Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder

By Mikhail Iurevich Lermontov

Project Gutenberg's Der Held unserer Zeit, by Michail Jurjewitsch Lermontow

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Title: Der Held unserer Zeit
       Kaukasische Lebensbilder

Author: Michail Jurjewitsch Lermontow

Translator: August Boltz

Release Date: May 5, 2012 [EBook #39623]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HELD UNSERER ZEIT ***




Produced by Jens Sadowski, based on scans obtained from
Bayerische Staatsbibliothek München









Anmerkungen zur Transkription


Die fünfte Novelle, die zu vollständigen Ausgaben dieses Buches gehört
(Der Fatalist), findet sich nicht in dieser deutschen Erstausgabe.

Im Original g e s p e r r t hervorgehobene Passagen wurden _kursiv_
wiedergegeben.

Die im Originaltext verwendete -- heute ungebräuchliche -- Transliteration
von russischen Worten und Eigennamen wurde belassen. Hinzu kommt die
gelegentliche -- inkonsequente -- Verwendung von Akzenten als
Betonungszeichen. Oft kommen beide Formen vor, wie Petschórin und
Petschorin. Dies wurde ebenfalls belassen wie im Original.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

Die oft inkonsistente Setzung von Anführungszeichen und Kommata wurde
in allen anderen Fällen belassen wie im Original.





Der Held unserer Zeit.


[CYRILLIC:
   Vot` tam`, za räkoyu,
   Sred' roshkoshi, bleska,
   I starost', i mladost',
   Tolpitsya, kruzhitsya,
   Skol'zit` no parketu
   Pod` gromy orkestra.

   I zavist', zloslov'e,
   Kovarstvo, pritvorstvo,
   Soblazn', sladostrast'e
   Pod` maskoyu märno,
   Nevol'no, bez`umno,
   Za nimi nesutsya.

      Knyaz' M. Golittsyn`.
]






Der
Held unserer Zeit.

Kaukasische Lebensbilder

von

Michaïl Lérmontoff.



Aus dem Russischen übersetzt
von
August Boltz.

Berlin.
Druck und Verlag von Carl Schultze's Buchdruckerei.
1852.


Der
Frau Ober-Inspektorin
Sophie Knoth, geb. Schulte
in Dortmund
als Zeichen dankbarer Verehrung
gewidmet
vom
Uebersetzer.







Vorwort.


Der vorliegende Roman wird zu den besten, in russischer Sprache
geschriebenen, gezählt. Ich glaube, auch für den deutschen Leser wird er,
obgleich in minder vollendeter Form wiedergegeben, nicht ganz ohne
Interesse sein, da kaukasische Lebensbilder und so meisterhafte
Naturschilderungen, wie sie hier geboten werden, noch keinesweges bei uns
zu den Alltäglichkeiten gehören dürften.

Welchen Werth übrigens die Leistungen Lermontoff's haben, beweist der
Umstand, daß einer unserer stilgewandtesten, berühmtesten Schriftsteller,
Hr. Bodenstedt, in jüngster Zeit den I. Band einer höchst eleganten
Uebersetzung von Lermontoff's poetischem Nachlasse veröffentlicht hat,
deren Fortsetzung alle Freunde der russischen Literatur mit Wunsch und
Freude entgegensehen. In demselben Werke theilt Hr. Bodenstedt Aufschlüsse
über Lermontoff's Leben und literarische Stellung mit, was mich jeder
ferneren Bemerkung hierüber enthebt.

Als nicht unwesentlich dürfte noch der interessante Umstand hervorzuheben
sein, daß der Held der nachstehenden Erzählungen, Petschorin, Niemand
anders, als der nach dem Kaukasus verbannte Dichter selbst ist, und daß
sein frühes Ende ihn auf dieselbe Weise ereilte, wie er es (S. 227),
freilich in Bezug auf eine andere Person, todesahnend niedergeschrieben
hatte.

August Boltz.




Bela.


Ich fuhr mit Postfuhrwerk aus Tiflis. Die ganze Ladung meiner Teläga[A]
bestand aus einem kleinen Koffer, welcher zur Hälfte mit Reisenotizen über
Grusien vollgestopft war. Zu Ihrem Glücke ist der größte Theil derselben
verloren gegangen, der Koffer hingegen mit den übrigen Sachen blieb zu
meinem Glücke unversehrt.

Die Sonne fing bereits an sich hinter den Eisrücken der Berge zu
verstecken, als ich in das Koischaurskische Thal hineinfuhr. Mein
Postillon, ein Ossete, trieb unermüdlich die Pferde an, um noch vor Nacht
den Koischaur-Berg zu erreichen, und sang aus voller Kehle Lieder dazu.
Welch' herrlicher Ort ist dieses Thal! Von allen Seiten unersteigbare
Berge, röthliche Felsen mit grünendem Epheu umhängt und von Gruppen des
orientalischen Ahorns gekrönt; vergelbte Fragmente ausgespühlter
Anschwemmungen, und dort, in lustiger Höhe, die goldige Franse der
Schneemassen, und in der Tiefe die Aragwa, die im Verein mit einem andern
namenlosen Flüßchen sich mit Geräusch aus der tiefen Finsterniß einer Kluft
herauswindet, dann, einem Silberfaden gleich, sich dahinzieht und wie eine
Schlange im Glanze ihrer Schuppen schimmert.

[Fußnote A: Ein leichter Bauer- (Post-) wagen, der nicht in Federn hängt.]

Am Fuße des Koischaur angelangt, hielten wir an einem Duchan[A] still.
Einige zwanzig Grusier und Gorzen[B] trieben sich dort lärmend umher; nicht
weit davon hielt eine Karawane Kameele zum Nachtlager. Hier sagte man mir,
daß ich Ochsen zum Vorspann nehmen müsse, wenn ich meinen Wagen diesen
verwünschten Berg hinaufschaffen wollte, denn es war bereits um die
Herbstzeit und viel Glatteis, -- und der Berg hat eine Länge von ungefähr
zwei Werst.[C] --

Es blieb mir nichts weiter übrig; ich miethete sechs Ochsen und einige
Osseten. Einer von ihnen nahm meinen Koffer auf die Schultern und die
andern fingen an den Ochsen, wenn auch fast nur durch bloßes Schreien, zu
helfen.

Hinter meiner Teläga zogen vier Stiere eine andere über und über
vollgepackte, mit einer Leichtigkeit herauf, daß es eine Freude war sie
anzusehen. Dieser Umstand erregte meine Verwunderung. Hinter dem Wagen
folgte dessen Eigenthümer, aus einem kleinen Kabardinerpfeifchen, das mit
Silber beschlagen war, rauchend. Er trug einen Offiziersrock ohne
Epaulettes, und eine verbrämte Tscherkessenmütze. Er mochte in den
Fünfzigern sein; seine dunkle Gesichtsfarbe zeigte ganz klar, daß er schon
seit langer Zeit mit der kaukasischen Sonne bekannt war; sein zu früh
ergrauter Schnurrbart entsprach nicht seinem festen Gange und seinem
rüstigen Aussehen. Ich ging an ihn heran und begrüßte ihn; er erwiederte
schweigend meine Verbeugung und blies eine ungeheure Rauchwolke in die
Luft.

[Fußnote A: _Duchan_ persisch, Dorf, Station.]

[Fußnote B: _Gorzü_, Bergvölker, gewöhnliche Benennung aller Kaukasier.]

[Fußnote C: 7 Werst = 1 deutsche Meile.]

»Es scheint daß wir Reisegefährten sind?«

Er antwortete abermals durch eine stumme Verbeugung.

»Sie gehen wahrscheinlich nach Stawropol? . . .«

-- So ist's . . . mit Kronssachen.

»Bitte, sagen Sie mit doch, woher kommt es, daß Ihren schwerbeladenen Wagen
vier Ochsen spielend ziehen, während sechs dieser Thiere bei aller Hülfe
der Osseten mit meinem leichten Wägelchen kaum von der Stelle kommen?«

Er lächelte verschmitzt und warf einen bedeutungsvollen Seitenblick auf
mich. --

-- Sie sind wahrscheinlich noch nicht lange im Kaukasus?

»Seit einem Jahre,« antwortete ich.

Er lächelte abermals.

»Nun, und wozu das?«

-- Nun, so! Es sind infame Bestien, diese Asiaten! Sie glauben wohl, die
helfen mit ihrem Schreien? Der Teufel mag entziffern, was sie schreien; so
viel ist gewiß, daß die Ochsen sie verstehen; und wenn Sie deren zwanzig
vorspannten, -- fangen die Kerls einmal an auf ihre Art zu schreien, so
rühren sie sich nicht vom Flecke . . . . Infame Spitzbuben! Aber was fängt
man mit ihnen an? . . Sie suchen die Reisenden um ihr Geld zu bringen,
. . . und man hat die Schelme auch verdorben! Sie werden sehen, daß sie
noch zu Ihnen kommen und Trinkgeld fordern. Ich kenne sie schon, mich
führen sie nicht an!

»Sie dienen wohl schon lange hier?«

-- Ja wohl, ich diente hier schon unter Alekséi Petrówitsch,[A] antwortete
er, indem er sich in die Brust warf. Als er hierher in die Linie kam, war
ich Seconde-Lieutenant -- fügte er hinzu -- und unter ihm habe ich zwei
fernere Grade im Kriege gegen die Gorzen erhalten.

»Und jetzt sind Sie . . .?«

-- Jetzt gehöre ich zum dritten Linien-Bataillone. Und Sie, wenn ich fragen
darf?

Ich sagte es ihm.

Hiermit brach unser Gespräch ab, und wir setzten unsern Weg schweigend
neben einander fort. Auf der Höhe des Berges fanden wir Schnee. Die Sonne
war untergegangen und die Nacht dem Tage ohne Abenddämmerung gefolgt, wie
dies gewöhnlich im Süden der Fall ist; doch konnten wir beim Wiederscheine
der Schneemassen den Weg ganz leicht erkennen, der sich noch immer bergan
zog, obgleich nicht mehr so steil wie bisher. Ich ließ meinen Koffer auf
die Teläga packen, befahl die Ochsen gegen Pferde umzuwechseln, und warf
noch einen letzten Abschiedsblick hinunter in das Thal; allein ein dichter
Nebel, der in strömenden Wogen aus den Felsklüften quoll, verdeckte es
vollkommen, und kein einziger Laut berührte von dorther mehr unser Ohr. Die
Osseten stürmten lärmend an und forderten Trinkgeld; allein der
Stabskapitain schrie sie so zornig an, daß sie sich im Augenblicke aus dem
Staube machten. -- »Das ist ein Volk!« sagte er »nicht _Brod_ können sie
auf russisch sagen, aber sie wissen recht gut, wie »Offizier, gieb
Trinkgeld« heißt! Nein, da ziehe ich mir noch die Tataren vor, das sind
doch wenigstens keine Trinker . . . .«

[Fußnote A: Dem General Grafen Jermóloff.]

Bis zur Station hatten wir noch ungefähr eine Werst zurückzulegen. Rundum
war es still, so still daß man dem Fluge einer Mücke nach ihrem Summen
hätte folgen können.

Links lagen tiefe, dunkle Felsenklüfte; hinter ihnen und vor uns zeichneten
sich die dunkelbraunen Spitzen der Berge, mit Runzeln und Schneelagern
bedeckt, gegen das blaße Himmelsgewölbe ab, an welchem der letzte matte
Wiederschein des Abendrothes dahinstarb. Am dunkeln Himmel fingen die
Sterne an zu schimmern, und, -- sonderbar, es schien mir als ob sie hier
höher hingen als bei uns im Norden. An beiden Seiten des Weges starrte
nacktes, schwarzes Gestein empor; dann und wann guckte ein Gesträuch aus
dem Schnee hervor, doch kein einziges vertrocknetes Blättchen regte sich
und es that einem wohl, inmitten dieses Todesschlafes der Natur das
Schnauben der ermüdeten Troika[A] zu vernehmen, so wie das unregelmäßige
Gebimmel des russischen Wagenglöckchens.

»Morgen wird herrliches Wetter sein!« sagte ich. Der Stabskapitain
antwortete kein Wort, sondern zeigte nur mit dem Finger nach einem hohen
Berge, der sich grade vor uns erhob.

»Was ist da?« fragte ich.

-- Der Gudberg.

»Nun, und was ist mit dem?«

-- Sehen Sie nur, wie er raucht.

In der That rauchte der Gudberg; an seinen Abhängen krochen leichte
Wolkengebilde dahin, aber auf seinem Gipfel lagerte ein schwarzes Gewölk,
so schwarz, daß es gegen den dunkeln Himmel wie ein schwarzer Fleck
abstach.

Schon konnten wir die Poststation und die Dächer der sie umringenden Hütten
erkennen, aus denen einladende Feuer uns entgegenblinkten, als sich ein
feuchter, kalter Wind erhob, die Felsenklüfte zu heulen anfingen und ein
feiner Regen herabfiel. Kaum hatte ich Zeit gehabt mir meine Burka[B]
umzuwerfen, als auch, schon Schnee fiel. Mit Ehrfurcht blickte ich auf den
Stabskapitain.

-- Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig als hier zu übernachten, sagte er
verdrießlich: in einem solchen Schneegestöber kann man diese Berge gar
nicht passiren. Sag' mal, sind am Kreuzberge schon Lawinen gestürzt, fragte
er den Postillon.

[Fußnote A: Dreigespann.]

[Fußnote B: Ein kurzer zottiger Filzmantel, vorzüglich bei den im Kaukasus
stehenden Kosaken im Gebrauch.]

»Noch nicht, Herr« antwortete der Ossete, »aber es hängt viel, viel.«

In Ermangelung eines Passagierzimmers theilte man uns ein Nachtlager in
einer räucherigen Hütte zu. Ich lud meinen Reisegefährten zu einem Glase
Thee ein, denn ich führte meine eiserne Theemaschine -- mein einziges
Labsal auf meinen kaukasischen Reisen -- immer mit mir. Die Hütte (hier
Saklja genannt) lehnte sich von der einen Seite an den Felsen; drei
schlüpfrige, feuchte Stufen führten zu ihrer Thüre. Tappend ging ich voran
und stieß auf eine Kuh (der Viehstall vertritt bei diesen Leuten die Stelle
des Bedientenzimmers). Ich wußte nicht wohin ich mich wenden sollte: da
blöcken Schafe, dort knurren Hunde. Zum Glücke schimmerte an der Seite ein
trüber Lichtstrahl durch und half mir eine andere thürähnliche Oeffnung
finden. Ein ziemlich interessantes Bild eröffnete sich vor uns: Die
umfangreiche Hütte, deren Dach sich auf zwei verräucherte Pfeiler stützte,
war mit Menschen angefüllt. In der Mitte flackerte ein Feuer, das auf dem
Fußboden angemacht war, und dessen Rauch, da er vom Winde aus der Oeffnung
im Dache wieder zurückgetrieben wurde, sich rundum gleich einer so dichten
Hülle ausbreitete, daß ich lange nichts zu unterscheiden vermochte; am
Feuer saßen zwei alte Weiber, eine Menge Kinder und ein abgemagerter
Grusier, alle in Lumpen. So blieb uns weiter nichts übrig; wir nisteten uns
gleichfalls am Feuer ein, rauchten unser Pfeifchen und bald kochte die
Theemaschine auf die einladendste Weise.

»Was für ein jämmerliches Volk!« sagte ich zum Stabskapitaine, indem ich
auf unsere schmutzigen Wirthsleute wies, die uns schweigend und in einer
Art von Erstarrung anblickten.

-- Und ein erzdummes Volk! antwortete er. Wollen Sie wohl glauben, daß sie
durchaus nichts können, daß sie keiner Art von Bildung fähig sind! Da lobe
ich mir doch unsere Kabardiner oder die Tschetschiner! Es sind zwar auch
Räuber und Halsabschneider, aber ganz verzweifelte Tollköpfe; diese
hingegen nehmen nicht einmal gern ein Gewehr zur Hand: einen anständigen
Dolch findet man bei keinem einzigen. Und nun gar erst die Osseten!

»Sie waren also lange in Tschetschen?«

-- Ja gewiß, ich lag wohl an die zehn Jahre mit einer Kompagnie in einer
Festung, da bei Brückburg, -- wissen Sie?

»Ich habe davon gehört.«

-- Nein, mein Bester, was diese Händelmacher mir zu schaffen gemacht haben!
Jetzt, Gott sei Dank, ist's da weit ruhiger; aber früher, Gott bewahre!
früher brauchte man nur hundert Schritt vom Walle abzugehen, und so ein
zottiger Teufel saß wahrhaftig auf der Lauer: kaum hatte man ausgegähnt, so
saß einem auch schon eine Schlinge um den Hals oder eine Kugel im Nacken.
Aber tapfere Jungens! . . .

»Ei, da müssen Sie ja wahrhaftig recht viele Abentheuer erlebt haben?«
sagte ich, vor Neugierde brennend.

-- Wie denn nicht! wahrhaftig.

Hier begann er seinen linken Schnurrbart zu flattiren, ließ den Kopf auf
die Brust sinken und verfiel in Nachdenken. Ich hätte ihm gar zu gern
irgend ein Geschichtchen abgelockt, -- ein Wunsch, der übrigens allen
Verfassern von Reisememoiren und allen Volksschriftstellern mit mir eigen
ist. Unterdessen war der Thee fertig geworden; ich zog aus meinem Koffer
zwei Feldbecher, schenkte sie voll und stellte einen derselben hin: »Ja,
wahrhaftig!« Dieser Ausruf gab mir große Hoffnungen. Ich weiß nur zu gut,
wie sehr die alten Krieger im Kaukasus zu sprechen und zu erzählen lieben;
es wird ihnen auch so selten geboten: wie mancher steht da fünf Jahre lang
in irgend einem abgelegenen Winkel mit seiner Abtheilung, und hört die
ganzen fünf Jahre über kein einziges »Guten Tag,« weil der Feldwebel ihn
nur mit »Ich wünsche Ihnen Gesundheit«[A] begrüßt. Und was wüßten sie nicht
alles zu erzählen! Rundum ein wildes, interessantes Volk, jeden Tag eine
Gefahr; was für wunderbare Fälle kommen da nicht vor! Hier bedauert man
unwillkührlich daß bei uns so wenig geschrieben wird.

»Wollen Sie nicht ein wenig Rum hinzufügen?« fragte ich meinen
Reisegefährten, »ich habe weißen, aus Tiflis; es ist jetzt kalt.«

[Fußnote A: Die vorgeschriebene Begrüßungsformel für Untergebene, _welches
Ranges sie auch sein mögen_, gegen ihre Vorgesetzten.]

-- Nein, ich danke, ich trinke nicht.

»Wie so?«

-- Je nun, so. Ich habe mir das Wort gegeben. Einmal, als ich noch
Secondelieutenant war, müssen Sie wissen, und wir uns untereinander einmal
recht etwas zu Gute gethan hatten, wird des Nachts plötzlich Alarm
geschlagen; wir, angerissen wie wir waren, hinaus; ja, das wäre uns bald
gut bekommen als Alexéi Petrówitsch es erfuhr -- Gott soll mich bewahren,
wie er böse wurde! Es fehlte nicht viel, so hätte er uns vor ein
Kriegsgericht gestellt. Und so geschieht's jedesmal: zu einer andern Zeit
lebt man das ganze Jahr hindurch und sieht keine Menschenseele; nimmt man
aber einmal ein Gläschen zu viel, so ist man auch ein verlorner Mensch!

Bei dieser Erzählung verlor ich fast wieder alle Hoffnung.

-- Nun nehme man aber gar erst die Tscherkessen, fuhr er fort, wenn die
sich erst bei Hochzeits- oder Begräbnißgelagen in Busa[A] betrinken, dann
kommt's auch gleich an's Einhauen. Ich war einmal mit Gewalt und noch dazu
bei einem friedlichen Fürsten[B] zu Gaste gezogen worden.

»So? Wie war denn das zugegangen?«

-- Sehen Sie . . . (er stopfte sich eine Pfeife, that ein paar tüchtige
Züge und begann zu erzählen) sehen Sie also, ich stand damals mit einer
Kompagnie in einer Festung jenseits des Tereks, -- es wird nun bald an die
fünf Jahre sein. Da kam einmal um die Herbstzeit ein Transport mit Proviant
an, und bei diesem Transporte befand sich ein Offizier, ein junger Mensch
von ungefähr fünf und zwanzig Jahren. Er stellte sich mir in voller Uniform
vor und eröffnete mir, daß er die Ordre erhalten habe bei mir in der
Festung zu bleiben. Er war so zart, so weiß, seine Uniform war so neu, daß
ich sogleich errieth, er sei erst unlängst nach dem Kaukasus gekommen.

[Fußnote A: Getränk aus Buchweizenmehl.]

[Fußnote B: Der Rußlands Oberhoheit anerkannt hatte.]

»Sie sind wahrscheinlich aus Rußland hierherversetzt worden?« fragte ich
ihn. -- »Zu befehlen, Herr Stabskapitain,« war seine Antwort. Ich faßte ihn
bei der Hand und sagte: Sehr erfreut, sehr erfreut; nur wird es Ihnen hier
ein Bischen langweilig vorkommen . . . nun, wir wollen schon
freundschaftlich mit einander leben. Indessen bitte ich Sie, nennen Sie
mich nur ganz einfach Maksim Maksimitsch und dann -- wozu denn diese volle
Uniform? Kommen Sie nur immer in der Feldmütze zu mir.« -- Man wies ihm
eine Wohnung an, und so setzte er sich denn in der Festung fest.

»Und wie hieß er?« fragte ich Maksim Maksimitsch.

-- Er hieß . . . Grigór Alexándrowitsch Petschórin. Ein feiner Junge, das
kann ich Ihnen versichern; nur etwas Sonderling. So konnte er sich z. B. im
Regen und Frost den ganzen Tag auf der Jagd umhertreiben: alle Anderen sind
durchgefroren und abgemattet, aber ihm thut das nichts. Ein anderes Mal
sitzt er am Fenster in seinem Zimmer; der Wind bläßt ein Bischen und er
versichert einem, daß er sich erkältet habe; oder die Fensterlade schüttert
etwas und er fährt zusammen und erbleicht, und doch habe ich ihn ganz
allein gegen einen Eber angehen sehen; manchmal kriegte man Stundenlang
kein Wort aus ihm heraus, fing er aber erst einmal an zu erzählen, ja da
mußte man sich den Bauch vor Lachen halten . . . Ei ja, ein großer
Sonderling, und er muß auch reich gewesen sein, denn was hatte er alles für
kostbare Sächelchen! . . .

»Blieb er denn lange bei Ihnen?« fragte ich weiter.

-- Wohl ein Jahr; dafür wird mir aber auch dieses Jahr ewig im Gedächtniß
bleiben! Hat der mir zu schaffen gemacht, nein, das kann ich Ihnen gar
nicht sagen! Sehen Sie, es giebt wahrhaftig solche Leute, denen es schon in
der Wiege bestimmt ist, daß ihnen ganz außergewöhnliche Dinge widerfahren
werden!

»Außergewöhnliche Dinge?« rief ich mit Neugierde aus, indem ich ihm Thee
einschenkte.

-- Ja, ich werde Ihnen gleich erzählen. In der Entfernung von ungefähr
sechs Werst von der Festung lebte ein friedlicher Fürst. Sein Sohn, ein
Junge von fünfzehn Jahren, hatte sich angewöhnt jeden Tag zu uns herüber zu
reiten, bald nach diesem bald nach jenem, und Grigórii Alexándrowitsch und
ich, wir hatten ihn auch wirklich ganz verwöhnt. Es war aber auch ein
wackrer Junge, der alles machen konnte, was er nur wollte; im vollen
Carriere hob er eine Mütze von der Erde auf oder feuerte ein Gewehr ab.
Eins war nicht hübsch an ihm: er war ungeheuer auf's Geld versessen. Einmal
versprach ihm Grigórii Alexándrowitsch zum Spaße ihm einen Dukaten zu
schenken, wenn er den schönsten Bock aus seines Vaters Heerde stehlen
könne; und was meinen Sie? am andern Abend bringt er ihn bei den Hörnern
herangeschleppt. Kam es einmal vor, daß wir ihn foppen wollten -- gleich
unterliefen seine Augen mit Blut und er griff nach dem Dolche. »Ei, Asamat,
man thut Dir ja nichts zu Leide,« pflegte ich dann zu sagen, »Dein toller
Sinn wird Dich noch ins Verderben stürzen!«

-- Einst kam der alte Fürst selbst zu uns herüber, um uns zur Hochzeit
einzuladen; er verheirathete seine älteste Tochter und wir standen mit ihm
in Gastfreundschaft; na, da konnten wir ihm doch nicht absagen, ob er schon
ein Tatar war. Wir machen hin. Im Aúle[A] kam uns ein ganzer Rudel Hunde
mit lautem Gebell entgegen; die Weiber versteckten sich bei unserm
Anblicke; diejenigen, deren Gesichter wir etwa sehen konnten, waren nichts
weniger als schön. »Ich hatte eine weit bessere Meinung von den
Tscherkessinnen,« sagte Grigórii Alexándrowitsch zu mir. -- Warten Sie nur!
antwortete ich ihm, indem ich lächelte. Ich hatte schon die Meinige im
Sinn.

[Fußnote A: Aúl, Dorf der kaukasischen Völkerschaften.]

-- Bei dem Fürsten hatte sich bereits eine Masse Volk in der Hütte
versammelt. Sie wissen, daß es bei den Asiaten Gebrauch ist alle diejenigen
zur Hochzeit einzuladen, denen man begegnet oder die am Hause vorübergehen.
Man empfing uns mit allen nur möglichen Ehrenbezeugungen und führte uns ins
Gastzimmer. Ich übersah es indessen nicht aufzupassen, wohin sie unsere
Pferde brachten, wissen Sie, für einen unvorgesehenen Fall.

»Wie begehen sie denn die Hochzeitsfeier?« fragte ich den Stabskapitain.

-- Ja, ganz gewöhnlich. Zuerst liest ihnen der Mulla etwas aus dem Koran
vor, dann werden die jungen Leutchen und ihre Verwandten beschenkt, man
ißt, trinkt Busa und endlich beginnt die Dschigitóffka,[A] in welcher immer
irgend ein abgerissener, schmieriger Hanswurst auf einer elenden, lahmen
Mähre herumpojatzt und die verehrliche Gesellschaft belustigt. Zuletzt,
gegen die Dämmerung, beginnt im Gastzimmer was wir einen Ball nennen
würden. Irgend ein armer Greis kratzt auf einer dreisaitigen -- ich weiß
nicht mehr, wie sie das Ding nennen, -- nun im Genre unserer Balaláika;[B]
-- die Mädchen und die jungen Burschen stellen sich in zwei Reihen einander
gegenüber, klatschen in die Hände und singen dazu. Dann tritt ein junges
Mädchen und ein Bursche in die Mitte und fangen da an einander in Versen
zuzusingen, was ihnen grade in den Kopf kommt, und die übrigen fallen im
Chorus ein. Petschórin und ich nahmen die Ehrenplätze ein; plötzlich
schritt die jüngste Tochter unseres Wirthes, ein Mädchen von sechszehn
Jahren, auf ihn zu, und sang ihm . . wie soll ich doch sagen? . . sang ihm
eine Art von Kompliment zu.

[Fußnote A: Kaukasischer Nationaltanz.]

[Fußnote B: Eine jämmerliche Nachbildung der Guitarre.]

»Erinnern Sie sich noch dessen, was sie sang?« fragte ich.

-- Ja, ich glaube es war ungefähr so: »Wohl anzusehn, fürwahr, sind unsere
jungen Dschigiten, Und ihre Káftane mit Silber ausgenäht, Doch schmucker
noch als sie ist dieser junge Russenheld, In purem Golde blitzt sein
reichbetreßter Waffenrock. Wie eine Pappel steht er zwischen ihnen prächtig
da, In unserm Garten leider wächst sie nicht und blüht sie nicht.«

-- Als sie von uns zurücktrat, raunte ich Grigórii Alexándrowitsch eben
in's Ohr: »Nun, wie gefällt Ihnen die?« -- »Wunderbar, wunderbar!«
antwortete er: »wie heißt sie?« -- »Sie wird Bela genannt« entgegnete ich.

-- Und wahrlich, sie war schön: hoch und schlank, und hatte schwarze Augen
wie die der Berggemse, mit denen sie einem bis in die Seele hineinblickte.
Petschórin verwandte, in Gedanken versunken, kein Auge von ihr, und auch
sie blickte öfter verstohlen nach ihm hin. Indessen war Petschórin nicht
der einzige, der die liebliche Fürstin mit Wohlgefallen betrachtete: aus
einem Winkel des Zimmers blickten sie zwei bewegungslose, glutvolle Augen
an. Ich sah genauer zu, wer es war, und erkannte meinen alten Bekannten
Kásbitsch. Er war, wissen Sie, eigentlich weder einer von den friedlichen
noch von den nichtfriedlichen. Es ruhte wohl so mancher Verdacht auf ihm,
ob er gleich nie bei irgend einem Unfug war betroffen worden. Er brachte
uns öfters Schafe in die Festung zum Verkauf und war immer sehr billig
damit, ließ aber niemals mit sich handeln; was er forderte, mußte man
geben, denn eher hätte er sich in Stücke hauen lassen, als das Geringste
von seinem Preise abzulassen. Das Gerücht ging von ihm, daß er sich
jenseits des Kúbans mit den Abréken, einem feindlichen räuberischen
Völkerstamme, herumtrieb, und die Wahrheit zu gestehen, sah er auch ganz
darnach aus, kurz, trocken, breitschultrig, eine rechte Räubergestalt
. . . Aber gewandt, gewandt, wie der Teufel! Sein Beschmét[A] war immer
zerrissen und mit Flicken besetzt, aber sein Gewehr mit Silber ausgelegt;
sein Pferd war in der ganzen Kabarda berühmt, -- und wahrhaftig ein
schöneres Thier kann man sich gar nicht vorstellen. Nicht umsonst
beneideten ihn alle Raubreiter darum und bemühten sich mehr als einmal es
ihm wegzustehlen, was ihnen indessen nicht gelang. Ich sehe dies edle Thier
ordentlich vor mir stehen: Schwarz wie Pech, Füße wie Saiten, und Augen
nicht schlechter wie Bela's Augen. Und was, für eine Kraft! Funfzig Werst
in vollem Trabe; dabei war es so zahm, daß es wie ein Hund hinter seinem
Herrn drein lief; sogar seine Stimme kannte es! Und wie oft geschah es, daß
er es gar nicht anband. So ein rechtes Räuberpferd! . . .

[Fußnote A: Kurzes enganliegendes Unterkleid der tatarischen
Völkerschaften.]

-- An diesem Abend war Kásbitsch finstrer als sonst und ich bemerkte, daß
er unter dem Beschmét ein Panzerhemd an hatte. »Nicht umsonst hat er dies
Panzerhemd an,« dachte ich, »er führt gewiß irgend was im Schilde.«

-- Es war schwül in der Hütte, und ich trat hinaus, mich an der Luft zu
erfrischen. Nacht lag schon auf den Bergen und Nebel strich an den
Felsklüften hin.

-- Ich ließ mir einfallen, mich unter das Wetterdach zu begeben wo unsere
Pferde standen, um nachzusehen ob sie Futter hätten, und weil überdies
Vorsicht nie schaden kann: ich hatte ein herrliches Pferd mit, und schon
mehr als Ein Kabardinzer hatte es wohlgefällig in's Auge gefaßt, und dabei
ausgerufen: Jakschi tsche, tschek jakschi![A]

-- Ich ducke mich längs des Plankenzaunes hin, und plötzlich hör' ich
Stimmen; die eine Stimme erkannte ich sogleich: das war der Wildfang
Asamat, der Sohn unseres Wirthes; die andere sprach seltener und leiser.
»Wovon schwatzen die da wohl?« dacht' ich: »doch wohl nicht gar von meinem
Pferde?« Da kauerte ich mich bei dem Zaune nieder, und fing an zu horchen,
bemüht, daß kein einziges Wort mir entginge. Doch der Lärm der Gesänge und
das Gewirr der Stimmen, die aus der Hütte herausschallten, verschlangen
bisweilen das mir so interessante Gespräch. --

[Fußnote A: Worte des Beifalls in tatarischer Sprache.]

-- »Du hast ein herrliches Pferd!« sagte Asamat, »wäre ich Herr im Hause
und hätte eine Herde von dreihundert Stuten, so gäbe ich wohl die Hälfte
für Deinen Renner, Kásbitsch!«

-- Aha, Kásbitsch! dachte ich und erinnerte mich des Panzerhemdes.

-- »Ja,« antwortete Kásbitsch nach einigem Schweigen, »in der ganzen
Kabárda findet man kein solches. Einstmals, -- das war jenseits des Téreks
-- zog ich mit den Abréken aus, russische Pferdeherden wegzunehmen; es
glückte uns nicht, und wir wurden versprengt, der eine dahin, der andere
dorthin. Hinter mir her waren vier Kosaken schon hörte ich das Geschrei der
Giauren und vor mir war ein dichter Wald. Da duckte ich mich in den Sattel,
übergab mich dem Allach und zum erstenmal im Leben beleidigte ich das Pferd
durch einen Schlag mit der Peitsche. Wie ein Vogel streifte es zwischen den
Zweigen dahin; scharfe Stechpflanzen zerrissen meine Kleidung, dürre Aeste
von Zwergrüstern schlugen mir im Gesicht herum. Mein Pferd setzte über die
Baumstumpfe und riß mit der Brust das Gesträuch auseinander. Ich hätte
besser gethan das Pferd am Saume des Waldes laufen zu lassen, mich selbst
aber zu Fuß im Walde zu verstecken, es that mir aber leid mich von ihm zu
trennen. Und der Prophet belohnte mich. Einige Kugeln sausten über meinen
Kopf dahin, ich hörte schon die heißverfolgenden Kosaken dicht hinter mir
. . Plötzlich gähnt vor mir eine tiefe Wasserschlucht; mein Renner stutzte
-- und sprang. Seine Hinterhufe glitten von dem jenseitigen Uferrande ab,
und er hing an den Vorderfüßen; ich warf die Zügel weg, und flog in die
Schlucht hinab; dies rettete mein Pferd: es sprang hinauf. Die Kosaken
sahen alles mit an, doch keiner von ihnen ließ sich hinab, mich zu suchen:
sie dachten wohl ich müsse den Hals gebrochen haben, und ich hörte, wie sie
sich in Bewegung setzten mein Pferd aufzufangen. Das Blut stockte mir im
Herzen, ich kroch im tiefen Grase längs der Schlucht hervor, -- ich sehe:
der Wald war zu Ende, einige Kosaken reiten aus ihm auf die Haide heraus,
und siehe! mein Karagös sprengt grade auf sie los; alle warfen sich mit
Geschrei hinter ihm her; lange, lange verfolgten sie ihn, besonders einer
war zweimal nahe daran, ihm die Schlinge über den Hals zu werfen; ich
erbebte, senkte die Augen, und fing an zu beten. Nach einigen Augenblicken
erhebe ich sie wieder -- und siehe da! mein Karagös fliegt mit wehendem
Schweife, dem freien Winde gleich, daher; die Giauren hingegen schleppen
sich, einer weit hinter dem andern, auf den abgequälten Pferden durch die
Steppe. Beim Allach! es ist wahr, es ist wahrhaftig wahr! Bis zur späten
Nacht saß ich in meiner Schlucht. Plötzlich, was denkst Du wohl, Asamat? in
der Finsterniß hör' ich, daß am Rande der Schlucht ein Pferd läuft,
schnaubt, wiehert und mit den Hufen auf die Erde stampft; ich erkannte die
Stimme meines Karagös das war er, mein Gefährte! . . . Von der Zeit an
blieben wir unzertrennlich.

Und man konnte hören, wie er mit der Hand den glatten Hals seines Renners
sanft klopfte, indem er ihm verschiedene zärtliche Benennungen gab.

-- »Wenn ich eine Herde von tausend Stuten hätte,« sagte Asamat, »ich würde
sie Dir ganz für Deinen Karagös hingeben!«

»Jok, ich gäb' ihn nicht dafür,« antwortete Kásbitsch gleichgültig.

-- »Höre, Kásbitsch,« sagte schmeichelnd Asamat zu ihm, »Du bist ein guter
Kerl, Du bist ein tapferer Dschigit; mein Vater aber fürchtet die Russen,
und läßt mich nicht in die Berge; überlaß mir Dein Pferd, und ich will
alles thun, was Du nur verlangst, ich stehle für Dich meinem Vater seinen
besten Karabiner, seine beste Scháschka,[A] was Du nur wünschest, -- seine
Scháschka ist eine ächte Gúrda: Du brauchst nur die Schneide an die Hand zu
legen, so saugt sie sich von selbst in's Fleisch; und sein Panzerhemd ist
mindestens so gut wie Deines.«

-- Kásbitsch schwieg.

-- »Das erstemal, als ich Dein Pferd sah,« fuhr Asamat fort, »als es unter
Dir sich im Kreise drehte und mit aufgeblasenen Nüstern dahinsprang, und
unter seinen Hufen hervor die Steine in Funken stoben, da ging in meiner
Seele etwas Unbegreifliches vor, und von der Zeit wurde mir alles andere
zuwider: auf die besten Renner meines Vaters sah ich mit Verachtung; ich
schämte mich auf ihnen mich zu zeigen, und Traurigkeit übernahm mich ganz;
und harmvoll versaß ich auf einem Felsen ganze Tage, und in jedem
Augenblicke erschien mir in Gedanken Dein schwarzer Renner mit seinem edlen
Gange und seinem glatten, pfeilgraden Rücken; er blickte mich mit seinen
muntern Augen an, als ob er sprechen wollte. Ich werde sterben, Kásbitsch,
wenn Du mir ihn nicht überlässest!« sagte Asamat mit zitternder Stimme.

[Fußnote A: Scháschka heißt der krumme Säbel der Tscherkessen und Kosaken.]

Ich glaubte zu hören, daß er zu weinen anfing: dabei muß ich Ihnen sagen,
daß Asamat ein erztrotziger Bube war, dem man bisher mit nichts Thränen
abzudringen vermocht hatte, sogar als er noch ganz jung war.

-- Zur Antwort auf seine Thränen war nur eine Art Hohngelächter vernehmbar.

-- »Höre!« sagte Asamat mit fester Stimme, ich bin zu Allem entschlossen.
Willst Du, daß ich für Dich meine Schwester stehle? Wie tanzt sie schön!
und wie sie singt! auch nähet sie in Golde aus, wundervoll! Solch eine
Genossin hat wohl der türkische Padischa kaum . . . Willst Du? Erwarte mich
morgen in der Nacht dort, in der Schlucht, wo der Wildbach fließt: ich
werde mit ihr zum benachbarten Aúle vorübergehen, -- und sie ist Dein. Ist
denn wohl Bela nicht Deinen Renner werth?

-- Lange, lange schwieg Kásbitsch; endlich, anstatt der Antwort, stimmte er
mit halber Stimme ein altes Liedchen an:

   Schönheiten giebt's hier im Aúle gar viel,
   Sternen gleich funkelt des Augenpaars Spiel.
   Süß, sie zu lieben -- ein Loos zu beneiden;
   Heit'rer noch, nie von der Freiheit zu scheiden.
   Gold schafft der Frauen mir drei oder vier,
   Doch solch ein Roß, sagt, wo schaff' ich es mir?
   Rasch durch die Stepp', wie der Wind, eilt's im Fluge,
   Fern jedem Wechsel, fern jedem Truge.

Vergebens bat ihn Asamat wiederholentlich, einzuwilligen, und weinte und
schmeichelte ihm und schwur; endlich unterbrach ihn Kásbitsch ungeduldig:

-- »Geh fort, thörigter Junge! Wo willst Du wohl auf meinem Pferde reiten?
Bei den ersten drei Schritten wirft es Dich ab, und Du zerschlägst Dir das
Genick auf den Steinen.«

-- »Ich!« schrie Asamat in Wuth, und das Eisen des Knabendolches erklirrte
auf dem Panzerhemde. Eine kräftige Hand warf ihn zurück und er schlug sich
an den geflochtenen Zaun so heftig, daß dieser wankte. »Das gibt einen
schönen Spaß,« dachte ich, eilte zum Stalle, zäumte unsere Pferde auf, und
führte sie nach dem hinteren Hofe. Binnen zwei Minuten schon war in der
Hütte ein fürchterliches Getöse. Es hatte sich folgendes ereignet: Asamat
war mit zerrissenem Beschmét dort hineingerannt, vorgebend, Kásbitsch wolle
ihn ermorden. Alle sprangen herbei, griffen zu den Waffen, und der Spaß
ging los. Geschrei, Lärm, Schüsse; doch Kásbitsch war schon zu Pferde und
brach wie ein Teufel durch die Menge in die Straße, indem er die Scháschka
vertheidigend schwang. »Ein schlimmer Handel in fremder Schmauserei die
Nachwehen der Trunkenheit,« sagte ich zu Grigórii Alexándrowitsch, indem
ich ihn bei der Hand ergriff; »thäten wir nicht besser, uns eiligst
davonzumachen?«

-- »Aber warten Sie doch, wie es endigen wird.«

-- Es wird wahrscheinlich schlecht endigen; bei diesen Asiaten ist es immer
so: sie betrinken sich in Busa, und das Gemetzel geht los! Wir saßen auf
und ritten spornstreichs nach Hause.

»Was wurde denn aus Kásbitsch?« fragte ich den Stabskapitain mit Ungeduld.

-- Was kann man wohl einem solchen Kerl anhaben! antwortete er, indem er
sein Glas Thee bis auf die Neige austrank; er entschlüpfte!

»Und wurde nicht verwundet?« fragte ich.

-- Ja, das weiß Gott! Diese Spitzbuben haben ein zähes Leben! Ich hab sie
wohl manchmal im Gefecht gesehen, sehen Sie, ganz zerhauen und von
Bajonetten einem Siebe gleich durchlöchert, und doch wirthschaftet so ein
Kerl noch immer mit der Scháschka herum. -- Der Stabskapitain schwieg eine
Weile, dann fuhr er, mit dem Fuß auf die Erde stampfend, fort:

-- Eins werde ich mir nie verzeihen: daß mich der Böse zupfte, dem Grigórii
Alexándrowitsch Alles wieder zu erzählen, als wir nach der Festung
zurückritten, was ich hinter dem Zaune gehört hatte; er lächelte fein, der
Schlaufuchs -- und dachte sich sein eigenes Stückchen aus.

-- »So? Was denn für eins? Bitte, erzählen Sie doch.«

-- Ja freilich, jetzt ist nichts mehr zu machen! Habe ich einmal angefangen
zu erzählen, so muß ich auch weiter fortfahren. Nach etwa vier Tagen kommt
Asamat in die Festung. Nach seiner Gewohnheit ging er zu Grigórii
Alexándrowitsch, der ihn mit Näschereien zu füttern pflegte. Ich befand
mich ebenfalls dort. Die Rede kam auf die Pferde, und Petschórin fing an,
den Renner unseres Kásbitsch herauszustreichen; so ein muthiges,
prachtvolles Pferd, gerade wie eine Gemse -- na, mit einem Worte, nach
seiner Meinung gab es kein zweites solches Roß auf Gottes weitem Erdboden.

-- Unserm kleinen Tátaren funkelten die Augen, aber Petschórin thut, als ob
er gar nichts merkt; ich versuche das Gespräch auf etwas anderes zu lenken;
er aber, hast Du nicht gesehen, bringt es gleich wieder auf Kásbitsch'
Pferd zurück. Diese Geschichte wiederholte sich, so oft Asamat zu uns
herüber kam. Nach ungefähr drei Wochen bemerkte ich, daß Asamat ganz blaß
und abgezehrt aussah, wie das wohl in Romanen von der Liebe geschieht. Was
Wunder auch?

-- Sehen Sie wohl, ich habe erst später die ganze Geschichte erfahren:
Grigórii Alexándrowitsch hatte ihn dermaaßen aufgereizt, daß er sich hätte
ins Wasser stürzen können. Einstmals nun sagte er zu ihm: »Ich sehe,
Asamat, daß Dir dieses Pferd über Alles geht, und doch wird es eben so
wenig Dein werden, als Du Deines Nackens ansichtig werden kannst. Nun sag'
einmal, was würdest Du wohl Dem geben, der es Dir zum Geschenk machte?
. . .

-- Alles, was er nur will, antwortete Asamat.

»In dem Falle will ich Dir's verschaffen, nur unter einer Bedingung . . .
Du schwörst mir, daß Du sie erfüllst . . .

-- Ich schwöre . . . schwöre auch Du!

»Gut! Ich schwöre Dir zu, Du sollst das Pferd haben; nur mußt Du mir Deine
Schwester Bela dagegen ausliefern. Den Karagös will ich Dir als Morgengabe
liefern. Ich hoffe, der Handel ist vortheilhaft für Dich.

-- Asamat schwieg.

»Du willst nicht? Auch gut. Ich hielt Dich für einen Mann, sehe aber, daß
Du noch ein Kind bist; es ist noch zu früh für Dich zu reiten . . .

-- Asamat entbrannte . . . »Aber mein Vater?« sagte er.

»Sollte denn der sich niemals entfernen?«

-- Es ist auch wahr . . .«

»Also abgemacht? . . .«

-- Abgemacht, flüsterte Asamat, bleich wie der Tod. Wann?

»Sobald Kásbitsch wieder herkommt; er hat versprochen, ein Zehn Hammel
herzutreiben; das Uebrige ist meine Sache. Sieh wohl zu, Asamat!«

-- Ja, so haben sie die Sache zu Stande gebracht . . . Die Wahrheit zu
gestehen, eine recht häßliche Sache. Ich habe das auch später zu Petschórin
gesagt, der antwortete mir aber, daß das wilde Tscherkessenkind sich
glücklich schätzen könne, einen so netten Mann zu haben, denn nach ihren
Gebräuchen ist er immerhin ihr Mann, und was Kásbitsch anginge, so wäre der
ein Räuber, den man bestrafen müsse. Nun urtheilen Sie selbst, was ich ihm
darauf antworten konnte? . . . Damals aber wußte ich noch nichts von ihrer
Verabredung; da kommt denn einmal der Kásbitsch bei uns vor und frägt an,
ob wir nicht Hammel und Meth brauchten? Ich befahl ihm, beides den nächsten
Tag herzuschaffen. »Asamat!« sagte Grigórii Alexándrowitsch, »morgen ist
der Karagös in meinen Händen, bringst Du mir Bela diese Nacht nicht her, so
kriegst Du das Pferd nicht zu sehen . . .«

-- Gut! sagte Asamat und sprengte im Galopp nach dem Aúle. Als der Abend
gekommen war, legte Grigórii Alexándrowitsch seine Waffen an und verließ
die Festung. Wie sie nun die Sache ausgeführt haben, weiß ich nicht, --
aber des Nachts waren sie Beide zurückgekommen und die Schildwache hatte
gesehen, daß über den Sattel Asamats ein Frauenzimmer lag, deren Hände und
Füße gebunden waren, während ihr Kopf mit einem Schleier verhüllt war.

-- »Aber das Pferd?« fragte ich den Stabskapitain.

-- Gleich, gleich. Den nächsten Tag kommt Kásbitsch des Morgens früh und
brachte ein Zehn Hammel zum Verkauf. Nachdem er sein Pferd an den
Plankenzaun gebunden hatte, kam er zu mir; ich traktirte ihn mit Thee,
denn, wenn er schon ein Räuber war, so war er doch auch mein Gastfreund.

Wir plauderten von diesem und jenem . . . Plötzlich sehe ich, wie Kásbitsch
mit veränderten Gesichtszügen auffährt und nach dem Fenster stürzt, welches
aber leider nach dem Hinterhofe führte. -- »Was ist Dir denn?« fragte ich
ihn.

-- »Mein Pferd! . . . Pferd!« sagte er, am ganzen Leibe erzitternd.

-- Wirklich hörte ich in diesem Augenblicke das Schlagen von Hufen: »Das
ist wahrscheinlich irgend ein angekommener Kosak . . .«

-- Nein! »Uruß-Jaman, Jaman!«[A] fing er an zu brüllen und stürzte über
Hals und Kopf davon, wie ein wilder Panther. Mit zwei Sprüngen war er auf
dem Hofe; an dem Thore der Festung versperrte ihm die Schildwache mit dem
ausgestreckten Gewehre den Weg; er sprang darüber hinweg und fing an aus
allen Kräften zu laufen . . . In der Ferne wirbelte Staub . . . Asamat
sprengte auf dem feurigen Karagös dahin; mitten im Laufe riß Kásbitsch sein
Gewehr aus dem Ueberzuge und feuerte los. Eine Minute stand er unbeweglich
still, bis er sich überzeugt hatte daß er einen Fehlschuß gethan hatte;
dann fing er an entsetzlich zu heulen, zerschlug sein Gewehr gegen die
Steine, daß es in tausend Stücke flog, wälzte sich auf der Erde herum und
stöhnte wie ein Bube . . . Nicht lange, so versammelte sich eine Menge
Leute aus der Festung um ihn -- er sah Niemanden; sie standen da herum und
sprachen ein Langes und Breites und gingen endlich wieder fort; ich ließ
das Geld für die Hammel neben ihn hinlegen -- er rührte es aber nicht an,
sondern lag mit dem Gesicht auf der Erde, wie ein Todter. Wollen Sie wohl
glauben, daß er bis tief in die Nacht und die ganze Nacht hindurch so
gelegen hat? Erst am andern Morgen kam er in die Festung und bat, daß man
ihm den Räuber nennen wolle. Die Schildwache, die gesehen hatte, wie Asamat
das Pferd abband und auf ihm davonjagte, hielt es nicht für nöthig, ihm ein
Geheimniß daraus zu machen. Bei diesem Namen funkelten Kásbitsch' Augen und
er begab sich nach dem Aúle, wo Asamats Vater wohnte.

[Fußnote A: Russischer Verrath, Verrath!]

»Wie ergings dem Vater?«

-- Ja das ist ja eben der Witz, daß Kásbitsch ihn nicht zu Hause traf; er
war irgend wohin auf ein Tager Sechs verreist; wäre es denn sonst wohl
Asamat gelungen, seine Schwester zu entführen?

-- Als nun der greise Vater zurückkehrte, da fand er weder Tochter noch
Sohn; denn der Schlaukopf hatte wohl bedacht, daß er seinen Kopf nicht
davon bringen würde, wenn er jemals dem Kásbitsch unter die Hände fiele. So
war er denn seit jener Zeit verschwunden; wahrscheinlich hatte er sich zu
einer Bande Abréken geschlagen, oder er hatte jenseits des Téreks oder
Kúbans sein unruhiges Haupt irgendwo niedergelegt. Dort kommt man leicht
genug dazu!

-- Nun muß ich gestehen, daß auch mich die Sache etwas anging. So wie ich
erst erfahren hatte, daß die Tscherkessin bei Grigórii Alexándrowitsch war,
legte ich meine Epauletten an, steckte den Degen ein und begab mich zu ihm.

-- Er lag im Vorderzimmer auf dem Bette, die eine Hand unter dem Nacken
geschlagen und mit der andern die ausgegangene Pfeife haltend; die Thüre
nach dem zweiten Zimmer war verschlossen und der Schlüssel abgezogen. Ich
bemerkte dies Alles im Nu . . . Ich fing an mich zu räuspern und mit den
Absätzen an der Schwelle zu scharren -- er that aber, als hörte er nichts.

-- »Herr Lieutenant!« sagte ich so streng wie möglich, »sehen Sie denn
nicht, daß ich zu Ihnen gekommen bin?«

»Ach, guten Tag, Maksim Maksimitsch! Ist Ihnen eine Pfeife gefällig?«
antwortete er, ohne auch nur aufzustehen.

-- Ich bitte um Entschuldigung! Ich stehe jetzt nicht als Maksim
Maksimitsch, sondern als Stabskapitain vor Ihnen!«

»Das ist ja einerlei. Wollen Sie eine Tasse Thee? Ach, wenn Sie wüßten
welche Sorge mich jetzt drückt . . .«

-- Ich weiß Alles, entgegnete ich ihm, an sein Bett tretend.

»Desto besser, ich bin gar nicht aufgelegt, viel zu erzählen.«

-- »Herr Lieutenant, Sie haben sich eines Vergehens schuldig gemacht, für
das auch ich zur Verantwortung gezogen werden kann . . .«

»Nun hören Sie doch auf! Was ist denn daran gelegen? Als ob nicht schon
längst zwischen uns alles zur Hälfte ginge!«

-- Ei was für Späße! Ich bitte um Ihren Degen.

»Mitka! den Degen!«

Mitka brachte den Degen. Als ich nun so meiner Pflicht genügt hatte, setzte
ich mich zu ihm aufs Bett und sagte: »Höre, lieber Grigórii
Alexándrowitsch, gestehe selbst, daß es nicht hübsch war.«

»_Was_ nicht hübsch?«

-- »Je nun, daß Du die Bela entführt hast . . . Ach diese Bestie von
Asamat! . . . Nun, gestehe selbst,« sagte ich zu ihm.

»Ja, wenn sie mir nun einmal gefällt?«

-- Nun bitte ich Sie, was sollte ich ihm hierauf antworten? Ich war ganz
verdutzt. Indessen sagte ich ihm nach einem kurzen Schweigen, daß, wenn ihr
Vater sie wieder fordern sollte, man doch genöthigt sein würde, sie
herauszugeben.

»Ist durchaus nicht nöthig.«

-- »Ja, wenn er nun aber erfährt, daß sie hier ist?«

»I, wie soll er denn das erfahren?«

Ich war abermals festgefahren. -- »Hören Sie, Maksim Maksimitsch«, begann
Petschorin endlich, indem er sich erhob: »Sie sind ein guter Mensch, --
bedenken Sie selbst, daß, wenn wir diesem Wilden seine Tochter wiedergeben,
er sie entweder umbringt oder verkauft. Die Sache ist nun einmal geschehen,
es kommt also bloß darauf an, daß wir sie nicht muthwillig selbst
verderben; lassen Sie sie also bei mir und meinen Degen bei Ihnen . . .«

-- »So zeigen Sie mir sie wenigstens,« sagte ich.

»Sie ist hinter jener Thür; indessen habe ich mich heut selbst vergebens
bemüht, sie zu sehen; sie sitzt, in ihren Schleier gehüllt, in einem Winkel
und spricht nicht und rührt sich nicht; sie ist scheu wie eine wilde Gemse.
Ich habe unsere Marketenderin in Dienst genommen: die versteht tatarisch
und wird sie an den Gedanken gewöhnen, daß sie mein ist, denn sie soll
Niemandem anders gehören als mir,« fügte er hinzu, indem er mit der Faust
auf den Tisch schlug. -- Ich ließ ihn auch hierin gewähren . . . Was soll
man machen? Sehen Sie, es giebt Leute, denen man durchaus ihren Willen thun
muß.

-- »Hat er sie denn wirklich« fragte ich Maksim Maksimitschen, »so weit
gebracht, oder verkam sie in der Gefangenschaft vor lauter Heimweh?«

-- »Ja warum denn vor Heimweh, ich bitte Sie um Alles. Aus der Festung
konnte man dieselben Berge sehen, wie aus ihrem Aúle, -- na, und mehr
brauchen diese Wilden ja nicht. Dann beschenkte sie auch Grigorii
Alexandrowitsch jeden Tag mit etwas Neuem; die ersten zwei Tage wies sie
die Geschenke stolz von sich, welche dann der Marketenderin zufielen und
deren Beredsamkeit anregten. Ach, die Geschenke! Was thut ein Frauenzimmer
nicht alles für einen bunten Lappen! . . . Doch das gehört jetzt nicht
hierher! Grigorii Alexandrowitsch kämpfte lange mit ihr, lernte aber
unterdessen tatarisch und auch sie fing an, unsere Sprache etwas zu
verstehen. Nach und nach gewöhnte sie sich an seinen Anblick, obschon sie
ihn anfänglich nur verstohlen unter den Augenbrauen hervor ansah, und sich
immer härmte, und ihre Liedchen mit halber Stimme vor sich hin sang, so daß
es mir wohl auch manchmal recht weh um's Herz wurde, wenn ich sie im
Nebenzimmer hörte. Niemals werde ich eine Scene vergessen: Ich ging am
Fenster vorüber und schaute hinein: Bela saß auf einem Schemel, mit dem
Köpfchen auf die Brust gesenkt; Grigorii Alexandrowitsch stand vor ihr.
»Höre, meine Peri,« sagte er, »siehe, Du weißt doch, daß Du früh oder spät
mein sein mußt -- warum mich also so quälen? Vielleicht liebst Du irgend
einen Tschetschiner? Wenn dem so ist, so laß ich Dich augenblicklich nach
Hause gehen.« -- Sie fuhr kaum bemerkbar zusammen und schüttelte mit dem
Kopfe. -- »Oder,« fuhr er fort, »bin ich Dir so durchaus verhaßt?« -- Sie
seufzte leise. »Oder verbietet Dir Dein Glaube, mich zu lieben?« -- Sie
erblaßte und schwieg. -- »Glaube mir, Allach ist für alle Völkerstämme ein
und derselbe, und wenn er mir gewährt hat, Dich so innig zu lieben, warum
sollte er Dir verbieten, mich mit Deiner Gegenliebe zu beglücken?« -- Sie
blickte ihm scharf in's Gesicht, wie von diesem netten Gedanken getroffen;
in ihren Augen malte sich die Ungläubigkeit und der Wunsch, sich zu
überzeugen. Was für Augen! Sie leuchteten wahrhaftig wie ein Paar Kohlen.

-- »O höre, süße, theure Bela!« fuhr Petschórin fort, »Du siehst, wie lieb
ich Dich habe; ich will alles für Dich dahingeben, wenn ich Dich nur
erheitern kann; ich möchte Dich so gern glücklich sehen, und wenn Du wieder
so traurig sein wirst, werde ich sterben. Sage mir, daß Du heiterer sein
willst?« -- Sie versank in Nachdenken, ohne ihre schwarzen Augen von ihm zu
wenden, lächelte dann milde und nickte bejahend mit dem Kopfe. Er ergriff
ihre Hand und suchte sie nun zu überreden, ihm einen Kuß zu geben, sie
wehrte sich nur schwach, indem sie mehrmals sagte: »Bitte, bitte, nicht
nöthig, nicht nöthig.« Er wurde immer zudringlicher; da fing sie an zu
zittern und in Thränen auszubrechen. »Ich bin Deine Gefangene,« sagte sie,
»Deine Sklavin; mithin kannst Du mich freilich zwingen,« -- und wieder
Thränen.

Grigorii schlug sich mit der Faust vor die Stirn und sprang aus ihrem in
das andere Zimmer. Ich begab mich zu ihm; er ging mit gefaltenen Händen im
Zimmer finster auf und ab. »Nun, mein Lieber?« sagte ich zu ihm. -- »Ein
Dämon ist sie, aber kein Weib!« erwiederte er; »ich gebe Ihnen aber mein
Ehrenwort, daß sie mein sein wird . . . Ich schüttelte mit dem Kopfe.
»Wollen Sie pariren?« sagte er, »in einer Woche!« -- »Mit Vergnügen!« --
Wir gaben uns die Hände darauf und trennten uns.

Am andern Tage sandte er sogleich einen Eilboten nach Kislar um
verschiedene Einkäufe zu machen; es dauerte nicht lange, so wurde eine
solche Menge der verschiedenartigsten persischen Stoffe herbeigeschafft,
daß man sie nicht überzählen konnte. -- »Was meinen Sie, Maksim
Maksimitsch!« sagte er zu mir, indem er auf die Geschenke wies, »wird wohl
die asiatische Schönheit gegen eine solche Batterie Stand halten? --

-- Sie kennen die Tscherkessinnen nicht, antwortete ich; die sind nicht wie
die Grusierinnen oder die kaukasischen Tatarinnen, durchaus nicht so. Die
haben ihre eigene Weise und sind anders erzogen. Grigorii Alexandrowitsch
lächelte und fing an einen Marsch zu pfeifen.

-- Zuletzt zeigte es sich, daß ich Recht gehabt hatte: die Geschenke hatten
nur theilweise gewirkt; sie war etwas freundlicher und zutraulicher
geworden -- das war aber auch alles, und so entschloß er sich denn zum
letzten Mittel zu greifen. Eines Morgens ließ er sein Pferd satteln, zog
sich seine Tscherkessenkleider an, bewaffnete sich und ging zu ihr. »Bela!«
sagte er: »Du weißt, wie lieb ich Dich habe. Ich hatte mich entschlossen
Dich zu entführen, in der Hoffnung, daß Du mich lieben würdest, wenn Du
mich erst kennen gelernt haben würdest; ich habe mich geirrt: -- Lebe wohl!
Ich überlasse Dir den vollen Besitz alles dessen, was mein ist; wenn Du
willst, kannst Du auch zu Deinem Vater zurückkehren -- Du bist frei. Ich
bin in Deinen Augen schuldig und muß mich selbst bestrafen; lebe wohl; ich
gehe -- wohin weiß ich selbst nicht! hoffentlich werde ich den Kugeln und
Säbelhieben nicht lange entgehen, dann gedenke meiner und vergieb mir.« --
Er wandte sich von ihr ab und streckte ihr zum Abschiede die Hand entgegen.
Sie nahm die Hand nicht und schwieg. Da ich hinter der Thüre stand, so
konnte ich durch eine Spalte ihr Gesicht sehen, und wahrhaftig es ging mir
nahe -- eine solche Todtenblässe überzog ihr liebliches Gesichtchen! Da er
keine Antwort vernahm, that Petschórin einige Schritte gegen die Thür; er
zitterte -- und soll ich es Ihnen aufrichtig sagen? -- Ich bin überzeugt,
er wäre im Stande gewesen, das in vollem Ernste auszuführen, was er
scherzweise gesagt hatte. Er war ein gar zu sonderbarer Mann, Gott weiß!
Kaum aber berührte er die Thüre, als sie auf ihn zusprang und sich ihm
schluchzend an den Hals warf. Wollen Sie mir's glauben, daß ich hinter
meiner Thüre auch weinte, das heißt, wissen Sie, nicht als ob ich geweint
hätte, sondern bloß so -- aus Dummheit! . . .

Der Stabskapitain hielt schweigend inne.

-- Ja, ich gestehe Ihnen ganz offen, sagte er alsdann, seinen Schnurrbart
streichelnd, daß es mir damals weh that, von keinem Weibe jemals so geliebt
worden zu sein.

»Und war ihr Glück von Dauer?« fragte ich.

-- Ja wohl, und sie gestand uns, daß seit dem Tage, an welchem sie
Petschórin gesehen hatte, er ihr oft im Traume erschienen wäre, und daß
noch nie ein Mann solchen Eindruck auf sie gemacht hätte. Ja, sie waren
glücklich!

»Ach, wie Schade!« rief ich unwillkührlich aus. In der That hatte ich eine
tragische Entwickelung erwartet und sah mich nun so plötzlich in meinen
Hoffnungen getäuscht! . . »Ist es möglich,« begann ich abermals, daß der
Vater nicht errieth, daß sie bei Ihnen in der Festung steckte?«

-- Ja, geahnt mag er es wohl haben; indessen erfuhren wir bereits nach
wenigen Tagen, daß man den Alten ermordet hatte. Das war nämlich so
zugegangen . . .

Meine Aufmerksamkeit wurde auf's Neue rege.

-- Ich muß Ihnen erst sagen, daß Kasbitsch sich einbildete, als habe ihm
Asamat mit seines Vaters Einwilligung sein Pferd gestohlen, wenigstens
denke ich mir das so. Einstmals nun lauerte er ihm auf dem Wege auf,
ungefähr drei Werst vor dem Aúle; der Greis kehrte eben von den
vergeblichen Nachsuchungen nach seiner Tochter heim; seine Usdénen
(Lehnsleute) waren weit hinter ihm zurück, -- die Dämmerung war bereits
eingebrochen -- er ritt, in Gedanken vertieft, langsam voran, als plötzlich
Kasbitsch wie eine Katze aus dem Gebüsch hervortauchte, hinter ihn auf das
Pferd sprang, mit einem Dolchstiche ihn zu Boden warf, die Zügel ergriff --
und auf- und davon jagte! Einige der Usdénen hatten dies alles von einem
Hügelchen mit angesehen; sie warfen sich hinter ihm her, aber erreichten
ihn nicht mehr.

»Er entschädigte sich für den Verlust seines Pferdes und rächte sich,«
begann ich, um meinem Gefährten seine Meinung darüber zu entlocken.

-- Ja freilich, nach ihrer Art, erwiederte der Stabskapitain, war er
vollkommen in seinem Rechte.

Unwillkührlich frappirte mich die Fähigkeit des Russen, sich den Gebräuchen
aller Völker anzuschließen, zwischen welche ihn der Zufall wirft; ich weiß
nicht, ob diese Eigenschaft des Gemüthes Lob oder Tadel verdient, indessen
ist sie ein Beweis für seine unglaubliche Geschmeidigkeit und für das
Vorhandensein jenes gesunden Menschenverstandes, welcher das Böse überall
entschuldigt, wo er dessen Unvermeidlichkeit oder die Unmöglichkeit seiner
Vernichtung einsieht. --

Unterdessen war der Thee ausgetrunken; die längst angespannten Pferde
standen durchfroren auf dem Schnee; der Mond erbleichte im Westen und war
bereit in seine schwarzen Wolken unterzutauchen, die auf den fernen
Berggipfeln hingen, gleich den Fetzen eines zerrissenen Vorhanges. Wir
traten aus der Hütte. Trotz der Vorhersagung meines Reisegenossen hellte
sich das Wetter auf, und versprach uns einen stillen Morgen. Die Reigen der
Sterne durchschlangen sich in wundersamen Gebilden am fernen Horizonte, und
einer nach dem andern erlosch in demselben Maße, als der blasse Schimmer
des Ostens sich über das dunkelviolette Himmelsgewölbe ergoß, und allmälig
die steilen, mit jungfräulichem Schnee bedeckten Bergabhänge beleuchtete.
Rechts und links dunkelten schwarze geheimnißvolle Abgründe, und Nebel, die
sich gleich Schlangen zusammenknäulten und loswanden, krochen über die
Runzeln der benachbarten Felsen, als ob sie die Annäherung des Tages
fühlten und scheuten.

Still war alles am Himmel und auf der Erde, wie im Herzen des Menschen
während des Morgengebets; nur dann und wann kam von Osten her ein kühler
Wind, der die mit Reif bedeckten Mähnen der Pferde aufwehte. -- Wir machten
uns auf den Weg; mit Mühe schleppten fünf schlechte Mähren unser Fuhrwerk
auf der gewundenen Straße den Gudberg hinan; wir gingen zu Fuß hinterdrein,
und legten Steine unter die Räder, so oft die Pferde erschöpft anhielten;
es schien als führte der Weg in den Himmel, denn so weit das Auge sehen
konnte, ging er immer aufwärts, und verlor sich zuletzt in einer Wolke,
welche schon seit vorigem Abend auf dem Gipfel des Gudbergs ausruhte, einem
Geier gleich, der auf Beute wartet; der Schnee krachte unter unsern Füßen;
die Luft wurde so dünn, daß das Athemholen schmerzte; das Blut strömte
heftig zum Kopf, aber trotz alledem ergoß sich ein gewisses tröstliches
Gefühl durch alle meine Adern, und es machte mir ein besonderes Vergnügen
so hoch über der Welt zu sein -- ein kindisches Gefühl, ich will's nicht
läugnen; aber wenn wir uns einmal von dem Zwange der Gesellschaft entfernen
und der Natur nähern, so werden wir unwillkührlich wieder Kinder: alles
bloß Angeeignete fällt von der Seele, und sie gestaltet sich auf's Neue so,
wie sie einst gewesen und wahrscheinlich dereinst wieder werden wird. Der,
dem es wie mir beschieden war, über die Bergeseinöden hinzuschweifen, und
lange, lange sie in ihren wunderlichen Bildungen zu betrachten, und gierig
die belebende Luft einzuathmen, die durch ihre Klüfte ausgegossen ist, --
der wird meinen Wunsch verstehen, solche zauberhafte Bilder zu überliefern,
zu erzählen, hinzuzeichnen. Endlich waren wir nun den Gudberg hinauf
gestiegen, hielten an, und sahen uns um: eine blaue Wolke hing auf ihm,
deren kalter Hauch einen nahen Sturm drohte; aber im Osten war alles so
hell und golden, daß wir, das heißt ich und der Stabskapitain, des
drohenden Sturmes ganz vergaßen . . . Ja, auch der Stabskapitain, denn: in
einfachen Herzen ist das Gefühl der Schönheit und Erhabenheit der Natur
hundertmal stärker und lebhafter, als in uns, die wir uns an Worten und auf
dem Papiere begeistern.

»Sie sind, denk' ich, an diese erhabenen Gemälde schon ganz gewöhnt?« sagte
ich zu ihm.

-- Freilich, sogar an das Pfeifen der Kugeln kann man sich gewöhnen, das
heißt, sich gewöhnen das unwillkührliche Schlagen des Herzens zu verbergen.

»Ich hörte, im Gegentheil, daß für manche alte Kriegsleute diese Musik
sogar angenehm sei.«

-- Versteht sich; wenn Sie wollen, ist sie auch angenehm; indessen nur
darum, daß das Herz stärker schlägt. »Sehen Sie,« fügte er hinzu, indem er
nach Osten zeigte: »Was für eine Gegend!«

Und gewiß, ein solches Panorama wird mir schwerlich noch irgend wieder
dargeboten werden: unter uns lag das Koischaurskische Thal, vom Aragwa und
einem andern Flusse wie von zwei silbernen Fäden durchschnitten; ein
bläulicher Nebel glitt darüber hin, vor den warmen Strahlen des Morgens in
die nahen Klüfte fliehend: rechts und links durchschnitten sich und dehnten
sich verschiedene Bergkämme aus, der eine immer höher als der andere,
sämmtlich mit Schnee und Gesträuch bedeckt; in der Ferne immer wieder
Berge, aber auch nicht zwei Felsen, die einander ähnlich gesehen hätten, --
und all' diese Schneemassen glühten von röthlichem Glanze so munter und
hell, daß man hier lebenslang hätte verweilen mögen; die Sonne blickte nur
eben hinter dem dunkelblauen Berge hervor, den ungewohnte Augen kaum von
dem drohenden Gewölk unterscheiden konnten; auf der Sonne aber lag ein
blutiger Streif, welchem mein Gefährte besondere Aufmerksamkeit widmete.
»Ich sage Ihnen,« rief er aus, »daß nun ein Unwetter kommen wird; wir
müssen uns tummeln, oder es wird uns auf dem Kreuzberge überfallen.« »Rührt
Euch!« rief er den Fuhrleuten zu.

Sie hingen anstatt der Hemmschuhe Ketten unter die Räder, damit diese nicht
hinunter rollten, faßten die Pferde bei den Zügeln und fingen an, sich in
Bewegung zu setzen. Rechts erhob sich ein Fels, links gähnte ein solcher
Abgrund, daß ein ganzes Dörfchen von Osseten, die in dessen Tiefe wohnten,
einem Schwalbenneste nicht unähnlich schien; ich schauderte, wenn ich
bedachte, daß oft in tiefer Nacht so mancher Courier diesen Weg, wo zwei
Wagen einander nicht ausweichen können, wohl zehnmal des Jahres passirt,
ohne von seinem rüttelnden, offenen Wagen hinabzugleiten. Einer unserer
Postillone war ein russischer Bauer aus Jaroslaw, der andere ein Ossete.
Der Ossete führte das Hauptpferd mit aller nur möglichen Vorsicht am Zügel,
nachdem er die Vorderpferde bei Zeiten abgespannt hatte, -- unser sorgloser
Russe hingegen stieg nicht einmal von seinem Sitzbrett herab! Als ich ihm
bemerkte daß er, wenn auch nur zum Besten meines Koffers, es sich doch ein
Bischen weniger bequem machen könnte, weil ich nicht Lust hätte, hinter
diesem drein in den Abgrund zu klettern, antwortete er mir: »I, Herr! Mit
Gottes Hülfe fahren wir nicht schlechter wie die da! sind wir doch nicht
zum erstenmal dabei!« -- und er hatte Recht; wir hätten nun freilich auch
_nicht_ ankommen können, allein, wir kamen doch an, und wenn die Leute nur
besser nachdenken wollten, so würden sie sich überzeugen, daß das Leben
nicht werth ist, sich soviel Sorge darüber zu machen.

Aber vielleicht wünschen meine Leser das Ende von Bela's Geschichte zu
erfahren? --

Erstens schreibe ich keine Novelle, sondern Reisenotizen: folglich kann ich
auch den Stabskapitain nicht eher erzählen lassen, als er in der That zu
erzählen anfing. Also warten Sie ein Bischen, oder, wenn Sie wollen,
überschlagen Sie einige Seiten, wozu ich Ihnen freilich nicht rathe, weil
die Reise über den Kreuzberg (oder wie ihn der gelehrte Gamba nennt, le
Mont de St. Christophe) Ihrer Neugierde gewiß werth ist. -- Also, wir
stiegen vom Gudberg in das Teufelsthal (Tschértowa-Dolina) . . . Was für
ein romantischer Name! Sie sehen schon das Nest des bösen Geistes zwischen
den unzugänglichen Felsen hängen?! -- mit nichten: der Name
»Tschértowa-Dolina« kommt von dem Worte »Tschertá« (die Grenze) her und
nicht von »Tschort« [der Teufel],[A] denn hier war einstmals die Grenze
Grusiens. Dies Thal nun war von Schneehaufen zugeschneit, die ziemlich
lebhaft an Saratoff, Tamboff und andere _liebliche_ Orte unseres
Vaterlandes erinnerten.

»Da ist der Kreuzberg!« sagte der Stabskapitain zu mir, als wir in die
Tschértowa-Dolina gefahren waren, indem er auf eine Anhöhe wies, die mit
einem Schneegewande bekleidet war; auf seiner Höhe erhob sich ein schwarzes
steinernes Kreuz, an welchem ein kaum sichtbarer Weg vorüberführte, den man
nur passirt, wenn der Seitenweg vom Schnee verschüttet ist. Unsere
Postillone versicherten uns, es wären noch keine Lawinen gefallen und
führten uns, um die Pferde zu schonen, den gewundenen Seitenweg. An einer
Wendung des Weges stießen wir auf fünf Osseten, die uns ihre Dienste
anboten, sich in die Räder warfen und mit vielem Geschrei unsere Wagen bald
hemmten, bald vorwärts stießen. Der Weg war in der That sehr gefährlich;
rechts hingen über unsern Häuptern ungeheure Schneemassen, bereit, sich auf
den ersten Windstoß in die Schlucht hinabzureißen; der enge Weg selbst war
zum Theil mit Schnee bedeckt, der an einigen Stellen unter unseren Füßen
einbrach, an andern von den Sonnenstrahlen und dem wiederkehrenden
Nachtfroste in Eis verwandelt worden war, so daß es uns sogar schwer wurde
darüber hinwegzukommen. Die Pferde stürzten fortwährend; -- links glänzte
eine tiefe Felsenspalte, aus welcher ein Sturzbach hervorstürzte, bald sich
unter einer Eisrinde verbergend, bald schäumend über die schwarzen Felsen
dahin hüpfend. In zwei vollen Stunden konnten wir kaum den Kreuzberg
herumkommen, -- zwei Werst in zwei Stunden! Unterdessen hatten sich die
Wolken gesenkt, es fiel Hagel und Schnee; der Wind, der aus der Schlucht
hervordrang, heulte und pfiff wie der Räuber Nachtigall, von dem die Sage
geht, seine Pfeife sei von einem Ende Rußlands bis zum andern vernehmbar
gewesen, und bald war das Kreuz von Nebelwolken verdeckt, deren Wogen, die
eine immer dichter und undurchdringlicher als die andere, von Osten
herbeieilten . . . .

[Fußnote A: Der erste Vocal dieser beiden Wörter wird, wenigstens vom
gemeinen Volke, gleichmäßig o ausgesprochen.]

Ueber dieses Kreuz existirt die seltsame doch allgemeine Sage, als habe es
Peter der Große auf seiner Reise durch den Kaukasus errichten lassen; zum
Ersten aber war Peter nur in Dagestan gewesen, und zum Zweiten war mit
großen Buchstaben auf das Kreuz geschrieben, daß es auf Befehl des Grafen
Jermóloff errichtet wurde und zwar im Jahre 1824. Allein die Sage hat sich
trotz dieser Inschrift dermaßen eingewurzelt, daß man wirklich nicht weiß,
wem man Glauben schenken soll, um so mehr als wir nicht gewohnt sind den
Inschriften zu trauen.

Wir hatten noch ungefähr fünf Werst auf den übereisten Felsen und dem
morastigen Schnee zurückzulegen, bevor wir die Station Kobi erreichen
konnten. Unsere Pferde waren erschöpft, wir vor Kälte erstarrt; das
Schneegestöber tobte wilder und wilder; ganz wie unsere nordische
Windsbraut, nur daß ihr wildes Geheul trauriger, schwermüthiger war. »Auch
Du, arme Verbannte, dachte ich bei mir selbst, weinst um Deine weiten,
offenen Steppen! Dort konntest Du Deine kalten Flügel entfalten; hier aber
ist es Dir beklommen und eng, wie dem Adler, der mit Schrei gegen das
eiserne Gitter seines Käfichs anfliegt.«

-- Das steht schlimm mit uns! sagte der Stabskapitain. Schauen Sie nur,
rundum nichts zu sehen als Nebel und Schnee; wir können uns nur gewärtigen,
daß wir in einen Abgrund stürzen oder in den Schneemassen stecken bleiben,
und dort unten, wahrhaftig, hat sich der Baidar so ausgebreitet, daß wir
nicht drüberweg kommen werden. Ach, dies abscheuliche Asien! Wie die
Menschen so sind auch die Flüßchen, man kann sich nie auf sie verlassen! --
Die Führer trieben mit Geschrei und Schelten die Pferde an, die sich
gegenstemmten, schnaubten und nicht vom Flecke wollten trotz der
Beredsamkeit der Knuten.

»Ew. Gnaden,« sagte endlich einer derselben, »sehn Sie mal, nach Kobi
kommen wir heute doch nicht; befehlen Sie nicht vielleicht, daß man
wenigstens dort links einbiege? Sehen Sie wohl, da, am Abhange, starrt
etwas empor, wahrscheinlich ein Felsen: nun, da halten die Reisenden
gewöhnlich zur Zeit eines Unwetters; die Osseten meinen, daß wenn Sie ein
Trinkgeld gäben, sie uns hinschaffen wollten.«

-- Ich weiß, mein Lieber, weiß es ohne Dich! sagte der Stabskapitain. Diese
Bestien sind bereit sich in Stücke zu zerreißen, wenn sie einem nur ein
Trinkgeld abnöthigen können.

»Indessen gestehen Sie selbst,« meinte ich, »daß es uns jetzt ohne sie
schlecht ergehen würde.«

-- 'S ist alles eins; 'S ist alles eins! brummte er vor sich hin. Das sind
mir die rechten Führer! Sie wittern es, wo sie eine Gelegenheit benutzen
können. Als ob man ohne sie den Weg nicht finden könnte! . . .

So wandten wir uns denn links und erreichten mit vieler Noth ein armseliges
Obdach, aus zwei Sakljen bestehend, die aus Fliesen und Kieselsteinen
zusammengemauert waren und um die sich eine eben solche Schutzmauer zog.
Die zerlumpten Wirthsleute empfingen uns freundlich. Später erfuhr ich, daß
sie von der Regierung bezahlt und ernährt werden unter der Bedingung, daß
sie die vom Sturm überfallenen Reisenden aufnehmen.

»Es hat doch alles sein Gutes!« sagte ich, mich an's Feuer niedersetzend.
»Jetzt erzählen Sie mir Ihre Geschichte von der Bela aus; ich bin
überzeugt, damit war die Sache noch nicht abgemacht.«

-- Und weshalb sind Sie so überzeugt davon? entgegnete mir der
Stabskapitain, indem er mich mit einem listigen Lächeln anblinzelte.

»Deshalb, weil es nicht in der Ordnung der Dinge liegt; was auf eine
ungewöhnliche Weise anfing, muß auch ebenso wieder endigen.«

-- Sie haben's getroffen.

»Sehr erfreut.«

-- Sie haben sich gut freuen, mir aber ist es wahrlich sehr traurig zu
Muthe, wenn ich dran denke. Es war doch ein herrliches Mädchen, die Bela!
Ich gewöhnte mich zuletzt so an sie wie an eine Tochter, und sie liebte
mich. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich keine Familie habe; von meinen
Eltern habe ich seit zwölf Jahren bereits keine Nachricht mehr, und ich
habe nicht früh genug daran gedacht mich mit einer Frau zu versorgen -- na,
und jetzt will sich das nicht mehr recht schicken; so war ich denn froh daß
ich irgend wen verzärteln konnte. Da sang sie uns denn so manches Liedchen
oder tanzte einen lesghinischen Tanz . . . Ach, und wie sie tanzte! Ich
habe doch auch unsere Fräulein aus der Provinz tanzen sehen und war sogar
einmal in Moskau in der Adligen-Ressource; es wird wohl an die zwanzig
Jahre her sein, -- ja, wo denken Sie hin! Durchaus nicht das! . . .
Grigorii Alexandrowitsch putzte sie aus wie ein Püppchen und hätschelte sie
und pflegte sie, und sie gewann so bei uns, daß es eine wahre Pracht war!
Die Sommersprossen vergingen aus Gesicht und Händen, auf ihren Wangen
glühte der reine Purpur . . . und sie war so aufgelegt, und machte sich,
der Schalk, immer über mich so lustig . . . Gott sei ihr gnädig! . . .

»Was sagte sie, als man ihr den Tod ihres Vaters anzeigte?«

-- Wir verhehlten es ihr lange, bis sie sich ganz an ihre Lage gewöhnt
hatte; als wir es ihr endlich mittheilten, weinte sie ein paar Tage und
dann war alles vergessen.

-- Vier Monate lang ging alles nach Herzenswunsch. Ich glaube Ihnen schon
gesagt zu haben, daß Grigorii Alexandrowitsch leidenschaftlich die Jagd
liebte; früher hatte es ihn denn oft in den Wald auf die Spur der Eber und
wilden Böcke getrieben, jetzt aber kam er selten über den Festungswall
hinaus. -- Auf einmal sehe ich denn, wie er wieder nachdenklich wird und
mit auf dem Rücken gefalteten Händen im Zimmer auf- und abspaziert; dann,
ohne Jemandem etwas davon zu sagen, ging er pürschen, -- der ganze Morgen
verstrich damit. Das war einmal so, dann das andere Mal, dann immer
häufiger und häufiger. »Das ist kein gutes Zeichen,« dachte ich, »zwischen
ihnen muß wohl die schwarze Katze vorbeigesprungen sein!«

-- Eines Morgens ging ich auch zu ihnen -- es ist mir, als ob sie noch vor
meinen Augen stünde: Bela saß auf dem Bette in einem schwarzseidenen
Beschmete, und war so blaß und so traurig, daß ich zusammenfuhr.

-- Wo ist Petschorin, fragte ich.

»Auf der Jagd.«

-- Ging er heute aus? -- Sie schwieg, als ob es ihr peinlich gewesen wäre,
es zu sagen.

»Nein, gestern schon,« begann sie endlich, tief aufseufzend.

-- Es wird ihm doch nichts begegnet sein?

»Ich habe gestern den ganzen Tag gedacht und gedacht,« erwiederte sie unter
Thränen, »und habe mir mancherlei Unglück vorgestellt; bald schien es mir,
als habe ein wilder Eber ihn verwundet, bald als hätte ein Tschetschiner
ihn in die Berge geschleppt . . . Aber heute dünkt es mich als habe er mich
nicht mehr lieb.«

-- Nun wahrhaftig, Liebchen, etwas Schlimmeres hättest Du auch nicht
ausdenken können! -- Sie fing an zu weinen und erhob endlich mit stolzer
Würde ihr Haupt, wischte die Thränen ab und fuhr fort:

»Wenn er mich nicht mehr liebt, wer hindert ihm denn mich nach Hause
zurückzuschicken? Ich zwinge ihn zu nichts. Wenn das aber so fortgeht, so
werde ich von selbst mich entfernen; ich bin keine Sklavin, ich bin eines
Fürsten Tochter!« . . .

-- Ich bemühte mich sie zu beruhigen. -- Höre, Bela, siehe, er kann doch
nicht immer hier sitzen, als ob er an Deinen Unterrock genäht wäre: er ist
ein junger Mann, der es liebt, dem Wilde nachzustellen, -- und der da kommt
und geht; wenn Du aber so melancholisch sein willst, dann wird er Deiner
erst recht überdrüssig.

»Wahr, wahr,« antwortete sie, »ich werde heiter sein!« -- Und mit lautem
Lachen griff sie nach ihrem Tamburine, fing an zu singen und zu tanzen und
um mich herum zu springen; allein es dauerte nicht lange und sie fiel
wieder auf ihr Bett und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

-- Was sollte ich mit ihr anfangen? Sie müssen wissen, ich habe mit Damen
nie Umgang gehabt; ich sann und sann, wie ich sie trösten könnte und sann
doch nichts aus; so schwiegen wir denn alle Beide eine Weile . . . Eine
unausstehliche Position! . . .

-- Endlich sagte ich zu ihr: »Willst Du, so gehen wir ein wenig auf dem
Walle? Das Wetter ist schön!« -- Es war im September, und wahrhaftig ein
wunderschöner, heller, nicht zu heißer Tag; man konnte die Berge alle
sehen, als ob sie auf Porzelan gemalt gewesen wären. Wir gingen, und
spazierten schweigend auf dem Festungswalle auf und ab. Sie setzte sich
endlich auf den Rasen nieder und ich setzte mich neben sie. Wahrhaftig, es
kommt mir jetzt recht lächerlich vor, ich lief hinter ihr drein, wie eine
Wärterin.

-- Unsere Festung stand auf einem erhabenen Orte und bot eine schöne
Aussicht dar; von der einen Seite lief eine weite Ebene, von Schluchten
durchschnitten, auf einen Wald aus, der sich bis auf den Rücken der Berge
hinaufzog; hier und da tauchten die Aule, tauchten die Herden auf; von der
andern Seite floß ein kleiner Fluß eilig dahin, der das dichte Gesträuch
bespülte, welches die steinigten Hügel bedeckt, die sich endlich der
Hauptkette des Kaukasus anschließen. Wir saßen an einer Ecke der Bastion,
so, daß wir von beiden Seiten alles überschauen konnten. Auf einmal sehe
ich, wie Jemand auf einem grauen Pferde aus dem Walde immer näher und näher
herangeritten kommt, und endlich auf der andern Seite des Flüßchens in
einer Entfernung von ungefähr 700 Fuß von uns stehen blieb und sein Pferd
nach allen Seiten herumwarf. »Was zum Henker ist das?« sagte ich, »sieh'
doch 'nmal hin, Bela, Du hast bessere Augen als ich, was das für ein
Dschigit ist und zu wessen Belustigung der gekommen sein mag.«

-- Sie blickte hin und schrie auf: Das ist Kasbitsch!

-- »Der verdammte Kerl! Ist er gekommen um uns zu verhöhnen?« -- Ich schaue
ebenfalls hin -- wahrhaftig es ist Kasbitsch, sein schwarzbraunes Gesicht,
und zerrissen und zerlumpt und schmierig wie immer. -- »Das ist meines
Vaters Pferd,« sagte Bela, indem sie mich bei der Hand faßte; sie zitterte
wie ein Blatt, ihre Augen funkelten. Schau, schau! dachte ich bei mir
selbst: auch in Dir, mein Seelchen, schweigt das Räuberblut nicht!

-- »Komm' mal hierher,« sagte ich zur Schildwache, »sieh nach Deinem Gewehr
und schieß mir 'nmal diesen Burschen da herunter -- bekommst einen
Silberrubel.« -- »Zu befehlen Eure hohe Gnaden: er steht nur nicht ganz
still . . .« »So befiehl es ihm!« sagte ich lächelnd . . .

-- »Heda! Gutfreund!« schrie ihm der Soldat zu, indem er ihm mit den Armen
winkte: »warte doch einmal ein Bischen, was drehst Du Dich denn da wie ein
Kreisel herum?« -- Kasbitsch blieb wirklich stehen und hörte zu;
wahrscheinlich glaubte er, daß man mit ihm in Unterhandlungen treten wolle,
-- da kam er gerade recht! . . .

-- Mein Grenadier legt an . . . Batz! . . . vorbei; -- das Pulver war nur
von der Pfanne abgebrannt; Kasbitsch spornte sein Pferd daß es einen
Seitensprung that. Dann hob er sich in den Steigbügeln in die Höhe, schrie
etwas in seiner Sprache, drohte mit der Nagaika[A] -- und weg war er!

-- Schämst Du Dich denn nicht! sagte ich zur Schildwache. --

»Ew. hohe Gnaden! Er wird dem Tode doch nicht entgehen,« entgegnete dieser,
»dieses verdammte Volk kriegt man mit Einem Male nicht todt.«

-- Nach einer Viertelstunde kehrte Petschorin von der Jagd zurück; Bela
warf sich ihm um den Hals und äußerte keine Klage, keinen Vorwurf über
seine lange Abwesenheit . . . Dagegen war ich recht böse auf ihn. Nun bitte
ich Sie, -- sagte ich -- da war Kasbitsch so eben am andern Ufer des
Flüßchens und wir haben auf ihn geschossen; wie leicht hätten Sie auf ihn
stoßen können? Diese Gorzen sind ein rachesüchtiges Volk; glauben Sie etwa,
daß er nicht längst errathen habe, daß Sie dem Asamat behülflich waren? Und
ich will wetten, daß er Bela heute erkannt hat. Ich weiß, daß sie ihm vor
einem Jahre schrecklich gefiel -- er hat es mir selbst gesagt -- und wenn
er hätte hoffen können, eine anständige Morgengabe zusammenzubringen, so
hätte er wahrhaftig auch um sie angehalten . . . -- Hierbei verfiel
Petschorin in Gedanken.

»Ja,« antwortete er; »wir müssen vorsichtiger sein . . . Bela! von heute an
darfst Du nicht mehr auf dem Festungswalle spazieren gehen.«

[Fußnote A: Eine Art Reiterpeitsche.]

Desselbigen Abends hatte ich eine lange Auseinandersetzung mit ihm; es that
mir weh, daß er sich gegen das arme Mädchen so verändert hatte; denn
außerdem daß er den halben Tag auf der Jagd lag, so war sein ganzes
Betragen gegen sie kalt, er liebkoste sie selten und sie fing an zusehends
abzumagern, ihr Gesichtchen wurde länger, ihre großen Augen umwölkt. Wie
oft fragte ich sie nicht: Warum seufzest Du, Bela? Bist Du traurig? »Nein!«
Trägst Du nach etwas Verlangen? »Nein!« Sehnst Du Dich nach Deinen
Angehörigen? »Ich habe keine Angehörigen.« -- Ganze Tage lang konnte man
außer »Ja« und »Nein« nichts aus ihr herausbringen. -- Nun, dies Alles
sagte ich ihm denn. »Hören Sie mich an, Maksim Maksimitsch,« erwiederte er:
»ich habe einen unglückseligen Charakter; hat mich die Erziehung so
gemacht, hat Gott mich so erschaffen, ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß
wenn ich die Ursache von anderer Leute Unglück bin, ich selbst mich nicht
minder unglücklich fühle. Natürlich ist ihnen dies ein schlechter Trost --
es handelt sich hier auch nur darum, daß Dem so ist. Von meiner ersten
Jugend an, sobald ich nur der elterlichen Bevormundung entrückt war, gab
ich mich leidenschaftlich allen Genüssen hin, die man für Geld nur erlangen
kann, und natürlich ekelten mich diese Genüsse bald an. Dann betrat ich die
große Welt, und auch die Gesellschaft langweilte mich bald; ich verliebte
mich in die Schönen der »großen Welt« und wurde wieder geliebt, -- allein
ihre Liebe reizte nur meine Einbildungskraft und Eigenliebe, das Herz ging
leer dabei aus . . . So fing ich an zu lesen, zu studiren -- auch die
Wissenschaften wurden mir langweilig; ich sah, daß weder der Ruhm noch das
Glück irgendwie an sie gefesselt sind, denn die glücklichsten Menschen sind
-- die Unwissenden, und der Ruhm -- ein Glücksfall, zu dessen Erreichung
man nur gewandt zu sein braucht. So wurde mir Alles zum Ekel . . . Bald
darauf wurde ich nach dem Kaukasus versetzt: das war die glückseligste Zeit
meines Lebens. Ich hoffte, daß die Langeweile unter den Kugeln der
Tschetschiner nicht wohnen würde -- vergebens; nach einem Monate war ich so
an ihr Sausen und an die Nähe des Todes gewöhnt, daß ich wahrlich dem Fluge
einer Mücke mehr Aufmerksamkeit zuwandte, -- und da wurde mir noch öder zu
Muthe als je zuvor, denn ich verlor fast die letzte Hoffnung. Als ich Bela
in meinem Hause sah, als ich sie zum ersten Male auf meinen Knieen hielt
und ihre schwarzen Locken küßte, da glaubte ich Thor, daß sie ein Engel
sei, den mir das mitfühlende Schicksal zugesandt habe . . . Ich irrte mich
abermals: Die Liebe einer Wilden ist nicht viel besser als die einer
vornehmen Dame; die Unwissenheit und Herzenseinfalt der Einen ist eben so
langweilig wie die Koketterie der Andern. Wenn Sie wollen, so liebe ich sie
noch; ich bin ihr dankbar für einige recht süße Augenblicke und bereit mein
Leben für sie hinzugeben, -- aber ich langweile mich mit ihr . . . Bin ich
ein Thor oder ein Bösewicht, ich weiß es nicht; das aber ist gewiß, daß ich
des Mitleids eben so würdig bin, vielleicht noch mehr als sie; meine Seele
ist von der Welt verdorben worden; meine Einbildungskraft eine unstäte,
mein Herz unersättlich; mir ist alles zu wenig; an den Kummer gewöhne ich
mich so leicht, wie an den Genuß, und so wird mein Leben von Tag zu Tage
leerer; mir bleibt nur _ein_ Mittel übrig: zu reisen. Sobald es nur angehen
wird reise ich ab, -- nur nicht nach Europa, Gott behüte! -- Ich gehe nach
Amerika, Arabien, Indien! -- Vielleicht trifft mich unterwegs der Tod!
Wenigstens bin ich überzeugt, daß dieser letzte Trost, mit Hülfe der Stürme
und der schlechten Wege, nicht allzulange wird auf sich warten lassen!« --

-- So sprach er noch lange und seine Worte gruben sich mir tief in's
Gedächtniß, denn es war zum ersten Mal, daß ich einen 25jährigen Menschen
also sprechen hörte, und, gebe es Gott, zum letzten Male! -- Wie seltsam!
Sagen Sie selbst, -- fuhr der Stabskapitain fort, indem er sich an mich
wandte, -- Sie waren, wie es scheint, auch in der Residenz, und noch
unlängst; sind denn wirklich die dortigen jungen Leute alle so?

Ich entgegnete ihm, daß es viele Leute gäbe, die ebenso redeten und daß
unter ihnen wahrscheinlich auch solche wären, welche die Wahrheit sprächen;
daß übrigens der Lebensüberdruß, wie alle Moden, aus den höheren Schichten
der Gesellschaft in die niederen übergegangen sei, die ihn nun abtragen,
und daß in diesem Augenblicke diejenigen, welche sich am meisten und
wahrhaft langweilen, sich bemühen dies Unglück wie ein Laster zu verbergen.
-- Der Stabskapitain begriff diese Feinheiten nicht, schüttelte mit dem
Kopfe und lächelte schlau:

-- Nicht wahr, die Franzosen haben die Mode der langen Weile aufgebracht?

»Nein, die Engländer.«

-- Aha, sehen Sie wohl! . . . erwiederte er, -- das kommt daher, daß sie
immer erklärte Trunkenbolde waren!

Ich erinnerte mich unwillkührlich einer Moskauer Dame, welche behauptete,
daß Byron nichts weiter als ein Trunkenbold gewesen sei. Uebrigens war die
Bemerkung des Stabskapitains leichter zu entschuldigen: um sich des Weines
zu enthalten, gab er sich natürlich Mühe sich zu überreden, daß alle
Unglücksfälle in der Welt nur vom Trunke herrühren. --

Mittlerweile führte er seine Erzählung folgendermaßen weiter:

-- Kasbitsch ließ sich nicht mehr sehen. Indessen weiß ich nicht wie es
kam, daß ich den Gedanken nicht loswerden konnte, als sei er nicht umsonst
gekommen und daß er etwas Böses im Schilde führe.

-- Einstmals überredet mich Petschorin mit ihm auf die Wildschweinsjagd zu
gehen; ich weigerte mich lange; was lag mir auch an einem solchen wilden
Schweine! Indessen schleppte er mich zuletzt doch mit fort. --

-- Wir nahmen fünf Mann mit und zogen des Morgens früh hinaus. Bis zehn Uhr
strichen wir durch Schilf und Wald umher -- nirgends Wild! »Ei was, gehen
wir nicht lieber nach Hause zurück?« sagte ich. »Warum nun gerade darauf
bestehen? Es ist klar, daß wir heute keinen glücklichen Tag haben!« Allein
Grigorii Alexandrowitsch wollte trotz der Sonnenhitze und unserer Ermattung
nicht ohne Beute heimkehren . . . So war er nun einmal: was er sich in den
Kopf gesetzt hatte, das mußte er haben; offenbar war er in seinen
Kinderjahren ein recht verzogenes Muttersöhnchen gewesen . . . Endlich,
gegen Mittag, stießen wir auf einen solchen verwünschten Eber. -- Paff!
Paff! verfehlt -- weg war er im Schilfe . . . es war einmal ein
unglücklicher Tag! So ruhten wir uns denn ein wenig aus und begaben uns auf
den Rückweg. --

Wir ritten neben einander, schweigend, mit losgelassenen Zügeln und waren
bereits hart an der Festung, bloß daß das Gebüsch sie uns noch verbarg.
Plötzlich ein Schuß . . . Wir blickten einander an, derselbe Verdacht
durchzuckte uns . . . Unverzüglich sprengen wir nach der Richtung des
Schusses, -- wir sehen: auf dem Walle hatte sich ein Haufe Soldaten
versammelt, die auf das Feld hinwiesen, auf welchem ein Reiter in vollem
Carriere dahinsprengte, etwas Weißes vor sich auf dem Sattel haltend.
Grigorii Alexandrowitsch schrie nicht schlechter auf als irgend ein
Tschetschiner; das Gewehr aus dem Futterale -- und dahin; ich ihm nach.

Zum Glücke waren unsere Pferde in Folge der unglücklichen Jagd nicht
abgemattet; sie rissen sich unter dem Sattel dahin und wir kamen mit jedem
Augenblicke näher und näher . . . und endlich erkannte ich den Kasbitsch,
nur konnte ich nicht recht unterscheiden, was er da vor sich hielt. Ich
hatte Petschorin gerade eingeholt und schrie ihm zu: »Es ist Kasbitsch!« Er
blickte mich an, nickte mit dem Kopfe und schlug sein Pferd mit der
Peitsche.

-- Endlich hatten wir uns ihm auf Büchsenschußweite genähert; war nun sein
Pferd bereits abgequält, oder war es schlechter als die unsrigen, genug, es
wollte nicht mehr recht vorwärts. Ich glaube, daß er sich in dieser Minute
seines Karagös erinnerte.

-- Ich sehe, daß Petschorin im Galopp sein Gewehr anlegt! »Schießen Sie
nicht!« schrie ich ihm zu: »bewahren Sie den Schuß, wir holen ihn auch so
ein.« -- So ist aber die Jugend! immer entbrennt sie zur Unzeit . . . . Der
Schuß ging doch los und die Kugel zerschmetterte ein Hinterbein des
Pferdes; dieses machte in der Wuth des Schmerzes noch ein Stücker zehn
Sprünge, stolperte dann und fiel auf ein Knie. Kasbitsch sprang herunter,
und dann sahen wir, daß er in seinen Armen ein Frauenzimmer hielt, das in
einen Schleier gehüllt war . . . Es war Bela . . . Die arme Bela! . . . Er
rief uns etwas in seiner Sprache zu und zückte den Dolch auf sie . . . Da
galt kein Zögern: ich schoß nun auf gut Glück mein Gewehr ab; die Kugel mag
ihm wohl in die Schulter gegangen sein, denn er ließ sogleich den Arm
sinken . . . Als der Dampf sich verzogen hatte, lag auf dem Boden das
verwundete Pferd und neben ihm Bela; Kasbitsch aber, der sein Gewehr
weggeworfen hatte, kletterte wie eine Katze an den Gebüschen den Felsen
entlang: ich hätte ihn gern da weggeblasen -- allein es fehlte an einem
fertigen Schusse! Wir sprangen von den Pferden und eilten zu Bela heran.
Die Arme, sie lag unbeweglich und das Blut floß stromweis aus einer Wunde
. . . So ein Bösewicht: hätte er ihr noch wenigstens in's Herz gestoßen, --
nun, wenn es einmal sein sollte, so wäre es doch mit Einem Male mit ihr
ausgewesen, aber so in den Rücken . . . ein rechter Räuberstoß! Sie war
ohne Bewußtsein. Wir rissen den Schleier ab und verbanden die Wunde so fest
wir konnten; vergebens küßte Petschorin ihre kalten Lippen -- nichts konnte
sie zu sich bringen.

-- Petschorin stieg zu Pferde; ich hob sie von der Erde empor und setzte
sie so gut es gehen wollte zu ihm auf den Sattel; er umfaßte sie mit einem
Arme, und wir kehrten zurück. Nach einem minutenlangen Schweigen sagte
Grigorii Alexandrowitsch zu mir: »Hören Sie, Maksim Maksimitsch, auf diese
Weise bringen wir sie nicht lebendig nach Hause.« -- Das ist auch wahr!
sagte ich, und wir jagten was die Pferde nur laufen konnten. An dem
Festungsthore erwartete uns eine Menge Volkes; wir trugen nun die
Verwundete vorsichtig zu Petschorin und schickten nach dem Doktor. Ob er
gleich betrunken war, so kam er doch, besichtigte die Wunde und erklärte,
daß sie länger als einen Tag nicht leben könne . . . er irrte sich aber
. . .

»So wurde sie wieder hergestellt?« fragte ich den Stabskapitain, indem ich
ihn am Arme faßte und mich unwillkührlich freute.

-- Nein, antwortete er; der Doktor irrte sich nur insofern, als sie noch
zwei Tage lebte.

»So erklären Sie mit nur, auf welche Weise Kasbitsch sich ihrer bemächtigt
hatte.«

-- Das war so zugegangen: trotz Petschorins Verbotes war sie aus der
Festung nach dem Flüßchen gegangen. Es war auch, wissen Sie, sehr heiß; sie
hatte sich auf einen Stein gesetzt und die Füße ins Wasser gehalten. Da kam
Kasbitsch herangeschlichen, -- schlug seine Krallen in sie, hielt ihr den
Mund zu und schleppte sie in das Dickicht, woselbst er auf sein Pferd
sprang und Reißaus nahm! Unterdessen hatte sie doch zu schreien vermocht;
die Wachen machten Lärm, schossen, verfehlten ihn aber -- und so waren wir
denn dazu gekommen.

»Ja, warum wollte Kasbitsch sie denn eigentlich entführen?«

-- Aber ich bitte Sie! diese Tscherkessen sind ein weltbekanntes
Spitzbubenvolk: was schlecht verwahrt liegt, können sie nicht liegen
lassen; so manches nutzt ihnen gar nichts, sie stehlen's doch . . . hierin
bitte ich sie zu entschuldigen! Nun und außerdem gefiel sie ihm ja schon
längst.

»Und Bela starb?«

-- Sie starb; nur quälte sie sich lange und wir quälten uns mit ihr ganz
gehörig ab. Gegen zehn Uhr des Abends kam sie wieder zu sich; wir saßen an
ihrem Bette; so wie sie nur die Augen aufschlug, fing sie an Petschorin zu
rufen. -- »Ich bin hier, neben Dir, meine Dschánetschka (was bei uns etwa
»Seelchen, Herzchen« heißen würde), erwiederte er, indem er ihre Hand
ergriff. -- »Ich sterbe!« sagte sie. -- Wir suchten sie zu beruhigen und
sagten ihr, daß der Arzt versprochen habe sie unbedingt zu heilen. Sie
schüttelte das Köpfchen und drehte sich nach der Wand; sie wollte nicht
sterben! . . .

-- In der Nacht fing sie an zu phantasiren; ihr Kopf brannte; über ihren
ganzen Körper lief bisweilen ein Fieberschauer: sie sprach
unzusammenhängende Reden von ihrem Vater, ihrem Bruder; sie wollte in die
Berge zurück, in die Heimath . . . Dann sprach sie auch von Petschorin, gab
ihm verschiedene zärtliche Benennungen oder warf ihm vor, daß er seine
Dschánetschka aufgehört habe zu lieben . . . Er hörte ihr schweigend zu,
sein Haupt auf die Hände gestützt; indessen bemerkte ich die ganze Zeit
über in seinen Augenwimpern auch nicht eine Thräne; konnte er in der That
nicht weinen oder beherrschte er sich dermaßen -- ich weiß es nicht; was
mich anbetrifft, so habe ich mein ganzes Leben lang nicht etwas
Jammervolleres gesehen.

Gegen Morgen ließ das Phantasiren nach; wohl eine Stunde lang lag sie
unbeweglich, bleich, und so abgemattet, daß man kaum bemerken konnte, ob
sie athmete; dann wurde ihr wohler und sie fing an zu sprechen; aber was
meinen Sie wohl, wovon? . . . Ein solcher Einfall konnte auch nur einem
Sterbenden kommen! . . . Sie fing an sich zu bekümmern, daß sie keine
Christin sei und daß in jener Welt ihre Seele mit der des Grigorii
Alexandrowitsch nicht zusammenkommen, daß im Paradiese ein anderes Weib
seine Genossin sein werde. -- Da kam mir der Gedanke ein, sie vor dem Tode
noch zu taufen; sie blickte mich mit Unentschlossenheit an und konnte lange
kein Wort hervorbringen; endlich antwortete sie, daß sie in dem Glauben
sterben wolle, in welchem sie geboren worden war. So verging ein ganzer
Tag. Wie hatte sie sich während dieses einen Tages verändert! Die blassen
Wangen waren eingefallen, die Augen waren groß geworden; die Lippen
brannten. Sie fühlte eine innere Hitze, als ob in ihrer Brust ein glühendes
Eisen läge.

-- Die zweite Nacht brach ein; wir schlossen kein Auge und wichen nicht von
ihrem Bette. Sie litt fürchterlich und stöhnte, -- und so oft der Schmerz
nur ein Bischen nachließ, bemühte sie sich, Grigorii Alexandrowitsch zu
überzeugen, daß es besser mit ihr gehe, suchte ihn zu bereden sich schlafen
zu legen, küßte seine Hand und verwandte kein Auge von ihm. Vor
Tagesanbruch begann sie die Todesqualen zu fühlen; sie fing an sich
herumzuwerfen, und riß den Verband auf, so daß das Blut von Neuem floß. --
Nachdem man ihr die Wunde wieder verbunden hatte, wurde sie für ein
Weilchen ruhig und bat Petschorin sie zu küssen. Er kniete vor ihr Bett
nieder, hob ihren Kopf mit dem Kissen etwas in die Höhe und drückte seinen
Mund an ihre erkaltenden Lippen; sie umwand seinen Hals fest mit ihren
zitternden Armen, als ob sie ihm in diesem Kusse ihre ganze Seele übergeben
wollte . . . Nein, sie hat wohl daran gethan zu sterben! Was wäre wohl aus
ihr geworden, wenn Grigorii Alexandrowitsch sie verlassen hätte? Und das
wäre früher oder später doch der Fall gewesen . . .

-- Die Hälfte des andern Tages war sie still, schweigsam und folgsam, wie
sehr sie auch unser Arzt mit Umschlägen und Mixturen quälte. »Aber ich
bitte Sie!« sagte ich zu ihm: »Sie sagten doch selbst, daß sie unbedingt
sterben muß, wozu denn also alle diese Präparate?« -- »Ja, es ist doch
besser, Maksim Maksimitsch,« erwiederte er, »des ruhigen Gewissens wegen!«
-- Ein schönes Gewissen!

Nach zwölf Uhr fing sie an einen brennenden Durst zu fühlen. Wir öffneten
das Fenster, allein auf dem Hofe war es noch heißer als im Zimmer; man
stellte Eis um's Bett -- es wollte nichts helfen. Ich wußte, daß dieser
unerträgliche Durst ein Zeichen des sich nähernden Endes war und sagte es
Petschorin. --

»Wasser, Wasser!« sprach sie mit heiserer Stimme, indem sie sich im Bett
erhob.

-- Er wurde bleich wie ein Betttuch, ergriff ein Glas, schenkte ein und
reichte ihr. Ich hielt mir die Hände vor die Augen und sagte leise ein
Gebet her, ich erinnere mich nicht mehr, welches . . . Ja, mein Herr, ich
habe so manchen in den Hospitälern und auf dem Schlachtfelde sterben sehen,
es war aber immer nicht das, durchaus nicht das! . . Nun muß ich gestehen,
daß mich noch Eins betrübt: sie erinnerte sich vor dem Tode meiner nicht
ein einziges Mal; und doch habe ich sie wie ein Vater geliebt . . . Nun,
Gott sei ihr gnädig! . . . Und die Wahrheit zu gestehen: Was konnte ich ihr
auch sein, daß sie meiner vor dem Tode gedachte?

-- Kaum hatte sie das Wasser ausgetrunken, so wurde ihr leichter; drei
Minuten später war sie eine Leiche. Man hielt einen Spiegel an die Lippen
-- er blieb rein! . . . Ich führte Petschorin aus dem Zimmer und wir gingen
auf dem Festungswalle auf und ab; lange gingen wir mit auf dem Rücken
überschlagenen Armen neben einander auf und ab und sprachen kein Wort; sein
Gesicht drückte nichts Besonderes aus und das ging mir nahe: ich an seiner
Stelle wäre vor Herzeleid gestorben. -- Endlich setzte er sich auf die Erde
in den Schatten und fing an mit einem Stöckchen in den Sand zu malen. Ich
wollte ihn, wissen Sie, bloß des Anstands wegen, trösten, und fing an zu
sprechen: er hob den Kopf in die Höhe und lächelte . . . . Mir lief ein
kalter Schauer über die Haut vor solchem Lächeln . . . So ging ich denn das
Grab zu bestellen.

-- Ich muß gestehen, daß ich zum Theil, um mich zu zerstreuen, mich damit
beschäftigte. Ich hatte ein Stück Termalama,[A] womit ich ihren Sarg
umziehen ließ, und garnirte ihn noch mit tscherkessischen Silbertressen,
welche Grigorii Alexandrowitsch für sie gekauft hatte.

-- Am andern Tage früh begruben wir sie, außerhalb der Festung, an dem
Flüßchen neben dem Flecke, wo sie zuletzt gesessen hatte; rund um ihren
Grabeshügel wachsen nun dichte Büsche von Akazia und Hollunder. Ich hätte
ihr gerne ein Kreuzchen errichten lassen, aber, wissen Sie, das ist so eine
Sache; sie war doch immerhin keine Christin . . .

[Fußnote A: Ein kostbares Tscherkessenzeug.]

»Aber was wurde aus Petschorin?« fragte ich.

-- Petschorin war lange krank; der Arme kam ganz herunter; indessen
sprachen wir von der Zeit an nie von Bela; ich sah, daß es ihm unangenehm
gewesen wäre, also weshalb denn? -- Drei Monat später wurde er in das E.
. . Regiment versetzt und reiste nach Grusien ab. Seitdem sind wir einander
nie begegnet . . . Doch da fällt mir ein, daß mir unlängst Jemand sagte, er
sei nach Rußland zurückgekehrt; in den Feldbefehlen habe ich darüber nichts
gefunden. Uebrigens gelangen zu unser einem die Nachrichten immer ein
Bischen spät.

Hier erging er sich in einer langen Abhandlung darüber, wie unangenehm es
sei, alle Nachrichten ein Jahr später zu erfahren, wahrscheinlich nur um
seine traurigen Erinnerungen zu beschwichtigen.

Ich unterbrach ihn nicht, noch hörte ich ihm zu.

Nach einer Stunde zeigte sich die Möglichkeit weiter zu reisen; das
Schneegestöber ließ nach, der Himmel klärte sich auf und wir setzten uns in
Bewegung. Unterweges brachte ich unwillkührlich noch einmal die Rede auf
Bela und Petschorin.

»Hörten Sie denn gar nicht, was noch aus Kasbitsch wurde?« fragte ich.

-- Aus Kasbitsch! Nein, wahrhaftig, das weiß ich nicht . . . Ich habe wohl
gehört, daß auf der rechten Flanke bei den Schapsugen ein gewisser
Kasbitsch dient, ein toller Waghals, der in einem rothen Beschmete im
Schritt durch unsere Kugelregen reitet und sich sehr artig verbeugt, wenn
eine Kugel an ihm vorbeisaust; doch schwerlich möchte es jener sein!
. . .

In Kobi trennten wir uns; ich reiste mit Extrapost und so konnte er mir mit
seiner schweren Ladung nicht folgen. Wir hofften nicht, uns je
wiederzusehen, indessen sahen wir uns wieder, und wenn Sie wollen, so
erzähle ich es Ihnen; es ist eine ganze Geschichte . . . Gestehen Sie
indessen, daß Maksim Maksimitsch ein Mann ist, der unsere ganze Hochachtung
verdient? . . . Wenn Sie mir dies zugeben, so bin ich vollkommen belohnt
für meine vielleicht allzulange Erzählung.




Maksim Maksimitsch.


Nachdem ich mich von Maksim Maksimitsch getrennt hatte, jagte ich auf's
eiligste durch die Schluchten des Tereks und Darjals, frühstückte in
Kasbek, trank Thee in Larssa und eilte zum Abendessen nach Whládükawkas.
Ich will Sie mit der Beschreibung der Gebirge, mit Ausrufungen, die
besonders für diejenigen nichts zu bedeuten haben, welche nicht da waren,
so wie mit allerlei statistischen Bemerkungen verschonen, die ja doch
Niemand liest.

Ich blieb in einem Wirthshause, wo alle Reisenden abzusteigen pflegen und
wo sich trotzdem Niemand vorfand, dem man hätte den Auftrag ertheilen
können, einen Fasan zu braten und etwas Kohl gar zu machen; denn die drei
Invaliden, denen dies Haus übergeben ist, sind entweder so dumm oder so
betrunken, daß man von ihnen auch nicht das Mindeste erlangen kann.

Man theilte mir mit, daß ich noch drei Tage daselbst würde zubringen
müssen, denn die Okásija[A] sei noch nicht aus Jekatarinograd angekommen,
und könne daher noch nicht wieder dahin zurückkehren.

[Fußnote A: Ein russisches Fremdwort, vom französischen occasion abgeleitet
und, wie dieses, eine _Gelegenheit_ bezeichnend.]

So blieb mir denn nichts übrig, als zur Zerstreuung die Erzählung Maksim
Maksimitschens niederzuschreiben, nicht ahnend, daß dieselbe das erste
Glied zu einer langen Kette von Novellen sein würde: man kann aus diesem
Umstande ermessen, welche entsetzliche Folgen ein an sich geringfügiger
Umstand haben kann! . . . Aber Sie wissen vielleicht nicht, was das ist,
eine »Okasija?« Die Okasija ist eine militairische Bedeckung von einer
halben Kompagnie Infanterie und einigen Kanonen, mit welchen die
Pferde-Karawanen aus Whládükawkas nach Jekatarinograd begleitet werden.

Den ersten Tag verbrachte ich sehr langweilig; am zweiten Tage fährt früh
Morgens ein Wagen auf den Hof . . . Ah! Maksim Maksimitsch! Wir begegneten
uns wie alte Freunde. Ich bot ihm mein Zimmer an. Er machte nicht viel
Komplimente, klopfte mit sogar auf die Schulter und verzog den Mund in eine
Art Lächeln. Ein seltsamer Mensch der! . . .

Maksim Maksimitsch hatte großartige Kenntnisse in der Kochkunst; auf die
erstaunlichst beste Weise briet er einen Fasan, begoß ihn gehörig mit
Gurkenwasser, und ich muß gestehen, daß ich ohne ihn auf trockene Kost
angewiesen gewesen wäre. Eine Flasche Kachetinerwein half uns die
bescheidene Zahl der Gerichte vergessen machen, welche Summa Summarum auf
ein einziges hinausliefen; dann setzten wir uns, unser Pfeifchen
schmauchend, ich an's Fenster, er an den geheizten Ofen; denn der Tag war
feucht und kalt. Wir schwiegen. Wovon sollten wir auch sprechen? . . . Er
hatte mir von sich bereits alles erzählt, was irgendwie von Interesse war,
und ich hatte ihm nichts zu sagen. Ich sah zum Fenster hinaus. Eine Menge
niedriger Häuschen, die an den Ufern des Tereks, der hier immer mehr an
Breite gewinnt, zerstreut lagen, blickten durch die Bäume hindurch; weiter
in der Ferne erhoben sich die Gebirge mit ihren ausgezackten Felsenwänden,
hinter denen der Kasbeck in seiner weißen Kardinalsmütze hervorragte. Ich
nahm in meinem Innersten von ihnen Abschied, es that mir recht leid um sie
. . .

So saßen wir lange. Die Sonne verbarg sich bereits hinter die eisigen
Bergesgipfel und ein weißlicher Nebel fing an sich in den Thälern
auszubreiten, als in der Straße der Klang einer Wagenglocke und das
Geschrei der Postillone ertönte. Einige Fuhrwerke mit schmutzigen Armeniern
fuhren auf den Hof des Wirthshauses; hinter ihnen ein leerer Reisewagen,
dessen leichter Gang, bequemer Bau und fashionables Aeußere einen gewissen
ausländischen Anstrich hatten. Ein Mensch mit einem großen Schnurrbart
begleitete ihn; er trug einen ungarischen Schnürrock und war überhaupt für
einen Lakaien äußerst wohl gekleidet; daß er ein solcher war, verrieth die
genugthuende Art und Weise, mit welcher er die Asche aus dem Pfeifenkopf
klopfte und den Postillon anfuhr. Offenbar war er der verzogene Diener
eines müßigen Herrn, -- etwas in der Art eines russischen Figaro's. --

-- Höre 'mal, mein Lieber, rief ich ihm vom Fenster entgegen, ist das die
Okasija, die da angekommen ist? he? Er blickte mich ziemlich dreist an,
rückte sich das Halstuch etwas zurecht und kehrte sich um; ein hinter ihm
kommender Armenier antwortete lächelnd statt seiner, indem er uns
mittheilte, daß die Okasija so eben angekommen sei und morgen früh wieder
zurückmache. -- »Gott sei gelobt!« sagte Maksim Maksimitsch, der in diesem
Augenblicke an's Fenster trat. »Ei, das ist ja eine wunderbare Equipage!«
fügte er hinzu: »wahrscheinlich fährt da irgend ein Beamter zur Revision in
den Kaukasus. Der kennt aber offenbar unsere Gebirge noch nicht! Nein, mein
Lieber, mit der kommst Du hier nicht weit; die fliegt in Stücke und wenn
sie zehnmal eine englische ist! Aber wer kann denn das nur sein? -- --
Kommen Sie, wir wollen uns erkundigen.« Wir gingen hinaus in den Korridor.
Am Ende desselben war die Thür eines Seitenzimmers weit geöffnet, in
welches der Lakai mit Hülfe des Postillons verschiedene Koffer schleppte.

»Hör' mal, mein Freund,« fragte der Stabskapitain den Diener, »wem gehört
dieser prächtige Wagen? . . . he? Ein köstlicher Wagen! . . .« Der Bediente
brummte etwas vor sich hin und fing an die Koffer aufzuschnallen, ohne sich
auch nur umzukehren. Maksim Maksimitsch wurde böse; er klopfte den
Unhöflichen auf die Schulter und sagte: »Ich spreche mit Dir, mein
Werthester . . .«

-- Wem der Wagen gehört? . . . meinem Herrn.

»Und wer ist Dein Herr?«

-- Petschorin . . .

»Was? Was sagst Du da? Petschórin? . . . Ach du lieber Himmel! . . . hat er
nicht früher im Kaukasus gedient? . . .« rief Maksim Maksimitsch aus, indem
er mich am Aermel erfaßte . . . Die Freude strahlte ihm aus den Augen.

-- Ja wohl, ich glaube -- ich bin noch nicht lange bei ihm.

»Nun ja, ja! . . Grigorii Alexandrowitsch ist sein Vorname . . . Wir waren
früher Freunde, Dein Herr und ich,« fügte er hinzu, indem er den Bedienten
freundlich dergestalt auf die Schulter klopfte, daß er zu schwanken anfing.

-- Erlauben Sie, mein Herr, Sie stören mich in meiner Arbeit, sagte dieser
mit mißvergnügter Miene.

»Ei was mein Freundchen! . . . Ja, weißt Du auch, daß Dein Herr und ich die
größten Herzensfreunde waren, daß wir zusammen wohnten . . . Na, aber wo
bleibt er denn?«

Der Diener erklärte, daß Petschorin beim Obersten N. zu Abend speisen und
übernachten werde.

»Je nun, kommt er nicht vielleicht heute Abend noch einmal hierher?« fragte
Maksim Maksimitsch, »oder Du, mein Lieber, hast Du nicht noch etwas bei ihm
zu thun? . . Wenn Du hingehst, so sage ihm nur, daß Maksim Maksimitsch hier
ist; -- sag' ihm nur das . . . dann weiß er schon . . . ich werde Dir auch
einen Wosmigriwennü[A] zum Trinkgeld geben.«

[Fußnote A: Eine kleine russische Silbermünze, vom Werthe von 7 Sgr.]

Der Lakai machte eine verächtliche Miene, als er dieses bescheidene
Versprechen hörte, indessen versicherte er Maksim Maksimitsch, daß er
seinen Auftrag ausrichten wolle.

-- Sie werden sehen daß er sofort herbeieilt, sagte Maksim Maksimitsch mit
siegreicher Geberde zu mir: ich will eben vor die Thüre gehen und ihn
erwarten . . . Ach! wie schade daß ich mit N. nicht bekannt bin.

Maksim Maksimitsch setzte sich vor der Thür auf eine Bank, und ich begab
mich auf mein Zimmer. Ich muß gestehen, daß ich gleichfalls mit einer
gewissen Ungeduld der Erscheinung Petschorins entgegensah; wenn ich mir
auch nach der Erzählung des Stabskapitains eine nicht eben sehr
vortheilhafte Meinung von ihm gebildet hatte, so schienen mir doch einige
Züge seines Charakters interessant. Nach ungefähr einer Stunde brachte ein
Invalid die kochende Theemaschine und das Theegeräth. »Maksim Maksimitsch,«
rief ich ihm durch's Fenster zu, »ist Ihnen nicht Thee gefällig?«

-- Danke schön, danke schön; habe noch keinen Appetit.

»Ach was! trinken Sie nur immer; es ist schon spät und kalt.«

-- Thut nichts; danke bestens . . . .

»Nun, wie es Ihnen gefällig ist!« So trank ich denn meinen Thee allein;
zehn Minuten später kommt mein Alterchen herein. -- Nein, Sie haben Recht;
es ist doch besser erst ein Täßchen zu trinken, -- tausend, läßt Der auf
sich warten! Sein Diener ist schon längst zu ihm gegangen, es muß ihn
offenbar etwas zurückgehalten haben.

Er trank eiligst eine Tasse aus, dankte für eine zweite, und begab sich
abermals mit einer gewissen Unruhe hinaus: es war klar, daß ihn die
Unaufmerksamkeit Petschorins kränkte, um so mehr, als er mir noch jüngst so
viel von ihrer Freundschaft erzählt hatte und noch vor einer Stunde
überzeugt war, daß Petschorin herbeieilen würde, sobald er nur seinen Namen
nennen hörte.

Es war bereits spät und dunkel, als ich das Fenster nochmals öffnete und
Maksim Maksimitschen rief, um ihm zu sagen, daß es Zeit sei schlafen zu
gehen; er brummte etwas zwischen den Zähnen vor sich hin; ich wiederholte
meine Einladung -- er antwortete nichts.

So streckte ich mich denn, in meinen Mantel gehüllt, auf den Divan, ließ
das brennende Licht auf dem Ofenrande stehen, schlummerte auch alsbald ein
und würde ruhig bis zum andern Morgen durchgeschlafen haben, wenn mich
Maksim Maksimitsch, der sehr spät ins Zimmer kam, nicht wieder aufgeweckt
hätte. Er warf die Pfeife auf den Tisch, fing an im Zimmer auf und ab zu
schreiten, im Ofen herumzustören, legte sich dann endlich nieder und
hustete, spuckte und warf sich noch lange herum . . .

»Was haben Sie? beißen Sie die Wanzen?« fragte ich.

-- Ja wohl, schöne Wanzen . . . erwiederte er, tief aufseufzend.

Am nächsten Morgen erwachte ich frühzeitig, allein Maksim Maksimitsch war
mir bereits zuvorgekommen. Ich fand ihn schon wartend auf der Bank sitzend.
-- »Ich muß durchaus zum Kommandanten gehen,« sagte er, »also, bitte, wenn
Petschorin unterdessen kommen sollte, schicken Sie nach mir . . .

Ich versprach es. Er eilte mit solcher Hast davon, als ob sich durch seine
Glieder ein jugendliches Feuer und jugendliche Elasticität auf's Neue
ergossen hätten.

Der Morgen war frisch und schön. Goldenes Gewölk thürmte sich über den
Bergen empor gleich einer neuen Kette lustiger Gebirgsbilder; vor der
Hausthür dehnte sich ein geräumiger Platz aus; der daran gelegene Bazar
wimmelte von Leuten, denn es war gerade ein Sonntag; baarfüßige
Ossetinerknaben, mit Butten auf den Schultern, in welchen sie ganz frischen
Honig zu Kaufe herumtrugen, umringten mich alsbald; ich scheuchte sie von
mir; mir stand der Sinn wo anders hin -- ich begann die Unruhe des braven
Stabskapitaines zu theilen.

Es vergingen keine zehn Minuten, als sich Der am Ende des Platzes zeigte,
den wir erwarteten. Er ging mit dem Obersten N., welcher, nachdem er ihn
bis zum Wirthshause begleitet hatte, Abschied von ihm nahm und nach der
Festung zurückkehrte. Ich entsandte sofort einen Invaliden nach Maksim
Maksimitschen.

Unterdessen kam der Bediente Petschorin's heran, mit der Meldung, daß man
sofort anspannen würde; er reichte ihm eine Cigarrenbüchse und begab sich,
nach einigen erhaltenen Befehlen, zurück an seine Geschäfte. Sein Herr
steckte sich eine Cigarre an, gähnte ein paar Mal und setzte sich auf eine
Bank an der andern Seite der Hausthür. Ich muß Ihnen nunmehr sein Portrait
machen:

Er war mittleren Wuchses. Sein kräftiger, schlanker Bau und seine breiten
Schultern zeugten von einer Natur, die im Stande war alle
Beschwerlichkeiten des Nomadenlebens, sowie alle klimatische Veränderungen
zu ertragen, eine Natur, die bisher weder von dem ausschweifenden Leben in
der Residenz noch von den heftigsten Gemüthsstürmen besiegt worden war.
Sein staubiger Sammetrock, der nur an den beiden untersten Knöpfen
zugeknöpft war, ließ die blendendweißeste Wäsche durchblicken, an welcher
man die Gewohnheiten eines anständigen Menschen am besten erkennt; seine
nicht mehr frischen Handschuhe schienen eigens nach seiner kleinen
aristokratischen Hand genäht zu sein, und als er einen derselben auszog,
erstaunte ich über die Magerkeit seiner blassen Finger. Sein Gang war
nachlässig und träge; indeß bemerkte ich, daß er dabei die Arme nicht
bewegte, -- ein sicheres Zeichen einer gewissen Verstecktheit des
Charakters. Uebrigens sind das so meine eigenen Bemerkungen, die auf meinen
selbstgemachten Beobachtungen beruhen, weshalb Sie denselben durchaus
keinen blinden Glauben zu schenken brauchen. Als er sich wieder auf die
Bank niederließ, bog sich seine sonst grade Gestalt, als ob er im Rücken
nicht einen einzigen Knochen hätte. Die ganze Haltung seines Körpers
verrieth eine Art Nervenschwäche; er saß wie eine Balzac'sche
dreißigjährige Kokette in ihrem gepolsterten Armstuhle sitzt, wenn sie von
einem ermüdenden Balle zurückkehrt. Beim ersten Blicke auf sein Gesicht
hätte ich ihm nicht mehr als drei und zwanzig Jahre gegeben, obgleich ich
ihm später deren gern dreißig gab. In seinem Lächeln lag etwas Kindliches.
Seine Haut hatte eine fast weibische Zartheit; seine blonden, natürlich
gelockten Haare umgaben höchst malerisch seine blasse, edle Stirn, auf
welcher man nur nach längerer Beobachtung die Spuren der Runzeln entdecken
konnte, die einander durchkreuzten und in Momenten des Zornes oder der
geistigen Aufgeregtheit wahrscheinlich noch sichtbarer zum Vorschein kamen.
Ungeachtet seines hellen Haupthaares waren Augenbrauen und Schnurrbart
schwarz -- ein eben so sicheres Anzeichen ächter Race beim Menschen wie
eine schwarze Mähne und ein schwarzer Schweif bei einem weißen Pferde.
Schließlich, um sein Portrait zu beendigen, erwähne ich noch, daß er eine
etwas aufgeworfene Nase hatte, daß seine Zähne vom glänzendsten Weiß, seine
Augen dunkelbraun waren. Ueber seine Augen muß ich übrigens noch etwas
hinzufügen:

Erstens, lachten sie nicht, wenn er lachte! -- Es ist Ihnen vielleicht noch
nicht vorgekommen, diese Seltsamkeit an gewissen Leuten zu beobachten?
. . . Sie ist ein charakteristisches Kennzeichen entweder eines sehr bösen
Charakters oder einer tiefen, beständigen Schwermuth. Seine Augen glänzten
aus den halbgeöffneten Wimpern hervor mit einer Art phosphorischen Glanzes,
wenn ich mich so ausdrücken darf; das war nicht der Abglanz der inneren
Glut der Seele oder der spielenden Einbildungskraft, sondern der blendende,
kalte Spiegelglanz des polirten Stahles; sein Blick war nicht dauernd aber
durchdringend und lästig, und hinterließ den unangenehmen Eindruck einer
unbescheidenen Frage; er hätte frech genannt werden können, wäre er nicht
zu gleichgültig ruhig gewesen. Alle diese Details kamen mir vielleicht nur
deshalb in den Sinn, weil ich einige Einzelheiten seines Lebens kannte, und
leicht könnte es sein, daß sein Anblick auf einen Anderen einen durchaus
verschiedenartigen Eindruck gemacht hätte; da Sie nun aber außer mir von
Niemanden etwas über ihn erfahren werden, so müssen Sie sich schon mit
dieser Darstellung begnügen. Schließlich füge ich noch hinzu, daß er im
Allgemeinen durchaus nicht übel war und eine jener originellen
Physiognomien hatte, welche besonders den Damen so gefallen.

Die Pferde waren bereits vorgespannt. Die Wagenglocke ertönte von Zeit zu
Zeit an der Duga und schon zweimal war der Bediente zu Petschorin mit der
Meldung herangetreten, daß Alles bereit sei -- aber Maksim Maksimitsch
erschien noch immer nicht. Zum Glücke blickte Petschorin, in Gedanken
vertieft, nach den blauen Bergzacken des Kaukasus und schien nicht eben
sehr eilig zu sein. Ich ging an ihn heran: »Wenn Sie sich noch ein wenig
gedulden wollen, mein Herr,« sagte ich, »so werden Sie die Genugthuung
haben, einen alten Freund wiederzusehen . . . .«

»Ach, richtig!« antwortete er schnell: »man sprach mir gestern davon; aber
wo ist er?« -- Ich wandte mich nach dem Platze zu und erblickte Maksim
Maksimitschen, der aus Leibeskräften herbeieilte . . . In einigen Minuten
war er bei uns angelangt; er konnte kaum athmen; der Schweiß rollte ihm
hageldick über's Gesicht; triefende Büschel grauer Haare hingen ihm unter
der Mütze hervor und klebten an seiner Stirne fest; seine Kniee bebten
. . . er wollte sich Petschorin an den Hals werfen, der ihm indessen
ziemlich kalt, jedoch mit einem bewillkommenden Lächeln die Hand reichte.
Der Stabskapitain war eine Minute lang wie versteinert, doch ergriff er
alsbald die dargebotene Hand begierig mit beiden Händen; sprechen konnte er
noch nicht. --

-- Wie bin ich erfreut, lieber Maksim Maksimitsch! Nun, wie geht es Ihnen
denn? sagte Petschorin.

»Und . . . Du? . . und Sie? . .« stammelte der Greis mit Thränen in den
Augen, »wie viele Jahre . . . wie viele Tage . . . aber wohin geht's?
. .«

-- Ich gehe nach Persien -- wohl weiter . . .

»Nun doch nicht so auf dem Flecke? . . . Sie verziehen ja wohl ein
Weilchen, Verehrtester! . . . Wir werden uns doch nicht gleich wieder
trennen müssen? . . . Wie lange haben wir uns nicht gesehen . . .«

-- Ich habe Eile, Maksim Maksimitsch, -- war die Antwort.

»Mein Gott, mein Gott! aber wohin eilen Sie denn so? Ich hätte Ihnen so
viel zu sagen gehabt . . . So viel zu fragen . . . Nun, also?
verabschiedet? . . . Wie? Was haben Sie Alles angefangen? . .«

-- Mich gelangweilt, erwiederte Petschorin lächelnd.

»Erinnern Sie sich noch Ihres Aufenthaltes in der Festung, he? . . . Eine
köstliche Gegend zum Jagen? . . Sie waren damals ein gewaltiger
Jagdliebhaber . . . Und Bela?

Petschorin entfärbte sich ein wenig und wandte sich ab.

-- Ja, ich erinnere mich! sagte er, fast in demselben Augenblicke zum
Gähnen gezwungen.

Maksim Maksimitsch fing nun an ihn zu bitten, doch wenigstens zwei Stunden
zu verweilen. »Wir werden köstlich speisen,« sagte er, »ich habe zwei
Fasanen, und der Kachetinerwein ist hier ausgezeichnet . . . versteht sich,
nicht das was in Grusien, indessen doch von einer bessern Gattung . . . Wir
plaudern ein Bischen zusammen . . . Sie erzählen mir von ihrem Aufenthalte
in Petersburg . . Sie . . hm?«

-- Wirklich, ich weiß nichts zu erzählen, lieber Maksim Maksimitsch . . .
Nun also, leben Sie recht wohl, ich muß fort . . . ich bin sehr eilig
. . . Ich danke auch, daß Sie mich nicht vergessen haben . . . fügte er
hinzu, ihn an der Hand ergreifend.

Der Alte zog die Augenbrauen düster zusammen . . . Er war betrübt und
ärgerlich, obgleich er sich bemühte es zu verbergen. »Vergessen!« sagte er
mit rauher, fast bellender Stimme: »Ich habe noch nie etwas vergessen
. . . Nun denn, in Gottes Namen! . . . Ich hätte nimmermehr geglaubt, daß
unser Wiedersehen ein solches sein würde . . .«

-- Nun, nun! sagte Petschorin, indem er ihn freundschaftlich umarmte, bin
ich denn nicht mehr derselbe? . . . Was ist zu machen? . . . Ein Jeder hat
seine eigenen Wege . . . Ob wir uns noch einmal wiedersehen werden -- Gott
weiß! . . . Während er dies sprach, saß er bereits im Wagen und der
Postillon fing schon an die Zügel zusammenzufassen.

»Halt, halt!« rief plötzlich Maksim Maksimitsch auf, indem er sich am
Wagenschlage festhielt: »bald hätte ich ganz vergessen . . . ich habe ja
noch Ihre Papiere, Grigorii Alexandrowitsch . . . ich führe sie mit mir
. . . hoffte Sie in Grusien wiederzufinden, und nun hat's der liebe Gott so
gefügt . . . Was soll ich damit anfangen? . . .«

-- Was Sie wollen! erwiederte Petschorin. Adieu . . .

»Also Sie gehen nach Persien? . . . und wann kommen Sie wieder? . . .« rief
Maksim Maksimitsch ihm nach.

Der Wagen war bereits weit entfernt; allein Petschorin machte mit der Hand
ein Zeichen, welches man ungefähr folgendermaßen übersetzen konnte:
Schwerlich! und wozu auch! . . .

Schon längst hörte man weder den Klang des Glöckchens noch das Gerassel der
über den steinigen Weg dahinrollenden Räder, -- und der arme Greis stand
noch immer auf demselben Flecke in tiefes Dahinbrüten versunken.

»Ja,« begann er endlich, indem er sich anstrengte gleichgültig zu scheinen,
obgleich die Thränen des Verdrusses sich von Zeit zu Zeit aus seinen
Wimpern drängten: »gewiß, wir waren Freunde, -- was aber sind heutzutage
Freunde? . . Was kann ich ihm auch sein? Ich bin weder reich, noch von
hohem Range und auch an Jahren bei Weitem ihm nicht gleich . . . Siehst Du
wohl, was er für ein Stutzer geworden ist, seit er wieder in Petersburg war
. . . Was für eine Equipage! . . . Was für Gepäck! . . . und diesen stolzen
Bedienten! . . .« Er sprach diese Worte mit ironischer Bitterkeit aus. »Nun
sagen Sie einmal,« fuhr er an mich gewendet fort, »was halten Sie davon?
. . . und welcher Satan führt ihn jetzt nach Persien? . . . lächerlich, bei
Gott, lächerlich! . . . Ich hab's aber immer gewußt, daß er ein
unzuverlässiger Mensch ist, auf den man sich nicht verlassen kann . . .
Wahrhaftig, schade daß er schlecht enden wird . . . es kann aber nicht
anders sein! . . . Ich hab's immer gesagt, daß Dem kein Segen erblüht, der
seine alten Freunde vergißt! . . .« Hier wandte er sich ab, um seine
Aufregung zu verbergen und ging auf dem Hofe um seinen Wagen herum, als ob
er dessen Räder untersuchte, während seine Augen sich jeden Augenblick mit
Thränen füllten.

-- Maksim Maksimitsch, sagte ich, indem ich an ihn heranging; was sind das
für Papiere, die Petschorin Ihnen zurückließ?

»Ei, was weiß ich davon! Es werden wohl Tagebücher sein . . .«

-- Und was werden Sie damit machen?

»Was ich damit machen werde? zu Patronen werde ich sie verbrauchen lassen.«

-- So geben Sie mir sie lieber.

Er blickte mich mit Verwunderung an, brummte etwas zwischen den Zähnen und
fing dann an im Koffer herumzuwühlen; endlich zog er ein Heft heraus und
warf es mit Verachtung auf die Erde; ein zweites, ein drittes, ein zehntes
theilten dasselbe Schicksal: es lag etwas Kindisches in seinem Aerger, was
mir leid that und doch auch lächerlich war.

»Da haben Sie sie alle,« sagte er: »ich wünsche Ihnen Glück zum Funde
. . .«

-- Und kann ich damit anfangen, was ich will?

»Meinetwegen lassen Sie sie in den Zeitungen drucken. Was geht's mich an!
. . . Was, bin ich denn etwa sein Freund, oder Verwandter? . . . Es ist
wahr, wir lebten eine geraume Zeit mit einander unter demselben Dache; aber
mit wem habe ich nicht alles zusammengelebt? . . .

Ich bemächtigte mich der Papiere und brachte sie schleunigst fort, damit es
ihm nicht wieder leid werden möchte, sie mir übergeben zu haben. Nicht
lange darnach meldete man uns, daß die Okasija binnen einer Stunde
aufbrechen werde; ich befahl anzuspannen. Der Stabskapitain kam in's
Zimmer, als ich mir bereits meine Mütze aufsetzte; er schien sich für die
Abreise nicht fertig zu machen und hatte etwas Gezwungenes, Kaltes in
seinem Wesen.

-- Nun, Maksim Maksimitsch, reisen Sie denn nicht mit?

»Nein.«

-- Wie so denn das?

»Ich habe den Kommandanten noch nicht gesehen und habe ihm verschiedene
Kronssachen zu übergeben . . .«

-- Sie waren ja doch aber bei ihm?

»Das war ich wohl . . .« sagte er ausweichend, »traf ihn aber nicht zu
Hause . . . wartete nicht . . .«

Ich verstand ihn. Der arme Greis hatte, vielleicht zum ersten Male in
seinem Leben, die Dienstgeschäfte seinen _eigenen Angelegenheiten_ (um mit
der Kanzleisprache zu reden) hintangesetzt, -- und wie war er dafür belohnt
worden!

-- Das thut mir leid, recht leid, Maksim Maksimitsch, sagte ich zu ihm, daß
wir uns grade jetzt trennen müssen.

»Was haben wir ungebildeten Alten mit Euch zu schaffen! . . . Die Jugend
ist jetzt stolz und dem Genusse der Welt ergeben; mag sein, daß es unter
den tscherkessischen Kugeln noch leidlich mit Euch geht . . . aber nachher
kehrt Ihr Euch von uns, und schämt Euch wohl gar, einem Freunde die Hand zu
reichen.«

-- Ich verdiene diese Vorwürfe nicht, Maksim Maksimitsch. --

»Nun, ich, wissen Sie, ich spreche einmal so von der Leber herunter;
übrigens wünsche ich Ihnen alles Wohlergehen und eine fröhliche Reise.

Wir trennten uns ziemlich trocken. Der gute Maksim Maksimitsch war zum
eigensinnigen, zänkischen Stabskapitain geworden! Und weshalb? Weil ihm
Petschorin aus Zerstreuung oder aus irgend einem andern Grunde die Hand
gereicht hatte, wo der ihm gern an den Hals gesprungen wäre! Es ist traurig
zu sehen, wenn der Jüngling die schönsten seiner Hoffnungen und Illusionen
verschwinden sieht, wenn der Rosaflor zerreißt, durch welchen er die Thaten
und Gefühle der Menschen zu betrachten pflegte; für ihn bleibt doch die
Hoffnung, die zerronnenen Phantasiegebilde durch neue, zwar nicht minder
vergängliche, doch darum auch nicht minder süße, zu ersetzen . . . Gegen
was aber vertauscht man sie in Maksim Maksimitschens Jahren? Da verhärtet
das Herz unwillkührlich und die Seele zieht sich in sich zurück.

Ich reiste allein ab.




Vorrede.


Unlängst erfuhr ich, daß Petschorin auf seiner Heimkehr aus Persien
gestorben sei. Diese Nachricht erfreute mich ungemein; sie gab mir das
Recht, diese Memoiren zu veröffentlichen und ich benutzte diese Gelegenheit
gern, meinen Namen einem fremden Geistesprodukte voranzustellen. Gebe Gott,
daß meine Leser mich nicht für diesen Betrug verurtheilen!

Ich habe mich nunmehr noch über die Gründe auszusprechen, die mich
veranlaßten, dem Publikum die Herzensgeheimnisse eines Menschens
vorzulegen, den ich nie gekannt habe. Wäre ich noch sein Freund gewesen!
die feige Indiskretion der wahrhaften Freunde ist ja aller Welt hinreichend
bekannt; so aber habe ich ihn nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen,
und noch obendrein auf dem Reisewege! Es geht daraus aber auch hervor, daß
ich gegen ihn nicht jenen unerklärlichen Haß nähren kann, der sich unter
der Larve der Freundschaft verbirgt und nur den Moment des Todes oder
großer Unglücksfälle abwartet, um sofort über das Haupt des geliebten
Gegenstandes die Schauergüsse der Vorwürfe, der Rathschläge, der
Bemitleidung und des Hohnes auszugießen.

Als ich diese Memoiren durchlas, überzeugte ich mich von der Aufrichtigkeit
desjenigen, der seine eigenen Schwächen und Untugenden so unbarmherzig zur
Schau stellte. Die Geschichte der menschlichen Seele, und wäre es der
allergeringsten, ist interessanter und nützlicher als die Geschichte eines
ganzen Volkes, besonders wenn sie das Resultat der Beobachtungen des
Verstandes über sich selbst ist und wenn sie ohne den eitlen Wunsch
geschrieben ward, Theilnahme oder Verwunderung zu erwecken. Die Confessions
Rousseau's haben schon das Ueble an sich, daß er sie seinen Freunden
vorlas.

So leitete mich also nur der Wunsch nützlich zu werden bei der
Veröffentlichung dieses mir zufällig in die Hände gerathenen Journals.
Obgleich ich alle Eigennamen veränderte, so werden doch diejenigen sich
wahrscheinlich leicht wiedererkennen, von denen die Rede ist, und
vielleicht hier den Schlüssel zum Betragen eines Menschen finden, der auf
dieser Welt nichts mehr mit ihnen gemein hat. Man entschuldigt fast immer
das, was man versteht. Ich habe in diesem Buche nur Dem Platz gegönnt, was
sich auf Petschorins Aufenthalt im Kaukasus bezieht. Es bleibt mir noch ein
dickes Heft unbenutzt zurück, in welchem er sein ganzes Leben beschreibt.
Dereinst soll auch dieses dem Urtheile der Welt übergeben werden; doch wage
ich es jetzt aus vielen Gründen noch nicht, diese Verantwortlichkeit zu
übernehmen.

Vielleicht wünschen einige Leser meine eigene Meinung über Petschorins
Charakter zu vernehmen. Meine Antwort -- _der Titel des Buches_. »Das ist
ja eine böse Ironie!« werden sie sagen. Ich weiß nicht. --




Tamán.



   In tal notte atra e funesta
   Mente freme la tempesta
   Chi va in circa di un asil?


   Anonimo.

Tamán ist das allermiserabelste Nest unter allen russischen Seestädten.
Beinahe wäre ich vor Hunger darin umgekommen, nicht gerechnet, daß man mich
zur Zugabe noch ersäufen wollte. Ich kam spät des Nachts mit Postvorspann
daselbst an; der Postillon hielt das ermüdete Dreigespann vor der Thür des
einzigen steinernen Hauses an, das sich bei der Einfahrt befindet. Die
Wache, ein tschornomórski[A] Kosak, rief, als er das Gebimmel des
Glöckchens hörte, halbschlaftrunken mit wilder Stimme sein: »Wer da?« Ein
Unteroffizier und ein Gefreiter kamen heraus. Ich erklärte ihnen, daß ich
ein Offizier sei, der sich im Auftrage der Krone nach einer aktiven
Abtheilung begebe, und forderte eine Kronswohnung für die kurze Zeit meines
Aufenthaltes hierselbst. Der Gefreite führte uns in der Stadt herum; aber
bei welcher Barake wir auch vorsprachen -- nirgends war ein Unterkommen zu
finden. Es war kalt; ich hatte drei Nächte nicht geschlafen, war furchtbar
müde und fing an ärgerlich zu werden. »So führe mich endlich unter Dach,
Spitzbube,« schnaubte ich den Kosaken an, »und wenn's beim Teufel wäre, nur
zur Stelle!«

[Fußnote A: Vom schwarzen Meere.]

»Da ist wohl noch ein Nest,« antwortete der Kosak, indem er sich im Nacken
kratzte, »nur wird es Euer Gnaden nicht zusagen; -- es ist da nicht ganz
rein!«

Da ich die genaue Bedeutung des letzten Wortes nicht auffaßte, so befahl
ich ihm voranzugehen, und so gelangten wir nach einer langen Wanderung
durch die schmutzigen Gassen, an deren Seiten ich nichts als alte
Plankenzäune sah, zu einer kleinen Hütte, dicht am Ufer des Meeres.

Der volle Mond beleuchtete das Schilfrohrdach und die weißen Wände meiner
neuen Wohnung; auf dem Hofe, der mit einem Kieselgeschiebe umgeben war, war
noch eine zweite elende Hütte, noch kleiner und hinfälliger als die erste,
an diese angekleckst. Das Ufer fiel fast von den Wänden der Hütte
senkrecht, wie abgeschnitten, ins Meer hinab, und unten tanzten mit
ununterbrochenem Gebrause die dunkelblauen Wogen. Der Mond schaute
friedlich auf das unruhige, aber ihm unterthänige Element, und ich konnte
bei seinem Lichte, weit vom Ufer ab, zwei Schiffe wahrnehmen, deren
schwarzes Takelwerk sich wie ein Spinnengewebe am matten Himmelsgewölbe
abzeichnete. -- »Es liegen Schiffe im Hafen,« dachte ich bei mir selbst,
»morgen kann ich also nach Geléndschick abreisen!« Ein Linienkosak
begleitete mich als Bedienter. Ich befahl ihm den Koffer loszubinden und
den Postillon zu entlassen, und fing an nach dem Wirthe zu rufen. -- Keine
Antwort; ich poche; alles stumm . . . Was bedeutet das? Endlich kroch aus
dem Hausflure ein Junge von ungefähr vierzehn Jahren hervor.

»Wo ist der Wirth?« -- Njä-má.[A] -- »Was? kein Wirth?« -- Ne, keener
. . . -- »Nun, also eine Wirthin?« -- Die is nach dem Dorfe gelofen. --
»Wer macht mir denn da die Thür auf?« sagte ich und schlug mit dem Absatz
dagegen. Die Thüre sprang von selbst auf; ein feuchter Dunst wehte mir
entgegen. Ich steckte ein Zündholz an und hielt es dem Jungen unter die
Nase; es beleuchtete zwei glanzlose, weiße Augen. Er war blind, stockblind
von Geburt an. Er blieb unbeweglich vor mir stehen und ich begann seine
Züge zu mustern.

Ich muß gestehen, daß ich ein starkes Vorurtheil gegen alle Blinden,
Lahmen, Tauben, Stummen, Buckligen, Bein- und Armlosen u. s. w. u. s. w.
habe. Ich habe bemerkt, daß zwischen dem Aeußerlichen des Menschen und
seiner Seele stets eine seltsame, geheime Beziehung Statt findet: als ob
mit dem Verlust eines Gliedes die Seele irgend eines Gefühls verlustig
ginge.

Ich fing also an die Züge des Blinden zu mustern; aber sagen Sie mir
selbst, was kann man möglicherweise in einem Gesichte ohne Augen lesen?
. . . Ich blickte ihn lange mit unwillkührlichem Mitleid an, als plötzlich
ein kaum bemerkbares Lächeln über seine dünnen Lippen glitt, das, ich weiß
nicht warum, einen äußerst widerlichen Eindruck auf mich machte. In meinem
Kopfe tauchte der Verdacht auf, daß dieser Blinde doch nicht ganz so blind
sei, wie er es schien; vergebens hielt ich mir vor, daß man den grauen
Staar unmöglich nachahmen könne, und nun noch obendrein wozu? Wie dem nun
auch immer sei -- ich klebe bisweilen an gewissen Vorurtheilen . . .

[Fußnote A: Die Antworten des Knaben geschehen im klein-russischen
Dialekte, der ungefähr unserm Plattdeutsch entspricht. Njä-má: hier ist
keiner.]

-- Bist Du der Sohn der Wirthin? fragte ich ihn endlich. -- »Ne.« -- Wer
bist Du denn? -- »Eene Waise, verlassene.« -- Hat die Wirthin Kinder? --
»Ne, sie hatte eine Tochter, aber die ist mit einem Tataren über's Meer
gezogen.« -- Mit einem Tataren? Mit was für einem Tataren? -- »Der Teufel
mag seinen Namen wissen! ein Tatar aus der Krim, ein Bootsmann aus
Kertschi.«

Ich trat in die Hütte: zwei Bänke, ein Tisch und ein ungeheurer Koffer in
der Nähe des Ofens bildeten das ganze Mobiliar. An der Wand kein einziges
Heiligenbild -- ein schlechtes Zeichen! Durch die zertrümmerten
Fensterscheiben pustete der Seewind mit Ungestüm. Ich langte mir aus meinem
Reisekoffer ein Ende Wachskerze heraus, steckte es an und fing an meine
Sachen auszupacken; meine Schaschka und Büchse kamen in die Ecke zu stehen,
die Pistolen auf den Tisch, dann breitete ich meine Burka[A] über die eine
Bank, mein Kosak die seinige über die andere und nach zehn Minuten
schnarchte er bereits; -- allein ich konnte nicht einschlafen; vor mir in
der Finsterniß drehte sich fortwährend der Junge mit den weißen Augen
herum.

[Fußnote A: Ein kurzer Filzmantel, vorzüglich bei den Kosaken in Gebrauch.]

So mochte ungefähr eine Stunde verflossen sein. Der Mond schien jetzt zum
Fenster herein, und seine Strahlen spielten auf dem lehmigen Fußboden der
Hütte. Plötzlich schwebte auf dem vom Monde beschienenen Streifen des
Fußbodens ein Schatten vorüber. Ich richte mich auf und schaue nach dem
Fenster: zum zweiten Male eilte Jemand daran vorbei und verschwand Gott
weiß wo; ich konnte mir nicht denken, daß dieses Wesen die schroffe,
senkrechte Mauer des Seeufers hinuntergeglitten sein konnte, und doch blieb
ihm kein anderer Weg übrig. Ich stand auf, warf meinen Beschmet um, steckte
meinen Dolch in den Gurt und trat leise, leise aus der Hütte hinaus: der
blinde Junge grade auf mich los. Ich drückte mich an den Plankenzaun und so
ging er mit sicherem doch behutsamen Schritte an mir vorüber. Unter dem
Arme trug er ein Bündel und nachdem er sich dem Hafen zugewandt hatte,
schlug er einen engen, steilen Fußpfad ein. -- »An jenem Tage werden die
Stummen reden und die Blinden wieder sehen,« dachte ich bei mir selbst,
indem ich ihm in einer angemessenen Entfernung folgte, um ihn nicht aus den
Augen zu verlieren.

Unterdessen fing der Mond an sich in Wolken zu kleiden und Nebel stieg vom
Meere auf; kaum, daß die Laterne vom Verdecke des nahen Wachtschiffes
hindurchschimmerte, am Ufer aber spritzte der Schaum der Meereswogen so in
die Höhe, daß sie den Jungen jeden Augenblick zu verschlingen drohten. Ich
folgte ihm, obgleich mit vieler Beschwerde, auf dem steilen, holprigen Wege
und sah wie mein Blinder erst eine Weile stehen blieb und sich dann rechts
hinunter begab; er ging so dicht am Wasser dahin, daß es schien, als ob die
Woge ihn sofort ergreifen und mit sich fortreißen würde; allein an der
Sicherheit, mit welcher er von Stein zu Stein hüpfte und die Wasserrisse
vermied, konnte man deutlich sehen, daß er diesen Weg nicht zum ersten Male
machte. Endlich hielt er still, als ob er auf etwas lausche, setzte sich
auf die Erde und legte sein Bündel neben sich. Ich beobachtete alle seine
Bewegungen, indem ich mich hinter einem vom Ufer vorspringenden
Felsenstücke versteckt hielt. Nach einigen Minuten wurde von der
entgegengesetzten Seite her eine weiße Figur sichtbar; sie ging an den
Blinden heran und setzte sich neben ihn. Der Wind führte mir von Zeit zu
Zeit ihr Gespräch zu:

»Nun, Blinder?« sagte eine weibliche Stimme: »der Sturm ist heftig; Janko
wird nicht kommen.«

-- Janko fürchtet den Sturm nicht, entgegnete dieser.

»Der Nebel wird immer dichter,« sagte wieder die weibliche Stimme mit einem
Ausdrucke der Kümmerniß.

-- Im Nebel kann er sich desto leichter an den Wachtschiffen vorbeistehlen,
war die Antwort.

»Aber wenn er ertrinkt?«

-- Nun was weiter? Dann gehst Du am nächsten Sonntag ohne neues Band in die
Kirche.

Hierauf folgte ein Schweigen; indessen frappirte mich eins: der Blinde
hatte mit mir in kleinrussischem Dialekte gesprochen, während er jetzt ganz
reines Russisch sprach.

-- Siehst Du, daß ich Recht habe, begann der Blinde wieder, indem er in die
Hände schlug: Janko fürchtet weder Meer, noch Sturm, noch Nebel, noch
Küstenwächter: horche nur -- das ist nicht das Peitschen der Wellen, Du
täuschst mich nicht, -- das sind seine langen Ruder.

Das Frauenzimmer sprang auf und richtete unruhvoll ihren Blick in die
Ferne.

»Du faselst, Blinder,« sagte sie, »ich sehe nichts.«

Ich muß gestehen, daß, wie viele Mühe ich mir auch gab, etwas zu entdecken,
was einem Nachen ähnlich sehen konnte, alles vergebens war. So vergingen
zehn Minuten; da zeigte sich allmälig zwischen den Bergen der Meeresfluthen
ein schwarzer Punkt, der bald größer bald kleiner wurde; -- bald sich
langsam bis auf die Spitzen der Wogen erhebend, bald wieder in die Tiefe
hinabschießend, näherte sich der Kahn immer mehr dem Ufer. -- Ein kühner
Schiffer mußte Der sein, der es wagte, in einer solchen Nacht eine Meerenge
von 20 Werst Weite zu durchrudern, und wichtig mußte der Grund sein, der
ihn dazu antrieb.

Während diese Gedanken mich beschäftigten, blickte ich mit unwillkührlichem
Herzpochen nach dem armen Kahne; der aber tauchte unter wie eine Ente und
erhob sich dann wieder durch einen raschen Flügelschlag seiner Ruder aus
dem Abgrunde, inmitten des wildesten Schaumgespritzes; -- plötzlich schien
es mir, als ob er in einem Anlaufe gegen das Ufer sich zerschlagen und in
tausend Splitter zertrümmern müsse -- allein er parirte mit ungemeiner
Geschicklichkeit und hüpfte unbeschädigt in eine kleine Bucht. Ein Mann von
mittlerm Wuchse sprang aus dem Nachen; er trug eine tatarische
Barankenmütze; er winkte mit der Hand -- und alle drei bemühten sich, Etwas
aus dem Nachen zu ziehen; die Last war so groß, daß ich bis auf den
heutigen Augenblick nicht verstehe, wie er nicht untergegangen ist. Ein
jeder packte sich endlich ein Bündel auf die Schultern und so gingen sie
das Ufer entlang, wo ich sie zuletzt aus dem Gesicht verlor. -- Es blieb
mir nun nichts übrig, als nach Hause zu gehen, doch muß ich bekennen, daß
alle diese Seltsamkeiten mich dermaßen aufgeregt hatten, daß ich beschloß,
den Morgen wach abzuwarten.

Mein Kosak war nicht wenig erstaunt, als er mich beim Erwachen vollständig
angezogen fand; indessen gab ich ihm keine weiteren Gründe dafür an,
sondern legte mich ins Fenster und schaute eine Zeitlang nach dem
dunkelblauen mit zerrissenem Gewölk besäeten Himmel, nach dem fernen Ufer
der Krim, das sich wie ein Lilastreifen am Horizonte dahinzieht, bis es
zuletzt in einen Felsen ausläuft, auf dessen Gipfel ein Leuchtturm
schimmert, und begab mich endlich nach der Festung Fanágora, um mich beim
Kommandanten über die Stunde meiner Abreise nach Gelendschick zu
erkundigen.

Aber leider konnte mir der Kommandant durchaus nichts Bestimmtes darüber
sagen. Die im Hafen liegenden Schiffe waren alle entweder Wachtschiffe oder
Handelsschiffe, die sogar ihre Ladung noch nicht einmal eingenommen hatten.
»Vielleicht kommt ein Postschiff in drei, vier Tagen hier an,« sagte der
Kommandant, »und dann wollen wir sehen . . .«

Ich ging finster und ärgerlich nach Hause. In der Thüre kam mir mein Kosak
mit bestürztem Gesichte entgegen: -- Hier ist's faul, Euer Gnaden! raunte
er mir zu. Ja, Bruder,[A] Gott weiß, wann wir von hier fortkommen! Bei
diesen Worten wurde er noch verlegener, beugte sich zu mir und zischelte
mir ins Ohr: Hier ist's nicht rein! Ich begegnete heute einem
tschornomórskischen Kosakenunteroffiziere, mit dem ich bekannt bin, -- ich
stand voriges Jahr mit ihm in einer Abtheilung -- so sagte ich ihm also, wo
wir abgestiegen wären; darauf sagte er zu mir: Bruder, sagte er, da,
Bruder, ist die Luft nicht rein; das sind keine gute Leute! . . . Ja, und
nun bitte ich Einen in der That -- was ist das für ein Blinder! lauft der
Bengel überall allein herum, nach dem Bazar, und nach Brod und nach Wasser
. . . Hier sind sie, wie es scheint, schon alle daran gewöhnt.

»Hat sich denn die Wirthin nicht wenigstens einmal blicken lassen? . . .«

[Fußnote A: Brat, die gewöhnliche Anrede an Untergebene, indessen auch in
seiner eigentlichen Bedeutung gebraucht.]

-- Ja, wie Sie heute aus waren, kam eine Alte mit ihrer Tochter heraus.

»Was für eine Tochter? Sie hat ja keine Tochter.«

-- Ja, dann weiß Gott was sie ist, wenn sie nicht ihre Tochter ist; sehen
Sie, da sitzt die Alte gerade vor ihrem Fenster. --

Ich ging in die elende Hütte hinein. Der Ofen war stark geheizt und eine
für arme Leute wahrhaft üppige Mahlzeit wurde darin gekocht. Die Alte
antwortete auf alle meine Fragen, daß sie taub sei und mich nicht verstehen
könne. Was war mit ihr anzufangen? Ich wandte mich also an den Blinden, der
vor dem Ofen kauerte und Reisig ins Feuer warf. »Nun, Du kleiner blinder,
Teufel,« sagte ich, indem ich ihn am Ohre faßte, »wohin bist Du denn diese
Nacht mit dem Bündel gelaufen, he?«

Fängt der Junge an zu weinen und zu schreien und zu heulen: -- Wohin
gegangen? Ich nirgend gegangen . . . Mit einem Bundel? Was für a Bundel? --

Diesmal hatte auch die Alte Ohren und fing an zu belfern: »Das ist erlogen,
und noch dazu gegen einen Unglücklichen! Wofür halten Sie ihn denn? Was hat
er Ihnen denn gethan?«

Mir war der ganze Kram höchst langweilig, darum ging ich ohne Weiteres
fort, fest entschlossen, den Schlüssel zu diesem Räthsel zu entdecken. Ich
wickelte mich in meine Burka, setzte mich am Zaune auf einen Stein, und
schaute in die Ferne; vor mir dehnte sich das vom nächtlichen Sturme noch
aufgeregte Meer aus, und sein eintöniges Getöse und Gestöhn erinnerte mich,
gleich dem nächtlichen Straßengerolle einer großen Stadt, an die
dahingeschwundenen Jahre und versetzte meine Gedanken nach dem Norden, in
unsere kalte Residenz. Von Erinnerungen ergriffen, vergaß ich mich selbst
. . . So saß ich wohl eine Stunde und länger . . . . Plötzlich berührt
etwas wie Gesang mein Ohr. Wahrhaftig, das ist ein Liedchen, und noch dazu
von einer frischen Mädchenstimme gesungen, -- aber wo kommt es her? Ich
lausche -- eine herrliche Melodie, jetzt gedehnt und traurig, dann wieder
rasch und feurig; ich blicke um mich -- sehe aber Niemanden rundum; ich
lausche wieder -- die Töne scheinen geradezu vom Himmel zu fallen. Da
richtete ich meinen Blick in die Höhe und siehe da: auf dem Dache meiner
Hütte stand ein Mädchen in einem gestreiften Kleide, mit aufgelösten,
loseflatternden Zöpfen, eine leibhaftige Undine. Sie schützte ihre Augen
mit den flachen Händen vor den Sonnenstrahlen und schaute starr in die
Ferne, bald mit sich sprechend und lachend, bald wiederum ihr Liedchen
singend.

Ich erinnere mich dieses Liedchens noch Wort für Wort:

   Auf dem freien Wellchen dort --
   Auf dem grünen Meere,
   Tanzen Schiffe auf und ab
      Weißbesegelte.

   Zwischen jenen Schiffen tanzt
   Auch mein Nachen durch,
   Nachen ohne Mast und Tau,
      Doppelrudriger.

   Fängt der Sturm sein Liedchen an
   Ach, die alten Schiffe all'
   Lüften ihre Flügelchen,
      Stieben auseinander all'.

   O, dann flehe ich das Meer
   Leise, leise, leise:
   Rühr' nicht an, Du böses Meer
      Meine Lódotschka.[A]

   Denn es trägt die Lódotschka
   Sachen wunderbar und schön,
   Und es führt in dunkler Nacht
      Sie ein Brausekopf heran.[B]

Unwillkührlich erinnerte ich mich, daß ich in vergangener Nacht dieselbe
Stimme gehört hatte; ich dachte einen Augenblick darüber nach; als ich aber
wieder nach dem Dache blickte, war das Mädchen nicht mehr da. Plötzlich
eilte sie an mir vorüber, und etwas anderes anstimmend und mit den Fingern
dazu schnalzend, rannte sie zur Alten und gerieth auch sogleich mit ihr in
einen heftigen Wortwechsel. Die Alte wurde sehr böse und schlug ein lautes,
tiefes Gelächter auf. Auf einmal sehe ich wieder wie meine Undine von ihr
weghüpft; als sie bis zu mir herangekommen war, blieb sie plötzlich stehen
und sah mich durchdringend an, als ob sie über meine Gegenwart verwundert
wäre, worauf sie sich gleichgültig umkehrte und langsam der Anfahrt am Ufer
zuschritt. Allein damit war's noch nicht zu Ende: den ganzen Tag drehte sie
sich um meine Wohnung herum; Gesang und Sprünge wechselten ununterbrochen
miteinander ab! -- Ein seltsames Wesen! Auf ihrem Gesichte war nicht das
geringste Zeichen der Geistesabwesenheit ausgedrückt; im Gegentheil, ihre
Augen ruhten oft mit einem durchdringenden Funkeln auf mir, und diese Augen
schienen mir mit einer seltsamen magnetischen Kraft begabt, auch kam es mir
immer vor, als ob sie mich gleichsam zu einer Frage aufforderten. So wie
ich aber anfing zu sprechen, lief sie mit einem feigen Lächeln eiligst
davon. --

[Fußnote A: Kleiner Nachen.]

[Fußnote B: Das russische Volkslied bietet selten ein geregeltes Versmaaß
dar, eben weil es vom Volke, das des Liedes nur des Gesanges wegen bedarf,
nach Bedürfniß improvisirt wird und weil dann fehlende Silben durch länger
anhaltende Noten oder anderweitige, oft sehr melodische Modulationen der
Stimme ergänzt werden. Vorstehendes Liedchen, das wir im originellen
Silbenmaaße fast wörtlich wiedergegeben haben, ist eine solche
Improvisation. Der Reichthum der russischen Literatur an solchen Liedern
ist unermeßlich; jeder einzelne russische Dialekt hat seine
unerschöpflichen Fundgruben; die erste, einigermaßen vollständige, aber
noch nicht ganz erschienene Sammlung derselben sind die »Sagen des
russischen Volkes« von Sacharoff, 2ter Band 1849. -- Das Werk wartet noch
auf einen deutschen Bearbeiter.]

Ein solches Frauenzimmer ist mir wahrhaftig noch nicht vorgekommen. Sie war
durchaus nichts weniger als schön; allein ich habe auch in Betreff der
Schönheit so meine eigenen Ideen . . . Es steckte viel Race in ihr . . .
und bei Frauenzimmern und Pferden ist die Race eine wichtige Sache: dies
ist eine Entdeckung des jungen Frankreichs. Sie, die Race, und nicht die
Entdeckung des jungen Frankreichs, giebt sich zu erkennen am Gange, an den
Händen und den Füßen und ganz besonders an der Nase, die eine hochwichtige
Bedeutung hat. Eine regelmäßige Nase ist in Rußland noch viel seltener als
ein kleiner Fuß. Meine Sirene mochte ungefähr 18 Jahr alt sein. Die
ungewöhnliche Schlankheit ihrer Taille, eine ganz besondere nur ihr
eigenthümliche Haltung des Kopfes, ihr langes blondes Haar, so wie ein
gewisser goldiger Schein ihrer leicht verbrannten Haut an Hals und
Schultern, und nun vor Allem ihre regelmäßige Nase -- alles dies übte einen
geheimen Zauber über mich aus. Trotzdem ich in ihren Seitenblicken etwas
Wildes und Verdächtiges wahrnahm, trotzdem daß ihr Lächeln einen ganz
besondern, unbestimmten Ausdruck hatte, so war doch die Macht des
Vorurtheils so groß, daß mich ihre regelmäßige Nase ganz um den Verstand
brachte: ich bildete mir ein Göthe's Mignon -- dieses wunderliche Gebilde
seiner germanischen Einbildungskraft -- gefunden zu haben, und in der That
waren sich die Beiden so unähnlich nicht: dieselben raschen Uebergänge aus
der allerüberspanntesten Aufregung in die vollständigste Regungslosigkeit,
-- dieselben räthselhaften Reden, dieselben Sprünge, seltsamen Gesänge u.
s. w.

Gegen Abend hielt ich sie an der Thüre fest und hatte folgendes Gespräch
mit ihr:

»Sag' mir doch, Liebchen, was hast Du heut da oben auf dem Dache gemacht?«

-- Ich sah, woher der Wind blies.

»Was kümmert Dich der Wind?«

-- Woher der Wind kommt, kommt auch das Glück.

»So hast Du wohl gar mit Deinem Liedchen das Glück eingeladen?«

-- Wo man singt, da sind die Menschen immer glücklich. --

»Wenn Dein Gesang nun aber Unglück brächte?«

-- Was liegt daran? Wo nichts besser werden kann, da wird's schlechter, und
vom Schlechten zum Guten ist's wieder nicht weit.

»Wer hat Dir denn diese Lieder gelehrt?«

-- Gelehrt? Niemand; es kommt mir etwas in den Sinn -- und ich fange an zu
singen; wer es vernehmen soll, der begreift es schon, wer es aber nicht
hören soll, der versteht es nicht. --

»Aber wie heißt Du denn, liebe Sirene?«

-- Wer mich taufte, der weiß es schon.

»Und wer taufte Dich?«

-- Ja, wie soll ich das wissen?

»Ei, Du Geheimnißvolle, Du! Aber siehst Du, _etwas_ habe ich doch von Dir
erfahren.« Sie gab durch keine Veränderung ihrer Züge, durch kein Zucken
ihrer Lippen zu erkennen, daß von ihr die Rede war.

»Ich habe also erfahren, daß Du gestern Nacht am Ufer warst.« Und nun
erzählte ich ihr mit vieler Wichtigkeit alles was ich gesehen hatte und
hoffte sie in Verlegenheit zu setzen; nicht im Geringsten! Sie fing an aus
voller Kehle zu lachen.

-- Da haben Sie freilich viel gesehen und wissen doch wenig, und was Sie
wissen, das halten Sie ja hübsch unter Schloß und Riegel. --

»Aber wenn es mir nun einmal einfiele, das dem Kommandanten zu
hinterbringen?« sagte ich mit einer sehr wichtigen, ja sogar strengen
Miene.

Da sprang sie plötzlich mit einem liedartigen Schrei davon und verbarg
sich, gleich einem Vögelchen, das aus einem Busche aufgescheucht worden. --
Meine letzten Worte waren durchaus nicht am rechten Orte; damals ahnte ich
noch nicht ihre Wichtigkeit, hatte aber in der Folge Gelegenheit sie zu
bereuen. --

Mit dem Einbruche der Dämmerung befahl ich meinem Kosaken, den Thee, wenn
auch kalt, anzusetzen, steckte ein Licht an, setzte mich an den Tisch und
rauchte gemüthlich mein Reisepfeifchen. Ich hatte bereits mein zweites Glas
Thee ausgetrunken, als plötzlich die Thüre knarrte und das leichte Rauschen
eines Kleides und flüchtiger Tritte in meiner Nähe hörbar ward; ich fuhr
zusammen und sah mich um, -- siehe da, meine Undine. Sie setzte sich leise
und lautlos mir gegenüber und heftete ihre Augen auf mich, und -- ich weiß
nicht recht warum -- ihr Blick kam mir wunderbar zärtlich vor; er erinnerte
mich an einen jener Blicke, welche in früheren Jahren so eigenmächtig mit
meinem Leben gespielt hatten. --

Sie schien eine Frage von mit zu erwarten, allein ich schwieg, von einer
unerklärlichen Aufregung überwältigt. Ihr Gesicht war von einer
Todtenblässe überzogen, welche die innere Aufregung nur zu sehr verrieth;
ihre Hand fuhr ohne Zweck auf dem Tische herum, und ich bemerkte ein
leichtes Zittern an ihr; ihr Busen wogte bald hoch auf, bald schien sie
wieder den Athem an sich zu halten. Diese Komödie fing an mir lästig zu
werden, und ich war so eben im Begriff, dies Schweigen auf die
allerprosaischste Weise von der Welt zu unterbrechen -- nämlich, ihr eine
Tasse Thee anzubieten -- als sie plötzlich aufsprang, meinen Hals mit ihren
Armen umwand, und ein feuchter, feuriger Kuß auf meinen Lippen wiederklang.
Es wurde mir ganz düster vor den Augen, mein Kopf fing an sich zu drehen
und ich drückte sie in meiner Umarmung mit aller Gewalt der jugendlichen
Leidenschaft; aber sie schlüpfte mir wie eine Schlange aus den Armen und
raunte mir ins Ohr: »Heute Nacht, wenn alles schläft, komm nach dem Ufer,«
und fuhr wie ein Blitz aus dem Zimmer. Auf dem Flure rannte sie die
Theekanne und das Licht um, die beide auf dem Fußboden standen. »Was für
ein Höllenmädel!« schrie der Kosak, der darauf gerechnet hatte, sich an den
Ueberbleibseln des Thee's gütlich zu thun, und sich nun auf seine Streu
hinstreckte. Jetzt erst kam ich wieder zu mir.

Nach ungefähr zwei Stunden, als alles im Hafen still geworden war, weckte
ich meinen Kosaken auf: »Wenn Du einen Pistolenschuß hörst,« sagte ich zu
ihm, »so kommst Du nach dem Ufer!« Er riß die Augen auf und antwortete
mechanisch: »Sehr wohl, Ew. Gnaden.« -- Ich steckte die Pistole in den Gurt
und ging. Sie erwartete mich bereits am Rande der Abfahrt; ihre Kleidung
war mehr als leicht, ein kleines Tuch umwand ihre schlanke Taille anstatt
einer Schärpe.

»Folgen Sie mir!« sagte sie, indem sie mich bei der Hand faßte; -- wir
stiegen das Ufer hinab. Ich begreife nicht, wie ich nicht den Hals dabei
gebrochen; unten angekommen, wandten wir uns rechts, und schlugen denselben
Weg ein, auf welchem ich unlängst dem Blinden gefolgt war. Der Mond war
noch nicht aufgegangen; nur zwei Sternchen schimmerten wie zwei rettende
Leuchtthürme am dunkeln Himmelsgewölbe. Schwerfällige Wellen rollten in
abgemessenen Distanzen hintereinander her, hoben aber kaum den einzigen
Nachen in die Höhe, der am Ufer festgebunden lag.

»Laß uns in den Nachen gehen,« begann meine Gefährtin. Ich schwankte -- ich
bin kein Liebhaber von sentimentalen Spazierfahrten auf dem Meere; indessen
war es jetzt nicht mehr Zeit davon abzustehen. Sie sprang in den Nachen,
ich hinter ihr drein, und ehe ich mich dessen versah, bemerkte ich, daß wir
schwimmen.

-- Was soll denn das heißen? sagte ich ärgerlich.

»Das soll heißen,« antwortete sie, mich auf die Bank drängend, und meine
Taille mit den Armen umwindend, »das soll heißen, daß ich Dich so lieb habe
. . .« Und ihre Wangen preßten die meinigen und ich fühlte ihren glühenden
Athem über mein Gesicht dahinstreifen. Auf einmal plumpst etwas ins Wasser;
ich streife nach meinem Gürtel -- die Pistole ist fort. O, da stahl sich
ein fürchterlicher Verdacht in meine Seele und das Blut peitschte mir nach
dem Kopfe! Ich blicke rund um -- schon sind wir gegen vierhundert Fuß vom
Ufer ab, und schwimmen kann ich nicht! Ich versuche es sie von mir
zurückzustoßen, sie aber hat sich wie, eine Katze an meine Kleider
festgeklammert; plötzlich stieß mich ein heftiger Stoß fast über Bord. Der
Nachen fing an zu schaukeln, ich brachte ihn aber wieder ins Gleichgewicht,
und nun begann zwischen uns ein verzweifelter Kampf; die Wuth verlieh mir
zwar Kräfte, allein ich bemerkte sehr bald, daß ich meinem Gegner an
Gewandtheit weit nachstand . . .

-- Was willst Du doch von mir? schrie ich sie endlich an, und drückte ihre
kleinen Hände mit ungeheurer Gewalt zusammen; ihre Finger krachten, sie gab
aber keinen Laut von sich; ihre Schlangennatur hielt diese Probe aus.

»Du hast gesehen,« entgegnete sie, »und Du willst angeben!« und mit einer
übernatürlichen Anstrengung riß sie mich am Bord zu Boden; wir schwebten
Beide bis an die Hüften aus dem Nachen; ihre Haare berührten das Wasser:
der Augenblick war entscheidend. Ich stemmte mich mit dem Knie fest gegen
den Boden, ergriff sie mit der einen Hand bei den Haaren, mit der andern
bei der Gurgel; da ließ sie meine Kleider los, und in demselben Augenblick
stürzte ich sie auch ins Meer.

Es war bereits ziemlich dunkel geworden. Ihr Kopf tauchte noch einigemal
aus den schäumenden Wellen hervor und dann war nichts mehr zu sehen . . .

Auf dem Boden des Nachens fand ich die Hälfte eines alten Ruders,
vermittelst dessen es mit nach langen Anstrengungen endlich gelang, die
Abfahrt zu erreichen. Als ich nun am Ufer entlang meiner Hütte zuschritt,
blickte ich unwillkührlich nach jener Seite, wo der Blinde gestern Abend
den nächtlichen Schiffer erwartet hatte; der Mond fing schon an am Himmel
einherzuschreiten, und so schien es mir, als ob dort am Ufer etwas Weißes
sitze; ich schlich mich, von der Neugierde gespornt, näher hinzu und legte
mich hinter einem Vorsprung des Ufers der Länge nach ins Gras, von wo aus
ich alles sehen konnte, was dort unten vorging und war nicht wenig
erstaunt, nein, ich freute mich fast, meine Undine wieder zu erkennen. Sie
drückte den Schaum des Meerwassers aus ihren langen Haaren; das nasse Hemd
zeichnete ihre schlanke Taille und ihre hohe Brust in scharfen Contouren
ab. Nicht lange, so zeigte sich in der Ferne ein Nachen, der sich rasch
näherte; wie am vorigen Abende, sprang auch diesmal ein Mann mit einer
tatarischen Mütze heraus, dessen Haar aber nach Kosakenart geschnitten war
und in dessen ledernem Gurte ein großes Messer blinkte.

»Janko!« sagte sie, »es ist alles verloren!«

Hierauf begann ein so leises Gespräch, daß ich nicht im Stande war, das
Mindeste davon aufzufassen.

-- Aber wo ist denn der Blinde? sagte endlich Janko mit etwas erhöhter
Stimme.

»Ich habe ihn fortgeschickt,« war die Antwort.

Es dauerte auch nicht lange, so kam der Blinde, mit einem Sacke auf dem
Rücken, den er in das Boot abwarf.

-- Höre, Blinder! sagte Janko, Du giebst gut Acht auf jenen Ort . . . Du
weißt, da liegen reiche Waaren . . . sage dem (den Namen konnte ich nicht
hören), daß ich ihm länger nicht dienen kann; die Sache hat eine schlechte
Wendung genommen; er kriegt mich nicht wiederzusehen; es ist jetzt
gefährlich; ich will mir an einem andern Orte Arbeit suchen, und er wird
einen solchen Wagehals nicht sobald wieder finden. Du kannst ihm auch
sagen, daß Janko ihn jetzt nicht im Stiche ließe, hätte er meine Mühe
besser bezahlt; ich finde überall Brod, wo nur der Wind bläst und das Meer
braust!« Nach einigem Schweigen fuhr Janko fort: »Sie muß mit fort; sie
darf hier nicht zurückbleiben; der Alten kannst Du nur sagen, daß sie ja
die Ehre wahre, wenn es jetzt ihr Loos sein sollte umzukommen. -- Uns seht
Ihr nicht mehr wieder.«

-- Aber ich? sagte der Blinde mit kläglicher Stimme.

»Was gehst denn Du mich an?« war die Antwort.

Unterdessen war meine Undine in den Nachen gesprungen und hatte ihrem
Gefährten mit der Hand zugewinkt; dieser drückte dem Blinden etwas in die
Hand, indem er sagte: »Da, kaufe Dir Pfefferkuchen.« -- »Nichts weiter?«
sagte der Blinde. -- »Nu, da hast Du noch mehr« -- ein fallendes Geldstück
erklang auf dem Gesteine. Der Blinde nahm es nicht auf. Janko setzte sich
in den Nachen; der Wind blies grade vom Ufer: rasch zogen sie ein kleines
Segel auf und eilten auf den flüchtigen Wogen dahin. Lange schien beim
Lichte des Mondes das weiße Segel zwischen den dunklen Wogen hervor; der
Blinde saß noch immer am Meeresufer und ich glaubte ein Schluchzen zu
vernehmen; in der That weinte der blinde Knabe lange, lange . . . Ich war
traurig. Und warum warf mich doch das Schicksal in den friedlichen Kreis
dieser _ehrlichen Schleichhändler_? Wie ein Stein, den man in eine glatte
Wasserfläche wirft, hatte ich ihren Frieden aufgestört, und wie ein Stein
wäre ich auch bald auf den Grund gesunken.

Ich kehrte nach Hause zurück. Auf dem Flure flackerte das aufgebrannte
Licht auf einem hölzernen Teller und mein Kosak lag, trotz meines Befehles,
im tiefsten Schlafe, mit beiden Händen das Gewehr haltend. Ich ließ ihn
zufrieden, nahm das Licht und ging in das Zimmer. O weh! Meine Schatulle,
meine Schaschka mit silberner Einfassung, ein Dagestaner-Dolch -- das
Geschenk eines Freundes -- alles war verschwunden. Jetzt errieth ich wohl,
was das für Sachen gewesen waren, die der verwünschte Blinde da
herangeschleppt hatte. Obgleich ich nun meinen Kosaken mit einem ziemlich
unsanften Stoße aufweckte und ihn tüchtig ausschalt, so war doch nichts
mehr zu machen! Und wäre es nicht lächerlich gewesen, mich bei der Behörde
zu beschweren, daß ein Blinder mich bestohlen und ein achtzehnjähriges
Mädchen mich fast ertränkt hätte? Gott sei Dank, daß sich des Morgens
Gelegenheit fand abzureisen und ich dies Nest verlassen konnte. Was aus der
Alten und dem Blinden geworden ist, weiß ich nicht. Was gehn denn mich auch
die Freuden und Leiden der Menschen an -- mich, einen herumwandernden
Offizier und noch dazu mit einem Passe in Kronsangelegenheiten! . . .




Die Fürstin Mary.



    Dost thou drink tears, that thou provok'st such weeping?


    _Shakspeare_, Venus and Adonis, Stanza 156.


11. Mai.

Gestern kam ich in Pätigorsk an und miethete ein Quartier am Ende der
Stadt, auf einer sehr hochgelegenen Stelle, am Fuße des Máschuk, so daß
während eines Ungewitters die Wolken sich bis auf mein Dach senken werden.
Heut um fünf Uhr Morgens, als ich das Fenster öffnete, füllte sich mein
Zimmer mit dem Dufte der Blumen an, welche in einem bescheidenen
Vordergärtchen wachsen. Die Zweige der blühenden Süßkirsche schauen mir ins
Fenster und der Wind überschüttet bisweilen meinen Schreibtisch mit ihren
weißen Blüthenblättern. Von drei Seiten habe ich eine wunderschöne
Aussicht. Gegen Westen liegt der fünfkuppige Beschtu im Blauen, wie »die
letzte Wolke eines zerstobenen Sturmes« gegen Norden erhebt sich der
Máschuk, wie eine verbrämte Persermütze, und verdeckt diesen ganzen Theil
des Himmelsgewölbes. Heiterer ist die Aussicht gegen Osten: unten, vor mir,
liegt ein buntes reinliches, neues Städtchen, sprudeln die Heilquellen,
rauscht die vielsprachige Menge, -- und dort, weiterhin, thürmen sich die
Berge, immer blauer und nebeliger, zum Amphitheater empor, und am Rande des
Horizontes zieht sich die silberne Kette der Schneegipfel hin, mit dem
Kasbek anfangend und mit dem zweikuppigen Elborus endigend. -- -- -- In
solchem Lande lebt's sich heiter! Ein gewisses beruhigendes Trostgefühl ist
durch alle meine Adern ergossen. Die Luft ist rein und frisch, wie der Kuß
eines Kindes; die Sonne strahlend, der Himmel blau -- wessen, so scheint
es, bedarf man hier noch mehr? Wozu hier noch Leidenschaften, Wünsche,
Bedauern? . . . Indessen ist es Zeit. Ich muß nun nach der Elisabethquelle
gehen; man sagte mir, daß sich dort des Morgens die ganze
Brunnengesellschaft versammelte.

Als ich mich in die Mitte der Stadt begab, ging ich auf den Boulevards
umher, wo ich einige traurige Gruppen langsam den Berg hinaufsteigen sah;
es waren meistentheils die Familien von Steppen-Gutsbesitzern; dies war
leicht zu errathen an den abgetragenen altmodischen Ueberröcken der Herren
und den geschmacklosen Kleidungen der Frauen und Töchter. Es war zu sehen,
daß sie alle jungen Badegäste schon kannten, da sie mit zärtlicher
Neugierde nach mir blickten: die Petersburger Form meines Waffenrockes
führte sie irre; als sie indessen die Epauletten eines Armeeoffiziers an
mir wahrnahmen, wandten sie sich unwillig von mir.

Die Frauen der Gegend selbst, so zu sagen die Brunnenwirthinnen, waren
herablassender; sie haben Lorgnetten und richten ihre Aufmerksamkeit
weniger auf die Uniform; sie sind bereits gewohnt, im Kaukasus unter einem
nummerirten Knopfe ein feuriges Herz, und unter der weißen Mütze einen
gebildeten Verstand anzutreffen. Diese Damen sind sehr gütig und sind es
lange! Jedes Jahr werden ihre Verehrer durch Neue abgelöst und hierin liegt
vielleicht das Geheimniß ihrer unerschöpflichen Liebenswürdigkeit. Als ich
auf einem engen Pfade zur Elisabethquelle hinanstieg, überholte ich eine
Menge Civil- und Militairpersonen, welche, wie ich später erfuhr, eine
besondere Klasse von Leuten unter denen bilden, die auf eine Wirkung des
Brunnens hoffen. Sie trinken -- nur kein Wasser, gehn wenig spazieren,
machen nur im Vorübergehen den Damen die Cour, spielen und klagen über
Langeweile. Sie sind Stutzer und nehmen, so oft sie ihre umflochtenen
Gläser in den Sauerbrunnen tauchen, eine akademische Stellung an; die
Civilpersonen tragen hellblaue Halstücher, die Militairs lassen aus den
Kragen die Vatermörder hervorgucken. Sie affektiren eine tiefe Verachtung
gegen die Damen aus der Provinz und seufzen nach den aristokratischen
Salons der Residenzen, wo sie nicht zugelassen werden.

Endlich bin ich am Brunnen . . . Auf einem Plätzchen unweit des Brunnens
steht ein Häuschen mit einem rothen Dache über dem Becken; etwas weiter
befindet sich eine Gallerie zum Spazierengehen während des Regens. Mehre
verwundete Offiziere saßen auf einer Bank, ihre Krücken zusammenhaltend,
blaß und traurig. Einige Damen gingen mit raschen Schritten auf und nieder,
in Erwartung der Wirksamkeit des Wassers. Unter ihnen befanden sich zwei
bis drei recht artige Gesichter. Aus den Nebenalleen, welche den Abhang des
Máschuk bedecken, tauchte dann und wann das bunte Hütchen einer Liebhaberin
der Einsamkeit zu Zweien hervor, denn stets bemerkte ich hinter einem
solchen Hute eine Militairmütze, oder einen formlosen runden Hut. Auf dem
steilen Felsen, wo ein Pavillon steht welcher den Namen Aeols-Harfe führt,
standen einige Liebhaber von Aussichten, welche ihre Telescope nach dem
Elborus richteten; unter ihnen befanden sich zwei Gouverneure mit ihren
Zöglingen, die hierher gekommen waren, um sich von den Skrofeln heilen zu
lassen.

Ich blieb erschöpft am Rande des Berges stehen und begann, an die Ecke des
Häuschens gelehnt, die malerische Umgegend zu betrachten, als ich plötzlich
hinter mir eine bekannte Stimme höre:

»Petschorin! schon lange hier?«

Ich wende mich um: Gruschnitzki! Wir umarmten uns. Ich hatte in einer
aktiven Abtheilung seine Bekanntschaft gemacht. Er hatte eine Schußwunde am
Beine, und war eine Woche später als ich ins Bad gereist. Gruschnitzki ist
Fähndrich. Er dient erst seit einem Jahre und trägt aus ganz besonderer
Koketterie einen dicken Soldatenmantel, auch hat er das St. Georgen
Soldatenkreuzchen. Er ist wohlgebaut, hat eine dunkelbraune Gesichtsfarbe
und schwarzes Haar; seinem Aeußern nach könnte man ihm fünf und zwanzig
Jahre geben, ob er gleich kaum ein und zwanzig alt ist. Wenn er spricht,
wirft er den Kopf hinten über und ringelt mit der linken Hand seinen
Schnurrbart, denn mit der rechten stützt er sich auf die Krücke; auch
spricht er schnell und hochtrabend: er ist einer von denen, die auf alle
Vorfälle des Lebens schwülstige Redensarten in Bereitschaft haben, welche
das einfach Schöne nicht rührt, und die sich wichtig in ungewöhnliche
Passionen und ausnahmsweise Leiden hüllen. Effekt zu machen ist ihr
höchster Genuß, darum gefallen sie den romantischen Damen der Provinz bis
zum Wahnsinn. Im Alter werden sie theils friedliche Gutsbesitzer, theils
Trunkenbolde, bisweilen das Eine und das Andere. In ihrer Seele liegen oft
recht viele gute Eigenschaften, aber nicht für einen Heller Poesie.
Gruschnitzki's Leidenschaft war die des Deklamirens; er überschüttet einen
mit Worten, sobald das Gespräch nur irgend den gewöhnlichen Ideenkreis
verläßt; ich konnte nie mit ihm streiten. Er antwortet einem gar nicht auf
das Gesagte, er hört einem gar nicht zu; kaum hält man aber etwas inne, so
fängt er eine lange Tirade an, die sich scheinbar an das Gesagte
anschließt, in der That aber nichts anders ist als die Fortsetzung seiner
eigenen Rede.

Er ist ziemlich witzig; seine Epigramme sind oft recht unterhaltend,
niemals aber sind sie treffend und bitter; er schlägt keinen mit _Einem_
Worte nieder; er kennt nicht die Leute und ihre schwachen Seiten, denn er
beschäftigte sich während seines ganzen Lebens nur mit sich selbst. Sein
höchster Zweck ist -- der Held eines Romans zu werden. Er war so oft bemüht
die Andern davon zu überzeugen, daß er ein, nicht für diese Welt
geschaffenes, einem gewissen geheimen Leiden überantwortetes Wesen sei, daß
er zuletzt fast selbst daran glaubte. Darum trägt er auch mit solchem
Stolze seinen dicken Soldatenmantel. Ich durchschaute ihn sogleich, deshalb
liebt er mich auch nicht, obgleich wir äußerlich in den
freundschaftlichsten Beziehungen stehen. Gruschnitzki steht im Rufe eines
sehr tapfern Soldaten; ich sah ihn im Gefechte: er wirthschaftet mit dem
Säbel herum, schreit und wirft sich mit blinzelnden Augen vorwärts. Das ist
immer nicht die wahre russische Tapferkeit.

Ich mag ihn auch nicht leiden: ich fühle, daß wir einst einmal auf einem
engen Wege zusammenstoßen werden, und es dem Einen von uns nicht wohl
bekommen wird . . .

Seine Ankunft im Kaukasus ist ebenfalls eine Folge seines romantischen
Fanatismus. Ich bin überzeugt, daß, am Vorabend seiner Abreise aus dem
väterlichen Erbdorfe, er mit düsterer Miene irgend einer niedlichen
Nachbarin sagte: daß er nicht Dienste nimmt, wie dies gewöhnlich geschieht,
sondern, daß er den Tod sucht, weil . . . hier fährt er denn, die Hand über
die Augen gehalten, fort: »Nein, Sie (oder Du) sollen das nie erfahren!
Ihre reine Seele würde erbeben! Wozu das auch? Was bin ich Ihnen? Können
Sie mich je verstehen? . . .« und so fort.

So erzählte er mir selbst, daß der Grund, der ihn veranlaßte ins K.
Regiment zu treten, ein ewiges Geheimniß zwischen ihm und dem Himmel
bleiben würde.

Uebrigens ist Gruschnitzki in solchen Augenblicken, wo er die tragische
Drappirung abwirft, recht liebenswürdig und unterhaltend. Es ist mir immer
interessant, ihn mit Damen zu sehen; da kann ich mir vorstellen, wie er
sich abquält.

Wir kamen uns wie alte Freunde entgegen. Ich fing an ihn über die
Lebensweise im Badeort und die Hauptpersonen desselben zu befragen.

-- Wir führen ein ziemlich prosaisches Leben, erwiederte er seufzend.
Diejenigen, welche des Morgens Wasser trinken, sind welk, wie alle Kranken,
die aber des Abends Wein trinken, sind unausstehlich wie alle Gesunden.
Damengesellschaft ist wohl da; bei ihnen ist indessen wenig Trost zu holen:
sie spielen Whist, kleiden sich schlecht, und sprechen schauderhaft
französisch. In diesem Jahre ist aus Moskau nur die einzige Fürstin
Ligoffska mit ihrer Tochter hergekommen; doch bin ich mit ihnen nicht
bekannt. Mein Soldatenmantel scheint mir die allgemeine Abneigung
zuzuziehen. Die Theilnahme, welche er etwa hervorruft, liegt wie ein
Almosen auf mir.

In diesem Augenblicke gingen zwei Damen an uns vorbei, dem Brunnen zu; die
eine ältlich, die andere jugendlich, wohlgebaut. Ihre Gesichter sah ich,
der vorstehenden Hüte wegen, nicht; doch waren sie nach den strengsten
Regeln des feinsten Geschmackes gekleidet: Nichts Ueberflüssiges. Die
letztere trug ein hohes Kleid gris de perles; ein leichtes seidenes Fichu
umwand ihren schlanken Hals. Ihre Stiefelchen couleur puce umspannten ihr
dünnes Füßchen am Knöchel so reizend, daß selbst ein in den Mysterien der
Schönheit Uneingeweihter unbedingt ein Ach! ausgestoßen hätte, wenn auch
nur vor Verwunderung. Ihr leichter, doch sehr edler Gang hatte etwas
mädchenhaftes, das jeder Erklärung entschlüpft, vom Blicke aber wohl
verstanden wird. Als sie an uns vorüberging, wehte uns von ihr jener
unerklärbare Duft entgegen, von welchem bisweilen der Brief eines reizenden
Frauenzimmers athmet.

»Das ist die Fürstin Ligoffska,« sagte Gruschnitzki, »und die mit ihr ist
ihre Tochter Mary, wie sie dieselbe nach englischer Manier nennt. Sie sind
erst seit drei Tagen hier.«

-- Und doch kennst Du bereits ihre Namen?

»Ja, ich hörte sie zufällig,« antwortete er erröthend, »ich gestehe ganz
offen, ich wünsche gar nicht mit ihnen bekannt zu werden. Diese stolze
Aristokratie blickt auf uns Armeeoffiziere wie auf Wilde herab. Und was
kann es sie kümmern, ob unter einer nummerirten Feldmütze Verstand liegt
und ein Herz unter einem dicken Soldatenmantel?«

-- Armer Mantel! sagte ich lächelnd; aber wer ist der Herr, der auf sie
zugeht und ihnen so dienstfertig das Glas reicht?

»O! Das ist der Moskauer Stutzer Rajéwitsch! Er ist ein Spieler: das sieht
man sogleich an der enormen goldenen Kette, welche sich auf seiner blauen
Weste herumschlängelt. Und was für einen dicken Stock er hat -- absolut wie
Robinson Crusoe; und nun gar diesen Bart und die Coiffüre à la mougik«![A]

-- Du bist ja gegen das ganze Menschengeschlecht erbost.

»Ja, ich habe wohl Ursache . . .«

-- O! wirklich?

In diesem Augenblicke verließen die Damen den Brunnen und gingen dicht an
uns vorüber. Gruschnitzki war es eben noch gelungen, mit Hülfe seiner
Krücke eine dramatische Position anzunehmen, und er antwortete mir laut auf
französisch:

»Mon cher, je hais les hommes pour ne pas le mépriser, car autrement la vie
serait une farce trop dégoutante.«

Die reizende junge Fürstin wandte sich um und beschenkte den Redner mit
einem langen, neugierigen Blicke. Der Ausdruck dieses Blickes war ungemein
unbestimmt, doch nicht ironisch, weshalb ich ihm im Innern der Seele dazu
gratulirte.

-- Diese Fürstin Mary ist das reizendste Wesen von der Welt, sagte ich zu
ihm. Sie hat ein Paar sammetne Augen -- absolute Sammetaugen: ich würde Dir
rathen, Dir diesen Ausdruck anzueignen, wenn Du von ihren Augen sprichst;
die unteren und oberen Augenwimpern sind so lang, daß die Sonnenstrahlen
ihr nie den Augapfel berühren können. Ich liebe diese glanzlosen Augen: sie
sind so weich, sie thun einem so wohl . . . Uebrigens däucht mir, drückt
ihr Gesicht nur Gutes aus . . . Aber was ich sagen wollte . . hat sie auch
weiße Zähne? Das ist sehr wichtig! Es ist Schade, daß sie auf Deine
stattliche Phrase nicht lächelte.

[Fußnote A: Mougiki, Bauern, Leibeigene, welche das Haar rund geschoren
tragen; wie man wohl sagt: nach der Metze geschnitten.]

»Du sprichst ja von einem schönen Frauenzimmer wie von einem englischen
Pferde,« sagte Gruschnitzki unwillig.

-- Mon cher, entgegnete ich ihm, indem ich mich bemühte seinen Ton
nachzuahmen: je méprise les femmes pour ne pas les aimer, car autrement la
vie serait un mélodrame trop ridicule.

Ich wandte mich um und verließ ihn. Während einer halben Stunde ging ich in
den Rebenalleen über die Kalkfelsen und durch die zwischen ihnen hängenden
Büsche spazieren. -- Allmälig wurde es aber heiß, so daß ich den Rückweg
nach Hause antrat. Als ich an dem Sauerbrunnen vorüberging, hielt ich an
der steilen Gallerie still, um in ihrem Schatten mich etwas abzukühlen;
dies gewährte mir die Gelegenheit Zeuge einer ziemlich interessanten Scene
zu sein. Die handelnden Personen derselben befanden sich in folgender
Position: Die Fürstin saß mit dem Moskauer Stutzer auf einer Bank der
bedeckten Gallerie, beide, wie es schien, in ein wichtiges Gespräch
vertieft. Die junge Fürstin, die wahrscheinlich ihr letztes Glas bereits
getrunken hatte, ging gedankenvoll vor dem Brunnen auf und ab. Gruschnitzki
stand am Brunnen selbst; sonst war Niemand auf dem ganzen Plätzchen.

Ich schritt näher hinzu und versteckte mich hinter die Ecke der Gallerie.
In diesem Augenblicke ließ Gruschnitzki sein Glas auf den Sand fallen und
strengte sich an, sich niederzubeugen, um es wieder aufzuheben: der kranke
Fuß verhinderte ihn daran! Der Arme! wie er sich auf seine Krücke gestützt,
abquälte, und so ganz umsonst. Sein ausdrucksvolles Gesicht drückte in der
That Leiden aus.

Die junge Fürstin Mary sah alles dies besser als ich selbst. Leichter als
ein Vögelchen hüpfte sie an ihn heran, bückte sich, hob das Glas auf und
reichte es ihm mit einer unaussprechlich reizenden Bewegung, des Körpers:
hierauf erröthete sie ungemein, blickte nach der Gallerie zurück und
nachdem sie die Ueberzeugung erlangt hatte, daß ihre Mutter nichts davon
gesehen, schien sie sich sofort zu beruhigen. Als Gruschnitzki den Mund
öffnete, um ihr zu danken, war sie schon weit entfernt. Nach einer Minute
kam sie mit ihrer Mutter und dem Stutzer aus der Gallerie heraus, nahm
aber, als sie an Gruschnitzki vorüberging, eine sehr vornehme und strenge
Miene an -- wandte sich selbst nicht um, bemerkte nicht einmal den
leidenschaftlichen Blick, mit dem er sie lange begleitete, bis sie endlich
beim Hinuntersteigen vom Berge hinter den Linden des Boulevards verschwand
. . . Noch einmal tauchte ihr Hütchen in der Straße auf; dann eilte sie in
die Thüre eines der besten Häuser von Pätigorsk; hinter ihr ging die
Fürstin hinein, die an der Thüre von Rajéwitsch Abschied nahm.

Erst jetzt bemerkte der arme leidenschaftliche Junker meine Gegenwart.

»Sahest Du?« sagte er, indem er mit die Hand stark drückte: »sie ist
geradezu ein Engel!«

-- Warum? fragte ich mit der alleraufrichtigsten Miene.

»So hast Du nicht gesehen?«

-- Doch, ich sah: sie hob Dein Glas auf. Wäre dort ein Wächter gewesen, so
hätte er dasselbe gethan, und noch viel eiliger, indem er hoffen konnte ein
Trinkgeld zu erhaschen. Uebrigens ist es sehr begreiflich, daß Du ihr leid
thatest: Du machtest eine so fürchterliche Grimasse, als Du auf Dein
durchschossenes Bein tratest . . .

»Und Du warst nicht im Mindesten gerührt, indem Du sie in dieser Minute
sahst, wo ihre ganze Seele auf ihrem Antlitz glänzte?«

-- Nein.

Ich log; ich hatte aber Lust ihn zu peinigen. Mir ist die Leidenschaft des
Widersprechens angeboren; mein ganzes Leben war nur eine Kette trauriger
und unglückseliger Widersprüche gegen mein Herz oder meinen Verstand. Die
Gegenwart eines Enthusiasten ergreift mich jedesmal mit furchtbarer Kälte,
ebenso glaube ich, daß häufige Beziehungen zu einem abgestorbenen
Phlegmatiker einen leidenschaftlichen Schwärmer aus mir gemacht haben
würden. Ich gestehe ferner: ein unangenehmes aber wohlbekanntes Gefühl lief
in diesem Augenblicke über mein Herz; dieses Gefühl war -- der Neid; ich
sage dreist »der Neid«, denn ich habe mich daran gewöhnt mir alles zu
gestehen; und schwerlich möchte sich ein junger Mann finden lassen, der
beim Anblicke eines schönen Frauenzimmers, die seine müßige Aufmerksamkeit
auf sich zieht und vor ihm offenbar einen Anderen, ihr nicht minder
Unbekannten, auszeichnete -- schwerlich, sage ich, möchte sich ein solcher
junger Mann finden lassen (der, versteht sich, in der großen Welt gelebt
hat und gewöhnt ist seine Eigenliebe zu hätscheln), welcher hierdurch nicht
unangenehm berührt worden wäre.

Schweigend stiegen wir, Gruschnitzki und ich, vom Berg hinab und gingen auf
dem Boulevard spazieren, an den Fenstern des Hauses vorbei, wo unsere
Schöne versteckt war. Sie saß am Fenster. Gruschnitzki stieß mich an den
Arm, und warf ihr einen jener aufbrausenden, zärtlichen Blicke zu, welche
auf die Damen so geringe Wirkung haben. Ich richtete meine Lorgnette auf
sie und bemerkte, daß sie in Folge seines Blickes lächelte, daß sie
hingegen über meine dreiste Lorgnette sich außerordentlich ärgerte. Und
wie, in der That, wagt es ein kaukasischer Armeeoffizier eine Moskauer
Fürstin zu lorgnettiren? . . .


Den 13. Mai.

Heute Morgen kam der Doktor zu mir: sein Name ist Werner, er ist aber
Russe. Was wäre da Außerordentliches? Ich kannte einen Iwánow, der ein
Deutscher war.

Werner ist ein merkwürdiger Mann in vielfacher Beziehung. -- Er ist
Skeptiker und Materialist wie fast alle Aerzte, zu gleicher Zeit aber ist
er auch Poet, und das in vollem Ernste, -- ein Poet in der That immer, und
oft in seinen Worten, ob er gleich in seinem ganzen Leben nicht zwei Verse
geschrieben. Er studirte alle lebendigen Saiten des menschlichen Herzens,
wie man die Adern an einem Leichnam studirt, doch wußte er seine
Wissenschaft niemals zu benutzen: so kann bisweilen ein ausgezeichneter
Anatomiker das Fieber nicht vertreiben. Gewöhnlich lächelt Werner im
Geheimen über seine Kranken, doch sah ich einst, wie er vor einem
sterbenden Soldaten weinte . . . Er war arm, träumte von Millionen, that
aber für's Geld keinen unnützen Schritt. Einst sagte er zu mir, daß er eher
einem Feinde eine Gefälligkeit erweisen wolle, als einem Freunde, weil das
seine Dienstfertigkeit verkaufen hieße, während der Haß nur im Verhältniß
der Großmuth des Gegners zunimmt. Er hatte eine böse Zunge. Unter dem
Aushängeschilde seiner Epigramme wurde mehr als ein Gimpel für einen
gemeinen Narren ausgeschrieen; seine Nebenbuhler, die neidischen
Brunnenärzte, verbreiteten das Gerücht, als ob er nach seinen Kranken
Karrikaturen zeichne, -- die Kranken erbleichten, und fast alle fielen von
ihm ab. Seine Freunde, das heißt, alle wahrhaft anständigen Leute, die im
Kaukasus dienen, bemühten sich umsonst, seinen gefallenen Kredit wieder zu
heben.

Sein Aeußeres war von jenen, welche beim ersten Anblick unangenehm
berühren, welche aber in der Folge ansprechen, wenn das Auge erst gewöhnt
ist in den unregelmäßigen Zügen den Ausdruck eines erfahrenen, hohen
Geistes zu lesen. Es gab Beispiele, daß Damen sich bis zum Wahnsinn in
solche Leute verliebten und deren Häßlichkeit nicht für die Schönheit der
frischesten, rosigsten Endymione vertauscht haben würden. Man muß den Damen
Gerechtigkeit widerfahren lassen: sie haben das angeborene Gefühl für die
geistige Schönheit; daher kommt es vielleicht, auch, daß Männer, wie
Werner, so leidenschaftlich die Weiber lieben.

Werner war von kleinem Wuchse und mager und schwach wie ein Kind; eins
seiner Beine war kleiner als das andere, wie bei Byron; im Vergleich zum
Rumpfe schien sein Kopf ungemein groß; er hielt sein Haar unter einem Kamme
zurückgestrichen, so daß die Unebenheiten seines Schädels jeden Phrenologen
durch die seltsame Verflechtung der widersprechendsten Neigungen überrascht
haben würden. Seine kleinen schwarzen, fortwährend unruhigen Augen waren
bemüht, die Gedanken der andern zu durchdringen. In seiner Kleidung
herrschte Geschmack und Sauberkeit; seine mageren, geäderten, kleinen Hände
brüsteten sich stets in hellgelben Handschuhen. Sein Ueberrock, sein
Halstuch und seine Weste waren beständig schwarzer Farbe. Die jungen Leute
nannten ihn einen Mephistopheles; er that als nehme er diesen Beinamen
übel, in der That aber schmeichelte derselbe seiner Eigenliebe. Wir
verstanden uns bald und wurden Bekannte, denn der Freundschaft bin ich
unfähig; von zwei Freunden ist der eine immer der Sklave des andern,
obgleich keiner von ihnen dies eingestehen will. Sklave mag ich nicht sein,
und in solchem Falle zu befehlen ist eine lästige Mühe, denn man muß
zugleich auch betrügen; dann habe ich ja auch Bedienten und Geld! Bekannte
wurden wir auf folgende Weise: ich begegnete Werner in S. inmitten eines
zahlreichen, lauten Kreises von jungen Leuten; das Gespräch nahm gegen das
Ende des Abends eine philosophisch-metaphysische Richtung; man sprach von
den Ueberzeugungen: jeder war überzeugt von den verschiedenartigsten
Dingen. --

»Was mich betrifft, so bin ich nur von Einem überzeugt . . .« sagte der
Doktor.

-- Und wovon das? fragte ich, begierig, die Meinung eines Mannes zu
erfahren, der bisher geschwiegen hatte.

»Davon,« antwortete er, »daß ich früh oder spät an einem schönen Morgen
sterben werde.«

-- So bin ich reicher als Sie, sagte ich: ich habe, außer jener, noch eine
Ueberzeugung, nämlich die, daß ich an einem sehr häßlichen Abende das
Unglück hatte, geboren zu werden.

Alle fanden, daß wir Unsinn sprächen, doch hat wahrhaftig keiner von ihnen
etwas Vernünftigeres gesagt. Seit jenem Augenblicke unterschieden wir uns
von der Menge. Wir gingen oft miteinander, und sprachen zu Zweien sehr
ernsthaft über abstrakte Dinge, bis wir endlich bemerkten, daß wir uns
gegenseitig hintergingen. Dann sahen wir einander bedeutungsvoll in die
Augen, wie die römischen Auguren nach den Worten Cicero's, fingen an recht
herzlich zu lachen, und lachend gingen wir auseinander, zufrieden mit
unserem Abende.

Ich lag auf dem Divan, die Augen an die Decke geheftet, die Hände unter dem
Nacken gekreuzt, als Werner in mein Zimmer trat. Er setzte sich in einen
Lehnstuhl, stellte seinen Rohrstock in eine Ecke, gähnte und erklärte, daß
es draußen sehr heiß sei. Ich erwiederte ihm, daß mich die Fliegen
beunruhigten -- und wir schwiegen Beide.

-- Bemerken Sie, lieber Doktor, sagte ich, daß es ohne Thoren auf der Welt
recht langweilig sein würde . . . Sehen Sie uns zwei vernünftige Leute an;
wir wissen im Voraus, daß man über alles bis in die Unendlichkeit streiten
kann, und deshalb streiten wir nicht; wir kennen fast alle geheime Gedanken
des Andern; ein Wort ist uns eine ganze Geschichte; wir sehen den Keim
jedes unserer Gefühle selbst inmitten einer dreifachen Schale. Das Traurige
ist uns lächerlich, das Lächerliche traurig; im Allgemeinen aber, um die
Wahrheit zu sagen, sind wir gegen Alles ziemlich gleichgültig, außer gegen
uns selbst. So kann also ein Austausch der Gefühle und Gedanken zwischen
uns nicht Statt finden: wir wissen der eine von dem andern alles, was wir
wissen wollen, und mehr wissen wollen wir nicht; so bleibt uns denn noch
ein Mittel übrig: Neuigkeiten mitzutheilen. Erzählen Sie mir irgend eine
Neuigkeit.

Von der langen Rede ermüdet, schloß ich die Augen und gähnte . . .

Er antwortete nach einigem Nachdenken: »In unserm Gallimatias ist indessen
doch noch eine Idee --«

-- Zwei Ideen! entgegnete ich.

»So sagen Sie mir die eine, ich werde Ihnen die andere sagen.«

-- Gut, beginnen Sie! sagte ich, indem ich fortfuhr, nach der Decke zu
sehen und in mir lächelte.

»Sie möchten gern einige Details in Bezug auf einige der neuangekommenen
Badegäste vernehmen, und ich errathe bereits, um wen es sich hier handelt,
da man sich dort schon nach Ihnen erkundigt hat.«

-- Doktor! wahrhaftig, wir dürfen miteinander nicht mehr reden: wir lesen
einander in der Seele.

Jetzt die zweite . . .

-- Die zweite Idee war die: ich wollte Sie irgend etwas erzählen lassen;
erstens, weil es weniger ermüdet, zuzuhören; zweitens, braucht man sich
nicht zu versprechen; drittens, kann man ein fremdes Geheimniß erfahren;
viertens, weil so verständige Herren wie Sie, lieber Zuhörer als Erzähler
leiden mögen. Jetzt zur Sache: Was sagte Ihnen die Fürstin Ligoffska von
mir?

»Sind Sie so sehr überzeugt, daß es die Fürstin war . . . und nicht ihre
Tochter?«

-- Vollkommen überzeugt.

»Warum?«

-- Weil die junge Fürstin sich nach Gruschnitzki erkundigte.

»Sie haben eine große Combinationsgabe. Die junge Fürstin sagte, sie sei
überzeugt, daß dieser junge Mann im Soldatenmantel wegen eines Duelles zum
Soldaten degradirt worden sei.«

-- Ich hoffe doch, Sie ließen sie in diesem süßen Irrthume . . .

»Natürlich.«

-- Die Verwickelung ist, da! rief ich mit Entzücken aus; für die
Entwickelung dieser Komödie wollen wir später sorgen. Offenbar ist das
Schicksal bemüht, mir die Langeweile zu vertreiben.

»Ich ahne,« sagte der Doktor, »daß der arme Gruschnitzki Ihr Opfer werden
wird . . .«

-- Fahren Sie fort, Doktor . . .

»Die Fürstin meinte, daß Ihr Gesicht ihr bekannt sei. Ich bemerkte ihr, daß
Sie ihr wahrscheinlich in Petersburg irgendwo in der großen Welt begegnet
wären . . . ich nannte Ihren Namen. Er war ihr bekannt. Wie es scheint, hat
Ihre Affaire dort viel Aufsehen gemacht . . . Hierauf begann die Fürstin
von Ihren Abenteuern zu erzählen, indem sie wahrscheinlich zu den
Verläumdungen der großen Welt ihre eigenen Bemerkungen hinzufügte . . . Das
Töchterchen hörte neugierig zu. Ihre Einbildungskraft machte Sie sogleich
zum Helden eines Romans im neuesten Geschmacke. Ich widersprach der Fürstin
nicht, ob ich schon wußte, daß sie Unsinn sprach.«

-- Würdiger Freund! sagte ich, ihm die Hand entgegenstreckend. Der Doktor
drückte sie mit Wärme und fuhr fort: --

»Wenn Sie wollen, so stelle ich Sie vor . . .«

-- Wo; denken Sie hin! rief ich aus, indem ich die Hände zusammenschlug:
werden denn Helden jemals vorgestellt? Sie machen nicht anders
Bekanntschaft, als indem sie ihr Liebchen von einem sichern Tode erretten
. . .

»Also wollen Sie wirklich der jungen Fürstin die Cour machen? . . .«

-- Durchaus nicht, gerade das Gegentheil! . . . Doktor, endlich trage ich
den Sieg davon! Sie verstehen mich nicht! . . . Uebrigens thut mir das
leid, Doktor, fuhr ich nach einem minutenlangen Schweigen fort: ich
enthülle niemals meine Geheimnisse selbst, ich liebe ungemein, daß man sie
erräth, weil ich in diesem Falle mich immer davon lossagen kann. Indessen
müssen Sie mir noch Mutter und Tochter beschreiben . . . Was sind es für
Leute?

»Zuerst also die Fürstin: sie ist eine Frau von 45 Jahren,« entgegnete
Werner; »sie hat einen guten Magen, aber verdorbenes Blut; auf den Wangen
rothe Flecken. Die letzte Hälfte ihres Lebens brachte sie in Moskau zu, und
wurde dort mit Gemächlichkeit recht dick. Sie liebt schlüpferige Anekdoten
und spricht wohl selbst dann und wann unanständige Dinge, wenn ihre Tochter
nicht im Zimmer ist. Sie erklärte mir, daß ihre Tochter so unschuldig sei
wie eine Taube. Was geht das mich an? Ich hätte ihr gern geantwortet, sie
könne ganz ruhig sein, ich würde es an Niemanden weiter sagen! Die Fürstin
nimmt Bäder gegen den Rheumatismus, ihre Tochter nimmt sie Gott weiß
weshalb. Ich befahl ihnen Beiden täglich zwei Glas Sauerbrunnen zu trinken
und wöchentlich zweimal ein gemischtes Wannenbad zu nehmen. Wie es scheint,
ist die Fürstin nicht gewöhnt zu befehlen: sie hat eine hohe Achtung vor
dem Verstande und den Kenntnissen ihrer Tochter, welche Byron englisch
gelesen hat und Algebra versteht: offenbar haben sich in Moskau die jungen
Damen auf die Gelehrsamkeit geworfen, und wahrhaftig, sie thun wohl daran!
Unsere Herren sind im Allgemeinen so wenig liebenswürdig, daß es für ein
verständiges Frauenzimmer unerträglich sein muß, mit ihnen zu kokettiren.
Die Fürstin liebt sehr die jungen Herren; ihre Tochter blickt mit einiger
Verachtung auf dieselben, -- eine Moskauer Gewohnheit! Die Damen werden in
Moskau bloß groß gezogen, damit sie in ihrem 40sten Jahre Witzbolde seien.«

-- Sie waren also in Moskau, Doktor?

»Ja, ich hatte da einige Praxis.«

-- Fahren Sie fort.

»Ja, es scheint, ich habe alles gesagt . . . Doch halt, noch eins: die
junge Fürstin scheint es zu lieben, über Gefühle, Leidenschaften u. s. w.
zu urtheilen. Sie brachte einen Winter in Petersburg zu, wo es ihr nicht
gefallen hat, besonders sprach sie die dortige Gesellschaft nicht an;
wahrscheinlich hatte man sie kalt aufgenommen.«

-- Sie sahen heute weiter Niemand bei ihnen?

»Im Gegentheil; es war noch ein Adjutant, ein steifer Gardeoffizier und
eine Dame von den neuangekommenen dort, eine Verwandte der Fürstin von
Seiten ihres Mannes, sehr hübsch, nur wie es scheint sehr krank . . . .
Begegneten Sie ihr nicht am Brunnen? -- sie ist von mittlerem Wuchse,
Blondine, mit regelmäßigen Gesichtszügen, hat eine schwindsüchtige
Gesichtsfarbe, und auf der rechten Wange ein schwarzes Muttermaal: ihr
Gesicht frappirte mich wegen seines Ausdrucks.«

-- Ein Muttermaal! brummte ich durch die Zähne vor mich hin. Wäre es
möglich?

Der Doktor blickte mich an und sagte siegreich, indem er mir die Hand ans
Herz legte: »Sie ist Ihnen bekannt! . .« Mein Herz schlug in der That
stärker als gewöhnlich.

-- Jetzt ist es Ihre Reihe zu siegen! sagte ich: indessen verlasse ich mich
auf Sie; Sie werden mich nicht täuschen. Ich habe sie noch nicht gesehen,
bin aber überzeugt in Ihrem Portrait eine Dame zu erkennen, die ich in
früherer Zeit liebte . . . Sprechen Sie ihr kein Wort von mir; frägt sie,
so berichten Sie Schlechtes von mir.

»Wie's beliebt!« sagte Werner, die Achseln zuckend.

Als er fortgegangen war, schnürte ein furchtbarer Kummer mein Herz
zusammen. Führte uns das Geschick wieder im Kaukasus zusammen, oder war sie
absichtlich hierher gekommen, wohl wissend, daß sie mich hier wiederfinden
würde? . . . Und wie sehen wir uns wieder? . . . und dann, ist sie es auch?
. . . Meine Ahnungen haben mich nie getäuscht. Auf der Welt ist kein
Mensch, über den das Vergangene eine solche Macht erlangt hätte, wie über
mich. Jede Erinnerung an vergangenes Leid oder entschwundenes Entzücken,
schlägt krankhaft in meine Seele und entlockt ihr stets dieselben Töne
. . . Ich bin dumm organisirt: nichts vergesse ich -- nichts!

Nachmittags gegen sechs Uhr ging ich auf den Boulevard; eine Menge Leute
waren dort: die Fürstin saß mit ihrer Tochter auf einer Bank, umringt von
jungen Herren, welche ihr um die Wette den Hof machten. Ich nahm in einiger
Entfernung auf einer andern Bank Platz, hielt zwei bekannte Offiziere fest
und fing an ihnen einiges zu erzählen; -- offenbar war das Erzählte
lächerlich, denn sie fingen an zu lachen wie die Wahnsinnigen. Bald zog die
Neugierde noch einige aus der Umgebung der jungen Fürstin zu mir herüber;
nach und nach verließen sie auch die übrigen und schlossen sich meinem
kleinen Kreise an. Ich war unerschöpflich; meine Anekdoten waren witzig bis
zum Unsinn, meine Ausfälle auf die vorübergehenden Originale beißend zum
Rasendwerden . . . Ich fuhr fort das Publikum bis gegen Sonnenuntergang zu
belustigen. Einige Male war die junge Fürstin am Arme ihrer Mutter an mir
vorübergegangen, von einem lahmen Greise begleitet; einige Male hatte ihr
Blick, wenn er auf mich fiel, Aerger ausgedrückt, obwohl er gleichgültig
scheinen sollte . . .

»Was erzählte er Ihnen denn?« fragte sie einen der jungen Herren, der aus
Artigkeit zu ihr zurückgekehrt war: »wahrscheinlich eine sehr interessante
Geschichte -- seine Siege in den Schlachten? . . .« Sie sagte dies ziemlich
laut und wahrscheinlich in der Absicht, mich zu stechen. »Aha!« dachte ich:
»Sie werden nicht umsonst böse, meine schöne junge Fürstin; warten Sie nur,
es wird schon noch besser kommen!«

Gruschnitzki folgte hinter ihr wie ein wildes Thier, und ließ sie nicht aus
dem Auge: ich mache eine Wette, daß er morgen Jemand bitten wird, ihn der
Fürstin vorzustellen. Es wird ihr sehr angenehm sein, denn sie hat
Langeweile.


16. Mai.

Im Verlauf zweier Tage ist meine Angelegenheit ungemein vorgerückt. Die
junge Fürstin haßt mich aufs Bestimmteste; man hat mir schon zwei bis drei
Epigramme wiedererzählt, die auf meine Rechnung gemacht wurden, und die,
obgleich ziemlich beißend, mir zu gleicher Zeit sehr schmeichelhaft sind.
Es kommt ihr ungemein seltsam vor, daß ich, der ich an gute Gesellschaft
gewöhnt bin, und gegen ihre Petersburger Cousinen und Tanten so artig war,
mich nicht bemühe mit ihr bekannt zu werden. Wir begegnen uns jeden Tag am
Brunnen und auf dem Boulevard; ich wende alle meine Kräfte auf, ihre
Verehrer, die glänzenden Adjutanten sowohl wie die blassen Moskowiter und
alle anderen von ihr abspenstig zu machen, -- und fast immer gelingt es
mir. Ich haßte es bisher immer, Gäste bei mir zu haben; jetzt ist jeden Tag
mein Haus voll, man dinirt, soupirt, spielt -- und, o weh, mein Champagner
siegt über die magnetische Kraft ihrer Aeugelein!

Gestern traf ich sie im Scheláchow'schen Magazine; sie handelte auf eine
prachtvolle persische Decke. Die Fürstin bat ihre Mutter, nicht zu
knickern: dieser Teppich würde ihr Kabinet so ungemein zieren! . . . Ich
gab vierzig Rubel mehr und erstand ihn; dafür wurde ich mit einem Blicke
belohnt, in welchem die entzückendste Wuth blitzte. Gegen die Mittagszeit
befahl ich absichtlich, vor ihren Fenstern mein tscherkessisches Pferd auf
und ab zu führen, das mit diesem Teppiche bedeckt war. Werner war gerade
bei ihnen und erzählte mir, daß der Effekt dieser Scene ein wahrhaft
dramatischer gewesen sei. Die junge Fürstin will eine Schilderhebung gegen
mich predigen; ich bemerkte sogar, daß bereits zwei Adjutanten in ihrer
Gegenwart sich sehr kalt mit mir begrüßen; indessen speisen sie jeden Tag
bei mir zu Mittag.

Gruschnitzki hat eine geheimnißvolle Miene angenommen: er geht mit auf dem
Rücken zurückgeworfenen Armen und erkennt Niemanden; sein Bein ist
plötzlich hergestellt, kaum daß er etwas hinkt. Es war ihm gelungen, mit
der Fürstin in eine Unterhaltung zu treten und hatte bei dieser Gelegenheit
der jungen Fürstin irgend ein Kompliment gesagt; diese ist, wie es scheint,
eben nicht sehr peinlich, denn seit der Zeit erwiedert sie seinen Gruß mit
einem höchst graziösen Lächeln.

»Du willst also durchaus nicht mit der Fürstin bekannt werden,« sagte er
gestern zu mir.

-- Nein, durchaus nicht!

»Aber ich bitte Dich, das angenehmste Haus im ganzen Bade! Die beste
hiesige Gesellschaft bemüht sich . . .«

-- Mein Freund, mich hat so manche gute Gesellschaft schon schrecklich
gelangweilt. Du besuchst sie also?

»Nein, noch nicht; ich sprach höchstens zweimal mit der jungen Fürstin,
nicht öfter, und dann weißt Du wohl, daß man nicht so in ein Haus stürmen
kann, obgleich man hier ziemlich frei ist . . . Ganz was anders wäre es,
wenn ich Epauletten trüge!«

-- Aber, lieber Freund, Du bist ja so viel interessanter; Du verstehst es
bloß nicht, Deine vortheilhafte Lage zu benutzen; macht Dich doch Dein
Soldatenmantel in den Augen jedes gefühlvollen Fräuleins zum Helden und zum
Dulder.

Gruschnitzki lächelte selbstgefällig. »Was Du für Unsinn sprichst,« sagte
er.

-- Ich bin überzeugt, fuhr ich fort, daß die junge Fürstin schon längst in
Dich verliebt ist.

Er erröthete bis über die Ohren und blähte sich.

O Selbstliebe! Du bist der Hebel, mit welchem Archimedes die Erdkugel
aufheben wollte! . . .

»Du spaßest gern,« erwiederte er, indem er sich etwas beleidigt anstellte;
erstens kennt sie mich noch so wenig . . .«

-- Die Weiber lieben nur diejenigen, welche sie nicht kennen. --

»Ich mache aber auch gar keinen Anspruch darauf ihr zu gefallen, ich will
nur die Bekanntschaft eines angenehmen Hauses machen; auch wäre es sehr
lächerlich, wenn ich irgend welche Hoffnungen, nährte . . . Ihr hingegen,
Ihr Petersburger, mit Euch ist es ganz etwas anders . . . Ihr Petersburger
Sieger braucht nur hinzusehen, so thauen die Weiber schon auf . . . und
weißt Du auch, Petschorin, daß die junge Fürstin von Dir gesprochen hat?«

-- Wie so? hat sie schon mit Dir von mir gesprochen?

»Freue Dich indessen nicht zu sehr darüber. Ich war zufällig mit ihr am
Brunnen in ein Gespräch gerathen, ihr drittes Wort war: »Wer ist der Herr
mit dem unangenehmen, stechenden Blicke, er war mit Ihnen als . . .« sie
erröthete und wollte den Tag nicht näher bezeichnen, indem sie sich ihrer
Zuvorkommenheit erinnerte. »Sie haben nicht nöthig, mir den Tag zu nennen,«
sagte ich zu ihr, »er wird mir ewig denkwürdig bleiben! . . .« Freund
Petschorin, ich kann Dir nicht Glück wünschen, denn Du stehst schlecht bei
ihr angeschrieben und das ist wahrhaftig Schade, denn Mary ist sehr
liebenswürdig!«

Ich muß bemerken, daß Gruschnitzki zu den Leuten gehört, welche, wenn sie
von einem Frauenzimmer sprechen, das sie kaum kennen gelernt haben, sie
sogleich meine Mary, meine Sophie, nennen, vorausgesetzt, daß sie nur das
Glück hatte ihnen zu gefallen.

Ich nahm eine ernste Miene an und erwiederte ihm: -- Ja, sie ist nicht übel
. . . indessen nimm Dich in Acht, Gruschnitzki! die russischen Damen nähren
sich zum großen Theile nur von platonischer Liebe, man darf daher keinen
Gedanken auf ein Ehebündniß unterhalten; die platonische Liebe ist aber die
allerunruhigste. Die junge Fürstin scheint zu jenen Frauenzimmern zu
gehören, welche verlangen, daß man sie angenehm unterhalte; langweilt sie
sich jemals nur zwei Minuten an Deiner Seite, so bist Du unwiderruflich
verloren: Dein Schweigen muß ihre Neugierde erwecken, Dein Gespräch das
ihre niemals ganz befriedigen, Du mußt sie in jeder Minute entzücken; sie
wird zehnmal für Dich. öffentlich ihre Meinung verläugnen und dies ein
Opfer nennen, und um sich dafür zu belohnen, Dich unaufhörlich quälen und
zu guter letzt sagen, daß sie Dich nicht leiden kann.

Wenn Du keine Gewalt über sie erlangst, so giebt Dir selbst ihr erster Kuß
kein Recht auf den zweiten; sie wird mit Dir kokettiren, bis sie genug hat,
und nach vielleicht zwei Jahren verheirathet sie sich mit irgend einer
Mißgestalt aus lauter Gehorsam gegen ihre Mutter; dann sagt sie Dir wohl,
daß sie unglücklich ist und daß sie nur _einen_ Menschen auf der Erde
liebte (nämlich Dich), daß es aber dem Himmel nicht gefallen hat, sie mit
Diesem zu vereinigen, weil er -- einen Soldatenmantel trug, obgleich unter
diesem dicken, grauen Mantel ein glühendes, edles Herz pochte . . .

Gruschnitzki schlug mit der Faust auf den Tisch und fing an im Zimmer auf
und ab zu gehen.

Ich lachte in meinem Innern und konnte sogar zweimal ein sichtbares Lächeln
nicht zurückdrängen, was Gruschnitzki aber zum Glücke nicht bemerkte. Es
ist klar, er ist verliebt, denn er ist noch leichtgläubiger geworden als er
früher war; an seinem Finger trug er sogar schon einen silbernen Ring mit
einem Herzen, hiesiger Arbeit. Das kam mir sehr verdächtig vor. Ich
betrachtete ihn genauer, und siehe da, was sah ich? . . . mit kleinen
Buchstaben war der Name Mary in die innere Seite eingravirt, so wie das
Datum des Tages, an welchem sie das berühmte Glas aufgehoben hatte! Ich
behielt diese Entdeckung für mich, auch will ich kein Geständniß von ihm
erzwingen, denn er soll mich von selbst zu seinem Vertrauten wählen, und
dann ist es an mir zu schwelgen.

                   *       *       *       *       *

Heute bin ich erst spät aufgestanden; ich ging nach dem Brunnen, fand aber
Niemand mehr dort. Unterdessen war es recht heiß geworden; weiße
gekräuselte Gewölke zogen rasch von den Schneebergen herüber und
verkündeten Sturm; die Kuppe des Máschuk rauchte wie eine erloschene
Fackel; rund um ihn wanden sich und krochen, wie Schlangen, graue
Wolkengebilde, die, in ihrem Fluge aufgehalten, an die Dornen seiner
Gesträuche festgekettet schienen. Die Luft war mit Electricität
geschwängert. Ich vertiefte mich in die Nebenallee, welche zur Grotte
führt; ich war schwermüthig, denn ich gedachte jenes jungen Frauenzimmers
mit dem Muttermaale auf der Wange, von welcher mir der Doktor gesprochen
hatte. Warum ist sie hier? und ist sie es auch? und warum glaube ich denn,
daß sie es ist, ja, warum bin ich selbst davon überzeugt? Als ob es nicht
mehr Frauen mit einem Muttermaale auf der Wange gäbe! Unter diesen Gedanken
hatte ich die Grotte erreicht. Ich blicke hinein: im kühlen Schatten ihrer
Wölbung sitzt auf einer steinernen Bank eine Frau in einem Strohhute, in
einen schwarzen Shawl gehüllt, den Kopf auf die Brust gesenkt; der Hut
verbarg ihr Gesicht. Ich wollte eben umkehren, um sie nicht in ihren
Träumereien zu stören, als ihr Blick auf mich fiel.

-- Wära,[A] rief ich unwillkührlich aus.

Sie fuhr zusammen und erblaßte. -- »Ich wußte, daß Sie hier sind,« sagte
sie. Ich setzte mich neben sie und ergriff ihre Hand. Ein längstvergessenes
Beben durchzitterte meine Adern beim Tone dieser süßen Stimme; sie blickte
mit ihren tiefen, ruhigen Augen in die meinigen; es lag in ihnen ein
gewisses Mißtrauen und etwas, was einem Vorwurf ähnlich war.

[Fußnote A: Wära, Glaube, Ljubów, Liebe, Nadéshda, Hoffnung, sind in
Rußland häufig gebrauchte weibliche Eigennamen.]

-- Wir haben uns lange nicht gesehen, begann ich.

»Lange -- und haben uns Beide sehr verändert.«

-- Heißt das so viel, als daß Du mich nicht mehr liebst? --

»Ich bin vermählt,« entgegnete sie.

-- Wieder? Indessen existirte dieser Grund vor einigen Jahren auch, und
doch -- Sie zog ihre Hand aus der meinigen; ihre Wangen glühten.

-- So liebst Du vielleicht Deinen zweiten Mann?

Sie antwortete nichts und wandte sich ab.

-- Oder ist er sehr eifersüchtig?

Schweigen.

-- Wie? So ist er jung, schön, wahrscheinlich besonders reich und Du
fürchtest . . . Ich blickte sie an und erschrak; ihr Gesicht trug den
Ausdruck der tiefsten Verzweiflung, in ihren Augen glänzten Thränen.

»Nicht wahr,« stammelte sie endlich, »es macht Dir viel Vergnügen, mich zu
quälen? ich müßte Dich eigentlich hassen; seit wir uns kennen, hast Du mir
nichts gegeben als Leid und Weh . . .« ihre Stimme zitterte. Sie neigte
sich zu mir und lehnte ihren Kopf an meine Brust.

-- Wohl möglich, dachte ich bei mir selbst, daß Du mich eben deshalb
liebtest . . . die Freuden vergißt man bald, den Kummer nie . . .

Ich schloß sie fest in meine Arme und hielt sie lange umschlungen. Endlich
näherten sich unsere Lippen und flossen in einem heißen, berauschenden
Kusse zusammen; ihre Hände waren kalt wie Eis, ihr Kopf glühte.

Hierauf entspann sich zwischen uns eins von jenen Gesprächen, welche auf
dem Papiere gar keinen Sinn haben, die man gar nicht wiederholen, ja, an
die man selbst nicht erinnern muß. Die Bedeutung der Töne ersetzt und
vervollständigt die Bedeutung der Wörter wie in der italienischen Oper.

Sie will durchaus nicht, daß ich die Bekanntschaft ihres Mannes mache,
jenes lahmen, alten Männchens, das ich im Vorbeigehen auf dem Boulevard
gesehen hatte; sie hat ihn ihres Sohnes wegen geheirathet. Er ist übrigens
reich und leidet an Rheumatismus. Ich erlaubte mir nicht den geringsten
Ausfall gegen ihn, denn sie verehrt ihn wie einen Vater -- und wird ihn
betrügen wie einen Mann . . Ein seltsames Ding ist das menschliche Herz im
Allgemeinen, und das weibliche im Besondern.

Der Gemahl Wära's, Semen Wassiljewitsch G. . . ist ein entfernter
Verwandter der Fürstin Ligoffska; er wohnt dicht neben ihr; Wära sieht die
Fürstin sehr oft, und ich gab ihr mein Wort, die Bekanntschaft der Mutter,
und der jungen Fürstin die Cour zu machen, um so die Aufmerksamkeit von ihr
abzulenken. Auf diese Weise werden meine Pläne in nichts gestört, und ich
werde meine Freude daran haben. --

Meine Freude! ich habe aber bereits jene Periode des Seelenlebens
durchlaufen, wo man nur dem Glücke nachjagt; in welcher das Herz die
Nothwendigkeit fühlt, irgend Jemanden innig und leidenschaftlich zu lieben;
jetzt fühle ich nur noch das Bedürfniß geliebt zu werden und auch das nur
noch von sehr wenigen; es scheint mir sogar, daß ich an einer beständigen
Anhänglichkeit genug hätte. Welch eine leidige Gewohnheit des Herzens!
. . .

Eins war mir immer seltsam . . . ich wurde nie zum Sklaven einer Geliebten;
im Gegentheil erlangte ich stets über ihren Willen und über ihr Herz eine
unwiderstehliche Macht, obgleich ich nie danach gestrebt habe. Woher mag
dies kommen? Vielleicht daher, daß mir niemals etwas unaussprechlich theuer
war, und daß sie jede Minute befürchten mußten, mich zu verlieren? oder ist
es der magnetische Einfluß eines starken Organismus? Oder gelang es mir
ganz einfach nicht, auf ein Frauenzimmer von hartnäckigem Charakter zu
stoßen?

Auch muß ich gestehen, daß ich die Frauenzimmer von Charakter eben nicht
liebe; ist denn das ihre Sache?

Richtig, jetzt erinnere ich mich: einmal, ein einzigesmal liebte ich ein
Weib von fester Willenskraft, welches ich niemals besiegen konnte . . . wir
schieden als Feinde; -- doch wer weiß, hätte ich sie fünf Jahre später
getroffen, ob wir uns nicht anders getrennt hätten . . .

Wära ist krank, sehr krank, obgleich sie es nicht Recht haben will; ich
fürchte, sie hat die Schwindsucht oder jene Krankheit, welche man fièvre
lente nennt, eine Krankheit, die so wenig russisch ist, daß wir in unserer
Sprache nicht einmal einen Namen dafür haben.

Der Sturm überraschte uns in der Grotte und hielt uns länger als eine halbe
Stunde darin gefangen. Sie nöthigte mich nicht, ihr die Versicherung meiner
Treue zu geben; sie fragte nicht, ob ich seit unserer Trennung Andere
geliebt habe, sie vertraute mir auf's Neue mit der früheren Sorglosigkeit
-- und ich täusche sie nicht; sie ist das einzige Weib auf der Welt, welche
ich nicht im Stande wäre zu täuschen. Ich weiß wohl, daß wir uns bald
wieder trennen müssen, und diesmal vielleicht für immer: Beide gehen wir
auf verschiedenen Wegen dem Grabe entgegen; doch die Erinnerung an sie wird
unverwischlich in meiner Seele zurückbleiben. Ich habe ihr das immer
wiederholt und sie glaubt mir auch, obgleich sie das Gegentheil behauptet.
Endlich trennten wir uns; lange folgte ich ihr mit den Blicken, bis sich
ihr Hut hinter den Gesträuchen und Felsen verbarg. Mein Herz zog sich
krankhaft zusammen wie nach der ersten Trennung. O, wie mich dieses Gefühl
entzückte! Sollte wohl gar die Jugend mit ihren wohlthuenden Stürmen auf's
Neue zu mir zurückkehren? oder ist es nur ihr letzter Abschiedsblick, ihre
letzte Gabe zur Erinnerung? Es kommt mir lächerlich vor, wenn ich bedenke,
daß mein Aeußeres noch immer das eines Jünglings ist . . . mein Gesicht ist
zwar blaß, doch frisch; die Glieder geschmeidig und kräftig; mein volles
Haar wallt, die Augen glühen, das Blut kocht . . .

Sobald ich nach Hause zurückgekehrt war, setzte ich mich zu Pferde und ritt
hinaus in die Steppe; ich mag gern auf einem feurigen Rosse durch das hohe
Gras gegen den Wüstenwind jagen; mit Gier sauge ich die duftige Luft ein,
und richte den Blick in die blaue Ferne, bemüht die nebeligen Umrisse der
Gegenstände zu erfassen, welche von Minute zu Minute klarer und bestimmter
werden. Welcher Gram auch auf dem Herzen laste, welche Unruhe auch die
Gedanken ermüde, Alles zerstiebt im Augenblicke; in der Seele wird einem so
leicht; die Ermüdung des Körpers überwindet die Aufregung des Geistes. Es
giebt keinen Blick eines Weibes, den ich nicht beim Anblick der lockigen
Berge vergäße, wenn sie von der Mittagssonne in duftiges Roth gehüllt
daliegen, -- den ich nicht dem Lächeln des blauen Himmels oder dem
Geräusche des Waldstroms, der von Fels zu Felsen stürzt, vergäße.

Ich glaube, die Kosaken, die auf ihren Wachtposten gähnten, zerbrachen sich
lange den Kopf mit dem Räthsel, das ich ihnen darbot, als sie mich so ohne
allen Grund und ohne Ziel dahinstürmen sahen; denn der Kleidung nach
hielten sie mich wahrscheinlich für einen Tscherkessen. Man hat mir in der
That versichert, daß ich im tscherkessischen Costüm zu Pferde einem
Kabardinzer ähnlicher sei als viele Kabardinzer. -- In der That bin ich,
was diese edle kriegerische Kleidung anbetrifft, ein vollkommener Dandy.
Nicht Eine Tresse zu viel; die Waffen sind werthvoll, aber von einfacher
Arbeit; das Rauhwerk an der Mütze nicht zu lang und nicht zu kurz, die
Nesteln und Verbrämungen sind mit aller nur möglichen Genauigkeit
angeheftet; mein Beschmet ist weiß, mein Tscherkessenmantel dunkelbraun.
Ich habe mich lange der tscherkessischen Art zu reiten befleißigt, und
nichts kann meiner Eigenliebe so schmeicheln, als wenn man meine Kunst, auf
kaukasische Weise zu reiten, anerkennt. Ich halte vier Pferde: eins für
mich, drei für meine Freunde, um der langen Weile zu entgehen mich allein
umherzuschleppen; sie machen mit Vergnügen von meinen Pferden Gebrauch,
reiten aber niemals mit mir zusammen aus. Es war bereits sechs Uhr
Nachmittags, als ich mich erinnerte, daß es Zeit sei zu essen; mein Pferd
war ermüdet, ich lenkte es daher auf den Weg, welcher von Pätigorsk nach
einer deutschen Kolonie führt, wohin die Brunnengesellschaft sehr oft zum
Piquenique geht. Der Weg dahin windet sich zwischen Gebüschen, indem er
bisweilen durch kleine Schluchten führt, wo unter dem Schatten hoher Gräser
rauschende Bäche dahinfließen; rundum erheben sich amphitheatralisch die
blauen Gebirgskolosse des Beschtu, des Schlangenberges, des Eisen- und des
Kahlenberges. Ich betrat eine dieser Schluchten, welche im hiesigen Dialekt
Balka heißen und hielt still, um mein Pferd zu tränken; in demselben
Augenblicke wurde auf dem Wege eine laute und glänzende Kavalkade sichtbar;
die Damen in schwarzen und blauen Amzonen, die Herren im buntesten Gemisch
des tscherkessischen und nishegarótskischen Costüm; voran ritt Gruschnitzki
mit der Fürstin Mary.

Die Damen, welche das Bad besuchen, glauben noch immer an die Anfälle der
Tscherkessen am hellen, lichten Tage; aus diesem Grunde wahrscheinlich
hatte Gruschnitzki über seinen Soldatenmantel eine Schaschka gehängt und
ein paar Pistolen in den Gurt gesteckt, in welcher heldenmäßigen
Ausstaffirung er ziemlich lächerlich aussah. Ein hohes Gesträuch verbarg
mich vor ihnen, doch konnte ich sie durch dessen Blätter Alle sehen und an
dem Ausdruck ihrer Mienen errathen, daß ihr Gespräch ein sentimentales war.
Endlich näherten sie sich der Schlucht; Gruschnitzki führte das Pferd der
Fürstin beim Zügel; ich hörte zufällig das Ende, ihrer Unterhaltung.

»So wollen Sie also Ihr ganzes Leben im Kaukasus zubringen?« sagte die
Fürstin.

-- Was ist mir Rußland, antwortete ihr Kavalier: ein Land, wo Tausende von
Leuten, weil sie reicher sind als ich, mit Verachtung auf mich blicken
würden, während hier -- hier, dieser dicke Mantel mich nicht verhinderte,
Ihre Bekanntschaft zu machen.

»Im Gegentheil . . .« sagte die Fürstin erröthend.

Das Gesicht Gruschnitzki's drückte hohe Selbstzufriedenheit aus. Er fuhr
fort: Hier fließt mein Leben unter den Kugeln der Wilden geräuschvoll
unbemerkt und rasch dahin, und wenn mir der liebe Gott jedes Jahr nur einen
hellen Mädchenblick gewährt, einen Blick wie der . . .

In diesem Augenblicke waren sie dicht vor mir; ich gab meinem Pferde einen
Schlag mit der Reitpeitsche und sprengte aus dem Gesträuch hervor.

»Mon dieu, un Circassien!« schrie die Fürstin mit Entsetzen auf.

Um ihr ihren Irrthum aufs vollkommenste zu benehmen, antwortete ich mit
einer leichten Verbeugung: Ne craignez rien, madame, je ne suis pas plus
dangereux que votre cavalier.

Sie war verwirrt, -- doch weshalb? war's über ihren Irrthum oder weil meine
Antwort ihr zu keck schien? Ich hatte gewünscht, daß die letztere
Voraussetzung die richtigere gewesen wäre. Gruschnitzki warf mir einen
unzufriedenen Blick zu.

Abends spät, gegen eilf Uhr, ging ich in der Lindenallee des Boulevard's
spazieren. Die Stadt schlief, nur in einigen Fenstern schimmerten noch
Lichter. Von drei Seiten erhoben sich dunkle Felsenkämme, Zweige des
Máschuk, auf dessen Spitze ein unheilverkündendes Wölkchen lag; der Mond
stieg im Osten auf; in der Ferne, wie mit silbernen Fransen umstickt,
erglänzten die Schneeberge. Der Ruf der Wachen wurde vom Geräusche der
heißen Quellen unterbrochen, die des Nachts losgelassen werden. Dann und
wann ertönte ein lautes Pferdegetrappel durch die Straßen, vom Geknarre der
Arba, (eines hohen zweirädrigen Wagens) und einem melancholischen,
tatarischen Liedchen begleitet.

Ich setzte mich auf eine Bank und versank in Gedanken.

Ich fühlte die Nothwendigkeit, meine Gedanken in einem vertrauten Gespräche
zu ergießen . . . aber mit wem . . . Was macht jetzt Wära, dachte ich? ich
würde viel darum gegeben haben, hätte ich ihr in diesem Augenblicke die
Hand drücken können. Plötzlich höre ich rasche und ungleiche Schritte
. . . wahrscheinlich Gruschnitzki . . . und so war es in der That.

-- Woher?

»Von der Fürstin Ligoffska,« antwortete er sehr wichtig; »o, wie Mary
singt!«

-- Weißt Du was, sagte ich zu ihm, ich wette, sie weiß nicht, daß Du Junker
bist; sie denkt gewiß, Du seiest ein degradirter Offizier . . .

»Das kann sein; was geht das mich an,« antwortete er mit Zerstreuung.

-- Nein, ich meine nur so.

»Aber weißt Du wohl, daß Du sie heute außerordentlich aufgebracht hast? Sie
fand, daß Dein Betragen unerhört frech war; ich konnte sie nur mit Mühe
überzeugen, daß Du eine gute Erziehung habest und die Welt zu gut kennest,
als daß es Deine Absicht hätte sein können, sie zu beleidigen; sie meint,
Du habest einen unverschämten Blick und wahrscheinlich eine sehr hohe
Meinung von Dir selbst.«

-- Sie irrt sich nicht! . . . aber Du, willst Du nicht ihre Eroberung
machen?

»Leider habe ich noch kein Recht dazu.«

-- Aha! dachte ich, er nährt also doch bereits Hoffnungen.

»Uebrigens kommst Du bei alle dem nur um so schlechter weg,« fuhr
Gruschnitzki fort; »jetzt wird es Dir sehr schwer werden, mit ihnen
Bekanntschaft zu machen, und das ist Schade; es ist eins der angenehmsten
Häuser, die ich nur kenne . . .«

Ich lächelte bei mir selbst. -- Das angenehmste Haus für mich ist
gegenwärtig das meine, sagte ich gähnend, indem ich aufstand, um
fortzugehen.

»Indessen gestehe selbst, daß Du darüber ergrimmt bist!«

-- Was für ein Unsinn! Wenn ich sonst will, so kann ich Morgen Abend bei
der Fürstin sein! --

»Nun, wir wollen sehen.«

-- Wenn es Dir Vergnügen macht, will ich sogar der jungen Fürstin den Hof
machen . . .

»Ja, wenn sie nur überhaupt mit Dir sprechen will.«

-- Ich warte bloß den Augenblick ab, wo sie sich an Deinem Gespräch
langweilt; Adieu!

»Ich muß mich durchaus noch etwas ergehen; für nichts auf der Welt könnte
ich jetzt einschlafen. Höre, laß uns lieber in die Restauration gehen, dort
wird gespielt, und ich bedarf heute der starken Aufregungen.«

-- So wünsche ich, daß Du verspielen mögest. Mit diesen Worten begab ich
mich nach Hause.


Den 21. Mai.

Wiederum ist bereits eine Woche vergangen und ich bin immer noch nicht mit
den Ligoffska's bekannt geworden. Ich warte auf eine günstige Gelegenheit.
Gruschnitzki folgt der Fürstin überall, wie ihr Schatten; ihre Gespräche
finden gar kein Ende; wann wird sie seiner überdrüssig sein? . . . Ihre
Mutter richtet nicht die geringste Aufmerksamkeit auf das ganze Verhältniß,
denn er ist kein Bräutigam für sie. Das nenne ich mütterliche Logik! Ich
fing zwei bis drei zärtliche Blicke auf und muß dem Dinge endlich ein Ende
machen.

Gestern erschien Wära zum erstenmal am Brunnen. Sie ist seit unserm
Zusammentreffen in der Grotte noch nicht aus dem Hause gewesen. Wir
schöpften zu gleicher Zeit mit unsern Gläsern das Wasser aus dem Brunnen,
wobei sie mir zuflüsterte, indem sie sich etwas vorbog:

»So willst Du nicht die Bekanntschaft der Ligoffska machen? Wir können uns
nur dort sehen.«

Ein Vorwurf! Unausstehlich! aber ich habe ihn verdient. --

-- Apropos! Morgen soll im Restaurationssaale ein Subscriptionsball Statt
finden; auf diesem will ich mit der jungen Fürstin die Mazurka tanzen.


Den 29. Mai.

Der Restaurationssaal war in einen adligen Versammlungssaal verwandelt
worden. Der Ball begann um neun Uhr. Die Fürstin war mit ihrer Tochter
unter den zuletzt erscheinenden; so manche Dame sah mit Neid und Mißgunst
auf sie, denn die Fürstin Mary kleidet sich mit vielem Geschmacke.
Diejenigen, welche sich zu den hiesigen Aristokraten rechnen, verbargen
ihren Neid und begrüßten sie. Wie konnte dem anders sein? In einer
Gesellschaft von Damen bildet sich auch sogleich ein höherer und ein
niederer Kreis. Gruschnitzki stand am Fenster im dicksten Gewühl, indem er
sein Gesicht ans Fensterglas drückte und kein Auge von seiner Göttin
verwandte; beim Vorübergehen gab sie ihm ein kaum bemerkliches Zeichen mit
dem Kopfe. Er strahlte wie die Sonne . . . Der Tanz begann mit einer
Polonaise, auf welche ein Walzer gespielt wurde. Die Sporen klirrten, die
Gewänder wogten und rauschten. Ich stand hinter einer dicken Dame, welche
unter rosafarbenen Federn begraben war; der Prunk ihres Kleides erinnerte
an die Zeit der Reifröcke, und die Buntscheckigkeit ihrer rauhen Haut an
die glückliche Epoche der Schönpflästerchen aus schwarzem Taffet. Eine
ungeheuer große Warze am Halse war von einem Fermoir überdeckt. Sie sagte
zu ihrem Kavaliere, einem Dragoner-Kapitaine:

»Diese junge Fürstin ist ein unausstehliches Jüngferchen! Stellen Sie sich
vor, sie hat mich gestoßen und nicht einmal um Entschuldigung gebeten, sich
vielmehr noch umgekehrt und mich lorgnettirt . . . C'est impayable! Und
worauf bildet sie sich so viel ein? Der müßte man einmal einen Denkzettel
geben.«

-- Daran soll es ihr nicht fehlen; entgegnete ihr der dienstfertige
Kapitain und begab sich in ein anderes Zimmer.

Ich ging sogleich auf die Fürstin zu und forderte sie zum Walzen auf, den
hiesigen freien Gebräuchen gemäß, die einem erlauben, mit Damen, denen man
zuvor nicht vorgestellt war, zu tanzen.

Sie konnte sich kaum bezwingen ein Lächeln zurückzudrängen und ihren
Triumph zu verbergen; indessen gelang es ihr noch schnell genug, eine
vollkommen gleichgültige, ja sogar strenge Miene anzunehmen. Sie lehnte
nachlässig ihren Arm auf meine Schulter, bog ihr Köpfchen etwas auf die
Seite, -- und wir begannen.

Ich kenne keine reizendere, zartere Taille! Ihr frischer Athem streifte
über mein Gesicht; bisweilen spielte eine im wirbelnden Fluge des Walzers
losgelöste Locke auf meiner glühenden Wange . . . Ich machte drei Touren
(sie walzt wunderbar leicht!). Sie war ganz außer Athem, ihre Augen waren
ihr wie verwirrt; kaum konnten ihre halbgeöffneten Lippen das herkömmliche:
merci, monsieur! hervorbringen. Nach einigen Minuten tiefen Stillschweigens
von meiner Seite sagte ich, indem ich die bescheidenste Miene machte:

-- Ich habe gehört, meine Fürstin, daß, obgleich ich Ihnen völlig fremd
bin, ich dennoch das Unglück hatte ihre Ungnade zu verdienen . . . daß Sie
mein Betragen befremdete . . . Wäre es möglich?

»Wie es scheint, wünschen Sie, daß ich Sie in dieser Meinung bestätige,«
antwortete sie mit einem ironischen Zuge, der ihrer beweglichen
Physiognomie übrigens recht wohl ansteht.

-- Wenn ich die Kühnheit hatte, Sie irgendwie zu beleidigen, so erlauben
Sie mir die noch viel größere, Sie um Verzeihung zu bitten. Ich wünsche in
der That Ihnen zu beweisen, daß Sie sich in Betreff meiner sehr geirrt
haben.

»Es möchte Ihnen doch etwas schwer werden . . .«

-- Und warum das?

»Weil Sie unser Haus nie besuchen und diese Bälle sich wahrscheinlich nicht
oft wiederholen werden.«

-- Das heißt, dachte ich bei mir selbst, daß ihre Thüren mir auf ewig
verschlossen sind. -- Wissen Sie wohl, Fürstin, sagte ich mit einem Anflug
von Bedauern, daß man nie einen reuigen Sünder verwerfen muß, weil er aus
Verzweiflung doppelt so schuldig werden kann, und dann . . .

Ein lautes Gelächter und Zischeln der uns Umstehenden veranlaßte mich, mich
umzudrehen und meine Phrase zu unterbrechen. In der Entfernung von einigen
Schritten stand eine Gruppe von Männern, unter denen sich auch der
Dragoner-Hauptmann befand, welche ihre feindlichen Absichten gegen die
schöne Fürstin offen kund gaben. Der Hauptmann besonders schien mit etwas
sehr zufrieden zu sein, rieb sich die Hände, lachte laut auf und winkte
seinen Genossen zu. Plötzlich erschien aus ihrer Mitte ein Herr im Fracke,
mit langem Schnurrbart und rothem Gesichte, welcher seine unsicheren
Schritte gerade auf die Fürstin zulenkte; er war betrunken.

Als er vor der erbebenden Fürstin mit auf dem Rücken zusammengeschlagenen
Händen stillstand und seine umnebelten, grauen Augen auf sie richtete, hob
er mit falscher Diskantstimme an:

»Permettez! Ei was Ceremonien! ich engagire Sie hiermit zur Mazurka!« --

-- Was ist Ihnen gefällig, sagte sie mit zitternder Stimme, indem sie einen
hülferufenden Blick um sich warf. Leider hatte sich ihre Mutter entfernt
und keiner der ihr bekannten Kavaliere war in der Nähe; ein Adjutant zwar
schien Alles zu sehen, was vorging, verbarg sich aber in dem großen Haufen,
um nicht in diese Geschichte mit hineingezogen zu werden.

»Wie?« sagte der betrunkene Herr, welcher dem Dragoner-Hauptmann zuwinkte,
der ihn seinerseits durch Zeichen ermuthigte, »so ist's Ihnen nicht
gefällig? ich habe nochmals die Ehre, Sie pour Mazurek zu engagiren . . . .
Sie glauben vielleicht, ich bin betrunken? Das ist nichts! im Gegentheil,
ich kann Ihnen versichern . . .«

Ich sah, daß sie nahe daran war, vor Furcht und Unwillen in Ohnmacht zu
fallen.

Ich ging an den betrunkenen Herrn heran, faßte ihn ziemlich fest am Arme
und bat ihn, indem ich ihm fest ins Auge blickte, sich zu entfernen, weil,
fügte ich hinzu, die Fürstin mir schon längst versprochen habe, die Mazurka
mit mir zu tanzen.

»Nun, auch gut, auf'n andermal,« sagte er grinsend und entfernte sich mit
seinen Gefährten, welche ihn in ein anderes Zimmer zogen.

Ein wunderbarer, seelenvoller Blick war mein Lohn.

Die Fürstin ging sogleich zu ihrer Mutter und erzählte ihr Alles; diese
suchte mich sogleich auf und drückte mir ihre Dankbarkeit aus; sie erklärte
mir, daß sie meine Mutter kenne und mit einem halben Dutzend meiner Tanten
befreundet sei.

»Ich weiß nicht, wie es geschah, daß wir mit Ihnen bis jetzt noch nicht
bekannt sind,« fügte sie hinzu, »aber gestehen Sie, daß Sie selbst daran
Schuld sind; Sie fliehen alle Menschen so, daß man gar nicht weiß, was man
daraus machen soll. Ich hoffe, daß die Luft meines Salons ihren Spleen
vertreiben wird, nicht wahr?«

Ich antwortete ihr mit einer jener Redensarten, welche ein jeder in
ähnlichen Fällen bereit haben muß.

Die Quadrille zog sich schrecklich in die Länge.

Endlich ertönte die Mazurka, wir setzten uns in die Reihen.

Ich spielte weder auf den betrunkenen Herrn, noch auf mein früheres
Betragen, noch auf Gruschnitzki an. Der unangenehme Eindruck der
vorangegangenen Scene fing allmälig an sich zu verwischen; ihr Gesichtchen
blühte wieder auf; sie scherzte sehr sinnig; ihre Unterhaltung war
geistreich, ohne alle Prätension, lebhaft und beredt; ihre Bemerkungen
bisweilen recht treffend. Ich gab ihr in einer sehr verwickelten Phrase zu
verstehen, daß sie mir schon längst gefiele. Sie senkte das Köpfchen und
eine leichte Röthe verbreitete sich über ihr Antlitz. --

»Sie sind ein seltsamer Mann!« begann sie hierauf, indem sie ihre
Sammetaugen auf mich richtete und gezwungen lächelte.

-- Ich suchte deshalb Ihre Bekanntschaft nicht, fuhr ich fort, weil Sie ein
zu dichter Kreis von Verehrern bereits umgiebt und ich befürchten mußte,
vollkommen unter diesen zu verschwinden.

»Sie befürchteten das umsonst; sie sind alle unausstehlich langweilig.«

-- Alle! Wäre es möglich . . . Alle?

Sie blickte mir scharf ins Auge, als ob sie sich bemühe, sich etwas ins
Gedächtniß zurückzurufen, worauf sie abermals erröthend mit fester Stimme
sagte: »_Alle!_«

-- Selbst mein Freund Gruschnitzki?

»Ist er auch Ihr Freund?« sagte sie, indem sie den Zweifel durch ihre Frage
blicken ließ.

-- Das ist er.

»Nun freilich, er gehört nicht in die Reihe der Lästigen . . .«

-- Aber wohl in die Reihe der Unglücklichen, sagte ich lächelnd.

»Gewiß! Ist Ihnen das lächerlich? Ich möchte Sie wohl einmal an seiner
Stelle sehen . . .«

-- Wie so? Ich bin seiner Zeit auch einmal Junker gewesen und muß gestehen,
daß dies die glücklichste Zeit meines Lebens war!

»Ist er denn Junker? . . .« sagte sie rasch, »ich meinte . . .«

-- Was meinten Sie?

»Nichts, nichts! -- Wer ist doch jene Dame?«

Das Gespräch nahm nun eine andere Richtung und kehrte auf diesen Gegenstand
nicht wieder zurück.

Die Mazurka war beendigt und wir gingen auseinander -- auf Wiedersehn!

Die Damen fuhren nach Hause. Ich ging zum Abendessen und begegnete Werner.

»Aha!« sagte er, »sind Sie das? Und wollten doch die Bekanntschaft der
Fürstin nicht anders machen, als indem sie sie von einem sichern Tode
erretteten!«

-- Ich habe mehr gethan, erwiederte ich ihm; ich habe sie vor einer
Ohnmacht auf dem Balle gerettet! . . .

»Wie so das? Erzählen sie doch.«

-- Nein, das mögen Sie errathen, der Sie ja doch Alles auf der Welt
errathen.


Den 30. Mai.

Gegen sieben Uhr Abends ging ich auf dem Boulevard spazieren. Gruschnitzki,
der mich von fern kommen sah, kam auf mich zu; in seinen Augen leuchtete
ein lächerlicher Enthusiasmus. Er drückte mir kräftig die Hand und sagte
mit tragischer Stimme:

»Ich danke Dir, Petschorin . . . Du verstehst mich? . . .«

-- Aufrichtig gesagt: nein; doch in jedem Falle bedarf es durchaus keines
Dankes, erwiederte ich ihm, da ich mich einer Dir erwiesenen Wohlthat nicht
recht erinnern kann. --

»Wie, und gestern? hast Du denn ganz vergessen? Mary hat mir alles
wiedererzählt . . .«

-- So, so also zwischen Euch ist jetzt schon alles gemein? sogar die
Dankbarkeit? . . .

»Höre,« sagte Gruschnitzki sehr wichtig, »ich bitte Dich, scherze nicht
über meine Liebe, wenn Du mein Freund bleiben willst . . . Siehst Du, ich
liebe sie bis zum Wahnsinn, und ich meine, ich hoffe, sie liebt mich auch
. . . Ich habe eine Bitte an Dich. Du wirst heute Abend dort sein;
versprich mir alles zu beobachten: ich weiß, daß Du darin Meister bist und
die Weiber besser kennst als ich . . . Die Weiber! Die Weiber! Wer kann sie
je verstehen? Ihr Lächeln widerspricht ihren Blicken, ihre Worte
versprechen und locken an, während der Ton ihrer Stimme wieder zurückstößt
. . . Bald errathen sie unsere geheimsten Gedanken, bald verstehen sie die
sichtbarsten Zeichen nicht . . . So z. B. die Fürstin: gestern noch
sprühten ihre Augen vor Leidenschaft, so oft sie auf mir ruhten, und heute
sind sie umwölkt und kalt.« --

-- Vielleicht geschieht dies in Folge der Wirkungen des Wassers? entgegnete
ich ihm.

»Du siehst auch in Allem nur die schlechte Seite . . . Materialist,« fügte
er verächtlich hinzu. »Uebrigens, laß uns von etwas anderem sprechen,« und
mit einem abgedroschenen, schalen Calembour versetzte er sich wieder in
heitere Laune.

Gegen neun Uhr begaben wir uns zusammen zur Fürstin.

Als ich an den Fenstern Wäras vorüberging, sah ich sie in der
Fensterbrüstung sitzen. Wir warfen uns einen verstohlenen Blick zu; bald
nach uns erschien auch sie in dem Gastzimmer der Fürstin, die mich ihr als
einen weitläuftigen Verwandten vorstellte. Man trank Thee; der Gäste waren
viele, das Gespräch ein allgemeines. Ich war bemüht der Fürstin zu
gefallen, ich scherzte und machte sie einige Male recht herzlich lachen.
Die junge Fürstin hätte wohl auch manchmal gern mitgelacht, allein sie nahm
sich zusammen, um nicht aus ihrer angenommenen Rolle zu fallen: sie findet
nämlich: daß ein düsteres Wesen ihr wohl steht und hat vielleicht nicht so
Unrecht. Auch Gruschnitzki schien sehr damit zufrieden, daß meine
Lustigkeit sie nicht ansteckte.

Nach dem Thee begab man sich in den großen Salon.

»Bist Du mit meiner Folgsamkeit zufrieden, liebe Wära?« fragte ich sie, als
ich an ihr vorüberging.

Sie warf mir einen Blick der Liebe und Dankbarkeit zu. Ich bin an solche
Blicke gewöhnt, doch gewährten sie mir einstmals die reinste Seligkeit. Die
Fürstin ließ ihre Tochter ans Piano gehen: alle bestürmten sie mit Bitten,
ein Liedchen vorzutragen; -- ich schwieg und begab mich, dies
augenblickliche Durcheinander benutzend, an's Fenster zu Wära, die mir
etwas für uns beide ganz besonders Wichtiges mitzutheilen hatte . . . Was
kam heraus? Unsinn.

Unterdessen war der Fürstin meine Gleichgültigkeit sehr empfindlich, wie
ich das an einem erzürnten, strahlenden Blicke leicht errathen konnte
. . . O, ich verstehe wunderbar diese stumme aber ausdrucksvolle, kurze
aber kräftige Sprache! . .

Sie sang. Ihre Stimme ist nicht übel, es fehlt ihr aber an Schule . . .
übrigens habe ich kaum hingehört. Dahingegen verschlang sie Gruschnitzki,
der sich völlig auf das Royal legte, mit den Augen, und rief ein Mal über
das andere mit halber Stimme: charmant! délicieux!

»Höre,« sagte Wära zu mir, »ich will nicht, daß Du mit meinem Manne
Bekanntschaft machst, dahingegen verlange ich unbedingt, daß Du der Fürstin
zu gefallen strebst; das ist Dir ein Leichtes, Du kannst alles, was Du nur
willst. Wir können uns nur hier sehen . . .«

-- Nur? . . .

Sie erröthete und fuhr fort: »Du weißt, daß ich Deine Sklavin bin, daß ich
Dir niemals zu widerstreben vermochte . . . und ich werde meinen Lohn dafür
schon erhalten: Du wirst aufhören mich zu lieben. Aber meinen Ruf muß ich
doch zu erhalten suchen -- Du weißt recht gut, daß es nicht meinetwegen
geschieht! O, ich flehe Dich an, quäle mich nicht wieder, wie früher, mit
leeren Zweifeln und einer erzwungenen Kälte: ich sterbe wohl bald, denn ich
fühle, wie ich von Tag zu Tage abnehme . . . und doch kann ich an das
künftige Leben nicht denken, sondern meine Gedanken weilen immer bei Dir.
Ihr Männer könnt den Genuß eines Blickes, eines Händedruckes nicht
verstehen . . . während ich -- ich schwöre es Dir -- wenn ich Deine Stimme
höre, eine tiefergreifende, seltsame Seligkeit empfinde, welche selbst die
glühendsten Küsse nicht ersetzen können.«

Unterdessen hatte die Fürstin Mary aufgehört zu singen. Laute
Lobeserhebungen ertönten rund um sie; ich war der letzte, der zu ihr
heranging und ihr etwas über ihre Stimme sagte. Ich that es ziemlich
gleichgültig.

Sie machte eine kleine Grimasse, indem sie die Unterlippe etwas nach vorn
bewegte, und nahm sich überhaupt sehr lächerlich aus.

»Es ist mir dies um so schmeichelhafter,« sagte sie, »als Sie mich gar
nicht gehört haben; aber vielleicht lieben Sie die Musik gar nicht.«

-- Im Gegentheil . . . besonders nach Tische.

»So hat Gruschnitzki Recht, wenn er sagt, daß Sie einen sehr prosaischen
Geschmack haben . . . und ich sehe, daß Sie die Musik nur in
gastronomischer Beziehung lieben.«

-- Sie sind nochmals im Irrthum, ich bin durchaus kein Gastronom, denn ich
habe einen sehr verdorbenen Magen. Aber nach Tische schläfert einen die
Musik ein und es soll gesund sein, nach dem Essen zu schlafen: folglich
liebe ich die Musik in medizinischer Beziehung. Abends hingegen greift sie
meine Nerven zu sehr an und ich werde entweder zu melancholisch oder zu
ausgelassen. Das eine wie das andere ist entsetzlich ermüdend, wenn man
keine bestimmte Ursachen hat sich zu härmen oder zu freuen; außerdem
erscheint die Melancholie in Gesellschaft immer lächerlich und eine zu
große Ausgelassenheit nicht wohlanständig.

Sie hörte mich nicht aus, ging fort, setzte sich neben Gruschnitzki und es
entspann sich alsbald zwischen ihnen ein recht sentimentales Gespräch; wie
es schien, antwortete aber die Fürstin auf seine weisen Phrasen ziemlich
zerstreut und unzusammenhängend, obgleich sie sich Gewalt anthat, ihm zu
zeigen, daß sie ihm mit Aufmerksamkeit zuhöre, denn bisweilen blickte er
sie erstaunt an, bemüht, die Ursache dieser innern Aufregung zu errathen,
die sich bisweilen in ihrem unruhigen Blicke verrieth . . .

Ich aber, holde Fürstin, habe Sie längst durchschaut, nehmen Sie sich wohl
in Acht! Sie wollen mich mit derselben Münze bezahlen und meine Eigenliebe
verwunden, -- das soll Ihnen nicht gelingen; sollten Sie mir aber gar den
Krieg erklären, so würde ich schonungslos sein!

Im Verfolg des Abends bemühte ich mich absichtlich zu wiederholten Malen,
mich in ihr Gespräch zu mischen; sie nahm aber meine Bemerkungen ziemlich
trocken auf und ich entfernte mich zuletzt, mit verstelltem Aerger. Die
Fürstin jubelte; ebenso Gruschnitzki. Jubelt nur, meine Freunde, und thut
es bald! Ihr sollt früh genug aufhören zu jubeln! Es wird gewiß so kommen,
meine Ahnung trügt mich nicht! So oft ich noch mit einem Frauenzimmer
bekannt wurde, errieth ich stets, ohne je zu irren, ob sie mich lieben
würde oder nicht.

Den Rest des Abends brachte ich an Wära's Seite zu und sprach mich mit ihr
über die vergangenen Zeiten recht satt. Warum sie mich so lieb hat? ich
weiß es wahrhaftig, nicht, um so weniger, als sie das einzige Weib ist,
welche mich vollkommen verstand, mit allen meinen kleinen Schwächen und
niedrigen Leidenschaften . . . Oder wäre gar das Böse so anziehend? . . .

Ich verließ mit Gruschnitzki das Haus; auf der Straße faßte er mich unter
den Arm und begann endlich nach längerem Schweigen:

»Nun, was sagst Du nun?«

-- Du bist ein Narr, hätte ich ihm antworten mögen; aber ich hielt mich
zurück und zuckte nur mit den Achseln. --


Den 6. Juni.

Alle diese Tage über bin ich nicht ein einziges Mal von meinem System
abgewichen. Die Fürstin fängt an Gefallen an meiner Unterhaltung zu finden;
ich erzählte ihr einige der seltsamen Begebenheiten meines Lebens und sie
beginnt in mir einen ungewöhnlichen Menschen zu sehen. Ich lache über alles
auf der Welt, besonders über die Gefühle: dies fängt an sie zu erschrecken.
Sie wagt es nicht mehr, sich in meiner Gegenwart mit Gruschnitzki in
sentimentale Debatten einzulassen und antwortete schon mehrmals auf seine
Ausfälle mit einem spöttischen Lächeln; so oft sich Gruschnitzki ihr nur
nähert, nehme ich ein ehrerbietiges, diskretes Wesen an und ziehe mich von
ihnen zurück; das erste Mal war sie erfreut darüber, oder bemühte sich
wenigstens so zu scheinen; das zweite Mal aber ärgerte sie sich über mich;
das dritte Mal über Gruschnitzki.

»Sie haben außerordentlich wenig Selbstliebe!« sagte sie gestern zu mir.
Warum glauben Sie denn, daß ich mich mit Gruschnitzki lieber unterhalte?«

Ich entgegnete ihr, daß ich dem Glücke meines Freundes mein eigenes
Vergnügen gern aufopfere . . .

»Und das meinige auch,« fügte sie hinzu.

Ich blickte sie starr an und machte eine sehr ernste Miene. Hierauf sprach
ich den ganzen Tag kein Wort mit ihr . . . Am Abende war sie sehr
nachdenklich, und heute morgen am Brunnen noch viel nachdenklicher. Als ich
mich ihr näherte, hörte sie nur zerstreut auf Gruschnitzki, der sich, wie
es schien, in Entzückungen über die Natur erging; kaum bemerkte sie mich,
so begann sie laut zu lachen (und zwar durchaus mal à propos), um damit zu
zeigen, als habe sie mich gar nicht bemerkt. Ich ging an ihr vorüber und
beobachtete sie unbemerkt aus der Ferne: sie wandte sich von ihrem
Gesellschafter ab und gähnte zweimal. Gruschnitzki langweilt sie also ganz
bestimmt. Noch während zweier Tagen werde ich nicht mit ihr sprechen.


Den 10. Juni.

Ich frage mich öfter, woher es kommt, daß ich mit solcher Hartnäckigkeit
der Liebe eines jungen Mädchens nachjage, die ich weder verführen will noch
jemals zu heirathen beabsichtige. Wozu diese weibische Koketterie? Wära
liebt mich besser, als die Fürstin Mary mich jemals lieben wird; hätte sie
mir nun noch wenigstens eine unüberwindliche Schöne geschienen, so wäre ich
vielleicht von der Schwierigkeit des Unternehmens angestachelt worden
. . . .

Dem ist aber nicht so! Folglich ist es nicht jenes, unruhige Bedürfniß nach
Liebe, welches uns in den ersten Jünglingsjahren so martert, und uns von
dem einen Weibe zum andern wirft, bis wir auf eine solche stoßen, die uns
nicht ausstehen kann: nun beginnt unsere Beständigkeit -- die wahre,
unendliche Leidenschaft, welche man mathematisch mit einer Linie
vergleichen kann, die von einem gegebenen Punkte sich in die Unendlichkeit
erstreckt; das Geheimniß dieser Unendlichkeit ruht nur in der
Unmöglichkeit, das Ziel, nämlich das Ende, erreichen zu können.

Warum aber mache ich mir so viel damit zu thun? Aus Neid gegen
Gruschnitzki? Der Schlucker! er ist dessen gar nicht werth. Oder ist es in
Folge jenes garstigen, aber unüberwindlichen Gefühles, welches uns die
süßen Verirrungen unseres Nächsten zu vernichten antreibt, damit wir, wenn
er uns verzweiflungsvoll frägt, wem man nun noch trauen könne, die niedrige
Genugthuung haben mögen, ihm zu antworten:

-- Mein Freund, es ist mir grade so ergangen, und doch siehst Du, daß ich
zu Mittag und zu Abend speise, wunderschön schlafe und hoffe, dereinst ohne
Klagen und Thränen zu versterben.

Doch verhehlen wir es uns nicht, es liegt ein unermeßlicher Genuß in der
Herrschaft über eine jugendliche, dem Leben kaum erschlossenen Seele! Sie
ist einer Blume gleich, deren süßestes Aroma dem ersten Sonnenstrahle
entgegenduftet; in dieser Minute muß man sie pflücken und sich sattsam
daran weiden. Dann werfe man sie immerhin auf den Weg, es wird sich wohl
noch Jemand finden, der sie aufnimmt! Ich fühle in mir eine unersättliche
Gier, die alles verschlingt, was mir in den Weg kommt; die Leiden und
Freuden der andern betrachte ich nur insofern, als sie Bezug auf mich
haben, wie eine Speise, welche meine Seelenkräfte aufrecht erhält. Ich
selbst bin nicht mehr im Stande unter dem Einflusse der Leidenschaften den
Verstand zu verlieren; mein Ehrgefühl wurde durch äußere Umstände
zurückgedrängt, es erschien aber bald wieder in einer andern Gestalt; denn
was ist das Ehrgefühl anders als der Durst nach Macht -- meine höchste
Genugthuung aber ist: meinem Willen alles zu unterwerfen, was mich umgiebt;
wenn man nun das Gefühl der Liebe, der Hingebung, der Furcht in andern
erweckt -- was ist denn dies anders als das erste Zeichen, als der höchste
Sieg der Macht? Ist es nicht die süßeste Nahrung unseres Stolzes, für
irgend Jemand der Grund des Leidens und der Wonne zu sein, ohne, ein
bestimmtes Recht dazu zu haben? Was heißt Glück!? Der gesättigte Stolz. --
Dürfte ich mich für besser und mächtiger halten als alle Menschen auf der
Welt, so würde ich glücklich sein; wenn alle Menschen mich liebten, so
würde ich auch die unversieglichen Quellen der Liebe in mir wahrnehmen. Das
Böse erzeugt das Böse; das erste Leiden erweckt in uns das Verständniß von
dem Genusse, einen andern zu quälen. Die Idee des Bösen konnte das
menschliche Gehirn nicht durchdringen, ohne daß es nicht auch suchte, sie
zur wirklichen Ausführung zu bringen. Die Ideen, sagte Jemand, sind
organische Wesen, ihre bloße Empfängniß verleiht ihnen auch schon ihre
Gestalt, und diese Gestalt ist die That; derjenige, in dessen Haupte die
meisten Ideen entsprangen, hat auch mehr als andere gewirkt. Daher muß das
Genie, das an den Büreautisch gefesselt ist, entweder sterben oder
wahnsinnig werden, gerade so wie ein Mensch von mächtigem Körperbau bei
einer sitzenden Lebensart und strenger Keuschheit am Schlagflusse sterben
muß.

Die Leidenschaften sind nichts anders als Ideen in ihrer ersten
Gestalt-Entwickelung; sie sind das Eigenthum der Herzensjugend, und ein
Thor ist der, welcher glaubt das ganze Leben von ihnen bewegt zu werden:
viele ruhige Ströme fangen als tobende Wasserfälle an, aber auch nicht
einer von ihnen schäumt und braust bis zu seinem Ausfluß ins Meer. Aber
auch diese Ruhe ist wiederum häufig das Wahrzeichen einer gewaltigen, wenn
schon verborgenen Kraft. Die Vollkraft und Tiefe der Gefühle und Gedanken
lassen heftige Stöße gar nicht zu: die Seele legt sich im Dulden wie im
Genusse strenge Rechenschaft von Allem ab und ist davon überzeugt, daß sie
so handeln muß; sie weiß, daß ohne Stürme eine beständige Sonnengluth sie
austrocknen würde; sie durchdringt sich mit ihrem eigenen Leben --
verzärtelt sich und bestraft sich, wie ein geliebtes Muttersöhnchen. Nur in
diesem höhern Zustande der Selbsterkenntniß kann der Mensch die
Gerechtigkeit Gottes wirklich ermessen.

Indem ich diese Seite überlese, bemerke ich, daß ich mich weit von meinem
Gegenstande entfernt habe . . . Doch was schadet das? Schreibe ich doch
dies Journal für mich selbst, und wird doch alles, was ich auch darin
hinwerfe, mir dereinst eine theure Erinnerung gewähren.

                   *       *       *       *       *

Gruschnitzki kam zu mir und warf sich mir an den Hals. Er ist zum Offizier
ernannt worden. Ich ließ Champagner auffahren. Doktor Werner kam ebenfalls
kurz nach ihm.

»Ich gratulire Ihnen nicht,« sagte er zu Gruschnitzki.

-- Und warum das?

»Darum, daß Ihr Soldatenmantel Ihnen viel besser steht, und weil, wie Sie
selbst gestehen müssen, eine hier in einem Badeorte genähte
Armee-Infanterie-Uniform Sie wahrhaftig um nichts interessanter machen
kann. Sehen Sie wohl, bisher wurden Sie hier zu den Ausnahmen gerechnet,
jetzt aber gehen Sie in der allgemeinen Regel auf.«

-- Sprechen Sie was Sie wollen, Doktor! Sie werden mich in meiner Freude
nicht stören. Er weiß nicht, raunte er mir ins Ohr, welche Hoffnungen mir
diese Epauletten verliehen . . . O, Epauletten, Epauletten! Eure Sternchen
sind mir Wegweiser . . . Nein, ich bin jetzt vollkommen glücklich! --

»Wirst Du die Promenade nach dem Erdfalle mit uns machen?« fragte ich ihn.

-- Ich? Für nichts in der Welt zeige ich mich der Fürstin eher, als bis
meine Uniform fertig ist.

»Wünschest Du, daß man ihr Deine Freude mittheile?«

-- Nein, ich bitte Dich, sprich ihr nichts davon . . . Ich will sie
überraschen . . .

»So sage mir wenigstens, wie Deine Sachen mit ihr stehen?«

Er wurde verwirrt und nachdenkend; er hätte gern ein Bischen aufgeschnitten
und sich wichtig gemacht, wenn er sich nicht ein Gewissen daraus gemacht
hätte, und doch schämte er sich die Wahrheit zu gestehen.

»Ja, was meinst Du, liebt sie Dich?«

-- Ob sie mich liebt? Aber ich bitte Dich, Petschorin, was hast Du für
Ideen! . . . Wie könnte das so schnell gehen? . . . Und gesetzt, es wäre
dem so, wie könnte ein anständiges Frauenzimmer das sagen! . . .

»Gut! Nach Deiner Meinung soll nun wahrscheinlich ein Mann auch von seiner
Leidenschaft schweigen? . . .«

-- Ach, Liebster, es kommt nur darauf an, wie man's anfängt. Vieles spricht
man nie aus, sondern läßt es errathen. --

»Das ist schon recht . . . Indessen verpflichtet die Liebe, die wir in den
Augen lesen, ein Frauenzimmer durchaus zu nichts, während Worte . . . Nimm
Dich in Acht, Gruschnitzki, sie führt Dich an . . .«

-- Sie? antwortete er, die Augen zum Himmel erhebend und selbstgefällig
lächelnd: Du thust mir leid, Petschorin!

Er ging.

An demselben Abend begab sich eine zahlreiche Gesellschaft zu Fuß nach dem
Erdsturz. --

Nach der Meinung der hiesigen Gelehrten ist dieser Erdsturz nichts anders
als ein erloschener Krater; er befindet sich am Abhange des Maschuk,
ungefähr eine Werst von der Stadt. Ein enger Fußpfad führt zwischen
Gesträuchern und Felsen dahin; als wir den Berg erstiegen, reichte ich der
Fürstin meinen Arm, den sie während der ganzen Promenade nicht wieder
fahren ließ.

Unser Gespräch begann mit übler Nachrede: ich fing an, alle An- und
Abwesenden unserer Bekanntschaft herunter zu reißen, indem ich zuerst ihre
schwachen, alsdann ihre schlechten Seiten hervorhob. Meine Galle gerieth in
volle Thätigkeit. Ich fing scherzend an und endigte mit wirklicher
Erbitterung. Anfangs belustigte sie es; zuletzt fing sie an zu erbeben.

»Sie sind ein gefährlicher Mensch!« sagte sie zu mir; »ich möchte lieber
den Mördern im Walde unter's Messer fallen als unter ihre kleine Zunge, und
ich bitte Sie in vollem Ernste: sollte es Ihnen jemals einfallen,
Schlechtes von mir sagen zu wollen, lieber ein Messer zu nehmen und mich
damit zu ermorden; -- ich glaube ohnedem, daß es Ihnen nicht schwer fallen
würde.«

-- Sehe ich denn einem Mörder so ähnlich? . .

»Sie sind noch viel schlimmer . . .«

Ich blieb einen Augenblick in Nachdenken versunken, und sagte endlich zu
ihr, indem ich eine tief gerührte Miene annahm: »Ja, das war mein Schicksal
von Jugend auf; alle lasen auf meinem Gesichte die Kennzeichen schlechter
Eigenschaften, die ich gar nicht besaß; aber man setzte sie voraus -- und
sie kamen zum Vorschein. Ich war aufrichtig -- man beschuldigte mich der
Falschheit: ich wurde versteckt: Ich fühlte tief das Gute und das
Schlechte. -- Niemand hatte mich lieb, alle thaten mit weh -- ich wurde
rachesüchtig; ich war finster, andere Kinder waren heiter und plauderhaft;
ich fühlte mich über sie erhaben, -- man stellte mich unter sie: so wurde
ich neidisch. Ich war bereit, die ganze Welt zu lieben -- Niemand wollte
mich verstehen: so lernte ich hassen. So floß meine farblose Jugend im
Kampfe mit mir und der Welt dahin; meine besten Gefühle verbarg ich in der
Tiefe meines Herzens aus Furcht vor dem Grinsen der Ironie: dort sind sie
nun erstorben. Ich redete die Wahrheit -- man versagte mir das Vertrauen:
ich fing an zu täuschen. Da ich nun die Welt und die Sprungfedern der
Gesellschaft so gut kennen gelernt hatte, so wurde ich in der Kunst zu
leben bald erfahren, und sah, wie andere Leute ohne alle Kunst glücklich
wurden, die sich ganz umsonst derjenigen Vortheile bedienten, welchen ich
mit so unermüdlichem Fleiße nachjagte. Da tauchte in meiner Brust die
Verzweiflung auf, -- nicht jene Verzweiflung, welche man mit dem Laufe
einer Pistole kuriren kann, sondern eine kalte, ohnmächtige Verzweiflung,
die unter der äußeren Liebenswürdigkeit und einem gutmüthigen Lächeln
verborgen liegt. Ich wurde ein moralischer Krüppel: die eine Hälfte meiner
Seele existirte gar nicht mehr; sie war vertrocknet, verdampft, abgestorben
und so riß ich sie aus und warf sie fort, -- während die andere sich rührte
und lebte Jedermann zu dienen, und Keiner dies bemerkte; weil Niemand von
der Existenz der verloren gegangenen Hälfte etwas gewußt hatte; aber Sie
haben jetzt die Erinnerung an sie wachgerufen und ich habe Ihnen ihre
Grabschrift vorgelesen. Vielen Menschen scheinen alle Grabschriften
insgesammt lächerlich; mir nicht, besonders, wenn ich daran denke, was
unter ihnen begraben liegt. Uebrigens bitte ich Sie gar nicht etwa, meine
Meinung zu theilen; lachen Sie immerhin, wenn Ihnen meine Darstellung der
Sache lächerlich scheint: Ich benachrichtige Sie zuvor, daß mich das nicht
im Geringsten beleidigen wird.

In diesem Augenblicke begegnete ich ihrem Blicke; in ihren Augen glänzten
Thränen, ihr Arm, der sich auf den meinigen stützte, zitterte, ihre Wangen
glühten, sie bedauerte mich! Das Mitgefühl -- dies Gefühl, dem sich die
Frauen so leicht unterwerfen, streckte seine Klauen über ihr unerfahrenes
Herz. Während der ganzen Promenade war sie zerstreut und kokettirte mit
Niemand, -- ein wichtiges Zeichen!

Wir langten beim Erdfalle an; die Damen verließen ihre Kavaliere, sie ließ
meinen Arm nicht fahren. Die Witze der hiesigen Dandies machten sie nicht
irre. Der Abgrund der Untiefe, vor welchem sie stand, erschreckte sie
nicht, während die andern Damen laut aufkreischten und sich die Augen
bedeckten.

Auf dem Rückwege erneuerte ich unser trauriges Gespräch nicht, indessen gab
sie mir auf meine leeren Fragen und Gaukeleien nur kurze und zerstreute
Antworten.

-- Haben Sie schon geliebt? fragte ich zuletzt.

Sie sah mich mit einem durchdringenden Blicke an, schüttelte das Köpfchen
und verfiel wieder in tiefes Nachdenken; es war klar, daß sie etwas sagen
wollte, aber nicht wußte, womit sie anfangen sollte; ihr Busen wogte
. . . Wie konnte dem anders sein! Ein Gaze-Aermel ist ein geringer Schutz,
und der elektrische Funke zuckte aus meinem Arme in -- den ihrigen: fast
alle Leidenschaften fangen damit an, und wir täuschen uns sehr oft wenn wir
glauben, daß ein Frauenzimmer uns wegen unserer moralischen oder physischen
Vorzüge liebt; es ist wahr, diese bahnen uns den Weg, sie stimmen das Herz
zur Aufnahme des heiligen Feuers -- nichtsdestoweniger entscheidet die
erste Berührung jedesmal das ganze Verhältnis.

»Nicht wahr, ich bin heute sehr liebenswürdig gewesen?« sagte die Fürstin
mit einem gezwungenen Lächeln zu mir, als wir von der Promenade
zurückgekehrt waren.

Wir verließen einander.

Sie ist unzufrieden mit sich; sie klagt, sich selbst der Kälte an . . . O,
dies ist der erste, der wichtigste Sieg! Morgen wird sie mich belohnen
wollen. Das weiß ich alles schon im Voraus -- und das ist langweilig!


Den 12. Juni.

Heute sah ich Wära. Sie quälte mich mit ihrer Eifersucht. Die junge Fürstin
war wahrscheinlich auf die Idee gekommen, ihr ihre Herzensgeheimnisse
anzuvertrauen: eine glückliche Wahl, in der That!

»Ich errathe recht gut, wohin dies alles neigt,« sagte Wära zu mir: »sage
mir jetzt lieber ganz einfach, daß Du sie liebst.«

-- Wenn ich sie nun aber nicht liebe?

»Wozu sie denn so verfolgen, beunruhigen und ihre Einbildungskraft so in
Wallung bringen? . . . . O, ich kenne Dich durch und durch! Höre, wenn Du
willst, daß ich Dir glauben soll, so kommst Du in ungefähr einer Woche nach
Kislowodsk; wir ziehen schon übermorgen dahin. Die Fürstin wird hier noch
länger bleiben. Miethe die Wohnung nebenan; wir werden im Halbgeschosse des
großen Hauses nahe bei der Quelle wohnen; die Fürstin bezieht die untere
Etage. Nebenan steht ein Haus desselben Wirthes, das noch nicht vermiethet
ist. Du kommst doch?«

Ich versprach es und schickte noch denselben Tag dahin, die Wohnung für
mich in Beschlag zu nehmen.

Gruschnitzki kam um sechs Uhr Abends zu mir und machte mir die Mittheilung,
daß morgen, gerade zum Balle, seine Uniform fertig sein würde.

»Endlich werde ich mit ihr einen ganzen Abend hindurch tanzen . . . Da will
ich mich einmal mit ihr recht satt reden,« fügte er hinzu.

-- Wann findet der Ball Statt?

»Morgen! Mein Gott, weißt denn Du das nicht? Es ist morgen ein großer
Feiertag, und die hiesige Behörde hat es übernommen, den Ball zu arrangiren
. . .«

-- Komm, laß uns nach dem Boulevard gehen . . .

»Für nichts in der Welt in diesem eckligen Mantel . . .«

-- Wie, so hast Du ihn nicht mehr lieb? . . .

Ich ging allein, und da ich zufällig der Fürstin Mary begegnete, engagirte
ich sie zur Masurka. Sie schien erstaunt und erfreut.

»Ich dachte, Sie, tanzten nur aus Nothwendigkeit, wie das vergangene Mal,«
sagte sie holdselig lächelnd.

Sie bemerkt, wie es scheint, die Abwesenheit Gruschnitzki's durchaus nicht.

-- Sie werden morgen angenehm überrascht werden, sagte ich zu ihr:

»Wodurch das?«

-- Das ist ein Geheimniß . . . auf dem Balle werden Sie es selbst errathen.

Den übrigen Theil des Abends brachte ich bei der Fürstin zu; Gäste waren
nicht da, außer Wära und einem sehr, drolligen alten Männchen. Ich war
aufgelegt und improvisirte verschiedene seltsame Geschichten. Die junge
Fürstin saß mir gegenüber und hörte meinem Unsinne mit einer so tiefen,
gespannten, ja, zärtlichen Aufmerksamkeit zu, daß es mir ordentlich zu
Herzen ging. Wohin ist ihre Lebhaftigkeit, ihre Koketterie; wohin ihre
Launen, ihre herausfordernde Miene, ihr superbes Lächeln, ihr zerstreuter
Blick?

Wära bemerkte alles; auf ihrem krankhaften Gesichte malte sich ein tiefer
Kummer; sie saß im Schatten am Fenster, in einen breiten Lehnstuhl begraben
. . . Sie that mir leid . . .

Da begann ich die ganze dramatische Geschichte unserer Bekanntschaft,
unserer Liebe -- versteht sich unter veränderten Namen -- zu erzählen. Ich
stellte meine Zärtlichkeit, alle meine Bekümmernisse, mein Entzücken so
lebhaft dar, ich schilderte ihren Charakter und ihre Schritte in so
vortheilhaften Farben, daß sie mir unwillkürlich meine Koketterie mit der
Fürstin verzeihen mußte.

Sie stand auf setzte sich zu uns heran und wurde lebhafter. Erst gegen zwei
Uhr erinnerten wir uns, daß die Doktoren befehlen, um eilf Uhr schlafen zu
gehen.


Den 13. Juni.

Ungefähr eine halbe Stunde vor dem Balle war Gruschnitzki im vollen Glanze
seiner Armee-Infanterie-Uniform zu mir gekommen. Mit dem dritten Knopfe war
noch eine kleine bronzene Kette eingeknöpft, an welcher ein Doppellorgnon
hing; die Epauletten von ungleicher Form standen in die Höhe wie ein Paar
Amorsflügel. Seine Stiefeln krachten; in der linken Hand hielt er
zimmetfarbige, hundelederne Handschuhe und seine Mütze, mit der rechten
wühlte er in den kleinen Locken seines gekräuselten Haupthaares.
Selbstzufriedenheit und zu gleicher Zeit eine gewisse Unsicherheit drückten
sich in seinem Gesichte aus; sein sonntägliches Aussehen, sein stolzer Gang
hätten mich laut lachen gemacht, wenn das mit meinen Absichten hätte
übereinstimmen können.

Er warf seine Mütze und Handschuhe auf den Tisch und fing an, an den
Schößen zu ziehen und sich vor dem Spiegel in Ordnung zu bringen: ein
ungeheuer großes schwarzes Halstuch, über ein bereits sehr hohes
Unterhalstuch gebunden, dessen Schweinsborsten sein Kinn in die Höhe
hielten, guckte wohl um dreiviertel Zoll aus dem Kragen heraus; das schien
ihm noch zu wenig: er zog es noch vollends bis an die Ohren in die Höhe;
von dieser sauren Arbeit -- denn der Kragen war eng und unbequem -- füllte
sich sein Gesicht ganz mit Blut an.

»Man sagt, Du habest dieser Tage meiner Fürstin ungeheuer die Cour
gemacht?« sagte er ziemlich nachlässig und ohne mich anzublicken.

-- Wo haben wir schon Gänse mit einander gehütet! antwortete ich ihm, indem
ich mich eines sehr beliebten volksthümlichen Sprichwortes bediente.

»Sag' mal, sitzt mir die Uniform gut? . . . Ach, der verfluchte Jude!
. . . wie mich das unter den Armen schneidet! Hast Du keine Odeurs?«

-- Aber ich bitte Dich, wozu willst Du deren noch mehr? Du riechst so schon
nach nichts als Rosenpomade . . .

»Das thut nichts; gieb nur her . . .«

Er goß sich ein halbes Glas ins Halstuch, Schnupftuch und in die Aermel.

»Wirst Du tanzen?« fragte er.

-- Ich glaube kaum.

»Ich fürchte, daß ich mit der Fürstin werde die Mazurka eröffnen müssen, --
und noch weiß ich fast nicht eine einzige Figur . . .«

-- Hast Du sie bereits zur Mazurka engagirt?

»Nein, noch nicht . . .«

-- Siehe zu, daß man Dir nicht zuvorkommt.

»Wirklich?« sagte er, indem er sich vor die Stirn schlug. »Adieu, ich will
sie am Thorwege erwarten.« Er ergriff seine Mütze und eilte fort. Nach
einer halben Stunde ging auch ich. Auf der Straße war es dunkel und leer;
rund um das Restaurationsgebäude drängte sich das Volk; die Fenster waren
erleuchtet. Die Töne der Militair-Musik wurden mir vom Abendwinde
entgegengetragen. Ich ging langsamen Schrittes vorwärts; ich war traurig
. . . Ist es möglich, dachte ich, daß meine einzige Bestimmung auf dieser
Erde die wäre, die Hoffnungen anderer zu zerstören. Seit ich lebe und
wirke, gebrauchte mich das Schicksal noch immer zur Entwickelung fremder
Dramen, als ob ohne mich Niemand sterben oder in Verzweiflung gerathen
könnte! Ich war noch immer eine nothwendige Person des fünften Aktes;
unwillkührlich spielte ich die Rolle des Henkers oder des Verräthers.
Welche Absicht hatte das Schicksal hierbei? Hätte es mich wohl gar zum
Verfasser von bürgerlichen Trauerspielen und Familienromanen bestimmt? Oder
zum Mitarbeiter der Novellenlieferanten für literarische Journale, wie z.
B. die »Lesebibliothek«?[A] . . . Was strebe ich darnach es zu wissen?
. . . Wie viele der Menschen giebt es nicht, die beim Beginn ihres Lebens
hoffen, dasselbe wenigstens wie Alexander der Große oder Lord Byron zu
endigen, und die dennoch ihr ganzes Leben lang nicht über den Titel eines
Titularrathes hinauskommen? . . .

Als ich in den Saal getreten war, hielt ich mich hinter einer Menge Herren
versteckt und fing an meine Beobachtungen zu machen. Gruschnitzki stand
neben der jungen Fürstin und erzählte ihr etwas mit großer Lebhaftigkeit;
sie hörte ihm zerstreut zu, blickte nach den Seiten und legte ihren Fächer
an die Lippen; ihr Gesicht drückte Unzufriedenheit aus, ihre Augen suchten
rundum etwas; ich ging sachte von hinten herum, um ihr Gespräch zu
überhören. --

[Fußnote A: Ein übrigens anerkannt tüchtiges Journal, unter der Redaktion
des Prof. Senkowski.]

-- Sie martern mich, Fürstin, sagte Gruschnitzki. Sie haben sich ungemein
verändert, seit ich Sie zum letzten Male gesehen habe . . .

»Sie haben sich auch verändert,« antwortete sie, einen rapiden Blick auf
ihn werfend, dessen versteckten Spott er nicht auffaßte.

-- Ich, ich hätte mich verändert? . . . O niemals! Sie wissen, daß dies
unmöglich ist! Wer Sie nur einmal gesehen, der trägt auf ewig Ihr
göttliches Bild in sich! --

»Ich bitte, schweigen Sie . . .«

-- Warum wollen Sie denn jetzt das nicht mehr anhören, wozu Sie mir noch
unlängst ein geneigtes Gehör schenkten? . . .

»Weil ich Wiederholungen nicht liebe,« antwortete sie mit einem feinen
Lächeln.

-- O, wie bitter habe ich mich getäuscht! Ich wähnte, daß diese Epauletten
mir wenigstens das Recht verliehen, zu hoffen . . . Nein, es wäre mir
besser gewesen ewig in jenem verachteten Soldatenmantel zu verbleiben,
welchem ich vielleicht Ihre Auszeichnung einzig und allein verdankte
. . .

»In der That, der Mantel stand Ihnen sehr gut . . .«

In diesem Augenblicke trat ich hervor und machte der Fürstin eine
Verbeugung; sie erröthete leicht und sagte rasch:

»Nicht wahr, Monsieur Petschorin, der graue Mantel steht Monsieur
Gruschnitzki bei weitem besser? . . .«

-- Ich bin nicht Ihrer Meinung, gnädige Fürstin, erwiederte ich, in der
Uniform sieht er noch viel jugendlicher aus.

Gruschnitzki hielt diesen letzten Schlag nicht aus. »Wie alle Knaben, hat
auch er die Prätension ein reifer Mann zu sein; er glaubt, daß auf seinem
Gesichte die tiefen Spuren der Leidenschaften den Stempel der Jahre
ersetzen.« Er warf mir einen wüthenden Blick zu, stampfte mit dem Fuße und
entfernte sich.

-- Gestehen Sie, gnädige Fürstin, sagte ich zu ihr, daß, obgleich er immer
höchst lächerlich war, er Ihnen doch jüngst noch interessant schien . . .
im grauen Mantel? . . .

Sie schlug die Augen nieder und schwieg.

Gruschnitzki verfolgte die Fürstin den ganzen Abend; bald tanzte er mit
ihr, bald war er ihr vis-à-vis; er verschlang sie mit den Augen, seufzte,
und langweilte sie mit Bitten und Vorwürfen. Nach der dritten Quadrille
haßte sie ihn bereits.

»Das hätte ich von Dir nicht erwartet,« sagte er, auf mich zukommend und
mich am Arme fassend.

-- Was?

»Du wirst mit ihr die Mazurka tanzen?« fragte er mit siegender Stimme. »Sie
hat es mir gestanden . . .«

-- Nun, und was weiter? Ist das etwa ein Geheimniß?

»Versteht sich . . . Ich hätte das von einem solchen Kinde, einer solchen
Kokette wohl erwarten können . . . Aber ich werde mich schon rächen!«

-- Schäume gegen Deinen Mantel oder gegen Deine Epauletten -- warum denn
gerade sie beschuldigen? Was kann sie dafür, wenn Du ihr nicht länger
gefällst? . . .

»Warum gab sie mir dann Hoffnungen . . .?«

-- Warum gabst Du Dich Hoffnungen hin? Wünschen und nach etwas streben --
das begreife ich -- aber hoffen, hoffen! . . .

»Du hast die Wette gewonnen, nur noch nicht ganz,« sagte er tückisch
lächelnd.

Die Mazurka begann. Gruschnitzki wählte zu allen Figuren nur die Fürstin,
dasselbe thaten die übrigen Kavaliere: es war ein offenbares Einverständniß
gegen mich; -- um so besser: sie will mit mir sprechen, man verhindert sie
daran -- sie wird es nun doppelt so sehr wünschen.

Ich drückte ihr zweimal die Hand; beim zweiten Male zog sie dieselbe
zurück, ohne ein Wort zu sagen.

»Ich werde diese Nacht schlecht schlafen,« sagte sie zu mir, als die
Mazurka zu Ende ging.

-- Daran ist Gruschnitzki Schuld.

»O nein!« Ihr Antlitz war so nachdenklich, so trübe, daß ich mir das Wort
gab ihr diesen Abend unbedingt die Hand zu küssen.

Der Ball fing an sich aufzulösen. Als ich die Fürstin in den Wagen hob,
drückte ich rasch ihr kleines Händchen an meine Lippen. Es war dunkel, und
Niemand konnte es gesehen haben.

Ich kehrte, höchst zufrieden mit mir selbst, in den Saal zurück. --

An einem großen Tische speisten die jungen Leute zu Nacht; zwischen ihnen
auch Gruschnitzki. Als ich eintrat, schwiegen sie alle: es war klar, man
hatte von mir gesprochen. Viele haben mich noch seit dem letzten Balle auf
dem Korne, besonders der Dragonerhauptmann; jetzt aber hat sich offenbar
eine feindliche Clique gegen mich zusammengerottet, die unter dem Kommando
Gruschnitzki's steht. Er blickt so stolz und tapfer um sich. --

-- Mir sehr angenehm; ich liebe die Feinde, obgleich nicht im Sinne des
Evangeliums: sie gewähren mir Zerstreuung und setzen mein Blut in Bewegung.
Immer auf der Wache stehn, jeden Blick, die Bedeutung jedes Wortes
erhaschen, die Absichten Anderer errathen, ihre Verabredungen zu nichte
machen, den Getäuschten spielen und dann plötzlich mit einem Rucke das
ganze ungeheure und mühselige Gebäude ihrer Ränke und Pläne über den Haufen
werfen, -- das nenne ich Leben!!

Im Verlaufe des Abendessens zischelte Gruschnitzki mit dem
Dragonerhauptmann und gab ihm verschiedene Winke.


Den 14. Juni.

Heute früh ist Wära mit ihrem Gemahle nach Kislowodsk abgereist. Ich
begegnete ihrem Wagen, als ich mich eben zur Fürstin Ligoffska begab. Sie
winkte mir mit dem Kopfe, in ihrem Blicke lag ein Vorwurf.

Wer ist Schuld an allem? Warum gewährt sie mir nicht die Gelegenheit sie
allein zu sehen? Die Liebe wie das Feuer -- erlischt ohne Nahrung.
Vielleicht bewirkt die Eifersucht, was meine Bitten nicht vermochten.

Ich saß eine volle Stunde bei der Fürstin. Mary kam nicht zum Vorschein, --
sie ist krank. Auf dem Boulevard erschien sie des Abends auch nicht. Die
daselbst zusammengekommene Rotte, mit Lorgnetten bewaffnet, nahm in der
That eine drohende Gestalt an. Ich war froh, daß die Fürstin krank war: sie
würden ihr irgend einen Affront angethan haben. Gruschnitzki's Haar war in
wilder Unordnung, seine Miene eine verzweifelte. Wie es scheint, ist er
wirklich tief angegriffen, besonders fühlt er sich in seiner Eigenliebe
schwer verletzt; es giebt nun aber einmal Leute, an denen alles lächerlich
ist, sogar die Verzweiflung! --

Nach Hause zurückgekehrt, bemerkte ich, daß mir heute etwas fehlt. _Ich
habe sie nicht gesehen! Sie ist krank!_ Sollte ich in der That verliebt
sein? . . . Was für Unsinn!


Den 15. Juni.

Um eilf Uhr Morgens, -- nämlich zur Zeit, in welcher die Fürstin Ligoffska
gewöhnlich in der Jermoloff'schen Badewanne schwitzt, -- ging ich an ihrem
Hause vorbei. Mary saß nachdenklich am Fenster; als sie mich sah, fuhr sie
auf. --

Ich trat ins Vorzimmer; da ich keinen Lakai daselbst antraf, so benutzte
ich die hiesigen freien Gebräuche und begab mich unangemeldet ins
Wohnzimmer.

Eine trübe Blässe bedeckte das holde Gesicht der Fürstin. Sie stand am
Fortepiano und stützte sich mit der einen Hand auf die Lehne eines Sessels;
diese Hand zitterte unmerklich. Ich ging leise auf sie zu und sagte:

-- Zürnen Sie mir, gnädige Fürstin? . . .

Sie heftete einen düstern, tiefen Blick auf mich und schüttelte das Haupt;
ihre Lippen wollten einige Worte hervorbringen, vermochten es aber nicht;
ihre Augen füllten sich mit Thränen; sie ließ sich in den Lehnstuhl gleiten
und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

-- Was ist Ihnen, Fürstin? sagte ich, und ergriff ihre Hand.

»Achten Sie mich denn gar nicht? . . . O! verlassen Sie mich! . . .«

Ich machte einige Schritte . . . Sie richtete sich im Sessel auf, ihre
Augen funkelten . . .

Ich blieb an der Thür, die Klinke in der Hand, stehen und sagte:

-- Verzeihen Sie mir, gnädige Fürstin! Mein Verfahren ist das eines
Wahnsinnigen . . . es soll nicht wieder vorkommen, ich werde meine
Maßregeln darnach treffen . . . Was ginge Sie auch Das an, was bisher in
meiner Seele vorgegangen? Sie sollen es niemals erfahren, es ist soviel
besser für Sie; leben Sie wohl!

Beim Hinausgehen kam es mir vor, als hörte ich sie schluchzen. Ich trieb
mich bis zum Abende zu Fuß in den Umgebungen des Maschuk herum, ermüdete
mich fürchterlich und warf mich, sobald ich nach Hause zurückgekehrt war,
in vollkommener Abspannung auf's Bett.

Doktor Werner besuchte mich.

»Ist es wahr, daß Sie sich mit der jungen Fürstin Ligoffska vermählen?«

-- Wie so?

»Die ganze Stadt sagt es; alle meine Kranken sind mit dieser wichtigen
Neuigkeit beschäftigt; diese Kranken, das ist die rechte Sorte, die wissen
alles!«

Das ist ein Streich von Gruschnitzki, dachte ich.

-- Um Ihnen, lieber Doktor, die Unwahrheit dieser Gerüchte zu widerlegen,
theile ich Ihnen als Geheimniß mit, daß ich morgen nach Kislowodsk
übersiedele.

»Und die Fürstin?«

-- Sie bleibt noch eine Woche hier . . .

»Also verheirathen Sie sich nicht?«

-- Doktor, Doktor! Sehen Sie mich doch nur an: sehe ich wohl einem
Bräutigame oder so etwas im Geringsten ähnlich?

»Das will ich damit nicht sagen . . . Indessen, wissen Sie wohl, giebt es
Fälle . . .« fügte er mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, in welchen ein
anständiger Mensch gezwungen ist zu heirathen, auch giebt es Mütter, welche
derartigen Fällen nicht vorbeugen. Darum rathe ich Ihnen als Freund
vorsichtiger zu sein. Hier am Brunnen weht eine gefährliche Luft: wie
manchen schmucken Kerl habe ich nicht gesehen, der wahrhaftig eines bessern
Looses werth gewesen wäre, und der von hier geradesweges unter die Haube
gerieth . . . Wollen Sie wohl glauben, daß man mich sogar hat verheirathen
wollen! Besonders eine Mama aus der Provinz, die ein sehr blasses
Töchterchen hatte. Ich hatte das Unglück ihr zu sagen, daß die frische
Gesichtsfarbe nach der Hochzeit wiederzukehren pflegt; alsbald bot sie mir
mit Thränen der Dankbarkeit die Hand ihrer Tochter und ihr ganzes Vermögen
an -- ich glaube sie hatte etwa funfzig Seelen. -- Ich antwortete ihr aber,
daß ich dazu unfähig wäre.

Werner verließ mich in der festen Meinung, er habe mich gewarnt. Aus seiner
Rede vernahm ich, daß über mich und die Fürstin entschieden schlechte
Gerüchte im Umlauf waren. Das soll Gruschnitzki nicht umsonst hingehen.


Den 18. Juni.

Seit drei Tagen bin ich bereits in Kislowodsk. Ich sehe Wära jeden Tag am
Brunnen und auf der Promenade. Des Morgens, nach dem Aufstehen, setze ich
mich ans Fenster und richte meine Lorgnette auf ihren Balkon; sie ist schon
längst angekleidet und wartet auf das verabredete Zeichen; wir begegnen uns
wie zufällig im Garten, der von unsern Häusern nach dem Brunnen führt. Die
belebende Bergluft hat ihr ihre Gesichtsfarbe und Kräfte wiederverliehen.
Nicht umsonst wird der Narsan die Heldenquelle genannt. Die hiesigen
Einwohner behaupten, daß die Luft von Kislowodsk zur Liebe stimmt, daß hier
alle Romane ihre Entwickelung finden, die irgendwo am Fuße des Maschuk
geknüpft wurden. Und wirklich athmet hier alles nur Einsamkeit und
Mysterium; die dunkeln Schatten der Lindenalleen, die sich über den
Sturzbach breiten, der bald mit Schaum und Gebrause von Abhang zu Abhang
rast, bald ein Bett sich mitten durch die grünenden Berge wühlt, sowohl,
wie die Schluchten voller Nacht und Schweigen, deren Verzweigungen sich
nach allen Seiten hin erstrecken, -- wie die Frische der aromatischen Luft,
vom Dufte der hohen Gräser des Südens und dem der weißen Akazie
geschwängert, -- wie das ununterbrochene, süß einlullende Rauschen der
kühlen Quellen, die sich am Ende der Ebene begegnen, und nun, wie Freunde
vereint, ihrem Ausflusse in den Podkúmok entgegenfließen. Diesseits ist die
Schlucht breiter und verwandelt sich zuletzt in einen begrünten Hohlweg;
eine staubige Landstraße zieht sich hindurch. So oft ich nach ihr schaue,
will es mich bedünken, als käme ein Wagen, und als schaute ein rosiges
Gesichtchen aus dem Wagenfenster. Wie viele Wagen sind nicht dieses Weges
daher gekommen, aber der noch immer nicht. Das Dörfchen, jenseits der
Festung, ist bevölkert. Aus der Restauration, die wenige Schritte von
meiner Wohnung auf einem Hügel liegt, schimmern des Abends die Lichter
durch die doppelte Pappelreihe; Lärm und Gläserklang ertönen bis in die
späte Nacht.

Nirgends wird so viel Kachetiner (Land-) wein und so viel Mineralwasser
getrunken wie hier.

   Für diese doppelte Vieltrinkerei
   Giebt es der Freunde viel -- doch ich bin nicht dabei.

Gruschnitzki tobt mit seiner Bande fast jeden Tag im Wirthshause; mich
grüßt er fast nicht mehr.

Er ist gestern erst angekommen; trotzdem ist es ihm bereits gelungen sich
mit drei alten Herren zu verzanken, die das Bad vor ihm nehmen wollten; --
wahrlich, das Unglück entwickelt in ihm den kriegerischen Geist.


Den 22sten Juni.

Endlich sind sie angekommen. Ich saß am Fenster, als ich das Gerassel ihrer
Equipagen hörte; mein Herz klopfte laut . . . Was bedeutet das? Wäre ich
wirklich verliebt? Ich bin so dumm beschaffen, daß man es wohl von mir
erwarten könnte.

Ich dinirte bei ihnen. Die Fürstin sah mich sehr zärtlich an, geht aber
ihrer Tochter nicht von der Seite . . . Abscheulich! Wära hingegen ist in
voller Eifersucht gegen die Fürstin -- habe ich doch endlich diese
Seligkeit erstrebt! Was thut ein Weib nicht, um ihre Rivalin zu kränken?
Ich erinnere mich, daß die eine sich in mich verliebte, weil ich eine
andere liebte. Es giebt nichts Paradoxeres als den weiblichen Geist: es ist
schwer, ein Frauenzimmer von etwas zu überzeugen; man muß sie dahin
bringen, daß sie sich selbst überzeuge. Die Ordnung der Beweise, womit sie
ihre Vorurtheile vernichten, ist höchst originell; will man sich ihre
Dialektik aneignen, so muß man in seinem Geiste alle Schulregeln der Logik
über den Haufen werfen. Zum Beispiel, die gewöhnliche Manier zu folgern
ist:

Dieser Mann liebt mich; ich aber bin verheirathet: folglich darf ich nicht
lieben.

Weibliche Manier:

Ich darf ihn nicht lieben, denn ich bin verheirathet; er liebt mich aber,
-- folglich . . .

Hier folgen einige Punkte, denn der Verstand spricht nicht mehr; hingegen
sprechen meistentheils: die Zunge, die Augen, und in ihrem Gefolge das
Herz, wenn ein solches vorhanden ist.

Wie nun, wenn diese Memoiren jemals einer Dame unter die Augen geriethen?
-- »Verläumdung!« ruft sie mit Entrüstung aus.

Seit Dichter schreiben und Damen sie lesen (wofür wir ihnen die größte
Dankbarkeit weihen), hat man sie so oft Engel genannt, daß sie in ihrer
Herzenseinfalt diesem Complimente wahrhaftig Glauben schenkten, vergessend,
daß diese selben Dichter den Nero für Geld einen Halbgott nannten . . .

Es würde mir übel anstehen, boshaft von ihnen zu sprechen, mir, der ich
außer ihnen auf der Welt nichts lieb habe, mir, der ich immer bereit bin,
ihnen meinen Frieden, meinen Ehrgeiz, mein Leben zu opfern. Allein ich
suche ja auch nicht in einem Anfalle des Grames, oder der beleidigten
Eigenliebe ihnen den Zauberschleier abzureißen, durch welchen nur ein
geübtes Auge dringt. Nein, alles was ich von ihnen sage, ist bloß das
Resultat

   So mancher regen Geistesmühen
   So mancher bittern Herzensqual.

Die Damen sollten eigentlich wünschen, daß alle Männer sie so gut kennten
wie ich, weil ich sie hundertmal mehr liebe, seit ich sie nicht mehr
fürchte und hinter ihre kleinen Schwächen gekommen bin.

Da fällt mir gerade ein, daß Werner vor einigen Tagen die Damen mit dem
verzauberten Walde verglich, von welchem Tasso in seinem »Befreiten
Jerusalem« erzählt.[A] -- »So wie man ihn betritt,« sagte er, »fliegen
einem von allen Seiten solche Schrecken entgegen, daß Gott bewahre:
Pflicht, Stolz, Anständigkeit, öffentliche Meinung, Lächerlichkeit,
Verachtung . . . Man braucht aber nur die Augen zuzumachen und darauf
loszugehen; -- nach und nach verschwinden die Schreckbilder, und eine
stille, freundliche Flur dehnt sich vor Dir aus, in deren Mitte die
grünende Myrthe blüht. Wehe Dir aber, wenn Dein Herz bei den ersten
Schritten bebt und Du Dich zurückziehst!«

[Fußnote A: Canto XVIII.]


Den 24. Juni.

Der heutige Abend war reich an Abenteuern. Ungefähr drei Werst von
Kislowodsk, in der Schlucht, wo der Podkumok dahinfließt, befindet sich ein
Felsen, der _Ring_ genannt, weil er eine von der Natur gebildete Pforte[A]
bildet. Diese erhebt sich auf einem hohen Hügel, und die untergehende Sonne
wirft durch sie ihren letzten glühenden Blick auf die Erde. Eine zahlreiche
Kavalkade hatte sich dahinbegeben, um den Sonnenuntergang durch dieses
Felsenfenster zu betrachten. Die Wahrheit zu gestehen, dachte Keiner von
ihnen an die Sonne. Ich ritt neben der Fürstin Mary; auf dem Rückwege
mußten wir den Podkumok durchreiten. Die Bergflüsse, selbst die
allerkleinsten, sind gefährlich, besonders dadurch, daß ihr Boden ein
wahrhaftiges Kaleidoskop ist: jeden Tag verändert er sich von dem Drucke
(Andrange) der Wogen; wo gestern ein Stein lag, ist heute ein Loch. Ich
nahm das Pferd der Fürstin bei den Zügeln und leitete es ins Wasser, das
ihm nicht bis über die Kniee ging; langsam setzten wir uns stromaufwärts
schräg gegen den Fluß in Bewegung. Es ist bekannt, daß man beim Reiten
durch reißende Gewässer nicht aufs Wasser blicken darf, weil man sogleich
schwindelig wird. Ich hatte vergessen, die Fürstin darauf aufmerksam zu
machen.

[Fußnote A: Aehnlich der Porta Westphalica bei Minden. Anm. d. Uebers.]

Wir waren bereits in der Mitte der reißenden Strömung, als sie plötzlich im
Sattel schwankte. »Mir ist unwohl!« sagte sie mit schwacher Stimme. Rasch
neigte ich mich zu ihr, umfaßte ihre schlanke Taille mit meinem Arme, und
raunte ihr zu: Sehen Sie in die Höhe, Fürstin! es ist nichts, nur sein Sie
nicht furchtsam, ich bin ja mit Ihnen.

Sie fing an sich zu erholen und wollte sich meinem Arme entwinden, ich
umschlang aber ihren zarten, weichen Wuchs noch fester; meine Wangen
berührten fast die ihrigen, von denen es mich glühend anwehte.

»Was beginnen Sie mit mir'! . . . O mein Gott! . . .«

Ich beachtete ihr Zittern und ihre Verwirrung nicht, sondern drückte meine
Lippen auf ihre zarten Wangen; sie erbebte, sagte aber nichts; wir waren
die hintersten: Niemand hatte uns gesehen. Als wir eben das jenseitige Ufer
erreichten, setzten sich die andern in Trab. Die Fürstin hielt ihr Pferd
an; ich blieb neben ihr; offenbar beunruhigte sie mein Schweigen; ich hatte
mir aber versprochen kein Wort zu sagen -- aus reiner Neugierde. Ich wollte
sehen, wie sie sich aus dieser schwierigen Lage herausziehen würde.

»Entweder verachten Sie mich, oder Sie lieben mich ungemein!« sagte sie
endlich mit einer Stimme, in welcher die Thränen klangen. Vielleicht wollen
Sie sich über mich lustig machen, meine Seele nur aufregen, und mich dann
fahren lassen . . . Das wäre ja so nichtswürdig, so niedrig, daß die bloße
Voraussetzung . . . O, nein! Nicht wahr, ich habe nichts an mir, das mir
Ihre Achtung versagte? Ihr kühnes Betragen . . . ich muß, ich muß es Ihnen
verzeihen, weil ich Ihnen erlaubte . . . Antworten Sie mir, sprechen Sie
doch, ich will Ihre Stimme hören! . . .« In den letzten Worten lag eine
solche weibliche Ungeduld, daß ich unwillkührlich lächelte; zum Glücke fing
die Dämmerung an einzubrechen . . . Ich erwiederte nichts.

»Sie schweigen?« fuhr sie fort: so wollen Sie vielleicht daß ich Ihnen
zuerst sage, daß ich Sie liebe? . . .

Ich schwieg.

»Wollen Sie das?« fuhr sie, sich rasch zu mir wendend, fort . . . In der
Entschlossenheit ihres Blickes und ihrer Stimme lag etwas Fürchterliches
. . .

-- Wozu? antwortete ich mit den Achseln zuckend.

Sie schlug ihr Pferd mit der Peitsche und jagte mit verhängten Zügeln auf
dem engen gefährlichen Wege dahin; dies war so rasch vor sich gegangen, daß
ich sie kaum einholen konnte, und zwar erst als sie sich der übrigen
Gesellschaft bereits angeschlossen hatte. Bis zu ihrem Hause blieb sie in
einem Lachen und Sprechen; in ihren Bewegungen lag etwas Fieberhaftes; mich
sah sie nicht ein einziges Mal an. Allen fiel diese ungewöhnliche
Heiterkeit auf. Ihre Mutter freute sich innerlich, so oft sie auf ihr
Töchterchen blickte, das Töchterchen hingegen hatte ganz einfach
Nervenzucken: diese Nacht liegt sie schlaflos und in Thränen! Dieser
Gedanke gewährt mir einen unaussprechlichen Genuß: es giebt Augenblicke in
denen ich die Vampire begreife . . . Bis jetzt gelte ich noch immer für
einen guten Jungen und beute diese Benennung aus!

Nachdem sie vom Pferde gestiegen war, begaben sich die Damen zur Fürstin;
ich war tief aufgeregt und galloppirte in die Berge, um die Gedanken, die
sich in meinem Kopfe drängten, zu zerstreuen. Der thauige Abend athmete
besänftigende Kühle. Der Mond stieg hinter den dunkeln Bergspitzen empor.
Jeder Schritt meines unbeschlagenen Pferdes fand im Schweigen der
Schluchten sein Echo; beim Wasserfall hielt ich still mein Pferd zu
tränken, sog gierig einigemal die frische Luft der südlichen Nacht ein, und
begann den Rückweg. Ich ritt durch das Dörfchen. Die Lichter fingen an hier
und da in den Fenstern zu erlöschen; die Wachen auf der Festung und die
Kosaken der benachbarten Feldwachen riefen sich mit gedehnter Stimme an.

In einem der Häuser des Dörfchens, das am äußersten Ende des Hohlweges
stand, bemerkte ich eine ungewöhnliche Beleuchtung; von Zeit zu Zeit
ertönte ein lautes unzusammenhängendes Stimmengetön, an welchem ich ein
militairisches Gelage erkannte. Ich stieg ab und schlich mich an's Fenster;
eine nicht gut anschließende, vorgestellte Fensterlade erlaubte mir die
Zecher wahrzunehmen und ihre Worte aufzufangen. Man sprach von mir.

Der Dragonerhauptmann, vom Weine erhitzt, schlug mit der Faust auf den
Tisch und forderte die allgemeine Aufmerksamkeit:

»Meine Herren!« sagte er, »das hat keinen Sinn und Verstand. Dem Petschorin
muß man einen Denkzettel geben. Diese Petersburger Flatterer bilden sich
immer so viel ein, bis man ihnen eins derb auf die Nase giebt! Er bildet
sich ein, daß er allein die Welt kennt, weil er immer reine Handschuhe und
geputzte Stiefeln trägt. -- Und was er für ein aufgeblasenes Lächeln hat!
Und dennoch bin ich überzeugt, daß er eine Memme -- eine recht feige Memme
ist!«

»Ich glaube das auch,« sagte Gruschnitzki. »Er liebt es, sich durch einen
Spaß aus der Schlinge zu ziehen. Ich habe ihm einmal solche Dinge gesagt,
daß ein Anderer mich auf dem Flecke zu Boden gehauen hätte, aber Petschorin
zog alles ins Lächerliche. Ich habe ihn natürlich nicht gefordert, denn das
war seine Sache; aber er wollte durchaus nicht anbeißen . . .«

»Gruschnitzki ist böse auf ihn, weil er ihm die Fürstin abspenstig gemacht
hat,« sagte Einer.

»Na, da bitte ich zu grüßen! Ich habe freilich der Fürstin ein wenig die
Cour gemacht, indessen hab ichs gleich wieder dran gegeben, weil ich nicht
heirathen will, und es gegen meine Grundsätze ist, ein junges Mädchen zu
compromittiren.«

»Ja, ich gebe Ihnen die Versicherung, er ist die größte Memme, nämlich
Petschorin und nicht Gruschnitzki, -- Gruschnitzki ist ein braver Junge,
und außerdem mein innigster Freund!« sagte wiederum der Dragonerhauptmann.
-- Meine Herren, nimmt ihn hier Niemand in Schutz? Keiner? Desto besser!
Wollen wir einmal seine Courage auf die Probe stellen? Das wird Sie alle
amüsiren . . .«

»Das wollen wir wohl; aber wie?«

»Ich habe einen Plan; hören Sie: Gruschnitzki ist besonders böse auf ihn;
ihm kommt also die erste Rolle zu! Er zieht die erste beste Dummheit heran
und fordert Petschorin zum Duell . . . Erlauben Sie, erlauben Sie: gerade
hierin liegt der ganze Witz; -- und fordert Petschorin zum Duell. Gut!
Alles dies -- die Herausforderung, die Vorbereitungen, die Bedingungen
müssen so feierlich und schrecklich wie möglich gemacht werden, -- das
übernehme ich; ich werde Dein Sekundant sein, armer Freund! Gut! Aber jetzt
sollt Ihr sehen, wo der Knoten liegt: In die Pistolen laden wir keine
Kugeln; ich stehe Ihnen dafür ein, daß Petschorin Furcht hat -- wir stellen
sie sechs Fuß einander gegenüber; Hol's der Teufel! Sie sind damit
einverstanden meine Herren?«

»Wundervoll ausgedacht! -- Vollkommen einverstanden? Und warum denn nicht?«
ertönte es von allen Seiten.

»Und Du, Gruschnitzki?«

Mit Spannung harrte ich der Antwort Gruschnitzki's. -- Eine kalte Wuth
durchzuckte mich bei dem Gedanken, daß ich ohne diesen Zufall diesen Narren
ein Gegenstand des Spottes hätte werden können. Wenn Gruschnitzki nicht
einwilligte, so hätte ich mich ihm an den Hals geworfen. Allein nach kurzem
Schweigen erhob er sich von seinem Platze, streckte dem Hauptmann seine
Hand entgegen und sagte mit vieler Wichtigkeit: »Gut, ich bin damit
einverstanden.«

Das Entzücken der ganzen verehrlichen Gesellschaft läßt sich schwer
beschreiben.

Ich kehrte nach Hause zurück, von zwei verschiedenartigen Gefühlen bewegt.
Das eine war Traurigkeit -- »Warum hassen sie mich doch alle?« dachte ich,
-- »warum? Habe ich irgend einem von ihnen etwas zu Leide gethan? Nein.
Oder gehöre ich in die Reihe derjenigen Menschen, deren bloßer Anblick
bereits Widerwillen erregt?« Und sodann fühlte ich, wie ein giftiger Grimm
allmälig meine ganze Seele erfüllte. »Nehmen Sie sich in Acht, Herr
Gruschnitzki!« rief ich aus, indem ich in meinem Zimmer auf und ab schritt:
»so lasse ich mit mir nicht spielen. Der Beifall Ihrer stupiden Kameraden
kann Ihnen theuer zu stehen kommen! Ich bin kein Spielzeug für Sie! . . .

Ich that die ganze Nacht kein Auge zu. Gegen Morgen war ich gelb wie eine
Pomeranze.

Des Morgens früh begegnete ich der Fürstin am Brunnen.

»Sind Sie krank?« fragte sie, indem sie mich durchdringend anblickte.

-- Ich habe die Nacht nicht geschlafen.

»Ich auch nicht . . . Ich beschuldigte Sie . . . vielleicht . . . mit
Unrecht? -- Aber so erklären Sie sich, ich kann Ihnen alles verzeihen
. . .«

-- Alles?

»Alles . . . aber sagen Sie die Wahrheit, und schnell . . . Sehen Sie, ich
habe hin und hergedacht, und mich bemüht, mir Ihr Betragen zu erklären, es
zu entschuldigen; vielleicht fürchten Sie Hindernisse von Seiten meiner
Familie . . . Das will nichts sagen: besonders wenn Sie erst wissen, --
(ihre Stimme fing an zu zittern) ich will sie schon erbitten. Oder sollte
Ihre eigene Lage? O, so wissen Sie, daß ich Alles, Alles für den zu opfern
bereit bin, den ich liebe . . . O, antworten Sie schnell, -- haben Sie
Mitleid . . . Nicht wahr, Sie verachten mich nicht?«

Sie ergriff meine Hand.

Ihre Mutter ging mit Wära's Gemahl voran und sah von allem nichts; allein
wir wurden von den spazierengehenden Kranken, den allerneugierigsten
Klätschern aller Neugierigen, gesehen, und so befreite ich meine Hand
schnell von ihrem leidenschaftlichen Drucke.

-- Ich werde Ihnen die ganze Wahrheit sagen,« erwiederte ich der Fürstin;
ich werde meine Schritte weder entschuldigen, noch erklären: Ich liebe Sie
_nicht_.«

Ihre Lippen erbleichten.

»Verlassen Sie mich, sagte sie kaum hörbar.

Ich zuckte die Achseln, wandte mich um und ging fort.


Den 25. Juni.

Bisweilen verachte ich mich . . . kommt es vielleicht daher, daß ich auch
die Andern verachte? . . . Ich war der edelmüthigen Regungen nicht fähig;
ich fürchte mich, dadurch selbst lächerlich zu werden. Ein Anderer hätte an
meiner Stelle der Fürstin son cocur et sa fortune angeboten; allein über
mich hat das Wort _heirathen_ eine Art zauberischer Gewalt: wie
leidenschaftlich ich auch ein Frauenzimmer liebe, sobald sie mir nur zu
verstehen giebt, daß ich sie heirathen soll -- Adieu Liebe! mein Herz wird
zu Stein, und nichts vermag es auf's Neue zu beleben. Zu allen Opfern bin
ich bereit, nur nicht zu diesem; zwanzigmal lieber stelle ich mein Leben,
ja meine Ehre auf die Karte, aber meine Freiheit verkaufe ich nicht.
Weshalb halte ich sie für so kostbar? Was finde ich in ihr? Wohin flüchte
ich mich dereinst? Was erwarte ich von der Zukunft? . . . In der That ganz
und gar nichts. -- Es ist bei mir eine feindselige Furcht, ein
unerklärliches Vorgefühl . . . Giebt es doch Leute, welche sich gegen ihren
Willen vor Spinnen, Schaben und Mäusen fürchten . . . Und soll ich es ganz
gestehen? Als ich noch ein Knabe war, legte ein altes Weib meiner Mutter
über mich die Karte. Sie wahrsagte mir _Tod in Folge meiner bösen Frau_;
das hat mich damals schon tief ergriffen; in meiner Seele entstand eine
unüberwindliche Abneigung gegen die Ehe . . . Trotzdem sagt mir etwas, daß
ihre Wahrsagung in Erfüllung gehen wird; aber Mühe will ich mir wenigstens
geben, daß dies so spät wie möglich geschehe.


Den 26. Juni.

Gestern kam der Taschenspieler Apfelbaum hier an; An den Thüren der
Restauration ist eine lange Affische angeschlagen, welche das hochverehrte
Publikum benachrichtigt, daß der obengenannte berühmte Taschenspieler,
Akrobat, Professor der Chemie und Optik, die Ehre haben wird, heute Abend
um 8 Uhr im adligen Saale -- sonst Restauration -- eine brillante
Vorstellung zu geben; Billete sind zu haben zum Preise von zwei und einem
halben Rubel.

Alle haben sich verabredet, den berühmten Taschenspieler zu sehen; sogar
die Fürstin Ligoffska, obgleich ihre Tochter krank ist, hat für sich ein
Billet genommen.

Nach dem Mittagessen ging ich vor Wära's Fenster vorüber; sie saß allein
auf dem Balkone; ein Zettelchen fiel vor meinen Füßen auf die Erde:

»Komm heut Abend um zehn Uhr zu mir; Du kannst die Paradentreppe
heraufkommen; mein Mann ist nach Pätigorsk gereist und kehrt erst morgen
früh zurück. Von meinen Leuten wird Niemand zu Hause sein, ich habe ihnen
allen Billete gegeben, sogar denen der Fürstin. -- Ich erwarte Dich; komme
unbedingt.«

-- Aha! dachte ich, endlich kommt es doch, wie ich es wünschte.

Um acht Uhr ging ich zum Taschenspieler. Das Publikum versammelte sich
gegen das Ende der neunten Stunde; die Vorstellung begann. In den letzten
Stuhlreihen erkannte ich die Lakaien und Kammermädchen Wära's und der
Fürstin. Es fehlte auch nicht Einer. Gruschnitzki saß in der vordersten
Reihe, mit seiner Lorgnette bewaffnet. Der Taschenspieler wandte sich stets
an ihn, so oft er ein Schnupftuch, eine Uhr, einen Ring und dergl. mehr
brauchte.

Gruschnitzki grüßt mich schon seit einiger Zeit nicht mehr, aber heute sah
er mich sogar recht frech an. Gut, ich werde Allem Rechnung tragen, wenn
unser Abrechnungstermin wird gekommen sein.

Kurz vor zehn stand ich auf und ging.

Auf dem Hofe war es so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht sehen
konnte. Schwere dunkle Gewölke hingen auf den Spitzen der nahen Berge; nur
dann und wann rauschte ein ersterbendes Windchen in den Kronen der Pappeln,
welche die Restauration umstehen; an den Fenstern drängte sich das Volk.
Ich ging die Anhöhe hinab und, nachdem ich mich aus der Thür gestohlen
hatte, ging ich raschen Schrittes voran. Plötzlich schien es mir, als hörte
ich Jemanden hinter mir. Ich blieb stehen und blickte rund um mich. Es war
unmöglich, in der Finsterniß irgend etwas zu erkennen; doch ging, ich, der
Vorsicht wegen, gleichsam spazieren gehend, einige Male um das Haus. Als
ich an den Fenstern der Fürstin vorüberging, hörte ich abermals Tritte
hinter mir; ein Mann, in einen Mantel gehüllt, ging eilig an mir vorüber.
Dies fing an mich zu beunruhigen. Indessen gelangte ich an den Perron und
eilte schnell die dunkle Treppe hinauf. Die Thür ging auf; eine kleine Hand
ergriff die meinige . . .

»Es hat Dich doch Niemand gesehen?« flüsterte Wära leise, indem sie mich an
sich zog.

-- Niemand.

»Glaubst Du jetzt, daß ich Dich liebe? O, ich habe lange geschwankt, lange
mit mir selbst gekämpft . . . aber Du machst nun einmal alles aus mir, was
Du willst . . .«

Ihr Herz schlug heftig, ihre Hände waren kalt wie Eis. Nun begannen die
Vorwürfe der Eifersucht, die Klagen; sie forderte von mir, daß ich alles
gestehen solle, und sagte, daß sie meine Treulosigkeit mit Ergebenheit
ertragen würde, da sie ja nichts wolle als mein Glück einzig und allein.
Ich glaubte nicht ganz daran, beruhigte sie indessen durch Schwüre,
Versprechungen u. s. w. u. s. w.

»Also willst Du Mary nicht heirathen? Du liebst sie nicht? Und sie glaubt
. . . weißt Du wohl, daß sie Dich bis zum Wahnsinn liebt, die arme Seele!«
--

                   *       *       *       *       *

Gegen zwei Uhr Mitternacht öffnete ich das Fenster, knüpfte zwei Shawls
zusammen, und glitt an den Säulen vom obern Balkon auf den niedern hinab.
Bei der jungen Fürstin brannte noch Licht. Eine unsichtbare Macht fesselte
mich an ihr Fenster. Der Vorhang war nicht ganz herabgelassen, so daß ich
meinen neugierigen Blick im Innern des Zimmers herumschweifen lassen
konnte. Mary saß im Bette aufrecht, die Arme über die Kniee gekreuzt; ihr
volles Haupthaar war unter eine Nachthaube aufgeschürzt, die mit Spitzen
garnirt war; ein großes Ponceau-Halstuch umhüllte ihre weißen Schultern,
ihr kleines Füßchen war in bunten, persischen Pantoffeln versteckt. Sie saß
unbeweglich, den Kopf auf die Brust gesenkt; neben ihr auf einem Tischchen
lag ein aufgeschlagenes Buch; allein ihre Augen, unbeweglich und mit einem
unaussprechlichen Grame erfüllt, schienen schon zum hundertsten Male eine
und dieselbe Seite zu überlaufen, während ihre Gedanken fern waren . . .

In diesem Augenblicke regte sich etwas im Gebüsche. Ich sprang vom Balkon
auf den Rasen. Eine unsichtbare Hand ergriff mich an der Schulter. »Aha!«
sagte eine grobe Stimme: »hab' ich Dich erwischt! Ich werde Dich lehren,
des Nachts zu schönen Fürstinnen zu gehen! . . .«

-- Halte ihn fest! schrie ein anderer, der aus einem Winkel
herbeigesprungen kam.

Es war Gruschnitzki und der Dragonerhauptmann.

Mit einem fürchterlichen Faustschlag auf den Kopf warf ich den Letztern
nieder und stieß ihn mit einem Fußtritte vor mir in's Gebüsch. Alle Fußwege
des Gartens, welcher den sanften Abhang zwischen unsern Häusern bedeckte,
waren mir bekannt.

»Diebe! Wache!« schrieen sie . . . ein Schuß ertönte; der rauchende
Pfropfen fiel fast zu meinen Füßen.

Innerhalb einer Minute war ich schon in meinem Zimmer, zog mich rasch aus
und legte mich. Kaum hatte mein Diener die Thür zugeschlossen, als
Gruschnitzki und der Kapitain schon bei mir anklopften.

»Petschorin! Schlafen Sie? Sind Sie zu Hause?« rief der Kapitain.

-- Freilich schlafe ich, antwortete ich verdrießlich.

»Stehen Sie auf! -- Diebe! . . . Tscherkessen! . . .«

-- Ich hab' den Schnupfen, antwortete ich, und fürchte mich zu erkälten.

Sie entfernten sich. Vergebens hatte ich ihrem Rufe geantwortet; sie
suchten mich noch eine Stunde lang im Garten. Unterdessen war ein
fürchterlicher Lärm entstanden. Aus der Festung kam ein Kosak
herbeigesprengt. Alles war in Alarm, jeder suchte die Tscherkessen in jedem
Busche und fand natürlich nichts. Viele aber waren höchst wahrscheinlich
der festen Ueberzeugung, daß wenn die Garnison mehr Tapferkeit und
Schnelligkeit entwickelt hätte, wenigstens einige zwanzig Stück von den
Räubern auf dem Platze geblieben wären. --


Den 27. Juni.

Heute Morgen war am Brunnen von nichts anderem die Rede als von dem
nächtlichen Anfalle der Tscherkessen. Ich trank die vorgeschriebene
Gläserzahl Narsan, ging ein Dutzend Mal die lange Lindenallee auf und ab,
und begegnete Wära's Gemahle, der so eben von Pätigorsk zurückgekommen war.
Er faßte mich unter den Arm, und wir gingen in die Restauration, um zu
frühstücken; er war in großer Angst um seine Frau. »Wie sie sich diese
Nacht erschreckt hat!« sagte er: »muß doch gerade so etwas vorfallen, wenn
ich nicht hier bin.« Wir setzten uns zum Frühstück nahe an die Thür, welche
zum Eckzimmer führt, in welchem an zehn junge Leute waren, unter denen auch
Gruschnitzki sich befand. Das Schicksal gewährte mir zum zweiten Male die
Gelegenheit ein Gespräch zu überhören, welches über seine Zukunft
entscheiden sollte. Er konnte mich nicht sehen und aus diesem Grunde konnte
ich bei ihm keine bestimmte Absicht voraussetzen; allein dies erhöhte eben
seine Schuld in meinen Augen.

»Sollten es denn wirklich Tscherkessen gewesen sein?« sagte Jemand, »hat
irgend Einer sie gesehen?«

-- Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, erwiederte Gruschnitzki, aber ich
muß Sie bitten mich nicht zu verrathen; die Geschichte hängt so zusammen:
Gestern Abend kommt ein Mann, den ich Ihnen nicht näher bezeichne, zu mir
und erzählt mir, daß er in der zehnten Stunde gesehen habe, wie sich Jemand
ins Haus der Fürstin Ligoffska geschlichen. Nun müssen Sie wohl bemerken,
daß die Fürstin hier und nur ihre Tochter zu Hause war. Wir geschwind mit
ihm unter das Fenster der Fürstin, um den Glücklichen zu bewachen.

Ich gestehe, daß ich nicht wenig erschrak, obgleich mein Nachbar ungemein
mit seinem Frühstück beschäftigt war; er konnte, wenn Gruschnitzki eben so
gut die Wahrheit errathen hätte, Dinge hören, die ihn ziemlich unangenehm
berührt haben müßten; allein von der Eifersucht verblendet, ahnte er den
wahren Zusammenhang nicht einmal.

-- Also, sehen Sie, wir gingen dahin und nahmen ein Gewehr mit, das
übrigens nur blind geladen war, bloß um zu erschrecken. Bis zwei Uhr
warteten wir im Garten. Endlich kam er, Gott weiß woher, zum Vorschein --
aus dem Fenster kann er nicht gekommen sein, denn es war nicht aufgegangen,
er muß also aus der Glasthüre, die hinter den Säulen liegt, gekommen sein;
-- also endlich, sage ich, sehen wir Jemand auf dem Balkone gehen . . .
Eine schöne Fürstin? he? Nun, das muß ich gestehen, das sind Moskauer
Gewohnheiten! Wem soll man hier noch vertrauen? Wir wollten ihn ergreifen,
aber er riß sich los und warf sich wie ein Hase ins Gebüsch; da schoß ich
ihm nach . . . .

Ein Gemurmel der Ungläubigkeit erhob sich um Gruschnitzki . . .

-- Sie glauben es nicht? fuhr er fort: ich gebe Ihnen mein heiliges
Ehrenwort, daß alles die nackte Wahrheit ist, und zum Beweise will ich
Ihnen sogar den saubern Herrn nennen. --

»Sprich, sprich, wer ist es?« ertönte es von allen Seiten.

-- Petschorin, antwortete Gruschnitzki.

In diesem Augenblicke hob er die Augen auf -- ich stand vor ihm in der
Thüre; er wurde feuerroth. Ich ging auf ihn zu und sagte langsam und
vernehmlich:

»Es thut mir sehr leid, daß ich erst eingetreten bin, nachdem Sie bereits
Ihr Ehrenwort zur Bekräftigung der allerabscheulichsten Verläumdung
verpfändet haben; meine Gegenwart würde Ihnen eine überflüssige
Niederträchtigkeit erspart haben.«

Gruschnitzki sprang von seinem Platze auf und wollte hitzig werden.

»Ich fordere Sie auf,« fuhr ich mit derselben Stimme fort, »sogleich Ihre
Worte zu widerrufen. Sie wissen selbst recht gut, daß alles leere Erfindung
ist. Ich habe nie geglaubt, daß eine Dame, die gegen Ihre glänzenden
Eigenschaften, gleichgültig ist, eine so abscheuliche Rache verdient hätte.
Ueberlegen Sie es wohl: bleiben Sie bei Ihrer Meinung, so verlieren Sie das
Recht auf den Namen eines ehrlichen Mannes und setzen Ihr Leben auf's
Spiel.«

Gruschnitzki stand mit gesenktem Blicke vor mir; er war in einer großen
Aufregung. Allein der Kampf zwischen Gewissenhaftigkeit und Eitelkeit
dauerte nicht lange. Der Dragonerhauptmann, der neben ihm saß, stieß ihn
mit dem Ellenbogen an; er fuhr auf und antwortete schnell, ohne mich
anzusehen:

-- Mein gnädiger Herr, wenn ich etwas sage, so denke ich es auch und bin
bereit es zu wiederholen . . . Vor Ihren Drohungen fürchte ich mich nicht,
und bin auf alles gefaßt.

»Das Letzte haben Sie bereits bewiesen,« antwortete ich ihm kalt, indem ich
den Dragonerhauptmann unter den Arm faßte und mit ihm das Zimmer verließ.

-- Was ist gefällig? fragte der Kapitain.

»Sie sind Gruschnitzki's Freund und werden wahrscheinlich sein Sekundant
sein?«

Der Kapitain verneigte sich mit Wichtigkeit.

-- Sie haben es getroffen, erwiederte er, es ist sogar meine Pflicht sein
Sekundant zu sein, weil die ihm zugefügte Beleidigung sich auch auf mich
bezieht; ich war die vergangene Nacht mit ihm, setzte er hinzu, seinen
krummen Rücken aufrichtend.

»So? Also waren Sie das, dem ich den hübschen Schlag über den Kopf
versetzte? . . .«

Er wurde gelb und blau im Gesicht; eine unterdrückte Bosheit drückte sich
in seinem Gesichte aus.

»Ich werde die Ehre haben, Ihnen heute meinen Sekundanten zuzuschicken,«
fügte ich hinzu, indem ich ihn artig begrüßte und so that, als ob ich seine
Wuth gar nicht bemerkte. --

Auf dem Perron der Restauration traf ich den Gemahl Wära's. Dem Anscheine
nach erwartete er mich.

Er ergriff meine Hand mit einer Wärme, die an Entzücken streifte.

»Edler, junger Mann,« sagte er mit Thränen in den Augen, »ich habe alles
mit angehört. Solch ein Bube, solch ein Lump! Und solche Leute soll man in
einem ordentlichen Hause aufnehmen! Gott sei Dank, daß ich keine Kinder
habe! Sie aber wird Die belohnen, für die Sie Ihr Leben einsetzen. -- Sein
Sie überzeugt von meiner Verschwiegenheit, bis alles vorbei ist,« fuhr er
fort, »ich war auch einst jung und habe gedient, und weiß, daß man sich in
solche Dinge nicht mischen darf. Empfehl' mich Ihnen.«

Der arme Schlucker! Freut sich, daß er keine Töchter hat . . . Ich ging
sofort zu Werner, fand ihn zu Hause und erzählte ihm alles -- meine
Beziehungen zu Wära und zur Fürstin, so wie das Gespräch, das ich überhört
und aus welchem ich die Absicht dieser Narren erkannt hatte, mich zum
Besten zu haben und mich mit einer blinden Ladung schießen zu lassen. Jetzt
aber nahm die Sache eine ernstere Wendung: eine solche Lösung hatten sie
wahrscheinlich nicht erwartet.

Der Doktor willigte ein mein Sekundant zu sein; ich gab ihm einige
Anweisungen in Betreff der Bedingungen des Duells; er sollte vor Allem
darauf bestehen, daß die Sache so geheim gehalten würde wie möglich; denn
war ich schon bereit mich jeden Augenblick dem Tode zu unterziehen, so
hatte ich doch nicht im Geringsten Lust, meine Zukunft auf dieser Welt auf
ewig zu verderben. --

Hierauf begab ich mich nach Hause. Nach einer Stunde kam der Doktor von
seiner Expedition zurück.

»Gegen Sie ist wirklich eine Verschwörung im Werke,« sagte er. »Ich fand
bei Gruschnitzki den Dragonerhauptmann und noch einen Herrn, dessen Name
mir nicht gleich einfällt. Ich blieb eine Minute lang im Vorzimmer stehen,
um meine Kaloschen auszuziehen. Drinnen war ein fürchterliches Lärmen und
Streiten . . . »Für nichts in der Welt willige ich jetzt ein,« sagte
Gruschnitzki, »er hat mich öffentlich beleidigt; damals war es ganz etwas
anders.« -- »Nun, was geht das Dich an,« meinte der Kapitain, »wenn ich
doch Alles auf mich nehme. Ich war Sekundant in fünf Duellen und weiß schon
wie man das anfängt. Ich habe mir bereits alles ausgedacht; ich bitte,
störe mich in nichts; es kann gar nichts schaden, ihn ein wenig
einzuschüchtern. Und dann -- warum wolltest Du Dich einer Gefahr aussetzen,
wenn man sie vermeiden kann? . . .« In diesem Augenblicke trat ich ein; sie
schwiegen plötzlich still. -- Unsere Unterhandlungen dauerten ziemlich
lange; endlich kamen wir in Folgendem überein: Ungefähr fünf Werst von hier
ist eine tiefe Schlucht; sie gehen morgen früh um vier Uhr dahin ab, wir
folgen eine halbe Stunde später; Ihr schießt Euch auf sechs Fuß Distanz --
Gruschnitzki hat es selbst so gefordert; der Getödtete kommt auf Rechnung
der Tscherkessen. -- Mir ist aber noch ein Verdacht gekommen: sie, ich
meine die beiden Sekundanten, haben ihren frühern Plan in etwas verändert,
und wollen nur die Pistole Gruschnitzki's mit einer Kugel laden. Das sieht
denn doch gerade aus wie Todtschlag; in Kriegszeiten und besonders in einem
asiatischen Kriege lass' ich etwas List wohl gelten, aber ich halte
Gruschnitzki doch für honneter als seine Gefährten. Was meinen Sie? Sollen
wir ihnen zeigen, daß wir sie durchschaut haben?

-- Für nichts auf der Welt, Doktor! Sein Sie ganz ruhig; ich lass' mich
nicht anführen.

»Was wollen Sie eigentlich thun?«

-- Das ist mein Geheimniß.

»Ueberlegen Sie wohl, welcher Gefahr Sie sich aussetzen . . . auf sechs
Schritte!«

-- Doktor, ich erwarte Sie morgen um vier Uhr; die Pferde werden bereit
stehen . . . Adieu!

Ich blieb bis gegen Abend zu Hause und schloß mich in meinem Zimmer ab. Ein
Lakai der Fürstin kam, mich zu ihr zu bitten, -- ich ließ sagen, ich wäre
krank.

                   *       *       *       *       *

Es ist zwei Uhr des Nachts . . . ich kann nicht schlafen. Und doch müßte
mich der Schlaf etwas stärken, damit morgen meine Hand nicht zittert.
Uebrigens ist es schwer auf sechs Schritt fehlzuschießen. Ha, mein Herr
Gruschnitzki, Ihre Mystification soll Ihnen nicht gelingen . . . wir werden
unsere Rollen wechseln; jetzt kommt es mir zu, auf Ihrem bleichen Gesichte
die Zeichen der geheimen Furcht aufzusuchen. Warum haben Sie selbst diese
verhängnißvollen sechs Fuß bestimmt? Glauben Sie etwa, ich würde Ihnen ohne
Weiteres meine Stirne darbieten? . . . Nein, wir werfen das Loos! und dann
. . . dann . . . wie aber, wenn ihn das Glück begünstigt, wenn mein Stern
mich endlich verließe? . . . Und wie leicht könnte dies sein; diente er
doch solange schon meinen Launen . . .

Wie? sterben? So sterben? Für die Welt freilich kein großer Verlust; und
mir selbst ist es auf ihr auch schon ziemlich langweilig. Ich komme mir vor
wie Jemand, der auf einem Balle gähnt, der aber bloß deshalb noch nicht
schlafen geht, weil sein Wagen noch nicht da ist. Jetzt ist der Wagen da
. . . Adieu! . . .

Ich überschaue im Gedächtniß meine ganze Vergangenheit, und frage mich
unwillkührlich: Warum habe ich gelebt? Zu welchem Zwecke wurde ich geboren?
Wahrscheinlich hat doch ein solcher existirt, wahrscheinlich war meine
Bestimmung eine erhabene, denn ich fühle in meiner Seele unermeßliche
Kräfte . . . Ich habe nur diese Bestimmung nicht errathen, sondern ließ
mich von den Lockungen leerer und undankbarer Leidenschaften fortreißen;
aus ihrem Schmelzofen kam ich fest und kalt wie Eisen hervor, aber hatte
auch für immer jedes edle Streben -- die schönste Blüthe des Lebens --
verausgabt. Und wie oft habe ich seit jener Zeit die Rolle des Beiles in
den Händen des Schicksals gespielt! Gleich dem Instrumente des
Hochgerichtes fiel ich auf das Haupt der geweihten Opfer, oft ohne Bosheit,
immer ohne Mitleid . . . Meine Liebe hat Niemandem Glück gebracht, weil ich
denen, die ich liebte, niemals etwas geopfert habe: ich liebte meinetwegen,
zu meinem eigenen Vergnügen; ich genügte nur dem seltsamen Bedürfniß meines
Herzens, und saugte mit Begier ihre Gefühle, ihre Zärtlichkeit, ihre
Freuden und Leiden auf -- und konnte mich niemals sättigen. So sieht ein
vom Hunger Gequälter, den die Entkräftung in den Schlaf gesenkt hat, im
Traume die üppigsten Speisen und schäumendsten Weine; mit Entzücken
verschlingt er die lustigen Gerichte seiner Einbildungskraft und er fühlt
sich leichter; kaum aber ist er erwacht -- sein Bild verschwindet, und es
bleibt ihm nichts als doppelter Hunger und doppelte Verzweiflung!

Morgen sterbe ich vielleicht . . . und auf der Welt ist kein einziges
Wesen, das mich ganz verstanden hätte. Die Einen halten mich für
schlechter, die Andern für besser als ich wirklich bin . . . Die Einen
sagen: er war ein guter Junge, die Andern -- er war ein
verabscheuungswürdiger Mensch. Und das eine wie das andere ist falsch. Ist
es nach alle dem noch der Mühe werth zu leben? Und doch lebt man -- aus
Neugierde: man erwartet stets etwas Neues . . . Es ist lächerlich und
traurig. --

                   *       *       *       *       *

Seit anderthalb Monaten bin ich bereits in der Festung N. -- Maksim
Maksimitsch, der Kommandeur der Festung, ist auf die Jagd gegangen . . .
ich bin allein und sitze am Fenster; graue Wolken haben die Berge ganz und
gar überzogen; die Sonne sieht durch den Nebel wie ein gelber Flecken aus.
Es ist kalt; der Wind pfeift und rüttelt an den Fensterladen . . .
Langweilig! -- ich werde mein Journal, das von so vielen seltsamen
Ereignissen unterbrochen wurde, weiter fortführen.

Ich überlese die letzte Seite: lächerlich! -- Ich glaubte zu sterben; das
war unmöglich: ich habe den Becher des Leidens noch nicht geleert und jetzt
fühle ich, daß ich noch lange leben werde.

Wie alles Vergangene sich so scharf und klar in meinem Gedächtniß abgoß!
Nicht einen Zug, nicht eine Nüance hat die Zeit verwischt!

Ich erinnere mich, daß ich im Verlauf der ganzen Nacht die dem Duell
voranging, nicht eine Minute geschlafen habe. Schreiben konnte ich nicht
lange: eine geheime Unruhe hatte sich meiner bemächtigt. Eine ganze Stunde
lang ging ich im Zimmer auf und ab; alsdann setzte ich mich und öffnete
einen Roman Walter Scott's, der gerade auf meinem Tische lag. Es waren »die
Puritaner von Schottland.« Anfangs las ich nur mit Anstrengung, vergaß mich
aber bald, von der wunderbaren Dichtung fortgerissen.

Endlich fing es an zu tagen. Meine Nerven beruhigten sich. Ich blickte in
den Spiegel; eine trübe Blässe überzog mein Gesicht, welches die Spuren der
angreifenden Schlaflosigkeit trug; allein meine Augen, obgleich von einem
braunen Ringe umgeben, glänzten stolz und unermüdet. Ich war mit mir selbst
zufrieden.

Nachdem ich befohlen hatte die Pferde zu satteln, zog ich mich an und eilte
ins Bad. Ich tauchte mich in ein abgekältetes Bad der Narsanischen
Heißquelle und fühlte bald, wie die Körper- und Geisteskräfte mir auf's
Neue zuströmten. Ich stieg aus der Wanne so frisch und keck, als bereitete
ich mich zu einem Balle vor. Hiernach sage mir Jemand, daß die Seele nicht
vom Körper abhinge! . . .

Bei meiner Rückkehr vom Bade fand ich schon den Doktor bei mir wartend. Er
trug graue Reithosen, einen Archaluk[A] und eine Tscherkessenmütze. Ich
lachte laut auf, als ich die kleine Figur unter dieser enormen Zottelmütze
erblickte; er hat so schon gar kein kriegerisches Gesicht, aber diesmal war
es noch länger als gewöhnlich.

-- Warum sind Sie so traurig, Doktor? fragte ich ihn. -- Haben Sie nicht
schon hundertmal die Leute mit dem allergrößten Gleichmuthe nach jener Welt
begleitet? Bilden Sie sich ein, ich hätte ein Gallenfieberchen; ich kann
wieder hergestellt werden, kann aber auch dran sterben; das eine wie das
andere liegt in der Ordnung der Dinge; bemühen Sie sich, mich wie einen
Patienten zu betrachten, der von einer Ihnen noch unbekannten Krankheit
befallen ist, -- dann kann Ihre Neugierde im höchsten Grade angeregt
werden; Sie können an mir einige merkwürdige physiologische Beobachtungen
anstellen . . . Denn die Erwartung eines gewaltsamen Todes ist doch wohl
schon eine wirkliche Krankheit?

Dieser Gedanke frappirte den Doktor und er wurde wieder heiterer.

Wir setzten uns zu Pferde; Werner klammerte sich mit beiden Händen an die
Zügel, und wir machten voran, -- im Nu waren wir an der Festung vorüber,
durch das Dörfchen und ritten in die Schlucht, durch welche sich ein mit
hohem Grase halbverwachsener Weg dahinzog und die alle Augenblicke von
einem rauschenden Bache durchschnitten wurde, welchen wir dann zur großen
Verzweiflung des Doktors zu Pferde durchschwimmen mußten, weil sein Pferd
jedes Mal im Wasser stehen blieb.

[Fußnote A: Ein kurzes gestepptes, gewöhnlich seidenes Wamms.]

Ich erinnere mich keines blaueren und frischeren Morgens. Die Sonne guckte
kaum hinter den grünen Bergspitzen hervor und das Verschmelzen der ersten
Wärme ihrer Strahlen mit dem dahinsterbenden Nachtfroste brachte über alle
Gefühle eine gewisse süße Ermattung; in die Schlucht war noch kein Strahl
des jungen Tages gedrungen; er vergoldete nur die Spitzen der Felsen,
welche von beiden Seiten über uns drohten; dichtbelaubte Gebüsche, in den
tiefen Spalten der Felsen ihre Nahrung findend, überschütteten uns beim
leisesten Windhauche mit ihrem Silberregen. Ich erinnere mich wohl, daß ich
diesmal mehr wie je zuvor die Natur liebte. Mit welchem Interesse
betrachtete ich jeden Thautropfen, der zitternd an einem breiten
Weinrebenblatte hing und Millionen von Regenbogenstrahlen widerspiegelte!
Wie gierig dürstete mein Blick, die dampfende Ferne zu durchdringen! Dort
wurde der Pfad immer enger und enger, die Felsenmassen immer blauer und
furchtbarer, zuletzt in eine undurchdringliche Wand zusammenschmelzend! Wir
ritten schweigend nebeneinander.

»Haben Sie Ihr Testament gemacht?« fragte plötzlich Werner.

-- Nein.

»Wenn Sie nun aber fallen? . . .«

-- Meine Erben werden sich schon einfinden.

»So hätten Sie keinen Freund, dem Sie ein letztes Lebewohl zurufen
wollten?«

Ich schüttelte mit dem Kopfe.

»Keine Dame wäre auf der Welt, der Sie ein letztes Liebeszeichen
hinterlassen möchten?«

-- Soll ich Ihnen, lieber Doktor, meine Seele erschließen? antwortete ich
ihm . . . Sehen Sie, ich habe jene Jahre hinter mir, in welchen man
sterbend den Namen seiner Geliebten ausruft und seinem Freunde eine Locke
pommadirter oder nicht pommadirter Haare vermacht. Wenn ich an den nahen,
möglichen Tod denke, so denke ich nur an mich selbst: wie mancher thut das
nicht. Die Freunde, welche morgen mich vergessen, oder, was noch schlimmer
ist, auf meine Rechnung Gott weiß was für ungereimtes Zeug aussprengen; die
Damen, welche in der Umarmung eines andern über mich lachen werden, damit
sie in ihm ja nicht die Eifersucht gegen einen Verstorbenen wach rufen, --
Gott mit ihnen! . . . Aus dem Sturme des Lebens habe ich nur einige Ideen,
aber kein einziges Gefühl übrig behalten; schon längst lebe ich nicht mehr
mit dem Herzen, sondern mit dem Kopfe. Ich wäge und analysire meine eigenen
Leidenschaften und Schritte mit strenger Neugier aber ohne Theilnahme. In
mir sind zwei Menschen: der eine lebt, im vollsten Sinne dieses Wortes, der
andere denkt und beurtheilt ihn; der erste sagte Ihnen und der Welt schon
in einer Stunde auf ewig Lebewohl; aber der andere . . . der andere?
. . . Sehen Sie doch, Doktor, bemerken Sie nicht, wie auf jenem Felsen dort
rechts drei Figuren auftauchen? Es scheinen unsere Gegner zu sein? . . .

Wir beschleunigten unsern Ritt.

Am Fuße des Felsens, im Gebüsche, standen drei Pferde angebunden; wir
banden die unsrigen ebendaselbst an und stiegen auf einem engen Pfade zu
dem freien Plätzchen empor, wo Gruschnitzki mit dem Dragonerhauptmann und
seinem zweiten Sekundanten uns erwarteten. Sie nannten ihn Iván
Ignátjewitsch; seinen Familiennamen habe ich nie gehört.

»Wir erwarten Sie schon längst,« begann der Dragonerhauptmann mit einem
ironischen Lächeln.

Ich zog die Uhr hervor und zeigte sie ihm.

Er entschuldigte sich, daß die seinige vorginge.

Während einiger Minuten herrschte ein drückendes Schweigen. Endlich
unterbrach es der Doktor, indem er sich an Gruschnitzki wandte:

»Es scheint mir,« sagte er, »da ich Sie beide bereit sehe sich zu schlagen
und hierdurch den Bedingungen der Ehre Ihre Schuld zu bezahlen, daß Sie die
Sache ebenso gut auf gütlichem Wege beseitigen könnten.«

-- Ich bin bereit, sagte ich.

Der Kapitain winkte Gruschnitzki zu; dieser, in der Meinung daß ich mich
fürchte, nahm eine stolze Miene an, obgleich bis zu diesem Augenblicke eine
Todtenblässe seine Wangen überzogen hatte. Seit wir angekommen waren, sah
er mich zum erstenmal an; in seinem Blicke lag eine gewisse Unruhe, welche
den inneren Kampf verrieth.

»Erklären Sie Ihre Bedingungen,« sagte er, »und Alles was ich für Sie thun
kann, können Sie sicher . . .«

-- Meine Bedingungen sind: Sie widerrufen heute öffentlich Ihre Verläumdung
und bitten mich sodann um Verzeihung.

»Mein Herr, ich bin erstaunt, wie Sie es wagen, mir solche Dinge
zuzumuthen?«

-- Und was hätte ich sonst von Ihnen fordern können? . .

»So schießen wir uns.«

Ich zuckte mit den Achseln. -- Wie Sie wollen; indessen bedenken Sie es
wohl, daß einer von uns unbedingt bleiben muß.

»Ich wünsche, daß Sie es sein möchten . . .«

-- Und ich bin vom Gegentheil überzeugt . . .

Er wurde bestürzt, erröthete und schlug dann ein erzwungenes Lachen auf.

Der Kapitain nahm ihn unter den Arm und führte ihn an die Seite; sie
zischelten lange miteinander. Ich war in einer ziemlich friedfertigen
Stimmung dahingekommen, allein nun fing ich an über dies alles grimmig zu
werden.

Zu mir kam der Doktor.

»Hören Sie,« sagte er mit sichtbarer Unruhe: »Sie haben wahrscheinlich ihre
Verabredung vergessen? . . . Ich kann keine Pistole laden, allein in einem
solchen Falle . . . Sie sind ein seltsamer Mensch! Erklären Sie ihnen, daß
Sie ihre Absichten kennen und sie hören auf zu lachen . . . Welche Idee!
Sich wie einen Vogel erschießen lassen . . .«

-- Thun Sie mir den Gefallen, lieber Doktor, machen Sie sich keine Sorgen
und warten Sie Alles ruhig ab . . . Ich werde es schon so einrichten, daß
auf ihrer Seite auch nicht der geringste Vortheil sein soll. Lassen Sie sie
nur zischeln . . . Meine Herren, das fängt an langweilig zu werden, sagte
ich laut zu ihnen: Sollen wir uns schlagen, oder nicht? Sie hatten gestern
Zeit genug zu Verabredungen.

»Wir sind bereit,« erwiederte der Kapitain. »Stellen Sie sich, meine
Herren! Doktor, sein Sie so gut sechs Schritte abzumessen . . .«

»Stellen Sie sich!« wiederholte Iván Ignátjewitsch mit kreischender Stimme.

-- Erlauben Sie! sagte ich, noch eine Bedingung: da wir uns auf Tod und
Leben schlagen werden, so sind wir verpflichtet alles Mögliche zu thun, daß
dies ein Geheimniß bleibe und unsere Sekundanten nicht in Verantwortung
kommen. Sind Sie damit einverstanden?

»Vollkommen einverstanden.«

-- Nun, so habe ich Folgendes ausgedacht. Sehen Sie auf der Höhe dieses
senkrechten Felsens, rechts, das enge, freie Plätzchen? Von da bis in den
Abgrund wird es ungefähr 200 Fuß sein, wenn nicht mehr; unten liegen spitze
Steine. Ein jeder von uns stellt sich an den äußersten Rand des Plätzchens;
auf diese Weise muß selbst eine leichte Wunde tödtlich werden; dies muß
auch mit Ihren Wünschen übereinstimmen, da Sie selbst sechs Schritt Distanz
bestimmt haben. Derjenige, welcher verwundet wird, fliegt unvermeidlich in
die Tiefe hinab und zerschlägt sich in Stücke. Die Kugel zieht der Doktor
heraus und dann wird es ein Leichtes sein, diesen überraschen Tod durch
einen Sturz zu erklären. Wir werfen das Loos, wer zuerst schießen soll.
Schließlich erkläre ich Ihnen, daß ich mich anders nicht schießen werde.

»Nach Belieben!« sagte der Kapitain, bedeutungsvoll auf Gruschnitzki
blickend, der mit dem Kopfe ein Zeichen des Einverständnisses gab. Sein
Gesicht veränderte sich von Minute zu Minute. Ich hatte ihn in ein
schwierige Lage versetzt. Schossen wir uns unter den gewöhnlichen
Bedingungen, so konnte er mir in die Beine zielen, mich leicht verwunden
und so seine Rache befriedigen, ohne sein Gewissen allzusehr zu beschweren;
jetzt aber mußte er entweder in die Luft schießen oder zum Mörder werden,
oder endlich seine niedrigen Vorsätze aufgeben und sich mit mir derselben
Gefahr aussetzen. In dieser Minute hätte ich nicht an seiner Stelle sein
mögen. Er führte den Kapitain an die Seite und fing an sehr lebhaft mit ihm
zu sprechen; ich sah, wie seine blaugewordenen Lippen bebten; allein der
Kapitain wandte sich mit einem verächtlichen Lächeln von ihm. -- »Du bist
ein Narr!« sagte er zu Gruschnitzki ziemlich laut, »Du verstehst Dich auf
nichts! Brechen wir auf, meine Herren!«

Ein enger Pfad führte zwischen Gesträuchen auf den Abhang; Felsentrümmer
bildeten die schwankenden Stufen dieser natürlichen Treppe; wir hielten uns
an die Büsche fest und klommen empor. Gruschnitzki ging voran, hinter ihm
seine Sekundanten, dann kamen wir, der Doktor und ich.

»Ich bewundere Sie,« sagte der Doktor, indem er mir kräftig die Hand
drückte. »Lassen Sie mich den Puls fühlen! . . . Oho! wahrer Fieberschlag!
aber auf dem Gesichte ist nichts zu bemerken . . . nur Ihre Augen glänzen
heller als sonst.«

Plötzlich rollten uns mit Geräusch kleine Steine unter die Füße. Was ist
das? Gruschnitzki war gestolpert; der Zweig, an welchen er sich
festgehalten, hatte nachgegeben und er wäre auf dem Rücken
hinuntergefahren, wenn ihn seine Sekundanten nicht aufrecht gehalten
hätten.

-- Nehmen Sie sich in Acht! rief ich ihm zu: fallen Sie nicht zu früh; das
ist ein schlimmes Zeichen. Gedenken Sie Julius Cäsars!

Endlich waren wir auf der Höhe des vorspringenden Felsens angekommen; der
kleine freie Platz war mit feuchtem Sande bedeckt, wie absichtlich zu einem
Duelle. Rundum, einer zahllosen Herde gleich, drängten sich die Berghöhen
in den goldenen Morgennebel; der Elborus erhob sich gegen Süden mit seinen
weißen Massen, die Kette der Gletscher beschließend, zwischen welchen
bereits Wolkenstreifen herumwanderten, die von Osten herangezogen waren.
Ich begab mich an den Rand des Plätzchens und blickte in die Tiefe . . .
der Kopf wurde mir fast vom Schwindel ergriffen: dort unten schien es mir
so dunkel und kalt wie im Grabe; bemooste Felsenzacken, vom Sturm und der
Zeit hinuntergeworfen, erwarteten ihre Beute.

Das Plätzchen, auf welchem wir uns schlagen sollten, bildete ein fast
rechtwinkeliges Dreieck. Von dem vorspringenden Winkel wurden sechs
Schritte abgemessen und man kam überein, daß derjenige, welchem es zufallen
würde, das feindliche Feuer zuerst auszuhalten, an diesem Winkel, mit dem
Rücken dem Abgrund zugewandt, stehen solle; wird er nicht erschossen, so
wechseln beide Parteien mit den Plätzen.

Ich beschloß Gruschnitzki alle Vortheile zu überlassen, -- ich wollte ihn
prüfen; in seiner Seele konnte noch ein Funke Großmuth erwachen und dann
hätte sich alles zum Besten gewandt; allein seine Eigenliebe und
Charakterschwäche sollten siegen . . . Ich wollte mir das volle Recht
verschaffen ihn nicht zu verschonen, wenn mich das Schicksal begnadigte.
Wer hätte nicht ähnliche Bedingungen mit seinem Gewissen abgeschlossen?

»Werfen Sie das Loos, Doktor!« sagte der Kapitain.

Der Doktor zog eine Silbermünze aus der Tasche und hob sie in die Höhe.

»Die Kehrseite!« rief Gruschnitzki rasch aus, wie Einer, den plötzlich ein
elektrischer Schlag zu sich brachte.

-- Der Adler! sagte ich.

-- Die Münze flog auf und fiel klingend herab; alle warfen sich auf sie zu.

-- Sie sind der Glücklichere, sagte ich zu Gruschnitzki, es ist an Ihnen
zuerst zu schießen! Aber vergessen Sie nicht, daß wenn Sie mich nicht
tödten, ich Sie wahrhaftig nicht verfehle -- Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.

Er erröthete; er schämte sich doch einen Wehrlosen morden zu wollen; ich
sah ihm scharf in's Auge; Einen Augenblick schien es mir, als wolle er sich
mir zu Füßen werfen und um Verzeihung bitten; wie aber sollte er so
niedrige Absichten bekennen? Es blieb ihm nur ein Mittel übrig -- in die
Luft zu feuern; ich war überzeugt, daß er es thun werde! nur Eins konnte
ihn daran verhindern, der Gedanke nämlich, daß ich das Duell erneuern
würde. --

»Jetzt ist es Zeit!« raunte mir der Doktor zu, indem er mich am Aermel
zupfte, »wenn Sie jetzt nicht sagen, daß wir ihre Absichten kennen, so ist
Alles verloren. Sehen Sie nur, er ladet schon . . . wenn Sie nichts sagen,
so werde ich selbst . . .«

-- Für nichts auf der Welt, Doktor! entgegnete ich, indem ich ihn am Arme
zurückhielt; Sie werden Alles verderben, und gaben mir doch Ihr Wort sich
in nichts zu mischen . . . Was geht Sie's auch an? Vielleicht will ich
getödtet werden?

Er blickte mich mit Verwunderung an.

»O, das ist was Anderes! Nur beklagen Sie sich dann in jener Welt nicht
über mich.«

Der Kapitain hatte unterdessen seine Pistolen geladen und gab Gruschnitzki,
dem er lächelnd etwas zuflüsterte, die Eine, die Andere mir.

Ich stellte mich an den Rand des Abgrundes, fest mit dem linken Fuße auf
den Stein gestemmt und ein wenig vorwärts gebogen, um mich im Falle einer
leichten Wunde nicht sogleich rückwärts zu werfen. Gruschnitzki stand mir
gegenüber und fing an auf ein gegebenes Zeichen die Pistole anzulegen.
Seine Kniee zitterten. Er zielte mir gerade auf die Stirn.

Eine unaussprechliche Wuth begann in meiner Brust zu kochen.

Plötzlich ließ er den Lauf der Pistole etwas herabsinken und, leichenblaß,
zu seinem Sekundanten gewendet, sagte er mit hohler Stimme: »Ich kann
nicht!«

-- Memme! erwiederte ihm der Kapitain. Der Schuß ging los. Die Kugel
streifte mir das Knie. Unwillkührlich machte ich einige Schritte vorwärts,
um schneller vom Rande hinwegzukommen.

-- Nun, Freund Gruschnitzki, es ist Schade, daß Du fehl geschossen hast!
sagte der Kapitain: jetzt ist die Reihe an Dir, stell Dich nur hin! Umarme
mich zuvor, wir werden uns wohl nicht wiedersehen! -- Sie umarmten sich;
der Kapitain konnte sich kaum des Lachens erwehren! Nur nicht ängstlich,
setzte er hinzu, indem er Gruschnitzki pfiffig anblinzelte, auf der Welt
ist Alles doch nur Narrethei! . . . Die Natur -- eine Närrin, das Schicksal
-- eine Scharteke, und das Leben -- eine Kopeke![A]

[Fußnote A: Sehr gebräuchliches Sprüchwort, welches nach seinem
Wortinhalte: [CYRILLIC:Natura--dura, sud'ba--indäjka; a zhizn'--kopäjka],
eigentlich so heißt: die Natur -- eine Närrin, das Schicksal -- eine
Truthenne, und das Leben -- eine Kopeke; des Reimes wegen haben wir, bei
der gänzlichen Sinnlosigkeit des Sprüchwortes, die Wörter vertauscht.]

Nach dieser tragischen, mit gebührender Wichtigkeit vorgetragenen Phrase,
begab er sich an seinen Platz. Ivan Ignatjewitsch umarmte jetzt
Gruschnitzki ebenfalls mit Thränen in den Augen und so stand er denn
endlich mir allein gegenüber. Bis auf den heutigen Tag bemühe ich mich, mir
dasjenige Gefühl klar zu machen, welches damals in meiner Brust kochte:
theils war es Zorn der beleidigten Eigenliebe, theils Verachtung und Grimm,
aus dem Gedanken hervorgehend, daß dieser Mensch, der jetzt mit einer
solchen Zuversichtlichkeit, mit solch einer sorglosen Frechheit auf mich
blickt, mich noch vor zwei Minuten, ohne sich selbst der geringsten Gefahr
auszusetzen, wie einen Hund tödten wollte; denn, etwas schwerer am Fuße
verwundet, wäre ich unvermeidlich vom Felsen hinabgestürzt.

Ich blickte ihm einige Minuten lang scharf in's Auge, um auch nur die
leiseste Spur von Reue zu entdecken; es schien mir aber, als ob er ein
Lächeln zurückdränge.

-- Ich rathe Ihnen vor Ihrem Tode Ihre Seele Gott zu befehlen, sagte ich
ihm endlich.

»Bekümmern Sie sich um meine Seele nicht mehr, als um Ihre eigene; nur um
eins bitte ich Sie recht sehr: machen Sie's kurz.«

-- So widerrufen Sie also Ihre verläumderischen Reden nicht? Sie bitten
mich nicht um Verzeihung? . . . Bedenken Sie es wohl; sagt Ihnen Ihr
Gewissen denn gar nichts?

»Herr Petschorin!« rief der Dragonerhauptmann. »Erlauben Sie Ihnen zu
bemerken, daß Sie nicht hier sind um zu predigen . . . Machen wir der Sache
ein Ende; wie leicht könnte Jemand vor der Schlucht passiren und uns
sehen.« --

-- Gut. Doktor, kommen Sie, bitte, zu mir.

Der Doktor kam heran. Der Arme! Er war blässer, als es Gruschnitzki vor
zehn Minuten gewesen war.

Die folgenden Worte sprach ich absichtlich mit Nachdruck, laut und
vernehmlich, wie man ein Todesurtheil ausspricht:

-- Doktor, diese Herren vergaßen, wahrscheinlich in der Eile, die Kugel in
meine Pistole zu laden; ich bitte Sie, dieselbe noch einmal zu laden, --
und ordentlich.

»Das kann nicht sein!« schrie der Kapitain; »das kann nicht sein! Ich habe
beide Pistolen geladen; sollte die Kugel denn aus Ihrer Pistole
herausgerollt sein . . . das ist nicht meine Schuld! Sie haben aber kein
Recht noch einmal zu laden . . . nicht das geringste Recht . . . das ist
durchaus gegen die Regeln; ich werde nie zugeben . . .«

-- Gut! sagte ich zum Kapitain, wenn dem so ist, so werde ich mich auch mit
Ihnen auf dieselben Bedingungen schießen . . .

Er wurde verwirrt.

Gruschnitzki stand da, den Kopf auf die Brust gesenkt, bestürzt und
finster. -- »Laß sie doch!« sagte er endlich zum Kapitain, der meine
Pistole aus den Händen des Doktors reißen wollte . . . »Du weißt doch
selbst, daß sie Recht haben.« Vergebens gab ihm der Kapitain verschiedene
Winke, Gruschnitzki wollte einmal nicht sehen.

Unterdessen hatte der Doktor die Pistole geladen und reichte sie mir zu.
Als der Kapitain dies sah, spuckte er aus und stampfte mit dem Fuße! »Du
bist ein Narr, mein Lieber,« fuhr er heraus, »ein elender Narr! . . . Wenn
Du Dich einmal auf mich verließest, so mußtest Du mir auch in Allem folgen
. . . Jetzt hast Du Dir's selbst zuzuschreiben, wenn Du wie eine Fliege
verrecken mußt . . .« Er wandte sich um und brummte während er zurücktrat:
»Aber es ist doch durchaus gegen jede Regel.« -- »Gruschnitzki!« sagte ich,
»noch ist es Zeit; widerrufe Deine Verläumdungen und ich verzeihe Dir
Alles. Es ist Dir nicht gelungen, mich zum Narren zu haben und meine
Eigenliebe ist befriedigt; gedenke, daß wir einst Freunde waren . . .«

Sein Gesicht glühte, seine Augen funkelten.

»Schießen Sie!« entgegnete er, »ich verachte mich und Sie hasse ich. Tödten
Sie mich nicht, so erschieße ich Sie des Nachts aus einem Hinterhalte. Für
uns Beide ist auf dieser Erde nicht Raum . . .«

Ich schoß . . .

Als der Dampf sich verzog, war Gruschnitzki nicht mehr auf dem Plätzchen.
Nur der Staub wirbelte noch in einer dünnen Säule am Rande des Abhangs.

Alle schrieen wie mit einer Stimme auf.

-- Finita la Commedia! sagte ich zum Doktor.

Er antwortete nicht und wandte sich mit Entsetzen ab.

                   *       *       *       *       *

Ich zuckte die Achseln und machte den Sekundanten Gruschnitzki's meine
Verbeugung.

Beim Hinuntersteigen vom engen Bergpfade bemerkte ich zwischen den
herumliegenden Felsenstücken den blutigen Leichnam Gruschnitzki's;
unwillkührlich schloß ich die Augen.

Ich band mein Pferd los und ritt im Schritte heimwärts; mir lag es wie ein
Stein auf dem Herzen. Die Sonne schien mir so trübe, ihre Strahlen so kalt
. . .

Kurz vor dem Dörfchen lenkte ich rechts ab, dem Hohlweg zu. Der Anblick
eines Menschen wäre mir eine Last gewesen: ich wollte allein sein. Ich ließ
die Zügel fallen und ritt lange umher, den Kopf auf die Brust gesenkt, bis
ich mich endlich in einer wildfremden Gegend sah; sogleich wandte ich mein
Pferd um und suchte den verlorenen Weg wieder auf; die Sonne war bereits im
Untergehen als ich erschöpft auf einem erschöpften Pferde Kislowodsk
erreichte.

Mein Bedienter sagte mir, Werner sei hier gewesen und habe zwei Billete
zurückgelassen. Das Eine war von ihm, das Andere von Wära:

Ich erbrach das erstere; es lautete folgendermaßen:

»Alles ist aufs Beste arrangirt; der Körper ist entstellt hierhergebracht
worden; die Kugel ist herausgezogen. Alle sind überzeugt, daß ein
unglücklicher Zufall die Ursache seines Todes war; nur der Kommandant, dem
der Streit wahrscheinlich bekannt war, schüttelte mit dem Kopfe, sagte aber
kein Wort. Beweise sind gegen Sie nicht vorhanden, Sie können also ruhig
schlafen, wenn Sie können . . . Adieu!«

Lange konnte ich mich nicht entschließen das zweite Billet zu öffnen. Was
konnte sie mir schreiben? . . . Ein düsteres Vorgefühl wogte in meiner
Seele.

Ihr Brief, wie er Wort für Wort unverwischlich in meinem Gedächtniß bleiben
wird, lautete also:

»Ich schreibe Dir in der vollkommenen Ueberzeugung, daß wir uns niemals
wiedersehen werden. Vor einigen Jahren, als ich von Dir Abschied nahm,
dachte ich dasselbe; allein es hat dem Himmel gefallen, mich nochmals
heimzusuchen . . . ich hielt diese Prüfung nicht aus; mein schwaches Herz
unterwarf sich der bekannten Stimme . . . Du wirst mich deshalb nicht
verachten, nicht wahr? Dieser Brief soll mein Abschied und meine Beichte
zugleich sein: ich fühle mich gedrungen Dir Alles mitzutheilen, was sich in
meinem Herzen aufgespeichert hat, seit es Dich liebt. Ich will Dich nicht
beschuldigen --: Du thatest mit mir, wie ein jeder andere Mann an Deiner
Stelle gethan haben würde: Du liebtest mich wie Dein Eigenthum, wie die
Quelle Deiner wechselnden Freuden, Aufregungen und Besorgnisse, ohne welche
das Leben langweilig und gleichförmig ist. Ich begriff dies gleich von
Anfang an . . . Allein Du warst unglücklich und so opferte ich mich in der
Hoffnung, daß Du dereinst einmal die Größe meines Opfers würdigen, die
tiefe Zärtlichkeit verstehen würdest, die an keine Bedingung der Welt
geknüpft war. Seitdem ist manches Jahr entflohen! Ich hatte alle geheimen
Saiten Deiner Seele kennen gelernt und die Ueberzeugung gewonnen, daß jene
Hoffnung eine eitle war. Das ging mir bitter durch die Seele! Allein, meine
Liebe hatte mein ganzes Herz überwuchert: sie wurde düstrer, aber erstarb
nicht.

Wir trennen uns jetzt auf ewig; indessen kannst Du die Ueberzeugung
bewahren, daß ich niemals einen andern lieben werde: meine Seele hat an Dir
bereits alle ihre Liebesschätze, ihre Thränen, ihre Hoffnungen erschöpft.
Wer Dich einmal geliebt hat, kann auf die übrigen Männer nicht ohne eine
gewisse Geringschätzung herabblicken; nicht als ob Du besser wärst als sie,
o nein! allein in Deinem Wesen liegt so etwas Besonderes, Stolzes,
Geheimnißvolles, das nur Dir allein angehört; was Du auch sprechest, in
Deiner Stimme liegt stets eine unwiderstehliche Gewalt. Niemand versteht es
wie Du, so beständig geliebt werden zu wollen; in Keinem ist das Böse so
anziehend, keines Andern Blick verspricht so viel Seligkeit, Niemand
versteht es wie Du seine Vorzüge zu benutzen und kein Mensch kann so
wahrhaft unglücklich sein, wie Du, weil Niemand so sehr wie Du sich bemüht,
sich das Gegentheil einzureden.

Jetzt muß ich Dir noch den Grund meiner eiligen Abreise mittheilen, er wird
Dir unzureichend scheinen, weil er sich nur auf mich allein bezieht.

Heute früh kam mein Mann zu mir und erzählte mit Deinen Vorfall mit
Gruschnitzki. Offenbar muß ich mich während dieser Erzählung sehr verändert
haben, denn er blickte mir lange forschend in die Augen; ich verlor fast
das Bewußtsein, wenn ich bedachte, daß Du Dich heute schlagen mußt, und daß
ich Schuld an Allem bin; es schien mir eine Weile, als sollte ich
wahnsinnig werden . . . Allein jetzt, wo ich wieder mit Ruhe urtheilen
kann, habe ich die Ueberzeugung, daß Du am Leben bleibst. Du kannst ohne
mich nicht sterben, es ist unmöglich! Mein Mann ging lange im Zimmer auf
und ab; ich weiß nicht, mehr, was er zu mir, gesprochen, erinnere mich auch
meiner Antworten nicht mehr, -- wahrscheinlich habe ich ihm gesagt, daß ich
Dich liebe -- Ich erinnere mich nur, daß er mich am Ende unseres Gespräches
mit einem gräßlichen Worte beleidigte und das Zimmer verließ. Ich hörte wie
er Befehl gab den Reisewagen in Ordnung zu bringen . . . Und nun sitze ich
schon seit drei Stunden am Fenster und warte auf Deine Rückkehr . . .
Allein Du lebst, Du kannst nicht sterben! . . . Der Wagen ist so gut wie
bereit . . . Adieu, Adieu . . . Ich bin verloren, -- doch was thut das?
. . . Könnte ich nur die Ueberzeugung mit mir nehmen, daß Du meiner stets
gedenken -- ich will nicht sagen: mich lieben -- nein, meiner nur gedenken
wirst! . . . So lebe wohl; man kommt . . . ich muß den Brief verbergen
. . .

Nicht wahr, Du liebst Mary nicht? Du heirathest sie nicht? Dieses Opfer
mußt Du mir bringen, die ich auf dieser Welt alles für Dich verloren habe
. . .«

Wie ein Besessener rannte ich nach dem Perron, sprang auf meinen
Tscherkessen, den man noch im Hofe auf- und abführte, und sprengte mit
verhängten Zügeln den Weg nach Pätigorsk entlang. Unbarmherzig trieb ich
das erschöpfte Roß an, das röchelnd und schaumbedeckt den steinigen Weg mit
mir dahinflog.

Die Sonne verbarg sich bereits hinter schwarzem Gewölke, das auf dem Rücken
der westlichen Gebirgskette ausruhte; in dem Hohlwege war es dunkel und
feucht. Der Podkumok murmelte tief und einförmig auf seiner Fahrt über die
Felssteine. Ich erstickte vor Ungeduld und jagte vorwärts. Der Gedanke, sie
in Pätigorsk nicht mehr einzuholen, schlug mir wie ein Hammer auf das Herz;
noch einmal, noch einen Augenblick sie zu sehen, ihr ein letztes Lebewohl
zuzurufen, ihre Hand zu drücken . . . Ich betete, fluchte, weinte, lachte
. . . nein, nichts kann meine Unruhe, meine Verzweiflung beschreiben!
. . . Bei dem Gedanken, sie auf ewig zu verlieren, war mir Wära plötzlich
theurer geworden als alles auf der Welt, -- theurer als Leben, Ehre, Glück!
Gott weiß, was für abenteuerliche, verrückte Gedanken in meinem Gehirne
auftauchten . . . und unterdessen jagte ich unbarmherzig immer drauf los.
-- Und auf einmal bemerkte ich, daß mein Pferd sehr schwer athmete und
schon zum zweiten Male auf ebenem Wege stolperte . . . doch blieben mir nur
noch fünf Werst bis nach Jesséntukoff, einer Kosakenstation, wo ich ein
Pferd bekommen konnte.

Alles wäre gut abgelaufen, wenn mein Pferd noch für zehn Minuten Kräfte
gehabt hätte; allein, gerade als wir aus dem Gebirge herauskamen, stürzte
es beim Steigen aus einer kleinen Vertiefung des Weges, auf die Erde. Ich
springe rasch ab und will es aufrichten, reiße an dem Zügel -- alles
umsonst: ein kaum hörbares Stöhnen drängte sich zwischen seinen
geschlossenen Zähnen hervor; nach einigen Minuten war es todt und ich in
der Steppe allein, meine letzte Hoffnung zertrümmert sehend; ich versuchte
zu Fuß weiter zu gehen -- meine Füße stießen aneinander; von den
Aufregungen des Tages und der vorangegangenen Schlaflosigkeit zu Tode
ermüdet, fiel ich auf das feuchte Gras und weinte wie ein Kind.

Lange lag ich unbeweglich dort und weinte bitterlich, nicht bemüht meine
Thränen und mein krampfhaftes Schluchzen zurückzuhalten; fast glaubte ich
daß meine Brust zersprengen müßte; meine ganze Festigkeit, meine ganze
Kaltblütigkeit war wie Rauch verflogen; meine Seele gebrochen, meine
Vernunft betäubt, -- hätte Jemand mich in diesem Augenblicke gesehen, so
hätte er sich nur mit Verachtung von mir abwenden können.

Als der Nachtthau und der Bergwind meinen glühenden Kopf wieder erfrischt
hatten und meine Gedanken wieder in die gewöhnliche Ordnung gekommen waren,
begriff ich sehr wohl, daß es unnütz und thöricht ist, einem verlorenen
Glücke nachzujagen. Was fehlt mir denn eigentlich? Sie noch einmal sehen?
-- Und wozu das? Ist denn zwischen uns nicht alles beendigt? Ein bitterer
Abschiedskuß kann meine Erinnerung um nichts bereichern und hätte uns die
Trennung nur erschwert.

Indessen thut es mir wohl, weinen zu können! Vielleicht aber liegt dies an
meinen aufgeregten Nerven, einer vollständig schlaflosen Nacht, an den zwei
Minuten vor der offenen Pistolenmündung und meinem leeren Magen.

Desto besser! Dieses neue Leiden hat in mir, um mich eines militairischen
Kunstausdruckes zu bedienen, eine glückliche Diversion hervorgebracht. Das
Weinen ist gesund, und überdies würde ich ohne diesen vehementen Ritt und
die funfzehn Werst, die ich nun zu Fuß zurücklegen mußte, wahrscheinlich
auch diese Nacht kein Auge zugemacht haben.

Ich erreichte Kislowodsk um fünf Uhr des Morgens, warf mich auf das Bett
und schlief den Schlaf Napoleons nach der Schlacht bei Waterloo.

Als ich erwachte, war es draußen schon dunkel. Ich setzte mich an's offene
Fenster, knöpfte meinen Archaluk auf und ließ den frischen Bergwind über
meine Brust spielen, die noch unter dem schweren Drucke der Müdigkeit
seufzte.

Jenseits des Flusses, durch die Spitzen seiner dichten, schattenreichen
Linden, schimmerten Lichter aus den Festungswerken und dem Dörfchen
herüber. Auf meinem Hofe herrschte tiefe Stille; bei der Fürstin war alles
dunkel.

Der Doktor trat herein: seine Stirne war finster; gegen seine Gewohnheit
streckte er mir nicht die Hand entgegen. --

-- Woher, lieber Doktor?

»Von der Fürstin Ligoffska; ihre Tochter ist sehr krank -- Nervenabspannung
. . . Allein das führt mich nicht hierher, sondern Folgendes: Die Behörde
wittert den wahren Verlauf der Sache, und wenn man Ihnen auch nichts
positiv beweisen kann, so rathe ich Ihnen doch recht vorsichtig zu sein.
Die Fürstin sagte mir, sie wisse, daß Sie sich ihrer Tochter wegen duellirt
haben. Der alte Knabe, wie heißt er doch gleich? hat ihr alles mitgetheilt;
er war damals Zeuge Ihres Streites mit Gruschnitzki in der Restauration.
Ich kam Sie zu warnen. Leben Sie wohl. Wer weiß ob wir uns jemals
wiedersehen werden; man wird Sie wohl irgend wohin verschicken . . .«

An der Schwelle blieb er nochmals stehen; er hätte mir gern die Hand
gedrückt . . . und hätte ich ihm nur den geringsten Wunsch darnach gezeigt,
so wäre er mir an den Hals gesprungen; allein ich blieb kalt wie Stein --
und so ging er.

So sind die Leute! so sind sie alle: Sie kennen alle schlechten Seiten
einer That vorher, und doch helfen sie und rathen sie, und doch ermuthigen
sie sogar dazu, indem sie die Möglichkeit eines andern Mittels nicht sehen,
-- nachher aber waschen sie ihre Hände in Unschuld, und wenden sich
unwillig von Dem ab, der die Kühnheit hatte die ganze Last der
Verantwortung auf sich zu nehmen. So sind sie alle, sogar die besten, sogar
die verständigsten! . . .

Am nächsten Tage, nachdem ich von der höhern Behörde den Befehl erhalten
hatte, nach der Festung N. abzureisen, begab ich mich zur Fürstin, um
Abschied zu nehmen.

-- Sie war erstaunt, als ich ihr auf ihre Frage, »ob ich ihr etwas ganz
besonders Wichtiges mitzutheilen habe,« antwortete, daß ich ihr viel Glück
u. s. w. u. s. w. wünschte.

»Aber ich muß ganz ernsthaft mit Ihnen sprechen.«

Ich setzte mich schweigend.

Es war zu sehen, daß sie nicht wußte, womit sie anfangen sollte; ihr
Gesicht wurde feuerroth; ihre vollen, runden Finger klopften auf dem Tische
herum; endlich begann sie mit zögernder Stimme:

»Hören Sie, Herr von Petschorin, ich halte Sie für einen anständigen
Menschen . . .«

Ich verbeugte mich leicht.

»Ich bin sogar davon überzeugt,« fuhr sie fort, »obgleich Ihr Betragen
allerdings etwas zweideutig war; indessen konnten Sie Gründe haben, die mir
unbekannt sind und die Sie mir jetzt anvertrauen müssen. Sie haben meine
Tochter vor Verläumdungen geschützt, Sie haben sich für sie geschlagen, --
folglich Ihr Leben für sie eingesetzt . . . Unterbrechen Sie mich nicht,
ich weiß recht gut, daß Sie das nicht eingestehen dürfen, weil Gruschnitzki
gefallen ist (sie machte das Zeichen des Kreuzes) . . . Gott wolle seiner
und wie ich hoffe auch Ihrer Seele gnädig sein! . . . Nun, das geht mich
weiter nichts an . . . ich wage es nicht Sie zu richten, weil meine
Tochter, obwohl unschuldiger Weise, Schuld an dem ganzen Unglück war. Sie
hat mir alles gestanden . . . ich glaube, Alles; Sie haben ihr eine
Liebeserklärung gemacht . . . sie hat Ihnen ihre Gegenliebe gestanden (hier
seufzte die Fürstin tief auf); nun aber ist sie krank, und ich habe die
Ueberzeugung, daß es keine gewöhnliche Krankheit ist! Ein geheimer Kummer
reibt sie auf; sie will es nicht gestehen, doch bin ich fest davon
überzeugt, daß Sie daran Schuld sind . . . Hören Sie mich an . . . Sollten
Sie vielleicht glauben, daß ich auf hohen Rang und unermeßlichen Reichthum
sehe, so bitte ich Sie, sich vom Gegentheil zu überzeugen: ich will nur das
Glück meiner Tochter. Ihre gegenwärtige Lage ist freilich nicht
beneidenswerth, indessen ist dem ja wohl abzuhelfen, denn Sie haben
Vermögen; meine Tochter liebt Sie und sie ist so erzogen, daß sie einen
Mann wahrhaft glücklich machen kann. Ich bin reich; -- sie ist mein
einziges Kind . . . Sagen Sie selbst, was hält Sie zurück? . . . Sehen Sie,
ich sollte Ihnen alles dies nicht sagen, allein ich verlasse mich auf Ihr
Herz, auf Ihre Ehre; -- bedenken Sie, daß ich diese einzige Tochter habe
. . . diese einzige . . .«

Sie fing an zu weinen.

-- Fürstin, sagte ich: es ist mir unmöglich, Ihnen zu antworten: erlauben
Sie mir, mit Ihrer Tochter unter vier Augen zu sprechen . . .

»Nimmermehr!« rief sie auf, in der heftigsten Bewegung vom Stuhle
aufspringend.

-- Wie Sie befehlen, antwortete ich, indem ich mich anschickte fortzugehen.

Sie dachte eine Weile nach, gab mir ein Zeichen mit der Hand zu warten und
ging hinaus.

Fünf Minuten vergingen; mein Herz schlug heftig, aber meine Gedanken waren
ruhig, mein Kopf kalt; wie sehr ich auch in meiner Brust nach einem Funken
Liebe für die liebliche Mary suchte -- es war ein vergebliches Mühen.

Da ging die Thür auf und herein trat sie. O Gott, wie war sie verändert
seit der Zeit, daß ich sie nicht gesehen hatte, -- und wie lange ist das
her?

In der Mitte des Zimmers angekommen, schwankte sie; ich eilte hinzu,
reichte ihr meinen Arm und führte sie an einen Lehnstuhl.

Ich stand ihr gegenüber. Wir schwiegen lange; ihre großen Augen, mit einem
unaussprechlichen Grame erfüllt, schienen in den meinigen etwas zu suchen,
was einer Hoffnung ähnlich wäre; ihre bleichen Lippen strengten sich
umsonst zu einem Lächeln an; ihre zarten über die Kniee gefalteten Hände
waren so mager und durchsichtig, daß sie anfing mir leid zu thun.

-- Gnädige Fürstin, sagte ich, Sie wissen also, daß ich mich bloß über Sie
lustig gemacht habe? . . . Sie müssen mich verachten.

Auf ihren Wangen zeigte sich ein krankhaftes Roth.

Ich fuhr fort: -- Und lieben können Sie mich folglich gar nicht.

Sie wandte sich ab, stützte den Arm auf den Tisch, bedeckte ihre Augen mit
der Hand und es wollte mich bedünken, als glänzten Thränen in denselben.

»O mein Gott!« sprach sie kaum hörbar vor sich hin.

Das fing an unerträglich zu werden: noch eine Minute -- und ich hätte zu
ihren Füßen gelegen.

-- Wohlan, Sie sehen selbst, begann ich mit fester Stimme und einem
erzwungenen Lächeln, daß ich Sie nicht heirathen kann. Und wären Sie jetzt
dazu wirklich im Stande, Sie würden es sicherlich bald bereuen. Meine
Unterhaltung mit Ihrer Frau Mutter zwingt mich zu einer so offenen und
groben Erklärung; ich hoffe, es wird Ihnen leicht sein, sie aus ihrem
Irrthume zu ziehen. Sie sehen, ich spiele in Ihren Augen die
allermiserabelste und häßlichste Rolle, und stelle dies sogar nicht in
Abrede; das ist aber auch Alles, was ich für Sie thun kann. Welche
schlechte Meinung Sie immer von mir haben können, ich unterwerfe mich ihr
. . . Sehen Sie, wie ich vor Ihnen erniedrigt stehe? Nicht wahr, und wenn
Sie mich wirklich liebten, von diesem Augenblicke an verachteten Sie mich?
. . .

Sie wandte sich zu mir, weiß wie Marmor, nur ihre Augen funkelten
wunderbar.

»Ich hasse Sie . . .« sagte sie.

Ich dankte ihr verbindlichst, verneigte mich ehrerbietig und verließ sie.

Eine Stunde später flog eine Couriertroika bereits mit mir aus Kislowodsk.
Einige Werst vor Jesséntukoff erkannte ich in der Nähe des Weges den
Leichnam meines edlen Pferdes; der Sattel war, wahrscheinlich von einem
vorbeireitenden Kosaken, abgeschnallt, und anstatt des Sattels saßen auf
seinem Rücken zwei Raben. Ich seufzte und wandte mich ab.

Und jetzt, hier in dieser langweiligen Festung, frage ich mich oft, wenn
meine Gedanken das Vergangene durchlaufen: warum ich jenen Pfad nicht
betreten, den das Schicksal mir eröffnet hatte und wo stille Freuden und
Seelenruhe meiner warteten . . . Nein, ich hätte ein solches Loos nicht
lange ertragen können! Ich bin wie ein Matrose, der auf einer
Korsaren-Jacht geboren und auferzogen wurde; seine Seele ringt sich in
Stürmen und Kämpfen los, aber am Ufer welkt und schwindet er dahin; ob der
schattige Hain ihm winke und der friedliche Sonnenschein ihm
entgegenlächle; er geht den ganzen Tag auf den Kieseln am Meeresstrande,
und lauschet dem einförmigen Gebrause der rollenden Wogen und schaut hinaus
in die nebelige Ferne, ob er nicht in jenem matten Punkte, der von dem
grauen Gewölk und der dunkelblauen Meeresfluth absticht, das erwünschte
Segel entdecke, das, anfangs dem Flügel des Sturmvogels ähnlich, nach und
nach aus dem Schaume des Wogendranges hervortaucht und mit festem Laufe dem
einsamen Hafen sich nähert.







End of the Project Gutenberg EBook of Der Held unserer Zeit, by 
Michail Jurjewitsch Lermontow

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HELD UNSERER ZEIT ***

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