Visionen: Skizzen und Erzählungen

By Oskar Panizza

The Project Gutenberg eBook, Visionen, by Oskar Panizza


This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org





Title: Visionen
       Skizzen und Erzählungen


Author: Oskar Panizza



Release Date: October 11, 2013  [eBook #43933]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VISIONEN***


E-text prepared by Marc D'Hooghe (http://www.freeliterature.org) from page
images generously made available by Internet Archive/Canadian Libraries
(http://archive.org/details/toronto)



Note: Images of the original pages are available through
      Internet Archive/Canadian Libraries. See
      http://archive.org/details/visionenskizzenu00pani





VISIONEN

Skizzen und Erzählungen

von

OSKAR PANIZZA







Leipzig
Verlag von Wilhelm Friedrich.
1893.




Oskar Panizza

Visionen

Erzählungen und Skizzen

_Dem Andenken Ernst Theodor Amadeus Hoffmann's._




Inhalt


    Die Kirche von Zinsblech
    Eine Negergeschichte
    Ein Criminelles Geschlecht
    Der Corsetten-Fritz
    Indianer-Gedanken
    Ein scandalöser Fall
    Der operirte Jud'
    Das Wirthshaus zur Dreifaltigkeit
    Der Goldregen
    Ein Kapitel aus der Pastoral-Medizin




Die Kirche von Zinsblech

                        "_Sind angenehm in Leibkleidern_
                        _als nackend, doch tödtliche Farbe,_
                        _gehen zertheilt an beiden Orten_
                        _den Platz hinauf, lassen sich bloß_
                        _sehen als ob sie erscheinen,_
                        _ungeredet, und gehen alsdann wieder_
                        _hinab in das Grab."--_
                           _LuzernerOsterspiel, Todtenauferstehung._


Auf einer meiner einsamen Wanderungen durch Tyrol hatte ich mich eines
Abends vergangen. In Folge eines am Nachmittag schief gestandenen
Wegweisers fand ich mich bei längst eingetretener Dunkelheit noch
mitten im Walde, während ich bei untergehender Sonne längst am Orte
meines Ziels hätte eintreffen sollen. Ich kam zwar endlich in ein Dorf,
welches ich aber weder in dieser Gegend vermuthete, noch, soviel ich
mich erinnerte, auf einer meiner Karten verzeichnet stand. Es mochte
jetzt gegen elf Uhr Nachts sein. Alle Hausthüren waren verschlossen;
die Fensterscheiben schwarz. Aus Besorgniß um ein Nachtquartier
klopfte ich an eine derselben, deren bleiernschepperndes Geräusch die
Worte "Zinsblech! Zinsblech!" vernehmen ließ. Dies war aber nur der
Laut auf den kleinen runden Scheiben mit Bleieinfassung; die größeren
Scheiben, an die ich klopfte, um Einlaß zu erhalten, tönten "Pinzgau!
Pinzgau!" Nirgends die Antwort einer menschlichen Stimme. Nach wenigen
Schritten stieß ich auf die Ortstafel, wo das einzige Licht im Dorf
zu brennen schien, bei dessen Schein es mir gelang auf derselben zu
lesen: "Gemeinde _Zinsblech_; Landgericht _Pinzgau_". Es folgten noch
einige Bemerkungen bezüglich Aushebungsbezirk, Steuereinziehung u.s.w.
und am Schlusse hieß es: "Das Orts-Geschenk wird im Haus Nr. 666
gereicht."--Nachdem ich mit meinem Geklopfe "Zinsblech!--Pinzgau!"
mehrere, gänzlich menschenleere Straßen durchwandert hatte, wobei
mir das Unglück passirte eine Scheibe einzuschlagen, die auf diesen
Mord ihres eigenen Ichs mit dem gläsernen Sterbeseufzer "Grinzsau!"
antwortete, kam ich an die Kirche. Ein großes, hochaufsteigendes
Gebäude im nüchtern-romanischen Stil mit wuchtigen Formen; außen
rohbemörtelt; das Dach von Schiefer; am Ende ein hoher Thurm mit in
Zacken aufsitzendem Thurmhelm, dessen sich verjüngende Spitze ein
goldenes Kreuz, und auf dem Kreuz einen Hahn trug. Merkwürdigerweise
stand die Kirchenthür, die mit Schweinfurter Grün angestrichen
war, sperrangelweit offen. Ich trat ein und ging, nachdem ich in
unglücklicher Richtung an den kupfernen Weihkessel angestoßen war,
der mit dem schilpend-abgewetzten Laut "Prinzfrech!" antwortete,
vorsichtig durch die Kirchenstühle auf den Altar zu. Vor dem Altar lag
eine dicke, wollige Plüschdecke. Alles war mäuschenstill. Ich war so
ermüdet, daß ich mich versuchsweise hinlegte.--

Obwohl es beim Eintritt ganz dunkel war, konnte ich doch schon nach
kurzer Zeit allgemeine Umrisse, Nischen und Vorsprünge unterscheiden.
Die Altäre waren geschmückt mit den in Landkirchen üblichen,
eingerahmten Tablettes, auf denen lateinische Sprüche stehen, mit
versilberten Leuchtern, Klingelspiel, alles in einfachster, wenig
kostspieliger Form; auf Sockeln an der blanken, weißgetünchten Wand
herum standen einige Apostel, Märtyrer und Ortsheilige mit ihren
stereotypen Werkzeugen und Symbolen in der Hand. Gesichter, Haltung
und Gewandung in jener übertrieben brünstigen und pathetischen
Darstellungsweise, wie sie das Spät-Rokoko um die Mitte dieses
Jahrhunderts bis in die letzte Dorfkirche brachte. Rechts von dem
langen Fenster, auf das mein Blick unwillkürlich vor dem Einschlafen
gerichtet war, stand ein Petrus mit einem scharf zur Seite gewandten,
vollbärtigen Kopfe, in dessen eigenthümlich grinzenden Zügen sich halb
Stolz, halb Verschmitztheit ausdrückte; halb, schien es, blickte er auf
den auf der anderen Fensterseite stehenden Jeremias, der traurig und
verlegen seine Papier-Rolle gesenkt hielt, halb zum Fenster hinaus,
seinen großen, schwarzen Schlüssel krampfhaft in das Mondlicht haltend,
das scharf am Rand des Kirchendachs herabgleitend, langsam durch das
linke Seitenschiff der Kirche strich.--Mit diesem Bild schlief ich
ein.--

Wie lange ich geschlafen, kann ich nicht sagen; ich erhielt nur
plötzlich einen Stoß in die Seite, wie von einem harten Gegenstand,
und erwachend bemerkte ich vor mir einen Mann in einem langen,
rothen Gewand, und unter dem Arm ein großes, schiefes Holzkreuz;
dieses Holzkreuz war an mich angestoßen. Der Mann kümmerte sich um
mich gar nicht, sondern schritt ernst und gemessen dem Altare zu.
Und nun erkannte ich, daß er nur Einer unter Vielen war, die in
einer langen Reihe geordnet aus den Kirchenstühlen herauskamen in
der Richtung zum Altar. Die ganze Kirche war taghell und prächtig
erleuchtet. Auf allen Altären brannten Kerzen. Vom Chor herab
tönte ein langsameinschläferndes Gesumse der Orgel. Weihrauch und
Kerzendampf lagerten sich in festen, bleigrauen Schwaden zwischen die
weißgetünchten Pfeiler und die Wölbung. In dem Zug der geheimnißvoll
dahinschleichenden Menschen bemerkte ich eine Menge seltsamer
Gestalten. Da ging an der Spitze eine junge, prächtige Frau in einem
blauen, sternbesäten Kleid, die Brüste offen, die linke halb entblößt;
und durch Brust und Kleid hindurch ging ein Schwert, so, daß das Kleid
gerade noch getroffen war, als sollte das Kleid dadurch empor gehalten
werden. Sie blickte fortwährend mit einem verzückten Lächeln an die
weiße, kalkige Decke empor, und hielt die Arme in brünstiger Geberde
über die Brust gekreuzt, so daß es den Eindruck gewann, als jubilire
sie innerlich über einen Gedanken (wobei ich nochmals bemerke, daß das
Schwert links, bei der linken Armbeuge, bis zum Heft fest darinsaß).
Dies war die vorderste Person. Aus der hinter ihr folgenden Reihe
fielen Manche durch ihre wunderliche Tracht auf. Die Meisten hatten
bestimmte Werkzeuge in der Hand. Der Eine eine Säge; der Andere ein
Kreuz; der Dritte einen Schlüssel; der Vierte ein Buch; Einer gar
einen Adler; und ein Anderer trug ein Lamm auf dem Arme mit herum.
Niemand wunderte sich über den Andern. Keiner sprach mit dem Andern.
Aus dem Schiff der Kirche führten drei Stufen zu der erhöhten Estrade,
wo der Altar stand. Jeder wartete mit seinem in bestimmter Haltung
getragenen Werkzeug, bis der Vordere die drei Stufen droben war, um
nicht mit ihm zusammenzustoßen. Was mich am meisten wunderte: Niemand
wunderte sich über mich. Ich blieb völlig unbemerkt. Und selbst der
Mann, der mit seinem schiefbalkigen Kreuz an mich angestoßen war,
schien davon nichts bemerkt zu haben. Eine zweite weibliche Person
fiel mir durch ihre pathetische Haltung im Zuge auf: eine blonde
Frau, nicht mehr jung, mit hübschen aber verwitterten, abgelebten
Zügen. Sie trug ein ganz weißes Kleid, ohne Falbe oder Borde; in der
Mitte mit einem Strick gebunden. Dieser Strick war aber vergoldet;
die Brüste vollständig entblößt. Doch schaute Niemand auf diese üppig
quellenden Brüste hin. Reiche, blonde Flechten, vollständig aufgelöst,
wallten den ganzen Rücken hinab. Sie trug den Kopf tief auf die Brust
gesunken, und schaute verzweifelt auf ihre, nicht wie gewöhnlich
gefalteten, sondern nach auswärts umgeknickten Hände (wie es auf dem
Theater Verzweifelnde machen); Thränen perlten fortwährend von ihren
Wimpern, fielen von da direct auf ihre Brüste, von da auf das Kleid
und auch noch auf die stellenweise unter dem Kleid hervorkommenden
Füße.--Es wäre unmöglich Alle die aufzuzählen, die hier so still
und selbstverständlich, wie zu einer regelmäßigen Uebung, da hinauf
wanderten; aber der Mensch mit der verkniffenen Fratze, der anfangs
seinen Schlüssel so energisch in das Mondlicht hielt und den ich vor
dem Einschlafen unwillkürlich noch auf dem Postament betrachtet hatte,
war auch dabei.--Trotz des eintönigen Orgelspiels war mir seit dem
Erwachen ein eigenthümliches, zischelndes Geräusch hinter meinem Rücken
am Altar nicht entgangen. Ich blickte jetzt um und bemerkte dort einen
hochaufgeschossenen, ganz weiß gekleideten Menschen, der fortwährend
in den an ihm vorbeiwandernden, theilweise vor ihm haltmachenden Zug
hineinflüsterte: "Nehmet hin und esset! Nehmet hin und esset!" Es
war eine unsäglich feine Figur: schlank, gracile Glieder, geistvolles
Profil, griechische Nase, dunkle, glattgescheitelte Lockenwellen fielen
über Schläfe, Ohr und Nacken; ein durchsichtiger, jünglinghafter Flaum
um Kinn und Lippen. Nur bemerkte ich an seinen Händen Blut. Er stand
am äußersten linken Ende des Altars und schob den je zu zwei vor ihm
stillstehenden und auf einem rothen Schemel knieenden Menschen aus
dem Zug ein rundes, weiß angestrichenes Stück in den Mund, daß diese
unter brünstigem Augen-Aufschlag an die Decke blickten, und flüsterte
immer zu: "Nehmet hin und esset! Nehmet hin und esset!" und "Nähmet
hin und ässet!" prallte es von den halbkugelförmigen Hohlwänden hinter
dem Altar zurück. So weit war Alles gut. Auffallend war mir zwar,
woher dieser Mensch die weißen runden Stücke brachte. Er langte wohl
fortwährend in den Brustlatz seines Gewandes hinein; dort konnte aber
ein Vorrath, eine Tasche u. dergl. von den weißen Münzen unmöglich
sein; einmal, weil dieses Austheilen ewig fortging und kein Ende nahm;
ferner ein Unterkleid, wie man deutlich sehen konnte, nicht da war; und
schließlich die Dünnbrüstigkeit dieses abgehärmten Menschen eine so
excessive war, daß, was sich im Profil darbot, nothwendig dem Körper
selbst angehören mußte. Auch bewegte er die feine, höchst schlank
gebaute Hand so tief nach innen, daß für mich, so weit meine allerdings
der Täuschung fähigen Sinne in Betracht kamen, kein Zweifel bestand,
daß er die kreidigen Zwölf-Kreuzerstücke aus seinem Körper selbst
brachte.--Ich sagte, so weit war Alles gut: Die Leute, die Frau mit
dem Schwert in der Brust voraus, marschirten hinter dem Altar herum,
um auf der rechten Seite wieder zu ihren Plätzen in den Kirchenbänken
zurückzukehren. Aber was war denn auf dieser rechten Seite?--Dort
stand ein analoger Mensch,--mehr ein mythologischer Zwitter als ein
Mensch,--in einem schwarzen, protestantischen Predigertalar, vorn am
Hals die viereckigen, weißen Tablettes oder Bäffchen, hinter denen
ein schwarz behaarter Hals zum Vorschein kam; hinten am Gesäß theilte
sich das Predigerkleid, und ein schwarzer, affenartiger Wickelschwanz
rollte sich dort heraus von so respectabler Länge, daß er, die Breite
des Altars überspannend, mit dem Rücken des auf der linken Seite
amtirenden weißen Menschen in stete Berührung kam. Unten guckten zwei
hufartige Füße heraus, und oben, am Predigerhals saß ein Kopf, dessen
wilder Haarwuchs verbunden mit einem gelben Kolorit, eingefurchten,
denkfaltigen Zügen, und einer stumpfigen Nase einem deutschen
Professoren-Gesicht an Häßlichkeit wenig nachgab. Eine goldene Brille
complettirte diese aus Aerger, Bitterkeit und Ekel zusammengesetzte
Physiognomie.--Eigenthümlich war es, daß er fast pendelartig dieselben
Bewegungen und Gesten machte, wie sein weißes Vis-à-vis,--oder
Rück'-gegen Rücken--auf der andern Altarseite.--Er hielt einen
schwarzen Becher in der Hand, aus dem er seiner ähnlich wie drüben
vorbei-paradirenden Gesellschaft zu trinken gab. Dabei rief er in
einem heiseren, grölenden Ton der jedesmal vor ihm knieenden Person
zu "Nehmet hin und trinket!" Und jedesmal führte er den Becher hinter
sich herum, am Gesäß vorbei, um ihn dann der nächsten Person an die
Lippen zu setzen. Was war nun aber das für eine Gesellschaft auf dieser
rechten Seite? Eine merkwürdige und ganz anders geartete als drüben! Da
war ganz vorne ein Mensch mit einer langen Nase und zurückweichendem
Kinn, einen Dreimaster am Kopfe, den ausgemergelten Körper in eine
französische Uniform gesteckt à la Louis XV., mit zurückgeschlagenen
rothen Rockflügeln, einen Degen zur Seite, in der rechten Hand einen
Krückstock, und zu allem Ueberfluß noch unter'm linken Arm eine
Flöte; er hielt den Kopf immer schief und sah sehr ausdrucksvoll
drein, und schien genau zu wissen, was er that.--Da war ferner ein
feiner, eleganter Kerl in spanischem Kostüm, Tricots bis fast an die
Lende, Pluderhosen, gestepptes, panzerartiges Wams, darüber einen
goldbordirten kurzen Mantel à la Philipp II., Schnallenschuhe, Sammthut
mit Straußenfeder; das Gesicht gealtert, aber noch leichtfertig
aufgelegt; einen gezückten, blanken Degen in der Rechten tänzelte er,
die Champagner-Arie aus Mozart trällernd, die drei Stufen zum Altar
hinauf, mit Wohlwollen auf die Ceremonien des schwarzgeschwänzten
Predigers sich vorbereitend. Unter den Frauenzimmern bemerkte ich eine
in einem weißen, griechischen Gewand mit goldener Falbel, die Arme
nackt und mit goldenen Spangen, die Brüste verführerisch halb entblößt;
auf dem blonden feingeschnittenen Haupt ein Königsdiadem, und unter
dem Arm eine Lyra; mit ihren fröhlichen, fast ausgelassenen Manieren
bildete sie einen wirksamen Gegensatz zu der blonden, schluchzenden
Frau auf der andern Seite.--Es waren noch manche wunderbare, wie es
schien, aus allen Gegenden und Zeiten zusammengewürfelte Gesellen da.
Da war einer in einem langen, dunkeln, schleppenden Magister-Gewand,
Barett auf dem ernsten Gesicht, eine düstre, grübelnde Scholastenmiene,
unter dem Arm ein geheimnißvolles Buch mit böhmischen Lettern, der
mit zu Boden gewandtem Blick schweigend in der Reihe einherging.
Gleich hinter ihm ging ein junges Mädchen mit mildem, weichem
Gesichtsausdruck, die einen abgehauenen, bärtigen Kopf auf einer
Schüssel trug. Der Kopf schien der eines Denkers zu sein; das Mädchen
lächelte und schien mit einem heitern Gedanken beschäftigt zu sein.
Aber weitaus die prominenteste Figur in dem ganzen Zug war ein
untersetzter, starkknochiger Mann mit rundem glattrasirtem Gesicht und
Stiernacken im schwarzen Predigergewand, (dasselbe Predigergewand,
welches der geschwänzte Mensch rechts am Altar trug,) der mit
emporgeworfenem Kopf und selbstbewußter Miene einherging, unter dem
linken Arm eine Bibel, unter dem rechten eine Nonne; dies war überhaupt
das einzige Paar im ganzen Zug.

Schon oben sagte ich: Soweit war die Sache ganz gut. Und die Sache wäre
auch weiterhin ganz gut gewesen: Der linke Zug ging, wie ich mir die
Intention dachte, rechts um den Altar herum, der rechte links herum, um
auf diese Weise in ihre respective Kirchenstühle zurückzukehren. Wie
aber, wenn diese zwei Züge von so heterogenem Charakter sich hinter
dem Altar begegneten. Und das _mußten_ sie!--Ich versäumte leider
dieses Zusammentreffen. Fortwährend beschäftigt mit dem Durchmustern
besonders des rechten Zuges hörte ich nur plötzlich eine gelle heisere
Lache aufschlagen. Ich wandte mich um, und sah den schwarzgeschwänzten
Menschen, der auf der rechten Seite den Kelch mit dem verdächtigen
Inhalt kredenzte, sich mit einer höhnischen Fratze nach der andern
Seite umsehen, wo der weiße, sanfte Mann bleich und starr wie ein
Todter stand. Hinter dem Altar sah ich die Spitzen beider Züge sich mit
verdächtigen Mienen gegenseitig messen. In diesem Moment verlöschten
sämmtliche Kerzen; ein dicker, schweflicher Dampf verbreitete sich
im ganzen gewölbten Haus; das einschläfernde Summen der Orgel wurde
von einem keifenden, gilfenden Aufschrei, wie von einem blechernen
Accord unterbrochen, als hätte man eine der Orgelpfeifen mit einem
Beil verwundet. Es entstand ein fürchterlicher Tumult; man hörte harte
Körper stürzen, Werkzeuge aufschlagen, Leuchter und Schüsseln zu
Boden fallen, weibliches Wehklagen, männliche Kernflüche, Lachen und
Schreien und dazwischen rief eine mokante, kropfige Stimme (die, glaube
ich, dem Schwarzen angehörte) mit einem eigenthümlichen, jüdelnden
Jargon: "Ja, ja!--Nähmet hin und ässet!--Ja, ja!--Nähmet hin und
trinket!"--Halb aus Furcht erschlagen zu werden, halb aus Unmöglichkeit
in der stickigen Luft weiter zu athmen, tappte ich mich im Finstern dem
Ausgang zu, der, ich wußte, zur Rechten lag. Im Vorübergehen streifte
ich am Weihkessel an, der mit einem "Springsau!" mir den Abschied gab,
und gelangte glücklich ins Freie.--

Es war noch immer Nacht; doch sah man im Osten die Dämmerung
heraufkommen. Ich eilte so rasch wie möglich diejenigen Gassen entlang,
von denen ich glaubte, daß sie mich am schnellsten ins Freie bringen;
ich kam an einem erleuchteten Fenster vorbei; Bäcker schoben dort
gerade auf langen Brettern das neue Brod in die Röhren; ich war nur
froh mich wieder in irdischer Gesellschaft zu finden. Doch eilte ich,
aus dem Dorf zu kommen, holte, auf der Landstraße angekommen, tüchtig
aus, und gelangte nach mehrstündigem Marsch gegen Morgen in eine kleine
Ortschaft von harmlosem Aussehen mit freundlichen Leuten, überall
offenen Thüren, und einer wenig präponderirenden Kirche, dagegen
mit einem vortrefflichen Wirthshaus, wo ich nicht säumte, mich zu
restauriren.--

Acht Tage später las ich,--inzwischen in die Kreisstadt gelangt,--im
Amtsblatt folgende Bekanntmachung:

"In vergangener Nacht wurden in der hiesigen Ortskirche grauenhafte
Zerstörungen angerichtet. Die Bildsäulen der Heiligen und Kirchenväter
wurden von ihren Sockeln gestürzt, die Embleme ihnen aus der Hand
gebrochen, Arme und Beine abgeschlagen ec.--Da die ziemlich leicht
zugängliche Armenbüchse unberührt gelassen, auch sonst Werthvolles
nicht entwendet worden, stellt sich das Ganze als ein Akt rohen
Muthwillens und moralischer Verderbtheit dar. Verdacht richtet sich
gegen einen Handwerksburschen, der spät Nachts in's Dorf kam und es
gegen Morgen in der Richtung nach ----* verließ. Es wird gebeten, auf
denselben zu vigiliren. Derselbe, von dem jede nähere Beschreibung
fehlt, ist im Betretungsfalle festzunehmen und anher einzuliefern."--

     Gemeinde Zinsblech. Landgericht Pinzgau.
              Der Bürgermeister ** (Datum.)




Eine Negergeschichte

                    _Tantam vim et efficaciam_
                    _nonnulli phantasiae et_
                    _imaginationi in proprium_
                    _imaginantis corpus tribuerunt._
                         _Benedicti XIV; de imaginatione et ejus viribus._


Erst ganz kurz hatte ich mich in einer der östlichen Vorstädte
_Hamburgs_ als Arzt und junger Anfänger niedergelassen. Der große
Weltverkehr dieser Seestadt hatte stets einen eigenthümlichen
Reiz auf mich ausgeübt. Durch billiges Honorar und unentgeldliche
Armen-Behandlung hatte ich mir bald eine zahlreiche Clientèle, freilich
meist geringere Leute, herangezogen. Ich wohnte ganz frei, fast wie
auf dem Land. Ich hatte den Sommer als ersten Aufenthalt gewählt, um
von der mir noch ganz fremden Stadt, meinem künftigen Aufenthaltsort,
einen möglichst günstigen Eindruck zu bekommen. Auf einer großen Wiese
vor meinen Fenstern lagerten immer große Carawanen oder kleinere Trupps
seltener Thiere oder fremdartiger Menschen, die meist von London
herübergekommen waren, und hier ihre weiteren Verschickung in's Innere
Europas warteten. Ganz in meiner Nähe lag auch die Irrenanstalt.--

Es war ein schöner Junimorgen. Meine Sprechstunde sollte eben beginnen.
An der Thüre, die zum Wartezimmer führte, hörte ich ein seit einer
Viertelstunde immer wachsendes Summen und Schwirren, unterbrochen
von Kindergeschrei, von dort wartenden, meist ärmeren Leuten,--als
plötzlich die Thüre meines Wohnzimmers, die zum Hausgang führte, mit
einem energischen Griff aufgerissen wurde, und ein _Neger_ zu mir
in's Zimmer trat. Gleich hinter dem Neger kam mein Aufwarte-Mädchen
mit besorgten Blicken hereingestürmt, um mir das unreglementmäßige
Eintreten des Fremden zu erklären und zu entschuldigen. Ohne sich
irgend wie abhalten zu lassen, sei der schwarze Mensch, als er meinen
Namen an der Zimmerthüre gelesen, an ihr vorbeigeschossen und habe
die Thüre aufgerissen ... so oder ähnlich drückte sie sich aus. Ich
erwog, welche Bestürzung der schwarze Mensch im Wartezimmer, wo
sich Kinder befanden, verursacht haben würde, und, indem ich mein
Warte-Mädchen beruhigte und abtreten ließ, forderte ich den Neger mit
einer freundlichen Handbewegung zum Sitzen auf. Dieser Mensch hatte
mich aber bereits mit einer Fluth von Phrasen und einem Durcheinander
von Kauderwelsch übergossen: "... halloo! Sie sind der Dokter?--You are
the doctor!"-"Jawohl!"--"Ich habe Ihnen eine wichtige Consultation
vorzutragen;--ich habe Ihnen aine sehr wichtige Mittheilung, aine
sehr erfreuliche Mittheilung zu machen;--sehr wichtig und sehr
erfreulich vor mich; ich waiß nicht, ob auch vor Sie.--Aber ich
glaube, daß Sie ein guter Docter sind, der hat ain Herz,--at least I
presume;--Sie werden kaum glauben, was ich Ihnen werde erzählen, das
haißt, Sie können kaum glauben, wenn Sie gesunde Kopf haben,--ich
meine, Sie werden höchst wahrscheinlich nicht glauben,--aber es ist
doch wahr,--es ist furchtbar wahr,--es ist fast zu toll, um wahr zu
sain.--I'm a nigger;--that is, I have been a nigger!--Ich habe Neger
gewesen!--oh,--ich bin Neger gewesen!--Ich bin Neger nicht mehr!..."--

Ich muß hier den Leser auf einen Punkt aufmerksam machen. Der Neger,
der hier vor mir stand, und sich um keinen Preis setzen wollte, war
schwarz. Dieß wird vielleicht Manchem als eine höchst überflüssige
Bemerkung erscheinen; sie ist es aber nicht, wie der Leser am Schlusse
dieser absonderlichen Sprech-Zimmer-Debatte, womit die Geschichte
überhaupt zu Ende ist, erkennen wird. Ich füge hinzu: Der Neger
war nicht nur schwarz; es fehlten auch jene bräunlichen Tinten und
helleren Flecke, wie man sie bei den etwas entfernter vom Aequator
wohnenden Stämmen findet. Der Mann war _ganz_ schwarz; jene Schwärze
mit bläulichem Anhauch, wie es bei uns ein frisch gewichstes Ofenrohr
darbietet; mit einem Wort, ein echter _Sudan_-Neger.--Er war
abendländisch gekleidet, trug einen hellcarirten, doppelten Ueberzieher
im englischen Schnitt, einen eleganten braunen, façonirten Filzhut,
keine Handschuhe, dicke, auffallend große Stiefel, die er fertig
gekauft zu haben schien, und, in Unkenntniß ihres Bau's, rechts und
links verwechselt hatte; die ganze Gestalt kräftig, untersetzt; das
Gesicht bartlos, wulstige Lippen, breitgequetschte Nase, ein großes
sprechendes Auge, kurze aber gut entwickelte Stirn, und, ich wiederhole
nochmals, die Haut ganz schwarz.--Ich muß sagen, das Erscheinen dieses
Menschen in meiner Sprechstunde war mir nicht besonders angenehm; der
wilde schwarzblütige Pathos, mit dem er sich, wie der Leser bemerkt
haben wird, ziemlich aufdringlich bei mir eingeführt hatte, ließ
mich befürchten, ich möchte nicht so rasch mit ihm fertig werden.
Inzwischen war es l Uhr geworden. Im Wartezimmer neben drängte und
stieß es an die Thüre; es war jedenfalls schon voll; und fortwährend
klingelte es, und es kamen neue Patienten.--Auf der andern Seite
beunruhigte mich der Gedanke, daß ich in orientalischen Krankheiten
und unter den Tropen vorkommenden Leiden höchst ungenügend orientirt
war; in Neger-Pathologie wußte ich nun schon gar nichts.--Die Suada,
die der Mann mit immer heftigerer Gesticulation hervorbrachte, ließ
sogleich erkennen, daß er ursprünglich englische Cultur-Verhältnisse
durchgemacht, und dann erst von hier aus sich das Deutsche
angeeignet hatte, welches er mit englischem Accent sprach.--Das
Haupt-Leiden der Engländer, wenn sie sich in tropischen Gegenden
aufhalten,--sagte ich mir rasch,--ist das Saufen; sie leiden alle
an der Leber;--und die erste Leidenschaft, die wilde, uncivilisirte
Völker bei ihrer Berührung mit Abendländern diesen nachmachen, ist
der Schnapsgenuß;--vielleicht,--dachte ich mir,--leidet der Mann
an der Leber. Und in diesem Sinne unterbrach ich das unaufhörliche
Kauderwelsch dieses Menschen, das ich dem Leser unmöglich Alles
vorführen kann, mit den Worten: "Mein lieber Freund, sind Sie
krank, und wo fehlt es Ihnen?"--"Krank?"--replicirte mein schwarzes
Vis-à-vis sehr heftig, und riß die Augen auf,--"krank,--nein! ich
sein nicht krank; ich bin ganz gesund, gesünder als vorher ..."--"Ja,
was wollen Sie dann von mir?"--frug ich etwas ärgerlich.--"Bitte,
Docter,--haben Sie gute Herz und hören Sie mich an!"--In diesem
Moment kam mir der Gedanke, daß der Bursche ein Almosen verlange,
und, um dasselbe möglichst groß ausfallen zu machen, im Begriff sei,
mir eine Schicksals-Tragödie zu erzählen. Ich griff daher in mein
Portemonnaie, nahm ein kleines Geldstück und hielt es ihm hin. "Was
haben Sie Docter?" frug der Neger und wich vor meiner Hand zurück.
--"Eine Kleinigkeit für Sie,--um Ihnen zu helfen!"--"Geld?"--schrie
er,--"ich brauch kein Geld, hab' ich selbst Geld,"--und hieb mit der
rechten übermäßig großen Hand auf seine rechte Hosentasche;--"Geld ist
Schmutz!"--fügte er hinzu, und holte mit der enormen schwarzen Pratze
einen Haufen Münzen aus der Hosentasche, und hielt sie mir zitternd
vor das Gesicht.--"Hier Docter, wollen Sie Geld?--Geld ist Schmutz!"
schnaubte der Neger, und war einen Schritt näher auf mich zugekommen,
mich mit den weißen Kugeln seiner Augen bedrohlich beobachtend. Wie
ich diese schwarze Hohlhand, in der bunt durcheinander Gold-, Silber-
und Kupferstücke von nicht unbeträchtlichem Werth lagen, vor meinen
Augen zittern sah, und sah die kittgelben schmutzigen Nägel, und
die affenartige Krümmung derselben, und roch den eigenthümlichen
Neger-Schweiß, kam mir das Gefühl, ich befände mich einem Thier
gegenüber, welches mich jeden Moment mit einem Schlag seiner Pranke
zerschmettern könne. Ich beschloß daher so sanft wie möglich diesem
erregten Menschen gegenüber zu verfahren.--

"Sait ßwai Jahren war ich eccentric dancer im Royal Garden in
London,--Docter!--und hab viel schmutzig Geld gemacht;"--nahm
mein Besucher den Discurs wieder auf, und zeigte vor Freude die
zwei Reihen seiner großkalibrigen Zähne; denn die Bestürzung, in
die er mich gebracht, war ihm nicht entgangen.--"Sagen Sie mir,
wo es Ihnen fehlt,"--begann ich nun meinerseits sehr ruhig und
entgegenkommend,--"damit ich Ihnen helfen kann; da drinnen warten
einige fünfzig Personen!"--fügte ich hinzu, auf die geschlossene Thür
des Warte-Zimmers weisend.--"All right!"--sagte der Neger, brachte
das Riesen-Stück-Fleisch mit den gelben Fingernägeln leer wieder
aus der rechten Hosentasche zurück, trat einen Schritt weg, stellte
sich in Positur und fuhr dann fort: "Ich bin aus _Pululi_...."--"Von
mir aus von wo der Pfeffer wächst!"--entgegnete ich mißmuthig, und
stand vom Stuhl auf.--"Nein!--nicht von _Pfeffer-Küste_!"--replicirte
der Schwarze mit einer heftigen Gesticulation, ohne meine
Wendung verstanden zu haben,--"_Pfeffer-Küste_ ist weiter gegen
Sonnen-Untergang;"--"Weiter, weiter, weiter!--Damit wir zu ihrer
Krankheit kommen."--"Ich uar der beste dancer in mein Dorf; wir tanzen
auf Holzschuhen und singen sehr schöne Lieder dazu--so!"--in diesem
Moment machte der Neger einen Luftsprung, während dessen er mit dem
rechten Fuß die Decke meines ziemlich hohen Zimmers berührte, von da
ein kleines Stückchen Speis mit herabnehmend; dabei stieß er einen
offenbar Freude andeutenden, lange-gurgelnden, scheußlichen Laut aus,
und fiel zuletzt mit dem herabkommenden Fuß mit solcher Wucht auf den
Boden, daß mehrere Gläser auf meinem Schreibtisch umstürzten, und er
selbst wie in eine Staubwolke eingehüllt schien. Im Neben-Zimmer fing
ein Kind heftig zu schreien an.--"Ja, Docter, ich uar beste dancer in
Nikowikdwanga! Aber zu maine große Unglück. Ich habe nie in Wasser
gesehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Völker, sich in
Wasser zu sehen; und Spiegel haben wir nicht. Ich habe nie in Wasser
gesehen. Ich habe nicht gewußt, daß ich schwarz bin. Und das dancing
hat mich in Unglück gestürzt!..."--"Was soll aber ich mit dem Allen?"
ich,--"Kommen Sie zu Ihrer Krankheit!"--"Aine schöne Tag kommt ain
Mann zu mir, und fragt mich, ob ich will gehen zu mächtige Volk von
Engländer, die am ganze Körper Kleider tragen, und dancing und singen
in ein Haus voll mit ein Meer von Licht;--und er zeigt mir Hand mit
schmutzig Gold,--so!"--und dabei griff mein schwarzer Besucher wieder
in die rechte Hosentasche und hielt mir einen Haufen stinkenden
Geldes in dem schwarzen Kübel seiner Hand dicht vor die Nase. Und ich
traute mich nicht zurückzuweichen, aus Furcht, der Neger möchte mir
noch näher auf den Leib rücken. Ich sagte nur: "Und dann?"--"Ich bin
gegangen mit diesem Mann, weil ich glaubte, daß Geld rein ist und
nicht schmutzig. Und hab' bestiegen eine große englische Schiff, und
wir sind gefahren ßuai Monate auf dem Meer, und während ßuai Monate
ich hab' nicht gesehen in Wasser, weil der große Neger-Geist verbietet
Sudan-Volk, sich im Wasser zu sehen. Und ich hab' nicht gewußt, daß
ich war schwarz. Und dann, wir kamen nach Liverpool."--"Weiter, weiter,
weiter!" drängte ich.--"In Liverpool, Docter! sah ich kolossal viel
blinzelnde Menschen zwischen große Häuser spazieren mit Gesicht wie
Mehl und Kreide,--scheußlich!--scheußlich!"--"Weiter, weiter!--Haben
Sie das Klima nicht vertragen?"--"Klima?--Was ist Klima?--Luft war
gut; Essen war gut; Wohnung sehr hart; aber diese Menschen! mit das
grinsende Gesicht! und alle dicht hintereinander spazierend, und
mich anstarrend mit dem Kalk-Gesicht!"--"Daran gewöhnt man sich
doch!?"--"Oh yes, Docter!--daran gewöhnt man sich; ich habe mich auch
daran gewöhnt; ich habe sogar englisch gelernt;--aber aine Tag, als
ich in Lancaster-Street spazieren gehe, schaue ich durch ein Block
Wasser...."--"Ein Block Wasser,--was soll das heißen?"--"Ich schaue
durch ein Block Wasser, welches in einem Haus ist, und hinter dem die
Leute hin- und hergehen und schöne Sachen zum Verkauf aufstellen."--"Es
wird ein Schaufenster gewesen sein?"---"Well, es uar ein Block festes
Wasser."--"Es war eine Glasscheibe!"--"Well, Glas ist festes Wasser!"
--"Wenn Sie wollen, in Gottes Namen!--Was weiter?"--"Well, Docter, ich
schau in den Block; es uar ein Versehen, weil der große Neger-Geist
verbietet Sudan-Volk in festes Wasser zu sehen; aber ich schaue hinein,
und Docter, was sehe ich?"--"Nun, vielleicht war es gutes Spiegelglas;
Sie werden sich selbst gesehen haben?"--"Ein schwarzes Scheusal!--Ein
fletschender Gorilla!--Ich glaubte zuerst ein Thier stehe im Laden und
schaut heraus; aber die uaißen Menschen, die vorüber gingen, haben
sich auch in dem Block Wasser gesehen; und jetzt sah ich, daß ich uar
das scheußliche Thier; _jetzt ich wußte, daß ich uar schwarz_; und daß
Abends die Engländer applaudiren, wenn ich thu singing und dancing,
weil ich uar schwarzes Neger-Thier; und daß sie spritzen aus hundert
Röhren künstliches Licht, damit sie mich besser sehen können!"--"Mein
Gott, Sie fassen die Sache höchst sonderbar auf; auf diese Unterschiede
in der Hautfarbe konnten Sie doch schon früher kommen!"--"Ja, und jetzt
hab' ich gefunden Kalk-Gesichter von uaiße Engländer und noch mehr von
Engländerinnen sehr pretty,--ja, sehr schön;-und dann hab' ich geflucht
dem großen Neger-Geist, der Sudan-Volk hat schwarz angestrichen; und
ich habe beschlossen, daß ich muß werden _uaiß_...."--"Sie haben
beschlossen weiß zu werden?--Ja, das wird Sie wenig helfen!"--"Was?
Docter, wissen Sie nicht, daß wir haben was in unser Kopf, das Alles
kann ändern?!"--"Was haben wir in unserem Kopfe?"--"Wir haben Etwas,
das Alles kann machen, wie es will!"--"Das versteh' ich nicht; was soll
das heißen?"--"Well, wenn schwarze, häßliche Sudan-Volk hat so Etwas in
sein Hirn, dann muß Engländer und Deutsche auch haben?" "Ja, wir haben
doch keinen Farbtopf, der Alles anstreicht, wie wir wollen?!"--"Nix
Farbtopf!--oder Farbtopf im Kopfe;--nix falsche Farb,--echte
Farb!"--"Ja, und was war das Resultat Ihrer Anstrengungen?"--"Well,
Docter, nachdem ich ßuai Monate bin jeden Tag gegangen zu dem
Wasser-Block und hab' hineingeschaut, und hab' mir gesagt: Poppy, du
mußt _uaiß_ werden, und hab' fast nichts mehr gegessen, und nicht
mehr geschlafen, und bin so schwach geworden, daß ich konnt' nicht
mehr dancing und singing, und Mister hat mich weggeschickt, und
bin ganze Nächte herumgelaufen, um zu suchen ein Wasser-Block, zum
Hineinschauen, weil Nachts alle sind verschlossen, und bin dann zum
Fluß gelaufen, und habe hineingeschaut ein Stunden, ßuai Stunden, ganze
Nacht,--endlich, Docter, nach ßuai Monate,--nachdem ich uar wie ein
Hund,--konnt' nicht mehr reden, nicht schlucken, aber immer noch in
mein Kopf das helle Bild von mein Gesicht, das wunderschöne _uaiße_
Negerbild...."--"Nun?" frag ich voller Erwartung.--"Well, Docter, nach
ßuai Monat, eines Tags, plötzlich,--it was a wonderfall sight!--ich
bin geworden uaiß...."--"Weise oder weiß?"--"Well,--eine Morgen, in
Lancaster-Street, wie ich schaue in Wasser-Block,--ich bin gehabt,--oh,
ich _habe_ gehabt uaiße Farb,--wunderschöne _uaiße_ Gesicht,-oh, I tell
you Docter, ich uar schönste Mann in Liverpool; und alle Leute haben
mich angeschaut; und ich bin gegangen zu main Master, und hab' gesagt,
ich kann wieder dancing und singing. Aber der hat mich auf Schiff
geschickt nach Hamburg...."

In diesem Moment fuhr draußen vor meiner Wohnung ein Wagen vor, und ich
hörte zwei Männer eilfertig vom Bock springen. Ich war von der Rede
meines Besuchers fast starr geworden. Das Geräusch des Wagens hatte,
wie es schien, auch ihn stutzig gemacht. Noch zitternd und glühend
von der Aufregung seiner Erzählung stand der Neger erwartungsvoll
vor mir; das Blut-Roth seines Gesichtes hatte seiner schwarzen Farbe
die Mischung von Bronce geliehen. Die weißen Augen waren gespannt
und erwartungsvoll auf mich gerichtet. Aber gleichzeitig zeigte mir
sein beschleunigter Athem und die furchtsamen Kopfwendungen nach
der Thür, daß er irgend welche Gefahr wittere, mir unbekannt woher.
Inzwischen hörte ich draußen an dem Gesumme und Gemurmel an der
Hausthür, daß etwas Außergewöhnliches vorgegangen sein müsse. Auch
das Sprechzimmer nebenan kam in Unruhe. Vielleicht hatte man einen
plötzlich Verunglückten gebracht.--"Ja, und womit kann ich Ihnen nun
dienen?"--frug ich jetzt mit der größten Ruhe mein Vis-à-vis.--"Well,
Docter, ich bitte Sie um ain Zeugniß, daß ich bin _uaiß_,--die
schwarzen Teufel, die mich...." Ich konnte den Rest seiner Rede
nicht hören, denn ich unterbrach ihn mit den Worten: "Ja, mein lieber
Freund, Sie sind aber schwarz; Sie sind schwarz wie ein Sudan...."
In diesem Moment fühlte ich mir die Kehle zugeschnürt, hörte einen
Schrei ausstoßen, wie ihn vielleicht die Hyäne hervorbringt, und vor
meinen Augen tauchte das lechzende blutrünstige Gesicht des Negers mit
vorgetriebenen, weißen Augäpfeln und heißem Athem auf.... Ich hätte
wohl bald die Besinnung verloren, aber gleichzeitig waren zwei Männer,
beide im gleichen gestreiften Drilch-Anzug in's Zimmer gestürzt, von
denen der Eine zum Andern sagte: "Da ist er!"--Bei ihrem Anblick
ließ der Neger, der mir wie ein Panther an die Kehle gesprungen war
und mich zu drosseln angefangen, mich los, und stürzte sich mit den
Worten "Da sind sie, die schwarzen Teufel!" auf sie. Es entstand ein
fürchterlicher Kampf zwischen den zwei uniformirten Leuten, in denen
ich Irrenhaus-Wärter erkannte, und dem herkulisch gebauten Sudanesen.
Die Gold- und Silber-Stücke des Negers fielen, da er oftmals verkehrt
in der Luft schwebte, zerstreut da und dort auf den Boden. Er schrie
immer und immer wieder: "Docter, helfen Sie mich gegen die schwarzen
Teufel!"; dabei waren seine Augen derart aus ihren Höhlen getreten, daß
sie das ganze, mundschäumende Gesicht wie mit einem weißen Schimmer
überzogen. Im Wartezimmer nebenan hatten die Kinder fürchterlich zu
schreien angefangen, und bleich und entsetzt stand an der weitoffenen
Zimmerthür mein Aufwarte-Mädchen.--Endlich wurde der Neger überwältigt
und geknebelt. Er warf mir noch einen langen, schrecklichen, weißen
Blick zu. Dann ward er gepackt, hinausgetragen, in den Wagen geschoben,
und huida!--hast du nicht gesehen?---fort ging's in's _Irrenhaus_.




Ein Criminelles Geschlecht

                            "_Er wußte Nichts von den_
                            _Geschlechts-Unterschieden der_
                            _Menschen, und unterschied die_
                            _Leute nur nach den Kleidern."--_
                               _Bericht über Kaspar Hauser. (1828.)_


Es war um die Zeit, als ich in dem von Deutschland neugewonnenen
Straßburg studirte, daß ich eines Tags einem Criminal-Commissarius
vorgestellt wurde, der bei der damals kurz nach dem deutsch-französischen
Kriege nothwendig gewordenen Neu-Ordnung der Dinge aus dem Norden
Deutschlands dahin versetzt worden war. Wir trafen uns öfter. Es war
ein äußerst verschlossener Mann; accurat, streng gegen sich und andere,
aufrichtig, wahrheitsliebend, gottesfürchtig, von fast puritanischer
Gesinnung, dabei gescheit, bis zum Grüblerischen schlau und
mißtrauisch, aber, wie mir schien, ohne jede weltmännische Bildung, von
der er sich absichtlich zu entfernen schien. Er mußte ausgezeichnete
Zeugnisse besessen haben, die ihn, vielleicht einen Vierziger, auf
diesen einflußreichen Posten gelangen ließen. Er war unverheirathet und
protestantisch.

Eines Sonntags Nachmittag auf einem unserer Spaziergänge, als die
Unterhaltung, wie schon so oft, zu stocken schien, da er immer in
sich hinein horchte, und dem Gesprochenen nur halbes Ohr lieh, konnte
ich mich nicht enthalten, an ihn die etwas vorlaute Frage zu richten,
sintemal er viel älter war wie ich: "Herr Commissar, Sie scheinen
mit außerordentlichen Schwierigkeiten hier betraut zu sein, und Ihr
neuer Posten muß ganz absonderliche Aufgaben an Sie stellen, da Ihre
Zerstreutheit, fast Geistesabwesenheit...?"--Bei diesen letzten Worten
sah der Commissar scharf zu mir herüber, halb mißtrauisch, halb
erschrocken darüber, daß ich versucht, seines Inneres zu durchforschen.
Da ich seinen Blick naiv auf mir ruhen ließ, so sah er weg, und ging
schweigend mit auf den Rücken gelegten Armen einige Zeit neben mir
her. Dann sah er mich noch einmal scharf, durchdringend an, und, wie
es schien, von der Prüfung zufrieden gestellt, begann er folgenden
Discurs: "Mein lieber Studiosus, Sie sind noch jung, aber ich glaube,
ich darf Ihnen in Etwas vertrauen.--In der That, es sind ganz
absonderliche Aufgaben, vor die meine Regierung mich gestellt hat.--Ich
komme hoch aus dem Norden, aus einem kleinen Bezirksstädtchen, wo ein
paar Vagabunden und Felddiebe unsere einzige Aufmerksamkeit in Anspruch
nahmen.... Ich hätte nicht geglaubt, daß die Welt so complicirt ist;
ich konnte mir nicht denken, daß hier herunten, wo die Völkermischung
eine größere, so unerhörte Dinge sich im Geheimen abspielen...."--Mein
Begleiter, der sehr rasch sprach, unterbrach sich hier. Ich hatte die
Empfindung, als begänne eine große Last sich von dem Herzen des in
seinem Innersten erschütterten Beamten loszuwälzen, und vermied es
daher, ihm in die Rede zu fallen.--"... Es ist nur so schwer,--begann
er wieder,--das in Wort zu kleiden, das, was ich Ihnen sagen will,
Ihnen mit den bisherigen Hülfsmitteln der deutschen Sprache begreiflich
zu machen.... Sie sind Mediziner,--Sie werden vielleicht Manches
besser verstehen, mir vielleicht sogar in Manchem einen Wink geben
können...."--"Sind es sanitäre Maßregeln, mit denen Sie hier betraut
wurden?"--wagte ich anzudeuten.--"Sanitär?--Ja, gewiß, sanitär,--aber
sanitär ist zu wenig, sanitär drückt die Sache zu mild aus; es ist
weit mehr criminell!..."--"?"--Auf mein fragendes Zaudern wandte der
Commissar seinen Kopf zu mir herüber, und schaute mich wieder mit jenem
seltsamen Blicke an, der mir vorhin schon aufgefallen war. Doch war es
diesmal weniger Furcht, ob er mir vertrauen könne, als Auskundschaften,
was ich zu seinen bisherigen Worten meine.--"Ja,--so, glaube ich,
kann ich's Ihnen am besten begreiflich machen,--fuhr mein Begleiter
dann fort,--denken Sie sich, ich bin von der Regierung beauftragt
worden, einer criminellen Vereinigung,--einer betrügerischen
Sippe,--einem Geschlecht nachzuforschen, welches sich hier seit
Aufhebung der Belagerung herumtreibt, aus Frankreich herüberkommt,
sich in bestimmten Schlupfwinkeln festgesetzt hat, und rücksichtslos
im Geheimen sein Zerstörungswerk verrichtet!"--Der Commissar hatte
diesen Satz mit der größten Sorgfalt, den Finger an die Nase gelegt,
construirt, und Wort für Wort vorgetragen, als handle es sich um eine
wissenschaftliche Definition, oder als fürchte er, durch eine einzige
Umstellung, oder ein unvorsichtiges Adjektiv, mir eine unrichtige
Vorstellung von dem zu geben, was in seinem Innern selbst noch nicht
ganz klar erkannt worden war. Dann warf er den Kopf wieder plötzlich
zu mir herüber, um sich auf meinem Gesicht zu orientiren.--"Hm!--sagte
ich--ist die Vereinigung politischer Natur?"--"Nein!"--replizirte
der Commissar mit einer fast schnalzenden Lebhaftigkeit, als freue
er sich, daß ich diesen Einwurf gemacht, und brachte nun auch die
andere Hand hinter dem Rücken hervor, um sie mit einer heftigen
Gesticulation nach vorne zu werfen,--"nein!" er noch einmal mit einem
eigenthümlich saccadirten Laut, um dann beide Zahnreihen längere
Zeit auf dem "n" ruhen zu lassen,--"politisch ist sie nicht, sonst
wäre sie leichter zu fassen; leider ist sie gar nicht politisch;
sie ist sogar politisch indifferent; sie ist die persönlichste
und subjektivste Geheim-Coalition, die mir vorgekommen ist, dabei
von einem Egoismus, von einer Sicherheit des Egoismus, von einer
Tadellosigkeit der Geschäfts-Praktik, daß sie unter sich gar keiner
Verständigungsmittel, keiner Parole, keines Augenzwinkerns bedarf, von
einer Untrügbarkeit des Erfolges, daß man meinen könnte, eine neue
Race, ausgestattet mit den unfehlbaren Organen ihres Gewerkes, sei
auf die Welt gekommen!"--"Ach, mein Gott,--sagte ich nach einiger
Ueberlegung und wie enttäuscht,--meinen Sie die Juden?"--"Nein!"--rief
er wieder lebhaft, und wie vorbereitet auch auf diesen Einwurf,--"die
sind es nicht; die wären mild; es ist eine geheimnißvoll vorgehende
Vereinigung, die lautlos und unbeachtet, unbeachtbar, unfaßbar, sowohl
durch unsere Landesgesetze, als für unsere Polizei-Organe, ihre
Thätigkeit ausübt, ja, die sich fast unserem Denken entzieht...!"--"...
die sich unserem Denken entzieht?"--wiederholte ich ganz
perplex;--".... die sich unserer denkenden Erwägung entzieht...!"--erklärte
es der Commissar ausführlicher.-... die sich unserer denkenden
Erwägung entzieht?"--syllabirte ich nochmals Wort für Wort für mich
hin.--"... hinsichtlich,--nahm der Commissar nochmals den Satz auf,--
hinsichtlich ihrer geheimen Triebfedern, ihrer letzten Motive, sich
unserem Denken entzieht!"--"... hinsichtlich ihrer geheimen Triebfedern
und letzten Motive sich unserem Denken entzieht!"--sagte ich auch diese
letzte Fassung zu meiner eigenen Bestärkung mir nochmals vor.--Dabei
fühlte ich, ohne hinzusehen, wie die Augen dieses Mannes heftig auf
mich hingerichtet waren; wie dieser Mann angstvoll irgend ein Wort
von mir erwartete, welches ihn in seiner eigenen Gedankenführung
bestärken könnte; ich fühlte, wie dieser Mensch, der sich seit zehn
Minuten vollständig verändert hatte, dessen Miene, Bewegungen, Athmung,
Schläfe, Blick eine ungeheure Erregung verriethen, an einem Problem
herumlaborire, welches selbst für die ungewöhnliche Intensität seines
Geistes zu hoch schien.--

"Arbeitet diese von Ihnen überwachte Vereinigung mit geistigen oder
physischen Waffen?"--frug ich endlich, um auf eine vernünftige Spur
zu kommen.--"Mit physischen, realen, recht eigentlich körperlichen
Waffen, d.h. dem äußeren Anschein nach, wenn nicht noch etwas dahinter
steckt, was ich stark vermuthe."--"Sie sagen, aus Frankreich kommt
diese neue polizeiwidrige Clique?"--"So lautet meine Instruction;
ich war ja vorher nicht hier; jedenfalls der Mehrzahl nach, und die
gefährlichsten aus Frankreich."--"Du lieber Himmel!"--sagte ich, und
wandte mich freundschaftlich zu meinem Nachbar,--"sind es vielleicht
_Franctireurs_?"--"Ha!"--rief der Commissar mit einer gellenden
Lache,--"so einfach müssen Sie sich die Sache nicht vorstellen;"--dann
nach einer Pause: "Ich sage Ihnen, die Gesellschaft ist unfaßbar und
uncontrollirbar; _Franctireurs_ kann man auf der That erwischen, und
vor ein Kriegsgericht stellen; diese lassen sich fast nie in Flagranti
ertappen; in einem Hui! ist alles vorbei; und Verrath ist von dem
Complicen, den sie im Moment der Thathandlung eben erst zum Complicen
machen, nicht zu befürchten, weil der Betreffende sofort sich als
zu dem Bunde gehörig fühlt, sofort eo ipso in die Kaste eintritt;
und,--worin ich gerade Ihr Urtheil als Mediziner hören möchte,--bei
Ausübung ihrer Handlungen ist fast nur ihr Körper betheiligt; obwohl
ich Grund habe zu vermuthen, daß ihr Geist dahinter zittert und bebt,
ist fast nur ihr Körper betheiligt; und nur mit ein paar Rucke; so daß,
wenn die Kleider geschickt geordnet sind, es fast unsichtbar hinter
den Kleidern vor sich gehen kann; daher die Schwierigkeit!"--"Mein
Gott"--sagte ich, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt,--"sind es
Männer oder Weiber?"--"Es ist ganz gleich, ob es Männer oder Weiber
sind,"--replicirte der Commissar à tempo, sichtbar ärgerlich, über
diesen Punkt gefragt zu werden,--"Verbrecher sind Verbrecher; der Staat
kann keine zweierlei Gesetze für Männer und für Weiber machen. Mir ist
es überhaupt unerfindlich, wie man wegen eines winzigen Anhängsels
solche generelle Unterschiede aufstellen kann, und die Menschheit in
die Zwangsjacke von Unterrock und Hose einschnüren mag, die noch dazu
von Tag zu Tag in der Mode wechseln;--das eine hat ein Anhängsel, das
andere hat keins; und da macht man einen generalen Strich durch die
Menschheit, und sagt: Ihr heißt Euch so, und müßt Euch so kleiden, und
Ihr heißt Euch so, und müßt Euch anders kleiden?!--Welche Willkür!-Da
könnte man ebensogut die Nasen hernehmen; der eine hat 'ne Adlernase,
der andre hat 'ne platte Nase; und zu diesen sagen: Ihr heißt Euch
mit Rücksicht auf Eure Nase so, und kleidet Euch darnach; und zu
Jenen: Ihr heißt Euch, weil Ihr 'ne gequetschte Nase habt, anders,
und kleidet Euch anders. Oder die Ohrläppchen hernehmen, und die
Menschheit nach den Ohrläppchen eintheilen, und ihr mit Rücksicht
darauf Namen und Kleidermoden vorschreiben!--Männer oder Weiber?!--Nach
dieser Seite ist mir das sonst recht rationelle Weltganze immer
unverständlich geblieben, immer als eine Tollheit, als ein Mißgriff
erschienen.--Verbrecher ist Verbrecher!--Doch dies nebenbei.--Nein,
lieber Doctor!"--fuhr der Commissar, sichtlich zufrieden mit seiner
Expectoration, directer zu mir gewandt, weiter,--"das möcht' ich
von Ihnen als Mediziner wissen, wie eine solche Clique es dahin
bringen kann, mit solchem Raffinement, mit solcher Vupticität, die
physiologische Anlage ihres Leibs zu geheimen, destructiven Umtrieben
zu benützen...?"--"Ja, bei allen Heiligen!"--rief ich, fast unwillig,
und im Begriff den Verstand über diesen Auseinandersetzungen zu
verlieren,--"was thun denn die Leute?"--"Was sie thun?"--rief der
Commissar--"ja, wenn ich das so mir nichts dir nichts sagen könnte;
was sie thun? Darüber habe ich seit Wochen Tag und Nacht nachsimulirt.
Was sie thun?"--wiederholte der Commissar, und preßte die Hände vor
die Stirn,--"Wenn man das in einer umfassenden Definition klipp
und klapp aussprechen könnte! Was die Leute thun?--wenn Sie's hören
wollen, wie ich mir die Sache zurechtgelegt: sie treiben criminelle
Fabrication mit ihrem Körper!"--"Criminelle Fabrication mit ihrem
Körper?!"--wiederholte ich, und platzte, wie von einer Bombe getroffen,
zurück.--Wir waren beide unwillkürlich stehen geblieben, hatten
Front gemacht, und starrten uns nun gegenseitig an. Der Mann sah
aus wie ein Schauspieler, der sein bestes Stichwort losgelassen,
seinen wirksamsten Coup absolvirt, und jetzt auf den Applaus der
Zuschauer wartet, aber noch nicht weiß, ob es eingeschlagen hat.
Fiebernd, zitternd, überhitzt, die mageren Hände noch wie zu einer
pathetischen Geste erhoben, der Augenstern fibrirend und in seinem
Reflex wie zerfahren, die natürliche Gesichtsfaltung vertieft und
lederartig eingeschnürt, der ganze Mann das Bild der Sorge, und das
Opfer eines kranken Gedankengangs,--so stand der Commissar vor mir,
der verschlossene, ruhige Beamte von ehedem kaum wiederzuerkennen. Und
der Grundzug, der durch diese stumme Situation ging, war die Angst bei
diesem Mann, was ich, der Harmlose, der Unbetheiligte, der Gesunde,
dazu sagen werde. Ich hatte eine innere Scheu, die Discussion jetzt
da fortzusetzen, wo sie stehen geblieben war. Am liebsten hätte ich
den braven Mann ruhig nach Hause geleitet.--"Criminelle Fabrication
mit ihrem Körper,"--wiederholte ich flüsternd für mich, um den Mann
nicht zu beleidigen, und setzte gleichzeitig schlürfend meinen Weg
fort,--"Criminelle Fabrication mit ihrem Körper treiben die, die
dieser Sicherheitsbeamte als destructive Gesellschaft aufspüren und
aufheben soll!"--sagte ich leise in meinem Innern, unschlüssig, wie
die Peinlichkeit dieser Scene zu beendigen,--"hat,"--fuhr ich dann
laut fort zu meinem Begleiter, der mir zögernd gefolgt war,--"hat
Ihre Regierung sich dieser Wendung, der von Ihnen soeben gebrauchten
Worte, bedient zur Charakterisirung der betreffenden staatsgefährlichen
Coalition?"--"Nein",--antwortete der Commissar schlagfertig, wie
ein Fechter, der auf die Parade wartet,--"die Regierung drückt
sich vorsichtig, allgemein, andeutend, sogar versteckt aus; der
Gegenstand scheint ihr zu difficil zu sein; sie hat wohl auch keine
intimere Kenntniß der betreffenden Vorgänge; hier hat eben der Beamte
einzugreifen; bei uns wird in solcher Stellung viel verlangt:--nein,
Doctor, die Wendung stammt von mir, sie schien mir die bureaukratisch
zulässigste, dabei correcteste, bei der Dunkelheit der Vorgänge
genügend andeutende, und dazu alle betreffenden Bestrebungen
umfassende,--ich sage Ihnen, Herr Studiosus, der Gegenstand ist eine
Tarnkappe, langen Sie zu, haben Sie einen Frosch oder eine Schlange
in der Hand, und wissen nicht einmal, ob nur die echt sind."--Der
Commissar sprach jetzt wieder viel freier. Man fühlte aus seinem
Redefluß heraus, daß er sich, was man sagt redressirt habe; er
saß jetzt wieder fester auf dem Gaul; nachdem er seine Definition
losgelassen, nachdem er den wundesten Punkt seines Systems geoffenbart,
und die Discussion darüber nicht zu Fall gekommen, hatte er neue Kraft
geschöpft, und man merkte, er suche durch breitere, erschöpfende
Darstellung das an Boden zu gewinnen, was er vorhin moralisch bei
seinem Partner durch Angst und Unsicherheit eingebüßt.--Ich war
unentschlossen, ob ich die Unterredung über den Gegenstand weiterführen
sollte. Sie auf ein anderes Thema vorsichtig überzuleiten, wäre wohl
das Beste gewesen, wenn dies nur einem so mißtrauischen Menschen,
wie meinem Begleiter gegenüber, Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
Wir waren inzwischen außerhalb der Stadt gekommen; vor einer Stunde
hatte ich keine Hoffnung mich anständigerweise von ihm entfernen zu
können.--In der ganzen Erörterung gab es einen Punkt, gab es eine
Stelle, die für mich geradezu undiscutable war, die, um mich vorsichtig
auszudrücken, ganz auf Rechnung der eigenthümlichen Gehirn-Arbeit
dieses Mannes kam; ich weiß nicht, ob der Leser hier das gleiche Gefühl
hat, wie ich; mit andern Worten: es war ganz gut möglich, es war wohl
zweifellos, daß die neue Regierung dem eifrigen und als spürsichtig
bekannten Beamten Andeutungen und discretionäre Vorschriften zur
Aufhebung einer geheimen Gesellschaft gab, die ihr, der Regierung,
bei der Reorganisation der Dinge in den neuerworbenen Landestheilen
unangenehm im Wege stand; aber so, wie der Commissar seinen Gegenstand
vortrug, hatte man den Eindruck, als ob dieser Mann, durch die
Schwierigkeit angeeifert, und bei dem Mangel an Thatsächlichem ganz auf
seine Combinationen angewiesen, nach irgend einer Richtung in seinen
Denk-Operationen sich so verrannt habe, daß das End-Resultat mit dem
ursprünglichen Auftrag seiner Regierung in schreiendem Widerspruch
stand; und dann schien es wieder, als ob ein einziger Punkt, den
vielleicht ein Kind hätte finden können, genügend beachtet, der ganzen
vertrackten und bureaukratischen Salbaderei und Geheimthuerei eine
Wendung hätte geben können, die dann Alles im hellsten Licht hätte
erscheinen lassen, ein Punkt, den aber unser Beamter in Folge seiner
Verranntheit, Verstocktheit und mangelhaften Kenntniß der geheimen
Triebfedern im Menschen nicht fand.--Ich war noch mit diesen Gedanken
beschäftigt, als ich plötzlich dicht vor mir eine Nase und darüber
die scharf vigilirenden Augen des Commissars mit solcher Intensität
und solchem Mißtrauen auf mich gerichtet sah, daß ich unwillkürlich
zurückfuhr und dann stotterte: "Mein Gott, Herr N.--Sie überraschen
mich,--ich war gerade im Nachdenken darüber, wie...."--"Ja,--denken
Sie nur,"--antwortete mein Begleiter mit fast höhnischem Ton,--"Sie
kommen zu keinem andern Resultat; die Angelegenheit ist unentwirrbar,
unauffindbar, sie entzieht sich unseren tastenden Händen, und,"--setzte
er in verzweifelndem Ton hinzu,--"ich verliere noch meinen Posten
darüber!"--Mich erfaßte jetzt Mitleid für den Mann, und ich beschloß,
mit Rücksicht auf ihn, mich der weiteren Discussion nicht zu
entziehen.--"Was Sie da criminelle Fabrikation nennen,"--begann ich
zögernd, und selbst im Unklaren, wie ich die Sache wenden solle,--"das
muß doch in irgend einer Weise zu Tage treten!"--"Das thut es
auch,--schrecklich, unsagbar, destructiv!"--"Aber Sie sagen, daß es im
Geheimen geschieht; wie soll es denn so klar zu Tage treten?"--"Das
Uebel schleicht im Verborgenen; die Consequenzen werden schließlich
offenbar, und schreien durch ihre Gräßlichkeit gen Himmel!"--"Ja,
aber was thun denn die Betreffenden,"--frug ich ungeduldig und
eindringlich,--"was fabriziren sie denn?"--"Einen Stoff!"--"Einen
Stoff?"--"Ja, einen Stoff!"--"Ist es ein Gift?"--"Wenn Sie wollen
ein Gift, aber ein angenehmes Gift, ein Gift dessen Production ihnen
Vergnügen macht, zu dessen Verwendung sie aber noch einen Nebenmenschen
brauchen!"--"Und vergiften sie also ihre Nebenmenschen?"--"Ja, wenn
Sie es so bezeichnen wollen,--aber nicht im gewöhnlichen Sinne des
Vergiftens;--der Vergiftete oder zu Vergiftende muß einverstanden sein,
und es scheint auch diesem die Aufnahme des Giftes unaussprechliches
Vergnügen zu bereiten, da Beide zusammen ein Complot bilden und Keiner
den Andern verräth."--"Mein Gott,--sind es Branntwein-Schänken, wo
die arbeitende Bevölkerung durch Fusel langsam zu Grunde gerichtet
wird?"--"Oh,--Sie sind hundert Meilen weit entfernt?--Sie gäben
einen schlechten Commissarius!"--"Ja, wo liegt die Sache denn dann?
Was ist das für ein Gift, dessen Production dem Giftmischer wie dem
Opfer Vergnügen gewährt, so daß Beide ihre Handlung...."--"ihre
staatsgefährliche, criminelle Handlung!"--interpellirte der Commissar
mit gewichtigem Pathos,--"nicht verrathen?"--ergänzte ich,--"was ist
das für ein Stoff? Ist es eine Essenz?"--"Essenz ist kein schlechtes
Wort.--Fluidum ist vielleicht besser; das Regierungs-Rescript drückt
sich hier höchst reservirt aus; ich mußte da fast Alles neu schaffen;
die Terminologie dieses neuen Verbrechens ist von mir; leider stehen
wir noch fast in den Anfängen!"--"Also ein Fluidum ist dieses
merkwürdige Gift?"--"So scheint es."--"Und dasselbe wird von den
betreffenden Geheimbündlern mit ihrem eigenen Körper fabricirt?"--
"Verbrecherischer Weise fabricirt!"--"Und unter den Kleidern, sagten
Sie?"--"In der That,--mit kolossaler Vupticität,--die Augen werden
nur ein wenig glasig dabei."--"Nun, und mit diesem Fluidum vergiftet
das Eine den Andern?"--"Das Fluidum,--vielleicht ist es nur ein
Hauch!--wird von dem Einen auf den Andern übertragen; ohne daß viel
dabei gesprochen wird; es ist fast ein Muß!"--"Ein Muß?!"--"Es gehen
einige Blicke vorher, einige Gesticulationen, etwas saccadirtes Athmen,
etwas Glossolalie, dummes Gepappel,--und dann ist es geschehen."--"Was
ist dann geschehen?"--"Der Andere ist dann so gut wie bezaubert,
und muß sich willenlos der Vergiftung stellen!"--"Nun, und?"--"Diese
wird dann rasch vom ersteren vollzogen, und--der Andere windet sich
in Krämpfen!"--"Höchst merkwürdig!"--"Das ist nicht Alles!--Die Leute
verbinden mit dem Ganzen eine Art Cultus, eine Art Religion;--ein nie
vorher dagewesener Enthusiasmus durchglüht ihre Brust; sie sprechen
unhaltbare Schwüre aus, geloben sich unverbrüchliches Stillschweigen,
entziehen sich ihren einfachsten Verpflichtungen, und geben sich oft
den Tod!"--"Das ist ja die allermerkwürdigste Religions Gesellschaft,
die existirt; es sind doch keine _Quäker_?"--"Oh nein!--Sie haben kein
transscendentales System. Ihr Glaube ist auf materiellste Irdischkeit
gegründet!"--"Aber worin besteht nun ihre Staatsgefährlichkeit?"--"Sie
hindern den glatten Vollzug der vom Staat gestatteten Privatverbindung
zweier Personen in der sogenannten Ehe!"--"Wie so das?--Was hat die
Ehe mit dieser Geheimbündelei zu thun?"--"Je nachdem der eine oder
andere Theil der Ehegatten in diese Vergiftungs-Sphäre geräth, die
Verzückungs-Uebungen dieser geheimen Gesellschaft mitmacht, wird er
zu Hause unfähig zu der vom Staat in der sog. Ehe gestatteten und dem
Staate erwünschten physiologischen Körperleistung!"--"Wie so?"--"Er
wird für seine häusliche, eheliche Pflicht unfähig; sinkt zu den
kraftlosen Bewegungen einer Puppe herab; vollführt gleichsam nur das
Schema seiner legalen Empfindungen."--"Das ist ja die merkwürdigste
Einwirkung, die man sich denken kann!"--"Ja, es liegt eine förmliche
Vergiftung vor.--Und meist ist es der andere Ehetheil, durch den die
Sache zur Anzeige kommt. Da er aber bei dem eigentlichen Verbrechen
nie dabei ist, also auch keine Aussagen machen kann, die eigentlichen
Criminellen aber durch ungeheure Schwüre sich Stillschweigen
auferlegen, so ist der Staat fast nur auf Combinationen angewiesen,
und muß hilflos einem Corruptions-Verfahren zusehen, welches in dieser
Gegend tausendmal schlimmer wirken soll, als die Opiumkneipen in
China und London!"--"Und Franzosen, sagen Sie, sind vorwiegend dabei
betheiligt?"--"Ja, die Völkermischung hier, und die Freizügigkeit,
und die mangelhafte Ordnung in den neuen Verhältnissen hat die Sache
entsetzlich verschlimmert!"--

Wir gingen lange Zeit wieder schweigend nebeneinander einher. Die
letzten Erörterungen hatten mir den Kopf so voll gemacht, daß ich keine
Veranlassung hatte weiter zu fragen; oder wenigstens nicht in solange,
als ich nicht das merkwürdige Verhältniß dieser Geheimbündler zur Ehe
und die intimsten Vorgänge dabei einigermaßen verdaut hatte.--Wir
waren schon auf dem Rückweg begriffen; die Stadt mit ihrem schönen
Münster-Thurm lag vor uns. Mein Begleiter, der für landschaftliche
Reize kein Interesse zu haben schien, und immer den Kopf zur Erde
steckte, holte plötzlich ein Notizbuch heraus, in das er rasch eine
Aufzeichnung machte.

"Ich habe da einen neuen Gedanken,"--sagte er, als er merkte, daß
ich ihn verwundert ansah, und fügte dann gleich hinzu: "Es ist nur
so schade, daß man fast gar nichts aus persönlicher Anschauung
feststellen kann, sondern Alles im Kopfe erst construiren und
ausrechnen muß."--"Ist Ihnen nie einer von den Criminellen zu
Gesicht gekommen?"--frug ich, an diese eigenthümliche Äußerung
anschließend.--"Vermuthungsweise.--Ich schaue auf der Straße Jeden
darauf an und vigilire in allen Lokalen seit Monaten!" Bei diesen
Worten nahm mich der Commissar scharf in's Auge, um gleich darauf
mit Lächeln seine Prüfung aufzugeben. "Mein Gott," sagte ich, "die
Betreffenden müssen doch faßbar sein, es sind doch Menschen?"--Erst
nach einer längeren Pause antwortete mein Begleiter: "Menschen,--das
wohl!" mit einem Ton, als wär' es ihm lieber gewesen, wenn es keine
wären, oder etwas Anderes und Tieferliegendes; setzte dann aber doch
hinzu: "Sie sollen sehr schön sein!"--"Ich muß noch einmal, Herr
Commissar,"--bemerkte ich jetzt, um einen neuen Faden anzufangen,--"die
Frage an Sie richten: Sind es Männer oder Weiber? Ich glaube, hier
kommt man zuerst auf die Spur. Sie kennen als gewiegter Criminalbeamter
gewiß den alten französischen Grundsatz: Où est la femme?"

Schon bei den ersten Worten hatte der Beamte seine Miene zu einem
Essig-Gesicht zusammen gezogen und heftig mit der rechten Hand
abgewehrt; "Ach,"--fing er dann endlich an,--"ich glaube Sie sind auf
der falschen Spur; aber um Ihnen zu willfahren, kann ich Ihnen sagen:
es sind Männer und Weiber, obwohl Sie wissen, wie gering ich da die
Unterschiede anschlage."--"Männer _und_ Weiber?"--frug ich.--"Männer
sowohl wie Weiber!"--"Haben Sie denn nie mit einem Collegen darüber
gesprochen, der in diesen Dingen etwas zu Hause ist,--es kommen da so
manche intime Vorgänge in Betracht?"--"Ach,"--sagte er,--"mit einem
Collegen über solche Sachen reden, da gibt man das Heft schon aus der
Hand; und dann, Sie wissen, was ich über die zufällige Eintheilung der
Menschen in Männer und Weiber denke; Verbrecher ist Verbrecher; obwohl
regierungsseitlich sogar ganz bestimmte Aeußerungen in dieser Hinsicht
vorliegen."--"Was meint die Regierung in diesem Punkt?--wenn es nicht
ungeschickt ist von mir, soweit in Sie zu dringen?"--"Die Regierung
unterscheidet in dieser criminellen Sache jene beiden Parteien, die
sich seit Alters her auf so sonderbare Weise anziehen,--die Männer
und die Weiber."--"So, also doch!"--bemerkte ich verwundert. "Ja,
aber"--fügte der Commissar ärgerlich hinzu,--"es scheinen lediglich
formelle Unterschiede zu sein."--"Welche denn?"--"Männer und Weiber
arbeiten hier auf ganz getrennten Gebieten. Erstere viel geheimer und
verschlagener; letztere weit offenkundiger und ausgedehnter; beide
Parteien haben übrigens keinerlei Verkehr mit einander; kennen sich
nicht und sind nur durch die polizeiliche Recherche nebeneinander
gebracht; auch scheint es, daß das verbrecherische Fabrikat, mit dem
die Weiber operiren, weit weniger faßbar ist,--fast nur ein Hauch,--als
das der Männer; dagegen sind die Männer den religiösen Krämpfen mehr
ausgesetzt; während bei den Weibern Alles mehr formelle Uebung, todter
Maschinengang ist. Aber, wie gesagt, diese kleinen Unterschiede kommen
nicht in Betracht; wir wollen den Verbrecher fassen, der mit seiner
Mischung von religiöser Schwärmerei und körperlicher Niederträchtigkeit
das Volk ansteckt, und die 'moralischen Fundamente der heutigen
Gesellschafts-Ordnung untergräbt', wie der Regierungs-Passus lautet;
wer es ist, ist uns gleich; wird einmal Eines von ihnen gefaßt,
dann lügen sie sich doch in gleicher Weise hinaus, und schwören und
betrügen, weil sie wissen, daß ihnen das Gesetz mildernde Umstände
zuerkennen wird; weil sie meinen, mit ihrer reservatio mentalis,
die viel mehr eine corporalis ist, kämen sie überall durch!"--"Mein
Gott,--es sind doch keine _Jesuiten_?"--frug ich unwillkürlich.--"O
nein,"--antwortete der Commissar,--"aber von derselben Pfiffigkeit
und Geriebenheit!"--und fügte dann nach einiger Zeit mit dem Ton
tiefer Resignation hinzu: "Die haben keinen Namen, die sind namenlos;
oder man nennt sie, wie man alle Anderen auch nennt; oder wenn sie
Special-Namen haben, dann wendet man diese sofort auch auf die übrige
Menschheit an, und der Verwirrung ist kein Ende. In Frankreich haben
sie an die fünfzig Bezeichnungen; frägt man dann auf der Straße: Wo
ist ein solcher? dann deutet der Gefragte auf den nächsten besten
Menschen, und lacht.--Nein, diese Verschworenen und Proselytenmacher
schauen sich in's Auge, und geben sich die Hand, und dann wissen sie
Alles; und die Polizei vigilirt, und zerbricht sich den Kopf, und setzt
Himmel und Erde in Bewegung und erfährt Nichts!"--"Du lieber Himmel,
das klingt ja wie _Freimaurer_!"--"O nein!"--sagte mein Begleiter,
und mir fiel das Verzweifelnde in Stimme und Geberde auf,--"diese
Sekte hat keine Kirche, diese Vereinigung hat keine Symbole, diese
Verwegenen mischen Religionen und Verbrechen, und setzen sich mit einer
einzigen kühnen That über gesellschaftliche Ordnung und bürgerliche
Gesetze hinweg. O, ich fürchte,"--brach mein Begleiter plötzlich in
krampfhaftes Schluchzen aus, und eilte laut demonstrirend und mit
den Armen fuchtelnd voraus,--"ich fürchte, diese Rotte weiß, daß ich
zu ihrer Vernichtung ausgesandt bin, sie hetzt ihre Mordgesellen auf
mich, und wird nicht eher ruhen, bis ein kalter Stahl meiner spüren
den Gedanken-Arbeit ein Ziel gesetzt hat...!"--"Mein Gott, Herr
Commissar,"--eilte ich hinterdrein,--"beruhigen Sie sich!"--Wir waren
bereits an die ersten Straßen der Stadt gekommen. Einige Leute wurden
auf das Gebahren des Beamten aufmerksam. Ich nahm meinen Begleiter
unter den Arm, und es gelang mir, ihn unter Hinweis auf die Wichtigkeit
seines tadellosen Verhaltens als Criminal-Beamter soweit zu beruhigen,
daß er äußerlich ruhig neben mir herging.--Es wurde jetzt nichts mehr
gesprochen. Mein Begleiter war auch vollständig erschöpft. Nach einer
Viertelstunde etwa kamen wir an die Wohnung des Commissars, nicht weit
vom Polizei-Gebäude; sie lag im vierten Stock; es war ein kleines
Stübchen, in dem außer den nothwendigsten Möbeln und einigen Büchern
eine große Menge älterer und neuerer selbstgefertigter Manuscripte
aufgehäuft zu sehen waren, und machte den Eindruck des Aufenthaltsorts
eines armen, fleißigen, nüchternen, braven Junggesellen. Erst nachdem
ich mich überzeugt, daß der erschütterte Mann, dessen Miene das Bild
tiefer Desolation bot, sich in Etwas erholt, und er mir versprochen,
sich sofort zu Bett zu begeben, verließ ich die Wohnung.--

Es waren vielleicht sechs Wochen seit dieser Unterredung vergangen.
Ich hatte nichts mehr vom Commissar gehört, und vermied es, seine
Bekannten, wenn ich sie traf, nach ihm auszufragen, um nicht unnöthige
Aufmerksamkeit auf eine Person zu lenken, die in erster Linie Ruhe
und Schonung bedurfte. Ja, ich hatte die ganze Angelegenheit in dem
Mancherlei des Studentenlebens fast vergessen.--Aber eines Nachmittags
begegneten wir einander auf der Place Kleber. Der Commissar sah blühend
aus. Sobald er meiner ansichtig wurde, eilte er schon von ferne auf
mich zu. Er schaute mir lang in's Auge, und, als er aus meinem Gesicht
wohl merkte, daß die ganze Erinnerung an jenen Sonntag-Nachmittag
in mir aufgetaucht sei, und es an ihm sei, mit einer Erklärung
herauszurücken, begann er: "Nun, lieber Doktor, in der Zwischenzeit
hat sich viel verändert; wir haben die Gesellschaft; wenigstens einen
Theil; die eine Sparte; aber wundern Sie sich nicht, wenn nach all dem,
was ich Ihnen damals sagte, nach all den Anstrengungen, die wir damals
machten, um der Sache auf die Spur zu kommen, eine trockene Notiz Sie
dafür entschädigen muß, was eine ungeheure criminelle Organisation
ist, die, wie ich jetzt zu glauben anfange, über die ganze civilisirte
Erde ausgebreitet ist."--Er zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche, und
wies mir im lokalen Theil eine blau angestrichene, stark abgegriffene
Stelle. "Hier lesen Sie, welche klägliche Zusammenschrumpfung unter
dem bureaukratischen Beobachtungsglas einer nüchternen Polizeibehörde
eine Sache erfährt, die...." hier machte der Commissar eine aufgeregte
Gestikulation, und fügte dann hinzu: "ich will mich nicht weiter
ausdrücken."--

Die Lokalnotiz lautete: "Straßburg, den ... 187.--Gestern wurde eine
größere Anzahl französischer _Dirnen_ aus der Umgebung von Besançon
und Belfort, die zum Theil noch aus der Belagerungszeit hier waren,
zum Theil mit dem Einzug der deutschen Truppen sich hier festgesetzt
hatten, auf Grund des Niederlassungs-Gesetzes für Elsaß-Lothringen
und der neuen polizeilichen Verordnungen für Straßburg, Stadt,
(Sitten-Controlle) von hier ausgewiesen und per Schub über die Grenze
gebracht."

"Also das war der Gegenstand Ihrer eifrigen Nachspürungen!"--sagte
ich nach einer Pause absichtlich verstellten Erstaunens, und fest
entschlossen, kein einziges Wort mehr über diesen Gegenstand mit dem
Commissar zu verhandeln.--Er schaute mich an mit einem Gesicht, als
hätte er jetzt erst die Anfangsgründe einer neuen und der denkbar
schwierigsten Sprache erlernt.-Und dann, nach einer Pause, als Niemand
eine passende Wendung zum Auseinandergehen fand, frug ich noch: "Nun,
und die andere Sparte? Was ist mit den Männern?"--"Die,"--sagte der
Commissar mit traurigem Kopfschütteln,--"die werden wir nie fassen! Die
kommen unter den höchsten Ständen selbst vor!--Die...." (hier sagte mir
der Commissar etwas leise in's Ohr)!--Dann gab er mir die Hand, und wir
schieden stumm von einander.--




Der Corsetten-Fritz

                                        _Aus alten Märchen winkt es_
                                        _Hervor mit weißer Hand,_
                                        _Da singt es und da klingt es_
                                        _Von einem Zauberland._
                                                                      Heine

Ich bin der Sohn eines protestantischen Pfarrers. Ich wuchs in einem
ganz kleinen Städtchen auf. Wir waren vielleicht achthundert Seelen.
Jedes kannte das Andere; fast bis auf die Gedanken. Von früh auf
leitete mein Vater selbst meine Erziehung. Ich mußte Lateinisch lernen,
wogegen sich mein Kopf, wie gegen ein exotisches Gift, sträubte. Die
sicherste und intensivste Erinnerung, die ich aus dieser Zeit habe,
ist ein gewisser Zustand, eine Disposition meines Kopfes, eine Art
psychischer Anfall, der mich jedesmal in der Kirche überraschte. Mein
Vater predigte ganz anders, als er zu Hause sprach. Auf der Kanzel
hatte er eine plärrende, heulende Redeweise. Zu Haus war er knapp,
bestimmt, coramisirend. So befand ich mich in der Kirche einer ganz
anderen Persönlichkeit gegenüber. Und die Wirkung war eine ganz neue.
Kaum hatte die Gemeinde mit ihrem Rock-Geräusch sich auf die Bänke
niedergelassen, und das geistliche Geheul meines Vaters erfüllte
widerprallend mit doppeltem und dreifachem Echo das kleine Gottes-Haus,
so war meine Seele entflohen. Und auf mir nur zu bekanntem Weg, und
immer auf demselben, lief sie fort, und trieb sich umher, und suchte
etwas, und lief auf die Dörfer in der Umgebung, und wollte überall
eindringen, in die Häuser, durch die Fenster der Menschen, in die
Schränke, ja sogar in die Menschenleiber, und wollte überall horchen,
und suchen, und spähen, ohne zu wissen, was; das Schluß "A-män!"--und
meine Seele kehrte wie der Geier zurück, ich erwachte; vor mir lag das
Gesangbuch mit seinen schwarzen Lettern; am Altar waren die Kerzen
tief herabgebrannt; mein Vater wischte sich den Schweiß von der rothen
Stirn; die Leute rutschten feierlich und ergriffen; und auf dem Chor
begann die Orgel ein leises Smorzando-Spiel.--Dieß ist die intensivste
Erinnerung aus meinen Kinderjahren: dieses Davonlaufen der Seele bei
jeder günstigen Gelegenheit; dieses Herumsuchen nach etwas Unbekanntem,
nach etwas Aufzustöberndem; und dieses Nichts-Nach-Hause-Bringen.--

Später, als es Zeit war, in die Lateinschule einzutreten, kam ich
in ein kleines Provinzstädtchen; zu Leuten, die mich ebenso streng
von allem, was man Welt nennt, abschlossen, wie mein Vater; und die
mir ebenso unermüdlich wie meine Eltern eintrichterten: Zweck meines
Daseins sei, Doctor der Theologie zu werden, und Sonntags Leute in
Seidenkleidern und schwarzen Tuchröcken mit frappirendem geistlichen
Inhalt zu füllen, plärrend und pfauchend, wie mein Vater. Dieses
Programm war mir vollkommen geläufig; ich hatte mich auch vollständig
mit ihm ausgesöhnt; aber, was meine Seele dazu sagen werde, jenes
Wanderthier, welches auf eigene Faust auf Eroberungen ausging, und
jeder Clausur, jedem Stubenarrest spottete, das wußte ich natürlich
nicht.--

Ich heiße Fritz. Und als die Lateinschule mit vierzehn Jahren absolvirt
war, mußte man mich wohin bringen, wo auch ein Gymnasium war. Dies
that mein Vater nur schweren Herzens. Denn das nächste Gymnasium war
die Residenz. Eine Residenz, in der damals Künste und aller mögliche
Luxus in reichster Blüthe stand. Und vor dieser irdischen Blüthe der
Welt wollte mich mein Vater um jeden Preis bewahren. In der Residenz
wohnte ein Onkel von mir, von nicht minder rigorosen Grundsätzen, wie
mein Vater. Zu diesem wurde ich, nach Vorausgang eines intensiven
Briefwechsels, endlich gebracht, und hatte von hier aus, unter
strengster Ueberwachung, sozusagen unter Clausur, das nahgelegene
Gymnasium zu besuchen.

Die Häuser, die Eisenbahnen, das Schreien einer fieberhaften Menge,
die geheimnißvollen Telegrafen-Drähte hoch quer in der Luft, die
Schaufenster, die prunkenden Kirchen, die erstaunlichen Lettern
mit ihren Behauptungen an den Straßen-Ecken, und was ich sonst auf
der Reise und bei der Ankunft an großstädtischem Leben erwischte,
machte auf mich einen fast lähmenden Eindruck. Ich schluckte alles
hinunter, und wartete, wie es wirkte; und sagte gar nichts. Ich sah,
man beobachtete mich, wie eine Taube, der man Cigarrenrauch in die
Nasenlöcher geblasen. Ich wußte aber auch, ich ahnte, daß in dieser
Stadt ein kolossales Geheimniß für mich verborgen lag.--

Soweit ging alles gut. Meine Leistungen in der Schule waren zwar wenig
zufriedenstellend. Man schob es auf den plötzlichen Wechsel von Lehrer
und System. Täglich wurde ich zur Schule gebracht und abgeholt; unter
den höhnischen Bemerkungen meiner Kameraden. Mit Niemandem durfte
ich verkehren. Nur meine Tante, eine Frau, die wohl damals schon
mein Inneres durchschaute, mit jener instinctiven Sicherheit, die
den Männern abgeht, nahm mich auf ihren Ausgängen und Commissionen
mit.--Ich war etwa vierzehn Tage in der Residenz, und ziemlich exact
fünfzehn Jahr alt, als mich eines Abends meine Tante im Flüsterton
fortschickte, ihr ein Packet zu holen, welches sie in einem Hause
hatte liegen lassen, und das sie noch für den gleichen Abend zu einer
Einladung benöthigte. Es war sechs Uhr. Ich flog wie ein Reh. Diesmal
zum erstenmal befand ich mich, und jenes Ding in mir, welches quasi
ohne jeden Zusammenhang mit der Welt, als Seele, sozusagen auf eigene
Verantwortung, in mir fungirte, beide miteinander im Einklang. Wir
eilten auf Windesfüßen. Der Auftrag war bald vollbracht. Einmal im
Besitz des Packets, merkte ich erst, daß ich unbewußt so geeilt war,
um zeitlich einen Vorsprung zu gewinnen. Ich beschloß, ihn so gut wie
möglich auszunützen. Ich wollte etwas von der fürchterlich tosenden
Welt sehen. In der Ferne lag ein großer, dampfender, hellerleuchteter,
mit Menschenlärm und Wagen-Gemurmel erfüllter Platz. Dort beschloß ich
hinzugehn. Zum erstenmal war ich mit meinem Instinct ganz allein und
souverän in der Welt. Ich konnte hin und zurück, ohne mich in der Zeit
auffällig zu verspäten. Ich hatte ja noch Zeit gut. Bereits war ich
auf dem Wege, und eben im Begriff, auf einer der radiär auslaufenden
Straßen den großen Platz zu gewinnen, als ich plötzlich, gerade knapp
vor der Ecke, vor einem großen Glasfenster, wie vom Blitz getroffen,
stehen blieb, und fassungsund willenlos, wie ein angeschossenes Thier,
dort hineinstarrte, und mich, mein Packet, meine Umgebung, meinen
Auftrag vollständig vergaß.

Ich will jetzt Obacht geben, ganz genau alles so zu beschreiben,
wie ich es sah, und wie ich es empfand: Hinter dem riesengroßen,
spiegelblanken, aus einem Stück bestehenden Glasfenster saßen, oder
schwebten, oder stacken ein bis zwei Dutzend Menschenleiber, das heißt
Ausschnitte von Menschenleibern, ohne Kopf, ohne Beine, aber nicht
gerade geschlachtet, sondern mehr abgehackt, ausgeschälte Rümpfe
mit d'rangelassener Hüfte, aber blutlos, sogar höchst säuberlich,
glänzend, seidig, furchtbar graziös und elegant, und wie zum Umarmen
und Küssen eingerichtet; also keine Menschenschlächterei, sondern--wie
soll ich sagen!--leichenartig conservirte Hüften mit vorgequellter
Brust, Menschen-Mumien, aber unter Berücksichtigung und Conservirung
des kostbarsten Mittelstücks; alle in verschiedenen Farben, vom
schneeigsten Weiß bis zum tiefsten Beinschwarz; die Farben nicht
angestrichen, sondern das natürliche Produkt ihres Inhalts; also
herausgeschwitzt, und erhärtet; die Ränder prachtvoll wieder mit
anderen Farben eingefaßt; besonders ein orangegelber Leib nahm meine
ganzen Sinne gefangen; er war schwarz gerändert; die Hüftenschwingung
zart; die dünnste Stelle zum mit Knabenhänden umspannend ergötzlich;
die Ausladung der Brust kühn und gewaltig; das Ganze eine hoheitvolle
Figur, ein Ideal-Wesen. "Magst Du herkommen, wo Du willst,--rief ich
innerlich mit einem überquellenden Impuls--und wenn Du auch nur ein
Stück bist, so bist Du doch prachtvoll, Du gleisendes Orange-Wesen,
und wenn ich Dich besäße, dann wäre wohl mein Glück gemacht!"--So
sprechend beugte ich mich ganz über die quer laufende Eisenstange,
welche vor der Riesenscheibe zum Anhalten diente, hinüber, um mein
süßes Orange-Wesen mit den Augen ganz zu verschlingen. Aber jetzt kam
mir doch ein Stück Besonnenheit, und ich begann nachzudenken, wieso
diese Bruchstücke von Individuen hierherkämen. Sollte irgendwo eine so
kostbare Menschenrasse leben,-begann ich zu grübeln,--von der ich noch
nichts weiß, und die man mir verborgen gehalten hat? Also eine farbige,
glitzernde Menschenrasse, ähnlich dem, was unter den Vögeln die Kakadus
und Kolibris sind! Aber warum hat man Kopf und Hals weggehackt? Und
die Beine ausgeschnitten? Offenbar weil eben die Leiber das Schönste
sind. Es sind eben Menschenbälge! Aber nicht federartig, wie die Vögel;
sondern seidenartig glänzend; Menschen-Hülsen von einem prachtvollen
Geschlecht! Könnte man da nicht hinkommen, wo Die leben? Und glücklich
sein?--Ich schaute jetzt genauer hin. In der That, der Inhalt dieser
Leiber, obwohl blühend weiß und flockig wie frische Schlagsahne, war
doch künstlich; war angefüllt;--oh, ich lasse mich nicht so leicht
täuschen!--und es sind also veritable Menschen-Hülsen; natürlich! Man
kann doch das Blut und die Eingeweide nicht drinnen lassen! Und man
füllt es mit Weiß aus, um die Kostbarkeit der Rasse anzudeuten. Ob
wohl solche Exemplare noch lebend anzutreffen sind?--fuhr ich weiter
für mich zu fragen fort.--Und wo Die sich aufhalten mögen? In einem
fernen Land, wo ewiger Sonnenschein herrscht, mögen sie wohl in der
Luft schweben, diese federleichte, graziöse Sippe! Und werden dort
von Schurkenhand eingefangen und abgehäutet!--Einerlei--fuhr ich nach
einigem Bedenken fort,--jetzt sind sie da; und jetzt gilt es, sie zu
erwerben. Denn offenbar,--darüber war ich orientirt--ist das, was
hinter diesen Riesenscheiben aufgestellt ist, zu verkaufen. Aber wer
kann so kostbare Menschen kaufen? Wohl nur ein König! Mein Gott, rief
ich, was wird dieser orangene Menschen-Vogel kosten? Gewiß einige
Zehntausend Gulden. Die werde ich nie besitzen. Und so werde ich im
Leben nie glücklich sein...!

In diesem Augenblick geschah etwas Entsetzliches. Zwischen meinem
Orange-Menschen und seinem dunkelblauen Kameraden nebenan erschien
plötzlich ein schwarzbärtiger, gelockter Judenkopf, der mich mit einem
ausgestopft-süßlichen Lächeln angrinzte, und unversehens von Hinten
mit zwei Armen mein Orange-Bild umfaßte, und es liebkosend nach hinten
trug. Ich war außer mir vor Wuth. Und eben wollte ich mit geballter
Faust die Glasscheibe zerschmettern, um das Ideal meines Lebens zu
retten, als ein brauner, eiserner Vorhang zwischen mir und der
Glasscheibe mit schrillem Geräusch niederging, und mich mit einem Ruck
wie vor die Felsenwand "Sesam öffne Dich!" brachte.--

Ich schaute um mich. Es war stockfinster. Nur wenige Menschen eilten
schnellen Schritts vorüber. Der große Platz war leer, wie ausgestorben.
Mein Paquet? Ich hatte es noch in der Hand. Ich lief zitternd vor
Erregung nach Hause. Es ging auf zehn Uhr. Natürlich kam ich zu
spät. Aber dieses Zuspätkommen, welches unter anderen Umständen mich
tief beunruhigt hätte, ließ mich fast theilnahmslos. So hatte das
vorausgehende Ereigniß auf mich gewirkt. Man forschte mich aus, wo
ich gewesen. Man inquirirte mich. Onkel und Tante waren außer sich,
daß ich die erste Gelegenheit des Vertrauens so schmählich mißbraucht
hatte. Ich erklärte mit großen Augen, ich hätte eine seltsame Begegnung
gehabt, die mich festgehalten hätte. Man schüttelte den Kopf, und
wollte Näheres wissen. Ich konnte und wollte nichts Näheres sagen. Ich
bat nur, zu Bett gehen zu dürfen. Ich hätte keinen Appetit. Dies wurde
endlich zugestanden. Im Nu war ich in meiner kleinen Schlafkammer, und
hatte mich gleich darauf tief in die Bettdecken gewickelt.

In der Nacht träumte mir, und es erschien jener Rumpf-Körper, in
golden-orangenes Licht getaucht, am Fußende meines Bettes. Wie ein
strablendes Wesen aus dem Jenseits. Wie eine odische Erscheinung. Ich
weiß nicht, träumend oder wachend, erhob ich mich von der Lagerstatt
und starrte das entzückende Bild mit offenen Augen an. Ich rutschte vor
und streckte die Hände mit fibrirendem Verlangen dem Bilde entgegen. In
diesem Augenblick aber erschien der Judenkopf, mit einem höhnischen,
wie ein Taschenmesser zugeklappten Mund, und zog von rückwärts leis und
lautlos das prachtvolle Bild an sich. Mit einem Schrei erwachte ich.--

Von diesem Morgen an war ich ein ganz anderer Mensch. Ich hatte jetzt
plötzlich einen Inhalt gewonnen. Meine Seele vagirte nun nicht mehr
herum. Wenn sie sich überlassen war, wußte sie, an wen sich zu halten.
Sie entfloh in jene dämmerige Gasse, vor das glänzende Schaufenster,
und conversirte mit jenem Orange-Wesen, dem fabelhaften Menschenrumpf,
dem entzückenden Ueberbleibsel aus einem fernen, vielleicht indischen
Geschlecht. Leider wurde meine Seele mit dieser ihrer phantastischen
Arbeit so übermächtig, so exclusiv thätig, daß meine Aufmerksamkeit,
die Fähigkeit, meine Geisteskräfte zu concentriren, immer schwächer
wurde, und zuletzt unterlag. Nicht nur in der Classe, beim Uebersetzen
von Cicero oder Ovid, in der Kirche, zu Hause, wenn mein Onkel ernste
Aufsätze vorlas, sondern sogar beim Mittagessen, war ich schweigsam,
die Aeußerlichkeiten mechanisch verrichtend, meinem Inneren zugekehrt.
So kam ich in den Geruch, zumal auch meine Noten in der Classe immer
ungenügender wurden, eines talentlosen, faulen, dummen Menschen.

Darüber verging etwa ein Viertel-Jahr. Mein Orange-Ideal hatte ich
in der Wirklichkeit nicht wieder seit jenem Abend gesehen. Noch ein
ähnliches seines Geschlechts.--Eines Nachmittags waren Onkel und Tante
ausgegangen. Es war Sonntag. Die Köchin war allein noch zu Hause, und
schickte sich, wie ich vermuthete, an, ebenfalls auszugehen, da es
ihr freier Nachmittag war. Ich sollte zu Hause bleiben und lernen.
Mißmuthig ging ich im Zimmer auf und ab. Plötzlich kam mir der Gedanke,
wenn ich den ganzen Sonntag Nachmittag allein zu Hause bleiben sollte,
mir noch ein Glas Himbeer-Wasser von der Köchin zurecht richten zu
lassen. Es war Sommer, und ein heißer Tag. Die Köchin hatte den
Schlüssel zu diesen Süßigkeiten. Eben hatte ich die Thürklinke in der
Hand, und war im Begriff über den Corridor zu gehen, als mich ein
weiterer Gedanke auf einmal leise auftreten ließ. Die Köchin war eine
hübsche Person. Sie hatte große, dunkle, vielsagende Augen. Ich war
über die Unterschiede zwischen Knaben und Mädchen sehr wohl orientirt.
Ich hatte durch Zufall sogar diese Abweichung in der Bildung der Scham
bei kleinen Mädchen schon beobachtet. Was mich, nebenbei gesagt, hier
einzig verdroß, war, daß die Urin-Bereitung mit jenen differenzierten
Organen vergesellschaftet war. Das heißt, ich konnte mir nicht
klar machen, warum zur Entleerung des Urins bei Knaben und Mädchen
verschiedene Organe nothwendig seien.--Ich wollte durch's Schlüsselloch
der Köchin in's Zimmer schauen, um zu sehen, wie sie aussehe, was sie
treibe. Nahe bei der Thüre angelangt, hörte ich schon nesteln und
rutschen und herumwirthschaften. Aber kaum hatte ich das Auge an's
Schlüsselloch gebracht, als ich, starr vor Entsetzen, und unfähig, mich
auf den Füßen zu halten, beinahe mit dem Kopfe gegen die Thüre gefallen
wäre. Ich lief eilig ins Wohnzimmer zurück, wo ich keuchend mich an
einem Möbel anhielt, um das Gesehene zu verdauen, zu überlegen, mir
klar zu machen: Die Köchin stand mit nackten Aermen in ihrem Zimmer; an
ihrem Bett; der Hals ebenfalls nackt; das Hemd war tief ausgeschnitten;
zwei weiße, helle, lebende Kugeln sprangen dort, wo das Hemd aufhörte,
hervor, und von diesem Rand an abwärts hatte die Köchin, sowohl gegen
die Arme sich verbreiternd, als nach unten den ganzen Leib verhüllend,
eine jener farbigen, eingefaßten, starren, getrockneten Menschenhülsen,
wie ich sie damals hinter der Glasscheibe gesehen; wobei ich nur
das Eine nicht begreifen konnte, wie die Köchin diesen fremden
Menschen-Ueberzug über sich hinübergebracht hatte; denn die Köchin war
ein starkes Frauenzimmer; der Ueberzug hingegen knapp und eng, auch war
mir nicht entgangen, daß dieser hohle Balg an Farbenpracht bei weitem
hinter jenen zurückstand, die, wie mein orangenes Ideal, damals in der
Abend-Beleuchtung in jener Straße geglänzt hatte. Und nicht übersehen
war von mir das ernste, strenge, fast pathetische Gesicht, welches die
Köchin bei ihren vielerlei Manipulationen gemacht hatte.--Ich setzte
mich jetzt auf den bequemen Lehnstuhl im Zimmer, und überließ mich ganz
meinen Empfindungen und Erwägungen.

Eine der wichtigsten Entdeckungen, das war mir klar, hatte ich jetzt
gemacht. Also die Köchin hatte sich in den Besitz eines solchen
abgebälgten Menschen-Ueberzuges zu setzen gewußt. Er war nicht so schön
wie die andern; stammte vielleicht von einem im Norden wohnenden,
schwerfällig im Nebel sich bewegenden, mythologischen Geschlecht;
während mein OrangeLiebling, darüber konnte kein Zweifel bestehen,
sich vor Zeiten in einem sonnigen Klima, wie ein Kolibri in der Luft
geschaukelt hatte. Also Menschen-Bälge werden vom Norden, wie vom
Süden her, zu uns gebracht, importirt; und bis zur Köchin herab kauft
sich jede so einen Ueberzug und zwängt ihn sich über den Leib. Warum?
Ja, das weiß der Himmel! Und die nordischen Bälge sind mehr grau,
dickfaserig, schwartenähnlich, derb, wahrscheinlich billiger, für den
Köchinnen-Geldbeutel berechnet; die südlichen mehr kolibri-artig,
farbig, heller, aufgelockerter, goldiger und geschmeidiger, für
Fürstinnen und Baronessen berechnet, und natürlich unbezahlbar. Und
Juden sind es, die diese entfernten Menschenrassen abschießen lassen,
die Bälge importiren und verkaufen; und daran ihr Geld verdienen. Aber
wie müssen diese Menschen aussehen? Oder sind es gar keine Menschen?
Sondern Vögel! Oder eine Misch-Race? Sie haben also also fing ich
jetzt an zu construiren--einen höchst zarten, gracilen Leib, das
heißt, Hüfte, Taille, Brust und die zwei höchst interessanten, an
ihr hervorspringenden, schäumenden Kugeln; rechts und links von der
Brust fliegen zwei weiße, nackte, schlanke Arme heraus, zum Rudern,
zum Fliegen; farbige fledermausartige Flughäute verbinden diese ihrer
ganzen Länge nach mit dem Körper, wie aufgebauschte Regenschirme; und
zwischen den zarten, Perlmutter-Fingern, noch weiche, durchsichtige
Schwimm-Häute. Oben an die Brust setzt sich ein blendend-weißer,
vielleicht schon befiederter Hals an; dann folgt ein Mäulchen von
Corallenfarbe, ein spitzes schlankes Näschen, hinter blau-grünen
Wimpern versteckte schwarze Augen-Punkte, citronengelbe Augenbrauen;
und dieß Alles umspült, umflattert, umwogt, je nachdem der Wind geht,
von einem Wald, von Wellen-Strähnen blau-schwarzer Haare, die die
Perlmutter-Oehrlein, die Wangen, Kinn, Gesicht, die Brustballons,
ja stellenweise die ganze Gestalt in ein Netz von dunklem Wirrwarr
einhüllen. Eine Stimme von einem süßen "Pi-pi-pi-pi-pi!" wird dieses
Flatter-Geschöpf vielleicht von sich geben. Unten, unterhalb der Hüfte,
folgen natürlich keine Beine, die überflüssig wären, sondern ein
Ruder-oder Luft-Schwanz, der zweispaltig in eine Flosse endet, silbern
beschuppt ist, und mit bläulichen und grünen Reflexen um sich schlägt
und die Direction angiebt. Unter Canarienvögeln und geschwänzten Affen
treibt sich dieses kostbare Geschöpf auf einer Insel in einem Urwald
herum, schaukelt und gaukelt, schnalzt und zwitschert, und erfüllt
die Luft mit Farben und Tönen. Das war die Rasse, aus der ich mein
Orange-Ideal abstammen ließ, und alle farbigen Bälge, die bei uns von
den Fraunzimmern aus weiß der Himmel welch neidischen Gründen auf dem
bloßen Leib getragen werden.--Weit weniger gern vertiefte ich mich in
die nebelhafte, nordische Species, die seehundähnlich, mit grämlichem,
naßglatten Gesicht in der aufgelockerten mit Schnee-und Crystall-Nadeln
erfüllten Luft umherschoß, und von deren fettigem, thranigem Leib
jener Panzer abpräparirt war, wie ich ihn an unserer Köchin durch's
Schlüsselloch hindurch gesehen hatte.

Das war mein System, auf das ich nicht weniger stolz war, als jene
großen Philosophen, von deren Denk-Systemen ich knapp hatte reden
hören. Mit mißtrauischen Augen betrachtete ich jetzt jedes weibliche
Wesen, welches in unser Haus auf Besuch kam; um zu eruiren, ob sie
sich, und aus welcher Gattung, mit einem farbigen Menschenleib umgebe.
Ich war auch fest überzeugt, daß ich das einzige männliche Wesen sei,
welches durch eine glückliche Combination von äußeren und innerlichen
Ereignissen, zu der Kenntniß dieser infamen Menschen-Schlächterei
gekommen sei. Trotzdem hütete ich mich, irgend jemand etwas von meiner
Entdeckung zu verrathen. Aber ein ungemessener Stolz erfüllte mich,
und mit Verachtung blickte ich auf alle die Männer, die lateinisch-und
griechisch-geübten Professoren meiner Umgebung, die mit dünkelhaften
Blicken in die Welt hinausschauten, und keine Ahnung hatten von dem,
was in ihrer nächsten Nähe vorging. Umgekehrt schienen mir die Augen
der Frauen, die oft mit eigenthümlichem Einverständniß auf mir ruhten,
anzudeuten, als wüßten sie wohl, daß ich hinter ihre Schliche gekommen
sei.--

Worin mir jedoch dieses ganze innere Leben, dieses Nachgrübeln,
dieses Entdecken meiner Seele auf eigene Verantwortung hin, von
entschiedenem Nachtheil war, das war mein Studium. Meine Fähigkeit
zum Aufmerken war fast erloschen. Sah ich doch, daß weder die großen
Schriftsteller, noch die großen Mathematiker und Geographen, eine
Spur jener Kenntniß hatten, die mir weitaus die wichtigste meines
Lebens schien. Nur die abenteuerlichen Erzählungen eines _Odysseus_,
die Begebenheiten bei der _Circe_, sein Besuch bei den abgeschiedenen
Seelen, oder die Metamorphosen bei _Ovid_ konnten mich fest halten.
Kam so eine Schlacht, bei der ich außer der Jahreszahl auch die
Gefangenen und Gefallenen merken mußte, oder die Berechnung eines
sphärischen Dreiecks, dessen Werth ich für mich mit dem besten Willen
nicht einsehen konnte, so holte ich rasch die sämmtlichen weiblichen
Individuen meiner Bekanntschaft herbei, entkleidete sie, und examinirte
die Farbe, Einfassungen und Abnähungen ihrer exotischen Bälge; oder
ich ließ mir von dem Judenkopf meine Orange-Freundin bringen, die
ich längst mit einem Wachskopf versehen hatte, und deren blauen
Fischschuppen-Schwanz und meergrüne Arme ich vergnüglich zwischen mir
und dem Classen-Professor hin-und hertanzen sah.

So wurde ich achtzehn Jahre alt. Noch hatte ich keinem Menschen eine
Mittheilung meiner Entdeckungen und verborgenen Erwägungen gemacht.
Ich war jetzt in der obersten Classe des Gymnasiums. Bis dahin war
das Aufrücken sozusagen von selbst erfolgt. Man kam in die vierte
Classe, weil man ein Jahr lang in der dritten gewesen war, und in
die dritte, weil man so lang in der zweiten war. Jetzt aber, zum
Verlassen des Gymnasiums, hatte man ein schweres, eingehendes Examen
aus allen Fächern zu bestehen. Wie das mit mir werden sollte, das
wußte ich nicht.--Eines Tages kamen wir in die Religionsstunde, und
hörten zu unserer freudigen Ueberraschung, daß der Religionslehrer
krank, und wir nach Hause gehen könnten. Dies war eine gefundene freie
Stunde, die ich wieder einmal zu meiner Verfügung hatte, und so viel
wie möglich auszunützen gedachte. Mein erster Gedanke war: Du machst
Deinem Orange-Idol einen Besuch. Aber wie dahin gelangen? Seit meinem
ersten damaligen Besuch in der Abendstunde waren zwei oder mehr Jahre
dahingegangen. Unter so strenger Clausur war ich die ganze Zeit über
gestanden. Der Weg war mir in Vergessenheit gerathen. Wie ihn finden,
und wie irgend Jemanden den Begriff davon beibringen, was ich wollte.
Einem Mitschüler, der mir am vertrautesten war, und mit dem ich ein
Stück des Nach-Hause-Wegs gemeinsam hatte, theilte ich soviel mit, als
zur unumgänglichen Orientirung nothwendig war. Er hörte mich stumm und
starr vor Erstaunen an. Etwas von meinem geheimen System muß doch mit
hindurch filtrirt sein. Dann sagte er ruhig, und mit einer gewissen
Gelassenheit, ich solle nur mitgehen, wenn er mir auch nicht dieselbe
Menschen-Leiber-Ausstellung zeigen werde, jedenfalls werde es eine
ähnliche sein. Ich folgte. Und nach etwa einviertelstündiger Wanderung
kamen wir durch eine Menge enger und finsterer Gassen zu einem großen,
spiegelglatten Glasfenster, in dem wahrhaftig eine große Collection der
von mir sehnlichst begehrten ausgestopften farbigen Menschenbälge zu
sehen waren. Aber es war weder dieselbe Collection, noch so elegant,
farbig und kostbar wie die von mir in Erinnerung gehaltene. Mein
Orange-Wesen war nicht darunter. Trotzdem glotzte ich wie fascinirt
diese stummen Wesen an. Ich hatte meine Schulbücher unter'm Arm. Mein
Freund stand hinter mir, mich beobachtend. Allmählich, merkte ich,
blieben hinter uns mehrere Leute stehn. Es war ein Samstag. Aus dem
Trubel und dem Geschrei, der in der ganzen Straße herrscht, entnahm
ich, daß die Leute vom Markte kamen. Dicke Köchinnen, Bürgerfrauen
u. dergl. schwankten schwerfällig vorbei: Ein Geschimpfe entstand,
weil die Passage nicht frei war. Ich hatte mich ganz dicht an die
Glasscheibe gelehnt, um das mir convenirende Stück herauszusuchen.
Meine Nase blies einen großen Hof auf die Glasfläche.

Allmählich hörte ich hinten kichern und flüstern. Dazwischen vernahm
ich die Stimme meines Freundes, der mit großer Ruhe und gedämpfter
Stimme mit den stehengebliebenen Leuten conversirte. Einige Seufzer,
die meiner Brust entstiegen, mögen von den Hinterstehenden gehört
worden sein. Das Gedränge und Geschimpfe wurde nun immer ärger. Nun
wurde mir doch unheimlich. Ich merkte, daß mein Freund nicht mehr
neben mir stand. Auch hatte ich mich an dieser mehr starkkalibrigen,
farbenarmen und schwerfälligen Collection gemästeter Menschen-Bälge
genügend satt gesehen. Meinem Ideal entsprachen sie nicht. Ich
wandte mich um, und wollte gehen. In diesem Augenblick empfing mich
ein höllisches Gelächter, in dem Hohn, Spott, Mitleid, Verachtung,
Schadenfreude, Alles durcheinander klang. Ich blickte in lauter
geöffnete Mäuler mit faulen Zähnen und dampfenden Schleimhäuten.
Die ganze Straße war vollgekeilt mit Weibern, die keuchend ihre
Armkörbe emporhielten und mich mit winzig zugekniffenen Augenspalten
ankiekten. Eine Menge von Stimmen und unartikulirter Laute drang auf
mich ein, aus der ich zuletzt nur die eine breiig vorgebrachte Rede
noch vernahm: "Gelten S' junger Herr, de san schön; a soichtene müssen
S' Ihnen aussuchen!"--Ich wurde blutroth im Gesicht. Und kaum hatte
ich mich durch das Gedränge durchgearbeitet, so lief ich, so schnell
ich konnte, davon, Denkmaterial wieder für zwei Tage im Kopf. Mein
Freund war verschwunden. Durch fleißiges Erfragen der Straße fand ich
mich nach Hause. Als ich mit gerötheten Wangen und fliegendem Athem
ankam, und man mich frug, wo ich herkomme, antwortete ich: Aus der
Religionsstunde.--

Am nächsten Morgen, als ich zur gewohnten Zeit in die Classe trat,
empfing mich ein vierzig-bis fünfzigstimmiger Ruf: "Corsetten-Fritz!
Corsetten-Fritz!"--Die ganze Geschichte war ausgeplaudert worden.
Ich hatte jetzt einen schweren Standpunkt. Und unangenehmer, als die
Hänseleien, die nun begannen, berührte mich, daß mein so sorgfältig
gehütetes System, das Pflegekind meiner Phantasie, in diese rohen
Hände und Münder gekommen war. Und als ein Glück empfand ich es jetzt,
daß durch die strenge Ueberwachung, das Abgeholtwerden vom Gymnasium,
mein Verkehr mit meinen Mitschülern auf ein Minimum reducirt wurde. So
blieb ich für sie ein Räthsel, ein barocker, sonderbarer Mensch; und in
dieser Isolirung war mir am wohlsten.

So kam das Schluß-Examen herbei. In allen Fächern hatte ich begründete
Aussicht, glänzend durchzufallen, mit Ausnahme des deutschen Aufsatzes;
da ich von früh an mich daran gewöhnt hatte, meine Gedanken und
Empfindungen schriftlich niederzulegen. Als deutsches Thema erhielten
wir "die Bestimmung des Menschen". Ich weiß noch, ich starrte diese
Worte wohl eine Viertelstunde an, aber es fiel mir nichts ein. Ich
wußte nun, daß auch der Aufsatz verlorene Arbeit sei. Aber ich grübelte
ruhig weiter, um zu sehen, ob sich gar keine Gedanken angesichts dieses
weltbewegenden Themas einstellen würden. Und es kam nichts. Ich merkte
jetzt, von Minute zu Minute deutlicher, daß nicht nur der Aufsatz eine
schlechte Arbeit werden würde, sondern daß auch gar keine Aussicht für
eine regelrechte, tüchtige, ehrliche Behandlung des Themas sei. Die
"Bestimmung des Menschen?"--Ich wußte sie nicht! Hinter mir zupften
mich meine Mitschüler, die gewohnt waren, im deutschen Aufsatz von mir
Hülfe zu bekommen, und flüsterten: "Du, was ist die Bestimmung des
Menschen?"--Ich wußte es nicht; und sie wußten es auch nicht.--Die
Antwort, die ich in der Christenlehre vor zehn Jahren gegeben hätte:
gottesfürchtig zu leben, und selig zu sterben,--die war mir wohl
geläufig; aber das war ja nur eine schöne Rede, eine Phrase, die
Jeder im Nothfall im Mund führt, und Keiner glaubt.--Trotzdem mußte
mein Aufsatz in zwei Stunden fertig sein! In meiner Verzweifelung
begann ich zu schreiben: Die Bestimmung des Menschen ist, die Räthsel,
mit denen ihn diese Welt umgiebt, zu lösen, und sich zur ruhigen
Geistesklarheit durchzuringen; so auf meine persönlichen Erlebnisse
und den Gegenstand meiner Zweifelsqualen anspielend. Und nun begann
ich, rückhaltlos die Erlebnisse meiner letzten Jahre, innerer und
äußerer Natur, die Annahme eines zweiten Menschengeschlechts, meine
Visionen und Peinigungen, bei Tag und bei Nacht, mein Occupirt-Sein
durch jenes Orange-Wesen, darzulegen, und schloß die unermüdlich
hingeworfene Studie mit der Emphase: das ist unsere Bestimmung, das
ist unser Fluch, zu grübeln und zu spintisiren, die Schliche und
Verhüllungen unserer Nebenmenschen aufzudecken, den Kern aus der Schale
zu brechen, die Panzer abzureißen: ein Geschlecht läuft neben uns
her, seltsam gebildet, mit ausladenden, outrirten Formen; die Blicke
dunkel und verzehrend, die Haut schneeweiß, fuchtelnde Arme, auf der
Brust zwei ungeberdige Ballen, die seltsam in der Kleidung versteckt
werden; über Hüfte und Leib schillernde, seidene, farbige Ueberzüge
von unbekannter, geheimnißvoller Herkunft; weiterhin sonderlich
gebildet, alles glatt und weich, zart und behext; das einmal gesehen,
die Phantasie nicht mehr losläßt, die Gymnasiasten verwirrt, ihnen
das Gedächtniß auslöscht, sie dem Verderben zuführen will. Löse diese
Räthsel, zerreiße die Schleier, decke Alles auf--das ist die Bestimmung
des Menschen; um zu Ruhe und Frieden zu gelangen; im Uebrigen,
selbstverständlich, gottesfürchtig zu leben und selig zu sterben; wie
wir es auswendig gelernt haben.--

Den folgenden Tag und bevor noch das mündliche Examen begonnen hatte,
wurde ich auf das Rectorat gerufen, wo mir bedeutet, daß ich wegen
"unziemlicher Ausdrücke und unsittlicher Anspielungen im deutschen
Aufsatz" zwei Stunden Arrest zudictirt erhalten hätte. Gleichzeitig
wurde mir eröffnet, daß die Prüfungs-Commission durch außerordentliche
Rücksichtnahme die begangenen Unziemlichkeiten durch den Arrest für
getilgt erachte, ich aber für den deutschen Aufsatz selbst wegen
der darin gezeigten "Selbständigkeit in Behandlung schwieriger und
abgelegener Thematas" die erste Note erhielte.--Diese erste Note wog
so schwer, zumal der deutsche Aufsatz doppelt gerechnet wurde, daß
alle übrigen "Vierer" oder letzten Noten von ihrem "Ungenügend" etwas
ablassen mußten. Und da ich, durch den Vorgang kuraschirt geworden,
im mündlichen Examen frisch und vorweg antwortete, so gelang es mir,
gerade noch mit der letzten zulässigen Gesammtnota das Absolutorium zu
erhalten, und damit das Reifezeugniß für die Universität.--

Ein Vierteljahr später befand ich mich auf der Hochschule einer
mitteldeutschen Residenzstadt, die wegen ihres jovialen ungebundenen
Charakters besonders berühmt war. Ich war jetzt bald 19 Jahre alt;
und von der väterlichen Censur und verwandtschaftlichen Ueberwachung
endlich befreit, hoffte ich, jetzt hinter alle die Räthsel und
Geheimnisse zu kommen, mit denen meine Phantasie sich bis dahin
so abgemüht und gemartert hatte. Ich hatte mich an einen jungen,
süddeutschen Studenten angeschlossen, der nicht, wie ich, Theologie
studirte, sondern sich dem medizinischen Fach zugewandt hatte, und
der weit besser als ich im großen Leben versirt war. Nach etwa
vierwöchentlichem Verkehr nahm mich mein Freund eines Abends spät
beim Nachhausegehen unter'm Arm und flüsterte mir merkwürdige,
unerhörte Dinge in's Ohr: von dem Besuch eines versteckt gelegenen
Hauses, wo auf eine bestimmte Klingel hin ein Haufen prachtvoller,
schillernder, verführerischer Geschöpfe mit weißer Haut und goldenen
Haaren hervorbreche, und dem Gaste seine Dienste anbiete. Man gebe
ein Geschenk,--ein Gastgeschenk--das sei so üblich. Man wähle sich
eines der Geschöpfe aus. Mit der verschwinde man dann auf eine
Stunde. Alles übrige ergebe sich von selbst. Ich solle nur unverzagt
sein, u.s.w.--Wie ein Blitz fuhr es mir durch den Kopf: Sollte ich
hier einen Eingang in jenes Reich der Kolibri-Geschöpfe finden, nach
deren Existenz ich seit fast sechs oder sieben Jahren im Geheimen
fahndete?--Mit pochendem Herzen folgte ich meinem Freund, der sich
über meine Unkenntniß und mein Verzagtsein nicht wenig erlustirte.
Wir gingen abseits von der Hauptstraße durch schwarze Gassen, dann
durch schwarze Gäßchen; es wurde immer stiller; durch das Sträßchen,
durch das wir jetzt gingen, lief in der Mitte eine Gosse; wir mußten
rechts und links weit ausschreiten, wie der Koloß von Rhodos, um uns
nicht zu beschmutzen; keine Menschenseele begegnete uns. Endlich
hielten wir an einem himmelhohen, schwarzen, nur drei Fenster
breiten Haus, zu dem eine steinerne, wacklige, geländerlose Stiege
emporführte. Mein Freund schellte. Gleich darauf öffnete sich die
Thür leise; ein Flüster-Austausch; und wir gingen einen steinernen,
nur mattbeleuchteten Gang entlang; dann eine holprige, steile Treppe
empor; ein Griff auf eine Thürklinke: und mein Freund schob mich in
einen hell und blinkend erleuchteten Raum, in dessen Wandspiegeln sich
ein tausendfach-fassetirtes Licht brach, und in dem uns ein helles,
nie vernommenes Kichern und Lachen umschwirrte. Auf den Sophas und
weichen Lederstühlen saßen und lagen prächtige, kostbargeartete, helle,
phantastische Wesen mit purpurrothen Lippen, blitzend-weißen Zähnen,
langen Haarsträhnen, kalkweißen Halskrausen und nackten figelirenden
Armen, und schauten uns mit glashellen, bachklaren Augen an, als sähen
sie heute zum ersten Mal

Menschen in runden Beinrohren und eingezwängten Tuchröcken. Mein
Freund sprach längere Zeit leise mit einer vornehmen Dame in Schwarz,
die in jeder Hinsicht dem gewöhnlichen Menschengeschlecht anzugehören
schien; dann, auf einen Wink, sprang eines der schlankesten, aalglatten
Geschöpfe mit einer gilfenden Lache auf, schlang ihren weichen, langen
Arm um meinen Hals, und schleppte mich fort aus dem Zimmer, eine Stiege
höher, in ein kleines, ebenfalls prachtvoll erleuchtetes Gemach, in
dem alles aus Crystall zu sein schien, eine Menge Fläschchen, Näpfchen
und Väschen mit irisirender Oberfläche umherstanden, und die Luft wie
mit tausend schweren Gedanken beladen Einem in die Nase drang. Ehe ich
mich's versehen, hatte das schlüpfrige Geschöpf eine Hülle nach der
andern abgeworfen, und plötzlich stand vor mir, strablend in Gold mit
schwarzer Einfassung, jenes Orange-Bild aus dem Schaufenster, meine
zierliche Ideal-Göttin mit jener safranenen Hülse um Leib, Taille
und Brust, die ich seitdem so oft als reproducirtes Hirn-Gespinst
vor mir gesehen hatte, in der Nacht, bei Tag, im lateinischen
Classen-Zimmer; aber nicht todt, ausgestopft, mit abgehacktem Hals,
herausgezogenen Armen und Beinen; sondern lebend, vibrirend, als
Ganz-Geschöpf, mit schneeweißem Hals, goldbesträhntem Kopf, blühenden
Beinen, herumfegenden Armen, gellenden Trillern; und um die Mitte
des Körpers zog sich jener prachtvolle orangene Menschenbalg mit
schwarzer Einfassung, an dessen oberen Rand zwei bläulichweiße Ballen
mit Karminspitzen quellend hervordrangen. "Du unvergleichliches
Wesen!"--rief ich, und stürzte mit einem Schlag auf die Knie',--"Dich
kenn' ich, seit zehn Jahren such' ich Dich, Du erscheinst mir im Traum
und bei Tag in einsamen Stunden. Du warst im Besitz eines ekelhaften,
schwarz-geschniegelten Juden! Wie bist Du aus jenem Schaufenster
herausgekommen. Wo hast Du diese wunderschöne, orangene Hülse her?
Du bist ganz Duft, Kolibri und Goldhaar. Kann man Dich kaufen? Du
bist der Inbegriff alles meines Glücks auf dieser Erde. Ich würf' die
ganze Theologie zum Teufel, wenn ich Dich besitzen könnte; einerlei,
kommst Du aus dem Himmel oder aus der Hölle. Du bist köstlicher als
der Feuersalamander. Deine Haut ist ganz Opal und Onyx. Du duftest
nach Sandelholz. Deine Bewegungen sind wie Seidenkirschen. Was thust
Du mit jenen quellenden Kugeln, die wie flüssiger Granit oben aus
Deiner Brust hervorzubrechen drohen, um uns zu zermalmen? Lebst Du
in besonderer Luft? Nimmst Du Speise zu Dir? Werdet Ihr in Wagen
gefahren, weil man Euch nie auf der Straße sieht? Hast Du damals
das Schaufenster zerschmettert, und bist dem Aquarium-Besitzer, dem
Juden, davongelaufen? Lebst Du hier glücklich? Bist Du aus Glas? oder
Seidenstoff? oder Orange-Farbe? oder Muschelmasse? Kann man in Dich
hineinbeißen...?"--Ich weiß nicht, wie lange ich so gesprochen;
noch, was ich gethan; noch, was mit mir geschehen ist. Das köstliche
Wesen schaute mich lange starr mit ihren tiefen Forellen-Augen an;
und entblößte die obere, weiße Zahnreihe; und die Hände waren nach
mir ausgestreckt, dann weiß ich Nichts mehr. Ich muß bewußtlos
geworden sein. Und kam erst wieder zu mir, als ich die wacklige,
steinerne Treppe in dem schwarzen Gäßchen hinunterstieg, und die
frische Luft mich wieder zu mir selbst brachte.--Mein Freund hatte
mich bei der Hand. Er machte mir bittere Vorwürfe, ich hätte nicht
das richtige Benehmen an den Tag gelegt; gab mir eine schwulstige,
geschraubte, ekelhafte Erklärung über die Bedeutung dieses Hauses und
ihrer Insassen, die ich zum größten Theil nicht verstand, zum andern
Theil überhörte über der Fülle inneren Glücks über das Gesehene und
Genossene. Die ganze Nacht war mein Kopf voll jener Sandelholz-Gerüche
und der Ausdampfungen aus den Crystall-Schalen und -Fläschchen der
Orange-Fee.--

Ich zog mich jetzt ganz zurück aus dem Studentenleben. Der offene
Verkehr mit Meinesgleichen, und das harmlose Plaudern und Lachen über
Dinge, die mein Innerstes brutal berührten, war mir ein Gräuel. Ich
lebte ganz meinem Innenleben, und baute dort aus den wenigen farbigen
Bausteinen, die ich der Außenwelt, die ich meinen paar Erlebnissen,
im Hinblick auf jenes Feen-Geschlecht, entnommen, eine phantastische,
gelbe, corsettirte Welt auf, an der ich mich fabelhaft ersättigte.

Um hier nicht unterzugehen, stürzte ich mich mit fürchterlicher Energie
auf mein theologisches Studium. Und nicht ohne Erfolg. Ich fühlte jetzt
ganz genau jene Zweitheilung in mir vorgehen, die schon in frühester
Jugend bei mir begonnen: jene spontane, von der Phantasie eingenommene
Sphäre, in der ich uncontrollirbar schuf, creirte, produzirte; und aus
der ich meist jenes kostbare, meinen Farben-und Formen-Durst stillende,
gelbe Geschlecht hervorholte; und die zweite, die Verstandes-Sphäre, wo
ich, unter Zusammennehmen aller fünf Sinne, keuchend wie ein Roß, meine
Daten und Geschichtsquellen memorirte, und die trübe, fade Außenwelt
mit ihren Erscheinungen auswendig lernte.--

So kam mein Examen herbei. Ich bestand es glänzend. Durch meinen
eisernen Fleiß hatte ich die erste Note errungen; und erhielt vom
Regierungs-Vertreter die Aussicht im Laufe des nächsten Vierteljahres
angestellt zu werden. Ich war glücklich zum Emporjauchzen. Und dabei
traurig zum Hinsinken. Mein alter ego war unzufrieden. Und ich fühlte
in meinem Innern eine höhnische Stimme, die sich über meinen äußeren
Erfolg lustig machte.

Ich eilte nach Hause zu meinen Eltern, wo ich mit großer Freude
empfangen wurde. Jetzt, wo meine Aussicht auf Versorgung so gut wie
gewiß war, und ich inzwischen neunundzwanzig Jahr alt geworden, sprach
mein Vater zum erstenmal mit mir über Verheirathung, über die Süßigkeit
der Liebe, und schmatzte dabei mit dem Munde. Ob ich noch kein Gefallen
an dem andern Geschlecht gefunden? Ich glotzte ihn groß an, und sagte,
ich wisse nicht, was er wolle. Hätte nie davon gehört. Der Gegenstand
sei mir zuwider. Ich wüßte Besseres.--Aber eine andere Befriedigung
wurde mir zu Theil. Mein Vater hatte für mich die Erlaubniß erwirkt, am
folgenden Sonntag an seiner Stelle die Kanzel besteigen zu dürfen, und
damit meine Antritts-Predigt zu halten. Dies war ein mächtiger Sporn
für meinen Ehrgeiz. Ich nahm einen Prachttext aus dem Corinther-Brief,
und componirte eine fulminante Predigt. Sie war am Donnerstag fertig.
Ich hatte jetzt noch zwei Tage zum Memoriren. Die Sache ging mit Spaß.
Ich war nie so frisch und munter bei der Arbeit gewesen.

Am Sonntag früh in der Sakristei, nachdem ich den Chorrock angelegt
hatte, ging ich, während die Gemeinde den Zwischenchoral sang,--ich
vergesse, welchen,--langsam und überlegend auf den Steinfließen auf
und ab. Plötzlich wurde mir merkwürdig zu Muthe. In meinem Innern
schien etwas vorzugehen. Mich überfiel die Angst, es könne in meinem
Innern sich etwas ereignen, über das ich nicht mehr die Controlle
hätte. Ich hatte die Empfindung, auseinanderzugehen, wie eine Maschine.
Und, als ob ich bei diesem Auseinandergehen ruhig zuschauen müßte,
ohne etwas thun zu können. Und dies, die Angst vor dem Kommenden, war
die Quelle meiner Beunruhigung. Nicht die erste Sensation selbst,
die nur überraschend und merkwürdig war.--Doch war ich nach einigen
Minuten wieder frei; und ich bestieg die Kanzel. Ich begann meine
Predigt äußerlich ruhig und ohne Befangenheit. Die Worte flossen wie
von selbst. Aber schon nach wenigen Sätzen, merkte ich, kam jenes
Sakristei-Gefühl wieder. Und nun konnte, und mußte ich, zusehen,
was geschah: Während meine Predigt ruhig und sicher wie eine Spule
abrollte, begleitet von guten Gesten und sicherem Tonfall, merkte
ich, wie sich in meinem Innern etwas ablöste; ein Maschinentheil
davonrannte. Und nun erinnerte ich mich, wie ich schon als Knabe
immer pensiv war, und meine Seele während der Predigt davonlief.
Unwillkürlich schaute ich hinunter auf die Kirchenbänke, und: da saß
ich, als Junge, mit gläsernem, starren Blick: und gleichzeitig hörte
ich die breite, wiederhallende Predigerstimme meines Vaters.--In diesem
Augenblick wurde ich durch eine plötzliche Stille unterbrochen. Ich
muß zu predigen aufgehört haben. Ich erkannte jetzt die Situation;
ermannte mich, räusperte, und begann von Neuem; fest entschlossen,
keiner Verführung mehr nachzugeben.--Aber meine Seele hatte ihre Tour
schon begonnen. Und nun mußte ich mit. Mit auf die Lateinschule.
Mit in das Haus meines Onkels. Mit durch die schwarzen Straßen der
Residenzstadt.--Krampfhaft klammerte ich mich an meinen memorirten
Predigttext an, und suchte mein Inneres zu überschreien. Als ich an
die Stelle kam,--in meiner Seelengeschichte--wo ich im Auftrag meiner
Tante jenen abendlichen Gang zu machen hatte, sah ich mit einemmal,
wie ein langgestreckter Jude, etwa in der Höhe der Kanzel, quer durch
die Luft zu mir kam. Ich erschrack, und wunderte mich, wieso derselbe
in der Luft schweben könne; entdeckte aber bald, daß der Kerl, wie ein
Kronleuchter, hinten am Rücken durch ein starkes Seil befestigt war,
welches oben an der Kirchendecke mündete. Und vor sich her schob der
Jude, mit einem freundlichen Grinsen zwischen seinem schwarzen Bart,
jenes orangegelbe Wesen, welches mich durch so viele Jahre begleitet
hatte. Ich war außer mir, über die Störung, und betrachtete meinen
Chorrock, der mit gelben, fetten Lichtern wie übergossen war. Ich
winkte dem Juden fort, und ließ deutlich erkennen, wie unangenehm mir
der Besuch sei; und wie sonderbar sein Benehmen, sich mit Hülfe des
Kirchendieners mittelst eines Strickes so hoch herabzulassen. Er blieb
aber genau, wo er war, und lächelte fortwährend in gleicher Weise.--Bis
dahin hatte ich mit äußerster Anstrengung meinen Predigttext nicht
verlassen. Aber jetzt, als ich eben zum zweiten Teil überging, geschah
etwas Unerhörtes. Die Glasthüren, die zur Gallerie der Kirche, zum
Empor führten, wurden zu beiden Seiten aufgerissen, und meine früheren
Gymnasial-Kameraden von der ersten und zweiten Classe stürmten mit
ihren Büchern herein, nahmen die Sitze rings um die Gallerie ein, und
nach einigem Schnaufen und Flüstern hörte ich, wie einige lautgellend,
lachend, riefen: "Ei, das ist ja der _Corsetten-Fritz_!"--Und
"_Corsetten-Fritz_! _Corsetten-Fritz_!" folgte es jetzt im Chor.
Anfänglich wollte ich die Störung nicht beachten; zumal ich überzeugt
war, daß die jungen Leute exemplarisch bestraft würden. Als aber die
höhnenden Zurufe immer ärger wurden, fing ich an hinaufzudrohen und
zuletzt hinaufzuschimpfen. Der Genuß meiner Predigt wurde dadurch
natürlich wesentlich verkümmert. Nun wurde auch die Gemeinde unruhig,
und begann zu murren. Gegen die Demonstranten. Zuletzt wurde der Lärm
so arg, daß der Kirchendiener zu mir auf die Kanzel kam, und mich
bat, plötzlich abzubrechen, mein Vater erwarte mich dringend in der
Sakristei. Damit verließ ich die Kanzel.

Nach sechs Wochen wurde ich hierher in ein Haus gebracht, von dem
es heißt, es sei die Irren-Anstalt. Und von hier aus schreibe ich
diese Zeilen, meine Lebensgeschichte, auf Wunsch des Directors
nieder. Man sagt mir, ich litte an Hallucinationen, an Gesichts-und
Gehörstäuschungen. Davon kann keine Rede sein. Ich verlange vor allem
eine gerichtliche Untersuchung, über jene Vorgänge in der Kirche,
und eine Verhaftung des Kirchendieners, der jenem Juden den Strick
gegeben hat zum Sichherablassen. Diejenigen, die jene Vorgänge leugnen,
beweisen damit, daß sie in ihren Sinnen krank, oder an jenem Complot
betheiligt sind. Was allein an der ganzen Sache merkwürdig ist, ist
daß jene Jungens, die damals auf dem Empor "Corsetten-Fritz" schrieen,
aussahen, als wären sie sechs bis acht Jahre jünger, als sie wirklich
zur Zeit sein mußten. Denn diese Zeit ungefähr hatte ich sie nicht mehr
gesehen. Daß sie ihre Haare genau so gescheitelt trugen, dieselben
Anzüge anhatten, und, täuschend, die gleichen Bücherbündel, mit Riemen
zusammengehalten, mit der gleichen ungezogenen Manier trugen, wie vor
sechs, acht Jahren. Darin allein liegt das Merkwürdige. Das ist aber
offenbar bestellte, fabricirte Sache.--




Indianer-Gedanken

                                        "Nehmet wahr der Raben;
                                        sie säen nicht, sie ernten auch
                                        nicht, und euer himmlischer
                                        Vater nähret sie doch."
                                                         Lucas 12, 24


Wer in den letzten fünf oder sechs Jahren in einer der größeren
Städte des Continents seinen Aufenthalt hatte, oder gelegentlich dort
verweilte, erinnert sich vielleicht einer farbigen Truppe, die unter
der Aufsicht eines weißen Unternehmers von Ort zu Ort zog, ihre Zelte
aufschlug, in einem abgeschlossenen Raum ihre Künste, Kriegs-Tänze
und sonstige absonderliche Gewohnheiten vorführte, und unter denen
ein geschlossenes Contingent von etwa fünfzig bis sechzig Indianern
des _Sioux_- und _Cheyennes_-Stamms das Haupt-Interesse des Publicums
herausforderte.

Als junger Arzt in einer größeren Stadt Mittel-Deutschlands ansässig,
hatte ich damals, um Beschäftigung zu erhalten, gegen ein gewisses
Pauschale die Verpflichtung übernommen, allen durchziehenden
Gesellschaften, Circustruppen, Angestellten bei Menagerieen,
Variete-Gesellschaften und drgl., die alle auf den Platz und das
Etablissement eines und desselben Besitzers angewiesen waren, kostenlos
die erste ärztliche Hülfe angedeihen zu lassen.--Dieser Fall trat nun
auch bei den Indianern ein, die, aus einem wärmeren Klima kommend, und
mit einer feinen, auf den directen Contact mit der Luft angewiesenen,
Haut ausgestattet, unter den ungewohnten Kleidern, und in unserem
rauhen Klima, den mannigfachsten Erkältungen ausgesetzt waren. Während
meiner Besuche, die sich auf das Verordnen allgemein diätetischer
Maßregeln beschränkten, lernte ich auch den Häuptling kennen, der,
nichtwissend, daß ich für meine geringen Dienste bereits belohnt sei,
in jeder Hinsicht mir seinen überströmenden Dank bezeigte, mich in
manche Feinheiten ihrer Sitten und Sprache einweihte, und mit dem ich
zuletzt in ein förmlich freundschaftliches Verhältniß trat.--So weit
war dieß gut.--

Eines Tags saß ich zu Hause, als meine Aufwärterin hereinkam, und
mir mittheilte, draußen auf der Gasse treibe sich ein sonderbar
aufgeputzter Mensch herum, begleitet von einer Schaar neugieriger
Schuljugend, und scheine etwas zu suchen. Ich öffnete das Fenster.
Es war mein Freund, der Häuptling. Er war überglücklich, als er mich
sah. Ich bat ihn hereinzukommen. Er hatte mich aufsuchen wollen. Meine
Wohnung, in der es nach meiner Berechnung manches für ihn Wichtige und
Interessante zu sehen gegeben, reizte übrigens zu meiner Verwunderung
nicht im Mindesten seine Neugierde. Er hatte immer nur seinen Blick
freundlich aber fest auf mich gerichtet.--Eine Cigarre, die ich ihm
anbot, lehnte er ab. Ebenso eine Tasse Kaffee, die ich ihm machen
lassen wollte. Ein Stückchen Kautabak, von dem ich die Hälfte abbrach
und in meinen Mund steckte, nahm er an. Mit Mühe vermochte ich ihn,
sich auf mein Sopha niederzulassen. Er stand sofort wieder auf,
und gab durch einen Seufzer seine Verlegenheit und Unzufriedenheit
kund. Er wollte sich dann auf den Boden niederlassen. Bis ich einen
gewöhnlichen, hölzernen Küchenstuhl hereinbrachte. Den acceptirte er.
Der Häuptling war in voller Kriegsrüstung; auf dem Kopf den bekannten
mit starrenden Federn besetzten Kranz, dessen Enden auf die Schultern
niederflossen; in den Ohren zwei große goldene Spangen; die nackten
Körpertheile mit einer Art pompejanisches Roth prachtvoll bemalt; im
Hüft-Gürtel, der ein kurzes enganliegendes Beinkleid zusammenhielt, ein
kostbar gearbeiteter Tomahawk; der ganze Mann noch einmal eingehüllt
in eine dunkelblaue, mandelartige Hülle, die aber kein indianisches
Kleidungsstück, sondern eine Art Reisekleid und Schutz gegen die
Unbilden des europäischen Klimas war. Der Häuptling hatte jenen
misanthropischen Zug in dem mageren Gesicht, der die meisten seiner
Stammesgenossen auszeichnete, und der auf eine, ich möchte sagen
Jahrhunderte lang genährte und organisch gewordene Unzufriedenheit und
Verbitterung des Gemüthes hinwies. Er starrte mich lang und penetrirend
an, wie ich es von ihm nicht gewohnt war. Er sprach etwas englisch,
und so war die Möglichkeit der Verständigung gegeben. Ich vermied es,
ihn auf kalt-europäische Weise zu fragen, was ihn zu mir führe. Und so
stockte die Unterhaltung für längere Zeit. Endlich, nachdem er geraume
Weile seine zwitterhaft glänzenden Augen wie spitze Pfeile auf mir
hatte ruhen lassen, begann er in dem ruhigen, freundlichen Ton, den ich
an ihm gewohnt war.--

"Doctor, Du hast mit Deiner Geheimkunst meine Leute wieder zufrieden
gemacht, und der große Geist, den ich gebeten habe, wird sein Auge
auf Dir ruhen lassen!"--"Das ist nicht der Mühe werth,"--meinte
ich,--"Durch Wärme und gute Nahrung wären sie sowieso gesund
geworden."--"Aber, Doctor, diese Leute sind es nicht allein; unser
ganzer Stamm ist krank!"--"Wieso,"--fragte ich verwundert,--"was ist
passirt?" "Unser Stamm ist krank, und will sterben!"--wiederholte
der Indianer mit unverbrüchlicher Ruhe, als wäre es der einfachste
Gedanke der Welt.--"Warum wollt Ihr sterben?"--frug ich mit tiefer
Theilnahme.--"Doctor,"--sagte der Häuptling,--"Dein Auge gefällt
mir; es ist ein See der Wahrheit; Du wirst nicht lügen; nenne
mir Deine Geheimkunst, und der große Geist wird sein Auge auf Dir
ruhen lassen!"--"Was soll ich Euch sagen? Was wollt Ihr von mir
wissen?"--"Die _Sioux_ und die _Cheyennes_ und die _Arapahons_
und die _Dakota_ wollen sterben!"--"Und warum?"--"Weil wir nicht
leben können!"--"Und warum"--"Weil die Todtengesichter um uns herum
uns erwürgen, und uns mit den Feuerschlünden zusammenschießen wie
Büffel!"--"Wer sind das, die Todtengesichter?"--"Die Pferds-Leute um
uns herum mit den dicken Knochen und der Lügenspur im Angesicht."--"Um
Euch herum wohnen doch die Amerikaner?!"--"Ja, die Pferds-Leute!"--"Und
deshalb wollt Ihr sterben?"--frug ich verwundert, und nicht wenig
erschrocken im Innern über den grauenhaften Gedankengang des Indianers.
Der Häuptling saß mir gegenüber, vollständig ruhig und ohne jede
Erregung, als wäre dieser Gedanke seit Jahren nach allen Seiten von
ihm erwogen worden, als wäre diese Frage eine immer wiederkehrende
Erörterung in den Versammlungen seines Stamms.--"Was meinst Du zu
_Brandy_, Doctor,"--nahm der Indianer wieder das Wort,--"die _Sioux_
trinken gern das Feuerwasser der Pferds-Leute?"--"Ja, was wollt Ihr
mit dem Brandy?" frug ich erwartungsvoll.--"Wir könnten alle unsere
Thierfelle, die wir noch haben, gegen Feuerwasser eintauschen, und alle
unsere Leute berauschen, und, wenn sie wie todt daliegen, ihnen die
Hälse abschneiden."--"Das wär' ja eine fürchterliche Metzelei!"--"Ja,
aber wir wären schön gestorben!"--"Wieviel seid Ihr da drüben?"--"Die
Sioux sind fünftausend, Männer und Weiber."--"Und wieviel Kinder habt
Ihr?"--"Wir haben keine Kinder."--"Was?"--rief ich erstaunt,--"es
müssen doch Kinder da sein!"--"Doctor, nein, es sind keine Kinder da;
seit zehn Jahren ersticken wir sie."--"Mein Gott!"--rief ich,--"wie
gräßlich; so habt Ihr Euer Zerstörungswerk schon begonnen?"--Der
Indianer schien mich nicht zu verstehen, oder meine Verwunderung
für gegenstandslos zu halten; wenigstens gab er mir keine Antwort.
Erst nach längerer Pause, wie mir schien, des Selbstbesinnens,
sagte er, "Doctor, was hast du gegen den Brandy?"--"Ich habe nichts
gegen den Brandy;"--antwortete ich halb gleichgültig,--"ich finde
es nur scheußlich, ein ganzes Volk so hinzumorden; aber, wenn Ihr
es nun doch vorhabt, so finde ich es gräßlich durch Schnaps zu
sterben."--"Ja, Doktor"--antwortete der Alte, der diesmal aufmerksam
zugehört hatte,--"Du hast Recht, der Brandy ist ein schlechtes Wasser,
er macht so gemeine Grimassen,--wie die der Pferdsleute...."--"Wie
wer?"--warf ich dazwischen.--"Wie die Pferdsleute!"--betonte der
Alte nachdrücklicher, und ergänzte sich dann noch mit: "wie die
Todtengesichter mit den dicken Knochen, die um unsere Jagdgründe
wohnen...."--"Wie die Amerikaner, willst du sagen?"--frug ich
noch;--"ja," ergänzte der Häuptling fast schläfrig,--"wie die
Amerikaner;---nein, Doctor, der Brandy ist nichts; auch würde der
große Geist uns zürnen, wenn wir in seine Jagdgründe kämen;--Doctor,
nenn' mir ein anderes Mittel aus deiner Geheimschachtel."--"Mein
lieber Freund,"-sagte ich; das furchtbare Vorhaben des Indianers
zwängte mir unwillkürlich das vertrauliche 'Du' auf die Lippen,--"ein
solches Vorhaben ist nie an mich gestellt worden; unser Arzneischatz
hat zwar starke Gifte, aber wir theilen sie in kleine und kleinste
Gaben, und verdünnen sie mit viel Flüssigkeit, weil wir Segen und
Heilung damit wirken wollen;--übrigens,"-fuhr ich nach einigem Besinnen
weiter,--"Ihr habt ja selbst tötlich wirkende Kräuter; Ihr habt ja
das Pfeilgift...."--"Doctor!"--fiel der Indianer mir langsam und
schlau blinzelnd in's Wort,--"Du hast keinen so scharfsinnigen Gott
wie wir; der große Geist kennt das Gift unserer Pfeile; er würde es
riechen; und wir kämen nicht in die ewigen Jagdgründe!--Doctor, nenn
mir ein anderes Mittel aus Deiner Geheimschachtel, und Du sollst
einstmals neben mir Deine Pfeile in den leuchtenden Jagdgründen
des großen Geistes abschießen!"--"Warum pactirt Ihr nicht mit den
Amerikanern, mit den Pferds-Leuten, wie Ihr sie nennt,"--versuchte
ich dem Gedankengang des unheimlich gleichgültigen Indianers eine
andere Richtung zu geben,--"grenzt Euer Gebiet ab; es ist ja noch
so viel Platz da drüben."--"Doctor, spricht auch der Hirsch mit
dem Jäger über die Bedingungen des Lebenbleibens?!"--(dann nach
einer Pause) "nein, Doctor, wir müssen sterben; aber weil wir keine
Hirsche sind, sondern doch jedenfalls Sioux, Cheyennes und Dakota
sind, wollen wir sterben; wir wollen wie flinkfüßige Hirsche den
Pferds-Leuten zuvorkommen, und schneller sterben, als es ihnen lieb
ist...."--"Der Plan ist teuflisch, der Plan ist infernal,"--rief ich
voll Entsetzen,--"welches Scheusal unter Euch hat diesen fürchterlichen
Plan ausgeheckt?"--"....Doctor,"--fuhr der Häuptling fort, indem er
das Letzte entweder überhört hatte, oder nicht würdigen wollte,--"was
hälst Du vom Tabak?"--"Ich halte nichts vom Tabak!"--erwiderte ich
unmuthig,--"Der Tabak ist ein langsames Gift, er umwirbelt Euren
Geist; er täuscht Euch, aber er tödtet Euch nicht."--"... Und er
macht die Menschen im Innern so schmutzig!"--ergänzte der rothfärbige
Schlaukopf, der diesmal scharf aufgepaßt hatte,--"auch würden die
Weiber den scharfen Saft spüren, Verdacht schöpfen und zu kreischen
anfangen!... Unsere Weiber wissen nichts.... ihre Seele ist zu
klein;... nein, Doctor,--aber ich habe gehört die Schachtel des weißen
Medizinmanns hat Gift von denen, was in einen hohlen Zahn hineingeht,
genügt, Tausende zu morden, und man riecht nichts und schmeckt nichts,
und es färbt sich nichts, und bleibt Alles inwendig wie auswendig;
Doctor, zeige Dein Herz so rein, wie Dein Aug' ist, und hilf Deinem
Freund, den großen Geist betrügen!"--"Berühmter Häuptling," ich, "was
Du hier von unseren Giften behauptet hast, ist nicht so wörtlich zu
nehmen, vielleicht hat es einer von den Unsern einmal ausgerechnet;
aber so viel Gift bereiten wir nicht im Voraus; weil wir nicht Tausende
hinmorden; der tausendste Theil dessen, was unter einen Fingernagel
hinunter geht, hat schon heilkräftige Wirkung; woher denn Centner Gifte
auf einmal herholen, um die drei Stämme zu vernichten!?"-Der Häuptling
schaute mich mit dem pfeilspitzen Blick seines zugekniffenen Auges
an; alles, was ich vorgebracht hatte, war nicht ganz wahr; vielleicht
gibt es in unserem Gesicht eine feine Reaction der Unwahrheit, welche
diese fremden Völker erkennen, und welche eintritt, wenn sie mit
dem Griffel ihres stahlgrauen Auges die Probe machen; ich fühlte
der Häuptling wisse, daß ich Ausflüchte suchte. Als er aber meine
Verlegenheit merkte, und, daß ich mich durchschaut fühlte, schonte
er mich, und schaute weg.--"Wir _Sioux_ und _Cheyennes_,"--fügt er
dann nach längerem Besinnen hinzu,--"sind doch noch zu sehr Menschen;
wären wir Thiere!... Dem Thier verhüllt man das Auge, und treibt ihm
einen Stachel durch das Hirn; aber die Sioux sind doch noch Menschen.
Welches Unglück, zwischen den Pferdsleuten, und Thieren in der Mitte
stehen zu bleiben!... (dann nach einer längeren Pause) Wir könnten
auf allen Vieren im Wald herumlaufen, uns Hörner aufsetzen, wie die
Hirsche bellen, und uns zusammenschießen lassen!... aber schließlich
würden die Pferdsleute dahinter kommen, sich enttäuscht von unseren
blutenden Körpern zurückziehen, und wir müßten hilflos im Wald
verrecken."--"Häuptling,"--entgegnete ich--"Deine Phantasie ist
schrecklich; was Du vor hast, ist das Unerhörteste in der Geschichte
der Völker; und wie Du es vor hast, ist es eine Grausamkeit, die an
Wahnsinn grenzt!--Wenn Ihr partout sterben wollt, warum ergreift Ihr
nicht die Waffen, und stürzt Euch geschmückt und bemalt mit wildem
Kriegsgeschrei auf Eure Feinde, vernichtend und niedermetzelnd, was
sich Euch in den Weg stellt, und zuletzt der Uebermacht erliegend? Wäre
das nicht der schönste Todt für den Krieger?"--"Doctor,"--entgegnete
mit großer Schläfrigkeit der Indianer--"warum grundlos so viel Blut
vergießen?!--Wir haben unsere Skalpe;... Jeder _Sioux_ muß so viel
Skalpe genommen haben, als er Finger hat; seit vierzig Jahren haben wir
gesammelt; die Stärkeren haben für die Schwachen gearbeitet; die Skalpe
unserer Feinde liegen vertrocknet tief im Wald aufgehäuft, und die
Blaßgesichter haben auf der Reise in die Ewigkeit ihre nackten Schädel
dem großen Geiste vorgezeigt; er hat sie gezählt; und den _Sioux_
steht offen der Weg zu den großen Jagdgründen!--Warum jetzt noch
schmutziges Blut vergießen?--Nein! Doctor, Du kennst nicht das Gefühl
der _Sioux_ und _Dakota_; wir sind wie ein verwundetes Thier, das weiß,
daß es sterben muß, und sich tief im Gebüsch verkriechen möchte, um
das dumme, unreinliche Geschäft allein und unentdeckt zu vollbringen;
aber ein tiefer, alter Gedanke, will uns immer wieder hindern und
uns daran erinnern, daß wir mehr wie Thiere sind;... (nach längerem
Besinnen) Unser Fleisch soll sehr gut schmecken!..."--"Was meinst
Du, Häuptling?"--entgegnete ich,--"Habt Ihr gutes Wild und reiche
Jagdreviere?"--"Nein,--unser Fleisch soll gut schmecken!"--"Wessen
Fleisch?--Euer Fleisch!--Ihr seid keine Menschenfresser?!"--"O
nein der _Sioux_ müßte ausspeien!--Aber wir könnten unsere jungen
Mädchen und Jünglinge sehr sorgfältig braten und mit Kräutern und
Lorber geschmückt den Pferdsleuten überschicken,--unser Fleisch gilt
höher als das des Ebers,--und die andern würden sich inzwischen im
tiefsten Wald aufhängen; und die Blaßgesichter würden erkennen, unsere
Religion erlaubt uns, großmüthiger zu sein, als ihr an einem Balken
aufgehängter, todter Gott!..."--In diesem Augenblick wurde der rothe,
kriegsgeschmückte Mann vor mir auf dem Holzstuhl von heftigem Zittern
und Schluchzen befallen; er reckte und dehnte die mageren Arme vor
sich zwischen den Knieen und verbarg das verrunzelte, wie in einem
Krampfanfall zusammengekniffene Gesicht gegen die Brust hin; war es
ein Raptus des Schmerzes, oder die indianische Weise zu weinen; keine
Thräne stahl sich über sein Gesicht; aber gleich darauf sprang er
plötzlich mit einem einzigen Satz, und mit einem Schrei in die Höhe,
als sei er von einem schrecklichen Gedanken erlöst worden, wobei ich
zu meinem höchsten Erstaunen bemerkte, daß er den funkelnden Tomahawk
in der hoch emporgehaltenen Rechten hielt. "Doctor",--sagte der
Häuptling,--"der große Geist hat sein Auge auf Dich gerichtet, und
Deinen Weg behütet."--Dann wurde der Alte wieder sehr ruhig und still,
setzte sich wieder auf einen Moment hin, sah mich mit einer freien,
fast freudigen Miene an, musterte jetzt erst mit einiger Neugierde
mein Zimmer, brach dann seinen Besuch ab, und empfahl sich zuletzt mit
derselben Freundlichkeit und Ehrerbietung, mit der er mich immer in
seinem Lager ausgezeichnet hatte, und mit den englisch gesprochenen
Worten: Well, Doctor, we shall see about all that, when we have coming
home. (Nun, Doctor, wir werden über dem allen ins Reine kommen, wenn
wir erst wieder zu Hause sind).




Ein scandalöser Fall

                                "Und Er schuf sie, ein Männlein
                                und Fräulein, und sprach zu ihnen:
                                Seid fruchtbar und mehret Euch."
                                                 Genesis 1, 27-28.

Das säkularisirte Kloster _Douay_ in der Normandie wurde 1830 insofern
seinem ursprünglichen Zweck zurückgegeben, als ein Erziehungs-Institut
für Mädchen in den weiten prachtvollen Räumen, und unter der
geistlichen Oberleitung eines Abbé mit der nöthigen Anzahl von
Lehrkräften in der Gestalt von Dominikanerinnen--die auch früher das
Kloster inne gehabt--von der Regierung gestattet worden war. Die
dort erzogenen, jungen Damen gehörten den ersten Familien des Landes
an. Man wollte dem damals noch gekränkten französischen Adel gern
einige Concessionen machen, und ihm, der damals die Hauptstädte, und
besonders Paris, mied, gern auf dem Lande das einräumen, was er dort
nicht erreichen konnte: Ansehen, freies, glanzvolles Auftreten, und
besonders einen gewissen Einfluß auf die örtlichen Institutionen des
Landes und der Bevölkerung. Daß dieser Einfluß sich mit einer Stärkung
des katholischen Gedankens deckte, lag in der Natur der Sache. Und
es war ganz im Einvernehmen mit den Protectricen des klösterlichen
Erziehungs-Instituts, wenn die jungen Damen beim Eintritt in ihre
Lernzeit eine Art von Gelübden ablegten. Das war vor Allem vornehm.
Und es gab einen Vorgeschmack für das eigentliche klösterliche
Leben, sollte die Eine oder Andere, bei dem damaligen niedrigen
Cours aristokratischer Brautschaften, es vorziehen, definitiv den
Schleier zu nehmen. Also Gelübde wurden abgelegt. Von den bekannten
Drei war das der Armuth natürlich nicht von jungen Aristocratinnen zu
verlangen, deren Eltern sonntäglich zwei-und vierspännig von ihren
Gütern herüberkamen, und den Kindern ein reiches Extra-Taschengeld für
Obst-und Zuckersachen daließen. Dagegen wurde das Gelübde des Gehorsams
streng gefordert und geleistet, und ebenso--die Mädchen waren alle
zwischen 14 und 18--das der Keuschheit. Wir kommen auf den letzteren
Punkt später zurück. Er ist nicht ganz irrelevant in der gleich zu
beginnenden Geschichte.--

Nur ein ganz kurzes Personenverzeichniß noch vorher, eines Stückes,
welches der Leser am Schluß muthmaßlich als Tragikomödie bezeichen
dürfte; Da waren also einmal Monsieur l'Abbé (de Rochechouard),
meist kurzweg Monsieur l'Abbé bezeichnet, oder sogar Monsieur, da
er neben dem Gärtner und einem Kirchengehülfen für die grobe Arbeit
der einzige Mann im Kloster-Institut war. Ein feiner, hochgebildeter
Geistlicher aus altem Adel, in den 50ern; aber etwas bequem; es war
doch mehr eine Sinecure als eine Arbeits-Stellung; Monsieur hatte die
geistlichen Obliegenheiten der Institutskirche, unterstützt noch von
einem Amtsgehülfen, und eine Art Aufsichtsrecht über die kleine Kirche
des fast mit den Klosterbaulichkeiten zusammenhängenden Dörfchens
Beauregard; Monsieur hatte also eigentlich nur eine Respects-Stellung;
er war vermögend und konnte seiner Vorliebe für Bücher ungehindert
nachgehen; doch war Wissensdurst nicht eigentlich das, was ihn trieb.
Er war ein Schlecker; er öffnete heute dies, morgen jenes Bändchen,
um ein paar Gedanken zu fischen, und mit diesen dann den Tag über zu
scherzen; sein Feld war ausschließlich Theologie; natürlich fehlten
auf seinen Regalen nicht die Classiker, und nicht die paar erotischen
Schriften, die zu ihnen gehören; sinnlich war Monsieur l'Abbé nicht;
dazu war der Körper zu beleibt und das Gesicht zu gutmüthig; auch
productiv war er nicht; er behandelte keine These des Thomas d'Aquino;
und gab keine Vorschläge zur zeitgemäßen Abänderung der geistlichen
Exercitien in Klosterschulen heraus; er war eine ruhige, sublime Natur,
zufrieden mit Allem, was der Tag brachte; so ein Geistlicher aus den
Romanen des Cherbuliez; ein braver Spaziergänger in dem Weinberg
des Herrn, der nicht auf die Trauben schimpft, aber auch nichts zur
Verbesserung der Reben beiträgt; sondern wachsen läßt, was wächst; die
Stirne war nieder, das kurze Haar kräftig und voll; die Augen klein und
friedlich; volle, zufriedene Wangen; einen äußerst feinen Mund; die
Statur untersetzt; die Rede kurz, klein, knapp, frei von jedem Pathos;
absolut keine Predigernatur; ein still in sich und für sich arbeitendes
Wesen; das Habit immer tadellos.--

Da war dann Madame la Superieure, meist nur Madame genannt, das
weibliche Oberhaupt des Instituts; sie war eine de Vremy, aus alter
normännischer Adels-Familie; sie trug das Dominikanerinnen-Habit;
eine unsäglich stolze Dame; gut in den 40; voll Klugheit und Würde;
sogar die adeligen Comtessen-Mütter der Mädchen, wenn sie auf Besuch
oder zur Ordnung von Angelegenheiten kamen, machten ihr Reverenz,
die sie ausdrücklich forderte; denn außer ihrem alten Adel war sie
doch fast in der Stellung einer Aebtissin; auf dem chamois-gilblichen
Ordenskleid trug sie stets ein großes goldenes Kreuz, das sie vom
Papst geschenkt erhalten hatte; ordnungsgemäß stand sie unter dem
Abbé; faktisch aber war ihre Stellung hoch über ihm; sie leitete die
sämmtlichen complicirten Institutsangelegenheiten, und nahm damit
ihrem geistlichen Oberherrn, der sehr bequem war, einen großen Theil
Arbeit vom Hals; das Verhältniß zum Abbé war daher ein vorzügliches;
ja ein intimes; stundenlang verweilte Madame auf seinem Zimmer; sie
plauderten vertraulich, einsam und flüsternd; doch war kein Hauch
von Sinnlichkeit, oder nur sinnlicher Neigung in diesem Vis-à-vis.
Die negativen Gründe dafür lagen auf beiden Seiten. Monsieur war eine
quietive, meditirende Natur; Madame scharfsichtig, in ihrem Gemüth
erkaltet, und in ihren Jahren gänzlich vom Verstande beherrscht. Was
Madame leidenschaftlich liebte, war Lectüre weltlicher Gattung; und
außer der Bibliothek des Abbé, die sie allein zu durchstöbern das
Recht hatte, bekam sie monatlich ein großes Packet aus Paris. Wenn
die Mägde ihre Zimmer am Abend herrichteten, fanden sie selbe mit
einem feinen, bläulichen Rauch erfüllt. Auffallend war es, daß Madame,
obwohl sie gar keine Stunden gab, und sich nur an der Morgenandacht
und den Gottesdiensten in der Kirche betheiligte, viele der jüngsten
Pensionärinnen stundenlang auf ihrem Zimmer zurückhielt. Im Uebrigen
war die Superiorin selten zu sehen, war sehr schweigsam, mischte sich
nie persönlich in Affairen, ließ sich von den 8 Ordensschwestern
mündlich Bericht erstatten, schickte ihre Befehle durch Untergeordnete
hinunter und durch alle Räumlichkeiten und Sparten der weitläuftigen
Klosteranlage; sogar im Dorfe war jeder ihrer Winke eine sichere Ordre;
und ihr unsichtbarer Geist beherrschte alle Verhältnisse rings um Douay
und weit über Beau-Regard hinaus.--

Mit der folgenden Persönlichkeit kommen wir in die Nähe des
eigentlichen Kloster-Conflicts, der weiter unten Gegenstand der
Erzählung. Mademoiselle Henriette de Bujac war die Nichte von
Madame de Vremy, der Superiorin, ein etwa 17jähriges, hübsches und
temperamentvolles Mädchen, meist nur Henriette genannt, mit dunklem,
kurzgelocktem sogenanntem Tituskopf, schwarzen, feurigen Augen,
schlankem, etwas mageren Wuchs, erregter Fantasie, und eigentlich
den Kloster-Vorschriften entwachsen, welche ihre Aufnahme nur
mit Rücksicht auf häusliche Verhältnisse,--wo eine mit schweren
Krampf-Anfällen behaftete Tante ihre Anwesenheit verbot,--und auf
die nahe Verwandtschaft mit Madame de Vremy geschehen ließen. Der
"weiße Teufel" wurde sie nur genannt wegen der großen Zahl reicher
weißer oder creme-farbiger Toiletten, die sie, als eines der reichsten
Mädchen, von Hause mitbekommen; und wegen der Gewandtheit ihrer
Bewegungen, Reden und mimischen Fertigkeiten. Natürlich war sie der
"ungezogene Liebling" von Madame, und der "unausstehliche Kobold" im
Zimmer von Monsieur l'Abbé. Damit waren aber ihre Alliancen in dem
ewigen Kampf von Eifersüchteleien und Partei-Ergreifungen in einem
weiblichen Kloster-Leben erschöpft. Denn gehaßt wurde sie von allen
acht Kloster-Schwestern, die ihr an weiblicher Findigkeit nichts mehr
lehren konnten, und von denen Henriette an gewöhnlichen Klosterund
Lehrdisciplinen nichts lernen wollte. Dieser Haß concentrirte sich
wesentlich auf la Seure première meist nur La Première--die
vierte Person unseres Schauspiels--genannt--eine gescheidte und kluge
Dame, ebenfalls dem Adel angehörig, die erste Lehrkraft der Anstalt,
die erste Dame des Klosters nach Madame la Superieure, und deren
präsumtive Nachfolgerin.--Gehaßt war Henriette aber auch von fast
allen ihren Colleginnen, die meist viel jünger waren wie sie, einmal
wegen ihren weißen Toiletten, wegen ihres reiferen Alters, und dann
wegen ihrer zahllosen Freiheiten und Unbekümmertheiten.--In welchem
Verhältniß Henriette zu Mademoiselle Alexina Besnard stand, dem
eigentlichen Helden unserer Geschichte, sollen die folgenden Zeilen
vermelden, sobald wir nur kurz das Porträt von Mademoiselle Alexina
entworfen haben. Diese junge Dame, fast gleichalterig mit Henriette,
und somit eine der prominentesten Schülerinnen der Anstalt, war das
fleißigste und tüchtigste Mädchen der ganzen Schule, die Zierde, und
für viele Familien der Aushängeschild für all' die Fortschritte,
die man in Douay machen könne. Alexina selbst war das Kind ganz
armer Eltern, von Jugend auf höchst keck und frühreif schon in der
Schule Preisträgerin, und ein hervorragendes Talent für Mathematik
und Sprachen. Sie eignete sich Alles mit spielender Leichtigkeit
an, und gab es ebenso leicht an jüngere Mädchen in instruirender
Form ab. In dieser Hinsicht galt sie als Phänomen. Dem Pfarrer
ihres Dorfes konnte ein solches Uebermaß von geistigen Fähigkeiten
nicht verborgen bleiben. Mit einem warmen Empfehlungsschreiben von
ihm pochten die armen Eltern in Begleitung ihres 14jährigen Kindes
eines Tags an die Pforten von Douay. Dort erkannte man nach kurzer
Prüfung, was man vor sich hatte. Alexina Besnard wurde kostenlos
aufgenommen; und schon nach einem Jahr war alles darüber einig, das
seltene Talent für das Kloster als Erzieherin heranzubilden.--Was
Alexina nicht verstand und sogar mit Abscheu von sich wies, waren
weibliche Handarbeiten; aber das kam natürlich nicht in Betracht;
da man auf eine Rechnerin tausend Häklerinnen findet. Das Aeußere
von Alexina? Seltsam und sonderbar! Groß und schlank gewachsen, mit
einem hastigen, weitausholenden Gang, so daß ihre Kleider stets in
unzierlicher Bewegung waren; das Gesicht mager und fast häßlich, wenn
nicht der imponirende, hastige, durchdringende und alles aufsaugende
Blick sofort gefesselt, eine, für sich genommen schöne, Adlernase
sofort den ungewöhnlichen Gedanken-Kreis dieses Mädchens verrathen
hätte. Ihre ungünstig gemachten Kloster-Toiletten ließen über ihre
Körperformen nichts erfahren. Aber eine aphroditische Figur wird sie
kaum gewesen sein; zumal sie nichts zur Verbesserung ihrer äußeren
Erscheinung that, Spitzen, Krausen, Häubchen vermied, und, wie sie
sich ausdrückte, in thunlichster Bälde sich nach dem Kloster-Habit
sehnte. Die Stimme von Alexina war scharf, ein hoher Discant, wie zum
Commandiren von jüngeren Zöglingen geschaffen; im Chor fiel sie auf,
da sie oft plötzlich mutirte, und in den Alt kam; überhaupt war sie
ein rechter Rattenkönig von sonderbaren und ungewöhnlichen Anlagen
und Fähigkeiten; und hatte eine glasharte, facettirte Manier, Alles
um sich herum nach ihrem Willen umzuwenden, an sich zurechtzureiben,
und ihren Neigungen anzupassen. An dieses arme, sonderbare, spröde und
wenig duldsame Mädchen, welches nur ihre glänzenden Geistesfähigkeiten
in die Wagschale eines Vergleichs mit jedem andern Instituts-Kind
zu legen hatte, schloß sich Henriette, diese verwöhnte, reiche,
luxuriöse, feingeartete junge Aristokratin schon in den ersten
Tagen ihres Eintritts ins Kloster an, und beide waren, jetzt, am
Tag unserer Erzählung, nach einjährigem Sich-Gegenseitig-Kennen die
unzertrennlichsten Kameraden, wobei die Initiative dieses seltenen,
innigen Verkehrs entschieden auf Seite von Mademoiselle de Bujac
zu suchen war. Es ist richtig, Henriette de Bujac war ein gutes,
mitleidfähiges Mädchen; und vielleicht war die Armuth und die
eigenthümliche Stellung Alexina's im Kloster der erste Beweggrund für
erstere, sich der letzteren zu nähern. Aber gerade vom Reichthum,
vom Taschengeld, von der feinen Toiletteausrüstung Henriettes wollte
und konnte Alexina nichts profitiren. Hier war also kein kräftig
genug gewobenes Band, um zwei blutjunge Mädchen so innig zu fesseln;
Alexina's Kenntnisse und geistige Fähigkeiten noch weniger, da das
Alles der leichtsinnigen, munteren, lebenslustigen und--faulen
Henriette gar nicht imponirte. Auch waren deren Fortschritte am Schluß
so schlecht wie am Anfang. Aber Sympathie, dieses schon im gewöhnlichen
Leben so geheimnißvolle Band, dessen Runenschrift nicht zu lesen, und
welches die Menschen verbindet, wie leicht und durchsichtig gewoben ist
es erst um die Herzen launenhafter Mädchen, und wie leicht zerreißlich!

Hiermit,--noch eine Anzahl Mägde, Zöglinge, weißgekleideter Schwestern
mit Scapulier hinzugedacht,--sind wir mit unserem Personen-Verzeichniß
fertig; und nun mag der 20. Juni 1831 beginnen, welchen Tag sich die
Klostermauern von Douay gemerkt haben, an dessen Abend die 100 oder
120 Insassen, die das Institut zählte, ausnahmslos sich klopfenden
Herzens und brütender Stirne zu Bett begaben; dann noch eine Nacht,
und am folgenden frühen Morgen war dann eine der glänzendsten
Natur-Aeußerungen, aber auch eine der scheußlichsten Katastrophen zum
Abschluß gebracht.--

Monsieur l'Abbé saß in seinem Zimmer; der Frühstückskaffee war
getrunken und zur Seite gestellt; Monsieur l'Abbé rauchte nicht; aber
er las; als Frühstückscigarre las er Liguori, Theologiae moralis
libri sex; Monsieur war auf keinem Gebiet so zu Haus, wie auf dem
der Moraltheologie; Busenbaum, Ribadeneira, Sanchez, die alle
darüber geschrieben, lagen in hübschen, gepreßten Pergament-Ausgaben
daneben; ob Monsieur im Leben sehr moralisch war? Das läßt sich nicht
beantworten; gehört aber auch nicht daher; Monsieur las gern moralische
Werke, wie ein Anderer gern auf die Jagd geht; ohne daß diesen Jemand
fragen würde, ob er mit Vorliebe Thiere umbringe; Monsieur wog gern die
moralischen Begriffe hin und her, spielte mit den Cardinal-Tugenden,
zog einzelne Laster wie schwarze Versuchs-Phiolen aus seinen Tractaten
heraus, und versenkte sie sorgfältig in seiner Einbildung in die
Herzen ihm bekannter Menschen, und ließ sie nun agiren, um zu sehen,
was daraus wird.--Wir können nicht erkennen, welches Capitel Monsieur
aus Liguori las, wie sehr wir auch über seine Schulter gebeugt uns den
Text zu entziffern bemühen, denn die Drucke im siebzehnten Jahrhundert,
und besonders die Lyoner Ausgaben waren so schlecht, gerippt und
zerbröselt. Aber die Stelle muß dem Abbé gepaßt haben, denn er
blinzelte mit den Augen, und lief mit dem Zeigefinger der rechten Hand
rund um die Nase, die von dem Buchtext gar nicht weit entfernt war.
Wir haben schon oben erklärt, daß Monsieur nicht sinnlicher Natur war;
Niemand darf deshalb hier einen falschen Schluß ziehen; Monsieur war
sublim; und Alles was unter dieses Betrachtungsglas fiel, da verweilte
er; gut, er mag gerade de Verecundia gelesen haben; aber dann war es
nicht die Schamhaftigkeit selbst, die ihn interessirte, sondern die
feinen Unterschiede mit der Castitas, der Keuschheit; und nicht etwa
die Schamhaftigkeit, wie sie sich bei Dienstmädchen manifestirte,
war dann der Gegenstand seines Interesses, sondern der viel feineren
Darlegung, wie sich selbe etwa an den Engeln im Himmel zeige, spürte er
nach.--

Da wir das genaue Capitel, welches Monsieur studirte, nicht erkennen
können, so wollen wir uns anderweitig im Zimmer des Abbé etwas umsehen.
Hell und freundlich war es; die Morgensonne kam zu dem Fenster herein,
an dem der große, platte Arbeitstisch des vornehmen Geistlichen stand;
grüne schwere Portieres milderten diese Morgensonne: am Fußboden ein
leuchtendes Tigerfell, in dessen Falten die kleinen Schnallenschuhe
von Abbé spielten; rückwärts, gegen das zweite Fenster zu, ein
großer seideüberzogener Paravant, der vom Zimmer ca. ein Drittel
abschneidet, und hinter den wir, hinter dem Abbé stehend, nicht sehen
können; nach Vorwärts, von einem weiteren Morgenfenster mit gänzlich
aufgezogener Portiere beleuchtet, vier bis fünf Bücherschreine, knapp
an die Wand gerückt, vollgepfropft mit Volumina, deren Titel wir von
der Entfernung nicht lesen können, die aber nach den zahlreichen
gilblichen Pergament- und Schweins-Rücken zu schließen, eine Menge
Theologie bergen. Noch ein kleiner Betpult zu unserer Linken; zwei
Thüren auf dieser Seite; eine, die direct zu den Appartements von
Madame la Superieure im nächsten Stock führte, und eine, die auf den
Kloster-Corridor mündete, also der Eingang war; noch ein kleines
Blumen-Arrangement; ein Kamin, zwischen den zwei Morgenfenstern,
mit einigen Statuetten; und--das Auffallendste zuletzt--ein toller,
aparter Geruch, wie ihn besondere Menschen in ihren Räumen haben,
und der Jedem sofort auffiel, der Monsieur's Zimmer betrat, ein
Geruch gemischt aus--vergleichsweise--Zibeben mit Druckerschwärze,
Tigerfell-Pulver und dem persönlichen Schweiß des Prälaten, und der
fest und unaustreibbar in diesem Zimmer lag.--Und damit haben wir
das Arbeitsgemach von Monsieur de Rochechouard im ersten Stock des
Klostergebäudes dem Leser vorgeführt.--

Während der Abbé sich hier in moralische Probleme des Liguori
vertiefte, zogen oben im 3. Stock die 14-, 15-und 16-jährigen Mädchen
ihre Höschen an, schlüpften in die Pantöffelchen, und begaben sich
jedes an den abgezirkelt neben jedem Bett stehenden Waschtisch, und
begannen das frische Wasser über die dünnen Nacken zu spritzen,
und Wangen und Stirn ein wenig zu reiben, und die überhängenden
Haare hinauszustreichen, und sich zu beugen, und wieder kerzengerad
aufzurichten; denn es war Morgens 7 Uhr und Aufstehenszeit; und
Monsieur war nur so früh daran, weil er ja seine Messe lesen mußte;
In dem ganzen Schlafsaal sah man jetzt nur weiße Lichter und Flächen;
chamoisgelbe Arme und Nacken; blendendweiße Röckchen und Hemdstücke;
und manchmal glitzernde Punkte von aufgesperrten Mündern; und ein
Schliefen, Rutschen, Anziehe- und Auskleide-Geräusch, ein Knipsen der
Strumpfbänder, ein Schlappen, Wischen und Wenden ging durch den Saal.
Sonst war Alles ruhig; denn der Geist dieser jungen Geschöpfe lag noch
eingebunden in den Windeln ihrer Träume, und hinderte sie am Plappern
und Schwätzen.

Was geschah aber mit Madame la Superieure um diese Zeit? Sie war
wohl schon aufgestanden und trank Chocolade, und lag in einem mit
Kreuzen, Herzen und Passionsnägeln gestickten Schlafrock, damit
beschäftigt jenen blauen Rauch in ihren Zimmern zu entwickeln, den
die Mägde immer bei ihr vorfanden, und den sie für den Weihrauch von
Madame's Privatandacht hielten; und vielleicht griff sie in das halb
aufgemachte Pariser Packet und holte sich einen Klein-Oktavband und
fing an zu lesen, zu lesen, oft bis die Sonne schon hoch am Himmel
stand. Denn Madame betheiligte sich nicht an der Morgenandacht, die
alle Kloster-Inwohner vor dem Frühstück zusammenrief. Vormittag übte
sie keine Präsidialgeschäfte aus. Und auch heute wäre sie in ihrem
Passionsrock liegen geblieben und hätte wohl den Oktavband zu Ende
gelesen, wenn nicht eine scharfe Flüsterstimme an ihrem Schlafzimmer
schon bald erschienen, und ihr die seltsamste Mittheilung gemacht.

Inzwischen aber trampelten und rutschten und trappten die 70 oder 80
Klosterfräulein mit noch verschlafenen Wimpern die Treppen hinunter
in die großen Betsäle im Parterre, um die kurze Morgenandacht zu
absolviren, der gleich darauf das fiebernd erwartete Frühstück mit viel
Weißbrod, viel Butter und viel Kaffe folgte.

Schon während dieses Treppen-Hinabjagens, und während der Andacht,
und noch mehr während des Frühstücks, wo die zarten Mäulchen die
ersten Exercitien für die Schwatzthätigkeit des ganzen Tags machten,
gewahrte man heute ein Zischeln, ein Zuflüstern, ein Gesticuliren,
welches zu dieser verschlafenen Morgenstunde ganz ungewöhnlich war.
Und als endlich nach dem Frühstück Groß und Klein an die Arbeit sich
begeben sollte, und die einzelnen Classenzimmer mit Arithmetik,
Memoriren, Classiker, Aufsatz, Schönschreiben sich füllen sollten,
zeigte sich's, daß eine ungewöhnliche Erregung den ganzen jungen
Bienenschwarm ergriffen hatte, daß ein Ferment von intensiver Wirkung
Allen in die Herzen und in die Köpfe gefahren war; daß alle Augen
funkelten, alle Wangen glühten; und da La Soeur Première, weit
entfernt mit einer einzigen Handbewegung, wie sie's konnte, die kecken
Palast-Revolutionäre in ihre Arbeitsstuben zu jagen, lächelnd alles
geschehen ließ, so war's kein Wunder, wenn geschah, was nun folgte.

Monsieur l'Abbé saß noch immer auf seiner Tigerdecke und las noch
immer Liguori, Theologiae moralis libri sex. Er hatte ja schon längst
gefrühstückt. Und bei der Morgenandacht pflegte er auch nicht zu
erscheinen. Nun fing es plötzlich außen an seiner Thüre, die zum
Corridor führte, zu summen und zu brodeln an; es war ein Klirren,
als wenn ein Hagelwetter von kleinen Zähnen sich da draußen zu üben
begänne; und ein Wetzen von Röcken und Schürzen, und ein Schlürfen von
jungen, kleinen Schuhsohlen, und ein Stumpen, Drücken, Gilfen, Kichern
und Pst!-Rufen. Monsieur kannte das Geräusch: Wenn 30-40 Mädchen
an einem heißen Sommertag Mittags um 2 Uhr sich vor seiner Thüre
hinpflanzten und lärmten, bis er aufmachte, und dann die ganze Cohorte
mit gefalteten Händen vor ihm in's Knie sank mit dem Ruf: "Wir bitten
um Hitzvakanz!!"--Aber es war ja gar nicht heiß. Und auch nicht zwei
Uhr, sondern neun Uhr. Kein Mensch konnte auch wissen, ob es heiß werde.

Monsieur las noch immer und hatte den rechten Zeigefinger rings um den
Nasenhöcker gelegt. Er pflegte gern sein moralisches Frühstück mit
Liguori oder Thomas d'Aquino bis 10 oder 11 Uhr auszudehnen. Jetzt
aber stand er auf, als vor dem Gestumpe die Thüre einzubrechen drohte.
Er ging hin, macht auf: und der ganze Haufe junger Mädchen, mit ihren
grauen Arbeitsschürzchen umgebunden, an den Schultern weiße Tüllpuffen,
die wilden Haare unter delicatem Chamois-Häubchen versteckt, stürmte
herein, schrie durcheinander, voll Entrüstung, beugte sich vorwärts,
spreitete die Hände auseinander, um sie dann zusammen zu patschen,
und was Monsieur aus dem Tumult verstehen konnte, waren nur die Namen
Henriette und La Maitresse. La Maitresse nannten die Mädchen mit einem
von ihnen eingeführten Namen Alexina, die in der letzten Zeit einige
Lehrstunden bei den jüngeren Classen erhalten hatte. La Maitresse blieb
dann für Alexina, wurde allgemein acceptirt, und schien für dieselbe in
glücklicher Weise ihre zukünftige Stellung im Kloster anzudeuten. Jetzt
aber sollte dieser Ausdruck plötzlich eine unerhörte Wendung bekommen.
Also immer nur Henriette und La Maitresse war es, was Monsieur
verstehen konnte. Endlich gebot der Abbé Stillschweigen, und frug eines
der ältesten Mädchen, was vorgefallen. Nun kam es denn heraus: Man habe
Henriette, die Nichte von Madame, mit Alexina, ihrer intimen Freundin,
heute Morgen beim Aufstehen, im Schlafsaal der älteren Mädchen, Hände
und Körper verschlungen, in einem Bett, dem Alexina's, schlafend
gefunden; Henriette's Bett, das in einer ganz anderen Reihe stehe, sei
leer gewesen; eines der älteren Mädchen, welches zufällig und wegen
eines bestimmten Bedürfnisses etwas vor der Zeit aufgestanden, habe die
Beiden liegen sehen; sei aber fortgegangen; bei ihrer Rückkehr seien
sie aber immer noch so gelegen; nun habe sie andere Mädchen geweckt;
die seien herbeigekommen, hätten mit Staunen dasselbe gesehen; durch
das Geräusch und Kichern seien andere aufgewacht; schließlich sei der
halbe Schlafsaal um die beiden Schläfer versammelt gewesen; nun habe
man ihnen die Bettdecke weggezogen; habe Gräßliches gesehen; Alexina
und Henriette seien erwacht und kreischend auseinander gefahren.--Alle
Mädchen hatten sich zuletzt an dem Referat mit glühenden Gesichtern
beteiligt. Jetzt entstand eine Pause; und als Monsieur, der noch immer
sein Liguoribändchen mit eingeschnapptem Finger in der linken Hand, und
den rechten Daumen in einem Knopfzwischenraum seiner Soutane eingehakt
hatte, sich nur mit einem ruhigen "Eh b'ien?" vernehmen ließ, als
wollte er sagen: Nun, und was ist jetzt?--stürzten die jungen Fratzen
mit aufgehobenen Händen auf ihn zu, und riefen fast wie aus einem
Munde: "Mais c'est honteux! c'est terrible ça! c'est sale! Enfin c'est
tout ce que vous voudrez!"--Die jungen Zöglinge durften wohl in dieser
Weise sich vernehmen lassen, ohne die ungeheure Distance, die sie von
ihrem Vorstand und Priester trennte, zu verringern. Monsieur hatte
so zu sagen einen breiten Buckel, auf den die jungen Fäustchen auch
gelegentlich herumtrommeln durften. Und wenn er auf der einen Seite
faktisch für die 80 oder 100 strengreligiösen Mädchen so gut als wie le
bon Dieu war, so war er dafür doch auch wieder le bon père, der auch
das in dieser hohen Stellung liegende Wohlwollen zum Ausdruck brachte;
und gar in weiblichen Dingen durften die Mädchen ihre Ansichten mit
den ihnen eigenthümlichen extremsten Wortformen, und unter Aufwand
einer großen Dosis Pathos, zum Vortrag bringen. Auffallend war dem
Abbé, daß auch die größeren Mädchen sich eingefunden hatten, und mit
verlegenen Gesichtern dortstanden.--Jetzt ging die Thüre auf, und la
Soeur Première kam mit einem verstörten Gesicht, welches vielleicht
etwas übertrieben war, herein, fiel dicht vor dem Abbé auf die Kniee
(das war eine übliche, pathetische Klosterform), bedeckte ihr Gesicht
mit ihren Händen und theilweise seiner Soutane, und rief schluchzend
"oh Monsieur, c'est honteux!"--Was es denn gebe,--beruhigte der Abbé,
und hob die erste Schwester, der er sehr gewogen war, auf Henriette
und Alexina,--hieß es nun,--seien verschwunden, seien weder zur Andacht
noch zum Frühstück gekommen. Dies, und allerlei Flüsterungen, die man
jetzt im Kloster hören könne, ließen auf ein ungewöhnliches, schweres
Verschulden schließen.--Nun drängten sich weitere Mädchen durch die
halbgeöffnete Thüre, und brachten andere Neuigkeiten, die sie von den
Mägden erhalten haben wollten. Draußen, durch den geöffneten Thürspalt,
sah man die schadenfrohen Gesichter der Dienstmägde, horchend, ob ihre
Referate richtig überbracht werden: Alexina sei gefunden, sie kaure
im Hemd droben auf dem Boden, und weigere sich herunterzugehen, wenn
ihr nicht Kleider gebracht wür den. Auch Henriette sei jetzt gefunden;
sie war, ebenfalls unbekleidet, zuerst in die Vorrathskammer geflohen,
und, als die Beschließerin sie dort entdeckt, hinauf zur Superieure
gesprungen. Madame habe dann die Kleider ihrer Nichte hinaufbefohlen.
Ferner wurde constatirt, daß das Bett von Henriette die Nacht über
überhaupt nicht benutzt worden war, da es jetzt noch gänzlich unberührt
stehe. Andere Mädchen fuhren jetzt sofort dazwischen, Henriette
sei oft gesehen worden in aller Herrgottsfrühe ihr Bett absichtlich
verrammeln, und dann sich ankleiden; es müsse demnach vorher unberührt
gewesen sein; denn Niemand verkrümple sein Bett im Moment des
Aufstehens aus demselben.--In diesem Moment ging die zweite Thüre,
die in Monsieur's Zimmer führte, auf, und Madame la Superieure trat
herein. Alles wich halb ehrfurchtsvoll, halb wie ertappt, zurück.
Nur la Soeur première blieb standhaft stehen, und maß la Superieure
mit einem festen Blick. Aus diesem Blick und ihrem Widerprall aus
Madame's Auge konnte ein Kundiger jetzt schon die ganze Situation
erkennen; und Monsieur l'Abbé, wenn er scharfsichtiger gewesen wäre,
konnte bereits sehen, daß die ganze dumme Schäfer-Liebelei zwischen
Henriette und Alexina, um die es sich augenscheinlich handelte, nur
ein Gelegenheitsfeld war, auf dem die beiden Damen sich maßen, und daß
Henriette, die Nichte von Madame, wenn der Feldzug richtig geführt,
offenbar die Flanke abgeben würde, von der aus, unter Aufdeckung des
verdächtigen Lebenswandels von Madame, die Schwäche ihrer Stellung
gezeigt, und sie selbst aus dem Feld geschlagen werden könne.--Madame
schien entrüstet und überrascht, was die Zöglinge alle hier wollten;
ob denn der jüngste Tag anbreche; Alle sollten unverzüglich in ihre
Unterrichtsstunden. Mit einem Wink stob die ganze Menge auseinander.
Scheinbar gütig ermahnte sie dann La Soeur première, die Zügel der
Klosterordnung doch nicht in die Hände der rauflustigen, ausgelassenen
Mädchen gleiten zu lassen. Sie habe gehört, was vorgefallen. Es sei
nicht der Rede werth. Natürlich müsse eine kleine Disciplinirung
stattfinden. Aber im Kloster Douay deswegen alles zu oberst und zu
unterst kehren, sei unerhört. Sie mache la Première für die fernere
Ordnung während des Tages verantwortlich.--Mit einem kleinen "C'est
bien!" verließ die Première das Zimmer, und Madame und Monsieur waren
nun allein.--Der Abbé hatte bis jetzt gar nichts entschieden. Er liebte
es, stummer Zuschauer zu sein, und die Thatsachen in seinem Kopfe zu
registriren. Auch jetzt ergriff er nicht das Wort, sondern wartete,
daß Madame sprach.--Das sei ja eine grauenhafte Geschichte,--meinte
diese, und zeigte erst jetzt ihre große Besorgniß--nicht die Sache
selbst, sondern die Aufregung, die sie hervorgerufen. Daß selbe solche
Dimensionen annehmen konnte. Das sei ja, als wenn der Teufel der ganzen
Klostertracht in die Glieder gefahren wäre.--Monsieur machte eine
abwehrende Bewegung und schlug drei Kreuze in die Geste hinein.--Ach
was!--meinte Madame,--es sei ein großer Fehler gewesen, die Sache
soweit kommen zu lassen. Die Schwestern hätten nicht ihre Schuldigkeit
gethan. Sie verlange die Bestrafung von la Première, am besten deren
Versetzung in ein Schwester-Kloster.--La Première,--wehrte Monsieur
ab, der sie sehr gern mochte,--sei als Lehrkraft unentbehrlich für
das Kloster. Wer solle sie, nur im französischen Stil, ersetzen.
Abgesehen von ihren Qualitäten als Aufsichts-Person. Nein! der Fehler
sei, daß weder er, noch sie, Madame, jemals bei der Andacht noch beim
Frühstück anwesend seien. Dann hätte man die Affaire, die schon seit
früh 6 oder 7 spiele, rascher entdeckt. Um 9 Uhr war der Bienenschwarm
schon ausgeflogen.--Madame aber blieb dabei, die Schwestern hätten
das Unglück angerichtet. Kinder mit 15, 16 Jahren kämen nicht von
selbst so weit.--Aber, was Monsieur weit mehr interessirte, war der
moralische Theil der Geschichte. Ob es denn etwas Häufiges sei, daß
Mädchen so zusammen im Bett lägen.--Gewiß, die Kleinen spielten ja
wie die Katzen.--Aber Henriette sei doch fast 17, und la Maitresse
gehe in's 18te, und unterrichte schon die Jüngsten.--Allerdings,
aber das Freundschaftsband zwischen Beiden sei ein außerordentlich
enges.--Ob diese Mädchenfreundschaften sich so sinnlich äußerten?
meinte der Abbé.--Zuweilen, ja! Von dieser Ausdehnung habe sie
allerdings keine Ahnung gehabt; aber wohl schon gehört; in keinem Fall
sei etwas Schlimmes dabei; es seien ja Beides Mädchen, jung, feurig,
phantasievoll.--Abbé machte eine Handbewegung, als lange die Erklärung
nicht, und wandte sich zu den Bücherständen am Fenster.--In jedem
Fall--meinte Madame im Weggehen, sei die junge Brut wieder in ihren
Käfigen. Sie wolle jetzt rasch Anordnungen geben, daß Alexina und
Henriette bei Tisch erschienen, als sei nichts vorgefallen. Es dürfe
keine Separation der zwei jungen Sünderinnen stattfinden. Noch könne
Alles gut gehen.--

Darin irrte sie sich. Wenn nur La Première nicht entschlossen gewesen
wäre, das Eisen, das jetzt glühend, unter keinen Umständen erkalten
zu lassen. Und wenn nur Monsieur l'Abbé sein moralisches Interesse
aufgegeben hätte, und auf jede weitere Zufuhr von Details Verzicht
geleistet!--Dieser hatte inzwischen das Dictionnaire ecclésiastique
hervorgezogen und unter dem Titel "Sappho" gesucht; und als er hier
nicht fand, was er wollte, suchte er unter "Lesbos"; und als ihm dies
auch nicht genügte, holte er den Artikel "Tribade". Diesen nahm er mit
auf's Tigerfell, und blieb über ihn wohl eine halbe Stunde.--

Für einen Moment war jetzt Alles ruhig. Aber wir können dem Leser keine
Zeit zu einer Pause geben. Er muß die ganze Skandal-Affaire, so wie sie
stattgefunden, in den paar Stunden des Nachmittags mit uns durchhetzen.
Er muß durch diesen Hexen-Breughel eines Kloster-Interieurs wie im Flug
mit uns durchsausen. Zum Erblicken von Details ist sowieso keine Zeit.
Aber auch nicht zum Verhalten und Ausschnaufen.

Es bestand eine Kloster-Verordnung, wonach jeder einzelne Zögling sich
zu jeder Zeit entweder zum Abbé oder zur Superieure melden durfte, um
ein Anliegen, eine Beschwerde vorzubringen. Dies war ein Paragraph, der
zu Gunsten der Eltern und Angehörigen aufgenommen worden war, um diesen
die denkbar größte Sicherheit gegen mißbräuchliche Gewalt-Anwendung
bei ihren Kindern von Seite der subalternen Organe zu geben, der aber
bei der humanen und fast patriarchalischen Kloster-Zucht wohl niemals
in Anspruch genommen wurde. Diese Verordnung scheint durch La Soeur
Première und die übrigen Schwestern den Kindern und Zöglingen neu in
Erinnerung gebracht worden zu sein; denn als um 10 Uhr die Mädchen aus
ihren respective Classen entlassen wurden, um während der nächsten
Viertel-Stunde ein Stück kräftigen Schwarz-Brods zu verspeisen,
sammelte sich wieder der gleiche Schwarm vor Monsieur l'Abbé's Thür
an, wie nach dem Frühstück, und wieder mahnte ein Wetzen, Stampfen,
Flüstern, Klirren, Schaben und Kichern den nachdenklich in seinem
Zimmer auf-und abgehenden, Sappho's Liederbuch in der Hand eingeklemmt
auf dem Rücken tragenden, Abbé an neue Ereignisse moralischer Natur.
Dieser Fall war ganz nach seinem Geschmack. Er wollte wissen, wie
weit die an sich sündhafte Natur unschuldige Mädchen zu sinnlichen
Exercitien treibe, in denen zweifellos der Teufel, wenn auch in milder
Gestalt, seine Hand im Spiel habe, und was für moral-theoretische,
und disciplinär-praktische Fragen und Einwürfe sich daran knüpften.
Von hier dann einen kühnen Sprung hinüber zur Antike, wo, zu einer
Zeit, da der Fürst der Hölle noch nicht an Ketten gebunden, frei sein
sündhaftes Spiel treiben konnte, und in der Form des "Tribadismus"
die Weiber der Heidenwelt in rettungslos sündhafte Bande verstrickte;
von welchen jetzt noch, im 19ten Jahrhundert, ein kleiner Rest,
eine Faser, sogar in den Klöstern zum Vorschein komme, und von der
noch immer nicht ganz gedämpften Macht des Bösen Zeugniß ablege. Et
cetera. Et cetera. Dies war der Gedankengang Monsieur's, der ihn ganz
beschäftigte, und in dem die diplomatischen Mahnungen von Madame von
vorhin, die Sache nicht um sich greifen zu lassen, längt untergegangen
waren.--Und somit öffnete der Abbé schnell die Thüre, die auf den
Corridor führte, und ließ die sämmtlichen Mädchen, die mit heißen
Lippen und ungegessenem Brod dortstanden, herein, die Thüre darauf
schließend.--Kinder,--sagte er,-nur um das Eine muß ich bitten: Eine
nach der Andern, und: Nicht zwei dasselbe erzählen! Und nun kam ein
ganzer Lavastrom der ungeheuerlichsten Dinge heraus, die die Mädchen
in der letzten Stunde statt Schönschreibens, Geschichte, Memoriren,
Rechnen und dergl. aus ihrem Gedächtniß mit Hülfe der Aufsicht-übenden
Schwestern geboren hatten: Schon lange habe man eigenthümliche Dinge
zwischen La Maitresse und Henriette vor sich gehen sehen; immer
steckten sie beieinander in einem dunklen Winkel, und zischelten,
und flüsterten; des gegenseitigen Küssens sei kein Ende gewesen;
wenn sie in einer Klasse von einander entfernt gesessen, hätten sie
"Augenschmeißen" und Handzeichen gewechselt; es sei unerhört, wie die
Zwei einander nachliefen und ineinander "verbacken" seien, wie zwei
Kletten, nicht mehr zum Losreißen.--Eine andere Gruppe: La Maitresse
sei ein absonderliches Wesen und habe Dinge an sich, wie kein anderes
Mädchen. Nie sei la Maitresse mit den Andern zum Baden gegangen;
sondern unter irgend einem Vorwand zu Haus geblieben; sie habe sich
stets gescheut, in Gegenwart anderer Mädchen ein natürliches Bedürfniß
zu verrichten; dagegen habe man sie oft mit Henriette allein auf dem
lieu d'aisance kichern hören; Henriette sei überhaupt im letzten
halben Jahr nie in ihrem Bett geschlafen, sondern stets hinüber zu
Alexina gegangen, nur sei sie sehr früh aufgestanden; Alexina, das
ist la Maitresse, trage keine Mädchenhosen, sondern absonderliche
Beinkleider, die an der unrechten Stelle den Schlitz hätten; ihr
Corset sitze nicht; sie sei auch so knochig; und gehen thue sie, wie
gar kein Mädchen; kurz la Maitresse sei eine ganz merkwürdige Person;
und deswegen könne sie auch Dinge, die andere nicht könnten, und sei
gescheidter, als Alle miteinander.--Wieder eine andere Gruppe, darunter
eine Schlafnachbarin von Alexina: Henriette und la Maitresse hätten
sich im Bett, wie sie gehört, obwohl sie sich schlafend gestellt, oft
leidenschaftlich geküßt, umschlungen, und sich ma bien aimee! genannt;
als man heute morgen in Gegenwart vieler Mädchen den Beiden die Decke
weggerissen, seien sie mit den Füßen durcheinander geschlungen gewesen,
und mit einem großen Theil des Körpers gänzlich entblößt; auch habe
Alexina grobe Glieder, und Haare an den Beinen wie der Teufel.--Diese
letzte Wendung, die mit einem eckelnden "Äh!" von dem ganzen Chorus
der Mädchen begleitet war, tadelte der Abbé, da es unsicher sei, ob
und wie stark der Teufel an den Beinen behaart sei; dies auch kein
Gegenstand der Untersuchung für junge Mädchen abgeben könne.--Ein
einzelnes, schon zu den älteren gehöriges, Mädchen deponirt: sie habe
Mademoiselle Alexina gesehen, wie sie Henriette unter die Röcke gelangt
habe, welches diese, obwohl sie heftig erröthet sei, habe geschehen
lassen; als sie aber ihrer ansichtig geworden, seien sie unter Lachen
hinweggesprungen.--Ah, c'est degoûtant!--riefen alle Mädchen, c'est
degoûtant!--Endlich sagte noch eine der älteren Schülerinnen: sie
glaube überhaupt nicht, daß Alexina ein Mädchen sei; sie sei viel zu
gescheidt, und wisse fast Alles; sie sei auch gar nicht sanft, wie
andere Mädchen, sondern wild und hart; sie glaube Alexina sei ein böser
Geist in Mädchengestalt, der eines Tags unter Gestank und Gepolter
plötzlich verschwinden werde.--Dieß Alles und noch viel mehr hörte
Monsieur ruhig an; sagte dann den Mädchen, sie sollten gemessen in ihre
Stunden gehen, Alles würde genau untersucht werden; inzwischen möchten
sie la Première suchen und ihr sagen, zu ihm zu kommen.--La Première!
La Première!--riefen die Mädchen freudig durcheinander, und stürmten
dann wild hinaus.--

Während diese wichtigen Verhöre und Aussagen in Monsieur's
Arbeitszimmer statt hatten, schien Madame in ihrem II. Stock schon
wieder ihr ganzes Wohlbehagen gefunden zu haben. Wenigstens kam sie
nicht herunter, um über die fernere Kloster-Ordnung sich zu informiren.
Und ihre treuen, dienenden Geister, die sonst sofort mit einem Sprung,
und noch diesen Morgen bei ihr oben waren, um ihr die letzte Neuigkeit
mit einem zischelnden Triumphiren in's Zimmer zu rufen, schienen
plötzlich alle mit einem gewissen Ratteninstinct zur Partei der Soeur
Première übergetreten zu sein. Und so blieb die stolze und bis jetzt
allmächtige soi disant Äbtissin oben bei ihren Romanen und Cigaretten,
und hatte keine Ahnung von allem, was da unten vorging, und, wie sie
eigentlich schon excludirt war.--Im Nebenzimmer bei ihr saßen, wohl
etwas stumm und in sich gekehrt in Folge der zweifellos erhaltenen
Vermahnungen und Androhungen, aber im Uebrigen auffallend frisch und
erholt, Henriette und Alexina. Henriette, ein prachtvoll hübsches
Mädchen, mit jener unbekümmerten Nonchalence, die ein so obsiegendes
Moment, wie strablende Schönheit mit sich bringt, und im Bewußtsein
ihrer Unangriffsfähigkeit, als Nichte von Madame, hatte sich ihre
schönste Creme-Toilette holen lassen, und saß dort, heiter und zu allem
aufgelegt. Ganz anders Alexina; nicht nur war ihre Zukunft unsicherer
im Falle eines Fehltritts; sondern sie hatte auch ein gewisses
Bewußtsein der Sachlage; und wenn sie auch ihr Verhältniß zu Henriette
als ein harmloses, unschuldiges, berechtigtes auffaßte, so hatte sie
doch, schon durch ihre fromme Erziehung, ein scharfes Urtheil für das,
was sich für sie, die schon halb Lehrerin war, nun einmal nicht paßte,
und empfand das moralisch Bedenkliche des Vorgefallenen wie einen
heftigen Stich in ihrem Innern. Daneben aber kam doch ein gewisses
triumphirendes Gefühl in ihren Augen zum Ausdruck, darüber, daß sie
mit ihrem starken Willen alle Hindernisse, die sich ihrer Neigung zu
Henriette entgegengestellt, siegreich überwunden, und daß die Freundin
mit allen Fasern ihres Seins nach wie vor an sie gefesselt war.

So kam das Mittagessen herbei. Dies war die einzige Gelegenheit, bei
der alle Kloster-Insassen mit Ausnahme der Mägde, vereinigt waren. Wie
ein plappernder Prozessionszug ergoß sich die Schaar der aufs Höchste
erregten und vor Neugier fiebernden Mädchen in die geräumigen Hallen
des alten Kloster-Refectoriums. Und nun geschah das Unglaubliche: Als
Madame in Begleitung von Henriette und Alexina den Speisesaal betrat
und die zwei Mädchen ihre gewohnten Mittagsplätze einnehmen wollten,
fuhren die Zöglinge, und besonders die ganz jungen, 14-und 15jährigen,
wie von einer plötzlichen Panik ergriffen, kreischend und Abscheu
ausdrückend, vor den zwei Sünderinnen, besonders aber vor Alexina,
zurück, welch' letztere als 'la Maitresse' gleichzeitig die Aufsicht an
einem Tisch ganz junger Zöglinge führte. Die Soeurs im Habit machten
nicht die geringste Miene die Scene zu ändern; und als Madame mit
einer drohenden Miene, und, als wolle sie die Mädchen zu ihrer Ordnung
zurückführen, hinüberrief, "Qu'est-ce que ça veut dire!" entstand eine
solche Aufregung und Zusammenrotten, von dem schließlich auch die
älteren Zöglinge ergriffen wurden, daß man jeden weiteren Widerstand
aufgab, und die beiden Mädchen ihrem Schicksal überließ. Diese ganze
Wendung hatte die scharfsichtige Alexina mit einem einzigen Blick
aus Madame's Gesicht abgelesen, und im nächstfolgenden Moment ihren
Entschluß fassend, eilte sie, die beiden Hände wie zur Abwehr vor sich
streckend, im Sturmschritt zum Saal hinaus. Die Zöglinge wichen wie vor
der Pest vor ihr zurück, und ließen sie durch. Und aus der Menge hörte
man unter verschiedentlichen Athmungs-Erleichterungen und staunenden
Interjectionen den präcisen Ausruf: "Ah, tenez, le diable!"[1]--"Le
diable! Le diable!" klang es beistimmend durch alle Reihen. Und in
der That, wenn man das scharfgeschnittene, knochige und edelgebaute
Gesicht Alexina's mit den leuchtend schwarzen Augen und den drohend
zusammengewachsenen Augenbraunen in Betracht zog, dann hatte dieser
Ausruf etwas in der Phantasie der Kinder Berechtigtes. Aber kaum
war Alexina verschwunden, so sah man Henriette, die sich im ersten
Moment der Ueberraschung zu Madame geflüchtet, eine Zeit lang wirr
umherschauen, um dann plötzlich, von einem ähnlichen Entschluß gepackt,
sich durch die Mädchen zu drängen und ebenfalls hinauszueilen.--"Voilä
sa fiançee!"[2] rief wieder eine einzelne Stimme. Und "le diable
et sa fiançee!" ging es jetzt besonders bei den Jüngeren wie etwas
Selbstverständliches von Mund zu Mund. Und ganz von selbst begab sich
jetzt Alles zu Tische und die Mägde begannen aufzutragen.--Die Masse
hatte obgesiegt, und Monsieur und Madame sahen jetzt erst, welche
Dimensionen dieser Fall angenommen, und was die kleine Schlafscene
im Saal der älteren Zöglinge heute Morgen innerhalb wenigen Stunden
in den Köpfen der erregbaren Mädchen angerichtet. Und die scharfen,
von der Saaldecke zurückgeworfenen Laute von "la Mäträsse!" und "la
Prämiäre!" und "Aläxina!" und "la Fianßä!", welche die jungen Zähnchen
zerknitterten und zerbissen, und die wie Schmeißmücken während des
Essens durch den Saal schwirrten, bewiesen, daß von einem Zurückdämmen
jetzt keine Rede mehr sein konnte. Jetzt konnte das Kloster und seine
Intaktheit nur durch offene, strenge, disciplinäre Behandlung des
Falles gerettet werden.

Unter großer Erregung war man nach dem Mittagessen auseinander
gegangen. Monsieur und Madame hatten, zurückgeblieben, einige Worte
miteinander gewechselt. Eine Magd, die oben im II. Stock bediente, kam
und brachte La Superieure eine leis vorgebrachte Meldung. Inzwischen
wartete La Première an des Abbé Thüre. Er hatte sie ja schon vor dem
Mittagessen rufen lassen. Sie komme gerade recht,--meinte er--er müsse
mit ihr gründlich sprechen. Sie gingen zusammen hinein, und Monsieur
ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen längere Zeit erregt auf und
ab. Die Sache war jetzt doch auch ihm über den Kopf gewachsen. Er
fürchtete nicht nur für den Ruf und Besuch des Klosters. Er fürchtete,
sein nächster Vorgesetzter, der Erzbischof von Rouen, könnte die
Sache schlimm aufnehmen. Trotzdem war der Moralist und exegetische
Spürhund in ihm noch nicht zum Schweigen gebracht. Der Fall war ja ganz
großartig, ganz mittelalterlich. Gott! wenn _Sanchez_ den Fall gekannt
hätte! Was hätte der draus gemacht! In seinem Sensorium repetirten
immer noch die Laute "le diable et sa Fianßä!--le diable et sa Fianßä!"
Nein, er war wirklich stolz auf seine Zöglinge über diese Wendung.--Die
Correction der Angelegenheit--begann er dann zu la Première, und blieb
vor ihrste hen,--scheide sich in zwei Theile: einmal die Beruhigung
der Kloster-Insassen und moralische Festigung derselben; und zweitens
die Aufklärung des Falles selbst und Bestrafung der Maleficanten,
rücksichtslos der Stellung, die sie einnähmen, und rücksichtslos von
Madame la Superieure. Dies letztere betonte der Abbé, und machte
damit La Première, der er so wie so sehr wohlwollte, zu seinem festen
Bundesgenossen. Was den ersten Theil der Aufgabe angehe, so hätten die
Zöglinge nach Ablauf des mittägigen Interstitiums in ihren Classen zu
bleiben und sich mit den Unterrichtsgegenständen abzugeben. Was den
zweiten Theil, die Aufklärung des räthselhaften Falles selbst anlange,
so wünsche er von La Première die Grenzen des Schmeichel-Verkehrs zu
wissen und der unanständigen Griffe und Betastungen, die unter Mädchen
vorkämen; ob selbe z.B., die Betastungen, in der Beichte gemeldet
würden; ob selbe im jugendlichen oder auch im reiferen Alter, wie
dem Alexina's, vorkämen; was sich die Mädchen dabei dächten; ob es
eine innere Stimme, oder eine Versuchung von außen sei, et cetera,
et cetera.--Die Sache--fügte Monsieur voll Eifer hinzu--habe auch
wissenschaftlich und moraltheologisch die höchste Bedeutung.--Aber
la Première, die erst kurz über die 30er war, senkte ihr bleiches
Gesicht auf das Skapulir, kreuzte die Hände über die Brust, und
schwieg.--Mon Dieu!--sagte der Abbé und wurde etwas unwillig,--wenn
sie nicht spräche, müsse er sich an la Superieure wenden. Dies wirkte.
Monsieur möge fragen,--meinte sie sie sie werde dann antworten, so
gut sie's vermöchte.--Dieser Modus convenirte: "Ob junge Mädchen
gewohnheitsgemäß beieinander schliefen?"--"Nicht gewohnheitsgemäß,
aber häufig."--"Zu welchem Zweck"--"Viele der Kleinen fürchteten
sich allein zu schlafen."--"Ob es hier zu Berührungen käme?"--"Zu
den unvermeidlichen!"--"Ob selbe sinnlicher Natur seien?"--"Bei den
größeren sei dies nicht ausgeschlossen; diese schliefen aber seltener
zusammen;"--"Kämen Ineinanderschlingungen und Umarmungen bei solchen
Zusammenschlafungen vor?"--"Hätte sie nie beobachtet; doch gäbe es
kindlich und weichherzig angelegte Mädchen, die auch Tags über, und in
den Kleidern, ihre Freundinnen umhalsten, abküßten und herzten."--"Ob
sie, la Soeur Première, dies unter Umständen für teuflische Eingebungen
halte?"--"Unter keinen Umständen!"--"Wem sie es zuschreibe?"--"Der
Gemüthsanlage; dem Temperament!"--"Ob die nicht durch die Erbsünde
befleckt?"--"Allerdings; doch den Unterschied zu finden zwischen dem
was menschlich und was teuflisch in unserer Natur, müsse der Weisheit
von Monsieur leichter fallen, als ihr!"--"Ob es gewöhnlich sei, daß
Mädchen sich gegenseitig unter die Röcke langten?"--"Langen, gewiß
nicht, aber schauen!"--"Das gehe doch nicht!"--"Bei den Kleinen
wohl, die noch kurze Kleider tragen, wenn sie z.B. die Stiege
hinaufgingen!"--"Was damit bezweckt werde?"--"Die Mädchen seien
neugierig, was ihre Kameradinnen trügen, ob sie nachlässig in der
Wäsche seien; sie liebten es, sich gegenseitig auszurichten; entdecke
die Cecile z.B. bei der Claire ein defectes Unterkleid, einen nicht
gestopften Strumpf, so erzähle sie bei ihren Freundinnen, Cecile trage
zerrissene Unterröcke, durchlöcherte Strümpfe. Erfährt dies wieder
Claire, so erzählt sie ihrerseits herum, Cecile schaue Allen unter die
Röcke. Das sei Mädchengebrauch und bavardage!"[3]--"Ob dies bei älteren,
wie Alexina und Henriette, auch vorkäme?"--"In anderer Form; und dann
aus Interesse für die Toilette!"--"Ob es hier zu Berührungen käme?"
"Zu den unvermeidlichen!"--"Ob ein directes Berühren der Körpertheile
der Andern dabei beabsichtigt sei?"--"Viele Mädchen brüsteten sich mit
der Schönheit, Vollkommenheit ihrer Formen; andere wollten sich davon
überzeugen, und so käme es zu gegenseitigen Untersuchungen!"--"Ob
sie glaube, daß dies das Produkt teuflischer Anreizungen sei?"--"Sie
können dies nicht entscheiden! übrigens trügen ja die Mädchen bei
solchen Gelegenheiten immer noch Hüllen von Parchent, Shirting, Mouslin
um sich!"--"Mouslin-, Tüll-, Mull-Stoffe, das sei gerade das, was
der Teufel besonders liebe!"--"Dann sei allerdings die Gefahr sehr
groß;--meinte la Première--und Henriette habe einen solchen Ueberfluß
von kostbaren und feinen Toiletten!"--Damit war die Unterredung zu
Ende. Der Abbé war wieder so weit wie vorher. Was er wissen wollte,
ob der Verkehr Henriettes und Alexinas eine teuflische, sinnliche
Anreizung, die mehr oder minder in das Bereich des Tribadismus
falle, oder ob es nur der excessive Ausdruck einer leidenschaftlich
freundschaftlichen Seelen-Uebereinstimmung der beiden Mädchen gewesen,
das konnte ihm la Première nicht sagen, weil sie es selbst nicht wußte,
und weil Erfahrungen auf diesem Gebiet überhaupt sehr rar waren. Aber
im ersten Fall war Monsieur entschlossen, daß La Maitresse trotz ihrer
sonstigen guten Qualification gefaßt werden müsse, ebenso wie Henriette
entfernt; im zweiten Fall war nur ein Repriment nothwendig.

Inzwischen waren Henriette und Alexina oben bei Madame geblieben, wo
nicht minder leidenschaftliche Gespräche stattgefunden hatten. Zum
Nachmittag-Café kam la Superieure herunter zum Abbé. Sie erklärte,
es müsse etwas zur Rettung des Rufes des Klosters dem Landesadel
gegenüber geschehen. Die Briefe der Mädchen könne man ja inhibiren;
aber bei den sonntäglichen Besuchen, wo einzelne Zöglinge von ihren
Eltern im Wagen abgeholt würden, werde die Sache doch ruchbar, und
dann entsprechend aufgebauscht und entstellt.--Monsieur trug seine
moral-theologischen Unterscheidungen und Bedenken vor, von denen einzig
und allein der Ausgang des Falles abhänge.--La Superieure erwiederte
etwas gereizt: von wissenschaftlichen Spitzfindigkeiten verstände die
Welt draußen so viel wie sie; zunächst handle es sich um Abschneidung
aller weiteren Controversen; sie gedenke die beiden Mädchen für's erste
auf einige Zeit aus dem Kloster zu entfernen.--Dem widersprach sehr
ernst der Abbé; damit gestehe man eine Schande zu, bevor sie erwiesen.
Er wünsche in jedem Falle Alexina zu verhören.--Das könne er--meinte
Madame piquirt--inzwischen werde sie ihre Nichte, um sie weiteren
Beschimpfungen zu entziehen, beim Pfarrer des Dorfes unterbringen;--und
verließ ohne eine Antwort abzuwarten das Zimmer des Abbé.--

Wenige Minuten darauf betrat la Maitresse mit verweinten Augen das
Zimmer von Abbé, warf sich ihm zu Füßen, und fing zu schluchzen und zu
weinen an.--Ah Mademoiselle, begann der Abbé, Sie haben dem Kloster
jetzt schon einen großen, unberechenbaren moralischen Schaden zugefügt,
und ich fürchte, Sie haben eine noch weit größere Sünde auf dem
Gewissen.--Mon pere--fiel Alexina mit großem Nachdruck ein, und sah
den Abbé mit großen, glänzenden Augen an,--meine Liebe zu Henriette
ist rein wie der Schnee auf dem Hebron; meine Gefühle sind wie
Tauben, die nichts vom Argen wissen!--Diese Sprache überraschte den
Abbé nicht wenig, der in seiner sublimen Art für poetische Wendungen
nicht unempfindlich war. Trotzdem kam ihm diese ideale Verwahrung im
Zusammenhalt mit all' den bekannt gewordenen Schlüpfrigkeiten wie die
Faust aufs Auge passend vor. Und so konnte er sich nicht enthalten
hinzuzufügen: Aber wie steht es mit den Berührungen, Umarmungen,
Untersuchungen zwischen Ihnen und Henriette?--Ah, mon père,--fiel
Alexina wieder mit dem Ton des vollsten Gefühl-Enthusiasmus ein--ja,
ich bewunderte Henriette's Erscheinung, ihren Körper, ihre Augen, ihre
Haare, ihre Stimme, ihren Gang, kurz Alles, Alles, ihre Strümpfe,
ihre Schuhe, Alles was sie war und was sie trug, weil ich selbst so
gar nichts bin, und nichts habe, und nichts gleich sehe; und ebenso
bewunderte, glaube ich, Henriette meinen Geist, meine Energie, meine
Kenntnisse, enfin, das Bischen, was ich von Gott bekommen habe:
_meine Seele_; und gewiß berührten wir uns, wo es nur möglich war, wo
es nur geschehen konnte; sie meine Seele; ich ihren Körper; oh, mit
einer Inbrunst, mon père, wie sich nie zwei Mädchen geliebt haben;
und Inbrunst, mon père, ist doch in der Freundschaft, in der Liebe
erlaubt, wie im Gebet, in der Reue, in der Verehrung zu Gott.--Hier
war der Abbé doch paff. Dieses Mädchen war stärker, als er.--Und
niedrige, unziemliche Empfindungen und sündhaftes Verlangen kam nie in
Eure Seele, ma fille?--frug nochmals der Abbé eindringlich.--Nur die
Begeisterung Begeisterung rief Alexina, und streckte beide Arme mit
Enthusiasmus empor,--nur die Begeisterung, die Gott selbst in unsere
Seele gepflanzt.--C'est bien! sagte nun der Abbé, und hob das Mädchen
auf, das noch immer auf den Knieen lag; c'est bien, wir hoffen, daß
sich noch Alles zum Besten wenden wird. Gott wird Deine Seele auch
ferner bewahren.--Alexina ging wieder hinauf zu Madame; und nun schien
Alles eine befriedigende Wendung zu nehmen.--

Aber schon um 4 Uhr kam la Première, und brachte ein Paquet Briefe,
welche man Henriette, als sie in höchst geheimnisvoller Weise ihr
Schreibfach ausleeren wollte, um es mit zum Pfarrer zu nehmen,
abgenommen. Die Briefe zeigten die Handschrift Alexinas, und es
sei vielleicht zu erwarten, daß ihr Inhalt zur Aufklärung über das
Verhältniß von la Maitresse zu Henriette beitrage.--Monsieur öffnete
die Briefe, und las, und las, und merkte nicht, wo er war. Er las
diese Briefe, wie er Liguori oder die Kirchenväter las. Monsieur
war viel zu fein, zu geschult, zu classisch und zu rein geistiger
Mensch, um den kostbaren Aether, der aus diesen heißen Lettern
emporstieg, nicht zu erkennen, sich an ihm zu berauschen. Das war
also der gute, französische Stil, der an Alexina bewundert wurde,
und der sie in erster Linie als Lehrerin qualifizirte, wenn nicht
zur Schriftstellerin; und aus diesen leidenschaftlichen Ergüssen an
Henriette ist er hervorgewachsen; aus einer schließlich doch weltlichen
Neigung. Und Alexina berief sich immer auf Gott! Da fand sich in
einem Brief folgende Stelle: "Du willst vor mir fliehen, Henriette,
Du fürchtest meine Augen, wenn sie am Erlöschen, und den Ton meiner
Stimme, wenn sie am Ertrocknen ist. Weißt Du, daß es zu spät ist?
Weißt Du, daß Du in meine Hände gegeben, wie Wachs dem Bildner? Daß
Du das unglückliche Mädchen Alexina lieben mußt, weil Du so reich
und ich so arm. Fürchtest Du Gott? Fürchtest Du nicht, jammervoll
unglücklich zu werden, weil Du das arme Dorfkind, Alexina, das Du
liebst, und das Dich anbetet, verstießest. Haben wir zusammen nicht
Alles? Hat nicht jedes von uns für sich Nichts? Du siehst meine dürren,
kraftlosen Arme! Hast Du nicht Arme gefüllt mit Wollust? Du streichst
über meinen mageren Leib und findest meine welken Brüste! Hast Du
nicht strotzende Lebensfülle und Brüste quellend wie Milch und Blut?
Du mißt meine Beine und findest nur Krücken und kindliche Schwäche!
Sind Deine Schenkel nicht so stark wie Marmorsäulen, und Deine Kniee
zierlich wie die Eier des Rebhuhns?--Deine Seele schläft oft und
Dein Gedächtniß will Nichts behalten! Hab ich nicht Kraft der Seele
und kenne Dich und mich auswendig? Du bist zurückgeblieben und Deine
Worte sind die eines Kindes! Bin ich nicht über alle vorgeschritten,
und habe Dich mit mir gerissen. Bist Du nicht die Taube, und ich
der Geyer, der auf Dich herabstößt? Bist Du nicht in meiner Gewalt?
Und Du fürchtest Dich vor mir, der Dich allein erretten kann! Und
willst Dich in die bestialischen Arme eines Mannes werfen, wo nur
Grausamkeit, Unfläthigkeit und Gemeinheit herrscht? Bin nicht ich Dein
Mann?!..."--In einem andern Brief kam die Stelle vor: "Du fliehst vor
mir, und dann suchst Du mich wieder auf. Du meinst, ich wäre anders,
als alle Mädchen im Kloster, und Du müßtest mich verabscheuen, weil ich
Dinge forderte und Gewaltthätigkeiten verübte, die ein braves Mädchen
nicht erdulden dürfe; und dann müssest Du sie doch wieder gewähren.
Die Klostervorschriften, Henriette, und die sogenannten Anstandsregeln
sind kein Maaßstab und Grenze für unser Empfinden. Und was wir
verbrochen haben, Berührungen, und unerlaubte Küsse, und Umarmungen
und Ergießungen, und was wir im Geheimen thaten, ist an und für sich
nichts, ist nicht das Eigentliche, was wir wollten, war nur symbolisch
gemeint, weil wir es durch Worte nicht ausdrücken konnten; wie
Händefalten nur symbolisch gemeint ist für das, was im Innern vorgeht;
was dahinter steckt, ist etwas ganz anderes, Unaussprechliches; was
wir empfinden, Henriette, Du und ich, wenn wir uns anblicken oder an
uns denken, ist etwas Unaussprechliches. Was wir thun, was gegen die
Klostervorschriften verstößt, ist demgegenüber nebensächlich, nur eine
Ausdrucksform, eine Art Explosion, die auch anders ausfallen könnte,
die aber zufällig so ausgefallen ist. Deine Liebe zu mir, Henriette,
das ist für mich Alles. Bist Du deren sicher, dann halte an mir fest.
Ich beschütze Dich...."--In einem dritten Briefe hieß es "... Woher
die Menschen geboren werden? Ja, wir wissen es jetzt! Weil ich Dich
aufgeklärt habe! Aber ist es nicht eine Summe von Unflath, Gestank,
Erbrechen, gemeines Athmen, Glotzen und scheußliche Aufführung, was
drum und dran hängt, und was ihm vorausgeht? Hier sind die äußeren
Thaten gräulich, und das innere göttliche Empfinden minimal. Unsere
Verkehrsformen, Henriette, sind zierlich, sanft, kleinlich und minimal;
aber unser inneres Empfinden, der göttliche Impuls, riesengroß! Oh,
ich könnte die ganze Welt mit meinem Innern erfassen, umgreifen,
aufsaugen! Und Du Henriette bist nur ein kleines, unsäglichschönes
Figürchen-Ebenbild dieser Welt; ein kleiner glänzender Fisch in dem
großen Meer!..."--

Mit der Lectüre dieser Briefe war es inzwischen fünf Uhr geworden. Der
Abbé wußte wohl, daß er hier einem außerordentlichen Fall gegenüber
stand, einem Ereigniß, einem Verhältniß, das auf Monate zurückdatire,
das langsam gereift, wie ein Wespennest sich Zelle um Zelle agglomerirt
hatte, zuletzt einen gewaltigen Stock gebildet, und in dem la
Maitresse der eigentliche Baumeister, der Schöpfer und Angreifer
gewesen, während Henriette sich auf eine mehr passive Rolle beschränkt
hatte. Aber worüber sich Monsieur nicht klar werden konnte, war, wie
weit die materiellen Beziehungen in dem erotischen Leben der beiden
Mädchen gediehen waren, deren geistige Seite in den überschwenglichen,
gefühlsenthusiastischen Briefen Alexina's vorlagen. Und, ob man hier
nicht an einen höchst calculirten und versteckten Angriff des Teufels
selbst denken mußte! Daß Alexina eine naive, wenn auch impetuose,
auf die Echtheit ihres Gefühls in der Brust pochende, aber noch
unverdorbene Natur war, darüber war kein Zweifel. Aber, was jetzt zu
geschehen habe, Strafe, Ermahnung, Entfernung; Trennung der Zwei; auf
ein so glänzendes Talent, wie das Alexina's verzichten; darüber konnte
Monsieur zu keinem Entschluß kommen.

Es war jetzt Vesperzeit. Die Mädchen hatten eine halbe Stunde Erholung,
bevor die zwei Abendstunden die Arbeit des Tages schlossen. Wie ein
Bienenschwarm gährte und brauste es unter den jungen Geschöpfen,
die, ermahnt, mit ihren Beobachtungen und Ansichten Monsieur l'Abbé
nicht länger zu behelligen, um so eifriger unter sich und mit ihren
eigentlichen Vertrauten, den Schwestern, Rath's pflogen und Ansichten
austauschten. Die Entfernung Henriettes zum Pfarrer des Dorfes hatte
man als eine Art Bestätigung aller Vermuthungen angesehen. Man wußte
aber auch, daß la Maitresse, in der doch auch alle Mädchen den
eigentlichen actor rerum sahen, noch oben bei la Superieure weile.
Und so concentrirten sich denn alle Combinationen und Erörterungen
noch einmal auf ihre Person. Schlimmer aber als Alles dies, war der
Umstand, daß mit der Transferirung Henriettes in's Dorf Beauregard
nun auch dieses anfing sich an der Discusion zu betheiligen und
Gelegenheit hatte, neues Material herbeizuschaffen. Ein Resultat
dieser neuen Beziehungen war, daß gegen das Ende des Interstitiums, um
1/26, eine der Mägde an die Thüre des Abbé klopfte, und eingelassen,
in Begleitung von la Première, welche sie dazu aufgefordert hatte,
folgende Mittheilung machte: Als sie Henriette heute Nachmittag zu
Seine Hochwürden in's Dorf gebracht, den Brief von Madame la Superieure
abgegeben, und das Haus schon wieder verlassen, hätten sich mehrere
Personen aus dem Dorf um sie gedrängt, zu erkennen gegeben, sie
wüßten schon, daß sich Außerordentliches im Kloster zugetragen, und
dergleichen. Sie habe, wohl erkennend, daß eigentlich nichts mehr zu
verheimlichen sei, das Thatsächliche des Vorgefallenen zugegeben, mit
den Leuten gesprochen, und Alle hätten sich fast dahin geäußert, daß
die belle Henriette, wie man sie nenne, ein ganz braves, ehrbares
Mädchen, diese Mademoiselle Alexina dagegen mit ihrem hohen Gang,
ihren eckigen Schultern, ihrer hohlen Sprache, tiefen Wangen und
zusammengewachsenen Augenbraunen eine ganz suspecte Person sei, vor der
nur unser Herrgott das Kloster bewahren möge. Darauf sei ein großer
sonnenverbrannter Mensch mit einem großen Bart unter dem Kinn und
hinter den Backen, und einer Axt auf der Schulter, der die ganze Zeit
aufmerksam zugehört, hervorgetreten, und habe erzählt, er habe vor etwa
sechs Wochen auf einem seiner Controllgänge--er sei Waldhüter--mitten
im Dickicht weit von der Landstraße ein Stöhnen gehört; er sei näher
gekommen, habe sich aber durch das Knicken und Brechen der Zweige
verrathen; er habe immer eine hohe wimmernde, weibliche Stimme
vernommen und eine kräftige, tiefe, beruhigende Männerstimme; als er
die letzten Zweige auseinandergebogen, sei er erstaunt gewesen, zwei
Mädchen zu finden, die eben aus dem Gebüsch aufgesprungen waren, also
dort gelegen hatten; und zwar hatte die mit der hellen Stimme unten
gelegen, da sie sich nicht so rasch erheben konnte; die mit der tiefen
Stimme war schon aufgesprungen, aber Alles, die ganze Constellation,
ihre Stellung und der Eindruck am Boden hätten gezeigt, daß sie nicht
neben ihrer Freundin gelegen; beide Mädchen seien unten am Körper
entblößt gewesen, und hätten nicht rasch genug ihre Kleider ordnen
können, um dies zu verheimlichen; auch sei ihm aufgefallen, daß die
größere, schlankere an den Beinen stark behaart gewesen sei. Die
beiden hätten sich dann schnell wegbegeben, und er habe sie nicht
verfolgt.--Alle Anwesenden, und auch sie--die Magd--hätten darauf den
Waldhüter gebeten, sich in der Nähe des Klosters zu halten, um, für den
Fall Monsieur l'Abbé ihn zu sprechen wünsche, da zu sein. Monsieur möge
nun nach Belieben handeln.--

Nach dieser Erzählung ließ der Abbé die Magd abtreten, um sich mit
la Première allein zu besprechen. Aber beide hatten noch nicht
zwanzig Minuten Unterredung gepflogen, wobei Monsieur la Première
verschiedentliche Stellen aus lateinischen und französischen Büchern
zeigte, und ihr übersetzte, als eine zweite Schwester in heller
Bestürzung hereinkam und die Meldung brachte, vor dem Kloster ständen
mehrere hundert Leute, mit Mistgabeln und Aexten, die die Faust gegen
das Gebäude ballten, Verwünschungen ausstießen, und fortwährend riefen,
der Teufel sei im Kloster.--Der Abbé war anfangs im Zweifel, was dieser
neuen Sachlage gegenüber zu thun sei, beauftragte aber dann die zweite
Schwester, welche die Meldung überbracht hatte, die Affaire Madame la
Superieure zu melden, und sie zu bitten, zu kommen. Zu la Première
gewendet, meinte dann der Abbé, es sei wohl das Beste, den Waldhüter
mit seiner Axt hereinzulassen, um die Menge zu beschwichtigen.--Aber,
auf dem Wege dies auszuführen, traf la Première vor der Klosterpforte
mit dem Pfarrer des Orts zusammen, der im Begriff war, zu Monsieur zu
eilen. Beide kamen zurück, und Seine Hochwürden voll Erregung frug
Monsieur l'Abbé was wohl vorgefallen; das halbe Dorf sei vor seiner,
des Ortspfarrers, Wohnung versammelt, habe ihn beschworen, hierher in's
Kloster zu eilen: ein Incubus, oder der Teufel selbst, habe die schöne
Henriette, die Nichte von Madame, die im Walde gelegen, vergewaltigt,
oder zu vergewaltigen versucht, und habe dies unter der Figur einer
Lehrerin hier im Kloster gethan, die allgemein nur la Maitresse genannt
werde; man solle diese Lehrerin zu einem Geständniß bringen, eventuell
den bösen Geist exorcisiren, und er, der Pfarrer, solle deßhalb zu
Monsieur l'Abbé ins Kloster eilen.--Während der Abbé seinen Amtsbruder
in Kürze über die Ereignisse des Tages aufklärte, hörte man draußen die
Zöglinge trepp auf trepp ab stürmen und schrille Rufe ausstoßen: le
diable et sa fianßä!--le diable et sa fianßä!--Andere recitirten nach
festem Takt den rasch zu Stande gekommenen Vers:

    "Le diable et triste
    Et a bien peure:
    Il a perdu sa fiancee
    Et craint la Superieure!"[4]

Gleich darauf kam auch Madame zitternd vor Erregung herein: die Mädchen
seien wie auf ein gemeinsames Zeichen aus den Classen gestürmt, hätten
geschrieen, der Teufel sei im Kloster, und wollten Alexina aus ihrer
Stube ziehen. Sie sei jetzt überzeugt, das Ganze sei ein gegen sie,
die Superiorin gerichteter Complot. Der Teufel habe mit der ganzen
Sache so wenig zu thun, als mit ihr.--Die beiden Geistlichen machten
zweifelhafte Gesichter.--Um aber den ganzen Schwindel mit einem Schlag
aus der Welt zu schaffen, meinte Madame weiter, schlage sie vor,
der Arzt des Dorfes solle in ihrer Gegenwart oben in ihrer Wohnung
Alexina untersuchen; fänden sich die bekannten Male und Zeichen von
Teufels-Besessenheit an ihrem Körper, woran sie stark zweifle, so könne
man weiter sehen, und eventuell Exorcismus anwenden; ergebe sich aber
Alexina, wie sie sicher annehme, als tadelloses, unberührtes Mädchen
ohne Mal und Stigma, dann solle man die zur Verantwortung ziehen und
züchtigen, die diese Fabel aufgebracht und wissentlich verbreitet
hätten.--Damit waren alle einverstanden. Nur, meinte der Ortspfarrer,
man solle dem Waldhüter, der drunten stehe, und die Dorfbewohner
haranguire, Gelegenheit geben, Alexina unbemerkt zu sehen, um eventuell
so durch einen unverdächtigen Zeugen, im Falle des Nichtidentificirens,
zur Beruhigung der Menge und des Klosters beizutragen.--Auch dies
fand allgemeinen Beifall.--Was die Klosterinwohner selbst angehe, so
wurde angeordnet, alle hätten im Refectorium sich unter Aufsicht der
Schwestern ruhig zu halten, bis das Resultat der Untersuchung bekannt.--

Es war jetzt 7 Uhr Abends. Während zweier Stunden war wirklich der
Teufel los gewesen, und Zucht und Ordnung im Kloster verschwunden.
Die in Aussicht gestellten Schritte wirkten auf Alle beruhigend.
Der Pfarrer ging in die Ortskirche, um _Monstranz und Ciborium_
bereit zu halten. Auf dem Wege dahin sprach er begütigend zu Allen,
die ihm begegneten. Auch trat die Dämmerung ein, und die meisten
begaben sich nach Hause. La Première wurde zum Arzt geschickt. Madame
selbst bereitete oben Alles für die Ankunft des Arztes vor. Monsieur
hatte ebenfalls den Cooperator in der Klosterkirche avertirt, Alles
zum Exorcisiren bereit zu halten. Er selbst schlug die genauen
diesbezüglichen Directiven in seinem Ordinale auf, und machte sich aus
_Bodinus_, Daemonomania, mit den körperlichen Stigmata für Teufelsbund
bekannt. Die Zöglinge bekamen im Refektorium ihr Abendessen. Mit der
Dunkelheit war bei den Mädchen, statt Ausgelassenheit, Bangigkeit und
Furcht getreten. Alle baten, heute Nacht die Lichter im Schlafsaal
brennen lassen zu dürfen.--Inzwischen war der Holzknecht wieder
heruntergekommen, und hatte aufs Bestimmteste dem Abbé versichert, das
Frauenzimmer, welches er soeben durch die Thürspalte bei Madame la
Superieure mit verweinten Augen habe sitzen sehen, sei der Incubus, der
damals im Wald auf Henriette gesessen.--

Es war schon halb neun, als der Arzt, ein fast jung zu nennender Mann,
der die Faculté in Paris mit Auszeichnung absolvirt hatte, ankam.
Er hatte noch einen Gang in's benachbarte Dorf gemacht, und hatte,
eben erst zurückgekehrt, die ganze merkwürdige Geschichte gehört. Die
Lichter im Kloster waren schon angesteckt. Es herrschte jetzt rings
auf Gängen und Treppen tiefste Stille. Den Vorschlag Abbé's, mit ihm
erst das Verzeichniß der Stigmata im Bodinus durchzugehen, hatte
der Arzt abgelehnt. Er war dann von la Première sogleich in den II.
Stock hinaufbegleitet worden. Droben empfing ihn Madame mit höchster
Zuvorkommenheit in dem prächtig erleuchteten, reich ausgestatteten
Salon, der zu ihren Appartements gehörte. In dem halb offen stehenden
Nebenzimmer brannte nur ein Licht. Dort wartete Alexina halb
entkleidet, auf dem Bettrand gekauert, auf den Arzt. Dieser wechselte
nur wenig Worte mit Madame, und ging dann sogleich hinein, die Thüre
wieder, wie es gerade die Handbewegung wollte, halb oder dreiviertel
zugehen lassend. Und nun konnte man heraußen folgendes hören trotz
des lauten Buchumblätterns, mit dem Madame sich und die Stille zu
betäuben suchte: Kurzes Gemurmel und Begrüßungsformeln; einzelne
Fragen, sehr knapp, ebenfalls knapp beantwortet; beide Stimmlagen
sind sehr tief; die des Arztes ist aber schärfer scandirt und heller;
die Alexina's dumpf und gaumig. Das Licht wird gerückt, so daß die
Helle jetzt ganz aus der Thürspalte verschwindet; eine Aufforderung;
dann ziehen und schleifen von ausgezogenen Gewändern; Pause, neue
Aufforderung; Entgegnung; wiederholte Aufforderung in festerem Ton!
ein Seufzen; dann wieder Ausziehen und Rutschgeräusche; strumpfiges
Aufstampfen auf dem Boden; erst einmal; dann noch einmal; dann noch
ein Rutschgeräusch; und jetzt ein weiches, schilfriges Gleiten; wie
Epidermus auf Epidermis; und begleitet von zustimmenden Ah, c'est
cela; c'est cela, oui des Arztes. Längere Pause. Dann wieder ein
Commando; man hört die knerzenden Bewegungen eines Bettgestells und
das knistrige Hingleiten auf eine Matratze; ein ruhiges Commando; ein
stärkeres Commando; dringende, unwillige Aufforderung; seufzendes
Wimmern von der andern Seite; Ah, vous me faites mal, Monsieur;[5]
rief auf einmal Alexina laut und wie explosiv; dumpfe Entgegnung des
Arztes, dessen unterbrochenes Athmen auf schwieriges, intensives
Arbeiten hinwies. Nunmehr ausgiebiges Schluchzen ohne Unterlaß von
Seite Alexina's, ohne stärkere Schmerzensrufe, aber mit unstillbarem
Weinen, hingebend, machtlos, verzweifelnd, sich gänzlich überlassend;
die Stimme des Arztes nunmehr weich und bedauernd, ohne plötzliche
Commandorufe. Der Culminationspunkt schien überschritten; die
Entscheidung schon erfolgt; das Ergebniß schien aber ein trauriges;
und trotzdem dauerte es noch lange, bis alle Manipulationen zu Ende;
Madame hatte nach dem Angstschrei Alexina's nicht mehr geblättert,
sondern athemlos gelauscht, und an die Thürspalte gestarrt; das
Wimmern drinnen wurde allmählich schwächer, das Weinen hörte auf,
und ging zuletzt in ein rythmisches Wehklagen über, welches synchron
mit dem Athmen ging. Endlich nach langer, langer Zeit,--es war fast
eine Stunde verflossen--hörte man Wasser in ein Lavoir gießen und
kurz darauf kam der Arzt mit dem Handtuch in der Hand verstörten
Antlitzes heraus. La Superieure stand auf und schien zu fragen. "Ein
trauriger Fall, Madame,"--sagte der Arzt in dunklem Ton,--"ich muß ein
eingehendes Gutachten über den Fall abstatten, welches ich morgen
Vormittag schon Monsieur l'Abbé zustellen zu können hoffe; inzwischen
möchte ich rathen, sobald es angeht,--heute möchte es zu spät sein--le
jeune Alexina zum Dorfpfarrer zu bringen, und Mademoiselle Henriette
zurückzuholen zu Madame."--Damit verabschiedete sich der Arzt, sagte dem
draußen harrenden Meßner, zu irgend einer religiösen Handlung bestehe
kein Anlaß, und begab sich dann durch das jetzt totenstille Kloster
nach Hause.--

Jetzt war's 11 Uhr; und Alles schlief in seinen Betten; d.h. Alles
wachte, denn wer konnte nach solch' einem Tag schlafen. Oben huschten
die Schwestern in schleppend weißen Nachtgewändern von Bett zu Bett
und beruhigten die Kleinen, die alle eine schreckliche Furcht vor'm
Teufel hatten. Die Lampen brannten alle hell. Und la Première selbst
ging von Schlafsaal zu Schlafsaal, um jetzt keine Unordnung, keine
Panik mehr ausbrechen zu lassen. Sie wußte ja, sie hatte gewonnen.--Und
unten wachte in seinem Bett Monsieur l'Abbé. Er hatte noch vom Meßner
die Nachricht er halten, zum Eingreifen des exorcisirenden Apparats
bestände kein Anlaß, und war dann, nachdem er den gleichen Boten
mit der gleichen Nachricht zum Ortspfarrer geschickt, und mit la
Première einige Verordnungen wegen der Ruhe der Nacht besprochen,
selbst zu Bett gegangen: kein Anlaß zum Eingreifen des exorcisirenden
Apparats; Ja, glauben denn diese neuen Aerzte, sie können die Welt ohne
Geistlichkeit in Ordnung bringen? Und wenn sich keine Stigmata fanden,
was war denn dann los mit Alexina? Bediente sich der Teufel nur ihres
Phantoms, ihrer sinnlichen Hülle, so war dies nach allen Exorcisten
des Mittelalters auf die Dauer unmöglich, ohne Spuren zu hinterlassen,
war aber der Teufel nicht im Spiel, dann hatten offenbar Henriette und
la Maitresse ein frevelhaftes, sündig-gottloses Spiel mit einander
getrieben. Denn wer wird sich im Wald in so unsauberen Stellungen
präsentiren. Wenn auch nicht für andere, doch für sich. Ja, ja, er
erinnerte sich jetzt, Henriette hatte dieses Frühjahr einigemale von
Madame die außergewöhnliche Erlaubniß erhalten, mit Alexina Nachmittags
in den Wald zum Maiglocken pflücken gehen zu dürfen, und er sah sie
einmal mit Sträußen und fieberhaft glänzenden Augen zurückkehren.--Was
aber jetzt mit Constatirung der Stigmalosigkeit von la Maitresse
erreicht sei, könne er nicht begreifen. Die Sache stehe am alten Fleck.
Und die Geistlichkeit werde die Sache doch zuletzt lösen müssen.--Mit
diesen Gedanken war Monsieur l'Abbé beiläufig beschäftigt.

Und oben im II. Stock ruhte Madame. Sie hatte bange Ahnungen, es
möchte mit ihrem Priorat im Kloster vorbei sein. Seit heute Abend 6
Uhr, als die Bauern die Sensen vor der Klosterthür schwangen, und den
Teufel in Gestalt einer Lehrerin im Kloster suchten, war ihr klar, daß
dies an ihr hinausgehen werde; diesmal hatte la Première die Sache
fein dirigirt, und zur rechten Zeit in die Flamme geblasen, die noch
heute Morgen mit dem Schuh auszulöschen war. Mein Gott, zwei Mädchen,
die sich in ihren körperlichen und seelischen Eigenschaften einander
ergänzten, beieinander schlafen und sich mit Zärtlichkeiten überhäufen
sehen,--was da dran sei! Allerdings, diese Alexina sei ein merkwürdiges
Geschöpf; und der Ausspruch des Arztes lasse erwarten, daß mit ihr
etwas ganz besonderes los sein müsse.--

Und neben dran lag Alexina auf ihrem Lager; gestern noch die
bewunderte, ob ihrer phänomenalen geistigen Eigenschaften gepriesene,
mit dem Ehrentitel la Maitresse benamte, deren Ansprache bei den
Kleinen als Auszeichnung galt, und jetzt ein wimmerndes Geschöpf, wie
zum Tod getroffen, von einem Arzt in ihren geheimsten Beziehungen
vor aller Welt enthüllt, als Teufelsfrauenzimmer an den Pranger
gestellt, und ihrer Lebenskraft, Henriette's, beraubt. Ja, heute Abend
als sie der Arzt besuchte, war ihr wohl klar geworden, daß etwas
außergewöhnliches bei ihr der Fall sein müsse; und als er vom Kopfe
beginnend Alles abmaß und genau feststellte, und dann das untersuchte,
was Jedes mit Scham verhüllte, und da einzudringen versuchte, und ihr
die fürchterlichen Schmerzen verursachte, so daß sie hinausschreien
mußte, und als sie dann sein perplexes Gesicht sah, da fing sie an, an
diesem springenden Punkt weiter zu spintisiren: ja, sie wußte es, etwas
anders war sie ja gebildet wie die andern Mädchen, wie Henriette; aber
das war ihr nicht aufgefallen; waren nicht auch die Andern in sonstigen
Dingen verschieden? Hatte die eine nicht eine Adlernase, die andere
eine eingebogene oder gerade; diese einen häßlichen, fleischigen Mund,
jene einen feingeschnittenen, knospenden, wie an einer Statue; hatte
diese nicht eine flache, jene eine gewölbte Brust? War die eine nicht
dumm, die andere gescheidt? Was war denn dann mit ihr so besonderes
los? Diese Kleinigkeit, über die Henriette so oft gelacht?--Aber es
mußte doch etwas sein! Denn woher der schreckliche Schmerz?--Und so
wimmerte und spintisirte und schluchzte das Geschöpf weiter.--

Noch bedeckte die Nacht mit ihrem colossalen Mantel Alles, Kloster,
Menschen und ihre Gedanken. Aber die Sonne brannte schon mit Inbrunst,
hervorzubrechen, und die ganze so schauderhafte Klosteraffaire zu
beleuchten, und mit greller Flammenschrift Jedem in's Gewissen und in's
Hirn zu schreiben.--

Es war jetzt wieder 7 Uhr Morgens; die Sonne glänzte durch die Scheiben
des geistlichen Arbeitszimmer; das Frühstücksgeschirr stand auf dem
Arbeitstisch bei Seite gestellt; und Monsieur l'Abbé las wieder eifrig
in Liguori, Theologiae moralis, libri sex. Nichts in seinem Gesicht
ließ etwa eine Unruhe oder Abspannung entdecken. Der Vorfall des
gestrigen Tages hatte keinen nervösen Rest bei ihm zurückgelassen.
Die gleiche sublime Ruhe waltete in seinen Zügen wie gestern.--In
diesem Augenblick klopfte es an der Thüre; Monsieur rief herein!
und die Pförtnerin brachte ein Schreiben großen Formats, welches
soeben abgegeben worden sei. Monsieur öffnete es sogleich durch
einen Winkelschnitt über der Oblate, faltete das kräftige Handpapier
auseinander und las Folgendes:

Beauregard, le 21. Juin 1831. Adolphe Duval, medecin agrégé
de la Faculté de Paris, à Monsieur l'Abbé de Rochechouard, ä
Douay.--Monsieur! Ueber den körperlichen Befund des sogenannten Alexina
Besnard, 18 Jahre alt, habe ich auf Grund der von mir gestern Abend
vorgenommenen Untersuchung die Ehre Folgendes zu melden:

Alexina als Mädchen von außerordentlich hoher Statur, muß auch als
Mann noch zu den größeren Gestalten gerechnet werden. Das magere
Gesicht zeigt den Ausdruck hoher Intelligenz; der Blick entschieden
männlich, convergirend; stark prominente Augenbögen, unter denen ein
paar schwarze, kluge, flinke Augen herauslugen; keine Spur von Bart;
die Kopfhaare etwas länger, als sie gewöhnlich von Männern getragen
werden, aber weit entfernt die Länge von Mädchenhaaren zu erreichen
(sie müßten denn absichtlich beschnitten sein) werden in einem Netz
getragen, und sind eher spärlich zu nennen. Die Stimme Alexina's
ist eine Altstimme. Der ganze Körperbau ist schlank, musculös, ohne
eigentliches Fettpolster, zeigt in seinem oberen Theil femininen
Charakter, zarte Haut, schwache mamma-Bildung mit weiblich gebildeter
Warze; die unteren Extremitäten fallen sofort durch ihre reiche,
dunkle, männliche Behaarung auf, und zeigen auch in ihrer allgemeinen
Configuration männliche Anlage. Die Oberschenkel zeigen zum Knie hin
nicht die beim Weib bekannte Convergenz, sondern verlaufen geradlinig.
Die Hände sind zwar klein, dagegen die Füße sehr groß und kräftig. Die
Hüfte charakterisirt sich schon durch den allgemeinen Anblick, durch
das gänzliche Fehlen des seitlich ausladenden, wie durch Messungen,
als Beckenanlage von rein männlichem Charakter. Der mons Veneris ist
stark behaart und bedeckt auf den ersten Anblick die eigentliche
Bildung der Genitalien. Dieselben zeigen wenig klaffende labia majora
von wulstigem, faltigem Charakter, hinter denen die kleinen, wenig
ausgebildeten labia minora sichtbar werden; keine Spur von hymen;
der introitus vaginae ist so eng, und das versuchsweise Eindringen
so schmerzhaft, daß es keinem Zweifel unterliegt, daß derselbe als
blinder Sack endigt, und entweder keinen, oder höchstens rudimentären
uterus als Fortsetzung trägt, der für die Ovulation wie Menstruation
ohne Belang ist. Dagegen umschließen die labia minora in ihrem oberen
Theil einen succulenten Körper, der vorne perforirt ist, und sich
als wohl characterisirtes membrum Virile erweist; dasselbe ist der
Erection fähig; obwohl es an seiner vollen Entfaltung durch ein
von den genannten kleinen Labien ausgehendes straffes ligamentum
gehindert ist. Die Perforation ist der Ausführungsgang der urethra,
die ihrerseits in die Vesica urinalis endet. Testicel sind nirgends
zu entdecken, und scheinen im Abdomen zurückgeblieben zu sein.--Somit
ist Alexina Besnard ein _Zwitter_; und, da derselbe während der
Untersuchung, offenbar durch die augenblickliche psychische Erregung
hervorgerufen, auch eine unwillkürliche ejaculatio seminalis hatte,
deren Bestand unter dem Mikroscop das deutliche Vorhandensein normaler,
beweglicher Spermatozoen ergab, so muß Alexina als männlicher
_Zwitter_ angesprochen werden; somit ist Alexina ein Mann und zwar
ein zeugungsfähiger Mann.--Auf Grund der mir obliegenden Pflicht habe
ich bereits Anzeige an die betreffende Civil-Behörde behufs Aenderung
der Stammrolle in der Heimath Alexina's gemacht, Eurer Hochwürden die
weiteren Schritte bis zur definitiven staatlicherseits vorzunehmenden
Aenderung der civilen Verhältnisse Alexina's überlassend. Mit
hochachtungsvoller Ergebenheit ec. Adolf Duval.--

Noch am gleichen Tag wurde Alexina in ihre Heimat zu ihren Eltern
gebracht.

Mademoiselle Henriette Bujac, die in's Kloster zurückkehrte, sah sich
genöthigt, nach etwa sechs Monaten aus dem Institut auszutreten, und
wurde zu einer entfernt wohnenden Tante auf's Land geschickt.

Mit ihr verließ Madame la Superieure definitiv das Kloster.--Und la
Soeur Première wurde Superiorin.--


[1] "Sieh der Teufel!"

[2] "Und hier seine Braut!"

[3] Schwatzerei.

[4] Der Teufel ist traurig, und hat wohl Furcht; er hat seine Braut
verloren, und fürchtet die Superiorin.--

[5] Ach, sie thun mir weh.




Der operirte Jud'

                            _Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick,_
                            _Huhu! ein gräßlich Wunder!_
                            _Des Reiters Koller, Stück für Stück,_
                            _Fiel ab, wie mürber Zunder._
                            _Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,_
                            _Zum nackten Schädel ward sein Kopf_;
                                                    _Bürger_, Lenore.


Kein Mensch wird mich tadeln, wenn ich meinem Freunde _Itzig Faitel
Stern_ ein Denkmal zu setzen wünsche; wenigstens, so weit dies in
meinen Kräften steht; und fast fürchte ich, daß dieselben nicht
ausreichen werden; denn Itzig Faitel Stern, mein bester Freund auf
der Hochschule, war ein Phänomen. Ein Linguist, ein Choreograph, ein
Aesthetiker, ein Anatom, ein Schneider und ein Irrenarzt wären nöthig,
um die ganze Erscheinung von _Faiteles_, was er sprach, wie er ging
und was er that, vollständig zu begreifen und zu erklären. Daß nach
dem Gesagten mein Vorwurf nur Stückarbeit liefern wird, ist nicht zu
verwundern. Doch ich verlasse mich auf meine fünf Sinne, die nach der
gegenwärtig herrschenden literarischen Schule vollständig genügen,
ein Kunstwerk zu liefern; ohne viel nach Warum und Wie zu fragen,
oder künstliche Motivirung, oder gar transscendentale Construction zu
versuchen. Wenn statt des Kunstwerks eine Komödie entsteht, mag sie,
die Schule, die Verantwortung tragen.--

_Itzig Faitel_ war ein kleiner untersetzter Mann mit rechts etwas höher
stehender Schulter und einer spitz zulaufender Hühnerbrust, auf welch'
letzterer er immer eine breite, schwerseidene Plastron-Cravatte trug,
die ein matter Achat zierte. Die Rock-Patten zu beiden Seiten dieser
Cravatte liefen immer von rechts oben nach links unten, so daß, wenn
Faitel längs der Randsteine ging, es den Eindruck machte, er steure
über das Trottoir hinunter, oder gehe im Diagonal. Faitel wollte nicht
einsehen, daß diese Configuration seiner Kleider von der rhombischen
Verschiebung seines Brustkastens herrühre, und schimpfte fürchterlich
auf die christlichen Schneider. Die Stoffe, welche Faiteles trug,
waren stets der feinste Kammgarn. Das Antlitz Itzig Faitel's war
von höchstem Interesse. Leider hat es _Lavater_ nicht gesehen. Ein
Gazellen-Auge von kirschen-ähnlich gedämpfter Leuchtkraft schwamm in
den breiten Flächen einer sammtglatten, leicht gelb tingirten Stirn-und
Wangen-Haut. Daß es troff, da konnte Faiteles nichts dafür. Itzig's
Nase hatte jene hohepriesterliche Form, wie sie _Kaulbach_ in seiner
>Zerstörung Jerusalems< der vordersten und markantesten Figur seines
Bildes verliehen; zwar waren die Augenbrauen darüber zusammengewachsen;
aber _Faitel Stern_ versicherte mich, das sei sehr beliebt; auch wußte
er, daß Leute mit solchen Augenbrauen einmal ersaufen sollen; aber er
paralysirte es, indem er versicherte, er gehe niemals auf's Wasser. Die
Lippen waren fleischig und überfältig; Zähne vom reinsten Crystall,
zwischen denen eine bläulich-rothe, fette Zunge oft zur Unzeit
herauskam. Kinn und Oberlippe war Alles bartlos; denn Faitel Stern war
noch sehr jung. Erwähne ich noch von meines Freundes Untergestell so
viel, daß es Säbelbeine waren, deren Schwung jedoch nicht excessiv war,
so glaube ich Itzig's Silhouette einigermaaßen gezeichnet zu haben. Auf
die geringelten zahlosen schwarzen Sechserlöckchen seines Haupthaars
komme ich später noch zu reden.--Das also war der Studiosus Stern in
der Ruhe. Aber wer hilft mir, welcher Clown, welcher Dialect-Imitator,
welcher Grimasseur, Itzig darzustellen, wenn er ging, wenn er sprach
und agirte. Itzig sagte mir wohl, er stamme von einer französischen
Familie ab, und sei französisch erzogen; er sprach wohl etwas, wenn
auch mechanisch ganz verschobenes Französisch; aber das Unglück war,
daß Itzig zu früh in die nahe Pfalz kam, und die prononcirten Laute
dieses Stamms mit einer Gier einschlürfte, als wäre es Milch und Honig.
Wohl konnte Faiteles auch Hochdeutsch reden; aber dann war es eben
nicht Faiteles, sondern eine Zierpuppe. Wenn Faitel für sich war, und
sich nicht zu geniren brauchte, dann sprach er Pfälzisch und--noch
etwas. Doch vorher noch einige Bemerkungen über seine Gangart und
Agitationes.--Itzig hob immer beide Schenkel fast bis zur Nabelhöhe
beim Gehen, so daß er mit dem Storch einige Aehnlichkeit hatte; dabei
steckte er den Kopf tief auf die Plastron-Cravatte herab, und sah
starr auf den Boden. Man konnte wohl glauben, er könne die Kraft
zum Heben der Beine nicht bemessen, und überschlage sich; und bei
Rückenmarkskrankheiten kommen ja ähnliche Störungen vor; Itzig war aber
nicht rückenmarkskrank, denn er war jung und geschont; als ich ihn
einmal frug, warum er so extravagant gehe, sagte er "aß ich vorwärts
komm'!"--Faiteles hatte auch Mühe, das Gleichgewicht zu halten,
und beim Gehen troffen oft Schweißtropfen aus den Sechserlöckchen
der Stirne. Das Nackenband war sehr stark und kräftig bei meinem
Freund entwickelt; wie ich vermuthete, wegen der Schwierigkeit und
Arbeit, die Itzig hatte, den Kopf zu Gottes Himmelszelt emporzuheben.
Itzigs Kopf war in seiner natürlichen Stellung immer starr auf den
Erdboden gerichtet, das Kinn fest in die seid'ne Plastron-Cravatte
eingebohrt.--Das war Itzig Faitel Stern, wenn er ruhig war, oder
seines Weges ging. Was waren aber seine Agitationes?--Dies hing ab,
von der Stimmung, in der Faiteles sich befand, ob er aufgelegt, oder
unzufrieden war; ob er zustimmte, oder einen Gegenbeweis führen
wollte. Stark in Affekt kam er nie; und zornig zu werden hinderte
ihn seine ganze Constitution. Wenn er aber eifrig wurde, und gute
Opportunitäts-Gründe in's Feld zu führen hatte, dann bäumte er auf,
hob den Kopf empor, zog die fleischige, wie ein Stück Leder sich
bewegende Oberlippe zurück, so daß die obere Zahnreihe entblößt wurde,
spreizte mit zurückgebeugtem Oberkörper beide Hände fächerförmig nach
oben, knaukte mit dem Kopf gegen die Brust zu einigemal auf und ab,
und ließ rythmisch abgestoßene Schnedderengdeng-Geräusche hören. Bis
zu diesem Moment hatte mein Freund noch gar Nichts gesagt. Aber aus
der ganzen Aufeinanderfolge dieser gestikulatorischen Mimik wußte
ich schon, in welcher Richtung sich Faitel's Auseinandersetzungen
bewegen würden. Faitel miaute, schnarrte, meckerte und producirte auch
Schneuz-Laute sehr gern und zur richtigen Zeit, so daß man daraus
immer exacter wußte, als wenn er blos einige Worte hingeworfen, wie
er dachte, und wie sein Inneres angelegt und engagirt war. Wenn
sein Standpunkt zweifelhaft, sogar gefährdet war, und er von einer
unwahrscheinlichen Sache den Gegner überzeugen wollte, warf er mit
eingezwickten Bauch den rotirenden Oberkörper von der Seite des
Gegners weg und zu sich hinüber, gleichsam als wolle er mit der ganzen
Körperlast den Betreffenden zu sich hinüberziehen. Fleißige, angenehm
grunzende Schnarrlaute begleiteten diesen Akt. Wer dies zum erstenmal
sah und hörte, der erstaunte, und unterlag; er willigte ein, schon in
Anerkennung des fleißigen Ueberredungs-Aktes. Aber Faiteles wurde,
die Wirkung erkennend, nun zu immer weiterer Exaltation getrieben.
Und zuletzt wurde es monströs. Soviel über seine Agitationes.--Aber
wer hilft mir die Sprache von Itzig Faitel Stern beschreiben? Welcher
Philologe oder Dialektkenner würde sich unterstehen diese Mischung von
Pfälzerisch, semitischem Geknängse, französischen Nasal-Lauten und
einigen hochdeutsch mit offener Mundstellung vorgebrachten, glücklich
abgelauschten Wortbildungen zu analysiren?! Ich kann es nicht; und
ich will mich darauf beschränken, nach dem phonetischen System das
dem Leser vorzuführen, was an Itzig Faitele'schen Phrasen mir in der
Erinnerung geblieben. Aber vorher muß ich doch aus der Faitele'schen
Redeweise zwei Punkte hervorheben, die grammatikalisch besonderes
Interesse beanspruchen. Dann soll die grauenhafte Comödie, die _Itzig
Faitel Stern_ in _Heidelberg_, wo wir Beide studirten, aufführte,
ohne Unterbrechung sich abwickeln: Faitel hatte unter den unzählig
flüchtigen und kaum andeutbaren Besonderheiten seiner Sprechweise
besonders zwei,--wie soll ich es nennen?--Sprachpartikel, die an
bestimmten Stellen immer wiederkehrten, und sich mir zuletzt als
syntaktische Bestandtheile von bestimmtem Begriffswerth einprägten.
Faitel Stern sagte z.B. wenn ich ihn über den ungeheuren Luxus in
seiner Garderobe, seinen Toilettegegenständen, interpellirte,--"... was
soll ech mer nicht kahfen ä neihes Gewand, ä scheene Hut-'menerá, faine
Lackstiefelich,--'menerá, aß ech bin hernach ä fainer Mann! Deradáng!
Deradáng!..." (Hin- und Herwippen des Oberkörpers! Aufspreizen
der Hände in Achselhöhe bei leicht hockender Stellung; verzückter
Blick mit Glasreflex; Entblößen der beiden Zahnreihen; reichliche
Speichelabsonderung).--

Der Leser wird hier mit Verwunderung zwei Wörter entdeckt haben,
oder vielmehr ein Annexum, ein Anhängsel, und eine Interjection, die
er in jedem Wörterbuch vergeblich suchen würde, "--menerá", eine
Art Schnurrwort, kurz-kurz-lang, mit dem Ton auf der letzten Silbe
(Anapäst), wurde Substantiven angehängt, und verlieh ihnen eine Art
eigenthümlicher, pathetischer Bedeutung; schloß das Substantiv mit
einem Consonanten, so wurde oft "-emenera" angehängt, und zwar mit
solch rasselnder Geschwindigkeit, daß der Ton auf dem Substantiv
blieb, und das Annex als vierkurzsilbiger Schnurrlaut (also:
Doppelpyrrhichius) sich anschloß. Manchmal schien es auch, als ob das
"-menerá", nur die Verbindung zum nächsten Wort herstellen solle, wenn
dieses mit einem für Faitels Zunge schweren Anlauter begann. Sie wurden
daher nur beim schnellen Reden und bei gehobener Stimmung benutzt.
Irgend welchen declinatorischen Charakter vermochten die beiden Annexe
dem mit ihnen verbundenen Wort, wie es bei einigen Negersprachen
der Fall ist, nicht zu geben.--Ganz anders war es mit dem stark
nasalen "Deradáng!". Dieses war Interjection, Ausrufepartikel, hatte
also selbständigen Wort- und Begriffswerth; wurde sing-sang-mäßig,
breit, knängsend ausgesprochen, mit speichelndem Mund, schloß immer
den Satz, und schien so viel zu bedeuten, als: Gelt! hab' ich nicht
recht?!--Siehste wohl!--Wer hätte das gedacht?!--Ei der Tausend;
u. drgl.--Ja, lieber Leser, Du darfst Dir Mühe geben so viel Du
willst, "Deradáng! Deradáng!" auszusprechen; so fettig-guttural, so
weich-gröhlend, so speichelnd wie Itzig Faitel Stern bringst Du's nicht
zusammen!

Ich will den Leser nicht länger darüber im Unklaren lassen, wieso
ich zu diesem merkwürdigen Umgang kam; und mir nicht ein Mäntelchen
umhängen, welches mir schlecht stehen würde, indem ich den Leser auf
die Vermuthung kommen lasse, es sei Mitleid gewesen, was mich in
die Nähe dieses grauenhaften Stücks Menschenfleisch, genannt _Itzig
Faitel Stern_, brachte. Es war gewiß viel, wie soll ich sagen,
medizinische, oder besser anthropologische Neugierde dabei; ich
empfand ihm gegenüber wie etwa bei einem Neger dessen Glotzaugen,
dessen gelbe Augen-Bindehaut, dessen Quetsch-Nase, Mollusken-Lippen,
Elfenbeinzähne, dessen Geruch man mit Verwunderung wahrnimmt, und
dessen Gefühle und geheimste anthropologische Handlungen man ebenfalls
kennen lernen möchte; vielleicht war auch etwas Mitleid dabei, nicht
viel. Mit Verwunderung beobachtete ich, wie dieses Monstrum sich die
grauenhafteste Mühe gab, sich in unsere Verhältnisse, in unsere Art
zu gehen, zu denken, in unsere Mimik, in die Aeußerungen unserer
Gemüthsbewegungen, in unsere Sprechweise einzuleben. Aber ein viel
stärkerer und egoistischerer Grund war doch für mich der, etwas über
den _Talmud_ zu erfahren, welches Faitel's Religionsbuch war; alle
die merkwürdigen Gerüchte, die über dieses umfangreiche Gesetzbuch in
Umgang waren, interessirten mich in hohem Grade. Und Itzig war zwar
kein Talmudgelehrter; aber er wußte doch Manches; und er wußte eine
Menge kleiner Gewohnheiten, Schwächen, Practiken, Scurilitäten, die
nicht in Büchern und Uebersetzungen des Talmud zu finden waren, und
die für mich hohen anthropologischen Werth hatten.--Freilich mußte
ich eine Menge der sonderbarsten Gerüchte über mich ergehen lassen
von Seite meiner Commilitonen in _Heidelberg_, die nicht begreifen
wollten, wie so ich mir den Itzig Faitel Stern zum Umgang auserwählt
hatte; Gerüchte, die sich meist an das Vermögen Faitels, an sein
Geld, anknüpften; denn Faitel Stern war immens reich. _Heidelberg_
war damals eine zu kleine Stadt, und die Studenten spielten dort
eine zu präpondirende Rolle, um eine Erscheinung wie Itzig Faitel
Stern, und alles was um ihn sich bewegte, nicht zum hervorragendsten
Tagesinteresse zu machen. Und Faitel Stern, um es nochmals zu sagen,
war eine Art jüdischer _Kaspar Hauser_; ein Mensch, der mitten aus dem
engherzigen, schematischen, dumpfen, windelstinkenden, knängsenden,
grimassirenden Kleingram seiner Familienerziehung heraus, in Folge
eines jähen Entschlusses, plötzlich, die Taschen voll mit Gold, auf das
große Lebenspflaster einer europäischen Stadt geworfen war, und dort
blöd, mit vertrakten Bewegungen, verlacht-bewundert, sich umzusehen
begann.

Aber so konnte das Ding nicht weitergehen. Gleich nach den ersten
Tagen unserer Bekanntschaft machte ich Faitel Vorschläge hinsichtlich
seiner Umwandlung in etwas modernem Sinne, und fand damit bei ihm die
entgegenkommendste Aufnahme. Ich habe wohl nicht vergessen zu sagen,
daß wir Beide Medizin studirten. Und daß Faitel auf dieses Studium
verfiel, war nach Allem, was wir über sein physikalisches Aeußere
wissen, gewiß ein günstiges Testimonium intellectus.--"Faitel",--sagte
ich ihm eines Tags,--"Sie müssen Ihren Gang ändern; Sie sind ja
vollständig contract; und dabei das Gespötte und Gelächter der
Stadt!"--"Was kann ich vor de Misemischine,"--rief Faitel, und
stampfte die Plattfüße mit großer Kraftentwicklung ohnmächtig auf
den Boden,--"bin ich gegangen so mai Lebetag'; duht mai Vater aach
so gehe, und is geworden der alte Stern Salomon!--Gäben Se mer ä
neies Gebein; ich beßahls!"--"Bezahlen!" ich,--"das wäre schon Recht;
aber wer wird im Stande sein Ihre englischen Knochen wieder gerade
zu machen!?"--Wir kamen überein, einen Orthopäden zu Rath zu ziehen.
Der ausgezeichnetste Vertreter dieser Disciplin erklärte aber, Itzig
sei zu alt, die Knochen zu weit vorgebildet; empfahl uns aber den
Professor _Klotz_, den berühmten Anatomen _Heidelsbergs_, behufs
wissenschaftlicher Untersuchung des Skelets Itzig's. Wir gingen zu dem
berühmten Mann. Derselbe stellte alle möglichen Messungen am nackten
Itzig an, ließ denselben dann auf und ab gehen, und schlug zuletzt die
Hände über dem Kopfe zusammen: so 'was sei ihm in seinem Leben nicht
vorgekommen; er holte dann ein bekanntes Buch herbei: Meyer, Statik
und Mechanik des menschlichen Knochengerüstes, Leipzig 1873, dessen 2.
Auflage ihm übertragen worden war; mißmuthig meinte er, er müsse das
ganze Buch mit Rücksicht auf Itzig umarbeiten; stellte dann dazwischen
die merkwürdige Frage, ob es sicher sei, daß Itzig von menschlichen
Eltern geboren. Dies konnte auf's unwiderleglichste nachgewiesen
werden. "Dann",--schloß Professer _Klotz_ seine Ausführungen,--"kann
ich nicht alle Hoffnung aufgeben, die Gelenke des Studiosus _Stern_ auf
eine der humanen Bewegungsform ähnlichen Stufe wieder hinzubringen;
nur--zögerte der berühmte Anatom,--die Mittel und Wege...."--"Ich
beßahl's" rief Faiteles, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt, schnell
dazwischen,--"ich beßahl's! ich beßahl mei neie Statür; Herr
Profäßer soll'n haben viel Geld-era, Deradáng! Deradáng! (sehr breit
zu sprechen). Ich beßablera! Deradáng! Deradáng!" (Aufspreizen der
Hände in Achselhöhe; Einhaken in den Westenausschnitt; pendelförmiges
Hin- und Herwippen mit dem Oberkörper; lächelnde Mundstellung; obere
Zahnreihe entblößt; reichliche Speichelabsonderung.)

Nun kamen schwere Zeiten für Faitel. Tage-und Nächtelang hing er in
der Streckschwebe, um durch das eigene Körpergewicht die skoliotischen
Knochen zum Dehnen zu bringen, oder stack im Gyps-Corset; das
Nackenband wurde durch blutige Operation verkürzt und straffer
gehalten, um Faitel den Anblick des Himmels zu ermöglichen. Wochenlang
mußten die in neue Charniere gebrachten Knochen beim Turnlehrer geübt
und weitergebildet werden. Alles geschah in eigens für Faiteles
anberaumten Privatstunden, da Niemand mit ihm zu üben Lust hatte,
noch seine Uebungen für sich brauchen konnte, noch auch Faitel bei
seinen halsbrechenden Exercitien gesehen sein wollte. Enorme Summen
wanderten in die Hände der Gymnastiker, Bandagisten, Orthopäden
und--des Professor _Klotz_, der das Ganze leitete und überwachte. Nach
einem Vierteljahr waren leidliche Resultate zu sehen. Die Säbelbeine
natürlich konnten von all diesen Correctionsversuchen nicht betroffen
sein, da es für sie kein tiefer gelegenes Gegengewicht gab, um sie
zum Strecken zu bringen. Man beruhigte Faiteles, indem man ihm zu
verstehen gab, solche Beine kämen auch bei andern Menschenklassen, bei
Bäckern u. dgl., vor. Aber Faitel war unermüdlich; seit sein spitzes
Kinn nicht mehr in die Plastron-Cravatte sich einbohrte, war er fest
entschlossen "ßu werden aach a fains Menschenkind wie a Goj-menera,
und aufßugeben alle Fisenemie von Jüdischkeit".--Es kam damals gerade
jene kühne Operation auf, die man brisement force nannte; man zerbrach
absichtlich einen stark gekrümmten Knochen, und behandelte ihn dann wie
einen zufälligen Beinbruch, nur daß man die beiden Stücke in gerader
Richtung an einander heilen ließ. Dieses Verfahren wurde bei Faitel
Stern's Säbelbeinen angewendet. Mehrwöchiges Bettliegen für jedes
Bein, mit Schmerzen und Verbänden aller Art, und ungeheure Kosten für
ein Verfahren, zu dessen exacter Ausführung damals ein eigener Arzt
von _Paris_ kam, waren die Folgen und Nebenumstände dieser Cur.--Der
alte Salomon Stern sandte Wechsel auf Wechsel, die jeder Geschäftsmann
mit Freuden honorirte. Dann kamen wochenlange Gehversuche mit den
neugeheilten Gliedern. Und wirklich, als nun Faitel Stern zum ersten
Mal ausging, hatte er wesentliche Fortschritte gemacht. Er war etwas
größer geworden, und sah schon einem respectablen Menschen gleich.
Alles war und blieb noch lange recht steif; aber er konnte jetzt doch
einen normalen Menschen vortäuschen. Das Gesicht sah kerzengerade
hinaus; das Kinn zeigte sich erst jetzt fürchterlich lang und spitz;
die Hühnerbrust war abgeplattet, und die Rockpatten verliefen gerade
hinunter. Um Faiteles an dem gemeinen, behaglichen Hin- und Herwippen
des Oberkörpers, wobei er sein näselnd-gurgelndes "Deradáng, Deradáng"
hören ließ, zu hindern, wurde ihm, ähnlich wie bei Hunden, ein
Stachel-Halsband, ein solches um die Hüfte, auf den bloßen Körper,
gelegt, so daß er bei seitlichen Neigungen sofort heftig gestochen
wurde. Dieß Alles ertrug Faitel Stern mit Heroismus, und stand dort
schlank gebunden, wie eine Tanne. Aber die Hauptsache kam erst. Es
war klar, daß man ihn mit der Sprache, von der wir einige Proben
gegeben haben, nirgends einführen konnte. Es war der Ausdruck einer
schmierigen, niedrigen, feigen Gesinnungsweise. Und wenn es sich auch
zunächst nur um äußere Täuschung handelte, so wollte man doch diese so
bald als möglich erreichen.

Da es hoffnungslos war, ihn mit seinem Pfälzisch-Jüdischen auf ein
nächst-verwandtes reines Hochdeutsch zu bringen, so versuchte man,
durch einen absoluten Gegensatz zu seinem bisherigen Sing-Sang, ihn auf
rechte Bahn zu bringen; und besorgte einen hannoveranischen Hofmeister,
dessen hell-näselnde, klirrende Sprechweise Itzig wie ein Schulknabe,
Satz für Satz, nachzusprechen hatte, so daß er Hochdeutsch wie eine
völlig fremde Sprache lernte. Sogar einige hannoveranische Studenten
wurden gegen Collegienfreiheit und diverse Mittagstische veranlaßt,
Itzig für ein ganzes Semester Gesellschaft zu leisten. Diese ganze
Reihe von Maßnahmen war das Resultat einer sachgemäßen Besprechung
mit dem berühmten _Tübinger_ Linguisten damaliger Zeit, zu welcher
noch der _Heidelberger_ Physiologe zugezogen war. Diese Herren gingen
von folgenden Erwägungen aus: In unserem Gehirn ist immer nur ein
Theil der für die Sprache befähigten Partieen, und immer nur auf der
einen Seite, rechts oder links, ausgenützt; ein Heranziehen jener
bisher brach gelegenen Partieen zu neuen Sprachbildungen ist nicht
ausgeschlossen, und findet durch die Natur selbst, nach Krankheiten
u. dgl., statt. Nur ist bei solchen Versuchen aufs Sorgfältigste
darauf zu achten, daß nichts in Wort-und Laut-Bildungen in der
neuen Sprache an das alte Idiom erinnere; weil sonst Verwirrung
entsteht; wie der _Tübinger_ Spezialist sich ausdrückte: es muß eine
neue Sprach-Insel bei Itzig gebildet werden. Und nun wurde genau
untersucht, welcher deutsche Dialect mit dem Pfälzisch-Jüdischen
Faitel's die geringste Laut-Verwandtschaft besitze. Man kam erst auf
das Pommer-'sche. Aber Faitel war dieß zu hart. Endlich einigte man
sich über dem Hannoveran'schen. Der Leser kann sich denken, daß diese
feinen prognostischen Berechnungen ein horrentes Geld kosteten. Diese
Sprach-Exercitien wurden ein ganzes Semester fortgesetzt.

Ich kann den Leser unmöglich mit all' den Ausstaffirungen,
Veränderungen, Einpumpungen und Quaksalbereien aufhalten, denen _Itzig
Faitel Stern_ sich unterzog, mit der furchtbarsten Qual und mit
größtem Heroismus unterzog, um ein gleichwerthiger abendländischer
Mensch zu werden. Immer vigilirte er auf Neues, studirte geheime
christliche Züge, copirte Mundverzerrungen, Backenaufblähungen und
Agitationes, gefiel sich im heroisch-teutonischen Genre, wie in
der blond-naiven, süßlächelnden Jünglings-Gangart. Der Teint, die
weizengelbe Gesichtsfarbe Faiteles', mußte natürlich einem feinen,
pastösen Bleiteint weichen, den Itzig vortrefflich aufzutragen
verstand. Daß Faitel einmal vier Wochen hindurch sich von einer mir
unbekannten Drogue, in Form von Gemüse nährte, um auf natürliche Weise
zur kaukasischen Lichtfarbe zu gelangen, daraufhin habe ich ihn nur
im Verdacht. Eine relativ einfache und ungefährliche Procedur, die
aber die ungeheuerlichste Wirkung ausübte, betraf die Haare. Es kamen
damals gerade die englischen Waschungen auf, die zwar, weil Geheimniß,
unerschwingliche Kosten verursachten, die aber jedes beliebige
dunkle Haar in ein prachtvolles Goldblond verwandelten. Die ersten
englischen Friseure bereisten damals Deutschland, und ein solcher
hatte sich in dem reichen, stets von hohen Herrschaften besuchten
_Heidelberg_ nieder gelassen. Faiteles war einer der Ersten, der sich
der Prozedur unterzog. Mit ihrer Hülfe wandelten sich die pechschwarzen
Sechserlöckchen Itzig's, unter denen sich immer ein verdächtig
riechender Schweiß aufhielt, in goldene Kinderlocken; diese Locken
wurden weiterhin mittelst eines nicht schmerzlosen Verfahrens in lange,
germanische Strähnen ausgezogen; ein simpler, norddeutscher Haarschnitt
wurde angebracht, und--der dumbe, tappige Germanen-Jüngling, wie ihn
_Schwind_ gelegentlich auf seinen Bildern angebracht hat, war fertig.
Faiteles nannte sich _Siegfried Freudenstern_, und ließ seine Matrikel
und übrigen Papiere umändern.

Faitel war jetzt ein ganz neuer Mensch geworden. Die letzten
Prozeduren, die er so vorsichtig war, in den Ferien, in der Nähe
der Stadt, vornehmen zu lassen, hatten ihn zum Nichtwiedererkennen
verändert. Man schlug ihm vor, eine andere Universität zu beziehen. Er
wies dies aber ab; vor allem weil er in der Nähe von Professor _Klotz_
zu bleiben wünschte, der die gesammte psycho-physikalische Leitung
Itzig's noch immer in seiner Hand hatte. Und in der That, Faitel wurde
in _Heidelberg_, seit der Haarvergoldung, nicht mehr erkannt. Er war
hannoveran'scher Gutsbesitzers-Sohn, und bewegte sich in der feinsten
Gesellschaft. Die norddeutschen Schnarrlaute übte er mit spielender
Leichtigkeit, und erzielte damit wo er hinkam ganz außerordentlichen
Erfolg.--Aber Faitel's Ehrgeiz ging höher.--Faiteles! Scheener Jüd',
fainer Jüd', eleganter Jüd',--so sprach oft Faitel zu sich selbst, aber
nur in der Gedankensprache, wenn er vor dem Spiegel stand,--biste jetzt
geworden ä Christenmensch, frei von aller Jüdischkeit? Kannste jetzt
hin gehn, wo de willst, und dich hinsetzen zu de faine Leit, ohne daß
Einer kann sagen: des is aach aner vun unnere Leit?--Faitel wußte, daß
dem noch nicht so war. Ja, was Pomade, Schminke, weiße Steif-Leinwand,
einige Meter Kammgarn, Wattons und etwas Lackleder an einem Menschen
herzustellen vermögen, das war an Faitel geschehen. Aber, wie sah es
innerlich aus?--

Hatte Faitel eine Seele? Darüber stritten sich schon seit Monaten alle
jene Leute, Erzieher, Aerzte u. drgl., die mit ihm zu thun hatten,
herum. Die Seele freilich, die nöthig war, um vor der Hochzeit ein
paar heuchlerische Phrasen herauszubringen, oder im richtigen Moment
einem armen Teufel ein paar Silberlinge hinzuwerfen, die besaß
Faitel, wie jeder Andere. Aber Faitel hatte von jener keuschen,
undefinirbaren, germanischen Seele gehört, die den Besitzer wie einen
Duft umkleide, aus der das Gemüth seine reichen Schätze beziehe, und
die das Schiboleth der germanischen Nationen bilde, jedem Besitzer
beim Andern sofort erkennbar. Faitel wollte diese Seele haben. Und
wenn er kein echtes Kölnisches Wasser haben konnte, wollte er das
Nachgemachte. Er wollte wenigstens diese Seele in ihren Aeußerungen,
in ihren Zutagetretungen sich aneignen. Man rieth ihm nach England
zu gehen, wo der reinste Extrait dieser germanischen Seele zu finden
sei. Sprachschwierigkeiten ließen diesen Plan bald wieder fallen. Ein
bekannter Pädagoge meinte, ob man nicht durch Weiterbildung auf Grund
der gewöhnlichen, ordinären, auch bei Faitel vorhandenen Seelen-Anlage,
das höhere Ziel erreichen könne. Der berühmte _Cambridge'r_ Professor
_Stokes_ hatte kurz vorher seine "psychological researches"
herausgegeben, auf Grund deren er die primäre Seelen-Anlage bei Leuten
wie Faiteles nicht als geistigen Besitz, sondern als mechanische
Funktion, "rotation work", wie er sich ausdrückte, erklärte. Diese
neue Theorie ließ von weiteren erziehlichen Versuchen bei Itzig Faitel
abstehen.

Unter all diesen Prüfungen und Untersuchungen platzte Itzig einmal
mit der Frage heraus: wo denn der Sitz der Seele sei?--Man mußte ihm
erklären, daß seit _Descartes_ den mißglückten Versuch gemacht hatte,
den Sitz der Seele in die Zirbeldrüse des Gehirns zu verlegen, eine
Localisation dieser geistigen Kraft nicht mehr probirt worden; daß
vielmehr die Seele aus dem Zusammenwirken bestimmter körperlicher
und geistiger Functionen zu verstehen sei; und daß, da letztere in
bestimmter Art von der Qualität des Blutes abhängig sei, so könne
man mit einiger Wahrscheinlichkeit den Satz aufstellen, der Sitz der
Seele sei das Blut und seine wechselnden Zustände. Von hier aus hatte
Faitel im Nu den Plan zu einer seiner kühnsten Prozeduren gefaßt; denn
mehrere Tage nach jener Discussion hörte man ihn zu seinen intimsten
Bekannten mit Frohlocken sich äußern: "Kaaf ich mer ä christlich's
Bluht! Kaaf ich mer ä christlich's Bluht!" (obwohl ihm seine Erzieher
diesen Jargon auf's Strengste verboten hatten.)--Der Leser wird
den Kopf schütteln. Aber der Leser darf nicht vergessen, daß Itzig
Faitel Stern Mediziner war, und auf allen einschlägigen Gebieten
Bescheid wußte. Und ferner ist hier der Ort, daran zu erinnern, daß
damals, als unsere Erzählung spielt, die _Transfusionen_ aufkamen,
die Blut-Einspritzungen aus einem vollsaftigen, blutreichen Körper
in einen blutarmen, darniederliegenden Organismus durch Öffnen eines
oberflächlich liegenden Blutgefäßes am Arm. Diese Operationen waren
ungeheuer gefährlich, und sind heute bereits ganz verlassen. Man rieth
Faiteles ernstlich ab. Er ließ sich jedoch nicht abhalten. Gleichwohl
waren noch große Schwierigkeiten zu überwinden. Man hatte bereits sechs
bis acht kräftige Leute aufgetrieben, die gegen luxuriöse Bezahlung
jeder einen Liter Blut hergeben sollten. Als sie hörten, daß es für
einen Juden sei, traten sie zurück, sprachen von dem durch die Juden
am Kreuz vergossenen Blut, und waren nicht mehr zu bewegen, ihr Wort
zu halten. Erst, als man mehrere kräftige Schwarzwälderinnen, die zur
Messe gekommen waren, überreden konnte, sie müßten sich wieder einmal
zur Ader lassen, war die Hauptschwierigkeit gehoben. Faitel setzte sich
in einem Nebenzimmer selbst das Messer an, und, obwohl die Menge des zu
entleerenden Blutes genau vorgeschrieben war, ließ er die offene Ader
im warmen Bad spritzen, bis er ohnmächtig hinsank. Er wollte von der
"Jüdischkeit" ablegen und ablaufen lassen, was herausging. Von den acht
kräftigen Bauernmädchen wurden ihm dann im Laufe des Nachmittags acht
Liter mit großer Vorsicht allmählich eingespritzt. Faitel ging nach
mehrtägiger Bewußtlosigkeit unversehrt aus der gefährlichen Prozedur
hervor. Aber über den Erfolg, den psychischen Erfolg, wollte er sich
nie recht vernehmen lassen. Allzu groß schien derselbe nicht gewesen zu
sein, denn nach mehreren Wochen finden wir ihn schon wieder bei neuen
Versuchen, um sich in den Besitz der deutschen Seele zu setzen.

So ließ er sich, besonders in Damenkreisen, pathetische und
sentimentale Dichterstellen vorsagen, und beobachtete scharf
Mundstellung, Athmung, Augenaufschlag, Gesten, gewisse Schluchzlaute,
die aus der mit Gefühlen übersättigten Brust nur mühevoll und heiser
sich entrangen. Ja, als die Damen in den ästhetischen Theekreisen
ihm nicht genug thaten, ließ sich Faitel aus dem nahen _Darmstadt_
Hofschauspieler kommen, Helden und Liebhaber, und lernt mit ihnen
Romeo-Monolage u. drgl.--Dieß hatte in der That größeren Erfolg.
Faitel brachte jetzt mit großem Geschick in seiner Diction Sätze vor,
wie: "Ach, ich sag' Ihnen, wenn ich darüber nachdenke, wenn ich mir's
überlege, es wird mir oft dunkel vor den Augen und mein Herz preßt
sich zusammen ...;"--dabei einige brüske Bewegungen, beide Hände auf
die linke Seite der Brust gepreßt,---es war doch ein ganz geschickter
Gefühlserguß. Freilich das Auge ruhte bei ihm matt-zerflossen, wie eine
verfaulte Kirsche, in der Höhle. Aber viele wußte er doch zu täuschen.
Die gepreßten Athmungen machte er vorzüglich. Und er hatte einmal die
Genugthuung, daß ein Commilitone von ihm in Damenkreisen sagte: dieser
_Siegfried Freudenstern_ ist ein Gemüthsmensch durch und durch.

Aber Faitel hatte noch eine Menge anderer, alter, erbgesessener
Gewohnheiten, Ideenkreise, Scurrilitäten und Verschrobenheiten. Wenn
ich oft Abends mit ihm spazieren ging, überließ er sich gern seinem
Nachdenken, und--wollte er Religionsstunde recapitulieren, oder seine
früheren Lehrer verspotten,--er begann dann mit veränderter, mäckernder
Rabbinerstimme sich selbst wie folgt zu examiren: "Was duht Jehova
zu Beginn des Dags?"-Dann antwortete sich Faitel in seiner eigenen
Stimme, aber mit einem frechen witzigen Accent: "Er stutiret im
Gesätz!"--(Wieder die erste Stimme:) "Was duht der hailige Gott aber
härnach?"--(Zweite Stimme:) "Härnach sitzt er und regiret die ganze
Wält?"--"Was duht aber Jehova wiederum härnach?"--"Hernach sitzet er
und ernähret die ganze Wält!"--"Was duht er aber dann?"--"Dann sitzet
er und copuliret die Männer und die Waiber"!--"Wie lang copulirt der
hailige Gott die Männer und die Waiber?"--"Drei Stunden lang cupulirt
er die Männer und die Waiber!"--"Was duht er dann am Nachmittag der
hailige Jehovah?"--"Am Nachmittag duht er nichts, der Jehovah; er ruht
aus!"--"Waih geschrieen! Wie haißt, er duht nichts der hailige Jehovah?
Wird er nichts duhn, der hailige Jehovah? Was wird er duhn? Was duht
der Jehovah am Nachmitdag--He?"--(Nun schien eine entfernte spitzige
Knabenstimme von der hintersten Schulbank zu antworten.) "Am Nachmitdag
spielt der hailige Jehovah mit dem Leviathan!"--"Nadierlich! (fiel
jetzt die Stimme des Rabbiners ein) er spielt mit dem Leviathan!"---In
solchen Stunden war Faitel überglücklich und geberdete sich wie ein
wilder Junge. Wenn wir dann hinaus vor die Stadt kamen, nahm Faitel
wohl auch gelegentlich sein weißes Taschentuch, hing es um den Hals,
hielt es vorne mit zwei Zipfeln, und fing nun an in roulirenden Scalen
mit heulendem Gurgellaut ganze Berge von Gesang loszulassen mit
eigenthümlich jubilirend-heiterem Charakter auf einen Text, der mir
fremd war; bis ihm die Augen heraustraten und der Schaum vor seinen
Lippen stand; dann brach er körperlich fast zusammen, und lief wie
ein Trunkener, besinnungslos, neben mir her. Wenn er wieder zu sich
kam, blieb er still, in sich gekehrt, that sehr geheimnißvoll, und
schien von einem unbekannten Glück durchfluthet.--Von Alledem durften
natürlich seine Lehrer nichts wissen, die jede Uebung, jeden Laut und
Geste perhorrescirten, die ihn an seine frühere Constitution erinnern
konnten. Ich hatte aber auch Faitel im Verdacht, daß er, wenn allein,
all den früheren Unfug weiter trieb. Tags über war er im europäischen
Corset, eingeschnürt, überwacht, streng beobachtet. Aber Nachts, wenn
alle Fessel fiel, wenn er den Stachelgürtel auszog, und lag im Bett,
kein Zweifel, da wippte er wie früher mit dem Becken hin und her,
steckte die aufgespreizten Hände in die fingirten Westenausschnitte,
gurgelte und gröhlte, "Deradáng! Deradáng!" und die ganze
pfälzisch-jüdische Sündfluth kam dann heraus.--Faitel hatte aber noch
andere Dinge, die noch viel unausrottbarer waren, weil sie nicht, wie
Bewegungen, vom Willen beherrscht wurden, sondern in seiner Phantasie
steckten. Die Vollständigkeit zwingt mich hier, etwas Unappetitliches
zu berühren: Faitel hatte Angst vor dem Abort. Er glaubte an die
alt-hebräischen Unflat-und Abtritt-Geister, die den Menschen während
seiner höchst dringenden Beschäftigung molestirten und Besitz von ihm
ergriffen, und durch bestimmte Gebete abgewehrt werden könnten. Da
er diese Gebete nicht mehr wußte, oder nicht mehr mit Ueberzeugung
sprechen konnte, so wuchs seine Angst nur um so mehr. Und nur der
Umstand, daß die quästionirten Geister in Gegenwart noch eines Andern
sich nicht an den Menschen wagten, verschaffte Faitel die, freilich
immer erst zu beschaffende, Gelegenheit, einem so dringenden Geschäft
mit Ruhe obzuliegen.--

Solcher Art war Faitel's Neubildung und Umgestaltung beschaffen.
Innerlich war Vieles noch nicht neu besetzt, und alte Functionen noch
in Thätigkeit. Aeußerlich war alles zugeglättet, gestriegelt, gut
eingeübt und in promptem Gang. Alles in Allem mußten Faitel und seine
Lehrer, Erzieher und Instructoren mit dem Erreichten zufrieden sein.
Und Professor _Klotz_, dessen sorgsames Auge von Semester zu Semester
mit höherem Interesse über seinem Menschenwerk wachte, mochte in seinem
Beglückungsgefühl inmitten stehen zwischen einem Circus-Director, der
ein schwieriges Pferd endlich für die Manege hergerichtet, und jenem
erhabenen Schöpfer, der einem kalten Erdenkloß Leben einhauchte.--Hatte
nicht auch _Klotz_ einem vertrackten Gerippe neues Leben
eingehaucht?--Aber Eines fehlte noch: Es galt diese kostbar-gewonnene
Menschenrace fortzupflanzen. Mit dem feinsten abendländischen Reis
sollte der neue Stamm oculirt werden. Eine blonde Germanin mußte die
mit fabelhafter Mühe gewonnenen Resultate erhalten helfen. So lautete
die Theorie. In Praxis hieß dies: Die arme, aber schöne, flachshärige
Beamtenstochter _Othilia Schnack_ sollte dem enorm reichen
Gutsbesitzers-Sohn _Siegfried Freudenstern_ die Hand reichen. So war
es ausgemacht, und so war es Faitel zufrieden. Ein Gut war in der That
vom alten Salomon Stern, der ruhig in der Pfalz auf seinem Dorf saß,
(welches fast ganz ihm gehörte) bei Hannover angekauft, um den jungen
Leuten als nächster Aufenthalt zu dienen. Die hannoverschen Studenten,
die schon einmal so vortrefflich Dienste als Sprachinstructoren
geleistet, sollten seiner Zeit die nöthigen Familien-Einführungen in
Hannoveran'schen Stadt- und Landkreisen besorgen. Einige wacklige
Hypotheken auf den Elternhäusern der betreffenden jungen Herrn waren
für diesen Fall vom alten Salomon in Patzendorf (der alte Salomon
wohnte in Patzendorf) zur Einlösung bestimmt. Ein ganz fabelhafter
Trusseau war bei den ersten Lieferanten _Heidelbergs_ für den Fall des
Zustandekommens der Verbindung in Auftrag gegeben. Dieses übte nun
wiederum einen unverhältnißmäßigen Druck auf alle Geschäftskreise in
der Universitätsstadt aus. Man sprach so viel von der Verbindung, daß
es schließlich hieß: die Verbindung muß zu Stande kommen; oder: dieß
Verhältniß darf nicht rückgängig gemacht werden, als ob überhaupt schon
etwas eingegangen worden. Das Mädchen _Othilia_, mit ihren sternhellen
Augen, war ein offenes, liebreiches Geschöpf, aber mit einem starken
Mädcheninstinkt. Ihr war in Gegenwart des goldblonden Jünglings mit
den Schnurr-Sprechwerkzeugen nicht ganz wohl. Sie ahnte Ungünstiges,
konnte aber ihren Verdacht nicht begründen. Der Vater, ein ängstlicher
Mann, der durch Bravheit und Rechtschaffenheit es vom Diurnisten zum
Subaltern-Beamten gebracht, war eine ängstliche Natur, die immer
horchte, nie Nein sagte, mit kleinen Schritten trippelnd hin und her
ging, Kinn und Nacken tief in einem ungestärkten, aufgeschlagenen
Hemdkragen versteckt trug, und, sobald er merkte, daß etwas wie eine
Familiensitzung im Anzug war, Hut und Stock nahm und einen Spaziergang
machte. Die Mutter, eine vollbusige, schwerfällige, hie und da noch
etwas gern scharmirende, aber energische und tüchtige Wirthschafterin,
war entschieden für die Verbindung. Sie besaß bereits taubeneigroße
Brillantsteine von Faitel Stern in den Ohren. Dieser klugen Frau war
nur verdächtig, daß die _Heidelberger_ Professoren, besonders die
Mediziner, sich für das Zustandekommen der Heirath so erwärmten.
Natürlich waren die Hoteliers, Weinlieferanten, Marchands de mode,
Stickereigeschäfte, Kuchenbäcker, Juweliere, Annoncen-Expeditionen,
Unterhändler, Kutscher und Packträger _für_ die Verbindung. Auch die
Freundinnen Othilias waren eher _für_ die Heirath. Die protestantische
Geistlichkeit--_Othilia_ war protestantisch,--nickte ebenfalls
beifällig zu dem ganzen Projekt. Daß man von Faitel's Verwandten
gar Niemanden sah, verursachte einige Beklemmung in der Familie
_Schnack_. Es hieß, die Eltern seien betagt, und die weite Reise aus
dem Hannoverschen! Aber, wenn nur ein Bruder, oder noch lieber eine
Schwester, des Bräutigam's sich gezeigt hätte! Aber die krächzende Brut
hinten in Patzendorf hütet sich natürlich einen Laut zu geben.

Faitel war jetzt im sechsten Semester; seine Kenntnisse und seine gute
Führung wurden gelobt. Es machte aber Aufsehen, als es hieß, Professor
_Klotz_ habe den jungen hannöverschen Studenten, der eben sein Examen
absolvirt, zu seinem Assistenten ernannt. Diese Ernennung bedurfte der
ministeriellen Bestätigung in Karlsruhe. Sie erfolgte. Sie gab aber dem
auch in Karlsruhe bereits umlaufenden Gerücht von der reichen Heirath
in Heidelberg neue Nahrung. Dem Landesfürsten konnten alle diese Gerede
nicht entgehen. Und eines Tages theilte der Bureauchef dem alten
_Schnack_ mit schmelzendem Lächeln mit, man habe in Karlsruhe,--bei
Hof,--von der Verbindung seiner Tochter--gesprochen. Jetzt war's
fertig! dem alten Diurnisten blieb der Kopf starr und lautlos hinter
der Cravatte stecken. Nicht einmal zu einem Schnappen brachten es die
beiden trocknen, mit Rasirstoppeln schwarz getüpfelten Lippen; bis der
lange, hagere Bureauchef mit den langen Rockschößen wieder draußen
war. Dann warf der alte _Schnack_ spritzend die Kielfeder auf das
Arbeitspult, nahm Hut und Stock, und eilte keuchend nach Hause. "Bei
Hof! Bei Hof!" Jetzt gab's kein Halten mehr. Die arme _Othilia_, die
zitternd zugehört, warf sich schluchzend in die Arme ihrer Mutter,
und erklärte, sie werde gehorchen. Die Mamma aber schrieb sofort ein
Billet an den Herrn Assistenten _Freudenstein_; und die Hochzeit ward
anberaumt.--

Lieber Leser, nun hab' ich aber noch ein Wort mit Dir zu reden. Hast Du
jemals gehört, daß Leute im Winter einen Mantel tragen, dessen oberer
Rand mit einem Streifen kostbaren Pelzes besetzt ist, um glauben zu
machen, der ganze Mantel sei so gefüttert? Nicht wahr eine Kleinigkeit!
Eine kleine Schwäche! Trägst Du auch einen solchen Pelz? O, dann wirf
ihn weg, wenn Du ein Mann bist. Sonst möchte Dir der Pelz eines Tags
auf's Maul fallen, während Du in der höchsten Athemnoth bist. (Wenn Du
aber ein Weib bist, dann magst Du ihn tragen). Aber das Bischen Pelz,
nicht wahr, so viel Gerede darüber!--Gut!--Hast Du aber schon, lieber
Leser, solche Leute gesehen, die um ihre Seele solche Pelze tragen? Um
die löcherige und schäbige Verfassung ihrer Seele zu verbergen? Und um
zu thun, als hätten sie eine noble, in feinem Tuch gekleidete Seele? O
Pfui der Schande! O Dreck und Miserabilität! Wenn irgend eine brave,
offene, vielleicht noch in ihrem zu enge gewordenen Confirmations-Rock
gekleidete Seele daran Ärgerniß nähme, oder getäuscht würde!--Besitzt
Du vielleicht selbst Leser solche Umhüllungen für Deine Seele? O, dann
schmeiß dieses Buch in die Ecke, wenn Du ein Mann bist, und spuck aus!
Es ist nichts für Dich. Nur das Weib darf lügen und sich in falsche
Umhüllungen kleiden.--

Hast Du vielleicht, lieber Leser, schon Thiere mit einander sprechen
sehen? Zwei Tauben, oder zwei Göcker, oder zwei Hunde, oder selbst
zwei Füchse? Nicht wahr, wie sie gurren, schnattern, kläffen, winzeln,
wedeln und Körperkrümmungen machen! Glaubst Du, daß sie sich verstehen?
Gewiß! Gewiß! Jeder weiß im Nu, was das Andere will. Aber zwei
Menschen? Wenn sie schnüffelnd die Köpfe gegeneinanderstrecken, und
sich ankieken; und dann ihre Gesichts-Taschenspielereien beginnen;
blinzeln, äugeln, schwere und leichte Falten aufziehen, die Backen
blähen, knuspern, leer kauen, "Papperlapapp", und "Der Tausend! Der
Tausend!" winzeln? Was thun sie? Verstehen sie sich wohl? Unmöglich!
Sie wollen ja nicht. Sie können und dürfen ja nicht. Die _Lüge_ hindert
sie ja daran. O Roßbollen und Stink-Harz, ihr seid Köstlichkeiten gegen
das, was aus der Menschen Munde geht!

Als _Prometheus_ von Gott endlich die Erlaubniß erhalten hatte,
Menschen machen zu dürfen, geschah es unter der ausdrücklichen,
erniedrigenden Bedingung, daß selbe _eine_ Eigenschaft besitzen
müßten, die sie tief unter das Thier stellten. _Prometheus_, der nur
eilte, sein Kunstwerk fertig zu sehen, sagte Ja. Es war die _Lüge_. O
hundsföttischer Vertrag, der uns alle unter dem gleichen Lügen-Zeichen
geboren werden ließ! Und warst Du vielleicht die Ursache von jenem
großen Lügenthurm zu _Babel_, wo die Menschen auseinandergehen mußten,
weil sie sich schon damals trotz aller Räusperungen und Gesticulationen
nicht mehr verstanden? Und wenn auch die germanischen Nationen, die
zuletzt an's Schaffen kamen, am wenigsten davon erhielten, weil bei
den vorhergehenden, asia tisch-romanischen Geschlechtern schon zu viel
Lügensubstanz verbraucht war, so ist es doch noch genug.--O, Leser,
wenn Du kannst, spuck diesen Dreck aus, wie faulen Schleim, und zeig
Deine Lippen, Deine Zunge und Deine Zähne, so wie sie sind!---Und jetzt
hör' den Schluß der _Faiteles_-Comödie.--

Im Gasthaus zum "weißen Lamm" in der Martergasse in _Heidelberg_ war
der große Speisesaal mit einer glänzenden Gesellschaft gefüllt, die
der Hochzeitsfeier von Othilia _Schnack_ mit Siegfried _Freudenstern_
beiwohnte. So etwas war in der Universitätsstadt schon lange nicht
mehr gesehen worden. Ob der weltlichen Feier eine kirchliche Trauung
vorherging? Das weiß ich nicht. Muthmaßlich. Die protestantischen
Papiere für _Freudenstern_ werden schon von einem mitleidigen
hannöver'schen Pfarrer eingetroffen gewesen sein. Fehlte nichts als
der Impfschein der Heimathgemeinde. Auf der Lüneburger Heide gab es
viele Gemeinden, die herzlich froh waren um den Zuwachs ihrer Bürger
durch eine Person wie Herr Dr. _Freudenstern_, der gleich ein Legat von
5000 Gulden zur Restaurirung des Kirchenchors hergab.--Auch der Leser
muß sich jetzt noch, am Schluß der Affaire, alle Mühe geben, sich den
"Faiteles" aus dem Kopfe zu schlagen. Nur Freudenstern heißt der Held
der Geschichte; ein blondsträhniger, hochgewachsener Jüngling steht vor
uns, oder unterhält sich vielmehr gerade an der Tafel mit Professor
_Klotz_, während das Compot servirt wird.--Freilich die Zahnbildung,
die Lippenwülste, die Nasenlappung in Faitels Gesicht mußten stehen
bleiben, wollte man nicht ein Scheußal zusammenoperiren; und wer ein
Auge für derlei Dinge hatte, erkannte im Profil Freudenstern's das
sinnliche, fleischige, vorgemaulte Sphinx-Gesicht aus Egypten. Aber
erstens hat nicht jeder das Auge für derlei Dinge; zweitens sieht
man nicht Jemanden immer im Profil; drittens war Hochzeit, wo man
unangenehme Dinge überhaupt nicht sieht; viertens war es noch immer
streitig, ob das egyptische Sphinx-Gesicht semitischen Charakters
ist, oder nicht; fünftens hatte _Klotz_ ganz elegant sich in einem
anthropologischen Privatissimum, wo er den Herren Studenten Anleitung
zur Bestimmung von Schädel-Messungen gab, die Bemerkung fallen lassen,
_Freudenstern_'s Kopf-Bildung entspreche unter allen ihm vorgekommenen
Beispielen am reinsten der Kopfform der seit historischer Zeit in
Deutschland ansässig gewesenen _Hermunduren_.

Eben wurde der Pudding aufgetragen. Der freundliche Wirth vom "weißen
Lamm" ging schwitzend um die Tafel der schmausenden Gäste herum, und
zählte und zählte, denn das Couvert wurde ihm exclusive Wein mit
einem Dukaten bezahlt. Das Menu war nicht ganz nach seinem Geschmack,
und nicht, wie er glaubte, dem Charakter eines Hotels ersten Ranges,
wie des "weißen Lamms", angemessen. Der weiße Lamm-Wirth hatte rein
französisches Menu verlangt; und vorwiegend germanischer Charakter
des Hochzeitsschmauses war in Folge Anordnung _Klotzens_ ausdrücklich
befohlen worden. Ja, da kam Sauerkraut vor, welches der Wirth wohl
in seiner Verzweiflung durch die französische Bezeichnung choucroute
in seiner germanischen Roheit zu dämpfen gesucht hatte; vom Schwein
waren auserlesene Leckerbissen vorhanden, und fette glänzende
Schwarten blinkten von all den Schüsseln, die als entremets in Mitte
der Tafel für den ganzen Abend ein für alle mal postirt waren.
_Freudenstern_ saß zwischen der wachsbleichen Braut und _Klotz_.
Ihnen gegenüber die _Schnacks_. Der alte _Schnack_, dessen schlottrige
Gesichtshaut zurückzuschaudern schien vor den vor ihm aufgethürmten
Speiseverschwendungen, schaute durch seine großen Augengläser in
Silberfassung verwundert auf diese Leute, die so im Fressen geübt
waren. Ein paar Vatermörder mit blendend weißer Cravatte hielt den
langen Hals mit dem ausgemergelten Kehlkopfe in correcter Haltung.
Auf dem tadellosen, schwarzen doppelknöpfigen Rock prangte ein Orden.
Er war am Abend vor her aus Karlsruhe eingetroffen. Auch wurde
_Schnack_ verschiedentlicherseits mit 'Kanzleirath' angesprochen. Die
Frau _Schnack_ mit ihrem Embonpoint, überzogen mit vornehm-grauem
Seidenstoff, schüttelte fleißig den Kopf hin und her; denn in ihren
Ohren wackelten zwei taubeneigroße Brillantsteine. Ueber dieser Partie
der Tafel lag eine schwere Wolke von Opoponax.--Man war beim Dessert.

Lieber Leser, nun mache Dich gefaßt! Etwas Außerordentliches scheint
im Anzuge zu sein. Eine Schwüle, wie vor anbrechendem Gewitter, lag im
Saale. Es war sehr viel Wein getrunken worden. Auch Faiteles hatte,
von allen Seiten becomplimentirt, immer Bescheid thun müssen. Ich
weiß nicht, ob Faitel sehr wenig oder sehr viel Alcoholica vertrug.
Die Gepflogenheiten seiner Rasse deuten auf Mäßigkeit. Auf der andern
Seite ist bekannt, daß plötzliche und ungewohnte Überschwemmungen
des Hirns mit Spirituosen nicht nur krisenartige Explosionen im
psychischen wie motorischen Gebiet beim Menschen auslösen, sondern auch
Gehimpartieen, ich möchte sagen, Erinnerungsbezirke, mit einem Mal
aufschließen, die ohne die brandige Zufuhr auf lange, vielleicht für
immer, geruht hätten. Wie gesagt, ich weiß nicht, ob Faitel zu trinken
gewohnt war. Was ich weiß, ist, daß er an diesem Festtag zum ersten
Mal den Stachelgürtel, das Präservativ für seine correcte Haltung,
abgelegt hatte. Niemand wird ihn darob schelten. Dieses Ablegen war
symbolisch. Faitel war an diesem Tag definitiv in die christliche
Gesellschaft eingetreten. Auch wird die kluge Leserin begreifen, daß
am Hochzeitstag, dem eine Hochzeitsnacht folgte, welch' letzterer eine
Hochzeits-Entkleidung vorausgeht, dieser merkwürdige Schmuckgegenstand
den Augen der thränenschweren Braut entzogen werden mußte.--

Wovon aber jetzt definitiv der Leser unterrichtet werden muß, ist,
daß Faitel seit ca. 10 Minuten starr und unbeweglich dortsaß, den
Blick glotzend unter die Tischtafel gerichtet. Sein Gesicht wurde oft
purpurn und dann wieder käsweiß. Er schien auf eine ganz bestimmte
Gedankenrichtung zu lauschen, die sich ohne sein Zuthun in ihm
abspann, und die sein ganzes Interesse gefangen nahm; aber nicht ohne
Zuthun von mehrerern Gläsern Cliquot, die er rasch hinunterstürzte,
und die der besorgte Wirth hinter ihm rasch wieder füllte, da ja
Wein im Couvert-Preis nicht inbegriffen war.--Faitel hob von Zeit zu
Zeit die rechte Hand mit ausgestrecktem Finger empor, als wolle er
"Pst! Pst!" machen, um besser auf seine inneren Stimmen horchen zu
können. Denn im Saal war noch immer großer Trubel, Tellergeklirr und
Geschnatter, da ja kein Mensch noch eine Ahnung hatte, was der Engel
der Rache hier für ein wundersames Experiment vorbereite. Faitel schien
auch ganz systematisch und zweckentsprechend Champagner zuzugießen,
wie man Oel einer erlöschenden Flamme zugießt. Wenn ihm die innere
Erleuchtung, die über ihn gekommen war, auszugehen schien, brachte
er langsam den Oberkörper gegen die Tafel vor, und streckte ohne
hinzusehen die rechte Hand aus, ergriff das gefüllte Glas, stürzte
es hinunter, und hob dann die Finger empor, als wollte er sagen
"Horcht! ob es kommt?"--Und es kam.-Der Inhalt dieser frenetischen
Gedankenreihe schien ein heiterer, enthusiastischer zu sein. Denn
Faitel schlug mit der platten Hand ein paar mal auf den Oberschenkel,
daß es patschte, und lachte und kicherte vor sich hin; und wer ein
gutes Ohr hatte, der konnte jetzt schon einige "Deradáng! Deradáng!"
hören. Aber die Gäste kannten ja nicht, wie der Leser, was "Deradáng"
war. Und das Scherzen, Lachen und Cliquot-Anstoßen übertönte weit
diese ersten Mahnrufe. Und Klotz war in eifriger Unterhaltung mit
seinem Nachbar zur Linken begriffen. Und nur die Braut zur Rechten
überwachte mit Ruhe und Neugierde diese Vorboten eines Deliriums. Immer
tiefer bohrte sich Faitel's Kinn bei seiner starren Körperhaltung in
die Brust ein, und bekam zuletzt jene krüppelhafte Zwangsstellung,
die der Leser aus den ersten Seiten dieser Erzählung kennt. Die
Nächsten in Faitel's Umgebung, darunter die schnellbegreifende Frau
_Schnack_, waren nun doch auf ihn aufmerksam geworden. Aber man
schien alles auf einen eigenthümlichen Gemüthszustand schieben zu
wollen.--"Kéllnererera!..." schrie jetzt plötzlich Faitel mit schnarrend
vibrirender Stimme--"Kéllnererera!--Champágnerera!--Wie haißt?--Soll
ich haben nichts ßu trinken.--Bin ich ä Mensch aß gut und werthvoll
als Ihr Alle!..."--Jetzt wurde Jedermann im Saal plötzlich aufmerksam.
Selbst die Kellner mit hohen Tellerstößen auf dem Weg hielten inne und
starrten gegen die Mitte der einen Tischreihe, wo ihnen ein blutrünstig
angelaufenes, violettes Menschenantlitz mit speichelndem Mund, lappig
hängenden Lippen und quellenden Augen entgegenglotzte. Alles war wie
festgebannt, und wußte nicht, was zu thun. Selbst Klotz verlor jede
Fassung und blickte consternirt auf den Juden neben ihm.--Inzwischen
war von dem Wirth, der hinter Faitel stand, dessen Glas gefüllt
worden; und während erschrockene und mitleidige Gesichter rings herum
auf ihn sich richteten, begann der Jude selbst mit knängsender und
ganz veränderter Stimmgebung: "....Was duhet er aber in den nächsten
drei Stunden? der hailige Jehova!--Deradáng! Deradáng!". (Mit
einem Schwupp die Daumen im Ausschnitt der Hochzeitsweste; Hin-und
Herwippen; Verliebtes Nachobenblicken.)--(Wieder mit veränderter
Stimme sich Antwort gebend.) "Er sitzet und copuliret die Männer
und die Waiber!"--(Wieder erste Stimme) "Wie lang copuliret der
hailige Gott die Männer und die Waiber?" (Selbe Positur; lüsternes
Hin-und Herrutschen auf dem Stuhl; auf-und abhopsend; gurgelnd;
schnalzend;)--(Selbe Antwort-Stimme.) "Drei Stunden lang copuliret er
die Männer und die Waiber!"--(Erste Stimme.) "Was duhet er dann am
Nachmittag, der hailige Jehova? Deradáng! Deradáng!"--(Antwort) "Am
Nachmitdag duht er Nichts, der Jehova; er ruht aus!"--(Erste Stimme)
"Waih geschrieen! Wie haißt, er duht nichts der hailige Jehova? Wird
er nichts duhn, der hailige Jehova? Was wird er duhn? Was duht der
Jehova am Nachmittag,--He?"--(Entfernte, winzige Knabenstimme.) "Am
Nachmittag spielt der hailige Jehova mit dem Leviathan!"--(Erste Stimme
mit Triumph einfallend) "Nadierlich! Er spielet mit dem Leviathan!"--In
diesem Moment sprang Faitel vom Stuhl auf, und schnalzend und
gurgelnd und sich hin-und herwiegend, und mit dem Gesäß ekelhaft
lüsterne, thierisch-hündische Bewegungen machend, sprang er im Saal
herum: "Deradáng! Deradáng! Hab ich mer gekaaft ä christlichs Bluht!
Kellnererá, wo is mei copulirte, christliche Braut? Mei Brauterá!
Gäbt mer mei Brauterá! Bin ich ä christlichs Menschenbild aß fein,
aß ihr alle seid! Ohn' alle Jüdischkeit!--Misemaschine! Wo is mei
Brauterá?"--Alles war auseinander gestoben. Die jungen Damen verließen
vor dem entsetzlichen Anblick den Saal. Mit Schrecken sahen die
Zurückgebliebenen, wie sich Faitels blonde Strähnen während der letzten
Scenen allmählich zu kräuseln begonnen hatten. Die krausen Löckchen
wurden rostfarben, schmutzigbraun, und zuletzt blau-schwarz. Der ganze
glühende, schweisige Kopf mit den schlaffen, gedunsenen Zügen war
wieder mit dunklen Sechserlöckchen bedeckt. Inzwischen schien Faitel in
seinen exaltirten Bewegungen mit einer eigenthümlichen Schwierigkeit
zu kämpfen zu haben. Die vielfach operirten, gestreckten, gebogenen
Gliedmaßen konnten jetzt die alten Bewegungen ebenso wenig ausführen,
wie die neugelernten. Auch machte sich die lähmende Wirkung des Alkohol
rasch geltend. _Klotz_ hatte zwar nach Eiswasser geschrieen; aber es
war vergebens. Jedermann sah, daß hier eine irreparable Katastrophe
vorlag. Die schöne _Othilia_ hatte sich in die Arme ihrer Mutter
geflüchtet. Alles blickte mit starrem Entsetzen auf die wahnsinnigen
Kreiselbewegungen des Juden. Endlich traf das schmutzige Ende, das
jeden Betrunkenen trifft, auch Faitel. Ein fürchterlicher Geruch
verbreitete sich im Saal, der die noch am Ausgang Zögernden mit
zugehaltenen Nasen zu entfliehen zwang. Nur _Klotz_ blieb zurück.
Und schließlich, als auch die Füße des Betrunkenen vor Mattigkeit
nicht mehr Stand zu halten vermochten, lag zuckend und gekrümmt sein
Kunstwerk vor ihm auf dem Boden, ein vertracktes asiatisches Bild im
Hochzeits-Frack, ein verlogenes Stück Menschenfleisch, _Itzig Faitel
Stern_.--




Das Wirthshaus zur Dreifaltigkeit


     "_Dat is nu all lang heer, wol twe dusend Jahr, do wöör dar en ryk
     Mann, de hadd ene schöne Fru, un se hadden sik beyde sehr leef,
     hadden awerst kene Kinner, se wünschden sik awerst sehr welke,
     un de Fru bedd'd so vell dorüm Dag un Nacht, man se kregen keen
     un kregen kenn.--'Ach', säd de Fru eens so recht wehmödig, >hadd
     ik doch en Kind, so rood als Blood un so witt as Snee.----Un as
     der neunte Maand vorby wöör, do kreeg se en Kind so witt as Snee
     un so rood as Blood. Dat Kind wöör awerst en lüttge Sähn (Sohn).
     Un as se dat seeg, so freude se sik._"

                                  Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen



Es mag wohl in Franken gewesen sein, als ich vor mehreren Jahren auf
einer meiner Fußtouren zur Winterszeit gegen Abend auf eine lange,
hartgefrorne Landstraße kam, die sich schier unermeßlich fortsetzte.
Ringsum keine Rauchwolke, die die Nähe einer menschlichen Niederlassung
angezeigt hätte. Es wurde dämmrig. Man sah auch kein Licht. Mein
Ranzen war leer. Den letzten Imbiß hatte ich schon um Mittag verzehrt.
Wir waren um November; und soweit man sah, war Wald und Feld mit
einer harten Eis-und Schneekruste überzogen. Meine Nachlässigkeit
nie eine Karte mit mir zu nehmen, nie die Wegstunden zu berechnen,
auf die nächsten Gehöfte und Dörfer zu achten, schien sich diesmal
in unangenehmster Weise an mir rächen zu wollen.--Leute, deren
Imaginationskraft stärker ist, als ihr Verstand, sollten nie, oder nie
allein, zu Fuß reisen. Immer in Gedanken versunken, sehen sie volle
Humpen, und mit johlenden Menschenkindern erfüllte Gaststuben, während
die Karte in drei Stunden im Umkreis kein Wirthshaus angibt. Und die
reale Wirklichkeit bestraft sie dann in empfindlichster Weise für den
unerlaubten, geheimen Gedankengenuß. Solche Menschen sollten überhaupt
nichts Irdisches unternehmen, keine Häuser bauen, keine Staatspapiere
kaufen;--mögen sie überirdisch speculiren; dort fallen die Verluste
nicht so schrecklich aus.--

Mit solchen Gedanken beschäftigt, war Niemand froher wie ich, als ich
auf der noch immer endlos sich hinziehenden Straße einen Reisenden
mit schwerem Felleisen daherkommen sah. Er sah mich verwundert an,
als wir uns begegneten, und frug: "Wie kommen Sie um diese späte
Abendzeit hierher, wo auf Stunden im Umkreis keine Niederlassung ist?
Ich selbst reise nur in der Dämmerung und zur Nachtzeit, weil meine
Augen das Tageslicht nicht vertragen; und bin mit Weg und Steg wohl
vertraut. Aber Sie wären verloren!"--Als ich nichts erwiderte, fuhr
der Fremde, dessen eindringliche Rede mir Respekt abgewonnen hatte,
fort: "Der Himmel hat diesmal für Sie gesorgt. Gleich hinter diesem
Bergvorsprung, den Sie in zehn Minuten erreichen, steht ein Wirthshaus;
ich komme gerade davon her; es ist aber gänzlich unbekannt; Sie
konnten sich also nicht darauf verlassen; trotzdem steht es am Weg;
es ist auf keiner Karte verzeichnet, und ich besitze die besten; ich
selbst sah es heute zum erstenmal; gleichwohl ist es uralt; 'Gasthaus
zur Dreifaltigkeit'; die Leute scheinen gut eingerichtet; wenn auch
etwas altmodisch und langsam in ihren Manieren; Sie werden dort gut
aufgehoben sein. Gehaben Sie sich wohl!"--Während der letzten Worte
hatte er mit den Füßen wiederholt auf den kalten, eisigen Boden
gestampft, da es ihn zu frieren schien. Er nahm rasch Abschied, und
wir trennten uns nach verschiedenen Seiten.--"Erlauben Sie noch eine
Frage,"--rief ich nach,--"in was handeln Sie? Ihr Ranzen ist voll und
schwer!"--"Gebetbücher!--Gebetbücher!"--rief er schnell zurück,--"aber
nicht mehr lang,--nicht mehr lang ... die Zeiten...."--Den Schluß
der Phrase konnte ich nicht verstehen; der Wind jagte sie ihm vom
Mund weg.--Ich eilte vorwärts; und in derThat traf ich, als ich den
nächsten gegen die Straße sich vorschiebenden Hügelrücken erreicht
hatte, auf eine kleine Thalmulde, in der versteckt und zurückgezogen
ein Häuschen stand. Ein schwacher Lichtschimmer drang aus den niederen
Parterre-Fenstern. Der erste Stock, der mit spitzem Giebeldach, ähnlich
den Bauernhäusern in der Umgegend, abschloß, war dunkel. Als ich näher
kam, entdeckte ich über der niederen, hölzernen, braun-angestrichenen
Thür die zierliche Aufschrift auf weißem Kalk-Grund: Gasthaus zur
Dreifaltigkeit. Kein Wirthshauszeichen sonst, was ich erblicken konnte.
Kein hervorragender Arm mit dem Hexagramm, oder dem schäumend gefüllten
Bierseidel. Aber auch sonst Nichts in der Umgebung, was ich als
auffallend hätte bezeichnen müssen. Hinter dem Häuschen ein Misthaufen,
ein Zeichen, daß die Leute etwas Landwirthschaft trieben. Ein kleines
eingefriedetes Gärtchen. Ein paar abgegrenzte Felder mit der jungen
Wintersaat. Und vor dem Häuschen ein hübscher hoher Taubenschlag,
auf dessen gothische Spitze besonders viel Fleiß verwendet worden zu
sein schien. Es war übrigens jetzt fast dunkel geworden. Ein harter,
trockner Ostwind pfiff durch meinen dünnen Rock. Ich ging an die
Thür und klopfte. Nach einiger Zeit hörte ich ein lautes Schlürfen
auf dem Hausflur, und ein alter Mann mit schneeweißen Haaren, die
zitternde Hand auf die Krücke gestützt, öffnete die Thür. "Kommen Sie
endlich!--rief er, ohne mich näher in's Aug' zu fassen, als man alten
Bekannten gegenüber thut,--Sie sind lange in Spanien gewesen, und
durch ganz Frankreich gekommen, haben England bereist, wollten schon
einmal nach Norwegen, laufen das ganze Jahr fast in Deutschland herum,
kennen jedes Städtchen und Fleckchen, schauen jeden Kirchthurm an,
gucken in jeden Tümpel, und endlich kommen Sie in das weltentlegene,
fränkische Gasthäuschen zur Dreifaltigkeit, wohin Sie ja doch kommen
mußten,--und ich habe so lang auf Sie gewartet!"--Der steinalte Mann,
der so verwunderlich mit mir sprach, hatte inzwischen die Zimmerthür
geöffnet, und ich trat in einen nach Art der Landwirthshäuser mit
einem großen, schwerfälligen Tisch, einigen braunen, knorzigen
Stühlen, großem Kachelofen, lautpickender Uhr, einigen Heiligen-und
Schlachten-Bildern und einem Crucifix ausgestatteten Raum.--"Ich will
gleich meinen lieben Sohn rufen;"--fügte er hinzu,--"er wird sich
freuen Sie zu sehen; er wird wohl noch oben studiren; er studirt mir
leider viel zu viel."--Damit öffnete er die Thür, und rief in's obere
Stockwerk: "Christian!--Christian, mein lieber Sohn, komm' doch etwas
herunter, der junge Mensch ist da, auf den wir so viele, viele Jahre
warteten."--Ich war nicht wenig erstaunt über diesen merkwürdigen
Bewillkomm, und wollte eben meiner Empfindung durch eine Frage an den
Alten Ausdruck verleihen, als oben leise eine Thür geöffnet wurde; ein
zaghafter Schritt kam die Treppe herunter, und gleich darauf trat ein
bleicher, junger Mensch in's Zimmer von auffallend schönen Zügen; aber
zaghaft und von fast mädchenhafter Zurückhaltung. Er trug einen langen
weißen Mantel, der nach Art der Mönche mit einem einfachen Strick um
die Taille zusammengehalten war. Mit offen entgegen-gestreckter Hand
und einem unsäglich freundlichen Blick trat er auf mich zu, und sagte:
"Gott grüße Sie!" dabei mit der Hand auf den alten Mann verweisend.
"Christian!"--fing dieser aber mit fast schluchzender Stimme zu rufen
an, wobei er seine Krücke fallen ließ und beide Hände in einander
schlug,--"Christian, mein lieber Sohn, wie siehst Du aus! Du hast
wieder die ganze Nacht gewacht, oder studirt, oder Dich abgehärmt;
mein Gott, wenn Du mir stürbest! Christian, wenn Du uns wegstürbest,
und uns, mich und Deine Mutter allein zurückließest, Alles wäre
verloren; alle unsere Hoffnungen vernichtet; die ganze Wirthschaft
ginge zum _Teufel_!"--In diesem Augenblick hörte ich draußen, wie
hinter'm Haus, und aus einem engen, abgeschlossenen Raum kommend, ein
dumpfes, scheußlich klingendes, höhnisches Gelächter, halb Grunzen,
halb Meckern, wie von einem Bock, der aber menschlichen Ausdruck in
seine Stimme legen kann. Alle im Zimmer wurden kreidebleich; und
auch ich trat, betroffen über die Menschenähnlichkeit der Stimme,
einen Schritt zu rück, und blickte fragend den Alten an.--"Es kommt
vom Schweinestall,"--sagte dieser, wie um mich zu beruhigen,--"wir
haben dort einen Kerl eingesperrt, der sich über uns lustig macht,
und den wir hier füttern, damit er nicht sonst irgendwo auf den
Feldern und in den Dörfern der Umgegend Schaden anstiftet. Er ist
sonst ungefährlich."--"Vater!"--rief aber gleich darauf der Junge mit
bittender, sanft flehender Stimme,--"Vater, liebster Vater, nenn'
seinen Namen nicht mehr, ich bitte Dich, Du weißt, er will unser
Verderben!"--"Er macht mir keine Sorge,"--replicirte der Alte, der
inzwischen wieder seinen Krückstock zu sich genommen,--"aber Du machst
mir Sorge; geh' jetzt nur, geh hinaus zu Deiner Mutter, und sag'
ihr, sie soll das Essen auftragen, es sei auch ein Gast da."--Der
Junge in seinem weißen, schleppenden Gewand ging gesenkten Kopfs und
feierlich-langsamen Schritts aus dem Zimmer; und der Alte und ich waren
wieder allein. "Der Junge macht mir Sorge,"--bekräftigte dieser wieder,
indem er humpelnd auf und nieder ging,--"er ist zart wie eine junge
Palme; kein Wunder bei dieser Lebensweise; statt daß er hinaus auf's
Feld geht und mitarbeitet, hockt er oben, und studirt Concordanzen und
Vulgaten. Die bleichen, eingefallenen Wangen; die platte, schwache
Brust; oft hustet er, daß es nimmer schön ist. Der Junge macht mir
Sorge."

Ich war über all Dem, was ich bis jetzt schon gesehn und gehört, so im
Inneren betroffen und verwirrt, daß ich nicht wußte, wo anfangen, um
das Gesammte in ein vernünftiges Bild zusammenzufassen. Ich war fest
überzeugt, daß mich der Alte für einen Andern ansah; sonst war der
Begrüßungsakt undenkbar; auf der andern Seite mußte ich mir eingestehn,
daß Vieles, was er mir bei der Hausthüre gesagt, buchstäblich und bis
auf Kleinigkeiten wahr war. Höchst verdächtig kam mir aber auch das
freundliche, fast feierliche Entgegenkommen des jungen Schwindsüchtigen
in seinem weißen Talar vor. Er hatte so etwas Kindlich-Zerstreutes
in seinem Auge, Sehnsüchtig-Verlangendes, Welt-Entrücktes und dabei
Liebe-Vonsichgebendes, daß ich überzeugt war, jeder Andere an meiner
Stelle wäre ebenso empfangen worden. Ich schloß daraus auf den
Geisteszustand des jungen Menschen, und ich kam zu keinem günstigen
Urtheil. Ich meine, der zarte, junge Mensch kam mir der Welt gegenüber
nicht resistent genug vor. Auch das verwandschaftliche Verhältniß
zwischen diesem "Vater" und "Sohn" war mir nicht klar. Der Alte konnte
unmöglich der Vater dieses jungen Mannes sein. Alles dies beschäftigte
mich intensiv während der paar Augenblicke, die der Alte polternd und
schlappend im Zimmer auf und ab ging. Und ich hätte gern gefragt, um
mich zu orientiren, wenn mich nicht die Angst zurückgehalten hätte,
durch zu vieles Fragen und Aufdecken des Sachverhalts hinsichtlich
meiner Person, meine Lage zu verschlechtern. Jetzt war ich gut und
auf's Herzlichste aufgenommen. Kam irgend etwas auf, welches zeigte,
daß der Alte sich hinsichtlich Meiner einer Täuschung hingegeben
hatte, so garantirte ich, von dieser seltsamen Familie vor die Thür
gesetzt zu werden. Denn darüber war ich mir längst klar geworden,
es war eine verdächtige Herberge, in die ich hier gerathen war; und
ich konnte nicht umhin, jene düsteren Scenen aus dem "Wirthshaus im
Spessart", und das noch schlimmere Verfahren jenes classischen Wirths
aus dem Alterthum, des _Prokrustes_, mit seinen fatalen Betten, mir ins
Gedächtniß zurückzurufen, als die Thüre aufging, und eine junge Frau
mit einer großen dampfenden Schüssel hereintrat. Der alte Mann hielt in
seinem erregten Auf-und Abpoltern inne, schaute die Eingetretene von
der Seite an, und sagte dann, zu mir gewandt: "Das ist _Maria_, meine
Tochter Maria!...."--

Er räusperte dann noch, als wolle er fortfahren; unterdrückte aber,
was er sagen wollte, und setzte seinen geräuschvollen Marsch durch's
Zimmer fort. Ich sah die junge Frau an; ihr Gesicht hatte entschieden
jüdischen Schnitt; zusammengewachsene Augenbrauen, leicht vorstehende
Backenknochen, die aber die Harmonie ihres nicht winzig angelegten
Gesichts keines wegs störten; edelgeformte Nase, mandelförmig
geschlitzte Augen mit einer zerfließenden, schwarzen Kirsche als
Augapfel, und dazu zwei kräftige, fleischige Lippen, die entschieden
Sinnlichkeit verriethen; pechschwarze, wellige Haare, stark verwirrt
und zerzaust, completirten wohl den orientalischen Typus; aber mehr
noch, als alles dies, war es jene Gesammt-Schläfrigkeit, die auf
ihrem Antlitz lag, als wäre eine weiche Hand von Oben über das ganze
Gesicht hinuntergefahren.--Sie erwiderte meinen neugierig forschenden
Blick mit einem spöttisch schlauen Mienenspiel, wie Jemand, das wohl
einsieht, daß es in einer Seiner unwürdigen Stellung ist, diese
Stellung aber nicht zugeben will, und sich mit künstlicher Verachtung
hilft. Die junge Weibsperson war in der That fast in Lumpen gehüllt,
und schien die Dienste einer Magd zu verrichten. Wie weit persönliche
Nachlässigkeit und Schlamperei mit ihrem Anzug zu thun hatte, ließ
sich nicht feststellen.--Was die junge Frau hereingebracht, war
eine Schüssel mit dampfenden, schön aufgesprungenen Kartoffeln,
die sie nebenhin auf eine Art Anricht gestellt hatte, während sie
eben jetzt die Schublade des großen, schwergebauten Tisches aufzog,
und Tischgeräthe, Messer, Gabeln und Salzfaß herausholte. Nachdem
sie gedeckt, und die große, heiße Schüssel mitten auf den Tisch
gestellt, verließ Maria das Zimmer, wobei ich constatiren muß, daß die
rückwärtige Ansicht ihrer Toilette noch um ein gut Stück schlampiger
war, als die vordere.--"Die Dirne,"--sagte der Alte, indem er bei mir
stehen blieb,--"ist ein Unglück für mein Haus!"--"Wie so,"--frug ich
naiv,--"kocht sie schlecht?"--"Ach nein,--ihre ungesäuerten Brode macht
sie recht gut,-aber sonst,--ja sonst,--ach Gott, die Frauenzimmer,
wenn sie etwas hübsch sind, sind alle so, die haben den _Teufel_ im
Leib!"--'Hä, hä, hä, hä, hä!'--grunzte und lachte es in diesem Moment
wieder hinten vom Hause her, und stieß wie mit eisernen Gliedern an den
Schweinsstall, so daß ich heftig erschrocken zusammenfuhr, und auch der
Alte mit glotzigem Gesicht vor sich hinstarrte, während bald heftiges
Schluchzen von draußen von der Küche her, wohl von dem empfindlichen,
jungen Menschen kommend, herüberklang.--"Mein Gott,"--sagte ich,--"in
diesem Hause ist es nicht geheuer; man wird hier seines Lebens nicht
froh."--Bei diesen Worten schaute mich der Alte auf's Neue mit glasigen
und herausgetriebenen, wässrig-blauen Augen an, so daß ich kein Wort
mehr zu erwidern wagte. Zum Glück ging gleich darauf die Thüre auf;
Maria kam mit einem Krug Wasser und etwas Brod; während der junge
Schwachbrüstige, der mit verweinten Augen hinter ihr sichtbar wurde,
ein weiteres Gedeck für mich hereinbrachte. Alles setzte sich nun,
und lautlos begann die karge Mahlzeit. Die Leute benahmen sich, als
wären sie unter sich. Kein Versuch, mich in's Gespräch zu ziehen.
Gleichwohl fleißiges Offeriren an den Gast, zuzugreifen. So kam keine
Unterhaltung zu Stande. Der Alte, welcher bisher noch am offensten
gegen mich war, schien in Gegenwart der Andern ebenfalls schweigsamer
zu werden. Auch unter sich sagten sich die Leute kein Wort. Mir war
nicht klar, ob dieses Benehmen das regelmäßige, oder im Hinblick auf
mich eher ein zurückhaltendes war. Die Kost war gering zubereitet, so
ärmlich sie war. Der Alte hatte vor dem Essen mit einigen sonderbaren
Grimassen und gellenden Tönen, wie es, glaube ich, bei den Juden Sitte
ist, einige hebräische Phrasen schematisch hergeplärrt, und hatte sich
dann schleunigst über die Kartoffeln hergemacht, die er schon während
seiner Liturgie eifrigst beäugelt hatte. Ganz im Gegensatz hierzu hatte
der junge Schwindsüchtige, allem Irdischen abgewandt, unter einigen
schwärmerischen, zum Himmel empor gerichteten Armbewegungen, wenige
Gebetsworte mit großer Innigkeit vorgetragen, die am meisten unserem
protestantischen "Komm' Herr Jesu, sei unser Gast!..." entsprachen;
während die nachlässige Jüdin mit großer Gleichgültigkeit dem Allem
zusah, und sich dann ebenfalls mit schlechter Laune und wenig Appetit
auf ihren Platz niederließ. Und nun hörte man lange nichts als ein
einsilbiges, monotones Geschmatz. Schließlich nahm aber doch der Alte
das Wort und entschuldigte sich gegen mich wegen der geringen Mahlzeit:
sie hätten nichts anderes im Hause; das Rauchfleisch sei ihnen
ausgegangen. "Hunger," entgegnete ich, "ist der beste Koch; freilich
zu den aufgesprungenen Kartoffeln gehörte nach fränkischer Sitte ein
fetter schweinerner Preßsack."--Die Leute wurden auf diese Rede hin
alle drei starr wie Glas, und "Hü, hü, hü, hü, hü!"--meckerte und
blöckte es wieder hinten vom Schweinsstall her, und schien sich voll
Behagen auf dem Mist hin-und herzuwälzen. Ich wurde immer angstvoller
über diese scheußliche Erscheinung. "Herr,"--sagte der weißgekleidete
Jüngling zu mir mit unsäglicher Milde,--"sprechen Sie das Wort nicht
mehr aus. Dem _Reinen_ ist alles rein. Aber der böse Feind merkt auf
jeden unserer Gedanken, um uns zu verderben."--Von diesem Moment an
war es mir klar, daß irgend ein widerliches Geheimniß in diesem Hause
verborgen sei. Der Kerl, der hinten im _Schweins_stall eingesperrt war,
übte eine Art Controlle über das Thun und Treiben dieser Leute, war
eine Art Fluch, der diesen Dreien fortwährend auf dem Nacken saß. Aber
wer und was waren diese Drei selbst? Und was trieben sie? Und woher
die Verschiedenheit ihrer Leibesgestalt, ihrer Charaktere? Es war mir
auffallend, daß sie, wenn sie einen Moment unter sich waren, hebräisch
sprachen, und fleißig dabei gesticulirten, und Rücken und Arme sogar
hin-und herbogen und herüber- und hinüberschlenkerten; auch die Bäuche
vorstreckten und den Kopf einzogen, und knängsende und klingende Laute
dabei von sich gaben, wie es die Orientalen thun, wenn sie feilschen
oder in Affekt kommen; besonders Maria war in all diesem exaltirten
Zeug die Stärkste; und meist war die gegenseitige Verständigung durch
eine so vielseitige Ausdrucksweise im Nu erreicht. Sie schauten dann
blitzschnell zu mir herüber, ob ich sie etwa verstanden, oder ihre
Gedanken errathen. Nur Christian, der sanfte Brustkranke in seinem
weißen Talar schien von allem diesen Gebahren am wenigsten angenommen
zu haben; oft spitzte zwar auch er die Unterlippe, brachte den
Unterkiefer vor, und beugte den Oberkörper nach rückwärts, als wolle er
einen jener unarticulirten hebräischen Laute hervorbringen, der eine
ganze Phrase auszudrücken schien; aber es blieb bei den Bewegungen, die
er in dieser Umgebung wohl nur durch Nachahmung erworben; und wenn er
einem seiner schwärmerischen Gefühlsausbrüche freien Lauf ließ, dann
sprach er ein prachtvoll schönes Deutsch, und zeigte Verzückungen,
Armkreuzen, Augenaufschlag, eine lechzende, zum Himmel hinauf gewandte
Körperstellung, wie sie moderner, protestantischer nicht gedacht
werden konnte, und den vollsten Gegensatz bildeten zu den rutschenden,
grobsinnlichen, unfläthigen Bewegungen der Andern.--Christian war
blond, und von heller germanischer Hautfarbe. Aber die Gesichtszüge
waren der Maria sozusagen heruntergerissen ähnlich. Wenn ich dem
jungen, sympathischen Burschen einundzwanzig Jahre gab, und Maria etwa
fünfunddreißig, so war es, alles Übrige noch in Betracht gezogen,
im hohen Grade wahrscheinlich, daß letztere die Mutter des armen
Schwindsüchtigen war, wobei für ihre Mutterschaft zwar ein etwas
jugendliches, aber bei Orientalen durchaus nicht ungewöhnliches Alter
herauskam. Damit stimmten auch gewisse geheime Zärtlichkeiten, die
Maria dem Jungen wiederholt zu Theil werden ließ. Soweit war ich
mit meinen Nachforschungen aus Gesichtern und Vorgängen in dieser
merkwürdigen Stube zufrieden. Aber wie stand die Sache nun mit dem
Alten? Er nannte den Christian fortwährend seinen lieben Sohn. War
dieses Verhältniß nur symbolisch gemeint? Die Maria hatte er mir
schon als seine Tochter vorgestellt. Der Alte war nicht weit von den
Achtzigern, und noch sehr rüstig; auch in seinem Temperament höchst
leidenschaftlich. Sollte der bejahrte Mann der Vater des Christian
sein? Und von so einer jungen Dirne, wie Maria damals gewesen sein muß?
Die er ausdrücklich seine Tochter nannte! Auch der Junge nannte den
Alten Vater! Freilich in seinen excessiv sentimentalen Anreden klang
dieses >Vater< wie eine ideale, verehrungsvolle Begrüßung. Hier wollte
also Nichts stimmen. Und ich verzweifelte, in diesem complicirten
Verwandtschaftsverhältniß auf's Richtige zu kommen.--

Das Essen war jetzt abgetragen. Christian war mit Maria draußen in
der Küche, wo man Teller klappern und abspülen hörte. Im Zimmer
war's still geworden. Die Wanduhr tickte einförmig. Der Alte, an
einer Brotrinde seitlich mit einem erhaltenen Backzahn kauend,
schlappte wieder mürrisch auf und ab, hie und da das weißlockige Haupt
schüttelnd, als wollte er einen Gedanken verscheuchen. "Nein",--rief
er endlich--"so geht's nicht weiter! So geht mir die Wirthschaft zu
Grund.--Der junge Mensch, der liebe, süße, sanfte Junge, auf den ich
all mein Hoffen gesetzt, er stirbt mir so in dieser kalten, nordischen
Luft!"--"Ist es Euer Sohn?"--frug ich schnell, um mir diese Gelegenheit
nicht entgehen zu lassen.--Der Alte blieb stehen und schaute mich
an. "Sohn?"--wiederholte er,--"er ist mein lieber Sohn, an dem ich
Wohlgefallen habe; er ist nicht mein leiblicher Sohn; er ist",--fügte
er leise hinzu, indem er beschwichtigend und Vorsicht rathend nach der
Küche zu deutete, von wo noch immer Tellergeklapper und Wassergepantsch
herüberklang,--"er ist das Kind von der Dirne da draußen, die ich mit
14 Jahren in mein Haus nahm!" Bei diesen Worten nahm seine Miene einen
zornigen Ausdruck an, als wäre er über diesen Zusammenhang nichts
weniger als erfreut, und aus dem hinüber weisenden Arm wurde eine
drohende Faust.--Ich wollte noch eine Frage mit vorsichtig gedämpfter
Stimme anschließen, aber er winkte heftig mit der ab, und winkte immer
zu, und deutete mit der andern Hand und dem ausgestreckten Krückstock
nach der Küche, bis ich schwieg; und zum Zeichen, daß ich auch
ferner schweigen solle, klappte er mit der hohlen Hand sich selbst
drei bis vier mal vor den festgeschlossenen Mund; ich that dasselbe,
zum Zeichen, daß ich ihn richtig verstanden habe; und nun war er
zufrieden; und ich begab mich ruhig an meinen Platz am Tisch.--Nach
einiger Zeit kam der Alte dann zu mir hergehumpelt, und frug mich in's
Ohr: "Sprechen Sie Aramenisch?"--"Nein!" erwiderte ich.--"Potztausend
nein!"--replicirte der Alte,--"nun ja, dann können wir uns auch nicht
ungestört unterhalten.--Die Zwei gehen so wie so bald zu Bett. Es ist
schon um die dritte Stunde!"--In der That kam bald darauf der junge
Mensch herein, und indem er verzückt die beiden Arme ausbreitete,
rief er, seine leuchtenden Augen über Alle im Zimmer gleiten lassend:
"Seid gegrüßt und gesegnet für den Rest des Abends, seit behütet und
bewahrt während des Dunkels der Nacht! Ueber uns Alle wache der Engel
des Friedens!"-Während dem stand die schlaue Jüdin hinter ihm, und
beobachtete, welchen Eindruck seine Worte machen würden. Dann zog sie
ihn von hinten am Kleid hinaus; und beide, hörte man, verließen dann
die untere Partie des Hauses über die Treppe, und begaben sich nach
oben.--

Jetzt war es ganz still geworden. Eine schwadende Oellampe goß einen
dickgelben Schimmer über die eckigen Kanten und Vorsprünge des
Zimmer-Mobiliars, reichlich gemischt mit fetten, schwarzen Schatten.
Der grüne Kachelofen in der Ecke strahlte noch eine behagliche Wärme
aus. Ruhig ging das Tick-tack der heiser gewordenen Wanduhr weiter;
und ruhig, in Gedanken verloren, schlappte der Alte in seinem losen,
Schafpelz-gefütterten Hausrock auf und ab.--"Es ist mir lieb,"--sagte
er plötzlich, indem er aus einem Wandschrank einen großen, gefüllten,
schweren Krug und zwei Gläser nahm, und zu mir an den Tisch
brachte,--"daß Sie heute hier sind; darf ich doch wieder ein Gläschen
trinken, und mein Elend vergessen; allein hat es mir der Doctor
verboten; ich läge sonst betrunken, wie Noah, am nächsten Morgen unter
dem Tisch. Der Wein ist aus der Umgegend und gering: aber er ist rein;
er ist gerade in voller Gährung; nehmen Sie sich daher in Acht!"--Indem
hatte sich der Alte zu mir an den Tisch gesetzt, und beide Gläser
vollgeschenkt; es war ein molkig-weißer Most mit einem Stich ins
Grüne, aus dem Stick-Gase in reichlicher Menge aufstießen. Bei dieser
Gelegenheit bemerkte ich, daß der Alte schon starkes Handzittern
hatte, so daß ich schon Angst für den Inhalt des Krugs bekam, wenn
er ihn in die Hand nahm; doch mit jedem folgenden Glase wurde Hand
sowohl wie Sprache sicherer.--"Die jungen Leute,"--versuchte ich das
Gespräch einzuleiten,--"gehen schon früh zu Bett!"--"Ach!"--erwiderte
der Alte, indem er den Krückstock weglegte, und sich fest auf seinen
Stuhl placirte,--"es ist eine Familie in der Familie! Die zwei
hocken zusammen, und separiren sich von mir, und kochen und flüstern
miteinander, und intriguiren gegen mich, ich fühle, wie jeden Tag mehr
die Zügel meinen Händen entkleiden; hätte ich meinen Jähzorn nicht,
ich hätte das Regiment längst verloren!"--"Maria scheint demach von
wenig dankbaren Gefühlen erfüllt zu sein?"--"Ich habe die Dirne vor
reichlich zwanzig Jahren als kurzrockiges Ding bei mir aufgenommen,
und nun setzt sie mir den Burschen daher!"--"Maria ist die Mutter von
Christian?"--wagte ich mich kurz mit der Frage heraus.--"Trinken Sie
junger Mann!--Trinken Sie"--rief der Alte schnell dazwischen, indem er
sich einschenkte, da mein Glas noch voll war, wobei wieder heftig der
Schnabel des Steinkrugs an seinem Glasrand hin-und herschepperte.--Ich
ließ mich aber nicht irre machen. "Der junge hübsche Mann,"--begann ich
wieder--"hat viel Aehnlichkeit mit der Jüdin."--"Mit der Jüdin?"--frug
der Alte mißtrauisch, das Wort 'Jüdin' stark betonend.--"Was wollen
Sie damit sagen? Ich bin selbst Jude! Beleidigen Sie mein Geschlecht
nicht!"--"Nichts lag mir ferner,"--betheuerte ich,--"ich nannte Sie
Jüdin, weil ihre Züge das zehnfach beschwören."--"Ja,"--nahm der Alte
das Gespräch wieder auf,--"sie war eine der Schönsten ihres Stammes;
aber daß mir die Rotznase, die nach hier zu Land üblichen Begriffen
knapp mannbar war, den Burschen hierhersetzt ... den ich übrigens jetzt
sehr lieb gewonnen habe, und wie meinen eigenen Sohn ansehe...."--"Von
wem hat Maria den Jungen?"-fragte ich frischweg.--"Ja,"--wiederholte
der Alte mit einer Mischung von Hohn und Bitterkeit, als bedauere er,
daß er nicht von ihm sei,--"von wem hat Maria den Jungen?..."--"Der
Junge muß einen Vater haben!"--eilte ich rasch vorwärts, in der
Hoffnung, durch eine witzige Wendung das Gespräch flüssiger zu
erhalten.--"... muß einen Vater haben!"--wiederholte mein Wirth
mechanisch und nachdenklich.--"Der Junge ist blond,"--begann ich
wieder,--"ist weißhautig, ein echtes, nordisches Kind; vielleicht
hat ein durchziehender blonder Handwerksbursch, der vielleicht
unfreiwillig, wie ich hier, übernachtet, die Jüdin verführt."--"Um
Gotteswillen!--die Kleine war damals höchstens vierzehn Jahr!" (Während
dieser Worte hörte ich deutliche Laute aus dem Schweinsstall dringen.
Der Alte hörte sie auch, und ergriff sein Weinglas fester.)--"Dann
vergewaltigt!"? ergänzte ich.--Der Alte stand auf, und winkte heftig
mit der Hand ab. Er ging dann zur Thür, und lauschte hinaus. Als
alles ruhig blieb, kam er zurück, setzte sich wieder, und frug mich:
"Sprechen Sie nicht ein Bischen Hebräisch?"--"Keine Silbe!"-antwortete
ich.--"Wenn Sie etwas Hebräisch sprächen, könnten wir uns so leicht
verständigen. Die Sachen, um die es sich hier handelt, sind so
complicirter Natur!"--"Du lieber Himmel,"--erwiederte ich,--"die
Sachen, die wir jetzt besprechen, sind in allen Sprachen, unter allen
Himmelsstrichen dieselben. Die Frage ist, wer hat den bildhübschen
Burschen gezeugt?"--"Marie sagt, es sei kein Mann gewesen!"--'Hä,
hä, hä, hä, hä!'--gröhlte und schnalzte es jetzt wieder drüben vom
Schweinsstall herüber, und schien Purzelbäume zu schlagen.--Ich fuhr
wie emporgerissen von meinem Sitz auf, unschlüssig, was mir mehr Eckel
und Bangigkeit verursache, die Antwort des Alten oder die Stimme jenes
unsichtbaren Scheusals. Mein Wirth war ebenfalls still und kleinlaut
geworden, sah düster vor sich hin, und hielt krampfhaft den steinernen
Krug fest. Im ganzen Haus war es todtenstill; nur die Uhr schlug ihren
Tick-Tack-Gang unentwegt weiter. Ich setzte mich langsam wieder nieder.
Und längere Zeit sprach Niemand ein Wort.--Aber zuletzt überwog die
Neugierde bei mir, und das sichere Gefühl, daß nur eine gewisse Dosis
Couragirtheit dem Alten sein Geheimniß zu entlocken vermöge.--"Kein
Mann sei es gewesen!?"--begann ich mit gedämpfter Stimme, aber
examinirenden Tones gegen den Alten hingebeugt, "wenn kein Mann, was
denn dann?"--Der Alte zuckte verlegen die Achsel, als wolle, oder könne
er nicht antworten, und schaute verlegen, aber auch etwas weinduselig
und thränenfeucht auf sein Glas.--"Wenn es kein Mann war," ich mit
inquirirender Stimme--"was war es dann?"--"Ein Etwas!" preßte mein
Wirth gezwungen und flüsternd hervor.--"Was für ein Etwas?"--fiel ich a
tempo ein.--Neues Achselzucken.--"Vielleicht ein Hauch,--ein Odem,--ein
Unsichtbares,--eine Kraft,"--begann jetzt der Alte, und schien gereizt
und feurig zu werden,--"wer kann es wissen; Marie erzählte mir, sie
sei eines Nachmittags in jenem Zimmer dort eingeschlafen gewesen; es
war heiß; die Fenster offen, die Läden zu; sie war damals erst wenige
Wochen bei mir; ich wußte nicht, ob sie log; Kinder lügen so oft;
und sie war fast noch ein Kind; so jung; so jung...." Der Alte hielt
inne.--"Weiter! Weiter! Was geschah?" frug ich drängend.--"Marie hatte
sich ihrer Kleider entledigt; plötzlich",--so erzählte sie,--"habe
sie, wohl im Schlaf, einen Sturmwind über das Haus gehen hören;
der eine Laden riß auf; und plötzlich ..." (Pause.)--"Plötzlich
was?!--Plötzlich, weiter!"--"Plötzlich"--hub der Alte wieder
an,--"sah sie eine kräftige, weiße Gestalt, mit lichten Haaren vor
sich stehn, die sich über sie hinüberbeugte, ihr zuflüsterte, ihr
Schmerz verursachte, bis sie, die Dirne, plötzlich aufschrie; dann war
Alles verschwunden; als sie aufstand, waren ihre Kleider in Unordnung;
ein schwefeliger Schwaden im ganzen Zimmer; draußen war heller
Sonnenschein; nach neun Monaten brachte mir die Dirne diesen blonden
Buben!"--Hier hielt der Alte inne, und trank mit großer Befriedigung
sein gefülltes Glas leer.--"Haben Sie gar keinen Knecht damals im
Dienst gehabt?"--frug ich absichtlich etwas barsch, um die weinselige,
sentimentale Stimmung zu verscheuchen.--"Niemand im ganzen Haus, und
Niemand in der Umgebung; es kommt auch sonst nicht so leicht Jemand
in unser Revier, denn wir sind verschrieen!"--"Und die Dirne bleibt
dabei, daß sie ohne Selbstverschulden und bewußten Verkehr mit einem
Manne in andere Umstände gekommen sei?"--"Nicht nur das,"--bekräftigte
der Alte,--"sie macht auch ein großes Wesen um die ganze Sache; will
Niemanden die Worte mittheilen, die jenes unbegreifliche Wesen ihr
zugeflüstert; hält das Ganze für ein Wunder; und den Jungen für ein
Wunder-Geschöpf; und wer ihn sieht, muß es bekräftigen."--"Und Sie
glauben das Alles?"--frug ich mit höchstem Erstaunen.--"Ich mußte
wohl"--betonte der Alte,--"ohne dem war ihre Stellung im Hause, und
ihr Ruf in der Umgebung verloren; und jetzt,"--fügte mein Wirth mit
Nachdruck hinzu,--"nach zwanzig Jahren, wäre meine Stellung im
Hause dahin, wollte ich aufhören ihr zu glauben; jetzt, wo ich auf
meinen Altentheil angewiesen bin, und froh sein muß, daß man mich
duldet."--"Somit ist es ein Mirakel aus Noth?" frug ich fast mit
Entrüstung.--"Die Sache ist mir über den Kopf gewachsen,"--fuhr der
Alte auf, und schlug mit beiden Händen verzweiflungsvoll auf die
Knie,--"die Sache kann nicht mehr rückgängig gemacht werden; Wunder
ist Wunder; die Dirne glaubt daran, der Sohn glaubt daran, ich glaube
daran; die Umgebung glaubt daran, wenn sie auch heimlich lacht und mit
den Augen zwinkert. Und das Schönste ist, die Dirne wartet jedes Jahr
in demselben Zimmer, an demselben Tag, um dieselbe Stunde, in denselben
Kleidern auf die Wiederkehr dieses mysteriösen Wesens. Und es wird
kommen!"--

Inzwischen war es spät geworden. Der Alte machte keine Anstalten zu
Bett zu gehen. Im Gegentheil, er schenkte sich nach seiner großen
Rede noch einmal frisch ein, und schien jetzt erst, wo er sich einen
gewissen festen Standpunkt erobert, einer weiteren und energischen
Diskussion entgegenzusehen. Um so müder war ich selbst; theils
durch die Wanderung, theils durch den Gang der Debatte. Diesem
Alten gegenüber war ja doch keine Aussicht, zu einer ruhigeren und
vernunftgemäßen Auffassung der Sache zu kommen. Schließlich, wenn
ich ihn mit sogenannten Vernunftgründen zu stark bedrängte, möchte
er jähzornig werden; und das war seine Force. So stand ich denn auf
und bat den Alten, mir ein Nachtlager anzuweisen. "Geben Sie's schon
auf!"--bemerkte dieser und griff nach seinem Krückstock,--"ja, junger
Mann, werden Sie älter; Sie glauben, weil Sie durch die Luft schauen
sei nichts drinn! Zwischen uns und der Himmelsschicht stecken Tausende
von Dingen; aber man muß sie sehen können."--Ich ging auf diese
Erörterung nicht weiter ein; und der Alte zündete ein Talglicht an,
und schritt humbelnd und räuspernd vor mir her zur Thüre hinaus. Auf
dem Gange kamen wir zur Rechten zuerst an einer schlechtgehaltenen,
schwarzgeräucherten Küche vorbei. Dann ging's zur engen Stiege, die in
einem scharfen Winkel nach oben führte. Knapp vor dieser Stiege lag
noch eine kleine, schmale Thür; "hier,"--bemerkte der Alte, und wies
mit seiner Krücke auf den Eingang,--"ist jenes Zimmer, wo vor reichlich
zwanzig Jahren das Unbegreifliche passirt ist.... Junger Mann, Sie
wären vielleicht einmal froh, ein solches schmales, winziges Zimmerchen
Ihr Eigen zu nennen!"--Dann ging's pustend und kollernd nach oben.
"Uebrigens,"--bemerkte der Alte, oben angekommen, und mich schwerfällig
bei den Schultern nehmend,--"lassen Sie sich die Sache nicht allzu
sehr bekümmern; sagen Sie auch morgen früh nichts zu meiner Tochter
und zu meinem lieben Sohn. Sie haben's nicht gern. Es ist auch alles
noch zu jung.... Und nun schlafen Sie wohl.... Dort ist Ihr Zimmer....
Hier nehmen Sie das Licht!"--Ich nahm eilig das heftig in der Luft
hin und her schlenkernde Licht, und ging in das angedeutete Gemach,
wo ich nichts Außergewöhnliches bemerkte. Eine blaugeweißte Stube
mit gedrucktem grünem Taft-Rouleaux; ein schiefer, wackliger Tisch
mit alten Tintenflecken; ein gußeiserner kleiner Ofen mit geknicktem
Rohr; eine gelbgestrichene Bettlade auf vier hohen dünnen Füßen mit
zunderweichen Leintüchern und einem centnerschweren, röthlich-carrirten
Federbett; ein Nachttischchen mit kittgelbem Potschamber, und ein Stuhl
mit aufgerissenem geblümten Ueberzug.--Es war kalt, und fröstelnd
legte ich mich in das knisternde raschelnde Bett. Ich hörte unten noch
einiges Gepolter, und dann war es todtenstill im Hause.--

Aber ich konnte nicht einschlafen. Das Geheimniß dieser drei Leute, das
sonderbare Verhältniß unter ihnen, der Umstand, daß der Alte, vordem
unumschränkter Herr in seinem kleinen Besitzthum, den Intriguen der
schlauen Jüdin unterlegen sein soll, beschäftigten fortwährend mein
Inneres. Daß der Junge,--sagte ich mir,--gänzlich unter dem Einfluß
der Mutter herangewachsen ist, war natürlich; jede Mutter macht aus
ihrem Sohne, was sie will; aber, was nicht erziehbar ist, war das
schwärmerische, überspannte Wesen des jungen Menschen, der immer wie
geistesabwesend erscheint. Woher hat er das, nachdem Niemand im Hause
in der Richtung geartet ist oder sich benimmt? Nehmen wir an, der
junge Mensch käme zum Militär; würde er wegen geistiger Perversität
zurückgestellt werden? Wie stand es auf der andern Seite mit jener
geheimnißvollen Geburt?

So was macht wohl ein junges Mädchen weis; aber so was glaubt nicht
Jedermann. Die Dirne mußte doch, auch bei einem außerehelichen Kind,
angeben, wer der Vater ist. Was gab sie denn an? Sollte am Ende der
Alte selbst...? Und aus Furcht wegen der Minderjährigkeit der Person
diese Mähr ersonnen haben? Da lag es doch näher einem durchreisenden
Handwerksbursch die Sache aufzuhalsen.--Kurz, da paßten die Steine
nicht aufeinander. Und dann wie verhielt es sich mit jenem im
Schweinsstall eingesperrten Scheusal? Noch einmal ließ ich die ganze
Episode, wie sie mir der Alte erzählt, vor mir vorüber gleiten.
Ich mußte gestehen, sie war prachtvoll ersonnen. Die Manier der
Frauenzimmer, Wirkliches und Phantastisches durcheinanderzumischen, daß
man nicht weiß, wo das Eine anfängt, das Andere aufhört, so daß man
entweder das Ganze annehmen oder verwerfen muß, ist charakteristisch.
Niemand wird darin etwas finden, daß sich eine junge Dirne an einem
heißen Wochen-Nachmittag halb auszieht und in ihrem Zimmer bei
halbverschlossenen Läden auf's Bett legt.--Mir fiel das Zimmer ein, auf
das der Alte im Heraufgehen hingewiesen hatte. Ich sagte mir: Du gehst
jetzt fort von diesem Haus und erzählst überall von dieser seltsamen
Mähr, und Jeder wird dich dann nach dem Zimmer fragen. Ich beschloß
daher, mir dieses Zimmer anzuschauen. Und da am nächsten Morgen wohl
kaum Zeit und Gelegenheit war, so beschloß ich, sofort hinunterzugehn.
Ich stand auf und stand bald strumpfig auf dem Gang.-Wenn ich entdeckt
würde?!--Doch ich hatte schon meine Ausrede, wohin ich mitten in der
Nacht zu gehen beabsichtigte.--Meine Stiefel standen noch vor der
Thür, wie ich sie hingestellt. Kein Laut im ganzen Haus. Ich ging
strumpfig zur Stiege. Die erste Sprosse knerzte vernehmlich. Doch
ging ich weiter. Ich kam auch glücklich hinunter; tappte an der Wand
umher, und fand den Thürgriff. Ich drückte: die Thür war verschlossen;
kein Schlüssel steckte. Ich wurde zornig, und beschloß um jeden Preis
in das Zimmer einzudringen. Schon oben war mir in meinem Zimmer eine
gewisse Lidschäftigkeit des Schlosses aufgefallen; d.h. das Schloß
war genau in jenem Zustand, wie Möbel, Wände, Hauseinrichtung und
das ganze Haus selbst. Gleichwohl schien dieses untere Schloß etwas
besser fundirt. Ich hob die Thür empor, um auf diese Weise vielleicht
die Sperrvorrichtung über das Widerlager hinwegzuhebeln. Auch das war
vergebens. Als ich mich aber gegen die Stiege stemmend, nochmals das,
wie ich wohl fühlte, schlecht construirte und locker befestigte Schloß
forcirte, sprang die Thüre plötzlich mit sammt dem Eisen auf, und ich
stürzte halb vorwärts in einen eiskalt durchströmten Raum, während
ein--_Tauber_ mit zornigem Gurren und heftigem Flügelschlag durch das
zur Hälfte offene Fenster das Weite suchte. Der Mond stand auf dieser
Seite des Hauses, und warf einen kalten, bläulichen Streifen durch den
offenen Spalt. Von der ersten Ueberraschung erholt, sah ich einen so
einfachen Raum, wie die meisten übrigen Zimmer des Hauses waren. In
der vom Fenster abgewendeten Ecke ein Bett mit brennrother Wolldecke,
zerknittert und zerrauft, wie wenn Jemand drinngelegen; und die Decke,
ebenso wie der ganze Boden, über und über mit Taubenschissen bedeckt.
Rückwärtig an der Thür hingen an ein paar Nägel die blau-sackleinenen,
abgeschabten Kleider, nebst roth-wollenem Unterrock, wie sie die
Bauernmädel in Franken tragen. An der Wand ein blindes, zerbrochenes
Stück Spiegelglas.--Draußen, durch den einen geöffneten Fensterflügel,
sah ich, flirrte das eiskalte, bläuliche Mondlicht über den harten
Boden. Hinter dem Hause, mir unsichtbar, hörte ich unterdrücktes,
zorniges Gurren vom Taubenschlag her. Aber eines anderen Gesellen
wurde ich hier ansichtig; und auch bald anhörig: der Schweinsstall
lag auf ca. zwanzig Meter gerade vor mir. Und war es das angeifernde
Mondlicht, oder das laute Geräusch, welches mein Sprengen der Thür
verursacht hatte, die Bestie, die dort eingesperrt war, hatte den
Kopf durch ein über der Thür des Schweinsstalls angebrachtes Guckloch
durchgesteckt, und winselte von dort mit einer wahnsinnigen Gier, sei
es zum Mondlicht hinauf, sei es zu mir herüber. Den Kopf selbst konnte
ich nicht deutlich erkennen, weil durch eine das Guckloch überragende
Verschalung des Stalls vom Vollmond ein schwarzer Schlagschatten auf
das Guckloch selbst geworfen wurde. Aber ich sah die zundrig gelben
Augen, hörte den harten, pfundig-schweren Schädel wiederholt wider
die Verschalung stoßen, und das geifernde Brüllen, das in dieser
nächtlichen Totenstille aus dichtester Nähe zu mir herüberdrang, war
untermischt mit jenen grunzenden, bellenden, höhnischen Lauten, die
mich schon am Abend in der Stube so erschreckt hatten. Durchkältet und
angeekelt verließ ich das Zimmer wieder und schloß die Thüre so gut es
ging. Ich ging zurück in mein Bett, und schlief schlecht und beunruhigt
den Rest der Nacht.--

Als ich aufstand, sah die Sonne bereits in mein Zimmer, und ein heißer,
widerlicher Küchengeruch drang von unten herauf; ich zog mich rasch
an, müd und geärgert von den Erlebnissen des letzten Abends und der
vergangenen Nacht. Nach allem mußte ich mir sagen: so interessant
dieses Gasthaus hinsichtlich seiner Insassen, so ungenügend ist es in
seiner Einrichtung und Verpflegung. Und wenn ich auch keine besonderen
Ansprüche machte, als einer, der auf Schusters Rappen reist, so sah ich
doch auf ein gutes Bett und eine kräftige Suppe. Mit diesen Gedanken
trat ich aus dem Zimmer, um meine Stiefel zu holen. Dieselben waren gar
nicht geputzt. Jetzt wurde ich ärgerlich. "Christian!"--rief ich laut
und commandirend über den Gang--"Christian!"--und als der Gerufene die
Stiege herauf kam: "Diese Stiefel sind nicht einmal gereinigt! Was für
eine Wirthschaft!"--Der junge Mann kam in seinem weißen Habit herauf,
und indem er mir die Stiefel aus den Händen nehmen wollte, rief er voll
schmerzlichen Pathos und mit von Schluchzen unterbrochener Stimme:
"Ihre Sorgen, Herr, drehen sich um ein paar Stiefel und ihren Glanz,
aber mir, Herr, stecken die stachlichen Sporen eines ungesättigten
Wahns im Fleische; der Schmutz der gesammten Menschheit wühlt in meinem
Herzen, und das Mitleid mit der ganzen Welt will mich nicht mehr
verlassen!... Nehmt mich mit Euch, Herr, ich verderbe in diesem Hause;
niedriger Schmutz und Eigennutz will mich ersticken; nehmt mich mit
Euch, Herr, in die große Welt, damit ich für sie sterbe!"--Damit fiel
der junge Mensch, der in diesem Augenblick von engelgleicher Schönheit
war, auf den Boden und umfaßte meine Kniee. Ich sah jetzt, daß der
arme, junge Mann krank war; entriß ihm schnell meine Stiefel, und ging
in mein Zimmer zurück.

Eine Viertelstunde später saß ich unten in der Stube bei einem bitteren
Eichelkaffe und einem steinharten Stück Brot. Die Jüdin ließ sich nicht
mehr sehen; ich hörte sie aber in der Küche herumhantiren. Der Alte
saß zitternd und lallend, und vollständig unfähig des Gebrauchs seiner
Glieder im Lehnstuhl; die Augen gequollen und thränenselig. Er suchte
mich zum Reden zu bewegen. Ich aber vermied jedes Gespräch. Es drängte
mich, fortzukommen aus diesem unglückseligen Hause. Als mein Ranzen
gepackt war, zahlte ich Herberge und Verköstigung. Ich muß gestehen,
der Betrag war gering. Der Alte gab mir mit Mühe und Noth die paar
Batzen heraus, von denen ich erst später zu meiner nicht geringen
Verwunderung sah, daß es ausländisches Geld und mit den Bildnissen des
Königs Herodes und des römischen Kaisers Augustus geschmückt war. Der
Alte lallte mir wohl ein paar Worte nach, als ich ihm zum Abschied die
Hand schüttelte; die Jüdin in der Küche schmiß die Küchenthüre zu, als
ich auf den Gang trat; und oben hörte ich den jungen Menschen noch
bitterlich schluchzen, als ich die Hausthür öffnete.--

Draußen kam mir alles prosaischer und interesseloser vor, als
den vorherigen Abend. Es war ein frischer kalter Tag, der Einem
alle Phantastereien aus dem Kopfe trieb. Ich ärgerte mich jetzt
unwillkürlich über alles, was ich erlebt hatte, und worüber ich
nachgedacht hatte. Ich eilte vorwärts, ohne mich umzusehen. Und bald
hatte ich die Landstraße erreicht. Ein eiskalter Wind pfiff vom Osten
her. Keine zwanzig Schritt von mir, aber entgegengesetzt der von mir
einzuschlagenden Richtung, saß ein Steinklopfer bei seiner Arbeit
und hämmerte tüchtig darauf los. Ich konnte nicht umhin, auf ihn
zuzugehen. "He! Alter,"--rief ich ihn an,--"kennt Ihr das Wirthshaus
da hinten im Wald?"--"Jo, jo!"--antwortete er im besten Fränkisch,--
"sell is a _Abdeckerei_!"--"Abdeckerei?"--frug ich verwundert,--"was
ist das: eine Abdeckerei?"--"No, wo mer halt die alte Gäul und die
räuthige Hünd darschlägt,"--bemerkte er, und lachte spöttisch über
meine Unwissenheit, wobei er fortfuhr--"des is nix G'scheid's!...
die Leut' häße's halt die >GifthüttenWas man ich zum
_Rhodium_? 'Was waß ich vom _Rhodium_?'--"Es is a silberichs Metallich;
is rar und gibteres doch genug; is zach; is so schwar wie Silber; wird
nix oxydirt von der Luft...."--'Herr Frank! wisse sie was von Rhodium?
Werd Rhodium gehandelt?'--"_Rhodium_ können Sie in Rußland kaufen, so
viel sie wollen!"-Hawe Sie a Notirung--"_Rhodium_ stand vorige Woche
390 das Pfund"--"Gott, die werde doch in _St. Petersburg_ noch nix
von dem _Gold_--G'schlamaßl da wisse?!"--"I wo!"--'Also meine Herre,
wer sich betheilige will: Zwa e halbe Million Goldbarre verkaaf ich
in Petersburg ä tout prix; und _Rhodium_ werd uffgekauft, was zu hawe
ist.'--(Ein Depeschenbote kommt. Alles stürzt zu Herrn _Nathansohn_,
an den das Telegramm gerichtet ist; fahren mit einem Gekreisch
auseinander): "Kochem-Meschore! In Frankfort wisse se nix von de
ganze Misemaschine! es _Silber_ steht um de alte Preis!"--'He, Depe
sche-Jingelche, eile Se sich, da hawe Se a Zehn-Markstück, schicke Se
mer die Depesch ab, aber aß _dringend_, aß möglich!--"Kaafe Se Herr
Goldstein, was Se kaafe können. Berufe Se sich aach uf meen Schwacher,
_Feitel Stern_, in de Eschenheimer Gaß!"--'Hawe Se kei Angst, Herr
Cohn, es wird Alles recht; es kriecht Jeder sei Sach!'--"Meine Herre,
mer habe da noch 5, 6 _Platin-Metalle_, es _Iridium_, es _Ruthenium_,
es _Palladium_; di Sache gehe eruf, wie es helle Feuer. Und wie stehts
mit em _Molybdän_, mit em _Wolfram_?"--'Es _Ruthenium_ is zu grau,
da wird sich nix mache lasse! Und es _Wolfram_, da gibteres zu viel.
Des is so gemein wie _Kobolt_ oder _Nickel_.--"Ei, da werd halt mit
_Silber_ legirt. Die Dinger sein alle kostbar!--Gott, wer hat das
voraussehn können! Was e Tag! Was e Tag!"--"Gott, Herr _Natansohn_,
schaue Se nur Ihr Bübche an, wie des in dem Zeug rumwühlt!"--"_Moritz_,
pfui, Gassebub, willste den Dreck lieche lasse!"--"Vatter,
des ist doch _Gold_! Schau doch, wie de Leut grapse!"--"Pfui,
naseweiser Bursch, schmeiß den Dreck hin, es gibt kei _Gold_ mehr; Gold
is Dreck; siehste net, daß der ganz Himmel voll is?!"--

In der That, der Himmel hatte sich jetzt wieder citronengelb
herabgesenkt. Viele flüchteten schon in die Häuser. Ich kehrte auf
den großen Platz zurück. Die Leute schauten sich mit großen gläsernen
Augen an. Keines wußte, was geschehen solle. Von _Dingolsheim_
kehrten gruppenweise die Menschen zurück, die Taschen und Kappen bis
zum Platzen gefüllt. Und vom Himmel herunter schienen neue Massen zu
drohen. Vor den Wirthshäusern lagen die Leute besoffen; andere gröhlten
und schrieen: jetzt gehe eine neue Zeit an; das goldene Zeitalter sei
zurückgekommen. Auf der anderen Seite sah ich Weiber und Arbeiter
heftig gesticulirend aus einzelnen Läden herausstürzen; ich erkundigte
mich, was Neues los sei: die Laden-Inhaber, hieß es, nehmen weder 10-
noch 20-Markstücke mehr an; sie verkauften nur gegen Silber. Eine
fürchterliche Angst bemächtigte sich jetzt Aller. Das Militär hatte den
Platz wieder freigegeben, und ordnete sich eben zum Einrücken. Vorne,
sah ich, die Cavalcade des Königs zum Thor hineinreiten. Oben an einem
Laternenpfosten war eine Königliche Bekanntmachung angeschlagen, des
Inhalts, der König werde mit den Ministern angesichts des unerhörten
elementaren Ereignisses und des reichen, göttlichen Segens, der vom
Himmel geflossen, sofort berathen, was zum Wohl seines geliebten
Volkes zu thun sei; der Preis für das Gold solle bekannt gegeben
werden; und das Betreffende werde heute Abend noch im Rathhaus zu
erfahren sein.--Nun ordnete sich Alles wie zum in die Stadt-Ziehen. Das
Militär zog dem König nach. Das Volk zog dem Militär nach. Der Himmel
senkte sich gelbglühend immer tiefer hernieder. Bald war der große
Springbrunn-Platz still und verwaist.--

Nur eine letzte Gruppe kam ganz hinten nach. Es waren die Grauköpfe.
Und kurzbeinig, stolpernd, mit den schlappenden, langen Rockflügeln
humpelten sie daher, und im Chor gröhlten sie mit heiserer Stimme,
sich gegenseitig vergewissernd und sich gegenseitig befestigend:
"_Iridium_ zwahundert und einunddreißig;--_Antimon_ hundert und
sechzig;--_Rhodium_ zwahundert und zwaundzwanzig;--_Palladium_
achthundert gradaus;--_Molybdän_ siwehundert und in die
sechzig;--_Wolfram_ neinhundert und siweneverzig;--_Silber_ tausend und
in die Sibzig; und _Platin_ zwatausend, zwahundert und achtzig!"




Ein Kapitel aus der Pastoral-Medizin

                              "_Und sahen, daß sie nackt waren._"
                                                          1. Mose 3.7.

In Innsbruck, wo ich im Jahr 1859 als blutjunger Student der Theologie
obzuliegen hatte, galt als eine der gefeiertsten Autoritäten der
dortigen Universität Professor _Süpfli_, Benedictiner-Pater,
Haus-Prälat Pius IX.' und Ordinarius für Pastoral-Medizin. Seine
Abhandlung "De conceptionis sexualis humanae causa transcendentali",
sowie seine scharfsinnige Untersuchung "Ueber den sittlichen Boden
bei den Fröschen" waren damals in Aller Händen. Und die wichtige
Frage, die wohl alle Gemüther beschäftigte, über den Einfluß der
Tod-Sünden auf die Blutmischung--da die ganze Lehre von der Erbsünde
von ihr beeinflußt zu werden schien--ruhte sozusagen in _Süpfli's_
Händen. _Süpfli_ locutus est! hieß es damals; und die Sache war damit
entschieden.--

Ein älterer Student, dem ich mich angeschlossen hatte, veranlaßte mich,
einmal dem Colleg _Süpflis_ über Pastoral-Medizin beizuwohnen; "bei
_Süpfli_ zu schinden," sagte man in der Studentensprache; und dies in
doppelter Weise; denn nicht nur durfte man eine Vorlesung, welche man
nicht belegt hatte, nicht besuchen, sondern Studenten jüngerer Semester
war es überhaupt verboten, Collegs von so vorgeschrittener Weisheit
beizuwohnen.--Mit dampfendem Gehirn und aufgesträubten Haaren kam ich
heraus; und eine Woche lang hatte ich das Gefühl, eine Kugel spanischen
Pfeffers verschluckt zu haben, die sich langsam auflöse, und Blut und
Gedanken, alle Nahrungssäfte mit ihrem penetranten Roth durchsetze,
bis das fabelhafte Gift glücklich wieder ausgeschieden war.--Ich
hoffe, der Leser ist in dieser Beziehung rüstiger und von größerer
Widerstandskraft.--

Wir kamen etwas zu spät. Das Colleg hatte bereits begonnen. Ueber
einige fünfzig kurzgeschnittene Köpfe mit der thalergroßen Tonsur in
der Mitte, alle niedergebeugt und die raschelnde Feder an der rechten
Schläfe, hinweg, sahen wir den langen hageren _Süpfli_ hoch auf dem
Catheder thronen, mit etwas belegter Stimme, und leichten nach rechts
und links austheilenden Handbewegungen, vortragen. _Süpfli_ sprach
ein eigenthümlich gemildertes Schweizer Deutsch. Wir waren damals
verpflichtet, jedes vorgetragene Wort des Lehrers zu stenografiren und
später reinzuschreiben. Als Zuspätgekommene drückten wir uns schnell
in eine Ecke. Der Vortrag hatte bereits begonnen. Ich that, was
alle Andern thaten: zog Bleistift und Papier heraus, und begann zu
schreiben. Das Stenogramm bringt Alles, Dialect-Laute wie Gedankengang
mit gleicher Treue. Und so bring' ich denn auch, was ich auf dem Papier
hatte, hier wieder, sine ira et studio, Constructionsfehler und lapsus
loquendi, Ungeheuerlichkeiten und Bestialitäten durcheinander gemischt.

_Süpfli_ loquitur:

".... a seller Zuschtand isch immer schlimmer worda; die Zahl der
Chrankheite isch schröckli groß worda; der Düfel, net dermit z'fride,
de mänschliche Körper ganz ußere materielle Subschtanz darg'schtellt
z'sehe, wellt en no weiter ruinire. Alle Chrankhite, die de mänschliche
Körper befalle, sind d'Folge vo der Erbsünde, die si immer vermehrt,
und immer vermehrt; eso daß gar kei Hoffnung uf Beß'rung verhande
z'sei scheint. Instatt gottähnlicher werda mer immer düfelsähnlicher.
Und die letzt' Ursach', zwege der die Erbsünd' in immer größerer
Menge uf uns chommen isch, isch seller Zuschtand, ime dem wir
eh'mals usem Paradies vertrieb'n worda: die _Nacktheit_. Durch die
Nacktheit wird in den Mänschen die Cubiditas und die Concubiszenschia
wachgerufen; selle führen zur Sünde; die Sünde wird uf die Nachkomme
in unwiderschtehlicher Gewalt übertrage, und häuft si immer mehr; und
isch bis ufem heutige Tag zure schröckeli Gewalt worda. Zwar hat ma
Chlider über die Scham conschtruirt, um die Nacktheit zu verberge. Aber
leider sind die Chlider verschieblich. Und selle Verschieblichkeit
hat in de letschte Jahrhunderte grüseli zug'nomma. Ma verschiebt si
alle Augenblick ohne Zweck. Und leider chönna si ganz abg'nomma werda.
Dadurch chönna d'Mänsche zu jeder Zeit ihre Nacktheit inne werda und
si betrachte. Die einzige Möglichkeit us diesem sündhaften Zuschtand
heruszuchumma, war--as e Z'rückversetze i de paradiesische Zuschtand
der Sündlosigkeit zur Zit nüt denkbar,--die _Verwachsung der Chlider
mit der Körper-Oberfläche_. Sell sich de Zweck der Paschtoral-Medizin.
Uf wellem Weg isch aber dies zu erreiche? Do müesse me z'rückgehe bis
zur erschten Entschtehung der Nacktheit beim Mänschen; sell isch bis
zur Geburt. As die Ars obschtetrizia aposchtolica, die paschtorale
Geburtshülfe, us lehrt, isch die Erzeugung des Mänschen zur Zeit eine
sit fascht sechstausend Jahre fortgesetzte Beschtialität; igeleitet
gegen den ursprüngliche Wille des Höchschten; entgegengesetzt em
ganze urschprüngliche Schöpfungsplan. As uns Scotus Erigena schon
im neunten Jahrhundert gezeigt het, war der Zuschtand des erschten
Mänschen im Paradies e rein göttlicher, spiritualischer, seraphischer,
immaterieller, frei von Concubiszenschia und sexualer Cognitio. Die
Vervielfältigung und Weiterzeugung wär' vor sich ganga iner rein
idealer Weise, durch Selbscht-Anschauung, wie ebba die der Engel,
und in Myriade von fleckenlose Individuen. Erscht durch de Sündefall
ging selle siderische Geschtalt verlore. De erscht Mänsch bekam
e sinnliche, materielle, fleischliche Körper, de geschlechtliche
Zwitheilung erfolgte; und de Chliderfabrik begann. As die Sach'
heut' schteht, müsseme uns gedulde, und miteme Dreck abfinde. Aber
die aposchtolische Geburtshülfe muß doch conschtatire, daß mit jedem
Kinde, das us Mutterlip usschlüpft, e Düfelsfratz uns entgegegrinzt, in
wellem der göttliche Funke fascht erloschen isch, e haarlose Beschtie,
e Gottrescht, dem zur ewigen Schande der wizengelbe Charakter der
Nacktheit zugetheilt worde. Und sit der Zit senmer durch fortwährendes
tieferes Verschtricktwerda in die Netze des Düfels zuneme ohnmächtige,
flaischliche, concubischzente G'schlecht usgeartet.--Was isch nu
z'thun? Was isch d'hütige Ufgabe der Paschtoral-Medizin, die Ufgabe
der paschtorale Geburtshülfe? D'Nacktheit chönna mer nüt ändere.
D'Nacktheit isch aber z'schame mit der G'schlechtsverthilung uf zwe
Individue die Quelle aller Schande, aller libido, aller volubtasch,
und ebbe dadurch die Quelle der immer schröcklicher uf uns chumene
Erbsünde. Die Chlider verhülla die Nacktheit. Aber die Chlider
sind verschieblich, thilbar, ablegbar, mousselinehaft, schlüpfrig
und täuschungsrich. Mit Leim chönna merse nüt de Mönsche ufen Lib
feschtkleba._ Wenn'sch aber g'linget, d'Män sche in Chlider gebore
werda z'lasse_, war allem Uebel a'g'holfe! In Chlider, diene Anschauung
der Nacktheit unmöglich mache! Dann war e Vermehrung der Erbsünde
nimmer möglich. Welches Wunder! Ma söll's nüt für möglich halte. Und
doch isch sell Wunder amol vor sich gange:

In _Verona_ isch im siebezehnte Jahrhundert e frommes Ehepaar g'si,
die händ kei Chinder gha. Er stammte usere vornehme Familie. Sie isch
e armes frommes Mädla gsi. Durch's Loos isch si si Frau worda. Zerscht
welletse e christlichs, gottseligs, chinderloses Leba führe. Aberne
Stimme hat ihn an sine Pflicht erinnert. E Conzeptschio is sine ulla
libidine necne cubiditate z'schtand chumme. As die Schtund der Wehen
isch näher chumme, sen sechs Priester Dach und Nacht an's Bett der
Wöchneri hi gechniet, und händ ihr heißes Flehen ebba im Sinn von
sellem ideale Ziel vereinigt, von dem ich oba g'sprochn hab, und das
unschre Disciplin, die ars obschtetrizia aposchtolica verfolgt. Es
verganga bange, schwer Schtunde. D'Hebam isch g'weiht gsi, und hat d'
Communion z'vor empfange gha. Ändli gegen Oba, as sich's Leibesthor
öffnet, was meinad er, isch chumma?! E Menschle, e Büeble isch usi
chomma, inema Frack, in braune, runzliche Hösli, e Schilee het's
ang'het mit schöne, gliche, glanzige Knöpfli, Cylinder Manschette, und
sehr zarte Stiefeli, die erscht an der Luft hart worda sind; g'lacht
hat's mit rothi Bäckli, mit freundlich blinzelnde Äugli, hat sie
gruseli g'freut, und isch mit sime feine Schpazierstöckli usi stapft
ufem wiße Leintuch....

In diesem Augenblick machte es: "Tim, Tim, Tim, Tim, Tim...." zehn Mal.
Es war zehn Uhr. Professor _Süpfli_ schlug einen großen Folianten zu,
und sagte: "s nächschte Mol Mehres über selle Materie!"--



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VISIONEN***


******* This file should be named 43933-8.txt or 43933-8.zip *******


This and all associated files of various formats will be found in:
http://www.gutenberg.org/dirs/4/3/9/3/43933



Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License available with this file or online at
  www.gutenberg.org/license.


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.