlecht gemacht. Warum fielest du ihm
nicht in die Arme und riefst: »Bertram Siebener! ja und tausendmal ja,
werde mein Vater! Meine Stiefmutter ist das schönste, liebenswürdigste
Weib unter der Sonne. In üppigster Reife prangt sie dir entgegen!
Und wie sinnig weiß sie sich zu schmücken, wie anmutig versteht sie
zu plaudern, wie sparsam ist sie im Haushalte, wie anregend ist die
Mannigfaltigkeit ihrer Stimmungen und neckischen Launen, wie reizend
ist ihr erkünsteltes Zürnen und Schmollen. Wie selig war mein
seliger Vater in ihrem Besitze, der, ach, so kurz war. Tritt in seine
Fußstapfen, mein Freund, ich beglückwünsche dich aus voller Brust!«

So mißrät man einem Bertram Siebener die Partie. Ei geh', Tischler, du
verstehst dich nicht aufs Leimen. Was du zusammenfügen willst, das geht
auseinander, was du trennen möchtest, das kittet sich zusammen.

Jetzt lauf' zum Schneider, er soll dir flugs ein Hochzeitsjöppel
machen, deine Mutter heiratet dir einen Vater ins Haus, und aufs Jahr
vielleicht -- kommt der Storch! --

Die Hochzeit ist lange über ein Jahr schon vorbei. Das Ehepaar lebt
im Frieden. Der erheiratete Sohn wird ganz anständig gehalten, denn
er leitet das Geschäft. Der Storch kam, setzte sich aber auf den
Giebel der Mägdekammer, und wenn man den Bertram Siebener fragt, wie
er ihm denn anschlage, der heilige Eh'stand, so antwortete er: »Dank'
der Nachfrag'!« Und wenn man sagt: Es wäre ja zu erwarten gewesen,
daß er mitten in sein Glück hineinsäße, so entgegnet er: »Na, na!«
Und wenn ihm einer zuflüstert: »Armer Bertram, du bist bei dieser
Tischlermeisterin wohl recht jämmerlich auf den Leim gegangen!« so
ruft er aus: »Auf den Leim? Zum Lachen, so was! Ich bin über und über
zufrieden, ich verlange nichts Besseres.«

Auch solche Käuze gibt es.




                            Der Samer-Sim.


Es ist doch recht schmeichelhaft für diese Welt, daß keiner aus ihr
hinaussterben will. »Das Sterben, das spar' ich mir bis zuletzt,« sagt
ein Volkswort, aber wenn dieses »zuletzt« kommt -- es kommt zu früh.
Die Jungen möchten alt werden, die Alten möchten sich am Sonnenlichte
ein Jährchen oder zweie noch erfreuen; der Gesunde möchte leben, der
Kranke gesund werden; der Arme möchte sich erst Schätze erwerben, der
Reiche sie genießen; der Totengräber hängt mit denselben Stricken
am Leben, als die in Weltlust badende Tänzerin auf der Bühne. Der
Familienvater will leben, um der Seinen Glück zu gründen und sich
daran zu laben. Dem Junggesellen ist es schon gar bitter, von der Erde
zu scheiden, denn er weiß, er läßt keine Spur zurück, ist mit seinem
letzten Atemzuge verweht und vertilgt -- wahrhaftig gestorben.

Denen aber der Tod nicht zu früh kommt, denen kommt er -- zu spät; sie
wollten ja sterben, wenn's nur schon -- geschehen wäre. Es liegt ihnen
am Leben nichts, aber ihnen graut vor dem Todeskampf.

Zu diesen letzteren gehört auch der Samer-Sim. Dem kann am Leben
freilich nichts liegen, er ist im Dorf der Einleger. Vor Zeiten hat er
mit einem Maulesel Kornsäcke übers Gebirg' gesäumt; den Namen hat der
Sim noch davon, aber sonst nichts. Er weiß, wie der Hunger schmeckt
und wie der Frost bohrt; weiß, wie die Gicht tut und wie böser Leute
Spottreden und geiziger Leute Nachreden klingen. Er weiß auch, daß
nichts Besseres für ihn mehr kommen wird, daß er nichts mehr wünschen
darf, daß er zeitlebens der Schuhhadern des Dorfes sein wird -- aber
nur leben, lange leben, immer leben -- nur nicht sterben.

Der Samer-Sim meidet den Friedhof, der außer dem Orte liegt, aber auch
den Weg dahin; er tut oft einen halbstundenlangen Umgang, nur um den
Friedhofsweg nicht zu kreuzen. Vor Leichen fürchtet er sich wie vor
der Pest, und es geht ihm wie allen, die selten Leichen sehen und also
glauben, was ihnen die Einbildung vormacht, daß nämlich die Toten so
grauenhaft zu schauen wären.

Am Ende des Dorfes steht eine Wirtskeusche; diese ist dem Sim der
liebste Ort; nicht als ob er den schlechten Krätzer, den man in
der Keusche haben kann, gerne tränke, sondern weil der Wirt ein
Geschichtenbuch besitzt. In diesem Buche steht die anmutigste
Geschichte, die der Sim je gehört hat, die Geschichte von dem ewigen
Juden -- das ist der Mensch, der nicht stirbt.

Beim Wirt sitzt zuweilen auch der Bader des Ortes, ein Spaßvogel. »Ja,
mein Lieber,« sagte der eines Tages zum Sim, »letzthin hätt's den Mann
doch bald getroffen -- nu, wie lange mag's sein, Hirschenwirt, daß der
ewige Jude bei dir da vorbeigegangen ist?«

»Je,« antwortete der Wirt, auf den Scherz eingehend, »das wird sein
höchstens sechs Wochen -- nit länger. Hat bei mir eingekehrt; just da
auf der Ofenbank, wo der Sim sitzt, ist er gesessen.«

»Ja, schau,« fuhr der Bader zum alten Sim gewendet fort, »und da
hat der Mann unvorsichtigerweis', wie er schon von seinem ewigen
Herumvagabundieren erhitzt ist, ein Glas von Hirschenwirts Vierziger
getrunken. Augenblicklich hat er auch das schauderlichste Bauchgrimmen
gehabt und Krämpfe dabei, wie mir erzählt ist worden -- hat schon
alles gemeint, 's wär' das letzt' End' mit dem ewigen Juden.«

Der Hirschenwirt stutzte, als er die Spitze des Scherzes nicht gegen
den Sim, sondern gegen sich selber gekehrt sah. -- »Na wart', Bader --
dachte er -- du kriegst mir auch eins.«

»Ja, ja,« bekräftigte der Wirt dem Sim gegenüber, »'s ist, wie der Herr
Doktor gesagt hat. -- Leut'! schreit er jählings, der ewige Jud', mir
ist auf einmal nit gut -- lauft's geschwind um einen Doktor! -- Ich
schick' den Halterbuben eilends ins Dorf, aber der Herr Doktor da ist
nit zu Haus gewesen; der arme kranke Mann hat keine Hilf' können haben
und so ist er richtig wieder gesund worden.«

Der Bader hat einen klanglosen Lacher gemacht und nichts mehr
gesagt. Der Sim aber, die zwei scharfen Nadeln des Gespräches nicht
ahnend, schüttelte verwundert sein Haupt. »Welch' Seite ist er denn
zugegangen?« fragte er angelegentlich. Es fiel ihm ein, dem ewigen
Juden nachzugehen, ihn aufzusuchen und nicht mehr von seiner Seite zu
weichen, auf daß auch er dem Tod entrinne.

Es sind der kleinen Geschichten und Wunderlichkeiten mehr, die man von
dem Alten erzählt. Vor kurzem wollte er, der Siebzigjährige, mit einem
zwanzigjährigen Mädchen eine Liebschaft anfangen, weil man ihm gesagt
hatte, er müsse, um den Tod zu hintergehen, sich wieder jung stellen.
In vollem Ernste machte er seinen Liebesantrag, und das ganze Dorf
hatte was zu lachen.

Das Lachen war dumm. Der Samer-Sim ist ein armer schwachsinniger Greis,
der mit Angst die letzten Körner seiner Sanduhr verrinnen sieht. Das
falsche Leben, das ihm vorenthalten, was es anderen in reichem Maße
hingeschüttet, das ihm keinen seiner Wünsche erfüllt hat, das ihn um
seine berechtigtesten Hoffnungen betrog -- dieses falsche Leben will
der alte Mann noch zurückhalten am Mantelsaum, wie man einen fliehenden
Dieb zu halten sucht. Das Gebaren des alten Samer-Sim, die vieljährige
Todesangst des im Sonnenlicht Wandelnden ist seltsam genug -- aber
etwas zum Lachen ist es nicht.

Als ich dem Manne begegnete und er mir wie so vielen anderen Leuten
seine Todesfurcht bekundete, suchte ich ihn zu trösten. -- »Wenn's
dereinst dazu kommt, guter Sim, so ist es nicht halb so schrecklich,
als es von weitem aussieht. Bei betagten Leuten gar ist es wie ein
ruhiges Einschlummern nach der Lebensmüh' und sie wissen gar nicht, daß
es der Tod ist.«

»Aber Herr,« rief der Alte, »der Todesstoß, der Todesstoß im Herzen!
Und nachher, wenn sie einen hineinlegen in den Sarg, hinabsenken in die
Erden und es kriechen die Würmer heran!«

»Mußt denken, Simon, du liegst nicht ~lebendig~ drin, und es ist
ja ein Glück, daß du früher ~gestorben~ bist.«

»Und erst die arme Seele!« sagte darauf der Alte, »die muß in den
glühenden Ofen des Fegefeuers!«

»Wer hat dir denn das gesagt, Sim?«

»Das? -- Ach, ich hab' doch so viele Sünden und keinen Kreuzer Geld für
ein paar heilige Messen!«

»Lieber Sim,« sagte ich und faßte seine kalte Hand. »Glaubst du nicht,
daß Gott besser ist als die Menschen?«

»Das glaub' ich wohl.«

»So siehe, gute Menschen verzeihen ihren Beleidigern, anstatt sich an
ihnen mit Feuer oder anderswie zu rächen.«

»Ja freilich,« unterbrach mich der Sim, »so hat's Gott gelehrt!«

»Und wird er's nicht auch selber halten?«

Alte Menschen lassen sich aber nicht umwenden wie alte Röcke.

Der Samer-Sim murmelte was und holperte seines Weges. Einige Wochen
später erhielt ich vom Schullehrer jenes Dorfes folgenden Brief:

  »Geschätzter Freund!

 Sie haben sich immer für den alten Samer-Sim interessiert. Den haben
 wir heute begraben. Der Mann ist ~lachend~ gestorben. Seit
 längerer Zeit schon lag er beim Moosbrunner auf dem Oberboden krank.
 Ich habe ihn selber einmal daselbst besucht; er war stets der Alte mit
 seiner Todesfurcht und meinte, er wollte gern alles Böse ertragen auf
 dieser Welt, wenn er nur wisse, daß er nicht auf dem Todbette liege.
 -- Nun, es ist eigentlich komisch, hat ihn eine Maus umgebracht.
 Eine solche war unter seine Decke gekommen; vor Zappeln und Lachen
 über den Gast fiel der Alte in einen Krampf und nach wenigen Minuten
 war's vorbei. Der plötzliche Überreiz der Nerven, sagt der Arzt, habe
 ihn getötet. -- Vielleicht vermag Ihre Feder etwas aus der Sache zu
 machen« usw.

So das Schreiben. Ich habe aus der Sache nichts anderes zu machen
versucht, als was sie in Wirklichkeit ist. -- Der Samer-Sim hat seit
vielen Jahren nicht mehr gelacht aus Angst und Furcht vor dem Tode.
Derselbe Samer-Sim ist lachend gestorben.




                         Der Zillacher-Anderl.


Samstag war's. Der Anderl saß in der Flachsdörrkammer, wo er auch sein
Bett hatte, und tat sich den Bart rasieren.

Die jungen Stadtherrchen kratzen mit dem Schermesser zumeist just dort
herum, wo sie gerne einen Bart haben möchten. Der Bauernbursch rasiert
sich, wo ein Bart steht. Freilich war der Anderl schon fünfunddreißig
Jahre alt und sein Bart so steif, daß man nach der Bauern Sprichwort
den Dreschflegel daran hätte hängen können. Trotzdem ließ der Anderl
vor dem Scheren die Seife ordentlich in die Borsten trocknen und kramte
mittlerweile seine grauen Backen vollblasend in den Hosentaschen herum.
Da drin hatte er einen alten Taschenveitel, ein Stück Zunder und
einige Kreuzer, die sich aber bei näherer Untersuchung in der Mehrzahl
als Messingknöpfe herausstellten. Der Anderl blies die Backen noch
bauchiger. Messingknöpfe? Für den morgigen Sonntag Messingknöpfe! Mit
derlei hat der Hirschenwirt seine Hosen und Wämser sicherlich versehen.
Heute schon hätte der Anderl Durst.

Jetzt trat eine alte Magd in die Flachsdörrkammer: Der Anderl möge
eilends in die Stube zum kranken Vater kommen. Und als der Bursche
bei dessen Bette stand, sagte der alte Zillacher: »Anderl, nimm deine
Zipfelmütze ab. Anderl, paß auf, dein Vater macht's Testament. -- Aha!
gelt, jetzt kannst losen! Hast gleichwohl nicht immer so auf mich
hören wollen; soll dir aber geschenkt sein, will dich nicht verkürzen.
Deine Brüder und Schwestern, die haben das Ihrige. Wenn ich die
Augen zugemacht hab', Anderl, so weißt es, die braune Kuh ist deine
Erbschaft.«

»Vergelt's Gott!« rief der Anderl.

»Aber sei brav und tu' dir das Trinken ab, und der himmlisch' Vater
soll dich beschützen und bewahren.«

Der Alte schwieg. »Kann ich jetzt die Zipfelmütze wieder aufsetzen?«
fragte der Anderl.

»Jetzt kannst du machen, was du willst,« sagte der Zillacher.

Als nach einigen Tagen der Alte tot und begraben war, führte der Anderl
die braune Kuh aus dem Stall. Er trieb sie die Straße entlang, und
da er so hinter dem Tiere dahertrottete, führte er mit ihm folgendes
Gespräch: »Du alte Kuh, du bist ein zaunmarterdürres Vieh. Ich möcht'
meine Joppe an deinen Hüftknochen hängen.« Und als sie zu einem
Wassertrog kamen und das Rind stehen blieb und trank, sagte der Anderl:
»Ja, meine liebe Kuh, ich hätte auch Durst!« Er trank aber doch nicht.

Da kam ein Bauer des Weges, der fragte: »Wo treibst du deine Haut
hin?« Der Bursche knirschte die Zähne und schritt fürbaß. Mittlerweile
war das Euter voll geworden, und als sie zu einer Schenke kamen,
unterhandelte der Anderl mit der Wirtin, ob sie nicht seine braune
Kuh melken und ihm dafür ein Krügl Wein geben wolle. Das Geschäft war
abgemacht. Und so trieb der Zillacher-Anderl seine Erbschaft viele
Stunden weit fort, weidete sie an guten Rasenplätzen, tränkte sie
an den Brunnen, und wenn das Euter voll war, so vertauschte er die
Milch gegen Wein. Für die Länge aber blieb das Euter der braunen Kuh
immer kleiner, während der Durst des Burschen größer wurde. Da dachte
der Anderl, das muß anders gemacht werden, und verkaufte das Rind an
einen Wegmacher. Der Wegmacher vermied die Frage, ob die Kuh nicht
etwa gestohlen sei, bot hingegen nur fünfunddreißig Gulden Kaufpreis.
»Meinetwegen!« sagte der Bursche, und als er das Geld in die Tasche
schob: »Hab' ich noch weit zu einem Wirtshaus?«

Fünfunddreißig Gulden, das ist meine Erbschaft, dachte er dann, mit
dieser will ich recht wirtschaftlich umgehen. Mit dreißig Gulden läßt
sich schon was anfangen; die weiteren fünf Gulden -- damit will ich
jetzt gründlich meinen Durst löschen. Einmal im Leben muß der Mensch
seinen guten Tag haben; -- dann heißt's arbeiten und fleißig sein.

Als er zum nächsten Wirtshaus kam, suchte er sich den bequemsten
Tischwinkel aus und hub an zu trinken. Die Wirtin setzte sich zu ihm
und schwätzte und sagte, sie hätte frische Butterkrapfen in der Küche,
die seien ihr diesmal vortrefflich geraten; ob er -- der Anderl -- denn
nicht ein paar verkosten wolle. Ihm war's recht, und die umsichtige
Frau Wirtin wußte wohl, daß nach den Butterkrapfen wieder neuer Durst
kommen müsse. Der Wirt jedoch hatte sich seinem Gaste gegenüber so
verhalten: In das erste und das zweite Glas schenkte er reinen Wein; in
das dritte und vierte tat er ein wenig Obstmost dazu; dann tat er zur
Hälfte Wein und zur Hälfte Most in den Becher; später goß er die Hälfte
Obstmost, ein Viertel Wein und ein Viertel Wasser zusammen. Als endlich
dem Anderl auf seiner Bank einmal ordentlich warm geworden, sein Durst
doch immer noch nicht gelöscht war, da schüttete ihm der Wirt im Keller
bloß Obstmost mit ein wenig Zwetschkenbranntwein vermischt in das
Weinglas, hernach nur mehr Most allein, und endlich, wer am dritten
Tage den Wein des Anderl vorurteilslos untersucht hätte, der würde
gefunden haben, daß der Bursche gut gegorenen Apfelmost mit frischem
Wasser trinke.

Natürlich tat dieses der Rechnung keinen Eintrag, und am dritten Tage
waren fünf Gulden vertrunken. Zu dieser Zeit hatte die Wirtin jedoch
bereits für frischen Durst gesorgt. Da sagte sich der Anderl: im Grunde
ist es eine Narrheit, wenn ich mir jetzt einen Abbruch tue, der leicht
der Gesundheit schaden könnte. Der Fieberdurst muß gelöscht, durch und
durch gelöscht werden. -- Dasselbe sagt auch der Bader daheim. Zwei
Gulden spendier' ich noch.

Er bleibt wieder ein paar Tage sitzen; dann aber brach er auf, um mit
seinen achtundzwanzig Gulden ein nutzbares Geschäft zu beginnen. Als
jedoch der gute Zillacher-Anderl im heißen Tage auf der staubigen
Straße so wanderte, da kam er mit sich überein, daß er seine Erbschaft
auf ein viertelhundert Gulden abrunden wolle! Blieben ihm drei Gulden
gut, die er in der nächsten Schenke vertrank.

Da war aber in demselben Jahre ein sehr heißer Sommer; entweder es
war die Hitze oder es waren die heftigen Gewitterregen unerträglich,
in beiden Fällen muß der Mensch ein Dach haben, und dazu hat Gott
die Wirtshäuser erschaffen. Als die Barschaft des jungen Zillacher
auf beiläufig zwanzig Gulden herabgesunken war, da sagte er: »Jetzt,
Anderl, ist's g'nug!« Da er nun die Zeche gezahlt hatte, blieben
ihm bloß neunzehn Gulden und fünfundneunzig Kreuzer in der Tasche.
Ei, dachte er sich, der Gulden ist angezwickt, weg damit! -- Und in
ähnlicher Weise ging's auf fünfzehn, auf zwölf, auf zehn herab. Und
nun sagte der Zillacher-Anderl das denkwürdige Wort: »Mit zehn Gulden
richtet einer heutzutage nicht viel aus. Der Mensch, der auf eine
Erbschaft ansteht, ist eh nix nutz; mit eigener Kraft muß der Mann das
Seine erwerben.«

Er ging von einem Wirtshaus ins andere, und trank und trank. Und
endlich war nichts mehr in seiner Tasche, als die Messingknöpfe. Da
haben aber die Wirte neben der Wanduhr oder neben der Stubentür so
schwarze Tafeln hängen, auf die mit der Kreide allerhand Buchstaben
geschrieben werden können. Sagte eines Tages der Anderl: »Herr Wirt!
Meines Vaters Sohn trägt einen ehrlichen Namen; tät Euch keine Schand'
machen auf der Tafel.«

»Das nicht,« antwortete der Wirt, »aber die Tafel könnte leicht dem
ehrlichen Namen was herabzwicken. Traue dieser schwarzen Tafel nicht,
Freund!«

Der Anderl stutzte und war trübsinnig. Endlich sagte er zu sich: Was
braucht man auch so einen dicken Brustfleck in der heißen Zeit? -- Er
verkaufte seine Tuchweste und vertrank das Geld. Dann vertauschte er
seine Ochsenlederstiefel gegen ein paar leichte Schuhe, sein Lodenwams
gegen ein kühles Leinwandröcklein; das dadurch gewonnene Geld vertrank
er.

Wohl hatte er sich mittlerweile auch ein paar Groschen Taglohn
erworben; aber das liebe Wirtshaus hatte ihm's angetan, und ehe noch
zwei Monde nach seines Vaters Tod verflossen waren, saß der Anderl
da, arm wie eine Kirchenmaus, bärtig wie ein Waldteufel; auch sein
Schermesser hatte er vertrunken.

Jetzt war er tief verzagt. -- Wenn einer nichts mehr hinabzugießen
hat, so muß man die Gurgel zubinden, hat einmal einer gesagt --
das leuchtete dem Zillacher-Anderl ein. Wenn der Fisch nicht mehr
trinken kann, was hat er sonst auf dieser Welt? -- 's ist gar grausam
bitterlich! -- Aber was kannst machen?

Der Anderl wußte draußen in der Dorfau einen alten Birnbaum. Zu dem
ging er hinaus, an dem kletterte er empor mit harter Mühe bis zum Aste,
von dem aus er das Dorf sehen konnte mit seiner Kirche und mit seinem
Wirtshaus. Hierauf machte er Reue und Leid, nestelte sein Hosenband
los und schlang es um den Hals.

Zur selben Stunde ging der Pfarrer am Birnbaum vorüber, er erschrak,
als er das Beginnen des Mannes da oben bemerkte. -- Zachäus, steig'
eilends vom Baum herab! heißt's in der Bibel. Jener hörte es nicht.
»Anderl,« rief der Pfarrer, »tu' dir ~das~ nicht an! Aufknüpfen,
na, das wär' doch eine Dummheit, die dich dein Lebtag reuen würde!«
Vergebens, der Anderl wand bereits das Hosenband um den Ast. Der
Pfarrer versuchte auf den Baum zu klettern, um die Tat zu verhindern,
und der Selbstmörder kam mit seinen Vorbereitungen schon zu Rande.
Da fiel dem Priester was ein. »Anderl!« rief er auf den Baum, »du
~mußt~ herabsteigen, ich such' dich schon seit einer Stunde, ich
habe just ein frisches Faß angezapft.«

»So!« sagte der Anderl, »ja das ist schon wieder ganz was anders,«
und sogleich kletterte er dem Erdboden zu. Sie gingen mitsammen in
den Pfarrhof. Der Pfarrer schoß eine Weile im Hause herum, dann kam
er zurück. »Das ist schon eine verzwickte Sach', Anderl, jetzt haben
wir den Kellerschlüssel vertan. Die Köchin war beim Teich unten, hat
Karpfen ausgeweidet, da ist ihr der Schlüsselbund ins Wasser gefallen.
Was wir nur anfangen?«

Der Anderl riet den Schlosser an, allein der Pfarrer versicherte, das
Kellerschloß sei so gar heiklich bestellt und ein hiesiger Schlosser
könne es justament nicht aufsperren. -- Die Tür erbrechen, schlug der
Durstige vor; nicht möglich, meinte der Pfarrer, sie sei mit eitel
Eisen beschlagen über und über. Das einzige Mittel: der Schlüssel müsse
aus dem Wasser hervorgeholt werden -- ob der Anderl dazu behilflich
sein wolle? -- Das versteht sich. -- Wurde denn fürs erste der Teich
abgelassen, der da war, um des Pfarrers Kornmühle zu treiben; und als
das Wasser verflossen war, machte sich der Anderl an den Schlamm, hub
ihn schaufelvoll um schaufelvoll an das Ufer, arbeitete bis spät in den
Abend und suchte den Schlüsselbund.

Und als es finster geworden, rief ihn der Pfarrer ins Haus und sagte:
»So, mein lieber Zillacher-Anderl, jetzt hast du mir ein gut Teil
Schlamm aus dem Teich gefaßt, dafür sollst heut' fünf Groschen haben
und das Nachtmahl und ein Krügel Wein -- der Kellerschlüssel hat sich
vorgefunden.«

Glotzte der Anderl verwunderlich drein.

»Und wenn du mir den ganzen Teich ausschaufelst,« fuhr der Pfarrer
fort, »so sollst du für das Tagwerk zwölf Groschen haben und die
Köstigung und dein Krügel Wein.«

So wurde es abgemacht. Und als der Teich in Ordnung und wieder mit
Wasser gefüllt war, da bekam der Anderl Geschäfte in der Mühle. Nur
immer hübsch beim Wasser, daß der Durst nicht zu stark wird. -- Es ist
gar nicht zu glauben, wie ein Mensch sich ändern kann, wenn er danach
geleitet wird. Der Pfarrer wußte den Zillacher wohl zu behandeln, und
der Anderl wurde der beste Arbeiter, den er je noch gehabt hatte.

Wenn sie dann abends beim Krügel Wein saßen, das dem braven
Hausgenossen bislang vorenthalten wurde, und es anmutig zu sehen war,
wie glatt und lind die lieben Tropfen ihrer Wege gingen, sagte einmal
der Herr Pfarrer, dem Anderl auf die Achsel klopfend: »Wär' doch
jammerschade um deine Gurgel, wenn du sie dazumal zugeschnürt hättest!«




                              's Guderl.


Wenn ich bei dir, mein lieber, himmlischer Vater eine Bitte frei
habe: dem »Guderl« bereite ein recht feines, warmes Plätzchen dort
oben in Deinem Himmel, vielleicht ganz nah' bei der Lieben Frau, sie
wird sich mit dieser Nachbarin aus dem Steirerland nicht zu schämen
brauchen. Aber eilen brauchst nicht, wir mögen die alte Ludmilla recht
gern noch eine Zeitlang bei uns herunten haben und sie -- so arm und
mühselig sie gleichwohl ist -- hat auch noch kein Verlangen, dieses
Jammertal mit der himmlischen Freud' zu vertauschen. Sie fürchtet,
dort oben wird sich niemand von ihr was Gutes tun lassen wollen, weil
es ja ohnehin jedem so göttlich gut gehen soll -- und nachher freut
sie der ganze Himmel nicht. Vielleicht, wenn sie einmal kommt, ist
der heilige Laurentius so gut, seine Brandmale von ihr mit frischem
Leinöl bestreichen zu lassen; oder der heilige Sebastian, sich von ihr
die Pfeile aus den Wunden ziehen zu lassen; oder die blinde heilige
Ottilia, sich von der Ludmilla herumführen zu lassen im Paradies, sich
von ihr die himmlische Pracht erzählen und manchmal eine Butterbirne
reichen zu lassen vom Baume. Ja dann, wenn sie wem einen Gefallen
tun kann, wird es ihr auch selber gefallen im hohen Himmel oben,
einstweilen paßt sie aber für die Erde besser.

Alt und mühselig ist sie, und das kann ihr niemand nehmen. Seit sie
im Vorbeigehen einmal jene Erklärung vom Schulmeister gehört hat, daß
nach den Aufmerkungen im Lande eine gewisse, sich fast gleichbleibende
Anzahl von Krüppeln vorkomme, seither trägt sie ihre verkümmerten
Beine noch lieber, weil sie denkt: Gut ist's, ich trag' sie für einen
anderen. Sie trägt die Beine, anstatt, wie sonst gebräuchlich, von
ihnen getragen zu werden. Einmal ist auch die Ludmilla jung und gesund
gewesen. Da ist vor Jahren drüben auf der Reisinger-Seiten ein Pferd
scheu geworden, an das Pferd war ein Streuwagen gespannt, und auf dem
Streuwagen hockten zwei Knaben, die sich krampfhaft an die Sprosseln
klammerten und jämmerlich schrien. Der Reisinger reckte seine Arme
zum Himmel und rief Gott und die Heiligen um Beistand an für seine
Söhnlein. Gott und die Heiligen schoben rasch die Ludmilla voran, die
am Feldraine Strauchwerk schnitt: Der alte Narr steht da und kann
nichts als schreien, lauf du, Ludmilla, und pack' das Roß, ehe es zur
Schlucht hinabkommt! -- Die Magd lief hinzu, erfaßte das Pferd am
Kopfriemen. Eine Strecke weit wurde sie mitgeschleppt hinab über den
steinigen Hang, endlich stand das Fuhrwerk still, die Knaben sprangen
unversehrt davon, aber der Leib der Magd war arg zerschunden und
zerrissen, ein Bein gequetscht, das andere gebrochen.

Der Reisinger sagte hierauf zu seinen Söhnen: »Wenn die Ludl nicht
wär', so wäret ihr jetzt auch nimmer. Wäret auch nimmer, daß ihr es
wißt. Und sie ist jetzt ein elendiger Krüppel, und wenn ich nicht
mehr bin und ihr seid auf dem Hof und sie ist noch am Leben, weil
solche Leut' leider Gottes oft eine zähe Natur haben, so müßt ihr sie
behalten, das ist eure verfluchte Schuldigkeit, daß ihr es wißt!«

Als die Ludmilla das gehört hatte, packte sie still ihre Sachen
zusammen. Da hatte sie warten wollen im Reisingerhof, bis ihr Sebast
zurückkäme aus dem Strafhaus; in einem Jahr muß er ja endlich kommen
und dann sind zwei arme Leut' mehr in der Gegend. -- Kaum noch zur
Not geheilt, stolperte sie zu vier Füßen, wovon die zwei hölzernen
verläßlicher waren als die zwei beinernen, vom Berg herab nach Bärndorf
und bat um einen Platz im Armenhaus. Das ward ihr natürlich versagt,
denn sie gehörte in die Gemeinde zum »Steinernen Elend« hinauf. Das
Steinerne Elend aber hatte kein Armenhaus und auch kaum ein anderes
mehr. Schier die ganze Gemeinde war abgestiftet worden und Abstifter
war der Staat mit seinen Lasten, und jetzt wußte das Restlein der im
Steinernen Elend Geborenen nicht einmal, wo es daheim war, und die arme
Ludmilla hatte keine Heimgemeinde. Aber das unfreiwillige Gnadenbrot
beim Reisinger wollte sie einmal nicht essen; es wäre ihr zu stark
gesalzen, sagte sie. Dann kam sie doch noch in das Bärndorfer Armenhaus
hinein.

Als Aushilfswärterin kam sie zuerst nur auf ein paar Tage. Als diese
paar Tage vorbei waren, ersuchte man sie um Verlängerung ihrer
Aushilfstätigkeit und bald war ihr stillgeschäftiges, ratsames, sanftes
und stets munteres Wesen den Kranken und Bresthaften so unentbehrlich
geworden, daß sie im Armenhaus verblieb. »Und da g'freut's mich!« sagte
sie nun oft. Dem Einen bettete sie das Lager bequemer, dem Anderen
teilte sie etwelches von ihrem Brot, dem Dritten stellte sie was Grünes
und Blühendes ans Fenster, dem Vierten besserte sie ein Kleid aus,
sie konnte ja gar schneidern; und wo sie ein Zwirnfädlein liegen sah,
und war es auch nur fingerlang, da tat sie es in ihren Nähkorb, der
jedem, so ein Bändlein oder eine Nadel oder Schere oder ein Knöpfel
brauchte, zur Nutzung stand. Für lange Abendstunden, wann sonst Tratsch
und Mißlaune und Streit sich einzustellen pflegten unter den müßigen,
mürrischen Bewohnern des Armenhauses, erzählte sie Geschichten, sang
Lieder, wobei freilich ihre Lebhaftigkeit im Vortrag, sie half auch mit
den Händen mit, die Stimmittel ersetzen mußte. Die dankbaren Gemüter
behaupteten rundweg, die Ludmilla sei ein Engel, worauf sie allemal
entgegnete: »Ja, wär' schon recht, wenn ich Flügeln hätt', auf den
Füßen will's eh nit gehen.«

Das Elend der Armut liegt zumeist nicht im Nichtshaben und Nichtssein
allein, es liegt vielmehr noch in der Giftigkeit des Herzens, in der
Scheelsucht des Armen gegen die Mitmenschen, selbst im Mißtrauen
gegen die Wohltäter. So war ein Mann im Armenhause, sie hießen ihn
den Einhandel, weil er nur eine Hand hatte. Der hatte sich in der
Jugend aus Furcht vor dem Soldatenleben mit einer Zimmermannshacke
den Zeigefinger der rechten Hand abgehauen; zur Wunde kam der »Brand«
und mußte ihm die ganze Hand abgenommen werden. Viele Monate war er
im Spitale gelegen und als er endlich geheilt war, kam er seiner
Selbstverstümmelung wegen auf Jahre in das Zuchthaus und dann von
diesem schnurgerade in das Armenhaus. Am meisten beklagte er hier
den Verlust seiner Hand, weil er beim Beten den Rosenkranz nicht
so handhaben konnte wie andere Leute, denn zwei Dinge waren seine
Hauptbeschäftigung: das Beten und das Ehrabschneiden. An jedem und
jeder wußte er was auszusetzen, gegen jedes Gute hatte er sein
Bedenken, und es ging kein braver Mann um im Dorf, der nicht doch ein
»schlechter Kerl« war. Gegen die Ludmilla wußte der Einhandel aber
spottwenig aufzubringen und so ließ er gelegentlich nur durchblicken,
sie würde es schon wissen, warum sie so fromm tue, und trotz ihrer
Demütigkeit würde sie am Ende doch lieber mit neun Teufeln in die Hölle
fahren, als mit einem Engel in den Himmel.

»Geh, geh, Einhandel,« sagte ihm die Ludmilla einmal, »mach' dich nicht
gar so bös' mit deinem losen Maul, bist ja doch ein guter Lapp.« Und
schnitt ihm das Suppenfleisch klein, denn -- so scharf sein Mund sonst
war -- mit dem Gebiß stand's schlecht.

Am Armenhaus führte ein Feldweg vorbei, der gewöhnlich durch eine
Torschranke abgesperrt war. Wenn nun die Ludmilla durchs Fenster ein
Fuhrwerk daherkommen sah, torkelte sie allsogleich hinaus, um die
Torschranke zu öffnen, damit der Fuhrmann sitzen bleiben konnte auf
seinem Karren.

Vor dem Armenhaus war auch ein Brunnen, der aus dem Ständerrohr
armdick und rauschend in den Trog schoß. An diesem Brunnen hatte ich
die Ludmilla das erstemal gesehen. An einem heißen Sommertag war's,
ich kam als unbedachtsamer Student halbverschmachtet vom Gebirge über
die sonnigen Felder her und nun eilends dem Brunnen zu, daß ich mich
erquicke. In demselben Augenblicke, wie ich mein glühendes Gesicht
zum Wasserquell senkte, kam das kleine, runde, wackelnde Weiblein aus
dem Hause und erhob ein Zetergeschrei, daß ich emporfuhr und glaubte,
es schlügen zum Dach die Flammen heraus. »Kruziwetter Paraplie, du
leichtsinnig Volk du!« rief sie, dann nahm sie mich an der Hand und
sagte ganz ruhig und warmherzig wie eine Mutter: »Mußt nicht trinken,
Bübel, der Brunnen ist giftig. Nur ein Vaterunser lang wart', ich bin
geschwind wieder da.« Damit verschwand sie im Hause, kam im nächsten
Augenblick mit einer Schnitte Brot hervor: »So, da im Schatten setzest
dich jetzt nieder und das issest schön langsam und wenn du es gegessen
hast, netzest die Hände mit Wasser und den Nacken mit Wasser, und
nachher kannst ein wenig trinken.«

Aus dem Hause heraus hörte ich später noch sagen: »In der Hitz' so
hineintrinken! -- Ich weiß zwar nicht, wem er gehört, hat aber gewiß
Vater und Mutter, und so ein Bürschel darf man heut' noch nicht auf die
Bahr legen.«

Als ich mich hernach im Dorf erkundigte nach der Person, antwortete
man mir: Das »Guderl« wäre es gewesen. Das Guderl, so wäre sie ihres
guten, dienstfertigen und einfältigen Herzens wegen von den Insassen
des Armenhauses getauft worden. Und sie wäre ein ganz merkwürdiges
Geschöpf, hieß es, in der Jugend sei sie gar fein gewesen und man höre
Geschichten, die sich ihretwegen einstmals zugetragen, aber man wisse
nichts Sicheres; in ~der~ Gegend sei sie damals nicht gewesen und
erzählen wollte sie auch nichts davon.

Das hat mich denn gleich gepackt, und ein nächstesmal -- ich fand sie
auf dem Dorfweg damit beschäftigt, eine Wasserkehre auszukrauen, damit
die Gieß ablaufen konnte -- suchte ich mit ihr anzuknüpfen. Sie wäre
wohl keine hiesige? fragte ich.

Wie ich ihr das ansehe? fragte sie entgegen und stützte sich ein wenig
auf den Haustiel, weil sie doch recht unsicher stand auf ihren Füßen.

»Ansehen nicht, aber anhören am Sprechen.«

»So, haben die Leut' im Steinernen Elend eine andere Sprache, wie die
Bärndorfer dahier?«

»Also vom Steinernen Elend seid Ihr? Das muß aber eine traurige Gegend
sein.«

»Das kommt auf die Leut' an, junger Herr,« gab sie zur Antwort, »die
Steine sind überall hart.«

»So ist es. Und die Leut' sollen auch im Steinernen Elend recht brav
sein. Ich habe gehört, Ihr wisset so schöne Geschichten vom Steinernen
Elend herab.«

»Das hast du gehört!« rief sie aus, sie nannte mich »Du Herr«. »Aber,«
fuhr sie lachend fort, »was doch die Leut' alles reden. Schöne
Geschichten weiß ich! und etwan rechtschaffen lustige, nit?«

»Rastet ein wenig, mit dem Weg eilt's nicht; ist ja der Himmel über
und über blau, da ist die Gieß noch weit. Unter den Kirschbaum setzen
wir uns hin und Ihr erzählt mir was.«

»So närrische Sachen da!« rief sie, »ich weiß nix, ich weiß nix!« Damit
schob sie sich um, daß das Röcklein flog, und kraute mit Hast an der
Wasserkehre.

Ein zweitesmal erging es mir nicht besser. Halb schmollend und halb
bittend sagte sie, ich solle nicht kindisch sein, ich solle mich an
junge Dirndeln machen, wenn ich was wissen wolle, und nicht an alte.
Die alten hätten lauter Sauerampfergeschichten und möchte sich so ein
flotter Herr leicht daran langweilen und darüber lustig machen.

»Die Leute sagen, es hätte sich mit Euch etwas Besonderes zugetragen.«

»Mein lieber Herrgott in der Krüppelkapellen!« lachte sie auf,
»zutragen tut sich mit jedem Menschen was, wenn er sich's aufmerken
will. Und das mag für ihn selber was sein, aber für andere nit. Ich
erzähle nix.«

Zwei Jahre später kam ich wieder nach Bärndorf, aber
unfreiwilligerweise. Ich hatte mir bei einem kleinen Sturz im Gebirge
die Kniescheibe verletzt, mußte zwei Tage lang in einer Köhlerei liegen
und wurde dann nach Bärndorf hinabgebracht, wo ich beim »Weißen Lamm«
eine Woche lang im Bette lag. Wer war's, der mich pflegte? Das alte,
runde Guderl. Aber es war kaum mehr zu erkennen, über die ganze linke
Seite des Gesichts, von der Stirne bis zum Halse hinab, hatte sie einen
schier zinnoberroten Flecken und das linke Auge war geschwollen und
hatte die Brauen und Wimpern verloren.

»Gelt, jetzt gefall' ich dir, junger Herr?« sagte sie, als sie mein
Befremden merkte, »jetzt, weil ich so schön rotwangig worden bin!«

Des Einhandel wegen war sie rotwangig worden, und das ging so zu:
Der Einhandel rauchte starken Tabak und rauchte den ganzen lieben
Tag lang, und wenn er keinen Tabak hatte, dann rauchte er gedörrte
Sauerampferblätter. Saß er zusammengekauert, einen Fuß über dem anderen
und den Ellbogen auf dem Knie, auf der Ofenbank; die beiden Mundwinkel
zog er tief hinab, in einem derselben stak das Pfeifenrohr, aus dem
andern stieß er den Rauch herfür. Wenn die Pfeife nicht brannte, so
machte er Gestank mit dem Ausputzen derselben, beim Anzünden wieder
mit den Schwefelhölzern, die nicht brennen wollten. Und so ging es den
ganzen Tag. Da hatte ihn die Ludmilla einmal in Güte gebeten: »Geh,
Einhandel, sei so gut und tu nit gar so stark nebeln, oder rauch' beim
Fenster hinaus, wenn du's schon eineinmal nit lassen kannst. Mußt halt
betrachten, daß du nit allein im Haus bist. Schau, in der Stuben ist
die alte Sanna, die muß so viel husten, und der Stindl hat Augenweh,
weißt es eh, da tut der kratzend' Rauch halt wohl gar nit gut. Ist
~dir~ was übel, so wird man's auch ändern, wenn's sein kann. Sei
gescheit.«

Auf so was wurde der Einhandel giftig wie ein welker Schierling. Er
sagte es zwar nicht laut, aber zu seinem Kameraden, dem Marter-Hies,
knurrte er: »Da hast es. Hab' ich nit alleweil gesagt, dieses Weibsbild
ist ein Teufel! Und schon gewiß auch. Mir hat ihre Frommheit und
Gutherzigkeit niemals gefallen, mir nit, mir! Hab's doch gewußt, es
steckt ein höllischer Drach' dahinter. Desweg hinkt sie auch; der
Teufel hinkt allemal. Guderl! ein sauberes Guderl, das! Luderl, ja, das
ist das Richtige. Schau da her! Einem armen Menschen, der eh nix hat
auf der Welt, als das bissel Rauchen, das auch noch nit gunnen mögen!
Aber wart', jetzt erst zu Fleiß rauch' ich ihr recht unter der Nasen
herum und das stinkendste Kraut, das ich auftreib'!«

Er tat's, und wo die Ludmilla ging und stand und saß im Haus, immer
war der Einhandel da und dampfte, daß man vor lauter Giftnebel die
Stubenwände kaum sah. Sie hüstelte wohl und fuhr sich mit der Schürze
über die brennenden Augen, sagte aber nichts, als einmal: »Wenn's schon
sein muß, ich dertrag's, nur die Kranken tu ein wenig verschonen.«

Von jetzt an dampfte der Einhandel den Augenleidenden und den
Lungensüchtigen ins Gesicht. Nun beschwerten sie sich beim
Armenhausverweser, dem Fleischhacker Marner, der zumeist auf Viehhandel
aus war und sich daher um das Armenhaus nicht viel kümmern konnte. Es
war auch schon wirtschaftlich so geboten: Das Vieh bringt Geld, die
Armen kosten Geld. Nun, auf die Beschwerde konnte er doch nicht leicht
ausweichen, der Verweser. »Da muß Ordnung gemacht werden!« sagte er
großsprecherisch. Wurde der und die und auch das Guderl befragt, ob
es denn wirklich so arg sei mit dem Rauchen des Einhandel? »Wenn er's
nit just in der Stuben tät,« antwortete die Ludmilla, »draußen auf der
Gartenbank kunnt' er rauchen so viel er wollt'; man sieht's ja ein, daß
er auch was haben muß.«

Auf das bekam der Einhandel einen Verweis, der noch um einiges stärker
war als sein »Tubak« und der ihm so lange in der Nase rauchte, bis er
eines Tages ein Fläschchen Scheidewasser von der Stelle nahm, wo er es
»zum Putzen des messing'nen Pfeifenbeschlachtes« aufbewahrt hatte, und
es der Ludmilla ins Gesicht goß.

Es sei aus Zufall geschehen, behauptete nachher der Einhandel, er
habe das Fläschchen zum Putzen hernehmen und den Stoppel herausziehen
wollen, aber mein Gott, mit einer einzigen Hand! es sei halt ein Elend
auf der Welt. Die Ludmilla sah wohl ein, daß sie und der Einhandel nun
nicht mehr unter ~einem~ Dach hausen konnten, und um ihn nicht
unterstandslos zu machen, ging sie selbst davon. Sie ging in den
Häusern um, und gerade in solchen, wo das Elend war, sie brachte sich
mit Krankenwarten durch. Es war ein rechtes Geriß um sie, überall in
der Gegend, wo ein Kranker lag, wollte man das Guderl haben, und als
ich nun mit meinem verletzten Knie beim »Weißen Lamm« darniederlag,
hatte die Wirtin eben auch das alte Dirndl, die hinkende Ludmilla rufen
lassen. Wie sie da geschäftig um mich herumtat! einmal den Eisumschlag,
dann das Auswaschen der Wunde mit Arnikatee, dann jede halbe Stunde ein
frisches Glas Wasser auf den Bettisch, falls ich trinken wolle; hernach
den Fenstervorhang zugezogen, daß mir die Sonne nicht ins Gesicht
scheine, oder das Kissen aufgeschichtet, daß ich hübsch lehnen konnte
im Bett, auch unter den Arm einen Polster zur Stütze gelegt, damit mir
beim Lesen das Halten des Buches die Hand nicht ermüde. In allem wußte
sie mir es besser zu machen als ich es selbst konnte, ja besser, als
ich es ahnte, wie man unermüdlich in liebevollem Sorgen und Erfinden
allerlei kleiner Vorteile und Annehmlichkeiten gar das Kranksein zu
einem Genuß machen könne. Dabei war sie doch so unaufdringlich und war
so still heiter, wußte auch ein fröhliches Sprüchlein, ein anregendes
Geschichtchen zu rechter Zeit.

Und der rote Brandflecken auf ihrem Gesicht, der mir anfangs so häßlich
erschienen -- ich sah ihn nicht mehr; ihre freundlichen Züge, der
sanfte, gütige Glanz ihres Auges verbreitete eine andere Schönheit über
die kleine verkümmerte Gestalt.

Als ich endlich wieder laufen konnte, nahm ich die Ludmilla so an den
beiden Händen, wie man seinen Schatz nimmt, wenn man ihm in die Augen
sehen will, und sagte: »Mir tut nur eines leid. Daß ich schon laufen
kann.«

»Da sollst du froh sein, junger Herr, und unserem Herrgott Dank sagen,«
so war ihre Meinung. Sie riß ihre Hand aus der meinigen, erfaßte den
alten Strumpf, den sie zur Ausbesserung vorgenommen hatte und strickte
emsig.

Jetzt kam mir der Schalk und da rede ich allemal anders, als es einem
Christenmenschen ansteht. »Heut' die ganze Nacht,« sagte ich, »hab'
ich unserem Herrgott Dank gesagt. Auf das schaut er endlich herfür
aus seinen Wolken und sagt: Geh' zu der Ludmilla. Die laß ich heilig
sprechen, wenn der Papst einverstanden ist. Du hättest sie aber in der
Jugend kennen sollen -- sie ist jetzt noch nicht alt -- aber in ihrer
besten Jungheit, da ist sie ein lustig Dirndl gewesen!«

»Wer sagt das?« fragte die Ludmilla scharf.

»Unser Herrgott sagt's. Und wird auch nicht anders sein, brave Leut'
sind immer lustig. Aber Esel müssen sie gewesen sein, die Burschen zu
deiner Zeit!«

»Warum?«

»Daß dich keiner geheiratet hat.«

Der Grund, warum ich so niederträchtig war, ihr ein solches Wort zu
sagen? Weil ich endlich einmal ihre Jugendgeschichte hören wollte, und
richtig, sie ging augenblicklich ins Garn.

»Das just nit, Herr, daß mich keiner geheiratet hat,« sagte sie mit
leiser Stimme und einem eigentümlichen Nachdruck. »Ich bin neunzehn
Jahre lang verheiratet gewesen.«

Ich erschrak ordentlich. Die Ludmilla, die man seit Gedenken als
lediges Dirndl und Dienstbot kennt in und um Bärndorf herum, soll eine
alte Witwe sein?

»Jetzt gleich kannst du ohnehin nit fortlaufen, junger Herr,« sagte sie
nun, »es ist ja der Socken noch nit fertig.« Ich gewahrte, daß es mein
Socken war, an dem sie die durchgetretene Ferse anstrickte. »Haben
noch ein Randl Zeit, wenn so einem Herrn mein Plaudern nit zuwider ist.
Unterhaltsames ist halt nit dabei, da kann ich aber nix dafür. Ja, wenn
sich der Mensch seine Lebensgeschichte kunnt anfrimmen (bestellen), ich
hätt' mir die meinige schon besser eingerichtet. -- Willst den Fuß nit
dieweil noch auf den Polster legen? er wird noch harten Weg genug unter
sich kriegen, bis er heimkommt.«

Sie wollte das gesunde Bein betreuen, als ob es noch immer das kranke
wäre, und erst als sie sah, daß mein Körper in durchaus behaglicher
Stellung war, setzte sie sich in den dunklen Winkel am Ofen, strickte
und begann die Geschichte ihrer Jugend zu erzählen.

»Gar gut,« so hub sie an, »ist es mir mein Lebtag nit ergangen, aber
die liebste Zeit ist mir doch im Steinernen Elend gewesen. Mein Vater
ist Bretterschneider gewesen im Steinernen Elend, hat jung sterben
müssen. Wie ich ihm einmal -- just am Mittwoch ist's vor Fronleichnam
-- das Essen in die Brettersäge trag', wundert's mich, daß das Werk
steht, darauf sehe ich auf dem Sägespänhaufen, der unterhalb drin
ist, eine blutige Hand liegen. Der Vater ist oben gelegen neben dem
Bretterblock. Ist mit seiner Hand in die Säge hineingekommen, ist
die Hand abgeschnitten worden, ist der Vater ohne Hilf' verblutet.
Ich bin dazumal ein Dirndl gewesen, mit zehn Jahren; die Leut' haben
mir und der Mutter gesagt: sterben müßten wir alle; das ist halt der
Trost gewesen. Meine Mutter hat mir nachher das Gewandmachen gelehrt
und sind wir zu den Häusern umgegangen und haben genäht. Etliche Jahr
d'rauf ist meine Mutter auch gestorben. Hat sie mir auf einmal die
Hand hergehalten über den Tisch, als wollt sie mir Behütgott geben,
ist an die Wand zurückgesunken und eingeschlafen. -- »Du sollst,« so
unterbrach sie sich, »den Fuß besser ausstrecken, sonst schlaft er dir
ein.«

»Erzähle nur weiter,« sagte ich.

»Ja,« fuhr sie fort, »jetzt kommt bald das, was die Leut' so gern
hören. Hast du vom Preishubinger noch nix gehört? Gewiß wohl, das Haus
steht heut' noch und wird schier das letzte sein im Steinernen Elend.
Dazumal, wie die Gemeinde noch größer, ist er ehrengeachtet gewesen,
der Preishubingerhof. Von seinem Wald hat mein Vater die meisten
Bretterblöck' bekommen. Der junge Preishubinger und ich haben uns gern
gesehen. Und wie jetzt sein Vater stirbt und er den Hof muß übernehmen,
will er mich heiraten. Ja gewiß auch noch, vom Fleck weg heiraten!
Aber seine Mutter hat nit wollen. Die ist ein gestrenges Weib gewesen
und hat gesagt: Keine Arme wird nit Preishubingerin, so lang' ich die
Augen offen hab'. Aber sonst war sie gut, die alte Preishubingerin.
Der Donat ist sonst woltern weich gewesen und hat gern bei allem
nachgegeben; aber jetzt hat er sich auf seine zwei Füß' gestellt, und
wenn er vier hätt' gehabt, hätt' er sich auf vier gestellt, und hat
gesagt: ich heirate für mich und nit für die Mutter und ich laß mir
keine aufmessen. Fest hat er sich gehalten. Ist bald alles richtig
gewesen und hat uns der Pfarrer schon von der Kanzel geworfen. Denk'
ich mir, das wird nit gut sein und wird der Donat sein Lebtag d'ran
zu tragen haben, daß er ihren Segen nit hat. Und schon gar, wenn sie
einmal gestorben ist. -- Nein, Donat, sage ich zu ihm noch zwei Tage,
ehvor die Hochzeit hätt' sein sollen; ich sehe ihn noch, er ist an der
Kirchhofplanken gelehnt und ich bin neben ihm gestanden und hab' die
Händ' zusammengehalten. Nein, Donat, ohne ihren Willen tun wir's nit.
Sie ist deine Mutter und meint dir's gut. Sie soll im Bett sein vor
lauter Kränkung. Schieben wir's auf. Ich gehe hin zu ihr und sie soll
mich kennen lernen, wie ich bin, und sie muß sehen, daß ich nicht so
bin, wie sie denkt. Nachher ist's gut, wir haben uns keinen Vorwurf
zu machen und deine Mutter -- schau, sie hat auch niemand mehr auf
der Welt als dich -- soll sich auf ihre alten Tage nit kränken. --
Der Donat sagt darauf: Wenn wir's jetzt nit fortmachen, was wir haben
angefangen, so bleibt's aus. -- Nein, sage ich, es bleibt deswegen nit
aus, man soll nur nix übereilen. -- Du kennst meine Mutter nit, sagt
er, hat sie uns nur erst all zwei bei sich, so zerstört sie alles. Wir
lassen uns nix zerstören, sage ich, und wenn wir unseren Fleiß haben
angewendet und alles getan haben, wie es Brauch und Pflicht ist, dann
mach' ich mir nix mehr d'raus, dann heiraten wir zusammen, ist's ihr
recht oder nit. Und jetzt komm', hab' ich gesagt, wir gehen zu deiner
Mutter. -- Da hat er nachgegeben. Wie wir in die Stuben eintreten,
wo die alte Preishubingerin im Bett liegt und sie mich sieht, tut
sie einen Schrei, als hätt' ihr einer mit der Hack' auf den Kopf
geschlagen; die Decken zieht sie über ihr Gesicht hinauf und schreit:
Das Unglück ist da! und setzt sich im Bett auf und ruft die Hausleute,
man sollt' mich aus dem Haus jagen, und gibt mir einen Namen, daß ich
gerade genug hab' gehabt. Ich bin fortgegangen, und dem Donat hab' ich
gesagt, er soll' bei seiner Mutter bleiben und sie beruhigen und wenn's
so wär', da wollt' ich auf alles verzichten. -- Nein! sagt der Donat,
du wirst mein Weib, und fallt mir um den Hals.«

Das Guderl war still und ganz ruhig; ich merkte warum: wenn sie sich
jetzt bewegt und noch ein Wort sagt, so überkommt sie's. Ich wartete,
und da sie nicht mehr anhaben wollte, so sagte ich: »Erzähle doch
weiter, Ludmilla.«

»Das ist nix zum Erzählen, ich sehe es wohl,« versetzte sie gedämpft.
»Nun, wenn du schon willst, Herr, du kannst dir ja wohl denken, wie
es kommt. -- Die Preishubingerin ist in eine Krankheit gefallen, der
Donat ist bei ihr geblieben. Sie hat viel geweint, hat ihn gehalst und
geherzt und er wäre ihr Einziges auf der Welt, und er sollt' ihr nit
untreu sein. Die Steffen-Tochter wäre ein gutes, braves Dirndl, die
sollt' er nehmen. Mit der Bretterschneider-Dirn' würde er nie glücklich
werden, die schnitte ihm die Bretter zum Sarg.«

»Du mußt dieses Weib doch einmal beleidigt haben, daß es so gegen dich
sein konnte,« wendete ich jetzt der Erzählerin ein.

»Ja, ich weiß es wohl,« antwortete sie, »ich bin unbedacht gewesen und
hab's versäumt, ihr den Besuch zu machen wie es schon Zeit gewesen
wäre. Aber weil ich immer gehört, sie wäre eine hitzige Frau, im guten
wie im harten gäh und wild, so habe ich Angst vor ihr gehabt. Hätte ich
mich schicken können zu ihr! Im Grund' soll sie doch eine gute Frau
gewesen sein, sagen die Leute. Nun, Gott tröste ihre Seel'. Das ist
lang vorbei.«

»Der Donat wird doch fest geblieben sein?« war meine Frage.

»Wie es ans Sterben ist gegangen bei der Preishubingerin,« sagte die
Ludmilla, »da hat ihr der Donat das Versprechen geben müssen« ....

»Und hat er's wirklich gegeben?«

»Er hat nit anders können, er ist ein guter Sohn gewesen,« antwortete
die Ludmilla. »Ich bin ihm nachher ausgewichen. Gottlob, habe ich
gedacht, wir sind einander nix schuldig worden, und es ist das
beste, wenn wir uns nimmer sehen. Er hat nachher die Steffen-Tochter
geheiratet; das ist auch ein braves Weib gewesen, arbeitsam und zu
der Wirtschaft tüchtig und gut auf den Donat. Aber das hat man wohl
gemerkt: Glücklich ist er nit viel mit ihr. Ist mir heiß und kalt
worden, wenn mich auf dem Kirchweg sein Blick hat getroffen. Und
einmal, wie ich -- just am Mariahimmelfahrtstag ist's gewesen, ich weiß
es noch wie von gestern -- auf dem Friedhof bei meinem Elterngrab knie
und der Donat von dem seinigen über die Hügel hergeht! Wie er neben
mir vorbeigeht, da stolpert er, stützt sich noch an einem Holzkreuz,
daß es kracht, und ohne daß er mich anschaut, höre ich, wie er sagt:
Hinfallen? Soll sein, heut' lieber als morgen. -- Ich rühr' mich nit
und tu' als wär' ich im Gebet, und mir ist zum Umsinken so schlecht. --
Er ist davongewest: Da habe ich mir gedacht: Jetzt muß was geschehen.
Was, das weiß ich selber nit. Er denkt noch auf mich, und das darf
nit sein. -- Und wie sich schon oft was schickt auf der Welt -- ich
will nit sagen, unser Herrgott hat's so haben wollen; ich denk', es
kommt auch auf die Leut' selber an -- auf dem Heimweg gesellt sich der
Vorholzer Sebast zu mir. Der hat mir schon lang' alleweil schön getan.
Und wie wir jetzt zum Lindenhäusel kommen, wo zu derselbigen Zeit Most
und Branntwein ausgeschenkt worden ist, will er mich mit ins Wirtshaus
haben. Das tue ich nit. Gut, sagt der Sebast, wenn du nit magst, mag
ich auch nit -- und geht mit mir weiter. Da denke ich bei mir: Kannst
dir was einbilden d'rauf, wenn der deinetweg das Wirtshaus fahren läßt!
Wie wir durch den Waldschachen gehen, es ist dem Preishubinger sein
Wald, da hat er mich gefragt, der Sebast, ob ich ja sagen wollt', er
hätt' ein Häusel und zwei Gaißen und braucht' ein Weibsbild dazu. --
Das Häusel ist im Steinwald drinnen; vom Preishubinger-Haus braucht man
länger als zwei Stunden hinein. Das wird doch weit genug sein, denke
ich mir und habe ja gesagt.«

Nun schwieg sie und zählte die Maschen am Strickstrumpf.

»So bist dem Vorholzer-Sebast sein Weib geworden?«

»Ich hätt's nit schlecht getroffen,« fuhr die Ludmilla fort, »der
Sebast ist ein braver, fleißiger Mensch gewesen, aber das Wirtshaus hat
er sich halt nit mögen abgewöhnen, und wenn ihm dann der Branntwein
in den Kopf gestiegen ist! So viel jäh ist er gewesen. -- Mein Gott,
es hat halt jeder Mensch seinen Fehler. Ich werd' wohl auch nit gar
zu fein gewesen sein, wenn er so heimgekommen ist. 's geht eins aufs
andere. -- Aufkommt auch alles auf der Welt und alles wird viel stärker
gemacht, und soll jetzt der Preishubinger gehört haben, mein Mann tät
mich schlagen. Und da hat ihm halt einmal, wie er meinen Mann betrunken
hat heimgehen sehen, der böse Feind den Einfall gegeben: geh ihm nach
und schau', was Wahres ist am Gered'. -- Wie der Sebast heimkommt, laß
ich ihn an: Es wäre doch Sünd' und Schad' ums Geld; sich im Wirtshaus
Kopfweh trinken und daheim treibt der Holzknecht Thomas die Gaiß weg --
weil wir ihm Geld schuldig gewesen sind. Da kommt meinem Mann der Zorn
und er fahrt über mich her. Jetzt ist auf einmal der Preishubinger da
und schleudert meinen Mann an die Wand. Und darauf --« Die Erzählerin
wendet sich ab und murmelt gegen die Ofenmauer hin: »Darauf ist das
Unglück geschehen.«

»Was ist geschehen?« fragte ich und stand auf.

»Mein Mann hat die Holzhacke von der Wand gerissen und den Donat
niedergeschlagen.«

Weich und leise hatte sie das gesagt, dann legte sie das Strickzeug auf
die Ofenbank und ging still zur Tür hinaus.

-- Niedergeschlagen! Erst später erfuhr ich den Rest. Der Donat hatte
sich nach dem Schlage auf den Sebast gestürzt, war dann zu Boden
gesunken und hatte den Geist aufgegeben. Der Vorholzer Sebast schrie
noch der Ludmilla zu: »Du bist ~sein~ Unglück und bist ~mein~
Unglück!« Dann ergriff er die Flucht. In der Niederau drüben, unter
einem Heuschober hatten ihn die Gendarmen gefunden und gefangen.
Zwanzig Jahre Kerker!

Die Ludmilla hatte hernach wieder ihr Gewerbe, die Nähterei ergriffen,
arbeitete und darbte und wartete auf den Sebast. »Wenn ich's nur
erlebe,« sagte sie oft, »krank und mit weißen Haaren wird er mir
zurückkommen, aber ich will ihm die alten Tage so gut machen, als es
sein kann. Wenn ich's nur erlebe.«

Von dem Donat sagte sie kein Wort mehr. Aber auf seinem Grabe --
trotzdem die Witwe der großen Wirtschaft und vielem Sorgen wegen nicht
Zeit hatte, es zu zieren -- fand sich immer ein grünender Strauch, ein
helles Blümel. -- Als die Leute im Steinernen Elend durch Holzhändler
verarmt, durch die Steuern abgestiftet waren und auswandern mußten,
fand auch die Ludmilla keinen Erwerb mehr in ihrer Heimat. So kam sie
herüber in die Bärndorfer Gegend und suchte ihr Brot als Dienstmagd, wo
nachher das mit dem Pferde geschehen ist. Immer zählte sie die Jahre,
bis ihr Mann zurückkehren sollte vom Strafhaus. Schon im voraus suchte
sie die Leute für ihn zu gewinnen, erzählte von seinen Vorzügen, von
seiner Bravheit. Man wartete schon mit einer gewissen Neugierde auf den
Sebast und mehrere Bauern in Bärndorf stellten ihm der Ludmilla wegen,
die sie überall gerne hatten, Dienstplätze in Aussicht. So hielt sie
ihr Haupt aufrecht und ebnete -- wo sie konnte -- die Wege für ihren
Mann. Da starb der Sebast ein Jahr vor Ablauf seiner Strafzeit!

Nun wußte ich alles. Als ich dann den frisch beguteten Socken am Fuß
hatte und den Wanderstab in der linken Hand, und ihre Hand in der
rechten -- es war unter dem Tore des Wirtshauses -- da sagte ich zu
ihr: »Ja, die Leute haben recht, du bist das Guderl. Aber wie es schon
schlecht eingerichtet ist auf der Welt, dir ist das Gute schier noch
allemal zum Schlimmen ausgefallen.«

»Wie sie ihn festhält bei der Hand!« rief jetzt im Hofraum eine der
Stallmägde der anderen zu. »Wie sie ihn festhält! Hat sie ihm ein
Pflaster auf die Füß' bunden, daß er nit fort kann! Jetzt ist er doch
auf der Höh'.« Und dann zur Ludmilla: »Nur nit auslassen, Luderl! So
ein feiner Stadtherr kommt dir nimmer.«

Erschrocken ließ ich ihre Hand los.

»Hast du's gehört, Herr?« lachte die Ludmilla. »Es wird mir auch
~das~ schlimm ausfallen. Aber das macht nix. Wenn sie ihre Mäuler
schon alle Tage füttern müssen, so wollen sie sie halt auch brauchen.
Das schadet mir nimmer, gleichwohl ich manchmal über und über möcht'
rot werden im Gesicht, wenn mich nicht schon der Einhandel so schön
gefärbt hätt'. -- Daß ich aber nicht vergess', ein Töpfel hätt' ich da,
es ist ganz klein, du bringst es leicht ins Rocktaschel und macht nicht
einmal einen Kropf.« Damit schob sie mir was Rundes in den Rocksack:
»Arnikasalben ist drinnen, und ein Leinwandfleckel dabei. 's ist nur
für den Fall, wenn der Fuß wieder sollt' anheben weh zu tun, oder sonst
-- ei geh nein! Mußt halt sauber achtgeben, junger Herr, daß nit wieder
was passiert. Behüt' Gott schön!«

Sie rieselte davon, ich sah sie nimmer.

Seither sind fünfzehn Jahre vergangen. Das Guderl lebt noch immer
als Krankenwärterin in Bärndorf. Vor einigen Jahren habe ich ihr,
eingedenk der Wohltaten, die sie mir erwiesen, einen kleinen Geldbetrag
geschickt. Den soll sie zur Hälfte verschenkt haben, zur anderen
Hälfte ist er ihr von einem ihrer Pfleglinge gestohlen worden. Später
sandte ich ihr ein silbernes Kreuzlein; das ist ihr -- auch abhanden
gekommen. Nun habe ich ihr vor einigen Monaten, als ich sie in Bärndorf
wieder aufsuchte, zum Andenken ein aus Holz geschnitztes Kreuz
gebracht. Das hat sie heute noch und das wird ihr bleiben.

Jetzt, da ich fertig bin mit meiner Geschichte, höre ich meinen Leser
entrüstet ausrufen: Elende, gottverlassene Welt, in der die Güte und
die Treue so undankbar vergolten wird!

Darauf antworte ich: Glückselige, gottbegnadete Welt, in der trotz
alles Undankes die Güte und Treue nicht ausstirbt.




                           Der Figurlmacher.


Es mag nun an die dreißig Jahre her sein seit jener Fahrt durchs
Pustertal. Aber ich vergesse sie bis an mein Lebensende nicht. Nie vor-
und nie seither hatte ich einem weltfremden Menschen so rasch und so
tief in seinen Mittelpunkt geschaut, als diesem schlanken Knaben.

Es war ein Sonntagsnachmittag. Über den Dolomiten war ein Gewitter
gestanden, das nach einigen scharfen Tropfen, die es an mein
Waggonfenster geschleudert, sich sachte verzogen hatte. Abendlicher
Sonnenschein brach hervor und beleuchtete die Berge und die Kirchtürme
und die frohen Menschen, die auf dem Bahnhofe versammelt waren, in
den der Zug eben einfuhr. Aus der Gruppe von Männern und Burschen
sprang jetzt ein junger, schmucker Mann mit Stock und Handbündel,
verabschiedete sich rasch, schwang seinen Spitzhut, stieß einen
grellen Juchschrei aus und stieg in mein Abteil, wo ich bisher allein
gesessen war. Voll überlauter Lust rief er jedem einzelnen noch
neckende Grußworte zu, und die Zurückbleibenden schrien: »Figurlmacher,
behüt dich Gott, laß dir's schmecken, das Herrenleben!« Er sang einen
schalkhaften Vierzeiler, jauchzte wieder, und der Zug fuhr ab. Ohne
mich zu beachten, warf mein Reisegefährte den kurzen Kranabetstock und
das rote Handbündel neben sich auf die Bank, setzte sich hin, trommelte
mit der Fußspitze und pfiff ein heiteres Liedel. Vielleicht, so dachte
ich, ist er darum so lustig, weil er seine ganze Sach' in einem
Sacktuche mit sich tragen kann. Nicht jeder ist so glücklich, ich zum
Beispiel war schon der Sklave meines Reisekoffers.

Der Bursche war so, daß er den Weibern hätte gefallen müssen: schlank,
stramm, und trug ein keckes falbes Schnurrbärtel; nur das Auge war
zu zahm; das war mattblau und hatte einen feuchten Glanz wie bei
einem Weibe, in dem die sittsam bezähmte und doch begehrende Liebe
ist. -- Endlich war er ruhig geworden, stemmte seine Ellbogen auf die
ausgespreizten Knie, und den Kopf auf die Hände gestützt, starrte er
in den Boden hinein. Manchmal schaute er zum Fenster hinaus in die
abendlich dämmernde Landschaft, dann hob sich seine Brust, als sollte
wieder ein Jauchzen herauskommen, aber es kam keines, und mit einem
leisen Seufzer sank sie wieder ein.

Der Zug rollte fort und fort, an der Decke brannte zuckend die
Lampe; schon lange mochte sie keine so stillverschlossenen Insassen
gesehen haben, als an diesem Abende. An drei Stunden mochten wir so
gefahren sein, als der Bursche ganz plötzlich an meine Brust sank
und schluchzte. Ich war fast zu Tode erschrocken und tat mehrmals
nacheinander die Frage, was das bedeute, was ihm geschehen wäre?

»Ich kann's nit tragen!« stieß er hervor, »ich kann's allein nit
tragen. Es ist zu hart.«

Ich sprach ihm freundliche Worte zu. Wenn er ein Anliegen habe, so möge
er es mir vertrauen, der Mensch dem Menschen. Bei Kummer und Leid,
da gebe es kein Fremdsein. -- Denn ich kann niemanden weinen sehen;
Frauentränen wird man zur Not gewohnt, aber ein solches Schluchzen aus
der Mannesbrust ist erschütternd wie der Ausbruch eines Vulkans. Ich
legte die Hand auf sein Haupt, das an meinem Busen lag, und sagte noch
einmal: »Freund, Freund, was ist dir?«

»Es ist so hart,« sagte er und sein Körper bebte.

»Du bist ja erst so lustig gewesen?«

Da lachte er krampfhaft auf: »Lustig! -- Mein Elend habe ich
totschreien wollen.«

»Ist dir ein lieber Mensch gestorben?«

»Wie sie meinen Vater ins Grab gelegt haben,« entgegnete er, »und ich
allein dasteh auf der weiten Welt -- es ist auch ein Schmerz gewesen.
Aber so! So wie jetzt! -- Ich kann's nicht aushalten, ich muß es wem
erzählen. Meine Kameraden daheim wissen nichts und wollten mich nur
auslachen. Mit Spott will ich nit fort.«

»Wenn ich recht verstehe, es ist gewiß ein Weibsbild im Spiele!« sagte
ich.

»Ja freilich,« antwortete er.

»Ich habe mir's gedacht. Ein rechter Mann weint nur dreimal in seinem
Leben: Wenn ihm Vater und Mutter gestorben sind, wenn ihm seine Ehre
vernichtet wird und wenn er unglücklich in der Liebe ist. Zweimal
habe ich auch schon geweint, mein Lieber, du kannst mir schon etwas
vertrauen.«

Es dauerte eine Weile, bis er so weit mit sich zurechtkam, daß er
ruhiger sprechen konnte. Dann begann er zu erzählen:

»Meine Eltern, die sind kleine Häusler gewesen, kümmerliche Leut'. Ich
hab' mir mit Heiligenschnitzen die Groschen verdient und es werden nit
viel Kirchen und Kapellen sein in der Gegend, wo nit von mir ein Figurl
steht. Ich hätt' eine Freud' zum Schnitzen, aber mir fehlt's halt noch.
Die Leut' loben mich überall und zahlen oft mehr, als ich verlang'.
Nur eine --.« Da brach er ein wenig ab, fuhr sich mit der flachen Hand
über die Stirn, machte dann eine Bewegung mit ihr, als wollte er etwas
von sich scheuchen. »Es ist eine Torheit,« fuhr er nachher fort, »daß
sich der Mensch so was zu Herzen nimmt. Aber halt gefreut hätt's mich,
wenn sie mir ein einzigmal 'kommen wär' mit einem guten Wort über meine
Figurln. Ja, den krummen Fuß oder die schiefe Nasen, oder wie schon
was fehlschlagen kann, das hat sie gleich gesehen und hat mit ihrer Red
den Fuß noch verkrüppelter und die Nasen noch birniger gemacht. Und
ist mir was geraten, daß die Leut' gesagt haben: Schau' das kann er!
-- da ist sie still gewesen und nit ein gutes Wörtel! Hab ich ihr's
hingehalten: Was sagst zu diesem Herrgottel? Nit übel, gelt? Hernach
ihre Antwort: Ist gut, wenn es dir gefällt, Figurlmacher. -- Jetzt, sie
heißt Kathrin, und da hab ich ihr eine heilige Katharina geschnitzt,
auch mit dem Rad, und sauber gemalt, daß solches Figurl ganz nett
ausgesehen hat. Sie tut nit viel um und nimmt's und ich denk, gefreuen
wird sie's, wenn sie es auch nit so scheinen laßt. Bei ihr ist alles
inwendig, und in Ehren halten wird sie das Bild wohl dennoch, ich wette
drauf, sie stellt's über ihr Bett aufs Wandkastel. -- Hernach nächstens
wie ich wieder einmal zu ihr komm, ist mein erster Blick an ihr Bett
hin auf die Wand. Was ich nit seh, das ist mein Figurl. Herentgegen
hängt am Nagel ein mit Silber beschlagenes Gamsfüßel, wie solche Sachen
der Knopfdrachsler, der Marx Zeindler, so hübsch herrichten kann. Mir
fallt aber nichts ein und wie wir miteinand ein bissel heimgarten, frag
ich so nebenhin, wo sie das Figürl hätt? -- Ja richtig, sagt sie, das
muß ich wo vergessen haben, jetzt fallt's mir ein, das steht gewiß bei
der Ahndl oder wo. -- Laß es stehen, sag ich, und bald nachher richt
ich mich zum Fortgehen, weil mich die Sach ein klein bissel verdrossen
hat. Jetzt, wie ich aber nit bei ihr gewesen bin, hab ich doch alleweil
an sie denken müssen. Kein Mensch glaubt's. Ich kenne Schönere, als wie
sie, und solche, die mich lieber hätten, aber es ist just, als ob mir
die ins Herz gebrannt wär'.«

Da der Bursche einhielt, so sprach ich: »Mein Lieber, das geht nicht
dir allein so. Die Leute haben das Wort Liebe dafür erfunden, ist aber
nicht das rechte. Verhext, wahnwitzig, das würde besser stimmen. Ein
schwarzes Weiberauge und eine Tollkirsche haben auf uns Männer manchmal
die gleiche Wirkung. Gegen Tollkirschengift ist frische Kuhmilch das
beste Mittel, gegen das schwarze Auge hat es mancher mit dem Wein
versucht.«

»Trinken!« rief der Bursche, »hab mir's auch schon gedacht, aber wenn
ich ein Anliegen hab, da schmeckt mir kein Wein, und es schmeckt mir
keiner. Ich brauch wen, den ich ~gern~ hab und der mich wieder
gern hat, und der meine Figurln mag -- wenn das ist, nachher bin ich zu
allem aufgelegt. Aber so --«

Er ließ den Kopf hängen.

»Du bist auch so einer, der auf der Welt schon den Himmel haben
möchte,« sagte ich. »Schau um, ob es ~einer~ so gut hat! Denke,
du bist auf der Welt und halt dich an die Arbeit. Das Figurnschnitzeln
wird dir dein Lebtag mehr Freude machen, als alle Weiber zusammen.«

Jetzt begann er ganz unvermittelt vom Blitz zu erzählen: »In der
Siebenbrunnkirche hat der Blitz eingeschlagen. Beim Turm ist er herab,
hat die Orgel zerrissen, nachher zur Kanzel, zum Altar, zertrümmert die
Mutter Gottes, und beim Taufstein wieder hinaus. Jetzt sind sie kommen
und ich hab müssen ein Muttergottesbild schnitzen. Ist auch alles
zufrieden gewest damit, nur der Marx Zeindler hat gesagt: Zu dieser
Sternguckerin ging er nit beten, da ginge er schon lieber zu einer, die
ihm keck ins Gesicht schaut und die Händ zum Halsen auseinander tät. --
Weil ich meiner Mutter Gottes die Augen gegen Himmel hab richten lassen
und die Händ' zusammenhalten, auf ein Gleichnis, als wollt' sie für
die Siebenbrunner Pfarr fürbitten. Nun, so hat er gespottet, der Marx,
und ich hab mir weiter nichts draus gemacht; er ist auch sonst so
viel roh, wie soll er just bei mir fein sein. Es gibt ja allerhand so
Leut auf der Welt. Sollt bei seiner Arbeit bleiben, Knöpfe drachseln,
Hirschzähne einfassen, wie man sie so an den Sackuhren baumeln hat,
Gamsbart und Schildhahnstöße binden für die Jäger, und so Sachen,
das kann er, aber vom Figurlschnitzeln versteht er nichts. Hab ihm's
gesagt. -- Jetzt hab ich mich aber doch gefreut auf die Kathrin. Das
Muttergottesfigurl wird ihr wohl recht sein, und wenn sie sieht, wie
die Leut zusammenlaufen und davor beten und ihm die Füß küssen -- und
hat's der ihrige gemacht. Und einmal nach der Kirche, da frag ich sie:
Du, was sagst denn eigentlich zu meinem Bildnis? -- Geh laß mich aus,
dalkerter Figurlmacher, ist ihre Antwort, eine solche Sternguckerin
da! -- Hab ich einmal gestutzt. Wie ist das? Jetzt haben die zwei, die
Kathrin und der Marx, gleiche Gedanken! -- Und von dieser Stund ist
meine Pein angegangen. Die zwei halten zusammen, hab ich gedacht, wo
ich geh und steh. Sonst alles überhört, vergessen, ganz dumm im Kopf,
nur alleweil denken: die zwei halten zusammen! Sie lachen die Figurln
aus und den Schnitzler, und was sich der immer sittsam hat aufgespart
für den Ehestand, an dem prassen sie allbeid, und ich bin der Gefoppte.
-- Nit essen und nit schlafen hab ich können, zugrund gehen, hab ich
gemeint, muß ich vor lauter Kränken; hab mir aber nichts merken lassen.
Bin ich mit ihr zusammenkommen, so tut sie nit süß und nit sauer,
spricht aber ein paarmal vom Heiraten, denn es ist schon ausgemacht
gewesen zwischen uns, und einmal hat sie noch im Spaß gesagt: den
Figurlmacher mag sonst keine, so will ich ihn aus Barmherzigkeit
nehmen. -- Tut mannigmal weh, so was, aber laß mir's gefallen. Jetzt
aber wird's mir ungleich und hab ich's versuchen wollen, ob's denn
nicht möglich wär, sie zu meiden und mit einer anderen was anzuheben,
weil ihrer genug sind gewest, die mir nachgeschaut haben. Aber je
weniger ich an die Kathrin denken hab wollen, je fester ist sie mir
im Sinn gelegen, und je höllischer ich sie hassen hab wollen, je
höllischer hat's mich zu ihr gezogen, und wenn ich mir gar vorstell,
daß sie mit ihm beisammen ist -- deutlich hab ich alles gesehen im
Geist -- da hätt ich rasend werden mögen vor lauter Wut und Lieb. --
Herr, wenn sie einen Mörder henken, ich werf keinen Stein auf ihn! Gott
hüt uns, kein Mensch weiß es, wie nah er am Abgrund steht.«

»Also weißt es, was noch schlimmer ist, denn so eine dumme Liebe!«
bemerkte ich.

»Am vorigen Samstag ist's gewesen,« fuhr der junge Mann fort. »Ich geh
ins Breit-Viertel hinüber, Lindenholz kaufen. Wie ich im Wald bin,
seh ich einen Knaben, der sich einen Peitschenstecken brechen will,
das Lärchbäumerl ist aber zäh, läßt sich winden und drehen und will
nit los. Halt, denk ich, nimm mein Messer, schneid's ab, äst's auch
aus und richt's gerad, -- hat das Bübel eine Freud gehabt. Wie ich in
den Graben hinab komm, wird's schon dunkel. Auf der Wiese ist Heu und
mitten drin sitzt der Marx-Zeindler. Mit seinem braunen Schnurrbart und
Funkelaugen und wie die Haarfetzen über die Stirn herabfahren -- ein
schöner Mensch. Jetzt, wie ich noch ein paar Schritt weiter geh, sehe
ich neben seiner die Kathrin. Reden tun sie nichts miteinand, schauen
sich aber fest in die Augen, also daß man meinen kunnt, ihr Blick wäre
ein eiserner Nagel, der die zwei Köpf zusammenheftet. Ich hab's meiner
Hand nit befohlen, sie greift von selber um's Messer. Sucht im Sack
und in allen Säcken und findet es nit; hab das Zeug unversehens liegen
lassen oben im Lärchenwald. So schön! denke ich, einen Schutzengel
haben die auch noch! Jetzt, was soll ich machen? Ich geh langsam rund
herum; bin ich herüben, so hab ich sein Gesicht, bin ich drüben, so
hab ich ihres. Eine so verdammte Unterhaltung hab ich mein Lebtag nit
gehabt! -- Wenn die Liebe nit blind machen tät, sie hätten mich sehen
müssen. Auf einmal, wie ich wieder hinschau, kommen sie mir allzwei
häßlich vor, so häßlich, daß mir übel wird. -- Jetzt weißt es, sage
ich zu mir, jetzt, was willst anfangen? Willst Lärm schlagen zu deiner
Schand? Willst ihn erwürgen und sie heiraten? Nein. Da gibt's nichts,
als still davongehen. -- Schon lang mein Wunsch nach Innsbruck in die
Schnitzerschul. Eine ganze Nacht hat's gearbeitet in meinem Kopf:
Sollst gehen? Sollst bleiben? Und je länger ich sinnier, je enger wird
mir die Siebenbrunner Gegend und je breiter die Straßen nach Innsbruck.
Wie die Sonn aufgeht, steht's fest. Und heut -- heut geh ich halt.«

»Ich gratulier!« Mit diesem Wort wollte ich seine Hand fassen, er zog
sie rasch zurück.

»Denke dir, lieber Mensch,« sagte ich, »sie hätte sich dir angesüßelt
und du kommst erst nach der Hochzeit zum Heu auf der Wiese!«

»Mich däucht,« knirschte er und holte die Faust wie zum Stoß aus.

»Das ist nichts,« unterbrach ich ihn, »du mußt dich weit furchtbarer
rächen. Laß sie zusammen heiraten, er mit der Roheit, sie mit
der Untreue, das geht weit über's Schnitzmesser! Und das bedenk:
ein gleichgültiges oder absprechendes Wesen paßt nicht für einen
Figurlschnitzler. Das würde dich mutloser machen, als alle
absprechenden Urteile neidischer Kollegen, und deine Kraft lähmen. Die
Mitfreude des geliebten Weibes an seinem Werke bedarf der Künstler, wie
die Blume den Sonnenschein. Kein Mensch glaubt's, welch ein Segen für
den Künstler das rechte Weib ist. Bedenk's und danke Gott.«

»Aber --« entgegnete er, und die Stimme brach sich im Halse, »ich --
hab sie lieb.«

Es ist ewig dieselbe Geschichte. Da hatte er aus Trotz gejauchzt, aus
Wut sich zum Auswandern entschlossen, aus Rache nach dem Messer gelangt
und muß sie lieben, als wäre sie ihm ins Herz gebrannt.

Wir waren in Franzensfeste, wo unsere Straßen sich trennten, die meine
ging nach dem Süden, die seine über den Brenner nach der Hauptstadt.
Vor dem Scheiden hatten wir gegenseitig unsere Namen genannt. Er hatte
mich noch um Verzeihung gebeten, daß er mir sein Anliegen so vor die
Füße geworfen, und gedankt, daß ich gut mit ihm gewesen. Jetzt sei ihm
schon leichter. Dann gab ich ihm noch den Rat, er solle aufhören, sie
zu hassen, dann würde er auch aufhören, sie zu lieben, und falls uns
der Lebensweg noch einmal zusammenführe, würde er wirklich so lustig
sein, als er es heut ~scheinen~ wollte. --

Acht Jahre später brachte ich folgendes in Erfahrung. Die Katharina
Zeindlerin machte eine Wallfahrt nach Maria im Anger. Die Kirche ragte
in einer Waldgegend, in der manch freundliches Dörfchen und manch
schmuckes Landhaus stand. Aber die Katharina schleppte eine Last von
Kummer daher. Ihre Kinder waren teils blöde, teils ungeraten; ihr
Mann war ein Wüterich, der sie mit seiner Eifersucht zu Tode quälte,
während er selbst unlauteren Schlichen frönte, und so frech, daß die
betrogene Gattin von seinen Zuhälterinnen noch verhöhnt wurde. -- Nun
trat das arme, vor Schmerz gebeugte Weib in die Kirche. Auf den Knien
rutschte sie bis zum Hochaltar, auf dem die Mutter des Heilandes stand.
Das Angesicht von himmlischem Frieden verklärt, die Hände über der
Brust gekreuzt, die Augen zur Höhe gehoben voll heiliger Inbrunst, so
stand die hehre Gestalt da; und Katharina, als sie emporblickte zu
ihr, mußte weinen. Vielleicht gedachte sie einer vergangenen Zeit,
in der sie ein Bildnis mit gen Himmel gehobenem Blick spottweise die
Sternguckerin genannt; heute war sie selber eine solche Sternguckerin,
und es tat ihr wohl, daß das Auge der Gottesmutter ihrem trostlosen
Herzen ein Wegweiser war empor zu himmlischer Erhebung.

Und als das so hohen Fluges ungewohnte trübe Auge des Weibes wieder
erdwärts sank, blieb es haften an dem Sockel der Bildsäule, in dem der
Name des Schöpfers derselben eingegraben war. Ihr Herz hub zu pochen
an, sie kannte den Namen.

Aus der Kirche tretend, fragte sie den Beschließer, ob denn vielleicht
der Künstler noch lebe, der das schöne Gnadenbildnis gemeißelt habe?

Der Beschließer streckte seine Hand aus, nach einem stattlichen
Landhause weisend, das auf einer sachten Höhung stand und von schönen
Bäumen umgeben war: »Das dort ist sein Haus, und da wohnt er drinnen.«

Also schlich nun in der Abenddämmerung das Weib zu dem bezeichneten
Hause hin, und zwischen den Planken lugte sie hinein in den Garten.
Da hörte und sah sie eine Schar hübscher, munterer Kinder, da sah sie
eine schöne, freundlichschauende Frau, und mitten unter diesen Menschen
sah sie ihn. In seinem Wesen lag eine Ruhe, aus seinen Augen strahlte
lauteres Glück.

Der Figurlmacher! -- Das Weib taumelte wegshin. Sie sah jetzt den
Unterschied, der da ist, wenn man den Blick zur Höhe richtet, wo
freudige, himmeldurchfliegende Gläubigkeit herrscht, oder der
schmutzigen Erde zu, wo solche krauchen, die nichts können, als Knöpfe
drachseln, Gamsfüßeln beschlagen und auf dem Heu liegen.




                       Der junge Geigenspieler.


Eines Tages sah der junge Ministrant Giedel bei seinem Pfarrer in
Schwandau ein Holzkistchen. Er betrachtete es über und über; es war
von länglicher Form, inwendig leer, und hatte sehr dünne Wände. Als
der Herr Pfarrer dem Knaben den Ministrantenanteil von der Messe --
zwei Kreuzer -- ausbezahlte, sagte der Giedel bescheidentlich: Auf
Bargeld gehe er schon weniger, aber wenn der hochwürdige Herr ihm das
Holzkistel schenken wollte, so würde er dafür gerne den Winter über
umsonst ministrieren.

»Kind!« rief der Pfarrer, »wozu willst denn das Ding? Es ist ja ganz
leer!«

»Just deswegen,« antwortete der Kleine, »ich kann bloß die leeren
Sachen brauchen.«

»Du bist nicht klug, Giedel. Das Zigarrenkistel kannst mitnehmen, und
für die Meß kriegst täglich deine Kreuzer, wie sonst. Bist ja ein
braver Bub du! Gott behüte dich!«

Voller Freude lief der Knabe mit seinem hohlen Schatze heim in des
Vaters Hütte. Dort hub er an zu schaffen. Er bohrte durch das Kistchen
Löcher, zog einen Balken durch, so daß dieser an beiden Seiten
hervorstand. Dann erbettelte er von der Mutter mit List einige Fäden
Hanfgarn, glättete sie mit Harz und spannte sie über das Kistchen,
ähnlich wie man auf eine Geige die Saiten spannt. Und als er mit den
Fingern die Fäden zupfte, wohl, wohl, da gab's einen Ton, der im
Kistchen eine Weile nachklang. Der Giedel hatte auf dem Kirchenchor
Pfeifen- und Saitenspiel gehört, er war dabei bis in den dritten Himmel
verzückt gewesen, aber jetzt war er's bis in den siebenten, denn der
Klang war von ihm selbst erfunden und erzeugt, und je nachdem er mit
dem Finger den Faden strammer oder loser spannte, gab es einen höheren
oder tieferen Ton. Als das so weit war, wagte der kleine Giedel einen
schweren Gang. Der Pferdeknecht des Nachbars war sein Feind, denn er
war ein roher Geselle, und die Töne, die der rote Rupert durch Fluchen,
Peitschenknallen und andere Mittel hervorbrachte, waren dem Giedel
verabscheuenswert. Und gerade dieser Mensch konnte ihm jetzt helfen.

»Guter Roßknecht Rupert!« redete ihn der Kleine an. »Hast du keinen
Roßschweif?«

»Ich nicht, Narr, aber mein Pferd.«

»Verkauf mir davon ein Strähnl?«

»Was zahlst?«

»Das Ministrantengeld bis Weihnachten.«

Der rote Knecht glotzte mit seinen unterlaufenen Augen den hübschen,
treuherzig blickenden Knaben ein Weilchen an, dann sagte er:
»Pferdeschweifhaare willst. Sollst ihrer haben. Dein Ministrantengeld?
den Bettel behalt' selber, aber zu mir herüber in den Stall kannst
du manchmal kommen, wenn du Zeit hast. Weißt, wenn ich am Feierabend
meinen Tabak rauch', da hab' ich's gern, wenn mir wer das Haar kraut.
Bin's von Kindes her so gewohnt. 's tut mir halt wohl. Wenn du manchmal
herüberkommst krauen, so kannst Pferdeschweif haben, so viel du willst.«

Dem Knaben ging es ganz kalt über den Rücken. Diesem Menschen das Haar
krauen! »Die Mutter laßt mich halt nicht,« sagte er dann verzagt, »aber
das Ministrantengeld bis Heiligdreikönig!«

»So wart' ein wenig,« sprach der Pferdeknecht, und der Giedel bekam
einen silbergrauen Strähn vom alten Schimmel. Jetzt war's gewonnen.

Er schnitt einen Weidenzweig, spannte daran die Haare, und der
Fiedelbogen war fertig. Dann hub er an auf seiner Geige zu fiedeln. Es
war außerordentlich! Es war darum außerordentlich, weil das ganz anders
stimmte, als andere Geigen, wenn auch nicht schöner, aber durchaus
anders. Tagelang spielte der kleine Musikant auf seinem Instrumente,
anfangs mit großer Selbstbefriedigung und Hoffnung, daß sich das Zeug
vervollkommnen lassen werde, allmählich aber mit weniger Zuversicht,
und als gar sein Vater, der Weber Franz, ein Donnerwetter losließ über
das schauderhafte Gekrächze, das da sein Bub hervorbringe, war es
geschehen. Der Giedel legte seine Geige auf den Holzblock, ging hinaus
unter den Apfelbaum und war betrübt. Musizieren, geigen! Er schnitt
sonst Pfeifen und blies hinein, er machte Pauken und trommelte darauf.
Alles ging leidlich, nur die Geige nicht. Wenn er dann am Sonntage den
Schulmeister das Meßlied geigen hörte, da vergaß er seine lateinischen
Sprüche und horchte versunken dem Spiel. Minutenlang konnte der Pfarrer
seinen Kelch hinhalten, der Knabe hielt die Wein- und Wassergefäßchen
in den Händen und goß nichts hinein. Er horchte auf das Geigen. Der
Pfarrer schalt ihn nicht, es wurden ihm die Augen feucht. In diesem
Kinde der glühende Drang nach dem Schönen, und es kann sich nicht
helfen? Wie reich ist die Welt an Herrlichkeit und Kunst! Wie üppig
blüht in den Städten und Höfen der Großen die göttliche Musik auf! Die
Harfe, die in einem Dorfe zu Gottes Lob ertönt, ist nur ein Stammeln
dagegen! Und selbst dieses Stammeln ist dem Knaben unerreichbar ...

Ging der Pfarrer zum Weber Franz und bettelte ihm mit vieler Mühe den
Giedel ab für eine tägliche Musikstunde.

»Du lieber Gott!« sagte der Weber: »Eine Stunde des Tages haben ihn
Hochwürden ohnehin bei der Messe; jetzt soll ich ihn noch eine zweite
Stunde herlassen? Muß ihn ja doch für mich abrichten, und er soll
arbeiten lernen. Wir sind halt arme Leute. Aber wenn er um eine Stunde
früher aufsteht, -- der Junge liegt mir jetzt alle Tage bis sechse in
der Früh'! -- so kann er meinetwegen seine Musikstunde haben.«

Nun, da hätten wir ihn ledig. Jetzt ging der Pfarrer zum Schulmeister
und sagte: »Unser Giedel. Mir tut er ins Herz hinein weh. Probieren Sie
es alle Tage ein Stündel mit ihm. Zahlen kann sein Vater nichts, aber
ich meine, es ist so viel als Kirchenmusik zum Lobe Gottes, wenn Sie
diesem musikbegeisterten Kinde das Saitenspiel lehren?«

Der Schulmeister reichte dem Pfarrer schweigend die Hand, da war es
abgemacht.

Also geschah es nun, daß der Giedel täglich in das Schulhaus kam und
auf einer alten Geige, die der Schulmeister ihm lieh, nach mühesam
eingelernten Noten die Saiten strich. Es war ein Glück, und es war ein
Fleiß, und es war eine Plage. Nach etwa einem halben Jahre waren sie
soweit, daß der Schulmeister zum Pfarrer sagte: »Mit dem Knaben ist es
ein Elend. Ich bringe ihm keine Noten und keine Regeln in den Kopf. Wo
er nach der Vorschrift sich üben soll, ist es gar nichts; er vergreift
sich, und man kann ihm auf die Finger klopfen wie man will. Wenn er
aber für sich phantasieren kann, da ist es manchmal erstaunlich,
geradezu erstaunlich! Das hilft alles nichts, wenn er das Theoretische
nicht inne kriegt, so ist alle Mühe verloren.«

Doch taten sie eine Weile so fort. Allmählich aber änderten sich die
Zeiten. Der gute alte Pfarrer zu Schwandau ging zum Altenruhsitz in
ein Kloster. Der Schulmeister wurde versetzt, der Weber Franz starb,
und der Giedel mußte als Majoratsherr in der armen Hütte die Ernährung
der Familie über sich nehmen. Die Geige, schon mit Abgang des
Schulmeisters ihm aus der Hand gesunken, mußte er sich nun auch aus dem
Kopfe schlagen. Es kamen die Jahre, in welchen dem Menschen der Himmel
voller Geigen zu hängen pflegt; an Giedels Himmel hing nichts als eine
große Flöte, auf der er Trübsal blasen konnte, wenn er das Blasen
überhaupt gelernt hätte.

Eine halbe Wegstunde von Schwandau in einem Seitengraben stand damals
ein kleiner Eisenhammer. Heute ist er ganz verfallen, nur der blockige
Schornstein steht noch da, und rings um ihn wuchert Holundergesträuche
und Nesselwerk. Der voreinstige Besitzer ist hinausgezogen in das weite
Tal, hat dort ein großes Sensenwerk gegründet, hat Ländereien und Wald
dazugekauft, und als der Besitz recht groß und die Werkschaft recht
angesehen war, hat er alles an eine Aktiengesellschaft abgetreten und
sich selber in die Stadt gezogen, wo er sein Geld in vornehmer Weise
und sorgenlos genießen konnte. Zu jener Zeit, von der hier die Rede
ist, pochte das emsige Eisenhämmerlein in der Waldschlucht Tag für
Tag, und dem Weber Giedel pochte fast noch heftiger das Herz, wenn er
es hörte. Denn im Hammerhause war Eine! Jung und gut und lieb! Das war
ihm schon recht, wenn sie nur nicht so schön gewesen wäre! Wie kann
ein armer Weberbursche sich an eine Hammerschmiedstochter wagen, wenn
sie so gottlos schön ist! Er kriegt sie nicht. Hundert andere sind,
reiche, vornehme, kecke! So gern kann sie freilich keiner haben, als
der Giedel, aber sie weiß es nicht, und er kann es ihr nicht sagen, und
so wird der Jüngste Tag kommen und die Paula Radhuberin wird es immer
noch nicht wissen, daß sie auf Erden einer so über alle Beschreibung
gern gehabt hat. Denn wie kann er es sagen und schreiben, wenn es
unsagbar und unbeschreiblich ist! -- Einmal an einem Sonntage hatte er
sie von der Kirche aus begleitet bis zur Brücke, über die der Weg zum
Eisenhammer hinanführt. Garnkaufen müsse er gehen, hatte der Giedel
gelogen, um eine Weile neben ihr herschreiten zu dürfen. Sie plauderten
und es war von sehr wichtigen Sachen die Rede: Daß doch die Straße
einmal geschottert werden sollte! Daß es wieder gar so viel regne in
diesem Sommer! Daß Korn und Obst verderbe! Nur das Heu würde geraten!
Und beim Heu hielten sie sich so lange auf, bis die Brücke kam. Dann
wünschte sie ihm einen guten Garnhandel, und er sagte: »Dank' schön!«
und also stand er wieder allein. Hinter einer Fichte stand er und
guckte ihr nach, solange der rote Punkt, denn sie hatte ein kirschrotes
Kittlein an, im Hohlweg zu sehen war.

Nach diesem Spaziergange verschloß sich der junge Weber in seine Stube
und verfaßte ein Schreiben an die ehr- und liebsame Jungfrau Paula
Radhuberin. Als er das Schreiben durchlas, war es trocken wie ein
dürrer Ast. Kein grünes Blatt und keine rote Blüte war daran und doch
wucherte in seinem Herzen ein so üppiger Rosengarten, daß der arme
Junge fast erstickte. Den Brief zerknitterte er und warf ihn in die
Asche des Ofens.

Leute, die vielleicht noch Hemden am Leibe tragen aus jener Zeit und
von jener Leinwand, die der verliebte Weberbursche Giedel gewoben,
müßten es eigentlich heute noch spüren, das trostlose Herzweh, das
er in die Fäden hineingewebert. Damals hat's kein Mensch geahnt, wo
es fehlte; weil er so blaß und traurig war, der Giedel, so meinten
etliche, er hätte es auf der Brust. Sie hatten recht, aber anders, als
sie meinten. Seine alte Mutter riet ihm oft, er solle nicht immer am
Webstuhl sitzen, er solle sich besser zerstreuen. -- Wieso denn? Lieben
darf ich nicht, und geigen kann ich nicht. -- Denn er hatte gar keine
Geige, und es war noch nie möglich gewesen, sich eine anzuschaffen. Da
kam eines Tages eine große Aufregung.

In Schwandau lebte seit kurzer Zeit ein ausgedienter Major, der eine
große Geigensammlung besaß. Wie es schon allerhand Sammler gibt auf
der Welt: Käfersammler, Tabakspfeifensammler, Hosenknöpfesammler,
Spielkartensammler, Spazierstöckesammler, Uhrschlüsselsammler und
immer so fort, so kam es dem Major, als er in seinem Ruhestande
nichts zu tun hatte auf der Welt, plötzlich in den Sinn, er müsse
eine Geigensammlung haben. Da er, wie gesagt, selbst nicht geigte und
sein Museum auch selten einem neugierigen Auge aufschloß, so hatten
die guten Leute zu Schwandau kaum eine Ahnung von all den Walzern,
Ländlern und anderen Weisen, die ungeweckt in ihren Mauern schliefen.
Da kam jener Sonntagnachmittag, an dem der Weber am Waldhange die
zwei Ziegen weidete. Sein Schwesterl, das sonst den Hirtendienst zu
besorgen hatte, war in den nächsten Kirchort zur Firmung gegangen.
Wie er im Moose so dalag und ganz gedankenlos in das offene Fenster
eines gegenüberstehenden Hauses blickte, ging es sachte und traumhaft
in ihm auf wie eine übernatürliche Erscheinung. Dort drin an der Wand
hing eine Geige, ihr zur Rechten hing auch eine solche, ihr zur Linken
hingen deren zwei kleine, ihr zu Füßen war eine Riesengeige -- aus dem
Stubenschatten immer deutlicher hervortretend Geigen und Geigen.

Dem Burschen begann fast zu schwindeln, die Wangen, die Stirne waren
ihm heiß, das Herz wurde ungeberdig, die leidenschaftliche Gier zur
Geige war wieder da. Als er am Abend nach Hause kam, und die Mutter
nach den Ziegen fragte, war er verwundert, weshalb just er von den
Ziegen etwas wissen sollte. Zum Glück kamen sie selbst heim und
meckerten ihre Ankunft. In der darauffolgenden Nacht schritt der
Giedel den Weg hin und wieder von Schwandau bis zum Eisenhammer. Als
er das erste Mal vor ihr Fenster kam, war noch Licht darin, das zweite
Mal war schon alles finster. Unterwegs begegneten ihm Nachbarsburschen,
die zu den Fenstern ihrer Liebsten gingen, dort allerlei Ständchen
brachten und getröstet heimkehren konnten. Der eine spielte unterwegs
eine Mundharmonika, der andere eine Maultrommel, der dritte jodelte und
der vierte pfiff vergnüglich vor sich hin. Und jener, der ganz still
war, atmete die Harmonie inneren Glückes. Also ist die Liebe stets
musikalisch. Nur der arme Giedel empfand keinen Wohlklang in seinem
Wesen. Er kam sich dumm und häßlich vor, ihm mangelte jener Wohlklang
des Herzens, der zu rechter Zeit mutig macht, ein Glück zu erringen. Im
Dorfe stand der Giedel vor dem Hause, in dem der Major mit den Geigen
wohnte. -- Daß es so herzzerdrückend still sein kann auf dieser Welt!
Da haben die Leute einen Mund und eine Sprache, und Geigen, und sind
doch stumm.

Lange nach Mitternacht ging er zu Bette, erst gegen Morgen schlief er
ein und geigte und geigte.

Noch ganz verschlafen war er, als übertags zwei Frauenzimmer ins Haus
kamen mit Körben Garn; das eine war die Magd vom Eisenhammer, das
andere war die Paula. Diese blickte den schlanken, blondhaarigen,
sanftdreinschauenden Burschen frisch an und sagte: »In vier Wochen
müssen wir Leinwand haben. Sie ist zur Ausstattung!«

»Will wohl trachten,« antwortete der Giedel, hatte aber nicht den Mut
zu fragen, wer denn heirate? Man atmet ja gern noch ein wenig in der
süßen Ungewißheit. ~Dann~ ist ohnehin alles aus.

Auf dem Heimweg sagte die Magd zur Hammerschmiedstochter: »Etwas
antappert ist der Weber.«

»Ich denk', der ist ein bissel gescheiter wie du!« entgegnete strafend
die Paula. Weiteres wurde nicht gesprochen.

Der Giedel wußte wohl, daß er als einzige Stütze seiner Familie
wehrfrei war. Dennoch ging er eines Tages zum Major, um Rat zu bitten,
wie er dem Soldatenleben entkommen könne.

Der Major, eine schlanke, hagere Gestalt, deren einzige Lebensaufgabe
es noch war, den dummen, krummen, plumpen Dorfleuten militärische
Haltung zu zeigen, strich heftig seinen Bart und ließ den Burschen die
Oberkleider ausziehen.

»Bravo!« schnarrte der alte Offizier, »das ist wieder einmal ein
Brustkorb!« Mit der Faust hieb er darauf, daß es dröhnte. »Hören Sie!
Das ist Grundton. Nein, nein, lieber Junge, Sie brauchen sich gar nicht
zu grämen, Sie sind tauglich. Gerad' halten!«

Giedels Blicke waren mittlerweile wirr im Zimmer umhergeflogen, aber
nicht so sehr aus Angst vor dem Militär, als vielmehr aus Hoffnung,
durch irgendeine halbgeöffnete Tür ins Geigenzimmer lugen zu können.
Da er aber nichts dergleichen entdeckte, da er wieder vollkommen
angekleidet zum Fortgehen bereit war und seine ganze Falschheit umsonst
zu sein schien, hob er mit einem tiefen Atemzug sein Herz aus der Brust
und fragte: »Haben der Herr nicht eine Geigensammlung?«

»Wissen Sie mir ein interessantes Instrument?« fragte der Major rasch
entgegen.

»Das nicht, aber,« stotterte der Giedel, »ein wenig anschauen, wenn ich
sie dürfte!«

Allsogleich war die Tür offen in das Nebenzimmer. Ehrfurchtsvoll wie in
ein Heiligtum trat der Bursche ein, so daß er vor lauter Andacht über
die Schwelle stolperte und »oha!« rief. Er war ganz rot im Gesicht,
teils wegen seiner Ungeschicklichkeit, teils vor innerer Erregung. Die
Wände des Zimmers waren mit grauem Tuche überzogen, und daran hingen
sie nun in allen Größen, Arten und Formen. Wie schön geflammt war das
Ahornholz dieser Instrumente, wie fein geschwungen und gewölbt war der
Bau, wie reizend waren die langen Hälse mit ihren köstlich gewundenen
Schnecken! Und die Fiedelbögen: schlanke und kurze, breite und schmale,
gerade und gebogene in allen Farben! Der Major, sich darüber freuend,
daß einmal eine menschliche Seele Anteil nahm an seinen Schätzen,
begann zu erklären, von wem diese und jene stamme, welche Seltenheit an
dieser und jener wäre, er hatte da Geigen von Amati, von Montana, von
Guarneri, von Bergonzi, von Jakob Stainer usw. »Und hier!« flüsterte
er, eine sehr flachgebaute Violine mit fast hellrotem Anstrich
feierlich von der Wand nehmend, »hier, die ist von Stradivarius! --
Eine Cremoneser! -- Geradhalten, saperment!«

Unserem Giedel waren nun zwar die fremden Namen ziemlich gleichgültig,
doch hörte er sie mit Ehrerbietung nennen. Als der Major an der
Cremoneser mit dem Finger die Saiten berührte, um den herrlichen Ton zu
zeigen, sagte der Bursche: »Bitte, geigen Sie eins!«

»Ich spiele nie,« antwortete der Major, hing das Instrument mit größter
Sorgfalt wieder an seinen Platz und schob den Burschen sachte zur Tür
hinaus.

Seit diesem Tag war's schier vorbei mit dem Giedel. Er dachte Geigen,
er weberte Geigen, er träumte Geigen, und wenn er Zeit hatte, ging
er hinaus und schaute auf das Haus hin, in dem der Major die Geigen
hatte. Eines Tages hörte er vom Schulmeister sagen, der Major sei ein
Fex. Hoffentlich habe er einst den Säbel besser zu handhaben gewußt,
als jetzt den Fiedelbogen, denn er könne gar nicht Violin spielen
und habe die Sammlung nur so aus Rappelköpfigkeit zusammengekauft und
erbettelt. Es sei an dem ganzen Quark nichts, eine einzige ausgenommen.
-- Schulmeister! dachte sich der Giedel, wie du nur so sprechen kannst!
Ich wollte, ich hätte die geringste dieser geringen! Aber, daß er nicht
soll geigen können? So viele Geigen haben und nicht geigen können! --
Nur auf ein paar Stunden möchte ich eine haben!

Nicht lange hernach, und es ergab sich eine zufällige Gelegenheit, daß
der Weber den Major fragen konnte, ob er ihm nicht eine Geige borgen
wollte für einen Tag, nur für einen einzigen! Und nur jene, an der ihm,
dem Herrn Major, etwa am wenigsten gelegen wäre! Er, der Giedel, setze
eine Ziege dafür zum Pfand.

Ein plumpes Lachen stieß er aus, der Herr Major, ein schreckbar
hochmütiges Lachen, dann wandte er sich ab. Und das war der Bescheid
gewesen. --

Ein stiller, warmer Herbstsonntag. Die Dorfleute ergingen sich draußen
auf Feldrainen oder saßen im Wirtshause. Der Major war mit einem
Steirerwägel in den nächsten Ort gefahren zu einem alten Kameraden, der
ihm -- so viel verlautete -- geschrieben, daß er irgendwo eine uralte
Violine entdeckt habe. Sie stamme noch aus den Zeiten der Minnesänger
und ein Zigeuner gehe damit um, der darauf ohrenzerreißend spiele und
von dem Werte des Instrumentes gewiß keine Ahnung habe. Hau, das mußte
unser Major näher erfahren, und er fuhr hinüber. -- In der Wohnung des
Majors waren ein paar Fenster offen geblieben. Der Giedel kauerte am
Berghang und schaute hinein zu den Geigen. Die Haushälterin des Majors
war auch fortgegangen, nachdem sie das Haustor mit großem Gerassel
verschlossen hatte. Der Giedel blickte hinein zum offenen Fenster.
»Der hat so viele, und ich hab' gar keine!« murmelte er. Plötzlich
schlug er mit dem Daumen ein Kreuz über sein Gesicht und lief davon.
Er ging den Weg hinein bis zur Brücke, er schritt hinan bis zum
Hammerhaus. Auf dem Fenster, hinter dem sie wohnte, standen schöne
Blumen, sonst sah er nichts. Das Wasser rauschte und der Berg legte
schon seinen dunkelblauen Schatten über das Haus. Ein paar junge Männer
gingen im Garten umher mit spitzen Schnurrbärten und unternehmenden
Mienen. Dann traten sie ins Haus. Ob das Verwandte sind von ihr, oder
Eisenhändler?

Der arme Giedel ging wieder gegen das Dorf zurück. -- Am Werktage,
dachte er bei sich, da ist die Arbeit, da geht's zur Not; aber am
Sonntag, wenn einer in der Müßigkeit so umherstreicht, da ist's schier
nicht auszuhalten. ~Der~ Druck in der Brust, der grausame Druck!
Mit dem Taschenmesser ein Loch aufmachen hinein, daß dieses wilde Blut
heraus könnt' springen ....

Als er zum Hause des Majors kam, dunkelte es schon ein wenig, und im
Tale dem Bache entlang war ein bläulicher Dunsthauch. Kein Vogel, kein
Heimchen, kein Mühlrad -- nichts. Daß es doch so still sein kann auf
der Welt! ...

Um das Haus war es öde, und nichts rührte sich. Die Fenster standen
offen. Der Giedel kletterte an einem Mauervorsprung empor und stieg zum
Fenster hinein. An der Wand huschte er hin, nahm die Cremoneser Geige
mit dem Fiedelbogen von der Wand, barg sie unter seinen Rock, sprang
rasch zum Fenster hinaus und eilte davon gegen den Wald hin.

In der darauffolgenden Nacht war's. Über den Wipfeln des Bergwaldes
stand der Mond. Der Eisenhammer stand still, das Wasser rieselte leise
über das hinterseitige Floß. Wer das Rauschen und Pochen gewohnt
ist, dem wird's unheimlich. Paula lag in ihrem Bette, konnte aber
vor lauter Ruhe, die sie umgab, nicht schlafen. -- Sie dachte an
ihre Mutter, die seit langem schon auf dem Kirchhof lag. Sie dachte
seufzend, wie das jetzt werden würde, wenn der Vater wieder heiratet.
Die reiche Sensenschmied-Witwe von Tiefwasser. Dann will er den kleinen
Eisenhammer hier verkaufen und hinüberziehen und in Tiefwasser eine
Gewerkschaft bauen. Was das noch werden wird? ...

Als das Mädchen im einsamen Stübchen so sann und dabei recht traurig
ward, hörte es draußen einen klingenden Ton. Es war anfangs wie eine
leise vor sich hin singende menschliche Stimme. Sie wurde lebhafter,
es klang wie ein süßes Locken und dann wieder wie ein betrübtes
Klagen. Es war wie ein allmähliches Aufschwingen, wie ein Anklopfen
und treues Bekennen und endlich wie das Freiwerden und Übersprudeln
eines warmen, leidvollen Menschenherzens. -- Nie in ihrem Leben noch
hatte Paula so singen, so weinen gehört. Sie war selbst einmal in einer
Singschule gewesen, aber dieser unendlich rührende Tonhauch, den sie
jetzt vernahm, er hatte keine Ähnlichkeit mit anderen Kehlenklängen,
und doch war er das unmittelbare Aufquellen eines Geheimnisses. -- Sie
konnte sich das nicht so denken, aber ein Gefühl war in ihr wach, als
ob sie in diesem Augenblicke sterben müßte, und als ob sie im nächsten
Augenblicke eingehen würde zur himmlischen Seligkeit. --

Nach einer Weile richtete sie sich auf und blickte hinaus zum Fenster.
Da unten auf weißem Kieswege stand eine dunkle Gestalt. Sie erkannte
den Weber Giedel und sah jetzt, wie er eine Geige spielte. Sie verhielt
sich ganz ruhig, sah hinab und horchte. Sie horchte so lange, bis ihr
die Tropfen von den Augen rannen. So über alle Maßen lieb hatte sie
diesen Menschen. So viel Mitleid hatte sie empfunden, seit sie ihn
kannte, weil er so sanft, so freundlich und still, so brav und so
verlassen war. Als sie einst, ein kleines Mädchen, das erste Mal in die
Kirche mitgenommen wurde, war am Altar neben dem Priester ein schöner
blonder Knabe gestanden, und so oft sie an Engel dachte, von Engeln
hörte, kam ihr dieser Knabe zu Sinn. Allmählich, ganz allmählich wuchs
dieser Engel heran zu einem Menschen ...

Paula öffnete das Fenster, da hörte der Bursche unten auf, zu geigen.

»Giedel,« sagte sie mit vor Innigkeit zitternder Stimme, »Giedel, geh'
jetzt heim. Die Nacht ist kühl.«

Da trat er ein paar Schritte gegen das Fenster und flüsterte herauf:
»Paula, ich hab' dich lieb!«

»Nimm ihn hopp!« rief plötzlich eine Männerstimme. Da sprangen aus dem
Schatten zwei Gesellen mit Waffen und glänzendem Riemzeug herbei und
rissen den Burschen nach rückwärts zu Boden. Noch hielt der Giedel
trotz des Schrecks die Geige hoch in die Luft, daß ihr nichts geschehe,
weiter wehrte er sich nicht, biß die Zähne zusammen und ließ sich
fesseln.

Mittlerweile war es im Hammerhause lebendig geworden, die Leute eilten
auf die Gasse: was da geschehen wäre, was das bedeute?

»Den Dieb haben wir,« berichtete einer der Gendarmen. »Dem Herrn Major
Stramper ist er in die Wohnung gestiegen. Eine Violine gestohlen.«

»Der Weber Giedel!« schrien nun die Schmiede und das Gesinde. »Das ist
nicht übel!«

Auch der Schmiedmeister war, flüchtig in seine Bettdecke gehüllt,
hervorgekrochen. »Ein Dieb? Ein Eisendieb?«

»Ein Bettelgeiger.«

»Der Strolch!« knurrte der Schmiedmeister, »was hat er denn vor meinem
Hause gesucht, bei der Nacht?«

»Das Töchterl hat er angegeigt!« lachten sie.

»Ein anderes Mal stiehl Butterbrot! Das frißt man ungehört,« höhnte ein
Knecht. »Geigen krächzen zu viel, kommst allemal auf.«

»Was kostet der Bettel?« rief jetzt Paula, die sich schneidig in den
Handel mischte.

»Jungfer!« antwortete der Gendarm, »es handelt sich nicht um die Geige,
es handelt sich um den Diebstahl.«

»Sag' etwas!« forderte das Mädchen den Giedel auf. »Verteidige dich!«

»Das hilft nichts,« antwortete der Bursche ganz ruhig. »Sie glauben es
mir nicht. Morgen hätt' ich sie dem Herrn ja wieder zurückgebracht. Sie
glauben es mir nicht. Aber macht nichts, jetzt ist mir ganz leicht.
Sei nur so gut, Paula, und stell' sie ihm zurück. Und daß ihr nichts
geschieht. So leicht ist mir schon lang' nicht mehr gewesen, wie jetzt.
Vergiß nur nicht ganz auf mich, Paula, wenn ich gestorben bin.«

Das Mädchen wollte darauf etwas sagen, konnte aber vor Bewegung nicht
mehr sprechen, und also führten sie den armen Jungen davon in der
stillen Mondnacht, führten ihn hinaus in das Dorf und taten ihn in den
Gemeindekotter.

Am nächsten Morgen war ganz Schwandau außer Rand und Band. Das
Unglaubliche! Manche meinten, der Giedel sei irrsinnig geworden.
Etliche fluchten über die Hexe, die ihm's angetan. Nur wenige gaben
sich stiller Schadenfreude hin. Im Gemeindehause kamen um die
Mittagsstunde mehrere Männer zusammen, der Dorfrichter, der Pfarrer,
der Hammerschmiedmeister und auch der Major Stramper.

»Ist es Ihr Ernst, daß Sie klagbar werden wollen?« fragte der Richter
den Major.

»Bare achtzig Gulden hat sie mich gekostet, die Cremoneser!« antwortete
der Major.

»Aber sie ist ja doch wieder in Ihrem Besitze,« sprach nun der Pfarrer,
»und gänzlich unversehrt. Den Burschen haben wir alle gern, er ist
fleißig, gutmütig, keiner weiß sonst etwas Ungutes von ihm. Auch wir
haben Torenstreiche gemacht in der Jugend. Lassen Sie es gut sein, Herr
Major!«

»Von mir soll niemand sagen, daß ich sein Unglück gewesen bin,«
antwortete der alte Soldat. »So vernarrt zu sein! Na ja, auch wir
einmal! -- Gerad'halten soll er sich! Es ist gut.«

»Wenn's gut ist,« sprach jetzt der Hammerschmiedmeister, »so möchte ich
auch noch ein paar Worte sagen. Mein Mädel ist wie verrückt. Ich habe
keine Ahnung gehabt. Wenn es so steht mit den zwei jungen Leuten, und
daß sie toll werden, wenn sie einander nicht kriegen -- ich sag': in
Gottesnamen.«

Denn er hatte sich's überlegt, daß es besser ist, wenn er die
erwachsene Tochter an den Mann bringt, ehe er selbst noch einmal
zugreift drüben in Tiefwasser. Es bleiben auf solche Weise allerhand
Unannehmlichkeiten aus. Das Mädel hat seine mütterliche Sach', damit
kann es dem Weber aufhelfen und die Wirtschaft herrichten. Also ist's
recht, und der Vater und die Tochter sollen an einem Tage Hochzeit
halten.

Als der Giedel aus dem Kotter trat, wartete schon die Paula, fiel ihm
lachend und schluchzend um den Hals: »Wir haben uns!«

Am Tage der Hochzeit kam der Major mit der Geige. Die Cremoneser war's.

»Mir steht ein Duplikat in Aussicht,« sagte er einleitend. »Auch
dem Zigeuner mit der alten Fiedel bin ich auf der Spur. Diese da
-- ein sehr seltenes Stück! -- sie gehört dem Bräutigam. Er hat
damit der Seinigen das Ständchen gebracht, er wird sie noch öfter
brauchen können. Ist die Geige verstimmt, so soll er küssen, und ist
das Weibchen verstimmt, so soll er geigen. Und jetzt einen kecken
Steirischen aufgefiedelt! Gerad'halten, Junge!«




                       Der singende Schabelwirt.


Der dicke Schabelwirt in Rusterholz hatte zwei Stimmen, eine im
Gemeinderat und die andere auf dem Kirchenchor. Die erstere war so
gewichtig, daß sie mit Leichtigkeit ein halb Dutzend Häuslerstimmen in
die Luft schnellte; die zweite war so mächtig, daß in der Kirche die
Leute sich umwendeten, um diese Stimme nicht bloß zu hören, sondern
auch zu sehen. Sie mußte wie ein Strick von Bärenhaar aus dem viereckig
aufgespreizten Munde des Schabelwirtes hervorgewirbelt kommen. Die
Stimme dieses Chorsängers weckte Skalen in der Menschenbrust; wer sie
das erstemal hörte, dem war zum Lachen, wer sie oft hörte, dem war zum
Weinen.

Selbst dem Chormeister war zum Weinen. Allein ohne Schabelwirtsgesang
in der Kirche gab's keinen Kaffee zum Frühstück. Mehrmals hatte er
es versucht und nur solche Messen auf die Pulte gelegt, die ohne
Männerstimme gegeben werden konnten. Allsogleich jammerte der Wirt
seinen Gästen vor über den Niedergang der Musik und daß der Chormeister
Sägespäne im Kopf haben müsse! Ob die menschliche Stimme nicht
der Höhepunkt aller Musik wäre -- besonders eine schöne kräftige
Männerstimme! Wenn dieser Herr töricht werde, so müsse man ihm die
Zitzen höher halten! -- Und dem Chormeister blieb die Milch aus. Des
Wirtes Kuhmädel kam des Morgens nicht mehr mit der Zinnkanne, wie
sonst, und da fand der Chormeister endlich doch allemal wieder, daß
zur würdigen Kirchenmusik auch eine kräftige Männerstimme gehöre. Der
Schabelwirt »mußte« wieder singen, und das Mädel erschien mit der
Zinnkanne.

Kamen Fremde nach Rusterholz, so eiferte sie der Wirt an, doch auch
die Kirche zu besuchen, womöglich beim Gottesdienst, es wäre sehr
feierlich, besonders mit der Musik wären sie gut bestellt. Der
Chormeister hingegen, der sonst auch nicht unchristlich dachte, riet
den Fremden lieber einen Ausflug auf den Schirmberg, oder auf den
Rotkofel an, als den Gottesdienst in Rusterholz. Die einheimischen
Kirchenbesucher opferten ihre Ohrenpein für die armen Seelen im
Fegefeuer auf und so oblag der Schabelwirt ungestört seinem Gesang.
Ein halbberauschter Zecher wagte eines Tages den Zweifel laut werden
zu lassen, ob der Wirt wohl auch alle Noten kenne! Der kam an! Prügel
bekam er nach Noten! Da hatte er's blau auf weiß! Aber ungarische
Schweinetreiber, die eines Tages während der Messe ihre Herde
vorbeiführten, machten doch halt vor der Kirche und der eine lugte zum
Tore hinein, ob nicht Hilfe nottäte. Er schien sich nicht sicher, ob es
Gesang oder Notschrei wäre. -- Sollten sich nur beruhigen, die Herren
Sauhändler -- es ist Gesang!

Auch in dem Jungen steckte es, in Schabelwirts Sohn, dem Damian.
Stimme hatte der keine zum Singen, sie gixte. Eine Weile meinte der
Chormeister, sie mutiere; wenn das vorüber, würde die Stimme des
Burschen alle anderen Sänger der Erde gründlich ausstechen. Nun war
der Junge mannbar geworden, allein die Stimme gixte noch immer, der
Chormeister hatte Todesangst. Wenn ihm der auch noch auf den Chor kommt!

»Dem Damian seine Stimme muß geschont werden,« sagte er vorbeugend,
»wenn sie jetzt einige Jahre lang auf das Sorgfältigste geschont wird,
dann können wir einmal etwas Phänomenales erleben!« Einstweilen schlug
er dem Burschen vor, geigen zu lernen. Das Geigen aber gefiel dem
Alten nicht. »Die Geige ist ein Konkurrent der menschlichen Stimme,
aber ein ganz unfähiger! Trompetenblasen, ~das~ ist das richtige.
Blech, ~das~ gibt Musik!«

Indessen -- ein großes Dorfwirtshaus hat noch andere Aufgaben, als
Singen und Trompetenblasen. Man weiß ja doch nicht, ~wann~ er
einmal dazukommt, der Blitzstrahl, und das neuerrichtete Thörlwirtshaus
da drüben in den Boden zündet! »Der Thörlwirt ist ein hautfalsches
Luder! Sein Süßtun mit den Gästen -- alles nur ums Geld! das kennt man.
An Süßtun bist ihm nicht gewachsen, Damian!« So der Schabelwirt, und
dann kamen Lehren und Ratschläge.

»Es ist möglich, mein Sohn, daß ich mich einmal vom Geschäfte
zurückziehe, um ganz der Musik zu leben. Da mußt du wissen, wie man
es mit den Gästen macht, daß sie sitzen bleiben. Unser Herrgott, mußt
bedenken, schickt einem Gastwirt allerhand Kostgänger ins Haus. Wie
viel Geld sie dalassen, das ist deine Sache. Daß du die Tanzpfeifen
hernimmst, wenn junge Leut' kommen, so gescheit wirst wohl selber
sein. Daß du sie wegschmeißt, wenn Viehhändler und Hausierer vom
Geschäfte reden wollen, na, das wirst auch noch einsehen. Selber
mußt dich ausspielen, mein Lieber! Tut einer bei seinem Glas Trübsal
blasen, so mußt dich zu ihm hinsetzen und ihm allerhand vorreden, bis
du draufkommst, was ihm ist. Nachher, wenn er mit seinem Anliegen
ausrückt, hör' ihm aufmerksam zu, nicke bisweilen mit dem Kopf und
schlag' mit der Hand immer einmal vor Überraschung oder Entrüstung,
woran es halt ist, auf den Tisch, damit er sieht, daß du Anteil nimmst
und er sein Glas nachfüllen läßt. Überhaupt, bei Gästen, die gern
schwatzen, die mußt schwatzen lassen und dich aufs Zuhören verlegen --
denken kannst dabei, was der will. Merk' dir nur das: hast ein gutes
Benehmen, so brauchst keinen guten Wein. Unterhalten sie sich mit dir,
ist auch das wohlfeile Gesüff gut. Wird manchmal ein besoffener Patron
ungut, so mußt du ihn der andern wegen hinauswerfen, aber ja nicht
so, daß er's merkt. Ich hab' zu so einem halt allemal gesagt: Geh,
sei gescheit, Michel, laß die dummen Leut' dort sitzen, die verstehen
keinen Spaß. Geh' einmal bissel in die frische Luft hinaus. Halt,
ich führ' dich, daß du nicht stolperst! -- und derweil hab' ich ihn
hinausgeschoben. So einer hält dich für seinen besten Freund und kommt
dir allemal wieder, wenn er Geld hat. Gibt dir aber auch Bockige. Der
Riffel-Toni, das ist noch der harbste! Wenn der anhebt zu schimpfen, so
muß man alle Stalltüren zusperren, sonst laufen die Vieher davon. Am
besten ist's, man schimpft mit. Wenn man ihm hilft, da wird er ehzeit
fertig, wenn man ihn löschen will, da zündet er sich erst rechtschaffen
an und schlagt drein. Und so wie du beim Riffel-Toni mitschimpfen
mußt, so mußt beim Krautruben-Barthel mitröhren! Weißt eh, daß der
Alte allemal zum flennen anhebt, wenn er einen Rausch hat. Lachst ihn
aus, so vertreibst ihn. Wär' ein Unsinn! Der Krautruben-Barthel zahlt
allemal fleißig die Zech'! So Leut' muß man estimieren! Ist eh ein
Kreuz. Wer heut' im Dusel nicht zahlt, zahlt morgen beim Kopfweh noch
weniger. Daß man die Tafel mit den Angekreideten an die Wand hängt,
wo sie jeder vor der Nase hat, brauch' ich dir wohl nicht zu sagen.
Überhaupt wirst du mit der Zeit selber drauf kommen, wie die Leut'
behandelt, gefoppt, gerupft sein wollen. -- Ich hab' in den ersten
Jahren mit dem Singen die Leut' vertrieben. Und das hab' ich dumm
gemacht. Wer ein so Mordsochs war und über den Gesang geschimpft hat,
den hab' ich hinausgeschmissen, aber anders, als ich es grad' vorher
auseinandergesetzt hab'. Den hab' ich das letztemal gesehen gehabt.
Den anderen, den mehr Gebildeten, die eine Musikfreud' gehabt und mir
zugehört haben, ist immer einmal eine Maß vom Bessern aufgetischt
worden, geschenkterweis'. Wie ich aber seh', daß trotzdem einer um den
andern bei der Tür hinausschlupft, hab' ich mir gedacht: Die Pölli
verstehen nix. Was sollst deine Perlen den Säuen vorschmeißen! und hab'
im Wirtshaus das Singen sein lassen. Jawohl, mein Sohn, ein Wirt muß
sich aufopfern können für seine Gäst' -- wenn er ein Geschäft machen
will.« --

Man wird nun wohl überzeugt sein von dem großen Takt des Schabelwirts.
In der Kirche, allerdings, wollte er seine Perlen nicht zurückbehalten;
er sei sein Talent dem Herrgott schuldig! war sein Bescheid, wenn er
manchmal teilnehmend befragt wurde, warum er sich auf dem Chor so
abmühe für nichts und wieder nichts, und hätte doch nur Undank dafür.
»Undank ist Künstlerlos!« Diesen Spruch hatte er sich aus einem alten
Volkskalender herausgeschrieben, zitierte ihn aber nicht oft, weil er
überzeugt war, daß seine Stimme wohl von allen Verständigen gewürdigt
werde. Nun, und die Unverständigen? Auf die pfeift die Katz, damit sie
auch was Musikalisches haben.

Beim Schabelwirt hielt sich zeitweise ein hinkender Mann auf, der hatte
ebenfalls was Musikalisches. Nämlich einen redenden und singenden
Kasten. Hielt man sich daran zwei Schläuche an die Ohren, so hörten
sich die Stimmen berühmter Redner und Sängerinnen und ganze Musikchöre
heraus, wie sie einst in großen Städten und anderswo hineingesprochen,
gesungen und gepfiffen worden waren. Diesen Kasten verehrte der Wirt
als den größten Künstler der Neuzeit, der -- wie er liebenswürdig
scherzend sagte -- deshalb auch in den Grafenstand erhoben worden sei.
Denn es war der Phonograf. Für das Horchen zog der Hinkende Geld ein,
nur der Wirt zahlte nichts, leistete dafür jedoch dem Eigentümer freie
Kost und Verpflegung; bloß das Getränk mußte bezahlt werden. Als der
Mann den Schabelwirt einlud, einmal mit seiner phänomenalen Stimme
etwas in den Kasten hineinzusingen, gab der Wirt das Lied »In diesen
heiligen Hallen« ab. Der Hinkende jedoch tat geheimnisvoll und ließ ihn
das gesungene Produkt nicht zurückhören, denn er fürchtete für seinen
Kasten ...

Eines Tages kehrten zwei Herren aus Murstadt beim Schabelwirt ein. Er
war sehr artig, ließ vom »Besseren« auftragen, in der Absicht, ihnen
nachher etwas vorzusingen. Denn das waren offenbar gebildete Leute. Die
Fremden hinwiederum luden ihn ein, mitzutrinken, in der Absicht, ihm
dann eine Angelegenheit vorzutragen. Und als sie beiderseits lustig
waren, meinte einer der Fremden, so ein wackerer Gastgeber, wie der
Schabelwirt in Rusterholz, verdiene, daß er ein Geschäft mache. Sie
wollten an einem der nächsten Sonntage seinen großen Tanzboden mit
Gästen anfüllen. Sie möchten bei ihm nämlich eine Volksversammlung
veranstalten und Reden über den Fortschritt und über die Freiheit
halten.

»Ah, meine Herren, seid ihr die Aufklärung?« fragte der Wirt, »hab'
schon gehört davon. Tut einer eine Red' reden? Schön, brav! Tu' meinen
Tanzboden schon hergeben dazu. Nachher zum Schluß können wir auch was
singen -- daß es recht lustig wird.«

So wurde ein Freidenkertag beschlossen. Waren die Rusterholzer auch
nicht gerade fortschrittlich gesinnt, so waren sie doch neugierig.
Und waren durstig. Je mehr ihrer zusammenkamen in die warme Stube, je
durstiger waren sie allemal. Das sollte sich wieder einmal machen.

Nun sandte der Schabelwirt seinen Laufburschen aus: »Geh' im ganzen
Gai um, von Haus zu Haus, und die Leute sollen nächst' Sonntag zum
Schabelwirt und Gemeinderat kommen, nachmittags nach dem Segen wäre
dort Freidenkerversammlung!«

Der Knabe lief mit dieser Freudenbotschaft, so schnell er konnte und
überall schrie er es gleich zur Tür hinein: »Nächst' Sonntag nach dem
Segen ist beim Schabelwirt Freitrinkerversammlung. Alle sollt's kommen!«

»Donnerwetter noch einmal, der dicke Wirt! Will er bei der nächsten
Wahl wieder in die Gemeinde?« Die Klügeren rieten: Ansingen wird er uns
wieder einmal wollen, und da gibt er halt einen Labetrunk. -- Nun, sie
wollten dabei sein bei dieser Freitrinkergesellschaft. »Müssen ihn in
der Kirche umsonst anhören; dasmal kriegen wir dafür was zu trinken.
Nett von ihm, daß er was lohnt.«

Der Pfarrer von Rusterholz jedoch hatte ein feineres Ohr, oder eine
bessere Nase. Kam er kurz nachher ganz langsam ins Wirtshaus getreten,
ging aber nicht in das Extrastübel, wo der Tisch mit einem rot und
weiß quadrierten Tuch bedeckt war, sondern stand in der großen Stube
ein wenig so herum, lehnte endlich seinen Stock an den Uhrkasten, den
Hut behielt er heute auf und so setzte er sich zum Leutetisch. Als
auch diesen der geschäftige Schabelwirt rasch mit einem roten Tuch
überziehen wollte, tat der Pfarrer mit der Hand einen Deuter: »Lassen
Sie's, lassen Sie's. Es ist auch so gut.«

Aber feierlich war heute der alte Herr und es wollte keine Ansprache
recht verfangen. Von dem Achtel Wein, das er sich bestellt, hatte er
kaum erst genippt.

»Es wird ein anderes Wetter kommen,« meinte der Wirt.

»Ich muß Sie doch fragen,« sagte nun der Pfarrer, »sollte es wahr
sein, daß Sie in Ihrem Hause eine Freidenkerversammlung abhalten
wollen?«

»Ah na, ich nicht,« antwortete der Wirt. »Ein paar Herren aus Murstadt
sind dagewesen und haben sich angefragt. Wenn sie wollen, hab' ich
gesagt. Muß eh froh sein, wenn man wieder einmal was hört. Über das
elektrische Licht, oder so was, werden sie sprechen.«

»Das sehe ich wohl nicht gern, lieber Nachbar. Schauen Sie, unsere
Leut' sind alle gut christlich. Die verstehen solche Sachen ja gar
nicht und wozu sie beunruhigen?«

»Bei unserer Wasserkraft, sagen sie, könnten wir soviel Elektrizität
haben, daß die Mühlen und Dreschmaschinen davon gehen könnten und extra
noch für Licht genug übrig bliebe.«

Unterbrach der Pfarrer den Wirt: »Gehn's, gehn's! Für die Elektrizität
wird man Freidenkerversammlungen machen! Da ist was anderes dahinter.
Sie lesen doch von der Übertrittsbewegung. Die Lutheraner kommen, und
weil Sie ein alter Liberaler sind, so will man Sie mit der Freidenkerei
fangen. Ist übrigens eins wies andere. Tun Sie mir den Gefallen,
Nachbar, und sagen Sie ab.«

Der Wirt hatte eine dicke Zigarre angeraucht, es war eine mit der
Bauchbinde.

»Will mir's noch überlegen,« sagte er dann.

Das überlegen fiel aber zu ungunsten des Pfarrers aus. -- Wesweg soll
just in Rusterholz keine Versammlung abgehalten werden? Von überall
hört man. Wenn der Wirt einmal ein volles Haus haben will, wen geht's
was an? Und eine Unterhaltung. Ist ohnehin so selten Gelegenheit zum
Singen. Weil sie von Musik nichts verstehen, diese Bauerngogel. Und
wenn sich einmal ein Schüberl gebildete Leut' ansagen -- gleich das
Geschrei: die Lutherischen! Freidenker, was schadet's denn? Wird eh
jeder denken, was er will. Und wer anders denkt als er spricht, ist eh
ein Lump! Abhalten tun wir die Freidenkerversammlung!

Und am Vortage derselben schrieb der Pfarrer an den Schabelwirt solchen
Brief:

      »Euer Wohlgeboren!

  Indem Sie sich trotz wohlmeinender Abratung doch für eine
  Freidenkerversammlung bestimmt gefunden haben und hiemit offenbar
  gegen die Absichten der Kirche verstoßen, so muß ich zu meinem
  Bedauern für die Zukunft Ihre musikalische Mitwirkung auf unserem
  Kirchenchore ablehnen, denn Gott kann unmöglich Gefallen finden an
  dem Gesange eines Freidenkers, der die christliche Gemeinde in Gefahr
  bringt.

                            Mit gebührender Achtung

                                                       N. N., Pfarrer.«

So! -- -- So! -- --

Der Schabelwirt war empört. Hat der Mann das Recht, mir den Kirchenchor
zu verbieten? -- Aber an demselben Tage bedeutete ihm auch der
Chormeister, daß er mitsamt allen Musikern leider unter Botmäßigkeit
des Pfarramtes stehe. Es tue ihm aufrichtig leid! -- Um was es ihm leid
tat, hat er weiter nicht dargetan. Aber bitter ist es schon, anstatt
des gewohnten Frühstückkaffees sich mit Einbrennsuppe abfinden zu
müssen.

Gut. -- Auch Kaiser Heinrich ist nach Kanossa gegangen, was liegt
dran. Das will der brave Schabelwirt dem Herrgott nicht antun, daß
er an Sonntagen seines Gesanges entbehren müsse. Auch die Mehrzahl
der Andächtigen wird sich eine ungesungene Messe nicht gefallen
lassen wollen. Und dann trägt auch der Gesang zur Herzensbildung bei.
Vielleicht mehr, als ein Freidenkertag. Den Freidenkern aus Murstadt
wird schleunig und heimlich abgewinkt. Den Leuten braucht man nichts
kundzutun, sie sollen nur zusammenkommen. Statt so einer gespreizten
Freidenkerrede wird gesungen, da unterhalten sie sich weit besser und
ist nach keiner Seite hin Verdruß.

Also am folgenden Sonntag nach dem Segen kamen sie zusammen, die Bauern
und Häusler und Handwerker von Rusterholz beim Schabelwirt zum --
Freitrinken. Der Tanzboden wurde viel zu eng, die Gaststube und das
Extrazimmer waren so gesteckt voll, wie bei einem Viehmarkt. Mehr als
vier Bierkrügeln in jeder Hand kann die Kellnerin auf einmal nicht
befördern. Der Sohn Damian schoß auch herum, goß aber den größten Teil
seiner Bierkrüge über die Achseln der Gäste aus, weil das nicht geht,
Getränk auftragen und dabei mit jungen Weibsleuten schäkern. Der Wirt
selber machte es sich mit dem Wein leichter, er schleppte Tonplutzer
aus dem Keller und ließ daraus ununterbrochen in die Gläser rinnen. So
nagelt man sie fest auf ihren Bänken und dann wird gesungen.

Als sie nun aber merkten, daß der Wirt mit dem blauen Sacktuch seine
Augengläser putzte -- denn ohne Augengläser konnte er nicht singen --
da schlichen sich etliche sachte ins Vorhaus und von dort ins Freie.
Auch der Steinbrecher Einsel wollte es so machen, den hielt jedoch
der Wirt an und fragte, ob er in der Stube nichts vergessen habe? Der
Einsel tastete nach dem Haupte -- der Kopf war da, der Hut saß auch
drauf; den roten Regenschirm hatte er in der Hand. Nein, vergessen
hätte er nichts. -- Ob er doch wohl das Geldtaschel in den Sack
gesteckt habe, als er die Zeche beglich?

Bei dieser Erinnerung machte der Einsel große Augen.

»Zech? Zech' sagst, Wirt? Wer wird denn heut' Zech' zahlen, wenn
Freitrinkertag ist!« -- Dem Schabelwirt gab's einen Stoß in der Brust.
Wenn es ein Mißverständnis wäre? Er hatte sich ohnehin gewundert, daß
die Rusterholzer so plötzlich bildungsdurstig geworden und so zahlreich
erschienen waren! Wenn's ein verhängnisvoller Irrtum wäre? -- Sogleich
stieg er auf eine Bank und machte laut, daß heute bei ihm nicht eine
~Freitrinker~-, sondern eine ~Freidenker~versammlung hätte
stattfinden sollen, daß aber die Herren aus Murstadt nicht gekommen
seien.

Himmel Hagelstern, wurden jetzt die Gesichter unschön! Die einen
krebsrot, die anderen käseblaß -- in die Länge zogen sich alle.

»Du Wirt!« begehrte ein alter Pechbrenner auf, »wenn du wieder einmal
einen Boten schickst, so schau erst, ob er auch reden kann. Alle
ehrenwerten Manner, die da sind, werden meine Zeugen sein, daß dein
Schickbub ~Freitrinker~versammlung hat gesagt!«

Des stimmten ihm alle bei. Der Wirt zuckte die Achseln. Das sei ihm
wohl höchst unlieb. Darum, das undeutliche Reden hätt' er eh auf dem
Zug! Da käme gewiß allemal ein Balawatsch heraus. Übrigens werde es
ja kein Unglück sein, am Sonntag nach dem Segen einmal ins Wirtshaus
zu gehen, besonders, wenn gesungen würde. Er wolle sie für die
ausgebliebenen Freidenker entschädigen und ihnen jetzt eins vorsingen.

»Für die Freidenker brauchen wir keine Entschädigung,« sagte der
Pechbrennen, »aber zahlen tun wir heut' nix!«

Sie stimmten alle bei, schrecklich stimmten sie bei. Ein Gelächter
war entstanden. Allein der Bauer kann »Krowaten zerreißen und lachen
dabei«, ein Sprichwort, das dem Wirt nicht unbekannt war.

»Alles, was recht ist,« sagte der Wirt und stellte sich mit
Geistesgegenwart auf einen Dreifuß. In der Hand hielt er ein
Notenblatt, aber -- wie ein Nebenstehender wissen wollte -- verkehrt.
Wie sein Singen zu hören war, das soll ein anderer sagen, ich kann
bloß beschreiben, wie es zu sehen gewesen ist. Mit ausgespreizten
Beinen, über deren eines noch die weiße Schürze niederhing, stand
er da, den Bauch weit hervorgewölbt, den Oberkörper nach rückwärts
gebogen. Das Doppelkinn quoll vorne und der wulstige Nacken hinten über
den Rockkragen hinaus. Das rote Gesicht breit gepolstert, den Mund
aufgesperrt und ausgeböscht, daß er schier viereckig wurde -- so kam es
nun hervor aus dem mächtigen Brustkorb und das Blatt wurde von einem
zarten Sprühregen befeuchtet.

Nach dem ersten Liede »Im tiefen Keller« -- erschollen einige Rufe. Das
»Bravo« ist in Rusterholz nicht der Brauch, aber nach Vergeltung riefen
sie und frisch Bier und Wein wollten sie haben. Auf der Ofenbank, in
den Wolken des Tabakqualms verschleiert, stand ein Mensch und der rief,
sie sollten einmal auf ihn hören, er wisse auch was. Das war der Riffel
Toni.

»So red', Toni!« sagte der Wirt. Es war zwar der harbe Kampel, doch man
kann vorbauen. »Willst noch ein Glas Wein haben?« Denn er dachte, der
Mensch wolle ihm vielleicht doch eine Gesundheit ausbringen.

»Wein ist mir allemal recht,« hub der Riffel Toni knurrig an. »Erst
will ich dich aber einmal fragen, Schabelwirt, was wir heut' sind, da
in der Stuben -- Freitrinker oder Freidenker?«

»Freidenker, schon gewiß!« beschied der Wirt.

»Das glaub' ich auch,« rief der Toni. »Und dazu brauchen wir nicht
einmal die feinen Herren aus Murstadt. Und derohalben wollen wir reden,
was wir uns denken.«

Dann riß er mit den Fingerspitzen der beiden Hände den wüsten Bart
auseinander, daß die freie Rede auch freien Ausweg habe durch den Mund,
aus dem ein paar scharfe Oberzähne hervorstanden, wie bei einem Eber.

»Schabelwirt!« begann er, »willst du wissen, wie du singst? Sollst es
hören. -- Wenn ein kropfeter Hahn in einen alten Kochhäfen hineinkräht,
wenn der Altweibersommer-Wind ein rostiges Stadltor auf und zu wirft
und dem Elmbauern sein Moidel mit dem Nussensack reixelt, so meinen die
Rusterholzer allmiteinand, es singt unser Schabelwirt!«

»Hau!« lachten die Bauern, »hau saxen, das lei schon ah!«

»Du bist ein Lästermaul!« rief der Wirt, doch sein Gelächter, das er
dazu ausstieß, ging ihm nicht vom Herzen. Allein, wenn er nicht gute
Miene macht, so gehen sie mit der Zeche durch und zum Thörlwirt hinüber.

Der Riffel Toni hielt einen alten Hut hin, als wolle er Geld sammeln.
»Zusammenschießen, Leut', daß uns der Maurer und der Schmied-Franzl
in der Kirchen die Heiligen festmacht, die wackelig sind worden
an der Wand vom Schabelwirt seinem Singen! Und wegen was soll der
Krämer-Bastel just mit der Baumwoll ein so gutes Geschäft machen?
Stecken wir uns Lärchenzapfen in die Ohrwaschel, die tun's auch und
halten besser. Den Engeln über dem Altarl binden wir mit den blauen
Fastentüchern die Köpfe ein -- nachher soll er halt wieder singen, der
Schabelwirt.«

Stürmisches Gelächter und etliche warfen Kreuzer in den Hut, um gegen
den bedrohlichen Gesang Vorkehrungen treffen zu können.

»Wie du das nur anstellst, Schabelwirt,« setzte der schreckliche
Mensch auf der Ofenbank seine Auslassungen fort, »daß du selber nichts
hörst von deinem Singen. Sonst wär' es weiger nicht möglich, daß du so
gesund und wohlgenährt könntest ausschaun. Oder nimmst Gegengift ein?«

Der Wirt rief heiser nach dem Hausknecht. Die Versammelten jedoch
erinnerten ihn an den Freidenkertag, wo man wohl frei denken und reden
werde können. Und riefen weiter durcheinander: »Laß das Singen sein,
wir lassen das Frozeln sein und tun dich nächstmal wieder in den Rat,
daß du deine Stimm' besser kannst brauchen. -- Erkennst es denn nicht
selber, daß du ganz schandmäßig singst? Narr, daß du's nicht besser
kannst, ist kein Gespött, aber daß du's nicht sein laßt, ist dumm. Wir
lachen dich ja all aus, ha, ha, ha, ha, ha!«

Der Wirt hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und schoß von
einem Winkel zum andern. -- Wenn ich sie jetzt hinausschmeißen lasse,
dachte er, so ist die Zeche verloren und sie laufen zum Luderskerl
hinüber. Ach, Künstlertum! Künstlertum! In der Stadt sind es die
Zeitungsschreiber, hier sind es die Bauernmäuler. -- Aber ich werde
singen, justament, und sie werden ihr Trinken bezahlen. Das möcht' ich
schon sehen, ob man kein Recht mehr hat, in seinem eigenen Haus!

Dieweilen war jener hinkende Mann zur Tür hereingetorkelt, der Besitzer
des in den Grafenstand erhobenen »großen Künstlers der Neuzeit«. Heute
fand er sich gedeckt und so lud er den wütenden Schabelwirt wohlwollend
ein, die Schimpfer schimpfen zu lassen und in das hehre Bereich der
Kunst zu flüchten. Er habe im Kasten einen großartigen Sänger.

Der Wirt beruhigte sich gutmütig, ging in die Vorlauben, wo das Zeug
stand, steckte die Gummischläuche in die Ohren und horchte, während
der Hinkende das Werk spielen ließ.

»Abscheulich!« schrie der Wirt zurückfahrend, »das kräht ja wie ein
altes Kamel!«

Drinnen schnarrte und pfauchte und röchelte und gixte das Lied: »In
diesen heiligen Hallen, da herrscht die Rache nicht!«

Der Wirt rannte umher nach einer Axt, um den Kasten zu zertrümmern. Der
Hinkende jedoch sagte besänftigend: »Herr Vater, der Phonograf kann
nichts dafür. Der singt halt heraus, wie hinein gesungen worden ist --«

»Ja Teuxel, welches Ungeheuer hat denn hineingeplärrt?«

Der Hinkende grinste niederträchtig und verneigte sich vor dem Wirt. --
--

Dieser befahl seinem Sohn, seiner Kellnerin und seinem Hausknecht,
strenge achtzugeben, daß niemand ungebüßt entkomme. Er selber zog sich
zurück in seinen tiefsten Keller.

Von solcher Zeit an hatte der Schabelwirt zu Rusterholz keinen
Freidenkertag mehr veranstaltet und keinen Sang mehr getan. Seine
Wirtschaft gedieh, seine Person gewann an Vertrauen -- denn man fühlte
sich endlich in seiner Nähe sicher. Und im Gemeinderat wurde seine
Stimme geachtet.




                   Das reiche Waldschulmeisterlein.


Über den schwarzen Waldbergen lag schon der Goldgrundhimmel des Abends,
als im Wiesentale ein Dörfchen dalag vor dem müden Gebirgswanderer.
Eine verwitterte Wegtafel hatte gerade noch so viele leserliche
Buchstaben, um dem hinkenden Fremden zu sagen, das Dorf heiße »In der
Krumpa«.

Auf meine Frage an einen heimwärts treibenden Ziegenhirten, welches
in der Krumpa wohl das beste Wirtshaus sei, blickte mich der Junge
verblüfft an -- Wirtshaus? Ist keins.

»Aber mein Gott! Mindestens ein halbes Dutzend Häuser, und kein
Wirtshaus darunter! Und das will ein deutsches Dorf sein?«

Zu essen bekäme man manchmal im Forsthause etwas -- das große steinerne
Haus, dort bei der Linde.

Ein Forsthaus, um so besser. Das läßt sich romantisch, besonders wenn,
so Gott will, auch noch eine Försterstochter dazukommt. Also ins
Forsthaus.

In der großen Stube gab es wohl Hirschgeweihe und Tabakrauch, aber
keine Försterstochter. Ein kleiner, hagerer, spießiger Alter, die
Knie nackt, hingegen das Gesicht verdeckt mit einem wildwuchernden
Schnauzbart. -- Das war der Förster und Jagdheger. Er brachte in einem
Kruge Wein, sagte mir Nachtquartier zu, setzte sich dann mit seinem
Dampftiegel zu mir an den Tisch und fragte gleich, ob ich unterwegs
nichts gesehen hätte. Ich zählte Berge auf, Felswände, Wasserfälle,
hohe Brücken, Wegkreuze und Martertafeln, wie sie im Laufe des Tages
dem Wanderer vorgekommen waren. Darüber tat der Alte verwundert
und murmelte etwas. Endlich merkte ich doch, was er wissen wollte,
nämlich, ob mir Wildspuren, Rehe, Hirsche, Waldhühner und dergleichen
aufgestoßen wären.

Meine Antwort: darauf hätte ich gar nicht geachtet, derlei läge
mir ferne, und ich verstünde nichts davon. Es mochte wohl etwas
geringschätzig gesagt sein. Der Alte blies ein paar starke Rauchwolken
von sich, stand auf und ging hinaus. Er verachtete mich.

Nach einer Weile, als es schon finster und in der Stube kein Licht
angezündet worden war, fragte ich nach meinem Abendbrot. Da kreischte
der Alte aus der Küche her: »Wenn man das Wild nicht will, wird 'leicht
auch der Hirschbraten nicht genehm sein!«

Jetzt schlich ich im Dunkeln zu ihm hin und sagte schon ein wenig
gereizt: »Mir scheint, da ist jemand beleidigt, weil ich von der
Jägerei nichts verstehe. Allerdings, ich halte nicht viel darauf. Ein
guter Bekannter von mir sitzt im Kotter, weil er einen Hirschen schoß,
der ihm den Kohl gefressen hat.«

Der Forstjäger reckte sein Köpflein vor, der Schnauzer borstete sich
auf: »Han mir's denkt. Von der Gattung ist er einer! Oder gar -- oder
gar --!« Mit einem Streichholz fuhr er sich über den Hinterteil der
Lederhose, leuchtete mir ins Gesicht: -- »Groß werd' ich mich nicht
irren. Der Teufel hol's, er ist es. Der Jagerfresser, ah, da schaut's
her, der Jagerfresser! Na, Korrschamerdiener! Und will im Jagerhaus
essen und trinken und schlafen. Aus ist's!«

Ein argloser Mensch würde diese Rufe für das gewohnheitsmäßige Poltern
alter Leute genommen haben, mein böses Gewissen erkannte es sofort als
das, was es war -- als einen wohlgezimmerten Abschied. Der Mann hatte
den Verfasser »Jakob des Letzten« erkannt. Eines Buches, das jeder
Jäger naturgemäß tödlich hassen muß.

Nun stand ich in dunkler Nacht auf der Gasse und sann, was zu machen
war. »Ins Schulhaus gehe!« flüsterte mir der Schutzengel zu. Denn die
zwei beleuchteten Fenster dort waren just wie zwei Augen, die mir
winkten. Der Lehrer, ein noch jugendlicher Mann mit schwarzem Vollbart,
war nicht abgeneigt, einen obdachlosen Wanderer aufzunehmen. Er hieß
mich ins Zimmer und zum Tische treten, wo von einem munteren Frauchen
just Rauchfleisch mit Sauerkraut aufgetragen wurde. Er wollte mich dazu
einladen, da blieb ihm das Wort im Munde stecken.

»Ich glaube, den Herrn sogar zu kennen,« sagte er, mir starr ins
Gesicht blickend. »Es möchte mich aber doch wundernehmen, daß der Herr
Dichter bei einem linkischen Dorfschulmeister zuspricht, oder wohl gar
bei einem athletischen Lehrer, der seine ganze geistige Kraft in den
Armen hat!«

Jessas! denke ich, der spielt an auf Bemerkungen in meinen Büchern. Im
»Ewigen Licht« ist der athletische Lehrer mit den geistreichen Fäusten,
im »Erdsegen« geht ein linkischer Dorfschulmeister umher. Ich wußte
schon, daß einige Lehrer an den besagten Bemerkungen mehr herausfanden,
als ich hineingelegt hatte, nämlich eine Beleidigung ihres Standes;
es war mir daher klar, was ich hier zu tun hatte, nämlich Hut und
Stock wieder in die Hand zu nehmen und allseitig eine ruhsame Nacht zu
wünschen. Mit tragischem Ernste begleitete der Schwarzbart mich zur
Tür, die er sofort auch dienstbereit öffnete.

Wieder im Freien, hatte ich Muße, die Sternbilder des Himmels zu
betrachten; es mangelte mir für diese Erhabenheit aber einigermaßen
die Stimmung. Eine Magd, die vom Brunnen Wasser geholt hatte, trat
ich höflich an, wo man doch in diesem Orte ein Obdach haben könne über
die Nacht? Sie blieb stehen und beratschlagte mit mir. Das Försterhaus
war auch ihr eingefallen, ich bekannte, dem Forstjäger zu wenig wildes
Tier gewesen zu sein. So verfiel sie auf ihren Dienstgeber, das sei ein
herzensguter Herr und hätte in der Apotheke ein feines Fremdenbett.

Nun klopfte ich beim Arzt an. Eine alte runzelige Frau kam hervor, mit
langem, schmalem Schleppkleid. Die erklärte barsch, jetzt wäre keine
Ordinationsstunde.

»Ich bin auch kein Kranker!« meine Versicherung.

»Ah so, dann ist's was anderes. -- Jonathan! Ein Herr will bei dir die
Aufwartung machen.«

Der Herr Doktor Jonathan kam nun selbst an die Tür, forschend, ob
endlich vielleicht einmal ein richtiger Tarockspieler da wäre für die
langen Herbstabende. Seine Augengläser rückte er von der Stirn herab
und besichtigte mich. Und murmelte was und besichtigte mich eingehender
und kraute seinen Weißkopf.

»Nun, Herr Doktor!« rief ich lustig, »wo fehlt's bei mir?«

Er ging drauf ein, tippte mit dem Finger an meine Stirn und sagte
bedächtig: »Bei Ihnen fehlt's ~da~!«

»Was tausend! Mir fehlt's ja nur an einem Nachtquartier!«

Er blieb mit dem Kerzenlicht in der Hand an der Tür stehen und fuhr
fort, mit behaglicher Langsamkeit zu sprechen: »Ich habe von Wien aus
das Vergnügen, den Herrn Volksdichter zu kennen. Von einer steirischen
Vorlesung her; und aus den Büchern, wo er sich so infam über uns Ärzte
lustig macht. Als würden wir nur gerufen, um den Leuten leichter
sterben zu helfen, oder so was. Und hätten für alle Krankheiten nur
ein Mittel, das Hasenöl, das aber nichts anderes, als ein verdorbenes
Schweinefett wäre. So ein alter Dorfbader hat ein gutes Gedächtnis,
nicht wahr?«

Mittlerweile hatte er sich in den Zorn geredet und nun kam's: »Jawohl,
solche Torheiten oder Bosheiten merkt man sich. Wo im Volke ohnehin
schon bald alles Vertrauen beim Teufel ist! Ja, mein lieber Herr, wenn
man sich so in Dinge mischt, die man nicht versteht, da kann dies nur
mit Dummheit entschuldigt werden. Beim Esel im Stall, wenn Sie schlafen
wollen!«

Und klapps, schlug die Tür ins Schloß.

Noch kam die alte Frau, entschuldigte ihren Mann, der halt über seinen
Beruf keinen Spott kommen lasse und schon oft gesagt habe: Wenn er
ihn einmal derwischen täte, denselbigen -- gut ginge es ihm nicht!
Übrigens, er sei so arg nervös, aber fressen täte er keinen, und sie
wolle mich heimlich auf den Oberboden führen, auf einen Strohschaub aus
Barmherzigkeit. Verderben dürfe der Mensch ja doch auch seinen Feind
nicht lassen.

Offen gesagt, diese Alte mit ihrem barmherzigen Strohschaub war mir
noch zuwiderer wie der wütende Doktor, dessen Beruf halt schon so ernst
ist, daß er keinen Spaß verträgt. Ich ging wieder einmal hinaus unter
Gottes freien Himmel und hatte Zeit, mich über die große Popularität
zu freuen. Nur hatte ich sie mir teilweise anders gedacht, diese
Popularität.

Da stand er, der Missetäter, der ausgestoßene. Da hatte er immer
gemeint, die guten armen Menschen erheitern und erheben zu wollen,
während er sie der Reihe nach tödlich beleidigte. Mitten im »treuen
Alpenvolke« stand er nun einsam in eitler Nacht, fremd und fröstelnd,
erschöpft von weiter Wanderschaft. Hinter mir bellte ein Hund, dem
gesellten sich mehrere, groß und klein -- die Hundeschaft des ganzen
Dorfes -- und brachten mir ein vielstimmiges Ständchen.

Es schnitt die Bergluft. Der Tau des Grases gedachte kalter Reif zu
werden über Nacht.

Dort auf dem Hügel stand ein fahles Gemäuer. Es war die Kirche,
deren Turmuhr die neunte Stunde schlug. Wie lang ist eine solche
Septembernacht! -- Aber neben der Kirche pflegt ein Pfarrhof zu stehen,
und im Pfarrhofe ein christlicher Mann zu wohnen. Man hatte mir so oft
geschmeichelt, in meinen Schriften stecke doch ein bißchen Religion.
Nun, dann dürfte vielleicht ein Versuch im Pfarrhof nicht fehlgehen.

Dort an der Tür mußte ich aber lange ziehen am Glockendraht.

Endlich klirrte hoch an der Wand ein Fenster auf, und eine kräftige
Männerstimme fragte herab, was es gebe?

»Ein obdachloser Reisender! er bäte um Unterstand über Nacht, sei es im
Stalle, sei es in der Scheune, wo immer!«

»Es gibt wohl doch noch andere Häuser in der Krumpa.«

»Ich habe keine Geneigtheit gefunden!«

»Dann wird man schon der Richtige sein. Wer sind Sie denn?«

»Feuergefährliches, oder so was, habe ich nicht bei mir!«

»Wer Sie sind, will ich wissen?«

Auf diese unentwegte Frage nannte ich meinen Namen.

Da beugte sich der Pfarrer aus dem Fenster weiter hervor, fragte noch
einmal und sagte dann: »Ich verstehe immer: Rosegger!«

»Es ist richtig, Herr Pfarrer!«

»Wohl doch nicht der Poet?«

»Er ist es, Herr Pfarrer. Aber zur Zeit ohne Poesie, nur stark
schläfrig!«

Der Herr oben begann zu lachen.

»Sie verzeihen schon, Herr Rosegger,« entschuldigte er sich, »ich
lachte über den Zahltag. Daß Sie heute um Unterkunft bitten müssen
an der Pforte jenes Standes, den Sie so oft dem Hohne der Menge
preisgegeben haben. Erinnern Sie sich an den Stiefelknecht? An des
Pfarrers Fiederl? Schaun's wie es geht. Wenn man die Kirche einreißt,
dann sitzt man schutzlos auf der Welt. Übrigens sind wir Priester
besser, als der Ruf, den Sie mit verbreiten halfen. Die Haushälterin
wird bald aufschließen.«

Die Haushälterin hatte mich nicht mehr an der Tür gefunden. Doch vor
dem Erfrieren war keine Gefahr mehr, erstens, weil mir dieser Leute
Gastfreundschaft heiß gemacht hatte in der Brust, zweitens, weil ich
einen Heustadl fand. Der stand auf der Wiese neben dem rauschenden
Bach. Ich vergrub mich ins duftende Heu. Nur schade, dachte ich mir zu,
daß nicht eine Fabrik, oder ein Grafenschloß dasteht, man würde dich
auch an solchen Toren abweisen. Hernach die Gelehrten, die Studenten
und derlei Kasten mehr. Oder die Parteien: die Antisemiten, die Juden!
Allen hast du gelegentlich eine Schelle angehängt. Und wenn du bei dir
selber anklopfest, keinen bayrischen Pfennig wette ich, du schreist dir
zu: Kerl, auch über mich hast du dich schon lustig gemacht, marsch! --
In Gottesnamen, bist halt ein Bösewicht. -- Damit legte ich mich aufs
andere Ohr.

Aber gerade, als es zum Einschlafen kommen wollte, war draußen eine
rufende Stimme zu vernehmen. Sie kam näher, sie entfernte sich, sie kam
wieder näher, und endlich war es deutlich, man rief meinen Namen.

Ich hob den Kopf: »Was Teuxel ist denn los?«

»Hau!« rief es draußen, »im Heuschupfen ist er!« Dann kam der Rufer
auch schon an die Wand und sagte: »Wenn er drinnen ist, so muß er
heraus. Das wollen wir Schullehrer uns nicht ankreiden lassen, daß
unser Waldschulmeister-Dichter in dem Heuschupfen schlafen soll! Ich
bin ja auch so ein Waldschulmeister, aber nicht der in der Krumpa. Wir
gehen zusammen jetzt nach Sankt Marten hinauf, ein Stündel. Dort gibt's
ein gutes Bett!«

Als er das gesagt hatte, war meine wohlgesetzte Antwort: »Ich danke
Euch, Waldschulmeister von Sankt Marten. Aber aufstehen tu' ich jetzt
nicht. Wie ich just lieg', so gut liegt der Kaiser von China nicht
auf seinen chinesischen Seidenkissen. Sollte ich aber morgen an Sankt
Marten vorüberkommen, dann melde ich mich bei Euch, und itzo seid so
gut und laßt mich in Frieden.« --

Am nächsten Morgen stieg ein göttlicher Sonntag auf. Ich ging aus
meinem Heugrabe wie neugeboren hervor, und das Dörfchen Krumpa lag
im feuchten Walddufte so lieblich da, als wären alle Rächer meiner
literarischen Missetaten ausgezogen über Nacht. Die Wiese hatte
einen silberweißen Reif, die Ahorne waren schon rot, und die Lärchen
gelb, und hoch auf den Berggipfeln lag goldgrünlicher Sonnenschein,
so daß es im blumigen Mai nicht farbenleuchtender sein kann, als
an diesem stillen Herbstmorgen. Und vor meinem Heustadl stand ein
ältliches Herrchen. Es stand durchaus nicht ruhig, es zappelte mit
den Füßen, es schlenkerte die Arme hin und her, einmal über die
Brust, einmal über den Rücken, der einen weidlichen Höcker hatte.
Nach dem Gewandschnitte hätte es wohl ein notiges Bäuerlein sein
mögen, allein der Hut, der rabenschwarze hochgebaute Filzhut mit der
funkelnden Bandschnalle zeigte einen vornehmen Herrn an. Solche Hüte
trugen die Gerichtsverweser und Doktoris vor achtzig Jahren. Und
diesen letzten, nur wenig entarteten seines Geschlechtes, trägt mein
Waldschulmeisterlein von Sankt Marten.

Das war in aller Herrgottsfrühe herabgekommen, hatte vor der Heuscheune
auf meine Urständ gewartet und sich dabei fast Zehen und Finger
verfroren. An der weichen, breiten Stimme erkannte ich den nächtlichen
Schreier.

Und er im ersten Schreck: »Jesses, der ist es ja nicht!«

»Wer soll es denn sein?« fragte ich und streifte mir die Halme von den
Kleidern.

Er zog ein Bildchen aus der kleinen Ledertasche, betrachtete es,
verglich es: »Der da -- auf dem Bildel -- hat den Bart unter dem Kinn,
und der vor mir steht, hat ihn unter der Nase!«

»Wenn der Mensch alt wird, so muß er sich jung machen,« meinte ich.
»Ihr habt Euch ja noch jünger gemacht und den Bart ganz weggeschabt,
daß Ihr wohl kaum mehr davon habet, als Eure ABC-Schützen!«

»Wahr ist's!« rief er lustig aus. »Und wenn Ihr's seid, so grüß Euch
Gott!«

Dann gingen wir miteinander. Ich wollte an demselben Tage ja über das
Martenjoch, da hatten wir durch den Sulzergraben den gleichen Weg. Und
er erzählte mir den Schick. War nämlich dieser Lehrer von Sankt Marten
gestern spät abends bei seinem jüngern Amtsbruder in der Krumpa gewesen
und hatte von ihm gehört, daß eben vorhin der »Lehrerspöttler« von
ihm abgeschafft worden wäre. Zuerst hatte der von Sankt Marten nicht
gewußt, wer da gemeint sei, dann näher unterrichtet, habe er gesagt:
»Kollege, hast du die Schriften des Waldschulmeisters gelesen?«

Nein, für derlei habe er keine Zeit.

»Du bist halt erst aus der Stadt gekommen und noch zu wenig lang im
Walde, um für derlei Sinn zu haben. Ich gehe ihn jetzt suchen, falls er
noch keine Herberge hätte.«

So war der Alte an die Heuscheune gekommen, um das »Versehen seines
Amtsbruders« gutzumachen. Und auf solche Weise habe ich dieses rührende
Schulmeisterlein kennen gelernt.

Durch den langen Graben holte uns ein laufendes Weib ein, eine
Holzknechtin. Sie war schon in der Krumpa gewesen beim Arzt.

»Ist das Kindel noch nicht besser?« fragte sie mein Waldschulmeister.

»Weiger nein, es wird alleweil schlechter!« gab sie weinerlich zur
Antwort, »der Bader sagt gar, die Dipfterie!«

»Die Dipfterie sagt er! so schlimm wird's wohl nicht sein. Eine starke
Halsentzündung, wie sie vor kurzem die Kohlnatzel-Kinder gehabt haben.
Für arme Leute ist die auch gut genug, braucht's keine herrische
Diphtheritis zu sein. Mein Weib wird dir Rotholleröl schicken. Den Hals
recht schmieren damit und ein paar Tropfen eingeben!«

»Kommt mir eh ganz herab, das Bübel,« klagte das Weib, »nichts als Haut
und Knochen.«

»Wenn du Geld brauchst, so komm halt noch einmal zu mir.«

»Bitt' hundertmal!« sagte sie und eilte voran, der Waldwildnis und
ihrem kranken Kinde zu.

»Es geht Euch wohl gut auf Eurem Posten?« fragte ich nun den Alten,
der, so klein er war, mit weiten Schritten gar würdig neben meiner
einherstapfte.

»Besser schon, wie dem in der Krumpa,« antwortete er. »Aber Gehalt
hat mein Kollege da draußen einen höheren, und Naturalien hat er
auch mehr. Die Sache ist die, er ist ganz und gar nicht zufrieden in
der Krumpa, er schaut alleweil aufwärts, anstatt abwärts, und das ist
gefehlt!«

»Hohe Ideale muß sich freilich auch ein Schullehrer stellen.«

»So meine ich's nicht. Der Lehrer in der Krumpa schaut alleweil
hinauf zum Oberlehrer in Schwarzbach, einen so großen Gehalt möchte
er haben. Der zu Schwarzbach denkt sich wieder: Ei, was hat's der
Schuldirektor in Elmstadt gut! Und der Schuldirektor in Elmstadt kann
nicht begreifen, weshalb er nicht schon Landesschulinspektor ist. Na,
na, wenn der Mensch alleweil ins Licht blickt, wird er blind. Da muß
man die Holzlieserl anschauen, die uns vorhin wegfür gegangen ist, eine
Stube voll kränklicher Kinder und einen schnapssaufenden Mann dazu.
Oder unsere Kohlenbrennerleute, die sich zeitweise rein von der guten
Luft und dem bißchen Wildobst nähren müssen. Oder immer ein Bäuerlein,
das mehr Schulden als Schuhnägel hat, weil ihm das Weib heimlich Mehl
und Butter austrägt und an ihre Lotter vertut. Freilich wohl, mein
lieber Herr, mit solchen Leuten verglichen, ist unsereiner ein reicher
Mann. So war das vom Auf- und Abwärtsschauen gemeint.«

Am Ende der Schlucht war eine Holzbrücke, diesseits derselben standen
ein paar Hütten, und jenseits an der Felswand war die Kapelle mit einem
hölzernen Dachreitertürmchen.

»So,« sagte mein Begleiter, »das wäre der Dom zu Sankt Marten. Und hier
beim Bach die Universität.«

Ein hölzernes Schulhaus mit geräumigem Unterrichtszimmer und der
niedlichen Lehrerswohnung.

»Ich habe ihn schon!« lachte mein Lehrer einer kleinen, weißlockigen
Frau zu, die im Sonntagsstaat, aber mit einer breiten Küchenschürze um
die Mitte, vor mir den Knicks machte:

»Wenn man ein einfaches Nachtmahl gehabt hat und in der frischen
Gottesfrühe schon eine Stunde marschiert ist, da wird ein Tröpfel
Kaffee wohl schmecken. Ich bitt' schön!«

Im sonnigen Stübchen, auf weißgedecktem Tische gab es dampfenden
Kaffee, Weißbrot, Butter, Honig und einen Strauß frischer Blumen,
wie sie im Herbst auf den Feldern wachsen. Alles in feinen
Porzellantassen und daneben in einer Stahlschale zwei Zigarren. An der
blankgescheuerten Wand Hausgeräte, Heiligenbilder und eine auffallend
große Photographie in kunstvoll durchbrochener Metallrahme. Das Bild
stimmte so eigentlich gar nicht zur Umgebung, und es war das Porträt
des berühmten Chirurgen Professor Doktor Rottacher in Wien.

»Seid Ihr mit diesem Herrn bekannt?«

»Na, ich glaub's, daß wir mit ihm bekannt sind!« sagte das weißlockige
Frauchen und legte die Hände über der Brust zusammen.

Dann kamen schon die Sonntagsleute, die so eine Weile vor den Hütten
umherstanden.

Es war heimlich im Schulhause, und ich blieb den ganzen Tag dort.
Vormittags versammelten sich im Kirchlein an dreißig Menschen,
der Lehrer setzte sich in eine Bank und las laut und langsam das
Sonntagsevangelium und ein Kapitel aus Thomas von Kempis' »Nachfolge
Christi«. Seit einigen Jahren haben die zu Sankt Marten keinen Pfarrer,
und so tut's halt der Schulmeister. Dann setzte er sich ans Harmonium
und spielte ein Kirchenlied, bei dem einige Weiber mitsangen. Hernach
sagten sie gemeinsam »Vergelt's Gott«, und der Gottesdienst war aus.

Jetzt ging's aber beim Schulhause an. Ein Häuslersweib kam und bat die
Frau Lehrerin, daß sie im Obstgarten das Gras abmähen dürfe für die
Ziege, der Jäger wolle das Tier auf freier Weide nicht mehr dulden. Die
Lehrerin gestattete es. Das Gras wird auch so zertreten, sagte sie dann
zu ihrem Mann. Ein anderes armes Weib fragte demütig an, ob sie die von
den Bäumen gefallenen Äpfel zusammenklauben dürfe, um sie zu dörren für
die Kinder. Die Lehrerin gestattete es und begründete ihrem Manne: die
Äpfel wären ohnehin wurmstichig. An der Hausecke lehnte ein besonders
ärmlich gekleideter Mann und hielt sich den Hut vors Gesicht, als
schäme er sich. Der Lehrer ging zu ihm: »Deine Kinder haben wohl schon
wieder einmal Magenweh, Sebastian!«

»Freilich, freilich, Herr Lehrer, schon seit gestern mittags!«

»Hast du die Flasche bei dir?«

»Wohl, wohl, Herr Lehrer!«

»Geh' nur in die Kammer zur Frau!«

Und die Frau Lehrerin füllte ihm die Flasche mit Milch und gab noch ein
Stück Brot dazu.

Später kam ein hinkendes Weiblein dahergehumpelt und fragte an, ob die
Frau Schulmeisterin denn gar nichts für sie zu stricken hätte.

Die Frau bestellte zwei Paar Socken, die Alte blieb aber noch stehen
und sie hätte halt frei keinen Kreuzer Geld.

So ging das fort, dem Lehrerpaare schien alles ganz in Ordnung zu sein.
Sie gaben und gestatteten, und wo das nicht ging, vertrösteten sie
leutselig auf später.

»Zu wem sollen diese armen Leute sonst gehen!« meinte der Lehrer: »sie
haben halt auch ihre Anliegen, und den Weg zum Schulhaus finden sie
seit kindesher.«

Beim Mittagsmahl saßen wir unser drei beisammen, ich zwischen den
alten Leuten, wie eine Art von Sohn. Da gab es gekochte Milchsahne,
blaugesottene Forellen, Eiersalat und Zwetschkenklöße. Die Fürsten
können solches nicht besser haben und es koste, wie die Frau
versichert, fast gar nichts. »Die Sahne ist von unserer Kuh, die Eier
sind von unseren Hühnern, die Zwetschken wachsen auf unseren Bäumen,
und die Forellen angelt mein Mann von seinem Fenster aus dem Bache.«

Der Förster, der auch das Fischwasser hütet, habe deswegen zwar einmal
Umstände gemacht, doch der Bezirksrichter habe entschieden, das wäre
schon seit altersher so, daß mit der Hand gefangene und aus der eigenen
Wohnung geangelte Fische Freigut sind.

Sie hätten es seit jeher so gehalten, wären ja schon zweiundvierzig
Jahre in diesem Bergwinkel. Die ersten Jahre hätte es wohl geplagt.
Acht Tage nach dem Herzug habe die junge Frau bei den Waldhäuslerinnen
um Brot und Kartoffeln betteln müssen. Dazu eine verfallene Hütte als
Schulhaus, das wäre dann aber vom Waldherrn neu gebaut worden. Später
sei das Gehalt erhöht worden und die Frau hätte eine Erbschaft gemacht,
so daß sie jährlich schier über sechshundert Gulden aufzubrauchen
hätten. »Wir sind aber auch schier die einzigen Steuerzahler in Sankt
Marten!« --

Das wurde mir mit Stolz erzählt, obschon der Alte gleich beisetzte:
»Man soll sich freilich nicht prahlen, sondern Gott danken. Und das
tut man alleweil am besten zu armen Leuten. Fünfhundert Gulden Gehalt,
hundertzehn Gulden Renten! Zu Tod müßt' sich einer schämen mit so einem
Vermögen, wenn man damit nicht ein bissel Vorsehung spielen wollte.«

»Und erst, seit uns der Julius so viel Sachen schickt!« rief die Frau
drein, »aber der meinige will ja nichts nehmen!«

»Der Julius, wer ist denn das?«

»Das ist der da!« sagte der Lehrer und tippte mit dem Finger auf die
Photographie an der Wand.

»Professor Rottacher! Ein guter Freund von Euch?«

»Aber ich bitt' Euch, das ist ja unser Julius!« rief die Lehrersfrau,
»unser Herr Sohn!«

»Unser Bub'!« verbesserte der Alte.

Da habe ich erst einmal aufgehorcht.

»Ist halt ein bisserl auf Abwege geraten, unser Sohn,« fuhr der Lehrer
gesprächig fort -- wir saßen ja bei einem Kruge Apfelwein -- »hätt'
auch Lehrer werden sollen nach meinem Wunsch, weil wir derer ohnehin
nicht allzuviel taugliche haben. Aber der gute Julius war halt auch
kein tauglicher, und so hat er ein Handwerk lernen müssen.«

»Ihr meint doch den Chirurgen Julius Rottacher!«

»Chirurgie ist mehr Handwerk als Wissenschaft, lieber Herr
Volksdichter. Hat auch einen goldenen Boden. Aber tauschen täten wir
nicht mit ihm, gelt Mutter! Sind einmal bei ihm in Wien gewesen --«

»Das prächtig schöne Haus, das er hat!« rief die Frau dazwischen, »wie
ein Graf. Und Diener mit Silberknöpfen!«

»Ein Holzarbeiter da drinn im hinteren Martenwald, hat's besser,«
darauf wieder der Alte, »der hat wenigstens bei der Nacht eine Ruh'.
Beim Doktor, wenn's nicht klingelt, so beißt die Sorge, wie es mit den
Kranken steht, ob die Operation geglückt ist. Heut' ist er noch im
Ungewissen, morgen nicht mehr. Der Operierte? -- Nein, da danke ich
für den silberknöpfigen Lakaien und alles miteinander. Nie, Julius,
hab' ich ihm gesagt, nie wieder komme ich zu dir, müßte krank werden
vor lauter Angst um deine Patienten. Dem Schullehrer schlägt bei
seinen Kindern ja auch nicht alles zum Guten an, aber da gibt's nicht
leicht den Vorwurf, daß man die Krankheit mißkannt, daß man sich im
Mittel vergriffen hat, man behandelt die Kinder mit Güte und heilsamer
Strenge, alles andere muß man Gott überlassen.«

»Und so wird's der Julius auch mit seinen Kranken machen,« sagte die
Frau, »Fritz, du willst mir halt immer die Freud' verderben an ihm.«

»Ärgern tu' ich mich!« rief der Alte hitzig, »weil er mir erbarmt,
der arme Mensch, mitten in seinen Ehren und Reichtümern. Keine Ruhe
und keine Sammlung und kein Besinnen auf sich selber. Nein, das ist
kein Leben. Und was hat er aufzuweisen? Recht selten eine Arbeit,
wo nichts zurückbleibt, so gut er's auch meint. So ein Metzgern da!
Seit zehn Jahren, denkt Euch, war er einmal bei uns in Sankt Marten,
ein einzigesmal auf drei Tage. Glaubt Ihr, er hätt' was Lustiges
mitgemacht oder wäre im Wald umhergegangen? Nichts, als immer studiert,
spintisiert, an Hasen und Hühnern herumprobiert, daß es oft schon gar
nicht mehr schön war, hernach Briefe geschrieben und Zeitung gelesen,
bis er -- hast es nicht gesehen -- wieder fort ist.«

»Dafür verdient er sich zehnmal leichter den Himmel, als unsereins im
sorglosen Leben!« das sagte die Frau, schüttelte den weißbelockten Kopf
und forschte nach dem Eindruck, den ihr Ausspruch bei uns gemacht.

Dieser Eindruck war nicht bedeutend.

»Nicht einmal zum Heiraten hat er Zeit!« rief der alte Lehrer. »Und da
möchte ich wissen, wie man ohne Hauskreuz soll in den Himmel kommen
können!«

Sofort hatte er für die heitere Bosheit seinen kleinen Klaps auf der
Wange, der Ernst des Gespräches war abgebrochen.

Auf Einladung der Leutchen bin ich über die nächste Nacht im Schulhause
geblieben. In dem wohlverschalten Dachgelaß wurde mir ein Bett
angewiesen; grobe, weißgebleichte Bauernleinwand und mitten über das
mit Haferrispenspreu gefüllte Kopfkissen ein gestickter hellroter
Streifen. Der Lehrer war noch eine Weile an meinem Bette gesessen, um
zu plaudern. Endlich war's ihm darum zu sagen, ich möchte in diesem
Bette besser schlafen als sein Julius geschlafen habe, der die ganze
Nacht Patienten klingeln hörte. »Und ich,« schloß mein Gastgeber
schalkhaft, »muß jetzt noch ins Schulzimmer, um ~meine~ Schriften
des Waldschulmeisters zu schreiben!«

Am nächsten Morgen vor dem Antritte meiner Wanderung habe ich Einsicht
genommen in diese Schriften des Waldschulmeisters: Auf der schwarzen
Schultafel mit Kreide geschrieben standen Buchstaben des ABC für die
Anfänger. -- Und damit leistete er sicherlich mehr, als unsereiner mit
den Fabeleien.




                      Der Orgler zu Sankt Thomas.


An einem taufrischen Sommer-Sonntagsmorgen kamen drei Touristen aus
Wien in das Alpendorf, genannt Sankt Thomas in der Klausen. Auf dem
Hügel stand das Häuschen Gottes, dessen zwei Glocken durch das enge
Tal klangen, um die auf allen Höckern und in allen Falten des Gebirges
zerstreute Gemeinde zusammenzurufen. Die Touristen stiegen zum Kirchl
hinan. Aus Frömmigkeit geschah es nicht. Sie wollten nur einmal sehen,
wie es in so einer Dorfkirche zugeht. Da gab es nun was Besonderes zu
hören auf dem Chore. Dort saß ein Knabe und spielte die Orgel in einer
verwunderlichen Weise. Er spielte ein Kirchenlied so rührend, schlicht
und fromm -- man meinte gar, die Orgelpfeifen wären lebendig und
lobten aus eigenem Herzen den Herrn. Unsere Städter hatten wohl schon
die größte Kunstfertigkeit auf ähnlichen Instrumenten zu bewundern
Gelegenheit gehabt, aber eine solche Innigkeit, ja Heiligkeit im
Orgelspiel war ihnen was Neues. Zudem war der spielende Bauernknabe
schön wie ein Engel. Sein Haupt mit den lichten Locken war etwas
vorgebeugt, auf den Wangen blühte die Freude über die Klänge, seine
schattigen Augenlider waren geschlossen. Seine Lippen bewegten sich
leicht, als begleite er die Orgel mit leisem Gesang. Als sich das Spiel
in höhere Töne hob, hob auch der Spielende sein Haupt, schlug die
Augenlider auf und -- in diesen Augen leuchteten keine Sterne.

Der Knabe war blind.

Hier will ich die kleine Geschichte des blinden Musikanten erzählen,
wie sie den Touristen erzählt worden ist.

Mit dem Rocken-Hans hebt sie an. Der war vor fünfzehn Jahren noch
Wildschütze gewesen -- teils aus Hunger -- weil Notwehr erlaubt ist
-- und teils aus Neigung -- weil das Wildern verboten ist. -- Arme
Wildschützen sollte man nicht zu Verbrechern machen -- sondern zu
Jägern. Das sind die findigsten, wachsamsten Kerle, die verläßlichsten
Hüter und, gilt es, die schärfsten Schützen. Auch den Rocken-Hans hatte
man zum Jäger gemacht, aber aus der Klausen in eine andere Gegend
versetzt, wo er an die zehn Jahre verblieb, sich ein Weib beilegte
und fast zufrieden war. Vollauf zufrieden darf selbst ein Jäger im
grünen Walde nicht sein. So scharfe Augen der Vater hatte, das Kind
war blind. So schön das Mutterantlitz ist, wenn es zum Kinde lächelt,
der Knabe sah es nicht. Nur ihre Wiegenlieder hörte er. Dann, als die
Mutter stumm geworden war, und fortgetragen, saß der Knabe auf dem
Bankl vor dem Jägerhause und hörte den Finken und den Drosseln zu und
allem Gevögel, das da sang und zirpte im Waldland. Am Abende waren die
Grillen und Frösche zu hören und das Rieseln des Baches und das Säuseln
der Wipfel im Abendhauch. Im Winter aber -- wenn alles still war --
schlafend die Vöglein, hartgefroren der Bach, verhüllt die Bäume -- saß
der Jäger neben dem kleinen Sohne und machte ihm vor, wie die Gemse
pfeift, das Reh bellt, der Auerhahn balzt und der Rabe kräht. Das war
alle Musik in weitem Bergrund', und der blinde Knabe dürstete nach dem
Lichte der Töne.

Sagte der Jäger eines Tages zu seinem Sohne: »Jetzt bist du schon
stark, Heinrich, und morgen ist Lichtmeß; du gehst mit mir nach Thomas
in die Klausen -- bin selber schon eine gute Weil' nicht mehr dort
gewesen -- und da wirst du auf dem Kirchenchor was hören, was du
deiner Tage noch nicht hast gehört. Mußt dich jetzt schlafen legen, wir
stehen um eins in der Nacht auf.«

Der Weg vom Jägerhause bis in die Klausen ist im Sommer fünf Stunden
lang, im Winter zieht er sich auf sechs und unter kurzen Beinen ist er
noch länger. Der Knabe ging zu Bette, aber schlafen konnte er nicht.
In Trauer schläft sich's leicht ein, in Freude schwer. Heinrich dachte
an des Vaters Worte vom Kirchenchor -- was das sein sollte, wußte er
freilich nicht, was Besonderes gewiß. Endlich, als er einschlummern
wollte, kam der Jäger, ihn zu wecken. Und sorgfältig kleidete der Mann
den Knaben an, gab ihm heiße Ziegenmilch zu trinken und schnallte ihn
auf die hölzerne Rückentrage, wie solche im Gebirge gebräuchlich sind.
Und nahm die Trage auf den Rücken, verschloß das Haus und ging in
sternheller Winternacht davon.

Nach einer halben Stunde fragte der Knabe: »Kommen wir schon in die
Klausen, wo die Kirche steht?«

»Jetzt noch nicht, Heinrich. Bist du müde, so schlafe.«

In zwei Fuchshäute gewickelt, schlief der Knabe ein und der Vater
ging und ging und freute sich insgeheim auf die Kirchenmusik in Sankt
Thomas, die immer so prächtig war gewesen, freute sich auf die Freude
seines Kindes.

Und dann, als hoch an den starren Felsen die Morgensonne leuchtete,
ging er durch die Schlucht der Klausen. Und als die Glocken vom Sankt
Thomas-Kirchlein läuteten, wachte der kleine Heinrich auf und sagte:
»Vater, hörst du's auch, wie der Vogel schön singt?«

Der Jäger tat den Kleinen von der Rückentrage und nun gingen beide den
Hügel hinan und ins Kirchl hinein.

Am Altare stand der Priester, die Gemeinde lallte Vaterunser auf
Vaterunser -- und nichts als das.

Heinrich horchte andächtig und meinte, das wäre jenes Seltsame am Chor,
wovon der Vater gesprochen. Der Jäger aber wendete sich flüsternd an
einen alten Bauer: »Was ist's denn, haben 'leicht die Thomasler keine
Musik?«

»Freilich nicht, freilich haben wir keine,« gab jener zur Antwort,
»die Orgel und die Pfeifen und Geigen sind wohl noch oben, aber kein
Musikant ist dabei. Die alten sind weggestorben und junge werden keine
mehr abgerichtet. 's schaut kein Geld dabei heraus und umsonst wollen
die Leut' heutzutag' nicht einmal für den Herrgott was tun. Der Herr
Pfarrer kann wohl orgeln -- aber wer liest hernach die Mess'? Unser
Lehrer bläst nur eine Pfeife, seine meerschaumene. -- Gottsredlich
wahr, jetzt hat eins in der Kirche auch keine Freud' mehr.«

Der Mann hätte sicherlich noch eine Zeitlang fortgeflüstert, da stieß
ihn ein Beisitzer mit dem Ellbogen: »Willst schwatzen, Michel, so geh'
hinaus.«

Der Alte war still, der Rocken-Hans führte sein Söhnlein wieder aus der
Kirche, daß der Kleine doch zum wenigsten die Spatzen und die Gimpel
höre, die auf den Dächern zwitscherten.

Gingen hierauf zum Bäckerwirt und der Vater rückte dem Knaben das
Suppenschallerl unter das Kinn und das Weinglas in die Hand.

»Vater, wann ist das auf dem Kirchenchor, was ich mein Lebtag noch
nicht habe gehört?«

Am Nebentische saß, eben vom Gottesdienste zurückgekommen, der Pfarrer.
Er nahm das Frühstück ein, hörte die Worte und rief zum Jäger herüber:
»Der Rocken-Hans? Auch wieder mal bei uns herüben? Brav, brav! -- Sohn
das? Recht brav. Ein sauberes Bübel! Nicht Handküssen. Wie heißest
denn, Kleiner, he? Heinrich? Brav. Mein Gott, das Kind hat ja --
schlechte Augen?«

»Halt ja, halt ja, Hochwürden,« sagte der Jäger, »und desweg', weil er
nicht sehen tut, so wollt' ich ihn was hören lassen.« Und erzählte nun,
daß sie gekommen wären, um die Orgel zu hören in der Kirche zu Sankt
Thomas. Allsogleich rannen dem Pfarrer die Tränen über die Wangen; das
blaue Sacktuch kam schon zu spät.

»Ah na,« sagte er hernach, »umsonst sollt ihr den Weg nicht gemacht
haben. Ist dir warm, Bübel? Dann wollen wir miteinander in die Kirche
gehen.«

Sie gingen in die Kirche, es war kein Mensch mehr drin. Die Leute
hatten sich satt gebetet und dabei Appetit für ein Mittagessen
bekommen. Die drei stiegen auf das Chor. Der Pfarrer setzte den Knaben
in die Orgelbank, legte dessen Fingerchen auf die Tasten. »So, Kleiner,
jetzt halte still, gerade so, wie die Finger liegen. Brav. Und wenn ich
sag': Druck' nieder, verstehst, so druck' nieder und halte aus -- halte
aus, so lang's dich freut.«

Zog hierauf die Riemen des Blasebalges und rief sein: »Druck' nieder!«
Der Knabe tat's und erschrak vor dem, was jetzt war: ein klingendes
Band, ein tönender Stab -- und doch unvergleichbar mit allem, ganz
einzig zu hören, wie ein Gedanke, der schallt, wie eine Freude, die
klingt.

Unbeweglich saß der Knabe da -- sein Antlitz blaß wie ein Steinbild,
so horchte er der Musik. Die Hände preßte er auf die Tasten, bis die
Finger vor Wonne zu zittern begannen. Und siehe, da zitterte auch der
tönende Stab und nun wurde er es inne, der Knabe aus dem Wald, daß man
seine Seele kann ausrufen in solcher Weise.

Dann spielte der Pfarrer und der Knabe hat gemeint, er sei im Himmel.
-- Er sah mit den Ohren.

So war der Anfang gewesen.

Und von diesem Tage an verblieb Heinrich, der kleine Junge, in Sankt
Thomas und lernte von dem Pfarrer das Orgelspielen. Traurig und
glücklich im Vaterherzen kehrte der Rocken-Hans allein zurück in sein
Revier. Zu jedem Sonntag aber kam er in die Klausen und nach einem und
einem halben Jahre -- am hohen Frauentage im August -- als er wieder
in die kleine Kirche trat, summte nicht mehr der eintönige Psalter an
sein Ohr, da der Pfarrer am Altare stand. Die Orgel klang, und der alte
Waldmensch fühlte in jenen Tönen das liebe, junge, weiche Herz seines
Kindes.

So ist die Gemeinde von Sankt Thomas wieder zur Kirchenmusik gekommen.
--

Einer von unseren Touristen war nach solcher Kunde zum Pfarrer des
Alpendörfchens gegangen, um ihm die Hand zu drücken.




                           Der Naturfreund.


Das war auch wieder einmal eine Kindesseele, die sich in einen
Stadtmenschen verirrt hatte, und solches ist so häufig ein Unglück.

Ich sehe ihn sehr lebhaft vor mir, obzwar er sich vor einiger Zeit
wieder aus dem Staube gemacht hat. Seine Gestalt war komisch, und sein
Herz war rührend. Man hätte ihn geliebt, wenn man ihn nicht immer hätte
auslachen müssen. Er war ein kleiner untersetzter Mann, dessen Frohmut
es erlaubte, daß das Bäuchlein wuchs. Die Beine schienen der Last, auf
die sie ursprünglich nicht berechnet gewesen, auch nicht ganz gewachsen
zu sein, sie ließen sich etwas weich und unsicher, so daß bei jedem
Schritte der Körper stark hin und her neigte. Auch mit den stets etwas
krummgebogenen Armen tat er mit, gleichsam, als wollte er den schwachen
Füßen durch Schwimmen in der Luft nachhelfen. (Für das Schwimmen in
der Luft hatte er überhaupt Vorliebe, wie sich's später zeigen wird.)
Zumeist trug er lichtgraue, wenn nicht gar weiße Blusen und Beinkleider
und auf dem Haupt einen Zylinder mit stark geschweifter Krempe und von
lichtgrauer Farbe. Der Hemdkragen war selbstverständlich fast immer
blank, und an der Brust wehte ein flottgeschwungenes buntes Halstuch.
Das wirkliche Merkmal aber war das Haupt, das Gesicht. Zu Salzburg, wo
er sich seinerzeit in den Tagen der Kaiserzusammenkunft aufhielt, wurde
er von den Tor- und Stadtwachen mit den höchsten Ehren begrüßt, die
einem Potentaten zustehen, denn man hielt ihn für Napoleon III. Auch
als er einst eine Weile in Paris bei seinem Freunde, dem Luftschiffer
Godard, lebte, stürzten die Leute, wenn er harmlos lustwandelte, auf
die Gasse und hielten ihn für den Kaiser. Einmal trieb ein Gendarm den
Pöbel zurück und rief, wenn es Seiner Majestät beliebe, im Inkognito
spazieren zu gehen, so habe Paris ruhig zu bleiben und den Kaiser nicht
zu sehen.

Die Ähnlichkeit unseres Mannes mit dem letzten Franzosenkaiser war
in der Tat merkwürdig! Dieselben scharfen, grauen, lebhaften Augen,
dieselbe derb gewachsene und »feinausgearbeitete« Napoleonnase,
derselbe aufgehörndelte Schnurrbart, derselbe graudurchwirkte kühne
Knebelbart, dasselbe meist kurzgeschnittene Haar, das die Glatze bloß
zur hohen Stirne machte, dieselben feinen Runzeln des fahlen Gesichtes,
und vollends die französisch lebhaften, nervösen Gebärden in allen
Bewegungen, in der Sprache, die, weiß Gott woher, welschen Akzent hatte
und sich gerne sprudelnd und munter in krausen Hyperbeln erging.

Ja, das war der gute, harmlose Peter Berner, geborener Steiermärker und
Handelsreisender mehrerer solider Firmen in Wien, Brünn und Triest.

In unserer Stadt kannte ihn jedes Kind, es war ja keiner unter
den hunderttausend Einwohnern so wie er. Er hatte es gerade nicht
ungern, wenn man ihn mit Napoleon verglich und er wußte den Mann zu
repräsentieren, von außen. Die Natur mußte in einer köstlichen Laune
gewesen sein, als sie es unternahm, diesem gutherzigen, harmlosen,
poetisch angelegten Gemüte die Maske des Erzschelmes an der Seine zu
geben.

»Die Natur!« Da habe ich ein Wort ausgesprochen, welches mit seinem
unermessenen Inhalte das Leben Peter Berners mit Schmerzen und
Wonne ausfüllte, ja demselben geradezu verhängnisvoll wurde. Er
verstand unter der »Natur« die Landschaft mit ihren Wiesen, Feldern
und Wäldern, die Bergwelt mit ihren Felsen, Gletschern und Seen,
und das einfache Leben des Landvolkes mitten drinnen. Es ist ein
wunderliches Merkmal unserer Zeit, daß sich der Kulturmensch so sehr
sehnt nach der stillen Größe des ländlichen Lebens. In Peter Berner,
dem Handelsagenten, hatte diese Sehnsucht die dreisteste Verkörperung
gefunden. Streckte und reckte denn auf seinen Handelsreisen »Napoleon
der Dritte« ununterbrochen den Kopf zum Wagenfenster hinaus und tat
fortwährend Ausrufe der Freude, der Überraschung, der Begeisterung, so
oft ein hübsches Landschaftsbild -- und er mochte es schon hundertmal
gesehen haben -- vorbeiglitt. Mußte er in der Stadt weilen, so
besuchte er Gasthäuser, wo sich irgendeine Tischgesellschaft fand,
die ihm zuhörte, beistimmte, wenn er von der »herrlichen Natur« und
einzelnen Gegenständen derselben in unbeschreiblicher Lebhaftigkeit und
Begeisterung schwärmte. Fand er nicht das gewünschte Verständnis an
seinen Tischgenossen, so verfiel er bald in schweigsame Schwermut und
war über kurz aus der Gesellschaft verschwunden.

Es gab Zeiten, wo er besonders Ursache hatte, den Hang der Städter
nach Prunk, Flitter und falschem Schein und die tölpelhafte Stumpfheit
gegen Sonnenauf- und Untergang, gegen Waldeszauber, Vogeljubel und
Bergesherrlichkeit zu beklagen. Wissenschaftliche Dinge liebte er
nicht, weil derlei -- wie er sagte -- die Schönheit von den Wesen
reißt; Musik, bildende Kunst und Theater waren ihm leidig, weil er das
Echte daran nicht sehen konnte, und wenn der Karneval kam, da verlor er
kein Wort, sondern floh aus der Stadt. Verehelicht war er nicht, und so
vergaß er leicht alle Bande, die ihn mit der »in Unsinn rasenden Welt«
zusammenhielt, vergaß seine Freunde, seine Geschäfte, verlor sich auf
Wochen lang und niemand wußte, wohin er geraten.

Kehrte er endlich wieder zurück, so war es stets etwas zerfahren
bestellt mit seiner Gewandung, mit seinen geschäftlichen Verbindungen,
mit seinem Haushalte überhaupt, aber sein Auge war hell und sein Mund
sprudelte unerschöpflichen Preis »den paradiesischen Gefilden der
Bergwelt«.

Weil Peter Berner ein geschickter Agent war, so kam er rasch in gute
Verhältnisse; und weil Peter Berner ein so unbändiger Naturschwärmer
war, so kam er auch allemal rasch wieder in die kümmerlichen Umstände
zurück.

Einst sollte seine Sehnsucht nach den Höhen, nach dem Ausblick ins
weite, liebliche Land, sein Drang, aus dem Bereiche des städtischen
Staubes, »des anmaßenden und hohlen Pöbels aller Stände« zu kommen,
eine seltsame Erfüllung finden.

Der französische Luftschiffer Godard kam in unsere Stadt. Sofort bot
Peter Berner dem Manne alle seine Dienste an, wenn ihm dagegen die
freie Mitfahrt in die Lüfte gestattet werde. Seine Tätigkeit für
diese Sache war erstaunlich; er schlichtete alles Nötige bei den
Behörden, besorgte den Platz der Auffahrt, die Ausbesserung des durch
frühere mißlungene Fahrt und die Reise geschädigten riesigen Ballons,
besorgte die Füllungsarbeiten, hatte den ganzen tausendgestaltigen
Reklameapparat der Stadt in die klapperndste Bewegung gesetzt -- und
daß die weite Wiese die herbeiströmende Menschenmenge kaum zu fassen
vermochte, es war sein Werk.

Man hatte den guten Peter noch niemals so in seinem Elemente gesehen.
Er schleppte Holz zur Feuerstelle, wo die Luft erwärmt wurde, er
spannte die Stricke an, er machte den Korb zurecht, und zwar mit einer
Fertigkeit, die den Luftschiffer selbst zur Bewunderung hinriß, so
daß er in seinem gebrochenen Deutsch ihn sogleich für seine Reisen
als Helfer warb. -- Nun gab es aber unter den Zuschauern Leute, die
ihr Geld nicht dafür gezahlt haben wollten, daß sie den Peter Berner
glückselig gen Himmel fahren sehen könnten, sondern dafür, daß sie das
Napoleongesicht mit einer noch längeren Nase erblicken sollten. Wie es
zuwege kam, konnte nicht erhärtet werden, aber auf einmal wehte von
einer Seite des schier völlig gefüllten Ballons ein lustiger gelber
Rauch auf, und im selben Augenblick sank das bauchige Ungeheuer in sich
zusammen.

Zuerst schlug Peter Berner die Hände zusammen und rief alle Heiligen
an. Dann, als es sich herausstellte, daß der Ballon an seinen
Brandwunden verloren sei, begann er zu rasen. Mit geballten Fäusten
rannte er umher, warf Holzstücke, warf Steine in das Feuer, hastete
suchend nach dem Missetäter, fiel dann wieder Monsieur Godard um den
Hals und weinte laut. Die Zuschauer unterhielten sich köstlich.

Als Peter wieder zur Besinnung kam, rief er in die Menge hinein, die
Vorstellung sei noch nicht aus; wenn sie ihn steigen lassen wollten,
so sollten sie es nur tun! Hierauf nahm er seinen weißen Zylinder
in die Hand, und mit feuchten Augen ging er Geld sammeln für das
verunglückte Luftschiff. Da flogen die Papierfetzen nur so in den Hut,
denn im Grunde tut die Welt einer guten Seele doch mehr zulieb', als
sie sich selber gestehen mag. Die Sammlung wurde in den nächsten Tagen
fortgesetzt durch einen öffentlichen Aufruf, in dem Berner an die
»~edlen~ Menschenherzen« klopfte, seinen ~teuren~ Freund, den
so schwer geschädigten Luftfahrer, der »zur Ehre Gottes und zum Heile
der Menschen die ~unbeschreiblichen~ Wunder der ~großartigen~
Natur erforschen wollte«, nicht zu verlassen.

In wenigen Wochen nachher war Godard instand gesetzt, einen neuen
Ballon zu bauen, mit welchem er endlich an der Seite seines Gönners und
Freundes Peter Berner eine glückliche Fahrt tat.

Berners Beschreibung dieser Fahrt ist in Druck gelegt worden, sie
spricht in stets gesperrten fetten Lettern von der »~unbeschreiblich
herrlichen~ Pracht, der über ~alle Maßen großartigen~
Aussicht und dem ~furchtbaren~ Schwindel, der einen auf dieser
~unendlichen~ Höhe erfaßt.«

An Kaufmann Steinbacher in unserer Stadt hatte Peter einen Freund,
der nicht, wie andere, mit ihm sein Spiel trieb, der das goldene Herz
mit Kennerblicken wog und schätzte. Dieser Mann wußte den Naturfreund
von seinen aeronautischen Plänen abzubringen und vermittelte ihm eine
Agentschaft für steierischen Bauernloden, die ihm den Verkehr mit den
Landleuten und der Natur von neuem erschloß.

Der Luftschiffer zog nach stürmischen Umarmungen und heißen Küssen
seitens Berners von dannen, und Berner zog ins Gebirge.

Von Zeit zu Zeit las man im Inseratenteile unserer Blätter Aufrufe, wie
folgenden:

                              »~Aufruf!~

  Anläßlich der bevorstehenden ~Feiertage~ sehe ich es als
  meine ~heiligste Pflicht~ an, alle ~Naturfreunde~,
  ~Bergbesteiger~, wie nicht minder alle ~Ausflügler~ auf die
  ~herrliche~ prächtige ~Perle~ unseres Heimatlandes, auf das
  ~Paradies Steiermarks~, (z. B.) auf ~Deutsch-Landsberg~, als
  das ~würdigste Ziel~ eines Touristen, aufmerksam zu machen und
  sie aufzufordern, diesem ~wahrhaft gelobten Lande~ zuzuwallen.
  Dort, umgeben von den ~herrlichsten Bergen~, fühlt man sich frei
  und dankt dem

  Schöpfer, der all das ~Herrliche~ geschaffen. Drum auf, nach
  Deutsch-Landsberg, wo nicht nur für die ~Seele~, sondern auch für
  den ~Leib~ gesorgt ist durch die vortreffliche ~Küche~ und
  den ausgezeichneten ~Keller~ im Brauhause.

                                     ~Peter Berner~, Tourist.«

Selten und seltener wurde der Mann, der nun -- wie er in der
Beschreibung seiner Luftreise dartat -- schon mehr als »~fünfzig~
Lebensjahre sein eigen nannte«, in der Stadt gesehen, immer
unregelmäßiger besorgte er die Handelsinteressen seiner Firmen, und
endlich blieb er ganz aus. Sonst war Peter seiner absonderlichen
Wesenheit wegen allemal unschwer auffindbar gewesen, diesmal aber
vergingen Monate, ohne daß eine Spur von ihm zu entdecken war. In den
Blättern blieben die Aufrufe aus; der Hausherr, bei dem Peter sich
die Kammer gemietet hatte, warf die bescheidenen Armseligkeiten ins
Versatzamt, oder sonstwohin, und man mußte annehmen, daß der »Tourist«
auf einer seiner Hochtouren verunglückt sei. Da ging im Spätsommer
desselben Jahres in der Stadt das Gerede um, draußen hoch in den
Bergen, im Dorfe des heiligen Oswald, sei ein Bauernknecht gesehen
worden, der zwar nicht an Gewandung, wohl aber im Angesichte und allem
Gebaren dem verschollenen Peter Berner aufs Haar ähnlich sehe.

Kaufmann Steinbacher machte sich auf den Weg in das entlegene
Bauerndorf, dort fand er nach vielem Suchen seinen Mann hoch oben an
einer Feldlehne, wo dieser hinter einem Ochsenfuhrwerk vermittelst
einer Eisenkrampe mit nervöser Hast vom Karren Stalldung auf die Erde
kraute. Sein Anzug bestand aus arg zerfahrenen Bauernkleidern, wovon
die Hose zu schlotternd, die Joppe zu knapp war. An den Füßen trug er
nichts als »Schuh von Menschenhaut«, wie er die Barfüße nannte, auf
seinem Haupte aber saß -- von braunen Stallfliegen umsummt -- der weiße
Zylinder.

»Peter!« rief der Kaufmann, »Peter, aber was treibst du da?«

»Grüß' dich!« knurrte Peter, ohne von seiner Arbeit abzulassen, befahl
dann den Ochsen, daß sie ein paar Schritte weitergehen sollten und er
ein neues Häuflein vom Karren krauen könne.

»Bist du endlich toll geworden, mein lieber Freund!« rief der Kaufmann.
Da warf Peter die Krampe weg, schlug die Arme aus. »Toll geworden! Toll
geworden!« sprudelte er in seiner schnarrenden Weise, »weil ich aus dem
übelriechenden Steinhaufen geflohen bin, den ihr Stadt nennt, ihr armen
Teufel! Weil ich eure Windbeuteleien verlache, die ihr Kulturleben
heißt, ihr armen Teufel! Weil ich in der schönen Natur leben will,
in der frischen Luft, unter dem freien Himmel Gottes, den ihr nicht
ertragen könnt, ihr armen Teufel! Da er die blendende Sonne hat, die
gewaltigen Stürme hat, darum, sagt ihr, toll geworden?! O, du armer,
armer Knabe, komm an meine Brust, laß dich küssen!«

Damit stürzte er dem Freunde ans Herz. Der Kaufmann schämte sich
unbändig, aber es war nicht anders, denn Peter weinte wie ein Kind.

So hatte dieser wunderliche Mann, dessen Existenz nach allgemeiner
Schätzung eine sorglose, behagliche gewesen, solche von sich geworfen;
so hatte er sich als Bauernknecht verdingt aus Liebe zur Natur. Willig
hatte er die schwersten Arbeiten, denen sein Körper nicht gewachsen
war, verrichtet, die ungewohnte Nahrung, das schlechte Nachtlager
ertragen und die Roheiten der Dorfleute, die ihn freilich nicht so
anwiderten, weil sie ja »Natur« waren gegenüber den giftigen Bosheiten
und süßelnden Falschheiten der Städter.

»Stadtdodel!« schrie ein Junge vom Hof herüber und meinte Peter. »Ja,«
sagte dieser, zum Kaufmann gewendet, »das muß ich mir gefallen lassen,
weil ich's einmal gewesen bin, weil ich heute noch städtische Unarten
an mir habe. Stadtdodel! Hast schon recht, Franz! Mordsbub!«

Es bedurfte viel, den Mann, den sie auf dem Dorfe geradezu verhöhnten
dafür, daß er ihnen seine Kraft weihte, sein Herz gebracht hatte! -- es
bedurfte viel, um ihn von den Fluren des heiligen Oswald loszubringen
und wieder zu einem halbwegs zivilisierten Menschen zu machen. Es
bedurfte vielen Zuredens, vieler List und besonders vieler Seife.

Aber endlich sah man den Napoleon doch wieder durch die Stadt haspeln,
hörte im Gasthause wieder seinen scharfen Laut, wie er in rasch
herausgestoßenen Worten unermüdlich das ländliche Leben beschrieb, bis
ihm vor Begeisterung und Rührung die Stimme brach.

Und nun zu dieser Zeit, da seine Schwärmerei für Idylle und Einfachheit
den höchsten Grad erreicht hatte, tat er etwas, was er tun mußte, weil
es im Schicksalsbuche solcher Menschen steht, mit heiligem Schwunge
stets das Ungereimteste zu vollbringen. Peter Berner ging nach Paris.
Freilich nicht die Weltstadt lockte ihn, aber der Freund rief ihn,
Godard der Luftschiffer telegraphierte aus Paris, er möge so bald als
möglich zu ihm kommen.

»Der Mann ist in Not!« rief Peter aus, »ich muß ihm zu Hilfe kommen!«
Mit einem Ruck waren alle kommerziellen Fäden, die ihn bereits wieder
umgarnt hatten, zerrissen, er reiste nach Paris.

Dort fand er seinen Freund in einem Zustand, von dem er bis ins
Innerste erschrak. Godard war reich geworden. Mit den Luftballon, den
ihm Peter einst erbettelt, hatte er sich ein Vermögen erworben, den
Ballon dann in die Rumpelkammer geworfen und sich in das Weltleben
gestürzt, an dem er nun mit allen Fasern eines lustigen Franzosen hing
und sog.

»Was willst du mich? Was soll ich da?« schrie ihn der empörte Berner
an, als ihn jener in die prunkenden Gemächer seines Hotels führte.

»O, Freund! Freund!« rief der Franzose, »ik dich aben lassen holl,
+pour remercier+, ik dir danken, +ma fortune+, +ma prospérité+, mein
Sukunft! Ik dir wollen erweisen +la joie+, +l'honneur+, +l'amitié+! Oh,
Freund, +pardon+, daß ik sprecke +en ma+ Muttersprak, es jauchzen mein
'erz zu können dich umarm! Ik grüßen, ik grüßen dich!«

Godard gab hierauf zu Ehren der Anwesenheit seines Freundes ein
glänzendes Fest, überhäufte ihn mit Ehren. Der Mann, der ein paar
Monate früher in einem steierischen Gebirgsdorfe Stalldung vom
Karren gekraut hatte, war jetzt Mittelpunkt einer der feinsten,
geistsprühendsten Gesellschaften der Seinestadt. Die französische
Liebenswürdigkeit, mit der ihm das Fest in großem Stile geboten
wurde, berückte sein leicht erregbares Gemüt; das Weltleben, das er
bisher verachtet hatte, umgarnte ihn plötzlich mit allen Zaubern
und Reizen einer schönen, koketten Frau, die ihn »zu einer nie
dagewesenen Begeisterung« hinrissen. Nach seiner Rückkehr aus Paris
erzählte er uns strahlenden Angesichtes, daß er bei jenem Feste »mit
~tiefbewegter~ Stimme eine ~brillante~, von ~tosendem~
Beifall oft unterbrochene Rede« gehalten habe, in der er für die
»~höchst ehrende~, eines Königs würdige Auszeichnung« dankte.

Der Aufenthalt in Paris schien für einige Zeit der Mittelpunkt seines
Lebens geworden zu sein. Wohl pries er die Natur wie vor und eh, aber
er stand nicht mehr mit jener weltüberlegenen Lust auf dem hohen Berge,
sah nicht mehr durch die glückselige Kindesträne den Aufgang der Sonne.
Es beunruhigte ihn -- Paris. Es war ein Zwiespalt in ihn gekommen,
dessen er sich selbst kaum bewußt ward, der aber tückisch an seinem
Gemüte nagte. -- Das Gedächtnis seines Freundes hielt er fort und fort
über alles hoch in Ehren und das großmütige Geschenk, eine goldene,
auf seinen Namen geprägte Erinnerungsmedaille, mit dem der dankbare
Franzose sein Fest gekrönt hatte, war und blieb sein Stolz und seine
Freude bis an sein Ende.




                            Der lange Rauk.


Von meinem Fenster aus gegen Osten hin sehe ich eine Hochebene, auf
der lauter Wald steht. Junger, gemischter, stundenlanger Nadelwald.
An klaren Tagen werden im fernsten Hintergrunde blasse Berge
sichtbar, sonst aber scheint sich mein Wald ins Blaue und Unendliche
zu verlaufen. Hie und da stehen über das jüngere Baumgeschlecht
breitkronige oder spitzige Stämme aus den vorigen Jahrhunderten empor
wie Kuppeln oder Kirchtürme in einer Stadt.

Besonders ist es ein Baum, der weit draußen im blauenden Meere des
Waldes steht, von unten hinauf buschig ist, sich aber allmählich in
eine schlanke, scharfe Nadel aufspitzt -- nicht anders zu sehen als der
Stefansturm, wenn man von einer Anhöhe der Umgebung hineinblickt auf
Wien. Wenn ich dann noch ein Übriges tue, nämlich den Kopf niederbeuge
und zwischen die Beine durchblicke hin auf den Wald, da hat mein
solcher Stellung ungewohntes Auge das schönste Schattenbild von Wien,
wie es mit seinen Zinnen und Türmen daliegt. Nur daß die Einzelheiten
dort der Stadtdunst verhüllt und hier der Höhenrauch. Aus Wien ist es
mir noch nie gelungen, einen Wald zu schaffen, aber aus diesem Walde
baue ich Euch dergestalt ein Wien, so oft ihr wollt. Und wenn ich meine
beschauliche Stunde habe, so setze ich mich in einen Winkel meiner
Stube, so daß mir das Waldmeer mit dem Stefansturme im Fenster liegt,
und denke: das ist das ausgestorbene Wien; man hört keinen Laut, sieht
kein Rauchwölklein aufsteigen aus seinen Giebeln. Und was war das einst
für Lust und Leben in diesem Wien! Aber die Lust ist erstickt in der
Begier, das Leben ist versunken in seinen Sünden. Nur die Formen der
Stadt ragen noch starr und düster.

Ein frevelhaftes Träumen! Wie kann man den reinen, friedensvollen,
tausendfältig lebenden, in hundert klaren Quellen sprudelnden, in allen
Wipfeln säuselnden und von Vogelsang erklingenden Wald -- wie kann und
darf man ihn vergleichen mit einer großen Stadt! -- Aber wenn ihr nur
erst kommt und seht, besonders diesen Baum: es ist der leibhafte Turm
von Sankt Stefan.

Des ward ich mir endlich klar, eine uralte Fichte muß es sein, an der
Sturm und Blitz Wipfel und Astwerk zerrissen, den Stamm von oben herab
kahl gehauen, und der in seinem Schaft und in seinen tieferen Kronen
doch zu gewaltig ist, als daß ihn Sturm und Blitz vernichten konnten.
So steht er da, ein vielhundertjähriger Geierhorst, und die ältesten
Leute der Gegend sagen mir, ihres Erinnerns habe der Baum nie anders
ausgesehen als heute.

In früheren Jahren, da ich den Wald durchstreifte, habe ich mich
bemüht, den Baum aufzufinden und an seinen Fuß zu gelangen. Es war
mir aber nie gelungen. Entweder ich verlor die Richtung oder kam in
Dickicht, Gefällholz, Struppwerk, auf grundlosen Moorboden, so daß ich
umkehren mußte. Es gibt Gründe darin, auf die jahraus jahrein kein
Sonnenstrahl fällt, aber ich weiß es wohl, daß der Eigentümer schon
sehnsüchtig die Jahre zählt, bis er »stocken« wird. Manchem prächtigen
Tier begegnet man im Wald, aber auch manchem stattlichen Jäger. Mit
dem Zauber des Urwaldes wäre es also nicht sehr weit her, und doch
war es wie verhext, daß -- so sehr mir außerhalb des Waldes stehend
die Richtung klar war -- ich in ihm wandelnd meinen Stefansturm nicht
finden konnte. Es ist aber auch in der wirklichen steinernen Stadt
Wien Etlichen nicht anders ergangen. Ich fand manchen mächtigen Baum,
der hoch über die andern hinausstand, der wild und zerrissen war und
von dem ich mir einbildete, er sei's. Bei näherer Prüfung war er's
allemal nicht. Ich hatte mich auch schon mehrmals im Walde verirrt,
so daß mir einfiel, was die Leute sagen, es wären Irrwurzeln drin,
und wer auf eine solche trete, der finde gar nicht mehr aus dem Walde
hervor, sondern müsse immer im Kreise herumgehen, so lange bis ihm
ein Sonntagskind begegne. Die Erfahrung lehrt aber, daß man sich mit
Sonntagskindern auch verirren kann, besonders wenn sie hübsch sind.
-- Dabei hatte mir das Suchen einen solchen Reiz, daß ich mich nie
entschließen konnte, einen Führer zu nehmen. Und so sind elf Sommer
vergangen, an denen ich oftmals nach Sankt Stefan im Walde pilgerte,
ohne ans Ziel zu gelangen.

Im heurigen Frühsommer, als auf den freien Matten die Hitze zu groß
ward, als auf den Wiesen die klaren Bächlein im Sande versickerten und
das kurze Federgras zu gelbem Heu welkte noch auf den Wurzeln, als
fortwährend die trockenwarmen Winde hinfegten über das fahle Erdreich
und die Wolken des Himmels aufsogen, als in meiner Nachbarschaft sogar
ein Brunnenständer samt Trog niederbrannte -- da war keine Freude mehr
auf freien Weiten, da hielt ich mich die längste Zeit im Walde auf. Man
konnte viele Stunden im Moose liegen und bekam keinen Schnupfen; die
Mückenschwärme mit dem prickelnden Gifte existierten fast nicht, dafür
drückte die heiße Sonne, die über dem Walde lag, allen Wohlduft der
Harze zu Boden und das fliegende und kletternde Getier kam auch herab
gegen den kühleren Erdengrund und trieb sein munteres Wesen vor meinen
Augen. So war es ein wonniges Sein.

Manchmal begegnete ich einem Waldbruder, nicht viel seltener einer
Waldschwester -- Früchtesammler, auch arme Leute, denen draußen, »weil
des Gesindels schon allzuviel ist«, die Tür vor der Nase zugeworfen
wurde, und die gekommen waren, um in unseres Herrgotts schattigem
Speisesaal zu essen. Am merkwürdigsten von all diesen wunderlichen
Leuten war mir der lange Rauk. Ich kenne ihn schon seit ein paar
Jahren, er bringt bisweilen Beeren ins Dorf. Ein hochschlanker,
blatternarbiger Geselle ist's, mit einem schwarzen Bart und einem
langen braunen Lodenmantel, den er um den Leib zu werfen weiß, daß er
darin schier nicht anders aussieht, wie der heilige Apostel Jakobus.
Den hat nicht der heiße Sommer dürr gemacht, sondern die Faulheit, er
will nicht arbeiten. Die Leute sagen, er wäre so häßlich, der lange
Rauk; ich sage, er wäre das Entzücken der Maler.

Als ich denn auf meinen diesjährigen Waldgängen öfter mit dem Rauk
zusammentraf, gab ich ihm den Rat, er möchte sein Geschäft aufgeben.

»Welches Geschäft?« fragte er.

»Das Hungerleiden.« Möchte es aufgeben, möchte in Malerschulen gehen
und sich abmalen lassen.

»So!« antwortete er und ich merkte, wie er innerlich empört war. »So!«
sagte er.

»Dort braucht Ihr nichts, als dazusitzen,« belehrte ich, »oder auch an
der Wand zu lehnen, wie eben die Herren wollen; es sind unterhaltsame
Burschen, diese Maler; mancher auch sagt gar nichts und ist ganz
Pinsel. Ein Pfeifel Tabak spendieren sie mitunter und zahlen auch noch
das Tagwerk, achtzig Kreuzer, die Verschwender gar einen Gulden und
mehr.«

»So!« antwortete er tief gedämpft, »so!« sagte er. Und fuhr dann fort:
»Ein Kerl, dem's schon übel genug ist, daß er auf seinem heustanglangen
Geripp' ein anschieches G'friß (häßliches Gesicht) herumtragen muß
auf der Welt! Wenn ich mich noch ducken kunnt! verstecken kunnt und in
der Kirchen nit so höllisch lang hinausstehen tät' über die anderen
Köpf, just wie die Rauberfeichten im Ziselwald! Zum Hasenschrecker
möchten sie mich gern brauchen auf ihren Krautäckern, wenn sie mich in
die Erden stecken kunnten, wie einen Krautscheuchstecken und nit Angst
hätten, daß ich ihnen selber die Gebel tät' fressen. Und so ein Kerl
soll sich noch abmalen lassen? Sollen ein paar Jahrl warten, bis von
meinen Knochen Haut und Haar weg ist, nachher bin ich so schön wie die
anderen im Beinhaus!«

Es stellte sich heraus, daß der lange Rauk sich nur darum von den
Leuten und ihren Arbeiten zurückgezogen hatte, weil sie ihn seiner
Häßlichkeit wegen verhöhnten.

»Ich ertrag's nit!« sagte er, »ich hab' Weiberhoffart in mir, die
hab' ich von meiner Mutter geerbt. Faulheit! sagt vor etlichen Tagen
der Herr Meigel aus dem Flecken zu mir. Bei sich selber nennt er's
Ruhestand. Ich weiß recht gut, daß man Gott den Herrn kniend verehrt
und den Teufel liegend. Oh, ich fürcht' mich allzusehr vorm Stinken,
als daß ich nichts tun möcht'. Mach's freilich nit so wie die andern
Leut', die nur desweg arbeiten, damit sie Mittel kriegen zum Faulenzen.«

»Aber ein Krügel Wein bisweilen will doch verdient sein!«

»Was hilft mir der Wein, wenn ich ihn im Wirtshaus nit mit Frieden
trinken kann! Allerweil: Der lange Rauk! Der schieche Rauk! Der dürre
Rauk! Und -- der dumme Rauk! Das sag' ich mir selber, der dumme
Rauk, der sich unter die Leut' setzt und seines Vaters einzigen Sohn
ausspotten laßt!«

Was die Wirtshausgesellen sagen, meinte ich hierauf, das könne ihm
ziemlich gleichgültig sein; wichtiger sei es, was die Weibsleute von
ihm dächten.

»O Jeß, die Weibsleute!« rief er aus. »Ihrer zehn oder zwölf Jahr' lang
hab' ich mich foppen lassen, alsdann hab' ich genug gehabt.«

Das sei nichts, meinte ich, die schönsten und tüchtigsten Männer würden
ihr Lebtag lang gefoppt.

»Das schon,« sagte der Rauk, »und die schönsten und tüchtigsten Männer
foppen wieder. Von einem Kerl wie unsereiner ~laßt~ sich aber
keine foppen, und das verdrießt mich.«

Ob er ein Hiesiger wäre?

»Vaters halber ist's schon möglich,« antwortete er, »der Pfarrer sagt,
er weiß nichts davon -- heißt das, im Kirchenbuch. Mit den Musikanten
bin ich umgegangen, aber wie mir die Zähne ausgefallen sind, hat das
Blasen ein End' gehabt. Hab' ich mich halt im Ziselwald eingenistet,
und muß alle Tag' ein bissel achtgeben, daß ich nit verhunger'.«

Wo er seine Wohnung habe?

»Gleich können Sie ihn sehen, den Turm von meinem Gschloß!« rief er,
und in der Tat, als wir noch einige hundert Schritte zwischen jungem
Fichtenwald hingestrichen waren, stand uns über dem Gewipfel her das
Bild entgegen. Fast schon in der Nähe ragte aus dem Schober eines
wildmassigen finsteren Astwerks die knorzige Nadel empor. Es war mein
Stefansturm.

»Das freut mich,« sagte ich, »daß wir auf einmal bei diesem Baume sind.«

»Wir sind noch nit bei ihm,« entgegnete der Rauk. Und wahrlich,
wir hatten noch eine halbe Stunde oder länger zu tun, bis wir ihn
erreichten. Die Bäume standen sehr dünn, waren verkrüppelt und hatten
Flechtenbärte, der Boden hatte eine blaßgrüne Moosdecke, auf der
gruppenweise Binsen mit ihren weißwolligen Federbüschen standen, und
Sauerklee, Seidelbast und Wildfarnkraut. Der Waldsteig, den mein
Begleiter früher einzuhalten wußte, obwohl er streckenweise kaum zu
erkennen war, hatte sich ganz verloren, und mit jedem Schritte sanken
wir bis über die Knöchel in den schwarzen, moorigen Ungrund. Der Rauk
schleppte einen Zipfel seines Mantels hinter sich nach wie ein König,
doch sank er nicht so tief ein als ich, weil er breiteres Schuhwerk
hatte und das Gehen auf solchem Boden besser verstand.

»Sich fein gering machen!« rief er mir immer zu. Wenn ich nur auch
gewußt hätte, wie man das anstellt. Leicht und vorsichtig auftreten,
das kann man, doch der Rauk behauptete, man könne mehr. Man könne sich
mit gutem Willen um etliche Pfunde leichter machen; der feste Willen
hebe einen hoch, wie der Suppendampf den Hafendeckel. Er habe schon
Wetten gewonnen, indem er sich in derselben Minute mehrmals wiegen
gelassen auf der Fleischhauerwage, und ganz verschiedenes Gewicht
gegeben. »Gebt acht, jetzt mach' ich mich schwer!« sagte er, und sank
auf der Stelle tiefer ein.

Ich hätte ihm seine Kunst aufgelöst, wenn Zeit und Stimmung dazu
gewesen wäre. Einstweilen mußte ich trachten, einen so starken Willen
zu entwickeln, daß er mich zur Höhe hob, »wie der Suppendampf den
Hafendeckel«, und wir weiter kamen.

Endlich blieben wir aber doch stecken. Bis zu den Knien im Morast, so
rasteten wir uns aus, und der lange Rauk lachte.

Er hatte leichter lachen als ich, denn bis er von unten bis oben
versank, das brauchte länger, als bei mir Durchschnittsmenschen.

Ich war etliche Schritte hinter ihm steckengeblieben, wir konnten uns
nicht mit den Stecken, geschweige mit den Armen erreichen.

»Der größte Spaß wäre,« rief er, »wenn jetzt die Geier kämen!«

»Welche Geier?«

»Die auf der Rauberfeichten ihre Nester haben und erst im vorigen Jahr
einem Hirschen, der hier steckengeblieben ist, das Fleisch aus dem Leib
gehackt haben.«

»Vergelt's Gott für Euren schönen Zuspruch!« sagte ich.

»Oder die Hornussen, die gar nit weit von da ihre Bruten haben und von
den Mardern gern wild gemacht werden. Nachher stechen sie, die Vieher;
ihrer sieben erstechen ein Roß. Grausam stechen sie!«

Da ich wirklich das Schwirren eines solchen Tierchens bemerkt zu haben
glaubte, so hatte ich Gelegenheit zu erfahren, was ein fester Wille
vermag. Ich arbeitete mich mit Macht heraus, um dann wie ein Krokodil
auf dem Bauche zu kriechen.

»Aha, Sie haben es!« lachte der Rauk schnaufend und knetete an
sich herum; »ja, für den Notfall macht man's so. Passiert mir aber
wunderselten, daß ich just an die Stelle komm'. Die hoffärtigen Engel
aus dem Himmel sind durch das große Loch, das hier gewesen, in die
Höll' gefahren. Später hat's der Teufel mit Morast zugestopft.«

Mittlerweile war auch er herausgekommen. Wir gelangten allmählich auf
festeres Erdreich -- und nach wenigen Minuten standen wir am gewaltigen
Baum.

Ringsum ist eine Art von Anger mit Sumpf, in welchen die Arme der
Wurzeln ausgreifen, teils unter der Moosdecke verborgen, teils über
derselben in hundert Knien und Verzweigungen ausklammernd, teils morsch
und rindig, teils hart und weiß wie Elfenbein. -- Die anderen Bäume
halten sich in respektvoller Ferne, die stattlichsten von ihnen reichen
dem Koloß bis zum untersten Astwerk empor. Der Stamm ist zerklüftet,
teilweise entrindet und fast wie ein Strick gedreht. Ich glaube, daß
ihn vier Männer nicht zu umspannen vermögen. Viele Arme des Geästes
sind für sich schon Baumstämme; einzelnes Geknorre ist kahl und fahl
wie Knochen, anderes ist so dicht in ein dunkelgrünes Reisiggefilze
eingewoben, daß es der Blick nicht durchdringt und man über sich nur
eine dunkle Masse sieht, in der die korbartigen Horste der Raubvögel
sind und aus der mancher Strunk seine abenteuerlich geformten Glieder
in die Weite reckt.

Ich wunderte mich, daß dieser Baum, der ein ganzes Dorf über den Winter
mit Brennholz versehen könnte, noch nicht gefällt worden sei. »Sie
getrauen sich nicht über ihn,« sagte der Rauk, »der fällt nicht wie
andere!«

Zur Stunde fächelte und rauschte der Wald in einem lebhaften Winde.

An der Riesenfichte regte sich nichts, alles starr, nur ein dumpfes
Sausen war zu hören hoch im Astwerk. Über demselben ragt der kahle
Schaft, vielfach zerrissen und dennoch urkräftig in die Einsamkeit der
Lüfte auf. Die Gestalt ist wuchtig und viel gegliedert, aber der spitze
Schaft über dem Kronenwerk schien mir hier kaum hoch genug, um für die
Ferne die schlanke Nadel des Stefansturmes vorzustellen.

Fast schade, daß der Name: »Rauberfichte« so harmlosen Ursprungs ist.
Zusammenkünfte von Räubern an diesem Platze, Räubergelage im Schatten
des Baumes, wilde Mordgesellen ihre Beute teilend und wie der Rauch vom
Feuer des üppigen Mahles langsam ins Astwerk aufsteigt und der Gegend
weitum die Schrecken verkündet, oder ein paar Erzräuber baumelnd an den
Ästen -- und wäre es auch nur in Sage und Märchen -- würde mir den
Baum recht aufputzen. Dergleichen ist nicht.

Draußen im Tale stehen zwei Bauernhäuser mit dem Vulgärnamen: Die
Rauber. Die Gründe des »oberen Raubers« erstreckten sich einst weit in
den Wald bis zur Stelle, wo die alte Fichte als Grenzbaum steht, die
daher die Benennung: »Rauberfichte« erhalten hatte.

Der Rauk war langsam um den Baum gegangen und jetzt auf einmal
verschwunden. Durch eine Höhlung zwischen dem Gewurzel war er ins
Innere geschlüpft. Ich guckte ihm nach.

Im hohlen Raum war ein Lager von Binsenstroh, eine Holzaxt und ein
Sack, halbgefüllt mit Harzrinden. Die Wände der Höhlung waren teils
verkohlt, als würde auf diesem häuslichen Herd auch bisweilen Feuer
unterhalten.

Die Höhlung ging hoch in den Baum empor, und wenn man mit dem Stock
hinauffuhr, so erreichte man keine Decke, und an den Wänden rieselte
Moder nieder und Käfergezücht.

So sieht es mit dem Innern dieses Baumes aus. Aber die Haut und Hülse
ist noch dicker, als mancher fünfzigjährige Stamm, und vermittelt Mark
und Saft der Fichtenkrone, die hoch auf solchem Holze wuchert.

»Das ist das Haus des langen Rauk,« sagte der lange Rauk. »Wir haben
auch beide Platz herinnen, wenn Sie Ihre Füße rein machen wollen. Wir
machen Feuer, daß die Strümpfe trocknen mögen.«

»Ist Euer Haus gegen Feuer assekuriert?« fragte ich.

»Lebendige Häuser brennen nicht nieder,« war die Antwort.

»Von außen gesehen wäre es das stolzeste Wohnhaus im ganzen Land.«

»Ist aber nur meine Werktagsresidenz,« berichtete er, »und nur wenn
ich am Abend diesem Baume näher bin, als einer Köhlerhütte, übernachte
ich in ihm. Weiter ist's nichts.«

So hat sich die ganze Sache mit dem Stefansturm, mit der Rauberfichte,
mit dem Rauk und seiner Abenteuerlichkeit als etwas hohl erwiesen. Der
Schlupfwinkel eines Pechschabers.

Ich kehrte an jenem Tage spät und müde vom Walde heim.

Und wenn ich nun wieder sitze in der kühlen Stubenecke, und im Fenster
liegt das sonnenblaue Meer des Waldes mit seiner spitzen Nadel im
Horizont, da will meiner Phantasie die alte Herrlichkeit nicht mehr
so ganz gelingen. Aber leid täte es mir doch, wenn eines Tages ein
Rauchqualm aufstiege oder eine Feuersäule emporlohte in stiller Nacht
-- und mein schlanker Turm in sich zusammenbräche.

»Das nit!« sagt der lange Rauk, »der Baum steht noch länger als wir
zwei zusammen.«




                       Hans Johanns Hauptsache.


Wenn ich sage es war ein einzig guter rührender Mensch, so legt
jeder das Buch hin und läuft davon. So sage ich lieber, er war ein
Taugenichts.

Und das war er auch.

In den Schulen, wo er stets vorgeschriebene Marschroute hatte, da ging
es noch an. Aber als er selbst der leitende Teil ward, als Lehrer
in der Dorfschule, da ging es nicht mehr an. Die unterschiedlichen
Kinder machten ihm viel zu große Sorgen, als daß er sich ihrem
Unterrichte widmen konnte. Ob sie in der Fibel lesen konnten oder
auf der Schiefertafel die Ziffern zusammenzählen und in einer sehr
verläßlichen Ordnung hinschreiben, das war Nebensache. Hauptsache
war die Gesundheit. Und so kümmerte er sich, ob das kleine Volk
auch warme Joppen hätte und Schuhe an den Füßen, ob die Kinder wohl
gewaschen und gekämmt wären -- und wo es mangelte, da griff er flink
zu und trachtete, beim Bäcker, beim Müller, beim Fleischer, als den
Großen des Dorfes, für die armen Wald- und Gebirgskinder altes Gewand
zu bekommen; er nahm auch Eßwaren und ließ durchblicken, daß solche
Wohltaten an ihren eigenen Kindern würden vergolten werden. Die
großmütigen Spender verstanden das so, daß -- wie die Kinder der Armen
Not an Hemden und Strümpfen hätten -- die Kinder der Reichen zumeist
Not an guten Schulnoten haben, und daß der Herr Lehrer dann wohl den
richtigen Ausgleich treffen würde. Hans Johann sah auch wirklich
nicht ein, weshalb er die Spenden für mittellose Kinder nicht mit
hübschen Fleißzetteln und ausgiebigen Fortgangsklassen der reichen
Bürgerskinder schlichten sollte. Hauptsache war die Gesundheit. Und
so setzte er sich auch gerne zu den Kindern auf eine Bank und gab
ihnen Verhaltungsmaßregeln, wie sie gesund bleiben, ihren Körper
stärken und zur Arbeit tüchtig werden könnten. Solches Bestreben war
nicht fruchtlos und nach einem Jahre schon waren alle Kinder reinlich
gehalten, soweit ordentlich gekleidet und von frischerem Aussehen. Der
Bezirksschulinspektor aber konnte bei der Schulschlußprüfung nichts
als den Kopf schütteln und die Hände ringen, und als die Kinder nach
überstandener Plage lustig davontrollten, stellte er sich vor den
Lehrer hin, rang wieder die Hände und rief: »Aber um Gottes willen!
Herr Johann!«

Sonst sagte er nichts. War auch nicht nötig.

»Seh's eh ein,« sprach der Lehrer ganz gemütsruhig, »daß ich nicht
recht tauge zu einem Lehrer.«

»Wenn Sie irgendwo eine Stelle als Kindsmagd bekommen können,
greifen Sie sofort zu.« Mit diesem wohlwollenden Rate ging der
Bezirksschulinspektor seines Weges.

Und der Johann des seinen. Denn er war erledigt. Aber nicht auf lange.
In demselben Orte hatte er unschwer die Briefträgerstelle bekommen. Er
hatte täglich über Berg und Tal zu gehen und den zerstreuten Vierteln
die Post zu vermitteln. Das tat er auf das gewissenhafteste, und wenn
ihm ein Bauer eine Post auftrug, für ihn im Dorf Einkäufe zu besorgen,
oder eine Bäuerin irgend was Wichtiges zur Nachbarin zu befördern
hatte, so tat er's bereitwillig, vergaß aber dabei manchmal, den
Brief abzugeben. Es war zuwider, aber Besonderes daran konnte Johann
nun nicht finden. Was pflegen sich die Leute denn zu schreiben? Daß
sie, Gott sei Dank, soweit gesund sind, daß der oder die geheiratet
hat oder gestorben ist, daß es sonst nichts Neues gibt und daß sie
schön grüßen lassen. Ob die Bauern das wissen oder nicht, Hauptsache
ist, daß man ihnen mitunter eine Gefälligkeit erweisen kann. Das ging
ein Jährchen so herum. Dann kam die Geschichte mit dem Geldbrief.
An den Obergamshofer in Spittelberg hatte Johann einen Geldbrief zu
bestellen. Aber der Weg dahin ist ziemlich weit, unterwegs hatte er ein
mühseliges Bettelweib getroffen. Dem war die Fußkrücke entzweigegangen
und so konnte es nicht recht vorwärts. Johann ging ins Wegmacherhaus
um Werkzeug und zimmerte der Alten eine neue Krücke. Denn es war just
des Obergamshofers Weidknecht des Weges gekommen, dem konnte er den
Geldbrief mitgeben. »Ja richtig, Mathes,« sagte er noch, »das Blattel
da mußt unterschreiben. Nicht können tust schreiben? Nachher mach halt
drei Kreuzeln. Bin froh, daß du mir den Weg ersparst. Hauptsach' ist,
daß das Mutterl da wieder auf die Füße kommt. Bleib' schön gesund,
Mathes.«

Einige Wochen später kam's zutage, daß der Obergamshofer keinen
Geldbrief erhalten hatte, daß ihm aber sein Weidknecht durchgebrannt
war. Dieses Ereignis kostete dem Briefträger allerhand und auch den
Dienst.

Jetzt hatte er Zeit, sich den Hauptsachen zu widmen, und merkwürdig
-- jetzt verlangte niemand danach. Ja, es kam allmählich ungefähr so
heraus, als ob für den Hans Johann nun die Hauptsache wäre, einstweilen
nicht zu verhungern. Er bewarb sich also wieder um einen Dienst. Das
Steueramt im nächsten Bezirksorte suchte einen Amtsboten. Aber den
Johann nahm man nicht an, aus Besorgnis, er würde aus Erbarmen mit den
Parteien die Steueraufträge unterschlagen. Das Landesgericht hatte für
einen Gerichtsarrest die Profosenstelle ausgeschrieben; der Bewerber
Hans Johann wurde rundweg abgelehnt; der hätte keinem Arrestanten die
Türe verschlossen gehalten nach dem Grundsatz, Hauptsache bei den
Menschen sei die Freiheit. Soweit war unser Johann schon in Verruf
gekommen. Dann verscholl er auf einige Zeit, um später in einem
Haushaltungsbureau aufzutauchen.

Hier war er fleißig und gewissenhaft und füllte seine Stelle völlig
aus. Aber es war das Haushaltungsbureau eines Siechenhauses. Seine
Erholungsstunden brachte er bei den Siechenden und Krüppeln zu, um
ihnen die Zeit zu vertreiben und sie aufzumuntern. Er ließ sich von
ihnen ihre Anliegen erzählen; sie, auf die sonst niemand mehr hören
wollte, an denen jeder gleichgültig vorüberging, waren seiner Teilnahme
so froh. Er besorgte den Ofen, wenn sie fröstelten, holte ihnen ein
frisches Glas Wasser, wenn sie dürsteten, schrieb ihnen Briefe an
Angehörige. Dann blieb er noch länger und las ihnen erbauliche oder
lustige Geschichten vor oder trieb Schwänke und Späße in eigner Person.
So daß die Armen getröstet und munter wurden. Wenn er darob bisweilen
seinen Bureaudienst versäumte, so dachte er, ob die Reisballen, die
Strohsäcke und Bettdecken und Medizinen aufgeschrieben werden oder
nicht, wenn sie nur da sind. Hauptsache sind die armen Leutle und daß
sie immer einmal ein bissel Zerstreuung haben.

Da war in der Anstalt ein alter Holzhändler, so vergichtet und
mühselig, daß er in der dunkeln Stube bleiben mußte, wenn draußen die
warme Sonne schien, weil niemand war, der ihn ins Freie führte. Als
nun der Schreiber Johann erschien, der tat es gerne. Er blieb auch
sitzen unter dem Kastanienbaum neben dem alten Manne und hörte geduldig
seinen Klagen zu. Und eines Abends, als die übrigen Spazierhumpler und
Sitzer sich verzogen hatten, weil es kühl geworden, und auch Johann
seinen Schützling ins Haus führen wollte, blieb der Alte sitzen, langte
mit der dürren, fiebernden Hand hinter seine Brustjacke und zog ein
verknülltes, vergriffenes Paket heraus.

»Herr Johann!« sagte er leise und hastig, »das gehört Ihnen. Es ist
mein Geld, sie wissen nichts davon. Ich mag nit, daß es in den großen
Sack kommt, da spürt kein Mensch was davon. Sie sind der Mensch, der's
recht anwendet. Es gehört Ihnen. Da, da -- nur geschwind einstecken!«

Johann nahm das Paket in die Hand. »Sie meinen, daß ich's Ihnen
aufheben soll.«

»Ich brauch's nimmer. Will nur, daß wer was hat davon. Erspart ist's
redlich. Aber dumm dürfen Sie nit sein und es ausplauschen. Tun's es
gut einschieben.«

Es schien ihm nicht weh zu tun, dem Alten, wie er nun seinen
Sparpfennig hingab, an dem er wohl viele Jahre lang gesammelt hatte und
an dem sein Herz gehangen war. Aber angelegentlich verfolgte sein Auge
den Vorgang, wie Johann das Paket in seine Brusttasche steckte. »Schön
fleißig zuknöpfeln!« murmelte der Alte und knöpfte mit krampfigen
Fingern über Johanns Tasche den Knopf ein. Bald hernach wankte er am
Arm des Schreibers ins Haus.

An demselben Abend war's, daß der Direktor der Anstalt dem Hans Johann
eröffnete, daß er entlassen sei. Grund gab er keinen an, war auch
überflüssig. Johann wußte recht gut, daß er nicht aufgenommen worden,
um die Pfleglinge zu unterhalten, sondern um die Rechnungen und
Wirtschaftskorrespondenzen zu besorgen. Da er letztere vernachlässigt
hatte, so fand er seine Abdankung völlig in Ordnung.

Stärker überrascht war er nachher auf seinem Zimmerchen, und zwar von
der Menge Geldes, die er im Paket fand. Dafür kann man ja ein Schloß
kaufen und den alten Holzhändler in der Kalesche hineinführen! Und dann
kann der Hans Johann sein Kammerdiener werden -- so ist allen geholfen.

An einem der nächsten Tage, als er mit solch neuem Lebenslaufe beginnen
will, ist der alte Gichtkrüppel richtig schon seit frühmorgens tot.
Der Johann steht wie zerschlagen da. »Was tu' ich jetzt!« Auf die
Leiche verwendete er nicht viel, denn davon hat niemand was und der
Hans Johann ist ein praktischer Mann. Auch Almosen teilte er nur
spärlich aus; Almosen, sagte er, mache Bettler; den Leuten müsse man
viel gründlicher helfen. Von seinen großen Mitteln ließ er noch nichts
verlauten, nur daß er ein Weilchen später im vorderen Labachtal,
dort wo es windgeschützt und sonnig ist, ein Grundstück kaufte und
große Erdarbeiten beginnen ließ. Eine Anstalt für Gichtleidende und
Unheilbare soll errichtet werden, wo die armen Kranken besonders gut
gehalten werden müssen und wo er mitten unter ihnen leben will, um zu
helfen, zu trösten, wie es nötig sein wird.

Während die weitläufigen Grundfesten zu diesem Gebäude gegraben und
gebaut wurden und stellenweise schon ein Mauerwerk emporzustreben
begann, half der Johann einem notigen Kleinhäusler das Heu und das
reife Korn unter Dach bringen, denn das -- meinte er -- sei für den
Bauern die Hauptsache. Inzwischen, zu den kleinen Ruhepausen, trachtete
er im Heu oder auf den Garben dem Söhnlein des Kleinhäuslers das
Abc beizubringen; derlei Buchstaben, sagte er, seien zwar nicht die
Hauptsache, auch die Lesekunst nicht und auch die Gelehrtheit nicht,
aber daß man mit solchen Wissenschaften in der lieben Welt weiterkomme
und ein tüchtiger Mann werde, das sei die Hauptsache.

»Wann d' schon alleweil von der Hauptsach' redest, da hast eine!«
Mit diesen Worten versetzte ihm der Kleinhäusler eine klatschende
Ohrfeige. »Garbentragen heißt's jetzt und nit schulfuchsen!«

Der Johann griff sich an sein also bedachtes Haupt und schwieg. Nichtig
ist's eh, dachte er, wenn sie im Winter was zu essen haben wollen,
muß man jetzt ernten. Daß er für sich nur Undank erntete, das war
er schon gewohnt und fand es auch für selbstverständlich. So viel
Tiefblick hatte er wohl, um zu wissen, daß es am besten sei, einem,
dem man was Gutes getan hat, nachher in weitem Bogen auszuweichen;
denn die Begegnung mit dem Wohltäter, den sie nicht mehr brauchen,
ist den Leuten zuwider und der ganze Mensch wird ihnen zuwider,
sie wollen am liebsten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Außer sie
brauchen ihn wieder plötzlich einmal, dann halten sie es auch für
selbstverständlich, daß er ihnen neuerdings hilft, und wenn er das
zufällig einmal nicht kann, so werden sie ihm weit feindseliger als
einem anderen, der ihnen nie was Gutes getan hat. Das alles hatte
Johann erfahren und er dachte weiter nicht darüber nach. Er war jedem
dankbar, der sich von ihm etwas Gutes tun ließ und blieb ihm dankbar
und betrachtete ihn als einen Gönner, dieser mochte oft noch so roh
und erkennungslos sein. Nun, so hat den Johann auch die Ohrfeige nicht
im mindesten beirrt, er half emsig Garben tragen, und abends, als
der Häusler ihm fast freundlich eine gute Nacht zurief, schlich der
Johann gerührt in seine Behausung und dankte Gott für die vielen guten
Menschen, die er erschaffen hat.

Wenn Johann dann wieder hinausging, um die Fortschritte seines Baues zu
beschauen und wie emsig hier brave Leute arbeiteten, um armen Kranken
ein Heim zu schaffen, da freute ihn die ganze Welt. Jedoch aber! Als
die dritte Auszahlung war und der Baumeister darauf drang, endlich
doch auch einen Kostenüberschlag zu bestimmen, da kam für unsern
Idealisten einmal eine wirkliche Überraschung. Er hatte gemeint, mit
seinen zweieinhalbtausend Gulden, dem Nachlasse des alten Holzhändlers,
ein stattliches Krankenhaus mit den hierzu erforderlichen Stiftungen
bestreiten zu können, und nun zeigte es sich, daß das Geld schon
verbraucht war, während das Mauerwerk kaum noch mannshoch aus der Erde
hervorstand. Da haben wir's jetzt. Der Johann griff sich an den Kopf
und rief: »Deuxl, Deuxl noch einmal, daß so was so saumäßig teuer mag
sein!« Nun mußte der Bau eingestellt werden und mit dem Gelde, das
zu so hohen Dingen bestimmt gewesen, war nichts geschaffen als ein
durchwühlter Boden mit Schutt und Steinen. Hans Johann wollte sich
jetzt den Kopf wegreißen. Nicht ob der Leute Gelächter und Spott, denn
hierin hatten sie ja recht, und er lachte und spottete mit ihnen --
ach wie bitter bitterlich ist es, sich selbst auslachen zu müssen.
Daß er aber ein so grundschlechter Verwalter des Nachlasses gewesen
und kein einziger Notleidender davon auch nur um eines Hellers Wert
Erleichterung hatte, das wollte ihm nicht gestatten, einen solchen Kopf
noch länger auf dem Rumpfe stehen zu lassen. Jetzt wußte er endlich
auch, was bei ihm die Hauptsache war. Eine grenzenlose Dummheit.

Fast schien es, als hätte er nun auch allen Kredit verloren. Wenn
er jemand auf der Straße das Bündel wollte tragen helfen, oder wenn
er am geländerlosen Labachsteg schwindelige Leute hinüberführen
wollte, da sagten sie dreist: »Schau du auf dich selber!« Und das war
tatsächlich ein guter Rat, denn er begann leiblich zu verkommen und
zu verderben. Auf der Baustelle, zwischen den Mauern und Sandhaufen,
baute er Erdäpfel an, aber diese wußten, daß der stolze Grund nicht
ihnen vermeint gewesen, fühlten darob ihre Ehre verletzt und wollten
nicht recht wachsen. Als sie im Spätherbste endlich doch so weit waren,
daß sie den Spaten lohnten, dachten die Nachbarsleute: der Johann
verschenkt sie ja doch! und stahlen ihm die Erdäpfel in der Mondnacht.

So ist die praktische Seite von Johanns Tätigkeit stets unpraktisch
ausgefallen, während über die ideale Rechnung im Himmel gewacht
wird, wir einstweilen also keinen Einblick haben. Zu jener Zeit
aber behauptete ein tiefsinniger Mann, der Hans Johann würde seinen
Mitmenschen noch einmal tüchtig imponieren und er hätte das Zeug zu
einer großen Heldentat. Man hörte aber nichts weiter, als daß Johann in
einem Eisenwerke ein Weilchen Schichtenschreiber war. Später soll er in
einem Meierhofe des Unterlandes als Taglöhner gesehen worden sein. Und
dann hörte man gar nichts mehr von ihm. Er war verschollen und auf der
verlassenen Baustelle, wo das große Krankenhaus hätte stehen sollen,
wucherten Nesseln und Disteln.

Um so merkwürdiger ist es, daß viele Jahre später von Leuten, die darum
wußten, bei Mostar in der Herzegowina auf einem Friedhof ein halb
verwitterter Grabstein gefunden wurde, der die Inschrift trug: Hans
Johann, Soldat aus dem steierischen Infanterieregiment 27. Und darunter
einige Worte in türkischer Sprache. Die darauf angestellten Forschungen
ergaben folgendes: Hans Johann soll unter außergewöhnlichen Umständen
für einen jungen Rekruten, der sehr an Heimweh litt, eingestanden sein,
sei aber ein spottschlechter Soldat gewesen. Bei dem Einmarsche der
Österreicher in die Herzegowina habe sich auf einem Bergpasse zwischen
den Österreichern und den Türken ein Gefecht entsponnen. Johann sollte
schießen, da sah er in demselben Augenblick, von einer anderen Kugel
getroffen, einen türkischen Soldaten fallen. Das Gewehr warf er weg und
eilte hin, um dem Schwerverwundeten beizustehen. Während er ihm aus
seiner Feldflasche Labung einzuflößen suchte und ihn aus dem Bereich
des Kampfes schleppen wollte, sank er selbst nieder, von einer Kugel
getroffen. Der türkische Soldat, der mit dem Leben davongekommen,
habe den barmherzigen Österreicher mit Ehren begraben lassen und
den Denkstein mit der Inschrift gestiftet. Die türkischen Worte auf
demselben heißen zu deutsch: Aller Hauptsachen Hauptsache ist die
Liebe.




                       Der Himmelherrgottswirt.


Eins sagt man den Tirolern nach. Sie hätten nämlich -- sagt man --
ihre Straßen darum so krummlinig angelegt, damit die Fremden um so
länger durchs Land zu reisen und dabei um so mehr Geld im Lande zu
lassen hätten. Indeß vermute ich, daß die krummen Linien weniger vom
geradsinnigen Tiroler, als vielmehr von seinen höckerigen Bergen
herrühren. Wohl wahr, die Straßen, die dort und auch anderswo im
Zickzack die Täler durchziehen, wie eine mit schwerfälliger Hand
gezogene Schrift, könnten streckenweise nachdenklich machen, wenn
nicht schon die Eisenbahn da wäre, die, keinen Berg und keine Schlucht
respektierend, die alte Schrift mit geraderen Linien durchstreicht.

Ich bin kein Ehrabschneider, aber dem Himmelherrgottswirt zu St. Peter
beweise ich's, daß er viele Jahre lang jene Absicht hatte, die man den
Tirolern ungerechtfertigterweise zuschreibt.

Man sieht's ihm sonst nicht an, er ist ein Bauer wie jeder andere,
und trägt auch gerade kein Gesicht um, dem man so viel Bösartigkeit
zutrauen könnte! Aber er hat ein Wirtshaus und treibt Handel, und so
Leute, die ihren Vorteil bei anderen Leuten suchen müssen, werden es
allmählich gewohnt, andere zu übervorteilen. »Geschäft« heißen sie es.
Ja, wenn jedes unschöne Ding einen so schönen Namen hätte, es gäbe
keine Betrüger und Gauner und Galgenstricke auf der Welt.

Weiter sagt man dem Himmelherrgottswirt nichts Unrechtes nach. Daß ich
nur erzähle.

Das Dörflein St. Peter mit der Kirche und dem Wirtshaus steht auf
einem Hügel. Die belebte Straße, die durch das Tal geht, steigt diesen
Hügel hinan und drüben wieder hinunter in dasselbe Tal. Auf der
Höhe, just vor dem Kirchhofstore, auf einer weißen Tafel steht mit
schwarzen Lettern der schöne Spruch: »Radschuh bei Strafe von zwei
Gulden!« Was sind an diesen beiden Steigungen nicht für höllische
Wetter zusammengeflucht worden von blaukitteligen Fuhrleuten! Ruckweise
gehetzt und geflucht, dann wieder geschoben und geflucht, dann wieder
stecken geblieben und geflucht, und nachher die wilde Jagd von einer
Wasserkehre zur andern und geflucht.

So ging's Tag und Nacht und selbst am Festtage war keine Stunde frei
von solchem Lärm. Was sind die Rösser seit Urzeiten nicht geprügelt
worden auf diesem Wege zum heiligen Peter hinan! Aber oben -- fast
schon oben nah' der Kirche -- stand das Wirtshaus, da gossen die
Fuhrleute Wein auf ihre Galle. Und hinunter ging's lustiger, da gab's
nur zu fluchen, wenn bei Nichtanwendung des Radschuhes der Wagen einmal
ein paar Pferde niederstieß und darauf der Zöllner die zwei Gulden
Strafe einhob.

Ähnlich ging's Jahrzehnte lang zu. Da kam den Leuten vor wenigen Jahren
eine merkwürdige Idee, die weiß Gott wie lange schon in der Luft
gehangen sein mochte oder unten auf dem Erdboden gelegen neben dem
Bach, ohne daß sie ein Mensch gefunden hätte.

»Warum,« sagten die Leute auf einmal, »muß die Straße den vertrakten
Berg hinansteigen? Warum soll sie nicht unten im ebenen Tal neben dem
Bach hinlaufen wie die vielen Meilen her?«

Warum? Ja, es wußte keiner warum. Nur der Kirchenwirt zu St. Peter gab
Antwort.

»Warum?« sagte er und machte die Augen zu, wie er immer tat, wenn er
etwas Gescheites sagte, »das ist desweg', weil im Tal beim Bach meine
Wiese ist, über die ich nicht fahren lasse.«

»Du laßt nicht fahren!«

»Laß nicht fahren.«

»Kirchenwirt,« sprach ein anderer, »du weißt recht wohl, daß dir deine
Wiese gut bezahlt werden wird.«

»Weiß es wohl.«

»Aber du weißt es auch, daß dein Wirtshaus auf dem Berg von der Straße
leben muß. ~So~ steht die Sach'!«

»Und so wird sie auch stehen bleiben!« Damit schnitt der Wirt das
Gespräch ab.

Seitdem war's wieder beim Alten. Aber doch nicht ganz. Früher fluchten
die Fuhrleute, aber sie wußten nicht, auf wen; die steile Straße
war unschuldig, sie wäre am liebsten gar keine Straße und möchte
grünes Gras auf sich wachsen lassen; die schweren Eisenflossen waren
unschuldig, sie wären am liebsten für alle Ewigkeit im Erzberg ruhen
geblieben. Und die Weinfässer, Salzladungen und Kornsäcke konnten
nichts dafür, daß sie so schwer wogen -- und den Pferden konnte im
Grunde nichts Überpferdliches zugemutet werden. Und wenn manchmal
eine Kutsche mit Leuten bepackt heranächzte, so waren es gerade diese
Lasten, die am wenigsten ein Scheltwort annehmen wollten. Die schönsten
Flüche verpufften in der Luft. So früher. Aber jetzt! Jetzt wußten
sie, wer Ursache war des blutigen Marterweges zu diesem Dorfe hinan,
wo schließlich keiner was zu tun hatte, was nicht auch im Tale getan
werden konnte. Die Flüche nannten von nun an den Kirchenwirt, schossen
dem Kirchenwirt zu, diesem »kreuzvermarideiten Himmelherrgottswirt!«
Wer wüßte es nicht, wie einzig so ein blaukitteliger Fuhrknecht in
seiner Wut schelten kann. Und so bekam der Kirchenwirt den an und für
sich sehr schönen, aber seiner Ursache wegen nicht schmeichelhaften
Titel: »Himmelherrgottswirt«. Man muß es nur hören, wie das klingt,
wenn es zwischen knirschenden Zähnen herausgeknurrt wird.

Aber der Himmelherrgottswirt machte sich nichts draus. Eher, als
er die Straße unten im Tale über seine Wiese gehen ließe -- an St.
Peter vorüber, ohne nach St. Peter zu kommen, und die Fuhrleute und
die Reisenden etwa gar unten beim Mosthansel einkehrten -- eher läßt
er sich kohlschwarz anfluchen über und über; dem Geldbeutel tut das
ja nicht weh. -- Dem Geldbeutel, meint ihr, das Fluchen nicht weh?
Ja, seht, das Heranfluchen freilich nicht, aber das Vorbeifluchen
doch! Die schwersten Fuhrwerke ächzten an dem Wirtshause vorüber und
kehrten im Tale beim Mosthansel ein. Das war sonst eine recht kleine,
schlichte Wirtschaft gewesen, beim Hansel, denn der Kirchenwirt hatte
sie nie emporkommen lassen. Aber jetzt schaffte sich der Hansel mehrere
Gattungen Weine an -- alte und junge, weiße und rote, süße und saure
-- fast so verschiedenerlei, als der Gäste waren; legte sich auch Heu,
Hafer und Mais zu, den Zugtieren zu Nutz; und Tierfleisch für solche,
die Heu und Hafer verschmähten und sich doch sättigen und stärken
wollten zum Fluchen über den Hügel, oder sich davon zu erholen hatten.
Der Hansel selbst war ein junger, umsichtiger und unterhaltsamer
Mann, der mit einer alten Muhme, die recht schwätzen konnte, die nun
aufblühende Wirtschaft betrieb. Und wenn der Sonntag kam, so kamen
sogar die Bauern der Umgegend zum Hansel zusammen, weil dort jetzt
immer Gesellschaft war, und auch weil es freier herging, als wie beim
Kirchenwirt, wo der Pfarrhof und der Friedhof so nahe waren. Da fanden
sich auch Musikanten ein, und es tat sich zur Sommerszeit oft ein
ganzes Volksfest zusammen vor dem Mosthanselhaus.

Zu solcher Zeit schien es fast, als käme die Reihe zum Fluchen an den
Himmelherrgottswirt. Tat's aber nur im Gedanken; auswendig schnitt er
ein lustiges Gesicht.

»Das wär' schon zum Lachen, wenn unsereiner auf so ein paar läppische
Roßknecht' anstünd'. Man hat eh' von diesen Leuten mehr Schaden gehabt
als Nutzen. Den Hof voll Mist, ja, das machen sie einem, und schuldig
bleiben, das können sie wie's Schmenten (Fluchen) und das Schmenten
können sie weit besser wie Vaterunser beten. Fuhrleut' Geld haben! Ja,
wer's glaubt, wird selig; auf meiner schwarzen Tafel steht ein ganz
anderes Evangeli zu lesen. Und die Herren Kavaliere, die vorbeifahren
-- hört mir auf, denen ist das beste zu schlecht und das wohlfeilste
zu teuer. Mag mich gar nimmer scheren mit so Leuten -- mag nicht, sag'
ich!«

»Da hast einmal in Grund und Boden recht, Wirt,« entgegnete ihm darauf
eines Tages der Tabakkrämer. »Desweg' ist's am gescheitesten, wir
bringen die Straße zum Dorf herauf ganz ab. Lassen es gar nicht mehr
herauffahren, das Bettelvolk -- soll unten bleiben am Bach und Kroißen
(Krebsen) fangen.«

»So redest ~du~!« rief der Wirt, »du, der morgen schon Hunger
leidet, wenn heut' kein Fuhrknecht mit der Blader vorspricht! Oder
willst du ihn dir mit Essig und Öl machen lassen, deinen Tabak?«

Der Andere schupfte die Achseln: »Was kann ich machen! Die Landstraß'
haben sie nicht gebaut, daß ich meinen Tabak anbring'. Verlegen
sie den Weg, so muß ich mir halt helfen, wie ich kann. Daß ich ein
Narr wär' und gegen die Vielheit streiten wollt'! -- Schnupf eins,
Himmelherrgottswirt!«

Der Wirt schlug ihm die Dose aus der Hand.

»Geschieht mir recht,« murmelte der Tabakkrämer, »wenn man den heiligen
Namen auf ~den~ hängt, das ist Gotteslästerung.«

                   *       *       *       *       *

Aber der Bau der Straße im Tal verzögerte sich von Jahr zu Jahr, denn
gutwillig gab der Wirt die Wiese nicht und Gewalt wollte man nicht
brauchen.

Da ging einmal ein alter Wurzelgräber durch das Dorf; der hörte das
Schelten und Gotteslästern der Fuhrleute, die dem Kirchenwirt alle
schwere Not und den Teufel ins Haus wünschten. An der hinteren Tür des
Wirtshauses standen die Kinder des Wirtes, denen rief der alte Mann
zu: »Euer Vater führt ein gutes Leben. Wenn aber die Flüche all' an
~euch~ ausgehen sollen! Es heißt ja doch, der Eltern Sünden müssen
die Kinder büßen. 's ist schauderlich! Behüt' euch Gott, Kinder, ich
tu' euch nichts.«

Und ging von Hundegekläff begleitet vorüber.

Da stund es an noch etliche Jahre, und es kamen die Weihnachten 1876.
Der Heilige Abend ist doch sonst gewiß kein Unglückstag, gleichwohl
er der Jahrestag ist, an welchem Adam und Eva erschaffen worden sein
sollen. Aber beim Kirchenwirt zu St. Peter trug sich an diesem Tage was
Trauriges zu.

Bisher, so lange von steifen Trotzköpfen und bösem Fluchen die Rede
gewesen war, wollte ich das Dasein eines schönen Kirchenwirtstöchterls
nicht verraten. »Sie war wie eine Blume,« man kann's besser nicht
sagen. Sie war nun siebzehn Jahre alt und das Einzige, welches dem
Wirte von seinen Kindern übrig geblieben. Ihretwegen war die letzte
Zeit her mancher junge Fuhrknecht, der zu Trotz hier nicht mehr
einkehren wollte, weit schwerer auf dem ebenen Boden vor dem Wirtshause
vorübergefahren, als den Berg heran. Dieses Wirtstöchterl war bei so
manchem der triftigste Grund, daß die Straße an beiden Seiten den
steilen Hügel zum Dorfe hinanstieg. Ob Julchen für oder gegen die
Verlegung der Straße war, das getraue ich mir nicht zu entscheiden,
denn junge Leute gehen ihre eigenen Wege.

Und einen solchen, ganz absonderlichen, ging sie an jenem Heiligen
Abend.

Man kennt ja die Weiber -- aus lauter Warmherzigkeit und
Lebenssehnsucht und Ahnen und Bangen abergläubisch über alle Maßen!
Schon die jungen! -- Da ist der rote Holler. Am Christabende während
des Ave-Läutens gepflückt und dann in einen Blumentopf gesteckt, kann
er im nächsten Fasching grünen. Tut er's, so kommt in demselbigen
Jahre der Bräutigam. Ein Dirndl von siebzehn Jahren -- da kann der
Hollerzweig doch wohl schon treiben ... Man probiert's, nützt es nicht,
so schadet es auch nicht.

An der rückwärtigen Kirchhofsmauer zu St. Peter wächst roter Holler.
Mit einigem Zagen, aber vielem Mute läuft Julchen, während auf dem
Turme die Ave-Glocke klingt, im Dunkel über den Kirchhof. Sie schaut
sich nicht viel um, erhascht einen Zweig, eilt rasch wieder zurück und
stürzt aus Hast in ein offenes Grab. Das war für einen alten, müden
Pilger bereitet worden, der just am heiligen Christtag in die ewige
Ruh' gehen wollte, oder -- wie man's nimmt -- in die Krippe aus Erden.
-- Wie der Küster das Tor schließt, hört er den Schrei -- läuft hin und
zerrt das vor Schreck ohnmächtige Mädchen aus dem Grabe hervor; es ist
bewegungslos wie eine Leiche, und so wird sie nach Hause getragen.

Der Wirt ist dem Zusammenbrechen nahe, er meint, das Kind sei tot. Die
Leute rennen auf der Gasse um und der böse Leumund, der immer nur auf
einen Anlaß -- am liebsten ein Unglück -- wartet, bricht los wie ein
zischend Heer in der Luft, das man nicht sieht und nicht fassen kann,
und das in jedes Ohr bläst Spott und Hohn, und Schadenfreude weckt
in dem Menschenherzen, auf welches reuig zu schlagen wohl jeder eine
Ursache hätte.

»Da seht, da seht,« riefen die Leute, »das hat er jetzt! Umsonst ist
da nicht so oft geflucht worden. Jetzt geht die Frucht auf. Fällt ihm
sein Kind lebendig ins Grab! Ist das nicht augenscheinlich eine Strafe
Gottes?«

Kann ein abgerissener Zweig wieder grünen, so kann auch ein junges, dem
Grabe entrissenes Menschenkind wieder leben. Meint ihr nicht, Leute?
Tretet ins Haus und seht, Julchen sitzt aufrecht, es fehlt ihr nichts.
Ohnmachten bei jungen Leuten ziehen vorüber wie eine Frühlingswolke an
der Sonne. Ihr Vater ist noch blaß vor Schreck, mit zitternder Hand
streicht er ihr die Friedhofserde von ihrem braunlockigen Haar.

                   *       *       *       *       *

Und in der Nacht, als das Mädchen geruhsam im Bette schlief und auf
dem Turme des Himmels Engel schon die Glocken läuteten, auf daß die
zerstreute Gemeinde zusammenkomme zum strahlenden Altare -- da schritt
auch der Wirt in die Kirche. Er wankte wie ein Greis, der Schreck stak
ihm noch in den Gliedern, noch bebte ihm das aufgerüttelte Herz. Daß
sie an dem bedeutungsvollen Tage in das Grab fiel, das konnte kein
gutes Zeichen sein ... Ihm war hart und bang.

So wollte denn in dieser Nacht, in welcher der Christ mit seiner Gnade
herabgestiegen ist zur Erde -- der Kirchenwirt vor der Krippe knien
und Beruhigung erflehen. -- Und als die zwölfte Stunde schlug, als das
Christamt begann und das Lied: »Dies ist der Tag, von Gott gemacht!«
erklang, da wurde dem Manne leichter ums Herz.

Zur Wandlung verstummte die Orgel. Die Gemeinde lag auf den Knien
und jeder betete in dieser feierlichen Stunde für das liebste seines
Herzens. -- Mit gefalteten Händen betete der Wirt vor der Krippe
für sein Kind. -- Still war's. -- Da rasselten draußen auf dem
hartgefrorenen Boden schwere Wagenräder, Pferde stampften und wieherten
unter pfeifenden Peitschenhieben, und von den Lippen des Fuhrmannes
gellte ein grober Fluch. Und das war auf des Kirchenwirts Gebet die
Antwort gewesen. --

Was bei diesem Zwischenfalle der Kirchenwirt empfunden hatte, das zeigt
am besten sein Gang in die Sakristei, als kaum der Gottesdienst zu Ende
war.

»Ein Wort mit dem Herrn Pfarrer,« stotterte er, »vielleicht wäre auch
der Gemeindevorstand zuwege. Ein Stück Papier und Schreibzeug!«

Mit bebender Hand schrieb er's hin:

 »Die Wiese am Bach für ewige Zeiten zur Straße.

                                                        Anton Egghofer,
                                             Kirchenwirt zu St. Peter.«

Heute ist die Straße fertig. Sie geht, wie die Leute sagen, »handeben«
im Tale hin. Das Fluchen kann man den Fuhrleuten nicht nehmen, sie
haben sonst auch nicht viel Unterhaltliches auf der Welt, aber auf
ebener Straße hört sich das ganz anders, als auf bergigem Grund.

Zu beschreiben wäre noch die Dankbarkeit der Pferde -- doch, wir wollen
die Wagen aller Art mit Gott und gutem Gespann ihrer Wege ziehen
lassen.

Wer nach St. Peter hinauf ~will~, die alte Straße ist und bleibt
noch fahrbar. Im Herbst des nächsten Jahres war's, als etliche sehr
schwere Wagen vom Dorfe zu Tale ächzten. »Radschuh bei Strafe von zwei
Gulden!«

Ja, freilich, bei ~solchen~ Brautfuhren, da heißt's einschleifen.
--

Gekommen war's so: Im Fasching hatte der Hollerzweig gegrünt, im Mai
hatte er geblüht, im Juni war der Mosthansel zum Julchen gegangen. Und
jetzt Hochzeit.




                            Herr v. Florin.


Er hätte Künstler werden können, er hätte Professor werden können,
er hätte Bürgermeister werden können -- Landtagsabgeordneter,
Herrenhausmitglied -- dann Baron oder Präsident, so oder so. Baron,
wenn der Staat eine Monarchie verblieben, Präsident, wenn er eine
Republik geworden. -- Und ist nichts, als ein windiger Rasierer.

Ein Bartscherer, ein Haarkräusler und Geckenaufputzer, ein
Perückenflechter und Haarzopfsträhner. Man verlangt, daß er Späße
mache, und da er sie nicht macht, so macht man sich welche mit
ihm. Man nennt ihn Doktor, er protestiert nicht dagegen, der Titel
gebührt ihm; er ist belesen, er nennt alle hohen Berge der Welt beim
Namen und weiß, wie hoch sie sind, weiß es in Fuß und Metern, kennt
die Tiefen des Meeres und berechnet nach einem alten Atlas, wo die
größten Tiefen sind. Er gibt dem Landmann, während er ihm den Bart
abschabt, Fingerzeige über die Witterung der nächsten Monate, belehrt
ihn, wie er den Dung streuen, woher er den Samen beziehen müsse.
Er hat Agentschaften, und zwar deren so viele, daß er vor lauter
Schildertafeln die Tünche seines Häuschens erspart. Er versichert dem
Bauer das Haus, das Vieh, die Feldfrüchte, das Leben. -- Wenn mir
dieser »Lebensversicherer«, denkt sich der Bauer, »nur jetzt die Gurgel
nicht abschneidet! Anstellt er sich g'rad so. Kratzen tut der Saggra
schon, daß man die Engel singen hört! Schneidet denn das Messer nit?«
-- Allerdings, das Messer rostet schon, denn Herr Florin hängt das
Geschäft an den Nagel und rasiert den Mann nur aus Gefälligkeit. Er
will ihm auch aus Gefälligkeit den Prozeß führen helfen, den der Bauer
mit einem Nachbar hat. Meister Florin weiß sich gut aus im Gesetzbuch
und wird dem findigsten Doktor zu gescheit. Er führt verschiedenerlei
Schreibergeschäfte, hat hier einen Strauß mit dem Steueramt, dort einen
Handel mit dem Bezirksgericht, da ein Renkontre mit dem Notar oder mit
einem Gläubiger, mit dem oder jenen -- und gewinnt, gewinnt alles.

Daher will er das Rasiergeschäft aufgeben, es sind schlechte
Zeiten. Ja, früher, in seines seligen Vaters Jahren, wo jeder brave
Staatsbürger fortweg sein glattes Gesicht haben mußte, da war's
leicht, Rasierer zu sein. Aber jetzt, wo die Leute ihren Patriotismus
und ihre Weisheit und ihr politisches Bekenntnis in den Barthaaren
herauswachsen lassen, jetzt wird der Rasierer -- und er mag der klügste
und fleißigste Mann sein -- ein fallider Fallot.

Überhaupt -- und das Wörtlein hat Meister Florin immer auf der Zunge
-- überhaupt, das fliegt so über alles hin, da steckt alles d'rin, was
der Sprecher meint, aber nicht weiß, oder wenn er gar nichts meint
und nichts weiß, als nur, daß hier ein Wort gut stehe, so sagt er:
überhaupt, und hat damit sehr viel und sehr vernünftig gesprochen. Also
-- »überhaupt«, sagt der Meister Florin, »es ist nicht mehr so wie
früher, die Welt ist ganz anders geworden, heute siegt nur das Geld und
der Protze, der Brutale, der Aufdringliche, überhaupt der Windbeutel.
Ich könnte heut' auch anders dastehen, aber ich bin immer zu ehrlich
und bescheiden gewesen. Den ersten Prügel hat mir mein Vater unter
die Füße geworfen, weil er mich nicht studieren ließ, sondern mich
zu seinem Handwerk zwang, zu dem ich niemals Lust und Schick gehabt
habe. Ich bitt' euch, ein strebsamer, intelligenter, für alles Schöne
begeisterter junger Mann, Friseur! Aber ich habe mich herausgearbeitet.
Wenn ich heute das Geld hätte, das mir die Kerzen gekostet haben,
bei denen ich die ganzen Nächte hindurch studiert habe! In den
einundzwanzig Jahrgängen der Theaterzeitung und in den Jahrbüchern
des Gothaer Almanach und im Selbstadvokat gibt's kein Blatt, das ich
nicht in mich aufgenommen hätte. Ich habe meine Freude dran gehabt,
überhaupt, ich habe immer Sinn für was Besseres gehabt. Und ich hab's
mitgemacht, wie wir die Eisenbahn bekommen haben und den Telegraph. Bei
meinem Aufwachsen hat noch keiner in unserer Gegend eine Baumwolljoppe
getragen, und das Einjährig-Freiwilligen-Institut jetzt, die
Hinterlader, überhaupt das ganze Kriegswesen. Das ist ein Fortschritt!
Ich bin fortweg bei den Fortschrittsmännern und Aufgeklärten gestanden
und überhaupt, früher ist die Welt in zweihundert Jahren nicht um das
weitergekommen, als wie zu meiner Zeit. Es ist besser geworden und
es wäre ganz gut geworden, wenn nicht die Anmaßung das große Wort
führte. Der ehrliche Mann verarmt. Es ist ja zum Rasendwerden, wenn man
betrachtet, wer heute das Heft in der Hand hat.« So seine Betrachtungen.

Er war im Stadtschulrat, aber sie haben ihn nicht zum Obmann
gemacht, er ist in den Gemeinderat gewählt worden, aber bei der
Bürgermeisterwahl, da --! Er hätte wenigstens zwei Drittel der Stimmen
gehabt, aber die Kabale! Die Kabale, ihr Herren! -- Sie haben es ganz
gut gewußt, was sie tun; denn wenn er, der Meister Florin, obenauf
gekommen wäre, da hätt's anders gehen müssen. Er wüßte schon, was zu
machen wäre! Eine Mustergemeinde hätte er geschaffen, an der sich
selbst der Staat ein Muster genommen haben würde. Man hätte »oben«
gefragt: wer ist der treffliche Mann? Gehörte er nicht vielmehr
hierher an's Ruder, als daß er seine Kraft in dem engen Wirkungskreise
vergeude?

Vor einer solchen Aussicht wird jeder Geschäftsmann -- er braucht nicht
erst Friseur zu sein -- die Lust an seinem Berufe verlieren. Meister
Florin macht bekannt: er rasiert nicht mehr. Jetzt kommen Fremde ins
Städtchen, Touristen, sie suchen einen Friseur. Ist keiner da. Sie
suchen auch einen Führer. Allsogleich tritt Meister Florin hervor und
macht seine höfliche Aufwartung, er kennt die Gegend, wie sonst gar
keiner mehr, er ist gerne bereit. -- Schön, was er begehre? -- Bitte,
es macht ihm ein Vergnügen, er ist mit von der Partie. Sie suchten
einen Führer und finden einen Kavalier. Um so besser. Den Träger für
Mäntel und Mundvorrat bestellt der Herr Florin; sie laden ihn ein, aus
ihrem Vorrate zu essen, mitzutrinken; er will nicht ablehnen, er tut
den Schinken und Flaschen sehr viel Ehre an; er ist stets delikat, aber
das ist zufällig seine Leibspeise, sein Tropfen -- hoch sollen sie
leben!

Er weiß unterwegs stets zu erzählen und spricht ganz im Geiste der
Zeit, heißt das, wenn er merkt, die Fremden hätten keinen. Er erzählt
gern von sich und was ihm eben so am geläufigsten ist; die Fremden
heucheln Interesse, so lange sie's vermögen, endlich aber danken sie
für seine freundliche Begleitung und gehen ihrer Wege.

Trotzdem, oder -- überhaupt, die Fremdenführerschaft trägt mehr, als
das Friseur- und Rasiergeschäft, sie trägt wenigstens die Kost und
man ist in der frischen Luft und Naturfreund ist man auch. Ist's und
wird's von Tour zu Tour mehr, denn überall erinnert man sich, was einen
früheren Touristen entzückt hat und das entzückt einen nun auch und so
bringt man im Laufe der Jahre eine Unzahl von »romantischen« Wegen,
entzückenden Punkten und Aussichten zusammen.

Endlich nimmt er wahr, daß er ein so gewaltiger Naturfreund und
Tourist geworden ist, daß er davon leben kann. Er läßt sich als Führer
immer noch nicht lohnen, aber die Präsente, die der Kavalier dem
Kavalier verehrt, die darf er nicht abweisen. Er hat davon schon eine
respektable Sammlung, er verkauft sie nicht, es sind werte Andenken
von hohen Bekanntschaften und lieben Freunden -- und versetzen, nur
wenn's sein muß. Auch die Touristenvereine sind ihm erkenntlich, und
wie die Assekuranzen -- die er längst vernachlässigt und verloren
hat -- einst das Äußere seines Hauses mit Agenturtafeln dekoriert
haben, so dekorieren die Touristenvereine es von innen mit Diplomen,
Gebirgskarten und Edelweißorden. Er übt wieder Gegenerkenntlichkeiten
und wirbt Mitglieder für die Vereine. So wird er bekannt und gesucht
und jeder Fremde, der am Bahnhof dem Zug entsteigt, frägt als sein
erstes nach dem Herrn Florin. Der steht schon da, stets nett beisammen,
in Nationaltracht, stets höflich, lüftet seinen Touristenhut, ist dem
Herrn zuvorkommend zur Hand beim Aussteigen, beim Gepäcktragen, bei der
Suche nach einem Hotel, und dem Fremden bleibt nichts anderes übrig,
als sich gefangen zu geben.

Der Gasthofbesitzer weiß meinen Florin wohl zu würdigen, und wenn
dieser für genossene Speis und Trank um die Rechnung ersucht, so
vertröstet ihn der Wirt von Tag zu Tag, bis Herr Florin endlich nicht
mehr ersucht und sich die Gasthauskost von Tag zu Tag so trefflich
munden läßt, als ob's auf der weiten Welt kein Stücklein Kreide gäbe.
Es geht. Sehr gut geht's, und Meister Florin sagt es selber: es ginge
ihm sehr gut! und er muß es am besten wissen. Daß er einmal Rasierer
gewesen, hört er nicht gern, es war auch nur ein Spaß von ihm gewesen,
ein schlechter Spaß. Er wohnt auch gar nicht mehr im Friseurhäuschen,
das ist der Habgier eines Gläubigers zum Opfer gefallen, gegen den
der Meister den langjährig geführten Prozeß ganz unstreitig gewonnen
hätte, wenn nicht Bestechung und Hinterlist von Seite des Gläubigers
stattgefunden hätte. Überhaupt sind die Leute heutzutage von einem
greulichen Eigennutz besessen, nur der Wirt nicht, nein, der ist ein
braver Mann. Jetzt wohnt er auch bei ihm.

So verkehrt Meister -- was Meister! Herr von Florin nur mehr mit
vornehmeren Leuten, und wenn man dem Gespräche zuhört, das er und ein
zugereister Universitäts-Professor führen, so ist kein Zweifel, wer
der Gescheitere ist -- nämlich der Herr von Florin. Man kann aber
ordentlich erschrecken, wenn Florin plötzlich behauptet, das deutsche
Kaiserreich tauge nichts und er mit wenigen diktatorischen Aussprüchen
mir nichts dir nichts die Republik einführt und der Fürst Bismarck
wie ein armer Schlucker dasteht, noch um ein paar Stündlein Leben
bittend. Der Professor ist gar nicht imstande, der Tragweite dieser
unerhörten Reformen zu folgen, daher schweigt er, und das imponiert
den umsitzenden Zuhörern. -- »Ja, wie Florin gesprochen, da hat der
gelehrte Herr nachher kein Wort mehr zu sagen gewußt.«

Wie steht er jetzt da, der Herr von Florin! Von altersher -- und zwar
seit etlichen vierzig Jahren -- heißt er Franz Viktor Florin; jetzt,
der Name ist ihm zu lang, er ist selber nicht über fünf Schuh lang, er
braucht keinen so langen Namen, er kürzt ihn, setzt anstatt des Wortes
Viktor bescheiden nur ein kleines v. und jetzt lautet die Visitkarte:
Franz v. Florin. Das steht! sehr gut steht's, und somit wäre er nun
eigentlich oben.

Aber da sehe man den Neid des Schicksals! Überhaupt, wer zum Unglück
geboren ist usw. Auf einmal legt sich der Wirt hin und stirbt und macht
den Herrn v. Florin brotlos und dachlos. Denn der junge Wirt ist ein
Zopf und sagt, Florin solle arbeiten, er sei noch stark genug dazu.
-- So! Also das ist der Lohn, daß er die Fremden herbeigezogen und
die Gegend bekannt gemacht hat! Das ist der Lohn für die Dienste, die
er dem Hause und der Gemeinde und jedermann geleistet hat! Die Kinder
werden einst als alte Leute erzählen von Herrn von Florin, wie schlicht
er war und jovial und welche Reden er der Jugend oft gehalten hat und
wie er für den Fortschritt gewesen und was ihm das Städtchen verdankt.
Manche alte Schrift von seiner Hand wird verblaßt und vergilbt noch
Zeugnis ablegen von dem strebsamen, vielseitigen Manne, der seiner Zeit
voraus gewesen. Aber heute! Heute läßt man ihn darben. Zwar findet
er immer noch gute Seelen, die seinen Nahrungsbedürfnissen Rechnung
tragen, mein Gott, er ist ja leicht zufrieden! Aber der Rock will
verblassen und die fremden Herren, wenn sie kommen, wollen mit dem
fadenscheinigen Rock nicht gerne an einem Tische sitzen. Er ist immer
noch geistesfrisch, ja lustiger als früher und weiß allerlei Schnurren,
auch singt er und macht Musik dazu auf der Zither oder der Gitarre.
Er weiß possierliche Lieder, Sprüche und schalkhafte Anekdoten. Man
lacht darüber, man wartet ihm mit einer Zigarre auf oder läßt ihm ein
Glas Wein vorsetzen und so ist es immer noch unterhaltsam. Es gibt
Leute, die sagen ihm, er solle sich nicht so an die Fersen der Fremden
heften und sich nicht zum Spaßmacher hergeben, er solle lieber wieder
seinen Rasierladen aufmachen. Das sind die Kurzsichtigen. Sie wissen
nicht, was er will und worauf er es abgesehen hat. Er wird noch eine
einflußreiche Stellung gewinnen und dann seine weltbeglückenden Pläne
durchführen.

Einstweilen verkommt er immer mehr. Mancher Fremde, der im Städtchen
absteigt, er mag Tourist sein oder Agent oder Vereinsmeier, nützt ihn
aus, so viel noch auszunützen ist. Er ist eine allbekannte Figur und
viel armseliger und niedriger denkende Subjekte, als er ist, machen ihn
zur Zielscheibe ihres Spottes.

Endlich glaubt er's, daß er nichts erreichen wird; er klagt über ein
verfehltes Leben, setzt die Hoffnung aber auf seine Kinder.

Er hat einen Sohn; der ist geistig sehr begabt, hat ganz den Kopf von
seinem Vater. Der soll studieren. Es ist kein Geld da, es ist keine
Protektion da, oder hat ein oder der andere seiner guten Bekannten doch
etwas zugesagt? Gewerbsmeister des Städtchens wollen den aufgeweckten
Jungen ins Geschäft nehmen, ihm ein Handwerk lehren. Ha, das wäre
wieder die alte Leier; dieses florinische Blut ist für was besseres rot
geworden; der Bursche muß in die Hauptstadt. Er soll sich dort selber
fortbringen, Freunde suchen und sich aus eigener Kraft aufschwingen.
Das macht den Mann. Der Vater hält ihm noch eine schwunghafte
Standrede, wie sie wortprächtiger in keinem Buche zu finden ist, und
der Junge geht in die Stadt. Er schreibt verzagte Episteln heim, der
Vater schickt ihm Briefe voll begeisternder Phrasen, aber sonst ohne
Inhalt. Da schreibt der Sohn in immer längeren Zwischenräumen immer
kürzere Briefe, endlich bleiben die Briefe ganz aus und das ist dem
Herrn Florin ein Zeichen, daß die Taube ein Gestade gefunden hat.

Nun hat Florin -- sein Weib ist ganz Nebensache, das ist da oder es
ist nicht da, einerlei; ist es da, so wird es wohl irgendwo eine
Dachkammer haben, wo es sich mit Nähen oder Stricken fortbringt --
trotzdem hat Herr Florin auch eine Tochter. Mit der läßt er sich nicht
ungern auf der Gasse blicken, denn sie ist schon bald kein Kind mehr
und wächst sich recht sauber aus. Sie als Küchenmädchen zum Wirt geben,
oder gar zu einem Bauer in die Arbeit? Nein. Das Mädchen hat bessere
Aussichten. Ein Baron war da, ein Tourist, der sagte, das Kind müsse
in die Stadt, da könne es sein Glück machen. Da erinnert sich der
umsichtige Vater sofort an gelesene oder gehörte Fälle, wo arme aber
hübsche Mädchen auch in der Stadt ihr Glück -- bisweilen sogar ein
unglaublich großes Glück gemacht haben. Der Herr Baron erklärt sich
bereit, für das Kind eine Stellung ausfindig zu machen, einstweilen
könne es in seinem eigenen Hause wohnen. -- Also doch gute Leute, und
Herr v. Florin sagt, Glück habe er niemalen viel gehabt, aber gute
Menschen habe er immer gefunden, überhaupt habe es den Anschein, daß
sich sein Glück erst bei seinen Kindern einstellen werde.

Er läßt das Mädchen fort und nun -- sind die Kinder versorgt. Sie
sind's zwar nicht, aber Florin ist gewohnt, alles so auszulegen, wie es
am schönsten klingt. Sein Stolz ist, wenn er erzählen kann: Der Sohn
studiert auf einen Doktor, die Tochter ist beim Herrn Baron.

Florin beginnt zu altern, aber er hat noch einen Plan, das ist der
einzige, den er in seinem Leben durchgeführt hätte, ~wenn~ er ihn
durchgeführt hätte. Er kann singen, versteht sich auf Saitenspiel, hat
die Gabe, zu unterhalten; er will fahrender Musiker werden. Das ist
gar nicht dumm, das ist der erste Schritt zum Mitgliede eines größeren
Kunstinstitutes.

Das Mißgeschick ließ es aber nicht dazu kommen. Überhaupt, das
Mißgeschick! Nun sitzt er viel in den Schänken herum und setzt sich zu
dem, der just da ist und hebt einen flotten Diskurs an und läßt Possen
los und will fortgehen. Die Leute sind warm, da darf der Herr von
Florin nicht fortgehen, sie lassen ihm Wein bringen. Das Wasser, das er
zum Wein gießt, hält ihn noch aufrecht. Aber beim Branntwein, da ....

Der Branntwein tut das seine und es gibt einflußreiche Leute in der
Gemeinde, die behaupten, für den alten Florin wäre es am besten, wenn
man ihn ins Armenhaus täte.

Der ~alte~ Florin?

Ja, es ist wahr, er ist grau, er sieht verfallen aus. Wenn er sich nur
öfters ein Stück Fleisch gönnen könnte! Warum sollen denn seine Kinder,
denen es in der Stadt gut geht, nichts für den Vater tun? Keines läßt
was von sich hören.

Nun wird in die Stadt geschrieben. Es kommt eine Antwort; sie ist
von fremder Hand und berichtet, daß der Sohn vor längerer Zeit wegen
Bauernfängerei eingezogen, später wieder freigelassen und seitdem
verschollen sei.

Herr v. Florin erschrickt zuerst, dann aber lächelt er, denn er glaubt
es nicht.

Aufgefordert, schreibt auch die Tochter, sie sei nicht beim Herrn
Baron, aber sie wolle ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten.

Herr Florin schüttelt den Kopf -- er kann es nicht verstehen.

Und so rinnt die Zeit hin, von Tag zu Tag mit steigender
Geschwindigkeit -- wie es im Alter schon geht. Der Florin sitzt auf
der Gartenbank des Armenhauses und schaut den Bienen zu. Einer, der
vorbeigeht, denkt sich: Ja, alter Florin, du hättest den Bienen früher
zuschauen und dir an ihnen ein Beispiel nehmen sollen. Du hast dich
deines ehrlichen Gewerbes geschämt, hast es verlassen und verleugnet.
Hast hingeflunkert, hast hergeflunkert, dein spitzfindiges Spintisieren
und deine hohle Schlauheit hat dich auf die Holzbank vor dem Armenhaus
gebracht. Und wenn jetzt von den fremden Herren, denen du gefällig
warst, von den hochgestellten Freunden, die dir geschmeichelt haben,
einer hier vorbeigeht, so wird er dich nicht kennen, und kennt er
dich, vielleicht sein Haupt wegwenden und in sich hineinmurmeln: Ei,
das ist ja dieser Schwätzer, dieser Fex, dieser -- er hat allerlei
Namen zur Auswahl. Er ist bald vorüber. Ich aber bin der, welcher dir
einst vielleicht den Rat gegeben hat: bleibe deinem Gewerbe treu und
arbeite! Ich gehe nicht an dir vorbei, ich frage dich: »Wie geht es
dir, alter Florin?«

Er schrickt auf. »Danke, danke,« sagt er, »so weit gut, recht gut. Dank
der Nachfrage!«

Eine solche Zufriedenheit auf dieser Bank verdient doch einen Zehner.
»Da, Alter, kannst damit nichts mehr verderben -- gönne dir ein Glas
auf mein Wohl!«

O, im Glase, das er nun trinkt, ist mehr d'rin, als der Spender
ahnt, der Florin -- der Herr Franz von Florin ist Bürgermeister,
Touristenvater, Abgeordneter, Regierungsrat, Schöpfer und Ordner aller
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des
Landes.

Um einen Silberzehner! In der Tat, billiger kann man das Glück nicht
haben. -- Und überhaupt das Glück ....




                           Der Steinschädel.


Es war ein so prächtiges Bauerngut gewesen. Voreh'! Voreh'!

Dann wurde es anders. Der Hinterberger zahlte keine Steuern. Und
doch war er der Besitzer und Nutznießer aller Grundstücke, die den
Hinterberg einhüllten und die sich fast herab ins Tal der Lansa
erstreckten.

Der Hinterberger war nichts weniger als glaubselig. Was in den Büchern
stand, von dem meinte er, das Papier wäre geduldig und man könne
d'rauf drucken, was man wolle. Was auf der Kanzel gepredigt wurde,
von dem hatte er eine nicht viel bessere Meinung: reden ließe sich
alles, was man reden wolle, und man wolle gerade das reden, was zu
eigenem Vorteile wäre. Gegen die Meinungen der Nachbarn und den Rat der
Verwandten war er nicht minder verstockt -- der Steinschädel wurde er
geheißen.

Da kam im Jahre 1848 einer jener Wanderprediger, wovon manche
vernünftig, viele aber Narren gewesen sind. Und dieser Mann predigte,
daß der Bauer von nun an freier Herr seines Grund und Bodens wäre und
also keine Steuern und Abgaben mehr zu entrichten brauche.

Keine Steuern und Abgaben mehr! Das glaubte der Hinterberger aufs Wort.
Das leuchtete ihm ein; denn was mein ist, davon bin ich keinem Menschen
was schuldig. Zudem stand's ja auch in den »Herrschaftsbriefen«, er
bekam ein- für allemal die Papiere über die Grundablösung -- und nun
war er ein freier Mann im freien Staate.

Er zahlte keine Steuern mehr, blieb aber trotz aller Behörden Besitzer
und Nutznießer des ganzen Hinterberges. Die Behörden zwangen ihn auch
nicht -- sie ließen ihm bloß das Vieh aus dem Stalle und das Getreide
von der Scheune führen und deckten damit die Steuern und die Unkosten,
die aus solchem Gebaren erwuchsen.

Da schrie der Hinterberger freilich auf, man täte ihm kreuzunrecht, und
der Staat, der verpflichtet sei, Hab' und Gut seiner Bürger gegen Raub
zu schützen, sei selber der Schelm ...

Zu den Advokaten ging er und suchte Gerechtigkeit, wie er sie dachte.

»Ja, Bauer, das ist nicht so!« sagten die Advokaten.

»Warum ist das nicht so?«

»Ihr sagt ja selbst, daß Ihr den Schutz des Staates erwartet -- wollt
Ihr den umsonst haben?«

»Ich? Den Schutz des Staates? Wozu? Können mir meine Felder gestohlen
werden? Kann mir mein Wald von Räubern umgehauen werden über Nacht? He?«

»Aber in Eure Wohnung kann man einbrechen, mißhandeln kann man Euch und
das Haus über dem Kopf anzünden.«

»Freilich,« rief der Hinterberger, »wer's will und stark genug ist, der
tut's, bricht in meine Wohnung, schlagt mich tot, zündet mir das Haus
an. Bis Eure Polizei hinaufkommt auf den Hinterberg, ist alles vorbei.
Wenn ich selber kein Gewehr im Haus hab', so bin ich hin. Jetzt möcht'
ich wissen, wofür ich Steuern zahlen soll!«

»So wollt Ihr dem Staate entsagen, Hinterberger? Glaubt Ihr, daß Ihr
allein bestehen könnt? Habt Ihr alles auf Eurem Grund, was Ihr zum
Lebensunterhalte braucht? Seid Ihr nicht angewiesen, die überschüssigen
Früchte Eurer Felder zu vertauschen, zu verkaufen, um anderen Bedarf,
der bei Euch auf dem Hinterberge nicht wächst, einzulösen?«

»Ich?« fragte der Bauer, »nein. Wir Hinterberger Bauern sind auf
ein solches Austauschen nicht angewiesen, aber Ihr Herrenleut' seid
es. Ihr sollt froh sein, wenn wir Euch das Korn und das Rindfleisch
~verkaufen~. Freilich kommt Ihr billiger dazu, wenn Ihr mir's mit
Gewalt wegnehmt.«

Das war die Logik des Hinterbergers. Und die Advokaten, die sonst jeden
Prozeß der Klienten mit Zuversicht auf sich zu nehmen pflegen, ließen
ihn im Stich -- alle. Der Bauer fand's ja erklärlich -- sie halten all'
zusammen.

Die Nachbarn sagten ihm: »Sei gescheit, Hinterberger!«

Er antwortete: »Oh, ich bin gescheit genug, aber ihr seid dumm. Tätet
ihr mit mir halten, durchsetzen wollten wir's! Aber einer allein? ...
Und doch geb' ich nicht auf, was mein ist, davon zahl' ich nichts weg!«

So ging es fort. Alljährlich war dasselbe. Zuerst kam der Bote mit
der Aufforderung zum Steuerzahlen, dann kam die Drohung, dann kam die
Pfändung.

Und hierauf saß der Mann traurig vor seiner Haustür und murmelte:
»Jetzt sind wieder die Schelme dagewesen.«

Er hatte Weib und Kinder. Die Kinder verwahrlosten, das Weib verkam.
Dem weinenden Weibe drückte der Gerichtsmann gutmütig die Hand und
bat um Verzeihung, daß er seine Pflicht tun müsse. -- Als die Knaben
heranwuchsen, kannten sie nur eine Ungerechtigkeit auf der Welt: das
Gesetz, und nur einen Feind: den Steuerbeamten.

Der Gerichtsbote weigerte sich, in den Hinterbergerhof hinaufzugehen;
die Knaben empfingen ihn mit Steinwürfen, der Bauer tat sein altes
Schußgewehr zurecht. »Jeden Schelm, der in mein Haus kommt, schieß' ich
nieder.«

Da mußte er's erfahren, daß das Gesetz noch ungerechter sein konnte,
als bloß Hab' und Gut wegzunehmen, daß es auch die persönliche
Freiheit vernichten konnte. Zwei Standarn (Gendarmen) kamen und
reckten zur Tür die Gewehrläufe mit den Bajonetten hinein. Das Weib
des Hinterbergers kreischte auf -- ~solche~ Räuber waren noch nie
dagewesen. Der Mann sagte gleichgültig: »Ein dummer Kerl müßt' ich
sein, wenn ich mich jetzt wehren wollt'. Da habt's mich, schleppt's
mich mit, bringt's mich um!«

Er saß wochenlang im Arrest. Er machte dort Bekanntschaft mit anderen,
die mit dem Gesetze ebenfalls im Kriege lebten. Der »Steinschädel« war
sonst ein Feind des Lernens, weil er ja ohnehin alles wußte und weil
Fremdes seiner Überzeugung stets entgegen war. Aber im Arrest -- das
gestand er sich -- war manches zu profitieren. Die Genossen waren reich
an Erfahrungen und hatten neue Ideen. -- Entweder der Mensch hat sein
Eigentum für seine Person, dann muß der Mensch dieses Eigentum fest
zusammenhalten, und keiner hat das Recht, davon zu nehmen. Oder der
Mensch hat kein Eigentum, alles ist gemeinschaftlich, gut, nachher muß
aber der Reichtum so verteilt sein, daß jeder gleich viel hat. Nachher
hat jeder Sachen genug, nachher gibt es keinen Armen mehr.

Der Hinterberger hatte sein Lebtag noch keinen Menschen so gescheit
sprechen gehört als den arretierten Tischlergehilfen, der obiges
erörterte. Entweder so oder so! -- Aber Steuerzahlen, das ist nicht so
und nicht so und hat keinen Sinn.

Als der Hinterberger endlich vom Gefängnisse entlassen nach Hause
kam, fand er das Elend noch größer. Die letzte Kuh war aus dem Stall
gepfändet; das Weib lag krank auf dem Stroh und die Kinder balgten sich
um die letzte Brotkrume. Zu den Nachbarn war sein Weg, daß sie ihm
hülfen. Sie lachten ihn aus: »Du Narr, du bist selber schuld. Hättest
nur etliche Bäume aus deinem Wald verkauft und die Steuerschulden wären
gedeckt gewesen.«

»Die Steuer-~Schulden~? Wieso Schulden?«

»Ja glaubst denn, Nachbar, du kommst auf, gegen die Weltordnung?«

»Ich weiß es, daß ich zugrunde gehe, aber ich weiß es auch, daß ich
recht habe, und das ist ein ganz anderes Recht als jenes, so in euern
Gesetzbüchern steht. Und es wird kommen, daß kein Mensch mehr Steuern
zahlt, als etwa der Pächter. Ja, da möcht' ich leben.«

Es kam die Zeit heran, da der älteste Sohn des Hinterbergers
militärpflichtig wurde. Das wird wieder einen Sturm geben mit dem
Alten, meinten die Leute. Aber siehe, der Bauer hatte kein Wort dagegen
und ermahnte noch den Burschen, seinen Vorgesetzten zu gehorchen und
ein tapferer Beschützer des Vaterlandes zu sein.

Die Behörde hatte mit ihm so viel Nachsicht als möglich. Der Pfarrer
besuchte ihn einmal und suchte ihn mit Vernunftgründen zu bekehren.
»Hochwürden« sprach der Bauer rundweg, »wenn Er vom Himmel und Hölle
predigt, da hört man Ihm gern zu; wenn er anstatt Saufen und Raufen
das Beten und Almosengeben aufbringen will, so hat's auch noch seinen
Schick, aber vom Steuerzahlen -- mit Verlaub -- versteht Er gar nichts.«

Da stieg der Oberamtmann selber einmal hinauf gegen den Hinterberg mit
der Absicht und der festen Überzeugung, den närrischen Kauz mit Güte
zu bekehren. Er kam eher zurück, als er sich gedacht hatte, kam sehr
aufgeregt zurück und gab Befehl, gegen diesen wilden Menschen auf dem
Berge nicht die geringste Rücksicht mehr walten zu lassen. Was ihm
passiert war, ist nicht offenbar worden.

Nun pfändeten sie dem Hinterberger den schwanken Tisch und den
wurmstichigen Kasten, so daß die wenigen Habseligkeiten hingeworfen
lagen auf dem morschen Fußboden. Elend sah es aus im Hause, und die
erwachsenen Jungen lungerten arbeits- und zuchtlos draußen in den
Weiten herum und aßen ihr Brot, wo und wie sie es fanden. Eines Tages
wurden zwei davon als Wildschützen eingefangen.

»Ist nicht in Ordnung das!« meinte der Alte, »nur abstrafen, ist schon
recht, nur abstrafen!«

»Dann muß man auch dich mitabstrafen,« rief ein Nachbar, »wie du
deine Kinder hast gebogen, so sind sie erzogen. Darf man ein Gesetz
überschreiten, warum nicht auch zwei, warum nicht auch das dritte,
wenn's gelegen ist, warum nicht alle?«

Mit der armen Hinterbergerin hatte es endlich ein Ende. Ihr letztes
Wort im Sterben war gewesen: »Gott Lob und Dank!«

Die Leichenkosten bezahlte er willig und bar. Aber als die
Verlassenschaftsgebühren zu erlegen waren, fluchte er: »Der Tod auch
besteuert? Auch mit ~dem~ machen sie noch ein Geschäft? Verdammt!«

Eines Montagmorgens war die ganze Gegend in Aufregung. In der Lansa
war ein junger Bursche erschlagen gefunden worden. Ein Raufhandel war
in der Nacht gewesen. Am nächsten Tage kehrte der jüngste Sohn des
Hinterbergers nicht ins Haus zurück. Dafür kam die Botschaft, der
Hinterberger möge mit dem Mittagessen nicht auf sein Bürschl warten,
dasselbe käme heute nicht heim, käme vielleicht auch morgen nicht,
käme vielleicht viele Jahre lang nicht -- die Standarm hätten ihn mit
sich genommen, weil er einen blutigen Rockärmling gehabt habe. Und
einen blutigen Ärmling habe er gehabt, weil er den Sager-Urb umgebracht
hätte.

»Was hätte er?« fragte der Hinterberger.

»Den Sager-Urb hat er umgebracht.«

»Wer?«

»Dein Bürschl -- dein Hans.«

Da legte der Alte die Hand ans Ohr, daß sie die Schallwellen
hineinleite und sagte leise: »Jetzt muß ich noch einmal fragen, wie
du's meinst!«

Und der Bote antwortete eben noch einmal.

Jetzt nannte der Alte den Boten eine Bestie.

Aber solcher Bestien waren mehr. Keiner hat es zwar gesehen, daß
der Hinterberger-Hans den Sager-Urb erschlagen und in die Lansa
geworfen hatte, doch jeder war davon überzeugt. Beim Lindenwirt
waren sie des Abends zusammen gewesen, es wurde getrunken, gesungen,
gezankt und gerauft. Der Metzger Pankraz hetzte, der Urb gab dem
Hans einen Schlag auf die Wange und nannte ihn einen Strolchen von
der Hinterberger-Höhlen, von der seit Jahren schon kein braver
Mensch mehr herausgegangen sei, weil keiner hineingehe. Auch eine
Wilderergeschichte war dabei und einer Liebschaft wegen ging es her.
Der Hans war so wütend, daß er das Ofengeländer zerriß, um mit der
Holzlatte den Urban niederzuschlagen, hätten ihn nicht mehrere Männer
davon abgehalten. Nun ging er in die Nacht hinaus und kam nicht mehr
zurück. Um Mitternacht steckte der Urb seine große Brieftasche ein und
verließ das Wirtshaus; eine halbe Stunde später war an der Lansa ein
Schrei.

Und am nächsten Morgen begegneten zwei in die Arbeit gehende Männer dem
Hinterberger-Hans, der just am Hollerbrunnen Blut von seinem Ärmling
wusch. Ein paar Stunden später fand man unten an der Hammerwehr den
toten Sager-Urb, der mehrere Stiche am Halse und an der Brust hatte.

Der Hans wurde als Verbrecher zu Gericht geführt. Er leugnete die Tat,
die Leute lachten ihm ins Gesicht: Was das Leugnen helfe, wenn alles
sonnenklar liegt!

»Daß ich beim Nachhausegehen in der Nacht Nasenbluten gehabt, das wird
mich doch nicht unglücklich machen!«

Man befahl ihm, daß er schweige. --

Der Hinterberger lief zum Gericht: »Den Buben laßt mir aus! Ich
verpfänd' Haus und Hof für meinen Hans! Er hat nichts getan.«

»Geht, Alter, Haus und Hof habt Ihr nicht mehr zu verpfänden!«

Der Hinterberger schwankte heim zu, da fand er die Türe seines Hauses
versperrt und versiegelt. -- Seit so vielen Jahren die Steuern
verweigert, da hat man ihm endlich den Prozeß gemacht.

So lag nun unter dem Schatten der Esche ein Bettelmann. Nein. Er wollte
nicht betteln, er wollte da liegen bleiben und sterben als ein vom
Staate Zugrundegerichteter. Aber zwei mitleidige Bauern schleppten ihn
mit sich. Er blieb dabei, der Hans wäre an dem Morde unschuldig; und
die Leute blieben dabei: kein anderer hätte den Sager-Urb erschlagen
als der Hinterberger-Bursch'. Die einen gaben ihm lebenslänglichen
Kerker, die anderen ließen ihn hängen.

Im Gerichtssaale ging es heiß zu. Und das Urteil wurde gesprochen. --
Der Hans kehrte aus dem Kriminal zurück und war frei.

Der Alte hatte es nicht glauben können, daß er schuldig sei und konnte
es jetzt nicht glauben, daß er frei war.

»So hat dich doch der heilige Johannes von Nepomuk gerettet?« Der von
Nepomuk ist nämlich ein Patron, den man anruft, um eine verlorene Ehre
wieder zu finden.

»Glaub' nicht, daß er's gewesen ist,« berichtete der Hans, »er hat
einen schwarzen Frack angehabt. Ein Doktor ist's gewesen, und der hat
alles genau untersuchen lassen und hat alle Zeugen überwiesen und hat
nicht eher Ruh' gegeben, bis es ist herausgekommen, daß ich unschuldig
bin, nachdem sie derweil den richtigen Mörder erwischt haben. Der
Pankrazl, der Schelm! Wegen Geld. -- So haben sie mich freilassen
müssen.«

»Und hast nichts Gewisses erfahren, wer der brave Mensch ist gewesen?«

»Nichts Gewisses nicht; den Verteidiger haben sie ihn geheißen und
haben gesagt, das Gesetz tät' vorschreiben, daß jeder Angeklagte einen
Verteidiger müßt' haben.«

»Das Gesetz tät's vorschreiben?« fragte der Alte.

War schon der Gemeindevorsteher da und sagte: »Wenn du auch ein Feind
bist gewesen gegen den Staat und das Gesetz, so hat dich der Staat und
das Gesetz doch nit verlassen.«

Von dieser Stunde ging der Hinterberger in der Einsamkeit um. Dann ging
er zur Behörde und fiel nieder auf die Knie: »Meine Herren, tun's mir
verzeihen!«




                       Der Feuermann Balthasar.


Das Jahr ist alt geworden. Und der Knabe ist noch so jung. Er steht
unter dem Birnbaum und schaut zu zu den Zweigen, an welchen die
Eiszähnchen des Rauhreifes wuchern. Er schaut hinaus über die Heide und
sieht eine kleine Strecke hin die braunen Birnbaumblätter liegen, und
hie und da einen Stein oder einen gebrochenen Rispenhalm; dann geht
alles in den grauen Nebel hinein. Und der Knabe schaut vor sich auf den
Boden hin und vergräbt seine Füßchen in das froststarre Laub, das vor
kurzen Monden noch hier oben grünte.

Und dann zieht er mit seinen kleinen hageren Händen das Linnenwämschen
zurecht, daß es überall langen und wärmen solle, und dann steht er
unbeweglich und blickt in den Nebel hinaus.

Und sieh, dort im Nebel ist ein kleiner dunkler Punkt, und der wird
schärfer und größer und löset sich endlich ganz ab von dem Grauen, und
es ist ein Mensch, der hastig des Weges kommt; ein sorgsam eingemummtes
Mädchen, wohl ein wenig erwachsener als der Knabe, aber doch lang'
nicht tausend Wochen alt.

Das Mädchen hält an und sieht auf den Knaben hin:

»Was stehst denn du da?«

»Ich weiß es nicht,« war die zaghafte Antwort.

»Wer bist du denn?«

»Ich bin der Bübi.«

»Wartest du auf wen?«

»Auf den Tati.«

»Du armer Narr, du frierst ja in den Nebel hinein. Mußt du noch lange
warten?«

Der Kleine sah mit seinen braunen Augen auf. Diese Augen taten dieselbe
Frage: »Muß ich noch lange warten?«

»So will ich dir ein Feuer machen, daß du dich wärmen kannst, bis der
Tati kommt.«

Sie zog ihre Hände aus der Schürze und hub an, Reisig zusammenzutragen
auf einen Haufen, dann tat sie ein Streichhölzchengefäß hervor und dann
brannte das Holz.

»So, und jetzt stelle dich daran und wärme dich und versenge dein
Gewand nicht und warte.«

Das Mädchen ging weiter, ging wieder in den Nebel hinein, bis es in
ihm verschwand. Der Knabe hatte dem Mädchen unverwandt zugeschaut,
und als es nun nicht mehr zu sehen war, wendete er sein Auge auf den
Reisighaufen. Da drin knisterte es und die Flämmchen mehrten sich und
hüpften von einem Ästchen zum andern und strebten empor. Hastig stieg
der dünne, blaue Rauch auf und verschwamm in dem Nebel. Der Knabe
blickte in die Flammen. Ganz nahe stand er am Feuer, rührte kein Glied,
bewegte keine Miene, starrte gleichweg in die Flammen.

Das Feuer prasselte, schlug hoch empor; das Reisig brach ein, die
Flammen schrumpften zusammen, die Kohlen knisterten milder, glühten
still, bröckelten und sanken zur Asche in den Boden.

Stunden waren vergangen, und der Knabe blickte mit geröteten Wangen in
das versterbende Feuer. Er hatte kein abseits gefallenes Ästlein in die
Glut geschoben, er hatte keine Kohle geschürt; wie das Feuer strebte
und verging, so ließ er es streben und vergehen. Die letzten Kohlen
glühten heller und tiefer, denn es hub an zu dunkeln, und der Nebel lag
dichter und finsterer auf der Heide.

Seit dem Mädchen war kein Mensch mehr gekommen und gegangen; der Knabe
hatte nach keinem ausgeblickt. Es war, als wollte er so stehen bleiben
durch den Abend, durch die lange Nacht und immer.

Als es schon sehr dunkelte, kam von jener Seite, in die das Mädchen
hingegangen, ein Knarren und Ächzen heran. Es war ein Fuhrwerk; zwei
Rinder zogen einen Wagen, auf dem ein Mann saß, der Tabak rauchte. Als
er den Knaben sah, rief er: »Ho, oha!« Da blieben die Ochsen stehen und
nun fragte der Fuhrmann, wie vor Stunden das Mädchen gefragt hatte:
»Was stehst denn du da? Wer bist? Auf wen wartest du so spät in der
Weite?«

»Auf den Tati.«

»Auf deinen Vater? Wo ist er denn hingegangen?«

»Der ist auf die Kirmes gegangen.«

»Sprich die Wahrheit, Kleiner! Heute gibt es weit und breit herum keine
Kirmes.«

»Auf der Kirmes hat er Musik gemacht bis in die späte Nacht, und
jetzunder ist er noch nicht zurückgekommen.«

»Alle Heiligen!« ruft der Mann, »das war ja der Musikant, den es vor
drei Tagen in Ottenkirch auf der Kirchweih getroffen hat! Kleiner, das
Warten ist nichts. Komm' zu mir auf den Wagen.«

Jetzt wurde der Knabe verwirrt, aber er kletterte mit Hilfe des Mannes
auf den Karren und setzte sich auf das Stroh. Hierauf taten sie eine
härene Decke über ihre Glieder und der Mann rief »Hie jetzt!« und der
Wagen hub an zu knarren. Sie fuhren durch Nacht und Nebel über die
Heide. Der Knabe antwortete kaum auf die Fragen seines Schirmers,
sondern starrte fast unverwandt in das Glimmen der Pfeife, aus der
jener den Rauch sog. -- --

Seit diesem Tage waren ungezählte Tage vergangen. Der Knabe von
der Heide war erwachsen und ein wohlgebildeter Jüngling geworden.
Jener Fuhrmann war ein Schmiedmeister gewesen und hatte den kleinen
Balthasar in seinem Handwerke erziehen wollen. Aber das ging nicht, der
sonst so fleißige Bursche starrte fortweg in die sprühende Esse oder
blickte träumerisch das glühende Eisen an, statt auf dasselbe frisch
loszuhämmern. »Junger Mann, das Eisen muß man schmieden, solange es
warm ist!« sagte hierauf der Meister eines Tages und riet dann dem
Burschen, er möge es einmal anderswo versuchen.

Balthasar kam in einen Pachthof. Das war ein flinkes Arbeiten auf
dem Felde und im Obstgarten; aber des Abends, wenn andere im Freien
herumstreiften, scherzten und mit den Weibsleuten schäkerten, saß der
Balthasar am Herd und sah den Flammen zu.

»Balthasar,« sagte nun der Pächter einmal, »was schaust du so drein und
bist nicht lustig wie die andern?«

Da blickte der Bursche auf: »Ich? Warum sollt' ich denn nicht lustig
sein? mir geht es gut.« Sein Auge sank wieder der Glut des Herdes zu
und das Antlitz des Jünglings sah nicht betrübt.

»Wenn ich nur wüßte,« rief der Pächter, »was um des Himmelswillen da in
der Aschengrube drin zu sehen ist.«

Jetzt hob der Balthasar wieder sein Haupt und sagte die Worte: »Ich
weiß auf der Welt nichts Schöneres.«

Der Pächter schwieg eine Weile und starrte auch in die Flamme, aber
nur im Sinnen, was er auf die Worte entgegnen sollte. Und endlich
entgegnete er: »Wärst du sonst nicht so bündig und findig, man müßte
hell meinen, du bist ein Narr!«

Und der Pächter ging davon. Der Balthasar aber blieb sitzen am Herde
und murmelte in die Glut hinein: »Allmiteinander wissen sie es nicht,
wer das Feuer hat angezündet. Mädchen, dich will ich nicht verraten,
aber du bist so schön und so gut wie das Licht.«

Balthasar konnte gar flink und heiter sein; viel öfter aber verlor
er sich in stilles Sinnen und Träumen. -- Ich weiß nicht woher, aber
sie ist gekommen und hat mir das Feuer gemacht auf der Heide, daß ich
Waisenkind nicht bin erfroren. Und sie ist wieder gegangen, ich weiß
nicht wohin. Mir schwant, ich soll sie nimmermehr sehen. Aber in den
Flammen, da ist sie bei mir.

Sie haben es nicht geahnt, welche Art von Frömmigkeit es war, wenn
Balthasar am Sonntag in der Kirche sein Auge vom Altar nicht abwendete,
bis die letzte Kerze verloschen.

Eines Tages brannte das Armenhaus; ein Kind war in Lebensgefahr.
Balthasar brach lustig durch die Flammen und befreite das Kind.

»Der ist der Prophet Daniel oder der Teufel,« sagten die Leute.

»Ei, das ist ja der Narr, der die schönsten Weiber übersieht und mit
der Herdglut liebäugelt; dem tut kein Funke was, das ist der Feuermann!«

Der Feuermann! Dieser Name ist dem Burschen geblieben, und in diesem
Namen war es ihm, als sei er mit dem Feuer, dem Sinnbilde seines
Glückes, getraut und vermählt.

Stiller und verschlossener wurde der Balthasar; teils schwermütige,
teils heitere Schwärmerei webte in ihm; er lebte in vergangenen Zeiten.
Seine Vergangenheit, sonst so arm und dunkel und frostigkalt, hatte
einen leuchtenden Stern. Die Mitmenschen spotteten seiner, da wendete
er sich noch mehr von ihnen ab und noch mehr der Flamme zu. Fast
unheimlich war es, wie er an Feuerstätten des Herdes oder des Waldes
saß, und dem wunderbaren ewigen Rätsel des Flammenlebens zusah und
darüber alles andere vergaß. Zuletzt wurde Balthasars Auge so geübt,
daß er selbst in die Sonne hineinblicken konnte, wenn er auf dem Felde
lag. Hingegen zogen sich nach und nach alle anderen Gegenstände von
seinem Auge ab und verschwammen zitternd und unsicher in Dämmerung.
Endlich hatte die Flamme wahrhaftig gesiegt. Eines Tages war Balthasar
erblindet.

Jetzt waren genug Leute da, die behaupteten, so hätten sie es
vorausgesehen, und so hätte es kommen müssen. Und früher war kein
einziger gewesen, der dem seelenkranken Burschen das zehrende Feuer zu
mildern gesucht hätte durch die Wärme eines verstehenden Herzens.

Balthasar aber saß nun stets auf der Bank vor dem neugebauten
Armenhause und wendete das Antlitz ruhig hinaus gegen das Weite. Er
war's zufrieden. Von allen lichtlosen Dingen der Erde verlangte ihm
nichts zu sehen, und die Flamme hatte er, schaute er noch immer mit
seinem Auge. »Wie schön hell sie leuchtet!« lispelte er zuweilen vor
sich hin; und ein anderesmal wieder war er betrübt und murmelte: »Weh',
heut' ist sie matt. Wenn sie verlischt! Balthasar, wenn du erblindest!«
Er wußte es kaum, daß er längst erblindet war, daß er keine Blume und
keines Menschen Angesicht und in Wahrheit keinen einzigen Lichtfunken
mehr sah. Sein Sehnerv träumte nur noch von dem Flammenreiche, in dem
er seit Kindestagen gewandelt war.

Manches lange, einsame Jahr hatte die Sonne seitdem erweckt und
versenkt. Da kam wieder einmal die Kirchweih in Ottenkirch.

»Balthasar,« sagte der Ortsrichter zu dem Blinden, der auf der Bank
des Armenhauses saß, »dein Vater hat auf der Ottenkircher Kirmes
musiziert, so magst du wohl auch auf diese Kirmes gehen, auf daß du
kleine Gaben für dich sammelst.«

»Wohl, wohl,« sagte Balthasar.

Und am Morgen der Kirchweih lächelte Balthasar vergnügt bei sich. --
Er wird Glück haben bei seinem Gabensammeln, die Flamme, die er stetig
sieht, brennt heute hell. -- Ein Knabe führte ihn nach Ottenkirch und
dort, wo am Beginne des Dorfes das Kreuz steht, ließ er den Blinden
hinsitzen auf den reiftauigen Rasen und ging davon. Balthasar fühlte
den Frost und den Nebel wie einst auf der Heide, aber er hörte die
Kirchenglocken und die Schritte und das Plaudern und das Lachen der
Leute, die vorübergingen. Die Leute sahen den Blinden nicht, oder
gedachten auf dem Rückweg ihm das Almosen zu reichen. -- Auch Musik
hörte Balthasar von den Häusern her; ihm war, als ob sein Vater geigte.
Die Flamme flackerte vor seinem Auge, als ob ein Sturmwind ginge.

Zwei übermütige junge Herren in feinen Tuchröcken und Seidenhüten kamen
des Weges.

»Ei, schau,« sagte der eine, »da sitzt ein armer Blinder, dem müssen
wir ein Almosen reichen!« und warf ein schweres Stück in den Hut.

»Vergelt's euch Gott!« rief Balthasar, und tastete nach der Gabe;
»Herr,« sagte er dann, »das ist ein Kieselstein. Und man kann daraus
Funken schlagen. Vergelt's Euch Gott!«

Die jungen Herren gingen lachend weiter, gingen in das Dorf. Sie riefen
jedem Krämer einen scharfen Spott zu. Vor der bekränzten Kirchentür saß
ein Weib und bot Obst feil. Das Weib war nicht alt, aber auffallend
häßlich geartet im Antlitze, bis auf die großen schönen Augen.

»Ei,« rief einer der beiden jungen Herren und hob einen Apfel aus dem
Korb; »sind diese Äpfel aus jenem Urwalde, in welchem deine Eltern auf
den Bäumen herumgeklettert?«

Die Obstverkäuferin erschrak. Wohl mochte sie gewohnt sein, ihrer
Häßlichkeit wegen manchen Spott zu verwinden, aber diesmal ging's ihre
Eltern an -- das grub wild.

Die Obstverkäuferin war im Herzen verletzt, sie nahm den Korb und ging
davon, ehe das Fest noch recht anhub.

Als sie vor das Dorf hinauskam, sah sie den Bettler. Sie blieb stehen
und blickte eine Weile auf die Züge des Mannes, der noch fast jung
war und ein solches Schicksal hatte. Der ist zu gut, um vor der rohen
Menge zu betteln, dachte sie, und dann, indem sie ein Geldstück aus der
Tasche zog, sagte sie: »Armer Mann, was willst denn du da?«

Kaum den Ton der Worte vernehmend, springt Balthasar auf, tastet mit
den bebenden Händen und stöhnt: »Mädchen, Mädchen, du -- du bist es,
die mir das Feuer hat angezündet! -- O, ich kenne dich, ich sehe dich,
du schöner, du guter Engel! Bleib' nur ein wenig, bleib' bei mir!«

Das Mädchen setzte den Korb ab und suchte den erregten Mann zu
beruhigen. »Weißt du's nimmer!« rief Balthasar mit freudeglühenden
Wangen, »es ist Herbst gewesen; der Waisenknabe ist gestanden auf der
Heide, zum Erfrieren. Dann bist du gekommen und hast das Feuer gemacht.
Du mußt es wissen, das Feuer brennt ja noch.«

Die Obstverkäuferin hat dem blinden Manne das bereitete Geldstück nicht
gegeben; sie hat den armen Balthasar mitgenommen, am Arm geführt und
zuletzt auf einem Wagen heimgebracht in den Wohlstand und den Frieden
ihres Hauses.

Er wußte seine Blindheit nicht, er sah das Herrlichste, was man sehen
kann, die Schönheit einer guten Seele.




                      Herr Meyer, der Belehrende.


Michel war von väterlicher Seite ein geborener Meyer, von mütterlicher
Seite ein geborener Sonderling. Sein Vater war Landwirt im oberen
Ennstale; seine Mutter war die Landwirtin dazu. Sie waren vom Haus aus
lutherische Leut', und die Frau trug -- so ging die böse Mär -- unter
ihrem letzten innersten Brustfleck ein Amulett, ein kleines Bild des
großen Tintenkleckses, welchen Luther erzeugte, als er sein Tintenfaß
dem Teufel an den Schädel geschleudert hatte. Der Meyerin liebster
Wandel war, daß sie umherging, um die Nachbarn zur reinen christlichen
Lehre zu bekehren. Das gelang ihr nur bei einigen von denen, die
ihr Geld oder Butter schuldig waren, die andern blieben verstockte
Katholiken. Da wurde der Meyerin eines Tages gesagt: »Du scher' dich
nicht um fremder Leut' Glauben und schau einmal, wie's dein Michel
treibt, der glaubt nichts Katholisches und nichts Lutherisches; Heid
ist er keiner, Jud ist er keiner. Dein Michel ist gar nichts.«

Ihr Michel, der war seit seiner Kindheit in der Stadt und hätte die
Gottesgelehrtheit studieren sollen. Aber weil er alles wissen wollte,
so studierte er auch andere Gelehrtheiten. Und als ihrer solche immer
mehr wurden und im Gehirne des Jünglings kräftig aufwuchsen, so fielen
sie über die arme Gottesgelehrtheit her und fraßen sie auf. Und der
Michel Meyer war auf einmal ein Weltgelehrter; er blickte in das Wesen
der Dinge ein, aber von Muttern blieben die Gelder aus -- denn die
Gelder waren lutherisch.

Hingegen hatte der Vater, der alte Meyer, etwas Konfessionsloses in
seinem Kasten, und das half dem Studiosus recht christlich über Zeiten
hinaus, die sonst schwer gewesen sein würden.

Der Michel aber war kein regelmäßiger Studiosus, der nach regelmäßigen
Rigorosen und Kommersen ein regelmäßiger Professor wird. Ihm war die
Wissenschaft mehr als ein Handwerk, das sonst mit allen Vorurteilen
einer alten Zunft ausgeübt wird. Und doch steckte in dem Michel dickes
Schulmeisterblut. Die Wissenschaften, die er eingesogen, die in ihm
großgewachsen waren, wollten ihn nun fast zersprengen, und schier, wo
er stand und ging, explodierte sein Gehirn. Das heißt, wo er stand
und ging, dozierte er; ja noch mehr, schon des Morgens, wenn er noch
im Bette lag und die alte Haushälterin mit dem Frühstück in die Stube
trat, tat er derselben dar, wieso es eigentlich komme, daß das Glas
schwitzt, wenn es mit frischem Wasser vom Brunnen kommt, und wie das
mit dem Wetter zusammenhänge, so daß an einem schwitzenden Glase die
Beständigkeit der schönen Witterung vorausgesagt werden könne. Auch
machte er die Alte oftmals darauf aufmerksam, daß der Kaffee in der
Schale ein vorzüglicher Barometer sei. »Wenn sich in der Schale jetzt
der Zucker, den ich hineingeworfen habe, aufgelöst, so werden Sie
sehen, daß auf der Oberfläche ein Schaum entsteht; steht dieser Schaum
in der Mitte, so hält das schöne Wetter an, legt er sich aber an den
Rand, so haben wir bald Regen. Sehen Sie, er steht in der Mitte! --
Das ist merkwürdig, nicht wahr? Nun hören Sie, jetzt will ich Ihnen
erklären, wie das kommt.«

Die Haushälterin machte sich stets beizeiten aus dem Staube, der noch
nicht aufgewischt war; sie bewunderte die Weisheit ihres Zimmerherrn,
aber sie verstand nichts von dem, was er erklärte. Sie glaube es schon
auch ohne Erläuterung, meinte sie, und sie sei halt so viel eine
einfache Person.

Der Herr Meyer aber benützte fleißig das schöne Wetter, das ihm
von seinem Kaffee vorausgesagt worden war, und ging hinaus in die
freie Natur zu den schlichten Landleuten, um sie zu unterweisen und
aufzuklären. Denn »in der Dorfschule lernen sie nichts und auf die
Universität gehen sie nicht; aber eines jeden Gebildeten Pflicht ist
es, sie aus der ägyptischen Finsternis herauszuführen«. -- So der
Grundsatz des braven Michel, der zudem auch Schick hatte, die Dinge
einfach und gemeinverständlich darzutun. Er sprach daher mit dem Bauer
von der rationellsten Bewirtschaftung der Felder, erklärte, was der
Humus eigentlich ist, was der Dünger tut, und daß der Regen nicht
unmittelbar als Wasser auf den Boden wirkt, sondern als Lösungsmittel,
welches die Salze in der Erde auflöst und den Pflanzen also zugänglich
macht.

Kam er zu einem Hirten auf die Au, so setzte der Michel bei diesem das
größte Interesse für die Blumen und Kräuter voraus und hielt ihm auf
der Stelle einen botanischen Vortrag. Und wenn der Hirt davonlief,
so schüttelte der Michel über einen solch krassen Indifferentismus
schwermütig den Kopf.

Hingegen war er glücklich, wenn er unterwegs irgendwo einen jener
grübelnden Handwerksleute traf, die über alles sinnieren, nach allem
fragen oder im Notfalle auch alles selbst zu erklären wissen. Weiß der
eine: Ja, so ein winziges Sternl am Himmel ist viel größer, als es uns
scheint; nur die Entfernung macht es uns so klein, in Wirklichkeit
ist es gewiß so groß wie ein Eimerfassel. -- Oder aber: Das Erdbeben!
Da ist halt ein großer Drache in der Erden d'rin, und so oft sich der
bewegt, schüttelt sich der Boden und das ist das Erdbeben. -- Wieder
ein anderer berichtet: Ja, jetzt kriegen wir Krieg. Unser Kaiser hat
seinen Alleröbersten, der nach ihm halt der Höchste ist, zum Türken
in die Türkei hineingeschickt, und daß er -- der Türk' -- halt sollt'
Fried' geben und nicht Krieg führen. Und jetzt, da ist der Türk'
hergegangen und hat dem Kaiser seinen Freund, halt, der nach ihm der
Alleröberste ist, abschlachten und braten lassen, und hat ihn gebraten
unserem Kaiser in einer Kisten zurückgeschickt. Deswegen wird jetzt ein
schauderlicher Krieg anheben. -- Oder: Unsere liebe Frau ist ja wieder
einem Hirtenmädchen erschienen und hat ihr's vertraut: daß, wenn sich
die Menschen nicht bekehren, eine solche Hungersnot kommen wird, daß
die Leut' Brot von gemahlenem Haberstroh essen, und das nicht einmal
genug haben werden.

Da gab's denn für Herrn Michel Meyer in Hülle und Fülle zu tun. Derlei
Ansichten und Reden machten ihm das Blut heiß, und mit Eifer suchte er
sie zu widerlegen und die Wahrheit, wissenschaftlich bewiesen, dafür
hinzustellen. Nur in einem hätte er selbst belehrt werden sollen,
nämlich, daß die Seele des Volkes am liebsten von der Phantasie lebt.

Aber der Michel predigte drauflos. Dem erklärte er das Wachstum
der Bäume; einem anderen bewies er, daß die Erde rund ist wie ein
Ball; einen Dritten belehrte er über die Natur der Staatsschuld,
ihre Ursache und Rückwirkung und ihre Notwendigkeit; einem Vierten
zeigte er mit Kerzenlicht und einem Apfel das Wesen der Sonnen- und
Mondesfinsternisse; einem weiteren legte er die Eigenarten gewisser
Steine dar, erläuterte die Anziehungskraft großer Körper oder eine
andere der physischen Kräfte: den Magnetismus, die Elektrizität.

Häufig fand der Wanderdozent ein geneigtes Ohr, bisweilen sogar ein
gelehriges -- und da kam eine tiefe Befriedigung in sein Wesen, und
er sagte sich: Also, endlich geht es doch vorwärts -- ~muß~ es
vorwärts gehen. Die nächste Generation wird vernünftig sein; vielleicht
richte ich schon in dieser was aus.

Eines Tages begegnete Herr Meyer einem kropfigen, schnaufenden,
grinsenden Kretin. Den faßte er liebevoll an der Hand, zog ihn zu
sich auf eine Bank und sprach vom Kretinismus. Er sagte, daß er --
der Kretin -- nicht selbst schuld sei an seinem Unglücke, daß die
Ursache oftmals in den geologischen Verhältnissen, in der Feuchtigkeit
der Gegend und der Luft, im Trinkwasser und leider auch oft in der
Erziehung liege.

Der Kretin starrte ihn an, streckte seine langen, dürren Finger nach
einem Härchen aus, das dem Michel gerade auf der Nasenspitze wuchs und
grinste. Allein, der Herr Meyer ließ sich nicht irre machen, gab seinem
Bankgenossen Verhaltungsmaßregeln, was die Lebensweise anlangt: viel
Bewegung machen, sich von Fleischspeisen nähren, stets auf gesunde
Luft und Reinlichkeit sehen; dadurch entwickle sich der Körper und die
Entwickelung des Körpers hätte jene des Geistes zur Folge.

Der Kretin brach in ein röchelndes Lachen aus; denn es hatte sich das
Härchen auf der Nase bewegt.

Und ein andermal, da sah der Michel auf der Wiese vor einem Haus ein
Mädchen. Das sang ein schelmisches Liebeslied und begoß einen langen
Leinwandstreifen, der auf der Wiese zum Bleichen ausgebreitet lag. Der
Herr Michel sah dem hübschen Wesen eine Weile zu, und aus der Gießkanne
regnete es hin auf das von der Sonne beschienene Leinwandfach, welches
ohnehin schon weiß genug schien, um von einer anmutigen Hausfrau
geglättet und in den Schrank gelegt zu werden.

Eine anmutige Hausfrau! In Ermangelung eines anderen Hörers hatte es
sich der Herr Michel selbst einmal auf Grundlage seines Charakters und
Alters sehr folgerichtig bewiesen, daß er eine Hausfrau haben müsse.
Und als er nun das Mädchen sah, welches das schelmische Liebeslied
sang und ihn dabei so holdselig anblickte, drängte sich ihm sonder
jeglichen Beweises die Überzeugung auf: das ist die zukünftige ehr- und
tugendsame Hausfrau des Herrn Michel Meyer. Er trat daher ganz zu ihr
hin und sagte: »Tust du Leinwand spritzen, Dirn?«

»Ja, ich tu' Leinwand spritzen, Bub'.«

Das trauliche Bub' machte dem Michel das Herz lebendig.

»Und weißt du wohl, wie das ist, daß die Leinwand durch das Bespritzen
weiß wird?« fragte er.

»Freilich, weil sie gewaschen wird.«

»Daß sie gewaschen wird,« sagte er, »würde nicht genügen, es muß noch
die wohltätige Einwirkung der Sonne dazukommen.« Und hierauf erklärte
er den Einfluß des Lichtes auf die Farbe; und wie die Leinwand noch auf
anderem, dem chemischen Wege weiß gemacht werden könne.

Das Mädchen hielt die leere Kanne in der Hand, hörte zu und wendete
kein Auge von dem jungen Manne, der so schön sprach, daß sie nachgerade
noch weniger davon verstand, als bei der Viehausstellung, wenn der Herr
Doktor eine Rede hielt, die doch auch immer sehr schön ausfiel.

Und als er seinen Vortrag geendet hatte, sagte sie: »Laß es wohl
gelten.«

Und er dachte jubelnd bei sich: Das ist ein intelligentes Mädchen!
Meinem nicht ganz unschwierigen Gedankengang hat sie zu folgen
vermocht. Sie liebt mich, und die Liebe hebt naturgemäß das Weib zum
Manne empor -- auch in geistiger Beziehung.

Mit einem sehr höflichen Gruß verließ er die Leinwandbleichende und
nahm sich vor, am nächsten Tage um dieselbe Zeit wieder an der Stelle
zu erscheinen. Allein am nächsten Tage war ein anderer da, der das
Geschäft der Sprenge besorgte -- ein schöner, frischer Landregen. Doch
wie schon echte Weisheit jedes Hindernis zur Fördernis zu machen weiß,
so kehrte der Herr Michel heute im Hause ein -- bittend um Obdach. Das
Mädchen war allein daheim; Vater und Mutter waren auf die Hochzeit
eines Verwandten gegangen.

»Zum Glücke bist du nicht gegangen,« sagte der Michel, »du wärest doch
gewiß viel hochzeitlicher wie Vater und Mutter.«

»Ich mag nicht früher auf die Hochzeit gehen, als bis ich selber dabei
die Braut sein kann,« war die Antwort.

»Da hast du schon recht. Ich mag ebenfalls bei keiner dabei sein, außer
ich wäre der Bräutigam.«

»Da hat der Herr auch recht.«

»Du Mädel,« versetzte der Michel fast zärtlicher, als es einem Manne
der Wissenschaft ansteht, »gestern hast du mich ~Bub'~ geheißen.
Der möchte ich auch heute wieder sein.«

»Man ist nicht alle Tag' zu so Dummheiten aufgelegt. Heut' ist
Regenwetter, und ich hab' nicht gut ausgeschlafen.«

»Hat dich etwa gar deine Hochzeit nicht mehr schlafen lassen?«

»Die Trud hat mich gedrückt.«

»Der Alp?«

»Ist auf mir gelegen -- ein schauderhaftes Getier, und gemeint hab'
ich, ich müßt' ersticken.«

»Das ist ja kein Getier gewesen,« lachte der Herr Michel, und dann
fuhr er ernsthaft fort: »Der Alp oder die Trud, wie Ihr sagt -- auch
Nachtmahr wird die Erscheinung genannt -- ist weder ein Körper noch
ein Gespenst, sondern das Produkt einer Atemnot. Das Alpdrücken wird
erzeugt, wenn auf Mund oder den Nasenöffnungen die Bettdecke, das
Kissen oder dergleichen zu liegen kommt. Diesen Beschwerden gesellen
sich sofort beängstigende Träume bei, welche so lange währen, bis
es dem Schlafenden gelingt, durch eine unwillkürliche Bewegung die
Respirationsöffnungen wieder zu befreien.«

»Der Herr kann gewiß ein Trudenkreuz machen?« fragte das Mädchen, »aber
sieben Ecken muß es haben. Mit fünf Ecken kann's der Peter auch, die
helfen nichts.«

Sie gab ihm ein Stück Kreide in die Hand und führte ihn in die Kammer
zu ihrem Bette. Es war fein und hoch geschwellt, hatte eine lichtblaue
Decke mit schneeweißem Linnenüberschlag und ein rosenrotes Kissen.

»Da sollt's halt herkommen, da,« sagte sie und deutete mit der Hand auf
das Kopfbrett.

»Liebes Kind,« sagte er, »das kann ich nicht tun, weil es den
Aberglauben befördert, oder wenn du mir lohnst, so zeichne ich dir
etwas anderes auf die Bettstatt. Doch -- ich muß einen Kuß dafür
kriegen.«

»Aber na!« lachte sie, »Er ist doch recht ein verliebter Ding!«

»Ich gestehe es dir, Mädchen, ich liebe dich. Ich trete in kurzer Zeit
eine Professur an und heirate dich, Mädchen, wie du mir schon gestern
gefallen hast; ich will dich aus der Unwissenheit des Volkes reißen und
eine rechte, gebildete Frau aus dir machen. -- Wie heißest du?«

»Gusta,« flüsterte das Mädchen errötend und schlug die Augen zu Boden.

»Also, Augusta, willst du mein sein?«

Sie hielt ihr Köpfchen tief gesenkt und schwieg.

»Ich begreife es wohl,« sagte er, »daß du mit deiner Antwort zögerst,
so lange dir das Wesen der Liebe in seiner Definition noch unbekannt
ist. -- Die Liebe, Augusta, in welche beide wir nun einzugehen
gedenken, haben in ihrer Totalität die größten Männer aller Zeiten
bisher nicht vollständig zu erklären vermocht. Doch vom modern
wissenschaftlichen Standpunkte aus ist sie eine elektromagnetische
Kraft, welche zwei Personen beiderlei Geschlechts zusammenführt, aber
stets nur in solcher Wahl, daß die physischen Eigenschaften, sowie auch
die psychische Bildung der beiden Personen sich gegenseitig ersetzen
und vervollständigen. Um hiervon den Beweis zu erbringen, wird es
allerdings nötig sein, eine mathematische Formel aufzustellen, und zwar
--«

Er begann mit der Kreide auf die Bettstatt zu schreiben.

»+Plus A+ und +minus B+ können, um mich populär auszudrücken,
nicht mitsammen harmonieren; noch weniger werden sich +plus A+
und +plus B+ mitsammen vertragen, ein Verhältnis, das sich mit
+minus A+ und +minus B+ wiederholt. Demnach ist im gegebenen
Beispiele nur eine Komposition möglich, nämlich +plus A+ und
+minus A+, oder auch +plus B+ und +minus B+ -- eben so
viel, als zwei gleichgeartete, aber nicht gleichartige Wesen, die sich
gegenseitig ersetzen und den Unterschied in ihrer Vereinigung aufheben
-- was zu beweisen war.«

Gusta sagte, sie höre das Ferkel so arg grunzen und müsse nachsehen, ob
es sich etwa nicht wieder, wie letzthin, den Fuß zwischen den Barren
verklemmt habe. Sie ging hinaus und ließ den Herrn Michel stehen in der
Kammer.

An einem der nächsten Tage suchte er das Mädchen wieder auf und sagte,
wenn es ihn von nun an definitiv liebe, so würde er sich vielleicht
gelegentlich doch noch entschließen, das Opfer zu bringen, gegen seine
Prinzipien zu verstoßen und ihr zu Liebe das Trudenkreuz an ihre
Bettstatt zu malen.

»Je!« rief Gusta, »da ist der Herr schon zu spat dran. Just gestern
hat mir der Peter das Trudenkreuz gemacht -- ein siebeneckig's ist's
worden, und heut' in der Nacht hab' ich gut geschlafen.«

Freilich hat sie ihm verschwiegen, daß sie gestern noch
Atembeschwerden gehabt, weil ihr der Peter einige Augenblicke lang die
Respirationsöffnung durch einen Kuß verschloß.

Aber der Herr Michel ahnte etwas dergleichen und zog fürbaß. Und als er
sich auf seinen Wanderungen vielfach überzeugt hatte, daß die besten
seiner verkündeten Theorien im Volke schon längst praktisch geübt
werden und es eben diese Theorien waren, die ihm selbst nicht Zeit
ließen, praktisch zu sein, beschloß er, seine Fahrten aufzugeben.

Wir finden ihn heute in Wien als Dozenten; jede Lehrstunde, die er
gibt, läßt er sich vergüten.

Und recht hat er. Das Gold des Wissens schleudert man nicht in
Hellerchen unter die Leute, die es in den Staub treten. Selbst die
feingebildete Hausfrau des Herrn Professors, die er in der Stadt
gefunden, verzichtet gerne auf den mathematischen Beweis seiner Liebe.




                          Ein Mann, ein Wort.


In einer kleinen Männergesellschaft war davon die Rede, daß in dem
Spruch: »Ein Mann, ein Wort« eigentlich der Hauptgrund des bürgerlichen
Rechtes, sowie des Völkerrechtes, folglich die Basis aller Zivilisation
liege.

Obwohl diese Behauptung Stoff zu einer schönen Gegenrede gegeben hätte,
widersprach ihr kein einziger -- bis auf den Major Schläger.

»Ein Mann, ein Wort!« sagte er ablehnend, »ich bin auch ein Mann, aber
ich kann dieses Wort nicht hören.«

Das machte Aufsehen, denn just den Major kannte man als einen höchst
wahrhaftigen, pflichttreuen Charakter.

»Ja,« sprach der Major mit einem Ernste, der für diesen Abend sonst die
Gesellschaft nicht beherrschte, »der Spruch ist mein Schild geworden,
ihm lebe ich, aber hören kann ich ihn nicht mehr, er ist hart, manchmal
zu hart für den Menschen. Mit dem Prinzip von der Gerechtigkeit ist's
nicht immer getan, wir alle bedürfen Rücksicht, Nachlaß, Liebe. Die
Liebe ist schöpferisch, die Gerechtigkeit ist im besten Falle nur
erhaltend. Man kann aus Gerechtigkeitsliebe manchmal ungerecht werden.
Wenn ich von mir verlange, mein Versprechen zu halten, so ist das
recht; wenn ich das unerbittlich von anderen begehre, so kann das unter
Umständen sehr unrecht sein. Ein gegebenes Wort läßt sich nicht mehr
biegen, aber ein Mensch kann sich biegen, wenn er daran denkt, daß
höher als Gerechtigkeit die Liebe steht.«

Da sich die Gesellschaft über eine solche Weichheit des sonst
trotzigen, auch physisch soldatenhaft strammen Mannes verwunderte, so
begann der Major ein Erlebnis zu erzählen, durch das seine Aussprüche
tiefere Begründung erlangten.

»In der Touristensaison des vorigen Jahres« -- so erzählte der Major
-- »beschloß ich, die Schwabenkette in Steiermark zu durchwandern. Ich
begab mich nach Aflenz, um von dort aus den Hochschwab zu besteigen
und jenseits des Bergstockes den Abstieg nach Weichselboden oder
Wildalpen zu machen. Ich hatte mich schon am Vortage in Aflenz eines
Führers versichert, eines kräftigen Älplers, der -- da in der Gegend
die Holzarbeiten eingestellt waren -- keinen Erwerb hatte, wohl aber
ein zurzeit arbeitsunfähiges Weib und eine Hütte voll von Kindern. Der
Schütter-Franz war mir als ein sehr verläßlicher und gutmütiger Führer
geschildert worden, und so war ich für meine nicht unbeschwerliche Tour
der Hauptsorge enthoben.

Am nächsten Morgen -- es war ein prächtiger Tag zum Wandern -- sprach
ich verabredetermaßen in der Hütte meines Führers, die am Wege in die
Fölz lag, vor, um den Franz abzuholen. Durch die Hüttentür eilten
mehrere Weiber aus und ein, und im Innern hörte ich ein gewisses zartes
Geschrei, so daß ich zum Franz, der an der Schwelle stand und nicht
recht wußte, was er hier zu tun habe, die Bemerkung machte:

»Ich glaube, daß du heute nicht auf den Hochschwab steigen wirst.«

»Warum denn nicht?« fragte der Mann befremdet.

»Wenn das, was ich da drinnen in der Stube bemerke, deine Familie
angeht.«

Er zog mich ein wenig zur Seite und vertraute mir, sein Weib hätte eben
einen kleinen Buben kriegt, weiter wäre es nichts.

Ich beglückwünschte ihn und erkundigte mich, ob er mir einen anderen
Führer anraten oder verschaffen könne.

»Will der Herr denn mich nicht haben?« rief er erschrocken.

»Wie sie, so bist auch du entbunden -- von deiner Zusage, das ist
selbstverständlich.«

»Des kleinen Buben wegen soll ich daheimbleiben? O du blutiger Heiland,
wenn ich allemal daheim bleiben hätt' wollen, so oft ich einen kleinen
Buben kriegt hab', da hätte ich mein Lebtag viele Tagewerke versäumt!«

»Nein, nein,« sagte ich, »das geht nicht.«.

Hierauf zog er mich mit in die Stube, und insofern es ihm gelang, dort
den Jüngsten zu überschreien, verklagte er mich bei seinem Weibe, daß
nun doch wieder nichts aus dem Verdienst würde, weil ich, unserer
Verabredung entgegen, ihn nicht mitnehmen wolle.

Die Wöchnerin, die wohl ein recht blasses Gesicht mit den Dulderzügen
der Armut hatte, bat mich mit leiser Stimme, unsere Vereinbarung
doch gelten zu lassen; es sei alles in guter Ordnung, was auch die
anwesenden Nachbarinnen bestätigen könnten. Sie wüßten ja gar nicht,
was jetzt anfangen, wenn kein Kreuzer Geld im Hause.

Der Führerlohn war auf vier Gulden festgesetzt, wovon ich allsogleich
den vierten Teil dem jungen Weltbürger zum Angebinde auf das
Fensterbrett legte und den Franz, der mir als gemütvoller Mensch
geschildert worden, nochmals aufforderte, in dieser Zeit bei Weib und
Kind zu verbleiben. Die Partie würde an drei Tage in Anspruch nehmen,
ich könnte es nicht verantworten, ihn so lange von seinem Hause
abzuziehen.

Ob es nur das wäre oder ob ich etwa sonst einen Widerwillen gegen ihn
gefaßt hätte, daß ich seiner auf einmal los sein wolle? So seine
Frage. Ich versicherte ihn, daß es einzig nur aus Rücksicht auf das
eingetretene Ereignis seines Hauses geschehe, wenn ich ihn ablehne.

Er ließe sich aber nicht ablehnen, meinte der Franz.

»Du gingest mit und würdest unterwegs unruhig sein, in steter Furcht
und Angst: wie mag's daheim zugehen? Würdest mürrisch werden, die
Partie abkürzen wollen und kein Ohr und Auge haben für das, was ich
will. Einen solchen Führer und Gesellschafter kann ich nicht brauchen.
Mein Begleiter ißt und trinkt und raucht mit mir, soll mich aufmerksam
machen auf dies und das, soll mich unterhalten, ein munteres Gesicht
haben und so sorglos sein, als ich es bin. Guter Franz, dazu bist du
dieser Tage nun einmal nicht der Mann.«

Ich sah es, wie er mit leichtem Kopfnicken beistimmte, aber als er
sein bekümmertes Weib anschaute, das Kind, welches sie in arme Fetzen
wickelten, die größeren, die sich um die Rinde des Morgenbrotes
balgten, da war er doch wieder entschlossen, er ginge mit mir. Die
Weiber versicherten einstimmig, es sei um und um gar kein Bedenken da
und sollte sich etwas ändern, so könne der Mann am wenigsten dabei was
ausrichten, so Leute stünden bei derlei Dingen eher zum Hindernis im
Wege, als daß sie sich nützlich machen könnten. Der Franz versprach
mir, unterwegs recht lustig zu sein und mein treuer Diener, so lange
ich ihn brauche.

»Bedenke es wohl!« stellte ich ihm noch einmal vor, »bis wir Mittag
zur Fölzerhütte kommen, wird dir schon bange werden, durch die Dulwitz
wirst du nichts mehr anderes reden, mindestens denken, als: wie wird
dem Weib sein? dem Kind? Es ist leicht was geschehen. Am Abend, wenn
wir in der Dulwitzhütte schlafen sollen, wirst du nach Hause wollen und
vielleicht morgens wieder kommen, abgehetzt und schläfrig. Ich aber
sage dir, Franz, ich werde keine Rücksicht haben, ich werde dich nicht
von mir lassen. Du wirst mich übergeben wollen an einen andern Führer,
wenn uns einer begegnet, daß du nach Hause eilen kannst. Ich aber werde
dich halten fest, wie der Herr den Sklaven; ich bin nicht gewohnt, mich
in fremder Gegend an fremde Leute hintauschen zu lassen, ich behalte
den, dessen Dienste ich mir gekauft habe, so lange, bis der Vertrag
abgelaufen ist. Ich werde unerbittlich sein, darum rate ich dir noch
einmal: Bleibe zu Hause, ich werde einen andern finden, dich aber für
ein andermal vormerken und bei Gelegenheit empfehlen. Wir scheiden als
gute Freunde.«

»Ich gehe mit!« rief er entschlossen, »ich werde meinen Mann stellen,
wie es der Herr wünscht.«

»Also denn!« sagte ich, »wenn du durchaus nicht anders willst. Du wirst
drei Tage lang mit mir sein.«

»Ich werde den Herrn nicht verlassen.«

»Ein Mann, ein Wort!«

Er schlug in meine Rechte.

Der Wöchnerin schien ordentlich leichter zu sein, da sie das Geschäft
abgemacht sah. Sie lächelte, als sie ihre kühle Hand in die meine legte
und dann in die ihres Mannes: Wir sollten nur recht gutes Wetter haben,
und der Franz sollte ihretwegen ganz und gar unbesorgt sein. Sie sagten
sich: »Behüt' dich Gott!« und das Weib ermahnte ihn noch, wenn er schon
was tun wolle, so solle er dem Bübl ein Kreuz über das Gesicht machen,
es würde dann zur Taufe getragen.

Er tat's, lud die bereiteten Sachen auf, und wir gingen davon. Der
Weg durch die Fölz ist schön. In der stundenlangen Schlucht lagen
noch die Schatten, die Alpenrosensträucher am Wege feucht vom Tau
und dem Wasserstaube der rauschenden Fölz. Voll Harz- und Tannen-
und Speikduft war die kühle reine Luft. Hoch an den Felsen lag der
Sonnenschein. Frisch und flink, wie wir wanderten, war freilich das
Herz heiter und die Seele klingend.

»Franz,« sagte ich unterwegs, »nachdem wir beide uns unserer
Pflichten und Rechte wohl bewußt sind, wollen wir als Kameraden
miteinander wandern. Ich bin aus der großen Stadt gekommen, um mir als
Unterbrechung meines Berufes einige frohe Tage zu machen. Ich wünsche,
daß du sie mit mir teilst und, so wie ich, das herbe Leben vergessest.«

Er ließ einen Juchschrei los als Antwort, wie sehr er mit meinem
Vorschlage einverstanden sei, und er suchte mich durch Munterkeit und
mancherlei Schwänke, die er vorbrachte, zu überzeugen, daß er den guten
Humor nicht zu Hause gelassen hätte.

Dann kamen die Anstiege, es kam die heiße Sonne, es kam der Durst. Wir
rasteten im Schatten und labten uns aus unserem reichlichen Vorrat. Der
Tag war lang, wir erfreuten uns an den Almen mit ihrer Flora und ihren
Herden, an den wildschründigen Felsen des Fölzstein, der Mitteralpe,
der Dulwitz, wir ergötzten uns an Steinfalken und Stoßgeiern, die
den blauen Himmel belebten, an den Schroffen und Überhängen des
»Ochsensteiges«, an dem eisigen Kristall des »goldenen Brünnleins«, an
den Gemsen, die in ganzen Rudeln über Kare und Schuttriesen setzten
oder von den Zinnen auf uns niederlauerten. Mein Franz tat manche
treffende Bemerkung mit klarem Hausverstand, der stets anspruchslos
auftrat, nicht so wie bei manchen Bergführern, deren Urwüchsigkeit
ausgeklügelt und gemacht ist. Ich erinnere mich noch, daß ich ihn
fragte, weshalb er bei seiner Mittellosigkeit geheiratet hätte, worauf
er zur Antwort gab: als er nicht hätte heiraten wollen, habe ihm sein
Vater gesagt: »Willst ein rechter Mann sein, so mußt auch Weib und
Kind haben!« So hätte er freilich heiraten müssen. -- Ich bin, wie ihr
wißt, Junggeselle und habe dieses Gespräch nicht fortgesetzt. Indeß
gab's mancherlei Stoff. Doch der Tag ist lang, das Wandern macht müde,
auch wenn man noch so oft rastet; die Ergötzung spannt ab. Das würde
ein Älpler leicht verwinden, wenn die Ermüdung und Abspannung nur die
Schatten nicht aufkommen ließe, die im Herzen schlummern mögen! -- Es
kam, wie ich gesagt hatte, es kam genau so.

Franz sagte kein Wort von daheim, aber er war kleinlaut geworden.

Ich begann von seinem Weibe zu sprechen, daß er vielleicht sein
Herz ausschütten wollte, er lenkte ab und schwieg. In der oberen
Dulwitzhütte, die leer stand, machten wir Feuer, bereiteten uns ein
Abendbrot und Nachtlager. Er ging zwar nicht davon, aber ich merkte,
daß er auf seinem Reisig nicht schlief, ich hörte die Seufzer, die er
zu unterdrücken suchte. Ich sagte nichts, freute mich fast, daß der
Mann nun erfahren mußte, wie ich, der Fremde aus der Stadt, ihn besser
kenne, als er sich selbst.

Am andern Tage stiegen wir an bis zur höchsten Spitze des Gebirges.
Mein Genosse sprach unterwegs sehr wenig und ich nicht viel mehr,
denn dieser Aufstieg, die steilen Hänge und Wände beschäftigten die
Lunge andererseits zur Genüge. Auf der Höhe, wo kein Strauch und
kein Halm mehr wächst, peitschten kalte Winde, flogen Nebelfetzen,
zwischen denen wir nur zeit- und stellenweise die Aussicht in die weite
Alpenwelt genießen konnten. Mein Führer war stets hinter mir her, gab
meinen Bemerkungen und Fragen kurze und verkehrte Antworten und schien
gleichgültig sowohl gegen mich, als auch gegen die Schönheiten des
Gebirges.

Auf der Spitze des Berges begegneten wir einigen Touristen, die von
Weichselboden heraufgestiegen waren und just ihren Führer entließen,
da sie den Abstieg durch die Dulwitz nach der Fölz allein zu machen
gedachten. Aus dem kleinen Gespräche, das ich mit ihnen führte,
erinnere ich mich nur, daß sie zum Teil aus Graz, zum Teil aus Leoben
waren.

Wir hielten gemeinsamen Ausblick mit freiem Auge, wie mit Fernrohren,
wir tranken uns gegenseitig Wein zu, steckten dann in die leeren
Flaschen unsere Visitkarten und friedeten sie mit Steinen ein, damit
die Nachkömmlinge von uns auf solcher Höhe ein Denkmal fänden, und
taten, was Bergbesteiger an ihrem Ziele eben zu tun pflegen. Ich hätte
es vorgezogen, mit meinem Franz allein auf der Spitze dieses Berges zu
stehen, vorausgesetzt, daß wir beide bei Humor gewesen wären.

Als ich mich wieder nach meinem Genossen umsah, stand der abseits
hinter einem Felsblock und führte mit dem Führer aus Weichselboden ein
Gespräch. Mir kam das gleich verdächtig vor.

Nicht lange währte es, so kam -- während sich Franz hinter dem Felsen
mit seinen Bergschuhen zu schaffen machte -- der fremde Führer zu mir
heran und sagte: »'s ist schade, daß die Aussicht nicht ganz rein ist,
gnädiger Herr, aber es wird heute noch heiter. Der Barometer steigt.
Sehen Sie, dieser Kamelrücken dort, das ist die hohe Veitsch.«

»Ich weiß es,« war kurz meine Antwort und wendete mich nach der anderen
Seite.

»Aha, der gnädige Herr schauen sich die Ennstaleralpen an,« schwatzte
er weiter, »der Dachstein hat leider Gottes eine Haube auf. Der hohe
Berg, der dort wie ein Heuschober steht, das ist der Grimming.«

»Ich weiß es!« schnauzte ich ihn an, »Franz, wo steckst du denn?«

Der Führer aus Weichselboden ließ sich nicht verblüffen. »Der Herr
sind von Aflenz heraufgekommen,« sagte er, »und wollen gewiß zur Salza
hinabsteigen. Das ist auch mein Weg und könnten wir leicht miteinander
gehen. Mit Verlaub!« Er suchte mir diensteifrig den Plaid umzuhüllen,
den mir der Wind von der Achsel gerissen hatte. Ich ging gegen den
Felsen und sah, wie dort Franz kauerte und in die Gegend von Aflenz
hinabschaute. Der Weichselbodner Führer kam mir nach und sagte:

»Ganz im Ernst auch noch, gnädiger Herr, wir haben den gleichen Weg
hinab und ich will den gnädigen Herrn für ein kleines Trinkgeld recht
gern weisen.«

Nun merkte ich wohl schon, daß ich verraten und verkauft war, doch
stieß ich derb heraus, man möge mich in Ruhe lassen, ich hätte ohnehin
meinen Führer.

»Das schon,« meinte der Weichselbodner, »aber der sagt mir, daß ihm
schlecht geworden ist.«

Da kam schon der Franz auf mich zu mit gefalteten Händen und bat:
»Herr, ich kann's nicht mehr aushalten, ich muß heim. Ich bitte
tausendmal, daß mich der Herr gehen läßt. Der Mathias dort, der ist aus
Weichselboden, ich kenne ihn gut, er übernimmt meinen Dienst gerne und
kennt den Weg besser als ich. Ich kann nicht mehr, -- -- wenn ich auf
heim denk'.«

So sprach er. Ich habe ihn an der Hand genommen und in aller Ruhe
folgendes zu ihm gesagt: »Franz, du wirst nicht gehen, du wirst bei
mir bleiben, so lange ich dich brauche. Ich habe dir früh genug alles
vorgestellt, du hast es so haben wollen, du hast mir dein Wort gegeben.
Ich bin ein alter Soldat und lasse mit einem Ehrenwort nicht spaßen.
Ich lasse mich nicht nach Laune und Stimmung verschachern, ich habe
dich gekauft, du bist mein und du bleibst bei mir, bis die drei Tage um
sind.«

»Wenn daheim ein Unglück geschieht!« stotterte er.

»So geschieht's!« rief ich zornig, »und wenn dein Weib stirbt, deine
Kinder umkommen, deine Hütte niederbrennt, du hast dein Wort gegeben,
daß du bei mir bleibst und das fällt nicht. Du bleibst!«

Darauf war der Franz still und sagte kein Wort mehr -- und blieb bei
mir.

Wir begannen den Abstieg, passierten das Gschöderkar, und auf
dem Edelboden, wo uns wieder die ganze Milde eines heiteren
Sommernachmittags umfloß und die Würze der Alpenkräuter uns erquickte,
hielten wir Rast. Franz war immer noch still, aber aufmerksam für alle
meine Wünsche und gutmütig. Ich war sehr mit mir zufrieden, daß ich
meine Sache so gut durchgesetzt hatte. Wohin käme auch die Welt, wenn
das Verhältnis zwischen Herrn und Diener so lax würde und willkürlich!
Die ganze gesellschaftliche Ordnung ginge aus den Fugen und der Teufel
möchte da noch Herr sein. Es tat mir leid, aber mein Franz, der mußte
nun parieren, und als wir spät abends im Wirtshause zu Weichselboden
anlangten, wollte ich ihn und mich für die Mühen entschädigen mit
allem, was das Haus bieten konnte. Doch mein Franz suchte bald das
Bett. Wie er geschlafen, das weiß ich nicht.

Am nächsten Morgen mochte er, so lange ich schlief, mäuschenstill
gewesen sein, aber als ich die Augen auftat, machte er Lärm. »Es gibt
nichts Schöneres auf dieser Welt, als den heutigen Tag!« so rief er
aus. Ich fand den Tag nicht just besonders, der Himmel war mit Wolken
bedeckt, die stellenweise an den Wänden niederhingen. Als wir später
durch das großartig wilde Engtal gingen, das der Ring heißt, und dann
in der Steinwüste, der »Höll«, dem Karstriegel zuwanderten, schnitt uns
von den Höhen nieder eine frostige Luft entgegen; dort und da rieselte
es in den Schuttmulden oben, dann krächzte irgendwo ein Rabe. In den
schwarzen Wassertümpeln, an denen wir vorbeikamen, spiegelte sich das
Gebirgsbild in seiner Düsternis. -- Aber nichts Schöneres als dieser
Tag! hatte mein Begleiter ausgerufen; es war eben der dritte unserer
Partie, der letzte, an dessen Abend er frei sein und die Seinigen sehen
sollte! -- Den Ausläufer des Schwab, die Aflenzerstarritze, wußte
er auf schlechten Steigen zu umgehen, so daß wir am Mittag schon in
Seewiesen waren.

Im Wirtshause zu Seewiesen lag ein schwerkranker Maria-Zeller
Wallfahrer, der schon früh nach Aflenz um Arzt und Priester geschickt
hatte und immer noch vergebens auf sie wartete. Franz machte ihm die
Zusage: wenn sie uns auf dem Wege begegnen sollten, so würde er zur
Eile ermahnen.

Wir waren eine Stunde gegangen, da begegneten sie uns. Der Priester,
vom Boten mit dem Versehglöcklein und dem heiligen Licht in der Laterne
begleitet, war im Chorrock und trug das Allerheiligste. Wir beugten die
Knie, er segnete uns und warf dabei einen Blick auf meinen Begleiter,
den der aber nicht bemerkte, weil er das Haupt gesenkt hielt. -- Ein
paar hundert Schritte weiter hin begegnete uns der Arzt.

»Ihr sollt nur eilen!« rief ihm der Franz zu, »sonst kommt ihr zu spät.«

»Wer wird uns aufgehalten haben!« sagte der Arzt im eiligen
Vorübergehen, »du kommst halt auch zu spät, mein lieber Franz!«

Ich weiß kaum, wie wir nach Aflenz kamen, ich weiß nicht, wie mir
zumute war, ich erinnere mich auch nicht, ob Franz ein einziges Wort
des Vorwurfes, der Klage sprach, oder ganz stumm war.

Sein Weib fand er auf der Bahre.

Er trug den Schmerz, wie man den herbsten trägt -- tränenlos.

Ich bat ihn um Verzeihung, daß er meines Starrsinns wegen sein Weib
nicht mehr lebendig sehen konnte, ich bot ihm alles an, was ich bei mir
trug. Er lehnte es ab und sagte nur, ich sei im Recht gewesen.

Im ~Recht~! Seitdem ist mir das Wort verdächtig. Der Franz
hatte wie ein Mensch gehandelt. Ich wie der Dämon eines Prinzips.
Daß er mit mir gegangen, aus Pflichtgefühl war es geschehen, er
hatte seiner Familie Brot zu schaffen. Aus Sorge und Angst um seine
Familie war's, als er mich auf dem Berge verlassen wollte. Ich dachte
und fühlte nichts, als daß ich im Rechte sei, ich war ein blutloser
Gesetzparagraph -- und das ist ein Ungeheuer. Ein Mann, ein Wort!
Vielleicht wäre diesmal die Erinnerung: Ein Mann, ein Weib! besser
gewesen.«

So hatte der Major erzählt, und die Gesellschaft blieb nachdenklich,
bis sie auseinanderging.




                           Hauptmann Alles.


Ja, diesen Weihnachtsmorgen vergesse ich nicht. Eben trete ich hinaus
in die kalte Morgenröte und schaue hin über die feuchten Schneefelder
und denke: Heute ist Christtag, da muß man Gutes tun, und so will ich
mir einen guten Tag antun.

Da kommt mein alter Knecht Martin von der Frühmesse daher -- er hat
heute seinen hochgespitzten Hut mit dem weißen Federbusch auf und sein
vergnügtes Feiertagsgesicht an und eine große Zigarre d'rin stecken.
Er raucht sonst Pfeifen, aber zu den hohen Festtagen, wenn der Meßner
frische Kerzen in die Altarleuchter tut, da steckt sich der Martin zur
größeren Ehre Gottes eine Zigarre in den Mund. Kann's aber nicht recht,
zieht zu oft an, nebelt zu stark, nimmt sie dann nach jedem zweiten Zug
aus dem Mund und spuckt die Tabakblättchen aus, die ihm an den Lippen
kleben geblieben sind. »Guten Morgen,« sagt er jetzt zu mir, »aber in
der Stadt geht's heut' zu!«

»Aha, sind die Wirtshäuser schon voll?« war meine Frage.

»Wäre schon recht,« antwortete mein Martin, »die Wirtsstuben sind
leer und alle Türen haben sie offen gelassen. Die Leute umstehen
das Kranzbäckenhaus. Im Kranzbäckenhaus hat sich in der Nacht was
zugetragen.«

Auf diese Worte tat der Schalk, als wollte er weitergehen. Ich hielt
ihn nicht zurück, und da er das merkte, blieb er von selbst wieder
stehen und sagte:

»Der Herr soll mit ihm gestern spät in die Nacht hinein ja Karten
gespielt haben?«

»Mit wem?« frage ich nun.

»Mit dem Hauptmann.«

»Was ist's mit dem Hauptmann?«

»Das erfährt man nicht. Ich bin während der ganzen Frühmesse vor dem
Haus gestanden und habe gesehen, wie die Weiber ein- und auslaufen und
hinter sich allemal das Tor verriegeln. Eine hat gesagt, wir Leute
sollten auseinandergehen und zusehen, daß uns selber die Gnad' Gottes
nicht verlasse. Sonst erfährt man nichts.«

»Was muß das sein, wenn's den Weibern die Stimme verschlagen hat!«

»Im ganzen Kranzbäckenhaus,« fuhr mein Martin fort, »soll man noch die
Schießbaumwolle riechen, sagen die Leute. Ich bin gegenüber auf das
Wagenschuppendach gestiegen, aber man sieht nicht hinein; im Zimmer, wo
der Hauptmann gewohnt hat, sind die Fenstervorhänge herabgelassen.«

Das war mir just genug. Ich eilte sogleich ins Städtchen. -- Sollte
er's denn wirklich vollbracht haben? Wir hatten am Abend zuvor das Wort
für einen derben Scherz gehalten; in der Nacht, da ich schlaflos auf
meinem Bette lag und die Christglocken klingen hörte, fiel es mir aber
plötzlich ein: Dieser Mensch ist alles imstande.

Unter den Sonderlingen des Städtchens war mein Hauptmann das
Prachtexemplar. Mit seiner Jugend soll es ganz regelmäßig zugegangen
sein. Er war ein Soldatenkind, wurde selbst Soldat und war demnach
auf jener festen Bahn, auf der man nie entgleisen kann, in seinem
neunundzwanzigsten Jahre Hauptmann. In seinem dreißigsten hatte er
das Mißgeschick, eine unvorhergesehene, sehr namhafte Erbschaft zu
machen. ~Vor~ dieser Erbschaft -- das versteht sich -- war das
Soldatenleben ein Glück für jeden, den es traf; es kräftigte Körper
und Charakter; Pünktlichkeit, Gehorsam, Mut, Ritterlichkeit, und
was weiß ich, lernte man nur beim Militär. Nach der Erbschaft war es
plötzlich ein Knechteleben, ein Hundeleben -- jeder ein Narr, der
weggehen kann und es nicht tut. Hauptmann Alles wurde ein freier
Mann und wandte sich den schönsten Seiten der Welt zu. Manche freie
Stunde hatte er sonst mit Zeichnen, Farbenstudien, Musik oder anderen
Künsten verbracht, jetzt wurde er Maler. Er wurde es so plötzlich, als
man Staffelei, Leinwand, Farben kaufen und bereiten kann. Die braune
Sammetjoppe war auch da, nur das Wachsen des Knebelbartes konnte mit
der Vollendung des Meisters nicht gleichen Schritt halten. Und als die
Freunde kamen und schauten, war es eine blendende Farbenpracht, und
in den Blättern war die Rede von der edlen Komposition, von der Wärme
des Tones, von dem harmonischen Zusammenstimmen, als handle es sich um
eine Symphonie, und es war Meisters Ahles' Gemälde gemeint. Da dachte
Ahles, wenn das schon auf der Leinwand so fein komponiert, so warm im
Tone, so harmonisch zusammenklingend ist, um wie viel besser noch läßt
sich das in einem Musikstück machen. Und er komponierte eine Oper. Von
dieser sagten seine Freunde, sie wäre bei der Unvollkommenheit unserer
Opernbühne, bei dem Mangel an bedeutenden Sängern heutigestags absolut
nicht aufführbar. Während nun der Meister auf einen fürstlichen Mäcen
wartete, der ihm die Aufführung ermöglichen sollte, vertrieb er sich
die Zeit mit Poesie. Er schrieb ein großes Werk um das sich allsogleich
zahlreiche Verleger bewarben -- der Autor bezahlte nämlich im voraus
bar den Druck.

Trotz alledem war dem Meister nicht wohl zumute. Anfangs hatte er
keinen Tadel zu ertragen vermocht, allein das vorlaute, unbedingteste
Lob, mit dem sie jetzt alles ohne Ausnahme, was von ihm kam,
überschütteten, war ihm auf die Länge schier noch unangenehmer, ja
nachgerade verdächtig. Eines Tages sagte ihm sein rücksichtslosester
Freund: »Mir tut's weh, lieber Moritz, dich fortweg hänseln zu sehen.
Laß das mit dem Malen, Komponieren und Dichten, du bist der Mann für
etwas anderes.« Eine Weile nach diesem undankbaren Freundschaftsdienste
führte der Hauptmann seine Liebhabereien noch fort, und zwar dem
Freunde zum Trotz mit großtuerischem Wesen. Plötzlich jedoch
verschleuderte und verschenkte er all seine Requisiten und Instrumente
und kaufte sich in entlegener Gegend ein großes Landgut. Er verschrieb
sich eine Anzahl landwirtschaftlicher Werke und fing an, genau nach
solchen Lehren seine Wirtschaft zu betreiben. Er war glücklich über
die Entdeckung, daß er ein genialer Landwirt sei. Die Kleinbauern um
ihn her wagten es anfangs, seine neuen Methoden zu bezweifeln, indem
sie sagten, daß eine Kappe nicht für alle Köpfe passe, und daß man die
Gegend, das Klima und den Boden kennen und berücksichtigen, wenn man
die Wirtschaft ertragsfähig machen wolle. Der Hauptmann ignorierte den
verrosteten Sinn der fortschrittfeindlichen Nachbarn und arbeitete
nach den allgemeinen Anleitungen der Fachgelehrten. Sonst aber gefiel
der Mann den Bauern, er hielt mit ihnen, war stets nachbarschaftlich
und uneigennützig, erleichterte ihnen den nötigen Verkehr mit der
Außenwelt, indem er Roß und Wagen auf den Straßen hielt und Personen,
auch oft kleine Warenladungen unentgeltlich beförderte. Auch nahm er
sich in Steuerangelegenheiten ihrer an, bemühte sich, ihre Söhne dem
Soldatenleben zu entziehen, und er sagte, wenn das Volk einmal die
Soldaten verweigere, dann höre auch die Steuerplage auf. -- Das war ihr
Mann. Bei einer nächsten Wahl machten sie Herrn Ahles zum Abgeordneten.

Bei der ersten Sitzung verhielt sich der Gutsbesitzer im Parlamente
ganz ruhig; es handelte sich um einen Zollvertrag. Er hörte die
Vorschläge, ohne dafür oder dagegen zu stimmen, zum Schlusse aber
bat er ums Wort. Er stellte folgenden Antrag: Es sei ein Zirkular an
alle Fürsten der Welt zu erlassen, in dem sie gebeten würden, sich
gegenseitig zu vereinigen, sich friedlich miteinander zu vertragen und
ihre stehenden Heere zu entlassen. Er, der Antragsteller, glaube, daß
sich keiner der hohen Herren weigern werde, diesen zu Gunsten eines
jeden aufgestellten Vertrag eigenhändig zu unterschreiben.

Die Versammlung stutzte über diesen Spaß, den sich nach ihrer Meinung
das neue Parlamentsmitglied an so ernster Stelle erlaubte. Als sie
aber den ganzen Ernst des Redners sah, da gab's Gelächter. Während die
Glocke des Präsidenten zur Ruhe klingelte, trat Herr Ahles zornig von
seinem Sitze ab und wurde im Hause nicht mehr gesehen.

Nach dieser Zeit verlegte er sich mit großer Passion auf die
Zuckerrübenkultur und erbaute auch eine Tuchfabrik, zu deren Zweck er
eine große Schäferei anlegte von friesischen und englischen Schafen,
die eine recht lange Wolle hatten.

Mittlerweile war seine Feldwirtschaft glücklich so tief herabgekommen,
daß Ahles, dem man wegen seiner Allseitigkeit den Spitznamen »Alles«
gab, daran die Freude verlor. Er suchte sich nun für seine Sorgen
und Mühen zu zerstreuen, indem er in den Städten umherfuhr und das
Leben genoß. Endlich kam er in unser kleines Landstädtchen, das nicht
allzuweit von seinen Besitzungen entfernt lag, und in dem er sich beim
Kranzbäcken ein Zimmer mietete. Er hatte das Bedürfnis, jemand zu sein.
Er hatte allerlei Erfahrungen, hatte noch immer Geld, so wollte er
noch einmal widerhallen. Das Städtchen war just klein und groß genug
dazu, daß ein Mensch, wie der Hauptmann, darin seine überlegene Rolle
spielen konnte. Er förderte Gesellschaften, die sich von ihm begasten
und unterhalten ließen; er gründete Vereine, die ihn zum Präses
machten, er veranlaßte öffentliche Wohltätigkeiten, und es erschien
keine Nummer des Wochenblattes, die nicht preisend seinen Namen
nannte. Daneben fand der noch immer als Garçon lebende Mann auch noch
Zeit, den Frauen ein feiner Ritter zu sein. Er war der aufmerksamste
Kavalier und versäumte keine Gelegenheit, den Damen gefällig zu sein,
ihnen etwas Verbindliches zu sagen, sie zu verteidigen, wo es einen
lustigen Strauß gab, ihnen Blumen zu pflücken, von denen er auch immer
selbst im Knopfloche trug. Es fiel im Städtchen von schöner Hand kein
Batisttüchlein zu Boden, das der Hauptmann nicht auf die galanteste
Weise aufhob. Dazu war er ein schöner Mann, der sich den in seinen
diplomatischen Tagen gegründeten Backenbart wieder wegschnitt, den
Schnurrbart spitzte, sich wieder gerne Hauptmann nennen ließ, und der
sich mit seiner Landwirtschaft nur insofern abgab, als er monatlich
ein gut Stück Geld in sie hineinsteckte und täglich herzhaft auf sie
losschimpfte.

Aber auch in diesem harmlosen Städtchen gab es Leute, die eine so
schöne segensreiche Existenz allmählich zu untergraben suchten.
Es erwuchsen gesellschaftliche Zirkel, die ohne Hauptmannsspäße
bestanden, Vereine, in denen der Hauptmann nicht Präses war,
Wohltätigkeitsvorstellungen, die der Hauptmann nicht anordnete,
Wochenblattnummern, die den Namen des Hauptmanns nicht oder leise
spottend nannten, und es gab Frauen, die seinen Aufmerksamkeiten in
sehr kühler Weise dankten und sie hinter seinem Rücken in sehr warmer
Weise belächelten. Nur eines mußten ihm auch seine Feinde nachsagen,
nämlich, daß er ein Mann sei in den besten Jahren. Aber sie setzten
dazu, daß es traurig sei, wenn ein Mann in den besten Jahren soweit
fertig ist, daß er die Zeit in Wirtsstuben mit Knasterrauchen und
Kartenspiel zubringt.

Und fürwahr, es war soweit gekommen; der Hauptmann Alles saß mit
verlotterten Spießgesellen in den rußigen Schenken, und so verbrachten
wir die Winterabende mit Trinken, Rauchen, Knurren und Karteln.
Seine Laune war nicht die beste, und außer daß er bisweilen einen
warmherzigen Fluch ausstieß, wenn ihm ein sehr schlechtes oder ein sehr
gutes Blatt zufiel, war er wortkarg. Er trank dabei alten Wein, lud uns
aber selten mehr zu seinem Trinken, wie er es früher gewohnt war. Gegen
die Weiber war er etwas süßsauer geworden, und als uns am Christabende
die stets heitere Wirtin einen Teller mit Früchtenbrot auftischte, das
sie eigenhändig gebacken hatte, schob er den Teller unwirsch zurück
und brummte, es möge jeder die Früchte seiner Taten selber genießen.
Um so mehr sprach er dem Weine zu; wir anderen ließen uns auch den
Lieblingstropfen holen, und so war der Abend recht leidlich vergangen.
Auf einmal legte der schweigsame Hauptmann seine Karten auf den Tisch
und sagte: »Es wird das Ersprießlichste sein, wenn ich jetzt nach Hause
gehe und mich totschieße.«

Wir taten einen freundschaftlichen Lacher, obwohl jeder von uns denken
mochte, daß ein so schaler Spaß eines so prächtigen Lachers eigentlich
nicht wert sei. Wir spielten nicht weiter, denn wir hörten die draußen
im Schnee knarrenden Tritte der nächtigen Kirchengänger. Wir standen
auf und gingen auseinander. --

Während ich mir nun die ganze Geschichte so ins Gedächtnis gerufen
hatte, kam ich ins Städtchen und vor das Haus des Kranzbäcken. Die
Leute hatten sich verlaufen, ich ging den geradesten Weg in die Wohnung
meines Zech- und Spielgenossen. An der halbangelehnten Tür derselben
stand eine alte Frau. Dieses Anzeichen war schlecht; aber die alte
Frau machte eine wichtige, nicht gerade trübselige Miene und dieses
Anzeichen war gut. Sie deutete mit der Hand, welche ein Milchtöpfchen
hielt, gegen die Türe und flüsterte, ich möge nur eintreten, aber nicht
allzuviel kalte Luft mit durchlassen. Ich tat's; das Zimmer war dunkel
und still -- meine Augen suchten den Hauptmann. Endlich fanden sie ihn,
er saß unweit des Ofens in einem geborgenen Winkel, rauchte die lange
Hauspfeife und schaute auf ein Ding hin, das in seinem Bette lag, sehr
sorgfältig verwahrt, und das bei näherer Besichtigung auf der weiten
Welt nichts anderes war als ein neugeborenes Knäblein.

»Hauptmann!« rief ich.

»Halte dein Maul!« pfauchte er.

Allerdings, das Christkind schlummerte. Und das Angesicht des alten
Kerls mit dem Schnurrbart schmunzelte. Mein Seel', das war ein
redliches Schmunzeln -- der Mann kam mir noch niemals so schön und gut
vor als jetzt mit diesem Angesichte, das der Rauch umwölkte und in dem
die zwei Augen leuchteten wie Sterne der Christnacht.

Jetzt trat die alte Frau zu ihm, fragte bescheidentlich, ob er bei
Troste sei, und nahm ihm die Pfeife vom Munde weg. Nun hatte aber
dieser Hauptmann die gottlose Gewohnheit, immer etwas vor den Lippen
haben zu müssen; als ihm das Pfeifenrohr weggenommen wurde, neigte er
sich hin und küßte das Kindl.

»Der Bursch' ist mein!« rief er dann, und hat es mir begründet.

Hat hernach auch das weitere erzählt. Er war in der Nacht nach Hause
gegangen mit dem festen Vorsatze, einmal in seinem Leben eine wirkliche
Tat zu üben, nämlich zu sterben, bevor er noch weiteren Unsinn begehe.
Da fand er in seinem Zimmer die alte Frau, sie legte ihm etwas in die
Arme und sagte: »Da bringe ich dem Herrn ein Christkindel.« Der Kleine
wolle sich an den Vater halten, dem gehe es besser als der Mutter; die
Mutter käme auf Wunsch auch nach.

Was ließ sich dazu sagen, was ließ sich machen?

Alsbald verbreitete sich das Gerücht, daß in der Stube des Hauptmannes
etwas Absonderliches, Geheimnisvolles sei, und am Morgen versammelten
sich vor dem Hause die Leute, zu denen die alte Frau dann sagte, sie
sollen auseinandergehen und sich selber vorsehen. Nach wenigen Wochen
kam auch die Mutter -- ein armes, aber schönes blasses Weib, und nun
war zum Totschießen keine Zeit und kein Verlangen mehr. Der Hauptmann
zog mit Weib und Kind auf sein Landgut. Die Häuslichkeit mit ihrer
Liebe und ihren Sorgen hat seinem zerfahrenen Leben endlich Inhalt und
Wert verliehen.

Seit jener Zeit ist das fünfte Weihnachten vorbei. Hauptmann Alles hat
der Welt nicht mehr Anlaß gegeben, seiner zu spotten.




                     Die Tafelrunde der Berühmten.


Nach einem glanzvollen, aber kurzen Empfangsabend bei Hof saßen in
einer Weinkneipe etliche berühmte Männer beisammen. Sie hatten sich
heute ganz zufällig zusammengetan, aber große Seelen finden sich leicht
und berühmte Menschen haben stets etwas Weltbürgerliches, vertrautsam
Brüderliches an sich; in der Sphäre, in die sie emporragen, weht eine
frischere, freiere Luft, in der sich die Elektrizität der Geister rasch
sammeln und entladen kann.

Die Unterhaltung war munter genug, und jetzt machte einer -- man weiß
nicht aus welchem Anlaß, wahrscheinlich infolge eines Gespräches über
die Berühmtheiten des Empfangsabends -- den Vorschlag, jeder in der
kleinen Gesellschaft solle nun erzählen, wie er berühmt geworden sei.

Wie er berühmt geworden? In der Tat, das war etwas. Ja! und +eh
bien!+ und wohlan! riefen sie durcheinander, und jeder war darauf
gespannt, von jedem die persönliche Geschichte zu hören.

»Ganz merkwürdig, meine Herren, ist das bei ~mir~ zugegangen,«
ergriff der Romanzier Paulo sofort das Wort.

»Ich bitte!« rief der Schauspieler Werner, »es muß systematisch
vorgegangen werden; etwa nach der Popularität des Faches, in dem sich
jeder bewegt.«

»Nach dem Alter die Reihe!« schlug der Chemiker Iseling vor, dessen
Berühmtheit von der Erfindung des spanischen Brustmalzes im Jahre 1818
nach Christus herrührte.

»Nach dem Alphabet!« rief der Major Abacitz.

»Jetzt ist nur noch der akademische Maler Rakutti, der sich nicht
gemeldet hat,« sagte Doktor Sauermann.

»Und Sauermann, Doktor der gesamten Heilkunde,« entgegnete der Maler.
»Die Gesundheit ist die Hauptsache, der Doktor soll beginnen.«

»Nun, wenn ihr durchaus wollt!« sagte Doktor Sauermann, denn er war der
Bescheidene. Die Gesellschaft dämpfte ihre Stimmen. So begann er seine
Geschichte.

Sie ist einfach genug. Sie ist schlicht, wie der Doktor selbst war. Auf
einer Gebirgspartie verunglückte der reiche Baron Schuß von Überschuß.
Der Chirurg des Alpendorfes, in welchem der Verletzte liegen bleiben
mußte, behandelte ihn und telegraphierte täglich das Bulletin in die
Welt hinaus: »In dem Befinden des Herrn Barons Schuß von Überschuß
keine bedenklichen Symptome. Dr. Eras Sauermann.« -- »Der Zustand
des Herrn Barons nimmt seinen normalen Verlauf. Dr. Eras Sauermann.«
-- »In dem Befinden des Herrn Barons ist eine kleine Verschlimmerung
eingetreten. Dr. Eras Sauermann.« -- »Das Wundfieber des Patienten hat
sich in besorgniserregender Weise gesteigert. Die Kräfte schwinden.
Dr. Eras Sauermann.« -- »In dem Befinden des Herrn Barons Schuß ist
eine leichte Besserung eingetreten. Dr. Eras Sauermann.« -- »Der
hochgeborne Herr Baron Schuß von Überschuß, k. Oberkämmerer, der Krone
geheimer Rat, Ordensritter des goldenen Kreuzes, Besitzer vom Orden
des heiligen Ludwig usw., ist heute morgens drei Uhr gestorben. Dr.
Eras Sauermann.« -- Bei dem Leichenbegängnisse folgt unweit hinter
dem Galawagen in offener Kalesche ein interessanter blasser Mann in
tiefer Trauer. -- Wer ist das? -- Der Arzt, der ihn behandelt hatte.
-- Also ein Leibarzt. -- Doktor Eras Sauermann. -- Bald hernach
zieht er in die Stadt und ist der renommierteste Arzt der Geld- und
Geburtsaristokratie. »Ich kann wohl sagen,« schloß der Herr Doktor,
»ich bin auf ganz normalem Wege emporgekommen. Von Reklame war ich
stets ein geschworener Feind, das einzige, was ich mir in dieser
Beziehung gestatte, ist, daß ich meinen Patienten möglichst das letzte
Geleite gebe.«

»Nun, es ist ja gewiß keine Schande, heutzutage durch Reklame etwas
zu erreichen,« sagte der akademische Maler Rakutti. »Neun Trommler
und vierundzwanzig Trompeter müssen siebenmal sieben Wochen jeden Tag
lärmend durch die Stadt ziehen, bis endlich jemand frägt, was der
Teufel denn eigentlich los sei? -- Meine Herrschaften, seht ihr dort
den verkommenen Menschen?« -- Jawohl, was soll der? -- »Der soll viel,
ihr schönen Frauen und ihr noblen Herren, denn er kann alles. Es ist
das ~Genie~! -- Ah!«

»Sehr gut, sehr wahr!« rief die Tischgesellschaft.

»Eine eigenartige Illustration für oder, wenn Sie wollen, gegen
das Gesagte ist meine Geschichte,« fuhr der Maler fort. »Ich habe
Kunstwerke geschaffen, ich bin kein Freund von vielen Worten, ich sage
bloß: Kunstwerke. Dieselben hingen in den Ausstellungen oder sie wurden
durch Mißgunst der Akademie-Direktoren, von welchen die meisten leider
auch selbst malen, dem Publikum vorenthalten. Die Kritik verschwieg,
oder was noch schlimmer, lobte mich mit jenen tückischen Phrasen, die
dem Publikum nichts sagen als: Der Mann ist sehr arm, denn seht, wir
geben ihm Almosen. -- Kurz, als ich das dreiundzwanzigste Bild schuf,
war das erste noch nicht verkauft. -- Vierundzwanzig macht majorenn,
dachte ich, und das vierundzwanzigste Bild soll etwas Besonderes
werden. Es wurde auch! Das ewig Weibliche, Frauen in unverhüllter
Schönheit sind immer willkommen! Als ich eine Reihe solcher Gestalten
gemalt hatte, ohne eigentlich dabei an etwas anderes zu denken, als
an die Wirkung der Farben (denn die Farben sind bei einem Gemälde
doch die Hauptsache) nannte ich sie: die Genien der Freude. -- Sie
gelangten mühelos in die Kunstausstellung, denn das Echte siegt
endlich doch. Aber am dritten Tage nach der Eröffnung verlangten die
Journale die Entfernung des Bildes -- aus Sittlichkeitsrücksichten.
Noch an demselben Tage strömte das Publikum massenweise in die Galerie,
um sich an den Genien der Freude weidlich zu entrüsten. Allein, wo
das Bild gehangen, gähnte nur mehr die leere schmutzigrote Wand mit
dem Zettel: Nr. 52 zurückgezogen. Aber die Genien blieben in ihrer
Zurückgezogenheit nicht allein. Durch besondere Schliche war es
immerhin möglich, das Bild in seinem Gewahrsam zu sehen, und weil
jeder mit starkem Kopfschütteln aus der Kammer trat, so wollten immer
noch mehr Besucher hinein. Es war ein Skandal, von dem die halbe Stadt
sprach. Der Skandal lag jedoch nur im Skandal, nicht im Bilde. Und was
geschah? Ich erhielt eine Zuschrift: Euer Wohlgeboren, da ich kaum
voraussetzen darf, daß Sie als Verfertiger -- Verfertiger schrieb der
Gauch! -- und Eigentümer Ihres geradezu skandalösen Bildes: Die Genien
der Freude, dasselbe vernichten werden, so fühle ich mich im Namen
des guten Anstandes veranlaßt, es ein- für allemal vor unberufenen
Augen unsichtbar zu machen. Ich biete Ihnen dafür dreitausend Mark. --
Unterschrift der Name eines bekannten Börsenjobbers.«

»Selbstverständlich waren Sie entrüstet über das unwürdige Angebot und
verlangten sechstausend Mark!« lachte der Major.

»Nein,« sagte der Maler, »ich sandte dem Herrn ein höfliches +billet
de correspondance+, in dem ich sehr bedauerte, das Bild unter
zehntausend Talern nicht abtreten zu können. -- Am nächsten Tage
hatte ich die dafür lautende Kassa-Anweisung in der Hand. -- Die
Genien wurden allsogleich abgeholt, sollen aber bis heute noch nicht
vernichtet sein. -- Ich malte nun Bild für Bild ähnlichen Genres,
keines kam in die Ausstellung, jedes wurde von den Reporters, die sich
in den Ateliers herumtreiben, und auch von neugierigen Kunstmäcen mit
Interesse beblinzelt, mit Würde verdammt und fast noch vor seiner
Vollendung von Privaten angekauft. -- Jetzt erst verstand ich das
Wohlwollen der Presse und ich wollte den Rezensenten zu Ehren ein Fest
geben. Sie lehnten es in Mehrzahl höflich ab. Ich aber bin seither der
berühmte Mann und gedenke es auch noch ein Weilchen zu bleiben.«

Nun war die Reihe -- es ging um den Tisch wie ein Rundgesang -- an dem
Major Abacitz. Der war jedoch zur Tür hinausgegangen.

»Er soll sich ja im letzten Kriege ausgezeichnet haben,« sagte der
Chemiker Iseling.

»Meines Wissens,« antwortete der Doktor, »hat er bloß das Gefecht von
Otterlitz verloren.«

»Darüber ließe sich zur Tagesordnung gehen, und so hätte wohl Herr
Werner das Wort.«

»Meine Geschichte ist groß!« versetzte der Schauspieler hohlen Tones,
als begänne er den Franz Moor des Lewinsky zu deklamieren, »sie ist
sehr groß. Ich will den Schauspieler nicht mit anderen Künstlern
vergleichen. Was ist der Maler? Er hat als Material die Leinwand, die
Farbe; der Bildhauer hat den Marmor, der Dichter das Wort, der Musiker
den Ton. Der Schauspieler allein ist sein eigenes Material, seine
eigene Leinwand und Farbe, sein eigener Marmor, sein eigenes Klavier.
Der Schauspieler ist der einzige Künstler, der aus sich selbst schafft.«

»Also aus nichts --« warf der Maler ein.

»Was sagen Sie?«

»Ich meine, aus nichts, wie Gott die Welt erschuf.«

»In der Tat, ja. Doch davon zu sprechen gebührt mir nicht,« sagte der
Schauspieler, »ich komme zu meiner Geschichte. -- In wenigen Monden
gehen sieben Jahre um, seitdem ich nicht mehr am Leben wäre, wenn mich
damals auf dem Theaterplatz in -- doch, wozu Ortsnamen! -- die Polizei
nicht geschützt hätte. Was sagt ihr? -- Ich frage euch: ist ein Applaus
im Auditorium ein Applaus? Ist das Klatschen und Strampfen und Johlen
und Namenrufen ein Applaus? Nein, meine Herren, das ist kein Applaus.
Sind Lorbeerkränze mit roten Seidenschleifen und Goldbuchstaben: »Dem
großen Mimen Fridolin Werner« ein Applaus? Sind hundert verhimmelnde
Notizen in den Tagesblättern über unvergleichliche Darstellungskraft,
über Wiedergabe der Rolle, wie wir sie nachgerade noch nie erlebt, über
fingierte Engagements in großen Hoftheatern und dem unersetzlichen
Verlust, der unserer Bühne droht; sind glorifizierende Feuilletons
mit Biographie und schwungvoller Aufzählung aller Triumphe in
glühenden Superlativen ein Beifall? Wenn dich Studenten von der
Bühne zur Garderobe auf den Achseln tragen -- nennt ihr das Erfolg?
-- Es tut mir leid, dann seid ihr schlecht berichtet. -- Wenn du
aber in »Kabale und Liebe« den Wurm spielst, und das Publikum gerät
über den elenden Bösewicht derart außer sich, daß es dich nach der
Vorstellung auf deinem Wege in den Klub abpaßt und aus wütend empörtem
Gerechtigkeitsgefühl totschlagen will: ~Das~ ist Applaus, Beifall,
Erfolg!«

Werner ließ sich auf die Lehne seines Sitzes zurücksinken und
sagte weiter kein Wort. Es war auch keines mehr nötig. Das war die
Geschichte, wie er berühmt wurde; der Vorfall stand damals in allen
Blättern, und auch seither, so oft Herr Werner auf irgend einer Bühne
Gastrollen gab, vollends wenn er den Wurm brachte, ließ er's »auf dem
Platze« abdrucken, wieso ihm der Erfolg dieser Rolle schier einmal
an's Leben gegangen sei.

Jetzt war's am Chemiker Iseling.

»Ihr sprecht da von Erfolgen,« sagte dieser, »die mir nicht imponieren
können. Ich möchte sie Zufallserfolge nennen. Eine mit männlicher
Entschlossenheit durch allerlei Hindernisse mit schweren Opfern
zielbewußt selbstgeschaffene Existenz weise mir einer auf, wie die
meine! Eine Berühmtheit, die über den Großen und Stillen Ozean ebenso
mächtig hinklingt, wie über unsere Donaugelände, weise mir einer auf,
die der meinen gleichkommt! Iseling's spanisches Brustmalz! Depots in
Paris, London, Kalkutta, San Franzisko, Melbourne --«

»Fischamend, Benslau --« spottete der Maler.

»Nicht zu verachten, meine Herren! In kleinere Orte ist es schwerer zu
dringen, als in die großen. Wen der Kleinbürger und der Bauer kennt,
~der~ darf sich auf seine Berühmtheit eins gönnen!«

Er trank scharf sein Glas Rheinwein aus. »Es hat mich ein gut Stück
Geld gekostet,« fuhr er fort, mit der hohlen Hand seinen Bart
trocknend. »In ein paar Jahren hoffe ich das Jubiläum der Million
feiern zu können.«

»Die Sie mit dem spanischen Brustmalz gewonnen haben?«

»Ach Gott, dieses Jubiläum ist längst gefeiert. Die Million, die ich
für Inserate und andere Reklame ausgegeben habe!«

»Ich kann mich aber in der Tat kaum erinnern, je einmal ein Inserat
über das spanische Brustmalz in den Zeitungen gelesen zu haben,«
bemerkte der Maler.

»Lieber Freund,« belehrte Iseling, »mit dem gewöhnlichen Annoncieren
und Anpreisen, mit dem Abdruckenlassen der Dankschreiben durch das
Brustmalz geretteter Personen und was dergleichen Schwindel mehr ist,
befasse ich mich nicht. Da täte mir wahrhaftig meine Ware leid. Wir
verfügen über andere Mittel.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel wollen wir einmal den Kalender von der Wand nehmen.
Da haben wir gleich -- Zeitrechnung auf das Jahr 1883. Sie sehen!
Seit der Erschaffung der Welt 5832 Jahre. -- Seit der Einführung des
Gregorianischen Kalenders 304 Jahre. Seit der Erfindung des spanischen
Brustmalzes 35 Jahre ....«

Lachend stießen sie mit ihm die Gläser an, nur Paulo, der Romanzier,
starrte finster auf die Tischplatte, und als er wegen seiner schweren
Schweigsamkeit zur Rede gestellt wurde, murmelte er: »Das ist mir zu
frivol.«

»Nun müssen ja Sie mit Ihrem Latein vorrücken.«

»Ich schweige,« antwortete Paulo und schüttelte seine lange schwarze
Mähne, die das blasse Gesicht wie bei einem Magier umrahmte. Dazu hatte
er eine Art Schlangenbändigeraugen und um den Mund die Furchen des
Weltschmerzes und die Klammern des Spottes. »Ich schweige,« antwortete
er, »denn an einer Tafelrunde, wo Erfolg und Ruhm in ~solcher~
Weise charakterisiert worden sind, könnte die Erzählung eines sich
aus schwerer Not und mit sittlicher Kraft zur Anerkennung der Nation
emporgerungenen Mannes wohl kaum jemals Verständnis finden.«

»So könnten wir jetzt vielleicht ein Kartenspielchen arrangieren,«
meinte sehr boshafterweise der Schauspieler Werner.

»Ja und tausendmal ja!« rief Paulo, wirklich erbost darüber, daß just
er nicht zum Erzählen kommen sollte. »Spielet, spielet! Das ist ja
die Art der guten Deutschen, zechen und kartenspielen, anstatt sich
an dem geistigen Schatze der Nation zu belehren und aufzurichten und
ihre Schriftsteller vom Untergange zu retten. -- Mich haben, das kann
ich wohl sagen, lediglich die Gelegenheitsgedichte zu Hochzeitsfesten,
Kindstaufen und Jubiläen vor dem Hungertode gerettet. Meine
Jugendgedichte! -- außer Schiller und Heine schriebe sie mir keiner
nach! -- Und wenn ich Ihnen sage, daß ich die Druckkosten derselben
mit der kleinen Erbschaft meiner Tante als meinem einzigen Vermögen
bestreiten mußte! In Deutschland, wo jährlich Tausende für Zeitungs-
und Kolportagegeschmiere ausgegeben werden! Ich wollte hierauf eine
große Dichtung schreiben als Seitenstück zum »Faust«. Doch nein, Paulo,
sagte ich mir, die Deutschen sind derlei nicht wert; sie hätten auch
den Geheimrat Goethe verhungern lassen, wenn Geheimräte zu solcher
Todesart überhaupt inklinierten. Hingegen schrieb ich nach manch
kleineren Arbeiten, die mir viel Lob eintrugen, aber kein Geld, einen
großen Roman unter dem Titel: Die Auster von Tergestum. Daß diese
Dichtung mein Glück machen werde -- ich wußte es im voraus. Ich trug
das Manuskript zu meinem Verleger. -- Gucken Sie nicht so sauer drein,
lieber Mann, sage ich, heute habe ich einmal etwas für Sie. Sie wollen
doch Millionär sein? -- Ich hätte nichts dagegen, meinte er. Gut,
ich verkaufe Ihnen das ein- für allemal, für alle Auflagen, für die
Übersetzungen in allen Sprachen. -- Aber, mein Teurer, es tut mir leid!
sagte der Verleger, und solche Leute, wenn sie höflich werden, sind
unausstehlich. Teuerster! sagt er, heutzutage einen dreibändigen Roman,
und von einem unbekannten Namen! Wo denken Sie hin! -- Herr, der Roman
ist gut! rufe ich. -- Ach, das ist Nebensache, der Name muß gut sein!
sagte der Verleger. Schreiben Sie ein schlechtes Buch, so schlecht Sie
wollen, aber setzen Sie auf's Titelblatt einen berühmten Namen, zum
Beispiel: Max Freihag, und ich drucke es und zahle dreißig Taler für
den Druckbogen. -- Tun Sie das? frage ich. -- Jawohl. -- Gut. -- Ich
nehme mein Manuskript unter den Arm und gehe geradewegs zu Freihag. --
Der Romanschriftsteller Freihag wohnte nämlich in derselben Stadt in
-- doch wozu Ortsnamen! rufe ich mit Freund Werner. -- Freihag, ich
wußte aus mancherlei Anlässen, daß er mir wohlgestimmt war und ein
gutes Herz hatte. -- Ich traf ihn zu Hause. Oh, lieber Freund! rief er
mir schon an der Türe entgegen, heute ist's nicht! -- Was ist nichts?
frage ich. -- Sie wollen ja doch wieder Geld von mir! -- Ach nein,
Herr Doktor, sage ich. -- Das ist gut, meinte er, denn heute habe ich
selbst keines. -- Das macht gar nichts, sage ich, denn heute müssen
Sie mir mit etwas anderm helfen. Sie müssen mich glücklich machen für
mein ganzes Leben! Ich will nämlich heiraten -- und ich wollte in
der Tat, ich war gerade in ein reizendes Ballettmädchen verliebt und
in dem rechten Moment fiel es mir nun bei: wahrhaftig, das könntest
du als Motiv anführen, und sie hernach wirklich heiraten. -- Da soll
ich Ihnen wohl gar den Brautwerber abgeben? lachte der Doktor. -- Das
nicht, sage ich, oder ja, wenn Sie's so nehmen wollen. Sie müssen mir
nämlich meine materielle Existenz gründen. -- Aber, lieber Freund, wie
vermöchte ich das? -- Doktor, Sie vermögen es, Sie können es und Sie
werden es tun. Hier habe ich einen Roman geschrieben und Sie werden
meinen Verleger vermögen, daß er mir dafür Honorar zahlt. -- Wie soll
ich das anfangen? fragt er; ach, 's ist ein liebenswürdiger Mann. --
Das ist sehr leicht, berichte ich, es wird Ihnen im Leben selten etwas
so wenig Mühe gemacht haben, als das, und Sie werden nicht leicht
wieder einen finden, der sich mit so geringem Opfer namenlos glücklich
machen läßt, als ich. Denken Sie: eine schöne, herrliche Braut, in
die ich sterblich verliebt bin. Es wäre mir unmöglich, auch nur einen
Tag noch zu leben, ohne die Gewißheit, sie heiraten zu können. -- Ja,
es scheint, daß Ihnen die Liebe wirklich schlimm mitspielt, sagt der
Doktor nicht ohne Zweideutigkeit; wenn es jedoch in dem Bereiche der
Möglichkeit liegen sollte, Ihnen zu dienen --! Gut, sage ich, so wäre
das abgemacht. Ich danke Ihnen. -- Nun, was wollen Sie denn eigentlich?
ruft er aus. -- Ach ja so. Sehen Sie, sage ich, das ist der neue Roman:
Die Auster von Tergestum, von Emil Paulo und Max Freihag. Oder wollen
Sie voranstehen? -- Ich soll als Autor des Romanes? -- Ja, Doktor,
Sie werden als Mitverfasser Ihren Namen auf das Titelblatt drucken
lassen. -- Als Mitverfasser! ruft er, ich als Mitarbeiter an Ihrem
Roman, ohne eine Zeile daran geschrieben zu haben?! -- Das können Sie
nachholen, wenn Ihnen daran gelegen ist. -- So müßte ich das Werk doch
zum mindesten durchlesen, denn Sie werden begreifen, daß --. Nein,
unterbrach ich ihn, Doktor, das begreife ich nicht. Haben Sie Lust,
den Roman heute zu lesen, so wird's mich freuen, aber was gewinnen Sie
dabei? Entweder Sie finden, daß Sie ihn verantworten können, dann war's
unnützer Zeitverlust; oder Sie werden durch die Lektüre veranlaßt, Ihr
Versprechen zurückzunehmen, dann bin ich verloren. Und daran, Herr,
daran zweifle ich keinen Augenblick, wenn Sie mit einem Namenszug
einen Menschen retten, ja deren zwei glücklich machen können, so
schreiben Sie Ihren Namen, wenn es sein muß, selbst auf ein ägyptisches
Traumbuch. Die Revisionsbogen werden Ihnen ja Gelegenheit geben, den
Roman kennen zu lernen, respektive zu bearbeiten. Die Hauptsache ist
jetzt Ihr Name; mein Verleger schließt in einer halben Stunde das
Kontor. -- Das war mein Begehr, und nicht einmal die Pistole brauchte
man dazu in der Hand zu haben. -- -- Er hat's getan. Ich wußte recht
gut: nach einer Stunde tut er's nicht mehr; sobald ihm wieder der
Herzschlag langsamer geht, sobald er nachzudenken beginnt, tut er's
nicht mehr. Nun, es gelang und er hat's getan.

Atemlos hatte die Gesellschaft dem Romanzier zugehört.

»Und wie verlief die Sache?« fragte der Schauspieler, der früher der
Gleichgültigste geschienen und jetzt der Aufmerksamste war.

»Sie verlief gar nicht,« antwortete Paulo, »sie ist noch heute, und
ganz vortrefflich. Ich kam mit dem Roman zum Verleger zurück, der sah
auf demselben freudestrahlend den berühmten Namen, den er für seinen
Verlag schon seit langem vergeblich zu gewinnen gesucht, und zahlte mir
fünfzehnhundert Taler als die erste Hälfte des Honorars auf die Hand.
-- Außer einigen Streichungen fand der Doktor an dem Roman nicht viel
zu modifizieren, das Buch ging reißend ab und hat bis heute sieben
Auflagen erlebt. Selbstverständlich schrieb ich nun munter voran und
für den Kompagnon Max Freihag's taten die Verleger allerorts ihre Arme
und Börsen auf, obwohl die folgenden meiner Bücher nur mehr unter
meiner Firma allein erschienen.«

»Und hat der Streich dem Renommee Freihag's doch nicht etwa --?«
Iseling sprach's, hatte aber nicht den Mut, den Satz zu Ende zu bringen.

»Geschadet, meinen Sie!« fuhr Paulo empört auf. »Herr, seit der
Erfindung des spanischen Brustmalzes mag es allerdings erst
fünfunddreißig Jahre her sein, aber seit der Entdeckung des gesunden
Menschenverstandes ist es doch etwas länger. Und der Menschenverstand
sagt sonnenklar: Zwei ist mehr als eins. Freihag kann froh sein, ein
höchst bedeutendes Werk unter seinem Schilde zu führen, zu dem er kaum
die Feder angesetzt hat.«

»Und Ihre Braut haben Sie geheiratet?« fragte der Maler.

Ohne darauf zu antworten, nahm Paulo seinen Überrock und sagte: »Gute
Nacht, meine Herren!«




                   Der Mann mit den dreizehn Talern.


Der Mann, dessen Geschichte ich in schaulustigen Jugendtagen
aufgeschrieben, war eine sehr wunderliche Erscheinung. Auswendig und
noch mehr inwendig. Er war nicht groß, aber stark untersetzt und
unter der rechten Achsel auffallend ausgewachsen, so daß an derselben
Seite der kurze graue Wollspenser zwischen sich und der Hose das Hemd
hervorlugen ließ. Das bleiche Gesicht sah recht offenherzig aus, war
rund und hatte für das Dorf astronomische Bedeutsamkeit. Wenn dieses
Gesicht neu und glatt rasiert war, so konnte man überzeugt sein, daß
der Mond im ersten Viertel stand.

Die Welt sah er nur halb, das heißt immer bloß mit dem einen, rechten
Auge an, das linke hielt er stets zugedrückt. Und doch war er nicht
einäugig, denn einmal hatte es sich ereignet, daß beide Augen hellicht
offen standen. Die Leute meinten, der Alte verschließe das linke,
weil er alles ~recht~ sehen wollte; andere behaupteten, er tue
es aus Sparsamkeit, damit, wenn sich im Greisenalter die gewöhnliche
Sehkraft erschöpfe, er noch ein neues, frisches Auge habe, und wieder
andere vermuteten, der Alte tue es aus Nachsicht, daß er immer ein Auge
zudrücke.

Einen Zweck mußte es wohl haben, denn alles, was der Alte tat oder
ließ, hatte einen Zweck. Oder weshalb ließ er seine nun bereits weißen
Haare so lang wachsen, daß er sie wie einen Turban um die Stirne
drehen konnte, als daß er dadurch die Kopfbedeckung von fremden
Haaren ersparte? Und weshalb kaute er immer und immer wieder an einem
Strohhalm, als zum Ersatz für das Rauchen, das er sich in seiner
Jugend einmal angewöhnt hatte? Und weshalb hatte er in seinem Stübchen
eine beflügelte Windmühle, die mehr als den halben Raum einnahm? -- Ja,
die Geschichte von der Windmühle ist nicht einfach! Die Maschine stand
aber auch nur im Winter in der Wohnung des Mannes, im Sommer ruhte
sie in einer Rumpelkammer, die gleich daneben, und zu der die Stube
des Mannes eigentlich das Vorzimmer war. Ob über diese Räume der alte
Mann oder die Mäuse Hausherr waren, das ist nie recht klar geworden;
bestimmt ist nur anzunehmen, daß beide Parteien in den Dachstuhlräumen
des alten Pfarrhofes wohnten.

So bedenklich die Holzleiter aussah, die zu diesen Räumen emporführte,
so wohnlich waren sie eingerichtet. Eine Matratze, die am Boden lag,
ein dreibeiniger Sessel, der daneben lehnte, ein wurmstichiger Schrank,
der an der Wand stand und ein kleiner eiserner Ofen, der im Winkel
kauerte -- das war außer der Windmühle die Einrichtung der Wohnung
des Malchus Zacharias Rosenkranz. Das Fenster, das in der schiefen,
reichlich mit Lehm überworfenen Dachwand in einer Nische stand, war
wie der alte Malchus einäugig, da der andere Flügel mit blauem Papier
verklebt gewesen. Indeß war der Ausblick durch die eine Glasscheibe
um so erfreulicher, sie ging in den Hof zu den lieben Haustieren. Dem
Fenster des Malchus gegenüber stand das Wirtschaftsgebäude und auf
dem First desselben saß zu allen Stunden des Tages ein Spatz oder die
Katz'! Und über dieses Bild wölbte sich am Tag der blaue Himmel, zur
Nacht das Sternenzelt und zu trüben Zeiten der Nebel.

Gelänge es mir, nun euren Blick von diesem Bilde ab- und nochmals auf
das Innere der Behausung des Malchus zu lenken, so möchte ich auf den
schwärzlichen Hafentopf aufmerksam machen, der am eisernen Ofen steht.
Dieser birgt das Mittags- und Abendmahl des Mannes, sowohl für alle
gewöhnlichen Tage, als auch für alle Feste des Jahres berechnet -- ein
nahrhaftes Erbsengericht. Lohnend dürfte es sein, auch einen Blick in
den Schrank zu tun. Da uns die zahlreichen Wurmstichlöcher aber doch
immer keinen Einblick in das Innere zu gewähren vermögen, ist Malchus
Zacharias Rosenkranz bereit, die Decke zu öffnen. Die hier verwahrten
Holzschuhe und falbledernen Beinkleider, sowie der Sack Erbsenvorrat
sind von minderem Belange; um so auffälliger aber ist uns die viele
Schafwolle, die auf Spulen und Knäuel gewickelt ist, und das sorgsam
gehaltene Strickzeug. Wir haben hier die Stätte der Arbeit vor uns;
Malchus beschäftigt sich jahraus jahrein mit Stricken und versorgt alle
Bauern, Hirten und Holzhauer der Umgebung mit Fäustlingen und Socken.

Im untersten Winkel des Schrankes befindet sich aber ein Wollbeutel,
der einen feinen, zarten Metallklang gibt, sobald ihn der Mann berührt;
Malchus schichtet alle vorrätige Wolle über den Beutel und blinzelt
dabei ganz merkwürdig mit dem rechten Auge. Dann blickt er unstet um
sich, aber das linke Auge bleibt zu, nur der Strohhalm, an dem Malchus
kaut, macht ein paar Schwingungen auf und nieder, was wohl gar eine
Drohung bedeuten mag.

Ein Geizhals, meint Ihr? -- Recht gut, so hat es einen Zweck, daß ich
euch die Geschichte des Mannes erzähle.

                   *       *       *       *       *

Malchus Zacharias Rosenkranz lebte schon seit einigen fünfzig Jahren in
dem Dachstübchen des Pfarrhofes, und ihm sind auch die Tage bekannt,
die er noch hier verleben wird. Er weiß den Tag seines Todes. Wie
sie ihn über die hinfällige Leiter hinabbringen werden, das ist ihre
Sache -- gewiß nur ist, daß sie nach Verlauf der bestimmten Zeit den
alten Malchus hinaustragen werden auf den Kirchhof. Der Alte verzehrt
trotzdem heute sein Erbsengericht so ruhig als vor dreißig Jahren. Er
betet und hofft nur, daß bishin kein Unglück mehr komme.

Eine Tagereise von unserem Dorfe, in einer schönen Gebirgsgegend, liegt
der rote See. Dieser ist an vielen Stellen grundlos tief, birgt sogar
Forellen in sich und hat seinen Namen von den roten Felswänden, die an
seinen Ufern aufragen und sich in dem klaren Wasser spiegeln.

Am Ufer dieses Sees stand vor vielen Jahren eine Fischerhütte. Sie war
aus rohen Waldstämmen gezimmert und mit Lehm und Moos gegen Wind und
Wetter wohlverwahrt. In der Hütte wohnten ein Mann und ein Weib und
ein Kind. Der Mann war kühn und trieb sich die meiste Zeit auf dem See
herum, bis er zu Abend mit beladenem Kahne gegen die Hütte ruderte. Das
Weib war arbeitsam und pflegte den Gemüsegarten und die Ziegen, und in
der Winterszeit höhlte es Holzschuhe aus zum Verkaufen. Das Kind war
ein freudvoller Knabe, in welchem Jugendlust sprudelte und ein reiches,
kraftvolles Leben zu schlummern schien.

Das Fischerpaar liebte sein Kind unsäglich, aber es lag eine Betrübnis
in seiner Doppelseele, so oft es den heiteren Knaben ansah. An jenem
Tage nämlich, als dem Fischer das Kind geboren wurde, fing er in seinem
Netze eine große Seespinne, wie er noch nie eine gesehen hatte, weil
sie im roten See nicht vorzukommen pflegten. Er schleuderte das Tier
wohl wieder zurück in die Wellen, aber nach seinem Sinn sollte der Fang
für die Zukunft seines Neugebornen von böser Bedeutung sein. Er teilte
dies auch seinem Weibe mit, welches zwar den Wahn des Gatten überlaut
zu widerlegen suchte, im Innern aber bangte, des unglücklichen Lebens
gedenkend, das vielleicht ihrem Kinde bevorstehe.

Trotzdem wuchs der Knabe auf zum schönen Jüngling, der da lachte, als
ihm die Eltern die Geschichte von der Seespinne mitteilten.

Der Jüngling kam selten zu fremden Menschen; er sah dann und wann nur
einen Holzhauer, einen Jägersmann, und wenn er auch bisweilen hinauskam
in die Gegend, wo das Dorf und die Kirche standen und wo die Leute auf
dem Felde oder auf der Wiese arbeiteten, so fühlte er sich dort nicht
behaglich. Die ganze Liebe seines Herzens wendete er den Eltern zu.

Zur Liebe kam auch der Segen. Jener Wahn des alternden Paares begann in
diesem ruhigen und heiteren Fortleben zu schwinden.

In einem Winkel oben unter dem Dache wohlverwahrt stand ein Kästlein
aus hartem Buchenholz voll blanker Silbermünzen. Durch die vielen Jahre
der Arbeit und des Fleißes hatte sich die kleine Familie ein Vermögen
erworben, welches in dem alten Fischer keinen geringeren Plan wachrief,
als den, die baufällige Hütte niederzureißen und sich am Ufer des Sees
ein größeres Wohnhaus zu bauen. In seiner Seele mochte vielleicht das
Bild einer lieben Tochter zu dämmern beginnen, die der Junge früher
oder später bei den vielen Menschen draußen finden und nach Hause
bringen werde.

So zog der Jüngling eines schönen Julimorgens aus, um einen Baumeister
und Arbeiter zu dingen. Wenn er an großen, stolzen Bauernhöfen
vorüberkam, so studierte er die Bauart und den Geschmack, und er freute
sich auf das Leben im neuen Hause, das sich in der Einsamkeit zwischen
dem See und den roten Wänden doppelt schön ausnehmen werde, und er
freute sich auf das Lieben und Pflegen der alten Eltern.

Als er hierauf nach gewissenhaft vollführter Sendung in das
Felsengebirge zum roten See zurückkehrte, da war alles aus. Wo die
Hütte gestanden hatte, knisterte ein Gluthaufen und von demselben
rieselte über die breiten Steine ein schmales Silberbächlein gegen
den See, gleichsam als fordere dieser die unzähligen Silbermünzen,
die er durch seine Fische erwerben half, geschmolzen wieder zurück.
Und in dem Aschenhaufen lagen die verkohlten Leichname. -- -- Schöner
Fischerjunge! Dort am Ufer steht noch der Kahn, dein Erbe. Geh' hinab,
mache ihn los, springe hinein und fahre hinaus bis in die Mitte des
Sees. Dort stürze dich kopfüber hinab -- zur Seespinne. --

Er sprang nicht in die Glut, er sprang nicht in den See; er brach nicht
zusammen; es trat ihm keine Träne ins Auge. Einen kurzen, gellenden
Schrei stieß er aus -- -- dann drückte er sein linkes Auge zu und
blinzelte mit dem rechten.

Später wühlte er in den Kohlen und Bränden. Die Leichen seines Vaters
und seiner Mutter ließ er liegen, wie sie lagen, bis nach vielen
Stunden Leute kamen, die das Unglück sahen, das Fischerpaar begruben
und den Jüngling mit hinaus nahmen ins Dorf.

Aber seine Jugend war zu Ende. -- Das plötzliche unfaßbare Unglück, das
mit einem einzigen Schlage alles geraubt hatte, was er besaß, was er
liebte und an dem er hing mit seinem ganzen Wesen, hatte sein Gehirn
erschüttert, sein Lebensmark geschmolzen -- ein blödsinniger Greis von
siebzehn Jahren -- drückte stets das linke Auge zu und kaute an einem
Strohhalm.

Die Brandstätte seiner Heimatshütte lag öde da; Fischlein im See
reckten oft ihre Köpfe empor, ob denn der Alte nicht wieder einmal
käme mit seinem hinterlistigen Garnsack, und da er nicht kam, so
veranstalteten sie lustige Spiele und feierten das Fest durch Tänze
und Wettrennen nach Mücken und Würmchen. Doch endlich kam wieder ein
starker Mann, der mit riesigen Garnbeuteln den roten See neuerdings
unsicher machte.

Für das geschmolzene Silber, welches von der Hütte über die breiten
Steine gegen den See geflossen und unterwegs gestockt war, bekam der
arme Malchus dreizehn Taler.

Bisher hatte er eine Wollmütze am Kopfe getragen, die nahm er nun ab
und wickelte das Geld hinein und sagte zu sich: »Das ist gerade genug,
daß sie die Glocken läuten und daß der Pfarrer mitlauft, wenn mich
die sechs Träger hinaustragen. Sechs? Ei, ich dächte, für den Malchus
tätens auch bloß zwei.«

Ein alter Pechbrenner, in dessen Hütte Malchus seit dem Unglücke
wohnte, ließ sich die dreizehn Taler zeigen, legte dann den Finger auf
den Mund und flüsterte: »Malchus, das ist ein Kapital, geh' damit ein
Geschäft an! Schau, ich habe vor fünfunddreißig Jahren, als ich in
den Wald ging, nur zwei Sechser gehabt, kaum, daß ich mir davon den
Pechhafen hab' kaufen können, und heute schau dir einmal meine Pecherei
an! Probier's auch du. Kannst es so weit bringen wie ich!«

Auf diese Worte legte der junge Mann einen Grashalm auf die Zunge;
indem er an demselben zu kauen begann, sagte er langsam: »Meinst? Wart,
Domini, wart, mit fünfunddreißig Jahren hab' ich's weiter gebracht als
du. Bin ja ein Glückspilz, ich!«

»Wie du ein Kerl bist, sollst du ja die Welt auf die Achseln nehmen wie
einen alten Heukorb! Fikra sikra Haferstern! Wenn ich der Malchus wär',
ein Schloß von Elfenbein müßt' ich haben und das schönst' Weible drin
und ein goldenes Bettstattl mit Roßhaar! -- tät's nicht billiger!«

Malchus lächelte, aber sagte nichts drauf; er wickelte seine dreizehn
Taler wieder langsam in die Wollmütze.

»Und was willst du nachher mit deinen dreizehn Aposteln da? Geh, ist ja
der Judas noch dabei! Du, Malchus, den mußt weg, er verrät dir sonst
die andern all. Oder der dreizehnte stirbt und steckt dir die anderen
an. Mußt ihn weg, Malchus!«

»Mag wohl wahr sein,« meinte der Bursche, faltete seine Mütze wieder
auseinander und hielt dem Pecher eine Münze hin.

»Junge, da tust du gescheit,« sagte der andere schnell und steckte den
Taler in die Tasche, »bei mir hat er's gut, wenn du ihn brauchst, so
komm und hol ihn.«

Ein andersmal, als Malchus tagelang zwecklos im Walde herumgelaufen
war, sagte der Pechbrenner zu ihm: »Ja, was willst denn, Malchus, du
bist ein ganzer Narr!«

»Das hab' ich mir auch schon gedacht,« entgegnete der Bursche. Dann
warf er sich schluchzend an die Brust des alten Mannes und sagte:
»Domini, lieber Domini, ich weiß mir keinen Rat. Du, ich sag' dir's,
wenn sie mich nicht gleich auf die Bahr' legen, so kommt noch früher
ein großes Glück über mich!«

»Ein großes Glück, meinst? Tät' dir schon recht geschehen und ich
wollt' dir's wünschen.«

»Weh!« rief Malchus aus und wollte dem Pechbrenner den Mund verhalten.
Und nachher sagte er: »Ja, ja, Glück wär schon recht! Aber da kommt
dir auf einmal eine Stunde, und das Glück, fleißig aufgebaut in vielen
Jahren, wird in einer Nacht zum Unglück. Domini, ich sag' dir's, wenn
unten beim roten See jetzt eine Fischerhütte stünde, und es lebte ein
guter Mann drin, der mein Vater, und eine gute Frau, die meine Mutter
wäre -- ich ginge nicht hinab zu dieser Hütte; nein, alter Domini, und
wenn ich nur mit den Tieren des Waldes leben müßte, ich ginge nicht
hinab -- 's möcht vielleicht schön sein unten -- schau mich an, Domini
-- schön sein unten; es möchten Tage sein wie die himmlischen Freuden
-- da kommt das Unglück und alles ist hin. Nein, nein, ich ertrags
nicht mehr, das Glück, das falsche, und du wirst wohl recht haben,
Domini, ich bin ein ganzer Narr.«

Dem alten, lustigen Domini war diesmal zur Entgegnung kein Scherz
eingefallen. Er schwieg und dachte daran, wie das plötzliche Unheil auf
den Burschen einen solchen Eindruck gemacht hatte, daß er das Glück nur
als Ursache des Unglückes betrachtete und es fürchtete, wie das Unglück
selbst.

»'s wird alles wegen der Seespinne geschehen sein,« sagte Malchus, »und
ich weiß nun schon, ich darf nichts anfangen in der Welt, 's tät' mit
allem schlecht ausgehen. Ich will keine Freude mehr haben, die Trauer
nachher ist zu bitterlich; mag auch kein Geld und Gut, tät's doch
wieder verlieren. Mag gar nichts, bin einmal zum Unglück geboren. --
Ich will das Elend schon ertragen, Domini, den Hunger fürcht ich nicht,
die Kälte nicht. -- Ich ertrag' die Not, nur jäh darf sie nicht kommen.
Domini, ich kann stricken; ich find' schon wo ein Platzel für die paar
Jahre, und da stricke ich und erwerbe mir für jeden Tag eine Brotsuppe,
oder, wenn das Geschäft gut geht, von Erbsen was. Die Lederhose da,
schau einmal, Domini, sie ist von Hirschleder, die hält mir's reichlich
aus, und dann soll das Unglück nur kommen, wo wills denn aufsitzen?
-- Bleibt mir mein Geld nicht, ist recht, nur fort, liegt mir wenig
daran; und bleibt es mir, so ist's gut. Die dreizehn Taler sind für
mein Begräbnis.«

»Hast nur zwölf mehr,« warf der Pechbrenner ein.

»Zwölf?« sagte Malchus befremdet, »wo hätt' ich hernach den
dreizehnten?«

»Hast ihn ja mir gegeben, von wegen dem, weil er der Judas war,« lachte
der Alte, »aber, wenn du ihn wieder haben willst ...«

»Nein, behalt' ihn nur,« sagte Malchus, »du hast mir jetzt lange
Zeit hier in deinem Hause Dach und zu essen gegeben. Ich dank' dir's
tausendmal, Domini, aber jetzt werde ich dich verlassen, ich gehe ins
Stricken aus; bet' dann und wann ein Vaterunser für mich; schau der
Malchus ist eigentlich doch ein armer Teufel.«

Das waren die Abschiedsworte. Seine Wollmütze im Sack, einen Stock
in der Hand und einen langen Halm zwischen den Zähnen -- so wandelte
Malchus langsam durch den Wald und hinab zum See, wo am Ufer eine
kleine rötliche Mauer stand. Der Herd ist noch geblieben, als ob das
Schicksal höhnen möchte: Ei, sieh' da, Malchus Zacharias Rosenkranz hat
doch auch einen eigenen Herd! --

Der blödsinnige Bursche wühlte -- weil er just vorüberging -- ein wenig
in dem Aschenboden, ob etwa nicht irgendwo noch ein Eisennagel läge.
Einen rostigen Pfeifendeckel aus Stahl fand er -- -- den hatte der alte
Fischer einst auf- und zugedrückt, als er behaglich schmauchend am
Tischchen gesessen war und zu seinem Weib und zu seinem Sohne gesagt
hatte: »Nu, was meint ihr, werden uns halt ein Häuslein bauen müssen,
das ein wenig größer und bequemer ist. Junge, zuletzt wirst du auch
noch zwei Stuben haben wollen!«

                   *       *       *       *       *

Als sich der Bursche in einem entfernteren Tale nach Strickarbeiten
umsah, lachten ihn die Leute aus. -- So jung und ein Altweibergeschäft!

Aber weil's gar zu sonderbar war, so gaben sie ihm doch eine Arbeit.

Malchus half auch auf dem Felde, aber da war er sehr unbeholfen. Einmal
zur Erntezeit sagte man ihm: »Nur fleißig Korn tragen, Malchus.« Und
setzten das Sprichwort dazu: »Die Kornträger werden reich.« Auf diese
Worte wollte der Bursche keine Garbe mehr anrühren.

»Warum gehst du denn immer barhaupt?« fragte ihn einmal eine junge
Magd, und wickelte sich seine wirren Locken um den Finger.

»Das weiß ich nicht,« antwortete Malchus und blickte seitwärts.

Wenn er mit andern zu Tische war, so aß er immer nur Brotsuppe und
Gemüse, und wenn sie ihn zum Fleischgericht oder zu fetten Mehlspeisen
einluden, sagte er: »Vergelt's euch Gott, nach so was ist's so viel
schwer, sich was Einfacheres anzugewöhnen.«

Einmal sagte der Bauer, bei dem er arbeitete: »Malchus, ich schenk' dir
eine Pfeife, daß du nicht immer an einem Strohhalm zu saugen brauchst.«

Darauf der Bursche: »Wenn du auch den Tabak dazu gibst?«

»Wie hast dir denn dein linkes Aug' abgebrochen, Malchus?« fragte
ihn die schalkhafte Bäuerin eines Mittags, als sie dem Burschen eine
Erbsensuppe vorsetzte.

Dieser aß die Erbsensuppe, antwortete jedoch nicht auf die Frage. --

Endlich sah man ein, daß der Malchus ein Hascher sei, und man
behelligte ihn nicht mehr mit Witzen und Zumutungen, denen er
nicht entsprechen konnte; man gab ihm Wolle und ließ ihn bei seinen
Stricknadeln, und Malchus strickte und schien zufrieden.

Er war ruhig, gutmütig und anhänglich, man ließ dem armen, heimatlosen
Burschen auf dem Dachboden des alten Pfarrhofes ein Stübchen.

Malchus, der seit dem Unglücke bisher im Tale in verschiedenen
Bauernhöfen gelebt und gearbeitet hatte, war anfangs kaum zu
bewegen, seine neue Wohnung zu beziehen. »Auf einmal wird mein Haus
niederbrennen.«

Gegen die Stiege, die man ihm zu seiner Dachkammer bauen wollte,
verwahrte er sich auch. »Gebt mir nur eine Leiter, die man allzeit
wegziehen kann; dem Unglück darf man nicht auch noch die Wege machen.«

So begann nun Malchus in seinem neuen Hause zu leben. Bei trübem Wetter
saß er auf der Matratze und strickte oder sah sich dann und wann auch
seine zwölf Taler an, die er im alten Holzschranke verwahrt hielt. Die
sind halt für's Läuten und für's Hinaustragen und für den Segen in die
Grube. Ja, wo war denn der dreizehnte? Den hatte er zuletzt gar dem
alten Domini geschenkt? Ei, ei!

An heiteren Tagen aber kletterte er über die Leiter herab, ging durch
das Dorf, über Feldwege und redete einige Worte mit den Leuten, die ihm
begegneten, und strickte.

Mit seinem lockigen Barhaupte und dem zwinkernden Auge und den
unvermeidlichen Halm zwischen den Lippen sah er aus wie ein
stillheiteres Gemüt.

Die Arbeit holte er sich von seinen Kunden selbst, wer hätte es auch
wagen mögen, über die gebrechliche Leiter in sein Stübchen zu steigen!

So saß er denn allein und strickte oder sah am kleinen Ofen nach,
was die Erbsen machten; zu Zeiten, wenn eine lebhafte Flamme war,
wurden sie gar lebendig und stiegen heraus, und Malchus mußte sie mit
kaltem Wasser wieder zurück hineinjagen, die Flüchtlinge, die er doch
verzehren wollte. --

An einem Sonntag Vormittag. Die Leute waren alle in der Kirche,
auch Malchus saß in einem Winkel hinter dem Taufstein und betete
seinen Rosenkranz ab und murmelte zu der braunen Korallenkette: »Du
bist ein Rosenkranz und ich bin auch einer; du hast ein Kreuz und
einen »Glauben« und zweiundsiebzig Perlen; ich hab' auch ein Kreuz
und einen Glauben, aber ob ich mein Lebtag zweiundsiebzig Tugenden
zusammenbring', d'rauf wollt' ich nicht wetten. Bin doch oft recht
untugendsam, wenn ich gar so übermäßig über mein Unglück trauere und
das Leben und meine Jugend verachte, als ob just auf mich alles Elend
kommen wollte. Zuletzt werde ich so glücklich sein wie alle anderen,
und mein Klagen und Zittern ist ein Frevel. Deswegen, du tugendsamer
Rosenkranz, tu' nur ein wenig beten für den untugendsamen!«

Da kam plötzlich der Kirchendiener aus der Sakristei und sagte dem
Pfarrer am Altare etwas ins Ohr. Der Pfarrer kehrte sich gegen die
Gemeinde und rief laut: »Feuer ist im Dorf, geht löschen!« Am Turm
schlugen schon die Glocken an.

»Aha, ist schon da!« murmelte Malchus und erhob sich von seinem Stein.

»Wo brennt's denn?« fragten sich die Leute und stürmten in das Freie.

»Wo wird's brennen, ihr Kindischen,« sagte Malchus ruhig, »im Pfarrhof
brennt's; oben in meiner Stube brennt's; 's wird wieder meinen Vater
und meine Mutter haben wollen oder mich, und jetzt bin ich gar nicht zu
Hause.«

Er steckte seinen Rosenkranz in die Tasche und ging hinaus.

Am unteren Ende des Dorfes qualmte dichter, rötlich-brauner Rauch
auf. »Das ist der große Heustadl!« hieß es, und die Leute eilten mit
Eimern und Kübeln und Leitern und Haken gegen den Brand, und weil
keine Feuerspritze im Orte war, so trugen sie aus dem Ziehbrunnen, der
auf dem Platze stand und aus dem Bächlein, das weiter unten hinfloß,
Wasser auf die Dächer. Der Stadl war nicht mehr zu retten, da pfiffen
die Flammen schon aus allen Fugen und Löchern; jetzt brachen sie
gewaltig aus; glühendes Stroh, brennende Schindeln flogen hoch. Auf
den Nachbargebäuden kletterten Männer herum, warfen die Dachbretter
herab, begossen die Firste und Dachstühle, vermauerten die Fenster. Sie
riefen sich zu, aber im Knattern der Bretter und im Brüllen des Feuers
hörten sie sich kaum. Die Weiber jammerten in den Gassen und schleppten
Hausgeräte aus ihren Wohnungen; alte Kästen und Bettstätten zerrten
sie hervor und vergaßen den Sparpfennig. Auf dem Turme schrillten
stoßweise, in ungleichen Zwischenräumen die Glocken, daß von den
Nachbargemeinden Hilfe kommen möge.

Über all das lag der klare Sommertag und Sonnenschein, wenn auch die
Schatten des Rauches über Dorf und Kirche hinflogen.

Malchus half nicht im Löschen, nur daß er in der Nähe des Feuers beim
Ausbringen von Hab und Gut tätig war.

Zuletzt ging er gar davon, setzte sich auf einer Anhöhe nieder und sah
dem Feuer zu. »Wie ihr auch löschen und wahren mögt,« sagte er, »das
ganze Dorf brennt nieder. Das Feuer ist dort unten und mein Pfarrhof
ist da oben am andern Ende. Du rothaariges Unglück, du hast es doch nur
auf mich abgesehen, und jetzt hüpfest du über alle Hausdächer bis zu
meiner Wohnung. Und ich bring' so viel Unheil über alles; es wär' doch
das beste, ich tät der ganzen Welt aus dem Weg gehen -- ganz, ganz aus
dem Weg -- die Seespinne wird keine Ruh' geben.«

In einer Stunde später war der Heustadl eingestürzt und die Flammen
leckten nur mehr an den Wandbäumen, die am Boden lagen. Die nächst
angrenzenden Gebäude standen unversehrt da, nur daß bei einigen das
rötlichgraue Dachstuhlgerippe nackt aufragte, weil es die Leute
abgedeckt hatten.

Die Kirchenglocken waren zur Ruhe gekommen, das Schreien war verstummt,
die Weiber trugen ihre Geräte wieder in die Häuser und sie lachten,
wenn sie gleich noch vor Aufregung zitterten.

Malchus stieg vom Hügel, schüttelte wiederholt den Kopf: »Jetzt hat die
rothaarige Bestie sicher gemeint, ich wohne im Heustadl!«

Als er über seine Leiter steigen wollte, lag diese in Trümmern auf dem
Boden, und neben ihr, ächzend und sich in Schmerzen windend, lag der
Schuhflicker Fritz.

Malchus kannte ihn gleich, der Mann flickte ihm ja seine
Kuhlederschuhe. Er rief also: »Ja, Schuster, was ist denn dir
geschehen?«

Dieser wimmerte: »Wie das Feuer auskommen ist, hab' ich dem Malchus
wollen sein Hab und Gut retten und bin über die Leiter gestürzt -- Fuß
und Hand hab' ich mir gebrochen.«

Während er dies sagte, wälzte er sich um und suchte einen grauen
Wollbeutel zu verdecken, der neben ihm lag. Aber Malchus hatte diesen
bemerkt und sagte: »Fritz, es schaut so aus, als ob du mir mein Geld
gestohlen hättest!«

»Malchus, nur retten hab' ich dir's wollen -- oh weh!«

»Das kann sein, und es kann auch nicht sein -- gib nur her, Fritz.«

»Zu tausendmal gern; aber sag niemandem was davon. Malchus, schau,
bin ein armer Mann und hab' Weib und Kind. Hab' sonst noch keinem was
gestohlen, mein Lebtag nicht. Sag nichts davon, Malchus; muß ja eh bald
sterben!«

So jammerte der Schuhflicker, und Malchus beruhigte ihn: »Ist dir
vergessen; und zuletzt hätt' doch nur ich da herabstürzen sollen; das
Unglück ist heut' schon das zweitemal zum Unrechten gekommen. Magst
dich auf meine Achsel helfen, Fritz, ich trag' dich heim in dein
Häusel.«

Und er trug den Fritz heim in sein Häusel. »Frau Schusterin,« sagte
er, »tut Euch nicht erschrecken; beim Löschen ist er auf den Erdboden
gefallen«.

Dann ging Malchus wieder seiner Wohnung zu, band die Leiter zusammen
und stieg zu seiner Stube hinauf. Die Türe war offen, der Schrank
ebenfalls. Malchus barg seine zwölf Taler wieder an ihrer Stelle.

Leute, die den jungen Mann während des Brandes auf dem Hügel hatten
sitzen sehen, sagten lieblose Worte. Andere, die ihn mit dem Schuster
Fritz begegneten, erzählten Gutes von dem blödsinnigen Stricker.

                   *       *       *       *       *

Es war im Spätherbste desselben Jahres, als eines Abends durch das
Dorf der lustig polternde, pudelnärrische Brechelzug ging. Die Leute
kehrten eben von der »Haarstube« zurück, wo sie gemeinsam ihren Flachs
gebrechelt hatten; gingen jetzt zu einem reichlichen Mahle, welchem
Tanz und anderes Freudige folgen sollte. Die Pfeifen und Geigen waren
schon da und die Bläser und Streicher auch dazu, und die Füße des
jungen Völkleins waren bereits voll Räder und Federn, besonders die der
Dirndeln.

      »Wia liab daß so a Diandl,
      Wan's bleedan tuat, is!«

Dem Zug voran gingen zwei Burschen, die mit Besen die Gasse auskehrten,
und hinter her zog eine Magd und streute Agen auf den Weg, damit der
Lust und der Freude, die hier im Triumph einherzog, die Kümmernis nicht
folgen konnte.

Als sie über den Platz am tiefen Dorfbrunnen vorüberkamen, standen
einige plötzlich still und legten die Finger an den Mund; »ein
Gespenst!« Andere blieben ebenfalls stehen und horchten. -- »Du
Kreuzsappermost, was ist denn das da unten?«

Aus der Tiefe des Brunnens hörte man Laute -- wie ein Wimmern und
Weinen, dann wieder wie ein Lachen. Das war ja wieder dieselbe
Stimme, wie man sie vor dreißig Jahren gehört hatte, als darauf eine
Überschwemmung kam; und das war auch dieselbe Stimme, die vor achtzehn
Jahren im Brunnen rief, als dann die große »Sterb« in der Gemeinde
ausgebrochen.

Die Pfeifen waren in schrillen Tönen ausgelaufen und schwiegen; die
Leute flohen.

Nur Malchus floh nicht. Er stand am niederen Brunnengeländer, starrte
in die Tiefe und rief hinab: »Na heut' geraten wir zusamm', verdammte
Seespinne du!« Dann verlangte er einen Strick, sie sollten ihn
hinablassen.

Die Leute wußten nicht was, aber sie brachten einen Strick und ließen
Malchus in den Brunnen.

Der Arme -- noch einen Blick gegen die Abendröte, gegen die Waldberge,
gegen die weiße Dorfkirche, gegen die Menschen -- dann hatte er den
Eimerbaum seitwärts gestoßen und es ging hinab -- von dem Lichte zur
Dämmerung, zur Dunkelheit, zur Finsternis, den schauerlichen Tönen
näher.

Der Strick war lang und ging tief und tiefer hinab.

Endlich schien die Last auf dem Wasser zu sein, der Strick war locker.

Man horchte, man hörte kaum mehr die Laute von früher. Das halbe Dorf
hatte sich um den Brunnen versammelt.

Die Mauern und weißen Schindeldächer der Häuser waren gefärbt von der
Abendröte; Fensterscheiben leuchteten, als ob alle inneren Räume in
Flammen ständen -- so herrlich scheidet der Tag, so unheimlich naht die
Nacht, und dem Manne im Abgrund -- wie wird's ihm ergehen?

Endlich tönte aus dem Brunnen ein hohles, langgezogenes: »Auf!«

Man spannte den Strick, man zog und zog; die Last war schwer, das Seil
lag schon am Boden in unzähligen Ringen und Schlingungen wie eine
endlose Schlange, und endlich --

Malchus kam herauf und in seinen Armen hatte er, bedeckt von Schlamm --

»Martha, meine Martha!« erscholl in dem Augenblicke eine Stimme, und
ein Weib stürzte zum Brunnengeländer, auf das sich Malchus erschöpft
mit seiner Beute gesetzt hatte. Nun erst sah er recht, was er trug: ein
bleiches, schönes Mädchen, dessen feuchte Locken weit über seinen Arm
hinabhingen.

Malchus riß die Augen auf, auch das linke, und diesmal war es, daß der
Mann die Welt zweifach anschaute.

Das eine sank aber sogleich wieder zu, als das Weib, eine Näherin, mit
ihrem Kinde laut weinend in das nächste Haus ging.

Aber Malchus ging nach in das Haus und blieb so lange bei dem Mädchen,
bis es die Augen aufschlug -- die blauen Augen, und bis es die Mutter
küßte auf seinen zarten Mund und sagte: »Martha, du mein Leben, was
hätte ich getan, wenn du dahin gewesen wärest!«

Martha war neun Jahre alt und der Häuslerin einziges Kind. Zum Krämer
war sie heute gegangen, auf daß sie Zwirn hole; spielend mit der
kleinen Geldnote dahin über den Dorfplatz. Das Lüftchen spielte in
ihren losen Haaren, aber dasselbe Lüftchen entführte ihr die Geldnote
und trug das Papier hin und hin über das Geländer des Dorfbrunnens.
Und wie nur zu viele Menschen dem Gelde nachjagen und in den Abgrund
stürzen, so erging es auch der kleinen Martha; am Geländer blieb das
Blättchen nicht liegen, es schwebte, das Mädchen langte über -- und so
kam's.

Unten unmittelbar in dem Wasser stand ein Balken in die Quere, daran
klammerte sie sich, da kam Malchus hinab.

Wie ihm das arme Weib dankte, wie ihn Martha anblickte, da war's doch,
wie noch nie, wie noch gar nie in allen seinen Lebenstagen.

»Und jetzt geh' ich dem Brechlerhause zu, heut' möcht' ich tanzen.«

                   *       *       *       *       *

So vergingen wieder einige Jahre und das erwartete Unglück kam nicht.

Malchus war um ein gut Stück heiterer geworden, aber er lebte immer in
seinem Dachstübchen und strickte oder tat andere Kleinigkeiten. Zur
Weihnachtszeit erhielt er immer ein Paket Wäsche, er wußte nicht von
wem; der Pfarrer sagte: »Ich weiß wohl, wer dir das schickt, darf es
aber nicht sagen.«

Malchus fragte auch nicht mehr, sondern fühlte sich behaglich in den
weichen Linnen und war zufrieden.

Zweimal des Jahres war ein Fest in seiner Stube, da schickte ihm
Martha, die indeß zu einer lieben Jungfrau geworden war, einen
Strauß schneeweißer Röslein, wie sie im kleinen Garten der Näherin
am Hagebuttengesträuche wuchsen. Der eine Strauß kam immer zu seinem
Namenstag, der andere an einem Tag im Herbst -- der Empfänger wußte es
kaum, warum.

Martha hätte ihm die Rosen selbst gebracht, aber Malchus sagte einmal
zu ihr: »Martha, die Leiter zu meiner Stube ist gebrechlich.«

Du guter Bursche, dein Herz war gebrechlich. Du bist fünfundzwanzig
Jahre alt.

Wohl dachte der Jüngling daran. Aber er will keine Nahrung sammeln für
die Seespinne.

Und die gab doch keine Ruh', er sollte nicht glücklich werden.

Marthas Mutter, die Näherin, war dürftig. Da kam eines Tages Malchus
mit seinem Wollbeutel, öffnete ihn und legte die zwölf Taler auf den
Tisch, dann suchte er noch eine Weile im leeren Beutel herum und
murmelte: »Weiß nicht, aber ich hab' doch dreizehn gehabt!«

»Was machst denn da, Malchus?« fragte die Näherin.

»Mutter,« sagte der Bursche und blinzelte stark, »ich hab' ein
Anliegen. Schenkt mir so viel Liebe und nehmt die paar Groschen!«

Da sagte das Weib: »Eher ins Grab, Malchus, eh' ich einen Groschen von
dir nehmen tät; wir sind dir viel tausend Gottesdank schuldig!«

Malchus mußte sein Geld wieder in seine Wohnung tragen. Sein Leben
hatte er aber so eingerichtet, daß er nicht notwendig hatte, etwas von
den zwölf Talern anzubrauchen, so wie er von seinem kleinen Erwerbe
auch nichts dazu tat, sondern damit seine Bedürfnisse bestritt. Auf
diese Art besaß er durch alle die Jahre zwölf Taler und nicht mehr und
nicht weniger.

Ein erzählender Hausierer in der Schenke eines Bergdorfes ist den
Leuten Zeitung, Romanliteratur, Anekdotenschatz, Theater und Erbauung.
Aber die Gurgel muß so einem Mann feucht sein, sonst ist kein glattes
Wort hervorzubringen. Der Wirt hat ein Fäßchen, da ist ein treffliches
Gurgelöl darin, davon werden alle Gedanken los und ledig und kommen
herauf in merkwürdigen Worten, und da schlüpft freilich auch manches
Geheimnis mit.

Kommt so ein gesprächiger unterhaltsamer Hausierer ins Haus, so
schmiert der Wirt gerne und unentgeltlich mit diesem Öle, denn er weiß,
alle Gäste bleiben um zwei, drei Gläser länger sitzen als sonst, um den
Geschichten und Neuigkeiten zu horchen.

Ein solcher Hausierer kam auch in unser Dorf.

Und heute wußte der Hausierer eine ganz besondere Neuigkeit, wie sie
nicht alle zehn Jahre zu hören ist im Dorfe.

»Ja, Leutchen,« erzählte er in seiner stets ruhigen Weise, aber jedem
Worte Gewicht gebend, »da draußen im Land soll jetzt ein reicher Graf
gehenkt werden, der den König hat ermorden wollen. Wißt ihr's, daß
Raben und große Herren sich einander die Augen nicht auskratzen? Nu,
wenn ihr's wisset, nachher trinken wir einmal.«

Er hob den Humpen und neigte ihn so gegen seinen Mund hin, daß er
wacker rinnen lassen konnte; die ihm zuhörten, taten es nach.

»Wär's ein kleiner Spitzbub gewesen,« fuhr der Erzähler fort, »man
hätt' einen neunundneunzig Klafter hohen Galgen gebaut, daß sie den
kleinen Spitzbuben hätten baumeln sehen im ganzen Land. Weil's aber ein
großer Herr, nu, so ist's erlaubt worden, einen anderen für ihn zu
hängen.«

»Was?« riefen die Gäste und ein paar sprangen von ihren Sitzen auf.

»Je nu,« sagte der Erzähler, »freilich einen andern, der sich eben dazu
hergibt. Der sich einschreiben läßt. Wisset, wie ich hab' vernommen,
soll die Sache so sein: der Graf ist begünstigt und darf zwanzig Lose
ausgeben und muß jedes derselben aus seinem Reichtum mit zwanzigtausend
Gulden ausstatten. Eines von den zwanzig Losen aber ist schwarz --
schwarz wie der Teufel -- und wer das zieht, der muß sich für ihn
henken lassen. D'rin in der Stadt beim Kreisgericht sind die Lose zu
haben. Eh' ich mir das meine hol', trink' ich den Wein aus.«

Und er trank.

»Du liebe Welt mit Sauerkraut!« sagten einige, »so Lose werden doch
noch anzubringen sein. Die Unwahrscheinlichkeit, daß man den Fehlgriff
tue, ist neunzehnmal da und die Wahrscheinlichkeit einmal; eine
kleinere Ziffer kann sie kaum mehr haben. Dem einen wird bigott wohl
auszuweichen sein, und das Glück ist gemacht, und sein Lebtag braucht
einer nicht ein Tüpfel mehr zu arbeiten, kann liegen im Gras und die
Zwanzigtausend vergurgeln. Ich nehm' gleich ein Los.«

»Ei ja, so denkt jeder von den Zwanzigen,« sprach ein alter
Strohdecker, »den's aber erwischt, der ärgert sich und denkt: Donner,
warum denn just mich? Jetzt muß ich mich henken lassen und weiß nicht
warum. 's mag richtig sein; neunzehn Stück taugen der Gurgel von innen,
aber das zwanzigste greift sie auswendig an.«

»Wenn einer seine zwanzigtausend Gulden wenigstens früher verjuxen
könnt',« sagte ein Schneidergeselle.

»Drei Tag' hast Galgenfrist,« belehrte der Hausierer.

»Drei Tag'! schau, das ginge noch an; da tät' ich gleich einen lustigen
Handwerkertanz geben und drei Mädel foppen.«

»Und ich tät' mir gleich den Freiherrntitel kaufen!« rief der Krämer.

»Du den Freiherrntitel?« lachte der Schmied, »ja, bist du nicht unser
Erzdemokrat, der die Adeligen nicht leiden kann?«

»Just desweg',« sagte der Krämer, »so ließe ich den Baron statt des
Bürgers henken.«

So redeten sie in Spaß und Übermut, und es gab über den Gegenstand viel
zu lachen.

Und in den nächstfolgenden Tagen sagte so mancher, wenn ihm etwas nicht
recht zusammenging: »Seh's schon, werd' wohl müssen auf das Kreisamt
gehen um ein Los.«

»Ja, wenn ich gewiß wissen tät', ich erwischte das schwarze nicht, ich
tät mir gleich eins holen,« sagte mancher, und ein anderer entgegnete
darauf: »Narr, wenn ich das wissen tät', alle neunzehn müßt' ich haben.«

Es ging aber doch keiner.

Es sollte aber doch einer gehen. Malchus hatte sich die Geschichte
dreimal erzählen lassen, dann hatte er noch einmal nachgefragt: »Und
das schwarze Los hat die zwanzigtausend Gulden auch?«

Dann war er stundenlang auf seiner Matratze gesessen und hatte mit sehr
großem Nachdruck seinen Strohhalm zerkaut.

»Werde ich gehenkt oder lassen sie mich laufen,« murmelte er endlich,
»das Geld bekommt Martha. Zwar, es wird kein Zweifel sein, die
Seespinne wird mich abtun, aber schon recht, dann ist sie mit mir
fertig und ich bringe auf diese Weise mein Leben noch am anständigsten
weg, weiß so nichts damit anzufangen. Ja, so wird's sein.«

Dann stand er auf, aß seine Erbsen, nahm einen Knotenstock, versperrte
alles wohl und verließ den Pfarrhof und das Dorf.

Als er am Häuschen der Näherin vorüberkam, klopfte er an die
Fensterscheibe und sang das Liedel:

      »Zwei Roß und ein Wäglein,
      Und auf dem Wäglein ein Mägdlein,
      Und neben dem Mägdlein ein Bräutigam,
      Und der hat ein gold'nes Kleidlein an!«

Dann schritt er fürbaß auf der Straße gegen das Kreisgericht.

Als Malchus in das Städtl kam, begegnete ihm der alte Domini, welcher
eben eine Harztrage auf den Markt gebracht hatte.

»Hast du auch ein Los geholt?« war das erste Wort, welches Malchus dem
Alten entgegenbrachte.

Der wußte von allem kein Wort und der Bursche mußte ihm erzählen.

Domini hörte auch ruhig zu, dann aber sagte er: »Malchus, ich will dir
was sagen, du wirst kein Los bekommen. Schau, die Sache ist so: Leute,
die keinen Kopf haben, die kann man nicht henken.«

Schier wollte dem Malchus bei diesen Worten auch das linke Auge
aufgehen.

Aber Domini fuhr fort: »Hör' mich einmal, Junge, und wenn's auch wahr
wäre, wer wollt' sich gleich aufknüpfen lassen! Das tät' ich nicht, und
nicht um ein Gschloß! Aber sag' mir, hast denn gar nichts zu beißen,
weil du auf solche Gedanken kommst?«

»Ich schon,« sagte der Bursche, »aber, es gibt noch andere Leut' auf
der Welt. Domini, ich weiß mir völlig nicht zu helfen, dir sag' ich's.
Daheim in unserem Dorf kenn' ich was, und das wird mich nach und nach
umbringen. Ich möchte sie oft gern ansehen, aber ich kann nicht. Es ist
noch wie ein Kind, aber ich tu' so schwer mit ihm reden, wie mit einem
König. Dann, wenn ich so dasteh', mein' ich, es ist nicht anders und es
trifft mich der Schlag. Ich fürcht' nur, es ist mir was antan worden,
Domini!«

Der alte Pechbrenner sagte: »Ja, Malchus, du mußt heiraten?«

Nach einer Weile entgegnete Malchus: »Das Zeug ist mir auch schon
eingefallen. Aber ich darf doch andere Leut' nicht mit mir ins Unglück
bringen.«

Domini sah den Burschen mitleidig an. Er hatte über die armselige
Denkweise des jungen Mannes unwirsch werden wollen, es war ihm schon
ein herbes Wort auf der Zunge gelegen, aber er schluckte es wieder
hinab -- der Arme kann ja nicht dafür, und kein Mensch auf der Welt
kann ihn mehr anders machen. Domini sagte zuletzt nur: »Malchus, mach'
was du willst und magst, ich, der alte Domini, der es immer gut mit dir
gemeint hat, sag' dir nur das, tu' nicht sinnen und grübeln, sondern
immer nur arbeiten und arbeiten. Kannst du singen? Lerne Lieder und
singe; Malchus, das ist das allerbeste Mittel gegen die Seespinne. Mußt
das nicht vergessen, Malchus, tu' fleißig singen. Geh' jetzt heim.«

So gingen sie auseinander und Malchus zog sein blaues Sacktuch heraus
und machte einen Knoten daran, daß er sich erinnere, was ihm der
Pechbrenner gesagt hatte.

Und der Knoten blieb lange im Sacktuch.

Malchus wollte singen und er sang:

      »Magst zählen die Sternlein am Himmel,
      Die Halmlein im weiten Land.
      Magst zählen die Tropfen der Wasser,
      Magst zählen die Körnlein im Sand.

      Doch nimmer magst du zählen,
      Zu kurz ist die ewige Zeit,
      Die Schmerzen in meinem Herzen,
      Und meine Traurigkeit!«

So hatte es der Pechbrenner aber nicht gemeint.

Auf der Heide weidete eine junge Hirtin Ziegen.

Malchus war einigemal strickend hingegangen, um im Walde abgefallenes
Brennholz zu sammeln, das er in den Korb tat, den er auf dem Rücken
trug.

Immer, wenn er an der jungen Hirtin vorüberkam, sagte er: »Tust
gaißhalten, Martha?«

Und darauf antwortete stets das Mädchen: »Ja, ich tu' gaißhalten,
Malchus.«

Einmal sagte sie aber auch noch etwas anderes: »Gib deinen Hut her!«

»Geh, Martha,« sprach er, »was tätest denn mit meinem Hut, ist schon
ganz zerrissen.«

Er gab ihr ihn aber und sie steckte ein Sträußchen Heideblumen darauf.
Und es war doch nicht sein Namenstag, und es war auch nicht der
Gedenktag im Herbst. Es war ein Sommertag.

Dem Burschen war's wieder so, wie er es dem alten Pechbrenner erzählt
hatte. Er drückte schier beide Augen zu; nicht einmal den Strauß sah
er recht an, schnell tat er den Hut auf die wirren Haare, und schnell
eilte er dem Walde zu.

Am andern Tag ging Malchus mit einem kleinen Holzkübel taleinwärts dem
Bach entlang. Oft unterwegs zog er seine Wolljacke aus, streifte die
Hemdärmel zurück, legte sich am Ufer des Wassers hin und langte, wo es
tief war, unter den Rasen. Wo ihm eine Forelle nur einmal in die Hand
kam, entschlüpfen konnte sie ihm nicht mehr.

Heute hatte der Bursche einen besonderen Vorsatz. Am Abend, wenn er
die Fische hintrage, wollte er Martha sagen, daß er sie lieb habe und
er wolle nicht mehr stricken, er sei an die dreißig, er wolle zu den
Holzschlägern gehen und im Walde arbeiten und Geld verdienen.

»Wart du verblitzter Fischdieb!« rief es plötzlich neben dem
hingestreckten Burschen.

Malchus sprang auf. Ein großer Mann mit einer langen Stange über der
Achsel stand da, es war der Fischer.

»Ei schau, der Malchus ist's. Na hörst, wie kommst denn du unter die
Pharisäer?«

Der Bursche war wie vernichtet, jetzt erst fiel es ihm ein, daß hier
das Fischen verboten sei.

Nun war er ein Dieb, und der Mann treibt ihn vor das Gericht. -- Die
Seespinne!

»Lass' es gut sein, Malchus, und geh' jetzt heim, die Forellen, die
du da gefangen hast, die schenk' ich dir, lass' sie dir backen und
schmecken.«

»Will sie nicht!« brummte Malchus, seinen Strohhalm zerkauend, und
stürzte den Kübel samt Wasser und Forellen in den Bach.

Als er zu dem Pfarrhofe zurückkam, trat eben die alte Nähterin aus dem
Hause, sie hatte es dem Seelsorger angezeigt, daß ihre Tochter heute
aus der Gemeinde fortgezogen sei, um sich in der Fremde einen Erwerb
zu suchen. Bei einem Verwandten, der in der Kreisstadt ein Haus habe,
werde sie Dienst finden -- es sei so das beste.

Malchus hörte es, stieg über seine Leiter und als er im Stübchen saß,
murmelte er: »Ja, ja, es ist so das beste!«

Dann fuhr er sich mit dem Sacktuch über die Augen. Was doch das für ein
Knoten war im Sacktuch?

Der Mann wußte es nicht mehr.

Singen sollst!

Aber der arme Malchus sagte zu sich: »Jetzt wär's schon bald Zeit, daß
die Geschichte zu Ende ging' -- jetzt hab' ich kein' Freud' und kein
Leid mehr auf der Welt.«

Aber es kam der Herbst und der Winter und der Frühling und jeder hatte
Freuden und Leiden, und es ging nicht zu Ende.

Da war's an einem Maimorgen. Malchus saß in der Kammer am offenen
Fenster, strickte und sah hinaus auf die Bretterdächer des
Wirtschaftsgebäudes, aus welchen die Sonne noch den Tau sog. Die Luft
war frisch und rein und der Himmel blau. Über das Dach ragte der
Wimpfel einer junggrünenden Esche empor und auf diesem saß heute schon
seit früher Morgenstunde ein Kuckuck. Er schrie in einem fort seinen
hellen Ruf.

Da warf Malchus sein Strickzeug weg, lehnte sich an die Fensterbrüstung
und sagte: »Jetzt muß es gelten! Sag' mir, du Vogel, wie lange werde
ich noch leben? Nenne mir die Jahre!«

Der Kuckuck schwieg.

»Kein Jahr mehr?« murmelte er dann, »nicht ein einzig Jahr mehr! Schau
mich genau an, Vogel, ich bin noch jung!«

Und es war wirklich, als ob sich der Kuckuck gegen ihn wendete. Dann
begann er zu schreien. Er schrie zweiundvierzigmal.

Dem Burschen ging schier das linke Auge auf. »Also zweiundvierzig
Jahre! -- Oder willst noch weiter schreien?«

Der Vogel flog ab. Aber eine Stimme hörte er irgendwo: »Nach
zweiundvierzig Jahren am Urbanitag!« -- Ei der Kuckuck?

Malchus wendete seinen Blick in die Stube zurück; sein Auge war
geblendet, es war fast finster. Das Strickzeug ließ er eine Weile auf
dem Boden liegen, nun war ja noch so viele, so viele Zeit zum Stricken.

Zweiundvierzig Jahre, Malchus! Hast du Pläne? Wie wirst du diese Zeit
ausfüllen? --

Der Mann zog seinen Rosenkranz hervor, zählte zweiundvierzig Perlen ab,
machte nach diesen einen Knoten in das Schnürchen. Die noch übrigen
Kügelchen entfernte er, und nun bedeutete ihm der Rosenkranz die Zeit,
die ihm noch beschieden war auf Erden.

Seine zwölf Taler suchte er von nun an zu verwahren, seine Zeit und
Lebensweise noch regelmäßiger einzuteilen und sein Leben so ruhig und
einfach als möglich einzurichten, damit das Unglück nirgends eine
Nahrung habe.

So kamen und gingen nun Jahre und Jahre.

Malchus Zacharias Rosenkranz lebte einsam in dem Dachkämmerlein des
alten Pfarrhofes. An seinem Fenster blühte nie mehr ein Strauß von
weißen Rosen.

Nur die Mäuse, die kleinen, behenden, uralten, grauen Mäuse kamen von
der nachbarlichen Rumpelkammer öfters zu ihm herüber auf Besuch und
guckten ihn helläugig an und wisperten ihm auch oft was vor. Es freute
ihn nicht, wußte er doch, daß der Besuch seinem Erbsentopfe galt.

Mit den Menschen verkehrte Malchus nur wenig; sie hatten nichts für ihn
als Wolle, und sie verlangten nichts von ihm als Strümpfe. Er strickte
aber auch Handschuhe, Hauben und Unterjacken.

Im Sommer ging er die stillsten Wege, die es im Tale gab, am liebsten
aufwärts gegen die Heide, wo Martha einst die Ziegen gehütet.

Vom Walde trug er weniges Brennholz heim; zur Erwärmung im Winter
brauchte er nicht zu heizen, denn dafür hatte er eine Erfindung
gemacht. Er hörte einmal, daß schnelle Bewegung der Körper Wärme
erzeuge; sofort bat er den Pfarrer, daß dieser ihm die alte Windmühle
borge, die schon lange Zeit unbenützt in der Scheune stand, weil sie
keinen Rieselboden mehr hatte. Diese Windmühle nun stellte der Mann zur
Winterszeit in sein Stüblein, und wenn ihn frieren wollte, begann er an
der Handhabe zu treiben, daß es sauste und klapperte, und bald war ihm
ganz leidlich warm und er konnte wieder stricken.

Wohl schienen die Mäuse über ihren polternden Nachbar ungehalten zu
sein, denn sie entzogen ihm nach dergleichen stets auf längere Zeit
ihre Besuche.

Seit mehreren Jahren hatte sich Malchus auch einen anderen, neuen
Hausrat anzuschaffen bemüßigt gefunden -- ein Rasiermesser, mit dem er
sich nach jedem Neumond regelmäßig seinen braunen Bart schnitt.

Die Kopfhaare begann er stehen zu lassen, und er wand dieselben nun, da
der alte Filzhut schon längst den Weg alles Irdischen gegangen war, wie
einen Turban um das Haupt.

Aus praktischen Gründen hatte Malchus auch die bereits grau gewordenen
Lederschuhe gegen Holzschuhe vertauscht, eine Änderung, mit der die
Nachbarschaft ebenfalls nicht einverstanden war. Zum Weihnachts- und
Osterfeste war er immer beim Herrn Pfarrer zu Tische geladen, weil er
im Laufe des Jahres dann und wann kleine Kirchendienste tat, aber
Malchus fand sich bei der Tafel nicht behaglich. Der Braten, ei ja,
der täte schon schmecken, das Glas Wein auch, aber wie leicht ist die
böse Angewohnheit da! Zu Weihnachten bekam er immer das Paket Wäsche.
In der Neujahrsnacht langte Malchus stets seinen Rosenkranz aus dem
Schranke hervor, tat eine Koralle weg, warf sie aus dem Fenster und
ließ sie hinabrollen über die Schneerinde des Daches, so wie das Jahr
hinabgerollt war in die Ewigkeit.

Schon viele Kügelchen hatte der Rosenkranz auf diese Weise verloren,
und Malchus war durch sein Sitzen auf der Matratze buckelig und
mühselig geworden.

Auch sein Turban war nicht mehr dunkel, sondern lichtgrau.

Im Dorfe und im Tale waren Menschen geboren worden und aufgewachsen.
Sie hatten Hochzeiten und Kindstaufen und Begräbnisse gehabt, hatten
sich endlich selbst auf das Brett gelegt, und Malchus Zacharias
Rosenkranz hatte für sie gestrickt. Auch die alte Nähterin hatten sie
auf den Kirchhof getragen. Ein fremder Wagen mit zwei Pferden war zum
Begräbnis gekommen -- ein Mann und eine Frau saßen darin.

Malchus bekam an demselben Tag vom Pfarrer einen neuen Anzug aus grauem
Loden und ein silbernes Kreuz, das er um den Hals hing.

Es waren große Ereignisse in der Gemeinde vorgegangen, noch größere
draußen in der Welt. Für Malchus war es das größte gewesen, daß während
der vielen Jahre zweimal am Dache des Pfarrhofes gedeckt werden mußte,
wobei gräßlich gehämmert wurde, und daß auf dem gegenüberliegenden
Dach des Wirtschaftsgebäudes einmal drei Kater rauften, und so wütend
rauften, daß einer davon halb zu Tode gebissen über die Bretter
kollerte.

Auch war im Laufe der Zeit, wie er meinte, jenem Stern, der in
den Sommernächten gerade über dem Stallfirst stand, einmal ein so
ungeheurer Schweif gewachsen, daß alle anderen Sterne der Nachbarschaft
weit auseinander gehen mußten, um dem wüsten Ungeheuer eine Gasse zu
machen.

                   *       *       *       *       *

So lebte der arme, alte Mann fort; er wußte schier nicht mehr,
wie er in das Dachkämmerlein gekommen war. Er hatte vergessen den
Schreckenstag in seiner Jugend, auch den alten Pechbrenner Domini, und
wie dieser gesagt hatte, daß er singen solle. Aber der alte Mann hatte
endlich ja auch die Seespinne vergessen, die als unheilvolles Erbe des
elterlichen Aberglaubens durch die schönsten Jahre der Jugend hin sich
an sein weiches Herz geklammert hatte.

Nur das war dem armen Malchus noch: es habe ihm einmal geträumt von
einem lieben Mädchen, das auf der Heide die Ziegen gehütet und ihm
Blumen gegeben hatte.

Wie einem doch so wunderlich träumen kann, nicht wahr, Malchus? -- Aber
sag einmal, wie viel hast denn noch Korallen an deinem Rosenkranz?

Der Alte mag selbst daran denken, der Grashalm wackelt ihm unsicher im
Munde -- er hat ja schier keinen Zahn mehr.

Draußen blüht und leuchtet der Maitag.

An der Kirchentür wird ein großer Kranz aus Tannenreisern geflochten,
es werden auch Rosen hineingewoben, rote und weiße -- es ist das Fest
des Kirchenpatrones Urbanus nahe.

Unten im Hofe bei den Schweinen ist großer Schrecken, wie er immer war,
wenn ein großer Tag herannahte, und der Pfarrer für den Festbraten
sorgte.

Der alte Malchus befand sich ganz wohl. Aber er weiß, es naht der
Tag ... Schon vor Wochen hatte er die Windmühle in die Rumpelkammer
geschoben, wofür er von der Nachbarschaft eine sehr trauliche Gegen-
und Dankvisite erhielt.

Malchus holperte noch einmal durch das Tal; er konnte im Gehen nicht
mehr arbeiten, er mußte schon den Stock recht fest halten. Heute wollte
er sich die Welt noch einmal ansehen, diese Erde noch einmal, den
Himmel noch einmal. Ist gut beisammen, alles. Und die Luft trägt den
Duft der Blumen herum, und sie trägt den Gesang der Vögel herum. Der
Kuckuck schreit auch; das wird derselbe nicht sein, von der Esche. --
Malchus, das ist ein wunderlicher Morgengang! Und alles ist so mild
gegen dich und weiß nichts davon, daß du -- schon in zwei Tagen.

Malchus bückte sich und riß einen jungen Halm ab, und begann an ihm zu
saugen.

Zur Heide stieg er auch hinauf. Ein Bauer, der ihm begegnete, sagte:
»Hab' dir's ein für allemal gesagt, Malchus, magst sie schon nehmen die
herabgebrochenen Äste zum Heizen, brauchst nicht zu fragen.«

Am nächsten Tage kamen die Krämer mit ihren Tragekästen, schlugen auf
dem Dorfplatz Stöcke in die Erde, banden Stangen daran und richteten
ihre Stände auf. Kinder standen dabei und sahen zu.

In den Häusern wird gebacken und geschmort, ins Wirtshaus kommen schon
vier Männer mit Pfeifen und Geigen; hinten geht eine ungeheure Baßgeige
nach.

Der alte Malchus Rosenkranz humpelte gebeugt am Stabe durch das Dorf.
Er kam jetzt von der Kirche, wo er eine Beichte abgelegt und die
Kommunion empfangen hatte. Vor dem alten Brunnen, der schon lange
verfallen war, und auf dem roter Holunder wuchs, blieb er einmal
stehen und sah blinzelnd das frischgrüne Gebüsch an. Dann ging er
weiter hinab bis ans Ende der Häuser, wo einmal ein alter Heustadl
niedergebrannt war, und er ging weiter den Weg entlang bis zu einem
Häuschen, in dem einst die alte Nähterin gelebt hatte. Dort kehrte er
wieder um und ging durch die hintere Dorfgasse dem Pfarrhofe zu. Vor
einer Schreinerwerkstatt blieb er stehen und sah durch das offene Tor
den Gesellen zu.

Sie hobelten an Läden, die Späne schoben sich durch die Eisenscharte
und flogen lustig davon. Dann nahmen sie den Zollstab und maßen, und
schnitten in die Quer.

»Mit Verlaub zu fragen, was wird denn da gemacht?« fragte Malchus.

»Ja, mein lieber Malchus!« sagte der Obergeselle bedeutungsvoll.

»Ich verstehe,« murmelte Malchus, »werde auch bald so was brauchen.«

»Gratulier'!« sagte der Geselle.

Die Schreiner zimmerten eine Wiege.

Der alte Mann schritt langsam seiner Wohnung zu. Mühsam kletterte er
über die alte, halbmorsche Leiter. Dann kochte er sich einen Topf
Erbsen.

Am Abende desselben Tages saß er lange am Fenster und strickte.
Er hatte für die alte Einleger-Ploni noch ein Paar Strümpfe
fertigzubringen; 's ist schon gezahlt dafür, und 's wär' doch eine
Schand, wenn er jetzt, ohne die Arbeit zu vollenden, durchginge.

Auf das gegenüberliegende Bretterdach fiel das bleiche Licht des
aufgehenden Mondes. -- Wenn er über das Haus herüberkommt und nach
Mitternacht zum Fenster hereinlugt, vielleicht bist du dann schon
fertig.

Auf dem Rosenkranz des Alten war keine Perle mehr, nur noch der Knoten
-- der letzte Knoten.

Auf dem Eschenwipfel, der über dem Dachfirst emporragte, meldete sich
ein Vogel. War's wieder ein Kuckuck, wie vor einigen vierzig Jahren?
Wollte er noch ein paar Jährchen draufgeben?

Der Vogel krächzte -- es war eine Eule.

Der Alte hörte dem Gekrächze eine Weile ruhig zu, endlich begann er zu
brummen: »Ja, ja, ja, ist das eine ewige Kräherei! Weiß es ohnehin --
hab' gemeint, die Arbeit da brächt' ich noch fertig, aber 's wird nicht
sein mögen!«

Und er strickte und strickte.

Gegen Mitternacht zog er die letzte Nadel aus der letzten Masche und
der Strumpf war fertig. Der Alte machte ein Kreuz über Stirne, Mund und
Brust und legte sich auf die Matratze. Seine Glieder waren müde, sein
Sinnen war umflort -- er schlief bald ein.

Der Mond war über das Haus gekommen, blickte durch das Fenster und auf
dem Fußboden lag seine weiße Tafel.

Auf der weißen Tafel saß eine Maus und guckte mit hellen Äuglein den
Mond an.

Am andern Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Dachfirst
fielen, läuteten alle Glocken. Malchus erwachte und schlug für einen
Moment die beiden Augen auf. Es war das Fest des Kirchenpatrons Urbanus
-- jener Tag, der ihm vorausgesagt worden war. Ei, der Kuckuck, dachte
sich der Alte, ich steh' jetzt auf und geh' in die Kirche; bist schon
wieder beim Erbsensack, du vertrackte Maus? Nu, nu, nur nicht gleich so
betreten, nag' zu, beiß' zu! Und wenn er kommt, so sag' ihm, er möge
warten, ich sei bei der Messe.

Dem Alten war wunderlich um das Herz -- nicht so, als ob er sterben
sollte. Klar war sein Denken nicht, statt der stumpfen Ergebung war
eine Berauschung eingetreten. Mit seltener Sorgfalt ordnete er seinen
Anzug und wand seine Locken um das Haupt.

So kletterte er über die Leiter und ging in die Kirche.

Da standen die Leute auf dem Dorfplatz, Kopf an Kopf, mit grünen,
schwarzen, grauen und anderen Hüten; Weiber und Kinder drunter, mit
bunten Hauben und Kopftüchern; alles schmuck, sogar Blumensträuße
hatten sie bei sich auf den Hüten, im Knopfloch oder am rotseidenen
Busentuch. Und sie waren fröhlich und plauderten miteinander und sahen
die Marktsachen an, die in den Buden und Ständen ausgestellt waren, und
sie feilschten mit den Krämern -- und das war ein Summen und Brummen
über den Kirchplatz hin, und darüber lag die Morgensonne, und auf dem
Turme klangen die Glocken und riefen zur Frühmesse. Da drängte sich das
Volk der Kirchentüre zu -- viele blieben auch im Freien stehen oder
gingen ins Wirtshaus.

Trotzdem war die Kirche voll. Die Orgel war laut und hell --
der Schulmeister hatte alle vier Register aufgezogen, sowie der
Kirchendiener alle Kerzen, die in der Kirche waren, angezündet hatte.
Der heilige Papst Urbanus, der in seinem goldenen Ornate über dem
Altare stand und »der den Wein wachsen läßt«, hatte zwölf Kerzen und
war in nicht geringer Feuersgefahr, was aber wenig zu sagen hatte, da
der heilige Florian mit dem gefüllten Wasserbehälter daneben stand.

Endlich war der Festgottesdienst vorüber und alles drängte sich in das
Freie. Unser alter Malchus suchte sich auch durch die Menge zu winden.
Man warf ihm Kreuzer zu, die er aber nicht auflas und für die er nicht
dankte.

Eine Bäuerin bat ihn, daß er ihrem Töchterlein ein Wollenjöpplein
stricke, er sagte nicht zu. Er ging ein wenig durch das offene Tor in
den kleinen Kirchhof. Da war alles grün und frisch. Es war aber keine
rechte Stimmung. Malchus humpelte weiter.

Als er in sein Dachstübchen zurückkam, blieb er einen Augenblick an der
Türe stehen. Es war ein fremder Mann da. Er war dem Fenster zugekehrt,
stützte sich auf die Brüstung und sah in den blauen Himmel hinaus.

Er war sehr gebückt, hatte einen grauen Pelz an, und die wenigen Haare,
die von seinem kahlen Kopfe über das Genick hinabhingen, waren weiß.
Der Mann war uralt.

Aha, da ist er schon! dachte Malchus, ging dann auf den Fremden zu.

Der Alte kehrte sich langsam um. »Dennoch wohl, dennoch wohl!« sprach
er nun, als er den Malchus erblickte. »Du, Junge, jetzt schau, ich
bin keck gewesen, gelt? Nun, daß ich halt so heraufgekommen bin da in
deine Stuben. Hab' wohl gewußt, daß du in der Mess' bist; hätt' auch
können hineingehen, aber weißt, Junge, mag nicht recht, red' mit meinem
Herrgott lieber, wenn ich mit ihm allein bin. Du schaust so! Kennen
wirst mich doch wohl noch? -- Bin ja der alte Domini, ich, gelt?«

Malchus glaubte, er träume. -- Das wird doch nicht der Pechbrenner
Domini sein, den er vorzeiten als alten Mann gekannt hatte!

»Siehst du, Malchus,« sagte der Domini, »dort auf dem Eschenwipfel
sitzt ein kohlenschwarzer Rabe. Der ist ein Steinrabe, von dem gesagt
wird, daß er zweihundert Jahre alt wird. Hab's noch nicht so weit
gebracht, bin erst ein wenig über hundert, aber wir zwei werden es
schon noch so weit bringen, Junge.«

»Ei, versteht sich,« entgegnete Malchus, »'s ist nur schade, daß vor
einigen vierzig Jahren ein anderer Vogel auf dem Wipfel dort gesessen
ist. Wenn du aber der Domini bist und aus deinem Grab kommst -- sei
nur so gut und mach' nicht viel Umstände, ich weiß es ja --«

»Red' nicht so kindisch; pack' lieber deine sieben Sachen zusammen;
wirst heut' mit mir gehen müssen. Mit dem Pfarrer hab' ich schon
gesprochen, wirst kaum mehr zurückkommen in dieses Dorf!«

Was hatte der alte Malchus Zacharias Rosenkranz zusammenzupacken?
Seinen Wollenbeutel nahm er und seinen Stock, dann war er fertig. Er
stieg voran über die Sprossen hinab; als Domini nachkletterte, brach
die Leiter, der Greis erhielt sich noch glücklicherweise an einem Haken.

Zur selben Stunde schritten die zwei alten Männer aufeinander gestützt
durch die Dorfgasse. Viele Leute blickten ihnen nach. Mehrere folgten
sogar, und aus dem Wirtshause klang die Tanzmusik.

Wohl blieb Malchus noch einmal stehen und sah zurück, aber er dachte
kaum an das, was kommen sollte, sein Geist war wieder in Stumpfheit
versunken.

Am Ende des Dorfes, wo das Häuschen der Nähterin stand, war Roß und
Wagen. Der Fuhrmann, der dabei war, half den beiden Greisen in den
Wagen, und dann rollte das Gefährte davon.

Malchus fuhr sich mit dem Ärmling zweimal über die Augen, er öffnete
auch das linke zuzeiten und sah in die Gegend hinaus und sah seinen
wunderlichen Gefährten an. War's denn doch wohl der alte Domini? --
Malchus fühlte sich nicht behaglich; er hatte vergessen, einen Halm
aufzulesen, und jetzt wußte er nicht, woran er kauen sollte. Einmal
öffnete er seinen Wollenbeutel, zählte die Taler und murmelte dann
vor sich hin: »Wo hab' ich denn doch den andern gelassen? Es müssen
dreizehn gewesen sein!«

Gegen Abend, als im Tale schon die Schatten lagen, ließ der alte
Domini vor einem Wirtshaus halten; nach einem Imbiß ging das Fuhrwerk
weiter. Der hatte sogar geschmeckt. Es kam die Nacht, sie fuhren über
Auen und durch Wälder. Malchus saß in sich versunken da.

Als die Sonne aufging, stand Roß und Wagen still, und da war ein See
und an beiden Seiten standen rote Felswände und spiegelten sich im
dunklen Grunde. Am Ufer des Sees stand ein neues Haus und ein heiteres
Gärtlein.

Domini führte den Malchus gegen das Haus und sagte »Wir zwei sind wohl
ein wenig alt, aber da ist alles wieder jung geworden, seh' ich. Mich
deucht, Malchus, du hast dem Pechbrenner Domini vor fünfzig Jahren
einen Taler geschenkt, weil dieser Taler der Judas war, und mich
deucht, der Pechbrenner Domini hätte mit demselben Taler zu hausen und
wirtschaften angefangen, und er hätte dann dieses Haus bauen lassen,
daß du eine Ruhestatt hättest für deine alten Tage. Jetzt, Malchus,
schau ein wenig nach, ob's wohl so ist!«

Und als sie in das Haus gingen, da stand ein Weib vor der Tür, und das
reichte dem Malchus die Hand, und der Malchus hat sie erkannt.

Und dann gingen sie in die Stube, in die freundliche Stube mit den
großen Fenstern, durch welche die Fülle des Sonnenlichtes auf den
gedeckten Tisch und auf das weiße Ruhebett strömte.

Das ist nun dein, Malchus, glücklicher Malchus, für den der Freund
gesorgt, den die Liebste nicht vergessen. -- Martha hatte einen Mann
gehabt, hatte viele Jahre glücklich mit ihm gelebt. Als er starb, da
war sie wieder allein, wie ehdem. Nur ihr Lebensretter war noch in der
Welt, verlassen, vergessen. Nein, vergessen nicht, sie dachte ja an
ihn und sie wollte dem alten pflegebedürftigen Mann ihre noch übrigen
Lebenstage weihen.

Malchus ging hinab zum See, dann hörte er dem Kuckuck zu, der fort und
fort schrie; dann ging er wieder ins Haus, kletterte auf den Dachboden,
schlang sich den Turban seiner Haare wieder um das Haupt und setzte
sich auf einen Holzstrunk. Dort saß er Stunden und Stunden und drückte
das linke Auge zu und kaute an einem Halm. --

Und jetzt ist das Gesicht zu Ende. Ich weiß nicht, wie es weitergeht.




                    Der glücklichste Mann von Graz.


»Wollen Sie, lieber Freund, nicht einmal mit mir gehen? Ich möchte Sie
gerne zum glücklichsten Manne von Graz führen.« Mit diesen Worten lud
mich ein Nachbar in genannter Stadt zu einem Spaziergange ein.

»Zum glücklichsten Mann von Graz?« entgegnete ich, »erlauben Sie, der
bin ich ja selber.«

Mein Nachbar stutzte, blickte mich an vom Haupt bis zum Fuße und
schüttelte seinen Kopf. »Wirklich?« sagte er endlich, »um so besser, so
werden Sie meinen Mann auch recht verstehen können.«

Nicht lange danach, so stieg ich eines Nachmittags die südliche Lehne
des Rosenberges hinan. Und auf sanfter Lehne, mit dem Ausblick auf die
Wälder der Hilm und auf die schimmernde Kirche von Mariatrost habe ich
den Mann gefunden. Ihr erkennt das Heim des Glücklichen an dem einen
Merkmal: es ist mit einem Dornenkranze umgeben. Über Rosenzäune hüpft
so gerne der Weltunfrieden; über eine Dornenhecke vermag Habsucht,
Ehrgeiz und Neid schwer zu dringen. Wer aber an der kleinen Pforte
zwischen den Dornen die Klingelschnur zu finden weiß, dem wird aufgetan.

Unser Mann ist Grundbesitzer. Sein Erdboden mit Haus und Hof,
mit Obst-, Gemüse- und Weingarten beträgt nicht weniger als 53
Geviertklaftern. Auf diesem Grunde hat sich der Mann drei Häuser
gebaut. Eines dieser Gebäude, ein hölzernes Bauernhaus, stand vor nicht
langer Zeit in der Stadt. Viele Jahre wohnte und wirkte der Eigentümer
in ihm und war's zufrieden. Aber das Haus stand auf keinem guten
Boden; ein Sumpf- oder Moorgrund war es nicht, ein Zinsgrund war's.
Und gleichwohl kein Fleckchen Erde in ganz Graz von den Mietern so
gewissenhaft und haushälterisch verwertet wurde, als diese paar Klafter
in der Lechgasse, so wucherte doch daraus das Unkraut der Mietzinse
derart hervor, daß es das Häuschen und den Wohlstand darin gefährdete.
Deß war nun unser Mann einmal nicht zufrieden. Rollte er denn vier
Räder unter das Gebäude, spannte zwei Pferde daran und führte sein Haus
davon. Er führte es am Hilmteiche vorbei und die Mariatrosterstraße
kreuzend, den schönen Rosenberg hinan. Dort oben hatte er sich von dem
Ersparten Grund und Boden zu eigen erworben und auf den stellte er das
hölzerne Haus, so aus Graz ausgewandert war, und baute auch noch ein
größeres dazu für Weib und Kind und gründete daneben ein Hüttchen, das
»Industriegebäude« für den Erwerb. Und nun war er zu einem Gutsbesitze
gekommen, wie es im Lande keinen seltsameren gibt. Da lächelt denn
der Gute still in sich hinein, und wenn er von seinen Feld- und
Gartenarbeiten spricht, so tut er's mit Selbstbewußtsein und mit
Schalkheit zugleich. Nun gehört er mit zu den Besitzenden, und seinen
Besitz und seine Welt hat er sich selbst erworben und geschaffen. Das
ist eine Freude!

Während das Weib Haus- und Landwirtschaft versorgt, sind der Mann und
die Tochter in der Werkstatt tätig, und das Rauschen der Sägen und
das Klopfen der Hämmerchen ist wohl weit und breit zu hören. Und was
wird denn erzeugt? Je nun, vielleicht hängt in deiner Stube ein hübsch
geschnitzter Vogelkäfig, vielleicht spielt dein Söhnchen gerne mit
einem »Spatzenschießer«; vielleicht besitzt meine Leserin einen feinen,
wohlriechenden Wacholderfächer -- hervorgegangen aus der kunstreichen
Hand meines glücklichen Mannes.

Ich will aber nicht Reklame machen für seine Vogelhäuser, sondern für
sein Glück. Es ist bei ihm zu haben; seine heitere Gemütlichkeit,
seine Zufriedenheit ist für den Besucher ansteckend, wenigstens so
lange sich der im kleinen Bereiche des Dornenkranzes befindet. Fest
steht der Steinbau, in dem des Schnitzers Familie wohnt; aber er, der
alte Patriarch, lebt in seinem hölzernen Häuschen. Dieses ist das
gelungenste Abbild eines steierischen Bauernhauses und hätte auf einer
Weltausstellung den Preis erhalten. So freundlich und behäbig steht
es da, das kleinwinzige Haus mit seinem Dachgiebel, seinem Söller,
der zur Herbstzeit mit Kukuruzzapfen behangen ist, mit seinen glatten
Fensterbalken und allem, was dran und drum dazu gehört. In der Stube,
die etwa 5-7 Fuß lang und breit und hoch ist, steht der Wandkasten und
der Gesindetisch und der Hausaltar und das Bett des Hausvaters und
der Kachelofen. Aber das Bett ist zu kurz für eine Manneslänge und so
muß für die Fußstelle der gute Kachelofen sein Inneres erschließen.
Seit Menschengedenken ist in dem Hause noch nicht geheizt worden,
weder zur Sommers-, noch zur Winterszeit; das ist ~ja~ auch eine
Eigentümlichkeit des Mannes, daß er die Kälte nicht kennt. Wie viel
Grad Wärme muß ein Herz haben, das in seinen Bretterwänden bei der
ruhigen Schnitzarbeit im Jänner den Ofen erspart! Nichtsdestoweniger
ragt ein Rauchfang über das Schindeldach; in diesem Rauchfang dreht
sich eine Windmühle, die unten in der Stube ein Glockenspiel treibt.
Tag und Nacht läßt solches Spiel, meist gemächlich langsam, zuweilen
aber auch rasch und lebhaft, seine Musik erklingen. Und so hat sich's
dieser Mann eingerichtet, daß, je stürmischer die Stunden, je lustiger
sein Glockenspiel ertönt. In einer ganz windstillen, tonlosen Nacht
kann der Mann gar nicht schlafen, und in einer Zeit, wo alles nach
Wunsch ihm geht, kann er nicht recht ruhig sein; denn, sagt er, da
kommt jählings was, das einen in die Haut zwickt. In der Stube hängt
auch ein Vogelbauer; aber das Tor dieses Vogelbauers geht durch die
Holzwand in das Freie, und da können die Vögelein aus- und einfliegen
nach Belieben, und sie finden zu jeder Stunde Unterkunft und Nahrung in
dem gastlichen Hause.

»Der Mensch muß nicht alles in seiner Faust haben wollen,« sagt unser
Schnitzer; »was gerne daherfliegt, dem mach' ich Tür und Tor auf, und
will es wieder davon, so laß ich's fliegen.«

Fragt ihn einmal, ob er zufrieden ist in seiner Lage, und seht dann
sein Gesicht an. Er ist über die sechzig Jahre alt, und fragt ihr ihn,
was ihm in seinem Leben schon Übles widerfahren ist, so antwortet er,
er sei sein Lebtag nicht viel krank gewesen, und zu essen hab' er auch
allweg gehabt. Und fragt ihr ihn, wie er mit der Welt stehe, so sagt er
euch, an Geldeswert sei er niemand was schuldig und er kenne gute brave
Leute die Menge. Und fragt ihr ihn endlich, was er von der Zukunft
erwarte, so wird er entgegnen, er freue sich auf die Zeit, in der seine
jungen Obstbäume Früchte trügen, und sollte er bis dahin nicht mehr
sein, so würde wohl ein anderer die Nutznießung haben.

Mehr will ich nicht verraten. Und sollte doch jemand in der
freundlichen Stadt Graz leben, der die Überschrift meines Kapitels zu
anmaßend findet und selbst auf sie Anspruch machen zu können glaubt,
der möge sich deß ja nicht laut melden, der möge es halten wie der
Schnitzer vom Rosenberge und eine Dornenhecke ziehen um die stille
Stätte seines Glückes.




                            Der Waldteufel.


In der Stadt Graz geht zeitweilig ein wunderlicher Mann um. Ein Mann
mit klobigem, braunem Gesichte und einem großen roten Vollbart. Sein
Lodenwams hat manchen Flicken, bisweilen sogar klaffende Nahte. Eine
stattliche Ledertasche an der Seite, oder ein Bündel von Wurzeln und
Kräutern. Über dem Bauch baumelt ein großes Bockshorn, mitunter auch
manch andere seltsame Zier, deren Vorhandensein den Leuten nicht
einleuchten will. Wozu an der Hüfte das Skelett eines Schafskopfes?
Schafsköpfe trägt man doch sonst nur über dem Schlüsselbein. Das
Merkwürdigste an dem Manne ist ein Riesenhut mit hohem Spitz, in
der Art der alten Tiroler »Sternstecher«, nur noch viel größer; die
breiten Krempen beherbergen den ganzen breitschulterigen Kumpan auf
das beste. Dieser Hut ist zumeist mit wilden Blumen geschmückt,
besonders aber mit Hahnen- oder Geierfedern, die hoch und keck in den
Himmel hineinstechen. Sehr langsam schleift er dahin, immer wieder
stehenbleibend, um mit singendem Rufe sich bemerkbar zu machen. Ich
habe manchmal bemerkt, wie der Mann nicht ganz sicher durch die Straßen
schritt; das ging nicht immer gerade aus, so wie es wohl sein Wille
gewesen wäre. Gerne singt er ein dreistes Liedel oder läßt gar einen
»Juchezer« fahren. Bisweilen aber grollt und flucht er -- und hat
Grund dazu. Die Gassenjugend, die »liebe«, tut ihn nämlich manchmal
gern ein wenig »aushetzen«, weshalb die Polizei ihn immer abschaffen
will, anstatt die Gassenbuben abzuschaffen. Sie meint wohl, er solle
nicht Ärgernis geben, und die gibt er auch nicht, so viel ich weiß.
Es gibt viel ärgerlichere Dinge auf der Welt, als die absonderliche
Tracht dieses lustigen Sonderlings, und werden doch nicht abgeschafft.
Den Namen »Waldteufel« hat man ihm geschenkt, er hat ihn freundlich
angenommen, erstens, weil er am Geierkogel eine alte Waldhütte
bewohnt, zweitens, weil er im Walde Beeren, Pilze, Heilkräuter und
Wacholderstauden sammelt, um sie den Stadtleuten zu verkaufen, und
drittens, weil ja der Titel zu seiner Erscheinung nicht übel paßt.
Wie andere Geschäftsleute ihre Orden und Ehrentitel, so benützt er
den seinen zur Reklame und man kann manche Hauswirtin eilig über die
Treppen herablaufen sehen, wenn sie nach dem Geschrei vernommen, daß
der Waldteufel in der Nähe sei. Da lacht er dann gemütlich, bietet
seine Wacholderstauden aus und meint, er möchte die »Kranabeten« gern
in »Kranabetenen« umsetzen. Dieses Teufels einziges Höllenfeuer dürfte
das Feuer des Wacholderbranntweins sein.

Wo der Mann sich zeigt, mit jemandem spricht, oder auch mit sich
selber, oder mit einer Straßenlaterne, oder mit einer Statue, da
sammelt sich um ihn bald ein Kreis von Zuhörern, die teils mit
Neugierde, teils mit spöttischer oder mißtrauischer Geberde die Gestalt
anstaunen, bis dann plötzlich irgend so ein Range hervorspringt, an
seinen Kleidern zerrt oder ihn mit Staub bewirft.

Eines schönen Maimorgens sah ich den »Waldteufel« -- umringt wieder
von Neugierigen -- vor dem neuen Hamerlingdenkmal stehen. Er schien
gerade vertieft zu sein in ein Gespräch mit dem Dichter. »Du bist
ein gescheiter Mensch gewesen,« hörte ich ihn noch sagen mit seiner
rindenrauhen Stimme, »hast ihnen schon immer einmal was gesagt, denen,
was sie nit ins Hutbandel stecken. Ein gescheiter Mensch! So wie auch
ich einer bin!« Dabei verzerrte er sein klobiges Antlitz zu einer
Fratze, als ob er seiner eigenen Gescheitheit ein Gesicht schneiden
wollte. Der steinerne Dichter hat ihm nicht geantwortet; der lebendige
Hamerling hätte für diesen Mann gewiß ein gutes Wort gehabt, obschon er
solche Leute gerne mir überließ. »Die Waldteufel gehören Ihnen,« sagte
er einmal, »mit diesen wissen Sie besser umzugehen als unsereiner, dem
die Stadtteufel so viel zu schaffen machen.« Übrigens glaube ich, daß
er das Wort »Stadtteufel« gar nicht ausgesprochen hat; man verstand
auch, wenn er in halben Sätzen redete. Nun aber mit diesem »Waldteufel«
wußte auch ich nichts anzufangen. So vor Leuten zu ihm hintreten und
fragen: »Wie geht's euch! Wie lebt ihr? Was ist euch schon alles
passiert? Was denkt ihr? Erzählt mir etwas!« -- das mag ich nicht,
würde bei solchen Menschen auch nicht anschlagen. Oder man wird tüchtig
gefoppt. Da heißt's möglichst gleichgültig dreinschauen und warten, bis
so einer selber anfängt. Und mein Waldteufel fing an.

Diesmal hatte er einen besonders merkwürdigen Hut auf. Auch der hatte
die Form der Sternstecher, nur dünkt mich, er wäre noch wuchtiger
und riesiger als seine sonstige Kopfbedeckung. Manchmal war solcher
Hut beklebt mit illustrierten Zeitungsannoncen, weiß aber nicht,
ob zur selbstgewählten Zier oder ob schlaue Geschäftsleute sie ihm
angeschwätzt hatten, so daß er für sie eine wandelnde Annoncensäule
abgab. Ich vermute den Mann des Lesens unkundig und immereinmal ein
Opfer fremden Vorwitzes. Diesmal war der Hut aus Baumrinden gemacht,
in doppelter Schichte, daß er besser halten sollte; die sehr breiten
Krempen waren zierlich gezackt. Aber diese Krempen hatten ein paar
Löcher. Der Hagel hatte ihn geschlagen. Er pflege -- sagte der Mann
in langsamer, gemütlicher Tonart -- bei Ungewittern nie unter einen
Baum zu gehen, er bleibe auf freiem Felde stehen und warte, bis es
vorüber sei. Das sei sonst schier am sichersten, aber diesmal habe
ihm der Hagel die Löcher geschlagen. Nun, es sei ja recht. Sonst hätte
er doch auch nichts, was ihm der Hagel schlagen könne. Außer diesem
Hut hätte er wohl einmal ein Haus gehabt, aber das sei ihm abgebrannt.
Sei ihm immer noch leid um dieses Haus, seien ihm viel Altertümer
mitverbrannt. Er meinte damit wahrscheinlich alte Kleider, besonders
aber den weitbekannten Filzhut, den er sich vor vierzig Jahren selbst
gebaut hatte. Um seine Angabe zu bezeugen, zog er ein Zeitungsblatt
aus dem Sack; als er das abgegriffene Papier mit ungeschickten Fingern
entfaltete, wollte es gleich auseinanderfallen, als ob auch diese
letzte Erinnerung an seine Hütte zunichte werden sollte. Da stand
denn in einer Notiz beiläufig erwähnt, daß am Geierkogel eine Hütte
abgebrannt sei, in welcher der sogenannte Waldteufel sich manchmal
aufgehalten habe. -- So weit war auch dieser Naturmensch schon von der
Kultur beleckt, daß er sich etwas Besonderes dünkte, »weil er in der
Zeitung stand«. -- Ja, Alter, das hat man davon, wenn man in die Stadt
geht, Pilze und Kranabetstauden zu verkaufen. In die Zeitung kommt
man, gedruckt wird man, gerade so wie der Dichter, der dort in Stein
auf dem Sockel sitzt. -- Da sagte er auf einmal: »Ihr Herren! Wenn ich
alle Steine, die mir in Graz die Gassenbuben schon nachgeworfen haben,
zusammengetragen hätte auf einen Haufen, es wäre auch ein Denkmal. Wäre
~auch~ eins! Wie mich die Kinder aushetzen.«

Es gibt ja böse Buben, hier wie dort. Der Unterschied, daß die
Landkinder sich vor dem Waldteufel fürchten, während die Stadtjugend
mit ihm ihren Spaß hat. Wie die löbliche Polizei sagt, Ursache daran
wird doch wohl er selber sein mit seiner auffallenden Tracht. Ob er
sich aus Eitelkeit so trägt? Oder ob er damit die Aufmerksamkeit der
Leute aus praktischen Gründen auf sich lenken will? Vielleicht beides.
Leicht ist sein Geschick sicherlich nicht. Wenigstens nicht in unseren
Augen. Er selbst -- wenn man ihn so sprechen hört -- wüßte allerdings
nicht, was ihm fehlt. Es müßten nur die »Altertümer« sein, die ihm
verbrannt sind.

Als Beweis für die Schlauheit des Waldteufels wird ein Stückl erzählt.
Wandern da einige bergfrohe Herren aus der Stadt auf den Geierkogel.
Der Weg ist weit und die Sonne brennt heiß. Nirgends im Kalkboden eine
Quelle, nirgends ein Labsal! Endlich ein Haus, vor dem einige Knechte
stehen, darunter der wilde Waldteufel. Freundlich bitten die Ausflügler
um einen Trunk Wasser, der ihnen aus einer Lagel gern und ohne Anspruch
auf Bezahlung gewährt wird. Mit einem herzlichen »Gelt's Gott!« wollen
sich die Städter wieder entfernen, da fängt der Waldteufel zu munkeln
an: »Ich muß das Wasser weit hertragen und ihr schenkt es den reichen
Städtern. Holt euch von morgen ab selber das Wasser herauf!« Natürlich
griffen die Herren sofort in die Tasche und legten Nickel auf Nickel
in die nun demütig dargebotene Hand des Waldteufels. Kaum waren die
Ausflügler außer Hörweite, da zeigte der Fechtbruder seine Kollekte den
Knechten mit den Worten: »Da, zwei Gulden fünfzig, und merkt's euch,
wie leicht man bei den Städtern Geld verdienen kann!« Es braucht nur
noch erwähnt zu werden, daß sich der Waldteufel nie mit Wassertragen
abgegeben hat.

So ist es ihm sein Lebtag gut gegangen. Sein Vater, ein Tiroler, hat
seine Mutter, eine Kärntnerin geheiratet. Und das Kind nachher ist
ein Steirer geworden. Also drei Heimländer. Wer hat mehr? Er ist sein
Lebtag viel gereist. Nicht bloß in den drei Heimatländern, wohl auch
in Italien, im Küstenland und weiter um. Sein Vater war »Künstler«,
Holzschnitzler, und ist dann mit seinen Waren: Holzschüsseln,
Kornschaufeln, Kochlöffeln und dergleichen hausieren gegangen. Der Sohn
ist überall mit ihm gewesen. Nicht jede Nacht haben sie ihr Quartier
gefunden.

Nun, im Freien ist's auch bequemer, da hat man weit genug, hat frische
Luft und wird nicht geniert. Das Gras auf der Wiese ist auch ein
Federbett, ein ganz frisches, und kein Königskind hat ein süßeres
Schlaflied, als das die Grillen singen. Aber noch lieber ist der
»Franz« auf Steinhaufen gelegen, da kann man sich mit den Ellbogen das
Bett graben wie man's gern hat. »San die Gliederlan wohl immer a bissel
steif worden; muß einer nachher halt wieder brav laufen, alsdann werden
sie schon wieder gelenkig.«

»Und hat's Euch nicht geschadet, bei Nacht und Wetter so im Freien
schlafen?«

»Bis jetzt nit. Gesund, Gott sei Dank, bin ich alleweil gewest.«

»Wie alt seid Ihr denn?«

»Im Achtunddreißigerjahr geboren.«

»Was? Und nicht ein graues Gran im Bart!«

»Aber da, lieber Herr!«

Er hob seinen Hut vom Kopf, da hatte er noch eine schwarze Haube auf,
wohl zum Schutz vor dem drückenden Baumrindendach. Das verschwitzte
Haar hatte graue Fäden.

»Seht Ihr, und so einen würdigen Herrn will die Polizei abschaffen!« Er
sagte es munter gegen einen Sicherheitswachmann hin, der den Waldteufel
schon lange beobachtet hatte, ohne ein Arg an ihm zu finden. Dann hob
er mit beiden Händen den Hut langsam und bedächtig wieder auf den
Kopf. Einer, der diesen Hut vorwitzigerweise versucht, behauptete,
er wiege wenigstens fünf Pfund. Dem Manne schien die Gefahr des
Abgeschafftwerdens nicht aus dem Kopfe zu gehen. Es schien ihm schon
oft passiert zu sein, obwohl die Behörden nie recht wußten, wohin mit
ihm. Von den drei schönen Alpenländern wollte jedes das bescheidenste
sein und auf den drolligen Vagabunden verzichten. Er wäre ja doch in
keinem geblieben. »Ich tu' halt so viel gern reisen, so viel gern
reisen! Und abgeschafft werden wir alle einmal!« lachte er laut, gegen
den Wachmann hin. »Bis wir alt sind, werden wir alle abgeschafft. Aber
ich bin decht noch jung.«

»Ja, bloß sechsundsechzig Jahre!« redete ich drein.

»Was ist das, sechsundsechzig Jahr! Meine Mutter ist hundertvier Jahr
alt geworden. Mein Vater ist hundertvierzehn Jahr alt geworden, weil er
brav Schnaps getrunken hat. Heut' kunnten sie noch leben, wenn --«. Er
hielt ein mit irgend einer Anklage und setzte schmunzelnd bei: »Wenn
sie nit gestorben wären.«

»So habt auch Ihr Aussicht, alt zu werden?«

»Ich werde zweiundachtzig Jahre alt,« antwortete er ruhig. »Damit wir
zusammen dreihundert Jahr ausmachen, alle drei. Dreihundert ist kein
Spott mehr. Mein Vater hat allemal gesagt, er möcht's gern derleben,
daß die Leut' gescheiter werden. Hundertvierzehn Jahr ist er alt worden
und hat's doch nit derwarten mögen. So lang mag ich nit leben, so lang
nit. Nur das möcht' ich noch sehen, wie's ausschauen wird auf der Welt,
bis die Leut' ~noch~ dümmer geworden sind.«

Da hatten wir gleich seine Meinung über den Stand unserer Welt.
Er brauchte keine langen anarchistischen Reden zu halten, keine
pessimistischen Bücher zu schreiben -- das eine Wort sagte alles.
Er, der keinen anderen Rock hat, als das in allen Nahten klaffende
Lodenwams, kein anderes Dach, als den Rindenhut -- von der Art seiner
Nahrung war überhaupt nicht die Rede -- er fühlte sich erhöht über die
Millionen der Durchschnittsmenschen, die ihn erst dann interessieren
werden, bis sie noch dümmer geworden sind.

Wie war nun dem stolzen armen Manne beizukommen? »Waren« hatte er
diesmal nicht bei sich, die ihm etwa abzukaufen gewesen wären. War man
sicher, daß der hohe Herr, der bedürfnislose, freie König des Waldes,
eine bescheidene Gabe nicht zurückweisen würde?

»Wie würdet Ihr es halten?« fragte ich ihn tückisch, »wenn ein armer,
braver und ganz zufriedener Mensch dastände und jemand gäbe ihm ein
Silberstück in die Hand. Wäre das gescheit oder dumm?«

»Das wäre gescheit, das wäre gescheit!« rief er aus.

»Und was glaubet Ihr, daß der arme, brave und ganz zufriedene Mensch
mit dem Silberstück anfangen würde?«

»Schnaps kaufen!«

So weit ging sein Freiheitsstolz -- und nicht weiter. Alle Bande
hatte er abgestreift oder gesprengt, aber der Schnaps war sein Herr
und Gebieter geblieben. Doch ich sah ihn keinen trinken. Ehe wir
auseinandergingen, vertraute er mir noch ein Geheimnis an. Er sei
gesonnen, sich demnächst zu veräußern. Er stehe in Unterhandlung
mit der medizinischen Fakultät, er wolle ihr seinen heiligen Leib
verkaufen. Bei dem Worte heilig schnitt er eine ganz abenteuerliche
Grimasse. Er glaube, mit fünfhundert Gulden sei der Waldteufel nicht
überzahlt, aber man spare immer am unrechten Orte und wolle ihm nur
dreihundert geben. So viel aber sei die Haut allein wert, wenn sie
ausgestopft werde. Was habe er dann für die Knochen? Daß diese auch
hübsch was nutz seien, beweise er jedem, der es bewiesen haben wolle.
Er hob den Arm mit der geballten Faust. Indes hätte ihm ein Wachmann
geraten, sich nicht voreilig zu verkaufen, er lebe dann keine drei
Wochen mehr! Die Studenten seien so viel gierige Leut', die würden
seinen Tod nicht abwarten wollen, sondern recht bald mit »einem
Stupferl von hinten« nachhelfen, daß sie zu ihrem Kadaver kämen.
Überhaupt würde er am Arm gezeichnet werden und dürfe auch nicht nach
Amerika, oder sonst übers große Wasser. Als Mann der Freiheit vertrage
er das nicht. Es sei also eine Lebensfrage, ob er sich derweil nicht
doch noch behalten solle. Es werde am besten sein, er gehe fleißig
betteln. -- Und machte sich auch gleich ans Tagewerk.

Weiter weiß ich nichts von ihm. Jedenfalls erreicht der Mann ein hohes
Alter, besonders, wenn er nach dem Grundsatz seines Vaters so lange
leben will, bis die Leute gescheiter geworden sind.




                                  Von
                            Peter Rosegger
                 erschien zuletzt im gleichen Verlage:


                         Frohe Vergangenheiten
                          Launige Geschichten


                         Mit einem Vorwort von
                         ~Hans Ludwig Rosegger~

                              15. Tausend




»Der Titel trifft auf die Erzählungen, die, ernst und heiter vermischt,
~das schalkhafte Gesicht des Waldschulmeisters fleckenlos spiegeln~,
absolut zu. ~Es ist echtester Rosegger~: Waldweisheit, die allerhand
reizvolle Patina angesetzt hat und dennoch nicht nur ehrwürdig, sondern
lebendig wie jedes Wort ist, das Rosegger je geschrieben hat. --
~Ganz ungewöhnlich lesenswert aber und als menschliches Dokument so
ziemlich alles, was in den letzten Jahren auf dem Büchermarkt erschien,
überragend, ist die dem Bande voran gesetzte »Lebns-Beschreibung«.~
Die Orthographie ist die des fünfzehnjährigen Bauernbuben, aber das,
was der »Autor« mit früherwachter Selbstkritik, »keine interesande
Geschichte« nennt, ist nicht literarische Kuriosität, sondern in seiner
Wahrhaftigkeit und in der Hilflosigkeit des von allen ersehnten Quellen
des Wissens ausgesperrten Bauernbuben ~rührend und erschütternd.
Alle Schulorthographie ist, gegen dieses erste Stammeln eines großen
Menschen gehalten, Makulatur.~«

                               Karl Marilaun im »Neuen Wiener Journal«.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SONDERLINGE ***


    

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are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
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forth in Section 3 below.

1.F.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
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or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
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facility: www.gutenberg.org.

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