Taten des großen Alexander

By M. A. Kuzmin

The Project Gutenberg EBook of Taten des großen Alexander, by Michail Kusmin

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Title: Taten des großen Alexander

Author: Michail Kusmin

Translator: Ludwig Rubiner

Release Date: April 5, 2014 [EBook #45319]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TATEN DES GROßEN ALEXANDER ***




Produced by Jens Sadowski





                            MICHAIL KUSMIN
                           TATEN DES GROSSEN
                               ALEXANDER




                            MICHAIL KUSMIN
                           TATEN DES GROSSEN
                               ALEXANDER


                             MÜNCHEN 1910
                    HYPERION-VERLAG HANS VON WEBER

                            VALERI BRJUSSOW
                        IN ERGEBENHEIT ZU EIGEN




WIDMUNG (Akrostichon)


   Verwirrter Wogenwall ist abgeprallt
   An Felsen, ragend in die Ewigkeit.
   Leicht fliegt der Aar vor mindrem Schütz gefeit. --
   Er folgt wohl immer dem Gebot: »Mach halt!«

   Ruhmvolle Schwerter sind zum Kampf bereit
   Im Ruf des Horns das unermüdlich schallt.
   Beraubt der Kraft knirschen zu Hauf geballt
   Rachgierige Feinde in der Dunkelheit.

   Jäh stampft ein Pferd, das wild im Zügel schnaubt:
   Unrüstiger Knab, entehrst Bukephalos!
   Sehre die Grenzen, hin zur Tat, aufs Roß,

   Singe von Königsflügen, ruhmbelaubt.
   O stoß ins Horn, zeig uns der Feinde Troß
   Wund dir zu Füßen. -- Stimmlos. -- Ohne Haupt!

Michail Kusmin.




ERSTES BUCH




EINGANG


EINGANG. Einige werden zu Preis und Rühmen geführt durch die Tugendkraft
ihrer geliebten Helden, die anderen -- durch die kriegerischen Taten; die
dritten durch deren Weisheit, viertens endlich manche durch wundersame
Begebungen und Zeichen. Aber in Ordnung aller Heldennamen der vergangenen
oder näheren Jahrhunderte kann man niemand finden, in dem alle diese Gaben
sich so wunderbar einten, wenn nicht den Großen Alexander. Ich erkenne die
ganze Schwere über ihn zu handeln, nach jener Reihe erlauchter Namen,
angefangen von dem in Ewigkeit gedenkwürdigen Kallisthenes, dem Julius
Valerius, Vincenz von Beauvais, Gualterius de Castilione bis auf den
deutschen Lamprecht, Alexander von Paris, Pierre de Saint-Cloud, Rudolf von
Ems, dem trefflichen Ulrich von Eschinbach und dem unbesieglichen Firdusi;
doch mein Wunsch, im Gedächtnis der Menschen den unauslöschlichen Ruhm des
Makedoniers zu erneuern, als zu erleichtern meine von Entzücken übervolle
Seele, zwingt mich, zu tun wie die Pilger, die, Verse der Gebete murmelnd,
sich nicht dies absinnen: von welchen großen Heiligen jene Gesänge
erdichtet seien.




ERSTES KAPITEL


VOM KÖNIG NEKTANEB IN ÄGYPTEN. In dem alten Lande der Ägypter lebte ein
König Nektaneb, der nicht allein durch das königliche Blut, sondern auch
durch die Weisheit und durch die großen Kenntnisse der Magie und
Sternendeutung ausgezeichnet war. Seine Heere trugen stets den Sieg davon,
doch wußte niemand, daß während der Schlacht der König durch Zauberei den
Ausgang der Kämpfe vorbestimmte. Insgeheim eingeschlossen hüllte er sich in
Priesterkleid, nahm einen Stab und machte aus Wachs Gestalten von Menschen,
wenn die Schlacht auf dem Festlande war, oder von Schiffchen mit Kriegern,
die er in eine wassergefüllte Messingschale setzte und geschickt unter
Beschwörungen ertränkte. Die vom Festlande durchbohrte er mit einer feinen
Nadel, und die Verrichtung an dem seelenlosen und weichen Wachs ward auf
wunderliche Art Spiegelung des fernen Schlachtfeldes. Einst jedoch, als die
Kundschafter dem König das Nahen neuer Feinde vermeldeten, kündeten die
Geister des Wassers und der Luft, welche die Kunst des gekrönten Magiers
heraufbeschwor, die Stunde seiner Niederlage habe geschlagen, und ihre
Herrschaft sei fürder ohne Macht. Nektaneb nahm den angelegten Bart ab und
verließ in gewöhnlicher Gewandung heimlich Ägypten. Als daher die
Feldherrn, welche der Niederlage ungewohnt waren, in die Hauptstadt
zurückkehrten, fanden sie den Palast leer, und nur die umgestürzte Schale,
die Stückchen Wachses und auf einer Wasserlache der Bart erinnerten daran,
daß hier vor kurzem noch der König geweilt. Dem verwirrten Volke kündete
der Gott Serapis durch sein Orakel:

   »König Nektaneb verließ euch für lange Jahre.
   Einst kehrt er euch zurück, in neue Jugend gekleidet.«

Diese Inschrift zeichnete man dem Ebenbilde des entschwundenen Königs ein,
das in eine leere Gruft gesetzt war, und nach einigem Warten wurde ein
neuer Herrscher gewählt.

                   *       *       *       *       *

DAS GESPRÄCH VON OLYMPIAS MIT DEM MAGIER. Indessen lebte der königliche
Flüchtling nach der Ankunft in das makedonische Pela lange Zeit, indem er
sich vom Wahrsagen und von der Zauberei ernährte und bald als kunstfertiger
Deuter und Magier gerühmt war. In diesem Lande herrschte zu jener Zeit
König Philipp, dessen Gemahlin Olympias unfruchtbar war. Einst, in
Abwesenheit des Gemahls lustwandelnd im Garten des Palastes, vertraute die
Königin ihre Sorge der alten treuen Magd, ob wohl Philipp sich nicht von
ihr trennen würde, denn sie hatte ihm durch so viele Jahre keine Kinder
gebracht, worauf ihr die Dienerin von der Zaubermacht des fremden Ägypters
Kunde gab.

Sache geringer Zeit war es, den kommen zu lassen. Auf den Wegen der Gärten
neigte er sich tief vor Olympias, und tief aus der Brust ein goldenes
Täfelchen ziehend mit dem Abbild des Tierkreises der Planeten in bunten
Steinen, darauf dem Hermes ein Smaragd entsprach, und der Liebesgöttin ein
blauer Saphir, schwieg er lange. Auch die Königin schwieg, die Augen, voll
ihrer Erwartung, gesenkt. Endlich sprach der Ägypter:

Nicht Philipp wird deine Unfruchtbarkeit lösen, nur der Gott Ammon vermag
dir beizustehen. Bist du auf alles bereitet?

»Sprich«, sagte die Königin, ohne die Augen zu erheben.

»Ich will beten, doch erwarte du bedeckten Hauptes den libyschen Gott;
ertönt das Zischen der Schlangen, so schicke alle fort und empfange den
Gast; er wird golden sein von Locken und Bart, mit goldener Brust und einem
Horn auf der Stirn. In der Dauer der Erscheinung schweige. Dann wirst du
empfangen und zur gesetzten Zeit einen Rächer dir und der Welt einen
Herrscher gebären.«

Nach wenigem Schweigen blickte Olympias fest auf den Magier und sprach:
»sei auf der Hut, wenn du lügst«. Die Hände aufhebend zu den nun
entzündeten Sternen rief Nektaneb: »Ich schwöre!« -- »Ich will dir morgen
Antwort senden«. Der Magier hielt sie zurück indem er sprach: »Es ist
notwendig, daß ich unablässig in deiner Nähe bete zu dieser Zeit; hast du
nicht ein geheimes Gemach zunächst dem Schlafzimmer?« -- »Eine
Kleiderkammer befindet sich da, dort kannst du dir zu schaffen machen. Sei
entlassen. Sprich zu niemandem«.

Als die Königin sich entfernt hatte, brach Nektaneb eine Nelke, stach in
die Blättchen den Namen Olympias, und die Augen gehoben zu den Sternen,
beschwor er lange die Geister des Bösen, daß sie die Gedanken und das Herz
von Philipps Gemahlin geneigt machten zu dem Betruge, welchen er, Nektaneb,
plante.

                   *       *       *       *       *

DIE EMPFÄNGNIS ALEXANDERS. Alles begab sich nach dem Wunsche des Ägypters,
welcher in der Larve des Horns so viele Male der erkenntnisbaren Königin
erschien, bis sie ihren Schoß unledig fühlte und den König mit Freuden und
Unruhe zu erwarten begann.




ZWEITES KAPITEL


PHILIPP KEHRT NACH HAUSE ZURÜCK. Während dies geschah, hatte Philipp auf
fernem Feldzuge ein sonderbares Traumgesicht, das seine Ruhe störte. Der
babylonische Deuter, der sich im Gefolge befand, legte dies so aus, daß
Olympias von einem ägyptischen Gotte empfangen habe. Nicht sehr über diese
Botschaft erfreut, eilte der König nach Hause, wo ihm die entgegengehenden
Dienerinnen sagten, ihre Herrin liege auf dem Krankenbette. Ins halbdunkle
Schlafgemach tretend, ging Philipp zu auf seine Gemahlin und sprach: »Ich
weiß alles, sorge dich nicht; wir müssen uns dem Willen der Götter beugen«.
Olympias weinte still, küßte die Hand des Gemahls, ohne zu wissen, ob ihm
alles wahrhaft bekannt sei. »Ruft den Sternendeuter herbei«, sprach sie
endlich. Und da Nektaneb, eingetreten, Erklärungen gab, die aufs
Vollkommenste mit den Auslegungen des babylonischen Deuters zusammenfielen,
so umarmte Philipp voll Erstaunen, wenn schon immer noch düster, die
weinende Gemahlin, und sie saßen so schweigend bis auf den Abend, da in das
Fenster die zarten Hörner des jungen Mondes blickten.

                   *       *       *       *       *

WUNDERBARE ZEICHEN. Derart erwartete das Königspaar mit Frieden, doch ohne
Freude die nahe Geburt. Die Königin war wohlauf, erging sich im Garten und
nahm zeitweise teil an den Festmahlen, bis Philipp sich betrank, nach der
Sitte der Makedonier. Einmal, da Olympias länger beim Mahle weilte, als ihr
geziemte, so wurde sie für ihre Unbesonnenheit gestraft, denn der trunkene
König begann ihr vorzuhalten, sie wäre nicht von ihm schwanger. Die
beleidigte Königin stand auf, um sich zu entfernen, als plötzlich unter dem
festlichen Tische eine riesenhafte Schlange erschien, die ihren Kopf erhob
mit fürchterlichem Zischen. Die Gäste sprangen auf von den Plätzen, die
Frauen, vergessend ihrer Scham, krochen auf den Tisch, erhobenen Gewandes.
Der König selbst war im Begriff, den Kopf mit dem Mantel zu bedecken, da
verwandelte sich die Schlange in einen Adler, sprang auf den Busen der
Königin, stach sie dreimal in die erstarrten Lippen und flog durch das
offene Dach des Saals empor zum Himmel. Auf den Knien fragte Philipp: »Wer
bist du, Ammon, Apollo, Asklepios?«, indem Olympias, umringt von der
ungeordneten Schar der Frauen, sich in ihre Gemächer begab. Niemand nahm
wahr, daß hier nur die Pfiffigkeiten des ägyptischen Auswanderers ihr Spiel
getrieben.

                   *       *       *       *       *

ZWEITES ZEICHEN. Aber andere Wahrzeichen, nicht weniger erstaunlicher Art,
doch schon ohne die Flunkereien des gewitzten Magiers wiesen Philipp sicher
auf das Wunder im baldigen Kommen des Kindes hin. Es geschah einst, daß der
König vor langer Weile seine zahmen Lieblingsvögel fütterte; die Königin
stickte auf der Brüstung des Hauses, ab und zu den Kopf hebend, wenn die
Vögel empor zur Höhe der Brüstung schwirrten und das Hündchen ihr zu Füßen
mit gespitzten Ohren knurrte oder aufbellte, die rauschenden Schaaren
scheuchend. Die Königin stieß einen Schrei aus, da einer der weißen Vögel
ihr auf die Stickerei flatterte und im Nu ein Ei legte, das zur Erde rollte
unter dem hellen Bellen des Hündchens. Aus dem zerbrochenen Ei kroch ein
Schlangenjunges, umkroch langsam seine jüngste Wohnung, als ob es wieder in
die hineinwollte, aber kaum steckte es den Kopf in die Schale, da
erzitterte es und verschied. Die Königin, über das Gitter geneigt, achtete
nicht des beginnenden Regens und lauschte den Worten des Antiphon, Philipps
Sohn werde über die ganze Welt ziehen, und, heimgekehrt, jung sterben.
Traurig nahm die Königin ihre goldene Stickerei zusammen und sie ging, des
wunderbaren Sohnes zu harren.

                   *       *       *       *       *

DIE GEBURT ALEXANDERS. Längst war die Frist der Erlösung verstrichen, und
die Königin trug noch immer ihren großen Leib und klagte bitter Nektaneb
an, der zu Fleiß die Stunde, schwer an Schicksalen, zurückhielt, bis die
günstigen Himmelszeichen zusammenträfen. Seit dem spähenden Morgen setzte
sie sich in den hohen Gebärsessel, und auf dem schlief sie sogar, weinend
und klagend. Zuguterletzt rief Nektaneb vom Turm: »Es ist Zeit!« -- und
Olympias brüllte auf wie eine junge Kuh, außer Sinn vor Schmerzen, den
Donner nicht hörend, nicht sehend den glänzenden Blitz vom klaren Himmel.

Die Wehemutter nahm unter dem Sessel einen Knaben hervor, der weder seinem
Vater noch seiner Mutter glich: er hatte langes Haar auf die Art einer
Löwenmähne, rot von Farbe, das eine Auge abwärts, das andere Auge zur Seite
gerichtet; mit großem Kopfe und gerader Nase.

Dieses war die Geburt Alexanders.




DRITTES KAPITEL


DIE ERZIEHUNG ALEXANDERS. Philipp liebte den ihm unähnlichen Knaben, der
rothaarig, zügellos und eigensinnig war, nicht sehr, doch er beruhigte
sich, bei der Erinnerung, daß das Kind seiner ersten Frau längst gestorben
war, und zudem hatte er von der delphischen Sybille die Prophezeihung
vernommen, nach ihm werde ein großer Held regieren, der könne das Roß mit
dem Stierkopf zügeln. Zu Lehrern wurden dem Knaben gegeben: Für die
Schreibkünste Polyneikes, für die Musik Leukippos, die Geometrie Melepos,
die Beredsamkeit Aximenides, für die Kriegskunst Feldherrn, zum Erzieher
Leonides, zur Amme des Melantos Schwester, zum Lehrer der Philosophie
Aristoteles. Mit dem letzteren brachte der Prinz den größten Teil seiner
Zeit zu, unter der Zahl der anderen Schüler, die Kinder der Höflinge waren,
in den Baumreihen des Palastgartens sich ergehend. Aristoteles hatte mehr
denn einmal seinem Zögling eine große Zukunft und Weltenruhm vorausgesagt.
Einst wandte sich der alte Philosoph an die Kinder mit der Frage, was sie
ihm schenken würden, wenn sie König wären. Eines versprach dies, das andere
etwas anderes, aber Alexander schwieg still, den roten Lederball in die
Höhe werfend, »Und du, Prinz, was würdest du an mir tun?« Die rote Mähne
schüttelnd antwortete der: »Warum an die Zukunft denken? Einst kommt die
Stunde, und du wirst selbst sehen, was ich zu tun für geziemend erachten
werde!« Aristoteles küßte ihn auf die Stirn und setzte den langsamen
Spaziergang fort.

                   *       *       *       *       *

DER TOD NEKTANEBS. Olympias besorgte sich um ihren göttlichen Sohn und
vermahnte Nektaneb oft, in den Sternen immer wieder nach demselben Geschick
zu lesen. Als einst der Prinz den Ägypter bei derart Meldungen traf, bat er
sich aus, selbst in die Sterne schauen zu dürfen. Nektaneb willigte ein,
und um die nächste Mitternacht stiegen sie zu zweit auf den Stadtwall. Der
Ägypter bedeutete dem Sohne den Sinn der Gestirne, als plötzlich ein
mächtiger Stoß ihn vom hohen Wall tief in den Laufgraben hinabstürzte, und
über ihm die laute Stimme des Prinzen erscholl: »Wie denn vermagst du das
ferne Geschick anderer Menschen zu lesen, der du nicht weißt, was sogleich
dir geschehen wird?« Über dem Stöhnen des Abgestürzten stieg Alexander
eilig hinab, und, zu seinem Vater sich beugend, fragte er: »Du hast dich
verletzt? Verzeih mir den Spaß!« »Du trägst kein Verschulden; es war dein
Geschick, den Vater zu morden!« »Niedriger Sklave, was sprichst du da?«
»Ich sterbe, Prinz, aber ich lüge dir nicht, vernimm:« und ersterbender
Zunge erzählte Nektaneb Alexandern die Geschichte und von den Umständen
seiner Geburt. Lange blickte der Prinz bei dem ungewissen Schein der Sterne
in das erstarrende Antlitz des Magiers, nicht versichert, ob er glauben
sollte oder nicht glauben sollte. Endlich lud mit einem Seufzer er den
Körper auf seine Schulter und trug ihn in die Gemächer der Königin. Jene
schlief noch nicht, und, nachdem sie entsetzt den Bericht des Sohnes
angehört, ließ sie sonder Stöhnen sich in einem tiefen Sessel nieder. Den
Morgen wurde der Unglücksfall des fremden Astrologen vermeldet. Nach einer
festgesetzten Anzahl von Tagen wurde der Ägypter bestattet, auf die
griechische Art.

                   *       *       *       *       *

BUKEPHALOS. Alexander war fünfzehn Jahre alt, da vernahm er im Frühling, an
den Ställen seines Vaters vorbeigehend, ein Wiehern, das dem Wiehern der
anderen Pferde nicht glich. »Was wiehert da so fürchterlich?« fragte der
Königssohn die Stallknechte. Und gleichsam zur Antwort ertönte abermals das
Wiehern, ebenso laut aber zart und lieblich, gleich als ob das Gurren der
Turteln vom fernen Echo widersurrt. »Was wiehert da so schön?« rief wieder
der Prinz, in Ungeduld die Brauen runzelnd. Die Stallknechte erklärten, da
wiehere Bukephalos, ein unberitten Pferd, das von dem Fleisch zum Tod
verdammter Verbrecher genährt werde, in einem Stalle von Eisen. Alexander
forderte, daß die riesigen Riegel geöffnet würden, trat an die Krippe, die
voll von abgenagten Knochen war, und packte das ungeheuerliche Pferd an der
Mähne, wandte die Augen des Pferds geradezu in die blendende Sonne, sprang
von hinten auf seinen lastungewohnten Rücken und flog wie ein Pfeil nach
dem Palaste. Die Stallknechte stürzten mit Geschrei hinter der Staubwolke
her, doch schon stand das Pferd ganz in Schaum, schielenden Augs, mit dem
hitzigroten Reiter an der Treppe des Palastes, die der König im Hausgewande
hinabeilte. Unten angelangt kniete Philipp und rief: »Sei gegrüßt, mein
Sohn, der du das Pferd gezähmt, du Beherrscher der Welt!«

Und die Königin, die an dem Fenster des oberen Stockwerkes den Vorfall
beobachtet hatte, die Stallknechte und das ganze Volk, diese alle
wiederholten: »Es sei gegrüßt der Beherrscher der Welt!« Alexander aber
streichelte lächelnd die Mähne des Rosses, das in die grelle Sonne
schielte.




VIERTES KAPITEL


ALEXANDER AUF DEN OLYMPISCHEN SPIELEN. Alexander, der mehr als einmal
seinem Vater unweit in Feldzüge das Geleit gegeben hatte, wünschte längst
seine Kräfte auf den ruhmesreichen olympischen Spielen zu erproben.

Der König entließ, doch nicht sonderlich gerne, den Prinzen samt seinem
Freunde Hephaistion, welcher mit den zärtlichsten Banden an den Königssohn
geknüpft war, und rüstete ein besonders prunkvolles Schiff aus. In Pisa
angelangt, vernahmen sie, es seien zum Wettkampf nicht wenige vornehme
Ritter zusammengekommen, als da waren: Xanthias von Böotien, Kimon von
Korinth, Kleitomachos, Aristippos der Olynthier, Perieros, Lakon, aber der
berühmteste war Nikolaos, der Sohn des arkarnischen Königs. Mit diesem
hochfahrenden Jüngling erstand Alexandern ein Zwist fast sogleich bei der
Landung. Den Ankömmlingen begegnend auf der Straße am fröhlichen Hafen,
fragte Nikolaus hochnäsig stolzierend: »Ihr seid gekommen, die Spiele
anzusehen?« »Wir sind gekommen, zu kämpfen!« »O, ihr vermeint, dies seien
Spiele der Kinder?« Alexander entzündete sich und antwortete: »Ich bin
bereit, mit dir zu kämpfen!« »Nikolaos bin ich, der Sohn des Königs von
Arkarnien!« erwiderte hochmütig der Jüngling. »Und ich bin der Prinz
Alexander, der Sohn des Philipp von Makedonien. Doch was gelten hier unsere
Königreiche? alles ist vergänglich!« »Du sprichst wohl gesetzt, aber
verstehst du deine Worte, Kind!?« »Vollkommener als deine aufgeblasenen
Reden!« und gingen zu verschiedenen Seiten, indem ein jeder nach links
spie. Am anderen Tage trat Alexander nicht nur im Wettkampf der Wagen auf,
sondern sogar besiegte er alle Teilnehmer, und Nikolaus, der Königssohn,
schlug sich zu Tode, indem er vom Gespanne stürzte, das an Trümmern von
anderen Wagen hängen geblieben war. Der makedonische Prinz ward gekrönt mit
dem Kranze des Siegers, indem der Priester des Olympischen sprach:

   »Vieler Feinde Bezwinger, den Stolz der Vermessenen zähmend,
   Mächtigen Schicksals Kind. Also verkündet dir Zeus.«

PHILIPPS EHE MIT KLEOPATRA. Freudig und bekränzt eilte der Prinz seiner
Heimat zu, wo unfrohe Nachrichten seiner harrten. Er vernahm, daß in seiner
Abwesenheit der König sich beschlossen hatte, die Königin entlassend, zum
drittenmal zu heiraten, und zwar eine gewisse Kleopatra, die Schwester des
Lysias. Auf jenen Abend war gerad das Hochzeitsmahl gelegt. Ohne den Kranz
vom Haupte zu nehmen, trat Alexander in den Festsaal, der war übervoll von
Gästen. Zwischen zwei Leuchtern prunkten auf ihren Thronen Philipp und
Kleopatra, bekrönet und in feierlichen Gewändern. Der Prinz blieb in der
Tür stehen, mit den Worten: »Vater, hier ist die Krone meiner ersten Taten,
nimm sie an. Ich preise mich glücklich, zu deinem Hochzeitsfest gekommen zu
sein, wenn dereinst ich meine Mutter Olympias vermähle, so hoff ich, wirst
dus nicht versagen, zum Abendschmause zu kommen!« Und nahm Platz gegenüber
dem verwirrten Paare. Lysias rief von seinem Platze: »Der König ehelicht
die edle Kleopatra, auf daß er gesetzliche Thronfolger habe« . . . Er
wollte fortfahren, aber fiel plötzlich zurück, röchelnd, da der schwere
Leuchter, von Alexanders geschickter Hand geworfen, ihm die Schläfe
eingeschlagen hatte. Der König sprang schimpfend auf, sich verwickelnd im
Mantel, Kleopatra erhob sich, die Gäste standen auf und die Diener häuften
sich in der Mitte des Saals. Philipp machte einige Schritte, wankte und
stürzte laut polternd von den Stufen des Throns herab.

Alexander lachte auf, das Gewirre und Geschrei überdeckend: »Hat Asien
erobert, Europa in Angst gehalten, und kann keine zwei Schritte tun!«

Die Freunde Philipps und des Lysias stürzten sich auf Alexander, aber
dieser, das Schwert des kraftlos darniederliegenden Königs an sich ziehend,
begann damit nach rechts und nach links zu schwingen, geschickt Schläge
setzend und rufend: »Geh auf und davon, du ungebetenes Mütterchen, ich rate
dir das von ganzer Seele!« Die Gäste flohen in Angst, die Leuchter
umwerfend, sich bergend unter die Tische, Bänke und in dunkle Ecken. Die
erschreckte Kleopatra, auf den König und ihren Bruder umblickend, entfernte
sich eilig mit ihren Damen, und Alexander schwenkte immer noch das Schwert,
bis er wahrnahm, daß das Gemach leer war, in den Fenstern die Dämmerung
graute und nur der König, vom Falle verletzt, stöhnte. Da legte der Prinz
das Schwert beiseit und rief: »Warum hast du, König, diese böse Tat zu
vollbringen getrachtet?«

Aber Philipp stöhnte nur, und Alexander, ohne weiter zu fragen, befahl eine
Sänfte herbeizubringen, daß der Kranke in sein Schlafzimmer getragen werde.

Olympias in ihrem dunklen Trauerkleide umarmte ihren Sohn, trauernd und
sich über seinen Schutz freuend. Zehn Tage lang ging der Prinz vom König zu
der Königin hin und wieder, bemüht, ihre im Schmerz erstarrten Herzen zu
schmelzen, und endlich küßte Philipp Olympias, und sie schlang sich
lächelnd um seinen Hals, doch Alexander wandte sich ab nach dem Fenster, wo
die fernen Berge sichtbar waren, damit er die Worte der süßen Versöhnung
nicht störe.

Im Volke aber wuchs der Ruhm von der Weisheit und der Kühnheit des
Königssohnes.




FÜNFTES KAPITEL


DIE BEGEGNUNG DER PERSISCHEN BOTEN. Alexander wurde von Stund an auch
allein abgesandt, bald hier hin, bald dort hin, die aufständigen Städte zu
zügeln, welches er reich an Erfolgen entweder auf friedlichem Wege
vermochte, dank seiner Weisheit, oder mit der Waffe, dank seiner
Tapferkeit. Heimgekehrt nach einer solchen Niederwerfung erblickte er auf
einer grünen Wiese Zelte irgend welcher Menschen, die in der Ferne in
langen Gewändern und mit breitem Kopfputz umhergingen. Es wurde ihm
gemeldet, diese seien die Abgesandten des persischen Königs Dareios, und
gekommen, Tribut von den Griechen zu holen. Ohne zu antworten, sprang
Alexander hin zu einem hochgewachsenen Perser mit gefärbtem Bart und rief:
»Ihr sammelt Tribut dem Könige Dareios?« »Ja Herr«, antwortete der
Befragte. »Also sage ich, Alexander, der Sohn Philipps, des Königs von
Makedonien, zu dem König Dareios: Nicht geziemt es den Hellenen, zu zahlen
Tribut an Barbaren; so lange mein Vater allein war, stand ihm frei, zu tun,
was er wollte, mit mir aber muß anders gehandelt werden. Nicht nur werde
ich euch keinen Tribut geben, sondern alles Bezahlte werde ich
zurücknehmen!« Und Alexander, die Hand erhoben zur Sonne, schwor bei den
Göttern, währenddem ein persischer Künstler eilig auf einer silbernen Tafel
mit zarten Farben das Bildnis des golden gelockten Prinzen schuf, um es
seinem Könige nach dem fernen Babylon zu bringen.

                   *       *       *       *       *

DER TOD PHILIPPS. Unterdes gings in der Hauptstadt Philipps unruhig und
bewegt zu. Pausanias, Beherrscher der Thessalonicher, bereitete eine
Verschwörung gegen den König, aus dem Wunsche, sich der Olympias zu
bemächtigen, die er trotz ihrer Jahre schon lange mit seiner Liebe
belästigte. Und an einem regnerischen Tage, als der König sich ohne die
Königin ins Theater begab, da hatten Pausanias und seine Helfershelfer, die
fast zur Hälfte die nahen Plätze um den König besetzten, beschlossen, ihren
Anschlag auszuführen. Auf ein gegebenes Zeichen verwundete der Jüngling,
der hinter Philipp den Fächer hielt, das Schwert zückend, den König in die
Schulter. Indem ein Teil der Verschwörer mit Pausanias zu den Gemächern der
Olympias stürzte, zerstreuten sich die anderen in der Stadt, ihre Anhänger
suchend, und die gelassenen Bürger aufhetzend zu rufen: »Es lebe König
Pausanias, nieder mit dem ägyptischen Bankert!« Gegen die andrängenden
Übeltäter wehrend, trugen die Freunde mit Mühe den verwundeten König in den
Palast. Auf den Straßen, trotz Regens und der Dämmerung, entstanden
Handgemenge, als plötzlich durchdringende Hornrufe die Ankunft der Heere
Alexanders verkündeten, den Getreuen zur Freude, und den verräterischen
Bürgern zum Schauer. Hastig eilte Alexander zum Palaste und überließ es dem
Heere, in den Straßen fertig zu werden. Schnell in das Schlafzimmer seiner
Mutter tretend, erblickte er die Königin in den Armen des Pausanias, der
sie besinnungslos küßte. Die Schreie Alexanders, der es nicht wagte, den
Gewalttäter mit der Lanze zu durchbohren, aus Angst, er möchte die Mutter
verletzen, drangen dem Rasenden nicht zu Ohren. Immer fester mit der einen
Hand die Königin umfassend, mit der anderen die schweren dunklen Kleider
herabzureißen sich mühend, warf er Olympias auf den Boden, wobei er einen
hohen Sessel umstürzte und doch seine Beute nicht preisgab.

»Schlage zu, Söhnchen, schlage, fürchte nicht! auch mich, schone meine
Brust nicht, die dich ernährt hat!« schrie die Königin unter dem unbändigen
Liebhaber. Alexander stürzte hinzu, packte ihn am Kragen und schleppte ihn
fort, den halbentblößten, nichts in seiner Leidenschaft erkennenden
Pausanias, und die Lanze in den nackten Bauch bohrend, drehte er einmal um,
und noch einmal und dreimal, so daß jener aufbrüllte wie ein Bulle, nach
den warmen Brüsten der Geliebten tappend. Olympias, in ein Laken
verwickelt, zerzaust, rief: »Schlage ihn nicht! Bring ihn zum Vater, dort
sollst du ihn töten!« »So, Königin!« rief der Sohn und schleifte den
halbtoten Pausanias an den Beinen die hohe Treppe hinunter. Im Gemach des
Königs wars dunkel und roch nach Kräutern; auf das Klopfen des eintretenden
Prinzen öffnete Philipp die Augen, aber er drehte sie bald wieder ab. An
das Bett tretend, küßte Alexander die Hand des Königs und sagte leise: »Ich
bins, Vater, und da ist dein Feind, räche dich!« Die Augen Philipps
glänzten auf, und das von seinem Sohne gereichte Messer ergreifend, stach
er es mit schwacher Hand in den halbtoten Vasallen. Dann die Augen
schließend, lächelte er, und, indem er zu seinem Sohne sagte: »Gott behüte
dich, ich sterbe gerächt!« seufzte er zum letzten Male. Der Prinz führte
zum Munde des Königs einen Spiegel, wartete einige Augenblicke, dann über
den Leichnam des Pausanias schreitend, riß er das Fenster nach dem dunklen
Platze auf, wo im Regen die harrenden Mengen standen und rief laut: »König
Philipp starb als Rächer!« und ein lauter Ruf erscholl aus der Dunkelheit:
»Es lebe König Alexander!« indem rötete der Abglanz der von den Meuterern
angezündeten Vorstädte die dichten Wolken.

Ende des ersten Buches.




ZWEITES BUCH




ERSTES KAPITEL


DIE THRONBESTEIGUNG. Alexander hatte achtzehn Jahre vollendet, als er den
väterlichen Thron bestieg. Nachdem der neue König eine gehörige Zeit in
Trauer und eine andere in den prunkvollen Feierlichkeiten der Krönung
verbracht hatte, versammelte er alle Heere und sprach ihnen in einer Rede
voll Feuer zu, die persische Macht abzuwerfen. Er versammelte die Jünglinge
aus allen Städten und verteilte unter ihnen Waffen aus den offenen
Rüstkammern, ohne der Altgedienten zu vergessen, der erfahrenen Ratgeber in
den Schlachten.

                   *       *       *       *       *

DIE GRIECHISCHEN FELDZÜGE. Sein Heer zählend, begab sich Alexander, bevor
er gegen die Barbaren rückte, in die griechischen Städte, die damals von
ihm abgefallen waren, um den Feind nicht im Rücken zu behalten, dabei
hinterließ er als Herrscher an seiner Statt Antipater. Eine besondere
Hartnäckigkeit im Nichtanerkennen des neuen Herrschers zeigte Theben, das
Alexander bis auf den Grund zerstörte, allein das Haus des ruhmvollen
Pindar, des Odendichters, verschonend. Und der König hieß seine
Flötenspieler und Cymbalschläger laute Siegeslieder spielen, als die Mauern
zerstört wurden, welche doch unter Amphions Musik gebaut waren. Nachdem der
Feldherr seine Macht in Griechenland befestigt hatte, begab er sich über
Makedonien zum Hellespont, um sich nach Asien einzuschiffen. Die Städte
unterwegs begegneten ihm mit offenen Toren, den siegreichen König mit
Kränzen krönend. Alexanders Überfahrt wahrnehmend, eilten die persischen
Kundschafter am Meere, dem König Dareios zu melden, daß der »Besessene« den
Hellespont überschritten habe; Dareios, der zu dieser Zeit schachspielend
beschäftigt war, vermischte mit der Hand alle Figuren, hieß die Wächter
züchtigen und begann die Heere zu sammeln. Die Kriegsmächte trafen am
Flusse Granikos zusammen, an einem frischen Morgen, ehe die Sonne noch
aufgegangen war. Die griechischen Reiter wagten nicht, in den schmalen aber
reißenden Fluß zu setzen und wechselten nur Pfeile und weit
hinausschallende Schmähworte. Da stürmte Alexander selbst auf seinem
Bukephalos in das reißende Wasser, die Mannen hinter sich mitziehend.
Nachdem Alexander die Perser besiegt, durchzog er Jonien, Karien, Lydien,
Phrygien, Pamphylien, nahm die königlichen Schätze in Sardes und begab sich
über Anaptos nach Sizilien, von wo aus er Italien erreichte. Die Edlen
dieses Landes sandten dem Helden Markos, den Feldherrn entgegen mit einer
Perlenkrone und Geschenken. Darnach der König von ihnen Krieger zur Hilfe
genommen hatte, setzte er sich wieder auf seine Schiffe und segelte weiter
in die offene See.

                   *       *       *       *       *

DIE BEKRÄFTIGUNG DER GÖTTLICHEN ABKUNFT. Alexander hatte keine Ruhe, beim
Gedanken an seine Herkunft, aber er vertraute seine Sorge niemand an,
selbst nicht seinem Freunde Hephaistion. Einmal, als der König die Nacht
nicht geschlafen hatte, verfiel er in einen leichten Schlummer gegen
Morgen. Und da sieht er, gleichsam mit leiblichen Augen, wie der Gott Ammon
die Königin Olympias umarmt, sie süß auf den Mund küssend, und sagt zu ihm,
Alexandern: »Fürchte dich nicht, mein Sohn, denn siehe, ich bin dein
Vater!« Als der König erwacht auf Deck trat, so leuchtete wie eine Sonne
sein erheitertes Gesicht. Der Freund fragte: »Was hast du, König, heute?«
Wichtigen Ernstes umarmte ihn Alexander und liebkosend sprach er: »Dich
küßt der Sohn Ammons!« und in der Ferne schimmerten gelb die sandigen
Flächen immer näher und näher, und die Möven kreisten über dem Schiffe des
Königs. So kamen sie nach Ägypten.




ZWEITES KAPITEL


DIE GRÜNDUNG ALEXANDRIAS. Durch ein neues Gesicht wurde Alexander
benachrichtigt, daß in diesem Lande eine neue Stadt gegründet werden müsse,
dort, wo das erste Wild oder ein wildes Tier getroffen stehen bliebe. Vom
Meere mit wenigen Begleitern sich entfernend, suchte der König lange mit
dem Blick Vögel oder wilde Tiere, aber alles war leer im Röhricht und
Gesträuch, nur Pfützen von der jüngsten Überschwemmung glänzten in der
heißen Sonne. Der Schütze ritt daneben, mit dem Pfeil bereit. Plötzlich
verkündete ein verhaltener Schrei die gewünschte Begegnung. Und das Schilf
zerteilend, erschien ein weißes Pferd mit einem gleicherart weißen Horn auf
der Stirn. Es verschwand so rasch, daß mans für ein Gesicht halten konnte.
Alexander, Hephaistion und der Bogenschütze stürzten hinter dem
wunderlichen Tiere her, in den biegsamen Sumpfgräsern raschelnd, die
nachgezogen wurden, von dem bald erscheinenden bald verschwindenden
Einhorn. Der erste und der zweite Pfeil erreichten das Ziel nicht, auf die
flache See fallend. Endlich ritten sie auf einen offenen sandigen Ort
hinaus, inmitten dessen eine Korinthenstaude auf dem Meere wuchs. Das Pferd
stand gerade gegen den König und wieherte herzbewegend. Alexander, von dem
herbeigeeilten Jüngling den Bogen nehmend, traf in die Stirn das wundersame
Tier, das alsobald verschwand. Dort betete der Makedonier unter dem klaren
Himmel bis zur Zeit, da die Heere mit dem Kriegsherrn kamen. Sofort wurde
der Umfang der zukünftigen Stadt abgemessen, und man zog den Fluß hinauf,
indem Hephaistion mit einem Teile der Armee dablieb, um Eingeborene zu
dingen, welche Ziegel brannten und rasch für den Augenblick Erdhäuser aus
Weidenruten und Lehm aufbauten zur Wohnung der Arbeiter und ihrer Familien.

                   *       *       *       *       *

DAS ORAKEL DES SERAPIS. Gegen Abend erreichte der König eine Insel, auf der
ein verlassener Tempel sich befand inmitten einiger Hütten. Keiner der
Einwohner wußte, wen das Standbild des schönen Mannes aus schwarzem Stein
darstellte. Der Priester selbst konnte es nicht mit Bestimmtheit erklären.
Aber Alexander hatte kaum die Schwelle des Heiligtums überschritten, als
eine Stimme ertönte:

   »Dreifach selig besucht Alexander den Tempel Serapis'.
   Schaff eine große Stadt, du baust dir ein ruhmvolles Grab.«

ALEXANDER IN ÄGYPTEN. Die Ägypter empfingen Alexander mit Jubel und
feierlichen Aufzügen. Ans Ufer des Flusses kamen Reigen von Jünglingen und
Jungfern, Priester in gelockten Perrücken, die weithin nach Moschus
dufteten, Hierophoren mit den Abbildungen der Götter in Gestalt von
allerhand Tieren, und Scharen schwarzer sonneverbrannter Eingeborener. Der
König wurde im alten Tempel zwiefach als urischer Gott gekrönt und zu den
Gräbern der Pharaonen geleitet. Eine Totengruft betretend und vernehmend,
die sei zu Ehren des sonder Nachricht verschwundenen Königs Nektaneb
errichtet, hieß Alexander die Fackeln zum Antlitz des Bildes heben und mit
lautem Schrei erstieg er plötzlich die hohen Stufen, umarmte das Standbild
und sagte weinend: »Das ist mein Vater, ihr ägyptischen Männer!« Alle
fielen zur Erde, nur die bewegten Fächer ragten über die niedergestreckte
Menge, und die Hörner der Priester antworteten dem Könige.

Nachdem er die Tage der Festlichkeiten in der Hauptstadt verbracht hatte,
nahm der König das Götzenbild des Vaters und die Reliquien des Propheten
Elias und fuhr weiter gen Norden. Ein Adler flog den ganzen Weg ihrem
Schiffe voran, zuweilen auf das Standbild Nektanebs sich niederlassend, das
ragte auf dem Vorderteil und leuchtete mit hellem Topas dem Abendstern
entgegen. Von der Ferne erblickten sie den Rauch der gebrannten Ziegel und
vernahmen die wehmütigen ägyptischen Lieder, von dem Orte her, wo die Stadt
errichtet wurde. Hephaistion wartete mit Fackeln am Ufer, als er von der
Höhe das königliche Schiff erspäht hatte.

Nachdem der König den Göttern Opfer gebracht, besonders Serapis und Ammon,
und die ersten Gesetze den Ansiedlern gegeben, schiffte er sich wieder ein,
bewegt von Ruhmdurst und nieschlafender Tapferkeit.




DRITTES KAPITEL


DIE EROBERUNG VON TYROS. Vor Tyros sandte Alexander Boten, in der Absicht,
auf friedlichem Wege die Stadt zu gewinnen; aber zur Antwort auf seinen
Brief henkten die Bürger vor den Stadttoren die Boten und schlossen sich
noch fester in ihre Türme ein. Alexander trat in Verbindung mit drei
östlichen Vorstädten, und in einer dunklen Nacht, da er vorher die Tore
offen wußte, fiel er über die Stadt, nahm sie, den Schlaf und die
Sicherheit der Einwohner sich zunutze machend, und tötete alle Männer,
während er für die Sklaverei Frauen und Knaben ließ.

                   *       *       *       *       *

ALEXANDER IN JERUSALEM. Vom Meere zog der Weg in hohen Bergflächen nach
Jerusalem. Die Juden schickten von selbst Auserwählte zu Alexander mit der
Bitte, sie untertan zu nehmen, und mit Geschenken.

Alexander beobachtete die Sterne, als man ihm die Gesandtschaft meldete;
der König empfing die Juden im Gewande des Sternedeuters, kühl und
zurückgehalten; als er vernahm, daß sie ihn bäten, ihm untertan zu werden,
befahl er vier Jünglingen sofort sich in einen Abgrund zu werfen, welches
sie, mit einander umarmt, auch taten. Die Judäer zerrissen ihre gestreiften
Gewänder und erhoben Wehklage; aber der König sprach: »Glaubet nur nicht,
daß diese Epheben Verbrecher waren, Verräter oder derlei; aber welche mir
zu gehorchen sich vornehmen, diese müssen meinen leisesten Wunsch
erfüllen!« Am Morgen empfing im Tore den König der Hohepriester, dessen
ganzer Schoß mit goldenen Glöcklein benähet war und dessen Brust sich in
ein Ephad hüllte, mit selbstleuchtenden magischen Steinen: 1. Dem
babylonischen Sandrion, rot wie Blut, der Wunden heilt; 2. dem indischen
Topas, der von Wassersucht befreit; 3. einem Smaragd, -- der Augen Weide;
4. dem Amphrax, der in der Nacht und durch Gewänder scheinet; 5. dem
Saphir, auf ihm verzeichnete Moses die Gebote; 6. dem Jaspis aus Amathunt;
7. dem Anatis, der Schlangenstich lindert; 8. dem Hyazinth, der mit seiner
Glut das Feuer löscht; 9. mit Chrysolithen, Beryllen und Onyx. Der König
trat in Eile an den Greis und seine Hand küssend fragte er: »Vater, welchem
Gotte dienst du?« -- »Dem einzigen, der Himmel und Erde geschaffen!« -- »So
mag er auch mein Gott sein!« rief der Held. Aber der Greis, die Arme mit
offenen Händen zum Himmel gestreckt rief: »Der Gott der Siege sei mit dir,
o Sohn!« Das griechische Gefolge des Königs fand sein Betragen nicht ganz
der königlichen Würde geziemend, es ging aber ein Gerede der Juden vor
Alexander her, daß der Sieger ihrem Aberglauben alle offenbaren Zeichen der
Verehrung angedeihen lasse, insgeheim bekennend, aber in der Tat ist dies
nichts, als eine leere Fabel.

                   *       *       *       *       *

DIE BOTEN DES DAREIOS UND ALEXANDERS ANTWORT. In Syrien stießen zu
Alexander die Boten des Dareios, einen Brief bringend, einen Ball, eine
Peitsche und ein Kistchen mit Gold. Der vor versammeltem Heere verlesene
Brief war voll aufgeblasener Prahlerei und Schimpfens. »Ich, Dareios, der
König der Könige, der Gott der Götter, strahlend wie eine Sonne usw. an
Alexander, meinen Sklaven. Möchtest du lieber zu deiner Mutter Olympias
gehen, liegen an ihrer Brust, und die Schule besuchen, anstatt fremde
Länder zu plündern wie ein Räuber!« Das Schweigen auf dieses freche
Anschreiben wurde durch die Stimme des Königs unterbrochen, der laut
ausrief: »Haben wir denn vor bellenden Hunden Furcht?« Darauf hieß er die
Boten kreuzigen. Die Boten, zwei Perser mit roten Bärten und der Dolmetsch,
ein griechischer Knabe, fielen dem König zu Füßen wehklagend: »Erbarme
dich! was haben wir getan? Was ist da unsere Schuld?« Der König, mit einem
Lächeln antwortete: »Soll ein Räuber um Erbarmen gebeten sein?« --»Wir
sehen den König«, lallten jene. -- »Wohl, Könige lassen Boten nicht töten!«
rief da laut Alexander, gleich als ob er sich an etwas erinnerte und begab
sich gesenkten Hauptes zum Nachtmahl, wohin er auch die Boten kommen ließ.
Der Dolmetscherknabe flüsterte, zum Ohr des Königs geneigt: »König, ich
will dir sagen, wie du Dareios überwältigen kannst. Deine Schönheit hat
mich besiegt!« Ihn zur Seite schiebend, sprach der König: »Sage mir dein
Geheimnis nicht, bewahre es für jemand, der schöner ist als ich!« Auf dem
Feste wurde mit der Einwilligung der Feldherrn auch die Antwort
geschrieben: »Alexander, Sohn des Philipp und der Olympias an den König der
Könige, den Gott der Götter usw. Dareios -- Freude. Bedenke, welche Ehre
mir, dich zu besiegen. Doch einen Räuber zu zwingen wär das Verdienst nicht
groß! Auch deine Geschenke sind sehr gut. Der Ball ist die Erdkugel, die
Peitsche bedeutet Sieg, das Gold -- Tribut.« Alle begrüßten mit lautem
Rufen die Antwort des Königs, schlagend mit dem Kruge an die Becher und mit
den Schwertern an den Boden.

                   *       *       *       *       *

DIE SCHLACHT UND DIE FLUCHT DES DAREIOS. Dareios sandte von neuem ein
Schreiben an Alexander, noch aufgeblasener als das erste, aber der Held
schüttelte nur die Mähne und sagte: »Dareios gleicht einer Pauke: von der
Ferne -- schrecklich, in der Nähe -- ein gespanntes Fell!« Hinter dem
kilikischen Tauros und dicht bei Tarsos trafen sich die Feinde wieder am
Flusse. Aus dem griechischen Lager war deutlich das hohe Gespann des
persischen Königs zu sehen. Dareios stellte seine besten Kräfte in den
Flügel, der jenem gegenüberstand, wo er den Alexander vermeinte. Die
Schlacht währte bis zum Abend fast, wobei ein so eng Gedränge war, daß es
im allgemeinen Durcheinander beinahe unmöglich ward, den Perser vom
Griechen zu unterscheiden, den Gemeinen vom Befehlshaber; die Pferde
kämpften mit aufgeschlitzten Bäuchen, das betäubende Brüllen der Hörner und
das Gerassel der persischen Wagen erhöhten die allgemeine Erregung und
Unordnung. Bald war die ganze Erde voll von lebenden und gefällten Menschen
und Tieren, zerbrochenen und dahinsausenden Gespannen, Blutlachen; und die
Wolken, welche die Sonne bedeckten, erschienen noch düsterer von der Menge
der Lanzen und Pfeile, die den Tod in alle Teile des Feldes trugen. Der
König wandte seinen Blick nicht vom Gespann des Dareios, bis es plump umbog
und, zuerst langsam, dann immer rascher und rascher begann vom Schlachtfeld
abseits zu streben. Mit einigen Freunden eilte Alexander auch dort hin, die
flüchtenden Perser wehrend. Der Wagen, stark seitlings gekrümmt bei den
Biegungen, fuhr eilends, mit den speichenlosen Rädern knarrend. Der Weg
führte bergauf, immer steiler hinan und menschenleerer; das Geräusch unten
verstummte. Schon hörte Alexander das Wiehern der Dareiospferde und endlich
gelangte er hin; die Pferde aufhaltend ohne Hast, ergriff er den
Teppich-Zudeck, sprechend: »König fürchte dich nicht, du bist in
Sicherheit; ich bin Alexander!« Ein dicker runder Kopf schob sich unter der
Decke hervor und versteckte sich wieder; nach einigem Warten wiederholte
der König seine Versicherung, die abermals vergeblich blieb. Die Fackeln
anbrennend, schlugen endlich die Diener die Schöße des Teppichs zurück. Das
Gesicht mit den Händen verdeckt, knieten drei Frauen. Der König selbst
deckte ihre Gesichter auf; die erste erwies sich als ein Eunuche, der im
gebrochenen Griechisch und mit Gebärden erklärte, daß Dareios zu Pferde
verschwunden; und seien diese Frauen die Mutter und die Tochter des
persischen Königs: die zweite nannte er Datipharta. »Ich hoffe, ihr
Fürstinnen, vertraut meinem Edelmute? Zu Hause würde euch keine solche Ehre
empfangen, wie sie euch bei mir erwartet«, sprach der König, von der roten
Mähne den Helm abnehmend.

Die alte Königin schien ertaubt zu sein, aber Datipharta warf das blonde in
kleine Zöpfchen geflochtene Haar zurück, lächelte, nahm Alexanders Hand,
drückte sie an ihr Herz, wies dann auf den jungen zweihörnigen Mund, und
sie stammelte etwas mit zarter Stimme.




VIERTES KAPITEL


ALEXANDER AM GRABE DES ACHILLEUS. Während Dareios ein zweites Heer
sammelte, um Alexander niederzuwerfen, begab sich der König zum Meere, um
die von Homer besungenen Stätten zu besuchen. Als der König alles
aufmerksam besichtigt hatte und die ruhmreichen Trümmer bewundert, brachte
er mit eigener Hand Opfer dar am Grabe des Achilleus, zusammen mit seinem
Freunde Hephaistion. Darauf betete er im Tempel des Orpheus und begann
seinerseits zu einem neuen Kampfe sich vorzubereiten.

                   *       *       *       *       *

DIE TREUE DES PHILIPPOS. Einmal, nach einem Bade im kalten Wasser des
Kidnos, erkältete sich Alexander und wurde bettlägerig. Als der Arzt
Philippos geholt wurde, ruhte der König halb sitzend im Bette, hoch gerötet
und irgend einen Brief lesend.

Flüchtig mit dem feurigen Auge auf den Eintretenden blickend, fuhr
Alexander fort zu lesen, bis der Arzt seine Kräuter stampfte und mischte.
Endlich reichte Philippos dem König die Schale; scharf ihn anschauend rief
jener: »Siehe, welch ein Vertrauen, o Philippos!« und begann langsam zu
trinken, ohne die Augen von dem ruhigen Heilenskundigen zu wenden. Darauf
zurück in die Kissen fallend, ließ er Philippos die heimliche Anzeige des
Parmenion lesen, daß der königliche Arzt bestochen sei, Alexandern zu
vergiften. Nach seiner Genesung näherte sich der König dem Philippos noch
mehr, gänzlich Parmenion von sich haltend.

                   *       *       *       *       *

DIE VORBEREITUNG ZUR SCHLACHT. Mysien und Armenien durchziehend erreichte
der König durch wasserlose Wüsten den Euphrat, dessen Quellen im
wundersamen Paradies verborgen sind. Alexander holte den Zug ein, und
selbst die Spitze des Heeres nehmend, befahl er die Brücken zu vernichten,
welches Dareios sofort gemeldet wurde. Der persische König schickte Boten
zu seinen Feldherrn und vereinigten Herrschern, aber allein Poros von
Indien versprach ihm seine Hilfe. Die alte Mutter schrieb aus der
Gefangenschaft, von welcher Ehrerbietung und Hochachtung sie umgeben sei,
und beschwor flehentlich, nicht die Welt in Aufruhr zu setzen. Dareios
brach in Tränen aus, nachdem er an König Alexander ein Schreiben abgesandt
hatte, in welchem er auf die gefangenen Verwandten Verzicht leistete, ihr
Schicksal dem Könige selbst überlassend. Alexander lachte, antwortete
nichts auf dieses wahnwitzige Schreiben und begann zur Schlacht sich
vorzubereiten.

                   *       *       *       *       *

ALEXANDER IM PERSISCHEN LAGER. Der König suchte vergebens irgend jemand,
der es auf sich genommen hätte, in des Dareios Lager sich zu begeben.
Nachts ließ er an die Hörner der Ziegen brennende Zweige binden, jagte sie
vor die babylonischen Mauern und benutzte den Schrecken der Wächter, um den
großen Umfang der Stadt von außen in Augenschein zu nehmen. Die dreifache
Reihe der Mauern, die hohen Kupfertürme und die Tore lagen in Schweigen;
nur die Elefanten brüllten von innen gegen die Himmelsröte, und aufgestörte
Tauben flogen in Schwärmen zum schwarzen Himmel. Nachdenklich betrachtete
der König die erstaunlichen Mauern und erklärte, heimgekehrt, daß zu
Dareios als Bote er selbst sich begeben werde. Vergeblich suchten die
Ratgeber den König von seinem Entschluß abzuwenden, wie von dem Vorhaben
eines Hirnverbrannten. Eumelos und drei Pferde nehmend, selbst gekleidet
nach der Art des Hermes, begab sich Alexander zum Flusse Strangas, der
damals mit Eis bedeckt war. Dort ließ er Eumelos mit zwei Pferden, selbst
überschritt er auf dem Bukephalos den Fluß und rief: »Ammon ist mein
Helfer!« Die persischen Wächter, Alexander umringend, hielten ihn für eine
göttliche Erscheinung, und geleiteten ihn in den Palast, allwo Dareios in
babylonischen Gewändern, im vergüldeten Schuhwerk, im Purpurkleid, mit
Szepter und Stab auf dem strahlenden Throne saß. Alle verwunderten sich
über Alexanders kleine Gestalt. Dareios sprach mit etwas vom Weine
ermatteter Stimme: »Wer bist du, Knabe?« -- »Ich bin der Bote Alexanders.«
-- »Was hast du zu sagen?«

»Alexander drängt zum Kampfe und ist unwillig, ob deiner Langsamkeit!« Die
Brauen des Königs runzelten sich, dennoch sagte er laut lachend: »Sei er
unwillig, wir aber wollen einstweilen zechen! Eine Schale für ihn!«
Alexander verbarg die eine Schale in den Falten der Chlamys und streckte
die Hand nach der zweiten aus, Dareios lachte schläfrig. »Geschickt! und
jene, wo ist sie, die erste?« »Der König Alexander schenkt stets die
Schalen, wenn er mit Freunden zecht!« Der persische Künstler flüsterte
Dareios ins Ohr, dieser Mensch sei Alexander selbst, von dem er einst ein
Bildnis gemacht. Der König nickte bejahend in halbem Schlafe; durch die
Reihen der Gäste ging ein Raunen: »Alexander selbst«, aber Alexander, an
das hohe Fenster tretend rief: »Ja, ich gleiche von Ansehen dem
gottähnlichen Helden, aber ihr irret euch!« dann, auf einmal auf den Sockel
der Bildsäule des Xerxes steigend rief er laut: »König Dareios, sieh mich
gut an, auf daß du in der Schlacht Alexander nicht vorbeilässest!« und sich
abschwingend von der auf den Tisch gestürzten Bildsäule, mit den
Bruchstücken Becher und Schalen zerschlagend, verschwand er durch das hohe
Fenster.

Die trunkenen Perser, fluchend, sattelten die Pferde im Dunkel, aber sie
holten den leichten Griechen nicht ein, und meldeten dem bei Trümmern der
väterlichen Säule sitzenden Dareios die unwahrscheinlichsten Nachrichten
über das Verschwinden Alexanders.




FÜNFTES KAPITEL


DIE SCHLACHT. Die folgende Schlacht fand bald statt am Flusse Strangas im
Winter; die beiden Führer hatten so viel als möglich Heere gesammelt, und
sprachen ihre bedeutendsten Reden. Dareios befand sich in einem
wunderlichen Gespann, mit Sicheln ums Rund der Räder, mit denen das Gefährt
alle Herannahenden mähte. Und solcher Vorrichtungen gab es ein ganzes
Bataillon. Diese Schlacht war am blutigsten; der Himmel wurde verdunkelt
von den Pfeilen, Steinen und Spießen. Die persischen Sichelwagen schnitten
auf der Flucht in ihre eigenen Soldaten; und diese, ihre letzte Zuflucht
auf dem Eise des Flusses suchend, fanden dort ihr endgültig Verderben, da
das Eis das Gewicht von so vielen Menschen und Pferden nicht trug und
brach, und alle wurden von dem plötzlich offenen schwarzen, rauschenden
Wasser zugedeckt. Dareios zerriß am Ufer sein Kleid und begab sich eilig in
den Palast, wo in entferntem Gemach eingeschlossen, er auf den Boden
stürzte, wie ein Kind weinend: »Dareios, Dareios, ein flüchtender Bettler,
vor kurzem noch der Beherrscher der Welt!«

Apis, der Vertraute des Dareios, unternahm erfolglos einen Anschlag auf das
Leben Alexanders, indem er sich als Makedonier verkleidete, er wurde aber
vom großmütigen König in Freiheit gesetzt. Alexander hieß die Leiber der
gefallenen Griechen und Perser begraben, und schickte sich an, in Babylon
zu überwintern, das durch viele Wunder berühmt war.

                   *       *       *       *       *

DER TOD DES DAREIOS. Zwei andere Vertraute von Dareios, im Wunsche,
angenehmes Alexandern zu bereiten, als dem wahrscheinlichen Sieger in
diesem Kampfe, beschlossen den Perserkönig zu töten; einmal in der Nacht in
das königliche Schlafgemach dringend, überfielen sie Dareios, aber mit
nackten Händen wehrte er die zwei so ab, daß die Edelleute ohne die
schmachvolle Absicht wahr zu machen verschwanden; indem sie den nicht
vollends erwürgten König stöhnend im dunklen Gemache zurückließen. Kaum
erfuhr Alexander von der Verschwörung und dem Mordanschlag auf Dareios, als
er sofort übers Eis den Fluß beschreitend, sich in des Persers Gemach
begab. Der König lag auf dem Fußboden, mitten im Zimmer, das alle Spur des
jüngsten zähen Kampfes trug, kaum noch lebendig.

Alexander deckte ihn mit seiner Chlamys zu, und, die erstarrenden Hände
drückend, flüsterte er: »Dareios, stehe auf, lebe, herrsche in deinem
Lande!«

Dareios, auf den König den irrenden Blick geheftet, flüsterte kaum hörbar:
»Sieh, was ich geworden; ein Schatten, auf einer Mauer vorüberhuschend, das
ist der Ruhm; denk daran, denk daran! . . .« Des Dareios Gesicht mit dem
Mantel verhüllend, sprang Alexander davon. In Babylon besah er alle Wunder,
bestattete Dareios, kreuzigte an seiner Grabstätte seine Mörder, krönte
sich und feierte bald darauf seine Hochzeit mit Roxane, wobei er, wie es
schien, den Gipfel menschlichen Glückes erreichte.

Ende des zweiten Buches.




DRITTES BUCH




ERSTES KAPITEL


DER ABSCHIED VON ROXANE. Der Winter, verbracht in Frieden und Muße, quälte
Alexander mit undeutlicher und unbestimmter Sehnsucht und oft, im Frühling
schon, mit seinem Freunde Hephaistion auf der Terasse sitzend, seufzte der
König nach fernen Feldzügen. Dieses Streben lobend, riet der Freund dem
Könige nach dem Osten zu wandern, in das indische Reich, durch Wüsten;
Gestirne des Himmels zu Führern, und Sternenreigen. Der König küßte den
Freund und ging zu der Königin Roxane. Die Königin saß am Fenster, ohne
etwas zu tun, gelangweilt von Alexanders Kälte, denn, obwohl sie die
Gemahlin des Königs hieß, so blieb sie doch Jungfrau zu ihrem großen Ärger.
»Was belieben, Sie, König?« fragte sie ohne an den Gemahl ihr breites,
grell geschminktes Gesicht zu wenden. -- »Mein Schwert und den Feldmantel
such ich, Frau Königin«, antwortete Alexander. »Schicken Sie sich denn an,
in neue Feldzüge zu gehn?« fuhr Roxane fort, die Augen von den gemalten
Fensterscheiben nicht wendend. »Ja, Herrin!« -- »Es wäre nicht übel, wenn
Sie mich vorher benachrichtigten, damit ich Ihnen etwas zum Andenken
sticken könnte.« »Sie werden auch ohnehin in meinem Andenken herrschen!«
Die Königin erging sich im Zimmer und wandte sich wieder an den Gemahl:
»Was ist Ruhm? Ist es ein Rauch? Sie sollten einen Sohn haben, als würdigen
Erben.« Und sie ließ sich auf den Fußboden zu den Füßen des Helden nieder.
Alexander antwortete lange nichts, lächelnd und in Roxanes Locken spielend,
dann sprach er: »Herrin, sticke mir einen Siegesmantel, bringe Opfer den
Göttern dar, uns Männer aber laß die Männergeschäfte entscheiden!« Der
König verließ eiligen Schritts die Gemächer der Königin, und jene saß lange
in der Dunkelheit, mit den Händen die Schläfe pressend, die der Gemahl
geküßt hatte; nicht hörend die Hörner und das Wiehern der Pferde, das
Stampfen der Lanzen und die dumpfen Paukenschläge. Leer war der dunkle
Platz, als Roxane in das Fenster blickte, und eine kleine Lampe erzündend,
setzte sie sich zum Sticken hin, und verlor böse, karge Tränen.

                   *       *       *       *       *

DIE WANDERUNG IN DER WÜSTE. Das Heer wußte nur unklar, wohin es ging, die
Feldherrn ebenfalls, und nur die Sicherheit der wolkenlosen Stirn des
Königs hielt sie vom offenen Murren zurück. Von den Sternen acht Tage
geleitet, kamen sie in Fruchtwälder, deren Einwohner Tieren glichen, und in
ein Grasland, wo an Stelle von Hunden an den Häusern Flöhe und Kröten
angekettet waren, und in ein Sumpfland, wo die schamlosen Einwohner bellten
und nur durch Feuer in die Flucht gejagt werden konnten. Und weiter zogen
sie und wunderten sich, über die Greifen, die stummen Völkerschaften, die
Halbhunde, den einäugigen Tiger, die im Feuer lebenden Salamander, den
Baum, der gegen Abend eine wohlriechende Träne vergießt, die sechsfüßigen
dreiköpfigen Pardeln. Und aus dem warmen Nebel sangen zarte aber strenge
Stimmen: »Mache Halt, König, mache Halt!« Aber Alexander rief laut in die
Dunkelheit: »Ich will den Rand der Welt sehen!« Und sie gingen wieder
weiter, die Müdigkeit und das Murren durch die Liebe zum König betäubend.
Endlich verkündete ihnen ein warmer und dichter Nebel die Nähe des Meeres.
Im rosigen Nebel war das Meer nicht zu sehen, aber sichtbar waren die kaum
blinkenden Lampen auf den Masten der Schiffe. Der König bestieg ein Schiff,
das niemand kannte, und fuhr ab, ins dichte, leis und zischend schäumende
Naß. Zur Linken war eine bewaldete hohe Insel sichtbar, von der griechische
Worte herüberklangen, aber die Sprechenden waren nicht zu sehen, und die
Mutigen, die im Schwimmen das wunderbare Ufer zu erreichen suchten, wurden
von unsichtbaren Händen in den Strudel gezogen. Endlich war der Nebel so
dicht, daß er wie eine Porphyrmauer erschien, und der König war genötigt,
ans Ufer zurückzukehren. Lange stand Alexander vor dem Nebelmeer, und dann
begab er sich mit einem Seufzer in die Tiefe des Landes.

                   *       *       *       *       *

DAS GEBIET DER FINSTERNIS. Bald erreichten sie ein finsteres Land, ohne
Dämmerung, Sonne und Mond, wo sie das Land der Seeligen vermuteten. Um den
Weg in der Finsternis nicht zu verlieren, wurde eine Eselin von ihrem
Jungen getrennt und, indem man die erstere vorausließ, hielt man das andere
vor dem Heere, damit man durch die Schreie der Mutter geleitet werde. Aber
ein sonderbares Licht beleuchtete den unterirdischen Weg den Wanderern. Die
Gegenstände in ihrem Wege erschienen grau und unbestimmt, wie nach dem
Schlaf. Bald kamen sie an einen traurigen, hügeligen Ort; der Wind brachte
von links einen schweren Gestank und die Eselin schrie in der Ferne kaum
hörbar. Die Fledermäuse, dahinjagend über ihre Köpfe, schienen zu zischen:
»Biegt nach links.« Die Wanderer fanden bald einen See ganz von Menschen
erfüllt, so daß kein Wasser zu sehen war, und nur Köpfe, Schultern und
Arme. Unter der Erde hervor drang Stöhnen und Wehklagen, gleichsam wie
während des Sturmes aus dem Innern eines Schiffs. Aber alle Stimmen wurden
von der Stimme eines Riesen übertönt, der an einen spitzen Felsen gefesselt
war; fünf Tage Weges weit war dieses Weheklagen zu hören. Ihnen entgegen
kamen Haufen von Menschen, Männer und Frauen, alle entblößt, die von
flammenblickenden Vögeln mit Nesselpeitschen gejagt wurden. Mit zerzausten
Haaren blickten die Gejagten wild den König an und riefen mit
ausgestreckten Armen: »Hast Du, König Alexander, die Liebe gekannt?« Der
König richtete seine Augen auf Hephaistion und wiederholte langsam: »Habe
ich die Liebe gekannt?« aber die grauen Menschen, heiser bellend, waren
schon vorbeigezogen, gebeugt unter den Schlägen der Nesselpeitschen. Von
der Bergfläche herabsteigend, betraten sie offenbar das Kupferland, so
schallend verbreitete das Echo das Gestampf der Hufe. Alexander erschrak,
indem er sich an die Weissagungen des Antiphon erinnerte, er werde sterben
im eisernen Lande unter beinernem Himmel. Aber auch diesen Weg wanderte man
zu End, ohne auf die nunmehr unaufhörlichen Stimmen und Weheklagen weiter
zu hören. Auf einmal überraschte eine plötzlich eingetretene Stille ihr
Gehör. Rechts ragte ein dichter Wald hinter hoher Umfriedung, eine Quelle
glänzte im Silber murmelnd am Eingang, und der Himmel erschien durch die
dichten Zweige durchsichtiger, grünlich zart erschimmernd. Das Wiehern der
Eselin in der Ferne verstummte. Der König näherte sich dem Haine, nahm den
Helm ab und blickte prüfend auf den helleuchtenden Himmel. Plötzlich tat
sich das Tor leicht auf und aus dem schweren Dickicht trat ein nackter
Jüngling mit hoher Lanze, auf deren Spitze ein wunderbarer Topas gelb
schimmerte. Mit zärtlicher Stimme, wie eine Turteltaube sagte er: »König
Alexander, das ist die Stätte der Seligkeit; niemand kann hier lebend
eintreten selbst du nicht, der an diesen Ort kam, den noch kein Menschenfuß
betrat. Freue dich, du wirst bald hierherkommen, auch ohne deinen Wunsch.«
Und mit traurigem Lächeln verschwand der Knabe und das Tor schloß sich von
selbst, und der König führte schweigend sein Heer weiter, dem Wiehern der
Eselin nach, bis er ins weiße Licht kam, in Sonne, Mond und Sterne, und wo
Gras die liebe schwarze Erde bedeckt.




ZWEITES KAPITEL


DAS MURREN DER SOLDATEN. In Indien nahm Alexander die Gesandten des Poros
an, des Königs von Indien, der davon abriet, gegen den Gott Dionysos zu
kämpfen, welcher ihm, Poros, beistehen sollte. Der König antwortete: »Mit
einem Gott kämpfe ich nicht, aber ich fürchte auch nicht aufgeblasene
Barbarenworte.« Die Feldherrn Alexanders jedoch, gewahrend, daß der Weg
noch ferne hin sich zöge, die Berge immer unzugänglicher würden, die
angetroffenen Tiere immer wunderlicher, bewegten die Soldaten, daß sie sich
weigerten, dem Könige zu folgen. Alexander las im Zelte den Homer, als er
zu den Soldaten gerufen wurde. Das Lager befand sich in einem schmalen
Tale, sodaß der frühen Stunde ungeachtet, das lilafarbne Licht nur auf den
Gipfeln der Berge lag. Die Menge schrie: »Wir sind nicht unsterblich, wir
sind nicht Kinder Ammons! Wir brauchen Nahrung! Wohin hast du uns gebracht!
Wir fürchten uns! Weiter gehen wir nicht: Geh allein!« Der König schwieg
lange, die Augen gehoben zu den schweren Wolken, die rosig wurden. Dann
erscholl hell und weit seine Stimme: »Bleibt hier, oder kehrt nach Hause
zurück, das sei eure Sache. Ich werde auch ohne euch weiter ziehen, und
wenn ichs allein tun muß. Wie die Sonne nicht ihre Bahn ablenken kann,
weder nach rechts noch nach links, so kann auch ich nichts mehr an dem mir
vorbestimmten Ruhm ändern!« Hephaistion und die zunächst stehenden
Jünglinge stürzten hin, und küßten das kurze Kleid des Königs mit den
Rufen: »Wir sterben mit dir!« »Mein Ruhm ist euer Ruhm!« antwortete der
König und ging ins Zelt. Gegen Morgen rückten die beruhigten Heere weiter,
den Horden des Poros entgegen.

                   *       *       *       *       *

DIE SCHLACHT MIT POROS. Auf den Gipfel des Berges gestiegen erblickten die
Griechen plötzlich eine endlose grüne Ebene, weiße Tempel mit blauen
Bassins, Felder unbekannten Korns, dünne aber zahlreiche Waldungen, mit
roter Erde bestreute Wege und in der Ferne das ruhige blendend blaue Meer.
Der Wohlgeruch der Feld- und Sumpfgräser drang sogar bis zu den Bergen,
Vögel mit bunten Schöpfen flogen von Palme zu Palme, Schmetterlinge
schwirrten schwer auf lila und rosa Blumen. Bienen summten in der stehenden
Hitze. Über das ganze nahe Feld waren weiße Zelte verstreut, und hohe
schwarze Menschen in weißen Kleidern mit Lanzen in den Händen, wachten vor
Scheiterhaufen. Zur Seite, wie eine Herde, lagen Panther und Tiger spielend
zwischen den Beinen unbeweglicher Elephanten. Da der König Kriegstiere mehr
fürchtete, als das Heer selbst des Poros, hieß er kupferne Gestalten von
Menschen machen, sie bis zur Rotglut erhitzen und vor die Krieger stellen,
sodaß die von den goldenen Ketten freigelassenen Tiger zurücksprangen, mit
Geheul im Grase vor Schmerzen sich wälzten, dann sich wieder auf andere
Abbilder stürzten, oder mit Gewinsel der Geißel des Aufsehers Gehorsam
verweigerten. Zur Nacht gingen die Gegner auseinander, um mit der Dämmerung
wieder den Kampf zu beginnen. So dauerte dies acht Tage; am neunten schlug
Alexander Poros vor, den Streit durch Zweikampf zu entscheiden, obwohl
Alexandern von solchem Schritte abgeraten wurde, indem man ihm vorhielt,
König Poros sei ein ruhmreicher Zweikämpfer, und beinahe zwei Ellen größer
von Gestalt. Am zehnten Morgen begannen die königlichen Gegner vor den
Heeren ihren Zweikampf. Poros war groß von Gestalt und biegsam, mit einem
roten kleinen Schurz auf seinem braunen Körper; der Kopf mit roter Seide
umbunden, glänzte wie ein roter Rubin, sein Gesicht war regelmäßig und
jugendlich schön, und der Blick der großen niedrig stehenden Augen
versetzte schüchterne Menschen in ein abergläubisches Beben. Die Feldherrn
und die Soldaten verfolgten schweigend den Gang des Kampfs, während die
indischen und griechischen Priester Opfer brachten, jedes nach den
Gebräuchen ihres Glaubens. Alexander warf rasch den Indier um, preßte mit
den weißen Händen seinen schwarzen Hals zusammen und ließ ihn lange nicht
aus. Endlich erscholl die ruhige Stimme des griechischen Königs über das
weite Feld: »Ihr indischen Leute, schickt eurem König Ärzte. Unser Streit
ist zu Ende, nicht mit euch kämpfe ich, ich hatte nur einen Feind -- König
Poros.« Der Indier lag rücklings da, ruhig die Arme gebreitet und mit
geschlossenen Augen, ohne zu atmen. Von den fernen Bergen flog ein Geier
herunter, setzte sich dem Toten auf die Stirn und dreimal auf seinen
schimmernden Rubin hackend, erhob er sich wieder langsam in die nebligen
Berge.




DRITTES KAPITEL


DIE BRACHMANEN. Die Weisen, Brachmanen genannt, sandten Alexander ein
Schreiben, in dem sie baten, sie geruhig und im Gebet ihre Tage führen zu
lassen. Der König war begierig, sie selbst zu sehen, obwohl nicht diese
berechtigte Neugier allein ihn zum Besuch zu bewegen schien. An einen
gleichwie Milch trüben Fluß gelangt erblickten die Wanderer bärtige und
bartlose Menschen, ganz nackt, unter den Zweigen eines wilden Pflaumenbaums
liegend und Schweigen wahrend; manche lagen da mit untergeschlagenen
hageren Beinen und schiefblickenden Augen, die erhobenen Arme im Ellbogen
gekrümmt. Alexander im kurzen roten Mantel trat zu den Weisen, begrüßte sie
und begann Fragen zu stellen. Den König umdrängend mit halbgeschlossenen
Augen, gaben die nackten Weisen mit stillen Stimmen Antworten.

Frage: Habet ihr ein Reich und darin eine Stadt?

Antwort: Die Welt ist unser Reich und unsere Stadt: Die Erde gebiert uns,
ernährt uns, und empfängt unsere Asche.

Frage: Von welchem Gesetz werdet ihr geleitet?

Antwort: Höhere Vorsehung bewahrt uns, und bestimmt unsere Taten und
Gedanken.

Frage: Was ist das Königtum?

Antwort: Kraft, Verwegenheit, Last.

Frage: Wer ist der Stärkste von Allen?

Antwort: Der menschliche Gedanke.

Frage: Wer ist dem Tode entronnen?

Antwort: Der lebendige Geist.

Frage: Gebiert die Nacht den Tag, oder ist der Tag der Vater der Nacht?

Antwort: Die Nacht ist unsere Urmutter, wir wachsen im Dunkel und streben
zum nievergehenden Licht.

Frage: Habet ihr einen Abt?

Antwort: Unser Ältester ist Dandamis.

Frage: Möchte ihn küssen!

Der König wurde durch einen schattigen Hain zu dem Greise geleitet, der so
mager war, daß ein leichter Windhauch zu genügen schien, seine gedunkelte
Körperlichkeit zu verwehen. Seine Lider waren gesenkt und auf großen
Blättern vor ihm lag eine Melone und einige Feigen. Er erhob sich nicht
beim Nahen Alexanders, öffnete nicht einmal die Lider, die nur leise
aufzuckten. Sein Bart zitterte und seine Stimme war so schwach, daß der
König sich bücken mußte, um sein prophetisches Lallen zu vernehmen. Mit
einem Lächeln nahm der Greis in die dürre Hand das Gläschen Öl entgegen,
das ihm der König darbrachte, aber er weigerte sich, Gold, Brot und Wein zu
empfangen. Ein kaum hörbares Flüstern säuselte wie ein wankendes Rohr:
»Wozu führst du immer Krieg: Wenn du auch alles besitzen wirst -- kannst du
es denn mit dir nehmen?« Alexander rief schmerzlich: »Wozu bewegt der Wind
das Meer? Wozu verstäubt der Orkan den Sand? Wozu jagen die Wolken und
biegt sich der Rebenzweig? Wozu bist du als Dandamis geboren und ich als
Alexander? Wozu? -- Erbitte, du Weiser, was du willst, alles gebe ich dir,
ich der Beherrscher der Welt!« Dandamis zog ihn an der Hand und flüsterte
freundlich: »Gib mir Unsterblichkeit«. Erbleicht riß Alexander seine Hand
aus den Händen des Greises und ging schnell ohne sich umzuwenden aus dem
Schatten des Hains zum Flusse, wo auf milchiger Nässe fette kropfige Enten
knarrten und Mücken in Reigen schwirrten.




VIERTES KAPITEL


DIE WEISSAGUNGEN DER BÄUME. Breite palmenbepflanzte Straßen, weite, bald
weiße bald bunte Tempel, eine geräuschvolle Menge ergötzten die müden
Blicke der Ankommenden. Die Einwohner waren ergeben und freundlich. Ein
alter Priester mit hohem Stabe aus schwarzem Holz führte den König herum,
die Seltenheiten der Stadt weisend. Das merkwürdigste Wunder war der
Garten, in dessen Mitte zwei Bäume wuchsen, in der Art von Zedern, mit
Tierfellen zugedeckt. Auf die Frage des Königs antwortete der Führer:
»König du siehst zwei heilige Bäume: Der eine heißt das Mannsgeschlecht und
ist dem Sonnengotte geweiht, der andere, der Mondgöttin geweiht, heißt das
Weibsgeschlecht. Die Tierfelle sind Gaben der Pilger, wobei die Felle der
Männchen auf den Sonnenbaum gelegt werden, und die der Weibchen auf den
Mondbaum. Dreimal am Tage und dreimal nachts verkünden die Bäume das
Schicksal bei Sonnenaufgang. Zenit und Neigung der Sonne und des
Nachtgestirns. Wenn du dein Schicksal zu erkunden beliebst, reinige dich,
entwaffne dich, und tritt betend zu den Bäumen.« Zornigen Blick sprühend
rief Alexander: »Wenn die Sonne untergehen wird, ohne daß ich die Stimme
vernehme, so werde ich euch lebendig verbrennen!« Der Priester neigte sich
und ging weg, und der König begann, nachdem er die geforderten Gebräuche
erfüllt hatte, zu beten, die Hand auf den Stamm eines heiligen Baumes
gelegt. Schon glänzte die Sonne rot mit rotem Rande über den dichten Hain
und der König wollte zornerfüllt fortgehen, als auf einmal, gleich einem
fernen Gong eine tiefe Männerstimme sang: »König Alexander, bald wirst du
durch die Inder verderben!« Ohne sich zu rühren stand der König da, wie
versteinert; bis die rasche Dämmerung die neue trübe Röte des nächtlichen
Gestirns brachte, und aus dem Laub des benachbarten Baumes eine dunkle
Frauenstimme ertönte: »Armer König Alexander, wirst nimmermehr deine Mutter
Olympias schauen: In Babylon wirst du sterben.« Der verwirrte König trat zu
seinem Gefolge, das auf ihn hinter der Umzäunung wartete; auf die Frage des
Königs, ob auf die Bäume Kränze gelegt werden dürften, antwortete der
Priester: »Es ist verboten, doch wenn du willst, tue es; nicht für dich,
göttlicher König, sind die Gesetze!« Alexander folgte und entfernte sich in
seinen Palast. Die ganze Nacht zechte er mit seinen Freunden, an die
Feldzüge und an die Gefahren zurückdenkend, aber kaum graute der leichte
Morgen, da verließ der König, dringende Geschäfte vorhaltend, den Saal und
begab sich von Neuem zur geheiligten Umfriedung. In Sehnsucht beugte sich
der König vor dem Baume, und als die Sonne die ersten Strahlen auf die
Wipfel spritzte, und purpurgoldene Vögelchen auf biegsamen Zweigen sich
rührten, da erklang eine hohe Kinderstimme gleichsam von der Kuppel des
hellen Blaus herniedersinkend. »Alexander, Alexander, in Babylon wirst du
sterben, nimmer umarmend, die dich geboren. Prüfe nicht mehr das Schicksal,
wirst keine Antwort haben!« Ohne jemand etwas zu sagen, trat der König in
sein Gemach und schlug die Schriftrollen auf, und als der eintretende
Freund fragte: »Warum bist du, König, so bleich?«, da antwortete Alexander:
»Ich schlafe wenig; Arbeit und Müdigkeit nehmen mir die Röte!« Bald begann
er von Plänen für neue Feldzüge zu sprechen.

                   *       *       *       *       *

DIE ERFORSCHUNG DER LUFT. Alle wurden durch den Befehl des Königs
verwundert, einen geräumigen Käfig anzufertigen, und gleicherart ein
gläsernes Gefäß in Form eines Eies, sieben Paar kräftige Gebirgsadler zu
fangen und ein keusches Mädchen zu finden, das noch keinen Mann gekannt.
Als alles erfüllt war, rief der König das Volk zusammen auf ein freies Feld
hinter der Stadt, und auf eine Anhöhe sich stellend, sagte er: »Ich habe
Europa und Asien besiegt, das alte Ägypten und das wunderbare Indien, den
Süden, Osten, Westen und Norden; ich habe große Könige niedergeworfen; ich
zog über die ganze Erde von Ende zu Ende; ich war im Reich der Finsternis
und sah die Stätte der Seligen. Jetzt werde ich die Elemente besiegen, die
leichte Luft und das fließende Nasse, ich bin Alexander, der Sohn des
lybischen Gottes!« Alexanders Gesicht war bleich, aber seine Stimme klang
fest und hell über das weiße Feld. Darauf hieß er an den Käfig die Adler
binden und davor Fleischstücke zu legen. Selbst nahm er zwei Lanzen, deren
Länge die Fesseln der Vögel übertraf, und nachdem er auf die Spitzen die
blutigen Stücke gesteckt, hob er sie mit beiden Händen in die Höhe; die
Adler stürzten ihnen nach, ohne sie zu erreichen, und der Käfig mit dem
Könige darin begann, sich bewegend, aufzusteigen vor den Augen des
staunenden Volks. Immer kleiner und kleiner wurde der Käfig, sodaß die
vorbeifliegenden Schwalben größer als er zu sein schienen, und endlich
verschwand er. Alexander flog immer höher und höher, und der Wind pfiff in
seinen Locken. Die Erde wurde immer kleiner, bis sie, umgeben vom Bande des
Ozeans, der Scheibe eines dunklen Granatapfels auf einer Schüssel reinen
Wassers gleich wurde. Tag und Nacht strebte der König in die Höhe, an den
Sternen und Planeten vorbei. Die Sterne waren kristallene buntfarbige
Gefäße an goldenen Ketten, und jeder Engel entzündete und verlöschte eine
Flamme der Nacht. Die Planeten aber waren durchsichtige Räder, die in ihren
Spuren von dutzenden von Engeln gewälzt wurden. Stimmen riefen dem Winde
entgegen: »Kehre um, kehre um!« Endlich erblickte Alexander aus der Ferne
die Sonne. Ein Rad von Hyazinth, dessen Größe dreimal den Umfang der Stadt
Babylon übertraf wurde in einer goldenen Spur gewälzt von Engeln mit
freudigen Gesichtern und in roten Mänteln. Den Kopf zurückwerfend schrie
der König in das flammende Leuchten: »Ich bin Alexander! ich bin
Alexander!« und die Adler schrieen vielstimmig mit sieben Paaren offener
Schnäbel. Der Schall von tausend Hörnern und tausend Donnern erklang zur
Antwort: »Zurück, betörter Sterblicher, ich bin dein Gott!« Ohnmächtig ließ
Alexander die Lanzen sinken und die Adler trugen ihn zur Erde nieder,
schneller als ein wahnsinniger Komet. Als das Volk, welches auf den König
wartete, rief: »Ruhm Alexandern, der die Elemente besiegt!« da antwortete
der König nichts und begab sich bleich, die Menge hinter sich, an das Ufer
des Meeres.

                   *       *       *       *       *

DIE ERFORSCHUNG DES WASSERS. Dort hieß der König an Taue das gläserne Gefäß
binden, und an einen dünnen Strick ein silbernes Glöckchen, und befahl, das
ausfindig gemachte Mädchen herbeizuführen. Sie war klein und braun, sah
sich erschreckt um und nannte sich Chadschidscha. Ihre Eltern, der Arzt und
der Priester beschworen, daß sie Jungfrau. Alexander sagte zu ihr: »Halte
dies Tau; solange du keusch bist, wird das Gefäß nicht vertrinken. Wenn ich
schelle, ziehet die Stricke aus dem Wasser!« Und in das Ei tretend, begann
er in den Strudel niederzusinken. Ein grünliches Halblicht, durch die
hellen Scheiben sichtbar, umgab den König. Die Fische schossen wie Pfeile
aus der Tiefe Alexander entgegen, und große Ungeheuer krochen langsam über
Meerespflanzen von Ort zu Ort; der König sah zu, wie die größeren Fische
die kleineren verschlangen, um selbst von den Ungeheuern vernichtet zu
werden; wie Trümmer von Schiffen auf den Grund sanken, wo die Ertrunkenen
fahl schimmerten, ineinander verschlungen oder Kleinodien fest umfassend,
oder mit qualverzerrten Gesichtern. Mit grünen herausgequollenen Augen
blickten Kraken durchs Glas auf den König, neugierig nah an das Gefäß
heranschwimmend. Plötzlich stieß das Schiff des unterseeischen Schwimmers
auf eine Korallengrotte, aus der eine Frau schwamm mit grünen Rohrzöpfen
und Schuppengliedern. Ihr Angesicht war schrecklich und furchterregend; sie
machte wehrende Gebärden mit den Händen, weit die Lippen öffnend, als ob
sie etwas schrie, aber ihr Schreien drang nicht durch das gläserne Gefäß,
und als der König sie verließ, und immer mehr in die dunkle Tiefe zu sinken
begann, da sah er, wie das Meerweib mit ringenden Händen in der
Korallengrotte verschwand. Als Alexander sich niederbeugte, erblickte er
ein kleines schwarzes Wassertier, von der Art eines Krebses, das an der
glatten Wand festgeklammert, emsig nagte, sodaß das Wasser bereits in
dünnem Strahl nach innen strömte. Da ergriff Alexander die dünne Schnur und
das Gefäß begann rasch aufzusteigen, mit dem bleichen König, der nicht mehr
in die Fernen schaute, welche nun in hellem Grün aufglänzten. Als er ans
Ufer gezogen wurde, stand der Mond im Zenit, und schien auf zwei Leichen:
Des Mädchens Chadschidscha und eines großen Soldaten. Alexander trat heran
und erfuhr, daß, als alle ermüdet vom Wachen eingeschlafen waren, das
Mädchen sich dem ersten, der an sie herantrat, hingegeben hatte und das Tau
des Königs aus der Hand ließ. Da hatten die, welche dem Könige nahe
standen, die Verbrecher erschlagen. »Wieviel Zeit verbrachte ich auf dem
Grunde?« -- Zwei Stunden, König. -- »Nicht zwei Stunden hat die Festigkeit
eines einzigen keuschen Mädchens standgehalten?« sagte der König
nachdenklich, und begab sich, von der Menge und von Hornklängen begleitet,
in die Residenz. »Ruhm sei Alexandern, der die Elemente besiegt!« rief die
Menge, die Priester schwenkten qualmende Rauchfässer dem Könige entgegen,
der war bleich unter dem Monde im Zenit.

Ende des dritten Buches.




VIERTES BUCH




ERSTES KAPITEL


DIE ERRETTUNG DES KANDAULES. In Alexanders, der heimkehrte, Lager, kamen in
der Nacht einige Reiter gesprengt in zerrissenen Kleidern, verstaubt und
blutbedeckt. Da der König ruhte, in einen leichten und für ihn seltenen
Schlummer versunken, so wurden die Angekommenen von Alexanders Würdenträger
Ptolemaios empfangen. Ein Jüngling, angetan mit reicherem Kleide, erklärte,
er sei Kandaules, der Sohn der ruhmreichen Königin Kandake, und daß er mit
seinem Weihe auf das Fest der Mysterien des Sommers gezogen sei; unterwegs
habe sie eine Horde Räuber überfallen, sein Weib geraubt, einen Teil der
Diener und das Vermögen -- und ihn verwundet in der Wüste hingeworfen.
Nachdem Ptolemaios dies angehört, begab er sich zu dem bereits erwachten
König, welcher verabredete, daß in Gegenwart der Ankömmlinge er, Alexander,
als Antigonos angesprochen werde, Ptolemaios aber als König. In der Nacht
wurde der Rat versammelt beim Schein der Fackeln, die feurige Tränen
verloren; wobei Alexander den vermeintlichen König überredete, Kandaules zu
helfen, unverzüglich das Lager der Räuber zu überfallen und die geraubte
Prinzessin zurückzuholen. Der betrübte Jüngling warf sich ihm um den Hals,
rufend: »O wärest du doch nicht Antigonos sondern Alexander!« Wenig Mühe
kostete es, die Räuberhorde zu schlagen und die Gefangenen zu befreien,
aber dem erfreuten Kandaules erschien dies als eine sehr ungewöhnliche Tat,
da die Dankbarkeit zwingt, die erwiesene Wohltat zu vergrößern. Er flehte
Ptolemaios und seinen Stellvertreter Antigonos an, die wunderbare Residenz
seiner Mutter Kandake zu besuchen, welche weit durch ihre Wunder berühmt
war. Alexander nahm es gern an, nicht so aus Neugierde, sondern auch aus
Dankbarkeit gegen die Königin, die schon früher ihm zum Geschenk Gold,
Elfenbein, Ebenholz, Perlen, eine Smaragdkrone, Tierfelle, gezähmte Tiere
und äthiopische Sklaven geschickt hatte. Nach zwei Tagen Reisens erblickten
sie inmitten der Ebene gerade bewaldete Hügel -- das waren die hängenden
Gärten der äthiopischen Königin.

                   *       *       *       *       *

KANDAKE. Sie wurden von der Königin Kandake und ihren Söhnen empfangen, die
durch Boten benachrichtigt waren. Sie war groß und stattlich, Olympias
ähnlich; ihre großen Augen strahlten würdevoll und königlich; ein enges
weißes Gewand hinderte ihre Schritte und machte noch sichtbarer die braune
Farbe des Gesichts und der Hände. Sklavinnen trugen Fächer hinter ihr und
Neger führten einen weißen Elefanten mit einer silbernen Laube auf dem
Rücken. Die Königin eilte zum Sohne, aber jener trat zurück und sagte:
»Küsse zuerst, Mutter, meinen Befreiern«, auf Alexander weisend. Nachdem
Kandake ihn geküßt, sagte sie: »Schon längst sehnte ich mich, Dich zu
erblicken, ruhmvoller König . . .« »Ich bin nicht der König, ich bin
Antigonos. Alexander folgt mir,« sagte der König auf Ptolemaios in seiner
prächtigen Krone weisend. Lächelnd verneigte sich die Königin vor dem
Edelmanne. Nach einem feierlichen Mahle führte Kandake ihre Gäste ihnen die
Stadt zu zeigen, goldene Äpfel, melonengroße Nüsse, Hähne, auf denen
Krieger ritten, Panther, deren Knochen Glas schneiden, Krokodile, die mit
ihrem Harn Bäume verbrannten, einäugige Menschen, Riesen und das böse
Geschlecht der Viper. Das Vipernweibchen hat eine Öffnung nicht weiter als
ein Nadelöhr, so daß es nur den männlichen Schoß verzehrend zu zeugen
vermag. Die Jungen erblicken die Welt, den Schoß durchbeißend, als Vater-
und Muttermörder vor der Geburt, erscheinen stets paarweise -- ein Bruder
und eine Schwester. Drosseln, weiße, graue und schwarze Bären setzten die
Griechen in Verwunderung. Nachts auf dem Feste fragte Kandake: »Wie haben
euch, liebe Gäste, meine Wunder gefallen?« Alexander sagte: »Wäre all das
bei den Griechen zu finden, so würden alle staunen.« Die Brauen runzelnd
wandte sich die Königin an Ptolemaios: »Und du, König, was sagst du?«
»Wahrlich, ich dünke mich im Lande der Wunder!« rief der betroffene
Grieche. Da traten äthiopische Mädchen ein und begannen zu tanzen auf einem
großen runden Spiegel, der vorher von einem Teppich zugedeckt war, und es
schien, als würden sie auf einem durchsichtigen Teiche jagen und kreisen.
Die Königin fragte wieder: »Und wie gefallen euch meine Tänzerinnen?«
Alexander kam wieder Ptolemaios in der Antwort zuvor, indem er sagte:
»Wahrlich, ich dünke mich im Lande der halbverbrannten Holzscheite! Warum
verbrennt die Sonne so grausam deine Untertanen, daß sie Kohlen gleichen?«
Kandake sagte nichts, aber nach dem Schluß des Festes faßte sie den König
bei der Hand und ihn zu sich ins Schlafgemach führend, sagte sie: »Jetzt
werde ich dir etwas zeigen, was auch dich in Verwunderung setzen wird, du
Antigonos, der sich über nichts wundert!« Und reichte ihm ein Stück
Leinwand, auf der in zarten Farben Alexanders Gesicht konterfeit war. Der
König schwieg und die Königin fuhr fort: »Was sagst du nun, großer König?
Warum bist du versteckt zu mir gekommen, so daß ich dich nicht empfangen
konnte, wie es sich geziemt?« »Verzeih, Königin, den unschuldigen Betrug
und verrat mich nicht!« Kandake antwortete mit leichtem Lächeln: »Ich werde
dich nicht verraten, aber gehorche den Sitten meines Landes: Noch ist kein
König von mir gegangen, ohne mein Gemahl geworden zu sein!« »Wie, Königin?«
rief der Gast, aber das Weib wand ihre Arme um seinen Hals und küßte seine
Lippen, zärtliche Worte der Leidenschaft flüsternd, und flocht die langen
schwarzen Zöpfe auf, riß ihr enges weißes Kleid ab und bedrängte, nackt,
den König so sehr, daß er zum Schwerte greifend, rief »Laß ab, Sinnlose,
gedenkst du Alexandern zu verderben?!« Ihren braunen Leib zurückwerfend
sagte die Königin unter Lachen: »Alexander! Alexander! hast gegen ein Weib
das Schwert entblößt!« In diesem Augenblick tat sich die Tür mit Gepolter
auf und es stürzte hinein, trunken, Ptolemaios hinter ihm der älteste Prinz
Thoas, dem sein Bruder Kandaules mit langer Pike folgte. Ptolemaios stürzte
sich auf Alexander und rief: »König, rette! rette! Dieser Wahnsinnige will
mich töten!« Thoas hielt inne und schrie: »Da also ist er, der Mörder
meines ruhmvollen Schwiegervaters Poros! Da ist der makedonische Hund!« Und
stürzte sich auf den König. Indem die Pike, von Kandaules in den Rücken des
Bruders gebohrt zu Tode den wütenden Thoas traf, den Mann von Poros'
Tochter. Alexander schaute schweigend den Brudermord an, und die nackte
Königin, die sich zu spät zwischen die Kämpfenden warf, stieß vergeblich
durchdringende Schreie aus. Kaum noch lebend lag Ptolemaios, sozusagen
immer weiter um Schutz flehend, vor den Füßen des Königs. Kandake nackt und
barhäuptig erblickend rief Kandaules: »Mutter, was hast Du?« Alexandern
seitlings anblickend, die Hände gen Himmel gehoben, rief die Königin laut:
»Wahrhaftig, der König Alexander ist keusch!« Als Kandake am Morgen von den
reichbeschenkten Gästen Abschied nahm, da sprach sie: »Ich scherzte, du
hast es verstanden? Ich glaubte dem Gerüchte nicht, aber du bist der Liebe
unzugänglich.« Alexander lächelte und antwortete:

»Auch ich dachte, daß du mich prüfest, ich scherzte ebenfalls« und rührte
am Zügel des Pferdes.




ZWEITES KAPITEL


DIE AMAZONEN. König Alexander ging wieder in die Wüste und gedachte nach
Babylon zu ziehen. Bald kamen sie zu einem großen Fluß, wo die
kriegerischen Amazonenjungfrauen lebten. Der König, der schon längst von
ihrer Tapferkeit gehört hatte, schickte Ptolemaios, sie um eine
kriegerische Abteilung zu bitten und ihre Sitten zu erfahren. Nach einiger
Zeit kam mit dem zurückgekehrten Ptolemaios ein Hundert hoher
mannsähnlicher Frauen mit ausgebrannten rechten Brüsten, kurzen Haaren, in
Männerschuhwerk und bewaffnet mit Lanzen, Pfeilen und Köchern. Sie sprachen
mit rauhen, heiseren Stimmen und rochen nach Ziegenschweiß. Sie erzählten
folgendes: »Wir leben, König, jenseits des Flusses. Nur Jungfrauen, regiert
von der ältesten Jungfrau; wir weiden unsere Herde, bebauen die Wogen und
führen Krieg allein ohne Männer; niemandem sind wir untertänig; jedes Jahr
gehen wir über den Fluß zum Feste des Zeus, Hephaistos und Poseidon; die
von uns Mutter werden will, bleibt hier mit dem erwählten Manne, bis sie
gebiert; dann kehrt sie nach Hause zurück; in ihrer Freiheit steht es, des
Mannes zu vergessen, oder nach einem Jahre wieder zu ihm zurückzukehren.
Den geborenen Knaben behält der Vater, das Mädchen aber, nach Ablauf von
sieben Jahren, wird auf die Weiberseite des Flusses geschickt. In die
Schlacht ziehen zwei Drittel aller Jungfrauen, die übrigen bewachen das
Land. Wenn bei uns ein Gefangener flüchtet, so fällt die Schmach auf alle
Amazonen. Die Königin küßt dich, und schickt uns, dir im Kriege zu helfen!«

Der König fragte noch nach vielem, nicht wenig sich ihrer Antworten
verwundernd, und, die Geschenke in das Land zurücksendend, zog er weiter.

                   *       *       *       *       *

DIE GORGONE. DAS LAGER VON LUSSA. Alexander schickte nun Kundschafter vor,
zu erfahren, ob nicht ein eisernes Land voraus wäre, gedenkend der
Prophezeiung des Antiphon. An den süßen Flüssen vorüber und den steinernen
Strömen, wo an Stelle des Wassers mit Getöse Steine sich wälzten, vorbei an
den Sandbächen, die drei Tage lang gegen Süden fließen und drei Tage gegen
Norden, kamen sie zu einer Insel, von wo die Sonne aufgeht. Ein
äthiopischer Priester in weißem Kleide kam heraus mit einem schwarzen
Stabe, höher als er selbst, und seine dunkle Hand gegen den König
ausstreckend, rief er: »König, du mußt umkehren! Bis hierher kam noch
niemand, -- du bist der Erste und du bist der Letzte. Eile nach Babylon,
die Zeit ist nah; dein Weg geht durch das Lager von Lussa und das neue
Reich der Finsternis.« Die Türen schlossen sich, und der König, nachdem er
sich vor dem Sonnentempel aus unerträglich glänzenden Steinen verneigt
hatte, hieß seine Krieger umkehren. Bald kamen sie in das Land der
Finsternis; die Bewohner verbargen sich in Erdhütten, von Tannenzweigen
bedeckt, fürchtend, die in der Wüste wandernde und alles verderbende
Jungfrau Gorgo. Sie hatte einen Pferdeschweif und Schlangen anstatt der
Haare; alle verlockte sie zur Geilheit: Reptile, Tiere und Menschen, und
alle tötete sie mit ihrem bloßen Blick. Um Mitternacht wurde Alexander von
einem laut hallenden, aber mit Wonne und Leidenschaft erfüllten Schrei
geweckt. Aus dem Zelte ins dunkle Feld tretend, vernahm der König einen
zweiten und dritten wundersamen Ruf. Als ob alle vergangenen und kommenden
Geliebten in diese eine Stimme die Versprechen nie gekannter Liebkosungen
und süßer Drohungen verschmolzen hätten; wie das Brüllen einer Tigerin,
welche das ferne Männchen sucht, schallte der Ruf durch den dunklen Raum:
»Alexander, Alexander, dich allein begehr ich, komm, stille mich!
Furchtloser König! . . .« Alexander sandte einen Magier mit einer Decke der
rasenden Jungfrau entgegen. Als er sie nicht mehr weit wußte, sagte er,
sich ihr rücklings nähernd: »Ich bin Alexander! Verhülle dein Angesicht mit
der Decke, damit ich nicht verderbe!« Und als wortlos, schwer atmend die
Jungfrau ihn bei den Schultern packte, schlug er ihr, sich rasch umwendend,
den Kopf ab und barg ihn in einem bereit gehaltenen Gefäß. Darauf, ohne
sich zum daliegenden Riesenkörper zu wenden, lief er in das Lager mit der
Beute. Mit diesem Kopfe, der ein Entsetzen brachte, welches in Stein
verwandelt, bezwang der König viele Völker der Wüste und die unreinen
Könige Gog und Magog, die sich von Würmern und Fliegen nährten, vertrieb
sie in geborstene Felsen und versiegelte sie bis ans Ende der Welt mit dem
Siegel Salomonis. Und weiter zogen sie, den Weg nicht kennend, und
vergehend vor Müdigkeit und Hunger; die Kundschafter voraus, ob da keine
eiserne Erde wäre. Einst verspürte der König eine tötliche Kälte und den
letzten Hauch; die Soldaten legten ihre Schilde auf den Sumpf, über den sie
gingen, damit er sich hinlegen könne, und von oben fiel ein dichter Schnee.
Zu sich gekommen fragte der König mit Unruhe: »Ist nicht beinerner Himmel
über uns?«, aber gegen Morgen erlaubten ihm die zurückgekehrten Kräfte den
unbekannten Weg weiter zu verfolgen. Durch Sümpfe, dunkle Wälder, hohe in
den dunklen Himmel ragende Berge, durch Finsternis und Nebel -- gingen sie,
auf dem Marsche die demütigen Völker unterwerfend. Der König wahrte
Schweigen während der ganzen Tage, die Nächte verbringend im Beobachten
kaum sichtbarer Sterne; und jeden Morgen begegnete er immer düsterer den
treuen Freunden und den murrenden Soldaten. So kamen sie am Lager von Lussa
vorbei, auf das sie noch in der Sonnenstadt gewiesen worden. Solange die
durch das Nahen des Wegendes erfreuten Krieger sich an den Wachtfeuern
wärmten, und alter Scherze gedachten, begab sich Alexander allein in den
Tempel, auf die begegnenden Wunderdinge nicht achtend. Alles war leer und
lautlos. Eine Reihe Gemächer durchschreitend, deren eines immer wunderbarer
als das andere, trat der König in das Allerheiligste, wo Lampen mit Rubinen
anstatt der Flammen hingen, und inmitten ein vergoldeter Käfig mit einer
Taube darin. In der Mitte ragte eine Bahre, auf der ganz in Verbänden ein
Mann ruhte, der an Wuchs alle Sterblichen übertraf sein Gesicht war
zugedeckt. Schweigen herrschte im Gemach; der König stand lange wortlos,
verwirrt durch unklare Angst. Endlich wollte er eine der Rubinlampen
nehmen, um den Schlafenden anzusehen, aber von der Kuppel sang die Taube
mit Menschenstimme: »Laß, König Alexander, ruhen die Ruhenden und eile nach
Babylon. Die Zeit ist nah!« Den Tempel verlassend trat Alexander zu einem
Feldfeuer, an dem die Soldaten mit alten Scherzen sich erlustigten, lachend
und einander auf die Schulter schlagend. Gegen den dunklen Himmel flogen
die Funken und der Rauch, und die Schilde, auf einen Haufen gelegt,
glänzten schimmernd.




DRITTES KAPITEL


DER TOD ALEXANDERS. Unterdessen kamen im fernen Makedonien Unruhen und
Aufstände vor; Antipater, vom Könige an seiner Statt gelassen, unterdrückte
die alte Königin Olympias, zur Antwort auf deren mehrfache Klagen Alexander
Chares geschickt hatte, den früheren Herrscher zu ersetzen. Da schickte der
verletzte Antipater mit seinem Sohne ein Gift, das nur ein Zinngefäß
ertragen konnte, aber kein kupfernes, kein tönernes, kein gläsernes, zu dem
königlichen Mundschenk Ilos, der schon lange eine heimliche Wut auf
Alexander hatte, welcher auf einem Festmahle ihn mit einem Stabe übern Kopf
geschlagen hatte. Ihm schlossen sich noch einige mit dem König Unzufriedene
an, und die Verwandten der Königin Roxane. Auf diese Weise war zur Zeit der
Ankunft des Königs in Babylon die Verschwörung schon bereit, ihn zu
verderben. Die Königin empfing freudig den düsteren und schweigsamen König,
der sich wieder mit Freunden den Festen ergab, die Regierungsgeschäfte auf
eine andere Zeit verschiebend, und dem Lesen des furchtbar drohenden
Sternenhimmels. Als einmal Alexander des Mittags ermüdet ruhte, wurde er
durch die Meldung geweckt, daß eine sonderbare Frau nach ihm frage. Dem
Könige sagte sie, sie habe ein seltsames Kind geboren, dessen obere Hälfte
tot, die untere aber mit allen Zeichen des Lebens sei, und eine
Wunderstimme habe geheißen, das Kind in den Palast zu bringen. Alexander,
von Ahnungen erfüllt blickte mit Entsetzen auf die Kindesleiche mit den
sich bewegenden roten Beinchen. Die Weisen erklärten, daß der obere Teil
Alexanders Feinde bedeute, der untere aber ihn selbst; jedoch ein Chaldäer
rief, die Gewänder zerreißend: »König, König, dein Tod ist nah!« Alexander
beschenkte die Frau und hieß die Mißgeburt verbrennen, und er selbst begab
sich aufs Fest zu einem gewissen Makedonier, ohne sich von seinem
Mundschenk, dem indischen Jüngling Ilos zu trennen. Das Fest war in vollem
Gange, als plötzlich der König ausrief, wie von einem Pfeil getroffen: »Die
Zeit ist gekommen, Alexander!!« und zog sich bleich, wankend in seinen
Palast zurück. Vergeblich suchten die Ärzte das Gift mit Brechmitteln zu
entwenden, die Schmerzen des Königs waren so unerträglich, daß er mehr als
einmal versuchte, sich in den Euphrat zu stürzen, der vor den Fenstern des
hohen Palastes rauschte. Die Makedonier umringten den Palast und drohten
die Mauern zu zerstören, und alle Wachen zu töten, wenn ihnen der König
nicht gezeigt würde. Und Alexander von der Königin Roxane gestützt, zeigte
sich im Fenster; alle riefen: »Ruhm dem König Alexander, er lebe in alle
Ewigkeit!« Ein Lächeln glitt über die erstarrten Lippen des Herrschers und
er rief mit der alten hellen Stimme: »Lebet ihr in alle Ewigkeit, aber
meine Stunde hat geschlagen!« Am folgenden Morgen rief der König Perdikkas,
Ptolemaios, Lysimachos zu sich, um ihnen seinen letzten Willen zu geben.
Dann ließ er sich hinaustragen zu einem Durchgangsgemach an der Straße und
ließ an sich das ganze Heer vorüberziehn, jedem Soldaten Grußworte sagend.
Und ergraute Altgediente weinten, als sie den König erblickten,
dahingestreckt auf den Kriegsschilden, bleich und freundlich. Die Freunde,
ihr Gesicht in Mäntel gehüllt, standen von ferne. Alexander, die Augen
gegen die Decke aus Elfenbein hebend, sprach: »Himmel, beinerner Himmel!«
und fuhr fort die vorüberziehenden Krieger zu begrüßen. In der Luft hing
ein dichter Nebel und auf dem Himmel ging am Tage ein Stern von
ungewöhnlicher Größe auf, rasch zum Meere hinziehend, von einem Adler
begleitet; und die Idole im Tempel bebten langsam mit Klang. Dann ging der
Stern seinen Weg vom Meere zurück und blieb stehen, brennend über dem
Gemache des Königs. In diesem Augenblick starb Alexander. Der Leib des
Königs wurde nach langem Zwist gen Alexandria in Ägypten geschickt, und
dort in ein Heiligtum gesetzt, das ward genannt »Der Leib Alexanders«. Sein
Reich verteilte er unter Philon, Seleukos, Antiochos, Ptolemaios. Er starb
im dreiunddreißigsten Lebensjahre, zum Aprilvollmonde, nachdem er zwölf
Alexandrien gegründet, und hinterließ einen unauslöschlichen Ruhm bei allen
Völkern und Zeiten.

Ende.

Die autorisierte Übersetzung dieses ersten in deutscher Sprache
erscheinenden Buches des russischen Dichters Michail Kusmin besorgte Ludwig
Rubiner, den Druck die Offizin von Dietsch & Brückner in Weimar, die
Bindearbeiten die Werkstatt A. Köllner in Leipzig.




Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [p. 21]:
   ... tun für geziemend erachtend werde!« ...
   ... tun für geziemend erachten werde!« ...

   [p. 74]:
   ... der Bote Alexanders« -- »Was hast ...
   ... der Bote Alexanders.« -- »Was hast ...

   [p. 133]:
   ... Rücken des Brudes gebohrt zu Tode ...
   ... Rücken des Bruders gebohrt zu Tode ...






End of Project Gutenberg's Taten des großen Alexander, by Michail Kusmin

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TATEN DES GROßEN ALEXANDER ***

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