Chemische Unterhaltungen

By Ludwig Wunder

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Title: Chemische Unterhaltungen

Author: Ludwig Wunder

Release date: March 20, 2025 [eBook #75670]

Language: German

Original publication: Berlin: Verlag Peter J. Oestergaard, 1915

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK CHEMISCHE UNTERHALTUNGEN ***


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                               Chemische
                            Unterhaltungen

                                  Von

                             Ludwig Wunder

                     in Sendelbach bei Lohr a. M.

                          Mit 52 Abbildungen

                      Verlag Peter J. Oestergaard

                           Berlin-Schöneberg




               +Alle Rechte+, insbesondere das Recht der
             Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

              == Nachdruck wird gerichtlich verfolgt. ==

                             ~Copyright by
                     Peter J. Oestergaard Verlag,
                          Berlin-Schöneberg.~


         8955. Berliner Buch- und Kunstdruckerei, G. m. b. H.,
                         Berlin W. 35–Zossen.




Inhalt.


   1.  Wie man chemische Kenntnisse erwirbt (ein Brief)                7

   2.  Was ein Chemiker sich unter einer Verbrennung vorstellt        10

   3.  Über die Unterschiede zwischen chemischen und physikalischen
         Vorgängen (ein Brief)                                        22

   4.  Atom und Molekül (ein Gespräch)                                28

   5.  Die Wärmeänderung bei chemischen Vorgängen                     39

   6.  Säuren, Basen und Salze (ein Gespräch)                         48

   7.  Die Salpetersäure und was man daraus macht                     58

   8.  Kohlehydrate und Alkohol                                       68

   9.  Brennstoffe                                                    84

  10. Fette, Öle, Seifen und Kitte                                   111

  11. Die größte chemische Fabrik der Welt (ein Gespräch)            123

  12. Das periodische System der Elemente (ein Gespräch)             144




Vorwort.


Dieses Buch bedarf einer kurzen Erläuterung; nicht sowohl wegen seines
Inhalts (von dem ich mit der Eitelkeit des Verfassers hoffe, daß er
für sich selbst spricht), als vielmehr wegen seiner Darstellung. Denn
ich habe in zwei Kapiteln die Briefform und in vier Kapiteln die
noch subjektivere Form des Zwiegesprächs angewendet, und dies gerade
bei solchen Stoffen, die unzweifelhaft schwieriger zu erklären sind
als der übrige Inhalt. Ich hoffe nicht, daß mir jemand daraus den
Vorwurf schmiedet, ich wolle den Ernst der Wissenschaft durch eine
theatermäßige Spielerei profanieren; aber vielleicht ist es doch gut,
die Gründe zu nennen, warum ich diese uralte, von den griechischen
Philosophen geübte, von unseren eigenen Vorfahren bis vor 100 Jahren
viel gepflegte Darstellungsform wieder aufgreife. Wer immer sich mit
der Kunst der volkstümlichen Darstellung befaßt hat, der wird zugeben
müssen, daß das eigentliche Wesen alles Erklärens darin beruht, daß
man die +Gegensätze+ betont und heraushebt; gerade, wie man eine
mathematische Formel oft dadurch am besten begreift, daß man für die
veränderliche Größe die gegensätzlichen Grenzwerte Null und Unendlich
einsetzt. Für die Betonung der Gegensätze eignet sich nun nach
meinen Erfahrungen die Form des Zwiegesprächs ganz außerordentlich;
sie schneidet mit Messerschärfe die Gegensätze heraus und rundet
so überraschend schnell alle Begriffe, auch solche, über die man
sonst wohl lange vergeblich reden könnte. Freilich ist es nicht
immer leicht, Klippen zu vermeiden, die den Fragensteller als bloßen
Statisten erscheinen lassen könnten, oder die darin bestehen, daß der
Fragende alle Schwierigkeiten des Stoffes geschickt umgeht, und so zwar
leichte, aber den Leser wenig befriedigende Antworten erhält. Der Leser
wird zweifellos selbst am besten beurteilen können, wieweit es mir
gelungen ist, diese Fehler zu vermeiden.

  +Sendelbach bei Lohr a. M.+

                                                    =L. Wunder.=




1. Wie man chemische Kenntnisse erwirbt.

(Ein Brief.)


  Lieber Freund!

Sie fragen mich, ob ein Laie, der noch niemals in Chemie unterrichtet
worden ist, imstande sei, sich durch eigene Belehrung eine richtige
Vorstellung von chemischen Vorgängen zu machen. Diese Frage darf
ich getrost bejahen. Freilich handelt es sich bei der Belehrung
in chemischen Fragen um wesentlich andere Methoden als etwa beim
Selbststudium der Geschichte. Denn Geschichte kann man zur Not allein
aus Büchern und mit Büchern lernen. Soll ich Ihnen klarmachen, warum
diese Methode für das Studium der Chemie unbrauchbar ist, so möchte
ich die Chemie mit einer modernen Fremdsprache, etwa Französisch oder
Englisch, vergleichen. Wenn Sie versuchen wollten, diese Sprachen
+allein+ aus Lehrbüchern zu lernen, ohne jemals sich von einem Kundigen
die Laute, Wörter und Sätze vorsprechen zu lassen und Ihr Ohr am
lebendigen Klang der Sprache zu üben, so werden Sie mir zugeben,
daß Ihre erste Unterhaltung in dieser Sprache mit einem wirklichen
Beherrscher derselben recht merkwürdig klingen müßte. +Man muß also mit
dem Ohr Erfahrungen sammeln, um mit dem Verstand Sprachen lernen zu
können.+ In einer ganz ähnlichen Lage befinden Sie sich, wenn Sie die
Sprache der Chemie lernen wollen: da müssen Sie die chemischen Vorgänge
aus zahlreichen Experimenten zu sich reden lassen, um gleichsam Ihr
Ohr an den Ton der chemischen Sprache zu gewöhnen, um eine Vorstellung
davon zu bekommen, was im Bereich der Chemie möglich ist und was
unmöglich ist. Das Experiment ist nicht bloß in der Chemie, sondern
in allen Naturwissenschaften die Grundlage alles Lernens und die
letzte, ja die einzige +maßgebende+ Instanz für die Beantwortung aller
Fragen. In unseren Schulen wird das noch viel zu wenig beachtet. Dort
herrscht leider auch bei zahllosen Lehrern noch der Irrglaube, als ob
man chemische Tatsachen aus Büchern lernen könne, aus Büchern, die uns
doch im besten Fall nur zum Studium der Natur +anregen+ können. Hätten
diese Lehrer eine Ahnung davon, welch entsetzliche Vergewaltigung ihre
unnatürliche Lehrmethode für den Geist der Schüler bedeutet, so müßte
sich ihr Verantwortungsgefühl dagegen aufbäumen. Aber selbst wenn ihnen
diese Ahnung aufdämmern möchte, stehen ihnen noch hundert Ausflüchte
offen: die uralte scholastische Überlieferung, der Mangel an Zeit, an
Geld und Laboratoriumseinrichtungen, Arbeitsüberhäufung, ungenügende
Entschädigung für Vorbereitungsarbeit, Disziplinschwierigkeiten im
Laboratoriumsunterricht, die Gefahren und die gesetzliche Haftpflicht
des Lehrers für Unfälle usw. -- Da wird wohl noch eine lange Zeit
vergehen, bis die Laboratorien unserer Schulen aus dem Stadium
des „Renommierlaboratoriums“ in das der wirklichen Arbeitsstätte
übergetreten sein werden. Und doch müssen wir unerbittlich an der
Erkenntnis festhalten, daß es kein wirkliches Lernen der chemischen
Sprache gibt, außer in jenem Zwiegespräch mit der Natur, welches
durch die +eigene+ Experimentiertätigkeit des Lernenden geführt
wird. Es genügt auch nicht, daß der Lernende bloß den Experimenten
des Lehrers zusieht; er muß selbst nach eigenem Ermessen Fragen an
die Natur stellen können. Denn die Experimentalvorträge des Lehrers
sind recht häufig nichts anderes als eine ~pia fraus~, ein frommer
Betrug gegen den Schüler, der dem Lehrer meistens gar nicht voll zum
Bewußtsein kommt. Denn der Lehrer wird aus naheliegenden Gründen
stets solche Versuche auswählen, welche für die von ihm vorgetragenen
Behauptungen sprechen; er wird Versuche, welche dagegen sprechen,
nicht machen, vielleicht in der redlichen Absicht, den Schüler nicht
durch Widersprüche zu verwirren. So dient er wohl der Klarheit, aber
gewiß nicht der Wahrheit. Drei Viertel aller Experimentalvorträge
unserer naturwissenschaftlichen Hoch- und Mittelschullehrer sind mit
diesem Fehler behaftet und zwingen unter dem Scheine der Objektivität
das Gehirn des Schülers in ausgefahrene Geleise. Es gibt nur ein
einziges wirksames Mittel gegen solche Selbsttäuschung: das ist die
+eigene+ Experimentiertätigkeit des Schülers, und zwar nicht jene
„planvoll durch den Lehrer geleitete“ unserer an unfreiwilliger Komik
so überreichen Schullehrpläne und Ministerialverordnungen, sondern die
aus eigenem Denken hervorgegangene, vielleicht gerade durch die Lust
am Widerspruch, durch den Zweifel an den einseitigen Ausführungen des
Lehrers angeregte. In der Schule der Zukunft wird für diese eigene
Versuchstätigkeit des Schülers unbeschränkte Zeit, unbeschränkte
Gelegenheit und -- unbeschränkte Lust vorhanden sein. Dann wird auch
kein Experimentalvortrag des Lehrers, sei er noch so einseitig und
unwahr, Schaden anstiften können.

Sie aber, lieber Freund, möchte ich mit diesen Worten angeregt haben,
auch +meine+ folgenden Belehrungen und Behauptungen als einen Anreiz
zum +Zweifel+ auf sich wirken zu lassen, der in Wahrheit der Vater
aller Erkenntnis ist. Ich werde es mir zur Aufgabe machen, Ihren
Zweifel förmlich herauszufordern. Ich werde Ihren Zweifel als den
Stempel Ihres Geistes achten und ehren und werde Ihnen im Gefühl dieser
Achtung nach meinen Kräften helfen, die Natur selbst zu befragen.

  Ihr getreuer

                                                           L. W.




2. Was ein Chemiker sich unter einer Verbrennung vorstellt.


Die Verbrennung gilt dem Laien als das sicherste Mittel, um einen
Gegenstand unwiderbringlich zu vernichten. Aber auch der Chemiker wird,
wenn er unliebsame Briefe vernichten will, zum Feuer greifen, und es
wird ihm auch nicht gelingen, die jammernde Hausfrau zu überzeugen,
daß ein in die Tischdecke gebranntes Loch nur auf einer Täuschung
beruhe. Holz und Kohle im Ofen verbrennen auf Nimmerwiederkehr, die
brennende Kerze scheint wahrhaft spurlos zu verschwinden. Selbst die
katholische Kirche, die doch den Glauben an unser Fortleben nach dem
Tode unerschütterlich festhält, wußte in der Inquisitionszeit kein
besseres Mittel zur vollständigen Vernichtung der Ketzer als den
Feuertod. -- Angesichts solcher Tatsachen ist es keine leichte Aufgabe,
nachzuweisen, daß die Substanz keines einzigen verbrannten Gegenstands
von der Erde verschwunden ist, daß kein Brief, kein Holzscheit, keine
Kohle noch Kerze, kein ketzerischer Leib durch das Verbrennen auch nur
um ein Milligramm leichter geworden ist, daß alle seit Urzeiten auf
Erden verbrannten Dinge noch mit ihrem vollen Gewicht und ihren ganzen
Bestandteilen auf Erden vorhanden sind.

Die Geschichte des Begriffs „Verbrennung“ ist nämlich geradezu ein
Schulbeispiel für die Richtigkeit des Satzes, daß der Schein trügt.
Wenn man das gerade Gegenteil von derjenigen Auffassung glaubt, die
einem zunächst als die richtige erscheint, so kommt man auf diesem
Gebiet in den meisten Fällen der Wahrheit am nächsten. Denn wenn z.
B. ein Stück Schwefel verbrennt, so sieht es aus, als ob seine Masse
beim Brennen leichter würde, und wird doch schwerer; die schöne blaue
Flamme scheint anzudeuten, daß ein Stoff aus dem Schwefel entweicht --,
aber in Wirklichkeit ist sie ein Zeichen der Verbindung des Sauerstoffs
mit dem Schwefel, also kein Symbol des Abgangs, sondern vielmehr ein
Symbol des Zugangs eines Stoffes zum Schwefel; beim Brennen sieht es
aus, als ob der Schwefel auf Nimmerwiedersehen verschwände, aber die
Wahrheit ist, daß man ihn aus dem gasförmigen Verbrennungsprodukt
leicht wieder abscheiden kann. Also jede unserer ersten Vermutungen
erweist sich bei genauerer Prüfung als trügerischer Schein.

Ich will nun eine Reihe von Versuchen beschreiben, welche jedermann
in den Stand setzen, sich von der Richtigkeit meiner Behauptungen zu
überzeugen.

Zunächst ist nachzuweisen, daß jeder brennbare Körper beim Verbrennen
nicht an Gewicht verliert, sondern im Gegenteil zunimmt. Dieser
Nachweis ist am leichtesten, wenn +sämtliche+ Verbrennungsprodukte
des Körpers +fest+ sind, wenn er sich also ausschließlich in +Asche+
verwandelt. Diese Eigenschaft besitzen die verbrennbaren Metalle, z.
B. Eisen, Magnesium, Blei, Zinn. Nun brennen solche Metalle natürlich
nicht so leicht, wie etwa Holz oder Kohle, und man muß sie daher
in eine lockere Form bringen, am besten in Pulverform, um sie gut
brennbar zu machen. Sehr gut eignet sich für unseren ersten Versuch
das pulverförmige Magnesiummetall, welches in jeder Drogerie billig zu
kaufen ist. Wir legen auf eine Tafelwage oder Briefwage, welche noch
ein halbes Gramm Belastung deutlich durch einen Ausschlag erkennen
läßt, ein Stückchen Ziegel oder Dachschiefer und schütten darauf etwa
10 Gramm Magnesiumpulver, so daß es einen kleinen Berg bildet. Dann
stellen wir die Wage, falls es eine Tafelwage ist, durch Belastung der
anderen Schale genau ins Gleichgewicht und zünden sodann mit einem
Streichholz den Gipfel unseres Magnesiumberges an. Der ganze Berg
gerät in kurzer Zeit in schöne Rotglut, und durch die Hitze wird ein
aufsteigender Luftstrom erzeugt, welcher zunächst die Wagschale mit
emporreißt, so daß es aussieht, als ob das Magnesium beim Verbrennen
leichter würde. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß
ein kleiner Teil der weißen Asche als Rauch emporgewirbelt wird und
daß die übrige Asche merklich zusammensinkt und einen geringeren
Raum einzunehmen scheint, als vorher das Metallpulver einnahm. Aber
trotz dieser Verluste und Sinnestäuschungen erkennt man bereits nach
wenigen Minuten, daß die Wagschale mit der Asche tiefer und tiefer
herabsinkt und offensichtlich schwerer wird, als sie zuerst war. Die
Gewichtszunahme wächst noch mehr, wenn man mit Hilfe einer Stricknadel
den glühenden Berg vorsichtig auseinanderbreitet, so daß auch sein
Inneres verbrennen kann.

Auch mit pulverförmigem +Eisen+, welches in den Apotheken und Drogerien
unter der lateinischen Bezeichnung ~Ferrum limatum~ zu kaufen ist,
läßt sich der Versuch unter gewissen Bedingungen leicht anstellen.
Diese Bedingungen bestehen darin, daß man das Eisenpulver mittels eines
+Magneten+ an einer Wage aufhängt. Man benutzt dazu einen sogenannten
Hufeisenmagneten, den man, gewöhnlich ziegelrot lackiert, bei jedem
Optiker bekommt, und taucht seine Pole in das Eisenpulver, welches
in dicken Büscheln daran hängen bleiben muß. Dann befestigt man den
Magneten vorsichtig so an einer Schale einer Hornschalenwage oder
anderen Balkenwage, daß der „Bart von Eisen“ nirgends anstößt, sondern
allseitig frei hängt. Nun wird die Wage in genaues Gleichgewicht
gebracht. Dann hält man eine Flamme, am besten eine Spiritusflamme
oder einen Bunsenbrenner, unter den Eisenbart. Er entzündet sich und
verglimmt langsam, während zugleich der Wagenarm sich senkt, an dem er
befestigt ist.

[Illustration: Abb. 1. Gewinnung von Bleioxyd durch Veraschen von Blei.]

Auch Blei und Zinn werden bedeutend schwerer, wenn man sie durch
Erhitzen an der Luft in Asche verwandelt. Man füllt zu diesem Zweck
einen kleinen Porzellantiegel, welchen man in der Regel beim Optiker
kaufen kann, zu dreiviertel mit zusammengeknülltem Stanniol oder
kleingehacktem Blei und wägt ihn auf einer Hornschalenwage oder guten
Briefwage. Hornschalenwagen wägen mit einer Genauigkeit bis zu ¹⁄₁₀₀
Gramm. Dann erhitzt man den Tiegel auf einem passenden Gestell in
+schräger+ Lage, wie Abb. 1 zeigt. Die Schrägstellung des Tiegels ist
notwendig, damit die Luft gut über das schmelzende Metall streichen
kann. Zum Erhitzen muß man eine rußfreie und heiße Flamme haben,
also entweder einen Bunsenbrenner oder eine Benzingebläselampe. Das
geschmolzene Metall wird mit einer Stricknadel fleißig umgerührt. Nach
20–30 Minuten ist es größtenteils in Asche verwandelt, die sich beim
Wägen (nach dem Erkalten) als bedeutend schwerer erweist.

Niemand wird zweifeln, daß es sich in allen diesen Fällen um echte
Verbrennungen handelt, wenn auch eine eigentliche Flamme nicht
sichtbar wird. Die „Flamme“ entsteht nämlich nur dann, wenn der
Brennstoff durch die Hitze oder durch andere Umstände wenigstens
teilweise in Dampf verwandelt wird. Da nun Metalle, wie Eisen und
Blei, nicht leicht verdampfen, so brennen sie auch nicht leicht mit
Flamme. Schwefel dagegen oder Phosphor, welche leicht verdampfen, oder
auch Wachs, Petroleum, Paraffin usw., bilden beim Brennen Flammen.
Das Magnesiummetall nimmt eine Mittelstellung ein, da es in heller
Glühhitze ebenfalls verdampft: zündet man einen Streifen Magnesiumband
an, so kann man deutlich eine lodernde, blendend weiße Flamme
beobachten. +Jede „Flamme“ ist ein brennender Dampf.+

[Illustration: Abb. 2. Gewichtszunahme bei der Verbrennung einer Kerze.]

Ein Stoff, der mit Flamme brennt, scheint nun merkwürdigerweise beim
Brennen stets leichter zu werden. In Wahrheit wird er aber doch nicht
leichter, sondern gleichfalls schwerer. Aber sein Verbrennungsprodukt,
seine „Asche“, ist eben meistens gasförmig und entweicht unsichtbar
in die Luft. Was wir aber nicht sehen, das glaubt bekanntlich unser
Herz nicht gern, und so sträuben wir uns gegen die Annahme, daß
eine Kerze beim Brennen schwerer wird, weil wir die gasförmige,
unsichtbare „Asche“ der Kerze nicht beobachten können. Nun ist es
aber gar nicht schwer, diesen Zweifel zu entkräften. Die gasförmigen
Verbrennungsprodukte der Kerze haben nämlich die Eigenschaft, von
festem +Ätznatron+ (auch „Laugenstein“ oder „scharfe Soda“, „kaustische
Soda“ genannt) aufgeschluckt und festgehalten zu werden. Wenn man
daher über einer brennenden Kerze einen Lampenzylinder befestigt,
dessen Höhlung mit Stücken von festem Ätznatron gefüllt ist, so hält
dieser alle Verbrennungsprodukte der Kerze fest. Nun kann man mit
einer Wage leicht feststellen, ob Kerze und Lampenzylinder zusammen
beim Verbrennen der Kerze leichter werden oder schwerer. Der Versuch
ergibt das letztere. Man muß dabei, wie Abb. 2 zeigt, einen gewissen
Kunstgriff anwenden. Das feste Ätznatron hat nämlich die Eigenschaft,
an der Luft ganz von selbst schwerer zu werden, weil es die in der
Luft stets vorhandene Feuchtigkeit begierig anzieht. Würden wir also
auf die eine Wagschale die Kerze und den Zylinder voll Ätznatron,
auf die andere aber nur die Tariergewichte setzen, so könnte man mit
Recht gegen das Versuchsergebnis einwenden, daß das Ätznatron durch
heftige Anziehung der Luftfeuchtigkeit schwerer geworden sei. Dieser
Einwand wird dadurch entkräftet, daß man auch auf die andere Wagschale
einen ebensogroßen Zylinder voll Ätznatron bringt. Nun zeigt sich,
daß trotzdem die Wagschale mit der brennenden Kerze schwerer wird.
Gegen diesen Befund kann auch der scharfsinnigste Kritiker nichts
einwenden: +die Gewichtsabnahme der brennenden Kerze ist nur eine
Sinnestäuschung+. Auch die mit Flamme brennenden Körper werden beim
Brennen nicht leichter, sondern schwerer.

Also sind die Holzscheite und Steinkohlen, welche wir und unsere
Vorfahren in den Öfen verbrannt haben, und die Leiber der armen Ketzer
und Hexen, welche die Inquisition durch den Flammentod zu vernichten
glaubte, in Wahrheit nicht verschwunden, sondern sie schweben noch als
unsichtbare Gase in der Luft -- wenn diese Gase nicht im Haushalt der
Natur eine andere Verwendung gefunden haben. Darüber werden wir noch
Näheres hören.

Stellen wir als vorläufiges Ergebnis unserer Untersuchungen fest: +es
gibt keinen einzigen brennbaren Körper, der nicht bei der Verbrennung
an Gewicht zunimmt+.

Die Gewichtszunahme ist nur dadurch erklärbar, daß der brennende Stoff
während der Verbrennung einen anderen Stoff an sich zieht. Dieser
andere Stoff kann nur in der Luft enthalten sein: es ist bekanntlich
das +Sauerstoffgas+, welches ziemlich genau den fünften Teil der
Luft ausmacht. Aus diesem Grund vermag kein Körper, der in der Luft
brennbar ist, im luftleeren Raum oder in einer Luft zu brennen,
aus welcher man das Sauerstoffgas entfernt hat. Aus diesem Grund
verlöschen auch brennende Körper nach einiger Zeit, wenn man sie in
einem abgeschlossenen Luftraum hat brennen lassen: z. B. verlischt
eine kleine Kerze sehr bald, wenn man sie mit Hilfe eines Drahtes in
eine leere Flasche versenkt, weil das in der Flaschenluft enthaltene
Sauerstoffgas sich bald mit der Kerze chemisch verbunden hat. Taucht
man einen brennenden Streifen Magnesiummetall in eine leere Weinflasche
und stöpselt man sie sofort, gleichzeitig, fest zu, so ist es nicht
schwer nachzuweisen, daß das Magnesium beim Brennen einen Teil der
Luft in sich aufgenommen hat: wenn man nämlich nach 10 Minuten die
Flasche mit der fest verschlossenen Mündung unter Wasser taucht und nun
entkorkt, so strömt Wasser hinein. Also ist beim Brennen des Magnesiums
soviel Luft verbraucht worden, als nun durch Wasser ersetzt wurde.
Diese Luft, oder vielmehr dieser Luftbestandteil, der Sauerstoff, ist
es, welcher die Gewichtszunahme brennender Stoffe verursacht.

Eine derartige Behauptung bleibt unverständlich für jeden Menschen,
der über die Natur der Gase noch keine Erfahrungen gesammelt hat.
Denn er kann sich nicht vorstellen, daß Luft ein Gewicht haben soll,
oder wenn er es für möglich hält, so glaubt er, daß dieses Gewicht
viel zu gering sei, um mit der gewöhnlichen Wage meßbar zu sein.
Nimmt doch eine brennende Kerze weit mehr an Gewicht zu (wenn man die
Verbrennungsprodukte wiegt), als ihr eigenes Gewicht beträgt. Und hätte
die Luft wirklich ein Gewicht, so müßte sie doch zu Boden sinken.
Ferner müßte sie auf die Wagschalen, auf den Tisch, ja, auf unseren
eigenen Körper einen Druck ausüben.

Es ist nicht schwer, diese Einwände zu entkräften. Daß die Luft trotz
ihres Gewichtes nicht zu Boden sinkt, ist auf denselben Zusammenhang
zurückzuführen, durch welchen ein Fisch im Wasser nicht zu Boden sinkt,
obgleich er doch sicherlich ein recht wahrnehmbares Gewicht besitzt.
Daß sie auf die Wagschalen, auf den Tisch, auf unseren Körper drückt,
entgeht der gewöhnlichen Beobachtung aus einem ähnlichen Grund: denn
wenn man eine Wage in eine Kufe voll Wasser stellt, so zeigt sie auch
keinen Ausschlag an, obwohl das Wasser auf die Wagschalen drückt. Es
drückt eben in diesem Fall nicht bloß auf beide Wagschalen gleichstark,
sondern es drückt auch von unten und von den Seiten gegen die Schalen.
So spüren wir auch von dem gewaltigen Druck der Luft auf unseren Körper
nichts, weil die Luft durch Mund und Nase in unsere Lungen und in unser
Blut gelangt und von hier aus dem Druck auf die äußere Körperfläche
das Gleichgewicht hält. Unsere sämtlichen Körpergewebe sind sozusagen
mit Preßluft gesättigt und infiltriert; bringt man eine Schale voll
frisches Blut in einen luftleeren Raum, so schäumt und moussiert es wie
eine entkorkte Brauselimonadenflasche, weil die eingepreßte Luft durch
keinen Gegendruck in der Flüssigkeit mehr festgehalten wird. Denn der
Druck der Luft ist in der Nähe des Erdbodens (in hohen Luftschichten
ist er viel geringer) gewaltig stark: er beträgt etwa 1 Kilogramm auf
jeden Quadratzentimeter. Auf die Oberfläche des menschlichen Körpers
ausgerechnet, macht dies für einen Erwachsenen von 1½–2 Quadratmeter
Hautoberfläche wohl einen Druck von 15000 bis 20000 Kilogramm, also
von 300 bis 400 Zentnern, aus. Es sieht fast merkwürdig aus, daß
wir unter dieser entsetzlichen Last nicht zusammenbrechen. Folgende
Tatsache wird uns das Verständnis erleichtern: Die Chemiker benutzen
zum Erhitzen ihrer Flüssigkeiten sehr dünnwandige Glaskolben mit ebenem
Boden, sogenannte Kochflaschen. Stellt man eine solche Kochflasche
in ein großes Druckgefäß und läßt man nun in dieses Druckgefäß
komprimierte Luft oder verdichtetes Kohlensäuregas einströmen, so
platzt die Kochflasche nicht, trotz ihrer dünnen Wandung, auch wenn man
den Druck der Preßluft auf 200 Atmosphären steigert. Denn der Druck
wirkt ebensostark auf die Innenseite, wie auf die Außenfläche der
Kochflasche. Schließt man sie jedoch vorher luftdicht zu, so wird sie
durch den Außendruck zusammengepreßt.

Aus diesen und vielen anderen Versuchen geht eindeutig hervor, daß die
Luft einen Druck ausübt, und dieser Druck kann nur von ihrem Gewicht
herrühren. Tatsächlich besitzt die Luft ein recht wahrnehmbares
Gewicht, welches für den Liter 1¼ Gramm beträgt. Man kann es leicht
mit Hilfe einer alten, ausgedienten Glühlampe nachweisen. Da diese
Lampen luftleer gepumpt sind, so müssen sie, wenn man durch Abbrechen
der Spitze Luft hineindringen läßt, schwerer werden um das Gewicht der
eingedrungenen Luft. Man wäge also eine möglichst große, unversehrte
Glühlampe ab oder tariere sie auf einer Hornschalenwage, breche dann
die Spitze, nachdem man sie mit einer kleinen Dreikantfeile angefeilt
hat, ab, und wäge nun die Glühlampe samt der abgebrochenen Spitze
wieder. Sie ist sehr merkbar (um 0,2–0,3 Gramm für die 16kerzige Lampe
gewöhnlicher Größe) schwerer geworden.

Somit kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daß die Gewichtszunahme
brennender Stoffe durch das Hinzutreten einer bestimmten Menge Luft
erfolgt. Demnach muß also in dem Verbrennungsprodukt einesteils der
Brennstoff, andernteils die hinzugetretene Luft enthalten sein.
Durch geeignete Mittel muß es also gelingen, aus der „Asche“ beide
Bestandteile wieder abzuscheiden. Es muß möglich sein, die matte,
graugelbe Bleiasche wieder in glänzendes metallisches Blei zu
verwandeln, indem man den Sauerstoff herauslockt. Aus der weißgrauen,
glanzlosen Zinnasche muß sich Zinnmetall, aus dem unsichtbar
gasförmigen Kohlensäuregas schwarze Kohle wiedergewinnen lassen.
Freilich hängt der Luftsauerstoff so fest an den Metallen und an der
Kohle, daß die Trennung einige Schwierigkeiten macht. Nur die Aschen
des Quecksilbers und der edlen Metalle zerfallen schon beim bloßen
Erhitzen in Metall und Sauerstoffgas. Aber wir können uns diese Aschen
nicht selbst herstellen, haben daher auch an ihrer Zerlegung kein
rechtes Interesse. Wollen wir aber die Aschen unedler Metalle zerlegen,
so müssen wir nicht bloß Hitze anwenden, sondern auch dem Sauerstoff
sozusagen einen Ersatz anbieten für das Metall, das er freigeben soll.
Ein solcher Ersatz ist z. B. gepulverte Holzkohle. Wir mischen unsere
Bleiasche mit Holzkohlenpulver, füllen das Gemisch in einen Tiegel,
decken ihn mit einem Blech oder Scherben zu und erhitzen ihn über dem
Bunsenbrenner oder am Herdfeuer auf Rotglut: nach dem Erkalten finden
wir am Grund des Tiegels schön glänzendes, metallisches Blei. Wie der
Vogel Phönix ist es aus der Asche neu erstanden. (Mit Zinnasche ist
dieser Versuch viel schwieriger, da das Zinn den Sauerstoff fester hält
als Blei.)

Ebenso können wir leicht aus dem unsichtbaren, gasförmigen
Verbrennungsprodukt der Kohle, dem Kohlensäuregas, wieder schwarze
Kohle abscheiden, wenn wir dem Sauerstoff als Ersatz für die
freizugebende Kohle das Metall Magnesium anbieten. Wir benutzen dazu
die Versuchsanordnung der Abbildung 3. Das Magnesiumpulver wird in eine
sogenannte Kugelröhre aus schwer schmelzbarem Glas gefüllt (man bekommt
sie in den Geschäften für chemische Apparate oder bei Optikern) und
von außen durch eine Flamme erhitzt, nachdem man begonnen hat, durch
die Röhre einen Strom von Kohlensäuregas zu leiten. Zwischen den rot
erglühenden Metallspänen scheidet sich eine Menge schwarzer Kohle ab.

[Illustration: Abb. 3. Zurückgewinnung der Kohle aus dem Kohlendioxyd
durch glühendes Magnesiummetall.]

In der Natur kommt eine große Anzahl von Erzen vor, welche ihrer
Zusammensetzung nach nichts anderes sind als Metallaschen, verbrannte
Metalle. Man kann aus allen diesen Erzen die darin enthaltenen Metalle
gewinnen, indem man die Erze mit Kohle zusammen erhitzt. Manche von
diesen Erzen geben das Metall schon bei mäßigem Erhitzen mit Kohle
frei, z. B. der weiße Arsenik das Arsen: man bringt (Abb. 4) in ein
spitz zulaufendes Glasrohr aus schwer schmelzbarem Glas eine Spur eines
feinzerriebenen Gemisches von Arsenik und Holzkohle, überdeckt dieses
Gemisch mit einem winzigen Holzkohlensplitter und erwärmt es in einem
kleinen Flämmchen. Das abgeschiedene Arsen verdampft in der Hitze und
scheidet sich etwas oberhalb an den kälteren Wänden des Glasrohrs als
schwarzer, glänzender Spiegel ab. Da weißer Arsenik als Rattengift
Verwendung findet und nicht selten durch Verwechslung mit Zucker zu
Vergiftungsfällen Anlaß gibt, so kann man verdächtige Stoffe auf diese
Weise leicht auf Arsenik prüfen.

[Illustration: Abb. 4. Darstellung schwarzen Arsens.]

Auch aus den Eisenerzen wird nach demselben Verfahren das Eisen
abgeschieden, wozu nur deshalb eine größere Hitze erforderlich
ist, weil das abgeschiedene Eisen erst bei Gelbglut schmilzt und
zusammenfließt. Der riesenhafte chemische Apparat, in welchem dieser
wichtige Vorgang stattfindet, heißt bekanntlich Hochofen. Abb. 5
zeigt einen solchen aus Steiermark, dessen Höhe nicht weniger als
25 Meter beträgt. Die innere Weite nahe der Mitte ist 6½ Meter. Der
ganze, gemauerte Schacht wird mit abwechselnden Lagen von Kohle und
Erz gefüllt. Da das Erz aber nicht bloß aus Eisenasche, sondern
auch zum großen Teil aus Gestein („Gangart“) besteht, welches das
Zusammenfließen des geschmolzenen Eisens erschweren oder verhindern
würde, so muß es mit einem sogenannten „Zuschlag“ versetzt werden. Dies
ist (je nach Beschaffenheit der Gangart) eine quarz- oder kalkreiche
Gesteinsart, welche sich mit der Gangart zu einer leicht schmelzbaren
Schlacke verbindet. Besteht die Gangart aus Quarz, so muß der Zuschlag
ein Kalkgestein sein; ist die Gangart umgekehrt kalkreich, so muß der
Zuschlag viel Quarz enthalten: denn stets verbinden sich Quarz und
Kalk, die für sich fast unschmelzbar sind, miteinander zu einer leicht
schmelzbaren Schlacke.

[Illustration: Abb. 5. Hochofen.]

Der Hochofen ist infolge seiner großen Höhe sozusagen sein eigener
Kamin. Der Zug dieses Kamins würde aber bei weitem nicht ausreichen,
um die Hitze zu liefern, welche um raschen Ausschmelzen des Eisens
notwendig ist. Deshalb wird durch besondere Öffnungen („Düsen“) von
unten in den Hochofen Preßluft („Wind“) eingeblasen. Eine dieser Düsen
ist in unserer Abbildung rechts unten zu sehen. Diese Preßluft wird,
um recht wirksam zu sein, vor dem Eintritt ins Feuer um den ganzen
Hochofen herumgeleitet und dadurch vorgewärmt. Diese Vorwärmeleitung
sieht man etwas unterhalb der Ofenmitte im Querschnitt. Aus der
oberen Öffnung („Gicht“) des Hochofens sind früher ungeheure Mengen
brennbarer Gase („Gichtgase“) ungenutzt in die Luft entwichen. Jetzt
fängt man sie mit Hilfe der in der Abbildung sichtbaren Vorrichtung
auf und benutzt sie teils zur Vorwärmung des Windes, teils zum
Betrieb von Gasmotoren. Die Konstruktion dieser Gasmotoren ist eine
der größten technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte.
Denn die Gichtgase sind an und für sich minderwertig und so arm an
brennbaren Bestandteilen, daß ihre Ausnutzung nur in Gasmotoren von
riesenhafter Größe möglich war, die erst erfunden werden mußten. So
werden jetzt bereits mehr als eine Million Pferdekräfte aus Gichtgasen
gewonnen, die früher ungenutzt in die Luft entwichen. Obwohl erst
ein Teil der deutschen Hochöfen mit Gichtgasmotoren verbunden ist,
kann die so gewonnene Kraft in den eigenen Betrieben bei weitem
nicht mehr verbraucht werden. Sie wird daher in unseren großen
Eisenhüttenanlagen an Ort und Stelle in Elektrizität verwandelt und
durch Überlandzentralen an die Städte und Ortschaften der weiteren
Umgebung verteilt.

Kehren wir nun zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung zurück, so sehen
wir ein Hauptkennzeichen aller Verbrennungsvorgänge darin, daß der
brennende Körper sein Gewicht vermehrt um dasjenige einer gewissen
Sauerstoffmenge, mit welcher er sich im Verbrennungsvorgang verbindet.
Diese Sauerstoffmenge kann entweder aus der Luft entnommen werden,
wie bei allen Verbrennungen gewöhnlicher Art; oder sie kann aus
einem anderen Verbrennungsprodukt (einer Asche) stammen: so bei der
Verbrennung von Kohle durch Eisenoxyd, bei welcher das Eisenoxyd in
Eisen zurückverwandelt wird. Das Bild, welches sich ein Chemiker von
einer Verbrennung macht, unterscheidet sich also recht wesentlich von
der Auffassung der Laien: Der Brennstoff wird durch die Verbrennung
nicht +vernichtet+, sondern nur +verwandelt+. Er wird dabei nicht
+leichter+, sondern +schwerer+.




3. Über die Unterschiede zwischen chemischen und physikalischen
Vorgängen.


  Lieber Freund!

Sie haben mir wieder eine Frage vorgelegt, deren Beantwortung (wenn
sie überhaupt möglich ist) jedenfalls weit schwieriger ist, als Sie
glauben. Ich soll Ihnen also eine scharfe Grenzlinie ziehen zwischen
den Begriffen des physikalischen und des chemischen Vorgangs, woraus
notwendig folgt, daß ich Ihnen erklären müßte, was ein physikalischer
und was ein chemischer Vorgang ist. Dies kann ich aber gar nicht,
wenigstens nicht in einer solchen Genauigkeit, daß die Erklärung für
alle Fälle gilt. Sie müssen mir also erlauben, die Antwort auf Ihre
Frage in dem Sinne einzuschränken, daß ich Ihnen die +scheinbaren+
Unterschiede zwischen chemischen und physikalischen Vorgängen nenne.
Sie werden mit dem Wachsen Ihrer chemischen Kenntnisse ganz von selbst
bemerken, daß diese Unterschiede eben nur scheinbare sind.

Betrachten wir als Beispiele für physikalische Vorgänge die Erhitzung
eines Metallstücks bis zur Glut, das Schmelzen eines Metalls, die
Verdampfung und das Gefrieren des Wassers. Was ist allen diesen
verschiedenen Vorgängen gemeinsam? -- Kein Mensch wird behaupten
können, daß ein Körper in einem +physikalischen+ Vorgang seine
Eigenschaften +nicht+ ändere. Ändert sich doch schon beim Glühen
das Aussehen aller Stoffe so außerordentlich, daß alle Farben und
Oberflächeneigenschaften schwinden, der Glanz erlischt, die Härte sich
außerordentlich verringert, die Leitfähigkeit für den elektrischen
Strom ganz anders wird. Tatsächlich kann man dem Aussehen nach einen
glühenden Stein von einem glühenden Eisenstück nicht unterscheiden, so
groß die Unterschiede dieser beiden Stoffe in der Kälte sind. Und nun
gar erst beim Schmelzen! Oder beim Verdampfen! Kann sich ein Körper
stärker verändern in bezug auf Aussehen, spezifisches Gewicht, Härte,
Zusammendrückbarkeit, Leitfähigkeit für den elektrischen Strom usw. als
es ein verdampfender Stoff tut? --

Man wird also nicht sagen dürfen, daß das Wesen eines chemischen
Vorgangs dadurch gekennzeichnet sei, daß sich die Eigenschaften des
Stoffes ändern, der dem Vorgang unterworfen wird. Denn wenn sich Blei
oder Magnesium durch den chemischen Vorgang der Verbrennung in Asche
verwandelt, so ist die Änderung der Eigenschaften kaum größer, als
wenn diese Metalle sich durch einen physikalischen Vorgang in Dampf
verwandeln.

Somit müssen wir die Kennzeichen chemischer Vorgänge in etwas
ganz anderem suchen. Nun ist es eine auffallende Tatsache, daß
bei chemischen Vorgängen stets und ohne Ausnahmen entweder Wärme
+entwickelt+ oder Wärme +verbraucht+ wird. Alle Verbrennungen
sind ja ein Beweis für den einen dieser Fälle, denn sie machen
die freiwerdende Wärme deutlich erkennbar. Man hat eine Zeitlang
geglaubt, in diesen Änderungen des Wärmeeinhalts das Hauptkennzeichen
+chemischer+ Vorgänge erblicken zu müssen. Aber wie unrichtig diese
Auffassung war, werden Sie mir sofort zugeben, wenn ich Sie daran
erinnere, daß auch die allerhäufigsten +physikalischen+ Vorgänge ohne
Wärmeinhaltsveränderungen nicht möglich sind: +kein+ Körper auf der
ganzen Welt kann schmelzen oder verdampfen, ohne gleichzeitig Wärme zu
verbrauchen; kein Gas kann sich verflüssigen, keine Flüssigkeit kann
erstarren, ohne zugleich Wärme an die Umgebung abzugeben. Kein Körper
kann von einem elektrischen Strom durchflossen, von einem Lichtstrahl
getroffen werden, ohne sich dadurch zu erwärmen, und es gibt auch
keinen Stoff auf der Erde, den man pressen oder hämmern könnte,
ohne ihn zugleich wärmer oder kälter (Eis wird durch Druck kälter)
zu machen. Also sind auch die Wärmezustandsänderungen kein sicheres
Kennzeichen der +chemischen+ Vorgänge allein.

Nun bleibt aber doch noch eine Gruppe von drei Möglichkeiten übrig,
welchen allein die chemischen Prozesse genügen können. Diese
Möglichkeiten sind:

  1. das Zusammentreten zweier oder einiger Stoffe zu einem einzigen,
     der in +allen+ Eigenschaften von seinen Bestandteilen abweicht,

  2. der Zerfall eines Stoffes in zwei oder einige, die in allen
     Eigenschaften von ihm verschieden sind,

  3. der Austausch von Bestandteilen zwischen zwei Stoffen, so daß
     beide dadurch in ganz neue Stoffe verwandelt werden.

Für den ersten Fall haben wir in den Verbrennungen viele treffliche
Beispiele kennen gelernt. Blei tritt mit Sauerstoffgas zu gelber
Bleiasche zusammen, welche in allen ihren Eigenschaften gänzlich
verschieden ist sowohl vom Blei als vom Sauerstoff. Ein prächtiger
Versuch zum Beweis des gleichen Falles ist die Bildung des
Jodquecksilbers aus Jod und Quecksilber. Sie kaufen sich eine
Zweikugelröhre aus schwer schmelzbarem Glas, wie Abb. 6, und bringen in
die eine Kugel etwas gepulvertes Jod, in die andere etwas Quecksilber.
Wenn Sie nun erst das Quecksilber und dann das Jod erwärmen, so
bilden sich prachtvoll glänzende Kristalle von rotem Jodquecksilber.
Dieser Versuch zeigt Ihnen zugleich, wie töricht es wäre, Chemie aus
Büchern lernen zu wollen, ohne Versuche zu machen. Denn der +Name+
„Jodquecksilber“ läßt die beiden Bestandteile so leicht erkennen,
daß man dadurch auf die falsche Meinung gebracht werden könnte, das
wirkliche Jodquecksilber lasse seine Bestandteile ebenfalls leicht
unterscheiden, so wie ein „Kesselwagen“ den Kessel und Wagen, ein
„Motorrad“ den Motor und das Rad. Man sieht aber im Versuch mit
Erstaunen, daß Jodquecksilber weder mit Jod, noch mit Quecksilber die
geringste Ähnlichkeit hat.

[Illustration: Abb. 6. Jod und Quecksilber.]

Die zweite Reihe von chemischen Vorgängen ist durch den +Zerfall+ eines
Stoffes in einige, von ihm verschiedene, gekennzeichnet. Beispiele
dafür kennen Sie schon längst; denn Sie wissen, daß man Wolle, Haare,
Kleiderstoffe, Holz usw. nicht erhitzen kann, ohne daß sie „sich
zersetzen“, d. h. eben in solche anderen Stoffe chemisch zerfallen.

Auch für die dritte Reihe von chemischen Vorgängen haben wir schon
Beispiele kennen gelernt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß zwei
Stoffe durch den Austausch gewisser Bestandteile in zwei ganz neue
Stoffe verwandelt werden. So entstand durch solchen Austausch aus
+Bleiasche+ und +Kohlenpulver+: +Bleimetall+ und +Kohlensäuregas+, aus
+Kohlensäuregas+ und +Magnesiummetall+: schwarze +Kohle+ und weiße
+Magnesiumasche+.

Durch Nachdenken über Ihre Frage bin ich noch auf einen anderen
Unterschied zwischen physikalischen und chemischen Vorgängen gekommen:
durch physikalische Prozesse wird das Gewicht des Stoffes, welcher dem
Prozeß unterworfen wird, nicht verändert: ein Kilo Wasser behält sein
Gewicht bei, auch wenn es gefriert oder in Dampf verwandelt wird. Durch
chemische Vorgänge wird aber das Gewicht eines Stoffes stets vermehrt
oder vermindert, je nachdem er einem chemischen Aufbau oder Zerfall
unterworfen wird. Diese Gewichtsänderungen sind nun sehr interessant,
weil sie nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten erfolgen, welche ich mich
nun bemühen will, Ihnen klar zu machen.

Wir haben im Anfang unserer Unterhaltungen auf einer Wage einen kleinen
Berg aus Magnesiumpulver errichtet, haben ihn dann angezündet und
festgestellt, daß er durch Sauerstoffaufnahme aus der Luft sein Gewicht
vermehrte und dabei in weiße Magnesiumasche verwandelt wurde. Wir
können uns nun fragen: wieviel Sauerstoff enthält diese Asche? Gibt es
davon etwa verschiedene Qualitäten von verschiedenem Sauerstoffgehalt,
so wie man fettreichen und fettarmen Käse kennt? Wird etwa die weiße
Magnesiumasche noch reicher an Sauerstoff und noch schwerer, wenn
man sie an der Luft weiterhin glüht? -- Oder gibt es stets dieselbe,
einzigartige Verbindung einer ganz bestimmten Menge Magnesium mit einer
unabänderlichen Menge Sauerstoff? --

Diese Frage hat die Chemiker erst um die Wende vom 18. zum 19.
Jahrhundert zu interessieren angefangen, obgleich sie von so
beispielloser Wichtigkeit ist, daß erst von ihrer Beantwortung an
die Chemie ihren ungeheuren Aufschwung nehmen konnte. Da haben denn
zahllose Untersuchungen ergeben, daß es allerdings von einem und
demselben Metall verschiedene Aschen mit verschiedenem Sauerstoffgehalt
gibt. So gibt es z. B. vom Blei nicht weniger als drei verschiedene
Aschen, nämlich die gelbe Bleiglätte, das braunschwarze Bleisuperoxyd
und die rote Mennige. Aber trotzdem hat es damit eine ganz andere
Bewandtnis als mit den Käsesorten von verschiedenem Fettgehalt.
Denn der Fettgehalt eines Käses kann in jeder beliebigen Abstufung
reguliert werden; ist mir ein Käse von 20 % Fettgehalt noch ein wenig
zu mager, so kann ich den Fabrikanten veranlassen, den Fettgehalt um
1, 2 oder 3 % zu erhöhen -- ganz nach meinen Wünschen. Finde ich aber
die Bleiglätte, welche stets unabänderlich 7,17 % Sauerstoff enthält,
für meine Zwecke zu arm an Sauerstoff, so kann ich ihren Gehalt daran
allerdings auch erhöhen, +aber nicht nach Belieben+: ich kann sie nur
in +Mennige+ verwandeln, welche außer dem Metall Blei noch 9,34 %
Sauerstoff enthält, oder in Bleisuperoxyd, welches 13,81 % Sauerstoff
enthält. +Mittelstufen zwischen diesen gibt es nicht.+ Auch besteht
noch ein wichtiger Unterschied gegenüber den Käsesorten: diese sind
doch im Grund, trotz ihres verschiedenen Bleigehalts, von gleicher Art
und gleichartigen Eigenschaften. Die drei Sauerstoffverbindungen des
Bleis sind dagegen +grundverschieden+ voneinander: Bleiglätte ist gelb,
Mennige zinnoberrot, Bleisuperoxyd dunkelbraun. Bleiglätte löst sich
in Essigsäure und in Salpetersäure leicht auf, Bleisuperoxyd in keiner
von beiden Säuren, Mennige wird durch Salpetersäure in Bleisuperoxyd
verwandelt usw.

Es werden also die Verhältnisse bei chemischen Vorgängen von einem
Gesetz beherrscht, welches der Engländer +John Dalton+, Lehrer in
Manchester, um 1803 herum entdeckte und als „+Gesetz der bestimmten
Gewichtsverhältnisse+“ bezeichnete.

Etwas schwieriger war die Entdeckung eines zweiten Gesetzes über
denselben Gegenstand, welche durch denselben Forscher wenige
Jahre später erfolgte. Ich kann sie Ihnen ebenfalls an den drei
Sauerstoffverbindungen des Bleis klarmachen. Wir haben vorhin folgende
Prozentgehalte Sauerstoff für diese drei Verbindungen erwähnt:

  Bleiglätte     7,17
  Mennige        9,34
  Bleisuperoxyd 13,81

Rechnet man nun diese Sauerstoffgehalte um auf je einen Gewichtsteil
Bleimetall, so findet man:

  in +Bleiglätte+  sind mit 1 g Blei verbunden: 0,0773 ~g~ Sauerstoff
  „  +Mennige+       „   „  „ „  „      „       0,1030  „    „
  „  +Bleisuperoxyd+ „   „  „ „  „      „       0,1546  „    „

Betrachtet man diese Zahlen genauer, so erkennt man leicht, daß das
Bleisuperoxyd genau doppelt soviel, die Mennige genau um ein Drittel
mehr Sauerstoff enthält als die Bleiglätte. Dieselbe Beobachtung
macht man, wenn man die Aschen anderer Metalle, z. B. des Eisens, mit
der Wage und rechnerisch kontrolliert. +Stets ergeben sich zunächst
komplizierte Zahlen, die aber stets untereinander in einem einfachen
Verhältnis stehen.+ Diese Verhältnisse sind so einfach, daß man sie
stets durch einstellige ganze Zahlen bezeichnen kann, also z. B. 1 : 2,
oder 3 : 4, oder 4 : 7 usw.

Dieses Gesetz heißt: „+Gesetz der mehrfachen Gewichtsverhältnisse+“.

Durch die beiden Gesetze der „bestimmten“ und der „mehrfachen“
Gewichtsverhältnisse sind alle chemischen Vorgänge scharf
gekennzeichnet. Ich hoffe, damit Ihre Frage in verständlicher Form
beantwortet zu haben, und bitte Sie nur, mir Ihre Zweifel stets
mitzuteilen.

  Mit herzlichen Grüßen

                               Ihr

                                                           L. W.




4. Atom und Molekül.

(Eine Unterhaltung zwischen einem Laien und einem Chemieprofessor im
Laboratorium.)


+Der Laie+: Lieber Professor, gestatten Sie mir, daß ich Ihren
wissenschaftlichen Theorien den Vorwurf mache, daß sie unserem
Laienverstand oft ein wenig +naiv+ vorkommen. Was will Ihre
Wissenschaft z. B. mit der +Atomtheorie+ sagen! Ist es wirklich Ihr
Ernst zu behaupten, daß die Teilbarkeit einmal eine Grenze haben soll?
Daß man z. B. den Feinheitsgrad eines Pulvers durch Mahlen nicht
über eine gewisse Stufe erhöhen könne? Uns Laien erscheint, offen
gesagt, die Annahme geradezu lächerlich, daß ein so winziges Teilchen
plötzlich gegen jeden weiteren Teilungsversuch eine unüberwindliche
Widerstandskraft entwickeln soll, während wir mit unseren Sprengstoffen
doch sogar Nickelstahlpanzer bequem in Teile zerlegen können. Wer ist
eigentlich zuerst auf diesen absurden Gedanken gekommen?

+Der Professor+: Der Gedanke lag am Ende des 18. Jahrhunderts sozusagen
in der Luft; klar ausgesprochen wurde er am Beginn des 19. Jahrhunderts
zum erstenmal von demselben +John Dalton+ in Manchester, der die beiden
Gesetze der einfachen und mehrfachen Gewichtsverhältnisse zuerst
entdeckt hat. Was nun Ihre Einwände betrifft, so können Sie sich mit
der Tatsache trösten, daß auch wir Fachgelehrten in der Anfangszeit
unseres Chemiestudiums ebenso gedacht haben, wie Sie jetzt denken. Um
so mehr dürfte es Sie interessieren, daß die Atomlehre in den hundert
Jahren ihrer Entwicklung an Wahrscheinlichkeit nicht verloren, sondern
im Gegenteil soviel gewonnen hat, daß heute wohl kein Chemiker im Ernst
daran zu zweifeln wagt.

+Der Laie+: Das ist mir ganz unbegreiflich, und Sie machen mich
ordentlich neugierig, die Gründe zu hören.

+Der Professor+: Die ältesten und noch immer nicht widerlegbaren
Gründe für die Atomtheorie liefern uns die beiden Daltonschen
Verbindungsgesetze (das der bestimmten und das der vielfachen
Gewichtsverhältnisse). Hätte nämlich die Teilbarkeit der Stoffe keine
Grenze, so müßten sich z. B. Blei und Sauerstoff in beliebigen Mengen
miteinander verbinden lassen, so wie man etwa Spiritus und Wasser in
beliebigen Verhältnissen miteinander mischen kann. Denn wenn schon das
Blei den Sauerstoff anzieht und sich chemisch mit ihm verbindet, so
ist nicht einzusehen, warum diese Verbindung nicht +kontinuierlich+
bis zu einem gewissen Sättigungsgrad erfolgt. Daltons Gedanke, die
Eigenschaft der Teilbarkeit der Stoffe nur bis zur Größe der Atome
gelten zu lassen, erklärt diese Tatsache augenblicklich in einer
verblüffend einfachen Weise: ein kleinstes Bleiteilchen (Blei+atom+)
verhält sich zu einem kleinsten Sauerstoffteilchen (Sauerstoffatom)
dem Gewichte nach wie 1 zu 0,0773. Also besteht der chemische Prozeß
bei der Verbrennung des Bleis einfach darin, daß sich je ein Bleiatom
mit einem Sauerstoffatom verkettet. So erklärt sich sozusagen spielend
das bestimmte Gewichtsverhältnis zwischen Blei und Sauerstoff, denn
das sind eben die Gewichte der Atome. So erklärt es sich auch, warum
es keine Übergangszustände gibt zwischen reinem Blei und reiner
Bleiglätte, so etwa, wie man solche Übergangszustände zwischen reinem
und verdünntem Spiritus kennt.

+Der Laie+: Das scheint mir wirklich überzeugend. -- Woher kommt denn
der sonderbare Name „Atom“ für diese kleinsten Teilchen?

+Der Professor+: Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet
„unteilbar“, unzerschneidbar.

+Der Laie+: Wie erklärt aber Daltons Atomtheorie die Tatsache, daß es
außer der Bleiglätte noch zwei andere Sauerstoffverbindungen des Bleies
gibt?

+Der Professor+: Hier gerade zeigt sich die Stärke dieser Lehre: sie
betrachtet die kleinsten Teilchen des Bleisuperoxyds als Verkettungen
von je +einem+ Bleiatom mit +zwei+ Sauerstoffatomen, wie folgende
Zeichnung andeutet:

[Illustration: Abb. 7. Ein Molekül Bleisuperoxyd, wie es nach Daltons
Vorstellung aussieht.]

und die Mennige als eine Verkettung von +drei+ Bleiatomen mit +vier+
Sauerstoffatomen:

[Illustration: Abb. 8. Ein Molekül Mennige enthält dagegen ein
vierarmiges und zwei zweiarmige Bleiatome.]

Wenn Sie die Gewichtsverhältnisse dieser Atome nachrechnen, werden Sie
genau dieselben Zahlen finden, welche wir früher als kennzeichnend für
die drei Sauerstoffverbindungen des Bleis kennengelernt haben.

+Der Laie+: Nach Ihren Figuren zu schließen, würden diese Atome
miteinander durch eine Art von +Armen+ verkettet sein.

+Der Professor+: Ja. Man nimmt dies an und nennt diese Striche
„+Wertigkeits+“arme oder „+Valenzen+“ oder schlechthin „+Bindungen+“.
Über sie wäre noch manches zu sagen.

+Der Laie+: An Ihren Zeichnungen fällt mir etwas auf, was ich mir
nicht erklären kann. Angenommen, die Atome hätten wirklich solche
Wertigkeitsarme, womit sie einander fassen und festhalten: so müssen
wir doch annehmen, daß die Anzahl dieser Arme für jedes Atom Blei
gleich groß bleibt. In Ihrer Abbildung 7 hat aber das Bleiatom vier
Arme, ebenso das mittlere Bleiatom der Abbildung 8, während die beiden
äußeren Bleiatome dieser Abbildung nur je zwei Arme haben. -- Wie geht
das zu?

+Der Professor+: Ihre Frage rührt an eine kritische Stelle der
Atomtheorie. Diese Lehre nimmt nämlich allerdings an, daß die Anzahl
dieser Arme oder „+Valenzen+“ beim gleichen Atom wechseln kann. Sie
nennt das Bleiatom in der Bleiglätte +zweiwertig+, weil es zwei
Arme hat, dasjenige im Bleisuperoxyd vierwertig, weil es vier Arme
hat; und sie nimmt mit gutem Grund an, daß in der +Mennige+ ein
vierwertiges und zwei zweiwertige Bleiatome enthalten sind. Auf den
ersten Blick erscheint diese Erweiterung der Atomlehre durch die
+Wertigkeits+theorie, welche wir dem Chemiker +Kekulé+ verdanken, sehr
willkürlich. Allein es sprechen gewichtige Tatsachen dafür. Bleiglätte
löst sich nämlich in Salpetersäure auf, Bleisuperoxyd nicht. Behandelt
man nun die zinnoberrote Mennige mit Salpetersäure, so lösen sich darin
zwei Drittel ihres Bleigehalts auf, während das letzte Drittel ungelöst
übrig bleibt. Dieses ist aber nun nicht mehr zinnoberrot, sondern
dunkelbraun gefärbt: es besteht aus reinem Bleisuperoxyd.

+Der Laie+: Dieses Versuchsergebnis spricht allerdings sehr für die
Richtigkeit der Wertigkeitslehre. Wenn nun, wie ich vermute, jedes Atom
seine eigene und besondere Wertigkeit hat und damit auch noch wechseln
kann, wie sollen wir Anfänger uns dies alles merken? Jod und Magnesium
und Quecksilber und Eisen haben doch gewiß auch alle verschiedene
Wertigkeiten?

+Der Professor+: Das „Merken“ ist hier, wie überall, Sache der
praktischen Erfahrung und Übung. Jedoch werden wir vielleicht später
im „+periodischen System der Elemente+“ ein Hilfsmittel kennen lernen,
welches uns dieses Merken ganz außerordentlich erleichtert.

+Der Laie+: Von „+Atomen+“ kann man aber jedenfalls nur bei einfachen,
chemisch unteilbaren Stoffen reden; denn die kleinsten Teilchen
chemischer Verbindungen, wie z. B. der Mennige, bestehen offenbar aus
einer Mehrzahl von Atomen.

+Der Professor+: Ja. Die Atome sind stets die kleinsten Teilchen
der unzerlegbaren Stoffe, der „+Elemente+“. Die zerlegbaren
Stoffe, welche aus Verbindungen der Elemente bestehen, müssen natürlich
auch in ihren kleinsten Teilchen von jedem Element wenigstens ein
Atom enthalten. Die kleinsten Teilchen solcher Verbindungen nennt man
+Moleküle+ (vom lateinischen Wort ~molecula~, die kleine Masse).

+Der Laie+: Wie ist das nun: haben die Atome der verschiedenen Elemente
lauter verschiedene Gewichte, oder gibt es auch gleich schwere darunter?

+Der Professor+: Sie sind alle voneinander verschieden, wenn auch
manchmal nur um geringe Beträge, wie z. B. Nickel und Kobalt.

+Der Laie+: Ich habe in chemischen Lehrbüchern schon manchmal solche
Zahlen gesehen, die als „Atomgewichte“ bezeichnet waren. Ich konnte und
kann mir noch immer nicht vorstellen, wie man gerade auf diese Zahlen
gekommen ist. Ich erinnere mich z. B., für Blei die Zahl 207 gesehen zu
haben. Das soll doch heißen, daß das Bleiatom 207 mal schwerer ist als
etwas anderes. Aber was ist dieses andere? Womit hat man sich die Atome
gewogen zu denken?

+Der Professor+: Dieses andere ist das Wasserstoffatom. Es ist
gewissermaßen das Grammgewicht im Gewichtskasten des theoretischen
Chemikers. Blei hat wirklich das Atomgewicht 207; das heißt: sein Atom
ist 207 mal schwerer als das Wasserstoffatom. -- Können Sie sich denn
denken, wie man diese Wägung gemacht hat?

+Der Laie+: Ich denke, man hat sie überhaupt nicht gemacht, denn die
Atome sind natürlich viel zu klein, um gewogen werden zu können. Aber
das ist wohl auch gar nicht nötig, denn das Gesetz der bestimmten
Gewichtsverhältnisse erspart uns ja diese Wägung. Man braucht wohl nur
gemessen zu haben, wieviel Gramm Blei sich mit einem Gramm Wasserstoff
verbinden, und so wird man wohl die Zahl 207 gefunden haben.

+Der Professor+: Sie haben beinahe recht. Die Sache wird nur dadurch
ein wenig umständlicher, daß Blei und Wasserstoff sich anscheinend
überhaupt nicht miteinander verbinden, wenigstens ist es bis jetzt
nicht gelungen, eine solche Verbindung herzustellen. Man mußte
daher das Atomgewicht des Bleis auf einem Umweg bestimmen. Man
hat den Wasserstoff einer anderen chemischen Verbindung, nämlich
der Schwefelsäure, durch Blei ersetzt und hat mit der Wage leicht
feststellen können, wieviel Blei zum Ersatz von einem Gramm Wasserstoff
notwendig war. Dabei war allerdings noch darauf Rücksicht zu nehmen,
daß das Wasserstoffatom nach allen chemischen Erfahrungen stets
nur einen Wertigkeitsarm besitzt, das Bleiatom aber in den meisten
Verbindungen zwei solche hat. Also tritt in der Schwefelsäure ein
Bleiatom stets an die Stelle von zwei Wasserstoffatomen. Das wahre
Atomgewicht des Bleis muß daher doppelt so groß sein als die Zahl 103½,
welche man auf diesem Umweg findet.

+Der Laie+: Das ist ja ein förmliches Schulbeispiel für die Wahrheit
des Satzes: „Nah beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume
stoßen sich die Sachen.“ -- Gibt es denn nun noch weitere Beweise für
das Vorhandensein der Atome? Denn wir haben uns bisher doch nur auf
die, allerdings sehr ernst zu nehmenden, Daltonschen Gesetze gestützt.

+Der Professor+: Die Gründe sind so zahlreich wie der Sand am Meer. Ich
will ein paar von den auffallendsten herausgreifen. Da ist zunächst
das sonderbare Verhalten der Gase in physikalischer und chemischer
Hinsicht. Es weist geradezu auf eine Zusammensetzung aus kleinsten
Teilchen hin. Es ist nämlich höchst merkwürdig, daß +alle+ Gase in
physikalischen Beziehungen sich ganz gleichartig verhalten, wenn sie
auch chemisch noch so verschieden zusammengesetzt sind. Sie werden von
gleichen Drücken gleich stark zusammengepreßt und dehnen sich durch
gleich starke Erwärmung um den gleichen Betrag aus. Dies gilt ebenso
für das einfache, leichte Wasserstoffgas, wie für das schwere und
zusammengesetzte Kohlensäuregas. Also muß dieses gleichartige Verhalten
von der +chemischen+ Natur der Gase unabhängig sein.

+Der Laie+: Mit der +physikalischen+ Beschaffenheit der Atome kann es
wohl auch nicht zusammenhängen: denn ein Wasserstoffatom ist doch viel
kleiner und leichter als ein Kohlensäuremolekül? Ich kann mir nicht
denken, welche physikalische Eigenschaft der Atome da noch ins Gewicht
fallen könnte?

+Der Professor+: Sie vergessen die wichtigste Eigenschaft dieser
kleinen Teilchen, nämlich ihre +Zahl+. Tatsächlich erklären sich
alle gemeinsamen Eigenschaften der Gase geradezu spielend, wenn man
annimmt, daß gleich große Räume verschiedener Gase die gleiche Anzahl
kleinster Teilchen enthalten, seien es nun Atome oder Moleküle. Diese
Teilchen befinden sich in fortwährender, rascher Bewegung, und ihr
heftiger Anprall an die Gefäßwände erscheint uns als der Druck, welchen
das Gas auf diese ausübt. Gleich viele Teilchen müssen natürlich den
gleichen Druck ausüben. Durch +Erwärmen+ wird die Geschwindigkeit
der Bewegung, also auch die Heftigkeit des Aufprallens auf die Wände
gesteigert: tatsächlich wächst der Druck jedes Gases mit der Temperatur.

+Der Laie+: Dies klingt freilich sehr bestechend. Aber die Wucht des
Anpralls an die Gefäßwände hängt doch nicht bloß von der Anzahl der
Teilchen ab; da kommt doch auch ihr Gewicht und ihre Geschwindigkeit in
Betracht?

+Der Professor+: Gewiß. Je schwerer ein Teilchen ist, um so langsamer
muß seine Bewegung sein, wenn es mit der gleichen Wucht aufprallen
soll, wie ein leichtes Teilchen. Tatsächlich ist nun der Gasdruck
des leichten Wasserstoffgases und des schweren Kohlensäuregases
gleich groß. Da die Kohlensäureteilchen 22 mal schwerer als die
Wasserstoffteilchen sind, so müssen wir annehmen, daß sie sich viel
langsamer bewegen als diese.

+Der Laie+: Mir scheint, Ihre Theorien bedürfen doch einer zu großen
Anzahl von Voraussetzungen, und sie verlieren dadurch recht erheblich
an Wahrscheinlichkeit.

+Der Professor+: Ich will Ihnen aber zeigen, daß jede dieser
Voraussetzungen zu Folgerungen führt, welche mit den Tatsachen
übereinstimmen. So haben wir eben festgestellt, daß die schweren
Kohlensäureteilchen sich langsamer bewegen als die leichten
Wasserstoffteilchen, weil sie sonst bei gleicher Anzahl nicht den
gleichen Druck auf die Gefäßwände erzeugen könnten. Vorher hatte
ich erwähnt, daß Erwärmung die Geschwindigkeit der Teilchen erhöht,
Abkühlung infolgedessen sie verringert. Die Kohlensäureteilchen müssen
also durch starke Abkühlung leichter und früher zur völligen Ruhe
kommen als die rascher bewegten Wasserstoffteilchen. Tatsächlich ballen
sich die Kohlensäureteilchen, wenn man sie auf 80 ° unter Null abkühlt,
zu einem weißen Schnee zusammen, der zu Boden sinkt. Um das gleiche
Ergebnis beim Wasserstoff zu erzielen, muß man dieses Gas viel stärker,
nämlich auf 260 ° unter Null, abkühlen.

+Der Laie+: Dies ist freilich sehr merkwürdig. Besteht dieses
Verhältnis zwischen Schwere und Verdichtbarkeit bei allen Gasen?

+Der Professor+: Bei allen, wäre wohl zuviel gesagt. Es gibt erklärbare
Ausnahmen. Aber trotzdem werden Sie fast niemals fehl gehen, wenn Sie
die schweren Gase als leicht verdichtbar, die leichten als schwer
verdichtbar betrachten. Zum Beweis stelle ich Ihnen für einige Gase die
entsprechenden Zahlen zusammen:

  ----------------+-------+-----------+----------+----------+-----------
                  | Chlor |  Kohlen-  |Sauerstoff|Stickstoff|Wasserstoff
                  |       | säuregas  |          |          |
  ----------------+-------+-----------+----------+----------+-----------
  Molekulargewicht| 70,4  |    44     |    32    |    28    |     2
  ----------------+-------+-----------+----------+----------+-----------
  wird flüssig    |       |           |          |          |
  (od. fest) bei: |-34 °  |   -79 °   |  -183 °  |  -196 °  |  -259 °

+Der Laie+: Gibt es noch andere Gründe für die Annahme, daß die
verschiedenen Gase im gleichen Raum gleichviel Moleküle enthalten?

+Der Professor+: Allerdings! Sie erinnern sich wohl, wie wir am Anfang
zu dem Begriff „Atomgewicht“ gelangt sind: nicht etwa durch Wägung der
Atome, sondern durch das Gesetz der bestimmten Gewichtsverhältnisse
bei chemischen Verbindungen. Wenn wir z. B. +Silber+ mit +Chlorgas+
zusammenbringen, so beobachten wir, daß 108 Gramm Silber sich mit
35,2 Gramm Chlor verbinden. Lassen wir aber Silber etwa in der
Salpetersäure an die Stelle von Wasserstoffgas eintreten, so finden
wir, daß 108 Gramm Silber genau 1 Gramm Wasserstoffgas ersetzen.
Daraus hat bekanntlich Dalton den Schluß gezogen, daß das Silberatom
108 mal schwerer ist als das Wasserstoffatom, während das Chloratom
35,2 mal so schwer als dieses ist. Ist es nun nicht merkwürdig, daß
auch +ein Liter+ Chlorgas genau 35,2 mal schwerer ist als +ein Liter+
Wasserstoffgas?

+Der Laie+: Das ist allerdings sonderbar; denn die Zahl 35,2 haben
wir doch auf +chemischem+ Weg aus den Vorgängen zwischen Silber,
Salpetersäure und Chlorgas gefunden.

+Der Professor+: Ganz richtig! Und nun begegnen wir derselben Zahl
durch eine rein physikalische Vergleichung der Gewichte von Chlor und
Wasserstoffgas wieder. Dies +kann+ doch nur dadurch erklärt werden,
daß gleiche Raumteile der beiden Gase gleichviel Atome enthalten.
Denn wenn 1 Atom Chlor 35,2 mal schwerer ist als 1 Atom Wasserstoff,
so ist natürlich auch eine Milliarde Chloratome 35,2 mal schwerer als
eine Milliarde Wasserstoffatome. Ist umgekehrt 1 Liter Chlor 35,2 mal
schwerer als 1 Liter Wasserstoff, so müssen beide gleichviel Atome
enthalten.

+Der Laie+: Dieser Beweis befriedigt mich schon besser. Gibt es noch
weitere Gründe für die Atomtheorie?

+Der Professor+: Wenn Sie die letzterwähnte Tatsache eingesehen haben,
bin ich eigentlich erst in den Stand gesetzt, Sie mit den wichtigsten
Gründen vertraut zu machen. Solche wurden besonders durch das genaue
Studium der Eigenschaften der +Lösungen+ erschlossen. Es handelt sich
dabei nur um +echte+ Lösungen, worunter wir solche verstehen wollen,
welche beim Verdunsten des Lösungsmittels den gelösten Stoff wieder
in Kristallen abscheiden. Diese Lösungen haben folgende sonderbare
Eigenschaften gemeinsam:

  1. Der gelöste Stoff erniedrigt den Gefrierpunkt des Lösungsmittels,

  2. der gelöste Stoff erhöht den Siedepunkt des Lösungsmittels,

  3. der gelöste Stoff macht das Lösungsmittel zu einem Leiter der
     Elektrizität,

  4. der gelöste Stoff übt im Lösungsmittel einen eigentümlichen Druck,
  den +osmotischen+ Druck, aus;

Sie erkennen ihn am einfachsten an der gewaltigen Aufblähung, welche
eine mit Salzwasser gefüllte Schweinsblase erleidet, wenn man sie
in reines Wasser legt. -- Diese vier Eigenschaften sind nun im
allgemeinen derart von der Menge des gelösten Stoffes abhängig, daß
die doppelte Menge auch die doppelte Wirkung ausübt. Reines Wasser z.
B. gefriert bekanntlich bei 0 ° und kocht unter normalen Verhältnissen
bei 100 ° Celsius; löse ich nun 100 Gramm Zucker in einem Liter
Wasser, so wird diese Lösung erst unterhalb von 0 ° gefrieren und erst
oberhalb von 100 ° kochen. Löse ich aber 200 Gramm Zucker im Liter,
so bewirkt diese doppelte Zuckermenge auch eine doppelt so große
Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung, aber auch eine
Verdoppelung der elektrischen Leitfähigkeit und des Quellungsdrucks
(osmotischen Drucks).

+Der Laie+: Aber dies hat doch mit der Atomlehre eigentlich nichts zu
schaffen? --

+Der Professor+: Mehr, als Sie denken. Es hat nämlich neugierige
Menschen gegeben, welche sich die Frage vorlegten: welche Mengen
muß man von +zwei verschiedenen+ Stoffen in der gleichen Menge des
Lösungsmittels auflösen, damit sie dessen Eigenschaften um den gleichen
Betrag ändern? Also, z. B., wieviel Traubenzucker muß in 1 Liter Wasser
gelöst werden, damit dessen Gefrierpunkt um ebensoviel erniedrigt
wird, wie durch 100 Gramm Rohrzucker? -- Das Experiment hat nun die
sonderbare Antwort erteilt, daß in diesem Fall die Mengen der gelösten
Stoffe im +Verhältnis ihrer Molekulargewichte+ stehen müssen. Da der
Rohrzucker fast das doppelte Molekulargewicht des Traubenzuckers hat,
so braucht man von ihm in der Tat fast doppelt soviel.

+Der Laie+: Dieses Gesetz erinnert ja geradezu an die Verhältnisse der
Gase, deren Gewicht ebenfalls vom Molekulargewicht abhängt.

+Der Professor+: Dieser nämliche Gedanke veranlaßte den Chemieprofessor
van’t Hoff, einmal die Frage zu prüfen, ob vielleicht der
Quellungsdruck (osmotische Druck) gelöster Stoffe dieselbe Ursache
habe, wie der Druck der Gase. Er wollte also prüfen, ob auch der
Quellungsdruck durch den Anprall der Moleküle des gelösten Stoffes
verursacht würde.

+Der Laie+: Ich kann mir gar nicht denken, wie diese Frage durch
Versuche zu entscheiden wäre.

+Der Professor+: Darin zeigte sich gerade die Genialität van’t
Hoffs. Er entschied und beantwortete die Frage klar, ohne einen
einzigen Versuch auszuführen, allein durch Umrechnungen aus alten
Versuchsergebnissen des Botanikers +Pfeffer+ über den osmotischen
Druck, den Pfeffer entdeckt hatte. Er sagte sich: wenn der Druck in
Gasen und Lösungen nur von der Anzahl der Moleküle abhängt, so müssen
44 Gramm Kohlensäuregas, wenn man sie auf den Raum eines Liters
zusammenpreßt, denselben Druck als Gasdruck zeigen, welchen 180 Gramm
Traubenzucker, in einem Liter Wasser gelöst, als osmotischen Druck
ausüben. Denn 180 ist das Molekulargewicht des Traubenzuckers.

+Der Laie+: Und was haben die Zahlen Pfeffers darauf geantwortet?

+Der Professor+: Was im Sinn der Atomlehre zu erwarten war: +die beiden
Drucke stimmten überein+.

+Der Laie+: Aber das ist ja wunderbar, das ist ein Triumph der
Atomtheorie, ein Triumph des menschlichen Geistes!




5. Die Wärmeänderungen bei chemischen Vorgängen.


Es ist für alle chemischen Vorgänge sehr kennzeichnend, daß dabei
entweder Wärme entwickelt oder Wärme verschluckt wird. Es gibt keinen
einzigen chemischen Vorgang, der nicht das eine oder das andere
täte. Diese Veränderungen des Wärmeinhalts der Stoffe sind zwar
kein Unterscheidungsmerkmal zwischen chemischen und physikalischen
Vorgängen, wie schon früher erklärt wurde; aber sie sind für die Frage
der Beständigkeit und für gewisse andere Eigenschaften der Stoffe von
so hoher Bedeutung, daß wir uns etwas eingehender damit befassen wollen.

Betrachten wir zuerst diejenigen chemischen Vorgänge, bei welchen Wärme
+entwickelt+ wird. Man nennt sie „+exothermische+“ Vorgänge. Beachten
wir ferner, daß jeder chemische Vorgang entweder in einem +Zerfall+
oder in einer +Neubildung+ (oder einer Vereinigung beider) besteht,
und beschäftigen wir uns zunächst nur mit den Neubildungen. Wir wollen
also solche Neubildungen betrachten, welche unter Wärme+entbindung+
erfolgen. Sie liefern stets sehr +beständige+ Produkte, d. h. solche
Stoffe, welche nur schwierig in ihre Bestandteile zerlegbar sind. Ein
gutes Beispiel ist die Bildung des Wassers aus Wasserstoffgas und
Sauerstoffgas. Diese beiden Gase kann man bei gewöhnlicher Temperatur
miteinander vermischen, ohne daß sie sich chemisch verbinden. Bringt
man aber das Gemisch mit einer Flamme in Berührung, so erfolgt die
Vereinigung beider Gase zu Wasserdampf. Dabei wird plötzlich eine
ungeheure Wärmemenge frei, welche die Gase auf hohe Glut erhitzt
--: die Vereinigung erfolgt deshalb unter starker Explosion. Daraus
schließen wir zunächst, daß es falsch ist zu sagen:

               Wasserstoffgas + Sauerstoffgas = Wasser.

Denn das Wasser ist doch um den Betrag der freigewordenen Wärme ärmer
als das Gemisch der beiden Gase. Diese freigewordene Wärme ist sogar
das eigentlich Unterscheidende zwischen dem Gasgemisch und dem daraus
gebildeten Wasser. Wir müssen daher die Wasserbildung so formulieren:

         (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas) − =Wärme= = Wasser.

Haben wir uns diese Tatsache fest eingeprägt, so begreifen wir leicht,
warum das Wasser eine so beständige Verbindung ist: es kann in seine
beiden Elemente nicht zerfallen, ohne daß ihm die entwichene Wärme
zuvor wieder zugeführt wird. Da nun diese Wärmemenge sehr groß ist,
so muß das Wasser (als Dampf) bis auf 1800 ° erhitzt werden, damit es
wieder in Wasserstoff und Sauerstoff zerfällt. So riesige Wärmemengen
bieten sich dem Wasser nicht leicht dar, deshalb kann es von selbst
nicht wieder zerfallen.

Es ist aber ohne weiteres klar, daß schon bei der Entstehung des
Wassers infolge der dabei auftretenden hohen Temperaturen die
Möglichkeit gegeben ist, daß es wenigstens teilweise wieder zerfällt.
Dadurch müßte ein Teil der freigewordenen Wärme wieder verbraucht
oder, wie der Fachausdruck lautet, „latent“ werden. In der Tat hat man
ausgerechnet, daß eine mit Sauerstoff gespeiste Flamme eine Temperatur
von nahezu 10000 ° ~C~ erzeugen müßte, wenn alle im ersten Augenblick
freiwerdende Wärme frei bliebe. Tatsächlich aber gibt diese Flamme kaum
2000 °, weil der Hauptteil der Wärme sofort wieder zur Spaltung des
Wasserdampfs verbraucht wird.

Diese Tatsache wirft ein eigentümliches Licht auf den Vorgang der
Wärmeentwicklung überhaupt: dieser Vorgang richtet sich in seiner
ganzen Wirkung offenkundig gegen denjenigen chemischen Vorgang,
welchen er begleitet, nämlich gegen die Wasserbildung aus Wasserstoff
und Sauerstoff. Es ist, als ob die Natur nicht damit einverstanden
wäre, daß diese beiden Stoffe sich zu einem neuen Körper verbinden.
Sie entwickelt daher aus den Bestandteilen heraus die Wärme als
einen Widerstand gegen die Vereinigung, eine Kraft, welche das
Vereinigungsprodukt wieder in seine Bestandteile zu zerlegen strebt.
Sie erreicht jedoch diesen Zweck nur teilweise und unvollkommen, weil
viel Wärme in die Umgebung abgeleitet wird.

Die „exothermischen“ Verbindungen sind also sehr beständig und können
nur durch große Energiezufuhr wieder in ihre Elemente gespalten
werden. Bei vielen von ihnen, z. B. bei den meisten Verbindungen des
Sauerstoffs mit den Metallen, reicht die höchste Glut unserer Öfen
zu dieser Zerlegung noch nicht aus. Doch dürfen wir mit Sicherheit
annehmen, daß in der Glut der +Sonne+ alle exothermischen Stoffe in
ihre Elemente gespalten sind. Deshalb hat man noch vor 20 Jahren
allgemein geglaubt, daß auf der Sonne überhaupt nur chemische Elemente
als Dämpfe existieren könnten.

Diese Ansicht hat sich jedoch nach genauerer Untersuchung der
zweiten Gruppe chemischer Verbindungen, der „+endothermischen+“,
als Irrtum erwiesen. Darunter versteht man diejenigen chemischen
Verbindungen, welche bei ihrer Entstehung aus den Elementen Wärme
aufnehmen, welche also energiereicher als ihre Elemente sind. Zu
ihnen gehört das bekannte +Azetylengas+, welches aus Kohlenstoff und
Wasserstoff besteht, ferner das +Ozon+ und vor allem die sämtlichen
+Sprengstoffe+, also +Schießbaumwolle, Nitroglyzerin, Ammoniaksalpeter+
und +Knallquecksilber+ und viele andere. Der Grund für die Explosivität
dieser Substanzen liegt in dem Wärmeüberschuß, den sie „latent“,
also innerlich gebunden, enthalten. Beim Zerfall müssen sie diesen
Wärmeüberschuß abgeben; er ist die Quelle der Explosionsenergie, der
Zertrümmerungsarbeit. Diese Verbindungen brauchen sich nur in ihre
Elemente umzulagern, um in einer viel energieärmeren Form bestehen zu
können. Die endothermischen Verbindungen verhalten sich also in jeder
Beziehung umgekehrt, wie die exothermischen. Diese entwickeln bei ihrem
Aufbau Wärme, jene bei ihrem Zerfall. Die Wärme, welche die beständigen
exothermischen Stoffe bei ihrer Entstehung abgeben, haben wir als
einen Widerstand gegen diese Bildung kennen gelernt. Ist vielleicht
auch die Explosionswärme, welche beim Zerfall der endothermischen
Stoffe frei wird, ein Widerstand der Natur gegen diesen Zerfall?! --
Dies wäre nur dann möglich, wenn die Explosivstoffe in großer Hitze
beständig wären. Diese Annahme erscheint auf den ersten Blick ganz
widersinnig, weil man die meisten Explosivstoffe doch gerade durch
Erwärmen zur Explosion bringen kann. Aus diesem Grund hat man solche
Erwägungen lange ins Reich der Unmöglichkeit verbannt. Man hat sogar
in der Wärmeentwicklung beim Zerfall der Sprengstoffe einen Grund für
ihre Unbeständigkeit gesucht; man folgerte dabei etwa so: beim Zerfall
des ersten Sprengstoffteilchens entwickelt sich Wärme, welche die
Nachbarteilchen erhitzt und deren Zerfall beschleunigt; dadurch wird
noch mehr Wärme frei, welche auf weitere Nachbarteilchen im gleichen
Sinne wirkt, und so steigert sich spontan die Energie der Zerfalls.
Diese Steigerung erfolgt so blitzschnell, daß alle ihre Stufen zusammen
den einen Vorgang der Explosion bilden.

Nun ist aber schon seit längerer Zeit bekannt, daß einige Sprengstoffe
mit besonderer Vorliebe in der ungeheuren Hitze des elektrischen
Funkens entstehen: so das +Azetylen+, wenn man eine Kohlenbogenlampe
in Wasserstoffgas brennen läßt; das +Ozon+, wenn elektrische Funken
durch Sauerstoffgas schlagen; die verschiedenen +Stickstoffoxyde+, wenn
dem Sauerstoff Stickstoff beigemischt wird usw. Zunächst glaubte man,
daß die Elektrizität hierbei nur die Wärmemenge liefere, welche alle
endothermischen Verbindungen bei ihrer Entstehung aus den Elementen
aufnehmen. Man glaubte, daß diese starke Aufschluckung der Wärme die
Sprengstoffe im Augenblick ihres Entstehens vor der Wirkung der Hitze
gewissermaßen schütze. Man glaubte somit, daß diese Sprengstoffe
der Einwirkung des elektrischen Funkens nur einen Augenblick lang,
nämlich für den Augenblick ihrer Entstehung, ausgesetzt sein dürften,
solange sie nämlich diese Wärme durch Aufschluckung unschädlich
machten. Man hielt es also für eine unerläßliche Bedingung des
Gelingens, daß die gebildeten Sprengstoffe der weiteren Einwirkung der
elektrischen Gluthitze durch sofortige Abkühlung entzogen würden. Man
war so unerschütterlich von dem Dogma der „Unbeständigkeit“ dieser
Sprengstoffe überzeugt, daß man es Jahrzehnte hindurch gar nicht
für nötig hielt, die Frage überhaupt nur aufzuwerfen, ob denn die
endothermischen Verbindungen bei ihrer hohen Entstehungstemperatur
nicht auch bestehen könnten. Als diese Frage einmal aufgeworfen wurde,
war sie auch gleich beantwortet: +die Sprengstoffe denken gar nicht
daran, in der Blauglut des elektrischen Lichtbogens zu zerfallen,
sondern sie sind gerade bei den höchsten Temperaturen unzerstörbar
feste Verbindungen+. Sie verlieren also in der höchsten Glut ihren
unbeständigen Charakter und fangen an, beständig zu werden, wenn die
„beständigen“ exothermischen Verbindungen anfangen zu zerfallen.
Dieses sonderbare Gesetz gilt nicht bloß für chemisch einheitliche
Verbindungen, sondern es gilt auch für explosive +Gemische+ von
Elementen: das bekannte +Knallgas+, die höchst explosive Mischung von
zwei Raumteilen Wasserstoffgas mit einem Raumteil Sauerstoffgas, ist
oberhalb von 1800 ° nicht mehr explosionsfähig. Deshalb erzählt der
berühmte nordische Chemiker +Svante Arrhenius+ in seinem Buche über
die Chemie der Himmelskörper, daß es in der glühenden Sonne nur zwei
Arten von Stoffen gibt: chemische +Elemente+ und +endo+thermische
Verbindungen. Die gewöhnlichen, bei uns so beständigen exothermischen
Verbindungen zerfallen bei dieser Glut sämtlich in ihre Elemente.

Wärme kann also bei zwei Arten von chemischen Vorgängen auftreten:
entweder bei der +Entstehung+ exothermischer Verbindungen, oder beim
+Zerfall+ endothermischer Verbindungen. Die erste Art haben wir bereits
als einen Widerstand gegen die bevorstehende Veränderung erkannt. Nach
diesen Ausführungen wird es uns nicht schwer fallen, auch die zweite
Art der Wärmebildung als einen solchen Widerstand zu erkennen. Denn
die zerfallenden Sprengstoffe, welche Wärme abgeben, nähern sich doch
gerade dadurch demjenigen Zustand, in welchem sie nicht mehr zerfallen
können: dem Zustand höchster Erhitzung. Aber wie in jenem, so wird auch
in diesem Falle der Widerstand durch die Ableitung der Wärme in die
Umgebung teilweise wirkungslos gemacht.

Die Sprengstoffe haben, soweit ihr Verhältnis zur Wärme in Betracht
kommt, auf physikalischem Gebiet ein Gleichnis: dies sind die
unterkühlten Schmelzen. Wenn nämlich ein schmelzender Körper erstarrt,
so gibt er dabei beträchtliche Mengen Wärme ab. Er kann überhaupt nur
unter der Bedingung erstarren, daß ihn diese Wärme verläßt. Wir sind
aber an diesen Vorgang so gewöhnt, daß wir meistens ihm nicht viel
Beachtung schenken, sondern wir begnügen uns mit der Feststellung: „Die
Schmelze erstarrt, weil sie kalt wird“. Nun gibt es aber Schmelzen,
welche kalt werden können, ohne zu erstarren. Schmilzt man z. B. das
in der Photographie verwendete Fixiernatron, oder auch essigsaures
Natron, das man mit wenig Wasser durchfeuchtet hat, so kann man die
Schmelzflüssigkeit in einer Flasche kalt werden lassen, ohne daß sie
erstarrt. Es läßt sich aber leicht nachweisen, daß sich die erkaltete
Flüssigkeit in einem gleichsam erzwungenen, unnatürlichen Zustand
befindet: denn wenn man in sie ein einziges Kriställchen des festen
Salzes hineinwirft, so fängt sie augenblicklich an, zu erstarren. Aber
dabei entwickelt sich nun die ganze Wärmemenge, welche den flüssigen
Zustand der Körper vom festen unterscheidet, und das Gefäß wird so
warm, daß nur ein Teil seines Inhalts erstarren kann. Der Rest bleibt
infolge der freigewordenen Erstarrungswärme flüssig. -- Aus diesen
Vorgängen müssen wir schließen, daß die unter ihren Erstarrungspunkt
abgekühlten Schmelzen, welche dabei nicht erstarrt sind, sich in
thermischer Beziehung in einem ganz ähnlichen Zustand befinden wie
die Sprengstoffe; beide enthalten überflüssige Wärme in verborgenem
(latentem) Zustand. Beide geben diese Wärme bei entsprechender Reizung
ab und nähern sich infolge der auftretenden Erwärmung wieder dem
Zustand ihrer wahren Beständigkeit. Die endothermischen Verbindungen
sind also auf chemischem Gebiet das, was die unterkühlten Schmelzen auf
physikalischem sind.

Bis jetzt wurde nur von solchen chemischen Vorgängen gesprochen,
welche zwischen zwei Elementen stattfinden. Sie bestehen entweder in
einer Vereinigung oder in einem Zerfall. Weitaus die Mehrzahl aller
chemischen Vorgänge sind jedoch anderer Art: an ihnen beteiligen
sich nicht bloß chemische Elemente, sondern auch Verbindungen, und
zwar immer in der Art, daß Vereinigung und Zerfall gleichzeitig
nebeneinander einherschreiten. Solch einen Vorgang haben wir schon
kennen gelernt, als wir Bleiasche mit Holzkohle im Tiegel glühten.
Da +zerfiel+ die Bleiasche in metallisches Blei und Sauerstoff;
gleichzeitig +vereinigte+ sich dieser Sauerstoff mit der Kohle zu
Kohlensäuregas. Es hat also ein Austausch stattgefunden: das Blei
hat die Bleiasche verlassen, die Kohle ist an seine Stelle getreten.
Solche Austauschprozesse können entweder +einseitig+ sein, wie der
eben genannte, oder auch +wechselseitig+, wenn es sich nämlich um
zwei Verbindungen handelt, welche je einen Bestandteil gegeneinander
austauschen und dadurch in zwei neue Verbindungen übergehen. Es findet
dann also ein doppelter Zerfall und ein doppelter Wiederaufbau von
chemischen Verbindungen statt. Diese Vorgänge sind stets von sehr
interessanten Wärmebewegungen begleitet, welche wir jetzt näher
betrachten wollen.

[Illustration: Abb. 9. Wie man im Zimmer dünnflüssiges Eisen darstellen
kann, welches so heiß ist, daß es durch eine schmiedeeiserne Platte
hindurchschmilzt.]

Schon die +einseitigen+ Austauschprozesse verlaufen am liebsten
in einer solchen Richtung, daß dabei Wärme entwickelt wird. Ein
überraschend schönes Beispiel dieser Art ist seit einiger Zeit unter
dem Namen des +Goldschmidtschen Eisenschmelzverfahrens+ bekannt
geworden. Wir haben schon früher gesehen, daß man das Eisen aus seinen
in der Natur vorkommenden Erzen mit Kohle im Hochofen ausschmilzt.
Die hierfür in Betracht kommenden Erze sind Verbindungen des Eisens
mit Sauerstoff und geben in der Glühhitze ihren Sauerstoff an die
Kohle ab. Es ist also ein einseitiger Austauschprozeß, der erst in der
Glühhitze vor sich geht. Nimmt man aber Aluminiummetall statt Kohle,
so braucht man das Gemisch nicht in einen Hochofen zu füllen, sondern
man kann die Reaktion im offenen Tontiegel erfolgen lassen. Es ist
nur nötig, das innige Gemisch von Eisenerzpulver und Aluminiumgrieß
an einer kleinen Stelle heftig zu erhitzen, indem man z. B. in den
gefüllten Tiegel ein Stück Magnesiumdraht steckt und ihn anzündet.
Sobald das brennende Magnesium mit dem Gemisch in Berührung kommt,
entzündet sich dieses und brennt mit ungeheurer Glutentwicklung langsam
nieder, ohne daß man von außen zu erhitzen braucht. Die freiwerdende
Wärme ist so groß, daß nicht bloß das sich bildende Eisen, sondern
auch das entstehende Aluminiumoxyd weißglühend und so dünnflüssig wie
Wasser werden. Das geschmolzene Eisen ist sogar dermaßen überhitzt,
daß man damit eine schmiedeeiserne Platte durchschmelzen kann, wenn
man es durch ein Loch im Tiegelboden auf diese Platte fließen läßt.
(Abb. 9.) Das geschmolzene Aluminiumoxyd, die Verbindung des Aluminiums
mit dem Sauerstoff des Eisenoxyds, erstarrt dabei zu einer ungeheuer
harten Masse, welche in allen Eigenschaften mit dem natürlichen
Mineral +Korund+ übereinstimmt. Seine Härte übertrifft die des besten
Stahls und wird selbst nur von der des Diamanten überragt. Man kann
mit den zerschlagenen Stücken dieser Masse auf Glas schreiben und
man kann Glasplatten damit fast ebenso gut zerschneiden, wie mit
einem Diamanten. Der Erfinder Goldschmidt hat sich dieses Verfahren
patentieren lassen zum Zusammenschweißen von großen Eisenstücken,
z. B. von Schienenstößen. Denn das flüssige Eisen im Tiegel ist so
entsetzlich heiß, daß man es nur in den Zwischenraum zwischen den
beiden Schienenköpfen fließen zu lassen braucht, um diese dauerhaft
miteinander zu verschmelzen. Man kann die außerordentliche Weißglut des
Tiegelinhalts nur durch dunkelgefärbte Brillengläser ohne Gefahr für
die Augen betrachten.

Was ist nun der Grund, daß man mit Kohle das Eisen aus dem Erz nur
unter großer Wärmezufuhr ausschmelzen kann, während die Ausschmelzung
durch Aluminium von selbst unter heftiger Wärmeabgabe erfolgt? --
Diesen Grund erkennen wir leicht in den Wärmewanderungen, welche bei
unserem Versuch erfolgen. Wir müssen uns nur darüber klar werden, daß
unsere Austauschreaktion eigentlich aus +zwei+ verschiedenen chemischen
Vorgängen besteht, nämlich:

                   I. Eisenerz = Eisen + Sauerstoff,
              II. Sauerstoff + Aluminium = Aluminiumoxyd.

Der erste Vorgang, die Zerspaltung des Eisenerzes in seine beiden
Bestandteile, erfordert eine große Wärme+zufuhr+, da das Eisenoxyd eine
stark exothermische Verbindung ist. Der zweite Vorgang, die Bildung
des Aluminiumoxyds, +liefert+ eine noch viel größere Wärmemenge, als
für den ersten Vorgang verbraucht wird. Infolgedessen schließt die
Bilanz zwischen beiden Reaktionen mit einem starken Überschuß an
freigewordener Wärme ab. Nimmt man statt des Aluminiums Kohle an, so
liegt die Sache weniger günstig, und es ist dann notwendig, dem Gemisch
noch Wärme zuzuführen. Man könnte sich nun fragen, warum das Gemisch
aus Eisenoxyd und Aluminiumpulver so schwierig zu entzünden ist, da
es doch einen so gewaltigen Wärmeüberschuß in sich trägt. Denn es ist
eine ganz auffallende Tatsache, daß diese Mischung wenigstens an einer,
wenn auch noch so kleinen, Stelle bis auf Weißglut erhitzt werden muß,
um in Reaktion zu treten. Deshalb haben wir die Entzündung mit einem
brennenden Magnesiumdraht vorgenommen, welcher eine außerordentlich
hohe Temperatur erzeugt. Denn ein Zündholz oder eine glühende Kohle
würde ganz wirkungslos bleiben; ja, man könnte sogar den ganzen Tiegel
ohne Gefahr auf Rotglut erhitzen. Dies erklärt sich daraus, daß die
Aluminiumteilchen mit einer sehr dünnen, aber sehr schwer schmelzbaren
Haut von Aluminiumoxyd umhüllt sind, welche sie vor der Einwirkung des
Eisenerzes schützt, wenn nicht diese Hülle zuvor durch große Hitze
geschmolzen wird. Ist dies aber an einer noch so kleinen Stelle einmal
geschehen, so schreitet der Prozeß infolge der von ihm selbst erzeugten
Hitze selbsttätig vorwärts. +Die ganze Masse+ dürfte man auf keinen
Fall von außen her bis zur Weißglut erhitzen: sonst würde ohne Zweifel
eine heftige Explosion erfolgen, weil der große Wärmeüberschuß an allen
Stellen zugleich frei würde. --

Dieses Beispiel hat uns die thermischen Vorgänge bei einem
+einseitigen+ Austauschprozeß erläutert. Wie die Verhältnisse bei
+zweiseitigen+ Austauschvorgängen liegen, werden wir in einem späteren
Abschnitt kennenlernen.




6. Säuren, Basen und Salze.

(Ein Gespräch zwischen einem Laien und einem Chemieprofessor im
Laboratorium.)


+Der Laie+: Was ist eine +Säure+? Ist mit diesem Wort ein chemischer
Begriff verbunden, oder versteht man darunter schlechthin alles, was
sauer schmeckt?

+Der Professor+: Die Säure ist ein chemischer Begriff, und zwar, genau
betrachtet, ein recht verwickelter. Aber ich hoffe, daß ich Ihnen doch
eine Vorstellung davon geben kann. Sie wissen doch, was ein +Oxyd+ ist?

+Der Laie+: Ich denke, die Verbindung eines Elements mit Sauerstoff.

+Der Professor+: Ja. Und ferner ist Ihnen wohl bekannt, daß man
die Elemente nach ihren Eigenschaften oft in +Metalle+ und in
+Nichtmetalle+ unterscheidet?

+Der Laie+: Die Unterscheidung ist mir wohl bekannt, aber ich muß
gestehen, daß ich sie nicht gerade als scharf empfinde. Welche
Eigenschaften sollen für diese Unterscheidung maßgebend sein? Ich
denke, für die Metalle wird man wohl ihren Glanz, ihre Schwere, ihr
Leitungsvermögen für Wärme und Elektrizität als maßgebend betrachten.
Aber gibt es nicht auch leichte Metalle einerseits und glänzende und
schwere Nichtmetalle andrerseits?

+Der Professor+: Allerdings, z. B. die Metalle +Natrium+ und +Kalium+
und das nichtmetallische Element +Jod+. Der Unterschied zwischen
Metallen und Nichtmetallen ist in der Tat nicht scharf, und man kann
bei manchem Element im Zweifel sein, wohin man es rechnen soll. Aber
im großen und ganzen ist es doch eine berechtigte Unterscheidung, wenn
man sich nur nicht auf eine einzige Eigenschaft bei der Beurteilung
stützt, sondern vielmehr ihre Gesamtheit in Betracht zieht. Auch muß
man die Eigenschaften richtig bewerten: für die Metalle ist namentlich
ihre +Undurchsichtigkeit+ und ihr Leitungsvermögen für Elektrizität
kennzeichnend.

+Der Laie+: Die Undurchsichtigkeit soll eine metallische Eigenschaft
sein? Aber Schwefel, Kohle, Porzellan sind doch gewiß keine Metalle
trotz ihrer Undurchsichtigkeit?

+Der Professor+: Jeder nichtmetallische Stoff läßt sich durch gewisse
Kunstgriffe, wie Umschmelzen oder Umkristallisieren aus Lösungen, in
eine durchsichtige Form verwandeln; ganz leicht gelingt dies bei den
Nichtmetallen Schwefel, Phosphor, Kohle, Bor, Silizium! Denken Sie
nur an den Diamanten, der die durchsichtige Form der Kohle ist. Auch
das Porzellan besteht aus an und für sich durchsichtigen, freilich
sehr kleinen Kristallen, die nur infolge ihres ungleichwertigen
Lichtbrechungsvermögens ein weißes Gemisch geben. Ein durchsichtiges
Metall gibt es dagegen nicht; zwar sind auch die Metalle in sehr
dünnen Lagen etwas durchscheinend, aber niemals, auch in den dünnsten
Schichten nicht, klar durchsichtig.

+Der Laie+: Also, den Unterschied zwischen Metallen und Nichtmetallen
zugegeben, wie kommen wir zum Begriff der Säure?

+Der Professor+: Sehr einfach: Sie brauchen nur das Oxyd eines
nichtmetallischen Elements in Wasser zu lösen.

+Der Laie+: Demnach wäre Schwefelsäure eine Verbindung von Schwefeloxyd
mit Wasser?

+Der Professor+: Ja.

+Der Laie+: Und Phosphorsäure eine Verbindung von Phosphoroxyd mit
Wasser?

+Der Professor+: Ja, und ebenso erhalten Sie Kohlensäure aus Wasser
und einem Oxyd des Kohlenstoffs, Borsäure aus Boroxyd und Wasser,
Salpetersäure aus Stickstoffoxyd und Wasser, Chlorsäure aus Chloroxyd
und Wasser usw.

+Der Laie+: Und was entsteht, wenn man ein Metalloxyd in Wasser auflöst?

+Der Professor+: Da kommt es zunächst darauf an, ob sich das Oxyd
in Wasser löst, was in verhältnismäßig wenigen Fällen erfolgt. Dann
kommt es darauf an, ob das Metalloxyd viel oder wenig Sauerstoff
enthält. Enthält es wenig, so gibt es mit Wasser eine +Lauge+ oder
+Base+. Enthält es viel, so hat seine Verbindung mit Wasser häufig die
Eigenschaften einer Säure.

+Der Laie+: Da ist es wohl möglich, daß die sauerstoffarmen Oxyde eines
Metalls basische Eigenschaften haben, während die sauerstoffreichen mit
Wasser Säuren geben?

+Der Professor+: Dies könnte man sogar fast als die Regel bezeichnen.
Jedenfalls gilt es für Chrom, Mangan, Eisen und viele andere
Metalle. Ihre „niederen“, d. h. sauerstoffarmen Oxyde sind in Wasser
unlöslich, haben aber trotzdem basische Eigenschaften; die höheren,
sauerstoffreichen Oxyde sind in Wasser löslich und bilden damit echte
Säuren.

+Der Laie+: Wie erkennt man eine Säure? Wodurch unterscheidet sie sich
praktisch von einer Base?

+Der Professor+: Zunächst ist es auffallend, daß die wässerigen
Lösungen der Säuren fast alle einen sauren Geschmack haben, obgleich
sie oft ungeheuer verschieden zusammengesetzt sind. Auch einige andere
Eigenschaften sind den meisten Säuren gemeinsam: sie färben blauen
Lakmusfarbstoff rot, sie lösen Metalle und Metalloxyde auf, sie
entwickeln mit Metallen, die sie lösen, Wasserstoffgas. Viele von ihnen
wirken auch wasserentziehend auf wasserhaltige Stoffe. Es läßt sich
nun nicht leugnen, daß manche von diesen Eigenschaften auch den Basen
zukommen: auch sie lösen manche Metalle unter Wasserstoffentwicklung,
auch sie wirken ätzend und wasserentziehend auf viele Stoffe. Aber
gegen Lakmus und andere Farbstoffe verhalten sich die Basen stets
umgekehrt und entgegengesetzt wie die Säuren: sie färben Lakmus, das
von Säure gerötet ist, wieder blau, Methylorange, das durch Säuren
gerötet ist, wieder gelb. Der Geschmack der Basen ist ebenfalls ganz
anders als der der Säuren.

+Der Laie+: Wie verhalten sich nun diese beiden gegnerischen Stoffe
zu einander? Was tritt ein, wenn man eine Säure und eine Base
zusammenbringt?

+Der Professor+: Sie vereinigen sich miteinander, oft unter sehr
heftiger Reaktion, zu einem +Salz+. Dabei wird stets das Wasser,
welches in der Säure und in der Base chemisch gebunden ist, wieder
abgestoßen.

+Der Laie+: Also bestehen die Salze aus Verbindungen von Metalloxyden
mit Nichtmetalloxyden?

+Der Professor+: Ja, und man kann sie dementsprechend ebenso gut aus
diesen durch Zusammenschmelzen darstellen. So können Sie z. B. das
Kupfersalz der Phosphorsäure, welches man phosphorsaures Kupfer oder
Kupferphosphat nennt, entweder so herstellen, daß Sie die Kupferbase in
Phosphorsäure auflösen, oder durch Zusammenschmelzen von Kupferoxyd mit
Phosphoroxyd.

+Der Laie+: Warum heißt man diese Stoffe +Salze+? Hat dieser Name etwas
mit dem Kochsalz zu tun, womit wir die Speisen salzen?

+Der Professor+: Ja. Das Kochsalz entsteht beim Zusammenbringen von
Natronlauge und Salzsäure. Es ist sozusagen ein Normaltypus des
Begriffes „Salz“, denn es vereinigt alle kennzeichnenden Eigenschaften
der Salze in sich. Es löst sich in Wasser und kristallisiert aus
dieser Lösung beim Verdunsten des Lösungsmittels aus; es erhöht den
Siedepunkt, den osmotischen Druck und die elektrische Leitfähigkeit
des Lösungsmittels und erniedrigt seinen Gefrierpunkt. Es rötet weder
blauen, noch bläut es geröteten Lakmusfarbstoff. Es tauscht gegen
stärkere Säuren seine Säure, gegen stärkere Basen seine Base aus.

+Der Laie+: Sind denn diese Eigenschaften wirklich kennzeichnend für
die Salze? Gibt es nicht auch unlösliche Salze?

+Der Professor+: Allerdings, sogar recht viele. Aber selbst die
„unlöslichsten“ unter ihnen, wie das schwefelsaure Barium, sind eben
doch nicht ganz unlöslich; sie sind in Wasser nur so wenig löslich,
daß wir es nur schwierig bemerken. Aber in der Natur sind selbst diese
schwerlöslichen Stoffe aus wässerigen Lösungen im Lauf langer Zeiten
in prächtigen, großen Kristallen abgeschieden worden. Wir können daher
auch die sogenannten unlöslichen Salze nur als schwerlöslich betrachten
und müssen für sie dieselben Gesetze als gültig annehmen, welche für
die löslichen Salze gelten.

+Der Laie+: Sie sagten vorhin, das Kochsalz röte weder den blauen,
nach bläue es den geröteten Lakmusfarbstoff. Ist dies auch für alle
Salze kennzeichnend? Ich dächte, ein Salz, das aus einer sehr starken
Säure und einer sehr schwachen Base besteht, müßte auch noch saure
Eigenschaften besitzen.

+Der Professor+: Dies ist auch tatsächlich der Fall. Das Kupfersulfat
und überhaupt viel Schwermetallsalze der Schwefelsäure, Salzsäure und
Salpetersäure reagieren noch deutlich sauer, weil diese drei Säuren
viel stärker sind als die Schwermetallbasen. Dagegen reagieren z.
B. das phosphorsaure und das borsaure Natrium wie Basen, weil die
Natronlauge als Base in diesen Salzen viel stärker ist als die Säuren,
an die sie gebunden ist.

+Der Laie+: Solche Salze nennt man dann wohl „+saure Salze+“, bzw.
„+basische Salze+“?

+Der Professor+: O nein! Diese Namen bedeuten etwas ganz anderes,
nämlich chemische Verbindungen von Salzen mit einem Überschuß ihrer
eigenen Säuren bzw. Basen. So kann sich z. B. 1 Molekül Kaliumsulfat
mit 1 Molekül Schwefelsäure zu „+saurem Kaliumsulfat+“ verbinden;
ebenso 1 Molekül Kohlensäure mit 1 Molekül kohlensaurem Natrium zu
„+saurem kohlensaurem Natrium+“ (Natriumbikarbonat). Viele dieser
sauren Salze reagieren gegen Lakmus durchaus nicht sauer, sondern
alkalisch, weil ihre Säure viel schwächer als ihre Base ist. Dies
gilt z. B. vom Natriumbikarbonat, vom Borax, der sogar einen großen
Überschuß an Borsäure enthält, vom sauren Natriumphosphat und vielen
anderen Salzen.

+Der Laie+: Sie erwähnten vorhin, daß man den Säurebestandteil eines
Salzes durch eine stärkere Säure austreiben könne. Ich denke mir, daß
dies eine vorteilhafte Darstellungsweise für alle schwächeren Säuren
sein müßte.

+Der Professor+: Sie haben recht. Die Methode ist für den Chemiker
geradezu unersetzlich, weil er durch die +Kristallisation+ unreine
Säuren auf dem Umweg über ihre Salze leicht und vollständig reinigen
kann. Die Säuren haben nämlich häufig nur eine geringe Neigung zu
kristallisieren, oder sie tun es, wie z. B. Essigsäure, nur in ganz
reinem Zustand. Ihre Salze kristallisieren dagegen meistens leicht und
hinterlassen dabei alle Unreinigkeiten in der „Mutterlauge“, d. i.
in dem nicht kristallisierenden Rest der Lösung. Will man also z. B.
aus dem stinkenden, braungefärbten, rohen Holzessig reine Essigsäure
darstellen, so verfährt man etwa folgendermaßen: man schüttet in den
Holzessig Natronlauge oder kohlensaures Natrium und erhält so eine ganz
unreine Lösung von essigsaurem Natrium. Diese läßt man in der Wärme
solange eindunsten, bis beim Abkühlen der größte Teil des essigsauren
Natriums sich in Kristallen abscheidet. Dieses beständige Salz kann
man nun beträchtlich erhitzen, so daß die meisten Verunreinigungen
herausdestillieren, ohne daß es selbst Schaden leidet. Dann löst man es
nochmals in Wasser auf und „kristallisiert es um“, d. h., man scheidet
aus dieser Lösung abermals durch Eindampfen die Hauptmasse des Salzes
in Kristallen ab. Diese sind nun fast als ganz rein zu betrachten.
Erhitzt man sie mit Schwefelsäure, so verdrängt diese durch ihre große
Stärke die Essigsäure, und es hinterbleibt schwefelsaures Natrium,
während die Essigsäure herausdestilliert. So kann man viele Säuren
chemisch rein darstellen.

+Der Laie+: Ist denn die Essigsäure eine Verbindung eines
Nichtmetall-Oxydes mit Wasser?

+Der Professor+: Nein. Sie hat eine viel kompliziertere
Zusammensetzung. Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen ausdrücklich
sagte, ich vermöchte Ihnen nur einen Begriff von dem zu geben, was
Säuren und Basen sind. Dieser Begriff ist aber nicht erschöpfend; es
gibt noch viele Säuren und auch viele Basen, die weder ein Metalloxyd
noch ein Nichtmetalloxyd enthalten. Um auch diese zu verstehen, müßten
wir uns zuerst mit der +Ionen-Theorie+ vertraut machen. Dies wollen wir
aber, wegen der erforderlichen bedeutenden Vorkenntnisse, lieber auf
später vertagen.

+Der Laie+: Können zwei verschiedene Salze ebenfalls aufeinander
einwirken?

+Der Professor+: O ja. Sie tun es sehr häufig, um nicht zu sagen:
immer. Dabei erfolgt dann ein wechselseitiger Austausch derart, daß
beide Salze ihre Säuren miteinander vertauschen. Ich möchte Ihnen da
doch ein prachtvolles Beispiel im Versuch vorführen. Sehen Sie diese
farblose Lösung: sie enthält salpetersaures Quecksilberoxyd. Und hier
eine zweite, ebenfalls farblose Flüssigkeit: es ist eine Lösung von
Jodkalium in Wasser (Jodkalium = jodwasserstoffsaures Kalium, das Salz
aus Jodwasserstoffsäure und Kalilauge). Nun schütte ich beide Lösungen
zusammen, und Sie sehen eine herrlich scharlachrote Färbung. Sie setzt
sich als dickes Pulver zu Boden, während die überstehende Flüssigkeit
farblos ist. Was ist dieses scharlachrote Pulver?

+Der Laie+: Wenn das jodwasserstoffsaure Kalium und das salpetersaure
Quecksilberoxyd ihre Säuren gegenseitig ausgetauscht haben, so kann
nur salpetersaures Kalium und jodwasserstoffsaures Quecksilberoxyd
entstanden sein. Der Niederschlag muß aus einem dieser beiden Stoffe
bestehen.

+Der Professor+: So ist es auch. Er besteht aus Jodquecksilber, wie
man der Kürze halber statt „jodwasserstoffsaures Quecksilber“ sagt.
Das andere Umsetzungsprodukt, das salpetersaure Kalium, ist in der
überstehenden, farblosen Flüssigkeit gelöst.

+Der Laie+: Wenn man also diese farblose Flüssigkeit vorsichtig vom
roten Bodensatz abgießt und eindampft, so erhält man Kristalle von
salpetersaurem Kalium?

+Der Professor+: Jawohl. Und das Jodquecksilber ist nur deshalb zu
Boden gesunken, weil es zu den „unlöslichen“ Salzen gehört. Es ist in
Wasser nur sehr wenig löslich. Setzt man aber mehr Jodkaliumlösung
hinzu, so sehen Sie, wie es sich darin wieder völlig auflöst.

+Der Laie+: Und die Lösung ist wieder ganz farblos geworden! Die
Farbe dieser Umsetzungsstoffe tritt offenbar nur dann zutage, wenn
sie unlöslich sind und infolgedessen als Niederschläge aus der Lösung
ausfallen.

+Der Professor+: Hier sind Sie entschieden im Irrtum. Ich zeige
Ihnen hier eine gelbe Lösung von salzsaurem Eisen und eine farblose
von rhodanwasserstoffsaurem Ammonium. Lassen Sie sich durch die
schrecklichen Namen nicht irre machen, es sind zwei echte, einfache
Salze. Wenn ich diese Lösungen zusammenschütte, so sehen Sie eine
prächtig blutrote +Lösung+ von rhodanwasserstoffsaurem Eisen. Hier
zeigt nur die +Farbe+ die Umsetzung an, denn ein Niederschlag ist
nicht entstanden. -- Ein zweites Beispiel: Hier ist eine farblose
Lösung von Chlorkalzium (salzsaurem Kalzium), und hier eine blaue von
salpetersaurem Kupfer. Ich gieße beide zusammen: es entsteht eine
grasgrüne Lösung von salzsaurem Kupfer.

+Der Laie+: Ich bin mir in dieser interessanten Sache über eine Frage
noch nicht im klaren: wenn ich salpetersaures Kalium mit Schwefelsäure
mische, so erwarte ich, daß schwefelsaures Kalium und Salpetersäure
entstehen. Wenn ich, umgekehrt, schwefelsaures Kalium mit Salpetersäure
mische, so erwarte ich aus denselben Gründen, daß salpetersaures
Kalium und Schwefelsäure entstehen. Was gilt nun? Beides zugleich kann
doch nicht richtig sein? Wie kann ich mir merken, welcher von beiden
Vorgängen der richtige ist?

+Der Professor+: Sie berühren hier eine außerordentlich wichtige Sache,
die ich Ihnen ausführlich erklären möchte. Wir wollen bei dem von Ihnen
gewählten Beispiel bleiben und wollen es in der Form einer Gleichung
anschreiben:

     Salpetersaures Kalium + Schwefelsäure = schwefelsaures Kalium
                           + Salpetersäure.

Liest man die Gleichung von links nach rechts, so bedeutet sie den
einen, von rechts nach links aber den anderen Vorgang. Tatsächlich sind
nun beide Vorgänge möglich, beide finden auch wirklich statt, aber
unter merklich verschiedenen Begleitumständen. Ich vermische hier in
diesem Glasgefäß trockenes salpetersaures Kalium mit konzentrierter
Schwefelsäure: Sie sehen Dämpfe von Salpetersäure aufsteigen und
bemerken beim Anfassen des Gefäßes eine beträchtliche Erwärmung. Nun
vermische ich in einem zweiten Gefäß trockenes schwefelsaures Kalium
mit konzentrierter Salpetersäure. Sie sehen keine Dämpfe aufsteigen,
denn die vorhandene Salpetersäure verschwindet zum Teil, und Sie
bemerken, daß das Gefäß in diesem Fall sehr +kalt+ wird.

Aus dem ersten Vorgang müssen Sie schließen, daß reines salpetersaures
Kalium und reine Schwefelsäure nicht nebeneinander bestehen können,
ohne aufeinander einzuwirken. Also können diese beiden Stoffe unmöglich
allein als Endergebnis des zweiten Vorgangs auftreten. Aus dem zweiten
Vorgang erkennen Sie dagegen, daß auch schwefelsaures Kalium und
Salpetersäure unmöglich nebeneinander bestehen können, ohne aufeinander
einzuwirken. Also können diese beiden Stoffe nicht das ausschließliche
Endergebnis des ersten Vorgangs sein.

+Der Laie+: Demnach müßte man annehmen, daß in einem solchen Gemisch
alle vier Stoffe zugleich vorhanden sind: nämlich salpetersaures
Kalium, Schwefelsäure, schwefelsaures Kalium und Salpetersäure.

+Der Professor+: Dies ist auch tatsächlich der Fall. Aus dem ersten
Paar bildet sich fortwährend das zweite, aus dem zweiten bildet sich
gleichzeitig fortwährend das erste zurück. Somit halten die vier
Stoffe einander sozusagen das Gleichgewicht. Dies ist aber nicht
immer so möglich, wie in unserem Beispiel. Wenn nämlich einer der
neugebildeten Stoffe +unlöslich+ ist, so entzieht er sich dadurch dem
Einfluß des anderen. Das ist z. B. bei unserem schönen, scharlachroten
Jodquecksilber der Fall, wenn Sie Jodkalium mit salpetersaurem
Quecksilber zusammenbringen.

+Der Laie+: Sie wollen sagen, daß in diesem Fall das gebildete
Jodquecksilber sich mit dem ebenfalls neugebildeten salpetersauren
Kalium nicht wieder rückläufig umsetzen kann, weil das Jodquecksilber
unlöslich ist?

+Der Professor+: Ja. Dasselbe gilt für alle diejenigen chemischen
Vorgänge, bei welchen einer der neugebildeten Stoffe entweder unlöslich
ist, oder sich als Gas aus dem Wirkungsbereich der anderen Stoffe
entfernt. In allen diesen Fällen verläuft der chemische Vorgang
nur in einer Richtung und dauert so lange, bis die letzte Spur der
Ausgangsstoffe verschwunden ist, bis sich also kein unlöslicher oder
gasförmiger Stoff mehr neu bilden kann. In allen anderen Fällen
entsteht ein chemischer Gleichgewichtszustand.

+Der Laie+: Nun bleibt immer noch die Frage offen, wie weit in diesen
anderen Fällen der Prozeß in einer Richtung fortschreitet. Dauert dies
so lange, bis die vier Stoffe in gleichen Mengen vorhanden sind, oder
müssen sie im Verhältnis ihrer Molekulargewichte stehen, oder von
welchen Umständen sonst hängt das Gleichgewicht ab?

+Der Professor+: Dafür sind +drei+ Umstände maßgebend: die
+Konzentration+ der Lösungen, ihre +Temperatur+ und der +Druck+, unter
welchem sie stehen. Denken Sie nur an die Darstellung der Salpetersäure
aus salpetersaurem Kalium und Schwefelsäure. Je mehr man dieses Gemisch
erwärmt, um so vollständiger wird die Salpetersäure aus dem Salpeter
„ausgetrieben“. Denn die Salpetersäure ist in der Hitze bestrebt,
sich als Dampf der Reaktion zu entziehen. Durch +Druck+anwendung kann
dies aufgehalten werden, weil Druck den Salpetersäuredampf wieder
verflüssigt. Denken Sie ferner an den Vorgang des +Kalkbrennens+.
Wenn man kohlensauren Kalk glüht, so zerfällt er in seine beiden
Oxydkomponenten, nämlich in das Metalloxyd +Kalziumoxyd+ und in
das Nichtmetalloxyd +Kohlendioxyd+. Dieses entweicht als Gas.
Schließt man aber das zu brennende Kalkstück in ein Gefäß ein, so
daß das Kohlendioxydgas nicht entweichen kann, so übt es auf seinen
Entstehungsherd einen Druck aus. Dieser Druck verhindert den weiteren
Zerfall des Kalkstücks.

+Der Laie+: Das sieht ja gerade so aus, als ob sich das zerfallende
Kalkstück einen Widerstand gegen seinen eigenen Zerfall in Gestalt
dieses Druckes erzeugt?

+Der Professor+: So ist es auch. Der ganze „+Satz vom chemischen
Gleichgewicht+“, den +Guldberg+ und +Waage+ in Christiania entdeckt und
als „+Massenwirkungsgesetz+“ bezeichnet haben, besagt nichts anderes,
als daß sich jeder chemische Vorgang während seiner Abwicklung von
selbst einen Widerstand erzeugt, der diese Abwicklung zu hemmen sucht.
Entsteht bei einem solchen Vorgang Wärme, so sind die neugebildeten
Körper ganz gewiß in der Hitze unbeständig; wird Wärme verbraucht, so
ist ebenso sicher anzunehmen, daß sie in der Kälte unbeständig sind.
Entsteht ein Gas, welches einen Druck ausübt, so hemmt dieser Druck
den Prozeß; wird aber dabei ein Gas verschluckt, so daß ein luftleerer
Raum entsteht, so ist dieses Vakuum bestrebt, die weitere Absorption
des Gases zu hindern. Und wenn in einer Lösung die neugebildeten Stoffe
aufeinander einwirken und die Ausgangsstoffe rückbilden, so ist dies
eben auch nichts anderes, als ein Widerstand gegen die Neubildung.

+Der Laie+: Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Sie haben mir
verwickelte Vorgänge, die ich niemals glaubte verstehen zu können, auf
ein großartig einfaches Grundgesetz zurückgeführt.




7. Die Salpetersäure und was man daraus macht.


Wenige Stoffe haben für unsere Zivilisation eine so große Bedeutung,
wie die Salpetersäure. Wir wollen uns daher mit ihr, mit ihrer
Darstellung und Anwendung etwas gründlicher befassen.

Die Salpetersäure wurde früher ausschließlich durch Erhitzen von
Salpeter mit Schwefelsäure dargestellt. Man benutzt dazu den billigen,
sogenannten „Natronsalpeter“ oder „Chilisalpeter“, welcher in Chile in
ungeheuren Lagern bergmännisch gewonnen wird. Diesen salzartigen Stoff
könnte man sich aus Natronlauge und Salpetersäure entstanden denken;
wenn man ihn mit konzentrierter Schwefelsäure erhitzt, so verbindet
sich die Natronlauge mit der Schwefelsäure zu schwefelsaurem Natrium,
während die Salpetersäure herausdampft und durch Abkühlung der Dämpfe
gewonnen werden kann. Man kann dies z. B. in gläsernen Gefäßen machen,
wie Abb. 10 zeigt.

Diese Darstellungsweise der Salpetersäure hängt von der Einfuhr des
Chilisalpeters ab, also von einem ausländischen Rohstoff. Dies war
schon in Friedenszeiten ein Anlaß, nach einer anderen Darstellungsart
zu suchen. Der Krieg hat dieses Bestreben der Deutschen mit Erfolg
gekrönt: sie benutzen jetzt als Ausgangsstoff für die Gewinnung der
Salpetersäure das Billigste, was man sich denken kann, nämlich die
+Luft+.

Um diese wertvolle Entdeckung zu verstehen, erinnern wir uns, daß sich
die Salpetersäure bildet, wenn man ein Oxyd des Stickstoffgases, also
eine Verbindung von Stickstoffgas mit Sauerstoffgas, in Wasser löst.
Nun besteht die Luft zufälligerweise aus einem +Gemeng+ dieser beiden
Gase. In der Luft sind sie nur miteinander gemengt, aber nicht chemisch
verbunden. Denn wenn man Luft z. B. in kaltem Wasser sich auflösen
läßt und dann durch Erwärmen wieder austreibt, so zeigt sich, daß
sich der Sauerstoff in reichlicherem Maße in Wasser gelöst hat als der
Stickstoff. Dies wäre nicht möglich, wenn in der Luft Sauerstoff und
Stickstoff chemisch aneinander gebunden wären.

Läßt man aber durch die Luft elektrische Funken schlagen, wozu sich
namentlich Wechselstrom von etwa 1000 Volt Spannung gut eignet, so
verbinden sich beide miteinander zu einem rotbraunen Gas, welches sich
in Wasser zu Salpetersäure auflöst. Dieses Gas zeigt so recht, wie
verschieden eine chemische Verbindung von einem bloßen Gemeng ihrer
Bestandteile ist: das +Gemeng+ ist farblos und für unsere Lunge zum
Atmen notwendig; die Verbindung dagegen ist rotbraun, für die Lunge
höchst giftig, und löst sich in Wasser zu Salpetersäure.

[Illustration: Abb. 10. Darstellung der Salpetersäure aus Salpeter und
Schwefelsäure.]

Als diese Erfindung, Salpetersäure aus Luft und Wasser darzustellen,
gemacht war, war sie noch lange nicht lebensfähig. Denn die
Geschicke solcher Erfindungen sind immer auf das engste mit der
Preis- und Rentabilitätsfrage verknüpft: es mußte gelingen, die
„Luft“-Salpetersäure zum gleichen Preis oder billiger herzustellen
als die Salpetersäure aus Chilisalpeter, dann war erst die Erfindung
technisch wertvoll. Wovon hängt nun der Preis beider Produkte
ab? -- Die Gewinnung des Chilisalpeters ist an der Fundstelle
ungemein einfach und billig; sein Preis wird daher, außer durch die
Nachfrage, im wesentlichen durch die Transportkosten bestimmt. Der
Preis der Luftsalpetersäure richtet sich hauptsächlich nach den
Gestehungskosten der verwendeten Elektrizität. Stellt man diese, wie
bei uns in Deutschland, durch Umwandlung aus Dampfmaschinenarbeit
her, so ist sie für die Salpetersäuregewinnung in der Regel zu
teuer. Dies ist aber nicht mehr der Fall, wenn die Elektrizität, wie
in Norwegen, aus natürlichen Wasserkräften gewonnen wird. Deshalb
ist Norwegen („~Norge~“ auf norwegisch) der eigentliche Sitz der
Luftsalpetersäuregewinnung. Es hat bereits im Jahre 1910 mehr als
260000 Zentner Kalksalpeter (sog. Norgesalpeter) im Wert von über
2 Millionen Mark ausgeführt. Die Erzeugung von Chilisalpeter hat
allerdings zurzeit noch etwa den vierzigfachen Wert.

Man verwendet die Salpetersäure sowohl im freien Zustand als flüssige
Säure, als auch in Form ihrer festen Salze. Sprechen wir zuerst von
dieser zweiten Anwendung. Es sind nur drei Salze der Salpetersäure,
welche in sehr großen Mengen angewendet werden: das salpetersaure
Natrium (Natronsalpeter oder Chilisalpeter), das salpetersaure
Kalium (Kalisalpeter) und das salpetersaure Kalzium (Kalksalpeter,
Norgesalpeter). Die wichtigste Anwendung des Natron- und des
Kalksalpeters ist die als +Düngemittel+. Er kräftigt durch seinen
Stickstoffgehalt das Blattwachstum außerordentlich, ist daher bei Mais,
Rüben, Kartoffeln und Klee mit Vorteil zu verwenden. Da aber beide
Salpeterarten im Regenwasser leicht löslich sind, gibt man nicht die
ganze Jahresdüngung auf einmal, sondern besser in kleineren Mengen
nach und nach. Der Kalksalpeter enthält um ⅐ weniger Stickstoff als
der Chilisalpeter; diese Tatsache ist beim Einkauf der Berechnung
des Preises und bei der Düngung der Berechnung der erforderlichen
Menge zugrunde zu legen. Bei der Gewinnung der Luftsalpetersäure
entsteht zugleich eine kleine Menge +salpetrige Säure+; diese verhält
sich ihrer chemischen Zusammensetzung nach zur Salpetersäure etwa
so, wie Mennige zum Bleisuperoxyd, d. h. sie ist etwas ärmer an
Sauerstoff. Die salpetrige Säure und ihre Salze sind aber für die
Pflanzen giftig. Wenn daher im Norgesalpeter etwas salpetrigsaurer
Kalk enthalten ist, so verschlechtert dies seine Wirkung beträchtlich.
Dieser Umstand erschwerte anfangs den Wettbewerb des Kalksalpeters
mit dem Chilisalpeter; inzwischen jedoch hat man gelernt, den Gehalt
des Kalksalpeters an dieser schädlichen Substanz auf ein Mindestmaß
herabzudrücken.

Während also die Salze der Salpetersäure für fast alle Pflanzen ein
hervorragendes Nahrungsmittel bilden, sind sie für den tierischen
Körper, also auch für den menschlichen, starke Gifte. Trinkt man
eine, wenn auch sehr verdünnte, Lösung von Salpetersäure, so wird
einem fast augenblicklich schlecht, und es folgt Erbrechen mit allen
Erscheinungen einer Vergiftung. Die Salze der Salpetersäure, also
alle Arten von Salpeter, wirken nicht so giftig wie die freie Säure.
Da aber im tierischen Magensaft etwas freie Salzsäure enthalten ist,
welche aus einer Salpeterlösung stets etwas Salpetersäure frei macht,
so ist auch der Genuß von Salpeterlösung gesundheitsgefährlich. Es ist
nicht überflüssig, dies zu wissen, weil der Salpeter die Eigenschaft
hat, geräucherte Fleischwaren mit schön roter Farbe zu konservieren.
Obgleich seine Anwendung verboten ist, findet man in den Rauchfleisch-
und Wurstwaren nicht selten Salpeter, dessen Genuß besonders für Kinder
schädlich ist.

Die hauptsächlichste Anwendung fand der Salpeter in vergangenen
Zeiten zur Bereitung des Schwarzpulvers. Dazu kann man aber weder den
Natronsalpeter noch den Kalksalpeter verwenden, weil diese beiden
Salze die Eigentümlichkeit haben, aus der Luft Wasser anzuziehen
und zu zerfließen. Man benutzt daher zur Schießpulverbereitung den
luftbeständigen Kalisalpeter. Dieser wird aus dem überseeischen
Natronsalpeter durch eine Wechselumsetzung in der Weise gewonnen,
daß man heißgesättigte wässerige Lösungen von Natronsalpeter und
+Chlorkalium+ miteinander vermischt. Dann findet folgende Umsetzung
statt:

  salpetersaures Natrium + Chlorkalium = salpetersaures Kalium
      (Chilisalpeter)                        (Kalisalpeter)
                        + Chlornatrium.
                           (Kochsalz)

Es bildet sich also neben dem Kalisalpeter noch Kochsalz. Nach
dem Satz vom chemischen Gleichgewicht kann die Umsetzung keine
vollständige sein, weil die beiden neugebildeten Stoffe sich wieder
rückwärts miteinander zu den Ausgangsstoffen umsetzen. Indessen, ein
besonderer Umstand sorgt doch dafür, daß die Ausbeute an Kalisalpeter
reichlich genug ist: denn der Kalisalpeter ist in heißem Wasser viel
leichter löslich als das Kochsalz (etwa achtmal mehr), in kaltem
dagegen schwerer. Infolgedessen scheidet sich beim Vermischen der
heißgesättigten Lösungen von Chilisalpeter und Chlorkalium eine Menge
Kochsalz in fester Form aus, wodurch der rückläufige Prozeß sehr
eingeschränkt wird.

Diesen Kalisalpeter, der also durch eine Umwandlung (Inversion) aus
dem Chilisalpeter gewonnen wird, nennt man +Inversions+salpeter. Das
Chlorkalium, welches zu seiner Darstellung gebraucht wird, findet sich
in Deutschland in den Steinsalzlagern in ungeheuren Mengen. Obgleich
nun das aus Kalisalpeter, Schwefel und Holzkohle zusammengesetzte
Schwarzpulver seit der Erfindung des rauchschwachen Pulvers bei weitem
nicht mehr in so großen Mengen verbraucht wird, wie früher, gehen doch
noch etwa 1½ Millionen Zentner jährlich durch den Handel, die einen
Wert von 30 Millionen Mark bedeuten.

Weit umfangreicher und bedeutungsvoller ist die Verwendung der +freien
Salpetersäure+. Sie hat nämlich die Eigenschaft, eine große Anzahl von
Stoffen, wie Baumwolle, Holzstoff, Papier, Stärke- und Zuckerarten,
Glyzerin, Benzol usw. in +Sprengstoffe+ umzuwandeln, wenn man sie damit
kurze Zeit in Berührung läßt. Diesen Umwandlungsvorgang nennt der
Chemiker das +Nitrieren+ der Stoffe (vom lateinischen Wort ~nitrum~,
der Salpeter). Beim Nitrieren entsteht als Nebenprodukt immer Wasser,
welches als Widerstand gegen den Nitrierungsvorgang wirkt, weil es
die Salpetersäure verdünnt und schwächt. Deshalb setzt man stets eine
gewisse Menge konzentrierte Schwefelsäure hinzu, welche bekanntlich
auf das Wasser eine stark anziehende Kraft ausübt und dadurch
seine schädliche Wirkung wieder aufhebt. Will man also einen Stoff
nitrieren, so legt man ihn eine Viertelstunde lang in ein Gemisch von
konzentrierter Salpetersäure (1 Teil) und konzentrierter Schwefelsäure
(1–2 Teile). Dann gießt man die Säure ab und wäscht nun den nitrierten
Stoff in kaltem, fließendem Wasser so lange und so gründlich aus, bis
ein aus ihm herausgepreßter Tropfen auf der Zunge keine Spur von saurem
Geschmack mehr erzeugt.

So kann man z. B. Watte, Löschpapier, baumwollene Stoffe sehr
leicht und bequem in +Schießbaumwolle+ verwandeln, welche nach dem
Trocknen eine drei- bis viermal größere Sprengkraft besitzt als das
Schießpulver. Man muß, wenn man diese Versuche selbst ausführen will,
nur beachten, daß die „konzentrierte“ Salpetersäure des Handels in der
Regel etwa 40 % Wasser enthält und dann zur Nitrierung unbrauchbar
ist, auch wenn man sie mit Schwefelsäure vermischt. Ist man nicht
sicher, ob man genügend starke Salpetersäure vor sich hat, so ist es
am besten, sie aus Salpeter und Schwefelsäure selbst herzustellen oder
man benutzt als Nitriergemisch ein Gemeng von zerriebenem Salpeter mit
konzentrierter Schwefelsäure, welches in jeder Beziehung dieselben
Dienste tut.

[Illustration: Abb. 11. Darstellung von Schießbaumwolle durch Eintragen
von Watte in Salpeterschwefelsäure.]

Diese nitrierten Körper bilden die Grundlage aller Sprengstoffe und
rauchschwachen Pulverarten. Es ist unnötig, auf ihre Wichtigkeit
besonders hinzuweisen; wurden doch in diesem Weltkrieg von
Sprengstoffen dieser Art so ungeheure Mengen angefertigt, daß sie alle
anderen künstlichen Erzeugnisse weit hinter sich lassen. Aber auch
für die friedliche Arbeit spielen die Sprengstoffe eine große Rolle:
der Abbau der Steinbrüche, die Anlage von Weg- und Tunnelbauten
erfordern mitten im Frieden gewaltige Mengen von Sprengstoffen.
Derjenige von ihnen, welcher am meisten von sich reden gemacht hat, ist
das +Dynamit+ (auf deutsch etwa soviel wie „Kraftstoff“ bedeutend).
Die Erfindung des Dynamits durch den Schweden +Alfred Nobel+ war
eigentlich insofern +keine+ Erfindung, als der wirksame Bestandteil
dieses Sprengstoffes, das +Nitroglyzerin+, schon lange bekannt war.
Man hat dieses Nitroglyzerin oder +Sprengöl+ schon jahrelang in
amerikanischen Apotheken als -- Kopfwehmittel (!) kaufen können,
ohne daß man von seiner Gefährlichkeit viel Aufhebens gemacht hätte.
Diese Gefährlichkeit trat eben erst durch Nobels Versuche zutage,
das Nitroglyzerin in großen Mengen für Sprengzwecke zu verwenden.
Es erwies sich in größeren Mengen, bei ballonweiser Verpackung, als
zu empfindlich gegen Stöße und gegen schroffen Temperaturwechsel.
Es zeigte sich die Unmöglichkeit, durch bloße Vorschriften über die
Behandlung dieses Stoffes seine Explosion zu verhindern, und Alfred
Nobel mußte es wiederholt erleben, daß seine Fabriken in die Luft
flogen und sozusagen spurlos verschwanden. Dies hatte seinerseits
zur Folge, daß ihm die Errichtung solcher Fabriken wegen der damit
verbundenen Gefahren nach und nach in den meisten Ländern verboten
wurde. Die ungeheure Bedeutung der Erfindung des Dynamits liegt nun
darin, daß diese Erfindung dem Sprengöl alle Gefährlichkeit benahm,
ohne seine Explosivkraft wesentlich zu schwächen. Man macht sich davon,
ohne Versuche gesehen zu haben, nicht leicht eine richtige Vorstellung.
Bringt man einen Tropfen Nitroglyzerin auf eine glatte, etwas
angefeuchtete Steinfläche und schlägt man mit einem Hämmerchen darauf,
so erfolgt eine starke Detonation, und der Stein wird zertrümmert.
Dagegen ist Dynamit gegen Schlag und Stoß so unempfindlich, daß Nobel
in Gegenwart des Königs von Schweden ein Faß voll Dynamit von einem
Kirchturm herab auf das Straßenpflaster fallen und zerschellen lassen
konnte, ohne daß es explodierte. Es ist nicht leicht möglich, Dynamit
durch bloßen Schlag zur Explosion zu bringen. Aber auch Feuer ist
dem Dynamit nicht ohne weiteres gefährlich: hält man ein brennendes
Streichholz an einen nußgroßen Klumpen Dynamit, so brennt er langsam,
völlig geräuschlos, mit großer, gelbgrüner Flamme ab, welche einen
feinen Sprühregen von Kieselgurteilchen ausstößt. Dynamit ist also
in bezug auf Ungefährlichkeit der Handhabung geradezu ein idealer
Sprengstoff: Kinder und Narren können ihn mit dem besten Willen nicht
zu Unfug verwenden. Man muß sich geradezu fragen: was muß man tun,
um diesen Stoff überhaupt zur Explosion zu bringen? -- Die Antwort
heißt: man muß +Initialzündung+ anwenden. Man muß die Explosion an
einem Punkte einleiten (~initium~ = Anfang, Einleitung). Dies geschieht
durch Entzündung einer kleinen Menge Knallquecksilber, welches sich
durch Stoß, Schlag oder Erhitzen ziemlich leicht zur Explosion bringen
läßt. Dabei reißt es die Dynamitmasse gleichsam mit sich und bewirkt,
daß diese vollständig explodiert. Durch solche Initialzündung kann man
sogar manche Stoffe, die auf andere Weise gar nicht explodierbar sind,
zur Explosion bringen, so z. B. das Azetylengas.

Nobels Erfindung, die so gewaltige Folgen haben sollte, war im Grunde
verblüffend einfach: sie besteht nämlich darin, das flüssige Sprengöl
mit einer möglichst geringen Menge (25 %) eines feinen, sehr porösen
Sandes (der sog. Infusorienerde) zu einem Brei zu vermengen. Dieser
einfache Gedanke hat auf der Erde geradezu Umwälzungen hervorgebracht.
Nun erst war es möglich, die Sprengkraft des Nitroglyzerins unbegrenzt
auszunützen, da man nun den Sprengstoff ohne Gefahr in beliebigen
Mengen herstellen, transportieren und aufbewahren konnte.

Nobel verdiente mit dieser Erfindung nach der langen Reihe von
Mißerfolgen und Enttäuschungen ein mehr als fürstliches Vermögen. Da er
ohne Leibeserben starb, errichtete er in seinem Testament die berühmte
Nobelstiftung, welche alle zwei Jahre die bedeutendsten Leistungen
auf den wichtigsten Kulturgebieten mit einem recht ansehnlichen Preis
belohnt. --

Es wäre ganz falsch, aus dem bisher Gesagten zu folgern, daß die
Salpetersäure nur dem Krieg und der Zerstörungswut der Menschen
dient. Selbst wenn die Salpetersäure nur zur Fabrikation von
Sprengstoffen diente, dürfte man dies nicht behaupten, weil eben
auch die Sprengstoffe eine geradezu unersetzliche, friedliche Arbeit
leisten. Aber das Nitriergemisch dient gar nicht bloß zur Herstellung
von Sprengstoffen, sondern mindestens in gleichem Betrag zur
Gewinnung unzähliger Farben, Medikamente und anderer unentbehrlicher
Chemikalien. Aber auch die Sprengstoffe werden nicht allein zu
explosiven Zwecken verwendet, sondern ein Teil von ihnen wird wieder
in harmlose Gebrauchsstoffe des täglichen Lebens verwandelt: so macht
man aus Schießbaumwolle, indem man sie in einem Gemisch von Alkohol und
Äther auflöst, das +Kollodium+, und durch gewisse Beimengungen (von
Kampfer) das wichtige Hornersatzmittel +Zelluloid+, ohne das man heute
längst nicht mehr auskommen könnte. Auf ganz ähnliche Weise werden die
rauchschwachen Pulverarten hergestellt, die demnach dem Kollodium und
Zelluloid sehr nahe verwandt sind. Sie entwickeln ihre Sprengkraft erst
bei der Entzündung im geschlossenen Raum (der Patrone), zündet man
dagegen rauchschwaches Pulver in offener Aufschüttung an, so brennt
es langsam mit großer, lohender Flamme ab -- ganz ähnlich wie ein
angezündetes Stück Zelluloid. Diese rauchschwachen Pulver haben die
drei- bis vierfache Brisanz (Sprengkraft) des alten Schwarzpulvers.
Aber da sie beim Abbrennen braune, salpeterhaltige Dämpfe liefern,
greifen sie den Flintenlauf stärker an als das Schwarzpulver. Aus
diesem Grund können sie für die Jagd das Schwarzpulver durchaus nicht
ganz ersetzen.

[Illustration: Abb. 12. Spinndüse zur Kunstseideherstellung.]

Schüttet man Kollodium -- also sozusagen flüssige Schießbaumwolle
-- in Wasser, so gerinnt es; das Wasser entzieht ihm die
Alkohol-Äthermischung, infolgedessen scheidet sich die Schießbaumwolle
als weißliche Gallerte ab. Ein findiger Franzose namens Chardonnet
kam nun auf den Gedanken, auf diese Weise feine +Fäden+ herzustellen,
indem er das Kollodium durch ein sehr enges Metallrohr in Wasser
preßte. (Abbildung 12.) Aus der Rohrmündung trat ein weißer, wie Seide
glänzender Faden von Schießbaumwolle. Die Fäden ließen sich spinnen
wie Seide und hatten auch ihren Glanz. So wurde die erste +Kunstseide+
erfunden und nach ihrem Entdecker Chardonnet-Seide genannt. Sie hatte
aber den fatalen Fehler, explosionsartig zu verpuffen, wenn man ihr ein
Zündholz zu nahe brachte. Diese Eigenschaft war für Raucher, wenn sie
etwa eine Halsbinde aus Chardonnetseide trugen, nicht angenehm. Man
konnte indessen der Kunstseide ihre Explosivität, freilich nicht ohne
Schaden für die Haltbarkeit und zum Teil auch den Glanz, wieder nehmen,
wenn man sie in Schwefelammonium badete.

Heute bestehen nur noch wenige Fabriken, welche Chardonnetseide
herstellen. Ein anderes Verfahren hat dieses erste verdrängt, aber
für die Geschichte der chemischen Technologie wird es nie seine
Bedeutung verlieren. Zeigt uns diese Erfindung doch die unglaublichsten
Verwandlungskünste der Chemie, welche aus Baumwolle nicht bloß Pulver,
sondern auch Kollodiumballons, Zelluloidkämme und „echt“ seidene
Krawatten hervorzaubert.




8. Kohlehydrate und Alkohol.


Daß man heute das Holz der Waldbäume in Zeitungspapier umwandelt, weiß
jedes Kind. Daß man es aber auch in +Kunsthonig+ und in +Spiritus+
verwandeln kann, ist weniger bekannt. Ebensowenig wissen die meisten
Leute, daß Schießbaumwolle, rauchloses Pulver, Kollodium und Zelluloid
heutzutage viel weniger aus Baumwolle als aus Fichtenholz hergestellt
werden. Dies alles wollen wir uns nun klarzumachen versuchen.

Es gibt drei große Gruppen von Stoffen in der Natur, welche chemisch
ganz gleich zusammengesetzt sind und nur aus Kohlenstoff und den
Bestandteilen des Wassers bestehen. Verbindungen mit Wasser nennt man
in der Chemie „+Hydrate+“, deshalb heißt man diese drei Stoffgruppen
mit einer gemeinsamen Bezeichnung +Kohlehydrate+. Sie sind so
zusammengesetzt, als ob sie nur aus Kohle und Wasser beständen. Diese
drei Gruppen sind:

1. Die +Zellulose+ oder der +Zellstoff+. Er bildet den Hauptbestandteil
der +Baumwolle+ und des +Papiers+. Entfettete Verbandwatte ist fast
chemisch reiner Zellstoff, ebenso das Filtrierpapier der Chemiker. Aus
Zellstoff bestehen die Wände der Pflanzenzellen.

2. Die +Stärke-+ und +Gummiarten+. Während die Gummiarten, wie
arabisches Gummi und Kirschgummi, in heißem Wasser löslich sind, quillt
die Stärke in heißem Wasser nur zu Kleister auf.

3. Die +Zuckerarten+.

In bezug auf die chemische Zusammensetzung wurde schon erwähnt,
daß alle drei Stoffgruppen aus Kohlenstoff und den Elementen des
Wassers bestehen. Verrührt man in einem Weinglas einen Eßlöffel voll
gestoßenen Zucker mit konzentrierter Schwefelsäure zu einem Brei, so
entzieht die Schwefelsäure dem Zucker das Wasser, und es hinterbleibt
eine löcherige, gequollene Masse von schwarzer Kohle. Genauere
Untersuchungen haben ergeben, daß im Zellstoff, in den Stärke- und
Gummiarten auf 6 Atome Kohlenstoff ziemlich genau 5 Moleküle Wasser
enthalten sind, während die wichtigsten Zuckerarten auf dieselbe
Kohlenstoffmenge 6 Moleküle Wasser enthalten. Dies muß man wissen,
wenn man die märchenhaften Umwandlungsvorgänge verstehen will, welche
am Beginn dieses Abschnittes erwähnt worden sind. Denn man versteht
nun, daß der Zellstoff und die Stärke, welche doch beide die gleiche
Zusammensetzung haben, nur ein Molekül Wasser in sich aufnehmen müssen,
um in eine Zuckerart überzugehen. Beim bloßen Kochen erfolgt diese
Wasseraufnahme nicht leicht, man müßte zu diesem Zweck schon in einem
Druckkessel den Stärkekleister oder die Zellulose mit überhitztem
Wasser behandeln. Viel schneller geht die Verzuckerung vor sich, wenn
man sich gewisser chemischer Stoffe als Wasserüberträger bedient.
Solch ein Stoff ist z. B. die Schwefelsäure. Sie wirkt nicht nur
wasserentziehend, sondern ebensooft auch wasseraddierend. Wenn man
daher Baumwolle oder Filtrierpapier oder Leinen mit konzentrierter
Schwefelsäure beträufelt, so lösen sie sich darin auf; aber die
Lösung enthält nun nicht mehr Zellstoff, sondern -- Traubenzucker.
Dieselbe Wirkung erzielt man durch andauerndes Kochen mit verdünnter
Schwefelsäure. Da die Schwefelsäure bei diesem Vorgang nur als
Wasserüberträger wirkt und selbst nicht angegriffen wird, so genügen
wenige Tropfen von ihr zur Verzuckerung großer Mengen von Zellstoff
oder von Stärkekleister. Um auf diese Weise Kunsthonig zu bereiten,
kann man z. B. einen Liter dicken Stärkekleister mit einigen Tropfen
Schwefelsäure verrühren und nun zwei Stunden lang kochen. Schon
unmittelbar nach dem Zusatz der Schwefelsäure wird der dicke Kleister
ganz dünnflüssig, weil die Stärke in ein gummiartiges Zwischenprodukt
zwischen Stärke und Zucker, nämlich in Dextrin, übergeht. Dieses wird
bei längerem Kochen ganz in Traubenzucker, den Hauptbestandteil des
Kunsthonigs, umgewandelt. Zuletzt entfernt man die Schwefelsäure wieder
aus dem Gemisch, indem man gepulverte Kreide hineinschüttet und dann
das Feste vom Flüssigen durch Filtrieren trennt. Die Schwefelsäure
treibt aus der Kreide unter Schäumen Kohlensäuregas aus und verwandelt
sie in schwefelsauren Kalk (Gips), wodurch sie selbst in eine
unlösliche Form gebracht wird. Die verbleibende Lösung muß nun in der
Wärme so lange eingedunstet werden, bis ein dicker, honigartiger Brei
von Traubenzucker übrigbleibt.

Will man aus Filtrierpapier oder Verbandwatte Kunsthonig bereiten, so
löst man am besten möglichst große Menge dieser Stoffe nach und nach,
unter Umrühren, in einer kleinen Menge konzentrierter Schwefelsäure
auf, verdünnt die Lösung mit Wasser, kocht sie einige Zeit und verfährt
dann mit Kreide wie vorhin.

Schwieriger ist es, Sägespäne in Kunsthonig zu verwandeln. Im Holz
sind nämlich neben dem Zellstoff noch 30–40 % andere Stoffe enthalten,
welche aus korkartigen und schleimigen Substanzen bestehen. Sie
verhalten sich gegen konzentrierte Schwefelsäure ganz anders als die
reine Zellulose: sie werden von ihr verkohlt, wie die Zuckerarten. Man
kann daher am Grad der Schwarzfärbung eines Papiers nach dem Betropfen
mit konzentrierter Schwefelsäure leicht erkennen, wieviel von diesen
Stoffen noch in dem Papier steckt. Um das Holz von ihnen zu reinigen
und in reinen Zellstoff umzuwandeln, gibt es zwei Wege: entweder
durch Erhitzen mit Natronlauge (Natronzellulose) oder durch Kochen
mit schwefligsaurem Kalk (Sulfitzellulose). Beide Reinigungsmittel
wirken lösend auf die zucker- und korkartigen Stoffe im Holz und
lassen den Zellstoff als eine graue, sehr mürbe Masse zurück, die sich
vom künftigen Zeitungspapier nicht sehr viel unterscheidet. Da aber
das Verfahren mit Natronlauge viel teurer ist, so ist es durch das
Sulfitverfahren fast ganz verdrängt worden. Deutschland allein erzeugt
so jährlich etwa 6 Millionen Zentner Zellstoff, der größtenteils zur
Papiererzeugung verwendet wird. Den meisten Kunsthonig stellt man
durch Verzuckerung von Stärkekleister her, namentlich in Amerika aus
Maisstärke. Dabei wird das Schwefelsäureverfahren angewendet.

Es gibt noch eine zweite Methode, um stärkeartige Stoffe in Zucker
umzuwandeln. Sie spielt in der Natur und in der Technik eine große
Rolle. Dies ist die Verzuckerung mittels der sogenannten Enzyme.
Dies sind Eiweißstoffe von einer meist unbekannten Zusammensetzung,
welche auf die Stärkearten genau so wasseranlagernd wirken wie die
Schwefelsäure und dabei selbst ebensowenig verändert werden wie
diese. Ein solches Enzym ist z. B. im Speichel enthalten. Spuckt
man auf dicken, warmen Stärkekleister und rührt um, so wird er
schnell dünnflüssig, weil er sich in löslichen Zucker unwandelt.
Wenn wir also Brot, Kartoffeln oder andere stärkehaltige Speisen
essen, so werden sie bereits während des Kauens im Mund verflüssigt
und in Zucker umgewandelt. Große Mengen solcher Enzyme mit
stärkeverflüssigender Wirkung finden sich im Pflanzenreich mit allen
+Keimen+ vergesellschaftet. Sie liegen im Getreidekorn im Gewebe des
Keims (Abb. 13) und begleiten die Keimanlagen der Kartoffeln, die
sogenannten Augen. Ihre Aufgabe beginnt im Frühjahr, wenn der Keim
wächst und treibt. Dann braucht er Nahrung und hat doch selbst noch
keine Wurzeln und Blätter, mit welchen er sich aus dem Boden und aus
der Luft Nahrung besorgen könnte. Gerade aus diesem Grund ist ihm ein
förmlicher Speicher von Nahrungsvorräten angelagert: das Stärkemehl
im Getreidekorn, in der Kartoffel und in der Rübe hat diese Aufgabe.
Als Stärke können aber diese Nahrungsvorräte nicht in den Stoffwechsel
der jungen Pflanze eintreten, weil Stärke als solche nicht löslich
ist, weil aber Pflanze und Tier so eingerichtet sind, daß ihre
Nahrungsstoffe zunächst stets in den flüssigen Zustand gebracht werden
müssen, um durch die Adern und Saftgefäße fließen zu können. Deshalb
vermehren sich die Enzymeinlagerungen der Keime im Frühjahr und wirken
im gleichen Maße verzuckernd, verflüssigend auf die Vorratsstärke.
Je mehr der Keim wächst, um so mehr schwindet der Stärkevorrat, der
gerade so lange ausreicht, bis die junge Pflanze kräftig genug ist,
sich selbst zu ernähren. Bei den Kartoffeln macht sich die Verzuckerung
im Frühjahr unangenehm bemerkbar, denn sie schmecken in dieser Zeit
bekanntlich etwas süßlich.

[Illustration: Abb. 13. Roggenkorn (Längsschnitt).]

Diese Enzymvorräte in den Keimpflanzen macht man sich nun in der
chemischen Technik dienstbar, um damit Stärke in Zucker umzuwandeln.
Man benutzt dazu meistens die sogenannte +Diastase+, d. i. das Enzym
der keimenden Gerste. Angefeuchtete Gerstenkörner läßt man in Haufen
keimen, bis der Keim eine gewisse Länge erreicht hat, von der man
erfahrungsgemäß weiß, daß sie dem erreichbaren Höchstgehalt des Keims
an Diastase entspricht. Denn die Menge dieses Enzyms wächst mit der
Keimung. Dann wird die weitere Keimung unterbrochen, indem man die
gekeimte Gerste durch Erhitzen tötet. Sie heißt nun +Malz+. Um daraus
Diastase herzustellen, behandelt man es mit verdünntem Alkohol, welcher
die Diastase löst, und setzt dann zu der klaren Lösung absoluten
Alkohol, wodurch das Enzym als weißes Pulver ausgefällt wird. Dieses
etwas teure Gewinnungsverfahren ist übrigens in den meisten Fällen
entbehrlich, weil zerschrotetes Malz bereits alle Wirkungen der
Diastase zeigt. Setzt man daher solches Malzschrot zu einem Brei von
gekochten Kartoffeln, so zergeht dieser Brei in kurzer Zeit zu einem
flüssigen Gemisch von Dextrinlösung und Zuckerlösung, welches durch
weitere Einwirkung des Malzes bei etwa 60 ° größtenteils in Zucker
(Malzzucker) übergeführt wird.

Dieser chemische Prozeß bildet die Grundlage für zwei ungeheure
Gewerbe: für die +Bier+bereitung und für die +Spiritus+herstellung.
Diese beiden Prozesse beruhen nämlich darauf, daß Malz- und
Traubenzucker durch +Gärung+ in Alkohol (Spiritus) übergeführt werden.
Dagegen vermögen die Stärkearten als solche nicht zu gären, auch nicht
alle Zuckerarten sind gärbar: gerade z. B. der Rüben- oder Rohrzucker,
unser beliebter Speisezucker, ist +nicht+ gärungsfähig. Um also Stärke,
Zellulose oder Rohrzucker in Alkohol zu verwandeln, muß man diese
Verbindungen zuerst in +Trauben-+ oder +Malz+zucker überführen. Diesen
Vorgang nennt der Chemiker +Inversion+, den so gewonnenen Trauben- und
Malzzucker auch wohl +Invert+zucker.

Bei der =Bierbereitung= scheint die Sache besonders einfach zu liegen,
weil das Korn der Gerste sowohl die Stärke als auch das zu ihrer
Invertierung nötige Enzym, die Diastase, enthält. Aber es ist klar,
daß gerade aus demselben Grund alles darauf ankommt, die +Keimung+
der Gerste, bei welcher die Diastase gebildet und ein großer Teil
der Stärke in Zucker verwandelt wird, im richtigen Augenblick zu
unterbrechen. Auch die Art dieser Unterbrechung ist nicht gleichgültig:
tötet man die Gerste durch heiße Luft oder Rauch, so wird ein
erheblicher Teil der Diastase zerstört, aber die Verzuckerung der
Stärke begünstigt. Will man möglichst viel Diastase haben, um die
Verzuckerung der Stärke erst später erfolgen zu lassen, so tötet man
das Malz nur durch Trocknen an der Luft bei gewöhnlicher Temperatur.
Man nennt solches enzymreiches Malz: Grünmalz. Die vollständige
Umwandlung der Gerstenstärke in Zucker erfolgt erst beim +Einmaischen+
(Maischen = altes Wort für Mischen). Dieser Vorgang ist ziemlich
einfach und besteht nur darin, das geschrotete Malz etwa eine Stunde
lang mit heißem Wasser von 50–60 ° zu verrühren. Dazu dienen besondere
Bottiche mit mechanischen Rührwerken, die Maischbottiche. Die so
hergestellte Zuckerlösung heißt +Würze+. Ihr wird auf das Hektoliter
etwa 1 Kilogramm +Hopfen+ zugesetzt, um sie vor zu schnellem Verderben
zu bewahren. Die Hopfenblüte enthält nämlich Bitterstoffe von stark
konservierenden Eigenschaften. Diese Würze muß nun bloß noch der Gärung
unterworfen werden, um in Bier überzugehen.

[Illustration: Abb. 14. Ein Stückchen roher Kartoffel in 400fach.
Vergröß. (zeigt die geschichteten Stärkekörner innerhalb geschlossener
Zellwände.)]

Die Verzuckerung der +Kartoffelstärke+ für die Spiritus- und
Schnapsbereitung ist wesentlich weniger schwierig als die
Bierwürzebereitung. In den +rohen+ Kartoffeln ist die Stärke von
Zellhäuten umschlossen, welche sie vor dem Angriff der Enzyme
vollkommen schützt. (Abb. 14.) Kocht man die Kartoffeln, so wird
dadurch ein Teil dieser Zellhäute zersprengt und geöffnet, weil die
Stärke im heißen Wasser mit großer Kraft zu Kleister aufquillt. +Ganz+
findet diese Sprengung jedoch nur dann statt, wenn man die Kartoffeln
mit überhitztem Dampf von etwa 2–3 Atmosphären Druck behandelt. Der
Dampf erfüllt allmählich auch die stärkehaltigen Zellen, deren Wände
er langsam durchdringt. Öffnet man nun plötzlich ein Bodenventil des
Kartoffeldämpfers, so werden die Kartoffeln nicht bloß durch diese
Öffnung herausgepreßt, sondern zugleich ganz fein zerstäubt. Denn durch
das Öffnen des Ventils wird der Druck des Dampfes auf die Außenfläche
der Kartoffeln plötzlich aufgehoben, während der in den Zellen
befindliche gespannte Dampf nicht so rasch durch die Zellwände dringen
kann und sie daher explosionsartig zersprengt.

Diesen „aufgeschlossenen“ Kartoffelstaub versetzt man nun mit
geschrotetem Grünmalz (d. i. mit diastasereichem, an der Luft
getrocknetem Malz). Er wird dadurch sofort zu einer gärungsfähigen,
zuckerreichen Masse verflüssigt.

=Die Gärung.= -- Rein chemisch betrachtet, besteht die Gärung in
einem Zerfall des Zuckermoleküls in +Alkohol+ und +Kohlensäure+. Die
Kohlensäure entweicht unter Schäumen, der Alkohol sammelt sich in
der gärenden Flüssigkeit an. Dieser Zerfall wird durch die +Hefe+
bewirkt. Die Hefe, eine breiige, säuerlich riechende Masse, besteht
aus mikroskopisch kleinen Lebewesen, welche zu den Pilzen gerechnet
werden müssen, und zwar zu den +Spaltpilzen+ oder Bakterien. Der Name
„Spalt“pilze bezieht sich auf ihre wichtige Fortpflanzungsweise, welche
darin besteht, daß sich jede Hefezelle durch Abschnürung in zwei
Stücke spaltet, welche durch rasches Wachstum bald wieder die Größe
der Mutterzelle erreichen. Durch diese Spaltung wächst die Menge der
Hefezellen ganz außerordentlich schon in wenigen Stunden an.

Was nun den Gärungsvorgang betrifft, so hat man früher geglaubt, er
sei an das +Leben+ der Hefepilze gebunden. Man glaubte, die lebenden
Hefezellen ernährten sich mit dem gärbaren Zucker, und den Alkohol und
die Kohlensäure hielt man sozusagen für die Fäkalstoffe dieser Zellen.
In gewissem Sinne ist diese Auffassung auch richtig; falsch ist nur
die Anschauung, als ob zur Zuckerspaltung das Leben, die „Seele“ der
Hefezellen notwendig wäre. Denn Professor +Buchner+ hat Hefezellen
ausgepreßt und mit dem sorgsam filtrierten Preßsaft, in welchem
durchaus keine lebenden oder toten Hefeorganismen mehr enthalten
waren, hat er in Zuckerlösungen genau die gleichen Gärungsvorgänge
hervorgerufen, welche darin durch lebende Hefe erzeugt werden. Damit
hat er bewiesen, daß die Gärung -- ähnlich der Inversion von Stärke
in Zucker -- durch chemische Stoffe im Hefeleib, durch Enzyme,
hervorgerufen wird. Diese Enzyme haben sich bei näherer Untersuchung
als sehr verwickelt gebaute Eiweißstoffe erwiesen. Sie werden beim
Gärungsvorgang nicht verändert. Die Enzyme des Hefeleibes wirken am
besten bei Blutwärme, also bei etwa 37 °, und werden durch Erhitzen
über 60 ° zerstört, also genau wie die zuckerbildenden Enzyme des
Speichels und des Malzkeims und die verdauenden Enzyme des Darmsaftes.

Praktisch betrachtet ist das Leben der Hefezellen aber doch für den
Gärungsvorgang nicht bedeutungslos, weil die Hefezellen, indem sie
sich selbst vermehren, auch die wirksamen Mengen der gärungserregenden
Enzyme vermehren und somit die Gärung beschleunigen.

Das Ende der Gärung tritt nicht etwa dann ein, wenn der ganze
vorhandene Zucker in Alkohol und Kohlensäure gespalten ist, sondern es
hängt von einem anderen Umstand ab. Der erzeugte Alkohol wirkt nämlich
lähmend auf seinen Erzeuger und hemmt sowohl die Vermehrung der Hefe,
als auch die alkoholbildende Wirkung ihres Enzyms. Die Gärung erzeugt
also in ihren Produkten sich selbst einen Widerstand.

[Illustration: Abb. 15. Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae).]

[Illustration: Abb. 16. Carlsberger Unterhefe Nr. 1 (nach Fischer,
Technologie).]

Theoretisch gibt es also gar nichts Einfacheres als die Herstellung
von Bier und von Spiritus durch Gärung: man braucht nur die oben
beschriebene Bierwürze und die süße Kartoffelmaische mit Hefe zu
versetzen und gären zu lassen, bis die Gärung von selbst aufhört. In
Wirklichkeit müssen aber doch noch einige Umstände berücksichtigt
werden, die freilich zum Interessantesten gehören, was die
naturwissenschaftliche Forschung der letzten drei Jahrzehnte entdeckt
hat. Man hat nämlich gefunden, daß es eine ungeheure Anzahl von
verschiedenen Hefearten gibt, die sich zwar ihrem Aussehen nach
nicht viel voneinander unterscheiden (Abb. 15 u. 16), um so mehr
aber nach ihrem Verhalten bei der Gärung. Zwar spalten sie alle die
Hauptmengen des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure; aber neben diesem
Hauptvorgang erzeugt jede Hefeart noch einen gewissen Prozentsatz von
Nebenprodukten. Diese Nebenprodukte sind z. B. Fuselöle, Buttersäure,
Weinsäure, Essigsäure, Glyzerin und viele andere Substanzen von mehr
oder weniger auffallendem Geschmack und Geruch. Die Menge und die
Zusammenstellung dieser Nebenprodukte ist für jede der vielen Hefearten
anders, aber auch kennzeichnend, so daß man unter Umständen sofort am
Geschmack des Bieres erkennen kann, welche Hefeart die Gärung erregt
hat. Aber nicht bloß der Geschmack des Bieres hängt von der Hefeart
ab, sondern auch seine Klarheit, die Beschaffenheit und Haltbarkeit
seiner Schaumdecke, sein Geruch, seine Haltbarkeit. Nach diesen
Feststellungen ist es begreiflich, daß gerade den großen Brauereien
daran gelegen war, sich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse für die
Bierbereitung nutzbar zu machen. Denn vorher kam es gar oft vor, daß
die Eigenschaften des Bieres durch eingedrungene fremde Hefesorten
verdorben wurden, welche bei der Gärungstemperatur üppig wucherten.
So findet sich z. B. in den Pferdeställen eine Bakterienart, welche
dadurch gekennzeichnet ist, daß sie unter dem Mikroskop stets in
paketartigen Bündeln von 4–8 Einzelpilzen erscheint (Abb. 17). Daher
hat sie den wissenschaftlichen Namen ~Sarcinae~ (= das Gepäckstück)
erhalten. Diese Sarcinen verursachen eine Gärung mit widerlich
schmeckenden Nebenprodukten. Da nun die Brauereien für den Vertrieb
des Bieres stets mit Pferden arbeiten müssen, so war es früher fast
unvermeidbar, daß mit dem aufwirbelnden Straßenstaub Sarcinenkeime in
die Gärbottiche gerieten und dem Bier einen Stallgeschmack gaben.

[Illustration: Abb. 17. Das Aussehen der Sarcinen.]

Bei der Gärung tritt, wie schon erwähnt wurde, zugleich eine ungeheure
Vermehrung der Hefe ein, welche sich als grauer Schlamm in den
Gärgefäßen zu Boden setzt. Dieser Hefeschlamm wurde früher ohne
weitere Umstände wieder zur Gärung neuer Würze verwendet. Waren nun
unerwünschte Hefearten hineingeraten, so beeinflußten sie natürlich
auch die neue Gärung ungünstig. Jetzt verfährt man daher ganz anders.
Jetzt besitzt jede bessere Brauerei Einrichtungen zur +Reinzucht+ ihrer
spezifischen Hefeart und zur fortlaufenden Kontrolle der Reinheit ihrer
Zucht. Der „Spatengeschmack“ des Münchener Spatenbräus, der Löwenbräu-,
Hofbräu-, Kindlbräu-Geschmack wird also gewissermaßen im Laboratorium
reingezüchtet. Das Verfahren ist aus der Bakteriologie übernommen.
Es wurde von den großen Bakteriologen Robert +Koch+ und +Pasteur+
ausgearbeitet und ist merkwürdig genug, um hier ausführlich beschrieben
zu werden. Es beruht auf der Entdeckung der sogenannten +festen
Nährböden+. Unter dem Nährboden bzw. der Nährflüssigkeit versteht man
den Stoff, auf welchem sich die Bakterien entwickeln und vermehren
sollen. Dieser Stoff kann entweder flüssig sein, wie die Bierwürze,
oder fest, wie z. B. Kartoffeln oder Gelatine. Voraussetzung ist nur,
daß er alle diejenigen Stoffe in genügender Menge enthält, welche
das Bakterium zu seiner Entwicklung braucht. Einer der brauchbarsten
Nährböden für die meisten Bakterienarten besteht aus einer kräftigen
Fleischbrühe, in welcher man so viel Gelatine aufgelöst hat, daß
sie beim Erkalten fest wird. Diese „Nährgelatine“ ist gewissermaßen
zugleich ein flüssiger und ein fester Nährboden, je nach der
Temperatur, bei welcher man sie anwendet. Ihre Anwendung hat umwälzend
in der Bakteriologie gewirkt und hat die planmäßige Erforschung der
Bakterientätigkeit erst möglich gemacht. Wenn man nämlich ein Gemisch
verschiedener Bakterienarten in einen +flüssigen+ Nährboden bringt, so
vermehren sie sich darin nicht bloß, sondern die Vermehrungsprodukte
+vermischen+ sich auch fortwährend miteinander. Hat aber der Nährboden
die Eigenschaft, nach kurzer Zeit zu erstarren, so muß jeder Keim sich
an derjenigen Stelle vermehren, an welcher er durch den erstarrten
Nährboden festgehalten wird. Die einzelnen Bakterien sind nun wegen
ihrer winzigen Größe (¹⁄₅₀₀ Millimeter und weniger) nicht mit bloßem
Auge sichtbar. Sobald sie aber, nach 2–3 Tagen, durch die Vermehrung
zu einer Kolonie angewachsen sind, kann man diese in der Nährgelatine
schon mit unbewaffnetem Auge als einen kleinen, grauen Fleck erkennen.
Es ist klar, daß jeder solche Fleck aus einer „Reinzucht“ derjenigen
Bakterienart bestehen muß, die sich im Augenblick des Erstarrens
der Gelatine an der betreffenden Stelle befunden hat. Entnimmt man
also diesem Fleck mittels einer Nadel so viel Bakterien, als an der
Nadel hängen bleiben, und überträgt man diese auf eine neue Portion
bakterienfreien Nährbodens, so können sich auf diesem nur Bakterien
dieser +einen+ Art entwickeln, die man in Reinzucht zu haben wünscht.

Diese Kochsche Methode der fest-flüssigen Nährböden gestattet uns also
auf allereinfachste Weise, uns aus einem Gemisch der verschiedensten
Bakteriensorten jede Art in Reinzucht oder „Reinkultur“ herzustellen.
Freilich muß man dabei manche Vorsichtsmaßregeln beachten, wenn nicht
unliebe Überraschungen eintreten sollen. Denn wir müssen bedenken,
daß nicht bloß in der Luft Millionen von Bakterienkeimen schweben,
sondern daß auch jeder feste Gegenstand damit besät ist, und daß auch
das reinste Trinkwasser von solchen Keimen geradezu wimmelt. Würden
wir also unsere Versuche ohne Rücksicht auf diese Umstände ausführen,
so würden zahllose Keime aus der Luft und aus dem Wasser und aus den
Oberflächen unserer Gefäße alle Reinkulturversuche vereiteln. Aber
glücklicherweise lassen sich alle Bakterien und ihre Keime durch bloßes
Erhitzen auf 80–100 ° leicht töten. Man braucht also die Glasgefäße
und Instrumente, welche keimfrei sein sollen, bloß in kochendes Wasser
zu tauchen oder besser in trockener Luft auf 100 ° zu erhitzen, dann
sind sie solange keimfrei, bis aus der Luft oder durch Berührung mit
anderen Gegenständen neue Keime daran kommen. Die Flüssigkeiten werden
durch Kochen keimfrei gemacht. Deshalb ist frisch abgekochtes Wasser
stets keimfrei, und in dieser Beziehung dem reinsten Quellwasser
vorzuziehen. Schwieriger ist es, die Ansteckung eines Nährbodens durch
diejenigen Bakterien zu verhindern, welche aus der Luft hineinfallen
oder mit den Luftströmungen hineingerissen werden. Das bloße Zustopfen
der Flaschen nützt deshalb nicht viel, weil die Luft bei verschiedenen
Temperaturen und Barometerständen einen verschiedenen Raum einnimmt,
und weil daher häufig beim Öffnen des Stopfens die Luft stürmisch in
die Flasche eindringt und dabei Bakterien mitreißt. Deshalb kam Pasteur
auf den ausgezeichneten Gedanken, solche Flaschen mit einem trockenen
Wattebausch zu verschließen. Die Watte läßt die Luft ungehindert durch
sich hindurchtreten, nicht aber die Bakterien, obwohl es unter diesen
solche gibt, welche kleiner als ¹⁄₁₀₀₀ Millimeter sind. Sie bleiben
alle in den obersten Schichten des Wattebauschs zurück. Der Wattebausch
ist also ein richtiges Filter für die Bakterien. Unsere Abbildungen
18 und 19 zeigen, in welcher Weise man Glaskolben und Reagensgläser
mit solchen Wattepfropfen bakteriendicht verschließt. Man stellt
dabei, namentlich beim Öffnen, die Gefäße gern schief, damit nicht
aus der Luft Keime hineinsinken; auch verkohlt man die Unterseite
der Wattepfröpfe gern ein wenig über einer Flamme, damit alle daran
hängenden Keime verbrannt werden.

[Illustration: Abb. 18. Glaskolben mit bakteriendichtem Watteverschluß.]

[Illustration: Abb. 19. Schiefgestelltes Reagensrohr mit Nährgelatine.]

[Illustration: Abb. 20. Petrischale zum Herstellen von Reinkulturen.]

Wenn man nun aus einer unreinen Hefe eine bestimmte Sorte reinzüchten
will, verfährt man folgendermaßen: man bringt ein wenig von der Hefe
in einen Glaskolben, der keimfreie („sterile“ oder „sterilisierte“)
Nährgelatine enthält, welche man bei möglichst niederer Temperatur,
durch Eintauchen in warmes Wasser, verflüssigt hat. Die Hefe wird
vor dem Einbringen mit etwas Wasser fein zerrieben und dann durch
Umschwenken des Kolbens gut mit der Gelatine vermengt. Nun gießt man
den Inhalt des Glaskolbens auf eine sauber gereinigte, keimfreie
Glasplatte und läßt ihn dort in dünner Schicht unter dem Schutze einer
Glasglocke erstarren. An Stelle der Glasplatte und der Glasglocke
kann man auch eine sogenannte +Petri+-Schale (vergl. Abb. 20) nehmen,
das sind zwei flache Glasschalen mit zylindrischem Rand, von welchen
die größere als Deckel über die kleinere gestülpt wird, während in
diese die Nährgelatine gefüllt wird. Nach einigen Tagen zeigt sich
die Gelatine ganz mit grauen Pünktchen besät, deren jedes aus einer
Kolonie von Bakterien bzw. Hefezellen einer Art besteht. Meistens
lassen sich verschiedene Arten schon am verschiedenen Aussehen ihrer
Kolonien erkennen, zumal wenn man das Vergrößerungsglas zu Hilfe nimmt.
Man sucht sich die gewünschte Art aus und überträgt sie mit einer
sogenannten Impfnadel in ein Kölbchen mit steriler Nährflüssigkeit (z.
B. Bierwürze). Die Impfnadel besteht aus einem 5 ~cm~ langen Stück
Platindraht von ½ ~mm~ Dicke, der mit einem Ende in einen langen
Glasstab eingeschmolzen, am anderen Ende zu einer Öse gebogen ist (vgl.
Abb. 21). Der Draht muß aus Platin sein, damit er durch Ausglühen in
einer Flamme keimfrei gemacht werden kann, ohne dabei zu oxydieren. Man
glüht die Öse aus und überträgt mit ihr ein wenig von der zu züchtenden
Kolonie in die neue Nährlösung, wo sie sich nun ganz rein und frei von
fremden Keimen entwickeln muß.

[Illustration: Abb. 21. Impfnadel zum Uebertragen von Reinkulturen.]

Nebenbei sei bemerkt, daß man die Kochschen festen Nährböden auch
benutzt, um die Bakterien in der Luft, im Trinkwasser, im Erdboden zu
+zählen+: denn so viel Bakterien in einer gewissen Menge dieser Stoffe
sind, so viel sichtbare Kolonien müssen auf der Glasplatte nach dem
Vermischen mit Nährgelatine oder Pflanzengelatine (Agar-Agar) entstehen.

Erst seit der Einführung dieser Hefereinzucht ist es möglich, Biere
und destillierte Schnäpse von stets gleichen Eigenschaften mit aller
Sicherheit herzustellen. Auch für die Weingewinnung aus den Trauben
wendet man seit langem schon reingezüchtete Hefen an. Auf den reifen
Beeren der Weintrauben und auf den Zwetschen liegt ein Reif, welcher
aus Hefezellen besteht, die den Preßsaft dieser Früchte von selbst in
Gärung versetzen. Daher kommen zerquetschte Früchte stets von selbst in
Gärung, wobei, je nach ihrem Zuckergehalt, mehr oder weniger Alkohol
entsteht. Durch Abdestillieren gewinnt man dann die destillierten
Schnäpse daraus. Da aber die natürlichen Hefen auf der Fruchthaut in
verschiedenen Jahren von verschiedener Beschaffenheit sind, so ist es
zuverlässiger, auch diese Gärungen mit Reinzuchthefe von erprobten
Eigenschaften vorzunehmen. --

Es wurde schon oben gesagt, daß durch Gärung zuckerhaltiger
Flüssigkeiten der Alkoholgehalt nicht höher als auf etwa 10–12 %
steigen kann. Wenn also ein „natürlich“ vergorenes Getränk, etwa ein
Wein, 15 % oder mehr Alkohol enthält, so können wir mit Bestimmtheit
sagen, daß er künstliche Zusätze von Sprit erhalten hat. Es gibt aber
noch ein anderes Verfahren, um den Alkoholgehalt einer vergorenen
Maische zu erhöhen: das +Destillieren+. Während nämlich Wasser
bekanntlich erst bei 100 ° siedet, kocht der Alkohol schon bei 78 °.
Erhitzt man nun Gemische von Alkohol und Wasser zum Sieden und kühlt
man die Dämpfe vorsichtig ab, so wird zuerst der Wasserdampf wieder zu
Wasser, während der Alkoholdampf erst unterhalb von 78 ° verflüssigt
wird. Dieses Verdampfen und Wiederflüssigmachen des Dampfes nennt man
bekanntlich Destillieren. Die Erfahrung hat gezeigt, daß, wenn man
aus einer solchen Maische die Hälfte abdestilliert, darin +aller+
Alkohol enthalten ist. Das Destillat nimmt aber nur die Hälfte Raum
ein, ist also in bezug auf seinen Alkoholgehalt doppelt so stark als
die ursprüngliche Maische. So kann man +Branntwein+ und Schnäpse von
hohem Alkoholgehalt destillieren. Man kann aber auch aus ordinärer
Kartoffelmaische reinen Spiritus, der nur noch 4–5 % Wasser enthält,
abdestillieren, wenn man die Dämpfe in sogenannten Kolonnenapparaten
sehr vorsichtig abkühlt. In Deutschland werden auf diese Weise jährlich
etwa 5 Millionen Hektoliter reiner Alkohol erzeugt.

[Illustration: Abb. 22. Senkwage, um den Alkoholgehalt einer
Flüssigkeit zu messen (nach Erdmann).]

Nebenbei erwähnt sei, wie man den Alkoholgehalt einer Flüssigkeit
bestimmt. Alkohol ist leichter als Wasser. Daher wird eine
Schwimmvorrichtung aus Glas, eine sogenannte +Senkwage+ (Aräometer),
in Alkohol und in alkoholhaltigen Mischungen tiefer einsinken als
in reinem Wasser. (Abb. 22.) Diese Aräometer werden in der hier
abgebildeten Form aus Glas geblasen; damit sie aufrecht schwimmen,
ist die untere Kugel mit Bleischrot oder Quecksilber gefüllt, während
die bauchige Erweiterung das Schwimmen erleichtert. In der oberen,
röhrenartigen Verlängerung des Schwimmers ist eine Papierskala mit
Ziffern angebracht, welche gleich den Alkoholgehalt der betreffenden
Flüssigkeit angeben. Sinkt das Aräometer also z. B. bis zur Marke 20
ein, so hat die Flüssigkeit 20 % Alkohol. Dabei ist aber folgendes
zu beachten: die Zahlen stimmen nur, wenn die Mischung nur Wasser
und Alkohol enthält. Dies ist immer bei denjenigen Flüssigkeiten der
Fall, welche man durch +Destillation+ gegorener Maischen erhält. Die
Maischen selbst, also Bier und Wein z. B., enthalten noch eine Menge
anderer Stoffe, wie Dextrin, Gerbsäuren, Fruchtsäuren, Zucker usw.
Diese anderen Stoffe machen die Mischung schwerer, so daß die Senkwage
zu wenig Alkohol angeben würde. Will man also den Alkoholgehalt eines
Weines bestimmen, so destilliert man ein Drittel davon ab, setzt die
Senkwage in das Destillat und teilt das Ergebnis durch die Zahl 3. --

Bevor wir unsere Unterhaltung über den Alkohol schließen, wollen wir
uns noch ein wenig mit der +Hefe+ beschäftigen. Die Hefe vermehrt sich
bekanntlich bei der Gärung und setzt sich in den Gärbottichen als
grauer Schlamm zu Boden, mit dem man lange Zeit nichts Ordentliches
anzufangen wußte. Man bekam davon viel mehr, als man beim besten Willen
verbrauchen konnte. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß in
Deutschland jährlich an Bier allein etwa ein Hektoliter auf den Kopf
der Bevölkerung, im ganzen also etwa 65 Millionen Hektoliter, erzeugt
wird. Was soll mit der vielen Hefe gemacht werden? Zwar zum Brot- und
Kuchenbacken wird viel gebraucht, aber doch bei weitem nicht so viel,
als in den Gärungsgewerben erzeugt wird. Dazu kommt, daß die Hefe nicht
lange haltbar ist, selbst nicht in gepreßter Form (als +Preßhefe+,
jährlich in Deutschland allein 450000 Zentner Erzeugung!). Aber die
chemische Untersuchung hat gezeigt, daß die Hefe die Eigenschaften
eines ganz vorzüglichen +Nahrungsmittels+ besitzt, nämlich wegen ihres
+Stickstoff+reichtums, wodurch sie dem Rindfleisch nahezu gleichwertig
ist. Sie direkt zu essen, geht wegen der Gärungen, die sie im Darmkanal
erregen würde, nicht wohl an; aber man kann sie durch überhitzten Dampf
töten und kann dann vorzügliche +Fleischbrühen+ und +Fleischextrakte+
aus solcher Hefe machen, die an Wohlgeschmack und Nährwert nicht hinter
Liebigs Präparaten zurückstehen. Und unter den landwirtschaftlichen
Futtermitteln spielt die stickstoffreiche „+Futterhefe+“ schon lange
eine bedeutende Rolle. Aber damit ist die Zukunft der Hefe noch
nicht erschöpft. Neuerdings, während des Krieges, ist nämlich durch
den Chemiker der Universität Königsberg, Professor Lassar-Cohn, ein
bedeutender Fortschritt erzielt worden, den uns folgende Überlegung
verständlich machen wird. Bei der Fütterung des Viehs spielen die
stickstoffhaltigen Futtermittel, die Klee-, Lupinen- und Wickenarten
eine bedeutende Rolle als Mastmittel. Andrerseits geben die Tiere im
Harn und in den Fäkalien große Stickstoffmengen von sich, die dadurch
wieder für die Fütterung nutzbar gemacht werden, daß man die Klee-
und Lupinenfelder damit düngt. Auf diesem Umwege dauert es freilich
ein halbes Jahr, bis der Fäkalstickstoff von den Tieren wieder als
Nahrung aufgenommen wird. Lassar-Cohn kam auf den Gedanken, diese Zeit
dadurch abzukürzen, daß er den Harn der Kühe als Nährflüssigkeit für
+Hefekulturen+ benutzte. Der Harn wird aus dem Stall in ein Bassin
geleitet und darin mit einer geeigneten Hefeart besät. Nach einigen
Stunden wird die vermehrte Hefe abgesiebt, gewaschen und sogleich
wieder verfüttert. Die Tiere nehmen das nahrhafte Futter gern, und
der Landwirt nutzt so den Stickstoff der Jauche nicht bloß schneller,
sondern auch viel besser aus als bei ihrer Anwendung als Düngemittel.

Die Hefe hat auch noch in anderer Beziehung eine Zukunft. Man hat
nämlich (Prof. +Lintner+ in Charlottenburg) die Beobachtung gemacht,
daß es Hefearten gibt, welche +Fett+ erzeugen, obwohl sie auf ganz
billigem fettfreiem Nährboden wachsen, und man hat daran berechtigte
Hoffnungen geknüpft, auf diese Weise dereinst aus Kartoffelmehl Fett
darstellen zu können.




9. Brennstoffe.


Unsere wichtigsten Brennstoffe sind das +Holz+, die +Kohle+ und das
+Erdöl+. Solange diese Stoffe, namentlich die beiden erstgenannten,
unmittelbar und ausschließlich zum Brennen verwendet wurden, gab es
keine Chemie der Brennstoffe. Aber teils durch Zufall, teils gezwungen
durch die Not der besten Ausnutzung, hat man gelernt, diese Stoffe
vor dem Verbrennen gar vielseitig zu behandeln und eine Menge der
wichtigsten Nebenprodukte aus ihnen zu gewinnen, nämlich (um nur einige
zu nennen): +Leuchtgas+, +Benzol+, +Naphthalin+, +Teerfarbstoffe+,
+Ammoniak+, +Essigsäure+, +Blutlaugensalz+, +Benzin+, +Petroleum+,
+Vaseline+, +Paraffin+, +Schmieröle+, +Ceresin+ usw. So entstand eine
Chemie der Brennstoffe, deren Ergebnissen wir dieses Kapitel widmen
wollen.


1. Die Kohle.

Holz und Kohle verhalten sich zueinander wie Gegenwart und
Vergangenheit. Denn jedes Holz geht unter gewissen Umständen im Laufe
der Zeit in Kohle über. Das Wesentliche für diese Verwandlung ist, daß
das Holz +feucht+ erhalten und vor der Berührung mit der Luft geschützt
werden muß. Dann wird es schon nach einigen Jahrhunderten dunkelbraun,
nach Jahrtausenden schwarz, und noch später verliert es seine faserige
Beschaffenheit und geht in +Braunkohle+ über. Der Übergang dieser
Braunkohle in +Steinkohle+ scheint allerdings eine fast unermeßlich
lange Zeit beansprucht zu haben, die sich jedenfalls über viele
Jahrhunderttausende erstreckt.

Man kann also das Werden der Kohle in drei Stufen teilen: es beginnt
mit der +Vertorfung+ des Holzes, wodurch es zwar schwarz wird, aber
seine Struktur noch behält; darauf folgt die Bildung der +Braunkohle+
und dann die der +Steinkohle+. Der Vorgang der Vertorfung ist oft genug
in geschichtlicher Zeit erfolgt: in den großen Mooren Jütlands und
Schleswigs finden wir vertorfte Eichbaumstämme und Sumpfföhren neben
den Geweih- und Knochenresten der ausgestorbenen Riesenhirsche, Elche
und Rentiere; auch Reste von normannischen (Wikinger-) Schiffen aus
vertorftem Eichenholz haben sich gefunden. Aus dem Bett des Rheins
wurden die unteren, ganz schwarzbraun vertorften Teile der Eichenpfähle
gehoben, auf welche Cäsar vor fast 2000 Jahren seine Rheinbrücke hatte
bauen lassen.

Die Bildung der Braunkohle, welche die Holzstruktur verloren hat, geht
fast immer auf die +Tertiärzeit+ zurück, also auf jene Zeit vor etwa
200000–300000 Jahren mit italienischem Klima, in welcher wir die ersten
Menschenspuren bei uns nachweisen können, und in welcher die vielen
vulkanischen Basaltergüsse in der Eifel, im Vogelsgebirge, in der Rhön
und im böhmischen Mittelgebirge erfolgten und die Alpen entstanden sind.

Die Entstehung der Steinkohle aber reicht zurück bis in die ältesten
Zeiten organischen Lebens auf der Erde, als sich Böhmerwald,
Fichtelgebirge und Erzgebirge als höchste Gebirge Europas erhoben und
von Jura und Alpen noch keine Spuren vorhanden waren.

Welche chemischen Veränderungen mit dem Holz während dieser
Verwandlungen vor sich gegangen sind, das lehrt am besten ein Vergleich
der Analysen von Holz, Braunkohle und Steinkohle. Wir erinnern uns
dabei, daß der Hauptbestandteil des Holzes, der +Zellstoff+, aus
Kohlenstoff und Wasser im Verhältnis von 6 Atomen Kohlenstoff zu 5
Molekülen Wasser zusammengesetzt ist. Wir werden also beim Vergleich
unser Augenmerk hauptsächlich auf das Verhältnis dieser drei Elemente
Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zu richten haben.


Zusammensetzung:

  ---------------+---------+---------+--------+--------+---------+------
                 | Kohlen- | Wasser- | Sauer- | Stick- |Schwefel |Asche
                 |  stoff  |  stoff  | stoff  | stoff  |         |
  ---------------+---------+---------+--------+--------+---------+------
  Eichenholz     |  50,22  |    6,0  |  43,4  |   0,1  |   --    | 0,3
  ---------------+---------+---------+--------+--------+---------+------
  Braunkohle vom |  60,44  |    5,3  |  22,0  |  Spur  |  0,86   | 0,65
    Bauersberg   |         |         |        |        |         |
  ---------------+---------+---------+--------+--------+---------+------
  Steinkohle von |  83,63  |    5,2  |   9,1  |   0,6  |   --    | 1,53
    Duttweiler   |         |         |        |        |         |
  ---------------+---------+---------+--------+--------+---------+------
  Englischer     |  93,00  |    3,1  |   1,7  |   0,5  |   0,7   | 1,0
    Anthrazit    |         |         |        |        |         |
  ---------------+---------+---------+--------+--------+---------+------

Wir sehen, daß mit fortschreitender Verkohlung der Kohlenstoffgehalt
scheinbar zunimmt, weil der Gehalt an Wasserstoff und Sauerstoff
abnimmt. Daraus könnte man zunächst schließen, daß die natürliche
Verkohlung des Holzes bei der Braun- und Steinkohlenbildung der gleiche
Vorgang sei, wie die künstliche Verkohlung beim Erhitzen des Holzes,
z. B. die Meilerverkohlung. Aber dieser Schluß wäre ganz falsch.
Denn bei der künstlichen Verkohlung bleiben wirklich nur Kohle und
Aschenbestandteile zurück, aber in der natürlichen Steinkohle sind noch
eine Menge anderer Stoffe, die gerade beim Erhitzen erst verdampfen.
Diese Stoffe sind es, welche die Chemie der Steinkohle so interessant
machen.

Holz, Torf und Braunkohle haben die gemeinsame Eigenschaft, Kali- oder
Natronlauge in der Hitze braun zu färben. Die echten Steinkohlen tun
dies in der Regel nicht mehr, und man kann auf diese Weise im großen
und ganzen Steinkohlen und Braunkohlen gut unterscheiden; Farbe und
Aussehen sind nicht kennzeichnend, denn die Braunkohlen sind oft ganz
schwarz wie echte Steinkohle.

Erhitzt man Holz in einem Gefäße bis zum Glühen des Gefäßes, so
entweichen brenzliche Dämpfe, und es hinterbleibt lockere, poröse,
federleichte Holzkohle. Erhitzt man aber eine der natürlich
vorkommenden Kohlearten, so entweichen zwar ganz ähnliche Dämpfe,
aber es hinterbleibt eine viel dichtere, schwerere und härtere
Kohle, welche man bekanntlich +Koks+ nennt. Auch die Dämpfe
lassen in ihrer Beschaffenheit wichtige Unterschiede erkennen:
die Verflüchtigungsprodukte des Holzes sind +sauer+ und röten
angefeuchtetes Lakmuspapier deutlich; die der Steinkohle sind dagegen
infolge ihres Ammoniaküberschusses +alkalisch+ und bewirken, daß
gerötetes Lakmuspapier wieder blau wird. Kühlt man die brenzlichen
Dämpfe ab, so erhält man in beiden Fällen eine braunschwarze
Flüssigkeit, welche deutlich aus zwei übereinandergelagerten Schichten
besteht, die sich offenbar nicht miteinander mischen können, weil sie
sich zueinander verhalten wie Öl und Wasser. Die obere, leichtere
Schicht ist ganz schwarz und besteht aus dickem Teer; die untere,
mehr braun gefärbte Flüssigkeit, ist dagegen wässerig und läßt sich
mit Wasser in jedem Verhältnis mischen. Außer dem kohligen Rückstand
und diesen beiden Flüssigkeiten entsteht beim Erhitzen des Holzes
und der Kohlearten noch ein vierter, sehr wichtiger Stoff, nämlich
das +Leuchtgas+. Die Gewinnung und weitere Verarbeitung dieser
vier Produkte hat eine gewaltige und sehr interessante Industrie
hervorgerufen, mit der wir uns nun etwas näher beschäftigen wollen.

[Illustration: Abb. 23. Leuchtgasgewinnung im kleinen.]

Betrachten wir zunächst das +Leuchtgas+. Seine Gewinnung aus Steinkohle
wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts in England entdeckt. Unsere
Abbildung 23 zeigt, wie man sich das Gas selbst bereiten kann.
Man füllt eine kleine gläserne Retorte, am besten eine aus schwer
schmelzbarem, sog. böhmischem Glas, halb mit Steinkohlengrus und
erhitzt sie kräftig mit einer großen Spiritus- oder Gasflamme. An den
Retortenhals ist eine sogenannte „Vorlage“, ein Glasballon mit zwei
Halsöffnungen, mittels Korks luftdicht angeschlossen. In dieser Vorlage
sammelt sich der Teer und das Teerwasser, während das Gas durch ein
Glasröhrchen entweicht, das man in den zweiten Hals eingesetzt hat.

Die Zusammensetzung des Leuchtgases wechselt in sehr weiten Grenzen,
je nach der Kohlensorte, welche man zu seiner Darstellung verwendet.
Durchschnittlich besteht es +zur Hälfte+ aus +Wasserstoffgas+,
welches bekanntlich 14½mal leichter als Luft ist. Infolgedessen
ist auch das Leuchtgas ⅓ bis ½mal leichter als Luft. Die andere
Hälfte des Leuchtgases besteht zum größeren Teil aus „Methan“ oder
+Sumpfgas+, einer Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff, aus
welcher auch die Gasblasen bestehen, welche aus den schlammigen
Böden der Seen oft emporsteigen. Der Rest besteht vorwiegend aus dem
giftigen +Kohlenoxydgas+ sowie aus ein wenig Kohlensäuregas und aus
komplizierteren Verbindungen von Kohlenstoff mit Wasserstoff, wie
Äthylen, Azetylen usw. Das Kohlenoxydgas, dessen Menge im Leuchtgas
zwischen 6 und 12 % schwankt, ist sein gefährlichster und schädlichster
Bestandteil, denn er verursacht die zahllosen Leuchtgasvergiftungen,
welche in unseren Großstädten meistens von den Beteiligten absichtlich
herbeigeführt werden, und in ihrem Gefolge viele, zwar in der Regel
nicht beabsichtigte, aber darum nicht minder gefährliche Explosionen.
Es ist vielleicht sehr wenig schmerzhaft, aber gewiß nicht sehr
anständig, sich durch Öffnen der Gashähne mit Leuchtgas zu vergiften;
denn in vielen Fällen fordert diese Methode des Selbstmords noch
weitere Opfer an Menschenleben, wenn ahnungslose Hausgenossen das
betreffende Zimmer mit brennendem Licht betreten und dadurch eine
Explosion des gefährlichen Leuchtgas-Luft-Gemisches hervorrufen. Leider
hat man diesen üblen Bestandteil des Leuchtgases bis jetzt nicht in
befriedigender Weise beseitigen können.

Eine Leuchtgasanalyse zeigt folgende Prozentgehalte der genannten Gase:

  Wasserstoffgas          52,79 %
  Sumpfgas                34,43 %
  Kohlenoxydgas            7,19 %
  Äthylen, Azetylen usw.   4,01 %
  Kohlensäuregas           1,58 %
                         --------
                         100,00 %

[Illustration: Abb. 24. Schematische Darstellung der
Leuchtgas-Fabrikation. a = Ofen, b = Kühler, c = Gaswäscher, d =
Reiniger, f = Gasometer, g = Ableitung mit Brenner.]

Im rohen, ungereinigten Leuchtgas sind noch einige Stoffe enthalten,
welche seine Anwendung zum Brennen ganz unmöglich machen würden,
nämlich +Schwefelwasserstoff+ und +Zyan+. Denn diese Stoffe sind
nicht bloß sehr übelriechend und ungewöhnlich giftig, sondern das
Schwefelwasserstoffgas wird auch beim Verbrennen nicht angenehmer, weil
es sich in ein stechend riechendes, saures, die Metalle angreifendes
Gas (schweflige Säure) verwandelt, welches noch obendrein die Farben
der Kleider, Teppiche und Vorhänge ausbleicht. Deshalb muß das rohe
Gas vor der Verwendung zum Brennen gereinigt werden. Dies geschieht,
indem man das Rohgas über natürlichen Raseneisenstein leitet, der im
wesentlichen aus der +Eisenbase+ besteht. Dieser geht zum Teil (durch
die Einwirkung des Schwefelwasserstoffes) in +Schwefeleisen+, zum
Teil (durch die Einwirkung der Zyanverbindungen) in +Berlinerblau+
über. Wenn die Gasreinigungsmasse nach einiger Zeit unwirksam geworden
ist, so breitet man sie an der Luft aus und schaufelt sie öfters
um. Dadurch nimmt das Schwefeleisen, in welches sich die Hauptmenge
der Reinigungsmasse verwandelt hatte, Sauerstoff auf und geht in
schwefelsaures Eisen über, welches wieder von neuem als Reinigungsmasse
verwendbar ist. Dies nennt man die +Regenerierung+ (Wiederherstellung)
der Reinigungsmasse. Schließlich, wenn die Masse nach mehrfacher
Regenerierung ziemlich erschöpft ist, ist sie erst recht wertvoll
geworden durch ihren Gehalt an Berlinerblau, der nicht selten bis 10 %
der Masse beträgt. Dieser wertvolle, aber noch unreine Bestandteil
wird nun durch Kochen mit Kalkmilch usw. in +gelbes Blutlaugensalz+
(Ferrozyankalium) umgewandelt, woraus man wieder einerseits
(durch Vermischen mit Eisenchloridlösung) das reine Berlinerblau,
andrerseits (durch Schmelzen) das wichtige +Zyankalium+ gewinnt.
Zyankalium und Zyannatrium werden in ungeheuren Mengen als goldlösende
Auslaugungsmittel für goldführende Gesteine in Südafrika verbraucht,
ferner in der Herstellung galvanischer Metallüberzüge (Vernickeln,
Versilbern, Vergolden) zum Zusammensetzen der Bäder. So liefert in der
chemischen Technologie ein Gebiet Hilfsstoffe für ein anderes.

Auf diese Weise erhält man schließlich das technisch „reine“ Leuchtgas.
Es wird bekanntlich in großen, schmiedeeisernen Gasometern aufgefangen
und durch deren Gewicht in das Rohrleitungsnetz gepreßt. Dabei ergeben
sich aus dem Gesetz der Druckverteilung höchst eigentümliche Folgen.
Man sollte nämlich erwarten, daß die ungeheuer schwere Gasometerglocke,
deren Gewicht bei großstädtischen Anlagen in die Hunderttausende
von Zentnern geht, das Gas mit viel zu hohem Druck in die
Verbraucherleitungen preßte. Das gerade Gegenteil ist der Fall. Gerade
die größten Leitungsnetze haben den geringsten Gasdruck aufzuweisen.
Dies erklärt sich daraus, daß der Leitungsdruck und der Druck der
Gasometerglocke zueinander im Verhältnis der Flächen stehen, auf welche
sie wirken. Hat die Leitung einen Querschnitt von 1 Quadratzentimeter,
die Gasometerglocke aber eine Innenfläche von 1 Quadratmeter = 10000
Quadratzentimeter, so entströmt das Gas aus der Leitung mit einem
Druck, welcher den zehntausendsten Teil vom Gewicht der Gasometerglocke
beträgt. Nun haben aber die Gasometerglocken eine ganz andere
Innenfläche als 1 Quadratmeter, nämlich den tausendfachen Betrag oder
noch mehr. Infolgedessen müssen diese Glocken ein gewaltiges Gewicht
haben, um das Gas in die Verbraucherleitung mit einem solchen Druck
pressen zu können, wie er für Brennzwecke erforderlich ist (6–12 ~cm~
Wasserhöhe).

[Illustration: Abb. 25. Gasometer im Durchschnitt.]

[Illustration: Abb. 26. Eine Kerzenflamme.]

[Illustration: Abb. 27. Alter Schwalbenschwanzbrenner für Leuchtgas.]

Die Anwendung des Leuchtgases hat eine außerordentlich interessante
Geschichte. Zunächst brannte man es unmittelbar und offen als
Lichtquelle und trieb so eine ungeheure Verschwendung, denn die
Leuchtkraft einer einfachen Gasflamme ist recht gering, weil der
Hauptbestandteil des Leuchtgases, der Wasserstoff, fast nichtleuchtend
verbrennt. Denn das +Leuchten+ der Flamme kommt fast stets dadurch
zustande, daß darin irgendwelche feine Staubteilchen -- meistens
sind es Kohlenteilchen -- zur Glut erhitzt werden. Daher können nur
solche Gase mit helleuchtender Flamme verbrennen, welche sich in der
Hitze unter Rußbildung, also unter Abscheidung von Kohlenstäubchen,
zersetzen. Solche Gase sind die sogenannten Kohlenwasserstoffe,
also Verbindungen von Kohlenstoff und Wasserstoff. Sie zerfallen
in der Glühhitze ihrer eigenen Flamme in ihre beiden Elemente, von
welchen der Wasserstoff mit sehr heißer, aber nichtleuchtender Flamme
verbrennt, während die abgeschiedenen Rußteilchen zunächst durch das
Wasserstoffgas vor dem Verbrennen geschützt werden; dies hindert
aber nicht, daß sie durch die Hitze der Wasserstofflamme in hohe
Glut versetzt werden und dadurch diese Flamme leuchtend machen. Dann
aber kommen auch diese Teilchen am Rand der Flamme mit der Außenluft
in Berührung und verbrennen dadurch zu Kohlensäuregas, werden also
nichtleuchtend. Diese Vorgänge kann man in jeder leuchtenden Flamme,
z. B. in der Kerzenflamme (Abb. 26) und der Leuchtgasflamme alten
Stils (Abb. 27) gut erkennen. Man sieht zunächst dem Docht bzw. der
Gasausströmungsöffnung einen nichtleuchtenden Kern unverbrannten
„+kalten+“ (d. h. noch nicht glühenden) Gases. Dieser Kern ist umgeben
von der leuchtenden Zone der abgeschiedenen, glühenden Kohleteilchen,
und diese wieder ist von einer nichtleuchtenden, sehr heißen Zone
der verbrennenden Rußteilchen umgeben. Es ist demnach klar, daß die
Leuchtkraft einer Flamme davon abhängt, wieviel Kohlenstoffteilchen
in ihr abgeschieden und zum Glühen gebracht werden. Diese Frage ist
aber innig verknüpft mit dem Gehalt des Gases an „schweren“, d. i.
kohlenstoffreichen Kohlenwasserstoffverbindungen. Sobald man sich
darüber im klaren war, nämlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts,
begann man die Leuchtkraft des Gases planmäßig zu erhöhen, indem
man ihm „schwere“ Kohlenwasserstoffe beimengte. Solche sind z. B.
das Azetylengas und der Benzoldampf. Diesen Vorgang nannte man das
+Karburieren+ des Leuchtgases (~carbo~ = die Kohle). Die Abbildungen
28 und 29 zeigen, wie man Wasserstoff darstellen und durch Überleiten
über benzolgetränkte Watte karburieren kann. -- Als nun seit dem
letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die elektrische Bogenlampe und
die Kohlenfadenglühlampe dem Gaslicht energische Konkurrenz machten,
bekamen es die Gastechniker mit der Angst zu tun und erfanden in der
Not die +Regenerativlampen+. Bei diesen wird die Leuchtkraft dadurch
erheblich gesteigert, daß sowohl das Gas als die Verbrennungsluft
vor ihrem Zusammentreffen durch die eigene Flammenhitze kräftig
vorgewärmt werden. Aber gegenüber der bequemen, billigen und die
Luft nicht verderbenden Glühlampe konnten auch die Siemensschen
Regenerativbrenner nicht standhalten, und es schien fast, als ob der
Gasbeleuchtung das Todesurteil gesprochen wäre. Der Gasverbrauch ging
in allen Städten gewaltig zurück. Da machte ein genialer Chemiker, Auer
von Welsbach in Wien, gerade rechtzeitig eine gewaltige Erfindung:
das Gasglühlicht. Er holte sozusagen aus den leuchtenden Flammen das
leuchtende Prinzip heraus, das glühende Kohlenstoffteilchen, fand es
für seinen Zweck (Wärme in Licht umzuwandeln) ganz unzulänglich und
ersetzte es daher durch eine viel wirksamere Substanz in einer viel
wirksameren Anordnung: durch die seltenen Erdmetalloxyde in der Form
des Glühstrumpfes. Seitdem, besonders auch seit der Erfindung des
Hängeglühlichts, ist die Gasbeleuchtung unbestritten die billigste
Beleuchtungsart der Gegenwart, mit welcher das elektrische Licht trotz
Metallfadenlampen, trotz Halbwattlampen und Intensivflammenbogenlampen
nicht mehr voll konkurrieren kann. Dies ergibt sich aus der
folgenden Tabelle, welche wir dem Werkchen von H. +Lux+ „Das moderne
Beleuchtungswesen“ (Leipzig 1914) entnehmen:

[Illustration: Abb. 28. Aus Zinkblechschnitzeln und verdünnter
Salzsäure entwickelt sich Wasserstoff, der mit nichtleuchtender Flamme
brennt.]

[Illustration: Abb. 29. Das Wasserstoffgas wird mit Benzol karburiert
und leuchtet nun sehr hell beim Brennen.]


Kosten einer Zimmerbeleuchtung von 200-Kerzenstärken-Helligkeit.

  ---------------------+----------------+----------------
                       |    Zahl der    | Betriebskosten
       Lampenart       | erforderlichen |       für
                       |     Lampen     |   10 Stunden
  ---------------------+----------------+----------------
  Petroleum            |       10       |     1,75 M.
  Spiritusglühlicht    |        6       |     3,00 „
  Gasglühlicht:        |                |
    1. stehend         |        3       |     0,53 „
    2. hängend         |        3       |     0,46 „
  Kohlenfadenglühlampe |       10       |     3,20 „
  Osramlampe           |        5       |     1,17 „

[Illustration: Abb. 30. Normaler Auerbrenner (nach Lux).]

Dieser Sieg des Gases auf dem Gebiet des Beleuchtungswesens wurde noch
verstärkt durch seine Verwendbarkeit für Kochzwecke. Fällt es doch in
der Großstadt heutzutage keiner Frau mehr ein, Feuer auf dem Herd zu
machen! Denn überall hat sich der außerordentlich bequeme, reinliche
und billige +Gasherd+ eingebürgert. --

[Illustration: Abb. 31. Prinzip des Gasherds]

Bei der Herstellung des Gases entstehen auch +flüssige+ Nebenprodukte,
nämlich +Teer+ und +Gaswasser+ und +Koks+. Über die Mengenverhältnisse
gibt folgende Tabelle Aufschluß:

100 ~kg~ englische (Derbyshire-Silkstone-)Kohle liefern nach +Fischer+
(Chem. Technologie, Leipzig 1900) bei 800 ° Destillationstemperatur:

  Koks        65     kg
  Teer         7⅓    „
  Gaswasser   10     „
  Leuchtgas   21    cbm

Das wichtigste dieser Nebenprodukte ist der +Teer+, von dem auf diese
Weise in Europa jährlich etwa 40 Millionen Zentner gewonnen werden
(davon in Deutschland 10, in England 20 Millionen). Er bildet eine
tiefschwarze, glänzende Flüssigkeit von einer etwas dickflüssigen
Beschaffenheit, der man wirklich nicht ansieht, welche ungeheuren
Werte in ihr enthalten und aus ihr gewonnen werden. Um nur einige
seiner wichtigsten Bestandteile anzuführen, seien genannt: +Benzol+,
+Toluol+, +Naphthalin+, +Karbolsäure+ (Phenol), +Anthrazen+, +Kreosole+
(Karbolineum), +Pyridin+; aber was bedeuten diese fremdklingenden
Namen dem, der nicht Chemiker ist! Aber auch er wird aufhorchen, wenn
ich ihm erzähle, daß fast alle die prachtvollen Farbstoffe, womit
unsere Kleider und Stoffe und Papiere gefärbt sind, aus dem Teer
gewonnen werden. Aber auch +Schwerbenzin+, +Pech+, +Asphalt+ und
+schwarzer Eisenlack+ werden aus Bestandteilen des Teers gewonnen. Die
Scheidekunst, mittels deren der Teer in seine wichtigsten Bestandteile
zerlegt wird, ist im Grund ein sehr einfaches Verfahren, das uns
schon aus der Spiritusindustrie bekannt ist: die +Destillation+. Der
Teer wird in riesigen eisernen Kesseln zum Kochen erhitzt, die Dämpfe
werden in gekühlten Rohrschlangen verdichtet. So erhält man (nach
+Lunge+) hauptsächlich drei Destillate: den „+Vorlauf+“ (das, was
aus der Kühlschlange zuerst abläuft, also am leichtesten verdampfbar
ist), dann das „+Leichtöl+“, und schließlich das „+Schweröl+“. Was im
Teerkessel zurückbleibt, ist +Pech+ und wird zu Asphalt und Eisenlack
verarbeitet. Aus dem Vorlauf und Leichtöl gewinnt man durch wiederholte
Destillation die Flüssigkeiten +Benzol+ und +Toluol+, woraus viele der
obengenannten Teerfarbstoffe hergestellt werden. Das Schweröl enthält
dagegen mehr +Naphthalin+ und +Kreosole+. Diese vier Stoffe sind die
Muttersubstanzen nicht bloß für die Farbstoffindustrie, sondern auch
für die Gewinnung zahlloser Arzneimittel, mit welchen Deutschland die
ganze Welt versorgt hat. Außer den bekannten Desinfektionsmitteln
+Karbolsäure+, +Lysol+ und +Salizylsäure+ seien hier nur noch die
technisch wichtigen Teerabkömmlinge +Kumaronharz+ und +Solventnaphtha+
erwähnt. Das Kumaronharz, ein Bestandteil des Teerpechs, ist zwar kein
echtes Harz, hat aber so harzartige Eigenschaften, daß es jetzt während
des Weltkrieges die in Deutschland knapp gewordenen Harzvorräte für die
+Seifensiederei+ und +Papierleimung+ strecken hilft. Das Solventnaphtha
ist eine benzolartige Flüssigkeit von bedeutender Lösungsfähigkeit für
Harze, Fette und andere Stoffe (~solvere~ = auflösen).

Nicht so reich an verschiedenen Stoffen, wie der Teer, aber
dennoch sehr wichtig und wertvoll ist das +Gaswasser+ der
Steinkohlengasdestillation. Denn dieses Gaswasser enthält und liefert
fast alles +Ammoniak+, welches für die Industrie und Landwirtschaft von
größter Wichtigkeit ist. Man destilliert zu diesem Zweck das Gaswasser
mit Kalkbrei und erhält so das Ammoniak als Gas von dem bekannten
stechend scharfen Geruch, wie er in Pferde- und Kuhställen herrscht,
in welchen sich Ammoniak durch Zersetzung des Harns bildet. Das
Ammoniakgas wird entweder durch Druck zu einer Flüssigkeit verdichtet
oder in Wasser, welches es sehr begierig aufnimmt, gelöst. Es wird zur
Herstellung zahlloser chemischer Präparate und wichtiger Sprengstoffe
(Roburit usw.) benutzt. In der Landwirtschaft bildet das schwefelsaure
Ammoniak eines der wirkungsvollsten Kunstdüngemittel, dessen Bedeutung
von Jahr zu Jahr wächst. --

Alle bisher genannten Nebenprodukte der Leuchtgasgewinnung bezogen
sich auf beste +Steinkohle+ als Ausgangsstoff. Wendet man aber an
ihrer Statt +Braunkohle+, Torf oder Holz an, so erhält man wohl
ebenfalls die Nebenprodukte Teer und Gaswasser, aber doch von
wesentlich anderer Zusammensetzung. Namentlich in Sachsen wird eine
besondere Braunkohle, die sogenannte Schwelkohle, auf Teer und Koks
verarbeitet („geschwelt“). Das entwickelte Gas dient teils zum Heizen
der Schwelretorten, teils zum Betrieb großer Gaskraftmaschinen. Das
Gaswasser ist in der Regel wertlos. Aber um so wertvoller ist der
geschwelte Teer, denn er ist die Muttersubstanz des +Paraffins+ und
wertvoller „Mineral“öle, die als +Schmieröle+ für Maschinen, zum Teil
auch als +Leuchtöle+ für Lampen („Solaröl“) und als +Benzin+ Verwendung
finden. Man gewinnt sie aus dem Schwelteer durch Destillation unter
vermindertem Luftdruck und durch Reinigen mittels konzentrierter
Schwefelsäure. Diese zerstört nämlich alle Unreinigkeiten und
verwandelt sie durch Wasserentziehung in Kohle, während sie das
Paraffin, Schmieröl, Petroleum und Benzin ganz unverändert läßt.
Nebenbei gesagt, kommt von diesem Verhalten der Name Paraffin:
„~parum affinis~“ heißt im Lateinischen soviel wie „wenig geneigt
zu (chemischen) Verbindungen“. Aus dem Paraffin werden dann die
bekannten durchscheinenden Kerzen gegossen. Wer sieht ihnen an, daß
sie einst einen Bestandteil der ordinären Braunkohle bildeten? -- Die
Öle, Solaröl und Benzin, sind etwas anders zusammengesetzt als die
eigentlichen Petroleum- und Benzinarten, welche aus dem Rohpetroleum
gewonnen werden; wegen ihrer Neigung zur Rußbildung eignen sie sich
nicht so gut wie diese zum Brennen, wohl aber zu chemischen Zwecken als
Auflösungsmittel für Harze und Fette.

Was bei der Schwelerei der Braunkohle in den Retorten zurückbleibt,
wird mit Wasser abgelöscht und bildet nun eine eigentümliche Art von
Koks, den sogenannten „+Grudekoks+“. Er ist zwar im Vergleich mit
Steinkohlenkoks minderwertig, hat aber doch gegenüber der Braunkohle
alle Vorteile des Koks, von welchen wir bald noch sprechen werden.

[Illustration: Abb. 32. Kohlenmeiler.]

Wieder anders und eigenartig verläuft die Schwelerei, die trockene
Destillation, beim +Holz+. Sie wird hauptsächlich des Rückstandes, der
wertvollen +Holzkohle+ wegen, vorgenommen, und jahrhundertelang hat
man den Prozeß in der +Meiler+verkohlung so roh betrieben, daß die
flüssigen und gasförmigen Nebenprodukte überhaupt nicht aufgefangen
wurden, sondern in die Luft verdampften. Mit dem Teer, der in der
Braunkohlendestillation so wertvoll ist, weiß man in der Holzschwelerei
auch heute noch nicht viel anzufangen; man verbrennt ihn, um ihn los
zu werden. Anders ist es aber mit dem +Gaswasser+. Es ist eine der
wichtigsten Quellen für die +Essig+gewinnung, denn es enthält, neben
1 % Methylalkohol („Holzgeist“), etwa 10 % Essigsäure. Der Speiseessig
besteht aus einer dreiprozentigen Lösung der Essigsäure. Man darf aber
nun beileibe nicht glauben, daß man das Gaswasser der Holzschwelerei
nur dreifach zu verdünnen brauchte, um es als Essig dem Salat zusetzen
zu können. Das gäbe einen üblen Salat, denn dieses Gaswasser ist durch
dunkelbraune, abscheulich stinkende Holzteerbestandteile verunreinigt
und mit einem Geruch behaftet, den man so leicht nicht wieder vergessen
wird, wenn man einmal nähere Bekanntschaft mit ihm gemacht hat. Aber
der Chemiker weiß sich zu helfen. Umdestillieren würde nichts nützen,
denn da würden neben Essigsäure und Wasser auch diese stinkenden
Stoffe mit überdestillieren. Also muß man versuchen, sie auf eine
andere Weise zu trennen. Man setzt Kalkbrei (die billigste Base)
hinzu und verwandelt dadurch die Essigsäure in ihr festes Kalksalz,
welches mäßiges Erhitzen verträgt und in ziemlich reinem Zustand
zurückbleibt, wenn man die anderen Bestandteile abdestilliert. Diese
Salzform der Essigsäure bietet auch den Vorteil, daß man sie durch
Umkristallisieren (vgl. das 6. Kapitel!) reinigen kann. Um daraus
wieder Essigsäure, und zwar in ganz reiner Beschaffenheit, zu erhalten,
braucht man den essigsauren Kalk nur mit verdünnter Schwefelsäure zu
destillieren. Die „Essigessenz“ des Handels wird häufig so dargestellt,
ist also ein Produkt der Holzschwelerei. Ihr fehlen natürlich die
aromatischen Stoffe, welche der „natürliche“ Essig enthält, den man
durch saure Gärung alkoholischer Flüssigkeiten gewinnt. Solcher Essig
ist aber teurer, und zwar nicht bloß wegen der teureren Ausgangsstoffe,
sondern auch deshalb, weil Gärungsessig in der Regel nicht mehr als
4–5 % Essigsäure enthält (ein höherer Gehalt wirkt lähmend auf den
Erreger der Essiggärung). Wenn man also im Handel Essigessenz mit 30 %
Essigsäure gekauft hat, so kann man sicher sein, daß sie aus Holz
gemacht ist.

                 *       *       *       *       *

Wir müssen nun unsere Aufmerksamkeit auch den Rückständen der
Leuchtgasgewinnung schenken, dem +Koks+. Koks und Steinkohle zeigen
gegeneinander sehr wichtige Unterschiede. Beide sind ungemein wichtige
Brennstoffe, beide in ihrer Art unersetzlich, von beiden kann keiner
den anderen vertreten. +Die Steinkohle brennt mit Flamme, der Koks
glüht nur.+ Aus diesem Grunde kann der Koks seine wirksamste Hitze nur
unmittelbar da entwickeln, wo er liegt. Die Flammen der brennenden
Steinkohle dagegen tragen ihre Hitze so weit, als sie reichen. Sie
umspülen die Bratröhre und das Wasserschiff des Herdes, und sie tragen
ihre Wärme auch zu denjenigen Kochstellen der Herdplatte, welche vom
Rost weit entfernt sind. Ganz unentbehrlich sind die Steinkohlen
wegen ihrer Flammenbildung für die großen Muffel- und Tiegelöfen der
keramischen und der chemischen Industrie; denn diese Öfen heizen
sehr große Räume mit Feuerungen, welche verhältnismäßig sehr klein
sind. Dies ist also ein großer Vorteil der Steinkohlen vor dem Koks.
Aber diesem Vorteil stehen bedeutende Nachteile gegenüber: Die
Steinkohle +erweicht+ in der Wärme teigartig und bildet infolgedessen
auf dem Rost dicke und große Klumpen. Diese breiigen Klumpen können
natürlich nur an ihrer Außenseite brennen, weil das Innere für die
Verbrennungsluft unzugänglich ist. Deshalb ist das Schüren großer
Feuerungen mit Steinkohle nicht so ganz einfach und erfordert Übung
und Sachkenntnis vom Heizer. Im Gegensatz zum Koks erzeugt die
Steinkohle da, wo sie brennt, also auf dem Rost, zunächst am wenigsten
Hitze, weil die verdampfenden Teerbestandteile einen großen Teil der
Wärme zur Vergasung beanspruchen. Erst wenn die Kohle ihre flüchtigen
Bestandteile verloren hat und ganz verkokt ist, gibt sie auch auf dem
Rost eine große Hitze.

[Illustration: Abb. 33. Durchschnitt durch einen Koksvergaser.]

Die Steinkohle neigt dazu, in der Hitze zu zerspringen; sie zerfällt
in Blätter und Staub, welche der Verbrennungsluft den Durchgang
erschweren und welche das Erweichen und Zusammenbacken zu großen
Kuchen begünstigen. Man erzielt daher mit groben und staubfreien
Steinkohlenbrocken viel bessere Ergebnisse als mit kleinstückiger
Ware; Staub und Grus von Steinkohle ist überhaupt wertlos, weil er
in der Hitze sofort zu unverbrennlichen Kuchen zusammenbackt. Aber
auch grobe Stücke können nur auf flachen Herden mit weit getrennten
Roststäben verbrannt werden, nicht aber in Füllöfen. Beschickt man
einen Füllofen mit Steinkohle, so geht das Feuer nach einiger Zeit ganz
aus, weil sich der enge Schacht des Füllofens durch einen teerigen
Kuchen verstopft, der keine Verbrennungsluft hindurchläßt. Für solche
Ofenarten ist das beste Brennmaterial +Koks+. Infolge seiner lockeren
Beschaffenheit, und weil er alle teerigen Bestandteile bereits verloren
hat, gestattet er der Luft ungehinderten Durchgang und brennt daher
am besten in dicker, hoher Aufschüttung, wie z. B. in den bekannten
Füllöfen für Zimmerheizung. Auf flachen Herden Koks zu schüren, ist
nicht ratsam, weil dieses Brennmaterial bei guten Zugverhältnissen
unmittelbar auf dem Rost eine so gewaltige Hitze liefert, daß der
Schlackenrückstand mit den Roststäben verschmilzt. Der Rost wird
dadurch sehr schnell unbrauchbar. Aus diesem Grund ist es unmöglich,
große technische Ofenanlagen, welche für Steinkohlen eingerichtet
sind, mit Koks zu heizen. Nun sprechen aber viele Umstände dagegen,
die Steinkohle als solche zum Heizen zu verwenden. Denn wir haben oben
gesehen, welch ungeheure Mengen wertvoller Stoffe da mitverbrannt
werden, die wir als Farben, Arzneimittel und Rohstoffe der chemischen
Industrie wirklich nützlicher anwenden können. Dazu kommt der Umstand,
daß wir mit unseren Kohlen keine Verschwendung treiben dürfen, weil die
Kohlenlager der Erde recht deutlich ihrer Erschöpfung entgegengehen.
Denn selbst wenn unsere Industrie nicht von Jahr zu Jahr mehr Kohlen
verbrauchte, so würden doch die deutschen Kohlen in 700–800 Jahren
(die sächsischen schon in 100), die englischen in 600–700 Jahren
zu Ende gehen. Also handelt es sich für uns darum, die vorhandenen
Kohlenmengen so wirtschaftlich als möglich auszunützen. Dies geschieht
erfahrungsgemäß am besten dadurch, daß man sie in Gas, Teer und Koks
zerlegt und auch den Koks zum Teil wieder in Gasform umwandelt. Denn
Gas ist und bleibt der idealste aller Brennstoffe, weil er rauch-, ruß-
und aschenfrei verbrannt werden kann. Die Zerlegung der Kohle in Gas,
Teerprodukte und Koks ist also schon eine Art Veredlungsprozeß, der
durch die Vergasung des Koks vollends beendet wird. Diese Vergasung
des Koks erfolgt in den sogenannten +Generatoren+ dadurch, daß man
einen Turm voll Koks am unteren Ende entzündet und nun von unten nach
oben Luft durchbläst, während gleichzeitig von oben Wasser auf den
Koks tropft. Am oberen Ende entweicht dann aus dem Turm ein Strom
brennbaren Gases. Dieses Gas, Generatorgas genannt, besteht allerdings
zum Teil aus dem unverbrennlichen und daher wertlosen Stickstoff der
eingeblasenen Luft; außerdem enthält es aber die brennbaren Gase
+Wasserstoff+ und +Kohlenoxyd+. Die chemischen Vorgänge, welche dabei
stattfinden, sind folgende: Zunächst bildet sich über dem Rost (Abb.
33), da, wo die Gebläseluft auf den glühenden Koks einwirkt, das
wertlose Kohlensäuregas als Verbrennungsprodukt der Kohle. Dieses
Kohlensäuregas besteht aus einer Verbindung von einem Atom Kohlenstoff
mit zwei Atomen Sauerstoff. Sobald aber etwa die untere Hälfte des
Generatorinhalts in Glut geraten ist, muß das gebildete Kohlensäuregas
über glühenden Koks streichen. Dabei nimmt es noch ein Atom Kohlenstoff
auf und verwandelt sich in brennbares Kohlenoxydgas. In der untersten
Zone, dicht über dem Rost, wo helle Weißglut herrscht, findet außer der
Bildung des Kohlensäuregases noch ein zweiter Vorgang statt, nämlich
die Zerlegung des von oben zugeführten Wassers durch die glühende Kohle
in Wasserstoffgas und Kohlenoxyd. Denn der Sauerstoff des Wassers
verbindet sich mit der glühenden Kohle zu Kohlenoxyd. Die Zerlegung des
Wassers ist ein +endothermischer+ Vorgang, also ein Prozeß, bei welchem
Wärme verbraucht wird. Bläst man z. B. Wasserdampf über glühenden Koks,
so verschwindet die Glut sehr schnell, und die Kohlen werden schwarz.
Das dabei entstehende Gasgemisch von Wasserstoff und Kohlenoxyd wäre
von höchstem Brennwert, weil es gar keine unverbrennlichen Bestandteile
(Luftstickstoff) enthält; aber da sich bei seiner Bildung die Glut
schnell abkühlt, kann man dieses reine „Wassergas“ technisch leider
nur portionenweise und in geringen Mengen gewinnen. Dann muß man den
Wasserdampfstrom abstellen und Luft einblasen, um die erkaltenden
Kohlen wieder in Weißglut zu bringen, bevor man von neuem Wasserdampf
darauf wirken läßt. Bei unserem oben beschriebenen Generator für
„Mischgas“ ist dies aber nicht notwendig, weil die weißglühenden Kohlen
nicht mit Wasser allein, sondern zugleich mit Luft in Berührung kommen.
Da muß nur die Wasserzuführung so geregelt und eingestellt werden, daß
durch die Zerlegung des Wassers nicht ganz so viel Wärme verbraucht
wird, als durch die Einwirkung der Luft auf den Koks gebildet wird.

So erhält man aus einem Kilogramm gewöhnlichem Koks 1,13 Kubikmeter
Wassergas und 3,13 Kubikmeter Generatorgas, welche zusammen (als
Mischgas) 84 % der Verbrennungswärme des Koks in sich tragen. 16 %
der Heizkraft des Koks gehen also bei seiner Vergasung verloren.
Dieser Verlust ist aber praktisch deshalb bedeutungslos, weil beim
direkten Verfeuern von Koks in den Öfen meistens viel mehr als 16 %
von seinem Brennwert verloren gehen, während Gasfeuerungen mit
außerordentlicher Sparsamkeit und fast ohne alle Verluste arbeiten.
Rechnet man dazu noch die anderen, wiederholt genannten Vorteile
der Gasfeuerungen, so versteht man leicht die immer ausgebreitetere
Verwendung von Vergasungsapparaten in der Technik. Auch muß man
bedenken, daß 1 Kilogramm guter Kohle gegen 0,3 Kubikmeter Leuchtgas
liefert und sich durch den Wert dieses Gases und der Teerprodukte
allein schon besser bezahlt macht, als wenn man es direkt verfeuert.
Die Verkokung der Kohle und die Vergasung des Koks bilden also zusammen
einen Veredelungsprozeß, der für unsere Zukunft von der größten
Bedeutung sein wird. Hat man doch schon allen Ernstes daran gedacht,
die Kohlen in Zukunft gleich an den Gruben so zu vergasen und, statt
die Kohlen auf Eisenbahnzügen durch das Land zu schicken, gewaltige
Gasleitungen für Kraft- und Leuchtgas zu erbauen und die Städte von
den Kohlengruben aus mit Gas zu versorgen. Denn die Transportkosten
verteuern die Kohlen durchschnittlich so, daß sie im Lande mehr als
doppelt so viel kosten als an der Förderstelle. Deutschland verbraucht
+täglich+ für etwa 2¼ Millionen Mark Kohlen, welche an den Gruben,
unmittelbar nach ihrer Förderung, erst etwa 1 Million Mark kosten. Aber
zurzeit wogt noch ein unentschiedener Streit zwischen den Fachleuten,
ob derartige riesengroße Vergasungsanlagen nebst den dazu gehörigen
Leitungen nicht durch ihre Amortisation die Kosten des Gases um soviel
verteuern, daß der Unternehmer gegenüber der direkten Verfeuerung
keinen wesentlichen Gewinn hätte. Aber selbst in diesem Falle würde die
Zentralisation der Vergasung doch den Vorteil bieten, daß mit unseren
Kohlenvorräten sparsamer umgegangen würde. Denn gegenwärtig gehen noch
unverantwortlich große Brennstoffmengen als Rauch und Ruß in die Luft.

Die gasförmige Gestalt eines Brennstoffes hat noch einen anderen
Vorzug: man kann damit Explosionsmotoren treiben. Wir haben schon
früher auf die Bedeutung der +Hochofengichtgase+ hingewiesen, welche so
lange unbenutzt in die Luft entwichen sind und jetzt zum Betrieb von
Riesengasmotoren dienen. Die Erfindung dieser Motoren für Gasmischungen
von sehr geringem Brennwert gründet sich auf den Gedanken, daß sich der
Brennwert solcher Mischungen unter Druck, also in verdichtetem Zustand,
erhöht. Man kann z. B. zeigen, daß eine sehr luftreiche Mischung von
Leuchtgas und Luft, welche im gewöhnlichen (nicht zusammengepreßten)
Zustande nicht mehr explosiv ist, beim Zusammenpressen auf ⅓ oder
¼ ihres Raumes die Fähigkeit erlangt, beim Anzünden heftig zu
explodieren. Die weitere Entwicklung dieser Riesengasmotoren wird
vielleicht auf die Lösung eines anderen Problems Einfluß gewinnen,
welche zur Streckung unserer Kohlenvorräte beitragen könnte: die
Ausnützung des +Torfs+ unserer Moore.


2. Das Erdöl.

Im Mittelalter wurden als Brennstoffe allein Holz und Holzkohlen
benutzt; um die Mitte des 18. Jahrhunderts fing man an, die Steinkohlen
zu benutzen; aber erst tief im 19. Jahrhundert wurde man auf das Erdöl
aufmerksam. Noch 1843 kostete in +Pittsburg+ der Liter Erdöl 1 Mark,
und erst in den Jahren 1859–61 wurden dort so viele Ölbrunnen erbohrt,
daß die Produktion in Pennsylvanien allein auf 2 Millionen Fässer
anschwoll, so daß das Faß zu 160 Liter Inhalt an Ort und Stelle nur
noch 10 Cents kostete! Freilich hatte man schon vorher, um 1850 herum,
in Deutschland und Österreich viel Lampenöl durch Braunkohlen- und
Teerschwelerei gewonnen und hatte bereits geeignete Lampen erfunden, um
diese Öle darin zu brennen: es waren die Schnittbrennerlampen, die man
noch heute in ländlichen Haushaltungen antrifft, die Vorläufer unserer
modernen (und doch schon wieder unmodernen) Petroleumlampen. Jetzt
beträgt die gesamte Erdölgewinnung in den Vereinigten Staaten etwa 170
Millionen Zentner, im Kaukasus 140 Millionen, in Galizien 4 Millionen,
in Rumänien 2 Millionen Zentner jährlich.

[Illustration: Abb. 34. Alte Schnittbrennerlampe im Durchschnitt.]

Die Erdölquellen haben die Eigentümlichkeit, nach einiger Zeit (z. B.
3 Jahren) zu versiegen. Jedoch haben einige von ihnen trotzdem einen
ungeheuren Ertrag gegeben. So lieferte die Mammutquelle von Baku
anfangs pro Stunde nicht weniger als 100000 Zentner Röhöl, welches in
einem über 60 Meter hohen Strahl aus dem Bohrloch sprang.

Die Frage, wie so ungeheure Mengen Erdöl entstanden sein können, wird
verschieden beantwortet. Die größte Wahrscheinlichkeit hat die Theorie
von +Müller+ und +Engler+, welche im Rohpetroleum das umgewandelte
+Fett+ von Fischen, Schnecken und Muscheln erblickt. Denn nicht bloß
ist es Engler gelungen, durch Erhitzen von Fischtran unter hohem Druck
Rohpetroleum künstlich darzustellen, sondern es wurde auch beobachtet,
daß die Petroleumquellen stets versteinerte Reste von solchen
Meerestieren und salzhaltiges Wasser auswerfen.

Das rohe Erdöl bildet eine dunkelbraune oder schwarze, etwas dickliche
Flüssigkeit, für die man lange Zeit keine andere Verwendung hatte,
als daß man damit durch Einreiben des Haarbodens die Läuse vertrieb.
Als Lampenöl war es nicht bloß durch seine schmierige Beschaffenheit,
sondern auch wegen seiner Feuergefährlichkeit unbrauchbar; Rohöl brennt
in den Lampen flackernd und rußend, verschlackt den Docht sehr schnell
und gibt zu häufigen und sehr gefährlichen Explosionen Anlaß. Ein
schlechteres Füllungsmittel für Petroleumlampen könnte kaum künstlich
zusammengestellt werden. Trotzdem ist gerade dieses rohe Erdöl seit
einiger Zeit einer der allerwichtigsten Brennstoffe geworden: man
betreibt damit die riesigen Explosionsmotoren der Kriegsschiffe. Das Öl
wird in Gestalt eines feinen Nebels, mit Luft vermischt, im Zylinder
zur Explosion gebracht, wodurch der Kolben herausgetrieben und das
Schwungrad in Umdrehung versetzt wird. Allein, diese Anwendung des
Rohöls ist doch eine rechte Vergeudung, vergleichbar dem Verheizen
der Steinkohle. Denn wie aus dieser, so lassen sich auch aus dem
Rohöl durch Destillation eine Menge der wichtigsten Stoffe gewinnen:
+Petroleumäther+, +Gasolin+, +Benzin+, +Lampenpetroleum+, +Ligroin+,
+Schmieröl+, +Vaseline+, +Paraffin+. Alle diese Stoffe bestehen nur
aus Kohlenstoff und Wasserstoff, unterscheiden sich aber durch ihre
Siedepunkte in der Weise, daß Petroleumäther am leichtesten siedet
(zwischen 40 ° und 70 °), und daß der Siedepunkt in der angegebenen
Reihenfolge immer höher steigt. Schon vom Lampenpetroleum ab muß die
Destillation unter vermindertem Druck, also unter der Luftpumpe,
vorgenommen werden, weil bei gewöhnlichem Druck Zersetzung eintritt.
Wenn man Lampenpetroleum in einer gewöhnlichen Retorte mit Vorlage
destillieren würde, wie wir es früher mit der Salpetersäure machten
(Abb. 10), so würden wir aus einem Liter Lampenpetroleum vielleicht
¾ Liter Destillat erhalten; der Rest würde sich zu einem Gemisch
brennbarer Gase zersetzen. Pumpt man aber während der Destillation
die Luft aus der Retorte und Vorlage, so wird die Ausbeute bedeutend
größer. In noch höherem Grade gilt dies für die Destillation der feinen
Maschinenöle, welche daher seit einiger Zeit unter der amerikanischen
Bezeichnung „~Vacuum-Oil~“ in den Handel kommen.

Die Reinigung oder „Raffinierung“ des Rohpetroleums geschieht jedoch
nicht bloß durch Destillation, sondern außerdem noch durch eine
chemische Behandlung mit konzentrierter Schwefelsäure, mit Wasser,
Soda und Natronlauge. Schüttelt man nämlich Rohöl andauernd mit
konzentrierter, noch besser mit rauchender Schwefelsäure, so wird es
allmählich wasserhell, während sich die Säure schwarz färbt. Dabei
werden alle braunen Farbstoffe des Rohöls durch die Säure in harzige
Massen verwandelt, welche dann ausgewaschen werden. Man macht diese
Reinigung jedoch erst mit den Destillaten, um nicht zuviel Säure zu
verbrauchen. Schließlich entfernt man den Säureüberschuß aus dem Öl
durch Schütteln mit Natronlauge und diese durch Nachbehandlung mit
Wasser. Immerhin können von dieser Reinigung Spuren der Säure im
Petroleum und sogar im Maschinenöl verbleiben und bewirken, daß die
damit geölten Maschinenteile später rosten. Mit +Petroleum+ geputztes
Eisen rostet aus diesem Grund ganz bestimmt nach kurzer Zeit. Man muß
daher das Petroleum von blanken Eisenteilen stets wieder durch Benzin
abwaschen, bevor man als endgültigen Rostschutz feines, säurefreies
Vakuumöl anwendet.

Im allgemeinen kann man rechnen, daß man aus dem Rohöl etwa 5–7 %
Gasolin und Benzin und etwa 40 % Lampenpetroleum gewinnt. Der Rest
besteht aus den schweren, paraffinhaltigen Schmierölen und aus Asphalt.

Das +Benzin+ benützt man bekanntlich als Betriebsstoff für Automobile,
in zweiter Linie zum Auflösen von Fetten und Ölen in der chemischen
Industrie und in der chemischen Wäscherei. Man könnte, wenn es nicht
zu teuer wäre, auch die +Hände+ mit Benzin sehr sauber waschen; der
Schmutz wird nämlich in der Wäsche und an den Händen hauptsächlich
durch +Fett+ festgehalten und fällt wie Staub ab, sobald man das Fett
durch Benzin auflöst.

Das +Gasolin+ dient, wie sein Name andeutet, zur Erzeugung von Gas.
Wenn man nämlich in eine leere Flasche ein wenig Gasolin bringt und
dann die Flasche schüttelt, so entsteht nicht, wie man erwarten
sollte, eine +explosive+ Mischung von Luft und Gasolindampf, sondern
man kann das Gemisch ohne Sorge anzünden: es brennt ruhig, ohne zu
explodieren, mit leuchtender Flamme, wie Gas. Dies hat seinen Grund
darin, daß die Luft viel mehr Gasolindampf in sich aufnimmt, als sie
durch ihren geringen Sauerstoffgehalt verbrennen kann. Das Gemisch
verhält sich also beim Anzünden so, als ob es bloß Gasolindampf wäre.
Die Luft spielt dabei nur die Rolle eines Trägers, eines Mittels,
das das Gasolin zum Verdampfen zwingt. Die Abb. 35 verdeutlicht uns
das Prinzip, auf welchem die +Gasolingas+- oder +Leuchtgas+-Apparate
beruhen: ein Gefäß A ist zur Hälfte mit Gasolin gefüllt. Durch das Rohr
a, welches bis auf den Boden des Gefäßes reicht, wird ein Luftstrom
eingeblasen, der sich beim Durchgang durch das Gasolin ganz mit dem
Dampf dieser Flüssigkeit sättigt. Er verläßt das Gefäß durch das Rohr
b und kann am oberen Ende dieses Rohrs angezündet werden. Gasolingas
ist nicht wesentlich teurer als Leuchtgas, hat aber den Vorzug, nicht
giftig zu sein. Es eignet sich sehr gut zur Beleuchtung und als Kochgas
für einzelne Villen usw., welche keinen Anschluß an Leuchtgas bekommen
können. --

[Illustration: Abb. 35. Ein einfacher Gaserzeugungsapparat (mit
Gasolinfüllung).]

Wichtige Dinge sind über das +Petroleum+ als Beleuchtungsmittel zu
sagen. Petroleum, Benzin, Spiritus sind bekannt als brennbare und
daher feuergefährliche Flüssigkeiten; aber brennbar und brennbar ist
doch zweierlei, und es ist kein kleiner Triumph der Technik und der
Gesetzgebung, daß sie dem Petroleum die Eigenschaft der Brennbarkeit
belassen und ihm die der Feuergefährlichkeit in hohem Grade benommen
haben. Dies ist eine Sache, die sich ganz gut mit Alfred +Nobels+
Tat vergleichen läßt, der dem Nitroglyzerin durch die Erfindung des
Dynamits seine Gefährlichkeit nahm, ohne seine Sprengkraft wesentlich
einzuschränken. Mit dem Petroleum verhält es sich aber so: wenn man
eine Kaffeetasse mit Petroleum füllt und ein brennendes Zündholz
hineintaucht, so geht das Zündholz aus. Nimmt man aber Rohpetroleum
oder Benzin oder guten Spiritus statt des Petroleums, so geht das
Zündholz nicht aus, und der ganze Tasseninhalt brennt lichterloh.
Die Ursache ist, daß diese verschiedenen Flüssigkeiten durch die
Hitze recht verschieden schnell verdampft werden. Wenn nämlich eine
Flüssigkeit brennen soll, muß immer zuerst die Dampfschicht entzündet
werden, welche über der Flüssigkeit lagert. Flüssigkeiten, auf welchen
bei gewöhnlicher Temperatur keine merkliche Dampfschicht lagert, können
sich daher auch nicht entzünden, wenn man ein brennendes Zündholz
in sie taucht. So ist es mit dem Lampenpetroleum. Dagegen verdampft
Benzin schon bei gewöhnlicher Temperatur so stark, daß es stets mit
einer Schicht brennbarer Dämpfe überlagert ist. Ein angenähertes
Zündholz bringt diese Dämpfe, und mit ihnen die Flüssigkeit, sofort
zum Brennen. Dasselbe tritt mit Mischungen von Petroleum und Benzin
ein. Rohpetroleum ist eine solche Mischung. Aus dem Lampenpetroleum
dagegen sind durch Destillation alle diejenigen Kohlenwasserstoffe
entfernt, welche bei gewöhnlicher Temperatur brennbare Dämpfe bilden.
Erhitzt man aber Lampenpetroleum auf, ich glaube 28 °, so entwickeln
sich solche Dämpfe, und das Petroleum entzündet sich nun sofort auf
der ganzen Fläche, wenn man ihm ein brennendes Zündholz nähert. Diese
Dinge sind von großer Wichtigkeit für die Entscheidung der Frage, ob
Petroleumlampen feuergefährlich sind. Solange das Petroleum nicht die
Temperatur des „Entflammungspunktes“ (28 °) erreicht, kann das Feuer
auch nicht vom Docht aus auf die Füllung des Behälters überspringen;
die Lampe kann nicht explodieren, weil über dem Petroleum keine
entzündliche Dampfschicht lagert. Der Entflammungspunkt ist nun in
Deutschland gesetzlich so hoch gelegt, daß sich das Petroleum in
richtig gebauten Lampen niemals bis zu ihm erwärmen kann. Wenn trotzdem
noch manchmal Petroleumlampenexplosionen vorkommen, so sind daran
ungünstige Nebenumstände schuld. Z. B. pflegen die Mechaniker, wenn
sie Fahrradteile mit Petroleum geputzt haben, das Petroleum mit Benzin
abzuspülen. Solches benzinhaltiges Petroleum wird dann manchmal aus
Sparsamkeitsgründen noch in die Lampe gefüllt. Dies ist außerordentlich
gefährlich und sollte unter keinen Umständen geduldet werden. Auch
sollte man niemals Petroleumlampen auf den Ofen stellen.

Unsere besondere Aufmerksamkeit verdient im Zusammenhang mit dem
soeben Gesagten die Wirkung des +Lampendochts+. Diese Wirkung,
das Aufsaugen des Petroleums, ist eine physikalische Erscheinung,
welche zu den Haarröhrchenwirkungen gehört und auf den Gesetzen
der Oberflächenspannung beruht. Wir haben diese an anderer Stelle
ausführlich besprochen. Aber am Docht gibt es auch außerdem noch
manches Merkwürdige. Ein neu eingezogener Docht kann länger als eine
Stunde gebrannt werden, ohne daß er oben schwarz wird. Warum verkohlt
er nicht? -- Warum verkohlt er später? -- Diese beiden Tatsachen
scheinen einander zu widersprechen. Außerdem müssen wir uns auch
darüber wundern, daß das Petroleum am Docht sofort durch ein Zündholz
entflammt wird, während dasselbe Zündholz in einer Tasse voll Petroleum
sich auslöscht.

[Illustration: Abb. 36. Zur Erklärung der Saugwirkung des Dochtes. In
den drei Glasröhren 1, 2, 3 steigt das Wasser um so höher, je enger sie
sind.]

[Illustration: Abb. 37. Ein Sandhäufchen inmitten eines Tellers voll
Petroleum brennt mit hoher Flamme.]

Zunächst wollen wir uns durch einen einfachen Versuch überzeugen,
daß es gar nicht der Docht ist, welcher in der Lampe brennt, sondern
allein das Petroleum in den Poren des Dochtes. Wir schütten zu diesem
Zweck auf einen Teller ein Häufchen Sand, gießen rings um dasselbe
in den Teller eine Schicht Petroleum, und zünden nun das Sandhäufchen
an. So unglaublich das klingt, es geht: der Sand brennt ruhig, mit
großer, schwelender Flamme. Natürlich brennt hier in Wirklichkeit der
Sand so wenig, wie dort der Docht in der Petroleumlampe, sondern es
ist allein das Petroleum, welches in beiden Fällen brennt. Der Docht
braucht also gar nicht aus einem brennbaren Stoff zu sein, es ist
sozusagen reiner Zufall, daß die Baumwolle neben der Saugkraft, die sie
zum Docht geeignet macht, auch noch die Eigenschaft der Brennbarkeit
hat. Es ist also nicht so, als ob das Petroleum nur deshalb am Docht
leichter brennte, weil der Docht gleichsam ein bißchen mitbrennt. Der
Docht brennt nicht mit, sondern das Petroleum brennt ganz allein,
dasselbe Petroleum, in welchem ein eingetauchtes Zündholz verlischt,
ohne es zum Brennen zu bringen. Dieser scheinbare Widerspruch klärt
sich durch folgende Betrachtung auf: jeder Stoff, der ganz dicht an
eine Flamme gehalten wird, wird durch die +strahlende+ Wärme dieser
Flamme erhitzt. Dieses Erhitzen erfolgt besonders leicht, wenn man
den betreffenden Stoff auf eine Unterlage aufstreicht, von welcher
die Wärme zurückgestrahlt wird. Der Stoff befindet sich dann zwischen
der Unterlage und der Flamme im Kreuzfeuer der Wärmestrahlen. Dies
ist die Lage des Petroleums am oberen Dochtende einer brennenden
Lampe: der Docht ist die Unterlage, welche von der Flamme durch
eine ganz dünne Schicht Petroleum getrennt ist. Deshalb erhitzt die
strahlende Wärme diese dünne Ölschicht fast augenblicklich auf den
Entflammungspunkt, so daß fortwährend brennbare Dämpfe da sind.
Das verdampfende Petroleum hält dabei den Docht so kühl, daß er gar
nicht selbst zum Brennen kommen kann. Wie wenig der Docht erwärmt
wird, kann man durch zwei sehr verblüffende Versuche beweisen: wenn
man nämlich statt des Sandhäufchens ein gleiches aus Magnesiumpulver
errichtet, welches bekanntlich sehr leicht und heftig brennt, so kann
man diesen Magnesiumdocht ebenso anzünden, und das Petroleum brennt
darauf ebenso wie auf Sand, ohne daß auch nur eine Spur des Magnesiums
verbrennt. Noch auffälliger ist es aber, daß man auch trockene
Schießbaumwolle, diesen gefährlichen Explosivstoff, ohne alle Gefahr
als Docht für Petroleum verwenden kann. Man fragt sich angesichts
dieser Tatsachen, wie es nur möglich ist, daß die Dochte schließlich,
bei längerem Gebrauch, am oberen Ende doch verkohlen. Dies erklärt
sich aber leicht aus folgender Überlegung: Das obere Dochtende ist die
Verdampfungsstelle für eine große Menge Erdöl; obgleich dieses Erdöl
im Handel in sehr reiner Beschaffenheit vorkommt, hinterläßt es beim
Verdampfen doch geringe Rückstände, zumal da es sich ja beim Erhitzen
unter gewöhnlichem Druck etwas zersetzt. Diese harzigen oder teerigen
Rückstände verstopfen die Poren des Dochts und bewirken dadurch eine
Verminderung der Kühlung, weil aus den verstopften Teilen weniger
Öl verdampft. So kommt es, daß diese Teile durch die Flamme stärker
erhitzt und verkohlt werden. --

Mit dieser etwas altväterisch scheinenden Untersuchung des Dochtes
wollen wir unsere Betrachtung über das Erdöl schließen. Wir wollen auch
im Scheine der elektrischen und Gasglühlichtlampen nicht vergessen,
daß die gewaltigen Produktions- und Exportziffern der Erdölindustrie
deutlich genug beweisen, daß die Stunde der Petroleumlampe noch nicht
geschlagen hat.




10. Fette, Öle, Seifen und Kitte.


Nun, haben wir nicht soeben von Fetten und Ölen gesprochen? Ist etwa
Schmieröl kein Öl, ist Vaseline kein Fett? -- So könnte man beim
Lesen der Überschrift dieses Abschnittes erstaunt fragen. Nach dem
Sprachgebrauch besteht allerdings kein Gattungsunterschied zwischen den
soeben behandelten „mineralischen“ Ölen und den Fetten und Ölen des
Pflanzen- und Tierreichs, von welchen wir jetzt reden wollen. Aber die
chemische Zusammensetzung und die Eigenschaften beider Gruppen sind
doch recht verschieden.

Die aus der Erde stammenden „Mineral“öle zeichnen sich, wie wir gesehen
haben, durch eine außerordentliche Widerstandskraft gegen chemische
Mittel, namentlich gegen Schwefelsäure (sogar rauchende!), Natronlauge
und Soda aus. Deshalb nennt der Chemiker die sämtlichen Bestandteile
des Rohpetroleums „Paraffine“, was auf deutsch soviel heißt wie „Stoffe
mit geringer Neigung zu chemischer Umsetzung“. Die pflanzlichen
und tierischen -- sagen wir kurz: die +organischen+ -- Fette und
Öle werden dagegen durch Säuren, durch Laugen, durch überhitzten
Wasserdampf, durch gärungsartige Vorgänge usw. recht leicht in zwei
Hauptbestandteile gespalten: in +Glyzerin+ einerseits und in eine
sogenannte +Fettsäure+ andrerseits. Das Glyzerin ist der nie fehlende
und durch nichts anderes vertretbare eine Bestandteil aller organischen
Fette und Öle, so verschieden sie auch sonst voneinander sein mögen
(denken wir nur an Olivenöl und Rindertalg). Dieses Glyzerin, eine
dicke, süßschmeckende, ölige Flüssigkeit, ist seiner chemischen Natur
nach eine ganz schwache Lauge. Die Fette sind also als salzartige
Stoffe, als Verbindungen einer Lauge mit einer Säure, aufzufassen. Ihr
zweiter Bestandteil, die Fettsäure, kommt in der Natur in verschiedenen
Arten vor: in der Butter findet sich die +Buttersäure+; die meisten
übrigen Fette und Öle enthalten drei verschiedene, aber einander
ziemlich ähnliche Fettsäuren in wechselnden Mengenverhältnissen: die
+Palmitinsäure+, die +Stearinsäure+ und die +Ölsäure+. Die Ölsäure ist
bei Zimmertemperatur flüssig, Palmitin- und Stearinsäure sind fest. Die
Stearinsäure ist wohl jedem bekannt, denn aus ihr sind die bekannten
weißen Stearinkerzen gemacht. Je mehr ein Fett von der flüssigen
Ölsäure enthält, um so weicher, ja flüssiger ist es: Schweinefett z. B.
enthält mehr als die Hälfte, Rindertalg etwa ein Viertel Ölsäure.

Die Fette und Öle werden beim Kochen mit verdünnten Säuren, oder
wenn man sie mit überhitztem Wasserdampf unter Druck behandelt, in
ihre beiden Bestandteile gespalten. Diesen Vorgang nennt man die
+Verseifung+ der Fette, obwohl sich dabei keine Seife bildet. Die
Verseifbarkeit ist der wichtigste Unterschied zwischen den echten,
organischen Fetten und den Mineralölen. +Mineralöle sind nicht
verseifbar.+ Auf der Verseifbarkeit beruhen fast alle Anwendungen der
organischen Fette und Öle. Die Verseifung tritt unter Mitwirkung von
Bakterien von selbst ein, wenn die Fette, namentlich in der Wärme,
mit Luft und Licht in Berührung kommen: dann sagt man, sie werden
+ranzig+. Sie strömen dann einen üblen Geruch aus und sind auch
wegen ihres schlechten Geschmacks ungenießbar. Geruch und Geschmack
verraten, daß das Ranzigwerden nicht bloß in einer Spaltung der
Fette besteht, sondern daß die beiden Spaltungsprodukte durch den
Sauerstoff der Luft noch weiter verändert werden. Ranzige Butter riecht
allerdings vorwiegend nach Buttersäure. Durch +Einsalzen+ kann man das
Ranzigwerden der Fette bekanntlich ebenso verzögern, wie das Faulen
des Fleisches. Diese Wirkung des Salzes beruht darauf, daß es die
Bakterien, welche die Zersetzung erregen, lähmt und hemmt.

Die Verseifung tierischen Talgs durch hochgespannten und überhitzten
Wasserdampf bildet eine der großartigsten Industrien der Erde. Sie
blüht in den Präriedistrikten Südamerikas und der Union, wo das
Fleisch der Herdentiere auf Büchsenkonserven, Fleischextrakt und
Kraftfuttermittel, ihr Fett auf Glyzerin und Fettsäuren verarbeitet
wird. Das Glyzerin geht in den Handel über zur weiteren Verwendung in
der Sprengstoffindustrie; die Gemische von Palmitin- und Stearinsäure
wandern teils in die Kerzenfabriken, teils in die Seifenfabriken. Die
weicheren oder flüssigen, ölsäurereichen Mischungen von Fettsäuren
werden neuerdings in einem großartigen chemischen Prozeß in harte
Fettsäuren umgewandelt, weil man die flüssigen Fettsäuren nicht
brauchen kann, während die festen sowohl für die Kerzen- als für die
Seifenfabrikation von größtem Wert sind.

Seitdem man die Fette durch überhitzten Dampf in Glyzerin und
Fettsäuren spaltet, ist die +Seifensiederei+ ein einfacher Prozeß
geworden. Man braucht nämlich die Fettsäure nur mit Natronlauge zu
erhitzen, um sofort die schönste, härteste Kernseife ohne jeden
Abfall zu erhalten. Die +Seifen+ sind nämlich nichts anderes als die
Metallsalze der Fettsäuren. Früher, als die Seifensiederei noch ein
Kleingewerbe war, stellte man die Seife durch Kochen von +Fett+ mit
+Lauge+ dar. Dabei verband sich die Fettsäure des Fettes mit der
Lauge zu Seife, und das Glyzerin schied sich als Flüssigkeit ab. Die
Seife schwamm, da sie sich in Wasser nur in geringer Menge löst, oben
auf, während sich das Glyzerin in der darunterliegenden, braunen
Brühe (der sogenannten +Unterlauge+) vorfand. Als Lauge benutzten die
Seifensieder in der ältesten Zeit ein selbstbereitetes Präparat, das
aus +Holzasche+ durch Kochen mit gelöschtem Kalk gewonnen wurde. Die
Holzasche enthält kohlensaures Kalium, welches sich mit der Kalkbase
zu kohlensaurem Kalk und Kalilauge umsetzt. Der wirksame Bestandteil
in der alten Seifensiederlauge war also die +Kalilauge+. Da sie
zugleich die stärkste aller Laugen ist, so verseift sie die Fette
verhältnismäßig schnell und vollständig. Aber die Kaliseifen haben samt
und sonders die Eigenart, nicht hart zu werden, sondern schmierig zu
bleiben. Man nennt sie daher auch +Schmierseifen+. Dagegen sind die
+Natronseifen+ fest. Alle festen Seifen des Handels sind Natronseifen.
Zu ihrer Herstellung hat man zwei Wege: entweder, man verseift das
entsprechende Fett unmittelbar mit starker Natronlauge, oder man
stellt zuerst eine Kaliseife her und kocht diese dann mit starkem
Salzwasser. Diesen Vorgang nennt man das +Aussalzen+ der Seife. Dabei
tauschen das Kochsalz (Chlornatrium) und die Kaliseife ihre Metalle
gegeneinander aus. Außerdem erhöht das Aussalzen auch die Ausbeute,
weil die Seife in Salzwasser fast ganz unlöslich ist, während in einer
salzfreien Unterlauge noch immer ziemlich viel Seife gelöst bleibt.
Durch das Aussalzen erhält man aber niemals reine Natronseife, weil
ein erheblicher Teil des fettsauren Kalis nach dem Satz vom chemischen
Gleichgewicht (vgl. das 6. Kapitel) sich immer wieder aus Chlorkalium
und fettsaurem Natrium rückbildet. Aber dies ist kein Nachteil, sondern
ein Vorteil für die praktische Verwendung, weil reine Natronseife sehr
hart und bröckelig ist. Durch einen Gehalt an weicher Kaliseife wird
das Fabrikat geschmeidiger, es verliert seine Brüchigkeit. Für den
Weichheitsgrad ist auch das verwendete Fett von Bedeutung: harte Fette
geben harte Seifen, während die Öle sehr weiche, schmierige Seifen
(Marseiller Seifen) bilden.

Die Seifen haben die Eigenschaft, gewisse Stoffe in sich aufzunehmen,
so daß man sie mit diesen Stoffen „füllen“ kann. Solche Verdünnungs-
oder Füllmittel sind: Wasserglas, Kaliumsulfat und namentlich +Ton+.
Wasserglas und Ton lassen sich einer guten Seife fast in beliebigen
Mengen zusetzen, ohne daß sich die Seife bei der Abkühlung wieder
vom Füllmittel trennt. So darf den deutschen Seifen während der
Kriegszeit nicht mehr als 20 %, das ist ein Fünftel ihres Gewichts,
an Fett zugrunde gelegt werden. Nahezu vier Fünftel werden also von
den Füllmitteln, namentlich von Ton, gebildet. Das Fett, welches für
Seifensiedereizwecke zugelassen ist, ist Abschöpf- und Abfallfett
der übelsten Sorte, ranzig und angefault und von pestilenzartigem
Geruch. Aber durch Umschmelzen mit oxydierenden Mitteln läßt es
sich soweit reinigen, daß man den fertigen Seifen nicht mehr viel
anmerkt von den übelduftenden Bestandteilen. Ich habe gesehen, wie in
Seifensiedereien Abfallfette von einer Metzgerei abgeliefert wurden,
welche von Springmaden geradezu wimmelten und einen entsetzlichen
Geruch verbreiteten. Diese Fette lieferten nach ihrer Reinigung eine
ausgezeichnete Kernseife.

Der Geruch einer Seife ist, auch wenn reines Fett dazu verwendet
wurde, nicht angenehm; ranzige Fette verstärken seine unangenehme
Eigenart. Deshalb ist es üblich, die Seifen zu parfümieren, wenigstens
diejenigen für den persönlichen Gebrauch. Das Parfümieren billiger,
gewöhnlicher Seifen geschieht in der Wärme, indem man der geschmolzenen
Seife die Duftlösung zusetzt. Dieses Verfahren ist für feinere
Ware nicht anwendbar, weil gerade die feinen Duftstoffe durch die
Wärme verflüchtigt oder so verändert werden, daß ihr Wert dadurch
herabgemindert wird. Deshalb werden solche Seifen durch ein sehr
merkwürdiges Verfahren +kalt+ parfümiert. Man zerreibt die kalte Seife
zunächst zu einem feinen Pulver, vermengt es mit dem Parfüm und preßt
es dann mit großen Pressen unter gewaltigem Druck wieder zu festen
Handstücken zusammen. Dieses Verfahren nennt man „Pilieren“. Es ist
nur auf reine, ungefüllte Seifen anwendbar, weil sich gefüllte nicht
pulverisieren lassen, sondern dabei schmieren.

Die Seifensiederei ist ein Gewerbe, das in seinen meisten
Gepflogenheiten auf uralte Erfahrungen, die wenigstens bis ins
gotische Mittelalter zurückreichen, aufgebaut ist. Zu diesen
ältesten Erfahrungen gehört namentlich das Grundprinzip der alten
Seifensiederei, die Verseifung der +Fette+ durch Kochen mit Laugen.
Dagegen bedeutete die Einführung der +Fettspaltung+ einen geradezu
ungeheuren Fortschritt, der im Seifensiedergewerbe einen völligen
Umschwung hervorrief: er bewirkte, daß die kleinen, zünftig geleiteten
Betriebe samt und sonders vor etwa 25 Jahren durch die großen
Seifenfabriken aufgeschluckt wurden, weil die Fettspaltung wegen der
teuren Anlagen nur im Großbetrieb möglich ist. Da aber die Fettspaltung
das Glyzerin besser und vollständiger zu gewinnen gestattet, so
erzeugen die Großbetriebe schon aus diesem Grunde die Seifen billiger
als die zünftigen Seifensiedereien aus Großvaters Zeiten. Das Wesen
der Fettspaltung haben wir schon kennengelernt: es besteht darin,
daß die Fette durch überhitzten und hochgespannten Wasserdampf in
Glyzerin und Fettsäure zerlegt werden. Diese Vorbehandlung der Fette
ermöglicht nicht nur die vollständige Gewinnung des Glyzerins, sondern
sie erleichtert auch die eigentliche Herstellung der Seife bedeutend.
Denn die freie Fettsäure verbindet sich mit der Lauge viel leichter
als die an Glyzerin gebundene. Ja, zur Verseifung der freien Fettsäure
braucht man nicht einmal die teure, konzentrierte Natronlauge zu
nehmen, sondern man kann billigere, verdünnte Laugen und sogar Soda
(kohlensaures Natrium) dazu benutzen, welches noch viel billiger ist.
Denn beim Kochen von Soda mit freien Fettsäuren wird die Kohlensäure
der Soda durch die Fettsäure verdrängt, indem sich gleichzeitig Seife
bildet.

Versucht man, eine Seife mit einer anderen Base als Kali- oder
Natronlauge zu machen, so gelingt dies zwar, aber alle anderen Seifen
sind in Wasser unlöslich oder so schwer löslich, daß sie nicht
schäumen können. Dies gilt also von der +Kalkseife+, +Magnesiaseife+,
+Kupferseife+, +Eisenseife+ usw. Sie sind alle in Wasser unlöslich.
Dies ist wichtig zu wissen, wenn man gewisse Vorgänge verstehen will,
die man beim Waschen beobachten kann. Da ist es nämlich eine alte
Erfahrung, daß man nur mit +weichem+ Wasser gut waschen kann, während
mit +hartem+ Wasser die Seife durchaus nicht schäumen will. Weiches
Wasser ist reines Wasser. Hartes enthält kleine Mengen von Salzen des
Kalziums, Magnesiums oder Eisens aufgelöst. Diese Salze gehen mit der
Seife eine Wechselumsetzung ein, derart, daß z. B. aus schwefelsaurem
Kalzium und Natronseife sich schwefelsaures Natrium und Kalziumseife
bildet. Die Kalkseife ist aber in Wasser unlöslich. Infolgedessen
überzieht sich jedes Seifenstück und jeder eingeseifte Gegenstand in
hartem Wasser mit einer unlöslichen Kruste von Kalkseife. Erst wenn
auf diese Weise die letzte Spur von Kalk-, Magnesia- und Eisensalzen
in Form von unlöslicher Seife aus dem harten Wasser ausgeschieden
ist, erst dann löst sich die Alkaliseife und schäumt. Die Quellen und
Flüsse der Kalkgebirge führen stets hartes Wasser. Mit solchem dauert
es zuweilen sehr lange, bis Schäumen eintritt, und sehr viel Seife wird
zur Erreichung dieses Zieles vergeudet. Weich, d. h. nahezu chemisch
rein, sind die Quellen im Sandstein- und im Granitgebirge. Ist man auf
hartes Wasser angewiesen, so empfiehlt sich folgendes Verfahren beim
Waschen, das auch bei weichem Wasser Seife sparen hilft: man macht den
schmutzigen Gegenstand (z. B. die Hand) tüchtig naß und reibt ihn dann
an der Seife, +ohne weiter Wasser hinzufließen zu lassen+. Denn bei
so sparsamer Wasseranwendung tritt auch mit hartem Wasser rasch das
Schäumen ein, weil die Schwermetallsalze in einer kleinen Wassermenge
nicht viel Seife zu ihrer Bindung brauchen. Taucht man aber während des
Waschens die Hand immer wieder in die Wasserschüssel, so hilft alles
Reiben an der Seife nichts, und es kann nicht schäumen, weil mit dem
neuen Wasser auch neue Mengen von Kalk- oder Magnesiasalzen gebunden
werden müssen.

Die merkwürdige Reinigungskraft der Seife beruht weniger auf
chemischen als auf physikalischen Vorgängen. Als chemische Wirkung
muß es gelten, daß Seifenlösung, besonders warme, ein gewisses
Lösungsvermögen für Fette besitzt. Doch ist dieses chemische
Lösungsvermögen (von dem man beim Kochen der Wäsche Gebrauch macht)
verhältnismäßig gering gegenüber der physikalischen Auflösungskraft
des Seifen+schaums+. Diese beruht auf der Oberflächenspannung zwischen
Seifenlösung und Luft. Diese merkwürdige Kraft, welche auch die
Ursache davon ist, daß man eine Nähnadel oder ein Stück Weißblech auf
Wasser schwimmen lassen kann, obwohl diese Stoffe acht- bis neunmal
schwerer als Wasser sind -- diese Kraft zieht den Schmutz an und hält
ihn in den millionenfachen, zarten Häutchen fest, aus welchen sich
der Seifenschaum zusammensetzt. Gleichzeitig löst die Seife das Fett,
welches den Schmutz am Körper und in der Wäsche festhält. Wendet man
zum Waschen warmes Wasser an, so schmilzt dadurch dieses Fett und wird
infolgedessen noch leichter von der Seife entfernt. Auch aus einem
anderen Grunde ist es besser, mit warmem Wasser zu waschen: in kaltem
Wasser löst sich nur ölsaures Natrium; palmitin- und stearinsaures
Natrium lösen sich nur in warmem Wasser auf. Die Seifen bestehen nun,
da sie meistens aus Talg hergestellt werden, aus solchen Gemischen
dieser drei Stoffe, welche nur etwa ein Viertel an ölsaurem Natrium
enthalten. Verwäscht man also gute Kernseife mit kaltem Wasser, so
löst sich und wirkt nur ein Viertel der Seife, die übrigen drei
Viertel scheiden sich ungelöst in Flocken ab und helfen nichts zur
Schaumbildung und Fettauflösung. Wendet man aber heißes Wasser an, so
beteiligt sich die ganze Seife am Reinigungsprozeß, weil sich alles
auflöst.

Den Seifen sehr nahe verwandt sind die +Pflaster+. Das meistgebrauchte
und bekannteste von ihnen, das +Bleipflaster+, wird hergestellt, indem
man Bleioxyd (oder auch Bleiweiß) mit Schweineschmalz kocht. Das
anfangs dünnflüssige Schmalz wird rasch dick, zäh und dunkelbraun.
Das Fett wird dabei zerlegt in Glyzerin und seine Fettsäuren;
diese verbinden sich mit dem Bleioxyd zu fettsaurem Blei, also zu
Bleiseife, und das gleichzeitig freiwerdende Glyzerin macht diese
Seife bis zu einem gewissen Grade geschmeidig. In diesem Sinne
wirkt auch der stets vorhandene Fettüberschuß. Demnach sind also
die Pflaster nichts anderes als unreine Schwermetallseifen. Die
Pflaster dienen als Wundheilmittel, ihr wesentlicher Bestandteil ist
das Schwermetall. Damit dieses seine heilende Wirkung ausüben kann,
muß es in einer Verbindung enthalten sein, welche in die Gewebe des
Körpers einzudringen vermag. Eine solche Verbindung ist die +Seife+,
aus der das Pflaster besteht. Sie ist, als organische Verbindung,
den organischen Stoffen des Körpers näher verwandt als die einfacher
zusammengesetzten anorganischen Salze der Schwermetalle.

In diesem Zusammenhange wollen wir auch der +Kitte+ gedenken. Sie
werden aus +Leinöl+ und einem Metalloxyd oder Metallkarbonat bereitet.
Der gewöhnliche Glaserkitt besteht z. B. aus Leinöl und Kreide, die
zu einem dicken Brei verknetet sind. Diese Kitte haben die wertvolle
Eigenschaft, nach einiger Zeit allmählich ganz fest und steinhart zu
werden, ohne dabei zu schwinden. Diese Eigenschaft erklärt sich genau
so, wie die Entstehung der Pflaster: das Leinöl wird in Glyzerin
und seine Fettsäure zerlegt; diese Fettsäure verbindet sich mit der
Schwermetallbase -- in diesem Falle dem Kalziumoxyd -- zu fettsaurem
Kalk, während die Kohlensäure aus der Kreide in die Luft entweicht.
Der fettsaure Kalk ist der erhärtete Kitt. Wer diesen Vorgang einmal
verstanden hat, begreift ohne weiteres, wie sinnlos es wäre, einen
Kitt aus Kreide und Mineralöl herstellen zu wollen. Denn das Mineralöl
kann nicht ranzig werden, es enthält überhaupt keine Fettsäure, kann
also auch niemals mit der Kreide zu fettsaurem Kalk erhärten. Trotzdem
werden solche „Kitte“ als grobe Fälschungen von betrügerischen Händlern
verkauft. Sie „erhärten“ auch bis zu einem gewissen -- natürlich sehr
geringen -- Grad, weil die Mineralöle durch Eintrocknen und geringe
Sauerstoffaufnahme verharzen. Aber diese Verhärtung ist viel zu gering,
als daß sie praktisch überhaupt in Betracht gezogen werden könnte. --
Selbstverständlich ist aus dem gleichen Grunde auch jede Beimengung von
Mineralölen zum Leinöl unstatthaft.

+Leinöl+ und andere Pflanzensamenöle haben noch eine zweite, viel
wichtigere Anwendung: zur Herstellung der +Ölfarben+ und +Lacke+. Eine
Ölfarbe erhält man durch Zusammenreiben eines Farbpulvers mit Leinöl.
Diese Farben, mit rohem Leinöl hergestellt, sind zwar außerordentlich
schön (weil das rohe Leinöl heller und klarer ist als das gekochte),
aber sie haben die fatale Eigenschaft, nur sehr langsam zu trocknen.
Das Trocknen der Ölfarben hat nämlich eine ganz andere Ursache als
das Erhärten der Kitte. Bei der Ölfarbe wünscht man durchaus nicht,
daß das Öl ranzig wird, und daß sich die Ölsäure mit dem Farbpulver
chemisch verbindet: denn dies würde den Farbton des Farbpulvers
zweifellos unerwünscht verändern. Das Trocknen der Ölfarbe kann also
nicht denselben Grund haben wie das Hartwerden der Kitte. Das Trocknen
der Ölfarbe kann aber auch nicht darauf beruhen, daß das Öl verdunstet,
wie das Wasser beim Trocknen der Aquarellfarbe. Denn dagegen spricht
der Umstand, daß die getrocknete Ölfarbe ganz dick und schön glänzend
und fest aufliegt und keineswegs bloß aus dem rückständigen Farbpulver
besteht. Vielmehr sieht man an der getrockneten Ölfarbe deutlich, daß
das Leinöl selbst sich in eine harte, glänzende, durchsichtige Masse
verwandelt hat. Diese Umwandlung erfolgt unter Aufnahme von Sauerstoff
aus der Luft. Es ist ein Oxydationsvorgang, den man (obgleich er
ganz anders verläuft) mit demselben Ausdruck bezeichnet, der für das
Dickwerden der Mineralöle gilt: als +Verharzung+. Man hat nun die
Beobachtung gemacht, daß das Leinöl viel schneller verharzt, wenn man
es vorher längere Zeit gekocht hat. Leider wird es dabei aber bedeutend
dunkler braun, so daß es den Farbton der meisten Farben unerwünscht
verändert. Ganz unbrauchbar ist solches dunkle Öl zum Anmachen weißer
Ölfarbe, weil es sie schmutzig gelb färbt. Man hat also von jeher
darauf gesonnen, nicht bloß das Leinöl so hell als möglich zu machen,
sondern auch seine Verharzung durch andere Mittel als das Kochen zu
beschleunigen. Was nun das Hellmachen anbelangt, so gelingt dieses
gar nicht schwer durch Ausbleichen. Man bleicht das gelbe Leinöl, wie
man Wäsche bleicht: an der Sonne, indem man es in flachen Kästen mit
hellem Boden dem direkten Sonnenlicht aussetzt. Schwieriger ist es, das
Leinöl ohne wesentliche Beeinträchtigung seiner hellen Farbe schnell
trocknend zu machen, oder, wie man sagt, in +Firnis+ zu verwandeln.
Dies geschieht durch Erwärmen mit kleinen Mengen von Braunstein oder
Zinkoxyd oder Bleiglätte. Dadurch wird das Leinölmolekül gleichsam
angenagt und ist nun der Oxydation durch die Luft viel zugänglicher
als vorher. Je stärker das Öl dabei erwärmt wird, um so besser
trocknet es nachher, aber um so dunkler wird es auch. Der bleihaltige
Firnis trocknet am schnellsten, weil er bei der Darstellung am
stärksten erhitzt werden muß, ist aber aus der gleichen Ursache auch
am dunkelsten. Man läßt deshalb gewöhnlich nicht das Leinöl, sondern
erst den fertigen Firnis bleichen. Indessen hat sich gezeigt, daß das
schnelle Trocknen eines Firnisses seiner Dauerhaftigkeit Nachteil
bringt: am dauerhaftesten ist der Firnis, der nur aus gekochtem Leinöl
besteht. Hat man aber Schwermetalloxyde hineingekocht, so soll es von
Blei nicht mehr als ½ %, von Mangan nicht mehr als ⅒ % sein. In der
Regel setzt man eine stärkere Auflösung dieser Metalloxyde in gekochtem
Leinöl, den sogenannten +Sikkativ+, zum reinen Leinölfirnis hinzu. Die
zuweilen angepriesene Verwendung +trockener+ Sikkative in Pulverform
ist zwecklos, weil ein Sikkativ die Trocknung des Leinöls nur dann
beschleunigt, wenn er darin klar (ohne Bodensatz) gelöst ist. Solche
Lösung erfolgt aber beim einfachen Vermischen trockener Sikkativpulver
mit dem kalten Leinöl niemals.

Laien pflegen keinen großen Unterschied zu machen zwischen Ölfarbe und
+Lack+. Aber in Wirklichkeit ist dieser Unterschied recht bedeutend,
nicht bloß in Zusammensetzung und Herstellung, sondern besonders in
den Eigenschaften. Die wichtigsten Eigenschaften beider sind Glanz
und Haltbarkeit. Die Ölfarbe besitzt auch nach dreimaligem Aufstrich
nur einen sehr mäßigen, matten Glanz, der Lack dagegen einen sehr
hohen, der (bei den Kutschenlacken) bis zum vollendeten Spiegelglanz
gesteigert sein kann. Würde die +Haltbarkeit+ der Lacke auch nur im
entferntesten ihrem Glanz entsprechen, so würde kein Mensch mehr
Ölfarbe zum Anstreichen verwenden. Aber darin liegt der zweite
Unterschied: die Lacke sind nur im geschlossenen Raum, und selbst da
nur für beschränkte Zeit, haltbar; dem Wetter ausgesetzt, verlieren sie
in kurzer Zeit ihren Glanz und bekommen zahlreiche Sprünge. Die Ölfarbe
dagegen hält sich, wenn sie mit reinem Leinölfirnis hergestellt war,
auch im Wetter beträchtlich lang und bildet einen vorzüglichen Schutz
gegen Rost und Fäulnis. Lack und Ölfarbe ergänzen also einander in
bezug auf Haltbarkeit und Glanz.

Für die Herstellung der Lacke ist maßgebend, daß sie stets ein
Harz oder eine harzartige Substanz enthalten: Bernstein, Kopal,
Fichtenharz, Dammar, Schellack, Asphalt usw. In den billigsten (und
schlechtesten) Lacken ist dieser Stoff einfach in Terpentinöl, Benzin
oder Spiritus aufgelöst, wozu oft nicht einmal erwärmt werden muß.
Beim Trocknen verdunstet das Lösungsmittel ganz, der Lacküberzug
besteht also nur aus der harzigen Substanz. Er ist oft wunderschön
glänzend, aber meistens von sehr geringer Haltbarkeit; er ist brüchig
und springt ab, oder er erblindet beim Zusammentreffen mit Wasser.
Diesen „mageren“ Lacken sind gegenüberzustellen die sogenannten
+fetten+ Lacke, welche stets mit Leinölfirnis gekocht sind. Einen
fetten Lack erhält man also z. B. durch Auflösen von Fichtenharz in
heißem Leinölfirnis. Diese fetten Lacke sind viel haltbarer als die
vorher beschriebenen. Die wertvollsten Sorten werden mit Kopal (selten
mit Bernstein) hergestellt, welches ein in Indien gewonnenes Harz ist.
Es löst sich nicht, wie das gewöhnliche Fichtenharz, einfach beim
Erwärmen im Leinöl auf, sondern erst, wenn man aus dem Kopal durch
andauerndes Erhitzen eine gewisse Menge flüchtiger Stoffe abdestilliert
hat. Der Rückstand (70 bis 88 % vom ursprünglichen Kopal) ist dann in
heißem Leinöl löslich. Die Kunst der Lacksieder besteht nun darin,
beim Erhitzen des Kopals und Bernsteins das richtige Maß zu finden.
Jetzt wird dies häufig so gemacht, daß man die herausdampfenden
Stoffe in einer gekühlten Vorlage auffängt und wägt. Wenn diejenige
Menge herausdestilliert ist, welche man durch die Erfahrung für die
betreffende Kopalsorte als richtig kennt, so ist der Rückstand zum
Auflösen im fetten Öl geeignet. -- Man sieht also, der Lackhandel
ist bis zu einem gewissen Grade eine Vertrauenssache, weil man ohne
genaueste Fachkenntnis nicht feststellen kann, ob bei der Herstellung
des Lacks mit der genügenden Sorgfalt verfahren worden ist.

Vorhin wurde erwähnt, daß der Lacküberzug im Laufe der Zeit Sprünge
und Risse bekommt. Dies gilt, wenn auch in viel geringerem Grade, auch
für die Ölfarben und hat bei Ölfarbenanstrichen und Ölfarbenbildern
eine ganz besondere Nebenwirkung: sie +dunkeln+ im Laufe der Zeit. Über
den wahren Grund des Dunkelwerdens alter Ölbilder war man sich lange
Zeit nicht im klaren. Man vermutete eine chemische Veränderung des
Firnisses, eine Art von Verharzung unter Aufnahme von Sauerstoff aus
der Luft, und man behandelte deshalb gedruckte Ölbilder mit chemischen
Mitteln, z. B. mit Wasserstoffsuperoxyd. Viele wertvolle Gemälde alter
Meister sind dadurch für alle Zeiten verdorben worden. Eine Wendung
vollzog sich, als der berühmte Münchener Hygieniker und Chemiker
+Pettenkofer+ beauftragt wurde zu untersuchen, warum so viele Gemälde
der Schleißheimer Galerie dem Verfall entgegengingen. Er fand als den
wahren Grund des Dunkelwerdens einen physikalischen: die getrocknete
Ölfarbe bekommt Risse, und die Firnisteilchen lösen sich dabei von
den Farbpartikelchen los, so daß zwischen beiden ein haarfeiner Spalt
entsteht, der mit Luft gefüllt ist. An diesem dünnen Lufthäutchen,
welches jedes Farbteilchen eines gealterten Ölgemäldes umgibt,
erfährt das Tageslicht eine totale Reflexion: ein Teil des Lichtes
wird zurückgeworfen, bevor es überhaupt die Farbteilchen erreicht.
Dieser Umstand bewirkt den Eindruck, daß die Farbpartikelchen dunkler
aussehen, als sie in Wahrheit sind.

Nachdem Pettenkofer einmal diese Ursache des Dunkelwerdens entdeckt
hatte, fand er auch im unmittelbaren Anschluß daran die Abhilfe. Sie
besteht in einem höchst einfachen Verfahren: das gedunkelte Ölbild
wird, mit der Bildseite nach unten, als Deckel auf eine Schüssel
gelegt, in welcher sich eine kleine Menge Brennspiritus befindet. Die
Spiritusdämpfe dringen bei gewöhnlicher Temperatur in die Haarrisse
des Ölbildes ein, bringen die Firnisteilchen zum Quellen und bewirken,
daß sich die Außenflächen der Firnisteilchen untereinander und mit den
Farbteilchen wieder fest verbinden. Diese Verbindung bleibt auch nach
dem Abdunsten des Alkohols dauerhaft. Der Erfolg ist ganz überraschend:
das Ölbild sieht nun wieder fast ebenso frisch aus, wie unmittelbar
nach seiner Entstehung. Außerdem ist diese Art der Auffrischung
unabhängig vom künstlerischen Können des Restaurators, sie ist objektiv
im wahrsten Sinne des Wortes; Fälschungen, Entstellungen des Kunstwerks
sind dabei ganz ausgeschlossen. Pettenkofers Methode hat daher
gewaltiges Aufsehen in der Sammlerwelt erregt und einen beispiellosen
Siegeslauf durch die Welt gehalten. Die allergröbsten Risse und
Sprünge im Ölbild schließen sich freilich auch durch die Behandlung
mit Spiritusdämpfen nicht. Um sie zu beseitigen, tränkt man nach
Pettenkofer die betreffenden Stellen wiederholt mit +Kopaivabalsam+.




11. Die größte chemische Fabrik der Welt.

(Ein Gespräch zwischen einem Kommerzienrat und einem Botanikprofessor
über den Chemismus der Pflanzen, über Wachstum und Düngung und den
Kreislauf des Kohlenstoffs und Stickstoffs in der Natur.)


+Der Professor+: Lieber Kommerzienrat, wenn es Ihnen recht ist, so
gehen wir ein Stündchen spazieren, und ich will dabei versuchen,
Ihre Fragen über den Chemismus der Pflanzen so gut als möglich zu
beantworten. Besser wäre es freilich, wenn Ihnen Ihr Beruf gestatten
würde, in meinem Laboratorium fortlaufende Versuche über dieses Gebiet
anzustellen.

+Der Kommerzienrat+: Dies wird mir leider vorläufig nicht möglich sein.
Aber ich bin Ihnen, lieber Professor, schon sehr dankbar, wenn Sie mir
mit einigen mündlichen Aufklärungen helfen wollen. Wenn man soviel
mit Holz und Kohlen zu schaffen hat, wie ich, dann muß man ja für die
Entstehungsgeschichte dieser Stoffe Interesse bekommen. Sehen Sie, wir
führen aus den russischen, rumänischen und bosnischen Wäldern jährlich
viele Hunderttausende von Kubikmetern Holz in unsere Papiermühlen.
Sooft ich nun die riesigen Ziffern in unserem Frachtkonto betrachte,
kommt mir eine Frage in den Sinn, auf die ich mir eine Antwort
schlechterdings nicht vorstellen kann. +Woher stammen diese riesigen
Holzmassen?+ Woraus sind sie entstanden? -- Wenn ich morgens in meinem
Garten die Bohnen gieße (wissen Sie, das bekommt mir jetzt besser als
früher die Marienbader Kur!), dann denke ich mir, das bißchen Gewicht
dieser Bohnen und Kohlköpfe könnte wohl aus dem Dung sich entwickelt
haben, den ich im Frühjahr und Herbst in meinen Garten fahren lasse.
Aber wer düngt den Wald, worin das Holz wächst? Die Blätter, die da
im Herbst fallen, könnten doch höchstenfalls im nächsten Frühjahr den
Stoff zur Bildung der neuen +Blätter+ liefern. Aber woher stammen
die ungeheuren +Holzmassen+ der Bäume? -- Ich bin kein Chemiker und
kann mir nicht wohl vorstellen, daß das verbrennliche Holz aus den
unverbrennlichen Gesteinen des Erdbodens entstanden sein soll. Welche
Möglichkeiten sollte es aber sonst geben? -- Wenn Sie mir in dieses
Fragendunkel Licht bringen könnten, wäre ich Ihnen wirklich herzlich
dankbar.

+Der Professor+: Ihre Fragestellung nebst Begründung macht Ihnen alle
Ehre und ist ganz klar und logisch durchdacht. Nur erschrecken Sie
bloß nicht über meine Antwort: Die wichtigste Substanz im Holz, die
Kohle, stammt aus der +Luft+. Das übrige besteht größtenteils aus
umgewandeltem +Wasser+. Nur ein ganz kleiner Bruchteil vom Gewicht des
trockenen Holzes (etwa 8 bis 10 %) entstammen als Mineralstoffe dem
Erdboden.

+Der Kommerzienrat+: Verzeihen Sie, wenn Ihre Behauptungen, die
wissenschaftlich wohl sehr richtig sein mögen, meinem mehr auf das
Praktische gehenden Verstand nicht sofort einleuchten. Ich bin ein Mann
der Zahlen und Gewichte und weiß, daß die Luft nichts oder nicht viel
wiegt, das Holz aber sehr viel. Wie reimt sich das zusammen?

+Der Professor+: Ich glaube doch, daß Sie das Gewicht der Luft
unterschätzen. Ein Liter Luft wiegt 1¼ Gramm, ein Kubikmeter also 1¼
Kilogramm. Ein Zimmer von mäßiger Größe faßt leicht 80 Kubikmeter Luft,
welche zusammen 2 Zentner wiegen. Wenn also die ganze Luft durch den
Baum in Kohle verwandelt würde, so könnte ein großer Waldbaum seinen
gesamten Kohlebedarf ganz leicht aus der Luftmenge decken, welche in
ein paar Häusern enthalten ist. Tatsächlich braucht er jedoch viel mehr
Luft, weil die für den Baum notwendige Kohle nur in einem ganz winzigen
Bruchteil der Luft enthalten ist, nämlich in dem Kohlensäuregas,
welches nur ¹⁄₂₅ % der Luft ausmacht. Zur Bildung von einem Kilogramm
der Holzkohle, welche man durch Erhitzen von Holz erhält, müßte also
der betreffende Baum nicht weniger als 2500 Kilogramm Luft verarbeiten.
Für seine ganze Holzmenge braucht er wohl einige Millionen Kubikmeter
-- aber was bedeutet dies angesichts des unermeßlichen Luftmeers? Es
enthält weit mehr Kohlensäuregas, als der ganze Pflanzenwuchs der Erde
jemals aufzuzehren vermöchte.

+Der Kommerzienrat+: Ich bin nun wirklich neugierig, wie es die Pflanze
macht, um dieses Kohlensäuregas aus der Luft in sich aufzunehmen.

+Der Professor+: Ganz einfach: sie +atmet+, wie wir auch. Nur mit
dem Unterschied, daß wir den Sauerstoff der Luft einatmen und dafür
Kohlensäure ausatmen, während die Pflanze -- wenigstens scheinbar --
das Umgekehrte macht: sie atmet Kohlensäure ein und Sauerstoff aus. Die
Kohlensäure besteht nämlich aus Kohle und Sauerstoff; die Kohle wird
von der Pflanze zurückbehalten, der Sauerstoff wird wieder abgegeben.

+Der Kommerzienrat+: Warum sagten Sie soeben, die Pflanze atme nur
scheinbar in umgekehrtem Sinne wie wir?

+Der Professor+: Weil der Gasaustausch der Pflanze in Wahrheit
aus zwei Prozessen besteht, welche nebeneinander und gleichzeitig
stattfinden: der eine Vorgang entspricht unserer +Ernährung+, ich habe
ihn soeben geschildert, er besteht in der Aufnahme von Kohlensäuregas
und Abscheidung von Sauerstoffgas. Daneben findet ein zweiter, viel
schwächer entwickelter Vorgang statt, welcher eine wirkliche +Atmung+
bedeutet. Er besteht, wie unsere Atmung auch, in der Aufnahme von
Sauerstoffgas aus der Luft und in der Abgabe von Kohlensäuregas an
sie. Dieser Atmungsprozeß ist viel schwächer als der Ernährungsvorgang
und wird daher gewöhnlich durch diesen in den Schatten gestellt. Aber
nachts, wenn die Ernährung der Pflanzen stillsteht, kann man sehr
deutlich die Atmung an der Umkehrung der Gasausscheidung beobachten.

+Der Kommerzienrat+: Warum steht die Ernährung der Pflanzen nachts
still, da doch die Luft auch nachts zu ihrer Verfügung steht?

[Illustration: Abb. 38. Nachweis der Atmung bei Pflanzen. Ein
Glaskolben voll Wucherblumen taucht in Kalilauge. Diese steigt im
Kolbenhals auf, indem sie die ausgeatmete Kohlensäure verschluckt.]

+Der Professor+: Weil zur „Verdauung“ des Kohlensäuregases die
Mitwirkung des Sonnenlichts notwendig ist. Die Zerspaltung des
Kohlensäuregases in Kohle und Sauerstoff ist ein sogenannter
+endothermischer+ Vorgang (vgl. das 5. Kapitel), d. h. ein Vorgang,
der nur dann erfolgen kann, wenn dem Kohlensäuregas Energie
zugeführt wird. Diese Energie strömt der Pflanze im Sonnenlicht bei
Tage reichlich zu. Sie verschwindet in der Pflanze, hilft bei der
Zerspaltung des Kohlensäuregases und ist dann in den Spaltungsprodukten
-- in der Kohle und im Sauerstoff -- enthalten.

+Der Kommerzienrat+: Diese Vorgänge finden wohl in den Blättern statt?

+Der Professor+: Ja. Sie sind zugleich der Verdauungsapparat und
die Lunge der Pflanze. An der Unterseite der Blätter befinden sich
sehr kleine, spaltförmige Öffnungen in ungeheurer Anzahl; durch sie
vollzieht sich der Austausch der Gase.

+Der Kommerzienrat+: Verzeihen Sie, wenn ich jetzt eine recht dumme
Frage stelle: Warum sind eigentlich die Blätter grün?

[Illustration: Abb. 39. Spaltöffnungen an der Unterseite eines Blattes.]

+Der Professor+: Diese Frage ist sehr berechtigt und ist auch von der
Wissenschaft schon gestellt und durch Versuche beantwortet worden.
Man hat gefunden, daß der grüne Farbstoff (Blattgrün oder Chlorophyll
genannt) für den Ernährungsvorgang der Pflanzen wesentlich ist. Wo er
fehlt, ist auch das Sonnenlicht nicht imstande, das Kohlensäuregas
in Kohle und Sauerstoff zu spalten. Das Blattgrün ist für die
Pflanzen gewissermaßen das, was für die Tiere das Blut ist. Nach den
Untersuchungen Willstätters besteht sogar eine gewisse Ähnlichkeit in
der chemischen Zusammensetzung beider.

+Der Kommerzienrat+: Also könnte eine Pflanze ohne Blattgrün überhaupt
nicht wachsen? Demnach gibt es solche Pflanzen gar nicht?

+Der Professor+: Dies wäre zuviel behauptet. Es gibt eine ganze Menge
Pflanzen ohne Blattgrün, und sie können auch ganz gut wachsen: aber
ihre Ernährung beruht nicht auf der Verdauung des Kohlensäuregases
mit Hilfe des Lichts, sondern auf der Ausnutzung anderer Stoffe.
Diese Pflanzen leben entweder als +Schmarotzer+ auf anderen Pflanzen
oder Tieren, oder sie ernähren sich von denjenigen Stoffen, welche
bei der Fäulnis und Verwesung entstehen. Zu diesen blattgrünfreien
Pflanzen gehören sämtliche +Pilze+ und +Bakterien+ und viele höher
organisierte Pflanzen, wie der Fichtenspargel, viele Orchideen usw.
Aber auch die meisten übrigen Pflanzen, welche sich im erwachsenen
Zustande der Kohlensäure, des Lichts und des Chlorophylls zur Ernährung
bedienen, ernähren sich in der frühesten Jugend ohne Chlorophyll;
sie leben in der ersten Jugend von den Vorräten, welche die Natur
zu diesem Zweck um den Keim herumgelagert hat. So lebt die junge
Getreidepflanze, bevor sie durch die Erde ans Tageslicht dringt,
vom Mehl des Getreidekorns; die Kartoffelpflanze nützt die großen
Nahrungsvorräte der Kartoffelknolle aus, und überhaupt alle Zwiebel-
und Knollengewächse sind in ihrer ersten Jugend mit einem förmlichen
Speicher von Nahrungsvorräten umgeben. Bis diese verbraucht sind, haben
die jungen Pflanzen genügend Blattgrün gebildet, um dann größtenteils
von der Luftkohlensäure weiter leben zu können.

[Illustration: Abb. 40. (Nach C. W. Schmidt.) Die Blattgrünkörner einer
Wasserlinse stellen sich auf wechselnde Beleuchtung ein (oben schwach,
unten stark beleuchtet).]

+Der Kommerzienrat+: Eine gewisse Vorliebe für die schmarotzende
Lebensweise ihrer Jugendzeit scheinen sich die meisten Pflanzen doch
auch mit ins spätere Leben zu nehmen, denn sonst könnte eine +Jauche+-
oder +Mistdüngung+ doch ihr Wachstum nicht so sehr fördern? Ist denn
das, was Sie über die Luftnahrung sagen, wirklich so wörtlich zu
nehmen? Mir scheint, meine Gartengewächse sind doch mehr auf den Dung
angewiesen und würden elend zugrunde gehen, wenn ich ihnen bloß die
Luft als Nahrung überlassen wollte.

+Der Professor+: Hier haben Sie ein Schulbeispiel eines Trugschlusses.
Der Beweis ist durch folgende Versuche leicht zu führen: Hängen Sie
einen Bohnenkern mit Hilfe von etwas Watte in ein Glas voll Wasser.
Er wird auskeimen, aber die Bohnenpflanze wird bald zugrunde gehen.
Sie werden sagen: Das ist ganz klar, Wasser allein ist keine Nahrung,
und von der Luft kann nicht einmal eine Pflanze leben. Aber Sie irren
sich wirklich. Wiederholen Sie den Versuch, und setzen Sie dem Wasser
+winzige Spuren+ von Salpeter, Ammoniumphosphat und Eisenvitriol hinzu,
im ganzen nicht mehr als ein halbes Gramm von allen drei Stoffen:
nun wird die Bohne üppig und schnell wachsen, wie mit der besten
Jauchedüngung im Garten, und wird an Gewicht gar bald die zugesetzten
Nährsalze um ein Hundertfaches überragen. Sie können nun unmöglich
behaupten, die Bohne nehme an Substanz zu auf Kosten der zugesetzten
Nährsalze: denn diese machen an Gewicht nur einen winzigen Bruchteil
der Gewichtszunahme unserer zweiten Bohne aus. Diese Bohne wächst
offenbar auf Kosten der Kohlensäure der Luft, wie übrigens auch
zweifelfrei durch direkte Luftwägungen nachgewiesen wurde.

+Der Kommerzienrat+: Das ist in der Tat eine wunderbare Sache. Also
darf man wohl annehmen, daß auch im Mist solche Nährsalze enthalten
sind, und daß sie ein beschleunigtes Verdauen der Luftkohlensäure durch
die Pflanzen erleichtern?

+Der Professor+: Ja. Es ist sehr wohl möglich und sogar wahrscheinlich,
daß außerdem auch noch ein Teil der Dungstoffe von der Pflanze
schmarotzerisch aufgenommen wird. Aber wesentlich ist dieser Teil
nicht, sonst würden die Kunst- oder Mineraldünger (Superphosphat,
Kainit, Salpeter, Ammoniumphosphat) auf unseren Wiesen und Feldern
nicht so großen Erfolg haben, auch wenn gar keine Mistdüngung
gleichzeitig gegeben wird.

+Der Kommerzienrat+: Also könnte man die Mistdüngung wohl ganz
entbehren und durch Kunstdüngung ersetzen?

+Der Professor+: Das wäre wohl zu viel behauptet. Der Mist und der aus
ihm entstehende Humusboden haben die Eigenschaft, solche Nährsalze
festzuhalten, die sonst vom Regen aufgelöst und fortgeschwemmt würden.
Außerdem ist es vielleicht möglich, daß der natürliche Dünger für die
Pflanzen eine ähnliche Bedeutung hat wie für uns der Genuß des Obstes,
das beinahe gar keinen Nährwert hat, aber auf die Zusammensetzung
unserer Körpersäfte regulierend wirkt.

+Der Kommerzienrat+: Nun sagten Sie wiederholt, die Kohlensäure würde
in den Blättern der Pflanzen gespalten in Kohle und Sauerstoff, und
Sie erwähnten auch, daß der Sauerstoff wieder ausgeatmet würde. Aber
was geschieht mit der Kohle? Als Kohle ist sie doch gewiß nicht in den
Pflanzen, sonst müßte sie sich durch ihre schwarze Farbe verraten.

+Der Professor+: Der Kohlenstoff (so nennt der Chemiker die reine
Kohle) ist natürlich in den Pflanzen nicht als solcher, sondern er
ist mit anderen Elementen zu chemischen Verbindungen vereinigt. Die
wichtigsten dieser Verbindungen sind: der +Formaldehyd+, welcher so
zusammengesetzt ist, als ob 1 Atom Kohlenstoff mit einem Molekül Wasser
verbunden wäre; der +Trauben+- und +Fruchtzucker+ und der +Malzzucker+,
welche auf 6 Kohlenstoffatome 6 Wassermoleküle, und der Zellstoff,
welcher auf 6 Kohlenstoffatome 5 Wassermoleküle enthält. Alle diese
Verbindungen enthalten also nur Kohle und Wasser in wechselnden Mengen;
wahrscheinlich entsteht aus Wasser und Kohlensäuregas unter dem
Einfluß des Lichtes und des Blattgrüns zuerst Formaldehyd, aus welchem
sich dann durch Verdichtung und mehrfache chemische Umlagerungen die
Zuckerarten bilden. Diese werden teils durch Umwandlung in Zellstoff
zum Aufbau des Holzes verwendet, teils in Form von +Stärke+ (welche dem
Zellstoff an chemischer Zusammensetzung gleich ist) als Nahrungsvorräte
aufgespeichert.

+Der Kommerzienrat+: Ich verstehe nun, warum die Kartoffelknollen, die
Rüben, Getreidekörner, Zwiebeln usw. so reich an Stärke sind. Aber wie
wird dieser Nahrungsvorrat von der Pflanze wieder nutzbar gemacht? Oder
ist dies nicht der Zweck des Vorrats?

+Der Professor+: Doch! Es geschieht in der Weise, daß die Stärke
wieder in Zuckerlösung zurückverwandelt wird. Deshalb schmecken
keimende Zwiebeln und Kartoffeln süß, weil darin ein Teil der Stärke
in Verzuckerung begriffen ist, um dem wachsenden Keim als Nahrung zu
dienen. (Vgl. das 8. Kapitel.) Diese Verzuckerung der Stärke wird durch
gewisse chemische Verbindungen bewirkt, welche man Enzyme nennt. Sie
werden dabei merkwürdigerweise selbst nicht verändert.

+Der Kommerzienrat+: Ist man schon dahintergekommen, warum diese
abermalige Umwandlung der Stärke in Zucker notwendig ist? Ich meine
dies: warum wandelt sich nicht die Stärke direkt in Pflanzenfasermasse,
in Zellstoff, um?

[Illustration: Abb. 41. Ein Zwiebelkeim, von stärkereichen,
chlorophyllfreien Blättern umhüllt.]

[Illustration: Abb. 42. Eine aus drei Augen keimende Kartoffel. Die
blinden (chlorophyllfreien) Keime leben vom Stärkevorrat der Kartoffel.
Die Schuppen („Augen“) am Grund der Keime sind Blattanlagen.]

+Der Professor+: Dies hat einen sehr einfachen Grund: Stärke ist in
Wasser als solche nicht löslich, während Zucker löslich ist. Wenn nun
z. B. ein Kartoffelkeim an seiner Spitze neue Substanz ansetzt, so
muß diese in irgendeiner löslichen Form aus der Knolle in die Spitze
befördert werden. Diese Aufgabe fällt der Zuckerlösung zu. Sie ist
gleichsam das Blut der Pflanze. Die Stärkeablagerungen in der Knolle
sind dagegen mit dem Fett der Tiere vergleichbar.

+Der Kommerzienrat+: Braucht nun die Pflanze zu ihrer Ernährung
wirklich gar nichts weiter als Kohlensäuregas und Wasser?

+Der Professor+: Es wäre ein sehr verhängnisvoller Irrtum, dies zu
glauben. Wir erwähnten schon vorhin die Bedeutung der Nährsalze im
natürlichen und künstlichen Dünger. Von mindestens gleicher Wichtigkeit
ist für das Wachstum der Pflanze die Aufnahme eines weiteren Elements,
des Stickstoffs. Der Stickstoff ist nämlich, neben Kohlenstoff,
Wasserstoff und Sauerstoff, der wichtigste Bestandteil der sogenannten
+Eiweißverbindungen+. Diese bilden den wertvollsten Inhalt der
tierischen und pflanzlichen Zellen und sind die eigentlichen Träger
des Lebens. In den Pflanzen bilden sie einen schleimigen Belag auf der
Innenwand der Zelle, den man +Protoplasma+ nennt. Von diesem Belag aus
geht alles Wachstum und überhaupt alles Leben. Dieser Belag enthält und
verbraucht andauernd eine gewisse Menge Stickstoffgas.

[Illustration: Abb. 43. Eine junge Pflanzenzelle. Das Plasma füllt noch
fast die ganze Zelle, mit Ausnahme weniger Safträume.]

[Illustration: Abb. 44. Ältere Pflanzenzelle. Das Plasma ist dem
Wachstum der Zelle nicht gefolgt und liegt der Zellwand als dünner,
schleimiger Belag an. Die Vakuolen nehmen fast den ganzen Zellraum ein.]

+Der Kommerzienrat+: Dies ist doch, wenn ich mich recht erinnere, der
Hauptbestandteil der Luft?

+Der Professor+: Jawohl, ⅘ der Luft bestehen aus Stickstoff.

+Der Kommerzienrat+: Nun, da hat es die Pflanze leicht genug mit der
Befriedigung ihres Stickstoffhungers, denn sie wird das Gas wohl
einfach aus der Luft aufnehmen.

+Der Professor+: Doch nicht so einfach, wie Sie sich jetzt denken.
Das Stickstoffgas als solches ist nämlich für die Pflanzen völlig
unverdaulich. Die Chemiker haben diesem Gas schon lang angemerkt,
daß es eine unglaublich geringe Neigung hat, chemische Verbindungen
einzugehen. Die Pflanzen nehmen den Stickstoff deshalb niemals aus der
Luft, sondern stets durch die Wurzel aus dem Boden auf. Der Boden muß
ihn entweder in Form von +Nitraten+ (Salzen der Salpetersäure) oder in
Form von +Ammoniakverbindungen+ enthalten.

+Der Kommerzienrat+: Jetzt verstehe ich auch von neuem, warum der
+Mist+ so gut düngend wirkt. Der enthält ja so viel Ammoniak, daß es
einem in Augen und Nase beißt.

+Der Professor+: Diesmal hat Sie Ihre sinnliche Wahrnehmung auf den
richtigen Weg geführt.

+Der Kommerzienrat+: Wie machen es aber die Bäume des Waldes und
überhaupt die wildwachsenden Gewächse mit der Befriedigung ihres
Stickstoffbedarfs?

+Der Professor+: Sie ziehen, wohl durch den Geruch ihrer Wurzeln,
gewisse Pilze und Bakterien an. Eine ausgerissene Fichtenwurzel ist
z. B. meist von einem dichten, weißen Pilzgeflecht (~Mykorrhiza~)
bedeckt, welches mit der Wurzel in innigster Lebensgemeinschaft
steht. Diese stickstoffreichen Pilze bilden dann, absterbend, einen
stickstoffhaltigen Dünger für die Baumwurzel. Ganz ähnlich ist es bei
den Hülsenfruchtgewächsen; sie haben fast sämtlich an ihren Wurzeln
kleine Knöllchen, in welchen eine Unmenge von Bakterien eingeschlossen
sind, die durch ihr Absterben die Pflanze mit Stickstoff versorgen.

+Der Kommerzienrat+: Ich denke, durch diesen Befund ist das Problem
nicht gelöst, sondern nur verschoben: denn nun müssen wir fragen, wie
es diese Pilze und Bakterien anfangen, stickstoffhaltig zu werden?

[Illustration: Abb. 45. Bohnenwurzel, dicht mit Bakterienknöllchen
besetzt.]

[Illustration: Abb. 46. Normale Stickstoffbakterien (nach Jost).]

[Illustration: Abb. 47. Degenerierte Stickstoffbakterien aus einer
Bohnenwurzel (nach Jost).]

+Der Professor+: Sie haben ganz recht. Ich vergaß, Ihnen zu sagen,
daß man von einigen dieser Bakterien mit aller Sicherheit nachgewiesen
hat, daß sie den Stickstoff der Luft in salpetrige und in Salpetersäure
umwandeln. Die so entstehenden Salze der Salpetersäure sind aber eines
der verdaulichsten stickstoffhaltigen Nahrungsmittel für alle Arten von
Pflanzen.

+Der Kommerzienrat+: Sagten Sie nicht soeben, daß das Stickstoffgas
eine sehr geringe Neigung habe, chemische Verbindungen einzugehen? Wie
machen es wohl diese Bakterien, um den trägen Stickstoff zur Verbindung
mit Sauerstoff zu nötigen?

+Der Professor+: Dies ist vorläufig ein völliges Rätsel. Es ist um
so merkwürdiger, als diese Vereinigung künstlich nur unter Anwendung
hoher elektrischer Spannungen bei der Temperatur des elektrischen
Funkens (ca. 4000 °) möglich ist. Man könnte vielleicht, wie bei der
Kohlensäurespaltung, an die Mitwirkung des Lichts denken. Aber es
ist durch Versuche fast einwandfrei festgestellt, daß die Verdauung
des Stickstoffs ohne Mitwirkung des Lichts erfolgt (vgl. Jost,
Pflanzenphysiologie, in Strasburgers Lehrbuch der Botanik, 11. Aufl.,
S. 193). Wir stehen also vor der für jeden Chemiker unglaublich
klingenden Tatsache, daß die Pflanze es fertig bringt, kaltes
Stickstoffgas ohne jede Anwendung von Licht, Wärme oder Elektrizität
in beliebigem Grade zu oxydieren. Dies ist eine Leistung, welche
schlechthin alles in Schatten stellt, was die Chemiker bisher erreicht
haben.

[Illustration: Abb. 48. Eine unförmig aufgetriebene Bakterienzelle
aus einem Wurzelknöllchen der Bohne, gefüllt mit Millionen
Stickstoffbakterien.]

+Der Kommerzienrat+: Ist es nicht überhaupt wunderbar, daß die Pflanze
ihre Vorräte an Zellulose, Stärke und Zucker auf kaltem Wege erzeugt?
Wenn ich nicht irre, können die Chemiker auch diese Prozesse nicht ohne
Anwendung von Hitze durchführen.

+Der Professor+: Sie haben ganz recht. Die chemische Küche der Pflanze
ist kalt. Dabei leistet sie so Unglaubliches, daß sie damit den blassen
Neid aller Chemiker weckt. Sie verwandelt auf dem Weg von der Knolle
bis zum Blatt wenigstens ein dutzendmal Stärke in Zucker und Zucker in
Stärke um, während den Chemikern zwar das erste, niemals aber bis jetzt
das zweite gelungen ist. Kein Chemiker vermag Stärke oder Zellulose
künstlich darzustellen. Dabei sind diese Dinge verhältnismäßig
als Kleinigkeiten zu bewerten im Vergleich mit der beispiellosen
Mannigfaltigkeit von Farb-, Duft- und Konservierungsstoffen, welche in
den Wurzeln, Blättern und Blüten erzeugt werden. Das Pflanzenkleid der
Erde ist in der Tat das gewaltigste chemische Laboratorium, vor welchem
sich selbst unsere leistungsfähigsten chemischen Fabriken wie ärmliche
Alchimistenküchen verkriechen müssen.

+Der Kommerzienrat+: Hat man denn gar keine Vorstellung, welcher
Hilfsmittel sich die Pflanze bei ihren chemischen Darstellungen
bedient? Sie haben mir doch früher (vgl. das 8. Kapitel) erzählt, daß
man die +Gärungsvorgänge+ und die +Verzuckerung der Stärke+ mit Hilfe
der sogenannten Enzyme künstlich bewirken könne, ohne Mithilfe des
lebenden Pflanzenkörpers. Wäre es nicht denkbar, daß alle chemischen
Vorgänge in der Pflanze auf die Mitwirkung von Enzymen zurückführbar
sind?

+Der Professor+: Dies ist deshalb ganz ausgeschlossen, weil die bis
jetzt bekannten Enzyme sämtlich den +Abbau+, d. h. die Zerlegung
einer komplizierten in verschiedene einfache Verbindungen, bewirken.
+Aufbauende+ Enzyme sind meines Wissens bis jetzt überhaupt unbekannt.
Gerade die wichtigsten chemischen Vorgänge in der Pflanze sind jedoch
solche +Synthesen+, d. h. aufbauende Prozesse. Das ist der Unterschied
zwischen der Verdauung bei Pflanzen und bei Tieren: die Pflanze verdaut
+einfache+ Stoffe, wie Kohlensäure, Wasser und Stickstoff, zu sehr
komplizierten; das Tier aber verdaut komplizierte Nährstoffe (Fleisch,
Pflanzeneiweiß) zu einfachen Endprodukten (Aminosäuren). Freilich baut
dann auch der tierische Körper aus diesen Zerlegungsstoffen wieder
komplizierte Eiweißmoleküle des Blutes und Fleisches auf.

+Der Kommerzienrat+: Ich bin Ihnen, lieber Professor, für Ihre
interessanten Belehrungen sehr dankbar. Nun kann ich mir nur eine Sache
noch nicht recht vorstellen: wenn jede Pflanze während ihres Wachstums
Kohlensäure aus der Luft zieht, und wenn sich dieser Vorgang Jahr um
Jahr mit der ganzen, gewaltigen Pflanzendecke der Erde wiederholt: da
muß doch schließlich die Luft die geringe Menge Kohlensäure, welche
sie noch enthält, nach und nach ganz verlieren. Dann wäre wohl kein
Pflanzenwuchs und infolgedessen auch kein Tierleben mehr möglich.

+Der Professor+: Sie übersehen in Ihrer Schlußfolgerung nur die
wichtige Tatsache, daß alle von den Pflanzen aufgenommene Kohlensäure
schließlich doch wieder als solche in die Luft zurückströmt. Denn
fast alle Pflanzensubstanz fällt schließlich der +Verwesung+ anheim,
und dabei wird nahezu aller Kohlenstoff schließlich in Kohlensäuregas
verwandelt, welches in die Luft zurückströmt. Auch das faulende Holz
der Wälder unterliegt dieser Veränderung. Diejenige Pflanzensubstanz,
welche nicht unmittelbar verwest, wird entweder von Tieren gefressen
oder verbrannt oder allmählich in Kohle verwandelt und dann auch
verbrannt. Da bei der Verwesung des Tierkörpers auch Kohlensäure
entsteht, so ist in allen diesen Fällen das Endprodukt wieder die
Kohlensäure. Deshalb kann der Kohlensäuregehalt der Luft nicht
abnehmen. +Der Kohlenstoff vollendet also in der Natur einen ewigen,
sich immer wiederholenden Kreislauf.+

+Der Kommerzienrat+: Ich dächte aber, ich hätte einmal gelesen oder
gehört, daß die Luft in einer älteren Periode der Erdgeschichte reicher
an Kohlensäure gewesen sei. Damals, ich glaube, es war in der Zeit der
Entstehung der Steinkohlen, sollen ja aus diesem Grunde die Pilze und
Farnkräuter und Bärlappgewächse eine ungeheure Größe erreicht haben.
Ist dies richtig, so widerspricht es doch der Lehre vom Kreislauf des
Kohlenstoffs.

+Der Professor+: Ihr Einwand ist in der Tat richtig; während aber
diese, ich möchte sagen: +säkulare+ Abnahme des Kohlensäuregehaltes
der Luft Millionen von Jahren beansprucht hat, so können wir für
unsere geschichtlichen Zeiträume keine erkennbare Abnahme nachweisen.
Wir können also mit dieser Einschränkung die Lehre vom Kreislauf des
Kohlenstoffs wohl aufrechterhalten.

[Illustration: Abb. 49. Der Siegelbaum (~Sigillaria~), ein baumgroßes
Bärlappgewächs der Steinkohlenzeit.]

[Illustration: Abb. 50. ~Alethopteris lonchitidis~, ein
steinkohlenbildender Farn.]

+Der Kommerzienrat+: Woher stammten denn jene großen Kohlensäuremengen?

+Der Professor+: Man vermutet, daß die ursprüngliche Atmosphäre
hauptsächlich aus Kohlensäure und Stickstoff bestand, welche beiden
Gase von der erkaltenden Erdmasse ausgehaucht wurden. Ob Sauerstoff
schon dabei war, oder ob er erst durch Zersetzung der Kohlensäure
gebildet wurde, ist nicht sicher entschieden.

+Der Kommerzienrat+: Aber wohin sind diese großen Kohlensäuremengen
geraten?

+Der Professor+: Man vermutet, daß sie in den Kalkgebirgen stecken,
deren Gestein aus kohlensaurem Kalk besteht. Diese Gebirge und ihr
Material sind nämlich zweifellos erst nach jener Zeit entstanden, in
welcher die Luft so reich an Kohlensäure war.

+Der Kommerzienrat+: Da müßte man also annehmen, daß auf der Erde
ehemals gebrannter oder gelöschter Kalk vorhanden war, und daß dieser
sich mit der Kohlensäure allmählich zu kohlensaurem Kalk verbunden hat?

+Der Professor+: O nein, das ist ganz anders vor sich gegangen. Die
Kalkgebirge sind voll versteinerter Meerestiere; diese hätten niemals
auf gebranntem oder gelöschtem Kalk leben können, weil diese Verbindung
eine sehr scharfe, ätzende Base ist. Vielmehr weisen alle Umstände
darauf hin, daß bei der Entstehung des Kalksteins dem +Meer+ eine
wichtige Rolle zukommt. Untersucht man irgendeine Art von Kalkstein
oder Kreide unter dem Mikroskop, so erkennt man leicht, daß diese
Stoffe ganz und gar aus den Kalkschalen winziger Pflanzen (Kalkalgen)
und Tiere (Urtierchen) zusammengesetzt sind, die ohne Zweifel im Wasser
gelebt haben.

+Der Kommerzienrat+: Zugegeben; aber diese Erklärung kann doch
unmöglich für solche Kalkgesteine gelten, welche von hohen Berggipfeln,
wie z. B. von der Zugspitze, stammen.

+Der Professor+: Wenn Sie vom Gipfel der Zugspitze ein Stück
Wettersteinkalk abschlagen und mikroskopisch prüfen, so werden Sie
erkennen, daß es nahezu gänzlich aus den Schalen zweier Kalkalgen,
nämlich der Gattungen ~Gyroporella~ und ~Diplopora~, zusammengesetzt
ist.

+Der Kommerzienrat+: Also müßte auch der Gipfel der Zugspitze ehemals
Meeresboden gewesen sein?

[Illustration: Abb. 51. ~Diplopora annulata~, eine Kalkalge des
Wettersteingebirges.]

+Der Professor+: Dies ist ganz unbezweifelbar. Die Erhebung der Alpen
ist als ein Faltungs- und Schrumpfungsvorgang der Erdrinde erst in
sehr später Zeit (in der Tertiärzeit) erfolgt; es ist sogar möglich,
daß in dieser Zeit bereits das jüngste aller irdischen Geschöpfe, der
Mensch, vorhanden oder in der Entwicklung begriffen war. Vorher waren
die Alpenlande ebener Boden, eingetrockneter Meeresboden. Und in dem
Meer, das ehemals diesen Boden überdeckte, lebten und starben jene
Kalkalgen in ungeheuren Mengen. Die toten sanken darin langsam zu
Boden und verwesten; aber ihre Kalkschalen konnten nicht verwesen und
bildeten einen tiefen und dicken Schlamm, aus welchem allmählich durch
Austrocknung und Erhärtung der Kalkstein wurde.

+Der Kommerzienrat+: Dies klingt sehr wunderbar, ist aber immerhin
verständlich. Aber wie soll ich mir vorstellen, daß die Kalkschalen der
Algen sich mittels der Kohlensäure der Luft gebildet haben? Denn so war
es doch, so soll doch der ehemals so große Kohlensäuregehalt der Luft
sich vermindert haben?

+Der Professor+: Auch dieser Vorgang ist an lebenden Kalkalgen
recht klar erforscht worden. Diese Kalkalgen können nur in einem
Wasser leben, welches sogenannten doppeltkohlensauren Kalk gelöst
enthält. Dies ist eine chemische Verbindung von kohlensaurem Kalk
mit Kohlensäure; sie unterscheidet sich von kohlensaurem Kalk (der
in Wasser unlöslich ist) durch ihre beträchtliche Löslichkeit. Die
Kalkalgen nun, als Pflanzen, brauchen zu ihrer Ernährung Kohlensäure.
Da sie nicht in der Luft leben, sondern im Wasser, so entziehen sie
ihren Kohlensäurebedarf aus dem doppeltkohlensauren Kalk, welcher in
ihrer wässerigen Umgebung gelöst ist. Dadurch verwandelt sich aber der
lösliche doppeltkohlensaure Kalk in unlöslichen kohlensauren Kalk,
der nun auf irgendeine Weise zum Vorschein kommen muß. Die allzeit
erfinderische Natur verwendet ihn zum Bau steinerner Gehäuse und
Stützgerüste: der Kalkschalen dieser Algen.

+Der Kommerzienrat+: Das ist freilich ein merkwürdiger Vorgang, auf den
man durch bloßes Nachdenken nicht kommen kann. Nun fragt sich bloß, wie
die Kohlensäure der Luft dazu kommt, als doppeltkohlensaurer Kalk in
das Wasser einzutreten?

+Der Professor+: Diese Frage ist durch die Geologie recht zuverlässig
beantwortet worden. Das Regenwasser löst beim Niederfallen um so
mehr Kohlensäure auf, je kälter es ist und je reicher die Luft an
Kohlensäure ist. Diese Lösung wirkt auf die meisten Gesteine zersetzend
ein und entzieht ihnen langsam, aber sicher alle Basen, indem es diese
in doppeltkohlensaure Salze verwandelt und in gelöster Form fortführt.
Der Kalkgehalt unserer Kalkgebirge stammt also vermutlich aus den
Urgneisen und vielleicht auch aus den älteren Graniten. Die Kohlensäure
stammt aus der Luft.

+Der Kommerzienrat+: Wie kam aber die Kohlensäure in die Luft?

+Der Professor+: Sie ist ein Entgasungsprodukt der erkaltenden Erde.
Noch heute strömt die Erde an allen Orten früherer vulkanischer
Tätigkeit große Mengen von Kohlensäure aus (z. B. in der Eifel am
Rhein). Da die vulkanischen Vorgänge in früheren Erdperioden viel
stärker und weiter verbreitet waren, so muß dadurch auch viel mehr
Kohlensäure in die Luft gekommen sein. Noch heute hält dieses aus der
Erde kommende („juvenile“) Kohlensäuregas dem durch den Pflanzenwuchs
verbrauchten das Gleichgewicht, so daß der Kohlensäuregehalt der Luft
nicht merklich abnimmt.

+Der Kommerzienrat+: Da sollte man eigentlich erwarten, daß die Luft
im Winter mehr Kohlensäure enthält als im Sommer, weil im Winter der
Verbrauch durch die Pflanzen größtenteils wegfällt, während der Zustrom
aus dem Erdinnern doch in gleicher Stärke weiter besteht.

+Der Professor+: Ihre Vermutung ist tatsächlich richtig (vgl. Jost,
Pflanzenphysiologie, in Strasburgers Lehrbuch der Botanik, 11. Aufl.,
S. 186). In 10000 Liter Luft sind im Winter 3,0 bis 3,6, im Sommer nur
2,7 bis 2,9 Liter Kohlensäure enthalten.

+Der Kommerzienrat+: Ich wundere mich jetzt geradezu, daß der
Kohlensäuregehalt der Luft nicht fortwährend +größer+ wird. Denn die
von den Pflanzen verzehrte Luftkohlensäure gelangt doch, wenn die
Pflanzen verwesen, wieder unvermindert in die Luft zurück; und die
gewaltigen Kohlensäuremengen, welche der Erde entströmen, kommen doch
hinzu.

+Der Professor+: Sie vergessen, daß der Kreislauf der Kohlensäure sich
in einer Bahn vollzieht, welche, sozusagen, nicht ganz dicht hält.
Sie hat zwei undichte Stellen, an welchen viel Kohlensäure aus dem
Kreislauf nach außen sickert: die eine Stelle ist Ihnen schon bekannt,
es ist die Bildung der Kalkgesteine aus dem Meeresbodenschlamm. Das
andere Leck in der Bahn des Kreislaufs der Kohlensäure ist die Bildung
der +Kohlenlagerstätten+ der Erde. Hier verwandeln sich ungeheure
Mengen von Pflanzensubstanz durch mangelhafte Verwesung in Torf,
Braunkohle, Steinkohle, Anthrazit und Graphit und binden so eine Menge
Kohlenstoff in der Erdrinde, der ehedem als Kohlensäuregas in der Luft
war.

+Der Kommerzienrat+: Sie erwähnten vor einiger Zeit, daß der
Sauerstoffgehalt der Luft möglicherweise auf jene großen
Kohlensäuremengen zurückzuführen ist, welche früher in der Luft
enthalten waren. Wie wäre dies zu erklären?

+Der Professor+: Wenn die Kohlensäure durch Kalkalgen gebunden und
als Nahrung aufgenommen wurde, so muß eine entsprechende Menge von
Sauerstoff von ihnen abgeschieden worden sein. Dieser Sauerstoff, das
Verdauungsprodukt der kohlensäureverzehrenden Pflanzen, kann nur in die
Luft entwichen sein.

+Der Kommerzienrat+: Freilich haben dieselben Pflanzen zum Zweck der
+Atmung+ Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure abgeschieden. Aber
anscheinend ist die Atmung der Pflanzen weniger rege als ihre Ernährung.

+Der Professor+: So ist es tatsächlich. Wohl werden durch die
Atmung, namentlich durch die der Bodenbakterien, ungeheure Mengen
Kohlensäuregas in die Luft geschickt; aber diese Mengen sind dennoch
verschwindend klein im Verhältnis zu denjenigen, welche bei der
Ernährung derselben Pflanzen verbraucht werden. Für die Bewegung des
Sauerstoffs gilt natürlich dasselbe im umgekehrten Sinn: bei der
Ernährung wird viel mehr Sauerstoff frei, als bei der Atmung verzehrt
wird.

+Der Kommerzienrat+: Das Nebeneinanderbestehen dieser beiden Vorgänge,
der Atmung und der Ernährung, mit ihren entgegengesetzt verlaufenden
Stoffwechselprozessen erscheint einem doch recht unverständlich. Was
hat es für einen Sinn, daß bei der Atmung einer Pflanze Kohlensäure
entbunden wird, welche von derselben Pflanze zum Zweck der Ernährung
wieder verbraucht wird?

[Illustration: Abb. 52. Aus den abgeschnittenen Stielenden der
Wasserpflanze ~Helodea canadensis~ entweicht im Sonnenlicht
Sauerstoffgas.]

+Der Professor+: Der Sinn dieser einander widersprechenden
Vorgänge ist in den thermochemischen Beziehungen, also in den
Bewegungen der Wärme bei diesen chemischen Prozessen, zu suchen. Der
Ernährungsvorgang ist ein endothermischer Prozeß; bei der Spaltung
der Kohlensäure wird Energie (in Form von Sonnenlicht) verbraucht.
Der Atmungsvorgang ist dagegen ein exothermischer Prozeß, bei welchem
Energie frei wird. Diese freiwerdende Energie wird von der Pflanze
verbraucht, um ihre sämtlichen +Bewegungen+ zu bestreiten, nämlich die
Wachstumsbewegungen, das Aufrichten und Strecken, das Entrollen der
Blätter aus den Knospen usw. Bewegungen erzeugen wir ja auch in den
Maschinen durch freiwerdende Energie, z. B. in der Dampfmaschine durch
die freiwerdende Wärme der brennenden Kohlen. Diese Wärme ist, nebenbei
bemerkt, nichts anderes als die Energie des Sonnenlichts, welche in
der Karbonzeit in den Blättern der Steinkohlenbäume die Kohlensäure
in Kohlenstoff und Sauerstoff gespalten hat. Indem wir die Kohle
verbrennen, gewinnen wir diese aufgestapelte Sonnenenergie als Wärme
wieder.

+Der Kommerzienrat+: Wenn ich Sie also recht verstehe, so
atmet die Pflanze nur, um dadurch Verbrennungsenergie für ihre
Wachstumsbewegungen zu gewinnen?

+Der Professor+: Daß sie +nur+ deshalb atmet, wäre wohl zu viel gesagt.
Denn die Atmung wird, wie bei den Tieren, wohl auch die Reinigung des
Körpers durch Oxydation unbrauchbarer Stoffe bewirken.

+Der Kommerzienrat+: Nach allem, was Sie soeben gesagt haben, könnte
man wohl auch von einem +Kreislauf der Wärme+ sprechen? Denn die Wärme,
welche bei der Verbrennung der Kohlen an die Natur zurückgegeben wird,
ist doch nichts anderes als die Sonnenenergie, welche ehemals die
Kohlensäure in Kohlenstoff und Sauerstoff spaltete?

+Der Professor+: So ist es allerdings; aber die Bezeichnung
„+Kreislauf+“ können wir für diesen Weg der Wärme doch nicht gut
anwenden, weil diese Wärme nicht wieder an ihren ursprünglichen Platz
(die Sonne) zurückgelangt. Nach dem bisherigen Stand unseres Wissens
ist es ganz unmöglich, daß die Wärme von einem kälteren auf einen
wärmeren Körper übertragen wird. Diese Tatsache ist deshalb wichtig,
weil die Umwandlung der Wärme in die Energie der Bewegung nach unseren
Erfahrungen nur bei ihrem Übertritt von einem Körper auf einen anderen
möglich ist. Also haben alle Bewegungen, welche wir überhaupt kennen,
ihren letzten Ursprung darin, daß Wärme (und zwar verwandelte oder
aufgespeicherte Sonnenwärme) von einem wärmeren auf einen kälteren
Körper übergetreten ist.

+Der Kommerzienrat+: Meinen Sie damit auch z. B. die Bewegung eines
Wasserrades im Fluß?

+Der Professor+: Ja. Das Wasserrad kann nur so lange getrieben werden,
als das Wasser bergab läuft. Das Wasser läuft aber nur so lange bergab,
als es durch Regengüsse aus den Wolken auf die Gipfel der Berge
befördert wird. Es ist die Sonnenwärme, welche das zu Tal geflossene
Wasser immer wieder in Dampf- und Dunstform auf Wolkenhöhen erhebt. Sie
ist es also letzten Endes, welche das Wasserrad treibt.

+Der Kommerzienrat+: Wie ist es aber mit der Bewegung eines
Elektromotors, in den ich elektrischen Strom sende? Das hat doch gewiß
nichts mit der Sonnenwärme zu tun?

+Der Professor+: Doch insofern, als Sie Elektrizität auf keine
andere Weise erzeugen können als durch Umwandlung aus Sonnenwärme:
denn Sie müssen die Dynamo entweder mit Wasserkraft betreiben, deren
Zusammenhang mit der Sonnenwärme wir soeben dargelegt haben; oder Sie
verwenden Dampfmaschinen oder Gasmotoren, deren Energie aus der Kohle
stammt, also wieder indirekt aus der Sonne. -- Alle Energie stammt von
der Sonne und ist in ihrer Entstehung an die Bedingung gebunden, daß
die Sonne ihre Wärme an einen kälteren Körper abgibt; denn nur bei
diesem Übergang können Umwandlungen in andere Energieformen erfolgen.

+Der Kommerzienrat+: Dann müßte also die Welt einmal zum Stillstand
kommen, wenn alle Körper ihre Temperatur gegenseitig ausgeglichen
haben, weil dann keine Wärme mehr von einem wärmeren auf einen kälteren
Körper übertreten könnte. Widerspricht dies nicht dem Gesetz der
Erhaltung der Energie? Denn die Wärme ist dann doch in der Welt noch
vorhanden, nur ist sie nicht mehr in Arbeit umwandelbar.

+Der Professor+: Der Streit über diese Frage (des Physikers
+Boltzmann+), ob die Welt am „Wärmetod“ zugrunde gehen wird oder nicht,
ist auch unter den Gelehrten noch nicht entschieden. Für uns ist sie
deshalb nicht gerade aktuell, weil der Sonnenball ein so ungeheures
Reservoir von Energie darstellt, daß das Menschengeschlecht keine
„Energieteuerung“ erleben wird.




12. Das periodische System der Elemente.

(Ein Gespräch zwischen einem Chemiker und einem Studenten.)


+Der Chemiker+: Sie möchten also gern von mir wissen, ob und wie die
chemischen Eigenschaften der Elemente mit ihren +Atomgewichten+ (vgl.
das 4. Kapitel) zusammenhängen.

+Der Student+: Ja, denn ich bilde mir ein, diesem Zusammenhang bereits
auf die Spur gekommen zu sein. Ich glaube entdeckt zu haben, daß die
chemischen Elemente um so +metallischere+ Eigenschaften haben, je
größer ihr Atomgewicht ist.

+Der Chemiker+: Diese Entdeckung läßt sich freilich bestreiten. Ich
führe Ihnen zum Beleg meines Widerspruchs drei nichtmetallische
und drei ausgesprochen metallische Elemente an, deren Atomgewichte
das Gegenteil beweisen könnten: die Metalle Lithium, Natrium und
Magnesium haben die (abgerundeten) Atomgewichte 7, 23 und 24; die
nichtmetallischen Elemente Phosphor, Schwefel und Brom haben die viel
höheren Atomgewichte 31, 32 und 80!?

+Der Student+: Meine Vermutung gründete sich darauf, daß die
Mehrzahl der hohen Atomgewichte doch unzweifelhaft zu metallischen
Elementen gehört, während die Mehrzahl der niederen Atomgewichte den
nichtmetallischen Elementen eigen ist.

+Der Chemiker+: In dieser unbestimmten Form ausgesprochen, ist Ihre
Ansicht zweifellos richtig und enthält ein Naturgesetz. Nur, sobald
Sie dieses Gesetz genau beschreiben wollen, so daß es ohne Ausnahme
gelten soll --: da entschlüpft es Ihnen unter den Händen und läßt sich
nicht fassen. Dies ist in einer sehr merkwürdigen Tatsache begründet,
welche zuerst im Jahr 1865 von John A. B. Newlands erkannt wurde.
Er ordnete die chemischen Elemente nach der Größe der Atomgewichte
in eine fortlaufende Reihe derart, daß die Reihe mit dem kleinsten
Atomgewicht begann und mit dem größten endigte. Er fand nun, daß zwar
die benachbarten Elemente keine besonders deutliche Ähnlichkeit in
ihren Eigenschaften zeigten, daß aber diese Ähnlichkeit ganz auffallend
bemerkbar wurde, wenn man sieben Elemente übersprang. Also das +achte+
war dem +ersten+, das +neunte+ dem +zweiten+, das +zehnte+ dem dritten
Element ähnlich usw., und diese Ähnlichkeit wiederholte sich beim
fünfzehnten Element mit dem ersten und achten, beim sechzehnten mit dem
zweiten und neunten, usf. -- Newlands nannte seine Entdeckung deshalb
das +Gesetz der Oktaven+. Damit Sie sich von der Richtigkeit überzeugen
können, schreibe ich Ihnen den Anfang der Oktavenreihe hier und setze
über den Namen jedes Elements sein Atomgewicht:

    7         9         11         12          14          16        19
 Lithium  Beryllium     Bor   Kohlenstoff  Stickstoff  Sauerstoff  Fluor

   23        24         27         28          31          32      35,4
 Natrium  Magnesium  Aluminium  Silizium    Phosphor    Schwefel   Chlor

   39        40         44         48          51          52        55
 Kalium    Kalzium   Skandium     Titan     Vanadin      Chrom    Mangan

Außerdem habe ich in jede Zeile nur sieben Elemente geschrieben
und die drei Zeilen so untereinander gesetzt, daß die ähnlichen
Elemente untereinander zu stehen kommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen die
Ähnlichkeit dieser untereinanderstehenden Elemente überall überzeugend
klar ist.

+Der Student+: Ich könnte dies eigentlich nur von den drei Elementen
sagen, welche ganz links stehen. Sie sind mir als +Alkalimetalle+
wohlbekannt.

+Der Chemiker+: Um die Ähnlichkeit zu erkennen, bedarf es nur eines
kleinen Fingerzeigs: Sie müssen auf die +Wertigkeit+ achten (vgl. das
4. Kapitel). Die Elemente der ersten Gruppe (von links) sind Ihnen
zweifellos als +einwertig+ bekannt: jedes Atom von ihnen vermag in
einer Säure nur +ein+ Atom Wasserstoff zu ersetzen. Wenn Sie nun auch
nur wenig mit den Eigenschaften der übrigen Elemente vertraut sind,
so werden Sie leicht erkennen, daß die Elemente der zweiten Gruppe
(von links) sämtlich zweiwertig, die der dritten Gruppe dreiwertig,
der vierten vierwertig sind. Die Elemente der drei letzten Gruppen
treten, wie Ihnen bekannt sein wird, in verschiedenen Wertigkeiten
auf. Untersucht man aber ihre +beständigsten+ Verbindungen, so findet
man eine sehr auffallende Tatsache: in ihnen sind die Elemente der
fünften Gruppe entweder fünfwertig oder dreiwertig, die der sechsten
Gruppe entweder sechswertig oder zweiwertig, die der siebenten entweder
sieben- oder einwertig.

+Der Student+: Dies ist ganz unbegreiflich wunderbar, da wir doch bei
der Zusammenstellung der Oktaven nur von den Atomgewichten ausgegangen
sind und auf die Wertigkeit gar keine Rücksicht genommen haben.

+Der Chemiker+: Beachten Sie auch, daß die Wertigkeit nicht nur von
links über die Mitte nach rechts stetig und gleichmäßig ansteigt,
sondern auch von rechts nach links, allerdings nur bis zur Mitte.

+Der Student+: Es ist gerade so, als ob die Natur zwischen links und
rechts keinen Unterschied gelten lassen wollte.

+Der Chemiker+: Dieser Eindruck wird noch durch die Tatsache verstärkt,
daß die Elemente der +vierten+ Gruppe ganz überwiegend, in ihren
meisten Verbindungen, +vierwertig+ sind. Die vierte Gruppe ist als
Mittelgruppe sowohl von links als auch von rechts aus die vierte,
wodurch sich dieses Überwiegen der Vierwertigkeit sehr interessant
erklärt.

+Der Student+: Bezieht sich die Ähnlichkeit der Elemente jeder solchen
Gruppe auch noch auf andere Eigenschaften als die Wertigkeit?

+Der Chemiker+: Selbstverständlich! Sie umfaßt alle Eigenschaften, und
zwar nicht bloß der Elemente selbst, sondern auch ihrer Verbindungen.
Also: die Elemente der ersten Gruppe sind einander nicht bloß
darin ähnlich, daß sie leichte Metalle sind, welche das Wasser bei
gewöhnlicher Temperatur zersetzen, sondern auch ihre Verbindungen (z.
B. mit Chlor) haben eine unverkennbare Ähnlichkeit in Aussehen und
Kristallform, Wasserlöslichkeit, Schmelzpunkt usw.

+Der Student+: Gilt nun dieses Newlandssche Gesetz der Oktaven auch für
alle übrigen Elemente, die Sie oben nicht angeschrieben haben?

+Der Chemiker+: Es gilt für alle Elemente; aber es hat vieler
Untersuchungen bedurft, um dies klar zu erkennen. Es war das Verdienst
des russischen Chemieprofessors Mendelejeff (von der Universität St.
Petersburg) und des Deutschen Lothar Meyer, hier einige Klarheit
geschaffen zu haben. Die Schwierigkeiten beginnen nämlich gerade da,
wo unsere dritte Periode endigt, also hinter dem Element +Mangan+.
Dieses und das vorhergehende +Chrom+ gleichen den beiden übergeordneten
Elementen ihrer Gruppen bei weitem nicht in dem Grade, wie man erwarten
sollte, wenn auch in der Wertigkeit und in den sauerstoffreichsten
Oxyden eine unverkennbare Ähnlichkeit besteht. Verlängert man aber
die dritte Periode von 7 auf 17 Elemente, so zeigt sich sowohl in den
Eigenschaften der ersten als auch der letzten Glieder dieser 17teiligen
Periode eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit den Gliedern der
beiden kurzen Perioden. Diese „große“ Periode heißt also (unter
Verwendung der Abkürzungszeichen für die Namen der Elemente):

              ~K~ ~Ca~ ~Sc~ ~Ti~ ~V~ ~Cr~ ~Mn~ ~Fe~ ~Co~
               ~Ni~ ~Cu~ ~Zn~ ~Ga~ ~Ge~ ~As~ ~Se~ ~Br~.

+Der Student+: Aber 17 Elemente können doch nicht mit 7 zur
Deckung gebracht werden? Wie kann man in dieser Anordnung von
korrespondierenden Eigenschaften sprechen?

+Der Chemiker+: Die kurzen, siebengliedrigen Perioden stimmen in ihren
Eigenschaften sowohl mit den sieben ersten als auch mit den sieben
letzten Elementen dieser langen Periode überein. Die lange Periode
zerfällt also sozusagen in zwei kurze und ein Mittelstück, das aus den
drei Elementen Eisen, Nickel und Kobalt besteht.

+Der Student+: Wenn ich mir diese kurzen Perioden betrachte, die Sie
aus der langen herausschneiden, so finde ich, daß ihre Elemente mit den
beiden ersten kurzen Perioden nur teilweise übereinstimmen wollen. Die
vordere Hälfte, ~K~–~Mn~, stimmt nur in ihren drei ersten, die hintere
mit den Elementen ~Cu~–~Br~ nur in ihren drei letzten Elementen gut mit
den beiden kurzen Perioden zusammen. Dagegen scheint mir das Ende der
~K~–~Mn~-Periode und der Anfang der ~Cu~–~Br~-Periode nicht so gut zu
passen: denn ~Mn~ müßte doch ein Halogen sein, wie ~Cl~ und ~Br~, und
~Cu~ müßte ein Alkalimetall sein, wie ~Li~, ~Na~ und ~K~.

+Der Chemiker+: Sie haben ganz recht, die Übereinstimmung dieser
Elemente mit den Halogenen bzw. Alkalimetallen läßt zu wünschen übrig.
Immerhin wollen Sie bedenken, daß das +Kupfer+ im einwertigen Zustand
Salze bildet, welche im Aussehen und Verhalten den Alkalimetallsalzen
nicht unähnlich sind: so ist das Kupferchlorür, ~CuCl~, +weiß+
und nähert sich damit einigermaßen dem Chlornatrium, ~NaCl~, und
Chlorkalium, ~KCl~. Denn die zweiwertigen Kupfersalze sind doch alle
blau oder grün. Andrerseits bildet das +Mangan+ mit viel Sauerstoff
ein flüssiges, leicht verdampfendes Oxyd ~Mn~_{2}~O~_{7}, welches
den entsprechenden Oxyden des Chlors und Broms nicht unähnlich ist.
Wenn Sie nun überhaupt die Wertigkeit der Elemente durch die ganze
17gliedrige Periode verfolgen, so können Sie an der Berechtigung dieser
Unterteilung nicht wohl mehr zweifeln.

+Der Student+: Gibt es denn noch mehr große Perioden?

+Der Chemiker+: Ja; mindestens noch +eine+ mit den folgenden Elementen:
~Rb~ ~Sr~ ~Y~ ~Zr~ ~Nb~ ~Mo~ -- ~Ru~ ~Rh~ ~Pd~ ~Ag~ ~Cd~ ~In~ ~Sn~ ~Sb~
~Te~ ~J~. Sie sehen: in dieser Periode ist +ein+ Element, zwischen
Molybdän und Ruthenium, noch nicht entdeckt. Es müßte dem Mangan der
ersten großen Periode entsprechen.

+Der Student+: Offenbar gilt für diese zweite große Periode dasselbe
wie für die erste: das dreigliederige Mittelstück ~Ru~, ~Rh~, ~Pd~ muß
ausgeschaltet werden; die beiden Reste sind kleine Perioden, welche
wiederum nur in den drei ersten bzw. den drei letzten Gliedern gut mit
den eigentlichen kleinen Perioden zusammenstimmen.

+Der Chemiker+: Ja; aber beachten Sie die gute Übereinstimmung in
+allen+ Gliedern der beiden großen Perioden. Auch die Mittelstücke
Eisen, Nickel, Kobalt und Ruthenium, Rhodium, Palladium stimmen doch
auffallend gut überein. -- Ich will Ihnen nun das ganze „periodische
System“ mit allen Atomgewichten anschreiben (nach B. Brauner):

  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
          |Gruppe|Gruppe|Gruppe|Gruppe|Gruppe |Gruppe|Gruppe|Gruppe|    Gruppe
          |  0   |  I   |  II  |  III |  IV   |  V   |  VI  |  VII |     VIII
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 1 |      |    1 |      |      |       |      |      |      |
          |      |    H |      |      |       |      |      |      |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 2 |      | 7    | 9    | 11   | 12    | 14   | 16   | 19   |
          |      | Li   | Be   | B    | C     | N    | O    | F    |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 3 |      |   23 |   24 |   27 |    28 |   31 |   32 |  35,5|
          |      |   Na |   Mg |   Al |    Si |    P |    S |   Cl |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 4 |      | 39   | 40   | 44   | 48    | 51   | 52   | 55   |56 58,97 58,63
          |      | K    | Ca   | Sc   | Ti    | V    | Cr   | Mn   | Fe  Co    Ni
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 5 |      |   63 |   65 |   70 |    72 |   75 |   79 |   80 |
          |      |   Cu |   Zn |   Ga |    Ge |   As |   Se |   Br |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 6 |      | 85   | 87   | 89   | 90    | 94   | 96   |100   | 102 103 106
          |      | Rb   | Sr   | Y    | Zr    | Nb   | Mo   | ?    |  Ru  Rh  Pd
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 7 |      |  108 |  112 |  114 |   119 |  120 | 127,5|126,92|
          |      |   Ag |   Cd |   In |    Sn |   Sb |   Te |    J |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 8 |      |133   |137   |138   |140–178| 182  |184   | 190  | 191 193 195
          |      | Cs   | Ba   | La   |Ce usw.| Ta   |W     |  ?   |  Os  Ir  Pt
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 9 |      |  197 |  200 |  204 |   207 |  209 |  212 |  214 |
          |      |   Au |   Hg |   Tl |    Pb |   Bi |   ?  |   ?  |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------
  Reihe 10|      |220   |225?  |230   |233    |235   |239   |      |
          |      | ?    |Ra    | ?    |Th     | ?    |  U   |      |
  --------+------+------+------+------+-------+------+------+------+--------------

+Der Student+: Das soll also nun bedeuten, daß die untereinander
stehenden Elemente in jeder Gruppe einander chemisch verwandt sind und
diejenige Wertigkeit besitzen, welche der Gruppenzahl entspricht?

+Der Chemiker+: So ist es. Bei genauerem Zusehen werden Sie erkennen,
daß ich die Elemente der Gruppen I–VII nicht genau untereinander
geschrieben habe, sondern abwechselnd etwas nach links und nach rechts
gerückt habe. Die links untereinanderstehenden bilden die sogenannte
+Hauptgruppe+, die nach rechts ausgerückten faßt man als „Nebengruppe“
zusammen.

+Der Student+: Aber ist das nicht eine rein willkürliche Maßregel?

+Der Chemiker+: Nicht so ganz. Denn obwohl dieses Ausrücken nach links
und rechts mit mathematischer Strenge genau abwechselnd erfolgte,
ist es offenbar kein Zufall, daß jede dieser beiden Teilgruppen eine
unverkennbare Verwandtschaftsgruppe bildet. In der I. Hauptgruppe
stehen z. B. nur Alkalimetalle, in der II. Hauptgruppe nur alkalische
Erdmetalle, in der VII. Nebengruppe nur Halogene. Dagegen umfaßt die
erste Nebengruppe die unter sich ähnlichen Schwermetalle ~Cu~, ~Ag~,
~Au~, welche zu den Elementen der Hauptgruppe eine viel geringere
Ähnlichkeit haben als zueinander. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich
in jeder der sieben ersten Gruppen.

+Der Student+: Ich verstehe! Diese Anordnung trägt also auch den
Unstimmigkeiten Rechnung, welchen wir oben bei der Zerschneidung der
großen Perioden begegneten: das Mangan, als Element der siebenten
Hauptgruppe, braucht den Elementen der siebenten Nebengruppe nicht
völlig zu gleichen. Außerdem sehe ich, daß die mittleren drei Elemente
der großen Perioden dadurch ganz von selbst in eine achte Gruppe nach
rechts hinaus gedrängt werden. Stimmen diese Elemente denn in ihren
Eigenschaften so zusammen, daß sie mit Recht in eine Gruppe vereinigt
werden dürfen?

+Der Chemiker+: Ohne Zweifel. Die Elemente Eisen, Nickel, Kobalt und
die sechs Platinmetalle haben sowohl in ihren metallischen als auch
in ihren chemischen Eigenschaften eine unverkennbare Verwandtschaft.
Die Platinmetalle finden sich z. B. in der Natur fast stets mit Eisen
legiert, in den Meteoriten sind Eisen, Nickel und Kobalt miteinander
vergesellschaftet. Ganz besonders zeigt sich die Verwandtschaft
dieser Metalle der achten Gruppe miteinander in ihrer großen Neigung
zur Bildung sogenannter komplexer Salze, in welchen um ein zentrales
Metallatom 6 Atomgruppen gelagert sind. Auch die +Farben+ ihrer
einfachen Salze, die meist grün, braun oder weinrot sind, zeigen eine
große Ähnlichkeit. Endlich ist die Zuteilung dieser Metalle zur achten
Gruppe dadurch gerechtfertigt, daß sie wohl die einzigen Elemente
sind, bei welchen zweifellos die Achtwertigkeit beobachtet wurde: so im
Osmiumtetroxyd ~OsO₄~.

+Der Student+: Die Existenz einer solchen achten Gruppe stört aber das
Wertigkeits-Gleichgewicht unseres Systems, denn nun ist die vierte
Gruppe nicht mehr die Mitte.

+Der Chemiker+: Dieser schwerwiegende Einwand wurde durch die
Entdeckung der sogenannten +Edelgase+ entkräftet. Dies sind die
Elemente mit den Atomgewichten: Helium 4, Neon 20, Argon 40, Krypton
82, Xenon 128. Da sie sich absolut gar nicht mit anderen Elementen
verbinden lassen, so besitzen sie offenbar gar keine Wertigkeit: sie
sind +nullwertig+ und müssen, wenn sie überhaupt dem periodischen
System zugeteilt werden sollen, eine +nullte+ Gruppe bilden. Diese
stellt dann das durch die achte Gruppe gestörte Gleichgewicht wieder
her.

+Der Student+: Sollte man denn nicht erwarten dürfen, daß auch die
Elemente der achten Gruppe als nullwertig im Sinne der Symmetrie
auftreten?

+Der Chemiker+: Sie entsprechen auch dieser Anforderung insofern, als
sie -- wenigstens die Platinmetalle -- +edle+ Eigenschaften haben, also
eine gewisse Neigung, blank und unverbunden zu bleiben.

+Der Student+: Das ist in der Tat sehr merkwürdig. -- Gibt es noch
weitere gesetzmäßige Beziehungen zwischen den chemischen Elementen,
welche ihren Ausdruck im periodischen System finden?

+Der Chemiker+: O, eine ganze Menge. Zunächst haben Sie wohl selbst
schon beobachtet, daß innerhalb jeder Gruppe sich die Eigenschaften
der Elemente mit den steigenden Atomgewichten beträchtlich ändern. Das
spezifische Gewicht, der Glanz und überhaupt der metallische Charakter
nimmt zu, die Farben werden dunkler. Betrachten Sie z. B. die Elemente
der siebenten Gruppe +Fluor+, +Chlor+, +Brom+ und +Jod+. Ich stelle
hier in einer Tabelle ihre wichtigsten Eigenschaften zusammen:

  ===================+================+=========+========+==============
                     |     +Fluor+    | +Chlor+ | +Brom+ |     +Jod+
  -------------------+----------------+---------+--------+--------------
        Farbe        |schwach gelbgrün|gelbgrün |braunrot|schwarzviolett
  -------------------+----------------+---------+--------+--------------
     Spez. Gewicht   |      1,108     |   1,33  |   3,18 |     4,97
  (fest oder flüssig)|                |         |        |
  -------------------+----------------+---------+--------+--------------
     Schmelzpunkt    |   -233 °       |-102 °   |  -7 °  |  +113 °
  -------------------+----------------+---------+--------+--------------
     Siedepunkt      |   -187 °       | -33  °  | +63 °  |  +200 °
  -------------------+----------------+---------+--------+--------------
     Atomgewicht     |     18,91      |  35,18  |  79,36 |   126,01

Sie sehen, wie alle Eigenschaften sich im gleichen Sinne verändern wie
das Atomgewicht.

+Der Student+: Das ist so merkwürdig, daß man fast versucht wäre zu
prüfen, ob die Abstufung dieser Zahlen nach einem mathematischen Gesetz
erfolgt.

+Der Chemiker+: Sie haben einen guten Spürsinn, denn ein solches Gesetz
besteht in der Tat. Wenn Sie die Atomgewichte der drei Elemente Chlor,
Brom und Jod betrachten, so erkennen Sie leicht, daß das Atomgewicht
des Broms das arithmetische Mittel zwischen den beiden andern ist:

  Chlor =  35,18
    Jod = 126,01
        --------
  Summe = 161,19 : 2 = 80,59 (statt 79,36).

Die Rechnung stimmt nicht +ganz+ genau, aber doch sehr angenähert.
Dieselbe Gesetzmäßigkeit gilt mit etwa gleicher Genauigkeit für
die spezifischen Gewichte und die Schmelzpunkte und sogar für die
Wasserlöslichkeit der Metallverbindungen.

+Der Student+: Wer hat dieses merkwürdige Gesetz entdeckt?

+Der Chemiker+: Es rührt von dem deutschen Chemiker Döbereiner, der es
als „Gesetz der Triaden“ bezeichnet hat. Denn selbstverständlich können
daran stets nur drei Elemente beteiligt sein. Sie können sich daher
leicht überzeugen, daß das vierte Halogen, das Fluor, im Atomgewicht
und in den übrigen Eigenschaften einen geradezu sprunghaften Abstand
von unserer Triade hält.

+Der Student+: Gibt es noch andere solche Triaden?

+Der Chemiker+: Fast in jeder Gruppe ist eine enthalten.

Die wichtigsten sind wohl: Argon, Krypton, Xenon; Kalium, Rubidium,
Zäsium; Kalzium, Strontium, Baryum; Aluminium, Gallium, Indium;
Silizium, Germanium, Zinn; Phosphor, Arsen, Antimon; Schwefel, Selen,
Tellur.

+Der Student+: Was sagt nun das periodische System der Elemente über
den Unterschied zwischen Metallen und Nichtmetallen?

+Der Chemiker+: Ziehen Sie von der linken oberen Ecke bis zur rechten
unteren einen Diagonalstrich durch das System, dann befinden sich
oberhalb des Striches die Metalloide, unterhalb die Metalle.

+Der Student+: Das ist allerdings eine verblüffend klare Antwort auf
unsere Frage. Aber welche Stellung nehmen diejenigen Elemente dazu,
welche von diesem Strich geschnitten werden oder ganz nahe bei ihm
stehen? Vermutlich bilden sie Übergänge in ihren Eigenschaften zwischen
Metallen und Metalloiden?

+Der Chemiker+: Sie meinen also Elemente, wie das Arsen, Antimon,
Molybdän, Wolfram, Tellur. Diese zeigen zugleich metallische und
nichtmetallische Eigenschaften in sich vereinigt. Als Metalle lösen
sie sich in Säuren meistens unter Wasserstoffentwicklung auf und gehen
in kristallisierende Salze über. Als Nichtmetalle bilden sie durch
die Vereinigung ihrer Oxyde mit Wasser Säuren, welche ihrerseits mit
Basen Salze bilden können. So gibt es z. B. einerseits +schwefelsaures
Antimon+, andrerseits +antimonsaures Kalium+. Je höher ein Element über
dem Diagonalstrich steht, um so mehr überwiegen seine säurebildenden
Eigenschaften über die metallischen (basenbildenden). Wenn Sie das
System allerdings sehr aufmerksam betrachten, kann Ihnen eine gewisse
Ungleichförmigkeit in dieser Beziehung nicht entgehen.

+Der Student+: Sie meinen wahrscheinlich das ungleiche Verhalten von
Haupt- und Nebengruppen in bezug auf diesen Unterschied zwischen
Metall- und Nichtmetallcharakter?

+Der Chemiker+: Allerdings. Links von der Mitte des Systems enthalten
die Nebengruppen viel schwerere, glänzendere, „metallischere“ Metalle
als die Hauptgruppen; rechts von der Mitte ist es umgekehrt. Betrachten
Sie nur die V., VI. und VII. Gruppe: da stehen die drei ausgesprochen
metallischen Elemente Vanadin, Chrom und Mangan zwischen ebenso
ausgesprochen nichtmetallische eingekeilt: zwischen Phosphor und Arsen,
Schwefel und Selen, Chlor und Brom. Der metallische Charakter eilt also
in der Nebengruppe dem in der Hauptgruppe voraus.

+Der Student+: In dem, was Sie da sagen, scheint mir ein gewisser
Widerspruch zu liegen, wenn ich es auf die erste Gruppe anwende. Was
soll da das eigentliche Kennzeichen des Metallischen sein? -- Ist es
Glanz und Dichte, so ist die Nebengruppe (Kupfer, Silber, Gold) die
metallischere. Ist es aber die Neigung zur Basenbildung, so muß die
Hauptgruppe (Kalium, Rubidium, Zäsium) als die metallischere gelten,
weil ihre Oxyde nicht bloß die stärksten Basen, sondern schlechthin
+nur+ Basen sind. Dagegen bildet das Gold doch bereits ein saures Oxyd.
Also, was soll nun gelten?

+Der Chemiker+: Sie haben ganz recht. Hier liegt ein offenkundiger
Widerspruch verborgen. Die chemische und die physikalische Definition
des Begriffs „metallisch“ decken sich zwar häufig, aber nicht
immer, und hier handelt es sich um einen Fall, in dem sie merklich
auseinandergehen.

+Der Student+: Gibt es auch innerhalb der wagrechten Reihen solche oder
ähnliche Gesetzmäßigkeiten, wie wir sie in den senkrechten Gruppen
festgestellt haben?

+Der Chemiker+: Allerdings. Beobachten Sie nur z. B. die Unterschiede
der Atomgewichte zweier benachbarter Elemente in den Reihen 2 und 3:

  Reihe 2: 2--2--1--2--2--3,
  Reihe 3: 1--3--1--3--1--3,5.

+Der Student+: Das sind allerdings sehr regelmäßige Sprünge, aber mir
scheint, sie sind doch nicht ganz symmetrisch verteilt: sonst müßte
am Anfang der beiden Reihen noch eine Differenz von derselben Größe
stehen, wie am Schluß?

+Der Chemiker+: Sie haben sehr richtig beobachtet; aber diese Forderung
ist inzwischen durch die Entdeckung der Edelgase bereits erfüllt
worden. In der nullten Gruppe steht nämlich am Anfang der Reihe 2 das
Helium mit dem Atomgewicht 4; die Differenz zum benachbarten Lithium
beträgt also 3, wie es die Theorie fordert. Am Anfang der Reihe 3 steht
aber das Neon mit dem Atomgewicht 20, seine Differenz zum benachbarten
Natrium beträgt 3.

+Der Student+: Entspricht dieser auffallenden Gesetzmäßigkeit auch eine
solche in den physikalischen oder chemischen Eigenschaften?

+Der Chemiker+: Sie wollen also wissen, ob bestimmte physikalische oder
chemische Eigenschaften der Elemente einer wagrechten Reihe gegen die
Mitte ab- oder zunehmen? -- In bezug auf die +Wertigkeit+ der Elemente
konnten wir diese Frage schon insofern bejahen, als wir gesehen
haben, daß die Wertigkeit gegenüber dem Wasserstoff für alle Elemente
der zweiten Reihe von beiden Seiten her gegen die Mitte anwächst
bis zum Höchstwert der Vierwertigkeit. Dasselbe gilt aber auch für
physikalische Eigenschaften, z. B. für die spezifischen Gewichte, wie
folgende Vergleichung zeigt:

  Reihe 3:        ~Na~    ~Mg~    ~Al~    ~Si~     ~P~     ~S~    ~Cl~
  spez. Gewicht:  0,97    1,7     2,5     2,5      2,0     1,9    1,3

Diese dritte Reihe ist, wie wir wissen, eine vollständige Periode.
Für die vierte und fünfte Reihe gilt das Gesetz scheinbar nicht, da
in der vierten Reihe die spezifischen Gewichte von links nach rechts
fortwährend zunehmen, in der fünften aber ebenso gleichmäßig abnehmen.
Der Grund ist, daß die vierte und fünfte Reihe zusammen eine große
Periode bilden, für welche das Gesetz des Anwachsens der spezifischen
Gewichte bis zur Mitte genau so gilt, wie für die kleinen Perioden:

    ~K~   ~Ca~   ~Sc~   ~Ti~   ~V~   ~Cr~   ~Mn~   ~Fe~   ~Co~
   0,86   1,6    3,8      ?    5,5   6,8    7,2    7,9    8,5


     ~Ni~   ~Cu~   ~Zn~   ~Ga~   ~Ge~   ~As~   ~Se~   ~Br~
     8,8    8,8    7,1    5,9    5,5    5,6    4,6    2,9

+Der Student+: Sie haben in unserer Tabelle des periodischen Systems
an einigen Stellen Fragezeichen statt der Symbole von Elementen
angebracht, weil die betreffenden Elemente offenbar noch nicht bekannt
sind. Aber wenn ich die Fülle von Gesetzmäßigkeiten bedenke, welche
wir bis jetzt am periodischen System erkannt haben, so sollte ich doch
meinen, daß man damit die Eigenschaften dieser Elemente ziemlich gut
voraussagen könnte.

+Der Chemiker+: Dies ist auch möglich, und zwar mit um so größerer
Sicherheit, je vollständiger die Umgebung des unbekannten Elements
bekannt ist. +Mendelejeff+ hat auf diese Weise die wichtigsten
Eigenschaften der drei Elemente +Skandium+, +Germanium+ und +Gallium+
vor ihrer Entdeckung vorausgesagt, und es war geradezu verblüffend,
wie genau die meisten seiner Angaben mit den späteren Beobachtungen
übereinstimmten. Er hatte für das noch unentdeckte Skandium den Namen
Ekabor, für das Gallium Ekaaluminium, für das Germanium Ekasilizium
gewählt. Seine so überraschend eingetroffenen Prophezeiungen
beschränkten sich durchaus nicht bloß auf die Eigenschaften der
Elemente selbst, sondern sie beschrieben auch diejenigen einiger
Verbindungen.

+Der Student+: Wie konnte er diese Angaben so genau machen?

+Der Chemiker+: Er leitete sie als arithmetisches Mittel aus denjenigen
vier Elementen ab, welche das zu bestimmende umgeben. Diese vier nannte
er die Atomanaloge. Für das Germanium (Mendelejeffs Ekasilizium)
waren es die vier Elemente Silizium, Zinn, Gallium und Arsen. Die
Atomgewichtsbestimmung erfolgte in diesem Fall also dadurch, daß er die
Atomgewichte dieser vier Elemente addierte und durch vier teilte:

             ~Si~ 28 + ~Sn~ 119 + ~Ga~ 70 + ~As~ 75 = 292
                             292 : 4 = 73.

Das wirkliche Atomgewicht des Germaniums wurde als 72 bestimmt.

+Der Student+: Sind nun solche kleinen Abweichungen der berechneten
und gefundenen Werte, wie wir sie auch an den Döbereinerschen
Triaden beobachtet haben, als Fehler in den Atomgewichtsbestimmungen
zu betrachten, oder kann man sagen, daß die Gesetze selbst nicht
mathematisch genau verlaufen?

+Der Chemiker+: Noch vor 20 Jahren glaubte man allgemein, daß diese
Unstimmigkeiten auf Beobachtungsfehler, also auf ungenau bestimmte
Atomgewichte, zurückgeführt werden müßten. Jetzt ist diese Ansicht
endgültig als Irrtum erkannt. Die Atomgewichte der meisten Elemente
sind mit so außerordentlicher Zuverlässigkeit bestimmt, daß die
Ungenauigkeiten der Triaden unbedingt nicht auf Bestimmungsfehler
zurückgeführt werden können. Noch merkwürdiger sind aber einige andere
Ausnahmen. Das +Tellur+ müßte, da es in der sechsten Gruppe steht, ein
kleineres Atomgewicht haben als das in derselben Reihe folgende Element
+Jod+ der siebenten Gruppe. Das Atomgewicht des Tellurs ist aber 127,5,
das des Jods 126,92. Vertauscht können diese Elemente natürlich nicht
werden, denn ihre Zugehörigkeit zur sechsten bzw. siebenten Gruppe ist
über alle Zweifel erhaben. Also bleibt nur die Annahme möglich, daß die
Eigenschaften der Elemente zwar im großen und ganzen, aber doch nicht
im einzelnen als periodische Funktionen der Atomgewichte zu betrachten
sind.

+Der Student+: Das ist ja ungemein merkwürdig! Sie sprachen davon, daß
es noch andere solche Fälle gäbe?

+Der Chemiker+: Ja. Dasselbe gilt, wie Sie aus unserer Tabelle ersehen,
für das Paar Kobalt (58,97) -- Nickel (58,68) und für das Paar Argon
(39,6) -- Kalium (38,85), endlich für das in unserer Tabelle nicht
enthaltene Paar Neodym (143,6) -- Praseodym (140,5). Ja, selbst in
diesen Unstimmigkeiten offenbart sich eine Gesetzlichkeit: nicht
bloß darin, daß es stets Element-+Paare+ sind, sondern auch in ihrer
symmetrischen Verteilung im periodischen System; das Paar Argon --
Kalium liegt am Ende der zweiten +kleinen+ Periode, das Paar Tellur --
Jod am Ende der zweiten +großen+ Periode. Um fünf bis sechs Elemente
hinter jedem dieser beiden Paare folgen, gleichsam als Trabanten, die
beiden anderen Atompaare Kobalt -- Nickel und Neodym -- Praseodym.
Diese beiden sind noch überdies durch eine andere Eigenschaft in
korrespondierende Beziehungen zueinander gebracht; das erste Element
beider Paare bildet rote, das zweite grüne Salze. -- Doch alle diese
Unregelmäßigkeiten sind noch weit davon entfernt, erklärt oder auch nur
genauer erforscht zu sein. Dies bleibt eine Aufgabe der zukünftigen
Chemie.

[Illustration]




Welt und Wissen-Bibliothek


Bis jetzt sind folgende Bände erschienen:

   =1. Illustrierte Himmelskunde= von +Felix Erber+.

   =2. Entdeckungsreisen am Nord- und Südpol= von ~Dr.~ +J.
       Wiese+.

   =3. Das illustrierte Buch der Technik= von +Oskar Hoffmann+.

   =4. Luftschiffahrt und Flugtechnik= von +A. V. von
       Frankenberg+ und +Ludwigsdorff+.

   =5. Asien, Land und Leute= von ~Dr.~ +Alfred Berg+.

   =6. Der Bau des menschlichen Körpers= von ~Dr.~ +G.
       Zehden+.

   =7. Illustrierte Tierkunde= von ~Dr.~ +Heinz Welten+.

   =8. Illustriertes Buch der Chemie= von ~Dr.~ +Heinrich
       Wiesenthal+.

   =9. Körper- und Schönheitspflege= von +Reinhold Gerling+.

  =10. Afrika, Land und Leute= von ~Dr.~ +Alfred Berg+.

  =11. Streifzüge im Reiche der Physik= von +L. Wunder+.

  =12. Bilder aus dem Leben der Pflanze= von ~Dr.~ +C. W.
       Schmidt+.

Jeder Band ist abgeschlossen und reich illustriert.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK CHEMISCHE UNTERHALTUNGEN ***


    

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