Schriften 17: Novellen 1

By Ludwig Tieck

The Project Gutenberg EBook of Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.

Title: Schriften 17: Novellen 1
       Die Gemälde / Die Verlobung / Die Reisenden / Musikalische
       Leiden und Freuden

Author: Ludwig Tieck

Release Date: December 17, 2015 [EBook #50707]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***




Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
and the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net






                               Novellen
                                 von
                            Ludwig Tieck.

                             Erster Band.

                             Die Gemälde.
                            Die Verlobung.
                            Die Reisenden.
                   Musikalische Leiden und Freuden.

                               Berlin,
                   Druck und Verlag von G. Reimer.
                                1844.

                            Ludwig Tieck's
                              Schriften.

                          Siebzehnter Band.




                              Novellen.


                               Berlin,
                   Druck und Verlag von G. Reimer.
                                1844.




                             Die Gemälde.
                               Novelle.


Treten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er
den jungen Eduard herein ließ; der alte Herr wird gleich zu Ihnen
kommen.

Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Thüre. Mit wie so
andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem
würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich
zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn. Wahrlich das
soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir und der Welt anders denke.

Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die
Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann, und
einzig in ihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummen
Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem
verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster,
durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur
erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und
so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf
seine Sammlung hatte, war für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter
dem Pole vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin führt,
unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.

Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor
einem Gemälde, welches in der obern Region des hohen Saales ohne den
Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich
verwirrten Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab, im leichten
Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend
schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte
Rose, die sie den glühend rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief
Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, so hat der
herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister
übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie die frische Rose den noch
frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Röthe beider in
einander leuchtet und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der
vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann
der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen
lassen, da all das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?

Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige
Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein,
diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen
verloren; wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? Sieht
man nicht den Busen athmen? die Finger und den runden Arm sich bewegen?

Und so war es auch in der That: denn in diesem Augenblick erhob sich das
reizende Bild, und warf mit dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die
Rose herab, die dem jungen Mann in's Gesicht flog, trat dann zurück und
verschloß klirrend das kleine Fenster.

Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er
erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem
Saale weglief und zu den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen
kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um
Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst
pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen
wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser
Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in einem Zeitraume von
vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? -- Er
drückte unbewußt und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund,
stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer, und
bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben
ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die
Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie? junger Mann, sagte
er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat.

So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, daß ich Ihnen mit
meinem Besuche lästig falle.

Wir sollten uns nicht so fremd seyn, junger Freund, sagte der Alte
herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, daß Sie mein Haus
nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren
ehemaligen Vormund, der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir
gleich damals einige Differenzen mit einander hatten, so ganz zu
vergessen?

Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er antworten sollte. Ich
glaubte nicht, daß Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es
könnte Vieles, Alles anders gewesen seyn; allein die Irrthümer der
Jugend --

Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was hindert uns, unsre
ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie
jetzt zu mir?

Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden
Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem
Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner
Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermuthet in
der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das
in einem Bücherschranke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht
eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator
Rosa sei.

So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten Blicken. Ei, das ist
ein herrlicher Fund! Ein Glück, daß Sie es so unvermuthet entdeckt
haben. Ja, mein verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem
Hause, und er wußte selber nicht, was er alles besaß.

Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden
Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien
der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es
ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht
zu theuer ist.

Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung
des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er
mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in
einer Verlassenschaft gefunden haben?

Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd,
dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden
Künstler vermuthen ließen.

So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem
stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses
Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz
neu, wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der
Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das
sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.

Ich muß mich sehr über diese Anmaßung verwundern, rief Eduard aus, ganz
aus aller Fassung gesetzt. Im Nachlasse meines Vaters befanden sich
lauter gute Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther galten
immer für die besten Kenner in der Stadt. Und was wollen Sie? Bei unserm
berühmten Kunsthändler Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für
welchen vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große Summe geboten
hat. Man halte beide zusammen und man wird sehen, daß sie von einem
Meister sind und zusammen gehören.

So? sagte der Fremde mit lang gedehntem Tone. Sie kennen also oder
wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie
dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die
Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen
keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters
vertraut, und gebe Ihnen mein Wort, daß er diese Bilder nicht berührte,
sondern daß sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen
hintergehen will.

Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr Wort! Ich sollte denken,
daß das Meinige hier eben so viel, und noch mehr gölte!

Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muß ich noch bedauern,
daß Sie sich so von Ihrer Hitze übereilen und verrathen lassen. Sie
wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks, und kennen den nicht
ungeschickten Nachahmer?

Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung
beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so
dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.

Der Geheimerath Walther war in der größten Verlegenheit, daß diese Scene
in seinem Hause vorfallen mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde, und
hatte sich schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche
Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge
hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, daß der junge Eduard in
diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so
heftig erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde.

Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem
Tone, Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, daß ein Zufall
mich in diese Gallerie geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger
Mann und Sammler hintergangen wurde.

Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte
begütigend der Alte.

Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes
wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe werth gefunden
hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen
sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn für ächt, und wurde
noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein
sehr vornehmer Mann seyn konnte, einen hohen Preis für das Bildchen bot;
er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen, und bat sich vom
Kunsthändler aus, daß dieser das Gemälde wenigstens vier Wochen nicht
aus den Händen geben sollte. -- Und wer war dieser vornehme Herr? der
weggejagte Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So ist es klar, daß
das Spiel, von wem es auch herrühre, auf Sie, Herr Walther, und Ihren
Freund Erich abgekartet war.

Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder
eingewickelt; er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und
schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur
Thüre hinaus, und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder von oben in den
Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbei gezogen
worden war.

Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu dem Unbekannten, Sie
haben mir weh gethan; Sie sind zu rasch mit dem jungen Manne verfahren;
er ist leichtsinnig und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch
keinen schlechten Streich von ihm gehört.

Einer muß immer der erste seyn, sagte der Fremde mit kalter Bitterkeit;
er hat wenigstens heute Lehrgeld gegeben, und kehrt entweder um, oder
lernt so viel, daß man seine Sachen klüger anfangen, und auf keinen Fall
die Fassung verlieren muß.

Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther, oder er hat
wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden, und sein Vater, der ein großer
Kenner war, hat es schon deswegen, weil es nicht ächt ist, bei Seite
geschafft.

Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte der Fremde; aber in
diesem Falle wäre der junge Mensch nicht so unanständig heftig geworden.
Wer ist er denn eigentlich?

Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, der ein großes
Vermögen hinterließ; er hatte eine so starke Leidenschaft für die Kunst,
wie gewiß nur wenige Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er
einen großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung war
unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte er wohl etwas zu sehr
die Erziehung dieses seines einzigen Sohnes; so wie daher der Alte
starb, war der junge Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit
Schmarotzern und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich Mädchen und
Equipagen zu halten. Als er majorenn wurde, waren ungeheure Schulden bei
Wucherern und Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein,
nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden verkauft, da er
keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie für billige Preise. Jetzt hat er
wohl, außer dem schönen Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch
auf diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich schwerlich
erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und so muß man mit Bedauern
sehen, wie er seinem Untergange entgegen geht.

Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und
der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die
Arme der Verachtung führt.

Wie haben Sie sich nur dieses sichre Auge erwerben können? fragte der
Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio
nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.

Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe
die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen
gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig, und noch durch
Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf,
wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.

Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen
müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor
den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.

                   *       *       *       *       *

Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein,
warf alle Thüren heftig hinter sich zu, und eilte durch die großen
Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte
Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner wartete. Hier! schrie
Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter Halunke, ist Deine
Schmiererei wieder; verkauf sie an den Seifensieder drüben, der sie in
die Lichte gießen kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht.

Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute Bildchen, indem er sich
mit der größten Kaltblütigkeit ein neues Glas einschenkte. Hast Dich
erhitzt, Freundchen; und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen wollen?

Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig hinwarf; und um
Deinetwillen bin ich auch zum Schelm geworden! Beschimpft, gekränkt! O
und wie beschämt vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß ich
mir aus Liebe zu Dir solche Lüge erlaubte.

Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, indem er das Bild
auswickelte, ist ein so veritabler Salvator Rosa, wie ich nur noch je
einen gemalt habe. Hast mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst
also nicht wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick,
mein Hänschen; ich hätte Dir die Sache nicht anvertrauen sollen.

Ich will ehrlich seyn, rief Eduard, und schlug mit der Faust auf den
Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch werden, daß Andre und ich selber
wieder Achtung vor mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen
Lebenswandel will ich anfangen!

Warum Dich erboßen? sagte der Alte und trank. Ich will Dich nicht
hindern; mich wird's freuen, wenn ich das erlebe. Ich habe ja immer an
Dir ermahnt und Dir vorgepredigt; ich habe Dich auch an Beschäftigung zu
gewöhnen gesucht, ich habe Dir das Restauriren lehren wollen, Firnisse
bereiten, Farben reiben, in Summa, ich habe es an nichts bei Dir fehlen
lassen.

Hund von Kerl! rief Eduard, Dein Junge, Dein Farbenreiber sollt' ich
werden? Aber freilich, ich bin ja heute noch tiefer gesunken, da ich
mich zum Spitzbuben eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen.

Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht, sagte der Maler und
schmunzelte in sein Glas hinein; wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so
hätten wir die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er
meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was Nobles in seinem
ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler taugt er freilich nicht.

Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und der Maler wischte
schnell einen Weinfleck ab, damit der Jüngling nicht mit dem Aermel
hineinfahre. Der gute liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch
nicht das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, er sei
Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem Leibe für todt ausgab,
um den Preis seiner Werke zu erhöhen, war er auch nicht ganz der
Wahrheit treu geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später
starb, und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet hatte. So,
wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe und Demuth male, mich in den
alten Meister und alle seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und
saumthunlich hineindenke, daß mir immer ist, als führte des Verstorbnen
Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist dann fertig, und nickt
mir mit rechter Herzlichkeit seinen Dank zu, daß ich auch was vom alten
Virtuosen geliefert habe, der doch nicht Alles hat machen und nicht ewig
hat leben können, und ich mich nun, vollends nach einem Glase Wein,
indem ich es mit tieferer Prüfung beschaue, rechtgläubig überzeuge, daß
es vom alten Herrn wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem
andern Liebhaber des Seligen, und verlange nur ein Billiges für die
Mühe, daß ich mir die Hand habe führen, mein eignes Ingenium derzeit
unterdrücken lassen, an der Verringerung meines eignen Künstlernamens zu
arbeiten, -- ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen, wenn
ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfre?

Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte aber seine grinsende
Freundlichkeit in eben so verzerrten Ernst, als er die Wangen des
Jünglings voll Thränen sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus
den Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte Eduard: o ihr
goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre! wie seid ihr doch so sündlich
verschleudert worden, als läge nicht in euern Stunden der Keim der
Tugend, der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstlichste Schatz der
Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes Wasser hab'
ich mein Leben und den Inhalt meines Herzens ausgegossen. Ach! welch
Dasein hätte mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern, wenn ein
böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume wuchsen und
schatteten um mich und über mir, in denen der Freund, die Gattin und die
Bedrängten Hülfe, Trost, Heimath und Frieden fanden; und ich habe die
Axt im schwindelnden Uebermuth an diesen Hain gelegt, und muß nun Frost,
Sturm und Hitze dulden!

Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen, noch weniger, was er
sagen sollte, denn in dieser Stimmung, mit solchen Gesinnungen hatte er
seinen jungen Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh und
beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in behaglicher
Heimlichkeit seinen Wein ausleerte.

Tugendhaft also willst Du werden, mein Sohn? fing er endlich an. Auch
gut. Wahrlich! wenige Menschen sind für die Tugend so portirt, als ich
selber, denn es gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen,
was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich und unserm Herrgott
etwas vorlügen, ist gewiß keine. Wer aber das rechte Talent dazu hat,
der findet's auch. Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten
Salvator oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, und er freut sich
dann, so habe ich immer noch besser gehandelt, als wenn ich einem Pinsel
einen ächten Rafael verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so
daß ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter Van der Werft mehr
Freude machen würde. Meinen großen Julio Romano muß ich nun wohl in
eigner Person verkaufen, da Du zu dergleichen weder Gaben noch Glück
hast.

Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können auf mich nicht mehr
wirken; diese Zeit ist vorüber, und Du magst Dich nur in Acht nehmen,
daß sie Dich nicht ertappen; denn mit Laien mag es Dir wohl gelingen,
aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther einer ist.

Laß gut seyn, mein Kindchen, sagte der alte Maler, die Kenner sind
gerade am besten zu betrügen, und mit einem Unerfahrnen möcht' ich gar
nicht einmal anfangen. O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine
Männchen! Hast Du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der am
dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und dem Portrait von Van
Dyk hängt? Der ist von mir. Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde:
Wollen Sie nicht etwas Schönes kaufen? »Was! rief er; solche Fratzen,
Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen Sie doch. Nun, ich nehme
sonst dergleichen Unsinn bei mir nicht auf, indessen weil in diesem
Bilde doch etwas mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen
Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine Ausnahme machen.« In
Summa, er hat's behalten, und zeigt's den Leuten, um seinen vielseitigen
Geschmack zu beurkunden.

Eduard sagte: aber willst Du denn nicht auch noch ein rechtlicher Mann
werden? Es ist doch die höchste Zeit.

Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; Du verstehst das
Ding nicht, auch bist Du mit Deinem heißen Anlauf noch nicht durch.
Stehst Du am Ziel, und bist glücklich allen Klippen, Halseisen,
Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure Dir
vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.

So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder
freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht
Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will
ich mich einfach einrichten, und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier
ankommen wird, eine Stelle als Secretair oder Bibliothekar suchen,
vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück --
oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier, und suche Arbeit und
Beschäftigung in meiner Vaterstadt.

Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem
Lachen.

Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!

Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen
guten Dingen muß man sich Zeit lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf
nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die
neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß in manchen
Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter ächter
Ausgelassenheit zu Grabe trugen, daß sie zuletzt noch einmal recht toll
aufjubelten und sich in der Lust übernahmen, um nachher ungestört und
ganz ohne Gewissensskrupel fromm seyn zu können. Laß uns der
verehrlichen Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin Dir so gut,
gieb uns und Deinen Launen noch einmal so einen rechten ausgesuchten
Weinschmaus, so einen hohen Valet- und Abschied-Hymnus, daß wir,
besonders ich, Deiner gedenken; laß uns beim besten Wein bis in die
tiefe Nacht hinein jubeln, dann gehst Du rechts ab zur Tugend und
Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo wir sind.

Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn Du nur einen Vorwand findest,
Dich zu betrinken, so ist Dir Alles recht. Es sei also am heiligen
Dreikönigs-Abend.

Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem er den letzten
Rest ausschlürfte, und sich dann schweigend entfernte.

                   *       *       *       *       *

Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, sagte der Rath
Walther zu seiner Tochter.

So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard auch herkommen?

Nein, antwortete der Vater. Wie fällst Du auf diesen?

Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm vielleicht durch eine
Einladung die unangenehme Scene etwas vergüten wollten, die er ohne
Ihren Willen in Ihrem Hause hat erleiden müssen.

Heute würde es am wenigsten passen, erwiederte der Alte, da gerade der
Mann mit uns speisen wird, von dem der junge Mensch beleidigt ward.

So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone.

Es scheint, der fremde Mann ist Dir unangenehm.

Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich, kann ich es von Niemand leiden,
wenn man nicht genau weiß, wer er ist; solch Incognito ist in der Fremde
allerliebst, um für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen
gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit diesem Unbekannten,
der ganz das Wesen eines vacirenden Hofmeisters oder Secretairs hat, der
sich gestern in Ihrer Gallerie ein Ansehen gab, als wenn er der oberste
Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre.

Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd: nun also zweitens?

Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens ist er
unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft.

Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte der Alte.
Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich und der junge Maler Dietrich,
so wie der wunderliche Eulenböck.

Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie aus, alle Arten
von Geschmack und Gesinnung! Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr
von Eisenschlicht, um mir das Leben recht sauer zu machen?

Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich aber nicht irren,
sondern fuhr schnell und unwillig fort: es ist ja wahr, daß ich in
dieser Gesellschaft meines Lebens niemals froh werde; das schwatzt, und
guckt, und ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander,
daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern möchte. Solche
verliebte Leute sind mir so zuwider, wie unreife Johannisbeeren! jedes
Wort von ihnen schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen, und verdirbt mir
auch die Zunge für alle bessere Früchte. Der alte krummnasige, kupfrige
Sünder ist mir noch von allen der liebste, denn er denkt doch nicht
daran, mich wie ein Möbel in seine Stuben hinzustellen.

Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an Dir selbst leid, ja
recht verdrüßlich, weil ich bei Deinem starren Eigensinn noch gar nicht
absehen kann, wie Du Dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über
die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr Du mich glücklich
machen würdest, wenn Du Deinen Willen brechen wolltest --

Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich: ich muß Ihnen heute
Ehre machen; vergessen Sie nur nicht die guten Weine, damit der
röthliche Eulenböck nicht Ihren Keller in schlechten Ruf bringt. So lief
sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.

Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter Küche und Tisch
besorgte. Sie hatte jenes Gespräch so plötzlich abgebrochen, weil es der
Wunsch des Vaters, den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem
Freunde Erich zu verheirathen, der zwar nicht mehr jung, indessen auch
noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war, daß ein solcher Plan
lächerlich gewesen wäre. Erich hatte bei seinem Handel ein ansehnliches
Vermögen erworben; in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz
vorzüglicher Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther hatte den
Gedanken, daß, falls seine Tochter sich noch zu dieser Heirath bereden
ließe, Erich alsdann seinen Handel einstellen, und diese vorzüglichen
Gemälde seiner Gallerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn
diese dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße und
erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich diese treffliche Sammlung
einst wieder zerstreut zu denken, vielleicht gar unter dem Preise
verkauft und an Menschen vergeudet, bei denen die Bilder durch
Unverstand zu Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei war
so groß, daß er auf jeden Fall seines Freundes Bilder für eine sehr
große Summe gekauft haben würde, wenn ihn nicht der Erwerb eines
ansehnlichen Gutes und großen Gartens, die er seiner Tochter zurück
lassen wollte, gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber
eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätten. Indem er seine Briefe
schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich. Er gedachte dann
des jungen Malers Dietrich, eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm
gleich dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich zu
kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern als Schwiegersohn
umarmt, weil er überzeugt seyn konnte, daß der junge Mensch für sein
Kunstvermächtniß die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler
Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken kommen; aber
seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner mit väterlichem Auge
gemustert, und die schnippische Antwort der Tochter, mit der sie sich
über diesen geäußert hatte, war ihm daher um so empfindlicher. Er mochte
es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in die Zukunft schaute,
weit mehr an das Heil seiner Sammlung, als an das Glück seines Kindes.
Selbst der junge Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre
ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch auf Reisen sich
ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich die Neigungen seines
Vaters besaß, so ließ sich wohl erwarten, daß er aus jeder Rücksicht
eine so kostbare Sammlung in Ehren halten würde.

So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste fanden sich nach und
nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, im sogenannten altdeutschen
Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem
blonden Bärtchen, der sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz nicht
entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich nach der Tochter,
und diese erschien, geschmückt, in einem grünseidenen Kleide, das den
Glanz ihres Gesichts und Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann
sogleich eben so verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien, das
um so trockner wurde, um so mehr er es überschwenglich zu machen suchte.
Gestört und getröstet wurden beide durch das Erscheinen des alten
Eulenböck, der mit seinem braunrothen Gesicht wunderlich aus einer
hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da er es, wie viele
ausgemacht häßliche Menschen, liebte, sich in auffallende Farben zu
kleiden. Die jungen Leute konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie
ihn sich linkisch hereindrehen, grimassirend grüßen und mit falscher
Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht, die kleinen
grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase noch wunderlicher
ausnahmen. Der Fremde ließ lange auf sich warten, und Sophie spöttelte
wieder über die Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich,
schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft möglich machte,
sich in das Speisezimmer zu begeben, in welchem sie Erich schon fanden,
der dort ein Gemälde befestigt hatte, welches der Fremde und die Maler
in Augenschein nehmen sollten.

Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, obgleich Dietrich einen
vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an ihre Seite einzuschieben.
Eulenböck, der alles bemerkte, und der am liebsten seine Bosheit in das
Gewand der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen die Hand
und dankte ihm wie gerührt, daß er so lange herum gekreuzt sei, um nur
neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und
ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der
neuern Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er
aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten
Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um alles dies
für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit genug auszudrücken, noch
hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen.
Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung gelang, und
machte den gutmüthigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten
Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte, und dabei im
Stillen berechnete, wie er dessen practische Kenntnisse zu höhern
Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken müsse, wie der neue
Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei.

Indessen diese beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des
Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite
klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht
leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen
Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten
übereinstimmen können, die nun etwa seit funfzig Jahren zur allgemeinen
Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich
auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur
gegründet sind. Kann man läugnen, daß einzelne Menschen zu gewissen
Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen?
Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit,
der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu
läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen
gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es
ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere
Verwirrungen vermeidet, und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu
entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten,
ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden
Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben.

Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der
Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr:

Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben, und diese
Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die
ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich
aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich
sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge, und zu keiner Arbeit zu
bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun, alles dies,
auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu
schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück
hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.

Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie erröthend an, und Eulenböck
trank mit großem Wohlbehagen, indeß der Fremde den Alten mit Ernst
anhörte, der, seiner Sache gewiß, um so eifriger fortfuhr: Nein, wohl
dem Manne, der, mit dieser verkehrenden Leidenschaft völlig unbekannt,
den vernünftigen Entschluß faßt, sich in den Stand der Ehe zu begeben,
und Heil dem Mädchen, das züchtig den Gemahl findet, ohne jene Scenen
des Wahnsinns je mit ihm gespielt zu haben, denn alsdann findet sich
jene Zufriedenheit, jene Ruhe und jener Segen, der unsern Vorfahren
nicht unbekannt war, und den die heutige Welt nicht mehr achten will. In
diesen Ehen, welche nach vernünftiger Ueberlegung, in Demuth und stiller
Ergebenheit geschlossen wurden, fanden die Menschen damals im wachsenden
Vertrauen, in zunehmender Zärtlichkeit und im gegenseitigen Ertragen der
Schwächen ein Glück, welches dem jetzigen hochfahrenden Geschlechte zu
geringe erscheint, und das auch darum nur Elend und Noth,
Unzufriedenheit und Mißverständniß, Zwietracht und Verachtung im Garten
seines Lebens baut. Früh schon an den Rausch der Leidenschaft gewöhnt,
suchen sie auch diesen in der Ehe, und verachten die Nothwendigkeit des
alltäglichen Lebens, erneuern dann rechts und links in mannigfaltigen
und immer geringeren Abwechselungen die Kunststücke ihres
Liebeshandwerks, und gehen so in Schlechtigkeit und Selbstbetrug unter.

Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit nachdenklicher Miene.

Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie ihrem Nachbar zu,
sie fallen zu schwer auf die Zunge; man kann nicht recht unterscheiden,
ob es schmeckt, oder nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist
natürlich für den wahr, der Liebhaber davon ist.

Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte, lachte, und der
Vater, der die Sache nur halb verstanden, wandte sich mit Heiterkeit zu
seinem fremden Gaste: wir sind also darüber einig, daß nur die
sogenannten Conventionsheirathen glücklich seyn können; ich werde auch
niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht unbegabte oder arme
Tochter einem Manne zu geben, sei er, von welchem Stande er wolle,
dessen Charakter mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in
der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die Früchte meines
Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde und in die Häuser der
Unwissenden das verstreut werde, was Liebe, Aufopferung, Studium und
unermüdeter Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben.

Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an; doch dieser, der bis jetzt
ihm freundlich erwiedert hatte, machte eine fast finstere Miene und
sagte nach einer kleinen Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können
niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls er gesammelt
hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten verkaufen, oder sie größern
Gallerieen durch Testament einverleiben. Darum kann ich auch den Plan
mit Ihrer Tochter nicht billigen, wenn ich auch mit Ihren Ansichten von
der Ehe einverstanden bin. Und überhaupt ist es in Ansehung jeder
Heirath eine mißliche Sache. Wenn ich nicht versprochen wäre und tausend
dringende Ursachen mich zwängen, mein Wort nicht zu brechen, so würde
ich meiner Neigung nach immer unverheirathet bleiben.

Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann fing er mit seinem
Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein anderes Gespräch an. Die neuliche
Auction der Kupferstiche, sagte der Gemäldehändler, ist bei weitem nicht
so ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen hatte.
Das ist häufig mit Auctionen der Fall, warf die Tochter mit
schnippischem Tone dazwischen: darum sollte sich kein Mensch damit
einlassen, den nicht die äußerste Noth dazu treibt.

Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang dieser Gespräche
einzusehen; er redete treuherzig und eifrig über die Barbarei der
Auctionen, in denen oft die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele
Kunstwerke durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der Ruhm
großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer, schmerzlich
verletzt würden. Dadurch gewann er die gute Meinung des Vaters, der die
getrübte Miene erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie,
welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten Wege des
Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden sollte, fragte schnell den jungen
Maler, ob er mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher
die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle?

Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der
Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne
herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in
ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre
Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben wir
wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen
und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes
widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein
Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und
erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll
uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch
ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern,
frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen, und in freundlichem Reiz uns
schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben,
Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle
sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen
Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken, und verlangen, daß in uns
eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen
und christlich zu würdigen?

Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer gewissen Eil und Heftigkeit,
etwas so Unerhörtes, oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint,
wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die
stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die
Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich,
doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes
Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig
unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria
zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl,
daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch
bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt
haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen,
daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben
diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders
gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei
allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und
hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungwürdige
hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der
sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf
welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch
das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen
wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter, als
was weiland ein gefeierter _Casanova_ erschuf, oder das Leere leerer,
als jenes kalte Abschreiben der mißverstandnen Antike, das jene ganze
frühere Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte
darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen auch damals die
tröstenden Erscheinungen? Und hat denn der Hülfverein für die Kunst, von
verehrten Männern gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können?

Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich
müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter seyn, wenn ich über so
wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue
phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht
zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren
jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die
jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein
wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.

Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie
sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien
Urtheils fähig. Ob die Parthei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen,
dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden.

Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an,
Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das
Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit
in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der
Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und welches der Mitlebende
nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig seyn will. Seit lange
war die Kunst aus dem Leben getreten, und nur ein Artikel des Luxus
geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit
Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft,
Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein
erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit
noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur
als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde
nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große
Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der
früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei
der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber.

Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck,
vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen
Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des
ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die
Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein
Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da
es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen.

Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward
nach diesen Worten wieder heiter und freundlich. Künstler und Freunde
der Kunst, erwiederte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von
einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine
der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden
Schaffenden ist beschränkt und ermattet, wenn sie nicht von außen
angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige,
freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correktheit,
Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen.

Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich
ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe.

Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu
ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige
ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen;
in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und
seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können.

Gewiß, erwiederte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten
Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen
Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören
müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der
gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht _alles_ gegeben.
Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des
freien Muthwillens, das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm
vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den
Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach
Mantua, um dort in dem Pallast ^T^ kennen zu lernen, was Erd' und
Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den
Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukelnd, und in dem
Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die
himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verklären.

Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit
großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich
vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn
wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch
die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren
Aeußerung Eulenböcks zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge
nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so
lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß beide auf lange Zeit weder
die übrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen.

Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walthers
bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie
sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am
deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte
der Wirth, daß die Natur oft ganz wie die Kunst verfährt. Wenn ein
Niederländer und ein Italiener aus der vorigen Zeit ein und dasselbe
Bildniß malen sollten, so würden beide die Aehnlichkeit auffassen, aber
jeder ein ganz verschiedenes Portrait und eine ganz andere Aehnlichkeit
hervorbringen. So kannte ich in meiner Jugend eine Familie, die aus
vielen Kindern bestand, an denen allen die Physiognomie der Aeltern und
nur eine Hauptform, aber unter verschiedenen Bedingungen ausgeprägt war,
so klar und sicher, als wenn die Kinder Bildnisse von demselben
Gegenstande, von verschiedenen großen Malern gezeichnet, wären. Die
älteste Tochter war wie von Correggio gemalt mit feinem Teint und
zierlicher Form; die zweite war dasselbe Gesicht, aber größer, voller,
wie aus der florentinischen Schule; die dritte hatte das Ansehen, als
habe Rubens das nehmliche Portrait auf seine Art gemalt; die vierte wie
ein Bild von Dürer; die nächste wie aus der französischen Schule,
glänzend, voll, aber unbestimmt, und die jüngste wie ein flüssig
gemaltes Werk von Leonard. Es war eine Freude, diese Gesichter unter
sich zu vergleichen, die mit denselben Formen, in Ausdruck, Farbe und
Lineamenten wieder so verschieden waren.

Erinnern Sie sich des wunderbaren Portraits, fragte Erich, welches Ihr
alter Freund in seiner Sammlung besaß, und welches sich mit so vielen
andern Sachen auf eine unerklärliche Weise verloren hat?

Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es nicht von Rafaels Händen
war, wie einige behaupten wollen, so war es wenigstens von einem
vorzüglichen Meister, der nach diesem Muster die Kunst mit Glück studirt
hatte. Wenn einige Neuere von der Kunst des Portraitirens als von einer
geringen Sache sprechen wollten, oder die gar den Maler erniedrige, so
durfte man sie nur vor dieses wunderwürdige Bildniß führen, um sie zu
beschämen.

Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft zum alten Rath, es
sind außer diesem trefflichen Stück noch andere merkwürdige Gemälde
verloren gegangen? Auf welche Weise?

Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich nicht sagen; aber sie
sind unsichtbar geworden, und vielleicht in's ferne Ausland verkauft.
Mein Freund, der Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den Sie
neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem Alter launenhaft
und wunderlich. Die Liebe zur Kunst hatte uns befreundet, und ich kann
sagen, daß ich sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern
Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei weitem die meinige, die
ich erst durch die Nachläßigkeit seines Sohnes so ansehnlich habe
vermehren können. Wenn wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so
setzten wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten seiner
Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich prächtigen Rahmen
einfassen lassen, und sie sinnreich bei einer sehr vortheilhaften
Erleuchtung geordnet. Außer jenem Portrait sah man dort eine so
unvergleichliche Landschaft von _Nicolas Poussin_, wie mir noch nie eine
vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern
auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume,
die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des
Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser
Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflöste, ist nicht zu
beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone von _Guido
Reni_, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder
gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den
trefflichen _Guido_ vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem
Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es
sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur
den Genuß, und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken.
Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte
und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war
nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern
ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher
Behandlung des Gegenstandes doch eher zurück stößt, als anzieht, sondern
es war das süßeste, wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten
Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen
Schädel, und dieser Ausdruck des Leidens erhöhte nur die Schönheit.
Gegenüber war eine Lukretia von demselben Meister, die sich mit starkem
vollen Arm den Dolch in den schönen Busen stieß. In diesem Bilde war der
Ausdruck groß und kräftig, die Farbe unvergleichlich. Eine Mutter, die
dem schlafenden Kinde das Tuch vom nackten Körper nimmt, und Joseph und
Johannes den Schläfer betrachtend, die Figuren lebensgroß, waren von
einem alten römischen Meister so herrlich und graziös dargestellt, daß
jede Beschreibung nur unzulänglich ist. Aber wohl möchte ich Worte
suchen, um auch nur eine schwache Vorstellung von dem einzigen _Van
Eyck_ zu geben, einer Verkündigung, welche doch vielleicht die Krone der
Sammlung war. Hat sich die Farbe je als eine Tochter des Himmels
verherrlicht, ist mit Licht und Schatten jemals gespielt, und im Spiel
die edelste Rührung der Seele erweckt worden, haben Lust, Begeisterung,
Poesie und Wahrheit und Adel sich je in Figuren und Färbung auf eine
Tafel gelegt, so war es in diesem Bilde geschehen, welches mehr als
Malerei und Zauber war. Ich muß abbrechen, um mich nicht selbst zu
vergessen. Diese Bilder waren die vorzüglichsten; aber ein _Hemling_,
ein herrlicher _Annibal Carracci_, ein kleines Bild, Christus zwischen
den Kriegsknechten, eine Venus, vielleicht von Titian, wären wohl noch
der Erwähnung werth, und kein Bild war in diesem Cabinet, das nicht
jeden Freund der Kunst beglückt hätte. Und, denken Sie, fassen Sie die
Sonderbarkeit des Alten, kurz vor seinem Tode sind alle diese Stücke
verschwunden, ohne Spur verschwunden. Hat er sie verkauft? Er hat nie
diese Frage beantwortet, und seine Bücher hätten es nach seinem Tode
ausweisen müssen, die aber nichts davon sagten. Hat er sie verschenkt?
Aber wem? Man muß fürchten, und der Gedanke ist herzzerreißend, er hat
sie in einer Art von wahnsinniger Schwermuth, weil er sie wohl keinem
andern Menschen auf Erden gönnen mochte, kurz vor seinem Tode
vernichtet. Vernichtet! Fassen Sie es, begreift ein Mensch diese
furchtbare Abwesenheit, wenn mein Verdacht gegründet ist?

Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen nicht zurück halten
konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures gelbseidenes Tuch aus der
Tasche, um in auffallender Rührung sein dunkelrothes Gesicht
abzutrocknen. Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des
sonderbaren Bildes von _Quintin Messys_, auf dem ein junger Schäfer und
ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet waren, beide herrlich
ausgearbeitet, und wovon er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne
und Ihrer Tochter ähnlich.

Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiederte Erich. Sie haben aber
noch den Johannes zu nennen vergessen, der wenigstens mit dem _Guido_
wetteifern konnte. Dies Bild war vielleicht von _Domenichino_,
wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser Blick des
Jünglings nach dem Himmel, die Begeisterung, die Sehnsucht, zugleich die
Wehmuth, daß er schon das Göttliche auf Erden gesehen, als Freund umarmt
und als Lehrer verstanden hatte, dieser Wiederschein einer entschwundnen
Vergangenheit im Spiegel des edeln Antlitzes war rührend und erhebend.
-- O, wenige von diesen Bildern könnten den jungen Mann retten und
wieder wohlhabend machen.

Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck aus. Er würde es doch
nur wieder vergeuden. Was habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört
auf den ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun endlich,
da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele gehen, ist er in sich
geschlagen; er sah, daß ich über sein Unglück bis zu Thränen gerührt
war, da hat er mir in meine Hand versprochen, sich von Stund an zu
bessern, zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie ich ihn
hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los und ruft: aber erst
vom heiligen Dreikönigs-Abend an soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin
will ich noch lustig seyn und in der alten Bahn fortlaufen! Was ich auch
sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich ihm nicht seinen
Willen ließe, die ganze Besserung wieder aufzugeben. -- Ei nun, das Fest
ist in einigen Tagen, die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens
daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu bauen ist.

Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen Leuten umgeben
gewesen; aus Widerspruch hat er sich auf die andre Seite gewandt, und so
hat freilich sein Eigensinn verhindert, daß der Umgang mit den
Tugendhaften ihm hat nützlich werden können.

Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler. Hat er sich nicht
von dem Pietisten, dem langweiligen alten Musikdirektor Henne seit
einiger Zeit wie belagern lassen? Aber ich versichere Sie, dessen
trockne Predigten können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte
beim dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text.

Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth: dergleichen Menschen,
wenn Unordnung und Verschwendung erst ihre Lebensweise geworden sind,
können sich niemals wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben
erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren.

Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur ein auffallendes Beispiel
seiner Raserei zu geben, so hören Sie, wie er es mit seiner Bibliothek
anfing. Er erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem
würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker, die größten
Seltenheiten der italienischen Literatur, die ersten Ausgaben des Dante
und Petrarca, nach denen man auch wohl in berühmten Städten umsonst
fragt. Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der zugleich
diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu angekauften Werke in
das Verzeichniß eintragen, die Werke systematisch aufstellen und
dergleichen mehr. Ein junger wüster Mensch meldet sich zu diesem
wichtigen Amte, und wird auch gleich angenommen, weil er zu schwatzen
weiß. Zu schreiben ist nicht viel, aber trinken muß er lernen, und der
Unterricht schlägt bei dem lockern Vogel an. Das wilde Leben nimmt
gleich seinen Anfang; alle Tage toll und voll, Bälle, Maskeraden,
Schlittenfahrten, die halbe Stadt frei gehalten. So fehlt es denn nun
schon nach einem halben Jahre, als der junge Gelehrte sich seinen Gehalt
ausbittet, an baarem Gelde. Man fällt auf den Ausweg, daß er für den
Gehalt des ersten Jahres an Büchern nach einer billigen Taxe nehmen
dürfe. Herr und Diener kennen aber den Werth der Sachen nicht, die auch
nur für den Kenner kostbar sind, und deren finden sich nicht auf allen
Gassen. Die theuersten Werke werden ihm also lächerlich wohlfeil
überlassen, und da man die Auskunft einmal gefunden hat, so wiederholt
sich das Spiel immer wieder, und um so öfter, da der neue Günstling
zuweilen Gelegenheit hat, für seinen Patron baare Auslagen zu machen,
die ihm in Büchern wieder erstattet werden. So fürchte ich, sind von der
Büchersammlung vielleicht nur noch die Schränke übrig geblieben.

Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich man mit den
Büchern umgegangen ist.

Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte Sophie: wer möchte
sie nur von seinem Feinde so wieder erzählen?

Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war denn doch seine
Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; denn diese that das im
Großen, was alle seine übrigen Thorheiten an seinem Wohlstand nur im
Kleinen vernichten konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde
gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist gutherzig,
aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner bemächtigt, aus ihm
machen kann, was er will. Meine gutgemeinten Worte verschollen nur in
den Wind. Bis in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die
eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade um alle meine
Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, daß er selbst seine
redlichsten und ältesten Freunde um ihrerwillen mißhandeln konnte.

Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen
Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler
die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern:
o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer
Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, den
öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben,
dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu
machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig
gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre
Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! -- Sie stieß ihn mit
Bewegung zurück, und eilte dann aus dem Zimmer.

Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der Kaffee herum gereicht
wurde. Was war denn meiner Tochter? fragte der Rath den Maler: sie
schien so eilig und hatte Thränen im Auge.

Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie sind recht glücklich,
Herr Geheimer Rath, bei diesem empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie
war so liebevoll um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen
entzündet, und meinte gar, ich könnte erblinden: darüber ist sie denn so
gerührt worden.

Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich sie nur erst gut
versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben könnte. Der Fremde war noch
zurück geblieben, um das neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches
Erich ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur
Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften Gespräch
begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand, welchen Dietrich
vertheidigen wollte. Wenn _Teniers_ und ähnliche Niederländer, sagte der
letztere, die Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft
dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu vergeben, so wie
ihrem Talent nachzusehen, da sie das Würdige nicht zu erschaffen wußten.
Der Gegenstand aber fordert eine ernste Behandlung, und dem alten
deutschen Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer
nur unpartheiisch seyn kann, so wird er sich von seinem Bilde angezogen
und befriedigt fühlen.

Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort, ist keiner für die bildende
Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster,
die er in seiner Einsamkeit sieht, und die ihn durch falschen Reiz oder
Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen,
können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen, und auch nur
phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt seyn soll.
Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und
zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und
die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher,
die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervorheben, das Entsetzen
des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese
Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und
Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend
verschwenden und vernichten.

Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn
nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende
Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem
Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade
in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt
diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind;
aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über
die Furcht erhaben ist, und längst die wahre unsichtbare Schönheit
kennt, um Grauen und geringe Lüsternheit von sich zu weisen. Das wahre
Schöne führt uns in keine Versuchung; das, was wir wirklich fürchten
dürfen, erscheint nicht in Larve und Unform. Das Bestreben jenes alten
Meisters läßt sich daher vor dem gebildeten Sinne rechtfertigen; nicht
so Teniers und seines Gleichen.

Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein Unendliches, rief der
Unbekannte: es ist es eben dadurch, daß es sich in keine Gränze fassen
läßt, denn durch die Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle,
Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas Ueberirdisches,
Unaussprechliches beimischt, so meinen die Thoren, es sei das
Unbedingte, und sündigen im angemaßten Mystizismus in Natur und
Phantasie hinein. Sehn Sie diesen tollen _Höllenbreughel_ hier am
Pfeiler? Weil sein Auge gar keinen Blick mehr hatte für Wahrheit und
Sinn, weil er sich ganz von der Natur lossagte, und Aberwitz und Unsinn
ihm als Begeisterung und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen
Heere der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres die
Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ. Sehn Sie den Riesensaal
von _Julio Romano_ in Mantua, seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und
Centauren und allen Wundern der Fabel, seine Bacchanalien, seine kühne
Vermischung des Menschlichen, Schönen, Thierischen und Frechen;
vertiefen Sie sich in diese Studien, dann werden Sie erst wissen, was
ein wirklicher Poet aus diesen sonderbaren und unverstandenen Stimmungen
unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in
diesem, aus Träumen geflochtenen Netz, die Schönheit zu fangen.

Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald
fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher
Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen, und von dem
einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat,
oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und ein
Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem
wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig
gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen.
Schranke muß seyn; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die
sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an
die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch
er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird, und man von seinem
Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und
andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher
Naturnothwendigkeit, philosophischer Regel oder unerlaßlichen
Kunstschranke gefesselt glaubt.

Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde
in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den
verlorenen Künsten gerechnet werden müssen.

Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich, daß Uebermuth nicht
ausstirbt, und Dünkel bei frischen Kräften bleibt. Er verbeugte sich
schnell gegen den Hausherrn und verließ die Gesellschaft.

Ich weiß nicht wie ich dazu komme, so behandelt zu werden, sagte der
Fremde. Scheint doch über diesem Saal ein Unheil zu walten, daß ich hier
immer auf Riesen treffe, die mich in den Staub legen wollen.

Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem Hause solche Scenen
vorfielen. So wie er den Fremden schon bei Tische hatte aufgeben müssen,
so gab er nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler zum
Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend wendete er sich zu dem
Fremden, der in seinem Zorn dem Höllenbreughel eine größere
Aufmerksamkeit schenkte, als außerdem geschehen seyn würde. Nicht wahr,
fing er an, ein in seiner Art treffliches Gemälde?

Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen, erwiederte der
verstimmte junge Mann. Er nahm sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu
prüfen. Was ist das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der
beiden Teufel zusammen kommen, und der feurige Schweif des Dritten, wird
ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles Profil gebildet, und,
ich irre mich nicht, es gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde,
dem braven Künstler.

Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren Einfall noch
bemerkt. Eulenböck, der Schalk, spielte am meisten den Erstaunten. Daß
mein Andenken, sagte er, sich in diesem seltsamen Stammbuche finden
sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen; sollte der boshafte Maler
aber mein Profil schon in der Vorzeit geahndet haben, so ist es doch zu
ruchlos, daß dieser Feuerschweif gerade meine etwas rothe Nase formiren
muß.

Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht, daß man wirklich
nicht ergründen kann, ob es Vorsatz, oder bloßer Zufall ist. Walther
betrachtete das Profil im Bilde, dann musterte er die Physiognomie
seines Freundes, schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm
zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte, der
sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm seine Kunstwerke zu zeigen.

Was ist Dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein im Saale zurück
geblieben war. Du scheinst über den sonderbaren Scherz des Zufalls
verdrüßlich, der uns alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer
hinlänglich dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so artig sein
Portrait zusammen setzen muß.

Hältst Du es denn wirklich auch für Zufall? rief Walther erzürnt aus:
siehst Du denn nicht ein, daß der alte Schelm mir dies Bild betrügerisch
aufgeheftet hat, daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe ihn
vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht genug an dieser
Abschattung von sich selbst, hat er auch noch dem großen Teufel da oben,
der die Seelen in einer Handmühle mahlt, in seinem ungeheuren
Schnauzbart fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich entdeckte die
Kritzelei schon unlängst einmal; ich glaubte aber, da es nicht ganz
deutlich war, es habe der Maler, oder ein Anderer, Höllenbreughel
hineinschreiben wollen; so erklärte es mir der alte Schuft auch selbst,
der mir, wie ich es ihm zeigte, Ellenbröeg herauslas, und hinzufügte,
die Künstler hätten sich nie um die Orthographie viel gekümmert. Nun
geht mir erst ein Licht auf, daß der verruchte Säufer auch nur den
jungen Mann verführt hat, mir den Salvator zu verkaufen, daß Du einen
solchen von ihm ebenfalls erhalten hast; und dabei müssen wir noch
fürchten, unsre Gesichter einmal, wer weiß, unter welchen abscheulichen
Gegenständen, irgendwo unanständig auf pasquillantische Weise angebracht
zu sehen.

Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das Bild zu zerstören.
Aber Erich hielt ihn zurück und sagte: Vernichte nicht im Unmuth ein
merkwürdiges Produkt eines Virtuosen, das Dich in Zukunft wieder
ergötzen wird. Rührt es von unserm _Eulenböck_ her, wie ich jetzt selber
glauben muß, und sind gar noch die beiden _Salvators_ von ihm, so muß
ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern. Toll ist die Art, wie er
sich selbst gezeichnet hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm
selber schädlich werden, da ich und Du uns nun wohl hüten werden, von
ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl noch manchen Thaler gelöst
hätte. Aber Dich wurmt noch etwas Anderes, ich sehe es Dir wohl an. Kann
ich Dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um Deine Tochter?

Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es mit Dir? Hast Du selbst
meinen Worten nachgedacht?

Viel und oft, erwiederte Erich: aber, lieber Grillenfänger, wenn es auch
glückliche Ehen ohne Leidenschaft geben kann, so muß doch eine Art von
Neigung da seyn; die finde ich aber nicht, und ich kann es Deiner
Tochter nicht verdenken, -- wir sind uns zu ungleich. Schade wär' es
auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften Empfindungen nicht
glücklich werden sollte.

Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand, den sie mag, und
der sich für sie paßt; Du trittst völlig zurück, der fremde hochmüthige
Gast hat mich heut mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert;
aus dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann werden,
da er sich gar nicht in die Welt zu schicken weiß, wie ich gesehen habe,
und vom jungen Eisenschlicht darf ich ihr gar nicht einmal sprechen.
Dazu ist mir auf's Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz
gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh, meinem ärgsten
Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie nur da wären! -- Und dann -- hab'
ich nicht auch noch eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen
billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was er noch im
Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er achtete die Sachen nicht;
ich habe ihm nie abgedrungen, ich habe ihn nie angelockt, -- aber doch
-- wenn der junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern
Weg einschlüge, -- wüßte ich nur, daß es ihn nicht wieder schlecht
machte, daß er es nicht vergeudete, ich wollte ihm noch einen
beträchtlichen Nachschuß gerne zahlen.

Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe den jungen Menschen
nicht aus den Augen gelassen; er ist nicht ganz so schlimm, als die
Stadt von ihm spricht, er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn
wir Besserung sehen und Du Dich ihm gewogen fühlst, vielleicht daß Deine
Tochter einmal auch gut von ihm dächte, kann seyn, daß sie ihm gefiele;
-- wie wär's alsdann, wenn Du durch Dein Vermögen Beiden ein glückliches
Schicksal bereitetest, Enkel auf Deinen Knieen schaukeltest, ihnen die
ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest, daß sie hier in Deinem
Saale die berühmten Namen stammelten.

Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem Fuße. Wie? einem solchen
verderbten Taugenichts mein einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß
er sie verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das räth mir
kein Freund.

Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den Vorschlag ohne
Leidenschaft, und suche Deine Tochter zu prüfen.

Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es darf nicht seyn! Ja,
könnte er noch ein einziges von jenen kostbaren, unvergleichlichen
Bildern aufweisen, die aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich
noch eher darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zukunft mit
dergleichen Vorschlägen. -- Und der verdammte Breughel hier! Da
oben, hoch, wo ich ihn nie wieder sehe, will ich ihn mit der
Galgen-Physiognomie des alten Sünders und allen seinen Teufeln hinauf
hängen!

Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen Fenster Sophie,
lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie erröthete, entfloh, ohne das
Fenster zu schließen, und der Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die
eigensinnige Dirne Alles mit angehört, und setzt sich wohl gar
dergleichen in den kleinen trotzigen Kopf!

Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich und aller Welt
unzufrieden.

                   *       *       *       *       *

Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen Zimmer, mit vielfachen
Gedanken beschäftigt. Um ihn lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte
die Summen daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen. Es war ihm
gelungen, unter billigen Bedingungen ein Capital auf sein Haus
aufzunehmen, und so arm er sich erschien, so war er doch schon in dem
Gefühl zufrieden, welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre
Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig, er machte Plane,
wie er von einem kleinen Amte zu einem wichtigern emporsteigen, und sich
in diesem zu einem noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit,
sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten, wie im Schlimmen, und
wie mir Müssiggang bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu
befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger seyn. -- Aber
wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern
Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir seyn, daß ich mit Befriedigung
und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten
können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen,
die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege,
vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten?

Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen
lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in
ihre Blätter, und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er
sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon
verwelkt, in seinem Busen wieder gefunden; seit der Stunde, daß sie im
Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden,
ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch
und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht
erschüttert ist, und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich
erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume
Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst
beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel seyn, ob
sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen
wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht entfaltete,
so half er ihr und der weissagenden Kraft durch die gewöhnliche Kunst,
den Stengel zu beschneiden, diesen dann einige Augenblicke in die Flamme
des Lichtes zu halten und die Blume nachher in das kalte Element zurück
zu setzen. Fast sichtlich erfrischte sie sich nach dieser gewaltsamen
Nachhülfe, und blühte so schnell und mächtig auf, daß Eduard fürchten
mußte, sie würde binnen Kurzem alle ihre Blätter verstreuen. Doch war er
seitdem getröstet, und traute seinen Sternen wieder.

Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug Briefe auseinander,
und fand so manche Erinnerungen aus seiner Kindheit, so wie aus der
Jugend des Erzeugers. Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich
ausgepackt, der Rechnungen, Nachweisungen, Prozeß-Acten und Vieles
ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein Blatt auf, welches das
Verzeichniß der ehemaligen Gallerie enthielt, die Geschichte der Bilder,
ihre Preise, und was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen
war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein Vater auf dem
Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse vielfach nach jenen
verlorenen Bildern gesucht, und manche vergebliche Nachforschung
angestellt. Er konnte mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten
sich hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm in einem
andern Packet, zwischen Papieren versteckt, ein Blatt, welches genau
jene Stücke nannte, die Namen der Meister, so wie die vorigen
Eigenthümer. Die Schrift war augenscheinlich aus den letzten Tagen
seines Vaters, und unten fanden sich die Worte: diese Stücke sind jetzt
-- --, weiter hatte die Hand nicht geschrieben, und selbst diese Zeile
war wieder ausgestrichen worden.

Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur. Das Licht war
niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er warf die Bogen eilig im Zimmer
umher, aber es zeigte sich nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier
auseinander schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der vor
vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein Vater als den
Schuldner Walthers mit einer namhaften Summe bekannte. Er war nicht
quittirt, aber doch nicht in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser
Umstand zu erklären? --

Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn das Blatt gültig
wäre, er von seinem Hause kaum noch etwas übrig behalten würde. Er
betrachtete einen Beutel, den er in eine Ecke gestellt, und der dazu
bestimmt war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher im
Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu geben. -- Denn wie
er im Verschwenden leichtsinnig war, so war er es auch in seinen
Wohlthaten; man hätte sie auch, wenn man strenge seyn wollte,
Verschwendung nennen können. -- Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren
darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen, so ist es nachher auch
eben so gut, ganz von vorn anzufangen und nur meinen Kräften zu
vertrauen. Dies war vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke.

                   *       *       *       *       *

Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen worden; es war lange
nicht geschehen, und ob der Jüngling gleich nicht begriff, wie der alte
Freund zu diesem erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem
Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit Sophien die
ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. Er nahm das aufgefundene
Papier mit.

Es war ihm sehr verdrüßlich, dort den alten und den jungen Herrn von
Eisenschlicht zu finden; indessen, da er bei Tische Sophien gegenüber
saß, so richtete er das Gespräch hauptsächlich an diese, und bestrebte
sich, heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache Weise
gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der alte Walther dem jungen
Eisenschlicht mit aller Artigkeit entgegen kam, und ihn beinahe
vernachläßigte; auch war es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den
jungen reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ sich die
Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art, als wenn es nicht
anders seyn könne, und Erich, der es gut mit dem jungen Eduard meinte,
suchte nur zu verhindern, daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit
ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte sich mehr
geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte sie oft prüfend
betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen Stücken von dem
gebräuchlichen ab, und erinnerte ihn heute lebhafter als je an jenes
verlorene Bild von _Messys_, welches die beiden jungen Leute in einer
gewissen Aehnlichkeit als Schäfer darstellte.

Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal, und Erich mußte lächeln,
als er bemerkte, daß sein Freund wirklich den falschen Höllenbreughel
hoch in einen Winkel hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch
bemerken konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien, und
schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard ging unruhig hin
und her, und betrachtete die Bilder; Erich unterhielt sich mit dem Vater
des jungen Freiwerbers, und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle
gerichtet.

Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist Ihnen hier das Meiste aus
der niederländischen Schule zuwider?

Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt, antwortete der reiche
Mann. Mein Widerwille trifft auch nicht diese Niederländer allein,
sondern vorzüglich ist mir deshalb der Spanier _Murillo_ verhaßt, und
auch so manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man sich auf
Markt und Straße, ja in den Häusern selbst, nicht vor diesem Geschmeiße
zu retten weiß; wenn aber ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch
auf bunter Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das, meiner
Geduld etwas zu viel anmuthen.

Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der _Quintin Messys_ recht
seyn, der so häufig Wechsler an ihrem Tische, mit Münzen und
Rechnungsbüchern so treu und kräftig vor uns hinstellt.

Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann: das können wir leicht und
ohne Anstrengung in der Wirklichkeit sehn. Soll ich mich einmal an
Malerei erfreuen, so verlange ich große königliche Aufzüge, viele
schwere Seidenzeuge, Kronen und Purpurmäntel, Pagen und Mohren; das,
vereinigt mit einem Anblick auf Paläste, große Plätze und in weite
gerade Straßen hinein, erhebt die Seele, das macht mich oft auf lange
munter, und ich werde nicht müde, es immer wieder von Neuem zu
beschauen.

Gewiß, sagte Erich, hat _Paul Veronese_ und manche andere Italiener auch
darin viel Vorzügliches geleistet.

Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana in dieser Manier? fragte
Eduard.

Alles Essen, erwiederte der alte Herr, wird auf Bildern langweilig, weil
es doch nie von der Stelle rückt, und die gebratenen Pfauen und hoch
aufgehobenen Pasteten, so wie die halb umgedrehten Mundschenken, sind
auf allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein Anderes ist
es, wenn sie den kleinen Moses aus dem Wasser ziehn, und dabei steht die
Prinzeß in ihrem reichsten Schmuck, und umher die geputzten Damen, die
auch für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden und
Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht sagen, wie es mich
erfreut, wenn ich eine solche Geschichte, die ich in meiner frühen
Jugend oft unter Beklemmungen in einer dunkeln Schulstube lesen mußte,
so herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von dergleichen Sachen aber,
lieber Herr Walther, haben Sie zu wenig. Ihre meisten Bilder sind für
die Empfindung, und ich will niemals, am wenigsten von Kunstwerken,
gerührt seyn. Ich werde es auch nicht, sondern ich ärgre mich nur.

Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist es aber in unsern
Comödien. Wenn wir aus einer angenehmen Gesellschaft und von einem
glänzenden Diner in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur
verlangen, daß wir uns für das mannigfaltige Elend und den kümmerlichen
Mangel interessiren sollen, der uns hier aufgetischt wird? Könnte man
nicht dieselbe polizeiliche Einrichtung treffen, die schon in den
meisten Städten löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal
für die Armuth etwas einlege, und mich dann nicht weiter von den
einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren lasse?

Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob aber durchaus zu loben,
sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung, weiß ich noch nicht zu sagen.
Ich kann mich wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht
erwehren, und mag es auch nicht, wenn man freilich oft zur Unzeit
gestört, unverschämt bedrängt, und zuweilen auch wohl arg betrogen wird.

Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann die stummen, blinden
Bücher nicht leiden, in die man sich einschreiben soll, um sich ruhig
auf eine unsichtbare Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende, so
viel als möglich, abhelfen werde. In manchen Gegenden verlangt man
sogar, man soll sich verpflichten, dem Einzelnen nichts zu geben. Aber
wie kann man nur dem Jammer widerstehn? Wenn ich dem gebe, der mir seine
Noth klagt, so sehe ich doch wenigstens seine augenblickliche Freude,
und kann hoffen, ihn getröstet zu haben.

Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in allen Ländern den
Bettelstand erhält, daß wir uns nicht von dem kleinlichen Gefühl einer
weichlichen Eitelkeit und eines süßlichen Wohlthuns frei machen können
und wollen. Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln der Staaten
vereitelt und unmöglich macht.

Sie denken anders, als jene Schweizer, sagte Eduard. Es war in einer
katholischen Gegend, wo ein alter Bettler seit lange sein Almosen an
gewissen Tagen einkassirte, und in jedem Hause fast, da die ländliche
Einsamkeit nicht viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie
gerechnet wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn in einer Hütte,
als er zusprach, da man gerade mit einer Wöchnerin sehr beschäftigt war,
in der Verwirrung und Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich
nach wiederholter Forderung nichts erhielt, wandte er sich zornig und
rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn, daß ich gar nicht
wiederkomme, und so mögt ihr dann sehen, wo ihr wieder einen Bettler
herkriegt!

Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Ausspruch ganz vernünftig
finden wollte, und mit diesen Worten schloß: gewiß, wenn es uns
unmöglich gemacht werden könnte, Wohlthaten zu erzeigen, so möchte unser
Leben selber arm genug werden. Könnte der Trieb des Mitleids in uns
ersterben, so möchte es auch wohl um Lust und Freude traurig aussehen.
Derjenige, der glücklich genug ist, mittheilen zu können, empfängt mehr,
als der arme Nehmende. Ach! das ist ja noch das Einzige, fügte sie mit
großer Bewegung hinzu, was das starre Eigenthum, die Grausamkeit des
Besitzes etwas entschuldigen und mildern kann, daß auf die Schmachtenden
unten etwas von dem unbillig Aufgehäuften herabgeschüttet wird, damit es
nicht ganz in Vergessenheit komme, daß wir alle Brüder sind.

Der Vater sah sie mißbilligend an, und wollte eben etwas sagen, als
Eduard heftig einfiel, indem er seine feurigen Augen auf die feuchten
des Mädchens heftete: dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir
in einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn wir von dem
Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden fremder Himmelsstriche dem
harmlosen Wanderer auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der
unwirthbaren See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn im
höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich auf der
unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen uns, wenn Ungeheuer der
Tiefe den Verunglückten zerfleischen, -- und doch -- leben wir nicht in
den großen Städten, wie auf einem Vorgebirge, wo unmittelbar zu unsern
Füßen aller dieser Jammer, dasselbe gräuliche Schauspiel sich
entwickelt, nur langsamer und desto grausamer? Aber wir sehen aus unsern
Concerten und Festen, und aus dem sichern Gewahrsam des Wohlstandes
nicht in diesen Abgrund hinein, wo die Gestalten des Elends sich in
tausend fürchterlichen Gruppen, wie in Dante's Gebilden, zermartern und
verzehren, und gar nicht einmal mehr zu uns empor zu schauen wagen, weil
sie schon wissen, welchem kalten Blick sie begegnen, wenn ihr Geschrei
uns zu Zeiten aus den Betäubungen unsrer kalten Ruhe weckt.

Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht, sind jugendlich.
Ich behaupte immer noch, der wirklich gute Bürger, der echte Patriot
soll sich von augenblicklicher Rührung nicht hinreißen lassen, die
Bettelei zu unterstützen. Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so
viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude nicht seine
geringen Mittel, die auch hierin der Aufsicht des Staates zu Gute kommen
sollen. Denn was thut er im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch
seine Weichlichkeit, ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des
Herzens nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und entzieht das
Wenige der wahren Armuth, die er doch nicht immer antreffen oder
erkennen kann. Wenn wir aber auch jene übertriebene Schilderung des
Elendes als richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch
selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im Stande, die Lage
des Verzweifelnden zu verbessern? Was hilft es, doch immer nur wieder
einen Tag oder eine Stunde zu erleichtern? Der Unglückliche wird seine
Schmach nur um so tiefer empfinden, wenn er nicht seinen Zustand in
einen glücklichen verwandeln kann; er wird noch unzufriedener, noch
elender werden, und ich schade ihm, anstatt ihm zu nützen.

O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich Sie nicht verkennen
soll; denn es erscheint mir wie Lästerung! Was der Arme in einem solchen
Augenblick des Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon daran
gewöhnt ist, von der Gesellschaft der Menschen ausgestoßen zu seyn; er,
für den es kein Fest, keinen Markt, keine Gesellschaft, und kaum eine
Kirche giebt; für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten
ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet; dieser
Elende, dem auf Spaziergängen und in der Frühlingsnatur nur Verachtung
grünt und blüht, er wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen
über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel; aber in solcher
Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere Gabe spendet, daß er mit
mehr als augenblicklichem Trost zu den verschmachteten Seinigen in die
dunkle Hütte kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der Glaube
an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder Mensch, er fühlt wieder die
Nähe eines Bruders, und darf diesen und sich wieder lieben. -- Wohl dem
Reichen, der diesen Glauben fördern, der mit der sichtbaren Gabe das
Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, der sich durch
frevelnden Leichtsinn dieser Mittel beraubt, ein Mensch unter den
Menschen zu seyn; denn das Gefühl wird ihn am härtesten strafen, daß er
als herzloser Barbar in Strömen das Labsal in die Wüste geschüttet hat,
wovon ein jeder Tropfen seine Brüder, unter der Last des mühseligen
Lebens erliegend, erquicken könnte.

Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er verhüllte sein Angesicht
und bemerkte nicht, daß die Fremden, auch Erich, vom Wirthe Abschied
nahmen. Auch Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit, als
der Vater zurück kam.

Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder beruhigt hatten, zog
Eduard das Papier aus der Tasche, und trug dem Rathe die zweifelhafte
Sache vor, und wie sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe
sein Schuldner zu seyn, die er ihm durch ein Capital abzutragen denke,
welches er auf sein Haus zu bekommen suchen wolle.

Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier mit großen Augen
an, endlich faßte er die Hand des Jünglings und sagte mit gerührter
Stimme: mein junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die
Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt mich, und wenn Sie
auch mit dem Herrn von Eisenschlicht nicht so heftig hätten sprechen
sollen, so war ich doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über
diesen Punkt. Was dies Papier betrifft, so kann ich Ihnen darüber
schwerlich eine entscheidende Antwort geben, ob es gültig sei oder
nicht. Es rührt aus einer frühen Zeit her, in der ich mit Ihrem wackern
Vater mancherlei, und zuweilen verwickelte Geldgeschäfte hatte; wir
halfen einander bei unsern Speculationen und Reisen aus, und der alte
Herr war dazumal in früher Jugend freilich zuweilen etwas locker und
wild. Er bekennt hier, mir eine ansehnliche Summe schuldig zu seyn; das
Blatt muß sich unter seinen Papieren verloren haben; ich weiß nichts
mehr davon, weil wir sehr viel mit einander zu berechnen hatten, und ich
war denn damals auch nicht so ordentlich, wie jetzt. Indeß -- (und mit
diesen Worten zerriß er das Blatt) sei diese anscheinende Forderung
zernichtet; denn auf keinen Fall, auch wenn die Schuld klar wäre, könnte
ich von Dir, mein Sohn, diese Summe annehmen; wenigstens sollte ich Dir
so viel nachzahlen für jene Gemälde, die Du mir viel zu wohlfeil
verkauft hast. Kann ich Dir überhaupt helfen, mein gutes Kind, so rechne
auf mich, und Alles kann vielleicht noch gut werden.

Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja sei'n Sie mir Vater,
ersetzen Sie mir den, den ich zu früh verloren habe! Ich verspreche es
Ihnen, es ist mein fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden,
ich will meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der
menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden. Aber
väterlicher Rath, wohlwollende Aufmunterung muß mich leiten, damit ich
wieder Vertrauen zu mir fasse.

So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit manchem Jahre werden
können, aber Du hast es dazumal verschmäht. Worin ich Dir nur irgend
helfen kann, darfst Du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich
doch, Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen, ob ich denn
doch von dieser Schuld gar keine Nachricht finden sollte.

Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst eine Weile
stillschweigend ansahen, und sich dann in die Arme flogen. Sie hielten
sich lange umschlossen, dann machte sich Sophie gelinde los, entfernte
den Jüngling und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in's Auge sah: wie
widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns denn das bedeuten?

Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh, liebstes Kind, ich
fühle mich, wie von einem schweren Traum erwacht. Das Glück, das mir so
nahe vor den Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an Deiner
Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener Knabe von mir, um
mich der Welt und mir selbst verächtlich zu machen. Hast Du mir denn
vergeben, holdseliges Wesen? Kannst Du mich denn lieben?

Ich bin Dir recht von Herzen gut, Du mein alter Spielkamerad, sagte
Sophie: aber glücklich sind wir darum noch nicht.

Was kann uns noch im Wege seyn! rief Eduard aus. O wie tief beschämt es
mich, daß ich Deinen edeln Vater so sehr habe verkennen mögen! Wie gütig
er mir entgegen kommt! Wie herzlich er mich als Sohn an seine Brust
drückt!

Ja, Du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das ist ja aber nicht _so_
gemeint. Aber der bleibt zeitlebens unbesonnen, und hat gleich die
Rechnung ohne den Wirth gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch
seyn mag, nicht eine Sylbe hören wollen. Auch müssen wir beide uns ja
erst näher kennen lernen. Freund, das sind Sachen, die sich noch in die
Jahre hinaus verziehen können. Und während der Zeit sattelst Du auch
vielleicht wieder um, und lachst dann in Deiner lustigen Gesellschaft
über meinen Gram und meine Thränen.

Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder: verkenne mich nicht, sei
so gut und lieb, wie Dein Auge verspricht! Und ich fühle es, Dein Vater
wird sich unsers Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! Er umfaßte
sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater schon wieder hinter ihm
stand. Was ist das, junger Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund
segnen? Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er den lockern
Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung zu ihm mißbrauchen will.

Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in's Auge. Sie sind nicht
gesonnen, mir Ihre Tochter zur Frau zu geben? fragte er mit ruhigem
Tone.

Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid Ihr rasend, Patron?
Einem Menschen, der den Nachlaß seines Vaters, die kostbarsten Bilder
verkauft und verschleudert hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein so
gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde es nach meinem
Tode, vielleicht schon während meinen letzten Tagen, an ein herrliches
Ausbieten meiner Schätze gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken
der Welt fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug ist er
aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig, bringt mir mit
herrlicher Großmuth ein altes Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch
bezahlen will, kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch
großmüthiger, noch edler und heroischer werden, und ihm meine Tochter an
den Hals werfen soll. Nein nein, mein junger Herr, so leicht hat er das
Spiel bei mir nicht gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine
Spur davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte, wenn es
wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach, mit Rath und That,
mit Freundschaft und Geld, so viel Er nur billigerweise verlangen kann.
Aber mein Kind laß Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt' ich mir in
Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch mag sie Ihn gar nicht, so
wie ich sie kenne. Sprich, Sophie, wärst Du wohl im Stande, Dich mit
einem solchen Thunichtgut einzulassen?

Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie, und diesen wohl am
wenigsten, der zu allen Dingen in der Welt besser, als zu einem Ehemann
paßt. Halb schmerzhaft und doch lächelnd warf sie dem Jüngling einen
scheidenden Blick zu und verließ den Saal. Sophie! rief Eduard aus und
wollte ihr nacheilen: wie kannst Du diese Worte sprechen? Der Alte hielt
ihn am Kleide fest und machte Miene, ihm noch eine lange Ermahnung zu
halten; doch Eduard, der nun die Geduld völlig verloren hatte, nahm
seinen Hut, stellte sich vor den Vater und sagte mit einer Stimme, die
von Zorn und Schluchzen unterdrückt war: ich gehe, alter Herr, und komme
nicht, merken Sie sich das! in Ihr Haus zurück, bis Sie mich rufen
lassen! bis Sie mich selber wieder hieher zurück rufen! Ja, bis Sie mich
inständig bitten, Ihre Wohnung nicht zu verschmähen! Es kann mir nicht
fehlen; Talente, gute Aufführung, Kenntnisse, sie bahnen mir den Weg zu
den höchsten Ehrenstellen. Dem Prinzen bin ich schon empfohlen. Das ist
aber nur die erste und kleinste Staffel meines Glücks! Ganz andre Wege
müssen sich mir eröffnen. Und wenn dann die Stadt es sich zur Ehre
rechnet, mich geboren zu haben, wenn ich diese jetzige Stunde ganz
vergessen habe, dann sende ich irgend einen Vertrauten von Ansehn zu
Ihnen, und lasse unter der Hand anfragen, wie es um Ihre Tochter steht:
dann fallen Sie aus den Wolken, daß ich noch an Sie denke, Sie falten
andächtig die Hände, daß sich Ihnen die Möglichkeit zeigt, einen solchen
Schwiegersohn zu erhalten, -- und so, gerade so wird es kommen, und auf
diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben.

Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und
murmelte: nun ist er gar verrückt geworden.

                   *       *       *       *       *

Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber
entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über
seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut
lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden
völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten
Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem
Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war,
vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange
nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im
Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt, und konnte sich nicht
verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht
anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich
selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst
diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und
feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir
mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei meinem trefflichen Gedächtnisse
leicht nachholen. Er wird mich lieb gewinnen, und bald werde ich ihm
unentbehrlich seyn. Der Umgang mit der großen Welt wird nach und nach
alles das wegschleifen, was mir noch von schlechten Gesellschaften
anhängen mag. Reise ich nun auch mit ihm, und muß mich etwa ein Jahr,
oder selbst noch länger, von hiesiger Gegend entfernen, so dient dies
auch in fremden Ländern nur um so mehr dazu, mich in seiner Gunst recht
fest zu setzen. Wir kommen dann zurück; meiner Bildung, meinen
Ansprüchen kommen durch seine Protection die ansehnlichsten Stellen
hier, oder auch im Auslande entgegen, und ich werde gewiß alsdann nicht
vergessen haben, daß es doch Sophie eigentlich war, die mein besseres
Selbst zuerst aus seinem Schlaf erweckte.

Er war nun angekleidet und so trunken von seinen Hoffnungen, daß er es
nicht merkte, wie er wieder die nämlichen Worte vor sich selber
aussprach, über welche er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz
erblühte Monatsrose aus dem Glase, und drückte sie, um sich zu seinem
Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich fielen ihm alle ihre
Blätter vor die Füße. Eine üble Vorbedeutung! seufzte er und ging aus
dem Hause, um in den Wagen zu steigen.

Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten den Brief, welcher
ihn dem Prinzen empfehlen sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber
spazierte, kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus einem
Seitenzimmer in verstörter Eile, und bemerkte anfangs seinen
Befreundeten nicht. Wie kommen Sie hieher? fragte Eduard hastig. Kennen
Sie den Prinzen? -- Ja, -- nein, -- stotterte Dietrich, -- es ist eine
sonderbare Sache, die wohl, -- ich will es Ihnen erzählen, aber freilich
wird hier keine Zeit dazu seyn.

Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte, in Juwelen
prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande herein, und vertrieb den
jungen Maler, der sich mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard
stand still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er wollte sich
verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine Bewegung, als er in ihr jene
Schöne plötzlich erkannte, die zum Nachtheil seines Rufes so lange in
seinem Hause gewohnt, und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen
verringert hatte. Wie! rief er aus, -- Du selbst -- Sie, hier in diesen
Zimmern?

Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt sich gut hier. Du merkst
doch wohl, mein Freund, daß ich, wie einst Deine Freundin, so jetzt die
Freundin des Fürsten bin, und wenn Du etwas bei ihm suchst, so kann ich
Dir Ungetreuem vielleicht beförderlich seyn, denn er hat mehr Gemüth,
als Du, und auf seine fortdauernde Gunst kann ich sicherer zählen, als
es mir mit Deinem Flattersinn gelingen wollte.

Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser Stunde nicht daran
erinnern, daß sie sich zuerst von ihm entfernt hatte, als sie gesehen,
daß sein Vermögen verschwendet war; er entdeckte ihr seine Lage und
seine Hoffnungen, und sie versprach, sich mit dem besten Eifer für ihn
zu verwenden. Sei nur ruhig, mein Freund, so beschloß sie ihre
Versicherungen, es kann und soll Dir nicht fehlen, und dann wird es sich
ja zeigen, ob Du noch ein Fünkchen Liebe in Deinem kalten Herzen für
mich aufbewahrt hast. Nur mußt Du vorsichtig seyn und in seiner
Gegenwart fremd gegen mich thun, damit er nie erfährt oder merkt, daß
wir uns schon sonst gekannt haben.

Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte Wange ihm einen
lebhaften Widerwillen erregte, verließ sie ihn, und Eduard ging mit dem
größten Mißbehagen im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders
gestaltete, als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen, welches er
hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu finden, schlug alle seine
Hoffnungen nieder, und er nahm sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen
zu entgehen, und wenn diese seine Tugend ihm auch die größten Nachtheile
bringen sollte.

Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige Unbekannte
trat mit seinem hoffärtigen Gange und stolzer Geberde herein.

Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören Sie zum Gefolge
Seiner Durchlaucht, und können mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben
kann, ihm meine Aufwartung zu machen.

Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er
in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als
ich. -- Eduard erschrack, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen
bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er
spricht mit Ihnen, antwortete jener, und mit so höhnendem und
wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte
mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme
Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse
durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas
sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem
Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen
könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter
eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die
uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen
Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus
höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann.
Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich
nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und
Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ
mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe,
und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft
mitgegeben habe. -- Ich sehe, daß unser Zusammentreffen Sie etwas zu
sehr erschüttert, und da Sie vielleicht auf jene Stelle schon mit zu
großer Sicherheit gerechnet hatten, und wohl in augenblicklicher
dringender Verlegenheit sind, so empfangen Sie diesen Ring zu meinem
Andenken und zum Zeichen, daß ich ohne allen Groll von Ihnen scheide.

Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder zu sammeln, trat
mit Bescheidenheit einen Schritt zurück, indem er sagte: rechnen Sie es
mir, Durchlauchtiger Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich
dieses Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst ehrenvoll
seyn würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich kann Ihre Art nicht
mißbilligen, und Sie erlauben mir gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu
folgen.

Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht verletzen, und da Sie
mir Achtung abzwingen, so muß ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns,
ungeachtet der sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt
hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und der ich glauben muß,
und welche Sie vorhin in diesem Saale traf, mir so viel Nachtheiliges
von Ihnen gesagt, und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine
Rücksicht zu nehmen.

Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem Beispiele dieser Dame
nicht folgen, und sie wieder anklagen, noch mich über sie beklagen, da
sie gewiß nur ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir aber
Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das Bild des jungen
Dietrich, so wie einige Ihrer andern Gemälde zu zeigen, so werde ich mit
der größten Dankbarkeit von Ihnen scheiden.

Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse an der Kunst
nehmen; ich habe zwar nur Weniges hier, aber ein Bild, das ich vor
einigen Tagen so glücklich war, zu dem meinigen zu machen, wiegt allein
eine gewöhnliche Sammlung auf.

Sie traten in ein reich verziertes Kabinet, wo an den Wänden und auf
einigen Staffeleien ältere und neuere Bilder sich zeigten. Hier ist der
Versuch des jungen Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings etwas
verspricht, und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack
abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung desselben zu loben. Die
Färbung ist gut, wenn auch etwas grell, die Zeichnung ist sicher und der
Ausdruck rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde endlich zu
malen aufhören.

Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard in das rechte Licht und
rief: sehn Sie aber hier dies gelungene, herrliche Werk meines
Lieblings, des _Julio Romano_, und erstaunen Sie, und entzücken Sie
sich!

Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst freudigen, ja lachenden
Gesicht mußte Eduard in der That dieß große Bild begrüßen; denn es war
das wohlbekannte Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser schon
seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war Psyche und der schlafende
Amor. Der Prinz stellte sich zu ihm und rief: daß ich diesen Fund gethan
habe, bezahlt mir allein schon die Reise hieher! Und bei jenem alten,
unscheinbaren Manne habe ich dieses Kleinod angetroffen! Ein Mann,
welcher selbst als Künstler keine unbedeutende Rolle spielt, aber doch
bei weitem nicht so erkannt wird, wie er sollte. Er besaß das Gemälde
schon lange und wußte, daß es vom _Julio_ sei; indessen da er nicht
Alles gesehen hat, so waren ihm immer noch einige Zweifel geblieben, und
er war erfreut, von mir so viele nähere Umstände von diesem Meister und
seinen Werken zu erfahren. Denn freilich hat er Sinn, der Alte, und weiß
wohl ein solches Juwel zu würdigen; aber er ist nicht in alle
Trefflichkeiten des Malers eingedrungen. Ich würde mich geschämt haben,
seine Unkenntniß zu benutzen, denn er foderte für diese herrliche
Arbeit, zu der er auf sonderbare Weise gekommen ist, einen zu mäßigen
Preis; ich habe diesen erhöht, um die Zierde meiner Gallerie auch auf
eine würdige Art bezahlt zu haben.

Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte Mann, einen solchen
Kenner und edlen Beschützer zum Freunde gewonnen zu haben; vielleicht
ist er im Stande, die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen
Seltenheiten zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunkeln Wohnung
Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt, und ist eigensinnig
genug, seine eignen Arbeiten oft allen ältern vorzuziehn.

Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach Hause, sondern eilte,
so leicht bekleidet er auch war, nach dem Park, rannte lustig durch die
abgelegenen, mit Schnee bedeckten Gänge, lachte laut und rief: o Welt!
Welt! Lauter Fratzen und Albernheiten! O Thorheit, du buntes,
wunderliches Kind, wie führst du deine Lieblinge so zierlich an deinem
glänzenden Gängelbande! Lange lebe der große Eulenböck, er, der
trefflicher, als Julio Romano oder Rafael ist! Habe ich doch nun auch
einmal einen Kenner kennen gelernt.

                   *       *       *       *       *

Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend gemacht, welchen er mit
Eulenböck verabredet hatte. Vor Kurzem war ihm dieser Tag als ein
lästiger erschienen, den er nur bald hinter sich zu haben wünschte;
jetzt aber war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden der
Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange Zeit seine letzten
vergnügten seyn würden. Gegen Abend erschien der Alte, und schleppte mit
einem Diener zwei Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard:
ist es denn nicht ausgemacht, daß ich Euch bewirthen soll? Das sollst Du
auch, sagte der Alte, nur bringe ich einigen Vorrath zum Succurs, weil
Du die Sache doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an
diesem Abend recht ausgelassen seyn will.

Ein trauriger Vorsatz, erwiederte Eduard, lustig seyn zu wollen, und
dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir und meinem Schicksal zum Trotz.

Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast Du auch ein Schicksal? Das hab'
ich gar nicht einmal gewußt, junger Bursche; mir schien das Wesen sich
immer höchstens zum Verhängniß hin zu neigen. Aber vornehmer ist das
andere ohne Zweifel, und vielleicht wird es noch zum Geschick, wenn Du
erst etwas klüger geworden bist. Ja, ja, Freund, Geschick, das ist es,
was den meisten Menschen fehlt, Verstand, Umstände zu nutzen, oder sie
hervor zu bringen, und darüber gerathen sie in's Schicksal, oder gar in
das noch fatalere Verhängniß, wo sich dann nicht immer eine christliche
Hand findet, sie wieder los zu schneiden.

Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst witzig zu seyn; oder
Du hast Dir gar schon einen Rausch getrunken.

Kann seyn, mein Kind, schmunzelte jener, und wir wollen bald die
Anstalten treffen, mich wieder nüchtern zu machen. Unser gutes Prinzchen
hat mich in eine Art von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft
habe, ein dauernder seyn kann; denn er protegirt mich trefflich, wird
mir noch mehr abkaufen, und auch Sachen von meinem eignen Pinsel malen
lassen. Er meint, ich wäre hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle,
man erkenne mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung.
Vielleicht nimmt er mich mit, und bildet mich noch zum ächten Künstler
aus, denn er hat den besten Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent
genug, um ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen.

Schelm der Du bist! sagte sein junger Freund: ich habe lachen müssen,
daß Du Deinen Julio Romano so vortheilhaft verkauft hast; aber ich
möchte denn doch nicht an Deiner Stelle seyn.

Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und sagte: Und warum nicht,
Kleiner? Wenn Du nur die Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und
pinselt an sich herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That
ist, und für ein wunderbares köstliches Original zu gelten, da die
meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen sind. Hättest Du meinen
Gönner das Bild nur analysiren hören, da hättest Du etwas lernen können!
Nun verstehe ich erst alle die Kunst-Absichten des Julio Romano; Du
glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an dem Bilde übersehen hatte,
wie viele Stellen seines markigen Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen
solchen Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn ganz und in
allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht uns im
vollständigen Gefühl seines hohen Werthes eine wohlthätige Empfindung,
als hätten wir auch an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein
Kunstwerk ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen. Wie großen
Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und Kenner schuldig, daß er mir
auch außer dem Gelde noch eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen
läßt.

Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen, rief Eduard lächelnd
aus, so könnte er mich glauben machen, das Bild sei ein ächtes!

Was hast Du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst Du von
der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die
Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben
Geheimnisse für den Laien. Glaubst Du denn, man malt nur, um zu malen,
und daß es mit Pallette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O
theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen,
astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen
treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast Du es noch
niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch
und Netz ausspannt, und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das
schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich
redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und
wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit
die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervor gehen soll; und wenn
es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze
ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns
zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und
schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike
nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial
hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen
werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem
sich ein wahrer Teufel, eine Höllenbrut statt eines Himmelsengels in
seiner künstlichen Krebsreuse gefangen hat. Denn auch diese Geister
streifen herum, und lauern nur darauf, wo sie sich verkörpern können.
Bildwerke, die etwa untergehn, treiben sich oft lange geängstigt im
leeren Raume um, bis ein freundlicher und der Sache gewachsener Mann
ihnen wieder Gelegenheit verschafft, sichtlich herab zu steigen. Es hat
mich Mühe genug gekostet, dieses Gedichts des trefflichen römischen
Malers wieder habhaft zu werden; es erfodert mehr Studium, als Du daran
wandtest, wenn Du in der Jugend dem Nachbar seine Tauben wegfingst. Wenn
Du der Meinung bist, daß der Mensch, um eine heilige Geschichte zu
malen, nicht seine ganze Andacht dem Gegenstande entgegen bringen muß,
so bist Du sehr im Irrthum, aus dem Dich unser junger Freund, der
talentvolle Dietrich, am ersten reißen könnte.

Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte Aeußerung gehört
hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen letzten Satz weitläufiger
auszuführen. Indessen ließ Eulenböck decken, und stellte die Weine in
die Ordnung, nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte er
sich mit der Frage an Eduard: und was denkst Du nun in Zukunft
anzufangen?

Für's Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen will ich meine
vernachlässigten Studien wieder anknüpfen und fortsetzen, und mich
vorzüglich mit Geschichte und den neuern Sprachen beschäftigen. Ich
schränke mich ein, vermiethe die übrigen Theile meines Hauses, welches
mir doch ohne Nutzen leer steht, und behalte nur diesen kleinen Saal und
die angränzenden Zimmer. So hoffe ich, ohne Sorgen, bei einer
vernünftigen Lebensart, über die ersten Jahre hinüber zu kommen, und
mich indeß zu irgend einem Amte tauglich gemacht zu haben.

Hier also wird Dein Museum seyn? sagte Eulenböck, indem er mit dem Kopfe
schüttelte. Diese Einrichtung will mir gar nicht gefallen, denn ich
glaube nicht, daß diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig
studiren zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonnanz, das
Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur, die Gedanken schlagen zu
heftig zurück und verschwirren, und wenn Du einmal eine rechte Fuge
denken willst, so klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa
war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren diesen schönen
Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben. Sonst sah man die Straße
auf der einen Seite, und hier auf der andern über den Garten und den
Park hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese schöne Aussicht
hat er nicht nur zumauern lassen, sondern auch noch die Fensteröffnungen
mit Bohlen und Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaaß des
Zimmers gestört. An Deiner Stelle riss' ich das Wesen, Tapeten und
Vertäfelung wieder auf, und ließe, wenn doch einmal Fenster fehlen
sollen, jene nach der Straße vermauern.

Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah, da er hier am liebsten
wohnte, seiner Gesundheit wegen; der Morgenwind von hier schadete ihm,
und erregte ihm Gichtschmerzen. Konnte er doch in den andern Zimmern die
grüne Aussicht genießen.

Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck fort, so wäre Dir
leicht geholfen. Er könnte Dir das Mädchen geben, die ja doch versorgt
werden muß, und Alles wäre wieder in Ordnung!

Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit aus: nur heute laß mich
vergessen, was ich hoffte und träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken,
seit ich zu meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es mir
nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich gegen den Vater
betrug; nichts soll mir heut einfallen, auch ihre unbegreifliche
Aufführung nicht. Nein, es gab ein herrliches Glück für mich, ich habe
es zu spät erkannt; das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf
ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben soll, muß ich
erst von der Zukunft lernen.

Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt Eduards Bibliothekar
vorgestellt hatte. Hier ist der Catalog, welchen Sie befohlen hatten,
sagte er, indem er dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte.
Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert Bände sind
noch von der schönen Sammlung übrig? Und unter diesen nur die
gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar zuckte mit den Achseln. Da Sie
mir gleich vom Anbeginn, erwiederte er, meinen Gehalt in Büchern
ausgezahlt haben, so mußte ich diejenigen nehmen, die am ersten Käufer
fanden; auch bin ich nicht genug Kenner von Seltenheiten, und habe diese
wohl nicht genug gewürdiget; außerdem haben Bücher, vorzüglich
Raritäten, zu verschiedenen Zeiten einen ungleichen Werth, und ist der
Verkäufer gedrängt, um eine Summe zu erhalten, so muß er fast nehmen,
was ihm geboten wird.

So hätt' ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth, halb mit Lachen, gewiß
besser gethan, gar keinen Bibliothekar anzunehmen, oder die Sammlung
gleich anfangs zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die
Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher Liebe hat sie mein
Vater gehegt! Welche Freude war es ihm, als er den seltnen Petrark, die
erste Ausgabe des Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt' ich es vergessen,
daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner Hand finden!
Wie wollt' ich diese Werke ehren, wenn ich sie noch besäße! Uebrigens,
da ich keine Bibliothek mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen
auch schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr bedarf.
Indessen wollen wir heut noch mit einander fröhlich seyn.

Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den wilden Gelagen Theil
genommen hatte, und den sie wegen seiner Gesinnungen immer nur den
Pietisten nannten. Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie in
die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der Andern stimmte,
sondern unter Murren und moralischen Betrachtungen seinen Antheil am
Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus,
so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter,
blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren
Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste
Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach, und diese um so reichlicher
vergoß, je länger das Gelag dauerte, und je ausgelassener die Uebrigen
waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den
wunderlichen Kreis der Gäste vollständig.

Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen
bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht
zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf
feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der
plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den
Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder
dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es
sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit,
die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger
Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem
Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und
Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln,
und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm hier
einen übertriebenen sinnlichen Genuß zu versprechen scheint, und auch er
wird sich wundern, wenn er erfährt, wie alles dies so ganz anders und im
entgegengesetzten Sinne gemeint sei. Meine Herren, ich bitte, Acht zu
geben, und meine Worte nicht zu leicht in das Ohr fallen zu lassen. Wenn
Länder die Geburt eines Prinzen feierlich begehn, wenn in Arabien ein
ganzer Stamm sich festlich freut, indem sich ein Dichter in ihm gezeigt
und hervor gethan hat, wenn die Installation des Lord-Mayor mit einem
Schmause verherrlicht wird, ja wenn man die Geburtsstunde der Pferde von
echter Race nicht unbillig auf nachdenkliche Weise auszeichnet: so liegt
es uns ja wohl noch näher (um nicht mit einem Antiklimax zu schließen)
aufzuschauen, gerührt zu seyn und etwa mit Gläsern anzustoßen, wenn das
Unsterbliche sich uns zeigt, wenn die Tugend uns würdigt, körperlich vor
uns zu erscheinen. Ja, meine Freunde, gerührten Herzens spreche ich es
aus, ein junger angehender Tugendhafter ist unter uns, der noch heut
Abend sich als eingepuppter Schmetterling durchbeißen, und seine
Schwingen im neuen Leben entfalten wird. Es ist Niemand anders, als
unser edler Wirth, der uns so manchen Schmaus gegönnt, so manches Glas
eingeschenkt hat. Aber ein feuriger Vorsatz, abgerechnet, daß er selbst
auf dem Trocknen sitzt, jener Impetus der Begeisterung, von dem schon
die Alten sangen, reißt ihn nun von uns in lichte Höhen hinauf, und wir,
von diesem Tisch und Flaschen und Schüsseln, seiner irdischen
Grabesstätte, schauen ihm schwindelnd nach, staunend, welchen fremden
Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage Euch, Theuerste, er wälzt
unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann
der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht
entschließen! Habt Ihr es wohl je schon erwogen (aber in Euerm
Leichtsinn denkt Ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren
Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich
eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch
nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspektive
liegt dort neben Perspektive, und Berg und Thal und Fluß und weite,
unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser
Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten
Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie
schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am besten, und daher
meine Verehrung vor denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme.

Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an
diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in
mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf
dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die
Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu
stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten.
Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser
Burgunder nach einigen Stationen zu rothen Nasen, diese Trüffeln und was
ihnen anhängt, zu Wassersucht, Magenkrampf und ähnlichen Uebeln. Unser
Eduard aber, alles dies verschmähend, wandelt zur Tugend. So fahre denn
wohl auf Deinem einsamen Pfade, und wir, die wir entzündete Gesichter,
dicke Bäuche und kurzen Athem nicht so sehr scheuen, gehn unsre Straße
fort. Aber auch ich werde Euch bald verlassen, Theuerste; ein edler
Unbekannter, den ich Euch noch nicht nennen darf, wird mein Kunstgenie
zu den höchsten Leistungen begeistern, er wird mich in fernen Regionen
einer idealischen Weihe empfänglich machen, und so zu sagen,
vergeistigen. Unser frommer, gemüthlicher Dietrich, den wir kaum kennen
lernten, wandelt den Kunstdom entlang, und schmückt die vaterländischen
Altäre. Was soll ich von Dir sagen, Bibliothekar, der Du vor den leeren
Bücherschränken stehst, und die Werke nicht blos gelesen, sondern
buchstäblich verschlungen hast? O Du verlesener Mensch, Du von der Secte
des muselmännischen Omar, Kienraupe der Bibliotheken, Verwüster der
Schriften, der Du eine neue alexandrinische Sammlung blos durch die
treffliche neue Erfindung, Dein Salar nicht geistig, sondern wirklich
aus den Schriften zu ziehn, vernichten könntest. Alle Buchhändler des
römischen Reiches sollten Dich umher senden, um mit Deiner zerstörenden
Kraft die Sammlungen zu zerstieben und neue Werke nothwendig zu machen.
Du, mehr als Recensent und schlimmer als Saturnus, der doch nur
verzehrte, was er selbst erzeugt: Wo sind sie, Deine Untergebenen, Deine
Mündel, die mit goldnem Rücken und Schnitt Dich so freundlich anlachten?
Versilbert hast Du sie alle, und schon nach wenigen Jahren Deine
silberne Hochzeit mit ihnen gefeiert. Lebe denn wohl, auch Du, Pietist,
redlichster unter den Sterblichen, Du Hasser aller Poesie und Lüge!
Reich mir die Hand zum Abschied, armes Krokodill, das schon in Thränen
schwimmt; im Sumpf einer Taverne mußt Du künftig heulen. In einem
bessern Leben sehn wir uns alle wieder.

Da Eduard nachdenkend war, und Dietrich in der Gesellschaft noch fremd,
der Bibliothekar und Pietist keine Miene verzogen, so herrschte während
und nach der Rede ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch
feierlicher wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert
hatte, schluchzte und jammerte.

Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte Eduard, und wie es
noch in manchen Gegenden Sitte ist, sich an diesem Tage zu beschenken,
so wünsche ich, daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese
Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen.

An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht unschicklich, einmal
anders, als gewöhnlich zu leben; daher waren sonst Glücksspiele
gebräuchlich, wenn sie auch übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es
für Dich, Freund Eduard, wenn heute auch Dein Glücksstern von Neuem
erwachte, daß dem verarmten Verschwender ein neues Vermögen bescheert
würde. Man hat wunderliche Erzählungen, wie verzweifelte Jünglinge sich
in der Armuth haben in ihrem väterlichen Hause erhängen wollen, und
siehe da, der Nagel fällt mit dem Balken der Decke herab, und mit beidem
zugleich viele tausend Goldstücke, die der vorsorgende Vater dorthin
versteckt hatte. Beim Lichte besehen, eine dumme Geschichte. Konnte der
Vater denn wissen, daß der Sohn für das Hängen eine besondere Vorliebe
haben würde? Konnte er wohl berechnen, daß der Körper des Desperaten
noch schwer genug bleibe, den verborgenen Schatz durch sein Gewicht
aufzudecken und herab zu ziehn? Konnte der verlorene Sohn nicht schon
früher einen Kronenleuchter dort anbringen wollen, und das Geld finden?
Kurz, tausend gegründete Einwürfe kann die vernünftige Kritik diesem
schlecht erfundenen Mährchen machen.

Ohne daß Du immer wieder auf diesen Vorwurf zurück kommst, sagte Eduard
empfindlich, schilt mein eignes Gewissen, meinen Leichtsinn und
thörichte Verschwendung. Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die
ihren Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so hätten die
Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz begreiflich, wenn die
armen Menschen glauben, von bösen Geistern besessen zu seyn. Denn wie
soll man es erklären, daß man dem Schlimmen folgt, indem man das Bessere
einsieht, ja daß wir oft zum Letztern selbst in unsern wildesten Stunden
mehr Trieb, als zum Unrecht empfinden, und dennoch, uns selbst zum
Trotz, jeder Einsicht den Rücken kehren, und schon vor der begangenen
That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß eine tiefgewurzelte
Verderbniß in der menschlichen Natur seyn, die sich auch nie ganz zum
Edeln erziehn, oder durch Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt.

So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt nichts, er ist
gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die
Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.

Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern, und immer wieder zu
bejammern. Die Thränen flossen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.

Als Du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum
alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise
dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als
der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich
einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem
Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart
meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den
Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin,
wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und
seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr
beachtete, und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine
Nachlässigkeit war ich schon in eine bedeutende Schuld gerathen, um
welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging
es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte,
der oft verdorbenen Essig erhielt, und sich doch nicht beschweren
durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des
Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen
Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer
als Alle bezahlen, und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein
Gewerbe versäumt ward, und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In
diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein
redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte,
und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt
wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte,
was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu
retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst
diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern,
diesen verachten, und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre
Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein
Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen.

Sei still, Sohn, rief Eulenböck, Du hast auch mancher armen Familie
Gutes gethan.

Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah
ohne Sinn, so wie ich ohne Sinn Aufwand machte, ohne Sinn reisete,
spielte und Wein trank, und weder mir noch Andern eine gute Stunde
zuzubereiten verstand.

Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was den lieblichen Wein
betrifft, eine Sünde. Aber seid munter und trinkt, ihr wackern Gehülfen,
damit auch der Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt.

Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn die Tischgesellschaft
war unermüdet. Selbst der junge Dietrich trank fleißig, und Eulenböck
ordnete an, wie die Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es!
rief er aus, die Schlacht muß gewonnen werden, und der Sieger erzeigt
den Besiegten keine Gnade. Seht in mein kriegerisches Antlitz, Ihr
jüngern Helden, hier hab' ich die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt,
zum Zeichen, daß kein Erbarmen statt finden soll! Nichts in der Welt
wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache Actus, den
die Menschen so obenhin trinken nennen, und keine Gabe wird so verkannt,
so wenig gewürdiget, als der Wein. Könnt' ich wünschen, der Welt einmal
nützlich zu werden, so möcht' ich eine aufgeklärte Regierung dahin
bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten, von wo herab ich die
unwissende Menschheit über die trefflichen Eigenschaften des Weines
unterrichtete. Wer trinkt nicht gern? Es giebt nur wenige Unglückselige,
die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber es ist ein
Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle Application, ohne Styl,
Schatten und Licht, so daß sich kaum die Spur einer Schule findet;
höchstens Colorit, was die Uebermüthigen dann auch gleich sich und der
Welt auf die Nase binden und zur Schau aushängen.

Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte Dietrich.

Anfangs, erwiederte der Alte, muß man durch stille Demuth und einfachen
Glauben, wie in allen Künsten, den Grund legen. Nur ja keine vorzeitige
Kritik, kein spürendes, naseweises Schnüffeln, sondern ein edles,
vertrauenvolles Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so mag er auch
unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier und Sitteneinfalt, so
unterrichtet auch sein Geist von innen heraus, und weckt mit dem
Enthusiasmus zugleich das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das
Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei; denn nur die
That macht den Meister.

O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen Thränen keinen
Einhalt that. Worte, sagte der Pietist, die der gemeine Haufe goldne
nennen würde.

Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst und Wissenschaft, so
dürfte es auch nur einerlei Getränk auf Erden geben, so wie das
unschuldige Wasser schon diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur
versenkt sich auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier
und dort in die Rebe, und läßt sich im wundersamen Ringen keltern und
verklären, um über den magischen Weg der Zunge in unser Inneres zu
steigen, und dort aus altem Chaos alle glänzende Kräfte aus Betäubung
und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so
schalten und spotteten auch diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht
empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich
und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden
Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in
dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt
frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die
Geisterchen die süßen Wogen, und kriechen mit lachenden Augen aus ihren
finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen kristallnen Gliederchen,
und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen,
und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten
Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen
fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben
einer von des andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die
Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und
hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus
vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die
Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von
Geistern in sich, und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann
von den gemeinen Seelen sagen, die einem nachrufen: seht! der Kerl ist
besoffen. Was meinst Du, redliches Krokodill?

Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die
Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was
Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber
ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn,
um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag
es Andern vergönnt seyn, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben
und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn
solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir
dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder
lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor
Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die
Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir
deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir
eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage
lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück
nehmen müssen.

Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr,
Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug
und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu
singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der
Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon.
»Das Morgenroth streut Rosen.« Giebt es etwas Dümmeres? »Die Sonne
taucht sich in das Meer.« Fratzen! »Der Wein glüht purpurn.«
Narrenspossen! »Der Morgen erwacht.« Es giebt keinen Morgen; wie kann er
schlafen? Es ist ja nichts, als die Stunde, wenn die Sonne aufgeht.
Verflucht! Die Sonne geht ja nicht auf; auch das ist ja schon Unsinn und
Poesie. O dürft' ich nur einmal über die Sprache her, und sie so recht
säubern und ausfegen! O verdammt! Ausfegen! Man kann in dieser lügenden
Welt es nicht lassen, Unsinn zu sprechen!

Laßt's Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck, Eure Tugend
meint es gut, und wenn Ihr die Sache anders anseht, als ich, so trinkt
Ihr wenigstens denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber.
Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander führt. Wer
versteht sich heut zu Tage? Davon ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich
wollte nur noch bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht
zusammen hängt, daß mir die Art, wie Menschen und Aerzte den
Nahrungsprozeß und die sogenannte Assimilation ansehen, höchst einfältig
vorkommt. Der Eichenbaum wird aus seinem Saamenkorne eine Eiche, und die
Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch Luft, Wasser und
Erde bedürfen, so sind es doch diese Elemente nicht eigentlich, aus
denen sie erwachsen. So erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und
den Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die Möglichkeit,
aber nicht die Sache, und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine
Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein
unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervor bringt, die wir
ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch _erweckt_ nur
die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle
und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden.
Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich
brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen.
Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eignes Selbst an, das in
Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn
können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden, die ihnen
von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke
selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen
geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich seyn würden; daher der
Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervor zu bringen, der
außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der
Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was
diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im
Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach
neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß
es auch viele und mancherlei Weine geben.

Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. Giebt es hier nicht auch
das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte
und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und
leer Renommirende?

Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt
unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil,
und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur
viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie die
Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen
können. Einiges Encyklopädische wird Dir hinreichen. Fast jeder Wein hat
sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm
Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich
der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des
Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie
hier vor Euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom
leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen
Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten
Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi,
der in seinem toskanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt
hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd
den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige
Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne
Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der heißere
Burgunder demjenigen, der ihn vertragen kann! Wie die unmittelbare
Begeisterung fällt er in uns hinab, schwer, blutig, heftig erweckt er
unsre Geister. Die Rebe von Bourdeaux dagegen ist heiter, geschwätzig,
ermuntert, aber begeistert nicht. Doch schon voller und wunderlicher
dichtet die Provence und das poetische Languedoc. Dann das heiße Spanien
im Xerez und ächten Malaga, und den glühenden Weinen von Valencia. Hier
verwandelt sich der Weinstrom, indem wir ihn genießen, schon an unserm
Gaumen in Kugelgestalt, die sich weit und weiter ausbreitet, und uns im
Tokayer und St. Georgen-Ausbruch noch weit inniger und sinniger so
erscheint. Wie erfüllt Mund und Gaumen und den ganzen Sinn des Gefälls
nur ein Tropfen des edelsten Cap-Weins. Diese Weine muß der Kenner
nippen und züngeln, und nicht mehr trinken wie unsern braven Rhein. Was
sag' ich von euch, ihr lieblichsten Gewächse Italiens, und namentlich
Toskana's, du geistreichster Monte-Fiascone, du wahrhaft rührender
Monte-Pulciano? Nun so kostet denn, Freunde, und versteht mich! Aber
nicht konnt' ich dich aufsetzen, dich König aller Weine, dich
rosenröthlicher Aleatico, Blume und Ausbund alles Weingeistes, Milch und
Wein, Blume und Süße, Feuer und Milde zugleich! Diesen Wundergesellen
trinkt, kostet, nippt und züngelt man nicht; sondern dem Beseligten
erschließt sich ein neues Organ, das sich dem Unkundigen und Nüchternen
nicht beschreiben läßt. -- Hier brach er gerührt ab, und trocknete die
Augen.

So hatte meine Ahnung ja doch Recht, rief Dietrich begeistert aus:
dieser ist denn im Weinreich, was der alte Eyck oder Hemling, vielleicht
auch der Bruder Johann von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt ja
auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne Schatten doch so
wahr, ohne Weiße so blendend und überzeugend ist. So sättigt und
berauscht der Purpur des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer
das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins, und klingt in
unserm Geiste zusammen!

Ausgenommen Eulenböcks Nase, rief der ganz trunkene Bibliothekar aus:
die hat keinen Scharlach mehr, keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit
dem Gesicht in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth
bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen der
feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller Sonne abgewandt. Soll dies
Gewächs wohl dem Leben angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert
haben? Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein widerwärtiges
Etui für Bosheit und Lüge.

Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz, hinfällige
Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie auch noch in dem
unterminirten Gesicht, so daß sie mit ihrer Wucht bald den ganzen Mann
in Trümmer drücken kann. Kerl! wo hast Du die unverschämt schiefe Nase
her?

Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig auf den Tisch
schlug: will das Geziefer die Welt reformiren? Jede Nase hat ihre
Geschichte, ihr Naseweise. Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das
Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine
Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken.

Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.

Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche
Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und
sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das
Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man
damit handthiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am
besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleine Leidenschaften,
Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie
edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch seyn,
wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die
Augen, ihrer Beweglichkeit nach, hin und her rennend, conserviren sich
in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie
unser krokodilischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde;
der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei
unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken
übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus
falscher Schaam etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser
trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen
Schwulst, erklärt. Aber die Nase, die arme, die von allen Theilen am
meisten sich hervor arbeitet, uns Unglückliche von allen Thieren
unterscheidet, bei denen Maul und Schnauze so freundlich eins werden,
und die beim Menschen als Höcker und Blocksberg der Tummelplatz aller
Hexen und bösen Geister wird: wird sie nicht schon der kalten Luft und
des Schnupfens wegen bei den meisten Menschen zum Sausewind und zur
klingenden Trompete und Schlachtposaune ausgereckt, gezogen, gedehnt und
gehudelt? Wird ihre Nachgiebigkeit, ihre Entwickelungs-Fähigkeit nicht
gemißbraucht, um fast Elephantenrüssel und Truthahnsschnäbel heraus zu
arbeiten? Frommere Seelen drücken sie wieder nieder und plätschen den
Hochmuth in jammervolle Unformen zusammen. Alles dieses sah ich früh,
schonte meine Nase, und konnte meinem Schicksal doch nicht entgehn. Ich
bin mit meinem Barbier, einem meiner innigsten Freunde, aufgewachsen und
alt geworden. Dieser Künstler, indem er sich von einer Seite meines
Antlitzes zur andern wandte, pflegte bei diesem Wechsel, um einen
Stützpunkt zu haben, mir die Schneide des Messers unten an die Kehle zu
setzen, und darauf drückend und sich lehnend schnell die andre Seite zu
gewinnen. Dies schien mir bedenklich. Er durfte ausgleiten, sich stoßen,
so schnitt er höchst wahrscheinlich mit dem Gestützten in das Stützende,
und mein Angesicht lag unrasirt zu seinen Füßen. Dem mußte abgeholfen
werden. Er dachte nach, und als wahres Genie war es ihm nicht so gar
schwer, sein System und seine Manier zu ändern. Er packte nämlich mit
seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen
und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die
Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir
uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser
arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß
mein Freund von je her eins der auffallendsten Gesichter an sich trug,
die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen
pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimmassiren, und liebäugelte
mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwiedern, und
in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkührlich nachahmen
mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit
seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu
gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem
Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so
liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus
schmerzlicher Theilnahme, und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen,
die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich
aus: stelle Dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar
nicht, Du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus
einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, Dein Liebreiz in
diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiederung. Seht, so grinsten wir uns
denn wie die Affen minutenlang an. Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa
eine auffallende Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und
bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den Augen und der
Stirn den Krieg ankündigen wollte, die wirklich häßlichen Verzerrungen
der Wangen und Lippen ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen
konnte, weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen
hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder und trug dem
Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun schien aber guter Rath theuer,
und eine Auskunft kaum möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter
Rafael, eine dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen
Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, nach
welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, mir die Nase beim Auflehnen
hin zu drehen: und dabei sind wir denn auch stehen geblieben, und diese
Nothwendigkeit hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich mich
instinktartig bilden mußte, hat mir diese Falten eingegraben, und tiefes
Forschen und Denken, flammende Begeisterung und glühende Liebe zum Guten
und Besten haben endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben.

Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der
Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch.
Eulenböck aber rief: o ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter,
die ich Euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen,
kann auch ein so unedler, manierirter, moderner und witzloser Geist, wie
dieser sogenannte Punsch, auch nur in den fernsten Winkel Eures
Gedächtnisses kommen? Dies elende Gebräu aus heißem Wasser, schlechtem
Branntwein und Zitronensäure? Und was soll dieses diplomatische,
nüchterne Getränk, der Champagner, in unserm Kreise? Der nicht Herz und
Geist aufschließt, und nach dem halben Rausche höchstens dazu dienen
kann, wieder nüchtern zu machen? O Ihr Profanen!

Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard ausgenommen,
erwiederten diese Geberde so heftig, daß von der Erschütterung die
Flaschen tanzten, und mehrere Gläser zerschmetternd auf den Boden
stürzten. Hierüber ward Gelächter und Tumult noch lauter, man sprang
auf, andere Gläser zu holen, und Dietrich rief: es ist so kalt, eiskalt
hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen.

Es war tief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt, man wußte
nicht, wie man den Ofen wieder heizen sollte; auch gestand Eduard, daß
sein Holzvorrath völlig zu Ende sei, und er morgen mit der Frühe erst
neuen wieder herbei fahren lasse. Was meint Ihr? rief der ganz
berauschte Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf
neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung, diese
Bretter, welche die Fenster bedecken, heraus brächen, und in dem großen
altfränkischen Camin hier ein herrliches deutsches Feuer anzündeten?
Dieser tolle Vorschlag fand bei den verwilderten Gästen sogleich Gehör
und lauten Beifall, und Eduard, der den ganzen Abend in einer Art von
Betäubung gewesen war, widersetzte sich nicht. Man hob den Schirm vom
Camin hinweg, und lief dann mit Kerzen nach der Küche, um Beile, Stangen
und andere Instrumente herbei zu holen. Im Vorsaal fand Eulenböck ein
altes verdorbenes Waldhorn, und darauf blasend, marschirten sie wie
Soldaten unter Schreien und abscheulicher Musik in den Saal zurück. Der
Tisch, welcher im Wege stand, ward umgeworfen, und sogleich begann ein
Hauen, Brechen und Hämmern gegen die hohle Wand. Jeder suchte den Andern
in Aemsigkeit zu übertreffen; um die Arbeitenden zu ermuntern, stimmte
der Maler den Schlachtruf auf dem Horne wieder an, und beim Gepolter
riefen Alle wie besessen: Holz! Holz! Feuer! Feuer! so daß dies
Geschrei, die Musik, das Schlagen der Aexte, das Krachen der brechenden
und ausspringenden Bretter den Wirth des Hauses in eine so dumpfe
Betäubung warf, daß er sich stumm in eine Ecke des Zimmers zurück zog.

Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete als
unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft war unruhig geworden, und
die Wache, welche ebenfalls das ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat
jetzt, einen Offizier an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus
unverschlossen gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des
Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard, der ziemlich
nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären, um seine Freunde
zu entschuldigen. Diese aber, aufgeregt und keines vernünftigen
Gedankens mehr fähig, behandelten diesen Besuch als einen gewaltsamen
Einbruch in ihre unveräußerlichsten Rechte; jeder schrie auf den
Offizier ein, Eulenböck drohte, der Buchhalter fluchte und weinte, der
Bibliothekar holte mit der Brechstange aus, und Dietrich, welcher am
meisten begeistert war, wollte sich mit dem Beile über den Lieutenant
hermachen. Dieser, ebenfalls ein junger hitziger Mann, nahm es von der
ernsthaften Seite und fand seine Ehre verletzt, und so war das Ende der
Scene, daß Jene unter Geschrei und Lärmen, Drohungen und
Freiheits-Declamationen nach der Hauptwache abgeführt wurden. So endigte
das Fest, und Eduard, der allein im Saal zurück geblieben war, ging
völlig verstimmt auf und nieder, und betrachtete die Verwüstung, welche
seine begeisterten Freunde angerichtet hatten. Unter dem umgeworfenen
Tische lagen zertrümmerte Flaschen, Gläser, Teller und Schüsseln, nebst
Allem, was von den Leckerbissen übrig geblieben war; der kostbarste Wein
floß über den Boden; die Leuchter waren zerschlagen; von denen, welche
stehen geblieben waren, waren alle Lichter, bis auf eine Wachskerze,
nieder gebrannt und ausgelöscht. Er nahm das Licht und betrachtete die
Wand, von der die Tapete abgerissen, und einige starke Bretter heraus
gebrochen waren; ein Balken stand davor, der den Zutritt in die Nische
hemmte. Ein sonderbares Gelüst befiel den Jüngling, noch in der Nacht
das angefangene Werk seiner wilden Gesellen fortzusetzen; um aber kein
übermäßiges Geräusch zu erregen, und doch noch vielleicht ihr Schicksal
zu theilen, nahm er eine feine Säge, und durchschnitt oben vorsichtig
den Balken; er wiederholte dies unten, und nahm dann den Kloben heraus.
Hierauf war es nicht so gar schwer, noch eine innere leichte Vertäfelung
wegzubrechen; das dünne Bret fiel nieder, und Eduard leuchtete in die
Nische hinein. Er konnte aber kaum den breiten Raum übersehen, und
etwas, das ihm wie Gold entgegen glänzte, wahrnehmen, als Alles
plötzlich verschwand; denn er hatte mit dem Lichte oben angestoßen und
es ausgelöscht. Erschreckt und in der größten Bewegung tappte er durch
den finstern Saal, aus der Thüre, über einen langen Gang, dann über den
Hof nach einem kleinen Hintergebäude. Wie zürnte er über sich selbst,
daß er keine Anstalt in der Nähe habe, Feuer zu machen. Aus festem
Schlafe ermunterte er den eisgrauen Thürhüter, der sich lange nicht
besinnen konnte, ließ sich von ihm, nach vielen vergeblichen Versuchen,
sein Licht wieder anzünden, und kehrte dann mit behutsam vorgehaltner
Hand, an allen Gliedern zitternd und mit klopfendem Herzen über die
Gänge nach dem Zimmer zurück. Er wußte nicht, was er gesehen hatte, er
wollte noch nicht glauben, was er ahndete. Im Saale setzte er sich erst
in den Lehnstuhl, um sich zu sammeln, dann zündete er noch einige Kerzen
an, und begab sich nun gebückt in die Nische. Der weite Raum der Fenster
erglänzte von oben bis unten wie in goldnem Brand; denn Rahmen drängte
sich an Rahmen, einer kostbarer als der andere, und in ihnen alle jene
verloren gewähnten Gemälde seines Vaters, um die der alte Walther und
Erich so oft gejammert hatten. Der Erlöser _Guido's_, der Johannes von
Domenichino, sie alle schauten ihn an, und er fühlte sich selbst
gerührt, andächtig, erstaunt, wie in einer bezauberten Welt. Als er sich
besann, flossen seine Thränen, und er blieb dort, die Kälte nicht
achtend, unter seinen neugefundenen Schätzen sitzen, bis der Morgen
herauf dämmerte.

                   *       *       *       *       *

Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich eilig zu ihm in den
Gemäldesaal trat. Was ist Dir, mein Freund? rief der Rath aus: hast Du
Geister gesehn? Wie Du es nimmst, erwiederte Erich: mache Dich auf eine
außerordentliche Nachricht gefaßt. -- Nun? -- Was gäbest Du wohl, was
thätest Du wohl dafür, wenn alle die verlorenen Malereien Deines seligen
Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten wieder da wären und Dein
werden könnten?

Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe keinen Athem. Was
sagst Du? -- Sie sind da, rief jener, und können Dein Eigenthum werden.
-- Ich habe kein Vermögen, sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles,
Alles würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen,
aber ich bin zu arm dazu. -- Wenn man sie Dir nun überlassen wollte,
sagte Erich, und der Eigenthümer forderte bloß die Gunst dafür, Dein
Schwiegersohn zu werden?

Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter hinüber. Im Streit
mit dieser kam er zurück. Du mußt mein Glück machen, geliebtes Kind,
rief er aus, indem er mit ihr herein trat: von Dir hängt nun die
Seligkeit meines Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch
widersprechen, aber auf einen heimlichen Wink Erichs, den sie zu
verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging fort, sich
umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser erklärte, die Bilder
und der Freiwerber auf sie. Unter welchen sonderbaren Gedanken und
Erwartungen suchte sie ihren besten Schmuck hervor; konnte sie sich in
Erich nicht irren? Hatte er denn auch sie verstanden? hatte sie ihn
richtig gedeutet? Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke;
endlich kam Sophie zurück.

In Erichs Hause waren alle jene Gemälde im besten Lichte aufgehangen,
und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen, Freude und Entzücken
beschreiben zu wollen. Die Bilder waren, so behauptete er, bei weitem
schöner, als er sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der
Liebhaber meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem Stande, Du
giebst mir Dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher Mann seyn wird, und
niemals nach meinem Tode diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies alles
so ist, so braucht er kein anderes Vermögen zu besitzen, als diese
Bilder, denn er ist überreich. Aber wo ist er?

Eine Seitenthüre öffnete sich, und Eduard trat ungefähr so gekleidet
herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem alten Gemälde von Quintin
Messys stand. -- Dieser? schrie Walther: woher haben Sie die Gemälde?
Als ihm Eduard den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die
Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem er sagte:
Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem Vater; ich denke,
mein Sohn, Du wirst nun klug und gut geworden seyn. Doch, eine
Bedingung: Ihr wohnt bei mir, und Eulenböck kommt nie über meine
Schwelle, auch siehst Du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht,
antwortete Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen von hier
fort.

Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte den Jüngling in seine
Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte er, findest Du auch Deine
Seltenheiten wieder, die Dein luftiger Bibliothekar mir für ein
Spottgeld verkauft hat. Du wirst diese Schätze Deines Vaters künftig
heiliger halten.

Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren, schloß Sophie den
Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe Dich innigst, mein Freund,
flüsterte sie ihm zu, aber ich mußte neulich dem Eigensinne meines
Vaters nachgeben, und mich damals und heute stellen, als gehorchte ich
ihm unbedingt, um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben, und heute ohne
Widerspruch Dein zu seyn; denn hätte er meine Liebe gemerkt, so hätte er
nimmermehr so schnell eingewilligt.

Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward dem Jünglinge nun nicht
schwer, ein ordentlicher und glücklicher Mann zu werden; an seine wilde
Jugend dachte er im Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie
an einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen die
Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte Bibliothekar, der
jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt, um welche Eduard sich
bemüht hatte, und nach einigen Jahren die lockre Schöne heirathete, die
unserm jungen Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt
verursachte, und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war.




                            Die Verlobung.
                               Novelle.


»Ich habe lange auf Dich gewartet,« rief der junge Ferdinand seinem
Freunde entgegen.

»Du weißt ja,« erwiederte jener, »daß es unmöglich ist, sich schnell von
dem wohlbeleibten Barone loszureißen, wenn er Fragmente aus seiner
Lebensgeschichte vorträgt.«

»Wärst Du Offizier, wie ich,« antwortete Ferdinand, »so würdest Du es
dennoch möglich gefunden haben, pünktlich zu seyn; dies wenigstens lernt
man im Dienst. Sie sind alle schon auf dem Spaziergange dort versammelt,
laß uns eilen, daß ich Dich der verehrten Familie vorstellen kann.«

Die jungen Freunde bogen um die Felsenecke, und erfreuten sich des
klaren Anblickes am rauschenden Strome, der Wäldern und Bergen leuchtend
vorüber zog. Der Frühling war in diesem Jahre vorzüglich üppig
erschienen. »Wie wohl wird es dem Arbeiter,« sagte Alfred, »an einem
solchen Tage die Stadt und die geistlosen Geschäfte hinter sich zu
haben, um nach langer Anstrengung und Entbehrung diesen Segen der Natur
zu fühlen und ihre heilige Stimme zu vernehmen! Und wie dankbar bin ich
Dir, mein theurer Freund, daß Du mich in den Kreis der besten, der
edelsten Menschen einführen willst. Denn wie wir uns auch zu bilden
streben, wie ernsthaft wir studiren, einsammeln, und unser Herz und
Gemüth erweitern wollen, so ist es doch der Umgang mit echten Menschen,
der alles dies todte Wirken und unbeholfene Kämpfen erst belebt, und den
Besitz in ein wahrhaftes Gut verwandelt. Den zarten Frauen ist es aber
vorbehalten, dem Manne die Bildung zu geben, deren er nach seinen
Kräften und Gaben fähig ist.«

Der junge Offizier sah seinen Freund kopfschüttelnd an, stand einen
Augenblick still, und sagte dann, indem sie weiter schritten: »O wie
kann ich in diese Phrasen, die man schon tausendmal hat hören müssen, so
gar nicht einstimmen! Somit wäre es ja die große Welt, oder die
sogenannte gute Gesellschaft, die man aufsuchen müßte, um in schlechtem
Witz, Coquetterie, Lügen und Geschwätz die Reife zu erlangen, die uns
die Einsamkeit nicht gewähren könnte. Bin ich auch in den meisten Dingen
Deiner Meinung, so muß ich Dir doch hierin geradezu Unrecht geben. Die
Weiber! sie sind es ja eben, die recht eigentlich von einem boshaften
Schicksal dazu hingestellt zu seyn scheinen, sich des Mannes, wenn er
schwach genug ist, zu bemächtigen, alles Menschliche, Edle, Kraftvolle
und Wahre von ihm abzustreifen, und ihn, so viel es nur möglich ist, in
sein Gegentheil zu verwandeln, damit er ihnen nur zu einem unwürdigen
Spielzeuge gut genug sei. Das, was Du eben äußertest, ist auch schon
mehr die Denkweise einer jetzt fast verschwundenen Zeit, einer Zeit, die
der Wahrheit, vorzüglich aber aller religiösen Gesinnung, feindlich
gegenüber stand. Auch muß ich Dir sagen, daß Du jenes Wesen, wodurch
sich vormals unsre jungen Herren zu bilden glaubten, in der Gesellschaft
dieser Frauen nicht finden wirst, weil bei ihnen alles heilige Wahrheit,
Unschuld und echte Frömmigkeit ist.«

Der Freund suchte seine Meinung und sich selbst zu rechtfertigen, indem
sie unter lebhaften Gesprächen ihren Weg eilig fortgesetzt hatten. Sie
sahen jetzt schon den Garten vor sich liegen, in dessen kühlen Gängen
die Baronin mit ihrer Familie und einigen auserwählten Freunden die
Ankommenden erwartete. Alle fühlten sich in der grünen Umgebung wohl und
behaglich.

Nur dem jungen Rathe Alfred ward es Anfangs schwer, sich in die Stimmung
und Unterhaltung zu fügen. Wie es wohl zu geschehen pflegt, war er zu
gespannt, um sich dem Gespräche leicht hinzugeben; auch hatte er zu
Vieles auf dem Herzen, was er mit einer gewissen Bangigkeit an den Mann
zu bringen strebte, wodurch er oft an sich und den Andern irre werden
mußte; denn wenn er Gedanken zu einer Rede verarbeitet hatte, so war
indessen der schickliche Moment verschwunden, um diese einzufügen, und
unter den neuen Gegenständen der Unterhaltung kam wieder so Manches vor,
das ihm unverständlich schien, und worüber er sich nähere Belehrung
auszubitten doch zu verschämt war. Dazu kam, daß er von dem Reiz der
Frauengestalten wie geblendet war; die vermählte Tochter Kunigunde war
eine glänzende Schönheit; noch üppiger strahlte die jüngere Clementine,
gegen welche die blonde kindliche Physiognomie der jüngsten, Fräulein
Clara, rührend kontrastirte; selbst die Mutter durfte noch Ansprüche auf
Anmuth machen, und man sah, daß sie in ihrer Jugend eine schöne Frau
gewesen war. Dorothea, das älteste Fräulein, fiel in dieser Umgebung am
wenigsten auf, so schön auch ihr Auge, so fein ihr Wuchs war; auch zog
sie sich zurück und blieb still und blöde; sie schien selbst an der
lebhaften Unterhaltung der Geschwister nur geringen Antheil zu nehmen,
und es fiel auf, daß keine Rede oder Frage an sie gerichtet wurde, so
sehr die anwesenden Männer sich auch mit Lebhaftigkeit um die übrigen
Töchter oder die Mutter bemühten.

Unter den Männern zeichnete sich ein ältlicher aus, der am meisten das
Wort führte, der Alle belehrte und alle streitigen oder zweifelhaften
Fälle entschied. Auch der Offizier behandelte ihn mit ergebener Demuth,
und dieser Familienfreund wandte sich mit Güte und Herablassung an Alle,
sie fragend, zurecht weisend, aufmunternd und sich auf seine Weise
bestrebend, Jeden zu ermuthigen oder aufzuklären. Ihm gelang es auch
endlich, den verlegenen Alfred in das Gespräch zu ziehen, und dessen
Dankbarkeit äußerte sich in einer feurigen Rede, die er jetzt
anzubringen Gelegenheit fand, und in welcher er seinen Wunsch nach
Bildung, seine Verehrung des Familienglücks, seine Hoffnung, daß die
echte religiöse Stimmung und wahre Frömmigkeit sich durch ganz
Deutschland ausbreiten würden, mit allgemeinem Beifall und zu seiner
eignen Zufriedenheit entwickelte.

Mehr noch als die Uebrigen war die schöne Kunigunde aufmerksam gewesen,
und sie war es auch jetzt, die am lautesten ihren Beifall aussprach.
»Wie glücklich sind wir,« beschloß sie endlich, »daß in unserm theuern
Kreise sich immer mehr Gemüther versammeln, die das Gute und Edle
wollen, die das Ueberirdische erkennen, und denen die Welt mit allen
ihren anlockenden Schätzen nur nichtig erscheint. Aber das ist die
Eigenschaft der Wahrheit und Güte, daß sie das Bessere sich näher zieht,
daß sie das Schwache in etwas Höheres verwandelt. Wirkt der gesellige
Umgang so glücklich in einem weitern Umfang, so ist es im beschränkten
Hause der Segen der Ehe, der noch inniger die Vermählten anregt, sich
für das Göttliche zu begeistern, der hier noch kräftiger das schwächere
Gemüth zur Liebe des Unendlichen erhebt.«

»Ja wohl,« sagte ein junger Mann, der neben dem ältern saß, »dies ist
es, was ich mit jedem Tage inniger und dankbarer empfinde.« Er seufzte
und sah an die Wolken, und der Rath erfuhr auf seine Erkundigung, daß
dieser der Gemahl der schönen und frommen Kunigunde sei.

Die Mutter nahm das Wort und sagte nicht ohne Bewegung: »Wie beglückt
muß ich mich fühlen, daß ich so im Kreise meiner Kinder das Höchste
gefunden und es ihnen selbst möglich gemacht habe, den edelsten Besitz
dieser Erde zu erreichen. Wie kann ich doch so gar nicht an den
Bestrebungen der meisten Menschen Antheil nehmen, ja wie erregt mir ihr
mannigfaltiger Enthusiasmus eher Mitleid, als daß ich in ihren
vielfachen Anstrengungen, ein sogenanntes Gut zu ergreifen, etwas finden
könnte, das unsere Achtung aufruft. So rennen sie nach Kunst, oder
Philosophie, meinen, im Wissen oder in Farben und Ton solle ihnen das
ewige Licht aufgehen, quälen sich in Geschichte und den verworrenen
Händeln des Lebens ab, und versäumen darüber das Eine, das Noth ist, und
welches Alles ergänzt und ersetzt. Seit ich diesen Quell gefunden habe,
der jeden Durst der Seele so lieblich stillt, ist jenes bunte
Mannigfaltige für mich gar nicht mehr da, dem ich in der Jugend auch
wohl manchen sehnsüchtigen Blick zuwendete.«

»Wie muß ich Sie bewundern!« rief der Rath aus: »mit welcher Sehnsucht
habe ich das Leben gesucht, und immer nur leere Schatten gehascht! und
wie leicht ist es doch, die Wahrheit zu finden, die uns niemals täuscht,
die nie entschlüpft, die dem Herzen Alles gewährt, in der wir nur leben
und seyn können.«

»Ich verstehe Sie,« antwortete die Baronesse, »Sie gehören zu unserm
Kreise; es ist ein seliges Gefühl, daß sich die Gemeinschaft frommer und
begeisterter Gemüther immerdar vermehrt.«

»Den herrlichsten Zeiten gehen wir entgegen!« rief der junge Offizier in
Begeisterung aus. »Und wie selig müssen wir uns fühlen, da Dasjenige,
was uns über das nüchterne Leben erhebt, die ewige Wahrheit selber ist,
da diese uns beherrscht, und wir, von ihr regiert, nicht fehlen, niemals
irren können; denn wir geben uns der Liebe hin, daß sie in uns wirke und
ihre Geheimnisse unserm Herzen offenbare.«

»Nicht anders,« beschloß der ältere würdige Mann; »dies ist es, was uns
die Sicherheit geben muß, die uns von gewöhnlichen Enthusiasten oder
Schwärmern unterscheidet. Sie haben ein großes Wort gesprochen, theurer
Ferdinand, und darum sind Sie mir so werth, weil Keiner, so wie Sie, auf
dem kürzesten Wege das Rechte findet, weil Niemand es alsdann so klar
und einfach auszusprechen weiß.« Er umarmte den Jüngling, sah gen
Himmel, und eine große Thräne glänzte ihm im schönen dunkeln Auge. Die
Baronesse erhob sich und schloß sich an die Gruppe; alle waren bewegt,
nur Fräulein Dorothea wandte sich ab, und schien im Busche etwas
Verlornes zu suchen.

Dem aufmerksamen Alfred entging es nicht, daß die Mutter mit einem
Ausdrucke des Schmerzes zu ihrem ältesten Kinde hinsah, das auf seltsame
Weise von diesem Kreise der Rührung und Liebe ausgeschlossen schien. Der
Baron Wallen, so hieß der ältere Hausfreund, näherte sich mit dem
Ausdruck einer rührenden Milde dem Fräulein, die scheu vor sich nieder
sah, und in diesem Augenblick hochroth erglühte. Er sprach heimlich und
mit vieler Bewegung zu ihr, sie schien aber in ihrer Verlegenheit auf
seine Worte nicht sonderlich zu achten; denn als jetzt eine Dame in der
Allee zur Gesellschaft herschritt, ging sie dieser in großer Eile
entgegen, und schloß sie mit der größten Herzlichkeit und Freude in die
Arme.

Die Mutter schüttelte fast unmerklich mit dem Kopfe, und sah den Baron
Wallen mit prüfendem Auge an; dieser lächelte, und die Unterredung der
Gesellschaft gerieth nun auf ganz andere und gleichgültige Gegenstände;
denn die Frau von Halden, welche jetzt lautschwatzend, lachend und
Neuigkeiten erzählend, herzu trat, machte jeden Aufschwung, jede
innigere Mittheilung völlig unmöglich, so daß auch alle, bis auf
Fräulein Dorothea, etwas verstimmt wurden, die wie erquickt und
getröstet mit ihren Blicken am Munde der Redenden hing, und jetzt an der
übrigen Gesellschaft noch weniger Antheil nahm.

»Wer ist denn diese Neuigkeits-Krämerin?« fragte Alfred unwillig, »die
wie ein wilder Vogel in unsern stillen Kreis herein fliegt, und alle
zarteren Gefühle verschüchtert?«

»Eine Nachbarin unserer verehrlichen Baronesse,« antwortete der Herr von
Wallen: »sie hat sich auf eine unbegreifliche Weise des Gemüthes der
Fräulein Dorothea bemeistert, was wir alle nur beklagen können. Schon in
der Jugend hat es die treffliche Erzieherin, die Fräulein von Erhard,
eine Verwandte der Familie, verhindern wollen, daß dieser Umgang nicht
die bessern Fähigkeiten des schönen Mädchens unterdrücke; aber von jeher
sind alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen.«

Diese Erzieherin, welche bisher wenig bemerkt worden war, näherte sich
jetzt, da sie sah, daß von ihr die Rede sei, und mischte sich in das
Gespräch. Sie erzählte, daß in dieser so liebenden und hochgestimmten
Familie Dorothea von früher Jugend ein abgesondertes Leben geführt habe,
und unter so vielen Geschwistern gewissermaßen ganz einsam gewesen sei.
Fräulein Charlotte von Erhard erzählte dies mit einer rauhen und heisern
Stimme, wurde aber so bewegt, daß sie sich der Thränen nicht enthalten
konnte. Alfred, der schon gerührt war, fand in seiner erhobenen Stimmung
die geälterte und fast häßliche Dame liebenswürdig und schön, und ein
herzlicher Unwille, eine lebhafte Geringschätzung wandte sich gegen die
arme Dorothea, die jetzt von der redseligen Freundin Abschied nahm und
zur übrigen Gesellschaft zurück kehrte. Sie war sichtlich erheitert,
aber man sah, welche Ueberwindung es ihr koste, wieder an den ernsteren
Gesprächen Theil zu nehmen. Sie erzählte, wie die Frau von Halden in
Unterhandlungen stehe, und wahrscheinlich ihr Gut verkaufen werde.

»Verkaufen?« fragte die Mutter erstaunt, »und sie konnte dennoch so
heiter, ja ausgelassen seyn?«

»Sie meint,« erwiederte Dorothea, »einen so vortheilhaften Kauf ihrer
noch unmündigen Kinder wegen nicht abweisen zu dürfen.«

»Giebt es einen Vortheil,« sagte die Mutter, »welcher den Kindern das
Glück der Heimath aufwiegen kann? Und sie selbst, Deine Freundin, die
hier auf ihrem Gute aufgewachsen ist, die hier mit Eltern und
Geschwistern, nachher mit einem geliebten Manne lebte, wie kann sie sich
selber so verstoßen und diesen Bäumen den Rücken wenden, sich von den
Zimmern verbannen, die sie als Kind geliebt und gekannt hat? Immer
wieder muß es mir auffallen, wie ich das Leben und Treiben der
allermeisten Menschen so gar nicht verstehe. -- Und wer ist denn der
Käufer?«

»Die Sache ist wunderlich genug,« erwiederte Dorothea, »der Käufer will
noch gar nicht genannt seyn; aber ein gewisser Graf Brandenstein führt
die Unterhandlung. Meine Freundin ist eilig und bestimmt, denn der
Fremde aus Amerika kauft noch manches andere Gut, so daß sie es für eine
Gunst hält, da er nicht ängstlich auf den Preis sieht, wenn sie das
ihrige dem Unbekannten zuwenden kann.«

Bei dem Namen »Brandenstein« wurde die Mutter blaß. Sie suchte sich aber
schnell zu fassen, und sagte nach einer kleinen Pause: »Ja, der Name war
es, der mir schon seit einer Woche schwer auf dem Herzen lag. Ich weiß
es schon, daß dieser Mann hier ist, der nun auf eine Zeitlang unsre
stille Freude verderben, und die Harmonie unsers Kreises stören wird.
Und ich kann es nicht vermeiden, ihn zu sehn, denn er ist ein alter
Bekannter unsers Hauses, und die Sitte der Welt zwingt uns ja, selbst
mit denjenigen freundlich umzugehen, die uns im innersten Herzen zuwider
sind, ja, die wir, wenn wir noch so billig denken, für schlechte und
ruchlose Menschen anerkennen müssen.«

Dorothea meinte, wo eine so bestimmte Empfindung vorherrsche, solle sich
der Mensch keinen Zwang anthun; und besonders auf dem Lande, wo sie
lebten, wäre es noch leichter, als in der Stadt, so widrigen
Erscheinungen auszuweichen. Die Mutter aber sagte: »Du verstehst dies
nicht, mein Kind; könnte ein gewissenloser Mensch ohne Grundsätze uns
nicht auf die empfindlichste Art schaden oder kränken, hätte er es durch
Witz und Frivolität nicht in seiner Gewalt, unser ganzes Leben zu
verderben, so würde ich ihn kalt abweisen, und mit meiner Wahrheitsliebe
ihm ohne Umschweif sagen, daß ich mit ihm nicht umgehen wolle; da aber
dies nicht möglich ist, so muß ich ihm höflich entgegen kommen, mit
Feinheit und Wohlwollen den bösen Geist in ihm zu beschwichtigen suchen,
und mich späterhin so unmerklich, als es seyn kann, von seinem
verderblichen Kreise zurück ziehn.«

Die übrigen Töchter drängten sich um die Mutter, und umarmten sie wie
tröstend. »Wenn ich Euch nicht hätte!« seufzte die Baronesse: »wenn ich
nicht auf die Hülfe unsers edlen Hausfreundes rechnen dürfte, so würde
mich der Besuch dieses gottlosen Menschen noch mehr ängstigen.«

»Wer ist er eigentlich?« fragte der Baron.

»Ein Mann,« antwortete die Mutter, »der sich schon früh in der Welt und
ihren Verstrickungen herum getrieben hat, der, von seinem eignen Herzen
belehrt, alles, was Liebe, Demuth, Frömmigkeit heißt, arg verspottet und
verfolgt, ein grober Egoist, der Niemand lieben kann, und den das
Heilige, Ueberirdische, wo er es wahrnimmt, wo er es nur ahndet, in
einen widrigen Zorn versetzt, der ihn dann zu jenem frivolen Witze
begeistert, den wir Alle so tief verachten. Es war das Unglück meines
Lebens, daß er die Bekanntschaft meines guten seligen Mannes machte, daß
dieser ihn lieb gewann, und sich in manchen trüben Stunden seiner
Gesellschaft und traurigen Philosophie hingab.«

»Sie schildern, verehrte Frau,« sagte der Offizier, »einen von jenen
Charakteren, die, dem Himmel sei Dank! jetzt schon seltener geworden
sind.«

»Eine Verruchtheit,« sagte der Baron, »die das Unsichtbare lästert, weil
sie auf Selbstverachtung gegründet ist. Sie sind aber, wie wir Alle,
über diesem Jammer erhaben.«

»Sein mittelmäßiges Vermögen,« fuhr die Mutter fort, »war bald
ausgegeben; nun verließ er Europa, trieb sich, wer weiß, unter welchen
wilden Völkern um, und ist nun zurück gekehrt, wie ich höre, als
Geschäftsträger eines unermeßlich reichen Amerikaners, der ihm in
Jahresfrist nachfolgen will, und der die Grille gefaßt hat, in unserer
Nachbarschaft viele Güter zu einer großen Herrschaft zusammen zu
kaufen.«

Fräulein Dorothea blieb dabei, daß man einem so bösen Menschen
ausweichen könne und müsse, und daß sie ihm schon das Haus zu betreten
unmöglich machen wolle, wenn die Mutter ihr dazu die gehörige Vollmacht
gebe; doch diese ward unwillig, und gebot, für heute den Namen des
Störenfried nicht mehr zu nennen. Jetzt sah man die Wagen vorfahren,
weil mit der Abendkühle die Familie sich wieder auf ihr nahes Landgut
begeben wollte, als sich in diesem Augenblick eine sonderbare Scene
entwickelte. Der alte Baron hatte sich schon einigemal Dorotheen
genähert; sie war ihm aber ausgewichen, doch benutzte er den Moment, als
er ihr in den Wagen half, ihr einige freundliche Worte zuzuraunen; sie
sprang zurück, indem sie hastig der Kutsche enteilte und in den Baumgang
lief. Der Baron konnte sie nicht einholen, so sehr er sich bestrebte;
als er schon tief im Garten war, kam sie athemlos zurück, warf den
Schleier über das erhitzte Angesicht, und weinte heftig, indem sie dem
fragenden und strafenden Blicke der mehr als erstaunten Mutter ängstlich
auswich. Der Wagen fuhr rasch davon, und der Baron, nachdem er verwirrt
und beschämt von den jüngern Freunden Abschied genommen hatte, bestieg
den seinigen, schwer gekränkt, wie man ihm anmerken konnte, so sehr er
auch seiner Fassung Gewalt zu thun suchte.

Als der junge Rath und der Offizier ihren Rückweg zur Stadt antraten,
sagte der erste nach einer Pause: »Was war das? Immer noch kann ich
nicht von meiner Verwunderung zurück kommen, daß unter so gebildeten und
feinen Menschen eine solche unschickliche Scene hat vorfallen können!
Ueberhaupt, wie kommt dieses Fräulein, dieser sonderbare, ja
widerwärtige Charakter in eine Familie, die ich fast eine geheiligte
nennen möchte? Irgend eine tiefe Verschuldung muß sie drücken, da sie
sich immer scheu zurück zieht, niemals an der Unterhaltung Theil nimmt,
und auch von allen Uebrigen mit einem herablassenden, fast
geringschätzenden Mitleide behandelt wird, das einem Fremden sehr
auffallen muß. Man kommt auf ärgerliche Vermuthungen, wenn man auch eben
nicht zum Argwohn geneigt ist.«

»Du würdest aber irren,« sagte der militärische Freund, »denn keine
Schuld, kein Vergehn drückt dieses Wesen nieder. Unter so hochgestimmten
Menschen, wie alle diese sind, würde sich dergleichen vielleicht ohne
große Kämpfe wieder herstellen, wenn diese Schwester nur sonst in einer
geistigen Harmonie mit den übrigen stände. Schlimmer aber als alles ist,
daß sie schon mit einem niedrigern, unedlern Geiste geboren wurde, daß
sie das Bestreben aller Uebrigen nicht versteht, und sich doch sagen
muß, es sei ein Hohes und Edles, nur für sie Unerreichbares. Dies Gefühl
der Unwürdigkeit drückt sie mehr nieder, als das Bewußtsein einer Schuld
es thun könnte. Sie fühlt sich fremd unter den Nächsten, unheimisch in
ihrem Hause; sie erquickt sich an den unwürdigen Bekanntschaften, wie
mit jener dicken und geschwätzigen Nachbarin, und entflieht besonders
dem Baron, den wir Alle so hoch verehren, und der sich zu sehr, fast mit
Leidenschaft herabläßt, ihren Sinn für ein höheres Leben
aufzuschließen.«

Sie bogen jetzt um die Felsenecke, und sahen die Stadt schon vor sich
liegen. Aber zu ihrem Entsetzen bemerkten sie auch zugleich jenen
wohlbeleibten Baron von Wilden, von dem sich Nachmittags der junge Rath
nur schwer hatte losmachen können. »Nun,« rief dieser ihnen entgegen,
»kommt Ihr schon aus dem Himmel zurück? Hat's brav viel ambrosische
Redensarten abgesetzt? Sind die nektarischen Gesinnungen gut
eingeschlagen? Hoffentlich war doch kein Mißwachs an überirdischen
Gefühlen?«

Die Freunde, die in der schönen Natur und dem lieblichen Abende gern
noch ihre Gefühle hätten harmonisch nachklingen lassen, suchten sich von
ihm loszuwickeln; da sie aber denselben Weg zur Stadt zurück gingen, war
dies unmöglich. »Nichts da!« rief er mit herrschender Stimme aus: »wir
bleiben treu beisammen, und dort unten beim Brunnen treffen wir noch
einen armen Sünder, der auf mich wartet.«

Die beiden jungen Leute sahen sich gezwungen, aus der Noth eine Tugend
zu machen, besonders weil der unempfindliche Baron mit kreischendem Tone
fortfuhr: »Ich merke wohl, Ihr wäret hier in der Gegend gern noch
empfindsam, besonders weil der Mond bald hervor kommen wird; aber
dergleichen Unfug wird in meiner prosaischen Gesellschaft nicht
geduldet. Glaubt mir doch, junge Menschen, all' das Aetherisiren und
Frommsüßlichen dort geschieht ja doch nur, daß Ihr an diesem lockenden
Hamen als Eheleute anbeißen sollt, wenn Ihr nämlich selbst Amt und
Vermögen besitzt. Es sind so viele Töchter dort, und nur die älteste,
verwilderte, ist so toll, alle Partieen abzuweisen. Ja die liebe, gute,
so hocherwünschte Ehe, das Freiwerben, wonach mit allen Fernröhren
hinaus geschaut wird, wenn so herrliche edle Töchter in dem Familiensaal
dasitzen, rund und fett, roth und weiß, züchtig und tüchtig,
auferwachsen und vollständig! Und in der Mitte die verständige Mutter,
achtsam, lauernd und spekulirend, die Augen nach allen Seiten, jeden
anfühlend, der nur eintritt, ob der feine Rock auch bezahlt ist, ob
derselbe, wenn er von Reisen und Bällen erzählt, auch wohl im Stande
sei, ein Ehefrauchen standesmäßig zu ernähren. Da gehn der guten Matrone
dann so fromme, weiche und gar unbefangene Redensarten aus dem zarten
Munde, die Blicke leuchten zum Himmel und rechts und links, und alle
Worte und alle Blicke schwimmen wie hundert Angeln im Strom der faden
Unterhaltung, und die jungen Bursche schießen bald nach dieser, bald
nach jener Schnur wedelnd und spielend hin, bis denn, wenn auch nach
Wochen, einer und der andere fest sitzt. So haben sie für die Kunigunde
den zarten Weißfisch erschnappt, und ihm gleich darauf eingebildet, das
runde Mädchen sei für ihn viel zu gut, so daß er wie ein reuiger Sünder
am Wagen des Ehestandes zieht, und sich geehrt fühlen muß, daß die Hohe
sich zu ihm erniedrigt hat; nun müssen Clara, Clementine und die
irdische Dorothea noch versorgt werden, ja ich stehe nicht dafür, daß
die bejahrte Bekehrerin nicht selbst noch einmal aus einem frommen
Knaben einen Bräutigam für sich drechselt, und ihm statt des Katechismus
einen Ehekontrakt in die Hände schiebt. Ja wohl Ehestand, Wehestand! Wie
rennt nur alles so blind und taub in das traurige Joch, und opfert
Freiheit und Laune dem bösen Geiste, der den Mann fast immer unter den
Sklaven erniedrigt.«

»Sie sind ein arger Frevler,« sagte der Offizier: »aus launenhafter
Verruchtheit hassen Sie die Ehe, und verlangen nun, alle Menschen sollen
als sündliche freigeisternde Hagestolze leben, und weil Ihr Sinn nicht
in jene Umgebung paßt, so lästern Sie diese Menschen, die jeder
Verläumdung zu erhaben sind.«

»Ganz martialisch!« rief der Baron aus. »Und doch werde ich Recht
behalten, und vielleicht seufzen Sie selbst einmal, wenn Sie an der
Kette wie ein Eichhorn immer wieder dieselben rechtgläubigen Sprünge
machen müssen, um die Nüsse zu knappern, die die Gemahlin Ihnen zukommen
läßt: ach! wenn ich doch dem resoluten Wilden hätte glauben wollen!«

»Nein, mein Herr,« sagte der Rath sich ereifernd, »Ihre Ansicht geht nur
aus der Verzweiflung hervor, ja, Sie glauben sich selber nicht.«

»Meinethalben,« rief jener aus, »kann seyn, daß eine ganz andere
Kreatur, als ich selber, aus mir heraus redet; denn das ist im Leben oft
der Fall, und bei jenen Apostolischen guckt auch oft was, wie ein Affe,
aus den verbrämten und aufgesteiften Gewändern hervor. Nicht wahr,
besonders aus dem ältlichen, zu wenig weltlichen Fräulein Erhard, der
unvergleichlichen Erziehungskünstlerin? Diese hat das Haubenmuster der
inwendigen Gesinnung für die ganze Familie zurecht gesteckt, sich selbst
aber die krauseste Religions-Frisur zurecht gezimmert. Ihr meint, wenn
diese ihr Orakel kräht und die kleinen Augen verdreht, so müssen wir
Ungläubige gleich unterducken. Ihr bin ich am meisten aufsässig, denn
sie ist es eigentlich, die die ganze Familie in Grund und Boden
verdorben hat.«

Jetzt standen sie am Brunnen. Die Sonne war längst untergegangen, und
aus der Finsterniß drehte sich ein Mensch hinter dem Weidenbusche
hervor. »Ach! der Michel!« rief der Baron: »können Sie, meine Herren,
einen ehrlichen Bedienten brauchen?«

»Warum,« fragte der Offizier, »habt Ihr die Dienste der trefflichen
Baronesse verlassen, die so mütterlich für ihre Leute sorgt?«

»Ach! gnädiger Herr,« sagte der Diener, »weil ich neulich so ein bischen
unschuldig gelogen habe, bin ich gleich fortgeschickt worden.«

»Das ist recht!« rief der Offizier, »daran erkenn' ich die edle Frau.«

»Alles ist nur ein Anstiften,« fuhr Michel fort, von dem neidischen
Fräulein Erhard: »die kann's nicht leiden, wenn Mann und Weibsen sich
gut sind, weil keiner sie aus dem ledigen Stande erlösen will, und seit
sie vor vier Wochen sah, wie ich dem Hausmädchen einen Kuß gab, hat sie
mir's nachgetragen.«

»Wie gemein!« rief Alfred aus.

»Ja, mein gnädiger Herr,« sagte der Diener, »sie ist nicht vornehm, aber
hübsch, und Kuß bleibt Kuß. Nun hatt' ich eines Tags, auch wegen des
Mädchens, ein neues Buch von der Stadt zu holen vergessen, es sollte so
ein recht superkluges, andächtiges seyn, da sagt' ich in der Angst, das
Buch sei schon verliehen, das kam heraus, daß ich gar nicht weggegangen
war, und da wurde ich nun um das bischen Lügen gleich aus dem Dienst
geschickt.«

»Können Sie ihn brauchen?« fragte der Baron die beiden jungen Leute;
diese versicherten aber: sie würden sich nie mit einem Menschen zu thun
machen, der in der edelsten und nachsichtigsten Familie nicht einmal
hätte geduldet werden können. »Nun so bleib indessen bei mir,« schloß
der Baron, »aber lüge so wenig als möglich.«

»Gewiß, gnädigster Baron,« rief der Mensch aus, »vorsätzlich niemals; es
kommt einem manchmal in der Angst eine sogenannte Nothlüge in den Hals,
die, meinte selbst mein alter Priester da hinten in meinem Dorfe, sei
wohl noch zu vergeben; aber meine gnäd'ge Herrschaft legt alles auf die
Goldwage, und in einem Hause, wo dann so die allerausgesuchteste
Frömmigkeit und aufgeputzteste Tugend herrscht, da kommt ein armer,
ordinärer Domestik durchaus gar nicht fort; wir sind zu irdisch, beste
Herren, die vornehmen Leute haben es leichter, das schleift und schleift
immer am Herzen und der Seele, dazu haben wir nicht Zeit vor
Messerputzen und andern Verrichtungen. Fräulein Dorchen wollte mich auch
entschuldigen und sagen, es wäre nicht so wichtig, die kam aber übel an,
auf die schrieen sie alle zusammen noch mehr los, als auf mich. Die
verachten sie alle, und sie ist doch die beste im Hause, weil sie nicht
so hoch hinaus will, denn der Mensch ist doch einmal aus einem Erdenklos
formirt, und da rührt sich von Zeit zu Zeit der alte Lehm und Thon in
ihm.«

»Sie passen gut zusammen, Sie und Michel,« sagte lachend der Offizier.

»Aber halt!« rief der Baron, »ich habe Dich nun in meine Dienste
genommen, und ganz vergessen, daß morgen die Fräulein Ehrhard auf einige
Zeit in mein Haus kommt. Ja, meine Freunde, ich kann diese Person gar
nicht leiden, aber da ich mit meiner jungen Schwester lebe, die nun ganz
aufgewachsen ist, mancher Mensch bei mir aus- und eingeht, ich auch oft
außer dem Hause bin, so muß sie doch, da ich nicht zu heirathen Willens
bin, eine Gesellschaft und Aufsicht haben. Da hat sich das verdrehte
Weibsen entschlossen, es bei mir zu versuchen, denn sie weiß wohl, daß
es bei mir gut hergeht, nicht so arm, wie dort in der Familie; ich sehe
auch oft Gesellschaft, vielleicht denkt sie leichter einen Herzenskumpan
bei mir zu finden, als dort in der Einsamkeit. So versuchen wir es denn
auf einen Monat, oder so mit einander.«

»Alles recht fein gemein konstruirt!« sagte der Rath: »wenn Sie nur
geringe Motive finden, so begreifen Sie die Sachen.«

»Kann nicht anders,« sagte der Baron. Sie schieden, da sie schon das
Stadtthor erreicht hatten.

                   *       *       *       *       *

Am andern Morgen war im Hause der Baronesse schon früh viel Unruhe. Im
großen Saale, der unmittelbar in den Garten führte, war die ganze
Familie mit Sonnenaufgang versammelt. Man zog Blumenkränze an den Wänden
auf, ein geschmückter Tisch stand unter einer Thüre, mit Kleidern,
Büchern und mannigfaltigen Angedenken bedeckt, und man erwartete nun die
älteste Tochter Dorothea, die täglich den Garten am frühesten Morgen zu
besuchen pflegte, um sie mit diesen Geschenken und dieser Festlichkeit
erfreulich zu überraschen. Es war ihr Geburtstag, und Mutter und Töchter
hatten alles anordnen können, ohne daß sie es bemerkte, weil sie sich
niemals um den Kalender sonderlich bekümmerte. Jetzt kam sie den Garten
herunter, und sah schon aus der Ferne die versammelten Geschwister. Als
sie erstaunt in den Saal trat, und Alle sie freundlich umringten, die
verschiedenen Gaben darboten, und Schwestern und Mutter sich so
ungewöhnlich liebevoll bezeigten, war sie tief gerührt und um so
heftiger erschüttert, je weniger sie diese Feier der Liebe erwartet
hatte.

»Wie neu ist mir dies!« rief sie aus: »ach! wie wenig habe ich das um
Euch verdienen können! Liebt Ihr mich denn wirklich so? Alle diese
Geschenke, dieser Glanz, diese freundliche Aufmerksamkeit, wie kann ich
es Euch vergelten? Ich bin so überrascht, daß Ihr alle so an mich Arme
denken mochtet, daß ich Euch noch gar nicht einmal danken kann.«

»Liebe uns nur recht innig,« sagte die Mutter, sie herzlich umarmend,
»sondere Dich nicht so ab, komm uns allen mehr entgegen; erkenne, wie
wir es meinen, und bemühe Dich, in unsere Gefühle und Ansichten
einzugehen; denn wir suchen ja nur das Gute, wir wollen ja nur das
Rechte. Diese Deine Launen, mein geliebtes Kind, Dein störriger Sinn,
der Dich den Freunden und Geschwistern entfremdet, der Dich geringeren
Menschen entgegen führt, ist eine Unart und Verwöhnung Deines Geistes.
Du wirst und kannst die Wahrheit erkennen, sobald es nur Dein
ernstlicher Wille ist.«

»Ich will besser werden,« sagte die weinende Tochter, »ich verspreche es
Ihnen in dieser Stunde, die mich so unendlich bewegt.«

Alle herzten und küßten sie, und Dorothea, die schon seit lange als ein
Fremdling in ihrer Familie stand, fühlte sich wie in einem neuen Leben.
Sie sah Alle prüfend an, sie liebkoste Jeden, sie ließ sich die
Geschenke zeigen und erklären; es war, als wäre sie von einer langen und
weiten Reise zurück gekommen, und begrüße jetzt die Ihrigen nach
schmerzlicher Trennung. »Wenn ich nur auch für Euch alle etwas thun
könnte!« rief sie aus.

»Wenn Du es ernstlich willst,« antwortete die Mutter, »so kannst Du uns
heut Alle, vor allen aber mich, unbeschreiblich glücklich machen.«

»Nennen Sie,« rief Dorothea, »sagen Sie, was ich thun soll.«

»Wenn Du heut an diesem feierlichen Tage,« fuhr die Baronesse fort,
»endlich Deine so lange verweigerte Einwilligung geben, wenn Du unsern
Freund Wallen heut mit Deinem Worte beglücken wolltest, den Du gestern
so unziemlich gekränkt hast.«

Dorothea wurde blaß und trat erschreckend zurück. »Dies fordern Sie?«
sagte sie stotternd: »ich dachte, ich hätte darüber ein für allemal
meine Erklärung gegeben.«

»Deine Leidenschaftlichkeit,« sagte die Mutter, »kann für keinen
vernünftigen Entschluß gelten. Du liebst keinen Mann, wie Du oft gesagt
hast, Du kennst kaum einen, den Du achten möchtest; dieser edle Freund
ist Dir mit der schönsten Herzlichkeit ergeben, er bietet Dir ein Glück
an, das Dir so schön nicht wieder entgegen kommt, wenn Du es jetzt von
Dir weisest; Du kennst die Lage Deiner Familie, wie mißlich es mit
unserm Vermögen steht; Du kannst die Wohlthäterin Deiner Mutter, die
Versorgerin Deiner Schwestern werden. Hast Du wohl schon bedacht, mein
liebes Kind, wie trostlos Deine eigne Zukunft seyn muß, wenn Du auf
Deinem Eigensinn beharrst? Von Männern und Frauen verlassen, den
Deinigen empört und gehässig, einsam und ganz verloren in einer kalten,
höhnenden Welt, arm und ohne Hülfe! Wirst Du Dich alsdann nicht in Deine
Jugend zurück sehnen, und in bitterm Schmerz bereuen, daß Du jetzt alles
Glück für Dich und die Deinigen so muthwillig, so unbedacht von Dir
gestoßen hast? Fordert dieser edle Mann denn Liebe und Leidenschaft von
Dir, wie sie wohl in unsern verkehrten Büchern geschildert werden? Will
er mehr als Freundschaft und Achtung? Und kannst Du ihm diese versagen?
Er ist zu allen Aufopferungen bereit, die unsere drückende Lage fordert,
und die sein großer Reichthum möglich macht; aber wenn Du ihn so spröde
verhöhnst, und er tritt beleidigt und beschimpft zurück -- wer weiß, wo
Deine Geschwister oder Deine Mutter und Du selbst noch einmal im Alter
ein schnödes Almosen erbetteln müssen, wo ich noch krank und hülflos
liege, und Dein weinendes Auge dann umsonst in diese Tage sehnsüchtig
zurück blickt, die dann auf ewig verschwunden sind.«

»Hören Sie auf, meine geliebteste Mutter!« rief Dorothea im größten
Schmerze aus. »O leider, leider ist das Recht ganz auf Ihrer, und das
Unrecht durchaus auf meiner Seite. Nein, ich habe noch nie geliebt, und
werde es nie, mein Herz ist für dieses Gefühl verschlossen; die Männer,
die ich gekannt habe, flößen mir alle ein Gefühl des Widerwillens ein,
viele des Mitleids, um nicht Verachtung zu sagen; ich sehe ja ein, daß
eine Ehe, die auf Vernunft sich gründet, die uns in Wohlstand und
Sorglosigkeit versetzt, etwas Wünschenswerthes seyn muß; daß ich durch
ein einziges Wort Sie und uns alle beglücken kann, daß es wohl edel ist,
wenn ich es ausspreche, daß es die Nothwendigkeit vielleicht von mir
erzwingt, und Kindespflicht und die edelsten Rücksichten -- und doch --
warum schaudert mein Gefühl davor zurück? -- Ach, liebe Mutter, wenn nur
eins nicht wäre, -- darf ich es sagen? werden Sie mich nicht ganz
mißverstehn? O gewiß! denn ich verstehe mich ja selber nicht.«

»Sprich, mein geliebtes Kind,« sagte die Mutter im freundlichsten Tone,
»ich werde Dein Herz fühlen, wenn ich auch nicht ganz Deine Worte
fasse.«

Dorothea zögerte, sah sie bittend an, und sagte endlich verlegen und mit
bittender Stimme: »Oft habe ich mir selbst die Frage vorgelegt, ich habe
mich in einsamen Stunden ernst geprüft, und mir schien dann wohl, als
könnte ich meine Hand in die des würdigen Mannes fügen, den Sie alle,
den die ganze Welt verehrt, wenn er nur nicht --«

»Nun?« rief die Mutter.

»Wenn er nur nicht fromm wäre,« sagte die Tochter hastig.

Eine lange Pause der Verlegenheit entstand. Dorothea war glühend roth
geworden, die Schwestern traten scheu zurück, die Mutter schlug den
Blick nieder, und wandte ihn dann um so schärfer prüfend auf die Arme,
die Allen und sich selbst fast eine Entartete schien. Endlich sagte die
Mutter: »Nun, wahrlich, das muß mich überraschen, und wenn ich dies in
Dir verstehe, so möchte es mich auch mit Schauder erfüllen. Also Du
bekennst nun öffentlich Deinen Abfall von Gott? Du bist also darüber mit
Dir einig, daß das Heilige Dir ein Anstoß und Greuel ist? Du kannst das
nicht lieben, was die Liebe selber ist? So geh denn und verläugne das
Göttliche, lebe ruchlos und stirb vom Himmel verlassen.«

»Sie verstehn mich nicht,« rief Dorothea mit einem hohen Unwillen: »das
ist ja das Unglück meines Lebens, daß Alles an mir mißdeutet wird, wenn
ich es noch so gut meine. Vielleicht würde mir Herr von Wallen ganz
recht seyn, wenn ich nur nicht wüßte, daß er so fromm ist, ja vielleicht
würde ich ihn alsdann für fromm halten.«

»Trefflich!« sagte die Mutter in schmerzlicher Entrüstung: »wenn wir
selber verderbt sind, so ist es freilich am bequemsten, an den Würdigen
ihre Tugend zu bezweifeln. Damit sprichst Du auch zugleich aus, wie Du
von mir denkst, und was ich überhaupt von Deiner Kindesliebe zu erwarten
habe.«

»Sie sollen, Sie werden sich irren!« rief Dorothea fast im Zorne aus:
»ich will mehr thun aus Liebe für Sie, als ich vor mir selbst
verantworten kann, ich will mich heute Abend, darauf gebe ich Ihnen
jetzt mein Wort, mit dem Herrn von Wallen verloben.«

Ein allgemeiner Ausruf der Freude, Thränen, Umarmungen, Schluchzen
unterbrachen und ersetzten jedes Gespräch. Der Wortwechsel verwandelte
sich in das lauteste und fröhlichste Getümmel, Alle hatten die Fassung
verloren, und drückten Liebe und Entzücken heftig und übertrieben aus.
Nur Dorothea war nach ihren letzten Worten plötzlich wieder ganz kalt
geworden, und gab sich ohne alle Erwiederung still den Liebkosungen hin.

»O Du mein geliebtes Kind!« sagte die Mutter endlich wieder gefaßt, »ja,
ich habe Dich mißverstanden, und Du wirst mir verzeihen; macht ja diese
unerwartete freiwillige Erklärung Alles wieder gut. Und jetzt darf ich
Dir auch noch das schönste und kostbarste Geschenk zu jenen Gaben der
Liebe hinzufügen, diesen Schmuck, den Dir der Baron sendet; ich habe ihn
zurück gehalten, weil ich wirklich an Deinem schönen Gefühle zweifelte.«

Die Tochter sah die Mutter mit großen Augen an, dann warf sie einen
kalten Blick auf die kostbaren Steine, und legte sie ruhig zu den Blumen
auf den Tisch. Das Frühstück ward gebracht, und man war nach der lauten
Scene um so ruhiger, kein Gespräch wollte in den Gang kommen. Es läutete
zur Kirche, die Bedienten brachten Mäntel und Bücher. Dorothea legte ihr
Andachtsbuch aus der Hand und sagte: »Sie verzeihen wohl, liebe Mutter,
wenn ich Sie heut nicht zur Kirche begleite, ich bin zu gespannt, ich
will mich hier in der Einsamkeit indeß zu sammeln suchen und auf unsere
Mittagsgesellschaft vorbereiten, noch mehr auf den Abend.«

»Wie Du willst, mein holdes Kind,« antwortete die Baronesse: »zwar wäre
die Kirche und die Rede unsers frommen Seelsorgers wohl der natürlichste
Ort und Anlaß, Deine Gedanken zu sammeln, indessen hast Du einmal Deine
Art und Weise, sie bleibe Dir ganz unbekrittelt. Es ist augenscheinlich
der Himmel selbst, der Dich, Geliebte, die Du es am meisten bedarfst,
unserm geliebten Wallen zuführt; an seinem Arm wirst Du anders denken
lernen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß Du uns alle beschämst und
in höherem Glanze voran leuchtest.«

Als sich Dorothea allein sah, musterte sie, fast gedankenlos, die
Geschenke. Die schimmernden, kostbar gebundenen Bücher waren von jenen
neuen religiösen, denen sie nie ein Interesse hatte abgewinnen können.
Was macht es? sagte sie zu sich: ist denn die Erde selbst, das ganze
Leben so sehr der Rede werth? Warum will ich mit so großem Widerwillen
die Rolle durchführen, die mir einmal aufgegeben ist? Was ich mir früher
dachte und vorsetzte, ist ja doch nur Traum und leere Einbildung! Ich
sehe ja, wie alle, alle Menschen nur spielen und Erhebung heucheln, dann
gern und beruhigt in die Gemeinheit sinken. Ist es das allgemeine
Schicksal, warum will ich mich so heftig dagegen sträuben? Entsetzlich
ist es! aber endlich, früh oder spät, löst ja doch der Tod das
verwickelte Netz dieses Lebens, und jenseits wird es ja doch wohl
Freiheit geben.

Mit ihrer Stimmung wurde auch der Himmel finsterer. Dunkle schwere
Wolken zogen näher, und schienen ein Gewitter herbei zu führen. Ein
schlanker Mann kam den Garten herauf und näherte sich dem Saal. Als er
eintreten wollte, ging sie dem Fremden, der ein Mann von Stande zu seyn
schien, entgegen. Sie begrüßten sich, und der Unbekannte bat um die
Erlaubniß, verweilen zu dürfen, er habe in der Lindenallee sein Pferd
dem Diener übergeben, und sei dann in den offenen Garten gerathen; er
bedauerte, die übrige Familie nicht zu finden, worauf ihn Dorothea
einlud, im Saale das Gewitter abzuwarten und zu verweilen, bis Mutter
und Schwestern aus der Kirche zurück kehren würden.

»Sie scheinen beim Gewitter nicht ängstlich zu seyn,« bemerkte der
Fremde.

»Doch,« erwiederte Dorothea, »wenn es allzunahe kommt, und Feuer und
Schlag eins und dasselbe werden; ich glaube auch, daß sich alsdann wohl
alle Menschen mehr oder minder fürchten; denn wo es keinen Widerstand
giebt, wo ein plötzlicher unversehener Augenblick mich wegraffen dürfte,
da ängstet es mich gerade, daß ich nicht auf meiner Hut seyn kann. In
diesen Augenblicken beruhigt nur der Glaube an ein nothwendiges Fatum
und die Betrachtung, daß ich nichts Besseres bin, als die Tausende
meiner Mitmenschen, die demselben Schrecken ausgesetzt sind.«

»Diese Gesinnung,« sagte der Unbekannte, »muß ich eine tapfere nennen,
im Gegensatz jener schwachen, die bei den Damen gar nicht selten ist,
wenn sie beinahe in Furcht vergehn, alle Fassung verlieren und in
Thränen jammern, indem nur noch das fernste Wetterleuchten herüber
schimmert.«

»Wohl,« sagte Dorothea, »und ich sorge schon um Mutter und Schwestern,
die nur gar zu reizbar sind. Ich mag es nicht tadeln, weil es wohl, wie
so viele krampfhafte Furcht, Krankheit des Körpers seyn mag.«

»Es ist nicht so leicht zu entscheiden,« bemerkte der fremde Mann, »weil
wir erst ernsthaft versuchen müßten, was der starke Wille denn wohl
vermag, und ob, wenn die Seele sich zwingt, nicht auch der Körper
wenigstens einige Schritte mitgeht, und von selbst da Gesundheit
entsteht, wo die eigenwillige Stimmung die Kränklichkeit erzeugt hat.«

»Das führt auf die Frage,« sagte Dorothea, »in wie fern wir frei sind,
und was wir im Geist und Körper durch Vorsatz vermögen.«

»Gewiß,« erwiederte jener, »und nicht blos diese, alle ernsten
Betrachtungen führen zu der großen Frage. Ohne diese uns beantwortet zu
haben, können wir auch für nichts Interesse fassen, und weder an uns,
noch an andere glauben.«

»Freiheit!« seufzte Dorothea, wie vor sich hin phantasirend: »Sie
glauben also daran? Ich auch ehemals, als ich jünger war.« --

»Jünger, mein Fräulein? das klingt von Ihren schönen Lippen sonderbar.
Ich zweifelte als Jüngling, und habe erst später diese Ueberzeugung
fassen lernen.«

»Vergeben Sie,« rief Dorothea beschämt, »daß ich mich mit Ihnen in
dergleichen Worte verliere, da ich« --

Der Fremde unterbrach sie: »Behandeln Sie mich nicht wie einen
unbekannten jungen Menschen, der nur da seyn darf, um Ihnen etwas
Verbindliches zu sagen. Sie sind mir mit einem schönen und ernsten
Vertrauen entgegen gekommen, und ich weiß, daß ich dessen nicht unwerth
bin.«

Und wirklich schien es, als spräche Dorothea mit einem alten Bekannten
oder Bruder, so wenig war dieser Mann -- nach dessen Namen sie selbst zu
fragen vergaß -- ihr fremd. Seit lange hatte sie nicht dieses Gefühl
gehabt, ihre Gedanken, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, aussprechen
zu dürfen; dies gab ihr eine Behaglichkeit, daß sie auf das
heranrückende Gewitter nur wenig achtete, und selbst den Abend vergaß,
an welchen sie so eben noch nur mit Entsetzen hatte denken können. Im
Verlauf des Gesprächs erzählte der Fremde von seinen Reisen, Manches von
seinen Schicksalen; er erinnerte sich seiner Jugend, und bekannte
endlich, daß er dies Haus, und vorzüglich den vor Jahren verstorbenen
Vater des Fräuleins oft gesehn habe. »Sie sehen Ihrem Vater wunderbar
ähnlich,« beschloß er, »und ich habe gleich Anfangs diese freundlichen
Lineamente nicht ohne Rührung betrachten können.«

Dorothea war überrascht, als sie die Familie schon aus der Kirche zurück
kommen sah. Man begrüßte den Fremden, die Mutter trat fast erschrocken
zurück, und Dorothea erblaßte, als sie ihn Graf Brandenstein nennen
hörte. Er ward höflich zu Tische geladen, und der alte Baron Wallen
erschien ebenfalls, so wie der Rath Alfred und der junge Offizier; beide
waren aus der Stadt herüber geritten. Die Familie kleidete sich um, und
Dorothea war in ihrem einsamen Zimmer in tiefen Gedanken verloren. Die
Welt lag sonderbarer als je vor ihrem Geiste da, sie konnte sich kaum
zurecht finden, um ihren bescheidenen Putz zu ordnen, und als sie
nachher wie träumend zur Gesellschaft zurückkehrte, erschienen ihr alle
Gesichter wie hart und gespannt, ja, als fremd, besonders aber die
weiche, gesalbte Miene des Barons wie zum Erschrecken verzerrt, und ein
Gefühl, als wenn sie lachen solle, bemeisterte sich wie ein Frost ihres
ganzen Wesens, indem sie sich erinnerte, daß sie diesen Mann noch heut
Abend für ihren Bräutigam erklären müsse. Wie widrig ihr der junge
Offizier und Rath auffielen, so bekannt, vertrauensvoll und milde
leuchteten ihr die Blicke des Grafen entgegen, den sie als einen bösen
und gefährlichen Menschen noch gestern hatte schildern hören.

Er schien allein unbefangen am Tische. Mit Behaglichkeit erzählte er von
seinen Geschäften, die er für seinen amerikanischen Freund betrieb; er
nannte die Güter, die er schon gekauft hatte, oder um welche er noch in
Unterhandlungen stand, und man verwunderte sich über den Reichthum des
unbekannten Mannes, der die schönsten Besitzungen zu einer großen
Herrschaft vereinigen konnte. Durch die Gewandtheit des Grafen ward die
Unterhaltung bald freier, und der Baron, welcher dem Gefühle, das ihn
bedrängte, wie mit Gewalt widerstand, suchte das Gespräch an sich zu
reißen und zu beherrschen, vorzüglich wohl, damit die Jugend und die
Frau des Hauses nicht in der gewohnten Verehrung nachlassen möchten.

Wie es aber zu geschehen pflegt, daß ein Gespräch, wenn es nicht mit
leichter Unbefangenheit und feinem Sinne geführt wird, wohl in Anmaßung
und Spannung eine polemische Natur annimmt, so war es auch hier; denn
die Reden und Aeußerungen des Barons waren alle verhüllte Angriffe gegen
den Grafen und dessen Meinungen, wie er sich diese nach der Schilderung
desselben dachte. Der Graf achtete diese Demonstrationen Anfangs wenig;
er unterhielt sich hauptsächlich mit Dorotheen, die neben ihm saß,
sprach von seinen Geschäften, und sagte endlich auch, wie im Scherz, er
habe zugleich von seinem amerikanischen Freunde den Auftrag erhalten,
ihm eine Gemahlin zu suchen.

»Das kann wohl von Ihnen beiden nicht ernsthaft gemeint seyn,« sagte die
Baronesse.

»Und warum nicht?« erwiederte der Graf in heitrer Laune, »mein Freund
ahmt ja hierin nur den regierenden Fürsten nach, durch Anwalde und nach
politischen Rücksichten zu unterhandeln. Er ist nicht mehr jung und kann
nicht erwarten, Leidenschaft zu erregen; er hat in der Jugend traurige
Erfahrungen gemacht, und an seinem eignen Unglück, so wie an manchem
Freunde erlebt, daß dasjenige, was die Menschen Liebe nennen, nur
weichliche Sehnsucht, oft Eitelkeit, zuweilen sogar Verblendung sei, und
die meisten Ehen, die in scheinbarer Leidenschaft geschlossen werden,
nur ein dürftiges, ganz kümmerliches Leben, oft Elend herbei führen. Ich
bin sein ganz vertrauter Freund, und er rechnet auf meine
Menschenkenntniß, daß ich ihm ein Loos ziehen werde, welches ihm
geziemt.«

Der Baron erwiederte, daß ihm ein solches Unternehmen immer noch mißlich
scheine, und daß der Unbekannte dabei doch das Glück seines Lebens auf
das Spiel setze.

»Glück?« nahm der Graf das Wort auf: »gewiß, wenn er sich jenes
Unbedingte, Unendliche und Unaussprechliche dabei dächte, was die Jugend
gewöhnlich mit diesem Worte verbindet. Wo finden wir dies? Wer sich
nicht zu beschränken versteht, wird nichts erlangen, am wenigsten, was
jenseit aller Schranken liegt. Die Resignation mag Anfangs bitter
scheinen, aber ohne sie ist kein Zustand des Lebens zu ertragen; denn
wenn wir mit uns nur wahr umgehen, so müssen ja doch auch alle
Entzückungen unmittelbar der Wehmuth Platz machen, ja sie sind eins mit
dieser, und Schönheit, Kunst, Begeisterung, Alles ist für uns irdische,
vergängliche Menschen nur da, indem es vergänglich ist, obgleich die
Wurzel alles Göttlichen in der Ewigkeit ruht.«

»Sonderbar!« sagte der Baron: »somit wäre auch die Andacht und die
Frömmigkeit, das Erkennen des Himmlischen diesem Wandel unterworfen?«

»Ich glaube,« sagte der Graf, »wer nicht irdisch seyn mag, kann auch
nicht überirdisch seyn; Nacht und Tag, Schlaf und Wachen, Erhebung und
Gleichgültigkeit müssen sich ablösen. Wir beklagen mit Recht, daß es so
ist und seyn muß, aber es kann nicht anders; wer aber die Erleuchtungen
der Andacht, die Entzückungen einer himmlischen Liebe zu einem stehenden
Artikel in seinem Herzen machen wollte, der dürfte sich wohl auf dem
allergefährlichsten Standpunkte befinden, auf den der Mensch sich nur
wagen kann.«

»Sie sind einmal als Freigeist bekannt,« antwortete die Mutter, »und es
wird Ihnen bei uns nicht gelingen, unsere klare Ueberzeugung zu trüben.«

Kunigunde sagte mit einem schmelzenden Tone: »Sie meinen also, es sei
gefährlich, den Herrn zu lieben?«

Brandenstein mußte lächeln: »Gefährlich, wie alle Liebe, schöne Frau,«
erwiederte er leicht, »besonders, wenn man den Gegenstand, den man zu
lieben unternimmt, nicht kennt, oder sich eine ganz unrichtige
Vorstellung von ihm macht; noch schlimmer, wenn wir ein Phantom aus ihm
bilden, das alle unsre Vorurtheile bestärken, uns in unsern Schwächen
Recht geben, unsere Fehler und Irrthümer autorisiren soll. Da dürften
wir unser thörichtes Herz leicht an ein Gespenst verschenken, wie einige
alte Mährchen etwas Aehnliches erzählen, und uns entsetzen, wenn uns die
wahre Gestalt des Göttlichen einmal in einer erleuchteten Minute
erschiene.«

Dorothea hörte aufmerksam zu, und der Baron sagte nicht ohne Verdruß:
»Die Liebe kann nicht irren. Wo sonst einen Wegweiser auf unserm Pfade
suchen?«

»Wenn sie die wahre ist, nicht,« erwiederte der Graf: »aber über diese
täuschen wir uns selber nur gar zu leicht; denn wenn unsere
Leidenschaften nicht Sophisten wären, so wären sie eben auch keine
Leidenschaften.«

»So ist denn der Zweifel,« sagte der Baron zürnend, »das Einzige, was
wir gewinnen können.«

»Er sei unser Diener,« antwortete der Graf, »der die Wege untersucht,
unser Thor, der mit nüchternem Spaß uns vor dem Allzuviel oder vor
Uebereilung warne. Kinder und Narren reden aber, wie das Volkssprichwort
sagt, die Wahrheit: zuweilen wenigstens, wenn nicht oft und immer.«

»Eine Mutter,« sagte die Baronesse, »weiß, was Liebe ist; der Mann
behält vielleicht immer eine dunkle, zweifelnde Vorstellung von dieser
Kraft. Auch ist die That immer mehr als das Wort, und so habe ich meine
Kinder erzogen und mit ihnen gelebt, ganz in Liebe, keinen blinden
Gehorsam, nie etwas Unvernünftiges von ihnen fordernd, immer habe ich
mich ihnen geopfert; aber sie haben schon lallend meine Liebe erkannt
und erwiedert, auch sie haben nur ihren Herzen folgen dürfen, und
Strenge, Furcht und dergleichen ist ihnen völlig unbekannt geblieben.«

Die Töchter sahen die Mutter zärtlich an, die Mutter hatte Thränen im
Auge, nur Dorothea blickte scheu vor sich nieder, und der Baron sagte
begeistert: »Man kennt und verehrt diese musterhafte Erziehung, und wer
an Liebe zweifelt, komme und sehe diesen Familienkreis.«

»Fern sei es von mir,« sagte Brandenstein, zu Dorotheen gewendet, »mit
rohem Gefühl diese zarte Liebe nicht anerkennen zu wollen; nur meine
ich, wenn ich mich meiner glücklichen Kindheit erinnere, daß die Liebe
zu den Aeltern, und eine gewisse religiöse und edle Furcht vor ihnen ein
und dasselbe seyn müßte; denn durch die letztere scheint mir meine
Kindesliebe erst ihre wahre Kraft und Innigkeit erlangt zu haben, auch
soll ja diese heilige Scheu vor etwas Unbegreiflichem in den Aeltern
jenen blinden, unbedingten Gehorsam erzeugen, in welchem sich das Kind
eben so glücklich fühlt; denn ohne diesen Gehorsam findet, scheint es
mir, weder Erziehung noch Liebe statt.«

Die Mutter sah die älteste Tochter, welche derselben Meinung zu seyn
schien, bedenklich an, und sagte dann mit etwas gespitztem Tone: »Ich
habe es vorgezogen, meine Kinder früh zu überzeugen, und wo das nicht
möglich war, stimmte ich sie so, daß sie aus Liebe zu mir das thaten,
was sie nicht einsehen konnten.«

»Ich verehre Ihre Erziehung,« sagte der Graf, »denn wer möchte in dieser
schönen Umgebung dagegen streiten? Doch dürften diese Auswege vielleicht
etwas zu kostspielige Surrogate für den einfachen und wohlfeilen
Gehorsam seyn.«

Der Baron wandte sich verstimmt an den Rath Alfred, und das Gespräch
nahm eine andere Wendung. Der junge Offizier erzählte mit
Selbstgenügsamkeit, daß er neulich die Gesellschaft, zu der ihn eine
Dame eingeladen hatte, ohne alle Entschuldigung vermieden habe, da es
ihm sündlich scheine, eine Unpäßlichkeit oder ein Geschäft
vorzuschützen. Man lobte diesen Wahrheitstrieb und meinte, diese Art und
Weise müßte in der Gesellschaft die allgemeine werden, wenn sie sich vor
der leeren Affectation, Heuchelei und fortwährenden kleinen Lüge retten
wolle. Auch die Mutter stimmte zögernd in diese Behauptungen ein, ob sie
gleich befürchtete, daß dergleichen nur schwer möglich zu machen sei,
ohne zugleich die feinen Bande der Geselligkeit völlig zu lösen; doch
sei eben darum die Tugend des Einzelnen, der den Muth habe, sich über
diese Rücksichten hinweg zu setzen, um so mehr zu preisen. »Nichts,«
fuhr sie fort, »habe ich bei meinen Kindern so sehr zu erwecken und zu
beleben gesucht, als den heiligen Wahrheitstrieb; ich habe sie bewacht,
daß sie sich nie auch nur die kleinste Unwahrheit, ja selbst im Scherze
nicht, erlauben durften. Immer auch habe ich mich bestrebt, alle Fragen
wahr zu beantworten, aus dem Unterricht alles zu entfernen, was nicht
klar und deutlich gemacht werden konnte; am meisten aber vermied ich
jene unsinnigen Mährchen und lügenhaften Geschichten, die Furcht und
Aberglauben nähren, und das Gemüth der Kinder wohl am allermeisten der
Wahrheit entfremden.«

Der Baron führte diese Sätze noch mehr aus, und alle Uebrigen stimmten
ein, außer dem Grafen, welcher äußerte, daß es eine der schwierigsten
Antworten seyn möchte, zu sagen, was denn Wahrheit, die eigentliche
Wahrheit sei. »Die Menschen,« meinte er, »suchen sie in allen Richtungen
schon seit Jahrtausenden, und auch hier muß, wie fast immer, der gute
Wille, wahr seyn zu wollen, nur zu oft die Sache selbst vertreten. Will
ich gegen Kinder oder Schwache immerdar auf alle Fragen die Wahrheit
sagen, so komme ich in die Gefahr, gar nicht mehr wahrhaft seyn zu
können; denn das Letzte beruht ja doch auf einem Geheimniß, das ich eben
so wenig läugnen darf, als ich es erklären kann. Und zu diesem
Unsichtbaren hin drängen uns Phantasie und Gefühl schon sehr früh, und
der Lehrer, der die junge Ungeduld hiervon entfernen will, muß nur
wieder zu einer andern Lüge seine Zuflucht nehmen, die vielleicht in
falscher Aufklärung eben so schlimm, als die des Abergläubigen ist. So
scheint es mir auch nicht gut gethan, die Phantasie der Kinder nicht
bilden zu wollen, auch in der sonderbaren Kraft, die das Grauen sucht,
und blinde, wilde Schrecknisse ersinnt. Dieser Trieb ist in uns, er regt
sich früh; und soll er unterdrückt werden, strebt man ihn zu vernichten,
was nicht möglich ist, so wächst er in der finstern Tiefe fort und
gewinnt an Macht, was er an Gestaltung verliert. Ich habe weibliche
Wesen gekannt, die man aus übertriebener Aufklärung selbst vor dem
unschuldigsten Mährchen bewahrte, und die in reifen Jahren es nicht über
sich vermochten, am Abend auch nur durch das benachbarte Zimmer zu
gehen, so bezwang sie ein namenloses, ganz kindisches Grauen, so daß sie
vor jedem Laut, vor jedem Schatten ohnmächtig erzitterten. Wird dagegen
in der Kinder-Phantasie auch das Seltsam-Aengstigende in Gestalt
gebracht, wird es in Mährchen und Erzählungen gesänftiget, so vermischt
sich diese Schattenwelt sogar mit Laune und Scherz, und sie selbst, die
verworrenste unsers Geistes, kann ein Wunderspiegel der Wahrheit werden.
Durch diese Krystallseherei können wir weitentfernte und doch
befreundete Geister wahrnehmen, die uns in sichtlicher Nähe nur höchst
selten vorüber schweben.«

»Daß Sie ein solcher Freund des Aberglaubens sind,« erwiederte die
Baronesse, »muß ich erst jetzt von Ihnen erfahren.«

Dorothea schien kein Wort dieser sonderbaren Unterredung zu verlieren;
sie sah Kunigunden an, auf welche jene Schilderung einer unvernünftigen
Angst, die sie oft sogar am Tage befiel, buchstäblich paßte; auch waren
die andern Schwestern zuweilen kindisch genug, und scheuten am Abend
jeden Gang. Kunigunde war empfindlich, sie glaubte, der fremde Gast
kenne diese ihre Schwäche, und habe sie nur schildern wollen. Die Mutter
konnte ihre Verlegenheit nicht ganz verbergen.

»Der Gesellschaft,« fuhr Brandenstein fort, »kann ich mich nicht immer
mit der nackten Wahrheit nahen, denn sie fordert und erwartet sie nicht
von mir. Ich darf die Tugenden der Einsamkeit nicht in sie werfen, wenn
ich nicht den Zauber, durch welchen sie für den gebildeten Menschen so
reizend wird, zerstören will. Man findet allenthalben schlechte
Gesellschaft, die ich wahrlich nicht preisen will; aber daß man das
feine Leben, die zarteren Bande der gebildetern Welt, das anmuthige
Verhältniß der Geschlechter, die Formen, welche Witz und Lebensart
erfanden, so oft schmähend mit den Gesetzen und Bedingnissen eines
sinnreichen Kartenspiels verglichen hat, ist mir zwar nicht unpassend,
aber sonderbar vorgekommen, und unbegreiflich, daß man nicht die
Mannigfaltigkeit des Lebens und dessen nothwendige Figuren hat
anerkennen wollen. Man muß nur eine Zeitlang mit bäuerischen Menschen
gelebt haben, die ihre rohe Zutäppigkeit für biedere Tugend so oft
verkaufen wollen, die alles verletzen, die kein Geheimniß, kein zartes
Verhältniß anerkennen, sondern alles Geistigere Affectation und
Heuchelei taufen; man muß Wochen lang diesem rohen Betasten und
Anpacken, und der drückenden Langeweile ausgesetzt gewesen seyn, um den
Adel eines feinen, geistreichen Umgangs wieder schätzen zu lernen. Hier
gilt denn freilich nicht immer das blanke Ja und Nein; und mit der
sogenannten Wahrheit die gegebenen Formen, durch welche diese
Erscheinung sich nur darstellen läßt, umstoßen wollen, ist eben so
unbillig, als wenn ich die Gesetze eines künstlichen Schachspiels Lüge
nenne, mit meinen Bauern gleich in das letzte Feld des Gegners rücke und
mein Spiel für gewonnen erkläre.«

»Sie sind ein ziemlicher Sophist,« sagte der Baron. »Es fehlte noch, daß
die Verläumdung, Klatscherei, Neid und Verfolgung der großen
Gesellschaften einen Lobredner fanden; es bleibt dann nur noch übrig,
die stille Tugend, die schöne Bürgerlichkeit, die kindliche Unschuld und
edle Einfalt der nichtvornehmen Welt zu schmähen.«

»Sie können mich unmöglich so mißverstanden haben,« sagte der Graf: »ich
meine nur, man soll Bedingnisse, die jedes Spiel und Kunstwerk
nothwendig macht (und die gute und feine Gesellschaft sollte wohl von
beidem etwas haben), nicht mit Unwahrheiten verwechseln; denn auch im
Tanz ist keine Wahrheit, wenn anders der gerade eilige Geschäftsschritt
so zu nennen ist, und es dürften sich von dieser Ansicht her selbst
gegen den Spaziergang nicht unerhebliche tugendhafte Zweifel aufwerfen
lassen.«

»Immer ärger!« rief der Baron: »zum Glück, mein scharfsinniger Graf,
sprechen Sie alles dies in einer Gesellschaft, auf die es nicht
schädlich einwirken kann.«

»Sie haben mich einmal hinein gezogen,« erwiederte Brandenstein, »und so
mögen Sie denn auch mein ganzes Glaubensbekenntniß hören. Ich denke, es
hat noch keinen Menschen gegeben (und keiner wird kommen), der nicht
irgend einmal in seinem Leben mit Bewußtsein gelogen hätte. Sei es nun
Nothlüge oder Schwäche, Furcht, Eigennutz oder Eitelkeit, und wie sie
alle heißen mögen, diese Flecken unsrer Natur; vielleicht auch, um nur
einmal diesem Geiste zu folgen, der uns doch gar zu reizend verlockt.
Und dürfen wir doch nur auf die erhabenen Apostel sehen, um zu lernen,
daß sie ihrem Vorbilde, der ewigen göttlichen Wahrheit, nicht immer
getreu zu seyn stark genug waren. Vieles dieser Art möchte ich die
unschuldigen Lügen nennen, denen der bessere Mensch, eben weil sie so
resolut sind, bald aus dem Wege gehn kann. Aber wie steht es denn mit
jener gleissenden Eigenliebe, mit jenem prunkenden Egoismus, mit der
ausgebildeten Heuchelei, die aus dem ganzen langen Leben mancher
Menschen nur eine einzige Lüge bilden? Ich habe wenigstens einige
gekannt, die so im Lügengeiste untergesunken waren, daß es für sie gar
keine Wahrheit mehr gab. Und diese Menschen galten für tugendhaft, sie
hielten sich selbst für Auserlesene, es war ihnen möglich, selbst auf
dem Sterbebette die Rolle der Heuchelei fortzuspielen.«

»Dergleichen ist nicht möglich!« rief der Baron, und Alle stimmten ihm
bei; nur Alfred äußerte, es könne doch wohl dergleichen Verkehrtheit
geben, worauf ihn Dorothea verwundert mit großen Augen ansah. »Sie
sprechen überhaupt,« fuhr der Baron fort, »von einer vorigen Welt; seit
Ihrer Abwesenheit hat sich bei uns Alles so geändert, daß Sie, wenn Sie
unser Vaterland erst wieder kennen lernen, kaum mehr eine Spur vom
vorigen finden werden. Die alte Irreligiosität, jene leere
Freigeisterei, die sich Aufklärung nannte, ist, dem Himmel sei Dank!
ziemlich verschwunden; immer schöner entwickeln sich die Keime einer
ächten Religiosität, man schämt sich nicht mehr, Christ zu seyn, an den
Herrn zu glauben und sich im brünstigen Gebet zu ihm zu erheben. Die
Kirchen sind wieder gefüllt, die höhern Stände verschmähen nicht mehr
die Gemeinschaft ihres Nebenchristen, andächtige Bücher haben die
frivolen von den Tischen unserer Weiber und Mädchen verdrängt,
geläuterte Seelen unterhalten sich, statt mit Theatergeschwätz, über die
Bibel, ermuntern sich zur Buße und Andacht, theilen sich die Erfahrungen
mit, die sie an ihrem Herzen machen, stärken sich gegenseitig, und immer
deutlicher spricht aus diesen erhobenen Gemüthern der Geist des Herrn.
Alles dies, mein zweifelnder Freund, werden Sie wenigstens gelten und
stehn lassen müssen, denn hier ist Wahrheit und Liebe, hier ist kein
Irren möglich.«

Er hatte alles dieses mit großer Salbung gesprochen. Der Graf schwieg
einen Augenblick, ehe er sagte: »Unser Tischgespräch hat eine so
ernsthafte Wendung und einen so feierlichen Inhalt gefunden, daß es wohl
passender wäre, abzubrechen, entweder auf eine stillere Stunde diese
Eröffnungen zu versparen, oder ganz zu schweigen, weil man sich über
diese wichtigen Gegenstände am leichtesten mißversteht.«

»Weil Sie sich jetzt völlig geschlagen fühlen,« sagte der Baron, »so
wollen Sie sich wenigstens einen sichern Rückzug vorbehalten. Ich
dächte, es wäre jetzt Ihre Pflicht, offen zu gestehen, daß Sie über
diesen Punkt nichts zu sagen wissen, wenn Sie nicht unverholen bekennen
wollen, daß Ihnen jene fast vergessene Freigeisterei lieber als unsere
heilige Religion sei.«

»O sprechen Sie!« rief Dorothea, sich selbst vergessend.

»Sie sehen, wie dringend Sie aufgefordert werden,« sagte die Mutter,
indem sie einen langen und drohenden Blick zu Dorotheen hinüber warf;
auch Alfred bat, daß der Graf sich erklären möchte, in wiefern er in
diesem Punkt mit dem Zeitalter einverstanden sei.

»Da ich es nicht ganz umgehen kann,« sagte dieser: »so will ich kurz
andeuten, was ich habe beobachten können; denn da ich schon seit einem
Jahre wieder in Deutschland bin, so ist mir nicht alles so fremd, wie
Sie glauben, ob ich gleich erst seit kurzer Zeit meine Geburtsgegend
hier wieder besucht habe. Könnte ich Ihnen allen nur das Vorurtheil
benehmen, daß Sie mich, wie ich merke, für einen gottlosen Unchristen
halten. Nein, ein solcher bin ich wahrlich nicht, aber ich muß mir nur
das unbestreitbare Recht vorbehalten, auf meine Weise ein Christ seyn zu
dürfen. Daß es jetzt, wie zu allen Zeiten, wahrhaft fromme und
erleuchtete Gemüther giebt, und daß man diese verehren solle, wer möchte
daran zweifeln? Das Bedürfniß des Glaubens hat sich wieder gemeldet, der
Geist hat fast an alle Herzen geklopft, und Anmahnungen mancher Art und
aus allen Gegenden haben sich vernehmen lassen. Ein klarer frischer
Strom hat sich wieder durch die lechzende Ebene von den ewigen Gebirgen
her ergossen, und der Kraft seiner Wogen folgen die Dinge und Wesen,
welche er ergreift; unwiderstehlich fühlt sich Alles fortgezogen, und
Groß und Klein, Stark und Schwach muß nothgedrungen mit hinunter
fließen. Wie ächte Begeisterung dies veranlaßt hat, so ist es denn doch
auch hier, wie in allen geschichtlichen Ereignissen, ergangen, die
Menge, die Eitelkeit, die menschliche Schwäche trübt auch diese
Erscheinung, und als es einmal Mode war, frei zu denken und den starken
Geist zu spielen, wenn Viele auch schwach und abergläubig waren, so ist
es jetzt Sitte geworden, religiös zu scheinen, wenn es Manchem auch
frivol und unerleuchtet genug zu Muthe seyn mag.«

»^Desinit in atrum piscem,^« sagte der Baron ereifert, »der Anfang Ihrer
Rede ließ etwas Besseres vermuthen.«

»Wie Viele,« fuhr Brandenstein ruhig fort: »sind mir aufgestoßen, die
mir fast beim Begrüßen entgegen warfen, daß sie außerordentliche
Christen seien. Andere sprechen beim dritten Worte und bei den
gleichgültigsten Gegenständen vom Heiland; bei jeder Veranlassung, sei
sie noch so geringe, beten sie, und erzählen uns dies; ja ich habe
Romane gelesen, in denen der Verfasser in der Vorrede sagte, er schreibe
niemals, ohne vorher zu beten, und alles Gute, was im Buche stehe, sei
unmittelbare Eingebung; das kürzeste Mittel, jede Kritik zurück zu
schlagen, und die Romanze dicht an die geoffenbarte Schrift zu schieben.
In Gesellschaften ergreift man jede Veranlassung, von Reue, Buße,
Andacht und Erlösung zu sprechen, und entweiht, nach meinem Gefühl, das
Heilige, vergißt, daß es eine Aehnlichkeit mit der Liebe hat, deren
Gefühle und Geständnisse der wahre Liebende auch nicht jedem fremden
Ohre Preis geben wird.«

»Was schadet es aber,« sagte der Baron, »wenn die frommen Gemüther
vielleicht auch zu oft von dem Gegenstande ihrer Liebe sprechen?«

»Es kann nicht die Liebe seyn,« erwiederte Brandenstein: »es ist
Eitelkeit, Hochmuth, der besser seyn will, als andere Menschen. Gerade
wie zu der Zeit der Empfindsamkeit oder der Aufklärung, ist es ein
krankes Bedürfniß, das allenthalben Nahrung sucht, das sich schmeichelt
und zu immer tieferer Krankheit verzieht, das unduldsam und verachtend
auf Nebenmenschen, die oft besser und frömmer sind, hinblickt, weil
diese nicht gerade in den angegebenen Ton auch einstimmen wollen.«

»Sie schildern die Ausartung,« stammelte die Baronesse in einer Art von
Angst.

»Nichts anderes, verehrte Frau,« antwortete der Graf: »nur daß mir diese
häufig in die Augen gefallen ist. Auch habe ich Erbauungsbücher gesehn,
die sehr in der Mode zu seyn scheinen, Altes und Neues, die wahrlich nur
dazu dienen können, mittelmäßige Menschen, die schon von der Eitelkeit
ergriffen sind, ganz zu verwirren, in denen der Schöpfer, die reine
Liebe, gleich einem launigen wunderlichen Alten dasteht, der sich aus
Langeweile gelüsten läßt, die krausesten Schicksale zu flechten, und
Diesen und Jenen, wenn auch Viele dabei untergehn, auf feine und
seltsame Art aus seinem Elende wieder heraus zu führen. Andere
verwandeln Religion in Magie und Zauberei; oder verhärten die Herzen der
Weiber, daß sie sich unendlich über ihre Männer erhaben fühlen, diese,
wenn sie nicht ganz auf ihre Weise frömmeln, in einem Zustande der
Zerknirschung erhalten, und in dem Gefühl, wie tief sie sich
herablassen, die geheiligten Gattinnen so ordinärer Sünder zu seyn. Ich
kannte ein armes, mittelmäßiges Mädchen, die sich glücklich schätzte, an
einen jungen wohlhabenden Mann verheirathet zu werden, die aber nach
einem halben Jahre auch zur Heiligen wurde, und sich nun vorlügt, ihre
christliche Tugend bestehe darin, den Mann zu dulden; übermenschlich
erscheint sie sich, wenn sie ihn nicht ganz verachtet, aber doch sagt
sie sich dies täglich und ihren religiösen Gespielinnen, die sie auch in
dieser Frömmigkeit bestärken. Ist nun dies nicht Sünde?«

»Ja wohl!« seufzte plötzlich Kunigundens Gatte auf, und die Mutter,
welche den Halt ihrer Familie fast sichtlich zusammenbrechen sah,
bereuete es, dies Gespräch begonnen zu haben, und zürnte ihrem würdigen
Hausfreunde, dem Baron, daß es durch ihn so angefeuert wurde.
Brandenstein aber, der nun einmal im Zuge war, konnte ebenfalls in
seinem geistlichen Eifer nicht ruhen, bis er seine ganze Catilinarische
Rede an den Mann gebracht hatte. »Wie erhebend kann es seyn,« fuhr er
lauter fort: »wenn wir fromme Männer, um sich ganz dem Heiligen zu
ergeben, der Welt und allen ihren Schätzen den Rücken kehren sehen, um
in stiller Abgeschiedenheit nur Einem großen Gefühle zu leben. Ich will
einzelne Brüderschaften nicht tadeln, wenn sie sich in einem ähnlichen
Sinne verschließen, und von Kunst und Geschichte, Philosophie und Welt
nichts wissen wollen. Aber wenn diese einseitigen Frommen, die in der
Welt stehen bleiben, die Erziehung der Uebrigen genossen haben und sich
selbst für gebildet ausgeben, uns immer und immer wieder zurufen, nur
Eins sei, was Noth thue, Malerei, Musik und Dichtkunst seien nicht nur
überflüssig, sondern sogar sündhaft, und nur Gebet, Erleuchtung, Buße
sei alles, was den Menschen in Anspruch nehmen solle, -- so möchte ich
doch wohl Diese fragen: von welchem engen Gefühle ihre sogenannte
Religion sei, daß sie Liebe, Wahrheit, Vernunft und die lieblichen
Erscheinungen der Phantasie gar nicht zulassen könne und dürfe? Also
wäre den Reinen heut nicht mehr alles rein? Der Mensch ist schon als
todt zu betrachten, dem in der Natur und Geschichte nicht Gott mehr
erscheint; der ist verloren, der in der Kraft der Vernunft seine hohe
Gegenwart nicht mehr sieht. Auch der ist fromm, dem aus dem Gemälde eine
Entzückung anstrahlt, und der sich, so lange er Shakspeares Sommernacht
liest, selig und im Himmel fühlt. Denn auch Scherz, Lust und Witz sind
göttlicher Abkunft, und wir werden um so reiner und geläuterter, je mehr
wir den göttlichen Strahl in diesen zarten Spielen erkennen lernen.«

»Ja wohl,« sagte der Baron, welcher das auffallende Mißvergnügen der
Baronesse bemerkt hatte, »können wir heut dies interessante Gespräch
nicht zu Ende führen.«

»Unmöglich,« antwortete der Graf, welcher selber über seinen Eifer zu
erstaunen schien, »denn sonst möchte ich wohl noch darüber belehrt seyn,
warum diese frommen Gemüther sich nicht mit mehr Demuth der Kirche
anschließen? Warum sie verlangen, daß alle Menschen auf ihre Weise die
Dinge sehen sollen? Warum nicht Zweifel auch sie anwandeln und es ihnen
begreiflich machen, daß sie doch auch wohl irren könnten? Ob es nicht
christlicher sei, mehr nach dem Evangelium bei verschlossenen Thüren zu
beten, als pharisäisch ihr vieles Beten weltkundig zu machen? Ich könnte
denn wohl noch bemerken, daß dieser geistliche Schwindel sich auffallend
genug mit einem politischen verbindet, und daß diese kranke Stimmung,
die sich über ganz Deutschland verbreitet, es einem überaus verwirrten
und schwachen Buche möglich gemacht hat, den Beifallsruf einer Menge zu
erwerben, die nun erst beurkundet, wie wenig sie je unsern großen
Dichter faßte, als sie ihm zujauchzte. Es kann als ein Frevel gegen
diesen großen Mann erscheinen, wenn man es nicht lieber lächerlich
finden will, daß man ihm so schulmeisternd mit Glaubensfragen nahe
rückt, daß man Immoralität und Mangel an Idee seinen Werken vorwirft,
weil er sich nie zu den armen Bedürfnissen dieses Wortführers
herabgelassen hat. Daß alles dies möglich gewesen ist, hat mir gezeigt,
wie wenig wahre Bildung bei uns noch Wurzel gefaßt hat, und wie leicht
es daher Schwindlern wird, mit halbwahren Begriffen die schreiende Menge
zu verwirren.«

»Sie meinen _Göthe_,« sagte der Baron, »und die sogenannten unächten
Wanderjahre. Nun, da sind wir ja schon so ziemlich weit von unserm
ersten Diskurse abgekommen.«

Es trat eine Pause ein, Alle schienen verstimmt, Dorothea war tief
bewegt. Indem der Bediente jetzt den Braten brachte, rief die Baronesse:
»Ach! wie konnte ich nur die arme kranke Wittwe vergessen? Johann, tragt
dies Gericht sogleich zu der Unglücklichen, mit meinen herzlichen
Wünschen. Sie leidet, wie ich heut gehört habe, unglaublich, dabei ist
sie arm, und ihre Kinder können ihr nur wenige Hülfe geben.« »Ja, die
Armuth, die Krankheit!« seufzte der Baron. »O Himmel, was würde aus der
finstern Erde werden, wenn nicht immer noch weiche, edle Gemüther das
ungeheure Elend zu mildern trachteten.«

»Die bedauernswürdige Frau,« fügte Kunigunde hinzu: »soll auch mit ihrem
verstorbenen Manne gar nicht glücklich gewesen seyn, er war hart und
rauh, und behandelte sie oft übermüthig.« Sie warf dabei ihrem Gatten,
der am andern Ende des Tisches saß, einen sonderbaren Blick zu, der gar
Vieles bedeuten konnte. Der junge Mann, vom Tischgespräch aufgeregt, war
so unerhört dreist, zu erwiedern, daß es auch oft der Weiber eigne
Schuld sei, wenn sie in der Ehe nicht glücklich wären. Der Graf, um
nähere Erörterung zu verhindern, bemerkte, daß es vielleicht, da man die
Krankheit der Frau nicht genau kenne, schädliche Wirkung thun möchte,
wenn sie von der Fleischspeise unvorsichtig genösse. Der Baron aber, der
einen neuen kriegerischen Angriff vermuthete, sprach gerührt über die
große Wohlthätigkeit der Baronesse, wie sie den Armen eine Mutter sei,
und begriff nicht, wie es noch so harte Menschen geben könne, die von
dem Elende ihrer Nebengeschöpfe so ungerührt blieben.

Jetzt kam Johann mit dem Braten zurück und meldete, daß die Wittwe sich
gehorsamst bedanke; es sei ihr aber vom Arzte im Fieber Fleischspeise
bis jetzt noch untersagt, auch empfange sie seit drei Wochen alles vom
Schlosse, was sie gebrauche, worüber sie ihre Rührung nicht genug
ausdrücken könne. »Ein Arzt?« sagte die Baronesse, »sie bekömmt schon?
und wie?« -- »Ach, gnädige Frau,« sagte der alte Diener verlegen und mit
Bewegung: »Fräulein Dorothea sendet ihr schon seit lange Alles, sie hat
auch den Doktor kommen lassen, und besucht die Kranke selbst alle Morgen
und Abende.« -- »So?« sagte die Baronesse mit einem gedehnten,
zitternden Tone, und ein durchdringender Blick fiel auf die Tochter, die
in der Beschämung nichts erwiedern konnte; »und warum, mein Kind,
geschieht denn diese Ausübung der Wohlthätigkeit, diese Tugend, die mir
an Dir neu ist, so heimlich? Warum gönnst Du Deiner Mutter denn nicht
auch einen Antheil an dem Verdienste, da sich Dein Herz nun endlich auf
dergleichen christliche Liebesdienste hinlenkt? Mein Rath würde die
Wohlthat erst zu einer ächten machen können. Aber so sieht es aus, als
wenn eher Eigensinn, als Mitleid, Deine Handlungen lenke.«

»Liebe Mutter,« flehte Dorothea, »schonen Sie mich.«

»Es ist zu beklagen,« fuhr diese fort, »wenn selbst das, was an sich
Tugend ist, durch die Art, wie man es ausübt, sich zum tadelnswürdigen
Fehler umgestaltet. Vorzüglich sehe ich Stolz und Anmaßung in dieser Art
zu handeln, daß Du es übernimmst, ohne mich klug und weise seyn zu
wollen, da Du doch nicht wissen kannst, ob Du nicht dadurch mehr Schaden
als Nutzen stiftest.«

»Es ist zu viel!« rief Dorothea laut weinend aus, stand schnell auf und
verließ mit verhülltem Angesicht das Zimmer.

Alle sahen auf, der Graf aber schien am meisten überrascht, er sagte mit
bewegter Stimme: »Geschieht aber dem Fräulein auch nicht zu viel? Sie
hat es wahrscheinlich gut gemeint; und mir scheint es auch nicht
strafbar, daß sie ihre Wohlthaten heimlich erzeigt, daß sie vielleicht
etwas zu verschwiegen ist, um sich nicht dem Schein des Prunkens
auszusetzen.«

»Gewiß, gnädigste Frau,« sagte der greise Diener, »das Fräulein ist ein
Engel, alle Leute im Dorfe sehn sie auch so an; was sie nur von ihrem
Taschengelde sich absparen kann, was sie an Kleidern irgend entbehrlich
findet, wendet sie auf die Armuth, aber das Schönste dabei ist die
freundliche, stille Art, und wie sie die Leute beruhigt, und die Kranken
tröstet, und die Kinder zum Gehorsam gegen die Aeltern ermahnt, die oft
unwirsch sind: -- ja, wir sollen schweigen, denn das hat sie uns strenge
befohlen, wir haben es auch Jahre lang gethan, aber einmal verschnappt
man sich denn doch. Verzeihung, gnädige Frau.«

Diese Reden fielen vor, indem man aufstand; die Baronesse zitterte; der
Baron suchte mit feierlichem Gesicht und Anstand, indem er der Mutter
die Hand küßte, die Sache gut zu machen; der Graf empfahl sich mit
wenigen Worten, und Alfred begleitete ihn; die übrige Gesellschaft ging
in den Gartensaal.

»Es thut nicht gut,« sagte die Mutter, »wenn böse Menschen über unsere
Schwelle treten.«

»Ihnen folgt kein Segen des Himmels,« fügte der Baron hinzu.

»Welch ein Mittag!« rief die Baronesse, »ich werde ihn lange nicht
vergessen! Solche Menschen fehlen uns noch in unsrer Nähe, um mein armes
abtrünniges Kind ganz unglücklich zu machen. Aber auch Sie, Herr Sohn,
nahmen an dem gottlosen Menschen mehr Antheil, als ich oder die fromme
Kunigunde wünschen können.«

»Mich dünkt aber,« sagte Kunigundens Gatte, »daß er manches ganz
Vernünftige sprach; ich glaube auch, daß die Frömmigkeit zu weit gehe,
und daß manche Frauen sich zu viel einbilden können.«

Da sah ihn der Baron mit einem langen strafenden Blicke an, den der Arme
nicht aushalten konnte, und als jetzt Kunigunde laut zu weinen anfing,
die Mutter ebenfalls weinend diese in die Arme nahm, um sie zu trösten,
konnte er gerührt die bereuenden Thränen nicht länger zurück halten; er
stürzte sich auch an den Busen seiner Gattin, schluchzend und um
Verzeihung bittend. »Sein Sie alle beruhigt,« tröstete feierlich der
Baron, indem er den Blick zum Himmel erhob: »der Herr wird Alles gut
machen, denn heut Abend, wie Sie mir gesagt haben, verlobt sich mir
jenes verhärtete, uns dennoch theure Herz, durch meine schwache Hülfe
wird der Geist sie dann erleuchten, und wir alle werden Ein Herz und
Eine Liebe seyn.«

                   *       *       *       *       *

Weinend hatte sich Dorothea in ihr Zimmer geschlossen. So zerstört,
unzufrieden mit sich und der Welt, so ganz verloren und elend hatte sie
sich noch nie gefühlt. Sie war tief beschämt, daß die einfache Art, sich
der Armen anzunehmen, die ihr die natürlichste dünkte, plötzlich durch
die Einfalt des Dieners war bekannt worden; aber es schien ihr auch zu
hart, wie die eigne Mutter sie deshalb vor allen Gästen behandelt hatte,
am schmerzhaftesten aber war es ihr, daß es in Gegenwart des Mannes
geschah, den sie verehren mußte, der ihr Vertrauen gewonnen hatte, und
dessen Achtung sie sich ebenfalls wünschte.

Es war finster geworden, ohne daß sie es bemerkte, als der Diener
klopfte, und sie zur Mutter und der Gesellschaft herab zu kommen bat.
»Mutter!« sagte sie vor sich hin: »Mutter! welch schönes Wort! Warum
habe ich keine kennen gelernt?«

Sie ging hinab, im Saale saß die Familie versammelt, auch der junge
Offizier war gegenwärtig. Indem Dorothea herein trat, fiel ihr erst
wieder ein, weswegen sie gerufen werde. Ein Fieberfrost überfiel sie.
Alle begrüßten sie als die Braut des Barons, die Mutter sagte
freundlich, sie wolle ihr jetzt das Betragen des heutigen Tages
verzeihn, die Schwestern wünschten der Betrübten Glück, und der Baron
bedeckte ihre zitternde Hand mit zärtlichen Küssen. »Sein Sie ruhig,
sein Sie glücklich,« sagte er mit sanftem Tone, »von heut an werden Sie,
Geliebte, ganz zu uns gehören, und dieser Mensch wird das Haus nicht
mehr betreten; wohl hatten Sie Recht, und der Himmel sprach aus Ihnen,
daß ein solcher Elender nicht wandeln darf, wo wir unsre Schritte
setzen.«

»Elender?« rief Dorothea, und riß ihre Hand so gewaltsam weg, daß der
Baron zurück taumelte. »Sie sind ein frecher Mensch, daß Sie einen
solchen Mann so zu lästern wagen!«

»Himmel!« schrie die Mutter, »sie hat den Verstand verloren! Ein böser
Geist spricht aus ihr.«

Dorothea besann sich wieder, sie sah das Erstaunen der Umgebenden und
suchte sich zu sammeln. »Ich bin so erschüttert,« fing sie an, »ich
fühle mich so bewegt, vielleicht daß eine Krankheit -- nur einen
Augenblick will ich mich im Freien abkühlen.«

»In diesem Wetter?« sagte die Mutter, »in diesem Sturm und Regen, so
ohne Tuch, in Deiner dünnen Bekleidung?«

»Es muß seyn! es muß!« rief sie aus, und hatte schon, ohne auf die
Uebrigen zu hören, die Saalthüre geöffnet, und stand im finstern kalten
Garten. Da der Regen ihr entgegen schlug, so wandte sie sich in den
bedeckten, dicht verflochtenen Gang, und ging hastig auf und nieder.
»Ihm, dem Widerwärtigen,« sagte sie zu sich selbst, »auf immer
verbunden? So tief, so tief herabgewürdigt? Und für wen? Für Jene, die
es mir niemals danken werden, die dann wieder thun, als sei mir dadurch
die größte Wohlthat erwiesen worden? Meine Seele retten? Verloren geht
sie hier, vernichtet wird sie!«

Ein dunkler Schatten kam auf sie zu, und an der lispelnden, sanften
Stimme erkannte sie sogleich den Baron. »Meine Gute,« fing er an, »Ihre
liebe Mutter und wir alle erwarten Sie drinnen mit banger Besorgniß;
mein Herz fließt in Zärtlichkeit über, da ich Sie schon als meine
Gattin, und die Mutter meiner frommen Kinder betrachte.«

»Himmel!« rief sie aus, »das bedachte ich nicht einmal, daß mein Elend
sich auch so weit erstrecken kann, Heuchler und böse Egoisten aus meinem
Blute entsprießen zu sehen. Aber wenn mir auch dies Unglück nicht würde,
so kann ich doch nie die Ihrige werden.«

»Wie?« rief der Baron, »und das feierliche Versprechen, welches Sie heut
Morgen in die Hände Ihrer Mutter legten?«

»Und wenn ich es einem Engel vom Himmel gethan hätte,« sagte Dorothea,
»so kann ich es nicht halten! Ja, wenn schon die Trauung geschehen wäre,
so müßte man uns doch wieder trennen!«

»Seltsam, mein Fräulein! Bedenken Sie auch die Folgen?«

»Welche können es seyn? Alles ist zu tragen gegen das unabsehbare Elend,
das meiner wartet.«

»Wissen Sie auch, daß es Ihre Mutter fordern kann? Wissen Sie, daß diese
mir verpflichtet ist, was ich bis jetzt mit der Geduld der Liebe trug
und verschwieg, in der Hoffnung, Ihrer Familie anzugehören? Fragen Sie
sich, ob Sie unter diesen Umständen die Verpflichtungen Ihrer Mutter
nicht lösen müssen, wenn Sie für eine gute Tochter gelten wollen?«

»Nein!« rief das Mädchen in der allergrößten Anstrengung, »lieber mit
ihr darben, für sie arbeiten, ja, für sie sterben!«

»Es giebt aber doch noch Mittel,« sagte der Baron halb lachend, »solchen
Starrsinn zu beugen; die Rechte der Aeltern sind groß, und offenbar sind
Sie jetzt Ihrer Sinne nicht ganz mächtig; etwas Bitte, etwas Gewalt wird
schon den kindischen Willen brechen.«

Er hatte heftig ihren Arm gefaßt, und war bestrebt, sie nach dem Hause
zu ziehen; aber das starke Mädchen riß sich behende los, und floh durch
den Gang, der Baron ihr nach, sie aber, die leichter war und die
Verschlingungen des Gartens besser kannte, war ihm bald weit voraus;
jetzt war sie an der offenen Grenze des Parks, sie überschritt auch
diese, und rannte nun über das Blachfeld wie ein gejagtes Reh, indem
abwechselnd Regen sie durchnäßte, und Sturm ihre zarten Glieder
erstarren machte.

                   *       *       *       *       *

Die Frau von Halden saß behaglich in ihrem Stübchen, indem die Bäume
draußen der Sturm schüttelte, und der Regen rasselnd gegen die Fenster
schlug. Sie war recht von Herzen zufrieden; denn für einen unerwartet
hohen Preis hatte sie ihr Gut verkauft, Alles war abgeschlossen, und
Graf Brandenstein hatte mit dem Rathe Alfred noch diesen Abend Alles in
Richtigkeit gebracht. Beide schliefen schon in den obern Zimmern des
Hauses, denn es war nahe an Mitternacht, und sie wollte sich auch eben
in ihr Schlafzimmer begeben, als ein heftiges, lautes Pochen an das
Hausthor, und eine klägliche, bittende Stimme sie erschreckten. Sie
klingelte, der Diener ward gesandt, um zu öffnen, und mit triefenden
Kleidern, zitternd und todtenblaß stürzte Dorothea herein, warf sich ihr
sogleich stürmisch an die Brust und rief mit heiserer Stimme: »Rette
mich! rette mich!«

»Um Gotteswillen!« sagte die Freundin im höchsten Schreck, »Du bist es,
geliebtes Kind? und so, in diesem Zustande? Ich traue meinen Augen noch
nicht.«

So sehr sie erschrocken war, so schaffte sie doch sogleich mit der
größten Freundlichkeit Wäsche und Kleider herbei, half der Erkälteten
beim Umziehen, tröstete sie lachend und freundlich, und nöthigte sie
dann, Glühwein zu genießen, den sie eiligst besorgt hatte, um den bösen
Folgen der Erkältung vorzubeugen. Dabei umarmte sie sie so herzlich,
trocknete ihr die Thränen vom Auge, küßte die Wangen, die sich schon
wieder rötheten, daß Dorothea sich fast so glücklich wie in den Armen
einer Mutter fühlte. Nach vielen tröstenden und scherzenden Worten sagte
die Frau von Halden endlich: »Nun erzähle mir kurz, wie Du zu diesem
tollen Entschluß gekommen bist, und dann geh zu Bett und verschlafe
Alles.«

»Du mußt mich schützen,« sagte Dorothea: »Du mußt mir ein Obdach nicht
versagen, sonst muß ich verzweifelnd in die weite Welt rennen, oder die
Raserei stürzt mich in die Wogen eines Mühlteichs.«

»Beruhige Dich, mein Kind,« tröstete jene, »Du mußt ja doch wieder nach
Hause. Aber erzähle: was ist Dir denn so plötzlich gekommen?«

»Nur lache nicht,« rief Dorothea, »bleibe ernsthaft, meine gute liebe
Freundin, denn ich bin in Verzweiflung. Heut Morgen ließ ich mich
bereden, aus Schwäche, aus Rührung, man hatte so unerwartet meinen
Geburtstag gefeiert, daß ich versprach, mich heute Abend mit dem Baron
von Wallen zu verloben. Das sollte nun geschehen, und darum bin ich
weggerannt, weil ich ihn verabscheue, weil ich in meinem väterlichen
Hause mit meinen Geschwistern, mit meiner Mutter nicht mehr leben kann.«

»Ich weiß wohl,« erwiederte die Freundin, »daß Du den Baron nie lieben
kannst, daß Dir in der Familie oftmals Unrecht geschah; aber dieser
Ausdruck des Entsetzens in Dir, da Du Alles so gewohnt schienst, bleibt
mir doch unbegreiflich.«

»Immer noch fasse ich es selbst nicht,« antwortete Dorothea: »ich weiß
nicht, wie ich es Dir erzählen soll. Daß ich nicht glücklich war, mußt
Du wohl gesehn haben, wenn ich Dir auch niemals ein Wort darüber sagte.
Ach, das schreibt sich ja schon seit dem Tode meines geliebten Vaters
her. Du weißt, ich war kaum dreizehn Jahre, als er starb. O Himmel,
welch ein Mann! ich konnte damals seinen Werth nicht ermessen; aber je
älter ich wurde, je mehr blühte er in meiner Erinnerung zum verklärten
Gegenstande meiner Liebe auf. Dieser milde, freundliche Sinn, diese
Heiterkeit, Menschenliebe, stille Frömmigkeit, diese Freude an Natur und
Kunst, dieser rege, herrliche Geist -- ach! und er war auch nicht
glücklich! Ich sah, ich bemerkte es wohl, als ich etwas zu Verstande
kam, er war in der Ehe nicht glücklich, er und meine Mutter waren sich
zu ungleich, sie stritten oft mit einander. Dann war er zu Zeiten recht
tiefbetrübt, aus seinen schönen braunen Augen konnte ein unendlicher
Kummer sprechen, wenn er sie so still vor sich nieder senkte. Dann war
ich seine Freude, ich fühle es, wie ich ihn trösten konnte. Und nun war
er plötzlich dahin gegangen! Er muß es jenseits erfahren und gefühlt
haben, wie meine Herzensliebe ihm gefolgt ist. O meine Freundin, es
giebt Momente des Schmerzes, wo nur die kalte, taube Dumpfheit, in die
endlich unser Wesen versinkt, uns von Wahnsinn und Raserei errettet. So
war ich nun in Schmerz und Sehnsucht erwachsen, die Keiner theilte,
Keiner verstand. Und wie veränderte sich das Leben unsers Hauses! Statt
der heitern Mittheilungen, statt der frohen Gesellschaften ein ernstes,
feierliches Prunken. Meine jüngern Geschwister wurden in einem ganz
entgegengesetzten Sinne erzogen, als es mein Vater gewünscht hatte.
Betstunden, Andachtbücher, religiöse Gespräche füllten die Zeiten des
Tages; und mein Herz wurde immer leerer, ich konnte die Andacht nicht
mitfühlen, ja, nicht einmal an ihr Dasein glauben. Alle meine Bücher,
noch Geschenke meines Vaters, durfte ich nicht mehr zeigen, Alles war
weltlich, anstößig; ich erschrak über die Deutungen, die man den Stellen
gab, die mir die liebsten waren, die ich auswendig wußte. Göthe's
himmlische Natur selbst, seine edle Hoheit war Verführung, Sinnenlust,
und eine raffinirte Prüderie, die mir höchst anstößig schien, mußte
Tugend heißen. Meine Geschwister, so wie sie zur Besinnung kamen,
betrachteten mich als eine Ausgeartete, die für's Gute nicht empfänglich
sei; sie hörten das ja in allen Stunden, sie mußten es wohl glauben.
Zwischen ihnen und der Mutter entspann sich ein Verhältniß, welches mich
gleich sehr von beiden entfernte, und um welches ich sie doch nicht
beneiden konnte. Eine übertriebene Liebe, eine zarte Weichheit, ein
Schonen und Liebkosen, das mir oft durch's Herz schnitt; ja die Mutter
ging so weit, diese jüngern Töchter zu vergöttern, sie anzubeten und es
ihnen zu sagen, daß sie es thue. Die Schwestern behandelten die Mutter,
wie man etwa mit einer abgeschiedenen Heiligen umgehen würde, wenn sie
zu uns zurück kehrte; doch könnte ich es auch wohl nur einen Tag so
treiben, und müßte dann heiterer mit ihr bekannt werden, oder sie wieder
ganz vermeiden. Ich erinnerte mich noch wohl, wie oft mein Vater gesagt
hatte, in früher Jugend müßten die Kinder blind gehorchen lernen, damit
sie, erwachsen, der Freiheit fähig wären. Diese Freiheit des Geistes und
des Gemüthes, die den Menschen erst zum bestehenden Wesen, die die
Liebe, ein freies Hingeben, erst möglich macht, fand aber unter diesen
so eng Verbundenen doch nicht statt, ja sie wurde, wenn sie sich einmal
zeigen wollte, als die ärgste Sünde behandelt. Die kleinste Schwäche,
das geringste Vorurtheil der Mutter durfte nicht berührt werden, auch in
Kleinigkeiten, über ein gleichgültiges Buch, über einen Menschen, ja
über die Farbe eines Bandes, durfte keins eine andere Meinung hegen, als
sie. War nur von einem Spaziergange die Rede, nur zum nächsten Gut, ja,
durch den Garten, so verbot sie diesen, wenn sie nicht daran Theil
nehmen konnte oder wollte, nicht geradezu, sondern sie sagte: »Geht,
wenn Ihr ohne mich seyn könnt; ich kann zwar ohne Euch nicht leben, aber
könnt Ihr es, so will ich Euch nicht stören; bin ich doch daran gewöhnt,
Euch alle Opfer zu bringen.« Natürlich geschah nichts, und die
Schwestern gaben dann ihrem Verdruß den Anstrich der Andacht, und ich,
die ich zum Bündniß nicht gehörte, mußte ihre Launen entgelten. Mein
Muth entwich. Ich ertrug es, auch von der jüngsten Schwester
gehofmeistert zu werden. O meine Freundin! wenn ich dies alles so, was
mir verkehrt und unrecht schien, bemerkte, so ging ich dann wohl in den
einsamsten Theil des Gartens, und ließ meinen heißen Thränen ihren Lauf,
weil ich mir schlecht und gottlos erschien, daß ich mir alles dies
gestand, und meinen Wahrheitssinn, der von meinem Vater erweckt und
gebildet worden war, doch nicht unterdrücken konnte. Oft war ich so
unaussprechlich elend, daß ich Gott um meinen Tod bat. Es kamen dann
auch Zeiten, da ich doch sehn mußte, wie alle Menschen, die in unser
Haus kamen, meine Schwestern verehrten, ihnen huldigten und mich
vermieden, in denen ich mir selbst schlecht und verächtlich schien. Wenn
ich aber rang, so wie die Andern zu seyn, so brachen mir alle Kräfte
zusammen, und die Arme fielen mir gelähmt am Leibe nieder. -- Aber,
hörtest Du nicht Geräusch im Nebenzimmer?«

»Nein, mein gutes Kind,« sagte Frau von Halden: »Alles schläft, es kann
höchstens eine Katze seyn.«

»Kunigunde heirathete,« fuhr Dorothea fort: »die Männer, die sich um
mich bewarben, ängstigten mich nur durch ihr läppisches Wesen, andere
stießen mich durch ihre Rohheit zurück. Ich konnte nicht fassen, daß
mich einer lieben könne, ohne daß ich ihn auch innigst liebte, und darum
erschienen mir ihre affectirten, übertriebenen Redensarten so nüchtern,
und es war mir unmöglich, an ihre Leidenschaft zu glauben. Alles aber
war noch erträglich, bis der Baron Wallen in unser Haus kam; er
bemächtigte sich bald des Gemüthes meiner Mutter, die Sclaverei wurde
nun ganz unleidlich. Nun wurde erst recht im Großen mit der Liebe
geprunkt, die meine Geschwister zu einander und zur Mutter trugen; in
der ganzen Provinz sprach man davon; wenn Fremde kamen, war es wie ein
Schauspiel, in dem sich alle Tugenden entwickelten. O vergieb mir, Du
und die einsame Nacht werden meine Reden nicht weiter tragen; auch hast
Du ja selbst die Art oft gesehen, und der Himmel mag meine Empfindungen
ändern, oder sie verzeihn. Recht ängstlich aber war es, daß in diesem
gleißenden Baron ein wahrer Faun unter der priesterlichen Decke wandelt.
Clara gefiel ihm, auch Clementine; aber die Kinder, so sehr sie ihn auch
verehren mußten, erschraken doch vor dem Gedanken, ihn als Ehemann
anbeten zu müssen. Sie wurden aber bald befreit; denn die Bestimmung,
für die sie sich zu gut fühlten, wurde mir unvermerkt und künstlich
zugeschoben. Nun hörte ich immerdar, wie edel, ja wie nothwendig es sei,
sich zu opfern, wie armselig die eigentliche Leidenschaft der Liebe
erscheine, wie eine vernünftige Ehe jedes andere Glück der Erde
übertreffe. Glaube mir, ich hätte mich fallen lassen, mein Leben war
völlig abgeblüht, ich wäre das Opfer und ganz elend geworden, wenn --
--«

Dorothea zögerte. »Nun, mein Kind?« fragte die Freundin gespannt.

»Wenn nicht heut,« fuhr jene im melodischen Tone fort, »heut an diesem
Tage, an dem ich geboren ward, und an welchem ich auch wieder zu leben
anfing, ein Mann erschienen wäre, der unserer Familie ein Abscheu war,
und auf den ich, nach den Beschreibungen, heftig zürnte, ein Mann, der
mein ganzes Herz umgewendet, ja neu geschaffen hat, und dessen bloßer
Anblick, wenn er auch nicht gesprochen hätte, es mir unmöglich macht,
den Baron, ja irgend einen Mann zu heirathen.«

»Wunderbar!« rief die Frau von Halden.

»Nenn' es so,« sagte das Mädchen: »es ist auch so, ach, und doch wieder
so natürlich, so nothwendig. In ihm, in seinem milden Blick, der
Vertrauen einflößt (glaube mir, ich hatte wirklich ganz vergessen, daß
es noch Augen giebt), in seiner verständigen Rede, in jeder seiner
Geberden erschien mir die Wahrheit wieder, die mir schon zur Fabel
geworden war, meine Jugendzeit, der Segen meines Vaters. Nie habe ich
begreifen können, was die Menschen Liebe nennen, in den Dichtern habe
ich es wohl geahndet; ich glaubte aber immer, dies himmlische Gefühl sei
für mich armes, verstoßenes Wesen nicht geschaffen; aber jetzt weiß ich,
daß es das seyn müsse, was ich für diesen trefflichen Mann empfinde,
denn ich konnte mir nicht einbilden, daß auf Erden wirklich eine solche
Erscheinung wandle.«

»Armes Kind!« sagte die Freundin: »er ist ein ruinirter Mann, ohne
Vermögen, und wer weiß auch, ob er so für Dich empfände, denn er ist
nicht mehr jung. Jetzt geh nur zu Bett, morgen früh wollen wir mit
Verstand darüber nachdenken, wie der Baron zu besänftigen sei, und daß
der Baron Dir Ruhe läßt.«

»Nie gehe ich zurück!« rief Dorothea mit erneuter Heftigkeit: »ich will
lieber in einem fernen Lande als Magd dienen.«

Jetzt hörte man deutlicher im Nebenzimmer Geräusch, die Frauen stutzten,
die Thüre öffnete sich, ein Lichtstrahl drang heraus und Graf
Brandenstein trat ihnen entgegen.

»O mein Gott!« rief Dorothea: »der Graf selbst!«

»Ich war nicht schlafen gegangen,« antwortete dieser: »sondern arbeitete
noch, als dieser unerwartete Besuch --«

»O Sie Heimtückischer!« rief die Frau von Halden: »und so haben Sie auch
gewiß alles gehört, was meine Freundin erzählt hat?«

»Ich kann es nicht leugnen,« sagte der Graf: »die Wand und Thüre sind so
dünn, daß mir kein Wort verloren ging. (Dorothea zitterte heftig.) Sie
würden mich also, mein schönes, edles und mir unbeschreiblich theures
Fräulein, nicht verschmähen, wenn ich ein Vermögen zu Ihren Füßen legen
könnte?«

»O wie beschämen Sie mich!« sagte das Fräulein --: »soll ich noch mehr
sagen?«

»Nehmen Sie dieses Blatt,« fuhr der Graf fort: »diese wenigen Zeilen
werden Ihnen in Ihrem Hause vollkommene Sicherheit gewähren.«

Er sah Dorotheen durchdringend an, und entfernte sich zögernd. Sie war
so bewegt und erschüttert, daß ein unruhiger Schlummer sie nur wenig
erquicken konnte.

                   *       *       *       *       *

Im Hause des Baron Wilden waren einige Freunde zu einem kleinen Balle
versammelt. Auch Alfred und der Offizier waren zugegen, und die junge
Schwester, ein liebenswürdiges Kind, schien äußerst vergnügt; auch
zeigte sich das Fräulein Ehrhard sehr munter, und Michel, der Zuschauer
war, begriff kaum, wie sie sich so schnell im schottischen Tanze bewegen
konnte. Jetzt war der Tanz geendigt, und der korpulente Wirth taumelte
erschöpft auf ein Sopha nieder. »Wird man nicht ordentlich wieder jung,«
rief er aus: »so sauer es einem auch ankommt. Daß dich, mein werthes
Fräulein Erhard, was Sie springen können! Niemals hätte ich mir bei
Ihrer Gottesfurcht so viele Elasticität vermuthet. So gefällt's mir,
wenn man das überirdische Wesen mit dem weltlichen vereinigen kann, denn
wahrhaftig, das Herz stirbt in der Demuth und dem weichen Wesen ab, wenn
es nicht wieder einmal in Lust und Freude recht aufzappeln kann. Wie ein
ganz neues Geschöpf, Fräulein Erhard, kommen Sie mir in meinem Hause
hier vor, ich hätte Sie gar nicht wieder erkannt, wenn ich es nicht
sonst wüßte, daß Sie es wären.«

Das muntere Fräulein setzte sich zu ihm, und beide betrachteten die
tanzenden Paare. Der Rath Alfred bemühte sich sehr um Sophien, die
Schwester des Barons, welches dieser nicht ohne Wohlgefallen bemerkte.
Die Schenktische waren reichlich mit Erfrischungen versehen, und Diener
in reichen Livreen servirten auf silbernem Geschirr. »Nicht wahr,«
schmunzelte Herr von Wilden, der die wohlgefälligen Blicke des Fräuleins
wahrnahm: »hier geht es nicht so zu wie drüben, wo sie meistentheils
alle beisammen sitzen, wie Adam und Eva vor dem Sündenfalle? Hochherzige
Redensarten, apokalyptische Seufzer und eine Wundertinktur von
ambrosianischer Wehmuth. Tugend und Andacht zum Zeuche, frommes Gemüth
zum Unterfutter, und dann noch mit Reue und Buße aufgeschlagen. Nein,
man muß ein bischen sündigen, um sich dann wieder bekehren zu können;
nicht wahr, mein hochgeschätztes Fräulein? Die Beine thun Ihnen doch
nicht weh? Sie zwinkeln so mit dem Munde.«

»Nein,« sagte diese, »ich wollte mir nur das Lachen über Ihre
sonderbaren Ausdrücke verhalten, denn Sie sind in der That ein arger
Sünder; indessen, hoffe ich, werden Sie noch Buße thun.«

»Kommt Zeit, kommt Rath,« sagte der Baron: »sehn Sie, ich habe mich klug
eingerichtet, ich habe in meiner Jugend eine Menge Sünden im voraus
begangen, damit ich in meinem Alter hübsch was zu bereuen hätte, um mir
nicht, wie mancher Pietist, die Verbrechen aus den Fingern zu saugen,
und um nichts und wider nichts Gewissensscrupel zu machen. O, davon kann
ich Ihnen noch einmal in manchem Nachmittagsstündchen erzählen, daß Sie
Ihr blaues Wunder daran haben sollen.«

»Aber auch dergleichen Reden sind wieder Sünde,« antwortete das
Fräulein.

»Nein,« rief Herr von Wilden, »durch das Mikroskop müssen Sie meine
Tugend nicht betrachten, sonst werden wir nicht mit einander fertig;
denn bei mir geht Alles etwas ins Große, verfeinert sind meine
Verdienste so wenig, wie meine Laster. Aber sehn Sie, wie unter allen
meinen Gästen der Herr von Böhmer so einsam am Ofen steht, und mitten in
der Musik seine Kalender macht! Herr Lieutenant, kommen Sie doch, und
tanzen Sie einmal mit einer von diesen Damen.«

»Ich tanze niemals,« sagte der junge Offizier, indem er näher trat:
»auch würde ich nicht hergekommen seyn, wenn mich nicht Fräulein Erhard
eingeladen hätte, von der es mir wohl nicht einfallen konnte, daß sie es
auf einen tobenden Ball abgesehen hatte.«

»Sollte dem Reinen nicht alles rein seyn?« fragte das Fräulein mit
vieler Salbung.

Alfred, der hinzu getreten war, antwortete: »Gewiß ist dies die richtige
Ansicht, und es wäre lustig genug, wenn Herr von Wilden durch das
Fräulein, und dieses durch unsern fröhlichen Baron bekehrt würde. Aber
Du, Ferdinand (indem er sich an den Offizier wandte), trägst auch nicht
eine einzige festliche Miene auf Deinem finstern Angesicht.«

»Ich gehe von hier,« antwortete dieser, »zur Baronesse hinüber, wirst Du
mich begleiten?«

»Nein, mein Freund,« antwortete dieser, »und ich gedenke auch, diesem
Kreise nie mehr zur Last zu fallen; denn diese prunkende Gleißnerei ist
mir neulich deutlich genug geworden. Wie danke ich es dem wackern Manne,
der mir diese Binde vom Auge schüttelte.«

»Du meinst den Graf Brandenstein?« sagte jener: »Du nimmst also die
Partei des Bösen gegen den Frommen, der Sünde gegen die Tugend?«

»Lassen wir jetzt diese Reden,« antwortete Alfred, »ich fühle mich, seit
ich diesen Mann kennen gelernt habe, mündiger.«

»Wissen Sie denn,« fiel der Baron ein: »etwas von der Geschichte? Der
Wilde, der Amerikaner, soll ja nun angekommen seyn, ein gefleckter,
kupfriger Mensch, mit Haaren wie Schuppen oder Stacheln. Auch sagen die
Leute, dies unbändige Thier würde die störrige Dorothea heirathen.«

»Man weiß nichts Gewisses,« sagte Alfred: »der Amerikaner wird übrigens
wohl ein Mensch wie alle seyn, und folglich ist sie mit ihm wohl
glücklicher, als mit dem Baron Wallen.«

»Den Du nicht zu schätzen verstehst,« rief der Offizier, indem er sich
nach einer kleinen Verbeugung entfernte.

»Sie meinen,« fuhr der Baron fort: »ein wohlerzogenes Mädchen könnte mit
einem solchen See-Ungeheuer glücklich leben? Aber freilich müssen im
Leben wohl vielerlei Arten von Glück verbraucht werden, damit Jeder
etwas bekommt, was für ihn paßt; und wie ich höre, ist ja die hübsche
Dorothea so gottlos, daß vielleicht der gottloseste Menschenfresser für
sie nicht zu schlimm ist.«

»Sie sind unrecht berichtet,« antwortete Alfred, und wollte eine
Erzählung anfangen, als die freundliche Sophie herbei hüpfte, um ihn zu
erinnern, daß er mit ihr zur Quadrille versprochen sei. Der Baron trank
indessen, und versprach dem Fräulein Erhard die nächste Polonaise, auf
jeden Fall aber den fröhlichen Kehraus mit ihr zu tanzen.

                   *       *       *       *       *

Als man in jener Nacht Dorotheen vermißte, und der Baron die Geschichte
seiner unglücklichen Werbung mitgetheilt, gerieth das ganze Haus in die
größte Verwirrung. Man sendete Boten mit Lichtern aus, aber alle kamen
in der stürmischen Nacht ohne Nachricht wieder. Die Mutter war sehr
unruhig, und schien sich Vorwürfe zu machen, daß sie ein heftiges
Gemüth, das sie an ihrer ältern Tochter kannte, zu weit getrieben habe.
Sie schlief nicht, sondern irrte im Hause umher, und die beiden jüngern
Töchter suchten sie zu trösten. Am Morgen erschien ein Bote von der Frau
von Halden, der der Baronesse ein Billet übergab, und bald darauf fuhr
eine Kutsche vor, aus welcher Dorothea stieg, welche die Mutter mit
gezwungener Fassung aufnahm. Man sprach nur wenig, aber kein Wort des
Vorwurfes ließ sich vernehmen, eben so wenig konnte die Tochter eine
Entschuldigung vorbringen.

Der Baron, welcher Alles ängstlich und verwirrt beobachtet hatte, sagte
endlich, als er sich mit der Baronesse allein sah: »Dies Blatt hat ja
Wunder gethan! Von allem, was Sie sich gegen das ungerathene Kind
vornahmen, ist nicht das Mindeste geschehen, Sie sind im Gegentheil
gütiger als jemals gegen sie. Darf ich nicht wissen, von wem es kommt,
und was es enthält?«

Die Baronesse erröthete. »Es kommt von dem Brandenstein,« sagte sie mit
ungewisser Stimme: »doch enthält der Schluß die gröbste Verläumdung.«

Der Baron las: »Im Fall Sie, wie ich gewiß hoffe, Ihre edle, trauernde
Tochter freundlich aufnehmen, sie unter keinem Vorwande quälen, an die
Ehe mit dem Baron Wallen nicht mehr denken, so verspreche ich Ihnen das
Capital, welches der Baron an Sie zu fordern hat, und außerdem ein
bedeutendes Darlehn, beide ohne Zinsen, auf unbestimmte Zeit. Zwingen
Sie mich nicht, gegen Sie aufzutreten, es möchte sonst manches bekannt
werden, was sich nicht zu dem Tugendbilde eignet, das die Welt in Ihnen
bewundert. Gewiß darf ich mich unterschreiben

                                                          Ihren Freund
                                                   _G. Brandenstein_.«

»Dieser Zettel besagt,« schmunzelte der Baron: »daß unser heroischer
Graf über ansehnliche Summen zu disponiren hat, und daß sein
amerikanischer Freund oder Schützling, dessen Hofmeister und Verwalter
er spielt, so ziemlich blödsinnig seyn mag, ganz so, wie ich mir vom
Anfange die Sache gedacht habe. Der edle Mann wird nach Umständen seine
Hand tief in den Beutel des fremden Wunderthieres tauchen, und so
verschwindet denn bei näherer Prüfung bei jedem aufgedunsenen Cato die
falsche Vergoldung, und setzt sich in Kupfer um.«

Die Sache bekam aber doch einen andern Schein, als am folgenden Tage ein
Brief des Grafen anlangte, in welchem er für seinen reichen Amerikaner
um die Hand Dorotheens anhielt. Er hätte sich überzeugt, so schrieb er,
daß sein Freund, da er ihn genau kenne, nur mit diesem Wesen glücklich
seyn könne.

Dorothea, die ganz in ihren Gedanken und Empfindungen verloren war,
erschrak über diesen Antrag; sie lehnte ihn heftig ab, ihr Herz
verzweifelte, daß der Graf, der ihre ganze Seele gesehn hatte, diesen
Vorschlag thun konnte. Also kein Gefühl, seufzte sie im Stillen, nicht
das kleinste für mich, die ich ihn nur denke und träume.

Auf die abschlägige Antwort der Mutter erfolgte ein noch freundlicherer
Brief des Grafen, er bat für seinen Unbekannten, der binnen Kurzem
erscheinen würde, nur um die Erlaubniß, sich zeigen zu dürfen, daß
Fräulein Dorothea ihn so viel würdigen möge, ihn und seine Gesinnungen
kennen zu lernen.

Auf diesen Antrag hatte Dorothea nichts erwiedert. Im stummen Schmerz
beachtete sie die Zeit nicht, und ihre Angehörigen mußten ihr anzeigen,
es sei nun Tag und Stunde da, in welcher der sonderbare Freiwerber
auftreten würde. Frau von Halden war als Freundin zugegen. Ein Postzug
englischer Pferde sprang vor, ein kostbarer Wagen und Domestiken
erschienen. Dorothea war im Gartensaal einer Ohnmacht nahe. Brandenstein
trat hochzeitlich geschmückt in der Schönheit des Mannes herein. »Und
ihr Freund?« fragte die Mutter. »Nur die theure, geliebte Dorothea ist
es,« antwortete er, auf diese zueilend: »von welcher mein Scherz
Verzeihung erflehen muß, ich bin der Amerikaner selbst, jene Herrschaft
ist nun endlich mein, und meinem Glücke fehlt nur noch ein Wort von
diesem holdseligen Munde.«

Dorothea blühte auf, sah ihn mit einer Thräne im glänzenden Auge an und
reichte ihm ihre Hand. »Wir fahren sogleich, meine Theuern,« indem er
Alle begrüßte: »auf das nächste Gut, welches bisher der Frau von Halden
zugehörte: ich habe die Erlaubniß zur Trauung, das Haus ist geschmückt,
der Geistliche wartet.«

Nur der Brautkranz ward dem Mädchen in das Haar geheftet, dann stiegen
Alle in den Wagen. Der Graf umarmte seine Braut, und drückte den ersten
Kuß auf ihre Lippen. »Durfte ich diese Seligkeit hoffen?« sagte er mit
Thränen: »mußte mir die Liebe dieser reinen Seele begegnen? Dasselbe
Kind wird die Freude meines Lebens, welches ich vor Jahren, neben Deinem
theuren Vater sitzend, auf den Knieen wiegte? Sieh, hier bist Du in
jener Sturmnacht verzweifelnd gewandelt. In demselben Zimmer erwartet
uns der Geistliche, in welchem Du damals der Freundin das Bekenntniß
ablegtest, das mich wie Blitze durchdrang.«

Dorothea war so glücklich, so vom Schmerz zur Wonne erwacht, daß sie nur
wenig sprechen konnte. -- Die ganze Provinz ertönte von dem Reichthum
des Grafen, von dem wunderbaren Glück des Fräuleins, und alle Nachbarn
waren Zeugen dieser glücklichen Ehe.

Als Alfred sich mit Sophien verlobte, meldete auch der Baron Wilden
seine Verbindung mit dem Fräulein Erhard. Den Freunden, die sich darüber
wunderten, antwortete er: »Seht, besten Leute, Einsamkeit und Langeweile
machen viele Dinge möglich; dazu hat meine Braut viele gute
Eigenschaften, und ist viel lustiger geworden, als sie ehemals war. Auch
bemüht sie sich außerordentlich um meine Bekehrung, und das ist nichts
Leichtes, da in meinem fetten Körper meine Seele so viel tiefer liegt,
als bei andern Menschen. Ich bin nun auch bald auf meine Weise fromm,
sorgt nur dafür, daß die Sache hübsch in der Mode bleibt, damit ich
nicht wieder einmal, wie ein Krebs, rückwärts gehn muß.«

Nach einiger Zeit fanden der Baron Wallen und die Baronesse es auch
besser, sich durch die Ehe zu verbinden, da er keine der Töchter
erhalten konnte, und ihm der Umgang dieser Familie doch unentbehrlich
geworden war.

Alfred lebte nachher viel im Hause des Grafen, dessen Geschäftsträger er
war, und noch oft erinnerte sich Brandenstein mit Entzücken, daß das
Schicksal es ihm gegönnt habe, in seiner Gattin die edle Perle zu
finden, die von ihrer ganzen Umgebung und von den nächsten
Blutsverwandten so gänzlich verkannt wurde.




                            Die Reisenden.
                               Novelle.


Es war an einem schönen Sommernachmittage, als drei junge Männer in
lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange auf- und niederwandelten.
Keiner kannte den Andern genau; noch weniger waren sie Freunde: und
daher betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände. Doch
wurde laut und sogar heftig gesprochen, weil der jüngste der Redenden es
seinem Charakter und ausgezeichnetem Verstande angemessen hielt, seine
Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem gewissen zänkischen
und anmaßenden Tone vorzutragen, durch welchen er vielleicht seine
Gegner eher zum Schweigen zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen
glaubte. Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er eben jetzt
aus), und als ein solcher haben Sie sich seit Jahren gewöhnt, das ganze
Menschengeschlecht aus dem Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen.
Wir Gesunden aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier zu
Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen.

Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von meinem Metier, wie Sie
es zu nennen belieben, kann hier gar nicht die Rede seyn.

Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der Ruhigste schien. Wie
kommen wir denn überhaupt dazu, zu streiten? Wir reden ja nur über
allgemeine Gegenstände, die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen
können.

Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief der Baron noch lebhafter
aus; denn gewiß können wir über die Leidenschaften nur dann etwas
Bedeutendes aussprechen, wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben,
und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen nur aus
mittelmäßigen Büchern schöpften.

Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben, antwortete der ruhige
Mann, so thäten wir wohl besser, das ganze Gespräch zu schließen.

Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte der Arzt; ereifern
wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn _Baron_ diese Motion, die ihm nach
dem Mittagsmahle wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und
Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft verbrauchen, als
wir übrigen.

So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit. Und ist
es denn wohl anders mit der Liebe, über welche sich unser Streit anhob?
Will ich es denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen, wenn
sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand könne ihre Seele für
die ganze Lebenszeit ausfüllen? Giebt es doch auch Menschen, die nur
wenige Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat lang sich
an einer Flasche Wein vergnügen; die bei einem Schmause anderthalb
Austern verzehren, und wenn sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit
der ganzen auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder, wie
eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen. Lassen wir diese
genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen Friedfertigkeit; nur stelle man
sie uns nicht als Muster hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine
verblaßte Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen in
alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf diese felsenfeste
Tugend, und auf feurige Gemüther, auf Herzen, die der Fülle und des
jugendlichen Wechsels bedürfen, mit moralischer Verachtung hinab blicken
wollen.

Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch fallen, weil es
deutlich wurde, daß der Edelmann nur sich selbst und seinen
Leidenschaften das Wort reden wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu
reisen? fragte endlich der Arzt.

Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete der Baron: und
wenn ich es auch wüßte, so würde ich es Ihnen nicht sagen.

Warum das?

Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten
gehört, weßhalb mich so viele bürgerliche Menschen mit dem Namen Genie
verlästern wollen. Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte
ich mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen; ohne Paß,
ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher, ohne alle die Zugaben, die
unser Leben nur belästigen, tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue
Luft, in die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede Spur,
so wie die der Welle im Strome, verschwinden. An einige Häuser ist schon
im voraus geschrieben, wo ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch
führe ich so viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es mir,
so wechsle ich auch mit meinem Namen; und so wissen Sie von mir nur so
viel, als ich für gut befunden habe, Ihnen mitzutheilen, und können
nicht darauf wetten, daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein
wirklicher sei.

Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise aber neben manchen
angenehmen Zufällen auch auf sehr widerwärtige stoßen.

Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen, und wer die Menschen
will kennen lernen, sollte durchaus nur in meiner Manier reisen.

Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu thun: Was nennen Sie
Menschenkenntniß? Da Sie die meisten Menschen schon vor der Untersuchung
für _Narren_ halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch zu
beobachten.

Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz Unrecht; ist denn
nicht noch immer an den verschiedenen Modificationen eines und desselben
Stoffes zu lernen? Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich
selbst an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben die ächte
Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken, welche Thorheit wir
schon abgelegt haben, welche wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu
welcher wir keine Anlage spüren, warum _wir_ uns für besser als andere
halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und kleinmüthige
Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht zu setzen.

Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte der Arzt mit
übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die wahre Quelle zu begeben,
und sich die mühseligen Umwege zu ersparen.

Und wo flösse diese?

Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in Deutschland gern in
Pension geben, um unsere Sprache zu lernen, so sollte ein Kosmopolit,
der sich so für das, was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu
vor die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem gut
versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen lassen.

Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten Erbitterung: man sagt
mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten gerichtet, vielleicht um die zu
finden, die Ihnen am meisten behagt, und sich dort niederzulassen. -- Er
warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell den Lindengang
hinunter.

Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte der Justizrath: wir
werden seine theuere Gesellschaft darüber verlieren.

Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben es selber gehört,
welche Geschichten er von sich an der Wirthstafel erzählt, wie alle
Weiber ihm entgegen kommen, mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften
anknüpft und wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath
plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen gegründete
Ansprüche an ihn mache. Die Arme wird nun vielleicht mit einem Kinde
ihres Jammers nach ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen
Gewissenlosigkeit wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen
Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht.

Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so schlimm, sondern
möge wohl zu jener armseligsten Gattung von Prahlern gehören, die sich
mit einer Verworfenheit brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle.

                   *       *       *       *       *

Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen. Er mußte sich
seine Verdienste in den glänzendsten Farben dicht vor das Auge rücken,
um seinen Verdruß zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute
Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein nahes und
freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit schon im voraus
schmeichelte. Auf dem Walle, welchen große Linden schmückten, hatte er
hinter einem Gitterfenster ein schönes blondes Köpfchen, einen
blendenden Hals und Nacken bemerkt; schöne Augen hatten ihm nachgesehn,
ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und ein dreister Gruß war
ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln entgegen gekommen. Er
hatte die Schöne auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren:
er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere Einsamkeit der
Gegend abwarten, um sich ihr zu nähern, Bekanntschaft zu machen, und
sie, wenn die Umstände sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er
betrachtete sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit die
Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich vornahm, daß diese
phantastische Reise ihm noch angenehmere Abenteuer zuführen solle.

Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter, lächelte, winkte und
zeigte sich sehr erfreut, als es den geputzten, schlanken Spaziergänger
von Neuem vorbei gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging
unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn zu bleiben, und
mit fragender Geberde auf die Thür zu deuten. Sie nickte und entfernte
sich schnell. Er öffnete die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie
empfing ihn oben; »nur leise, leise!« flüsterte sie, indem sie ihn in
ihr Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden konnte,
fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt; er bemerkte, daß seine
Führerin in Atlas gekleidet war. »Liebchen!« sagte sie mit leiser
Stimme, »gedulde dich hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei
dir; ich will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich nicht,
daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!«

Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer. Dem Abenteurer fing an,
unheimlich zu Muthe zu werden. Da schlich man leise die Treppe herauf.
Er besorgte einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen
sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu seinem Erstaunen gewahr,
daß man von außen die Thür verschloß. Als er jetzt von unten eine
männliche Stimme zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann
uns nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor Entsetzen.
Sein Schauder wurde aber noch vermehrt, als jetzt die Schöne mit einer
brennenden Wachskerze wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren
fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr Auge strahlte in
seltsamem Glanze, ein Diadem von Goldpapier stand auf dem Haupte, große
Glasperlen hingen auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten
sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und wilder Geberde auf den
Geängsteten zu, der seine Gedanken noch nicht ordnen konnte, als die
andere Thür wieder aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit
einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke Männer den
Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn die Treppe mehr hinunter trugen
als führten, und ihn unten schnell in einen offen stehenden Wagen
warfen. Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war die Thür
des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten Trabe fuhr dieser mit ihm
durch die finstre Nacht über das Feld davon.

                   *       *       *       *       *

Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer Bewegung zum Rathe. Was
ist Ihnen? fragte dieser: es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn.
Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein, mein
Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste Weise gestört und
unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen einen jungen Menschen in meiner
Gesellschaft gesehen, der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original,
schon einfältig, stumpf und zugleich leidenschaftlich von Natur, durch
eine verwahrlosete Erziehung aber völlig zum Thoren gemacht, ist mir von
seinem Vater, einem reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung
anvertraut worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht
bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien könnte. Ich nahm
damals diesen mißlichen Auftrag sehr ungern über mich, und würde mich
gar nicht darauf eingelassen haben, hätte ich die unzähligen
Verdrießlichkeiten vorher sehn können, die mit demselben verknüpft sind.
Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses drückende Verhältniß
mich von Ihnen trennen und meine Freiheit völlig aufheben würde.

Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath.

Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem dieser junge Mensch
schon tausend Händel angezettelt, die ich wieder habe schlichten müssen,
oft durch Geld, zuweilen mit guten Worten, immer aber auf Unkosten
meiner Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend für gut
gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe schon zu allen Bekannten
geschickt, auf der Post Erkundigung eingezogen, in allen Wirthshäusern
nachgefragt: aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir keine
große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden hätte, Schrank und
Schatulle zu öffnen, und hundert Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel
mitzunehmen; dies überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine
Bekanntschaft mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen
vorhalten. Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal überlassen,
sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies ändert mein Reiseprojekt.
Ungern nur würde ich ihn in öffentlichen Blättern auffordern und
kenntlich machen.

Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er mit diesem Gelde in
seine Heimath zurückgekehrt sei?

Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm zu viel daran, frei
und ungehindert in der Welt umher zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist,
allenthalben Händel anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu
erregen; er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache zu sitzen, um
nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden. Am schlimmsten aber ist es,
daß er mit Kammermädchen und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und
ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten, ihn auf diese
Weise verheirathet wieder zu finden.

Und was denken Sie nun zu thun?

Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen Wochen nicht wieder
antreffen sollte, die ganze Sache seinem Vater melden.

Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen Brief und entfernte
sich wieder. Walther las und wurde nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei
Tage hier, sagte er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich
suche ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden schon seit
Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen ist, einen jungen Mann, der Ihrem
Entflohenen freilich auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube
jetzt auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den
Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte Nachricht
über seinen Aufenthalt empfangen, so könnten wir die Reise, die wir uns
vorgesetzt hatten, immer noch in Gesellschaft unternehmen.

Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach sich, am andern Tage
eine nähere Abrede zu treffen.

                   *       *       *       *       *

Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron die ganze Nacht
hindurch fort. Allenthalben waren schon Pferde in Bereitschaft, und da
der Mond sehr hell schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen.
In den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen hinein; doch
bemerkte der Entführte, daß ein Mann an seiner Seite, und ein anderer
ihm gegenüber saß. Als er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte,
wollte er seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten
keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt man mich? rief er
endlich in der größten Ungeduld. Ruhe! antwortete der starke Mann, Alles
wird sich aufklären. -- »Man verkennt mich, man verwechselt mich mit
jemand anderm!« -- »»Nichts weniger.«« -- »Was hat man mit mir vor?« --
»»Morgen am Ort Ihrer Bestimmung werden Sie Alles erfahren.««

Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu öffnen, ergriffen ihn die
Unbekannten gewaltig, und der eine rief drohend: keine Umstände! Finden
Sie sich nicht gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und zu
knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche zu entfliehen, oder
wenn Sie jemand Fremdes anreden wollten. Auch kann es Ihnen nichts
nutzen; denn wir haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können,
und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet werden muß.

So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend nach, für
welche Begebenheit seines frühern Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen
möchte. So in seinen Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er
mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern und zerstreuten
Stunden vermuthet hatte. Je länger er in der stillen Nacht fuhr, je
größer wuchs in seiner Erinnerung sein Sündenregister an, und er
zitterte vor der Entwicklung seines Schicksals; denn Vestung,
lebenslängliche Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner
erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern des Schreckens ab,
und suchte sich wieder zu überreden, Alles, was man ihm vorwerfen könne,
sei doch nur Jugendthorheit und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an die
hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch gegen den Arzt
geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens darin überein, daß jene
Handlungen, mit denen er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen
geprahlt hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen zu
nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln Buche seines Gewissens hin
und her, und nahm sich vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus
dieser Bedrängniß erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr
Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen.

Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden Tag. Der Gefangene hatte
sich fast schon an seinen Zustand gewöhnt, und die Furcht, daß seine
Lage noch viel schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige
mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne Schuld gewußt, so
würde er in seinem Bewußtsein Waffen gefunden haben, sich dieser Gewalt
zu widersetzen; aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines
Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und in der
Verzögerung fand er eine Art von Glück, und vergaß sogar in manchen
Augenblicken, daß sich sein Schicksal doch endlich, und wohl bald,
entwickeln würde.

Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam man an. Durch ein Thor,
das sogleich wieder verschlossen wurde, fuhr der Wagen. Man brachte
Licht. Ein Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht.
»Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte!« murrte eine dumpfe,
verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr in den Hof. Indem man ausstieg,
ging einer der Männer jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte:
Ja, werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob! erwischt;
fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt. -- War er ruhig? fragte
jener. -- »Ja, er hat sich so leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar
Mal wollte er närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!«

Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der Ferne. Er befand sich
schon auf einer großen Treppe, zu welcher ihm zwei Menschen hinauf
leuchteten. Ist Numero 18. aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl
es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein kleines,
behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem Stühle, Tische, ein Bett
und Sopha sich befanden. Lichter wurden hingestellt, und ein
freundlicher Mann trug eine Abendmahlzeit auf. »Herr Friedrich, sagte
der eine Diener, Sie haben doch nichts vergessen?« -- Gewiß nicht,
antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor abgemacht.

Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war, aß er mit großem
Behagen; nur vermißte er ungern den Wein, doch ließ ihn der Durst das
Wasser schmackhafter finden, als er es unter andern Umständen für
möglich gehalten hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten
es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und mannigfaltige
Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen.

Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er sich nieder, und
schlief auf die Anstrengung des Körpers und Geistes ruhig und lange.
Nach dem Frühstück wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und
ein starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem Gesicht
trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich für diejenige erkannte,
die er schon gestern Abend gehört hatte.

Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen Blick auf ihn, und
der Baron, der sich am Morgen eine lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen
hatte, um seine Unschuld und das Mißverständniß, das über ihm schweben
müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt, daß er
jedes Wort vergaß und nur wünschte, diesen Besuch erst wieder los zu
seyn.

Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche Mann.

»Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich« --

»»Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?««

»O ja -- nur wünschte ich das Mißverständniß, den Irrthum schnell
aufzuklären; da man mich gewiß für einen andern hält.«

»»Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie vielleicht glauben.««

»Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth und von Neuem verwirrt.
Man hat mich um meinen Namen hier noch nicht gefragt!«

»»Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen mit einander
spielen.««

»Rollen? Wie meinen Sie das?«

»»Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht verstellen, Sie sollen
nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen können.««

»Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin -- so sagen Sie mir wenigstens,
-- wo befinde ich mich? Ich bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne
zu wissen wohin.«

»»Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen fürs Erste noch ganz
gleichgültig seyn.««

»Die Forderung ist mehr als sonderbar.«

»»Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese äußerlichen
Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht ängstigen. Es wird eine
Zeit kommen, in der Ihnen Alles klar aufgeht.««

»Und welch Schicksal erwartet mich?«

»»Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen! Sind Sie sanft und ruhig,
so wird Ihnen kein Mensch etwas in den Weg legen; können Sie es über
sich gewinnen, vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange etwas
schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen alle Achtung bezeigen, die Sie
erwarten können, und es liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre
Freiheit wieder erhalten werden.««

»In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er seine Hände
betrachtete.«

»»Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig heraus, ich dachte es
wohl, daß der Diskurs nicht lange auf der geraden Straße bleiben würde.
Figürlich gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so wird man
sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind Sie in Jahr und Tag
wieder auf freien Füßen: das heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder
querfeldein fragen) wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich
das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen dürfen.««

»Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich vorstellen soll? Wie
soll mein Name heißen? Denn es scheint, daß hier ein strenges Regiment
obwaltet, dem man sich fügen muß.«

»»Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen Sie nicht, daß ich
härter seyn muß, als ich von Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der
Teufel mir so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich
ein altes Weib hätte werden müssen. Nun, lieber Herr Graf, wir werden
uns schon noch verstehen lernen.««

»Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine Standeserhöhung.« -- Er
war nach diesem Worte plötzlich viel heitrer geworden; die Beklemmung,
die ihn drückte, schien ziemlich verschwunden.

»»Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja, mein junger Herr, man
weiß hier mehr von Ihnen, als Sie begreifen können.««

»Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte der Baron. -- Bin
ich etwa hier, wegen des Verhältnisses, das vor zwei Jahren die
Baronesse« --

»»Still! rief zornig der Alte; das ist es ja eben; an Liebe müssen Sie
hier gar nicht denken, so wie Sie auf diese Passion gerathen, müssen
gleich Anstalten getroffen werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch
Fräulein, selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen gehört
werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß ich Sie noch einmal bewillkomme.
Ich hoffe also, Sie werden uns keine Schande machen.««

Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen eingeschlossen,
drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast als wenn er den Puls fühlen
wollte, sah dem jungen Mann noch einmal scharf in die Augen, und
entfernte sich dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung.

Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann, den man den
Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser, es ist ja gut abgelaufen;
unser melancholischer Gebieter ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es
würde schon werden.

Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron.

Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den Finger auf den Mund,
kräuselte die Lippen, zog die schmalen Schultern bis zu den Ohren, und
sagte dann ganz leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer
eingeschränkt sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber
wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird Ihnen nichts mehr
Geheimniß bleiben.

Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist der Mann, der mich
heute besuchte?

Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter, wir sind Alle ohne
Ausnahme nur das, was unser gestrenger Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er
doch nun die Macht einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am
besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch, und
fast niemals vergnügt, und darum verlangt er, Alles im Hause solle auch
ehrbar und fromm zugehn. Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch
viel bei ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie gleich beim
Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen mein ganzes Herz gewonnen, --
Sie sehn einem großen Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe;
aber ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen.

Wie so, zu schwach?

Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal, flüsterte der
kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und arbeiten könnte; wenn ich mich
nicht immer so schonen müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre
mein Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum zu
kriechen.

Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen zu holen, verschloß
aber sorgfältig indessen die Thür.

                   *       *       *       *       *

Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht, um über den Plan
ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen. Der Doctor hatte von seinem
entlaufenen Zögling noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was
sein Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu eröffnen
haben.

Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen Tagen einen
Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren schon, seit ich ihn als
Knaben kennen lernte und aufwachsen sah, meine Freundschaft, ja mein
ganzes Herz schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von
Schilderungen der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre Kennzeichen
beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen dieser
Leidenschaft nachgewiesen, und von der _Freundschaft_, die eben so
wundersam, zuweilen noch seltsamer erscheinen kann, wird kaum
gesprochen, oder man setzt sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei
ohne Interesse. Wenn Alle zu _lieben_ glauben, ist es vielleicht nur
Wenigen gegeben, im wahren Sinne _Freund_ zu seyn. Ich habe mich früh
und ohne Leidenschaft verheirathet, und bin glücklich in meiner Familie.
Aber von frühster Jugend habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund
seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben, seine
Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten zu erkennen, mich zu
überzeugen, wie bei den verdienstvollen Menschen die einen nicht ohne
die andern seyn können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht
möglich ist. Doch, um nicht zu weitläuftig zu werden, sage ich nur, daß
es mir gelang, viele und sehr verschiedene Freunde zu erwerben; doch
hatte ich noch nie das seltsame Gefühl kennen lernen, das mich zu einem
Knaben hinzog, der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter
Verwandter von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern seines Alters
gemein; er nahm an ihren Spielen nicht Theil; er sonderte sich ab, und
lebte, seine Lehrstunden abgerechnet, ganz einer träumenden Einsamkeit
hingegeben. Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren hatte,
so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr um ihn besorgt. Fragte
man Raimund, so hieß der Knabe, was ihm fehle, so antwortete er immer,
ihm sei in der Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der
Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich schien
ihn eine Wehmuth über das Elend der Welt, über ihre Armuth und Krankheit
zu durchdringen, vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so
oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn zum Geschäftsmann
heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit zu verschaffen, das große
Vermögen, das er für ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können.
Die Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen der Welt
bekannt zu machen, schienen immer vergeblich; denn so leichte
Fassungsgabe sein feiner Geist sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik
und Natur Alles begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so
schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für alles das,
was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische Verwickelungen,
Berechnungen und dergleichen, gänzlich verschlossen. Begriff er doch gar
nicht einmal, wie es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er
hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß, welches
nur auf Betrug gegründet seyn könne. Als Jüngling war er die lieblichste
Erscheinung. Wir verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die
Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so nennt und schwache
Gemüther interessirt, nur eine Mischung von Heuchelei und falscher
Süßigkeit ist, eine egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh
tyrannisirt, wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in Raimund
offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert, und die naivste Wahrheit,
die edelste Treue und Einfalt bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in
Gedanken beklagen, daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese
Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb immer
menschenscheu; am meisten aber ängsteten ihn die schwatzenden und
lachenden Mädchengesellschaften. Die meisten Menschen verspotteten ihn;
ich allein verstand sein liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für
ihn, wenn ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes
weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah, und die Folgen waren
erschreckender, als ich vermuthen konnte. Die schöngebildete Tochter
eines reichen Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als
wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so schnell
verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr Glück störte, war der
Oheim, obgleich er seinen Neffen so innig liebte. Er schien der
Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft nur zu Beider Unglück ausschlagen
könne; er verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung,
bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser härmte sich und sann und
träumte nur Unglück. Blanka weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber
zu. Nun schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten im Felde
umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er wollte nur seinem Schmerze
leben und sterben. Als sie die gefährliche Krise überstanden hatte,
erlaubte sich ein Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger
zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der Widerruf kam zu
spät; sein ganzes Leben schien aus allen Fugen gerissen. Es währte nicht
lange, so war er verschwunden; jede Nachfrage, jede Nachforschung
umsonst. Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun erst
zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht sich die
bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung gehindert; er zögert noch
immer, als der nächste Erbe, das Vermögen des Unglücklichen als das
seinige zu betrachten; er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und
beweint ihn doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in einem
fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder gesehn; ihre Aeltern
verließen die Stadt, und ein ungewisses Gerücht wollte sagen, sie habe
den Verstand verloren. Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief
machen mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines jungen Freundes
entdeckt. Wie werde ich den Oheim überraschen, wenn ich ihm etwas
Gewisses melden kann!

Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, -- sagte er sinnend, -- ein Mann bei
Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen, und eben so ein braunes und ein
blaues Auge? Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem Munde
selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen, gehört; nur
erzählte er die Umstände anders.

Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er ist von der Natur so
sonderbar gezeichnet, daß man ihn nicht leicht verkennen kann.

Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn sollte! -- Er
spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche Rolle, und bewarb sich
noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin, die nicht den besten Ruf
hatte.

Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er lebt einsam,
eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen Frömmigkeit hin.

Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen; denn im Dorfe eines
einsamen Gebirges sollte der Jüngling, von dem der Rath Nachricht
erhalten hatte, im Hause eines Predigers leben.

                   *       *       *       *       *

Es war einige Zeit verflossen, in der sich der junge Wolfsberg an seinen
Aufenthalt und seine Lage gewöhnt hatte, und da er sich immer ruhig
betragen, so trat eines Tages sein Freund, der kleine Friedrich, in sein
Gemach, that einen kurzen Sprung, zuckte die Schultern, verzog sein
blasses Gesicht zum Grinsen und sagte: jetzt werden Sie einer von den
unsern; der Alte schickt mich, Sie möchten in den Gesellschaftssaal
hinunter kommen.

Sind viele Leute dort? fragte der Baron.

Je nun, eine hübsche Gesellschaft; bald mehr, bald weniger; mancher
reiset dann auch wieder ab, und so habe ich vorige Woche einen meiner
besten Freunde auf der Welt verloren.

Sie traten in den untern großen Saal, und Wolfsberg, der so lange in der
Einsamkeit und im kleinen Zimmer gelebt hatte, war so vom Licht, von der
Gesellschaft und dem weiten Blicke über die Ebne und das Waldgebirge hin
geblendet, daß er sich nur schwer fassen konnte, und einige Zeit
brauchte, um sich mit allen diesen Gegenständen, vorzüglich aber mit den
Menschen in dem großen Gemache bekannt zu machen. Der Direktor ging mit
großen Schritten auf und nieder, noch finstrer, als er gewöhnlich war;
er schien nur seinen Gedanken nachzuhängen, und sich um die Gesellschaft
nicht zu kümmern. Er bemerkte auch den Eintretenden nicht, und
erwiederte nichts auf dessen Gruß. Zwei Männer spielten mit großer
Anstrengung und gespannten Mienen Schach; in einer Ecke las ein Andrer
in einem Buche, lächelte zuweilen, oder schüttelte den Kopf, machte auch
zuweilen Geberden der Billigung, so daß er völlig mit seinem Autor
beschäftigt schien. Auf einem Lehnstuhle war ein Mann eingeschlafen, der
durch sein rothes Kleid auffiel; noch mehr dadurch, daß sein Kopf von
einem großen dreieckigen Hute bedeckt war. Starr nach dem Himmel und
dessen Wolken war der Blick eines Andern gerichtet, der einen Maaßstab
in der Hand hielt, dessen Zolle er dann immer wieder von Neuem
überzählte. Drei seltsame Gesichter standen abseits, und stritten
lebhaft. Der eine von diesen Männern war sehr beleibt; sein Kopf
aufgedunsen, die Augen waren fast verschwollen, er krächzte mehr, als er
sprach, und stach um so mehr gegen seinen schmalen langen Nachbar ab,
dessen Gesicht so dürr und bleich erschien, daß man kaum noch Lippen
darauf wahrnahm, indem die großen blauen Augen aber desto auffallender
hervor leuchteten. Der dritte Redner lachte beständig mit seinem großen,
aufgeworfenen Munde, und zerrte die wundersamsten Linien in seine
kupfrigen Wangen hinein. Wolfsberg sah sich um, von seinem getreuen
Friedrich Einiges über diese sonderbare Versammlung zu erfahren; dieser
aber war verschwunden, und er mußte also selbst Bekanntschaft zu machen
suchen. Er näherte sich den Schachspielern, und sah beim ersten Blick,
daß beide Könige im Schach standen, ohne daß es die Streitenden trotz
ihrer angestrengten Aufmerksamkeit bemerkten; aber seine Verwunderung
stieg noch mehr, als man den weißen Thurm nahm, ihn schräg über das
Brett zog, mit ihm einen Läufer schlug, und ihn darauf neben den König
stellte. Der braune König retirirte nun behende als Springer, und ein
weißer Springer nahm mit einem Satz im Zickzack drei Bauern zugleich
weg. Wie, meine Herren, rief Wolfsberg aus, Sie spielen ja ganz gegen
die ersten Regeln! Was? rief der eine tiefsinnig vom Brett aufsehend;
sehn Sie einmal, durchlauchtiger Kriegsgefährte, der Neuling will uns
wohl Schach spielen lehren? -- Nehmen Sie es dem Grünling nicht übel,
erhabener Mann, antwortete die andere Figur: er ist augenscheinlich
nicht in die Geheimnisse des Cosroes und die alte orientalische
Spielweise eingeweiht; er weiß es ja nicht, daß Sie einer der Urindianer
sind, großer Geist, und will nun seine Fibelweisheit hier scheinen
lassen. Wissen Sie, junger Abendländer, Vandal, oder Gothe, vielleicht
Slave, -- man spielt hier nicht mit Brett und Schritt und Sprung, wie in
den Westländern; unser freier Geist erkennt weder die conventionelle
Würde des Königs, noch den niedern Rang der Bauern, sondern wir spielen
nach Sympathie, in jenem Geist, der alle Welten nach unsichtbaren
Gesetzen zusammenhält! In jeder Nacht hat mein Freund eine neue
Inspiration, am folgenden Tage bin _ich_ inspirirt; dann erräth der
andre durch hochgetriebenen Instinkt, welch neues System sein Mitspieler
ersonnen hat und geht in seine Mysterien ein. Das ist gar eine andre
Vielseitigkeit, als das moderne Hin- und Herrutschen der Figuren.

Das ist freilich eine andre Sache, sagte Wolfsberg, indem er sich zurück
zog. Er näherte sich dem Lesenden, sah aber zu seinem Erstaunen, daß
dieser das Buch verkehrt hielt, und rückwärts die Blätter umschlug. Wie,
mein Herr, sagte er höflich, sind Sie so zerstreut, daß Sie nicht
bemerken, wie man auf diese Art nicht lesen kann? Oder sind Sie der
Kunst etwa gar nicht mächtig? -- Der Lesende stand schnell auf, machte
ihm eine sehr tiefe Verbeugung, sah ihn an, beugte sich noch tiefer, und
sprach dann mit einer lispelnden Stimme und mit überhöflichem Tone:
»geruhen dieselben gütigst zu bemerken, mein verehrter Herr Unbekannter,
daß es denenselben gefällt, sich wie ein wahrer Einfaltspinsel
auszudrücken. Nicht etwa, daß ich in Ihre eben so tiefen, als
ausdrücklichen Einsichten einen Zweifel setzen wollte (fern sei von mir
ein solcher Frevel!), so scheint es mir doch einleuchtend (möchte ich
Sie auch übrigens anbeten), daß Sie mit der crassesten Ignoranz über
eine Wissenschaft sich äußern, die freilich Ihrem elenden, kurzen,
stümperhaften Horizonte weit entwachsen ist. Was? Weil ich etwa nicht
von vorn lese, oder das Buch verkehrt halte, darum könnte ich nicht
lesen? Ja, und wenn ich nun selber keinen Buchstaben wüßte, armer
Hergelaufener, und ich nähme das Buch nur mit Glauben und Andacht in die
Hand, könnte es nicht auch in mich übergehen? Habt Ihr denn wohl schon
oft lesend gelesen, und verstehend verstanden? Ja, Druckerschwärze und
die krausen Figuren sind Euch in die Augen, Geruch von Leim und Papier
in die Nase gekräuselt, und dazu habt Ihr eine Physiognomie geschnitten,
wie Schafe beim Gewitter, und meint alsdann, Ihr habt Weisheit in Euch
geschlürft, oder seid Eurem berühmten Autor gar noch über den Kopf
gewachsen! Bester Nichtdenker, verehrter Strohkopf, ich war seit Jahren
Recensent, thätig und einsichtsvoll, gewöhnte mich ans Blättern und
hatte immer um so mehr Urtheil, um so weniger ich las; ich brachte es zu
der Höhe, daß ich kaum den Titel anzusehn brauchte, nur, wo verlegt, so
hatt' ich das ganze Buch weg. Ist das etwa keine Kunst? Seit ich mich in
diese Einsamkeit zurück gezogen, habe ich, weil ich ein demüthiger
Charakter bin, wieder zu lesen angefangen; aber warum denn von vorn? Das
_Ende_ ist mein Anfang, und da ich mich längst geübt habe, die Schrift
umgekehrt zu erkennen, so wäre es mir nun gar nicht mehr möglich, auf
Eure dumme, hirnlose, völlig altfränkische Art die Sache zu treiben. Und
wo ist denn der Anfang, der anfinge, Ihr Gimpel? Setzt nicht das erste
Verslein im Mose schon einen andern Anfang voraus? Und wenn wir den
fänden, wiese er dann nicht wieder auf ein Voriges? O Ihr Bettelmann der
Gegenwart und Dürftigkeit! ein Ende giebt es; ja in Eurem Verstande; mit
dem seid Ihr längst zu Ende! -- Er verbeugte sich hierauf wieder sehr
tief und beschloß: Verzeihung, Verehrtester und Einsichtsvollster aller
Trefflichen, wenn ich, so tief ich auch unter Ihnen stehe, nur durch ein
geringes Scherflein habe andeuten wollen, wie sehr ich mich bestrebe,
Ihre Meinung zu fassen, und gewiß nicht wagen werde, Ihnen irgend in
Hauptansichten zu widersprechen, sondern nur submissest einige kleine
Zweifel, welche die Bitte um Belehrung enthalten, entgegen zu schütten,
und dadurch nur Veranlassung gebe, noch tiefer Ihr tiefes Ingenium und
noch klarer Ihren klaren Geist, noch glänzender die Glanz-Atmosphäre
Ihres Wissens, Denkens, zu entwickeln, -- und ^enfin^, excellenter Mann,
ich verstumme.«

Heiliger Himmel! rief Wolfsberg mit Entsetzen aus, denn er erkannte nun
erst, indem er noch einen hastigen Blick auf alle Gruppen warf, wo er
sich befinde, -- ich bin in einem _Narrenhaus_! Wer hat die
Unverschämtheit gehabt, mich hieher zu versetzen?

Bei diesem lauten Ausruf und dem Worte »Narrenhaus« wurden plötzlich
alle Thoren aus ihren stillen Gesprächen und Speculationen
aufgeschreckt. Der Beobachter ließ seinen Maaßstab fallen und rannte
herbei; der Aufgedunsene, der Bleiche, so wie der Kupferfarbene liefen
schreiend herzu; die Schachspieler sprangen auf; der Lesende machte ein
grimmiges Gesicht, und der schlafende Rothrock erwachte, indem er
zugleich eine kleine Peitsche aus dem Busen zog. Was? Wie? schrieen Alle
und tobten durch einander -- ein Narrenhaus? Herr! Wissen Sie, was Sie
sprechen? Er wird auch nicht für die Langeweile hier seyn, sagte der
große kräftige Mann im rothen Rock, und er darf mir nicht viel gute
Worte geben, so lasse ich ihn hier, so wie meine Pygmäen, tanzen, bis
die bösen Geister aus ihm gefahren sind.

Und wo sollten Sie denn sonst seyn, lieber Mann, schrie der Direktor
zornig, der den verwirrten Haufen theilte und jeden zur Ruhe verwies;
wenn Sie sich aber so aufführen und sich in Gesellschaft nicht zu nehmen
wissen, so werden wir Sie wieder auf Ihr kleines Stübchen einquartiren
müssen. Dies Wort zu nennen, was Sie gebrauchen, schickt sich in diesem
Hause gar nicht, und schon aus Achtung vor mir müssen Sie es vermeiden!
Und wer Sie hieher gesandt hat? Männer, denen Sie nicht verweigern
werden, Gehorsam und Ehrfurcht zu bezeigen!

Wolfsberg war still und nachdenkend geworden, und der Rothgekleidete
rief: hab' ichs nicht gesagt? indem er zugleich die kleine Peitsche nahm
und eifrig gegen alle Wände des Saales schlug, bis er außer Athem und
ganz kraftlos war. Der Director wandte sich unwillig ab, und als der
Ermüdete sich wieder in seinen Sessel geworfen hatte, trat Wolfsberg zu
diesem und fragte: was machten Sie eben, und was hat diese Anstrengung
zu bedeuten?

Was? rief Herr Kranich aus (denn so nannten ihn die Uebrigen), Herr,
wenn ich nicht wäre und die Augen immer offen hätte, so wären Sie und
alle Uebrigen hier verloren; ja, ich möchte wohl wissen, was von der
Welt sonderlich übrig bleiben würde. Sie sehn es nicht, wie diese
verdammten Pygmäen, kleine böse Geister, mich allenthalben verfolgen,
Gesichter schneiden, und alles Uebel auf Erden anrichten. Von diesen
rührt auch Ihre Verstockung her, daß Sie nicht einsehn wollen, was an
Ihnen ist; von diesen kleinen Creaturen entspringt alles Unglück, und
ich muß sie unaufhörlich bewachen, um nur zu verhüten, daß sie nicht das
Aergste ausüben.

So war Alles wieder beruhigt, als man einen Landedelmann mit seiner
Familie anmeldete, die sich das Haus betrachten wollten. Ein ältlicher
Mann trat lächelnd herein und sah sich selbstgenügsam um; ihm folgte
eine erwachsene Tochter, blöde und einfältig, und ein ebenfalls
erwachsener Sohn, der sich gleich das Ansehn gab, als wenn er hier zu
Hause gehöre. Der Director fuhr sogleich barsch auf sie zu, und fragte
heftig, was zu ihrem Befehle sei. Gott bewahre! stammelte der Edelmann,
indem er scheu zurück trat; ist denn hier kein andrer ruhiger Mann, der
uns herumführen, und die Merkwürdigkeiten zeigen kann? Der Director
sammelte sich wieder und sagte in sanftem Tone, daß er selbst der
Vorsteher dieser Anstalt sei, und daß er sich ihm und dem kleinen
Friedrich, der sich unterdessen wieder herbei gemacht hatte, getrost
anvertrauen könne. Sie gingen hierauf friedlich durch den Saal,
ergötzten sich an der Aussicht und betrachteten die Gesellschaft aus der
Ferne, als sich der Kupferfarbene herbei machte und um die Erlaubniß
bat, etwas vorzutragen.

Meine beiden trefflichen Schüler, fing er an, möchten heute einen
poetischen Wettstreit halten, wie er bei den alten Griechen wohl üblich
war, und es trifft sich gut, daß einige Fremde, als ganz unbefangene
Zuhörer zugegen seyn können, um über die Verdienste meiner begeisterten
Scholaren nach reifer Prüfung ein Urtheil zu fällen.

Er winkte, und der lange Blasse, so wie der Beleibte mit dem
verschwollenen Gesichte näherten sich. Die Uebrigen schlossen einen
Kreis; der Lesende drängte sich am nächsten, und der Pygmäenbekämpfer
sah kritisch umher, ob auch keine bösen Geister die poetische
Unterhaltung stören möchten.

Der Mann mit der Kupfernase wandte sich hierauf an den Edelmann, den er
freundlich bei der Hand nahm und ihm die Tressen seines grünen Kleides
streichelte. Englischer Mann, sagte er zärtlich, verstehen Sie wohl
Galimathias zu sprechen?

Nein, sagte jener; was ist das für eine Sprache?

Schade, fuhr jener fort; da werden Sie es nur halb genießen können, denn
etwas wenigstens sollten sich wohl alle Menschen damit befassen. Es ist
zu verwundern, wie wenig wir immer noch auf unsre eigentliche Ausbildung
wenden. Tretet zuerst vor, mein theurer Freund und Schüler, würdiger
Troubadour und Meistersänger!

Der Aufgeschwollene räusperte sich, athmete tief auf und sprach dann
schnell, aber mit einer krähenden Stimme: »Sind wir nicht alle innigst
von dem Gefühle durchdrungen, daß, wenn eine Krebsmoral erst an der
tiefsten Wurzel der Menschenschicksale nagt, kein einziges Schaalthier
mehr auf den Höhen der Gebirge wird gefunden werden? Gewiß, meine
Theuersten, schlägt jeder mit erneuertem Mannsgefühl auf seine Brust,
wenn er bedenkt, daß bei dem siderischen Einfluß, den jede Theemaschine
auf die Verflechtung innerer Organe und Inspirationen unbedenklich
ausströmt, die alten Germanen nimmermehr ihren Wodansdienst ohne
Hülfsleistung abnormer Zustände und tief empfundener mikroskopischer
Ansichten würden haben durchsetzen können. Denn hier kommt es ja nicht
auf ein oberflächliches, leichtgewagtes Entdecken vulkanischer
Revolutionen an; sondern die Menschheit selbst ruft das in uns auf, was
schon im Anbeginn der Zeiten reif und heterodox, aber im galvanischen
Mittelpunkt unendlicher Verschlossenheit, tief und geheimnißvoll
gebrütet hat. War es denn nicht auch damals dieselbe große
Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische Wunderbegebenheit,
als dasjenige, was man bis dahin nur für orkanische Centripetalkraft
abgewogen hatte, sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad
schwärmerischer Antidiluvianer manifestirte? So merken wir, ist unsre
Seele anders nicht völlig aphoristisch gebildet, und im Mausoleum
hyrkanischer Waldgötter anticipirt worden, daß umgekehrte Verhältnisse
sich immer wieder zu Kegelausschnitten gestalten, wenn die Galaxie der
Planeten sich in ekliptische Rodomantaden verwandeln möchte. Aber
festhalten müssen wir einen Gedanken, daß die Hieroglyphen immer nur
wieder Apostrophen ausgebären können, wenn wir nicht mit den
conglomerirten Gnostikern annehmen wollen, daß die Hypotenuse der
Polarvölker immer wieder in die materiellste Abstraction der
eleusinischen Pyrrichien verfallen müßte, an welchem Irrthum auch schon
der berühmte Johann Ballhorn in seinem großen granitgebundenen Werke vom
Phlogiston der Polypenkrater verstorben ist, da er ein Apostem der
großen alchemistischen Tinktur mit den rauschenden Katarakten der
Amathontischen Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden konnte,
verwechselt hat. So hoffe ich denn bewiesen zu haben, daß immer und ewig
das große Geheimniß der peloponnesischen Antithese klar und verständlich
ist ausgesprochen worden.«

Gewiß! sagte der Edelmann.

Sublim! rief der Leser aus.

Ein Beifallsmurmeln ertönte aus der dichtgedrängten Umgebung.

Nun, Görge, was meinst du? fragte der Edelmann, indem er sich an seinen
Sohn wandte, der mit starren Augen und offnem Munde zugehört hatte.

Ich wollte nur, antwortete Görge, unser Herr Pastor wäre hier, der den
Mann vielleicht widerlegen könnte; denn seine Reden klingen fast eben
so.

Nun höre man aber auch, rief der Kupferne, meinen zweiten Zögling, den
edeln, sanften Musenliebling.

Die lange, hagre Gestalt trat hervor und klagte in einem weinenden,
schnell singenden Tone also: Ist nicht die Liebe und immer nur wieder
die Liebe das hoch erhabne athletische Bildwerk der ächten attischen
Hybla-akademischen, süßflötenden Nachtigallen-Atmosphäre? Wer möchte
sich der Thränen enthalten, wenn flutende Herzenslustren im Umschwung
der zartesten Cicaden-Gesinnung nicht endlich einmal zur Vollendung
einer umarmenden Schicksals-Apotheose hinstreben sollen? Denn das
Bildwerk liebender Gestirne ist ja doch nur ein Abglanz häuslicher und
mattherzig rührender Sarkophag-Mumien-Attribute; vorausgesetzt, das
fromme kindliche Gemüth hat sich schon in eine Phaläne von träumerischen
Allegorieen verwandelt, und ist die ganze sublunarische
Etymologie der peripatetischen, eben so großartigen, als
herzergreifenden Sylbenstechereien uralter Religionsentzündungen
durchgegangen. Fragt sich einzig nur: hat ein kryptogamisches
Pfeifergericht von enggetriebenen Bildwerken nicht immerdar den
Blumenstaub somnambulistischer Zustände auf hydraulische Weise mit
Prophetenencyklopädieen vorher verkündigt? worauf die mathematische
Antwort lautet: so gewiß der Umkreis der Welt einzig in den Umfang
sanfter Cirkelschwingungen gebannt ist, so gewiß hat auch jede Periode
und bacchische Begeisterung im Lichtscheine der erotischen Neufundländer
Sitz und Stimme gefunden. Denn, was ist es denn, was das Echo unsrer
Brust ewig beweint? Nicht wahr, daß noch kein Sterblicher in das
Universal-Paradoxon der Himmelskräfte hat einschlüpfen können? Aber
dennoch sagen uns begeisterte Seher, daß das Berlappenmehl dazu diene,
den Blitz der Götter, so wie alle diagonale hochgefeierte Perioden des
Immateriellen zu erschöpfen, wenn wir nicht vergessen, daß Phidias darum
der Große genannt wird, weil er zuerst die petrarkische Elegie in der
neuen Ausgabe der Homilien hat mit Vignetten in einen großen Salat von
Vergißmeinnicht bei den Olympischen Spielen verzehren lassen, was eben
die Ursache war, daß Romeo und Julia sterben mußten, so sehr sie auch
vorher auf Pardon vom Könige von Abyssinien rechnen durften. Aber
das ist das Große und Erschütternde eben in den edelsten
Lebensverhältnissen, daß die Liebe des Herzens immer wieder auf die
reine und unreine Mathematik angewendet werden soll, was doch kaum dem
Platonischen John Bull möglich gewesen ist, mit Hülfe seines Freundes,
des großen Eklektikers Pope, vermöge seiner Stanzen und der noch
berühmtern Parlamentsreform einzuführen. Daher bleibt unserm Leben diese
ewige Trauer, daß jede Sonnenblume in Oel kann verwandelt werden, wenn
wir umgekehrt niemals einen Tropfen Oel in Blumen, ja kaum in Sonnen
umschmelzen können; daher ist die Thräne an unsrer Wimper ein zartes
Herzenssiegel, welches tropfend beurkundet, daß wir alle nur
Blindschleichen und arme Würmer sind. Dies herzzerreißende Gefühl
mitzutheilen, habe ich mich nicht enthalten können.

Die Tochter des Edelmanns weinte und sagte: ja wohl, ist unser Leben nur
ein zerbrechliches Geschirr! Der Lehrer aber sah triumphirend umher und
fragte: nun, meine Freunde, welchem würden Sie den Preis zuerkennen?

Das zweite, sagte das junge Mädchen, war mehr für das Herz, das erste
mehr für den Geist.

So ist es, sagte Herr Kranich; der lange Herr Melchior hat die beste
Rede gehalten: wir sind Alle gerührt; dazu hat er eine Stimme wie eine
Nachteule oder Unke: die Thränen laufen einem über die Nase, man weiß
nicht wie.

Ja, meine theuern Freunde und Sie, verehrte fremde Zuhörer, sagte der
beleibte Lehrer, ich bin stolz darauf, daß ich in diesen beiden Männern
diese großen Talente habe wecken und zur Reife führen können. Diese
sokratische Hebammenkunst ist es, in welche ich meinen Stolz setze, da
ich selber nichts dergleichen hervor bringen kann. Aber meine Schüler
werden mich unsterblich machen. Doch soll der liebende, herzliche
Melchior seines Kranzes nicht entbehren.

Er heftete diesem einen Stern von Blech an die Brust, mit welchem der
lange blasse Mann sich brüstend durch den Saal schritt. Der Aufgedunsene
ging verdrießlich in eine Ecke und murmelte: Abgeschmackter Kerl! Er hat
doch durchaus keinen Begriff vom Aechten! Ich von ihm gelernt! Ja,
freilich, wenn ich solche Alfanzereien spräche, wie die aschgraue
Hopfenstange!

Ruhig, großer Mann, sagte der Lesende, der ihm nachgegangen war; das
Erhabene wird nie verstanden, so ist es vom Anfang der Schöpfung
gewesen: der größere Sophokles wurde eben so vom süßlichen Euripides
verdunkelt; Terenz mußte Seiltänzern weichen; Phidias ward verkannt;
Dante aus seinem Vaterlande vertrieben. Lassen Sie den Narren mit dem
alten Stückchen Blech laufen; Ihr Herz sei Ihr Elysium, und morgen werde
ich Ihnen eine zinnerne Schnalle bringen; heften Sie diese an Ihre
erhabene Brust und verachten Sie den Gegner.

Der Edelmann hatte sich indessen wieder mit dem Sokrates ins Gespräch
eingelassen, und bewunderte am meisten, daß die beiden Proberedenden
diese Fülle von Gedanken und gelehrten Materien so aus dem Stegereif
hätten hersagen können. Begeistrung, rief der Sokratiker, ist Alles: sie
haben ihr Gemüth gesammelt, und dann aus dem Mittelpunkt ihres Wesens
den rauschenden Springquell der Suada hingeströmt.

Ich kann niemals, äußerte der Edelmann, gegen meinen Pfarrer zu Worte
kommen; wären Sie nun capabel, mir auch die Zunge zu lösen, daß ich so
wie ein Advokat oder Prokurator zu reden wüßte?

Der Director zupfte kopfschüttelnd den Edelmann am Rocke; dieser sah
sich verdrießlich um, indem der finstre Mann zu ihm sagte: lieber Mann,
Sie verweilen offenbar zu lange in dieser Gesellschaft; dieser Umgang
kann Ihnen unmöglich gut bekommen.

Indem erhob sich ein lautes Getümmel am andern Ende des Saales. Lassen
Sie mich ungeschoren; rief der junge Wolfsberg laut, ich müßte ja selbst
unsinnig seyn, wenn ich dergleichen Unsinn bewundern, oder mir
auseinandersetzen wollte, welche von den beiden abgeschmackten Reden die
bessere sei.

Die erste ist aber die bessere, rief der Lesende, und wenn Sie keine
Kritik mehr respectiren wollen, so ist es mit Ihrem eigenen Verstande
nur schwach bestellt. Und was nennen Sie denn Unsinn, Bester? O mein
verehrter Widerwärtiger, hundert Meilen wollte ich reisen, wenn ich
dergleichen doch nur einmal in Wahrheit anzutreffen wüßte. Das ist ja
mein Jammer, daß ich mich schon seit länger als zehn Jahren damit
abquäle, einmal den Unsinn zu finden. Aber rutschen Sie durch zehn
Schauspielhäuser, und wenn Sie in jedem flüchtig auch nur ein paar
Secunden verweilen, so hören Sie leider allenthalben etwas leidlich
Vernünftiges; ja was noch schlimmer ist, die zehn kurzen Fragmente aus
dem Trauer- und Lustspiel, aus dem Familiengemälde und der Posse, aus
der Oper und dem Nachspiel, werden zusammen noch einen passabeln Satz
formiren, über den sich sprechen läßt. Ein Blättchen, das Sie finden,
ein Wort, das Sie aus dem Fenster hören, ein Gespräch aus einer
vorüberrollenden Kutsche, Alles, Alles will leider noch etwas
Verständiges aussprechen. Habe ich es nicht damals, als ich diese
Liebhaberei zuerst bekam, an mich gewandt, die brillantesten Romane und
Schauspiele, die verrufensten Broschüren anzukaufen und zu lesen, weil
ich von allen Seiten hörte, daß Unsinn darin vorkäme. Nichts da! Eine
alberne dumme Vernünftigkeit fand ich allenthalben, daß die Sachen mich
auch gleich anekelten, eine miserable Lust, hie und da über die Schnur
zu hauen, und gleich zum alltäglichen Verstande, wie Kinder im Finstern
zur Mutter zurück gelaufen. Ja, mein Herzensfreund, in allem dem
Geschwätz über Liberalismus und Monarchismus, in diesen Schilderungen
von Riesen, Rittern und Pferden, in den Elementargeistern und
Gespenster-Katzbalgereien, in dieser frömmelnden, liebesiechen
Inspirationssucht ist immer noch kein rechter Aufschwung; allenthalben
die kalte Vernunft; die Philisterei der Philisterei; und so sehr ich
unsern Demosthenes oder Aeschylus hier in seiner ersten Rede verehre, so
möchte ich sie doch nicht so übertrieben loben, daß ich sie unsinnig zu
nennen wagte, denn jeden einzelnen Satz würde ich zu beweisen
unternehmen und auch zeigen können, wie innig alle unter einander
zusammenhangen. Von der zweiten Rede kann gar nicht die Rede seyn, denn
sie war ganz trivial.

Der verschmähte Redner hatte sich indessen die Zinnschnalle aus dem
Zimmer des Lesenden geholt, und stolzirte mit diesem Schmucke schon im
Saale auf und ab. Der Blasse wollte ihm die Auszeichnung nicht gönnen,
weil sie seinen eignen Ruf zu beeinträchtigen schien. Er ging daher auf
den Usurpator zu, und suchte ihm das glänzende Zeichen zu entreißen;
dieser aber wehrte sich und wurde vom Recensenten vertheidigt. Die
Schachspieler nahmen dieselbe Partei, indessen der Denker mit dem
Maaßstabe den sanften Melchior zu beschützen strebte. Der Edelmann und
Wolfsberg standen in der Mitte, und da sich bald aus dem Gezänk ein
Stoßen und Schlagen entwickelte, so zog der Pygmäen-Bekämpfer seine
kleine Peitsche hervor, und schlug ohne Unterschied unter beide Parteien
hinein, indem er behauptete, daß er allenthalben auf Rücken und
Schultern jene bösen Geister wahrnehme, welche nur aus Bosheit diesen
Zank und Streit unter Menschen erregt, die bisher immer als befreundete
Wesen mit einander hätten leben können. Der Director fuhr ebenfalls
tobend dazwischen, und durch seine drohenden und ernstlichen Worte ward
der Friede endlich wieder hergestellt, obgleich Wolfsberg und der
Edelmann, beide als unschuldige Zuhörer, manchen Streich davon getragen
hatten, weil es die boshaften Pygmäen-Geister nicht unter ihrer Würde
gehalten hatten, diese neutralen Leiber während des Krieges besetzt zu
halten. Der Edelmann verließ die Anstalt sehr verdrießlich, und sein
Sohn Görge begriff nicht, wie eine so lehrreiche Unterhaltung ohne alle
Veranlassung eine so kriegerische Wendung hatte nehmen können.

                   *       *       *       *       *

Friedrich hatte, seiner sanftmüthigen Gemüthsart nach, den letzten Krieg
nur ungern entstehn sehn. Er zog sich früh zurück und beklagte aus der
Ferne seinen jungen Freund, zu dem er sich tröstend gesellte, als der
Friede wieder hergestellt war. Sie gingen in den beschränkten
Blumengarten. Da Sie nun, Theuerster, im Grunde ein freier Mann sind, so
fing der Kleine an, so will ich Ihnen heute in der Nacht etwas
mittheilen, was für uns beide von dem größten Nutzen seyn kann.
Wolfsberg war überzeugt, daß es nichts Geringeres, als die Mittel, sich
frei zu machen, betreffen könne. Er ging zur Gesellschaft zurück und
erwartete mit bangem Gefühl die Dunkelheit.

Gegen Mitternacht ward sein Zimmer eröffnet, der Kleine trat mit einer
Laterne herein, und winkte seinem Freunde mit stummer Geberde. Wolfsberg
folgte schnell, und schweigend stiegen sie die große Treppe hinunter.
Das Hausthor war verschlossen, und als Wolfsberg die Klinke ergriff,
schüttelte der Kleine sehr unwillig mit dem Kopfe und zeigte heftig nach
einem Winkel hin. Der junge Mann folgte seinem Führer; sie stiegen eine
andre Treppe hinab, und befanden sich jetzt in einem weitläuftigen
Gewölbe. Nun fand der ängstliche Freund endlich seine Sprache wieder.
Hier sind wir sicher, nicht behorcht zu werden, sagte er flüsternd: dies
sind die Kellergewölbe des großen Hauses. -- Ich dachte, Sie wollten mir
den Weg zur Freiheit zeigen, sagte der Baron. -- »Nicht daran zu denken,
bester einziger Freund; das Thor ist doppelt verschlossen, dann müßten
wir noch über den Hof und die äußere große Thür aufmachen, die der
fatale Portier bewacht, mein größter Feind in der Welt, der niemals
Vernunft annimmt, und sich von allen Menschen für den Klügsten hält.« --
»»Was machen wir aber hier?«« -- »Wenn es uns gelingt, liegt hier mehr,
als Ihre Freiheit.« -- »»Wie meinen Sie das?«« -- »Nur still, unten
sollen Sie Alles erfahren!«

Sie stiegen noch tiefer hinab. Im fernsten Winkel setzte sich nun
Friedrich nieder, stellte die Laterne neben sich, und Wolfsberg sah zu
seinem Erstaunen Hacke und Spaten auf dem Boden liegen. Die Erde war
dort schon aufgewühlt, und als der Baron seinen Führer fragend und
erstaunt betrachtete, lächelte dieser mit dem Ausdrucke der größten
Verschmitztheit, zog den Andern neben sich nieder, und nachdem er ihn
feurig umarmt hatte, sagte er endlich: liebster Baron, Ihnen vor allen
Menschen gönne ich das Glück, dessen Sie hier theilhaftig werden können;
hieher folgt uns kein Neid und keine Beobachtung, diese Gegend der
Gewölbe wird niemals besucht; hier können wir mit geringer Anstrengung
und in kurzer Zeit einen Schatz entdecken, der uns über alle Sorgen der
Zukunft hebt, ja uns zu den angesehensten Männern der ganzen Provinz
macht. Ich habe niemand da oben etwas von dieser Entdeckung sagen mögen;
denn alle jene Menschen sind mehr oder minder gemeine Naturen, wozu noch
kommt, daß sie alle einen Stich von Narrheit haben, der sie mir höchst
widerwärtig macht. Dem Director mag ich von meinem Funde gar nichts
mittheilen; er würde in seiner hochfahrenden Superklugheit thun, als
wenn er mir nicht glaubte, und hernach stillschweigend für sich arbeiten
lassen: denn er ist ein sehr mißgünstiger Mann und beim Lichte besehn
ohne Verstand; er stellt sich viel klüger an, als er wirklich ist, und
da er das Regiment im Hause hat, so darf ihm Keiner viel widersprechen.
Nun, lieber, hochgeehrter Freund, hier nehmen Sie den Spaten und
arbeiten Sie!

Aber, sagte Wolfsberg, wie kommen Sie nur zu dem Glauben, oder der
Einbildung -- --

Still! still! rief der Kleine im größten Eifer, nur ums Himmels willen
keine Zweifel in dieser feierlichen Stunde ausgesprochen, sonst ist
Alles verloren. Kennen Sie die Wünschelruthe und ihre Wirkungen?

Nein, sagte Wolfsberg verwirrt und schüchtern.

Haben Sie wohl Wirkungen des Magnetismus gesehen, und glauben Sie an die
Wunder dieser Wissenschaft?

Ich habe mich nur wenig um dergleichen Gegenstände bekümmert, antwortete
jener, und kann also auch nicht einmal sagen, ob ich an die
Seltsamkeiten, die man davon erzählt, glaube oder nicht.

O Sie unverständiger Mann, rief der Kleine im größten Eifer aus, so muß
ich ja also dem Blinden von der Farbe predigen! Indessen, was thuts?
Glaube und Ueberzeugung werden Ihnen schon, wie zahme Hündchen, in die
Hände laufen. Sehn Sie, ich bin schon eine Anzahl von Jahren
Unteraufseher in diesem Hause. Ich sage nicht etwa deßwegen
Unteraufseher, weil wir jetzt hier im untern Theile des Hauses eine
gewisse Aufsicht führen; sondern Sie verstehn mich schon: ich meine, ich
bin so fast nach dem Director der wichtigste Mann hier, wie Sie auch
wohl werden bemerkt haben; nur der verdammte Thürhüter will keinen
Respect vor mir haben. Nach einer Nervenkrankheit, wie es die trivialen
Aerzte nennen, fand ich mich schon vor vielen Jahren als einen
verwandelten Menschen wieder. Freund, da war mir ganz so zu Muthe, als
wenn einer meinem inwendigen Geiste Hosen und Weste aus-, ja noch die
Haut dazu abgezogen hätte, so daß er nun niemals mehr zerstreut, oder
dumm, oder langweilig war. Sie werden mich nicht ganz verstehn, thut
aber auch nichts zur Sache. Es ist nämlich so: ich konnte von dem
Augenblicke an überirdische Dinge begreifen und fassen, nicht mit meiner
alltäglichen Vernunft; sondern in meinem inwendigsten Geiste hatte sich
noch ein eignes kleines und feines Verständchen angesetzt, das
dergleichen begriff, und da der Geist nun nicht mehr bekleidet war, und
auch keine dumme Haut mehr über sich hatte, so konnte Ich, der
Lebendige, der hier draußen steht und mit Ihnen spricht, so frischweg in
jene meine unsichtbare Creatur hinein sehn und Alles capiren. Capiren
Sie mich?

So halb und halb, sagte Wolfsberg, Sie drücken sich etwas figürlich aus!

Außerdem aber, fuhr Friedrich fort, wurde ich gewahr, daß ich in fremde
Leute hinein sehn konnte. Schaut's! jetzt laufen Ihnen die Gedanken wie
Ameisen durch Ihren Kopf, und einige schleppen sich dummerweise mit
kleinen Steinen, Holz, albernen Zweifeln. Da rennt eben eine großmäulige
Ideenassociation in der inwendigen Gegend des Ohres, und schreit, daß
Alles, was ich Ihnen vortrage, aberwitziges Zeug sei; und nun fliegt
eine kluge Gedankentaube mit dem Oelzweig hintennach und meint, man
könne es denn doch noch nicht wissen. Husch! rennen die übrigen Gedanken
in den Winkel und sitzen gluckend wie die brütenden Hühner da. Ja, ja,
Herr Baron, ich weiß wohl, wer Sie sind.

So? fragte Wolfsberg in der größten Spannung.

Ja wohl, sagte der Kleine ganz ruhig, kein Graf, wie unser mürrischer
Director meint, -- he he he! Sie sind auch kein Baron, Sie Vocativus,
Sie!

Ich dächte doch, sagte Wolfsberg verwirrt.

Mir können Sie nichts weißmachen, fuhr der Wahrsagende fort, denn ich
weiß ja Alles: ja, ja, alle Ihre Streiche und Kniffe könnte ich Ihnen an
den Fingern hersagen; aber still! wir sind ja alle Menschen, und Sie
bleiben bei allem dem immer ein großer Mann. Ein sehr großer Mann, und
ein berühmter Mann sind Sie, einer von denen, die die Nachwelt noch
nennen wird! Haben Sie erst, was Sie brauchen, so werden Sie auch weiser
werden, und das kann ich Ihnen schaffen, und vertraue dabei Ihrer
Großmuth, daß Sie nicht allzu ungleich mit mir theilen werden.

Also zur Sache, rief Wolfsberg entschlossen, worauf kommt es an?

Wie ich in Menschen und Seelen hinein sehn kann, fuhr der Kleine fort,
so kann ich es auch zu Zeiten in leblose Gegenstände. Lange schon habe
ich gesehn, daß gerade hier, etwa vier Klaftern tief, ein ungeheurer
Schatz liegt, fast ganz in Golde, nur wenige Edelsteine darunter. Es
sind zwei große eiserne Kasten, auf dem einen ist eine Inschrift, aber
so verrostet, daß ich die Buchstaben nicht recht zusammenbringen kann.
Aber im zweiten Kasten befindet sich ein geschriebenes Blatt, welches
Alles erklärt.

Wie sind aber diese Schätze hieher gekommen? fragte Wolfsberg; und
weßwegen hier verscharrt?

Schwer zu sagen ist es, sagte Friedrich, denn Sie begreifen doch so
viel, daß ich in die Vergangenheit, in ein Nichts, das weder Körper noch
Geist hat, nicht so hinein sehn kann, wie in einen Menschen, oder in ein
Kellergewölbe. Doch, Spaß apart, wollen Sie mir helfen oder nicht?
Glauben Sie mir, oder nicht? Wenn Sie nicht dran wollen, suche ich einen
andern Gehülfen, oder verschweige die Sache noch Jahre lang, wie ich
denn bisher ein Geheimniß daraus gemacht habe.

Und was soll ich also thun, wenn ich Ihnen glaube?

O Fragen und kein Ende, rief Friedrich in der größten Ungeduld, ich habe
Ihnen ja schon neulich meine Schultern gezeigt, wie schwach, meine Arme,
wie dünn sie sind. Ich habe es schon oft versucht; aber ich kann nicht
graben, ich bekomme auch gleich den Husten, wenn ich stark arbeite.
Hier, ungläubiger Thomas, ist das Grabscheit! Machen Sie sich dran und
grübeln Sie nicht weiter; in acht Tagen sind wir die reichsten Männer im
Lande, und dann können wir den Director und alle Narren da oben
auslachen.

Wolfsberg bequemte sich und arbeitete mit der größten Anstrengung einige
Stunden. Als er es kaum mehr vermochte, rief Friedrich: für heute genug!
Schlafen Sie nun gesund, denn man muß uns nicht vermissen. In der
nächsten Nacht werde ich Sie wieder zur Arbeit abrufen.

Müde und ermattet, wie am ganzen Leibe zerschlagen ging der junge Mann,
der an dergleichen Anstrengungen nicht gewöhnt war, auf sein Zimmer, und
legte sich nieder.

                   *       *       *       *       *

Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte auf die Reise
begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige Gegenden, und Walther wurde
nicht müde, seinen Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund zu
unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer so wunderbaren
Erscheinung im Leben zu begegnen; nur fürchtete er, ihre feine Harmonie
jetzt durch Schmerz und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß mir
wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes, der in allen
andern Dingen, außer dieser Verherrlichung seines jungen Freundes, ein
ruhiger und kalter Mann war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten.
Sie näherten sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch leben
sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der Wagen um, und der Arzt
ward am Fuße beschädigt; zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er
einen Ruhepunkt zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn um so
mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann gesprochen hatte, der ihm
eine so seltsame Schilderung von einem jungen Wildfang gemacht hatte,
welcher sich seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten
sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge, ihm
entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den kurzen Umweg zu
machen, indessen ihn der Arzt bei jenem Landprediger erwarten sollte,
bei welchem man den jungen Raimund anzutreffen hoffte.

Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er in einer Laube seines
Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen leitete der Fremde die
Unterredung auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen
anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse an diesem
Gespräche zu nehmen und sagte endlich: ja, seit einem Jahre etwa hält
sich ein etwas confuser Mann bei mir auf, dessen ^ingenium^ und ^mens^
nicht zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig kümmere,
außer daß er uns bei Tische oft seine ^joci^ vormacht. Ich erhalte von
dessen alten Domestiken eine anständige Pension, und so lasse ich ihn
gewähren; denn es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren
einzulassen, oder sie gar curiren zu wollen. Der alte ^servus^ führt
eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten, und mit wem sich
dieser am meisten einläßt, ist unser gnädiger Junker, der freilich auch
mit aller Macht zur ^dementia^ inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie
einmal bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein kleines Haus zu
enge.

Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen des jungen Mannes?
fragte der Arzt.

Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der Geistliche, ob eine
solche Creatur, der es am Besten gebricht, wohl absonderliche Schicksale
haben könne. Diese Personen sind ja recht eigentlich ^fruges consumere
nati^. Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther.

Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft.

Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname, der aus einem
gewissen Buche entlehnt seyn soll, welches unsre junge Baronesse einmal
gelesen hat. Derselbe trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald
und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort mitzusprechen,
eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören, was es in der politischen Welt
Neues giebt.

Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf der Reisende ein, und
bewohnen doch selbst eine der reizendsten Gegenden unsers Vaterlandes.

Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit 40 Jahren in die
Mode gekommen, und so weit ich habe das Verständniß davon erreichen
können, meint man darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg
und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen. Hat mich nie
sonderlich interessirt, weil ich mich immer bestrebt habe, ein denkendes
Wesen vorzustellen. Und unser Werther, wie ihn die jungen Leute heißen,
oder Theophilus, wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch weder,
ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen oder dürr sind, ob die
Bergwand aus Granit oder Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein
Uhrwerk, so hin und her.

Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften beschäftigt, die
er in einem Tischkasten zu ordnen suchte, und der Arzt sagte indessen zu
sich: Der Aermste! Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen,
die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost gewährt! Denn
der Natur gegenüber verklärt sich jeder Schmerz, der uns unter Menschen,
in den Mauern der Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in
ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben herab. Wie eine
Himmelsharfe tönt die Natur Freude und Leid mit, und setzt unsre stummen
Seufzer, die Worte der Klage in überirdische Musik um.

In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm antönten, weil er so
lange mit dem fast schwärmerischen Rathe gereiset war, wurde er wieder
vom Pfarrer unterbrochen. Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie
so schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben haben
sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen?

Nein, antwortete der Arzt.

Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft seit neueren Zeiten
so ist vernachlässiget worden. Ich habe sie immer bewährt gefunden. Und
so sehe ich hier wieder das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei
ihrer Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie sich in einen
hohen Stand erheben würde, und sie ist nun auch wirklich glückliche
Braut eines vornehmen Mannes. Das hat mir auch den Geist so eingenommen,
daß ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation zu
führen. Doch da kommt ja unser Theophilus mit seinem alten
Gesellschafter. Der junge Mann ist eine Zeit lang in einer andern
Familie sehr gemißhandelt worden; man darf ihn nicht auf diesen
Gegenstand bringen: denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener
Tage erinnert.

Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen einen langen, nicht mehr
jungen Mann eintreten, der sich gebückt trug, und aus dessen
regelmäßiger Physiognomie die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor
leuchtete, aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von
Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung irre ward. Der
Einfältige gab dem Pfarrer die Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick
von der Seite an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie ein
Edelmann?

Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe noch nicht einmal
Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem werthen Namen zu erkundigen.

Doctor Anselm, sagte der Arzt.

Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige, weil Sie eine
solche ästhetische superfeine Nase haben. Zugleich sprang er in die
Höhe, und schlug wie ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus.

Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung vorbereitet hatte,
mußte laut lachen, indem der Pfarrer mißbilligend das Haupt schüttelte,
und sehr ernste Runzeln in sein Gesicht zog.

Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt etwas bei Seite führte,
das Perlmutter-Gesicht von meinem alten Prediger; so debattirt er immer
mit sich, als ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete.

Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber vergnüglich.

Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund, rief der Prediger;
weder kennt er die Bedeutung der Worte, die er braucht, noch will er
überhaupt etwas damit ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder
Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer das Stichblatt
seines falschen Witzbestrebens.

Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte Hosiannah-Stimme
und sitzt so mächtig auf seiner Bank da, als wenn er Habakuk und alle
zwölf kleine Propheten zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. --
Pankraz! rief er dem alten Diener zu, du mußt mir wieder Taschengeld
geben!

Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser.

Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken Sie nur selbst, mein
fremder Herr Vetter, draußen vor dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die
drüben in der Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten,
Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen Geschwister.
Sie hatten noch eine volle halbe Meile, und ließen mich nun die Sachen
herüber tragen. Wie ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch
wohl ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut hatten?
Aber Pankraz ist faul; der trug nichts, und drum hat er auch sein Geld
in der Tasche behalten.

Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt; sind Sie aber immer
so vergnügt?

Wie's kommt, antwortete jener lachend; nur wenn die Leute dumm sind,
kann ich mich sehr ärgern, wenn sie nicht capiren. Sehn Sie, es ist sehr
traurig, wenn man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch
einmal so gern Verstand.

Sie denken trefflich, sagte Anselm.

Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener weiter, daß wenn ich
einmal so recht superklug bin, die Leute mir beweisen wollen, ich wäre
dumm? Nicht wahr, die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian
letzt einmal in der Kirche sagte.

Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen werden, rief der
alte Mann.

Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte Theophil mit der
größten Ernsthaftigkeit und ging traurig zum Prediger hin.

Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte fort, daß es nicht
angeht, weil er sich laut mit seinem Bedienten während des
Gottesdienstes zankt. Was thut er aber neulich? Indem ich in der Predigt
aufsehe, hat er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel
aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein Gesangbuch zwischen
den Pfoten halten muß. Heißt das nicht die Gemeine stören?

Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der Angeklagte mit
weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine ernsthafte Wendung des
Gespräches fürchtete, fragte den Klagenden, was das neulich gewesen sei,
wo er so allein klug, und die Andern dumm gewesen wären. Ja so! sagte
Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige Geschichte! Die
Mamsell Kilian hatte mir ganz neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich
den andern Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm ich mir
vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern sollte, damit ich es
nicht vergessen möchte. Um aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn
zu rechter Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte,
machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen ja, das ist ein
altes Herkommen, wenn man etwas nicht vergessen will.

Ja wohl.

Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich den Knoten. Da besinne
ich mich auch gleich, daß ich den Pankraz erinnern muß. Pankraz, du
sollst mich an was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen mit
dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh' auf den Fischfang und denke
nichts Böses. Den andern Tag aber ist der Knoten noch im Tuche. Das
ängstete mich, denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich den
Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas besinnen. Den Knoten
hatte ich aber so fest gezogen, daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen
konnte. So nehm' ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß den
Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe ihn aus dem Fenster.
Wie nun das Tuch wieder gewaschen ist, sagt die Mamsell sammt allen
Menschen im Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch
wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst, ob ich etwas
dabei versehn habe, und wer Recht hat!

Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich vorher ein Stück des
Tuches, folglich mußte dieses nachher fehlen.

Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn, und faßte die Hand
des Arztes heftig und stark; ich schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern
nur den Knoten, den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin
war.

Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können wohl Recht haben;
ich habe bisher dieses Experiment noch nicht gemacht, und Vieles
begreift man gewiß erst durch die Erfahrung.

Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet? fragte der junge
Mann mit listiger Miene.

O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie leisten mir jetzt eben
auch Gesellschaft.

Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort, wenn ichs in der Manier
thun wollte, wie mein Gesellschafter Walz da drüben in der kleinen Stadt
mir die Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter
haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt war. Das gab ein
Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends alle Rippen weh thaten.

Wie so?

Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar nicht vertragen; aber
ich durfte ihn niemals wieder prügeln. Ja, wie gern möcht' ich ihm auch
einmal so recht Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war,
schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader; ein paar Mal
ließ er mir auch Zähne ausziehn, -- die beiden hier: weil er sagte, ich
wäre zu böse, die Zähne wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt
oder in Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim Essen
verloren.

Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt.

Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig, vor meiner Zeit.

Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das?

Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen! Vor meiner Zeit --
ach! lassen Sie mich zufrieden und haben Sie mich nicht zum Narren!
sagte er ganz böse.

Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie jetzt schon; ich
begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig bemerkten.

Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der junge Mann wieder
ganz heiter.

O ja, sie ist mein Hauptstudium.

Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend. Sind Sie auch brav
darin herumgewalzt worden?

Herumgewalzt?

Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst, tüchtig gedroschen! Sie
verstehn nun schon, so wie es mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz
ergangen ist.

Er nahm also die Sache so ernsthaft?

Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen. Es war aber
eigentlich die _Batonik_, weil er den lieben Baton so sehr dabei
brauchte. Da krochen wir herum und suchten Petersilie und Wurstkraut,
Rüben und Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein ander
Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein Maikäfer. Ja, sagt' ich,
das ist ein Maikäfer. -- Zu welchem Geschlecht gehört er? -- Doch wohl
zum Geschlecht der Maikäfer. -- Sehn Sie, da brach er gleich einen
Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf meinem Rücken. Der
wurde überhaupt dazumal so magnetisirt, daß er fast so hellsehend
geworden wäre, daß die Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können.
Sagen Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu Hause ist,
warum man dann immer auf dem Rücken, oder noch tiefer anklopft. Sollte
denn der Geist da allenthalben lieber als in der höhern Etage wohnen? --
Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten liegt, schrie er, der
berühmte Linné, oder auch Pistillen, oder dergleichen alberne
Gelehrtennamen. Wenn ichs nicht behielt, von der Buche ein Zweig
gebrochen, und damit wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh,
wenn das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur ein
Gesträuch zur Hand.

Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft auf dem Wege nichts
profitiren können?

Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir auch nur abgesehn
schien, mit dem _Rücken_; denn der kriegte durch vieles Repetiren der
Studien eine so feste Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke
unterscheiden will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben
nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind! Weiden schmiegen
sich mehr, sind aber weniger eindringlich. Die Eiche klingt mächtig, als
Baum der deutschen Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit
ausrichten; der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige abbrechen,
die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es auch mit der Tanne und
Fichte nicht viel. Die Buche ist körnig; die Birke, besonders im
Frühjahr, empfindlich; auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum
fortkommt, steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden und
Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und alle schlugen immer auf
meinen Rücken an, so daß in meinem Innern große Schätze verwahrt liegen
müssen. Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme
Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte ein paar Mal das
Instrument zu meiner Weihe reichen; und so kann ich gewiß, da gar kein
Tergiversiren etwas fruchtete, auf eine recht pragmatische und
polyhistorische Bildung Anspruch machen. -- Als ich mich genug
durchstudirt, und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte, wurde ich
hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan; und hier ruhe ich auf
meinen Lorbeern aus, die ich noch manchmal in Rippen und Seiten fühle.

Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der Arzt; haben Sie
Appetit, schlafen Sie gut?

Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich träume oft schwer und
fürchterlich, und tobe dann und lärme in der Nacht. So hatte ich auch
diese Nacht einen ängstlichen Traum.

Was war das für ein Traum?

Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte mir diese Nacht?

Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann ich nicht wissen.

Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil aus, ich lasse ihn
bloß deßwegen in meiner Stube schlafen, daß er alles wissen soll, was
ich denke und träume; aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum
bekümmert. Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu sollst
Du die Aufsicht über mich haben!

Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So wollen Sie auch
immer von mir wissen, was Sie denken, oder gedacht haben; wie soll ich
das anfangen?

Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du sollst mit mir so
eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam haben, dann wird es mir
weniger sauer werden, über Vieles nachzusinnen; denn dann denk' ich in
Dir, und Du hast bloß die Mühe davon.

Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen; sagte Pankraz mit Lächeln.

Nein, erwiederte Theophil; das würd' ich gern übernehmen, und zwar in
Deinem Namen mit; ich die Wurzel und der Stamm, Du die Blume und Frucht.

Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich, den Kranken über den
Gegenstand zu prüfen, den zu berühren er außerdem ängstlich würde
vermieden haben. Er ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie
lange keine Nachrichten von Blanka erhalten?

Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes Windspiel, das ich
vor langer Zeit hatte?

Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem er den Arzt prüfend
betrachtete: wissen Sie von der etwas?

Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten, und meinte nun
fast nichts mehr schonen zu dürfen. Er sagte daher: ich wünsche bloß
etwas Näheres von Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges
Schicksal mich sehr interessirt hat.

Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß nichts von ihnen;
aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle Laune, hüpfte auf einem Beine
herum, schwenkte den Hut und schrie halb singend: Da hinter des
Priesters Garten, da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und
Birken, ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und
Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist ein liebes
Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug. Da kommen in
Herbstestagen, wenn welkes Laub schon rauscht, die liebe Fräulein
Blanka, der Monsieur Raimund zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen,
sie drücken sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen, da
finden sie wieder Verstand! -- Er schrie und sang immer lauter, so daß
der alte Pfarrer aufstand und rief: um des Himmels willen, junger Herr,
in welcher Spinnstube haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht?

Das hab' ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil erfreut.
Pankraz, behalt' es ja, wir wollen es nachher dem Junker vorsingen.

Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck war was in der Ode,
und daß Sie gern Verstand haben möchten. Da kommt der Junker!

Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem Augenblick ein junger
Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht, ohne Hut mit Papierwickeln in
den Haaren. Da sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel,
ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da hätten Sie
disputiren können!

Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil.

Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre ganze Familie hat
seitdem an den Narren dort den Narren gefressen; nur die Mama will
nichts davon wissen, und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa
böse, daß er uns so ein schlechtes Beispiel giebt.

Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar, mit Narren würde ich
niemals disputirt haben; denn sie haben keine Logik.

Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte Görge, sondern eine Art
Künstler. Ich sage Ihnen, der Papa war ganz eingenommen, und sie hatten
da oben einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen konnte.

Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel, rief Theophil laut
jubelnd; der und ich, wir sind die beiden größten Narren im Römischen
Reich; das Kloster da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in
allen Ehren gehalten.

Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und respectiren Sie in dem
verehrten Herrn Grafen den Bräutigam meiner Tochter.

Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger Mensch heran, hüpfte aus
dem Sattel, und eilte in die Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem
Hause, mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen herbei
stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß. Die Gruppe fuhr aus
einander, als sich jetzt der Arzt, so schnell es sein verwundeter Fuß
erlaubte, ihnen näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier
wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet. Der junge
Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater so hastig vor
den Bauch, daß dieser wieder in die Laube zurück taumelte, warf mit
demselben Ungestüm die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den
Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen konnten, war
er im gestreckten Galopp schon aus dem Dorfe hinaus.

Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach!

Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn? fragte der Pfarrer,
der sich wieder gesammelt hatte.

Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil jauchzend.

Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt; kommt er uns aus den
Augen, so haben wir ihn Alle für immer verloren.

Verloren! schrie die Braut und rang die Hände.

Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist die Trauung, und
kein fremder Mensch, mag er sich auch Doctor nennen, hat das Recht, Dir
Deinen Bräutigam zu entreißen.

Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus, und nun er mich hier
gesehen hat, kommt er gewiß nicht wieder.

Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch heftiger, Sie
fremder, unbekannter, hergelaufener Herr; und wenn mein Schwiegersohn
Ihretwegen nicht wieder kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie
Gottloser!

Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf das Höchste erbaut; denn
sie kannten keinen größern Genuß, als den alten Pfarrer im Zorn zu
sehen. Die Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein
Wagen fuhr in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter Eile, ohne
die Andern zu begrüßen, kam herbei gelaufen, und rief schon von Weitem
dem Arzte zu: wo ist er? -- »Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben
wir die Hülle und Fülle!« jubelte Theophil. -- Der Arzt ging ihm
entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling. -- Dieser da?
fragte der Rath, indem er den Einfältigen nur flüchtig betrachtete. Ach!
Pankraz! rief er dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist
Raimund?

Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte erst keine Antwort
finden; endlich stotterte er: Sie wissen es ja wohl, Herr Rath, daß ich,
als ich damals plötzlich aus den Diensten des Herrn Raimund mußte. --

Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir den Abschied wegen des
unglücklichen Einfalls, daß Du dem kranken Jüngling die falsche
Nachricht vom Tode seiner Geliebten überbrachtest.

Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem jungen Herrn nichts
wieder gesehn und gehört. Es ist mir seitdem schlimm genug gegangen.

Aber wie kommst Du hieher?

Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter; aber nicht in
der Walzmanier.

Wie heißen Sie? fragte der Rath.

Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß' ich doch? Ich kriege alle
Augenblicke einen andern Namen.

Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von Leitmark.

So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber, oder sonst. Nun, mir
kann's gleich gelten.

Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied vom Pfarrer, bat der
Störung wegen um Verzeihung, und zog dann halb gewaltsam den Rath zum
Wagen. Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz sprechen, sagte
dieser. Doch Pankraz und Theophil waren eiligst verschwunden, und der
Pfarrer erzählte, daß Beide oft Wochen lang in der Gegend, nahe und
fern, auf ihren Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten
erführe, wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten. Der Arzt hob
seinen Freund selbst in den Wagen und sagte dann laut: Lassen Sie uns
doch nun unser Ziel verfolgen, den Grafen Birken suchen, nach Raimund
spähen; fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser lieber
Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel befohlen; denn hieher werden
wir auf keinen Fall wieder kommen! Niemals, denn wir haben noch eine
weite Reise vor uns!

Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen; aber das Rollen des
Wagens hinderte jetzt noch das Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit
das Dorf und die Gegend verlassen.

                   *       *       *       *       *

Baron Wolfsberg hatte unterdessen fleißig arbeiten müssen. Um sich nicht
zu verrathen, durfte er am Tage nicht so lange schlafen, als es ihm wohl
gut und heilsam gewesen wäre. Der kleine Friedrich führte eine strenge
Aufsicht über ihn und ermunterte ihn kräftig, wenn er einmal ermatten
wollte. Als das Geschäft des Eingrabens schon weit gediehen war, zeigte
sich die größte Schwierigkeit darin, die aufgehäufte Erde, welche bei
der zunehmenden Arbeit immer hinderlicher wurde, fortzuschaffen. Doch
Friedrich wußte auch dafür ein Mittel. Es gelang ihm, aus dem Garten
einen Schiebkarren unbemerkt zu entfernen, und in die unterirdischen
Gewölbe zu befördern. Da er aber selbst für die Arbeit viel zu
schwächlich war, so mußte der junge Baron auch das Geschäft übernehmen,
Sand und Erde herauf zu führen, und in die weit verbreiteten Räume der
Keller zu verfahren und auszustreuen. Gewöhnlich holte Friedrich den
nächtlichen Arbeiter schon vor eilf Uhr ab, und ließ ihn erst gegen vier
Morgens zurück kehren, so daß auch Wolfsberg durch den wenigen Schlaf,
da überdieß die Kost nicht die nahrhafteste war, sich nach wenigen
Wochen ziemlich abgemattet fühlte. Er wurde mager, still und
melancholisch, und sah dem jungen frischen Manne und dem übermüthigen
Weiberliebling kaum mehr ähnlich, in dessen Gestalt er zuerst das Haus
betreten hatte. Der Director schaute ihn oft prüfend an, untersuchte
seinen Puls, und erkundigte sich theilnehmend, ob ihn ein besonderer
Gram quäle. Wolfsberg aber, der sich schmeichelte, bald das Ziel seiner
Anstrengungen erreicht zu haben, wich allen prüfenden Fragen sorgfältig
aus.

Zu einer Mittagsstunde ward der junge Mann dadurch überrascht, daß ihn
sein getreuer Friedrich an den Tisch des Directors zum Essen einlud. Er
fand dort nur eine kleine Gesellschaft, und außer dem Wirthe nur einen
schmächtigen, ziemlich alten Prediger aus der benachbarten Stadt, der
zuweilen in einer Capelle des großen Hauses den Verwirrten predigte und
sie zu ermahnen und bekehren suchte, meist aber durch possierliche
Störungen gehemmt und unterbrochen wurde. Außer Wolfsberg war nur noch
Herr Kranich gewürdigt worden, an diesem kleinen vertraulichen Tische
Platz zu nehmen; Friedrich war mit zur Aufwartung zugegen. Sie sehn,
meine Herren, fing der Director mit einer heitern Miene an, die man
nicht an ihm gewohnt war, ich behandle Sie heute als Männer, die sich
selbst in der Gewalt haben. Der Herr Pastor und ich hoffen von Ihrer
Unterhaltung Vergnügen und Aufheiterung; denn sich in diesem großen
Hause immer so einsam zu fühlen, ist wahrlich nicht erfreulich.

Wohl, sagte der Pfarrer schmunzelnd; und es will mir oft vorkommen, als
wenn unsre Freunde nur etwas mehr kräftigen Willen haben dürften, um so
wie wir Andern zu seyn; aber ich versichre Sie, Herr Director, und Ihre
eigene Beobachtung wird es Ihnen auch bestätigt haben, daß die leidige
Eitelkeit, der Stolz auf irgend eine Grille, die man nicht ablegen will,
sehr viel, ja bei manchen unsrer Patienten wohl das Allermeiste thut.

Friedrich mußte dem Baron, so wie dem Herrn Kranich Wein einschenken,
damit sich beide, vorzüglich der junge Graf, wie ihn der Director
nannte, stärken möchten. Freilich haben Sie Recht, Herr Pastor, setzte
dieser das Gespräch fort; denn wer von uns fühlt wohl nicht, daß er sich
nur nachgeben und verweichlichen dürfte, um diese oder jene Seltsamkeit
auf die wunderlichste Art auszubilden, und dadurch bei stärkern Menschen
Anstoß oder Lachen zu erregen?

Mein Herr Director, antwortete der Geistliche, es ist überdieß im
Thörichten (Verzeihung, meine Herren, daß wir so offen über diesen
Gegenstand sprechen) etwas so Anlockendes, fast Liebliches, daß man
zuweilen recht im ganzen Wesen den unwiderstehlichen Reiz spürt, mit
beiden Beinen frisch und wohlgemuth hinein zu springen. Soll ich? Soll
ich nicht? so fragt man sich selbst. Warum nicht? sagt eine curiose
Stimme, aus dem fernsten und buntesten Winkel unsers Geistes; tausend!
ruft es, was kannst du da erfahren, und dich genießen, ja erst recht
verstehen, wenn du der Altklugheit ein Schnippchen schlägst. Aber zum
Glück kommt dann wieder eine ehrbare, aschgraue Moral, die mit ernster
Miene sagt: widerstehe dem Verführer und seiner Lockung, laß dich nicht
in die Kellergewölbe des Wahns führen, wo trotz aller Versprechungen
keine Schätze liegen!

Kellergewölbe? fragte Wolfsberg und wurde roth; wie kommen Sie nur auf
dieses Gleichniß, das mir hier gar nicht passend scheint!

Der Director sah ihn schon wieder mit dem prüfenden Blicke an, und
Friedrich machte ihm gegenüber eine so seltsam bittende Miene, seine
beiden Wangen zitterten und zuckten, die Lippen schmiegten und krümmten
sich wie ein Wurm, und die Augen zwinkelten so bedeutend, daß Wolfsberg
in das lauteste Gelächter ausbrechen mußte.

Gebe der Himmel, sagte der Director, daß unsre Mahlzeit mit der
Heiterkeit schließe, mit welcher sie anzufangen scheint. Gewiß, fiel der
Prediger ein, ist zu wünschen, daß wir so fröhlich bleiben mögen: aber
um fortzufahren, so kommt es mir noch immer nicht so ganz ausgemacht
vor, ob die Mania (wir wollen dies Wort brauchen, um keinen Anstoß zu
erregen) in uns Allen liegt, und nur wie bei den Lastern durch
Nachgiebigkeit befördert und gereift wird, so daß der gewöhnliche
Verstand nur in gewissen Graden von ihr entfernt seyn möchte: oder ob
sie eine radicale Verschwiegenheit, ein wahrhaft kranker Zustand, ein
andres und schiefgerichtetes Verhältniß der Seele ist.

Das Letzte und auch zugleich das Erste, meinte der Director, und darum
sei auch die Cur leicht und schwer zugleich: leicht, weil man sich den
Verirrten nur hingeben müsse, sie zu verstehn suchen, da immer noch
Verständniß, oft eine Art System zum Grunde liege, sie achten, ihnen zur
passenden Zeit nachgeben, ein ander Mal Strenge üben; und von dieser
Seite sei wohl keiner ganz unheilbar zu nennen: schwer sei die Cur aber,
weil man die Symptome oft mit dem Grunde der Krankheit verwechsle, den
Verirrten dann nur störe und kränker mache, -- für ein schwaches Gemüth
aber, wie er selbst, sei sie dadurch am schwersten, daß man, um diese
Menschen zu verstehn, mit dramatischem Geiste zu tief in sie eingehe,
leicht in eine Art Täuschung gerathe, und wenn man sich dann plötzlich
prüfe, sich selbst beinahe auf dem nämlichen Wege finde.

O mir aus der Seele gesprochen! schmunzelte der Geistliche; ach, Herr
Medicinalrath, was sind Sie für ein Menschenkenner! Da liegt freilich
recht eigentlich der Hund begraben, daß man, wie man im Trauerspiel
weint, indem man sich in die Confusion hinein denkt, selbst confus wird.
^Dis moi qui tu hantes etc.^ Ja wohl, ja wohl, ein wahres
Sprichwörtchen! Ich habe schon zuweilen die Meinung fassen wollen, daß,
um als Seelsorger auf die guten Leutchen zu wirken, einer gefunden
werden müßte, der, wenn auch nicht ganz in die Irre, doch ein wenig
jenseit der Schnur gerathen wäre, und doch noch genug kräftige Religion
übrig behalten hätte, um die Seelen zu ergreifen. Denn das, bester Herr
Director, ist das Schlimme, daß, wenn man nicht selbst in ihren Orden
eingeweiht ist, man fast niemals die rechte Perspective trifft. Sie
wissen, wie ich in meinen Predigten gesucht habe, in Ton, Geberde und
Beispiel mich den armen Drehschaafen zu nähern, aber manchmal zu wenig,
oft aber viel zu viel that; Sie selber machten einige Male die
Bemerkung, ich hätte wie ein wahrer Narr gesprochen. Ich mußte Ihre
eigne Seele freilich ganz aus dem Spiele lassen; denn ich wußte ja, wie
firm und kräftig Sie in Moral, Tugend und allen Glaubenslehren sind.

Sie gaben einige Male ein schlechtes Beispiel, sagte der Director; denn
Sie lachten auf der Kanzel selbst aus vollem Halse.

Der ernsthafteste Mann hätte es nicht unterlassen können, sagte der
Prediger, von Neuem laut lachend. Denken Sie, Herr Graf, wir hatten hier
in unserm Hause einen jungen Mann, der ein Baukünstler gewesen war; er
hatte aber eine so heftige Liebesleidenschaft zur Tochter eines
Perückenmachers gefaßt, daß er darüber sein Studium verließ, und das
Handwerk des Meisters ergriff; da ihm aber das Mädchen untreu wurde, mit
Erlaubniß von Ihnen, so zu sagen, überschnappte. Nun bestand seine
Grille darin, sich und alle Menschen, die er dazu bewegen konnte, auf
die sonderbarste Weise zu frisiren. An jedem Tage hatte er eine neue
wunderliche Kopfverzierung ersonnen, und ich glaube, daß ihn bei diesen
mannigfaltigen Erfindungen sein ehemaliges Studium der Baukunst sehr
unterstützte. Ich predige hier an einem Pfingsttage, und sehe die liebe
Gemeinde unter mir. Der Verwilderte hatte sich furchtbar ^à la Herisson^
frisirt, so daß ihm die Haare wie Borsten vom Kopfe weit weg abstanden;
sieben oder acht seiner Freunde standen und saßen neben ihm mit
hochaufgewirbelten Papillotten, ein Anblick, der schon sonderbar genug
war, weil viele Papierbündel wirklich wie aufgerichtete Krämerdüten auf
den Köpfen leuchteten. Nun nahm aber er einen nach dem andern von seinen
Anhängern zwischen die Knie, und frisirte ihn während meiner Predigt
eben so fantastisch, wie er selbst sich trug, so daß gegen das Ende der
Rede ein Theil meiner Andächtigen wie eben so viele wilde Teufel
aussahen, und ich des Lachens wegen, das mich befiel, früher schließen
mußte, als ich mir vorgesetzt hatte.

Friedrich wollte sich ausschütten vor Lachen, und der Director
erwiederte: so wie der Verstand, so hat die Narrheit des Menschen keine
Gränzen. Jetzt ist ein Mann bei uns, der sich immer mit einem Maaßstabe
herumtreibt und ihn unablässig betrachtet und rechnet. Dieser Mensch ist
ziemlich wohlhabend und besitzt in der Stadt drüben ein mittelmäßiges
Haus. Es verdroß ihn aber, daß, wenn er so manche größere Häuser des
Ortes betrachtete, ihm sein ererbter Wohnsitz nur winzig und unbedeutend
erscheinen mußte. Mit diesem Verdrusse schleppte er sich Tag und Nacht,
und wußte doch kein Mittel, dem Uebelstande abzuhelfen. Endlich, weil er
vor Hochmuth weder mehr schlafen noch essen konnte, faßte er einen
seiner Thorheit würdigen Entschluß. An einem schönen Sommertage geht er
aus, miethet auf dem Markte vier der stärksten Tagelöhner, und nimmt sie
mit in seine Wohnung. Hier führt er sie in sein größtes Zimmer; jeder
von ihnen muß sich gegen eine Wand stemmen und mit allen Kräften dagegen
drücken, bis er ihnen Halt zuruft. Sie empfangen ihren Lohn, ohne zu
begreifen, was sie gearbeitet haben. Am folgenden Tage wird derselbe
Versuch wiederholt; sie müssen streben und drängen, daß ihnen der
Schweiß herab fließt, genau auf sein Commandowort achten, und in
demselben Augenblick alle zugleich zu drücken aufhören, wie sie in
demselben begonnen haben. So treibt er es den ganzen Sommer; er
erweitert nach und nach alle Zimmer seines Hauses, die Gänge, die
Treppen, den Hof; und nachdem er so eine bedeutende Summe ausgegeben
hat, ist er fest überzeugt, sein Haus sei das größeste in der ganzen
Stadt. Er spaziert Stunden lang mit hoher Verehrung vor demselben auf
und nieder, er zeigt erstaunten Fremden seine unermeßlichen Säle, er
fängt an, sich selbst den Grafentitel beizulegen, hängt ein gemaltes
Wappen über seine Hausthür, und ist auf einige Zeit unser Gast geworden,
um sich wieder auf die Wahrheit besinnen zu lernen. Sehn Sie, lieber
junger Herr Graf, so sonderbare Verirrungen fallen vor, daß dieser Mann
sogar den sichtlichen Raum seines Hauses nicht mehr hat wahrnehmen
können.

Sie beweisen mir heute ein so schönes Vertrauen, erwiederte Wolfsberg,
daß ich es wohl wagen darf, noch einmal das Wort zu wiederholen, mit
welchem ich Ihr Haus zuerst betrat, daß ich nämlich durchaus nicht der
bin, für welchen Sie mich halten, und daß Sie, wenn Sie mich nur einer
ruhigen Prüfung würdigen wollen, mich eben so wenig des Verstandes
beraubt finden werden, als den Herrn Prediger, oder als Sie es selber
sind.

Der Director winkte mit dem allerfinstersten Blicke, und Friedrich,
welcher jede seiner Mienen verstand, nahm schnell den Wein vor Wolfsberg
weg, und stellte ihm ein großes Wasserglas hin. Es geht nicht, rief der
Director, so mit Ihnen zu leben, wie ich wünsche. Da Sie jetzt so
abgefallen und fast miserabel aussehen, da Ihr Blick so demüthig ist; so
glaubte ich wirklich, Sie hätten in sich geschlagen, und ich dürfte Sie
durch bessere Speise und Wein erquicken. Aber an Ihnen ist Hopfen und
Malz verloren. Wie, Sie wollen wirklich streiten, daß Sie der Graf
Birken, einer der confusesten jungen Männer sind? daß Sie schon tausend
Händel angezettelt, und dafür drei oder vier Mal ansehnliche Schläge
empfangen haben? daß Sie es zu guter Letzt gewagt, sich mehrmals in das
Haus des Barons von Halden einzuschleichen, und das Unglück seiner
sinnverwirrten Tochter durch Liebesbriefe und mündliche Betheuerungen
erhöht, ja sie endlich beredet haben, sich von Ihnen entführen zu
lassen? Hier ist die Klage des Barons, hier sind Ihre kläglichen Briefe,
hier ist die Ordre vom Minister, Sie gefangen zu halten. Wollen Sie aber
dieser Graf Birken nicht seyn, so zeigen Sie uns Pässe, oder Schriften,
durch welche Sie sich ausweisen können; stellen Sie angesehene Bürgen!
Aber man hat Sie dort im Hause nur zu gut erkannt, und Sie zu oft aus-
und einschleichen sehn, Sie auch zuletzt im Zimmer der Tochter selber
ergriffen. Und nun kein Wort mehr über die Abgeschmacktheit, wenn Sie
nicht bei Wasser und Brod in Ihrem Zimmer wollen eingesperrt seyn.

Wolfsberg las die Papiere mit Aufmerksamkeit durch, und wagte es nicht,
noch ein einziges Wort zu seiner Rechtfertigung zu erwiedern. Friedrich
sah ihn tröstend an und warf heimlich höhnische Blicke auf den Director;
der aufmerksame Herr Kranich aber war schnell mit der kleinen Peitsche
bei der Hand, um die bösen Geister von Wolfsbergs Schultern zu verjagen.
Der Director wurde noch zorniger und rief: stecken Sie die verdammte
Peitsche ein! Ich glaubte, Sie würden doch wenigstens mein Vertrauen und
mein Zimmer so weit ehren, das Zeichen Ihres Aberwitzes in Ihrer Klause
zu lassen.

Der Rothrock steckte zwar die Peitsche wieder ein, machte aber ein
zorniges Gesicht, sah den Director mit großen Augen unverwandt an und
sprach dann laut: Aberwitz, mein Herr? Dieses Worts sollen Sie sich
jetzt und Ihre Lebenszeit hindurch schämen! Ich kam an Ihren Tisch in
dem festen Vertrauen, daß Sie doch so viel Vernunft haben würden, mich
nicht mit den mancherlei Gecken, von denen heut Mittag die Rede gewesen
ist, in eine Classe zu werfen, und mich nicht mit dem Gezücht
vergleichen zu wollen, was da unten im Saale sein Gaukelwesen treibt.
Ich brauche, dem Himmel sei Dank, nicht curirt zu werden; auch will ich
niemals curirt seyn; denn meine Vernunft, Herr, ist probefest, und auf
die Dauer gearbeitet, und ich bin noch niemals, wie Sie von sich vorher
zugestanden haben, in Gefahr gerathen, mit Närrischen närrisch zu
werden. Wer wären Sie denn, wenn ich nicht das Geschmeiß der Pygmäen
immer wieder aus Ihrem Hause vertriebe? Ich will diese liebe Peitsche
nur kurze Zeit ruhen lassen, und Sie werden es an sich erfahren, daß Sie
ein ruinirter Mann sind, daß Sie überschnappen, daß Sie zum Kinderspott
werden. Wie? Was? Es gäbe wohl am Ende gar keine Pygmäen? Haben sie
nicht schon die alten Griechen erkannt, aber nach ihrer dummen Weise
darüber gefabelt. Sogar von mir und meinem großen Einfluß auf sie hat
man in uralten Zeiten dunkle Legenden und Ahndungen gehabt; aber man
dichtete, daß die Pygmäen ein wirkliches Volk seien, so klein, daß die
Kraniche Krieg mit ihnen führten. So erbärmlich hat man die Sache und
meinen Kampf mit ihnen entstellt. Heut zu Tage nennen sie's das böse
Princip. Nicht wahr, da ist mehr Verstand drin! Nein, da lobe ich mir
meine süße, liebe Peitsche; und wo ich bin, muß diese auch seyn. ^Dixi.^

Der Geistliche sagte: nicht so übel! aber der Director fuhr auf: wenn
Sie so großen Geschmack an Narren finden, ehrwürdiger Herr, so mögen Sie
es haben. Er verließ das Zimmer; die Uebrigen folgten ihm nach.

                   *       *       *       *       *

Was machen Sie nur? fragte der Rath den Arzt, als der sandigere Weg
wieder ein Gespräch erlaubte. Wir sollten lieber hier noch verweilen,
vorzüglich Ihretwegen, da Sie doch nun Ihren theuern Grafen gefunden
haben; und Sie selbst ziehen mich wie mit Gewalt in den Wagen, und
erklären, Sie wollten niemals wieder hieher zurück kommen.

O mein bester Rath, sagte der Arzt halb lachend; für einen
Rechtsgelehrten sind Sie mir doch etwas zu treuherzig und für einen
Inquisitor und Nachspürer gar zu arglos. Der Birken ist entlaufen, Vater
und Tochter sind mir entgegen. Vermuthen diese, ich komme wieder, so
finde ich meinen Entsprungenen niemals und es geschieht, was ich
verhindern will; kann ich sie aber sicher machen, daß ich nicht zurück
kehre, so überrasche ich den vollständigen Familienkreis wohl in Kurzem.
Mit Ihrem lieben Pankraz ist es derselbe Fall; er hat sich unsichtbar
gemacht, und zeigt sich nur, wenn er uns entfernt weiß.

Was hat der ehrliche alte Mensch mit dieser Sache, ja mit irgend einer
zu thun? antwortete der Rath. Er hat damals genug gelitten, als seine
Unvorsichtigkeit dem armen Raimund so theuer zu stehen kam; der Mensch
mußte sogleich den Dienst verlassen und dem Zorn des alten Barons
entfliehn.

Der Arzt lachte laut auf. Wenn meine Menschenkenntniß mich nicht ganz
trügt, sagte er endlich, so ist dieser gute alte Pankraz ein
durchtriebener Schurke, und jener braun- und blauäugige Baron nichts
Geringeres.

Sie schwärmen, lieber Freund.

Und Sie schlagen selbst etwas in die Farben, in denen Sie mir Ihren
Raimund gezeichnet haben. Haben Sie denn nicht bemerkt, wie verlegen das
Pankraziengesicht wurde, als es Sie erblickte? Schon vorher wurde er
blaß, als ich ihn nach Blanka fragte. Er weiß uns Raimunds Aufenthalt
gewiß zu entdecken. Können Sie sich in der Stadt durch Freunde oder
Autorität eine Vollmacht verschaffen, um den Schurken, wenn Sie ihn
wieder ansichtig werden, zu verhaften, ihn zu erschrecken; so erfahren
wir gewiß Alles, und der Zweck Ihrer Reise ist erfüllt.

Wenn Sie Recht hätten! sagte der Rath. -- Er befahl dem Kutscher nach
der Stadt zu fahren.

                   *       *       *       *       *

Bei der Gesellschaft im Saale waren einige Veränderungen vorgegangen.
Die beiden Redner hatten sich immer noch nicht versöhnt und jeder
vermied den andern; die Schachspielenden schienen auch weniger einig,
als sonst, und der Mann mit dem Maaßstabe war unruhiger, und lief hastig
hin und wieder. Wolfsberg gesellte sich zu diesem, und fragte, was ihm
fehle. Ach, mein Herr, sagte dieser heftig bewegt, Sie haben gewiß auch
von meinem großen Hause gehört, welches ich durch meine Geschicklichkeit
so ansehnlich gemacht hatte. Das konnte mir der Neid nie vergeben, daß
ich durch Wissenschaft Besitzer eines der größten Paläste in der Stadt
seyn sollte. Bald hieß es, durch die übermäßige Ausdehnung habe der Bau
eine so zarte Constitution erhalten, daß er bei der nächsten
Veranlassung, wenn etwa Truppen marschirten und die Trommel gerührt
würde, erschreckend, wie in einem Nervenfieber zusammen stürzen müsse.
Andre meinten gar, ich hätte die Stadt dadurch verengt, und die
nahestehenden Häuser und Gassen litten darunter: als wenn der unendliche
Raum etwas so Beschränktes wäre, daß man die Welt so leicht verderben
könnte. Ich erbot mich, die ganze Stadt durch Beobachtung des Tactes
auszudehnen, und sie, wenn wir Geld und Zeit genug hätten, größer als
London oder Nanking zu machen. Aber die Bosheit hörte auf nichts; ich
mußte mich hieher in die Einsamkeit zurück ziehn. Und was ist nun im
Werke? Sollten Sie's glauben, daß die Verderbtheit der Menschen so weit
gehen könne! Eine ganze Schiffsladung von Gummi elasticum läßt man mit
Erlaubniß des Parlaments von England kommen. Fünfhundert Menschen zerren
das Zeug aus einander; man practizirt es so, nach allen Seiten
ausgedehnt, unter meinen Palast, und auf ein Zeichen von dem
nahestehenden Kirchthurm (denn auch die Religion wird dazu gemißbraucht)
lassen alle fünfhundert Bösewichter in einem und demselben Augenblicke
die Gummifetzen los; das unglückselige Zeug schnappt zusammen, und nimmt
unwiderstehlich Breite und Länge meines Palastes mit sich, der durch
dieses höllische Kunststück wieder zu einem gewöhnlichen Hause
zusammenschrumpft. Denn das giebt die Vernunft, daß, da das elastische
Unwesen sich nun in der Grundlage an das Gebäude anklemmt, keine
menschliche Kraft, keine Wissenschaft, kein noch so gut observirter Tact
dazu hinreicht, es aus den Gummi-Klauen zu retten und wieder aus
einander zu dehnen.

Wolfsberg mußte dem Klagenden Recht geben; doch wurde jetzt seine
Aufmerksamkeit auf einen jungen Menschen gerichtet, der zum Saale herein
schlich, und den er bisher noch niemals gesehen hatte. Methusalem kommt
einmal wieder! riefen Einige, und über die blassen Wangen des kranken
Jünglings lief ein leichtes Roth. Wie nennen Sie ihn? fragte der Baron.
O er heißt nur so, antwortete Sokrates, der eben vorüber ging, weil das
Gespenst schon so außerordentlich bei Jahren ist, daß, gegen ihn
gerechnet, Methusalem selbst noch in den Kinderschuhen steckt.

Die Gestalt und das Wesen des Jünglings waren so wunderbar und von
Allem, was sich in diesem Hause zeigte, so verschieden, daß sich
Wolfsberg wie gezwungen fühlte, sich ihm langsam und mit Blödigkeit zu
nähern. Der Jüngling war schlank und mager, seine Geberde ruhig und
edel, sein Gesicht schön, aber blaß und abgefallen; die Augen glänzten
so überirdisch, daß man vor ihnen erschrecken konnte, wenn nicht eine
süße Schwermuth ihr Feuer wieder gemildert hätte. Der junge Mensch
schritt dem Baron entgegen, vielleicht, weil ihm auch dessen Gestalt und
Wesen, als ein milderes, auffiel. Wolfsberg war um Worte verlegen, mit
welchen er das Gespräch eröffnen könne; aber der Kranke kam ihm zuvor,
nahm ihn bei der Hand und sagte mit der lieblichsten Stimme: was fehlt
Ihnen?

Meine Vergehungen, sagte der Baron in einem fast zerknirschten Tone,
haben mich hieher geführt. Aber woran leiden Sie?

Ach! klagte der Jüngling, daß ich so gar übermäßig alt bin; die große
Menge der Jahre drückt mich zu Boden. Wie alt schätzen Sie mich?

Höchstens drei und zwanzig Jahre, sagte der Baron.

Des Jünglings Gesicht ward noch wehmüthiger und zwei große Thränen
fielen aus den Augen. Sie sehn, sagte er mit seiner lieblichen Stimme,
wie ich lachen muß. Nun bin ich gerade sechstausend dreihundert und vier
und neunzig Jahre alt. Gestern Nachmittag hatte ich nur sechstausend und
vier und neunzig: und denken Sie, in der kurzen Zeit bin ich schon
wieder um die dreihundert Jahre älter geworden.

Sie setzen mich in Erstaunen, sagte Wolfsberg.

Wissen Sie denn, was die Zeit ist? klagte jener weiter. O Lieber,
mancher Achtzigjährige geht zu Grabe, und hat vielleicht nicht zwanzig
Jahre, nicht zehn gelebt. Vielleicht giebt es Menschen, die von der
Geburt an bis zum Greisenalter nicht zur Zeit erwachen, und erst jenseit
die erste Stunde müssen kennen lernen. In der Gleichgültigkeit ist kein
Strom; weder Vergangenheit, noch Zukunft, auch keine Gegenwart. Freude,
Jubel und Glück sind rasende Kinder, die tobend umher springen und das
zarte Stundenglas zerbrechen; hinter ihnen steht Tod und Nichtsein, --
der Himmel gab uns dafür keine Sinne. Aber im Schmerz, im Schmerz! Wie
durch diesen Wunderbalsam die Secunde, die das Auge kaum unterscheidet,
aufschwillt und mit der Ewigkeit schwanger wird! Ja, mein junger
Zeitgenosse, ich habe Tage erlebt, in denen Jahrhunderte eingewickelt
waren; sie lösten sie aus ihren Schleiern und legten sich mir um die
Seele. Dann kam eine Stunde, eigentlich nur ein Augenblick; da sprang
die ganze aufschwellende Knospe entzwei, in der mir die Zeit in
duftenden Blättern aus einander blühen sollte, und ein Alles und Nichts,
ein großer ewiger Tod, in dessen finsterm Herzen kindisch das süßeste
Leben lächelte, brach mit Gewitternacht über mich ein. Da waren die
Jahrtausende verlebt, dieselben, an denen das Menschengeschlecht, ohne
sie nur zu kosten, vorüber kriecht. Schmerz, Herz, Scherz: nicht wahr,
im Schmerz ist Alles, was die Andern nur einzeln aussprechen? Leben Sie
wohl, und hüten Sie sich, so alt zu werden! Ich gehe wieder auf mein
Zimmer, denn wenn diese großen Minuten mich besuchen wollen, müssen sie
mich wach finden. Adieu, junger Mann, vielleicht bin ich schon acht oder
zehntausend Jahre, wenn wir uns wiedersehn. Er wankte hinaus, und keiner
von den Gegenwärtigen achtete auf ihn.

Die Uebrigen umringten Wolfsberg, und Sokrates, der den Sprecher im
Namen Aller zu machen schien, sagte: junger Herr, wir Alle sind es nun
endlich überdrüssig, Sie noch länger diese triviale Rolle spielen zu
sehn, mit der Sie uns Allen herzliche Langeweile machen. Nicht der
Unbedeutendste hier, der nicht sein Pfund wuchern ließe; und Sie wollen
immer noch als leutseliger Beobachter sich herum treiben? Fordert die
Menschheit nicht auch Ihre Kraft und Ihren Entschluß? Sie sollen nicht
länger der Niemand seyn, mit dem Keiner von uns etwas anzufangen weiß.

Meine Herren, sagte Wolfsberg in einer sonderbaren Stimmung, die aus
Schmerz und toller Laune gemischt war: da Sie mich Alle mit einem so
gütigen Zuruf und schmeichelnden Zutrauen beehren, und da ich sehe, daß
uns hier eine so glückliche Republik umfaßt, in der uns weder Gesetze
der Zeit noch des Raumes tyrannisiren, und eine so freie Verfassung
unsre Kräfte erhebt, daß auch selbst das Unmögliche möglich wird: so
will ich denn auch nicht länger hinter dem Berge halten, mich Ihnen
entdecken und Ihren herrlichen Bestrebungen anschließen. Wissen Sie
also, daß ich das Eigne an mir habe, daß ich schon öfters gelebt habe,
vielerlei Zustände erfahren, und mein dermaliges Leben nur als die
hundertste Wiederholung in einer etwas veränderten Modification
aufführe.

Wie meinen Sie das, Trivialer? fragte der Leser.

Dieselben geruhen, antwortete Wolfsberg, mit Ihrer unvergleichlichen
Stupidität nicht zu capiren. Ich war mit Einem Wort, genau nach der
Lehre des Pythagoras, schon in vielfachen Gestalten im Leben. Ich war
König, Kaiser, Bettler, Vater, Sohn, lasterhaft, zur Tugend geneigt,
glücklich und elend.

O, sagte der Indianische Schachspieler, Sie fangen an interessant zu
werden, Männchen; fahren Sie nur so fort, so können Sie noch was
leisten.

Können Sie uns nicht etwas Bestimmteres von Ihren frühern Verhältnissen
mittheilen? fragte Sokrates.

Gern, erwiederte der Baron mit geläufiger Zunge, ich war z. B. zugegen,
als Cäsar ermordet wurde.

Trefflich! rief der Leser; wer waren Sie denn dazumal?

Wer anders, als der berühmte Cassius, antwortete Wolfsberg.

Halt! schrie der aufgedunsene Redner, der noch immer mit der
Zinnschnalle paradirte, halt! rief seine krächzende Stimme; das ist nur
Windbeutelei! Denn wenn ich damals hätte leben können, so würde ich
Cassius gewesen seyn: also ist es pur unmöglich, daß du selbiger
gewesen!

Dieser leere Wunsch, und die etwanige Möglichkeit, sagte Wolfsberg
spitzfindig, schließt doch wohl meine wirklich erlebte Wirklichkeit
nicht aus?

Leerer Wunsch? schrie der aufgebrachte Dichter, in meinem ganzen großen
Leibe und noch größerem Geiste ist kein einziger Wunsch, den man als
leer verlästern dürfte! Leer! Ei, den ausgelernten Lehrer! Mit diesen
Worten schlug er auf den jungen Baron ein. Sokrates wollte seinen
ehemaligen Schüler zurechtweisen: da dieser aber, noch ergrollt, ihn
ebenfalls nicht schonte, so verließ auch diesen die sokratische Ruhe.
Doch, wie es auch wohl bei Vernünftigern zu geschehen pflegt, vergaß er
den Beginn des Zanks, und sein thätiger Unwille wandte sich nach wenigen
Augenblicken gegen Wolfsberg. Die Schachspieler, Melchior, der
Baukünstler, ja Alle im Saale schienen plötzlich von der Ueberzeugung
begeistert, daß es nothwendig sei, denjenigen, der schon als Cassius und
in andern Zuständen Vieles gelitten, auch in diesem Momente mit
empfindlichen Leiden zu überhäufen. Am grausamsten aber wüthete die
Peitsche des Pygmäen-Bezwingers, dessen Seherkraft auf Rücken und
Schultern des Armen Myriaden seiner kleinen Gegner erblicken mußte, weil
er, unbarmherzig gegen sich und den Geschlagenen, in die Geister mit der
Anstrengung aller Kräfte hinein arbeitete. Entsetzt stürzte Friedrich,
der seinen fleißigen Arbeiter und Schatzheber unterliegen sah, mit
fürchterlichem Geschrei zum Director, dessen Autorität und starkes Wort
den armen, erschöpften Baron auch wirklich frei machte, der sich
verdrießlich und zerschlagen nach seinem Zimmer begab, und den der
Trost, welchen ihm Friedrich noch in der Thür zuraunte, daß die nun
kommende Nacht die letzte und entscheidende sei, in diesem Augenblick
nicht sonderlich erheben konnte.

                   *       *       *       *       *

Als Friedrich seinen nächtlichen Schatzgräber abrief, fand er ihn sehr
übel gelaunt. Die Arbeit wird mir zu schwer, sagte er verdrießlich;
meine Kräfte nehmen ab, und ich muß fürchten, daß diese ganze ungeheure
Anstrengung vergeblich gewesen ist; denn nach so manchen Wochen, nach so
vieler herausgegrabenen Erde, da wir doch schon tief genug gekommen
sind, zeigte sich noch immer nichts. Es wird auch fast unmöglich, die
Erde aus der Tiefe noch höher herauf zu schaffen, da ich Alles allein
verrichten muß.

Nur heut noch, flüsterte Friedrich; ich gebe Ihnen mein Wort, heut ist
die letzte und entscheidende Nacht! Wir müssen nur Anstalt treffen, das
viele Gold aufzubewahren, ohne daß man es bei uns bemerkt. Und noch
Eins, verehrter Freund, in der letzten Nacht zeigt sich gewiß etwas
Sonderbares oder Gespenstisches. Lassen Sie sich nicht überraschen;
erschrecken Sie nicht, wenn Sie Stimmen hören, ein wunderliches
Gepolter, Geschrei; wenn Lichter und Geister kommen, und uns das so
sauer Errungene wieder zu entreißen streben. Denn das ist ihre Art, den
Glücklichen noch zuletzt zu ängstigen, damit sie ihm seine Beute wieder
entziehen. Darum hüten Sie sich heute besonders vor jedem Zweifel oder
gottlosen Wort und Fluch; denn sonst versinkt unser Schatz gleich wieder
so viele Klaftern tiefer, daß alsdann unsre Arbeit von Neuem und viel
beschwerlicher anfangen müßte. Heut müssen wir besonders still seyn, und
uns eine feierliche Manns- und Heldenstimmung geben.

Sie gingen langsam hinunter. Sie flüsterten unterwegs, was sie mit den
Schätzen beginnen, welche Unternehmungen sie ausführen wollten, wie die
Welt vor den ungeheuren Dingen erstaunen sollte, die alsdann auftreten
würden. Wolfsberg sprach davon, wie er sich sein eignes Theater in
seinem großen Palaste anlegen wolle, und nur den vorzüglichsten
Künstlern gestatten, bei ihm aufzutreten; Friedrich dachte mehr darauf,
den Director zu kränken, seinem Hause gegenüber ein anderes, noch
größeres aufzuführen, und alle Menschen dort kostbar zu bewirthen die
sein Gebieter nicht leiden könne.

Als sie unten waren, stellte Wolfsberg die Laterne wieder neben sich,
und fing an seufzend zu graben, da ihm Arme und Rücken, ermüdet, wie sie
waren, fast den Dienst versagten. Friedrich stand oben auf der lockern
Erde, und konnte kaum seine heisern anordnenden Worte hinab gelangen
lassen, so tief hatte sich Wolfsberg schon unter die Fundamente
eingegraben. Eine schauerliche Stille umgab sie; ganz dumpf und fern
hörten sie jetzt die große Uhr zwölf schlagen. Wolfsberg dachte nicht
ohne Grausen daran, daß sich nach seines kleinen Freundes Voraussagung
nun wohl etwas zeigen könne, und suchte seine Angst durch emsigere
Arbeit zu betäuben. Friedrich stand hoch über ihm und zitterte an allen
Gliedern; er wagte es nicht mehr hinab zu sehn; die Erdschollen, wie sie
von unten aufgeworfen wurden, erklangen ihm fürchterlich, weil er in
jedem Wurf Schritt und Tritt eines Geistes zu hören glaubte. In der
größeren Anstrengung warf Wolfsberg die Laterne um, die nur ein
dämmerndes Licht in der ausgegrabenen Kluft schimmern ließ; Friedrich
stieß einen leisen Ausruf des Entsetzens aus, und als sich jetzt ein
seltsames Gepolter vernehmen ließ, ein dumpfes, brausendes Murren, von
dem man nicht unterscheiden konnte, woher es komme, setzte sich
Wolfsberg in höchster Angst nieder, ein Geisterheer und furchtbare
Erscheinungen erwartend. Sein Haar sträubte sich, als das Getöse zunahm;
und jetzt fiel plötzlich mit schwerem Fall ein Wesen um seinen Hals,
schlang sich zitternd und weinend an ihn fest und schien ihn erdrücken
zu wollen. Als Wolfsberg sich etwas besann, erkannte er Friedrich, der
von oben zu ihm herab gekugelt war, vom Schreck hinunter geworfen. Was
wird aus uns werden? schluchzte dieser. Aber nur Muth, Muth, mein
Leidensgefährte! Jetzt vernahm man etwas Bestimmteres, wie Reden,
Schreien durch einander. Es kam näher; aber nicht aus dem Boden, sondern
von dem Eingange des Kellers her; Lichtschimmer fingen an sich zu
verbreiten. Aber da muß das heilige Donnerwetter drein schlagen! brüllte
jetzt eine Stimme, und der Kleine ließ jetzt den Baron fahren, richtete
sich auf, und sagte: Gott Lob! es ist nichts, es ist nur unser Herr
Director.

Mordelement! schrie dieser von oben, wie sieht das hier in den
Kellergeschossen aus, da müssen wenigstens zwanzig verrückte Spitzbuben
dran gearbeitet haben. Gewiß ist der Schuft, der Friedrich, wieder auf
seine alten Tollheiten verfallen, und hat ein Rudel Dummköpfe zu
Gehülfen genommen. An dir aber will ich ein Exempel statuiren!

Herr Director, Barmherzigkeit! winselte der Kleine von unten hinauf.

Leuchtet! schrie der zornige Mann. Die Diener kamen mit den Lichtern
näher, stiegen auf die Erdhügel, und man sah jetzt beim Schein die armen
Sünder, bleich und aufgelöst in Angst, unten stehn.

Wie? schrie der Director, der verrückte Graf ist da unten bei dir?
Herauf ihr verdammten Kerle!

Langsam und mit Mühe krochen die Verbrecher aus ihrer Grube. Wißt ihr
wohl, Patrone, eiferte der wüthende Medicinalrath, daß durch eure
sauberen Bemühungen das Fundament hier gesunken ist, daß die äußere
Mauer nach Westen einen Riß bekommen hat? daß ich das Recht habe, euch
in Ketten zu schlagen und an die Wand zu schmieden? Ich erschrecke, wie
ich heut Nachmittag den Sprung in der Mauer wahrnehme; aber das laß ich
mir doch nicht träumen, daß der dumme Schatzgräber, der doch seine
ehemalige Strafe nicht sollte vergessen haben, seine Streiche von Neuem
angefangen hat. Sprich, wo sind die übrigen Verschwornen?

Der Graf, wie Sie ihn nennen, antwortete der zitternde Friedrich, hat
Alles ganz allein gemacht.

Was? rief der Director erstaunt; das Kerlchen ganz allein? Allen diesen
Schutt aufgeworfen? sich wohl vier Klaftern tief eingegraben? die Erde
in die Gewölbe herauf gefahren und dort abgeladen? Das ist kaum
menschenmöglich! Und wie lange treibt ihr die Teufeleien?

Seit vier oder fünf Wochen, klagte Friedrich.

Kein Wunder denn, sagte der Director, daß der Unkluge so verfiel und zum
Jammerbilde wurde. Aber wie konnten Sie nur, Graf, ein solcher Dummkopf
seyn, und sich von diesem armseligen Schaafe verführen lassen? Merkten
Sie es denn gar nicht, da Sie doch manchmal Funken von Vernunft zeigen,
daß er auch zu den Tollen gehört?

Also ist unser Herr Friedrich auch unklug? fragte Wolfsberg.

Was anders? erwiederte der Director: nur weil er anstelliger ist, als
die Andern, wird er zum Aufwärter, ja Aufseher gebraucht. Nun hat sich
das Ding freilich geändert. Hätten die Satans nicht uns Narren
insgesammt den alten Kasten auf die Köpfe schmeißen können!

Mir fiel es oft ein, sagte Wolfsberg kleinlaut, daß hier keine Schätze
liegen möchten, daß Friedrich vielleicht nicht gesunde Einsichten habe;
aber weil ich doch einmal die tolle Arbeit angefangen hatte, weil er
mich so zu lieben, auch ganz zu kennen schien, mehr als Alle, so -- --

Ja, winselte Friedrich, ich mußte dem Narren gleich gut seyn, so wie ich
ihn ankommen sah; denn betrachten Sie ihn nur, wie er dem berühmten
Herzog Marlbrough ähnlich sieht, der vor einem halben Jahre bei uns saß,
und mit dem ich damals auch die große Freundschaft errichtete. Aber da
er nun doch ein recht verrätherischer Narr ist, will ich Ihnen auch
sagen, wer er eigentlich ist; denn Sie kennen ihn Alle nicht.

Nun? sagte der Director.

Er ist, fuhr Friedrich trotzig fort, der durch die ganze Welt
berüchtigte Cartouche, das können Sie mir auf mein Wort glauben.

Scheert Euch beide auf Eure Stuben, rief der Director, und nehmt da auf
vier Wochen mit Wasser und Brod vorlieb, das ist Eure gelindeste Strafe!
Die Maurer werden hier wohl eben so lange zu thun finden, ehe das Haus
wieder fest steht und Alles in Ordnung ist.

Sie gingen Alle hinauf, und die beiden armen Sünder mußten sich seufzend
in ihre Strafe fügen, die noch härter hätte ausfallen können.

                   *       *       *       *       *

Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde Walther und Anselm. Sie
billigen es also, sprach der Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken
Alles, was seinen wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er
nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen und ihn aufsuchen
mag; denn ich kann meine Zeit nicht länger mit diesen Nachforschungen
verlieren. Sie wissen, daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste
Anstellung ankommen kann, die ich nicht zurück weisen darf.

Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte Walther, nur darin
nicht, daß Sie nicht zum Hause des Predigers Kilian zurück kehren
wollen, wo, wie ich immer noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was
nützt mir nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den guten
Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen?

Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel von Jugend war hinter
der seltsamsten Erscheinung her, die ihnen zu entlaufen suchte. Eine
lange Gestalt im rothen Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und
großem Haarbeutel, einem feinen Degen mit Porzellan-Griff an der Seite,
in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen mit rothen
Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich entgegen, und bat mit kläglicher
Stimme um Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem alten
Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen, und als sie im Zimmer
dem Geschrei und Lärmen des nachfolgenden Haufens entgangen waren,
erkannten die Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und
gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz. Wie bin ich Ihnen
verbunden, meine werthen Herren, sagte er, den Rath von der Seite
betrachtend, daß Sie mich gerettet haben!

Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde seines Freundes
vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung nehmen könnte, bemächtigte
sich gleich des Gespräches, indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen
Euch recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen Habit
gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten?

Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon einige Zeit von unserm
Prediger entfernt --

Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch den saubern Grund,
weil der gute Pankraz uns nicht gern dort treffen wollte. Doch das wird
sich Alles finden!

Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort, nachdem er den Arzt ein
Weilchen mißtrauisch angesehn hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir
in wichtigen Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect und
Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger selbst; aber an einem
einzigen Tage im Jahr ist er durchaus nicht zu bezwingen; an seinem
Geburtstage nämlich; da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun,
wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der Unglückstag, und da
faßte er schon vorige Woche den Gedanken, ich müßte heut als Herr
angeputzt seyn, und er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und
flehte; aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem Lande
treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus, und lehnt das Zeug dazu
von Juden und Christen zusammen; er selber tritt in einer engen
hechtblauen Livree hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln,
fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und schreit hinter
mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin ich durch die halbe Stadt
verfolgt worden, und hoffe nun durch Sie den Habit los zu werden, und
sicher nach unserm Wirthshause zu kommen.

Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt kaltblütig, der gute
Pankraz wird wohl anderswo ein Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath
Walther hat sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in der
Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht geben lassen, Euch
zu greifen, wo Ihr Euch betreffen ließet, und den Gerichten zu
überliefern; wo Euch dann das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch
nicht, wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Vestungsbau erwartet.

Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen schnellen Blick in
das große Blatt warf, wodurch denn -- dieser Verdacht -- ach! Herr Rath
-- ich weiß nicht --

Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt Ihr Eurem
Schicksal selbst eine bessere Wendung geben, wenn Ihr in unsrer und
einiger Zeugen Gegenwart ganz aufrichtig seid.

Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen soll.

Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und kann auch ohne
Euch ausgemittelt werden; nur bewegt uns das Mitleid mit Eurem Alter
dazu, Euch das harte Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen
muß. Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den alten Baron
Eberhard so in der Hand, daß er künftig für Euch sorgen muß, und noch
besser, als er bisher gethan hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch
handeln, wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen, wenn
Ihr läugnet.

Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur gleich recht viel
wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit meinen Diensteifer und
meine Liebe zu beweisen.

Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm.

Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte der Himmel, ich
hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen!

Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr der Arzt fort, daß Ihr
einen Spion bei ihm abgabt, daß Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet,
sondern Alles dem alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es
ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über die
Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu beerben hoffte; daß
ihm deßhalb die Verbindung mit Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er
auch nur unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß er
darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch alten Spitzbuben
mit der Nachricht ihres Todes zu dem zerstörten jungen Manne schickte,
als ob Ihr Euch einen rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als
dieser Todesschlag die Sinne des Unglücklichen verwirrte, jagte der alte
Unmensch Euch zum Scheine aus dem Dienst, wie es schon vorher unter Euch
abgekartet war, und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und
für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr, so hat sich
Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt Ihr den armen Jüngling
hingeschafft? Gesteht es lieber uns, als dort vor Gericht, wo keine
Gnade mehr für Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten
Beschützer den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem
schimpflichen Prozesse entgeht.

Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es denn auch ehrlich mit
mir? Wenn ich mich doch nur Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig
vertrauen könnte! Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts
mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern das, was ich von dem
Baron fordern kann, in ungestörter Ruhe genösse.

Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo ist Raimund?

Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer bedrängter Domestik
ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen Herrschaften bei allem ihrem
Ueberflusse nicht einmal sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das
Vermögen besser brauchen können, als sein junger Neffe, der niemals so
ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er auch, das feine Wesen sollte
mit Tode abgehn, weil die Leute immer sagen, solche Kinder und junge
Leute wären zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war, so
meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die auch besser für den
Himmel paßte, würde den jungen Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte
ich ihn erschrecken, daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden
hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron ganz christlich
vorzuschwatzen. Aber der junge Mensch hatte doch noch mehr Courage und
Kraft, als wir ihm zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel
lamentabel, und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch
weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern Namen, schrieb
Certificate, eine ganze lange Geschichte, die ich mir auch merken mußte;
und das arme kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß,
oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich übergeben und ich
brachte ihn ganz in der Stille auf das Haus da drüben über den Fluß, wo
sie ihn gut verpflegen, und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt
ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig seine Pension,
die ich von einem Banquier erhebe, und so ist Alles in Ordnung.

Was ist das für ein Haus? fragte Walther.

Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete Pankraz.

Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine Papiere ausliefern,
Dein Geständniß noch ein Mal wiederholen, und es unterschreiben, und so
lange, bis Alles entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch
eins: wer ist denn dieser Theophil?

Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers alten frommen
Barons. Er schämt sich seiner, weil er ein Narr ist, und hat ihn bisher
bald da, bald dort untergebracht.

Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat als Bedienter gekleidet
in das Zimmer. Ich will meinen Pankraz haben, rief er aus.

Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder geworden, und
gegenwärtig im Arrest.

O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte ich meinen
Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß sie den alten Kater zum
armen Sünder gemacht haben! Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian
und Görge erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn. Pankraz im
Arrest! der weise Salomon, der schnurrende altfränkische Solon mit
seiner Cato-Physiognomie und dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein
armer Sünder! -- Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden der
beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines alten Dieners.

                   *       *       *       *       *

Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige Kost dem armen Wolfsberg
noch nöthig, um ganz sein Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten
und die Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung
ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum erfreut, als man ihm
ankündigte, daß seine wohlverdiente Strafe ihm früher erlassen sei.
Jetzt durfte er wieder den Saal betreten, und der Director, den er bis
dahin so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte, ließ ihn
sogar dahin einladen.

Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und den Director mit dem Hut
auf dem Kopfe sitzend. Dieser hielt ein Papier in den Händen, und seine
Miene schien sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er
heiterer, als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er im Rednerton,
aber mit einer weichen Stimme an, wir haben lange mit einander gelebt,
viel mit einander ertragen; aber heut ist der Tag, an welchem wir von
einander scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen Gesuchen,
mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben, und der Mann, der nun als
Vorsteher meine Anstalt übernehmen wird, soll noch heut Mittag
eintreffen. Möge sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein
Sinn nicht unfreundlicher seyn!

Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer Dreistigkeit herein. Was
giebt's, Bursche? fuhr der Director auf ihn los.

Ich kann's nicht mehr zu Hause aushalten, sagte Görge ganz unbefangen.
Sehn Sie, Herr Director, seit ich neulich 'mal hier war, bin ich wie ein
verwandelter Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann nun
meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen, wie ehedem. Wenn
ich das nicht recht mache, und jenes versehe, 'mal so spreche oder
morgen anders denke, wie es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama
immer sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus hier einsperren
zu lassen. Gestern nun habe ich unserm Herrn Kilian wohl zwanzig
Fledermäuse in die Stube geworfen: da hat er mich verklagt, und sie hat
mir wieder gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute früh
lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte, daß Sie mich eine
Weile hier behalten; so könnte ich auch bei dem rothnasigen Herrn dort
noch etwas lernen und mich ausbilden.

Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die Hand des
lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte und sagte mit
sonderbarer Miene: wenn Strafe selber zum Lohn wird, so ist der Mensch
gewiß am glücklichsten. -- Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch,
meine Freunde, unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone
fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht; viele Gäste
empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die letzten; und da ich
Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht nicht lange genug habe abwarten
können, so will ich sie hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und
erkläre Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie? Diese
Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben seyn? Thut der
Staat, der Fürst, die Universität denn etwas anders, wenn sie
Doctorhüte, Titel und Würden austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie
Menschen plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen, die
kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über Vier hinaus zählen
konnten. Alle Thore, meine theuern, so lange gehegten und gepflegten
Freunde, sind offen; die Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am
Ausgehen zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich noch
heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem Amte nicht länger
vorstehn; denn, wie mancher der Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern
Jahrhunderte die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und
Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen: und Viele sind
dadurch geheilt, die Bösartigkeit Andrer ist dadurch gemildert worden.
Aber Ihr könnt wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine
Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen Busen so
hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen, an deren _einer_ schon jeder
von Euch genug zu schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur
Monarch und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und Vorzüge
centralisiren. Nicht wahr, ihr guten, lieben Unterthanen und
Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die Welt, und gewöhnt Euch doch
endlich als gesetzte Männer die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr
Euch vor jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut um Euch!
Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen, die auf dem Flusse
schiffen, die in der Stadt dort wandeln und auf ihren Zimmern sitzen,
gehören, wenn man die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Drittheil
hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem Eure Brust zu
öffnen, und in die curiose Structur Eures Innern hinein schauen zu
lassen? Ist es denn so etwas Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der
Vernünftigen zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen Spaß zu
machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit abzusehn und nachzuspielen?
Kinder, glaubt mir doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu
seyn! Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich die Meisten
abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn ein trivialer Narr ist wirklich
etwas recht Triviales. Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht,
Kinder, so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube ich, wenn der
sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige Haushaltung hinein
setzen könnte, das wäre ein Jubel für ihn; Alles eingemacht,
vollgesackt, geschlachtet und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze
Ernte, die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln müssen! Nein,
er mag auch säen und pflanzen, die junge Zucht auffüttern, die alten
Gänse nudeln und stopfen. Zehre er von seiner eignen Arbeit! -- Lebt nun
wohl und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht und nehmt den
jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit Euch; bildet ihn, daß er
Galimathias sprechen lerne, aber mit Maaßen, damit er nicht verkannt
werde, wenn er das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem Tage
an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden Redner; übt Euch dort vor dem
Volke, und rührt und erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung!
Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben versehn,
errichtet dort eine Akademie, um die trockne Welt geheimnißvoller zu
machen und sie mit tiefer Mystik zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr
Lesender; und wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und
stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen: ja der bloße
Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden. Ihr Baukünstler,
bezieht wieder Euer Haus, das Ihr als aufgeblühte Schönheit verließet,
und das nun zu einem alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist!
Pygmäenfeind, geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf Birken,
macht Euch davon, und laßt nun Weiber und Mädchen in Ruhe! Herr von
Linden, oder Methusalem, wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil:
denn Ihr macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich
consumirt. Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten nebst Zinsen für
die hundert tausend Jahre abfordern wollte, die Ihr hier, Eurem eignen
Geständnisse nach, zugebracht habt? Meilen weit hier herum kann das Kind
im Mutterleibe keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in Euch
schlingt. -- Friedrich, lebt wohl, und grabt keine Schätze mehr, sonst
grabt Ihr Euch selber die Grube, in die Ihr hinein fallt!

Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand reichen. Alle verließen
das Haus; nur Friedrich erklärte, daß er niemals weichen wolle. Sieh,
rief der Director, am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin
ziehen, die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht nicht
wieder so gut finden, als hier. Mancher wird sich zurück sehnen!

Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher herausstieg, war sehr
verwundert, alle Thore offen zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als
er sich dem zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser
plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei. Er gab sich
ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem die Regierung diesen Posten
anvertraut habe: doch jener antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden
mich ganz allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder Früchte
tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für etwas, wenn auch nicht
für viel, kann mein Friedrich gelten.

Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten, um, wo möglich,
noch einige der Flüchtlinge einzuholen.

                   *       *       *       *       *

Görge ging mit seinem neu erworbenen Sokrates seiner Heimath zu. Sie
müssen sich nur nicht Sokrates nennen, machte er ihm begreiflich; denn
das klingt so heidnisch: so können Sie gewiß in unserm Hause bleiben,
und mir Unterricht geben. Der Papa suchte schon seit lange einen Lehrer:
er hilft Ihnen gewiß durch, und thut, als wenn er Sie dort oben nicht
gesehn hätte; meine Schwester darf nichts ausplaudern, sonst verrathe
ich ihre schwärmerische Liebe zu dem Windbeutel Theophil; bloß die Mama
müssen wir betrügen, und Sie müssen sich nur hübsch klug und weise
stellen.

Ich brauche mich nicht so zu stellen, antwortete Sokrates; das ist meine
wahre Natur.

In einiger Entfernung hinter diesen schlich Wolfsberg; er ging nur
langsam, und sehnte sich nach einer Erquickung. In dem großen Dorfe, wo
der Junker ihm mit seinem Mentor aus den Augen verschwand, ließ er sich
in dem Gasthofe ein Zimmer geben, und bestellte sich Essen und Wein. Er
legte sich indessen auf das Bett, um etwas zu schlafen; aber kein
Schlummer befiel sein Auge, denn tausend gute Vorsätze, Lebensplane und
Erinnerungen besuchten ihn jetzt, da er sich nun endlich der Freiheit
zurück gegeben sah, die er sich seit so mancher Woche vergeblich
gewünscht hatte. Die heitre frische Herbstluft zog durch das offne
Fenster, und stärkte seine Sinne. Wie ist mir wohl! sagte er zu sich
selbst: warum habe ich denn so manches Jahr diese Empfindungen
verschmäht, die mich jetzt besuchen, und die doch das theuerste Leben
meines Lebens sind?

Ein sonderbares Gezänk, das draußen vorfiel, erregte erst seine
Aufmerksamkeit und zog ihn dann ans Fenster. Ein alter Mann stritt mit
einem jungen, und sagte jetzt eben: nein, Sie müssen mit uns gehen, und
daß ich Ihnen Ihre Baarschaft oder Ihre Wechsel jemals wieder geben
sollte, darauf machen Sie nur sich keine Rechnung; denn wenn ich nicht
als ein kluger Mann Ihre Capitalien in Verwahrung genommen hätte, so
hätte es wohl so kommen können, wie uns der fremde Herr wahrsagte, daß
mein altes Auge Sie nie wieder sah, und meine arme Tochter sich der
Verzweiflung ergeben mußte.

Wolfsberg sah sich hier wieder einen Spiegel vorgehalten, der ihm die
Scene noch weit interessanter machte. Aber, Herr Kilian, es ist doch
mein Geld, sagte der junge Mensch.

Was, Kilian? schrie der Alte; Herr _Schwiegervater_ müssen Sie zu mir
sagen, so wie ich Sie auch lieber hochgeborner Herr Schwiegersohn, als
Graf von Birken tituliren werde.

Wie? sagte Wolfsberg zu sich selbst, dies also ist der junge verkehrte
Mensch, für den ich so lange habe leiden müssen? -- Seine Aufmerksamkeit
hatte den höchsten Grad erreicht, und weil er dem Gespräche so eifrig
zuhörte, bemerkte er nicht, daß zwei fremde Menschen durch den
Baumgarten herbei kamen. Kommen Sie, ohne Umstände, rief der Pfarrer
jetzt von Neuem, oder ich lasse Sie aus meiner Machtvollkommenheit als
Mädchenverführer und Jungfrauenräuber arretiren.

Einen solchen suchen wir eben, sagte der eine Fremde, einen jungen
Grafen Birken, der ein Verbrecher und Narr zugleich seyn soll. Alle
Thörichten haben sich heut aus dem Narrenhause befreit, und das ganze
Land ist nun im Aufruhr, sie wieder einzufangen.

Wolfsberg erschrak; er wollte schnell den Kopf zurück ziehn, aber man
hatte ihn schon bemerkt. Er sammelte sich und rief von oben herab: Sie
suchen den Grafen Birken? Der dort ist es, der mit dem alten Manne
spricht.

Der Graf erschrak, der Geistliche sammelte sich aber bald. Schwiegersohn
oder Arrestant? fragte er den jungen Mann schnell und leise. »Ach!
Schwiegersohn!« wimmerte dieser kläglich, und der Geistliche sagte mit
fester Stimme: meine Herren, ich bin der Pastor dieses Orts; dieser mein
Herr Schwiegersohn wohnt schon seit vierzehn Tagen in meinem Hause; aber
dem Menschen da oben sieht ja der Vagabunde und der Narr obenein aus den
Augen heraus. Ich gebe Ihnen mein Wort, er ist der entsprungene Graf
Birken!

Er nahm seinen Schwiegersohn unter den Arm und führte ihn mit starker
Hand davon. Die Fremden bemächtigten sich des unglücklichen Wolfsberg,
erlaubten ihm kaum, sein bestelltes Mittagsessen zu genießen, und
schleppten ihn wieder in seine alte Haft zurück.

                   *       *       *       *       *

Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster Eile nach der Stadt zu
fahren. Nur auf eine halbe Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer
Kilian einsprechen, und scheute deßhalb den Umweg nicht, weil er doch
vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten könnte. Als er nach
dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts neben den Bergen auf einer grünen
Wiese den Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein
entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen glaubte.
Er ließ halten und wollte über die kleine Brücke dem Wasser zueilen, als
er Schalmeien, Clarinetten und Waldhörner vernahm, und einen langen Zug
geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen sah. Alles jubelte,
und in der Mitte gingen neben dem Pfarrer zwei wunderlich geschmückte
Gestalten, die er für Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte,
deren grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als Braut
ankündigte.

Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde, dem Arzte seyn mußte,
daß die Trauung nicht vor sich ginge, so begab er sich, statt nach jener
Wiese, in die Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die
lärmende Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders da der Pfarrer
die Musikanten zum Blasen und das junge Volk zum Schreien ermunterte, um
nur den lästigen Besuch zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes
Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen, wenn nicht einige
Reiter herbei gesprengt wären, die dem Zuge Halt geboten. Die Musik
verstummte, und diesen Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen
Einspruch gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären, daß der
junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch thöricht im Haupte sei. Des
Pfarrers bemeisterte sich ein erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er
aus, warum sich alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten
Schwiegersohn und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er thöricht im
Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was das sagen will?

Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden. Sind Ihnen sonst
keine Narren begegnet, fragte der erste sehr eifrig: das ganze
Narrenhaus hat sich frei gemacht, wir sind alle in den Dörfern
aufgeboten, sie wieder einzufangen. Jeder Reisende ist jetzt verdächtig;
man prüft alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß sich
in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn Narren müssen sie nun
doch einmal dort oben wieder haben.

Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor? fragte der zweite.

Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath im höchsten
Unwillen.

Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen Tochter von Neuem in
Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles daran setzte, sich diesen
Schwiegersohn zu sichern, und dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich
gelungen war, rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen
solchen Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch seine
Raserei stören will!

Was? rief Walther aus; ich ein Rasender?

Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die Augen wie zwei
Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür
an.

Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der Graf: es ist der tolle
Mensch, der schon seit acht Tagen hier herum läuft.

Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas besänftigt; ich
wollte eben nach der Stadt; ich bekleide dort jetzt die Stelle des
Gerichtspräsidenten.

Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer; allons! fort mit
ihm! -- Fort mit ihm, schrie der ganze Haufe. Die Reiter hatten schon
ein drittes, lediges Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf
gepackt, und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem Dorfe
halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn das Singen und
Schreien der Menge, die betäubende Musik, und die Glocken, welche die
Ceremonie einläuteten, machten für jetzt jede Erörterung unmöglich.
Walther mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines Freundes
antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger seinen mühsam errungenen
Schwiegersohn in die Kirche, mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber
jeder Verantwortung zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen!

                   *       *       *       *       *

Der neue Director Anselm hatte sich indessen um seinen kranken Collegen
bemüht, und es war ihm auch gelungen, den alten Mann wieder ziemlich zu
beruhigen. Dieser sah seinen Zustand ein, und fühlte sich beschämt, daß
er so leicht jenem Gelüste nachgegeben, welches ihm noch kürzlich der
Prediger als so gefährlich geschildert hatte. Er besaß in der Nähe ein
Landhaus, auf welches er sich verfügte, und Anselm sah ihn gern
abreisen, weil er überzeugt war, daß die schnell erzeugte Unpäßlichkeit
in einigen Tagen auf immer verschwinden müßte.

Jetzt ward eine Gesellschaft von Reisenden gemeldet, die das Haus besehn
wollten. Anselm ging ihnen entgegen, sie zu bewillkommen, und zugleich
zu entschuldigen, daß ihre Neugier sich diesmal mit einem einzigen
Vernünftigen begnügen müsse. Voran in den Saal trat ein langer alter
Herr, dem die Uebrigen große Verehrung bezeigten; er führte an seinem
Arm ein phantastisch geschmücktes Frauenzimmer, die dem Arzte bekannt
schien, obwohl er sich ihrer nicht gleich erinnern konnte. Ein
breitschultriger junger Mann folgte, und als letzte Begleiterin schlich
ein blasses, krankes Mädchen nach, die Strickkorb und Tuch ihrer
lachenden und übermüthigen Gebieterin demüthig trug.

Wir kommen, sagte der angesehene Mann, Ihre Anstalt zu betrachten; meine
junge Gemahlin hat dergleichen noch niemals gesehn, und der Bruder
meiner Frau hat noch andere philosophische und künstlerische Absichten
bei dieser Reise.

Sind die Narren aber auch nicht fürchterlich? fragte die junge Dame; ist
man nicht auch in Gefahr angesteckt zu werden?

Anselm erzählte ihnen die unglückliche und doch lächerliche Begebenheit,
worauf der alte Herr sehr betreten und erblaßt zurück fuhr und ausrief:
wie? Alle entlaufen? Schrecklich! Und auch ein gewisser Baron Linden
unter den Geflüchteten?

Ja wohl; leider, sagte der Arzt, indem er den Sprechenden näher ins Auge
faßte.

Das ist ein Jammer, rief der robuste junge Mensch aus; so bin ich denn
vergebens hieher gereiset? Mir fallen jetzt bei unserm Theater die
wichtigen Rollen des Macbeth und Lear zu, und für diese möchte ich so
gern hier meine Studien machen; denn seit unser Großprahler, der
Adlerfels, so ganz verschollen ist, und man nirgend von ihm hört (Schade
um den übrigens guten Künstler!), so muß ich doch nothwendig die Lücke
ausfüllen, die mit seinem Verlust bei uns entstanden ist.

Du solltest ihn nicht nennen, ^mon frère^, sagte die Dame: sieh nur, wie
Fanny wieder von Erinnerung ergriffen wird.

Auf den großen Mann, sagte der Bruder, hätte sich das Köpfchen ja doch
niemals Rechnung machen dürfen.

Friedrich, der auch zugegen war, sagte: es ist außer mir Niemand im
Hause, als der berüchtigte Graf Birken; den haben sie vor Kurzem mit
Gewalt wieder zurück geschleppt.

Graf Birken? rief der Arzt höchst erfreut aus; o diesen führe sogleich
zu mir, guter Mann. Zugleich winkte er den Baron in ein Fenster, um im
Geheimen mit ihm zu sprechen: ich habe die Ehre, fing er an, den Herrn
Baron Eberhard vor mir zu sehn. Jener verbeugte sich. Wenn Ihr Neffe,
fuhr der Arzt fort, jetzt sich wieder fände, würden Sie gewiß seiner
Verbindung mit Fräulein Blanka nichts mehr in den Weg legen. -- Wenn er
noch lebte, der liebe Jüngling, sagte jener süßlich, und sie den
Verstand wieder gefunden hätte, -- doch scheinen das unmögliche Dinge zu
seyn! -- »Doch nicht viel unmöglicher, sagte Anselm, als daß dieser
nämliche Neffe lange als Baron Linden hier im Hause gelebt hat.« --
»»Ei! was Sie mir sagen!«« -- »Sie mußten es doch wohl wissen, da Sie
sich gleich so angelegentlich nach dem jungen Linden erkundigten.« --
»»Ich? Ja, sehn Sie einmal, -- daß ich nicht wüßte,«« -- stotterte
jener.

Sie sind ein so berühmter Christ, fuhr Anselm fort, Ihre Frömmigkeit und
Menschenliebe sind so exemplarisch, daß Sie ganz gewiß in alle meine
Bitten und Vorschläge willigen werden, da ich es gleich gut mit Ihnen,
wie mit Ihrem Neffen meine.

Je, du mein Himmel, ächzte der Baron, wir sind ja alle gute Menschen.
Wann ich nur erst wüßte, wodurch ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu
seyn.

Die arge Welt könnte glauben, fuhr Anselm leise im sanftmüthigsten Tone
fort, Sie hätten es auf das Vermögen Ihres lieben Neffen angesehn,
besonders weil ein alter Schuft sich nicht entblödet, auszusagen, ein
gewisser Pankraz --

O der Galgenschwengel! rief der Baron: was sagt er aus? der soll mir
Alles bezahlen!

Sehn Sie einmal, indem Anselm die Bogen aus einander faltete, diese
weitläuftige Anklage, vor Zeugen ausgesagt und unterschrieben. Es ist
entsetzlich! Was gewinnt aber ein frommes Herz, wie das Ihrige, dabei,
einen solchen Menschen zu bestrafen? Nein; sammeln Sie feurige Kohlen
auf sein Haupt; belohnen Sie ihn großmüthig und übermäßig, daß er in
sich geht, und an Ihrem Edelmuth hinauf staunend, an Tugend glauben
lernt. Sie könnten ihm wohl ein Häuschen, ein kleines Capital, eine
mäßige Wiese und einige Aecker schenken, wie ihm ein sonderbarer Mann,
der seit gestern Gerichtspräsident hier drüben in der Stadt ist, etwas
voreilig in Ihrem Namen schon versprochen hat: ein gewisser Walther, er
hat auch die Ehre, mit Ihnen verwandt zu seyn, und denkt Ihnen auch die
Mühe abzunehmen, künftig noch des Vermögens wegen, das Ihrem Neffen
zusteht, Sorge zu tragen.

Je du mein Gott, ja, -- Alles herzlich gern! seufzte der Alte kaum
hörbar.

Wie wäre es denn nun noch zuletzt, theuerster Mann, den ich immer mehr
verehren muß, wenn Sie auch Ihren armen Sohn, den Theophil,
legitimirten, und ihm ein anständiges Auskommen gewährten. Würde Ihr
Herz darüber nicht eine unbeschreibliche Freude empfinden?

Ach ja, sagte jener, eine unbeschreibliche Freude, und da Sie es
wünschen -- und Sie eine gewisse Art zu bitten, -- und zum Herzen zu
sprechen haben, -- o Himmel! die Thränen stehn mir in den Augen, daß ich
eine solche Bekanntschaft gemacht habe.

Ich bin im Innersten gerührt, erwiederte Anselm. Sie umarmten sich
herzlich, und der Baron wischte sich die Tropfen des kalten
Angstschweißes von der Stirn; lange bin ich nicht so bewegt gewesen,
seufzte er, und blickte zum Himmel. Und ich, erwiederte Anselm, habe
auch, so lange ich lebe, an keinem so großen Herzen gelegen.

Der Baron trat zur schäkernden Gattin. Sie werden, sagte er fromm, in
diesen Tagen einen Sohn von mir kennen lernen: auch ist mein Neffe
wieder gefunden, und ein alter Diener Pankraz wird das kleine Gütchen
Liebendorf erhalten, welches Sie dem Pachter verkaufen wollten.

Das ist ja viel in einer kleinen Viertelstunde, sagte sie, und maaß den
Director mit großen Augen.

Es geht fast zu, wie im Lustspiel, sagte dieser.

Ja, sagte der Baron, der Herr Director haben mir Eröffnungen gemacht,
und auf eine Art --

Hier kommt Graf Birken, schrie Friedrich; er wollte sich erst gar nicht
dazu bequemen.

Wolfsberg trat herein; der Arzt ging ihm entgegen, aber beide fuhren in
demselben Augenblicke vor einander zurück. Sie, Herr von Wolfsberg hier?
unter diesem Namen? Und so verwandelt? so abgefallen? So drückte mit
wiederholten Ausrufungen der Arzt sein Erstaunen aus. Die Uebrigen im
Saale waren nicht ruhiger. Fanny lag in Ohnmacht, und Wolfsberg, der
jetzt erst die Gruppe sah, machte sich aus den Armen des umhalsenden
jungen Mannes, der einmal über das andre: mein Adlerfels! rief, los und
eilte der Niedergesunkenen zu Hülfe. Er kniete zu ihr nieder, er legte
ihr Köpfchen auf seinen Schooß: o meine geliebte, meine theuerste, meine
einzige Franziska! rief er in den zärtlichsten Tönen; entziehe Dich mir
jetzt nicht wegen meiner Missethat, entfliehe mir nicht, denn ich bin
kein Herzloser mehr: ich kehre zu Dir zurück, wenn Du mich noch
würdigest, mich Dein zu nennen! Ich bin ja aus meinem tiefen Elende zu
mir selber erwacht; o so erwache denn auch Du zu diesem Leben wieder!

Franziska schlug die ermatteten, aber schönen Augen auf. Sie konnte an
ihr Glück nicht glauben, daß sie in dessen Armen lag, der sie mit so
grausamem Hochmuthe von sich gestoßen hatte. Du mein? stammelte sie;
gewiß?

Ja, mein süßes Herz, erwiederte Wolfsberg, der sich nun als Adlerfels
ausgewiesen hatte; ja ich kehre mit Dir zurück, Du wirst meine Gattin,
und alle Schmerzen, allen Hohn, den Du um meinetwillen ertragen hast,
will ich Dir vergüten, wenn ich es vermag. Und unser Kind, das arme
Würmchen, lebt es denn noch?

Die liebe Bertha, sagte die Entzückte, ist zu Hause, bei meiner
Schwester. Gott! wie wird sich Alles freuen!

Ich gratulire, Fanny, sagte die gnädige Frau: nun gieb mir nur
Strickkorb und Shawl her, daß ich es selber trage.

Bruder, rief der andre Schauspieler, wie wird das Publikum sich freuen,
Dich in Deinen Effect-Rollen wieder auftreten zu sehn.

So eben, rief Friedrich herein springend, haben sie noch einen ganz
neuen Narren eingefangen. Das geht scharf her.

Walther trat lachend ein und man verständigte sich sogleich. Anselm
stellte ihn dem Baron vor und sagte ihm kurz, daß das edle Herz des
frommen alten Herrn in Alles gewilligt habe, was er nur irgend als
Mensch oder Rechtsgelehrter von ihm fordern könne. So laßt uns denn,
rief Walther, nach dem Dorfe zurück kehren, von dem ich eben herkomme,
denn wenn meine Augen nicht ganz zu Lügnern geworden sind, so haben sie
dort meinen geliebten Raimund erblickt.

Wirklich war es Raimund gewesen, den Walther erst erspäht hatte. Stumm
und in sich gekehrt hatte der Jüngling das Haus verlassen. Er begriff
nicht, was ihm geschah; er wußte auch nicht, wo er hin wollte. So ging
er dem Fußsteige nach, der ihn bald in den Wald führte. Er sann seinem
verschwundenen Leben nach, und ihm ward fromm und heilig zu Sinne. War
es doch, als fielen verhüllende Schleier von seinem Gemüthe und Herzen
herunter. Er kam an einen grünen runden Platz im Walde, wo er sich
unendlich bewegt fühlte. Er sah sich um, um sich zu erkennen, und eine
alte Birke, in welcher noch die Namenszüge, die er einst eingegraben,
fast unkenntlich verwachsen waren, erinnerte ihn an Alles. Er war noch
ein Kind gewesen, als er hier einmal von seiner theuren Mutter Abschied
genommen hatte; bis hieher hatte er sie begleiten dürfen, und von dieser
Stelle kehrte er mit seinem Vater wieder nach dem Schlosse zurück. Er
ahndete damals nicht, daß er nach einem Jahre schon beide Aeltern
beweinen sollte. Das Gut wurde nachher vom Oheime vortheilhaft verkauft,
und Raimund hatte seit seiner Kindheit diese Gegend nicht wieder gesehn.
So wie er jetzt zu diesen Erinnerungen immer deutlicher erwachte, wie
die Sehnsucht nach den Scenen seiner Kindheit, nach dem Kirchhofe, wo
seine Aeltern ruhten, in ihm wuchs; so empfand er es, wie jene dumpfe
Angst immer mehr verschwand, die bis dahin seinen Geist wie in einem
finstern Kerker eingefangen hielt. Er verließ den Wald, da lag der
kleine Fluß vor ihm, der vom Wohnsitze seiner Kindheit herströmte. Alle
Wogen schienen ihn zu grüßen, jede Blume am Ufer ihm einen kindlichen
Gruß zuzunicken. Da fand er schon die Mühle im engen Thal, die ihm als
Knaben mit ihren rauschenden Rädern so wunderbar erschienen war. Sie ist
ja jetzt nicht weniger wundervoll, sagte er zu sich, wenn ich gleich
weiß, was und wozu sie da ist. Er ging vorüber, und wollüstige
erleichternde Thränen strömten aus seinen Augen. Da war der Bergschacht,
der ihm so entsetzlich vorgekommen war; er ging dicht hinan, und
erinnerte sich der grauenvollen Sagen, die von ihm im Lande umgingen.
Nun sah er schon den wohlbekannten Berg seines Geburtsortes, die rothe
hohe Felswand und die von oben herabhangenden Bäume. Da schimmerte auch
schon das Dach des Schlosses herüber. Es schmerzte ihn, daß er nicht in
das Thor vertraut eintreten dürfe, daß fremde Menschen, die er nur wenig
kannte, in den Zimmern wohnten, wo seine Wiege gestanden, wo sein Vater
ihm vorgelesen, wo seine Mutter ihn in einer Krankheit auf ihrem Schooße
eingesungen hatte. Auf dem Kirchhofe kniete er mit Andacht an der Gruft.
Er nahm sich nun fest vor, seine Freunde wieder aufzusuchen, und
nachzuforschen, wer ihm das Schicksal bereitet haben könne, das ihm erst
jetzt seltsam erschien. Doch mußte er, ehe er weiter ging, die einsame
Wiese hinter des Pfarrers Garten besuchen, den Spielplatz seiner
Kindheit, wo er unter der hohen Linde so manchmal im grünen Grase halb
eingeschlummert war, auf das Säuseln der Blätter, das Summen der Bienen,
und das Plätschern des nahen Baches horchend, wo Alles wie süßer
Geistergesang ihn anredete, und er noch lieblicher aus seinen Träumen
Antwort gab. Nun stand er wieder unter dem Baume, und eine himmlische
Müdigkeit ergriff ihn, wie damals; er tauchte die brennenden,
thränennassen, jetzt so bleichen Wangen in das kühle grüne Gras, und die
Bienen schwärmten im Baum, die Blätter schwatzten mit ihnen, das
Flüßchen erzählte sich selbst eine alte Geschichte, und er entschlief
wieder, wie in der Kindheit. -- --

Ein Wagen hielt am Dorfe. »Willst du ruhen, mein Kind?« -- fragte die
Mutter. -- »»Ja, aber im Freien.«« -- »Bist du auch wohl genug?« -- »»O
Sie sorgsame, treue, mütterliche Pflegerin, antwortete die Tochter, Sie
sehn ja, wie es mit meiner Gesundheit mit jedem Tage besser wird.
Vertrauen Sie mir nur mehr, damit ich mir auch selber wieder vertraue.
Nein, Geliebteste, jene trübe Zeit wird niemals wieder kehren; aber ich
fühle es, durch diesen fürchterlichen Zustand mußte sich meine Krankheit
arbeiten, damit ich wieder genesen konnte.«« -- Bist du dessen so gewiß,
meine Tochter? Dann möchte ich Gott mit Thränen für die Verzweiflung
danken, durch welche er mich damals geprüft hat.

Gewiß, liebe Mutter, sagte die reizende Tochter. Kenne ich doch nun mein
ganzes Unglück; es ist mir kein düstres Geheimniß mehr. Wenn ich an die
Ewigkeit der Liebe glaube, warum sollte ich denn jemals verzweifeln?
Hier ist er geboren! O hätte ich ihn doch als Kind gekannt! Eine Welt
voll Glück wäre mehr in meinem Besitz! Hier ist er auch wohl gewandelt;
alle diese Gegenstände hat sein frisches Auge, wie oft, begrüßt. Nur
über die Wiese will ich gehn, ein Viertelstündchen am Bache ruhn, so
recht an ihn denken; dann komm' ich zurück und wir reisen weiter. Aber
allein müssen Sie mich lassen! -- Sie umarmte die Mutter, und schritt
über die kleine hölzerne Brücke. -- --

Raimund träumte indessen einen seltsamen Traum. Der Wahnsinn war die
Wahrheit, und was die Menschen Vernunft nannten, nur ein dämmernder
Schimmer. Auch kein Raum war da, und keine Zeit. So wie auf den alten
Stammbäumen es abgebildet ist, sah er sich aus dem Herzen eine hohe
Blume wachsen; sie wurde von seinem Herzblut getränkt, und ihr rother
Glanz ward immer mehr zum goldnen Purpur. Da sang es im wiegenden Kelch,
er that sich süßflötend auf, und Blanka schaukelte sich drin hin und
wieder, wie in einem durchsichtigen Kahn. Da blickte er über sich, und
ihr blaues Auge ging in das seine; da zitterte sein Herz und mit ihm die
Blume. Warte, rief sie, jetzt stirbt mein Blumenhaus ab, ich komme
draußen in der Wirklichkeit zu dir! Sie schlüpfte auf den Rasen und
stellte sich unter die Linde. -- Gott im Himmel, hörte er sagen, das ist
Raimund! Er schlug die Augen auf, und Blanka's blaues Auge ging in das
seine. Er kannte sie gleich. Sie umschlossen sich, als wenn die Arme
sich nie wieder los lassen wollten. Auf den lauten Freudenschrei eilte
die Mutter herbei, und fand das unvermuthete Glück, das sie noch nicht
begriff. Auch Walther und Anselm kamen. Walther war so entzückt und
berauscht, als wenn er selbst der Bräutigam wäre.

                   *       *       *       *       *

Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel. Die
Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die Glücklichen endlich auch auf
der Wiese hörten. Der alte Baron hatte indessen schon seinen Sohn
Theophilus heraus gesucht und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft
erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus im Hause lärmend
umher, und schlug laut lachend mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm
dazu vernünftig Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit dem
Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit seiner überglücklichen
Franziska verbinden sollte. Der Gerichtspräsident Walther konnte in der
Leidenschaft des Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie
dieser es wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen durch
ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine glänzende Equipage
hielt, viele zierlich gekleidete Diener beeiferten sich, einen
ansehnlichen Mann, der auf dem Rocke einen großen Stern trug, aus dem
Wagen zu heben. Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als Anselm
ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer an zu zittern.

Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte Graf, als er in das mit
Menschen überfüllte Zimmer trat. Die Braut heulte laut, und die
anwesenden Weiber aus dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist
Caspar Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte der junge
Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch verschanzt hatte. --
Und wo ist der unverschämte Pfaff, der es gewagt hat, den dummen Laffen
mit seiner Tochter zu verkuppeln? -- Hier! rief der Pfarrer, der sich
indessen wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern eine
ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt. -- »Die wird
wieder geschieden!« -- »»Die wird nicht geschieden!«« -- »Sie ist nicht
gültig, so gewiß da oben auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen
wachsen.« -- »»Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe
Felsenwand ein Mensch hinauf klettern kann, und von den nämlichen
Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns herunter schreit.«« -- »Und
wenn ich Blut und Leben, wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich
der Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich zu dem
Unsinn nie meine Einwilligung.« -- »»Und wenn ich, schrie der Pfarrer
entgegen, prozessiren müßte, bis ich keinen Groschen mehr hätte, und
wenn ich zur Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder einem
noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse ich die Sache nicht
ruhn. Mein Kind muß glücklich und Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes,
bleiben. Wissen Sie, was ein Horoskop ist?«« -- »Nein.« »»Nun, dann
können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies Papier; in der
Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle ihre Sterne beobachtet, und
schon damals mit Gewißheit prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden
müsse. Was können Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?««

Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden Blicken an. He!
Caspar! schrie er von Neuem. Heraus aus Deinem Winkel, Du Satansbrut!
Komm her, Spitzbube, ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben,
weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann.

Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand des Sohnes in die
seiner Braut und küßte das kleine dicke Mädchen dann recht herzlich auf
den Mund. Nun, Spaß bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich,
im Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen ist, denn der
Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können; er kommt somit in eine
ziemlich reputirliche Familie; der Mosje Caspar muß nun aber seine
dummen Teufeleien lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen;
der Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl den Daumen
aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein jüngerer Bruder die großen Güter,
und Du, Hasenfuß, trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel
vernünftiger ist.

Alles war zufrieden und glücklich. Walther und Raimund waren indeß mit
der geliebten Blanka zum Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war
vorläufig davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds wieder zu
kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der
empfindsamen Baronesse und Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater
anerkannt wurde.

Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend, sprechend und
scherzend die grüne Wiese hinunter. Kilian unterhielt sich mit Sokrates.
Gnädige Frau, sagte er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem
Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn gefühlt, ich habe
mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten bekommen Sie niemals wieder.
Indem man noch sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein
lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten, denn von der
steilsten Höhe hing der alte Graf Birken reitend auf einem
Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal; aber nun kommt schnell zu
Hülfe, oder ich breche den Hals! Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie
der Pfarrer hinauf. Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich werde doch
den Hals brechen. Die Bedienten liefen: die Leute aus dem Dorfe holten
Stangen, Leitern und Stricke. Plötzlich brach der Baum, und der Graf
stürzte herab; er kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur
Freude Aller, an. -- Wie ist er nur auf die steile Wand gekommen? rief
der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete der junge Graf Birken, Sie
sehen, mein Papa ist noch toller, als ich!

Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den Walther, Blanka und
Raimund noch erlebt hatten. Franziska schloß sich diesen an, und im
gebesserten Herzen fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen.




                   Musikalische Leiden und Freuden.
                               Novelle.


Zwei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu Fuß durch die Gassen
zu wandeln und den Fragen am Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am
Morgen und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt vom
Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus welchem schon früh vor Tage
eine herrliche Frauenstimme erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den
unvergleichlichen Diskant, wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige
Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine Thüre öffnete
sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere Reisende einen von den
Tagelöhnern: hier, mein Freund! wohnt wohl ein Musikus und eine
Sängerin? Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier! erscholl eine
krächzende Stimme von oben aus dem offnen Fenster, und zugleich fiel ein
Lauten-Futteral dem Fragenden auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte
der Gesang auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises
Männchen stehn, welches die zornigsten Geberden machte, und dessen
funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln hervor grimmige Blicke
herunter schossen. Der Reisende wußte nicht, ob er lachen oder schelten
sollte, doch sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches an,
daß er in Verlegenheit den Hut zog, und sich mit einer höflichen
Verbeugung stumm entfernte.

Was war das, Herr Kapellmeister? sagte der jüngere Reisende, als sie das
kleine Häuschen schon im Rücken hatten. Ich weiß nicht, erwiederte
jener, vielleicht ein wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in
der Einsamkeit, in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt.

Sie scherzen, sagte der Sänger; ich begreife jetzt selber nicht, wie wir
so gelassen seyn konnten, dem Alten auf seine Grobheit nichts zu
erwiedern.

Lassen wir es gut seyn, sagte der Kapellmeister, indem sie schon die
noch ruhige Straße der Residenz hinunter gingen: in dem Ton der Sängerin
war etwas so Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie im
Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen Zorn abgewinnen.

Wieder die alte Schwärmerei und Güte! rief der Sänger lachend aus; denn
erstens haben wir so gut wie nichts gehört, und zweitens war in dem
Wenigen noch weniger Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch
Schule in dem traurigen Gesange.

Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen, hörten sie aus
einem obern Stock ein Lied pfeifen; ein rundes, junges Gesicht kuckte
mit der Schlafmütze aus dem Fenster, und so wie er die Fußgänger gewahr
wurde, schrie er: Haltet, Freunde! einen Augenblick! ich bin gleich
unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung! Er zog den Kopf so
schnell zurück, daß er ihn heftig an das niedere Fenster stieß und die
Bekleidung des Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters
nieder sank.

Wunderbar! rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob; sagen diese
sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas Gutes oder Schlimmes voraus?

Es ist unser Enthusiast Kellermann, erwiederte der Sänger: hören Sie, er
rasselt schon mit dem Hausschlüssel.

In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im Schlafrock heraus und
umarmte die beiden Künstler mit theatralischer Herzlichkeit; er wurde es
nicht müde, jedem wieder von Neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu
drücken und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken, bis der
Sänger endlich sagte: Laßt es nun gut seyn, Hasenfuß! Ihr habt das Ding
jetzt hinlänglich getrieben. Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der
Straße ist, sonst würden Eure Bockssprünge in dem saffrangelben
Schlafrock alle Gassenjungen aufregen.

Also Ihr seid nun wirklich da, Ihr goldnen Menschenkinder? rief der
Enthusiast aus; was würde es mich kümmern, wenn der vollständige
Magistratus an meinem Entzücken Aergerniß oder Theil nehmen wollte? Habe
ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu diese Gasse
eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie so viele Fenster zum Auf-
und Zuschieben habe, bis nun endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; Ihr
kommt durch dieselbe hergegangen, und ich kucke da oben mit meiner
verlornen Mütze heraus, um Euch im Namen der Nachwelt zu begrüßen. Also
nun wird Eure Oper doch gegeben werden, ausbündigster Mann?

Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle gesund? fragte der
lebhafte Kapellmeister.

So, so, erwiederte jener, wie es die Laune mit sich bringt; genau
genommen, existirt das Volk gar nicht, sondern lebt nur wie im Traum;
die Zugabe, die an die Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es
oft schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst aber oben,
den sie Kopf tituliren, ist wie ein Dampfkolben, um in diesem
Recipienten die unbegreiflichsten Verrücktheiten aufzunehmen. In so weit
sind sie alle gesund, als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die
und jene Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu
wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie Gis seyn sollte, so
fallen sie vielleicht binnen drei Tagen wie die Fliegen hin.

Zieht Euch an, sagte der Sänger, und kommt zu uns in den Gasthof hier
drüben, so können wir mehr sprechen, auch sollt Ihr uns auf den Besuchen
begleiten.

Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und die Reisenden begaben
sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen schon fanden.

                   *       *       *       *       *

Im Hause des Barons Fernow war am Abend große Gesellschaft versammelt.
Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister und sein erster Tenorist endlich
angekommen seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles
getrieben, was sich für die neue Oper interessirte. Man hoffte, einige
der vorzüglichsten Partien vorgetragen zu hören, und viele drängten sich
hinzu, um wenigstens nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen
zu können.

In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine Frau und eine Tochter
mit Klugheit beherrschten, schwamm der behende Enthusiast wie in einem
Strome herum, um Jedem von der Herrlichkeit der neuen Composition
begeisterte Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodieen und
den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen, obgleich er selbst
noch keine Note davon gehört hatte. Sein rundes geröthetes Gesicht schob
sich wie eine Kugel von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die
meisten Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften
geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt wurde ein Theil der
Versammlung auf einen andern Gegenstand hingerichtet, denn in einfacher,
höchstsauberer Kleidung trat ein junges Mädchen herein, von so
glänzender Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug über den edlen
und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme Geberde, den feinen Anstand
gänzlich vergaß, und die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die
Tochter des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: o meine
theuerste Julie! wie glücklich machen Sie mich, daß Sie meinen Bitten
doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr Vater? -- Sie wissen ja,
erwiederte die Schöne, wie menschenscheu er ist, wie wenig er mit seiner
Melancholie und Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe,
ich würde auch nicht gekommen seyn, wenn ich einen so großen Cirkel
hätte vermuthen können.

Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit dieses Wesens,
und man erfuhr, daß sie die Tochter eines armen Musikers sei, die aus
einer entfernten Stadt dem Fräulein des Hauses einen Brief einer
Freundin überbracht hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit seinen
Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der Wirth noch einen jungen
Grafen erwartete, der einer der größten Enthusiasten für Musik seyn
sollte. Denken Sie sich, sagte der Baron zum Kapellmeister, den
sonderbarsten, unruhigsten aller Menschen, nichts interessirt ihn als
Musik, er läuft von einem Concert in's andre, er reis't von einer Stadt
zur andern, um Sänger und Compositionen zu hören, er vermeidet allen
andern Umgang, er spricht und denkt nur über diese Kunst, und selten ist
er doch ruhig genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit
anzuhören, denn er ist eben so zerstreut als überspannt. Dazu scheint er
den eigensinnigsten und eingeschränktesten Geschmack zu haben, so daß
ihm selten ein Kunstwerk zusagt, eben so wenig ist er mit dem Vortrag
zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von großer Familie
und reich, war eine Zeit lang in diplomatischen Geschäften an einem
angesehenen Hofe, hat aber Alles der Musik wegen, die er doch oft nach
seinen Reden zu verabscheuen scheint, aufgegeben.

Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser Schilderung sehr
begierig, einen Mann zu sehen, der wie von bösen und guten Geistern
geplagt und verfolgt wurde. Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle
mit großer Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig und
sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den Blick und
setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und eingeschrumpften
Italiener fort, welcher mit ihm gekommen war. Doch plötzlich brach er ab
und rief halb vernehmlich: Himmel! was ist das? Er stand unmittelbar
hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der neuen Oper, und
Alles schien begeistert, der Graf war in tiefen Gedanken. Nun,
Eccellenza, fragte der Italiener am Schlusse, sein Sie contentirt? Ich
habe keinen Ton gehört, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob und
die schwarzen Locken aus der denkenden melancholischen Stirne strich.

Er benutzte die Pause, in welcher sich Alles lobend und bewundernd um
den Kapellmeister drängte, vorzutreten und sich neben Julien zu setzen.
Er wollte sie anreden, aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte,
fuhr er wie erschreckt zurück. Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich
nicht erwartet! sagte er für sich. Das junge Mädchen war erstaunt und
verlegen. Verzeihen Sie, redete der Graf sie heiterer an, Sie werden
mich sonderbar finden; als ich vorher hinter Ihnen stand, mußte ich
glauben, eine ehemalige Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von
Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden, daß ich Zeit
haben muß, um mich zu fassen. Die wahre ächte Schönheit kann wohl
erschrecken, denn etwas Uebermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und
dem Gemüthe an. Himmel! wie müssen Sie singen!

Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder Stimme noch Kenntniß der
Musik, erwiederte sie mit angenehmem Ton.

Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd den Kopf und
murrete unverständliche Worte verdrossen vor sich hin. Jetzt wurde ein
Duett vorgetragen, und Alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete
unverwandt seine Nachbarin. Das Duett war schwierig und die erste
Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister wurde empfindlich,
wies zurecht, half nach, Alles vergebens; man mußte abbrechen, indem die
Virtuosin behauptete, die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer
Stimme ganz entgegen sei; der Componist meinte, er dürfe Ausdruck und
Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern, denn die vortreffliche Künstlerin
könne dies und noch schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur
bemühen wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen, und
indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück anordnen wollte, sagte
der Graf zu Julien: ich wette, Sie können diese schwierige Stelle ohne
Anstoß vom Blatte singen, wenn Sie nur wollen. Als Julie zu leugnen
fortfuhr, sagte jener: Ihre Röthe, Ihr Auge widerspricht! Wie? dieser
gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen diese sanfte, seelenvolle
Erhöhung von selbst haben, und nicht von den reinen vollen Tönen, die so
oft über diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er stark und
lieblich die rothe Straße befährt, darüber klingend weht, bildet diese
ausdrucksvolle Erhebung; ganz im Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel,
die jene berühmte Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die
Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton hervor preßt. Sie
versündigen sich, meine Schöne, daß Sie Ihr großes Talent verleugnen
wollen.

Sie sind zu scharfsichtig, erwiederte Julie; um so trauriger, daß Sie
dennoch irren.

Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin, fuhr jener fort, es ist ein
lieblicher aber unterdrückter Ton in der Rede, der seine Fittige nicht
auszufalten wagt. Wenn Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton
anschlagen wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß Sie
singen können.

Sie quälen mich, Herr Graf, antwortete die Verlegne empfindlich; ich
versichere Sie auf das Theuerste, ich werde nicht singen, weil mir diese
herrliche Gabe von der Natur versagt wurde.

Gnaden, sagte der braune kleine Italiener, sollen Alles zu Virtuosen
haben: kann aber nicht Alles singen, was hübsch und feinen Mund hat.
Conträr! haben oft göttliche Prima Donna vor pur himmlisch Gesang und
forzirt Schreien eine Schnautz wie Signor Cerberus, der die Talent hat,
dreistimmige Sach solo durchzuführen.

Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der Kapellmeister
verstimmt, und die erste Sängerin mehr als verdrießlich. Der Enthusiast
war in der Klemme, weil er es mit keinem verderben und doch keinen
stummen gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah, daß für
diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen würde, so entfernten sich
nach und nach die Fremden, auch die Musiker gingen, und nur der
Kapellmeister blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung
abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und sein Italiener
verweilten ebenfalls, um mit der Familie des Barons beim Glase Wein und
einem leichten Abendessen sich zu erheitern.

So ist es nun wieder wie fast immer ergangen, fing der Kapellmeister an,
als sie um den runden Tisch saßen; man arbeitet sich ab, man studirt,
man quält, und endlich freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist
und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden, verdorbenen
Handwerkern übergeben werden, die nichts gelernt haben, und mit dem
Wenigen, was sie wissen, noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge
halten wollen. Kann es einen traurigern Beruf, als den eines
musikalischen Componisten geben? Denn endlich nun, wenn auch dieser
Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen, Vergötterung, Lüge und
Falschheit, durch kleine Aenderungen, Zusätze und Wegnahme überwunden
ist, wird das gemarterte Werk der Laune des Publikums, und dem blinden
Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher übergeben. Nun muß es aber weder
zu heiß, noch zu kalt, das Haus muß weder zu voll noch zu leer seyn,
keine große politische Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine
Seiltänzer und Springer anmelden lassen, um das so nothwendige Klatschen
und mit diesem armen Beifall einigen Enthusiasmus zu erregen. Und doch
kann man es nicht lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um
eine neue undankbare Arbeit zu beginnen.

Wo ist die Dame geblieben? fuhr der Graf plötzlich auf.

Neben der Sie lange saßen? fragte die Tochter. Diese ist längst fort und
von einer Magd abgeholt worden, denn sie wohnt entlegen, in einer
fernen, unbekannten Gasse.

Die sollte ihre treffliche Arbeit singen, sagte der Graf, da würden wir
etwas anders hören.

Sie irren, berichtigte die Tochter, ich weiß, daß das junge Frauenzimmer
durchaus nicht musikalisch ist. Sie ist aber sonst in weiblichen
Arbeiten sehr geschickt, auch hat ihr Vater, ein alter, verarmter
Musikus, sie etwas zeichnen lernen lassen.

O du alter Sünder! rief der junge Graf im höchsten Verdruß: und keinen
Gesang diesen Lippen, keinen Ton diesem schwellenden Munde! Ist es
nicht, als wenn man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur ihr
gleich im Erblühen mitgegeben hat?

Die Tochter war etwas empfindlich, denn sie glaubte auch eine Sängerin
zu seyn, da aber der Kapellmeister in seiner Klage fortfuhr, so blieb
ihre gespitzte Antwort unbeantwortet. Abgesehn aber, fuhr der
Kapellmeister fort, von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen
sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen Darstellung
Mängel, welche sich der Componist vorher auf seinem Zimmer nicht hat
träumen lassen. Denn mögen wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau
kennen, von allen Seiten prüfen, das Urtheil aller Freunde und Kenner
vernehmen, so bleibt Manches, und oft das Beste, zurück und das
Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung erst. Und überhaupt -- die
Bestimmung des Künstlers! Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu
keinem neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu seyn, daß ich nun
etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes erschaffen werde, das
meine großen Vorgänger erreicht, und sie selbst hie und da übertreffen
möchte. Diese himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald
während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung wechselt mit
den bittersten Zweifeln. Dann fühl' ich oft recht innig, daß ganz, ganz
nahe an dem, was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß meine
Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten, begrüßen: mir ist,
ich dürfte nur den Kopf so oder so wenden, so müßte mir der Genius
sichtbarlich entgegen treten, -- und immer, immer wieder erscheint er
nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weit ab, die Bahn anzutreffen --
und so im Jammer, im Resigniren, arbeite ich weiter. Es gemuthet mir wie
der Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden:
vielleicht hat er jeden Moment dunkler oder deutlicher eine Ahndung von
der Vernunft, will sie nun, die nah Erreichbare, und nun wieder haschen
und sich dann besinnen, und findet sich immer wieder in seinem
widerwärtigen Zustand eingeriegelt.

Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft, ein Gelehrter
und Hausfreund des Barons, der sich fast täglich einfand, aber gern die
größeren Versammlungen vermied. Sie haben wieder, redete ihn der Wirth
an, unser Concert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht mit anhören
wollen. Ich bin zu sehr Laie, erwiederte der Freund, und darum mag ich
mich nicht unter die Kenner drängen; soll der Unmusikalische den
Gebildeten durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern?

Wir kennen diesen Schalk schon, rief ihm der Kapellmeister zu, indem er
den alten Bekannten begrüßte. Sie haben recht gethan, denn unsre
Sängerinnen haben wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen,
sich zu vornehm gedünkt, die Musik kritisirt, und endlich damit
beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn zu beerdigen.

Sie sind also wirklich unmusikalisch? fragte der Enthusiast; und Sie
machen auch kein Hehl daraus?

Warum sollte ich es? antwortete der Laie; kein Mensch kann alle Talente
in sich vereinigen, oder alle seine schlummernden Anlagen erwecken und
ausbilden.

Viel Charakter, es so dreist zu bekennen, erwiederte der junge Mann, der
durch vieles Schwatzen während der Musik und dem hastigen Genuß des
starken Weines in eine Laune erhitzt gerathen war, deren Sonderbarkeit
er selber nicht zu bemerken schien: sehn Sie, fuhr er fort, daraus ist
schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich mich zu solchem Muthe
nicht habe entschließen können. Ich war anfangs (und wie es schien, von
Natur so geschaffen) gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich
konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch Concerte und
Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder gesungen, wenn Cantaten
aufgeführt wurden, sprach ich entweder, oder suchte eines Buches habhaft
zu werden. Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor all
den herein und durch einander fahrenden Tönen, als ein tüchtiges und
vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten oder einige interessante
Verleumdungen. Sehe man nur den Stock! ertönte es nun von allen Seiten:
hat die dicke Figur wohl eine menschliche Seele in seinen weitläufigen
Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der göttlichsten aller Künste,
nichts zu verstehn! Ist wohl ein Block, ein Stein, der nicht
gewissermaßen von der himmlischen Harmonie gerührt werden müßte? -- Nun
gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein gewisses
Frauenzimmer: diese pflegte, so wie gesungen wurde, vor übermäßiger
Empfindung herzlich zu weinen. Dieser nun war ich mit meinem kalten
Herzen gradezu ein Abscheu. Wie? sagte sie, lieben wollen Sie, der Sie
nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus dem Himmel stammt,
und mit der Liebe so nah verwandt ist? -- Da, Freunde! faßte ich nun den
großen Entschluß, umzusatteln, und von der Musik gehörig begeistert zu
werden. Alle meine Freunde und Bekannten erstaunten, als ihnen meine
neugeprägte blanke Entzückung in die Augen strahlte. Da war nun auch gar
kein Halten mehr, ich übertraf Alles in der Begeisterung, was ich nur je
in den Gesellschaften hatte beobachten können; Alles zappelte an mir vor
Freude, so wie nur das Clavier angeschlagen wurde, die Beine trommelten,
die Arme schlenkerten, die Augen wackelten, ja ich nahm die Zunge zu
Hülfe, und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten Lippen.
Dann mußten die Hände klatschen, die Augen, wenn es irgend möglich zu
machen war, weinen, die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt an
dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen Schlägen im wildesten
Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn ich nachher in mein einsames Zimmer trat,
war ich so müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen
Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie, so wie alle die bezaubernden
Gefühle zum Satan wünschte.

Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel? fragte der Laie lachend.

Das ist eine bedenkliche Frage, erwiederte der Enthusiast; was der
Mensch so stürmisch will, davon muß wohl etwas auch wirklich in sein
Wesen übergehn; es wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche
Nachspielen nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust wiederklingen
sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu seyn, so war mir bei all diesem
Bewundrungsbemühen oft unerträglich nüchtern zu Muthe, so recht, was der
Haufe langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen und Füßen
gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft ein herzliches Gähnen angekommen.
Das Schlimmste aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine
boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch genommen, und
sei von der andern Seite vom Pferde wieder hinunter gefallen. Sei ich
erst wie ein verstocktes dumpfes Thier gewesen, so erscheine ich jetzt
wie ein verwilderter Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein
verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein Arzt habe mir
diese übertriebene Motion nur empfohlen, um sie gegen mein Fettwerden zu
gebrauchen. Ach! und die Musiker! Von denen habe ich das Meiste
gelitten. Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden berühmten
Compositeurs ihre Sachen aufführten. Wie der erste geendigt hatte,
konnte ich ihm richtig mit fließenden Thränen an seinen Hals fallen, und
der Mann klopfte mir selber über mein Entzücken gerührt mit aller
Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht herzlich zusammen,
und er sagte ganz laut, er habe noch keinen so gründlichen Kenner in
allen Reichen der musikalischen Welt angetroffen. Nun brannte der andere
Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich nicht mehr, es
meldete sich aber ein großartiges Schluchzen, was noch höher lag als die
Thräne, -- und ein ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstseyn, fast
sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles Abstehn mußte
diesen großen Meister belohnen. Der grobe Schelm ließ mich aber geradezu
auf das Parket hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust
unterzustemmen, und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch zu
mir: bleiben Sie in des Himmels Namen liegen, denn wer über die
Stümperei jenes Menschen dort weinen kann, verdient gar nicht, einen Ton
von mir mit seinen Ohren aufzufassen. So erhob ich mich, um Trost bei
meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter Kenner ich war. Er
sprang aber auch vor meinem Ausruf weg, so daß ich mit der Nase fast an
die Wand stieß, unter dem nichtigen Vorwande, daß wer so wenig ächtes
Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so übermäßig bewundern
könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes Ungeheuer sei. Wie ich nun bei
meiner Geliebten Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich
empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint und da am
lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste Empfindung hingehörte. O
Theuerste, Verehrteste, möchte man nicht fast veranlaßt seyn, den Schwur
zu thun, daß man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre, Adagio
und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen dasitzen und höchstens
zuweilen den Tact schlagen wolle; denn wenn all dies Hämmern und Puffen,
dies Abarbeiten unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende
rinnende Thräne, die den Wiederschein der Unsichtbarkeit abspiegelt;
wenn alles dies nichts fruchtet, sag' ich noch einmal, und statt
paradiesischer Sympathie nur die infernalische Antipathie erregt, so
wünschte man ja lieber Balgentreter oder Schmiedegesell, als ächter
Enthusiast zu werden. Darum wundert Euch nicht, wenn ich der undankbaren
Kunst wieder einmal den Rücken wende.

Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der Laie im frohen Muth:
in meinem Leben gehören die Leiden der Musik auch zu den
empfindlichsten. Nicht der zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet,
wohl aber sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch Musik
verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch jetzt mit einigem
Schrecken denken muß.

Sprechen Sie, alter Freund, rief der Kapellmeister, habe ich doch auch
schon erst mein Leiden geklagt, was Sie freilich nicht mit angehört
haben.

Ich mochte zwölf Jahr alt seyn, fing der Laie an, es ging mir gut, in
der Schule rückte ich schnell hinauf, meine Lehrer so wie meine Aeltern
waren mit mir zufrieden, als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und
Harmonie zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden Waizen säete.
Mein Vater, ein strenger, aber heiterer Mann, ließ mir frei, meine
Bestimmung zu wählen, er war ein Freund der Musik, aber ohne alles
Talent. An einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust hätte,
ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke noch niemals gekommen;
ich solle es mir überlegen, er verlange es nicht, aber wenn ich mich
entschließe, müsse ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich
wußte, daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik triebe,
aber einmal angefangen, durfte ich die Sache niemals wieder fallen
lassen. Mir war, weil mein Ohr noch schlief, bis dahin alle Musik höchst
gleichgültig und langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu,
weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts vernahm, die
Handlung, die mich einzig interessirte, stehen blieb. Nie war in unserm
Hausbedarf von Musik etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem
Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte, der es mir
aber nie hatte deutlich machen können, daß die Musik seiner Geige mit
zum Tanz gehöre. Traf ich daher gleich anfangs den Tact, so tanzte ich
meine Menuet, Cosak, oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es mir
aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen, mich wieder in
den verlornen Tact zu werfen. Ich hielt es auch geradezu für
Aberglauben, daß man herkömmlich zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon
hier die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche, die mir
schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung. Meine Nerven waren
schwach, und die losbrausende Orgel mit ihren schmetternden Tremulanten
verwirrte mein Gehirn und unerträglich fiel mir der unisone kreischende
Gesang der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht vertragen
lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung, erschreckt und
ängstigt sie mich in der Nähe, und dieser Choralgesang, der sich so
demüthig, wie gefesselte reuige Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt,
nimmt mir, so oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Muth, alle
Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen in meinem Gemüth,
und ein nüchterner Lebensüberdruß bemächtigt sich meines Geistes.

Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister, doch komme auch
wohl eine seltne Eigenthümlichkeit des Laien hinzu.

So fern, begann dieser wieder, war ich aller Musik, und keine Spur eines
Talents hatte sich gezeigt, als der böse Geist es mir in den Kopf
setzte, in mir sei vielleicht ein großer Violinspieler verborgen. Die
Geige wurde angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber nun
der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister zusammen gefunden,
denn dieser unterrichtete mich eigentlich so, als wenn ich schon seit
Jahren ein nicht unwissender Violinspieler gewesen wäre. In der ersten
Stunde ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen zarten
Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden hatte er mir schon ein
Buch gemacht, und einige leichte Lieder hinein geschrieben. Dies Stück,
sagte er, geht aus ^D dur^; es war: Blühe, liebes Veilchen. Ich
bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden Kreuze oder ^D dur^
zu bedeuten hatten, ob es eine oder mehrere Tonarten gäbe, was die
Tactabtheilung, oder die Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir
spielten nun wohlgemuth das Lied durch, und ich ihm nach, Fingersetzung
und Alles aus dem Gedächtniß. So ging es beim zweiten und dritten Liede,
welches aus ^C dur^ ging. Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und
er nannte jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber gar
nicht nothwendig, weitere Erklärung hierüber, oder über die Dauer der
Noten hinzu zu fügen. Es klingt märchenhaft, aber eben so wahr ist es,
daß ich in dieser Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen
habe, ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf den Grund
zu kommen, oder daß er es nothwendig geachtet hätte, unsrer practischen
Kunst einige Theorie anzuhängen. Uebrigens kann man sich vorstellen, wie
es lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung in Moll und
Alles, was die Musik ausmacht, ohne jedes Verständniß, nur aus dem
Gedächtniß spielte, (denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie
sie auf der Linie stand, und nichts weiter) da ich überdieß gar kein
Gehör hatte, den Bogen schlecht führte, und in der Fingersetzung häufig
irrte, so begreift sich's, was ich für ein Charivari hervor brachte.
Mein Meister, der wirklich geschickt im Spiel war, klagte in jeder
Stunde über seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters
Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren, Pfeifen, Mauzen und Girren
war mir unerträglich: selbst der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe
hört, einen Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der
Applicatur, überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten sich fast nur
die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da meine Nerven so stark afficirt
wurden, so zeigte sich mein Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen,
welches meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch deutlich in
meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die Wangen begleiteten mit
widerlichen Verzerrungen die hohen und tiefen Töne, die Augen klemmten
sich zu und rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue
Falten und Lineamente sich formirten, die ursprünglich nicht für ein
gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren. Mein tiefsinniger Meister
schüttelte oft sein Haupt, und meinte, so wenig Talent als ich habe
keiner seiner Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr
Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern wahrgenommen
hatte. Kamen wir so recht in Eifer und lieferten, nachdem ich schon
länger studirt hatte, die raschen muthigen Passagen: so rutschte im
Allegro mein Bogen über den Steg, und im Entsetzen ließ mein Lehrer die
Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen Streichen aufquikt,
weiß nur der, dem dieses Abenteuer begegnet ist. Mehr wie einmal fiel
der Steg selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall endigte
mit Macht ein schmachtendes Largho mitten in der Note. Einmal sogar, und
ich dachte der Tod ergriffe mich, brach der Knopf ab, der unten das
Saitenbrett festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase. Für
diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende, und das Instrument mußte
erst wieder hergestellt werden. Nach einem Zeitraum war denn auch mein
Vater so neugierig zu hören, wie ich mich applicire. Ich trug ihm einige
der Lieder vor, die ich am besten inne zu haben glaubte. Er erschrak
über das, was er hörte, und erstaunte noch mehr über das, was er sah. Er
meinte nämlich, in der Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich
unbegreiflich weit vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen
seyn, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich nur zum Beschluß,
den Ausdruck meiner musikalischen Physiognomie doch etwas zu
beschränken, weil ich außerdem auf dem graden Wege zum Affen sei. Das
war mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende Lied: Hier
schlummern meine Kinder &c. ihm nicht ganz ohne Glück vorgetragen hatte,
denn dies war gradezu meine Lieblings-Arie, in der ich firm zu seyn
glaubte, die auch in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit
verweilte, und nicht in den Discant oder gar in die Applicatur hinauf
stieg, die ich ein- für allemal verabscheute.

Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese mannigfaltigen Leiden?
fragte der Kapellmeister launig.

Wenig, erwiederte der Laie: als mein Lehrer es nöthig fand, wegen des
Ausdrucks für mich ein Sordin zu kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte,
weil es doch einmal einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein
spanischer Reiter es dem reißenden Bogen unmöglich machte, wieder
jenseit dem Steg zu springen. Auch machte es mir innige Freude, als wir
erst weiter vorgerückt waren, in den Ouvertüren die Vierundsechszigtel
als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche meistentheils
gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug der Gardine, vorkommen. Diese
wiederholte ich gern in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine
große Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton die
Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten Theater säße.

Aber damals, fragte der Kapellmeister, hatten Sie doch wohl einige klare
Begriffe von der Musik?

So wenige, antwortete der Laie, wie in der allerersten Stunde; Tact,
Vorzeichnung, Tonart, nichts von alle dem begriff ich, sondern spielte
Sonaten und Symphonieen so pur aus dem Gedächtniß hin, wie ich es von
meinem Lehrer hörte! auch vernahm ich keine Melodie, keinen
musikalischen Gedanken; hie und da führten mir wohl ein paar Tacte eine
Art von Verständniß herbei, das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So
fern war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete, weil ^g^,
^h^, ^a^ und ^b^ vorkommen, daß das ganze Alphabet wohl in den Noten
enthalten sei, und daß man bei der Composition eines Liedes nichts zu
thun habe, als die Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes
bezeichneten, und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen. Wie ich
nun meinen Lehrer fragte, wo denn das ^m^, ^r^ oder ^p^ stecke, wurde
ich zwar von diesem sehr verlacht, aber doch nicht besser belehrt, denn
er erstaunte nur immer von Neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich
das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe. Eben da mir
alle Musik nur wie ein Charivari vorkam, so ließ ich mir beigehn, auch
selbst einmal zu componiren. Der Tact schien mir gleich ein Vorurtheil,
eine Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die Freude
vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich meine wild zusammen
gewürfelten Noten ihm als meinen ersten dichtenden Versuch überbrachte.
Er wollte sich ausschütten vor Lachen, und konnte nicht müde werden,
sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen. Mir klang sie
wie jede andere Musik.

Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über diese Erzählung, und
selbst der finstere Graf lächelte. Es ist unbegreiflich, sagte der
Baron, daß Sie so lange ausgehalten haben. Ich mußte wohl, erwiederte
der Erzähler, meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungethüm einmal
begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht weiter um meine Kunst,
weil er einigemal, da ich ihm Sonntags Nachmittags einen Zeitvertreib
machen sollte, von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen
bekommen hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden Künstler eine
ausgezeichnete Demüthigung. Die Besitzerin des Hauses, in welchem wir
wohnten, hatte zum Geburtstage ihrer erwachsenen Tochter eine große
Anzahl hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet fröhlich zu
machen, hatte die gute Dame mit meiner Mutter die Abrede getroffen, ich
sollte heimlich mit meiner Geige hinauf kommen, im Nebenzimmer plötzlich
stimmen, und den überraschten schönen Kindern dann einige englische
Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale recht wohlgemuth
herumspringen könnten. Ich wurde in das Nebenzimmer mit allem Geheimniß
geführt: ich sah durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung
hinein, -- aber nun, -- die Geige _stimmen_! Wie gemein! Ich hatte es
auch in meinem Leben nie versucht, weil mein Meister das besorgte, ich
hörte auch niemals einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im
Stande war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so konnte
ich auf jeden Fall nur Uebel ärger machen. Es schien mir edler sowohl
wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie mich anzukündigen, und so
ließ ich dann plötzlich das: »Hier schlummern meine Kinder« anmuthig
ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war unbeschreiblich, mit
Jubel ward ich in den Saal gezogen, wo ich wie geblendet stand, da ich
noch niemals so viele reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war
ein Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen Tänze, die
mir mein guter Meister in mein Notenbuch geschrieben hatte, ich spielte
einen auf, aber er wollte nicht passen. Sie fragten nach der Anzahl der
Touren und dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte
ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangiren. Ich versuchte noch eine
Anglaise und eben so die dritte, nun war meine Kunst zu Ende, und da
auch diese nicht paßten und wir uns gar nicht verständigen konnten, so
mußte ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten
Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren Nachmittag in
Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete Freude heiter
verflossen wäre. Meiner Mutter, die mich ausfragte, erzählte ich, die
Mädchen hätten eigentlich gar nicht tanzen können; und so kam es mir
auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen wußten. --
Mein Meister wurde endlich zu einer auswärtigen Kapelle verschrieben,
und nun glaubte ich, meiner Qual los zu seyn: mein consequenter Vater
aber hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand, der, als
ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache gründlich wieder von
vorne anfing. Ich, der ich schon Symphonieen und die schwierigsten
Sachen vorgetragen hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und
Kirchenmelodieen einlernen, lauter Noten aus halben oder ganzen Tacten,
weil mein neuer Meister behauptete, ich hätte weder Strich noch
Fingersetzung. Dieser hatte ein so delikates Ohr, daß er bei meinen
Mißtönen fast ärgere Gesichter schnitt, als ich selber, er lachte auch
niemals über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie der
erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam zu Herzen, und war
manchmal fast dem Weinen nahe. Zum Glück dauerte diese neue Schererei
etwa nur ein halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging, und seitdem
kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse, meine Herren,
schildern nur kurz den geringsten Theil meiner musikalischen Leiden,
denn wenn ich sie ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen
die Geduld ermangeln.

Jetzt ist die Reihe an Ihnen, sagte der Baron Fernow, indem er sich zum
alten Italiener wandte, Sie haben bei diesen Erzählungen eine besondere
Freude gezeigt, und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer
Leiden mittheilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen, nicht
gefehlt haben können.

Ach! meine Herren, sagte der Alte mit einem sonderbaren Gesicht, meine
Leiden seyn zu tragisch, um Plaisir zu machen, auch kann meine welsche
Zunge nicht in die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen,
muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Confession etwas mit Confusion
verschwägert seyn sollte. Ich war von Jugend auf geübt im Sang, fertig
im Clavierspiel und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli
gesungen, und brav beklatscht und ^e viva!^ mich zugerufen. Ging nach
Rom, gefiel nicht so ausnehmend, denn die Herren ^Romani^ seyn
kritischer Natur, bilden sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den
ganzen Italia zu haben. Ach! aber hier sah ich im Carneval eine junge
Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in Firenza zu singen,
auch auf das Theater. Ach! welcher Ton! welche Talente! welche Augen!
Nun das war ein ^cara mia^, ^amor^ und ^mio cour^, bis wir, eh' wir uns
das Ding versahn, mitsammen davon gelaufen waren, und singen nun in
Firenza auf Theater aus Leibesmacht als Mann und Frau. Hatten viel
Zärtlichkeit in der Eh, aber auch manchen Verdruß, denn ^cara mia^ war
der Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein gar hübscher
^Giovine^ und die Frauenzimmer rührten leicht mein Herz. Doch Alles ging
gut, bis wir in eine deutsche Residenz engagirt wurden. Da lebte ein
Compositeur, ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension, aber
gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männel. Der Hortensio gefiel
meiner Cara, und sie wollte nun seine Schülerin vorstellen, in edel
große Manier singen, mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals
und Kehle, sondern so wie die Deutsche meinen, aus das Gemüth heraus.
Gemüth! eine extra deutsche Erfindung, die alle andern Natione gar nicht
kennen. Bis dahin hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe
hell wie Glas, spitz, laut, mochte Compositeur componiren wie er wollte,
brachte er seinen hohen Ton, flugs hatten wir ihn weg, richtig mußte er
in seine Passage und Cadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer
höher, da oben dann umgeschwenkt, und wieder hinab gegurgelt, und
^brava! brava! bravissima!^ aus den Logen heraus geschrieen, mit Fächern
und Händchen geklopft, ^mia cara^ sich verneigt, Arme kreuzweis vor der
Brust, und keinem Menschen wars eingefallen, daß ^monsieur Compositeur^
da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hinein drechseln wollen. Aber
Hortensio! Hortensio! ^bestia maladetta!^ denk' ich, der Schlag soll
mich rühren, wie ich zum ersten Mal die seelische Manier in mein Ohr
hinein hör! Keine Passage, keine Uebergänge, keine Triller, singt daher
wie ein Kalb, das geschlacht werden soll, pur ohne Manier und Methode.
Ich war der ^primo nomo^, konnte aber nicht lassen, meine ^prima donna^
im Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken. Schreit sie
auf gefährlich: meinen die Leut, das soll auch große neue Manier seyn,
und fangen an zu lachen. Von dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall
vom Publikum mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast,
wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheirathet an eine gute Frau,
die nach deutscher Manier ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten
Isabelle die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante
Manier, verflucht Seele und Gemüth, aber war nicht anders, als wenn die
Töne wie Besessene durch einander schrieen, kochte und zwirbelte oft in
der Gurgel, murrte und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals
mit einander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein hinaus auf die
liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten. So war das Elend komplett,
fehlte nur noch, daß sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch
redlich: ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: ^enfin^, wir
kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension. Zogen durch alle
Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen und fanden immer die
allertheuersten, gaben Concert, ich Privatstund im Singen. Die ^cara^
Isabella konnte aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je
lieber sie sang, als kein Mensch mehr zuhören wollte, trieben wir das
Spektakel ^privatissime^ auf unserer Stube. Ja, da mußte ich ganzer Mann
seyn, um mit meine Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und
oftmals dachte ich, es müßte gesterben werden. Wir hatten großen
mächtigen Kater, der lag immer auf das Clavier: sehn Sie, das Kerl
fürchtete sich weder vor Ratz noch Maus, lief vor keine noch so große
Hund, und hatte sich mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt:
aber so wie meine Gemalin nur den Deckel aufmachte, um die Harmonie
loszulassen, so lief das Katz was es konnte bis auf den allerobersten
Boden. Wir tobten so gewaltig, daß uns kein Wirth mehr zum Miethsmann
einnehmen wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr unser Concert
hören, denn die menschliche Ohr seyn meistentheils etwas zart construirt
und sehr viel Menschen haben fast natürlichen Widerwillen gegen
Detoniren und widerwärtigen Gesang.

An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine beste Kleid anziehn,
es sei große reputirliche Gesellschaft von Zuhörer gebeten. Wir sangen
und tobten, es war aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit
ihr redte, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu platt und grob
organisirt, ihre Kunst zu fassen, darum habe sie Ueberirdische invitirt,
die klagten niemals über Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump,
um die feinen Creaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun gings immer
so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte mich viel von dem
großen Beifall, den ihr Vortrag bei die Kenner fände. Am andern Abend,
als wieder große Geisterassamblée bei uns war, und wir beide gnug
schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich falsch, es
sei nicht auszuhalten, und König David, der gewiß ein Kenner in Musiken
sei, wolle gar nicht wieder kommen, wenn ich nicht richtiger und mit
mehr Respect sänge. Ich sollte gleich hin, und ^Majesté^ um Verzeihung
bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn der alte Herr hätte
etwas kalt. Ich trug meine submisse Devotion in höfliche Redensart vor
und wurde pardonirt.

Armer Mensch! sagte der Kapellmeister gerührt, und wie lange lebte die
Wahnsinnige noch?

Bitte sehr um Verzeihung, erwiederte der Italiener, meine selige Gattin
nicht zu lästern, war nichts weniger wie etwa toll im Kopf, dachte es
auch erst, sah aber bald meinen Irrthum. Denn als es noch kälter wurde,
die Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribulirt hatte und
ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil diesmal alle Maccabäer uns
die Ehre erzeigten, da sah ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze
Stube voll unsichtbarer Menschen, will sagen, verstorbene Geister.
Seitdem mir nun die Binde von meine Augen herunter gefallen war, habe
ich manche interessante Bekanntschaft unter die Abgeschiedenen gemacht,
und hatte nun gar nicht mehr nöthig, viel mit die sterbliche Menschen
umzugehn.

Das glaub' ich, sagte der Baron, indem er den Erzählenden mit einem
prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter rückte etwas weiter von ihm weg,
der Enthusiast war erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher
ihn schon kannte, blieb ruhig. Wir sahen ein, fuhr der Alte fort, daß
die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die ganzen Vorzeit etwas
lästig werden könnte, und beschränkten uns nachher fast nur auf die
berühmte Musiker. Ja, meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über
Contrapunct, Wirkung, Ausbeugung und über Charakter von die Tonarten
erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber meine liebe Frau starb bald,
und seitdem habe ich den Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle
die Herren haben sich mich allein, da ^Cara mia^ nicht zugegen, seitdem
mir nicht wieder gezeigt.

Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob er nicht auch
vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen habe, und dieser, der
bis jetzt geschwiegen hatte, fing so an: Ihre Klagen, meine Herren,
waren zum Theil darüber, daß sie mit der Musik in Verbindung kamen, ohne
eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst zu besitzen. Mein
Elend kommt von der entgegengesetzten Seite. Von frühester Jugend war
meine Freude an Musik, mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch
machte er meinen Eltern und Erziehern gnug zu schaffen. Ich wollte
nichts anders lernen, und verwünschte oft meinen Stand, der mich
hinderte, ein ausübender Künstler zu werden. Wo nur ein Ton erklang, wo
nur Gesang sich hören ließ, da war ich gleich mit ganzer Seele, und
vergaß alle meine Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann,
zürnte über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten feindlich zu
werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich war, und im jugendlichen
Eifer wähnte, ich könnte meine Kunst nicht fanatisch gnug vertheidigen,
so verletzte und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise,
und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über meine Hitze,
Verstimmung gegen die Welt und mich, dies traurige, zerrissene Wesen
verdarb mir völlig die Heiterkeit meiner Jugend, denn der gewaltsam
errungene Genuß meiner Kunst war doch nicht im Stande, mir alles das zu
ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun, daß meine Erwartungen
zu hoch gespannt waren, daß meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine
Forderungen stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der Kunst
selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert. Denn ich
glaubte nicht selten wahrzunehmen, daß man so vieles in die Musik
aufgenommen habe, was dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie
meistentheils zu sehr zum Zeitvertreibe herab gesunken sei, daß sie um
Effecte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß die wenigsten Sänger nur
wissen, was Vortrag und Gefühl zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermuth
konnte sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die Stimmung
angetroffen werde, die ich für nothwendig hielt, wenn diese hohe Kunst
ihr Element finden sollte. Ich mußte denn endlich meinem Vater doch
nachgeben und an den Geschäften Theil nehmen. Die Arbeit wurde mir
leichter als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater, der mich wegen
meiner Kunstliebe für fast blödsinnig gehalten, war so mit mir
zufrieden, daß seine ehemalige Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach
einigen Jahren ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an
einen großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen Sänger und
Sängerinnen beobachtet, und war fast mit allen unzufrieden. Wenn die
Stimme das Gefühl, den Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so
muß sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen, und die Höhe nur
deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion und Kraft zu gewinnen. In
dieser Gegend ist es, wo Componist und Sängerin das Uebermenschliche der
Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der Seele ausdrücken
können: und doch fand ich fast immer, daß der Wohllaut, die Wollust
dieser Klänge nur gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine
Art Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz nahe an die
Seiltänzer grenzt, und von der ächten Kunst ganz ausgeschlossen seyn
sollte. Noch schlimmer fast erschienen mir diejenigen, die nach einer
ziemlich verbreiteten neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein
^Crescendo^, kein Portament der Stimme, sondern ein plötzlicher
Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann ein eben so plötzliches
Verhauchen, ein unmotivirtes Sinkenlassen des Gesanges, ein dumpfer
Seufzer statt des Tons, und so fort in diesem schroffen eckigen Wechsel,
so daß ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen Tönen
erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes Publikum bewunderte, und
der mir noch jenseit dem Anfange der Schule zu liegen schien, oder mir
vielmehr wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges vorkam.
Von dem neuesten Geschmack der Opern will ich schweigen, denn hier fände
ich meinen Klageliedern kein Ende.

Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte, empfing ich bald darauf
den Bescheid, daß ich mit einem wichtigen Auftrage schnell in mein
Vaterland zurück müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden Fürsten
Concert, und eine fremde Sängerin wollte sich zum ersten Mal hören
lassen. Ich begab mich in den Concertsaal. Nur der Sängerin Nacken,
dessen blendende Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen
Löckchen erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen, so wie einen Theil des
feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge. Aber jetzt erhob das
Mädchen den Ton, und ging in einen zweiten über, und strahlte den
dritten aus, so mächtig, edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich
wie bezaubert stand, denn das war es, wie ich es mir immer gedacht, ja
es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser reine, himmlische Discant
war Liebe, Hoheit, zarte Kraft und Fülle der edelsten, der überirdischen
Empfindung. Da hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch
die Harmonika überschleift, nicht die Betäubung in der letzten,
schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr verletzt und durchbohrt,
nicht die Ohnmacht an der Grenze der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl
in uns erregt, und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es
war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun begriff ich
erst, wie Hasse hatte wagen können, zuweilen in seinen Arien durch viele
Tacte den Sopran auf ein und zwei Sylben trillern, sich senken und
wieder steigen zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und Alles
vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines Lebens das
sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab, daß nur dieses Wesen mit
dieser Wunderstimme, oder keins, meine Gattin werden sollte. Der Rath
und der Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert.
Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß hinüber. Es ward mir
schwer, meine Lebensgeister zu dem sehr bedeutenden Gespräche zu
sammeln. Nach der Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den
Wagen werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rath, mein Begleiter,
wußten mir von der Sängerin etwas zu sagen. In meinem Vaterlande
angekommen, erwarteten meiner dringende Arbeiten, die mich selbst in den
Nächten beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette
lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und meinem leidenden Vater jetzt
meinen Trost und Dienst widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen
zudrücken. Jetzt wußte ich erst, wie theuer mir der edle Mann gewesen
war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner Neigung zu folgen; ich entzog
mich den Staatsdiensten. Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen,
reisete ich nach jener Residenz zurück, -- aber -- und wie ist dies zu
begreifen? Kein Mensch, kein Musiker, Niemand am Hofe wollte von jener
Sängerin, oder jenem Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei
diese einzige, himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen,
die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder als sei ich in Wahnsinn und
Bezauberung, daß ich mir Alles nur eingebildet habe.

Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf Reisen jenes
Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte ich kein Concert und keine
Oper, suchte jede musikalische Versammlung auf, und immer vergebens.
Seit zwei Jahren führe ich dies unruhige traurige Leben, und heut Abend
dacht' ich thöricht zu werden, denn in der fremden Dame glaubte ich
meine Unbekannte gefunden zu haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe
feine Contour des Ohrs; und Mund und Physiognomie schienen mir ganz wie
die einer Sängerin.

Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal, daß der Graf sich
durchaus irre, und daß seine Bemerkungen über Gesang fast eben so
einseitig als fein zu nennen wären. Denken Sie denn Ihr sonderbares
Gelübde zu halten? fragte hierauf der Baron.

Ich muß wohl, erwiederte der Graf, denn mögen Sie auch lächeln und es
unbegreiflich finden, jener wunderbare süße Ton hat mir Liebe, wahre
Liebe eingeflößt. Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn seyn, der
uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt? Ich träume von
dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie, Alles erinnert mich an
diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden, wenn sie gestorben seyn
sollte! Ich mag mir die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht
vorstellen.

Die Uebrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese Leidenschaft nicht
begreifen zu können, oder an sie glauben zu wollen. Da es spät war,
trennte man sich, und der Italiener begleitete den Grafen, in dessen
Hause er wohnte.

Eccellenza, fing er in einer einsamen Straße an, thut mir die
Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da in den Tannenwald zu
begleiten, da will ich mir umbringen.

Narr! sagte der Graf, was fällt Euch einmal wieder ein? Habe ich nicht
versprochen, für Euren Lebensunterhalt zu sorgen?

Alles recht schön, sagte jener, danke auch für die Großmuth; aber ich
bin mein Leben völlig satt, so sehne ich mir nach meiner abgeschiedenen
Hälfte.

Damit Ihr auch jenseit, fragte der Graf, Euer Katzenkonzert wieder
fortsetzen könnt?

Nicht blos deswegen, erwiederte der Alte, bin aber mit Isabellen so
gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante, Bach und alle große Leute, den
königlichen Kapellmeister David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es
mit so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie rathen mich,
Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen, schießen oder ersaufen?

Ich werde den Narren einsperren lassen, sagte der Graf.

Hat jedes etwas für sich, fuhr der Italiener fort, ohne sich stören zu
lassen: Luft, Feuer, Wasser; jedes ein ganz gutes Element. Ein einziges
Ding könnte mich mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die
Lebenslust einbisse.

Nun, und was?

Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe.

Und weshalb?

Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte, daß er dazumal
meiner ^Cara^ die Gesangmethode so verdorben hat.

Phantast! sagte der Graf, indem sie durch die Thür schritten. -- Und was
ist Eccellenza? murmelte der Alte, indem die Diener ihnen entgegen
kamen.

                   *       *       *       *       *

Der Kapellmeister war in Verzweiflung. Es war ganz so gekommen, wie er
gefürchtet hatte. Die erste Sängerin zeigte sich mehr als empfindlich,
sie fühlte sich beleidiget, und sogleich war auf einen Wink von ihr eine
recht schwere Krankheit da, die ihr es unmöglich machte, einen Ton zu
singen, ja nur ihr Zimmer zu verlassen. Der Enthusiast wandelte und
rannte hin und her, aber seine Vermittlung machte die Sache eher ärger
als besser, denn da er treuherzig wieder erzählte, was jede der Parteien
geäußert hatte, so wurde der Kapellmeister immer mehr erbittert, und die
Sängerin ging am Ende so weit, daß sie verlangte, statt der beiden
Haupt-Arien sollten zwei ganz neue gesetzt werden, und das Duo im
letzten Acte müsse in den ersten und zwar gleich in den Anfang verlegt
seyn, auch forderte sie noch für sich die große Arie der zweiten
Sängerin, ohne welche Bewilligungen an keinen Friedensschluß zu denken
sei. Ueber diese ungeheure Forderungen gerieth der Kapellmeister so
außer sich, daß er schwur, sie solle nun in seiner Oper gar nicht
singen, ob er gleich noch nicht wußte, wie er seiner Verlegenheit
abhelfen sollte. Wenn nur meine Cara noch lebte! rief der alte Italiener
aus, der an den Berathschlagungen Theil nahm, und jetzt die Verzweiflung
des Kapellmeisters sah; ach! wie brillant könnte die Selige zum Theater
wieder auferstehn! Die Rolle ist ganz und gar für sie geschrieben.

Könnt Ihr sie nicht vielleicht selbst übernehmen? fragte der
Kapellmeister in tragischer Bosheit.

^Signor si!^ rief der Alte, wenn Ihr kein ander Subject findet, ich kann
zum Entsetzen einen hohen Sopran durch die Fistel singen.

Es kommt wirklich fast auf eins hinaus, rief der Componist in seiner
Verzweiflung, ob man so oder so parodirt wird; wenigstens würde doch
kein Liebhaber bei einer unpassenden Gelegenheit klatschen, und kein
Eifersüchtiger oder der Bewunderer der zweiten Dame aus Neid pochen und
zischen. Unternehmt Ihr, Alter, aber auch liebenswürdig zu erscheinen?

Was der Mensch leisten kann, antwortete jener, der es für Ernst hielt:
vor dreißig Jahren war ich zum Malen hübsch, und wenn ich mal auf
Carneval in Weibskleidern ging, lief mir alles junge Mannsvolk nach.

Die Prima Donna hätten wir also, sagte der Enthusiast, und wenn die Oper
nur Nacht und Verfinsterung des Theaters erforderte, und kein Mensch die
Sache erführe, so käme es wohl auf den Versuch an, welche Wirkung der
alte Freund machen würde.

Wenn ich nicht vor der Aufführung todt bin, warf der Italiener ein, so
wie das andere Subject krank ist, so möchte ich wohl in das Sterben
gerathen.

Ich sehe schon, beschloß der Kapellmeister, ich bin vergeblich
hergereist, ich habe umsonst alle Anstalten getroffen. So lange es
unmöglich bleibt, von Obrigkeits wegen einen solchen Eigensinn zu
bestrafen und zu hindern, so lange das Publikum selbst nicht eine solche
Frechheit und Verachtung seiner so ahndet, daß kein zweiter dieselbe
Vergehung wieder wagt, so lange bleiben wir das Opfer dieser Caprice von
unwissenden Menschen, die für ihr mäßiges Talent viel zu sehr belohnt
und von den Directionen und allen Zuhörern verzogen werden. Ich werde
wieder einpacken.

Der Enthusiast weinte vor Schmerz, der Italiener aber sagte: Ihr habt
ganz recht; nicht wahr, das Leben mit all den Mühseligkeiten ist nicht
die Rede werth?

Ich bin es wenigstens völlig satt, antwortete der Componist.

Nun, so kommt mit mich, leistet mir Gesellschaft, sagte der Alte sehr
freundlich, indem er sich an ihn schmiegte.

Wohin?

Nach jenseit, nach dem weiten großen Raum, wo man Ellenbogen-Freiheit
nach Herzenslust hat. Sagt, Mann, wollen wir uns lieber ins Wasser
schmeißen, oder frisch den Kopf abschießen, wie dem Vogel von der
Stange?

Geht, rief der Musiker, Ihr seid schon am frühen Morgen trunken.

Nein, sagte jener, ich habe einmal einen heiligen Schwur gethan, mir aus
dieser Welt hier fortzuschaffen, wenn ich nicht etwa den lieben Signor
Hortensio wieder antreffen thäte: das würde natürlich die ganze Sache
verändern. Aber wenn mir die Freude nicht arrivirt, sagt nur selbst, was
ist denn das für ein lumpiges Leben hier unten? Da sitzt Ihr immer,
närrischer Maestro, und klimpert auf das Clavier, und schreibt Eure
Eingebungen auf, und ängstigt Euch um Invention, Charakter, Melodie,
Styl, Originalität, und wie man Kunstwesen alles nennt: und wer dankt es
Euch? Wer merkt es nur ein bissel? Laßt uns doch mal als vernünftige
Männer in Tag hinein reden: ist es denn nicht spaßhafter, sich aus dem
Staub zu machen? Ja, Ruhm, Nachwelt! Wollen der lieben Nachwelt ein
bissel entgegen gehn, und mal hinter den Vorhang gucken, ob es solches
Gethier überhaupt nur giebt. Uebermorgen, Freundchen, seid von der
Parthie, ich bring' auch Pistol mit: Ihr müßtet denn lieber baumeln
wollen; ist aber jetzt windiges und garstiges Wetter.

Laßt die Narrenspossen, sagte der Musikus sehr ernst, es wird noch dahin
kommen, alter Thor, daß Ihr nach dem Tollhause wandert.

Und wohnen da nicht auch Leute? sagte der Italiener grinsend; Ihr habt
Vernunft noch nicht viel gebraucht, junger Mann, da ist sie noch ein
bissel frisch! wer sie aber so wie ich strapazirt hat, da ist sie mürbe
und matt; mir kommt's gar nicht so sehr auf Ambition an, daß mich Eures
gleichen für vernünftig, oder Weisen aus Griechenland hält. Ich habe
wohl andern Umgang gehabt, als Ihr, Ihr armer, gegenwärtiger,
kurzsichtiger Mensch! und wenn Nestor, oder Phidias und Praxiteles, mit
die ich so oft konversirt habe, mich so etwas gesagt hätten, so hätte
ich jeden einen Schlag an die Gegend von das Ohr gegeben.

Er lief wüthend fort, und der Kapellmeister setzte sich melancholisch
nieder; auch der geschwätzige Enthusiast mußte ihn verlassen, damit er
seinem Kummer recht ungestört nachhängen könne.

                   *       *       *       *       *

Nein, sagte am Abend der Laie zum Baron Fernow, ich habe dazumal einen
Schwur gethan, niemals eine Geige wieder anzurühren, und darum
verschonen Sie mich. Der Vater und die Tochter wünschten nämlich, er
möchte ihnen nur etwas, das kleinste Liedchen vorspielen, um zu sehen,
wie er sich in der Jugend mit seinem Instrumente ausgenommen habe.

Man sollte wohl nichts verschwören, sagte der Baron, am wenigsten die
Ausübung einer so edeln Kunst.

Der Kapellmeister trat herein, und erzählte eine sonderbare Anmuthung,
die ihm vom Grafen geschehen sei. Dieser habe ihn nehmlich besucht und
gebeten, am heutigen Abend mit ihm und dem alten Italiener in den Wald
vor die Stadt zu gehn, wo sich der Sänger erschießen wolle; der Graf
wünsche wenigstens einen rechtlichen Mann zum Zeugen, der es nachher
bewähren könne, daß der alte Thor sich selber umgebracht habe. Der Baron
war der Meinung, man müsse den alten Verrückten sogleich fest nehmen und
einstecken; die Uebrigen fielen bei, nur der Laie äußerte den Zweifel,
ob nicht Jedem das Recht zustehen müsse, über sein Leben zu entscheiden,
wie es ihm am besten dünkte. Hierüber entspann sich ein Streit, ob es
dem Staate, oder den übrigen Menschen erlaubt sei, über irgend wen eine
solche beschränkende Aufsicht zu führen, welches der Baron
uneingeschränkt behauptete, da ein solcher durchaus, der einen so
unklugen Vorsatz fasse, als ein Wahnsinniger zu betrachten sei.

So muß man erst ermitteln, was Wahnsinn ist, warf der Laie ein; denn wir
sehn es in der Geschichte, wie die Gesetze und ihre Vollstrecker nach
den Umständen und herrschenden Gesinnungen bald dieses bald jenes zum
todeswürdigen Verbrechen gestempelt haben, welches andere Zeitalter zu
Tugenden erhoben, oder gleichgültig ansahen, ja selbst verlachten. Frei
zu denken, von gewissen Meinungen abzuweichen, hat ehemals Manchen auf
den Scheiterhaufen geführt; wegen Zauberei, wegen angeschuldigter Künste
ist Manchem der Stab gebrochen worden, und jetzt, wo wir in diesen
Punkten Freiheit gestatten, und es doch dulden müssen, wie Viele durch
Uebermaaß und Ausschweifung sich vorsätzlich und sichtlich zu Grunde
richten, begreife ich nicht, wie man es den Elenden und Verstörten mit
Recht verwehren kann, das Leben wegzuwerfen, wenn sie diesen Entschluß
wirklich ergreifen.

Sie sind paradox, rief der Baron; ich bin nicht Philosoph gnug, um Sie
widerlegen zu können, allein aus den Ueberzeugungen der Religion müssen
Sie es selber schon wissen, daß Sie eine böse Sache vertheidigen.

Ich habe versprochen, mit auszuwandern, sagte der Kapellmeister, denn
ich kann mir nimmermehr vorstellen, daß der alte Thor Ernst machen wird.
Uebrigens wäre es wahrlich nicht zu verwundern, wenn ein armer geplagter
Kapellmeister diese Gelegenheit benutzte, und ihm Gesellschaft leistete.

Der Graf trat wie verstört und tiefsinnig herein. Man fragte ihn, ob
etwas Neues begegnet sei; er äußerte aber, die Erinnerung an jene
Stimme, die ihm durch die neuliche Erzählung wieder mit frischer
Lebhaftigkeit in das Gedächtniß gekommen sei, sein rastloses Suchen, die
Qual dieser Spannung und die Unruhe, die es seinem ganzen Wesen
mittheile, mache ihn völlig elend, und er habe beschlossen, wenn sich
der Italiener erst erschossen habe, weiter zu reisen.

So halten Sie es denn für Ernst? fragte der Baron erstaunt.

Wenn er nicht wirklich dazu thut, antwortete der Graf, so nehme ich den
Narren wieder auf die Reise mit.

Der Italiener trat herein und schien aufgeräumter, als man ihn noch je
gesehen hatte. Alle betrachteten ihn mit einer gewissen Scheu, er aber
nahm keine Notiz von diesem veränderten Betragen, und als jetzt der
Enthusiast und der Sänger die Gesellschaft vermehrten, wurden Alle in
heitern Gesprächen von einer vergnüglichen Laune beherrscht, den Grafen
ausgenommen, der seine trübe Miene nicht veränderte. Lassen Sie uns,
sagte der Kapellmeister endlich, Einiges von unsern neulichen
Erzählungen aufnehmen. Wie ist es möglich, (indem er sich zum Laien
wandte) daß Sie nach ihren neuerlichen komischen Bekenntnissen ein so
großer Freund der Musik haben werden können? Vielleicht dadurch um so
mehr, erwiederte dieser, weil das Gefühl, als es reif in mir war, durch
sich selbst und stark erwachte, daß ich nichts Angelerntes,
Nachgesprochenes in meine Liebhaberei hinüber nahm. Ich hatte es endlich
dahin gebracht, daß ich kleine einfache Lieder begriff, die mir auch
wohl im Gedächtniß hängen blieben, die trefflichen von Schulz, zum
Beispiel, in denen uns, ohne daß sie uns eben poetisch aufregen, so
behaglich und wohl wird, die uns so klar blauen Himmel, grüne
Landschaften, leichte Figuren und anmuthige Empfindungen hinmalen, waren
mir oft gegenwärtig und verständlich. Nur die größeren Compositionen, am
meisten aber die dramatische Musik, waren mir zuwider, wenn ich auch in
der letztern manchmal mit Wohlgefallen eine kleine Arie hörte, die sich
dem Ohr einschmeichelte. Auch der Harthörigste lernt am Ende die kleinen
melodischen Sachen fühlen, wenn ihm auch der Zusammenhang großer
musikalischer Dichtungen unverständlich bleibt. Als das erste Mal Don
Juan von Mozart gegeben wurde, ließ ich mich bereden, das Theater zu
besuchen. Es war unlängst componirt, und des großen Mannes Ruhm noch in
Deutschland nicht so begründet, wie bald nachher, welches ich besonders
an einem hochgeachteten Musiker wahrnahm, der während und nach der
Aufführung nicht gnug über den falschen Geschmack des Werkes reden
konnte. Mir aber war, als fiele mir schon während der Ouvertüre eine
Binde von allen Sinnen. Ich kann die Empfindung nicht beschreiben, die
mich zum ersten Mal überraschte, daß ich wahre Musik hörte und verstand.
Mit dem Verlauf des Werkes steigerte sich mein Entzücken, die Absichten
des Componisten wurden mir klar, und der große Geist, der unendliche
Wohllaut, der Zauber des Wundervollen, die Mannigfaltigkeit der
widersprechendsten Töne, die sich doch zu einem schöngeordneten Ganzen
verbinden, der tiefe Ausdruck des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte,
Freche und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was dieses
Werk zu dem einzigen seiner Art macht, ging mir durch das Ohr in meiner
Seele auf. Daß es so plötzlich geschah, vermehrte meine Begeisterung,
und ich konnte nun kaum den Belmont desselben Meisters erwarten, dessen
Leidenschaftlichkeit mich nicht weniger entzückte. Auch andere
Componisten suchte ich zu begreifen, und Glucks großen Styl, seine edle
Rhetorik, sein tiefes Gemüth rissen mich hin, ich erfreute mich an
Paisiello und Martini, Cimarosa's heller Geist leuchtete mir ein, und
ich bestrebte mich, die Verschiedenheiten des musikalischen Styls, so
wie verschiedenartige Dichter zu erfassen und mir anzueignen. Während
meiner Universitäts-Jahre verlor ich diese Kunst wieder aus dem
Gesichte, doch zurück gekehrt war mein Eifer für sie um so brennender,
vorzüglich da einige vertraute Freunde mein Urtheil und Gefühl
läuterten. Jetzt wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen
Sebastian Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit der
entwickelten Musik ruhte, der Alles kannte und Alles vermochte, und
dessen Werke ich etwa nur mit den altdeutschen tiefsinnigen Münstern
vergleichen möchte, wo Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und
Reizende in der höchsten Nothwendigkeit sich vereinigt, und in der
Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher
Kräfte vergegenwärtiget.

Der Componist sagte: gewiß, es könnte Schwindel erregen, wenn man
überschaut, was Alles vorangehen mußte, bevor Bach seine Werke schreiben
konnte; aber es gehört auch wahrlich viel dazu, einer solchen Fuge oder
einem vielstimmigen Satz auf die rechte Weise zu folgen, und ihn zu
verstehn, es ist gleichsam eine Allgegenwart des Geistes, die ich einem
solchen Laien am wenigsten zugetraut hätte.

Nach mehreren Jahren, fing der Laie wieder an, wurde mir es so gut, in
eine edle Familie eingeführt zu werden, deren Mitglieder, vorzüglich die
weiblichen, auf eine entzückende Art die Musik ausübten. Die älteste
Tochter sang einen Sopran, so voll und lieblich, so himmlisch klar, daß
ich bei Ihrer neulichen Beschreibung des Gesangs Ihrer Unbekannten,
werther Graf, an diese unvergleichliche Stimme denken mußte. Hier
vernahm ich nun neben manchem Weltlichen vorzüglich die großen und
ewigen Gedichte des erhabenen Palestrina, die herrlichen Compositionen
eines Leo und Durante, die Zaubermelodieen des Pergolese, den ich mit
den Lichtspielen des Correggio vergleichen mußte, die trefflichen Psalme
Marcello's, die großartige Heiterkeit unsers Hasse, und das dramatische
Requiem Jomelli's: Manches von Feo, die Miserere von Bai und Allegri
ungerechnet. So rein, ungeziert, im großen einfachen Styl, ohne alle
Manier vorgetragen wird man schwerlich je wieder die Meisterwerke hören.
Diese glückliche Zeit versetzte meinen Geist in eine so erhöhte
Stimmung, daß sie eine Epoche in meinem Leben macht. Nur in wenigen
schwachen Gedichten habe ich versucht, meine Dankbarkeit auszusprechen.
Meine Seele war so ganz in diesen göttlichen Tönen aufgegangen, daß ich
dazumal nichts von weltlicher Musik wissen wollte, es schien mir eine
Entadlung der Göttlichen, daß sie sich zu den menschlichen
Leidenschaften erniedrigen sollte. Ich glaubte, es sei nur ihre wahre
Bestimmung, sich zum Himmel aufzuschwingen, das Göttliche und den
Glauben an ihn zu verkündigen.

Ein Beweis, sagte der Kapellmeister, daß Ihr ganzes Herz damals von der
Glorie dieser Erscheinung durchdrungen war. Man thut auch Unrecht,
dergleichen wahre Begeisterung Einseitigkeit zu schelten, denn unsre
Seele, wenn sie wirklich auf so große Art ergriffen und erschüttert
wird, fühlt dann in diesem ihr neuen Element die ganze Kraft und
Ewigkeit ihres Wesens: sie findet dann die Schönheit, von der sie früher
gerührt wurde, erhöht und vollendet in der neuen Erscheinung, und sieht
mit Recht auf ihre frühern Zustände als auf etwas Geringeres hinab. In
wessen Herz eine solche Vision nicht steigen und es ganz ausfüllen kann,
der weiß überhaupt nicht, was ächte Begeisterung ist. Und gewiß ist die
Kirchenmusik, welche freilich die Neueren meist auch so tief herab
gezogen haben, die erhabenste und schönste Aufgabe unsrer Kunst. Ich bin
aber überzeugt, daß Sie späterhin von selbst eben aus Ihrem Enthusiasmus
wieder den Weg zu Ihrem geliebten Mozart und andern gefunden haben.

Natürlich, fuhr der Laie fort, denn die Liebe kann sich ja doch niemals
in Haß umwandeln. Ich habe immer die Menschen gefürchtet, die mit ihren
Gefühlen in den Extremen schwärmen, und heut übertrieben verehren, was
sie in einiger Zeit mit Füßen treten. Unsre Bildung kann und soll nur
eine Modification einer und derselben Kraft, einer und derselben
Wahrheit seyn, kein unruhiger Austausch und Wechsel, und kein hungerndes
Verlangen nach Neuem und Unerhörtem, welches doch niemals befriedigend
gesättiget werden kann. Als es mir nachher so gut ward, in Rom von der
päbstlichen Kapelle viele derselben Sachen vortragen zu hören, so fühlte
ich wohl, daß hier ein eigener traditioneller Vortrag des alten ^Canto
fermo^ Manches anders und noch einfacher gestalte, aber weder dort noch
in den Theatern habe ich je diesen unbeschreiblichen Discant wieder
vernommen, und Pergolese oder andere neuere Kirchenmusik ist mir auch
niemals in dieser Vollendung wieder vorgetragen worden.

Aus Ihren Beschreibungen, fing der Sänger an, muß ich wohl abnehmen, daß
Sie mit der neuen Sängermanier wohl selten zufrieden seyn mögen. Ich
gestehe Ihnen aber, daß ich hierin nicht ganz Ihrer Meinung seyn kann:
zu große, zu schlichte Einfalt würde mich zurück stoßen, ich will den
Virtuosen vernehmen, der die Musik und seine Stimme beherrscht. Wie der
Deklamator nicht blos ruhig ablesen soll, sondern durch Erhöhung und
Senkung der Stimme, durch kleine Pausen, durch rollende Töne erst zum
Schauspieler wird, und das zur Kunst erhöht, was der ganz gute Vorleser
doch in der niedrigen Region stehen lassen muß.

Sie haben gewiß Recht, erwiederte der Laie, vorausgesetzt, daß es
wirklich das sei, was ich Deklamation im Schauspiel, oder Vortrag des
Gesanges nennen kann. Was uns der Graf aber neulich als falschen und
schlechten Ausdruck schilderte, muß ich freilich auch als meine Meinung
unterschreiben. Und ist es denn in unsern Schauspielen anders? Wie denn
überhaupt wohl nie Gebrechen und Vorzüge eines Zeitalters einzeln stehn
können, sondern jede Kunst wird eine Abspiegelung der andern seyn, und
selbst Staat und Geschichte müssen ebenfalls alle Gesundheits- oder
Krankheitsstoffe wieder in ihrem großen verschlungenen Gewebe
nachweisen. Eben so wie der Sänger schreit und seufzt, und selten das
Gefühl im Ganzen ausspricht, welches die Arie oder das Duo von ihm
fordert, so auch der Schauspieler; dieser hilft sich auch durch einzelne
übertriebene Accente, herausgehobene Worte, stark unterstrichene
Stellen, und muß darüber den Sinn des Ganzen fallen lassen, wodurch die
Scene wie die einzelnen Stellen für den Kenner nüchtern und trivial
werden. Denn wo gibt es jetzt wohl noch Schauspieler, an deren
Leidenschaft man glaubt, die uns täuschen und in ihrem hohlen
abgepufften Ton nur irgend Wahrheit sprechen? Ja unser Freund Wolf, so
wie seine Gattin machen hievon eine ehrenvolle Ausnahme, so sehr, daß
sie fast schon einzeln in Deutschland da stehn, wenn auch hie und da ein
Talent sich zeigt, das aber immer nur zu Zeiten jener Manier widersteht,
die unser Theater beinah schon völlig zerstört hat. Nicht, daß sich
nicht viele Schauspieler bemühten, aber es ist hier eben so wohl wie im
Gesange eine falsche Schule entstanden, die Ausdruck, Empfindung durch
Einzelheiten, die nicht in der Sache selbst liegen, erregen will, und
darüber das Ganze verdunkelt, und wenn wir uns strenge ausdrücken
wollen, die Absicht der Kunst, ja diese selber vernichtet.

Sie haben vollkommen Recht, rief der Kapellmeister: aber machen es denn
meine Handwerksgenossen, die Componisten selbst, anders? Kaum ein Lied
wissen sie mehr zu setzen, wo sie nicht jede Strophe neu componiren,
gewaltsam accentuiren, innehalten, abbrechen und in gesuchte und
fernliegende Tonarten übergehn, um nur, wo sie die Empfindung
wahrnehmen, so starke Schlagschatten hinzumalen, daß man diese Stellen
nun zwar nicht übersieht, aber auch gewissermaßen mehr Schwärze als
Farbe gewahr wird. Als wenn es dem Sänger nicht müßte überlassen
bleiben, auch im wiederkehrend Einfachen eine leise Variation
anzubringen, oder als wenn das nicht eben das musikalische Gefühl in
unserer Natur wäre, in diesen sich wiederholenden Klängen ohne Weiteres
vermöge unsrer Liebe zu ihnen das Mannigfaltige zu empfinden.

Sehr wahr, fügte der Laie hinzu, aus demselben Unglauben fürchtet auch
mancher geniale Musiker, wie der herrliche Beethoven, nicht neue
Gedanken genug anbringen zu können, deshalb läßt er so selten einen zu
unsrer Freude ruhig auswachsen, sondern reißt uns, ehe wir kaum den
ersten vernommen, schon zum zweiten und dritten hin, und zerstört so,
wie oft, selbst seine schönsten Wirkungen. Sehn wir sogar auf die
Götheschen Lieder, die er gesetzt hat: welche Unruhe, welche scharfe
Deklamation, welches Ueberspringen. Ich möchte diesem trefflichen Manne,
so wie manchem Andern nicht gerne Unrecht thun, aber die Reichardschen
Melodieen zu den meisten dieser herrlichen Gesänge haben sich mir so
eingewohnt, daß ich mir diese Gedichte, vorzüglich die frühern, nicht
anders denken und singen kann.

Wenn Sie so gesinnt, nahm die Tochter das Wort, und die übertriebene
falsche Gelehrsamkeit verwerfen, den Ausdruck schelten, der sich
vordrängt, und darüber Melodie und eigentlichen Gesang verdunkelt, so
hätten Sie ja nun selbst meinen geliebten Rossini gerechtfertiget.

^O divino maestro! o piu che divino Rossini!^ rief begeistert und mit
verzerrtem Gesicht der alte Italiener. ^Eccolo il vero!^ den
ausgemachten Wunderdoktor des Jahrhunderts, der uns verirrte Schaafe
wieder auf die rechte Straße bringt, der alle die falsche deutsche
Bestrebunge maustodt schlagt, der mit himmlische unerschöpfliche Genie
Oper über Oper, Kunstwerk auf Kunstwerk häuft, und sich Pyramid oder
Mausoleum erbaut, worunter nachher alle die ausdrucksvolle,
gedankenreiche und seelenmäßige Klimperlinge auf ewig begraben liegen.

O wie wahr! rief der Enthusiast, ich habe mir schon oft vorgenommen,
keinen andern Componisten mehr anzuhören, so entzückt hat mich jedes
seiner Werke, es kam mir nur unbillig vor, da ich doch selber ein
Deutscher bin, mich so feindlich meinen Landsleuten gegenüber zu
stellen.

Was hat die Landsmannschaft damit zu thun? sagte der Laie: manche
Italiener, die gern eine Partei formiren möchten, haben es freilich
bequem, wenn sie den Mozart oder gar Gluck zu den ihrigen rechnen, und
so gegen Bestrebungen zu Felde ziehn wollen, die ihnen im Wege stehn.
Giebt es aber eine wahrhaft deutsche Oper, eine Musik, die wir uns als
national durchaus aneignen müssen, so ist es eben die Mozartsche, und es
ist sehr gleichgültig, daß der Don Juan ursprünglich für italienische
Sänger geschrieben wurde. Italien hat auch deutlich gnug bewiesen, daß
es diesen großen und reichen Geist nicht fassen und lieben konnte.
Mozart, Gluck, Bach, Händel und Haydn sind ächte Deutsche, die wir uns
niemals dürfen abdisputiren lassen, und ihre Compositionen sind, recht
im Gegensatz gegen die Italienischen, wahrhaft deutsche zu nennen.

Und dann, fügte der Kapellmeister hinzu, kann man gern dem Rossini
Talent und Melodie zugestehen, wenn der Lobpreisende auch uns zugiebt,
daß ihm in seiner Eile alles das abgehe, was den Componisten erst zu
einem dramatischen macht. Regellos, willkührlich ist er durchaus, und
achtet weder Zusammenhang noch Charakter, ja ich fürchte, in diesem
leichten und wilden Spiel bestehe sein Talent, so wie das mancher
dramatischen Schriftsteller, und ihn zwingen wollen, consequent zu seyn,
dem Charakter und Inhalt gemäß zu componiren, hieße nur, ihm das
Componiren selbst untersagen.

Sein schneller Ruhm, sagte der Laie, ist wohl nur entstanden, weil eben
der ächte Sinn für Musik unterzugehen droht. Denn wie kann man sich doch
nur mit diesem völligen Mangel an Styl vertragen, der allen seinen
Melodieen einen so niedrigen, geringen Charakter aufdrückt? Seine
Sangstücke sind großentheils sangbar, ja recht bequem für unsere
jetzigen Sänger geschrieben, aber sehr häufig setzt er auch nur, so
vielen Andern ähnlich, wie für Instrumente, und wenn sein Beifall noch
lange währt, so wird er auch noch dazu beitragen, die Sänger völlig zu
verderben, ja auch wohl den guten und edlen Vortrag der Instrumente,
weil er Alles so kleinlich und geringe behandelt. Der Sinn für Musik
erwachte bei uns auf eine schöne Weise, er kräftigte sich und es war uns
vergönnt, Gluck zu verstehn und uns völlig anzueignen, eine so große
Erscheinung, wie Mozart, entstand und vollendete sich vor unsern Augen,
Haydns tiefsinniger Humor in seinen Instrumental-Compositionen ergriff
alle Freunde der Kunst, des großen Händels Werke wurden wieder studirt,
und selbst die Dilettanten fühlten sich von seiner Kunst entzückt, die
das Mächtige, Gewaltige erstrebt, jeden kleinlichen Reiz verschmähend;
wir sahen Anstalten gedeihen, die auch die alte Kirchenmusik, die
herrlichen Werke der verstorbenen großen Meister wieder ertönen ließen,
es schien, daß auf immer der Geschmack am Großen und Edeln gerettet sei.
Nur hatte sich indessen die Menge auch mit der Musik scheinbar vertraut
gemacht, und diese kann, wenn sie sich eine edle Sache aneignet, immer
nur bis auf eine gewisse Weite mitgehn, dann wird sie nothwendig das
Ergriffene in etwas Geringeres verwandeln, das ihr zusagt. Ehemals
hatten wir nur Kenner und oberflächliche Liebhaber in Deutschland, jetzt
aber entstand eine Halbkennerschaft statt der Freunde, die sich
unschuldig ergötzten. Diese anmaßlichen Kenner haben mit lauter
schreienden Stimmen nach und nach das Wort der wahren Musikfreunde
verdrängt, ja diese gelten den neuern Enthusiasten wohl gar für
eigensinnige, oder gefühllose Kritiker, die aus Neid und Mißlaune die
glänzenden Erscheinungen der neuesten Zeit nicht anerkennen wollen.
Darum hat auch in meiner Vaterstadt, in Berlin, Rossini am meisten
Widerspruch gefunden, weil durch des unvergeßlichen Fasch herrlichen
Eifer dort die treffliche Musik-Akademie gegründet wurde, die unser
Freund, der wackre Zelter, nach dessen Tode in demselben Sinne
fortgeführt hat. Durch die Vergegenwärtigung der alten Meisterwerke,
durch den einfachen, edlen Gesang, der dort bekannter ist, als anderswo,
sind die zahlreichen Mitglieder zum Bessern verwöhnt, und können sich
unmöglich dem zierlich Nüchternen hingeben.

Sie werden es mit meiner Tochter völlig verderben, sagte der Baron
lachend, denn sie meint, wo nur Effect sei, da wäre es lächerlich zu
fragen, ob die Wirkung auch statt finden dürfe.

Sie hat vollkommen Recht, antwortete der Laie, ich aber auch, wenn ich
behaupte, die Wirkung müsse gar nicht eintreten. Um diesen Punkt dreht
sich ja die Kritik in allen Künsten.

Darum ist es ein Glück zu nennen, antwortete der Baron, ja gewissermaßen
eine weise Lenkung des Kunstgenius, daß ein großer Componist sich diesem
kleinlichen Unwesen so mächtig gegenüber stellt, und das so
ausgezeichnet besitzt, Styl nehmlich, was jenem ganz abgeht. Ich spreche
von dem nicht genug zu lobenden Spontini. Es läßt sich hoffen, daß von
dieser Seite durch mächtige Wirkungen der Sinn der Deutschen wird
gehoben, und ihr Wohlgefallen an diesem Melodieenkitzel beseitigt
werden.

Der Laie schien so in Eifer gerathen zu seyn, daß er allein das Wort
führen wollte. Gewiß, sagte er lebhaft, wäre es lächerlich, wenn man
diesem Manne ein ausgezeichnetes Talent absprechen wollte, und über die
Verdienste seiner Vestalin läßt sich Vieles sagen und streiten. Aber daß
er im Cortez und nachher noch gewaltiger ein Brausen und Lärmen der
Instrumente, ein Ueberschreien der Stimmen, ein Aufkreischen, ein wildes
Getümmel uns hat für Musik geben wollen, scheint mir ebenfalls
ausgemacht. Man kann schwerlich im voraus bestimmen, wie viel oder wenig
unser Ohr von Instrumental-Musik vertragen soll, denn Mozart hat die
meisten seiner Vorgänger überboten, und es gab früherhin auch
Kunstfreunde, die bei ihm über zu große Fülle klagten; und schon lange
vor diesem hat der große Händel außerordentlich viele Instrumente in
Anspruch genommen, um seine erhabenen Gedanken auszusprechen. Aber bei
diesen war die Fülle der Töne doch Musik, ein Anschwellen, ein
Heranbrausen, ein Abdämpfen und Zurücksinken in eine gewisse Stille und
Ruhe, aber nicht dieses ununterbrochene, nie rastende Wüthen aller
Kräfte ohne Vorbereitung, Inhalt und Bedeutung, welches nur betäuben
kann, und dessen Macht und Gewaltsamkeit mehr erschreckt und ermüdet,
als erhebt und erschüttert. Geht der berühmte neuere Componist hiebei
nur gar zu oft auf leeren Effect und Schreckschuß aus, so wie manche
Schauspieler und Schauspieldichter, wirkt er nur einzig und allein durch
große Massen, so ist er zwar wohl nicht der Wandnachbar Rossini's, aber
sie reichen sich denn doch aus einer gewissen Entfernung befreundet die
Hände und stehn sich nicht als feindliche Kräfte einander gegenüber.
Wohl uns, daß unser hochgeehrter Maria Weber uns zu den schönsten
Erwartungen berechtigt, der in dem, was er schon trefflich geleistet
hat, so glänzend zeigt, wie viel er in Zukunft noch vermag.

Nun erhob sich die Tochter mit allen Tönen, und der Vater stand ihr bei,
um den Laien in die Enge zu treiben, der ihre Lieblinge so keck
angegriffen hatte, ohne doch vom Metier zu seyn, da er sein ehemaliges
Violinspielen selber nicht in Anschlag zu bringen wage. Unter lautem
Lachen wurde disputirt und behauptet, der Teufel sei ein- für allemal
unmusikalisch, die Kugelgießerei und der Lärmen dabei schlimmer als was
je auf dem Theater getobt, und der Musik, die ganz Deutschland wie
verwirrt gemacht, fehle die Mannigfaltigkeit, ein heiteres Element, ja
auch jene Ironie, wodurch Mozart erst seine ungeheure Dichtung des Don
Juan zu diesem einzigen Werke gebildet habe, so daß bei diesem durch
Gegensätze sich Inhalt und Behandlung rechtfertigen, was dort ganz aus
der Acht gelassen sei.

Der Kapellmeister nahm sich des armen Laien, der hierauf wenig zu
erwiedern wußte, oder den man vielmehr nicht zu Worte kommen ließ,
freundlichst an, und meinte, eine Vergleichung auf diese Weise
anzustellen, sei unbillig, weil das neue Kunstwerk gar nicht die Absicht
habe, sich neben jenes ungeheure zu stellen. Ueberschreitet auch die
angefochtene Scene, fuhr er fort, welche gerade die Menge herbei gelockt
hat, die Gränzen der Musik, so ist doch übrigens des Vortrefflichen, des
ächten Gesanges, des Neuen und Genialischen, vorzüglich aber des
wahrhaft Deutschen, im besten Sinne, so viel, daß ich vollkommen in das
Lob unsers unmusikalischen violinspielenden Laien einstimmen muß, der
Manches wohl eben deswegen bestimmter empfindet und kecker ausspricht,
weil er niemals vom Handwerk gewesen ist, und selbst nicht als Dilettant
hinein gepfuscht hat, da er sich doch bescheidet, in die eigentlich
grammatische Kritik einzugehn. Sollte keiner als nur Musiker mitsprechen
dürfen, so würde ja auch für diese nur componirt, und das werden wir uns
doch wohl, so wie alle Künstler, verbitten, nur für die Zunftgenossen zu
arbeiten, um von ihnen empfunden und verstanden zu werden.

Könnte ich nur, fing der Laie wieder an, den sanften Genuß wieder haben,
den mir ehemals die Lila des Martini gewährte. Diese idyllische, reine
und heitere Musik wäre nach so manchem Ungethüm unsrer Theater eine
wahre Erquickung. Wie würde ich mich freuen, Paisiello's Barbier von
Sevilla wieder zu vernehmen, und es kränkt mich innig, daß man eine
solche Composition nicht als eine klassische verehrt, die nun einmal für
allemal fertig ist, und an die sich keiner von Neuem wagen dürfte. Denn
ist bei Rossini auch hier und da vielleicht ein Moment brillanter, so
ist doch der dramatische Sinn des Ganzen, die Bedeutung untergegangen,
und nichts gegeben, was sich dem Humor in der Rolle des Alten nur irgend
vergleichen dürfte. Die Verwöhnung der gehäuften Instrumente läßt aber
befürchten, daß man, wenn man auch einmal diese trefflichen alten Sachen
geben möchte, Zusätze zur Begleitung macht, oder diese wenigstens
verstärkt. Hier und da habe ich schon murmeln hören, daß Gluck
dergleichen bedürfe. Mozarts Figaro ist schon in Violinen und andern
Instrumenten doppelt so stark besetzt worden, als es der Componist
vorgeschrieben hat, bei dieser heitern Musik um so unpassender, weil
dadurch der Witz, das wundersam Leichte und Heitere des Gesanges gestört
wird. Es ist, als wollte man treffliche Brillanten aus ihrer leichten
Fassung nehmen, und sie, um sie zu ehren, in schweres Gold schmieden.
Oder, als riefe man sich witzige und launige Einfälle durch ein
Sprachrohr zu.

Man sang zum Beschluß noch Einiges, und die Gesellschaft trennte sich.
Beim Abschiede sagte der Baron zum alten Italiener: auf Wiedersehn! Doch
dieser schüttelte den Kopf, und wies mit dem Finger nach oben. Der Laie
ging nach seinem Hause, weil es schon spät war, und er in der kalten
Nacht an einem Abenteuer, an welches er nicht glauben mochte, nicht
Theil nehmen wollte. Der Kapellmeister und der Graf wandelten aber mit
dem wunderlichen Alten durch die ruhige Stadt, ließen sich das Thor
öffnen, und begaben sich nun nach dem Tannenwalde, wo der
Lebensüberdrüssige seine Laufbahn eigenmächtig zu vollenden drohte. Als
sie unter den finstern Bäumen standen, sagte der Graf: nun, Alter, seid
Ihr wieder gescheidt geworden, wollt Ihr nun nicht lieber zu Bette gehn?

In die Ewigkeit thu ich mich hinein legen, sagte der Italiener, und das
liebe Vergessen, Ruhe, tiefer, tiefer Schlaf, werden wie Flaumen eines
Daunenbetts um mich zusammen schlagen. Adieu, Eccellenza! lebt wohl,
thörichter Kapellmeister, der Ihr die schöne Gelegenheit nicht benutzt,
allen Euren Jammer, Partituren, Noten, Pausen, Tonarten, Sänger und
Sängerinnen los zu werden. Nun laßt mir ein bissel noch über meinen
Zustand nachdenken, und dann rufe ich Euch wieder; Kapellmeister
kommandirt Eins, Zwei, Drei, und beim Worte Drei, deutlich
ausgesprochen, langsam, feierlich, laut, daß liebe Echo auch etwas davon
abkriegt und mitspricht, schieß ich mich die ganze Pistole in meinen
dummen Kopf hinein.

Ihr werdet doch nicht, sagte der Kapellmeister, so abgeschmackt wie der
Hanswurst in der Kreuzerkomödie sterben wollen?

Gerade so muß es geschehen, sagte der Alte, und legte sich in einen
Sandgraben nieder. Die beiden Begleiter gingen tiefer in den Wald, die
Nacht war still, kein Wind wehte, ein ganz leiser Hauch rührte zuweilen
die Zweige an, so daß die Nadeln der Tannen in sanften Tönen lispelten,
das Flüstern fortlief, und indem sich dann der Wald in allen Stämmen
bewegte, wie ferner Orgelton verhallte. Feierlich genug ist die Stunde,
sagte der Musiker. Eine wundersame Empfindung, erwiederte leise der
Graf, hat den ganzen Abend in mir fort geklungen: vielleicht bin ich dem
Tode näher, als jener alte Wahnsinnige, denn noch nie war mir mein
Dasein so abgestanden und leer, so jedes Reizes entkleidet. Ich glaube
nun auch, daß jenes himmlische Wesen, welches ich schon lange suche,
gestorben ist. -- Still! rief jener: hörten Sie nicht Musik? --
Vielleicht die fernen Glocken.

Nein, sagte der Kapellmeister gehend: ich höre es deutlicher: und nun
erinnere ich mich, hier wohnt der unkluge Alte nicht fern, in dessen
Häuschen ich bei meiner Ankunft schon Morgens um fünf Uhr einen
herrlichen Discant vernahm.

Der Graf war tief bewegt. Jetzt kommt! kommt! schrie der Italiener, mein
Ermorden soll ein bischen seinen Anfang nehmen! Schießt Euch todt, oder
hängt Euch! rief der Graf zurück, wir haben jetzt etwas Besseres zu
thun, als Eure Possen anzuhören.

Sie gingen weiter, drängten sich durch Baum und Strauch, und der
neugierige Italiener hatte sich zu ihnen gesellt. Jetzt tönte ihnen
schon bestimmter der Gesang entgegen, und der Graf zerriß sich Hände und
Gesicht, um nur aus den Gesträuchen zu kommen, in denen er sich aus
Eifer immer tiefer verwickelte. Er drängte endlich hindurch und stand in
der Nähe des Häuschens, dessen kleine Fenster erleuchtet waren. Der
treffliche Psalm Marcello's »^Qual anhelante^« tönte ihnen voll und rein
entgegen, so einfach, so edel vorgetragen, daß der Kapellmeister
erstaunt und hingerissen kaum athmete. Sie ist es! sie ist es! meine
Einzige! rief der Graf in der größten Erschütterung aus, und wollte sich
dem Hause nähern, aber der Kapellmeister hielt ihn fest, klemmte sich an
ihn, und warf sich dann zu seinen Füßen nieder, die er umarmte, und
rief: o bester, glücklichster Graf! Heirathen Sie sie also, wie Sie
gelobt haben; aber gönnen Sie mir vorher das einzige Glück, daß sie erst
die Geliebte in meiner ruinirten Oper singt; dann will ich gern sterben,
denn eine solche Stimme giebt es auf Erden nicht mehr.

Der Graf strebte zum Hause hin, und der Kapellmeister ließ endlich sein
ungeduldiges Bein los. So wie er auf die Wohnung losstürzte und an die
kleine Thür klopfte, verstummte der Gesang. Macht nicht so viel
Umstände, sagte der Italiener, der Sing-Sang ist nicht der Mühe werth,
man sieht wohl, daß ihr meine Selige nicht gekannt habt. Der
Kapellmeister, der jetzt eben so außer sich war, wie der Graf selbst,
klopfte mit diesem wetteifernd an die Thür, und da sich beide in den
Kräften überboten und das Tempo immer schneller nahmen, so entstand
dadurch ein sonderbares Concert in der ruhigen Nacht. Im Hause war Alles
still, endlich aber schien man drinnen doch die Geduld verloren zu
haben, denn ein Fenster öffnete sich und eine leise, heisere Stimme
sagte: was giebt's da? Seid ihr betrunken? Laßt uns ein! rief der Graf:
hinein müssen wir! schrie der Kapellmeister: wo ist die Sängerin? der
Graf: ich habe sie schon am Morgen neulich gehört, der Kapellmeister,
als Ihr mir sagtet, es sei des Teufels Großmutter: aber hinein müssen
wir! vereinigten sich nun beide. Seid ihr rasend? rief die erhöhte
Stimme des Alten, und in diesem Augenblick schrie der Italiener lauter
als Alle: Hortensio! Hortensio! haben wir Euch endlich erwischt? Nun
bleib' ich am Leben! Mag sich umbringen, wer Lust hat, ich halte mich an
Euch, altes Fell!

Ich bin der Graf Alten, schrie der Liebhaber; ich der Kapellmeister!
rief sein Begleiter, laßt uns nur hinein, daß wir die Sängerin sehn:
kommt herab! rief der Italiener, daß wir beide unsre Bekanntschaft
erneuern können.

Mein Himmel! ächzte der Greis, so nach tiefer Mitternacht? Meine guten
Herren, wenn Sie bei mir was zu suchen haben, so kommen Sie doch morgen,
wenn der Tag scheint.

Gut, sagte der Graf beruhigter, morgen früh! der Kapellmeister fand sich
auch in den Vorschlag, und als sie friedlich wieder fortgingen, sagte
der Italiener: ich bleibe die Nacht hier draußen und passe ihm auf.
Morgen früh machen wir Alle unsern Besuch. --

Wie erstaunten, erschraken am folgenden Tage der Graf und der Musiker,
als sie das Haus verlassen und öde fanden; noch vor Tage, sagte die alte
Aufwärterin, seien die beiden Bewohner ausgezogen und haben in größter
Eil alle Sachen fortschaffen lassen. Auch der Italiener zeigte sich
nirgend.

                   *       *       *       *       *

Ein schöner, heiterer Herbsttag war aufgegangen, die Sonne schien in
dieser späten Jahreszeit noch so warm, wie im Sommer, und dies bestimmte
den Laien mit seiner Tochter in das naheliegende Bergthal zu fahren. Auf
einem kleinen Miethpferde sahen sie in der Entfernung den Enthusiasten
auch mit nachflatterndem Kleide auf dieselbe Gegend zusprengen. Der
Himmel verhüte nur, bemerkte der Laie zu seiner Tochter, daß der
Schwätzer nicht ebenfalls in jenem Thale verweilt, weil er uns sonst mit
seinen heftigen Reden und Schilderungen den Tag verderben würde.

Wir müssen uns schon darauf gefaßt machen, erwiederte die Tochter, denn
er sagte mir neulich, daß er diese Gegend vorzüglich liebe und sie oft
besuche.

Wie sind diese Menschen doch so lästig, fuhr der Laie fort, die eben,
weil sie gar nichts empfinden, über Alles in Hitze gerathen können. Aber
mehr noch, als bei Kunstwerken, stören sie mich in der Natur, die am
meisten ein stilles Sinnen, ein liebliches Träumen erregt, in der ein
vorüber schwebender Enthusiasmus und Behaglichkeit sich ablösen, und sie
unsern Geist fast immer in eine beschauliche Ruhe versenken, in welcher
Passivität und schaffende Thätigkeit eines und dasselbe werden: dazu der
Anhauch einer großartigen Wehmuth in der Freude, so daß ich in der
schönen Landschaft gegen diese beschreibenden Schwätzer oft schon recht
intolerant gewesen bin.

Sie stören fast eben so sehr, wie die unerträgliche Musik, antwortete
das Mädchen, da man so oft in der Nähe der Gebäude Tänze oder
kreischende Arien vernehmen muß.

Als sie angekommen waren, sprang ihnen der berührige Enthusiast schon
aus dem Hause entgegen. O wie schön, rief er aus, daß Sie diesen
herrlichen Tag auch benutzen, der wahrscheinlich der letzte helle dieses
Jahres ist. Lassen Sie uns nur gleich an den murmelnden Bach gehn, und
dann von der Höhe des Berges das Thal überschauen. Es ist eine Wonne,
die Schwingungen der Hügel, den kleinen Fluß, das herrliche Grün und
dann die Beleuchtung zu sehn und zu fühlen. Giebt es wohl ein Entzücken,
das diesem gleich oder nur nahe kommen kann?

Ich will mit Ihnen gehen, erwiederte der Laie, aber nur unter der
Bedingung, daß Sie mich mit allen Schilderungen und begeisterten
Redensarten verschonen. Wie können Sie überhaupt nur immer so vielen
Enthusiasmus verbrauchen? Es ist nicht möglich, wie Sie auch neulich
gestanden haben, daß Sie so viel empfinden.

Bei der Kunst, sagte der Enthusiast, setzt man freilich wohl hie und da,
dem Künstler zu gefallen, etwas zu, aber in der himmlischen Natur --
nein! da kann doch keine Zunge Worte genug finden, um nur einigermaßen
das wiederzugeben, was im Herzen aufgeht. Ich habe es aber schon seit
lange bemerkt, daß Sie kein großer Freund der Natur sind, denn wie
konnten Sie nur sonst, wie ich schon so oft gesehen habe, daß Sie thun,
beim schönsten Frühlingswetter in das dumpfe Theater kriechen, um eine
Oper zu hören, oder sogar ein mittelmäßiges Schauspiel zu sehn, über
welches Sie nachher selber Klage führen?

Weil es mir an solchem Tage, antwortete jener, darum zu thun ist, ein
Schauspiel zu sehn, und ich dies mit dem Genusse der Natur dann nicht
vereinigen kann und mag. Auch gestehe ich Ihnen, daß ich oft in der
schönsten Natur bin, ohne sie mit den geschärften Jäger-Augen in mein
Bewußtsein aufzunehmen, wenn mich ein heiteres Gespräch beschäftigt,
oder ich auf einsamem Spaziergang etwas sinne, oder ein Buch meine
Aufmerksamkeit fesselt. Glauben Sie nur, unbewußt, und oft um so
erfreulicher, spielt und schimmert die romantische Umgebung doch in die
Seele hinein. Wenn wir uns überhaupt immer so sehr von Allem
Rechenschaft geben sollen, so verwandelt sich unser Leben in ein
trübseliges Abzählen, und die feinsten und geistigsten Genüsse
entschwinden.

Hm! Sie mögen nicht ganz Unrecht haben, sagte der Enthusiast
nachsinnend: wenn ich nur nicht einmal den Charakter der Heftigkeit
angenommen hätte und bei allen meinen Bekannten als ein Eiferer gölte,
so wollte ich mir das Wesen wieder abzugewöhnen suchen. Es ist aber denn
doch auch fatal, wenn man, so wie Sie, für einen Phlegmatiker gilt. Da
Sie also nichts von Naturbegeisterung hören wollen, so will ich Ihnen
lieber erzählen, daß ich schon vorhin, ehe Sie kamen, eine sonderbare
Erscheinung hier bemerkt habe. Ein junges, wunderschönes Mädchen stand
dort oben auf dem Hügel, sah immerdar auf den Weg hin, der zur Stadt
führt, und weinte dann heftig. Sie erregte mein lebhaftestes Mitgefühl,
ich ging zu ihr, aber so sehr ich auch in sie drang, so konnte ich sie
doch nicht bewegen, mir eine vernünftige Antwort zu geben, oder mir zu
erzählen, was sie hier mache, wie sie hergekommen sei und wen sie hier
erwarte. Und ich war doch so ganz außerordentlich neugierig, vorzüglich,
weil ich dies junge, außerordentlich reizende Frauenzimmer neulich schon
bei unserm Baron in der Gesellschaft gesehen habe, wo sich der verwirrte
melancholische Graf viel mit ihr zu schaffen machte. -- Sehn Sie, sie
steigt schon wieder den Hügel hinan, um ihre Beobachtungen anzustellen.

Mit Zierlichkeit und Grazie schwebte die Gestalt die grüne Anhöhe
hinauf, und ihre vollen, braunen Locken, ihr leuchtendes Auge, das
einfache Gewand und die Geberde wirkten mit unbeschreiblichem Zauber in
der anmuthigen Landschaft. Die Tochter fühlte sich bewegt, als sie das
schöne Wesen wieder weinen sah, die Thränen stiegen ihr selbst in die
Augen, als die Unbekannte jetzt im Ausdruck des höchsten Schmerzes die
Hände rang, und sich jammernd auf den Rasen niedersetzte. Lassen Sie uns
hinauf steigen, sagte der Laie, das arme Wesen bedarf unsers Trostes und
Beistandes, meine Tochter soll sie anreden, wir aber, Herr Kellermann,
wollen uns fürs erste schweigend verhalten, und die Betrübte am
wenigsten mit zudringlichen Fragen ängstigen. Die Tochter ging zu ihr,
und die Fremde bekannte, daß sie ihren alten Vater aus der Stadt
erwarte, und nicht begreife, wie er so lange zögern könne, da er ihr
diesen Ort angewiesen habe, wo sie zusammen treffen wollten, um weiter
zu reisen.

Sie wollen also unsre Gegend verlassen, fragte der Laie, da Sie doch, so
viel ich weiß, nur kürzlich angekommen sind?

Ach! mein Herr, antwortete die schöne Fremde klagend, mein lieber Vater
leidet schon seit lange an einer schweren Melancholie, an
Menschenfeindschaft und tiefem Lebensüberdruß, so zieht er seit einigen
Jahren von Ort zu Ort, verarmt immer mehr, wird immer kränker, versagt
sich selbst alle Hülfe, und will auch mir das Glück nicht gönnen, ihm
beizustehn, da ohne diesen starren Willen meine Talente sein Leben wohl
unterstützen könnten. Denn mein Gesang und die Musik überhaupt machen
das Unglück meines Lebens.

Sie singen also doch? fragte der Laie sehr lebhaft.

Meine Trauer, mein tiefer Schmerz, erwiederte die schöne Klagende, sind
Schuld, daß ich mein Gelübde gebrochen habe. Ich habe meinem Vater
geloben müssen, niemals zu gestehen, daß ich singe, auch niemals, außer
wenn er zugegen ist, und es mir erlaubt, einen Ton anzuschlagen. Wir
wohnten deshalb von der Stadt entfernt, wir vermieden allen Umgang, nur
neulich war ich zufällig im Hause des Baron Fernow, wo ein Fremder, ein
feiner, anständiger Mann mich über die Gebühr mit Fragen und
Aufforderungen zum Singen ängstigte. In der letzten Nacht, als ich, wie
ich glaube, in der höchsten Einsamkeit einen Psalm Marcello's einübe,
entsteht vor dem Hause ein Getümmel, wir halten die Leute für Räuber
oder Trunkene, der Graf nennt sich endlich, und will eingelassen seyn,
noch einige Andere toben eben so laut, und mein Vater kann sie endlich
nur beruhigen, indem er ihnen verspricht, am Morgen ihren Besuch
anzunehmen. Kaum sind sie fort, so muß Alles in der größten Eile
eingepackt werden, noch in der Nacht werden Fuhrleute gemiethet, unsre
wenigen Sachen hieher zu fahren, am Morgen muß ich nachreisen, und er
verspricht, in wenigen Stunden ebenfalls hier zu seyn, weil er in der
Stadt noch unsere Reisepässe besorgen müsse. Hier erwarte ich ihn nun
schon manche Stunde, gewiß ist er krank, ein Unglück ist ihm zugestoßen,
und ich weiß in meiner Angst nicht Rath noch Hülfe; wo soll ich ihn
wieder finden?

Der Laie suchte sie zu beruhigen. Er schlug vor, im Gasthause bis nach
Tische den Alten zu erwarten, dann solle sie mit ihm und seiner Tochter
zurück fahren, da nur ein Weg zur Stadt führe, so müßten sie dem Vater
begegnen, wäre dies nicht der Fall, so solle die Fremde in seinem Hause
absteigen, indessen er selbst Erkundigungen einzöge. Auf sein
eindringliches Zureden und der Tochter schmeichelnde Liebkosungen wurde
sie ruhiger und ging mit ihnen in den Gasthof. Bei Tische wurde man
sogar guter Laune, nur verweigerte die Fremde auf die unbescheidene
Bitte des Enthusiasten, zu singen, weil dies gegen ihr heiliges
Versprechen laufe. Man sprach dann viel über die neulichen Musikstücke,
die der Kapellmeister im Hause des Barons habe probiren lassen, sie
lobte die Composition als großartig, tadelte aber die Manier der Sänger.
Es kann seyn, beschloß sie ihre Kritik, daß ich hierüber völlig im
Irrthum bin, aber nach den Grundsätzen meines Vaters, und nach der
Gesangsweise, die ich nach seinem Unterricht ausüben muß, ist jene
Manier eben so klein als willkührlich. Ja, dürfte ich einmal (aber dazu
ist mein Vater auf keine Weise zu bewegen) eine Opern-Rolle, wie diese
des Kapellmeisters singen, so schmeichle ich mir, daß ich eine große
Wirkung hervor bringen würde, und vielleicht um so größer, weil diese
Art jetzt ganz vergessen ist und die Neuheit um so mehr erschüttern
möchte.

Wenn Sie diejenige sind, erwiederte der Laie, für welche ich Sie jetzt
halten muß, so können Sie einen gewissen enthusiastischen Mann, wenn es
übrigens Ihre Gesinnung erlaubte, unbeschreiblich glücklich machen.

Die Schöne wurde roth, und der Enthusiast Kellermann, so wie er das Wort
enthusiastisch nennen hörte, sprang eilig herbei und rief: ja gewiß,
Verehrte! wie könnte mein Herz wohl so vielfach vereinigtem Zauber
widerstehn?

Gebt Euch keine unnütze Mühe, rief der Laie laut lachend, ich meine
jenen sonderbaren Grafen, den wir Alle kennen. Ich hoffe einen
beglückenden Ausgang weissagen zu dürfen.

Die Schöne wollte sich auf keine nähern Erörterungen einlassen; lobte
aber nachher im Verlauf des Gespräches den jungen Grafen als einen
schönen und verständigen Mann, der sie auch in der Gesellschaft am
meisten interessirt habe.

Auf der Rückfahrt unterhielt man sich mit heitern Gesprächen. Der
Enthusiast sprengte wieder auf seinem kleinen Pferde voran, und war
bemüht, seine Geschicklichkeit im Reiten zu zeigen. Als sie in die Stadt
hinein gefahren waren, sahen sie in der Hauptstraße einen großen
Volksauflauf, Getümmel, Geschrei, ein Vor- und Zurückdrängen, der Wagen
mußte halten, die Wache machte Platz und der Laie erstaunte, als er den
alten Italiener zwischen den Soldaten bemerkte, die ihn als Gefangenen
fortführten. Was giebt es? fragte er einen Vorübergehenden. -- Je, der
braune Schelm, antwortete dieser, hat einen alten Mann so eben todt
geschlagen.

Als sich die Menge verlaufen hatte und sie weiter fahren konnten,
stürzte ihnen aus einem großen Hause der Graf entgegen, er rief, daß man
anhalten solle, und mit einem Ausdrucke übermenschlichen Entzückens half
er Julien aussteigen. Der Laie und die Tochter folgten, um zu sehen, wie
sich die Scene entwickeln würde.

                   *       *       *       *       *

Im Saale fand Julie den alten Mann im Lehnstuhl sitzen, blaß und
erschüttert, aber wohl und unverletzt. Man erfuhr, daß er den ganzen Tag
durch Hin- und Herschicken, indem er seine Pässe berichtigen und
auslösen mußte, von der Polizei war aufgehalten worden. Als er endlich
fertig zu seyn glaubte, und eben einen Wagen suchte, um seiner Tochter
nachzureisen, begegnete er dem thörichten Italiener, der ihn sogleich
auf offener Straße angriff, um ihn zu mißhandeln, als er aber um Hülfe
rief, nahmen sich die Vorübergehenden des Greises an, und der Verwirrte
wurde der Wache übergeben. Julie liebkosete den Alten, und suchte ihn
durch ihre Zärtlichkeit zu beruhigen. Der Enthusiast, so wie der
Kapellmeister waren ebenfalls Zeugen dieses Auftrittes.

Vielen Dank, sagte endlich der Alte, bin ich Ihnen, mein Herr Graf,
schuldig, daß Sie sich meiner so freundlich angenommen haben, jetzt aber
lassen Sie uns abreisen, damit wir recht bald den Ort unsrer neuen
Bestimmung erreichen.

Er stand auf und wollte gehn, Julie blieb zaudernd, und blickte verlegen
auf die Gegenwärtigen, der Graf aber trat vor den Greis hin und sagte
mit zitterndem Tone: können Sie mir das Glück meines Lebens entreißen
wollen, dem ich so lange nacheilte, jetzt, nachdem ich es endlich so
unverhofft und so wunderbar gefunden habe?

Was meinen Sie? fragte der Alte.

Selig würde ich seyn, antwortete der Graf, wenn Ihre Tochter sich
entschließen könnte, mir ihre Hand zu schenken. Ich bin reich, völlig
unabhängig, lassen Sie uns in Liebe, Freundschaft und Musik verbunden
ein Glück begründen und genießen, wie es nur immer auf Erden möglich
ist.

Der Alte taumelte wie erschrocken zurück, er mußte sich vor Zittern
wieder niedersetzen. Wie! rief er im heftigen Weinen aus: das könnte Ihr
Ernst seyn, mein Herr Graf?

Ich nehme, rief dieser, alle diese Freunde zu Zeugen: doch, Julie
selbst?

Nun, meine Tochter, sagte der Alte bewegt, könntest Du Deinen greisen
Vater so glücklich machen? Jetzt liegt es in Deiner Hand, mir allen Gram
meines Lebens zu vergüten und meine letzten Tage zu verherrlichen. Aber
ist es denn kein Traum? Wie kommt dies Alles? Kannst Du Dich
entschließen, mein Kind?

Die Tochter war heftig erschüttert. O Himmel! rief der Graf: nein,
Gewalt sollen Sie sich nicht anthun: lieber entsage ich allen meinen
Hoffnungen.

Können Sie mich so mißverstehn? antwortete Julie, kaum hörbar: hätten
Sie wirklich nicht gefühlt, wie sehr ich mich zu Ihnen gezogen fühlte?
Habe ich doch seitdem immer Ihr Bild vor Augen gehabt. Aber auch den
allerfernsten Schimmer eines solchen Glücks wies ich als einen
wahnsinnigen Traum zurück.

Der Graf kniete vor ihr nieder, der Alte legte gerührt ihre Hände in
einander, dann sank sie an die Brust ihres Geliebten.

Doch jetzt, rief der Graf aufspringend, nur Einen Ton, Einen Tact, ich
weiß es zwar gewiß, daß Du es bist, aber um mich völlig zu überzeugen.

Sie sah fragend ihren Vater an, doch dieser sagte lächelnd: ich löse
Dich jetzt gänzlich von dem Gelübde, welches Du mir gethan hast, jetzt
darfst und mußt Du Alles thun, was Dein Bräutigam von Dir fordert.

Da sang sie ohne alle Begleitung den Anfang des ^stabat mater^ von
Palestrina, so stark und voll, so anschwellend die Töne, so gehalten und
lieblich, daß Alle, vorzüglich aber der Graf und der Kapellmeister in
ihrem Entzücken keine Worte finden konnten.

Ja, sagte der Vater, als man wieder ruhiger war, es ist mein Stolz und
mein Glück, diese Stimme gebildet zu haben, ich darf es ohne väterliche
Verblendung behaupten, sie ist einzig in ihrer Art, und diesen Vortrag
wird man jetzt nirgends hören.

Aber wie kamen Sie nur dazu, fragte der Laie, von Ihrer Tochter sich
geloben zu lassen, niemals in Gesellschaft zu singen, ja sogar dieses
himmlische Talent zu verläugnen?

O, mein Herr, sagte der Alte, wenn Sie meine Geschichte kennten, mein
jahrelanges Elend, wie ich verkannt und gemißhandelt wurde, so würden
Sie dies und noch weit mehr begreifen. Von frühster Jugend war mein Sinn
und Streben auf Musik gerichtet, aber meine Eltern waren so arm, daß sie
für meine Ausbildung nur wenig thun konnten. Mit Chorsingen fristete ich
mich durch, späterhin mit Stundengeben. Ich mußte mir Alles selber
erringen und auf den mühseligsten Wegen. Als ich den Contrapunct
gründlich studirt hatte und Alles versucht und durchgearbeitet, was zu
einem musikalischen Componisten nothwendig ist, als ich nun fertig zu
seyn glaubte, und schon manche Kirchenmusik geschrieben, die mir
gelungen schien, fand ich nirgends Unterstützung, kein Mensch wollte von
mir etwas wissen, mein Aeußeres war nicht empfehlend, ich besaß keine
feine Lebensart, mir fehlten die einschmeichelnden Manieren. Nach
Italien strebte mein Sinn, doch die matten Augen meiner hülflosen Eltern
sahen mich so flehend an, daß ich recht im Herzen fühlte, wie es meine
Pflicht sei, für sie zu sorgen. So mußte ich denn wieder für ein
geringes Geld fast auf allen Instrumenten Unterricht geben, und diese
Pein, mit einem ungeschickten gefühllosen Schüler die Geige zu kratzen,
immer dieselben Mißtöne zu hören, ist über alle Beschreibung. Nur ein
solcher Musiklehrer erfährt, welche Dummköpfe es in der Welt giebt. So
bot man mir einen an, der schon sechs Jahre Violine gespielt hatte. Ei!
dachte ich dazumal, das ist doch ein Trost, da kann ich einmal
musikalisch zu Werke schreiten und vielleicht einen ächten Scholaren
erziehn. Er hatte schon Sonaten, Quartetts, Symphonieen und die
schwierigsten Sachen durchgearbeitet. Und, denken Sie, als ich ihn nun
ins Examen nehme, ist dieser Virtuose nicht im Stande, seine Geige zu
stimmen, er kennt keine Tonart, schabt Alles aus dem Gedächtniß daher,
hat keinen Tact, und verwundert sich in seiner blanken Unschuld, daß
alles das Zusammenhang habe und Wissenschaft sei. Wie das Meerwunder,
das schon fast ein erwachsener Jüngling war, seinen Pleyel zusammen
rasselte, alle Töne falsch, ohne Bindung und Sinn, kreischend und
quitschend, Gesichter schneidend und Pausbacken machend, davon haben Sie
Alle keine Vorstellung. Denken Sie, ich mußte mit ihm wieder einen
Choral zu spielen anfangen, und nach sechs oder sieben Jahren, die er
schon bei einem andern Lehrer verarbeitet hatte, konnte er das nicht
einmal leisten.

Die Uebrigen hatten den Laien schon während dieser Erzählung lächelnd
angesehn, als dieser ausrief: ist es möglich, daß ich so unvermuthet
meinen verehrlichen Musiklehrer wieder finden muß? Ja, alter Herr,
damals haben wir uns beide das Leben rechtschaffen sauer gemacht.

Sie sind der junge Mensch von damals? sagte der alte Mann in
Verlegenheit; bitte tausendmal um Verzeihung: aber es war mir doch so
merkwürdig, daß ich diesen Umstand niemals wieder vergessen habe. -- Auf
diese Weise ging dann meine Jugend hin. Meine Eltern starben, ich war
aber indeß alt geworden. Nach und nach gab man in kleinen Orten von
meinen Compositionen. Hier und da versuchte auch ein Theater meine Opern
darzustellen, aber sie machten kein Glück. Als ich meine Gattin, eine
herrliche Sängerin, kennen lernte, und sie ihr Schicksal mit dem
meinigen vereinigte, schien mir nichts mehr zu wünschen übrig. Aber nach
der Geburt meiner Tochter war ihre Stimme schwächer geworden. Ach was
ist es doch für ein unermeßlicher Verlust, wenn eine wahrhaft schöne
Stimme verloren geht. Es ist ja noch weit mehr, als wenn uns ein
geliebter Freund abstirbt. Und doch muß sich der Mensch auch darein
finden. Meine Frau wollte es aber nicht, sie sang immer schwächer, immer
stärker griff sie sich an, und sang sich zu Tode. Nun war mein ganzer
Himmel diese meine Tochter. Eine kleine Pension, die mir das Theater
zukommen ließ, das ich eine Zeit lang dirigirt hatte, schützte mich vor
der äußersten Dürftigkeit. Von jetzt vertiefte ich mich erst recht in
die großen Kirchenmusiken der alten Meister. Immer armseliger erschien
mir die Gegenwart. Alle die Manieren, die Liebhabereien, die überhand
nahmen, waren mir verhaßt. Am abscheulichsten aber erschien mir die neue
Singmethode, welche immer mehr einriß. Der rechte Ton muß wie die Sonne
aufgehn, klar, majestätisch, hell und immer heller, man muß die
Unendlichkeit in ihm fühlen, und der Sänger muß ja nicht verrathen, daß
er die letzte Kraft ausspielt. Eine Musik, recht vorgetragen, wiegt sich
wie ein Stück des Himmels, und sieht aus dem reinen Aether in unser
Herz, und zieht es hinauf. Und was ich einzig und allein im Ton hören
will, ist die Begeisterung. Einen tragischen oder göttlichen
Enthusiasmus giebt es, der heraus klingend jeden Zuhörer von seiner
menschlichen Beschränktheit erlöst. Ist die Sängerin dieser Vision
fähig, so fühlt sie sich vom Sinn des Componisten, aber auch zugleich
vom Sinn der ganzen Kunst durchdrungen, daß sie Schöpferin, Dichterin
wird, und wehe dem armen Kapellmeister, der dann noch Tact schlagen, und
das Tempo zu starr fest halten will, denn die Eingeweihte darf über die
gewöhnlichen und nothwendigen Schranken hinaus steigen, und sich wie ein
Engel schwebend aus dem Grabe des Zeitlichen erheben, und triumphirend
in lichter Glorie dem Unsterblichen zufliegen.

Das ist es, sagte der Laie, was ich neulich habe aussprechen wollen.

Die meisten Künstler, fuhr der Alte fort, sind nur höchstens von ihrer
eigenen Virtuosität trunken, selten, selten, daß einer nur wagt, den
Componisten zu verstehn, geschweige über ihn hinaus zu schreiten. So wie
im letzten Fall der Componist verherrlicht wird, so wird er im ersten
fast immer vernichtet, doch ist diese Begeisterung nicht ganz zu
verwerfen, weil alsdann, wenn auch auf eitle Weise, Seele in den Gesang
kommt, in so fern nämlich der Sänger ein wirklicher ist. Mein Kind
erwuchs, und ward ganz, wie ich es mir gewünscht. Sie faßte meinen Sinn,
sie bekam eine Stimme, wie ich sie noch niemals gehört hatte. Ich
glaubte, ein unschätzbares Kleinod in ihr zu besitzen. In dieser
Ueberzeugung schrieb ich von ihr einem großen Hof, wo man sie zur
Kammersängerin berief. Nun glaubte ich, in Ruhe und ohne Armuth meine
Tage beschließen zu können. Die vornehme Welt ist versammelt und sie
singt ein altes Musikstück, so, daß mir die Thränen in den Augen stehn;
ich selbst hatte sie nie so singen hören, denn sie hat Stolz, die
Umgebung befeuerte sie. Und wie sie endigt, keine Hand, kein Wort, kein
Blick. Der alte Kapellmeister kommt dann zu mir und flüstert, der Fürst
und die Damen hätten geäußert, und er selber müsse die Meinung
unterschreiben, meine Tochter möchte noch erst Unterricht von einem
guten Sänger haben, um Schule zu bekommen.

Das ist es eben, rief jetzt der Graf aus, was sie wollen, Schule,
Methode, wie sie es nennen, statt des Gesanges. Ja, das war jener Abend,
als ich, Julie, in Wonne aufgelöst hinter Deinem Rücken stand, und Dein
Angesicht nicht sehen konnte. Methode! gerade als wenn ein Solimene oder
Trevisano den Raphael bedauern wollte, daß er nicht mehr Schule in
seinen Werken zeige.

Julie sagte: glauben Sie mir, mein Vater, ich kann besser singen, als
ich jenen Abend sang. Ja, vor Freunden, die uns verstehn, die unserm
Sinn entgegen kommen, wird die Stimme noch einmal so mächtig und die
Sicherheit unendlich. Aber man fühlt es auch vorher durch geistigen
Instinkt, wenn wir vor Unverständigen uns hören lassen sollen. Wird bei
jenen der Gesang wie Gold in Gluth der Liebe geschmolzen, so versagt bei
diesen Stimme und Muth, ja der Ton wird oft, trotz aller Anstrengung,
kümmerlich. An jenem, mir fürchterlichen Abende sah ich mich
geflissentlich nicht um, und doch steckten mir alle die Augen der
gelangweilten Hofdamen und die verwunderten Blicke der neugierigen
Cavaliere in der Kehle.

Das Unglück, dieser Unsinn, nahm der Alte wieder das Wort, verwirrten
mir auch den Kopf. Ohne es nur anzuzeigen, reisete ich noch in derselben
kalten Nacht mit meiner Tochter wieder ab. Sie mußte mir feierlich
geloben, nie anders, als nur in meiner Gegenwart, und wenn ich es ihr
erlaubte, zu singen. Kam sie unter Menschen, die jetzt fast alle gern
kreischen und zwitschern, so mußte sie fest verläugnen, daß sie nur
irgend was von Musik wisse. Wir lebten sehr einsam, kamen wenig oder gar
nicht unter die Leute. Mein Gemüth verfinsterte sich immer mehr, und
hätte mich nicht meine Tochter getröstet, so wäre ich wohl längst
gestorben, oder Wahnsinn hätte mich ergriffen. Ist mir doch fast, als
wäre ich in manchen Stunden diesem Elende nicht allzufern gewesen.
Oefter wechselte ich den Wohnsitz und kam nun hieher, um draußen, in der
Nähe finsterer Tannen recht einsam zu leben, und ungestört mit meinem
Kinde Gesang und Musik zu üben, da sah mich neulich der Herr (indem er
auf den Kapellmeister wies) draußen, und gestern wollten sie beide in
der Nacht mein Haus bestürmen, was ich freilich ganz anders auslegte,
als es sich nun zu meinem unerwarteten Glücke ausgewiesen hat.

Man setzte fest, daß noch heut Abend die Verlobung seyn sollte, zu
welcher auch der Baron und seine Familie gebeten wurde.

Aber halt! rief der Kapellmeister, Ihr Gelübde, Herr Graf, welches Sie
in dieser Nacht gethan haben, daß Ihre schöne Braut noch vor der
Vermählung die Hauptparthie in meiner Oper singen soll!

Es sei, sagte der Graf, wenn es meiner Julie nicht unangenehm ist. Man
sah es ihr aber, auch ohne ihre Versicherung wohl an, daß es ihr Freude
mache, auf eine so glänzende Art ihr großes Talent zu entwickeln.

                   *       *       *       *       *

Ehe der Graf in das Schauspiel ging, nahm er noch einmal den alten
Italiener einsam vor und sagte: Ihr hättet neulich fast Unglück
gestiftet, alter Thor, reiset nun, wozu ich Euch ausgestattet habe, in
Eure Heimath zurück, lebt dort ruhig, und Ihr werdet richtig Eure
Pension ausgezahlt erhalten, die Euer Alter froh und sorgenlos machen
kann.

Eccellenza, antwortete der Verwirrte, seyn die Großmuth selbst: bitte
auch auf Knieen um Pardon, daß den Schwiegervater habe prügeln wollen,
den alten boshaften Hortensio, der alle Musik ruinirt. Ich hatte lange
draußen gelauert, und war im Wald vor Müdigkeit und Chagrin
eingeschlafen, unterdessen er auf und davon. Untersuche alle Dörfer
dort, komme müde und matt zurück, da rennt er über die Straße: Herr
Graf, da zog es mich so allgewaltig, ich mußte losprügeln, und wenn's
mein leiblicher Vater gewesen wäre.

Als Julie sich in der schöngesetzten Parthie zeigte, und in vollen Tönen
so sicher ausstrahlte, war das Entzücken des Publikums allgemein. Die
Zeichen des Mißfallens, die einige Freunde der eigensinnigen Sängerin
wollten hören lassen, mußten beschämt verstummen. Als die große Arie
gesungen war, entstand ein so lautes Beifallrufen, ein solches Jauchzen
und Geräusch, daß Musik und Stück inne hielt. Als es ruhiger war, hörte
man eine laut heisere Stimme, die vom Parterre herauf rief: taugt nix!
gar nix! miserable Pfuscherei, kein Vortrag: ist nur Aberwitz und
deutsche Seelenmanier des verrückten Herrn Hortensio! Es war der alte
Italiener, der sich noch einmal vernehmen ließ, aber genöthigt wurde,
das Theater zu verlassen.

Noch niemals hatte in dieser Stadt eine Oper so großes Glück gemacht,
der Kapellmeister war beseligt, der Vater glücklich, der Graf entzückt,
der Laie in frühere Jahre versetzt, und der Enthusiast, was die Uebrigen
freute, ohne Worte.

Bald darauf war die Vermählung der Glücklichen. Dann zog der Graf auf
seine großen Güter; alte Musik, die Compositionen Hortensio's, Opern
wurden in seinen Sälen gegeben, und die abwesenden Freunde hörten in
Briefen nur von der ungetrübten Freude dieser auf so wunderliche Art
Vereinigten.




Anmerkungen zur Transkription


Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
wurden ^so^ markiert.

Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend
beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert,
teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 9]:
   ... von oben in den Saal herabschaute, die durch das Ge- ...
   ... von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei ...

   [S. 23]:
   ... häufig haben wir die bösen Folgen der Zornes, der
       Trunkenheit, ...
   ... häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der
       Trunkenheit, ...

   [S. 57]:
   ... Gabe des Unsichtbare schenken kann; und wehe dem
       Verschwender, ...
   ... Gabe das Unsichtbare schenken kann; und wehe dem
       Verschwender, ...

   [S. 84]:
   ... und seine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...
   ... und keine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...

   [S. 90]:
   ... und klingt in unserm Giste zusammen! ...
   ... und klingt in unserm Geiste zusammen! ...

   [S. 246]:
   ... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle mi ...
   ... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle im ...

   [S. 266]:
   ... thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekanter Freund, was ...
   ... thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was ...






End of Project Gutenberg's Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***

***** This file should be named 50707-8.txt or 50707-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/0/7/0/50707/

Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
and the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.