Sekunde durch Hirn: Ein unheimlich schnell rotierender Roman

By Melchior Vischer

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Title: Sekunde durch Hirn
       Ein unglaublich schnell rotierender Roman

Author: Melchior Vischer

Release Date: June 14, 2010 [EBook #32814]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SEKUNDE DURCH HIRN ***




Produced by Jens Sadowski




MELCHIOR VISCHER

SEKUNDE DURCH HIRN

_Ein unheimlich schnell rotierender Roman_







PAUL STEEGEMANN VERLAG HANNOVER
LEIPZIG / WIEN / ZÜRICH




». . . Kunst ist, wenn schon nicht ein Vorurteil, so doch immer eine
Privatansicht, stolzierte mir dieser bedenkliche Gedanke bedeutend
durch das wirre Straßennetz meines wassersüchtigen Hirns, ehe ich in
und durch Sumpf sank und mich übel vergurgelte . . .«


   »Versteck, du Narr,
   Dein blutend Herz in Eis und Hohn . . .«
                              _(Nietzsche)_





PRO UND EPILOG


Ein unheimlich schnell rotierender Roman, steht unter dem Titel. So mag es,
obwohl nichts besonders unterstreichend, bei Tag unter gewissen
Blickpunkten erscheinen.

Gut denn: Roman. Doch unter den betäubenden Strahlen einer
Mitternachtssonne gelesen, scheint es erst zeitlich, dann über-, zuletzt
unzeithaft, schnittig, Stahl: Epos.

Und endlich unter dem embryonalen, ja komischen Gelicht des ausgedörrten,
beinah gekreuzigten Monds kriecht es vielleicht höchst lächerlich als
abgekicherter Schwank hervor.

Gescheit und blöde, erlogen und wahr, schief wie ein lauter lungenblutender
Traum, erhaben toll und toll erhaben, ganz närrisch: Fastnachtsspiel. Bei
der schreienden Fackel der Selbstverbrennung jedoch, beweihraucht,
martervoll ein Tedeum, geschrillt in den katholisch ehrfürchtigen Ausklang
eines Gassenhauers: Aschermittwoch.

Aber Aschermittwoch mit Sonnenblumen.

Ich opfere dieses astronomische Punktierbuch, auch Bibel, geschrieben in
Prag zu einer Zeit, die molluskenhaft, ich mathematisch wirklich nicht
bestimmen kann, es sei denn mittels ultravioletter Geometrie, jenen, von
denen Karl Einstein in Bebuquin sagt: »Zu wenig Leute haben den Mut
vollkommenen Blödsinn zu sagen. Häufig wiederholter Blödsinn wird
integrierendes Moment unseres Denkens«, darum sage ich einmal wieder einen
andren, durchaus neuartigen Blödsinn.

In fünfzig Jahren oder in fünfzig Minuten ist dieser mein guter Blödsinn
bestimmt apodiktische Weisheit.




DER ROMAN


Jörg Schuh stand breit am Baugerüst, lachte zugleich mit dem kreischen Ton
des Stichels, kaute sein Brot und wußte, daß er Stukkatör. Scharf war Wind
in dieser Vogelperspektive. Mit einem Aug am Gesims ornamentierend, mit
andrem aufs Pflaster vierzig Stock tief hinabblinzelnd auf sonnbeklexten
Asfalt, der grell herauf schrie. Trotzdem straßerasendes Gemensch sehr
winzig unten wimmelte, sah er dennoch den großen Busen der Magd Hanne aus
dem Wolkenkratzer gegenüber Nr. 69.

Der Busen, der Bubusen ist prächtig plastisch, als hätte ihn ein Stukkatör
geformt! entriß sich ekstatischer Satz aus Jörgs bewundernder Kehle mit
oberhalb geilen Glotzaugen, die überkegelten, Planke schaukelte, Kopf, Füße
wankten quer durcheinander, _Wind pfiff_ . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .

                                * * *

(kroloscho su krolo su su suuuuu huih -- -- -- iiihh! die Ewigkeit! in die
Ewigkeit! Fahr mr Euer Gnadn? grüßte spiegliger Zylinder gelbblauen Mannes
einladend, billig, der Kilometer drei Halsbrüche und neun Tode. Ich bin
Ekstatiker aufm Kubus, im letzten Leben war ich Mathematikprofessor und da
auf der großen Milchstraßn bin ich jetzt Droschkenkutscher. Also fahr mr
Euer Gnadn? -- Nein ich danke, ich nehme prinzipiell nur Taxameter! -- Aber
ich hab Gummireifen an den Radln, oh Marke »Gigant«. -- Gehns in ein
Bordell! -- Bittäähh!

                                * * *

Guten Abend Jörg, lachte es an sein eines Ohr, als er apollenähnlich,
kraftschenklig durch raketenhaft erleuchteten Spiegelraum mit seitlichen
Flüster- und Zeugungsecken schritt, nun das gertenschlanke Mädchen eng an
den Neger gedrückt sah. Komm Jörg, schau zu, wie Du gemacht wirst, roch es
betrunken, wie nun Schwarz und Weiß in kleines diwangeschmücktes Gemach
torkelten, und das Weib sich seufzend an den muskelharten Lenden des
Mohrenathleten rieb, so ein Mysterium abkeuchte. Auch die Porzellanteller,
die Zinnkrüge waren sehr schön.

Siehst Du, Jörg, das ist es. Schwarz traf ins Weiß. Darum ist auch Dein
andres Ohr schwarz. Das weiße ist dumm wie der Acker Europa, hört nichts.
Das schwarze hingegen hört alles: Vergangnes und Zukünftiges, bis sich der
Kreis schließt. Es hört so genau, daß es weiß. Und vernimms: es gibt keine
Gerade, was grad deucht, ist Stück vom Kreis. Darum ewiges Symbol die
Schlange, deren Kopf den Schwanz beißt, so sich frißt. Aber laß die
Filosofie, Jörg, die ist nur ein Käsezuber. Im besten Fall. Denn sonst
fehlt auch der Käse.

Als sie akterschöpft halb schläfrig lag, hüpfte der Nigger hinaus, tanzte
im elektrischen Lichtgewog vor bezechten Ministern, griechischen und
tschechischen Dirnen wilden Tanz, daß alle im Halbkreis ineinanderverbogen
den Urwald brüllen hörten. Staunen goß über Fallobus herab: der Neger, der
hier nackt trampelte, daß ihm Schweiß bächefloß. Das war Parföm für die
schnuppernden Nasen der geilen Huren. Und sie griffen sich selbst. Denn die
Minister hatten ihre Klemmer verloren. Fallobus wuchtete Beine durch Luft,
trat klitschend aufs Parkett, ließ Muskel, Geschlecht zucken, war und
verhieß: Stärke, Zeugung, Koloß, Kraft zur höchsten Potenz. Und wieder
brüllte Urwald.

Drinnen lag die Begattete und schlief fast glücklich.

Urwaldtanz und Urwaldsang umwob die ersten werdenden Zellen Jörgs. Auch
blökte der Kriegsminister wie ein Schaf. Ein Schampanjerglas klirrte und
löste seine Scherben in Wohlgefallen über einen fraulichen Unterleib aus,
der entblößt herrlich gurrte. Damit nur nichts passiert, schrie der
Kriegsminister. Dann lassen sie halt ihre Kanone los.

Auf einen Flaschenrund leuchteten imaginäre Haare zwischen Fleisch herab
Warum grüßen denn nur die Pferde so devot? Und man hörte einen Bach
rieseln.

Der Nigger grinste bleckend Zähne.

                                * * *

Nun schaute Jörg zu, wie er in Finsternis Zelle an Zelle setzte: So ward.
Überbald im siebenten Monat zerbrach sie das gläserne Gefäß und die Bäurin
stieß Frau mit Keim hinaus. Nun kam durch die Nacht der rotschlitzige
Sklavenaufseher und striemte mutterndes Weib, bis sich ihr Blut mit dem
Salz ihrer Tränen vermischte. So ward endlich der Maure gerührt und barg
über die Blasse den Mantel. Immerhin freute der Heide sich bald über die
dreizehn Füchse, die sich gülden in seiner Hand drehten, als der Portugiese
doldige Frau wegschleppte.

Dann saß er dabei und hauchte der Mutter wärmend auf die Scham, als er auf
einer andalusischen Barke im Hafen Lissabons zur Welt sich schrie. Drei
Matrosen, wütend, weil aus heißem Kartenspiel gerissen, stießen herbei,
sahen kreischendes Weib, das sich in Blut suhlte. Man griff Jörg, dann die
Mutter, die schon Augen geschlossen, steif gekrampft so erkaltete. Schnell
warf einer die Tote über die Reeling. Der große Steuermann setzte Jörg die
Bulle an, ersoff ihm erstes Geschrei im Branntwein.

Die zwei Andern lachten endlos über die Scheckigkeit der Ohren des
Neugebornen: das eine weiß, das andre schwarz.

                                * * *

Dann tobte Straße um ihn. Spielzeug war Kot. Labung Prügel. Steuermanns
Haus schnapste Budike. Pflegvater selbst war auf See. Seine ihm
unangetraute Frau Hafenhure. Auch Zwischenhändlerin für feine Leute mit
seltenen Genüssen. Alles ist bei Coma zu haben, war Parole und Schild. Doch
am meisten pflog Coma am eignen Körper edles Handwerk. Litt gern orkane
Passion. Sie, gar massiv schnellte sich besonders an massive Männer. Oft
sah Jörg zwischen zerschlagnen Fenstern wundersame Vorgänge, die Wärme
überprickelten. Einmal frug wissenwollender Knabe qualles Weib: warum
liegen immer die fremden Männer in Deiner Stube? und fühlte schon den
Schlag, der sein Gesicht benetzte. Da frug er nicht mehr. Spielte weiter
mit Kot und den andren stinkenden Kindern der Gosse, sah einmal, und sah
einmal betroffen auf, als elegantes Gig von vornehmer sehr schlanker Dame
gezügelt, knapp vor mittagsöder Budike hielt, energisch den Rappen bremste,
vom Sitz mit leichter Lassobewegung sprang, dabei ein kleines Weiß unter
flutendem Rock sehen ließ, doch nur für den Schwung eines Moments, schon
stand, beschattet durch livreeierten Diener vor dreckbeschmiertem Jörg, dem
mauloffnem Jungen mit Gerte gering über Backe fuhr und tönte: Ich brauche
einen jungen Athleten. Die Coma handelt doch damit. Führ mich zu ihr! --
Jörg faßte durchaus nicht, schrie aber kreischend: die Königin! die
Königin! rannte damit weg. Ziehmutter Coma indes trat vor die Tür, glänzte
in Verneigerei, offerierte drinnen ihre Ware: starke Burschen, die sie
teils selbst schon erprobt. Drei Goldstücke erlechzte Coma für angepriesnen
Mann, auf den die Wahl der Dame fiel. Für ein halbes gab sie noch ihren
Jörg darauf. Dann scholl Stimme durch das Gerümpel, scharf: Jörg! -- Halb
scheu, halb dummfrech angeschlichen ward Jörg geheißen, der Dame zu folgen.
Der starke Mann kommt abends um acht, betonte Coma. Mit der Königin soll
ich gehen? stürmte Jörg. Schaf! es ist Rahel, die Tochter des erzreichen
Börsianers. Sie bezahlt mir gut für Männer, die etwas treffen, setzte sie
noch klein für sich hinzu.

                                * * *

Nun war Zeit umrahmt von Mayonnäs, kandierten Früchten gebackenen Hühnern.
Körper entlaust schwoll in guter Wäsche. Spiegel warf Bild eines vornehmen
Knaben. Jörg hielt Rahels Haus für Traumland künftigen Paradieses. Wenn
nicht gerade schon jetzt Paradies, so doch immerhin Paradiesbett. Wonne
wars ihm, täglich gegen Abend zusammen mit Rahel zu baden. Sie spielte mit
ihm, doch wußte er noch nicht, was es bedeute. Nur leicht dämmerte ihm
erste Geografie: Halbkugel, Gebirg, Bucht, Schlucht, Waldung, See und
wieder Bucht mit äquatorialer Wärme. Bei Nacht lag er Wache vor Tür ihres
Gemachs, wenn ein Mann über die Schwelle in Schwüle getreten. Rahel liebte
Abwechslung. Aber viele rochen nach Fusel. Alle aber waren Hünen. Erste
Zeit blieb Jörg in Entwicklung zurück, deshalb wollte ihn Rahel zum
Eunuchen bestimmen. Dann aber schoß er hoch. Bekam Muskelansätze. Brannte
schon immer mit ihr zu baden. Schon des Morgens genoß er davon im Geiste.
Es überkroch ihn etwas wie Wohlgefühl. Rahel leitete langsam über. Und da
entsann er sich dunkel, in der Budike Ähnliches belauscht zu haben. Und er
lernte gut: war Stier an Wucht, doch geschmeidig, ausdauernd. Da trat Rahel
badentstiegen nackt zu Nacktheit sprechend, nochmals den Jüngling Jörg
kritisch überprüfend arabeskenhaften Ausspruch: es wäre mir leid, soviel
Talent und Kraft zu beschneiden. Nein, Du paßt nicht zum Eunuchen, Du bist
Künstler Deines leibbeseligenden, ach, ganz wunderbaren Instruments, das Du
wie einen Meißel gebrauchst, sicher, straff, bestimmt. Wenn Du schon kein
Bildhauer wirst, so gewiß ein Frauentröster. Du bist Goliath, mein Goliath!

Da trat Jörg ungemein fest auf, daß der Lüster erschrocken von Decke
niederbrach. Man hörte aber keinen Zerlärm, denn er, Jörg, schrie wie
Urwald.

                                * * *

Auf einer Lustfahrt schwand Lissabon, portugiesische Küste im Hintergrund,
böende Winde trieben über Deck, dann waren Elemente heimtückisch ruhig, bis
es blies und nächtens die edle Privatbarkasse in Gottergebenheit kenterte,
Rahel mit Anhang vergluckste im Gewog, Jörg allein schlug mit Kraft das
Wasser, wild, nun beharrlich lange, einen Tag hindurch, den zweiten und
spuckte sich abends an Land mit Hafenlärm: Genua.

Fremd umklang ihn Sprache, sein portugiesisch Geschrei blieb unverstanden.
Doch Athletengestalt gefiel: ein Mann kurzstirnig, berußt, dang ihn als
Baggerer. Mit Genossen im Schlamm von Hafenrinnen stehend, schleimte er
genuesische Laute nach, bald. Rammte die Pflöcke, platzte so im Gestemm
schier vor Kraft, Entzücken und Wasserzusammenlauf auf zuschauende
Schiffsdirnen, auch Kapitänsfrauen abwälzend. Bekanntes profezeihtes Glück
längst seliger Rahel stülpte sich um seine Lenden. Die Herzogin Giova sah
Jörg von weitem, brach in Sehnsucht aus, ging pralle Mannesmuskelkraft,
Geschlecht sich stets erotisch vermengt vor Augen verlangend heim, schickte
noch nachts ergebne Sbirren zum Hafenarm, wo sie vormittags den Starken
geschaut, ließ Jörg aufgreifen. Noch vor der Gleiche lag er gefesselt zu
ihren Füßen im sinnlichen, seltner Gerüche durchdufteten Gemach und beugte
Haupt in Erwartung des Todes. Sie faßte jedoch geübt, vor Gier kaum lächeln
könnend, riß ihm die Kittel vom Leib. Ward verrückt vom Geruch seines
Schweißes, verschnob sich schier, lechzte, trank, biß. In kleinem Zimmer
hielt sie ihn tagsüber versteckt. Einmal schmeckten ihm ihr Leib, ihre
Lüste nicht mehr, sprang auf, schlug klirrend durchs Fenster, fiel weh aufs
Kreuz, schon auf, über Parkmauer im Schwung, landeinwärts lief. Früchte von
Bäumen gerissen, ihm Nahrung. Durch Staub, der weißlich durch alle Winde
goß, an Klostereien vorbei, Sbirren ausweichend, die scharlachrot bemützt
auf Heeresstraßen nach ihm suchten, endlich bei Sonnensunk er laute
breitdurchstraßte Stadt betrat. Einer Höklerin warf er ins einfältige
Gesicht Frage nach Namen dieses Orts: Milano. -- Gebrechlicher Mann frug
plötzlich, kaum neben ihm, mit hartem Italisch. Jörg schlug ein, ging mit
Messer Sebaldo, ranzte sich hin, schlief morgenzu, erwacht stand als
Holzschnitzer auf. Staunte noch über plötzliches Spaltel in der Hand, das
ungefüg Ritzen ins Holz querte. Schaute auf, traf Sebaldos Blick, erinnerte
sich, daß er gestern auf Straße wegmüde von jenem Gütigen aufgegriffen,
versprochen hatte, Gottesschnitzerei zu lernen. Der Messer war, so kramte
er aus Rederei zusammen, nicht Mailänder sondern war aus Deutschland ins
Welsche zugewandert. Jörg lernte schnell, zeigte Geschick, ja sogar Gefühl,
fing auch etliche deutsche Brocken auf, sang, war zufrieden. Zumal ihm noch
junges Weib des Messers Feierabend mit Busen und andrem vergnügte. Nach
Jahresablauf sauste unerhoffte Freude über schwächlichen Messer Sebaldo
hinweg: seine Frau warf einen kräftigen Knaben ans Licht. Da dem Gesell
mütterliches Weib nicht behagte, auch er nicht Ähnlichkeitstheorien in
bezug auf Neugebornen für später abwarten wollte, nahm er Abschied, ging
seines Wegs, ein Stück Hammelkeule als letzten, gar nicht so sentimentalen
Liebesgruß im Felleisen.

Alpenzu er schritt.

                                * * *

Am St. Gotthard warf er seine beschmutzten Füße in das Kloster, sagte, er
sei vom Himmel gefallen, früher Abt in Rom gewesen, jetzt hierher gekommen,
um klösterliche Küche zu inspizieren. Die Brüder schlugen die Mönchskutten
über ihre Scham und freuten sich sehr. Haha, dada, allelujah. Zu beten
vergaß man. In großer Küche rastete Jörg. O das schön geputzte
Messinggeschirr, die prachtvollen »Weck«gläser! Nahm Kienholz von der Butte
beim Herd, griff Rundmesser, schnitzte schnell, sehr schnell ein Kruzifix.
Da fielen die Mönche nieder, kredenzten Wein, gelobten ob des Wunders sich
nunmehr zu kasteien mit Kastanien, aus ihren Bäuchen, Faßbäuchen leere
Schläuche zu machen. Denn ein Abt ist vom Himmel gefallen. Mit einem Topf,
gefüllt von Quark. Jörg aß, aß, aß. Blieb. Aß. Doch da ihm die Küchenmägde
durch die Dauer der Klosterjahre, noch mehr aber durch die guten Brüder
schon zu arg verbraucht, die einzige junge, kürzlich erst aufgenommen, er
in einer Nacht gesprengt, daß sie sich in Blut vergaß, machte er sich auf,
hielt sich zwanzig Hühner und fünfzig Falernerflaschen in seinen Ranzen,
nahm einen bedeutenden Kranz von zweihundert Pasteten um den Hals, ging aus
dem Kloster, von den Mönchen Hosianna über Kopf und Rücken nachberufen und
von den Mägden schmerzlich bedauert, besser gesagt betrauert.

                                * * *

Auf der Landstraße östreichzu, hing sich ihm ein Mann mit Boxkalfschuhen
und Zylinder an: Kommis aus Wien. Der Jüngling sprach ein wenig Italisch,
auch hatte er d' Annunzio gelesen. Jörg griff dagegen Bissen von Deutsch
auf und schonglierte bald damit, daß der Kommis gut erstaunte. Auf dem Weg
tummelten sie Kurzweil. So steckten sie einer Bauerndirne, die beladen mit
Eierkorb ging, einen ranzigen Fisch unter die jedenfalls keuschen
steifgebügelten Röcke, daß der Korb kippte, sie bedrääängt nach dem Herrn
Pfarrer schrie, Eier in klägliches Gemeng von Gelb zerbrachen. Noch ganz
Gebliebne haschten sie sich zu, gingen gesittet weiter, filosofisch Lied
frisch und freudig singend: Beim Schwanewirt ist Musik, beim Schwanewirt
ist Tanz! Kutschen mit feinen Leuten als Insassen grüßten sie frech.
Hirsche sprangen durch die hochrote Au, ein mit Zyankali angepfropfter
Frosch zwinkerte unmerklich, aber aristokratisch Als sie einmal jemand
befrug, wer sie denn seien, sagten sie imponierend stolz: wir sind zwei
Professoren und suchen den Punkt. Jawohl den Punkt! -- Dann, es war schon
im Steiermärkischen, klopften sie Steine auf einen Wagen, der mit Porzellan
fuhr. Und alle Töpfe zerbrachen laut schreiend. Es waren nächtliche Gefäße,
bestimmt für den Freiherrn von Pospischil, der an allem Möglichen litt,
monatlich mindestens dreihundert Stück solch nützlichen Geschirrs zerbrach.
Das Geld hiezu wurde bei den p. t. Untertanen von einer k. k. Steuerbehörde
noch zum Überprozent hereingebracht. Dafür zogen alle Leute demütig, auch
freudig ergriffen den Hut, wenn sie den guten Freiherrn sahen. Manche
Mädchen sangen dazu: Lang leb unser gnädger Franz!

Jörg und dem Kommis war's behaglich. Da bügelte sich schon der Stefansdom
in die Luft. Mit einem: wir san woas! betraten sie walzerumtakte Stadt. Bei
der Theres herbergten sie. Knapp, ehe sie ihr Haus beschlüpften, fiel Jörg
vor einem Mann in kostbar verschnörkelter Kleidung und schwarzem Tschako in
die Knie. -- Was machst denn Jörg? -- Ich dacht, das war der Herr Kaiser!
-- Kalb! das war doch ner ä Briefträger! -- Angegessen schliefen sie. Früh
war der Kommis weg. Auch Jörgs Felleisen und wenge Sechserln. Dafür lag ein
Zettel da, worauf stand: Behüt Dich der Himmel. Ich fahre nach Ägypten, um
mir den Clemenceau zu besternen, zu bestaunen, wie er sich vor mir
erbrechen soll. Oha! -- Jörg wollte sich schöne inhaltsreiche Epistel auf
Portugiesisch übersetzen, traf es nicht, hätte aber trotzdem gern einen
Regenschirm gehabt. Zum Aufspannen bloß. Doch die Wirtin, die noch schwer
an ihrem Busen trug, erließ ihm für eine gute Arbeit lachend die Zeche,
sagte sichtlich bewegt: Komm bald wieder! -- Da kannst Du lange warten, Du
Bottich, grunzte Jörg halb portugiesisch, halb italisch bei sich, laut aber
sagte er deutsch: Grüß Gott!

                                * * *

Als er Hämmern hörte, trat er bei dem Steinmetz ein, bat um Arbeit, bekam
zugesagt. Abends schaute er am Güterbahnhof zu, den Zügen, es rollte an,
vorüber, wieder, im Taumel der Sekunde tat er Sprung, fiel auf Säcke, fuhr,
duckte sich zurück in Wagen an Stationen. Nach dreißig Stunden stockte Zug.
Jörg turnte ab, spürte Nacht, rannte gen fernes Licht. War an sächsischer
Grenze. Sah im Trübschein des Zollwächterhauses einen Karren mit Milch.
Packte eine Kanne, soff sie aus, schlief, morgens schritt er
erzgebirglichen Hang hinab ins Tal.

                                * * *

Da er nichts Beßres wußte, ging er von kleiner Stadt umdrängt zum
Gymnasium, schrieb sich dort zum Erstaunen der Professoren und Schüler in
die genaue Liste ein, lächelte dann sanft, und bat um Empfehlung für ein
moralisch gediegnes Kosthaus. Er war genug schlechter Schüler, aber
Erfüllung aller Frauen der Stadt. Kannte die abgelegensten Winkel. Das
hielt man für sehr scharmant. Da er zum Schluß fand, daß er überall vor und
nach getaner, überaus präziser Arbeit gut aß, ließ er endlich sein
Schülertum, sagte sich: Du bist schon über zwanzig! zog den Hut, ging auf
seinen Mathematikprofessor, der durch feiertägliche Straße lustwandelte, zu
und erkühnte sich barsch diese Frage: Was ist ein Punkt? -- Betroffner
ältrer Mann leierte Nervenschwach, ganz blaß den pythagoräischen Lehrsatz
ab, meinte aber die Schlacht bei Austerlitz, dabei voll Inbrunst an das
Kaiserbild im sonntäglichen verlassnen Klassenzimmer denkend. Jörg drauf
fest und klar: Ich bin aus Religion durchgefallen, Sie aber sind ein
Trottel, fragens Ihre Frau! ging sieggewiß ab und bekam von wartend
lauschenden Jungfraun, auch Ehegattinnen sämtlicher Mittelschullehrer der
Stadt Zigaretten, ja sogar diverse Spezialitäten geschenkt. Er konnte sich
jetzt schon elegant verbeugen.

                                * * *

Nachdem er in einem Krawattengeschäft Freund des dortigen Ladenjünglings
Naz Propper gewesen, war unterdes schon der Winter hereingebrochen und böte
stark durch die Thermenstadt, in der früher Göthe vorübergehend gewohnt,
die Johannes dem Täufer gewidmet war, beßres Wahrzeichen der Stadt aber
wäre wohl statt eines Denkmals auf den Syrakuspilger Seume eine Statue des
herrlichen Jünglings Naz Propper gewesen. Jörg wußte aber diese
Freundschaft wirklich nicht gebührend zu schätzen, sondern trieb mit der
ganzen Weiberkolonne zum Erzgebirge. Dort rodelte er. Auch lief Schi. Blieb
draußen, feierte mit ehrbaren Fraun und Mädchen Sylvester bei einer
Henny-Porten-Leinwand. Die Betten waren sehr elastisch. Machte um die
Zwölferstunde komische Gebärden und schrie:

Ich bitte nicht drängen meine Damen!

                                * * *

Zur Sommerszeit war Jörg Matador der Sportplätze und schoß wahre Parafrasen
im Fußball, daß alle entzückt schrien: Oooo! Jörg! riefs übers Feld, Jörg!
hallte es wider. Nach Spiel vom Publikum begafft, umjubelt, von Fraun
herausgetragen und schenkelbeklopft, das war sein Leben. Da entschloß sich
Jörg, einem allgemein dringendem Wunsche entgegenkommend, liebenswürdig,
seine Biografie vom Stapel zu lassen und kündigte daher einen Vortrag an,
betitelt:

                           MEIN WERDEGANG

                      Ein Evangelium der Kraft

Ah! seufzten alle Turnlehrer der Stadt und strichen sich ihre besemmelten
Bärte, das riecht nach etwas. Gegen das verzückte Wonnegeschrei der
Damenwelt war das aber noch gar nichts. Abends war der Saal ausverkauft.
Jörg trat heiter lächelnd zum Podium, nachdem Glocke schon elfmal zur Ruhe
getönt. Doch ehe er beginnen konnte, stand vorn, natürlich in der ersten
Sesselreihe Fräulein DDr. Bathseba Schur empor, die, da sie auf
Medizindoktorat auch noch das der Filosofie zugetürmt hatte, so 24 Jahre
alt, für den Horizont des Spießbürgers im allgemeinen und für die kleine
Stadt mit Naz Propper im besondren immerhin ein Fänomen war, zur schärfsten
Betonung ihres Ausnahmemenschenweibtums Haare kurz geschnitten, angenehm
illustriert mit behorntem Klemmer auf süßlicher Nase, nebenberuflich
Heraldikerin, stand also energisch auf und fragte:

Ehe wir Ihre Biografie vernehmen, haben wir ein Recht zu wissen, wie Sie
heißen?

Jörg sagte mit einer ungeheuer jovialen Verbeugung:

Ich heiße § §.

Wie bitte? Paragraf Paragraf!

Ah! da sind Sie wohl der Embryo Ihres Jahrtausends?

Nein, nur der Zeitgenoß meines und _Ihres_ Jahrhunderts! Man lachte ob der
Antwort und verzieh ihm alles. Auch wurden die Lichter ausgedreht, schon
damit das sehr gescheite Fräulein DDr. medizinische Studien befaßlich
betreiben konnte. Hurra!

                                * * *

Die Folge jenes Abends war, daß sich Jörg mit dem vielgescheiten Fräulein
DDr. Bathseba Schur verlobte, einen Tag drauf schon den veilchenblauen Bund
der Ehe schloß. Schwierigkeiten sind unter feinen Leuten nicht am Platze.
Da Bathseba in der Hochzeitsnacht, zu der ihre beglückliche Mutter
besonders massives Kolossalbett beigestellt, ihren neuen, ach sehr
kräftigen Mann aus einem sentimental kuhischen Gefühl heraus unter
Absingung alter Tempelmelodie beschneiden wollte, gab er ihr eine
Maulschelle, die nach Autobus roch, daß ihr der Klemmer vom rudimentären
Sattel der Nase glitt, sie zumindest ein Doktorat im Schauer des
Ereignisses vergaß. Er lief erregt durch den Raum, fühlte Kälte trotz der
Jägerwäsche, als aber liebe trübe Bathseba in verzweifelnder Kopflosigkeit
kein andres Mittel mehr wußte als sich ganz zu entkleiden, nackt und
phallushungrig auf ihr lechzendes Passivum wies, da heulte er erst recht
auf, stürzte weg. Im Lauf riß er die Marmortafel unten vor der Haustür mit
der schön gelockten Nachtglocke stürmisch ab, daß der wilde Jäger Wuotan
schier erschrak, sah plötzlich rückwärts bekanntes Doppeldreieck, rannte,
rannte, rannte, trat schweißübertüncht, lungehüpfend in muffigen Wartesaal
kleiner Bahnstation, verschwand im Zug, der bald anschob. Fuhr Tag und
Nacht, bis ihn die weiße Einsamkeit Lapplands begrüßte. Als ihn erster
Eskimo blöd bestierte, fragte er sich erst, d. h. fand er nun Zeit zu
Fragen: Wie bin ich eigentlich hierhergekommen? Er blickte auf zum Äther,
sah dort groß, grau im Gewölk die Initialen des Korsen Napoleon. Dazu hörte
er auf einmal wie von sehr fern: Puppchen, Du bist mein Augenstern! So ins
Leere gewissenhaft gestarrt, waren gleich Renntiere gut zu ihm, er begriff
hier erst voll und ganz Franz Marc's Tierlegende, Verwandtschaft des
Menschen mit Tier, die schon längst vergessen, ja Brüderlichkeit, wäre
nicht Mensch bösartiger, fuhren nachdenkenden Gast an Hütte im schiefen
Eisgebirg. Trotzdem Jörg nur einen pepitanen Sommeranzug trug, fühlte er
durchaus keine Kälte, sondern stürzte, als er niedrigen Raum betrat, mit
einer nicht alltäglichen Brunst über das frische derbe Weib, das ihrem Kind
eben die Zitzen gab. Während der wilden Begattung, Spaß nach einer Bathseba
Schur diese Wasserfallablenkung, stand der Besitzer dieses Weibes erfreut
lächelnd dabei, und als beide matt, von so viel Erfrischung matt, kroch er
an Jörg, leckte ihm bedankbarlich die schöne fette Hand. Jörg platzte sich
inmitten der Felle auf brüllte: Hier herrscht noch die freie, primitive
große Lust der Zeugung. Da Da! Hier ist die Mutter aller Kultur. Woher ich
komme, aus dem verfluchten Westen, dort grinst nur strafbare Exhibition
statt Kultur. Da Da! Ich fühle mich so stark, daß ich eine ganze Erde
zeugen möchte. Da Da!!! -- Mann und Weib, die bang zugehört, verstanden
fremde Laute zwar nicht, fielen aber nieder, weinten auf seinen Unterleib
herab, denn sie hielten ihn für den Gott der Himmelswut. Dann schlugen sie
selbst ihre Nacktheit. Nächsten Tag standen hundert Eskimoweiber draußen
und baten um seine Mannheit. Er bezwang sie alle in drei Nächten, leicht.
Bei Licht küßten sie seine Füße. Nur bedauerte er, daß hier kein Telefon
war.

                                * * *

Dann schlief er lange, einmal, bolschewistische Träume spazierten durch
seinen Hirntopf. So sah er sich als Gründer der Fabrik
Unikum-Kleeblatt-Margarine. Wenn das schon nichts auf sich hatte, so war es
doch immerhin ein Urin-Chronometer. Eben fand er die astrale Kurve, die
über Cézanne dreimal um Picasso sich wand, bei Arp und Hausmann, assistiert
von Klee endete. Auch Palmen fächelten.

                                * * *

Ich schicke, ich Jörg, Serner und Tzara meinen intertellurischen Gruß und
freue mich schon auf die Kahnfahrt über den Niagara. Wer spricht da Ich
Jörg? Jörg bist Du, kein Ich! Blick, wie Jörg über den Wasserschaum
schnellt, der Kahn kracht mitten in der Luft, zwischen Gebrüll und Gischt,
setzt sich dann zum Erstaunen aller Ur- und Blattpflanzen wieder zusammen,
steigt am Ufer aus, wirft drei Löwen, sechs Leoparden, zweiundachtzig
Pinseläffchen und eine Generälin von der Heilsarmee zu Tode. Dann kamen
Serner und Tzara, begrüßten Jörg und alle drei wurden zum Präsidenten von
Amerika, Zentral- und Südstaaten mit inbegriffen, gewählt. Eine Dreiheit
eins. Das war noch nie da. Aber Da Da. Neuer Präsident arbeitet keinen
Völkerbund, auch keinen Friedensvertrag aus, wohl aber verbot er das
Waschen mit der Sun-light-Seife. Eben wollte Jörg, freudig ergriffen für
Ovation oder gar Revolution danken, als ein Papagei, grün mit blauem
Schnabel, rosenrote Arie sang: Nun sei bedankt mein süßer Schwan!

                                * * *

Durch Jahrtausende glitt Jörg durch viele Zellkörperchen zurück oder vor?
weil er plötzlich vergaß, was Zeit sei, und kroch in Nagasaki aus Blau des
Himmels. Nicht Jörg rief man ihn, sondern Hoku. Schwitzte als Kuli, trug
vornehme Herren, Beamte, Schogune. Einmal tropfte Prügel auf sein Gesäß, er
Hände schützend darüber haltend lief durch Reisfelder, lang, bis knapp der
Futschijama in sein beträntes Gesicht leuchtete. Eine Stimme sang: weißt Du
denn nicht, daß Du einmal vor Jahrtausenden, oder wird es erst sein? als
blasser Mann von einem Haus fielst, daß Dir der Schädel zerbrach und alle
Atome schüttrer Hirnsubstanz durch den Kosmos fegten? -- Da besann sich
Hoku, klagte nicht mehr, rief aber durch den Schnee der Kirschblüten
fremden Laut: Jörg.

                                * * *

Er war Maurer, hatte weißes Gesicht, dunklen Bart, fiel vom Dach, brach
sich Genick, stand auf und ritt auf einem Silbergaul weiter als Student. Im
Butzenscheibenhaus er verschwand, sah im Vestibül eine große Fliege,
schrie: Fliege! schlagt sie tot! stürzte darnach, es schien ihm als stünde
er am Platz Notre Dame zu Paris, viele Leute fielen, verfolgten die Fliege,
fühlte er, die Fliege, Jörg selbst, die Streiche, fiel hin, trat gleich
drauf aus dem schlanken Gebäude, leichten Druck wie von Büchern unterm Arm,
der Schofför verneigte sich tief, Auto nahm ihn auf. Erstaunt. Sonst fuhr
darin ja die berühmte Tragödin Mia Miu. Warm wars innen. Kleiner Tisch
pries solide Speisen aus. Vollständig auf der Höhe der Zeit, wirklich
erstklassiges Auto, dräut der Winter noch so sehr. Da unkultiviertes
Geschrei: wüster Balkankopf schaute herein durch geschliffnen Glasesglast,
aufriß Tür, Bombe schwingend er sich plötzlich slawisch devot
entschuldigte: O verzeihen Sie, ich dachte, Sie sind der Thronfolger von
Österreich-Ungarn, der durchlauchtigste Herr Erzherzog Esterhazy Bankerott!

                                * * *

Das halt ich nicht aus! warf Jörg seine Arme, griff aber nur den Busen des
Eskimoweibs, erwachte aus höhnischen Traumgesichten, fand sich da als Jörg.
Er hatte seltsamerweis Füße oben auf der Fellstatt, Kopf hing ihm unten. Da
stand er auf, schüttelte seine Mähne, rief: Frisör! Als niemand erschien,
befahl er den Schlitten zu richten, schrieb schnell noch ein Buch über das
Vorkommen der Beistriche und Punkte bei den Romantikern, besonders zum
Gebrauch für Eskimos dargelegt, erläutert, mit Anmerkungen und Fußnoten
reichlich versehen, klopfte einer jeden von den abschiednehmenden Urweibern
eins leutselig auf die Scham, und fuhr. In Hammerfest mietete er Boot,
ruderte, schlug Winde und Wasser, schrillte einmal als er fern
portugiessche Küste nach Wochen sah, schoß schon unterm Äquator, stieg in
Afrika ans Land, bölkte: Da da bin ich.

                                * * *

Hier bedeutete Leben siedenden Kampf. Fletschende Nigger wollten dem
schmucken Mann aus Elfenbein die Haut abziehen, er hob aber wuchtig seine
Pranken und die plastischen Negerköpfe sahen alle Feuer vom Himmel lodern.
Also verehrten sie ihn als Gott, Sonnengott. Das, was man nicht verzehren
kann, sieht der Mensch als Gottheit an. So stand es in der Grammatik. Nur
schmerzlich wars, daß Jörg auch hier das Telefon vermißte. Doch
Morsetelegrafie verstand man. Besonders die Negerweiber, die sich, als sie
Jörg sahen, vor ihm unscheu, ganz dem Zweck der Sache entsprechend
hinspreizten. Ein starker Mann ist überall gern willkommen. Dieser Satz,
vorgeahnt bei der Reichsgräfin Motz-Flankenbusch in Berlin WW, wurde ihm
hier inmitten der Kannibalenweiber erst voll und gediegen bewußt. Zum
Zeitvertreib machte er aus Gummibäumen schöne Gegenstände, die er
gelegentlich den Fraun der Mitglieder der Friedenskonferenz zu Paris
überreichen wollte.

                                * * *

Sonne scholl mächtig am Zenith, als er vor dem König und sämtlichen
Ministern des Kautschukstaates einen volkswirtschaftlichen Vortrag hielt.
Kannibalisch sprach er schon besser als europäisch. Jörg erörterte sehr
eingehend die Relativitätstheorie mit besondrer Berücksichtigung des
direkten und allgemeinen Wahlrechts bei Fraun und bat zum Schluß ein
geehrtes Publikum Hedwig Courths Mahlers Werke künftighin zu singen. Das
verbat sich aber sofort der Königshäuptling Tschampassa sehr energisch, da
auf Jörgs soeben entfloßnen Rat hin gleich alle Kannibalenweiber kräftig
angefangen hatten zu singen: Lori vergib! Als man die erregten Fraun
inbezug auf diese Originalhymne beschwichtigt, fuhr Jörg fort in Rede.
Allen Jungfraun ist Jungfernschaft und Grafenheirat im Voraus garantiert,
sogar patentiert D. R. P. Nr. 606. Da stand ein Minister auf, trat an Jörg
heran, sprach etwas. Jörg kühl: Sie meinen das ist Patent für eine
Bogenlampe? Aber ist Bogenlampe und Jungfernschaft nicht einunddasselbe?
Der Minister machte eine zweideutige Bewegung, die Jörg aber eindeutig
auffaßte, meckerte beinah: Ich verstehe jetzt Herr Minister. -- Ich bitte,
dafür beziehe ich auch Gehalt.

Der Vortrag endete tief ergriffen. Sämtliche Negerfraun sandten eine
Begrüßungsdepesche an alle Dienstmädchen, absolvierten Gymnasiastinnen und
Hörerinnen der Filosofie inbezug auf vorteilhafte Hebamme und
Schriftstellerin H. C. M. mit der ungeduldigen Schlußfrage: wann kommt denn
schon der nächste Roman? Umgehende Drahtantwort bitte unter: Klub der
Negerkünstlerinnen, Kautschukstaat, Afrika.

                                * * *

Schon war Jörg nahe daran im Kautschukstaat eine Eierkonservierungsanstalt
m. b. H. zu gründen, als er mittels eines Kranichs einer Ungemütlichkeit
entfloh, nach Schina, denn sonst hätte ihn ein hysterisches Negerweib
beinah in seine Mannheit gebissen, die ihm doch so teuer. In Schina
gestrandet, betrat er Schantung, weise Heimat Kungfutses. Vor dem Tempel in
Küfu drosch er nieder gleich Blitz, ward so im Gelunger rückwärts
achselberührt, nahm schon Huldigung des gastlichen Würdenträgers entgegen,
sprach sonderbarerweis Schinesisch, erinnerte sich überhaupt nicht mehr
seiner weißgesichtigen Heimat, gelbte Gelb, hieß: Lü Tschang. War
kaiserlicher Statthalter, ging, als er hochbetagt gestorben, bei seinem
Begräbnis mit, war auch unter den Zuschauern auf der Straße, von wo aus er
den Leichenzug ehrerbietig, fast demütig grüßte. Dann durch den Kopf eines
Mörders gefahren, der eben in allen Sprachen gescharfrichtert wurde, nun
sich in das blöde Lallen eines Neugebornen versteckte. Als er in
Rattengestalt durch schmutzige Straße Pekings lief, ungeacht ihn aber alle
als Gottheit beriefen, da stank er sich aus, verging, schlüpfte durch Äther
hinaus in den Weltenraum, atmete erleichtert freie Zugluft, dann auch nicht
mehr dies, murmelnd: Jörg, Jörg! flog plötzlich schneller, rutschte auf
ausgestorbnes Land, das magisch wie Castans Panoptikum schillerte: Mond. --
Eben griff er mit Händen um sich, als aus einem Krater mit vielen
Bücklingen ein Mann segelte, vor ihn hintauchte und sich griechischen Lauts
als Pythagoras vorstellte. Jörg hätte ihn kaum erkannt, denn dieser
anmutige Zellhaufen, einst so berühmt in der Mathematik seines
Mutterplaneten da unten, sah jetzt unfaßbar verworren aus. So stand
Pythagoras' Nase beim Hinterkopf, der Mund schwoll zwischen Gefüßwinkel wie
frauliche Schamheit. Freudig teilte ihm der Greis mit, daß er der einzige
Bewohner des Monds sei, jetzt von Glück aber fast übertroff, da noch ein
Lebewesen, was man so Lebewesen nennt, angekommen sei, dem er längst
bedrückendes Geheimnis anvertrauen könne. Trotz mondlicher Kälte, die Jörg
unangenehm übereiste, schwitzte Pythagoras arg wie er da sprach: Lieber
Erdenfreund! Mein Lehrsatz ist falsch. Hier habe ich erkannt, daß es heißen
soll: der Kreis über der Hypotenuse, rc = ½ c, ist gleich der Summe der
Kreise, ra = ½ a, rb = ½ b, über den beiden Katheten. Denn merke Dir: alles
ist Kreis, nie Quadrat. Quadrat ist unendlicher Blödsinn zur Minuspotenz.
Ich wollte diese Erkenntnis, Berichtigung schon immer hinabsenden zu dem
besoffnen Fragezeichen oder Anfangsendpunkt, aber dieses tolle Gewürm da
unten fängt wohl meine Lichtstrahlen auf, glaubt, sie seien vom Mars
gefunkt, und telefoniert mir mit meinem falschen Lehrsatz zurück, daß mir
vor lauter Ärger die Nase nach rückwärts, der Mund in die Knie gefallen
ist. Komme ich wieder dereinst nach irrationalen Jahren auf diesen
intertellurischen Fußball »Erde« zurück, dann werde ich
Billardkugelfabrikant. Schabel schimel schum. -- Mathematischer Greis
glotzte geometrische Zirkel vor sich hin. -- Eine Frage lieber Pythagoras:
meinen Sie, daß es Erfolg haben könnte, hier auf der Mondlandschaft eine
Fabrik für Reformunterhosen zu gründen? -- Das wäre auch für Nichtwesen im
allgemeinen und für mondliche Bakterien im besonderen zu unpraktisch. Schon
wegen der gegenseitigen Anziehung. Schabel schimel schum. -- Da kehre ich
also mittels Parabel zur trunknen Erde wieder rück, sauste schon weg. Mond
auch zu rasend kalt. Vergiß nicht unten meinen Satz zu verbessern. -- Nein,
durchaus nicht, seien Sie onbesorcht lieber Geometrieschonglör, requiescat
in pace oder Konserven sind die beste Nahrung für terren Völkerbund,
lieferbar zu 800 Prozent, Verdienst 2. 600%, dann nicht zu vergessen das
Geheimnis aller Planetenwelten, die es ihren regierenden Sonnen zuflüstern:
Busoform wirkt enorm. -- Schabel schimel schum, schreien Sie nicht so!

                                * * *

Auf Erde gelandet griff Jörg Knochen, schaute auf: neuer Balkan war um ihn
mit großmannsüchtigen Natiönchen, Stimmgewirr heiser, ungefüg, immerhin
slawischer Umkreis beflaggt, buntklecksig, Festorkane bei Zunderbeleuchtung
mit Minusvaluta als Stundenregent: Prag. Gilbe Funzel am umseuchten
Himmelbett Europa. Die Stadt der Brüllaffen und Flöhe, der Korruption, des
neueuropäischen Bazillus idioticus militaris, auch der Angelpunkt
sämtlicher Wimpel einer westlichen Welt mit Salvarsanbehandlung, Zentrale
der Schieber, die mit Staatsbankerott Hausse trieben, der verstopften
Kanalisation, der schnellsten Elektrischen der Welt und Stadt der
sechstausend Minister. Jedermann ist, war oder wird Minister. Dafür geht es
dem Volk glänzend. Es bekommt Uniformen umsonst, schön poliert, darf neun
Jahre lang schießen, wenn auch nur mit Erbsen, und sich am Roulettespiel
Austria rediviva beteiligen. Das alles für eine gute Krone mit
Löwenstempel, die in Zürich auszugeben als internationales Wagnis gilt, da
Du vom schweizer Schandarm sofort verhaftet wirst. Krenwürstel tragen die
Fraun an den Ohren neben böhmschen Brillanten. Auch ist man manchmal sehr
ernst: dann wird hierzulande, Buchtenlande ein Schenie mit I geboren. Das A
singen geigen gurren alle Leute dazu, kommt die Rechnung zur Bezahlung.
Jörg lag erstaunt noch auf holprigem Pflaster, als er urgroßes Tüü hörte,
schrill in sein armes Ohr, das noch vom Mond träumte, und ihn bald ein
ministrielles Auto überfahren hätte. Da stand er todesmutig auf, waghalsig,
brüllte: Ich danke! floh weg. Das Volk, anfangs dumm, heulte dann freudig
auf: Hurra! der HERR Kaiser ist zurückgekehrt, nun gibt's wieder
Kreuzersemmeln! Überetliche Soldaten standen stramm. Vom Hradschin herab
dröhnte innerster Seele des Volks entgegenkommend ergebne Hymne auf das
Haus Habsburg. Klosettdeckel, hermetisch verschließbar, auch schön
bronziert wie manche Kandelaber dieser liebenswürdigen Stadt wurden
verteilt. Durch beblumte Straßen schritt, nachdem vorher stark geböllert,
pariserisch elegant, durch und durch echter Rasta, habsburgischer
Vertrauensmann Ritter Dr. Karl Starkhand in grünspanrostiger Rüstung, in
der er noch vor kurzem nach Rußland ausgezogen, um dort Präsident zu
werden. Da es aber in diesem Lande seltsam brenzlich roch, auch
bolschewistische Popoprügel noch brennend schmerzte, war jener Rasta auf
französischem Kriegsschiff mit Schaumrollen und Yohimbintabletten, tief
beladen, ergriffen zurückgekehrt, wurde hier sofort zum Berichterstatter
höchst eigner Zeitung und zum Verwalter seiner Milliarden gewählt. Es war
ein schöner Akt und geschah unter frenetischem Gebrüll. Auch Kanarienvögel
bellten, während sämtliche Nähmaschinen seufzten. Jörg gurgelte wie
Mundwasser wütend: Wie werde ich energisch oder hier will ich nicht neuer
Herkules sein, der Saustall ist zu weitschweifig! ließ Duft und entwich
nach Madrid.

                                * * *

In Spaniens Hauptstadt tausend Schock Zigaretten, daß er doch immer an Eier
dachte, eingekauft, raste er nach Valljadolid. Hier am Grabe Kolumbus' riß
er Knie nieder, schrie zum erstenmal kein Schalksnarr, kein Spötter, ernst,
groß: WEIL ICH DIE MENSCHHEIT LIEBE, MUSS ICH DIE MENSCHEN HASSEN.

                                * * *

Über Italien schnellzugte Jörg nach Südtirol, aß in Bozen gute Birnen.
Stieß auf sonngeschmückter Straße an faßgeformten Mann mit überroter Kutte.
Ölig lächelte Glattrasierter, bat Jörg um Almosen, sagend, er sei
Minoritenpriester.

Minoritenpriester? Warst Du nicht jener Pfaff, der in Wien im Kaffeehaus
stank? Doch nein, Du warst ja der Verruchte, obgleich gesalbt, der dem
Heiland rostige Nägel durch Glieder schlug.

Nicht gerade jener, doch ist mir Kristus bekannt.

Also bist Du ein Jude. Her Dein Herz! damit ich Dir es entschlitze!

Jetzt nach zwei Jahrtausenden noch Sühne?

Doch schon goß semitisch Blut übers Pflaster. Und Lächeln stob noch, als
er, Jörg, wissend, einen Kristen getötet zu haben, entfloh. Wer? Spitze
grelle Lacher ballten sich noch hoch. Und die Gosse heulte. Und die Gosse
schrie.

Reklame bot frech »ANNA BLUME« an.

                                * * *

Jörg unvermutet in Fiume angekommen, saß im Kaffee, dachte an Thomas von
Aquino, dann an Grünewald, zuletzt an Gauguin, nun Kokotte ihn mit Blicken
überflammte, endlich er sie frug nach Namen und mehr. Sie, statt Antwort,
flötete: Es ist sehr zum Wundern, daß jetzt so wenig Leute an Trichinen
sterben, nicht? -- Allerdings! schrie Jörg, da jetzt zu viel
Granatenauflauf gegessen wird. Mit Muse trank er seine Hammelkeule, jawohl
trank, bannte Eros aus dem krokusnen Umkreis, erinnerte sich schmunzelnd
der Schlacht bei Ronzevalles, stieß laut ins Horn Olifant, als sich der
Kellner heranpirschte, das Schnupftuch aufhob, übrigens ihm das Zündholz
bereit hielt. Nachher legte Jörg seine Hände blau vor sich hin, dachte halb
an den Busen der Gegenüberkokotte, halb an den schönen Flimmer der
Milchstraße, die zum Saturn führt, als klitschnaß das Licht ausstob und
Finsternis durch den Raum peitschte. Schließlich ist unter Umständen
Magenerweiterung, wennschon keine Krankheit, so doch ein Faulheitsübel. Und
Stromschnellen sind auch nicht büchen.

                                * * *

Früh nahm ihn D-Zug in seine Arme, fächelte ihn in Budapest auf den
Boulevard. Ernst antrat Jörg die Beamtin, boste ihm auf Madjarisch zu: Sie
müssen sich am ganzen Körper rasieren lassen! -- Wozu? -- Nicht gesprochen!
und schon schwamm Jörg im Bassin, beschaut, bekitzelt von vielen nackten
Mädchen. Er sprudelte, da gab man ihm eine Rakete ins Maul, freute sich am
Feuerwerk. Als er aufwachte, befand er sich in Berlin, hörte soeben die
elektrische Klingel.

                                * * *

Japan hat letzten Endes auch seinen Mikado. Und Jörg Schuh legte seine
Hände porzellangrün vor sich hin, wartete glommen Blicks. Kaum gepocht,
trat otto-ernst bei ihm ein, auf Kopf den Gamshut, jodelnd, juchzend, sonst
aber wundersam nackt, nur rückwärts im geehrten Steiß stak ihm prachtvoller
Blumenstrauß. Wahrscheinlich Symbol eines Werdegangs. Ich bin nämlich auf
Freiersfüßen, meinte eingetretner gediegner Dichter. -- Da kann ich Ihnen
gute Pommersche Gänse empfehlen, haben zumeist das Doktorat aus
Germanistik, schreiben Lyrik, Tagebücher, auch Dramen. Wenn Sie aber eine
besondre Spezies von gescheuten Damen kennen lernen wollen, lieber
otto-ernst, dann pilgern Sie glatt mal nach Prag. Dort brüten, ja legen die
Doktorweibsen herrlich, unermüdlich Eier. Laufen Sie hin, diese Guten
werden gerne mit Ihnen turnen. -- Ja Turnlehrer bin ich noch immer, bölkte
o. e. stolz. -- Na also!

                                * * *

Beim Prälaten unterm Stadtbahnbogen Friedrichstraße propellierte Jörg seine
dekorierten Zähne in etliche Filets, schwomm das alles zu Bier, spielte
über die weiße Rutschtafel des Tischtuchs zu dem Wesen hinüber, das er mit
Frage bekollerte: Haben Sie schon einmal eine ganghofersche Nudelsuppe so
gut verdaut wie ich mein Eisbein in Schelee? Und die vielen andren Romane,
bald Miljö, bald Liebesromane auch der andren Autoren und Autorinnen, o die
lieben Zuckerbrezeln. Im Ernst genommen, das ist die Liebe. Schließlich ist
zwischen Penis und Vagina gar kein Unterschied, zumal wenn sie süß
beseufzerlich beisammen sind, beide bestehen aus Fleisch, wenn auch
geometrische Form etwas verschieden, riechen nach Mysterium, das nur eine
Reibung mit Knallgasentzündung ist. Haben Sie denn das noch immer nicht
verdaut, da es fort bei Ihnen als Neuheit wirkt, originelles Original will
ich nicht sagen, haben noch immer nicht verdaut? -- Da quoll der dort
drüben, Frosch mit innrer Marmeladebeleuchtung, giftig auf, platzte und
schmiß armen Jörg die Hure von Babylon an den Kopf, daß er alle Pyramiden
Ägyptens wimmern hörte. Das ist aber auch ein feines Benehmen, aber ein
sehr feines, schellte Jörg, lief in Straßentrubel hinaus, verlangte
stürmisch eine Notleine. So einen Redner haben wir schon lange gesucht,
schrien einige wild, von einer politischen Partei, tatzten ihm ihre Pranken
aufs Schultergelenk, führten ihn auf einer Bahre unwiderredlich zum
Parlament. Abgeordneter Jörg Schuh verbeugte sich schon vor rasend
beifallklatschendem Haus. Herr Hannibal Hagen Liefke war eitel Sonnenblume.

                                * * *

Ich bin der Abt vom Berge, begrüßte Jörg das Parlament, komme soeben vom
Mann im Mond und bringe Euch seine freundlichen Grüße, Telegramme und das
Offert, seine Hosenträger zu kaufen, die er selbst erzeugt, Marke
»Herkules« bitte. Damit, d. h. wenn jeder von uns sie trägt, haben wir
unsre Valuta heraus. Dem Herrn Finanzminister empfehle ich unbedingt zehn
Paar dieser Hosenträger anzulegen. Dazu würde als gemäßigtes Kostüm sich
ein Reiherhut mit Pantoffelschnallen sehr gut machen Übrigens: war das neue
Wahlgesetz nicht sehr gut? Konnte nicht jeder Republikaner am denkwürdigen
Wahltage unbesorgt seine kalte Schale löffeln, trotzdem das K. d. W.
gesperrt war. Trägt nicht Pater Südekum einen wundervollen Frack? Wahrlich,
wäre ich nicht Schuh, ich möchte Wilhelm sein! Ich bitte, beifalln Sie
nicht. Und dürfen wir uns gefallen lassen, daß unsre besten Patrioten, die
Schieber von der Regierung mit Steuern belegt werden? Wo doch Melchior
Vischers dada-Spiele die Wohlfeilsten sind, was wir derzeit haben. Auch
wollen mehrere Operettenkomponisten, Gründer und stille Teilhaber
prunkvoller Weltbuffs, langverdienten Professorentitel erhalten. Man könnte
ihn ja dem Weingartner oder dem Muck ruhig entziehen. Kann uns die
Regierung auf alle Fragen, welch pyramidale Fragen, eine befriedigende
Antwort geben? Nein, das kann sie nicht, aber ich kann eine Antwort geben.
Also bin ich die Regierung. Schon schrien alle Kopfebenen: Es lebe
Präsident Jörg Schuh! -- Ich danke für die Illumination. -- Zuguterletzt
hatte man ja schon seit langem nicht mehr eine so klare präzise
gedankentiefe, ja kosmoserschütternde Rede im Parlament gehört, wie eben
jetzt die Jörgs. Zur Begrüßung stellten sich alle Tippmamsells in Reih und
Glied, legten ihre Blusen ab und zeigten ihre gemischten Brüste. Da freute
sich das ganze Haus und jauchzte: schließlich können wir auch das Hintre
vertragen, oh wir halten was aus! Da ließen geistreiche Diener die
Fenstervorhänge herab, damit keusches Dunkel ekstatische Insassen
überstülpe. Löwen brüllten enorm, da die Menagerie ganz in der Nähe.

                                * * *

Vor dem Volk zeigte sich Jörg gemessen, ja majestätisch. Das ist endlich
einmal ein Präsident! Helles Entzücken blütenschneete auf ihn herab, als er
sich als Athlet entpuppte. Stemm Kraft Bemm. Da hörten alle
Kapitalistenfraun, auch Autogattinnen so eigen, doch so wonnig einen Vogel
irgendwo piepen. Die Muskulatur ist ganz prachtvoll. Auch die Nässe in
untren Regionen. Dazu noch das Konzeptpapier. Und die schön gedrechselte
Haarlocke. Und der Mops mit himmelblauem Seidenbändchen.

Aaaach!

                                * * *

Das war die Pirsch. Glockenblumen verneigten sich. Parföm geißelte Luft,
die brüllte. Jörg gefiels in seiner Position so gut, daß er sprang wie
Hirsch zur Brunstzeit, murrte, endlich verstopften Afters nach Brasilien
schlotete. Dort bewunderte er den Körper eines Aufgehängten, verglich ihn
mit Weisgerbers Sebastian und stoßseufzerte: Gut, daß es noch Semmeln gibt!

                                * * *

Am Kap Horn zog er sich aus und ließ seinen Leib im Winde wehn. Ah! stöhnte
erschauernd eine U. S. A. Miß, Tochter des kilometerschweren
Petroleummagnaten, die eben auf schwanener Jacht vorübersegelte. Sie legte
an, griff mit nervigen Lawn-Tennishänden sich selbst betastenden Jörg,
gischtete schamwehen Schrei durch stürmische Luft, zog äußerst männlichen
Mann in hygiänische Kajüte. Man war schon im Golf von Mexiko, als Jörg,
straff, in Nankinghosen das Deck betrat, die Miß währenddem lag noch
schwach, die Hände breitete, Gruß ins sternengebannerte Chikago, vive
Bendäda Hecht! voraussandte. Dort von Sippe der Miß hoheitsvoll begrüßt,
schenkte man ihm zwei Klistierspritzen. Schwämme sind manchmal ungesund.
Die Miß freute sich schon auf Abend: venetianische Nacht bei mattrosa
Ampelbeleuchtung. Damenstrümpfe haben auch eine Biologie, ebenso wie
Battistwäsche nach unten. Man kann sogar sagen, sie haben Geruch. Und
darauf kommt es heute an. Geruch erzeugt Kolonien.

                                * * *

Bonbons sind nicht nur süß wie Benzin zum Beispiel, sondern auch Töchter
von amerikanischen Petroleumkönigen. Zumal wenn ihre Hände durch vielerlei
Sport geübt sind. Das war für Jörg ein Lueskatorsparkfest. Aber schließlich
war er ja kein Tapezierer. So glitschte er auf einen Äroplan und fuhr
wolkenquer dem antiquarischen Appetitsbrötchen Europa zu. Über London ließ
er beglückt Wasser, sang: God save the King! Unten rief man: Zeppelin wirft
flüssige Bomben! sofort eilte der Luftverteidigungsminister Woprschalek
herbei, schrie: panove, panove! Es kamen aber nur Schusterbuben mit
rotzbezapften Nasen. Die Lords knabberten Abführpillen. Aber eine Jungfer,
nur eine Jungfer sah mit Fernrohr, woher troff der Wasserstrahl. Da betete
sie: gesegnet sei dieser Strahl, denn viele Fraungefäße sind gedörrt und
güst! dann bei sich: was heut alles vorkommt. -- Unterdessen war Jörgs Äro
schon weg, schoß wie getroffner Vogel nieder auf Helgoland, wo gerade Frau
v. Tirpitz ihre Eier sonnte, währenddem die beiden Herren Ebert und Noske
sich in prachtvoller Badebüx fotografieren ließen. Die Dame war unmutig ob
der Störung. Jungfraun und andre Mädchen wetzten vor Vergnügen, Schauer
ihre Badeanzüge. Der Äro brannte noch, als Jörg sich verbeugte und schwieg:
Ich bin ein Künstler! -- Aber womit? rülpste eine zehnjährige Göhre, die
schon zwölf Jahre verheiratet war und fünfzehn Mutter.

                                * * *

Jörg Schuh, Jörg Schuh, hieß er denn nicht einmal Jörg Schuh? Nein, ich
heiße ja noch Jörg Schuh. Hab etwas gelernt, kann etwas, bin etwas, wenn
auch nur imaginär. Odol reinigt die Zähne, jawohl. Für alles gibt es
Heilmittel, die nicht wirken, aber nur für die Kunst nicht. Es klangen vom
Dom die Glocken, bis der Strick riß. Da schrie Jörg -- --

                                * * *

                             REKLAMETAFEL:

_Lachen Sie nicht meine Herrschaften, Sie wissen nicht, ob Sie sich selbst
belachen._ Dann aber lache ich. Wer sagt Ihnen, daß ein Quadrat immer und
überall ein Quadrat bleibt. Lachen Sie, lachen Sie!

                                * * *

-- -- -- _denn er war plötzlich Stukkatör._ Und da hat ihm einmal einer
gesagt, er sei mehr als das, er sei Künstler. Da schaute Jörg auf,
blinzelte leicht, erzählte Traum, den er einmal in der Steppe geträumt,
zuvor gab er aber ein wenig Geometrie: Sehen Sie, ich machte mich einst
auf, die Gerade zu verfolgen bis zu ihren Endpunkten, ich lief, schnellte,
flog von Erde über Sonne zum Saturn jenseits der Zeit, durch andre
Weltenräume, endlich jenseits des Raums, bis ich nach Myriaden hoch zur
Myriadesten Erdenjahren wieder die Erde betrat, und da fand ich: es gibt
überhaupt keine Gerade, es gibt nur Kreis. Das ist das letzte Geheimnis des
Alls. Doch niemand will es glauben, sie lachen, sie lachen alle, lachen.
Nun zum Traum: Ich saß an einem Sumpf und dachte an die Hure Kunst. Da fiel
vom Himmel Blitz, zischte tief. -- Schön! sagte ich. -- Scheußlich quakte
ein Frosch. Und doch haben wir beide Gemeinsames, beide leben wir, jener
vielleicht viereckig, ich aber rund, vielleicht. Plötzlich drehte sich
irgendwo in meinem Gehirnkino eine Kurbel. Ich sah anders. Schuppen fielen:
durch Jahrtausende sah ich frei: Kunst ist, wenn schon nicht ein Vorurteil,
so doch immer eine Privatansicht, stolzierte mir dieser bedenkliche Gedanke
bedeutend durch das wirre Straßennetz meines wassersüchtigen Hirns, ehe ich
in und durch Sumpf sank und mich übel vergurgelte, daß ich noch
Jahrhunderte lang daran mich erbrach. Ein Äro, von französischem
Siegesoffizier begattet, vergewaltigte Luft. Ein Vogel sang. Und ein Frosch
zwitscherte.

                                * * *

Kroolookroooloookroooolooooschüüschüüschüüschüüüdadadaadaadaaadaaa Löwe,
ririririririilülülülühihihihihiiiii Pferd, poupoupouuou
taktakpoooouuuubooooboooooou Hund, schaulschaulschaulsususuu Hirsch,
eieieiiiinöööööiöööiöööiiööööi--ööi--iööi Vogel, schief, quer, prasselnd
wie Unwetter töteten endlich gefundne ichthyosaurische Urlaute die ganzen
blöden Sprachen verkommener Erdkugel. Ich bin verrückt meinen Sie? O nein!
meine Umwelt ist nur blödsinnig, zivilisiert, beschmiert, daher ich
seltsam. Besonders seltsam pietätvollen gesunden dicken Leuten und
Turnlehrern. _Wir wollen die Kultur zertrümmern, auch den bürgerlichen
Wahnsinn, der oft so schön gefärbt und in Saffianleder gebunden, wir gehen
bis zum äußersten Ende, dorthin, wo schon die große Freiheit grenzt:_
Ursein. Wir trümmern, trümmern, und da da vom Grund auf, zuerst also kröch
lackierte Sprache, daß nur übrig bleibt das einzige große DADA. --
Huelsenbeck, Baader und Schwitters seid gegrüßt. Wir haben kein Erbarmen.
Wir zeigen die Gescheitheit und prrr die Vernunft von ihrer Kehrseite.
Wankt, wankt. An dem Sonnenmondtag, an dem die Kultur mit dem schamlosen
Bastard Zivilisation zusammengekracht, da will ich dann hinknien auf Meer
Ebne Wüste, Hände in reine weite Luft strecken, rufen wild stark groß:

WIR SIND WIEDER JUNG!

                                * * *

Ganz noch im Fall, Stockwerk 40, 36, 22, 9, 3, 2 sah Jörg windschnellenden
Kopfs noch lang breit in sein Hirn leuchten quere Tafeln mit Goldbuchstaben


              EIER EIER EIER UND BUTTERGESCHÄFT EIER UND
                           BUTTERGESCHÄFT


O die Henne! gack, gack, Ei, Ei, Henne entgackerte Ei, das Hanne die Magd
aus Korb gerade jetzt verlor, nicht wissend, daß es Jörgs Gehirn. Ei
getschte auf Asfalt, entbrach sich zur Dotter, mischte sich schleimig mit
Dreck und verging.)

                                * * *

. . . . . . . . . . . . . . . _Wind pfiff und Jörg lag am Pflaster
zerbrochenen Kopfs und Genicks._

                                * * *

NB. -- Für sentimentale, damit alles auch ein Ende habende Leute mit
seufzend ergriffnen Kinoseelen sei noch der gediegen gute und nicht
unbedeutende Schluß erwähnt, damit es halbwegs nach dispositionaler
Erzählung stinke:

Wachmann wackelte zur Unglücksstelle, riß dem Toten die Messingnummer von
Brust, glotzte darauf: Nr. 96. Herbeigelaufner Polier sah im Arbeitsbuch
der Baufirma nach unter besagter Nummer, fand dort den Namen: Jörg Schuh,
Stukkatör, Geburtsort unbekannt, heimatlos, Alter zwischen zwanzig und
sechstausend Erdlebensjahre, sonstige Merkzeichen: seltsam eingedrückte
Schläfen, wie bei altägyptischen Mumien. So. -- Bahre ward herbeigebracht,
Jörg weggeschafft auf Klinik zur Beschau. Der Professor sprach: Bitte,
nicht lachen meine Herren und Damen! Es krallt nieder eine Variation von
Büchners »Wozzek«: Ein guter Tod, ein echter Tod, ein schöner Tod, so
schön, als man ihn nur verlangen kann. Wir haben schon lange keinen so
schönen gehabt -- -- -- ein ausgezeichneter Fall! Ich bitte wie deutlich
meine Hörer und noch mehr Hörerinnen, wie deutlich: _Hirn ist
strahlenförmig_ der Schädelkapsel entspritzt und hängt gallert traubenhaft,
doldig als schöner Kranz um Kopfperiferie. Ein schöner Fall, ein fei -- --
--


Nun kommt der Strich. Furchtbar schräg und plötzlich, der
Strich. Erst einer quer -------, dann einer lang |, gibt
zusammen o schwinget ihr Rauchfässer ein         |
                                                 |
                                                 |
                            |
                         ---|---
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End of the Project Gutenberg EBook of Sekunde durch Hirn, by Melchior Vischer

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SEKUNDE DURCH HIRN ***

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Volunteers and financial support to provide volunteers with the
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To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
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The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
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Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
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809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
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