The Project Gutenberg eBook of Granada in Flammen
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Title: Granada in Flammen
Author: Ludwig Huna
Release date: December 1, 2025 [eBook #77380]
Language: German
Original publication: Leipzig: Grethlein & Co, 1927
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GRANADA IN FLAMMEN ***
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1927 so weit
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Ludwig Huna, Granada in Flammen
Ludwig Huna
Granada in Flammen
Roman
Grethlein & Co., Leipzig und Zürich
Alle Rechte, im besonderen das der Übersetzung, vorbehalten
Copyright 1927 by Grethlein & Co., Leipzig
Für dich,
+du meine liebe Frau+,
die mir den Lebensweg verschönt,
die mir geholfen, Freud zu schätzen,
Leid zu tragen, in Liebe und
Dankbarkeit geschrieben
Inhaltsverzeichnis
Seite
Erstes Kapitel 7
Zweites Kapitel 16
Drittes Kapitel 23
Viertes Kapitel 33
Fünftes Kapitel 42
Sechstes Kapitel 51
Siebentes Kapitel 57
Achtes Kapitel 65
Neuntes Kapitel 71
Zehntes Kapitel 80
Elftes Kapitel 94
Zwölftes Kapitel 100
Dreizehntes Kapitel 112
Vierzehntes Kapitel 120
Fünfzehntes Kapitel 131
Sechzehntes Kapitel 137
Siebzehntes Kapitel 147
Achtzehntes Kapitel 154
Neunzehntes Kapitel 165
Zwanzigstes Kapitel 174
Einundzwanzigstes Kapitel 179
Zweiundzwanzigstes Kapitel 189
Dreiundzwanzigstes Kapitel 201
Vierundzwanzigstes Kapitel 212
Fünfundzwanzigstes Kapitel 221
Sechsundzwanzigstes Kapitel 231
Siebenundzwanzigstes Kapitel 251
Achtundzwanzigstes Kapitel 258
Neunundzwanzigstes Kapitel 271
Dreißigstes Kapitel 277
Einunddreißigstes Kapitel 282
Zweiunddreißigstes Kapitel 288
Dreiunddreißigstes Kapitel 299
Vierunddreißigstes Kapitel 314
Fünfunddreißigstes Kapitel 322
Sechsunddreißigstes Kapitel 334
Siebenunddreißigstes Kapitel 341
Erklärung von öfter vorkommenden Worten, die im
Text selbst nicht erklärt sind 360
Winke für die Aussprache der spanischen Wörter 361
Erstes Kapitel
Über der Felsstarre der Loma de Veleta zittert die Luft unter der
Hochglut der granadinischen Sommersonne. Die Hitze scheint die Felsen
einschmelzen zu wollen. Schweigende Einsamkeit über dem Gestein.
Schwarze Schafe liegen freßfaul auf der Steinhalde. Da und dort der
Zwergwuchs eines Strauches in der Felskahlheit, manchmal ein Höhlenloch
im blendenden Gestein. Der Schatten des Berggeiers huscht über die
Ödflächen, und leise schmachtet der girrende Ruf einer Wildtaube durch
die sommermüde Luft. In der Taltiefe legen die verstaubten Maurengärten
um weißglühende Steinhäuser ihren reichen Schmuck. Aber alles Leben
scheint unter dem Brand der dritten Stunde erstorben.
Auf einem Stein liegt ein junger Hirte hingestreckt; er spannt
seinen lauernden Blick ins Tal. Eine knorrige Gestalt, wie mit dem
Fels verwachsen, das Gesicht von Sonne und Bergwind gegerbt. Um den
gebräunten Leib liegt der sackartige Burnus, um die Hüfte schließt sich
ein Gurt, in dem Messer und Schleuder stecken. Zu seinen Füßen stürzt
sich der Hang bis in die Tiefe zum Dorf Cañor hinab, das in hellem
Grün gebettet liegt wie alle Dörfer in den Tälern der Alpujarras, dem
Bergland am Südhang der Sierra Nevada.
Der Hirte äugt durch die Sonnenschräge in die Tiefe nach dem in der
Hitze gelähmten Maurendorf und scheint sich wenig um die Herde zu
kümmern, die ihm sein Herr in Orgiva anvertraut. Er gedenkt besserer
Zeiten, da er noch in Granada Handel trieb, das er verlassen mußte, als
die Christen die Stadt nahmen. Sieben Jahre ist das her. Noch hüten die
Mauren von Granada den alten Gottesglauben, aber die allzu eifrigen
Hüter haben sich vor den Nachstellungen der Christen in die Alpujarras
geflüchtet oder in die fruchtgesegneten Täler des Guadalfeo. Hier
träumen die Sadat, die reichen maurischen Edlen, von der Wiederkehr des
letzten Königs Mohammed Abdallah, genannt Boabdil, der im afrikanischen
Fes seine Sehnsucht nach Granada großzüchtet. Weiß man, was Gott
beschlossen? Werden die christlichen Könige Fernando und Isabella ewig
leben? Auch die armen Hirten in den Bergen, die in den Steinhütten über
den Sommer leben, träumen diesen Freiheitstraum. Aber in Gottes Namen
-- Insch’ allah! So will’s denn getragen sein.
Von Cañor führt ein Saumpfad bis ins Felsland herauf. Ein Maultier kann
ihn noch bezwingen. Aber es ist in den Hütten nichts zu holen, wo das
Graslager der Hirten, ein Steintisch, eine steinerne Handmühle, ein
Kochtopf, Schafbraten und Fladen das Um und Auf eines Lebens bilden.
Nicht allzu weit glitzert ein Wässerchen, eins der vielen, die von der
Loma in den Barranco, die Talschlucht, hinabstürzen. Und zu sagen wäre
noch, daß der Hirte einen wunderbaren Weitblick bis zur Maurenburg
Salobreña am Meer hätte, wenn nicht die Calina, der bräunliche
Sonnendunst, Meer und Burg verdeckte. Und sein Auge erfreut sich auch
lieber an der Pracht des Schneehauptes des Picacho de Veleta, der auf
dem Untergrund des andalusischen Himmels über grauen Schieferklippen
aufragt. Bis in die blendenden Höhen hinauf klettern die maurischen
Kräutersucher, die Gehilfen der arabischen Ärzte, und hier schlugen
auch die Maurenflüchtlinge, die zum Prophetenglauben übergetretenen
Christen, aufständische Ritter und andere Verfolgte ihre Schlupflöcher
in die Felsen, die die spanischen Kriegsleute fürchteten, da maurische
List ihnen allerlei Fallen stellte. Die Berge waren treu wie das Volk,
das sich ihnen verschrieben.
Der Hirte Taleb rekelt sich aus der ermüdenden Schau. Gerade über dem
Dorf Cañor taucht ein Bergadler seinen Leib in die goldne Flut. Dorthin
blickt er.
Da knattert Steinschlag hinter ihm. Von der Bergwand zu seiner Rechten
klettert ein junger Maure herab. Er trägt die graue Leinenjacke und
das Unterkleid, das bis zum Knie die braunen Beine sehen läßt, an
den Füßen die Alpargatas, die hanfnen Schuhe der Bergbewohner. Das
fein gezeichnete Gesicht verrät edle Abkunft, die Augen haben einen
schwermütigen Glanz, das braune Haar hängt etwas verwahrlost über die
kühne Stirn. Auf Rufweite vom Hirten hält er inne im Klettern. „Taleb
-- sie will nicht kommen, Insch’ allah!“
„Es ist noch zu heiß zum Aufstieg, Eswer Ben Zerragh. Auch hat mein
Mädchen die Vorsicht des Fuchses. Sie kommt nur, wenn +er+ kommt.
Wenn es nun Gott gefallen hat, die Wege des ehrwürdigen Abu Osmin Atir
al Abdallah anders zu lenken?“
Eswer Ben Zerragh legt sich unweit des Hirten in die pralle Sonne und
schweigt. Das goldne Licht flimmert im bewegten Spiel über der Loma.
Schafe blöken, Steingeröll bröckelt leise in der Ferne.
„Deine Sobeiha ist schön,“ sagt Eswer nach einer Weile unvermittelt.
„Ihr Name ist Morgenröte, wie soll sie anders sein?“
Wieder Schweigen. „Wie lang wird’s noch währen?“ seufzt der Edle.
„Sid, du hast doch alles, was du zum Leben brauchst. Ist das nicht
Reichtum, was wir beide haben? Wir besitzen nichts, was wir verlieren
könnten.“
„Gott segne deine Armut, die dich reich macht, Taleb. Du brauchst
nichts zu beschützen als deine Sobeiha und deine Herde.“
„Das kann nur Gott. Es ist keine Macht und kein Schutz außer bei Gott.“
„Man kann nicht mit dir rechten. Sag, sind noch viele Höhlen hier
herum?“
„Wenn du da hinüberschaust, hast du die Höhlen von Medina, Berchulez
und Trevelez und manche andre, alle von Mauren bewohnt, die die Hirten
mit Nahrung versorgen. Aber sieh“ -- Taleb zuckte zusammen --, „beim
Olivenhain an der Mauer -- mit dem Korb am Rücken -- sie ist es.“
Die beiden Männer verfolgten schweigsam den Weg des Mädchens. Durch
Fruchtgärten schritt sie, schien manchmal zu lauern, begann zu
klettern, verschwand zuweilen, tauchte wieder auf und kam näher den
Hang herauf. Sie verließ das Buschwerk und kam in die Felsenzone, stieg
steil an und keuchte endlich über einen Steinabsatz heran, wickelte
den Schleier vom Gesicht und gab Taleb ihre Lippen zum Kuß. Eswer Ben
Zerragh aber griff nach dem Korb, wo die Honigfladen leuchteten.
Die Morgenröte lachte mit blanken Zähnen. „Gott gebe dir die
Freßlust der Zikade, Herr.“ Über den erhitzten Wangen funkelten ein
Paar Schwarzaugen, in denen die Glut afrikanischer Sonnenstrahlen
aufgespeichert zu sein schien.
Eswer holte die in großen Blättern eingewickelten Frühfeigen aus dem
Korb, Reis und Puffbohnen, einen Vorrat für eine Woche. Dann hatten
ihm Freunde aus Orgiva ein paar Koranblätter geschickt, Labsal für das
gläubige Herz. „Bei den fünfundsiebzig Wunden des Thalha, der mit dem
Propheten kämpfte bei Ohod, ich will dir das nie vergessen, Blume der
Berge.“
Durch ihren Leib brannte Unruhe. „Was ich gesehen! Der fremde Scheich
kommt. Er ist seit gestern in Cañor und heilt Herzenswunden. Abu Atir
heißen sie ihn.“
„Was will er aber bei uns?“ forschte Eswer.
„Bi nefsi! Bei meiner Seele, ich weiß es nicht. Und er bringt eine
Hosna mit, eine Schönäugige, ich habe sie schleierlos gesehen, ihre
Schönheit ist wie der Glanz des Mihrab in Cordoba. Sie nennen sie
Reija. Niemand weiß, wer sie ist. Und er! Der Imam! Sein Bart ist weiß
wie der Veletaschnee, sein Auge leuchtet wie die Sonne, und wenn er
spricht, fällt Tau auf die trocknen Fluren der Herzen.“
„Du hast die klingenden Worte in der Moschee erlauscht, Morgenröte?“
Sie nickte lächelnd. Dann sprangen ihre gebräunten, kupferfarbnen
Füße in den Hanfschuhen mit Katzenbehendigkeit die Felsen hinauf zu
einer Höhle, deren Eingang hinter einem Steinblock halb verborgen lag.
Taleb blickte verschärft ins Tal. Eswer Ben Zerragh stand aufrecht
wie eine Palme an den Fels gelehnt. Seine Gedanken hatten den Weg zu
der Bedeutung des fremden Scheichs gefunden. Abu Atir! War das nicht
der Imam des vertriebenen Maurenkönigs gewesen? Stand er nicht im Ruf
hoher Weisheit und in dem eines Santon, eines Heiligen? Und wer ist
die seltsame Blume an seiner Seite, und was will sie in den Höhen?
Beim Schwert, das der Eidam des Propheten trug! sann der Edle vor sich
hin. Ich will auf das Recht pochen, das einst Jusuf erhob: das Antlitz
edler Frauen unverschleiert zu sehen im Monat Schewal, der Zeit der
Freuden. Und ich will vor den Imam hintreten und bekennen: ich bin ein
Abencerrage!
Aus der Höhle sprang Sobeiha. Das ungefesselte Haar peitschte ihre
Stirn und Schläfen. „Wir müssen das Blumenkind des Imam und ihre
Sklavin in der Höhle des Spiegels unterbringen.“
„Wo liegt die?“ horchte Eswer auf.
„Einen Schleuderwurf von hier, oberhalb der deinen, Herr.“
„Warum heißt sie Höhle des Spiegels?“
„Sie trägt am Eingang einen glänzenden flachen Stein, auf dem sich des
Morgens die Sonne und am Abend der Mond spiegelt. Es sind Polster aus
Esperantogras darin. Doch sieh -- da kommen sie.“
„Die Maultiere sind noch klein wie Spinnen,“ sagte Sobeiha. „Ich will
das Wasser in die Krüge füllen, daß sie die Gebete sprechen können.“
Bald sah man den Zug der Maultiere aus dem Buschwerk bergan klimmen.
Man konnte sechs Stück zählen und drei Führer.
Eswers Herz schlug heftig. Nach einem Mond kamen die ersten Menschen
in seine Einsamkeit. Allah akbar! Gott ist groß! Sein Wille wird sie
geleiten, sann er in den durch die Bergschatten steigenden Zug. Man
erkannte schon die zwei Frauengestalten auf den Tieren, und Taleb
winkte mit der Wolljacke hinab. Aus der kleinen Karawane blinkte ein
flatterndes Tuch.
Das Gebirge erwachte aus dem Sonnenschlaf. Über die Kare unter dem
Schneehaupt der Veleta stürzten die wilden Ziegen in Rudeln von Fels zu
Fels. Die grauen Wolfshunde der Hirten kläfften in die Tiefe hinab.
Da bog der Zug um eine Felsnase. Schlank wie Irakzweige saßen
die Frauenleiber auf den Rücken der Maultiere. Bald hielten die
staubbedeckten Tiere auf der Felsplatte. Über die sonderbare Karawane
ging der Atem der unberührten Bergwildnis hin, und die Fremden standen,
nachdem ihnen die Treiber aus den hohen Sätteln geholfen, wortlos, von
den Schauern der Einsamkeit überwältigt, auf der Platte.
Der Abencerrage verneigte sich ehrfürchtig vor dem Greis an der Spitze
des Zuges. „As Selam Aleikum! Heil mit dir!“ grüßte er den Fremden.
„Wa Aleikum as Selam! Und mit dir sei der Friede!“ dankte der Greis
leise. Dann kreuzten beide Männer die Arme über der Brust.
Aus dem Antlitz des abrahamitischen Fremden leuchtete es wie
Gottesfrieden. Klare Blauaugen unter buschigen weißen Brauen, die
wie Tempelbogen über dem Eingang zur Seele prangten, strahlten das
beseligende Licht der Güte aus, und man glaubte durch diese Klarheit
tief bis in ihren Urgrund hinabsehen zu können. Der weiße Burnus floß
an den rüstigen Gliedern wie ein Liliengewand nieder, und der mächtige,
bis zum Ledergürtel reichende Bart hob seine Erscheinung fast zum
prophetenähnlichen Gottesboten.
Zwerchsäcke und Taschen wurden abgeschnallt. Die Mädchen sprachen
leise miteinander. Und Eswer hatte Zeit, an der einen der Jungfrauen
Schönheiten zu entdecken. Er bewunderte den palmenschlanken Wuchs, das
dunkle Augenpaar unter dem Schleier, das die Blitze einer Wetternacht
schleuderte, die schwarzen Locken in ihrer halben Aufgelöstheit, die
nur teilweise verschleierten Hände von goldkupfriger Farbe und die
hochangesetzten Brüste voll Reife. Und ihr Gang hatte die ruhige
rhythmische Bewegtheit eines sanften Liedes, mit dem der Araber Gottes
Erhabenheit preist. In Eswer, einem eifrigen Sammler morgenländischer
Beredsamkeit, begann es wie aus Märchentiefen zu klingen. Doch Abu Atir
unterbrach sein inneres Geläute. „Bist du der Flüchtling Eswer Ben
Zerragh?“
„Ich bin es. Sei gegrüßt im Namen des Propheten, dem Ehre und Friede
sei! Bei den sechs Offenbarungssternen, nicht der Bruchteil eines
Geschenkes ist mein eigen, das deiner würdig wäre. Man hat mir in
Granada alles genommen; nur meine Freunde helfen mir.“
„Wer sind sie?“ fragte der Imam.
„Abu Ben Jazir, Arzt in Orgiva, und Jahva Ben Hilal, der Teppichhändler
beim Elvirator in Granada.“
„Und das sind deine Freunde aus den Bergen?“ Er zeigte auf die Hirten.
Eswer zog Sobeiha und Taleb an den Händen heran. „Mögen sie deinem
Angesicht wohlgefällig sein.“
Abu Atir rief seine Mädchen herbei. „Das ist Reija, mein anvertrautes
Gut, und das ist ihre Sklavin Saffana aus gutem Geblüt. Und diese
drei sind Freunde aus Granada.“ Er wies auf drei Männer, die sich
zurückgezogen hatten.
Eswer überkam freudiges Erstaunen. Er erkannte in ihnen angesehene
Handelsleute, die den blauen Überwurf der Mauren trugen. Der älteste
von ihnen, Ismael Ben Katasi, reichte dem Abencerragen die Hand, und
dieser grüßte ihn mit verschränkten Armen: „Gott segne deine Geschäfte
und deine Wallfahrt nach Mekka.“
Der Alte schüttelte traurig den Kopf. „Es ist kein Segen mehr. Wir sind
vertrieben.“
„Auch du?“
Ismael wies auf einen zweiten Mauren. „Mein Bruder Ali und ich. Man hat
bei uns Berberbriefe gefunden, die verdächtig waren.“
„Und du, Ibn Maratan?“ wandte sich Eswer an den jüngsten der drei.
„Auch dein Auge glänzt in Leid.“
Der Maure nickte mit zusammengepreßten Lippen.
„Er hat einen berberischen Seefahrer bei sich verborgen,“ erklärte
Ismael Ben Katasi. „Nun rettet er sich zu dir, Eswer Ben Zerragh. Hast
du Platz in deiner Höhle?“
Der Abencerrage war voll Freude. „Willkommen und freundlich
aufgenommen! Dort oben liegt das Loch, weich ist das Gras, ihr müßt nur
Freunde in Orgiva haben, die für euch sorgen.“
„Die haben wir!“ sagte Ali Ben Katasi.
„Bevor wir weiterhandeln,“ sagte der Imam, „laßt uns zu Gebet und
Ruhe kommen. Vom weißen Minar dieses Gipfels klingt Gottes Mahnung zu
uns herab. Richtet euer Antlitz nach dem Tempel Haram im Lande der
Offenbarung.“
Die Mädchen hatten sich auf kleine Gebetsteppiche geworfen und das
Mulatum, das Gebetstuch, über den Kopf geworfen, nachdem Sobeiha das
Wasser gereicht hatte. Bald darauf erklang Abu Atirs Anrufung Gottes
in die Berge: „Gott ist allmächtig! Sei gepriesen, höchster Gott! Zu
dir beten wir und für dich üben wir gute Werke, Friede sei mit dir,
Prophet! Und Gottes Gnade und Segen mit dir und allen wahren Verehrern
Gottes!“ Die Leiber warfen sich vor und zurück, die Gedanken versenkten
sich in glühende Bilder. Eswers Augen aber verschlangen das schöne
Mädchen, dessen Schlankheit wie ein Zweig des Gadhastrauches war.
„Nun kommt nach der Höhle des Spiegels,“ sagte Abu Atir nach dem Gebet.
Und er schritt selbst führerlos voran, worüber sich Eswer wunderte. Der
Alte mußte also die Höhle kennen. „Als Mohammed floh,“ sagte der Imam,
in Ehrfurcht vor dem Höhlenloch Eswers stehend, „und Tag und Nacht in
der Höhle des Berges Thaur zubrachte, wob eine Spinne vor dem Eingang
ihr Netz, damit es aussehe, als wäre niemand drin, und Tauben bauten
ihr Nest davor zum Zeichen der Unberührtheit. Dein Netz und Nest ist
die Wachsamkeit deiner Hirten, Eswer.“ Und er trat mit den Männern
heran, während sich die Mädchen vor der Höhle auf einen Felsblock
niederließen.
Ein Steingewölbe dunkelte über ihnen, der Lichtschein des Tages beim
Eingang gab dem Raum ein dämmriges Licht. Ein Graslager zog sich bis in
die Tiefe. „Es ist nicht allzu schlimm,“ erklärte Eswer den verzagten
Freunden. „Was man gewöhnt, wird nicht mehr eine Last.“
„Ich hätte Lust, mit euch hier zu hausen,“ sagte Abu Atir, „wenn mich
nicht wichtige Geschäfte nach Granada zögen.“
Sie traten wieder ins Freie. „Kommst du nicht von Granada?“ fragte
Eswer.
Der Greis lächelte. „Ich habe es Jahre nicht gesehen, aber Freunde
wirkten dort für mich.“ Er stockte und wurde verlegen. „Laßt uns
vorerst die Mädchen versorgen.“
Taleb wies ihnen den Weg zur Spiegelhöhle und hielt ein Stoßgebet
weit von der Männerhöhle entfernt vor einem großen Felsblock. Die
Mauren packten kräftig an, bald bewegte sich der Koloß und gab den
mannsbreiten Eingang zur Höhle frei. Drei große fensterartige Öffnungen
ließen Taghelle und Luft hereinströmen, und der grasweiche Boden lud
zum Ruhen ein. Eswer erstaunte und fragte Taleb: „Warum zeigtest du mir
diesen Platz nie?“
Der Hirt lächelte. „Es ist ein ungeschriebenes Gesetz in den Bergen
seit grauen Jahren, daß diese Höhle nur flüchtenden Frauen gehört.
Wüßten viele Männer davon, man hörte den Klang der Nachtständchen bis
nach Cañor hinab.“
„Reija, du wirst hier wohl schlafen,“ sagte der Imam. „Und für eine
Wache --“
„Ich selbst will wachen,“ schnellte der Abencerrage heraus, und seine
Wange glühte in ritterlichem Eifer.
Das Mädchen zog die Schultern wie fröstelnd zusammen, kaum daß ein
Blick den schutzbereiten Jüngling streifte. „Ich werde mit Saffana,
meiner Sklavin, unter dem Schutz der Engel schlafen.“ Tiefkehlig, ernst
und beinahe abweisend klang es.
Eswer verschränkte betrübt die Arme über die Brust. Da war es, als
bereute die Jungfrau das harte Wort. „Du -- darfst wachen,“ sagte sie
rasch, „denn du bist aus dem Stamm der Abencerragen.“ Und große Wimpern
senkten sich über die Augen.
„Mein Vater war Lanzenschwinger und hat es vor Loja bewiesen,“ sagte
der junge Ritter beglückt. „Fünf Christen warf er dort in den Sand. Ich
habe sie von ihm, die blitzende Kunst des Wurfes, und ich will sie, tut
es not, für dich üben als dein Wächter, holde Reija.“
Der silberbärtige Imam lächelte über den Rittereifer. „Laßt uns vor
dieser Höhle das Abendbrot verzehren, sobald der Mond sich über der
Loma wiegt. Und nun kommt, Männer, ich muß euer Ohr für ein paar
Augenblicke allein haben.“
Die Männer verneigten sich wieder mit verschränkten Armen vor der
Jungfrau und stiegen dann mit Abu Atir über die Felsen ein wenig
aufwärts, hielten aber bald in der Einsamkeit eines muschelartigen
Kars, wo ihre Stimmen nur schwer den Weg ins Weite finden konnten. Hier
unter dem dunkler blauenden Himmel, umgeben von der ernsten Majestät
des Schweigens, hockten sie sich mit verschränkten Beinen auf die
Felsbänke, und Abu Atir, der Überlieferer und Ausleger des Korans, ließ
das bärtige Haupt bekümmert in die Hände fallen und brach endlich in
den Wehruf aus: „O mein Granada!“
Und im Mitweh senkten die Männer die Häupter und weinten leise. Bis der
Imam langsam den Kopf hob und mit starker Stimme das Surenwort sprach:
„Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nicht
gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich.“
Da antworteten die Männer gleichzeitig mit überzeugungstiefer Wärme:
„La illaha illa illahu! Gott ist der einzige Gott!“
Zweites Kapitel
Hinter dem dunklen Lomagrat glühte der Himmel auf, denn der Tag
verlosch. Noch umflossen die Wogen des abendlichen Lichtes die
Felsen, noch leuchteten die Zacken des Gebirges in reinen Farben,
hervorgezaubert aus dem Sonnentod, noch erglühte das Schneehaupt des
Picacho de Veleta wie in trauernder Röte. Langsam aber taute schon der
Abend den kühlenden Balsam auf das trockenheiße Gestein.
„Ich kenne euer Geschick, ihr Brüder Beni Katasi,“ sagte der Imam, „und
auch das deine, Ibn Maratan, ist mir nicht fremd. Aber du, Eswer Ben
Zerragh, hast mir noch nicht dein Herz geöffnet. Dein Geschlecht war
Boabdil sehr ergeben, dessen Vater freilich euer Geschlecht ausrotten
wollte.“
„Gesegnet sei Boabdil und verflucht sein Vater Abul Hassan!“ rief der
Abencerrage grimmig aus. „Die Abencerragen hoben einst Boabdil aufs
Pferd und sprengten mit ihm durch die Nacht nach Granada und hetzten
das Volk auf gegen den tückischen Abul Hassan, der endlich nach Malaga
flüchten mußte. Und auf der Stätte, wo Boabdils Brüder unter dem
Henkerschwert des Vaters gefallen waren, legten die Abencerragen die
vier Königsfahnen hin, und Boabdil kniete darauf nieder und schwor den
Königseid --“
„Alte Geschichten!“ wehrte der Imam mit der Hand ab. „Dein Geschlecht
hat sich an einer großen Hoffnung verblutet. Boabdil hat Granada
nicht halten können. Ruhmlos vertrauert er nun sein Leben in Fes bei
einem fremden König. Tagelang sitzt er auf einem Hügel und blickt
nach Norden, wo er die roten Türme der Alhambra zu schauen wähnt.
Dann greift seine Hand klagend in die Saiten und sucht ein altes Lied
hervor, das die Schönheit seiner ‚Granatha‘ besingt. Und seine Mutter
Ayscha sitzt bei ihm und kühlt ihm die Hitze seines Tränenauges. Aber
sagt, ist nicht alles, was nach ihm kam, auch Unglück gewesen? Wo sind
unsere Verträge mit den Christenkönigen hin? Wer hält sie noch?“
„Es ziehen sich Wetter über der Stadt zusammen,“ sagte Ibn Maratan.
„Was ich sah, erstickte mein Herz. Fernando und Isabella sind gekommen,
den Rest unsrer Glaubenssache zu zertrümmern. Hunderte von Mauren
bekehren sich schon zu Isa. Sie haben einen geschickten Priester
herbeigeholt, Leon nennen sie ihn, und sein Wort heißt: Glaube oder
leide! Der alte milde Erzbischof Talavera gilt nichts mehr bei den
Königen.“
„O guter sanfter Priester Gottes!“ rief Ali Ben Katasi in Erinnerung
an den frommen Christenhirten. „Wo ein Maure in Not war, stärkte ihn
Talavera fast mit muselmännischer Weisheit. Der teure Mann hat die
Christenbräuche in arabischer Sprache niederschreiben lassen, damit wir
uns daran erbauen könnten, er sprach immer mit uns Arabisch und von
der Tüchtigkeit unsrer Väter. Aber nun ist der Dominikaner Pater Leon
gekommen! Und der Himmel hat sich verdunkelt.“
„Wißt ihr, was der Name bedeutet?“ fuhr Eswer auf. „Der Löwe! Und Löwen
haben gewaltige Tatzen.“
„Aber wißt ihr auch, was Rusebchan al Bakali, der Hirt der Erkennenden,
sagt?“ fragte Ismael Ben Katasi. „Das Böse ist der Diener des Guten
und wird ausgesandt, den Menschen zu verlocken. Karun wurde erschlagen
durch ein Erdbeben auf Gottes Geheiß. Gott kann auch machen, daß Leon
an seiner eignen Tatze stirbt.“
„Wer ist der oberste Herr von Granada?“ erkundigte sich Abu Atir.
„Graf Tendilla de Mendoza,“ erwiderte Ali Ben Katasi. „Sie heißen ihn
Gobernador. Laßt ihn und Talavera Granada beherrschen, und die Mauren
haben sich nicht zu beklagen. Aber Gott ist unerforschlich und legt uns
Prüfungen auf. Über den Boten der Wohltat sitzen die Könige Isabella
und Fernando. An ihrem strengen Glaubenseifer zerschellt die Güte ihrer
Diener.“
„Ja, ja,“ sagte Abu Atir nachdenklich, „man sagt, die Königin bestimme
im Rat und Fernando spiele nur eine untergeordnete Rolle. Die Königin
-- ich sehe sie noch, wie sie Ritter auf Ritter aus Santa Fé in den
Kampf gegen die Stadt schickte --, sie hat nun, höre ich, ihren
Beichtvater und Zubläser, den armen Franziskaner Ximenes zum Primas
-- o wißt ihr, welch hohes Amt dies ist! --, zum Primas von Spanien
gemacht. Bismillah! in Gottes Namen! Wir nehmen die Königin in Kauf,
aber nur Ximenes möge den Boden Granadas nicht betreten. Oh, daß er in
Toledo bliebe!“
Eswer Ben Zerragh zog die Köpfe der andern näher an sich heran. „Wißt
ihr, was das Schreckliche ist? Wer getauft ist und wieder zurückfällt
in den Glauben Mohammeds, den verfolgt das heilige Tribunal --“
„Ein altes Prophetenlied, unschuldig am Abend gesungen,“ sagte Ali,
„eine Leibeswaschung, ein Gebet mit dem Gesicht nach Mekka gewendet --
wer dabei ertappt wird, hat sich vor Leon zu rechtfertigen, der ihn
anklagt beim Tribunal in Cordoba. Man zieht ihre Güter ein, und sie
müssen mit dem grauen Sanbenito, dem Büßergewand, am Leibe sich ein
Leben lang in Granada durchbetteln.“
„Leid! Wer trägt dich geduldiger als ein gläubiger Moslim!“ sagte Abu
Atir bewegt. Dann wandte er sich an Eswer Ben Zerragh: „Was trieb
dich, Freund, aus dem Hause mit Brunnen und Laubgang, wo ich einst bei
deinem Vater köstliche Gespräche über den Koran zu hören bekam und
deine Schwester unter blühenden Rosen zum Tanz der Freundin die Anafine
spielte?“
„Meine Schwester!“ Der Abencerrage drückte die Hand ans Auge, und seine
Stimme zitterte: „Rückt näher, Männer.“
Unter dem dunkelnden Rund des Himmels im Dämmerschatten der Felssteilen
und beim Klang der Flüsterstimmen glichen die Männer unheimlichen
Verschwörern, die ihre Herzen entlasten wollten.
„Meine Schwester nahm ein edler Mann ins Haus, Hamat Ben Bedest, der
aber bald starb. Da hatte sie nun in Alhama ein schön Stück Land.
Eines Abends kam ein Christ wegmüde und staubbedeckt aus Cordoba,
der den Händen der Inquisition entronnen war. Hamat hatte ihm einst
Gutes getan, und so hoffte er, bei dessen Witwe Zuflucht zu finden.
Mitleidvoll gewährte sie dem christlichen Mann ein Obdach, ohne zu
wissen, daß auf dieser Tat des Erbarmens der Kerker stünde. Man
entdeckte das Ungeheure und Halewa wurde in den Kerker geworfen --“
„Die schöne Halewa?“ Des Imam Hände verkrampften sich in die Schulter
des jungen Abencerragen.
„Einen Monat schmachtete sie. Da gelang es mir, den Vogt des
Gefängnisses zu bestechen, und eines Nachts entführte ich die
Schwester aus Cordoba und brachte sie glücklich nach Almeria, wo ein
Handelsfreund ihre Überschiffung nach Afrika besorgte. Ich selbst
eilte nach Granada heim -- in meinem Hause wartete ein Scherge des
Gerichts. Der Schurke von einem Vogt hatte geplaudert. Ich sollte
verhaftet werden. Unter dem Vorwand, mich umzukleiden, verließ ich das
Zimmer und steckte einen Dolch zu mir. Draußen warteten drei Soldaten
der heiligen Hermandad. Als der Alguacil mit mir durch den dunklen
Gang ging, verwundete ich ihn am Kopf, meine Sklaven warfen sich über
ihn und schafften ihn in eines meiner Gemächer. Unterdessen ließ ich
mich rückwärts durch das Fenster in den Sahat, den Hof, hinab und
entkam so den Soldaten. Ich flüchtete nach Orgiva und dann hierher
in die Berghöhle. Was weiter geschah, wußte ich lange nicht, bis ich
endlich erfuhr, daß man meine Mutter verhaftet und als Mitschuldige ins
Gefängnis geworfen habe. Überdenkt den Jammer, Freunde! Erleiden muß
ich ihn selbst!“
Ali Ben Katasi sah mit scheuen Blicken die Gefährten an, die die Augen
zu Boden gesenkt hatten. Ein banges Schweigen legte sich zwischen
die sorgenden Männer, und Eswer fühlte, daß es zu ihm in irgendeiner
Beziehung stehen mußte. Erschreckt fragte er: „Ihr -- ihr wißt etwas --
von meiner Mutter --?“
Der Handelsherr legte ihm sanft-traurig die Rechte auf das Haupt.
„Fasse dich, Eswer Ben Zerragh -- bi nefsi! Bei meiner Seele, dies ist
eine meiner trübsten Stunden im Leben. Gott der Erhabne hat es gewollt,
sie mir aufzubürden.“
Der Abencerrage stöhnte auf: „Beim Propheten! Meine Mutter -- o sag’ es
-- und wäre es bitter wie Koloquintentrank -- meine Mutter --?“
„Auf dem alten Ruhehof der Makbara, wo einst im Schatten der Zypressen
Könige lagen, im Hain von Asabica --“
„Im Friedenshain der Abencerragen --“ zitterte die Stimme Maratans.
Da schrie Eswer auf: „Tot! Meine Mutter?! Mein Väterchen!“ Er rang
verzweifelt die Hände zum Imam empor.
„Wir trugen sie vor zwei Tagen in die Erde des Friedens,“ sagte Ali Ben
Katasi. „Sie hatte die Qual des Kerkers nicht ertragen und starb mit
einem Segen für dich auf den Lippen.“
Abu Atir streichelte das Haar des Jünglings. „Sie ist nicht tot,“
sprach er sanft in altarabischer Totenweihe, „sie ist nur nicht bei
dir. Ein Vogel war sie, käfigtreu erzogen, und des Käfigs müde, ist sie
nun entflogen und lebt nun in der obern Welten Fülle, erschaut Gott
ohne Flor und Hülle.“
Wie Balsam fielen die Worte in das trauernde Herz. Der Abend senkte
sich tiefer ins Land, legte sein Grau über die Alpujarrasdörfer,
Hirtenlieder schwangen sich von fernen Hängen in die Luft, und
Herdengeläute erklang. Die Wasser aus dem Barranco rauschten deutlicher
herauf, und alle Stimmen des hochsommerlich geschwellten Abends
verstärkten sich. Das tiefe Dunkelblau des Himmels spannte sich wie
syrische Seide von Berg zu Berg und senkte sich dann in grünlichblassen
Tönen, noch von der Calina gedämpft, im Süden über die Meerferne. Gegen
Untergang blutete eine letzte Wolke über der Loma.
„Wie lange sollen wir noch Geduld üben?“ seufzte Ismael Ben Katasi.
„Wenn die Unschuld unter den Schrecken des Gerichts dahinstirbt!“
„Entflammt die Maurenherzen in den Alpujarras!“ riet Maratan im Eifer.
Der Unmut drohte anzuschwellen. Aber der Imam, der weise Freund der
Gelassenheit, beschwichtigte die Aufgeregten. „Gesellen des Leids, sind
wir denn nicht ohnmächtig gegenüber den christlichen Drangsalschmieden?
Ihre Werke selbst werden zerbrechen wie Erbsenschalen. Sie wüten gegen
die eigenen Glaubensgenossen wie gegen uns. In Toledo, sagt man mir,
hat man die Henker nach einem Autodafé ermordet, und es wird sich bald
niemand mehr zum blutigen Amt finden. Die Hölle der Höllen ist Cordoba,
wo Lucero wütet. Das heißt in der Sprache der Spanier der leuchtende
Stern. Aber sie selbst heißen ihn Tenebrero, das ist der finstre Geist.
Was sie tun, ist gegen Gott gerichtet, also richtet es Gott, aber zu
seiner Zeit. Wißt ihr nicht, wie schrecklich Fernando den Aufruhr
von Malaga unterdrückt hat? Und den in der Sierra de Ronda? Nicht der
Knechtschaft sprech’ ich das Wort, aber der Klugheit, der zuwartenden
Tochter des Verstandes. Seht, es gab kein stärkeres Volk als das
unsere, als noch Musa und Tarik lebten. Und nur eines hatte dieselbe
Eroberungskraft, und das war das Volk, das wir am Ende besiegten, die
Goten. Ihre Kraft schwand, dann aber die unsre. Richtet eure Augen nach
Mekka und dann dorthin!“ Seine Hand wies nach dem fernen Glutenland der
afrikanischen Küste, die hinter Dünsten jetzt dieselbe Sonne untergehen
sah.
Die Blicke flammten auf, und Eswer rief mit geballten Fäusten: „Berber
her! Maghrebs wilde Söhne! Die Freunde der Wüste und des Gebirgs! Sie
brachten einst Almoraviden und Almohaden in das zerrissene Andalus
und schlugen die Christenhunde nieder. Berber her! Wir wollen wieder
Pyramiden aus den Schädeln der Feinde bauen und von ihren Spitzen die
Muezzins zum Gebet rufen lassen.“
Abu Atir drückte den wutbebenden Abencerragen auf den Stein nieder.
Eswer staunte die Kraft des Alten an. „Du hast einen starken Vater
gehabt.“
Der Greis nickte. „Den Feindtöter nannten sie ihn. Aber er saß auch in
den Nächten und betrachtete die weise Ordnung der Sterne. Von beiden
Trieben blieb etwas in mir hangen. Meine Finger sind noch immer so
stark, daß sie den Kamelen Brunnen graben könnten.“ Er senkte die
Stimme. „Ihr kennt unsern Glauben an einen hehren Feta, einen Ritter,
der am Anfang eines jeden Jahrhunderts erscheinen soll, um mit seinem
Geist das ganze Jahrhundert fortzureißen. Die Christen stehen am
Anfang eines neuen Jahrhunderts. Vielleicht wird aus ihren Reihen der
Wunderbare geboren, der auch uns das Heil bringen soll.“
„Gott schaffe die Mutter, die ihn gebiert,“ sagte Ali Ben Katasi.
„Wärst du es selbst, Vater der Weisheit!“ rief der ältere Katasi aus.
Um die greisen Lippen legte sich ein Zug schmerzloser Entsagung. „Das
lege Gott einem Jüngern auf. Aber nun laßt uns an heitern Lippen
hängen. Das Mahl wird fertig sein. Komm, Eswer Ben Zerragh, du sollst
teilhaben am Leben, denn Totes weckst du nimmer auf.“ Er nahm den
unglücklichen Abencerragen unter den Arm und führte ihn, gefolgt von
den übrigen, den steilen Pfad hinab zum Feuer vor der Frauenhöhle,
dessen Rauch friedlich in den warmen Abend stieg.
Hehr wie ein segnendes Zeichen Gottes schwebte der Mond in die
sternübersäte Wölbung.
Drittes Kapitel
In der Höhle des Spiegels sprühten die Tollheiten Saffanas, der
Sklavin. Reija lag auf einer Motharif, einer Seidendecke, die über
das Gras gebreitet war, und Saffana flocht unter Grimassen Gras in
der Herrin Haar oder warf Steine den Hang hinab und nannte das ‚den
Dschinnen Liebesbriefe zuwerfen‘. Ihr spitzes Lachen klang manchmal wie
ein auflodernder Schrei. Sie zerrte die Herrin in das monddämmernde
Licht vor der Höhle, rasch flogen die Schleier fort, und die Brüste
atmeten freier.
Reijas schlanke Glieder krönte das Haupt von gemmenhafter
Ebenmäßigkeit. Die braune Hautfarbe gab dem Rot ihrer Wangen eine
größere Wärme, der Blick der nachtdunklen Augen hatte einen Schmelz,
der Herzen beben machen mußte, wunderbar wölbten sich darüber die
Brauen, zwei schwarze Liebesbogen wie Tore des Paradieses. Das
blauschwarze Haar trug sie in einem Knoten tief im Nacken gebunden.
Wenn sie sprach, leuchteten die Lippen, mit Henna gefärbt, rot wie
Rubine. An den Hand- und Fußgelenken glänzte das Gold der Carcaches,
der maurischen Spangen.
Saffana war üppiger als die Herrin, heller im Ton der Hautfarbe, hatte
ungebändigtes kastanienbraunes Haar, das sich beim Tanz wie eine Fahne
hin und her warf, und das Spiel ihrer Glieder ließ auf Sinnlichkeit
schließen.
Die Sklavin drückte ihren Arm an die goldgeschmückten Fußknöchel der
Herrin, die mit untergeschlagenen Beinen dasaß. „Dein Blick ist wie der
Tau des Morgens, und deine Liebe muß wie der Rosenduft in den Gärten
von Schira sein.“
„Törin!“ schmollte Reija. „Sing mir das Lied Medschnuns, des
lieberasenden Dichters.“
Saffana tat einen gurgelnden Freudenschrei. „Seine Geliebte hieß Reija
wie du. Horch auf!“ Und sie sang mit einer spitzen, knabenhaften Stimme
eine der Perlen aus dem Schatz der maurischen Volkslieder:
„Ihr Lüfte, voll vom Ruch der Wüstenkamomillen, ihr seid’s, die um
Reijas dunkle Locken spielen. Gott geb’ mir Armen nur die Liebe, daß
ich sie in den Armen Reijas übe. Ich liebte Reija mit den schwarzen
Haaren, als ihrer Brüste Warzen klein noch waren. Oriongürtel bist du
mir gewesen, an deinem Herzen bin ich ganz genesen.“ Sie endigte mit
einer langgezogenen Coda. Aber dann sagte sie betrübt: „Dein Antlitz
blickt wie die Finsternis des Sukuum, des Höllenbaums. Ei, mach’ erst
einen Mann in dich verliebt, und dein Dunkel ist bei den Dschinnen.“
Reija verzog die roten Lippen. „Abu Atir läßt mich kaum den Bart eines
Mannes sehen. Und es ist ein großes Glück, daß ich heute gleich vier
sehen durfte.“
„Und ich weiß auch, daß einer der Bartbesitzer dein Wohlgefallen erregt
hat.“
Reija warf einen vernichtenden Blick auf die Sklavin, und ihre Seele
schien ruhig wie ein von keinem Hauch getrübter Seespiegel. Sie öffnete
die Hände halb wie in gedankenlosem Spiel.
„Taleb der Hirte sagt, er nenne sich Eswer Ben Zerragh.“
Die Augen der Jungfrau wurden groß. „So ist er aus Boabdils geliebtem
Geschlecht? Und muß so leiden!“ Aber dann verfinsterte sich ihr Blick:
„Es ist nichts um einen Mann.“
„Mein Täubchen hat recht. Sie leiden alle zusehr an Liebesschmerzen.
Dieser Medschnun singt da von einem Stamm Osret, die sterben, wenn sie
ein Mädchen umarmen. So dumm sind sie. Da ist Al Dschemil der Jüngling,
der starb, weil seine Geliebte Boseine eines Morgens nur zehn Tränen um
ihn geweint statt zwölf. Oh, sind sie verrückt, die vom Stamm Osret.
Man sollte dort Jünglinge und Mädchen aufeinander peitschen, sie würden
Tränen und Sterben vergessen. Da lobe ich mir die Dichter, die den Wein
kreisen lassen bei den Freundinnen, wie die Dichter der Omajaden. Ibn
Chafedsche hat gesungen: ‚Auf Munas Hügeln sei willkommen, Nacht, da
wir getrunken und Musik gemacht, da wir die Sklavinnen durchdüfteten,
mit Wein und Lied die Schleier lüfteten.‘“
„Du schwatzest wie ein Schwalbenpaar. Aber sag’, wo ist Sobeiha, die
Hirtin?“
Saffana zeigte hinab auf einen Felsen. „Da -- sie ist nicht vom Stamm
Osret.“
Sobeiha herzte unten mit Taleb. Der Spieß drehte sich vor ihnen über
der Flamme. Daneben standen die Maultiere, und man hörte das Knirschen
ihrer Zähne, die das Futter malmten.
Da stiegen aus den Felsen die Männer herab. Im Nu verschleierten sich
die Mädchen. Taleb ließ den Ziegenbraten vom Feuer auf die Grasschüssel
gleiten. Zischend troff das Fett herab.
Reija gewahrte bestürzt das rotgeweinte Auge des Abencerragen, und Abu
Atir erzählte ihr das Schicksal des Unseligen. Mit der Zartheit ihres
Herzens tröstete sie den Jüngling, der voll Dankbarkeit glühte.
„Der Mond scheint mild,“ sagte Abu Atir. „Laßt den Krug kreisen und
seid fröhlich, aber achtet der Trauer des Freundes.“ Und der Imam
gestattete den Mädchen, daß sie sich entschleierten, wie es seit der
Zeit der Omajadenkalifen bei Mählern üblich war.
Eswer staunte die enthüllte Schönheit an. Die Trauer um die geliebte
Mutter ließ ihn das Blühen und Duften dieser schönen Menschenblume noch
schmerzlich-süßer empfinden.
Während man aß, herrschte tiefes Schweigen. Als der Ziegenbraten mit
den Speckerbsen verzehrt war, lagerte man sich ans Feuer hin, und
Gedanken und Gespräche spannen sich um die Ereignisse, die im Zuge
waren. Nur Abu Atir saß schweigsam und schien in sich hineinzuhorchen.
Doch bald erhob er sich und nahm Reija an seine Seite. Dann sagte er
mit einer gewissen Feierlichkeit: „Macht eure Herzen weit. Unter dem
nähern Hauch Gottes, den Berge loben und die Wasser preisen, sei im
Namen unseres letzten Königs ein Geheimnis enthüllt, das manches Herz
froh machen wird.“
Man wußte die Worte nicht zu deuten. Wie ein Muezzin stand der Imam
auf dem Felsblock und pries die Güte Gottes unter dem sanften Glanz
des Halbmonds, umstarrt von den ragenden Felszinnen, den Zeugen der
Ewigkeit. Dann begann er zu erzählen:
„Damit ihr klar sehen könnt, will ich von Boabdils jungen Tagen singen.
Ich stand an seiner Seite, als er noch in der Hut Ayschas, seiner
Mutter, lag. Und die ältern Männer, wie du, Ismael Ben Katasi, werden
sich noch der bösen Tage erinnern, da Boabdils Vater Abul Hassan,
König von Granada, gegen seine Gemahlin wütete. Das Volk nannte sie
Horra, die Reine. Es kam nämlich ein Weib in die Nähe des Königs,
eine Christin, die er einst zur Gefangenen gemacht hatte. Die Leute
nannten sie Zoraya, das anbrechende Licht. Aber es brach kein Licht
mit ihr heran, sondern Düsterheit im Leben der Ayscha, die von der
schönen Christin verdrängt wurde. Denn die Zoraya wollte ihren Söhnen
den Königsthron sichern, während sich Ayscha für ihren Sohn, den
jungen Boabdil, einsetzte, der noch drei Brüder hatte. Dem Boabdil
hatten Sterndeuter geweissagt, daß unter ihm Granada fallen werde, und
deshalb haßte ihn sein Vater. Die Zoraya aber schürte diesen Haß zur
furchtbaren Flamme an. An einem Tage, da die Wasser in der Alhambra
froher rauschten als sonst und der Himmel ein einziges blaues Meer war,
ließ König Abul Hassan die drei andern Söhne der Ayscha im Löwenhof
hinrichten --“
„Oh, woran mahnst du uns, Imam!“ rief Ismael jammernd aus.
„Ich muß es, damit ihr alles begreift. Ayscha, die Unselige, und den
übriggebliebenen Sohn Boabdil ließ der unmenschliche Vater in den
Comaresturm werfen. Dort vertrauerte sie lange Jahre mit ihrem Kinde.
Aber endlich ward auf den Rat Zorayas auch die Vernichtung des letzten
Kindes beschlossen. Seht, da erbarmte mich das Unglück der gefangenen
Mutter, und ich verhalf Boabdil zur Flucht.“
Die Mauren fuhren in frohem Schreck auf. „Du warst sein Retter?“
Und Eswer küßte verzückt die Hände des Greises. „Dir sind die sieben
Himmel offen, Retter meines Königs!“
Abu Atir wehrte müde ab. „Zerschnittene Leinentücher wurden zu einem
Strick gedreht, und in einer sternenlosen Nacht ließ sich Boabdil
vom Turmfenster ins Gesträuch der Bergklippe hinab, kletterte in die
Darroschlucht, wo ich mit drei Rennern auf ihn wartete. Auf Umwegen
ritten wir ins Geniltal und gelangten endlich nach Wadi-Asch, das sie
heute Guadix nennen, wo die maurische Alcazaba, das Schloß auf hohem
Felsen, der Zufluchtsort des jungen Herrn wurde. Als der wutschnaubende
König von Alhama zurückkam, wo ihn die Christen geschlagen hatten, war
der Vogel entflohen. Im Gefühl der Niederlage, die er als eine Warnung
Gottes ansah, schonte er wenigstens Ayscha. Das Volk aber, durch das
Schlachtenunglück bei Alhama aufgerüttelt, verfluchte den alten Abul
Hassan und rief nach Boabdil. Dieser war schön und stattlich geworden,
nur ein Schatten des Leides saß in seinem dunklen Auge, und eine Falte
des Grams zog über seine Wange. Blond war sein Haar, stattlich sein
Wuchs, königlich jede seiner Bewegungen. Ich betreute ihn wie ein Vater
in der Alcazaba, konnte jedoch nicht verhindern, daß eines in ihm
unheilvoll aufkeimte, das sinnliche Begehren nach dem Weibe.“
Die Mädchen senkten verschämt die Wimpern.
„Seht,“ fuhr der Imam fort, „es kam ja alles Unglück bei uns
Mauren aus dem Weib. Die Kalifen verlernten im Liebeskampf den
Kampf der Waffen, sie entnervten ihre Körper, verschmähten die
Mäßigkeit und verschwendeten ihre Kräfte in Eifersucht, Zank und
Vernichtungsgedanken. Oft focht Bruder und Bruder um ein Weib. Wohl
wuchsen die herrlichsten Bauten aus dem Nichts zur Zeit Abderrhamans um
eines Weibes willen, wohl glänzten die Wissenschaften und loderte der
Ehrgeiz in der Dichtkunst, und die Ritterlichkeit unsrer Edelsten übte
sich an der Verehrung des Weibes. Aber das Errungene wurde wieder durch
ein Weib zerstört, durch Eifersucht und Nebenbuhlerschaft. Vergebens
warnte ich Boabdil. Eines Tages flüchtete sich eine vornehme Christin
über die Grenze nach Guadix. Sie war die Tochter eines Ritters Sancho
de Calabreña, namens Ines. Sie mußte aus dem Königreich Kastilien
fliehen, weil ihre Familie im Verdacht stand, eine Verschwörung gegen
die Könige angestiftet zu haben. Boabdil sah sie -- und sie ihn. Nach
den Augen sprachen die Lippen, die Herzen, die Sinne. In der Alcazaba
bettete der junge Königssohn die schöne Christin in seinen Armen.
Er ließ ihr ihren Glauben und verlangte nur, daß das Kind, das sie
erwartete, im Prophetenglauben erzogen werde. Mitten im Liebesglück
klang der Sehnsuchtsschrei der Mauren aus Granada: ‚Wir wollen Mohammed
Abdallah zum König haben!‘ Der Ehrgeiz brannte in den Herzen des jungen
Königssohnes. Er wollte seinem Vater den Thron entreißen. Jubelnd
führten ihn die Abencerragen nach Granada. Aber in der Alcazaba von
Guadix blieb ein trauerndes Weib mit einem Kind unter dem Herzen
zurück. Ich sollte ihr Tröster und Beistand sein. Ines de Calabreña
fühlte gar wohl, daß im Geräusch des neuen Hofes die Liebe Boabdils
erkalten mußte. Das Volk hatte den Vater Boabdils vertrieben, der
junge König aber hatte Morayna, die Tochter eines vornehmen maurischen
Kriegshauptmanns, zur Frau genommen. Unter dieser Nachricht brach Ines
zusammen. Sie wußte, der Harem des Königs würde sich mit Frauen füllen,
sie selbst aber müßte für immer das entehrte Christenweib bleiben.
Doch welch ein Wunder ist das Frauenherz! Täglich stiegen Gebete von
ihren Lippen für den ungetreuen Mann auf, und ihre Tränen waren die
Opfergaben auf dem Tisch der Liebe, während sie an der Wäsche nähte,
die für das zu erwartende Kind bestimmt war. Und ein Jubeln kam über
sie, als eines Tages Boabdil gezogen kam und sie wieder herzte und
küßte, und es schien alles wieder gut zu sein. Aber Morayna, die
Gattin, wehrte sich leidenschaftlich gegen die Christin, wenngleich sie
nichts Ernstliches zu unternehmen wagte. Doch da kam die große Stunde
für Ines. In einer Winternacht lag in Guadix ein zartes Mädchen neben
dem schwer kämpfenden Leib der Mutter.“
Der Imam war tief bewegt. Alle horchten mit gerührtem Herzen. Die
schwarzen Wimpern über den Augen der schönen Reija schlossen sich, und
ihre Brust ging hoch.
Abu Atir erhob jetzt die Stimme zu größter Innigkeit. „Friedlich
atmete die Kleine das neue Leben ein. Sie hatte die weichen Züge des
Vaters, seinen edlen Gesichtsschnitt und sein dunkles Auge, aber die
braune Haut und die schwarzen Haare der Mutter. Die Zeit mußte es
künden, wessen Erbteil das Herz war. Das Mädchen wuchs heran, und
nun sann Morayna darauf, Ines und das Kindlein zu verderben. Boabdil
witterte die Gefahr und ließ beide nach Malaga bringen, von wo ich
sie nach Afrika hinüberschaffen sollte. Aber denkt euch, Freunde, die
rachsüchtige Morayna hatte ihre Boten mit Gift bis nach Malaga gesandt.
Wir eilten nach Fes, um dem Tode zu entgehen. Doch nun kam das traurige
Schicksal Boabdils! Er mußte Granada, das Dorado der Mauren, den
christlichen Königen übergeben. Vom Volk verachtet, flüchtete er sich
nach Fes. Nun war da für uns keine Sicherheit mehr. Wieder kehrten wir
nach Malaga zurück. Und dort im Zypressenschatten eines Hügels, fern
von den Menschen, schützte ich Mutter und Kind durch vier Jahre vor
den Tücken ihrer Verfolgerin. Die Kleine wurde bei Klöppelkissen und
Spinnrad erzogen.“
„Li amri! Bei meinem Leben! Höchst sonderbar!“ entrang es sich Saffanas
Brust.
Reija aber saß mit über der Brust gefalteten Händen reglos da, die
Augen zu Boden gesenkt. Die Männer flüsterten erregt miteinander, bis
Eswer, an dessen Herzen fiebernde Ungeduld riß, den Alten drängte: „O
Abu Atir! Born der Weisheit und des guten Rechts -- ende, ende!“
„Ich bin zu Ende,“ sagte der Imam mit feierlichem Ernst.
„Und das Königskind -- wo ist das Königskind?“ bebte der jüngere Ben
Katasi.
„Das Königskind!“ riefen die Mädchen, von Neugier gespannt.
Da streckte Abu Atir weihevoll wie ein segnender Faki die Hand über den
Scheitel Reijas aus. „In den Adern dieser fließt Königsblut! Neigt euch
vor ihr!“
Die Kunde riß alle Männer aufs Knie, sie lagen mit gebeugten Leibern,
die Arme über der Brust verschränkt, huldigend vor dem schönen Mädchen.
Saffana zitterte am ganzen Leibe. Sobeiha, das Hirtenkind, schrie wie
besessen: „Ein Königskind!“
Reija aber fiel kraftlos in die Arme des Imam. Das Glück traf sie wie
ein Blitz.
Der alte Ismael Ben Katasi raffte sich als erster auf. Aus der Vorsicht
seines erfahrungsreichen Herzens heraus fragte er: „Imam, Sid -- du
weißt, wie oft in allen Zeiten Geschichten und abermals Geschichten
vorgekommen sind -- sieh, es könnte dich einer betrogen haben -- es
könnte -- o gib uns Beweise, Gewißheit, Imam!“
Der Alte nickte. „Es ist kein Leben ohne Schrift. Ehre dem Weisen, der
sie erfunden!“ Er legte sorgsam, als trüge er zerbrechlich Glas in den
Händen, den schönen Menschenschatz in die zitternden Hände Saffanas und
zog aus seinem Brustbeutel ein dickes Pergament.
„Bei Gottes strahlendem Angesicht! Li amri! Des Königs eigenes Wachs --
der Schutzbrief für das Kind! Gott verdamme fortan die Zweifler! Abu
Atir, herrlichster der Schirmer, das Kind ist in Gefahr --“
„Laß mich es schützen vor Schaitan und Tücke!“ rief Eswer Ben Zerragh
mit der Heftigkeit des entflammten Liebenden. „Ich habe keine Mutter
mehr zu schützen, aber in meiner Brust lebt Liebe, die ich an ein
würdiges Geschöpf Gottes verschwenden möchte. Ich bin Abencerrage, mein
Vater schützte ihren Vater, laß mich die Tochter schützen. Und du bist
alt, Imam --“
Da reckte sich der Greis hochauf, und es war, als knackten seine
Gelenke, und er pflanzte die stählernen Glieder vor die hilflose
Königstochter auf und legte schirmend seine eiserne Hand auf ihre
Brust. „Bist du im Mondeswahn, Jüngling? Deine Raschheit, deine
Heftigkeit sollen sie schützen? Dein Eifer ehrt dich, aber gib meinen
Kräften die Ehre! Dieses Kind ist geheiligt durch Ahnenblut, jedes
Haar an ihr ist kostbar wie ein Tropfen aus dem Brunnen Semsem, denn
sie stammt aus dem Blute der Beni Nassr und gleicht einer Perle, früh
losgerissen von der Muschel.“ Behutsam strich der Greis über die Pracht
des gelösten Mädchenhaars, während Eswer beschämt dastand wie ein
Knabe, der in der Mekteb Strafe bekam.
Reija schlug die Augen auf. „Wo -- ist -- meine Mutter?“ Ihr Blick war
Schmerz und Freude. Und die Stimme klang wie entrückt in das stille
Weben der Nacht.
„Sie ist längst gestorben.“
„Und warum -- ach, Väterchen, warum muß ich das heute erfahren?“
„Du bist heute achtzehn Jahre alt geworden, und es war der Wille des
Königs, daß du an diesem Tage das Geheimnis deiner Herkunft erfahren
solltest und daß du den goldnen Koran wieder nach Granada trägst, das
Eigentum Boabdils, das wir bei seiner Vertreibung hier herauf in die
Berge gerettet haben vor dem Vertilgungswahn der Christen.“
„Den Koran? Die Muschel des Gottesworts? Boabdils Koran?“ stürmten die
Mauren auf den Imam ein.
„Er ist von unermeßlichem Wert. Er soll nun zum Labsal für unsere
Brüder nach der bedrängten Stadt getragen werden, und Reija soll ihm
das Geleite geben.“
„Gott, gib Kraft!“ flehte das Mädchen mit halberstickter Kehle.
Saffana weinte. „O Königstochter, nun darf ich dich nicht mehr Hamam,
die Taube, und Werda, die Rose, nennen! Darf nicht mit dir spielen --“
Reija streichelte der Sklavin die Locken. „Du darfst es.“
„Wo ist der Koran?“ drängten die Männer in heiliger Glut heran.
„Wir wollen in Morgenfrühe bei dem steinernen Mihrab beten. Und wenn
die Stunde kommt, da man einen schwarzen und weißen Faden unterscheiden
kann, wollen wir den Koran aus dem Felsen nehmen, und der erste
Sonnenstrahl soll das heilige Buch aus jahrelangem Schlaf wecken.“
Nun wurden Waschungen und Gebete verrichtet, und Saffana mußte alte
Kiffaß, Erzählungen aus der Omajadenzeit, hersagen. Aber Reija war
aus der Neugeburt ihres Wesens heraus unfähig, ihre Sinne für die
Beredsamkeit zu schärfen. Es taumelte in ihr hin und her, und vom
Glück überwältigt, schlief sie unter dem hohen Mond mitten unter den
andern ein. Ihr Haupt lag auf der Motharif, ihr Atem ging leise,
und alle fühlten, daß erhabne Träume von Pracht und Herrlichkeit um
die lächelnden Lippen spielten, so wie sie einst in den Sinnen der
Kalifentöchter glühten.
Saffana aber erzählte unermüdlich von Az-Zahara, der zertrümmerten
Märchenstadt bei Cordoba, und von den Prachtgärten des ägyptischen
Kalifen Thalun, in denen die Vögel unter vergoldeten Palmen sangen. Der
junge Maratan hing an den Lippen der Sklavin, als tropfte Goldregen von
ihnen. Schems hosna! Schöne Sonne! besang er heimlich ihre Reize.
Die Männer wachten lange vor der Höhle. Eswer Ben Zerragh trauerte vor
sich hin. Er sah nach der arabischen Legende die Seele seiner Mutter
als Hamé, das ist als Eule, über den Bergen fliegen und hörte ihre
Stimme flehen: ‚Tränke mich und gedenke mein!‘ Und er tränkte die Seele
mit den Tränen seines Leids. Dann aber umschwebte ihn das Bild der
schönen Reija, mit deren Erhebung er eine Hoffnung in sich zu Grabe
trug.
Manch zuversichtliches Wort ward noch unter der Sternenhoheit
gewechselt. Silbern kreiste die andalusische Nacht über Wache und
Schlaf.
Viertes Kapitel
Arktus sank am Himmel dahin. Vor der Höhle flatterte schon ein Lied
aus der Kehle der Morgenröte himmelan: „Tränke Gott mit Tau des Zeltes
Reste, wo ich feierte der Liebe Feste.“ Ein leichter Wind trug das
Takbir, den Gebetsruf des Muezzin von Cañor herauf. Abu Atir erhob sich
vom Lager. Ein Büschel weißer Strähnen wehte von seiner Schädeldecke
mit der mächtigen Bartfahne um die Wette. Die klugen Augen blickten
frisch in das dämmernde Weben des Morgens. Er legte sich die Kopfbinde
der Imamwürde um und weckte nun die Männer. Als sie nach dem Gebet
zur Frauenhöhle schritten, fanden sie die Mädchen schon wach. Jetzt
wurde das in der Spiegelhöhle liegende Steinversteck mit Haue und
Brecheisen bearbeitet, bald lösten sich die Felsbrocken los, und
im Dunkel einer Höhlung blinkte eine weiße Kiste, die den Schatz
enthielt. Mit Ehrfurcht holten die Männer die Truhe heraus und warteten
unter Gebeten, bis hinter der Loma de Yator der Himmel in Morgenglut
entbrannte. Da öffnete Abu Atir den Deckel und aller Augen blickten
verzückt auf das ehrwürdige Buch, dessen Goldpracht auf blauseidnem
Kissen lag, umgeben von viereckigen Münzen aus der Almohadenzeit.
„Gefäß Gottes, in das er seine Liebe und Weisheit senkte, sei gegrüßt!“
rief der Imam inbrünstig aus. „In deinem Geiste spiegelt sich Gottes
Geist, in dem Wort des Propheten Gottes Wort, und in unserem Wort und
in unserer Tat soll sich die Treue zu Gott und dem Propheten spiegeln.
Wir wollen dich hüten als ein Königserbe und in dem Mihrab von Granada
betten. Wie einst die Krieger der Halimet ihre Hände in duftendes
Menschim tauchten und schwuren, getreu zu bleiben, so strecken wir
die Hände in den Sonnenwind und schwören, getreu zu bleiben dem Wort
Gottes.“ Und er öffnete das Buch und las die Fatiha, die Eingangssure,
und die elfte Sure der Morgenbetrachtung. „Gott geleite uns froh in die
alte Heimat, in das geliebte ‚Granatha‘,“ schloß er. „Ihr Männer kehrt
von Orgiva hierher in die Berge zurück, wo Freunde für euch sorgen
werden. Dort harret unsrer auch schon neues Geleite.“
„Bei den Oliven des Paradieses,“ schwur Eswer, dessen Herz zu bluten
begann, „meine Gebete sollen euch immer geleiten.“
Nun wurde Honig gereicht und das Lusindsch, ein Mandelgebäck, dazu
genossen. Der Hirte Taleb steckte dem Königskind ein gebratenes
Täubchen in die Maultiertasche. Es war seine Verehrung. Und Sobeiha
hatte einen Kranz von Bergblumen geflochten und schlang ihn nun um den
Hals des beglückten Mädchens.
Eswer Ben Zerragh nahm Abschied. „Gott gebe deinem Maultier Kraft,
dich zu tragen über Gestein und Weg, dir selbst aber Glück, Besitz,
Ertrag und eine Erinnerung an diese Berge! Bleibe eingedenk des Tages
und der Nacht, da du unter Steinen wohntest, und erfreue dich Gottes
freundlicher Hilfe, du selbst ein schöner Gedanke dieses Gottes.“ Seine
Stimme zitterte gewaltig.
Die Korankiste wurde an den Sattel Reijas geschnallt. Die beiden Katasi
eröffneten den Zug, dann ritten Reija und Saffana, hinter ihnen Abu
Atir und endlich Ibn Maratan. Als die Sonne, die einen Augenblick
hinter Wolken verschwunden war, sich wieder mit goldenem Schwung in
das Blau warf, stiegen die Tiere langsam den Steilpfad hinab. Reija
sah sich nicht um, wiewohl ihr das Herz klopfte. Saffana winkte zur
Felsplatte hinauf, wo Eswer wie eine aufrechte Zeder stand. Er sah mit
blutendem Herzen hinab. Die Karawane schrumpfte zusammen, verschwand
hinter einem Eichenhain, tauchte wieder auf und verlor sich endlich in
den von Morgenlicht überfluteten Gärten von Cañor. Da verhüllte der
Abencerrage sein Haupt. „Bi nefsi! Sie ist schön wie eine Rose von
Damaskus, aber sie wird mir nimmer blühen.“
Der Reiterzug ritt in den werdenden Tag, der schon herbstliche
Müdigkeit hatte. Die Luft flimmerte über der Erde wie Goldgespinste
aus Gottes Hand. Der sanfte Bergwind der Veleta lag den Reitenden
im Nacken. Sie gelangten nach Cañor, wo man gerade die Almosen
verteilte, denn der Rhamadan war vorbei. Dann ging es über maurische
Dörfer nach Orgiva, wo man von den Handelsleuten, die nach den Bergen
zurückkehren mußten, Abschied nahm. Hier wartete neues Geleite für den
Koran. Drei Ritter aus dem Geschlecht der Beni Mossad übernahmen die
Überwachung, ältere Männer mit dem Stolz des Vertrauens auf der Stirn.
Sie saßen in ihren weißen Burnussen auf schwarzen, erlesenen Rossen,
den federgeschmückten Turban auf dem Haupt, die Füße in buntgestickten
Lederschuhen, die in silbernen Steigbügeln ruhten, den Degen in der
kunstvoll verzierten Scheide an Quastenschnüren quer über der Brust,
und trugen so ein echt maurisches Rittergepräge zur Schau.
In ritterlicher Weise huldigten sie auch dem Königskind. Der eine von
ihnen war Chatib, das ist Kanzelredner, in Granada, der zweite Wali,
ein Viertelvorsteher von Granada, und der dritte Athibb, ein Arzt. Mit
gelehrten Reden versuchten sie die Langeweile des Rittes zu kürzen. Als
sie in Lanjaron, der Gartenstadt, unter der schönen Burg ankamen, wo
heute genächtigt werden sollte, trieb das Gemüt der schönen Reija schon
die farbigsten, frohesten Blüten. Wohl wußte sie, daß sie in Andalus
keine Rechte mit ihrer königlichen Abstammung geltend machen konnte,
aber die Verehrung der Mauren war ihr gewiß, und das erfüllte sie mit
einem harmlosen Stolz.
Am andern Morgen zog man durch das Lecrintal weiter. In den Gärten
lachte die Frucht, in den Weinbergen blinkten die Kittel der lesenden
Frauen, da und dort tauchte ein spanischer Soldat, ein Ildsch oder
Nasranij, wie man auf maurisch die Christen nannte, aus einer Gasse auf
und wurde scheelsüchtig betrachtet. Die Atalaya, die Wachttürme, wurden
auf den Höhen sichtbar, wo bei Gefahr die Feuer angezündet wurden,
und bald stieg der Hügel von Padul vor den Blicken der Reiter auf. Da
bebte das Herz der Königstochter. In der Ferne, von den Hitzeschleiern
geheimnisvoll umhüllt, schimmerte Granada wie ein kostbarer
Edelstein von der vierzehntorigen Mauer mit den tausend Wachttürmen
eingeschlossen. Wie der Sommergarten zu Füßen des beschneiten Libanon
lag die Stadt mit ihrem Grün unter dem Schnee der Sierra Nevada.
Auf einem Hügel ragte der stolze Königsbau der Alhambra wie in
rötlich schimmerndem Erzglanz auf, der Steingedanke prachtliebender
Maurenkönige.
Abu Atir hielt den Zug der Tiere an. „Friede mit dir, ‚Granatha‘,
Königin unter den Bettlern, und darum von uns geliebt wie die
Heiligtümer Arabiens! Selbst wenn wir tot sind, zieht der Hauch deiner
Schönheit Kreise über unser Grab.“
Die Mauren sprangen vom Pferd, legten ihre Degen ab, die Sklaven
breiteten die Gebetsteppiche zu ihren Füßen aus, und bald darauf klang
die preisende Andacht der ersten Offenbarung Gottes an den Propheten
zum Himmel. Dann wies der Imam nach der Stadt. „Dort blühten Glück und
Unglück für deinen Vater, Reija, dort im Herzen der Stadt, wo Haus an
Haus übereinandergewürfelt steht, im Rabad al Bayassin, wo der große
Turm des Minar herübergrüßt, im Viertel der Edlen.“
Reijas Auge wurde naß. Der Greis erklärte dem Mädchen bei der Rast
die Geschichte der Stadt, sprach von den Kämpfen in der Vega,
in der breiten, fruchtschweren Ebene, die ihre Schätze wie auf
einem Riesenteppich rings um die Stadt legte, er sprach von den
Schmerzenstagen, als die Christen mit der Gewalt ihrer Kriegsmassen auf
die letzten Bollwerke der Mauren stießen, und wie der König, von den
Seinen verflucht, aus Granada ziehen mußte und auf diesem Hügel von
Padul die letzte Schau ins Land hielt.
Die Ritter trauerten im Weh der Erinnerung. Hier war es, wo Mutter
und Gattin den König höhnten, daß er um das weine, was zu verteidigen
er nicht die Kraft gehabt hatte. El suspiro del Moro! Den ‚letzten
Seufzer des Mauren‘ nannten jetzt die Spanier den durch eines Königs
Abschiedstränen geweihten Felsen. „Hinweg, Bruder der Freude!“ verjagte
der Imam das eigene Weh. „Madhma madha! Vorbei ist vorbei! Wo sind die
Leute vom Stamm Ad und die von Themud? Wo die Kalifen, die auf goldnem
Thron saßen und auf weichen Mädchenbrüsten schliefen? Auch diese
Christenkönige sind Lehm und Wasser und also der Erde untertan.“ Seine
Rechte wies nach Nordwesten, wo kahle Höhen in den Dunst geisterten.
„Dort liegt Cordoba, die Kalifenstadt, von wo unser Ruhm über die Welt
ging und wo das königliche Dreigestirn Abderrhaman, Haschin und Hakem
leuchtete. Aber es ist alles eitel.“
Der Dunst über Granada wurde goldiger, und die rotbraune Tapia der
Alhambra begann zu glühen. Wie erstarrte weiße Riesenfalter im Grün
von Aloe und Kaktus blinkten die arabischen Lusthäuser. Die Königsburg
und die siebzigtausend Häuser des andalusischen Damaskus grüßten das
heimkehrende Kind im festlichen Abendglanz. Wie silberne Schlangen
blitzten die Wasseradern der Vega auf, und die Oliven- und Orangenhaine
bauschten sich polsterartig aus den abgeernteten Felderweiten heraus.
Der Wali Mossad begann vom Hochmut der Spanier zu erzählen. Unablässig
rann ihm das Leid von den Lippen. „Da ist einer, die rechte Hand des
Gobernadors Tendilla, schön wie der Engel Gabriel, der Kriegsruhm
leuchtet ihm von der Stirn, seine Augen glühen Haß den Mauren, seine
Stimme schneidet ins Herz, und Härte ist sein Begleiter. Don Pedro de
Solar, Grafen von Mora, heißen sie ihn, den königlichen Hauptmann. Er
hat den Befehl über die Alhambra.“
Reijas Hand spielte mit dem Talisman an ihrer Brust: fünf silbernen
Fingern, die die Hauptgebete des Islams versinnbildlichten. Sie wollte
sich durch die Berührung des Zaubergehänges vor den bösen Kräften
schützen, die aus dieses Mannes Auge strahlen mußten.
Als der Salzwind von Süden wehte, brach man auf, und die andalusischen
Rosse flogen wie Wüstenpferde der goldschimmernden Stadt zu. Das
Schlagen der Hufe, das Keuchen der Pferdeleiber, das Rasseln der
Degen, das Geklirr der Frauenketten stimmte sich zu einem frohen Klang
zusammen.
Granada enthüllte sich wie eine schöne Frau. Über die Vorgartenmauern
schlang sich die Weinrebe herab, immer mehr Volk zeigte sich auf dem
Weg, man grüßte die edlen Mauren und staunte die verschleierten Frauen
an. Dumpf polterten die Hufschläge über die Genilbrücke, unter der der
wasserarme Fluß dahinschlich. Beim Mühlentor durfte der Zug unbelästigt
die Wache passieren, denn man erkannte die edlen Beni Mossad. Hinter
dem Tor in der engen Gasse staute sich das bunt zusammengewürfelte
Volk. Aus allen Winkeln drängte sich ein Mischgeruch von Räucherwerk,
Schafmist, Gewürz, Lauch, Hammelfett und Schweiß in die Nase.
Gebetsworte surrten aus den hohen Gitterfenstern eintönig herab; es
herrschte eine Stickluft. Es war die Antequeruela, das Viertel der
Armen, durch das sie ritten. Maurinnen in ärmlicher Kleidung, um
das Gesicht das heiße, im Nacken verknotete Wollzeug geschlungen,
starrten neugierig aus den Toren nach den Reiterinnen. Barcelonische
und genuesische Händler priesen schreiend ihre Waren an. Ein seltsamer
Mann, in ein graues, dichtgeschlossenes Gewand gehüllt, das auf Brust
und Rücken mit einem roten Kreuz bemalt war, bettelte sich von Tür zu
Tür.
„Es ist ein Ketzer,“ erklärte der Wali, „das Schandkleid der
Inquisition, das Sanbenito, muß er bis zu seinem letzten Hauch tragen.
An den Feiertagen steht er mit der brennenden Kerze in der Hand vor der
Kirchentür, sein Gut ist eingezogen worden, seine Kinder sind verachtet
von den Christen.“
Reija schauderte zurück, dann warf sie ihm eine Münze vom Pferd herab.
An dem Judenviertel ging es vorbei, dessen enge Gassen die Düsterheit
des Schicksals seiner Bewohner kündeten. Auch dieses Volk hatte bessere
Tage gesehen, als noch die Maurenkönige in Granada herrschten. Gab es
doch sogar einen jüdischen Minister Samuel unter den Vezieren. Die
Königin Isabella aber ließ sie alle taufen oder austreiben. Die neuen
Christen -- Maranen nannte man sie -- konnten des neuen Heils nicht
froh werden, wiewohl manche als Ärzte, Schriftausleger und Gelehrte am
königlichen Hofe lebten. Innerlich trennte sich keiner vom alten Gesetz
seiner Väter. Sie waren nirgends und überall zu sehen, je nachdem es
ihr Vorteil erheischte. Mit dem Warenbeutel am Rücken schlichen sie
sich des Nachts in die Häuser der Mauren, um Handel zu treiben. Die
Inquisition hatte ein wachsames Auge auf sie.
Abgemergelte, geschäftig sich herandrängende Gestalten umringten die
Pferde der Reiter, als sie jetzt durch die Alcaiceria, den Trödelmarkt,
zogen. „Alles Maranen, getaufte Juden,“ erklärte der Wali, „noch unter
Torquemada gebrandmarkt. Dabei können sie von Glück sagen, nicht
vertrieben worden zu sein. Denn die das Schicksal erlitten, denen nahm
man das Geld nicht nur aus der Tasche, sondern schnitt es ihnen aus
dem Bauch, wenn man es dort vermutete. Wer eine Thora im Haus hat, ist
verloren. Unlängst griffen sie einen, der eine Hostie gegessen haben
sollte unter dem Schalet, einen andern, weil er sein Hemd am Sabbat
gewechselt. Und trotzdem haben sie ihre heimlichen Winkel, wo sie
Kaftan, Leibgurt und Käppchen versteckt liegen haben, und kommt der
Sabbatabend, beten sie doch zu ihrem Gott, wie unsere Moriskos zu dem
unsern. Sie leiden noch mehr als wir. Aber es wird über uns kommen wie
über sie, wenn er kommt!“
„Ximenes!“ erschauerte Abu Atir.
„Die Moriskos in Toledo nennen ihn einen Geist, geschaffen aus dem
Feuer des Samum. Gott behüte uns vor seinem Glaubenseifer, der mehr
Glaubenstollheit ist. Man spricht davon, daß er Maurenbücher verbrennen
will.“
Abu Atir warf seinen Leib zurück. „Nimmer glaube ich’s. Der Segen des
Höchsten über unsern Koran! Ich will ihm Schätze weisen, größer denn
die Goldreste von Rusafa in Cordoba, nur auf Boabdils Koran lege er die
Hand nicht.“
Sie gelangten auf die große Bab al Raml, den Hauptplatz der Stadt,
den die Spanier Bibarrambla nannten. Hier lag die Medriset, die
Hochschule der Mauren, mit ihren zierlichen arabischen Hufeisenbogen,
unter denen die Jünger der Wissenschaft wandelten. Vor den Hallen
flochten Maurenweiber aus Espartogras die großen Fußbodenmatten für
den Winterbedarf, und syrische Händler verkauften ihre Teppiche.
Nebenan priesen die Töpfer aus Andujar ihre Vasen und schimmernden
Azulejos, die farbigen Glasuren für die Wandtäfelung, an. Dann ging es
durch die engen Gassen des Zacatin, wo die Gewölbe der korduanischen
Goldschmiede lagen und das Geschrei sich zu einem ohrenbetäubenden
Getöse verdichtete. Buntes, schillerndes Seidenzeug lag in den Basars
der großen Caiseria vor den Augen der Mädchen.
„Kleider, Seide!“ rief Reija in kindlicher Eitelkeit aus.
„Degen und Schwerter!“ freuten sich die Männer, als sie an den
Waffenläden vorbeiritten.
Auf den Kauftischen breiteten sich die Kostbarkeiten des Morgenlandes
aus, Spezereien, Edelsteine, Farbstoffe, Gewürze, Lederwaren, Bücher
und das bunteste Zeug in reicher Abwechslung.
Aber was war das? Eine Moschee, vor der braune Kuttenträger wandelten.
Paarweise traten gebräunte Knaben unter Führung von Mönchen in den
heiligen Raum und bekreuzigten sich, schritten nach dem Altar, wo
das Tabernakel glänzte. Maurenknaben in der Moschee, die in eine
christliche Kirche umgewandelt war. Abu Atir drängte das Pferd Reijas
von der Stelle, deren Anblick sein Herz beengte.
Durch schmutzige Krämergassen ritten sie aufwärts nach dem Albaycin,
wo der Imam im alten Kassr, im Hause der Nassriden, das Heim für
das jüngste Kind des Geschlechts hatte vorbereiten lassen. Vor dem
Ostuwan, dem festungsartigen Vorbau des Palastes, über dessen Tor unter
dem Metallfries das prächtige Stahlschild der Nassriden schimmerte,
hielten die Rosse. Ein reichverziertes Eisengitter öffnete sich
nach dem Sahat, dem Innenhof, wo das Gartengrün und eine wunderbare
Blumenpracht den blitzenden Springbrunnen umkränzten. Ringsherum
flimmerten die bunt ornamentierten Wände und Laubengänge des Hauses,
sahen die Ajimezes, die durch ein Säulchen geteilten Fenster der
Innengemächer, auf die lauschige Gartenstille herab. Ein betäubender
Duft wehte aus den Rosenbeeten. Der Geist des Islams lächelte heiter
aus jedem Bogenschwung, aus jedem Wandzierat, aus jedem geheimnisvollen
Nischenschatten. Die arabische Ampel aus zartem Schmiedeornament
überschimmerte mit ihrem Licht den Laubengang, und in jeder Nische
verdampfte in kupfernen Pfannen das Rosenöl oder der Duft des
Sandelholzes. Berbersklaven ordneten die Rasen und Wege, und als Reija
die breite Steintreppe hinaufstieg, nachdem sie die Beni Mossad dankend
verabschiedet hatte, kamen ihr zwei Sklavinnen entgegen, ehrwürdige
Matronen, die ihr von nun an dienen sollten.
Die üppige Pracht des ersten Gemaches verwirrte den Sinn des Mädchens.
Die geometrische Kunst der arabischen Baumeister an den Wänden,
vielgestaltig und -farbig, wie ein Linienmärchen zur Schau gestellt,
mußte zur träumerischen Betrachtung anregen, und Reijas Phantasie
freute sich auf die Stunden des Auskostens aller Schönheiten. Sie trat
jetzt mit Abu Atir auf den Mirador, den maurischen Balkon.
Zu ihren Füßen lag die lärmende Stadt, umrahmt von der grünen Vega, das
flache Gedächer des Albaycin, die steilen Gäßchen, in die nie das warme
Gold der Sonne tauchte, jenseits des Darro der vielfältig gegliederte
Steinleib der Alhambra und dahinten der Schneewall der Sierra Nevada.
Eine überwältigende Größe sprach aus dem Bild. Der Sonnentod flammte
scharlachrot wie Liebesglut über den Dächern. Reijas Herz wurde von
Gottesgedanken gepackt. „Wo ist der Koran?“ fragte sie wie aus heiligem
Drang heraus.
„Die Beni Mossad trugen ihn in die Moschee. Ali wird am Freitag zum
erstenmal daraus lesen.“
„Meines Vaters Koran -- in Granada!“ jubelte Reija. Da fiel ihr Blick
in die Straße auf eine hohe Gestalt in weißer Mönchskutte, der viele
Moriskos folgten. „Wer ist das?“ fragte sie eine der Matronen.
„Verhülle dein Gesicht fest, Blume von Andalus. Das ist der Pater Leon.“
„Dieser ist es?“ erschauerte Reija. „Er blickt finster wie der Baum
Sukuum, der die Hölle deckt.“
Es pochte. Ein alter Maure mit schwer verfurchtem Gesicht trat
ehrfürchtig ein. „Allah akbar! Gott sei dir immer gnädig, Blüte des
Alters, weiser Scheich!“ sagte er ernst, während er die Arme über die
Brust verschränkte.
„Gegrüßt auch du, Malik Ben Hossaim, mein Rasul, mein Bote, dem alles
zum Segen werde. Du warst in Cordoba?“
Der vertraute Bote bejahte, indem er die Lider bis auf eine kleine
Spalte schloß.
„Und du hast die letzten Bücher aus dem Schatz meines Vaters gebracht?“
Wieder klappten die Augendeckel zu.
„Und sonst hast du mir nichts zu sagen nach so langer Zeit?“
Da bewegten sich die dünnen Lippen, und langsam, jedes Wort betonend,
sagte Malik Ben Hossaim: „Ximenes kommt aus Toledo.“
„Ximenes!“ Der Name fiel wie Eis in das gelassene Blut des Imam. Soeben
erscholl das Idsam, der Gebetsruf, in feierlich gezogenen Tönen über
die Dächer: Gott ist der Höchste, und ich bekenne, daß es nur einen
einzigen Gott gibt, daß Mohammed Gottes Gesandter ist. Kommt zum Gebet!
Erscheinet zum Heil! Gott ist der Höchste! Es gibt nur einen einzigen
Gott!
Fünftes Kapitel
Im Thronsaal der Gesandten in der Alhambra standen die Granden vor den
Königen.
In der ehelichen Verbindung der Herrscher hatte sich der Begriff
Spanien gebildet, doch blieb der staatsmännische Gedanke an den
Begriff Kastilien gebunden. Dieses Königreich schrieb den nach
und nach erworbenen Ländern Sitten, Politik, Gesetze und Ordnung
vor. Vor Kastilien beugten sich willig oder dem Zwang gehorchend
Aragonien, Navarra, Leon und die kleinen Ländchen. Die königliche
Hoheit Isabellas, ihr Geist, ihr Ahnentum und ihre Tatkraft bürgten
für eine geordnete Entwicklung des Landes. Ein Schatten trübte ihre
Größe: der Maurenhaß, geboren aus einem durch Priesterhände geschürten
Glaubensfanatismus.
Würdig stand Fernando ihr zur Seite. Die Erscheinung des
Fünfzigjährigen bestrickte die Edelleute. Er hatte seine Jugend in
den Feldlagern seiner Ritter verbracht, und es lagen zehn Jahre
Glaubenskrieg hinter ihm. Gelehrsamkeit achtete er nicht hoch, seiner
natürlichen geistigen Gewecktheit mangelte die wissenschaftliche
Erziehung. Man ehrte in ihm mehr den Ritter, Fechter, Reiter und Jäger.
Freilich gibt es Granden, die Ursache haben, sich vor der verdeckten
Schlauheit des Königs in acht zu nehmen, gedemütigte Hidalgos,
erniedrigte Herren, unverdient gekränkte Höflinge. Im Glaubenseifer
reicht er der Königin die Hände. Beide schützen das Ketzergericht und
zittern doch vor ihm. Der Klerus vergöttert das Königspaar, er ist
der eigentliche Fels, auf dem die spanische Großmacht steht. Auch
Bürger und Bauern ehren ihre Könige, denn diese schützen sie vor den
Übergriffen des selbstherrlichen Rittertums. Stadt und Dorf haben
ihre Ordnungstruppe, die heilige Hermandad, der königlichen Gewalt
zur Verfügung gestellt, um diese und sich selbst vor dem Machthunger
gewisser Granden zu verteidigen.
Der Tag war verglüht. Die Könige überblickten die Listen der in
Cordoba verbrannten Maurenbücher und die der Inquisitionsopfer. Unter
Torquemada hatte das Ketzergericht zweitausend Leichen dem Herrgott
auf dem Altar der Christenliebe hingeopfert. Deza, der jetzt das
Amt des Großinquisitors übte, wartete in der kurzen Zeit seiner
schrecklichen Macht mit einigen hundert Menschenfackeln auf. Dieser
Mann war der Beichtvater des Königs. Sein Gehilfe in Cordoba, der
fürchterliche Lucero, war der würdige Diener Dezas. Er hatte durch
sein Gott wohlgefälliges Walten dem königlichen Schatz infolge der
Gütereinziehung soeben wieder einige tausend Realen zugeführt. So
blickten die katholischen Könige dem Scheiden der Sonne dankbar nach.
Es herrscht Schwüle im Gesandtensaal. Hier thronten noch vor acht
Jahren maurische Könige, hier schlichteten sie Zank und Streit,
hier traten die Ritter zum letztenmal unter Boabdil zusammen, um
das traurige Geschick der Stadt zu beraten, und hier schluchzte
der König vor den Seinen das Abschiedsweh heraus. Der Reichtum des
Ornaments, bestehend aus Pflanzen, Girlanden, arabischen Inschriften
und geometrischen Kleinfiguren in Gold, Rot und Blau, gegliedert durch
zierliche Ajimezes, nach unten zu durch schimmernde Azulejos begrenzt,
verwirrt selbst den nüchternen Geist der Granden.
Die Königin im Brokatgewand, den Scharlachmantel um die Schulter
geworfen, den Hals in die dicke Krause gepreßt, läßt im strengen
Zeremoniell die Granden vor den Thron treten. Unbewegt und steif, im
rotgoldnen Atlasgewand, den weißen Mantel darüber, das Haar von einem
Kopfputz zusammengehalten, sitzt Fernando von Aragonien neben ihr.
Der altersmüde Erzbischof Hernando de Talavera mit dem weichen Gemüt
des wahrhaft frommen Christen, steht, auf einen Stock gestützt,
vor den Herrschern. Er berichtet der Königin über den Fortgang des
Bekehrungswerkes bei den Mauren. Isabella beginnt von der Ankunft des
Ximenes zu sprechen, und ihre Augen glänzen. „Die Brüder des Konvents
von San Francisco sollen morgen in der alten Moschee zu Ehren des
Primas die Messe lesen. Meine Escuderos sollen in den Gassen Spalier
bilden und die neugierigen Mauren im Zaum halten.“ Sie neigte sich
freundlich zum Erzbischof herab. „Grollt mir nicht, daß ich Ximenes
für die Stärkung des Glaubenswerkes kommen ließ. Eine doppelte Kraft
verdoppelt den Erfolg.“
Talavera senkte das Haupt. Er las aus den Worten seiner Königin den
Vorwurf der Schwäche heraus, der er sich selbst anklagte. „Ich bin alt,
meine Königin hat weise gehandelt.“ Er schleppte sich an den Armen
zweier Dominikaner zu seinem Sitz.
Graf Tendilla de Mendoza, der Gobernador von Granada, trat vor den
Thron. Er war der Liebling des Königs. Sehnig, breitschulterig, den
kriegerischen Narbenschmuck auf der Stirn, stand er da. Er hatte das
Verdienst, die verlotterte Kriegsmannschaft mit neuem Geist belebt zu
haben. Statt der Dirnen ließ er die Mönche mit dem Schwert Begleiter
der Soldaten im Felde sein. Als einst die Geldmünzen ausgingen, gab er
den Soldaten Papierscheine und löste sie später wieder ein. Ein solch
erfinderischer Kopf durfte nicht feiern.
„Die Stadt ist ruhig?“ fragte der König seinen Lieblingsritter.
Des Gobernadors Antworten waren immer kurz wie Axthiebe. „Ja,“ sagte er.
„Das ist Euer Verdienst. Wen wir unsrer Gnade versichern, soll sie vor
allem zur Schau tragen.“ Der König heftete den Orden der Steineiche dem
Grafen auf die Brust. Dieser stand in Rührung mit gesenktem Haupt. „Man
hat die Spur des Abencerragen noch immer nicht gefunden?“ fragte der
König.
„Sie führt nach den Alpujarras. Dort einzudringen ist schwer.“
„Ein mutiger Ritter, ein zweiter Perez del Pulgar, kann sich
durchlisten.“
Der Gobernador wandte sich nach den Sitzen der jüngern Granden, die wie
Bildsäulen dasaßen. „Don Pedro de Solar Graf de Mora!“
Der Gerufene erhob sich rasch. Er stand im roten Escarpin, das Schwert
an der Seite, auf dem Haupt die spanische Feder, schön wie ein Cherub
da. In dem feingeschnittenen Gesicht, umrandet von dem gestutzten
Spitzbart, leuchtete sonnige Wärme. Man raunte sich zu, daß vor dieser
kriegerischen Stattlichkeit selbst die Maurinnen hinter den Fenstern
liebesselig erzitterten, wenn der Graf auf dem braunen Andalusier
im Panzer durch die Gassen ritt. Aber sein Herz, sagte man, bliebe
unberührt vom Zauber des Weibes. Man erzählte sich, daß er auf der
Brust ein Mal in Form einer Löwenklaue habe. Der Ritter lachte stets,
wenn man ihm diese Fabel vorhielt, und meinte, der tapfre Mann bedürfe
keines äußerlichen Löwenzeichens.
Fernando wurde nachdenklich. Er entsann sich eines Gerüchtes, wonach
der Vater dieses schönen Ritters einst nahe daran war, von der
Inquisition verfolgt zu werden. Er verscheuchte den Gedanken im Nu und
suchte eine hellere Vergangenheit auf. „Ein Carlos de Solar rühmte sich
einst, von den Goten abzustammen. Hat nicht ein Ahne von Euch den
Musa, den tapfern Maurenfürsten, nach Syrien begleitet?“
„Ich stamme von dem Geschlecht,“ sagte der Graf mit Stolz.
„Ihr habt die Wunde an dem Hals --?“
„Vor Santa Fé erhalten, Königliche Hoheit.“
„Die Maurenkriege sind zu Ende. Lockt Euch nicht andere Gefahr? Wir
brauchen -- Neapels wegen -- Hauptleute, die unter dem Mars geboren
wurden.“
„Für meine Könige zu bluten, ist mir Freude -- jedoch ich gestehe --
die Ferne zieht mich an.“
Der König blickte ungehalten. „Ihr wollt nach Hispaniola.“
Des Ritters Augen glänzten. „Die Goldschächte von Ophir locken mich.
Kolumbus will ins unentdeckte Bergland der Inseln dringen. Man sagt,
daß Bobadilla demnächst hinübersegeln soll. Wenn ich es wagen dürfte --“
Der König zog die Brauen hoch. „Verderblicher Drang! Wohin käme
Spanien, wenn alle Ritter westindische Sehnsucht hätten! Sevilla ist
schon halb entblößt von Edlen, Cordoba folgt nach. Nun auch Granada?“
„Dazu ist mir der Graf zu teuer,“ warf sich Tendilla dazwischen.
„Dann bleibt!“ befahl der König.
Don Pedro de Solar trat zu seinem Sitz zurück. Über seine Stirn zog ein
Schatten.
Fernando rief seinen ersten Feldherrn, den großen Kapitän Gonsalvo de
Cordoba, Herrn von Aguillar, vor den Thron. „Kann man in die Alpujarras
dringen?“
Der stattliche Krieger mit den Lorbeeren auf der Stirn berichtete:
„Hinter den Barrancos liegen die alten Maurennester und die
Schlupfwinkel der Mißvergnügten. Für die spanische Reiterei wäre der
Boden ein zweites Malaga. Die Mauren verstehen sich auf den Bergkrieg,
wir haben unsere Ruhmeskränze in den Ebenen Italiens gepflückt.“
„Das klingt nicht zuversichtlich.“ Wieder sah der König düster.
Da mengte sich Isabella drein. „Gebt den Mauren tüchtige Priester, und
sie werden nicht zu flüchten brauchen. Ich will nicht ihr Blut, sondern
den Glauben. Spanien soll einen Gott verehren.“
Es klang wie ein schmetternder Kriegsruf. Gott, Jesus und die Jungfrau!
Das waren die Leitsterne der Spanier.
Aber die Stirn der Königin umwölkte sich. „Warum ziehen sich Prälaten
und Lehensmänner auf ihre Besitzungen zurück, anstatt bei Hof zu
dienen? Ist man schon ruhebedürftig? Satt der Lorbeeren? Mißtraut man
uns? Will man sich in der Einsamkeit für einen Trotz stärken, den ich
schon gebrochen glaubte? Ist meine Geistlichkeit durch die Pragmatika
gekränkt, die ihr manches alte Recht nahm, das kein Recht uns schien?
Ich vermisse meine Domherren von Toledo, den Bischof von Jaen und
manchen andern. Fühlen sie sich bei ihren Weibern wohl? Man bessere es
und lerne nicht allzuviel von den Mauren.“
Es waren schwer anklagende Worte im Munde einer Königin. Aber die
Granden waren die Sprache gewöhnt. Man nahm sich davon, soviel man
wollte, und das Leben ging seinen alten Gang weiter.
„Auch meine Ritter zürnen,“ fuhr die Königin fort. „Die Cortes
beschlossen bisher nur, was ihnen frommte. Wer beschließt, was dem
gemeinen Bauer not tut? Der königliche Rat ist die Ergänzung des
Willens der Cortes. Es kann nicht ein Stand alles heißen wollen. Ist
Spanien nicht glücklich? Mit blühendem Handel bedacht, geachtet in
aller Welt, bestrahlt vom Kriegsruhm, beneidet um die neuentdeckten
Länder, und nun auch bald -- so hoffen wir -- geeinigt in einem
Glauben? Was wollt ihr, Granden? Zürnt ihr unserm Wunsch nach
Schlichtheit in der Kleidung? Mögen sich die Mauren mit syrischem Tand
behängen, euch Christen ziemt die Schmucklosigkeit. Gebt den Altären
Schmuck und begnügt euch mit dem schwarzen Wams. Oder stoßt ihr euch
an der Maurensteuer? Sind auch die Kriege tot, die Mauren leben noch
und schielen nach der Berberei hinüber. Ihr seht die Gegenwart, wir die
Zukunft. Wir brauchen Geld für die Bekehrung, zum Schmuck der Altäre,
daß diese die Mauren locken, die des Schmucks gewohnt sind. Vor dem
Altar bricht der schöne Quell des Glaubens von selbst auf. Drum murrt
nicht, Granden. Sprecher, vor!“
Aus der kühl und stumm sitzenden Ritterschaft erhob sich der Herzog von
Osuna, ein gereifter Herr. Mit dem Stolz des selbstbewußten Untertans
trat er vor seine Könige. „Wir wollen nur, daß man in Hinkunft die
Cortes mehr zu Rate ziehe als bisher. Und dann noch eines, erhabne
Königin: Seid nachsichtig mit den Mauren, die unsre Güter bebauen. Sie
sind zum großen Teil bekehrt, doch unbelehrt. Ein verfänglich Wort,
eine Gebärde bringt sie in Verdacht des alten Glaubens. Wir verlieren
unsre besten Kräfte, denn fleißig, bedürfnislos und willig ist der
Maure, man muß ihn nur zu behandeln wissen. Wohl zwinge ich ihn nieder,
wenn er sich rührt. Doch der für uns in Frieden die Furchen in die Erde
zieht, den Boden wässert, die Seidenraupe züchtet, soll auch unsere
milde Hand zu spüren bekommen.“
Der König sah finster. „Ist mir doch, als spräche aus Euch ein Grande
von Aragonien. Es scheint, man nimmt bei seiner Sorge um das tägliche
Brot den Glauben allzu leicht.“
Der greise Erzbischof Talavera humpelte zum Thron. „O mein König, nicht
den Glauben nehmen wir leicht, doch leicht das ungewollte Straucheln
im neuen Glauben. Sie müssen erst gehen lernen im Christentum. Man
kann ein Kind nicht für jeden Fall auf den Boden, den es mit seinen
ungeschickten Beinchen tut, gleich züchtigen.“
„Wer wollte das!“ fuhr die Königin auf.
„Es ist geschehen,“ klagte Talavera. „Mit Drohungen drängt man die
Moriskos in die Kirche, in den Beichtstuhl, in die Prozessionen.“
„Man soll es abstellen,“ sagte der König unsicher. „Die Geschichte sage
nicht, daß nur Gewalt die Herzen bändigte.“
„O laßt mir Zeit, erhabne Königin, mir und den Mauren. Und darum --
fast schäme ich mich, zu bitten -- wenn es noch ungeschehen zu machen
-- o Gott, verwirrt ist mein Gemüt -- Ximenes -- wie ehre ich ihn! Er
wirkt Wunder in Toledo -- doch hier in Andalusien, auf fremdem Boden --
o überlegt es, große Königin, mein König!“
Isabella blickte besorgt auf den zitternden Greis, der in den Armen der
beiden Mönche hing. „Ximenes -- ist gerecht,“ sagte sie leise.
„Es gibt etwas, das größere Wunder übt als Gerechtigkeit: Güte, Gnade!“
„Sie sind Gottes Geschenke in Eurer Brust, Talavera. Aber ich weiß, daß
auch die Brust Ximenes’ solche Schätze birgt. Er wird sie nützen. Auch
kann ich mir den treuesten Diener nicht entfremden.“
„Besser einem Diener sich entfremden als einem ganzen Volk,“ rief
erregt Graf Orgaz, ein eifriger Maurenfreund, dazwischen.
Der König sprang auf. „Genug der Leidenschaft um eines bösen
Gegenstandes willen.“ Ein strafender Blick fiel auf den dreisten
Grafen. Wollte sich der alte Rittertrotz, kaum erst gezügelt, von der
Kette reißen? „Wie denkt Pater Leon darüber?“
Von den Sitzen des Klerus erhob sich ein junger Dominikaner. In den
schön durchgebildeten, scharfen Zügen lag die Härte des Eiferers,
die hohe Stirn drohte, und unter ihr glänzten dunkle Augen auf
bläulichweißem Grunde, Augen, deren Blickkraft die unheimliche Macht
des Magneten hatte. Mit der Gewalt dieser Augensprache allein schon
glaubte der Priester Seelen bannen zu können. Die kräftig gezogene
Lippe aber verriet den Unsegen sinnlicher Geister. Eisig klang seine
Stimme über die Versammlung hin: „Ein Franz von Assisi konnte mit
Sanftmut Gläubige stärken, doch Heiden bekehren konnte er nicht. Allzu
fern steht uns der Mekka-Prophet, als daß wir mit ihm Pakte schließen
könnten. Sein Ich trieb Mohammed in die Prophetenschaft hinein, nicht
der Geist Gottes. Er stiftete Gesetze, die seinem Wesen angenehm waren
und seinem Volk schmeichelten. Weil es eine Religion der Bequemlichkeit
ist, vermag sich der Maure so schwer von ihr zu scheiden, und nur mit
Strenge hält man seinen Geist an der Kette des neuen Glaubens, sonst
schüttelt er sie immer wieder ab. Christus hat gesagt: es wird ein
Hirt und eine Herde sein. Wer nicht in der geheimnisvollen Arche, die
da Kirche heißt, schwimmt, wird von den Gewässern der Sünde ergriffen.
Wir aber können keinen Menschen in der Sünde belassen. Unselig der, der
fremden Propheten zuneigt.“
Das religiöse Wort fuhr mächtig in die Seelen der Granden. Um Christi
willen konnte man nichts Besseres tun, als die Leugner des Gottessohns
hassen. Das Mitleid schwieg, da dieses Heilswort, posaunenartig aus
eines Priesters Brust gestoßen, tief ins Herz sank. Und die Furcht vor
der Inquisition machte vor den Herzen der Granden nicht halt. Nur der
Herzog von Osuna und der Graf von Orgaz verurteilten innerlich das
Flammenwort des Dominikaners.
„Alles für den Glauben!“ stürmte jetzt der Herzog von Medina-Sidonia
seine tiefste Überzeugung hervor.
„Alles für den Glauben!“ riefen die Granden emporspringend.
Der Priestermund hatte das Ansehen der Kirche und der Könige
wiederhergestellt. Mit gehobener Brust empfingen die Herrscher den Rest
der Bittsteller.
Durch das lautlose Spalier der Edlen schritten Fernando und Isabella
Arm in Arm, gefolgt von den Geheimschreibern des Hofes, nach dem
maurischen Torbogen. Als sie durch die Vorhalle des Comaresturms
gingen, grüßte sie die von Fackeln beleuchtete Pracht des
Wasserbeckens, das die schimmernde, durchbrochene Stuckwand und die
Arkaden des Myrtenhofes widerspiegelte. Die Koransprüche an den Mauern
beirrten das Herz der Könige nicht. Das alles gehörte jetzt ihnen. Sie
hatten nicht den traurigen Ehrgeiz, Zertrümmerer der schönen Kunstbeute
zu heißen. Denn diese selbst zeugte für die Größe des Sieges, der
errungen worden war. Unter den rauschenden Fanfaren der Hornbläser
schritt das Königspaar in die Gemächer der Bäder hinab, wo in der Sala
de las Damas ein leichtes Abendessen bereit stand.
Sechstes Kapitel
Im Hofe des Ayscha-Hauses, dicht neben den Bädern, ergingen sich
zuwartend jene Männer, die für eine besondere Aussprache von den
Herrschern empfangen werden sollten.
Don Pedro de Solar Graf von Mora schritt mit dem Herzog von Osuna
erregt auf und ab. „Der König -- wirklich der König?“ fragte Mora
ungläubig.
„Ihr möchtet wohl lieber von der Königin empfangen sein?“ lächelte der
Herzog.
„Es ist eine Gnade ohnegleichen. Mich auszuwählen!“
Osuna senkte seine Stimme. „Man war heute ungnädig gegen uns.
Vielleicht will man es gutmachen.“
„Habt Ihr bemerkt, Herzog, wie der König sich erst meines Namens
entsinnen mußte? Mein Geschlecht, sagt man, gelte nicht viel in seinen
Augen. Mein Vater stand im Verdacht, allzu eifrig für die Cortes
gesprochen zu haben. Das vergißt Fernando nicht.“
Da trat ein Escudero mit einem Brieflein an den Grafen heran. Dieser
errötete. Der Herzog aber lächelte wieder. „Glücklicher Mann, der die
Gebete des Herzens wie ein Gott empfangen darf.“
Der Graf zerriß das Schreiben, kaum daß er es gelesen. „Es wiederholt
sich seit einer Woche jeden Tag. Ein Versegestammel arabischer
Gefühle auf gut spanisch. Und der Page ist schweigsam wie ein
Inquisitionsknecht. Sicherlich eine Hofdame mit einem Eulengesicht und
einem Entengang, sonst würde sie mehr Schleier gelüftet und weniger
Verse geschrieben haben.“
Der Herzog von Osuna wurde nachdenklich. „Seit einer Woche, sagt Ihr?“
„Es ist nichts Auffälliges daran.“
„Hm -- es ist ebenso lange her, daß die neue Hofdame der Königin,
Leonore de Uceda, in Granada weilt.“
Don Pedro de Solar machte eine jähe Wendung. „Leonore? de Uceda?
Die Geliebte des Königs? Was sinnt Ihr, Herzog? Sie! Eine königliche
Umarmung preisgeben! Sie ist züchtig, scheint es. Sie wandte gestern
beim Ritt nach Gonsalvos Hause nicht den Blick vom Kopfputz der
Königin, dessen Obhut ihr anvertraut sein soll.“
Osuna lächelte abermals. „Die gespielte Tugend erhöht den Reiz der
Weiblichkeit. Und der höchste Reiz gewisser Damen ist nicht, Geliebte
eines Königs zu sein, sondern trotz dieser Gebundenheit einen Mann
lieben zu können. Den König besitzt sie, den andern aber liebt sie.
Frauen machen da Unterschiede. Und Ritter auch. Es wäre doch nicht
befremdlich, wenn sich eine Hofdame der Anbetung eines Ritters erfreuen
würde. Wir hätten Granada nicht erobert, wenn es nicht soviele
verliebte Ritter gegeben hätte, die ihrer Dame zuliebe tapfer sein
wollten.“
„Alles gut, Herzog -- aber eine Uceda! Und gerade mich?!“
„Graf de Mora wird so lange den Spröden spielen, bis die Frauen es satt
bekommen werden, ihm Briefe zu schreiben. Oder ist der Kostverächter
nur Maske? Habt Ihr insgeheim ein Seidenbettlein für ruhebedürftige
Damen bereit?“
„Krieg und Abenteuer gelten mir mehr als Frauenseufzer,“ sagte kühl der
Graf.
„Die Narbe auf Eurer Stirn ist ein besser Zeichen der Tapferkeit als
das Kreuz auf Eurer Brust. Und die Fahrt nach den Kanarischen Inseln
war ein gewagtes Stück.“
„Mein Blut ist rasch, die Fremde lockt mich bald. Ich will nach dem
meerblauen Westen. Der Mauren Kampf lockt mich nicht mehr.“
„Ihr kennt Kolumbus?“
„Ich lernte ihn kennen, als er zu Gast war im Dominikanerkloster in
Salamanca.“
„Ihr wart in Salamanca?“
„Ich holte mir auf der hohen Schule Weisheit und Freunde --“
„Man sieht’s bei jedem Schritt; Hernando de Rojas, der Schalk und
Weisheitskrämer hängt Euch an, er, der die Celestina schrieb, von der
ganz Kastilien spricht.“
„Er ist seit Tagen bei mir, ganz recht.“
Sie wurden unterbrochen. Der Geheimschreiber des Königs rief Don Pedro
de Solar zum Herrscher.
Der kühle, mit reichen Arabesken verzierte Gang zu den maurischen
Bädern war voll von Hofdienern. Mit Ehrfurcht verbeugte man sich vor
dem schlanken Ritter.
Bei einem der Gemächer am Gang war die Tür offen. Don Pedro warf einen
Blick hinein. Eine junge Dame im schwarzbenetzten gelben Damast,
das baskische blonde Haar hochgetürmt, den schleppenden Mantel um
die Schulter geworfen, trat eben heraus und an ihm vorbei. Der Graf
grüßte ernst, denn er hatte sie erkannt: Leonore de Uceda. Sie also?
Die Geliebte des Königs? Des alternden Mannes, der das Frauenspiel
nicht lassen konnte? Vier natürliche Kinder versorgte der König mit
einträglichen Ehrenstellen, aber er hatte am Ende noch viele Ämter zu
besetzen, und Leonore de Uceda war einer Sünde wert.
Fernando erwartete den Grafen allein in seinem Zimmer. Wieder flimmerte
es von den Wänden: farbiger Stuck, Inschriften, Pflanzenornamente
und Arabesken. Wie in einer Tropfsteingrotte hing von der Decke
ein durchbrochenes Pendentif herab. Eine köstliche Kühle, von
unterirdischen Wasseradern erzeugt, strich durch die Luft.
Der Graf küßte nach strengem Zeremoniell dem König die Hand. Dieser
stand vor einem mit Schriften beladnen Tisch. Kein Laut drang in
diese Zelle, in der wohl einst Kalifenfrauen ihre nackten Glieder
in kostbaren Spiegeln beschauten. Diese Stille ängstigte für einen
Augenblick den königlichen Hauptmann. Doch der König zerbrach schnell
die Bangigkeit des Grafen. „Wirklich ins neue Land?“
„Es ist mein Traum,“ erwiderte Mora.
„Ihr solltet es bedenken. Die neue Christenheit, die sich aus dem
Islam gebiert, braucht nicht nur Mönche, sondern auch Ritter, die sie
leiten. Graf Tendilla ist müde, wir denken an einen Ersatz --“
Don Pedro de Solar verneigte sich verwirrt. „O mein gnädiger König!“
„Doch -- Ihr seid -- unbeweibt. Ihr solltet Euern Haushalt erweitern
und ihm eine holde Führung geben. Man sagt, Ihr liebt die Frauen nicht.“
„Ich ging bis jetzt an ihnen vorbei,“ sagte Graf de Mora verlegen. „Sie
gaben mir nur Blicke, keine Seele.“
„Ob Ihr auch nur versucht habt, in eine hineinzublicken?“
„Und dann“ -- der Graf errötete --, „ich bin, was Schönheit angeht,
verwöhnt. Ich habe eine schöne Mutter.“
„Wieviel größer wäre die Freude, auch eine schöne Gattin zu umarmen.
Und darum denke ich ernstlich, Euch auszuzeichnen. Ich möchte Euch
glücklich wissen in der Hut des schönsten Weibes, das meine Augen
sahen. Kennt Ihr -- Leonore de Uceda?“
Don Pedro de Solar fühlte einen Schlag auf seiner Stirn. Stand er in
einem Traum? Wirbelten nicht im Augenblick die Arabesken um ihn, als
hätte sie eine Zauberhand in Bewegung gesetzt? Wie konnte der König ihm
diese Schmach --? Ein Weib aus des Königs Lustbett? Seiner Reinheit
anvertraut als Geschenk?! Über sein Antlitz zog Leichenblässe. „Was --
habe ich getan -- daß man mich -- so zu -- ehren sucht?“
„Ein Kriegsmann wird doch auch in den Armen eines schönen Weibes nicht
kapitulieren,“ lächelte der König kaum merklich.
„Ich kann dieses -- Geschenk nicht annehmen.“
„Es ist die Gnade Eures Königs.“ Der König sah wieder ernst.
„Die Sonne der Gnade verliert ihren Schein,“ erkühnte sich der Graf zu
sagen, „und es ist nicht alles heilig, was ein König berührt.“
„Verwegener!“ Der König erblaßte und griff nach der Tischkante. „Ihr
verschmäht -- was -- ich geliebt?!“
„Wie könnte es den erhabenen Ehestifter beglücken, zwei Herzen
zugleich unglücklich zu machen? Doña Leonore würde an mir eine
Enttäuschung erleben.“
Ungnade verdüsterte die Züge des Herrschers. Er wollte Worte sammeln,
die den dreisten Granden zerschmettern sollten, aber er besann sich.
Vielleicht daß eine menschliche Erwägung den Ritter gefügiger machen
würde. „Ihr habt mir weh getan,“ sagte er leise, „und einer andern
auch. Doña Leonore de Uceda wollte nicht durch meinen Willen an Euer
Herz geschmiedet werden, sie selbst bat mich, ihr diesen, gerade diesen
Mann zu schenken. Hört Ihr, Graf? Ein liebend Weib warb um einen Mann,
der ihr Herz bezaubert auf den ersten Blick. Eure Weigerung wird an ein
empörtes Frauenherz greifen. Ihr seid an den Frauen vorbeigegangen,
so wißt Ihr auch nichts vom beleidigten Stolz. Doña Leonore hat ihren
König geliebt --“
„So meine ich, das sei Grund genug, in dieser Liebe zu beharren,“ sagte
Graf de Mora.
Der König wurde weich. „Schön gedacht -- doch das Leben fordert
Entsagungen. Wenn ich mich nun meines Innersten entäußere, so schätzt
die Ehre, die Euch zuteil wird. Wenn Ihr plaudert, seid Ihr verloren.
Ich habe eine Königin, ein herrliches Weib, ein gutes Weib, erfahren
und geschickt, staatsmännisch klug und beim Volk beliebt. Ritter
opferten ihr Leben für sie -- und dennoch -- ich habe neben ihr noch
andere geliebt. Ich altere und möchte das Sündenleben abgeschlossen
sehen um meiner Königin willen, möchte Gewesenes vergessen sein lassen.
Doch will ich nicht dabei verletzen, will erheben, will den schönen
Schatz nicht in Klostermauern begraben, sondern ans Herz eines Mannes
betten, der Mitwisser meines Leids geworden, aber zugleich Erlöser sein
kann. Eures Königs Schuld liegt vor Euch. Ihr habt in einem -- darf ich
sagen seligen? -- Augenblick ein Bild gesehen, das sonst Sterblichen
verwehrt ist. Euer König hat sich eines Gefühls begeben, er hat Wunden
aufgerissen, die ihn schmerzten. Habt Ihr, Graf, jetzt noch den Mut,
Euern Ehrgeiz höher zu stellen als Eure Herzenspflicht?“ Der König sah
den Granden durchdringend an.
Don Pedro de Solar sah zu Boden. Er ward zum Zeugen königlicher Reue
gemacht. Doch in der Schwäche seines Herrn wurde er selbst stark. Er
stand als der Tugendhaftere und deshalb Beneidete vor ihm. Durfte er
sich also erniedrigen und eine Hand erfassen, die trotz der Königsliebe
unrein war? Die weggeworfene Frucht, wenn sie auch einen König
erfrischt hatte, als eine unversehrte hinnehmen? Durfte er Tröster
eines weiblichen Herzens werden, das seine Weiblichkeit zerbrochen?
Kein Kuß mehr wusch die Schmach der königlichen Umarmung weg. Es
gab freilich Beispiele aus des Königs Pedro Zeiten, den Spanien den
Grausamen hieß, Beispiele, die dem Ritter alle Bedenken zerstreuen
konnten, Beispiele ähnlicher Händel, die doch nicht entwürdigt und die
Händler sogar vor aller Welt ausgezeichnet hatten. Aber wer sicherte
sie vor dem Fluch der Nachwelt? Und was galten sie vor dem Stolz des
kastilischen Edelmannes? Der Graf besann sich nicht lang. „Ihr wollt
verschenken, was neben der Königin Euch am teuersten war? Darf ich
wagen, Euch zu bitten, Königliche Hoheit, einen andern zu beglücken?“
Des Königs Blick schoß Zorn auf den Ritter. „Und wenn ich Euch zwänge?“
„So müßte ich der Welt wissen lassen, wie sich der König seiner
Ritter bedient, um Liebesschulden aus seinem Leben zu tilgen. O meine
Königliche Hoheit, ich fühle die Bedrängnis dieses hohen Herzens, doch
-- Ihr könnt keinen Ungeschickteren wählen. Ich bin hart, streng,
versteh es nicht, auf den weichen Saiten einer Frauenseele zu spielen,
mein Sinn ist unstet, drängt nach Mannestat. Ich schwöre es, keinem
Menschen anzudeuten, was diese Stunde mir geoffenbart.“
„Bei Gott und Santiago -- das traf!“ sagte der König klanglos. „Doña
Leonore wird das Herz brechen.“
„Sie weiß -- von dieser Stunde --?“
Fernando nickte.
„O Gott -- die Briefe -- Verse --?“
Abermals nickte der König. „Behandelt sie mit größter Achtung, wenn Ihr
jetzt zu ihr geht.“
„Ich soll --?“ erschrak Don Pedro de Solar.
„Dies wenigstens werdet Ihr mir nicht versagen,“ bat der König ernst.
Er wies nach einer kleinen Tür. „Hier kommt Ihr auf einen andern
Korridor. Im ersten Zimmer rechts wartet jemand auf Euch, der Euch
die andre Hälfte dieses Apfels weisen wird.“ Der König nahm von einer
Fruchtschale die Hälfte eines rotbackigen Apfels. „Es ist ein Zeichen
des Verständnisses.“
„Der Gang ist schwer für mich. Doch mein König befiehlt.“ Der Graf
verneigte sich und ging. An der Tür hielt ihn der König auf. „Noch
eins: Ihr dürft nach Hispaniola segeln.“
„Oh, wie soll ich danken -- die unverdiente Gnade --“
„Es ist nur Vorsicht, nicht Gnade. Wir wollen nicht gern dem Menschen
in die Augen sehen, der uns schwach erkannt. Geht.“
Don Pedro de Solar stand in einem kleinen Korridor. Er überlegte.
Sollte er wirklich mit dem Weibe fertig werden, das so seltsam um ihn
warb? Aber er sah ein, daß es ihm ziemte, der Dame, die er verschmäht,
Gründe anzugeben, ohne sie zu beleidigen. Doña Leonore hatte Anspruch
auf dieselbe Wahrheit, wie sie der König bekommen hatte. Mit klopfendem
Herzen näherte er sich der Tür, die halb offen stand. Er wurde also
erwartet. Im nächsten Augenblick rieselten ihm süße Schauer durchs Mark.
Siebentes Kapitel
Der Graf neigte sein Haupt vor dem Antlitz der schönsten Sünderin.
Wieder stand er inmitten dieses sinnverwirrenden maurischen Mosaiks,
aus dem der Duft weicher Frauenkörper, der Liebesatem schwelgerischer
Favoritinnen zu gehen schien. Dieses System von buntfarbigen
Ornamentnetzen war wie eine Falle, in der sich Liebende verfangen
sollten. Dazu stimmte auch das geheimnisvolle Licht, das aus
mattgläsernen Kugeln aus der Decke brach, und das lebende Bild, das der
Graf jetzt mit den Augen trank.
Doña Leonore de Uceda lag mit gespielter Lässigkeit im Polstergestühl
hingestreckt. Sie hatte nicht die dunkle Schönheit andalusischer
Frauen mit dem kelto-iberischen Einschlag, wie man sie in den Straßen
Granadas bewundern konnte. Es überwog in ihr entweder gotisches oder
baskisches Blut, das der Haut eine hellere Färbung, dem Haar die
goldene Blondheit verlieh, die so seltsam von dem dunklen Reiz der
Spanierin abstach. Und doch erinnerte wieder der Gesichtsschnitt und
das Feuer in den tiefschwarzen Augen an die Eigenart der Malagueña,
die hohe elfenbeinerne Stirn voll Stolz und Eigensinn an die
Andalusierin schlechtweg, während die etwas derb geschwungenen Lippen
die Sinnlichkeit der Morgenländerin zu verraten schienen. Auf jeden
Fall hatte die Gemischtheit des Blutes sie zu einem der reizvollsten
Geschöpfe gemacht.
Ein sinnbestrickender Duft strömte von ihr aus, doch weder Kohol
noch Henna waren auf ihrer Haut zu entdecken. Das Haar lag in einem
von Perlen durchflochtnen Netz gefangen, drang widerspenstig aus
den Maschen und ringelte sich über Stirn und Nacken. Rosen flammten
an den Schläfen, aber mehr noch brannten diese zwei unruhvollen
Augen, für die die spielenden seidenen Wimpern keinen Schutz bieten
konnten. Rätselhaft schien auch die Stirn, unter der ebenso Gedanken
heftiger Liebe wie Pläne tödlichen Hasses umgehen konnten. Über die
zarten Wölbungen der Brüste schwang Doña Leonore jetzt lässig den
goldgestickten Fächer und schob den Scharlachmantel über den Schultern
zurecht. Als sie die ernst gespannten Augen des Ritters sah, ahnte sie
Unheil.
„Don Pedro de Solar?“ Sie spielte frohes Erstaunen. „Ich bin verwirrt
-- in der Tat -- das hätte ich am wenigsten erwartet.“
„Es ist an mir, verwirrt zu sein,“ stammelte Graf de Mora.
Ihre Augen labten sich an dem Bild eines wahrhaftigen Mannes. Keine
dreißig Jahre gab sie ihm. Die Wohlgewachsenheit, das schwermütige
Auge, die edle Stirn, die festgeschlossenen Lippen und die stattliche
Haltung waren Eigenschaften, die ein liebebegieriges Weib entflammen
konnten. Sie addierte in Gedanken den reichen Haushalt hinzu, der in
Mora zurückgeblieben war, wo Don Pedros Mutter wirtschaftete, den
kleinen Hofstaat von Offizianten, Kaplänen, Rechtsfreunden, Sekretären
und Hausmeistern, und dies alles zusammen gab eine kostbare Zukunft und
verschönte die äußere Stattlichkeit des Ritters. Und für diesen Mann
sollte das Wort Frau nicht geschaffen sein? Das Gerücht machte ihn noch
fesselnder.
„Don Pedro, es ist das erstemal, daß ich Euch unter vier Augen spreche.
Ihr gabt mir bisher nur Worte förmlicher Höflichkeit. Ich gestehe, ich
möchte von Euch anders behandelt werden.“ Sie ließ ihre Augen spielen,
deren gefährliche Wirkung sie wohl kannte.
„Und -- wie wollt Ihr -- behandelt werden?“ fragte Mora, langsam zu
sich kommend.
„Ihr seid bei Frauen ungeübt, erzählt man sich. Aber man sagt auch, daß
sich Euch Frauen ohne Gefahr nähern dürfen. Denn Ihr liebt nur eine an
Eurer Seite: die Tizonada des Cid, den Degen.“
„Es ist bei mir wirklich keine Gefahr,“ sagte der Graf befangen.
„Es ist Gefahr,“ widersprach sie mit Betonung. „Setzt Euch, Ritter.“
Aber der Graf blieb stehen. „Verzeiht, Doña Leonore, wer in Gefahr
ist, muß sich nicht häuslich niederlassen wollen. Ich bin bei Euch in
Gefahr.“
Sie sah mit einem bezaubernden Lächeln auf. „Wirklich? Und Ihr als
Kämpfer, Ritter, Soldat fürchtet sie? Ich dachte, Ihr schätzt mich als
Freundin ein.“
„Seid Ihr mir’s wirklich, Doña Leonore?“ Er sah fest in die
verführerischen Augen.
„Was habt Ihr mir zu sagen?“ fragte sie aus einer gespielten Unruhe
heraus.
„Habt Ihr mir nichts zu sagen?“ drängte sein Herz nach einem Ende, kaum
daß ein Anfang gemacht war.
„Nicht viel mehr, als daß ich Euch schätze, Graf.“
„Und dazu diese -- Apfelhälfte?“ Er wies auf die Fruchtschale.
Doña Leonore fuhr empor. Ihr Kleid rauschte, das Perlennetz klirrte,
Erregung strömte aus dem zitternden Körper. „Don Pedro -- versteht Ihr
so wenig, zart zu sein? Ich höre nicht gern unbesonnene Worte. Ihr wart
beim König.“
„So wißt Ihr alles.“
Ihr so leicht zum Spott geneigter Mund verzog sich launenhaft. „Und das
ist, was Ihr mir zu sagen habt?“
„Und daß sich der Mann glücklich schätzen müßte, der so viel Schönheit
sein eigen nennen soll.“
„Und das sagt Ihr mit einer Leichenbittermiene, die eine Frau zum Rasen
bringen müßte, wenn ihr viel daran gelegen wäre.“
„Nun denn -- ich beneide den -- König.“
Leonore de Uceda floh vor dieser Aufrichtigkeit in den dunkelsten
Winkel des Gemaches, wo das helle Muster einer maurischen Vase
schimmerte. Ihre Brust ging hoch. Einen Augenblick schwieg sie, dann
bebten ihre Lippen: „Ihr habt mir weh getan, Graf. Ich bewundere Eure
Verwegenheit. Wenn ich dies dem König sage, könnte es geschehen, daß
man die Wache ruft.“
„Der spanische Adel erfreut sich besonderer Freiheiten seit altersher.“
„Die aber nicht so weit gehen können, eine Dame zu verletzen.“
„Doña Leonore -- ich schätze Euch -- den König, aber ich kann nichts
tun, um Euch -- glücklich zu machen. Ihr wollt doch den Himmel
haben, wie schmerzlich wäre die Erkenntnis, daß Ihr Euch einer Hölle
verschrieben habt.“
Da barg Doña Leonore das Haupt an dem Rand der Vase. Durch ihren Leib
zuckte das erstickte Schluchzen des verletzten Stolzes.
Der Graf trat bestürzt heran. „O Doña Leonore -- es ist ein Unwürdiger,
um den Ihr weint. Eure Schönheit verdient bessere Bewahrer, als ich es
sein könnte.“
„Die Grausamkeit hätte ich in diesem Antlitz nie gelesen. Geht!“ Ihre
sinnlichen Lippen preßten sich beleidigt zusammen.
„Das Opfer ehre den Opfernden. Bringt es um Eurer selbst willen.“
„Tor! Diese Größe bei einer Liebenden vorauszusetzen! Ich liebe Euch!
Hört Ihr es? Und ich will nicht um meine Liebe betrogen sein.“ Sie
erhob das verweinte Gesicht. „Don Pedro, glaubt Ihr, daß verletzter
Stolz, beleidigte Ehre diese Stunde vergessen werden? O mein Traum,
genährt an dem Stolz des Mannes, der mir der begehrenswerteste schien!
Verwandelte Welt! Eine Frau muß schwärmen, wo sonst Männer vor ihr in
Entzücken gerieten und ein König um ihr Herz warb. Soll ich mich in den
Duft arabischer Spezereien hüllen, um Euch zu reizen? Soll ich Masken
der Gefallsucht aufsetzen? Mit billigen Worten spielen? Ich liebe
-- liebe Euch, Don Pedro! Da liegt mein Frauenstolz, Ihr könnt mich
verachten, aber Ihr könnt es nicht ändern.“
Der Graf war bestürzt über die Maßlosigkeit der Leidenschaft und der
Gebärde. Ihre Gestalt lag auf den Polstern des Diwans, das Kleid hatte
sich etwas verschoben, die nackten Schultern blühten wie Lilien hervor.
„Was soll ich tun, um diese Liebe in Euch zu ersticken?“
„Nie sollt Ihr das! Anfachen sollt Ihr sie mit dem Sturmhauch Eurer
Liebe! Ein dunkler Himmel lag für mich über Granada. Der König konnte
ihn nicht hellen. Ich hatte Euch gesehen, und ich las in Euren
Augen das Ärgste, was ein Weib in des Liebsten Augen lesen kann:
Gleichgültigkeit. Oh, wenn es wenigstens Stolz gewesen wäre! Nicht
einmal ein flüchtiger Sonnenschein war ich für Euch, meine Schönheit
blühte vergebens, mein Herz schlug in Wildheit, und Ihr rittet an mir
vorbei mit einem Blick, der Tote begrub. Vielleicht, sagte ich mir,
hat dieses abgemessene Betragen ein klügelnder Verstand geboren, nicht
das Herz. Er verstellt sich, ist nicht so, wie er sich gibt. Mir mit
solchem Hochmut zu begegnen! Das war nicht Gleichgültigkeit mehr, das
war Verachtung! Jeder Blick von Euch!“
„Gott weiß es, das war es nicht! Ihr tut mir unrecht. Man muß doch eine
Frau nicht verachten, die nicht zu lieben man das Unglück hat.“
Doña Leonore warf ihren Leib mit einem leisen Schrei zurück. „Da ist’s
heraus! Oh, daß diese Ehrlichkeit mir den Rest geben muß!“ Und sie
zog die Hand Don Pedros, der sich ihr gerührt genähert hatte, an ihre
Brust. „Nur diesen Abschied nicht, um aller Heiligen willen! Nicht
diesen erbarmungslosen Abschied! Mein Stolz könnte ihn nicht ertragen.
Verzeiht mir das kindliche Werben, meine Verse, mein Bitten beim König,
mich diesem, diesem Manne zu geben. Oh, ich hätte, da Ihr mein geworden
wäret, die Sünden der Vergangenheit mit einem unerschöpflichen Born von
Liebe getilgt. Aber das soll nicht sein. Ich hätte es Euch so leicht
gemacht, mich zu lieben. Nun müßt Ihr mich wahrlich verachten.“ Wie
heiße Lava ergoß es sich aus ihren Augen.
Don Pedro de Solar warf das innigste Mitleid zu ihren Füßen hin.
„O Gott -- verzeiht mir -- Eure Schönheit -- ich will -- gebt mir
Bedenkzeit --“
Sie fuhr beleidigt empor. „Ein Weib wie mich --? Nicht stürmen wollen?
Ich trage Euch die Liebe auf den Händen entgegen, und Ihr -- o begreift
Ihr nicht, daß dieses Bedenken eine Mißhandlung meines Herzens ist?
Diese Schmach richte der König!“
Der Graf sprang auf. „Ich komme von ihm. Er weiß alles.“
„Und er?“ Ihre Blicke durchstachen ihn.
„Ich darf nach Hispaniola segeln.“
Da senkte Doña Leonore das Haupt. „Das bricht meinen Stolz,“ sagte sie
leise, wie in Wehmut aufgelöst. „Ich ahne nun alles. Ihr liebt eine
andre.“
Der Graf schüttelte das Haupt. „Ich liebe kein Weib. Der Verdacht ist
begreiflich. Aber dann wäre es mir leicht, Euch auszuschlagen.“
„Was also gefällt Euch nicht an mir?“ Sie ließ mit wollüstigem
Begehren die Lippen halbgeöffnet spielen. Durch das Netz der Mantilla
schimmerte die wogende elfenbeinerne Haut.
„Ich bin für ein Weib nicht geschaffen. Und wenn Ihr der himmlische
Engel selbst wäret --“
„Und das sagt dieser, den die schenkende Natur mit allen Vorzügen
des Geistes und des Körpers gebildet! Quäler, besinne dich, ehe ich
mich entschließe, auf dich zu verzichten.“ Ihr Auge schillerte in
schwärzlichgrünen Lichtern, und der Graf mußte unwillkürlich an die
Schlange denken, die ihre Opfer vor dem Anfall bestarrt.
„Laßt die Zeit Helfer sein. In den nächsten Tagen schiffe ich mich ein
-- Hispaniola soll --“
„Unselig Land, das uns die Besten weglockt! Verflucht sei Kolumbus, der
uns Frauen arm macht!“
„Das Leben unter einer andern Sonne muß schön sein. Hier drückt die
Luft, zermürbt der soldatische Gehorsam den Menschen. Ich möchte aus
der Schule der Manneszucht endlich ins Leben selbst übergehen.“
„Leben ohne Frauenliebe?“ Ihr Wollustatem stöhnte leise zwischen den
Zähnen, und sie zerrte an der rosafarbenen Schleife über dem Busen.
„Vielleicht bleibt mir das kostbare Geschenk Liebe für eine Zeit
aufbewahrt, da ich es besser zu schätzen weiß.“
Verlangen und Scham kämpften in ihren letzten fordernden Blicken.
„Mein Blühen währt nicht ewig. Verwelkte Blumen wird ein Graf de Mora
nicht einmal mehr bemitleiden können, wenn er die Kraft nicht hat, die
blühenden zu lieben. Verflucht seien meine Reize, wenn sie so machtlos
sind.“ Sie sprang auf. „Ihr habt mich würdelos gesehen. Eine Frau
vergißt das nicht. Eure Augen waren die Zauberformel für mein Unglück,
aber ich werde diese Augen zu vergessen suchen. Weh Euch, wenn ich’s
nicht vermag oder wenn ich dahinter komme, daß Euch andre Gründe,
verschwiegenere, bestimmten -- Gründe des gebundenen Herzens --“
Graf de Mora lachte auf. „Dann kann ich sicher ruhen. Ich liebe kein
Weib. Bin ich entlassen?“
Ihre Augen wichen ihm aus. Aber sie gab den Kampf um ihn auf. Mora
wollte in einer Aufwallung zärtlichsten Mitleids ihre Hand ergreifen.
Sie entzog sie ihm. „Mögt Ihr nie bereuen, diese Stunde so geendet zu
haben. Lebt wohl!“
Hinter dem Grafen schloß sich die Tür. Leonore wankte nach einem
Sessel. Sie hatte das Gefühl eines fürchterlichen Erwachens. Sie, die
eines Königs Liebe besessen, hatte würdelos um eines Mannes Liebe
gerungen. Wo war ihr Stolz im chaotischen Sturm der Sinne geblieben?
Und doch fühlte sie, daß nur der innerliche Schrei des Tiers, das
Aufzucken wilder Mächte in ihr, die ererbte Begierde, die nach dem
Manne schlechtweg fieberte, diese Stunde herbeigeführt hatte. Der
unersättliche Trieb der Malagueñas loderte in ihr, der im Lande
sprichwörtlich war. Man sagte den Frauen aus Malaga nach, sie hätten
vom Meer die Wildheit und Wandelbarkeit gelernt. Doña Leonore empfand
es als eine Schmach, daß dieser Ritter gegen sich und sie ankämpfte.
Dann blieb ihr nur eines mehr: zu hassen, wo sie nicht lieben konnte.
Es war der selbstverständliche Schluß ihres weiblichen Gefühls, den ihr
Verstand unterschrieb.
Sie ordnete ihr Haar, trocknete die verweinten Augen, salbte ihre
geröteten Wangen und wurde wieder eitel. Sie mußte zum König. Aber
sie mußte als Stümperin vor seine Augen treten. Der König hatte sich
in der Macht ihrer Reize verrechnet. Er würde sie wohl auf eine
andre Weise zärtlich verabschieden. Tröstungen der Einsamkeit --
die Franziskanerinnen von Santa Isabella haben schöne Gärten -- und
Kastanienwälder --. Sie schauerte zusammen. Und plötzlich überfiel sie
der Gedanke an den Mann, der einst ihre Kleinheit aus dem Schatten
zur Größe gehoben hatte: Pater Leon. Sie wollte den halbvergessenen
Dominikaner um die Entwirrung ihrer Liebesfrage angehen. Er hatte mehr
als ihr Herz in ihrem Leib gesehen. Und ihm verdankte sie die Nächte in
einem Königsbett.
Achtes Kapitel
Der Großkanzler von Spanien, Erzbischof von Toledo, Ximenes de
Cisneros, Beichtvater der Königin, ritt, begleitet von einer
Quadrilla der heiligen Hermandad, durch die farbenschillernden
Soldatenspaliere nach der Alhambra. Christen und Mauren standen in
den Gassen dichtgedrängt und gafften nach dem hagern, kahlschädeligen
Franziskaner, den die Königin nach Granada gerufen hatte, um die
Bekehrung der Irrgläubigen schneller zu bewirken.
Die fanatisch streng gespannten Augen des Greises, von silberweißen
Brauen fein überbuscht, belauerten die Menge am Weg. Das längliche,
aszetisch magere Gesicht mit der vorgewölbten Oberlippe erwärmte kein
freundlicher Zug. Die gestreckte Nase hob die Schmalheit der Wangen,
und seine gedrückte Haltung auf dem Pferd gab seiner Erscheinung nichts
Vornehmes. Aber von der Stirn leuchtete das Zeichen des Geistes. In
klösterlicher Kasteiung erzogen, an Bußübungen gewöhnt, kannte er das
Wort Duldung nicht. Wie hätte er in seinem neuen Amt Mäßigung lernen
sollen?
Von psalmensingenden Mönchen empfangen, von den Granden mißtrauisch
betrachtet, von den Mauren mit finstern Blicken begrüßt, ritt er
durch die Menge. In der Alcaiceria empfing ihn Talavera, umgeben von
Moriskos, die sich wie Küchlein um ihn scharten.
Bei einer Basarwölbung stand Abu Atir mit den Beni Mossad. In ihren
blauen Milajets, den maurischen Überwürfen über den Burnussen,
schimmerten sie aus dem Gewoge wie festlich geschmückte Säulen. Des
Imams Auge verdunkelte sich.
„Er reitet daher wie Isa in Jerusalem, vom Hosianna seiner Jünger
begrüßt. Aber der Prophet Isa war die Mildheit, diese Augen sind Bilder
einer andern Seele. Gott, dessen Name Friede und Erbarmen ist, möge uns
Wege der Beredung zeigen.“
Im Myrtenhof schritt ihm das Königspaar entgegen. Es war ein großer
Augenblick. Drei unerbittliche Kämpfer für das Christentum standen
zwischen den ehernen Zeugen arabischer Religion, die in ihren
Koransprüchen denselben Gott lobte wie die Christen.
Aus dem Gefolge des Königs trat ein vornehmer Morisko aus dem
Edelgeschlecht der Zegri. Ximenes drückte ihm die Hand. „Ihr fühlt Euch
wohl in unserm Glauben?“
„Ich danke der Stunde, die mich ihn kennen ließ,“ sagte der stattliche
Maure.
„Wer bekehrte Euch?“
„Der Vikar Pater Leon. Es ist wahr, sein Wort war hart. Wenn Eure
Ehrwürdigkeit mehr solcher Löwen auf die Mauren loslassen würde, sie
würden sich bald besinnen. Ich wehrte mich zuerst wie die andern. Aber
eines Nachts stieg Gott selbst im Traum zu mir herab und hielt mir den
Gekreuzigten vor die Lippen. Da wußte ich, in wessen Hut ich stand.
Und ich ging zum großen Kapitän Gonsalvo, und der sah mir ins Auge und
sprach: ‚Christ!‘ Und mir traten die Tränen in die Augen.“
Fernando lächelte in sich hinein. Er wußte, daß dieser Heuchler mit
schwerem Gold für das Christentum gewonnen worden war, um andere mit
sich zu ziehen.
Ximenes aber sprach so mild er konnte: „Sorgt für das Fortblühen der
Lehre durch die Erweckung neuer Freunde des Herrn.“
Die Königin führte den Primas in den Saal der Gerechtigkeit,
der den Löwenhof wie eine Grotte abschloß, von deren Decke die
Tropfsteingebilde nach wunderbaren Gesetzen herabhingen. Ein
Farbengewoge umgab den Hohenpriester. Aus den hellerleuchteten
Seitenhallen brach das Flimmern der Azulejos, der bemalten
Stuckornamente und der Bogennischen unter den kunstvoll verschlungenen
Pflanzenmustern. Der Blick konnte keine einzige Form ruhevoll genießen,
überall überfiel ihn sinnverwirrend die Üppigkeit der Phantasie in
dem reichen Strömen wechselnder Farben und Zeichnungen. Ximenes’
Aszetengeist fühlte sich unbehaglich in diesem Spiel beweglicher
Einbildungskräfte. In der Franziskanerzelle, in der Waldklause von
Castañar, wo Klostersuppe, Fasten, hartes Lager, ein Holzscheit unter
dem Kopf, die Geißel zur Seite, das härene Gewand am bloßen Leibe das
Um und Auf seines Lebens bildeten, hatte er nie die spielerische Kunst
maurischer Baumeister genießen können. War es nicht frevelhaft, mit dem
irdischen Prunk Gott preisen zu wollen? Mit Koransprüchen in Goldfarben
die Räume zu schmücken, in denen die Sünden der genußsüchtigen Kalifen
ihre Hekatomben dem Satan opferten? Wo blieb inmitten wirbelnder Sinne
der Sinn? Diese Religion war des Staubes wert, in den sie langsam
zerfiel.
Das Gefolge wurde verabschiedet. Das Königspaar saß unter den seltsamen
Bildern, die Zeugnis davon gaben, daß sich die Kalifen um Mohammeds
Bilderverbot ebensowenig zu kümmern schienen wie um das Weinverbot.
Skrupellos übersprangen sie die eigene Lehre.
Ximenes setzte sich auf den Hochsitz an einem der Bogen. Er war mit den
Königen allein.
Fernando war verstimmt. Er dachte an die mißlungene Verkupplung seiner
geliebten Leonore.
Isabella aber lächelte. Ihr strenger Sinn stand unter dem Einfluß
des Primas, von dem sie sich seelisch versorgt fühlte. Sein Wille
entzündete den ihren. Ximenes beherrschte sie und den König durch
den Nimbus seiner göttlichen Berufenheit. Der König von Spanien hieß
eigentlich Ximenes de Cisneros. Der einfache Eremit von einst war nur
auf Bitten der Könige ein prunkvoll auftretender Kirchenfürst geworden,
der aber auch jetzt noch unter dem Ornat die Franziskanerkutte trug.
Ein Wehgefühl trübte seine väterliche Liebe zur Königin. Er hatte
erfahren, daß der Schmuck der reinen christlichen Abstammung im
Königshause seinen Glanz getrübt hatte. Pedro der Grausame, ein Ahn der
Königin Isabella, sollte ein jüdisches untergeschobenes Kind sein. Wer
sollte die Wahrheit des Gerüchtes noch jetzt ergründen können? Aber es
nagte an dem fanatischen Priesterherzen.
Die Königin wurde traurig, als sie jetzt von ihrem Mutterleid sprach.
Vor drei Jahren war ihre eigene Mutter gestorben, vor zwei Jahren der
einzige Sohn, vor einem Jahr die geliebte Tochter, und nun trauerte
sie um das schwankende Eheglück einer andern Tochter, die an einen
Habsburger Prinzen verheiratet war.
„Ihr seid stark geblieben im Leid,“ tröstete sie Ximenes. „Eure Taten
beweisen es. Spanien ist glücklich und steht im Mittagsstrahl seiner
Sonne. Und Ihr, mein König, seid Mitbegründer dieses Glücks, trotz
Eurer Feinde.“
Fernando verzog keine Miene. „Ich hatte Glück, drum schuf ich Glück.
Ich gestehe es, ich fürchte meines Feldherrn Gonsalvo allzu heftigen
Tatendrang. Wenn er eines Tages seine Kraft gegen seinen König
brauchte? Der Herzog von Najera, der Marques de Villena, sie hassen den
Aragonier in mir. Und gestern wagte es der Herzog von Osuna, die Mauren
zu verteidigen.“
Ximenes lächelte. „Der Adel ist besorgt um seine maurischen Bauern. Und
sie haben einen milden Anwalt in Talavera. Dieser meinte, maurische
Taten und christlicher Glaube erst könnten zusammen einen ganzen
Spanier ausmachen. Doch warum soll der Fleiß uns nicht erhalten
bleiben, wenn der Maure den Glauben wechselt?“ Er dämpfte die Stimme.
„Allein die Könige wissen, wir haben gegen Adel und Irrgläubige einen
trefflichen Helfer: die Inquisition. Versagt die Königskraft, bleibt
die der Kirche. Gebt uns Bewegungsfreiheit, daß die Bekehrung rascher
vor sich gehen könne. Vor allem aber: hat man den Staatsmann oder den
Mönch Ximenes hierher berufen?“
„Beides,“ sagte die Königin.
„Dann antworten Euch beide: das Joch der Mauren ist zu leicht.
Talavera, Graf Tendilla, Gonsalvo, sie alle sind zu nachgiebig. Wir
brauchen strenge Richter wie Leon. Noch stehen allzu viele Mauren
außerhalb unseres Glaubens.“
„Und die, die drinnen stehen, sind keine wahrhaftigen Christen. Ihr
könnt sie nicht dazu zwingen.“ Der König sprach entschieden, als wäre
daran nichts zu ändern.
„Könige können zwingen,“ widersprach der Kanzler.
Der königliche Widerstand schrumpfte unter der Wucht des Wortes
zusammen. Und die Königin beeilte sich zu sagen: „So geben wir Euch
Vollmacht. Ihr werdet sie nicht mißbrauchen.“
Ximenes dankte innig. „Ich habe den Großinquisitor Deza gesprochen.“
Wie staubige dicke Luft drückte der Name auf das Gemüt der Könige.
„Er hat mir Vollmachten erteilt. Es wäre wünschenswert, wenn die
königlichen Befugnisse sich mit seinen deckten.“
„Sie sollen es,“ sagte Isabella gefügig.
Ximenes stach mit zwingenden Blicken in das Herz der Regentin. „Noch
kennt Ihr die Vollmacht nicht. Aber es ist freilich oft besser, wenn
Könige über gewisse Dinge nicht viel erfahren, sie haben dann weniger
Verantwortung vor der Menschheit.“
„Und auch vor Gott?“ fragte der glaubensstarke Herrscher.
„Wir nehmen die Angst der Könige auf unser Gewissen.“
„Mit welchem Recht?“
„Mit dem Recht des Stärkern. Wir glauben so fest, im Namen unseres
Gottes zu handeln, daß kleinliche Bedenken unsere Handlungen
nicht beschränken können. Wir nehmen doch auch die Handlungen der
-- Inquisition auf unser Gewissen. Die sechstausend brennenden
Menschenfackeln des Torquemada, die zehntausend im Bildnis Verbrannten,
die hunderttausend sonstig bestraften Christen -- das sind Zahlen, die
Könige mit weltlichem Sinn nur schwer verantworten könnten. Anders
ist es, wenn das Gewissen der Könige unter der Vormundschaft der
gottgewollten katholischen Kirche steht. Welchen Reichtum verdankt
uns das königliche Haus! Die eingezogenen Güter der Maranen haben den
Kronschatz beträchtlich vermehrt. Könige brauchen Geld. Wir können es
nicht mehr den Kisten getaufter Juden entnehmen. Die Moriskos sind
einfältiger.“
Isabella legte erblassend die Hand aufs Herz. „Ist das Euer Ernst?“
„Ich sehe betroffene Mienen,“ sagte der Kanzler kühl. „Das schwankende
Gemüt der Einfältigen ist unser Feind und -- Freund. Fließt nicht
aus der strengen Ordnung reichlicher Gewinn in den Königsschatz?
Ein Fünftel des eingezogenen Gutes gehört den Königen. Wollen die
königlichen Hoheiten nur lässige Verwalter eines so schönen Vermögens
besitzen? Und was sagte einst Pater Albarca, als Kolumbus die
hispaniolischen Länder entdeckte? ‚Die Entdeckung neuer Länder war
Gottes Lohn an die Könige für die Unterjochung der Juden und Mauren.‘
Im selben Jahr, da wir Granada eroberten, entdeckte Kolumbus das neue
Reich für die Könige. Wunderbare Fügung Gottes! Sichtbarer konnte
sich der Himmel nicht offenbaren. Der Glaube des Kolumbus eroberte
Westindien. Soll der Glaube der Könige schwankender sein?“
Fernando spielte unruhig mit den Fingern. Der Gedanke an die
Bereicherung durch die Inquisition drängte alle sittlichen Bedenken in
den Hintergrund. Zum Überfluß deckte dieser Priester vor ihm mit seinem
Hirn die königlichen Gewissen. „Ihr versteht zu überzeugen,“ sagte er
mit schwerem Atem.
„Ich bekomme Vollmacht?“ Der Eifer des Primas suchte den Augenblick zu
erhaschen.
Der König nickte.
Ximenes atmete auf. „Wir brauchen noch vornehme Mauren zur Bekehrung.“
Fernando dachte nach. „Da sind die Abencerragen -- aber dem Boabdil zu
stark verpflichtet. Die Beni Mossad -- alle in hohen Ämtern, aber zu
strenge Mohammedaner. Dann wäre -- wie hieß er nur -- Leon sprach mir
von ihm -- er ist erst seit kurzem hier -- die Mauren verehren ihn wie
einen Santon, einen Heiligen.“
„Vielleicht ein Imam?“ fragte Ximenes.
Die Königin entsann sich des Mannes. „Ihr meint Abu Atir. Wenn er auf
der Straße geht, folgt ihm ein Schwarm gelehrter Mauren.“
„Ich muß ihn sprechen,“ sagte der Kanzler rasch. „Ein Moseswort zur
rechten Zeit öffnet einem Felsenquell den Weg.“ Dann besann er sich.
„Noch eines. Die allzu große Nähe eines Königs bei den Untertanen macht
leicht mitleidig und nachsichtig. Die Edikte, aus der Ferne gegeben,
werden von einem strengern Geist diktiert sein.“
„Ihr sollt sie von Sevilla empfangen,“ sagte der leicht beeinflußbare
König. „Wir reisen.“
Neuntes Kapitel
Mönche zogen durch Granada, trugen ein Marienbild, sangen dunkle
Psalmen und umräucherten das kunstlos verfertigte Abbild der heiligen
Jungfrau. Jedermann mußte es wissen: das Bild wurde auf der Silla del
Moro in der Nähe eines alten Palastes gefunden, und daher erschien
es gottgesegnet. Man ließ es sofort weihen und im feierlichen Umzug
nach der Alhambramoschee bringen, wo jetzt die großen Messen gelesen
wurden. Bald raunte man sich zu, das Bild habe Kranke geheilt, die am
Wege lagen, welchen die Prozession ging. Ein Wunderbild! lief es durch
die Gassen. Das Königspaar begleitete das Bild. Es war der letzte
feierliche Akt vor der Abreise nach Sevilla.
Die Sonne stand hoch. Der Staub warf Wolken um die Ornate der Priester.
Spitz klangen die Glöckchen der Meßknaben.
Der Graf de Mora führte seine gelben Lanzenreiter zu seiten der
Prozession. Die gaffenden Mauren bewunderten sein herrliches Pferd,
einen weitnüstrigen Renner mit dichtem Schweif. Und der Reiter, gleicht
er nicht dem Cid oder einem Palatin? Hinter den vergitterten Fenstern
starrt manch dunkles Auge und brennt manch heimlicher Wunsch.
Da stockt der Zug der hymnensingenden Kinder. Aus einer Nebengasse
Geschrei, Fliehen, Menschengewirr -- dann Hufegepolter. In die Menge
rast ein Pferd ohne Reiter. Knäuel -- schreiende Haufen -- starke
andalusische Arme bändigen das Tier.
Graf de Mora drängt plötzlich heran. „Wem gehört das Pferd?“
Die Mauren flüchten vor ihm. Einer zeigt in die Gasse, die nach dem
Albaycin ihr Loch öffnet. „Nashun! Nashun! Ein Unglück!“ geht es von
Mund zu Mund.
Ein Maure drängt sich aus dem Knäuel von Leibern, hinter welchem ledige
Pferde am Zügel gehalten werden. „Ein Mädchen stürzte vom Pferde, Sidi.“
„Wenn es nicht mehr ist!“ Der Graf will weiterreiten. Da öffnet sich
der Kreis der neugierigen Menschen, und der königliche Hauptmann sieht
ein reichgekleidetes Mädchen in der Maurentracht am Boden liegen,
daneben kniet ein bibelhaft ehrwürdiger Greis mit Samaritergebärden,
Männer und Frauen in Neugier zusammengeklumpt.
Eine Maurin! schießt der Haß durch des Grafen Gemüt. „Macht Platz!“
fordert er. Und er sieht nun das Weib näher an. Mit vorsichtiger Hand
zieht eben der Greis den Schleier von dem Gesicht, das bleich mit
geschlossenen Augen auf dem Arm einer Dienerin liegt.
„Meine Charka, mein Liebling -- sag’, daß du lebst -- öffne die Augen
-- lebe, lebe! Allah akbar! Gott ist groß! Lebe, lebe, meine Reija!“
Die Angst bröckelt sich von den Lippen des Alten. Und neben ihm heult
eine Sklavin.
Der Graf sitzt regungslos im Sattel. Das Gejammer rührt ihn nicht.
„Warum mußtet Ihr gerade jetzt ausreiten, da die Prozession geht?“
fragt Don Pedro de Solar. Wenn es nach mir ginge, denkt er hinzu, diese
Mauren müßten büschelweise ihre Haare lassen. Aber dabei wendet er
keinen Blick von dem braunbleichen Gesicht am Boden.
Der Greis deckt den Schleier sorgsam über die Wangen des Mädchens. Und
im nächsten Augenblick horcht sein Ohr an der Brust der Ohnmächtigen.
„Sie lebt!“ Es reißt seinen Oberleib auf, Freude strahlt in seinen
Augen. Sie lebt! Sie lebt! Die Burnusse fliegen hin und her.
„Wer ist der Greis?“ fragt Mora einen Mauren.
„Er gibt uns das Brot des Himmels, legt den Koran aus -- Abu Osmin Ben
Atir -- oh, daß du das nicht weißt, Sidi.“ Die Umstehenden schauen
verwundert. Nein, daß er so was nicht weiß!
Don Pedro de Solar wendet sein Pferd. Das also ist der Imam! Der
Glaubensnährer der Irrgläubigen! Und das junge Mädchen -- ein
Enkelkind? Eine Favoritin? Der Graf drängt sein Roß zur Prozession
zurück. Seine Gedanken versuchen sich in die Gesänge der Mönche
einzuweben. Aber der sonderbare Greis will ihm nicht aus dem Kopf.
Und das Mädchen --? Was kümmert ihn das alles? Er ruft seinen
Lieblingsheiligen, den Mann von Assisi, an. Gebetsbrocken fliegen von
seinen Lippen.
Langsam steigt der Zug die Gomeresgasse zur Alhambra hinauf. Hinter
Berberfeigen und Kaktushecken öffnet sich jetzt der Blick nach dem
Albaycin. Der Graf hält das Pferd an und blickt in das blendende
Häusergewirr der Terrassenstadt hinab. Gleich darauf setzt er mit einem
kräftigen Schenkeldruck das Roß wieder in Gang. Und dann versucht
er aus dem Gassenzickzack die Stelle herauszufinden, wo das Unglück
geschah. Ob sie wohl noch daliegt? huschte es durch die Gebete an den
Blumenheiligen. Welch ein Glück, einmal das unverhüllte Antlitz einer
Maurin -- pah! Sein Pferd bäumt sich unter dem Druck des Stachelsporns.
Dieser wilde Hauptmann stört die Weihe der Prozession. Selbst das
blumengeschmückte Bild der Jungfrau schwankt in der Luft hin und her,
als litte es an der Unruhe des Reiters in seiner Nähe.
Vor dem Tor der Gerechtigkeit empfing Ximenes das Bild mit dem
Allerheiligsten. Alle Glocken läuteten. Die Menge sank aufs Knie.
Des Grafen Gedanken lagen nicht unter dem Segen des Primas. Er spielte
mit dem Namen Agarenos, mit dem der Spanier die Mauren als Nachkommen
der Hagar bezeichnete. Ob wohl Hagar auch so schön --
Die Ministrantenglöcklein bimmelten. Die Leute erhoben sich. Don
Pedro de Solar hatte noch immer die Degenspitze zur Huldigung gesenkt.
Erst der Krach aus der Donnerbüchse auf dem Velaturm ließ ihn
zusammenschrecken.
Die feierliche Besitznahme des Wunderbildes war zu Ende. Der Graf
entließ seine Reiter und schritt in seine Behausung in der Torre de las
Damas in der Alhambra. Hier empfing ihn sein Lieblingsdiener Chispazo,
ein aufgeweckter Dörfler aus der Vega, und dieser schnallte ihm die
Rüstung ab.
Die harte Natur des Grafen paßte wenig in die Weichheit des kühlen
Raumes, der sich mit seinen Ajimezesfenstern gegen die grüne
Gartenpracht des Generalifes, des Lustschlosses der maurischen
Könige, und auf den Albaycin öffnete. Die flimmernden Stuckornamente
zauberten wollüstige Stimmungen hervor, die zu dem Weiberfeind im
grellen Gegensatz standen. Don Pedro de Solar wußte mit diesem Sinn
für schillernde Farben, verschlungene Linien und geometrische Figuren,
mit dieser Anhäufung von Bogen über Bogen, mit diesen spielerischen
Säulchenfenstern aus Jaspis und Marmor nichts Rechtes anzufangen. Ja,
er haßte diese üppig wuchernde Phantasie, die Männer umgeworfen und
ein ganzes Reich zerstört hatte. Der Mauren Geist unterwarf sich den
Sinnen, meinte er, und was diese wollten, gestaltete jener. Ihr Trumpf
war Genußsteigerung auf allen Gebieten der Lebensfreude, trotzdem
Mohammed seinen Jüngern Mäßigkeit und allerlei Verbote gegeben hatte.
Das Volk nahm von seiner Religion das, was ihm bequem war, und die
Kalifen waren die Vorbeter dieser Bequemlichkeit.
Der Graf ließ sich den Schweiß vom Leib reiben. Kühl wehte es von
den Mauern, während draußen die Sonne ihr Gold über Buschwerk und
südländische Gartenpracht warf. Das Generalife leuchtete mit seinem
Gemäuer wie Schnee aus der dunklen Zypressen- und Myrtenumrahmung. Der
Graf hatte kein Herz für den Gartentraum poetisch sinnender Emire, und
nur die Freude an Abenteuern steckte ihm vom Großvater her im Blut,
der einst auf maghrebischem Boden allerhand wilde Fahrten unternommen.
Das unverspottete Rittertum hatte es ihm angetan. Lanzenwerfen,
Armbrustschießen, Degenkreuzen, Rosse tummeln, Heilige beschützen --
das betrieb er mit der ernsten Seele des Kastiliers. Und solche Männer,
meinte er, brauchte das neue Land jenseits des Ozeans. Lieber heute als
morgen wollte er hinüber.
Morgen? Heute? -- In wenigen Tagen vielleicht -- oder auch --
Der Graf trat ans Fenster, das nach dem Albaycin sah. Einmal sollte
er doch wieder dort hinüberschauen, um die Marktverhältnisse zu
untersuchen. Man sprach von Übervorteilungen. Dann gingen Gerüchte,
daß Berber gekommen seien. Die afrikanischen Gäste liebte der Spanier
nicht. Sie erinnerten die Mauren allzusehr an schönere Zeiten.
Draußen tönte die helle Stimme seines Freundes Hernando de Rojas.
„Pedro, Pedro, ich hab’s!“ Der Lizentiat stürmte erregt herein.
„Was hast du?“
„Ich trank den Montillo in der Venta der schönen Hexe Dolores --“
„Das ist alles?“ fragte enttäuscht der Graf.
„Und da konnte ich die Inschrift entziffern.“
„Bei Santiago! Was meinst du für ein Ding?“
„Die westgotische Inschrift des Königs Witterich über die Erbauung
einer Kirche an der Mauer der Königsmoschee.“
„Wenn das die ganze Ausbeute deines Schenkenbesuches ist!“
„Den Kuß der braunen Dolores nicht zu vergessen. Ach, was weißt du
von dem Taumel, der die ganze Wissenschaft von Salamanca bis Upsala
ergreifen wird. Du bleibst kalt wie ein -- kastilischer Graf.“
Das leichte Geblüt, von der valencianischen Küste als Wiegengeschenk
erhalten, machte den jungen Gelehrten leicht zum Freund. Auch viele
Frauen liebten seinen Frohsinn, der alle Lebensschwere übersprang
wie ein Stierkämpfer die Arenawand. Mühelos wußte er sich den
Zufälligkeiten des Lebens anzupassen, nie trugen seine Feueraugen den
Schleier des Trübsinns, die helle Stimme polterte manchmal überlaut,
wenn sich de Rojas in einen Gegenstand verbiß. Er liebte die Künste
und hatte Sinn für maurische Vergangenheit, aber einen besondern Eifer
für Recht und Gerechtigkeit. Die Frauen behaupteten, daß ihm die
enganliegende grünseidene Jacke und die andalusischen Beinkleider mit
der Doppelreihe von Silberknöpfen an der Seite bis zu den Knien herab
besonders schön kleideten. Und Hernando hielt viel auf die Aussprüche
der Frauen, denn er liebte sie alle. Er hätte mit derselben Glut, die
noch aus den Studententagen von Salamanca stammte, Wikingerweiber wie
Indianerfrauen umarmt.
Hernando wickelte ein Holzschwert, dessen Schneide aus
Obsidiansplittern bestand, aus einer Leinenhülle. „Sieh -- aus
Westindien!“
Dem Grafen glänzte das Auge. „Das nenn’ ich Waffe. Wer brachte es mit?“
„Mein Freund Gomares, der aus Haiti kam. Aber er brachte auch böse
Nachricht. Des Kolumbus Widersacher sind am Werk. Er selbst dringt
von Land zu Land vor und kümmert sich nicht um die Mannschaften, die
die Orte besiedeln. Man rüstet in Bälde ein Schiff unter Francisco
de Bobadilla. Er soll Kolumbus beiseite drücken. Du kannst also
hinübersegeln und deinen Traum wahr machen.“
Don Pedro stand beim Fenster, die Augen nach dem Albaycin gespannt.
„Wenn Kolumbus fällt, mögen Könige selber Länder entdecken. Fernando
wird ihn vergessen, er vergißt überhaupt schnell Verdienste.“
„Du hast finstre Augen. Ist etwas vorgefallen?“
„Nichts.“ Der Graf bereute es jetzt, daß er sich so rasch die Zunge
binden ließ.
„Es gab viel Unruhe bei der Prozession, hörte ich.“
„Nichts von Bedeutung. Ja -- der Imam -- wie hieß er nur? -- Abu Atir,
glaube ich --“
De Rojas horchte auf. „Der bei Boabdil den Koran las? Er soll weiser
sein als der Bischof von Avilla. Ein weißhaariger Mohammedaner mit
einem Prophetenbart --“
„Er fiel vom Pferde -- doch nein -- nicht er -- sein Mädchen -- was
weiß ich --?“
Hernando hörte kaum zu. „Abu Atir! Das trifft sich gut. Er soll
mir Lieder sammeln helfen.“ Der Lizentiat breitete ein paar
arabisch beschriebene Blätter vor dem Grafen aus. „Romanzen aus der
Almohadenzeit. Ich hab’s übersetzt.“ Und er las mit der Genießerfreude
des Kenners eines jener sinnlich-schwülen Phantasiegebilde, die die
Kalifendichter ihrem Herrn auf den Teppich legten, wenn er schlecht
bei Laune war. Das Lied stammte von einem schwelgerischen Zecher, der
Mohammeds Verbot ein Schnippchen schlug. „Sie kam, vom Mantelsaum der
Nacht umhüllt, zu mir als Traumbild wie die Berggazelle. Von ihrem
Mund die Feuchte trank ich bald, und bald des süßen Weines goldene
Welle, bald küßt’ ich ihrer Wangen Abendrot, von ihren dunklen Haaren
überschattet. Am Stab des Orion schlich die Nacht schon altersgrauen
Hauptes und ermattet. Langwallenden Gewands mit blonden Locken kam dann
der Tag und lächelte voll Wonnen, in seines Mundes Zähne, die Jasminen,
verliebte nach dem Regen sich die Sonnen, in seinen Kleidern schwankten
duft’ge Sträucher und löschten ihren Durst in kühlen Flüssen, wir aber
brauchten Regen nicht, da Arm in Arm wir lagen unter Tränengüssen.“
Des Grafen Seele wußte mit dem klingenden Kleinod nichts anzufangen.
„Das mag für Kalifenohren taugen. Ich will Degenklirren hören. Hast du
so was in deiner Tasche?“
Hernando lachte auf. „Euer Gnaden haben zu befehlen.“ Er zog etwas
anderes ans Licht. Omajadenruhm erklang, überschwenglich und breit.
Kampflärm tobte und Christenschädel flogen rechts und links in
den Sand. Aber am Ende triumphierte doch ein edleres Gefühl: „Der
schlimmste Feind ergibt sich endlich ihrer Macht, doch übergroß nach
ihrem Sieg ist ihre Huld.“
„Sie prahlen immer, diese Agarenos,“ sagte der Graf geärgert. „Wer
Sieger ist, knechtet den Besiegten, immer -- immer. Die Huld ist
Dichterlüge.“
„Womit soll ich nun einen Übellaunigen erheitern? Mit
Inquisitionsurteilen? Mit der Nachricht, daß Ximenes maurische Bücher
verbrennen will? Darum habe ich den Schatz hierher gerettet.“
„Man sollte auch die Besitzer verbrennen, um das Gift ganz auszurotten.“
„Ob’s ohne Widerstand abgehen wird? Der Koran ist ihr Heiligstes.“
Don Pedro rührte sich nicht vom Fenster weg. Der Alcazar, die
Maurenburg, leuchtete herüber. „Ei, dort Feuer anzünden! Das ganze
Rattennest verbrennen!“ Er rief nach Chispazo.
Der flinke Bursche eilte herbei. „Weh mir!“
Hernando gab ihm einen Puff. „Was heulst du, Junge? Noch bevor ein
Unglück dich anschreit!“
„Weil ich ihm zuvorkommen will, dann wendet man es ab.“ Er zwinkerte
pfiffig.
„Wie du ausschaust! Dein Gesicht eine Stachelwildnis!“ zürnte der Graf.
„Nur damit sich kein Weib in meine Reize verfängt,“ lachte Chispazo.
„Du liebst die Weiber nicht?“ fragte Hernando.
„Alle, aber nicht eines. Wer viele Weiber liebt, braucht nicht Angst zu
haben, eine heiraten zu müssen. Und wer eine heiratet, liebt die Frauen
nicht mehr, die eigene mit inbegriffen.“
„Laß deine Fanfarronadas, Affe!“
„Nehmt sie für andalusisches Salz[1], Herr!“
[1] Damit bezeichnet man den andalusischen Witz des Volkes
Der Graf nahm den Schwätzer beim Ohr und zerrte ihn zu sich heran. „Du
gehst in den Albaycin -- was wollte ich sagen -- ja, in den Albaycin
und hältst dort Nachschau -- wie doch oft Gedanken entgleiten -- fragst
nach der Stimmung in den Häusern. Man sagt, die Inquisitionsurteile
seien schon durchgesickert.“
„Verlaßt Euch, Herr, auf mich. Ich weiß Geldmittel zu gebrauchen, wenn
sie die Euren sind. Ich will in die Häuser schleichen, ohne mich lästig
zu machen. Wann soll ich zurück sein?“
„Noch am Abend. Und so nebenbei fragst du --“ des Grafen Finger
spielten unruhig mit den Versblättern des Freundes -- „wo der Imam Abu
Atir wohnt.“
„Das muß ich mir erst buchstabenweise auf meine Gehirntafel schreiben,
sonst fällt es in ein Nichts. Abu -- das heißt Vater -- Atir -- also
Vater Atir -- hm, ich weiß nicht, ob man im Albaycin sämtliche Väter
kennen wird. Aber Atir wird doch wohl den richtigen Vater ausfindig
machen.“
„Ja -- und noch eines -- so ganz nebenbei fragst du auch -- nach dem
Mädchen, das heute vom Pferd gestürzt --“
Hernando horchte auf. „Ein Mädchen, sagst du?“
„Ich sprach doch vorhin davon, aber du warst in Hispaniola.“
De Rojas setzte sich rittlings auf den Stuhl. „Man muß es in die Welt
posaunen: Graf de Mora fragt nach einem gefallenen maurischen Mädchen.
Die Sterne gehen also von heute an verkehrt. Hat dich die Zauberin
Urganda verhext?“
„Zum Teufel mit dem Spott! Ich sah sie leblos liegen, vielleicht ist
sie tot.“
„Dann wäre ja dein Wunsch nach Ausrottung der Sippschaft mit einem
schönen Anfang gesegnet, und du könntest eine liebliche Leichenschau
halten.“
„Gut denn, Chispazo, du fragst nicht nach dem Mädchen. Aber wo Abu Atir
wohnt.“
Der Diener sprang davon. Don Pedro de Solar fühlte beim Fenster die
Pulse brennen. Und er hatte keinen aufregenden Wein getrunken. Tanzte
die Sonne aus ihrer Bahn?
„Was willst du vom Imam?“ fragte Hernando.
Der Graf wich aus: „Ximenes will ihm auf den Zahn fühlen. Er soll
großen Einfluß bei den Mauren haben. Wenn er klug ist, wechselt er den
Glauben.“
„Vielleicht besitzt er aber eine Tugend, die größer ist als Klugheit:
die Überzeugungstreue.“
„Dann wird Ximenes Mittel haben -- aber darüber mag er sich den Kopf
zerbrechen. Komm, die Küchenglocke! Graf Tendilla wartet nicht gern.“
„Dein Maurengrimm wächst sich zur Löwengröße aus. Das kann gefährlich
werden.“
„Sicherlich für die Mauren.“ Der Graf lachte mit blanken Zähnen.
„Vielleicht auch für dich,“ sagte Hernando mit merkwürdiger Betonung.
Zehntes Kapitel
In einem maurischen Palast auf der Bibarrambla arbeitete Ximenes
mit einem jungen Franziskanermönch Ruyz de Alcala an der religiösen
Umgestaltung des Maurentums. Auf einem Tisch lag neben dem reichen
Bekehrungsmaterial auch ein wohlgeordneter Anklagestoff in Form von
Schriften und Büchern. Der Vikar Pater Juan de Leon, das Haupt der
priesterlichen Gewalt in Granada, hatte mit Bienenfleiß Rückfallsklagen
gesammelt, und seine Familiares, die Schergen der Inquisition, sorgten
täglich für den Zuwachs an Opfern.
Die Kerzen brannten über stark schmelzenden Wachsklumpen. Ihr Geruch
mischte sich mit dem Moderduft des Patiogartens und legte sich süßlich
auf die Gaumenhaut.
Gestützt auf seine treuen Franziskaner, humpelte der Erzbischof
Talavera, von dem Dominikanervikar Leon begleitet, herein. Freundlich
begrüßte ihn der Primas. Dann reichte er dem Jünger des heiligen
Dominikus die Hand.
Das feurige Auge des wohlgewachsenen Vikars funkelte im Kerzenschein.
Dieses Auge, der grausam-sinnliche Neromund und die bis zur Nasenwurzel
geschlossenen dunklen Brauen verrieten Härte und Unbeugsamkeit.
Ximenes lud die Gäste ein, auf den Zederstühlen Platz zu nehmen. Der
verworrene Stimmenlärm vom Platz der Bibarrambla, auf den die Fenster
des Gemaches gingen, hörte sich wie ein aufgeregtes Meer an. Von Zeit
zu Zeit pfeilten laute Stimmen herauf, Kaufleute schrien ihre Waren aus
und der Ruf der Wache schaffte irgendwo Ordnung.
„Ein bewegliches Volk,“ lächelte Ximenes. „Es muß auf seine Weise
genommen werden.“ Er sah nach der Tür. „Pater Angelus!“ Ein alter
Franziskaner schob sich in die Türspalte. „Sorgt, daß niemand am Gange
sei.“ Der Mönch schloß unterwürfig die Tür.
„Kennt Ihr den Imam Abu Atir?“ fragte der Primas den Erzbischof.
Talavera verneinte. „Er muß wohl erst seit kurzem hier sein.“
Ximenes lächelte überlegen. „Muß man erst aus Toledo kommen, um seine
Vögel aufzustöbern? Man sagt, der Mann sei gelehrt. Bei solchen Leuten
müssen wir die Schaufel ansetzen. Im übrigen --“ Ximenes schien
ablenken zu wollen -- „die Moscheen müssen fallen.“
Talavera fühlte den Schlag niedersausen. „Bruder in Christo, überlegt
es wohl,“ zitterte seine heisre Greisenstimme.
Der Kanzler legte sich breit in den Stuhl zurück. „Ich treibe nicht
im uferlosen Meer des Glaubens, kenne nicht Sturm und Wellen auf der
Meerfahrt, denn meine Ufer heißen Glauben und Gott. Klar und getreu ist
meines Gebetes Inhalt: Glaubensverbreitung, wo Menschen atmen. Diese
Mauren sind ein leicht erregbares Volk, aber gerade darum für unsern
Glauben leicht zu gewinnen.“
„Da sprecht Ihr wahr,“ sagte Talavera froh darüber, daß er mit Ximenes
eines Sinnes sein konnte. „Und sie sind auch ein gutes Volk, darum auch
für die Güte empfänglich. Habt nur Geduld. Mit ihr könnt Ihr Kiesel in
Rubine verwandeln. Gelingt es heute nicht, gelingt es morgen. Schont
sie nach Möglichkeit und laßt ihnen die Moscheen.“
Der Primas furchte die Stirn. „Die Worte würden einem heiligen
Chrysologus Ehre machen. Doch es gibt Zeiten, wo Christus mit der
Geißel mehr notwendig ist als der sanfte Heiland, der Magdalenentränen
kühlt. Nicht wahr, Leon?“
Der Dominikaner nickte. Seine Lippen waren hochmütig verzogen. „Man
darf die Mauren nicht immer mit Rosinen füttern wollen, die sie so sehr
lieben.“
„Leon!“ warnte der Duldergeist Talaveras. „Eure Jugend kann in den
Mitteln irren.“
Ximenes legte dem greisen Gottesmann wohlwollend die Hand auf die
Schulter. „Verzeiht, Bruder in Christo, hier irrt einmal die Jugend
nicht. Entreißt man den Mauren die Glaubensstätte, dann hängt der
Glaube in der Luft. Ich habe Befehle gegeben, daß man die Kadis und
Imams davon verständigt, sie mögen den Koran in den +Häusern+
lesen.“
„Das verstößt gegen den Königsvertrag,“ entsetzte sich der Erzbischof.
„Der Eifer macht Euch Ehre, doch es geht um größere Dinge. Und
Verträge? Nehmt die Verträge, seit die Welt besteht -- ist auch ein
einziger noch zu Recht bestehend? Die katholischen Könige haben den
Mauren das Recht ihres Glaubens belassen, ihrer Sitte, ihrer Sprache,
ihrer eigenen Richter, mehr nicht. Es steht nicht geschrieben, daß wir
nicht in ihren Moscheen Gottesdienste halten könnten. Haben sie nicht
dazu ihre Hausmoscheen? Aber ihre Bücher sind Irrwerke. Es steht nicht
geschrieben, daß wir sie ihnen belassen müssen, und wir werden es
bedenken.“
Talavera zitterte am ganzen Leib. „Das -- wollt Ihr -- vor Gott
verantworten?“
„Seiner Ehrwürden scheint nicht wohl zu sein. Ich bitte Euch, Brüder,
führt ihn auf sein Zimmer, stärkt ihn und sorgt für Ruhe und frische
Luft. Es ist zu dumpfig hier.“
„O mir ist wohl,“ bebte Talavera. „Aber dieses fürchterliche Geschäft
--“ Er hob bittend die Hände auf. „Laßt ihnen Zeit -- o wie spät
bekehrte sich eine heilige Margareta, ein Augustinus, ein Saulus, ein
Simon. Und waren doch alle einst verlorene Schafe.“
„Genug davon.“ Ximenes stand mit kühl abweisender Gebärde auf. „Ich
höre Euch, wenn Ihr frischer im Gemüt seid.“
Tränenden Auges wankte der Hirte der Granadiner an den Armen seiner
Mönche davon. Abgetan! wimmerte es in seiner Seele.
Der Primas war erregt. Seine Nasenflügel flatterten, die Stirn war
bleich, die Adern darauf formten sich zu Wülsten. „Welch ein Aufruhr
in diesem einfältigen Gemüt! Behüte diesen Greis, Leon, und laß die
Achtung, die die Mauren vor ihm haben, nicht zu einer Woge werden, die
uns alle hinwegschwemmt. Du verstehst mich.“
Der Dominikaner nickte demütig.
„Sind die Listen aller Elches, der Renegaten, angelegt? Gut. Das
Königspaar ist abgereist, wir haben freie Hand.“ Ximenes besah die
Namen. „So viele Familienväter! Und nur um der Geschäfte willen
mohammedanisch geworden! Sie sollen es an den Kindern büßen. Die Listen
werden den Walis gegeben, sie sollen die Kinder der Elches ausheben und
den Pfarrern ausliefern zur christlichen Belehrung und Erziehung. Wer
sich widersetzt, dem droht Ihr mit Gefängnis. Laßt dabei die Glocken
läuten, damit die Erlösungstat feierlicher an die Herzen rühre. Du
lächelst, Bruder Leon?“
„Talavera hat die Mauren mit Geläute verwöhnt, Hochwürdigster. Es wird
nicht mehr viel Eindruck machen. Sie nennen den Erzbischof ihren Faki
campanero, den Glockenpriester.“
„So sollen sie stärkere Glocken zu hören bekommen,“ sagte Ximenes kalt.
„Der edle Zegri soll die Kinder der Elches in einer Schule sammeln
lassen. Salzedo, mein Hausmeister, soll mit Soldaten der Hermandad die
bezeichneten Häuser abgehen, und zwei Dominikaner fordern die Übergabe
der Kinder bis zum Alter von siebzehn Jahren. Eine Mutter, ihres Kindes
beraubt, wählt nicht lange. Dann nehmt die Taufe vor. Diese Kinder
sind Gottes und kehren nur zu Gott zurück. Die Pfarrer sollen die
Kinder sonntäglich am Abend versammeln und mit ihnen den englischen
Gruß beten. Sorgt, daß sie sich ordentlich bekreuzen. Dann aber --“
seine Stimme wurde warm -- „dann harret deiner ein Größeres. ~Suum
cuique!~ Der Großinquisitor Deza hat dich zum Hilfsinquisitor für
Granada ernannt.“
Die Würde ließ den Dominikanerpater taumeln. „Mir -- dieses Amt --?“
„Cordoba ist überlastet, man wird hier einen Sitz des heiligen
Tribunals errichten. Die Bestätigung der Urteile bleibt Cordoba, das
heißt Lucero vorbehalten.“ Er überreichte Leon den Anstellungsbrief,
worin enthalten war, daß Granada ihm allen Beistand in
Inquisitionssachen zu leisten habe und daß er das Recht zur Verhaftung
und Folter aller Verdächtigen besitze, auch sei jede Beleidigung des
Inquisitors und seiner Familiares streng zu bestrafen. Ximenes setzte
zum Schluß leise hinzu: „Gedenke der Kirche und ihrer Nöte und sei ein
fleißiger Arbeiter im Acker des Herrn.“
„~Operibus credite et non verbis~,“ antwortete der Vikar mit
gesenktem Haupt. Der neue Geist, der über ihn ausgegossen ward, löste
seinen ganzen Menschen auf.
„Sorge, daß du geschickte Vertraute wählst,“ mahnte Ximenes.
„Wir haben angesehene Ritter darunter und das abgefeimteste Gelichter,
das sich in den Schenken herumschlägt. Sie haben sich unter einem
Mayordomo zu einer Bruderschaft vereinigt, die Wert darauf legt, von
den Mauren gefürchtet zu werden.“
Da hörte man Lärm auf dem Platz. Die Geistlichen drängten zum Fenster.
Maurische Weiber, umringt von einem Haufen Volks, wehklagten und
schrien.
„Eine Handelsfrau, ich kenne sie,“ erklärte Leon. „Ihr Mann soll
vom Alguacil der Inquisition verhaftet werden. Es geht selten ohne
Widerstand ab. Ein Ketzer de levi, also leicht belastet. Es ist noch
keiner de vehementi[2] ergriffen worden. Seht, da schleppt man den Mann
heran, drüben hält der cordobanische Karren. Entfernt Euch, der Anblick
der verzweifelten Frau könnte Euch --“
[2] de levi = damit bezeichnete man ketzerische Vergehen leichterer
Natur, de vehementi solche schwererer Art.
„Ich bin Stärkeres gewohnt,“ wehrte Ximenes hart ab. „Sie kämpfen
schwer, diese kastilischen Alguaciles. Seht -- die Reiter des
Gobernadors drängen das Volk in die Gassen.“
Mönche zogen jetzt reihenweise über den Platz. Sie kamen von der
Verlesung der Inquisitionsedikte. Weiber drängten sich an sie heran und
versuchten, ihnen die Hände zu küssen.
Der alte Pförtner trat in das Zimmer. „Der Imam ist da.“
„Er möge kommen,“ sagte Ximenes, vom Fenster zurücktretend. Er stellte
für den seltnen Gast einen Stuhl zurecht und ließ seine zwei Mönche
näher an sich rücken.
Die hohe Gestalt Abu Atirs stand auf der Schwelle. Burnus, Turban
und Bart leuchteten wie Schnee, das Gesicht, gesund und wetterbraun,
strafte das Alter Lügen. Sein klares Auge übersah mit einem einzigen
Blick das Trifolium. Nach orientalischem Brauch grüßte er mit über der
Brust verschränkten Armen jeden einzelnen mit dem Friedensgruß seines
Gottes. Dann blieb sein Auge an Ximenes hangen. „Gott schenke dir,
hochwürdigster Faki der Christen, manches Jahr und mache dein Haupt
weise und dein Auge sehend. Friede von ihm, der des Propheten Lehre
erhob über die Welt!“
Ximenes dankte freundlich. Dann hieß er den Gast sich setzen, dessen
blütenreiche Sprache ihm nicht behagte. „Verzeiht, daß wir Euer Alter
bemühten --“
Abu Atir lächelte, daß die unversehrten Zähne leuchteten. Er wußte,
daß man seine Gedanken durchsieben mußte, wenn man mit Ximenes
sprechen wollte. „Es ist das Schicksal vieler Menschen, alt zu werden.
Glücklich, wer mit vergilbtem Gesicht die Sterbesure sprechen hören
kann. Es liegt an dem Menschen, das Alter würdig zu ertragen.“
„Ein gottgefällig Wort,“ sagte Ximenes. „Ihr seid erst kurz hier?“
„Und habe doch Schweres hier erlebt. Soeben sah ich Weiber um ihre
Männer weinen. Bi nefsi! Ihr wißt den Glauben in den Leibern der
Menschen festzunageln.“
„Damit die Seelen folgen können,“ antwortete der Primas gelassen.
Ein Druck seiner großen Wimpern schloß die Augen des Imams. „Nur meine
ich, daß der Mann, der den Glauben in die +Herzen+ knetet, größer
zu nennen ist. Eine Frage: Ihr seid zufrieden mit den neuen Christen?“
„Sie lieben uns noch nicht,“ gestand der Erzbischof freimütig.
„Ihr guten Herren, denen Gott das Licht friedvoller Weisheit schenken
möge, warum macht ihr es den neuen Christen so schwer, euch zu lieben?“
Ximenes wulstete die Lippen. „Wir legen alles, was die Kirche zu
bieten hat, in das Herz der Bekehrten, aber sie schielen trotz aller
Gnadengeschenke des Himmels doch wieder zurück nach der Moschee, aus
der wir sie errettet glaubten.“
„Ihr sagt: errettet? So waren sie darin in Gefahr?“ Der fragende Blick
des Imams war klar wie aus dem Urgrund seiner Seele. „Ich denke, im
alten Glauben hatten sie nichts zu fürchten. Die Furcht lernten sie
erst bei euch. Es war die gemeine Furcht der Seele vor dem Straucheln.
Das überfiel sie nicht im Palmenhain unsrer Moschee. Und Ihr sagt:
gerettet?“
Ximenes’ Feder spielte unaufhörlich auf dem Papier. „Wir retteten sie,
meine ich, aus einem Irrtum. Verzeiht abermals, aber Euer Glaube ist
der Irrtum.“
„Häuft keinen Zorn auf mich, ich meine, es irrt nur einer nicht:
der die Gewalt hat über die Schale eines Granatapfels und über
Sternenbahnen. Und wenn wir Irrende an das glauben, was uns seit Jugend
an selig gemacht, so laß uns in diesem Glauben, den du Irrtum nennst.
Wir lassen ja auch den deinen unberührt.“
„Doch war’s nicht immer so.“ Der Primas lächelte überlegen. „Es liegen
jahrhundertelange Kämpfe hinter Spaniens Gegenwart. Sie erzählen von
erschlagenen Christen.“
„Und von erschlagnen Mauren,“ unterbrach ihn Abu Atir vorsichtig. „Ja,
es waren arge Waffen, mit denen in Andalus gekämpft wurde. Doch nun
sollte die Vernunft das Schwert ziehen. Laßt uns groß kämpfen.“
Ximenes murmelte vor sich hin: ~Tu sic his sis, aliter senitas!~
An meiner Stelle würdest du anders denken! Dann sagte er laut: „Ihr
sprecht gelehrt.“
„Der Glaube ist größer als die Gelehrsamkeit. Sieh, es war vor
vierhundert Jahren ein Mann, der nannte sich Abu Ala, und dieser sagte:
‚Ich staune über die Christen, die glauben, daß Gott hilflos gemartert
wurde, ich staune über die Juden, die glauben, daß Gott am vergossenen
Blut Wohlgefallen habe, ich staune über die Mohammedaner, die auf
Kamelen weite Reisen machen, um einen schwarzen Stein zu küssen. Sie
sind blind für die Wahrheit. Und die Menschen teilen sich in zwei
Gruppen, die einen haben Verstand und keinen Glauben, und die andern
glauben und haben keinen Verstand.‘ So sprach Abu Ala. Ist der Mensch
beneidenswert? Mit all seiner Gelehrsamkeit?“
Ximenes lächelte vergnügt. „Ihr wißt hübsche Dinge zu reden, Imam. Und
deshalb nenne ich dich doch einen gelehrten Mann.“
„Mohammed nannte die Gelehrten die Erben der Propheten.“
„Je nun, dubitat Augustinus. Mohammeds Koran strotzt von Widersprüchen,
denn er ist aus menschlicher Leidenschaft geboren und enthält
Menschensache. Zudem irrte Mohammed bequem. Er durchstöberte das
jüdische Gesetz und nahm sich daraus, was er für seine Sendung
brauchte. Seine klingenden Weisheiten von der Größe Gottes, sind sie
nicht dem fünften Buch Moses entnommen? ‚Es ist kein anderer Gott als
der Gott der Gerechten.‘“
„Wer sagt dir, Faki der Christen, daß diese Weisheit Mohammed allein
erfahren? Aber hinausgeschrien hat er sie in die Welt. Erkennen, was
ist, und sein Erkennen den andern Brüdern sagen. Das hat dein Isa auch
getan. Und wir ehren ihn als Propheten. Laß darüber den Hader begraben
sein. Und hätte ich das Leben von sieben Geiern, wie es dem weisen
Lokman beschieden war, ich könnte nicht anders sagen als: Gott ist groß
und einzig und Mohammed ist sein Prophet.“
„Ihr haltet also von unserm Glauben nicht viel?“ forschte Ximenes mit
lauerndem Blick.
Der Imam strich sich bedächtig den Schneebart, und es war, als wöge
er die Gedanken in seinem Hirn. „Du willst mir in die Seele schauen,
Hochpriester. So blättere ich sie dir freundlich auf wie ein Buch.
Dein Glaube ist schön. Nur haben ihn deine Priester, meine ich, mit
Lehrmeinungen entstellt, die sich mit Gottes Offenbarungen, wie sie
unserm Propheten zuteil wurden, nicht vereinbaren lassen. Die Vernunft,
der engen Schranke des Glaubens entronnen, richtet Unheil an. Doch das
wäre zu ertragen. Nur eines -- verzeih, Gesegneter des Herrn --, mich
dünkt, Ihr haltet nicht viel von Eurem Glauben, Ihr glaubt ihn schwach.“
„Imam -- wie kommt Ihr auf den Gedanken?“ fragte betroffen der Primas.
„Wäre er nicht schwach, wozu dann die Stützen des Dogmas und der
Inquisition?“
Ximenes schwieg einen Augenblick bestürzt. Dann gab er sich eine äußere
Gelassenheit. „Der Glaube ist nicht schwach, aber die Menschen sind es
und sie bedürfen der Stütze.“
„Ehrwürdiger Mann, dem Gott Teppiche unter die Füße und ein warm Kissen
für sein Haupt geben möge, fahre nicht im Zorn auf, der Gott beleidigen
würde, wenn ich dich frage: Die Menschen stützest du mit Dogma und
Inquisition? Und antworte mir sanft wie eine Taube: Sind diese Stützen
nicht eher Peitschen als Säulen?“
Der Erzbischof fühlte eine unbehagliche Hitze über sein Herz fließen.
„Ei, danket Gott, daß Ihr nicht Katholik seid, Maure. Ihr denkt zuviel.
Und mich soll es nicht wundern, wenn Ihr bald ganz im Unglauben
erstickt.“
„Sie nennen mich Al-Abdallah, den Diener Gottes. Ich glaube Gott, ohne
ihn zu sehen. Aber ich kann nicht an deine Worte glauben, wiewohl ich
sie höre. Klage mich nicht an, denn sonst müßtest du auch die Wolken
anklagen, weil auch sie nicht bestätigen, was du sagst, sie gehen
unbekümmert ihren Weg, ob du sie schiltst oder lobst. Warum läßt du
Wolken ziehen und Menschen nicht? Nur weil du die Macht über sie nicht
hast. Und siehst du, deine Kirche ist doch nur ein Wort, mit dem du
Unfaßbares fassen willst.“
„Und die deine nicht?“ rief Ximenes mit triumphierendem Auge.
„Gewiß. Aber dann frage ich dich: Warum bekämpfst du uns statt uns die
Hände zu reichen? Nur weil wir es mit dem Propheten halten? Du hältst
es eben mit einem andern Propheten, dem Isa.“
„Das ist nicht Glaube mehr,“ sagte Ximenes verärgert. „Das ist
philosophische Klügelei, wie sie eure Gelehrten großziehen.“
„Wer die Wissenschaft lehrt, hat Ehrfurcht vor Gott, dessen Name die
Geister besingen. Wer in der Wissenschaft streitet, kämpft heilig.
Die Wissenschaft ist der Leuchtturm zum Paradies, der Gefährte in der
Fremde, die Rüstung wider den Feind. Engel berühren die Gelehrten
mit den Flügeln, und durch die Wissenschaft steigt der Diener Gottes
die Stufen zur Güte hinauf. Das Wissen ist der größte Imam. Wer die
Wissenschaft lehrt, dem ist besser als wenn er den Berg Abu Kobeis aus
Gold besäße. Abderrhaman ließ für einen Gelehrten, der aus Fes kam,
dreißig Paläste auf dem Weg vom Meer nach Cordoba bauen. Das Kleid
des Wissens ist aus menschlicher Erfahrung und aus der Furcht Gottes
zusammengesetzt, sagt Abdallah Ben Mesud, und das Schwert der Zunge
soll immer siegen über die Zunge des Schwertes. Aber wem sage ich das?
Sitzt nicht einer vor mir aus dem Reich des Geistes? Möge dir Gott
stets weise Gedanken geben und dich mit ewigem Priestertum belehnen.“
Ximenes mußte Atem schöpfen. „Eure Gedanken stehen auf falschem Grund.
Den wahren Gott habt Ihr mit Eurer Wissenschaft nicht erkannt.“ Seine
Augen blickten den Mohammedaner überlegen an.
„Wer wollte ihn erkennen? Gott ist die Zahl Eins und die Zahl
Unendlich. Summiere sie oder ziehe eine von der andern ab, es bleibt
immer Gott übrig. Aber heißt das, ihn schon erkannt zu haben? Und doch
bleibt uns nichts übrig als uns im Stirnenschweiß um ihn zu bemühen.
Laß mich denn glauben an das heilige Gesetz und an den Propheten.“
„Das sollt Ihr sicherlich,“ antwortete Ximenes überaus freundlich.
„Doch eines -- eines müßt ihr uns doch zugestehen: Unter der
erkaltenden Glut eures Glaubens werdet ihr nie mehr die Erde erobern.
Wir bleiben Sieger.“
„Vielleicht nicht die Erde, aber uns selbst. Das ist mehr. O weiser
christlicher Scheich! Wir suchen doch in unsern Gebeten denselben Gott,
den ihr sucht, und deshalb willst du uns knechten? Nur weil wir den
gemeinsamen Gott mit andern Augen ansehen? Mit unsern, unsern Augen?
Ja -- und euer Siegerrecht, ist es nicht versiegelt im königlichen
Vertrag? Der Herr der Könige erhalte das Leben des weisesten der
Erdenfürsten -- dürfen wir nicht unsere Moscheen und Medrisets
behalten? Haben wir nicht unsere Kadis, die der Herr mit Verstand und
Einsicht segnen möge? Und ist uns nicht -- der Allmächtige stärke das
Königsleben dafür! -- Sprache, Sitte und Tracht verbürgt für immer? Das
soll nicht versiegelt sein von der Treue des Siegers?“
„Es ist -- aber es ist nicht versiegelt, daß wir euch die Stützen
des Glaubens, der ein Irrglauben ist, unversehrt lassen müssen. Eure
Moscheen behaltet, nur bauen wir unsere Altäre in sie hinein --“
Der Imam streckte sich. Seine Hand zitterte auf dem Knotenstock.
„Das -- das willst du -- vor deinem Gott verantworten, christlicher
Scheich?“ Er erschauerte vor dem weiten Gewissen des Seelenhirten.
Wie von Staub erstickt kam es aus seinem Munde: „Glaubensrecht --
Sittenrecht, Urteilsrecht -- alles papierne Dinge -- und Eure Taten
sollten das Papier zerreißen dürfen -- das Papier in der königlichen
Truhe? O Ihr meint es nicht ernst.“
„So muß ich dir, Imam, weitere Proben dieses Ernstes geben. Auch die
geistige Quelle eures Irrglaubens muß verstopft werden.“
„Irrglauben! Irrglauben! Ich sage dir schon: Auch du irrst! Wir alle
irren. Wenn der Beduine in der Wüste zieht, wenn Sonnenglut und
Sand sein Auge blenden, dann zweifelt er oft an der Richtigkeit des
Karawanenwegs, aber der Irrende vertraut dem ewigen Lenker aller
Karawanen, bis ihm die Oase lächelt. Die Oase ist Gott, wir irren und
finden doch zu ihm, nur jeder auf seine Weise. Der Irrtum dauert nun
schon an die tausend Jahre, und wir sollen nun Erkenner der Wahrheit
heißen, weil ein Christ es will? Ist dein Wille Gott? Er ist eine
Anmaßung.“
„Imam!“ Der Gleichmut des Kirchenfürsten begann zu wanken. „Du
verkennst Gottes Offenbarung sehr. Wir müssen für unsern Glauben
kämpfen.“
„So hast du Angst, ihn zu verlieren? Der wahre Glaube beharrt und läßt
andere beharren. Was Irrtum ist, fällt nicht durch Kampf, sondern durch
eigene Erkenntnis ab. Aber der Bach wächst zum Strom aus, ich sehe es.
Zuerst war bei euch ein Kinderglaube da, dann ein wirklicher Glaube,
dann ein Kämpfen für den Glauben und endlich ein Morden für ihn. Was
soll noch werden? Hast du mich noch etwas zu fragen?“
„Aus Euch spricht ein arger Kläger. Aber des Übels Urgrund liegt in
euren Büchern.“
„Unsre Bücher?“ Die Augen des Alten leuchteten wie brennende Fackeln.
„Sie können Freunde des Menschen werden,“ sagte Ximenes, „aber auch
seine gefährlichsten Verderber, denn sie führen wie böse Geister in
Zweifel und Irre. Nur ein sorgsam wachender Geist vermag ihre Güte und
ihre Schädlichkeit zu unterscheiden. Wo die Quelle trüb rinnt, muß sie
verstopft werden, sonst verseucht sie das gesunde Wasser. Ihr müßt uns
erlauben, Spreu und Weizen zu sondern.“
Abu Atir griff sich an die Stirn. „Du, den Gott mit Balsam behandeln
möge -- ich verstehe dich nicht recht --, du willst --?“
„Euch aufhelfen aus eurem Irrglauben, euch liebevoll ans Herz ziehen
mit der Liebe Jesu, euch zu demütigen Kindern Gottes machen, den euer
befangener Sinn noch nicht erkannt hat, und eure Weisheit gründen auf
die Dreieinigkeit Gottes.“
„Es ist nur ein Gott und nichts außer ihm!“ sprang der Feuerglaube aus
des Alten Brust, auf der sich die Hände falteten in ehrlichem Bekennen.
Und es war, als bliese aus seinem Antlitz die heilige Flamme des Korans
selbst. „Und wenn die Erde jetzt in ihren Festen erzitterte und die
Gestirne zu wogen anfingen: es ist nur ein Gott und nichts außer ihm.
Gepriesen sei die Kraft, die allen Propheten ward. Auch Isa war ein
Prophet, aber nicht Gottes Sohn, denn Gott hat keinen Sohn gezeugt,
und Isa selbst hat gesagt: niemand ist gut als der einzige Gott! Der
einzige Gott! Isa hat wie Mohammed dem Juden gegeben, was des Juden
war, und sich genommen, was Gutes bei ihnen war. Seine Botschaft war
Licht und Freude und Bestätigung der Thora in vielem. Er hat den alten
Gott neu geschaut, wie Mohammed ihn neu geschaut hat, sie waren beide
groß, aber der Prophet von Mekka hat sich nicht Sohn Gottes genannt,
sondern nur Diener, und war so demütig wie Isa, und hat sich nicht in
eine bleiche Hostie einschließen lassen, dünn wie Frauenflor, sondern
war und hat nur sein wollen der Knecht Gottes. Wir können Gott kein
andres Wesen zugesellen, also sagt es der Prophet.“
„Und es steht in euern Büchern und ihr schwört darauf. Aber eure Bücher
sind Trug. Euer Koran ist das ungeordnete Buch eines Schwärmers. Was
sein anmaßender Geist an schönen Gedanken ergriffen, hat er wahllos
aufs Papier werfen lassen und hat es dann Geist Gottes genannt. Habt
ihr Bürgen für die Echtheit?“
„Dieselbe Reinheit des Herzens, die deine Apostel drängte, das Wort
Isas niederzuschreiben.“
„Ihr greift nach hohen Worten, Imam. Wir wollen sehen, was eure Bücher
enthalten.“
„Unsre Bücher!“ Das verwitterte Bronzegesicht, von den Runen des Wehs
gezeichnet, glühte im Wiederscheine des innern Aufruhrs. „Unsere Bücher
müßt Ihr uns lassen, denn sonst --“
„Sonst?“ fragte verwundert der Primas.
Der Greis atmete schwer. „Man soll die Zunge lang einkerkern, bevor man
sie durch ein Wort befreit. Aber es muß gesagt werden. Cordoba fiel,
Sevilla fiel, Granada fiel -- aber die Mauren leben noch.“ Es klang wie
eine Mahnung an das Gewissen des Bedrängers. Und es war, als sähe der
Alte in eine weit entfernte Jugend zurück, die von Christenkämpfen und
Blutfreude erklang.
Ximenes hatte einen Herzschlag lang Ehrfurcht vor der Glaubens- und
Volksliebe dieses Menschen. Aber bald erdrückte der eigene heiße
Glaubensdrang das Gefühl. „Ihr pocht auf eine Stärke, die nicht mehr
ist, Imam.“
„Und du auf eine, mit der du deinem Herrn ins Gesicht schlägst.“
„Der heilige Dienst in seiner Wahrheit fordert, daß ich allen Menschen
seine Wahrheit künde. Ich öffne euch die Augen und euch schmerzt noch
das hehre Sonnenlicht.“
„Du willst Augen öffnen und brichst dabei Herzen, fremder Scheich.“
„Zum Ende!“ Ximenes raffte die Papiere auf dem Tisch zusammen.
„Aber nicht zu einem, das Menschen mordet,“ flehte der Imam mit nassen
Augen. „Gott gebe dir Geduld zu hören, was unser Herz leidet, und es
wird darüber weich werden wie flüssiger Honig und wird erfüllt werden
mit dem Wohllaut des Singvogels.“
„Am kommenden Tag des Herrn sollen alle eure Bücher aus den Häusern
der Mauren auf die Bibarrambla geschafft werden zur Prüfung durch
christliche Hüter. Vergeßt nicht Koran, Sunna, Überlieferungen.“
Der Imam bebte an allen Gliedern. „Der Kadi des Lebens, der über Wolken
richtet zu seiner Zeit, wird es nicht zulassen. O du Wesen mit den
tausend Barmherzigkeiten, habe ich dich verloren aus meinen Sinnen? Hat
mir Christenhaß deinen Namen verdunkelt? Primas von Spanien, wer gibt
dir diese Macht über uns?“
Da erhob sich Ximenes mit dem Gewicht seines Kraftbewußtseins. „Die
Kirche,“ sagte er gewaltig und seine Faust stieß dumpf auf den Tisch.
„Unseliges Gefäß, in das du den Gottesinhalt füllest! Darin hast
du dich übernommen. Denk an mich! Gott beschütze das Siegel deiner
Weissagung, doch ich glaube nicht daran.“ Mit zitternden Knien, ein
Stoßgebet murmelnd, tastete sich Abu Atir nach der Schwelle, wo ihn
zwei junge Mauren empfingen, die ihn aus dem Palast geleiteten.
Die Priester sahen einander an. Der nüchterne Denker Ximenes fand
sich als erster zurecht. „Ich werde die Richtlinien bestimmen, nach
welchen die Bücher beurteilt werden sollen. Der Gobernador wird ein
großes Aufgebot an Waffen beistellen. Du, Bruder Leon, ernennst die
geistlichen Kommissare und sorgst für die Holzscheite. Vorher soll das
Glaubensedikt in allen Kirchen verlesen werden, damit die Moriskos,
eingeschüchtert durch das mahnende Wort, die Schwächen ihrer Brüder und
Schwestern leichter angeben können. Jede gewonnene Seele lobt unser
Werk vor dem Allmächtigen. Macht die Sache feierlich und mit Betonung
des großen Zweckes: ~Ad majorem Dei gloriam~.“
„Man wird uns freilich darüber noch mehr hassen,“ sagte Pater Leon mit
gesättigter Glaubensfreude.
„Mögen sie hassen, wenn sie nur fürchten,“ erwiderte Ximenes gelassen.
„Der Kaiser Tiberius wußte dieses Gefühl zu schätzen. Wir wollen es
auskosten.“ Er schob seinen magern Leib an den Brüdern vorbei. Der
Lichtschein umflackerte seine Gestalt. Seine Gedanken gerieten in
heftige Bewegung. Schießpulver für den Dienst des Herrn gleicht dem
Weihrauch, und sein Geruch ist süßer als Ambra, lächelte er in sich
hinein.
Elftes Kapitel
Reija und Saffana erhoben sich vom Gebetsteppich. Zu ihren Häupten
dufteten die Storaxkerzen. „Mein Väterchen!“ Mit dem Morgentau der
Gesundung auf der Stirn eilte Reija dem Greis entgegen. Das weiße
Lieblingskätzchen auf ihrer Schulter sprang erschreckt auf den Teppich.
Das Mädchen las das Unheil aus den Augen des Imams. „Bi nefsi, sie
haben dich gequält!“
Abu Atir erzählte und Reija hörte mit gepreßtem Herzen zu. „Bring
Väterchen zur Ruhe,“ sagte sie zu Saffana. „Er soll den Tag vergessen.“
„Es gibt noch viel zu sinnen,“ wehrte der Alte ab. Er setzte sich
auf einen fellbelegten Schemel. Im Kerzenschein flammte das farbige
Ornament, die Goldstuckatur und das Azulejosmuster, alles aus bester
granadinischer Königszeit, hellauf, und Spiegel warfen das Licht von
drei Seiten zurück. In der üppigen Weichheit der Teppiche und Matten
gingen lautlos die Schritte der Mädchen. Reija im rotseidnen Damast,
um das Haupt den Thailesan, den duftigen Schal, gebunden, die Füße
in reichbestickten Schuhen, huschte von Truhe zu Truhe, die in den
verhängten Nischen des Gemachs standen.
„Willst du den roten Ghamar zu trinken haben? Willst du Sikbadsch, das
Fleischmus, essen? Gott mit seinen neunundneunzig Namen stärke dich!“
Sie mühte sich vergebens, dem Greis aus dem Trübsinn zu helfen.
Da stahl sich die muntere Saffana an die Herrin heran. „Es ist einer
da,“ sagte sie leise.
Aber der Imam hatte es gehört. „Was schwatzest du?“
„Eswer Ben Zerragh ist wieder da.“
Die mächtig schwarzen Augen Reijas rundeten sich ernst.
„Ist er wahnsinnig?“ sagte Abu Atir. „Seine Untat ist unvergessen.“
„Er ist verkleidet, sein Bart ist mit Henna gefärbt, er hinkt und
verkauft Sattelzeug.“
„Du hast ihn gesprochen?“ fragte Reija hastig.
„Was ich alles weiß!“ sprudelte Saffana hervor. „Gott, dem Ehre und
Preis sei vom Aufgang bis zum Niedergang, hat mich viel wissen lassen.
Eswer Ben Zerragh hat Heimweh nach Granada gehabt. Oder er hat heftige
Schmerzen um das Herz herum gehabt.“
„Der Unselige! Was ihn wohl hertreibt?“ seufzte Reija.
„Hossané, die Schönste der Schönen!“ sagte die Sklavin. „Er ist
verliebt wie ein Kalif.“
„Das hat er dir gesagt?“
„Seine Augen sagen es. Er spricht immer nur von seiner Hossané. Und
selbst wenn er in den Sahat sein Riemenzeug verkauft, spricht er von
seiner Hossané. Ihm hilft kein Zakatun, kein Almosen, und kein heiliger
Berg, er wird nicht genesen als durch den Kuß seines Mädchens.“
Reija steckte, scheinbar ungerührt von dem Gerede, eine der knusperigen
Bäckereien zwischen die Zähne.
„Und er schläft in einem Maultierstall --“
„Gott bette ihn sanfter!“ entschlüpfte das Mitleid den Mädchenlippen.
„Ach, er will ja selbst um seine Hossané.“
An Reijas Schultern zitterten die Edelsteingehänge und eine Rose fiel
aus dem getürmten Haar. „Was andres!“ sagte sie unwillig.
Saffana lachte schelmisch. „Kommt das Glück von rechts gegangen, darf
nicht links das Auge hangen.“
Reija setzte sich mit verschränkten Beinen auf den Teppich, das
Kätzchen auf der Schulter, und strich eine Salbe in einen Tiegel. Von
Zeit zu Zeit sammelte ihr Auge die Herrlichkeiten des Gemachs ein.
Hinter dem Hufeisenbogen, der seine feinen Stuckgebilde tropfsteinartig
herabhängen ließ, lag die Schlafnische, wo der kostbare Diwan von
blauer Seide stand, überladen mit wohlriechenden Kissen. Wallende
Vorhänge hingen von der buntgemusterten Decke herab und rauschten
wie Fahnen, wenn jemand an sie streifte. Goldene Wandleuchter warfen
ihr Licht nach der Ruhestelle, Teppiche schmeichelten ihre Weichheit
zu riesigen Blumenvasen hinan, in denen großblütige Pflanzen aus den
Gärten des Albaycin ihre Schönheit veratmeten.
Reija verdankte alles dem Imam. Sie schlich auf den Fußspitzen zu ihm
und strich ihm die weißen Strähnen aus der Stirn. „Wir wollen uns
wehren, wenn sie uns die Moschee nehmen. Ich stelle mich vor das Tor
der Moschee und rufe ihnen zu: Ich bin die Königstochter Reija. Man
wird mich töten müssen, wenn man die Moschee verunreinigen will.“
„O jungfräulicher Wahn!“ lächelte Abu Atir. „Glaubst du, Blume des
Königsgartens, der christliche Eifer wird vor deiner Schönheit
haltmachen? Und wäre es noch die Moschee -- aber die Bücher! Deines
Vaters Koran!“
„Sie wollen ihn haben?“ Ihre Hände schlugen über der Brust zusammen.
„Sie werden alles holen, durchstöbern und verdammen. Worte sind
biegsam.“
„Wir bringen das heilige Buch wieder in die Berge -- Eswer wird uns
helfen.“
„Es ist zu spät.“
„Sie sollen an Sukuums Früchten sterben!“ verdammte Reija die
Bedränger. „Ich will den Koran unter meinem Bett verstecken.“
„Törin, die glaubt, also davonzukommen. Ich habe Ximenes’
fürchterliches Auge gesehen, das düstere Tor zu einem düstern Herzen.
Ach, meine Charka, wie werde ich dich vor allem Bösen behüten können?“
Reija hing an seinen Schultern und führte den Greis zum Diwan. „Hier
sollst du alle bösen Gedanken verscheuchen. Ich will dir eine schöne
Kassidet erzählen, wie sie Lebid nicht schöner singen könnte.“
„Nein, nicht das. Gib Moschus in die Schalen und dann -- meine Bücher.“
Bald erfüllte der starke Geruch das Zimmer. Vor dem Imam lagen die
Weisheiten der „goldenen Halsbänder“ des Abu Nasr al Feth und die Verse
des Salaheddi Ben Ibek, seine „Melodien der Turteltäubchen“, aber der
Greis legte alles wieder beiseite und blätterte in der Hamasa, der
alten Liedersammlung. Unterdessen lag Reija auf einem zweiten Pfühl und
Saffana spielte auf der Anafina, einer Art Mandoline, ein wehmütiges
Ständchen. Von der Granatfrucht der geliebten Brust sang sie, dazu von
den Rosengärten der Rusafa, und endlich ließ sie eine mehr lockere
Weise niedertropfen: „Die Mädchen gleichen dem Rosenstrauch und wissen,
wie er zu beglücken, ein Wanderer hat eine Rose gepflückt, der nächste
wird eine andere pflücken.“
Sie sahen, wie der Imam in seine Verse vertieft war. Da warf Saffana
plötzlich der Herrin einen Zettel zu, den sie aus ihrem Kleid
hervorgeholt hatte.
Reija las heimlich. „Wenn ich mich verirr’ in ihrer Locken Nacht, werd’
ich erst durch den Tag ans Licht gebracht. Sing zur Flöte und zur
Laute, wenn verschwistert, beider Harmonie zu einer einz’gen flüstert.
In den tiefbegrünten, fetten, reichen Weiden, wo so spät als frühe
die Gazellen weiden, in des Ostwinds leichten balsamierten Schleppen,
welche morgens wehen über Blumentreppen, ihre Karawane ziehend durch
die Nacht, ist von Licht bestrahlt, da sie drin wacht.“ Und sie jubelte
kindhaft: „Verse, Verse! Wenn man in der Wüste hinhorcht, sprechen
selbst die Ameisen Verse. Von wem?“
„Ich habe versprochen, den Namen nicht zu nennen.“
Reija errötete. „Dann sind sie von Eswer Ben Zerragh. Sag’ ja, denn du
hast nicht versprochen, nicht ja zu sagen.“
Da nickte Saffana ein heftiges Ja.
Das Königskind warf das schmachtende Brieflein in eine Lederschatulle.
Ihr Körper schien ein weiches Wellen und Biegen zu sein, so stark war
die Unruhe in ihr.
„Er fürchtet sich vor der Sprache deiner Augen,“ sagte Saffana, „denn
diese hat Gewalt, das Herz aufzuwühlen.“
Reija verbiß ihre blutrote Lippe und durchschnitt die Luft mit der
flachen Hand. „Ich werde morgen abend zwischen den Marmorsäulen im
Sahat schaukeln. Und vielleicht naht sich der Händler.“
Eine Matrone kam herein, Noria, die Schiefschultrige mit dem langen
Hals und den eckigen Knochen. „Die Ehre! Die Ehre!“ schnappte sie nach
Atem.
„Was gibt es?“ horchte Reija auf.
„Man hat nach dem Spiegel der Abendröte gefragt -- ach, die Ehre!“
„Schwatzhafte Elster!“ fuhr sie der Imam an. „Wer hat gefragt?“
„Der erste Hauptmann des Gobernadors, Don Pedro de Solar Graf von Mora,
der schöne Reiter, der damals -- ach, entsinnt Euch nur -- damals, als
böse Dschinnen meine Taube des Glücks vom Pferde wehten -- damals, wißt
Ihr nicht?“
Reija fuhr in die Höhe. Das Auge des Imams wurde dunkel wie
Gewitternacht. „Er war selbst in der Alcazaba?“
„Nicht er selbst -- sein Diener Chispazo, ein munterer Junge, war da
und fuhr wie ein Blitz von einem zum andern: wie es wohl der schönen
Fee des Morgens gehe, der lieblichen Chiquilla, der Kleinen, ob sie
wohlauf sei nach dem Sturz, läßt der Hauptmann fragen. „Naam ja sidi,
ja, mein Herr, sagte ich ihm, sie ist gesund wie ein Apfel, ihre Stirn
ist wieder ein Paradiesgarten, ihre Wangen sind Rosen, ihre Lippen
zwei glühende Abendwolken. Darauf machte er einen Bocksprung nach dem
andern, daß uns das Zwerchfell zersprang.“
„Was kümmert sich der Hauptmann um seiner Feinde Leben?“ fragte der
Imam mit verrunzelter Stirn.
„Wenn alle Feinde so höflich sind,“ sagte Noria, „wünschte ich mir
recht viele Feinde. Ich wette, der lustige Knabe kommt morgen wieder.“
„So will ich ihm selbst Antwort geben,“ sagte Abu Atir. „Der Tag hat
Bürden gebracht.“ Er sprach Segensworte über Reijas duftendes Haar und
ging, auf Norias Arm gestützt, in sein Ruhegemach.
Reija wiegte einen Brokatpolster in ihren Händen. Saffana kicherte in
sich hinein: Der Abencerrage ist verliebt in meine Taube des Paradieses.
Das Königskind bestieg einen Schemel beim Ajimezfenster und schaute
in den Sahat hinab, wo der Springbrunnen rauschte und die Schaukel
zwischen den Marmorsäulen hing. Und sie konnte die Sterne sehen, die in
der dunklen Wölbung spiegelten.
Da -- Mandolinenklang -- eine Stimme singt --
So wagte der Unselige alles um sie. Wenn sie ihn griffen! Lang lauschte
sie. Ihr war, als girrte im Iraksstrauch die Ringeltaube. Das Lied
verhallte mählich.
Reija schlich mit leise tastenden Füßen nach ihrem Lager. Seide und
Linnen fielen. Bald spiegelte sich der bronzedunkle Ton ihrer ebenmäßig
gewachsenen Glieder lässig in den drei Wandgläsern, das aufgelöste Haar
umnetzte die Brüste, in denen junges Leben glühte. Saffana drückte
verliebt ihr Haupt an die gemeißelten Schenkel. Keusch geschlossen in
strengem Ernst lagen Reijas rote Lippen, die noch nichts wußten von
Nächten, in denen Küsse lodern.
Zwölftes Kapitel
Durch Granada wütet der Sturm des Aufruhrs. Von den fünftausend Häusern
des Albaycin wälzen sich die Maurenmassen über die Stadt. Das Gebot
des Erzbischofs Ximenes ist im Vollzug. Man nimmt den Elches die
Kinder weg, nur sie in christlichen Erziehungshäusern unterzubringen.
Aus den Häusertoren aber rollen Karren mit aufgeschichteten Büchern,
umjammert von Fakis. Die jahrhundertealte Weisheit arabischer Hokema,
der Fleiß phantasiereicher Rawi, der Kalifenerzähler, das Sammelgut
der heilkundigen Athibba, alles wird wahllos aufgehäuft, um vor den
Richterstuhl Ximenes’ geführt zu werden. Bunt zusammengewürfelte
Massen von Menschen schieben sich an den spanischen Soldaten vorüber,
gaßauf, gaßab, Priester im Ornat, gefolgt von schwarzgekleideten
Bruderschaften, ziehen über die Bibarrambla nach dem Maurenviertel, da
und dort flattert ein schreiendes Weib aus einem Tor, ein Kind klammert
sich weinend an ihren Rock, harte Fäuste reißen es vom Mutterherzen
fort -- vorbei! Lanzen blinken, Karrenräder knarren dumpf, aus allen
Gassen wälzt sich das Unheil heran. Über die Dächer hallt der Gebetsruf
der Muezzins wie der Schall umflorter Tuben.
Die Moscheen sind überfüllt. Der Imam Abu Atir ruft das von den Fakis
aufgewiegelte Volk zur Besinnung. In der Assakifa, dem Frauenraum des
Moscheehofes, liegen die Weiber auf den Knien und beten ihre Seele um
das Heil ihrer Kinder aus. Endlich steigt und schwillt der Lärm zu dem
gewaltigen Bekennerschrei der Massen an: Es ist kein Gott außer Gott
und Mohammed ist sein Prophet. Wie ein brausendes Meer wälzt es sich
aus der Moschee, aus den Höfen hinaus über den Platz.
Unaufhörlich schallt es in die zusammenlaufenden Maurenhaufen: „Platz
für die Soldaten der heiligen Hermandad!“ Dann wieder: „Platz für die
Reiter des Königs!“ Und die Rosse des Grafen von Mora poltern über
die Steine. „Platz für die erzbischöfliche Leibwache!“ Ein streng
geschlossener Zug gepanzerter Knechte marschiert aus der Calle de
Gomeres zum Palast des Ximenes.
Die Luft in den Gassen wird immer schwüler, die Sonne legt ihren Brand
auf den Kalk der Häuser und aus den Gärten duften betäubend die Blumen.
Immer mehr Burnusse knäueln sich zusammen. Scheichs, Fakis, Alimes,
Hafiten, Kadis und Walis, gelehrte Männer und Richter der Mauren in
ihren schlichten Trachten, sind umringt von den erregten Händlern,
Bauern und schreienden Frauen, deren Augen unter der Verhüllung Blitze
schleudern. Sooft ein christlicher Ritter mit Gefolge vorüberzieht,
brandet das Getöse an seinem Roß hinauf. Schrille Rufe nach Talavera,
dem gütigen Christenscheich, hallen über den Platz. Dazwischen wieder
der Gebetslärm aus der Moschee auf der Bibarrambla, langgezogene
Preisrufe aus der Fathah, der Koraneröffnung. Aus dem Tor der Moschee
strahlt der Glanz unzähliger Lampen zwischen den Säulen heraus, ein
magisches Bild inmitten des brausenden Gewühls.
Unerkannt in seiner Händlerverkleidung drückt sich Eswer Ben
Zerragh durch die Haufen. Tagsüber verschläft er die Hitze in einem
Maultierstall, abends schleicht er nach der Alcazaba in die Nähe der
Palastfenster. Aber heute wagt er sich auch in den brausenden Morgen
hinein mitten unters Volk. Und horcht da und dort auf ein Gespräch.
„Leon ist an allem schuld!“ Ein Feigenhändler wirft seinen Korb trotzig
nieder.
Die Umstehenden brennen lichterloh. „Leon! Ximenes! Deza!“ Die
gefürchteten Namen fliegen wie Pfeile durch die Luft.
„In der Alcaiceria haben sie fünf Elches eingezogen,“ berichtet ein
Seidenhändler, dessen Gesicht voll Neuigkeiten glänzt.
„In einer Stunde soll es wieder angehen,“ meint ein Vogelhändler. Aber
tröstend setzt er hinzu: „Es gibt keinen Schutz und keine Macht außer
bei Gott.“
„Wir wollen vom Papst einen Schutzbrief erbitten!“ rät einer.
„Man kennt das, bi nefsi!“ warnt ein anderer. „Er gibt sie und hebt sie
wieder auf. Sie kosten Geld.“
„So verwehren wir dem König die Umsatzsteuer.“
Ein Gelächter antwortet ihm. „König und Papst wollen sich bezahlen
lassen für ihr Regiment,“ höhnt ein Faki.
„Talavera wird uns helfen!“ Mit aufgeworfnen Händen bittet ein zweiter
zum Himmel: „Gott erhebe ihn zum Emir und gebe ihm statt Kamele
himmlischen Tau.“
„Du roter Riemenhändler! Wir kaufen dir alle Riemen ab, um die Nisarani
damit zu erwürgen,“ lachte ein Messerschleifer.
Eswer verstellt seine Stimme. „Ich wünsche keinem Menschen den Riemen,
aber Leon ist kein Mensch mehr, also wünsche ich ihm den Riemen.“ Und
er macht eine nicht mißzuverstehende Gebärde.
Aus dem maurischen Fahnentor schiebt sich der dunkle Wurm einer
Bruderschaft über den engen Platz nach der Kirche San Nicolas.
Die Haßblicke der Mauren verfolgen den schwarzen Zug, der vor dem
Gotteshaus hält. Dort schreit ein Dominikaner in die lauschenden Haufen
der Moriskos: „Im Namen der Könige und der Inquisition! Stille!“ Und
nun schwirren unverständliche Worte des Edikts über die bevorstehende
Bücherverbrennung auf die Köpfe herab. Gleich darauf knallen
Verwünschungen in die Luft, in arabischer Sprache knattert es in die
Ohren des Mönches, der eingeschüchtert nach den Lanzen der schützenden
Soldaten schielt.
In einer Gasse tauchen jetzt die weißen Vorreiter des Grafen de Mora
auf -- nun er selbst auf seinem Schimmel. Über dem Panzerhemd liegt
das Oberkleid und der schwarze spanische Mantel, vom braunen Hut wallt
die Feder, in der Hand blitzt der Degen, der Schild ist mit goldenen
Schnallen im Sattelknopf befestigt, die schleppende Zäumung des
Pferdes leuchtet himmelblau, mit goldnen Sternen und Muscheln übersät.
Der Maurenfeind huldigt arabischem Prunk. Des Grafen drohender Blick
verscheucht die Hälfte der angestauten Menge in die Nebengasse.
„Wie schade, daß man diesen Ritter hassen muß,“ murmelt Eswer in sich
hinein. „Aber Rabe und Taube können nur Freundschaft schließen, wenn
beide hinken.“
Auf der Bibarrambla stehen die Burnusse dicht geschart. Unwillig hören
sie es: Talavera ist krank, es wird niemand zu ihm gelassen.
Im prallen Licht der Sonne steht Ximenes auf seinem Balkon. Er trägt
das schlichte Franziskanergewand. Er hat am Morgen Gottes Segen für die
reinigende Tat herabgefleht, die ein Opfer auf dem Tisch des Herrn sein
soll. Starr glaubt er an die Gottgefälligkeit seiner erbarmungslosen
Seele. Die namenlose Liebe, die sich am Kreuz für alle hingab, wird
dem Zeloten zum Werkzeug haßdurchseuchter Verfolgung, die Dämonie des
Glaubens zur Waffe der Vernichtung. Im Namen Gottes sündigt er im
guten Glauben, demselben Gott zu dienen. Die heilige Stimme in ihm
fordert, fordert und fordert. Der Geist des Torquemada weist ihn noch
immer auf die triumphierende Macht der Kirche hin, die Opfer klagen
nicht an, sondern muntern auf, sie senden keine Grabesschrecken über
die sinnende Seele, nein, ihr Tod ist wie eine furchtbare Bestätigung
der Unfehlbarkeit priesterlicher Urteilskraft. Das Holz flammte und
das Feuer qualmte unter und über schreienden Menschen, aber Qual
und Marter betäubten nicht den Verfolgergeist. Mit klarer Seele,
die Augen zu Gott gerichtet, hörten sie die Menschenschreie von den
Scheiterhaufen an ihr glaubenstolles Herz dringen. Um sie herum Wahn,
grausamer Wahn, der bestätigen und glauben konnte, was seine Führer
für Recht hielten. Nicht aus selbstsüchtigen Trieben, aus der Tiefe
ihres furchtbaren Glaubenswahns heraus diktierten Torquemada, Deza und
Ximenes den Tod. Und weil sie Gottes Majestät als treibende Kraft in
ihren krankhaften Gehirnen empfanden, ließen sie ihre Hände von Blut
triefen, ohne mit der Wimper zu zucken. Von Gott verlassen, waren sie
im Wahn befangen, gotterfüllt zu sein. In dem Glauben, das Evangelium
Christi allen Menschen zugänglich machen zu müssen, schlossen sie in
Wirklichkeit Tausende und Tausende von dem Weg zu ihm ab. Ihr Hunger
nach Glaubenseinheit machte aus Menschen Heuchler. Die Inquisition
war aber neben ehrlichem Reinigungswillen auch Machthunger, und ihre
entsetzlichen Verweser kreuzigten Christus zum zweitenmal.
Der hagere Leib des Primas hob sich von dem Untergrund der kreideweißen
Mauer wie ein finsterer Schatten ab. Ximenes sah auf den beginnenden
Aufruhr hinab, und kein Aufzucken des Erbarmens ging durch die
glaubensgestählte Seele. Mußte nicht Leid erfahren, wer zur Freude
eingehen wollte? Gingen diese, die da weinten, nicht in der Nachfolge
des Herrn? Beinahe hätte ihn Rührung ergriffen, aber er gedachte seines
eigenen Wegs, der durch Dornen und Aszese geführt hatte und auf welchem
er Gott gefunden zu haben glaubte. In Wirklichkeit formte er sich ihn
zu einem Menschenopfer fordernden Götzen um.
Der Dominikaner Leon, des Ximenes würdiger weißer Schatten, trat eben
aus dem Zimmer zu ihm. Er war doch ganz anders geartet. Ihm waren
Glaube und Dogma nur schöne Verbrämungen seiner irdischen Gelüste. Der
Mönch wußte, wem er diente. Ein strenges Mutterherz hatte ihn früh hart
gemacht, und der Geist der Kirche hatte ihn später zum spekulierenden
Dogmatiker geformt. Bei alledem sagte man ihm sehr weltliche Dinge
nach: er sei ein Liebling der Frauen, nicht nur im Beichtstuhl, sondern
auch in Gemächern, wo kein Weihrauch wallte. In seinem Leben sollten
sich Namen verfangen haben, die viel in Südspanien galten. Unter ihnen
klang auch der Name Leonore de Uceda, und man sagte, der Dominikaner
habe ihr den Weg zum König geebnet. Man sprach von einem einstigen
maurischen Sommerhäuschen bei Cordoba, wo der Beichtiger der Edeldame
ihre Sündenbekenntnisse tagelang anzuhören pflegte, bevor sie in des
Königs Arm glitt.
„Salzedo, mein Hausmeister, hat die Wohnungen aller vornehmen Mauren
nach den Büchern durchsuchen lassen,“ sagte Ximenes. „Was gegen den
Geist unserer Kirche verstößt, wird verbrannt. Halte dich besonders an
Koran und Sunna, Bruder. Das schöne Gewand rühre dein Herz nicht zum
Mitleid. Die Geschichtschreiber, die mit goldenen Phrasen die Wahrheit
fälschten, verschone sie nicht. Des Aristoteles Philosophie dagegen
und die Heilkunst des Alkindi laß unberührt. Ich möchte die Bibliothek
meiner künftigen Hochschule zu Alcala mit wahren Werten bereichert
sehen. Behalte den Avicenna, doch Averroes und die schwärmerischen
Dichter wirf ins Feuer. Von den Philosophen verschone nur Farabi. Das
große Geschrei der Fakis wird verhallen, und der Friede Gottes wird
über Granada ruhen, ehe wir’s denken. Aber sieh -- da aus der Gasse des
Zacatin -- unser Imam! Und hinter ihm ein Kamel mit Büchern beladen.“
„Sein eigener Schatz,“ mutmaßte Leon.
„Abu Atir! Santon!“ scholl es vielstimmig aus den Maurenhaufen. Und
dann urgewaltig wie aus einer Brust: „Es ist kein Gott außer Gott, und
Mohammed ist sein Prophet! Es ist nirgend Schutz und Macht außer bei
Gott! Gott ist groß!“ Und der surrende Lärm verwirrender Suren erfüllte
die Luft.
Vom Albaycin herab kamen jetzt die Züge Hymnen singender Mönche. Hinter
ihnen Maultiere mit Bücherladungen. Zwölf Dominikaner nahmen diese in
Empfang und häuften die Bücher vor dem Palast des Primas in Pyramiden
auf.
Der Himmel vertrübte sein Blau, und im Westen dräute es schwergrau
heran.
Die Züge der Bruderschaften, überweht von goldgestickten Kirchenfahnen,
geführt von dem hochschwankenden Marterkreuz Christi, nahten sich dem
Platz, wo das Autodafé des Geistes stattfinden sollte. Hinter ihren
Spalieren staute sich die Maurenmasse.
Die prophetenhafte Gestalt des Imams näherte sich dem lebendigen
Viereck. An seiner Seite schritten maurische Gelehrte und Ritter,
deren Burnusse wie Möwenflügel hinter den rabendunklen Gewändern
der Bruderschaften leuchteten. Das staubfarbige Kamel trug in seinem
Korb die kostbaren Kleinode mohammedanischen Glaubens, prachtvolle
alte Korane und Überlieferungen in kufischer Schrift, die Weisheit
arabischer Philosophen und die Geistesschätze der Hokemá, der
Weltweisen. Als nun Abu Atir den goldprunkenden Koran des Maurenkönigs
Boabdil aus dem Korb hob, gellte ein Wehgeschrei durch die Luft. Die
Augen der Mauren füllten sich mit Tränen. Alles drängte herbei, als
gälte es, von dem heiligen Buche Abschied zu nehmen.
Und der Chatib Ben Mossad rief laut: „Gott erhebe seinen Diener Abu
Osmin Atir!“ Alles sank in die Knie, denn man erblickte in dem Ruf
die Ehrung des Stellvertreters des letzten Königs, und man hätte am
liebsten dem Imam die herkömmlichen Fahnen vor die Füße gelegt, um ihn
wie den König selbst zu ehren.
Der Graf de Mora erkämpfte sich mühsam auf seinem Zelter einen Platz
hinter dem Spalier der Bruderschaft. Dicht vor ihm stand Leon und nahm
die abgegebenen Bücher in Empfang.
Abu Atir hob das teure Buch empor. „Priester der Nisarani, prüfe
ernsthaft, ob diese Offenbarung Gottes die Flamme ersticken kann. Du
kannst Schriftzüge brennen lassen, den Geist Gottes nicht! Du triffst
ein Volk ins Herz, denn das Buch ist der höchste Schatz des letzten
Königs von Granada.“
Das Gesicht Leons bekam einen Zug herzloser Freude. „Wir wollen es
bedenken.“ Er legte das unschätzbare Gut beiseite.
Da drängte sich ein maurisches Weib durch die Menge. Die malvenfarbne,
goldgestickte Seide rauschte an den herrlichen Gliedern, Muscheln,
Korallen und Perlen blinkten an der Brust, durch das wunderbare
Schleiergewebe auf dem Haupt dunkelte das Haar, und jeder Schritt
des Weibes war Erregung und Glut. Mit einer heftigen Gebärde schob
sie einen Mönch beiseite und warf ihren blühenden Leib an den
Dominikanervikar heran. „Gebt den Koran Boabdils zurück!“
Ringsherum entstand eine Bewegung.
Abu Atir wandte sich jäh um. „Reija!“ Er schritt auf sie zu und zog das
kühne Mädchen an sein Herz. „Wie kannst du es wagen --?“
Aber ihre fordernden Augen waren auf den unerbittlichen Priester
gerichtet.
„Wer seid Ihr?“ fragte Leon.
Hinter ihm aber schnaubte ein Pferdekopf dicht an seiner Schulter. Der
Graf de Mora hatte sich herangedrängt.
„Gebt den Koran zurück!“ tönte die mahnende Glocke aus der Mädchenbrust.
„Wer seid Ihr?“ Leons Augen richteten sich in wachsender Bewunderung
auf die schlanke Gestalt.
„Den Koran meines Vaters gebt heraus, Sidi!“
Da ging ein Wellen und Wogen durch die gestauten Massen. Reija! Reija!
Der Name flog von Lippe zu Lippe, warf sich über die Köpfe zurück und
flammte über den Platz, und es schien, als wollte er zum jubelnden Lied
werden.
Leon wußte nicht, wie er diesem seltsamen Weib gegenüber handeln
sollte. Hinter ihm saß der königliche Hauptmann aufrecht ohne
Wimperzucken im Sattel. Ehern, wie mit dem andalusischen Roß
verwachsen, schimmerte die lebendige Reiterstatue hinter dem dunklen
Leibergewoge der Bruderschaft.
Der Inquisitor hatte von dem Gerücht über die Königstochter gehört.
Wohlgefällig maß er nun die prachtvollen Glieder des stürmisch
bittenden Mädchens.
„Ich kann Euch nichts versprechen, aber ich werde versuchen --“
„Gebt mir den Koran!“ forderte gebieterisch die klingende Stimme.
„Ich kann ihn Euch nicht geben, bevor --“
Da schnellten zwei braune Arme nach dem goldstrotzenden Buch, das
die Bücherlast des Imams krönte. Schützend hielt der Dominikaner die
Kuttenarme vor. „Weh Euch!“
Reija sprang im Nu auf einen der Bücherhaufen und ließ die Flamme ihrer
Empörung über die Köpfe der dichtgedrängten Massen lodern. „Brüder --
eures Königs Koran in Gefahr! Und ihr steht und starrt -- fürchtet ihr
Lanzen, Flammen, menschliche Waffen? Ist euer Gewissen nicht rein wie
Heuschreckenspeichel? Bei der Nacht Alkadar, da der Engel den Koran
bewachte und ihn aus dem siebenten Himmel brachte, rührt euch nicht die
Not des heiligen Buches? Bei den zehn Nächten des Dhulhedscha beschwöre
ich euch, rettet mir den Koran -- ich bin Reija -- das Königskind!“
Ein Brausen und Wogen hub an. Die durch die Begeisterung entfachte
Inbrunst des Mädchens rang sich durch das Stimmenmeer. „Wer wird euch
zum Gebet rufen, wenn euer Koran nicht mehr ist? Aus dem leeren,
trauerverhängten Mihrab ruft euch Gott nicht mehr. Habt ihr gehört das
Wort von der Sure von den Priestern, die Gold anhäufen und der Leute
Reichtum in Eitelkeit verzehren?“
„Laß ab, Mädchen!“ gellte die Stimme Leons in die Aufwiegelung.
„Es ist ein Gott, und nichts außer ihm, und Mohammed ist sein Prophet!“
Das Wort wälzte Steine von den geängstigten Brüsten der Mauren.
Gluterfüllte Koranworte lösten sich aus dem tosenden Lärm, sie sprangen
in die Luft wie Feuerbälle, zündeten und ließen die Herzen zur feurigen
Lohe werden. „Es ist ein Gott und nichts außer ihm!“ schwang es
sich heulend zum Himmel. Unheimliche Gesänge, deren Worte man nicht
verstand, deren drohender Klang aber die Herzen der Mönche erzittern
machte, formten sich aus dem rauschenden Bekennen zu Mohammed.
Da erhob Leon die Arme gegen das Mädchen. „Herunter, Weib -- hier
richten Männer!“
In diesem Augenblick durchbrach das Roß des Grafen de Mora das Spalier
der Mönche. Mit einem Ruck des Zügels hielt es der Reiter an. Sein
Degen blitzte in der Luft. „Laßt ab, Pater -- das Weib ist schwach, es
weiß nicht, was es tut.“
Die hart zugreifende Hand des Priesters ließ den Arm des Mädchens
los. Die Beni Mossad und andere maurische Edle umringten sofort das
Königskind.
Abu Atir verneigte sich vor dem Grafen. „Hab’ Dank, Feta, und der
Allmächtige weihe deinen Degen immer für edle Dinge!“
Reija blickte aus dem Ring der Edelleute auf den seltsamen Schützer.
Ihre Augen wurden groß und wie von innen durchleuchtet. Und dieser
Blick sollte wohl als eine Art Dank gelten.
Der Graf fing ihn auf. Im nächsten Augenblick überlief sein Antlitz
wieder die kalte Strenge, die alle fürchteten.
Auf einem der Miradores, wo die neugierigen spanischen Edelfrauen dem
bewegten Schauspiel zusahen, erhob sich jetzt eine Dame. Der schöne
Leib, in die andalusische Busquina von schwarzer, perlenbestickter
Seide gehüllt, straffte sich in Erregung, die blonden Locken
durchstrich der einsetzende Wind, die zart behandschuhte Hand umfaßte
wie fröstelnd die Spitzen der kostbaren Mantilla. Leonore de Uceda
schaffte sich Platz. Sie hatte genug gesehen. Mit bebenden Nüstern,
die Finger in den zitternden Fächer verkrampft, rauschte sie an der
Herzogin von Escalona vorbei. „Ihr habt es gesehen, Herzogin -- es gibt
sonderbare Ritter unter den Kastiliern,“ sagte sie mit gekräuselten
Lippen.
„Und sonderbare Mädchen unter den Mauren,“ lachte die Herzogin, ein
verblühtes Weib, zurück. „Ihr geht schon?“
„Die Luft wird drückend. Laßt uns die Bälle wechseln im Myrtenhof,
Herzogin.“
„Wir müssen die Hinterpforte benützen.“ Die Herzogin zog Doña Leonore
mit sich durch die kleine Balkontür.
Auf dem Platz saß noch immer der Graf regungslos im Sattel neben dem
erregten Dominikaner. Seine Blicke suchten das Gewühl der Menschen
ab. Er sah die blaue Seide zwischen den weißen Burnussen da und
dort aufleuchten, sah, wie sich maurische Frauen an das Mädchen
herandrängten, und in seinem Herzen wogte eine Unruhe, der er keinen
Namen geben konnte. Auch für das, was er soeben zum eigenen Erleben
gestaltet hatte, konnte er keine Erklärung finden. Er fühlte, wie eine
schwere Wolke auf seine Stirn drückte. Sie nahm ihm die Kraft zu
nüchternem Denken.
Da weckte ihn die heisere Stimme des Vikars aus der Gebanntheit. „Das
nenne ich eine heilige Sache verteidigen, Don Pedro de Solar.“
„Ihr grifft allzu hart zu. Und eine edle Dame war in Gefahr. Das genügt
für einen Ritter.“ Sein Atem ging heiß bewegt.
„Auch die Kirche war in Gefahr, und Ihr ließet sie darin.“
Da erscholl neuer Lärm aus der Ecke des Zacatin. Flüche und Schreie
durchzuckten die Schwüle. Schweres Gewölk jagte der Himmel daher.
Graf de Mora ritt nach dem Gassenloch. De Rojas eilte ihm entgegen.
„Die Mauren bedrängen Salzedo. Er will die Tochter eines Elche
verhaften und maurische Händler kommen ihr zu Hilfe --“
„Daß sie im Schwall ihrer Suren erstickten!“ fluchte der Graf.
Da donnerte es ihm entgegen: „Mord! Mord!“ Kastilische Soldaten
riefen es vom Wetterwinkel des Zacatin herüber. Das aufgeregte Meer
wirft seine farbigen Wogen gegen die enge Händlergasse, die von einem
Menschenhaufen verstopft ist. Die Reiter des Grafen schaffen ihm Platz.
Ein Loch gähnt in der Menge. Auf dem Boden liegt ein toter Spanier.
„Wer hat das getan?“ wütet der Hauptmann.
Wie ein Donnergrollen läuft es durch das Gassenloch. „Wer ist der
Tote?“ fragt der Graf drängender.
„Der Alguacil Collados, er hat den Hausmeister Salzedo begleitet.“
„Wo ist Salzedo?“
„Man weiß nichts von ihm. Mauren haben ihn fortgeschleppt.“
„So ist er verloren!“
Hinter des Grafen Rücken haben sich die Massen zu einem
undurchdringlichen Pfropf zusammengeballt. Leute werfen eine Decke auf
den erstochenen Mann. Aus dem engen Schlund des Zacatins wälzen sich
neue Scharen von Mauren heran. Der Graf drückt mühsam sein Roß nach dem
Palast des Primas.
Ximenes steht mit vereisten Zügen, von Mönchen umgeben, auf dem Balkon.
Plötzlich hört man wilde Feuerrufe. „Der Albaycin brennt!“ Schreiend
flutet die Menge nach den Gassen. Ximenes lächelt kühl. Sein Schachzug
war gut. Der blinde Feuerlärm, von ihm selbst verursacht, befreit ihn
von dem gefährlichen Druck der empörten Massen. Alles strömt nach
dem Albaycin, die Heimstätten zu retten. Den Rest von Gaffern läßt
Pater Leon durch die erzbischöflichen Leibwächter gegen die Häuser
des Platzes drängen. Dann schichten die Dominikaner die Bücherhaufen
zusammen, die Leon oberflächlich zur Verbrennung ausgewählt. Die
Bücher, denen Gnade zuteil wurde, darunter der Koran Boabdils, liegen
abseits unter der Hut von Lanzen.
Da tritt Graf de Mora auf den Balkon zu Ximenes. „Ein Alguacil wurde
getötet. Salzedo wurde verschleppt.“
Ximenes wütet. Seinen getreuen Hausmeister anzugreifen! „Graf -- Ihr
rettet mir einen Freund! Entreißt ihn den Händen der Mauren, bei allen
Heiligen! Wenn Ihr mir ihn lebendig bringt -- oh, ich gewähre Euch
jeden Wunsch, und Euer Herz wird doch voll von Wünschen sein.“
Don Pedro de Solar senkte den Kopf. Er wußte nicht, was an seine
Brustwand tobte.
„Ihr besinnt Euch?“ fragte verwundert der Erzbischof.
„Wenn Ihr mir in Gnaden einen Wunsch gewähren wollt, so bitte ich eins:
Verbrennt den Koran Boabdils nicht.“
Ximenes warf einen durchbohrenden Blick auf den königlichen Hauptmann.
„Ihr bittet -- für ein Buch der Ungläubigen?“
„+Ein+ Koran, meine ich, müßte doch erhalten bleiben, daß man den
Irrtum widerlegen könnte. Und so meine ich --“ Er hielt verwirrt inne.
„Bedenke ich’s recht -- fürwahr -- die Hochschule zu Alcala wird ein
prächtiges Geschenk damit erhalten. Ich will’s überschlafen.“ Und er
gab vom Balkon herab den Befehl, den goldnen Koran zu schonen.
Leon erblickte den Grafen neben Ximenes stehen. Sein Hirn fügte im Nu
Stein auf Stein zu einem Gebäude des Verdachtes zusammen.
Der Graf dankte bewegt, eilte hinab und bestieg sein Pferd.
Gleich darauf fielen die ersten Bücher in eine jäh aufprasselnde
Flamme, die den christenfeindlichen Geist in seiner verderblichsten
Form zerstören sollte. Band auf Band flog unter dem Wutgeschrei der
wieder zusammenflutenden Menge in die Lohe, bis dicke, weißgraue
Rauchschwaden träg in die von Schwüle gedrückte Luft stiegen. Die
Wolken über der Stadt verdichteten sich zu unheimlicher Schwärze.
Ximenes sah mit glaubensgespanntem Herzen dem schaurigschönen
Schauspiel zu. Zur Flamme des Aufruhrs gesellte sich das lebendige
Feuer der Reinigung. Rote Zungen, beweglich wie tanzende böse Geister,
griffen und lechzten unaufhörlich nach neuer Nahrung. In des Kanzlers
Brust löste sich leise eine Lobhymne auf den dreieinigen Gott los,
seine blassen Lippen murmelten Worte der glühenden Andacht. Er sah das
Opferfeuer, genährt aus der Beute der Irrgläubigen, wie eine brennende
Säule aus dem Boden steigen. In ihm schauerte das Gefühl: ~Est Deus
in nobis~, es ist ein Gott in uns!
Ein Blitzstrahl zuckte über den granadinischen Westbergen, und gleich
darauf grollte es über die Stadt. Ximenes legte es als Zornruf des
Himmels über das Volk des Propheten aus. Er ließ die Flamme nähren.
Haufenweise, ohne weitere Prüfung, schleuderten Dominikaner und
Franziskaner die kostbaren Bände ins Feuer. Gierig verschlang die
rauchige Lohe den jahrhundertealten, Gott suchenden Geistesschatz eines
ganzen Volkes.
Dreizehntes Kapitel
Von fünf Lanzenreitern begleitet, reitet der Graf de Mora nach der
betürmten Moreria, dem Maurenviertel. Er muß Salzedo finden. Da hört er
sich angerufen. Sein Freund Hernando de Rojas drängt sich auf seinem
Andalusier heran. „Pedro! Pedro! Man hat eine Spur Salzedos! Das
heißblütige Weib, das um den Koran gekämpft --“
„Reija?!“ Der heftig ausgestoßene Name verursacht einen Brand auf den
Lippen des Grafen.
„Ihre Ritter sollen ihn mitgeschleppt haben. Maurische List! Eine
Geisel in ihren Händen!“
Der Graf hetzte mit einem Spornhieb sein Pferd vorwärts. De Rojas
konnte ihm nur mühsam folgen. Bald ragten die Mauern des Alkazars vor
ihm. Hier wohnte der Imam Abu Atir. Vor dem zinnengekrönten Gemäuer
drängte und schob sich das Volk wie Ameisen um ihren Bau.
Der königliche Hauptmann wandte sich an einen der Maurenritter, die vor
dem steinernen Tor standen, die Marlota, einen Brokatüberwurf, über die
Schulter geworfen, in eiserner Wehr. „Ist der Imam Abu Atir im Hause?“
„Der Imam? Mögen ihn alle guten Geister des Herrn beschützen, so Ihr
Böses im Sinne habt, Hauptmann des Königs. Was wollt Ihr von ihm?“
Noch ehe der Maure eine Antwort erhielt, schob sich die simsonstarke
Patriarchengestalt des Imams aus dem Tor ins Licht.
„Hadha! Dieser ist es!“ sagte der gewappnete Maurenritter.
Der Graf senkte den Degen vor dem Greis. „Es soll Salzedo, der
Hausmeister des Primas, in Eurer Gewalt sein.“
Abu Atir lächelte klug. „Es soll der Koran, das goldne Buch Boabdils,
in deiner Gewalt sein, Feta.“
„Es ist des Königs Gebot.“
„König Fernando hat Verträge unterschrieben: unser Glaube soll
unberührt bleiben.“
„Der König hat euch nicht den Glauben genommen, sondern nur Bücher.“
„Oh, über das weite Gewissen eines Gottesmanns! Gebt den Koran zurück
und wir geben euch Salzedo.“
Da durchzuckte es des Grafen Herz. Aus dem Tor schritt inmitten der
Sklavinnen das verschleierte Königskind. Eine der Frauen trug auf einer
silbernen Tasse Milch und Salz.
„Das ist unser Brauch,“ sagte Reija. „Nimm Halib und Milch, auf daß du
in Frieden scheidest, Hauptmann des Königs.“
Graf de Mora schüttelte den Kopf. „Ich danke Euch.“
„Was beliebt?“ fragte Reija mit dunkelblitzenden Augen.
„Ich möchte Salzedo frei haben.“
„Feta -- du bekommst Salzedo, wenn ich den Koran bekomme.“
Zorn und Bewunderung rangen im Herzen des Grafen miteinander. Ihm war,
als straffte sich das Wesen der Jungfrau unter dem Druck der Gefahr.
Abu Atir drängte sanft das herbe Mädchen beiseite. „Menge dich nicht in
Männerworte, Reija, meine Taube.“
„Ich will Worte machen um das Heiligtum meines Vaters, dem Gott
allezeit weiche Kissen geben möge.“
Der Graf besann sich, daß er von Ximenes den Auftrag hatte, den Handel
unblutig zu lösen, wenn er nur Salzedo wiederbrächte. „Ich gebe Euch
heute abend den Koran, doch Ihr müßt mir noch jetzt Salzedo ausliefern.“
„Was soll der Hauch eines Mundes, der in die Luft geht?“ fragte Abu
Atir geringschätzig.
„Ich verpfände Euch mein Leben für mein Wort,“ sagte Graf de Mora.
Da trat Reija hastig heran. „Das soll wiegen, Väterchen. Daß du es
weißt, Feta, ich habe Salzedo unter meinem Bett versteckt, denn die Wut
der Mauren hatte ihn überall gesucht. Dank’ mir’s, Feta, er wäre sonst
nicht lebendig in deine Hände gekommen.“
„Und ich habe Euch den Koran von Ximenes erbettelt. Dankt mir’s, Doña
Reija, denn er wäre jetzt Rauch und Flammen. Seht hin!“ Er wies auf die
Rauchsäule, die aus der Tiefe der Bibarrambla aufstieg.
Abu Atir heulte auf: „Die Bücher brennen!“ Der Ruf widerhallte in den
Herzen der das Haus belagernden Mauren. Aus Schmerzenslärm, Ingrimm
und Wut stieß es sich heraus: „Zum Palast des Ximenes! Unsere Bücher!“
Die brodelnde Masse der Burnusse wälzte sich wie ein weißer Brei
die Feigenhänge hinab nach der Antequeruela. Vergebens rief der Imam
seine warnenden Wehworte den Eilenden nach. Der Strom war im Gang, die
Lava des Aufruhrs floß den Berg hinab in die Stadt. Von allen Seiten
erscholl das fatalistische Insch’allah! aus dem Lärm der fließenden
Haufen.
Noch einmal forderte der Graf: „Gebt mir Salzedo!“
„Wenn die Dunkelheit einbricht, holt ihn. Jetzt bestünde für dich und
ihn die größte Gefahr,“ flüsterte ihm Reija auf gut spanisch zu.
Vom Velaturm der Alhambra tönte die Sturmglocke. Von den Minars
erschollen die langgezogenen Rufe der Muezzins, die zu den Waffen
riefen. Der Graf wandte sein Roß und warf einen letzten Blick nach dem
Tor zurück, wo eine blaue Seide hinter Steinen verschwand.
Regen rauschte herab. Der Donner prasselte aus dem ziehenden Gewölk,
und Granada versank in Grau und Schleier. Schauerlich hallten die
Glocken und die Muezzinrufe in das dumpfe Getöse des Aufruhrs. In die
Regenwolken hinauf hob sich schwer und träg der Qualm des brennenden
Scheiterhaufens auf der Bibarrambla. Vor den Kirchen lagen hilflose
Gruppen von Moriskos um Mönche geschart, die am Leibe zitterten. Hinter
ihnen ergoß sich der Strom der schreienden Mauren die Gassen hinab.
Der Platz des seltsamen Autodafés ist zum Bersten voll. Wütende Fäuste
drohen nach dem Palast des Ximenes, vor dem der durch den Regen halb
erstickte Qualm seine deckenden Schleier hin und her weht. Die Reiter
des königlichen Hauptmanns pressen sich mit den schwer zu bändigenden
Rossen durch die Menge nach dem Kordon um das Feuer. Unaufhörlich
steigt der psalmodierende Gesang der Bruderschaften wolkenwärts.
Dazwischen die ratternden Stimmen der Rottenwächter, die die Soldaten
zum Widerstand anspornen.
Ximenes steht unerschrocken im Bewußtsein der Heiligkeit seines
Gotteswerkes auf dem Mirador und blickt gelassen auf die
wutschnaubende Menge. Er will den Haß dieser Irrgläubigen gern in Kauf
nehmen, wenn er dafür den heiligen Christenglauben aufzwingen kann. Er
denkt an Torquemada, der das Einhorn auf seinem Tisch stehen hatte, das
die zauberhafte Kraft besaß, Gift in Speisen zu entdecken. Und wenn er
ausritt, umgab er sich mit fünfzig Reitern und zweihundert Fußsoldaten.
Aber er, Ximenes, schwört auf die Leibwache seiner gottgesandten Engel,
und nur der besorgten Königin zuliebe duldet er die kastilischen
Reiter. Vergebens fleht ihn sein getreuer Famulus Ruyz an, in der
Alhambra Schutz zu suchen. „Es schadet einem Kirchenmanne nicht, wenn
er Mut zeigt,“ antwortet Ximenes. „Und einem Staatsmann noch weniger.“
Da steht Graf de Mora vor ihm. „Salzedo ist gefunden. Er dient den
Mauren als Geisel.“
„Wofür?“ braust der Primas auf.
„Für den Koran des Königs.“
„Welch Übermut!“ zischt Ximenes zwischen erblaßten Lippen.
„Ihr habt mir eine Gnade gewährt, ehrwürdigster Herr. Es ist ein
leichtes, Salzedo wiederzubekommen. Wenn es dunkel wird, können wir
tauschen. Gebt den Koran.“
„Das Weib ist ein Teufel!“
„Sie ist eine Maurin.“
„Nehmt den Koran und bringt mir Salzedo. Doch nehmt Euch vor den Mauren
in acht. Mancher ging nach Wolle aus und kam geschoren nach Haus.“
Ein Alguacil trat ein, den schwarzen aufgekrempten Hut in der Hand, die
Stirn verkratzt und blutig, den schwarzen Mantel lose über die Schulter
geworfen. Der weiße Amtsstab hing zerbrochen an seiner Seite. Mit
erhitztem Atem stieß er heraus: „Ein Fang -- wir haben den Mörder des
Collados!“
„Wer ist es?“
„Ein lang gesuchter Ritter aus dem Geschlecht der Abencerragen: Eswer.“
„Eswer?“ fuhr der Graf auf. „Eswer Ben Zerragh? Wirklich?“
„Er ist aus den Bergen zurück und hat sich als Lederhändler verkleidet.
Sein Dolch traf den Collados.“
„Wir fahnden lang nach ihm,“ berichtete der Graf. „Ihr habt ihn
dingfest gemacht?“
„Er liegt gefesselt in der Kirche gegenüber. Wir werden Mühe haben,
den Fang vor den wütenden Mauren zu verbergen. Man hat nichts bei ihm
gefunden als diese drei losen Zettel.“
Der Graf las die kufische Schrift. Es schienen Verse zu sein, die Worte
Mond, Kamel, Mädchen, Gazelle wiederholten sich, und dann ein Wort, das
wie ein Lanzenstich in das Herz des Hauptmanns traf: Reija. Er steckte
die Zettel zu sich.
„Ist Graf Tendilla noch immer nicht von Loja zurück?“ fragte Ximenes.
„Wir haben Reiter geschickt, ihn zur Eile anzuspornen.“
Draußen brandet neues Getöse an die Mauern des Palastes. Rauchschwaden
breiten wehende Schleier über das Meer von Burnussen, aus dem jetzt
ein schwüler Gesang aufsteigt, der den schaurigen Hall der Glocken
übertäubt, ein aufwühlendes Kampflied, das von Adlerfreiheit und
Christenschädeln singt.
Der Regen läßt nach und über der Vega lichtet sich das Gewölk. Bald
darauf blauen Flecken am Firmament.
Stunde auf Stunde verrann. Immer wieder qualmte der Scheiterhaufen. Die
Schätze aus den Kalifenbibliotheken von Cordoba und Sevilla, vor zwei
Jahrhunderten nach Granada gebracht, gingen in Rauch auf. Da und dort
wurde ein allzu stürmischer Maure in Ketten gelegt, dann schwoll das
Geheul zum Orkan an.
Als es Abend wurde, ritt der Graf de Mora mit dem sorgfältig verpackten
Koran nach dem Albaycin. Vor der Alcazaba hält er. Bis an die Zähne
bewaffnete Mauren führen ihn in den Sahat. In der Ecke des großen,
blumenduftenden Hofes unter einem reich ornamentierten Hufeisenbogen
lagern Frauen unter einer Ampel, die ihr milchiges Licht über
buntfarbige Polsterüppigkeit gießt. Schleier und Tücher fallen über die
Gesichter, als man den königlichen Hauptmann erschaut.
Eine der Frauen schnellt empor. Mit gespannten Gliedern steht sie da.
So äugt das Wild in die Richtung der Gefahr. Dann hebt ein wunderbares
Schreiten an. Jeder Schritt schneidet dem Spanier ins Herz. Er trägt
dem Mädchen das heilige Buch entgegen. Ein Aufzucken geht durch ihren
Leib, die gelbe Seide knistert.
„Hier ist der Koran, gebt mir Salzedo,“ sagt der Graf kurz und stammelt
noch ein paar arabische Höflichkeitsworte dazu.
Reijas blitzende Augen brannten in sein Herz. In ihrem Haar blutete
eine Rose. Sie nestelte sie los und reichte sie dem Grafen. „Dank, daß
du dein Wort gehalten. Gottes Segnungen an dir seien wie die Sterne
am Himmel.“ Sie hielt mit leuchtenden Augen nach arabischer Sitte den
Koran hoch über ihrem Haupt, als Zeichen der Verehrung.
Der Graf dankte, die Rose in den Händen drehend, mit schmerzlich
verzogener Lippe. Der ganze schwüle Atem des Gartens schlug ihm in die
Sinne.
Reija winkte Saffana herbei, der sie etwas zuflüsterte. Die Sklavin
eilte ins Haus und kehrte gleich darauf mit dem zähneklappernden
Salzedo zurück, der froh aufschaute, als er den spanischen Hauptmann
erblickte.
„Wir werden ihn in ein maurisches Kleid stecken,“ sagte Reija, „und
ihm einen falschen Bart geben. Dann mag er sich durch die Hinterpforte
durchschlagen.“
Der befangene Graf wollte seinen Dank dem Imam sagen, doch Reija
erklärte, sie werde ihm den Dank übermitteln. Dann trat sie plötzlich
ganz nahe an den Ritter heran, daß er das Wogen ihrer zarten Brüste zu
hören meinte. „Ihr habt bei euch den Sid Eswer Ben Zerragh gefangen. Er
muß frei sein.“ Es klang bittend und doch wieder gebieterisch.
Der Ton schnitt in des Grafen Herz. Was glaubte dieses halbe Kind von
ihm? Sprach man so mit einem königlichen Hauptmann? Und was ging sie
überhaupt dieser Jüngling an? Ein Mörder, der seinen Christenhaß mit
blutigem Messer bestätigte! „Ihr seid nicht bei Sinnen, Doña Reija. Wir
fahndeten schon lang nach dem Abencerragen.“
„Gib ihm Gelegenheit, sich frei zu machen. Wer will, findet Wege. Kommt
das Glück gegangen, laß es nicht uneingefangen.“ Das halb drohende,
halb bittende Auge leuchtete wie ein schöner Stern aus der Wolke des
Schleiers.
Graf de Mora glaubte sein Herz knistern zu hören. Er dankte Gott
heimlich, daß dieses Antlitz vor ihm verborgen blieb. Aber im nächsten
Augenblick entsann er sich der Verse des Abencerragen. Erklang nicht
hell darin der Name Reija? Da ward ihm eines zur Gewißheit: Die beiden
Herzen schlugen füreinander. In seiner Brust siedete der Trotz. „Ihr
werdet diesen Jüngling nimmer sehen, denn er wird gerichtet werden.“
„Du wirst Eswer freilassen. Gott der Erhabene, dem Ehre und Preis sei
immerdar, wird dich dafür segnen.“
„Ich werde ihn nicht freilassen, denn dann wäre ich selbst schuldig.“
„Du wirst ihn freilassen und wirst nicht schuldig sein. Die Alpujarras
haben viele Schluchten und Höhlen. Und die Mauren sind treu.“
An die Brust des Grafen schlugen glühende Wogen, von Trotz, Liebe und
Eifersucht zusammengejagt. Er spürte, wie sein ganzer Körper unter
dem Ansturm fremder Mächte zu zittern begann. Er wollte von dieser
flammenden Stelle eilen und konnte doch keinen Fuß bewegen. Wie mit
unzerreißbaren Fäden fühlte er sich mit der Säule verbunden, an der
sich sein Leib stützte. „Lebt wohl, Doña Reija,“ löste es sich endlich
gequält von seinem Munde.
„In neun Tagen wird Eswer Ben Zerragh frei sein,“ lächelte Reija. Durch
den Schleier blinkten die kleinen weißen Zähne. Ihre Worte schlugen wie
ein scharfer Hammer an sein Inneres, und er mußte sich mit aller Gewalt
aus dem Bann reißen.
„Er wird nicht frei sein,“ trotzte er bebend. „Lebt wohl!“ Er stampfte
durch den Patio nach dem Tor, wo die Knechte seiner harrten. Sein
ganzer Mensch war in heftigem Aufruhr. Er glaubte hinter der Mauer des
Palastes ein jäh abschnellendes Lachen zu hören. Sein erster Gedanke,
als die tobenden Gefühle verebbten, war: Ich wollte, sie wäre mir
widerwärtig wie der Carrasco, die Stechpalme. Aber sie hat Augen --
Augen! Die Steinfliesen unter seinen Reiterstiefeln tanzten, die Wände
wankten, und die Nacht ringelte sich vor seinen Blicken zu glühenden
Kreisen zusammen. Hatte er keine denkklare Stirn mehr? Ei, sie hat das
an sich, was die Andalusier Amago nennen, ein drohendes: Nimm dich in
acht! Der wie zum Sprung gespannte Leib, die lauernden Augen, die halb
geöffneten Lippen, hinter denen die Zähne drohten -- alles Amago!
Er wußte nicht, wie er seinen Zelter bestieg, wie er die gaffende,
gärende Menge durchritt.
In der Alcazaba wachte ein erregtes Mädchenherz die ganze Nacht über
dem Koran. Reija las sich die Augen müde an den Paradiesessuren. Neben
ihr schlief Saffana. Das Königskind spürte Flammen neben sich lecken,
aber sie loderten aus den schönen Augen des spanischen Feta. Was wollte
der Feind mitten in den Suren? Immer wieder drängte er sich zwischen
den heiligen Sätzen durch und zerbrach den mühsam abgerungenen Sinn der
Prophetengesetze.
Lange noch lag Reijas schwarzes Haupt andachtslos über den Koran
gebeugt. Bis sie aufschreckte und durch das Säulenfenster nach dem
Stück Himmel sah. Zu ihren Häupten erblaßte der Schweif des Skorpions,
des Unglückssterns.
Vierzehntes Kapitel
Die Nacht glühte. Mit dem Aufgebot der letzten Kräfte hielten Wachen
und Mönche dem Ansturm der empörten Mauren stand. Mit Armbrüsten,
Steinen, Messern und Knüppeln bewaffnet, drohte das Volk Sturm zu
laufen gegen die lebendige Mauer der Bedränger. Ximenes schlief nicht,
sondern wandelte mit seinem Freunde Ruyz über die Gänge, bald in
Gottesgespräche vertieft, bald auf das Branden des erregten Meeres
draußen horchend.
Das Autodafé des Geistes ist vorbei. Über dem Platz lagert der Druck
der Rauchschwaden und beißt in Nase und Mund. Pater Leon schätzt die
verbrannten Bücher auf mehrere Hunderttausend. Alles, was die Omajaden
durch drei Jahrhunderte aus den Gärten der griechischen und römischen
Wissenschaft zusammengetragen und durchgearbeitet hatten, die vielen
Kommentare über ihren Liebling Aristoteles, die Schriften seines
Auslegers Averroes, die phantasiebeschwingten Verse der ungezählten
Dichter, in denen die Schlachtenfreude der Beduinensöhne, die Verehrung
der urheimatlichen Wüste und die sinnliche Glutenkraft des liebenden
Arabers poetische Triumphe feierten -- alles war in einen Haufen Asche
versunken.
Mit einem Schimmer von Hoffnung im Herzen begrüßten die Christen das
erste Zwielicht über den Dächern der Stadt. Der Morgen schickte seinen
bleichen Gruß über die Vega, die kahlen Berge im Westen erschimmerten
in gelblich fahlem Licht.
Um den Imam im Alkazar versammelten sich in den ersten Morgenstunden
vierzig maurische Räte. Man wollte alles aufs Spiel setzen. Die
Waffenschmiede sollten ihre Waffen gegen Bescheinigungen hergeben,
die Festungsmauern des Albaycin sollten mit einem Wehrgang versehen
und verstärkt werden, die Vega wollte man des Korns berauben, die
Mühlen in Beschlag nehmen. In allen Einzelheiten ward der Aufstand
besprochen, der kriegsmäßig nach alter Maurenart auf allen bedrohten
Punkten des alten Königreichs Granada ausbrechen sollte. Nach Sevilla
ritt ein vornehmer Maurenritter, um die Beschwer vor dem Königspaar
niederzulegen.
Da tönten die Fanfaren vom Velaturm. Graf Tendilla kommt! Die Burnusse
wirbeln durcheinander. Nun kann Rettung kommen, wenn der einsichtige
Gobernador das Kommando übernimmt.
Im Lichtwogen des Morgens traben die verstaubten Reiter des Grafen
Tendilla, die drei Streiftage hinter sich haben, in die Stadt. Der
Graf de Mora berichtet ihm über die Vorgänge, während sie nach der
Bibarrambla ziehen, wo Mönch und Soldat aufatmen. Ablösung kommt!
Goldig erhebt sich der Tag über der Sierra Nevada, und die Häuser
erglänzen unter einem seidenen Herbsthimmel. Aus den Patios steigt
der betäubende Duft sterbensmüder Rosen, der wieder von den Gerüchen
schwitzender Leiber, arabischen Räucherwerks, von Moder und Rauch
verdrängt wird.
Ximenes empfängt den Grafen. Die Köpfe geraten aneinander. Tendilla
spricht für Milde und Nachsicht, der Erzbischof ruft die Strenge seines
Gottesphantoms an und weist auf entfernte Himmelsziele. Da beginnt des
Gobernadors Gerechtigkeitssinn, bisher nüchtern und erdfest, zu wanken.
Auch er liegt bald im Bann des großen mitleidlosen Geisteskämpfers.
Mit seinem prächtigen Gefolge reitet der Gobernador durch die Gassen.
Er besänftigt die Mauren und verlangt ihren Führer zu sprechen.
Man ruft ihm zu, der Führer sei das beleidigte Recht. Doch endlich
weisen ihn einige an Abu Atir. Eben steigt dieser mit seinen Rittern
und Gelehrten aus dem Albaycin herab, um Ximenes anzuflehen, die
starre Hand für den Frieden zu öffnen. Graf Tendilla reitet ihm
entgegen, und die Männer begrüßen einander herzlich. Abu Atir bittet
um die Herausgabe der Elcheskinder. Doch der Graf ist außerstande,
Versprechungen zu geben. Er spürt den unsichtbaren Druck der
Inquisition hinter sich. Jedes seiner Worte ist ein Geben und Nehmen
zugleich. „Liefert wenigstens eure Waffen ab,“ rät er wohlmeinend dem
Imam.
„Gott, dessen Name Ehre und Friede ist, soll mein Zeuge sein: wir geben
die Waffen, wenn du uns die Kinder gibst. Die Tränen der Mütter müssen
gestillt werden, denn sie sind heilig.“
„Es geht Ximenes um den Glauben!“
„Insch’allah! Auch uns, Sid! Aber unser Glaube will nur +sein+,
der deine will vernichten. Heißt das Glaube?“ Der Imam hat ausgeweinte
Augen, sein Gesicht ist fahl, die Züge sind schlaff und müde. „Ich
weiß, Ximenes hat geschworen, die Mauren in alle Winde zu wehen, und
wenn es an die Gedärme gehen sollte. Aber in uns ist Gottes Glut,
ihr könnt wühlen in unsern Gedärmen, Christ ist Christ, und Maure ist
Maure. Sieh doch, Sidi, kommt ein Christ in unser Haus, schlägt das
Feuer des Herdes doppelt hoch vor Freude über den Gast, und er schläft
sicher bei uns. Kommt ein Maure zu euch, dann wissen wir nicht, ob er
wiederkehrt. Das will Gott nicht so haben.“
Vor das Mitleid des Grafen schiebt sich ein Riegel, die beschworene
Pflicht gegenüber König und Inquisition. „Vorerst nur die Waffen weg!“
mahnt er wieder.
„Nur erst die Kinder zurück!“ beharrt der Imam auf seinem Recht. Und
sie reiten unversöhnt auseinander.
Don Pedro de Solar wird abgelöst und sehnt sich nach Schlaf und Ruhe.
Im Heimreiten hört er auf einem Platz wieder das Inquisitionsedikt
verlesen. Mauren und Ketzer! Der Graf wirft sie in einen Topf. Spanien
muß davon gesäubert werden. Leon versteht sein Handwerk. Aber im
gleichen Augenblick preßt sich das Herz des Grafen zusammen. Er liebt
Menschen, die gerade und scharf gehen wie eine Toledaner Klinge; aber
von diesem Priester wußte er, daß er auch den Schleichweg des Heuchlers
ging. Man sagte ihm nach, daß er gern überrede, besonders die Frauen.
Und warum konnte dieser Priester nie lächeln? Warum schreckte seiner
Augen Glut mehr, als zu wärmen?
Hernando de Rojas, die Jagdmütze auf dem Haupt, erwartete schon
den Grafen in seinem Lieblingsgemach. „Du mußt müde sein wie ein
Schlachtpferd. Wir wollen nachmittags über manches sprechen.“
Doch der Graf hielt ihn zurück. „Bleib. Ich muß dich sprechen.“
„Du hast mit Leon einen Handel gehabt?“
„Kaum einen Wortstreit.“ Mora wurde flüchtig rot.
Der Freund blickte durch die Säulchenfenster auf die gärende Stadt.
„Diese Mauren haben trotz ihrer Zermürbung einen bewundernswerten
Stolz. Ich habe Abu Atir sprechen gehört. Edler Geist! Er hätte einen
Apostel Christi abgeben können. Doch Gott steckte ihn bestimmt mit
Absicht in eine mohammedanische Haut. Ich habe ein heiteres Wort von
ihm gehört: Ximenes glaubt, daß sich die Sonne verfinstert, wenn er
sich räuspert.“
„Ich will von den Mauren nichts hören,“ sagte unwillig der Graf,
während er Degen und Schärpe wegwarf. Die schönen gestählten Glieder
spielten freier, vom Druck des Panzerhemdes befreit. Er schritt
mit gerunzelter Stirn auf und ab, rief nach Chispazo, jagte den
Springteufel wieder fort und warf Gewandstücke da und dorthin.
„Es wird dich also mehr freuen zu hören, daß Perez de Oliva eine
Karawelle nach Hispaniola rüstet.“
Der Graf schüttelte wieder den Kopf. „Auch damit wird nichts.“
„Du willst nicht nach Haiti? Willst du hier immer Hammelfett riechen
und Olla potrida essen?“
„Lege dich auf den Diwan -- er ist maurische Arbeit --“
„Von Mauren willst du, glaube ich, nichts hören.“
Der Graf drückte den Freund mit einem kräftigen Arm in die üppigen
Polster. „Wir haben Eswer Ben Zerragh gefangen.“
„Die Stadt spricht davon. Man soll seine Berge nicht zu früh verlassen,
sagt der vorsichtige Hirte.“
Graf de Mora zog die Zettel aus seinem Brustlatz. „Der junge Ritter
trug das bei sich. Worte des Aufruhrs -- aber seines Herzens. Du kennst
dich in Canzonieros aus.“
Hernando buchstabierte geläufig die Schrift und lachte. „Das wellt wie
Wüstensand unter Samumfittichen. Verse aus einer verliebten Seele.
Gazalun -- die Gazelle -- und er selbst ist Asadun, der Löwe. Er
verliert seine Wildheit beim Anblick der schönen Reija --“
„Heißt das wirklich Reija?“ fiel der Graf dem Freund gereizt ins Wort.
„Reija, gewiß -- und sie wirft braune Beine im Tanz beim Mondenlicht --
und da ist von einer königlichen Abstammung die Rede -- und da: Unter
Hüterflügeln eines weißen Adlers sitzend --“
„Abu Atir! Es liegt am Tag!“ Der Graf schlug heftig mit dem Degenknauf
auf seinen Schenkel.
„Es ist eine Muwaschaha, wie sie die Hirten in den Bergen singen.“
„Ich weiß, wen er meint. Die Perle des Alkazars, die Agarenos nennen
sie Ward.“
„Ward? Das ist die Rose. Ei, ist es die, welche dein Degen --“
„Laß das,“ unterbrach ihn der Graf hastig. „Es hätte jeder Kastilier an
meiner Stelle ebenso gehandelt.“
Hernando de Rojas wurde nachdenklich. „Das Schicksal nimmt sich oft
seltsame Anwälte. Du hast also Salzedo gefunden?“
„Ich verdanke den Fund dem sonderbaren Mädchen -- eben dieser Ward.“
Und er erzählte dem Freund den Hergang.
„So ist Salzedo einen Koran wert. Hm -- Don Pedro war früher nicht
leicht zu einem Handel mit Mauren geneigt. Er befahl und es geschah.
Vielleicht weil er immer nur mit Mauren und nicht mit Maurinnen zu
tun hatte.“ Er lächelte listig. „Und diesen gefährlichen Ritt in die
Alcazaba wagtest du um Salzedo, um Ximenes willen? Man muß sagen, da
hast ein Herz für deine Spanier.“
Mora drehte das Gesicht nach der zart gemusterten Stuckatur der Wand.
Hernando ließ nicht locker. „Dein Entschluß, Hispaniola untreu zu
werden, steht also fest?“
„Das Land lockt mich nicht mehr,“ sagte der Graf geringschätzig. „Mein
Degen sehnt sich nach maurischen Brüsten. Der Glaube ist bedroht. Der
König hat recht: in diesem Augenblick gehören alle spanischen Ritter
nach Spanien.“
„Und um das zu erkennen, mußte zuerst eine Maurin vor deinen Augen
ihren Koran verteidigen?“ Er zielte mit einem prüfenden Blick nach dem
Freund.
Dieser entzog sich wieder dem lauernden Auge. „Du mengst Dinge hinein,
die nicht dazu gehören.“ Er vermurmelte ein paar grollende Worte.
Da legte ihm Hernando die Hand auf die Schulter. „Du bist nicht
aufrichtig.“
Von den Minars erklang das Selam in feierlich gezogenen Tönen. Aus den
Gassen scholl der Lärm der Empörer herauf. Don Pedro de Solar fuhr
gequält auf: „Es gibt einen kleinen Fisch, er heißt Remora. Er soll das
größte Schiff der Welt aufhalten können. Siehst du, so kann ein kleines
Ereignis die größten Entschlüsse zum Stocken bringen.“
„Das ist auf Hispaniola gemünzt?“
Der Graf wurde plötzlich von weichen Gefühlen bewegt. „Ich möchte
wieder in Mora sein, in meinem Carmen bei der Stadt, möchte den
arabischen Springbrunnen rauschen hören. Meine Mutter hatte so viele
arabische Märchen im Kopf.“ Er blickte verloren in das weiße Blenden
der Albaycin-Häuser, während sein Fuß auf der Espartomatte ungeduldig
spielte.
Hernandos Blick nagelte den Freund fest. „Dich drückt etwas Bestimmtes.“
Statt aller Antwort fragte Don Pedro: „Du hast viel Glück bei den
Weibern gehabt?“
„Ohne zu prahlen, ich hatte die Schönen von Salamanca, Sevilla,
Barcelona, Toledo -- nein, das ist ja schon halbe Prahlerei. Ei, was
geht dich mein Glück bei den Mädchen an?“
„Ich möchte doch auch einmal eure Paradiese sehen,“ sagte der Graf, mit
dem Finger weich über die samtne Decke streichelnd.
Hernando machte Augen. „Jetzt fürchte ich um die Erdbeständigkeit
Granadas. Don Pedro de Solar fragt nach den Paradiesen an einer Maja
Brust!“
„Schweig oder besser: rede! Stopple ein paar Abenteuer zusammen, wenn
du sie nicht erlebt hast. Deine Tugend ist Wohlredenheit.“
„Hältst du mich für einen geschwätzigen Amadis? Meine Abenteuer
könnte ein ehrsamer Schreiber einem König als lustiges Buch zu Füßen
legen. Man lernt im Schatten der Schulbank von Salamanca mehr als den
Juvenal. Von der stolzen Ines herab, die ihr Schloß durch Feuerwerk
für mich beleuchten ließ, bis zur schönen kupferhaarigen Dolores, die
so wunderbar faul war, daß sie ein Esel darum beneidet hätte, und die
nur Fetzen am Leib hatte statt Seide, habe ich alle Zwischenstufen von
Schönheiten genossen. Und doch rate ich dir, wenn du Vergnügen höher
schätzest als Liebe, so nimm dir eine Maurin in dein Bett. Es sind
weichschenklige Weiber.“
„Bist du bei Sinnen?“ empörte sich Don Pedro.
„Du hast Midashände, darauf fliegen die Maurinnen wie die Hennen aufs
Futter. Sie sind flüchtige Schmetterlinge, eilen von Genuß zu Genuß,
ihr Tag- und Nachtwerk ist küssen, küssen. Auch verstehen sie es, keine
Kinder zu kriegen, denn an diesen könnte deine Liebe einst bitter
leiden. Man sagt ihnen freilich nach, daß sie die Männer bald ermüden
und sich wie Delila ihrer Stärke freuen. Aber was tut’s! Sie schwelgen
an den Tafeln des Lasters, und die Tugenden ihrer Mädchen sind Masken,
die gelüftet eine abgefeimte Dueña zeigen.“
Der Graf ballte die Fäuste. „So kann’s nicht sein, so nicht!“ In der
Angst, sich zu verraten, änderte er den Ton. „Wie erwirbt man so
flüchtige Liebe?“
„Der eine tut’s in Versen, der andere mit Blicken, der dritte greift
keck zu und überrennt ihren Leib. Auch eine Kupplerin kann gute Dienste
tun. Die Mauren schätzen ihre Frauen als Weib, Kind und Dirne ein.
Solch ein Mischmasch ist gerade für die Stunde gut, da dem Christen
der Adam um die Lenden kitzelt. Doch hüte dich, aus einem Zeitvertreib
Ernst zu machen. Die Busenwärme eines braunen Kindes soll dir schwere
Gefühle abschütteln, nicht dich damit beladen. Auch hüte dich vor den
vornehmen Mädchen, sie werten jeden Christenblick wie den eines Piraten
und sind leichter reizbar, durch ihre Fetas verwöhnt, die einigen Sinn
für echte Caballeria haben. Der Zufall hat dir Beweise des maurischen
Rittertums in den Versen dieses Abencerragen in die Hände gespielt. Auf
solche liebeklingende Werbung fällt leicht eine Agarena hinein.“
„Also Maurin und doch nicht.“ In des Grafen Brust kochte es.
„Ich will den Tag mit Henna anstreichen, da ich vor Mora über Maurinnen
sprechen durfte, ohne daß es ihn überlief. Sonderbar -- Hispaniola
verweht -- dafür verteidigst du Maurenmädchen --“
„Eswer Ben Zerragh soll hängen!“ brauste es plötzlich wie ein Zyklon
aus dem Munde des Grafen.
Da griff sich Hernando an die Stirn. „Ah! -- Es ist am Tage! Deine
Wange in Glut! Der hilfsbereite Degen! Eswer soll hängen! Der Blitz
zündete und traf! O ich blinder Maulwurf!“
Graf de Mora saß auf einer Truhe, das Kinn in die Hand gestützt.
Er wußte, daß ihm der Freund das Geheimnis entreißen würde, und im
Grunde wollte er es auch. Die Beladenheit seines Herzens drängte
nach Mitteilung. Und Rojas war der Treuesten einer, zugleich geübt
in Galanterie, beredsam, geschickt, alles in allem ein brauchbarer
Helfer in einer Sache, die des Grafen Herz in ein Chaos zu verwandeln
im Begriffe war. Nur ein Knabe hätte jetzt noch an Ausflucht denken
können. „Sie ist schön,“ sagte Mora, und es klang wie ein offenes
Bekenntnis.
Hernando zuckte die Achseln. „Die Mauren vergleichen sie freilich mit
Canopus, dem seltenen Stern. Du müßtest sie unverschleiert sehen.“
„Ich habe sie gesehen,“ stürzte Don Pedro glücklich heraus. „Ihr Wert
ist größer als der ihres Schleiers. O Hernando, was rätst du mir?“
Rojas mußte sich zuerst sammeln. Es kam zu unerwartet. „Gebe mir
Gott den richtigen Augenblicksverstand, damit ich nicht daneben
sinne. Deine Lage ist heikel, wenn du diese Schönheit ernst nimmst.
Du bist königlicher Hauptmann, erster Soldat des Gobernadors, hast
Kriegsverdienste, bist Grande, kannst ohne Genehmigung des Königs
nicht vor das Gericht gestellt werden, stehst bedeckten Hauptes vor
dem König, dein Platz bei den Cortes ist hinter den Prälaten -- das
alles macht dich groß, aber es hindert dich, frei zu handeln. Ximenes
bereitet Schläge gegen die Mauren vor, und du sollst mithelfen --“
„Er wird nicht über mein Herz schreiten dürfen,“ sagte Don Pedro
erregt. „Ich war ein Leben lang auf falscher Fährte. Diese Mauren sind
in ihrem Glauben ebenso stark wie wir. Tendilla, Talavera, Osuna, Orgaz
beugen sich vor der Kraft ihrer Überzeugung. Ich stürmte blindlings an
ihr vorbei, nahm gedankenlos hin, was mir die Überlieferung als eine
Selbstverständlichkeit hinlegte.“
„Über deinem Haupt hängt eine Wolke,“ mahnte der Freund. „Flieh, ehe
ihr Donner dich vernichtet.“
„Es gibt Wolken, denen der Mensch nicht entfliehen kann. Sie eilen zu
schnell.“
„Schwer wird man deine Wandlung verstehen. Du standest an der Spitze
der Maurenhasser. Wer hat ihn zum sanften Schäfer gemacht? wird man
fragen. Auf jeden Fall hüte dich, deine Wandlung vor den Augen der
Familiares zu zeigen. Die Liebe einer Maurin ist ein gefährliches
Himmelsgeschenk. Aber im Grunde bist du ein fallendes Blatt, vom Sturm
an die Schöne herangeweht, du atmest ihre bestrickende Nähe und siehst
vielleicht noch nicht die Netze, die dir gestellt sind.“
Eswer wird in neun Tagen frei sein! Der Lockton schwang an des Grafen
Ohr. Und die Augen, die Zähne, die sie dabei zeigte! O ihre Schönheit
warf glühende Bälle nach ihm und er vermochte kaum klar zu denken.
Doch plötzlich sprang es ihn an. „Du kennst die Geschichte des
Abencerragen, Hernando. Er hat in Notwehr gehandelt, als er damals den
Schergen verwundet -- doch nun hat er freilich einen Alguacil getötet.
Vielleicht auch aus Notwehr. Und wenn nicht -- ein kastilischer Ritter
hätte nicht viel anders gehandelt, wenn er einen Landsmann von Feinden
bedroht gesehen hätte.“
Der Freund lächelte. „Du suchst schon nach Entschuldigungen. Trefflich!
Bei San Isidoro, man muß an Wunder glauben, der Wolf ist zum Lamm
bekehrt. Und das alles aus den Feuergründen eines Weiberauges! Pedro,
Pedro, du hast lange den schönen Blitzen widerstanden, aber nun treffen
sie dich um so unbarmherziger. Das Weib rächt sich durch ein Weib. Sei
auf der Hut! Es laufen so schöne Majas in Granada herum, daß dir um
dein Herz nicht bange zu sein braucht. Aber laß diesen wahnwitzigen
Gedanken fallen: eine maurische Königstochter!“
„So gilt das Edle weniger als die billige Ware einer Liebesnacht?
Hernando, nun kenne ich dich nicht mehr. Alfonso der Sechste war es,
der eine maurische Fürstentochter zur Gattin erhob, vor maurischen
Schönheiten senkten christliche Ritter einst ihren galanten Degen --
o geh, geh, du hast deine Zeit in Salamanca an schlechte Weisheit
verschwendet. Die Erde wird nicht aus der Achse fallen, wenn ein Gott
zwischen zwei Religionen Versöhnung predigt.“
„So weit bist du schon, Pedro? Und mit solchen Gedanken willst du als
königlicher Hauptmann die Rattenwinkel der Empörung säubern?“
„Weg mit dem Amt, das mir das Herz beengt!“ flammte der Graf auf.
„Du -- den Degen niederlegen -- in die Hände des Königs? Dieses Königs?“
„Soll ich nicht prüfen dürfen, wo das hartbedrängte Volk geirrt? Man
sollte die Mauren doch auch mit den Waffen des Geistes besiegen können,
des Geistes, den Spanien in seinen Hochschulen großzieht.“ Mora begann
fremdartig zu schwärmen. „Du hättest sie sehen sollen, wie sie sich
wehrte und zur Heldin wurde. Möge kalt wägender Verstand hier unheilige
Glut erklügeln, ich glaube dem Feuer aus diesem reinen Mund.“
„Du dampfst wie kochender Wein! Ich will nüchtern bleiben. Noch ist
nichts geschehen, als daß dein schwer zündbares Herz endlich Feuer
fing. Aber man fliegt nicht ungestraft mit wächsernen Flügeln einer
Sonne zu. Männer, die nie geliebt, wirft die Liebe um so leichter um.
Mach’ doch um Christi willen keinen heiligen Altar aus deinem Gefühl.
Leb’ wohl!“ Er klirrte in die Kühle des Korridors hinaus und ließ den
Grafen in einem Gewoge selig-unseliger Bedrängnisse zurück.
Hernando hatte recht, es war noch nichts geschehen. Aber dieses
herzaufwühlende Gefühl, daß etwas geschehen könnte! Der Graf ließ sich
davon überrieseln. Er stand beim Fenster. Der Moderduft des Herbstes
drang aus dem Garten des Generalifes in seine Sinne. Fern schimmerte
der Schnee des Picacho de Veleta, tief unten rauschte leise der Darro.
Bald mußte er mit gelben Regenfluten daherbrausen --
Der Graf spannte das Auge nach der Darrostraße. Eine Dame ritt daher,
gefolgt von Rittern. Leonore de Uceda! Welch schmachtenden Blick
warf sie herauf! Der Graf zog sich in den Schatten zurück. Dieses
liebebettelnde Abenteuerweib kam zur Unzeit in seine Gedanken geritten.
Er schüttelte das Bild von seiner Seele, denn es wog zu leicht und
wurde von keiner Tugend geziert.
Dumpf läuteten die Glocken. Es mochte wieder ein Auflauf im Gange
sein. Don Pedro durfte bis zum Abend ruhen. Er drückte das Haupt in
die arabischen Diwanpolster. Eswer wird in neun Tagen frei sein! klang
es wieder an sein Ohr. Und seine Müdigkeit zerriß. Er wird nicht frei
sein! tobte der Trotz in ihm. Er ist dein Liebhaber, schöne Gazelle der
Agarenos! Und ich werde nicht die Torheit begehen -- ei, was für eine
Torheit? Ach, Gedanken sind Würmer, die am Mark des Menschen zehren.
So drohte sein Gemüt in den Niederungen des Zweifels und der Eifersucht
zu ersticken.
Fünfzehntes Kapitel
Reijas Haupt schmiegte sich liebkosend an das weiche Gefieder eines
zahmen Rosenflamingos, den ihr einer der Beni Mossad verehrt hatte. Da
stürmte Saffana in die Samt- und Seidenpracht des Frauengemaches.
„Bi nefsi! Was ich gesehen! O was ich gesehen!“
Reija schickte das rosige Federtier in die Hut einer Matrone ins
Nebenzimmer. „Närrin, plagen dich böse Dschinnen?“
„Die Bibarrambla war voll Menschen. Schon den sechsten Tag kämpfen sie
dort für unsern Glauben. Und nun ist Talavera gekommen! Mitten in die
schreienden Haufen hinein! Auf seinem vergoldeten Stock gestützt, nur
von einem Kaplan begleitet, der das Kreuz trug --“
„O der mutige, fromme Mann!“ freute sich Reija mit.
„Frauen küßten ihm die Füße, das Kleid --“
Da trat Abu Atir ins Gemach, auf der Stirn den Abglanz seelischer
Erhebung. „Allah akbar! Graf Tendilla -- Gott erleuchte sein Herz, wie
er seinen Verstand erleuchtet hat! Graf Tendilla kommt dahergeritten,
begleitet von seinem Hauptmann --“
„Mit dem, der bei uns war? Dem Grafen de Mora?“ Reija zuckte zusammen.
„Mit ihm. O daß du es gesehen hättest! Der Graf hatte die Augen voll
Licht.“
„Mora?“ schnellte Reija wieder ihre brennende Neugierde heraus.
„Nein, der Graf Tendilla. Inmitten der heulenden Menge auf seinem Fuchs
neben Talavera. Auf einmal verstummten die Glocken, das Volk horcht
auf -- und da -- o daß ich es noch einmal sehen könnte! -- da wirft
der Graf seine Scharlachmütze unter die Mauren und ruft: ‚Das ist
mein Kopf! Er gehört euch, wenn ich nicht alles versuche, beim König
Gnade für euch zu erwirken. Legt eure Waffen nieder, geht friedlich
an euer Handwerk und Geschäft!‘ Li amri! Alles riß sich um die Mütze
-- die Waffen sinken zu Boden -- der Graf -- Gott gebe ihm Gärten und
Paläste und tränke seine Herden! -- der Graf läßt durch Reiter eine
Gasse bilden, und nun höre, Reija! Des Grafen Frau und seine zwei
Söhne reiten durch die lebendige Gasse -- und der Graf ruft: ‚Diese
meine Schätze gehören euch als Geisel! Tötet sie, wenn eure Freiheit
angetastet wird!‘ Da heult und jubelt das Volk, und die Beni Mossad
nehmen die Geiseln in Empfang. O wie wirbelt es noch in meinem Kopf --
Ximenes hat man heimlich in die Alhambra geschafft, sie fürchten für
sein Leben.“
„Und der königliche Hauptmann?“ schoß die Neugier wieder von den
schönen Lippen.
„Ach, was soll der Hauptmann uns noch schaden, wenn der Gobernador --
ach, du süße Blüte des Wundergartens Gottes, nun atmen wir auf. Man
sagt, der König sei empört über Ximenes. Aber wie immer, wir wollen
Gott loben, denn er hat ein sichtbares Zeichen gegeben über sein
zweites Damaskus. Er stürzte der Juden Altäre und baute neue auf,
er hat den Mihrab unseres Herzens gestürzt und einen neuen goldnen
errichtet. Sprich: Gott ist der einzige und ewige Gott, zeugt nicht und
ist nicht gezeugt und kein Wesen ist ihm gleich.“
In gläubiger Demut warfen sich die Frauen auf den Gebetsteppich hin und
schlugen mit den Stirnen zu Boden. In langgezogenen Tönen wiederholten
sie das hehre Surenwort. Die schönen Hände Reijas lagen wie gemeißelt
auf dem Untergrund des dunklen Samts.
Der Imam ging. Reija richtete sich schnell auf. Die schwarzen Augen
brannten. „Wie hast du ihn gesehen?“
Saffana brachte Teppiche und Diwan in Ordnung. „Talavera?“
Reija kräuselte die Lippen in Unmut. „Den, der uns den Koran brachte.“
„Den Grafen de Mora?“ Sie las der Herrin alle Wünsche aus den Augen.
„Ach, er saß wie ein Beduine im Sattel und seine Augen leuchteten. Er
ist wie ein König, den das Wüstenvolk wählt.“
„Er gefiel dir also?“ schürfte Reija tiefer in das Herz der Sklavin.
Saffana schlug die Hände über der Brust zusammen, was ihre Bewunderung
ausdrücken sollte. „Oh! Oh! Aber die Moriskos sagen, er schaue kein
Weib an.“
Reija lachte gereizt. „Die Moriskos sind dumm. Sie werden noch einen
christlichen Heiligen aus ihm machen, mit einem Kranz auf dem Haupt,
stehend im Kirchenwinkel. Wie dumm! Als ob man es nicht besser wüßte!“
„Freilich -- damals hat er dir in die Augen gesehen! O bei den Pforten
des Paradieses, hat der Mensch Augen! Man wäre versucht, in der
Verwirrung ein Lamm in der Küche samt dem Fell zu braten. Und wie
gefällt er dir, Tau der Wüste?“
Reija wollte schon sagen: wie der siebente Stern der Plejaden. Aber
sie zügelte ihre Zunge. Noch brauchte sie keine Vertraute. Es war so
schön, eine Heimlichkeit im Herzen hin und her zu rollen wie einen
Ball. „Komm in den Sahat, das Bad ist noch nicht fertig.“
Gleich darauf saß Reija zwischen den Säulen auf der Hofschaukel. Aber
ihr Wesen schien zerfahren. „Weißt du, was ein Traum ist?“ fragte sie
die Sklavin.
„Der Gesandte eines guten oder eines bösen Dschin. O hattest du heute
einen, du Quelle Salsabil des Paradieses?“
„Ich sah einen Ritter auf schwarzem Roß durch die Vega reiten, um ihn
herum aber sah ich Flammen.“
„Eswer war’s, bi nefsi! Der Schöne, der As-Saffah, der Blutvergießer.“
„Nein, es war ein Mogavar, ein christlicher Ritter, denn er hatte das
Kreuz auf dem Mantel. Sein Pferd stolperte und fiel -- da erwachte ich
und schwere Moschusdüfte hingen um meine Sinne.“
„Bei dem Glanz des Glaubens, dann muß es der Feta gewesen sein.“
„Aber was soll die Flamme um ihn?“
„Das Zeichen seiner Liebeskraft.“
Reija schüttelte heftig den Kopf. „Der Taggedanke erscheint im Traum.
Ich habe nie an den Mogavar gedacht, denn ich muß ihn hassen, wiewohl
-- sage, Saffana, muß man einen Menschen auch dann hassen, wenn er
einem den Koran gebracht?“
Da platzte Saffanas natürlicher Einfall heraus: „Einen solchen Menschen
möchte ich lieben, du Rose der glücklichen Insel, und möchte von Gott
für ihn erflehen: Dauernd sei sein Ruhm, wie ein Phönix lebend, auch
wenn er stirbt.“
Reijas Augen schlossen sich im Genießen der Worte. Dann sagte sie
rasch: „Du schwatzest wie eine Schwalbe.“ Nach einigen Augenblicken der
Nachdenklichkeit stürmte sie einen neuen Gedanken heraus: „Ob er mir
den Abencerragen bringen wird? Eswer ist jung und schön. Er ist wohl
schöner als der Graf.“
„Eswer ist schöner als der Graf,“ wiederholte gehorsam das Echo. Aber
das schlaue Mädchen blinzelte in die Seele der Herrin, um das Rätsel
ihres Gefühls zu lösen.
„Der Graf ist doch noch schöner als Eswer,“ schlug Reija lichterloh
zurück.
Da zuckte Saffana die Achseln. „Schade! Er ist ein Christ. Aber ich
segne die Gedanken meiner Schems, der Sonne.“
Noria, die Schiefrückige rief zum Bad.
In dem kostbaren Morgengemach, wo zwei Riesenspiegel im Licht der
Kerzen blinkten, Felle, Tücher, Decken und Polster zur Schwelgelust und
Behaglichkeit einluden und der Wohlgeruch von Myrrhe und Storax aus
silbernen Pfannen stieg, ließ sich Reija entkleiden.
Und da stand sie nun, festschenklig, zartlendig, mit ihrem Palmenwuchs,
keusch wie Ur-Eva, mit braunrosigen, wogenden Hügeln, zwischen denen
die Furche süßer Ahnung dämmerte, die bronzeschimmernde Haut faltenlos
gespannt, der Leib von dem prachtvollen Kopf gekrönt, dessen Haar,
sich nun langsam aus dem Goldschmuck lösend, in Wellen über Schultern
und Brüste floß. Sie spiegelte ihren Körper im Schreiten und ihr Gang
war wie das Wiegen der Zypressen, wenn der Wind in ihre Leiber greift.
Die leicht aufgeworfenen Lippen waren halb geöffnet, als versuchten
sie an erträumten Süßigkeiten zu naschen, und wie Mandelkerne blinkten
dahinter die regelmäßig gesetzten Zähne. Ihr Mund glich einem
Blumenkelch, angefüllt mit Honig, der überfließen mußte, wenn sich ein
glücklicher Falter nahte.
Über das marmorne Badebecken senkten sich die Blätter zweier Palmen,
ihr Schattendach sollte an die Wohligkeit arabischer Oasen erinnern,
wo der erquickende Quell fließt. Reija stieg in das warme, klare
Wasser, das in sanften Wellen um ihre Hüften spielte. Sie schöpfte es
mit den Händen und warf es kirrend wie ein Kind auf ihre schimmernden
Brüste, von wo es wie Silberperlen niedertropfte. Dann zerpflückte
Saffana einen Rosenstrauß und ließ die Blätter über den Leib der Herrin
fallen. Mit versuchenden Schwimmstößen trieb diese ihren erregten
Körper vorwärts, legte sich auf den Rücken und ließ sich im Wasser von
Saffanas Armen tragen. Alles an ihr sprühte Leben und Freude. Ihr Blut
rauschte von sinnlichen Strömen, die aus Arabiens Gluten entsprangen,
ihre Lippen waren in süßer Not zusammengepreßt, die Augen geschlossen.
Nun öffnete sie die feinen Stacheln der Wimpern. Das Glutauge sog mit
natürlicher Gefallsucht die Spiegelung ihres Körpers ein. Jeder Nerv an
ihr bebte.
„Du bist Selwan, die Liebesmuschel,“ sagte Saffana schmeichelnd.
„Was ist es mit ihr?“
„Sie ist schön wie nichts auf der Erde. Wer sie findet, muß sie ins
Wasser werfen, dann rauscht es auf und man bereitet aus dem Schaum den
Liebestrank, dem niemand widerstehen kann.“
Das große Auge lächelte. „Es gibt keinen Liebestrank als den Kuß vom
Mund des Geliebten. Das sagt Ibn Ammar, der Vezier und Dichter. Die
Salben!“ Sie stieg aus dem Bad. Der erhitzte Körper strömte eine
fleischlich duftende Glut aus. Saffana rieb ihn mit wohlriechenden
Salben ein, kämmte das Haar aus und legte es in die Fessel eines
goldschimmernden Stirnreifs. Dann hing sie ihr das Amulett mit den
fünf Fingern um und griff nach der Anafine. Sie spielte ein zartes
Muwaschaha, ein Hirtenlied aus den Alpujarras.
Reija lag wohlig hingestreckt auf dem Diwan. Sie sann vor sich hin: Haß
zur Rechten, Liebe zur Linken, mein Herz ratlos dazwischen, denn es
möchte küssen und strafen in einem Atemzug. Welcher Engel weist mir den
Weg aus dem Irrsal? Sie riß der Sklavin das Instrument aus der Hand.
„Das Gewand!“
Eia! Sie ist verliebt! stellte Saffanas Spürsinn fest. Das Bad hat sie
erhitzt. Man sollte ihr jetzt einen Mann geben können. „Haif aleh!“ Sie
legte Hülle auf Hülle über die geschwellten Glieder, während die Herrin
ein jemenitisches Liebeslied summte.
Aus den Häusern des Albaycin tropften maurische Lautenklänge in das
stille Singen. Reija stieg auf den Schemel unter dem Fenster. Ein
sternbesäter Himmel spannte sich über die Alhambra, die wie eine
Riesensphinx dalag.
Sechzehntes Kapitel
Die Könige zürnten. Granada in Aufruhr! Schon am dritten Tag nach der
Bücherverbrennung kamen staubbedeckte, schweißtriefende Maurenritter
nach Sevilla und schluchzten ihr Leid vor den königlichen Räten aus.
Fernando geriet in Empörung über seinen Primas. Almazan, der königliche
Sekretär, mußte Ximenes zur schriftlichen Äußerung verhalten. Eilboten
brachten das Schreiben nach Granada. Ximenes belächelte hinter den
Alhambramauern die Sorge seines Königs und seiner Königin. Noch am
selben Tage sandte er Ruyz nach Sevilla. Doch dieser, ein schwaches
Stimmrohr seines gewaltigen Herrn, wurde von dem Herrscherpaar ungnädig
entlassen. So ritt denn Ximenes unter starker Bedeckung selbst nach
Sevilla.
Ximenes ist da! Man wollte den König bei der Nachricht erblassen
gesehen haben. Fernando konnte diesen Priester aus der Ferne bis ins
Herz treffen, doch stand er vor ihm, dann schrumpfte das königliche
Licht zu einem Fünklein zusammen.
Isabella glich einer glühenden Pfingstrose. Ihr Unmut knisterte bis in
das steiffaltige Gewand. „O wenn nur der König --“
„Er ist da,“ rief die Herzogin von Najera, in das Zimmer der Gebieterin
stürzend.
Der König verjagte mit einem Blick die Edeldame. Isabella trat mit
geröteten Augen dem Gemahl entgegen. „Ximenes ist da!“
Fernando wehte kühl über sie hinweg: „Er trieb die Mauren zur
Verzweiflung. Bücher verbrennen! Kinder vom Herzen der Mutter --! O
warum hat auch eine gewisse Dame ihm soviel Vertrauen geschenkt? Jetzt
haben wir die Bescherung in Granada. Ein ungesundes Christentum und
noch viel Härteres. Ihr verlort einen guten Beichtvater und gewannt
einen eifernden Erzbischof.“
„Wer ist weitschauend genug?“ klagte Isabella.
Fernando warf seine in Purpur gehüllten Glieder in einen Hochstuhl.
„Daß Könige nicht ihre eigenen Staatsmänner sein können! Nie können sie
Könige aus sich selbst sein!“
Isabella zog Briefe aus einer Schatulle. „Jammerrufe maurischer Fakis!
Und da ein Brief Leons, wo er über die übertriebene Galanterie des
Grafen de Mora Klage führt. Mit welchen Lächerlichkeiten behelligt man
uns? Der Graf sollte vernünftiger sein.“
„Der Graf hielt mir an der Grenze durch zehn Tage eine Festung gegen
den Ansturm der Mauren. Vor Santa Fé säbelte er viele Köpfe nieder. Er
ist für den Orden von Alcantara vorgeschlagen. Doch es gab da eine böse
Vergangenheit seines Vaters.“
„Ist es jener Mora, den die Inquisition verfolgte?“ horchte Isabella
auf.
Der König nickte. „Er dachte zu laut über die Kirche. Doch man ließ ihn
laufen. Des Sohnes Verdienst macht auch vieles gut. Er dient uns mit
Eifer --“
„-- und zieht für Maurinnen den Degen!“ Die empfindliche Königin
warf den Priesterbrief unmutig beiseite. „Ximenes hat sich zuviel
herausgenommen. Man muß ihm vorhalten, daß uns die Doppelkrone
Kastilien-Aragon zur Würde verpflichtet.“
Fernando seufzte. „Wäre ich in Aragonien geblieben, ich hätte mir die
Mühe ersparen können, die Liebe der Kastilier zu erringen.“
Befremdet sah ihn Isabella an. „Und darüber den Ruhm Spaniens zu
vergessen, der dieser Vereinigung Frucht ist! Ihr seid undankbar,
Fernando. Heißt auch Kastilien der Adler, so ist Aragon der Falke. Die
beiden Könige der Lüfte werden sich nicht um den Luftraum streiten.
Aber die Zeit drängt. Ximenes kann jeden Augenblick --“
Der König gab sich ein Ansehen. „Wir werden ihn hören. Entscheidungen
gebären sich dann von selbst.“
Im Saal der Gesandten, dessen Kuppel sich mit den farbigen Gläsern über
der prachtvollen arabischen Kleinkunst erhob, empfing das Königspaar
den angeklagten Primas von Spanien. Die willensstarke Stirn des
Kanzlers trug die Spuren der Ermüdung von der Reise. Dennoch hielt er
sich aufrecht.
„Die Welt blickt nach Granada,“ sagte der König mit streng verfurchtem
Gesicht. „Man wird Könige anklagen, die nicht die Kraft besaßen,
gegebene Gesetze aufrechtzuerhalten. Strenge ist gut, aber Milde ist
besser. Die Mitte zwischen beiden ist des Weisen Weg. Ihr habt Euch,
ohne die Krone zu befragen, für die Strenge entschieden, die den
Aufruhr in die Gassen warf. Glaubt Ihr damit den Menschen einen Dienst
zu tun?“
„Wenn nicht den Menschen, dann Gott!“ Unter den eisgrauen buschigen
Brauen verdunkelten sich die kühlen Augen. „Meine Könige sind ungnädig.
Und ich versteh’ es. Sonst sprangen, wenn ich kam, die Türen von selbst
auf, nun mußte ich im Vorsaal harren, bis sich die Könige meiner
erinnern. Ich bin der Alte geblieben. Tagelang floh mich der Schlaf,
damit meine Könige besser schlafen können.“
Die Sorge traf der Königin ins Herz. „Was wir hörten, mußte uns
schmerzen,“ sagte sie weich.
„Ihr sollt auch mich hören, nicht nur die Beleidigten, die ihre
Sicherheit hinter Gesetzen mißbrauchen.“
„Wir haben heilige Verträge mit den Mauren abgeschlossen vor sieben
Jahren,“ sagte der König. „Sie müssen gehalten werden. Wir haben
gelobt, ihren Glauben nicht anzutasten -- und Ihr verbrennt die Bücher
ihres Glaubens!“
„Des Irrglaubens, Hoheit!“ Es sprang wie lebendiges Feuer von des
Kanzlers Lippen. „Davon war doch im Vertrag nicht die Rede. Was gut an
ihrem Glauben ist, soll gelten, doch die Spreu mußte ins Feuer. Wie
sollte das anders geschehen? Der Koran ist der Irrtümer voll. Soll ich
blätter- und satzweise ausreißen, was verführt? Dann lieber gleich
das Gute mit ins Feuer, es bleibt von selbst am Leben, weil es gut.
Und die Sündenverherrlichung arabischer Dichter, ihre Anbetung des
goldenen Kalbs, des Frauenleibs und der Lust an dem Genuß irdischer
Güter, das alles sollte aufbewahrt bleiben? Als ein Zeugnis der Unkraft
christlicher Seelenhirten, die es duldeten, daß solche lockende Fanale
der Nachwelt leuchteten? Warum rief man mich nach Granada? Wollte man
mich nur von Toledo weghaben? Oder wollte man den Mann mit herberen
Medizinen in mir sehen? Ich sehe, man muß im Königsdienst den Lohn in
der eigenen Tat erblicken.“
„Ihr sprecht kühn,“ sagte Fernando erblassend.
Der unerschrockene Priester, dem unter dem Feuer seiner Herzenssache
alle Müdigkeit schwand, reckte den abgemagerten Leib. „Man muß auch
Könige mahnen, wenn sie im Gotteseifer lässig werden. Oder gedenkt Ihr,
ohne Hilfe der Kirche zu regieren? Ich will’s nicht glauben, daß Ihr
Euch eines so erprobten Rates entäußern könntet. Was Könige mit Händen
bauen, baut in Wahrheit der kirchliche Geist um des Glaubens willen.
Wer freier denkt, taugt nicht zum Herrscher.“ Und mit einem halb wehen
Vorwurf in der Stimme fuhr er fort: „Und was ich tat, tat ich für meine
Könige und den Glauben. Hätte ich noch lang’ gezögert, die Renegaten
hätten sich vermehrt und ihre Kinder hätten den Geist Mohammeds
fortgepflanzt.“
„Ihr überschätzt die Gefahr,“ sagte der König. „Die Mauren sind treu --“
„Wie lange noch wird dieser Schleier vor Euren Augen liegen? Gefährlich
sind sie. Sie schicken nachts ihre Schiffe an die afrikanische Küste,
ja, man spricht davon, daß Boabdil gewillt sei, den alten Boden
wieder zu betreten. Laßt ihn hier landen, und um Spaniens Ruhe ist’s
geschehen. Eine Tochter des Königs wiegelt das Volk auf --“
„Ein Mädchen?“ Die Königin fuhr empor. „Ist es die, von der Leon --?“
„Um sie wirbeln Freude, Verehrung, Hoffnung einen gefährlichen Tanz.
Reija erscheint dem Volk wie ein Vermächtnis des Maurenkönigs. Sein
ebenso gefährlicher Wegberater ist der Imam Abu Osmin Atir, unter
dessen Schutz die Königstochter steht. Über Granada zieht sich ein
Gewölk zusammen, wenn Ihr nicht mit rascher Tat klaren Himmel schafft.
Gebt mir neue Vollmacht. Ihr seht finster. Königin, Ihr habt stets
meinem Rat williger das Ohr geliehen -- o sprecht für mich!“
Isabella nahm den flehenden Blick ihres treuen Ratgebers wie ein
Geschenk in sich auf. „Euer Rat ist ein zweischneidiges Schwert,
Ximenes. Es kann Mauren und Christen verwunden. Du willst bekehren,
aber wer bürgt mir für die Herzen der neuen Christen?“
„Die Inquisition!“ sagte der Kanzler gedämpft.
„Ihr könnt sie mit ihr zur christlichen Gebärde zwingen, ihr Denken
aber bleibt unberührt.“
Der Primas schüttelte den Kopf. „Die Inquisition wird auch Gedanken
überwachen.“
„Ei, soll jeder Gedanke in meinem Königreich zur Qual für den Denker
werden? Weh uns, wenn wir zuviel täten! Wenn das vergossene Blut uns
anklagen sollte. Leon ist allzu streng --“
„Und wenn sich an der Milde die Stärke des fremden Geistes nährt?
Nachgiebig sein, heißt hier dem Glaubensfeind Teppiche unter die Füße
legen, daß er sich nicht an Härten stößt. O hört die Stimme der
Kirche --“
„Ihr seid der Fordernde, nicht die Kirche.“ Auf des Königs Stirn
flammte der Unwille. „Ich weiß, was hinter Euern Wünschen lauert:
die Austreibung der Mauren, die Vernichtung unsäglichen Fleißes, die
Verelendigung des Bodens. Du schneidest dem Spanier ins Fleisch,
drängst du die Mauren übers Meer.“
„Ihr irrt. Es müssen die fleißigen Katalonier heran.“
„Und mein Gewissen? Die sorgenvoll durchwachten Nächte?“ bebte der
König.
„Die Kirche wird vor Gott verantworten, was ein Königsgewissen sich
nicht zu verantworten getraut. Euch erhebe der Gedanke, daß es besser
ist, tausend Irrgläubige zu opfern, als sich ein einzig Lamm von ihnen
stehlen zu lassen. Wäre ich König, mein feierliches Erbe müßte lauten:
Wer nach mir kommt, verfolge Mauren und Ketzer.“
„Mensch, Priester, wo fass’ ich Euch?“ Fernando geriet in Bedrängnis.
„Eure Kirche ist eine Macht, die Grenzen sprengen könnte, die sie jetzt
noch von der Königsmacht trennen. Ihre Stärke könnte meine Schwäche
werden. Ihr habt eine Armee von Gläubigen hinter Euch, ein Wink, und
sie marschieren nach Eurem Ziel, getrieben von dem Glauben, den Ihr
schürt. Es könnte sein, daß dann Euer König einsam bliebe. Drum gib
mir deine Hand, Priester, daß du bei deinen Opfern auch an mich denkst.“
Ximenes reichte dem König die verwelkte, blutleere Hand. „Ihr herrscht
nur mit der Kirche, doch auch die Kirche nur mit Euch.“ Und mit leiser
Vertrautheit näherte er sich den Königen. „Hat Euch nicht Torquemada
die Verfolgung des Irrglaubens mit einem heiligen Eid auf die Seele
gebunden? Liegt es nicht verbrieft in der Geheimschatulle zu Toledo?“
Fernando wollte aufstöhnen, doch bezwang er sich. „Genug davon. Wenn
ich den Granadinern alles nehme und neuen Aufruhr in die Herzen werfe,
bürgt Ihr mir für den Erfolg?“
Ximenes’ Gesicht verzog sich zu einem hämischen Lächeln. „Soll, was
spanischer Geist ersonnen, was sich an Cordoba, Sevilla und Toledo
bewährt, in Granada scheitern? Die Tat ersticke den königlichen
Zweifel. Diese Mauren haben grübelnde Köpfe, ihre Kalifen haben die
Wissenschaft und Spekulation geschult, und über ihren kriegerischen
Geist brauche ich Euch nichts zu sagen. Sie sind alle gefährlich, doch
der gefährlichste -- gebt mir freie Hand für den Imam Abu Atir, die
Seele des Aufruhrs.“
„Ihr wollt ihn verhaften?“ fuhr die Königin auf.
Ximenes verschob die Lippen, als malmte er etwas zwischen den Zähnen.
Fernando aber zog ungehalten die Brauen hoch. „Es gärt in den Städten,
der unzufriedene Adel könnte die Maurenverwirrung benutzen, sein
Schwert zu klopfen.“
„Stellt mein Ansehen vor dem Adel und den Mauren wieder her, und ich
halte beide nieder. Die Lästersucht hat scharfe Zungen, ganz Andalusien
weiß, daß ich in Ungnade gefallen. Man erhebe mich, sonst bürge ich
nicht --“
Der König reckte sich. „Was soll die Drohung?“
„Der ganze Priesterstand ist in mir verletzt worden. Wenn’s dabei
bleibt, wächst der Granden Stolz, der Mut der kühlen Denker. Weh Euch,
weh uns! Kirchen und Klöster werden zu Ruinen und über Priesterleichen
geht der Weg zur Macht.“
„Ihr malt grell, Ximenes,“ sagte Fernando unbeirrt.
„O viel zu blaß ist das Gemälde der Zerstörung. Wollt Ihr ein zweites
Bild? Die Kirche auf der Seite der Granden? Rittertum und Geistlichkeit
haben den Koloß geschmiedet, der langsam die Mauren zermalmte. Doch
der Koloß kann sich, wenn’s sein muß, auch nach einer andern Richtung
wenden. Im Rat der Cortes gilt meine Stimme noch.“
Der König stand bleich unter dem Drohwort des Kanzlers. Dann schnellte
er los: „Isabella! Was ist Freund, was Feind an diesem Hof? Weiß ich,
ob, was die Zunge spricht, auch im Herzen geboren? Was heut uns dankt,
dankt morgen einem andern.“
Ximenes stand betroffen von dem jäh ausbrechenden Königsschmerz.
Da trat die Königin zu dem greisen Freund. Sie fand ihre Stärke
wieder. „Ihr seid ein spanischer Priester, die sind im Kirchenamt so
hart erzogen wie im Kriegsdienst. Das ist vielleicht ein Gotenerbe.
Drum drängt das Kämpferherz den Gottesmann in Euch zurück. Wir
brauchen solche Schwertpriester, um den Spanier glücklich zu wissen.
Ximenes, wir haben nichts zu wählen, nichts zu fürchten --“ Und in
Gedanken setzte sie hinzu: als dich, Ximenes! Doch sie sprach ein
zuversichtliches Wort. „Ihr sollt Vollmachten haben. Formuliert sie.“
Ximenes atmete auf. „So hört: die Verträge mit den Mauren können
unbedenklich für nichtig erklärt werden.“
Fernando starrte den kühlen Forderer an. „Seid Ihr von Sinnen? An
meinem Namen klebt das Recht. Es war ein anderer Fernando, den sie den
Heiligen heißen, der mit den Mauren im Kampf lag, doch es war sein
Stolz, daß er Verträge hielt. Die Gerechtigkeit umschimmert seinen
Königsadel. Soll die Geschichte sagen, daß ein späterer Fernando
Verträge brach?“
Um die Mundwinkel des Kanzlers legte sich ein Zug unerbittlicher
Schärfe. Die Augendeckel gingen langsam auf und ab. „Das Gewissen der
spanischen Könige war nicht immer rein, dünkt mich. Ein Alfonso war
es, der einen maurischen Königssohn vertrieb, bei dem er kurz vorher
selbst Schutz gefunden vor seinen Feinden. Empfindliche Menschen
nennen dies Undankbarkeit. König Pedro ermordete mit eigner Hand den
Maurenfürsten, der als Gast bei ihm lag. Und hätte der Cid sich mit der
geraden Treuherzigkeit den Lorbeer um das Haupt gewunden?“
Zornig schnitt ihm Fernando das Wort ab. „Soll der Enkel nachahmen, was
die Ahnen gesündigt?“
Da rückte der Erzbischof mit gesenkter Stimme an das Gewissen seines
Herrn heran: „Und hat dieser Enkel das eroberte Malaga vertragsrichtig
behandelt? Schrien nicht Mauren am Marterpfahl, durchstochen von
spanischen Ritterlanzen? Wurden nicht zwölf Juden mit Schilfrohren zu
Tode gepeitscht? Nicht zwölftausend Mauren als Sklaven verkauft und
alles, was maurisch betete, vertrieben? Und das Geschenk von vierzig
maurischen Mädchen für die Königin von Neapel?“
„Mahnst du mich daran, daß Priester deinesgleichen meine Ratgeber
waren?“ stürmte der König grimmig auf den Primas ein. „Die Zeiten sind
vorüber. Fortan soll der Maure an mich glauben können.“
„Er tut es, indem er sich empört,“ lächelte der Erzbischof überlegen.
„Hat ein solches Volk nicht das Recht auf Einhaltung der Verträge
verwirkt?“
„Wer trieb sie zur Empörung? Verletzte ihre Rechte?“
Da richtete Ximenes den Asketenleib auf und sein Auge sprühte Triumph.
„Und wer sagt Euch, Hoheit, daß dies nicht mit Vorbedacht geschehen?“
Fernando starrte den Schrecklichen an. „Ihr -- habt --?“
„Um sie zur Empörung zu reizen, verbrannte ich die Bücher und riß die
Kinder von den Müttern. Die Aufgereizten mußten zu den Waffen greifen,
man mußte sie zum Aufruhr treiben, um sie ins Unrecht zu setzen, denn
einem Empörer hält man keine Verträge mehr, weil er selbst den Vertrag,
den friedlichen, gebrochen.“
Der König mußte sich fassen. „Bei Gott und Santiago! Das ist furchtbar.
Dies auszusinnen, mußte erst ein Priester kommen. Ich brauche Zeit,
dies alles zu überdenken.“
„O handelt, handelt!“ stürzte Ximenes hervor. „Der Augenblick, das
größte Werk der Christenheit zu tun, ist da. Wer ihn versäumt, klagt
sich selbst vor Gott an. Man stelle die Mauren unter die Anklage des
Hochverrats und der Vertragsverletzung, und im gleichen Atemzug wartet
man mit Gnade auf, gibt den Empörern die Möglichkeit zur einzigen
Rettung: Entweder Auswanderung oder Taufe! Der Maure hängt an seinem
Granada, ich verpfände meinen Kopf, der größte Teil bleibt hier und
fällt unserm Glauben zu.“
Die Gesichter der Könige waren in Blässe getaucht. Das gewaltige Werk
dieses staatsmännischen Kopfes stand wie ein Koloß vor ihnen und sie
wagten nicht, seine Größe zu ermessen.
Ximenes hielt die Seelen der schon halb bezwungenen Könige fest in
seinen Händen. „Denkt an die Juden, die wir vertrieben! Es lag damals
nicht anders.“
Der König zuckte zusammen. Vor seinem Geiste schwebte ein Erinnern
an die dunkelste Zeit der Herrschaft. Er sah die spanischen Juden
auf den Knien liegen und er hörte die Silberlinge, die sie ihm
für die Zurücknahme des Vertreibungsediktes anboten, im großen
Sammelbeutel klirren. Dreißigtausend Dukaten lagen dann wohlgezählt
auf dem Marmortisch des Audienzsaales. Schon wollte Fernando um des
Riesenschatzes willen Gnade üben -- da warf sich der glaubenswütige
Torquemada mit dem Kruzifix in der Hand vor den König hin: „Judas hat
Jesus um dreißig Silberlinge verkauft, Eure königliche Hoheit wollen
ihn neuerlich um dreißigtausend verkaufen.“ Und er warf das Kruzifix
auf den Tisch. Das weckte den König. Er ließ das Geld unberührt und
achthunderttausend Juden mußten auswandern, ihr Vermögen fiel dem
Kronschatz anheim. Die Erinnerung griff an das Königsherz. Ximenes
mußte es aufs neue durchwühlen.
„Die Welt muß der Stimme gehorchen, die von Nazareth kam. Will mein
König auf den Ruhm verzichten, Europa von den Irrgläubigen gereinigt zu
haben? Und zudem --“ seine Stimme wurde bohrendes Geflüster -- „Spanien
braucht Geld, und es ist aus den Mauren herauszupressen. Macht Euch zu
Freunden des ungerechten Mammons. Die Mauren sollen Glauben und Geld
lassen.“
Der König fühlte, wie sein Gewissen pochte. Er sehnte sich nach der
Schirmerhand der Kirche. „Laßt Messen lesen für die Not unseres
Herzens! Wie sollen wir anders können, wenn der erste Priester des
Reiches unsere Tat auf sich nimmt! Verfaßt das Edikt: Taufe oder
Auswanderung!“
„Taufe oder Auswanderung!“ Mit glänzendem Auge wiederholte es die
leicht gewonnene Königin.
„Noch eines,“ sagte Ximenes. Und sein Blick lauerte in die Herzen
der Könige. „Wenn man den Auswanderern den Geleitbrief bis an die
afrikanische Küste gäbe, dann wäre Gelegenheit, sich ihrer -- nach der
Ausschiffung auf rasche Weise zu entledigen. Man macht sie nieder --“
„Seid Ihr von Sinnen?“ schnellte die entsetzte Königin empor.
Fernando aber durchbohrte den schrecklichen Ratgeber mit einem
furchtbaren Blick. „Ist das ein Priestergedanke oder --?“
„Der Herzog von Medina-Sidonia riet es. Er hat mehr Klugheit als Herz.“
„Und Ihr gebt Euch zum Anwalt dieser Klugheit her? Dann soll das Herz
bei Königen zu finden sein. Nie wird das geschehen, was Ihr sinnt. Der
Maure baue auf ein Königswort.“
Ximenes’ Herz rollte sich zusammen. So mußte er eben mit dem kleinern
Erfolg zufrieden sein. Seine Neider konnten wenigstens nicht mehr mit
der königlichen Ungnade triumphieren. Er reckte und streckte sich.
„Unser Gebet ist: Christi Geist komme und belebe die Mauren. Spanien
ein Volk, ein Land. Nicht Freiheit, sondern Reinheit des Glaubens!
Zu Hirten setzte Gott die Bischöfe ein, vertraut also dem einen, der
Euch die Herde vermehren hilft und die räudigen Schafe ausstößt.
Glaubt mir, der Kirche Geist kennt keine Schwäche, alle natürlichen
Erschütterungen, die Prüfungen Gottes, wird er überwinden. Straucheln
wir auch, wir erheben uns wieder und setzen gewaltiger unsern Weg fort.
Niemand wird das Geheimnis unserer Macht lösen können, denn wer könnte
Gott enträtseln?“ Er verneigte sich vor den Königen. Diese küßten dem
ersten Diener Gottes die Hand.
„Ihr sollt morgen das Hochamt zelebrieren,“ sagte die Königin. „Dann
kehrt nach Granada zurück. Wir folgen bald.“
Draußen erwartete den Kirchenfürsten der getreue Ruyz. Aus dem
strahlenden Gesicht seines Herrn las er den Sieg einer geistigen
Schlacht.
Ximenes ließ sich beim Großinquisitor Deza ankündigen. Der Primas, der
noch vor zwei Jahren die Strenge der Inquisition verurteilt hatte, ging
jetzt in ihr auf. Er stand mit seinem Kanzleramt nicht im Getriebe des
Tribunals, er war nicht im Supremo, dem höchsten Rat des Gerichts in
Toledo, aber er bediente sich seiner Macht zur Stärkung der eigenen.
Die bewegende Kraft ging von ihm aus. Er trat infolge seiner hohen
geistlichen Stellung mehr vor das Volk als der in den Geheimzimmern
wirkende Großinquisitor. Von Deza kannte man nur den Namen und die
Auswirkung seiner Gesetze; Ximenes konnte man ins Auge sehen und konnte
seine Tatkraft bewundern.
Er ließ sich nun über den Guadalquivir zum Kartäuserkloster in Triana
rudern. Dort wohnte Deza. Schon von weitem hörte man den zahmen Löwen
brüllen, den der Großinquisitor selbst bei der Messe zu seinen Füßen
liegen hatte. Sie traten in die klösterliche Zwingburg. Über einem
Torbogen wehte die Fahne des heiligen Tribunals mit dem grünen Kreuz,
das aus einer Krone wuchs, von Schwert und Ölzweig flankiert. Scheue,
dunkle Mönchsgestalten schlichen die Mauer entlang. Irgendwo hörte man
leises Wimmern, wie vom Winde verweht. Ein Schauer rieselte dem jungen
Pater Ruyz durchs Mark. Er wußte, daß unter ihm die Folterkammer des
Ketzergerichts lag.
Siebzehntes Kapitel
Graf de Mora stand in Alkazar vor dem Imam, der in Gesellschaft
vornehmer Mauren war, die mit übereinander geschlagenen Beinen auf
niedrigen Strohschemeln saßen.
„Möge dir Gott die Gnade eines langen Lebens schenken, Feta,“ begrüßte
Abu Atir befremdet den christlichen Gast. „Mir grünt nicht mehr Bart
und Haar, darum vergib, wenn ich mich nicht erhebe.“
Nachdem der Graf gedankt, sagte er kurz: „Ximenes ist zurück.“
Der Imam fühlte einen Druck am Herzen. „Gesegnet sei sein Schritt, wenn
er Gutes bringt vom König, dem Gott ein freundliches Alter bescheren
möge.“
Der Graf blickte zu Boden. „Es ist sein Wille, daß ich Euch in den
Turm der Cautiva begleite, wo Ihr Eure künftige Wohnung haben sollt --
Ihr und Doña Reija.“ Er stockte verlegen. Das Amt hätte Ximenes einem
andern übertragen sollen.
Abu Atir beugte seinen Leib weit vor, als hätte er nicht recht gehört.
Die Mauren aber sahen einander bestürzt an. Und einer von ihnen fragte:
„Was ist der Sinn dieser Botschaft?“
„Hört Ihr die Fanfaren in den Straßen? Es wird das neue Edikt des
Königs verlesen. Der König gibt den Aufständischen Gnade und erbarmt
sich ihrer verführten Seelen.“
„Aufständischen? Verführten?“ ging es von Mund zu Mund.
Auf den Stützen zweier Maurenarme erhob sich statuenartig Abu Atir.
„Der König von Spanien, dem Isa, der große Prophet, ins Herz blicken
möge -- was läßt er uns durch die Posaune sagen?“
Schonend, wie von Mitleid überschattet, klang die Antwort des Grafen:
„Die Mauren sollen wählen zwischen Taufe und Auswanderung.“
Wie ein Henkerbeil fiel das Wort in die Hirne der Edlen. Jäh
aufflammende, wirre, unverständliche Worte flogen hin und her, und die
weißen Burnusse gerieten in gefährliche Bewegung. Selbst einige Hände,
von der Verzweiflung getrieben, griffen nach den Brüsten, als suchten
sie nach den verborgenen Waffen.
Da fuhr des Imams dunkle Stimme in die Bestürzung. „Bei den sieben
Toren der Hölle! Bettet eure Herzen in den Polstern des Friedens. Der
da will, es sei ein Morgen für euch, wird ihn heraufführen aus den
Tiefen der Nacht. Mein königlicher Feta -- gepriesen sei der Herr, auch
wenn er seine Schrecken sendet. Ihr sagt: Taufe oder Auswanderung. Also
das, was vor sieben Jahren den Juden geschehen ist?“
Graf de Mora nickte. Sein Blick verfolgte jede Bewegung der
verzweifelten Mauren. Was nützten ihm am Ende die zehn Reiter, die
unten im Hof sein Leben unter ihre Lanzen nahmen?
Dem Greis traten die Tränen in die Augen. „Ach du, Hamet Zeli, und du,
Almama, -- Osmar Ben Akbet -- blühender Zweig des Irak, du mein Moadh
Ben Kordha! O ihr Männer, denen diese Erde Gottes herrlichstes Geschenk
war, ihr sollt sie nun verlassen, das Eden der Mauren, wo eure Urväter
geackert und gebaut haben, wo der Quell ihrer Weisheit entsprungen und
die Flammen ihrer Herzen aufgeloht haben -- Granada verlassen!“
„Wir verlassen es nicht!“ entlud sich eine wilde Brust. „Wir greifen
wieder zu den Waffen!“
„Zu den Waffen!“ brauste ein Sturm durch den Saal.
Der Imam aber pflanzte sich vor dem Hauptmann des Königs auf. „Zurück
von ihm. Achtet seiner, denn er ist der Sohn einer Mutter. Er ist der
Überbringer der Gedanken eines Azaziel, dem die Gewalt zu klein ward
und der im Übermaß der selbstgeschaffenen Dinge zugrunde gehen wird.
Was schreit ihr nach Waffen? Sie sind wertlos.“
„Wir haben die Geiseln des Grafen Tendilla!“ schrie ein Edler.
Wie helles Wetterleuchten zuckte ein Jubel über die Gemüter hin. Alles
geriet aufs neue in Aufruhr.
Mit wuchtigem Schritt durchbrach der Imam wieder den Knäuel. „Laßt
die Blicke im Geist auf den Palmen von Mekka ruhen! Wir wollen eine
Zierde anlegen unserm Herzen, sie soll weit leuchten über den Verrat
der Christen. Geht in die Quartiere, durchlauft den Albaycin und die
Antequeruela, ruft es von den Minars: Es ist kein Gott außer Gott
und Mohammed ist sein Prophet! Und wenn sie aufheulen wie die Wölfe
vor Schmerz über das, was ihnen die christlichen Priester ins Herz
schütten an brennendem Öl, so sollen sie doch nicht nach den Armbrüsten
greifen, und keine Hand rühre die Geiseln an. Man schicke sie als
Antwort der Mauren an den Grafen Tendilla zurück. Man gab uns Verrat
und Treulosigkeit, wir geben Großmut zurück. Keine Hand beflecke sich
mit Mord.“ Der Atem dampfte aus seinem Mund.
Mit zusammengepreßten Lippen, den qualvollen Aufruhr im Herzen, standen
Fakis und Fetas um den geliebten Santon. Dieser wandte sich nun
keuchend an den Grafen: „Und -- was wollt Ihr -- von mir?“
„Der Primas von Spanien befiehlt, Euch in die Alhambra zu bringen. Ihr
sollt in vornehmer Haft --“
„Haft? Ein Mahbus, ein Gefangener --? Ist das der Sinn?“ Er zuckte
zusammen. Und dann klagte es sich leise von seinen Lippen: „Es wird ein
Wehklagen sein in Granada, das bis in die sieben Himmel dringen wird.
Es werden Karawanen des Leids gerüstet werden, die werden ziehen übers
Meer, bis in die Wüsten der Berber. Und hier wird man uns nehmen, was
wir bebaut, aus jeder Ackerfurche der Vega wird ein Schrei springen
nach uns: bleib! Doch wenn ihr bleiben wollt, Brüder friedlicher
Gedanken, dann müßt ihr eure Knie beugen vor dem Taufwasser und müßt,
was ihr sonst nur in euern Kammern Gott zuflüstert, den schwarzen
Priestern im Beichtstuhl vertrauen. Und glauben müßt ihr an drei Götter
in einem, müßt euch die Sinne verwirren lassen von den Trugschlüssen
klügelnder Vernunft, müßt euch beugen vor goldenen Gefäßen und Sonnen,
in denen der Leib Isas verschlossen ist. Aber, Brüder vor Gott und
den Menschen, das mache jeder mit sich selbst aus. Wir verfluchen den
Renegaten nicht, denn er wird innerlich nicht seinem alten Glauben
absterben. Und ich? Oh, nicht wahr, ich habe euch Aufstand und Empörung
gepredigt? Hab’ euch zugerufen: widersteht! Oder habe ich euch am Ende
Worte des Friedens gesagt, euch empfohlen, die Geiseln zurückzugeben
und die Christen zu beschämen? Ei, das wird der königliche Feta
übelnehmen. Es ist vielleicht nicht die erwartete Antwort auf die Rute
des irdischen Königs. Aber wie immer: es erhebe sich keine Waffe für
mich und das unschuldige Königskind. Die Rose wird verblühen, wenn kein
Erbarmer seinen Willen nach ihr streckt.“
Das Wort stach wie ein Speer in die Brust des Grafen. Aber er kam
nicht zur Besinnung über den Schmerz. Abu Atir verlor sich in seinem
Weh. „Habe ich sie deshalb aus der Dunkelheit ans Licht gehoben? Eben
erst öffnete sich der Kelch ihres Herzens für den Tau des Wissens, der
Schönheit, der Musik und der Dichtkunst -- da greift das Schicksal hart
in ihres Glückes Rad und wendet die Speichen in die Nacht zurück. Feta
des Königs, ich beschwöre dich, wer wird diese Rose hegen und pflegen?
Sie wird ihre Sklavinnen mitnehmen können?“
Der Graf bejahte. „Sie darf täglich einmal zu Euch gehen und sie wird
ihr Zimmer neben dem Euren haben.“
Sonnenschein legte sich in das Auge des Imams. „O Gottes überströmende
Gnade! Wie lange wird die Haft währen?“
„Bis Gewähr gegeben ist für die Ruhe in Granada.“
„Ein dunkles Wort, meint ihr nicht?“ sagte er zu den andern. „Befaßt
euch mit der Antwort.“
„Wir werden zum König gehen,“ rief Hamet Zeli aus, der Friedfertigsten
einer. „Sollen Schakale der Wüste barmherziger sein als er?“
Selbst den Grafen rührte die Treue der Edlen. Er wäre versucht gewesen,
dem hehren Greis eine Gasse in die Freiheit zu öffnen; aber ein anderer
Gedanke hob diese edle Regung auf: Reija kam in die Alhambra! Er gab
sich einen Ruck. „Meine Reiter warten. Sie werden die Sänfte begleiten.
In der Stadt liegen achthundert Kastilier, die getreuesten Soldaten des
Königs, Männer von Alcala und Toledo.“
„Habt keine Sorge,“ sagte der Imam mit hochgestrecktem Leib. „Mein Wort
ist wie ein Königswort. In wenigen Augenblicken werden diese Fakis die
Straßen durchlaufen und das Weh der Mauren stillen. Wieviel Bedenkzeit
ist meinen Brüdern im Glauben gegeben?“
„Bis zum ersten Tag des März muß Granada +einen+ Glauben haben.“
„Ob sich Gott so schnell wird umlernen lassen?“ zweifelte Abu Atir
mit leisem Spott. „Ob sie es glauben werden, wenn ihnen die fremden
Priester zurufen werden: eins ist drei und drei ist eins? Einer von
den drei Göttern ist der Vater, einer der Sohn, einer der Heilige
Geist, und daß der Sohn Vater und der Vater Sohn sei und doch nicht
Vater und nicht Sohn, daß ein Gott Mensch sei und ein Mensch Gott,
und doch der Mensch nicht wie Gott? Und daß Gott gelitten hat, daß er
Backenstreiche empfangen und gekreuzigt wurde, und daß er ins Grab fuhr
und auferstanden ist -- ach, ob sie das so schnell lernen werden? Und
viele werden so tun, als glaubten sie es, um nur nicht ihr geliebtes
Granada verlassen zu müssen. Ei, wie hat doch dein guter Priester
Talavera gesagt? ‚Ximenes erringt größere Erfolge als der König. Dieser
hat nur Granadas Boden gewonnen, jener aber Granadas Seelen.‘ Kommt
nach dem Zimmer des Pfaus. Ich werde dir Reija holen.“
Und mit nassen Augen nahmen die Ritter und Fakis Abschied von dem
Santon.
Als der Graf neben dem Alten durch die Korridore nach dem Pfauenzimmer
ging, hörte er das Wehklagen der Mauren aus dem Hof klingen. Aber bald
entzückte sein Herz ein anderer Ton. Frohes Mädchenlachen scholl aus
einem Zimmer. Und eine helle Lohe schlug in die Glieder des Spaniers.
Denn da stand sie auch schon an der Schwelle und ihr Blick brannte nach
dem schönen Unheilsboten.
„Eswer Ben Zerragh ist nicht frei,“ war ihr erstes Wort. Und ihre
Fingerspitzen spielten in der Luft.
„Er wird auch nicht frei werden,“ antwortete der Graf halb erstickt.
„Ich bat für ihn, und du kannst nein sagen, Feta?“ Ihre Augen waren
voll unheimlicher Dunkelheit.
Da erklärte ihr der Imam den Grund des Besuches. Reija erblaßte und
zitterte. „Gefangen? Ja, glaubst du, daß das so leicht geht?“
„Was wollt Ihr tun, Doña Reija?“
„Kratzen und beißen wie eine wilde Hyäne und den würgen, der nach mir
greift.“
Abu Atir trat dazwischen. „Sie ist ein Kind,“ sagte er entschuldigend
zum Grafen. „Vergebt ihr.“
Da traten Tränen in ihre schönen Augen. Sie schlug die Arme vor das
Gesicht, und die braunen Hände leuchteten aus der feinen Florhülle.
„Ich soll -- nicht -- Saffana haben -- und keine Perlen -- Smaragde --
Seide, Polster, Salben, Laute und Bücher?“
„Alles dürft Ihr haben,“ schlug rasch des Grafen Trost in den Schmerz
der Eitelkeit.
„Werde ich ein schönes Zimmer mit Spiegeln in der Alhambra haben?“
schluchzte sie jämmerlich.
„Einen Raum, wo oft Euer Vater geweilt.“
Sie tat einen Freudenschrei. „So will ich dir folgen, Feta. Und nicht
wahr, du läßt manchmal einen zamoranischen Dudelsack vor meiner Tür
spielen?“ Sie lief mit aufgeworfenen Händen in das Frauengemach, und
man hörte sie mit den Sklavinnen erregt sprechen.
Der Graf ging die Treppe hinab in den Sahat. Sein Herz klopfte. Er
durfte der königlichen Agarena das Geleite geben. Lange mußte er
warten. Er hörte den Springbrunnen eintönig rauschen und sah, wie die
Schatten an den Hofmauern mählich wuchsen. Dann erklang Schreien,
Wehklagen, Rufen -- jetzt mußte sie --
Dicht verschleiert schritt sie die Treppe herab. Das fürstliche Wiegen
der Glieder schlug dem Grafen in die Sinne. Die Sänfte verschlang sie.
Dann folgte Abu Atir und endlich Saffana.
In des Spaniers Herzen gingen die Wogen einer hochstürmenden See.
Draußen brauste der Lärm der Mauren. Die Grausamkeit des neuen Edikts
trieb alle Herzen in Verzweiflung.
Achtzehntes Kapitel
Jeden Tag ging Graf de Mora, nachdem er sich durch einen Schluck
Valdepeñas gestärkt, nach dem Comaresturm, um sich nach den Wünschen
der Gefangenen zu erkundigen. Der Gang zum Imam war ihm leicht, dort
schienen irdische Wünsche begraben zu sein, und nur glaubenstiefe
Ergebenheit in das gottgesandte Schicksal traf er an. Aber schwer
wurde dem Grafen immer der Gang in das andere Gemach, das den schönen
Mädchenschatz barg. Hier hatte er mit weiblichen Eitelkeitswünschen und
-- mit sich selbst zu kämpfen. Einmal verlangte Reija mehr Spiegel,
ein andermal weichere Teppiche, bald ließ sie den Grafen lange draußen
warten, bis sie sich tief verschleiert hatte, bald beschwerte sie sich
über das Essen, das zuwenig Rosinen enthielt, oder über Langeweile. Abu
Atir durfte eine Stunde mit ihr plaudern. Immer wieder fragte sie mit
einer gewissen Absichtlichkeit nach Eswer Ben Zerragh. Das war für den
Hauptmann der peinlichste Augenblick des Tages. Oft war er versucht,
ihr Herz auf die Probe zu stellen, er wollte ihr vorlügen, morgen
müsse der Abencerrage hängen. Ihr Aufschrei hätte sie verraten. Aber
dann verscheuchte er den grausamen Gedanken. Wenn er dann aus ihrem
Zimmer trat, kam er sich wie besessen vor. Gibt es nicht auch Engel der
Besessenheit? fragte er sich bang.
Reija erschien ihm jeden Tag anders. Ihre Anmut schillerte in
bestrickender Abwechslung. Bald war sie lässig, bald lebendig und
zerfahren, einmal verträumt, dann wieder sangeslustig, den einen Tag
zerknirscht, den andern sprühend wie ein Feuerberg. Und wenn Don Pedro
von ihr ging, fragte er sich: Ist sie die Gefangene oder bin ich der
Gefangene? Reija fühlte gar wohl, welche Macht sie auf ihn ausübte. Und
Saffana, die bei der Herrin schlief, lachte sich den Hals voll über die
schlecht verhehlte Verliebtheit des Ritters. Manchmal verlockte sie die
Herrin, laut zu singen und zu tanzen, damit die Wache draußen den Lärm
dem Grafen melde. Der kam gewöhnlich und erbat sich lächelnd Ruhe. Der
Zweck war erreicht: Reija hatte Herzklopfen.
Winterscharfe Lüfte wehten draußen. Der Schnee der Sierra Nevada
leuchtete in die Krummgassen, Regengüsse klatschten nieder, und der
Genil und der Darro schwollen an.
Das königliche Edikt machte fürchterlichen Ernst. Viele edle Mauren
rüsteten zur Auswanderung, aber die armen Handwerker, Händler und
Bauern bissen in den sauren Apfel. Haufenweise ließen sie sich taufen,
ohne auf Mihrab und Kaaba innerlich zu verzichten. Zu Hause beteten
sie heimlich ihre Suren, mit dem Antlitz nach Mekka gewendet. Kam
einer der Familiares darauf, wurde der Betreffende zuerst streng
verwiesen, dann aber wurde gleich mit der Todesstrafe gedroht.
Scharenweise liefen diejenigen, die sich mit der Taufe nicht abfinden
konnten und auch nicht auswandern wollten, in die Alpujarras, um dort
die Hilfe der Berber abzuwarten. Der Traum beschäftigte eines jeden
Hirn, und groß war die Erwartung. Boabdils Wiederkehr war für sie wie
für die Juden die Messiashoffnung. So entvölkerte sich Granada, und
man munkelte schon, daß sich Banden im Gebirge bildeten -- Monfis
nannte man sie --, die die Absicht hätten, ihre im Glauben bedrängten
Brüder in der Stadt zu befreien. Aus dem Albaycin zogen Karawanen,
beladen mit kostbaren Gütern, die in die neue afrikanische Heimat
wanderten. Jeder Auswanderer mußte zehn Goldgulden zahlen. Langsam
verödeten die Moscheen, in denen die katholischen Altäre eingebaut
wurden, die Kirchen dagegen füllten sich und konnten bald die Menge
der neuen ‚Gläubigen‘ nicht fassen. Letztere lagen vor den Toren auf
den Knien und ließen Segen und Weihrauchwolken über ihre Häupter
gehen, sie beteten Unverstandenes sinnlos nach, während hinter ihnen
die beaufsichtigenden Mönche standen und jede Gebärde überwachten. Die
einzelne Seele hatte ihr Glaubensrecht verloren.
Talavera, der gütigste der Frommen, wollte den Mauren den Weg
zum neuen Glauben erleichtern und ihnen die Bibel ins Arabische
übersetzen. Ximenes hinderte ihn daran. Er nannte dies ‚Perlen vor
die Säue werfen‘ und meinte, das Volk sei durch das Geheimnisvolle und
Unverständliche leichter zu fesseln, als durch bedingungslose Klarheit.
Im übrigen sollten die Mauren nach und nach dazu gebracht werden,
arabische Sprache und arabisches Wesen zu vergessen, und die Kinder
und Kindeskinder würden dann schon gute Christen werden, wenn erst die
Erinnerung an die gewaltigsame Bekehrung verblaßt sein würde.
Auch die milde Behandlung der Mauren durch den Grafen Tendilla fand den
heftigsten Widerstand beim Kanzler. Selbst die königliche Entscheidung
wurde in Streitfällen angesucht, aber sie fiel immer zugunsten des
Erzbischofs aus. Bald begann es in gewissen Kreisen der Granden zu
grollen.
Im Advent hatte die Zahl der getauften Mauren schon fünfzigtausend
erreicht. Gruppenweise wurden sie in die Kirche getrieben und einfach
vom Altar aus mit dem Weihwasser besprengt. Eine besondere religiöse
Belehrung fand man nicht für notwendig. Ximenes ließ Dankmessen
lesen. Gott wurde durch den Kult der Ungläubigen in Granada nicht
mehr beleidigt. Der Großinquisitor Deza jagte durch strenge Edikte
die Moriskos in Angst. Der geringste Rückfall in den alten Glauben
wurde mit der Einziehung von Hab und Gut und mit dem Tragen des
Sanbenitos bestraft. Die alten Sprüche in den Maurenhäusern mußten
entfernt werden. In jeder Gasse mahnten die Statuen von Heiligen an die
Fürbitte, das Bild der Jungfrau grüßte rosenbekränzt an allen Ecken
und Enden, und in den Kirchen leuchtete es hehr, von Seide und Gold
umschimmert, in einem Blumenhain, umlagert von der Schar andächtiger
Christen. Selbst in den Lasterhöhlen und verrufenen Ventas hingen die
Heiligenbilder als Wehrgötzen des Unglücks, und bevor sie sündigten,
beteten die Soldaten des Ximenes zu ihrem Patron. Weihkessel hingen
vor den Türen der Lasterdirnen und wurden mißbraucht. Hatte man
einen Feind, so zeigte man ihn unter Anrufung von Christus und Maria
heimlich einem Familiare an. Es wurde nicht viel untersucht, ob der
Kläger vertrauenswürdig sei, auch wurde er dem Beklagten gar nicht
gegenübergestellt. Es genügte zu hören, daß jemand einen religiösen
Zweifel geäußert hatte, und das peinliche Verhör begann. Von Cordoba
herüber schwirrten Schreckensgerüchte über die Raschheit des heiligen
Offiziums. Über Nacht wurden Beschuldigte aus dem Bett geholt und
in den Inquisitionskerker geworfen. Auch der Flammentod wurde im
Prozeßweg mit einer Schnelligkeit verhängt, als ob das Feuer selbst
nach Nahrung lechzte. Die Übergabe an das weltliche Gericht seitens der
Inquisition war zugleich sicherer Tod. Nicht die Kirche verurteilte
den Angeklagten, sie rettete ihr Gewissen, indem sie ihn dem
weltlichen Richter übergab. Die Reinigung der Seele aber konnte nach
der Mönchskasuistik nur durch die Verbrennung des Leibes geschehen.
Das menschliche Gewissen mußte verstummen unter der fürchterlichen
Aufgeblasenheit des alleinseligmachenden Glaubens, der vernichten
konnte, wo er erlösen sollte. In die blutige Glorie, die die Kirche um
das Haupt der Inquisitoren wob, schimmerte nicht ein einziger reiner
Gottesfunke hinein. Der fanatische Machtgedanke, aus der Dämonie der
eigenen Unfehlbarkeit geboren, warf das gräßlichste Fieber in die Hirne
der Seelenhirten, ein ganzes Volk wurde davon angesteckt und unterwarf
sich dem schrecklichen Reinigungswillen.
Aber noch hatte Granada nicht die volle Auswirkung der
Inquisitionsedikte gespürt, noch klangen nur die Nachrichten von
Cordoba wie schaurige Mären in das Dorado von Andalus herüber. Doch
bald mußte Leon als Bevollmächtigter Luceros daran gehen, die Schrecken
der Inquisition auch in das Herz der Neubekehrten zu werfen.
Don Pedro de Solar hatte sich in eine arabische Chronik vertieft,
die er aus dem Autodafé des Geistes gerettet. Er wollte sich in der
Geschichte des Feindes umsehen, um auch seinen Vorzügen gerecht zu
werden.
Da kam Hernando zu ihm, warf sich auf die fellbedeckte Truhe und
durchschnüffelte die Schrift. „Wieder bei Abderrhaman zu Hause? Du
wirst bald in der Azzarah von Cordoba heimischer sein als in der
Alhambra. Aber eine Nachricht: deine Liebe segelt mit offener Flagge.
Man spricht in den Miradores davon.“
Der Graf erhob sich bestürzt. „Was hast du gehört?“
„Die Liebe verbraucht deine Schwärmerkraft und bringt dich ins Gerede.
Doña Leonore de Uceda verbreitet die unsinnigsten Gerüchte. Du wärst
der Gefangene einer Gefangenen.“
„Das Weib ist Galle von oben bis unten,“ schäumte der Graf.
„Hast du es ihr gegenüber an der nötigen Ritterlichkeit fehlen lassen?
Sie war die Geliebte des Königs und will ihre Vergangenheit geachtet
wissen.“
Der Graf fühlte seine Fibern beben. Wie gern hätte er alles von der
Seele gewälzt, was in dem Königswort gebunden lag. Aber eines durfte
er doch verraten. „Es ist wahr -- ich habe ihr weh getan -- sie hat
ein Auge auf mich geworfen, daß ich’s nur gestehe. Ich aber habe ihr
kühl gedankt, und das scheint ihr nahe gegangen zu sein. Ich dachte sie
längst im liebenden Schutz Castros.“
„Jedenfalls rennt sie jetzt ihre Zunge gegen dich blutig, drum sei auf
der Hut.“
Saffana trat ein. Verwirrt und mit dem heitern Lächeln auf den Lippen,
das ihr so schön stand und das sie besonders zur Schau trug, wenn sie
Hernando de Rojas irgendwo im Hof erblickte. Dieser hatte ihr manche
Kußhand zugeworfen, die sie nicht mit bösen Blicken beantwortet. Nun
stand sie mit über der Brust gefalteten Händen bei der Tür. „Meine
Herrin will dich sprechen, königlicher Hauptmann.“
Don Pedro sah mit Verlegenheit auf den Freund. „Ich bin gleich zurück.“
Und zu Saffana wandte er sich mit scherzhafter Drohung. „Du erwartest
mich da und sprichst kein Wort zu -- diesem.“ Er stellte ihr den Freund
lächelnd vor: „Dies ist ein Doktor aus Salamanca und gefährlich für
dich.“
Kaum war der Graf bei der Tür draußen, stürzte Hernando auf die üppige
Sklavin los. Der Schleier verhüllte nur lose ihr Gesicht wie der
Herbstnebel die Landschaft.
„Ihr habt gehört, man hat Euch das Sprechen verboten. Mir aber, Gott
sei gelobt, nicht. Ihr liebt Eure schöne Herrin?“
Sie legte den Finger auf den Mund und nickte hastig.
„Oh, wenn Ihr doch den häßlichen Schleier entfernen könntet. Ihr müßt
das haben, was der Andalusier Salero nennt, die Gabe der Anmut, der
Lustigkeit, des Gesanges.“
Das Lob machte sie zutraulich; sie hob schnell mit gestrecktem
Finger den Schleier hoch. Die lieblichste Rosenwange duftete dem
Gelehrten entgegen, der in der Abschätzung solcher Werte eine gewiegte
Gelehrtheit bekundete. Ihre schwarzen Feueraugen baten ihn mit nicht
allzu großem Ernst, nur ja nicht näherzutreten. Ihre Schönheit machte
ihn mutig. „Wie schön bist du! Ich möchte von deinen Lippen Liebe
trinken.“ Er wußte, wie leicht man bei den Maurinnen mit Galanterien
vorwärts kam.
Aber da verkrallte sich die kleine Faust in ihr Kleid und sagte: „Da
müßte ich auch dabei sein, gefährlicher Doktor aus Salamanca.“
„Man hat dir das Sprechen verboten,“ lachte Hernando.
„Mohammed hat den Gläubigen auch den Wein verboten, und sieh dir unsere
Kalifen an, Freund der rosenglühenden Schönheiten.“
„Du schlaue Tochter der Palmenhaine,“ lachte er kurzstößig. „Wie kann
man dich erringen?“
Sie legte den Arm mit dem Gelenkring an die leichtgeschwellte Hüfte
und sah den dreisten Christen verführerisch an. „Schaff’ mir die Leber
einer Mücke, den Huf eines Sonnenpferds, den 35. Buchstaben der 38.
Sure des Korans und den ersten Morgenschrei des Vogels Rokh, dann will
Saffana an deine Liebe glauben.“
Da lachte Hernando hellauf und wollte sie umschlingen. Aber sie
verschloß mit der Hand ihren Mund und murmelte zwischen den Fingern
durch: „Du kommst mir nicht an.“
„So küsse ich die Augen.“
Ihre Zähne blinkten wie die Sterne der Kamomillen. „Wer viel vom Küssen
spricht, ist kein Kußheld.“
Da verstand er sie und schloß mit einem herzhaften Kuß die kecken
Augen. Aber sie mußte ihm die tastende Hand von der Brust wegschieben.
„Nimmer, nimmer, schöner Freund der himmlischen Wolken. Du hast kein
Eidechsenblut, wie ich sehe. Wer Saffana liebt, muß dran leiden und
böser Dschinnen Neid erfahren.“
Aber er brauste auf sie zu und wollte wieder zugreifen.
„Beim Mal des Propheten!“ wehrte sie sich. „Du springst wie ein
Heuschreck an, Doktor von Salamanca.“
„Bist du noch Jungfrau, Zweig des Gadhastrauches?“
Schmollend verzog sie die Lippen. „Ijas der Wohlredende erkannte den
Zustand der Weiber auf den ersten Blick. Er täuschte Gefahr vor, und da
legte die Schwangere im Schreck die Hand auf den Bauch, die Säugende
auf die Brust und die Jungfrau auf den Schoß.“ Sie stand überglüht, die
Hände vor den geschlossenen Schenkeln gefaltet.
„Du mußt mir eine Nacht gewähren, ich will dir Seide und Korallen
geben, du aller Blüten süßester Honig du!“
„Wie kannst du arabisch schmeicheln, Liebhaber der Weisheiten,“
lächelte sie und schob seine zudringliche Hand beiseite. „Aber wenn du
mir auch zweitausend alte Dirhem zahltest, meine Armbeuge wäre kein Tal
des Schlummers für dich. Du bist ein Freund der kurzen Freude, ich aber
will Tränen haben.“
„Ich weine sie dir,“ schwur der Leichtsinnige mit lachenden Augen.
Sie antwortete mit einem verächtlichen Pfiff. „Sieh zu, daß du uns
befreist, dann läßt sich über süße Nächte reden. Weißt du, wie
Al-Atheni singt? „Was ist süßer als des Wahnsinns Stunden, wo die
Mädchen schenken süßen Wein, wo die Sängerinnen wie Gazellen fallen in
den Klang der Saiten ein? Aber was soll das alles? Was hat meine Herrin
getan, daß sie so leiden muß?“
„Du liebst sie?“
„Sie hat den Reiz vom Stamme Sad, den schönen Wuchs vom Stamme Kinan,
ihr Auge ist mondhell, und sie ist weise wie Lokman, liederkundig wie
David und rein wie Mirjam. Wie soll man ein solches Weib nicht lieben?
Aus ihrem Wesen glänzt die sonnendurchstrahlte Wolke, ihre Haut ist
zart wie edelster Samt, ihre Zähne sind geschälte Mandeln, ihr Haar
ist ein schwarzer Strom, der über wohlgerundete Schultern fließt, ihr
Körper aber duftet wie frische Milch. Wie soll man so ein Weib nicht
lieben?“
Nach dieser überschwenglichen Schilderung bekam Hernando Angst um den
Freund. „Sag’, was hältst du von Don Pedro de Solar?“
„Der Graf ist besser als sein Ruf. Er macht helle Augen, wenn er unser
Königskind sieht.“
„Sei verschwiegen, Weib!“ warnte Hernando ernsthaft.
„Ich bin schweigsam wie die Zypresse im Generalife, die einer Königin
Liebe beschützte.“ Dann schob sie schnell den Schleier vor das Gesicht.
„Du bist doch eine Eidechse,“ schmollte sie.
Er stürmte rasch in ihre Lippen hinein, und sie hielt still und ließ
die Glut ihres Blutes in den Kuß überströmen.
Es klopfte. Saffana stellte sich demütig gebückt in die Ecke, als hätte
sie Schläge empfangen.
In der Tür stand der Dominikanerpater Leon. Er suchte den
Schloßhauptmann. Hernando peitschte mit strengen Blicken die Sklavin
hinaus und ging selbst, Don Pedro zu holen.
Unterdessen suchte das prüfende Auge des Mönches das Zimmer ab. Kaum
daß er damit begonnen, trat der Graf ein.
„Ich komme im Auftrag des Primas von Spanien, um den beiden Gefangenen
die Entscheidung abzuverlangen. Taufe oder Auswanderung.“
„Sie werden für keine zu haben sein,“ sagte Mora mit verdüsterter Stirn.
„Dann wird man keine Ausnahme machen können. Man hat es mit Aufrührern
zu tun.“
„Man hat es mit edlen Menschen zu tun.“ Der Graf straffte seine
Gestalt. „Ich sah den Imam die erregten Mauren beschwichtigen, sein
Gebaren war Nachgiebigkeit und Demut, man tut ihm unrecht, wenn man
ihn als Aufrührer behandelt. Wollt Ihr, daß ich Euch zu den Gefangenen
führe?“
Der Priester nickte. Bald darauf standen sie im Zimmer des Imams. Neben
ihm schreckte Reija empor, als sie den Dominikaner sah. Was wollte man
wieder von ihr? Und was sah dieser Mönch so von oben auf sie herab?
„Väterchen, dieser hier will uns verderben,“ flüsterte sie arabisch dem
Imam zu.
Der Santon streichelte über ihre Stirn. „Gott sendet seine Sekina, die
Engel, zu den Gläubigen. Was willst du von uns, du, dessen Antlitz Gott
verherrlichen möge?“
„Das königliche Edikt fordert Eure Entscheidung. Wollt Ihr die Taufe
nehmen?“
Ohne Pathos, nur mit dem Ausdruck innerster Überzeugung sprach Abu
Atir: „Ich kann die Taufe nicht nehmen. Möge dich Gott in deinem, mich
in meinem Glauben stärken. Ich will auswandern, wenn es denn sein muß.“
„Ein Mann von Eurer Geistesstärke hat die Kraft, das Blut der Mauren
und Berber zu erhitzen, und wir wollen nicht wieder Schiffe landen
sehen in Malaga.“
Der Imam lächelte. „Möge Euch Gott die törichte Furcht nehmen. Ich bin
alt, und meine Kräfte schwinden. Ich habe mein Ansehen nur zur Glättung
wilder Herzenswogen gebraucht, nie um Sturm zu entfachen.“
„Ihr kämt in das Land Boabdils. Es ist gefährlich, zum Tiger einen
Tiger zu schicken.“
„Insch’allah! So laß mich denn in Granada bleiben.“
„Aber es werden Euch Mauern umengen --“
„Li amri!“ Abu Atir starrte den Mönch an. „Ich soll -- ewig --?“
„Man will sicher sein vor Euch.“
Reija warf sich schluchzend an die Brust des Greises. „O mein geliebtes
Väterchen!“
Der Imam ließ die Hände langsam über seinen Körper gleiten, hinauf und
hinab, sein Leben zu erfühlen. Dann sagte er weich und demütig: „Laßt
mich -- hier -- mit diesem Kinde --“
„Ihr müßt einen härtern Kerker annehmen.“
Ein jäher Tränenstrom brach aus den Augen Reijas.
„Christen! Warum martert ihr uns?“ würgte sich die Verzweiflung
aus der Brust des Santon. „Was ist denn unser Verbrechen? Weißt
du, Christenpriester, was Gott den Toten nachsagen läßt durch den
Mulakkin, der an seinem Sarge betet? Sohn einer Dienerin Gottes, es
steigen zwei Engel zu dir herab und fragen dich, wer dein Herr sei.
Dann antworte: Gott ist mein Herr. Und sie fragen dich nach deinem
Propheten. Antworte: Mohammed ist der Prophet. Und sie fragen dich über
deinen Glauben. Antworte: Der Glaube Mohammeds ist mein Glaube. Und sie
fragen dich über das Buch der Lebensführung. Antworte: Der Koran ist
es. Und sie fragen dich nach der Kibla, der Richtung deiner Gebete.
Antworte: Die Kaaba zu Mekka ist meine Kibla. Ich habe gelebt und bin
gestorben in dem Bekenntnis, daß nur ein Gott ist und daß Mohammed sein
Gesandter. Und die Engel werden dir zurufen: Schlafe in Frieden. Und
wenn sie den Toten so freudige Botschaft bringen, wie muß das Wort im
lebendigen Herzen hallen! Auf der Wallfahrt des Abschieds hat Mohammed
auf dem Berge Arafa gesprochen: Wer vom Glauben abtrünnig wird, dessen
Werke sind ausgelöscht, und er gehört in dieser und jener Welt zu
den Untergehenden. Es können nicht zwei Schwerter in einer Scheide
ruhen. Wer von dir verlangte, Kündiger des Nasranij-Glaubens, von ihm
abzufallen, was würdest du ihm erwidern?“
„Ich lebe und sterbe im Herrn.“ Dunkeltönig klang es von den
bläulichweißen Mönchslippen.
„So laß mich auch so sagen,“ bat der Imam herzinnig. „Bismi allah!“
„Dann müßte ich auch dem Teufel seine Besessenheit lassen,“ hieb der
Dominikaner mitleidlos drein. „Euer Glaube ist ein Wahn.“
„Und der Eure? Es kann alles Wahn sein, was Menschen treiben. Sei
duldsam, grausamer Mahner, dem Gott gnädig sein möge!“
Pater Leon wandte sich mit einer raschen Bewegung an das verschleierte
Königskind. „Wollt Ihr dasselbe Schicksal leiden?“
Reijas Augen durchstachen das Herz des fremden Priesters, wie damals
bei dem Kampf um den Koran. Wie wildes Feuer spürte sie es durch das
Blut rasen. Einen Herzschlag lang wehrte sie sich gegen das Anstürmen
der beschwörenden Mächte, die sie zur Besinnung drängten, dann warf
sie alle Bedenken wie Asche von sich, und mit ihrer rührenden dunklen
Stimme, in der die verhaltene Angst zitterte, antwortete sie: „Ich will
-- versuchen -- die Taufe anzunehmen.“ Ihr Kopf sank auf die Brust,
ihre Glieder lösten sich, und sie mußte sich an den stützenden Arm des
Grafen lehnen.
Abu Atir glaubte in seinem Leib das Blut erstarren zu fühlen. Langsam,
als müßte er erst eine Lähmung der Muskeln und Sehnen überwinden,
kehrte er sich zu seinem Schützling, und mühsam suchte sein Hirn
Begriffe zu gestalten. Sein Prophetenbart zitterte, der nächste
Augenblick konnte den Greis umwerfen.
Don Pedros Arm half auch hier; so stand er, der eiserne Hüter, wie
ein Samariter zwischen zwei bedrängten Menschen. An das Meer seiner
Gefühle wagte sich sein Verstand nicht heran aus Angst, es könnte ihn
überfluten. Doch schwangen wie sonntägliche Orgelklänge in seinem Ohr
die entscheidenden Worte des Mädchens.
Man hörte den Regen rauschen und die Abendglocken klingen. Pater Leon
trat ans Fenster und bekreuzte sich. Dann kam er zurück und reichte
Reija die Hand. „Welch ein Augenblick unsäglicher Gottesgnade! Ich will
selbst die Taufe an Euch vornehmen. Ihr werdet Marias Stimme hören,
und Eure Zukunft wird durchströmt sein vom Segen des Herrn. Seid Ihr
getauft, so soll Euern Schritt aus dem Gefängnis nichts mehr hemmen.“
Reija kämpfte mit sich. „Gottes Wohlgefallen mit dir, Faki der
Christen! Mein Nährvater ist alt. Laß mich hier an seiner Seite
weilen, ich will seine Schritte stützen, vielleicht fließt aus dem
Brunnen meines neuen Wesens auch eine Welle in sein Herz, und Ihr habt
dann statt einer Seele zwei gewonnen.“
„Ich will mit dem Grafen Tendilla sprechen,“ sagte Leon tiefbewegt.
„Man wird wohl die Gnade üben, dem Imam das bisherige Gefängnis zu
belassen, nur mit Rücksicht auf Euern Taufentschluß.“
Don Pedro de Solar trat an das Mädchen heran. „Habt Dank für diese
Wandlung. Gestattet mir, daß ich Euch selbst zur Kirche geleite.“
Sie nickte mit klopfendem Herzen. Kein Blick auf ihn verriet die
Bewegung in ihr. „Laßt mich jetzt eine Stunde allein mit Abu Atir.“
Der Graf verließ mit dem Dominikaner das Zimmer.
Pater Leon verzog die Lippe kostend wie ein Feinschmecker, der den
ersten Biß in einen köstlichen Pfirsich tut. Würdelos betete er
flüsternd das Salve Regina vor sich hin.
Neunzehntes Kapitel
Kaum waren sie allein, griff der Imam nach den matt herabhängenden
Armen des bleichen Königskindes. Wortlos streichelte er darüber hin.
Reija bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte.
„Kaaba -- Mihrab -- Koran -- aus dem Herzen geworfen!“ lispelte der
Greis.
Das Mädchen warf das Haupt empor. Das starre Bronzegesicht belebte
sich. „Weißt du, für wen ich Christin werde? Mit der frommen Gebärde,
mit allem, was sichtbar ist an den Nasranije? Für dich, Väterchen!“ Sie
legte das Wort wie ein kostbares Geschenk vor ihn hin.
Die schmerzdurchtränkten Augen starrten sie an. „Was -- soll -- das?“
„Ich muß dich retten. Ich will in die Alpujarras, wo die Monfis sich
sammeln. Ich wiegle sie auf --“
„Seele der Blumen -- bist du auf die Irrwurz --?“
„Dein Elend schrei ich ihnen ins Herz. Abu Atir ist gefangen! Könnt
ihr’s dulden? Die Tage Boabdils sollen wiederkommen, wenn wir nur
einig sind. Ich wecke den wilden Löwen in ihnen, ich führe sie in den
steinernen Palmenwald ihrer Moscheen, ich lasse die Scheichs heilige
Kampfworte im Namen Boabdils sprechen. Der Herr, der den Pferden
Mohammeds Windesflügel gab, wird auch meinen Worten Flügel geben. Die
Granadiner verdorren ohne dich wie die Frucht ohne Regen. Der Jude
Pereres wird mir Geld geben, ich schiffe mich nach Tanger ein, rufe den
Kampfzorn der Berber an.“
Abu Atir umschlang mit bebenden Händen ihren Leib. „Blume von Andalus
-- mit diesen Händen willst du Ketten -- welch ein Dschin ist in dich
gefahren? Du meine Hossané!“
„Mit dem Feuer meines Herzens zünde ich die Gedanken der Rache in
ihnen an. Und das Leid um die Glaubensbrüder wird einen Riesenbrand
entfachen, der die Berge und Täler in ein einziges Feuermeer verwandeln
soll.“
Der Alte koste ihr gelöstes Haar. „Du flammender Wille -- du Riesin an
Tugend, Gazelle an Leib, was für Kräfte traust du dir zu? Den Glauben
der Nasranije erheucheln? Weißt du nicht, daß du verloren bist, wenn
du entdeckt wirst? Daß sie dich in den Sanbenito stecken, auf dem Esel
durch die Straßen jagen?“
Ihre Züge spannten sich unerschrocken. Und ihre Augen starrten
plötzlich in sich hinein. „Ghadban der Dichter hat den Kalifen
Hadschadsch durch Wohlredenheit besiegt, so daß er ihn aus dem Kerker
laufen ließ. Oh, was müssen das für goldtönende Worte gewesen sein!
Ich will die Saiten meiner Anafine stimmen, daß ich ihn -- Ximenes --
Leon -- oder besser --“ Sie hielt wie unter der Spannung ihres Innern
die Gedanken an, um sie dann aufs neue durcheinander zu wühlen. „Es
ist erst ein Saatkorn in mir -- es muß keimen -- zur Blüte werden.
Es ist nichts Kleines unter der Sonne. Aus einem verirrten Kamel
bei der Quelle Semsem entstand Mekka. Warum soll nicht aus einem
Gedankenfunken eines Königskindes sich Granada entzünden?“
„Du Herd wilder Wünsche,“ bebte der Imam. „Gib mir die Hand. Die
Priester werden dich mit Dingen locken, die einem Weib gefährlich
werden können. Wer soll als Christin für dich sorgen? Die Mauren
wandern aus -- die Beni Mossad, Hamet Zeli, Chalad Ben Temin, alle die
glaubensstarken, treuen Gefährten und Freunde, soweit sie nicht in die
Alpujarras geflüchtet sind. Die Moriskos? Welcher von ihnen soll seinen
Schutz --“
„Das Morgen wird mit glühendem Sturmbrausen kommen -- ich bin bei dir!
Ist das nicht himmlischer Trost? Und ich darf frei gehen und Pläne
spinnen und langsam die Äste zusammentragen für den granadinischen
Brand.“
Der Greis sah sie bang-fragend an. „Was in diesen Augen glüht -- oh, es
ist nicht das Feuer deines Vaters -- es ist die Leidenschaftlichkeit
deiner Mutter --“
„Meine Mutter!“ Reija schauerte zusammen. Ihre Gedanken griffen zurück.
Das Stammeln an dem Mutterherzen war ihr nicht mehr in Erinnerung. Sie
hörte oft von ihr sprechen, aber aus den Schilderungen ragte das Wesen
der Mutter nicht mit der Weihe einer lebendigen Heiligen in ihr Leben.
Doch nun schwang eine neue Saite in ihrer Seele. Sie sollte den Glauben
der Mutter kennenlernen. Eine Neugier gebar sich in ihr, zu erfahren,
wie ihre Mutter zu Gott betete. Es erfaßte sie gleichsam eine Lust, an
den heiligen Geheimnissen der Christenheit naschen zu dürfen, ohne ganz
in ihnen aufzugehen. Stark schwang ihre Seele im alten Glauben, dem sie
unwandelbare Treue bewahren wollte, und sie stellte sich diesen äußern
Wechsel bei Aufrechthaltung der innern Glaubenskraft rührend leicht
vor. „Meine Mutter hat fest an den christlichen Gott geglaubt?“ fragte
sie scheu-ehrfürchtig.
Der Imam nickte. „Der duldende Geist Boabdils nahm keinen Anstand
daran. Es hatten ja viele Maurenfürsten christliche Frauen.“
„Und -- du?“ Sie fühlte zaghaft in die Seele des väterlichen Herzens.
„Du würdest -- keine Duldung üben -- wenn ich --“ Sie stockte verlegen.
In des Alten Antlitz lag die vornehme Ruhe des Weisen. „Was ein Mensch
mit reiner Seele glaubt, ist vor diesem und jenem Gott heilig. Ich
könnte nie anders glauben als: Es ist kein Gott außer Gott. Aber wie
sollte ich dich verdammen, wenn du einmal -- ach, es ist ja nicht
auszudenken -- o du Taube der Ziergärten -- Mondschein der Sommernacht
du -- sieh doch, ihm, der die schwarze Ameise auf dem schwarzen Stein
in schwarzer Nacht entdeckt, ihm bleibt nichts verborgen, und er wird
auch die Winkel deines Herzens durchschauen --“
„Und wird sehen, wie treu ich ihm bin! Mein Herz wird ein Sieb sein,
durch das die christlichen Lehren rinnen werden, und es wird kein Satz
darin zurückbleiben.“
Der Diener des Gotteswortes legte die Hand auf ihr Haupt, und warm und
väterlich flossen die Lehren von seinem Mund in das abschiednehmende
Herz. „Sieh, Reija, es gibt einen alten arabischen Stamm der Fekariten,
dem gab Gott Trug zum Geleite, und es hieß von ihm: Trau keinem
Fekariten die Kamele, denn sicher kannst du sein, daß eines fehle. So
halte es mit dem Trug der Christen. Sie werden auf ihre Weise sorgen,
daß dein Vertrauen zusammenbricht. Sei wachsam wie der Hahn, den der
Morgen nicht überraschen darf. Nahe dich nicht dem Fluß, wenn er
austritt, und dem Menschen, wenn er böse wird. Aber merke auch: Böses
wird nicht durch Böses ausgelöscht, denn wenn du zwei Feuer anzündest,
löscht keins das andre aus. Entreiße dich der Knechtschaft des
unsichtbaren Feuers, das Liebe heißt, denn es kann dich verbrennen.“
Die Wache trat ein. „Die Zeit ist da,“ seufzte Reija mit überströmenden
Augen. Und sie nahm Abschied von dem Geleiter ihrer Wege.
In ihrem Gemach schickte sie die harrende Saffana nach dem königlichen
Hauptmann, sie wolle ihn sprechen. Dann kauerte sie sich in einen
Winkel. Und nun strömte wie Regen die Fülle der Gedanken über sie. Ein
leiser Schauer überfiel sie, als sie die Tragweite ihrer Handlungsweise
überdachte. Ihr Leben mußte fortan eine ununterbrochene Verstellung
sein, und es stiegen Zweifel in ihr auf, ob sie diesem trügerischen
Spiel gewachsen sein würde. Aber lange konnte die Maske nicht getragen
werden. Wenn der Frühling den Schnee in der Sierra Nevada fraß, waren
die Wege in den Alpujarras wieder gangbar, und das Befreiungswerk
konnte beginnen. In der Höhle von Cañor fand sich die erste
Zufluchtsstätte. Von dort aus konnte man ins Horn des Aufruhrs stoßen.
Oder man konnte auf Schleichwegen ans Meer fliehen -- hinüberschiffen
-- den Vater wiedersehen -- und doch -- lauerte nicht die eifersüchtige
Morayna, die Gattin Boabdils, auf ihre Wiederkehr? Also dort und hier
Verderben! Ihre Gedanken überstürzten sich. Wenn sie sich vor die
Königin hinwürfe? Isabella, sagte man, habe Mitleid mit den bekehrten
Frauen. Aber vor allem mußte doch der Feta -- dieser Don Pedro de
Solar --
Aus ihrem Innern stieg es wie Raubtierpranken herauf. Ein süßer,
ziehender Schmerz verbreitete sich in ihrem Blut, und sie wußte dafür
keine Gründe anzugeben. Sie überdachte des Grafen vornehmes Gehaben,
seine männliche Schönheit, die Wandlung in seinem Wesen seit jenem Tag,
da er sie vor den Händen des Priesters beschützt. Oh, was hatte damals
für ein Feuer in seinen Augen geglüht! Und dann die kargen Fragen und
Antworten, die ihm die Brust --
Ein heißer Hauch beengte ihre Kehle. Sie begann ihre Glieder in
Wohligkeit zu strecken, und ihre Muskeln und Nerven spielten. Sie
entsann sich mancher Worte des Grafen, und sie klangen jetzt in ihr
wieder, als wären sie vom Tau überrieselt. Waren nicht Wellen der
Fröhlichkeit durch sein Wesen gegangen, als er von ihrem Entschluß
der Taufe hörte? Ihr weiblicher Scharfsinn ahnte die hier schon kaum
mehr verborgenen Zusammenhänge. Sie sprang auf und wiegte ihre Glieder
in langsamem Schreiten, selbstgefällig, mit natürlicher Eitelkeit.
Sie freute sich kindisch, daß sie von nun an auch ihr Antlitz
unverschleiert zeigen durfte, wie es die reizenden Kastilierinnen
trugen, die auf den Rossen stolz saßen oder auf den Miradores ihre
dunklen Augen spielen ließen.
Da tönten draußen die herrischen Schritte. Don Pedro de Solar stand auf
der Schwelle. Hinter ihm schlüpfte Saffana herein.
Reija warf schnell den Schleier vor das Gesicht, bog ihre Gestalt sanft
in die Polster hin und verschränkte in natürlicher Selbstgefälligkeit
die Arme.
„Ihr habt mich rufen lassen?“ durchbrach der Graf mühsam seine
Verwirrung.
„Du bist mir böse, Feta?“ fragte sie lächelnd, ohne ihre Glieder aus
der Lässigkeit zu lösen.
„Es macht mir immer Freude, Euch zu dienen.“
„Ich soll morgen zur Taufe gehen. Ich will meine Chilaa, mein
Ehrenkleid, tragen. Man muß wohl das Kreuz machen, wenn man die Kirche
betritt? So?“ Sie fuhr ungelenk mit den Fingern über die Brust.
„Dreimal müßt Ihr Euch bekreuzen.“ Er zeigte es ihr.
„Ich werde dort schöne Bilder sehen und den goldnen -- oh, wie heißt
das große Gefäß?“
„Kelch? Monstranz? Ihr werdet alles schauen. Zuvor wird Euch der
Priester das Salz auf die Zunge legen, das Zeichen der christlichen
Weisheit. Der Priester wird den bösen Feind in Euch beschwören --“
„Ich habe einen bösen Feind in mir? Oh, so durfte mich doch kein Mensch
bisher lieben.“ Ein berückender Blick fiel aus den großen Augen auf ihn.
„Es +ist+ -- Evas Sünde, die von Euch genommen werden soll,“ sagte
der Graf betreten.
Der Schleier barg ihr Erröten. „Und was weiter, Feta?“
„Pater Leon wird Euch vor dem Taufstein fragen, ob Ihr an Gott,
Christus, an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche und
an vieles andere noch glauben wollt. Und Ihr müßt bei jeder Frage
antworten: ich glaube.“
Reija fühlte den Hauch eines Bannes auf sich liegen und über ihr Gemüt
senkte sich eine schwere, schwarze Decke. „Weiter, Feta!“
„Pater Leon gießt Euch dreimal Wasser auf die Stirn, salbt Euch mit
Chrisam, hängt Euch ein weißes Tuch um und gibt Euch die Kerze in
die Hand. Den Sinn der Handlung wird Euch Pater Leon später selbst
erklären, denn er hat sich ausbedungen, Euch selbst im Glauben zu
unterrichten.“
Im Herzen Reijas schnürte sich etwas zusammen. „Oh, ich möchte so
gern Talavera haben, den frommen Knecht Gottes, dessen Herz von Güte
überströmt.“
„Ich fühle es Euch nach. Doch auch Pater Leon hat viel Gewalt über das
Herz.“
Reija schwieg bedrückt. Dann sprang sie auf einen eiteln Gedanken über.
„Darf ich den Schleier vor der Taufe abnehmen?“
„Ihr dürft es schon jetzt,“ brannte der Graf lichterloh.
Da löste sie behutsam das Gewebe los, ganz langsam, als wollte sie
vorsichtig ein kostbares Gut enthüllen. Die sonnenwarme Haut drängte
sich ans Licht und bald lag der Edelschnitt ihres Gesichtes vor den
erstaunten Blicken des Grafen. Ihm war, als hätte sich die Madonna
selbst in irgendeinem erneuten Erdenwandel offenbart. Er, der sich
in Tyrannis und Haß gefallen hatte, starrte sie wie ein Gotteswunder
an. In ihrem Blick lag eine keusche Verhaltenheit und doch schienen
im Schmelz dieser Augen geheimnisvolle Versprechungen zu schimmern,
behütet von einer natürlichen Würde. Sie schloß nun die Wimpern über
die vielsagenden Sterne. Die feingezeichneten Lippen preßten sich fest
zusammen, als wollte sie dem bedrängten Gefühl jeden Ausweg verwehren.
Der Widerschein ihrer Innenglut entflammte ihre Wange und Reija wurde
noch reizender durch diesen Zustand der Scham und Verwirrung. Sie
erschien dem Grafen wie eines jener blütenduftenden Gedichte, das
die spielende Phantasie des Arabers in den Augenblicken höchster
Liebesfreude formt.
„Ich darf auf dem Albaycin, in der Alcazaba wieder aus und ein gehen?“
fragte sie, sich gewaltsam aus der Verlegenheit reißend.
„Ihr dürft es.“
„Und noch eines --“ Sie stockte einen Atemzug lang. „Eswer Ben Zerragh
-- was ist mit Eswer Ben Zerragh?“ Sie bemerkte mit Genugtuung, wie der
Name seine Züge zerriß.
„Fragt nicht nach ihm, Doña Reija,“ antwortete der Graf mit beißender
Schärfe. In seinem Gaumen klebte ein bitterer Geschmack und auf seiner
Brust lag es wie Blei.
„Ich muß wissen, ob sie ihn hängen werden.“
„Er wird ewiges Gefängnis bekommen,“ schoß er den Pfeil nach ihr ab.
Da trat sie dicht an ihn heran, daß er den bestrickenden Duft ihres
Fleisches spürte und das heftige Wogen ihrer Brüste hörte. „Du kannst
ihn -- nicht -- frei machen, Feta? Pfui!“ Ihre Augen lauerten wie vor
einem Sprung.
„Seid Ihr von Sinnen?“
Reija schob Saffana kurzerhand aus dem Zimmer. Dann sprudelte sie es
mit gefalteten Händen heraus: „Freund der Sonne! Du mußt ihn frei
machen, Feta! Er ist so ein hübscher Jüngling und hat noch viel zu
leben und zu lieben. Sperr’ einen alten Schaitan statt seiner in die
Zelle. Eswer ist wie ein Gabriel und aus seinem Mund sprüht Zornfeuer.
Sag’, ist er nicht schön?“ Mit jedem Satz rückte sie listig seiner
Eifersucht an den Leib.
Ihre Worte trafen ihn wie Nadelstiche. Er sah ihre Zähne blitzen, sah
die blutvollen, sehnsüchtig gespannten Lippen, und die Gewalt seiner
Leidenschaft zerbrach ihm die Flügel der Gedanken. „Doña Reija -- fragt
mich -- nicht mehr -- nach dem Abencerragen. Sein Name -- ist -- Gift.“
Schmerzhaft stöhnte er es hervor.
In ihr flammte ein Jubel. „Ei, wenn Blicke donnern könnten, man müßte
es bis nach Damaskus hören,“ sagte sie mit einem Lächeln, das ihn noch
mehr reizte. „Doch deshalb bleibt es eben, wie es ist. Eswers Auge ist
drohend wie eine Wetterwolke über der Wüste. Und er schreitet selbst
wie --“
„Lebt wohl, Doña Reija.“ Der Graf verbeugte sich in furchtbarem innern
Aufruhr und schlug heftig die Tür hinter sich zu. Die Leidenschaft
hatte alle Ritterlichkeit in ihm zerschlagen.
Saffana stürzte herein. „Bei Mohammeds Bart! Bi smi allah! Was hast
du mit dem Feta angefangen? Er ging wie ein abgewiesener Panther und
fauchte mich in eine Ecke.“
Reija stand mit hochwogender Brust, die Augen auf die Tür geheftet. Ob
er wiederkommen wird? dachte sie. Sie lauschte hinaus. Als sie keine
Schritte mehr hörte, jauchzte sie auf: „Er liebt mich! Er ist ganz
närrisch vor Liebe! Was stehst und starrst du, Dienerin der Dschinnen?
Er liebt mich, liebt mich! sag’ ich dir -- und ich -- o, o!“ sie zuckte
zusammen, „-- ich soll ihn verderben!“ Der Schmerz warf ihren Leib auf
den Polster hin und ein würgendes Schluchzen erschütterte ihre Glieder.
Saffana stürzte erschreckt zu ihr hin. „Rose, Rose! Als Mohammed zum
erstenmal im Paradies Gott entgegentrat, da fielen die Schweißtropfen
des Propheten auf die Erde und verwandelten sich in Rosen. Oh, auch
deine Tränen, Engel der Erde, werden sich in Blumen verwandeln. Ach,
ich wüßte, wie dir zu helfen wäre.“ Sie lächelte schelmisch in die
Tränen der Herrin hinein und fingerte leise streichelnd durch ihr
gelöstes Haar.
Reija hob schnell den verweinten Kopf. „So sag’ es schnell.“
„Schems hosna, schöne Sonne, es müßte dich der pflücken, den du liebst.“
Da knallte ein Wangenschlag. Aber durch Reijas Tränen blitzte ein
Lächeln.
Saffana aber sagte ungerührt und hart: „In mir weint kein Schmerz um
einen Mann. Sie sind alle zusammen nicht eine Träne wert.“
Zwanzigstes Kapitel
Scharenweise wurden die Mauren und Maurinnen vom Altar aus mit
Weihwasser besprengt und die Alguaciles trugen sie in die Listen der
geretteten Seelen ein. Auf eine besondere Feierlichkeit der Handlung
wurde kein Wert mehr gelegt. Man wollte ja nicht Seelen, sondern Zahlen
gewinnen, so und so viele täglich.
Die vornehmen Mauren jedoch wurden sorgfältiger behandelt.
An einem sonnenhellen Wintertag führte der Graf de Mora die schöne
Königstochter zur Taufe. Reija schlug mit jedem Blick neue Wunden
in das Herz Don Pedros. In der Kirche waren noch andere Täuflinge,
Frauen und Ritter aus alten arabischen Geschlechtern. In einer Ecke
stand schmucklos der Taufbrunnen. An den Wänden der Moschee-Kirche
hingen Inquisitionsmützen und Sanbenitos der Ausgesöhnten und mahnten
die Moriskos an künftige Gefahren. In der Mihrabnische stand der
christliche Altar. Noch immer glänzte das Gold aus der Kuppelrundung
herab, doch anstatt des Korans lag das Meßbuch auf dem Tisch des Herrn,
Lichter flammten und nährten die Kraft des Schimmers, an den Wänden
standen die Seitenaltäre mit den rohgeschnitzten Heiligenstatuen,
überladen mit Flitter, Geweben, Blumen und Weihgeschenken. Eine von
alten Weihrauchdämpfen erfüllte Luft drückte auf die bangen Gemüter der
Täuflinge wie der Geist böser Dschinnen.
Die Blicke Reijas wurden von dem rührenden Bilde der Virgen, der
heiligen Gottesmutter, angezogen, die über dem Tabernakel thronte, das
Jesuskind im Arm.
„Das ist deine Mirjam?“ flüsterte sie dem Grafen zu, der mit
vergrolltem Gesicht, noch immer von Eifersuchtsschmerzen gequält, neben
ihr stand.
„Es ist auch Euer Name -- Maria,“ sagte er gepreßt.
„Maria!“ wiederholte sie in leisem, süßem Schauer. „Mirjam und Maria --
ich werde sie oft verwechseln.“
Pater Leon in seiner finstern Stattlichkeit, die das Ornat noch hob,
trat zu dem Taufbecken und nahm die Zeremonie vor, die Reija befangen
über sich ergehen ließ. Manchmal schlug sie die Augen auf, dann traf
sie der Blick dieses feierlich verschlossenen Priesters, dessen Lippen
lateinische Gebete murmelten. Klopfenden Herzens beantwortete sie die
Fragen. Das „Ich glaube“ wollte kaum von ihren Lippen, denn in ihr
bebte die Angst vor dem Zorn des alten Gottes, dem sie, wie sie meinte,
schon durch Worte untreu werden konnte, wenn auch ihr Gefühl bei ihm
war. Willig nahm sie das weiße Tuch und die Kerze aus des Täufers
Hand und schritt damit um den Altar herum. Das fremde Gemurmel des
Dominikaners rauschte wie Regen an ihrem Ohr vorbei. Von Zeit zu Zeit
warf sie einen blitzenden Blick nach dem Grafen, der mit gesenkten
Blicken seitwärts stand, wiewohl jede seiner Fasern nach ihr brannte.
Die Messe begann. Reija tat alles in stumpfer Nachahmung dessen, was
die alten Christen taten, die als Vorbeter vor den Täuflingen knieten.
Sie wußte ja kaum, daß die Messe eine weihevolle Wiederholung des
Opfertodes des Herrn sei, von Menschenhirnen in eine schöne Form
gebracht. Alles erschien ihr wie eine zauberische Zeremonie, deren
Inhalt dunkel und verwirrt war. Doch ihr Ohr öffnete sich den bald
ruhig dahinfließenden, bald erhaben brausenden Gesängen, die von
Mönchs- und Nonnenlippen klangen, und dem gewaltigen Schall der Orgel,
und ihr Herz öffnete sich der rauschenden Sprache des Himmels. Bald war
ihr, als stieße durch die Musik der heiße Wüstenwind und bald wieder
hörte sie Gottes sanfte Stimme daraus tönen, die sie zur kindlichen
Anbetung halb nach Mohammeds Gesetzen, halb in Jesu liebender Gnade
rief. Mit Ergriffenheit gewahrte sie die himmelverzückten Gesichter
der Betenden, und ihr war, als schauerte wirklich in diese andächtigen
Herzen die Dreieinigkeit Gottes hinein, die Mohammed verdammt hatte.
Hatten sie Lehre und Glaube also doch berührt? Sie erbebte. Sollte
sie nie und nimmer vor Christus als Gott auf den Knien liegen können?
Nimmer die schöne Mutter des Menschen- und Gottessohnes --?
Da hefteten sich ihre Augen auf das Muttergottesbild. Die rührende,
kindliche Haltung des Jesusknaben, der zärtliche Blick der Mutter,
deren Geschichte sie aus dem Koran gar wohl kannte, ihre würdige
Haltung und Heiligkeit gaben der Neugetauften zu denken. Das
Verbot Mohammeds, Bilder zu verehren, ja die Gottheit auch nur zu
verbildlichen, erschien ihr nun etwas hart. Vor diesem halb lächelnden,
halb tröstenden Mutterantlitz könnte sie, wenn es sein mußte,
sicherlich in einem stammelnden Gebet liegen, über dessen Inhalt sie
sich jedoch noch nicht im klaren war. Sie stellte sie sich wie eine Art
Schutzengel vor, und daß sie fortan ihren Namen tragen sollte, erhob
sie nicht wenig über ihre menschliche Nichtswürdigkeit.
Nun sah sie die weihevollen Gebärden des Dominikaners vor dem Altar.
Die Wandlung setzte ein. Was schwebte da in des Priesters Händen zur
Höhe empor? Ein kreisrundes Blättchen -- und alles fiel aufs Knie und
der Gesang schwieg -- dann über des Opfernden Kopf ein funkelnder Kelch
-- sie erschauerte vor der Erhabenheit des Bildes. Dann vernahm sie
deutlich die Priesterworte: ~Domine, non sum dignus~ -- diese
klangen in ihrem Herzen bis zum Ende der Messe nach.
Als dann der bläuliche süße Duft des Weihrauches durch die Halle
schwebte, die Hostie in der flimmernden Sonne der Monstranz über
dem Haupt des Dominikaners hing, ihren Glanz nach allen Richtungen
verschwendend, und das Meßglöckchen feinstimmig in die lautlose Stille
tönte, ging ein wundersames Rühren durch das zarte Mädchenherz. Ihr
Gemüt war von einer seltsamen Schwere umsponnen, als sie sich von den
Knien erhob und nach der Kirchentür schritt, hinter der der helle
Tag sein Licht verströmte. Dort warteten viele Christenritter und
Damen. Alle staunten ihre Schönheit an. Ein Gemisch von Schwermut und
Heiterkeit wob sich auf ihrem Antlitz zur Harmonie zusammen und ihre
Augen waren wie die Fühler einer blütenhaft reinen Seele. Ein jeder
nahm sich nach seiner Neigung ein Stück von ihrer Schönheit in sein
Herz. Der eine bewunderte das Haar, der andere die Augen, dieser die
Gestalt, jener den Rhythmus ihrer Bewegungen, und manch einer sah
sehnsüchtig dem Schreiten des zarten Fußes nach. Sicherlich wollte
man von nun an noch häufiger in die Kirche gehen, um diese herrliche
Moriska beten zu sehen. Alle beneideten den Grafen de Mora um das
Glück, sie aus der Kirche führen zu dürfen. Doch die spanischen Damen
in ihren schwarzseidenen Gewändern musterten neidvoll die schöne
Agarena. Die Sonne ihrer Schönheit strahlte siegend über den Reiz aller.
Nun war sie aufgenommen in dem großen heiligen Bund. Der Graf
versuchte, die Wesenswandlung in ihrem Gesicht zu lesen. Unter dem
schwarzen Gewölk ihres Haares leuchtete ihre Stirn wie ein blasser
Mond, ihre Augen waren wie nach innen gerichtet und er mußte erst vor
sie hintreten, um ihr den Arm zu bieten. Wortlos schritt sie an seiner
Seite durch die traurige Winteröde der Höfe, zwischen entlaubten Bäumen
und vergilbten Rasen nach dem Turm der Cautiva. Hinter den beiden ging
mit kaum erträglicher Züchtigkeit Saffana, die mitgetauft worden war.
Plötzlich blieb Reija stehen. Mit einer auffälligen Wehmut im Ton sagte
sie: „Maria heiße ich nun für alle -- Maria Calabreña -- auch für dich,
Feta.“
„Gefällt es Euch nicht so?“
Sie nickte. Aber kein Strahl der Freude leuchtete aus ihrem Auge.
War ihr altes Wesen nicht eine unaufhörliche Betätigung aller frohen
Sinne gewesen? War die Welt um sie nicht farbig und klingend? Das neue
Wesen schien ihr von Grabgeläute umklungen und von den Schranken einer
strengen Sittlichkeitslehre eingeengt, ein Leben in Demut stand ihr
bevor, sie mußte jede Gebärde in ihrer Gewalt haben, um nicht die Tiefe
ihres ursprünglichen Glaubens aufzudecken. Wer würde ihr in diesem
Doppelleben beistehen?
Da schlug die Stimme ihres eisigen Begleiters an ihr Ohr. „Ihr sollt am
Abend die erste Christenlehre durch Pater Leon empfangen. Saffana wird
Euch nach der Vesper in die Mosala führen, in die alte Königsmoschee
der Alhambra. Dort werdet Ihr wahrscheinlich andere Frauen treffen.“
Sie nickte abermals unbewegt. Dann fragte sie hastig: „Was heißt das:
~Domine non sum dignus~?“
Der in der Messe gar wohlbewanderte Graf erklärte ihr die Anfangsworte
der Kommunion. Sie sah ergriffen zu Boden. „Ja -- ich bin nicht würdig
-- daß der Herr eingeht unter mein Dach. Die Engel wissen es, wann ich
es sein werde. Wann sehe ich dich wieder, Feta?“ Sie errötete leicht.
„Ich will besser -- Eure Nähe meiden.“ Jedes Wort verursachte ihm
heftigen Schmerz.
„Tu das,“ sagte sie unmutig. „Deine Hüterschaft ist ja für mich zu
Ende. Du warst ein milder Wächter. Schenke deine Güte auch weiter
meinem Nährvater.“
Sie waren an der Schwelle der Cautiva angelangt. „Bismi allah! Im Namen
Gottes! Dein Weg sei gesegnet.“ Sie schritt, ohne sich umzusehen, an
den Wachen vorbei die Treppe hinauf.
Don Pedro de Solar wußte nicht, wie er den Weg zur Torre de las Damas
fand. In ihm brach eine Welt zusammen. Er fühlte, wie dieses Mädchen
mit ihm spielte und daß es sich an seiner Leidenschaft weidete. Enger
denn je wob sich um ihn das Netz zusammen, trotz diesem Abschied, der
ja doch keiner war. Die selbstgeschaffene Qual träufelte einen süßen
Schmerz in seine Brust und er stöhnte sich den schwächlichen Trost zu:
„Sie liebt Eswer nicht! Und wenn! Ist er nicht ungefährlich hinter
Kerkermauern? Aber dennoch: er wird wie eine lebendige Leiche zwischen
ihr und mir stehen. Am besten sie nicht wiedersehen!“ tobte es in ihm.
Aber wohin sich flüchten? Hispaniola brannte vor seinen Augen. Doch er
löschte das Bild aus. Ich entrinn’ ihr nicht! Mit dieser verzweifelten
Feststellung wandelte er den Weg zum Garten des Generalifes hinauf, in
die kalte Wintereinsamkeit.
Maria aber, die schöne Moriska, stand vor dem Väterchen. „Christin!“
Mit gebrochener Stimme empfing er sie. „Ich rufe nicht die Ungnade von
Gott, Engel und Prophet auf dich herab! Der Herr sieht das Verborgene
in dir, die Welt mag das Unverborgene bestaunen.“
Sie fiel ihm um den Hals. „Für dich, Väterchen!“ Sie schloß die Tür,
schob die Truhe vor sie hin, holte den Gebetsteppich hervor, wusch
sich Hände und Füße, warf sich mit hochklopfender Brust nieder und
räumte in inniger, alter Gottessehnsucht alles von der Seele, was ihr
soeben ein neuer Glaube als furchtbare Last aufgelegt. Und mit jedem
Koranvers hüpfte ihr Herz dem Urewigen entgegen und sie versank in die
Wonnen der ursprünglichen Gottgebundenheit.
Einundzwanzigstes Kapitel
Die Christin Maria de Calabreña kniete in der Mosala vor einem
Marienbild, das in der alten Mihrabnische hing, wo einst das Licht
arabischer Lampen den Koran bestrahlte. Sie trug ein weißes Kleid, das
ein leuchtender roter Gürtel um die Hüften zusammenschloß und an der
Schulter eine ebensolche Schleife. Ihre Haare wogten über den Nacken
herab, das blasse Gesicht wie ein Ebenholzrahmen umfassend, und ihre
schwermütigen Augen, von den herrlichen Brauen überschattet, suchten
Hilfe in den Augen der heiligen Jungfrau.
Neben ihr stand die weiße Gestalt des Dominikaners, die Blicke auf
den schwarzen Scheitel der Betenden geheftet. Es war eine Stille im
Raum, daß man das Plätschern des Brunnens im Patio des Mexuar hörte.
Der Vikar hatte es für gut befunden, die königliche Jungfrau allein in
der Christenlehre zu unterrichten. „Ich will Euch aus der heidnischen
Nacktheit reißen, wie Ezechiel sagt, will Euch köstlich salben und
bekleiden mit den Gewändern des Glaubens.“
Er ließ nun Maria de Calabreña auf einen arabischen Schemel sitzen,
so daß das Licht der zwei Kerzen vor dem kleinen Hausaltar ihr
Gesicht sanft bestrahlte. Leon sprach langsam, eindringlich, mit
einer etwas heisern Stimme, fast im Flüsterton, den er durch die
Beichtstuhltätigkeit gewohnt war, in ihre Seele. Der starke arabische
Wohlgeruch, mit dem ihre Kleider durchdrängt waren, legte sich fast
beklemmend auf seine Sinne, und er erinnerte sich, gehört zu haben, daß
die Maurinnen durch das Räuchern mit Dufr, einer arabischen Pflanze,
die einen betörenden Duft ausströmt, ihre Wollust aufzustacheln
pflegen. War diese schöne Moriska auch eine von den Eva-Schlangen?
Er sprach ihr von der dreifachen Finsternis des Jonas: Nacht, Meer
und Walfischbauch. Damit verglich er ihren bisherigen Seelen- und
Glaubenszustand. Er entfaltete das Mysterium der Erlösung wieder in
geheimnisvollen Worten, die weder den Weg zu ihrem Herzen noch zu ihrem
Verstand finden konnten. Er wies auf seine eigene Macht hin, die Himmel
öffnen und Höllentore verschließen konnte, auf sein Wort steige in der
Messe der Gottmensch herab in den Leib der Hostie. Das begriff sie
nicht. Aber sie sagte sich, daß sie auch das Wunder der Sternenhoheit,
die Gesetze von Geburt und Tod nicht begreifen könne. Warum sollte
das Wandlungswunder so leicht sein? Er erklärte ihr das Meßopfer, die
Erneuerung der Kreuzigung Christi in unblutiger Form und stellte es
als die Sonne aller geistlichen Übungen hin. Er verglich die Taufe mit
dem fruchtbar machenden Regen und die hehre Lichtgestalt Jesu ließ er
erstehen.
„Ich sehe ihn als einen schönen Jüngling,“ sagte sie in ihrer rührenden
Einfalt.
Da traf sie ein strafender Blick. „Er war ein strenger Richter. Ihr
müßt ihn im Bild des Leidens und der Kreuzigung festhalten.“ Und er
verwarf das Verbot der Bilderverehrung und lenkte ihre Blicke auf das
Marienbild, erzählte von den Wonnen ihrer Anbetung und ihrer Hilfe.
Er sprach von der Beseligung durch die sieben Sakramente, daß diese
eine siebenfache Ausstrahlung einer einzigen Kraft seien. Das alles
wußte der ungeübte Geist des Mädchens nicht zu fassen, es kam zu
unvermittelt an ihren Verstand heran und hatte in der dogmatischen Art
der Belehrung nicht die Kraft, sich in ihr zu verankern. Wenn alles
wie ein Eliasfeuer aus seinem Mund geströmt wäre, hätte sie leichtere
Arbeit gehabt.
Der Vikar bemerkte die Verwirrung seines Taufkindes. „Es wird ja
manches wie ein betäubender Donner in Euer Gemüt schlagen, aber habt
Geduld, die reinigende Kraft wird sich später weisen. Ihr seid wie
Paulus den Heiden zum Licht gesetzt.“
Sie fand Mut zu fragen. „Mohammed sagt, derjenige der einer andern
Religion angehört, ist verdammt. Und Ihr sagt so Ähnliches? Wem soll
ich glauben? Du hast Qual in mein Herz geworfen, ehrwürdiger Mann.“
Leon kräuselte die Lippen. „Darüber haben sich fromme Männer ein Leben
lang bemüht und Ihr wollt es auf einmal fassen? Glaubt an meine Worte
und der Weg zu Jesu öffnet sich selbst.“
Maria bekam Mut zur Entgegnung. „Mohammed hat aber auch gesagt, alle,
welche an Gott und den Jüngsten Tag glauben und gute Werke üben, ob
Juden, Christen, Sabäer, sie haben nichts zu fürchten. Heißt das nicht
auf jeden Fall selig werden?“
Der Dominikaner zog die Brauen hoch. „Das ist das faule Kraut der
Duldung. Christus will alle Menschen sein nennen.“
„Mohammed doch auch,“ beharrte Maria in kindlichem Eifer.
Da ging eine Unruhe über das scharfgeschnittene Zelotengesicht. „Wer
sich wehret gegen Christus, kommt nie zu ihm. Ihr könnt nicht von einem
Licht beleuchtet werden, wenn Ihr den Kopf von ihm abwendet. Ihr könnt
nicht bergauf schreiten, wenn Ihr talab gehet. Euer Wille bahnt dem
Glauben den Weg. Es hat sich einer für Euch totgeliebt. Im Tabernakel
liegt er verschlossen.“
„Dort ist -- Christus -- der Herr?“ bröckelte es sich zweifelnd von den
Lippen.
„Das Lamm wohnet unter uns. Die weisesten Kirchenväter wußten das
Geheimnis nicht zu lösen: Christus wahrhaftig in Brot und Wein.“
„Es ist über alle Maßen groß,“ bekannte ihr redlich schlichtes Herz.
„Es wird noch Größeres über Euch kommen. Aber aus dem Saulus ward ein
Paulus. Der Heiland weint um Euch, da Eure Seele nicht zu ihm finden
will. Die Könige des Morgenlandes kamen von weither, um das Kind zu
suchen, und hier will ein Königskind ihn nicht finden, da er so nahe
ist. Hier beim Tabernakel ist der wonnige Hain, wo zu lustwandeln
Seligkeit ist.“
Die blumige Sprache rührte an ihr Herz, sie klang arabisch vertraut.
Sie senkte verlegen das Haupt, daß ihr schwarzes Haar sich wie eine
schöne Decke vor den Blicken des Priesters breitete. „So will ich denn
glauben,“ sagte sie flügellahm. „Und sagt, Herr, warum hat Gott den
Heiland nicht befreit wie Isaak, der auch geopfert werden sollte?“
„Das geschah aus unsagbarer Liebe zur Menschheit. Durch sein Blut hat
Gott der Menschheit den Weg zu sich gewiesen, den Weg der Leiden.“
„So sollen wir viel leiden auf Erden?“ erschrak sie in ihrer kindlichen
Einfalt. „Und Mohammed hat uns viel Freuden hier erlaubt.“
Die unselige Fragerin verstimmte den Vikar. „Freuden der Hölle!
Männerliebe und Genußsucht. Mohammed müßt Ihr schmerzlos entsagen,
denn ein kunstvolles Lügengewebe hat er Euch zusammengesponnen, hat
Dinge aus der heidnischen, christlichen und jüdischen Religion in einen
Topf geworfen und daraus einen Heiltrank gemacht, der in Wahrheit ein
Gifttrank ist. Dazu bemühte er den Erzengel Gabriel vom Himmel herab. O
wie sündhaft handelte der Prophet! Er war ein kurzsichtiger Betrüger,
den jeder Laienbruder eines Bessern hätte belehren können.“
Maria de Calabreña stach das Weh in die beleidigte Seele. Aber sie
schwieg und verarbeitete heimlich den Schmerz um ihren Kinderglauben.
Und Leon wühlte immer tiefer ihr Herz auf und sagte endlich, wenn
ihr Gott durch Priestermund das scheinbar Unverständlichste zurufen
würde, sie müßte gehorchen im guten Glauben an die Vollmacht des
Stellvertreters Gottes. „Gedanken und Taten eines Priesters leitet
Gott. Ihr werdet es erfahren. Ihr müßt recht oft zu mir kommen, macht
Euch nicht selten wie der Stern Kanopus, jeden Tag um diese Stunde bin
ich für Euch zu sprechen. Und wo Kreuze stehen, werft Euch nieder, ein
jedes wird Euch zum Altar werden; jedes Gebet wird Euch ein goldener
Apfel in silberner Schale sein. Eure Worte werden Engel wie Rosen
aus Eurem Mund nehmen und in Kränze flechten wie bei der heiligen
Rosalinde.“
Das gefiel Reija wieder, denn es klang wieder arabisch anmutig. Und es
troff noch in ihrem Herzen nach, als Leon fragte: „Habt Ihr noch etwas
auf dem Herzen?“
Aus dem Gewoge ihrer Gedanken hob sie einen heraus, der sie
unvermittelt überfiel. „Ihr nennt Maria Mutter Gottes. Wer war dann die
Großmutter Gottes?“
Der Dominikaner rümpfte die Nase über die arge Scholastikerin. „Er
hatte keine, wiewohl natürlich eine Mutter der Gottesmutter da war.
Aber Maria wurde im Geiste beschattet.“
„O lieber, guter Pater, ich fasse das nicht,“ gestand sie aus der
Unschuld ihres Denkens heraus. „Es liegt zuviel in mir, was der Koran
mir gegeben, das muß deine Lehre erst wegräumen. Hab’ Nachsicht mit
mir.“ Und es schossen ihr beinahe die Tränen in die Augen.
Da drängte seine Hand nach ihrem Antlitz, als wollte er ihr Naß
trocknen. Doch er besann sich. „Ihr müßt erst aus der Nacht Eures
Gemüts heraus, aus der Verblendung des Irrglaubens, es müssen die
Wurzeln des alten Glaubens absterben, und auch Euer häusliches Leben
soll alle Spuren auslöschen, die nach rückwärts weisen. Auch die
alten morschen Hüllen der Puppen zerfallen, wenn der Schmetterling
herausfliegt. Ihr müßt nur bereuen, was Ihr gesündigt. Und dazu ist
der Beichtstuhl geschaffen.“ Und er erklärte ihr die Wesenheiten der
Beichte.
Doña Maria erschrak heftig. Ein Mittler und Stellvertreter zwischen ihr
und Gott! Was sie insgeheim durchdacht und durchwühlt, sollte sie einem
fremden Mann anvertrauen? +Einem+ vielleicht --? Es stach in ihr
Herz. Sie dachte ein Wimpernzucken lang an einen Mann. Gott möge ihm
gnädig sein, ach ja, ihm könnte sie vielleicht --
„O wundersame Macht des Beichtstuhls!“ riß Leon ihre Gedanken entzwei.
„Bezwungen von der Nähe Gottes, wirft der sündige Mensch aus dem
Trieb der bereuenden Seele die letzten Bedenken ab, und um des
Glaubens willen klagt er sich an. O reinigende Kraft der Reue! Wenn
die Muselmänner bereuen, zerreißen sie ihre Kleider, wir aber unser
Herz. Katharina von Siena beichtete täglich, wie erst muß Euer Leben
von Sündenlast beschwert sein. Im Heilandsgebet heißt es: Vergib uns
unsere Schuld! Dann muß sie eben auch da sein, in Worten, Gedanken,
Taten. Drum tötet die Angst, sagt mir jeden Tag, was Euch bedrückt,
doch verheimlicht nichts, denn verschwiegene Sünden geißeln das Gemüt.
Auch was Ihr über andre wißt, ladet es ab vor dem verschwiegenen
Priesterherzen.“ Damit warf er die erste Angel der Inquisition nach ihr
aus. „Ihr müßt auch die Gottesspeise im Abendmahl zu Euch nehmen. Sie
ist die Speise für die Seele. Durch den Adamsapfel wurde die Menschheit
zerstreut, durch das himmlische Brot und den Wein wurde sie wieder zu
einem einzigen Leib gemacht. Wir alle sind eines Leibes -- ein Leib,
versteht Ihr?“
Nein, das verstand sie auch nicht.
Der Pater schob ungeduldig die Lippen hin und her. „Ihr scheint ein
weiblicher Gideon zu sein, der dreimal bewiesen haben will, bevor er
glaubt. Das Abendmahl ist die Wegzehrung für den irdischen Pilger,
Ihr müßt danach greifen.“ Ein Bild nach dem andern legte er vor sie
hin. Aber ihr sonst für Redebilder so empfängliches Gemüt konnte damit
nichts anfangen. Sie war gedankenmüde geworden. Ihre Finger nestelten
an ihrem Halsschmuck: ein goldnes Krüglein hing an einer Kette. „Was
ist das?“ forschte der Mönch.
„Ein Wassertropfen aus dem Semsem, dem heiligen Brunnen von Mekka, ein
unschuldig Hamalet.“
Pater Leon nahm es an sich. „Nimmer darf dies Euer Schutz sein.“ Er
holte aus einer Schatulle ein Wachsscheibchen hervor, das Agnus Dei
vorstellend. „Dies ist das Lamm Gottes, Herr Jesus, vom Papst geweiht.
Es wird Euer Herz vor wilden Flammen behüten.“ Er nahm den Flüsterton
der Beichte an. „Sagt, ist Euer Herz nicht verwirrt durch eine --
gewisse Liebe? Ein Taufkind muß rein in die Christenlehre kommen. Gott
sucht die Sünden der Väter an den Kindern heim, es könnte sein, daß Ihr
an Eures Vaters sündiger Lust leidet.“
Maria erbebte in der Tiefe ihres Herzens. Des Vaters Sünde? Was für
eine? Und sollte sie dem Manne etwas verraten, was kaum wie ein Keim in
ihr lag? Sie hatte als Maurin ihr Auge zu einem Christenritter erhoben.
Aber nun war sie doch Christin -- wenigstens in den Augen des Mönches
-- und nun war wohl die Sünde getilgt -- oder bestand sie erst recht?
Da sie sich doch innerlich als Mohammedanerin fühlte? Ihr Gewissen
geriet in Anfechtung.
„Ihr verbergt mir etwas,“ sagte der geübte Seelenerschließer.
Sie blickte noch verwirrter. „Euer Auge starrt mir ja auf den Grund
meines Herzens. O wie soll ich Arme -- hört -- es war einmal, daß ich
Sehnsucht hatte -- nach einem maurischen Ritter -- aber er ist gefangen
und im Elend.“
„Das tilgt aus Eurem Herzen mit brennender Liebe zum Heiland. Es war
eine Jungfrau, Lucia hieß sie. Sie wurde von einem heidnischen Ritter
bedrängt, der danach begehrte, ihre schönen Augen zu küssen. Da riß
sie sich die Augen aus und sandte sie ihm, auf daß er habe, was er
begehrte. Tut auch so.“
Wie ein Donnerschlag ging das Wort über ihr Gemüt. „Meine Augen --?“
Sie bedeckte sie in Angst.
„Es liegt noch viel Eitelkeit in Euch, Doña Maria. Euer Körper duftet
balsamisch, das ist maurische Art. Erstickt sie.“
„Ei, die Araber haben ein schönes Bild gehabt: Der Balsam sei aus den
Tränen des Christkindes auf der Flucht nach Ägypten hervorgesprossen.“
„Fürwahr, ein schönes Bild, aber aus mohammedanischer Phantasie geboren
und darum verwerflich. Pflegt es nicht weiter. Auch Euern Körper pflegt
christlich durch Kasteiung und Buße. Die Maurinnen hängen an Schönheit,
Tand, Perlen, Bädern --“
Die Freude an diesen Dingen lachte aus ihren Augen. „Ach ja, die Bäder
sind wohlig und weich --“
„Im Bad kann Segen und Unheil liegen. Aus dem Bad der Bathseba
entsprang die Sünde, im Susannabad triumphierte die Tugend.“ Und er
erzählte ihr die biblischen Legenden und warnte sie vor dem Teufel, der
in allerlei Gestalt vor den Menschen hintrete. „Da war eine Nonne voll
Keuschheit, Anna de Nativité, der erschien der Teufel in der Gestalt
des Gekreuzigten, und er befreite seinen rechten Arm und wollte damit
die Nonne umfangen. Da kniete sie schnell nieder, betete heiß und
inbrünstig, und der Zauber schwand dahin.“
Maria erbebte. „So muß ich vor jedem Kreuz in Ängsten beten, denn es
könnte der Teufel oben hangen?“
Der Pater lächelte. „Wer will, erkennt den Teufel selbst in der
heiligen Maske. Das eigene Gewissen zeigt ihn an. Morgen sollt Ihr im
Beichtstuhl knien.“ Er wies auf die hölzerne Nische an einer Wand. Er
gab ihr in einfachster Form die Weisungen zum Empfang des Sakramentes
der Buße. Dann legte er ihr sanft die Hand aufs Haupt, und seine Finger
berührten länger, als es für das heilige Zeichen notwendig war, ihren
Scheitel. Er spürte, wie das schwarze Haar unter seinen Fingern brannte
und wie die Funken in sein Blut schlugen.
Doña Maria aber erschauerte unter der Berührung. Noch nie hatte eines
fremden Mannes Hand ihr Haar berührt. Und dieser durfte es tun? Sie
konnte sich kaum erheben, vom Gewicht der Stunde bedrückt.
Der Dominikaner entließ sie mit einer stummen Verbeugung, sein Blick
verfolgte sie bis zur Tür, erfreute sich an ihrem Schreiten, das so
stolz war wie das einer Edelantilope.
Doña Maria atmete auf, als sie die dunkle Tür hinter sich wußte. Des
Priesters Worte wühlten in ihrem Busen, und in der Seele bedrückt, ging
sie aus der Mosala. Im Hofwinkel kauerte Saffana und fror. Sie warf
der Herrin die Capa über die Schulter. „Was hast du von ihm gehört,
Liebling der Engel?“
Doña Maria zog die Schultern zusammen. „Bei uns ist alles hell und
licht. Aber hier liegt Kreuz, Tod, Sündenschuld, Entsagung, Reue
ausgestreut auf dem Erdenweg. Vom Paradies hat er kein Wort gesprochen.“
Die Sklavin machte traurige Augen. „Ach was, zwischen Dornen blühen
doch auch Rosen,“ sagte sie mit dem Willen, sich und die Herrin zu
erheitern.
In der Mosala schritt der Dominikaner in Unruhe auf und ab. Sein Hirn
war durch die tägliche Beicht- und Bekehrungsarbeit ermüdet, doch
diese Christenlehre empfand er als eine Art Erfrischung. Er sah in
sich. Hatte er wirklich eine verirrte Seele getröstet? War er mehr
freundschaftlich als väterlich gewesen? Er wollte sich selbst nicht
täuschen. Die Wellen, die in der Nähe dieses Mädchens um seine Sinne
gingen, spürte er jetzt noch angenehm rauschen. Die Rose, deren Duft
er soeben eingesogen, war gewiß kostbar. Hatte er sie nicht zuviel
geschreckt? War diese Bekehrungsart die richtige? In diesem Falle ja,
sagte er sich. Angst macht oft gefügig.
Er zündete mehrere Kerzen an. Der Lichtschein fiel auf allerhand
kirchliches Gerät. Heiligenbilder lehnten an der Wand, für Kirchen
bestimmt, auf dem Tisch lagen die Marterwerkzeuge Christi, ein paar
Kruzifixe, zwei Monstranzen, aus der palästinischen Ferne herbeigeholte
Reliquien, die Kirchenväter, die Vulgata und die heilige Legende des
Dominikus. Pater Leon schlug das Hohelied auf. Aber er hatte nicht
lang Freude daran. Von der Wand lächelte ihn die heilige Agatha an.
Doch beim Bestarren des Bildes ging ihr keusches Leben unter und es
blieb nichts übrig als die abgeschnittene Brust. Ein anderes Bild
stürmte auf ihn ein: Hatte nicht der heilige Dominikus an der Brust der
Muttergottes die Milch getrunken? Gab es nicht eine heilige Lidwina von
Schidam, in deren Busen sich der ganze Vorgang der Milchentwicklung wie
in der Brust Mariens wiederholt hatte?
Welch unreine Gedanken schwirrten da durch sein Haupt? Wer stieß ihn in
die wild aufschlagenden Flammen? Hier ging doch kein Potipharatem, der
verpestete! Saß hier nicht vor wenigen Augenblicken ein unschuldsvolles
Kind, eingesponnen in die Worte seiner heiligenden Kraft? Strömte
von dieser Reinheit der betörende Zauber aus, der seine Sinne
durcheinanderwarf und sie mit lockenden Bildern fütterte? Er begann
heftig zu zittern. Und wieder dachte er an die heilige Theresa, die
einen Wohlgeruch ausströmte, der jeden betörend traf, der sie mit der
Hand berührte. Und sein Geist umklammerte hilfesuchend die Gestalt
seines großen Ordensbruders Thomas von Aquino, den seine Feinde durch
ein schönes Weib verführen wollten, das er durch einen glühenden Span
aus dem Zimmer jagte. Einen solchen Brand wollte er das nächste Mal
entfachen, wenn ihm der Böse wieder das Weib mit den großen dunklen
Augen und dem zweifelnden Herzen schickte. Er hätte sie doch einem
andern Priester zuweisen sollen. Aber dazu war ja noch immer Zeit.
Er erschrak vor sich selbst. War das nicht alles verwandt mit der
babylonischen Hure, der Weltlust auf dem siebenfach gehörnten Tier?
Noch immer wollte er es sich nicht eingestehen, daß sein eigener
unreiner Geist die Luft verpestete, daß er, er selbst, aus Granada die
Hure von Ninive machen wollte.
Wie sie sich wehrte gegen den neuen Glauben! Sein Gedanke flog abermals
zur schönen Schülerin zurück. Sie ist noch zu jung! Wie traurig sie
manchmal blickte, wenn sie etwas nicht fassen konnte. Und ihrer Augen
Glut! Und diese sollte wirklich noch nicht geliebt haben? Ging nicht
Magdalena an ihren schönen Augen zugrunde? Aber dann freilich durch ihr
Herz zur Buße.
Seine Finger griffen nach dem Talisman, den er ihr abgenommen. Wie
oft mögen ihre Lippen an dem Krüglein geruht haben! Und wie unter
der magischen Kraft dieses Gedankens hob er langsam das Gold zu den
eigenen Lippen -- aber noch vor dem Kuß warf er es mit einer zornigen
Bewegung auf den Tisch. „Weiche von mir, Satan!“ schrie er laut auf.
Und er glaubte aus seinem Mund den Schwefeldampf des entweichenden
Höllenfürsten rauchen zu sehen. Der Widersacher geht nicht nur wie ein
brüllender Löwe um, sondern auch in der Form zärtlicher Jungfrauen. Ich
will wachsam sein und ihn betrügen.
In einer Nische, durch einen schweren Vorhang verdeckt, stand der
Schrank, in welchem die Akten der Inquisition verwahrt waren, bevor
sie nach Cordoba gingen. Nur Leon hatte den Schlüssel dazu. Er zog die
Papiere hervor, in denen Unsummen von Klagen, Leiden, Weh und Lüge
zusammengestoppelt lagen. Dann lagen hier die königlichen Edikte, die
Inquisitionsbriefe, die Prozesse von Granada, die Listen über die
Familiares, die Angebereien und vieles andere. Überall glühte am Schluß
der Richtername Lucero, Inquisitor von Cordoba. Dieser furchtbare
Priester, dessen Devise lautete: wir zählen unsere Opfer nicht, wir
wägen sie -- freute sich doch, wenn die Zahl der Gewogenen mit jedem
Tag wuchs. Und er wappnete sich mit dem Panzer irdischer Gerechtigkeit,
dem Schild des Glaubens, dem Helm der Buße und dem Schwert des Gebetes.
Nur den Mantel der Gnade breitete er über keine Tat.
Pater Leon wollte eben die Tabelle der granadinischen Gütereinziehung
hervorziehen -- da klopfte es.
Als sich die Tür öffnete, spürte der Mönch eine Blutwelle zum Herzen
steigen.
Leonore de Uceda grüßte mit verführerischem Lächeln den erschreckten
Dominikaner. „Der Name des Herrn sei gelobt, und sein Segen komme über
seine Diener!“ Und sie tauchte die feinen Finger in das Weihwasser bei
der Tür.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Nach ein paar Herzschlägen der Schadenfreude eilte Doña Leonore, als
erinnerte sie sich einer frommen Pflicht, vor den kleinen Hausaltar
hin, warf sich dort auf die Knie und schien in Andacht versunken.
Der Vikar wäre nicht der geschulte Weltmann in der Kutte gewesen, wenn
er in der Überrumpelung seines Gemütes steckengeblieben wäre. Bald
begann die kniende lebendige Statue seine Sinne zu beschäftigen. Üppige
schwere Goldflechten, in einem blauseidenen Netz gefangen, senkten
sich auf den bräunlichen Nacken, die Rückenlinie der Knienden fiel
in einer herrlichen Biegung nach den Füßen hinab, und in der ganzen
Gestalt rauschte das erregte Leben. Wiewohl der Pater wußte, daß ihr
Gebet sammlungslos war, wollte er doch kein störendes Willkommwort
hineinwerfen.
Endlich erhob sie sich und warf ihre Erscheinung ins Licht. „Ich bin
da,“ sagte sie mit ihrer bestrickenden Wohllaune. „Euer Ehrwürden haben
doch nach mir verlangt.“
Der dunkelgrüne Taft mit der silbernen Stickerei schimmerte wie eine
Schlangenhaut an ihrem ebenmäßig geformten Leib. Der rote Mantel
darüber, mit rosafarbenem Felbel gefüttert, legte die Farbe der Liebe
in ihr Wesen, und um Hals und Arme gleißte der irdische Reichtum in
Form goldener Reifen. Mit dem Lächeln der Siegerin sahen die zwei
schön gebetteten Samtaugen unter dem Schutz seidener Wimpern auf den
betroffenen Mönch.
Dieser rückte verlegen mit den Schultern hin und her. Wenn diese ein
paar Augenblicke früher gekommen wäre! Ihr wildjagendes Herz hätte
allerlei Argwohn zusammengebraut. „Wohl verlangte ich nach Euch. Aber
zu so später Stunde --?“
„Als ob es für den Mann, der gewohnt ist, stündlich eine neue Seele
einzufangen, auf die Stunde ankäme, in der sich ihm ein Herz ergibt.“
Der Mönch entsann sich eines alten Spruches: Wenn ein Weib lächelnd zu
dir kommt, wende dich ab, wenn du nicht willst, daß deine Rechtlichkeit
in ihrem Lächeln ertrinke.
„Ihr wolltet nach den Teppichen in Santa Clara fragen. Ich bringe Euch
die Antwort selbst. In zwei Monaten werden die Teppiche in der Capilla
Real hängen. Ich habe darüber dem König geschrieben.“
„Ihr -- schreibt dem König?“ fragte der Vikar verwundert. „Ich
dachte --“
Sie senkte die schwarzen Wimpern. „Daß alles vorbei wäre? Es wird
vielleicht wieder seinen Anfang nehmen, ohne daß ein gewisser Pater
die Hände dabei im Spiel zu haben braucht. Beim erstenmal braucht man
geistliche Hilfe, um sein Gewissen zu beruhigen. Das zweitemal handelt
man freier.“
„Und vergißt so den Dank, den man -- aber im Ernst, ich dachte, daß nun
Graf Nuñez de Castro der glückliche Besitzer dieses Herzens --“
„Ach, seine nächtliche Musik wirkt einschläfernd,“ sagte Doña
Leonore gelangweilt. „Und bei Tag droht er mich mit gezierten Reden
auszuhungern.“ Sie sah sich lauernd um. „Es ist doch kein Frauenkleid
in der Nähe? Der Beichtstuhl ist sorgfältig verhüllt. Ganz wie einst.“
Sie lüftete den Vorhang. „Ihr erlaubt einer alten Freundin die
Kühnheit, die hier mehr als einmal die Sorgen ihrer Seele und -- ihres
Herzens abgeladen. Wie lang ist das her? Wartet -- nun wird es sich
bejähren, daß ich das letztemal --“
„Ihr seid in Atem,“ sagte Leon mit zusammengewürgter Kehle. „Die alten
Erinnerungen zu so ungewöhnlicher Stunde --“
„Auch ich möchte so gern alles begraben wissen -- aber der Ort,
wo der Rausch sich zum letztenmal ausgetobt, stimmt nicht zur
Totengräberarbeit. Man durchwühlt sein Herz, ob nicht noch ein Restchen
Leben in der Leiche seines Glücks ist.“ Sie schmeichelte selbstgefällig
ihre Glieder in einen schweren Stuhl. „Warum habt Ihr eigentlich damals
dem König den Sieg über mich so leicht gemacht? Dem Sieger so willig
den Platz geräumt?“
„Doña Leonore -- dies alles -- jetzt --?“ Pater Leon saß an dem
Betpult, wo früher Maria de Calabreña gekniet hatte. „Es ist doch alles
vorbei, seit der König mir den Schatz genommen.“
„Genommen? Ihr verwechselt die Begriffe.“ Die lilienweißen Zähne
malmten die Worte in Unmut. „Gesteh doch, amigo, in diesem Beichtstuhl
lag damals schon ein anderes Geschöpf deiner Freude -- Ena de Isla --,
ach, deine Augen trüben sich in der Nachtrauer um die schöne, früh
gestorbene Jungfrau. Hättest du ihr frühes Ende geahnt, du hättest mich
vielleicht gar in Gnaden wieder aufgenommen, wenn ich auch mittlerweile
in einem Königsbett gelegen bin. Dein Schweigen setzt das Siegel
unter mein Wort. Du hast Ena de Isla geliebt -- und wer -- wer“ --
sie spannte mit den Augen den Bogen nach ihm -- „wer ist jetzt an der
Reihe?“
Der Vikar riß den Oberleib zurück. „Leonore! Es ist wahr, Ena war mir
ein herber Verlust, aber es war schmerzvoller, eine Leonore de Uceda an
einen König zu verlieren. Diesem Grab winkt keine Auferstehung.“
„Und doch habt Ihr mich selbst begraben.“
„Ich wollte dem König dienen, weil sich alle seine Fibern nach Eurer
Schönheit spannten.“
„Haha!“ lachte sie schrill. „Dein Herz war nicht immer ein Altar
Gottes. Du großer Sünder in Liebe! Berechnung war der Vater deines
Gefühls. Meine Erhöhung sollte Euch zum königlichen Beichtvater
erheben. Und als Ihr Euch getäuscht saht, ließet Ihr den König und --
mich fahren. Du hast pfundweise Ehrgeiz in deine Liebe verflochten.
Und ich Törin malte mir so schön das Vergnügen aus, in einer einzigen
Nacht aus den Armen des Königs in die seines Beichtvaters zu schlüpfen.
Vorbei, vorbei! Soll ich mein Herz noch mehr aus dem Mund treten
lassen?“ Sie zog in Qual die Schultern zusammen.
Nun fand der Priester den alten vertrauten Ton wieder. „Leonore -- du
zerstichst mein Herz. Höre das eine: Als ich vernahm, daß dich der
König freigeben wolle, hüpfte mein Herz wie ein Lämmlein. Und nun --
der König wird dich wieder aufnehmen.“
„Und wenn ich dieser Laune nicht gehorchen will? Herrscherrechte haben
beim Körper des Weibes ihre Grenzen.“
„Solche Launen straft der König mit Landesverweisung,“ sagte Leon
warnend.
„Wenn ich wüßte, daß ein gewisser Mann die Verbannung mit mir teilen
würde, so würde ich sie ertragen.“ Ihre halb geöffneten Finger spielten
unruhig in der Luft. Die Möglichkeit der Wiederkehr frohbeschwingter
Tage und Nächte machte das Mönchsherz taumeln. „Leonore -- was weckst
du Hoffnungen in mir --?“
„Oh -- ich will verdient werden, Don Juan de Leon.“ Sie rückte schnell
aus dem glühenden Bereich seiner Hände. „Ich fiel dir einmal zu
leicht in den Schoß. Ich möchte ein zweites Mal die Gewißheit haben,
daß ich dir nicht wieder herausfalle. Und darum bitte ich um eine
Paktschließung.“ Sie stand auf und warf scheue Blicke nach der heiligen
Jungfrau. Ihre religiöse Furcht, echt spanisch auferzogen, begann in
ihr zu rumoren.
Der Vikar half ihr auf seine Weise. „Wir können hier leicht überrascht
werden. Auch gibt es Eide, die gehalten werden müssen und die doch den
Altar scheuen.“
Leonore de Uceda erschauerte. „Wo sollen wir also --?“
„Ich wüßte einen Ort --,“ der Dominikaner senkte den Kopf, die kleine
Tonsur lag wie ein Möndlein im Kerzenlicht.
Die Schöne verstand ihn. Ihre Augen suchten die geheime Tür, die nach
dem Cuarto de Machuca, einem Turmzimmer, führte, wo die eigentliche
Wohnung des Dominikaners lag. „Ich will nicht,“ sagte sie fest und
leise. „Ihr habt dort Ambra --“ Aber in den bläulichweißen Ovalen
funkelten erregt die sinnlichen Augen. „Nein, wir wollen zuerst ehrlich
handeln. Du weißt noch nicht, was mich hierherführt. Ist es wahr, daß
du zum Inquisitor von Granada ernannt wurdest?“
Er sah betroffen. „Was soll das --?“
„Das Amt kann dir helfen, dir die Eroberung meines Herzens zu
erleichtern.“ Sie knetete unruhig das herabtropfende Wachs einer Kerze
zwischen den Fingern.
Der Vikar ging nach der Tür und horchte hinaus. Die nächtliche Stille
drückte wie Blei auf sein Gemüt. Alle seine Fibern waren gespannt.
„Sprich frei!“
„König Fernando hat mich auszeichnen wollen,“ schleuderte Doña Leonore
ihren Grimm von sich. „Es winkte mir ein klingender Name. Ich sollte
mit einem Mann vermählt werden, den nicht nur der Verstand wählte,
nein, dem auch mein Herz seit einiger Zeit insgeheim entgegenschlug.
Stattliche Männlichkeit, ein tadelloser Charakter, eine fast
tempelherrenartige Gesinnung gegenüber den Frauen -- unter solchen
Sternen hoffte ich eine Läuterung meiner eigenen Verworfenheit.“
„Ich sehe es kommen,“ lächelte der Pater unzart.
Der Fächer der schönen Frau zitterte über der Wange. „Weh dem
Weib, das sich, verschmäht von dem Heißbegehrten, nur mit Wünschen
begnügen muß. Ich habe mit den Augen um ihn geworben, mit der ganzen
Koketterie meines Wesens um seine Standhaftigkeit gerungen, ich
habe mit überströmenden Worten der Liebe um sein Herz gekämpft. Die
Antwort schmeckte bitter wie Wermut. Mit dem Panzer ewiger Keuschheit
umhüllte sich der Prahlende, mit der Miene des Kostverächters warf er
meine Liebe von sich, ohne auch nur daran zu nippen. Hörst du, Juan?
Eine Uceda wegwerfen wie eine unnütze Schale, deren Trank man nicht
benötigt. Dominikaner! Von vornherein wegwerfen und keine Träne nach
ihr weinen! Alles unter dem Vorwand klösterlicher Tugend! Ein Mann, ein
Ritter, ein Hauptmann des Königs!“
„Ah! Die Sonne taucht aus Wolken!“ fuhr der Mönch auf. „Es ist Don
Pedro de Solar Graf von Mora.“
„Daß dir der Name Flammen ins Herz würfe, die für meine Rache glühten!“
schlug es wie eine böse Lohe in ihr auf. „Und ich mußte an dem Eis
seines Herzens abgleiten! Soll ich die Spottgeburt einer Dulderin sein,
ich, die Malagueña, die Geliebte eines Königs? Die geträumt hatte,
mit einem Augenzwinkern Throne erzittern zu machen? Siehst du, Juan,
ich hätte die beleidigende Abweisung erduldet, wenn ihre Beweggründe
wahrhaftig die unselige Unverletztheit seiner Tugend gewesen wären.
Und fast schien es so. Aber dann ließ ich meine Spione hinter dem
täglichen Gang seiner Füße schleichen, ließ sein Treiben beobachten
und von bezahlten Leisetretern jeden Seufzer seiner schönen Augen auf
der Straße auffangen, und dann -- o über den Tag! Mit diesen meinen
Blicken riß ich ihm das Geheimnis aus der Brust. Der Himmel muß oft
eine merkwürdige Wollust haben, das Herz einer Frau in Qual erzittern
zu machen! Die beleidigte Liebe hat scharfe Augen, und diese sahen -- o
Priester, weißt du es noch nicht? Damals vor deinen Füßen geschah es --
die Maurin mit dem Koran --“
„Wirf deine schönen Funken in den Brand!“ freute sich der Vikar
unverhohlen.
„Eine Maurin!“ pfeilte der Hohn von dem schönen Mund. „Dunkelleibig,
zart und glatt. Darin hat er sich verbissen!“
„Ich sehe ihn noch, wie er in hellem Zorn den Degen zwischen mich und
sie -- oh, sie ist gewachsen wie eine Spindel aus der Guadarrama.“
Sie zischte vor Zorn über die Kränkung. „Eine Maurin, in Gottes Namen!
Eine, deren Wollust für die kurze Dauer einer Fastnacht beglückt, die
nicht mehr die Anmut des Errötens kennt, wenn sie halb ihre Kleider
wegwirft! Eine Schwärmerei für die arabische Seltsamkeit, sei’s denn!
Aber Liebe, herzaufwühlende Liebe? Dieses Schauspiel den Spaniern?
Und den Spanierinnen? Wenn Christenritter einst Maurinnen ins Ehebett
nahmen, geschah es um Länder, Burgen, Grenzen. Aber aus Liebe? Wie
soll ich nicht das Opfer meiner Eifersucht werden, wenn ich stückweise
Proben seiner zerfallenden Keuschheit zu kosten bekomme? Er führte sie
zur Taufe, seine Augen verschlangen sie, die Lippen, die mir Worte des
schmerzlichen Abschieds logen, brannten nach ihr -- ich sah es mit
diesen meinen Augen --“
Der Vikar runzelte die Stirn. „Der Eifer wird zum Vulkan, aber man muß
gestehen, er sprüht um einen liebenswerten Gegenstand. Aber Liebe,
sagst du?“
Sie fuhr hoch. „Liebe!! Seine Blicke sprachen Liebe! Soll ich sie
beide im mondlichen Garten im zärtlichsten Geflüster belauschen?
Meine Eifersucht würde vorschnell der Verräter sein. Oh, wie er mich
behandelte! Vor meinen Damen, von oben herab! Vor den Damen, die sonst
nur Zeugen der schmeichelnden Verehrung kastilischer Granden waren
-- mich wegzuwerfen -- vor diesen Damen!“ Ihre frauliche Empörung
machte sie fast ersticken. Dann raffte sie ihre Glieder zusammen und
ihre Augen stielten sich. „Sie ist eine Cava -- so heißen sie ihre
Hexenweiber -- ach, Juan -- räche mich!“
Ihre Glut brannte in sein Herz. „Was -- willst -- du?“
„Nicht ihn verderben, aber sie, die Rivalin, die nach ihm dürstet. Sie
wird meines Elends vor ihrem alten Gott spotten. Glaubst du wirklich,
daß sie ihren Propheten vergessen kann? Daß sich nicht heimlich in
den Rosenkranz der Jungfrau ihre verfluchten Suren hineinschleichen?
Oh, du kennst die Hartnäckigkeit der Maurinnen nicht! Zu denken, daß
sie mir die Lust gönnt, meinen Verlust über einen andern Liebhaber zu
verschmerzen! Ihr aufgeopfert werden! Ich tauge nicht zum Liebesleid,
das frommen Seelen so gut steht. Mir steht Wiedervergeltung besser,
und auf meiner Stirn glüht Vanganza, die Rache! Drum höre, Don Juan
-- Maria de Calabreña ist Neuchristin. Es wird dir leicht sein, ihr
eine Falle zu stellen, ihr einen Rückfall nachzuweisen, sie als
Abtrünnige hinzustellen, und sind keine Beweise da, erfindet man
welche. Wozu habt ihr eure Familiares, die bestochenen Schergen? Wozu
das heimliche Verfahren und die peinlichen Fragen, das Kreuzverhör und
die Tortur? Man raunt, man sagt, man flüstert, nennt das Kind nicht
beim rechten Namen, deutet an, spricht von Gerüchten, webt ein Netz von
Verdächtigungen zusammen. Ei, die kleinen Werkzeuge der üblen Nachrede,
sind sie dir unbekannt? Man munkelt und dreht Worte hin und her, bis
sie ihren Inhalt verändern. Worte sind Würmer, sie zernagen heimlich
die Frucht. Es ist ja so leicht, eine Maurin schuldig zu machen. Sie
spielt maurische Lieder, badet sich zu oft, tanzt die Zambrah -- ach,
welche Waffen hast du in der Hand, die unschuldigste Seele schuldig
zu machen! Mann der entsetzlichen Macht, gebrauche sie, und dir winkt
köstlicher Lohn!“
Der Mönch erschauerte. „Unselige! Sie fälschlich des Abfalls zeihen?
Wie soll ich vor dem Thron Gottes stehen?“
„Mit der Verzeihung der Liebenden im Herzen! Dann wird Gott mit sich
reden lassen.“ Sie ward ihres Frevels nicht einmal inne. „Es würde
wie Bethesdaflut über mich fließen, wenn ich hörte, daß sie aufgehört
hat, sein alles zu sein. Ich kann ihn nicht an ihrer Seite sehen, kann
nicht, kann nicht. Juan -- hilf, hilf -- du kennst den Preis!“ Sie
zwang die Lippen aufeinander und schloß die Wimpern.
Leons Gesicht verzerrte sich im Kampf zwischen Gier und Rechtlichkeit.
„Weib, du forderst Furchtbares -- zu deinem zerbrochenen Herzen ein
zweites, drittes, viertes -- o Himmel und Hölle!“
Der berauschende Geruch ihres Leibes warf Glut und Brand in seine
Sinne, als sie jetzt dicht an ihn herantrat. „Du wehrst dich, Juan
-- aber du wirst dich nicht wehren, wenn du an die Nächte denkst in
Cordoba --“
„Eva -- Eva! Du stehst an den Pforten des Teufels!“
„Und doch will ich dir den Himmel erschließen -- und mich dann reuevoll
in Dornen wälzen wie die heilige Passidea von Siena.“
„Und ich soll zum Judas werden -- soll sie foltern -- den schönen Leib?
Oh, sie darf ihre Sichel an den Sonnenstrahl hängen und Wasser im Sieb
tragen -- so rein ist dieses Weib -- und ich soll --?“
Ihre Augen schossen Pfeile der Wollust ab, und die blutroten Lippen
ließen die Zähne wie drohende Waffen spielen. Der Strom ihrer
Leidenschaft trat aus den Ufern. „Mönch -- du wirst mich rächen! Sag’
-- wie war das mit deinem Ordensgründer? Seine Mutter träumte, daß sie
einen Hund mit einer Fackel im Maul gebären sollte.“
„Ja -- man deutete es als die Treue und die Erleuchtung.“
„Das Volk weiß es anders. Die Hunde sind die Dominikaner, denn sie
beißen scharf, und mit der Fackel entzünden sie die Scheiterhaufen. Übe
dein rächendes Amt! Räche mich, und dieser Leib -- ist wieder dein!“
Ihr Haupt schlug an seine Brust, und das zerstörte Haar, das die Netze
gesprengt hatte, duftete in seine Zerschlagenheit.
Da schnellten seine Hände nach dem Feuergewoge ihrer Brüste. „Wehe --
wehe! Der Taumelbecher in der Hand der babylonischen Hure! In seiner
Hefe sitzt der Tod! Das Judasrad der Hölle über mich! Jonas! Hiob!
Menschen der Not! Eure Gebete her! Du hast mich mit Wogen umgeben, o
Herr -- ich versinke --“
Sein ganzer Mensch wollte grausig lichterloh verbrennen -- da taumelte
er aus der Wollust. Seine Blicke hatten den Gekreuzigten getroffen. Er
riß den in Rache und Lust glühenden Frauenkörper aus der heiligen Nähe
der Gottheit, schleifte ihn, daß die Seide rauschte, durch die geheime
Tür in den dunklen Gang, der in die Cuarto de Machuca führte. Und hier,
von Finsternis und Stille behütet, schlugen die höllischen Flammen aufs
neue auf.
Aber Leonore wand sich aus den Polypenarmen seiner tierischen Brunst.
„Nimmer -- Hyäne! Ich beiße dir die Finger ab -- du sollst den Preis
nicht früher haben, bis -- bis -- das Lamm geschlachtet vor mir liegt.
Schwöre!“
Er krümmte sich wie ein Wurm vor ihr. „Entsetzliche! Meine Taten --
eingegriffelt -- im Buch der Siegel -- am Jüngsten Gericht --“
„Schwöre!“ tönte die unerbittliche Stimme. Und der Feuerhauch des
Vampirs raste über den Scheitel des Mönches.
Da winselte er es in ihre Hand wie ein geschlagenes Tier: „Ich --
schwöre --“
Sie jauchzte in Rachelust. „Ah! Vaya! Bruder Nimmersatt -- so lieb ich
dich!“ Sie biß ihre Zähne in seine Lippen, daß er aufschrie. Dann warf
sie seinen Kopf von ihrem Busen weg. Und ein Dräuen tönte dumpf an sein
Ohr: „Eins darfst du nimmer fordern. Ich muß den andern auch haben.
Dich und ihn! Er ist so schön! Verschwenderisch hat ihn die schenkende
Natur mit den Gaben des Körpers und der Seele bedacht, und das Atmen
an seinem Munde muß Verzückung sein. Aber ich bin ja so reich an Liebe
und Wollust, und was für dich bleibt, ist nicht ein kärglicher Rest
brünstigen Gewährens, sondern ein in seinen Armen gelerntes kostbares
Verschenken. Hab’ Geduld und zähme bis dahin deine Sinne.“ Sie drückte
sanft seinen verkämpften Leib an die Wand. Dann stieß sie die Tür zur
Mosala auf. Der Kerzenschein brachte den Besessenen zur Vernunft. In
wunderbarer Reinheit erstrahlte das Antlitz der Virgen, der heiligen
Jungfrau, über dem Altar.
Leon keuchte schweißnaß dorthin und warf sich in ein verzweifeltes
Gebet, doch zwischen den Sätzen hörte er die Posaune des Weltgerichts
dröhnen. Vor seinen Augen verschloß ihm Gottes Seraph die Pforte des
Paradieses. Weit gähnte der von Lohen erfüllte Abgrund der Hölle.
Er rieb sich die Augen -- Leonore de Uceda war nicht mehr da. Sie
mußte weggeschlichen sein, während er in Gebetwogen mit Gott und dem
Satan rang. Lilith bist du! sann er in das Dunkel der Tür. Lilith
mußte Männer verderben -- du auch! Und er hüllte ihre Gestalt in
die scharlachnen Gewänder der Hölle. Ich soll Helfer sein auf ihrem
Racheweg? Ist der Preis hoch genug? Seine kalten Augen stachen ins
Leere. Überlege, Juan! Wenn du durch die Waffen der List zwei Opfer --
Von Grausen gepackt, schleppte er seinen Leib vom Altar weg. Plötzlich
fuhr wie ein Blitz das Augustinuswort in seine Aufgewühltheit: Ein
Augenblick der Lust schafft eine Ewigkeit an Pein. Sein ganzes
menschliches Gefüge klaffte. Ist nicht der Teufel gerade nach dem
Heiligsten auf der Jagd? Ei, Antoniusqualen bleiben keinem Priester
erspart.
Auf dem Tisch lagen Inquisitionsakten. Seine Einbildungskraft zauberte
ihm eine Anklageschrift vor seine Blicke, und sein Geist schrieb mit
Glutbuchstaben einen Namen aufs Papier: Maria de Calabreña.
Ein kalter Schauer durchrieselte sein Mark. „Niemals, du Untier!“
wimmerte er in sich hinein. Zerbrich an dir selbst, mordende Wollust!
Ich töte diesen Engel nicht. Und er, der Beichtiger, sehnte sich nach
der Wiedertaufe in Christi reinem Geist und nach dem Sünderstuhl, um zu
bereuen.
Aber allmählich beruhigte sich sein aufgeregtes Blut. Neuerlich
schlichen des Teufels Lockungen an sein Hirn heran. Noch wehte der
Duft ihres Leibes in dem Raum. Bist du ein Holzklotz? schrie er seinen
reuigen Menschen an. Ob doch alle, die wie ich mit loderndem Leib an
den Käfigstangen schütteln, das Beben des Blutes so beschwichtigen
wie ich? Habe ich die Weihen deshalb erhalten, um ein Leben lang im
Kampf mit meinem Gewissen zu liegen? Warum hat mir Gott das Tier im
Leib gegeben? Nur daß ich es verleugne? Daß ich es töte? Du sollst
nicht töten! So will ich auch das Tier in mir nicht töten. Mit dieser
spitzbübischen Kasuistik schwang er seinen Geist in unsündige Regionen.
Sein Glaube an die Erdgebundenheit des Priesters lehnte sich gegen das
Aszetentum auf, er fühlte sich im Recht des Stärkeren, und beinahe
hätte er in der Geistlichkeit und Wohlanständigkeit die Falle des
Teufels erblickt. Er fluchte nicht mehr dem Adam in sich. Er war ja
doch als Mensch Gottes Kreatur. Er hatte einen Atem, also mußte er Luft
schöpfen, ein Auge, so mußte er Weltschönheit schauen, einen Mund, also
mußte er essen und sprechen, und jedes Organ mußte in gottgewollter
Bestimmung erhalten werden. Zeugung aber ist Schöpfung! Wie konnte die
Kirche sich darum herumschleichen? Wie Ausnahmsmenschen großzüchten,
die das eherne Gesetz schändeten? Mußte das Weib vom Priester verachtet
werden, wiewohl es den Liebesgedanken Gottes auf der Stirn trug? Was
so glühend nach neuem schöpferischen Leben rang, sollte von dem großen
Schöpfer verdammt sein? Hier irrte die Kirche! Das hämmerte nun wie ein
Wille Gottes in den Pulsen des Dominikaners. Und so warf er den letzten
Trumpf hin: Auch das Fleisch ihres Leibes ist kostbare Gottesfrucht --
genieße sie!
Er atmete auf. So aber gefiel er dem Teufelchen, das schon in einem
Winkel lauerte.
Der Mond stand hoch vor dem Fenster. In seinem bleichen Licht lag
ruhevoll das sterbende Granada. Der Vikar verspürte Lust, einen
nächtlichen Gang durch die Höfe der Alhambra zu machen. Jeder Schritt
an den Wachen vorbei geschah ohne Argwohn. So schritt er denn durch die
Adventnacht an der Pracht versunkener Maurengröße vorbei, hörte das
Plätschern der Brunnen und sah das Mondlicht im springenden Strahl wie
einen Irrwisch tanzen. Und plötzlich stand er vor dem Turm der Cautiva.
Dort schlief sie wohl jetzt -- die schöne --
Wieder brandete eine feurige Welle an sein Herz. O was war das
nur? Rannte alles, was Weib hieß, heute Sturm gegen sein Inneres?
Nein, tausendmal nein! Hier wollte er sich vor des Adams irdischer
Not bewahren, hier brauchte er keine Blutwallung in wollüstig
durchträumten Nächten zu unterdrücken und kein Büßergewand würde ihn
hier in Knechtschaft schlagen. Er brauchte nicht Verräter an seinem
Gott zu sein. Lang sann er zu dem Ajimezfenster hinauf, hinter dem
jetzt vielleicht ein keuscher Traum um eine holde Stirn spielte.
Mit einem jähen Ruck wandte er sich vom Turm weg. Schritt dann im
silberwogenden Licht nach dem Generalife, wo sich geisterhaft die
Zypresse aus der Gartenpracht erhob, die einst der sündigen Liebe einer
maurischen Königin Schutz gab. Der Mönch konnte nicht weiterwandeln.
Überall warf ihm eine dämonische Macht Bilder der Sünde entgegen. Von
Belialsschatten verfolgt, taumelte er heim.
In der Mosala warf er das Hemd ab, damit die härene Kutte seinen Leib
zersteche. Er wollte prickelnde Qualen leiden. Dann griff er nach
einem Büchlein, das ihm die Mutter geschenkt: die Marienklage des
Gonzalo de Berceo von San Millan. In das mystische Verzücken und in
die übersinnlichen Gesichte warf er seinen verstöhnten Geist. Er rief
Maria, die heilige Jungfrau, an und dachte mit aufgewühlten Sinnen an
die andere Maria. Und mit hetzendem Atem griff er nach der klingenden
Blütenpracht des Salomonischen Hochliedes.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Wenn die wunderschöne Königstochter vorbeireitet, ist es, als zöge
ein Meteor über den granadinischen Himmel. Alles gafft und starrt.
Die bronzene statuarische Gestalt auf dem weißen Zelter gleicht einem
Beduinenmädchen, das ruhevoll durch die Zeltgassen ihres Stammes zieht.
Man spricht in den vornehmen Häusern der Christen von dem Reiz dieses
Mädchens mit demselben Eifer, den man Maurenkämpfen, Turnieren und
Stiergefechten widmet.
Der Graf Tendilla brachte ihr die Huldigung der andalusischen
Ritter in der Form eines goldenen Standkreuzes. Übergetretene Fakis
beglückwünschten das neue Taufkind und granadinische Christenmädchen
tanzten vor der Alcazaba an schönen Abenden den Fandango.
Doch so ruhig die Stadt schien -- draußen in den Alpujarras erhob sich
dräuend das Gespenst des Aufruhrs. Die Beni Mossad, hieß es, seien
nicht ausgewandert, sondern befänden sich mit ihrem Anhang in den
Bergen, wo sie die Monfis sammelten, um den geliebten Imam zu befreien.
Tatsächlich hielt Maria de Calabreña heimlich Verbindung mit dem
Gebirge, es kamen als Bettler und Händler verkleidete Vertraute in den
Alkazar und gaben dort ihre Briefe ab, die dann Doña Maria in den Turm
der Cautiva schmuggelte.
Das Königskind litt an seiner Liebe. Ihr Herz unterschrieb nicht, was
ihr Verstand ausklügelte. Oft horchte sie hinaus in die Nacht, die
schon auf ihren Schwingen Frühlingsvorschauer hereintrug, und ihr
war, als müßte sie aus dem Turm fliehen, weit, weit weg, um dann ihr
Schicksal fern von der Alhambra zu beweinen. Es kamen sonnenwarme Tage,
aber sie belebten das Gemüt Reijas nicht. Selten sah sie den Grafen
de Mora. Nur durch Saffana erforschte dieser die Seelenstimmung des
Mädchens. Auch er war von dunklen Gewalten hin und her geworfen, die
alte Dienstbeflissenheit war erstorben, seine Strenge gab sich gequält,
sein Ordnungssinn war erschüttert.
Eines Tages stand wieder Hernando de Rojas vor ihm, das Freundesherz
beladen mit Sorge. Don Pedro hielt ihm freudestrahlend einen Zettel mit
Versen hin.
Hernando riß die Augen auf. „Die Welt hat ein Loch bekommen.“
Der Freund errötete wie ein Knabe. „Ich versuchte, in der
Überschwenglichkeit ihrer Sprache etwas Liebes über sie zu sagen. Sei
nachsichtig.“
Aber der Gelehrte konnte es nicht sein. „Das ist nicht die Ausgeburt
arabischer Phantasie, und ich bezweifle, daß dieses Kunstwerk auf
persischer Seide in der Kaaba von Mekka unter den Muallakat hängen
wird. Es ist kein Maß darin, aber Maßlosigkeit ist das Zeichen der
Verliebtheit. Du verglosest langsam und wirst eines Tages jämmerlich zu
Asche werden. Mach’ ein Ende, indem du einen Anfang machst. Du kannst
so dem König nicht weiter dienen.“
„Man dient hier in Granada nicht dem König mehr, sondern Ximenes. Wohin
geht Spanien? Sollten wir es erleben, daß Ximenes Schlachten liefert,
während der Feldherr Gonsalvo den Rosenkranz betet?“
„Es ist in Wahrheit nicht das, was dich flügellahm macht.“ Hernando
warf sich in den Wust arabischer Felle. „Deine Augen leuchten nicht
mehr morgendlich wie die eines Phöbus. Deine Stimme tönt nicht mehr
hell, dein Gehaben ist nicht frei und offen. Gradheraus -- willst du
Doña Reija zum Altar führen? Sie ist die natürliche Tochter eines
Königs. Zugegeben, daß dein Geschlecht sie aufnimmt, aber auf deinen
Kindern haftet der Fluch der Mutter, die nur Neuchristin ist. Überlege
alles, aber dann endlich eine Tat!“
Der Graf raffte sich lächelnd auf. „Worte, Worte! Ich habe Doña
Reija um eine Unterredung gebeten. Ich will sie bitten, daß sie --
auswandert.“
Hernando sprang auf. Dann sprühte ein Gelächter von seinen Lippen.
„Daran glaubst du selbst nicht.“
Verärgert drängte der Graf den Freund zur Tür hinaus. Es kam die
Stunde, da Reija gewöhnlich aus der Stadt in die Alhambra geritten kam.
Nun mußte Saffana jeden Augenblick erscheinen und ihn bitten --
Er brauchte nicht lange zu warten. Die muntere Sklavin rief ihn zu
ihrer Herrin. Er umgürtete sich nach Ritterart und ging in den Turm der
Cautiva.
Schon auf der Treppe empfing ihn der Wohlgeruch arabischer Spezereien.
Eine Tür, dann ein schwerer Vorhang, den Saffana zurückschlug.
In der Mitte des Gemachs stand wie ein Schattenriß die Gestalt Maria
de Calabreñas mit dem Rücken gegen die Kerzenflamme. Der Graf
konnte die abgedunkelte Haut des Antlitzes mit dem geraden Spalt der
festgeschlossenen Lippe und die schwarze Haarkrone sehen. Saffana warf
den Vorhang hinter ihm zu.
„Salam Alaika!“ Die Granatblüte zwischen ihren Zähnen fiel zur Erde.
„Der Engel Israfil behüte den Schritt deines Fußes! Esch chabar? Was
gibt es Neues?“ Sie wies ihm den Schemel an.
Er blieb stehen. Er fühlte, wie das Gewirr der gemusterten Wandflächen
mit ihren verschlungenen Linien, Sternen, Figuren und Ranken und
das Farbenspiel der Decke seine Gedanken abschnitt. Er knetete den
schwarzsamtnen Hut in der Hand und drückte ihn zum Gruß an seine Brust.
„Der Gefangene ist doch wohlauf?“ fragte er.
„Er ersehnt den Tag, da seine Freiheit keine Gefahr mehr für Spanien
bedeutet.“ Es klang müde und kühl.
Der Graf nahm sich ein Herz. „Es ist die Meinung des Grafen Tendilla,
-- daß -- der Gefangene -- mit einer Sklavin sein Auslangen finden
könne.“
Maria de Calabreña sah ihn mit gelindem Schreck an. „Soll das heißen,
daß ich hier nicht mehr kommen und gehen darf?“
Der Graf machte eine jähe Bewegung. „Man -- bittet Euch, die Alhambra
nicht mehr zu betreten.“ Wie schwere Gewichte fiel ein Wort nach dem
andern.
Reija drückte die Hand aufs Herz. „Die Gründe, Feta, die Gründe! Der
Gobernador bittet mich? O welch ein Caballero!“
Der Graf sah ihr Gesicht im Schein der Kerze spöttisch aufblitzen. Eine
glühende Blutwelle schlug über sein selbstquälerisches Herz, bis hinauf
in seinen Hals, wo sie ihm den Atem nahm.
Maria de Calabreña lag mit morgenländischer Ungebundenheit auf dem
Diwan, die Glieder etwas gestrafft, den Oberleib leicht aus den
Hüften gebogen, die schönen Arme wie schlanke Säulen als Stützen nach
rückwärts gesteift. Ihre Augen sahen umflort vor sich hin in den Schoß.
„Warum quält man den alten Mann und -- mich? Was soll ich noch tun?
Ich bin Christin geworden und bete zum Gott der Spanier --“
„Findet Ihr -- Erquickung im neuen Glauben?“ Es war, als schösse er
einen Pfeil nach ihrem Herzen.
„Man will spanische Christen haben, das übrige ist doch gleichgültig.
Fragt den Schmetterling, der gewohnt ist über Blumen zu schaukeln, ob
er sich im kahlen Zimmer wohl fühlt. Leon macht es uns nicht leicht,
an den starren Gesetzen des Glaubens Gefallen zu finden. Aber seid Ihr
dieser Sorge wegen gekommen? Bi nefsi, Ihr seid gütig.“ Sie warf den
Oberleib nach der Ecke hinüber, als wäre sie müde.
Da schleuderte er es wie eine Überlast von sich: „Ihr müßt die Alhambra
verlassen.“
„So will ich’s eben tun -- Bismi allah!“ Sie sagte es mit der trotzigen
Dunkelheit im Ton, die dem Grafen immer alle Sinne nahm. „Wann soll es
geschehen?“
„Morgen -- -- heute -- --“ Don Pedro würgte an den Worten.
Sie durchsprühte sein Gesicht wie ein witternder Wolf. „So schnell will
mich der Graf Tendilla forthaben?“
„Nicht er -- ich selbst will es.“
Wie ein Steinwurf flog es in ihre Brust. „Was hab’ ich getan -- daß Ihr
-- mich so --?“ Sie stockte unter kaum verhaltenen Tränen.
Ihm war, als müßte er sich mit einem Tigersprung an ihre Seite stürzen
und ihre Hände an sich reißen.
„Seid bedankt -- für die Milde -- mit der Ihr -- uns --“ Wieder
schnitten ihr Tränen das Wort entzwei.
Das letzte verzweifelte Wehren brach in ihm zusammen und mit dem
aufgewühlten Schmerz des Scheidenden trat er auf sie zu und ergriff
heftig ihre Hand. „Bevor Ihr geht -- seht mir ins Auge.“
Sie wandte sich um. Ein weher Strahl aus ihrem verschluchzten Auge traf
ihn.
Er brach ins Knie und küßte die heiße Hand des Mädchens mit
schmerzlicher Glut. „Hier -- hier liegt mein wahres Gesicht -- schlagt
mir die Würde aus dem Leib -- ich kann nicht anders -- so, so liebe ich
dich!“
Ihre Hand griff ans Herz. Dort brannte und loderte es wild auf. O
war dies noch dasselbe Herz, das auf Verderben und Trug sann? Was
für Speere zerstachen nun diesen Klumpen Fleisch in ihrem Leib, den
sie Herz nannten? Wandelte sich nicht die Wildnis in ihr zu einem
Garten, in dem ein Meer von duftenden Rosen leuchteten? Speere und
Rosen zugleich? Ach, war das wirklich der Liebe schmerzlich-feierliche
Berührung, die sie aus einer gewohnten Welt emporhob in eine neue, in
der noch jeder Atemzug Bedrückung war? Flog ihr eigener entbundener
Geist nun einer Hölle oder einem Paradiese zu? Tropfte da wirklich der
Liebe schweres Leid aus seiner Seele, die sie bisher verkannt? Und wie
die wilden Bergbäche in den Barrancos überstürzten sich jetzt Gefühle
und Gedanken, und haltlos schien ihr Körper dem Andrang mächtiger
Gewalten zu erliegen. „Feta -- Feta -- nun weiß ich -- daß ich gehen
muß.“
Wie glühender Hagel fielen seine Küsse in ihre zitternden Hände.
„Eure Nähe versengt mich -- geht oder bleibt -- ich bin verloren.“
Erschütternd strömte die Wollust des Schmerzes von seinen Lippen.
Seine Hilflosigkeit gab ihr Stärke. Sie entzog ihm langsam die bebenden
Finger. „Was -- hast du getan? Auf dem Triebsand einer flüchtigen
Liebe willst du --? o Gott mit den neunundneuzig Namen -- die Ehre des
Königskindes -- in den Staub -- flieht mich, denn ich fürchte Unheil.“
„Fliehen -- bleiben -- das Unheil kommt!“
„So bleib!“ Aus dem Überschwang des vollrauschenden Glücks klang es in
sein Ohr. Und ihre Hand fiel wie segnend auf seinen Scheitel.
Aus den Schlingen des Schmerzes riß er seinen wunden Menschen und
warf ihn an ihre Brust. Gewaltig wie ein Rolandstreiter den Feind
umarmt, zog er das Mädchen an sich, daß die aufgebrochene Rosenblüte
ihres Mundes vor ihm lag. Dürstend sog sie die Glut seiner Küsse ein.
Unbehilfliche Liebesworte drängten sich erschütternd in das wilde Geben
und Nehmen. „Gott -- was hab’ ich -- getan? Wer wird mich vor mir
selber retten?“ keuchte ihr zuckender Mund.
Aber der Graf jubelte auf: „So trotz’ ich tausend Maurenschwertern! Ich
habe eine Christenbraut!“
Über das mittönende Gemüt des Mädchens lief ein Schatten. War ihr
Christentum nicht nur Schein und Maske? Trotzte nicht eine ganze
Glaubenswelt in ihr gegen das innere Erleben des Christengottes? Wußte
sie denn überhaupt, was sich im Wirbel in ihr drehte? Flog nicht eben
erst ihr Liebestraum wie ein junger Adler aus dem Horst und lag nicht
erst das neue Luftmeer vor ihm, in dem er heimisch werden sollte?
Sollte sie die Sonnenlichter des neuen Glücks durch die Wolken ihrer
zweifelnden Gedanken trüben? Zerstören, was sich kaum als lichter
Tempelbau aus ihrer Seele hob? Christin! „In Gottes dreimal geheiligtem
Namen!“ stammelte sie überselig. „Liebster -- Feta du -- Feta der Sonne
-- war es dein, unser Gott, der den Haß an der Liebe zerschellte? Ach,
haßte ich dich denn je, du Heißgeliebter? Nein, Unglück ließ mein Glück
keimen -- Insch’allah!“
„Und ich haßte, als ich dich sah, auch deinen Gott nicht mehr,“ sagte
er bewegt.
„Geliebter! Hast du mir Liebe geraubt? Gegeben? Habe ich sie mir
genommen? Dir gegeben? Quillt sie aus meinem, deinem Herzen? O welch
ein Wirrsal ist sie!“
„In meinen Armen ein Königskind!“ brach aufs neue der Jubel aus seiner
Seele. „Nimmer darf mein Geschlecht ein Königsblut verdammen, und mein
Adelsbrief ist gewichtig vor dem König, meine Verdienste stützen, was
auch ohne sie schon Wert besitzt.“
„O mein Herz! Du Spiegel der Höflinge, der Tapfern Tapferster, du
Stürmer in der Schlacht -- aber bei den Müttern der Gläubigen! Ich
will kein Königskind mehr sein! Deine Geliebte will ich sein -- deine
Taube, Rose, dein Schmetterling -- gib mir die Liebesnamen deines und
meines Volkes.“
„Engel des Herrgotts bist du mir!“ Er küßte ihre Wimpern, die wie
eine zarte Palisadenwehr ihre Augen schützten, und das schwarze Haar,
aus dem der warme Hauch balsamischer Südnächte stieg. Und dann nannte
er sie wieder bei dem alten Namen, der ihm durch der Liebe Erwachen
geheiligter erschien: „Reija!“
Bei diesem Klang rauschte ihr Inneres wie eine Feuergarbe auf. „Nenn
mich immer so,“ bat sie rührend. „Ach, wieviel hab’ ich dir zu
vertrauen, Freund meines Herzens!“
Und er zog in Überseligkeit seine Verse heraus, die der Freund
gescholten. Reija machte große Augen und las sie verzückt. Aber auch
sie rümpfte ein wenig die Nase über den verliebten Dichter. „Weißt du,
Habib, mein Freund, deine Bilder sind zuwenig maurisch. Du mußt die
Zähne der Geliebten mit Hagelschloßen vergleichen, ihre Wangen mit
Rosenwasser, ihr Auge mit Narzissensternen, das Schönheitsmal auf ihrer
Wange mit der Ameise, die nach dem Honig des Mundes schleicht.“
„O Meisterin des Worts! Belehre mich mit Blick und Lippe,“ bat er innig.
„Weißt du, was Ibn Chaldun der Dichter sagt? Wer Verse machen will,
lebe der Einsamkeit.“
Don Pedro schüttelte unmutig den Kopf. „Das will ich nicht.“
„Er muß sich unter Blumen am Wasser der Träumerei hingeben.“
„Das will ich nicht.“
„Was willst du also, unwilliges Labsal meines Auges?“ lachte sie.
„An deiner Seite weilen, du bist mir Blume, Wasser, Einsamkeit und
Traum.“ Er verwühlte sich in ihre Seide.
„O du ungeduldiger Liebling der guten Dschinnen! So wirst du ein
besserer Liebhaber als Dichter werden!“
„Mag’s drum sein!“ brach er in hellen Jubel aus. „Du bist mein,
mein! Und die Welt lacht im freundlichsten Schein! In deinem frühern
Leben war das Frauenherz eine Ware, ein Geschenk, ein liebenswerter
Gegenstand, aber keine Perle, um die man ringt. Als Christin erst hast
du deinen Wert erhalten.“ Er sah ihre umflorten Augen. „Was hast du,
Rose von Andalus?“
Sie schmeichelte ihren vertrauerten Kopf an seine Brust. „Nenn mich so.
Werda heißt sie auf maurisch. Deine Werda will ich sein. Sieh, ich bin
aufgewachsen im maurischen Wesen und will nicht ganz vergessen, was mir
einst teuer war. Und wenn ich in Sitten und im Glauben strauchle, hilf
mir mit deiner Liebe auf -- richte nicht gleich -- hab’ Mitleid mit
mir.“
Er drückte ihre zarten Glieder an sich. „Nicht siebenmal, sondern
siebenmal siebzigmal will ich dir verzeihen, wenn deine Gedanken
wanken, ich will Verteidiger deiner Schwäche, nicht ihr Stürmer sein.
Ist mir doch, als müßten deines Jugendgottes Kräfte herrlich gewesen
sein, da sie soviel Reinheit und Tugend schaffen und bewahren konnten.
Aber sieh, du bist herausgehoben aus der zweifelhaften Gnade deines
Allah und brauchst nicht mehr bekennen: Ich bin Mohammeds! Der Gruß
deiner frühern Schwestern ist ein scheuer Gruß und deiner frühern
Brüder Blick zum Himmel ist dunkel. Der Christenglaube erglänzt im
Nimbus über ganz Spanien. Wie arm wärst du gewesen, hättest du das
Schicksal maurischer Frauen erfahren. Hingeopfert zu werden der
Laune eines Mannes, verhandelt zu werden an den Meistbietenden, der
dich selbstherrlich ins Brautbett zerrt, um bald darauf eine zweite,
dritte hineinzubetten. Heilig ist uns die Frau und heilig bist du mir.
Im Licht des neuen Glaubens badest du deine Seele, sprichst durch
des Priesters Vermittlung mit Gott, hast Schwestern, Brüder, die in
gleicher Andacht dem Höchsten dienen, dein Gemüt erlabt der süße Gesang
der Chöre, Heilige hast du als Fürsprecher vor dem Thron, hast Maria,
die Jungfrau voller Gnaden im Bilde nah, und in Demut wandelst du
zwischen gleichgesinnten Menschen zur Kirche.“
Aber sie warf sich in der Aufgewühltheit ihrer Gefühle an sein Herz.
„Ach, ich will ja so gern glauben -- um deinetwillen -- aber ich flehe
dich an -- hasse mein Volk nicht!“
Er glühte es mit feierlichem Schwur auf die Lippen: „In deiner Liebe
begrub ich längst meinen Haß.“
„Und willst mir helfen, das Los meiner Mauren zu lindern?“ Ihre
Augen rückten bang von ihm weg. Ihr war, als träfe sie jetzt eine
Enttäuschung.
„Ich will meine schwache Kraft in den Dienst der Liebe stellen.“
„So stärke Gott der Erhabene diese Kraft!“ rief sie beseligt aus. Und
im Drang, die Gunst des Augenblicks zu benützen, flüsterte sie: „Es
schmachten so viele Unglückliche in den Kerkern -- sie verzehren sich
nach Freiheit und Licht -- sie wollen auswandern -- Eswer Ben Zerragh
ist darunter --“
Der Name fiel wie Eis in die Glut seines Herzens. „Reija! Hier unter
den ersten Schauern der Liebe schwöre mir, daß dieser Name dir nicht
teuer ist.“
Sie wehrte sich mit leuchtenden Augen. „Der Name ist mir teuer. Die
Abencerragen halfen meinem Vater auf den Thron. Doch der Mann, der den
Namen trägt -- er liebt mich, aber ich -- liebe ihn nicht.“ Wie eine
schöne, schwere Brautgabe legte sie es vor seine Eifersucht hin. „Den
Reichtum meines Herzens dürfen nicht zwei teilen, denn was ich gebe,
bin ich selbst, meine Art, mein königliches Blut. Wie sollte ich zwei
damit beglücken können!“
Noch glaubte er diesen beschwörenden Blicken nicht. Zu heftig loderte
die Eifersucht in ihm. Da drängte sie weiter: „Ich will ihn nicht
sehen, wenn er frei ist. Er soll entkommen, wohin er will, nur nicht in
meine Nähe. Triffst du ihn in Granada, sei er dir verfallen. Ich will
ihm schreiben, er möge nie gegen die Spanier kämpfen. Und du --“ ihr
heißer Blick wurde lauernd -- „du läßt den Zettel hineinschmuggeln --
und ich sorge dafür, daß eines Nachts die Wache unter dem Velaturm ein
verkleideter maurischer Soldat hält, der für gewisse Dinge kein Auge
hat.“
„Bist du wahnwitzig?“ fuhr der Graf in die Höhe.
Ihre Finger zitterten heißerregt an seinem Hals hinauf. „Pedro -- mein
Pedro. Hast du mir nicht versprochen, die Leiden meines Volkes zu
mildern? Ach, wie könntest du mich lieben, wenn du in der ersten Stunde
des Glückes den Wunsch deines Mädchens verwirfst! Du liebst mich nicht
-- liebst -- mich -- nicht --“
Ihre Tränen perlten auf seiner Hand. Und Don Pedro, der einst
Weibertränen als listige Maurenwaffen verlacht hatte, brannten diese
kostbaren Perlen wie Feuer ins Gebein. Mitleid, der Liebe so nah
verwandt, stieg in ihm auf. Aber konnte er die Tat vor seinem Gewissen
verantworten? Und wenn er ihr alles selbst überließe? Ihrer weiblichen
List das Schicksal des Gefangenen auslieferte? Wenn er kein Helfer,
sondern nur ein Blinder, Tauber wäre? Und hatte nicht der König
selbst Verträge gebrochen? Warum sollte des Königs Untertan nicht das
Unrecht wieder gutmachen, das an den Mauren begangen wurde? War diese
Befreiungstat nicht eine schwache Wiedervergeltung gegenüber dem großen
Volksleid der Auswanderung und der gewaltsamen Bekehrung? Wenn dieser
eine flüchtete, blieb nicht noch tausendfach schweres Unrecht zurück?
In diesen Augenblicken seligster Hingebung an sein Mädchen, wo alles,
was die Geliebte forderte, mit dem Nimbus der Gerechtigkeit umstrahlt
war, umnebelte die Liebe alle seine Begriffe, sie verwischte ihre
Grenzen und taghell leuchtete nur die Nacht in den geliebten Augen.
So rang sie ihm ein Versprechen nach dem andern aus der Brust,
schmückte ihre List mit hundert süßen Zutaten aus und handelte ihm
endlich die Zusage ab, daß in jener gefährlichen Nacht unter dem
Turmfenster Eswers nur die Wache stehen würde, die dem Herzen Reijas
angenehm war. Völlig berauscht von dem abenteuerlichen Sinn seines
Mädchens, der dem seinen nah verwandt war, erschien ihm der Plan
beinahe gerecht.
Aufatmend löste sich Reija von ihm los. „Unsere Liebe scheue noch
den Tag und die Menschen, bis die Zeit ruhiger geworden. Komm morgen
um diese Stunde wieder. Ich will dir Lieder singen und unsere Leila
tanzen, wie sie die Beduinenmädchen am Feuer springen. Pater Leon
wartet auf mich --“
„Du gehst zu ihm?“ Jeder Männername durchzuckte ihn mit dem Stachel der
Eifersucht.
„Ich muß. Ich sehe Jesus, Maria, Heilige und Propheten in
freundlicherem Licht. Deine Gottesmutter ist süß, und das Leben aus dem
Tod des Nazareners fängt an, einen Sinn für mich zu bekommen. Und weil
du an Maria glaubst, will ich’s auch tun.“
„O unser Glaube ist schön,“ schwärmte er, „und er kann dem Reinen
Wonnen öffnen, wie er dem Sünder Höllenqualen erschließt. Aber wie
könntest du sündigen, du selbst ein Engel Gottes?“
„Nur in allzu großer Liebe zu dir, Pedro!“ Sie drängte ihn sanft zum
Vorhang, zur Tür und hinaus in die Nacht.
Und gleich darauf weinte sie am Herzen Saffanas ihr junges Glück aus.
Die muntere Sklavin schluchzte hell mit und lachte dann unter Tränen.
„Kismet! Kismet! Er war ein Nimr, ein grimmer Panther. Aber nun klingen
dir seine Worte lieblich wie das Getrappel der schönen Gazellen an der
Tränke. Kismet alles!“
Reijas Gedanken stürmten in einen ambraduftenden Traum hinein, in
dem der Name Don Pedro de Solar wie schwingende Morgenröte in ihr
halbbetäubtes Ohr klang.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Ein von Dünsten umhangener Mond warf sein spärliches Licht über die
Höfe der Alhambra, durch die Maria de Calabreña zum Dominikaner ging.
Saffana begleitete sie wie immer. Sie mußte in einer Galerie warten,
bis die Herrin wiederkam.
Die schöne Alberca, der Teich des Myrtenhofes, lag wie ein
geisterhafter Spiegel im halben Licht. Die schlanken Säulen und
Galerien an den Seiten des Hofes waren wie traumhafte Gebilde zu
schauen und Maria glaubte dahinter das Liebesseufzen schöner Frauen
zu hören. Hier hatte wohl ihr Vater dem Saitenspiel der Sängerinnen
gelauscht, hier lasen die Dichter ihre sprachschönen Gesänge, während
der Springbrunnen in die Melodie der Verse seine silbernen Klänge warf,
hier schritten edle Abencerragenfürsten, Alijaren und Azis huldigend
vor den König hin, der sie am Eingang des Comaresturmes begrüßte, und
hier wurden die Bahren der vornehmen Toten aufgestellt, daß sie das
Volk beweinen konnte.
Rätselhaft vermummte Mönchsgestalten glitten im matterleuchteten
Patio del Mexuar wortlos an ihr vorbei. Sie schienen von
Inquisitionsgeschäften zu kommen und äugten mißtrauisch nach der
vornehmen Dame. Schwarze, verdächtige Gestalten huschten an den
Hufeisenbogen vorüber und verschwanden im Dunkel des Atriums. Maria
fröstelte. Sie stieg die Treppe zur Mosala hinauf.
Pater Leon hatte eben das gepfefferte Grisado, das spanische Ragout,
mit malagischem Edelwein verdaut.
Da meldete man ihm Maria de Calabreña. Die Agarena stand vor ihm. Auf
ihrer Stirn schimmerte unverkennbar das Siegel des Glückes. Der Pater
witterte in den Born ihrer Gefühle hinab. Es mußte etwas geschehen
sein. Glich sie nicht einer Tochter Zions, von der Jesaja sagt, daß sie
mit aufgerichtetem Hals und geschminktem Gesicht einhergehe und hatte
köstliche Schuhe an ihren Füßen, Gebräm und Bisamäpfel, Spiegel und
Ketten? Gelassen lud er sie in den schweren Hochstuhl zum Sitzen ein.
Ihr erster Blick fiel auf ein auffällig vor ihrem Sitz an der Wand
hängendes Bild der heiligen Therese, die in Verzückung auf dem Boden
lag, während ein kleiner Liebesengel nach ihr zielte. Es war in
heidnischer Auffassung gemalt, nicht frei von Sinnlichkeit und der
Mönch hatte es absichtlich dahingehängt. Er erzählte ihr von der
Gebetsinbrunst der Heiligen, die sich nackt vor die Stufen des Altars
geworfen, um in ihrer fleckenlosen Körperreinheit sich dem Herrn Jesus
geistig zu vermählen.
Die Scham floß Maria in die Wangen. Und der Vikar lenkte rasch ab. Er
sprach ihr von den Engeln, die ihr ja aus dem Koran bekannt waren.
Er erklärte ihr die neunfache Einteilung der Engelchöre, legte ihr
das Walten des Überwinderengels Michael, des Wanderengels Raphael und
des Verkünderengels Gabriel dar, und Maria entschied sich für den
erzgepanzerten, schwertführenden Michael, der das Böse erschlug. Ihre
Augen leuchteten im Gedenken ihres geliebten Ritters, der in ihrer
schnell schwingenden Phantasie Engelgestalt annahm.
„Ihr möchtet wohl so einen Michael als Schutzengel haben?“ fragte er
mit einem kaum verhaltenen Lächeln.
„Und schön muß er sein,“ gestand sie in kindlicher Unbefangenheit.
„Als ob Schönheit die Wesenheit eines Schutzengels wäre!“ sagte er
verweisend.
„Aber die Kraft, die Stattlichkeit!“ verteidigte Maria den Engel ihrer
Gedanken.
„Die Reinheit vor allem,“ belehrte sie der Mönch. „Ein schöner Engel
mag leicht die Gestalt Luzifers haben.“
„O ich dachte mir diesen finster und häßlich.“
„Sein Äußeres borgt er vom Licht. Es laufen viele irdische Engel herum,
die innerlich den Geist der Finsternis tragen. Sagt, wollt Ihr heute
nicht beichten?“
Sie erschrak. „Gott der Erhabene! Heute?“ Was sollte eine Sünde in
ihrem Glück?
„Hinter dem glücklichen Menschen lauert gewöhnlich ein Teufel. Seid Ihr
Euch keines Fehltritts bewußt?“ Seine Augen schärften sich.
Maria erschrak abermals. Warum zerstörte dieser Sündensucher ihre reine
Freude? Wohin lauerten seine Worte? Lag, was sie behütet wissen wollte,
schon leuchtend auf ihrem Gesicht? Sie blickte schnell dunkel, als
wollte sie damit alle natürliche Glut in sich löschen.
Aber der Dominikaner ließ sich nicht täuschen. Er erklärte dem Mädchen
das schöne Geheimnis der Lossprechung und die reinigende Kraft der
Kommunion. „Wer die Gottesspeise unwürdig empfängt, mißbraucht auch
alle andern Guttaten des Lebens. Die unwürdige Kommunion ist ein
zweiter Judaskuß auf die Lippe des Heilands.“
Reija bekam Angst. Und der Mönch erfühlte diese aus ihren Augen.
„Ihr könnt ohne kirchliche Förmlichkeit Euer Herz erleichtern.“ Mit
der Kraft seiner Blicke führte er sie zum Beichtstuhl, wo er sich
zuerst niedersetzte und sie dann an seiner Seite knien ließ. Mit der
bedeutsamen Gebärde des besorgten Mittlers ergriff er ihre Hand und
hielt sie fest in der seinen, als wollte er die Wellen ihres Blutes
ertasten. Wohlige Schauer liefen über seinen Rücken, als er diese
feingepflegten Finger, die noch den Duft des Moschus ausströmten,
berührte, er fühlte, wie die Wärme ihres Fleisches einen Teil ihrer
Wohligkeit an seine kalte Haut abgab. Nun rührte er an ihr Gewissen:
„Laß die selige Macht des Bekenntnisses auf dich einwirken, liebe
Seele. Gib dich willig dem Einzigen hin, der gütigen Herzens Gott
vertritt. Neugefegt werde die Tenne deines Herzens, auf ihr sei nur
mehr Platz für das reine Korn.“ Er murmelte lateinisch den Segen über
ihr Haupt. „Bekenne -- bekenne --“ drängte er, die Augen auf ihren
schwarzen Scheitel gerichtet.
„Ich habe nichts zu bekennen, als daß --“ Sie stockte und schnellte
dann inbrünstig aus ihrem Herzen: „-- als daß ich liebe.“
Da lag es offen, was er geahnt. Aber es klang so süß, dieses Geständnis
von den noch kußheißen Mädchenlippen, so herausgejubelt aus der Tiefe,
als wäre es keine Sünde, sondern heiliges Erleben. Ihm war, als wehte
ihn der warme Duft ihres Liebesherzens an. „Wen liebst du?“ fragte er
eindringlicher. Der Weg der Peinigung war beschritten.
„Einen Ritter -- Feta --“ gestand sie beengt.
„Wer ist es?“
„Don Pedro de Solar Graf de Mora.“ Und mit rührender Eitelkeit fügte
sie noch rasch hinzu: „Ist er nicht schön?“
Der Mönch spürte böse Zuckungen in seinem Leib. „Die Natur hat dir das
Recht zur Liebe gegeben. Aber es ist die Frage, wie du liebst.“
„Das verstehe ich nicht,“ antwortete sie purpurrot.
„Es gibt eine Liebe, die sich an verführerischen Bildern der Seele
ergötzt und in wilden Wünschen lodert, die sich unter furchtbaren
Seufzern selbst verbrennt.“ Und er drückte im Erzittern der eigenen
Glieder ihre Hand. „Ist die reine Jungfräulichkeit in dir erloschen und
bläst der Teufel seine Backen gegen dich auf?“
„Nein!“ entfuhr es ihr in der Wildheit der Abwehr solcher Gedanken.
Der Pater bedrängte abermals den keuschen Schwung ihrer Seele. „Du bist
selbst ein Kind einer Liebe, die bei uns sündig heißt.“
Sie entriß ihm jäh die Hand. „Mutter -- Vater! O laßt sie mir heilig
sein.“
„Es wäre nicht unmöglich,“ fuhr er unerbittlich fort, „daß sich die
Sünden der Väter in dir mit neuem Leben füllen. Hast du nie das
Verlangen gehabt, diesen Mann an dein Herz zu reißen und in seinen
Küssen zu vergehen?“
„Ja!“ gestand sie aus ihrem hellkeuschen Verlangen leise heraus.
„Und deinen Leib an den seinen zu drücken in aufschreiender Lust?“ Sein
Atem dampfte gegen ihr Gesicht.
Da vergrub sie vor Scham ihr Haupt in die Hände. „Fragt nicht weiter --“
„So hast du es schon getan?“ flammte er in ihre Verwirrung.
„Nein!“ erklang es mit verzweifelter Wehr. Und abermals barg sie das
glutübergossene Gesicht unter dem schwarzen Wald von Haaren in ihre
Hände.
Er atmete auf. „Wenn du dich ganz deinem Gott nähern willst -- und das
willst du doch -- so ertöte überhaupt die Liebe in dir.“
„Bei Gott und dem Propheten --“ erschrak sie heftig. „Verzeih -- die
Gewohnheit -- bei Gott und den Heiligen! Das -- kann -- ich -- nicht.“
„Brennend und qualvoll ist die Liebe zu einem Mann, bei den Schmerzen
wirst du die Freuden vergessen, die dir die Umarmung bereitet. Deiner
Kinder Leid wird das deine sein --“
Das Blut schnellte ihr in die Wangen. In ihrer rührenden Wehrlosigkeit
erschien sie ihm wie ein Seraph. „Fühlst du schon die Kümmernis,
liebe Seele?“ wühlte er aufs neue in ihrer Wirrnis herum. „Entsage
dem stürmischen Meer der Welt und ziehe dich in einen heiligen Hain
zurück, wo die Stimmen des Lebens sanfter schwingen und die Einkehr
der Seele leichter ist als im Lärm des Tages. Dort sind die Wälle der
Unschuld errichtet, dort versammeln sich um dich die gleichgesinnten
Schwestern und helfen dir, Leid zu tragen und Freude zu empfinden. In
dem Augenblick, da du die Klosterschwelle überschreitest, verschwindet
die äußere Welt und eine innere öffnet sich dir, es naht Jesus mit
den Heiligen und spendet dir stündlich unsagbare Wonnen. Nicht ein
Grab ist es, in das du steigst, Paradiesesstille und himmlischer Glanz
überfluten deine Seele im Gebet. Ich wüßte dir hier ein Nonnenkloster
zu ‚Unserer Frauen Ängsten‘, wo du alle Liebesängste vergäßest.
Liebliche Schwestern triffst du dort, für die Beichte würde ich sorgen.
Überlege es, Tochter der Welt, die du dann Braut Christi werden
würdest.“
Maria de Calabreña hörte Worte rauschen, deren schwerwiegenden Inhalt
sie nur mühsam begriff. Aber sie sah die traurigen Gestalten der
schmucklosen Nonnen in ihren weltfremden Gewändern durch die Gassen
von Granada wandeln und das Herz krampfte sich zusammen und wehrte
sich mit der ganzen Kraft seiner Liebesfreudigkeit gegen die Lockung.
Beinahe hätte sie laut aufgelacht, als sie sich vorstellte, wie sie
im schwarzen Nonnenkleid, das Gebetbuch in der Hand, nach der Kirche
wandelte. Aber sie spürte den zunehmenden Druck dieser mahnenden
Priesterhand, der fast zu schmerzen anfing, und so stöhnte sie leise
vor sich hin: „Nonne -- Nonne -- ich fass’ das nicht -- Braut Christi?
So sind diese Nonnen alle Bräute Christi?“
„Das sind sie in der Tat.“
„Aber dann hat ja der Herr Jesu tausendmal mehr Bräute, als ein Kalif
Frauen hat.“ Sie staunte aus ihrer ganzen Ehrlichkeit heraus.
Der Vikar hatte Mühe, ihr die Geistigkeit dieses Brautverhältnisses
zu erklären. Nimmer konnte sie das traurige Schicksal dieser ewigen
Brautschaft begreifen, der keine Hochzeit folgen konnte. „Ach -- ich
kann nicht -- Nonne werden -- weil --“ und übermächtig wogte es aus
ihrer Brust: „Ich liebe zu heiß!“
„Das unreine Feuer der Liebenden hat niemals genug und verzehrt am
Ende die Liebenden selbst. O schmerzensvolle Liebe! Das Herz des
Beichtvaters schlägt in väterlicher Liebe zu dem Beichtkind, und was
dieses betrübt, betrübt auch ihn. Ihr habt Euer Agnus Dei -- küßt Ihr
es oft?“
„Ich drücke es am Abend immer an die Lippen.“ Ihre Stimme klang brüchig.
„Gebt -- daß auch meine Lippe sich daran erfreut.“ Er neigte sich zu
ihrem Busen herab und küßte das Wachsscheibchen im goldnen Gehäuse.
Seine Sinne schlürften den herben Hauch ihrer Brust und sein Mund
sog lang an der Stelle, die ihre Lippen allabendlich berührten, und
seine Vorstellungskraft weidete sich an dem Bild, daß er durch diese
Berührung mittelbar ihren eigenen Kuß empfände. Maria erschauerte bis
ins Mark, als sie seinen Kopf, seine Haare, die Tonsur so nahe an ihrem
Busen spürte. War denn das wirklich Christenpriesterart? Es wurde erst
wieder Licht vor ihr, als sich das Haupt von ihr hob. Wie eisigkalte
Ströme rann es durch ihr Hirn.
Ein paar dürftige Sündlein bröckelten sich von ihrem Herzen ab, dann
erklang wieder des Dominikaners fremdes Gemurmel, seine Hand machte
das Kreuzzeichen über sie und dann konnte sie sich erheben. Er gab
ihr als Buße einige Gebete auf und befahl ihr, keinem Menschen ein
Sterbenswörtlein von allem, was sie im Beichtstuhl gesprochen und
gehört, zu sagen. Durch eine Handauflegung auf ihren schleierbedeckten
Scheitel entließ er sie.
Maria de Calabreña hatte das Gefühl, als schritte sie qualvoll aus
einer großen Gefahr heraus und doch wußte sie sich nicht zu sagen,
wovor sie Angst empfand. Von Bängnis durchwühlt, wankte sie die Treppe
hinab.
Der Dominikaner zuckte zusammen, als sich die Tür hinter ihr schloß.
Er, der arme Priester, stand da allabendlich einem königlich-stolzen
Mädchen gegenüber. Ein Sündenhauch wehte über seinen Leib. Das gestand
er sich ein. Und er schauderte einen Augenblick vor der Sünde wider
den Heiligen Geist, vor der Übertretung des kirchlichen Gebotes und
der Sittlichkeit zurück. Hier war er wenigstens noch nicht Verräter
an seinem Gott geworden. Aber da verdrängte ein anderes Bild seine
kämpfenden Gedanken.
Leonores zauberischer Liebreiz, von den Flammen der Leidenschaft
erhöht, stellte sich im Geist neben die zarte Schönheit der
Moriska. Wie lag hier alles noch verknospet, was dort schon in
beglückender Reife Wonnen spendete! Wie behütete das Maurenkind seine
Jungfräulichkeit mit dem natürlichen Panzer ihrer Tugend, während dort
ein ausschweifendes Schenken und Sündigen zweite Natur geworden war. Ob
diese braune Königstochter je so weit kommen konnte? Aber fließt nicht
des Vaters Lüsteblut in ihren Adern? Dann war sie doch einmal zum Fall
reif.
Er bebte am ganzen Leib. In die brennende Urtiefe des Lebens, in das
Wesen des Doppelrätsels Mann und Weib schwang sich sein brünstiger
Wille hinab. Ohne dieses Verlangen, das seine Kirche ein Sündenwerk
nannte, glaubte er nicht ganz Mensch sein zu können. Sollte er die Qual
der Ausgeschlossenheit vom Irdisch-Menschlichen leiden? Ach, schwer
drückte das Joch der Tiergebundenheit auf ihn. Keine heilige Anwandlung
hatte er mehr, sein viehisches Gelüste riß ihn aus dem Himmel, den
er mit seinen Gedanken schon schändete. Das Wunder der Zeugung alles
Lebens griff mit schrecklichen Armen nach ihm und raunte ihm zu: Auch
du entgehst mir nicht, aber du fassest mich mit deinem verfluchten
Geist.
Pater Leon wog in seinem Geiste die beiden Schönheitsgebilde ab. Dort
besaß er schon -- hier konnte er bald besitzen. Es mußte köstlich
sein, um diesen jungfräulichen Leib zu ringen, und er hatte gewichtige
Helfer bei dieser langsamen Belagerung: die entweihten Dogmen und die
Glaubensmittel seiner Religion. Was sein unreiner Sinn berührte, fiel
aus der Höhe der Würde hinab in die Tiefe der Gemeinheit. Christen-
und Priestertum versanken in seinen sündigen Wünschen und aufstieg
der tierische Mensch. Der entheiligte Gott sollte ihm helfen, seine
Gelüste zu befriedigen. Er hatte nicht den Zauber der Verführungskunst,
der sonst liebenswürdigen Naturen zur Verfügung steht, die durch ihr
Wesen selbst verführen. Er konnte nicht die Schmeichelrede des Alltags,
die tändelnde Sprache des Majo, des galanten Liebhabers führen, nicht
die werbende Zärtlichkeit des Schwärmers gebrauchen. Aber er hatte
die unheimlichen Fallen und Requisiten der einschüchternden Kirche in
Händen. Er hatte einst Leonore de Uceda damit bezwungen, er konnte --
Sein Hirn geriet in furchtbaren Brand. Vor seinen Augen kreisten
farbige Ringe und in seinen Ohren knisterte es wie Funkengestöber der
Hölle. Skrupellos, beinahe mit dem Abgrund des Verderbers liebäugelnd,
vergrub er seine Gedanken in lodernde Bilder der Wollust. Eines vor
allem bestürmte seinen Sinn. Er wollte demnächst -- die Mittel hatte er
dazu -- die schönen Füße Marias de Calabreña nackt sehen. Er krümmte
sich in süßer Qual. Ein Wort des heiligen Augustinus stahl sich als
Trost in seine Seele: ~O felix culpa!~ Ohne Adams Schuld wäre
keine Erlösung gewesen.
Folgerichtig aber glitt nun sein Geist in einen furchtbaren Haß hinein,
der ihn zur unerbittlichen Verdammung zwang. Einen Namen schleuderte
dieser Teufel mitten in sein Dürsten: Don Pedro de Solar! Das Ungeheuer
Eifersucht hakte seine Tatzen in seine Brust. Es gefiel ihm, die Würde
des Ritters zu zertrümmern. In dem Degen, den der Ritter zwischen sie
und ihn gelegt hatte, sah er das trennende Werkzeug zwischen Mann und
Mann. Er konnte dem Grafen unmöglich die Blüte gönnen, nach der sein
eigener Wille dürstete. Was forderte Leonore de Uceda? Die Vernichtung
der Rivalin? Ei, er wollte sich ein anderes Ziel setzen. Und sollte
sein Wollen des Teufels sein, er mußte versuchen, um dieser Perle
willen die Muschel zu zerbrechen, die sie für ihn verschloß.
Wie von Dämonen gepeitscht, jagte er sein Judasgewissen aus einer Hölle
in die andere.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Über die Kaktus- und Aloehecken der Landhäuser strichen die
balsamischen Düfte der aufgewühlten Frühlingserde. Das Licht in den
engen Gassen wurde klarer und goldener, der Darro brauste jugendlicher
am Hang der Alhambra vorbei, in der Vega keimte die junge Saat auf und
an den vergitterten Fenstern des Albaycin prangten die ersten Blumen.
An einem goldblitzenden Morgen ging es wie ein Lauffeuer durch die
Stadt: Eswer Ben Zerragh ist entsprungen. Der Gobernador fluchte. Man
untersuchte das Gefängnis, man vernahm alle Wachsoldaten ein, nur den
einen nicht, der entflohen war. In die Gebirge wurden Streifscharen
geschickt -- ohne Erfolg. In die Barrancos der Alpujarras wagte man
sich nicht, da die Monfis zu zahlreich waren. Um so gewisser war es,
daß sich der entsprungene Maurenfürst in dieses Retiro geflüchtet.
Das Herrscherpaar wurde erwartet. Die Königin wollte die ‚bekehrte‘
Stadt in ihrem neuen Glaubenskleid sehen. Ximenes ritt ohne Bedeckung
durch die Gassen. Das stählerne Gemüt des Kanzlers glaubte sich
gottgeborgen. Der Erzbischof Talavera versank neben ihm in ein
wesenloses Nichts. Pater Leon, der scharfe Seelenreiniger und
-peiniger, ernannte seine theologischen und weltlichen Beisitzer
und bald wurden neue Edikte des geheimen Gerichts in den Gassen
ausgerufen und es war zu hören, daß eine Unzahl von Handlungen und
Unterlassungen durch das heilige Gericht geahndet werden würden:
Hexerei, Gotteslästerungen, das Anrufen von Teufeln, das Bezweifeln
von Glaubensartikeln, das Beschimpfen und Beschädigen von Kruzifixen,
das Verführen von Frauen im Beichtstuhl, die Vernachlässigung der
Anzeigepflicht von Ketzern und vieles andere, was ein teuflischer
Erfindungsgeist spitzfindig ausgeklügelt. An den Wochentagen zogen die
Familiares mit Trompeten und Trommeln unter Anführung des höchsten
Alguacil durch die Gassen, und auf den Plätzen wurde das Edikt
verlesen. Binnen sechs Tagen mußten die Anzeigen über jene Personen
erstattet sein, die sich eines der bezeichneten Vergehen schuldig
gemacht hatten. Den Denunzianten wurde völlige Verschwiegenheit
zugesichert. Selbst dem Beschuldigten sollte ihr Name nicht genannt
werden.
Die Moriskos erschraken vor dieser gräßlichen Rechtsprechung. Wer
einen Feind hatte, war ihm wehrlos ausgeliefert. Jeder Haß konnte
sich durch die Tür der Inquisition Luft machen, wer einen anderen
schädigen wollte, brauchte nur eine falsche Anzeige erstatten und man
schenkte ihm Glauben. Niemand war mehr seines Eigentums, seines Lebens
sicher. Schrecklicher noch als die aufrechten kastilischen Soldaten
des Königs trat jetzt das Gespenst des furchtbaren Gerichts, dessen
Vorschauer schon vor Wochen aus Cordoba herübergestrichen waren, unter
die bebenden Moriskos. Sie, die kaum eine flüchtige Berührung mit den
Dogmen der Kirche hatten und noch unsicher in den Riten herumtappten,
konnten jeden Augenblick wegen einer angeblichen Übertretung gepackt
werden. Wohl versprach man gelinde Strafen, aber man wußte, was man
von spanischen Versprechungen zu halten hatte. Man zitterte um seine
kärgliche Habe und vor der bevorstehenden Schmach, verspottet und
beschimpft im Sanbenito jahrelang unter den Christen wandeln zu müssen.
Alles zog sich furchtsam in die Häuser zurück, wo man wenigstens
flüsternd das Leid von der Seele wälzen und dem alten Glauben
nachtrauern konnte.
Die Könige kamen, begrüßt von der Moriskomenge, der man die
Begeisterung in die Seele gedroht hatte. Vom Leid verdunkelte Mienen,
freudlose Augen, verhärmte Wangen -- fürwahr, die Königin hatte nicht
viel mehr erwartet. Sie warf während des Eintritts beziehungsvolle
Blicke nach Ximenes, um dessen Herz der Eisenpanzer der Härte lag.
„Was für eine Stadt!“ entfuhr es ihren Lippen. „Das Volk scheint nicht
glücklich.“
Der Erzbischof zuckte mit keiner Wimper. „Der einheitliche Glaube ist
da.“
„Er ist mit Leid erkauft worden. Verzweifelte Klagen drangen über die
Schwelle meines Gemachs. Man erwartet alles von meiner Gegenwart.“
„Wenn diese Gegenwart auch nur ein Haar von dem verrücken sollte, was
meine starke Hand erbaut, dann wäre der heilige Eifer umsonst gewesen.“
Er sah die Königin mit einem bezwingenden Blick an.
„Hat die Inquisition Arbeit bekommen?“ fragte Isabella.
„Es ist möglich, daß zu Ostern Scheiterhaufen brennen.“
Die Königin erschrak. „Die Eile wird das Volk rasend machen. Meint Ihr
nicht, daß die Barmherzigkeit größer sei als die Gerechtigkeit?“
„Man wird barmherzig sein und oft nur Güter einziehen, wo die
Verbrennung angebracht wäre.“
„Große Seelen wachsen durch die Bedrückung. Die Moriskos haben große
Seelen. Sollen sie uns noch gefährlicher werden?“
„Dann vollenden kastilische Reiter das, was wir begonnen,“ entschied
der kriegerische Hohepriester. -- -- --
Der Graf de Mora hatte den Weg in die Alcazaba gefunden, wo nun Reija
mit ihren Sklavinnen ihr junges Glück durchsann. In seinem Gewissen
hämmerte die Schuld. Der Abencerrage war vogelfrei. Der Gewinn war
durch ein schuldbeladnes Gewissen teuer erkauft worden. Reija wußte
nicht, wohin sich der Maure gewandt. Aber der Graf schalt sich einen
Toren, weil er die Flucht seines Rivalen selbst begünstigt. Dann
verscheuchten wieder die Liebesbeteuerungen des Mädchens alle Wolken.
Als das Glaubensedikt kam, grübelte sich Reija mit ihrem beweglichen
Verstand so gut es gehen wollte, in die Heilslehren hinein, nur
bemerkte Don Pedro de Solar an ihr ein verdunkeltes Wesen, wenn sie von
den Dogmen sprach. Dann machte er sich selbst Gedanken, wie sie oft
den Menschen in den Stunden farbloser Dämmerung zu überfallen pflegen.
Hell brannten die Kerzen im dufterfüllten Gemach der Königstochter.
Don Pedro saß neben ihr. Der Wohlgeruch ihrer Glieder wallte um das
Gemüt des Liebenden. Er hörte ihren Mund so gern tönen. Sie sprach
ihr Spanisch mit vielen arabischen Wörtern untermischt, betonte die
Endsilben länger, als es im Andalusischen üblich war, wodurch etwas
Singendes in ihre Rede kam, das dem Grafen gar wohl gefiel. Auch das R
rollte sie scharf heraus, was ihr eine entzückende Herbheit gab.
Don Pedro schenkte ihr einen Ring mit einem großen Saphir.
Ihre Augen strahlten voll Eitelkeit. „O Liebster, wie weißt du zu
schenken! Ich habe nie etwas Schöneres gesehen als diesen Ring.“
„Ich doch,“ lächelte er beglückt. „Die Hand, die ihn jetzt trägt.“
Reija schmeichelte sich an seine Brust heran. „O mein Feta! Weißt du,
was mir noch zum Glück fehlt? Abu Atir soll frei sein!“ Es schlich nur
so zwischen den Lippen heraus.
Don Pedros Auge verdüsterte sich. „Er tut mir leid, der alte Sid.“
Ihre Wimpern schlossen sich wie in Trauer. „Der Himmel hat einen
Verkünder seiner Seligkeit verloren. Ob sein Stern je wieder aufgehen
wird?“ Als sie sah, wie Don Pedros Stirn umwölkt blieb, lenkte sie ihre
Gedanken auf freundlichere Wege. „Oh, wärest du einer von den Beni Osa!
Sie haben den Wüstensand zum Bett gehabt, sagt Abu Atir. Sie haben
unter buntbewimpelten Zelten geschlafen, Kamele verkauft und getauscht
gegen Waffen und Kleider, haben herrliche Lieder gesungen und Lanzen
verkämpft in Schlachten um Mohammed. Oh, wenn du von ihnen abstammtest!
Und ich wollte von den Rosen von Iram stammen, die König Scheddad in
liebender Glut als das Schönste auf Erden gepflanzt. O sag’, warum hast
du uns Mauren einst so gehaßt?“ Sie kräuselte plötzlich ihren Mund.
„In deiner Liebe sühnte ich mein Unrecht.“ Er bedeckte ihre braunen
Wangen mit Küssen.
„Wir hatten doch soviel für euch getan. Ja, ja, bi nefsi! An unsern
Rittern stärkten die euren ihren Mut, von ihnen lernten sie die
Verehrung des Weibes, und von unsern Baumeistern nahmt ihr die schönen
Formen -- und eure Romanzen und Tänze, sind sie nicht den unsern
abgelauscht?“
Don Pedro fing das Wort auf. „Tanz! Tanz! Du sollst mir die Leila
tanzen!“
„Das geht nicht, Liebling der Freude! Die Leila tanzen wir nur mit dem
Schleier auf dem Leib.“ Sie versteckte schnell ihre Augen.
Der Graf zog sie an sich. „So hüll’ dich in drei Schleier, daß ich
nichts erspähen kann.“
„Meine Brüste müßtest du doch sehen.“ Wieder schloß sie die Augen. Ihre
Wimpernspeere stachen in sein Herz. „Aber weißt du, ich will dir aus
der Hamasa singen. Saffana soll mich begleiten.“ Sie schlug in die Hand.
Die schöne Sklavin holte die Anafine vom Silberhaken. Und Reija hob mit
weicher dunkler Stimme zu singen an. Es war ein arabisches Morgenlied.
„Wenn der Morgensonne Gruß die Berge rötet und das Vogellied erwacht,
wenn auf Blumengrund der goldne Ferge herzieht und vertreibt die letzte
Nacht, weint mein Aug’ um dich, das schon geweint, als die Nacht noch
war dem Morgen feind. Aus den goldnen Mähnen fällt der Tau nieder auf
die buntgeschmückte Au’, Sonnenwagen kreist um alle Erden -- wann wird
mir sein Glanz zur Freude werden?“
Verzückt lauschte Don Pedro. „Hernando weiß viele solcher Lieder, aber
es klang mir keines so schön.“
„Wo ist der Feta?“ fragte die Sklavin schnell.
Der Graf warf ihr einen schelmisch-drohenden Blick zu. „Er ist dir
nicht gleichgültig? Man merkt es wohl.“
Saffana wurde rot. „Er hat wirklich einen hübschen Mund.“
„Er schwärmt auch von deinem,“ lachte Don Pedro.
„Ei, hab’ ich nicht auch alle arabischen Schönheiten, die man Nesib
nennt? Oh, sagt ihm doch, Stern der Sterne, ich gehe jeden Abend mit
meiner Herrin zur Christenlehre und ich muß zwischen den Säulen einsam
frieren, während sie in der Mosala heilige Worte hört.“
Der Graf verstand sie und nickte. „Ich will’s ihm sagen.“
Da huschte die Moriska beglückt hinaus.
Reija schmollte. „Dein gelehrter Freund hat ihr den Kopf wirbeln
gemacht. Weißt du, wo die Maurenmädchen ihre Liebsten zu treffen
pflegen? An der Tränenquelle. Sie heißt Dinadamar und liegt auf dem
Hügel vor dem Elvirator. An dem Rand der ummauerten Quelle stehen
Zypressen. Wenn eine Maurin einen Christen liebte, weinte sie dort ihre
Tränen um ihn, bis das Wasser ihr zum Halse stieg, und dann geschah es
meist, daß der christliche Freund in der Nähe war und seine Chiquilla
aus dem Wasser zog.“
„Oh, lägest du dort in deinem Tränenwasser!“ seufzte Don Pedro
schelmisch.
Sie hielt ihm den Mund zu. „O Männer! Was ihr im Dunkel der Nacht
liebend sucht, schreit ihr bei Tag der Sonne entgegen.“
„Ich bin nicht einer der vielen. Aber nun mußt du tanzen!“
„Wenn du wegschaust,“ lächelte sie gefügiger. Und ohne eine Antwort
abzuwarten, flog sie ins Nebenzimmer, um sich zu entkleiden.
Don Pedro atmete die Luft des Entzückens. Wie liebte er sie! Alles,
alles an ihr! Das helle Leuchten des Tages und das Dunkel der Nacht
in ihrem Wesen. Wuchs sie nicht vor ihm auf wie eine schöne, durch
den gesegneten Himmelsstrich erschlossene Blüte, umschmeichelt von
der Sonne Zauberkraft, geküßt vom Licht des Mondes, gehätschelt von
des Südens weicher Luft? War sie nicht unerschöpflich im Geben und
Schenken, in Erfindungen und neuen Gedanken der Schönheit? Sie war
Ewigkeit und flüchtiger Genuß zugleich, ein klingendes Lied ihres
Volkes, eine der Huris, aus dem Paradies gestiegen, dem Sterblichen ein
leises Ahnen von den Freuden zu geben, die seiner warteten. Don Pedro
liebte sie nicht mit dem Stachel der Wollust im Herzen, sondern mit dem
reinen Gedanken der Besitzseligkeit eines solchen göttlichen Geschenks.
Wie eine schöne Fackel sollte sie ihm das neue Leben, in das er durch
sie getaucht, erleuchten.
Da öffnete sich die Tür. Maria -- nein, Reija schwebte herein. Ihre
Reize waren durch rosafarbne dichte Schleier verhüllt, aber Haupt,
Schultern, Brüste, Arme und Füße waren frei. In der Türnische setzte
sich mit gekreuzten Beinen die Sklavin hin und spielte auf der Anafine
eine jener Tanzmelodien, wie sie die Beduinenweiber in den Zelten zu
spielen pflegen, bald in rhythmisch wiegenden, bald in langgezogenen
Tönen wehmütig hingehaucht.
Reija stand zuerst regungslos, nur die herrlichen braunen Schultern
bebten leise. Dann löste sie sich aus der lauschenden Gebundenheit,
langsam wiegte sich der Körper nach vorn, nach rückwärts, lockend
dehnten sich die gemeißelten Brüste, dann schnellte ihr Oberleib
plötzlich vor, ihr Antlitz war schreckgespannt, es war, als lauschte
sie fernem Löwenbrüllen in der Wüste, dann erhob sie sich mit
beruhigtem Lächeln aus der Stellung des Lauschens, ein sanftes Wiegen
des ganzen Leibes drückte die Wohligkeit der Seele aus, und plötzlich,
den lockenden Tönen völlig hingegeben, schnellte sich der Körper von
der Fessel des Rhythmus los, und wie wenn sie ein Stachel aus dem
Innern heraus anspornte, warf sie ihre Glieder in einer wilden, aber
immer schönen Regellosigkeit hin und her, als drängte jede Fiber in
ihr nach einem geliebten Gegenstand. Immer zügelloser wogte ihre
Gestalt hin und her, ein sinnlich betörender Taumel erschien sie zu
erfassen -- der Geliebte ist da! -- ein werbendes Sehnen, ein Wirbeln
und Drehen, begleitet von den aufjauchzenden Tönen der Anafine -- die
Hände schlagen verzückt in die Luft, die Augen und Wangen glühen, der
Atem keucht aus dem halb geöffneten Mund, in dem die Zähne leuchten
-- mit beinahe wollüstiger Hingabe an die Seele des Tanzes schwingt,
schlängelt, wiegt und schaukelt sie ihren leidenschaftlich bewegten
Körper, ohne je schamlos zu werden, wiewohl es schien, als wollte sie
jeden Augenblick den nackten Leib den kosenden Lüften preisgeben.
Da fängt Don Pedro, hingerissen von der sinnzerwühlenden Auflösung
des Körpers und von den sprühenden Wundern ihrer morgenländischen
Seele, die Geliebte in seinen Armen auf. Ihr Busen brennt im Feuer der
Hingabe an seiner Brust, ein schwüler, bestrickender Duft von Blumen
und arabischen Spezereien umwirbelt seine Sinne und unter seinen
entzündeten Blicken wogen die nackten Brüste des herrlichen Mädchens.
Wie ein Trunkener küßt er die aufgeschlossenen, ihm entgegentaumelnden
Lippen.
Saffana bricht die brausende Melodie entzwei und läßt das Instrument
fallen. Sie heult in einer Ecke bei einem Wandspiegel ihre Freude aus.
Noch brennend von den geheimen Opferfeuern der unterdrückten Sinne,
lösen sich die Liebenden voneinander los. Wie ein Erwachender blickt
Don Pedro um sich. Auf dem Diwan liegt wohlig hingestreckt sein Mädchen
mit geschlossenen Augen und schwer kämpfender Brust. Er will hinstürzen
und die Schleier von den Reizen des Schöpfungswunders heben --
Da wehrt sie ihn sanft von sich. „Du sollst mich lieben wie der Dichter
Dschemil seine Botheina liebte. Unter Palmen in einsamem Tal legte er
ihr nur die heilende Hand aufs stürmisch pochende Herz und berührte sie
sonst nicht.“
Das tat er denn auch mit aller Zärtlichkeit, und er war versucht, seine
Lippen auf die Granatfrucht ihres Busens zu senken.
Da tönte draußen die Stimme der Matrone. Reija sprang auf und hinter
den Vorhang des Schlafgemaches.
Noria trat ein. „Don Hernando ist da.“
Gleich darauf stand der Freund im Zimmer. „Du mußt schnell heim. Die
Wache vor dem Fenster Abu Atirs ist ermordet --“
„Nein!“ brauste der Graf auf. Und seine Augen flogen unwillkürlich nach
dem Vorhang.
„Maurische List und Tollkühnheit -- man wollte es wie bei Eswer
versuchen --“
„Da sind Teufel am Werk oder --“ Sein Herzschlag stockte.
„Ein Gesandter des Königs ist bei dir. Du sollst morgen vor Fernando
erscheinen. Man will dir den Befehl über die Truppen für die Alpujarras
geben.“
Don Pedro starrte ihn an. „Mir -- diese Ehre --?“
„Man weiß keinen Bessern. Dazu die Empfehlungen des Ximenes --“
Der Graf zog die Brauen hoch. „Wirklich? Des Ximenes? So werden Heilige
zu Sündern. Laß mich hier Abschied nehmen.“
Da schnellte schon der Vorhang zurück. Reija trat mit angstgelähmten
Augen heraus. Statt der Schleier trug sie einen Seidenstoff, der sie
wie eine Toga umhüllte. Hernando verneigte sich staunend vor der
Schönheit des Mädchens.
„Ich -- habe -- alles gehört,“ sagte Reija. Und sie senkte langsam den
Schild ihrer Wimpern über die Augen. Auf ihren Lippen war jedes Lächeln
erfroren.
Der Graf reckte sich. „Ich werde die Truppen nicht in die Alpujarras
führen.“
Ein Freudenschrei sprang aus der Brust der Moriska. „Alle guten Geister
Gottes mögen über deinem Hause wachen!“
Hernando aber sah bestürzt den Freund an. „Womit willst du vor dem
König die Weigerung rechtfertigen?“
„Das höre der König allein.“ Don Pedro atmete schwer.
Reija hob den Vorhang. „Tretet einen Augenblick hier hinein, Feta. Ihr
werdet hier ein Geschöpf finden, das dieses Geschenk einer glücklichen
Stunde zu würdigen wissen wird.“
Der ritterliche Gelehrte war nicht auf den Kopf gefallen. Er erkannte
auch gleich das spitze Lachen daneben. Wie ein aufgescheuchter Hase
flog er hinein und fiel gleich darauf in weiche, weit geöffnete Arme.
Kaum war Don Pedro mit seiner Geliebten allein, flüsterte ihm diese zu:
„Ich weiß, was du denkst.“ Ihre Worte klangen wie durch einen dichten
Nebel gedämpft. „Bei den Freuden des Paradieses schwöre ich dir: ich
habe hier meine Hände nicht im Spiel.“
Der Graf preßte die Lippen aufeinander, sein Gesicht zeigte Spuren
tiefwühlenden Schmerzes.
„Pedro -- du glaubst mir nicht? Ich liege vor deinen Füßen -- ich
umklammere deine Knie -- ich bin unschuldig -- aber ich ahne, wer es
getan.“
„Eswer!“ stürzte der Graf heraus.
„Er ist tollkühn und hängt schwärmerisch an dem Imam.“
„Weil er an dir hängt!“ kochte das eifersüchtige Herz des Spaniers auf.
„So dankt er für seine Freiheit! Es kann nur ein Blut für deine Liebe
pulsen. Gott gebe, daß ich ihm im ehrlichen Kampf gegenüberstehe.“
„Pedro -- du wirst nicht -- gegen die Mauren kämpfen?“ Ihre Hände
verkrampften sich unter heftigem Schluchzen in seine Arme. „Oh, sprich
mit der Königin -- sie ist mild und gut --!“
„Ihr Wille ist betört durch die Sprache der Priester, gefesselt
durch die Macht der Inquisition. Wer diese Fesseln bräche, gewönne
für Spanien den Atemzug der Freiheit wieder. In Toledo schmachten
Christenritter in den Kerkern des heiligen Gerichts, in Tiara brennen
Scheiterhaufen, Cordoba seufzt unter dem Druck priesterlicher Henker,
und nun soll Granada --? Oh, die Könige wissen nicht, wie die
Dominikaner Dezas und Ximenes arbeiten. Wer ihnen die Augen öffnete für
das Elend der Seelen! Der edle Talavera ist auf meiner Seite, Tendilla,
Osuna, Orgaz -- die Granden empören sich, daß man ihre Besitzungen
infolge der Austreibung maurischer Bauern zugrunde gehen läßt, die
Jünglinge des höchsten Adels zittern vor den Familiares -- o Mädchen,
Mädchen! Die Fackel deiner Liebe hat in mir die der Gerechtigkeit
entzündet, und an ihr soll sich die Barmherzigkeit der Könige
entflammen.“
„Michael bist du, der Engel der Gerechtigkeit!“ schluchzte sie
Freudentränen an seinem Hals. „Wie liebe ich dich, mein Feta!“
Hernando kam mit erhitztem Gesicht. Er packte den seligverstörten
Freund bei den Armen und zog ihn hinaus. Hinter den beiden siedete das
Glück in zwei Mädchenherzen. Herrin und Sklavin -- die Liebe machte
keinen Unterschied mehr.
„Oh! oh! oh! Er küßt so heiß!“ lief Saffanas Herz über. Und sie strich
sich verwirrt das Kleid über dem Busen zurecht.
Reija aber warf sich auf den Gebetsteppich der Länge nach hin und rief
Mohammed und Jesus gleichzeitig um Beistand für ihre Liebesqual an.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Der Graf hatte den Imam einvernommen. Des Maurenpriesters Auge
leuchtete sonnenklar in Unschuld. „Ich hätte wohl dem Erlöser die Hand
zur Flucht gereicht, aber ich wußte nicht, wie nah er mir war.“ Bis
spät in die Nacht dauerten die Verhöre bei den Wachen. Man bat um eine
Verdoppelung des Postens beim Fenster, denn es wollte niemand mehr
der Maurenlist zum Opfer fallen. Allgemein war die Meinung, der kühne
Abencerrage sei der Täter.
Die Alguaciles brachten stündlich neue Nachrichten. Bei einem Morisko
wurde ein Zettel mit einem aufreizenden Inhalt gefunden: „Wehrt euch,
sonst ist das Ende da. Ihr werdet in den Bergen die Weidegerechtigkeit
verlieren. Man rühmt eure Geschicklichkeit, doch man wird sie auf
seine Weise ausnützen, eure Genügsamkeit, aber ihr werdet dafür nicht
viel zu essen bekommen, euern Fleiß, dafür wird man euch bis aufs Blut
schinden, eure Bescheidenheit, und man wird euch wirklich nur ein paar
Maravedis im Tag geben, eure Bodenwirtschaft, und ihr werdet sie im
Joch beweisen müssen.“
Don Pedro ließ den Zettel verbrennen -- um des Imams willen, dem er die
Aufreizung zuschrieb.
Es war nach Mitternacht, als man auf den Höhen der Sierra Nevada
kleine Punkte aufleuchten sah, Feuer, wie sie die Mauren zur Zeit der
Sonnenwende auf den Bergen zu entzünden pflegten. Auch bei Gefahr,
Aufstand, als Zeichen der Versammlungen brannten diese Feuer. Der
Graf wurde stutzig. Er hatte die ergebnislose Untersuchung für heute
beendet. Zu Hause angekommen, fiel ihm ein Paket Schriften in die Hand,
das er heute von der Mutter gesandt bekommen hatte. Es waren Dokumente
seines Vaters, Erinnerungen, wie sie der alte Mann, der nicht nur
waffentüchtig, sondern auch gelehrt war, aufgezeichnet hatte. Sie lagen
nun zum erstenmal vor den Augen des Sohnes. Die Mutter fühlte sich
krank und hatte dem Sohn in einer Anwandlung von Sterbensmüdigkeit die
Aufzeichnungen des Vaters geschickt.
Die Erinnerungen spielten in eine ferne Zeit hinein, sie sprachen
von Waffenglück und königlichem Dienst, von der Vertiefung in
Glaubenssachen --
Da erblaßte der Graf. Er las seltsame Worte: „Beinahe hätte ich
die Schmach über mich ergehen lassen müssen, von der Inquisition
verfolgt zu werden, weil ich mich infolge eines nächtelangen Studiums
in arabischen Schriften mit den Angriffen der Mohammedaner gegen
die heiligen Dogmen der Kirche befreundet hatte. Besonders das
Dreieinigkeitsdogma machte meinem Geist viel Pein. Nur die Einsprache
eines mächtigen Gönners, des Herzogs von Medina-Sidonia, bewahrte mich
vor dem Ärgsten.“
Mit zusammengepreßtem Herzen sann der Graf in die Schrift. Sein Vater,
der Abgott seiner Jugend -- von der Inquisition verfolgt! Nun erinnerte
er sich des betretenen Schweigens in den Kreisen der Granden, wenn von
der Vergangenheit des Vaters die Rede war. Man wollte ihm, dem Sohn,
des Alten Sünde nicht als erblichen Fluch auf die Schultern laden, aber
man konnte doch nicht vermeiden, ihn mit einem gewissen Mißtrauen zu
behandeln. Die kriegerischen Anlagen des jungen Grafen drängten den
gelehrten Sinn zurück, und erst in den letzten Wochen, da sich sein
Herz gewandelt, hatte auch sein Geist die Spuren der Gelehrsamkeit
in den arabischen Schriften, die ihm Hernando de Rojas verschafft,
aufmerksam verfolgt. Er hatte da plötzlich entdeckt, wieviel die
Spanier den arabischen Gelehrten, und vor allem den Philosophen,
verdanken, wie die Bücher des Averroes über Aristoteles das ganze
christliche Denken umformten, wie die Heilkunst auf Grund arabischer
Erfahrungen ausgeübt wurde, wie Kriegführung und Rittertum im
maurischen Boden wurzelten und die spanische Dichtung sich noch immer
der morgenländischen Blüten bediente. Pulver, Papier, Seidenzucht,
Ackerbau, alles mußte der Spanier den Mauren entwinden, selbst Kolumbus
hätte wahrscheinlich ohne die Erdkarte des Edrisi das neue Land nicht
entdeckt.
Waren es Feinde, die den Vater vor das Tribunal geschleppt? Oder hatte
er sich selbst unvorsichtig verraten? So war sein Geschlecht durch des
Vaters Schuld nahe daran gewesen, von allen Ehren ausgeschlossen zu
werden? Und belastete nicht ein von der Inquisition Verurteilter auch
Kind und Kindeskinder?
Er hatte in dieser Nacht tief und ernst zu denken. Und mit umränderten,
müden Augen sah er dem Morgen entgegen. Die innere Unruhe verscheuchte
das Blei von seinen Lidern, und der erste Sonnenstrahl grüßte einen
matten Körper und Geist.
* * * * *
Im Saal der Schwestern, unter der prunkvollen, tropfsteinartigen
Kuppel, die wie ein phantastisches Riesenzellengewebe zu Häupten hing,
inmitten der ornamentalen Pracht der Wände, der farbenstrahlenden
Türbogen und des abwechslungsreichen Spiels der Formen und Muster, des
Goldes und des Dämmerlichts nahmen die Könige die Berichte der Granden
entgegen. Am frühen Morgen waren beunruhigende Nachrichten angelangt.
Christendörfer in den Alpujarras waren von den Mauren überfallen
worden, die Monfis plünderten christliche Hirtenstationen, und man
sprach davon, daß sich große Banden um Orgiva und Guejar sammelten, der
Name Abu Atir fliege von Mund zu Mund, es sei offenkundig, daß man ihn
befreien und zum König ausrufen würde. Die schwere Reiterei, tapfere
Lehensmannen und Adelige aus den ersten Geschlechtern, machte sich
zum Aufbruch bereit, der große Kapitän Gonsalvo de Cordoba sollte das
kleine Heer gemeinsam mit Tendilla gegen die Maurennester führen. Doch
zuvor sollte der Graf de Mora die Stärke der Banden erkunden.
Die Wachen vor dem Löwenhof zogen in dreifacher Stärke auf. Fremde
Gesandte, geistliche Würdenträger und Bittsteller harrten im Hof. Der
Vorsaal der Mozaraber war überfüllt von schimmernden Gestalten, die von
den Sekretären der Königin nach Listen geordnet wurden. Ein Gnadenwort
aus hohem Mund war Erquickung für den ehrgeizigen kastilischen
Ritter. Man witterte Maurenkämpfe und freute sich, denn des Friedens
Tatenlosigkeit drückte auf die spanischen Gemüter.
„Ah -- der Held von Santa Fé!“ sagte der Graf de Cabra zu einem andern
Granden, als sich die Gestalt des königlichen Hauptmanns an der Saaltür
zeigte. „Man spricht viel von der schönen Moriska, die Boabdils Tochter
sein soll. Aber man nennt selten ihren Namen ohne den seinen. Es
scheint da ein Liebesgarten aufzublühen.“
„Ihr meint doch nicht --“
„Was ich meine, wird den Grafen de Mora nicht abhalten, unvernünftig
zu sein. Ich weiß nur, daß er die Hand der schönen Leonore de Uceda
verschmäht hat.“
„Und das sollte ungestraft von ihr geschehen sein?“ lächelte der Grande.
Cabra machte ein Zeichen des Schweigens. Graf de Mora hatte sich
genähert. Er trug das reichgestickte Gewand seines Vaters, den Hut mit
dem Federbusch, das golden eingelegte Schwert und den schwarzen Mantel.
In seinen Zügen waltete tiefer Ernst. Man erinnerte sich nicht, ihn
je so dunklen Gesichts gesehen zu haben. Er gab kurze, aber höfliche
Antworten.
„Wer eröffnet die Audienz?“ fragte er den Grafen Gonzalez de Lara,
einen würdigen Greis.
„Wer anders als Ximenes und Pater Leon? Die Inquisition hat den
Vortritt vor den Granden.“
„Das war nicht immer so,“ sagte Mora mit verfalteter Stirn.
„Man kann zu Euch freier sprechen. Die Cortes sollten die Augen offen
halten. Wenn Könige in den Händen der Priester sind, ist es fast
schlimmer, als wenn ein König in den Händen eines Weibes ist.“
Der Graf de Mora drückte dem Alten beziehungsvoll die Hand. „Ihr denkt,
wie es ist. Wenn’s not tut, erinnert Euch meiner.“
„Auch Ihr, junger Freund, sollt an mir nicht vorübergehen.“
„Gewiß nicht, Lara. Man spricht, höre ich, von Übergriffen der
Inquisition.“
„Man spricht wahre Worte. Aber still -- da drüben bei der Säule steht
ein Familiare der Inquisition. Die Leute bewachen jedes Wimpernzucken.“
„Wird man die Königin allein sprechen können?“
„Schwer. Ximenes horcht die Seelen der Untertanen aus.“
„Man muß doch vor ihr Herz kommen können?“
„Meist nur vor ihr Antlitz. Um ihr Herz legt Ximenes seine Dornenhecke.
Doch Ihr habt ein alt Geschlecht, vielleicht zeichnet Euch die Königin
aus. Ihr habt Gewichtiges --?“
Er kam nicht weiter. Der große Kapitän Gonsalvo trat mit dem glänzenden
Gefolge seiner Hausmannschaft in den Löwenhof, der Gobernador schritt
durch die Reihen der Edlen, die alten Geschlechter Mendoza, Villena,
Castro, Cifuentes, Ureña, Cabra und andere hoben sich von dem jüngern
Adel ab, gekennzeichnet durch die Geschlechtswappen ihrer Herolde,
während die hohe Geistlichkeit und die verdienstvollen Mönche getrennt
von den Granden eine Insel um die Brunnenschale in der Hofmitte
bildeten. Vor dem Eingang zum Saal der Schwestern, der durch einen
großen Vorhang abgeschlossen war, standen die Edelknaben der Königin
unter der Führung ihres Alcayden Diego von Cordoba.
„Der König ist aufgeräumt und gnädig,“ sagte der Graf Alvaro Nuñez de
Castro, der eben herauskam. „Er hat mir einen Teil der Besitzsteuer
erlassen.“
„Und die Königin?“ fragte de Mora ungeduldig.
„Sie spricht nur mit Ximenes. Ich konnte keinen Gnadenblick erhaschen.“
Name für Name wurde gerufen, Stunde auf Stunde verrann. Graf de Mora
wurde ungeduldig. Der Löwenhof leerte sich, viele Granden wurden für
den nächsten Tag bestimmt, und endlich nannten die Sekretäre nur mehr
drei Edelnamen: Tendilla, Gonsalvo und Mora.
Bald darauf standen die drei Ritter gleichzeitig vor dem Herrscherpaar.
Ihre hohen Gestalten umspielte dämmriges Licht aus der Kuppel.
Seitwärts der Königin saß Ximenes, während Leon an einer der herrlichen
Holztüren stand, die zu den kleinern Seitengemächern führten. Sechs
Granden hielten Wache beim Eingang in den Saal der Ajimezes, durch
dessen Erkerfenster man den Strahl des Springbrunnens im Patio de
Daraxa in der Sonne blitzen sah.
Der König enthüllte seine Absicht, wie notwendig es sei, den Mauren
Ernst zu zeigen. Er wies auf die Vorgänge der letzten Nacht hin, teilte
mit, daß die Monfis schon bis zum Hügel von Padul schwärmten, und
Gonsalvo legte einen Plan für den Marsch in die Berge vor und erbot
sich, das nahegelegene Maurenschloß von Guejar zu stürmen. Auch Graf
Tendilla unterstützte den Antrag. Der Graf de Mora wurde beauftragt,
Lanjaron, das stark befestigte Bergnest in den Alpujarras, zu nehmen.
Da verneigte sich Don Pedro de Solar vor dem König. „Ich will nach
Lanjaron -- zum letztenmal meinem König und meiner Königin im Kampf
gegen die Mauren zu dienen.“
Unter den Anwesenden entstand eine Bewegung. Fernando blickte aus
seiner kühlen Haltung auf. „Hispaniola lockt Euch noch immer?“
Der Graf schüttelte den Kopf. „Darf ich mit meinem König allein
sprechen?“ fragte er mit beinahe feierlich gespannter Seele.
Der König blickte verwundert. „Das ist nicht Sitte. Die Königin zum
mindesten --“
„Ihr Herz wird meine Sprache segnen,“ sagte de Mora mit leuchtendem
Auge.
„Mein Primas wird nicht fehlen wollen,“ bemerkte Fernando, indem er
Ximenes einen beziehungsvollen Blick zuwarf.
Der Erzbischof nickte kühl. Leon trat zu ihm und flüsterte ihm etwas
zu. Der Königin aber wurde ängstlich zumute. Was hatten sie für
Geheimnisse? „Erzbischof, was darf ich nicht wissen?“
Ximenes kräuselte unmutig die Lippen. „Pater Leon bat mich, die Worte
des Grafen hören zu dürfen.“
Graf de Mora flehte kühn: „Mein Wort ist nur für die königlichen
Hoheiten bestimmt.“
Da entschied der König kurz: „Erwartet mich im Saal der Ajimezes.
Ximenes bleibe, der Vikar entferne sich.“
Graf de Mora trat in den Nebensaal. Pater Leon ging verstimmt in den
Löwenhof, wo er wie ein lauernder Marder um die Säulen schlich. Alles
wich dem Gefürchteten aus, Granden und Kleriker hatten Ursache, mit ihm
nicht allzu bekannt zu werden.
Der König ließ sich noch von Gonsalvo Bericht über die verfügbaren
Streitkräfte erstatten. Als er dann von den Sekretären hörte, daß für
heute nur mehr der Besuch des Hospitals und zweier Klöster geplant war,
verabschiedete er die beiden Granden.
Ximenes lehnte beim Fenster und starrte in das Grün der Zypressen. Der
König rief ihn nun heran. „Ihr kennt den Grafen de Mora?“
Der Kanzler nickte. „Sein Vater ist nicht ganz ohne Makel ins Grab
gestiegen. Aber man hat damals -- es sind schon an die fünfzehn Jahre
her -- noch Gnade mit manchen Zweiflern geübt. Wir schreiben eine andre
Zeit.“
Die Königin geriet in Eifer. „Soll der Sohn die Sünden der Väter büßen?
Wie soll der Sohn zur Tapferkeit rüsten, wenn er weiß, daß sie um
seines Vaters Fehler willen nicht belohnt wird?“
„Und dennoch macht man so die Väter vorsichtig,“ sagte Ximenes. „Auch
liegt es im beschworenen Gesetz enthalten. Im übrigen muß man Don Pedro
de Solar hören. Er hat sich Verdienste erworben, er hat auch meinen
Salzedo aus maurischen Händen befreit, er war ein eifriger Verfolger
der Mauren, die Bewachung des Imams lag in seinen Händen. Ob sie immer
gut war -- hm -- wer will es sagen? Auch der Abencerrage flüchtete
unter seiner Bewachung. Aber noch scheint der Graf pflichttreu und
gewissenhaft zu sein. Nur eins trübt sein gutes Bild. Pater Leon macht
mich aufmerksam, daß der Graf nahe daran sei, sein Herz an eine Maurin
zu verlieren --“
Der König machte eine jähe Wendung. Er dachte an die herbstliche
Abendstunde, da er diesen viel gelobten und nie verliebten Grafen mit
Leonore de Uceda verloben wollte. Er hatte den Grafen seither nicht
wiedergesehen.
Isabella ereiferte sich. „Eine Maurin? Moriska? Und er will den Raub
der losen Liebesfrüchte vor dem Altar heiligen?“
„Man munkelt es.“
„Er hätte seinen Wert für ein würdigeres Herz aufsparen sollen. Die
Moriskas machen leicht ihr Herz zum Spielball. Man wird sich hüten
müssen, ihn gnädig zu behandeln. Wer ist das Weib?“
„Die natürliche Tochter Boabdils,“ meldete Ximenes eindrucksvoll.
Fernando wurde von seinem Gewissen bedrängt. Er dachte des Mannes als
eines, den er oft getäuscht. „Wie kommt die Tochter her?“
„Geheimnisvoll genug. Ihre Mutter, die Gräfin Calabreña, flüchtete
vor vielen Jahren an den Maurenhof und verliebte sich in Boabdil. Die
Frucht ist dieses Mädchen. Sie wurde vom Vater in Spanien belassen
und der Erziehung eines Ratgebers des Königs übergeben, eben jenem
ehrwürdigen Imam Abu Atir. Sie ist erst seit vorigem Herbst in Granada.
Sie wehrte sich bei der Bücherverbrennung um den Koran ihres Vaters,
und es mußte ihr das Buch ausgeliefert werden, damit wir Salzedo dafür
unversehrt erhielten. Es war ein erbärmlicher Handel, vom Grafen de
Mora vorgeschlagen und nur durch die Not entschuldigt. Damals schon
wunderte man sich über die Verteidigung des Mädchens durch den Grafen.
Das Kind ist unterdessen Christin geworden. Sie ist wirklich kaum mehr
als ein Kind.“
Die Königin wurde nachdenklich. „Warum bekomme ich die Moriska nie zu
sehen?“
„Sie lebt sehr zurückgezogen, fast noch auf maurische Art. Sie besucht
nur mit unserer Erlaubnis täglich den Imam. Aber man wird von nun an
vorsichtiger sein müssen. Die Befreiungsversuche der Mauren scheinen in
der Alcazaba eine Stütze zu finden, und wenn mich nicht alles täuscht,
hat diese schöne Moriska allen Grund, sich von einem gewissen Verdacht
zu reinigen. Pater Leon ist der Beichtvater des Königskindes.“ Der
Kanzler machte hinter halbgeschlossenen Lidern kleine Augen.
„Sonderbar!“ sagte Isabella leise. „Aber hören wir den Grafen. Kommt!“
Die Granden öffneten den Vorhang im Türbogen. Prachtvoll fiel das
Licht aus dem Patio de Daraxa in den zierlichen Mirador, der den Saal
abschloß.
Graf de Mora stand bei einem der Fenster. Nun verneigte er sich tief,
ließ sich aufs Knie und küßte die Hand der Königin. Der Vorhang schloß
sich wieder.
Die heißersehnte Stunde hatte geschlagen. Der Sonnenschein in den
Blicken der Königin trieb den Grafen an, offen zu sprechen, wenn er
auch in Fernandos undurchdringlichem Gesicht keine Ermutigung las. Auch
das wächserne Antlitz des Primas war keine freundliche Einladung.
„Ihr seid nicht in der Liste der Familiares?“ fragte der König.
„Nein.“
„Warum?“
„Es ist ein Amt, das andre Männer fordert, die weniger Mann sind als
ich.“
Ximenes zog die weißen Brauen hoch. „Es stehen die ersten Namen auf den
Listen.“
„Doch auch die letzten von ganz Spanien, die man nur in verrufnen
Ventawinkeln nennt.“
„Ketzer sind eben in allen Schichten zu suchen. Sie aufzufinden,
braucht man die Hilfe eines jeden.“
„Zur Sache,“ warf der ungeduldige König ein. „Ihr wollt nicht nach
Hispaniola?“
„Meine Güter verlangen nach dem Herrn. Ich will meinen Herden, den
Feldern und der Seidenzucht leben.“
„So jung und schon soviel Sinn für Behaglichkeit?“ verwunderte sich die
Königin. „Da werden die andalusischen Schönen trauern, wenn ein Mann
wie Ihr sein Licht unter den Scheffel stellt. Ihr seid unbeweibt?“
Dem Grafen klopfte das Herz. „Bis jetzt -- ja.“
Der König horchte auf. „Man sagt, Ihr geht gern am Weibe vorbei.“
„Ich habe mich besonnen.“
Isabella tat überrascht. „Die Wahl?“
„Fiel auf ein tugendhaft Geschöpf, das, meine ich, wert ist, den Kranz
der Ahnen als neue Blume zu zieren: Maria de Calabreña.“
Die Königin zuckte zusammen. „Der Name ist in unserm Gedächtnis schwarz
geschrieben. Die Calabreñas haben vor vielen Jahren eine Verschwörung
gegen den Thron angezettelt, man verfolgte das Geschlecht --“
„Und eine der Verfolgten war Ines, die Tochter des Sancho de Calabreña,
der dennoch keinen Anteil an der Sache hatte. Sancho rettete sich nach
Guadix, wo er starb. Die Tochter aber gewann das Herz des Maurenkönigs.
Aus dieser Liebe entsproß ein schönes Mädchen, in allen Tugenden
erzogen, wenn auch auf maurische Art, jetzt aber Christin --“
„Bei Gott, das ist gewagt,“ unterbrach ihn erregt die Königin. „Sich
wegzuwerfen an eine Moriska!“
„Sie ist Christin so gut wie eine,“ verteidigte sie der Graf.
„Vielleicht nur -- Euch zuliebe!“ warf Ximenes wie von ungefähr ein.
„In ihren Adern ist unreines Blut,“ sagte Fernando. „Und Ihr wallt
Euer reines -- oh, nicht zu denken! Ihr besudelt Euch. Denkt an die
Kinder aus dieser Blutmischung. Der Weg zu jedem hohen Amt ist Euch
verschlossen, auf Schritt und Tritt fühlen Eure Kinder die Schuld der
Eltern.“
„Sie ist eine Königstochter!“ sagte der Graf in wachsender Wärme.
„Eines Königs, dessen Sinnen noch immer ist, uns zu bekriegen, das
Verlorene zurückzugewinnen.“
Und Ximenes unterbreitete gewichtig seine eigenen Gedanken: „Boabdil
will, daß man in ihr das Andenken an den Vater ehre. Sie taugt dazu
und scheint dabei ungefährlich. Doch ist es Zufall, daß sie mit dem
Imam nach Granada kam? Soll dieser schlaue Alte nicht -- Wegbereiter
für den König sein? Unsere Kundschafter bringen Nachricht übers
Meer, daß Boabdil sich rüstet, daß die Berber ihr Herz für ihre
Maurenbrüder entdeckt haben. Ihr seht die plumpe Falle nicht? Könnte
ein Christenritter nicht dazu dienen, zur rechten Zeit schwach zu sein
und im Widerstreit zwischen Pflicht und Liebe auf jene zu vergessen?“
Graf de Mora stand betroffen. „Wahrhaftig -- darauf -- bei Gott und
seinen guten Engeln -- darauf war ich nicht vorbereitet.“
Ximenes schob die blutleeren Lippen hin und her. „Ich sehe jetzt
klar. Darum die Weigerung, Familiare zu werden. Die Moriska könnte
-- so fürchtet Ihr -- im neuen Glauben straucheln, und Ihr müßtet
pflichtgemäß ihr Kläger werden.“
„Bei Santiago!“ rief der Graf bestürzt aus. „Auch das? -- Ihr
wißt Gründe aufzudecken, die erschauern machen.“ Und er wandte
sich an die Königin. „Erhabne Frau, käme ich in diesen Fall, ich
wäre bejammernswert, allein ich bürge für den guten Willen meines
zukünftigen Weibes im Punkt des Glaubens.“
„Ihr nehmt da viel auf Euch,“ warnte die Königin.
„Ich bitte um gnädiges Gehör,“ bat der Graf bewegt. „Darf ich der
ersten Frau Spaniens mein Herz zu Füßen legen? Der Frau Isabella? Der
Sterbliche naht sonst Eurer Hoheit mit abgemessener, eingeengter Seele.
Oh, laßt mich freier sein, wie es dem freien Gegenstand ziemt.“
Ximenes blinzelte mit heimlichem Argwohn nach dem Ritter, und der König
schien ungehalten. Doch Isabella fragte freundlich: „Was wollt Ihr
also?“
„Ein wahres Christentum!“ rief der Graf warmherzig aus. „Und
Menschlichkeit gegenüber den Mauren!“
Die Herrscher horchten auf. Ximenes saß fühllos. „Haben wir die je
verleugnet?“ fragte die Königin.
„Alles zittert vor der Unbarmherzigkeit der Kirche -- Christen und
Moriskos.“
„Der Kirche?“ Der Primas erhob sich aus seiner Regungslosigkeit. „Es
ist sonst nicht die Art andalusischer Ritter, das strenge Maß der
Etikette zu überschreiten.“
„Wer zwingt uns zu dem Äußersten?“ erglühte Mora. „Aus unserer
Seelenangst heraus werden wir zu ungestümen Forderern. Schon schreit
Toledo auf, wo man zwanzig Rittern die Daumenschrauben angelegt, in
Madrid sind die Kerker mit edlen Namen überfüllt, Valladolid, Burgos,
Alcala und Segovia bäumen sich unter dem Druck auf, und nicht der
Glaube macht sie beben, nur die Verteidigung des Glaubens selbst. Was
will man mit den eingezognen Gütern? Ungläubige dadurch gläubig machen?
In ihre Seelen sieht nur Gott. Und sei es um die alten Christen -- doch
die neuen? Oh, seht zu, was Ihr beginnt!“
Ximenes ließ einen leisen Spott um seine Mundwinkel spielen. „Ich sah
es kommen, bei Santiago, darauf war ich gefaßt. Das Weib beginnt Euch
zu bedrängen.“
Der Graf geriet in Brand. „Soll eines Weibes edler Einfluß einen Mann
verderben können? Rühmt man den spanischen Damen nicht nach, daß sie
nach Maurenart sich ihre Ritter erzogen haben zur Galanterie und edler
Denkungsweise? Bin ich unmännlich, weil ich von einem Weib Mitleid
fühlen lernte? Vor Santa Fé hielt ich’s wohl anders. Fünfmal warf ich,
heftig blutend, den Feind vom Wall; und ungezählt sind die Ehrenlanzen,
die ich mit maurischen Rittern brach, ich war kein Maurenfreund, ich
war besessen von Härte, ein jeder Atemzug in mir war blinder Haß, ein
jeder Blick Verachtung der Agarenos. Bis ich sie kennenlernte, ihr
kindlich freies Tun, ihr spielendes Gehaben, ihren heiligen Glauben
an den Propheten, ihren Fleiß, die Zähigkeit, das gebeugte, willige
Untertanenherz, ihr Wissen, ihre Kunst. Unselig, daß ich schwärmen muß!
Ich hörte den Imam reden, als geschlagnen, in seinem Glauben zertretnen
Menschen, und hörte kein Wort der Verdammung. Als Granada im Aufruhr
lag, hat sein Wort die Feuer gedämpft. Der Kerker ist Spaniens Dank
dafür.“
Der König war erblaßt und sah die Königin mit großen Augen an. „Das
heiße ich kühn, meint Ihr nicht, Isabella?“
Diese sah noch immer freundlich. „Die Liebe hat Euch ein großes Herz
gegeben, Graf de Mora. Es greift schon über die Grenzen Spaniens hinaus
und -- über unsern Glauben.“
„Wie ehre ich den katholischen Glauben!“ rief der Graf flammend. „Und
lasset Christus mit der angebornen Sanftheit walten, und Ihr werft
mehr Mauren glutbrünstig auf die Knie als mit der fürchterlichen
Inquisition.“
Da warf Ximenes das kühle Wasser seiner Seele in die Glut des Ritters.
„Wer Christus nur als sanften Hirten kennt, kennt ihn nur halb. Er
reinigte mit der Geißel Tempel.“
„Zur Sache, Graf,“ mahnte Fernando. „Was wollt Ihr?“
„Spanien glücklich wissen, bewohnt von Menschen, die ihren Gott nach
ihrer Art im Busen tragen dürfen.“
„Verschiednen Glaubens?“ Die Königin schnellte ihren Oberleib vor,
während der König den lächelnden Erzbischof stumm ansah.
„Verschiednen Glaubens, doch eines Sinnes: für ihre Herrscher Spanien
zum glücklichsten Land der Erde zu machen. Hier wurzelt der Fleiß, die
Arbeit blüht, ein reger Geist wetteifert mit dem, der in Italien Wunder
schafft. Wir aber haben mehr als Italien: erobernd streckt Spanien
seine Hand über eine neue Welt, macht entdeckte Länder urbar und zwingt
Europas Völker mit milder Hand zur Ehrfurcht vor dem Forschergeist.
Oh, es hieße die Ehre Spaniens beflecken, wenn Ihr die Austreibung
fleißiger Mauren noch weitertreiben wolltet. Tausende sind ausgewandert
und Tausende werden folgen, Trümmerfelder des zerschlagnen Fleißes
lassen sie zurück, unsre Lehrer fliehen vor dem undankbaren Schüler,
die Wissenschaft, der Sammelfleiß von Jahrhunderten ging in Flammen
auf und uns bleibt nur, von neuem anzufangen, wo wir mit herrlicheren
Gaben hätten fortsetzen können. Oh, erleichtert die Last auf den
schwerbeladnen Schultern, tut es aus Klugheit, um Granada nicht zu
entvölkern. Nehmt in das Register Eurer Glaubenswaffen Duldung auf.
Was soll ein Gott mit den verpesteten Gebeten anfangen, die anders
klingen, als das Herz sie fühlt? Ihr zwingt die Mauren zum Doppelwesen,
und ist es da, wollt Ihr sie dabei packen. Wer Opfer braucht, der wird
sie immer finden.“ Und der Graf wandte sein Glutauge zur Königin.
„Erhabne Frau, lernt die Sprache Eurer Völker verstehen, sie wollen
Frieden, Arbeit und ein menschlich Leben. Glaubt +mir+! Und nicht
der Schmeichelei, die den Thron umkriecht und Euch Erfolge ins Ohr
flüstert, die Ihr nur mit Eurem Gewissen erkaufen könnt. Noch ist es
nicht zu spät. In der königlichen Gnade gehe aufs neue der Völker Sonne
auf.“
Isabella sah den Ritter unsichern Blicks an. Dann gab sie dem Primas
ein Zeichen, für die Könige zu sprechen.
Ximenes bedachte sich nicht lang. „Es ist das Vorrecht jugendlicher
Männlichkeit, in edler Regung aufzuwallen, leicht ist das Gemüt
bewegt, der Kopf das Spielzeug der Phantasie. Dem Alter aber ziemt es,
dieselben Regungen mit den Notwendigkeiten des Daseins in Einklang zu
bringen. Nicht immer ist der edle Gedanke auch der zweckmäßige. Erst
im Alter übersieht man, wie wenig edle Taten der Jugend sich bezahlt
gemacht haben. Ihr müßt noch lernen, edler Graf. Ich versteh es, Ihr
wollt die Eitelkeit des Ruhms durchkosten, der Retter eines großen
Volks zu heißen. Allein hier geht es nicht um Völker, Ritter, um den
Glauben! Wie sagt der Herr? Wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“
„Von Gott doch nur, doch nicht von Menschen!“ eiferte Mora. „Maßt Ihr
Euch an, des Herrgotts Amt üben zu dürfen? Wer weiß, wie nötig wir die
Gnade haben!“
„Ganz recht. Sie und die Demut,“ sagte Ximenes scharf und bitter. „Doch
sagt, wie stellt Ihr Euch die Erkämpfung der Glaubenseinheit vor? Wollt
Ihr Blumensiege erfechten? Ich kenn’ Euch nicht mehr, Graf. Man sollte
meinen, das langgeübte Waffenhandwerk hätte Euch rauher gemacht.“
„Rauh bin ich noch, wenn ich den Feind als Feind erkenne. Doch diese
Mauren sind nicht unsre Feinde. Nur Ihr wollt sie zum Feind haben, Ihr,
die Ihr aus freien Menschen falsche Gläubige machen wollt.“
Ximenes wehrte mit einer schneidenden Handbewegung ab. „Sie werden an
unsern Herrgott glauben lernen. Laßt dafür die Inquisition sorgen.“
„Schrecklich, wenn Ihr damit Gläubige schaffen wollt. Der Haß wird
diesen blutigen Sieg erfechten. Doch wer sich zu sehr in des Hasses
trauriges Geschäft vergrübelt, kommt schwer aus ihm heraus. Den sichern
Mäher nennt man Euch, der ganze Länder umwirft, um eine Saat des Hasses
auszustreuen, aus der nur wieder Haß entsprießt. Oh, laßt Euch rühren
durch die Christenblume Mitleid, schafft mit einem einzigen Edikt
glückliche Menschen! Ihr seid ein großer Geist. Man spricht davon, daß
Ihr in Alcala der Wissenschaft die Stätte bauen wollt, die sie zur
Sammlung aller Kräfte braucht. Wollt Ihr über dem Tor das Wappen der
Engherzigkeit nageln? Soll das Christenzepter des Geistes zugleich ein
Schwert sein, das Andersdenkende tötet? Wollt Ihr das Wissen grausam
nützen, um damit zu schaden?“
„Man wird +die+ Wissenschaft dort lehren, die die Kirche dulden
kann,“ sagte Ximenes. „Die Denker, die aus der Vormundschaft der
Kirche herauswollen, haben weder in Alcala noch sonst in Spanien
etwas zu suchen. Sie sind es, die wir am meisten fürchten müssen, ihre
Gedankengänge sind feindliche Bastionen, die fallen müssen, soll nicht
die Kirche fallen. Drum laßt uns, wenn es sein muß, grausam sein.“
„Eines großen Priesters weiser Sinn sollte sich so verkehren können?
Sein Amt, meine ich, verpflichtet ihn zur Mäßigung und Duldung.“
„Ihr irrt, Graf! Mäßigung ist Lässigkeit bei Ketzern! Und Duldung
ist Verbrechen gegen Gott. Der ist mein Richter, nicht ein
schwacher Mensch, der die Weltgeschichte mit seines Herzens sanfter
Schwärmerregung berichtigen will. Spanien wird diese Weltgeschichte
machen, und der katholische Glaube wird die treibende Macht sein.
Weh uns, wenn wir genügsam sein wollten, ein arbeitswilliges Volk
zum Untertan zu haben. Der Glaube sei der Schatz, mit dem der König
wuchere.“ Der Kanzler näherte sich dem Grafen mit der Gebärde des
warnenden Freundes. Leise, fast milde sagte er: „Mich dünkt, Ihr habt
Gründe, Euern Glauben doppelt heiß zu lieben.“
„Ich lieb’ ihn auch! Er ist so schön, daß ihn kein Priester ungestraft
verunstalten darf.“
„Ich meinte es anders,“ sagte Ximenes. „Euer Glaube ist in Gefahr,
scheint mir.“ Er ließ wie in Nachdenklichkeit die Wimpern fallen.
„Ich -- versteh -- Euch nicht.“
Der Erzbischof sah das schweigsame Königspaar an, als wollte er mit den
Augen bitten, an der Peinlichkeit des Gegenstandes rühren zu dürfen.
Wieder gab ihm die Königin einen Wink, den er verstand. „Graf de Mora,“
sagte er ernst, aber weich, „man hat in Eurem Geschlecht schon einmal
so ähnlich gesündigt, daß die Hüter des Glaubens aufmerksam werden
mußten --“
„Meinen Vater meint Ihr?!“ Der Graf erbleichte, seine Augen senkten
sich. Aber gleich darauf rief er die warme Kindesliebe zum Mitstreiter
auf. „Ich weiß -- seit heute weiß ich es: mein Vater war daran, vor
Menschen schuldig zu werden. Doch sein Angedenken ist geheiligt in
meinem Herzen. Was hat er getan? Das Dogma durchgrübelte er in seiner
gelehrten Weise und unterschrieb nicht blindlings, was die Priester
lehrten. Jetzt erst versteh ich seine verweinten Augen, jetzt erst fühl
ich den Druck der magern Hände, die mir die Schuld abzubitten schienen,
die der teure Vater auch auf mich abzuladen wähnte. Aber wer kann ihn
schuldig nennen? Wer beschwören, daß nicht Neid und Haß die Kläger
waren? Wer sagen, daß er geirrt?“
„Er hat geirrt!“
„Hat er den Irrtum bekannt?“
„Er starb, bevor die Qualifikatoren die Akten geprüft. Es hängt nur
von dem heiligen Offizium ab, ob man nachträglich dem Toten Recht oder
Gnade gibt.“
Der Graf bäumte sich auf. „Einen Leichnam wollt Ihr verdammen? Oh,
dieses Recht würfe die Gottheit in den Staub. Mein König, vor Euch
wollte ich mein Herz erleichtern, nicht vor dem strengen Reichsverweser
Gottes.“
Da erhob sich der König. Sein Antlitz war müde, in seinen Zügen lag
der Ausdruck der Unentschlossenheit. „Ich ehrte Euern Vater, und Ihr
seid mir um Eurer Verdienste willen teuer. Ihr werdet mir helfen, die
Alpujarras zu reinigen. Sehen wir noch länger zu, dann füllen sich
die Täler mit afrikanischen Horden. Ihr geht mit starken Kräften nach
Lanjaron, Graf Tendilla wird Euch die Befehle geben.“
Der Graf warf sich mit mutigem Schritt der Königin entgegen, die sich
ebenfalls erhoben hatte. Sein Herz zitterte in heiliger Begeisterung.
„Noch einmal, Erhabne, bitte ich um Milde. Hört den Rat der
erbgesessenen Granden, nicht nur Eure Mönche!“
Isabellas Brust bebte. „Wollt Ihr argwöhnen, daß -- wir haben unsre
Priester gar wohl geprüft, bevor wir sie nach Granada sandten.“
„Und dennoch -- schließt die Granden nicht aus. Denn freier regt sich
in unsrer Brust das allgemeine Leben, besser sieht unser Auge das
Bedürfnis der Menschen, richtiger fühlt unser Herz des Volkes Wünsche.
Oh, übereilet nichts, laßt dieses Priesters vernichtende Gewalt nicht
Euer großmütiges Herz überwuchern --“
„Mein König -- diese Sprache!“ Ximenes sprang auf. Aus seinem Gesicht
wich das Blut.
Fernando reckte sich, daß das Panzerhemd klirrte. „Der Diener der
Kirche ist geheiligt im Antlitz der weltlichen Majestät. Dankt es Eurem
großen Namen, wenn ich nicht Euern Degen fordere. Man wird Euch künftig
weniger vertrauen. Wer mit so hellem Eifer den Mauren goldne Brücken
baut, taugt wenig, sie zu bekämpfen. Ich will die Stunde vergessen --
wenn ich’s kann. Ihr seid entlassen.“
Der Graf neigte sich zum doppelten Handkuß. Gnadenlose Blicke gingen
über ihn hinweg. Als sich der Vorhang hinter ihm schloß, wußte der
Graf, daß er vor den Königen verspielt hatte. In seiner Brust gärte das
Erlebnis dieser Stunde. Er schritt über den Löwenhof, wo die blitzenden
Wasserschwerter aus den Tiermäulern gegen die Rinnen sprangen. Da sah
er den Vikar Leon bei einer Säule stehen. Er wollte an ihm vorüber,
doch der Mönch hielt ihn auf. „Ihr seid in Gnaden entlassen?“ forschte
er mit gierig gestrecktem Hals.
„Ich habe den Königen Wahrheit gegeben, das ist alles.“ Der Graf ging
durch den Schwarm der Höflinge. Wie Sumpfbrodem lag es auf seiner
Seele, erfüllte ihre Tiefen mit Giften der Qual. Seine Gedanken
glitschten aus, als gingen sie über Quallen hinweg. Der Dominikaner sah
ihm mit verwunderten Augen nach. Er fühlte, hier trieb man ihm sein
Wild in den Bogen.
Im Saal der Schwestern trat Ximenes vor den König hin. „Dieser Mensch
ist gefährlich,“ sagte er im Feuer nachlodernd.
„Wir wollen den Brand in ihm löschen,“ sagte der König ernst.
„Erlaubt, daß die beleidigte Kirche das Wasser liefert,“ bat der
Primas. „Wenn man solche Köpfe allzu edel denken läßt, haben Könige
alle Ursache, das Schicksal Granadas zu beklagen. Welch ein Stürmer!
Wie rücksichtslos und vermessen! Wo käme Spanien hin, wenn man mehrere
solcher eigenartiger Entdeckungen machte? Er sprach es nicht aus, aber
ich fühlte es: sein Hirn rüttelt an den Grundfesten der Kirche und der
Inquisition. Nimmer darf es sein, daß ein Geist auf Kosten des heiligen
Wesens sein Füllhorn leert. Er könnte mit lärmendem Fanfarenschall die
Welt aufhorchen machen. Wo bleibt dann Spaniens Devise: ein Glaube,
eine Menschheit? Wenn solche Keile sich dazwischen schieben? In jeder
Hungerstunde meiner Aszese, in jeder durchwachten Nacht klang der Ruf
Gottes an mein Ohr: für Euch, Könige! Mein eiserner Wille band sich an
Christus, und seine härtesten Forderungen wurden mir Labsal und werden
es bleiben, solange ich atme. Soll dieser Grande mir die Wege zu Gott
verrammeln dürfen? Die ich für die Menschheit ebnete? Ihr dürft es
nicht dulden. Sonst könnte es geschehen, daß dieser Graf ein größerer
Fürst werden würde als Fernando in Kastilien. Glaubt an die Gabe der
Voraussicht. Sie ist ein Gottesgeschenk, der Staatsmann muß sie haben.
O diese Sprache, die er redete!“
„Auch andre sprachen für die Mauren,“ sagte begütigend die Königin.
„Graf Tendilla, Talavera --“
„Dort sprach die Klugheit, hier aber spricht ein Herz. Das ist
gefährlicher. Er hat weniger Geist als Gefühl. Sein Widerstand kann
leicht Anklang finden. Er besitzt Ahnenstolz und hat die Sucht, sich
einen Namen zu machen. Wehe, wenn sich solche Feuerherzen gegen
unsern Geist zu wehren beginnen, wehe, wenn sie ihre umstürzlerischen
Freiheitsgedanken offen predigen dürfen! Ich rate Euch, ihm die
Freiheit dieses Denkens zu kürzen, damit er sein Retteramt minder
scharf übe.“
„Ich habe keinen Grund, ihn verhaften zu lassen,“ sagte der König
unentschlossen.
Da hob Ximenes die Augen mit einem bezwingenden Blick auf. „So laßt die
Kirche Gründe suchen, die Inquisition ihren Weg gehen. Ihr habt sie
beschworen.“
Die Königin erschrak. „Ihr wollt --?“
„Seine verliebte Seele zittert in Unruhe, bald wird auch sein Gedanke
über Gott und Glauben wankend werden. Liebe ist nachsichtig und
verurteilt nicht leicht, und die Moriska ist sicherlich befangen
im alten Glauben. Auch der Graf kann da in gewissen Dingen leicht
entgleisen, weil er liebt. Gelingt es, ihn in einem solchen Augenblick
zu packen, dann hat die Inquisition freie Hand.“
Der König strich sich mit der Hand über die Stirn. „Ximenes -- das ist
nicht weise Vorsicht -- das ist ein Spiel mit einem -- Menschenleben.“
„Es ist die Eingebung einer höhern Macht, die da noch hilft, wo Könige
verzagen,“ sagte Ximenes gelassen.
Die Königin zitterte in Mitleid. „Ich fürchte, wir verarmen an Talenten
und an Herzen, wenn wir so edle Regungen unterdrücken.“
„Das überlasse Eure Hoheit der Kirche. Zudem -- der Hof braucht Geld --
der Graf ist reich -- Ihr versteht.“
Die Könige erbleichten. Aber sie schwiegen vor der entsetzlichen Kraft
dieser Rechtsbegründung aus Priestermund. Endlich fand Isabella das
erlösende Wort. „Nur weil ich der Kirche Hoheit erkenne, sag’ ich ja.
Aber wie wollt Ihr in die geheimsten Kammern des Herzens dringen?“
Der Erzbischof lächelte überlegen. „Darüber mag sich der Dominikaner
den Kopf zerbrechen. Gelingt es ihm, die Könige vor Gefahr zu bewahren,
dann schreibt seinen Namen auf die Tafel der Verdienste. Der Graf
darf nicht länger so denken, sonst mästet Ihr Euch einen zweiten
Cid heran, der seinem König wieder gefährlich werden kann. Alle
Ricoshombres, die unzufriednen andalusischen Granden, werden ihm folgen
und Kastilien und Aragonien bedrohen, ja, er könnte, ein zweiter Graf
Julian, die Mauren aus der Berberei zu Hilfe rufen und die schwer
erkämpfte Einheit Spaniens furchtbar zertrümmern. Schon mehren sich
die Zeichen, daß der Adel nicht übel Lust hat, den starken Händen der
Regenten zu entgleiten. Der kastilische Hidalgo haßt mich, und der
Herd des Hasses ist nicht nur in Toledo zu suchen. Auch hier braut
man die Unzufriedenheit zusammen, am Pestherd des Prophetenglaubens.
Bald werden auch die alten Christen schwankend, wenn sie den Adel mit
solchen Köpfen an der Spitze in offener Empörung gegen die heiligen
Gesetze sehen. Habt ein Augenmerk auf den Herzog von Osuna, auf den
Grafen von Orgaz, auf Priego de Cordoba, ja selbst auf Medina-Sidonia.“
Die Könige sahen einander erblassend an. „Mit welchen Bildern schreckt
Ihr unsern Geist?“ bebte Isabella.
Fernando stampfte mit dem Fuß. „So weit können sie es treiben wollen?“
„Ist es erst so weit, hat es dieser Graf bewiesen, daß er’s kann. Wir
müssen schneller sein. Eure Ungnade wird ihn vorsichtig machen. Gebt
mir freie Hand.“
„Macht ihn unschädlich,“ rief die Königin bedrängt aus. „Aber -- schont
ihn, im Grunde ist es nur ein irregeführter Mensch, ein Unglücklicher,
den Gesetzen der menschlichen Natur unterworfen.“
„Ob Härte oder Schonung -- überlaßt das dem barmherzigen Sinn der
Inquisition, die für die Reinigung der ketzerischen Seele sorgt. Sie
wird den durch die Sünde Abgefallenen wieder mit der Kirche versöhnen.“
Er verneigte sich und empfing den Handkuß der Könige.
In der prallen Sonne des Löwenhofes blickte er suchend um sich. Der
Dominikaner glitt aus dem Schatten eines von Säulen getragnen Pavillons
und schlich demütig gebückt zu ihm hin. Der erste Faden für das Netz,
das den Unseligen umgarnen sollte, wurde in die Seele Leons gesponnen.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Granada glich in diesen Tagen einem Wespennest. Man wütete und
stach um sich. Über die Stadt fiel der Gifttau der Inquisition. Das
Ketzergericht begann sich über Nacht zu formen. Die Taufe war nicht
unter die Rinde des Unglaubens gedrungen. Da und dort entdeckte man
Rückfälle in maurische Gebetsbräuche, und wo durch die Einziehung von
Hab und Gut ein Gewinn für die Könige und die Kirche feststand, griff
man unbedenklich zu. In Belanglosigkeiten, in unbedacht gesprochnen
Worten wollte man Flüche auf das Christentum entdecken, scheele Blicke
nach der Kirche genügten, um anzuklagen, man zeigte Moriskos an, die
das Chrisam von der Stirn der Täuflinge weggewischt haben sollten,
andere, welche sich weigerten, Schweinefleisch zu essen, Frauen, die
sich mit Henna färbten oder gar zu oft wuschen, was als maurischer
Religionsbrauch aufgefaßt wurde. Eifersucht und Haß trieben ihre
Blüten. Diejenigen, welche bekannten, wurden gegeißelt und zum Tragen
des Schmachgewandes verurteilt, dann ins Gefängnis geworfen. Bis jetzt
hatte man elf Fälle zurechtgehämmert. Pater Leon wollte einen schönen
Auftakt für das Osterfest schaffen. Unter riesigem Zudrang wurde das
Autillo, das kleine Autodafé, in der Moscheekirche auf der Bibarrambla
abgehalten. Mit der spitzen Schmachmitra auf dem Haupt, dem Sanbenito
am Leib, schleppte man die Opfer zur Kirche, wo ihnen inmitten von
Mönchen das Urteil verkündet wurde. Die meisten kamen mit Gebetsstrafen
davon, eine Frau wurde verurteilt, täglich siebzehn Vaterunser,
einhundertdreiundfünfzig Ave-Maria, sechzehn Gloria-Patri und das
Glaubensbekenntnis zu beten. Das Gebet als Strafe! Ein Mann wurde
gegeißelt, da er Christus keine Heilkraft der Seele zuerkennen wollte.
Er wurde mit einem Strick um den Hals vor die Kirche geführt und mit
hundert Hieben bedacht, dann auf einen Esel gesetzt, bis zu den Hüften
entblößt, mit der Mütze auf dem Haupt, durch die Gassen geführt, vom
Volk verhöhnt und angespien. Neben ihm hieb abermals der Gerichtsvogt
mit einem ledernen Strick hundert Streiche auf seinen nackten Rücken.
So wurde ihm der Glaube eingebleut und er selbst mit der Kirche
‚versöhnt‘.
Der Graf de Mora, der mit vielen Granden der Geißelung beiwohnen mußte,
litt innerlich Qualen. In ihm bäumte sich die Empörung gegen die
furchtbare Gewalt auf, die harmlose, einfältige Menschen zu Verbrechern
stempelte.
Die Moriskos verkrochen sich in ihre Häuser. Dort flüsterten sie
einander die Schrecknisse zu, steigerten sie ins Ungeheuerliche und
woben ihre eigene Angst in die der Opfer hinein. So war sie nun da, die
cordobanische Inquisition! Die Häscher schlichen sich in die Häuser
und horchten die Bewohner aus, suchten nach Gebetsteppichen, und der
Schreck warf seine Kreise in die ganze Nachbarschaft. Trotz aller
Schwüre der Verurteilten drang es doch an die Ohren der Leute, mit
welch unheimlicher Umständlichkeit das peinliche Verfahren durchgeführt
wurde, wie man die Beschuldigten ängstigte, indem man ihnen Dinge
vorhielt, die sie nie begangen, wieviel Tränen in den Kerkern vergossen
und welche Martern in der Folterkammer ersonnen wurden. Mit entsetzlich
verstümmelten Gliedmaßen kämen die Gefolterten in die Kerker zurück.
Tag für Tag hing das Schwert über jedem Bürger von Granada. Auch die
Christen verschonte das Gericht nicht. --
Don Pedro de Solar stieg den Weg zur Alhambra hinauf. Sein Inneres war
wie ein ausgetrockneter Schuttbach, und immer wieder stürzten sich böse
Gedanken wie Hyänen auf ihn. Neben ihm schritt Hernando de Rojas, in
derselben Kümmernis verstrickt. „Ich habe dir etwas Schweres zu sagen.
Maria de Calabreña erwartet dich beim Imam. Man hat ihm den Koran
weggenommen. Der Alte ist verzweifelt.“
„Wer hat es gewagt?“ flammte Don Pedro empor.
„Zwei Dominikaner im Auftrag des Leon.“
„Das ist der Hammerschlag des Ximenes!“ Er stürmte auf sein Zimmer.
„Du gehst, höre ich, nicht nach Lanjaron?“
„Der König traut mir nicht mehr. Ich bin dem Befehl des Grafen Tendilla
unterstellt worden, der morgen nach Guejar zieht, das Maurennest
auszuräuchern.“
„Du hast den König und Ximenes furchtbar erzürnt, das vergessen sie dir
nie.“
Der Graf verabschiedete sich von dem Freund und eilte über den Hof nach
dem Turm der Cautiva. Er fand Reija aufgelöst im Schmerz um den Alten,
der bleicher war als sonst, um Jahre gealtert und mit der Schwermut des
Entsagens im Auge. Er kauerte auf dem Gebetsteppich und rief mit Hilfe
des Musabihha, des arabischen Rosenkranzes, die schönen Namen Gottes in
höchster Andacht zum Himmel.
Reija flog dem Geliebten ans Herz. Ihr Mund, vom Salz der Tränen
benetzt, küßte ihn wild. Sie klagte ihm den Einbruch der Dominikaner.
„Oh, Habib meiner Seele! Nun hat er nichts mehr auf der Erde!“
Der Greis wankte aus dem Gebet. „Wo des Ximenes rauhe Hand hintastet,
verdorren die Blumen und versiegt das Wasser. Insch’allah! In alle
Ewigkeit! Feta, du liebst diese hier! Ich weiß alles. Um dieser Liebe
willen, die auch sie für dich hegt, habe ich sie nicht verstoßen. Ich
hätte sie zu den Blinden und Tauben werfen können, die das Gesetz des
Propheten nicht sehen und hören wollen, hätte sie mit dem Atem der Pest
verfluchen können, aber es sträubte sich etwas in mir. Ich habe Sinn
für des andern Gottesweg, Ihr löscht des weisen und sanften Nazareners
Duldersinn aus und setzt an seine Stelle den Verfolgergeist des Hasses.
Wo aber bleibt die unbegrenzte Liebe? Diese Mönche -- haben sie kein
Herz im Leibe?“
Mora schüttelte den Kopf. „Such’ bei Steinen Erbarmen, bei diesen
nicht.“
„Ihr seid arm, Spanier! Ärmer als wir, trotzdem wir kein Recht auf
einen freien Atemzug haben. Gott, dessen Name in aller Ewigkeit groß
ist, wird alles richten. Insch’allah!“
Reija schluchzte ihr Herz aus. „Alle Emire und Walis haben Granada
verlassen. Und du gehst morgen fort -- wir werden ganz ohne Beschützer
sein.“
„Vertrau’ auf Gott. Verlaß den Alkazar nicht -- ich bin bald zurück.“
Der Imam mahnte mit warmer Herzlichkeit: „Es gehen furchtbare
Schrecknisse durchs Land, sagt man, geboren aus den Hirnen dieser
Mönche. Das Kind ist eine Moriska, sie kann leicht in euerm Glauben
straucheln. Allzu stark ist ihres Vaters Art in ihr, noch liegt ihr
Herz in Widersprüchen gefangen. Oh, könnte ich doch beruhigt ins Tal
des Schweigens steigen.“ Er versann sich in düstern Gedanken. „Das
größte Wunder ist der Tod, denn er soll uns Paradiese schaffen. Komm
her, meine Blume von Andalus.“ Er umschlang des Mädchens zarten Leib.
„Ist Schönheit wirklich Glück? Wohl hat El Bakali, der Hirte der
Erkennenden, gesagt, Liebe und Schönheit hätten mit einander einen Bund
geschlossen, daß sie sich nie trennen würden. Nicht nur Glück, auch
ein Übermaß von Leid entspringt aus ihr, Haß und Streit wurzeln in
ihr, Völker lagen sich ihretwegen in den Haaren, Sorgen windet sie um
der Liebenden Haupt, sie macht aus Weibern Männer, aus Männern Weiber
und verträgt keinen Dritten in ihrem Bund. Und doch ist sie eine süße
Unruhe des Lebens, ein seliger Schmerz, ein zartes Leid. Sieh, ich kann
dir deinen Ritter nicht nehmen, Reija, drum halte fest an ihm. Gott
ist in dir und über dir, du entgehst ihm nicht, aber er wird deinen
Pfad nicht zum Feuerweg machen, wenn du auch im Gebet vor der süßen
Mirjam liegst. Glauben heißt am Ende gut sein.“ Er wandte sich an den
Grafen. „Du wirst eine harte Sache haben mit den Mauren in Guejar.
Himmelragende Felsen müßt ihr stürmen, zwischen den Talwänden werden
die christlichen Ritter fallen wie Ratten und stromweis wird ihr Blut
fließen.“ Sein Auge erglänzte in alter Kampffreude und sein Bart schien
ein Flammenbusch zu sein.
Der Graf drückte ihm die Hand. „Abu Atir, ich wollte solche Feinde
haben wie Euch, dann wäre das Leben schön, denn es läge offen vor mir
da. Lebt wohl -- ich muß tun, was Königspflicht mir gebeut. Ist dieses
letzte getan, soll vieles anders werden.“
Da drängte Reija an sein Herz. „Komm heute abend in die Alcazaba. Ich
will Abschied von dir nehmen vor dem Kampf.“ Sie sah mit glühenden
Wangen zu Boden.
Unendliches Glück erhellte das Auge des Grafen. Mit zärtlicher
Liebkosung begleitete sie den Geliebten die Treppe hinab. Dann
kehrte sie zu Abu Atir zurück. „Rüste dich, Väterchen, zum letzten
Schritt,“ flüsterte sie ihm hastig zu. „Ich habe alles vorbereitet.“
Ihr Auge bekam einen schillernden Glanz. „Wenn morgen die Truppen nach
Guejar ziehen, ist die Stadt von Soldaten entblößt. Die Wali Beni
Mossad werden mit fünf Pferden in der morgigen Nacht beim Mühlentor
halten. Die Wache bei deinem Zimmer wird durch drei andalusische
Maultiertreiber überwältigt, die sich noch bei Tag in die Alhambra
einschleichen. Spanischer Mantel und andalusische Mütze sind für dich
bereit, man wird dich für einen Gelehrten halten. In Begleitung der
drei Arrieros gelangst du bis zum Mühlentor, wo die Pferde warten. Von
dort reitet ihr über Padul nach Salobreña ans Meer. Ein Schiff trägt
dich nach Maghreb zu meinem Vater.“
Der Greis hatte starr-staunend gehorcht. „O Gott -- wenn ein Schatten
des Argwohns auf dich --“
„Ich weiß von nichts und schlafe ruhig in der Alcazaba.“
„Und du kommst nach? Nach Salobreña?“
„Nein. Mein Geschick ist mit dem meines Feta verknüpft. Ich will ihn
beschwören, mit mir nach den Kanarischen Inseln zu fliehen, oder es
blüht in Frankreich für uns eine neue Heimat. Nur fort von hier! Der
Boden brennt mir unter den Füßen. Nimmer will ich des Grafen Herz
täuschen, unsere gemeinsame Kette bricht nur der Tod.“
„Oh, Engel mit dem Schwert des Geistes und der Liebe! So weih’ ich
dich für dein Liebeswerk, das du mir und jenem tust. Mögen dich Gottes
Seraphim behüten. Hör’ mich an: Geheimnisvoll naht sich morgen gerade
die Nacht Kadir, in der der ungeschaffene Koran aus dem siebenten
Himmel in den Himmel des Mondes gebracht wurde, um vom Engel Gabriel
behütet zu werden. Diese Nacht ist immer von großen Geschehnissen
erfüllt, darum glaube ich an ein gutes Gelingen. Ich will dir ein
Geheimnis anvertrauen, das mir dein Vater nur in höchster Not
preiszugeben befahl. Die Not ist da und du bist sein Kind. Im Turm
der sieben Stockwerke in der Alhambra unter dem Getäfel einer Nische
im obersten Zimmer, wo der Türmer haust, hatte Boabdil eine Kerze
verwahrt, die so hergerichtet ist, daß deren Wachs, am untern Ende
angezündet und auf das Pergament getropft, das sich in meinen Händen
befindet, eine Schrift auftauchen läßt, welche besagt, wo der letzte
granadinische Schatz des Königs in Granada verborgen ist. Von diesem
darf ich für dich nehmen, soviel ich will. Hier hast du das Pergament.“
Er schnitt in einer verborgenen Rockfalte eine Naht auf und zog ein
zusammengefaltetes Pergament heraus.
Mit höchstem Staunen griff Reija nach dem Blatt. „Ich will’s benützen,
wenn die Not am höchsten.“ Sie steckte es zu sich. „Tausend Dank,
Väterchen!“
„Gib alles, was du an Geld hast, dem Wali Sareb in Verwahrung. Er
ist ein treuer Prophetenknecht. Für mich genügt das nackte Leben. In
Salobreña warten Gelder auf mich. Du mußt gehen?“
„Die Arrieros sind für die dritte Stunde heute bestellt. Sie bekommen
Ausrüstung und Waffen. Dein getreuer Malik Ben Hossaim hilft mir bei
allem. Er ist schlau, verwegen und vorsichtig. Leb’ wohl, Väterchen!“
Sie warf sich die schwarze Mantilla um, zog den Schleier vor und
huschte aus dem Turm. Unten wartete Saffana.
Der Frühling begann seine Wunder leise zu entfalten. Mild fächelte die
Luft, rosenrote Mandelblüten dufteten von den Hängen, die Blütenstände
der Aloestauden prangten wie Tempelleuchter, der Maulbeerbaum und die
Granate gingen auf, auf den Hügeln schimmerte der Wein dem großen
Blühen entgegen. In der Calle de Gomeres warteten die Maultiere.
Durch die engen Gassen der Antequeruela drückten sich verängstigte
Moriskengestalten an ihr vorbei, alle Gesichter erregt und bleich unter
dem Eindruck des Autillos. Der übliche Gassenlärm war verstummt. Züge
von Mönchen und Nonnen, alle unheimlich verhüllt wie Boten des Todes,
schlängelten sich zur Alhambra hinauf, lebendige dunkle Girlanden im
frühlingsjungen Grün des Berges. Von Zeit zu Zeit tönte durch die
Gassen ein weher Ruf, man wußte nicht woher, irgendeine Brust stöhnte
wohl ihr Leid in die glühende Sonne. Reija ritt gesenkten Hauptes, von
den Wogen ihrer Gedanken bedrängt, durch die geängstigte Stadt, die
in wenigen Stunden ihre andalusisch-maurische Fröhlichkeit eingebüßt
hatte, gebrochen durch die Posaunentöne des Jüngsten Gerichts.
„Höre, Saffana! Du läufst heute abend in der Alcazaba herum, soviel du
willst. Nur in meinem Zimmer laß dich nicht sehen. Rüste mir das Bad
und fülle alle Räuchervasen.“
„Werda, Werda, du willst dich schmücken, als ginge es zum Liebesfest.“
„Rosen vergiß mir nicht und flatternde Seidenbänder. Morgen zieht
mein Bräutigam in den Kampf. Aber die Monfis sind aus Helden
zusammengesetzt, sie werden aus den Christenleibern den Staub der
Verwesung machen.“ Ihr Auge, schwarz wie ein Nachthimmel, glühte für
den Ruhm der alten Glaubensbrüder. „Was hältst du von den Christen und
ihrer Kirche?“
Saffana schüttelte den Kopf. „Ich kann’s nicht begreifen, was diese
Fakis tun. Sie zwingen uns, ihre goldenen Bilder anzubeten, sie rufen
uns mit Glocken zum Gebet, ihre Predigten hallen von Verboten und
Sünden. Und was soll der Wein in ihrem Kelche? Die Fakis deuten es mit
Blut. Ich kann’s nicht glauben. Aber es gibt so schöne Ritter unter
den Spaniern --“ ihr Auge belebte sich rasch -- „man möchte so gern in
ihren Armen liegen und ihren Götzendienst vergessen.“
Reija hörte nicht mehr auf ihr leichtes Geschwätz. Ihre Gedanken
verfingen sich im Netz der eigenen Liebe. Und in ihrem Geiste loderte
der ersehnte Abend in Flammen des Prophetenparadieses.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Pater Leon trat mit gesättigtem Herzen in die kühle Dämmerung der
Mosala. Das Autillo war ein offenkundiger Sieg, eine Machtentfaltung
des Nazarenerglaubens. Der Vikar fertigte die ihn begleitenden Mönche
ab und ordnete dann sogleich die Inquisitionsakten in den Schrank
ein. Dann öffnete er ein Aktenbündel und holte ein schneeweißes,
leeres Papier heraus. Ohne mit der Wimper zu zucken, ergriff er das
Schreibrohr und setzte ein paar Worte hin, die den leeren Bogen mit
einem schrecklichen Inhalt zu füllen begannen:
„Anklage gegen den königlichen Hauptmann Don Pedro de Solar Grafen de
Mora, der beschuldigt wird --“
Hier endigte der Gedankengang des Inquisitors. Die Schuld zu ersinnen
und zu formulieren, blieb ihm die Nacht. Die gräßlichen Gedanken
entflatterten ihm und er ließ erquickendere in sein Hirn. Vor seinem
brennenden Auge wiegte Maria de Calabreña ihren schönen Leib. Wie
weit stand sie mit -- oh, ihm schauderte. War dieser Leib schon ein
fruchttragender Acker geworden?
Draußen tappten Schritte. Der Dominikaner öffnete. „Ah, endlich! Ich
habe Euch längst erwartet, Don Silvio.“
Der Mönch führte einen etwas verwachsenen Mann herein, der schon in
seinem Äußern zu jenen Menschen zu gehören schien, die zuerst essen,
bevor sie beten. Ein olivenfarbiges, verschrammtes Spitzbubengesicht,
dessen graue Augen hinter den Lidspalten versteckt lagen, struppiges,
aschgraues Haar, die Nase klumpig, die Lippen wulstig und bläulich, die
Haltung vernachlässigt, alle Gebärden vorsichtig, als müßte der Mann
unausgesetzt vor irgendeiner Entdeckung auf der Hut sein -- fürwahr, es
stand kein Engelsgebilde vor dem Dominikaner.
„Du kommst von Cordoba?“ fragte dieser.
Don Silvio bejahte mit einer rostig klingenden Stimme. „Der hochwürdige
Pater Lucero, Inquisitor von Cordoba, schickt mich.“
„Ich bat ihn um eine geschickte Hand, die in gewissen Dingen nicht in
Verlegenheit kommt.“
Der Scherge lächelte eitel. „Auch Jonas verbarg sich vor dem Herrn und
dieser fand ihn doch.“
„Du greifst hoch in die Wolken.“
Don Silvio sah sich vorsichtig um. Die Nähe des Altars und der
Meßgeräte verwirrte ihn ein wenig. „Darf ich zuerst beten?“ heuchelte
er schamlos.
„Tu was du mußt.“
Der Mann kniete schwerfällig beim Altar nieder und schien mit Andacht
zu beten. Dann erhob er sich und trat mit dem gleichgültigsten Gesicht
an den Tisch. „Was also soll getan werden?“
„Wo wohnst du jetzt hier?“ erkundigte sich der Vikar.
„In einer Venta am Elvirator gleich in der Nähe des
Inquisitionspalastes. Es weiß kein Mensch, woher ich komme, und in
Cordoba lebe ich versteckt wie eine Kröte bei Tag.“
„Hast du das Dekret des Familiare der Inquisition?“
Don Silvio zog den zerknitterten Schein heraus. Der Vikar prüfte ihn.
Das Dokument sagte das Ungeheuerliche aus, daß dieser verkommene
Schlaufuchs in der Bruderschaft der Familiares aufgenommen worden sei
und daß er geschworen habe, sein Leben dem heiligen Offizium zu weihen
und dafür alle Ablässe der Cruce signati empfangen habe und im Besitz
des heiligen Kreuzes sei. Einen solchen Bruder brauchte der Inquisitor.
Jede spanische Stadt wimmelte von dergleichen Gesellen, die von der
Gnade des Tribunals lebten und ihre eigene Zunft hatten. „Weißt du
deine Aussagen geschickt zu setzen?“ fragte Leon.
„So daß sie den Schein der Wahrheit haben. Ich streue etwas Angst ein,
taste mit den Worten unsicher herum, suche um Himmels willen einen
Ausweg, der mir nicht gelingt, um Jesu Barmherzigkeit willen muß ich
einfach sagen, was ich gehört, gesehen, ob ich will oder nicht. Und
zitternd schreibe ich meinen Namen unter die Zeugenschrift. Ehrwürdiger
Pater, ich habe an die hundert Christen vor das Tribunal gezerrt, und
wenn die Summe sich rundet, kaufe ich mir ein Häuschen in Andalusien,
da wo es am schönsten ist.“
„Hast du -- Schriftliches bei dir von Lucero?“
„Nur meinen Mund. Der plappert wie eine Litanei oder schweigt wie ein
Sarg. Je nach Bedarf. Der sehr ehrwürdige Pater Lucero wird sich
hüten, mir etwas Schriftliches zu geben. Unsereins kommt in der Venta
leicht in Händel und da ist jede Schrift in Gefahr, wenn die Messer
fliegen. Zur Sache denn, um welchen Fall handelt es sich? Oder ist
einer ganz neu aufzubauen? Da müßte man vorsichtig sein.“
„Die Sache liegt eigentlich so offen, daß man nur eines kleinen
Beweises bedarf, um die Anklage zu erheben. Ist es geschehen, hast du
der Kirche, Spanien, der Königin, dem König, und dem Erzbischof Ximenes
einen großen Dienst erwiesen.“
Der Handlanger des Bösen machte gewichtige Augen. „Bei Santiago! Ein
ehrenvolles Amt, das manchem Bettler in der Seele kitzeln müßte. Fast
möchte ich mir den Zehnten von ganz Spanien dafür ausbedingen.“
„Dein Häuschen in Andalusien dürfte dir sicher sein. Die einzuziehenden
Güter der betreffenden Person sind umfangreich, ein Fünftel davon
fällt dem königlichen Schatz zu, der Rest der Kirche und dem Staat.
Von diesem Teil würde ich dir den Zehnten beim Supremo der Inquisition
auswirken.“
„Bietet Ihr mir Sicherheit?“
„Du sollst Dezas Unterschrift haben.“
„Darauf kann ich bei allen Juden Europas Schulden machen. Und wie heißt
der große Name, der so viele Gebäude in ihren Festen erschüttert?“
„Don Pedro de Solar Graf de Mora.“
„Der zählt!“ Don Silvio spitzte die Lippen zu einem Pfiff. „Was hat er
getan? Oder besser, was für Verbrechen will man von ihm?“
„Er hält mehr als notwendig den Mauren die Stange.“
„Dann also muß man ihn maurisch fassen. Man will ihn, verstehe ich
recht, verdächtigen, daß er Spanien oder die Kirche -- was ja fast
dasselbe ist -- verunglimpft.“
„Schärfe dein Hirn,“ drängte Leon ungeduldig.
Der Vertraute biß die Zähne zusammen. Und mit seinen grauen Äuglein
schaute er tief nach innen, als wollte er die Rüstkammer seiner
Schurkerei durchstöbern. Sein spärliches Haar stand im Wirbel
aufrecht, wie von Galgenluft zerzaust. „Laßt sehen! -- Geheime
Versammlungen? Verbraucht! Man will doch sonst niemand von den Granden
unschädlich machen?“
„Das wäre noch zu überlegen.“
„Eine gewöhnliche Lässigkeit nachzuweisen, wäre ein Kinderspiel, aber
das paßt nicht für den großen Namen. Der Graf ist wohl, was man so
sagt, gläubig?“
„Er denkt tolerant.“
„Hallo! Da sitzt ein Loch, durch das er durchfliegen kann, oder der
Topf hat einen neuen Henkel gefunden. Wenn man ihm die Liebe zum Koran
ins Blut schießen lassen würde? Könnte man ihn nicht in eine Maurin
verliebt machen?“
Die Mönchsaugen leuchteten wie Katzenaugen im Dunkeln „Das hat er
schon in aller Wahrhaftigkeit selbst besorgt.“ Und er speiste ihn mit
Einzelheiten ab.
„Da brauchen wir für den Stier erst kein rotes Tuch. Maurin, Koran,
die Heftigkeit des Ritters, die Toleranz -- laßt mich sinnen -- ein
gefälschter Brief -- ein zu gefährliches Mittel -- aber der Graf
besitzt sicher einen Diener -- und der könnte mir es anvertraut haben
-- ich meine, daß dieses und jenes Wort gefallen --“
„Du ziehst einen armen Teufel mit ins Unheil,“ erschrak der Dominikaner.
„Wie lautet das Sprüchlein des ehrwürdigen Torquemada? Es ist
besser, daß tausend Unschuldige sterben, als daß ein einziger Ketzer
davonkommt. Man sagt, die Kirche vergißt solche erprobte Sprüchlein
nicht gern.“
„Deine Sünden werden Teufel erzittern machen,“ erschauerte Leon. „Geh,
geh -- ich will ohne dich auszukommen suchen.“
„Das hättet Ihr früher bedenken müssen. Ich weiß schon allzu viel.“
Seine buschigen Augenbrauen zogen sich hoch, während er seinen
struppigen Bart strich.
„Es ist nie zu spät, Gedanken zu bereuen.“
„Ob man dieser Reue Glauben schenken wird? Vergeßt nicht, ehrwürdiger
Pater, ich habe gut ein Drittel der cordobanischen Prozesse auf meinem
Gewissen.“
„Um so sicherer bist du in unserer Gewalt.“
„Oder Ihr in der meinen. Wenn ich plaudere --“
„Glaubt man dir nicht oder macht dich rechtzeitig mundtot. Die Aussagen
der Inquisitoren dürfen nicht angezweifelt werden, sie werden sich um
ihre Haut zu wehren wissen.“
Mißvergnügt drehte sich der Schurke nach der Tür.
Leon rief ihn zurück. „Du sollst nicht unversöhnt von dannen gehen.
Es bleibt dabei. Mach’ dich an den Diener heran. Wir wollen dann den
Vertrag schließen. Und noch eins. Wenn du schwören solltest, du habest
gehört, daß eine gewisse Moriska dabei ertappt wurde, wie sie betend
auf dem Mekkateppich lag, oder daß sie nächtlich den Zambra tanze, sich
täglich wasche und das Schweinefleisch verachte -- du würdest dich doch
nicht lange besinnen?“
Don Silvio rümpfte geringschätzig die Nase. „Für solche Kleinigkeiten
hat mein Gewissen noch Platz. Ich kann auch beschwören, daß ich das
Weib auf einem Aquelarre, einem Hexensabbat, in San Esteban gesehen.“
„Man wird sich deiner erinnern. Geh.“
Mit einer verzogenen Fratze, die Lippen häßlich zusammengekniffen,
die Schultern hochgezogen, schlich der Scherge hinaus. Er war das
Feilschen in Cordoba gewohnt. Sollte er hier andre Methoden lernen?
Eine Schurkerei, so tief in der heiligen Gerechtigkeit verwurzelt,
konnte nicht leicht ausgerissen werden oder der ganze Baum stürzte um.
Aber was half es ihm, wenn durch seine Verräterei die Inquisition einen
Stoß bekam? Wer würde ihn belohnen? Über die Erlösung würde man den
Erlöser vergessen. Er lebte von der Inquisition, nicht sie von ihm.
Es waren hundert andere Auswürflinge da, sein Amt zu übernehmen, und
er konnte sich die Nägel ausreißen vor Galle, daß er der Klügere sein
wollte. Nein, nein, der Pater hatte recht, man mußte Hand in Hand mit
den Dienern des heiligen Offiziums gehen, um nicht nackt wie Hiob auf
dem Mist zu sitzen. Das waren so seine grauen Gedanken, als er durch
das Tor der Gerechtigkeit in der Alhambra schritt.
Pater Leon hatte sich in Instruktionen vertieft. Sein Gemüt war
ebensowenig erheitert wie das des davongegangenen Besuchers. War
er nicht mit der Belastung eines wildfremden Gewissens zu voreilig
gewesen? Aber noch war kein Abschluß des Handels da. Unterdessen mußte
ihm der Teufel, den er für Gott hielt, irgendwie zu Hilfe kommen.
Die Zeit schlich. Bald mußte Maria de Calabreña da sein. Er hatte ihr
in der letzten Beichte unter anderm auch die Buße aufgegeben, von nun
an nach alter Büßerweise barfüßig vor dem Altar zu erscheinen, um so
die Demut vor Gott besser zum sichtbaren Ausdruck zu bringen. Er berief
sich auf Moses, der, als er vor Gott im feurigen Busch kniete, auch die
Schuhe auszog, da er heilig Land betrat. Das Gebot erinnerte Doña Maria
an die mohammedanische Fußwaschung vor dem Gebet und sie fand nichts
Absonderliches darin. Heute also mußte sie bloßen Fußes --
Leon lief es über den Rücken. Er nahm ein Inquisitionsheft zur
Hand, seine Gedanken abzulenken. Da lag ein Zeugenverhör vor ihm,
musterhaft und geschickt in der Fragestellung, hingeworfen von
einem der Consultores in Cordoba. Es waren Schachzüge mönchischer
Spitzfindigkeit, die hier in vielgestaltiger Form mit Menschenleben
spielten. Leon hatte sich kaum in das Labyrinth der Fragestellungen
hineingetastet, als er den geliebten Schritt draußen hörte. Die
Wachsoldaten ließen wie immer die schöne Moriska eintreten.
Der Dominikaner begleitete sie nach freundlichem Gruß zum Altar.
Gehorsam zog sie ihre Schuhe und Strümpfe aus und kniete an den Stufen
nieder. Der Dominikaner stand hinter ihr, als wollte er ihre Andacht
in seinen Segen nehmen. Seine Augen aber verschlangen das nackte,
bräunliche Fleisch ihrer gemeißelten Sohle und das bläuliche Geäder der
zarten Fessel. Jede Zehe liebkoste er und er hätte stundenlang ihre
liebliche Blöße bestaunen können, ohne in seiner Begehrlichkeit zu
ermüden. Als sie sich erhob und die Schuhe anzog, beobachtete er jede
Linie ihres Körpers, jede Rundung, jeden gefälligen Schwung. Maria fing
einen dieser prüfenden Blicke auf und errötete. Etwas verzagt setzte
sie sich an das mit Erbauungsschriften belegte Tischchen. Leon ging auf
und ab, und seine sonst so strenge, herablassende Miene, vollgesogen
vom Dünkel der Kirchlichkeit, verwandelte sich in eine Freundlichkeit,
die das Mädchen befremdete. Der Vikar segelte in das Fahrwasser der
Kirche und der Dogmen, erklärte die Zeremonien der Sakramente, um dann
auf einmal die Belehrung abzubrechen und unvermittelt an das Herz der
Jungfrau heranzurücken. „Der Graf -- nur unter uns, Doña Maria -- er
liebt Euch mit derselben Herzlichkeit wie Ihr ihn?“ fragte er wie in
tiefer Anteilnahme.
„Er würde mir zuliebe alles tun,“ sagte sie glücklich.
„Das ist ein schweres Wort.“ Des Paters Lippen schmeckten ins Leere.
„Gesetzt nun, Ihr wärt im Irrglauben beharrt, meint Ihr, der Graf hätte
sich bewegen lassen, den Christenglauben abzuwerfen?“
Sie erschrak. Daran hatte sie eigentlich nie gedacht. Ob wirklich seine
Liebe so groß gewesen wäre? „Ich glaube, er hätte sich wenigstens nach
und nach mit Mohammeds Gesetzen, mit Koran und Sunna befreundet,“ sagte
sie ausweichend.
„Hat er Euch je Beweise zu einer solchen Annahme gegeben?“
„Nein, aber er hätte gewiß erkannt, daß auch Mohammed ein großer Mensch
war.“
„Groß kann ein Mensch nicht sein, der so irrt. Aber Ihr schweift
ab. Ich meine, hat der Graf Euch Beweise eines so duldsamen Denkens
gegeben? Er liebte wohl Eure alte Religion?“
„Lieben? Dann hätte er sie doch angenommen und die seine weggeworfen.“
„Liebende rasen oft über Sünde und Unheil hinweg ins Verderben.“
„Wäre es wirklich ein Verderben für ihn gewesen?“ erschrak sie heftig.
„Ich würde kein größeres kennen. Aber sagt, spricht der Graf oft und
viel von der heiligen katholischen Religion?“
„Freilich -- er liebt sie doch -- nur --,“ sie stockte.
„Nur?“ griff der Priester überhastig in ihre Verlegenheit.
„Ach, nichts.“
„Nein, Ihr wolltet eine Ausnahme einschalten.“
„Ich wollte nur sagen -- aber bitte, bitte, blickt nicht finster --,
ich meine, auch er ist nicht blind gegenüber den Übertreibungen --“
„Auch er? Also sind auch andere da, die --?“
„Ach, ich meinte nur -- man spricht doch das und jenes --, so lächelte
er oft, wenn er die Leute, die Frauen stundenlang vor den Altären
liegen sah --“
„Da lächelte er?“ fragte der Mönch gespannt. „Und sagte wohl: ‚Ach, wie
arm sind diese Frauen?‘ Das sagte er, nicht wahr, Doña Maria?“
„Nicht doch, er sagte es nicht. Aber ich sah es ihm an, wie ihn das
Mitleid mit ihnen überlief, wenn sie so vor den Bildern lagen --“
„Er sagte wohl: ‚Das sollte nicht sein.‘“
„Gesagt hat er das nicht.“
„Vielleicht doch einmal? denkt nach.“ Des Priesters Augen stachen in
ihre Seele.
„Ich erinnere mich nicht.“
„Aber es könnte sein, daß er es einmal gesagt hat?“
„Vielleicht. Aber ich weiß nichts davon. Er freute sich nur immer, wenn
ich ihm sagte, daß ich früher auf dem Gebetsteppich lag und auch ohne
ein Bild meinen Weg zu Gott fand. Er nannte dies schön und recht bei
den Moslims.“
„Das heißt also, daß der katholische Brauch nicht schön und recht sei?“
„O Gott, das hat er nicht gesagt.“
„Doch folgt es leicht daraus. Er fand demnach in manchem Eure alte
Religion viel schöner und richtiger als die unsere?“
„Nicht das, aber es waren doch schöne Stunden, wenn wir den Koran
lasen, die Verheißung vom Paradies --“
„Er las den Koran mit Euch?“
„Freilich, das mußte er doch, um zu wissen, wie wir es früher hielten.“
„Und da meinte er wohl auch, daß dieses Paradies schön und
erstrebenswert sei?“
Sie nickte unverfänglich. „Ei, wem sollte wohl der heilige Gotteshain
mit den vielen Huris nicht gefallen und mit den Quellen der Liebe?“
„Auch ihm gefiel das also?“ Er umspann mit den leicht hingeworfnen
Fragen ihr ganzes Denken wie mit einem Netz.
„Ich sagte schon, wem sollte es nicht gefallen?“
„Und sprach er nicht von der Dreieinigkeit manchmal zweifelnd?“
„Das wüßte ich nicht zu sagen, Pater. Aber wozu das alles?“
„Ich nehme eben an allem teil, was Eure Seele bewegt. Der Graf hat also
wohl selten von der Dreieinigkeit gesprochen?“
„Fast nie. Das heißt, ja, jetzt erinnere ich mich, einmal -- richtig,
da sagte er, er könnte mir nichts Bestimmtes darüber sagen, denn er
wisse nichts davon.“
„Er wisse nichts von der Dreieinigkeit? Sagte er so?“
„So ungefähr.“
„Merkt doch genau meine Frage: Er sagte, er wisse nichts von der
Dreieinigkeit?“
„Ach, das hat er nicht gesagt.“
„Aber so ungefähr. Vielleicht sagte er so: ‚Ich weiß nichts von der
heiligen Dreieinigkeit.‘“
„Vielleicht, aber ich weiß es nicht genau.“
„Also -- er weiß nichts von der heiligen Dreieinigkeit. Merkt das gut.“
Maria sah ihn groß an. „Das ist doch harmlos wie ein verwehtes Blatt.“
Des Paters Schreibrohr warf ein paar Worte auf das leere Blatt. „Und
Jesus? Wie sprach er über Jesum?“
„Er nannte ihn einen großen Menschen.“
„Aber nicht einen Sohn Gottes?“
„Ich kann mich dessen nicht entsinnen.“
„Er hat ihn also nicht einen Sohn Gottes genannt?“
„Das weiß ich nicht. Ich hörte nur nicht, daß er ihn so genannt hätte.“
„Dann wird er wohl der Meinung sein, daß Jesus nicht der Sohn Gottes
sei.“
„Das hat er nie und nimmer gesagt.“
„Vielleicht doch, und Ihr könnt Euch nur nicht darauf besinnen.“
Sie zuckte die Achseln.
„Er wird also wohl so gesagt haben: ‚Jesus ist ein großer Mensch und
ein Prophet.‘“
„Vielleicht,“ sagte sie, glücklich über den vom Pater selbst gefundenen
Ausweg. Sie ahnte nicht, wie sie nach seinem Herzen plauderte.
„Also sagte er: ‚Jesus ist ein Prophet.‘“
„So sagen es die Mohammedaner, und vielleicht freute sich der Graf
darüber -- ich weiß es wirklich nicht.“
„Also der Graf freute sich darüber, daß die Mohammedaner sagen, Jesus
sei ein großer Prophet.“
„Der Sohn Gottes muß doch auch zugleich ein großer Prophet sein.“
„Der Graf wollte also von der Dreieinigkeit nichts wissen --“
„Das habe ich doch nicht gesagt,“ fuhr sie erschreckt auf.
„Wer wenig oder nicht davon spricht, will wohl davon nichts wissen.
Wohl aber freute sich der Graf darüber, daß die Moslims Jesum für einen
großen Propheten halten.“
„Das sollte ich gesagt haben? Oh, ich bin so ungeschickt im
Spanischen --“
„Ihr habt sehr geschickt die Wahrheit gesagt. Nun liegt des Grafen
inneres Bild klar vor mir.“
Sie faßte das in ihrem Sinne auf und fügte glücklich strahlend dazu:
„Oh, läge es so in Euch, wie es in mir liegt. Der Graf ist ja so
nachsichtig und mild, und läge es an ihm, er würde keinem Mauren ein
Leid antun.“
„Er ist so nachsichtig? Könnte keinem Mauren --?“ Die Worte flogen aufs
Papier.
„Warum nehmt Ihr das alles so groß?“
„Ich möchte eben den Grafen, wie er leibt und lebt, vor mir haben, in
seiner ganzen Nachsichtigkeit -- ja, über die Hostie sprach er nicht
mit Euch?“
„O doch. Daß in einem so unscheinbaren Ding --“
„Sagte er: unscheinbares Ding?“
„So ungefähr. Daß darin soviel Kraft verborgen liege.“
„Er bezweifelte es wohl?“
„Nicht doch. Aber er machte ein so merkwürdiges Gesicht, wenn --“
„Also er nannte die Hostie unscheinbar -- ja, ja, machte ein
merkwürdiges Gesicht dazu -- schüttelte wohl gar den Kopf --“
„O nicht doch -- wie sollte er?“ -- Sie lächelte.
„Besinnt Euch, vielleicht hat er doch einmal --“
„Ja, einmal -- da schüttelte er den Kopf, als ich sagte, so ein kleines
Stück, das gegessen wird, ist der Leib des Herrn.“
„Ganz recht -- da schüttelte er den Kopf -- das unscheinbare Ding --
ich verstehe nun alles.“ Er erhob sich. „Wir wollen das nächste Mal
darüber weiterreden.“
Nun erst war ihr, als läge ein Gewebe um ihr Herz, das beengt darunter
schlug. „Ist heute alles fertig?“ fragte sie, sich erhebend.
„Ja.“
Sie wollte noch sagen, daß sie von nun an über den Willen des Geliebten
nicht mehr in die Christenlehre kommen wollte, aber sie brachte es
nicht heraus. Wenn der Pater nach ihr schicken sollte, dann wollte sie
schon irgendeine Ausflucht suchen.
„Noch eins,“ sagte Leon. „Sprecht mit keinem Menschen über das, was wir
heute gesprochen, auch mit dem Grafen nicht.“
Angstbedrückt drängte sie nach der Tür. Altarschauer und Kerzengeruch
woben in ihrem Herzen einen engenden Schleier zusammen! Nur heim! In
die Alcazaba! Dort wartete das Glück, die Freude, das Leben, die Liebe!
Sie schlüpfte wie ein ungeduldiges Kätzchen aus der Mosala in den
rosigen Abend hinein.
Pater Leon ging zum Tisch und prüfte noch einmal die Aussagen dieser
ahnungslosen Klägerin. So hatte sie das Wild selbst in seinen Pfeil
getrieben. Er brauchte eigentlich den zweiten Zeugen nicht mehr, aber
es war doch gut, ihn für alle Fälle bereitzuhalten, wenn die Angaben
der Maria de Calabreña dem heiligen Tribunal nicht genügen sollten.
Aber sie mußten aus diesem Mund, der sonst nur Liebe atmete, doppelt
schwer wiegen. Sorgfältig setzte er die einzelnen Punkte zur Anklage
zusammen. Gleich darauf griffen seine Gedanken in die feurigen Bilder
eines doppelten Besitzes: Leonore de Uceda und Maria de Calabreña.
Die erstere war ihm sicher, die langsame Besitzergreifung des
zweiten Schöpfungswunders wollte er mit den grausamen Waffen seiner
Belagerungskunst durchsetzen. Drohend hing wohl über seinem Haupt
das Schwert des Inquisitionsedikts, das verführende Inquisitoren
auspeitschte. Aber bis zu dieser Anklage gegen ihn durch Doña Maria
durfte es überhaupt nicht kommen. Er wußte Mittel, an denen ein solcher
Verzweiflungsschrei zerbrach.
Für den Augenblick war Dringenderes zu tun. „Ruft Morlanes, den
Carcelero des heiligen Offiziums,“ befahl er einem der Soldaten vor der
Tür.
Bald darauf erschien der Vorsteher der geheimen Kerker. „Es sollen sich
morgen um die achte Stunde bei mir einfinden: Pater Miguel und Diego,
die beiden Konsulatoren des heiligen Gerichts und die drei Alguaciles.
Dann um neun Uhr der Fiskal Don Juan de Collades.“ Der Vogt tappte
hinaus.
Der Inquisitor fühlte den Schweiß der Erregung über die Stirn fließen.
Klänge und Bilder wirbelten durch sein Gemüt. Es war doch keine
Kleinigkeit, dieses Lügengebäude der Anklage zu errichten, wenn er auch
wußte, daß er damit der Kirche und dem König einen Dienst erwies. Der
Graf hatte sich gegen die Majestät des Herrscherpaares noch nicht so
weit vergangen, daß man ihn gerechterweise unschädlich machen konnte.
Die Kirche und deren Diener waren beleidigt worden, aber noch war
der Glaube selbst unberührt geblieben. Der Ketzer war bisher noch
nicht bewiesen. Jetzt aber, durch den Mund der glaubwürdigsten Zeugin
überführt, konnte man den Strick um seinen Hals werfen, man konnte
das aus ihm machen, was man wollte, um den gefährlichen Gläubigen zu
vernichten: einen Ketzer. Der Dominikaner brachte mit dem Ketzer noch
einen zweiten, persönlichen Feind zu Fall: den Rivalen. Dafür taugten
auch die Waffen der Hölle. Dieser Graf durfte nicht glücklicher werden
als er. Zum erstenmal spürte er wahrhaftig den bohrenden Schmerz
der Eifersucht, und dieser führte die angefaulte Seele folgerichtig
den Weg zur Vernichtung. Diese wunderbare, von Liebesleben erfüllte
Mädchenbrust durfte nicht einem andern dienen.
Weit öffnete er das Fenster. Die buhlerisch linde Nacht griff an sein
Gemüt und ließ es im Vorschauer künftiger Wonnen erbeben. Der Mond
behing die schlafende Stadt mit silbernen Geschmeiden.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Leid und Glück durchbebten zwei Herzen. Die Lippen Reijas flammten wie
Sonnenpurpurstreifen und sogen die Küsse des Geliebten wie Honig ein.
Unter der gewölbten Stuckdecke entfalteten sich die Wunder des
orientalischen Prunkes. Tief herabhängende Pendentifs, schimmernd
in Gold, Rot und Blau, teilten den Raum in heimliche Nischen, die
mit Geweben und Teppichen erfüllt waren, an den Wänden funkelten im
Kerzenlicht die bis zur Gürtelhöhe aufsteigenden Azulejos, über die
sich das bunteste Arabeskenornament, vermischt mit Koraninschriften,
ausbreitete. In einer der Nischen, verdeckt durch einen teilweise
aufgeschlagenen Vorhang, stand der kostbare Diwan des Königskindes,
ein von Überhängen und Kissen bedeckter Pfühl, aus dem die Harmonie
persischer Farbenmuster leuchtete. Aus flachen Kupferschalen dampfte
der Duft von Kräutern, der dazu beitrug, die sinnliche Stimmung des
grottenähnlichen Gemaches zu erhöhen. Die Sklavinnen liefen hin und
her und trugen die kaum berührten Speisen ab, die sie erst kurz
vorher auf dem zierlichen Tischchen hergerichtet; nur die Manzanilla
blieb in den funkelnden Gläsern, und der Krug wurde neu gefüllt.
Reija ließ den purpurnen Vorhang nieder -- es war das Zeichen, daß
sich die Sklavinnen entfernen sollten. In der Nische dufteten Rosen
in blumenähnlichen Kelchen, von den Pendentifs hingen buntfarbige,
schimmernde Seidenbänder herab, die bei jedem Luftzug wie feine
Schleier wehten. Die Phantasie hatte kaum mehr Spielraum für den Flug
in ein Märchenreich, denn jeder Traum schien hier Wirklichkeit geworden
zu sein.
Rosablühende Seide rauschte um Reijas schöne Glieder, der
buntgestickte, schleierartige Kschar umhüllte duftig ihre schwarze
Haarpracht, die Mantilla lag malerisch geschwungen über den Schultern
und reichte bis zu den Knien, die Sandelholzschuhe aber bedeckten die
feingefesselten Füße. So wiegte sie ihre Glieder vor dem Geliebten,
während der Hauch der laulinden Südnacht vom Fenster herüberstrich.
Don Pedro de Solar ließ seine Gedanken schwärmen. „Die Perle an
der Decke des Lieblingsgemaches Abderrhamans in der Az-Sahara und
der goldne Schwan im Brunnenteich fehlen noch, um das arabische
Märchenreich erstehen zu lassen. Aber die Favoritin des Kalifen kann
nicht schöner gewesen sein als die Perle meines Herzens, die diesen
Raum schmückt.“ Er sah ihr tief in das schwarze Auge. „Ich sehe
Schleier, wo keine sein sollen.“
Reija drückte sich wie frierend an seine Brust. „Als ich vorhin in den
Sahat blickte, sah ich einen roten Mond, von Dünsten umhangen.“
„Hirngebilde!“ lachte der Graf. „Der Abschied ängstigt dich, der
keiner ist. Ich vertraue der Tapferkeit meines Herzens, der Schärfe
meiner Toledanerklinge, der Geschicklichkeit meines Armes und über
alles Irdische hinweg dem Schutz der heiligen Jungfrau, die deinen
Namen führt.“
Sie zuckte zusammen, denn sie mußte an Pater Leon denken. Dann schob
sie ein paar Zuckerstänglein in den Mund. „Ich war beim Vikar -- wir
haben viel von dir gesprochen --“
Der Graf setzte den Wein von den Lippen. „Wie kommt mein Name in die
Christenlehre?“
Reija zog verlegen die Schultern hin und her. „Er fragte nach dir
-- ich soll es nicht sagen -- und doch beengt es mir die Brust. Wir
sprachen über den Glauben, wie sehr du ihn ehrst. Und er schrieb sich
manches deiner Worte auf.“
Der Graf blickte dunkel und nachdenklich vor sich hin. „Sonderbar.“
Sie hob ihm das Kinn empor. „Pedro, Pedro -- nun bist du traurig
geworden. Oh, wie lieb’ ich dich -- und doch weiß ich, du wirst mich
verfluchen --“
„Werda, Rose!“ schmeichelte er sich in ihr Spitzengewebe hinein.
Reija dachte an die bevorstehende Flucht des Imams. Bald mußte es der
Graf erfahren -- und dann -- sie seufzte in sich hinein.
Er nahm ihre Hand. Ihre Haut hatte den Samthauch der Purpurrosen,
leise, besänftigend strich er darüber hin. „Reija, wenn ich heimkehre,
soll alles, alles geordnet werden. Die Aufsage des Königsdienstes, die
Bewirtschaftung von Mora, die Reise nach den Kanarischen Inseln --“
Sie wollte aufjubeln -- aber im nächsten Augenblick lief schon wieder
der böse Schatten über ihre Stirn. „O meine Träume! Und wenn uns das
Brautbett zum Grab wird?“
„Du holde Angst! Was soll uns drohen? Der König sah mich gestern
freundlicher als sonst an, als er in den Marstall kam. Ungnade wird
sich in Gnade verwandeln, bringe ich ihm das Reis der Tapferkeit heim.
Und wenn alle mich verdammen, hier ist der Himmel, zu dem Engel mir
die Wege weisen.“
Ihre trauererfüllte Schönheit lag halb hingestreckt in den weichen
Kissen, halb von seinen Armen umfangen, und er schlürfte jeden Reiz an
ihr wie ein Geschenk Gottes ein. Dann sagte er, von einem plötzlichen
düstern Gedanken gepackt: „Und wenn ein Maurenpfeil den Weg zu meinem
Herzen findet --“
Jäh taumelte sie auf. „Du darfst nicht fallen. Mein Gebet ist dein
Schutzengel.“
„Und wenn die Wellen deines Gebets nicht bis zum Erbarmer schlagen?“
„Oh, ich kann so innig beten,“ versuchte sie sich aus der eigenen Angst
zu retten.
Er lag wie festgeschmiedet an ihrem Herzen. „So halte ich dich --
oh, sieh mir in die Augen -- es bleibt nur eines noch -- des Glückes
Erfüllung und Krönung --“
Es überlief sie, und ihre Wimpern zuckten wie im glühenden Traum. Die
Ahnung des Weibesdämmerns kam über sie. Und sie sagte langsam und
leise: „Dein Wille -- kröne -- unsere Liebe -- Gott wird die Stunde
segnen.“
„Und kehre ich nicht wieder, soll das Pfand dieser Liebe die Erinnerung
an den sein, den du liebst --“
Sie sprang mit glühenden Augen auf. „Komm, wir wollen die Nacht über
die Helle des Tages erheben. Freund der Freude und der Liebe, ich will
den Zambra tanzen.“
Ihr lockender Mund, von seinen Küssen schon völlig aufgeschlossen,
warf sich auf, als sehnte er sich dem zerstörenden Brand entgegen, er
glich dem Purpurkelch, den Mannesliebe füllen sollte. Sie warf neue
Duftkräuter in die Vasen und versperrte die Tür. Dann drängte sie den
Geliebten hinter den Vorhang einer kleinen Nische zurück. „Hier harre
-- und wenn ich rufe, öffne den Vorhang.“ Sie schlüpfte in die große
Diwannische und ließ den Scharlachvorhang herab.
Don Pedro spürte die Flammen in seinen Fibern züngeln. Oh, was barg
dieses herrliche Gefäß Gottes! Dunkel und Licht in wunderbarem
Wechsel, eine brandende See und den Frieden einer Sternennacht.
Eines drängte sich ihm auf: der neue Glaube in ihr war nur ein
aufgepfropftes Reis, sie selbst blieb eine echte Agarena, eine Tochter
der islamitischen Offenbarung, und die Genien ihres Volkes trugen sie
leichtbeschwingt über alle Härten des Lebens hinweg. Warum schonte
man nicht ihre Blumenhaftigkeit, sondern schlug mit der harten
Bußgeißel einen schönen Gedanken Gottes entzwei? Warum stieß man
seine Schenkerhand zurück und entweihte seine Gabe? Nein, sie sollte
nie mehr in die gnadenlose Sphäre dieses Dominikaners treten, der
ihr Wesen spaltete. Welcher Glaube der bessere? Was kümmert es den
Liebenden! Fragt das Feuer, welches Holz das bessere ist, wenn es mit
Macht ins Haus fährt? Den Sturm, welcher Widerstand der schwächere,
das Meer, ob die Küste es aushält, an die es brandet? Oh, ich will ihr
auf der aufblühenden Insel maurische Gemächer bauen, nach denen ihr
Heimweh verlangen wird, und des Morgenlandes Kostbarkeiten sollen sie
schmücken. Sie ist schön wie die Lilie von Damaskus, wie die Rose von
Yemen --
In den Sturm seiner Schwärmerei wehte ein süß-klagender Ton wie aus der
Sternenhöhe -- ein paar Klänge auf den Saiten der Anafine -- dann das
Geräusch des Vorhangs -- und nun schlug Don Pedro den seinen auf.
Inmitten des von Licht überfluteten Raumes stand die blühende Schönheit
in ihrer fast nackten Gliederpracht, die sich von der brennenden Röte
des Vorhangs in statuenhaften Umrissen abhob. Über dem rosigbraun
getönten Fleisch lag nur ein grünlicher dünner Flor, der die samtne
Haut durchschimmern ließ. In dem schwarzen Haar leuchteten Perlen und
Rosen, um die Stirn spannte sich ein goldner Reif, von blutroten Rosen
geschmückt, auch zwischen den blinkenden Zähnen flammte das Blumenrot
auf, es blutete am Gürtel, an der Brust und an den Schultern. So
schien sie selbst ein sich nach der Sonne verzehrender Rosenstrauch zu
sein. An den Hand- und Fußgelenken blinkten edelsteinbesetzte Spangen,
die bei jeder Bewegung rot und grün blitzten. Nun aber stand sie
reglos mit bloßen Füßen, den Blick gesenkt, die Beine zum ersehnten
Tanz gespannt wie schöne Säulen, auf ihrem Antlitz leichter Sinn und
geheimes Weh zu schöner Harmonie gepaart.
Die Rose entfiel ihrer Lippe. Sie begann leise, wie klagend, zu
singen, als triebe ihr Liebesschmerz in namenlose Fernen hinaus.
Leicht deuteten ihre Arme und ihr Oberkörper diesen sehnsüchtigen Zug
an, wiegend und biegend, rhythmenlos, nur einer innern Eingebung des
Liebesgefühls folgend, schien plötzlich ihr ganzes Wesen zu singen, als
löste es sich in den Geheimnissen der Musik völlig auf. Arabische Worte
tönten, bald feierlich getragen, bald schnellend und spitz klingend wie
durch die Luft sausende Messer, und immer drängender wurde die Bewegung
des Leibes, sie hob sich aus der ursprünglichen Stellung heraus und
schwebte auf den Fußspitzen in eine Ecke, wo sie sich zusammenkauerte,
dann wieder den Knäuel ihres Körpers löste und wirbelflink in die Mitte
des Zimmers trieb. Von den Stacheln beginnender Wollust angefeuert,
schnellte sie ihren Leib nach vorn und rückwärts, der Schleier flog
in die Luft, umwirbelte aufs neue im kreisenden Spiel ihren Rumpf,
und nach einem blitzschnellen Taumel um die eigene Achse blieb
sie mit verzückten Blicken, die Arme weit von sich gestreckt, auf
straffgespannten Beinen stehen. Vor ihr auf dem Boden lag der Schleier.
Ihre Brust wogte im Sturm der Gefühle, der Lenden braune Pracht ging
im Atem mit, und der Schwung um die Hüfte war herrlicher anzusehen als
der Bogenschwung maurischer Hallen. Don Pedro erschauerte -- vor ihm
lagen dunkle Matten der Wollust -- Flammen wühlten in seinem Gebein
-- er umfing den sanft gebognen Pantherleib. Vor seinen Blicken liegt
das süße Lächeln, geboren aus dem Mysterium der Sinne, leuchten die
schwarzen Augen, nur halb mehr geschützt von den Edelwimpern, und im
Verlangen öffnet sich die Glut ihres Purpurmundes. Don Pedro streckt
ihren von dem Brand der Sinne schon halb versengten Leib in seiner
ganzen Schönheit in den knisternden Samt.
Willig trägt sie ihm ihr Feuer entgegen. Ihre braunen Arme werden zu
sehnsüchtigen Klammern. Haare, Nacken, Augen, Lippen, Schultern, Brust
und Glieder erschließen ihm Geheimnisse von unerhörter Pracht, bis
Gedanken und Sein in ein unsagbar süßes Nichts zerfließen.
Zitternd umfängt er sie im Weh des Abschieds noch einmal, bevor sie die
Schleier um ihre Schönheit legt.
„Nun wirst du fern sein“ -- schluchzt sie schmerzvoll --, „der Mond
der Liebe erlischt -- aber gepriesen sei Gott, der auch das Ferne nah
macht.“
„Gepriesen sei er fürwahr,“ antwortete Don Pedro.
„Du wirst als Ghaliba heimkehren, als Sieger.“
Ihre letzten Küsse rissen seinen Schmerz noch einmal auf.
Endlich fand er die Kraft zum Scheiden. Ihre Blicke der Liebe schrien
nach einem letzten Trostwort. Und als sie seinen Schritt draußen
verhallen hörte, warf sie sich in die Polster und stöhnte sich in die
aufgewühlten Haare hinein, die noch feucht von seinen Küssen waren. Die
Nachschauer der hochzeitlichen Süße durchfuhren ihren wie im Fieber
ringenden Leib.
Sie nahm taumelnd das Tesbih, den morgenländischen Rosenkranz, mit den
neunundneunzig medinischen Kugeln zur Hand und versuchte, die schönen
Namen Gottes in Andacht herunterzusagen. Aber die wilde Stunde des
Leids zerbrach ihren Gebetswillen.
Dreißigstes Kapitel
Die spanische Christenheit erfüllte ein Freudentaumel. Die Monfis von
Guejar waren geschlagen, nachdem sie zuerst den spanischen Rittern
schwere Verluste zugefügt hatten. Die Maurenburg des Ortes war erstürmt
worden. Gonsalvo de Cordoba hatte als erster die Sturmleiter erstiegen,
seine Ritter folgten. Don Pedro de Solar hieb vier Maurenfürsten
nieder, gefürchtete Häuptlinge der Banden. Seine Taten entschieden den
Kampf, auf Gnad’ und Ungnade ergaben sich die führerlosen Mauren. Ein
großer Zug von Gefangenen ging nach Granada ab. Eilboten berichteten
den katholischen Königen den Sieg. Die Stadt mußte zum Freudenfest
rüsten, von den Miradores und Türmen wehten die spanischen Banner.
Aber ein anderes Ereignis hatte inzwischen die Stadt in Aufruhr
gebracht. Der Imam Abu Atir war in einer Nacht entflohen. Wieder
waren zwei Wächter ermordet worden und vergebens war die Suche nach
den kühnen Übeltätern. Um den Alkazar im Albaycin standen wie um eine
feindliche Burg die spanischen Reiter und hielten Wache über das
Königskind. Denn hier vermutete man den Sitz des verbrecherischen
Anschlags. --
Reija lag auf dem Gebetsteppich mit dem Gesicht nach Mekka gekehrt
stundenlang und kleidete auf ihre fromme Art alle Sehnsucht in
seufzende Gebetsworte, die bald christlich, bald islamitisch klangen.
Ein kastilischer Eilreiter hatte ihr vom Grafen de Mora die Nachricht
gebracht, er sei unversehrt, ruhmbekränzt und auf dem Heimmarsch
begriffen. Da schwang ihre Seele neu gestärkt dem großen Gott entgegen.
„Mein weinendes Auge erhebt sich zum Schein des Mondes, hinter dem du
wachst, o Herr. Sei mein, ich bin dein, du liebreiches Brot und holder
Wein, du, der du Welten küßt mit deinem Odem und Länder verheerst mit
Glut und Wasserflut, ich arme Rose flehe zu dir: zeige dich mir! Laß
den Geliebten in meine Arme sinken, laß mich den Tau seiner Küsse
fühlen und scheuch’ alle Feinde von mir und laß unser Haus gesegnet
sein unter Palmen am Meer!“
Bei jedem Geräusch flatterte ihre Angst auf. Er ist es! Und immer
wieder sank ihr Haupt enttäuscht auf die Brust, wenn Saffana
herangeschwirrt kam und eines ihrer hellachenden Trostworte in die
Seele der Herrin warf.
Der Abend sank. Reija warf sich von Fenster zu Fenster. Die beginnende
Nacht hüllte draußen den Hof in Schatten, die Blumen dufteten betäubend
herauf und verworren tönte das Geräusch der Menge in den Gassen herüber.
Sklavinnen kamen, die atemlos den Einzug der spanischen Streiftruppen
meldeten. Nun mußte er auch kommen!
Immer tiefer rückt die Nacht vor. Selbst die muntere Saffana verliert
die Lust zu scherzen. „Glaub’ mir, Liebling der Engel, er wird zum
König gerufen worden sein.“
„Komme ich nicht vor dem König?“ bäumte sich Reijas Liebesstolz auf.
Und ihre erhitzte Phantasie beschwerte sie mit Eifersuchtsgedanken.
Wenn er in Guejar eine schöne Sklavin gefunden hätte? Sie sprang,
gequält von ihrer Ungeduld, auf und ließ sich die Mantilla geben.
Gleich darauf hielt sie der Stolz zurück.
Da -- Noria eilt mit glänzendem Gesicht herein.
Aus der bräutlichen Brust bricht sich ein einziger Schrei: Er ist’s!
Doch die Sklavin schüttelte das Haupt. „Der andere -- sein Freund --“
„Rojas?“ Reija drückt die Hand an die Kehle.
Da steht auch schon der junge Gelehrte an der Schwelle. Sein Gesicht
ist bleich, sein Blick gesenkt, der Atem keucht. Kaum daß er Saffana
bemerkt. „Doña Maria -- verzeiht -- Don Pedro -- kann nicht zu Euch
kommen --“ Er würgt an den Worten.
„Was ist geschehen?“ stöhnt ihre Angst.
„Faßt Euch -- noch ist nicht alles verloren.“ Er eilt auf die Wankende
zu, sie zu stützen.
Ihre Augen sind eine einzige Frage, die ihre Lippen nicht formen können.
Da bekennt er es herzbeengt: „Er ist -- in den Händen -- der
Inquisition.“
Reija fällt lautlos in die Arme der Sklavin.
Sie bringen sie langsam, durch Besprengen mit Wasser und Riechmittel,
zu sich.
Dann erzählt Rojas: „Der Graf von Orgaz und ich erwarteten ihn zu
Hause. Er kam todmüde, aber mit glückstrahlendem Antlitz, warf sich
in das neue Wams, um sich nach der Alcazaba zu begeben. Kaum hatten
wir den Myrtenhof passiert, traten vier Alguaciles auf uns zu und
verhafteten den Grafen de Mora im Namen der Inquisition.“
„Ihr habt es -- dulden -- können --?“
Rojas senkt das Haupt. „Ihr wißt nicht, Doña Maria, was ein Widerstand
bedeutet hätte. Wir wären als Mitschuldige verhaftet worden.“
„Weshalb hat man ihn verhaftet?“
„Wer weiß das? Er selbst weiß es nicht.“
Sie rafft ihren geschwächten Leib auf. „Ich muß zu ihm --“
„Er darf mit niemand sprechen. Man weiß nicht einmal, wohin sie ihn
geführt haben.“
Reija verkrampfte die Finger in den Polstersamt. „Oh, Gott über den
Wolken und Sternen“ -- ihr Auge füllte sich mit Entsetzen -- „wenn ich
selbst -- ohne es zu wollen -- der fürchterliche Leon -- aber das ist
ja Wahnsinn -- ich habe doch nichts gesagt -- er nichts getan -- es
müßten Engel an der Liebe Gottes verzweifeln, wenn -- o Rojas, Rojas --
das kann nicht sein.“ Sie schrie es in die Luft. „Helft mir -- oh, wenn
ich jetzt mein Elend Leon zu Füßen werfe?“
„Versucht es, aber gebt auf Eure Zunge acht, ein unbesonnenes Wort kann
neues Unheil bringen. Es muß ein Irrtum sein -- er wird sich lösen --“
„Such’ unter den Löwen Erbarmen, bei diesem Priester nicht,“ würgte sie
hervor.
„O Gott, seid vorsichtig -- die Kreaturen Leons lauern an allen Ecken
und Enden. Es geht kein Mensch ungesehen aus einer Gasse in die andere.“
„Ich will zur Königin -- sie ist gut und edel --“
„Über sie triumphiert die Härte des Ximenes. Die arme Majestät von
Spanien versinkt vor der schrecklicheren des Tribunals. Es können nur
Freunde helfen, wenn sie zusammenstehen. Wenn wir ihn befreien könnten,
würde ihn Graf de Orgaz auf seinem Grund und Boden bergen.“
„Und Ihr bedenkt Euch noch, ihn zu retten? Ich lohne es Euch mit Gold.“
Rojas wehrte verletzt ab. „Welcher spanische Reiter wird sich
Freundschaft lohnen lassen? Sie lebt und stirbt mit dem Herzen. Ich
will zu handeln versuchen. Vor allem müssen alle Spuren vertilgt
werden, die auf geringste Ketzerei schließen lassen.“
„Er -- und ein Ketzer?!“ wehrte sie sich gegen den Verdacht.
„Ich muß eilen -- man wird seine Zimmer durchsuchen -- lebt wohl, Doña
Maria, und Gott stärke Euch!“
Als der Gelehrte fort war, sank Reija hilflos zusammen. Saffana hatte
alle Mühe, sie bei Kräften zu erhalten. Auch das Auge der Sklavin
war vertrauert, denn die Zeit der Küsse war vorbei; kaum daß sie von
de Rojas einen flüchtigen Händedruck erhalten hatte. Sie versuchte,
die Herrin zu betten. Aber die Angst um den Geliebten jagte die
Unglückliche von Gemach zu Gemach. Mit ihrer noch ungefestigten Seele
warf sie sich bald auf den Gebetsteppich hin, bald vor dem heiligen
Jakob nieder, dessen Bild ihr der Graf geschenkt. „Auf goldenen
Stühlen sollen die Heiligen sitzen und ihre Fürbitte erleichtert dem
Gebet den Flug zu Gott,“ sagte sie in einer dumpfen Erinnerung an
eine Christenlehre. Dann erschrak sie plötzlich. Heute morgen hatten
alle Blätter im Garten bei völliger Windstille gezittert, und das
war ein arabisches Unheilszeichen. Im Traum hatte sie auch den Vogel
Ghitas um ihr Haupt flattern sehen. Das alles scheuchte sie aus der
Gebetssammlung.
Saffana suchte wieder zu trösten. „Zitternde Blätter -- der Vogel
Ghitas? Was können sie dir antun? Damit soll Gott Unheil künden? Was
würde Abu Atir dazu sagen? Armseliger Gott, der Blätter und Vögel als
Unheilskünder im Sold hält.“
Das ungewisse Schicksal des Imams schleuderte sich nun zum Überfluß
auch noch in Reijas Gemüt. War er glücklich in Salobreña angelangt?
Keiner der Arrieros war zurückgekehrt, ihr Kunde zu geben.
Sie stürmte auf den Mirador hinauf. Zu ihren Füßen lag Granada wie
in die dunklen Schauer einer Gruft versenkt. Die Gerüchte über das
Ketzergericht, die sich überall herumsprachen, vergrößerte ihr Geist
bis zur grausamsten Verzerrung. Saffana eilte der Herrin nach und fand
sie in Zuckungen auf dem Mirador liegend. Sie trug sie ins Zimmer hinab
auf den Diwan. Als der Phosphorstern am Himmel verbleichte, verfiel
Reija in einen bleiernen Schlaf, aus dem es ein schweres Erwachen gab.
Kaum vermochte sie sich aus der Gliederstarre zu lösen. Endlich riß sie
sich aus der Lähmung.
Vor dem Fenster lag blaugoldig der Tag.
„Zu Leon!“ Wie ein Verzweiflungsschrei gellt der Ruf aus ihrer Brust.
Und sie läßt sich kleiden und schmücken, als ginge es zu einem
islamitischen Fest. Die Blicke des Dominikaners haben sie in vielem
wissend gemacht. Sie belädt sich mit kostbaren Perlen und Gold und
steckt die geheimnisvolle, noch im Nichts verborgene Schrift Abu Atirs
zu sich, die den Schatz ihres Vaters im Turm der sieben Stockwerke
enthüllen soll. So bewaffnet will sie dem entgegentreten, der das
Schicksal ihres Freundes wie ein furchtbarer Gott in seinen Händen hält.
Einunddreißigstes Kapitel
Im Patio de Mexuar wimmelt es von Mönchsgestalten. Verwunderte
Blicke begleiteten Maria de Calabreña auf dem Weg zu den Zimmern des
Dominikaners. Hier finden die peinlichen Verhöre statt, hier werden
die Anzeigen entgegengenommen, die Beamten der Inquisition gehen ein
und aus, Bittsteller, verweinte Frauen, Zeugen unter Bewachung von
Alguaciles, vornehme und verdächtige, lumpige Gestalten drängen sich
aneinander vorbei.
Ein Mönch gibt dem schön geschmückten Mädchen mit dem verstörten
Gesicht zu wissen, daß Pater Leon heute vor Abend nicht zu sprechen
sei, denn es sei eine große Prozeßsache im Gang. Ein Stich trifft
sie ins Herz. Sie verlangt den Namen des Inquisiten zu wissen -- der
Mönch schweigt mit einem kühlen Gesicht. Sie reitet niedergeschlagen
heim und der Tag wird zu einer Qual, die ihre Messer in die Seele der
Gepeinigten stößt. Sie hungert in Seide und Schmuck, und jedes Wort,
das man zu ihr spricht, sägt ihr Hirn entzwei.
Am Abend läßt man sie vor. Im dämmrigen Hof verschleichen sich die
letzten Gestalten.
Der bleiche Dominikaner empfängt sie mit schleppenden Schritten und
führt die Unglückliche in die Nische neben den Beichtstuhl. Ihre Hand
fühlt sich an wie lebendiger Alabaster.
Maria de Calabreña wirft die Mantilla weg und zeigt ihm ihr
verschluchztes Gesicht. Schmerzerstarrte Augen blicken ihn an. Ein
paar sinnlose Worte lösen sich von ihrem Mund, die den Mönch beinahe
erschüttern. Endlich ein Stammeln: „Was -- habt -- Ihr -- getan --?“
Sie kaut die Worte und schluchzt. „Der Graf -- ist -- unschuldig.“
„Ihr wißt es also schon? Unschuldig, mit den Augen der Liebe gesehen --
doch mit jenen des Glaubens -- nein. Ich sehe Euch schmerzgebeugt, und
es ist verständlich, Doña Maria -- aber wie konntet Ihr Euer Herz an
einen Ketzer hängen?“
Da schlug ihr Haupt von der Tischkante auf. „Er -- ein Ketzer?“
Der Priester warf die Maske der kühlen Verwunderung um. „Eure eigenen
Worte stempeln ihn dazu.“
„Mei --?“ Das Wort erstickte wie ein Feuerhauch ihre Kehle. Sie griff
nach dem Herzen.
„Ihr habt doch meine Fragen so beantwortet, daß kein Christ mehr
zweifeln kann. Der Graf steht nicht mehr auf dem Boden des reinen
katholischen Glaubens, er ist Häresiarch.“
„Eure -- Fragen -- oh, die Sinne brechen mir -- Eure Fragen? -- Was für
Fragen?“
Der Dominikaner zog umständlich ein Blatt Papier aus einem
Schriftbündel. Davon las er ein paar Antworten zusammenhanglos ab.
„Das -- soll ich -- gesagt haben? Oh, du barmherziger Gott!“
„Seine Haltung gegenüber dem Erzbischof Ximenes läßt Eure Aussage noch
an Wahrheit wachsen. Es ist kaum ein Zweifel mehr möglich. Wißt Ihr,
was Ketzerei bedeutet? Thomas von Aquino lehrt in der Summa theologiä:
Die Ketzerei ist eine Sünde, die nicht nur die Exkommunikation durch
die Kirche erfordert, sondern auch den Ausschluß des Sünders von der
Welt durch den Tod. Bleibt der Ketzer bei seinem Irrtum, dann sorge die
Kirche für das Heil der übrigen Menschheit, indem sie den Sünder durch
ein Exkommunikationsurteil aus ihrem Schoß ausschließt; das übrige aber
überlasse sie dem weltlichen Gericht, damit dieses ihn von dieser Erde
verbanne. Der Tod der von Gott Abgefallenen ist das höchste Glück der
Gerechten.“
Doña Maria warf sich wie eine Rasende vor seine Füße hin. „Mensch,
Mensch, wollt Ihr zum Richter werden über diesen? Er glaubt an Gott,
an Christus, an die heilige Jungfrau -- er hat nie mit den Propheten
übereingestimmt --“
„Das klingt hier auf dem Papier anders. Da habt Ihr es.“
Ihre Augen irrten verloren von Buchstabe zu Buchstabe. „Das habe ich
gesagt? Sie preßte den Kopf in die zitternden Hände. „Das -- ist -- ja
-- nicht -- wahr -- das habe ich nicht gesagt!“ Und wie ein Wimmern
klang es: „Das -- habt -- Ihr gesagt -- Priester --“
Er sah sie mit durchdringendem Blick an. „Doña Maria, überlegt jedes
Wort, Ihr seid im Secreto der Inquisition.“
„Ich weiß -- hier foltert man Sinne, Seelen, Glieder --“
„Nur mit dem eigenen Weh. Die Kirche ist das geduldigste Lamm, aber von
ihrem Pflichtweg kann sie nimmer abirren. Ich verstehe Eure Fürsprache,
aber wenn sie zu weit ginge, müßte man annehmen, daß auch Ihr seine
Anschauungen über Gott, Dreieinigkeit, Mohammed und viele andere Dinge
teilt.“
„Ihr habt eine Liebende vor Euch -- seht meine verweinten Augen -- mein
zerbrochenes Herz -- ich will mich wie der Balsamstrauch verwunden
lassen, um seine Wunde zu heilen mit meinem Blut. Habt Mitleid mit uns
beiden. Seht, ich habe Perlen, Gold, und diese Schrift, ein leeres
Blatt noch, aber es kann Euch Aufschluß geben, wo Schätze meines Vaters
vergraben sind --“ sie reichte ihm das gewichtige Papier hin -- „alles
soll Euch gehören, wenn Ihr uns --“
„Seid Ihr von Sinnen?“ fuhr der Mönch auf. „Bestechung des Inquisitors?
Wer weiß, welch gefährliches Waffenlager neben dem Geldschatz zu finden
ist!“
„Ihr glaubt doch nicht --“ Ihre Augen weiteten sich entsetzt.
„Ein leeres Blatt -- sonderbar -- wo liegt der Schlüssel zu dem
Geheimnis?“
„Ich allein besitze ihn.“
„Dann werdet Ihr wohl bekennen müssen.“
„Sobald Don Pedro frei ist.“
„Wir haben Mittel, Euch zu zwingen,“ sagte Leon, bedenklich den Kopf
schüttelnd.
Sie rang verzweifelt die Hände. „Oh, ewiger Erbarmer! Hör’ mich, rette
mich! Was hat er denn getan?“ Sie rutschte auf den Knien zu ihrem
Peiniger hin.
„Er hat den wahren Christenmenschen verleugnet.“
„Wann hätte er ihn verleugnet? Er hat mich gelehrt, Christus zu lieben.
Oh, wie mußte er sich Mühe geben, daß ich alles verstand. Wie sträubte
ich mich zuerst gegen die unbekannte Lehre, die mein ganzes Denken
umwarf.“
„Ihr sträubtet Euch?“ horchte der Dominikaner auf.
„War es verwunderlich? Und er hatte doch soviel Nachsicht mit mir.
Ach, guter, ehrwürdiger Pater -- er weiß, daß ich ihn ins Gefängnis
gebracht?“
„Nein, er wird es auch nie erfahren. Niemals erfährt der Beschuldigte
den Namen seines Anklägers.“
„O fürchterliches Gericht! Und das im Namen des barmherzigen Propheten
Isa?“
Wieder hob Leon den Kopf. „Ihr nennt Jesus einen Propheten? Und Isa? O
über Euer altes, noch immer irrgläubiges Wesen!“
Maria zerriß sich in der Verzweiflung die Haut der Arme mit den
Fingernägeln. „Was peinigt Ihr mich denn? Ich hab’ Euch doch nichts
getan. Oh, wie war ich glücklich im alten Glauben --“
„So seid Ihr jetzt unglücklich im Christentum? Das kann doch nur der
sein, der nicht darin feststehen will, der ängstlich hinüberschielt
nach den alten Säulen, die längst geborsten sein sollten.“
„Es waren Säulen, die mich stützen konnten -- ach, Pater, Pater --,
ich habe keine Stütze mehr, wenn Ihr mir Don Pedro de Solar von meinem
Herzen reißt.“
„Ihr habt Christus den Herrn, den getreuen Freund, an ihn klammert
Euch!“
„Ich fasse ihn nicht -- so nicht, wie Ihr ihn mir gezeigt.“ Sie klagte
es mit völlig zerrissenem Herzen und unter Tränen. „Ach, ich bin ja ein
Samenkorn, vom Sturm auf fremden Boden verweht -- laßt mich doch nur
erst Wurzel fassen.“
„Könnt Ihr auch Maria, die heilige Jungfrau, nicht begreifen?“
„Sie ist groß und gütig -- aber sie kann mir ja doch nicht helfen, ihn
zu befreien.“
Des Mönches Feder hielt die Worte rasch auf einem Papier fest.
„Weder Christus und Maria können Euch helfen? Ein schweres Wort, ein
entsetzlich gewichtiges Wort, Doña Maria. Und die Heiligen?“
„Kenne ich doch kaum ihre Namen.“
„Ihr kennt kaum ihre Namen -- das hättet Ihr nicht sagen sollen, Doña
Maria.“ Das Schreibrohr kratzte.
„Ich weiß ja nicht mehr, was ich sagen darf, was nicht. Ihr zermartert
mir den Kopf -- das Herz --.“ Sie fiel wie gebrochen zusammen.
„Richtet Euch auf -- an mir!“ Mit der Hast jagender Sinnlichkeit
lechzte er es heraus. „Ich will Euch den wahren Glauben lehren.“ Seine
Blicke glühten verstohlen nach ihrer Brust.
Auf den Knien liegend, tastete sie mit der Hand nach seiner weißen
Kutte. „Ich kann nicht glauben an die christliche Liebe, die so viele
Unschuldige in den Kerker wirft. Oh, bei meines Vaters teuerm Leben --
laßt mich wieder zurück in den Glauben Mohammeds --“
Den Priester erfaßte Entsetzen. „In den alten Glauben zurück?“
Wieder flog das Rohr über das Papier.
„Ich beschwöre Euch bei dem, was auf Salomonis Siegel geschrieben
steht --“
„Das ist der Schwur des Irrglaubens! Weh Euch! Ihr seid verloren!“
„Hinter Eurer Marter lächelt kein Gott -- siebenfaches Elend ist mein
Glaube, er wurzelt nicht in meiner Brust -- aber Ihr seid schuld daran
-- Euer Christus ist nicht der, den wir Christus nennen -- ja, Ihr
zwingt mich, wieder zu beten mit dem Gesicht nach Mekka gewendet --“
„Unselige! So wohnst du nicht mehr in der geheimnisvollen Arche der
Kirche, und dich begraben die Gewässer des Unglaubens? Du neigst dich
dem Propheten wieder zu, willst Christum nicht erkennen und begehrst
den Barrabas los? Das ist Ketzerei de vehementi!“ Seine Kutte flatterte
nach der Tür, die er aufriß. „Alguaciles! Bringt Doña Maria de
Calabreña in den Kerker der Inquisition!“
Wie aus einem Nichts heraus schnellten zwei schwarzgekleidete hagere
Gestalten ins Zimmer. Sie hatten leichte Arbeit, denn sie trugen
eine ihrer Sinne Beraubte auf den starken Händen hinaus. Über ihre
zermarterte Seele wehte der Hauch des Entsetzens.
Aus der priesterlichen Brust schienen Dämpfe zu steigen, das Gift
seiner Seele enthaltend. Der Triumph glühte in seinen tückischen
Blicken. Sein Hirn sprang aufgeschreckt in einen Gedanken hinein: Der
Inquisitor von Toulouse, Fulco de Saint Georges, hatte einst Frauen im
Gefängnis verführt und wurde gestäupt. Was warf sich diese Erinnerung
plötzlich in seinen brennenden Jubel?
„Den Fiskal der Inquisition, Pater Juan Collades!“ befahl er einem
Mönch. Er sollte die förmliche Verhaftung der neuen Ketzerin
vornehmen, die durch den Inquisitor selbst entlarvt wurde. Ihre Worte
glichen einem Bekenntnis.
Pater Collades kam. Ein Mensch mit kühlem Herzen, ruhevoll in seinen
Gebärden, gleichgültig in den Mienen. Er setzte sofort die förmliche
Clamosa auf, den Antrag auf Verhaftung. Man arbeitete bis spät in
die Nacht, wiewohl der Fall einfach lag, da die Äußerungen vor dem
Inquisitor selbst gefallen waren. In den nächsten Tagen mußte die
Summaria, das Ermittlungsprotokoll, den Konsultoren vorgelegt werden,
die als weltliche Richter nur beratende Stimmen hatten.
„Glaubt Ihr, daß dieses Mädchen die Aussagen widerrufen wird?“ fragte
Pater Collades.
„Ich werde sie zum Bekennen zwingen. Und am Ende“ -- er dämpfte die
Stimme und sein Herz klopfte gewaltig --, „wir haben das Mittel der
Tortur. Jedenfalls werde ich Doña Maria de Calabreña noch einmal
sprechen. Ich erinnere mich da der Worte des heiligen Bernardus: ‚Wenn
du etwas Böses hörst, verurteile deinen Nächsten nicht sogleich,
entschuldige ihn lieber. Vielleicht hat er es aus Unwissenheit oder
Übereilung getan.‘ Ich will ihr den Weg aus dem Kerker nicht ganz
verrammeln.“
„Das ist aber, soviel ich weiß, nicht die Gepflogenheit in Cordoba,“
sagte der Fiskal augenzwinkernd.
„Wir aber leben in Granada,“ entschied Pater Leon selbstbewußt. Er fand
in seiner Verworfenheit noch den Mut zu einer heuchlerischen Verbrämung
seiner Missetat.
Zweiunddreißigstes Kapitel
In einem beschlagnahmten Palast eines ausgewanderten Maurenfürsten
beim Elvirator arbeitete das heilige Offizium. Über dem Tor stand
die Aufschrift der Inquisition: ~Exurge Domine; judica causam
tuam, capite nobis vulpes~. Die Fenster des gegenüberliegenden
Hauses waren vermauert worden. Im Secreto, dem Gerichtssaal im ersten
Stockwerk, standen die Truhen mit den Anklageakten. Durch einen engen
Korridor über eine gewundene Treppe hinab gelangte man zur Folterkammer
unter der Erde. Kein Seufzer, kein Schrei drang aus dieser Grabestiefe
herauf. Die Fenster des Secreto waren auch bei Tag verhängt, wenn das
Gericht tagte. Scheute man das Licht der Sonne?
An dem schwarzbehangnen Tisch des heiligen Offiziums saßen der
Inquisitor Pater Leon, der Fiskal Pater Collades, zwei Konsulatoren
des weltlichen Gerichts und zwei Dominikaner als ehrbare Zeugen. In
einer Nische wartete der Portero, der Pförtner, der die Vorführung zu
besorgen hatte.
Es wurden viele Schriften hin und her gereicht. Die Mitglieder
flüsterten, und es war, als drückte ein schwerer Gewitterhimmel über
die Gemüter. Granada war in Erregung. Die Verhaftung des königlichen
Hauptmanns hatte alle Granden empört. Man vermutete, daß damit der
Anfang zu weitern Schrecken wie in Toledo gemacht war. Niemand konnte
begreifen, wieso der Graf de Mora in Verdacht kam, Ketzerei getrieben
zu haben, wiewohl der erste Gedanke auf das schöne Königskind fiel,
die ihn vielleicht im Glauben wankend gemacht haben konnte. Die beiden
großen Maurenfreunde, der Herzog von Osuna und der Graf von Orgaz, an
die Hernando de Rojas mit dem Eifer seiner Freundesseele herangetreten
war, setzten sich bei der Königin vergebens für den Beschuldigten
ein. Auch Fernando wies auf die unangreifbare Macht der Inquisition
hin, an der selbst der Papst nicht zu rütteln vermochte. Die beiden
Granden versammelten heimlich viele andalusische Edle bei sich, aber
ihr rührender Rettungseifer scheiterte an der Furcht der Gemüter vor
den Nachstellungen des heimlichen Gerichts. Nur wie ein dumpfes Grollen
ging es von Palast zu Palast. Es war eine Schmach für den spanischen
Adel, der wehrlos der Entrechtung durch die Inquisition preisgegeben
war.
Ximenes war nach Toledo gereist. Leon durfte mit dem unbegrenzten
Vertrauen des Erzbischofs Wucher treiben. Das Machtbewußtsein leuchtete
ihm von der gelblichbraunen, vorgewölbten Stirn, es prägte sich in dem
scharfen Lippenzug aus, der seinem Gesicht heute eine ungewöhnliche
Härte gab, in dem eisigen Blick, der selbst die Mitglieder des Rates im
Innern frösteln machte. Wie konnte diese mitleidslose Seele die Sonne
fühlen, die draußen frühlingswarm über den rötlichen Steinkolossen
der Alhambra lag. Hier waren Kälte und Schatten zu Gast, die würdigen
Begleiter einer Handlung, bei der diese Menschen Gottes allerwärmende
Kraft als störend empfunden hätten.
In der Hand eines Mönches knisterte das verleumderische Papier des
Don Silvio, das Zeugenmacht erlangt hatte. Der Familiare wollte von
Chispazo, dem Diener des Grafen, allerhand verdächtige Äußerungen
gehört haben, die nun, sorgfältig niedergeschrieben, als wuchtiges
Anklageinstrument dienten. Da waren angebliche Reden über die
wohltätige Kraft des Korans zu lesen, es stand geschrieben, der Graf
sei selbst auf dem Gebetsteppich gekniet, er habe sich umständlicher
Waschungen befleißigt und habe über die Beichte abfällig gesprochen.
Auch die erfundenen Aussagen der Doña Leonore de Uceda lagen
wohlgeordnet auf dem Papier. Ihr eifersüchtiges Herz hatte sie in
Gift entleert. Der Unrat ihres Hasses war in drei Anklageblättern
aufgespeichert. Ein furchtbares Lügengewebe war verfertigt worden, und
es wurde als Netz um das Haupt des wehrlosen Menschen gelegt.
Ein Stuhl wurde gerückt. Der Inquisitor erhob sich. „Die Weisheit
dieser Welt ist Torheit vor Gott. Aber laßt uns dennoch versuchen,
weise und gerecht zu urteilen.“ Er gab dem Portero einen Wink. „Holt
den Inquisiten Don Pedro de Solar Grafen von Mora.“
Bald darauf öffneten sich die Türflügel, und der Graf schritt unter
der Hut zweier Alguaciles herein. Empörung, Leid und Kerkerhaft
hatten seine männlich schöne Gestalt gebrochen, doch versuchte er
sich aufrecht zu erhalten. In seinem Gesicht, blaß wie Gips, brannten
die Augen wie Wolfsleuchten, umgeben von grauen Höfen, den Zeichen
durchwachter Nächte. Seine Züge waren wieder wie einst streng und hart
geworden. Als er den Pater Leon vor sich sah, stockte sein Fuß. „Ich
will vor keinem befangenen Richter stehen,“ sagte er gelassen.
Leon sah die Beisitzer des Gerichts an. „Ich wüßte nicht, daß ich dem
Grafen je Gelegenheit gegeben, an meiner Unbefangenheit zu zweifeln.“
„Doch,“ erwiderte dieser. „Ich habe gegen Euern Willen ein maurisches
Mädchen verteidigt.“
Der Dominikaner lächelte. „So etwas vergißt sich schnell. Stimmt ab,
ihr Herren.“
Gleich darauf war es entschieden: Die Bitte des Grafen wurde abgelehnt.
„Weshalb steh ich hier?“ warf sich Mora selbst in den Strom des Verhörs.
„Vor allem seid gebeten, nur auf das zu antworten, was man Euch fragen
wird. Und schwört, alles geheimzuhalten, was Ihr hier sagen, was Ihr
hören werdet.“
„Soll ich hier so Ungeheures erfahren, daß Ihr es vor den Augen der
Mitwelt bedecken müßt?“ erstaunte der Graf.
„Darüber sind wir Euch keine Rechenschaft schuldig. Schwört.“
„So lege Euch Gott diesen Schwur auf Euer Gewissen.“ Er erhob die
Eidfinger.
Dann befragte ihn der Inquisitor über sein Leben und das seiner
Vorfahren. Mit Stolz bekannte er sich als Sohn des Grafen de Mora, der
nahe daran war, mit dem Sanbenito verflucht zu werden.
„Ich habe die Prozeßschrift Eures Vaters dieser Tage gelesen,“ sagte
Leon, „und es ist eigentlich ein laufender Prozeß.“
„Nicht abgeschlossen?“ fuhr Mora auf. „Er könnte also jeden Tag --?“
„Neu aufgenommen werden,“ nickte der Inquisitor.
„Der Tote kann sich nimmer verteidigen.“
„Aber die Lebenden können noch immer zeugen.“
„Ihr macht furchtbare Schlüsse. Und wenn man ihn schuldig erkennen
würde?“
„Könnten seine Gebeine den reinigenden Flammen übergeben werden.“
Der Graf wankte auf den Ketzerrichter zu. „Das -- kann -- nicht --
sein. Den Erdenrest verbrennen --?“
„Wir gehen weiter. Ihr habt dann ein Maurenmädchen kennengelernt, die
natürliche Tochter des ehemaligen Königs von Granada, die nunmehr
getaufte Doña Maria de Calabreña.“
Das bleiche Antlitz des Inquisiten rötete sich. „Ja,“ sagte er leise.
„Durch sie wurde ich der Mensch, der vor Euch steht.“
„Wir fragen Euch nun, ob Ihr allen Glaubensvorschriften nachgekommen
seid.“
Der Graf nickte stumm.
„So bekreuziget Euch und sprecht das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser
und das Ave-Maria.“
Don Pedro sprach alles mit klarer Stimme und mit der tiefen Überzeugung
seines gläubigen Herzens.
„Wißt Ihr die Ursache Eurer Verhaftung?“ fragte der Inquisitor.
„Nein. Ich weiß nur, daß ich dem König wertvolle Dienste geleistet,
daß ich tapfer vor dem Feind gestritten und nicht um Haaresbreite vom
Glauben gewichen bin.“
„Die Verdienste mag der König belohnen. Die Kirche muß sich Eurer
Sünden erinnern, mit denen Ihr Gott beleidigt.“
„Ich dachte, dafür sollte der Beichtstuhl dienen.“
„Eure Sünden überschreiten die Macht der Lossprechung. Wir ermahnen
Euch, alles zu bekennen, was Ihr auf dem Gewissen habt.“
„Ich habe nichts auf dem Gewissen,“ sagte der Graf seelenruhig.
„Wir ermahnen Euch zum zweitenmal, alles zu bekennen, was Ihr auf dem
Gewissen habt.“
„Ich habe nichts zu bekennen,“ erwiderte der Graf mit derselben Ruhe.
„So denket nach, ob Eure Seele nicht beschwert ist durch gewisse
Äußerungen --“
Da riß sich der Beschuldigte aus der Gelassenheit. „Zeigt mir den
Menschen, der mich verleumdet hat.“
Alle Mitglieder des Gerichts saßen unbeweglich mit gesenkten Köpfen da.
Der Graf wurde durch dieses Schweigen furchtbar erregt. „Ich will den
Menschen sehen. Ich war einst hart. Meine Härte kann mir Feinde gemacht
haben. Ich will ihre Namen wissen.“
Das Haupt Leons erhob sich langsam. „Wir ermahnen Euch zum drittenmal,
alles zu bekennen, was Ihr auf dem Gewissen habt.“
„Ich kann nichts bekennen, wenn ich nicht weiß, wessen man mich zeiht.“
„Bekennet!“
„Sagt, was ich getan haben soll.“
„Eben das sollt Ihr sagen.“ Es flog wie ein höhnender Pfeil in des
Grafen Brust.
„Gebt mir nur einen Anhaltspunkt, ihr Herren. Seid barmherzig, ihr
Herren, sagt mir, was man mir aufbürdet.“
„Ihr habt nie ketzerisch gesprochen und gehandelt?“
„Wann? Wo?“ entsetzte sich Mora.
„Eben das sollt Ihr uns sagen. Bekennet.“
„Ich kann nichts bekennen!“ schrie nun der Graf verzweifelt auf. „Ich
befolgte alle Gebote der Kirche, ich sprach alle vorgeschriebenen
Gebete, ich ging jeden Tag in die Messe -- wozu zwingt ihr mich, ihr
Herren? Ich kann nichts als die Wahrheit sagen.“
„Eben die wollen wir wissen. Sie steht schon auf diesen Papieren. Ihr
braucht sie nur zu bestätigen.“
„Ich kenne sie doch nicht, lest mir vor, was da steht.“
„Wir dürfen es nicht. Bekennet.“
Der Graf glaubte wahnsinnig zu werden. Er stand vor einem leeren
Nichts. Nun krampfte es sich aus seiner Brust: „Verflucht sei mein
Verfolger, sein Wesen vergehe vor Gottes Angesicht, der Teufel jage
nach seiner Seele, und alle menschliche Kreatur wende ihr Antlitz mit
Schaudern von ihm ab.“
Der Inquisitor starrte regungslos vor sich hin. Die Schauer des Fluches
webten sich vor seinem Auge um das Haupt der schönen Moriska zusammen.
„Fragt mich doch um des Heilands willen aus. Habe ich in der Anbetung
der Heiligen zuwenig Eifer gezeigt? Habe ich unbewußt Gott gelästert?“
Nur des Dominikaners Finger spielten mit dem Anklageblatt, sein übriger
Mensch blieb regungslos, so daß dem Grafen der Zorn im Herzen brannte.
Die zwei Patres nickten schläfrig vor sich hin. Endlich rekelte sich
Pater Leon aus seiner Starrheit. „Der Fiskal erhebe die Anklage.“
Der schwüle Rauch der Kerzen machte die Luft stickig, die lautlose
Stille legte sich wie ein unsichtbarer Druck auf die Brust des
Inquisiten.
Dumpf wie aus Erdentiefen tönte die Stimme des Fiskals: „Im Namen
des vom heiligen Gericht in Cordoba bevollmächtigten Tribunals in
Granada! Don Pedro de Solar Graf von Mora, daselbst geboren im Jahre
des Herrn Eintausendvierhundertsechzigundacht, Ritter des Ordens von
Santiago de Compostela, Hauptmann der königlichen Wache in Granada,
wird beschuldigt und ist durch Aussagen überführt, in Dingen des
katholischen Glaubens zu wanken und durch Äußerungen verschiedener
Art gegenüber glaubwürdigen Personen dargetan zu haben, daß er den
christlichen Glauben mißachtet und Gottes heilige Gebote übertreten
hat. Er hat gesagt, er wisse von Gottes heiliger Dreieinigkeit wenig
oder nichts. Er hat den Propheten Mohammed einen großen Mann genannt
und behauptet, Jesus Christus sei nicht der Sohn Gottes gewesen --“
Der Graf greift mit den Händen nach der Stirn. „Seid Ihr -- wahnsinnig?
Oder bin ich es?“
Ungerührt schnarrte die Stimme des Fiskals: „Auch sagte er, Jesus sei
ein Prophet und die Hostie ein unscheinbares Ding, und er schüttelte
den Kopf, wenn man davon sprach. Er las mit einer gewissen Person
den Koran, besonders die Suren vom Paradies und nannte des Propheten
Religion erhaben, lobte auch die Art der Moslims, vor Gott auf dem
Gebetsteppich zu knien, ja, er kniete auch selbst auf diesem Teppich,
mit dem Gesicht nach Mekka gekehrt. Er hat über die Beichte abfällig
gesprochen und sich regelrechter Waschungen nach islamitischer Art
befleißigt. Dies alles beweist die Verleugnung des alleinseligmachenden
katholischen Glaubens, wenngleich der Graf äußerlich noch in dessen
Lehren beharrt. Über alles dies richte das heilige Offizium. Das
Vermögen des Inquisiten wurde vom Sequestrado bis zum Ausgang des
Prozesses beschlagnahmt. Das heilige Tribunal von Granada im Namen des
Inquisitoriats von Cordoba.“
Durch die Stille hetzte der Atem des gemarterten Grafen. Seine Augen
starrten ins Leere, in seiner Brust wogte ein furchtbares Chaos.
Lüge, Haß und Niedertracht warfen ihn zu Boden, seine Ehre lag im
Staub, Bösewichter spielten Fangball mit ihr, Hyänen verkrallten sich
in seinen wehrlosen Leib, um ihn auszusaugen und aus dem Reich der
Lebendigen zu stoßen. Und über den Köpfen dieser Teufel, die Kläger
und Richter in einer Person waren, leuchtete Christi unbeflecktes
Sterbekreuz, und der Herr sah seinen Jammer und stieg nicht herab,
seine satanischen Widersacher zu zermalmen. Warum fuhr er nicht wie
einst mit der Geißel unter die Tempelschänder? Schändeten diese nicht
auch sein Heiligtum, sein Herz, seine Lehre? Er wollte sich mit der
Inbrunst eines herzaufwühlenden Gebetes vor das Kreuz niederwerfen, um
ein Wunder zu erflehen. Aber da klang schon die Stimme des Inquisitors
an sein Ohr. „Wollt Ihr nun bekennen, Graf de Mora?“
„Nun bekenne ich feierlich vor Gott und den Heiligen, daß alles erlogen
ist, was hier geschrieben steht. Die Erde verschlinge meine Feinde wie
einst die Rotte Korah.“
„Wir ermahnen Euch zum letztenmal: Bekennet!“
Der Graf keuchte in die furchtbare Stille und schwieg.
„So wird die barmherzige Kirche jammern müssen über Euch und das Leid,
das sie Euch anzutun gezwungen sein wird. Sie weinet über Euch und
ist fassungslos über Eure Reuelosigkeit. Aber wie sagte Innozenz?
Demjenigen, der Gott keine Treue hält, soll auch keine gehalten werden.
Oh, bei Christi allerbarmender Liebe beschwören wir Euch: Bekennet, daß
wir gegen unsern Willen nicht gezwungen werden, Euch zu zwingen. Ihr
unterschätzt vielleicht die uns von Gott gegebene Macht.“
„Es ist die Macht, die ihr euch selbst genommen!“ rief der Graf mächtig
aus.
„Schreibt das auf, Pater Diego, die Kühnheit verdient festgehalten zu
werden. Ihr wollt also nicht bekennen?“
Da schleuderte der Graf seinen Peinigern das Feuer seiner Empörung in
die entsetzten Gesichter. „Ich bekenne nichts -- aber ich erkenne,
daß ihr Vernunft und Gefühl gemordet habt, daß die alte Freiheit der
spanischen Granden vor der Glaubenstollheit eurer Mönche im Staube
liegt, daß ihr das von Gott ins Herz geschriebene Gesetz leugnet, daß
ihr aus eures Vaters Haus eine Mördergrube gemacht habt, daß euer
Werkzeug das Entsetzen, eure Waffe Gift ist, und daß euer Rasen weder
vor Lebendigem noch Totem stillhält. Ich erkenne, daß die sanfte Glut
der Religion unseres Nazareners durch haßverwirrte Priester zu einem
verzehrenden Feuer entfacht wurde, das tausend Herzen verbrennen soll.
Grimm und Wut heißen eure Helfer, die die Christenlehre zerbrochen
und dem Prophetenglauben ewigen Krieg angesagt haben. Ihr lehrt den
menschenliebenden Sohn Gottes hassen, indem ihr in seinem Namen
Missetaten verübt. Dann will ich lieber Götter ehren als einen Gott,
dessen Reichsverweser Teufel sind.“
Leon war kreidebleich geworden. Die Griffel der Schreiber flogen über
das Papier.
„Ihr könnt Euch selbst nicht mehr verteidigen, denn Eure Zunge raset,“
sagte der Inquisitor. „Wollt Ihr nun einen Abogador[3] anerkennen?“
[3] Abogador = Rechtsanwalt.
Der Graf schüttelte den Kopf.
„Höret, Graf de Mora. Wir züchtigen Euch nur um der übrigen Menschen
willen. Diese leben sicherer, wenn sie wissen, daß das Böse von Euch
genommen. Tut Buße, daß Euch die Kirche wieder aufnehmen kann in
Gnaden. Die Strafe ist keine Freude für uns. Tut Buße!“
„Ich habe nichts zu büßen. Wohl habe ich mich über die Schwachheit der
Mauren erbarmt, aber nie war ich Verteidiger ihres Glaubens. Es war ein
Engel Gottes, der mich das Mitleid lehrte, gesandt, um mir die Augen zu
öffnen. Ja, dieses Mädchen war die Mittlerin der Duldung.“
„Schreibt das nieder, Pater Diego.“
„Schreibt es nieder und setzt dazu: Sie erschloß mir die Weisheit ihres
Propheten, ehe sie Christin wurde.“
„Sie ist es nicht mehr,“ wehte es eisig von den Lippen Leons.
Da erschrickt Don Pedro de Solar bis ins Mark. „Sie -- ist
zurückgekehrt -- zum alten Glauben?“
„Noch nicht. Aber der Kirche erbarmender Arm hat sich ihrer auf dem Weg
dahin als Ketzerin bemächtigt.“
„Sie -- ist --?“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Graf den
Priester an.
Dieser nickte sein entsetzliches Ja.
„Reija gefangen! Reija! Reija!“ Schreck, Zorn, Wut brauen sich in
seinem Herzen zu einem gräßlichen Pandämonium zusammen. Seine Arme
taumeln wie zuckende Schlangen in die Luft. „Gesetz -- Menschlichkeit
-- alles dahin! Umnachtet die Vernunft! Die Blume zertreten, deren Duft
jedes Herz mit Wonnen erfüllt -- zerrissen ihre Brust, die nur für
Liebe schlug -- von Priesterhänden geknickt -- o Henker -- blutsaugende
Henker!“
Da rief Leon nach dem Knebel. Des Grafen ergrimmte Fäuste warfen die
Alguaciles rechts und links nieder. „Gottschändende Teufel! Schergen
des Satans! An dieser Liebe sättigt sich euer Haß und die Glaubenswut
eurer verruchten Hirne! Die haben sie aus der Hochliebe Christi
herausgestoßen und zurück in die blühende Welt, aus der sie kam und
die ihr Sünde und Irrglauben nennt. Wehe, wenn ihr diese martert! Wenn
ihr die Unschuld in brennende Gewänder hüllt, wenn in Glut aufgehen
soll, was Gott in seinem Schöpferwillen zur Freude geschaffen! Hört es,
Dominikaner! Brennt dieses Mädchens Wunderleib anklagend zum Himmel,
dann entzündet ihre Glut ein ganzes Volk, und alles, was diesen Brand
im eignen Herzen fühlt, wird sich wie ein einziges Feuermeer erheben
und euer mönchisches Gezücht niedersengen, bis eure Asche sturmverweht
in alle Lande fliegt!“
Die Mönche zittern. Leon allein ist furchtlos. „Die Wache!“
Fünf baskische Bären im Panzer stürzen herein und umringen den Grafen.
Die schäumende Kraft des Ebers ist gebrochen. Seine Augen rollen noch
im nachbebenden Zorn, aber im Gefühl der eigenen Machtlosigkeit bricht
sein letztes Wehren zusammen. Verkämpft hängen die Arme an den Lenden
herab, sein Kopf fällt auf die Brust, und durch sein Hirn braust ein
Strom müder Gedanken -- Leon, Reija, Kerker, Teufel, Flammen, Koran,
Jesus, Tanz -- alles wirbelt zu einer zähen, breiigen Masse zusammen
und ergießt sich, Gefühle und Gedanken erstickend, in sein Inneres.
Inmitten der klirrenden Panzer wankt er hinaus. Hinter ihm knarrt
heiser die Tür.
Pater Leon steht bleich, aber gefaßt da. „Ihr habt diese Zunge, das
prahlende Organ eines gottverfluchten Herzens, gehört. Sie könnte
leicht tausend entzündbare Herzen vergiften, zu denen sie spricht.“
„Eine solche Zunge verdient nicht, lebendig zu bleiben,“ entsetzte sich
gehorsam einer der Dominikaner.
„Die Überzeugung unseres göttlichen Rechtes ist ein Festungsbau, den
stärkere Kanonen stürmen müßten,“ sprach siegessicher Pater Leon. „Oder
sollte der heilige Augustinus, der große Leon und die Kirchenväter
unrecht haben, die um der Lehre des alleinseligmachenden Glaubens
willen den Ketzer vertilgt wissen wollten? War nicht Gott selbst der
erste Inquisitor, als er Adam und Eva aus dem Paradiese trieb? War
nicht jenes Tierfell der vertriebnen Menschheit das erste Sanbenito?
Erschreckt nicht vor dem Hochmut der Ketzerzunge. Wer nicht mit
mir ist, der ist wider mich. Und wer nicht in mir bleibt, sagt der
Evangelist Johannes, wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt,
und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, daß sie verbrenne.“ Er
verhüllte in geheucheltem Schmerz sein Haupt und sagte: „So bereitet
denn für morgen die Folter. Doch gebt dem Inquisiten vorher den süßen
Wein von Almontillado zu trinken, daß er sich stärke. Wenn er wieder
tobt, gebt ihm die Mordaza, den Knebel.“
Da erhob sich einer der Konsulatoren. „Vom Standpunkt des königlichen
Gesetzes erachten wir, daß der Inquisit ein Bekenntnis abgelegt und von
der Folter abzusehen wäre.“
„Noch hat er nicht bekannt,“ entgegnete der Inquisitor, und die Mönche
nickten.
„Seine Anklagen und Verunglimpfungen des heiligen Offiziums gleichen
einem Bekenntnis.“
„Wir haben nicht Verunglimpfungen abzuwehren, die Kirche will den
Sünder reuig und geständig wissen. Don Pedro de Solar Graf de Mora muß
bekennen: Christus ist mein Leben, und Sterben mein Gewinn.“
In die Unmenschlichkeit dieser Herzen wehte das heilige Wort, ohne
sie von der Besessenheit zu erlösen. Gnadenlos übergaben sie alle den
‚Feind Gottes‘ der körperlichen Qual.
Dreiunddreißigstes Kapitel
In der Nähe des Elviratores stand das Gebäude des Inquisitionskerkers.
Ringsumher leuchtete es vom buntgesprenkelten Grün der Frühlingsgärten.
Aber von der lodernden Pracht Gottes fiel kein Schimmer in die
Düsterheit des Gefängnisses. Geruch wie von verfaultem Stroh, dunkle
Gänge, sonnenlose, kleinfenstrige Zimmer, Mauern, aus denen es feucht
hervorquillt, tappende Schritte der Wachen, eintönig und schwer,
Gefluche aus irgendeinem Kerkerloch -- so sieht der Ort aus, wo jetzt
ein Königskind schmachtet. Das Zimmer der Doña Maria de Calabreña war
freilich reiner und heller als die andern, aber außer einem einfachen
Lager, einem Stuhl und einem Tisch war nichts vorhanden. Wenn Maria den
Tag verweint hatte, schreckte sie am Abend der wehklagende Gesang ihrer
Sklavin Saffana auf, die schmerzerfüllt in der Straße vor dem Gefängnis
umherlief und um ihre Herrin schluchzte. Dann hörte Maria, wie Soldaten
die Getreue vertrieben.
Trotz der guten Behandlung und Verpflegung zerbrach die Verzweiflung
ihren Körper, der schmäler und magerer wurde. Sie getraute sich nicht,
nach mohammedanischer Art zu beten, obwohl sie nach der alten Weise
lechzte, die ihr Leben einst freundlich behütet hatte.
Umsonst fragte sie nach dem Schicksal Don Pedros de Solar. Und
sie fragte bei Gott an, was sie denn mit ihrer übergroßen Liebe
verschuldet, um so leiden zu müssen. Es blieb still in der unsichtbaren
Höhe. Und da hatte sie Mühe, ihre Sinne zu bewahren.
Ein dunkler Abend nach einem hilflos verjammerten Tag. Schweißgequält
liegt Doña Maria auf dem Lager. Sie versucht sich wieder Gott zu
nähern. „Vor deinem Willen ist meine Einfalt ein schwaches, krankes
Ding. Reiche mir den Wein der Erquickung, laß deine Engel ins Horn
stoßen, daß sie die schrecken, die an ihm und mir sündigen.“ Von
Wahnvorstellungen gepackt, warf sie den Kopf empor. „Ich sehe Schilde,
funkelnde Schwerter -- Gottes goldne Engel steigen herab -- Engel --
Engel --“
Da knarrte die Tür. Vor der Gefangenen stand der Vikar Pater Leon.
Marias Verzückung verlosch wie die Flamme unter dem Wassersturz. Mit
weit aufgerissenen Augen starrte sie den Herrn über ihr Schicksal an.
„Die barmherzige Kirche schickt Euch den Friedensgruß des Apostels.
Ängstigt Euch nicht, Doña Maria.“ Er setzte sich zu ihr auf den Rand
des Bettes. „Wollt Ihr nicht beichten?“
Wie gelähmt saß sie da, alles Denken in ihr mußte erst in Fluß kommen.
„Ob Ihr beichten wollt?“
„Mann -- o Mann Gottes -- was hab’ ich denn begangen?“ quälte sie ihr
Leid heraus.
„Mein Amt ist schwer, Doña Maria. Der Inquisitor lebt von seinem
glaubenstreuen Herzen. Ich mußte so handeln nach Euern ketzerischen
Worten, die wie Gift von Eurem Munde tropften. Noch ist die Anklage
nicht aufgesetzt. Bittet Euern guten Engel, daß er Euer Gewissen
stärke und Euch ruhevoll in die Arme der Kirche zurückführe.“ Und er
berührte ihre verschluchzte Schönheit mit seinen versuchenden Blicken,
unter denen sie zusammenzuckte. Schwer ging sein Atem. Der natürliche
Wohlgeruch ihrer Haare schlug in seine Sinne, und die Angst, die
in ihrem zarten Busen furchtbare Wellen warf, machte sie ihm noch
begehrenswerter. Dieses Alleinsein mit ihr brach seine Vorsätze der
Gerechtigkeit entzwei. Über Schläfe und Ohr hingen ihr die verwirrten
Strähnen herab, und immer wieder durchschauerte Leon der Duft von
Fleisch und Sünde, der von ihrer goldbraunen Haut ausging. In dieser
Mönchsbrust fieberte die auf den Sprung gestellte Leidenschaft. Nur ein
Rest von anerzogener Geistlichkeit hemmte noch das Tier in ihm. Zudem
war er vor zwei Tagen in den Armen der bezwungenen Leonore de Uceda
gelegen, die ihr Wort eingelöst. Sie hatten zusammen ein Liebesmahl
gefeiert, das keinem christlichen Agape geglichen hatte. Noch schlugen
die Wogen der durchtaumelten Stunden an sein Herz, und er mußte erst
darin Raum schaffen für den neuen Reiz der Sinne. Hier empfand er eine
Gegensätzlichkeit kostbarster Art. Nach dem goldnen Blond des verküßten
Hauptes lockte dieses nachtschwarze Haar mit ganz anderer Gewalt. Es
erschien ihm wie ein magisches Netz, von dämonischen Kräften gewebt und
bestimmt, ihn in Versuchung zu führen. Aber er gab sich nicht die Mühe,
schon dem Gedanken dieser Versuchung zu widerstehen. Sammelnd ließ er
die Blicke über die Schönheiten ihres Körpers gleiten.
„Wenn ich unwissentlich Böses begangen, wenn ich gestrauchelt im neuen
Glauben, so verzeiht mir doch!“ klang ihr rührendes Bitten in seine
verruchten Gedanken. „Der König hat doch befohlen, uns Moriskos zu
schonen --“
„Und hat diese Schonung selbst nur ungern geübt. Er hat in Malaga die
Moriskos, die in ihren alten Glauben zurückgefallen waren, verbrennen
lassen.“
Sie schrak zusammen. „Das -- könnte er -- wieder tun?“
Der Mönch zuckte die Achseln. „Der Mauren Halsstarrigkeit enthebt ihn
der Milde.“ Sein Blick pfeilte auf ihren Fuß.
Sie bemerkte es, und von Grausen gepackt, schob sie unwillkürlich ihren
Leib etwas von ihm weg. „Was habt Ihr -- mit dem Grafen -- gemacht?
Habt Erbarmen mit mir -- Ihr müßt es wissen. Was ist sein Schicksal?“
„Bewundernswerte Liebe, die nicht nach dem eignen Schicksal fragt. Ich
sehe, Ihr leidet mit ihm, wie er mit Euch.“
„Er fragte nach mir?“ loderte sie auf.
Der Vikar nickte. „Und band Euch sein Schicksal auf die Seele.
Ihr könnt es erleichtern. Zum erstenmal breche ich das Verbot der
Inquisition, indem ich Euch Nachricht von ihm gebe. Er dauert mich wie
Ihr.“
„So ändert unser Schicksal.“
„Das wird schwer sein, ohne das heilige Offizium bloßzustellen. Es irrt
nicht gern vor der Öffentlichkeit.“
„Und deshalb, Priester -- müssen wir -- unschuldig leiden?“ Sie warf
mit aufgerissenen Augen ihr Entsetzen vor ihn hin.
„Ihr leidet nicht unschuldig. Eure Seele ist vom alten Glauben
verpestet, Eure Worte damals waren wucherndes Unkraut in der reinen
christlichen Saat, die ich in Euer Herz gelegt hatte.“
„O Herr und deine Engel! Alles, alles nehme ich zurück, wiewohl ich ja
gar nicht weiß, was ich gesagt habe.“
„Man wird es Euch beim Verhör vorhalten. Aber -- es treibt mich noch
ein anderes zu Euch, Doña Maria.“ Sein Ton wurde gedämpft. „Ihr habt
in meinen Händen ein leeres Blatt Papier zurückgelassen, das von einem
Schatz Eures Vaters sprechen soll.“
„Ihr habt es mir genommen, als ich ohnmächtig von Euch geschleppt
wurde.“
„Damit es nicht Unheil in fremden Händen anrichte. Sagt mir den
Schlüssel zu dem Geheimnis.“
„Bis Don Pedro de Solar und ich frei sind.“
„Ihr habt leider kein Recht mehr, solche Bedingungen zu stellen.“
„So erfahrt Ihr nichts,“ sagte sie hart.
„Das tut mir um Euretwillen leid. Auch stünde es in diesem Falle
schlecht um den Grafen de Mora.“
„Warum ihn büßen lassen, was ich verschulde?“ jammerte sie auf.
„Er wird um das Geheimnis wissen --“
„Er weiß nichts,“ beschwor sie in namenloser Angst.
„Wir haben Mittel, ihn zum Sprechen zu bringen. Wollt Ihr ihn leiden
sehen, wiewohl Ihr helfen könntet?“
„Ihr wollt ihn --? Ha! Adhab! Die Folter?!“ Der Entsetzensschrei jagte
wie ein Sturmstoß aus ihrem Innern. Und dann quollen die Tränen wie
glühende Lava aus ihren Augen.
Unerbittlich peinigte der Mönch. „Und Ihr werdet dabeistehen müssen,
und seine Qual wird Euch das Herz zerreißen.“
„Er kann doch nichts gestehen, weil er nichts weiß,“ wimmerte sie.
„Er wird nicht lange widerstehen können.“
Doña Maria wand ihren Leib in Qualen. „Und wenn ich Euch das Geheimnis
verrate, ist er -- frei?“
„Das hängt noch von manch anderm ab. Die Inquisition irrt nicht gern,
sagte ich. Man müßte mühevoll neue Gründe suchen, ihn zu entlasten.“
„Ihr habt Gründe gefunden, ihn schuldig zu machen, Ihr werdet Gründe
finden, ihn wieder schuldlos zu sehen. Wollt Ihr meines Vaters Schatz
haben? So müßt Ihr mir denn bei Gottes Dreieinigkeit versprechen, ihn
und mich freizugeben. Wir kehren Spanien den Rücken, ziehen übers Meer,
um Euch nicht mehr zur Last zu fallen.“
„Der Wille der Inquisition ist eine Macht, die auch auf Entfernungen zu
wirken vermag.“
„O gräßliche Macht der Christenliebe!“ rief Maria verzweifelt aus.
„Sie scheint nur gräßlich, doch sie behütet den Friedfertigen vor den
Tücken des Ungläubigen.“
„Bei dem Erbarmer, der uns alle richten wird -- helft mir, guter,
lieber Pater -- versperrt uns nicht die Pforten der Seligkeit.“ Sie
schluchzte ihre Qual in seine Hände hinein, so daß ihr gebeugter
Nacken, von den schwarzen Locken umringelt, vor seinen saugenden
Blicken lag.
„Euch und ihm kann geholfen werden,“ sagte der Mönch leise, von den
Schauern der selbstgenährten Hoffnung bewegt.
Ihre tränenverglänzten Augen lechzten nach seinen Lippen, von denen das
erlösende Wort kommen sollte.
„Hört. Morgen wird er in die Folter gelegt.“
„Herr über den Sternen!“ Mit einem langgezogenen Wehlaut sank ihr Haupt
auf die Brust.
„Nur blutenden Herzens legt ihm die Inquisition die Qual auf. Man
schleppt ihn von Marter zu Marter. Man wird seine schönen Glieder
strecken auf der Escalera und ihm die Toca, den wassergefüllten Knebel,
in den Mund stecken. Er kann sich glücklich schätzen, so zu leiden,
denn es sind die Passionswerkzeuge des Herrn, unter denen er seufzt.“
„Henker -- das alles -- um Christi willen?“
„Die Garrucha wird ihm die Gelenke zerbrechen --“
Da warf Maria ihren Leib an seine Brust. „Teufel -- was soll ich dir
geben, um ihn zu retten? Das Gold des Tibar? Den Phönix von Damaskus?
Soll ich dir den Atlas durchwühlen, daß deine Hände satt werden?“
Mit bebenden Händen hielt der Dominikaner ihren Kopf, das herrliche
Beutestück seiner Jagdkunst. Er sah in ihm des Teufels Versucherstück,
dem seine Verderbtheit doch nicht mehr widerstehen konnte. Pflicht,
Mitleid, Priesterhoheit und Menschlichkeit versanken in den Abgrund
der Verruchtheit. Sein keuchender Atem jagte wie Glutwind über ihre
angstgespannten Augen hin, und seine Knie bohrten sich in wühlender
Wollust in ihre zitternden Schenkel. „O speise mich Hungernden und labe
mich Dürstenden,“ würgte er stöhnend heraus -- „mit diesem deinem Leib
speise und labe mich! Engel werden Wache halten bei dem Brautbett der
Liebe!“
„Rasender -- wenn ich schreie!“ lohte ihre Angst auf.
„Dann bringt dich die Wache als tobsüchtig in einen strengern Kerker.“
„O welche Mutter gebar dich, Teufel? Welcher Auswurf zeugte dich? Ich
schreie mich unter deinen Griffen zu Tod.“
Er hielt ihre Hände fest. „Ich flehe zu dir, ich, hörst du, schöne
Gazelle, ich, der Inquisitor von Granada -- mit jedem deiner
Angstblicke wirfst du eine feurige Lohe in mein Gebein!“ Er schleuderte
seinen Leib vor ihre Knie hin und zuckte mit den Händen nach ihren
Gliedern. „O stärke mich Ausgestoßenen von der Tafel mit den Wonnen
deiner Schönheit, gib mir die Brosamen deines Reichtums, den ein
anderer genoß, laß mich nur nippen an dem Becher, der für den
andern überquillt -- o diese Augen, erfüllt von dem Glanz trunkener
Liebesnächte -- diese Lippen, hergeschenkt in Küssen der Wollust,
blutend von der Hingabe an ihn -- reich’ mir den letzten Rest, den
deine Seele aufzubringen vermag, oder fülle sie mit neuer Gier und
brennenden Wünschen -- sieh, ich will deinetwegen alles von mir werfen,
was priesterliches Gebot in mir zur unerträglichen Last aufgehäuft hat,
ich weiß Mittel, dir zu dienen und dein Herz mit Freude zu erfüllen,
ich will mich kreuzigen lassen von dir, wenn es deine wilden Wünsche
begehren --“
„O Mensch -- Tier -- Sohn der Nacht und der Verdammnis -- wofür hältst
du mich?“ In ihrem Auge starrte das Grauen.
„Du sollst die süßeste Nonne werden und auf den Pfühl höchster Wonnen
steigen. In den wilden Bergen von Monserrat zwischen den steinernen
Wächtern der Felsen liegt ein Kloster, wo ich Aufnahme finden kann.
Es ist kein Grab, in das ich steige. In der Nähe des heiligen Retiro
liegen die einsamen Nonnenzellen der Büßerinnen in Fels gehauen.
Neben dir starrt der Totenkopf, das Sinnbild der Buße, und dein Geist
atmet Gottes Odem; aber auch mir bist du nahe in deiner schönen
Menschlichkeit, ich besuche dich täglich, deines Herzens heimliche
Beichte zu hören, und schmücke dich heimlich mit Rosen, den Sinnbildern
der Liebe, und kommt die Nacht, dann trage ich dich vor den Altar
Gottes und beschwöre das Vermählungswunder herab im Wehen des Herrn. So
wie der Busch auf Horeb in Flammen stand und doch unverletzt blieb, so
wird auch deine Reinheit in den Flammen der Priesterliebe unverletzt
bleiben.“
Seine glühenden Worte fielen auf ihr wundgepeitschtes Herz wie
brennende Pfeile. „Satan -- fürchtest du denn nicht meinen anklagenden
Schrei vor dem heiligen Tribunal?“
Leon malmte unverständliche Worte zwischen den Lippen. Sein Blick
wich schief in eine Ecke aus. Dann sammelte er seine zerstückelten
Gedanken. „Man wird dich für wahnsinnig halten -- Weib, du kennst unsre
Unfehlbarkeit nicht. Beuge dich vor ihr, sonst brichst du zusammen.
Ein Wimpernzucken von mir wirft dich in das dunkelste Gelaß, wo deinen
Geist der Wahnsinn zerstückelt.“
Das Entsetzen rollte ihren Leib zusammen. Finstre Flügel schlugen um
sie, und sie fühlte den dampfenden Hauch des Peinigers über ihren
Nacken wehen. „Ich -- will -- dir -- meinen Leib -- morgen -- geben --“
„Morgen liegt Don Pedro de Solar auf der Folter -- hab keine Angst --
die Wache hält am fernen Ende des Korridors --“
„Und wenn ich dir alles gebe -- ist Don Pedro -- frei?“
Der Mönch nickte schwer mit geschlossenen Wimpern. Hinter der hohen
Stirnwand lauerte schon die Tücke. Er griff in sein Kleid, und in
seinen Fingern raschelte Pergament. „Hier trage ich den Freibrief für
dich. Dein Wille gibt dir die Freiheit. Mit diesem Brief kannst du
unbehindert die Wachen passieren.“ Sein Atem keuchte ganz nahe an ihr.
Reija überlief es wie heißer Wüstenwind. Freiheit! Ihr Auge loderte
auf. „Gib mir den Brief!“
„Bis dein Leben und Lieben mein ist!“
Sein Gesicht war von Leidenschaft zerrissen, die Finger zuckten,
keuchend wand er seinen Leib vor ihr und flehte mit unartikulierten
Worten, in denen die bis zum Sieden gesteigerte Brunst röchelte, um
Erhörung. Sein Mund fieberte nach dem Salz ihrer Tränen. „Gib -- gib
-- sonst fordere ich deine nackte Schönheit anders vor meine Blicke!
Willst du dich sehen im Sanbenito mit der Coroza auf dem Kopf, den
Strick um die Hüften, hinter dem grünen Kreuz zur Verdammungsstätte
wanken? Willst du dich stehen sehen am Pfahl gebunden auf dem Quemadero
als Herege condenado, zu deinen Füßen das Holz geschichtet?“
Ihre Qual wimmerte aus der geschnürten Brust.
„Und doch entginge mir der Anblick deiner herrlichen Blöße nicht, denn
ich müßte dich vorher auf die Escalera spannen lassen --“
„Würger -- mich foltern lassen -- eine Königstochter?“
„Weltwürden sinken in den Staub vor unsrer Macht. Und wolltest du
deinen Leib auch in den Mantel deines Haares hüllen wie jene heilige
Agnes, die Henkersknechte würden diesen Mantel versengen, bis deine
Brüste vor uns dampfen.“
Maria perlte der Schweiß von der Stirn, aber sie spürte, wie die
Verzweiflung Kräfte in ihr auszulösen begann.
Noch glaubte der Dominikaner seelische Gewalt über sie zu haben. „Du
zögerst noch? Glaubst noch zu entkommen? Wir jagen dich in verwirrende
Fragen, in Widersprüche, denen du nicht gewachsen bist, und dann bleibt
nichts übrig als die Folter -- gemeine Augen werden sich an deiner
entkleideten Schönheit weiden -- oh, es ist nicht auszudenken, Perle
meines Herzens --.“ Er würgte seine Tierheit heraus, jeder menschliche
Gedanke zerbrach. Er hörte nicht das Zähneklappern und Heulen der
Hölle, er sah nicht, wie sich in dem gepeinigten Weibe, das er schon
sein wähnte, die Kraft zur Rächerin und Richterin gebar. Mit dem
trunknen Gang des Brünstigen näherte er sich ihr. „Der Löwe -- der die
heilige Martina zerreißen sollte -- küßte ihr die Füße -- laß mich die
deinen küssen -- komm -- komm -- das Eis deiner Tugend soll das Feuer
meiner Leidenschaft schmelzen -- Delila!“
In dem heftigen Ringen um ihren Besitz hatte sich sein Kuttenstrick
gelöst und flatterte nun mit einem Ende zu Füßen der Gemarterten hin.
Da weiten sich ihre Augen -- gräßliche Gedanken springen sie wie
Hyänen an -- in ihr wächst es empor, steigt zum Herzen, zum Hirn --
wie Skorpionenstiche brennen die Küsse auf ihrer Haut -- da wird ihr
Fuß zur Waffe, er hebt sich empor -- schleudert sich auf die Natter --
„Delila über dir!“
Leon taumelt -- fällt -- und wie zwei lechzende Flammen greifen Reijas
Arme nach dem Strick -- werfen ihn um den Hals des stöhnenden Tiers
-- mit geschlossenen Augen zieht sie würgend die Schnur zusammen. Ein
grauenhaftes Gurgeln, das ihre Ohren zu zerreißen droht -- „Meduse --
Me--du--se --“ Dann Stille -- herzmarternde Stille. Endlos rinnt die
Zeit durch die Pulse der Würgerin ... Gelenke und Muskeln beginnen zu
schmerzen -- die Stille geht in ein Sausen über, das ihre Hirndecke
zersprengen will -- ihr ist, als zöge jemand an ihrem eigenen Hals ein
Tau zusammen --
Da öffnet sie die Augen. Im matten Lichtgerinsel der Kerze sieht sie
das Untier verendet liegen. Ihre Gedanken dehnen sich. Ist das nicht
Iblis, der Höllengeist? Funken wirbeln vor ihren Pupillen -- sie
greift langsam nach dem Körper -- sein Gesicht ist verzerrt, um den
wollüstigen Mund geifert noch der Schaum, die Nase ist spitzer denn
sonst, die Augen sind gläsern starr -- der Anblick schauert in ihr
Gebein. Da steigt es groß in ihr auf: Zittre nicht -- du hast einen
Wolf getötet. Was du sprichst, hallt in einen toten Leib -- du darfst
sagen, wie du ihn gehaßt und gefürchtet, und er wird mit keiner Wimper
mehr zucken. Seine Seele flattert dunkelwärts den Riesenschatten
Sukuums entgegen -- der Scheitan reißt ihm die Glieder ab -- er war
ein Fethin, ein Verführer -- ich habe mich gegen die Pranke der Hyäne
gewehrt. Er zerbarst wie der Drache Daniels an seinem Gift.
Sie wirft trotzig den Kopf in den Nacken zurück, als wollte sie die
Angst damit verjagen. Nun werden sich seine gierigen Hände mit Erde
füllen und Granada -- nein, die Welt ist von Iblis, dem irdischen
Teufel, erlöst. Ihre Rachegedanken liegen wie in einem stillen Gebet
erstarrt.
Da reißt sie ihren Leib empor. Im nächsten Augenblick können sie sie
greifen. Vor ihren Augen zucken blutige Martern auf -- die heilige
Agatha mit den abgeschnittnen Brüsten -- oh, wenn christlicher Haß auf
ihre blühende Schönheit spränge! Sie schreckt empor. Auf ihrer Zunge
liegt salzigwarmer Blutgeschmack, den sie ausspeien muß. Noch ein
kurzes Munadschat jagt sie himmelwärts. Handeln, handeln! schreit der
gute Gott in ihr. Ich werde ihnen sagen, er wollte mich schänden, und
ich habe ihn erwürgt. Wer wird mir glauben? Man wird dem Toten mehr
glauben als der Lebendigen.
Sie läuft zur Tür und lauscht hinaus. Draußen unheimliche, eingefrorene
Stille, die den Atem erstickt. Kein Schritt der Wache.
Da flüstert ihr Gottes Engel zu: Den Freibrief! Der Gedanke reißt sie
zu Boden, dicht an die Seite des toten Menschenklumpens. Sie zerrt das
rettende Papier aus seiner Kutte, und ihre Augen glühen die spanischen
Buchstaben an. Freiheit! Freiheit! Sie steht mit wildjagenden Brüsten
da und horcht in das schwüle Nichts. Ihr ist, als stünde sie in einem
Grab. Sie legt zitternd dem Toten die Hände auf der Brust zusammen,
langsam, ganz langsam, als fürchtete sie sich, die steifen Finger
zu zerbrechen. Nun schreitet sie zur Tür, ihre Haltung strafft sich
mählich, ihr Körper wächst -- sie öffnet die Tür, versperrt sie hinter
sich und taucht in das Halbdunkel des Korridors.
Aus einem trübselig erleuchteten Winkel eilt der Wächter herbei. Reija
weist ihm furchtlos den Freibrief.
Der Soldat prüft Siegel und Unterschrift und nickt. „Don Leon?“ fragt
er kurz.
„Betet für mich in meiner Zelle und will nicht gestört werden.“
Bedächtig nickt der Wärter und tappt schwerschrittig nach der
Tür. Unterdessen steigt Reija mit gezwungener Gemessenheit die
nächste Treppe hinab, an einzelnen Wachen vorbei, denen sie das
Entlassungsdokument zeigt. Man läßt sie unbehelligt durch. Im Schein
trüber Öllampen liegt der Kerkerhof vor ihr. Wieder Wachen. Da vorn
ein Tor. Die letzten zwei Posten lassen sie unbedenklich passieren.
Reijas Herz rast in wildem, zerstörtem Takt, und bleierne Gewichte
zerren daran. Sie kann es nicht fassen, daß sie auf einmal auf der
Straße steht. Vor ihr starren die bekannten Mauern des Elvirators.
Hinter ihr liegt das Haus des Grauens, über ihr ein sternfunkelnder
Nachthimmel. Wie eine sturmgefegte Flamme rast sie zwischen
graubleichen Mauern dahin, bis sie Blei in den Sehnen spürt. Da taumelt
sie einem Kastanienbaum zu, dessen Stamm ihre Arme umklammern. Ihre
Kehle dampft von erstickender Hitze, jede Fiber droht zu zerreißen.
Das unheimliche Gehäuse der Nacht ist menschenleer. Über den Gräsern
weht Verwesungshauch, schaurig flüstert der Wind in gespenstischen
Aloestauden. Eine Katze schießt kreischend aus einem Gesträuch --
Reija glaubt vor Schreck zu vergehen, überall narren sie Dämone und
Dschinnen. Eisenschwer hebt sie nun Fuß für Fuß vorwärts, in ihrem Hirn
tobt nur ein Gedanke: nach dem Alkazar! Saffana wecken! Das Roß satteln
-- fliehen! Jeder Atemzug bereitet ihr körperlichen Schmerz, jedes
Schlagen des Herzens ist von Angst durchstürmt, und so wankt sie bergan
durch dunkle Gassen nach dem Mauerschatten des Albaycin. Die kreisenden
Gestirne über ihr bringen sanftere Schwingungen in ihr Hirn.
Stumm liegen die engen Steilgassen des Maurenviertels vor ihr. Aus
irgendeinem Winkel stöhnt Leid, aus geheimnisvollem Dunkel löst es sich
los und stürmt über sie. Sie steht und starrt in ein Nichts. Lauert da
drüben in der Ecke nicht ein Tier? Greift nicht aus der Finsternis eine
gräßliche Kralle nach ihr? Sie liegt in den Gespinsten ihrer erhitzten
Phantasie. Segen des Lichtes, wo bist du? Sie tappt sich weiter von
Haus zu Haus, stolpert unzählige Male, schleppt sich wieder vorwärts
-- da tauchen die Zinnen der Alcazaba auf -- sie ist am Ziel -- wie
ein totgehetztes Wild schlägt sie vor dem Tor zu Boden -- hinter ihrer
Stirn braut die Angst gespenstische Schatten der Verfolger zusammen,
geißelnde Hiebe fallen auf ihren Rücken -- sie hat noch die Kraft, mit
den Fäusten gegen die eisernen Torflügel zu donnern, dann schwindet die
Besinnung. Wie von einem Sturmstoß niedergefegt, liegt sie da. In ihrem
Ohr schlagen Donnerkeulen des Himmels nieder.
Malik Ben Hossaim, des Imams todgetreuer Diener, öffnet -- erschrickt
-- er will den ohnmächtigen Frauenleib aufrütteln -- da starrt er in
das schwarze Gewoge des entfesselten Frauenhaars, das über die Schulter
stürzt. Er schreit in das schweißnasse Gesicht: „Allah akbar! Werda!“
Und Tränen rinnen über die ledrige Haut. Er trägt den flaumweichen
Körper auf den Armen ins Haus, hinauf in das Frauengemach, wo Saffana
aus dem Schlaf torkelt und mit einem Wahnsinnsschrei die geliebte
Herrin an die Brust bettet. Wasser, Balsam, Salben, Öle bringen das
halberlöschte Leben zu sich. Schreckerfüllte Augen starren auf die
liebkosende Hand. „Rosse! Schafft Rosse!“ stöhnt es sich heraus.
Saffana kreischt auf. „Werda! Dein Leib ist matt wie eine Fliege -- wie
bist du heraus?“
Reijas Brust ist von heißem Schluchzen zerrissen. Dann wirft sie der
Sklavin stoßweise das Geschehene hin. Diese reißt die Augen auf. Die
Gefahr macht sie wissend. Wenn der Morgen naht, ist das Verbrechen
entdeckt. „Wo sollen wir hin?“
„In die Höhle von Cañor.“ Reijas Brust belebt sich. „Malik und du --
rafft alles Geld zusammen -- ein paar Geschmeide --“
In ein paar Augenblicken ist alles bereit. Drei Pferde stampfen im
Sahat unter verblassenden Sternen den Kies. Von Rosenhauch durchwürzte
Morgenluft weht um die Stirnen der Fluchtbereiten. Saffana spielt die
Herrin, auf ihrer Brust leuchtet das Christenkreuz in Opalen. Reija
trägt einen Gelehrtenburnus über ihrer Seide, das Haar vom roten,
turbanähnlichen Tuch umhüllt. So sitzen sie auf. Vor ihnen reitet
sichernd und scharfäugig der aschgraue Haushüter Malik Ben Hossaim,
gewillt, jeden Widerstand einer spanischen Wache mit dem maurischen
Schwert zu brechen. Die Frühschauer frösteln durch die Frauenleiber.
Das Tor knarrt, und vor ihnen bleichen die Häuser der Dämmerung
entgegen. Da und dort huscht ein Menschenschatten über klirrende
Scherben, hält im Fliehen inne, bestaunt die Reiter und schießt dann
wie ein Fisch in ein Winkelwerk hinein. Dann wieder schauert das
Geheul eines Wachhundes in das Mark der Fliehenden. Und wieder ein
dumpfhallender Tritt, als schritte jemand durch einen Torweg. Ein
heiserer Hahnenschrei, der den Morgen erwittert.
Über der Sierra Nevada liegt ein fahler, ungewisser Schein, aus dem
sich die Frühe gebären soll. An bestaubten Gartenmauern geht es vorbei,
hinein in dunklere Gassen, die mit dem Geruch von Öl, Henna, Knoblauch
und Orangen vollgesogen sind, dann hebt sich der Alhambrahügel aus dem
Halblicht, und der Schatten des Mühlentors geistert vor den Pferden.
Dort verneigen sich die Wachen vor dem Kreuz an Saffanas Brust und
öffnen die Flügel. Im blassen Grau dämmernder Frühe liegt die Stadt
maurischen Heimwehs hinter den Gehetzten.
Reija läßt die Rosse in der schweigenden Einsamkeit halten und
blickt zurück. In einer Stunde vielleicht wird der Mordschrei diese
Gassen füllen, und man wird hinter ihr herrasen. Vorwärts also! Die
Pferde jagen in gestrecktem Galopp wie die Tiere der Hedschra, als
trügen sie die prophetentreuen Gefährten. Da drüben -- gelblichrotes
Gestein -- der Hügel von Padul breit hingelagert. Noch einmal halten
die Rosse -- es ist die Stelle, wo Boabdil über sein verlorenes
Granada weinte. Hier schluchzt auch sein Kind sein Leid aus. Aber
die Tränen gelten dem Geliebten, der hinter den Mauern furchtbaren
Tagen der Qual entgegentrauert. Ob er erfahren wird, was geschehen?
Ob dieser Priestermord sein Schicksal ändern wird? Ist dieser Tod
zugleich der Tod der Inquisition? Das Tribunal hat Hydraköpfe, und ihr
entsetzliches Wesen ist unabhängig von dem Leben eines Menschen. Wie
viele Inquisitoren steinigte die Menge! Namen schwirren auf -- die
Dominikaner Planedis, Castelnau, Cadirete, Arbues -- was half der Mord
dieser glaubenstollen Gehirne? Die Inquisition lebt!
Aber Reijas Herz stärkt sich in dieser Morgenfrühe auf der Höhe
zwischen der Stadt und dem Hochgebirge. Ein Gedanke wandelt sich zum
Schwur: Ich muß ihn retten! Und sie wirft sich auf die durch Leid
geheiligte Erde nieder, mit dem Antlitz nach Mekka. Ihr ist, als
sänke die Schwere der Welt vor ihren Augen, und sie fühlte sich auf
Flügelschlägen der Gottheit emporgetragen. Verzückt steigt sie aufs
Pferd und jagt, daß der Burnus um die Flanken des Tieres flattert,
allen voran wie ein führender Engel Gottes. Sie preßt die Schenkel an
das Pferd, daß die Muskeln schmerzen, und bald schäumt dem edlen Tier
der Geifer ums Maul. Reijas Augen erschauen im Morgendämmer schon die
durch Maurennot geheiligten Felsenwälle der Alpujarras. Wie hinter
Nebeln die silberne Sonne zittert und den leuchtenden Tag kündet, so
schimmert hinter den Morgendünsten der Felsgrat der Loma de Veleta,
eine Fata Morgana der Hoffnung. Dort hoch oben, vielleicht schon
erstrahlend im rosigen Licht, liegt ihr Ziel: die Höhle von Cañor.
Vor ihnen Goldglut, in die die schweißtriefenden Rosse stürzen. Durch
weißgebrannten Staub zwischen Gärten und Feldern geht’s dahin, und
die abgearbeiteten Lungen der Pferde dampfen und keuchen. Da und dort
abseits der Straße ein Dorf, ein krenelierter Turm, dann wieder kahle,
gluttrinkende Höhen. Hundegekläff schreckt Tier und Mensch auf. Die
Stirnen der Flüchtenden kämpfen gegen den Heißwind, oft stockt der
Atem, Reijas Herz spannt sich in Angst, wenn ab und zu aus den Häusern
die neugierigen Gesichter stürzen, um der seltsamen Jagd nachzugaffen.
Die Möglichkeit des Verrats schlägt in ihr Gemüt und wirft es in
Bängnis. Dann verkrallen sich wieder ihre Gedanken in das einförmige
Getön des trabenden Hufschlags. Aus den Bergen fällt ein Schuß, den
vielleicht der Hunger oder der Haß getan. Rasender wird der Schrecklauf
der Rosse. Reija hängt nur mehr wie ein hingewehtes Blatt am Hals
ihres Pferdes. Sie spürt Funken in ihrem Leib sprühen, die nach ihrem
Herzen zielen, als wollten sie es verbrennen.
An den Talwänden Hürden und Herden, Felder und Ölbäume. Dann
ansteigender, bestaubter Weg -- durch die blühende Gartenpracht von
Lanjaron, die Kornkammer der Mauren, schleppen sich die todmüden
Pferde -- jetzt -- o seid gegrüßt, ihr Hänge der Loma de Veleta!
Ihr Maurendörfer Haus an Haus -- Cañor da oben! Reija hat noch die
Kraft, den Jubelruf in sich zu hören -- dann bringt sie mit schwachem
Zügelruck das Tier zum Stehen -- die Sinne schwinden ihr -- sie fällt
in die starken Arme Maliks herab, der ihren Leib unter einem Olivenbaum
in das staubgraue Gras gleiten läßt. Unter der armen, leidverfolgten
Stirn beginnt ein wilder Traum zu jagen.
Vierunddreißigstes Kapitel
Durch Granada braust auf Windesflügeln das Grauen. Aus dem
Inquisitionsgefängnis stürzt es sich im Schimmer des Morgens und brüllt
die Schläfer aus dem Traum. Leon ermordet! Katl! Mord! El Zalim,
der Tyrann, ist tot! Das Unheil, das die zarten, würgenden Hände
angerichtet, läßt sich in seiner Größe noch nicht ermessen. Es ist erst
geboren, und seine Ungeheuerlichkeit muß wachsen mit jedem Flug von Ohr
zu Ohr.
Die Lanzenknechte der Carceles secretas marschieren vor dem Gefängnis
auf und halten die aufgeregte Menge von den Toren fern. Berittene Boten
sprengen nach der Alhambra, wo die Könige wohnen, und nach dem Palast
des Ximenes -- der Primas ist vor drei Tagen aus Toledo gekommen --,
nach dem Gerichtsgebäude und den Kirchen und Klöstern. Von ihren Lippen
schnellt es während des Rittes los: „Mord an dem Inquisitor!“ Und in
den Brüsten der Bedrückten glüht und heult es heimlich auf: Der Wolf
ist tot! Er hat uns und unsre Kinder vom Herzen des Propheten gerissen,
hat unsre Seelen zerschlagen, unser Jammer hat Gott erbarmt, und er
hat uns eine Judith gesandt, die das reißende Tier mit Kinderhänden
erwürgt. Allah akbar! La illaha illa ilahi! Jubelnd will das Wort aus
der bedrängten Brust, aber beim Anblick der reitenden Fähnchen bleibt
es in der Kehle stecken. Die schwarzen Augen glühen in Erwartung des
Kommenden. Werden sich die Brüder in den Bergen aufraffen? Wenn man es
ihnen durch Feuerzeichen mitteilen könnte: der Tyrann ist tot!
Im Albaycin stürmt der Mordlärm von Haus zu Haus und weckt die reichen
Moriskos aus dem Schlaf. Und aus den erschreckten Gesichtern glüht die
Freude: das Königskind ist entkommen! Und sie preisen Gott mit dem
teuern Namen und grüßen die Sonne, die aus den heiligen Gefilden Mekkas
steigt.
Aber dann kriecht wie auf Spinnenbeinen in die edle Begeisterung das
Gespenst der Sorge heran. Ein altes Prophetenwort klingt in die Ohren
der Ernüchterten: Als Mohammed von seiner Wallfahrt des Abschieds
heimgekehrt war, wandelte er zwischen medinischen Gräbern und sprach
zu den Toten: „O Freunde, vor welchen Übeln hat euch Gott bewahrt? Es
nahen Stürme, die wie Teile einer finstern Nacht aufeinanderfolgen,
einer schlimmer als der andere. Auf das erste folgt das letzte und das
letzte ist immer schlimmer als das erste!“ Auf Leon folgt ein anderer,
der schlimmer sein wird als er, und er wird das Entsetzen in unser
Gebein jagen.
In der Alhambra fuhr der Schreck erst spät in die königlichen
Glieder. Als das zeremonielle Despartimento, das Erwachen des Königs,
herannahte, trat der Geheimsekretär vor seinen Herrn und brachte die
Schreckensbotschaft.
Fernando erblaßte. Sein erstes Wort war: „Ximenes!“ Ohne diesen
Helfergeist gab es für ihn keinen Entschluß. Die Königin aber traf die
Botschaft als Katholikin ins Herz. Das Königskind als Mörderin tauchte
vor ihrem Geist in einem Meer der Verruchtheit unter. Es mußte in den
Augen der Agarenos zur Heldin emporwachsen. Das durfte nie und nimmer
geschehen. „Was gedenkt Ihr zu tun, Fernando?“
Des Königs Stirn glich einer Gewitterwolke. Er schürfte tiefer als die
Königin in die tote Seele des Dominikaners. Er kannte ihn. Aus seinen
Händen hatte er den lilienweißen Leib der Leonore de Uceda empfangen.
Und man flüsterte sich auch sonst allerhand Böses über den so lauter
scheinenden Mönch zu. Wenn er versucht hätte, an dieses maurische
Mädchen mit seinen wildjagenden Sinnen heranzukommen? Die Möglichkeit
durchfuhr blitzartig das Hirn Fernandos. Aber er durfte der Königin
seinen Argwohn nicht unterbreiten. Der hilflose Fürst flüchtete sich
wie seine Gemahlin an das Herz des einzigen Erlösers: „Wir müssen
Ximenes hören.“ Man erwartete von ihm beinahe das Wunder einer
Auferstehung des Mönchsleibes.
Der bleiche Hohepriester traf mit den stechenden Blicken den
Herrschern ins Herz. Sein Inneres hatte der Mord aufgewühlt. Er
kannte den Inquisitor, aber er getraute sich doch nicht, die wahren
Gründe seiner Vernichtung zu durchdenken. Der heilige Eifer ward bis
ins tiefste durch diese grause Tat beleidigt, und Ximenes ahnte mit
seinem weitblickenden Verstand die Verwicklungen für die Kirche,
wenn die unzufriednen Granden aus diesem Unheil Vorteil zu ziehen
verstanden. Die Zeiten der Grandenempörungen erstanden im Geiste des
Staatsmannes. Was konnte diesen andalusischen Hitzköpfen willkommener
sein als das Versagen der Inquisition, vor der sie bisher gezittert
hatten und die ihrem ganzen Wesen nach das Hemmnis aller freien
Geistesentwicklung war? Das heilige Tribunal konnte mit geschickter
Ausnützung seiner Verfolgungsmittel auch die weltlichen Gelüste der
hohen Herren eindämmen, und die Inquisition brauchte nicht in die Lage
zu kommen, mühsam Luft schöpfen zu müssen. Nein, nimmer durften die
Säulen untergraben werden. Ein Mann mußte her, der diesem Tod dreifach
trotzte. Für Ximenes gab es keinen Zweifel mehr, wer dieser Mann war.
„Es ist Ungeheuerliches geschehen, das nur mit Ungeheuerlichem
beantwortet werden kann. Dieses Mädchen war königlichen Blutes, aber
es hat gemordet. Die Reiter meiner Leibwache verfolgen ihre Spur, die
nach den Alpujarras führt. Man hat drei Reiter, darunter eine Frau,
verhüllt durch das Mühlentor reiten sehen, kaum als sich die Nacht
gelichtet. Kein Zweifel, daß sie es war. Schickt königliche Truppen
nach Lanjaron und Orgiva. Die Spanier müssen es endlich lernen, auch
mit Bergen zu kämpfen, und sollte der maurische Schlupfwinkel im Eis
des Mulahacen zu suchen sein, welcher spanische Fuß würde zögern, dort
vorzudringen, wenn die Pflicht zu Gottes Ehre ruft? Die Inquisition
von Granada ist verwaist, eine schreckliche Hand, um so schrecklicher,
als sie einem Weibe angehört, hat blutige Arbeit getan. Wir können nur
schrecklich darauf antworten: Lucero von Cordoba muß hierher!“
Der Name rührte den Königen gewaltig ans Herz, denn sie kannten seine
Vernichtungskraft. Aber es blieb keine andere Wahl mehr, wenn dieser
hier dazu riet.
„Er möge kommen,“ entschied der König so schnell, als wäre es sein
eigener Gedanke. Doch im nächsten Augenblick stemmte sich etwas in ihm
gegen die Raschheit: „Wie nun, wenn dieses Mädchen, bedrängt durch
gewisse Forderungen des Dominikaners --“
„Wie meint Ihr das?“ lauerte Ximenes.
Fernando warf einen versteckten Blick nach Isabella. „Der Dominikaner
liebte die Frauen -- es ist kein Geheimnis mehr --“
Des Kanzlers Gesicht überlief ein Schatten grimmigen Hohns. „Das also
wäre es? Und wenn es Wahrheit wäre“ -- er drängte hastig an den König
heran --, „wer wird beweisen können, daß er sich vergreifen wollte?
Wollt Ihr der verzweifelten Wehr einer Ketzerin Glauben schenken?
Kein Mittel wird ihr zu schlecht sein, sich zu retten. Verleumderisch
wird sie alle Schuld auf ihres Peinigers Brust laden. Und Ihr könntet
wirklich der Welt das Schauspiel geben, daß ein König seinen Inquisitor
fallen läßt, um eine beschuldigte Ketzerin zu retten? Das hieße gegen
Gott eifern.“ Er bohrte seine bezwingenden Blicke in das Herz der
Königin.
Da lenkte auch Fernando ein. „Bei Gott und Santiago! Ein stummer
Mund kann sich nicht mehr verteidigen, der lebende aber hat Gott
geschändet. Lucero komme! Doch -- wenn sich Boabdil regt?“
„So regt sich Spanien auch. Sie muß sterben! Es fielen spanische
Ritter unter Maurenschwertern wie Halme unter dem Sensenschnitt. Und
diese sollte leben? Die gefrevelt gegen einen Diener Gottes, die einen
unserer Ritter zur Abkehr von dem alten Glauben verlockt? Die insgeheim
gefrevelt gegen ihren neuen Glauben? Schon liegt ihre Schuld in Akten
versiegelt, wir übergeben sie dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit.“
„Wenn wir sie haben!“ sagte der König hämisch lächelnd.
„Und kriegen wir sie nicht, so müssen wir die andern Schuldigen fassen.
Dieses Mädchens Raserei wurde durch fremde Macht zur Tat getrieben.
Bedenkt es wohl: sie saß nicht allein im Kerker. Der Graf de Mora,
ihr heimlicher Bräutigam, ist desselben Verbrechens des Gottfrevels
angeklagt wie sie. Überlaßt alles dem Lucero, das Unheil, in seinem
Verlauf wohl fürchterlich zu schauen, wandelt sich für Eure Majestäten
in Heil.“
„Womit spielt Euer Gedanke?“ fragte Fernando erregt.
„Mit der Gnadenlosigkeit des Inquisitionshirnes. Laßt es arbeiten,
wie es eben arbeitet, verlangt keine Rechenschaft oder besondere
Beweggründe, schreckt nicht zusammen, wenn Eure Vorstellung von der
Nächstenliebe einen grausamen Stoß erhält, es geschieht doch alles
für Altar und Thron. Lernt Euch selbst an Flammenopfern begeistern,
auch wenn diese Opfer des Adels Hochzier im Geschlechterwappen
tragen sollten. Die Inquisition hat Namen bereit, die fürchterlich
werden können, wenn man sie schont. Ein warnendes Exempel schrecke
den Adel ab. Leon hat eine bittre Hinterlassenschaft an Akten, die
Dinge enthüllen werden, vor denen das blinde Vertrauen Eurer Hoheiten
jämmerlich in Brüche gehen dürfte. Wenn wir nicht handeln, furchtbar
handeln, dann kommt uns der Adel zuvor und wir haben Verschwörungen zu
unterdrücken --“
„Ximenes!“ stieß die Königin entsetzt aus.
„Es gleiten schon böse Nebel durch Andalusien. Die Ricoshombres
wollen, so raunt man sich zu, den Grafen de Mora befreien, gewaltsam,
hört Ihr wohl, wenn die Bitten vor Eurem königlichen Ohr vergeblich
sein sollten. Ja, es wäre nicht unmöglich, daß sie den Gedanken hegen,
sich mit maurischer Hilfe wie einst gegen den eignen König zu wenden --“
Fernandos Herz legte seinen Schrecken bloß. „So weit sollten sich die
Granden vergessen können? Ximenes!“
„Es ist ruchbar geworden, wo die Köpfe des Anschlages zu suchen sind.
Hernando de Rojas, ein junger Gelehrter, dem die Schule von Salamanca
geholfen, allzuviel eigene Weisheit großzuzüchten, hat den Herzog von
Osuna und den Grafen von Orgaz, beide lange bekannt als gefährliche
Maurenfreunde, für den Bund gewonnen. Ein Großteil der Hidalguia ist
geneigt, den heißen Einflüsterungen Gehör zu geben.“
Isabella erbleichte. „Ximenes -- rettet uns!“ Tränen glänzten in ihren
Augen. Der furchtbare Eifer des Priesters bestach ihr Gemüt, und hätte
er ihr blutige Leichen zum Geschenk gemacht, sie hätte über dem Spender
seine Grausamkeit vergessen.
„Gebt mir blindes Vertrauen zu der Zweckmäßigkeit meiner Handlungen,“
forderte der unerbittliche Kanzler. „Und laßt Lucero handeln. Sein
geschickter Eifer wird den weltlichen Handel in einen geistlichen
verkehren.“
„Verhaftet Osuna und Orgaz!“ befahl der König mit scheinbarer
Gewichtigkeit.
„Noch rate ich nicht dazu. Die Anhaltspunkte sind zu gering. Wir müssen
den Verdacht zur Gewißheit machen, müssen Schuld auf Schuld häufen und
dann die Eisen zuschlagen lassen. Nur eines, Hoheiten: fallt uns nicht
in die Arme, wenn wir den Grafen de Mora der weltlichen Gerechtigkeit
übergeben.“
„Relaxierung?“ fuhr der König empor.
„Wir können nicht mehr daran vorbeigehen. Seine Verfehlungen sind keine
Vergehen de levi mehr. Es ist beinahe erwiesen, daß die Befreiung des
Imam Abu Atir durch seine Sorglosigkeit, wenn nicht durch sein Dazutun
möglich geworden ist. Er wollte wohl, ein zweiter Graf Julian, durch
diesen gefährlichen alten Scheich die Mauren aus dem Maghreb zu Hilfe
rufen, um Boabdil wieder einzusetzen. Empörung gegen den König heißt
das andere Verbrechen, das weltliche Richter zu verurteilen hätten,
wenn nicht schon das größere Verbrechen der Ketzerei die Vernichtung
des Schuldigen durch die Kirche fordern würde. Der Graf hätte heute die
Folter erleiden sollen. Wir müssen damit zuwarten, bis Lucero zugegen
ist. In drei Tagen kann dann der Prozeß zu Ende sein. Die Bestätigung
durch den Supremo in Toledo dürfte längstens in einer Woche erfolgen.
Deza wird nicht zögern, ganze Arbeit zu tun. Dann naht Ostern, und
wir können das Fest verherrlichen durch die öffentliche Verdammnis
der zusammengesparten Ketzer. Es sollen an die fünfzig leichte Fälle,
fünf schwere sein. Der Graf führt den traurigen Reigen an. Vor Gott
gilt sein Adel nicht mehr, er ist getilgt aus dem Buch der göttlichen
Ehre und eingetragen in das der Schmach. Rachedürstend könnte sich der
andalusische Adel gegen die Macht wenden, die er als Schirmerin des
heiligen Gerichts erkennt: die Krone.“
Fernando ließ den stahlkalten Blick ins Leere gehen. „Ihr bereitet also
zu Ostern ein Autodafé?“
„Verherrlicht es durch Eure Gegenwart,“ bat der Primas.
„Nimmer!“ rief die Königin bestürzt aus. „Wir können nicht Menschen
brennen sehen.“
„Ketzer!“ klang die eisige Berichtigung aus dem Zelotenmund. „Sie haben
Menschliches von sich geworfen. Wer Mitleid mit ihnen hat, übt es auch
leicht gegen ihre Taten. Es würde der heiligen Inquisition zu größerm
Ansehen gereichen, wenn selbst die Könige der Verdammnis beiwohnten.“
„Schont mein Gemüt!“ bat inbrünstig und händeringend die Königin.
„Auch ich bitte drum,“ sagte Fernando. Er hatte Angst, in die
sterbenden Augen jener zu schauen, die zu retten seine königliche
Macht zu klein war. Mit einem Stachel im Herzen fühlte er der Kirche
Riesenkraft über seine Krone wachsen, aber er hatte keinen Beistand,
dieses Wachstum zu verhindern, denn er selbst hatte den Adel, den
einzigen, der ihm helfen konnte, zur Ohnmacht verdammt.
Ximenes bebte am Leibe. Dickwülstig traten die Adern auf der Stirn
hervor. „Es ist schade um dies große Schauspiel, das Ihr dem gläubigen
Volk entzieht. Allein ich weiß die Seelenfurcht, die zarte Regung
königlicher Naturen, zu würdigen und will den Andalusiern nicht den
Anblick der besinnungslosen Herrscherin vermitteln. Doch als Ersatz
verlange ich ausreichende Vollmacht.“
Der König zögerte. „Noch einmal, Primas, bedenkt es wohl: der Geist,
den Ihr in diesem einen Menschen tötet, lebt vielleicht in den andern
fort, und was der Stürmer selbst nicht vollendet, vollbringt die Trauer
um den Mann.“
„Wir wollen es erproben, königliche Hoheit. Ist es an dem einen nicht
genug, so fallen mehrere Köpfe. Der Schrecken schafft die Ruhe, die wir
brauchen.“ Mit soldatischer Wuchtigkeit unterbreitete er den Herrschern
sein letztes Mittel. „Wir haben die katholischen Spanier, die Städte
hinter uns -- die neugefügte Macht muß doch auch Gelegenheit haben,
sich zu bewähren. Und hilft auch das nicht, hilft zuletzt ein Wunder,
man muß die Leute nur dran glauben lassen.“
Die Königin durchschauerte es. „Ximenes -- wollt Ihr das alles -- mit
dem heiligen Evangelium verantworten?“
Der Primas streckte sich in den Gliedern. „Die Kirche über dem heiligen
Evangelium! Wie bekennt der heilige Augustinus? ‚Ich würde selbst dem
heiligen Evangelium nicht glauben, wenn nicht das Ansehen der Kirche
mich dazu zwänge.‘ Hoheit -- für dieses Ansehen der Kirche ist kein
Opfer zu groß.“
„Gott erhalte Euch uns lange,“ sagte der König tiefbewegt. „Wir
könnten mit unserer schwachen Urteilskraft so viele Leichname nicht
auf uns nehmen. Geht und handelt, wie es Euch Euer stärkeres Gewissen
vorschreibt.“
Von den Schauern der eigenen Größe umweht, verneigte sich Ximenes vor
seinen Puppen.
Fünfunddreißigstes Kapitel
Das abendliche Dunkel hüllt die Berge in ein Büßergewand. Der Mond
bleicht über dem Barranco de Poqueira und über den hängenden Triften
von Cañor.
Reija liegt auf dem Espartogras vor der Höhle, von wo sie einst den
Koran geholt. Um ihr geängstigtes Haupt schweben noch immer die Geister
der Verfolgung, und ihre Seele schreit nach dem Geliebten. Könnte sie
ihren Schmerz im Tau seiner Lippen kühlen! Sie werden ihn nun auf die
Folter spannen, damit er seine Mitwisserschaft an dem Mord bekenne! Sie
werden ein furchtbares Schuldgebäude errichten, das seine geschwächten
Kräfte nicht mehr tragen können, und sein gemarterter Geist wird
bekennen, was er nie gewußt.
Aber dann spielen ihre Gedanken mit Fluchtmöglichkeiten. Sie sieht sich
geborgen unter dem Dickichtmantel des Irakstrauches, überschirmt von
dem Friedlicht der Sterne. Der Schrei eines Hirten am Hang zerreißt das
Trugbild.
Hier liegt sie nun seit Tagen, im Retiro der Mauren, wo die Saumpfade
himmelan streben, Geier hausen, schwarze Ziegen auf smaragdnen
Weiden grasen, Hirten bei dem Feuer sitzen und Jäger über das Geröll
schleichen. Saffana und Malik wechseln einander in der Wache ab. Der
Sklave durchbohrt mit seinen Falkenblicken das Dunkel, und seine
Mausohren durchhorchen die Felseneinsamkeit nach jedem kleinsten
Geräusch. Aber es ist still in den Bergen. Nur Hirten tauschen von
Hang zu Hang ihren eintönigen Gruß aus, und wenn der Wind günstig ist,
dringt aus der Tiefe von Cañor ein verirrter Gebetsruf herauf. Noch
also ist keine Gefahr. Auch die vier Maurendörfer am Talhang bilden
eine lebendige Schutzwehr, die keinen Verrat kennt. Alle Monfis wachen
über das Leben des Königskindes, das ihnen durch Boabdils Vaterschaft
heilig geworden ist. Reija kennt dieses Hirtenvolk, dessen Seele Abu
Atir noch betreut, als er dem Maurenkönig den Koran las. Diese Schäfer
haben Treue und Glauben als Gesetzeshüter, sie sind muskelgewaltig und
stählern, in ihnen pulst noch das Blut der Wüstensöhne, wenn sie auch
den Sand mit dem Felsen getauscht. Es sind zungenkarge Männer, selten
hallt die dörfliche Trift von ihrem Lachen, und ihre Freude ist dem
Ernst der todesstarren Steinmasse angepaßt. Aber wenn der kriegerische
Zorn in ihnen aufglüht, dann schaffen sie Taten voll Adlergrimm.
Die Abenddämmerung graut, Schatten steigen aus dem Tal, und bald liegt
der Mondglanz wie ein bleicher Heiligenschein über den Steinwarten.
Reijas Leid bricht stromweise aus den Augen. Ihre Brust stöhnt
unter der ins Bewußtsein rückenden Qual. In dieser mondbeschienenen
Einsamkeit, wo die Natur am Herzen Gottes zu schlafen scheint, fühlt
ihr empfindsamer Sinn doppelt die eigene Verlassenheit. Ein alter
Glaube sagt, wenn Gottesfürchtige weinen, zählen zwei Engel, die die
Taten der Menschen aufzeichnen, ihre Tränen. So werden ihre Engel viel
zu tun haben, um ihrem Schmerz das Maß anzulegen. Wüßte Abu Atir um
ihr Schicksal, er ritte mit der Geschwindigkeit des Wüstenrosses in
die Berge. Nichts weiß sie von ihm. Hat er sein Maghreb erreicht? Ist
er noch in Salobreña? Und so hat Reija ihr Leben auf eine trostlose
Gegenwart gestellt, und vor ihr liegt eine verschleierte Zukunft.
Auch von Granada kommt keine Nachricht; die Stadt scheint von einer
undurchdringlichen Mauer umgeben zu sein. Was bereitet sich vor?
An einem sonnenschweren Spätnachmittag keucht Taleb der Hirte den
Felshang herauf. Er erzählt: „In Granada hat man den ermordeten Mönch
bestattet. Die ganze Stadt war auf den Füßen. In die Maurendörfer
schicken sie spanische Reiter und durchsuchen die Häuser. Aus Cordoba
ist der neue Inquisitor angekommen, Lucero heißt er, die Moriskos
nennen ihn den christlichen Teufel.“
Die Angst zersägt Reijas Herz. Nun wird Don Pedro gefoltert! Vielleicht
in diesem Augenblick. Qual und Furcht greifen in ihre Glieder und
lähmen sie. Saffana schleppt die Herrin vor die Höhle und bettet sie
auf einen Stein. Vor ihr liegt die tagdurchglühte Berglandschaft unter
dem andalusischen Azur, gegen Süden zu deckt der durchsilberte Dunst
die Weite über dem Meer, zu ihren Füßen kriechen die ersten abendlichen
Schatten an den Hängen hinauf, sie gleichen gespenstischen Armen, die
nach ihr langen. Langsam verblutet im Westen die Kraft der Sonne hinter
rostroten Dünsten. Hoch oben segelt eine goldumsäumte Wolke durch das
dunkelnde Blau in der Richtung gegen Granada. Blaßflimmernd gräbt sich
der erste Stern aus dem Nichts.
Da blickt der scharfäugige Wächter Malik hinter einem Felsblock nach
dem Felssteig. Seine Miene spannt sich, seine Hand greift nach der
Armbrust. Saffana späht hinab -- erschrickt --
Ein Mann klettert herauf, wie gehetzt von bösen Dschinnen. Saffana
durchfährt es blitzartig -- das ist -- „O Rose von Andalus,“ flüsterte
sie über das starrende Gesicht der Herrin hin -- „bade dein Antlitz im
Licht des Glückes -- es kommt jemand --“
Reija drückt die Hand jäh ans Herz. „Eswer Ben Zerragh!“ Wie warme
Meerwellen flutet es über sie hin, löst etwas in ihrem ermatteten Leib,
daß er sich aufrichtet in gespannter Neugier. Ist er’s wirklich, dessen
Bild von Zeit zu Zeit in ihrem Geist aufgetaucht war, umglüht von der
Erinnerung an den Zauber der scheuen Werbung? Wo trieb er sich rastlos
irrend umher? Wer wies ihm den Weg herauf? Sucht er, ein Verfolgter,
wieder die Höhle auf oder weiß er, daß sie hier? Verwirrt eilt sie in
die Höhle und gibt Saffana ein Schweigezeichen.
Der Maurenjüngling klettert durch den abendlichen Schatten heran --
schwingt sich über Fels und Platte -- erklimmt den letzten Steinabsatz
vor der Höhle. Und nun starrt er in die schreckfrohen Augen der
Sklavin. „Du --?“ Er tastet mit den zuckenden Händen nach ihrem Kleid.
Da gewahrt sein Adlerblick den Wächter hinter dem Felsblock. „Bei Gott
dem Erhabenen, wem gilt die Wehr und Wache?“
Saffanas stummer Blick sagt ihm alles.
Der Abencerrage kriecht auf den Knien an die Höhle heran. Seine Augen
sind voll Wasser, sein Gesicht brennt von Glutwellen. „Ich weiß, was
dieser Tage in Granada geschehen --“ bebt er leise, wie in Ehrfurcht.
„Darum darfst du hier nicht weilen, Eswer Ben Zerragh.“
„Er darf,“ klang es jetzt weich und traurig aus der Höhle. „Es steht
geschrieben -- Allah akbar.“ Am dunklen Eingang der Höhle leuchten
Reijas Augen. Schwach wie eine Binse lehnt ihr schlanker Leib am
Gestein.
„Wer ist der Mann?“ fragt der Abencerrage, beunruhigt auf den alten
Waffenmann zeigend.
„Der Treuesten einer,“ sagte Reija. Und ihr Blick überfliegt die
verwahrloste Gestalt des edlen Kömmlings. „Gottes Wille hat dich Wege
des Unheils geführt, deine Wangen sind hohl --“
„Ich habe wenig zu essen in den Bergen und flüchte von Höhle zu Höhle,
immer höher dem Eis nach. Die Ratschaften verbergen mich, so gut es
geht, vor den spanischen Schergen. In Almeria ist man auf meine Spur
gekommen, eben als ich nach Afrika hinüber wollte. Ich mußte zurück in
die Alpujarras -- aber was soll mein armselig Schicksal -- die Tochter
meines Königs ist in Not --“ Mit der Überschwenglichkeit seines jungen
Lebens warf er sich zu ihren Füßen hin. „Man verfolgt dich -- die
Maurendörfer sind voll davon -- du hast den Priesterteufel Leon
erwürgt --“
Das Grauen stieg Reija in die Kehle und sie schrie auf. Die furchtbare
Nacht erhob sich aus dunklen Tiefen. „Leon -- hat unsre Seelen --
gemordet -- ich hab’ -- seinen Leib --“
„Die Tat ist groß,“ erschauerte Eswer in Bewunderung. „Laß uns stark
werden, und wir werden es dir danken. Du bist Christin geworden,
Tochter Boabdils?“
„In meinem Herzen loht der Glaube und das Blut meines Vaters. Der
Christenglaube machte mich elend. Er ist schön, aber den, der ihn mir
predigte, hat Schaitan vernichtet.“
In der Höhle brannte das Feuer, beizender Rauch schlich aus dem
Gestein. Reijas Leib löste sich als Schattenriß aus der rötlichen Glut
der Höhlenöffnung. „Warum bist du hierhergekommen, Eswer Ben Zerragh?“
„Ich ahnte, daß dein Weg hierher führe, und bin gekommen, dir zu
dienen.“
„Wie willst du mir dienen, der du selbst verfolgt bist?“ staunte sie
ihn an.
„Du hast recht -- wie soll ich dir dienen? Was helfen jetzt Hikmet, die
Lehren der Weisheit? Aber laß mich sinnen -- vielleicht läßt uns Gott
einen Ausweg finden.“ Er setzte sich auf den Felsblock und stützte das
Kinn in die Hand.
„Weißt du etwas von Abu Atir?“ fragte sie hastig.
„Er ist wie von Gottes Hauch weggeblasen aus der Welt,“ sagte er
traurig.
„Oh, wenn er die Berber aus Maghreb übers Meer führte! Sein Glaube
macht aus Wüstenhasen Löwen. Wenn er wüßte, was ich leide, er würde
Heere aus dem maghrebischen Sand stampfen. Insch’allah!“ Ihre Augen
glänzten in rührender Not. „Eswer Ben Zerragh -- dein Geschlecht ist
hehr und groß, bei dem Ehrennamen deines Geschlechtes -- hilf einem
Menschen aus schwerer Gefahr!“
Eswers Brust hob sich gewaltig. „Einen Almansor will ich aus mir
machen, diene ich dir damit, Königskind!“
„Almansor war nur ein Schlachtenheld, du sollst mehr tun, du sollst
dich selbst besiegen, Abencerrage. Höre, es geht nicht um mich.“
Da schnellte er empor. Selbst im schwachen Licht des Mondes sah sie
sein verstörtes Gesicht. „Es ist der Feta, von dem gesprochen wird, daß
Gott sein steinernes Herz weich gemacht hat wie Wachs.“ Reija wandte
sich erglühend ab. Da wußte er es und flüsterte traurig: „Ist es also,
daß du mit ihm fliehen möchtest ins süße Tal von Mohabera, wo Liebende
nichts als ihre Stimme hören? Du liebst den Feta, den Habib deines
Herzens?“
Durch ihren Körper zuckte der Schmerz, durchsüßt von Liebesglück.
„Ich liebe ihn -- Don Pedro de Solar -- und solange Adler ihre Kreise
ziehen, werde ich ihn beweinen. Aber ich will ihn befreien.“ Ihre Hand
griff nach seinem Arm.
Sein Gemüt durchwogte Leid. Und er warf es offen vor sie hin. „O Rose,
süße Königin der Menschenblumen, weißt du es nicht, daß mir deine
Wimpern Dolche wurden und deine Blicke Pfeile? Ich sah dich und stand
in Flammen wie Jakob, als er Rahel sah.“
„Unselig ist mein Wesen, denn es badet die Menschen in Leid,“ jammerte
Reija, und durch ihre Schultern zuckte der Schmerz.
„Dein Wesen ist Maessema, das himmlische Wasser. Es brachte mir
Erquickung im Leid der Verfolgung. Und ich flehte zu Gott in stillen
Stunden, daß er mir schenke deine Hände, deine Brüste, deinen Schoß.
Vor dieser Höhle sog ich einst deines Atems süßes Ambra ein, während
du schliefst, und deiner Locken Pracht umnachtete mich, und von deinem
Mund zogen Ströme von Glück in mein jubelndes Herz, nimmer dürstete
ich nach dem Tau der Paradiesesmädchen und nach ihrer Brüste lockendem
Spiel. Und als du am andern Morgen nach Granada zogst und mein Elend
zurückließest, sandte ich dir meine Lieder nach, gesammelt aus den
Tränen der Liebe, und ich trotzte der Gefahr und stieg verkleidet in
die Raubtierhöhle Granada und sang vor dem Alkazar mein sehnendes Herz
aus in der Nacht --“
„Ich weiß es, Eswer Ben Zerragh,“ sagte sie leise, von Mitleid
durchrüttelt.
„Und ich tötete einen für meines Volkes heiligen Glauben, wurde
ergriffen und schmachtete im Turm --“
„Und wer befreite dich, Maurenfürst?“ Im hellern Mond leuchtete ihr
Auge auf.
„Du warst es -- und das gab meiner Liebe neue Nahrung.“
„Nimmer hätte ich’s tun können, wäre er nicht gewesen. Don Pedro de
Solar litt es um meinetwillen. Er warf seine Eifersucht auf dich und
ließ es doch geschehen. Er nahm Schuld auf sich im Übermaß der Liebe
und befreite seinen Nebenbuhler. Sag’ das den maurischen Männern,
wohin du kommst. Er ist so groß und hehr. Und nun öffne dein Herz --
wie will es ihm dieser Nebenbuhler danken?“
Der Maure fühlte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte. „Bi nefsi! Gott
lenkt wunderbar,“ flüsterte er betroffen.
„Das tut er, aber du sollst dir doch den Mund waschen, bevor du seinen
Namen aussprichst, denn du bist undankbaren Herzens, wenn du nur Worte
machst.“
„Der Allmilde erhob sein Auge und rettete mich vom Tod und sandte einen
leibhaftigen Engel -- und ich haderte mit ihm und goß meiner Seele
Unrat in die Tränenschale. O Mädchen, du lehrst mich einen seltsamen
Weg wandeln, an dem wenig Blumen stehen.“
„Soll dich ein Christ mit Großmut schlagen?“ fachte sie seinen Stolz
an. „Er hätte dich töten lassen können, aber er schloß die Augen, auf
daß dein Fuß frei gehen, dein Herz jauchzen könne, wiewohl er wußte,
daß du mich liebst. Und nun willst du einer von den Fossaha sein, den
Wohlrednern, die sich auf keine Tat verstehen?“
Eswers Herz lag im Bann des edlen Gedankens, und doch wütete der
Liebesschmerz darin. „Mädchen, wer sagt dir, daß mir Gott die Kraft
geben würde zu solcher Tat, vor der alle Liebhaber zurückschauderten?
Ibn Chazim bin ich, der vergebens liebte und seinem Mädchen doch nicht
zürnen konnte, weil sie ihn verschmähte. Er folgte ihr wie ein Hund und
sang seine Lieder in die des andern hinein, der glücklicher war als er.
Sang, bis seine Seele todmüde war von Liebesschmerz. Segne deinen Ibn
Chazim! Er wird sich erniedrigen, der Mohadschil deines Brautbettes zu
sein, der bei eurer Liebesnacht Wache hält. Das gereichte Honigbrot
soll ihm das Fieber des Herzens stillen. O Mädchen, was soll ich tun?
Soll ich den Pfeil schnitzen aus dem Hirmbaum und seine Peiniger töten
aus dem Versteck? Soll ich seine Wächter des Nachts überfallen und die
Türen seines Kerkers sprengen? Soll ich die Mauren aufrufen zum Kampf
für einen Christen? Werden sie ihre Lanzen mit Blut röten? Mohammeds
Glaube beflügelt keinen Geist und keinen Fuß, wenn es den Kampf für
einen Ungläubigen gilt.“
Reija machte zornig eine abwehrende Bewegung mit dem Arm. „Schweig,
Besonnener. Die List kehrt nicht bei stumpfen Geistern ein. Laß unsere
Gedanken ruhiger gehen. Morgen kommt Jusuf, ein Hirte aus Granada. Don
Pedro de Solar hat einen wackern Freund, zu dem habe ich ihn geschickt.
Ich bin erschöpft. Laß uns essen. Sei zart zu mir, denn ich bin
hilflos.“ Sie wandte sich nach der Höhle.
Bald darauf aßen sie von dem Ziegenbraten und den Garbanzos, den
Kichererbsen. Es war das Hirtenmahl für ein Königskind. Dann hüllte
Saffana die weichen Glieder der Herrin in die Schlafdecke. Im schwanken
Feuerschein wechselte das Licht auf dem leidgezeichneten Gesicht der
Maurin. Der letzte Qualm rauchte auf, verringelte und erstickte,
Menschen und Gestein versanken in Nacht.
Der Abencerrage legte sich wieder vor die Höhle hin wie damals, da
er ihres Atems Hauch zum erstenmal eingesogen. Der Schmerz um seine
verlorene Liebe flocht dunkle Kränze in sein Gemüt. Über ihm kreisten
im ruhigen Geleise die Sterne um den Pol und der Mond ließ sein Silber
in die Nacht tropfen. Es war so still, als ginge Gottes Odem fühlbar
über die Berge.
Da gebar die Nacht einen funkensprühenden Stern, der sich in erhabenem
Bogen über das halbe Firmament schwang und dann in dem Gefels zerbrach.
Eswer deutete das Himmelszeichen als einen Hoffnungsstrahl, den Gott
gesandt. --
Als Eswer die Augen öffnete, saß schon die Sonne zwiegespalten auf
dem gegenüberliegenden Grat. Bald darauf kletterte der Hirte Jusuf
die Felsen herauf. Der Bergwind nahm die Backen voll, als wollte er
alles Gestein zerschlagen, er splitterte scharfe Brocken vom Leib des
Gebirges ab, rauschte durch die einsamen Stauden, daß sie wie arme
Sünder am Totenpfahl hin und her baumelten. Der Schweiß perlte über
des Hirten Stirn. Er warf sich vor Eswer nieder, den er als alten
Bergfreund erkannte.
Reija flog ihm vom Lager entgegen. Ihr Blick versuchte ihm die Worte
vom Mund zu reißen. Jusuf vermochte kaum Atem zu schöpfen. „Die
Christen -- feiern -- Ostern -- hört ihr’s alle? Da sollen nun --
Ketzer brennen.“
Ein herzzerreißender Schrei durchschnitt die Bergstille. In den Armen
Saffanas lag, zitternd an allen Gliedern, das Königskind. Eswer sprang
angstvoll heran.
Der hastige Schwätzermund kramte alle Neuigkeiten heraus. „In den
Carceles liegen die Gefangenen. Man kennt noch keine Urteile. Aber auf
der Bibarrambla zimmern sie Gerüste. Quemadero nennen sie den Platz, wo
die Scheiterhaufen stehen sollen.“
„Daß dich Schaitan! Schweig, du Affenreiter, du stinkiges Kamel, siehst
du nicht --?“ Eswer stieß den Hirten unsanft weg.
Doch Reija wand ihren Leib aus der Schreckenslähmung. „Alles will ich
wissen. Spricht man -- unter den Moriskos -- von dem Grafen -- de Mora?“
„Er soll auch -- unter ihnen sein.“
Ein erstickter Schrei -- ihr Arm tastet nach seinem --
Da versteht der Hirte. „Die Moriskos reden gar viel -- Gott erkennt die
Wahrheit.“
„Was -- reden sie -- über den -- Grafen?“
„Sie wünschen ihm zehn Hürden vollgepropft mit Kamelen. Sie beten für
ihn, daß er nicht ins Feuer muß.“
„Hörst du es, Eswer -- sie -- beten -- für ihn, daß er nicht --“ jedes
Wort würgt sich langsam aus der Kehle. „Und einst -- hat er sie -- gar
hart geschlagen -- aber nun hat er -- für sie -- gesprochen -- das
vergessen sie ihm nicht --“ Und plötzlich fährt es wie ein Sturm in sie
und sie springt auf. „Und wir liegen da in den Bergen und wehklagen
-- Eswer Ben Zerragh -- zu Ostern brennen Scheiterhaufen in Granada.
Sollen wir im Gebirge den Widerschein am Himmel sehen und ohnmächtig
auf den Knien liegen? Gebet und Tat retten ihn!“ Ihre verschluchzten
Augen strahlen in Begeisterung.
„Was verstehst du unter Tat?“ fragt Eswer bestürzt.
„Ihn befreien -- oder mit ihm untergehen.“
„Wahnsinnige! Hast du die Künste eines Magribi, eines Zauberers,
gelernt, um so Unmögliches zu vollbringen? Wo ist unsere Stärke?“
„Unser Wille ist sie!“ flammt Reija auf. „Gott läßt Gnadenströme über
einen guten Willen fließen.“ Sie schüttelte sich wie ein Fohlen, das
die Kandare abwerfen will, und ihre Gebote, von der Gewalt ihrer
Vorsätze getrieben, brachen gleich Bergwässern aus ihrer Brust:
„Saffana! Malik! Jusuf! Die Maultiere gepackt! Mir ein ledernes Kleid!
Alpargatas! die Faja um die Hüften, den Dolch! Ihr alle mit als
Maultiertreiber! Oder als Schahhad! Wir führen Erz oder Obst aus der
Sierra, wir verstecken unsere Absichten, unsere Geldtasche, unsern Weg.“
Da bäumte sich Trotz und Eifersucht in dem Abencerragen auf. „Du darfst
nicht von hier fort, Königskind!“
„Feiger Feta! Ich will dich zu einem Abu Turab machen, zum Vater des
Staubes. Ich jage dich mit der Navaja in diesen Abgrund, wenn du mich
hinderst. Meinen Geist leitet Thar, die Rache!“
„Es ist Wahnsinn, was du treibst. Wie willst du die Ringe von Wachen
zerbrechen?“
„Hernando wird helfen -- er war sein Freund -- Osuna und Orgaz, Freunde
der Mauren, und gewaltig im Wort und mit den Waffen --“
„Sie sind machtlos gegenüber Priester und Königen, es geschehen keine
Hirtensiege Davids mehr, die Schwachen müssen unterliegen.“
„Ihr sollt zu Gewappneten des Herrn werden durch meinen Willen.
Ich will mich durchschlagen bis zu den Tyrannen, sieh, meine Hände
rauchen noch vom Blut des Würgengels, ich will Fackel und Dolch in
die Rüstkammer meiner Rache stellen, will das von den Blutsaugern
gepeinigte Gewissen der Moriskos aufrufen in den Gassen des Albaycin,
daß sie zur Waffe greifen wie damals, als man den Müttern die Kinder
vom Herzen reißen wollte. Ich will ihnen nach alter Weise mit
Safran die Kampflust in die Glieder zaubern, will sie kleiden
wie Halimé ihre Helden vor der Schlacht und eigenhändig salben zum
Rachewerk, will sie beschwören, ihren Weibern nicht beizuschlafen, bis
nicht der Mann befreit ist, der für sie vor dem König gesprochen. Ich
will zur Haruritin, der wilden Kämpferin, werden, und wer mich mit
einem Finger anrührt, dem triefe er von Blut. Saffana, wie heißt das
Kampflied der lakhmitischen Frauen?“
Die Sklavin sang es in Schweißangst. „In der Hand den scharfen Speer,
dessen Spitze ingrimmschwer, lechzend den Propheten bitten sie zu
enden, was sie litten -- Sieh das Blut von Schlachtgewittern triefend,
daß die Locken zittern --“
„Daß die Locken zittern!“ rief Reija begeistert in das Feuer des Liedes
hinein. „Mord dem Mord! Thar glüht in mir, die heilige Thar! Sie ist
mein Posaunenruf, sie soll die Zaghaften zur Vergeltung aufstacheln,
bis ihre Tränen sich in Wasserströme wandeln, die die Menschenungeheuer
ersäufen sollen. Gott! Hilf mir! Du bist einzig und allmächtig, du hast
nicht gezeugt und bist nicht gezeugt worden, niemand besteht neben
dir! Und willst du nicht an seine Hilfe glauben, Eswer Ben Zerragh, so
brenne dein Herz in der Hölle und nähre sich von der Rinde des Sukuum!
Oh, Abu Atir! Wärst du hier, dein Bart würde brausen im Sturmgedanken
der Erlösung für deine Charka, dein Schoßkind. Und du, der du mich zu
lieben vorgibst, willst zaudern? Wir sind nur Gäste auf der Welt, sagt
der Imam, und alles Leben ist geliehen. Gib es zurück, wo Leben keinen
Wert mehr hat. Komm, komm, wir müssen eilen, es soll ein Weltgericht
werden, als rasten die Völker Jadjudj und Madjudj über die Erde. Und
wenn Granada, das neue Damaskus, dabei versinkt, so soll wenigstens
keiner mehr zur Totenklage übrigbleiben. Packt auf!“
Die von ihrer Leidenschaft beschwingte Glut riß den Abencerragen
mit sich fort. „Du machst Löwen aus Gazellen, Reija! Ich folge dir
und wiegle die Mauren auf. Der Graf soll mein Nedim werden, mein
Trinkgenoß.“
Stürmisch flog sie an seinen Hals. „Allah akbar! Gott hat deinen
Geist geweckt. Almansor billah will ich dich heißen, den von Gott
Geschützten, wenn du ausharrst.“ Sie zog ihn in die Höhle, wo Saffana
und die beiden Männer den Braten herrichteten. „Hört alle an. Ihr
sammelt aus dem getreuen Cañor die listigsten Söhne Mohammeds, die
geschicktesten Läufer, die durch die Gassen jagen können wie Ssaba, der
Morgenwind, dann die Mauren von Adra, Buñol Purchena und Orgiva, sie
lechzen nach Pfeilschüssen und werden uns folgen. Sagt ihnen, Reija,
die Werda von Andalus, rufe sie. Erzählt ihnen mein Leiden, ihr Herz
wird daran erglühen. Wenn das Osterfest kommt und die Inquisition ihre
Opfer zum Autodafé schleppt, zünden wir die Stadt bei den vierzehn
Toren auf ein gegebenes Zeichen an.“
„Das Zeichen?“
„Ich lasse meinen Flamingo von der Alcazaba aus in die Lüfte steigen.
Im Augenblick, da er über die Dächer kreist, legt ihr die Feuer an,
truppweise, daß Verwirrung und Schreck in ihre Glieder fahren. Man wird
die Opfer in die Kerker zurückführen wollen, dann stürzen sich die
Moriskos vom Albaycin auf das eiserne Geleite des Grafen de Mora. Das
übrige laßt meine Sache sein. Ich halte Roß und Verkleidung in der Nähe
der Bibarrambla bereit.“
Gierig lauschen die Männer. Frage und Antwort fliegen auf. Morgen früh
soll der Ritt aus Cañor gewagt werden.
Die schleierlose, grünsilberne Nacht leuchtet in eine gefestigte Seele,
die den Jammer mit der Kraft der Verzweiflung vertrieben hat. Reija
starrt unausgesetzt in die Tiefe des Barrancos hinab, wo morgen der
Weg der Erlösung beginnen soll. Drei Männer hüten ihren Leib, morgen
aber wird ein Wall von Hütern aus den Bergen wachsen. Wie sprungbereite
Tiger liegen die Wächter vor der Höhle. Im Maurendorf verkündet der
Hornstoß des Türmers die Zweiteilung der Nacht, die ruhevoll ihren
Gipfel ersteigt.
Sechsunddreißigstes Kapitel
Durch den dunklen Gang des Inquisitionsgefängnisses schreitet eine
Frauengestalt inmitten zweier Wachsoldaten. Vor einer Tür wo ein
stämmiger Lanzenknecht breitbeinig Wache hält, bleiben die Wächter
stehen. „Hier ist die Zelle.“
„Ausweis?“ fragte der Lanzenmann.
Einer der Begleiter weist ein Papier vor. „Königliche Vollmacht.“
Da läßt der Wächter die Schlüssel knarren -- Leonore de Uceda tritt
allein in die Zelle des Grafen de Mora. Hinter ihr schlägt die Tür zu,
mit einem Donner, als schlösse sich für immer das Höllentor.
Das Ruhebett des Gefangenen umschimmert ein Öllichtschein. Der Graf
schrickt zusammen. Dann starrt er die Frau an, die wie aus einem
Gaukelbild heraustritt, von dämonischen Mächten erzeugt. Seine
gemarterten Füße versagen den Dienst; man hat seine Glieder auf der
Garrucha, dem Wippgalgen, gestreckt und ihm auf der Leiter eine
Stunde lang den Wasserknebel in den Mund gedrückt. Sein Auge hat
einen irren, gläsernen Glanz, das Haar klebt verwahrlost auf der
schweißnassen Stirn, der Bart wildert um das Kinn, Schläfen und Wangen
sind eingefallen, Arme und Beine steif wie Puppenhölzer, der Adonis
der andalusischen Ritterschaft gleicht einem Menschenwrack, das kaum
imstande ist, einen Schatten zu erzeugen. Um seine Lippen fiebert ein
leiser Schreck, er will reden und kann nicht. Doña Leonore erschauert
vor dem Verfall ihres Opfers, dessen Herz einst ihr liebendes Verlangen
umsponnen. Sie wagt kaum einen Schritt an die Zerbrechlichkeit heran.
Reuetränen jagen in ihr Auge und sie muß an sich halten, um nicht laut
aufzuschluchzen. In ihre Seele klingt ein Grabgeläute: zu spät!
Der Gemarterte hat immer noch die Kraft, den Stärkern zu spielen. Wie
zerbrochenes Glas splittert die Stimme: „Was -- will -- dieser Schritt
-- hier?“
„Graf de Mora -- ich fand den Weg zu Euch,“ sagte sie leise, als
fürchtete sie das Tönen ihres Herzens.
„Wer -- gab Euch -- ihn frei?“ Die stumpfen Blicke beleben sich unter
der Erkenntnis, daß kein Traumbild ihn äfft.
„Die königliche Gnade öffnet mir Wege, die sonst ungangbar sind. Mein
Herz trieb mich zu Euch, Don Pedro.“
„Dasselbe Herz, das ich einst gekränkt?“ Er erhob die tiefgehöhlten
Augen.
Um ihren Busen lag ein Schraubstock, unter dessen Druck die Gefühle der
Selbstanklage, Reue und des Schuldbewußtseins aufzuschreien drohten.
„Hat Euch -- der König -- geschickt? Will er mir -- Gnade -- schenken?“
Leonore schüttelte das Haupt. „Spanische Herrscher sind Puppen, wenn
Priester die Lenker sind.“
„Die Lenker sind zum Henker geworden. Bringt Ihr Gnade -- von --
Ximenes?“
Wieder verneinte Leonore stumm. „Wo die Inquisition ihre Siegel
hinlegt, erstirbt das Wort Gnade. Wißt Ihr, was geschehen?“
„Die Geheimnisse fliegen an einer dunklen, stummen Wand vorbei.“
Ihr Auge sammelt die Wundmale seiner Qual am Leibe. „Warum -- habt Ihr
-- das Unselige getan?“
Wie unter dem Druck einer neuen Marter wand sich seine Seele. „Ich hab’
doch nichts getan. Tag und Nacht sind qualdurchtränkt von den Gedanken
über meine unbekannte Schuld. Ich liebe eine Maurin, die Christin
geworden -- das ist alles. Es ist ein Spinngewebe, das zerreißen muß,
wenn die Gerechtigkeit daran rüttelt.“
„Das -- könnte -- wahr sein.“ Die Schwere des gepeinigten Gewissens
zerstückelte jeden Satz.
„Was wollt Ihr von mir?“ Seine leeren Augen suchen wie irr in die Seele
der blonden Frau hinab. „Gebt Ihr mir Helle auf dem Nachtweg in die
Ewigkeit?“
„Ich will -- Vergebung -- von Euch,“ rang es sich aus ihrer Brust.
Ein großes Staunen antwortet ihr. Und nun schluchzt sie ihre Reue
heraus. „Ich bin bejammernswert. Meine Zwillingsschwester ist das
Unglück, das so oft die Genossin der Schönheit ist.“
„Doña Leonore -- Ihr häuft Rätsel auf die meinen -- helft sie mir
lösen. Was ist in den letzten Tagen geschehen? Ich wurde nicht klug aus
den Fragen des Inquisitors -- ich kenne auch nicht den Namen meines
neuen Henkers -- wo ist Leon?“
„Euer neuer Richter ist Lucero aus Cordoba.“
Da überlief Entsetzen das Angesicht des Inquisiten. „Lucero?! Das ist
Vernichtung bis ins letzte Glied. Wo ist Leon?“
Leonore würgte an der Antwort. „So brach sich wirklich an diesen Mauern
das Entsetzliche? Leon ist tot. Erwürgt von Eurer Moriska.“
Des Gefangenen Hände schlagen in die Luft. Eine blutrote Sonne blendet
sein Auge. Und wie ein tosender Donner stürzt die Angst um die Geliebte
aus seinem Innern. „Sie -- ist -- gerettet?“
„Geflohen!“
Ein unartikulierter, gurgelnder, nach Luft ringender Schrei -- wie
Fleisch gewordene Flammen züngeln seine Arme am Leib auf und ab. Irre
Worte brechen sich aus seinem Hirn.
Doña Leonore erzählt bebend, von Reue und Eifersucht zerrissen, und der
Graf fängt jedes Wort wie ein Verhungernder auf, während sich seine
Stirn mit dem Schweiß der Erregung bedeckt. Ihm ist mählich, als spürte
er auf seinen vertrockneten Gaumen sinnbetörenden, kostbaren Wein
tropfen. „Reija -- geflohen! Oh, barmherziger Engel!“
„Ihr -- liebt sie -- noch immer?“ stöhnt qualvolle Eifersucht aus ihrer
Kehle.
„Wer kann aufhören, Gottes allerschönstes Erdengeschenk zu lieben?“
„Auch wenn dieses Geschenk sich mit Verrat befleckt hat?“
„Bei den ehernen Himmeln! Weib -- wer blies dir das ein?“ Er starrt sie
an.
Ihre siedenden Gefühle drohen überzugehen. Wie giftiger Brodem steigt
es aus ihrer Sünderbrust: „Verriet sie dich nicht? Beschuldigte sie
dich nicht auch der Ketzerei? Sah ich nicht selbst in Leons Händen das
Protokoll, ihre Aussagen von beweisender Kraft? Klagten sie nicht dein
wankendes Christentum an?“
Grauen und Verzweiflung durchrasen sein Hirn. „Reija -- Reija -- mich
verraten? Speit die Hölle ihr Entsetzen aus? Reija -- mich verraten?
Laß Berge wie Löwen über die Landschaft jagen, unseliges Weib, laß
Spanien in den Schlünden des Meeres versinken und die Welt aus den
Polen gleiten, und ich will die Mär glauben -- den Verrat Reijas
glaub’ ich dir nicht. Oh, ich höre sie, die verruchten Peiniger, höre,
wie Leon die herzquälenden, sinnverwirrenden Fragen aus dem Gehirn
schüttelt, wie er dem Verhör Wendungen gibt, die seiner Schurkerei
dienen, wie er das halb zu Tod gehetzte Wild in das Labyrinth seiner
Gedanken führt und darin herumwirbelt bis die gewollte Antwort von den
armen, geängstigten Lippen schnellt. Andeutungen werden Gewißheiten,
Möglichkeiten Wirklichkeiten, Zweifel Wahrheit -- oh, der Wille des
Haßverwirrten lenkte das eingeschüchterte Herz und es ging über von
Liebe zu mir, die zum Anstoß meiner Beschuldigung führte. Alle Teufel
waren Beistand und sie verstrickten die Unschuld in ihr Netz -- über
ihren zarten Leib floß die Dunkelheit des Henkers zusammen -- Doña
Leonore -- wie muß sie gelitten haben -- sie, vor der der Windhauch
in Ehrfurcht verging, wenn sie durch Gärten schritt. Oh, daß ich das
Große, Erhabene ausdenken könnte: da kommt Gottes Engel und gibt den
zarten Händen Würgerkraft, schafft aus den Fingern einen Eisenring,
der sich in den Hals des Bluthunds preßt! In diesem Augenblick haben
die Sterne in ihrem Lauf innegehalten, denn Gottes Wille bediente sich
eines Königskindes, die Welt von einem Ungeheuer zu befreien. Sie
hatte mehr Stärke als ich, mein Gedanke flog nicht zu den furchtbaren
Rachehöhen, wo der Tod sein Entsetzen schwingt, und doch stand ich vor
dem Verruchten und würgte ihn nicht ins Grab. Weib -- Weib -- letze
meiner Seele Hunger mit der Freudenbotschaft: die Inquisition bricht
zusammen, das Volk schreit auf, der Priestertod heißt ihm Erlösung!
Die Granden sammeln sich zum Sturm gegen Ximenes, ihre zerbrochene
Ehre ringt sich aus dem Staub, sie scharen sich um Isabella und
Fernando, die geheiligten Häupter aus den Polypenarmen zu befreien --
die Drachen der Inquisition Deza, Lucero -- sie krümmen ihre Leiber im
Fraß des eigenen Giftes! O sag’: es ist! Es ist?! -- -- Du schweigst?
Deine Augen trauern hinter Floren -- deine Blicke schreien: nein!! So
triumphieren die Geister des Wahns und des Hasses?“
„Ungebrochen ihre Kraft -- König und Königin ohnmächtig -- die
rebellischen Granden sind gefangen -- nach Toledo geführt --“
„Himmel und Erde!“ brüllt der Graf auf.
„-- Osuna, Orgaz, Ureña, Paredes, Beltra de Cueva -- und dein Freund
Hernando --“
„Hernando!“ Die Übergewalt des Schmerzes wirft den Grafen wie einen
Stock hin.
„Durch dein Schicksal beflügelt, führte er ihren Geist zu den Waffen
heimlicher Empörung, versammelte sie nächtens in Santa Fé -- dort
überraschten sie die Schergen des Ximenes -- der weltliche Rat wird ihr
Schicksal bestimmen, wenn nicht die Cortes ein Machtwort sprechen.“
Don Pedro keuchte sich aus der Ohnmacht der Sinne. „Spanien --
wimmernd in Ketten -- der Geist der Besten -- hört den Freiheitstraum
verrauschen -- sinkt in Nacht zurück, aus der er kam.“ Ein Schluchzen
durchrüttelte seine Schultern. „Hernando! Hernando! Dein warmquellendes
Lachen -- zerbrochen durch das Schicksal des Freundes -- so werden sie
dich peinigen wie mich -- bis du mürbe geworden -- Leonore -- sag’ --
du bist der einzige Bote aus der lichten Welt -- sag’ -- was beschließt
man über mich?“
Sie senkte scheu den Blick. „Es ist schon über dich beschlossen. Und --
morgen -- wird man es dir -- verkünden.“
Seine Augen wurden groß. Wortlos tastete sein Arm nach ihrer Hand.
Ein furchtbares Schweigen gab ihm Antwort.
„De vehementi --? Relaxierung?“ tönte es leise von seinen Lippen.
Wieder sank ihr Haupt auf die Brust.
Seine Glieder fielen in Erstarrung. Der Gedanken Müdigkeit faßte das
Bild nicht mehr, das für einen Augenblick aus dem leeren Raum stieg: Um
seinen Leib aufzuckende Flammen des Scheiterhaufens! Seine Sinne waren
halb gelähmt, für das Kreisen des Lebens erstorben. Stumpf blickte sein
Auge ins Dunkel.
Da schlug es wie rasend geschwungene Glocken an sein Ohr: „Pedro -- ich
habe die Macht, dich zu befreien.“
Des Grafen verstörte Augen verschlangen die blühende Frau, die
plötzlich zu seinen Füßen lag, die Hände emporgerungen, das Kleid
geöffnet, als wollte sie mit dem Glanz ihrer Brüste die Augen des
Unseligen blenden. Seine Gedanken begannen wieder zu fließen, seine
Hände griffen in die trüb erhellte Leere.
Wieder raste die Glocke: „Ich habe Freunde unter den Wächtern des
Hauses, Geld und Augen bestechen. Gib mir dein Herz, reiße die fremde
Liebe aus deiner Brust -- Pferde stehen bereit, wir jagen über Berge
nach Asturien, ein Schiff bringt uns in die Bretagne. Was starrst du
graß? Dein Auge ist Entsetzen -- weg von dir schattet der Todesengel
und vor dir öffnet die Liebe des Lebens rosenumranktes Tor. Ich
kämpfe um dein Leben, ich wage mein eigenes für deines -- alles liegt
zerbrochen in mir, wenn du dieses letzte Rasen meines Herzens mit einem
kalten Lächeln belohnst -- Pedro, Pedro, -- Geliebter! Einen Tautropfen
von Liebe in mein Herz! Liebe mich! Du liebst mich doch? Ich bin deine
Leonore -- sag’ es leise, leise, daß es wie aus fernen Himmeln klingt:
ich liebe dich!“
Da öffnen sich die erstarrten Lippen des Unglücklichen und langsam
bröckelt es sich ab: „Liebst du -- mich -- wirklich -- Doña Leonore?“
„Meine Liebe bricht Ketten und tötet, was sich uns entgegenstellt, sie
schafft Paradiese und löst die Hölle in leuchtende Himmel auf.“
„So wird sie auch ihre höchste Kraft entfalten können: sie wird --
entsagen.“
Wie unter Blitzeswucht taumelt sie zurück. Nebel verdunkeln ihren
Blick, vor ihr gähnte abermals ein Nichts.
Don Pedro de Solar hob mit bebenden Händen ihren Kopf empor und sah in
die erloschnen Augen. „Ich liebe Reija -- hörst du es, Weib? Schaff’
mir Pferd und Schiff -- mein Herz wird mein Mädchen zu finden wissen.“
Da riß sie ihre Eifersucht aus der Lähmung. „Bist du wahnsinnig, Pedro?
Oh, wie schlecht kennst du das weibliche Herz! Laß sie fahren -- und
ich rette dich.“
„Dann habt Ihr Zeit verloren, Doña Leonore, die Ihr besser für eine
Königslaune hättet verwenden können.“
Die Schmach durchstach ihr Herz. Sie warf sich von den Knien empor. „So
willst du sterben, Don Pedro?“
„Der Verrat an meiner Liebe würde meine Freiheit mit tausend Flüchen
segnen.“
Da verbrannten im Nu Liebe und Mitleid in ihrem Herzen wie unter einem
aufzuckenden Feuerstrahl. Ihre Haltung straffte sich, in ihren Zügen
malte die Hölle wilde Verzerrung. „So stirb an den Küssen deiner
Maurin! Geh in dein Verderben, das ich dir mitbereitete!“
Das Wort sprang raubtiergleich an seine Kehle. Er zitterte an allen
Gliedern.
„Ich wollte dir Gottes Engel sein, aber deine Verachtung machte einen
Teufel aus mir, und aus der Hölle nahm ich mein Rezept -- Leon hat es
bereitet.“ Der Schweiß dampfte aus ihrem Leib, ihre Lippen fieberten.
„Ich war es, die dir den Weg zum Brandpfahl bereitete, meine Aussagen
vor dem heiligen Tribunal kreuzigten dein Christentum, beluden dich
mit Ketzerei und nahmen dir die ritterliche Ehre. Wehrlos warst du mir
ausgeliefert, und so riß ich dich aus den Himmeln deiner Liebe in die
Hölle meines Hasses.“
Mit Augen, die das Entsetzen verglaste, saß der Graf auf dem Bettrand
und horchte auf das Klappern der gifterfüllten Natter. Seine Glieder
durchrieselte der Abscheu vor der Orgie dieser Grausamkeit, die Finger
verkrampften sich zuckend ineinander, ein Feuer durchzüngelte seine
Brust, und es schien einen fürchterlichen Brand in ihm anzufachen,
dessen Rasen das Weib vor ihm verzehren mußte. Er wollte wie ein
käfigbefreiter Parder aufspringen -- aber die gefolterten Beine
knickten ein, elend und hilflos, untauglich zum Werk der Vergeltung,
klappte der Elendshaufe Mensch zusammen und lag so, ein neuerlich
Besiegter, vor dem blutsaugenden Vampir. Ein leises Wimmern, aus dem
die Klage um die verlorene Würde der Menschheit stöhnte, brach sich von
seinen Lippen.
Die Wache trat ein. „Die Zeit ist um.“
Mit einem Blick gesättigten Hasses, den Körper hochgestreckt, verließ
Doña Leonore de Uceda die Zelle. Kein Mitleid klopfte mehr an ihr
Herz. Priester mordeten um des verzerrten Glaubens, sie um ihrer
versengten Liebe willen. Bei diesem Opfer hatten sich beide Henker
die Hände gereicht. Und Don Pedro de Solar fühlte mitten im Toben der
Verzweiflung: aus diesen Fangarmen der Hölle gab es kein Entrinnen
mehr. Grausig wie ein gespenstischer Spuk stiegen vor seinem Auge die
Rauchsäulen des Ketzerfeuers empor. Aus der grauenhaft gepreßten Stille
sprang plötzlich ein furchtbarer Schrei.
Siebenunddreißigstes Kapitel
Der Schrecken der Glaubensverzerrung geht um. Was die Menschheit adelt,
liegt zerschlagen unter den erbarmungslosen Schwertern eines Geistes,
den das unheilige Rasen des Fanatismus sturmartig über ganz Spanien
fegt. Unter dem Zeichen der himmlischen Barmherzigkeit gebärdet sich
die Hölle wie toll.
Nach der traurigen Semana santa, der heiligen Woche, bereitet Lucero
von Cordoba den frommen Andalusiern einen furchtbaren Ostersonntag.
Die Ehre des Herrn über allen Welten muß herhalten, die Heiligkeit der
Verdammnis begründen zu helfen. Granada steht unter den Schauern des
ersten großen Autodafé, des Glaubensgerichtes, das nach dem Willen der
Kirche ein irdisches Abbild des Jüngsten Gerichts sein soll und das
als frömmstes Werk des Glaubens zur Ehre Gottes in die Welt geschrien
wird. Das Schauspiel soll dem Volk den Abscheu vor dem Ketzer einflößen
und es in der wahrhaftigen Frömmigkeit stärken. Vor dem Wahn des
reinen einheitlichen Glaubens muß das Recht der freien Menschheit in
den Staub sinken, und damit der Gedanke der dreieinigen Gottheit die
Welt beherrsche, muß dieselbe Gottheit durch den frevelnden Spruch
haßverseuchter Richter beleidigt werden.
Seit Mitternacht ist das Tragen von Waffen, das laute Singen, das
Reiten verboten. Gestern abend schon ging die große Prozession durch
die Stadt: Kreuzträger, Bruderschaften, Kohlenbrenner, Mönche,
Comisarios und Familiares der Inquisition zogen in langen Reihen
durch die von Fackelschein gespenstisch erhellten Gassen nach der
Bibarrambla, wo das Gerüst und der Altar gehämmert wurden.
In aller Morgenfrühe drängt das Volk nach dem Quemadero. Die
Vega schiebt ganze Haufen der bäuerlichen, frisch angesiedelten
Christen durch die vierzehn Tore der Stadt, und bald fluten erregte
Menschenströme zwischen den weißen Häuserufern aus allen Richtungen
einem einzigen Ziele zu: dem Quemadero, der Richtstätte.
Mit goldener Festespracht steigt die Ostersonne aus dem Schneegebirge,
ihr Glorienschein fällt auf die hölzernen Tribünen, die an den
Längsseiten des Platzes errichtet sind, umstellt von den Spalieren der
königlichen Wachen, er erhöht die Farbenzier der Fahnen, Bänder und
Teppiche, die die Balkone, Fenster, Mauern und Türme schmücken. Vor
dem Haus der Miradores, wo die Tribüne des Primas von Spanien, mit
Zweigen geschmückt, prangt, laufen scharlachrote Bänder vom Gesimse bis
zum Boden herab, sinnbildliche Andeutungen des Feuers, das der Ketzer
harrt. Über den Dächern erheben sich metallne Kreuze in die Sonne, die
die siegende Macht des Christentums künden sollen.
Unter einem Baldachin steht der Sitz des Inquisitors Lucero, umstellt
von dem Lanzenwall der erzbischöflichen Leibwache, hinter welchem
das Gewoge des Volkes anhebt. Der größte Andrang herrscht bei dem
schwarzüberflorten Gerüst, das für die Verurteilten bestimmt ist.
Unmittelbar davor ragen zwei Kanzeln auf, eine für den Prediger, die
andere für den Urteilsverkünder. Ein Altar, von Rosen umglüht, erhebt
sich in der Nähe davon, damit das Menschenopfer zur Ehre Gottes die
nötige Weihe erhalten könne. Hier knien schon die ganze Nacht hindurch
psalmodierende Dominikaner und beten für das Seelenheil der Ketzer, auf
daß sie reuig in den Schoß der heiligen Mutter zurückkehren könnten.
Hintereinander aufsteigende Sitzreihen für die Granden und ihre
Familien füllen den übrigen Teil des Platzes aus. Um die Zuseher vor
den sengenden Strahlen der Sonne zu schützen, spannen Stadtknechte von
Dach zu Dach weiße Riesentücher, die in Wasser getaucht sind. Schwarze
Maste mit Trauerfahnen in den Ecken des Platzes sollen den Schmerz der
Kirche über ihr ungewolltes Vernichtungsamt kennzeichnen.
Die Erregung wächst von Minute zu Minute. Man spricht von fünfzig
Verurteilten. Die Mehrzahl sind Moriskos, die im neuen Glauben wankend
geworden. Aber auch das Gerücht hat sich -- trotz aller Geheimhaltung
-- Bahn gebrochen, daß sich der Graf de Mora unter den Ketzern befinden
soll. Die Nachricht brennt in alle Herzen und macht die Köpfe wirbeln.
Aber man wagt nicht laut darüber zu sprechen aus Furcht vor den
Schergen, die in der Menge verteilt sind.
Kommt der König? Die Königin? fragt sich da und dort die Neugier weiter.
„Die Königin kann keine bleichen Gesichter sehen,“ belehrt ein
Schuhflicker ein paar Zudringliche.
„Es ist eine Abwechslung nach den Stierkämpfen und Ringelrennen,“ freut
sich ehrlich ein biederer Bauer der Vega. „Nur erbarmen sie mich in
der Seele in ihrem Schandkleid! Glaubt Ihr wirklich, daß welche brennen
werden?“
„Ihr seht doch dort das Holz.“
„Es sollen sechs brennen --“
„Nur einer, höre ich.“
„Wenn wir nur nicht enttäuscht werden,“ ängstigt sich ein anderer, ein
Kaufmann, der nicht gern um seinen Spaß kommen möchte. „Bleibt Ihr bei
der Verbrennung, Gevatter?“
„Man will’s doch gesehen haben,“ antwortet der Nachbar. „Wer bleibt
nicht?“
„Tragt ein wenig Holz zum Scheiterhaufen bei, und ihr könnt einen
ausgiebigen Ablaß haben,“ ermahnt ein Kerzendreher die Leute.
„Das läßt sich hören, man lebt doch viel ruhiger.“
„Man soll’s nicht erzählen,“ wispelt ein Seidenhändler einem andern zu,
„aber wer kann den Mund halten, wenn es einem das Herz abpreßt. Der
Herzog von Osuna soll nach Toledo geschafft worden sein --“
„Auch den Grafen von Orgaz hat man in der Nacht reiten gesehen, bewacht
von königlichen Reitern. Auch ein gelehrtes Licht, Don Hernando de
Rojas, ist nicht mehr in den Gassen zu sehen.“
„Es bereitet sich was vor, es liegt am Tage.“
„Seht, sie pflanzen das grüne Kreuz auf! Gott rette uns!“
„Ich gehe, ich gehe -- der Weihrauch drückt mir in der Kehle.
Vielleicht macht mich auch das dicke Blut so furchtsam.“
„Die Dominikaner sagen, wer nicht dableibt, ist nicht rein im Glauben.“
„So bleib’ ich denn, aber ich will wegsehen. Gott steh’ mir bei!“
„Gleich wird die Messe beginnen!“
„Wo ist Ximenes? Nun werden wir Lucero sehen, den Cordobaner. Gottes
Licht liegt in seinem Namen.“
„Er ist ein wahrhaftiges Licht, das den Glauben reinigt und alles
Unrechte verbrennt.“
„Aufgepaßt! Königliche Reiter! Als ob wir nicht genug davon hätten! Eh
-- drückt nicht so, Frau! Habt Ihr einen darunter, weil Ihr so weint?“
„Gott weiß, wie rein unser Haus ist. Aber muß man nicht weinen um ihre
armen verführten Seelen?“
„Die Moreria hat ihr ganzes Gelichter ausgeworfen, es ist alles voll
von Burnussen. Unsere Priester könnten den ganzen Genil als Taufwasser
über sie schütten, sie würden doch Mohammeds Paradies glauben.“
Reiter schaffen Platz für den Zug. Da und dort ein Aufschrei aus einer
allzu bedrängten Brust. Angst und Neugier spannen die Gesichter. Die
Glocken beginnen zu läuten. Das Stimmengewirr sucht den Schall zu
übertönen. Beim Eingang einer Gasse senken sich die Standarten der
königlichen Reiter -- Ximenes naht!
„Der Primas! Der Gobernador! Da seht -- Talavera! Ah! Ah! Er hält sich
kaum aufrecht! Ximenes kommt! Ximenes!!“
Der Erzbischof ist bleich wie Wachs, aber sein Auge brennt, als wollte
er mit diesem Feuer allein zehn Ketzer versengen. Im schlichten
Franziskanerkleid schreitet er daher, ganz langsam, das Haupt
gesenkt, die Lippen bewegen sich im Gebetmurmeln, ringsherum flirren
die Rüstungen seiner Leibwache. Wie eine Meereswoge wirft sich das
gaffende Volk von rückwärts an die Soldatenmauer heran, um den
Streiter für den Glauben zu sehen. Die Sombreros fliegen vom Kopf,
die Hälse strecken sich, hinter dem Wall von Lanzen wogt es hin und
her. Dem Toledaner folgt die granadinische Klerisei, paarweise, Gebete
murmelnd. Dann kommen die Granden, geführt von dem andalusischen
Geschlecht der Herzöge von Medina-Sidonia, alle in den schwarzen,
enggeschnittenen kastilischen Trachten, von Knappen begleitet, während
die Frauen in einer eigenen Gruppe, von den Ehrendamen flankiert, in
hochgeschlossenen Gewändern, den Hals von der steifen Krause umengt,
mit züchtig gesenkten Augen daherwandeln.
Unter ihnen schritt auch Doña Leonore de Uceda. Das schöne Antlitz war
von dem Laster des Neides und den Qualen der Selbstanklage entstellt.
Jeder Schritt schmerzte sie in den Knien, und sie glaubte unter der
Last ihrer Schuld zusammenzubrechen. Neben ihr ging mit stolz erhobnem
Haupt der Graf de Castro, ihr neuer Liebling, der sich über ihre
leidenschaftliche Liebe zum Grafen de Mora mit dem Lächeln des Stoikers
ebenso hinweggesetzt hatte, wie über die durch eine Königsliebe
beschädigte Tugend des Weibes.
Das Glockengeläute schwillt neu an. Ohnmächtige Frauen sinken im
Gedränge nieder, man kümmert sich nicht um sie, Augen und Hirne spannen
sich nach dem Gassenloch. „Sie kommen!“ Wie aus Grabestiefen erklingt
jetzt mißtönig der klagende Gesang des Miserere. Ein Glutwind schwingt
plötzlich seine Peitschen über die Stadt.
Aus dem Schattenwinkel des Platzes bohrt sich der dunkle Wurm. Zwei
Kohlenbrenner, mit Lanzen bewaffnet, in schwarzen Leinenkleidern, wie
Gesellen des Teufels zu schauen, eröffnen den Zug. Fackeltragende
Dominikaner unter Anführung des Kreuzes folgen den schwarzen
Riesengestalten. Dann schaukelt die rote Damastfahne der Inquisition
mit dem lorbeerumschlungenen Degen aus dem Schatten ins Licht. Dann
wieder Granden und Familiares des Tribunals -- und nun doppelt umreiht
von Lanzenknechten die von der Kirche verdammten, meist armen Moriskos
im grauen Sanbenito, auf dem Haupt die spitze Inquisitionsmütze. Auf
dem fahlen Schandkittel flammt grellrot das Andreaskreuz über Brust
und Rücken, in den Händen tragen alle brennende Kerzen, zuerst gehen
die gelinde Verurteilten, dann kommen die zu Geißelnden, die mit der
Galeere und dem Gefängnis Bedachten, drei Särge, in denen die Gebeine
derjenigen ruhen, die aus der Friedhoferde gescharrt wurden, weil sie
nach ihrem Tod der Ketzerei schuldig erkannt wurden und nun als Tote
verbrannt werden sollen.
Und jetzt -- die Gemüter sieden, die Stirnen schwitzen vor
todeslüsterner Neugier, und über die Rücken rieseln die Schauer -- jäh
prallt die Masse an die Spaliere heran -- er kommt!!
Zwischen zwei Dominikanern, gefolgt von zwei Familiares, hinkt,
ein Bild des Jammers, ein harlekinisch gekleideter Mensch. An
seinem gefolterten, zum Schreiten fast untauglichen Leib hängt ein
weitgeschnittenes Sanbenito, das mit Teufelsfratzen und Flammen bemalt
ist, und auf dem schwarzhaarigen Haupt sitzt die hohe kegelförmige
Coroza aus Pappe, ebenfalls mit Flammen bemalt. Das Antlitz ist
verwildert, durch die Tortur entstellt, von Jammer und Gram zerfressen.
Niemand kennt ihn, bis aus der Gruppe der Granden sich der Ruf
losschnellt: „Mora! Mora!“ Der Name züngelt von Mund zu Mund, und
bald summt und wispert und schallt es über den Platz: „Mora! Mora!
Mora!“ Herzen zittern, Augen füllen sich mit Tränen, Gewissen hämmern,
Angst jagt von Brust zu Brust. Die grausige Gewißheit, durch das
Flammen-Sanbenito besiegelt, wirft ihren Brand in alle Herzen. Was muß
er verbrochen haben, um so verdammt zu werden! Frauen schluchzen beim
Anblick ihres entstellten Lieblings, den sie wie den Cid durch die
Gassen reiten sahen, heldenhaft, ernst und streng. Und nun alles durch
Kerkerqual und Tortur gebrochen, der ganze Mensch eine halbe Leiche,
der daherwankt, gestützt von dem Helferarm eines „liebenden“ Bruders in
Christo.
Und nun fahren Kreuzigungsschauer durch die bebenden Herzen der Massen:
Lucero inmitten seiner Dominikaner! Ein scharfgeschnittener gebräunter
Kopf mit der andalusischen Adlernase sitzt raubvogelartig über der
Kutte, stechende kalte Augen sind die Schilder seiner Verstandeskraft,
der harte Mund kündet die Unerbittlichkeit seiner Entschlüsse, die
hohe Stirn verrät Geist und Tatkraft, und seine Haltung spricht jeder
mönchischen Demut Hohn. Die blutvollen Lippen murmeln Todesgebete, die
klanglos im Gesumme der begleitenden Priester ersterben. Alles in allem
ein ungebändigter Geist, der gewohnt ist, an den Gebilden des Hasses zu
weben.
Auf allen Lippen schwebt es: das ist er! Mit knapper Not ist er vor
wenigen Wochen dem großen Rächer Tod entschlüpft. Als er einen Brief
öffnete, fiel weißer Staub heraus, der ihn beim Einatmen bewußtlos
machte. Wie gnädig war da Gott!
Die Verurteilten werden auf der Tribüne zu einem Klumpen
zusammengepfercht. Die Glocken schweigen. Aus einer Menschengruppe
ertönt Schluchzen: Angehörige und Freunde eines Ketzers klagen um
den geliebten Mann, der da oben, ewiger Schmach preisgegeben, im
Schandkittel steht. Angst flattert durch die Brüste, und bang steigt
die Frage auf: Werde ich das nächste Mal nicht auch da oben stehen?
Das Glöcklein zur Missa aurea erklingt. Ein Dominikaner bringt das
Altaropfer unter dem bangen Schweigen der Menge. Nach dem Evangelium
liest Ximenes an Königs Statt den feierlichen Schwur, alle Ketzer
auszurotten und die Inquisitoren zu unterstützen. Nie flog ein Eid
inbrünstiger himmelwärts, des Erzbischofs Augen leuchten, als hätte
sie Gottes heiliges Feuer entzündet. Das Volk hebt die Hände auf und
schwört mit seinem Seelenhirten, die Ketzer vertilgen zu helfen zur
größeren Ehre Gottes. Amen.
Ein neuer Dominikaner besteigt die Kanzel, Glaubensfeuer sprüht aus
seinen Augen, sein Haupt umstrahlt voller Sonnenschein, als wöbe der
Himmel seine Gloriole um den Streiter. Er spricht beredsam von den
Gnaden des ewigen Gottes, von der Unverletzbarkeit der niedrigsten
Seele im Liebesbereich der Allmacht, von der Barmherzigkeit der
Kirche, die aber nicht umhin könne, die Augen offen zu halten für das
Zerstörungswerk des Teufels. Er tischt mit tränenerstickter Stimme
Bibelstellen auf, die die Verfolgung der Ketzer heischen, und verdammt
die Zweifler, die in das dreieinige Gottheitsdogma nicht den Weg finden
wollen. Er bittet Gott um Erleuchtung der Irrenden, um Vergebung
für die Bereuenden und um Segnung der Buße. Und dann strotzt sein
Predigerwort von erbarmungsloser Härte, es zielt wie hundert Dolche
nach den Brüsten und stöbert die Furcht in den Herzenswinkeln auf, daß
sie den ganzen Menschen durchrüttle. Katholischer Glaube, Reinheit
und Einheit der Religion -- mit diesen Wesenheiten durchsättigt er
seine Erbauungspredigt, wirft aber zum Schluß aufs neue die Gewitter
seiner Glaubenstollheit in die erregten Hirne, daß sie vom Übermaß
haßerfüllter Vorsätze zu bersten scheinen. Die Opfer auf der Tribüne
der Verdammnis weinen still vor sich hin, denn sie fühlen den Stachel
in ihrem Herzen wühlen, der gegen ihr Tun und Treiben gerichtet ist.
Wie ein Rudel Lämmer stehen sie zu zusammengeklumpt, zweiundvierzig
verurteilte Männer und Frauen und ein vierzehnjähriges Kind, das „Gott
gelästert“.
Der eine aber, der Narr und Verbrecher zugleich schien, stand
abseits des Klumpens, und das zermarterte Gesicht, das die Sonne
erbarmungslos überglühte, verklärte sich mählich unter dem Abglanz
hoher Gedanken, die nicht durch des Dominikaners Wortgeißel
aufgepeitscht wurden. Die Schande, grell ins Licht des Tages gerückt,
rührte sein wundgeschlagenes Herz nicht mehr. Tröstlicher als die
wütend zuschlagende Rute des Priesters war für ihn der Gedanke
an seine unversehrte Liebe und an die Rettung Reijas. Mit tauben
Ohren stand er da, aufrecht mit seinen zerbrochnen, zerschundnen
Gliedern, die blutgeschrammte, gefolterte Stirn furchtlos dem
Geschick entgegenstreckend, das man über ihn verhängt. Und während
von der Kanzel die Eifererschläge hallten, öffnete er sein Herz dem
Heilandswort, das in ähnlich düsterer Stunde der Verlassenheit einst
schmerzlich-anklagend erklungen war: Vater, vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun. Auch diese hier haben dein Gesetz verkehrt
und deinen göttlichen Tag zur Höllennacht gemacht. Mit des Hasses
verwirrendem Getränk haben sie dein heiliges Blut durchsetzt und haben
in deinem von Barmherzigkeit triefenden Namen Gericht gehalten über
nie bestandene Schuld. O Herr, den ich geliebt wie vielleicht keiner
dieser Priester, laß dein Sonnenauge auf mir ruhen, wenn die irdische
Nacht beginnt, und entlocke mir keine Träne der Verzagtheit! Was sagte
einst Abu Atir? Jeder Mensch geht aus dem Ist in das War. Warum also
schrecken wir vor dem Natürlichen zurück?
Wie eines brausenden Bergbachs Getöse donnert das Predigerwort an
seinem Ohr vorbei. Sein Geist erhebt sich in die Hochgefilde seliger
Erinnerung. Reijas Bild schwebt wie aus gottesklaren Sphären herab.
Das irdische Paradies, das sie ihm geschaffen, verklärt sich in
ein himmlisches, das fast islamitische Züge trägt, denn einer Huri
Lichtgestalt winkt ihm und scheint ihm ein seidnes Lager im heiligen
Auengrün zu bereiten, wo Bäche rauschen, sanfte Lüfte wehen und das
leise Geflüster in den Iraksträuchern wie süße Musik klingt. Das
greifbar schöne Bild zaubert auf sein entstelltes Gesicht den alten
Schimmer von Schönheit, und unter der Schmachmütze lächelt sein Mund,
als neigten sich tröstende Geister zu ihm herab. Er sieht den Platz, wo
er das vom Hufschlag getroffene Königskind auf der Erde zum erstenmal
erblickte, den Bücherhaufen, vor dem er Reija mit dem Degen vor einem
blindwütenden Priester geschützt, er hört ihre tiefkehlige Stimme
tönen, schaut ihre Gazellenschlankheit im Patio der Alcazaba inmitten
der Frauen im Mondlicht wandelnd, sie lächelt ihn an, hingestreckt im
weichen Pfühl, umduftet von Storax und Ambra, er entsinnt sich ihres
fröhlichen Geplauders im gelinden Gefängnis der Alhambra, er begleitet
sie zur Taufe, die ihr morgenländisches Wesen kaum berührt, verliebt
sich in die Ungebundenheit ihrer Kinderseele, in ihr Zwitschern und
Lachen und in ihren gespannten Ernst, wenn es um große Dinge ging. Ja,
ihr Herz stammt aus dem Garten ewiger Jugend und ist gesegnet von dem
Lächeln Gottes. Engelsschön hebt sich ihr Edelleib aus dem Nichts, und
die Nacht singt jubelnde Choräle zum Preis ihrer Schönheit --
Plötzlich Stille. Das Wort des Gottesredners ist verhallt -- Graf de
Mora schnellt aus dem wachen Traum. In den Massen hebt eine Unruhe an,
wieder tönen Jammerrufe -- dazwischen Ostergesang von Knaben, die vor
dem Altar knien, auf dem der erstandene Heiland mit der weißroten Fahne
des Sieges steht. Osterfest! Pas-cha! Bedeutete das Fest nicht einst
den Hebräern die Befreiung vom Tod durch den Würgengel? Wo das Lammblut
an die Türpfosten gestrichen wurde, dort ging der grause Seraph an
der Erstgeburt vorbei. Heute ist des Grafen Stirn mit seinem eigenen
Marterblut gezeichnet, und der Würgengel wird nicht vorüberziehen.
Ein Dominikaner besteigt die zweite Kanzel und verkündet den
vierzigtägigen Ablaß für alle, die dem Autodafé beiwohnen. Dann liest
er Namen vor -- die Häupter der Verurteilten schrecken empor.
„Abbas Ben Kahir ist der Ketzerei überführt, hat aber die Sekte der
Ketzer verlassen und wird in den Schoß der Kirche aufgenommen. Es wird
derselbe an drei Sonntagen mit nacktem Oberleib vom Elvirator bis zum
Tor des Albaycin durch Diener der Inquisition gepeitscht. Auch wird ihm
die Buße auferlegt, sein Leben lang weder Fleisch noch sonst etwas,
das aus dem Tierreich stammt, zu essen, zum Zeichen des Abscheues vor
seiner Ketzerei. Auch wird er zum immerwährenden Tragen des Sanbenitos
verdammt. Das Vaterunser und den Glauben hat er um Mitternacht täglich
zu beten. Die Pfarre von San Juan wird Brief und Urteil zur Überwachung
erhalten.“
Ein dumpfer Aufschrei, und ein kleiner, altersschwacher Morisko fällt
einem Mönch in die Arme. Er ist mit der Kirche „versöhnt“. In der Menge
heult ein Weib auf.
„Osmin Ben Jesid ist der Ketzerei überführt ...“
Eintönig geht die Verlesung weiter. Furchtbare Strafen fallen auf
die Häupter der schuldig Befundenen. Zweihundert Geißelhiebe mit dem
geknoteten Lederstrick, zehn Jahre Galeere, Gefängnis, Gütereinziehung,
Bann, Verlust aller Würden -- das spitzfindige Mönchshirn hat die
grausamsten Erniedrigungen und Demütigungen ersonnen, durch die das
Leben des Verurteilten für immer zerbrochen ist. Schmach und Schande
folgten von nun an dem Unglücklichen bis an sein Lebensende. Das
Sanbenito sorgte für die Kenntlichmachung des Ausgestoßenen. Selbst die
de levi Verurteilten verloren ihr Vermögen, das dem königlichen Schatz
und der Kirche anheimfiel.
Eine Stunde lang dauerte die Verlesung der Urteile. Wie flammender
Löwenatem fuhr der Glutwind über den Platz. Die durch Angst und Folter
zermürbten Jammergestalten fielen wie die Fliegen um, noch bevor sie
ihr Urteil gehört.
Da -- eine grauenvolle von Schreckensstille erfüllte Pause -- dann
tönt der edle Name, hallend und scharf: „Don Pedro de Solar Graf de
Mora --“
Die Leiber wogen an die Spaliere der Stadtknechte heran, die Augen
aller starren nach der im flammenbemalten Gewand steckenden Gestalt des
königlichen Hauptmanns. Jetzt tritt er vor, kniet nieder und faltet die
Hände vor der Brust.
Hell wie eine Glocke klingt das Urteil über den Platz: „... ist der
Ketzerei überführt und ist darin als ein Negativo beharret bis zur
Stunde. Die Kirche stößt den Ketzer aus im Namen des Herrn Jesu Christi
und übergibt ihn dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit mit der Bitte um
Schonung.“
Auf der Frauentribüne fällt eine Edeldame in die Arme einer andern.
Ihre verglasten Blicke starren nach dem Unglücklichen. Sie sieht die
Dornenkrone über seinem Haupt schweben, die sie ihm selbst geflochten.
Graf de Mora steht reglos, die schwarzen, verklärten Augen, wie
beschattet von den Fittichen des nahenden Todes, auf den siegenden
Heiland am Altar gerichtet.
Die zwei Dominikaner an seiner Seite sprechen in ihn ein, sie wollen
ihn noch einmal zur Abschwörung der Ketzerei bewegen. Wie Schlangen
züngeln die Worte an sein Ohr. Er drängt sie gelassen zur Seite und
will sprechen -- da hält ihm einer der Mönche den Mund zu.
Leonore de Uceda erhebt sich aus den Zuckungen der Reue. Ihr neuer
Geliebter, der Graf de Castro, flüstert ihr erregt ins Ohr: „Doña
Leonore -- der Graf stand Euch nahe --“
Und sie würgt mit vorquellenden Augen die Wahrheit aus der Kehle: „Mein
Haß -- treibt -- ihn -- in den -- Tod --“
Der Graf schaudert zurück. „Ihr habt -- ihn --?“
Sie nickt mit verzerrten Zügen. „Führt mich zum König --“
Kalt, mit ertöteter Liebe im Herzen, erwidert Castro: „Der König wird
nicht gewillt sein, ein haßerfülltes Geschöpf anzuhören. Lebt wohl,
Doña Leonore.“
Die Verlassene bricht lautlos zusammen.
Durch das dampfende Volk geht ein flüsterndes Wogen und Wallen. Aus
den dichtgeballten Haufen jagen Schreie in die stickige Luft. Auf die
Tribüne tritt der weltliche Corregidor und verkündet im Namen des
Königs das Urteil: Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Gleichzeitig
donnert eine Drommete, wie vom Sendling des Todes geblasen.
Der Graf steht unbeweglich, noch immer die Augen auf den Heiland
gerichtet. Es ist, als öffne sich durch seinen Blick die Seele und
als dringe ihr Gebet durch die schwarzen Leuchten ins Herz der
Christusstatue. Der Herr hat die Scheiterhaufen der heiligen Martina,
Columba und Katharina durch Regen gelöscht, er wird ein Wunder tun an
dem Bekenner seiner Allmacht, glüht der Glaube in dem Märtyrerherzen.
Aber der Himmel blaut erbarmungslos auf das furchtbare Gericht herab,
das seine sinnbildliche Klarheit schändet. Über dem Haupt des Grafen
ringt sich schon der Nimbus wunderbarer Reinheit aus dem irdischen
Leib, und seine Augen verklären sich aufs höchste.
Da stößt ein Schrei aus der Menge: „Ein Rosenvogel!“
Während das schauerliche Miserere erklingt, fliegt über die Dächer der
Steinpaläste ein seltsamer Vogel, dessen Gefieder rosenrot im Azur
leuchtet. Die Augen der Moriskos blicken nach der wildflatternden
Riesenrose empor. Ist es der Vogel Phönix, der aus wohlriechender Asche
flog? Ist es ein Gottgesandter für die Seele des Grafen? Bedeutet er
Befreiung vom irdischen Staub? Seht -- er fliegt in die Sonne -- in den
Himmel hinein -- nein, er senkt sich auf die Dächer herab -- oh! Ay!
Magier und Deuter her!
Alles starrt dem taumelnden Flug des Wundervogels nach. Ein seltsames
Gefühl des Grauens steigt plötzlich aus geheimnisvollen Tiefen auf und
bemächtigt sich der bangschlagenden Herzen. Unerklärliche Geräusche
erregen die bis zum Übermaß gespannten Nerven. Der flatternde Vogel hat
die Gemüter von der Tragödie des Wahns abgelenkt, und alles steht unter
dem Druck einer bangen Ahnung.
Wieder zischen eigentümliche Geräusche auf, denen man keinen Namen
geben kann, wieder wächst die Unruhe in dem Meer der Köpfe, wieder
schreit es aus den Ecken auf, wehklagend und geisterhaft --
Da -- in einem Winkel des Platzes, wo schwarzverhüllte Männer
Holzscheite ordnen, zuckt eine grelle Fackel auf.
Aber was ist das? Warum schwillt die Stickluft an? Welch siedende
Hitze! Und da drüben in der Luft -- Rauch -- stinkender, auftaumelnder
Rauch -- und der rosenfarbene Vogelleib hebt sich leuchtend von dem
qualmenden Untergrund ab.
Mit einemmal zuckt es wie ein aufschreiender Blitz aus einer Gasse:
Feuer! Nar! Fuego! Gellendes Geschrei, tierartiges Brüllen aus
angstgepackten Brüsten, Getöse, Krachen und Splittern der hölzernen
Tribünen, klagendes Geheul, Wimmern, Jammern -- ein leinener
Schutzdachstreifen reißt ab und peitscht mit seinem Ende die Köpfe der
Sitzenden -- Schreien, Verwirrung, Getaumel -- Fuego! Nar! Gequetsche
und Geknäuel unter anschwellendem Getöse -- die Sonnenglut verdunkelt
sich durch aufsteigende Rauchsäulen --
Da zuckt wie ein Pfeil aus dem Dächergeschiebe im Sonnenwinkel die
erste giftgelbe Flamme auf. Feuerfanfaren treiben die aufgewühlten
Köpfe in Angst und Entsetzen.
Ximenes, bleich wie eine Leiche, starrt in den geisternden Qualm.
Will mir der Himmel in die Arme fallen? fährt es durch sein Gewissen.
Soll das Werk der Gerechtigkeit nicht getan werden? Ist dies das
Erdbeben, das die heilige Lucia vor der Marter rettete? Von Grausen
erfaßt, bekreuzigt er sich. Dann ruft er in die ratlos auf und ab
wogende Inquisitionswache: „Helft löschen!“ Unter Anführung von Rittern
quetschen sich ungeordnete Soldatenhaufen durch die tobende Menge nach
den Gassenöffnungen.
Häusernamen tönen durch die Luft -- Christen, Mauren drängen sich
heulend in die halbverstopften Gassen, Scharen von Wächtern drängen
ihnen nach.
Lucero schreitet zu den Gefangenen und ermahnt die Wächter, deren
Reihen sich gelichtet haben, an ihre Pflicht.
Stickiger Qualm würgt die Kehlen zusammen -- über niedergetretene
Frauen und Kinder, über tote und jammernde Leiber wälzt sich der
Menschenstrom.
Himmel und Erde! Ist die Hölle los? Hier und dort und dort und hier,
überall Rauchwirbel und Funken -- wie aus unsichtbaren Schlünden
aufsteigender, den Himmel verdüsternder Qualm, untermischt von
rotbraunen und gelben Flammenfetzen, die gespensterhaft hin und her
torkeln -- in die Siedehitze prasselt und knistert es wie Höllenfeuer,
das die Sonne entzündet hat -- qualvolle Laute sirren durch die Luft,
ersticken jäh -- Todesschreie -- die Menschenhaufen verstopfen die
Ausgänge des Platzes -- prallen mit ohrenzerreißendem Geheul zurück --
Aus der Schattengasse des Zacatin wälzen sich Burnusse heran,
scharenweise, Fäuste schnellen in die Luft --
„Wache!“ schreit Ximenes erblassend.
„Wache!“ brüllt Lucero. Und von allen Seiten dröhnt das Echo: „Wache!“
Der Gobernador reißt mit starker Faust ein paar Wächter mit sich
und schleudert sie Ximenes hin. Näher und näher leuchten die weißen
Maurenhaufen, wie Kugeln rollen sie heran, durchbrechen den Wall der
Menge und den der Soldaten, stürzen sich auf die gefangenen Moriskos.
Verzweifelt wehren sich die Granden.
Der Corregidor zerrt den entgeistert stehenden Grafen de Mora an sich
heran: „Kommt!“
„Wohin?“
„Ins Gefängnis zurück!“
„In die Freiheit!“ schrillt eine knabenhaft weiche Stimme aus dem
Maurenknäuel jäh auf. Und ein Hirtenjunge schleudert sich dicht an den
Corregidor heran, und in seinen Händen blitzt die Navaja. „Freiheit
oder Leben!“ Der Richter taumelt zurück. In dem Augenblick reißen
braune Fäuste den Grafen aus dem Getümmel, das zwischen den Agarenos
und den herankeuchenden Inquisitionsknechten anhebt. Die Dominikaner
springen über das Tribünengeländer in die Menschenhaufen hinein. Auf
und ab flutendes Gewoge von Leibern, Kreischen und Jammern -- alles
umhüllt von dem erstickenden Rauch des ringsum über die Häuserdächer
herandrohenden Feuers. Granada ist zu einem einzigen Quemadero geworden.
Graf de Mora liegt am Boden, umringt von fäusteschwingenden Mauren, den
Montesinos aus den Alpujarras. Ehe er sich’s versieht, reißen sie ihm
das Schandgewand vom Leib und werfen ihm den Burnus um.
Der Hirtenjunge mit dem vermummten Gesicht krallt seine kleinen Hände
in des Wehrlosen Leib. „Geliebter!“
Mora glaubt zu vergehen. „Himmel -- Heerscharen --“
„Mir nach in den Zacatin!“ klingt es wieder wie Heilandston an sein
Ohr. Und ringsum ein Haufen geballter weißer schützender Leiber, die
mit Faustschlägen und Messerstichen dem neuen Agareno den Weg durch
die verzweifelten, niedergerungenen Kämpfer bahnen. Ehe die Gedanken
zu jagen beginnen, sieht sich der Graf hinweggeschleppt über liegende
Körper -- der Platz verdunkelt in Rauch und Aschenregen, die Granden
scharen sich zu einem verzweifelten Ringen zusammen -- die Ketzer
reißen sich von der Tribüne los und werfen sich in die dichtgeklumpten
Massen der Kämpfenden, wo sie ihre Schandkleider in Fetzen zerstückeln,
verschwinden dann in Kampf und Getöse.
Unter dem Schein der brandroten Glut über den Dächern, geschützt durch
die Masse grell leuchtender Burnusse, schleppen zarte Frauenarme in der
Hirtenjacke den wie von Wundern bedrückten Dulder von Stelle zu Stelle,
in die Enge des Zacatins, wo die geschlossenen Basare und Khane stehen.
Hinter ihnen sirren qualvolle Laute in Rauch und Dampf, vor ihnen
flüchten sich fluchende Knäuel von Christen, von Schauder und Angst
gepackt und gepeitscht, in Tore und Türen hinein, Schreie des Wahnsinns
flattern rechts und links auf, wachsen zu wüstem Gebrüll an -- da und
dort prasselt Gebälk von oben herab, flammende Scheite stürzen und
entzünden eine tobende Hölle in den Gassenlöchern.
Auf der Bibarrambla lodert plötzlich neuer Schrecken auf. Wie ein
weißer gespenstischer Feuerreiter auf brandrotem Roß sprengt eine
Mosesgestalt mit fliegendem Bart, das maurische Schwert in der Rechten,
über Steine und Leiber daher.
Ximenes, unter dem dreifach gereihten Schutz spanischer Wachen, starrt
auf den grausen apokalyptischen Reiter. „Abu Atir!“ haucht seine in
Rauch und Asche verdorrte Kehle. Mit verglasten Blicken sieht er den
weißen Riesenspuk im verqualmten Loch des Zacatins verschwinden. --
Reija hat sich mit ihrem Beuteschatz durch Tore und Höfe geschlagen.
Ihr Hirtenkittel schleift zerfetzt im Staub, ihre Hände bluten, das Rot
besudelt Gesicht und Kleid. Über Kalkschutt und verkohltes Holzwerk,
an schreienden Menschenhaufen vorbei ringen sie sich weiter. Der
halbzerbrochene Körper des Grafen kann ihr nur mühsam folgen. Eine
menschenverlassene Gasse öffnet sich, fern von Kampf und Brand -- dann
noch ein Tor -- und sie stehen in einem Patio, in dessen Winkel drei
gesattelte Pferde den Boden stampfen.
Auf den Stufen einer Treppe sinkt Don Pedro wie ein gemähter Grashalm
hin. Reija neigt sich über ihn und küßt seine qualgezeichnete Stirn.
Ihre Liebe strömt in seine Leere und füllt sie mit neuem, quellendem
Leben. Seine Arme umschlingen ihren Hals, sein Haupt bettet sich auf
ihre Schulter, und er starrt, noch vom Rettungswunder übermannt, in
die geliebten Augen, die wie Gottes Sterne lächeln, hinter denen
Paradiesesfluren leuchten. Langsam lockert sich sein zusammengepreßtes
Denken. „Du -- du -- Retterin --“
„Ich war es nicht allein --“ lächelt sie weh. „Alle Agarenos haben
geholfen, und Abu Atir hat sie geführt. Und es fiel einer um dich --
Eswer Ben Zerragh --“
Da krampft sich sein Herz zusammen vor soviel Entsagung. Seine Augen
werden feucht, und Reija spürt, wie seine Finger sich in ihre Gelenke
verkrallen. „Gesegnet sei sein Angedenken immerdar -- er starb, daß
wir uns lieben können -- Allah akbar! Allahuma su bahana hu! Der
Wille des Herrn geschehe!“ Mit verzückten Augen starrt sie in den
blauüberleuchteten Hof, als senkte sich dort die Herrlichkeit des
Himmels herab, während über Granadas Gassen der Höllendampf dunkelt.
Hufgepolter vor dem Gitter des Patio. „Er ist’s!“ jubelt Reija.
Hinter dem maurischen Eisentor steigt der Imam vom brandroten Tier.
Jeder Schritt des Greises dröhnt wie Sieg und Gewalt. Er schreitet
zur Treppe. Reija stürzt an seine Brust, und er beweint über ihrem
Scheitel den schwer erkauften Sieg um sein Königskind. „Viele Mauren
sind erschlagen -- sie sehen das Paradies im Glanz des Herrn, denn
sie meinten für ihren König zu kämpfen. Für ihn wollte ich Granada
wiedergewinnen -- aber unsere Kraft ist ermattet, Gott will es nicht
-- wir sind Schahhad geworden -- Bettler --“ Und er blickt mit warmem
Blick auf das zerschlagene Stück Menschenleben auf der Treppe. „Wird
dein Habib reiten können?“
Schwach nickte der Graf, indem er seine Hand dankend dem
Prophetenpriester entgegenstreckte.
„Die Zeit ist kostbar -- solange sie auf der Bibarrambla kämpfen und
das Feuer wütet, könnt ihr fliehen. Aufgerafft! Die Stirn gegen den
Glutwind gerichtet! Ihr werdet einen heißen Ritt haben bis ans Meer.
In Salobreña auf der Burg warten Saffana und Muza Ben Maradschun, der
Freund deines Vaters. Sie führen euch ins maghrebinische Land. Deines
Bleibens ist hier nicht mehr, Don Pedro. Dort drüben kann ich euch
helfen, ein neues Nest zu bauen, wenn Gott mir aus dem Kampf hilft.
Vielleicht, daß bessere Zeiten kommen, wo der Geist der Duldung weht,
sie werden euch dann den Weg nach den granadinischen Fluren öffnen.
Solange Ximenes atmet, wird dieser Geist, dessen Streiter du warst,
Don Pedro, erstickt werden. Aber Gott läßt Meere aufwallen und stürzt
Berge. Was soll der Dämon Wahn, der im Namen der sanften Lichtreligion
Isas in spanischen Hirnen wütet, seinem großen Willen anhaben? La
illaha illa illahu! Der Araber sieht sich nicht nach seinem Zelt um,
wenn er verreist. Wenn du auf dem Hügel von Padul stehst, sieh dich
nicht nach Granada um, willst du eine glückliche Heimkehr erzwingen.
Leb’ wohl! Gottes friedsamsten Engel über dich und ihn! Zu Roß!“
Unter dem Klang ferner Fanfaren, die die Wendung des Kampfes dem
christlichen Volk künden sollten, nahmen sie Abschied von dem Imam.
Noch eine letzte schmerzliche Umarmung -- dann schwang sich der Alte
aufs Pferd und flog wie ein junger Pfeil in die Gasse. Reija schrie
auf. Sie fühlte, daß sie ihn nie wiedersehen werde. Tränen schossen aus
ihren Augen. Erst ein Blick auf den Leidgenossen brachte sie zu sich.
„Allah akbar!“ jubelte sie zwischen den Zähnen.
Sie stiegen auf, ritten aus dem Tor, an den geknebelten Lanzenmännern
vorbei, die von Burnussen umringt waren, stürmten durch die Gassen
wie windgejagte weiße Flammen. Die Geißeln peitschten auf die Flanken
der Rosse. Durch das in Rauch und Ruß gehüllte Mühltor ging es hinein
in die padulischen Hügel. Hinter ihnen brannte, ein Quemadero der
Rache, Granada, die von einem Irrgedanken der Menschheit besessene
Christenstadt.
Erklärung von öfter vorkommenden Worten, die im Text selbst nicht
erklärt sind
Ahbab (ar.): Freunde
Alcazaba (ar.): Burg
Alkazar (ar.): ebenfalls Burg
Alguacil (sp.): Gerichtsdiener
Amadis (sp.): berühmter Held eines spanischen Ritterromans
Caballeria (sp.): Ritterpflicht, ritterliche Ehre
Calina (sp.): brauner Höhendunst
Carmen (sp.): Landhaus
Dschinnen (ar.): Geister Arabiens
Escudero (sp.): Schildknappen, Edelknaben
Faja (sp.): andalusische Schärpe
Faki (ar.): arabischer Priester
Feta (ar.): Ritter
Habib (ar.): Freund
Hermandad (sp.): Stadt- und Landwache für den Landfrieden
Isa (ar.): Jesus
Maja (sp.): Mädchen aus dem Volk, Geliebte
Medriset (ar.): Hochschule
Mekteb (ar.): Kinderschule
Mihrab (ar.): die Gebetsnische in den Moscheen
Minar (ar.): Turm der Moschee
Muallakat (ar.): die Dichtungen der sieben größten arabischen Dichter
Nasranij (ar.): Christ
Navaja (sp.): Gürtelmesser
Nisaram (ar.): Nazarener
Olla potrida (sp.): spanische Nationalspeise
Patio (sp.): Hof in den spanischen Häusern
Ricoshombres (sp.): der reiche Adel
Sahat (ar.): Hof in den arabischen Häusern
Salat (ar.): Stoßgebet
Santon (sp.): Heiliger
Schahhad (ar.): Bettler
Schaitan (ar.): Satan
Semsem (ar.): der heilige Brunnen von Mekka
Sid (ar.): Herr
Supremo (sp.): höchster Rat der Inquisition
Venta (sp.): Landschenke
Virgen (sp.): die heilige Jungfrau
Winke für die Aussprache der spanischen Wörter
Fast alle auf einen Vokal oder auf s und n ausgehenden Worte haben
die Betonung auf der vorletzten Silbe. Ausnahmen sind durch einen
Akzentstrich gekennzeichnet.
Die auf einen Konsonanten ausgehenden Wörter (ausgenommen s und n)
haben die Betonung auf der Endsilbe. (Auch hier gibt es Ausnahmen.)
h wird nicht ausgesprochen.
v wird wie w ausgesprochen.
j wird wie ch ausgesprochen.
c vor a, o und u sowie vor Konsonanten wie k, vor e und i wie z.
ch wie tsch.
ñ wie nj.
ll wie lj.
x wird wie ch ausgesprochen.
s wird scharf ausgesprochen wie ss.
Die Werke von Ludwig Huna
Herr Walther von der Vogelweide
Ein Roman von Minne und Vaterlandstreue
5. Tausend
Es ist ein Monumentalgemälde ... ein ungewöhnlich reizvolles Problem
... in einer Fülle so ungeheuer wirklicher Situationen und Beziehungen,
daß die Gestalt Walthers in allen ihren liebenswerten Vorzügen lebhaft
vor den Leser tritt.
Leipziger Abendpost
Die Verschwörung der Pazzi
Ein Roman aus der Zeit der Frührenaissance
5. Tausend
Hier erwächst uns ja ein neuer Boccaccio ... So etwas liegt ihm, darin
ist er Meister, und es wäre Unrecht, ihm überhitzte Sinnlichkeit
vorzuwerfen ... Hunas begehrtestes Südlandbuch.
Deutsche Zeitung, Berlin
Wieland der Schmied
Ein nordischer Sagenroman
6. Tausend
Der Roman des deutschen Volkes ... Zu wahrhaft überwältigender Größe
erhebt sich aus Hunas Dichtung die ungeheure Welt, die sich in der Edda
verkörpert.
Deutsch-Österreichische Tageszeitung, Wien
Der Kampf um Gott
Ein Roman aus der Zeit der Wiedertäufer
5. Tausend
Eine prachtvolle Schilderung der Wiedertäuferzeit, mit Philipp von
Hessen, dem unruhigen Landgrafen, im Mittelpunkt. Großartig ist Huna
die Darstellung der ganzen Epoche mit ihren zahlreichen Kämpfen
gelungen.
Berliner Tageblatt
Der Friedensverein
Eine satirische Geschichte
3. Tausend
Eine großangelegte, köstliche Satire auf Vereinsmeierei, Strebertum,
Großmannssucht und politische Kindergärtnerei.
Heimgarten, Graz
Die Borgia-Trilogie:
Die Stiere von Rom
Roman. 17. Tausend
Ein großer Wurf ... gigantisch ist die Handlung dieses Romans ... es
kommt über den Leser ein Rausch ...
Südd. Literaturschau, Stuttgart
Der Stern des Orsini
Roman. 17. Tausend
Ein geschichtliches Gemälde von grandioser Pracht, ein Dokument jener
Zeit, von einem echten Dichter geschaffen.
Berner Tagblatt
Das Mädchen von Nettuno
Roman. 12. Tausend
Eine gewaltige, von Kraft und von Sinnenfreudigkeit überschäumende
Symphonie, die jede Erwartung übertrifft.
Roseggers Heimgarten
Der Wolf im Purpur
Roman. 8. Tausend
Ein Kulturdokument deutscher Geschichte, das allen tief ans Herz
greifen wird.
Blätter für Bücherfreunde, Leipzig
Monna Beatrice
Ein Liebesroman aus dem alten Venedig. 12. Tausend
Eine machtvolle Symphonie von Liebe und Tod ... ein Hoheslied der Liebe
... eine der stärksten und glühendsten Romanschilderungen.
Bad. Presse, Karlsruhe
Die Harmonien im Hause Sylvanus
Die Darstellungskunst des Dichters gibt oft Szenen von dramatischer
Höhe, und seine Naturschilderungen haben einen so bestrickenden Reiz,
daß den in Berlins Häusermeer Eingeschlossenen das Heimweh beschleicht.
Das Buch bereitet Stunden köstlichen Genusses.
Tägl. Rundschau, Berlin
Offiziere
Von Hunas „Offizieren“ kennen wir den brausenden Rhythmus seiner
hinreißenden Erzählungskunst.
Grazer Tagblatt
Grethlein & Co., Leipzig und Zürich
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GRANADA IN FLAMMEN ***
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