Noa Noa

By Paul Gauguin

The Project Gutenberg eBook of Noa Noa, by Paul Gauguin

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Title: Noa Noa

Author: Paul Gauguin

Translator: Luise Wolf

Release Date: August 1, 2020 [eBook #62800]
[Most recently updated: October 16, 2021]

Language: German


Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NOA NOA ***




                         PAUL GAUGUIN, NOA NOA


                          MIT ACHT ABBILDUNGEN


                              PAUL GAUGUIN




                                NOA NOA


                       VERLAG VON BRUNO CASSIRER
                                 BERLIN


                         DEUTSCH VON LUISE WOLF

                             9.-12. TAUSEND






                                             »Dites, qu'avez-vous vu?«

                                                   Charles Baudelaire.

Nach dreiundsechzigtägiger Überfahrt, dreiundsechzig Tagen fieberhafter
Erwartung, bemerkten wir am 8. Juni in der Nacht seltsame Feuer, die
sich im Zickzack auf dem Meere bewegten. Von dem dunkeln Himmel löste
sich ein schwarzer Kegel mit zackigen Einschnitten.

Wir umschifften Morea und hatten Tahiti vor uns.

Einige Stunden später begann der Tag zu grauen, wir näherten uns langsam
den Klippen, liefen in das Fahrwasser ein und landeten ohne Unfall an
der Rhede.

Der erste Anblick dieses Teils der Insel bietet nichts
Außergewöhnliches, nichts, das sich z. B. mit der herrlichen Bucht von
Rio de Janeiro vergleichen ließe.

Es ist der Gipfel eines zur Zeit der Sintflut überschwemmten Berges. Nur
die äußerste Spitze ragte aus der Flut hervor: eine Familie flüchtete
sich dahin und gründete ein neues Geschlecht -- dann kletterten die
Korallen daran empor, setzten sich rings um die Bergspitze fest und
bildeten im Laufe der Jahrhunderte neues Land. Es dehnt sich immer noch
aus, bewahrt aber den ursprünglichen Charakter der Einsamkeit und
Abgeschiedenheit, die das Meer in seiner Unendlichkeit noch erhöht.

Um zehn Uhr morgens stellte ich mich bei dem Gouverneur, dem Neger
Lacascade, vor, der mich wie eine Persönlichkeit von Ansehen empfing.

Ich verdankte diese Ehre meiner Mission, mit der die französische
Regierung mich -- ich weiß nicht warum -- betraut hatte. Allerdings war
es eine künstlerische Mission, aber in den Augen des Negers war dies
Wort nur das offizielle Synonym für Spionage, und ich bemühte mich
vergebens, ihn davon abzubringen. Jedermann in seiner Umgebung teilte
seine irrige Ansicht, und als ich sagte, daß meine Mission unbezahlt
sei, wollte mir dies niemand glauben.

                   *       *       *       *       *

Das Leben zu Papeete wurde mir bald zur Last.

Das war ja Europa -- das Europa, von dem ich mich zu befreien geglaubt
hatte! -- und dazu noch unter den erschwerenden Umständen des kolonialen
Snobismus und der bis zur Karikatur grotesken Nachahmung unserer Sitten,
Moden, Laster und Kulturlächerlichkeiten.

Sollte ich einen so weiten Weg gemacht haben, um das zu finden, gerade
das, dem ich entflohen war!

Aber ein öffentliches Ereignis interessierte mich doch.

Der König Pomare war zu dieser Zeit tödlich erkrankt, und die
Katastrophe wurde täglich erwartet.

Die Stadt hatte allmählich ein sonderbares Aussehen angenommen.

Alle Europäer, Kaufleute, Beamte, Offiziere und Soldaten lachten und
sangen wie sonst auf den Straßen, während die Eingeborenen sich mit
ernsten Mienen und gedämpfter Stimme vor dem Palast unterhielten.

An der Rhede auf dem blauen Meer mit seiner in der Sonne oft jäh
aufblitzenden, silberfunkelnden Klippenreihe herrschte eine
ungewöhnliche Bewegung orangefarbener Segel. Es waren die Bewohner der
benachbarten Inseln, die herbeieilten, den letzten Augenblicken ihres
Königs -- Frankreichs definitiver Besitznahme ihres Landes beizuwohnen.

Durch Zeichen von oben hatten sie Kunde davon erhalten: denn jedesmal,
wenn ein König im Sterben liegt, bedecken die Berge sich an bestimmten
Stellen bei Sonnenuntergang mit dunkeln Flecken.

Der König starb und ward in großer Admiralsuniform öffentlich in seinem
Palast ausgestellt.

Dort sah ich die Königin Maraü -- dies war ihr Name --, die den
königlichen Saal mit Blumen und Stoffen schmückte. -- Als der Leiter der
öffentlichen Arbeiten mich wegen der künstlerischen Ausstattung des
Leichenbegängnisses um Rat fragte, wies ich ihn an die Königin, die mit
dem schönen Instinkt ihrer Rasse überall Anmut um sich verbreitete und
alles, was sie berührte, zu einem Kunstwerk gestaltete.

Bei dieser ersten Begegnung verstand ich sie jedoch nur unvollkommen.
Menschen und Dinge, die so verschieden von denen waren, wie ich sie
gewünscht, hatten mich enttäuscht, ich war angewidert von dieser ganzen
europäischen Trivialität und zu kurze Zeit im Lande, um erkennen zu
können, wieviel sich in dieser eroberten Rasse unter der künstlichen,
verderblichen Tünche unserer Einführungen noch von Nationalität,
Ursprünglichkeit und primitiver Schönheit erhalten hatte, ich war in
mancher Beziehung noch blind. Ich sah auch in dieser bereits etwas
reifen Königin nichts als eine gewöhnliche dicke Frau mit Spuren von
edler Schönheit. Als ich sie später wiedersah, änderte ich mein erstes
Urteil, ich unterlag dem Reize ihres »maorischen Zaubers«. Trotz aller
Mischung war der tahitische Typus bei ihr sehr rein. Und dann gab die
Erinnerung an ihren Vorfahren, den großen Häuptling Tati, ihr wie ihrem
Bruder und der ganzen Familie ein Ansehen von wahrhaft imposanter Größe.
Sie hatte die majestätische, prachtvolle Gestalt der Rasse dort, groß
und doch anmutig, die Arme wie die Säulen eines Tempels einfach und
fest, und der ganze Körperbau, diese gerade horizontale Schulterlinie,
die oben spitz auslaufende Höhe erinnerte mich unwillkürlich an das
heilige Dreieck, das Symbol der Dreieinigkeit. -- In ihren Augen blitzte
es zuweilen wie von vage auftauchender Leidenschaft, die sich jäh
entzündet und alles ringsum entflammt, -- und so vielleicht sind die
Inseln selber einst aus dem Ozean aufgetaucht und die Pflanzen darauf
beim ersten Sonnenstrahl erblüht.

Alle Tahitaner kleideten sich in Schwarz und sangen zwei Tage lang
Trauerweisen und Totenklagen. Mir war, als hörte ich die Sonate
Pathétique.

Dann kam der Tag der Bestattung.

Um zehn Uhr morgens verließ der Zug den Palast. Truppe und Behörden in
weißem Helm und schwarzem Frack, die Eingeborenen in ihrer düstern
Tracht. Alle Distrikte marschierten in der Reihenfolge, und der Anführer
eines jeden trug die französische Fahne.

Bei Aruë wurde haltgemacht. Dort erhebt sich ein unbeschreibliches
Monument, ein unförmlicher Haufen mit Zement verbundener Steine, der zu
der Umgebung und der Atmosphäre in peinlichem Kontrast steht.

Lacascade hielt eine Rede nach bekanntem Muster, die ein Dolmetscher für
die anwesenden Franzosen übersetzte. Dann folgte eine Predigt des
protestantischen Pastors, auf die Tati, der Bruder der Königin, ein paar
Worte erwiderte -- das war alles. Man brach auf, und die Beamten
drängten sich in den Wagen zusammen, es erinnerte etwas an »die Rückkehr
von einem Rennen«.

Unterwegs, wo die Gleichgültigkeit der Franzosen den Ton angab, fand
dieses seit mehreren Tagen so ernste Volk seine Fröhlichkeit wieder. Die
Vahinas nahmen wieder den Arm ihrer Tanés, sprachen lebhaft und wiegten
sich in den Hüften, während ihre kräftigen nackten Füße den Staub des
Weges aufwühlten.

In der Nähe des Flusses Fatüa zerstreute sich alles. Zwischen den
Steinen versteckt, kauerten hier und dort Frauen mit bis zum Gürtel
aufgenommenen Röcken im Wasser, um ihre Hüften und die vom Marsch und
von der Hitze ermüdeten Beine zu erfrischen. So gereinigt machten sie
sich, stolz den Busen tragend, über dem der dünne Musselin sich
straffte, mit der Grazie und Elastizität junger gesunder Tiere wieder
auf den Weg nach Papeete. Ein gemischtes, halb animalisches, halb
pflanzliches Parfüm strömte von ihnen aus, das Parfüm ihres Blutes und
der Gardenien -- Tiaré --, die alle in den Haaren trugen.

-- _Téiné merahi noa noa_ (jetzt sehr wohlriechend), sagten sie.

                   *       *       *       *       *

... Die Prinzessin trat in meine Kammer, wo ich leidend, nur mit einem
Paréo[1] bekleidet, auf dem Bett lag. Wahrlich keine Art, eine Frau von
Rang zu empfangen.

_Ja orana_ (ich grüße dich), Gauguin, sagte sie. Du bist krank, ich
komme, um nach dir zu sehen.

-- Und du heißest?

-- Vaïtüa.

Vaïtüa war eine wirkliche Prinzessin, wenn es solche überhaupt noch
gibt, seitdem die Europäer alles auf ihr Niveau herabgedrückt haben.
Freilich war sie als einfache Sterbliche mit nackten Füßen, eine
duftende Blume hinterm Ohr, in schwarzem Kleide gekommen. Sie ging in
Trauer um den König Pomare, dessen Nichte sie war. Ihr Vater, Tamatoa,
hatte trotz der unvermeidlichen Berührung mit Offizieren und Beamten,
trotz der Empfänge bei dem Admiral, niemals etwas anders sein wollen als
ein königlicher Maorie, ein gigantischer Raufbold in Momenten des
Zornes, und bei abendlichen Orgien ein berühmter Zecher. Er war
gestorben. Vaïtüa, behauptete man, gliche ihm sehr.

Ein skeptisches Lächeln auf den Lippen, betrachtete ich diese gefallene
Prinzessin mit der Dreistigkeit des eben auf der Insel gelandeten
Europäers. Aber ich wollte höflich sein.

-- Es ist sehr freundlich von dir, daß du gekommen bist, Vaïtüa. Wollen
wir zusammen einen Absinth trinken?

Und mit dem Finger weise ich in eine Ecke der Kammer auf eine Flasche,
die ich soeben gekauft hatte.

Ohne Unmut noch Freude zu zeigen, geht sie einfach hin und bückt sich,
um die Flasche zu nehmen. Bei dieser Bewegung spannte ihr leichtes,
durchsichtiges Kleid sich über den Lenden, -- es waren Lenden, eine Welt
zu tragen! O, sicherlich war es eine Prinzessin! Ihre Vorfahren? Stolze,
tapfere Riesen. Fest saß ihr stolzer, wilder Kopf auf den breiten
Schultern. Zuerst sah ich nur ihre Menschenfresserkiefer, ihre zum
Zerreißen bereiten Zähne, den lauernden Blick eines grausamen, listigen
Tieres und fand sie trotz einer schönen edlen Stirn sehr häßlich.

Wenn ihr nur nicht einfiele, sich auf mein Bett zu setzen! Ein so
schwaches Gestell könnte uns beide ja nicht tragen ...

Aber gerade das tut sie.

Das Bett krachte, hielt es jedoch aus.

Beim Trinken wechseln wir einige Worte. Die Unterhaltung will aber nicht
lebhaft werden. Sie ermattet schließlich, und es herrscht Schweigen. Ich
beobachte die Prinzessin insgeheim, sie sieht mich aus einem Augenwinkel
verstohlen an, die Zeit geht hin, und die Flasche leert sich. Vaïtüa
trinkt tapfer. Sie dreht sich eine tahitische Zigarette und streckt sich
auf dem Bett aus, um zu rauchen. Ihre Füße streichen ganz mechanisch
fortwährend über das Holz unten am Fußende, ihre Züge besänftigen sich,
werden sichtlich weich, ihre Augen glänzen -- und ein regelmäßiges
Pfeifen entschlüpft ihren Lippen -- mir war, als hörte ich das Schnurren
einer Katze, die auf blutige Genüsse sinnt.

Da ich veränderlich bin, fand ich sie jetzt sehr schön, und als sie mit
bewegter Stimme sagte: »Du gefällst mir«, überkam mich eine große
Unruhe. Die Prinzessin war entschieden köstlich ...

Ohne Zweifel, um mir zu gefallen, begann sie eine Fabel von La Fontaine,
die _Grille und die Ameise_ zu erzählen -- eine Erinnerung aus der Zeit
ihrer Kindheit bei den Schwestern, die sie unterrichtet hatten.

Die ganze Zigarette war in Brand.

-- Weißt du, Gauguin, sagte die Prinzessin, und erhob sich, ich liebe
deinen La Fontaine nicht.

-- Wie? Unsern guten La Fontaine?

-- Vielleicht ist er gut, aber seine Moral ist häßlich. Ameisen ... (ihr
Mund drückte Abscheu aus). Ja, Grillen, die, ah! Singen, singen, immer
singen!

Und stolz, ohne mich anzusehen, mit leuchtenden, ins Weite blickenden
Augen fügte sie hinzu:

-- Wie herrlich war unser Reich, als noch nichts verkauft wurde! Das
ganze Jahr hindurch wurde gesungen ... Singen, immer! Immer geben! ...

Und sie ging.

Ich legte mich wieder auf mein Kissen zurück, und lange klangen die
Worte: _Ja orana_, Gauguin, schmeichelnd in mir nach.

Diese Episode, die mir mit dem Tode des Königs Pomare in Erinnerung
geblieben ist, hat tiefere Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen als
das Ereignis und die offizielle Feier.

Die Bewohner von Papeete selber, sowohl Eingeborene wie Weiße, vergaßen
den Verblichenen schnell. Die von den Nachbarinseln gekommen waren, um
dem königlichen Leichenbegängnis beizuwohnen, fuhren wieder fort, noch
einmal kreuzten Tausende von orangefarbenen Segeln das blaue Meer, und
alles nahm wieder seinen gewohnten Gang.

Es gab nur einen König weniger.

Mit ihm verschwanden die letzten Spuren alter Traditionen. Mit ihm
schloß die Geschichte der Maorie ab. Sie war zu Ende. Die Zivilisation
-- Soldaten, Handel und Beamtentum -- triumphierte, leider!

Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich meiner. Der Traum, welcher mich
nach Tahiti geführt, wurde durch die Tatsachen grausam verscheucht. Ich
liebte das Tahiti von eh, das jetzige flößte mir Grauen ein.

Doch als ich die noch erhaltene physische Schönheit der Rasse sah,
konnte ich nicht daran glauben, daß sie nichts von ihrer antiken Größe,
von ihren persönlichen und natürlichen Sitten, von ihrem Glauben und
ihren Legenden bewahrt haben sollte. Aber wie die Spuren dieser
Vergangenheit, wenn sie solche hinterlassen hat, allein entdecken? wie
sie ohne Führung erkennen? Wie das Feuer wieder entzünden, von dem
selbst die Asche zerstreut ist?

So niedergeschlagen ich auch sein mag, pflege ich mein Vorhaben doch
niemals aufzugeben, ohne alles, selbst »das Unmögliche« versucht zu
haben, um zum Ziele zu gelangen.

Mein Entschluß war bald gefaßt. Ich beschloß, Papeete zu verlassen, mich
von dem europäischen Mittelpunkt zu entfernen.

Ich fühlte, daß, wenn ich das Leben der Eingeborenen im Busch völlig mit
ihnen teilte, ich allmählich das Vertrauen der Maorie gewinnen und --
sie kennenlernen würde.

Und eines Morgens machte ich mich in meinem Wagen auf, den ein Offizier
mir liebenswürdig zur Verfügung gestellt hatte, um »meine Hütte« zu
suchen.

Meine Vahina namens Titi begleitete mich. Halb englischer, halb
tahitischer Abstammung sprach sie etwas Französisch. Für diese Fahrt
hatte sie ihr schönstes Kleid angelegt, die Tiaré hinterm Ohr, ihren
oben mit Band, unten mit Strohblumen und einer Garnitur orangefarbener
Muscheln geputzten Basthut aufgesetzt und das lange schwarze Haar
aufgelöst über die Schultern hängen. Sie war stolz, in einem Wagen zu
fahren, stolz, so elegant und die Vahina eines Mannes zu sein, den sie
für einflußreich und vermögend hielt, und war wirklich hübsch in ihrem
Stolz, der nichts Lächerliches hatte, so sehr paßt die majestätische
Miene zu dieser Rasse, die im Andenken an die weit zurückreichende
Geschichte ihrer Herrschaft und eine unbestimmte Reihe großer Häuptlinge
diesen herrlichen Stolz bewahrt. -- Ich wußte zwar, daß ihre sehr
berechnete Liebe in den Augen der Pariser nicht schwerer gewogen hätte
als die feile Gefälligkeit einer Dirne. Aber die Liebesglut einer
maorischen Kurtisane ist etwas ganz anderes als die Passivität einer
Pariser Kokotte -- ganz etwas anderes! Es ist ein Feuer in ihrem Blute,
das Liebe, seine eigentliche Nahrung, erweckt, das Liebe atmet. Diese
Augen und dieser Mund können nicht lügen, ob uneigennützig oder nicht,
es spricht immer Liebe aus ihnen.

Der Weg durch die reiche und einförmige Landschaft war bald
zurückgelegt. Zur Rechten immer das Meer, die Korallenriffe und
Wasserfälle, die zuweilen wie Dampf zerstoben, wenn die Wellen in zu
ungestüme Berührung mit den Felsen kamen. Zur Linken den Busch mit der
Aussicht auf große Wälder.

Mittags hatten wir unsere fünfundvierzig Kilometer hinter uns und
erreichten den Distrikt von Mataiëa.

Ich sah mich um und fand schließlich eine leidlich hübsche Hütte, die
der Eigentümer mir zur Miete überließ. Er baute sich daneben eine neue,
die er bewohnen wollte.

Am Abend des nächsten Tages, als wir nach Papeete zurückkehrten, fragte
mich Titi, ob ich sie nicht mit mir nehmen wolle.

-- Später, in einigen Tagen, wenn ich eingerichtet sein werde, sagte
ich.

Titi hatte in Papeete einen furchtbaren Ruf, nachdem sie mehrere
Liebhaber unter die Erde gebracht. Aber nicht das machte mich ihr
abwendig. Sie hatte als halbe Weiße, und trotz Spuren tiefer,
origineller und echt maorischer Eigentümlichkeiten durch zahlreiche
Beziehungen viel von ihren »Rassemerkmalen« eingebüßt. Ich fühlte, daß
sie mich nichts von dem lehren konnte, was ich wissen wollte, und mir
nichts von dem erlesenen Glück gewähren, das ich begehrte.

Außerdem sagte ich mir, daß ich auf dem Lande finden würde, was ich
suchte und nur zu wählen brauchte.

                   *       *       *       *       *

Von einer Seite das Meer, an der anderen das Gebirge, zerklüftetes
Gebirge, ein enormer Spalt, den ein an dem Felsen lehnender, hoher
Mangobaum verdeckt.

Zwischen Berg und Meer steht meine Hütte vom Holze des Bourao. Daneben
eine zweite, die ich nicht bewohne, _die faré amu_ (Speisehütte).

Morgen.

Auf dem Meere nahe am Strande sehe ich eine Piroge[2] und darin eine
halbnackte Frau. Am Strande einen Mann, ebenfalls unbekleidet. Ein
kranker Kokosnußbaum mit verschrumpften Blättern gleicht einem
ungeheuren Papagei, der seinen vergoldeten Schwanz herabhängen läßt und
eine volle Traube in den Krallen hält. Mit harmonischer Gebärde hebt der
Mann mit beiden Händen ein schweres Beil, das oben auf dem silbrigen
Himmel eine blaue Spur, unten einen rosigen Einschnitt auf dem
abgestorbenen Stamme hinterläßt, wo die von Tag zu Tag aufgesparte Glut
von Jahrhunderten in den Flammen eines Augenblicks wieder aufleben wird.

Lange schlangenartige Blätter von einem metallischen Gelb auf dem
purpurnen Boden gemahnten mich an die Züge einer geheimen, religiösen,
alten Schrift. Deutlich bildeten sie das heilige Wort australischen
Ursprungs ATUA -- Gott -- den Taäta oder Takata oder Tathagata, der in
ganz Indien überall herrschte. Und wie eines mystischen Zuspruchs in
meiner schönen Einsamkeit und meiner schönen Armut erinnerte ich mich
wieder der Worte des Weisen:

   In den Augen des Tathagata ist die herrlichste Pracht von Königen
   und seinen Ministern nichts als Auswurf und Staub.

   In seinen Augen ist Reinheit und Unreinheit wie der Tanz der sechs
   Nagas.

   In seinen Augen ist das Suchen nach dem Anblick des Buddha gleich
   den Blumen.

In der Piroge ordnete die Frau einige Netze.

Die blaue Linie des Meeres wurde häufig von dem Grün der Wogenkämme
unterbrochen, die an den Korallenriffen brandeten.

Abend.

Ich war an den Strand gegangen, um eine Zigarette zu rauchen.

Die rasch bis zum Horizont gesunkene Sonne versteckte sich schon zur
Hälfte hinter der Insel Morea, die mir zur Rechten lag. In dem Zwielicht
standen die Berge, deren Vorsprünge alten, mit Zinnen gekrönten
Schlössern glichen, in festen schwarzen Silhouetten auf der violetten
Glut des Himmels.

Kein Wunder, daß mich vor diesen natürlichen Bauwerken
Herrscher-Visionen verfolgen! Der Gipfel dort unten hat die Gestalt
eines riesigen Helmes. Die Wogen ringsum, deren Rauschen wie das Lärmen
einer gewaltigen Menge klingt, werden ihn niemals erreichen. Unter der
Ruinenpracht steht der Helm allein, Beschützer und Zeuge, ein Nachbar
des Himmels. Ich fühle von dem Haupte droben einen heimlichen Blick in
die Wasser tauchen, die einst das sündige Geschlecht der Lebenden
verschlungen hatten, und von dem weiten Spalt, der sein Mund sein
könnte, fühle ich ein Lächeln der Ironie oder des Mitleids über das
Wasser schweifen, wo die Vergangenheit schläft.

Die Nacht brach schnell herein. Morea schlief.

                   *       *       *       *       *

Stille! Ich lernte die Stille einer tahitischen Nacht kennen.

Ich vernahm nichts als das Schlagen meines Herzens in der Stille.

Aber die Mondstrahlen fielen durch das in gleicher Entfernung
voneinander stehende Bambusrohr vor meiner Hütte bis auf mein Bett. Und
dieser gleichmäßige Schein erweckte in mir die Vorstellung eines
Musikinstrumentes, der Rohrpfeife der Alten, die den Maories bekannt ist
und von ihnen _Vivo_ genannt wird. Mond und Bambusrohr zeichneten es
übertrieben: als ein Instrument, das tagsüber schweigt, aber nachts,
dank dem Monde, dem Träumer liebe Melodien ins Gedächtnis zurückruft.
Ich schlief bei dieser Musik ein.

Zwischen dem Himmel und mir nichts als das hohe, leichte Dach von
Pandanusblättern, in denen die Eidechsen nisten.

Ich bin weit fort von jenen Gefängnissen, den europäischen Häusern!

Eine maorische Hütte trennt den Menschen nicht vom Leben, von Raum und
Unendlichkeit ...

Indessen fühlte ich mich dort sehr einsam.

Die Bewohner der Gegend und ich beobachteten einander gegenseitig, und
der Abstand zwischen uns blieb der gleiche.

Seit dem zweiten Tage waren meine Vorräte erschöpft. Was tun? Ich hatte
geglaubt, für Geld alles Notwendige zu finden. Ich hatte mich jedoch
getäuscht. Sobald man die Stadt verlassen hat, muß man sich an die Natur
halten, um zu leben, und sie ist reich, sie ist freigebig und verweigert
keinem einen Anteil an ihren Schätzen, die unerschöpflich an Bäumen, in
den Bergen und im Meere aufgespeichert sind. Aber man muß verstehen, auf
die hohen Bäume zu klettern, die Berge zu besteigen und mit schwerer
Beute beladen zurückkehren, man muß Fische fangen, tauchen, auf dem
Meeresgrund die fest an den Steinen haftenden Muscheln losreißen können,
-- man muß wissen, muß können.

Ich, der Kulturmensch, stand in dieser Hinsicht weit hinter den Wilden
zurück. Ich beneidete sie. Ich sah ihr glückliches, friedliches Leben um
mich her, ohne größere Anstrengung, als die täglichen Bedürfnisse es
erforderten -- ohne die geringste Sorge um Geld. Wem sollte man etwas
verkaufen, wo die Erzeugnisse der Natur jedem zu Gebote stehen?

Da, als ich mit leerem Magen auf der Schwelle meiner Hütte saß und
betrübt an meine Lage und die unvorhergesehenen, vielleicht
unüberwindlichen Hindernisse dachte, die die Natur zwischen sich und den
Kulturmenschen stellt -- bemerkte ich einen Eingeborenen, der mir
gestikulierend etwas zurief. Die sehr ausdrucksvollen Gebärden ersetzten
die Worte, und ich verstand, daß mein Nachbar mich zum Essen einlud. Mit
einem Kopfschütteln lehnte ich ab. Dann ging ich beschämt, ich glaube
ebensosehr, weil ich das Anerbieten zurückgewiesen, wie wenn ich es
angenommen hätte, in meine Hütte zurück.

Nach einigen Minuten stellte ein kleines Mädchen, ohne etwas zu sagen,
gekochtes Gemüse und sauber von frisch gepflückten grünen Blättern
umhüllte Früchte vor meine Tür. Ich war hungrig. Und ebenfalls ohne ein
Wort zu sagen, nahm ich es an.

Kurz darauf ging der Mann an meiner Hütte vorüber und fragte lächelnd,
ohne stehen zu bleiben:

-- Païa?

Ich erriet: Bist du zufrieden?

Das war der Beginn gegenseitiger Vertraulichkeit zwischen mir und den
Wilden.

»Wilde!« dieses Wort kam mir unwillkürlich über die Lippen, als ich
diese schwarzen Wesen mit den Kannibalen-Zähnen betrachtete. Doch bald
erkannte ich ihre echte, ihre fremdartige Anmut ... Wie jenes braune
Köpfchen mit den sanften niedergeschlagenen Augen, jenes Kind unter
Büschen großer Blätter des Giromon mich eines Morgens ohne mein Wissen
beobachtete und entfloh, als mein Blick dem seinen begegnete ...

Wie sie mir, war ich ihnen ein Gegenstand der Beobachtung und eine
Ursache des Staunens, einer, dem alles neu war, der nichts kannte. Denn
ich kannte weder ihre Sprache, noch ihre Gebräuche, selbst nicht die
einfachsten notwendigen Handgriffe. -- Wie jeder von ihnen für mich, war
ich für jeden von ihnen ein Wilder.

Und wer von uns beiden hatte recht?

Ich versuchte zu arbeiten, machte allerlei Notizen und Skizzen.

Aber die Landschaft mit ihren starken, reinen Farben blendete mich,
machte mich blind. Ich war immer unentschieden, suchte und suchte ...

Und dabei war es so einfach zu malen, wie ich es sah, ohne viel
Überlegung ein Rot neben ein Blau zu setzen! Vergoldete Gestalten in
Bächen und am Strande entzückten mich, warum zögerte ich, diesen
Sonnenjubel auf meine Leinwand zu bannen.

Oh! diese alten europäischen Überlieferungen! die furchtsame
Ausdrucksart entarteter Rassen!

Um mich mit dem eigentümlichen Charakter eines tahitischen Gesichts
vertraut zu machen, wollte ich das Porträt einer meiner Nachbarinnen,
einer jungen Frau rein tahitischer Abstammung, machen. -- Eines Tages
faßte sie sich ein Herz, in meine Hütte zu kommen und sich Photographien
von Bildern anzusehen, mit denen ich eine Wand meiner Kammer tapeziert
hatte. Sie betrachtete sie lange, mit ganz besonderem Interesse die
_Olympia_.

-- Wie gefällt dir das? fragte ich sie. (Ich hatte in den zwei Monaten,
wo ich nicht mehr fanzösisch sprach, ein paar tahitische Worte gelernt.)

Meine Nachbarin erwiderte:

-- Sie ist sehr schön.

Ich lächelte über diese Bemerkung, und sie rührte mich. Hatte sie denn
Verständnis für das Schöne? Was aber würden die Professoren der Akademie
der Schönen Künste dazu sagen?

Nach einem fühlbaren Schweigen, wie es einer Gedankenfolgerung
vorauszugehen pflegt, fügte sie plötzlich hinzu:

-- Ist das deine Frau?

-- Ja.

Ich scheute diese Lüge nicht. Ich, der _Tané_ der schönen Olympia!

Während sie neugierig einige religiöse Kompositionen der italienischen
Primitiven prüfte, begann ich eilig, ohne daß sie es sah, ihr Porträt zu
skizzieren.

Sie merkte es plötzlich, rief schmollend -- Aïta! (Nein) und lief davon.

Eine Stunde später war sie in einem schönen Kleid, die Tiaré hinterm
Ohr, wieder da. -- Geschah es aus Koketterie? aus Freude, nach der
Weigerung freiwillig nachzugeben? Oder war es einfach das Lockende der
verbotenen Frucht, die man sich selber verwehrt? Oder noch einfacher
vielleicht bloße Laune, ohne jeden andern Beweggrund, wie die Maories
sie gewohnt sind?

Ohne Zögern machte ich mich an die Arbeit, ohne Zögern und fieberhaft.
Ich war mir bewußt, daß von meiner Leistung als Maler die physische und
moralische Ergebenheit des Modells, eine rasche, stillschweigende,
unweigerliche Einwilligung abhing.

Nach unsern Regeln der Ästhetik war sie wenig schön.

Aber sie war schön.

Ihre Züge waren von einer raffaelischen Harmonie, und den Mund hatte ein
Bildhauer modelliert, der es versteht, in eine einzige bewegliche Linie
alle Freude und alles Leid zu legen.

Ich arbeitete hastig und leidenschaftlich, denn ich wußte wohl, daß auf
die Zustimmung noch nicht zu rechnen war. Ich zitterte davor, in diesen
großen Augen Furcht zu lesen und Verlangen nach dem Unbekannten, die
Melancholie bitterer Erfahrung, die jeder Lust zugrunde liegt, wie das
unfreiwillige, souveräne Gefühl der Selbstbeherrschung. Solche Geschöpfe
scheinen uns zu unterliegen, wenn sie sich uns geben, und unterliegen
doch nur ihrem eigenen Willen. Sie beherrscht eine Kraft, die etwas
Übermenschliches hat -- oder vielleicht etwas göttlich Animalisches.

                   *       *       *       *       *

Jetzt arbeitete ich freier, besser.

Aber meine Einsamkeit quälte mich. Ich sah in dieser Gegend zwar junge
Frauen und Mädchen mit ruhigem Blick, echte Tahitianerinnen, und einige
darunter hätten vielleicht gern das Leben mit mir geteilt. -- Aber ich
wagte nicht sie anzureden. Sie schüchterten mich wirklich ein mit ihrem
sicheren Blick, der Würde ihrer Haltung und den stolzen Gebärden.

Dennoch wollen alle »genommen«, buchstäblich brutal genommen sein
(_maü_, ergreifen), ohne ein Wort. Alle haben den geheimen Wunsch nach
Vergewaltigung: weil durch diesen Akt männlicher Autorität der Weibwille
seine volle Unverantwortlichkeit behält -- denn so hat es ja nicht seine
Einwilligung zum Beginn einer dauernden Liebe gegeben. Möglich, daß
dieser erst so empörenden Gewalt ein tiefer Sinn zugrunde liegt, möglich
auch, daß sie ihren wilden Reiz hat. Ich dachte wohl daran, aber ich
wagte es nicht.

Und dann hielt man mehrere von ihnen für krank, von jener Krankheit
befallen, die den Wilden als erste Stufe des Kulturlebens von den
Europäern gebracht wird ...

Und wenn die Alten, auf eine von ihnen weisend, zu mir sagten:

-- Maü téra (nimm diese), hatte ich weder die notwendige Kühnheit noch
Vertrauen. Ich ließ Titi sagen, daß ich sie mit Vergnügen wieder
aufnehmen wolle.

Sie kam sogleich.

Der Versuch mißglückte, und an der Langeweile, die ich in der
Gesellschaft dieser an den banalen Luxus der Beamten gewöhnten Frau
empfand, konnte ich ermessen, welche Fortschritte ich bereits in dem
schönen Leben der Wilden gemacht hatte.

Nach Verlauf einiger Wochen schieden Titi und ich für immer voneinander.

Ich war wieder allein.

                   *       *       *       *       *

Meine Nachbarn sind mir Freunde geworden. Ich esse und kleide mich wie
sie. Wenn ich nicht arbeite, teile ich ihr Leben der Einfalt und der
Freude, das sich zuweilen jäh in Ernst verwandelt.

Abends versammelt man sich in Gruppen am Fuße der buschigen Sträucher,
die die zerzausten Wipfel der Kokosnußbäume überragen, oder Männer und
Frauen, Greise und Kinder vereinen sich. Die einen stammen aus Tahiti,
andere von den Tongas- und wieder andere von den Marquesas-Inseln. Die
matten Töne ihrer Körper stimmen harmonisch zu dem Sammet des Laubes,
und aus ihrer kupfernen Brust steigen zitternd Melodien, die von den
rauhen Stämmen der Kokosnußbäume gedämpft zurückgeworfen werden. Es sind
tahitische Gesänge, die _Iménés_.

Eine Frau beginnt, ihre Stimme erhebt sich gleich einem Vogel im Fluge
und geht durch alle Töne bis zum höchsten der Tonleiter, steigt und
singt in starken Modulationen und schwebt schließlich über den Stimmen
der übrigen Frauen, die ihrerseits nun auffliegen, wenn man so sagen
darf, ihr folgen und sie getreulich begleiten. Mit einem einzigen
gutturalen, barbarischen Schrei schließen zuletzt alle Männer einstimmig
den Gesang.

Zuweilen kommt man zum Plaudern oder Singen in einer Hütte zusammen.

Mit einem Gebet wird begonnen, ein Greis spricht es gewissenhaft vor,
und alle Anwesenden wiederholen es. Dann wird gesungen, oder es werden
lustige Geschichten erzählt. Der Inhalt dieser Erzählungen ist sehr
zart, kaum greifbar, es sind in das Gewebe gestickte, durch ihre
Naivität so feine Details, die sie belustigen.

Seltener gibt man sich mit der Erörterung ernster Fragen oder weiser
Vorschläge ab. Eines Abends wurde folgender gemacht, den ich nicht ohne
Staunen hörte:

-- In unserm Dorf, sagte ein Greis, sieht man hier und dort zerfallene
Häuser, geborstene Mauern und morsche halboffene Dächer, durch die Nässe
dringt, wenn es zufällig einmal regnet. Warum? Jedermann hat das Recht,
vor Wind und Wetter geschützt zu sein. Es fehlt weder an Holz noch an
Laub zur Herstellung der Dächer. Ich schlage vor, gemeinschaftlich
geräumige solide Hütten an Stelle der unbewohnbar gewordenen zu bauen.
Wir wollen alle der Reihe nach Hand anlegen.

Alle Anwesenden spendeten ihm ohne Ausnahme Beifall:

Der Antrag des Greises wurde einstimmig angenommen.

Ein kluges und gutes Volk, dachte ich, als ich abends nach Hause kam.

Aber am folgenden Tage, als ich mich nach dem Beginn der gestern
verabredeten Arbeit erkundigte, merkte ich, daß niemand mehr daran
dachte. Das tägliche Leben nahm wieder seinen Gang, und die von dem
weisen Ratgeber bezeichneten Häuser blieben zerfallen wie zuvor.

Auf meine Fragen erhielt ich nur ein ausweichendes Lächeln zur Antwort.

Aber gerunzelte Brauen zogen bedeutsame Linien in diese träumerischen
Stirnen.

Ich zog mich verwirrt, aber mit dem Gefühl zurück, eine tüchtige Lektion
von meinen Wilden erhalten zu haben. Sie taten wahrlich recht, dem
Vorschlag des Greises beizustimmen. Vielleicht hatten sie auch recht,
dem gefaßten Entschluß nicht weiter Folge zu leisten.

Wozu arbeiten? Die Götter sind da, ihren Getreuen von den Gütern der
Natur zu spenden.

-- Morgen?

-- Vielleicht! aber was auch geschehen mag, heiter und wohltätig wird
die Sonne morgen aufgeben, wie sie es heute getan.

Ist das Sorglosigkeit, Leichtsinn, Unbeständigkeit? Oder vielleicht
tiefe Philosophie? -- Wer weiß? Hütet euch vor dem Luxus! Hütet euch,
unter dem Vorwande der Vorsorge Geschmack daran zu finden und ihn für
notwendig zu halten ...

Das Leben gestaltete sich täglich besser. Ich verstehe die Sprache der
Maories jetzt ziemlich gut und werde sie bald ohne Mühe sprechen können.

Meine Nachbarn -- drei ganz in der Nähe und andere zahlreiche in einiger
Entfernung voneinander -- betrachten mich als einen der Ihren.

In der fortwährenden Berührung mit den Kieselsteinen sind meine Füße
abgehärtet und an den Boden gewöhnt. Mein fast beständig nackter Körper
leidet nicht mehr unter der Sonne.

Die Zivilisation verläßt mich allmählich.

Ich fange an einfach zu denken, nur wenig Haß gegen meinen Nächsten zu
empfinden -- eher ihn zu lieben.

Ich genieße alle Freuden des Lebens -- animalische wie menschliche. Bin
alles Erkünstelten, aller Konvention, aller Gewohnheiten ledig. Ich
komme der Wahrheit nahe, der Natur. Mit der Gewißheit, eine Reihe
freier, schöner Tage wie der heutige vor mir zu haben, senkt sich Friede
auf mich herab, ich entwickle mich normal und beschäftige mich nicht mit
unnützen Dingen.

Ich habe einen Freund gewonnen.

Er ist von selber zu mir gekommen, und ich darf gewiß sein, daß kein
niedriger Eigennutz ihn dazu veranlaßt hat.

Es ist einer meiner Nachbarn, ein schlichter, sehr schöner, junger
Bursche.

Meine farbigen Bilder und meine Holzschnitzereien haben seine Neugierde
geweckt; meine Antworten auf seine Fragen haben ihn belehrt. Es vergeht
kein Tag, an dem er mir nicht beim Malen oder Schnitzen zuschaut ...

Noch jetzt, nach so langer Zeit, erinnere ich mich gern der wahren,
echten Gefühle, die ich in dieser wahren, echten Natur erweckte.

Abends, wenn ich von meiner Arbeit ausruhte, plauderten wir miteinander.
Als neugieriger junger Wilder fragte er mich nach europäischem Leben,
besonders nach Liebessachen, und mehr als einmal brachten seine Fragen
mich in Verlegenheit.

Aber seine Antworten waren noch naiver als seine Fragen.

Eines Tages gab ich ihm meine Werkzeuge und ein Stück Holz, ich wollte,
daß er den Versuch machte zu schnitzen. Verwirrt und schweigend schaute
er mich erst an, dann gab er mir Holz und Werkzeug wieder zurück und
sagte schlicht und treuherzig, ich sei nicht wie die andern, ich
verstände Dinge, zu denen andere Menschen unfähig wären, und sei _andern
nützlich_.

Ich glaube, Jotéfa ist der erste Mensch, der mir das gesagt hat -- es
war die Sprache des Wilden oder des Kindes, denn man muß eins von beiden
sein, nicht wahr, um zu glauben, daß ein Künstler -- ein _nützlicher
Mensch_ sei.

                   *       *       *       *       *

Einmal brauchte ich Rosenholz zu meiner Schnitzerei. Ich wollte einen
festen starken Stamm und fragte Jotéfa um Rat.

-- Man muß in die Berge gehen, sagte er. Ich weiß an einer bestimmten
Stelle mehrere schöne Bäume. Wenn du willst, führe ich dich hin. Wir
fällen einen Baum, der dir zusagt, und tragen ihn zusammen her.

Zeitig am Morgen brachen wir auf. Die Fußsteige auf Tahiti sind ziemlich
beschwerlich für einen Europäer, und das Gehen im Gebirge erfordert,
selbst für die Eingeborenen, eine Kraftanstrengung, zu der sie sich
nicht unnötig entschließen.

Zwischen zwei Bergen, zwei steilen Basaltwänden, die nicht zu erklimmen
sind, gähnt ein Spalt, in dem das Wasser sich zwischen Felsblöcken
hindurchwindet, die sich von der Seitenwand gelöst haben, um einer
Quelle den Weg zu bahnen. Die zum Bach angewachsene Quelle hat an ihnen
gerüttelt und gerückt und sie schließlich etwas weiter fortgedrängt, bis
der Bach, zum Strom angeschwollen, sie mitgerissen und bis zum Meer
getragen. An jeder Seite dieses Baches führt, oft von wahren Kaskaden
unterbrochen, eine Art von Weg durch ein buntes Gemisch von Bäumen,
Brotbäumen, Eisenbäumen, Bouraos, Kokosnußbäumen, Hibiscus, Pandanus,
Guavabäumen und Riesenfarnen, eine tolle Vegetation, die immer wilder
und dichter und schließlich zu einem immer undurchdringlicheren Dickicht
wird, je weiter man zum Mittelpunkt der Insel vordringt.

Wir gingen beide nackt, mit dem weißblauen Paréo umgürtet, das Beil in
der Hand und mußten unzählige Male den Bach durchschreiten, um ein Stück
Weges abzuschneiden, den mein Führer mehr mit dem Geruche als mit dem
Auge zu entdecken schien, denn ein prächtiges Gewirr von Gras, Blättern
und Blumen hatte den Boden ganz bedeckt.

Es herrschte vollkommene Stille, trotz des klagenden Rauschens des
Wassers in den Felsen, eines einförmigen Rauschens, einer sanften,
leisen Klage -- wie die Begleitung der Stille.

Und in diesem Walde, in dieser Einsamkeit, dieser Stille wir beide
allein, -- er, ein ganz junger Mann, und ich, fast ein Greis, dem viele
Illusionen den zarten Hauch von der Seele gestreift, viele Anstrengungen
den Körper erschlafft und eine physisch und moralisch kranke
Gesellschaft ihre Laster, dies alte verhängnisvolle Erbe hinterlassen!

Mit der animalisch geschmeidigen Anmut seiner Androgynen-Gestalt schritt
er vor mir her. Ich meinte die ganze Pflanzenpracht ringsum in ihm
verkörpert zucken und leben zu sehen.

War es ein Mensch, der da vor mir ging? War es der kindliche Freund, bei
dem mich das Einfache und Komplizierte seiner Natur zugleich angezogen?
War es nicht vielmehr der Wald selber, der lebendige Wald, geschlechtlos
und -- verführerisch?

Bei diesen nackten Völkerschaften ist der Unterschied der Geschlechter,
wie bei den Tieren, weniger betont als in unsern Klimaten. Mit Gürtel
und Schnürleib ist es uns gelungen, aus der Frau eine Anomalie, ein
künstliches Wesen zu schaffen, das die Natur uns, den Gesetzen der
Vererbung gehorchend, zu komplizieren und zu entkräften hilft, und das
wir sorgfältig in einem Zustand nervöser Schwäche und unzulänglicher
Muskelkraft erhalten, indem wir es vor Ermüdung bewahren und ihm die
Gelegenheit nehmen, sich zu entwickeln. Da unsere Frauen nach einem so
bizarren Ideal von Schlankheit geformt sind -- bei dem wir, seltsam
genug, verharren --, haben sie nichts Gemeinsames mehr mit uns, was
vielleicht nicht ohne ernste moralische und soziale Nachteile bleibt.

Auf Tahiti kräftigt die Wald- und Meeresluft die Lungen, macht Schultern
und Hüften breit, und weder Männer noch Frauen werden von den Strahlen
der Sonne und den Kieselsteinen am Strande verschont. Sie verrichten
zusammen die gleichen Arbeiten, mit demselben Fleiß oder demselben
Gleichmut. Es ist etwas Männliches an diesen, und an jenen etwas
Weibliches.

Diese Ähnlichkeit der Geschlechter erleichtert ihre Beziehungen, und die
stete Nacktheit gibt den Sitten eine natürliche Unschuld und vollkommene
Reinheit, weil den Gemütern die Beschäftigung mit dem gefährlichen
Mysterium fehlt, das einen »glücklichen Zufall« so bedeutungsvoll macht,
und ihnen das verstohlene oder sadistische Wesen der Liebe bei den
Kulturmenschen fremd ist. Mann und Frau, die Kameraden und mehr Freunde
als Liebende sind, leben in Freud und Leid fast unausgesetzt zusammen,
und selbst den Begriff des Lasters kennen sie nicht.

Warum erwachte in diesem Rausch von Duft und Licht nun plötzlich bei dem
alten Kulturmenschen, mit dem Reiz des Neuen, Unbekannten, trotz der
geringeren sexuellen Unterschiede, jene furchtbare Begierde?

Das Fieber pochte in meinen Schläfen und mir wankten die Knie.

Aber der Weg war zu Ende, mein Gefährte wandte sich, um den Bach zu
durchschreiten, und kehrte sich mir bei der Bewegung zu: der Androgyne
war verschwunden. Es war ein wirklicher Jüngling, der vor mir schritt,
und seine ruhigen Augen hatten die feuchte Klarheit des Wassers.

Sogleich kam wieder der Friede über mich.

Wir rasteten einen Augenblick, und ich empfand einen unendlichen, eher
geistigen als sinnlichen Genuß, als ich in das frische Wasser tauchte.

-- Toë, toë (es ist kalt), sagte Jotéfa.

-- O nein! erwiderte ich. Und dieser Ausruf, der zu dem Beschluß des
Kampfes paßte, den ich im Geiste eben gegen eine ganze verderbte
Zivilisation bestanden hatte, weckte ein lautes Echo im Walde. Und ich
sagte mir, daß die Natur mich hatte kämpfen sehen, daß sie mich hörte
und mich verstand, denn jetzt antwortete sie auf meinen Siegesruf mit
ihrer klaren Stimme, daß sie nach dieser Prüfung willig sei, mich in die
Reihe ihrer Kinder aufzunehmen.

Wir setzten unseren Weg fort, und ich drang mit leidenschaftlichem Eifer
immer tiefer in das Dickicht, als könnte ich dadurch bis ans Herz dieser
gewaltigen, mütterlichen Natur vordringen und mich mit ihren lebenden
Elementen vereinen.

Mit ruhigem Blick ging mein Gefährte immer gleichen Schritts vor mir
her. Er war ohne Argwohn, ich trug die Last meines bösen Gewissens
allein.

Wir langten an unserm Ziel an.

Die steilen Wände des Berges waren allmählich flacher geworden, und
hinter einem dichten Vorhang von Bäumen dehnte sich, wohl versteckt,
eine Art Plateau aus. Aber Jotéfa kannte die Stelle und leitete mich mit
erstaunlicher Sicherheit hin.

Ein Dutzend Rosenholzbäume breiteten dort ihr gewaltiges Geäst aus.

Wir fällten den schönsten mit dem Beil und mußten ihn ganz opfern, um
ihm einen für mein Vorhaben passenden Zweig zu rauben.

Das Fällen machte mir Freude, und mit wahrem Vergnügen und freudiger
Erregung in mir, ich weiß nicht welch göttlich rohe Begierde zu
befriedigen, riß ich mir die Hände blutig. Nicht auf den Baum hieb ich
ein, nicht ihn wollte ich überwältigen. Und dennoch hätte ich den Klang
meines Beiles gern noch an andern Stämmen vernommen, als dieser am Boden
lag.

Und was mein Beil mir im Takt mit den hallenden Schlägen sagte, war
dies:

   Den ganzen Wald mußt du niederschlagen!
   Den ganzen Wald des Bösen vernichten,
   Der seine Keime dir einblies mit giftigem Hauch!
   Zerstöre die Eigenliebe in dir!
   Zerstöre das Böse und reiß es heraus,
   Wie die Lotosblume im Herbst!

Ja, von nun an ist der alte Kulturmensch verschwunden, tot. Ich ward
wiedergeboren -- oder vielmehr ein anderer Mensch, ein reiner, stärkerer
erstand in mir.

Dieser furchtbare Anfall war der letzte Abschied von der Zivilisation:
vom Bösen. Und dieser letzte Beweis verderbter Instinkte, die auf dem
Grunde aller dekadenten Seelen schlummern, erhöhte durch den Kontrast
die gesunde Einfachheit des Lebens, mit dem ich schon den ersten Anfang
gemacht, bis zu einem Gefühl unsagbarer Wonne.

Gierig atmete ich die herrliche, reine Luft ein. Von nun an war ich ein
andrer Mensch: ein wahrer Wilder, ein echter Maorie.

Jotéfa und ich kehrten nach Mateïéa zurück und trugen vorsichtig und
einträchtig unsere schwere Rosenholzlast: _noa, noa_!

Die Sonne war noch nicht untergegangen, als wir sehr ermüdet vor meiner
Hütte anlangten.

Jotéfa sagte zu mir:

-- Païa?

-- Ja, erwiderte ich.

Und im Grunde meines Herzens wiederholte ich für mich:

-- Ja!

Ich machte keinen Schnitt in dieses Rosenholz, ohne jedesmal stärker den
Duft des Sieges und der Verjüngung einzuatmen: _noa, noa_!

Durch das Tal von Punaru -- eine tiefe Kluft, die Tahiti in zwei Teile
trennt -- gelangt man zu dem Plateau von Tamanoü. Von dort kann man das
Diadem, Oroféna und Aroräï, -- den Mittelpunkt der Insel sehen.

Man hatte mir davon oft wie von etwas Wunderbarem gesprochen, und ich
hatte mir vorgenommen, allein hinzugehen und dort einige Tage zu
verbringen.

-- Aber was wirst du nachts machen?

-- Die Tupapaüs[3] werden dich ängstigen!

-- Man darf die Berggeister nicht stören.

... Du bist toll!

Ich war es wahrscheinlich, denn diese besorgte Unruhe meiner tahitischen
Freunde stachelte meine Neugierde nur noch mehr.

In einer Nacht machte ich mich also vor Tagesanbruch auf.

Etwa zwei Stunden konnte ich einen Pfad an dem einen Ufer des
Punaru-Flusses verfolgen. Aber dann war ich mehrmals gezwungen, den Fluß
zu überschreiten. Zu beiden Seiten ragten steile Bergwände, auf enorme
Felsblöcke wie auf Strebepfeiler gestützt, bis in die Mitte des Wassers
vor.

Mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als meinen Weg mitten im
Fluß fortzusetzen. Das Wasser ging mir bis zu den Knien, zuweilen bis zu
den Schultern.

Zwischen den beiden Wänden, die mir von unten erstaunlich hoch und oben
sehr nah aneinander schienen, war die Sonne am hellen Tage kaum
sichtbar. Mittags unterschied ich an dem tiefblauen Himmel funkelnde
Sterne.

Gegen fünf Uhr, beim Eintritt der Dunkelheit, begann ich darüber
nachzudenken, wo ich die Nacht zubringen sollte, als ich zur Rechten
etwa ein Hektar fast flaches Land mit einem Gemisch von Farnen, wilden
Bananen und Bouraos bemerkte. Ich hatte das Glück, ein paar reife
Bananen zu finden, und machte eilig ein Holzfeuer, sie für mein Mahl zu
kochen.

Dann legte ich mich zum Schlafen, so gut es ging, auf die untersten
Zweige eines Bananenbaumes, dessen Blätter ich ineinander geflochten
hatte, um mich vor Regen zu schützen.

Es war kalt, und ich fröstelte nach dem Marsch im Wasser.

Ich schlief schlecht.

Aber ich wußte, daß der Morgen nicht fern war und ich weder Menschen
noch Tiere zu fürchten hatte. Hier auf Tahiti gibt es weder Raubtiere
noch Reptilien. Die einzigen »wilden Tiere« sind die frei im Walde
lebenden Schweine. Ich hatte höchstens einen Angriff auf meine Beine zu
fürchten und behielt darum den Griff meines Beiles in der Hand.

Die Nacht war finster. Unmöglich etwas zu unterscheiden, außer nahe an
meinem Kopf eine Art phosphoreszierenden Staubes, der mich seltsam
beunruhigte. Ich lächelte bei dem Gedanken an die Erzählungen der
Maories von den Tupapaüs, jenen bösen Geistern, die in der Finsternis
erwachen, um schlafende Menschen zu ängstigen. Ihr Reich ist im Herzen
des Berges, den der Wald in ewige Schatten hüllt. Dort wimmelt es von
ihnen, und ihre Legionen wachsen unaufhörlich durch die Geister aller
Verstorbenen.

Wehe dem Lebenden, der sich an einen von Dämonen bewohnten Ort wagt! ...

Ich war dieser Tollkühne.

Meine Träume waren freilich auch sehr aufregend.

Jetzt weiß ich, daß dieser leuchtende Staub von einer besonderen Art
kleiner Champignons herrührt, die an feuchten Stellen auf abgestorbenen
Zweigen wachsen wie jene, deren ich mich zum Feueranmachen bedient
hatte.

Am folgenden Tage machte ich mich frühzeitig wieder auf den Weg.

Der immer wechselvoller gestaltete Fluß, der bald Bach, bald Strom, bald
Wasserfall war, machte seltsam launenhafte Krümmungen und schien
zuweilen in sich selbst zurückzufließen. Ich verlor unaufhörlich den Weg
und mußte mir von Zweig zu Zweig oft mit den Händen vorwärts helfen,
wobei ich selten den Boden berührte. Vom Grunde des Wassers sahen Krebse
von außerordentlicher Größe zu mir empor und schienen zu sagen: Was tust
du hier? -- und hundertjährige Aale flohen bei meinem Nahen.

Plötzlich, bei einer jähen Wendung, bemerkte ich an einen Felsvorsprung
gelehnt, den es mit beiden Händen eher liebkoste als es sich daran
hielt, ein junges, nacktes Mädchen. Es trank aus einer Quelle, die leise
aus großer Höhe zwischen den Steinen rieselte.

Nachdem es getrunken hatte, nahm es Wasser in beide Hände und ließ es
zwischen den Brüsten niederrinnen. Dann -- obwohl ich nicht das
geringste Geräusch gemacht hatte -- senkte es wie eine furchtsame
Antilope, die instinktmäßig die Gefahr wittert, den Kopf und blickte
forschend nach dem Dickicht, wo ich unbeweglich stand. Mein Blick
begegnete dem ihren nicht. Aber kaum hatte sie mich erspäht, als sie mit
dem Ruf: Taëhaë! (wütend) untertauchte.

Ich stürzte an den Fluß: niemand, nichts -- nur ein riesiger Aal, der
sich zwischen den kleinen Kieseln auf dem Grunde hinwand.

Nicht ohne Schwierigkeit langte ich endlich nahe beim Aroraï, dem Gipfel
des gefürchteten heiligen Berges, an.

Es war Abend, der Mond ging auf, und als ich ihn die rauhe Stirn des
Berges weich in seinen leichten Schimmer hüllen sah, erinnerte ich mich
der berühmten Sage:

_Paraü Hina Tefatou_ (Hina sprach zu Tefatou ...), eine uralte Sage, die
die Mädchen abends gern erzählen und für die sie als Schauplatz gerade
den Ort bezeichnen, wo ich mich befand.

Ich glaubte es zu sehen:

Den mächtigen Kopf eines Gottmenschen, das gewaltige Haupt eines Helden,
dem die Natur das stolze Bewußtsein seiner Kraft gegeben, ein herrliches
Riesenantlitz, wie an der Schwelle des Alls. Und eine sanfte zärtliche
Frau, die leise das Haar des Gottes berührt und spricht:

-- Lasse den Menschen wieder auferstehen, wenn er gestorben ist ...

Und die strengen, doch nicht grausamen Lippen des Gottes öffnen sich, um
zu antworten:

Nein, ich werde ihn nicht auferstehen lassen. Der Mensch wird sterben;
die Pflanzen werden sterben wie sie, die sich davon nähren, die Erde
wird untergehen, sie wird untergehen, um nicht wieder zu erstehen.

Hina erwiderte:

-- Tue, wie es dir gefällt. Ich aber werde den Mond wieder auferstehen
lassen.

Und was Hina gehörte, fuhr fort zu leben. Was Tefatou gehörte, ging
unter, und der Mensch mußte sterben.

                   *       *       *       *       *

Ich war seit einiger Zeit mißmutig geworden. Meine Arbeit litt darunter.
Es fehlten mir viele wesentliche Hilfsmittel, es verstimmte mich,
künstlerischen Aufgaben, die mich berauschten, machtlos
gegenüberzustehen, aber hauptsächlich fehlte mir die Lust.

Seit mehreren Monaten war ich von Titi getrennt, hatte seit Monaten
nicht mehr ihr übermütig kindliches, zwitscherndes Geplauder über
dieselben Dinge und dieselben Fragen gehört, auf die ich immer mit
denselben Geschichten antwortete.

Und diese Stille tat mir nicht gut. Ich beschloß fortzugehen, eine Fahrt
um die Insel zu machen, für die ich kein bestimmtes Ziel festsetzte.

Während ich meine Vorbereitungen traf -- ein paar leichte Pakete für die
Bedürfnisse der Reise -- und meine Studien ordnete, schaute mein Nachbar
und Freund Anani mir beunruhigt zu. Nach langem Zögern, begonnenen und
wieder unterbrochenen Gebärden, deren klare Deutlichkeit mich sehr
belustigte und zugleich rührte, entschloß er sich endlich, mich zu
fragen, ob ich mich anschickte fortzugehen.

-- Nein, erwiderte ich, ich will nur einen Ausflug von mehreren Tagen
machen.

Ich komme wieder.

Er glaubte mir nicht und fing an zu weinen!

Sein Weib gesellte sich zu ihm und versicherte mich ihrer Zuneigung,
sagte mir, daß ich kein Geld brauche, um unter ihnen zu leben, daß ich,
wenn ich wollte, einst für immer _dort_ ruhen könnte -- sie wies auf
einen mit einem Bäumchen geschmückten Grabhügel nahe bei ihrer Hütte.

Und plötzlich verlangte mich danach -- dort -- zu ruhen. Da würde mich
wenigstens in alle Ewigkeit niemand stören ...

-- Ihr Europäer seid seltsam, fügte das Weib des Anani hinzu. Ihr kommt,
ihr versprecht zu bleiben, und wenn man euch lieb hat, geht ihr wieder?

Ihr sagt, ihr kommt wieder, aber ihr kehrt niemals zurück!

-- Ich aber schwur, daß es meine Absicht sei, _diesmal_ wiederzukommen.

Später (ich wagte nicht zu lügen), später wüßte ich noch nicht ...

Schließlich ließen sie mich ziehen.

                   *       *       *       *       *

Ich weiche von dem Weg ab, der am Strande entlang geht, und schlage
einen schmalen Pfad durch tiefes Dickicht ein. Der Weg führt mich so
weit ins Gebirge, daß ich nach Verlauf einiger Stunden ein kleines Tal
erreiche, dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch leben.

Sie sind still und glücklich. Sie träumen, sie lieben, schlafen und
singen, -- sie beten, und das Christentum scheint noch nicht bis hierher
gedrungen zu sein. Deutlich sehe ich die Statuen ihrer Gottheiten vor
mir, obwohl sie in Wirklichkeit längst verschwunden sind, besonders die
Statue der Hina, und die Feste zu Ehren der Mondgöttin. Das Götzenbild,
aus einem einzigen Block, mißt zehn Fuß von einer Schulter zur andern
und vierzig Fuß in der Höhe. Auf dem Haupte trägt sie in Gestalt einer
Kappe einen riesigen Stein von rötlicher Farbe. Um sie herum wird nach
altem Ritus der _Matamua_ getanzt, und das Vivo[4] stimmt seinen Ton je
nach der Farbe der Stunde froh, heiter oder düster und traurig ...

Ich setze meinen Weg fort.

In Taravao -- dem weitest entfernten Distrikt von Mataïéa, am andern
äußersten Ende der Insel -- leiht ein Gendarm mir sein Pferd, und ich
trabe an der von Europäern wenig besuchten Küste entlang.

In Faone, einem kleineren Ort vor dem bedeutenderen Itia, ruft mich ein
Eingeborner an.

-- He! Mann, der Menschen macht! (er weiß, daß ich Maler bin.) _Haëré
mai ta maha_ (Komm und iß mit uns: die tahitische Formel der
Gastfreundschaft).

Ich lasse mich nicht bitten, so anmutend und herzlich ist das die
Einladung begleitende Lächeln.

Ich steige vom Pferde. Mein Wirt nimmt das Tier am Zaum und bindet es
ohne eine Spur von Unterwürfigkeit geschickt an einen Baum.

Dann treten wir miteinander in eine Hütte, wo Männer und Frauen
plaudernd und rauchend auf dem Boden sitzen. Um sie her spielen und
tummeln sich die Kinder.

-- Wohin willst du? fragte mich eine schöne, etwa vierzigjährige Maorie.

Ich will nach Itia.

-- Wozu?

Ich weiß nicht, was mir in den Sinn kam, oder vielleicht nannte ich den
wahren, mir bis dahin noch selber verborgenen Zweck meiner Reise.

-- Um dort eine Frau zu suchen, antwortete ich.

-- In Faone gibt es viele und hübsche. Willst du eine von ihnen?

-- Ja!

-- Wohlan! Gefällt sie dir, so will ich sie dir geben. Es ist meine
Tochter.

-- Ist sie jung?

-- Ja.

-- Ist sie hübsch?

-- Ja.

-- Ist sie gesund?

-- Ja.

-- Gut. So bringe sie mir.

Die Frau ging hinaus.

Nach einer Viertelstunde, als das Mahl -- wilde Bananen und Krabben --
aufgetragen wurde, kam sie in Begleitung eines jungen Mädchens wieder
herein, das ein kleines Bündel in der Hand hielt.

Durch das Gewand von sehr durchsichtigem rosa Musselin schimmerte die
goldige Haut ihrer Schultern und Arme. Zwei Knospen hoben sich
schwellend an ihrer Brust. Es war ein schlankes, großes, kräftiges Kind
von wunderbarem Ebenmaß. Aber in dem schönen Gesicht fand ich nicht
jenen Typus wieder, der mir sonst überall auf der Insel begegnet war.
Auch das Haar war ungewöhnlich buschig und leicht gewellt. In der Sonne
bot alles dies eine wahre Orgie von Chrom.

Man sagte mir, daß sie von den Tongas abstamme.

Ich begrüßte sie, sie lächelte und setzte sich neben mich.

-- Du hast keine Furcht vor mir? fragte ich.

-- Aïta (nein).

-- Willst du für immer in meiner Hütte wohnen?

-- Eha (ja).

-- Du bist nie krank gewesen?

-- Aïta.

Das war alles.

Mir schlug das Herz, während das Mädchen gelassen am Boden vor mir die
Speisen auf einem großen Bananenbrett für mich anrichtete. Ich aß mit
gutem Appetit, aber ich war zerstreut und tief erregt. Dieses Kind von
etwa dreizehn Jahren (achtzehn bis zwanzig in Europa) entzückte mich,
schüchterte mich ein und erschreckte mich fast. Was mochte in dieser
Seele vorgehen? Und ich, der so alt war im Vergleich zu ihr, ich zögerte
einen Augenblick, den so eilig abgeschlossenen Vertrag zu unterzeichnen,
bei dem doch alle Vorteile auf meiner Seite waren!

Vielleicht -- dachte ich -- gehorchte sie einem Befehl der Mutter.
Vielleicht ist es ein Handel, den sie unter sich ausgemacht haben ...

Ich beruhigte mich, als ich in den Zügen des jungen Mädchens, in seinem
Gebaren und seiner Haltung die Zeichen wahrer Unabhängigkeit und eines
Stolzes erkannte, die so charakteristisch für seine Rasse sind. Und mein
Vertrauen ward vollkommen und unerschütterlich, als ich nach eingehender
Forschung deutlich jenen Ausdruck von Heiterkeit bei ihr wahrnahm, der
bei jungen Wesen immer eine ehrenhafte, löbliche Handlung begleitet. --
Allein der spöttische Zug um ihren hübschen, weichen, sinnlichen Mund
war mir eine Gewähr dafür, daß die Gefahren des Abenteuers nur für mich
bestanden, nicht für sie ...

Ich leugne nicht, daß mir in einer seltsam bedrückenden Angst ganz
beklommen zumute war, als ich die Schwelle der Hütte überschritt.

Die Stunde der Abreise war gekommen. Ich stieg zu Pferde.

Das Mädchen folgte mir, von der Mutter, einem Mann und zwei jungen
Frauen -- seinen Tanten, wie es sagte -- begleitet.

Wir kehrten nach Taravao zurück, das neun Kilometer von Faone entfernt
ist.

Nach dem ersten Kilometer hieß es:

-- Parahi téié (hier mache Halt).

Ich stieg vom Pferde, und wir traten alle sechs in eine große, sauber
gehaltene, beinahe reiche, mit hübschen Matten ausgestattete Hütte.

Ein noch junges und außerordentlich liebenswürdiges Paar bewohnte sie.
Meine Braut setzte sich neben die Frau und stellte mich vor.

-- Dies ist meine Mutter, sagte sie.

Dann wurde schweigend ein Becher mit frischem Wasser gefüllt, von dem
wir alle der Reihe nach feierlich tranken, als handele es sich um einen
alten frommen Brauch.

Hierauf sagte die eben von meiner Braut als ihre Mutter bezeichnete Frau
mit gerührtem Blick und feuchten Wimpern zu mir:

-- Du bist gut?

Nicht ohne Verwirrung antwortete ich nach einer Prüfung meines
Gewissens:

-- Ich hoffe es.

-- Wirst du meine Tochter glücklich machen?

-- Ja.

-- In acht Tagen muß sie wiederkommen. Wenn sie nicht glücklich ist,
wird sie dich verlassen.

Ich willigte mit einer Gebärde ein. Allgemeines Schweigen. Niemand
schien eine Unterbrechung zu wagen.

Endlich gingen wir hinaus, ich bestieg wieder mein Pferd und brach,
immer von meinem Gefolge geleitet, von neuem auf.

Unterwegs begegneten wir mehreren Personen, die meine Familie kannten.
Sie waren bereits von dem Ereignis unterrichtet und sagten, als sie das
Mädchen begrüßten:

-- Bist du jetzt wirklich die Vahina eines Franzosen? Viel Glück!

Ein Punkt beunruhigte mich. Wie kam Tehura (so hieß meine Frau) zu zwei
Müttern?

Ich fragte die erste, die sie mir angeboten hatte:

-- Warum hast du gelogen?

Die Mutter Tehuras antwortete:

-- Ich habe nicht gelogen. Die andere ist auch ihre Mutter, sie ist ihre
Amme.

                   *       *       *       *       *

In Taravao gab ich dem Gendarm sein Pferd zurück, und es kam zu einem
peinlichen Vorfall. Die Frau des Gendarmen, eine Französin, sagte zwar
ohne Spott, aber taktlos zu mir:

-- Was! Sie nehmen sich eine solche Dirne mit?

Und ihre boshaften Augen entkleideten das junge Mädchen, das dieser
beleidigenden Prüfung mit vollkommener Kaltblütigkeit begegnete.

Ich betrachtete einen Augenblick dies symbolische Schauspiel, das die
beiden Frauen mir boten: Hier erste Blütezeit, Glaube und Natur, dort
Dürre, Zwang und Künstelei. Zwei feindliche Rassen standen sich
gegenüber, und ich schämte mich der meinigen. Ich litt darunter, sie so
kleinlich und verständnislos zu sehen, und wandte mich schnell ab, um
mich an dem Glanz der andern, an diesem lebenden Gold zu erfreuen und zu
erwärmen, das ich schon liebte.

In Taravao verabschiedete die Familie sich bei dem Chinesen von uns, wo
alles zu haben ist, verfälschte Liköre und Früchte, Waffen und Stoffe,
Männer, Frauen und Vieh.

Meine Frau und ich benutzten einen Wagen, der uns 25 Kilometer weiter,
in Mateïéa, vor meiner Hütte absetzte.

                   *       *       *       *       *

Meine Frau war nicht sehr gesprächig, heiter und melancholisch zugleich,
vor allem aber spottlustig.

Wir hörten nicht auf, uns gegenseitig zu studieren, aber sie blieb
unergründlich, und ich war bald der Besiegte in diesem Kampf.

Der gute Vorsatz, mich zu überwachen, zu beherrschen, um ein
scharfsichtiger Beobachter zu werden, half mir wenig, meine Kraft ging
bald zu Ende -- und ich war für Tehura in kurzer Zeit ein offenes Buch.

Ich ward nun gewissermaßen auf meine Kosten und an meiner eignen Person
der tiefen Kluft gewahr, die eine australische Seele von einer
lateinischen und besonders einer französischen Seele trennt. Die Seele
der Maories offenbart sich nicht sogleich. Es bedarf großer Geduld und
eines Studiums, um ihrer habhaft zu werden. Und selbst wenn man sie von
Grund aus zu kennen meint, bringt sie einen durch ganz unvorhergesehene
»Sprünge« aus der Fassung. Im Anfang aber ist sie ein Rätsel oder
vielmehr eine unendliche Reihe von Rätseln. Im Augenblick, da man sie zu
fassen meint, ist sie fern, unerreichbar, unnahbar unter dem Mantel der
Heiterkeit. Dann nähert sie sich vielleicht freiwillig, um abermals zu
entschlüpfen, sobald man die geringste Gewißheit zu erkennen gibt. Und
während man, durch dies Gebaren verwirrt, ihr innerstes Wesen sucht,
bewahrt sie ihre unverwüstlich fröhliche Zuversicht und sorglose
Leichtherzigkeit, die vielleicht weniger echt ist, als es den Anschein
hat.

Für mein Teil verzichtete ich bald auf Grübeleien, die mich hinderten,
mein Leben zu genießen. Voll Vertrauen erwartete ich mit der Zeit
Offenbarungen, die mir anfangs verwehrt blieben.

Die Woche verstrich so, und ich hatte ein Gefühl von »Kindlichkeit«, das
ich vormals nie gekannt.

Ich liebte Tehura und sagte es ihr, aber es machte sie lachen: sie wußte
es ja!

Auch sie schien mich zu lieben, doch sprach sie davon nicht zu mir: --
Aber zuweilen, in der Nacht, leuchtete das Gold von Tehuras Haut ...

Am achten Tag ... mir war, als hätten wir eben erst miteinander unsere
Hütte betreten -- bat Tehura mich um Erlaubnis, ihre Mutter in Faone zu
besuchen. Es war eine versprochene Sache.

Betrübt fügte ich mich, band einige Piaster in ihr Taschentuch, von
denen sie die Kosten der Reise und Rum für ihren Vater bestreiten
konnte, und begleitete sie zu dem Wagen.

Ich hatte das Gefühl eines Abschieds für immer.

Die folgenden Tage waren qualvoll.

Die Einsamkeit trieb mich aus der Hütte, und Erinnerungen riefen mich
dahin wieder zurück. Keine Studie vermochte meine Gedanken zu fesseln
...

Eine zweite Woche verging, und Tehura kehrte zurück.

Nun fing ein vollkommen glückliches Leben an. Glück und Arbeit begannen
zugleich mit der Sonne und strahlend wie sie. Das Gold von Tehuras
Antlitz erhellte das Innere unserer Hütte und die Landschaft ringsum mit
einem Schimmer von Freude und Heiterkeit. Sie studierte mich nicht mehr
und ich nicht sie. Sie verheimlichte mir ihre Liebe nicht länger, und
ich sprach ihr nicht mehr von der meinen. Wir lebten beide in aller
Einfachheit.

Wie wohl tat es, sich morgens im nächsten Bach zu erfrischen -- ganz wie
ich mir denke, daß es im Paradies der erste Mann und das erste Weib
getan!

Paradies von Tahiti, _navé navé fénua_, -- köstliches Land!

Und die Eva dieses Paradieses gestaltete sich immer liebevoller und
empfänglicher. Ich bin von ihrem Duft durchdrungen: _noa, noa_! Sie ist
zur rechten Zeit in mein Leben getreten. Früher hätte ich sie vielleicht
nicht verstanden, und später wäre es zu spät gewesen. Jetzt verstehe ich
sie, wie ich sie liebe, und durch sie dringe ich in Mysterien ein, die
mir bis dahin unzugänglich waren.

Allein mein Geist verarbeitet diese Entdeckungen noch nicht, ich präge
sie noch nicht meinem Gedächtnisse ein. Alles was Tehura mir erzählt,
erfasse ich nur mit Gefühl.

In meinen Empfindungen und Eindrücken werde ich ihre Worte einst
wiederfinden. Durch ihre täglichen Mitteilungen über ihr Leben führt sie
mich sicherer, als es durch irgendeine andere Methode geschehen könnte,
zum vollen Verständnis ihrer Rasse.

Und ich habe kein Bewußtsein mehr von Tagen oder Stunden, von Gut und
Böse. Das Glück ist zuweilen so seltsam, daß der Begriff davon fast
aufgehoben wird. Ich weiß nur, daß alles gut ist, weil alles schön ist.

Und Tehura stört mich nie, wenn ich arbeite oder träume. Instinktmäßig
schweigt sie dann. Sie weiß sehr gut, wann sie sprechen kann, ohne mich
zu belästigen.

Wir unterhalten uns über Tahiti, über Europa, über Gott und Götter. Ich
unterrichte sie und sie belehrt mich.

                   *       *       *       *       *

Ich mußte für einen Tag nach Papeete fahren.

Zwar hatte ich versprochen, am selben Abend zurückzukehren, aber der
Wagen, den ich genommen, verließ mich auf halbem Wege, ich mußte den
Rest zu Fuß zurücklegen, und es wurde 1 Uhr morgens, ehe ich zu Hause
anlangte.

Als ich die Tür öffnete, sah ich beklommenen Herzens, daß es drinnen
dunkel war. Dies hatte an sich nichts Merkwürdiges, denn wir besaßen
augenblicklich nur wenig Licht, und den Vorrat zu erneuern, war mit ein
Grund für meine Abwesenheit. Aber ich zitterte in einem plötzlichen
Gefühl der Furcht und des Argwohns, das ich für eine Vorahnung hielt:
der Vogel war gewiß davongeflogen ...

Schnell zündete ich ein Streichholz an und sah -- Tehura reglos, nackt,
platt hingestreckt auf dem Bett, die Augen vor Angst übermäßig weit
geöffnet. Sie sah mich an und schien mich nicht zu erkennen. Ich selber
blieb einige Augenblicke in seltsamer Ungewißheit stehen. Tehuras
Entsetzen wirkte ansteckend. Mir war, als entströme ihren starr
blickenden Augen ein Phosphorschein. Niemals hatte ich sie so schön, von
so rührender Schönheit gesehn. Und dann fürchtete ich in diesem, für sie
sicherlich von bedenklichen Erscheinungen belebten Halbdunkel eine
Bewegung zu machen, die sie erschrecken und den Paroxysmus des Kindes
steigern konnte. Wußte ich denn, was ich in diesem Augenblick für sie
war? Ob sie mich mit meinem entsetzten Gesicht nicht für einen Dämon
oder Geist, einen der Tupapaüs hielt, die ihren Sagen nach in
schlaflosen Nächten erscheinen? Wußte ich, wer sie selber eigentlich
war? Die Intensität des Entsetzens, von dem sie unter der physischen und
moralischen Gewalt ihres Aberglaubens besessen war, machte sie zu einem
fremden Wesen für mich, ganz verschieden von allem, was ich bisher
gekannt!

Endlich kam sie zu sich, rief mich an, und ich ermannte mich, sie zu
schelten, zu beruhigen und zu beschwichtigen.

Sie hörte mich schmollend an und sagte dann mit vor Schluchzen
zitternder Stimme:

-- Laß mich nicht wieder so allein ohne Licht ...

Aber kaum war die Furcht eingeschlummert, als die Eifersucht erwachte:

-- Was tatest du in der Stadt? Du hast Frauen besucht, solche, die auf
Märkten tanzen und trinken, die sich Offizieren und Matrosen und jedem
geben ...

Ich ließ mich auf keinen Streit ein, und die Nacht ward süß -- süß und
feurig, eine Tropennacht.

Tehura war bald sehr liebevoll und vernünftig, bald ausgelassen und sehr
übermütig. Zwei entgegengesetzte Wesen -- ohne viele andere unendlich
verschiedene mitzurechnen -- in einem vereint, die sich gegenseitig
Lügen straften und in betäubender Geschwindigkeit unvermittelt
aufeinander folgten. Sie war nicht veränderlich, sondern doppelt,
dreifach, hundertfach: das Kind einer _alten_ Rasse.

Eines Tages kommt ein Hausierer, der ewige Jude -- er macht die Inseln
unsicher wie das Festland -- und bringt ein Kästchen mit Schmucksachen
aus vergoldetem Kupfer an.

Er breitet seine Waren aus, und alle umringen ihn.

Ein Paar Ohrringe gehen von Hand zu Hand. Die Augen der Frauen leuchten,
jede möchte sie haben.

Tehura runzelt die Brauen und sieht mich an. Ihre Augen reden sehr
deutlich. Ich stelle mich, als ob ich sie nicht verstände.

Sie zieht mich in eine Ecke:

-- Ich will sie haben!

Ich erkläre ihr, daß dieses Zeug in Frankreich gar keinen Wert habe, daß
sie aus _Kupfer_ seien.

-- Ich will sie haben!

-- Nicht doch! Für solche Dummheit 20 Francs bezahlen! Das wäre eine
Torheit. Nein.

-- Ich will sie haben!

Und mit leidenschaftlicher Zungenfertigkeit, die Augen voll Tränen,
dringt sie in mich:

-- Wie, würdest du dich nicht schämen, diesen Schmuck in den Ohren einer
andern zu sehen? Einer dort spricht schon davon, sein Pferd zu
verkaufen, um seiner Vahina die Ohrringe zu schenken!

Ich kann auf diese Torheit nicht eingehen und schlage ihr es zum
zweitenmal ab.

Tehura blickt mich starr an, ohne noch ein Wort zu verlieren, und weint.

Ich gehe fort, komme wieder zurück, gebe dem Juden schließlich die
zwanzig Francs -- und die Sonne scheint wieder.

Zwei Tage später war ein Sonntag. Tehura macht große Toilette. Das Haar
wird mit Seife gewaschen, dann in der Sonne getrocknet und schließlich
mit duftendem Öl eingerieben. In ihrem schönsten Kleide, eins von
_meinen_ Taschentüchern in der Hand, eine Blume hinterm Ohr und mit --
nackten Füßen geht sie zum Tempel.

-- Und deine Ohrringe? frage ich.

Tehura verzieht verächtlich den Mund:

-- Sie sind ja aus Kupfer!

Und mit lautem Lachen überschreitet sie die Schwelle der Hütte und geht,
plötzlich wieder ernst geworden, davon.

Die Mittagsruhe verbringen wir, wie an jedem andern Tage, schlafend oder
träumend nebeneinander. Vielleicht sieht Tehura in ihrem Traume andere
Ohrringe glitzern.

Ich möchte alles vergessen, was ich weiß, und immer schlafen ...

                   *       *       *       *       *

Eines Tages bei schönem Wetter -- auf Tahiti keine Ausnahme --
beschlossen wir, uns morgens aufzumachen, um Freunde zu besuchen, deren
Hütte zehn Kilometer von der unsrigen entfernt war.

Da wir um sechs Uhr aufgebrochen waren, legten wir den Weg in der Kühle
schnell zurück und langten schon um acht Uhr an.

Wir wurden nicht erwartet: die Freude war groß, und nach beendeter
Begrüßung machten sie sich auf die Suche nach einem Schwein, um uns ein
Fest zu bereiten. Es wurde geschlachtet und dem Schwein noch zwei Hühner
beigesellt. Eine prachtvolle, am Morgen gefangene Tintenschnecke, einige
Bananen und andere Früchte vervollständigten das reichliche Mahl. Ich
machte den Vorschlag, in der Zeit bis zum Mittagessen die Grotten von
Mara zu besichtigen, die ich oft von fern gesehen hatte, ohne jemals die
Gelegenheit zu finden, sie aufzusuchen.

Drei junge Mädchen, ein Knabe, Tehura und ich, eine lustige kleine
Gesellschaft, hatten das Ziel bald erreicht.

Vom Wegrand aus könnte man die fast ganz von Guavabäumen verdeckte
Grotte einfach für einen Felsenvorsprung oder eine etwas tiefere Spalte
halten. Aber biegt man die Zweige zurück und gleitet man einen Meter
weiter hinunter, so ist keine Sonne mehr sichtbar, man befindet sich in
einer Art Höhle, deren Grund an eine kleine Bühne mit hochroter,
scheinbar etwa 100 m weit entfernter Decke erinnert. Hie und da an den
Wänden glaubt man riesige Schlangen sich langsam dehnen zu sehen, um an
der Oberfläche des inneren Sees zu trinken. Aber es sind Wurzeln, die
sich einen Weg durch die Felsspalten bahnen.

-- Ob wir ein Bad nehmen?

Ich erhalte zur Antwort, daß das Wasser zu kalt sei, und abseits werden
lange, von Lachen unterbrochene Unterhandlungen geführt, die mich
neugierig machen.

Ich gebe nicht nach, und endlich entschließen die Mädchen sich, sie
legen ihre leichten Gewänder ab, und mit dem Paréo umgürtet, sind wir
bald alle im Wasser.

-- Toë, toë! rufen alle einstimmig.

Das Wasser plätschert, und ihre Rufe werden von tausend Echos
zurückgeworfen, die das _toë, toë_ wiederholen.

-- Kommst du mit mir, frage ich Tehura und zeige auf den Grund.

Bist du toll? Da hinunter, so weit! Und die Aale? Da hinunter wagt man
sich nie!

Und anmutig schwang sie sich leicht auf das Ufer, wie einer, der stolz
ist, so gut schwimmen zu können. Aber ich bin auch ein guter Schwimmer,
und obwohl ich mich nicht gern allein so weit fort wagte, steuerte ich
auf den Grund zu.

Durch welch seltsames Phänomen der Luftspiegelung mochte er sich aber
immer mehr von mir entfernen, je angestrengter ich mich bemühte, ihn zu
erreichen? Ich drang immer weiter vorwärts, und von allen Seiten
blickten die großen Schlangen mich spöttisch an. Einen Augenblick
glaubte ich eine große Schildkröte schwimmen zu sehen, ihr Kopf ragte
aus dem Wasser, und ich unterschied zwei starre, glänzende Augen, die
mich argwöhnisch anschauten. -- Torheit! dachte ich: die
Meerschildkröten leben nicht in süßem Wasser. Dennoch (bin ich denn
wirklich ein Maorie geworden?) kommen mir Zweifel, und es fehlt wenig,
daß mir schaudert. Was sind das nur für breite, stille Wellen da vor
mir? Aale!

-- Ach was, diese lähmende Empfindung von Furcht muß abgeschüttelt
werden!

Ich ließ mich senkrecht hinunter, um auf den Grund zu kommen. Doch ich
mußte wieder hinauf, ohne daß es mir gelungen war. Vom Ufer rief Tehura
mir zu:

-- Komm zurück!

Ich wende mich um und sehe sie sehr weit und ganz klein.

Warum geht die Entfernung auch hier bis ins Unendliche? Tehura ist nur
noch ein schwarzer Punkt in einem leuchtenden Kreise.

Ich bleibe hartnäckig und schwimme noch eine halbe Stunde: der Grund
scheint immer in der gleichen Entfernung zu bleiben.

Ein Ruhepunkt auf einem kleinen Plateau und dann wieder ein gähnendes
Loch -- wohin mochte es führen? Ein Geheimnis, das zu ergründen ich
aufgebe.

Ich gestehe, daß ich schließlich wirklich Furcht empfand.

Ich brauchte eine volle Stunde, um mein Ziel zu erreichen.

Tehura allein erwartete mich. Ihre Gefährtinnen waren gleichgültig
fortgegangen.

Tehura sprach ein Gebet, und wir verließen die Grotte.

Ich zitterte noch ein wenig -- vor Kälte. Aber im Freien erholte ich
mich bald, besonders als Tehura mit einem Lächeln, das mir nicht ganz
frei von Spott zu sein schien, fragte:

-- Du hast dich nicht gefürchtet?

Mit Entrüstung erwiderte ich:

-- Wir Franzosen kennen keine Furcht.

Tehura äußerte weder Mitleid noch Bewunderung. Aber ich merkte, daß sie
aus einem Augenwinkel forschend nach mir spähte, als ich ein paar
Schritte voranging, um eine farbige Tiaré für ihren Haarbusch zu
pflücken.

Der Weg war schön und herrlich das Meer. Vor uns erhoben sich Moreas
stolze grandiose Berge.

Wie lebt es sich gut! Und mit welchem Appetit verzehrt man nach einem
zweistündigen Bad das lecker bereitete Schweinchen, das uns im Hause
erwartet!

                   *       *       *       *       *

In Mataïéa fand eine große Hochzeit statt -- eine echte Hochzeit, legal
und religiös, wie die Missionare sie den bekehrten Tahitianern
vorschreiben.

Ich war dazu eingeladen und Tehura begleitete mich.

Das Mahl bildet auf Tahiti -- wie überall, glaube ich -- die Hauptfeier.
Auf Tahiti wenigstens entfaltet man bei diesen Feierlichkeiten den
größten kulinarischen Luxus. Auf heißen Steinen gebratene Schweinchen,
eine unglaubliche Menge von Fischen, Bananen, Guaven, Taros u. a.

Der Tisch, an dem eine ansehnliche Zahl von Gästen saß, stand unter
einem improvisierten Dach, das anmutig mit Blumen und Blättern
geschmückt war. Alle Verwandten und Freunde der Neuvermählten waren
anwesend.

Das junge Mädchen -- die Lehrerin des Ortes, eine Halb-Weiße -- nahm
einen echten Maorie, den Sohn des Häuptlings von Punaauïa, zum Manne.
Sie war in der »frommen Schule« von Papeete erzogen worden, und der
protestantische Bischof, der sich für sie interessierte, hatte diese
Heirat, die viele für etwas übereilt hielten, persönlich vermittelt. --
Was der Missionar will, ist Gottes Wille, sagt man draußen ...

Eine volle Stunde wird gespeist und -- viel getrunken. Dann beginnen die
zahlreichen Reden. Sie werden der Reihe nach und mit Methode gehalten,
es ist ein sehr komischer Wettstreit der Beredsamkeit.

Nun kommt die wichtige Frage: welche der beiden Familien gibt den
Neuvermählten einen neuen Namen? Dieser aus sehr alter Zeit stammende
nationale Brauch bedeutet ein geschätztes, sehr begehrtes und viel
umstrittenes Vorrecht. Nicht selten artet der Streit über diesen Punkt
in einen blutigen Kampf aus.

Diesmal kam es nicht zu einem solchen. Alles verlief fröhlich und
friedlich. Allerdings war die Tischgesellschaft stark berauscht. Selbst
meine arme Vahina, die nicht unter meiner Aufsicht bleiben konnte, kam,
durch das Beispiel verleitet, in einen furchtbaren Rausch, und ich
brachte sie nicht ohne Mühe nach Haus.

Mitten am Tische thronte in bewundernswerter Würde die Frau des
Häuptlings von Punaauïa. Ihr auffallendes, phantastisches Kleid von
orangefarbenem Samt gab ihr ungefähr das Aussehen einer
Jahrmarktsheldin. Aber die unverwüstliche Anmut ihrer Rasse, wie das
Bewußtsein ihres Ranges verlieh ihrem Flitter eine unbeschreibliche
Größe. Die Gegenwart dieser majestätischen Frau von sehr reinem Typus
gab diesem Fest eine stärkere Würze als alles andere, und die Wirkung
davon blieb nicht aus.

Neben ihr saß eine hundertjährige Greisin, deren Hinfälligkeit durch
eine voll erhaltene Doppelreihe Menschenfresserzähne abschreckend war.
Sie nahm wenig teil an dem, was um sie herum geschah, und blieb
unbeweglich starr, fast wie eine Mumie. Aber eine Tätowierung auf ihrer
Wange, ein dunkles, in seiner Form unbestimmtes Zeichen, das an einen
lateinischen Buchstaben erinnerte, sprach in meinen Augen für sie und
erzählte mir ihre Geschichte. Die Tätowierung glich in nichts der der
Wilden: sie stammte sicherlich von europäischer Hand!

Ich erkundigte mich darnach.

Ehemals, sagte man mir, als die Missionare gegen die Fleischeslust
eiferten, zeichneten sie »gewisse Frauen« mit dem Stempel der
Ehrlosigkeit, dem »Höllensiegel« -- dessen sie sich schämten, aber nicht
etwa wegen der begangenen Sünden, sondern wegen der Lächerlichkeit und
der Schande einer solchen »Auszeichnung«.

An jenem Tage verstand ich besser denn je das Mißtrauen der Maories den
Europäern gegenüber, ein Mißtrauen, das heute noch besteht, so milde es
sich bei der großmütigen und gastfreundlichen Natur der australischen
Seele auch zeigen mag.

Wieviele Jahre lagen zwischen der von dem Priester gezeichneten Greisin
und dem von dem Priester verheirateten jungen Mädchen: Das Zeichen
bleibt unauslöschlich und zeugt von dem Niedergang der Rasse, die sich
ihm unterwarf, und von der Niedrigkeit jener, die es ihr aufzwang.

Fünf Monate später brachte die junge Frau ein wohlgebildetes Kind zur
Welt.

Entrüstet forderten die Eltern eine Scheidung. Der junge Mann
widersetzte sich:

-- Was tut es, da wir uns lieben, sagte er. Ist es bei uns nicht Brauch,
fremde Kinder anzunehmen? Ich nehme dieses an.

Warum aber hatte der Bischof sich so sehr bemüht, die Trauung zu
beschleunigen? Es wurde viel besprochen. Böse Zungen behaupteten, daß
...

Selbst auf Tahiti gibt es böse Zungen.

                   *       *       *       *       *

Abends im Bett haben wir lange Gespräche, mitunter sehr ernste.

Jetzt, wo ich Tehura verstehen kann, in der der Geist ihrer Vorfahren
noch schlummert und träumt, bemühe ich mich durch diese Kinderseele zu
sehen und zu denken und in ihr die zwar toten, aber in vagen
Erinnerungen noch bestehenden Spuren der fernen Vergangenheit
wiederzufinden.

Ich stelle Fragen, und sie bleiben nicht alle ohne Antwort.

Die von unsern Eroberungen mehr betroffenen und von unserer Zivilisation
stärker beeinflußten Männer haben die alten Götter vielleicht vergessen.
Aber im Gedächtnis der Frauen haben diese sich einen Zufluchtsort
bewahrt. Und es ist ein rührendes Schauspiel für mich, wenn unter meiner
Einwirkung die alten nationalen Gottheiten allmählich in Tehuras
Erinnerung erwachen und die künstlichen Schleier abwerfen, in die
protestantische Missionare sie einhüllen zu müssen geglaubt. Im ganzen
war das Werk der Katecheten ein sehr oberflächliches. Die Erfolge ihrer
Tätigkeit entsprachen, besonders bei den Frauen, nur wenig ihren
Erwartungen. Ihre Lehren sind wie eine schwache Firnisschicht, die
schnell bei der geringsten Berührung abbröckelt und schwindet.

Tehura besucht regelmäßig den Gottesdienst und befolgt die Vorschriften
der offiziellen Religion. Aber sie weiß die Namen aller Götter des
maorischen Olymps auswendig, und das ist keine Kleinigkeit. Sie kennt
ihre Geschichte, sie lehrt mich, wie sie die Welt erschaffen haben, wie
sie herrschen und wie sie geehrt sein wollen. Die strengen Lehren der
christlichen Moral sind ihr fremd, oder sie kümmert sich nicht darum,
denkt z. B. nicht daran zu bereuen, daß sie die Konkubine -- wie sie es
nennen -- eines Tané ist.

Ich weiß nicht recht, wie sie Jesus und Taaro in ihrem Glauben
zueinander stellt. Ich glaube, sie verehrt alle beide.

Nach und nach hat sie mir einen ganzen Kursus über tahitische Religion
gehalten. Dafür versuche ich ihr auf Grund europäischer Kenntnisse
einige Naturphänomene zu erklären.

Die Sterne interessieren sie sehr. Sie fragt mich nach der französischen
Benennung des Morgen-, des Abendsterns und der anderen Gestirne. Es wird
ihr schwer zu begreifen, daß die Erde sich um die Sonne dreht ...

Sie nennt mir die Sterne in ihrer Sprache, und während sie erzählt, sehe
ich beim Schein der Gestirne, die selber Gottheiten sind, die heiligen
Gestalten der maorischen Beherrscher der Luft, des Feuers, der Inseln
und Meere deutlich vor mir.

Die Bewohner von Tahiti haben immer, soweit man auch in ihrer Geschichte
zurückgreift, ziemlich ausgedehnte Kenntnisse in der Astronomie
besessen. Die periodischen Feste der Aréoïs -- Mitglieder einer geheimen
religiösen und zugleich politischen Gesellschaft, die auf den Inseln
herrschte -- wurden nach der Stellung der Gestirne bestimmt. Selbst die
Natur des Mondlichtes scheint den Maories nicht unbekannt gewesen zu
sein. Sie nehmen an, daß der Mond eine der Erde sehr ähnliche Kugel sei,
wie diese bewohnt und reich an Produkten wie die unsrigen.

Die Entfernung der Erde vom Monde schätzen sie auf ihre Weise: -- Eine
weiße Taube brachte den Samen des Baumes Ora vom Mond auf die Erde. Sie
brauchte _zwei Monde_, den Trabanten zu erreichen, und als sie nach
abermals zwei Monden auf die Erde fiel, war sie federlos. -- Dieser
Vogel hat von allen den Maories bekannten Vögeln den schnellsten Flug.

Dies aber ist die tahitische Benennung der Sterne. Ich vervollständige
Tehuras Lektion mit Hilfe des Fragments einer uralten Handschrift, die
in Polynesien gefunden wurde.

Ist es zu gewagt, darin eher die erste Andeutung eines von der
Astronomie aufgestellten Systems, als ein zufälliges Spiel der Phantasie
zu sehen?

   Roüa -- groß ist sein Stamm -- schlief mit seinem Weibe, der
   Düsteren Erde.

   Sie gebar ihren König, die Sonne, darauf die Dämmerung, dann die
   Nacht.

   Da verstieß Roüa dieses Weib.

   Roüa -- groß ist sein Stamm -- schlief mit der Frau, genannt »Grande
   Réunion«.

   Sie gebar die Königinnen des Himmels, die Gestirne, sodann den Stern
   Tahiti, den Abendstern.

   Der König der goldenen Himmel, der einzige König schlief mit seinem
   Weibe Fanoüi.

   Von ihr stammt das Gestirn Taüroüa (Venus), der Morgenstern, der
   König Taüroüa, der dem Tag und der Nacht und andern Sternen, dem
   Mond und der Sonne gebeut und den Schiffern als Führer dient.

   Taüroüa segelte links gen Norden, schlief dort mit seinem Weibe und
   zeugte den Roten-Stern, jenen Stern, der abends unter zwei Antlitzen
   leuchtet.

   Der Rote-Stern flog gegen Osten und setzte seine Piroge instand, die
   Piroge des hellen Tages, und steuerte gen Himmel. Bei Sonnenaufgang
   segelte er davon.

   Rehoüa tritt nun im weiten Raume auf. Er schläft mit seinem Weibe
   Oüra Tanéïpa.

   Sie zeugten die Zwillings-Könige, den Plejaden gegenüber.

   Diese Zwillings-Könige sind sicher dieselben wie unser Kastor und
   Pollux.

   Die erste Version der polynesischen Genesis unterliegt
   Veränderungen, die vielleicht nur Entwicklungen sind.

   Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin des Äußeren (oder des
   Meeres) nennt.

   Sie zeugten die weißen Wolken, die schwarzen Wolken und den Regen.

   Taaroa schlief mit der Frau, die sich Göttin des Innern (oder der
   Erde) nennt.

   Von ihnen stammt der erste Keim. Stammt alles, was auf der
   Oberfläche der Erde wächst.

   Stammt der Nebel auf den Bergen.

   Stammt, was sich das Starke nennt.

   Stammt sie, die sich die Schöne nennt oder die zum
   Gefallen-Geschmückte.

   Mahoüi[5] steuert seine Piroge.

   Er setzt sich nieder auf den Boden. Ihm zur Rechten hängt der mit
   Haarsträhnen an der Leine befestigte Angelhaken.

   Und die Leine mit dem Angelhaken, die er in der Hand hält, läßt er
   in die Tiefe des Weltalls hinunter, um den großen Fisch (die Erde)
   zu fischen.

   Der Haken hat sich festgebissen.

   Schon kommen die Achsen zum Vorschein, schon fühlt der Gott das
   enorme Gewicht des Erdballs.

   Tefatou (der Gott der Erde und die Erde selber) taucht noch, im
   unermeßlichen Raume schwebend, von dem Angelhaken erfaßt, aus der
   Nacht empor.

   Mahoüi hat den großen Fisch gefischt, der im Raume schwimmt und den
   er nun nach Belieben lenken kann.

   Er hält ihn in der Hand.

   Mahoüi regelt auch den Lauf der Sonne, so daß Tag und Nacht von
   gleicher Dauer sind.

Ich bat Tehura, mir die Götter zu nennen.

   -- Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin der Luft.

   Von ihnen stammt der Regenbogen, der Mondschein, die roten Wolken
   und der rote Regen.

   Es schlief Taaroa mit Ohina, der Göttin des Erdbusens.

   Sie zeugten Tefatou, den Geist, der die Erde belebt und sich durch
   unterirdische Geräusche zu erkennen gibt.

   Es schlief Taaroa mit der Frau, genannt Jenseits-der-Erde.

   Sie zeugten die Götter Téirii und Roüanoüa.

   Darauf Roo, der seitwärts aus dem Leibe der Mutter kam.

   Und dieselbe Frau gebar noch den Zorn und den Sturm, die Rasenden
   Winde und auch den Frieden, der ihnen folgt.

   Und der Ursprung dieser Geister ist an dem Ort, von dem die Boten
   ausgesandt werden.

Aber Tehura gibt zu, daß diese Darstellung angefochten wird. Es ist die
orthodoxeste Klassifikation.

Die Götter teilten sich in Atuas und Oromatuas.

Die höheren Atuas sind alle Söhne und Enkel des Taaroa.

Sie wohnen in den Himmeln -- es gibt deren sieben.

Die Söhne Taaroas und seines Weibes Féii Féii Maïtéraï waren: Oro (der
erste der Götter nach seinem Vater, der selbst zwei Söhne hatte, Tetaï
Mati und Oüroü Téféta), Raa (Vater von sieben Söhnen), Tané (Vater von
sechs Söhnen), Roo, Tiéri, Téfatou, Roüa Noüa, Toma Hora, Roüa Oütia,
Moë, Toüpa, Panoüa usw. usw.

Jeder dieser Götter hatte seine besonderen Abzeichen.

Die Werke des Mahoüi und des Tefatou kennen wir bereits ...

Tané hat den siebenten Himmel als Mund -- und dies bedeutet, daß der
Mund dieses Gottes das äußerste Ende des Himmels ist, von wo aus das
Licht die Erde zu erhellen beginnt.

Rii trennte Himmel und Erde.

Roüi wühlte die Wasser des Ozeans auf, durchbrach die feste Masse des
Erdballs und teilte ihn in unzählige Teile, die jetzigen Inseln.

Fanoüra, dessen Haupt bis zu den Wolken und dessen Füße bis zum
Meeresgrund reichten, und Fatoühoüi, ein anderer Riese, stiegen zusammen
nach Eïva -- einem unbekannten Lande -- hinunter, um das ungeheure
Schwein zu bekämpfen und zu vernichten, das die Menschen verschlang.

Hiro, Gott der Diebe, grub mit seinen Fingern Löcher in den Felsen. Er
befreite eine Jungfrau, die Riesen an einem verzauberten Ort gefangen
hielten: mit einer einzigen Hand riß er die Bäume aus, die am Tage das
Gefängnis der Jungfrau verdeckten, und der Zauber war gebrochen ...

Die Atuas niederen Ranges kümmerten sich mehr um das Leben und die
Arbeit der Menschen, ohne ihre Gewohnheiten zu teilen.

Es sind: die Atuas Maho (Götter-Haie), Schutzgeister der Seeleute: die
Pëho, Götter und Göttinnen der Täler, Schutzgeister der Ackerbauer; die
No Te Oüpas Oüpas, Schutzgeister der Sänger, Komödianten und Tänzer; die
Raaoü Pava Maïs, Schutzgeister der Ärzte; die No Apas, Götter, denen
Opfer dargebracht werden, nachdem sie jemand vor Hexerei und Zauber
bewahrt haben; die O Tanoü, Schutzgeister der Arbeiter, die Tané Ité
Haas, Schutzgeister der Zimmerleute und Baumeister; die Minias und
Papéas, Schutzgeister der Dachdecker; die Matatinis, Schutzgeister der
Netzeknüpfer.

Die Oromatuas sind Hausgötter, die Laren.

Es gibt wirkliche Oromatuas und Genien.

Die Oromatuas strafen die Streitsüchtigen und halten den Frieden in den
Familien aufrecht. Es sind: die Varna Taatas, Seelen verstorbener Männer
und Frauen jeder Familie. Die Eriorios, Seelen der in frühem Alter eines
natürlichen Todes gestorbenen Kinder. Die Poüaras, Seelen von Kindern,
die bei der Geburt getötet wurden und in den Körper der Heuschrecke
zurückgekehrt waren.

Die Genien sind von den Menschen gemutmaßte oder vielmehr wissentlich
erdachte Gottheiten. Sie legen irgendeinem Tiere oder einem Gegenstand,
einem Baume z. B., ohne jeden Grund willkürlich göttliche Bedeutung bei
und fragen ihn dann bei jedem wichtigen Anlaß um Rat. -- Vielleicht ist
das noch eine Spur der Seelenwanderung der Inder, die die Maories höchst
wahrscheinlich gekannt haben.

Ihre historischen Gesänge sind überreich an Sagen, in denen man die
Götter wieder die Gestalt von Tieren und Pflanzen annehmen sieht.

Nach den Atuas und Oramatuas kommen in letzter Reihe der himmlischen
Rangordnung die Tiis.

Diese Söhne Taaroas und Hinas sind sehr zahlreich.

Als den Göttern untergeordnete und den Menschen fernstehende Geister,
vermitteln sie nach der Schöpfungssage der Maories zwischen organischen
und unorganischen Wesen und verteidigen die Ansprüche und Rechte dieser
gegen die widerrechtlichen Angriffe der anderen.

Ihre Entstehung ist diese:

Es schlief Taaroa mit Ani (Sehnsucht) und sie zeugten: die Sehnsucht der
Nacht, den Boten der Finsternis und des Todes; die Sehnsucht des Tages,
den Boten des Lichts und des Lebens; die Sehnsucht der Götter, den Boten
des Himmlischen, und die Sehnsucht der Menschen, den Boten des
Irdischen.

Sodann zeugten sie: Tii-des-Inneren, der über Tiere und Pflanzen wacht,
Tii-des-Äußeren, der alle Wesen und Dinge des Meeres hütet;
Tii-des-Sandes, Tii-der-Küsten und Tii-der-lockeren Erde; Tii-der-Felsen
und Tii-des-Festen-Landes.

Später wurden noch geboren: Nachtleben, Tagesleben, Kommen und Gehen,
Ebbe und Flut, Freudenspenden und Genießen.

Die Bildnisse der Tiis waren an der Außenseite der Maraës (Tempel)
angebracht und begrenzten das Innere des heiligen Bodens. Man sieht
deren auf Felsen und an Küsten, und diese Götzenbilder haben die
Aufgabe, die Grenze zwischen Erde und Meer zu bezeichnen, die Harmonie
zwischen den beiden Elementen aufrechtzuerhalten und ihren
wechselseitigen Eingriffen zu wehren. Reisende haben noch jetzt auf der
Ile-de-Pâques einige Tii-Statuen gesehen. Es sind Riesendenkmäler in
halb menschlicher, halb tierischer Gestalt, die von einem eigentümlichen
Schönheitsbegriff und großer Geschicklichkeit in der Behandlung der
Steine zeugen, die architektonisch in Blöcken von geschickt gewählter
Farbenzusammenstellung übereinander getürmt sind.

Die europäische Invasion und der Monotheismus haben diese Spuren einer
einst hohen Kultur verwischt. Wenn die Tahitianer heutzutage ein
Monument errichten, zeigen sie Wunder von schlechtem Geschmack -- wie in
der Art des Grabmals des Pomare. Sie haben ihre ursprünglichen Instinkte
verloren, die in dem steten Verkehr mit der Tier- und Pflanzenwelt in so
reichem Maße bei ihnen entwickelt waren. Im Umgang mit uns, in _unserer
Schule_ sind sie erst wahrhaft »Wilde« in jenem Sinne geworden, die der
lateinische Okzident diesem Worte unterlegt. Sie sind schön geblieben
wie Kunstwerke, aber sie sind (wir haben sie) moralisch und auch
physisch unfruchtbar gemacht.

Es existieren noch Spuren der Maraës. Sie waren von Mauern umgebene
Vierecke, die durch drei Öffnungen unterbrochen wurden. Drei Seiten
bestanden aus Steinmauern von vier bis sechs Fuß, eine weniger hohe als
breite Pyramide bildete die vierte. Das Ganze hatte eine Breite von etwa
hundert und eine Länge von vierzig Metern. -- Bildnisse von Tiis
schmückten dies einfache Bauwerk.

Der Mond nimmt einen wichtigen Platz in der metaphysischen Anschauung
der Maories ein. Daß ihm zu Ehren ehemals große Feste veranstaltet
wurden, ist schon gesagt worden. Hina wird in den überlieferten
Erzählungen der Aréoïs oft genannt. Jedoch ist ihre Mitwirkung an der
Weltharmonie, ihre Rolle darin eine mehr negative als positive.

Dies geht deutlich aus dem oben angeführten Gespräch zwischen Hina und
Tefatou hervor.

Den Exegeten würden solche Worte den schönsten Stoff liefern, wenn sich
die australische Bibel auffinden ließe, um sie auszulegen. Vor allem
würden sie darin die Lehren einer Religion auf der Verehrung von
Naturkräften aufgebaut sehen -- ein gemeinsamer Zug aller primitiven
Religionen. Die Mehrzahl aller maorischen Götter sind eigentlich eine
Personifikation verschiedener Elemente. Aber ein aufmerksamer Blick, der
nicht von dem Wunsch abgelenkt und beeinflußt ist, die Überlegenheit
unserer Philosophie über die jener »Völkerschaften« zu beweisen, wird in
diesen Legenden sicherlich interessante und eigentümliche Züge finden.

Ich möchte zwei davon anführen -- aber ich begnüge mich, darauf
hinzuweisen. Es ist Aufgabe der Gelehrten, die Richtigkeit dieser
Hypothesen zu bestätigen.

Vor allem ist es die Klarheit, mit der die beiden einzigen und
allgemeinen Grundideen des Lebens sich unterscheiden und offenbaren. Die
eine, Seele und Intelligenz, Taaora, ist das Männliche, die andere,
gewissermaßen Stoff und Körper des nämlichen Gottes, das Weibliche, und
dies ist Hina, Ihr gehört die ganze Liebe des Menschen, ihm seine
Ehrfurcht. -- Hina ist nicht nur der Name des Mondes; es gibt auch eine
_Hina der Luft_, _Hina des Meeres_, eine _Hina des Inneren_, aber diese
beiden Silben charakterisieren nur die untergeordneten Teile der
Materie. Die Sonne, der Himmel, das Licht und sein Reich, sozusagen alle
edlen Teile der Materie -- oder vielmehr ihre spirituellen Elemente sind
Taaroa. Das geht deutlich aus mehr als einem Ausspruch hervor, in dem
die Definition von Geist und Materie wieder zu erkennen ist. -- Oder was
bedeutet wohl, wenn wir es bei dieser Definition bewenden lassen, die
Grundlehre der maorischen Schöpfungsgeschichte:

   Das Weltall ist nur die Schale des Taaroa --?

Bestätigt diese Lehre nicht den Urglauben an die Einheit des Stoffes;
wie die Definition und die Trennung von Geist und Körper die Analyse der
zwiefachen Manifestation dieses Stoffes in seiner Einheit! So selten
solch ein philosophisches Vorausempfinden bei den Primitiven auch sein
mag, darf doch dessen Wahrscheinlichkeit nicht bestritten werden. Es ist
wohl zu erkennen, daß die australische Theologie in den Handlungen des
Gottes, der die Welt erschuf und sie erhält, zwei Ziele im Auge hat: die
erzeugende Ursache und die befruchtete Materie, die treibende Kraft und
den verwandelten Gegenstand, Geist und Materie. Ebenso muß man in den
beständigen Wechselwirkungen zwischen dem leuchtenden Geist und der
empfänglichen Materie, die er belebt, in den aufeinander folgenden
Verbindungen des Taaroa mit den verschiedenen Hina-Gestalten, den
fortwährenden und wechselnden Einfluß der Sonne erkennen, wie in den
Früchten dieser Verbindungen die durch eben diese Elemente
hervorgerufenen Wandlungen von Licht und Wärme. Aber hat man dieses
Phänomen, von dem aus die beiden Hauptströmungen sich vereinigten, erst
einmal vor Augen, so verschmelzen in der Frucht die zeugende Ursache und
die befruchtete Materie, in der Bewegung die treibende Kraft und der
verwandelte Gegenstand, im Leben Geist und Materie, und das eben
erschaffene Weltall ist nichts _als die Schale des Taaroa_!

Aus dem Zwiegespräch zwischen Hina und Tefatou geht hervor, daß Mensch
und Erde untergehen, während der Mond und die Wesen, welche ihn
bewohnen, fortdauern. Wenn wir uns erinnern, daß Hina die Materie
vorstellt -- in der sich einem wissenschaftlichen Ausspruch nach »alles
verwandelt und nichts vergeht« --, werden wir annehmen müssen, daß der
alte maorische Weise, von dem diese Sage stammt, ebensoviel davon wußte
wie wir. Die Materie vergeht nicht, das heißt, sie verliert ihre
sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften nicht. Der Geist dagegen und die
»spirituelle Materie«, das Licht, sind Wandlungen unterworfen: es gibt
Nacht und den Tod, wo die Augen sich schließen, von denen Helle
auszustrahlen schien, die sie zurückwarfen. -- Der Geist, oder die
höchste aktuelle Manifestation des Geistes ist der Mensch. _Und der
Mensch muß sterben ... Er stirbt, um nicht mehr zum Leben zu erwachen._
-- Wenn aber der Mensch und die Erde, die Früchte der Verbindung von
Taaroa mit Hina, auch untergehen, ist doch Taaroa ewig, und uns wird
verkündet, daß Hina, die Materie, fortfahren wird zu sein. In alle
Ewigkeit werden nun Geist und Materie, das Licht und der Gegenstand, den
es zu erhellen strebt, von dem gemeinsamen Verlangen nach einer neuen
Verbindung erfüllt sein, aus der ein neuer »Zustand« der unendlichen
Evolution des Lebens hervorgehen wird.

Evolution! ... Einheit des Stoffes ... Wer hätte erwartet, in den
Vorstellungen ehemaliger Kannibalen die Beweise einer so hohen Kultur zu
finden? Ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich der Wahrheit nichts
zugefügt habe.

Tehura zweifelte zwar durchaus nicht an diesen Abstraktionen, aber sie
war nicht davon abzubringen, in den Sternschnuppen schweifende Tupapaüs
und trauernde Genien zu sehen. Im selben Sinne wie ihre Vorfahren Taaroa
für den Himmel in Person und die von ihm stammende Atuas für Götter und
Himmelskörper zugleich hielten, schrieb sie den Sternen menschliche
Empfindungen zu. Ich weiß nicht, inwiefern diese poetischen
Vorstellungen den Fortschritt der positivsten Wissenschaft hemmen, und
bis zu welchem Punkt die höchste Wissenschaft sie verwerfen würde ...

Von einem andern Gesichtspunkt aus wären für das Gespräch zwischen Hina
und Tefatou verschiedene Deutungen zulässig. -- Der Rat des Mondes, der
eine Frau ist, könnte der gefährliche Rat blinden Mitleids und
sentimentaler Schwäche sein: der Mond und die Frauen (in der Vorstellung
der Maories) gleichbedeutend mit Materie, brauchten nicht zu wissen, daß
der Tod allein die Geheimnisse des Lebens birgt. -- Die Antwort des
Tefatou könnte ein strenger, aber voraussehender und uneigennütziger
Ausspruch von höchster Weisheit sein, die erkennt, daß die individuellen
Äußerungen aktuellen Lebens einem höheren Wesen weichen müssen, auf daß
es komme, und ihm geopfert werden müssen, auf daß es siege.

Früher hätte diese Antwort die Bedeutung einer nationalen Prophezeiung
von noch größerer Tragweite gehabt: ein großer Geist hätte in alter Zeit
die Lebensfähigkeit seiner Rasse studiert und abgeschätzt, hätte die
Todeskeime in ihrem Blut ohne die Möglichkeit einer Heilung oder
Wiedergenesung vorausgesehen und sich gesagt:

   Tahiti wird aussterben, es wird aussterben, um nicht wieder zu
   erstehen.

                   *       *       *       *       *

Tehura sprach mit einer gewissen religiösen Scheu von jener Sekte oder
geheimen Gemeinschaft der Aréoïs, die zur Zeit ihrer Herrschaft die
Inseln regierte.

Aus den verworrenen Reden des Kindes sonderte ich Erinnerungen an einen
furchtbaren, eigentümlichen Brauch, ich ahnte eine tragische
Vergangenheit voll unerhörter Verbrechen, in die einzudringen aber den
Neugierigen durch ein streng gehütetes Geheimnis verwehrt war.

Nachdem Tehura mir alles darüber erzählt hatte, was sie wußte, forschte
ich überall danach.

Der sagenhafte Ursprung jener mächtigen Gemeinschaft ist dieser:

Oro, der Sohn des Taaroa und nach seinem Vater der höchste der Götter,
beschloß eines Tages, unter den Sterblichen eine Gefährtin zu suchen.

Es sollte eine Jungfrau sein, schön und tauglich, mit ihm unter den
Menschen eine Rasse zu gründen, die allen bevorzugt und überlegen war.

Er durchschritt also die sieben Himmel und stieg hinunter auf den Païa,
einen hohen Berg auf der Insel Bora-Bora, wo seine Schwestern, die
Göttinnen Téouri und Oaaoa, wohnten.

Nun trat Oro in Gestalt eines jungen Kriegers und seine Schwestern in
junge Mädchen verwandelt, eine Fahrt durch die Insel an, um dort ein
Wesen zu suchen, das eines Gottes Kuß würdig wäre.

Oro ergriff den Regenbogen, stützte ein Ende auf den Gipfel des Païa,
das andere auf die Erde, und so schritten der Gott und die Göttinnen
über Täler und Fluten.

Auf den verschiedenen Inseln, wo man eilte sie zu empfangen, gaben die
Reisenden prunkvolle, wunderbare Feste, zu denen alle Frauen sich
drängten.

Und Oro hielt Umschau unter ihnen. Aber sein Herz war betrübt, denn der
Gott fand Liebe, aber er liebte nicht. Auf keiner der Menschentöchter
weilte sein Blick lange, denn er entdeckte nicht eine der Tugenden und
Vorzüge, von denen er geträumt.

Und nachdem viele Tage unter vergeblichem Suchen verstrichen waren,
beschloß er, in die Himmel zurückzukehren, als er zu Vaïtapé auf der
Insel Bora-Bora eine Jungfrau von seltener Schönheit erblickte, die in
dem schönen See von Avaï Aïa badete.

Sie war von hoher Gestalt, und die Sonnenglut brannte und leuchtete auf
ihrem herrlichen Fleisch, während der ganze Zauber der Liebe in der
Nacht ihres Haares schlummerte.

Entzückt bat Oro die Schwestern, die Jungfrau anzureden.

Er selber zog sich zurück, um das Ergebnis ihrer Sendung auf dem Gipfel
des Païa abzuwarten.

Die Göttinnen redeten die Jungfrau mit einem Gruß an, priesen ihre
Schönheit und sagten, daß sie aus Avanaü, einem Ort auf Bora-Bora,
kämen.

-- Unser Bruder läßt dich fragen, ob du einwilligst, sein Weib zu
werden.

Vaïraümati -- dies war der Name der Jungfrau -- blickte die Fremden
prüfend an und erwiderte:

-- Ihr seid nicht aus Avanaü. Doch ist euer Bruder ein Häuptling, ist er
jung und schön, so mag er kommen, Vaïraümati wird sein Weib werden.

Téouri und Oaaoa stiegen unverzüglich zum Païa hinauf, um ihrem Bruder
mitzuteilen, daß er erwartet werde.

Sogleich begab Oro sich wie vorher auf dem Regenbogen hinunter nach
Vaïtapé.

Vaïraümati hatte zu seinem Empfang eine mit den schönsten Früchten
besetzte Tafel und aus den feinsten Matten und seltensten Stoffen ein
Lager bereitet.

Göttlich in ihrer Anmut und Kraft, pflegten sie der Liebe in Hain und
Flur, am Ufer des Meeres und im Schatten des Tamaris und des Paudanus.
Jeden Morgen stieg der Gott auf den Gipfel des Païa, und jeden Abend
ging er hinunter, mit ihr zu schlafen.

Kein anderes sterbliches Mädchen durfte ihn in irdischer Gestalt
erblicken.

Und stets diente der zwischen Païa und Vaïtapé gespannte Regenbogen ihm
als Weg.

Viele Monde hatten geleuchtet und waren wieder erloschen, seitdem die
verödeten Sieben Himmel ohne Kunde von Oros Aufenthalt waren. Darum
nahmen nun zwei andere Söhne des Taaroa, Orotéfa und Oürétéfa,
menschliche Gestalt an und machten sich auf, ihren Bruder zu suchen.
Lange irrten sie auf den Inseln umher, ohne ihn zu finden. Endlich
jedoch entdeckten sie auf Bora-Bora den jungen Gott, der mit Vaïraümati
im Schatten eines heiligen Mangobaumes ruhte.

Sie waren voll Staunen über die Schönheit des jungen Weibes und wollten
ihm als Zeichen ihrer Bewunderung einige Geschenke darbieten. Also
verwandelte Orotéfa sich in eine Sau und Oürétéfa in rote Federn, nahmen
dann gleich wieder menschliche Gestalt an, ohne daß Sau und Federn
verschwanden, und näherten sich mit ihren Gaben den Liebenden.

Erfreut empfingen Oro und Vaïraümati die beiden hohen Reisenden.

In derselben Nacht warf die Sau sieben Junge, von denen das erste einer
späteren Verwendung vorbehalten blieb; das zweite wurde den Göttern
geopfert, das dritte der Gastfreundschaft geweiht und den Fremden
angeboten, das vierte nannten sie: Opferschwein zu Ehren der Liebe, das
fünfte und sechste sollte bis zur ersten Tracht verschont bleiben, um
die Art zu mehren, und das siebente endlich wurde im ganzen auf heißen
Steinen gebraten -- also nach maorischem Brauch göttlich geweiht -- und
verzehrt.

Die Brüder des Oro kehrten wieder in die Himmel zurück.

Einige Wochen darauf sagte Vaïraümati zu Oro, daß sie sich Mutter fühle.

Da nahm Oro das erste der sieben Schweine, das verschont geblieben war,
und begab sich nach Raïatéa, zu dem großen Maraë, dem Tempel des Gottes
Vapoa.

Dort traf er einen Mann namens Mahi, dem er das Schwein übergab, und
sprach:

_Maiï maitaï oétéinéi boüaa_ (Nimm dieses Schwein und hüte es wohl).

Und feierlich fuhr der Gott fort:

-- Es ist das heilige Schwein. In seinem Blut wird der Bund der Männer
gefärbt sein, die von mir stammen. Denn ich bin Vater in dieser Welt.
Sie werden sich Oréoïs nennen. Dir übermittle ich ihre Vorrechte und
ihren Namen. Ich selber kann hier nicht länger weilen.

Mahi suchte den Häuptling von Raïatéa auf und erzählte ihm sein
Abenteuer. Aber da er das ihm anvertraute heilige Gut nicht hüten
konnte, ohne der Freund des Häuptlings zu sein, fügte er hinzu:

-- Mein Name sei der deinige und dein Name der meine.

Der Häuptling war es zufrieden, und sie nahmen beide den Namen
Taramanini an.

Inzwischen war Oro wieder zu Vaïraümati zurückgekehrt und verkündigte
dieser, daß sie einen Sohn gebären würde, den er ihr Hoa Tabou të Raï
(heiliger Freund des Himmels) zu nennen gebot.

Dann sprach er:

-- Die Zeit ist erfüllet und ich muß dich verlassen.

Er verwandelte sich sodann in eine ungeheure Feuersäule und hob sich
majestätisch in die Lüfte bis über den Periréré, den höchsten Berg von
Bora-Bora. Und hier entschwand er den Blicken seiner weinenden Gattin
und des staunenden Volkes.

Hoa Tabou të Raï ward ein großer Häuptling und tat den Menschen viel
Gutes. Bei seinem Tode wurde er in den Himmel erhoben, wo Vaïraümati
selber den Rang einer Göttin einnahm.

                   *       *       *       *       *

Oro könnte gut ein umherwandelnder Brahmine sein, der den Inseln --
wann? die Lehre des Brahma brachte (auf deren Spuren in der
australischen Religion ich schon hinwies).

In der Reinheit dieser Lehre erwachte das maorische Genie. Geister, die
fähig waren zu verstehen, erkannten einander und vereinigten sich, --
natürlich völlig abgesondert vom Volk, -- um die vorgeschriebenen Riten
auszuüben. Aufgeklärter als die übrigen ihrer Rasse, rissen sie bald die
religiöse und politische Herrschaft über die Inseln an sich, sicherten
sich wichtige Vorrechte und gründeten eine starke Übermacht, die in der
Geschichte des Inselmeers die glänzendste Periode bildete.

Obwohl sie des Schreibens unkundig gewesen zu sein scheinen, waren die
Aréoïs wahre Gelehrte. Sie verbrachten ganze Nächte damit, alte
»Aussprüche der Götter« Wort für Wort mit peinlichster Genauigkeit zu
erforschen, und sie auszulegen erforderte eine jahrelange Arbeit. Diese
ihnen allein zugänglichen Aussprüche der Götter, denen sie höchstens
Kommentare beifügen durften, verschaffte den Aréoïs die Sicherheit eines
geistigen Mittelpunkts, regte sie zu gewohnheitsmäßigem Nachdenken an,
berechtigte sie zu einer übermenschlichen Mission und gab ihnen ein
Ansehen, vor dem jeder sich beugte.

Es gibt in unserm christlichen, lehnspflichtigen Mittelalter ganz
ähnliche Einrichtungen wie diese, und ich kenne nichts Furchtbareres als
jene religiöse und kriegerische Gemeinschaft, jenes Konzil, das im Namen
Gottes Urteile fällte und allmächtig über Leben und Tod entschied.

Die Aréoïs lehrten, daß Menschenopfer den Göttern wohlgefällig seien,
und opferten selber in den Maraës alle ihre Kinder außer den
Erstgeborenen: das Symbol dieses blutigen Ritus war die Sage von den
sieben Schweinen, die außer dem ersten, dem »heiligen Schwein«, alle
getötet wurden.

Doch dürfen wir über diese Barbarei nicht voreilig schelten.

Diese grausame Pflicht, der so viele primitive Völkerschaften sich
unterwarfen, hatte tiefe Gründe sozialer Art und allgemeinen Interesses.

Bei sehr fruchtbaren Rassen, wie es die der Maories einst war, bedrohte
die unbegrenzte Vermehrung der Bevölkerung ihre nationale wie positive
Existenz. Das Leben auf den Inseln war zwar mühelos, und es bedurfte
keines großen Fleißes, um sich das Notwendige zu verschaffen. Aber das
sehr beschränkte Gebiet, von dem unermeßlichen, den gebrechlichen
Pirogen unzugänglichen Ozean umgeben, wäre für ein sich stetig
vermehrendes Volk bald unzureichend geworden. Das Meer hätte nicht mehr
genügend Fische geliefert und der Wald nicht genug Früchte. Eine
Hungersnot wäre nicht ausgeblieben und hätte, wie sie es immer getan,
die Anthropophagie zur Folge gehabt. -- Um Männermorde zu vermeiden,
beschränkten die Maories sich auf Kinderopfer. Übrigens war
Menschenfresserei bereits üblich, als die Aréoïs auftraten, und um diese
zu bekämpfen und die Ursache aufzuheben, führten sie den Kindesmord ein,
der vielleicht als eine Milderung der Sitten zu bezeichnen wäre, wenn
das unheimlich Komische dieser Behauptung auch einem Possenschreiber zur
Belustigung dienen könnte. Die Aréoïs mußten wahrscheinlich große
Energie anwenden, um diesen Fortschritt durchzusetzen, und erreichten es
wohl nur dadurch, daß sie sich in den Augen des Volkes die volle
Autorität der Götter anmaßten.

Schließlich wurde der Kindesmord ein mächtiges Mittel der Zuchtwahl für
die Rasse. Das furchtbare Recht der Erstgeburt, ein Recht auf das Leben
selber, erhielt die Kraft des Volkes unverkürzt, indem es von den
schädlichen Folgen erschöpfter Säfte verschont blieb. Es nährte in all
diesen Kindern auch das Bewußtsein unverwüstlichen Stolzes. Die Urkraft
und letzte Blüte dieses Stolzes ist es auch, die wir noch bei den
letzten Sprößlingen einer großen, im Aussterben begriffenen Rasse
bewundern.

Das beständige Beispiel und die häufige Wiederkehr des Todes war
schließlich eine erhabene und belebende Lehre. Die Krieger lernten
Schmerzen gering schätzen, und die ganze Nation fand eine wohltätige
intensive Erregung dabei, die sie vor der tropischen Erschlaffung und
entnervender Mattigkeit bei dem fortdauernden Nichtstun bewahrte. Es ist
eine historische Tatsache, daß der Niedergang der Maories mit dem
gesetzlichen Verbot der Opfer begann, und daß sie von da an allmählich
jede moralische Kraft und physische Fruchtbarkeit verloren. Sollte dies
auch nicht die Ursache davon sein, so gibt das Zusammentreffen doch zu
denken.

Und vielleicht haben die Aréoïs die tiefe Bedeutung und symbolische
Notwendigkeit des Opfers verstanden ... Die Prostitution war ihnen eine
heilige Pflicht. Bei uns hat sich das geändert. Auch hat sie auf Tahiti
keineswegs aufgehört, seit wir es mit den Wohltaten unserer Zivilisation
überhäuft haben: sie blüht fort. Aber sie ist weder Pflicht noch
geheiligt, sondern nur ohne Größe und entschuldbar.

Die geistliche Würde ging vom Vater auf den Sohn über, dessen Einweihung
schon im Kindesalter begann.

Die Gesellschaft war ursprünglich in zwölf Logen geteilt, deren
Großmeister die zwölf obersten Aréoïs waren. Dann kamen die Würdenträger
zweiten Ranges und endlich die Lehrjünger. Die verschiedenen Grade
unterschieden sich durch besondere Tätowierungen auf den Armen, an den
Seiten, den Schultern, Beinen und Knöcheln.

                   *       *       *       *       *

Der _Matamua_ der Aréoïs, eine maorische Szene bei der feierlichen
Einsetzung eines Königs in alter Zeit:

Der neue Herrscher verläßt, in prächtige Gewänder gekleidet und von den
Vornehmsten der Inseln umgeben, seinen Palast. Vor ihm schreiten die
Großmeister der Aréoïs mit seltenen Federn im Haar.

Er begibt sich mit seinem Gefolge zum Maraë.

Als die Priester, die ihn an der Schwelle erwarten, seiner ansichtig
werden, verkünden sie unter lautem Trompetenschall und Trommelschlag,
daß die Zeremonie beginnt.

Dann beim Eintritt in den Tempel mit dem König legen sie ein
Menschenopfer, einen Leichnam, vor das Bild des Gottes.

Der König spricht und singt mit den Priestern vereint Gebete, worauf der
Priester das Opfer beider Augen beraubt. Er bietet das rechte Auge dem
Gotte dar und das linke dem König; dieser öffnet den Mund, wie um das
blutige Auge zu verschlingen, aber der Priester zieht es zurück und legt
es wieder zu dem Körper[6].

Nun wird die Statue des Gottes auf eine geschnitzte, von Priestern
getragene Bahre gestellt. Auf den Schultern der beiden Oberpriester
sitzend, folgt der König dem Götzenbild, von den Aréoïs wie zu einer
Abreise begleitet, bis zum Ufer des Meeres. Auf dem ganzen Wege fahren
die Priester fort die Trompete zu blasen, die Trommel zu schlagen.

Die Menge geht ehrfurchtsvoll und still hinterher.

An der Bucht wiegt sich die heilige, zu dieser Feier mit grünen Zweigen
und Blumen geschmückte Piroge. Zuerst wird das Götzenbild darin
untergebracht, dann der König seiner Gewänder entledigt, und die
Priester geleiten ihn in das Meer, wo die Atuas-Mao (Götter-Haie) ihn in
den Fluten waschen und liebkosen.

So zum andernmal vom Kuß des Meeres im Beisein des Gottes geweiht, wie
zuvor das erstemal in dessen Tempel, besteigt der König die heilige
Piroge, wo der Oberpriester ihn mit dem _maro oüroü_ umgürtet und um
sein Haupt das _taoü mata_, die Binden der Herrschaft, windet.

Vorn im Boot stehend zeigt der König sich nun dem Volk.

Und dieses bricht bei dem Anblick endlich das lange Schweigen, und
überall ertönt der feierliche Ruf:

-- _Maëva Arii_ (Es lebe der König)!

Nachdem der erste laute Jubel sich gelegt hat, wird der König auf das
heilige Lager gebettet, wo eben das Götzenbild geruht, und alle kehren
auf demselben Wege, fast in derselben Reihenfolge wie vorher, zum Maraë
zurück.

Wieder tragen die Priester das Götzenbild und die Oberpriester den
König, und der Zug wird abermals mit Musik und Tanz eröffnet.

Das Volk folgt hinterher. Aber jetzt rufen sie, ihrer Freude überlassen,
fortwährend:

-- Maëva Arii!

Das Götzenbild wird feierlich auf seinen Altar zurückgestellt.

Und damit schließt die religiöse Feier. Nun soll das Volksfest seinen
Anfang nehmen.

Wie den Göttern im Tempel und der Natur im Meer, wird der König sich dem
Volke weihen[7]. -- Auf Matten gebettet muß der König jetzt die _höchste
Huldigung des Volkes_ entgegennehmen.

Die frenetische Huldigung eines wilden Volkes.

Eine ganze Menge in Bezeigung ihrer Liebe für _einen Menschen_, und
dieser Mensch ist der König. Großartig bis zum Schrecken, bis zum
Entsetzen ist dieses Schauspiel zwischen der Menge und dem einen
Menschen. Morgen wird er Herr sein, er wird nach Belieben mit Geschicken
schalten, über die er zu bestimmen hat, und die ganze Zukunft ist sein!
Der Menge gehört nur diese eine Stunde.

Völlig nackt, in lasziven Tänzen umkreisen Männer und Frauen den König
und bemühen sich, gewisse Teile seines Körpers mit gewissen Teilen des
ihren zu streifen, eine Berührung ist dabei nicht immer zu vermeiden.
Und die Raserei des Volkes steigert sich bis zur Tollheit. Die ganze
friedliche Insel hallt von furchtbarem Geschrei wieder, und der
hereinbrechende Abend zeigt das phantastische Bild einer verzückten
wahnsinnigen Menge.

Aber plötzlich schmettert der Klang der heiligen Trompeten und Trommeln.

Die Huldigung ist zu Ende, zu Ende das Fest, das Signal zum Rückzug
ertönt. Selbst die Rasendsten gehorchen, alles beruhigt sich, und jäh
tritt absolute Stille ein.

Der König erhebt sich und kehrt feierlich, majestätisch, von seinem
Gefolge geleitet, in seinen Palast zurück.

                   *       *       *       *       *

Seit etwa vierzehn Tagen wimmelte es von sonst selten auftretenden
Fliegen, die unerträglich wurden.

Aber die Maories freute es, denn die Thunfische und andere Fische
stiegen vom Grunde an die Oberfläche. Die Fliegen kündigten die Zeit des
Fischfangs, die Zeit der Arbeit an. Man vergesse nicht, daß Arbeit auf
Tahiti ein Vergnügen ist.

Jeder prüfte die Haltbarkeit seiner Netze und seine Angeln. Frauen und
Kinder halfen mit ungewöhnlichem Eifer Netze oder vielmehr lange Gitter
von Kokosnußblättern an den Strand und auf die Korallenriffe zwischen
Land und Klippen schleppen. Auf diese Art werden gewisse Köderfischchen
gefangen, die am schmackhaftesten für die Thunfische sind.

Als die Vorbereitungen beendet waren, was etwa drei Wochen in Anspruch
genommen hatte, wurden zwei große, miteinander verbundene Pirogen aufs
Meer gelassen, an denen vorn eine sehr lange, mit einem Angelhaken
versehene Stange angebracht war, die mittels zweier hinten befestigter
Taue schnell gehoben werden konnte. Sobald der Fisch angebissen hat,
wird er sofort herausgezogen und in dem Fahrzeug untergebracht.

Eines schönen Morgens zogen wir (ich war -- natürlich -- mit bei dem
Fest) aufs Meer hinaus und hatten die Klippenreihe bald glücklich hinter
uns. Wir wagten uns ziemlich weit hinaus. Ich sehe noch eine
Schildkröte, die uns, den Kopf überm Wasser, im Vorüberfahren
nachschaute.

Die Fischer waren alle in fröhlicher Stimmung und ruderten eifrig.

Wir kamen den _Grotten_ von _Mara_[8] gegenüber an eine Stelle,
_Thunloch_ genannt, wo das Wasser sehr tief ist.

Dort, sagt man, schlafen die Thunfische nachts in einer Tiefe, die den
Haifischen unerreichbar ist.

Nach Fischen spähend, schwebte eine Wolke von Seevögeln über dem Loch.
Sobald einer an der Oberfläche erscheint, stoßen die Vögel mit
unglaublicher Geschwindigkeit darauf herab und steigen mit einem Bissen
im Schnabel wieder in die Höhe.

So herrscht im Meer und in der Luft, selbst in unseren Pirogen nur der
Gedanke an Blut und Mord.

Als ich meine Gefährten fragte, warum sie nicht eine lange Angelschnur
in das Thunloch hinunterließen, erwiderten sie, daß es unmöglich sei, es
wäre ein geheiligter Ort:

-- Der Gott des Meeres wohne da.

Ich vermutete eine Sage dahinter und ließ sie mir erzählen.

                   *       *       *       *       *

»Roüa Hatou, eine Art tahitischer Neptun, schlief auf dem Meeresgrund an
dieser Stelle.

Ein Maorie war einst so tollkühn dort zu fischen, und da sein Angelhaken
sich in den Haaren des Gottes verfing, erwachte dieser.

Zornig stieg er an die Oberfläche, um zu sehen, wer die Kühnheit gehabt,
seine Ruhe zu stören, und als er sah, daß der Schuldige ein Mensch war,
beschloß er die ganze Menschenrasse zu vertilgen, um die Ruchlosigkeit
des einen zu sühnen.

Der Strafe entging jedoch -- durch unerklärliche Nachsicht -- gerade der
Missetäter selber.

Der Gott gebot ihm, mit seiner ganzen Familie auf den _Toa Marama_ zu
gehen, nach einigen eine Insel oder ein Berg, nach andern eine Piroge
oder »Arche«.

Als der Fischer sich mit den Seinen an den bezeichneten Ort begeben
hatte, begannen die Wasser des Meeres zu steigen. Sie bedeckten
allmählich selbst die höchsten Gipfel, und alles Lebende bis auf jene,
die sich zum Toa Marama geflüchtet hatten, kam darin um.

Später bevölkerten sie die Insel aufs neue[9].«

                   *       *       *       *       *

Wir ließen also das Thunloch hinter uns, und der Führer der Piroge
bezeichnete einen Mann, der die Stange ins Meer lassen und die Angel
auswerfen mußte.

Lange Minuten wurde gewartet, kein Thunfisch biß an.

Ein anderer Ruderer kam an die Reihe, und diesmal biß ein prachtvoller
Thunfisch an und bog die Stange hinunter. Vier kräftige Arme hoben sie
empor, indem sie die Taue hinten anzogen, und der Fisch erschien an der
Oberfläche. Aber gleichzeitig schnellte ein riesiger Hai über die Wogen:
ein paar furchtbare Bisse, und wir hatten nichts weiter am Angelhaken
als einen abgetrennten Kopf.

Nun gab der Führer mir ein Zeichen, und ich warf die Angel aus.

Nach ganz kurzer Zeit fischten wir einen riesenhaften Thunfisch. -- Ohne
es viel zu beachten, hörte ich meine Nachbarn unter sich kichern und
tuscheln. -- Das durch Stockschläge auf den Kopf getötete Tier wand sich
auf dem Boden des Fahrzeuges, und sein Leib, jetzt einem schillernden
Spiegel gleich, entsandte tausend blitzende Strahlen.

Ein zweites Mal hatte ich ebenfalls Glück.

Meine Gefährten beglückwünschten mich fröhlich, nannten mich einen
Glückspilz, und in meinem Stolz widersprach ich nicht.

Aber in dem einstimmigen Lob unterschied ich, wie bei meinem ersten
Versuch, ein unerklärliches Lachen und Getuschel.

Das Fischen währte bis zum Abend. Als der Vorrat der kleinen Köderfische
erschöpft war, entzündete die Sonne rote Flammen am Horizont, und unser
Fahrzeug war mit zehn prächtigen Thunfischen beladen.

Wir bereiteten uns zur Rückfahrt vor. Während alles instandgesetzt
wurde, fragte ich einen jungen Burschen nach dem Sinn der ganz leise
gewechselten Worte und nach dem Lachen, das beide Male meinen Fang
begleitet hatte. Er weigerte sich zu antworten. Aber ich ließ nicht
nach, denn ich wußte, wie gering die Widerstandskraft des Maorie ist und
wie bald er energischem Drängen nachgibt.

Schließlich vertraute er mir an: Wem der Thunfisch in den Angelhaken
beißt -- und meine hatten das beide getan, -- dem ist zu Haus die Vahina
untreu.

Ich lächelte ungläubig.

Und wir kehrten zurück.

Die Nacht bricht in den Tropen schnell herein. Es galt ihr
zuvorzukommen. Zweiundzwanzig muntere Pageien (schaufelartige Ruder)
tauchten gleichzeitig ins Wasser, und um sich anzufeuern, stießen die
Ruderer im Takt dazu laute Rufe aus. Unsere Piroge hinterließ eine
phosphorleuchtende Furche.

Mir war zumute wie auf einer tollen Flucht: die ergrimmten Herrscher des
Ozeans verfolgten uns, und um uns schnellten, wie phantastische Scharen
unbestimmter Gestalten, die aufgeschreckten, neugierigen Fische empor.

In zwei Stunden erreichten wir die äußersten Klippen.

Die Brandung ist dort gewaltig, und die Fahrt des Seegangs wegen
gefährlich. Es ist kein Leichtes, die Piroge richtig vor die Sandbank zu
steuern. Aber die Eingeborenen sind gewandt, und ich verfolgte mit
lebhaftem Interesse, jedoch nicht ganz ohne Furcht, die Operation, die
glänzend vonstatten ging.

Vor uns war das Land von lohenden Feuern erhellt, -- es waren enorme
Fackeln von Zweigen des Kokosnußbaumes. Der Anblick der auf dem Sande am
Ufer des beleuchteten Meeres lagernden Fischerfamilien war wunderbar.
Einige saßen reglos da, andere liefen, die Fackeln schwingend, den
Strand entlang, die Kinder sprangen hin und her, und man vernahm in der
Ferne ihr stilles Geschrei.

Mit leichtem Schwung fuhr unsere Piroge auf den Strand, und die
Verteilung der Beute begann sogleich.

Alle Fische wurden auf die Erde gelegt, und der Anführer teilte sie in
so viele gleiche Teile, wie die Anzahl der Personen -- Männer, Frauen
und Kinder -- betrug, die sich am Fischfang und dem Fischen der
Köderfischchen beteiligt hatten.

Es waren 37 Teile.

Ohne Zeit zu verlieren, nahm meine Vahina ein Beil, spaltete Holz damit
und zündete ein Feuer an, während ich noch ein wenig Toilette machte und
mich wegen der Nachtkühle einhüllte.

Von unseren beiden Anteilen wurde der eine gekocht, und den anderen
bewahrte Tehura roh auf.

Dann fragte sie mich des langen und breiten über die verschiedenen
Vorkommnisse beim Fischfang aus, und ich befriedigte willfährig ihre
Neugierde. Genügsam und kindlich erheiterte sie sich an allem, und ich
beobachtete sie, ohne sie meine geheimen Gedanken merken zu lassen. Im
Grunde meiner Seele war ohne jede Ursache eine Unruhe erwacht, die nicht
zu beschwichtigen war. Ich brannte darauf, an Tehura eine Frage zu
stellen -- eine gewisse Frage ... und es half mir nichts, mir zu sagen:
Wozu? Ich antwortete mir selber: Wer weiß?

                   *       *       *       *       *

Die Zeit des Schlafengehens kam heran, und als wir beide ausgestreckt
nebeneinander lagen, fragte ich plötzlich:

-- Bist du vernünftig gewesen?

-- Ja.

-- Und dein Geliebter, war er nach deinem Geschmack?

-- Ich habe keinen Geliebten.

-- Du lügst, der Fisch hat es verraten.

Tehura erhob sich und blickte mich starr an. Ihr Antlitz hatte einen
seltsamen mystischen Ausdruck majestätischer Größe, der mir fremd war
und den ich in ihren heiteren, fast kindlichen Zügen nie vermutet hätte.

Die Atmosphäre in unserer kleinen Hütte hatte sich verwandelt: Ich
fühlte, daß etwas Erhabenes sich zwischen uns erhob. Und wider Willen
unterlag ich dem Einfluß des Glaubens und erwartete eine Botschaft von
oben. Ich zweifelte nicht, daß sie kommen würde, obwohl die fruchtlosen
Bedenken unseres Skeptizismus dieser glühenden, wenn auch nur einem
Aberglauben geltenden Inbrunst gegenüber noch ihre Macht auf mich
ausübten.

Tehura schlich leise zur Tür, um sich zu vergewissern, daß sie gut
verschlossen war, und als sie bis in die Mitte der Kammer zurückgekommen
war, sprach sie folgendes Gebet:

   Rette mich! Rette mich!
   Es ist Abend, es ist Abend der Götter.
   Wache über mich, o mein Gott!
   Wache über mich, o mein Herr!
   Behüte mich vor Betörung und schlechten Ratschlägen.
   Bewahre mich vor einem plötzlichen Tode,
   Vor dem Bösen und Verwünschungen;
   Bewahre mich vor Streit um die Teilung des Landes,
   Möge Frieden herrschen unter uns!
   O mein Gott, schütze mich vor den rasenden Kriegern!
   Hüte mich vor dem, der mich bedroht,
   Den es freut zu ängstigen,
   Vor dem, dessen Haar sich beständig sträubt!
   Auf daß ich und mein Geist leben können,
   O mein Gott!

An diesem Abend, wahrlich, habe ich mit Tehura gebetet.

Als sie ihr Gebet beendet hatte, kam sie mit Tränen in den Augen zu mir
hin und flehte mich an, sie zu schlagen.

Und vor dem tiefen Ernst dieses Antlitzes, vor der vollkommenen
Schönheit dieser lebenden Statue glaubte ich die von Tehura
heraufbeschworene Gottheit selber vor mir zu sehen.

Verflucht sei ewig meine Hand, wenn sie es wagte, sich gegen ein
Meisterwerk der Natur zu erheben!

Sie wiederholte ihr Flehen, sie zu schlagen.

-- Tust du es nicht, so zürnst du lange und wirst krank.

Ich küßte sie.

Und jetzt, wo ich sie ohne Mißtrauen liebe, so liebe, wie ich sie
bewunderte, kamen mir die Worte Buddhas auf die Lippen:

»Ja, durch Sanftmut muß man den Zorn besiegen, durch das Gute Böses, und
durch Wahrheit Lüge.«

Diese Nacht ward göttlich, köstlicher als die anderen alle -- und
strahlend erwachte der Tag.

Frühmorgens brachte ihre Mutter uns einige frische Kokosnüsse.

Mit einem Blick befragte sie Tehura.

Sie _wußte_.

Mit feinem Mienenspiel sagte sie zu mir:

-- Du warst gestern auf dem Fischfang, ist alles gut verlaufen?

Ich erwiderte:

-- Ich hoffe, bald wieder dabei zu sein.

                   *       *       *       *       *

Ich war genötigt, nach Frankreich zurückzukehren. Wichtige
Familienangelegenheiten riefen mich zurück.

Lebe wohl, gastfreies Land, köstliches Land, Heimat der Freiheit und der
Schönheit!

Zwei Jahre älter geworden und um zwanzig Jahre verjüngt gehe ich fort,
_verwilderter_ als ich gekommen war und doch _gescheiter_.

Die Wilden, diese Unwissenden, haben den alten Kulturmenschen vieles
gelehrt, vieles in der Kunst zu leben und glücklich zu sein: Vor allem
haben sie mich gelehrt, mich selber besser zu kennen, ich habe von ihnen
nur tiefste Wahrheit gehört.

War das dein Mysterium, du geheimnisvolle Welt? Du hast mir Licht
gebracht, und ich bin gewachsen in der Bewunderung deiner antiken
Schönheit, der unvergänglichen Jugend der Natur.

Das Verständnis und die Liebe zu der Seele deiner Menschen, zu dieser
Blume, die aufhört zu blühen, und deren Duft niemand mehr einatmen wird,
hat mich besser gemacht.

                   *       *       *       *       *

Als ich den Quai verließ, um an Bord zu gehen, sah ich Tehura zum
letztenmal.

Sie hatte Nächte hindurch geweint, jetzt saß sie erschöpft und traurig,
aber ruhig mit herabhängenden Beinen auf einem Stein, und ihre starken,
festen Füße berührten das schmutzige Wasser.

Die Blume, die sie am Morgen hinters Ohr gesteckt hatte, war welk auf
ihre Knie herabgefallen.

Hier und dort starrten andere, wie sie, matt, schweigend, düster,
gedankenlos, auf den dichten Qualm des Schiffes, das uns alle für immer
weit fort tragen sollte.

Und von der Schiffsbrücke aus glaubten wir, während wir uns immer weiter
entfernten, mit dem Fernglas auf ihren Lippen noch lange jene alten
maorischen Verse zu lesen:

   Ihr leisen Winde von Süd und Ost,
   Die ein zärtlich Spiel über meinem Haupte vereint,
   Eilt schnell zur nächsten Insel hin.
   Dort findet ihr im Schatten seines Lieblingsbaumes
   Ihn, der mich verlassen hat.
   Sagt ihm, daß ihr in Tränen mich gesehn.




                                Fußnoten


[1] Paréo -- Gürtel, einziges Kleidungsstück der Eingeborenen.

[2] Leichtes, aus einem Stamm gemachtes Fahrzeug der Wilden.

[3] Tupapaüs -- Geister von Verstorbenen, Kobolde und Nachtgespenster.

[4] Vivo -- Musikinstrument.

[5] Dieser Mahoüi scheint ebenso wie Roüa, der die Sterne schuf,
derselbe wie Taaroa. Es sind wahrscheinlich verschiedene Namen desselben
Gottes.

[6] Die symbolische Bedeutung dieses Ritus, das klare Verbot der
Anthropophagie, ist nicht zu verkennen.

[7] Es ist zu befürchten, daß die Missionare (von denen diese
Überlieferungen stammen) zu einem leicht zu erratenden Zweck, in diesem
wie vielen anderen Punkten, die Vorfahren ihrer Pfarrkinder verleumdet
haben. Aber trotz alles Brutalen, Grotesken und vielleicht Abstoßenden
wird man doch zugeben müssen, daß dieser merkwürdige Ritus nicht einer
eigentümlichen Schönheit entbehrt.

[8] Das Wort _Mara_ kommt in der Sprache der Buddhisten vor, wo es _Tod_
bedeutet und, davon abgeleitet, _Sünde_.

[9] Die Legende ist _eine_ der vielen maorischen Erklärungen der
Sintflut.


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                   IWAN GONTSCHAROW, GESAMMELTE WERKE

                        Vier Bände in Ganzleinen

        Buchschmuck und Entwurf des Einbandes von Professor Weiß


                  Band I: EINE ALLTÄGLICHE GESCHICHTE


                            Band II: OBLOMOW


                 Band III/IV: DIE SCHLUCHT, Zwei Bände


                     Anmerkungen zur Transkription

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 41]:
   ... deren Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...
   ... dessen Bewohner noch nach altem maorischem Brauch ...

   [S. 60]:
   ... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare so den ...
   ... Hochzeit, legal und religiös, wie die Missionare sie den ...

   [S. 73]:
   ... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der Schöpfungsfrage ...
   ... fernstehende Geister, vermitteln sie nach der Schöpfungssage ...




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