L'Arrabbiata

By Paul Heyse

The Project Gutenberg EBook of L'Arrabbiata, by Paul Heyse
#2 in our series by Paul Heyse

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Title: L'Arrabbiata

Author: Paul Heyse

Release Date: April, 2005 [EBook #7858]
[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
[This file was first posted on May 26, 2003]

Edition: 10

Language: German


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK L'ARRABBIATA ***




Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen




This Etext is in German.

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L'Arrabbiata (1)

{ed. (1) Die Eigensinnige }

Paul Heyse

Novelle (1853)


Die Sonne war noch nicht aufgegangen.  Über dem Vesuv lagerte eine
breite graue Nebelschicht, die sich nach Neapel hinÜberdehnte und die
kleinen Städte an jenem Küstenstrich verdunkelte.  Das Meer lag still.
An der Marine (2) aber, die unter dem hohen Sorrentiner Felsenufer
in einer engen Bucht angelegt ist, rührten sich schon Fischer mit
ihren Weibern, die Kähne mit Netzen, die zum Fischen über Nacht
draußen gelegen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen.  Andere
rüsteten ihre Barken, richteten die Segel zu und schleppten Ruder und
Segelstangen aus den großen vergitterten GewÖlben vor, die tief in
den Felsen hineingebaut über Nacht das Schiffgerät bewahren.  Man sah
keinen müßig gehen; denn auch die Alten, die keine Fahrt mehr machen,
reihten sich in die große Kette derer ein, die an den Netzen zogen,
und hie und da stand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem der
flachen Dächer, oder machte sich mit den Enkeln zu schaffen, während
die Tochter dem Manne half.

{ed. (2) Küste }

Siehst du, Rachela, da ist unser Padre Curato, sagte eine Alte zu
einem kleinen Ding von zehn Jahren, das neben ihr sein Spindelchen
schwang.  Eben steigt er ins Schiff.  Der Antonino soll ihn nach
Capri hinüberfahren.  Maria Santissima, was sieht der ehrwürdige Herr
noch verschlafen aus!--Und damit winkte sie mit der Hand einem
kleinen freundlichen Padre zu, der unten sich eben zurechtgesetzt
hatte in der Barke, nachdem er seinen schwarzen Rock sorgfältig
aufgehoben und über die Holzbank gebreitet hatte.  Die andern am
Strand hielten mit der Arbeit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu sehen,
der nach rechts und links freundlich nickte und grüßte.

Warum muß er denn nach Capri, Großmutter? fragte das Kind.  Haben die
Leute dort keinen Pfarrer, daß sie unsern borgen müssen?

Sei nicht so einfältig, sagte die Alte.  Genug haben sie da und die
schönsten Kirchen und sogar einen Einsiedler, wie wir ihn nicht haben.
Aber da ist eine vornehme Signora, die hat lange hier in Sorrent
gewohnt und war sehr krank, daß der Padre oft zu ihr mußte mit dem
Hochwürdigsten, wenn sie dachten, sie übersteht keine Nacht mehr.
Nun, die heilige Jungfrau hat ihr beigestanden, daß sie wieder frisch
und gesund worden ist und hat alle Tage im Meere baden können.  Als
sie von hier fort ist, nach Capri hinüber, hat sie noch einen schönen
Haufen Dukaten an die Kirche geschenkt und an das arme Volk, und hat
nicht fort wollen, sagen sie, ehe der Padre nicht versprochen hat,
sie drüben zu besuchen, daß sie ihm beichten kann.  Denn es ist
erstaunlich, was sie auf ihn hält.  Und wir können uns segnen, daß
wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie ein Erzbischof und dem
die hohen Herrschaften nachfragen.  Die Madonna sei mit ihm!--Und
damit winkte sie zum Schiffchen hinunter, das eben abstoßen wollte.

Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn? fragte der kleine Priester
und sah bedenklich nach Neapel hinüber.

Die Sonne ist noch nicht heraus, erwiderte der Bursch.  Mit dem
bißchen Nebel wird sie schon fertig werden.

So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen.

Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um die Barke ins Freie zu
treiben, als er plötzlich innehielt und nach der Höhe des steilen
Weges hinaufsah, der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hinabführt.

Eine schlanke Mädchengestalt ward oben sichtbar, die eilig die Steine
hinabschritt und mit einem Tuch winkte.  Sie trug ein Bündelchen
unterm Arm, und ihr Aufzug war dürftig genug.  Doch hatte sie eine
fast vornehme, nur etwas wilde Art, den Kopf in den Nacken zu werfen
und die schwarze Flechte, die sie vorn über der Stirn umgeschlungen
trug, stand ihr wie ein Diadem.

Worauf warten wir? fragte der Pfarrer.

Es kommt da noch jemand auf die Barke zu, der auch wohl nach Capri
will.  Wenn Ihr erlaubt, Padre--es geht darum nicht langsamer, denn
's ist nur ein junges Ding von kaum achtzehn Jahr.

In diesem Augenblick trat das Mädchen hinter der Mauer hervor, die
den gewundenen Weg einfaßt.  Laurella! sagte der Pfarrer.  Was hat
sie in Capri zu tun?

Antonino zuckte die Achseln.--Das Mädchen kam mit hastigen Schritten
heran und sah vor sich hin.

Guten Tag, l'Arrabbiata! riefen einige von den jungen Schiffern.  Sie
hätten wohl noch mehr gesagt, wenn die Gegenwart des Curato sie nicht
in Respekt gehalten hätte, denn die trotzige stumme Art, in der das
Mädchen ihren Gruß hinnahm, schien die Übermütigen zu reizen.

Guten Tag, Laurella, rief nun auch der Pfarrer.  Wie steht's?  Willst
du mit nach Capri?

Wenn's erlaubt ist, Padre!

Frage den Antonino, der ist der Patron der Barke.  Ist jeder doch
Herr seines Eigentums und Gott Herr über uns alle.

Da ist ein halber Carlin (3), sagte Laurella, ohne den jungen
Schiffer anzusehen.  Wenn ich dafür mit kann.

{ed. (3) Carlino: alte neapolitanische Münze }

Du kannst's besser brauchen, als ich, brummte der Bursch und schob
einige Körbe mit Orangen zurecht, daß Platz wurde.  Er sollte sie in
Capri verkaufen, denn die Felseninsel trägt nicht genug für den
Bedarf der vielen Besucher.

Ich will nicht umsonst mit, erwiderte das Mädchen und die schwarzen
Augenbrauen zuckten.

Komm nur, Kind, sagte der Pfarrer.  Er ist ein braver Junge und will
nicht reich werden von deinem bißchen Armut.  Da, steig ein--und er
reichte ihr die Hand--und setz dich hier neben mich.  Sieh, da hat er
dir seine Jacke hingelegt, daß du weicher sitzen sollst.  Mir hat
er's nicht so gut gemacht.  Aber junges Volk, das treibt's immer so.
Für ein kleines Frauenzimmer wird mehr gesorgt, als für zehn
geistliche Herren.  Nun nun, brauchst dich nicht zu entschuldigen,
Tonino. 's ist unsers Herrgotts Einrichtung, daß sich gleich zu
gleich hält.

Laurella war inzwischen eingestiegen und hatte sich gesetzt, nachdem
sie die Jacke ohne ein Wort zu sagen beiseit geschoben hatte.  Der
junge Schiffer ließ sie liegen und murmelte was zwischen den Zähnen.
Dann stieß er kräftig gegen den Uferdamm und der kleine Kahn flog in
den Golf hinaus.

Was hast du da im Bündel, fragte der Pfarrer, während sie nun übers
Meer hintrieben, das sich eben von den ersten Sonnenstrahlen lichtete.

Seide, Garn und ein Brot, Padre.  Ich soll die Seide an eine Frau in
Capri verkaufen, die Bänder macht, und das Garn an eine andere.

Hast du's selbst gesponnen?

Ja, Herr.

Wenn ich mich recht erinnere, hast du auch gelernt, Bänder machen.

Ja, Herr.  Aber es geht wieder schlimmer mit der Mutter, daß ich
nicht aus dem Hause kann und einen eignen Webstuhl können wir nicht
bezahlen.

Geht schlimmer!  Oh, oh!  Da ich um Ostern bei euch war, saß sie doch
auf.

Der Frühling ist immer die böseste Zeit für sie.  Seit wir die großen
Stürme hatten und die Erdstöße, hat sie immer liegen müssen vor
Schmerzen.

Laß nicht nach mit Beten und Bitten, mein Kind, daß die heilige
Jungfrau Fürbitte tut.  Und sei brav und fleißig, damit dein Gebet
erhört werde.

Nach einer Pause: Wie du da zum Strand herunterkamst, riefen sie dir
zu: Guten Tag, l'Arrabbiata!  Warum heißen sie dich so?  Es ist kein
schöner Name für eine Christin, die sanft sein soll und demütig.

Das Mädchen glühte über das ganze braune Gesicht und ihre Augen
funkelten.

Sie haben ihren Spott mit mir, weil ich nicht tanze und singe und
viel Redens mache, wie andere.  Sie sollten mich gehen lassen; ich tu
ihnen ja nichts.

Du könntest aber freundlich sein zu jedermann.  Tanzen und singen
mögen andere, denen das Leben leichter ist.  Aber ein gutes Wort
geben schickt sich auch für einen Betrübten.

Sie sah vor sich nieder und zog die Brauen dichter zusammen, als
wollte sie ihre schwarzen Augen drunter verstecken.  Eine Weile
fuhren sie schweigend dahin.  Die Sonne stand nun prächtig über dem
Gebirg, die Spitze des Vesuv ragte über die Wolkenschicht heraus, die
noch den Fuß umzogen hielt, und die Häuser auf der Ebene von Sorrent
blickten weiß aus den grünen Orangengärten hervor.

Hat jener Maler nichts wieder von sich hören lassen, Laurella, jener
Napolitaner, der dich zur Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.

Sie schüttelte den Kopf.

Er kam damals, ein Bild von dir zu machen.  Warum hast du's ihm
abgeschlagen?

Wozu wollt' er es nur?  Es sind andere schöner als ich.  Und
dann--wer weiß, was er damit getrieben hätte.  Er hätte mich damit
verzaubern können und meine Seele beschädigen, oder mich gar zu Tode
bringen, sagte die Mutter.

Glaube nicht so sündliche Dinge, sprach der Pfarrer ernsthaft.  Bist
du nicht immer in Gottes Hand, ohne dessen Willen dir kein Haar vom
Haupte fällt?  Und soll ein Mensch mit so einem Bild in der Hand
stärker sein als der Herrgott?--Zudem konntest du ja sehen, daß er
dir wohlwollte.  Hat er dich sonst heiraten wollen?

Sie schwieg.

Und warum hast du ihn ausgeschlagen?  Es soll ein braver Mann gewesen
sein und ganz stattlich und hätte dich und deine Mutter besser
ernähren können, als du es nun kannst mit dem bißchen Spinnen und
Seidewickeln.

Wir sind arme Leute, sagte sie heftig, und meine Mutter nun gar seit
so lange krank.  Wir wären ihm nur zur Last gefallen.  Und ich tauge
auch nicht für einen Signore.  Wenn seine Freunde zu ihm gekommen
wären, hätte er sich meiner geschämt.

Was du auch redest!  Ich sage dir ja, daß es ein braver Herr war.
Und überdies wollte er ja nach Sorrent übersiedeln.  Es wird nicht
bald so einer wiederkommen, der wie recht vom Himmel geschickt war,
um euch aufzuhelfen.

Ich will gar keinen Mann, niemals! sagte sie ganz trotzig und wie vor
sich hin.

Hast du ein Gelübde getan, oder willst in ein Kloster gehen?

Sie schüttelte den Kopf.

Die Leute haben recht, die dir deinen Eigensinn vorhalten, wenn auch
jener Name nicht schön ist.  Bedenkst du nicht, daß du nicht allein
auf der Welt bist, und durch diesen Starrsinn deiner kranken Mutter
das Leben und ihre Krankheit nur bitterer machst?  Was kannst du für
wichtige Gründe haben, jede rechtschaffene Hand abzuweisen, die dich
und die Mutter stützen will?  Antworte mir, Laurella!

Ich habe wohl einen Grund, sagte sie leise und zögernd.  Aber ich
kann ihn nicht sagen.

Nicht sagen?  Auch mir nicht?  Nicht deinem Beichtvater, dem du doch
sonst wohl zutraust, daß er es gut mit dir meint?  Oder nicht?

Sie nickte.

So erleichtere dein Herz, Kind.  Wenn du recht hast, will ich der
erste sein, dir recht zu geben.  Aber du bist jung und kennst die
Welt wenig, und es möchte dich später einmal gereuen, wenn du um
kindischer Gedanken willen dein Glück verscherzt hast.



Sie warf einen flüchtigen scheuen Blick nach dem Burschen hinüber,
der emsig rudernd hinten im Kahn saß und die wollne Mütze tief in die
Stirn gezogen hatte.  Er starrte zur Seite ins Meer und schien in
seine eignen Gedanken versunken zu sein.  Der Pfarrer sah ihren Blick
und neigte sein Ohr näher zu ihr.

Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüsterte sie, und ihre Augen
sahen finster.

Deinen Vater?  Er starb ja, denke ich, da du kaum zehn Jahr alt warst.
Was hat dein Vater, dessen Seele im Paradiese sein möge, mit deinem
Eigensinn zu schaffen?

Ihr habt ihn nicht gekannt, Padre.  Ihr wißt nicht, daß er allein
schuld ist an der Krankheit der Mutter.

Wie das?

Weil er sie mißhandelt hat und geschlagen und mit Füßen getreten.
Ich weiß noch die Nächte, wenn er nach Hause kam und war in Wut.  Sie
sagte ihm nie ein Wort und tat alles, was er wollte.  Er aber schlug
sie, daß mir das Herz brechen wollte.  Ich zog dann die Decke über
den Kopf und tat als ob ich schliefe, weinte aber die ganze Nacht.
Und wenn er sie dann am Boden liegen sah, verwandelt' er sich
plötzlich und hob sie auf und küßte sie, daß sie schrie, er werde sie
ersticken.  Die Mutter hat mir verboten, daß ich nie ein Wort davon
sagen soll; aber es griff sie so an, daß sie nun die langen Jahre,
seit er tot ist, noch nicht wieder gesund worden ist.  Und wenn sie
früh sterben sollte, was der Himmel verhüte, ich weiß wohl, wer sie
umgebracht hat.

Der kleine Priester wiegte das Haupt und schien unschlüssig, wie weit
er seinem Beichtkind recht geben sollte.  Endlich sagte er: Vergib
ihm, wie ihm deine Mutter vergeben hat.  Hefte nicht deine Gedanken
an jene traurigen Bilder, Laurella.  Es werden bessere Zeiten für
dich kommen, und dich alles vergessen machen.

Nie vergess' ich das, sagte sie und schauerte zusammen.  Und wißt,
Padre, darum will ich eine Jungfrau bleiben, um keinem untertänig zu
sein, der mich mißhandelte und dann liebkoste.  Wenn mich jetzt einer
schlagen oder küssen will, so weiß ich mich zu wehren.  Aber meine
Mutter durfte sich schon nicht wehren, nicht der Schläge erwehren und
nicht der Küsse, weil sie ihn lieb hatte.  Und ich will keinen so
lieb haben, daß ich um ihn krank und elend würde.

Bist du nun nicht ein Kind und sprichst wie eine, die nichts weiß von
dem, was auf Erden geschieht?  Sind denn alle Männer wie dein armer
Vater war, daß sie jeder Laune und Leidenschaft nachgeben und ihren
Frauen schlecht begegnen?  Hast du nicht rechtschaffne Menschen genug
gesehen in der ganzen Nachbarschaft, und Frauen, die in Frieden und
Einigkeit mit ihren Männern leben?

Von meinem Vater wußt' es auch niemand, wie er zu meiner Mutter war,
denn sie wäre eher tausendmal gestorben, als es einem sagen und
klagen.  Und das alles, weil sie ihn liebte.  Wenn es so um die Liebe
ist, daß sie einem die Lippen schließt, wo man Hülfe schreien sollte,
und einen wehrlos macht gegen Ärgeres, als der ärgste Feind einem
antun könnte, so will ich nie mein Herz an einen Mann hängen.

Ich sage dir, daß du ein Kind bist und nicht weißt, was du sprichst.
Du wirst auch viel gefragt werden von deinem Herzen, ob du lieben
willst oder nicht, wenn seine Zeit gekommen ist; dann hilft alles
nicht, was du dir jetzt in den Kopf setzest.--Wieder nach einer Pause:
Und jener Maler, hast du ihm auch zugetraut, daß er dir hart
begegnen würde?

Er machte so Augen, wie ich sie bei meinem Vater gesehen habe, wenn
er der Mutter abbat und sie in die Arme nehmen wollte, um ihr wieder
gute Worte zu geben.  Die Augen kenn ich.  Es kann sie auch einer
machen, der's übers Herz bringt, seine Frau zu schlagen, die ihm nie
was zuleide getan hat.  Mir graute, wie ich die Augen wieder sah.

Darauf schwieg sie beharrlich still.  Auch der Pfarrer schwieg. Er
besann sich wohl auf viele schöne Sprüche, die er dem Mädchen hätte
vorhalten können.  Aber die Gegenwart des jungen Schiffers, der gegen
das Ende der Beichte unruhiger geworden war, verschloß ihm den Mund.

Als sie nach einer zweistündigen Fahrt in dem kleinen Hafen von Capri
anlangten, trug Antonino den geistlichen Herrn aus dem Kahn über die
letzten flachen Wellen, und setzte ihn ehrerbietig ab.  Doch hatte
Laurella nicht warten wollen, bis er wieder zurückwatete und sie
nachholte.  Sie nahm ihr Röckchen zusammen, die Holzpantöffelchen in
die rechte, das Bündel in die linke Hand und plätscherte hurtig ans
Land.

Ich bleibe heut wohl lang auf Capri, sagte der Padre, und du brauchst
nicht auf mich zu warten.  Vielleicht komm ich gar erst morgen nach
Haus.  Und du, Laurella, wenn du heimkommst, grüße die Mutter.  Ich
besuche euch in dieser Woche noch.  Du fährst doch noch vor der Nacht
zurück?

Wenn Gelegenheit ist, sagte das Mädchen, und machte sich an ihrem
Rock zu schaffen.

Du weißt, daß ich auch zurück muß, sprach Antonino, wie er meinte in
sehr gleichgültigem Ton.  Ich wart auf dich bis Ave Maria.  Wenn du
dann nicht kommst, soll mir's auch gleich sein.

Du mußt kommen, Laurella, fiel der kleine Herr ein.  Du darfst deine
Mutter keine Nacht allein lassen.  Ist's weit, wo du hin mußt?

Auf Anacapri, in eine Vigne (4).

{ed. (4) Weinberg }

Und ich muß auf Capri zu.  Behüt dich Gott, Kind, und dich, mein Sohn.

Laurella küßte ihm die Hand, und ließ ein Lebewohl fallen, in das
sich der Padre und Antonino teilen mochten.  Antonino indessen
eignete sich's nicht zu.  Er zog seine Mütze vor dem Padre und sah
Laurella nicht an.

Als sie ihm aber beide den Rücken gekehrt hatten, ließ er seine Augen
nur kurze Zeit mit dem geistlichen Herrn wandern, der über das tiefe
Kieselgeröll mühsam hinschritt, und schickte sie dann dem Mädchen
nach, das sich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte, die Hand über
die Augen haltend gegen die scharfe Sonne.  Ehe sich der Weg oben
zwischen Mauern zurückzieht, stand sie einen Augenblick still, wie um
Atem zu schöpfen, und sah um.  Die Marine lag zu ihren Füßen, ringsum
türmte sich der schroffe Fels, das Meer blaute in seltener Pracht--es
war wohl ein Anblick, des Stehenbleibens wert.  Der Zufall fügte es,
daß ihr Blick, bei Antoninos Barke vorübereilend, sich mit jenem
Blick begegnete, den Antonino ihr nachgeschickt hatte.  Sie machten
beide eine Bewegung, wie Leute, die sich entschuldigen wollen, es sei
etwas nur aus Versehen geschehen, worauf das Mädchen mit finsterm
Munde ihren Weg fortsetzte.



Es war erst eine Stunde nach Mittag, und schon saß Antonino zwei
Stunden lang auf einer Bank vor der Fischerschenke.  Es mußte ihm was
durch den Sinn gehen, denn alle fünf Minuten sprang er auf, trat in
die Sonne hinaus, und überblickte sorgfältig die Wege, die links und
rechts nach den zwei Inselstädtchen führen.  Das Wetter sei ihm
bedenklich, sagte er dann zu der Wirtin der Osterie.  Es sei wohl
klar, aber er kenne diese Farbe des Himmels und Meeres.  Gerade so
habe es ausgesehen, ehe der letzte große Sturm war, wo er die
englische Familie nur mit Not ans Land gebracht habe.  Sie werde sich
erinnern.

Nein, sagte die Frau.

Nun, sie solle an ihn denken, wenn sich's noch vor Nacht verändere.

Sind viel Herrschaften drüben? fragte die Wirtin nach einer Weile.

Es fängt eben an.  Bisher hatten wir schlechte Zeit.  Die wegen der
Bäder kommen, ließen auf sich warten.

Das Frühjahr kam spät.  Habt ihr mehr verdient, als wir hier auf
Capri?

Es hätte nicht ausgereicht zweimal die Woche Makkaroni zu essen, wenn
ich bloß auf die Barke angewiesen wäre.  Dann und wann einen Brief
nach Neapel zu bringen, oder einen Signore aufs Meer gerudert, der
angeln wollte.  Das war alles.  Aber Ihr wißt, daß mein Onkel die
großen Orangengärten hat, und ein reicher Mann ist.  Tonino, sagt er,
solang ich lebe, sollst du nicht Not leiden, und nachher wird auch
für dich gesorgt werden.  So hab ich den Winter mit Gottes Hülfe
überstanden.

Hat er Kinder, Euer Onkel?

Nein.  Er war nie verheiratet, und lang außer Landes, wo er denn
manchen Piaster zusammengebracht hat.  Nun hat er vor, eine große
Fischerei anzufangen und will mich über das ganze Wesen setzen, daß
ich nach dem Rechten sehe.

So seid Ihr ja ein gemachter Mann, Antonino.

Der junge Schiffer zuckte die Achseln.  Es hat jeder sein Bündel zu
tragen, sagte er.  Damit sprang er auf und sah wieder links und
rechts nach dem Wetter, obwohl er wissen mußte, daß es nur eine
Wetterseite gibt.

Ich bring Euch noch eine Flasche.  Euer Onkel kann's bezahlen, sagte
die Wirtin.

Nur noch ein Glas, denn Ihr habt hier eine feurige Art Wein.  Der
Kopf ist mir schon ganz warm.

Er geht nicht ins Blut.  Ihr könnt trinken, soviel Ihr wollt.  Da
kommt eben mein Mann, mit dem müßt Ihr noch eine Weile sitzen und
schwatzen.

Wirklich kam, das Netz über die Schulter gehängt, die rote Mütze über
den geringelten Haaren, der stattliche Padrone der Schenke von der
Höhe herunter.  Er hatte Fische in die Stadt gebracht, die jene
vornehme Dame bestellt hatte, um sie dem kleinen Pfarrer von Sorrent
vorzusetzen.  Wie er des jungen Schiffers ansichtig wurde, winkte er
ihm herzlich mit der Hand einen Willkommen zu, setzte sich dann neben
ihn auf die Bank, und fing an zu fragen und zu erzählen.  Eben
brachte sein Weib eine zweite Flasche des echten unverfälschten Capri,
als der Ufersand zur Linken knisterte und Laurella des Weges von
Anacapri daherkam.  Sie grüßte flüchtig mit dem Kopf und stand
unschlüssig still.



Antonino sprang auf.  Ich muß fort, sagte er. 's ist ein Mädchen aus
Sorrent, das heut früh mit dem Signor Curato kam und auf die Nacht
wieder zu ihrer kranken Mutter will.

Nun nun, 's ist noch lang bis Nacht, sagte der Fischer.  Sie wird
doch Zeit haben, ein Glas Wein zu trinken.  Holla, Frau, bring noch
ein Glas.

Ich danke, ich trinke nicht, sagte Laurella und blieb in einiger
Entfernung.

Schenk nur ein, Frau, schenk ein!  Sie läßt sich nötigen.

Laßt sie, sagte der Bursch.  Sie hat einen harten Kopf; was sie
einmal nicht will, das redet ihr kein Heiliger ein.--Und damit nahm
er eilfertig Abschied, lief nach der Barke hinunter, löste das Seil,
und stand nun in Erwartung des Mädchens.  Die grüßte noch einmal nach
der Wirtin der Schenke zurück und ging dann mit zaudernden Schritten
der Barke zu.  Sie sah vorher nach allen Seiten um, als erwarte sie,
daß sich noch andere Gesellschaft einfinden würde.  Die Marine aber
war menschenleer, die Fischer schliefen oder fuhren im Meer mit
Angeln und Netzen, wenige Frauen und Kinder saßen unter den Türen,
schlafend oder spinnend, und die Fremden, die am Morgen
herübergefahren, warteten die kühlere Tageszeit zur Rückfahrt ab.
Sie konnte auch nicht zu lange umschauen, denn ehe sie es wehren
konnte, hatte Antonino sie in die Arme genommen und trug sie wie ein
Kind in den Nachen.  Dann sprang er nach und mit wenigen
Ruderschlägen waren sie schon im offenen Meer.

Sie hatte sich vorn in den Kahn gesetzt und ihm halb den Rücken
zugedreht, daß er sie nur von der Seite sehen konnte.  Ihre Züge
waren jetzt noch ernsthafter als gewöhnlich.  Über die kurze Stirn
hing das Haar tief herein, um den feinen Nasenflügel zitterte ein
eigensinniger Zug; der volle Mund war fest geschlossen.--Als sie eine
Zeitlang so stillschweigend über Meer gefahren waren, empfand sie den
Sonnenbrand, nahm das Brot aus dem Tuch und schlang dieses über die
Flechte.  Dann fing sie an von dem Brote zu essen und ihr Mittagsmahl
zu halten, denn sie hatte auf Capri nichts genossen.

Antonino sah das nicht lange mit an.  Er holte aus einem der Körbe,
die am Morgen mit Orangen gefüllt gewesen, zwei hervor, und sagte: da
hast du was zu deinem Brot, Laurella.  Glaub nicht, daß ich sie für
dich zurückbehalten habe.  Sie sind aus dem Korb in den Kahn gerollt
und ich fand sie, als ich die leeren Körbe wieder in die Barke setzte.

Iß du sie doch.  Ich hab an meinem Brote genug.

Sie sind erfrischend in der Hitze, und du bist weit gelaufen.

Sie gaben mir oben ein Glas Wasser, das hat mich schon erfrischt.

Wie du willst, sagte er, und ließ sie wieder in den Korb fallen.

Neues Stillschweigen.  Das Meer war spiegelglatt und rauschte kaum um
den Kiel.  Auch die weißen Seevögel, die in den Uferhöhlen nisten,
zogen lautlos auf ihren Raub.

Du könntest die zwei Orangen deiner Mutter bringen, fing Antonino
wieder an.

Wir haben ihrer noch zu Haus, und wenn sie zu Ende sind, geh ich und
kaufe neue.

Bringe ihr sie nur, und ein Kompliment von mir.

Sie kennt dich ja nicht.

So könntest du ihr sagen, wer ich bin.

Ich kenne dich auch nicht.

Es war nicht das erste Mal, daß sie ihn so verleugnete.  Vor einem
Jahre, als der Maler eben nach Sorrent gekommen war, traf sich's an
einem Sonntage, daß Antonino mit anderen jungen Burschen aus dem Ort
auf einem freieren Platz neben der Hauptstraße Boccia spielte.  Dort
begegnete der Maler zuerst Laurella, die, einen Wasserkrug auf dem
Kopfe tragend, ohne sein zu achten, vorüberschritt.  Der Napolitaner,
von dem Anblick betroffen, stand still und sah ihr nach, obwohl er
sich mitten in der Bahn des Spieles befand und mit zwei Schritten sie
hätte räumen können.  Eine unsanfte Kugel, die ihm gegen das
Fußgelenk fuhr, mußte ihn daran erinnern, daß hier der Ort nicht sei,
sich in Gedanken zu verlieren.  Er sah um, als erwarte er eine
Entschuldigung.  Der junge Schiffer, der den Wurf getan hatte, stand
schweigend und trotzig inmitten seiner Freunde, daß der Fremde es
geraten fand, einen Wortwechsel zu vermeiden und zu gehen.  Doch
hatte man von dem Handel gesprochen, und sprach von neuem davon, als
der Maler sich offen um Laurella bewarb.  Ich kenne ihn nicht, sagte
diese unwillig, als der Maler sie fragte, ob sie ihn jenes
unhöflichen Burschen wegen ausschlüge.  Und doch war auch ihr jenes
Gerede zu Ohren gekommen.  Seitdem, wenn ihr Antonino begegnete,
hatte sie ihn wohl wieder erkannt.

Und nun saßen sie im Kahn wie die bittersten Feinde, und beiden
klopfte das Herz tödlich.  Das sonst gutmütige Gesicht Antoninos war
heftig gerötet, er schlug in die Wellen, daß der Schaum ihn
überspritzte, und seine Lippen zitterten zuweilen, als spräche er
böse Worte.  Sie tat, als bemerke sie es nicht, und machte ihr
unbefangenstes Gesicht, neigte sich über den Bord des Nachens und
ließ die Flut durch ihre Finger gleiten.  Dann band sie ihr Tuch
wieder ab und ordnete ihr Haar, als sei sie ganz allein im Kahn.  Nur
die Augenbrauen zuckten noch, und umsonst hielt sie die nassen Hände
gegen ihre brennenden Wangen, um sie zu kühlen.

Nun waren sie mitten auf dem Meer, und nah und fern ließ sich kein
Segel blicken.  Die Insel war zurückgeblieben, die Küste lag im
Sonnenduft weitab, nicht einmal eine Möwe durchflog die tiefe
Einsamkeit.  Antonino sah um sich her.  Ein Gedanke schien in ihm
aufzusteigen.  Die Röte wich plötzlich von seinen Wangen, und er ließ
die Ruder sinken.  Unwillkürlich sah Laurella nach ihm um, gespannt,
aber furchtlos.

Ich muß ein Ende machen, brach der Bursch heraus.  Es dauert mir
schon zu lange und wundert mich schier, daß ich nicht drüber zugrunde
gegangen bin.  Du kennst mich nicht, sagst du?  Hast du nicht lange
genug mit angesehen, wie ich bei dir vorüberging als ein Unsinniger,
und hatte das ganze Herz voll, dir zu sagen?  Dann machtest du deinen
bösen Mund und drehtest mir den Rücken.

Was hatt' ich mit dir zu reden, sagte sie kurz.  Ich habe wohl gesehn,
daß du mit mir anbinden wolltest.  Ich wollt' aber nicht in der
Leute Mäuler kommen um nichts und wieder nichts.  Denn zum Manne
nehmen mag ich dich nicht, dich nicht und keinen.

Und keinen?  So wirst du nicht immer sagen.  Weil du den Maler
weggeschickt hast?  Pah!  Du warst noch ein Kind damals.  Es wird dir
schon einmal einsam werden und dann, toll wie du bist, nimmst du den
ersten besten.

Es weiß keiner seine Zukunft.  Kann sein, daß ich meinen Sinn ändere.
Was geht's dich an?

Was es mich angeht? fuhr er auf und sprang von der Ruderbank empor,
daß der Kahn schaukelte.  Was es mich angeht?  Und so kannst du noch
fragen, nachdem du weißt, wie es um mich steht?  Müsse der elend
umkommen, dem je besser von dir begegnet würde, als mir.

Hab ich mich dir je versprochen?  Kann ich dafür, wenn dein Kopf
unsinnig ist?  Was hast du für ein Recht auf mich?

Oh, rief er aus, es steht freilich nicht geschrieben, es hat's kein
Advokat in Latein abgefaßt und versiegelt, aber das weiß ich, daß ich
so viel Recht auf dich habe, wie in den Himmel zu kommen, wenn ich
ein braver Kerl gewesen bin.  Meinst du, daß ich mit ansehn will,
wenn du mit einem andern in die Kirche gehst und die Mädchen gehn mir
vorüber und zucken die Achseln?  Soll ich mir den Schimpf antun
lassen?

Tu was du willst.  Ich laß mir nicht bangen, soviel du auch drohst.
Ich will auch tun, was ich will.

Du wirst nicht lange so sprechen, sagte er und bebte über den ganzen
Leib.  Ich bin Manns genug, daß ich mir das Leben nicht länger von
solch einem Trotzkopf verderben lasse.  Weißt du, daß du hier in
meiner Macht bist und tun mußt, was ich will?

Sie fuhr leicht zusammen und blitzte ihn mit den Augen an.

Bringe mich um, wenn du's wagst, sagte sie langsam.

Man muß nichts halb tun, sagte er, und seine Stimme klang leiser. 's
ist Platz für uns beide im Meer.  Ich kann dir nicht helfen, Kind,
--und er sprach fast mitleidig, wie aus dem Traum--aber wir müssen
hinunter, alle beide, und auf einmal, und jetzt! schrie er überlaut,
und faßte sie plötzlich mit beiden Armen an.  Aber im Augenblick zog
er die rechte Hand zurück, das Blut quoll hervor, sie hatte ihn
heftig hineingebissen.

Muß ich tun, was du willst? rief sie und stieß ihn mit einer raschen
Wendung von sich.  Laß sehn, ob ich in deiner Macht bin!--Damit
sprang sie über den Bord des Kahns und verschwand einen Augenblick in
der Tiefe.

Sie kam gleich wieder herauf, ihr Röckchen umschloß sie fest, ihre
Haare waren von den Wellen aufgelöst und hingen schwer über den Hals
nieder, mit den Armen ruderte sie emsig und schwamm, ohne einen Laut
von sich zu geben, kräftig von der Barke weg nach der Küste zu.  Der
jähe Schreck schien ihm die Sinne gelähmt zu haben.  Er stand im Kahn,
vorgebeugt, die Blicke starr nach ihr hingerichtet, als begebe sich
ein Wunder vor seinen Augen.  Dann schüttelte er sich, stürzte nach
den Rudern, und fuhr ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte,
nach, während der Boden seines Kahns von dem immer zuströmenden Blute
rot wurde.

Im Nu war er an ihrer Seite, so hastig sie schwamm.  Bei Maria
Santissima! rief er, komm in den Kahn.  Ich bin ein Toller gewesen;
Gott weiß, was mir die Vernunft benebelte.  Wie ein Blitz vom Himmel
fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz aufbrannte und wußte nicht, was ich
tat und redete.  Du sollst mir nicht vergeben, Laurella, nur dein
Leben retten und wieder einsteigen.

Sie schwamm fort, als habe sie nichts gehört.

Du kannst nicht bis ans Land kommen, es sind noch zwei Miglien.  Denk
an deine Mutter.  Wenn dir ein Unglück begegnete, sie stürbe vor
Entsetzen.

Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der Küste.  Dann, ohne zu
antworten, schwamm sie an die Barke heran, und faßte den Bord mit den
Händen.  Er stand auf, ihr zu helfen; seine Jacke, die auf der Bank
gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen von der Last des Mädchens
nach der einen Seite hinübergezogen wurde.  Gewandt schwang sie sich
empor und erklomm ihren früheren Sitz.  Als er sie geborgen sah,
griff er wieder zu den Rudern.  Sie aber wand ihr triefendes Röckchen
aus, und rang das Wasser aus den Flechten.  Dabei sah sie auf den
Boden der Barke, und bemerkte jetzt das Blut.  Sie warf einen raschen
Blick nach der Hand, die, als sei sie unverwundet, das Ruder führte.
Da, sagte sie, und reichte ihm ihr Tuch.  Er schüttelte den Kopf und
ruderte vorwärts.  Sie stand endlich auf, trat zu ihm und band ihm
das Tuch fest um die tiefe Wunde.  Darauf nahm sie ihm, soviel er
auch abwehrte, das eine Ruder aus der Hand und setzte sich ihm
gegenüber, doch ohne ihn anzusehn, fest auf das Ruder blickend, das
vom Blut gerötet war, und mit kräftigen Stößen die Barke forttreibend.
Sie waren beide blaß und still.  Als sie näher ans Land kamen,
begegneten ihnen Fischer, die ihre Netze auf die Nacht auswerfen
wollten.  Sie riefen Antonino an und neckten Laurella.  Keins sah auf
oder erwiderte ein Wort.

Die Sonne stand noch ziemlich hoch über Procida (5), als sie die
Marine erreichten.  Laurella schüttelte ihr Röckchen, das fast völlig
überm Meer getrocknet war und sprang ans Land.  Die alte spinnende
Frau, die sie schon am Morgen hatte abfahren sehn, stand wieder auf
dem Dach.  Was hast du an der Hand, Tonino? rief sie hinunter.  Jesus
Christus, die Barke schwimmt ja in Blut.

{ed. (5) Kleine Insel bei Neapel }

's ist nichts, Commare (2), erwiderte der Bursch.  Ich riß mich an
einem Nagel, der zu weit vorsah.  Morgen ist's vorbei.  Das
verwünschte Blut ist nur gleich bei der Hand, daß es gefährlicher
aussieht, als es ist.

{ed. (6) Gevatterin }

Ich will kommen und dir Kräuter auflegen, Comparello (7).  Wart, ich
komme schon!

{ed. (7) Gevatterchen }

Bemüht Euch nicht, Commare.  Ist schon alles geschehn und morgen
wird's vorbei sein und vergessen.  Ich habe eine gesunde Haut, die
gleich wieder über jede Wunde zuwächst.

Addio, sagte Laurella, und wandte sich nach dem Pfad, der hinaufführt.

Gute Nacht! rief ihr der Bursch nach, ohne sie anzusehn.  Dann trug
er das Gerät aus dem Schiff und die Körbe dazu, und stieg die kleine
Steintreppe zu seiner Hütte hinauf.



Es war keiner außer ihm in den zwei Kammern, durch die er nun hin und
her ging.  Zu den offnen Fensterchen, die nur mit hölzernen Läden
verschlossen werden, strich die Luft etwas erfrischender herein, als
über das ruhige Meer, und in der Einsamkeit war ihm wohl.  Er stand
auch lange vor dem kleinen Bilde der Mutter Gottes, und sah die aus
Silberpapier daraufgeklebte Sternenglorie andächtig an.  Doch zu
beten fiel ihm nicht ein.  Um was hätte er bitten sollen, da er
nichts mehr hoffte.

Und der Tag schien heute stillzustehn.  Er sehnte sich nach der
Dunkelheit, denn er war müde, und der Blutverlust hatte ihn auch mehr
angegriffen, als er sich gestand.  Er fühlte heftige Schmerzen an der
Hand, setzte sich auf einem Schemel und löste den Verband.  Das
zurückgedrängte Blut schoß wieder hervor, und die Hand war stark um
die Wunde angeschwollen.  Er wusch sie sorgfältig und kühlte sie
lange.  Als er sie wieder vorzog, unterschied er deutlich die Spur
von Laurellas Zähnen.  Sie hatte recht, sagte er.  Eine Bestie war
ich und verdien es nicht besser.  Ich will ihr morgen ihr Tuch durch
den Giuseppe zurückschicken, denn mich soll sie nicht wiedersehn.
--Und nun wusch er das Tuch sorgfältig und breitete es in der Sonne
aus, nachdem er sich die Hand wieder verbunden hatte, so gut er's mit
der Linken und den Zähnen konnte.  Dann warf er sich auf sein Bett
und schloß die Augen.

Der helle Mond weckte ihn aus einem halben Schlaf, zugleich der
Schmerz in der Hand.  Er sprang eben wieder auf, um die pochenden
Schläge des Bluts in Wasser zu beruhigen, als er ein Geräusch an
seiner Tür hörte.  Wer ist da? rief er und öffnete.  Laurella stand
vor ihm.

Ohne viel zu fragen trat sie ein.  Sie warf das Tuch ab, das sie über
den Kopf geschlungen hatte und stellte ein Körbchen auf den Tisch.
Dann schöpfte sie tief Atem.

Du kommst, dein Tuch zu holen, sagte er, du hättest dir die Mühe
ersparen können, denn morgen in der Früh hätte ich Giuseppe gebeten,
es dir zu bringen.

Es ist nicht um das Tuch, erwiderte sie rasch.  Ich bin auf dem Berg
gewesen, um dir Kräuter zu holen, die gegen das Bluten sind.  Da!
Und sie hob den Deckel vom Körbchen.

Zu viel Mühe, sagte er, und ohne alle Herbigkeit, zu viel Mühe.  Es
geht schon besser, viel besser, und wenn es schlimmer ginge, ging es
auch nach Verdienst.  Was willst du hier um die Zeit?  Wenn dich
einer hier träfe, du weißt, wie sie schwatzen, obwohl sie nicht
wissen, was sie sagen.

Ich kümmere mich um keinen, sprach sie heftig.  Aber die Hand will
ich sehen und die Kräuter darauf tun, denn mit der Linken bringst du
es nicht zustande.

Ich sage dir, daß es unnötig ist.

So laß es mich sehen, damit ich's glaube.

Sie ergriff ohne weiteres die Hand, die sich nicht wehren konnte, und
band die Lappen ab.  Als sie die starke Geschwulst sah, fuhr sie
zusammen und schrie auf: Jesus Maria!

Es ist ein bißchen aufgelaufen, sagte er.  Das geht weg in einem Tag
und einer Nacht.

Sie schüttelte den Kopf: So kommst du in einer Woche lang nicht aufs
Meer.

Ich denke, schon übermorgen.  Was tut's auch.

Indessen hatte sie ein Becken geholt und die Wunde von neuem
gewaschen, was er litt wie ein Kind.  Dann legte sie die heilsamen
Blätter des Krauts darauf, die ihm das Brennen sogleich linderten und
verband die Hand mit Streifen Leinwand, die sie auch mitgebracht
hatte.

Als es getan war, sagte er: Ich danke dir.  Und höre, wenn du mir
noch einen Gefallen tun willst, vergib mir, daß mir heut so eine
Tollheit über den Kopf wuchs und vergiß das alles, was ich gesagt und
getan habe.  Ich weiß selbst nicht, wie es kam.  Du hast mir nie
Veranlassung dazu gegeben, du wahrhaftig nicht.  Und du sollst schon
nichts wieder von mir hören, was dich kränken könnte.

Ich habe dir abzubitten, fiel sie ein.  Ich hätte dir alles anders
und besser vorstellen sollen und dich nicht aufbringen durch meine
stumme Art.  Und nun gar die Wunde-Es war Notwehr und die höchste
Zeit, daß ich meiner Sinne wieder mächtig wurde.  Und wie gesagt, es
hat nichts zu bedeuten.  Sprich nicht von Vergeben.  Du hast mir
wohlgetan, und das dank ich dir.  Und nun geh schlafen und da--da ist
auch dein Tuch, daß du's gleich mitnehmen kannst.

Er reichte es ihr, aber sie stand noch immer und schien mit sich
selbst zu kämpfen.  Endlich sagte sie: du hast auch deine Jacke
eingebüßt um meinetwegen; und ich weiß, daß das Geld für die Orangen
darin steckte.  Es fiel mir alles erst unterwegs ein.  Ich kann dir's
nicht so wieder ersetzen, denn wir haben es nicht, und wenn wir's
hätten, gehört' es der Mutter.  Aber da hab ich das silberne Kreuz,
das mir der Maler auf den Tisch legte, als er das letzte Mal bei uns
war.  Ich hab es seitdem nicht angesehn und mag es nicht länger im
Kasten haben.  Wenn du es verkaufst, es ist wohl ein paar Piaster
wert, sagte damals die Mutter, so wäre dir dein Schaden ersetzt, und
was fehlen sollte, will ich suchen mit Spinnen zu verdienen, nachts,
wenn die Mutter schläft.

Ich nehme nichts, sagte er kurz und schob das blanke Kreuzchen zurück,
das sie aus der Tasche geholt hatte.

Du mußt's nehmen, sagte sie.  Wer weiß, wie lang du mit dieser Hand
nichts verdienen kannst.  Da liegt's und ich will's nie wieder sehn
mit meinen Augen.

So wirf es ins Meer.

Es ist ja kein Geschenk, was ich dir mache; es ist nicht mehr, als
dein gutes Recht und was dir zukommt.

Recht?  Ich habe kein Recht auf irgendwas von dir.  Wenn du mir
später einmal begegnen solltest, tu mir den Gefallen und sieh mich
nicht an, daß ich nicht denke, du erinnerst mich an das, was ich dir
schuldig bin.  Und nun gute Nacht, und laß es das Letzte sein.

Er legte ihr das Tuch in den Korb und das Kreuz dazu und schloß den
Deckel darauf.  Als er dann aufsah und ihr ins Gesicht, erschrak er.
Große schwere Tropfen stürzten ihr über die Wangen.  Sie ließ ihnen
ihren Lauf.

Maria Santissima! rief er, bist du krank?  Du zitterst von Kopf bis
Fuß.

Es ist nichts, sagte sie.  Ich will heim!  Und wankte nach der Tür.
Das Weinen übermannte sie, daß sie die Stirn gegen den Pfosten
drückte und nun laut und heftig schluchzte.  Aber eh' er ihr nach
konnte, um sie zurückzuhalten, wandte sie sich plötzlich um und
stürzte ihm an den Hals.

Ich kann's nicht ertragen, schrie sie und preßte ihn an sich, wie
sich ein Sterbender ans Leben klammert, ich kann's nicht hören, daß
du mir gute Worte gibst und mich von dir gehen heißest mit all der
Schuld auf dem Gewissen.  Schlage mich, tritt mich mit Füßen,
verwünsche mich!--oder, wenn es wahr ist, daß du mich lieb hast, noch,
nach alle dem Bösen, das ich dir getan habe, da nimm mich und
behalte mich und mach mit mir, was du willst.  Aber schick mich nicht
so fort von dir!--Neues heftiges Schluchzen unterbrach sie.

Er hielt sie eine Weile sprachlos in den Armen.  Ob ich dich noch
liebe? rief er endlich.  Heilige Mutter Gottes, meinst du, es sei all
mein Herzblut aus der kleinen Wunde von mir gewichen?  Fühlst du's
nicht da in meiner Brust hämmern, als wollt' es heraus und zu dir?
Wenn du's nur sagst, um mich zu versuchen oder weil du Mitleiden mit
mir hast, so geh und ich will auch das noch vergessen.  Du sollst
nicht denken, daß du mir's schuldig bist, weil du weißt, was ich um
dich leide.

Nein, sagte sie fest und sah von seiner Schulter auf und ihm mit den
nassen Augen heftig ins Gesicht, ich liebe dich, und daß ich's nur
sage, ich hab es lange gefürchtet und dagegen getrotzt.  Und nun will
ich anders werden, denn ich kann's nicht mehr aushalten, dich nicht
anzusehn, wenn du mir auf der Gasse vorüberkommst.  Nun will ich dich
auch küssen, sagte sie, daß du dir sagen kannst, wenn du wieder in
Zweifel sein solltest: Sie hat mich geküßt, und Laurella küßt keinen,
als den sie zum Manne will.

Sie küßte ihn dreimal und dann machte sie sich los und sagte: Gute
Nacht, mein Liebster!  Geh nun schlafen und heile deine Hand, und geh
nicht mit mir, denn ich fürchte mich nicht, vor keinem, als nur vor
dir.

Damit huschte sie durch die Tür und verschwand in den Schatten der
Mauer.  Er aber sah noch lange durchs Fenster, aufs Meer hinaus, über
dem alle Sterne zu schwanken schienen.



Als der kleine Padre Curato das nächste Mal aus dem Beichtstuhl kam,
in dem Laurella lange gekniet hatte, lächelte er still in sich hinein.
Wer hätte gedacht, sagte er bei sich selbst, daß Gott sich so
schnell dieses wunderlichen Herzens erbarmen würde.  Und ich machte
mir noch Vorwürfe, daß ich den Dämon Eigensinn nicht härter bedräut
hatte.  Aber unsere Augen sind kurzsichtig für die Wege des Himmels.
Nun so segne sie der Herr und lasse mich's erleben, daß mich
Laurellas ältester Bube einmal an seines Vaters Statt über Meer führt.
Ei ei ei! l'Arrabbiata!


Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes L'Arrabbiata von Paul Heyse.





End of the Project Gutenberg EBook of L'Arrabbiata, by Paul Heyse

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK L'ARRABBIATA ***

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