Die häßliche Herzogin: Roman

By Lion Feuchtwanger

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Title: Die häßliche Herzogin

Author: Lion Feuchtwanger

Release Date: May 9, 2019 [EBook #59464]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HÄßLICHE HERZOGIN ***




Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
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                           Lion Feuchtwanger
                         Die häßliche Herzogin


                  Dieses Buch wurde als zweiter Band
                  der fünften Jahresreihe für die
                  Mitglieder des Volksverbandes der
                  Bücherfreunde hergestellt und wird
                  nur an diese abgegeben. Den Einband
                  zeichnete Walter Wellenstein


                           Nachdruck verboten
           Copyright 1923 by Volksverband der Bücherfreunde,
                  Wegweiser-Verlag G. m. b. H., Berlin




                         Die häßliche Herzogin


                                 Roman
                                  von
                           Lion Feuchtwanger


                     Volksverband der Bücherfreunde
                      Wegweiser-Verlag G. m. b. H.
                              Berlin 1923




                              Erstes Buch




Zwischen der Stadt Innsbruck und dem Kloster Wilten auf weitem, freiem
Blachfeld hoben sich Gezelte, Fahnenstangen; Tribünen waren
aufgerichtet, eine Art Rennbahn abgesteckt für Turniere und andere
sportliche Spiele des Adels. Für viele tausend Menschen war Raum
geschaffen, Bequemlichkeit, Vorbereitung zur Kurzweil. Schon das zweite
Jahr bedeckten diese Zelte die Felder von Wilten, wartend auf die große,
prächtige Hochzeit, die Heinrich, Herzog von Kärnten, Graf von Tirol,
König von Böhmen, ausrichten wollte. Die Klosterbrüder sorgten dafür,
daß der Wind die Zelte nicht schädige, daß die Arena für die sportlichen
Spiele nicht zuwachse, daß die Tribünen nicht zusammenmorschten. Aber
das Fest zögerte sich hinaus, der zweite Hochzeitsplan schien sich
ebenso zerschlagen zu haben wie der erste. Die Bürger von Innsbruck, die
Mönche von Wilten schmunzelten, die Berge schauten gleichmütig herunter.
Die Frauen der Innsbrucker spazierten zwischen den feinen, bunten
Leinwänden, die Kinder spielten Haschen über die Tribünen hin,
Liebespaare benutzten die Zelte zu willkommenem Versteck.

Der alternde König Heinrich -- ganz Europa ließ ihm gutmütig und ohne
Spott den Königstitel, trotzdem er sein Königreich Böhmen längst
verloren hatte und nur mehr die Grafschaft Tirol und das Herzogtum
Kärnten besaß --, ritt mißmutig zwischen den Zelten. Er hatte in der
Abtei Wilten ein kleines Frühstück genommen, gebackene Forellen in
Ingwer gesotten, Hühner in Mandelmilch, zum Nachtisch Gratias und
Konfekt. Aber sie verstanden sich in Wilten nicht auf wirklich erlesene
Küche: die Nuancen fehlten. Der Abt war ein wackerer, beflissener,
gescheiter Herr und ein guter, verwendbarer Diplomat, aber von den
Nuancen der Küche verstand er nichts. Ihm jedenfalls, dem König, hatte
es nicht geschmeckt, und während sonst nach dem Essen seine Laune sich
zu heben pflegte, war sie jetzt noch trüber als zuvor. Er ritt das
kleine Stück Weges nach Innsbruck ohne Rüstung. Die knappe, modische
Kleidung beengte ihn; es war nicht zu leugnen, er wurde jetzt von Monat
zu Monat fetter. Aber er war ein weltmännischer, ritterlicher Herr; er
saß prächtig auf seinem edlen, geschmückten Pferd und ließ sich von den
unmäßig langen, weiten Ärmeln nicht behindern.

Leichter Wind ging, flockte den Schnee auf, bauschte die Zeltwände, ließ
sie flattern, klatschen. Das kleine Gefolge war zurückgeblieben, der
König ritt allein, langsam, lässig. Beschaute verdrießlich die
weitläufigen, festlichen Anstalten. Seine glattrasierten Backen hingen
schlaff, träg und fett, der Mund baute sich vor, groß, häßlich, mit
gewulsteter, mächtiger Unterlippe. Seine hellen, wässerigen Augen gingen
verärgert über die Stadt aus Leinen, über die Tribünen, die Schranken
der Arena. Er war gewiß ein gutmütiger, verträglicher Herr. Aber
schließlich hatte auch seine Langmut Grenzen. Nun hatte Johann, der
Luxemburger, ihn zum zweitenmal zum Narren gehabt: ihm zum zweitenmal
die Braut zugesagt, alles feierlich abgesprochen -- ihn zum zweitenmal
sitzen lassen.

Er schnaubte, sein Atem blies durch die kleine, platte Nase, stand in
starken Dunstwolken in der kalten, nebligen Schneeluft. Eigentlich war
er Johann, dem Luxemburger, trotz allem nicht böse; es fiel ihm
überhaupt schwer, jemandem böse zu sein. Johann hatte ihn schmählich aus
Böhmen hinausgejagt, so daß von seinem Königtum nur der leere Titel
blieb; aber er hatte sich von dem liebenswürdigen, eleganten Mann
mühelos wieder versöhnen lassen, als der ihm finanzielle Entschädigung
und die Hand seiner schönen, jungen Schwester Maria bot. Auch als der
Luxemburger sein Versprechen nicht halten und seine Schwester nicht zu
der Heirat überreden konnte, hatte er weiter kein großes Gewese gemacht
und sich bereit erklärt, mit der andern Braut vorliebzunehmen, die der
Luxemburger ihm vorschlug, mit Johanns Kusine Beatrix von Brabant. Doch
daß jetzt auch die ausblieb, das war zuviel. Der Bartholomäustag, an dem
sie hatte eintreffen sollen, war längst vorbei; Johanns liebe Muhme von
Brabant war nicht gekommen, die schönen Zelte auf den Wiltener Feldern
warteten vergebens. Der Luxemburger wird gewiß wieder eine zierlich
gedrechselte Ausrede wissen. Allein diesmal wird sich König Heinrich
nicht so glatt beschwichtigen lassen. Auch die Langmut eines
vielgeprüften christlichen Königs hat ihr Maß und Ziel.

Er wippte ärgerlich mit der kostbar verzierten Reitgerte. Er erinnerte
sich sehr deutlich, wie er zuletzt mit Johann zusammengewesen war, im
Mai, und alles abgesprochen hatte. Der Luxemburger, das mußte man
zugeben, war in fabelhaft eleganter Aufmachung erschienen. Er trug,
ebenso wie alle Herren seines Gefolges, die neueste Tracht, die eben in
Katalonien und Burgund aufgekommen war, und die man in Deutschland noch
nie gesehen hatte: ungeheuer enge, knappe Kleider -- man brauchte zwei
Diener, um sie über die Glieder zu zerren -- aus vielfarbigem Stoff, mit
Schachbrettflicken besetzt, weite Ärmel, fast bis zu den Knien
herabhängend. Er selber, König Heinrich, legte größtes Gewicht auf
modisches Auftreten; doch der Luxemburger -- es war nicht zu bestreiten
-- war ihm über. Alle die böhmisch-luxemburgischen Herren -- wie sie es
nur in der kurzen Zeit hatten fertigbringen können! -- hatten auch
bereits die neue Haartracht getragen: Vollbart und langes Haar an Stelle
des glattrasierten Gesichts und des kurzen Haarschnitts, wie es seit
seinem frühesten Erinnern, ja wohl seit der Stauferzeit, Kavaliersitte
gewesen war. Es hatte ihn wirklich überrascht und ihm imponiert, wie
sicher und selbstverständlich der Luxemburger über Nacht in die neue
Mode hineingewachsen war. Er hatte denn auch voll heimlicher Bewunderung
mit Johann nur über Fragen der Mode gesprochen, dazu über Frauen,
Pferde, Sport, und die Politik und die zu erledigenden geschäftlichen
Fragen der Hochzeit seinen Räten überlassen. Seine Herren, der
behutsame, ergebene Abt von Wilten, der vielbelesene, beredte Abt
Johannes von Viktring, sein stattlicher Burggraf Volkmar, seine lieben,
klugen Herren von Villanders, von Schenna verstanden diese peinlichen,
langweiligen Gelddinge ja wirklich viel besser als er selber, in ihren
treuen und gewandten Händen lag die Abfassung des Vorvertrags viel
sicherer. Er hatte sich darum auch auf das Gesellschaftliche beschränkt,
und wenn König Johann die Vorzüge der Pariser und Burgunder Damen pries,
mit denen er zu abenteuern liebte, so hatte er dem die festen Reize der
Tirolerinnen entgegengehalten, die er sehr, aber sehr genau und aus
immer neuer Anschauung kannte. Schließlich hatte ihm dann sein lieber
Sekretär, der Abt Johannes von Viktring, den fertigen Vorvertrag
vorgelegt, hatte einen lateinischen Vers zitiert: »Und so wäre denn
dieses zum schönen Ende beschlossen,« hatte versichert, jetzt sei alles
gut und erledigt, er werde bestimmt zu Bartelemi die Braut und
dreißigtausend Mark Veroneser Silbers bekommen. Und da war er nun und
ritt herum auf seinem Festplatz. Die Zelte waren da, die Fahnenstangen,
der Turnierplatz -- aber keine Braut und kein Geld.

Am Wege des Königs stand ein kleiner Knabe. Er hatte das Pferd nicht
kommen hören; er hockte eifrig und angestrengt im Winkel eines Zeltes,
hatte den Rock hochgehoben, verrichtete seine Notdurft. Der König
ergrimmte über solche Besudelung seines Hochzeitsplatzes, schlug nach
dem Knaben. Gleich aber, wie der losheulte, hatte er Mitleid, bereute,
warf ihm eine Münze zu.

Nein, es ging wirklich so nicht länger. Wie da die Zelte standen und
warteten, das war seiner Majestät unwürdig. Er wird Schluß machen mit
dem Luxemburger und seinen windigen Projekten. In Innsbruck trifft er
den Österreicher, den Herzog, den lahmen Albrecht. Mit dem wird er
Kontrakt schließen, sich von dem Österreicher die Braut verschreiben.
Ist er auf Luxemburg angewiesen? Gotts Marter! Was ihm Luxemburg nicht
schaffen kann oder will, das wird ihm Habsburg schaffen.

Er war nicht geneigt, Verdruß lang in sich zu halten. Sowie er seinen
Entschluß gefaßt hatte, ließ er den Ärger in die freie, kalte, fröhliche
Gottesluft hinaus. Er sah mit ganz anderen, lustigen Augen auf den
festlichen Aufbau ringsum. Lacht ihr nur! Der wird jetzt bald seinen
guten Sinn haben. Er richtete sich höher, pfiff ein kleines, keckes
Lied, spornte sein Pferd, daß seine Herren sich beeilten, ihm
nachzukommen.

                   *       *       *       *       *

Die fünf Herren des engsten Gefolges hatten, die weitläufige Zeltstadt
durchreitend, halbe, andeutende, lächelnde Sätze über die verzögerte
Hochzeit des Königs getauscht. Sie waren alle fünf weit begabter als ihr
Herr, sie quetschten ihn, vor allem der brutale Burggraf Volkmar, nach
Kräften aus, preßten ihm immer neue Belehnungen, Herrschaften,
Steuerverpachtungen ab. Aber bei alledem hingen sie in ihrer Art an dem
gutmütigen, sanguinischen, bequemen Fürsten. Er war ein freigebiger
Herr, fromm, ein guter Kumpan, geneigt zu Festen und Sport, den Frauen
zugetan; er liebte modische Kleider, jegliches Behagen, er hatte auch
Phantasie, war für jedes Unternehmen leicht zu haben; nur pflegte er
rasch zu erlahmen, hielt nicht durch. In einer Zeit, in der alle Politik
so ganz von der Persönlichkeit des Fürsten abhing, hatte ein solcher
Herr nicht gerade die besten Aussichten, und seit dem böhmischen
Abenteuer war er für die große europäische Politik auf alle Zeit
erledigt. So wenig er das ahnte, so genau wußten das die Herren. Sie
wußten: mit ihm wurde Politik gemacht -- nicht er machte sie.

Aus diesem Wissen heraus überschauten sie auch die Heiratspläne
Heinrichs, und die wartenden Zelte hatten für sie einen sehr anderen,
ironischeren Sinn als für den guten König.

Am Hebel der Geschicke des Römischen Reichs saßen drei Fürsten. Der
rasche, glänzende, schillernde Johann von Luxemburg-Böhmen, der schwere,
schwankende Ludwig von Wittelsbach, der zähe, weitsichtige Albrecht von
Habsburg, den seine Lähmung hart und zum Lenker seiner mitregierenden
Brüder gemacht hatte. Die drei Fürsten waren gleich an Macht, streckten
die Hand nach der Herrschaft über das Reich und die Christenheit, saßen
gespannt, belauerten sich. Äugten nach dem Land in den Bergen, nach
Kärnten und Tirol, wo Heinrich saß, der alternde Witwer ohne männlichen
Erben. Hier war eine Möglichkeit, die einzige, Macht und Besitz
entscheidend zu mehren. Das Land in den Bergen, das reiche, schöne,
fruchtbare berühmte Land, dehnte sich von den burgundischen Grenzen bis
zur Adria, von der Bayerischen Hochebene in die Lombardei. War die
Brücke von den österreichischen Besitzungen der Habsburger zu ihren
schwäbischen, von Deutschland nach Italien, der Schlüssel zum Imperium.
Seinen Herrn, den gutmütigen, alternden Lebemann zu gewinnen, zu
beerben, schien jedem der drei Fürsten erreichbar. Sie stellten seine
Sehnsucht, zu seinen vielen unehelichen Söhnen und seinen beiden
ehelichen Töchtern einen echten männlichen Erben zu haben, in ihre
Rechnung, lockten ihn mit seinen Heiratsplänen.

Die fünf Herren, die drei Ritter in ihren Rüstungen, die beiden Äbte in
Reisekleidern von sehr weltlichem Schnitt, lächelten, wenn sie daran
dachten, wie König Heinrich diese Zusammenhänge nicht sehen, wie er sie
vor sich selber verstecken wollte. Er tat, als mühten sich der
Luxemburger, der Wittelsbacher, der Habsburger nur aus fürstlicher Lieb'
und Treue, aus Freundschaft, ihm die rechte Braut zu finden.

Am unbedenklichsten war dabei Johann vorgegangen, der Luxemburger. Erst
hatte er Heinrich seine junge, schöne Schwester Maria angetragen und
zwanzigtausend Mark Veroneser Silbers, als Gegengabe die Vermählung
einer der Töchter Heinrichs mit einem der kleinen luxemburgischen
Prinzen verlangend. Er hatte den alten, lüsternen Witwer mit Bildern
Marias gereizt, ohne die zarte, feine, strahlende Prinzessin auch nur
mit einem leisen Wort um ihre Zustimmung gefragt zu haben. Es war
unschwer zu verstehen, daß die junge, liebliche Luxemburgerin, die
Kaiserstochter, sich mit allen Mitteln gegen die Heirat mit dem alten,
schlaffen Lebemann sträubte. Sie hatte ein Gelübde ewiger
Jungfräulichkeit getan, aber dies Gelübde -- die Herren feixten, als sie
in schleierigen Worten davon sprachen -- hatte sie nicht gehindert,
wenige Monate später sich dem König von Frankreich zu vermählen.

Wahrscheinlich hatte Johann, von vornherein wissend, daß er seine
Schwester niemals zu der Heirat mit dem Kärntner vermögen werde, den
alten König, der sich kindisch auf einen wohlgestalten Prinzen aus
dieser Ehe freute, nur hinhalten wollen. Gewiß war, daß er das
zweitemal, im Fall der Beatrix von Brabant, ein leichtfertiges Spiel mit
dem alten Fürsten trieb. Durch das Versprechen einer noch weit reicheren
Mitgift hatte er Heinrich einen Vertrag abgelistet, demzufolge Heinrichs
kleine Tochter Margarete einen von Johanns kleinen Söhnen heiraten und,
falls Heinrich ohne männliche Nachkommen mit Tod abginge, seine Länder
erben sollte. Damit hatte er die Handhabe, sowie der alte Fürst ohne
Sohn starb, seine Hand auf Kärnten, Görz, Tirol zu legen. Nun hatte er
zwar durch sorgfältige Prüfung der mannigfachen Liebesabenteuer
Heinrichs festgestellt, daß der rasch abgeblühte König in den letzten
vier, fünf Jahren von keiner seiner Geliebten mehr ein Kind bekommen
hatte. Immerhin, hier konnte kein Arzt und kein noch so erfahrener
Lebemann mit Sicherheit voraussagen; je länger der Luxemburger die
Heirat des Königs hinauszog, desto mehr schwand dessen Aussicht auf
männliche Nachkommen, desto größer wurde die eigene Hoffnung, durch
seinen kleinen Sohn das Land in den Bergen und damit das römische
Imperium in die Hand zu kriegen.

Sehr genau sahen die Herren diese Verknüpfungen, sehr genau wußten sie,
daß hier der letzte Grund war, aus dem die festlichen Zelte so leer und
betrübt dastanden. Wenn des Luxemburgers liebe Muhme von Brabant,
Tochter des Sire von Louvain und Gaesbecke, Nichte des verstorbenen
Kaisers, des siebenten Heinrich, zögerte, wenn sie vorgab, sie sei die
einzige Stütze ihrer Eltern, sie wolle ihr schönes Flandern nicht mit
dem fremden, beängstigenden Bergland vertauschen -- ei, sehr dringlich
hatte ihr das der Luxemburger wohl nicht auszureden versucht.

Die Herren standen dem ganzen Heiratsplan, der recht eigentlich der Kern
aller alpenländischen Politik war, im Grund unbehaglich und zwiespältig
gegenüber. Der Burggraf Volkmar zwar, wuchtig und brutal in seiner
gewaltigen Rüstung, sagte mit seiner harten, knarrenden Stimme, ob
Luxemburg, ob Habsburg, es sei gut, wenn der König endlich die Braut im
Bett habe; die Majestät und mit ihr sie selber, seine Räte und Herren,
machten sich lächerlich von Sizilien bis in die fernste Nordmark mit
diesem endlos verhinderten Beilager. Allein das klang ein wenig krampfig
und unecht, und sowohl der schlaue, wortkarge Tägen von Villanders wie
Jakob von Schenna, der feine, hagere Herr, der jüngste der Räte, zu
dessen müdem Skeptikergesicht die Rüstung schlecht stand, machten
zweifelnde Mienen. Der König Heinrich verstand so angenehm wenig von
Finanzen; er überließ die Verwaltung ganz seinen Räten, und wenn die bei
Rechnungsablage klagten, was für Mühe sie gehabt und wie sehr sie
daraufgezahlt hätten, so bedankte er sich mit vielen freundlichen Worten
und hielt trotz seiner immer leeren Kassen nicht zurück mit Belehnung,
Privilegien, Steuerpachten. Man wurde auf schöne, leichte, behagliche
Art fett bei ihm, rundete, mästete Gut und Truhe. Wenn sich jetzt -- die
Herren seufzten -- ein Fremder in diesen bequemen Pfuhl hineinlegt, wird
man es, trifft man noch so viel Vorkehrungen, auf keinen Fall mehr so
leicht haben.

Wirklich vergnügt waren die beiden Prälaten, der schlaue, kleine, magere
Abt von Wilten und der betuliche, redselige, behagliche Johannes von
Viktring. »Lehrreich ist es und schön, das Treiben der Großen zu sehen,«
zitierte dieser einen antiken Klassiker, und beide hatten sie ihre
große, stille, sportliche Freude an der Diplomatie des Luxemburgers. Sie
waren nicht unbescheiden; ob Heinrich, ob der Luxemburger, ob der
Habsburger, sie werden von jedem herauszubekommen wissen, was sie für
ihre freundlichen, sauberen, fetten Abteien brauchten. So warteten sie
mit fast unparteiischer Neugier, wie der Kampf zwischen Albrecht von
Österreich und Johann von Böhmen ausgehen werde, und beschauten mit
Wohlwollen die dicke, fromme, gutmütige, lebenslustige Schachfigur, die
König Heinrich in dem hohen Spiel der drei mächtigsten Deutschen
darstellte.

Die Herren holten den König ein, der straffer auf seinem Pferd saß,
sahen, wie er sich aufgehellt hatte, errieten seinen Entschluß, sich von
dem Habsburger unter allen Umständen die Braut verschreiben zu lassen.
Nun ja, so oder so, einmal mußte die Angelegenheit zum Streich kommen.
Gut, man wird sich also auf den Habsburger einstellen.

Doch als nach wenigen Monaten die Zelte von Wilten sich endlich wirklich
mit den Festgästen bevölkerten, war freilich eine andere Beatrix die
Braut, jene, die Albrecht von Österreich vorgeschlagen hatte, Beatrix
von Savoyen; allein Johann von Luxemburg hatte sich eingeschoben, Johann
von Luxemburg hatte die Hochzeit vermittelt, den Vorvertrag
unterzeichnet und garantiert, Johann von Luxemburg zahlte die Mitgift
oder versprach wenigstens, sie zu zahlen, und sein kleiner Sohn Johann
war der Bräutigam Margaretes von Kärnten und Erbe des Landes in den
Bergen.




Die zwölfjährige Margarete, Prinzessin von Kärnten und Tirol, reiste von
ihrem Stammschloß bei Meran nach Innsbruck zur Hochzeit mit dem
zehnjährigen Prinzen Johann von Böhmen. Ihr Vater, König Heinrich, hatte
ihr vorgeschlagen, sie solle die nahe Straße über den Jaufenpaß nehmen.
Aber sie zog den riesigen Umweg über Bozen und Brixen vor, denn sie
wollte sich weiden an den Huldigungen der menschenvollen Siedlungen an
dieser Straße.

Sie reiste mit großem Gefolg. Die Herren ritten langsam, die
schöngeschmückten, kostbaren Planwagen der Damen knarrten holpernd die
bergigen Straßen hinauf, hinab, stießen erbärmlich. Viele Damen zogen
Maultiere vor, trotzdem sich das eigentlich nicht schickte, oder sie
ließen sich auch für eine kurze Strecke von den Herren aufs Pferd
nehmen.

Die kleine Prinzessin saß in einer prunkvollen Roßsänfte mit ihrer
Hofmeisterin, einer Frau von Lodrone, und ihrem Kammerfräulein Hildegard
von Rottenburg, einem dürren, unansehnlichen, ungeheuer dienstwilligen
Geschöpf. Die beiden Damen seufzten und lamentierten immerzu über den
Staub der schlechten Straße, den Gestank der Pferde, das endlose
Geschaukel; aber die Prinzessin ertrug die Strapazen ohne leiseste
Klage.

Still und ernsthaft saß sie, aufgeputzt, pomphaft. Die Taille war so
eng, daß sie sie schnürte; die Ärmel aus schwerem, grünem Atlas hingen
übertrieben modisch zum Boden; ein Eilkurier hatte ihr aus Flandern
eines der neuartigen, kostbaren Haarnetze bringen müssen, wie sie eben
dort aufgekommen waren. Eine schwere Halskette prahlte über dem
Ausschnitt, große Ringe an den Fingern. So saß sie, ernsthaft,
schwitzend, überladen, prunkvoll zwischen den verdrießlichen, ewig
jammernden Frauen.

Sie sah älter aus als ihre zwölf Jahre. Über einem dicklichen Körper mit
kurzen Gliedmaßen saß ein großer, unförmiger Kopf. Wohl war die Stirne
klar und rein, und die Augen schauten klug, rasch, urteilend, spürend;
aber unter einer kleinen, breiten, platten Nase sprang der Mund äffisch
vor mit ungeheuren Kiefern, wulstiger Unterlippe. Das kupferfarbene Haar
war hart, spröde, stumpf, ohne Glanz, die Haut kalkig grau, bläßlich,
unrein, lappig.

So fuhr das Kind von Kärnten durchs Land unter einem strahlenden
Septemberhimmel. Wo sie hinkam, grüßten Zinken und Trompeten, Glocken
läuteten, Fahnen wehten. In Brixen holten Bischof und Kapitel
feierlich die Tochter und Erbin ihres Schirmvogts ein. Die
großen Feudalaristokraten empfingen sie an den Grenzen ihrer
Lehensherrschaften. Am Weichbild der Städte erwarteten sie mit
festlichem Gruß die Behörden.

In klarer, kluger, lateinischer Rede, herrisch und sehr erwachsen
erwiderte Margarete die unterwürfigen Worte der Huldigenden. Ehrfürchtig
starrte das Volk sie an, grüßte sie wie das Sanktissimum, hob die Kinder
hoch, daß sie ihre künftige Fürstin sähen.

War sie vorbei, schaute man sich an, feixte. »Das überworfene Maul! Wie
eine Äffin!« höhnten Frauen, die unansehnlich waren und dürftig von
Gestalt. Schöne hatten Mitleid. »Die Arme! Wie sie häßlich ist!«

So zog das Kind durch das Land, kalkig, blaß, dicklich, ernsthaft,
schwer von Pomp wie ein Götzenbild.

                   *       *       *       *       *

In dem großen Empfangszelt der leinenen Stadt vor Wilten prunkten die
kostbaren Gobelins und Teppiche, rauschten feierlich die Banner, standen
gravitätisch die Wappen von Luxemburg, Kärnten, Krain, Görz, Tirol. Der
zehnjährige Prinz Johann erwartete die Braut, die ihm vermählt werden
sollte. Mager, knochig, sehr groß für seine Jahre, stand der Prinz, der
dünne, lange Kopf leidlich hübsch, doch versteckten sich tief in den
Höhlen bösartige, kleine Augen. Unbehaglich rieb er sich in seinen
engen, modischen Kleidern, die schmale Brust peinlich zerstoßen in einer
rein dekorativen Halbrüstung, die er bei diesem Anlaß zum erstenmal
trug. So drückte er sich, schwitzend, sonderbar unsicher, zwischen den
fünfzehn böhmischen und luxemburgischen Herren herum, die ihm das
Geleite gegeben.

Trompeten, sich senkende Fahnen. Die Prinzessin kam. Der Erzbischof von
Olmütz trat vor, begrüßte sie im Namen des Prinzen mit tönenden, geübten
Worten. Dann standen sich die beiden Kinder gegenüber, der geschmückte
Knabe in seiner Zierrüstung und das prunkschwere Mädchen. Prüfend
beschauten sie sich. Unbehaglich blinzelte, scheu und trotzig aus
kleinen, bösartigen Augen Johann nach seiner häßlichen Braut; kühl, fast
verächtlich sah Margarete auf den langen, stakigen, unsicheren Knaben.
Dann, zögernd, zeremoniös, reichten sie sich die Hände.

Die Väter kamen. Bewundernd sah Margarete den riesigen, strahlenden
König Johann. Welch ein Mann! Und der Luxemburger, der ein sehr geübter
Politiker war, überwand sich. Zuckte nicht zurück. Hoch hob er in seinen
starken Armen das häßliche, dickliche, prunkende Kind, das seinem Sohn
Kärnten, Krain, Tirol, Görz zubrachte, und vor aller Augen küßte er die
Zitternde, ihm dringlich in die Augen Starrende, glückselig
Erschlaffende auf den breiten, äffisch vorgebauten Mund. Der alternde
König Heinrich stand froh und gerührt, die hellen Augen noch wässeriger
als sonst. Mit seiner fleischigen, immer etwas zitternden Lebemannshand
schüttelte er die kalt schwitzende, kraftlose, knochige seines kleinen
Schwiegersohns, redete zu ihm wie zu einem Erwachsenen.

Und es klangen die Hörner, dröhnten die Pauken, das Festmahl begann. In
Scharlach und Gold glänzte das Zelt, in dem die Kinder Galatafel
hielten. Drei strotzende Tische bogen sich unter den Schaugerichten. Die
Bistümer Trient und Brixen hatten ihr kostbares Tischzeug geliehen, die
Städte Bozen, Meran, Sterzing, Innsbruck, Hall ihr Prunkgeschirr. Schwer
zu Häupten des Brautpaars prahlten die Standarten mit den ungefügen
Wappentieren. Hoch auf ihren wuchtigen, geschmückten Streitrossen trugen
die ersten Herren Böhmens, Kärntens, Tirols die Speisen herbei für die
fürstlichen Kinder, unter Vortritt der Musik. Ritter reichten Wasser,
Handtücher nach jedem Gang, schenkten Wein, schnitten Speisen vor.
Ernsthaft unter Scharlach und Gold mit alten Gesichtern thronten die
Kinder.

Der gute König Heinrich schwamm in Glück. Er ging hinüber zu seiner
neuen Gemahlin, der jungen, schüchternen, bleichsüchtigen, immer
fröstelnden Beatrix von Savoyen, die am Tisch der fürstlichen Damen
präsidierte, tätschelte ihre Hand, trank ihr zu. Schlenderte wieder
zurück zu dem Luxemburger, dem ersten Ritter, dem galantesten Weltmann
der Christenheit. Es tat wohl, sich Seite an Seite mit diesem zu fühlen,
eins mit ihm. Der war anders als der ernsthafte, fade Bayer, der Kaiser
Ludwig, der immer nur von Politik sprach und von Militär. Der gehörte zu
ihm, war von seiner Art. Er, Heinrich, lebte und liebte herum auf seinen
Schlössern Zenoberg, Gries, Trient, auf den Burgen seiner Edelleute, und
ihre Damen waren geehrt und erfreut, wenn sie ihrem Fürsten ihre
Ergebenheit zeigen konnten. Auch auf Reisen ging er keinem Erlebnis aus
dem Weg, sah es gern, wenn etwa der Magistrat einer Stadt ihn feierlich
einlud, das Frauenhaus zu besuchen. Doch dieser Johann war ihm --
Sakrament und neungeschwänzter Teufel! -- noch über. Es gab keine Stadt
von der spanischen Grenze bis tief ins Ungarische, von Sizilien bis ins
Schwedische, wo der nicht sein Wesen getrieben hätte. Durch die Straßen,
nachts, strich er, verkleidet, lüstern wie ein Kater, scharmutzierte mit
den Bürgersfrauen, prügelte sich herum mit gekränkten Liebhabern. Ganz
Europa war voll von seinen merkwürdigen, frechen, süßen, glänzenden
Abenteuern. Selig, schon sehr stark unter Wein, rückte Heinrich ganz
nahe an den Luxemburger; er war ihm ehrlich zugetan, ganz ohne Neid.
Gewiß, er war etwas älter, ein wenig reifer; aber alles in allem
erblickte er in diesem Johann nur sein eigenes Widerspiel, so etwas wie
einen gleichgearteten jüngeren Bruder. In fröhlicher Ahnungslosigkeit
glaubte er, die Welt müsse in ihm selber das gleiche sehen wie er in
jenem.

Er trank stark, gluckste, stieß mit schwimmenden Augen, in kichernder
Kollegialität, den Luxemburger in die Seite, lallte ihm flüsternd
anstößige Geheimnisse zu. Der kluge, glänzende Johann ging freundlich
auf die greisenhaft geschwätzige Vertraulichkeit des Kärntners ein, ließ
durch keine leiseste Geste merken, daß er ihn für einen alten Trottel
hielt. Die beiden Könige steckten die Köpfe zusammen, legten sich die
Arme um die Schultern, wisperten Lebemännisches, pruschten heraus.

Auch die übrigen Herren belebten sich, röteten sich. Die Böhmen, die
Luxemburger, die Tiroler verstanden einander nur schwer oder überhaupt
nicht. Das war Anlaß mancherlei Spaßes. Immer wieder vor allem hörte man
das dröhnende Gelächter der beiden natürlichen Brüder des Königs,
Heinrichs von Eschenloh und Albrechts von Camian.

Das Kind Margarete schaute mit großen, klugen Augen zu ihren lustigen
Oheimen hinüber. Ihre Damen, die Frau von Lodrone, das Fräulein von
Rottenburg, baten verschämt, die Herren möchten ihre gefährlichen
Historien vor den Kindern nicht so laut erzählen. Die beiden welkenden
Hofdamen hatten von dem süßen Wein getrunken, sie hatten fleckige
Backen, lächelten säuerlich, angeregt, gelockt.

An der Tafel der Damen saß auch die jüngere Schwester Margaretes, die
kränkliche, verkrüppelte Adelheid. Das menschenscheue Kind wäre viel
lieber im Kloster geblieben bei den Nonnen von Frauenchiemsee. Doch
Margarete hatte darauf bestanden, daß die Schwester bei ihrer Hochzeit
erscheine. Da saß sie denn in dem festlichen Lärm zwischen den
dröhnenden Rittern unter den Bannern und Schaugerichten, die Enkelin der
kraftvollen Eroberer des Landes, fahl, verwachsen, leidend, den
Hofzwergen sehr ähnlich, die vor ihr herumzappelten, krampfige, grobe
Späße machten. Die sanfte Beatrix von Savoyen, ihre Stiefmutter,
lächelte ihr zu, streichelte ihre Hand.

Der kleine Prinz Johann, der Bräutigam, saß finster, steif, beengt auf
seinem Ehrenplatz. Die Kinder hatten noch fast nichts miteinander
gesprochen. Zuweilen, mit einem schrägen Blick, streifte er seine Braut,
die ganz sicher und ohne Scheu dasaß. Um sich über seine Verlegenheit
hinwegzuhelfen, aß er viel und hastig durcheinander, trank auch von dem
gewürzten Wein. Schließlich befiel ihn Übelkeit; er machte zunächst ein
grimmiges Gesicht, verbiß es, aber zuletzt konnte er es nicht mehr. Der
Erzbischof von Olmütz mußte ihn hinausführen. Man lächelte ringsum,
wohlwollend, freute sich, machte gutmütige Scherze. Margarete schaute
kühl, verächtlich geradeaus.

Als er zurückkam, hatte er die Rüstung abgelegt, fühlte sich leichter.
Düsteren, trotzigen Gesichts machte er sich über die Pistazien, Feigen,
Lebkuchen, Latwerge, Bonbons her. Diese Reise, das häßliche, stolze
Mädchen, seine Braut, das Fest, sein Vater, der alte, dicke Mann, der
jetzt sein Schwiegervater war -- alles war ihm tief zuwider. Er hätte in
dem schmutzigen böhmischen Dorf sein mögen, das zum Schloß seiner Mutter
gehörte, hätte sich herumraufen mögen mit den Bauernkindern, den
Wenzeslaus, Bogislaw, Prokop. Er war lang, kräftig und feig. Er pflegte
seine Spielkameraden rücksichtslos zu hauen, zu beißen. Wehrten sie
sich, so nahm er es zunächst hin. Drohten sie aber, ihn zu überwältigen,
so kehrte er plötzlich den Königssohn heraus, schäumte, verklagte, ließ
hart bestrafen. Er war bei seiner Mutter erzogen, der böhmischen
Elisabeth, die dem Luxemburger das Königreich zugebracht hatte. Sie war
eine hysterische Dame, grell verliebt in ihren strahlenden Gemahl, wild
eifersüchtig auf seine zahllosen Frauen. Vor allem haßte sie glühend die
Witwe des verstorbenen Königs Rudolf, die Gräzer Königin, deren
anstößige Beziehungen zu Johann das Land in Bürgerkrieg stürzten und
verelendeten. In solchen jäh wechselnden Gefühlen, ihrem Gatten bald
ekstatisch anhangend, bald ihn wild hassend und verfluchend, erzog sie
auch den kleinen Johann. Er konnte sich mit seinem Vater kaum
verständigen; der sprach kein Böhmisch, er kein Französisch; sie mußten
Deutsch miteinander reden, das sie beide nur schlecht beherrschten. Auch
sah der Knabe den Vater nur selten, wenn der für eine kurze Zeit
rauschender Feste in sein Königreich zurückbrauste, das er nicht leiden
mochte, dem er nur Geld ausquetschte, dem er sein Luxemburg, seine
schönen rheinischen Besitzungen weit vorzog. Die Mutter zwang ihn dann,
dem Vater je nach ihrer Laune Haß oder Liebe vorzuheucheln. So wurde das
Kind sehr früh hinterhältig, verdrückt, trotzig, scheu.

Das helle, bergige Land Tirol, in dem alles so klar und scharf im Licht
stand, war ihm unangenehm. Er sehnte sich zurück in sein wolkiges,
dunstiges Böhmen. Er blinzelte, er fühlte sich satt. Der Wein regte ihn
auf, er wollte jetzt etwas tun, befehlen, quälen.

Sein Kämmerling stand hinter ihm, goß ihm aus goldenem Krug Wasser über
die Hände. Johann herrschte ihn an, er solle besser achthaben, er gieße
ihm das Wasser über die Ärmel. Der Kämmerling rötete sich, zuckte mit
den kurzen Lippen, wollte erwidern, bezwang sich, schwieg.

Margarete wandte den Kopf, ließ ihre klugen, raschen Augen über den
Kämmerling gehen. Der Knabe war drei, vier Jahre älter als Johann,
schlank, kühnes, mageres, gebräuntes Gesicht mit starker Nase und
kurzen, vollen Lippen; langes, unbekümmertes, kastanienfarbenes Haar.

»Wie heißt Ihr Knabe Kämmerling, Liebden?« sagte sie mit ihrer warmen,
klaren Stimme.

Johann sah schräg zu ihr herüber, mißtrauisch. »Chretien de Laferte,«
erwiderte er mürrisch.

Chretien war ihm seit etwa einem Jahr vom Hof seines Vaters beigegeben
worden als älterer Spielgefährte und Kamerad, der ihm höfische Dienste
leisten und vornehmlich französische und burgundische Sitte beibringen
sollte.

»Geben Sie mir von dem Konfekt, Chretien!« sagte langsam, gleichmütig
Margarete und sah ihn an.

Chretien, beflissen, reichte ihr die Schale mit Süßigkeiten. Sie brach
mit großer Selbstverständlichkeit ein Stück in drei Teile, behielt den
einen, reichte Johann den zweiten, den dritten dem befangenen Chretien.

Am Tisch der Herren beobachtete man den Vorgang, scherzte über die
kindliche Nachahmung erwachsener Galanterie. Allmählich wurden die
Scherze bösartiger. Man spöttelte über die ungewöhnliche Häßlichkeit der
Braut. »Armer Junge!« sagte einer der Böhmen. »Der muß sich seine Länder
sauer verdienen.« -- »Da erobere ich lieber mit dem Schwert als so,«
sagte ein anderer. -- »Bis so ein Maul einem schmackhaft wird,« sagte
ein dritter, »muß es dick geschmiert sein.« Die tirolischen Barone
hielten sich zuerst zurück; aber schließlich, halb widerwillig, stimmten
auch sie ein. Das Kind Margarete schaute herüber. Sie konnte unmöglich
gehört haben; doch ihre großen, ernsthaften Augen schienen so wissend,
daß die Herren fast betreten abbrachen.

Jakob von Schenna saß unter ihnen, der jüngste unter den Räten und
Vertrauten König Heinrichs. Er war oft zu Gast auf den Schlössern des
Königs. Das Kind Margarete sah ihn häufig. Er war der einzige, den sie
mochte, dem sie vertraute. Er sprach nicht zu ihr mit jener törichten
Herablassung, mit jener krampfigen Kindlichkeit, die sonst wohl
Erwachsene annahmen, wenn sie mit ihr sprachen, und die sie bitter
verdroß. Er nahm sie und behandelte sie wie eine Große.

Er sah, wie sie prunkvoll feierlich dasaß, er sah den kleinen, rohen,
bösen böhmischen Prinzen, von dem kein Weg zu ihr führte, er sah, wie
sie mit dem Kämmerling Chretien anzuknüpfen versuchte. Er hörte die
schlimmen, verständnislosen Witzeleien über ihren armen Körper. Da stand
er auf, schlenderte hinüber, stand vor ihr in seiner schlechten,
nachlässigen Haltung, schaute sie höflich an aus seinen grauen,
wohlwollenden, sehr alten Augen, machte gelassene, ernsthafte
Konversation mit ihr. Wie ihr Herr Schwiegervater, die böhmische
Majestät, glänzend aussehe, und wie man ihm die vielen Strapazen so gar
nicht anmerke. Und daß der geplante Aufenthalt des Königs in Südtirol
ihr selber, Margarete, wohl auch viele Mühe machen werde; denn der König
werde wohl alle ihre Schlösser mit Gefolge und Mannschaft belegen. Und
wieviel Geld ein allenfallsiger lombardischer Feldzug kosten werde. Der
kleine Johann schielte herüber, verblüfft, wie gescheit Margarete
redete.

Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben. Margarete führte noch ein
kleines, formvolles Abschiedsgespräch mit ihrem Gemahl, bevor sie sich
zurückzog. Sie fragte ihn nach den Eindrücken, die er von Tirol, von dem
Hof ihres Vaters habe; ob er sich auf das bevorstehende Turnier freue;
wünschte ihm, er möge sich bald heimisch fühlen. Ungeschickt, blöde
erwiderte der Knabe, Widerwillen und eine gewisse trotzige Stumpfheit
auf seinem nicht unschönen Gesicht. Als sie ging, stand der Kämmerling
Chretien an ihrem Wege, riß die Zeltvorhänge auf vor ihr. Sie dankte
gemessen, kühl, fremd, fürstlich.

Dann ließ sie sich in ihr Zelt tragen; sie war nun doch herzlich müde.
Ihre Frauen kleideten sie aus, viel schwatzend, kichernd, einzelne
Teilnehmer, einzelne Begebenheiten des Festmahls breitkauend. Sie lag
bereits in ihrem Bett, die Frauen schwatzten noch immer. Endlich gingen
sie. Sie streckte sich, die Glieder erlöst aus dem schweren, engen
Prunk. Nun wird sie aber gut schlafen. Sie hat es sich verdient. Sie war
mit sich zufrieden. Sie hat sich gut gehalten, durchaus als Erwachsene,
sehr fürstlich, hat sich vor den luxemburgischen und böhmischen Herren
keine Blöße gegeben. Mit dem Johann freilich war nicht viel Staat zu
machen.

»Mit euerm Prinzen ist aber auch nicht viel Staat zu machen,« bemerkte
draußen mit grober, kichernder, mühsam gedämpfter Stimme die
zusammenräumende Magd.

»Gegen eure Prinzessin,« höhnte der böhmische Knecht zurück, der ihr
half und mit ihr sponsierte, »ist er immer noch ein lichter Engel. So
was! Das Maul! Die Zähne! Bei uns würde man so was gleich nach der
Geburt ersäufen wie eine Katze.«

Der König Heinrich unterdes bezahlte die Zeche der Hochzeit. Es war eine
sehr schöne Hochzeit. Es war begreiflich, daß sie viel kostete; er war
kein Knauser. Bereitwillig streckten seine Herren ihm die großen Summen
vor, bereitwillig, in fröhlichster Gebelaune, entlohnte er diese
Gefälligkeit mit der Verpfändung von reichen Dörfern, Pflegen,
Herrschaften, Zöllen und Gefällen. Warum sollte er seinem lieben
Burggrafen Volkmar nicht Visiaun und Möltern überlassen? Er gab ihm noch
Rattenberg dazu. Und es war nicht mehr als billig, daß der Abt von
Wilten, der so lange für die schöne, leinene Hochzeitsstadt hatte sorgen
müssen, den See zwischen Igls und Vill erhielt. Dann aber mußte man auch
dem Kloster Viktring etwas geben. Denn wenn nur Wilten was erhielt, war
sein guter Sekretär Johannes mit Recht gekränkt. Also bekam auch
Viktring etliche Höfe und Gülten. »Keine schönere Freude als guten
Freunden zu spenden,« zitierte dankend der beredte Abt einen antiken
Klassiker.

Der Luxemburger war dabei, als König Heinrich sorglos, formlos, gnädig,
fröhlich und stark unter Wein, diese riesigen Schenkungen und
Verpfändungen unterzeichnete. Auch er war freigebig; aber so bieder
unverschämt hätten ihm seine Barone nicht kommen dürfen. Es wird gut
sein, wenn man da dem alten, fröhlichen Herrn ein bißchen den Riegel
vorschiebt. Sonst verschenkt er das ganze Land, sagt noch merci, wenn
man es annimmt, und zum Schluß hat sein kleiner Sohn nur die
Prinzessinbraut und kann Sonntag davon machen! Auch die blasse, sanfte
Beatrix, König Heinrichs junge Frau, sah erschreckt und verängstigt zu,
wie ihr Gatte mit den reichen Besitzungen um sich warf. Sie war von Haus
aus an enges, ängstliches Wirtschaften gewöhnt; auf die Art Heinrichs,
fürchtete sie, würden bald selbst die Hemden ihrer Mägde verpfändet
sein. Sie beschloß, die Finanzen selber in die Hand zu nehmen; ihr
blasses, scheues Gesicht bekam auf einmal etwas Verbissenes.

Für die nächsten Tage war Turnier angesagt. Bei diesem Anlaß sollten
mehrere junge Herren zu Rittern geschlagen werden. Margarete ersuchte
unvermittelt ihren kleinen Gemahl, er solle dabei auch seinen Kämmerling
Chretien de Laferte zum Ritter machen lassen. Die Augen Johanns wurden
noch kleiner, trotziger; er knurrte irgend was. Margarete wiederholte
ihren Wunsch herrischer, dringlicher. Prinz Johann sagte verdrückt,
bissig, er wolle nicht. Er knuffte den Kämmerling in die Seite mit aller
Kraft seiner kleinen, knochigen Faust. »Da hat er seinen Ritterschlag!«
höhnte er, verzog hämisch sein langes Gesicht.

»Ich danke Euer Hoheit tausendmal für die Gnade,« sagte Chretien blutrot
zu der Prinzessin; »aber wenn er doch nicht will.«

»_Ich_ will, _ich_ will!« sagte Margarete heftig mit ihrer vollen,
dunklen Stimme. Sie lief zu ihrem Vater, zu dem König Johann. Lachend
sagte man ihr zu. Chretien dankte der Prinzessin, hin und her gerissen.
Schon hatten ihn die Kameraden derb gehänselt wegen seines ziervollen
Liebchens.

Am vorgesehenen Tag fand dann das glänzende Turnier statt, auf das ganz
Tirol sich schon seit Jahren freute. Es war eine große Lustbarkeit. Vier
Ritter wurden erstochen, sieben tödlich verletzt. Alle Welt fand, es sei
das bestgeglückte Vergnügen seit langer Zeit.

Auch König Johann nahm an dem Stechen teil. Da er aber hatte erfahren
müssen, daß man häufig aus Furcht, ihn, den König, zu besiegen, nur zum
Schein mit ihm focht, ritt er unter dem Wappen eines gewissen Schilthart
von Rechberg. Es hatte nun zwischen den Alpenländlern und den Fremden
schon mancherlei Eifersüchteleien gegeben; auch fürchteten die
tirolischen und kärntnischen Herren, der Einfluß der Luxemburger könnte
ihre finanzielle Stellung bei dem guten König Heinrich gefährden. Unter
dem fröhlichen Spiel stak also eine sehr ernsthafte, grimmige
Eifersucht, und man sah es durchaus nicht ungern, brach von den Gegnern
der eine oder andere die Rippen. Sei es nun Zufall, sei es, daß man sein
Deckwappen verraten hatte -- jedenfalls sah sich Johann bald im Kampf
mit dem wuchtigsten und gefährlichsten aller tirolischen Ritter, dem
ungeschlachten Burggrafen Volkmar. Sie rannten sich wild und
rücksichtslos an, schließlich fiel der König, der eine bewegte Nacht
hinter sich hatte, vom Pferd, wurde im Kot herumgewälzt, übel getreten
und arg zerschunden aus dem Haufen herausgezogen. Er mußte sein Pferd um
sechzig Mark Veroneser Silbers von dem Burggrafen lösen. Er verbiß den
Ärger, daß gerade dieser plumpe, habgierige, widerwärtige Mann ihn
abgestochen hatte, trug lachend, lässig, mit Haltung Lahmheit und
Verdruß, rühmte mit vielen liebenswürdigen, sachkundigen Worten, wie gut
vorbereitet und in jeder Hinsicht geglückt diese Tiroler sportlichen
Spiele seien.

König Heinrich saß des Abends müde in seinem Zelt. Die Freude über das
schöne Fest wurde geschwärzt; Rechnungen kamen, Rechnungen über
Rechnungen. Die Fleischhauer von Bozen wollten Geld, die Bürger von
Innsbruck präsentierten große Forderungen, der gute, gelehrte Abt von
Marienberg wußte sich nicht mehr zu helfen vor seinen Gläubigern, die er
mühelos hätte befriedigen können, zahlte ihm der König nur einen Teil
dessen zurück, was er ihm geliehen. Heinrich hätte, wie gern, gezahlt
und gezahlt; aber seine Kassen waren leer. Der König Johann schuldete
ihm freilich die vierzigtausend Mark Veroneser Silbers Heiratsgut; mit
der ungeheueren Summe hätte er alle seine Verpflichtungen decken können.
Aber es ging doch nicht an, den König zu mahnen. Heute schon gar nicht.
Spürte er doch am eigenen Leib, wie peinlich ein Fest durch so etwas
gestört wurde.

So saß er denn in dicker Verlegenheit. Da stellten seine Herren vor ihn
drei schmächtige, schattenhafte Männer. Sie waren sehr still, sehr
demütig, sehr unscheinbar. Hatten rasche Augen, die aber sehr ergeben
blicken konnten. Schauten einander sehr ähnlich. Der König erinnerte
sich, sie gesehen zu haben, wußte aber nicht mehr, wo er sie hintun
sollte. Das war natürlich. Sie waren ja so klein, so gering. Sie
verneigten sich viele Male, sprachen mit leiser Stimme.

Es waren Messer Artese aus Florenz, der Pächter der Münze von Meran, und
seine beiden Brüder. Die Herren waren auch diesmal gern bereit, einem so
gütigen christlichen König mit ihrem bißchen Kapital beispringen zu
dürfen. Sie hatten eine einzige kleine Bedingnis: die Majestät solle
ihnen die Einkünfte des Salzwerks von Hall überlassen. Das nette, kleine
Salzbergwerk.

König Heinrich schrak zurück. Das Salzamt von Hall! Die erste
Einnahmequelle des Landes! Das war ein teures Hochzeitsfest, das er da
seiner Tochter gerüstet hatte. Selbst seine leichtherzigen Räte machten,
als sie von dieser Bedingung hörten, bedenkliche Gesichter. Schickten
schließlich seine junge Frau vor, die erwirkte, daß das Bergwerk
wenigstens nur für zwei Jahre verpachtet wurde. Die Florentiner
verneigten sich viele Male. Zahlten das Geld, nahmen die Dokumente an
sich. Glitten fort, schattenhaft, grau, unscheinbar, einer dem andern
sehr ähnlich.

Zu Herrn von Schenna sagte Margarete: »Glauben Sie, daß Chretien de
Laferte Schlechtes von mir spricht? Sagen Sie ehrlich, Herr von Schenna,
glauben Sie, daß er mit den andern lacht, weil ich häßlich bin?«

Jakob von Schenna hatte mit eigenen Ohren gehört, wie der junge
Chretien, von den andern gehänselt als Ritter der häßlichsten Dame der
Christenheit, erst an sich hielt, dann die Kameraden überbot an übeln
Schmähungen Margaretes. Jakob von Schenna sah die großen, erfüllten
Augen des Kindes in dringlichem, angstvollem Fragen auf sich. »Ich weiß
es nicht, Prinzessin Margarete,« erwiderte er. »Ich kenne den jungen
Chretien zu wenig. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, daß er übel
von Ihnen redet.« Und er legte ihr seine große, dünne, kraftlose Hand
auf den Kopf wie einem Kind, und sie litt es gern, daß er diesmal zu ihr
war wie zu einem Kind.




Auf Schloß Zenoberg verhandelte König Johann mit den tirolischen
Baronen. Er verlangte jetzt schon, als Vormund seines kleinen Sohnes,
Huldigung für den Fall von Heinrichs Tod. Die Herren waren grundsätzlich
bereit, forderten aber Sicherstellung ihrer Privilegien, Bürgschaften,
daß ihnen der Luxemburger keine Landfremden in die maßgebenden Ämter
setze. Außerdem verlangte jeder für sich, verblümt oder geradezu, Geld,
Verschreibungen, Landbesitz, Handelsmonopole, Zölle.

Mit den Versprechungen und Bürgschaften war Johann sehr freigebig. Er
unterzeichnete und ließ siegeln, was man wollte. Er hatte in Böhmen
Erfahrungen gemacht; er wußte, das war letzten Endes eine Machtfrage.
Konnte er Geld und Soldaten auftreiben, dann setzte er diesen frechen
Gebirglern Franzosen, Burgunder, Rheinländer als Statthalter in den Pelz
nach seinem Belieben. Brachte er kein Kapital und keine Armee auf, dann
wird er in Gottes Namen seine Versprechungen halten. Vorläufig schrieben
seine Notare sich die Finger wund: »Wir, Johannes, von Gottes Gnaden
König von Böhmen und Polen, Markgraf von Mähren, Graf von Luxemburg,
erklären hiemit und tun kund und zu wissen und verpflichten Uns mit
Brief und Siegel.« Mit Geld war Johann etwas vorsichtiger. Er ließ
zumindest die habgierigen, unersättlich feilschenden Herren merken, daß
er sie durchschaue. Schließlich schmiß er ihnen dann das Verlangte
ritterlich und verächtlich hin. Bargeld freilich nicht, das hatte er
nicht, sondern langfristige Wechsel.

Auch der gute König Heinrich mußte betrübt erkennen, daß er seine
vierzigtausend Veroneser Silbermark nicht so bald bekommen werde. Flott,
gemütlich, vertraulich faßte ihn der Luxemburger um die Schulter,
verpfändete ihm beiläufig die Gerichte Kufstein und Kitzbühel -- die
hatte er von seinem Schwiegersohn, dem Herzog von Niederbayern, dem er
anderes dafür verpfändet --, vertröstete ihn auf das Frühjahr, rühmte
seine langen, modischen Schuhe, die hübsche, dralle Frau, mit der er
getanzt hatte. Heinrich brachte es nicht mehr über sich, wieder von den
Finanzen anzufangen.

Des Abends spielte König Johann Würfel mit den Kärntner und den Tiroler
Herren. Er setzte ungeheure Summen. Schließlich hielt ihm niemand mehr
Widerpart als der brutale, stiernackige Burggraf Volkmar. Der
Luxemburger haßte den wuchtigen, rohen Mann, der ihn schon im Turnier
besiegt hatte. Er steigerte seine Einsätze so, daß selbst König Heinrich
den Atem anhielt. Verlor. Erklärte zum Schluß leichthin, über die
Achsel, er bleibe die verlorenen Summen schuldig. Der Burggraf knurrte,
wurde gefährlich; mit geschmeidiger Schärfe funkelte Johann ihn nieder.

                   *       *       *       *       *

Merkwürdigerweise kehrte Johann, trotzdem Unruhen ausgebrochen waren,
nicht nach Böhmen zurück. Sein Land atmete auf. Es erschrak, wenn er
kam. Sein Aufenthalt dauerte immer nur kurz, diente ihm nur, Geld
auszuquetschen. Gut, daß er wegblieb.

Ja, er blieb in Tirol. Ging in das Gebiet des Bischofs von Trient. Saß,
der strahlende Herr, der erste Ritter der Christenheit, untätig lauernd,
zwielichtig schillernd; kein Mensch wußte, was er plante.

Der Bischof Heinrich von Trient fand sich durch diesen Gast sehr
beschwert. Wie weit durfte er ihm entgegenkommen, ohne bei dem Papst
oder dem Kaiser anzustoßen? Immer war ein so verwirrendes Zwielicht um
diesen Böhmenkönig. Wo er hinkam, war wildes Gehetze, Getriebe. Kuriere
jagten nach ihm von allen Höfen Europas, fanden ihn nicht. Denn der
König verweilte selten lang an einem Ort; es trieb ihn über die Erde
rastlos wie fließendes Wasser. Man wußte nicht, wohin, wie, warum. Ach,
ginge er doch zurück in sein Land, der Verfluchte! Aber natürlich, das
ließ er verkommen. Das liebte er nicht, das trübe, dumpfe Land. Spaß,
daß er den helleren Westen vorzog, den Rhein, seine Grafschaft
Luxemburg, Paris.

Der Bischof saß, ein großer, beleibter Herr, starkes, gebräuntes,
italienisches Gesicht, sorgenvoll auf seinem Schloß Bonconsil, schüttete
sich aus vor seinem Freund, dem Abt von Viktring, dem betulichen,
klugen. Die beiden geistlichen Herren schimpften weidlich. Der Heide,
der! Der Jerobeam! Grausam brandschatzte er seine Kirchen und Klöster.
Hatte selbst vor dem Grab des heiligen Albert nicht haltgemacht, es nach
Schätzen durchwühlen lassen. Kirchenschänder! Herodes! »Aber einst wird
erstehen aus unsern Gebeinen ein Rächer!« zitierte der gelehrte Abt
einen antiken Klassiker.

Ja, dies war entschieden der gefährlichste, beschwerlichste Gast, den
der Bischof seit Jahren gehabt hatte. Ein gesalbter König, aber -- der
Bischof sagte es geradezu -- ein Lump und Verbrecher. Ohne seine Krone
wäre er schon hundertmal gehenkt worden. Er spielte falsch; der Abt
bestätigte es; jetzt erst hatte er es wieder in Innsbruck getan. Er war
der wüsteste Verschwender und Schuldenmacher des Säkulums. Dazu seine
anstößigen Beziehungen zu den beiden böhmischen Königinnen. Recht hatte
man gehabt vor zwei Jahren in Prag. Da hatte er das große Turnier
gerüstet, die umständlichsten Vorbereitungen getroffen, die Häuser auf
dem Markt niederlegen lassen, um Zelte und Tribünen zu errichten. Dann
kamen von zweitausend Geladenen, von Kaiser und König und Fürsten und
Herren, sieben schäbige, zweifelhafte Ritter und ein Genueser Bankier.

Leider aber war es zur Zeit durchaus nicht möglich, ihn so zu behandeln.
Das war ja das Verzweifelte. Sein Ruf und Name wechselte wie der Mond.
War man ihm vor wenigen Wochen ausgewichen wie einem Aussätzigen, so
feierte man ihn heute als den leuchtendsten Helden der Christenheit, und
selbst sein kahles, ausgeplündertes Böhmen ließ sich blenden, wenn er
von strahlenden Siegen zurückkam.

Dringend warnte der Abt den Bischof, er solle sich ja nicht im
geringsten mit dem Luxemburger einlassen. Seine Politik sei letzten
Endes sinnloses Spiel. »Kühlende Wellen locken mit Schillern und
Glitzern den Wandrer; wirft er sich arglos ins Meer, ziehn sie ihn
tückisch hinab,« zitierte er. Behaglich, mit literarischer Freude an der
Zerlegung, sezierte er den Luxemburger und sein Gewese. Sein
verfeinertes Rittertum begnüge sich nicht damit, in dickem Forst Riesen
und geharnischte Männer aufzusuchen. Er liebe die viel bunteren
Abenteuer der Politik. Nicht der Erfolg locke, ihn locke die gefährliche
Freude an der Wirrung, am Getriebe. Wo immer in dem wirrseligen Europa
ein Zwist sei, wo Kaiser und Papst sich stritten, König und Gegenkönig,
Frankreich und England, lombardische Städte, Maure und Kastilier,
überall müsse der Luxemburger seine gepflegte, spielerische Hand drin
haben. Verträge, Bündnisse stiften, Ehen kuppeln, Fäden anknüpfen,
zerreißen, Krieg führen, Frieden schließen, Schlachten schlagen,
verhindern, immer im dicksten Getümmel stehen, Freunde, Feinde machen,
Soldaten, Länder nehmen, geben.

»Nur kein Geld,« seufzte der Bischof.

Der Abt schloß, sich freuend an der eigenen eleganten Beredsamkeit.
Dieser geniale Projektenmacher sehe alle entferntesten Möglichkeiten,
strecke seine Hand über das ganze Abendland, raffe an sich, lasse
fallen. Und während Böhmen innerlich immer kränker werde, schlucke er
immer neue Besitzanrechte, Länder, Städte, verstreut durch alle Grenzen,
blase sich gigantisch auf. Der behagliche, betuliche Abt streckte sich,
sprach rednerisch wie auf der Kanzel: »Aber wenn auch dieser Herr Johann
noch so hastig über die Erde hinfährt, lachend, stattlich, strahlend,
elegant, modisch, immer eidbrüchig, immer ohne Geld, immer von
stürmischer, sieghafter Liebenswürdigkeit -- es ist ihm ein Ziel
gesetzt. Sein Gewese wird keine Frucht tragen, es ist sinnlos, es ist
ohne Gott. Manchmal kommt mir der Böhme vor wie eine Puppe, wie ein
Gespenst. -- Maß ist in allen Dingen, gesetzt ist ihnen die Grenze,«
zitierte er einen alten Schriftsteller.

Der Bischof glaubte das auch. Aber bis dahin konnte es noch gute Weile
haben. Vorläufig jedenfalls hatte Gott dem Böhmen kein Ziel gesetzt, und
er, der arme Bischof, hatte ihn auf dem Hals. Der beredte Abt wußte auch
nichts weiter zu sagen, und die beiden Prälaten schauten schweigend,
nachdenklich hinaus auf das rötliche, üppige Land, die geschwungenen,
bräunlichvioletten Berge, schwer von Frucht und Wein.

                   *       *       *       *       *

Nein, vorläufig war dem Böhmen kein Ziel gesetzt. Vielmehr saß dieser
Herr Johann heiter und fest in dem besonnten Trient, dehnte sich,
rekelte sich. Überließ sein langes Haar, den schönen, vollen Bart den
wohligen Winden des südlichen Herbstes. Hofierte die deutschen und die
welschen Damen Tirols. Durch die Lombardei flog es, durch die reichen,
mächtigen Städte, durch die Schlösser der überstolzen Barone: Johann von
Böhmen ist da, König Johann, der Sohn des siebenten Heinrich, Römischen
Kaisers, Johann, der ritterlichste Mann des Abendlandes, Stern der
Ghibellinen. Burgundische, böhmische, rheinische Ritter und Hauptleute
zogen mit ihren Fähnlein in diesem herrlichen, gesegneten Herbst über
den Brenner. Aus München der Kaiser Ludwig äugte mißtrauisch her. In
Avignon der Papst, der zweiundzwanzigste Johann, ward unruhig. Wieder
schaute das ganze Abendland auf den strahlenden, unberechenbaren Mann.

Die Parteiführer und Herren der Po-Ebene wetteiferten, ihn für sich zu
gewinnen, schickten ihm Gesandte, Geschenke. Zwei prächtige Araberpferde
kamen von Mastino della Scala und seinem Bruder, Herrn von Verona. Aber
Brescia bot ihm durch seinen Vikar, Friedrich von Castelbarco, nicht nur
Pferde, es bot ihm sich selbst an und lebenslängliche Herrschaft.
Aldrigeto von Lizzana ließ dem Vermögensverwalter Johanns viertausend
Veroneser Silbermark auszahlen, bat den König -- als Schutzherrn
Toscanas und der Lombardei --, ihn mit dem brescianischen Ufer des
Gardasees zu belehnen. Und plötzlich war auch Messer Artese aus Florenz
da, der Bankier, grau, unscheinbar, schattenhaft, mit zwei Brüdern, die
ihm sehr ähnlich sahen, und sehr viel Geld.

Und dann, ohne lange Ankündigung, sachte, setzte sich Johann in
Bewegung. Nur wenige tausend Reiter folgten ihm. Aber glänzend gerüstet
alle, erlesenste Soldaten. Rauschend strahlte der helle Zug durch das
satte, reife Bergland. Süßer, schwerer, besonnter Herbst. Dicke Trauben,
strotzende Früchte. Aus den violetten, rötlichen, bräunlichen Bergen goß
sich die silberne, eiserne Flut in die Lombardische Ebene. Wie eine
Braut glitt sie den Kömmlingen unter die Füße. Bergamo, Pavia, Cremona
in seinem Besitz ohne Schwertstreich. Fahnen, Glocken, Behörden auf
Knien, die Schlüssel ihrer Städte darbietend. Die großen Barone demütig
um Bestätigung ihrer Lehen flehend. Novara, Vercelli, Modena, Reggio von
seinen Rittern besetzt. Feierlicher Einzug. Auf den Balkonen der
herrlichen, bunten Häuser geschmückte Frauen, mit großen, gebannten
Augen auf den Sieger schauend, der so gar nicht mühselig, schwitzend und
bestaubt, der festlich wie im Tanz das weite, reiche Land besiegt. Der
Kaiser, tief beunruhigt, schickt Sondergesandte, den Burggrafen von
Nürnberg erst, den Grafen von Neiffen dann, was denn der Böhme in
Italien wolle. Harmlos Johann; er plane durchaus nichts gegen Ludwig,
nehme, was er erwerbe, für das Reich in Besitz; er wolle nur die Gräber
seiner Eltern besuchen, des Römischen Kaisers, des siebenten Heinrich,
Grab in Pisa, seiner Mutter Grab in Genua, die Leichen, wenn möglich, in
die Heimat schaffen. Während zu Weihnachten in München alle Glocken
unter dem päpstlichen Interdikt stumm bleiben, Kaiser Ludwig in seiner
Hauskapelle vor kleinem Gefolg, das blanke Schwert hoch in der Hand, als
Schirmvogt der Christenheit das Weihnachtsevangelium vorliest, hält
Johann leuchtenden Einzug in Brescia. Kommt er für den Kaiser? Für den
Papst? Nur für sich? Niemand weiß es. Weiß er es selber? Er schreibt
sich Nachfolger des Kaisers, Friedensstifter. Die Gonzaga in Mantua, die
Visconti in Mailand beugen sich ihm. Ein Königreich Lombardei rundet
sich ihm, fällt ihm zu wie eine Frucht, die man sich vom Zweig langt.

An beiden Ufern des Po residiert er; nie hat ein Römischer König stolzer
Hof gehalten. Er läßt sich huldigen von der Adria bis ins Ligurische.
Lächelt tief, satt, fern. Stieg er mit festem Plan in die Ebene hinab?
Heute ist er der mächtigste Mann der Christenheit. Hat den Rhein hinauf,
hinunter, tief ins Frankreich hinein Land und Herrschaft. Hat Böhmen,
Mähren, Schlesien, streckt sich weit ins Polnische. Hat Niederbayern
durch seine Tochter, Kärnten, Krain, Tirol durch seinen Sohn. Hält den
Wittelsbacher umklammert, liegt rings um den Habsburger. Hat jetzt das
reiche, süße, oberitalienische Königreich. Reckt sich. Atmet. Hält
Feste. Zieht die schönsten Frauen an seinen Hof. Manchmal auch,
schattenhaft, unscheinbar, kommt mit seinen Brüdern Messer Artese aus
Florenz, steht ferne, bescheiden, neigt sich viel Male.




Das Kind Margarete wuchs heran auf den Schlössern Zenoberg, Gries,
Tirol. Lernte gern und viel. Fragte den klugen, redseligen, betulichen
Abt Johannes von Viktring bei allem, was sie sah und hörte, warum,
wieso. Trieb mit den Äbtissinnen der Klöster Stams und Sonnenberg
Theologie. Der Prunk, die feierliche Ordnung der Liturgie zwangen ihr
Bewunderung ab. Sie sprach und schrieb fließend Latein und Welsch.
Interessierte sich brennend für politische und nationalökonomische
Dinge. Hörte aufmerksam den historischen Vorträgen des gelehrten Abtes
zu, und während die anderen seine begrifflichen politischen Theorien
gelangweilt belächelten, konnte sie nicht genug davon kriegen. Gründlich
unterrichtete sie sich bei den vielen fremden Gästen ihres Vaters über
die Verhältnisse der andern Höfe und Länder. Verächtlich schnupperte
sie, als sie hörte, Ludwig von Wittelsbach, der Bayer, erwählter
Römischer Kaiser, der Vierte seines Namens, spreche nicht Latein.

Sie streifte durch das Land. Zu Wagen, in der Pferdesänfte. Die Passer
hinauf, hinab, durch die Rebenterrassen, Obstgärten. Ging mit wachen,
klugen Augen durch die farbigen Städte Meran, Bozen. Beschaute die
Bürger, ihre steinernen Häuser, Rathaus, Markt, Mauern, Pranger, Stock,
Herbergen, Badehäuser, die Leichen der Gerichteten vor den Toren. Hielt
rasche, herrische Einkehr in den Höfen der Bauern, den Wachhütten der
Winzer.

Der gutmütige König Heinrich kümmerte sich wenig um sie. Er ließ sie
treiben, was sie wollte. Erkundigte sich zuweilen zärtlich, ob sie denn
mit ihren Kleidern hinausreiche, ob sie nicht mehr Schmuck, Pferde,
Dienerschaft brauche. Fragte allenfalls, was sie von dem neuen
flandrischen Koch halte, oder wie der genuesische Mantel stehe, den er
sich eben habe machen lassen. Er ging ganz auf in Kleidersorgen,
Stiftungen für Klöster, Festlichkeiten, Gastereien, Turnieren, Frauen.
Wenn sie sich mit seinem klugen Sekretär unterhielt, dem Abt von
Viktring, dann schaute er wohl gerührt auf sie, sagte zu Beatrix, seiner
Frau, zu seinen Gästen: »Mein gutes Kind! Wie gescheit sie ist!«

Von den Klosterfrauen lernte sie singen. Es war erstaunlich, wenn unter
der platten, breiten Nase aus dem äffisch sich verwulstenden Mund die
Stimme herausdrang, schön, warm, erfüllt. Während sie sonst mit ihren
Kenntnissen nicht zurückhielt und ohne Scheu redete, sang sie fast nie
vor Fremden. Des Abends, unter Obstbäumen, allein, sang sie ihre Lieder,
kunstvolle aus Italien, aus der Provence oder auch einfache deutsche,
wie sie sie rings vom Volk hörte. Manchmal, selbst wenn sie allein war,
brach sie mitteninne ab. Die Zwerge konnten sie hören. Die Zwerge
wohnten in allen Berghöhlen. Sie aßen und tranken, spielten und tanzten
mit den Menschen. Aber unsichtbar. Nur der regierende Fürst kann sie
sehen, der zu Recht das Land beherrscht, in dem sie gerade verweilen.
Ihr Vater hat die Zwerge gesehen, auch der Bischof von Brixen, in dessen
Gebiet sie zuweilen kamen. Jakob von Schenna hat ihr Genaues von den
Zwergen erzählt. Sie schrieben Briefe, bildeten unter sich einen Staat,
hatten Gesetze und einen Fürsten, bekannten den katholischen Glauben,
kamen heimlich in die Wohnungen der Menschen, waren ihnen hold. Sie
führten Edelsteine mit sich, mit denen sie sich unsichtbar machen
konnten. Sie fragte Herrn von Schenna, warum sie sich unsichtbar
machten. Herr von Schenna wich aus. Durch Zufall, von einer Magd, erfuhr
sie den Grund. Weil sie sich ihrer Häßlichkeit schämten. Sie ward noch
fahler als sonst. Schluckte.

Mit peinlichster Sorge pflegte sie ihren Körper. Sie nahm täglich ein
Dampfbad, wusch sich mit Kleienwasser, französischer Seife. Sie wickelte
das Zahnpulver in frisch geschorene Wolle, ehe sie ihre großen, schräg
vorstehenden Zähne reinigte. Sie pflegte ihre Haut mit Weinsteinöl,
gebrauchte rote Schminke aus Brasilholz, weiße aus gepulverten
Zyklamenknollen. Des Nachts legte sie eine Wachsmaske auf, ihren
unreinen Teint zu bessern. Sorglich, mit Opfern, gehorchte sie jeder
neuen Modevorschrift.

Mußte sie dann sehen, wie gleichwohl jeder drallen, ungewaschenen
Bäuerin mehr wohlgefällige Männerblicke folgten als ihr, dann wandte sie
mit einem Ruck ihre Gedanken von diesen Dingen, stürzte sich mit
hitziger Energie in Studium und Politik. Wog zum hundertstenmal Macht,
Möglichkeiten, Einflußkreise der Habsburger, Wittelsbacher, Luxemburger
gegeneinander ab. Habsburg, Luxemburg, Wittelsbach, das waren keine
kahlen, politischen Begriffe für sie. Die Menschen, die diese Namen
trugen, ihre Farben, ihre Länder, die Tiere ihrer Wappen, ihre Berge,
Flüsse, Kirchen mischten sich ihr zu geheimnisvollen Einheiten. Albrecht
von Habsburg etwa war verteufelt klug, energisch, bitter, aber er
lahmte. Mit ihm lahmten seine Länder, die Donau, die Stadt Wien, die
Pranke seines Wappenlöwen. König Johann, der Luxemburger, das war nicht
nur ein weltläufiger, galanter Herr. Seine Füße waren Toskana und die
Lombardei, Rhein und Elbe seine Adern, das helle Luxemburg sein Herz.
Und Bayern konnte sie sich nicht vorstellen ohne die lange, bedächtige
Nase Kaiser Ludwigs und ohne seine riesigen, sonderbar toten blauen
Augen. Wenn die drei Fürsten sich belauerten, sich umschlichen, sich
vertrugen, sich bekriegten, bekriegte und verhöhnte sich die Welt in
ihnen, und in den Wolken führten die Tiere ihrer Banner einen mystisch
gewaltigen Kampf.

Ihren Gemahl, den Prinzen Johann, sah sie nicht sehr oft. Trotz seiner
Länge und Aufgeschossenheit wirkte er hinter seinen Jahren
zurückgeblieben. Sein mageres Gesicht, an sich nicht unschön, schien
immer roher, stumpfer und, durch die kleinen, versteckten Augen,
bösartiger. Er haßte die Bücher, lernte nur notdürftig schreiben. Gern
trieb er körperliche Übungen. Schlug sich mit den Jungen herum, mit
denen der Bedienten lieber als mit seinen adeligen Kameraden, jagte,
ritt. Betätigte sich als Vogelsteller, trieb, nicht ohne Geschick,
Falkenbeize, fing Wild in Schlingen. Quälte Tiere. Spielte den Bauern
üble Streiche. Ein Bauernbursch, der ihn nicht kannte, verprügelte ihn.
Wurde gefangen, in den Stock gesetzt, gepeitscht. Der Prinz schaute
gierig zu, hetzte die Büttel.

Margarete lachte er aus wegen ihrer blöden, pfäffischen Gelehrsamkeit,
riß ihr gelegentlich ihre Schriften weg, zerraufte ihre Frisur. Sie trug
es. Es war notwendig, daß ihr Mann ein Luxemburger war. Seine Roheit
mußte hingenommen werden. Aber schweigend stapelte sie Wut und
Verachtung. Auch Chretien de Laferte, des Prinzen Adjutant und
Kämmerling, verwünschte seinen jungen Herrn in die tiefste Hölle.
Margarete sah den schlanken jungen Menschen sehr selten. Beachtete ihn
wenig. Der betuliche, skeptische, redselige Abt von Viktring, der alle
Dinge bereden mußte, neckte sie gelegentlich wegen des Jungen. Sie
schlug, gegen ihre Gewohnheit heftig, zurück.

Am liebsten war sie mit Jakob von Schenna zusammen. Der junge, hagere,
schlecht sich haltende Herr mit dem feinen, alten Gesicht freute sich
immer, wenn er sie sah. Sie war nun vierzehn, er an die dreißig. Aber es
ging eine willkommene Bindung von ihm zu ihr. Was er sprach und tat,
klang, als wäre es in ihr gewachsen. Sie fühlte sich wohl in seiner
Welt. Zwischen ihr und den andern Menschen war Kälte. Sie lachten sie
aus, sahen sie mit Widerwillen an, bestenfalls mit Mitleid, weil sie
häßlich war. Weil sie Prinzessin war, zeigten sie das nicht im Licht.
Aber sie sah weit ins Dunkle hinein, oh, sie hatte scharfe Augen, sie
wußte, wie man mit ihr stand. Doch von Schenna zu ihr ging es warm und
freundlich herüber. Seine großen, weichen Hände, seine grauen,
gescheiten, wohlwollenden Augen waren voll Achtung für sie, voll
Herzlichkeit und Kameradschaft.

Jakob von Schenna war reicher und mächtiger als seine Brüder Estlein und
Petermann. Er hatte sieben feste Schlösser, neun Gerichte und Pflegen,
weiten Besitz an Weingütern, Gerechtsamen, Zöllen, Geld. Er pflegte von
diesem Besitz wegwerfend und mit einer gewissen Ironie zu sprechen. Aber
er hing daran, streichelte liebkosend das Laub seiner Reben, den
besonnten Stein seiner Schlösser. Dies waren _seine_ Reben, _seine_
Burgen. Zwar war Besitz und Geltung an sich verächtlich; aber leider
machten einem die Menschen das Leben zu unbequem, hatte man die beiden
nicht. Oft sprach er dem Kind davon, wie übel der tirolische und
kärntnische Adel den guten König Heinrich ausbeute. Leider mußte er
mittun, sonst hätte eben seinen Teil ein anderer, weniger Würdiger an
sich gerafft. So beutete denn auch er aus, skeptisch, mit gelassenem
Bedauern und voll von Mitleid mit der gerupften Majestät.

Seine Schlösser waren die schönsten und gepflegtesten des Landes in den
Bergen. Die Schlösser der andern waren nur auf Sicherheit und Festigkeit
gebaut; innen waren sie ungemütlich, ihre Gelasse klein, feucht, dunkel,
ohne Luft, kellerig, überall stand der Stank der Ställe. Seine Burgen,
vor allem seine Lieblingssitze Schenna und Runkelstein, waren hell und
voll Sonne. Italienische Architekten hatten sie gebaut; sie waren
angefüllt mit schönen Dingen, Teppichen und Zierat. Während die Mauern
der andern notdürftig geweißt waren und höchstens die Wände der Kapelle
Heiligenbilder trugen, hatte er seine Säle von deutschen und
italienischen Meistern mit Fresken ausmalen lassen. Ja selbst die äußere
Südwand seiner Lieblingsschlösser trug solche Malerei. Bunt und hell
schritt der Ritter mit dem Löwen, Tristan fuhr auf seinem Schiff, Garel
vom blühenden Tal erlebte seine Abenteuer.

Herr von Schenna liebte sehr die Verse, die diese Geschichten erzählten.
Margarete wußte nichts damit anzufangen. Sie begriff die lateinischen
Verse, die der redselige Abt von Viktring so gern zitierte, verstand
Horaz, die Äneis. Das war Sinn, Gesetz, Würde, strenge Bindung. Aber
diese deutschen Verse schienen ihr Tollheit, nicht besser als die wüsten
Einfälle ihrer Hofnarren und Hofzwerge. War es eines ernsthaften
Menschen würdig, Dinge, die niemals waren und nie sein werden, in
verrenkten Worten zu erzählen? Herr von Schenna suchte ihr begreiflich
zu machen, daß diese Menschen, die Tristan und Parzival und Kriemhild,
lebten und wirklich waren, so oft einer sie las und spürte. Aber dies
wollte sie nicht wahr haben. Seine Geschichten blieben für sie bunte,
widerwärtige Lügen; sie begriff nicht, daß der gescheite, ernsthafte
Mann an solchen Windbeuteleien Freude haben konnte.




Den Kaiser hatten die raschen Fortschritte Johanns in Italien tief
beunruhigt. Auch der führende Habsburger, der lahme, kluge, verbitterte
Albrecht, sah mit wachsendem, knirschendem Ingrimm das leuchtende
Lombardische Reich Johanns aus dem Nichts sich heben. Wie, sollte durch
eine freche Wendung der leichtsinnige, unernste Luxemburger sie, die
Ernsthaften, Gewichtigen, von der Macht drängen, sich über sie
hinausheben? Sie blinzelten einander zu, der schwerfällige, langsame
Bayer, der zähe, bittere Habsburger. Sie hatten sich immer gehaßt. Aber
sowie der Dritte sie überflügeln wollte, einte sie das gegen ihn. Sie
schlichen zusammen, Ludwig, der große, langnäsige Wittelsbacher mit dem
massigen Nacken und den riesigen blauen Augen, Albrecht der Lahme mit
den verkniffenen Lippen. Sie berochen sich, nickten sich zu, schlossen
Übereinkunft.

Legten fest, das südliche Reich müsse den Luxemburgern entrissen werden.
Sterbe König Heinrich, so solle Kärnten an die Habsburger, Tirol an die
Wittelsbacher fallen. Kaiser Ludwig sicherte ebenso feierlich wie ein
Jahr zuvor den Luxemburgern jetzt den Habsburgern die Erbfolge in
Kärnten zu. Was die Lombardei betraf, so verbanden sie sich mit anderen,
gemeinsam herzufallen über den Luxemburger. Der Kaiser berief seine
pfälzischen Vettern, Johann am Rhein zu beunruhigen, seinen Eidam von
Meißen, seine Söhne Ludwig den Brandenburger, Stephan. Der Herzog von
Österreich mit den Königen von Ungarn und Polen sollte in Mähren
einfallen.

Der Luxemburger unterdes regierte königlich im toskanischen Frühling. Er
ließ seine Söhne kommen, den älteren, Karl, den jüngeren, Johann. Der
hatte keine Lust. Margarete erbot sich, ihn zu vertreten.

Sie fuhr mit kleinem Gefolge -- Chretien de Laferte führte es -- in den
lombardischen März hinein. Am Ufer satt leuchtender Seen, Oliven silbern
die Hänge hinauf, dunkle Haine von Zitronen und Orangen.
Narzissenfelder. Rosige, helle Mandelblüten. Bunte, lärmende Städte,
Paläste, rasche, laute Menschen. Vor der Stadt des Bischofs von
Aquileja, dessen Schirmvogt ihr Vater war, das Meer, die schaukelnden,
kühnen Schiffe, die Ferne, endlos, abenteuerlich.

Der strahlende Triumph Johanns. Seine Feste, unter dem hellen Himmel
doppelt freudig und sinnvoll. Die prunkenden, blühenden, überstolzen
Frauen. Sie kam sich sehr allein und elend vor, hielt sich fern von den
jungen Frauen, zeigte sich nur in der Gesellschaft alter, reizloser.
Doch auch von diesen fühlte sie sich verachtet, bestenfalls bemitleidet.
Sie waren nun welk und dürr; aber sie hatten doch einmal geblüht. Sie
war in ihrer Blüte kahl und ohne Reiz. Unter diesem Himmel galt es noch
weniger, daß sie klug war und von edelstem Blut und wissend. Unter
diesem Himmel sah man nur das eine, immer nur dies: daß sie häßlich war.

Sie war nicht feig, verkroch sich nicht, schluckte die ganze Bitterkeit
solcher Erfahrung. Erschien bei Tafel, in der Loge beim Turnier, beim
Tanz. Sah, wie beim Anblick des jungen adeligen Chretien, der hinter ihr
schritt, die Lippen der Frauen sich öffneten, ihre Blicke voller wurden,
verlangender, gewährender; wie sie dann abschätzig, höhnisch über sie
selber glitten, den äffisch sich vorwulstenden Mund, die fahle,
widerwärtige Haut. Sie wandte den Blick nicht ab vor solchem Hohn; kühl
und so wissend begegneten ihre Augen den Höhnischen, daß die, fast
beschämt manchmal, abließen.

In Brescia traf Margarete zum erstenmal den Prinzen Karl, Johanns
ältesten Sohn. Der Sechzehnjährige sah sehr erwachsen aus. Er hatte in
Böhmen schon Regierungsgeschäfte selbständig erledigt, war beherrscht
und gemessen. Von der Mutter hatte er gelernt, sich von dem Glanz des
Vaters nicht blenden zu lassen. Mit seinen kühlen braunen Augen sah er
Margarete, sah, daß sie häßlich war und gescheit. Man konnte mit ihr
reden. Und während Johann im Palast der Signoria mit der wunderschönen
Giuditta von Castelbarco den Tanz anführte, während festliche Kerzen
brannten, so schwer, daß drei Männer nur mit Mühe sie hatten heben
können, sprachen die beiden Kinder, des Königs Sohn und des Königs
Schwiegertochter, unter Musik, Fahnen, silbernen Rittern, huldigenden
Unterworfenen, nüchtern, sachlich von der Rückwirkung der lombardischen
Ereignisse auf die Souveränität des Bischofs von Trient, von der
schwierigen Finanzlage.

Bis in den Juni hinein dauerte Johanns festliche Herrschaft in Italien.
Margarete, trotz aller Kritik, konnte sich der theatralischen Blendung
dieses Triumphzugs nicht entziehen. Dann wurden die Nachrichten aus
Deutschland und Böhmen so bedrohlich, daß Johann jäh aufbrach, seinen
Sohn Karl zurückließ, sich nach Böhmen warf. Hinter ihm, sofort und
unvermittelt, brach sein abenteuerliches Italienisches Reich zusammen.
Mit großen, erschreckten Augen sah Margarete, wie die lombardischen
Herren, kaum war der König fort, aufwachten wie aus einem Rausch, sich
zusammenschlossen, mit Robert von Apulien zettelten, trotz tapfern und
geschickten Widerstands des Prinzen Karl die Luxemburger in wenigen
Wochen aus dem Land warfen. Zersprengt, trist, schmachvoll, schwitzend
flohen die silbernen Ritter aus der Lombardei, über der glühender Sommer
braute. Johann verpfändete in aller Eile noch während des
Zusammenbruchs, übel feilschend, an einzelne leichtgläubige deutsche
Herren italienische Städte, die er längst verloren hatte. Aber er konnte
mit diesen Summen nur einen ganz kleinen Teil decken von den riesigen
Beträgen, die der toskanische Feldzug ihn gekostet hatte. Und nach
langen Jahren noch, in Paris, in Prag, in Trier, wo er gerade
residierte, erschien schattenhaft, unscheinbar, oftmals sich neigend,
Messer Artese, der Florentiner, mit seinen beiden Brüdern und zeigte
Verschreibungen vor, Wechsel, die einzigen Bleibsel des lombardischen
Königreichs.

                   *       *       *       *       *

Seltsamerweise gewann Johanns italienisches Abenteuer gerade durch
seinen Zusammenbruch für Margarete an Gewinn und Wirklichkeit. Nun war
es vergangen und abgeschlossen, nun war es Geschichte, nun war es da.
Ja, sogar die Verse des Herrn von Schenna, seine unglaubhaften Historien
wurden dadurch leibhafter, wirklicher. Was König Johann in der Lombardei
getan und erlebt hatte, das klang wie eine jener Fabeln. Und war doch
wirklich, sie hatte es mit eigenen Augen gesehen.

Praktisch galt es, sich nicht verwirren zu lassen. Nahm man die Dinge
nüchtern und klar, so war Johann an seinem Geldmangel gescheitert. Geld
war nicht alles; aber es war ungeheuer wichtig. Schade, daß ihr Vater
das ebensowenig einsah, wie ihr Schwiegervater. Sie sprach oft mit
Johann von Viktring darüber. Da war der Heilige Vater ein anderer. Der
saß, der zweiundzwanzigste Johann, zwerghaft, uralt, in seinem Palast in
Avignon und häufte Geld. Schichtete es in Münzen, in Barren, in Silber
und Gold, in Wechseln und Verschreibungen. Ei, wie luchste er scharfen
Auges, daß auch jeder pünktlich Zehnten und Abgaben zahle. War ein
Bischof im Rückstand, gleich kam der Papst mit dem Bann. Der arme
Bischof Heinrich von Trient! Was nützte ihm sein eifriger Kampf für das
rechtmäßige Papsttum! Weil er die sechshundertvierzig Dukaten nicht
aufbringen konnte, die Avignon von ihm verlangte, flog der Bannstrahl
gegen ihn. Und wie geschickt wußte der Papst die hohen Kirchenstellen zu
besetzen! Jeder neue Bischof hatte die Gesamteinkünfte eines ganzen
Jahres an die Kurie zu verabfolgen. Starb nun ein Bischof, so ward nicht
etwa ein neuer Prälat an seine Stelle gesetzt, nein, der Papst berief
den Inhaber eines andern Bistums in das erledigte, so daß mit dem Tod
jedes Bischofs eine ganze Reihe päpstlicher Lehen frei ward. So war ein
ewiger Wechsel in der hohen Hierarchie, ein Kommen und Gehen wie in
einer Herberge, und der Heilige Stuhl bezog die fettesten Annaten.
»Umsatz! Umsatz!« sagten der Papst und seine Kassiere. Ja, Papst Johann
verstand es. Kein Wunder, stammte er doch aus Cahors, der Stadt der
Bankiers und Börsenleute. Der größte Teil des abendländischen Goldes
floß in seine Kassen. Der Papst hing an dem Geld; er brachte es nicht
über sich, es weiterzuverwerten. Er hätte Rom und Italien damit
wiedererobern können. Aber er liebte sein Geld zu sehr, er konnte sich
nicht davon trennen. Er saß in seinem Avignon, uralt, gnomenhaft klein,
über seinen Schätzen, streichelte die Wechsel und Verschreibungen, ließ
das Gold rieseln durch seine dürren Zwergenfinger.

Verdarb sich der kluge, energische, rastlose Papst seine Politik durch
seine Habgier, so litt die Diplomatie des Kaisers sowohl wie des
Luxemburgers und des Kärntners an ihrer Leichtherzigkeit in
Finanzdingen. Aufmerksam hörte Margarete zu, wenn ihr der Abt
auseinandersetzte, wie klar und sicher ihr Großvater Meinhard seine
Geldwirtschaft fundiert hatte. Trüb und stirnrunzelnd sah sie zu, wie
ihrem gutmütigen Vater alle Einkünfte in der Hand zerrannen. Wie er, um
ein Pfand vor dem Verfall zu retten, immer größere und wichtigere
hingab.

Auch ihre Stiefmutter, die blasse, scheue Beatrix von Savoyen, litt sehr
unter der wilden Finanzwirtschaft König Heinrichs. Sie war von ihren
tüchtigen Eltern her ein sparsames Haushalten gewöhnt, und so scheu und
bescheiden sie sich sonst im Schatten hielt, lag sie schließlich ihrem
Gatten ständig in den Ohren wegen seiner Verschwendung. Sie war
kränklich; König Heinrich sah ergeben und voll wässerigen Kummers, daß
er auch von ihr keinen Erben zu erwarten habe. Sie aber gab die Hoffnung
nicht auf. Sie rechnete, sie sparte, ließ sich von ihrem Mann Zölle und
Gefälle verschreiben, erreichte es sogar, zäh kämpfend, daß nach
Abfindung des Messer Artese von Florenz die Einkünfte des Haller
Salzbergwerks ihr übertragen wurden. Sie wurde hart, habgierig,
knauserig, alles für ihren Sohn, auf den niemand mehr hoffte, nur sie.

Oft beriet sie mit Margarete, wie man da und dort den übeln Finanzen
aufhelfen könne. Trotzdem Margarete solches Bestreben willkommen war,
sah sie säuerlich und mit Widerwillen auf ihre Stiefmutter. Wie dürftig
sie war, wie unfürstlich verstaubt und trocken bei aller Jugend!
Margarete gestand sich nicht ein, daß dies nicht der Hauptgrund war, aus
dem sie ihre Stiefmutter nicht leiden mochte. Die war sanft und
freundlich zu ihr, fühlte sich ihr schicksalhaft verwandt. Sie hatte
keinen Sohn, jene, die Ärmste, war so häßlich. Beide hatte sie Gott in
ihrem Weiblichsten gekränkt und verkümmert. Aber Margarete wollte nicht
hinüber zu ihr, drückte ihre streichelnde Hand nicht wieder. Denn
Beatrix stand zwischen ihr und der Herrschaft. Was sonst blieb ihr, der
Häßlichen, als die Hoffnung auf Herrschaft? Genas aber Beatrix trotz
allem eines Knaben, dann war auch dies Letzte dahin.

König Heinrich duldete die Bevormundung durch seine Gattin lächelnd und
mit scherzhaft sich auflehnendem Raunzen. Nur in einem duldete er keine
Einrede, und dahin wagte sich auch Beatrix niemals: seine Freigebigkeit
gegen die zahlreichen Frauen, die ihm gefielen, und gegen ihre Kinder
blieb ohne Grenzen.

Wie er seine natürlichen Brüder, Albrecht von Camian und Heinrich von
Eschenloh, in hohen Ehren hielt und sie mit Titeln, Würden, Herrschaften
reich begabte, so wuchsen auch auf allen seinen Schlössern und Gütern
Kinder von ihm heran. Er war viel zu gutmütig, Beatrix einen Vorwurf zu
machen. Immerhin tat es ihm wohl, sich zu sagen: es lag nicht an ihm,
wenn er keinen Erben hatte; es war Pech, schlechter Stern. So ging der
alte Lebemann stolz und gehoben durch das blonde, schwarze kleine
Gewimmel seiner Kinder. Er tätschelte sie gerührt: »Das da hat meine
Augen! Und der da meine Nase.« Von einem Großen: »Er geht gerade wie
ich. Der holt sich noch viele Preise im Turnier!« Einen ganz kleinen
Matz, der noch kaum aussah wie ein Mensch, hob er hoch: »Er hat ganz
genau mein Gesicht.« Und er verhätschelte die Kinder, schenkte ihnen
Spielzeug, Zuckerwerk, auch Wiesen, Wälder, Berge, Schlösser.

Margarete sah mit Sympathie auf ihre Halbgeschwister. Vor allem mochte
sie den schon fast erwachsenen Albert gerne leiden, den König Heinrich
zum Ritter geschlagen und mit dem Gericht Andrion belehnt hatte. Der
blonde junge Herr hatte die ganze Gutmütigkeit seines Vaters, dazu eine
starke, fröhliche Sicherheit in allem Gehabe, eine federnde, immer
gleiche Heiterkeit. Er hatte nie den leisesten Spott für Margarete. Er
selber war durchaus ohne Sinn für Bücher und Theorie und bewunderte
ungeheuchelt ihre Gescheitheit und Wissenschaftlichkeit. Sie dankte es
ihm, daß seine Achtung nicht durch ihre Häßlichkeit gemindert wurde.

Auf die Frauen, denen sie begegnete, stets neuen, wo immer ihr Vater
war, schaute sie mit langen Blicken, nicht übelwollend, fremd und voll
neidischer Sehnsucht. Es waren Frauen jedes Standes, jedes Temperaments,
deutsche und welsche; einige raschelten durch die Gänge, andere gingen
schwer und lässig, wie hohe Glocken lachten die einen, die andern
sprachen tief und langsam: alle aber, wenn sie der Prinzessin
begegneten, wurden scheu, befangen, verkrusteten sich in einer Art
feindseligen Mitleids. Ach, wer leben dürfte wie diese, so leicht und
lässig! Ihr war es nicht erlaubt, sie war häßlich und war Prinzessin.
Sie mußte streng sein mit sich. Sie durfte nicht rascheln wie die
Eidechsen, sie mußte ihre harte, steile Straße gehen, geradeaus und
immerzu, wie ein geschmücktes Saumtier, das, mit Prunk und Schätzen
schwer bepackt, einem großen Herrn Geschenke bringt.

Sie grübelte. Sie sprach mit dem Abt von Viktring darüber. War es eine
Strafe Gottes, daß sie so häßlich war? Was wollte Gott mit ihr? Der Abt
zitierte Anselmus: »Schneller vergeht nicht die Stunde, als wechselt der
Anblick der Dinge. Diesseits und für nichts ist irdische Zierde zu
achten.« Da er sah, daß solcher Trost nicht verfing, fragte er, ob sie
es vorzöge, niedrig zu sein, eine Bauerstochter und den Männern
wohlgefällig. »Nein,« erwiderte sie hastig, »das nicht! Das nicht!« Aber
allein brach sie aus: »Ja, ja, ja! Mistfahren lieber den langen Tag,
aber wohlgeschaffen, als so im Schloß, als mit diesem Mund, mit diesen
Zähnen, diesen Backen!«

Sie sprach mit der Äbtissin von Frauenchiemsee. Sie hatte ihre jüngere
Schwester besucht, die kränkelnde, verkrüppelte Adelheid. Nun saß sie
mit der feinen, welken, milden Äbtissin am Ufer der winzigen Insel.
»Meine Mutter war nicht schön,« sagte das Kind, »doch sie war auch nicht
häßlich.«

Die alte Dame legte ihr die kleine, leichte Hand auf das kupferfarbene,
harte Haar. »Ich will nicht von Gott reden und vom Jenseits,« lächelte
sie, »wo nicht die Gestalt gilt. Aber wie rasch verfaltet auch diesseits
das glatteste Gesicht! Noch fünfzehn Jahre, noch zwanzig hättest du es.
Ich bin heute sehr zufrieden,« schloß sie, »daß ich niemals schön war.«

Die beiden Frauen schauten auf den blassen, weiten See hinaus, matte
Sonne schien, eine Möwe schrie.

Das Jahr darauf, unvermittelt, legte sich ihre Stiefmutter Beatrix hin
und stand nicht mehr auf. Sie war immer eine schwache Frau gewesen, nun
war die Enttäuschung dazugekommen, daß sie ohne Kinder blieb. Als sie
schon die Sterbesakramente empfangen hatte, sagte sie noch ihrem Mann,
er solle ja seinen Leibschneider stäupen lassen und mit Schimpf
davonjagen. Er unterschlage gemein viel von den kostbaren Stoffen, die
er für des Königs Garderobe benötige. Auch solle sich Heinrich einen
neuen Lederbehälter anschaffen für seine schöne Rüstung. Dann empfahl
sie ihre Seele Gott und starb.

Nun waren Johann und Margarete die unbestrittenen Erben des Landes in
den Bergen; denn niemand ahnte von dem Geheimvertrag zwischen den
Habsburgern und den Wittelsbachern. Selbst der Knabe Johann wurde
beschwingter durch sein Erbprinzentum. Er sagte sich die Titel vor, die
er haben wird: Herzog von Kärnten, Görz, Krain, Graf von Tirol,
Schirmvogt der Bistümer Chur, Brixen, Trient, Gurk, Aquileja. Er malte
sich die merkwürdigen alten Zeremonien der Thronübernahme in Kärnten
aus, die ihm sehr gefielen. Wie da der Fürst in Bauerntracht kommt und
einen freien Bauern von dem Stein vertreibt, auf dem dieser sitzt. Wie
er, auf dem Stein stehend, das blanke Schwert nach allen Richtungen
schwingt. Wie er aus einem Bauernhut einen Trunk frischen Wassers
trinkt. Und der Knabe Johann kam sich sehr wichtig vor.

Margarete, bewegt von dem Tod ihrer Stiefmutter, gelöst durch das
Gefühl, nun sichere Erbin des Landes zu sein, fand Chretien de Laferte
an ihrem Weg. Sie sprach zu ihm wärmer als sonst, ein erregtes Mädchen.
Sie hätte, wie gern! ein sanftes, menschliches Wort von ihm gehört. Er
aber neigte sich zeremoniös, sprach zu ihr gehalten und voll Ehrfurcht
als zu seiner Fürstin.

Der gute König Heinrich wurde durch den Tod seiner Gattin noch frömmer.
Er aß und trank zwar noch reichlicher, hielt sich auch noch mehr Frauen.
Aber er betete auch noch mehr als früher, beichtete viel, war immerfort
zerknirscht und machte noch größere Stiftungen als bisher für Klöster
und Kirchen.




Im Bistum Chur war ein gewisser Peter von Flavon begütert, Lehensmann
des Bischofs von Chur. Herr von Flavon fiel in einem der italienischen
Feldzüge König Heinrichs in jungen Jahren. Er hinterließ eine Witwe, die
anfangs der Dreißig war, und drei Töchter. Es war strittig, ob die
hinterlassenen Besitzungen nur in männlicher Linie vererbten, oder ob
sie Weiberlehen waren. Bischof Johannes von Chur und sein Kapitel gingen
daran, die Güter einzuziehen. Frau von Flavon kam hilfesuchend mit ihren
drei unmündigen Kindern zu König Heinrich. Kniete vor ihm, weinte. Ihr
guter, junger, tapferer Mann! Und in Diensten König Heinrichs war er
gefallen. Und nun wollte sie der gewalttätige Bischof von Chur ihres
Wittums berauben und sie und die armen Waisen in Not und Elend stoßen.
Die drei hübschen, rundlichen, kleinen Töchter, rosig und appetitlich in
ihren schwarzen Kleidern, knieten neben ihr, flennten. Der gute König
Heinrich war sehr gerührt.

Schrieb dem Bischof von Chur. Trat heftig für Frau von Flavon ein. Der
Bischof schrieb kurz und gekränkt zurück. Gab kein Zipfelchen seines
Anspruchs auf. Die Witwe, die inzwischen mit ihren Töchtern gastlich auf
Schloß Zenoberg aufgenommen war, gefiel dem König Heinrich von Tag zu
Tag besser. Es kam zu bösen Streitigkeiten mit dem Bischof, ja zu Fehden
und Gewalttaten. Schließlich erreichte der König für Frau von Flavon
einen mageren Vergleich.

Inzwischen war die Dame seine erklärte Freundin geworden. Es ging nicht
an, sie mit kärglichen Bissen abzuspeisen. Sollten die armen Würmer,
deren Vater für ihn gestorben war, als kleine Landedelfräulein
heranwachsen? Nein, so knauserig war König Heinrich nicht. Er verlieh
ihnen die Herrschaften Taufers und Velturns. Darüber geriet er zwar in
Händel mit dem Bischof von Brixen, der diese erledigten Lehen für sich
in Anspruch nahm. Aber König Heinrich hielt zäh fest. Zahlte schließlich
dem Bischof Geld heraus; aber die Dame blieb im Besitz der beiden
Gerichte.

Sie machte mit ihren drei Töchtern viel Gewese von sich. Sie fühlte sich
sicher im Schutz des Königs. Sie war eine hübsche Frau, sehr weiß von
Haut, sehr blond von Haar, fest und rundlich. Sie lachte gern und viel,
fehlte bei keinem Tanz und Turnier. Auf ihren Schlössern hörte das
festliche Gelärm nicht auf. Sie mußte immer zu tun haben, mengte sich in
alles, erzählte wichtig belanglose Nebenumstände, warf alles
durcheinander. Plötzlich kam sie auf den Einfall, ihren Gatten in der
Kapelle ihrer Burg Taufers beizusetzen. Durch Jahre betrieb sie diese
Angelegenheit, reiste schließlich in die Lombardei. Der dort formlos
bestattete Tote wurde ausgegraben, die Leiche, wie üblich in siedendes
Wasser geworfen, daß das Fleisch sich von den Knochen löse, die Gebeine
nach Taufers gebracht, feierlich unter großem Lamento der Damen von
Flavon beigesetzt. Es war aber keineswegs gewiß, ob es auch die Reste
des Herrn von Flavon waren.

Die drei Mädchen wuchsen ohne viel Erziehung heran, wild und sehr
verwöhnt. Stets balgten sie sich untereinander, wegen jeder Kleinigkeit
gab es, häufig bösartigen, Zank. So oft der gute König kam, mußte er
schlichten, besänftigen. Auch lehnten sie sich gegen die Mutter auf,
standen oft zusammen gegen sie. Die Mutter klagte dem König über die
Töchter vor, die über die Mutter. Ebenso sinnlos waren sie dann alle
wieder versöhnt, betonten lärmend ihr trauliches Familienleben. Die
Kinder tollten in ihren weiten Besitzungen herum, störten die Amtleute,
quälten die Bauern, plackten Mensch und Tier.

Sie waren alle drei sehr hübsch, weiß, glatt, rosig, fleischig, blond.
Die schönste war die mittlere, Agnes von Flavon. Größer als die
Schwestern, die Haare dunkler, leuchtender, das Gesicht länger, nicht so
rund, auch die Nase nicht so puppig klein und die Lippen kühner. Alle
drei waren die Schwestern sehr eitel. Agnes, so jung sie war, gute zwei
Jahre älter als die Prinzessin Margarete, galt unbestritten als die
schönste Dame zwischen Etsch und Inn. Bei allen Turnieren ritt man für
sie; sie erteilte die Preise. Rühmte man die welschen Damen, so riefen
die deutschen Herren wie aus einem Mund: Agnes von Flavon, und die
Italiener verstummten. In Trient, als ihre Mutter sie in einer
Lehensangelegenheit mit an den Hof des Bischofs nahm, stand das Volk vor
dem Palast, wartete, rief begeistert: »Ein Engel ist herabgestiegen!
Segne uns, schöner Engel!«

Agnes war sich ihrer Schönheit sehr bewußt. Es war ihr
selbstverständlich, daß der König, die Ritter, das Volk ihr jeden Wunsch
erfüllten. Sie betrachtete sich als die Herrin von Tirol.

König Heinrich, in einer Art gutmütigen Taktes, vermied es, die schönen
Schwestern mit seiner Tochter Margarete zusammenzubringen. Manchmal
freilich ließ es sich nicht umgehen. Agnes behandelte Margarete bei
aller äußeren Wahrung der Form mit einer gewissen spöttischen
Herablassung, die die Prinzessin bis aufs Blut reizte. Einmal, als die
beiden Mädchen allein waren und nur Chretien de Laferte bei ihnen, und
als fast eine halbe Stunde lang Stichelreden zwischen den beiden Mädchen
hin und her gegangen waren, bat Agnes, sich verabschiedend: »Begleiten
Sie mich, Herr Chretien!«

»Herr Chretien bleibt!« sagte Margarete, die Stimme ungewohnt trocken
und hart. Dann aber, als Agnes achselzuckend mit einem bösartigen,
spöttischen Lächeln gegangen war: »Gehen Sie, Chretien! Gehen Sie!«
Ratlos, bestürzt, folgte der junge Mensch dem Fräulein von Flavon. Die
Prinzessin, allein, verzerrt, atmete, fauchte.

Mit Herrn von Schenna saß sie über einer bebilderten Vershandschrift.
Blanscheflur sah aus wie Agnes. Herr von Schenna und die Prinzessin
schauten auf das bunte Bild. »Ja,« sagte Herr von Schenna nach einer
Weile, »sie sieht aus wie Agnes.«

»Sie ist wunderschön,« sagte Margarete mit einer gepreßten, seltsam
erloschenen Stimme.

»Aber Fräulein von Flavon hat viel dümmere Augen,« sagte Herr von
Schenna.

»Lesen wir weiter!« sagte Margarete, und ihre Stimme klang dunkel, voll
und warm wie vorher.

                   *       *       *       *       *

König Heinrich alterte sehr früh, verfiel zusehends. Seine Hände
zitterten, oft verlor er die Sprache, lallte. Wilde, atemlose Furcht vor
Strafe im Jenseits befiel ihn. Er hatte so oft an Kirchenportalen, auf
Gemälden das Jüngste Gericht dargestellt gesehen, den Höllenrachen,
scheußliche Teufel aus dem Schwefelpfuhl grinsend. Dies alles rückte ihm
jetzt in schreckhafte Nähe. Er verdoppelte seine frommen Schenkungen,
bedachte Marienberg, Stams, Rotenbuch, Benediktbeuern mit reichen
Stiftungen. Aber dies vermochte ihn so wenig zu beruhigen wie die
tröstlichen Versicherungen des Abtes von Viktring. Um sich zu kasteien,
ließ er in der Kapelle von Zenoberg eine Bahre aufstellen und legte sich
eine ganze lange Winternacht hinein. Da kamen die Menschen, die er hatte
berauben lassen, foltern, umbringen; er war ein gutmütiger Herr, aber es
waren doch sehr viele. Da kamen Frauen, mit denen er Unzucht getrieben
hatte; sie wiesen ihm lächelnde Gesichter, aber drehten sie sich um, so
war ihr Rücken tief in die Eingeweide hinein zerfressen von ekelm,
eitrigem Gewürm. Die ganze Kapelle war voll von scheußlichen Teufeln,
die nach ihm krallten, ihn hetzten. Er schrie. Aber er hatte die Kapelle
versperren lassen und befohlen, daß niemand in ihrer Nähe sei, auf daß
er müsse bis zur Frühmesse allein bleiben mit seinen Sünden und seiner
Reue. Schließlich ertrug er es nicht mehr. Er kletterte -- die Angst
machte ihn geschickt -- die Wand hinauf, sprang durch das Fenster.
Verkroch sich zähneklappernd, kalt schwitzend in sein Bett.

Von da an siechte er hin. Er sprach oft für sich allein, hustete hohl
und hilflos. Margarete war viel um ihn, doch ohne große Teilnahme. Nun
wird er also sterben. Er kann nicht klagen, er hat sein Leben weidlich
genützt.

Sehr gerne hatte er seine Kinder um sich, besonders die ganz kleinen. Er
schlurfte herum zwischen dem winzigen, lallenden, auf krummen Beinchen
trippelnden, purzelnden Volk, schneuzte dort eine kleine Rotznase,
sänftigte hier einen sinn- und atemlos schreienden, rutschenden, dicken,
rosigen Balg. Er hob die Kinder hoch, setzte sich ganz nahe zu ihnen,
erzählte den ernsthaft und verständnislos Lauschenden mit vielem Seufzen
von Geld, von Kirchenbuße, von hoher Politik.

April kam. Das Land stäubte unter einem azurnen Himmel von Mandel- und
Pfirsichblüten. Da spürte er, daß es aus war. Er ließ sich in die
Kapelle des heiligen Pankratius bringen. Eine milde, blaue Maria
lächelte ihm zu. Das bunte, bemalte Kirchenfenster leuchtete freundlich
in der starken Sonne. Kleine Kinder standen großäugig um ihn herum und
der sanfte, betuliche Abt von Viktring. So ereilte ihn ein letzter
Blutsturz, erstickte ihn.

Der Leichnam wurde ausgeweidet, einbalsamiert, Herz und Eingeweide
sollten auf Schloß Tirol, die übrigen Reste sollten später unter größten
Feierlichkeiten in der Fürstengruft des Klosters Sankt Johannis zu Stams
bestattet werden.

Der Bischof von Brixen, der auf die Nachricht vom Ableben König
Heinrichs sich sofort nach Schloß Tirol aufmachte, noch bei Nacht
reitend, hörte auf der Straße das Getrappel von vielen kleinen
Schritten. Er fragte seine Leute, ob sie nichts sähen. Die hörten wohl
auch das Geräusch, aber sie gewahrten nichts. Wie nun der Bischof
schärfer durch die Nacht blickte, sah er, daß es die Zwerge waren, die
eilig in dickem Zug nach Norden wanderten. Sie hatten aber ihre
Edelsteine an den Fingern, so daß nur er sie sehen konnte. Er hielt
einen an und fragte. Der erwiderte, nun der gute König Heinrich tot sei,
fühlten sie sich nicht mehr sicher und müßten das Land verlassen.

                   *       *       *       *       *

Noch am gleichen Tag ritten die Kuriere, die die Todesnachricht ins Land
trugen. Einer über die Berge in die welsche Ebene nach Verona. Da
freuten sich die Brüder della Scala. Nun wird es Verwirrung geben in den
Bergen. Nun wird man wieder die Hand ausstrecken können nach Norden,
sich ein Stück Land erraffen. Einer ritt nach Wien. Da saß der lahme
Herzog Albrecht, immer fröstelnd, am Kamin, schlecht rasiert, mager,
kränkelnd. Er horchte hoch auf, beschickte seinen Bruder, berief
Sekretäre, diktierte, vergaß zu essen über Plänen und Arbeit. Einer ritt
nach München zum Kaiser Ludwig. Der schaute ihn an aus seinen großen,
treuherzigen, blauen Augen über der langen Nase, und während er in
umständlichen, biederen Worten seine Trauer bekundete über den Hingang
des vielgeliebten Oheims, bedachte er schwerfällig die Vorwände, unter
denen er am bequemsten seine kleine Kusine um ihre Länder bringen
könnte.

Margarete beschaute sich im Spiegel. In die Elfenbeinkapsel, in die das
Glas eingelassen war, schnitt sich ein Relief, auf dem die Burg der Frau
Minne erobert wurde. Nun ja, so wie die Frau Minne war sie, Margarete,
eben nicht von Antlitz und Figur. Dafür war sie Herzogin von Kärnten und
Gräfin von Tirol. So also schaute eine Herzogin aus. Sie prüfte sich mit
bitterem Scherz. Laß sehen! Augen und Stirn gingen an. Das Schlimmste
war der Mund, dies überworfene Affenmaul. Nun, dafür hatte sie Kärnten.
Dann waren die schlaffen Hängebacken ein arges Übel. Aber wurde es nicht
aufgewogen durch die Grafschaft Tirol? Und der graue, fleckige Teint?
Legt Trient darauf, Brixen, Chur, Friaul. Ist er dann nicht glatt und
rein?

Johann, ihr Gemahl, war geschwellt. Nun war er Fürst und Herr. Er wurde
geradezu liebenswürdig in seiner gehobenen Laune. Margarete betrachtete
ihn. Eigentlich war er ein hübscher Junge: das lange, herrische Gesicht,
das schöne Haar. Auch seine Augen schienen ihr heute freier, kühner. Er
dachte: Schön ist sie nicht. Aber die Länder sind schön, die sie mir
zubringt. Er sagte zu ihr: »Na? Gretl?« und küßte sie herzhaft auf ihren
häßlichen Mund. Er tat ein übriges und sagte, jetzt müsse sie auch
einmal auf die Falkenbeize mit ihm gehen.

Dann saßen die beiden Kinder zusammen, sehr ernsthaft, und berieten ihre
ersten Regierungsmaßnahmen. Die Lage war nicht einfach. Die Feudalbarone
waren schwierig, würden gewiß die Lage ausbeuten wollen. Der Knabe
Johann setzte sein hochmütiges Gesicht auf. Er wird sie schon
kleinkriegen. Er ist auch wilder Pferde schon Herr geworden. Vor allem
muß man seinen Vater beschicken, den König Johann; der ist wohl noch in
Paris, beim Turnier, bei seinem Schwager, dem König von Frankreich. Dann
müssen Boten an den Kaiser, an die Herzoge von Österreich. Die Kinder
befahlen den Abt von Viktring zu sich, betrauten ihn mit der Botschaft,
gravitätisch und doch mit gespielter Leichtigkeit. Sie setzten ihre
Namen unter die Vollmacht: Johann von Gottes Gnaden Graf von Tirol,
Margareta, _Dei gratia Carinthiae dux, Tyrolis et Goritiae comes et
ecclesiarum Aquilensis Tridentinae et Brixensis advocata_.

Doch als der Abt von Viktring diesen Brief übergab, hatten seine
Auftraggeber die meisten dieser Länder schon verloren. In Linz saß der
Kaiser mit dem lahmen Habsburger, beriet die Ausführung jenes Vertrags,
der das Land in den Bergen zwischen Habsburg und Wittelsbach teilte.
Ungeschlacht, wuchtig saß der Bayer, wollte alles für sich haben, von
keinem kleinsten Dorf die Finger lösen. Zäh und hartnäckig zerrte der
lahme Herzog, wählte scharfe, bittere Worte, gab nichts preis. Sie
saßen, schauten, die Gedanken nur bei ihren Karten und Registern, auf
die hochgehende Donau, Regen rann, die beiden Männer lagen über dem
fetten Besitz, rissen hin und her. Hart feilschend kamen sie endlich
überein: Kärnten, Krain, Südtirol an den Österreicher, Nordtirol an den
Bayern. Als sie so weit waren, kam der Abt von Viktring mit den Briefen
und Empfehlungen der Kinder. Sehr höflich empfingen ihn die beiden
Fürsten. Lasen aufmerksam die Briefe. Mit undurchdringlichem Spott
erwiderte zunächst der Österreicher, wie sehr der Tod seines Oheims, des
edeln und hocherlauchten Fürsten, Seniors ihres ganzen Geschlechts und
Vaters ihrer aller, ihm ans Herz gehe. Wie tief er seine kleine Base und
ihren jugendlichen Mann bedaure. Krain gehöre nun ihm. Kärnten habe ihm
die Freigebigkeit des Kaisers verliehen, Truppen seien schon unterwegs,
das Land für ihn zu besetzen. Wenn er sich aber sonstwie seiner kleinen
Base gefällig und behilflich erweisen könne, wolle er es gerne tun.
Ähnlich sprach der Kaiser selbst, den Abt mit seinen großen blauen Augen
treuherzig und unverwandt anstarrend. Nur sprach er feierlicher,
tönender, weil er eben der Kaiser war. Leider seien die Kinder mit ihren
Bitten zu spät gekommen; er habe mit seinen lieben Oheimen von
Österreich schon alles abgemacht. Im übrigen wolle er sich die Sache in
Gnaden angelegen sein lassen.

Die beiden Kinder auf Schloß Tirol, sowie sie sahen, wie schlecht ihre
Angelegenheit stand, schickten Eilboten auf Eilboten nach Paris zu ihrem
Vater und Vormund, dem König Johann. Aber der war im Turnier übel
verwundet worden. Er lag zerschlagen und zerschunden, des Augenlichtes
fast beraubt, in Verbänden und Umschlägen und konnte nach Tirol nur den
matten Trost schicken, die Kinder sollten guten Mutes sein; sowie seine
Kräfte es erlaubten, werde er selbst kommen und sie und ihre Länder
schützen. Es war ein besonderer Unstern, daß er hilflos im Bett liegen
mußte, während der Kaiser und Habsburg die reichen Länder, die er sich
durch so langwierige und geschickte Diplomatie gesichert hatte, unter
sich verteilten. Allein Spieler und Fatalist, der er war, ging ihm auch
dies Unglück nicht sehr tief. Er war an jähen Wechsel gewohnt, riß in
aller Ohnmacht und Erbärmlichkeit leichtfertige Witze über die Frauen
und die Länder, die ihm auf diese Art entgingen, rechnete mit dem
Gleichmut des Spielers auf eine glückliche Wendung.

                   *       *       *       *       *

Unterdes wurde Kärnten und Krain ohne Widerstand von den Habsburgern
besetzt. Die Städte huldigten ihnen, die Lehensurkunde des Kaisers wurde
überall feierlich verlesen, die Feudalbarone und Beamten stellten sich
auf den Boden der Tatsachen, ließen sich auf die neuen Herren
vereidigen. Die führenden Herren, an ihrer Spitze der gravitätische
Konrad von Auffenstein, der Statthalter des verstorbenen Königs, von ihm
mit reichstem Gut und allem Vertrauen bedacht, spielten dabei eine sehr
zwielichtige Rolle. Die Bevölkerung wurde mit dem Verrat an den beiden
Kindern dadurch ausgesöhnt, daß sich in Vertretung seines lahmen Bruders
der Herzog Otto von Österreich den alten, umständlichen,
patriarchalischen Bräuchen unterzog, die in Kärnten bei der
Inthronisation üblich waren und auf die sich der kleine Prinz Johann so
gefreut hatte. Er zog also Bauerntracht an, hieß den dazu bestellten
Bauern von dem Stein aufstehen, trank Wasser aus einem Bauernhut und
übte mehr dergleichen überkommene Zeremonien. Der Bevölkerung gefiel
dieses Festhalten an den väterlichen Bräuchen außerordentlich, die Leute
waren gerührt, bekannten sich überzeugt zu dem neuen Fürsten. Herzog
Otto war übrigens ein feiner, modischer junger Herr; er kam sich in der
Bauerntracht sehr komisch vor, er und seine Herren machten noch lange
Witze darüber. Das umständliche Zeremoniell war trotz allem da und dort
nicht eingehalten worden, es gab Leute, die darüber murrten; auf Schloß
Tirol bemerkte der Herzog Johann mit grimmiger Befriedigung, daß ihm das
nicht passiert wäre. Allein wie immer, Kärnten und Krain, die Hälfte
ihrer Länder, waren vorläufig für Margarete und ihren Gemahl verloren.

Margarete war nie eine pathetische Natur gewesen. Sie hatte nicht
erwartet, daß Kärnten aus Treue zu dem angestammten Herrscherhaus sich
nun flammend vor sie hinstellen und schützen werde. Aber die schnöde
Art, wie man mit der größten Selbstverständlichkeit das Recht preisgab
und sich auf die Seite der Macht schlug, in aller Hast noch kleine
Vorteile für sich erschachernd, füllte sie dennoch an mit Ekel und
Empörung. Sie hatte keinen Einwand, als Herzog Johann, schäumend, mit
überschlagender Stimme, fußstampfend, Order gab, Burg Auffenstein bei
Matrei, das Stammschloß des treulosen Kärntner Gouverneurs, zu
zerstören. Der kluge Herr von Schenna meinte freilich, es wäre
gescheiter gewesen, es einfach zu beschlagnahmen.

Blieb Kärnten verloren, so entwickelten sich in Tirol die Dinge für die
Kinder sehr günstig. Die tirolischen Barone hatten von dem Luxemburger
weitgehende Versicherungen, daß er ihnen in die maßgebenden Ämter keine
fremden Vögte hineinsetzte; jedenfalls war mit den beiden Kindern
leichter auszukommen als mit dem in Gelddingen durchaus nicht
gemütlichen Wittelsbacher. Die Tiroler Herren blinzelten also einander
zu, verständigten sich, beschlossen, in bewährter tirolischer Treue zu
ihrer angestammten Herrin zu stehen, rüsteten bewaffneten Widerstand,
schürten die gute Gesinnung im Land.

So fand Herzog Johanns älterer Bruder, Markgraf Karl, den König Johann
vorläufig in seiner Vertretung nach Tirol schickte, die Grafschaft in
gutem Stand zur Verteidigung, und die drei Kinder konnten in einem
kurzen Krieg, der äußerst sachlich, gründlich und grausam geführt wurde,
Tirol halten. Der kleine Herzog Johann zeigte sich übrigens in diesem
Krieg von einer persönlichen, verbissenen, krampfhaften Tapferkeit, die
nicht ohne Eindruck auf Margarete blieb.

Mittlerweile konnte auch König Johann wieder vom Krankenlager aufstehen.
Seine Augen freilich waren nicht mehr zu retten. Er sah von der Welt nur
mehr einen schwachen Schimmer und wußte, daß er bald gar nichts mehr
werde sehen können. Dies machte ihn etwas müde, geneigt zu Philosophie
und Pazifismus. Auch der Habsburger, der lahme Albrecht, war des Kampfes
müde; er sah, daß außer Kärnten vorläufig für ihn nichts zu holen sei
und daß er, führe er den Krieg weiter, sich lediglich für den Kaiser
schlage, der sich, ging es ans Zahlen, diesmal wie stets einsilbig,
hochmütig und schofel hinter seine Kaiserwürde zurückzog. Albrecht kam
unter diesen Umständen mit Johann bald überein, erkannte die Luxemburger
als rechtmäßige Herren von Tirol an, wogegen Johann sich mit der
Habsburger Herrschaft in Kärnten einverstanden erklärte; natürlich
verlangte er noch einen finanziellen Ersatz: zehntausend Veroneser
Silbermark.

Da er gerade im Verträgeschließen war, schlug er auch dem Kaiser einen
Handel vor: Brandenburg gegen Tirol. Ludwig, der mit Leidenschaft solche
Geschäfte betrieb, war sogleich dabei, und die beiden Fürsten erwogen
stark angeregt die Einzelheiten des Projekts. Da aber schlug die Treue
der Tiroler zu ihrer Fürstin in lohen Flammen empor -- die Feudalbarone
wären ja durch die Herrschaft der Wittelsbacher finanziell schwer
beeinträchtigt gewesen; es kam zu den heftigsten Resolutionen, und die
Volksbewegung war so stark, daß König Johann feierlich bezeugen mußte,
er habe nie an eine derartige Vertauschung gedacht. Ja, sein Sohn und
Statthalter, der Markgraf Karl, hielt die Stimmung für so bedenklich,
daß er in den Vater drang, sich mit den höchsten Eiden zu verpflichten,
Tirol niemals zu veräußern. Was dieser achselzuckend und liebenswürdig
lächelnd tat.

Das junge Ehepaar dachte übrigens nicht daran, die Abmachungen Johanns
über Kärnten zu vollziehen. Margarete erging sich in den heftigsten
Worten, wie ihr Vormund ihre Interessen schnöde verschachere; sie und
ihr junger Gemahl hielten ihre Ansprüche auf Kärnten und Krain voll
aufrecht. Der junge Herzog Johann fand hierbei willkommenen Anlaß zur
Entfaltung einer großen, pathetischen Zeremonie. Er sammelte den Adel
Tirols um sich und ließ die Herren, malerisch angeordnet, die Schwerter
gezogen, auf das Kreuz schwören, nicht zu ruhen und zu rasten, bis
Kärnten wieder in seinem und Margaretens Besitz sei.

Der blinde König Johann fand, sein Sohn sei ein kleiner Esel. Denn die
einzige Folge dieses großen Auftritts war, daß Österreich die
zehntausend Mark Veroneser Silbers nicht zahlte. Tatsächlich blieben die
Österreicher im Besitz Kärntens, die feierlichen Tiroler Herren steckten
trotz des Schwurs ihre Schwerter wieder in die Scheide, und durch die
Räume König Johanns glitt schattenhaft, unscheinbar und mit vielen
Verneigungen Messer Artese aus Florenz.




Der Herzog Johann wurde reifer, männlicher. Sein Gesicht blieb trotzig,
hinterhältig, verbissen; aber sein Körper verlor das Stakige,
Überlang-Magere, ward fest, stattlich, nicht sehr gelenk, doch sicher.
Er war ein guter Jäger, verstand sich ausgezeichnet auf die Falkenbeize,
bewährte auch im Krieg persönliche Tapferkeit. Margarete gefiel er. Es
gab schönere Männer, klügere, glänzendere. Aber er hatte sich bei den
schwierigen Kämpfen um den Besitz des Landes nicht schlecht gehalten,
war kein Knabe mehr, war sehr jung zum Mann geworden, war ihr Mann. Er
vermied sie. Je nun, er war wohl überhaupt scheu; gesprächig,
vertraulich war er nur mit seinen Jägern; man mußte um ihn werben. Sie
stellte sich in seinen Weg. Es nutzte nichts; er ging ihr, abweisend,
vorbei.

Sie füllte ihren Tag mit tausend Beschäftigungen, Putz, Repräsentation,
Politik, Studien. Aber ihre Gedanken hakten sich immer wieder an ihn.
Warum konnte sie nicht zu ihm gelangen? Ihre Nächte waren voll von ihm.
Aufdringlich fast suchte sie seine Gesellschaft. Fand alle möglichen
Vorwände, sowie sie ihn nur in der Nähe wußte, bei ihm einzudringen.
Aber er war immer eilig, bog mürrisch jedem vertraulichen Wort aus. Sie
suchte nie den Grund in seinem schlechten Willen, war ihm für
keinen Augenblick böse. Suchte alle Schuld in sich, in ihrer
Ungeschicklichkeit.

Sie mußte sich anvertrauen, sich Rats holen. Aber bei wem? Ihre Frauen
waren dürr und albern, der gutmütige Abt von Viktring würde mit
erbaulichen Sprüchen und Zitaten kommen. Nach einer schlaflosen Nacht
sprach sie mit Herrn von Schenna.

Der lange Herr saß in schlechter Haltung vor ihr, ein Bein über das
andere geschlagen, das etwas welke Gesicht in die große Hand gestützt.
Durch die feinen Pfeiler der Loggia sah man weit in die Berge hinein
über das starkfarbene, üppige, besonnte Land. An den Wänden der Loggia
schritt sehr bunt und überschlank Tristan. Isolde stand, die eine Hand
gehoben, hoch und abweisend. Zu Füßen der Herzogin Margarete spreizte
sich der Hauspfau. Margarete, in einem malvenfarbenen Kleid, das
kupferne Haar schillernd in dem hellen Tag, aber alle Häßlichkeit auch
des Gesichts in dem klaren Licht grob und mitleidlos enthüllt, sprach
stockend, in halben Worten. Sie hatte sich zurechtgelegt, was sie sagen
wollte; dennoch kam jetzt ihre sonst so gewandte Rede nicht recht
vorwärts, und sie sprach in Andeutungen. Schließlich war Johann doch ihr
Mann. Irgend jemand müsse ihm das doch sagen. Sie selber, das gehe doch
nicht gut.

Sie sah Herrn von Schenna an. Aber der saß ganz still, blinzelte in der
Sonne, schwieg. Mutloser noch fuhr sie fort. Es war früher manchmal
dagewesen, daß Fürsten, die als Kinder waren verheiratet worden, später
feierlich Beilager hielten. Johann hänge so an Zeremonien. Ob Herr von
Schenna es für angängig halte, daß sie Johann ein solches Fest
vorschlage.

Herr von Schenna ließ eine Weile verstreichen, ehe er antwortete. In die
besonnte Stille hinein schrie der Pfau, von unten her aus den tieferen
Reben, sehr fern, klang das Geschrei spielender Kinder. Herr von Schenna
wußte, daß der junge Herzog anderen Frauen gegenüber durchaus nicht so
scheu und blöde war wie Margareten. Behutsam, langsam, merkwürdig sacht
hub er endlich an. Wie er den jungen, eigenwilligen, herrschsüchtigen
Fürsten kenne, glaube er nicht, daß er einen Gedanken ausführen werde,
den ein anderer ihm eingebe. Vielleicht daß sich einmal Gelegenheit
biete, ihm den Gedanken so unmerklich beizubringen, daß er ihn für einen
eigenen halte. Aber man müsse sehr, sehr vorsichtig sein. Und abwarten.

Dann, froh, abbiegen zu können, wies er auf einen Herrn, der langsam in
der prallen Sonne den Weg heraufritt: »Da kommt Berchtold.«

Die Herzogin sehr ehrerbietig grüßend, kam Berchtold von Gufidaun heran.
Der stattliche Herr, bräunlich kühnes Gesicht, blaue Augen merkwürdig zu
dem dunkeln Haar, war Jakob von Schennas bester Freund. Herr von Schenna
pflegte zu sagen: »Er ist zweimal so dumm wie ich, aber zehnmal so
anständig.« Margarete mochte den festen, biederen, sehr ergebenen Mann
gern leiden.

Herr von Schenna ließ Wein und Früchte bringen. Es ging gegen Abend, man
hielt ein geruhsames Gespräch. In eine Stille hinein fragte plötzlich
Margarete: »Sagen Sie, Herr von Gufidaun, Sie kommen doch mit vielen
Leuten zusammen, mit Aristokraten, Stadtbürgern, Bauern: wie denkt
eigentlich das Volk über mich?« Der ehrliche Mann, überrumpelt, drückte
unbehaglich herum, das Volk liebe und ehre sie geziemend. Schwitzte
unter dem klaren, ernsten Blick des Mädchens. Schenna kam dem Verlegenen
zu Hilfe. Überall wisse man, wie klug und gewandt sie sei und daß sie
das Land vor Habsburg und Wittelsbach gerettet habe.

Margarete fühlte sehr wohl, daß die Vorsicht, die Herr von Schenna ihr
riet, sehr am Platz war, mehr als seine Höflichkeit ihr sagte. Aber sie
wollte sich das nicht eingestehen. Sie konnte nun nicht länger untätig
bleiben und zusehen, wie Johann an ihr vorbeiging. Gut, ihr Gesicht war
häßlich, ihre Figur breit, unedel, ohne Reiz. Aber sie war gesund, sie
hatte Blut, sie war bereit, tüchtig und berechtigt, Fürstenkinder zu
empfangen, zu gebären. Die Männer waren blöde, sie wollten gestoßen
sein; sicher war es so. Der Junge kam auf nichts, stieß man ihn nicht
an.

Sie fragte ihn, ihre Erregung mühsam bändigend, so beiläufig wie
möglich, wann er eigentlich und wo die Feier ihres Beilagers abzuhalten
für ratsam halte. Das Kloster Wilten, die Stadt Innsbruck warte darauf.
Er schaute sie auf und ab, sein Gesicht verzog sich wütend, spöttisch,
gehässig, die Augen wurden ganz klein. Eine Feier auch noch? Er habe sie
doch geheiratet. Das sei Feier genug gewesen. Er denke nicht daran, ihr
Beilager gar noch feierlich zu begehen. Sie möge gefälligst warten, ihn
in Frieden lassen. Er schrie. Die Stimme schlug ihm um. Er lachte
knurrend, höhnisch, bösartig. Seine Augen glitten von ihrem harten,
kupfernen Haar über den kurzen, plumpen Leib bis zu den Füßen. Er sah
aus wie ein tückischer kleiner Affe. Margarete schluckte, wandte sich,
ging.

Allein, raste sie, schäumte. Wer war er denn? Wie ein bissiger,
häßlicher Köter sah er aus. Wer hätte ihn angeschaut, wäre er nicht
Herzog? Und sie hat ihn dazu gemacht. Und muß sich nun -- wer hilft ihr?
-- diese frechste Verhöhnung gefallen lassen. Ist sie darum Herzogin?
Wann je war eine Frau so verschmäht und gekränkt wie sie? Sie zerkratzte
sich die Brust, ihr armes, häßliches Gesicht. Schäumte, knirschte,
knurrte, stöhnte, daß ihre Frauen bestürzt hereinkamen.

Andern Tages war sie eisig umkrustet. Warf sich auf die Politik. Beriet
mit Volkmar von Burgstall, Jakob von Schenna, Berchtold von Gufidaun.
Markgraf Karl, Johanns älterer Bruder, war auf Reisen am Rhein.
Eigentlicher Regent des Landes war, den Herzog Johann klug lenkend, der
Bischof Nikolaus von Trient, ehedem Kanzler des Markgrafen in Brünn,
Domherr von Olmütz, ein energischer, rasch denkender Herr, den
Luxemburgern unbedingt ergeben. Jetzt mischte sich Margarete in jede
kleinste Angelegenheit, zwang den Bischof, verbindlich in der Form, aber
unnachgiebig, sie an allen Regierungsgeschäften teilnehmen zu lassen. Da
sie die eingesessenen Feudalbarone, die dem Luxemburger Prälaten nicht
zu großen Einfluß einräumen wollten, auf ihrer Seite hatte, fügte sich
der geschmeidige Bischof, Schritt für Schritt weichend.

Den Herzog Johann behandelte sie mit eisiger Höflichkeit, nannte ihn
Herr Herzog und mit allen Titeln. Niemals mehr war von Persönlichem
zwischen ihnen die Rede. In allen politischen Dingen wurde er
beigezogen, aber sie wußte ihn bei aller umständlichen Höflichkeit immer
wieder vor den tirolischen Herren als dummen, launischen, kleinen Jungen
hinzustellen. Er verzerrte sich vor Zorn; aber wenn er losbrechen
wollte, fand er, denn sie hatte sehr klug jede Form gewahrt, erstaunte,
mißbilligende Gesichter. Häufig auch traf sie wichtige Maßnahmen
selbständig und holte im letzten Augenblick erst seine Zustimmung ein.
Sehr geschickt verstand sie seine Einwilligung zu einer leeren Formsache
herabzudrücken, ohne daß er, bis aufs Blut gereizt und verärgert, der
erstaunt und unschuldig sich Habenden solche Nichtachtung nachweisen
konnte.

Die Finanzen des Landes waren besser als unter König Heinrich, aber noch
keineswegs gesund. Sie verlangten ein ewiges, vorsichtiges Lavieren und
viel Hin und Her. Herzog Johann, der anstrengenden Kleinarbeit müde,
berief den Alleshelfer, den er von seinem Vater her kannte, Messer
Artese aus Florenz. Unscheinbar, schattenhaft, ungeheuer dienstwillig
war der mächtige Bankier mit einemmal auf Schloß Tirol.
Selbstverständlich und mit tausend Freuden wird er aushelfen. Er
verlangte dafür nur einen ganz, ganz winzigen Gegendienst: die
Verpfändung der eben erschlossenen Silberbergwerke.

Herzog Johann war sofort dabei. Margarete, in kluger Berechnung,
widersprach nur flüchtig und ohne Nachdruck, ließ ihn ganz sich in den
Plan verstricken. Erst als der Plan in allen Einzelheiten ausgearbeitet
war, protestierte sie unvermittelt mit größter Entschiedenheit,
verweigerte ihre Unterschrift. Johann schwoll an, seine Adern wurden
dicke Schlangen. »Der Welsche kriegt die Silberrechte!« gellte er.

Margarete, bebend vor Triumph: »Er kriegt sie nicht!«

Der Herzog sah rot. Was? Er hat dem Bankier die Silberrechte versprochen
und soll es nun nicht halten können? Bloß weil die Hexe, die
widerwärtige, scheuselige, die Vettel, nicht mag? »Er kriegt sie! Er
kriegt sie!« und stürzte sich auf sie, schlug sie ins Gesicht, verbiß
sich in sie.

Sie, selig, weil sie ihn so tief traf, jubelte, ihre volle Stimme in
seine japsende: »Er kriegt sie nicht! Nie kriegt er sie! Nie!«

Keuchend, ohnmächtig sich verzehrend, ließ er von ihr ab.

Margarete schickte Eilboten an den Markgrafen Karl. Mißmutig kam der aus
wichtigen Geschäften zurück nach Tirol, als Schiedsrichter. Es war klar,
daß Margarete recht hatte; selbstverständlich konnte man die
Silberbergwerke dem Florentiner nicht preisgeben. Margarete lenkte klug
ein, sparte ihrem Gemahl die offene Niederlage. Aber als sie allein
waren, schalt der ältere Bruder den Herzog, daß dem das Mark in den
Knochen sich empörte vor Wut.

Der nüchterne, sachliche Markgraf konnte nicht umhin, die Staatsklugheit
seiner jungen Schwägerin anzuerkennen. Von Böhmen und Luxemburg aus
verbreitete sich der Ruf ihrer diplomatischen Überlegenheit an den
europäischen Höfen. Wohl verhandelte man offiziell mit dem Herzog
Johann; aber in allen Staatskanzleien wußte man, daß in Wahrheit allein
die häßliche junge Herzogin das Land in den Bergen regierte.




Bald nach dem Tod des Königs Heinrich starb auch sehr plötzlich Frau von
Flavon, Herrin von Taufers und Velturns. Bei einem Spaziergang mit ihrer
jüngsten Tochter, als sie unter Jauchzen und Geschrei Alpenblumen
pflückte, stürzte die hübsche, rundliche Dame zu Tod. Die Töchter
bestatteten sie unter großer Anteilnahme sehr prunkvoll neben den etwas
zweifelhaften Gebeinen, die sie als die Peters von Flavon aus Italien
zurückgebracht hatten. Die drei hübschen Fräulein waren in recht
bedenklicher Lage. Jetzt, nachdem ihr Protektor, der gute König
Heinrich, tot war, erhob der Bischof von Chur seine alten Ansprüche auf
ihre westlichen Besitzungen, der Bischof von Brixen forderte mit vielem
Grund die Schlösser und Gerichte Taufers und Velturns zurück.

Die drei jungen Damen, blond, lieblich und hilflos, verhandelten hin und
her mit den Finanzräten der Bischöfe. Es fanden sich viele, die sich
ihrer annahmen; aber gegen die guten, berechtigten Ansprüche der
mächtigen Bistümer war schwer aufzukommen. Schließlich gelangte die
Sache als an die letzte Instanz an den Hof des Herzogs.

Agnes von Flavon erschien auf Schloß Tirol, tat einen Kniefall vor dem
jungen Herzog. Der stand knabenhaft und sehr wichtig vor der Knienden,
in dem langen, schmalen Gesicht die Lippen ernsthaft zusammengepreßt. Es
streichelte seine Herrschgier, wie das zarte Geschöpf, leicht und schön
und wehend unter dem schwarzen Gewand, so ganz verströmend und ergeben
vor ihm lag, aus tiefen, blauen Augen fromm und bittend zu ihm
aufblickte. So gehörte es sich. So hatte es Gott bestimmt, daß es sei.
Mochte die andere, die Häßliche, gegen ihn anbellen. Die da, die Zarte,
Liebliche, schönste Frau des Landes, lag vor ihm auf Knien, sah fromm,
hingegeben, voll Vertrauen zu ihm auf. Er war sehr gnädig zu ihr.

Agnes machte auch der Herzogin ihre Aufwartung. Margarete widerstand
tapfer der Versuchung, über die Schöne zu triumphieren. War huldvoll.
Kondolierte in warmen Worten zum Tod der Frau von Flavon. Ihr Vater,
König Heinrich, habe ja immer der Familie besonders wohlgewollt, fügte
sie undurchdringlich hinzu. Ja, und es sei sehr traurig, daß die
Rechtslage, soviel sie höre, so ungünstig sei für die Fräulein. Sie
persönlich sei natürlich jederzeit erbötig, aus ihrer Privatschatulle zu
helfen.

Agnes hatte sich vorgenommen, Margarete nicht zu reizen. Aber vor diesem
undurchsichtigen, doppelt empfindlichen Hohn ging sie durch. Was? Ein
Mädchen mit so einem Gesicht und so einem Maul wagte, gegen sie zu
sticheln? Und wenn jene die Kaiserin von Rom wäre und sie selber
leibeigen, hätte sie dagegen aufbegehrt. Sie schaute sie lange und
abschätzig an. Sagte dann, so gar ungünstig scheine es um ihre Sache
doch nicht zu stehen. Der Herr Herzog wenigstens habe sich sehr gnädig
und tröstlich zu ihr geäußert. Etwas kahl schloß Margarete: nun ja, man
werde das Urteil der sachverständigen Herren hören und die Angelegenheit
in gnädige Erwägung ziehen.

Bevor Agnes das Schloß verließ, traf sie noch Chretien de Laferte, der
ihr in gesetzten Worten kondolierte. Agnes hörte ihn ernst an und
erwiderte ihm würdevoll. Er bat, sie auf der Rückreise begleiten zu
dürfen. Sie war auch da geziemend melancholisch, unterbrach aber
gelegentlich ihre Trauerwürde durch ein spitzbübisch kokettes
Scherzwort, den jungen Herrn durch solchen Wechsel tief verwirrend.

Chretiens Stellung am Tiroler Hof war nicht angenehm. Solange der Prinz
Johann noch Knabe war, hatte er als ergebener, dienstwilliger Kamerad,
der die vielen Verstöße des schwierigen kleinen Prinzen gegen höfische
Zucht und Sitte unmerklich besserte und einrenkte, seinen klar
umgrenzten Bezirk gehabt. König Johann war überzeugt, man könne keinen
taktvolleren Adjutanten für seinen ungezogenen Sohn finden als den
hübschen, schlanken, ritterlichen, formvollen und doch so bescheidenen
Jungen. Auch Markgraf Karl hielt ihn für den rechten Erzkämmerling
seines jüngeren Bruders. Prinz Johann selbst aber hatte seinen offenen,
hübschen Kameraden nie recht leiden mögen. Hatte ihn geknufft,
mißhandelt, gedemütigt, mit seinen kleinen Wolfsaugen darauf lauernd, ob
der geduldige Begleiter nicht einmal rebellieren und Anlaß geben werde,
ihn wegzuschicken. Jetzt, seitdem er Herzog war, selbständig und
erwachsener, war die Stellung Chretiens noch viel schwieriger geworden.
Er hielt sich sehr bescheiden im Hintergrund; wagte er nur den leisesten
Rat an den jungen Herzog, so wurde er bösartig und verächtlich
zurückgewiesen.

Chretien war jüngerer Sohn eines edlen französischen Hauses, ohne
Vermögen, darauf angewiesen, bei Hof sein Glück zu machen. Es hatte für
ihn keinen Zweck, seine besten Jahre in Tirol aussichtslos zu versitzen.
In den Feldzügen König Johanns hatte er sich brav und tapfer bewährt.
Eine Gelegenheit, sich besonders auszuzeichnen, hatte sich ihm nicht
geboten. Was sollte er bei diesem jungen, bösartigen Herzog, der ihn
immerzu demütigte, ihm jedenfalls nicht gewogen war? Er trug sich mit
dem Gedanken, an den Hof König Johanns zurückzukehren oder nach
Frankreich zu gehen oder besser noch zum König von Kastilien. In den
Kämpfen mit den Mauren war Geld und Ehre zu erwarten.

Margarete hatte dem jungen Ritter lange Zeit keine besonderen
Gnadenbeweise mehr gegeben. Erst als sie sah, daß kein Weg mehr war von
ihr zu Herzog Johann, begann sie wieder, Chretien zu locken. Übertrug
ihm kleine, vertrauliche, diplomatische Sendungen, fragte ihn
Unverfängliches, das sie aber durch ihre Betonung bedeutsam machte. Er
war zurückhaltend, war voll von Zweifeln, wollte nicht verstehen. Es war
ein großer Glücksfall, bei einer Dame von solchem Rang in Gunst zu
stehen; aber es war ein zweigesichtiges Glück: man konnte unmöglich für
eine so häßliche Frau in die Schranken reiten. Zwar wird niemand wagen,
ihm ins Gesicht zu höhnen wie früher; doch er bäumte hoch, wenn er an
die feixenden Mienen, die zotigen Bemerkungen in seinem Rücken dachte.
Dann wieder hörte er, wie man an allen Höfen voll großer Achtung von
ihrer Umsicht und Gescheitheit sprach. Es schmeichelte ihm, daß eine
Dame von solchem Urteil gerade ihn erwählte. Sie imponierte ihm, er war
ihr dankbar, entzog sich ihr nicht mehr. Er ging auf ihren Ton ein,
seine Augen schleierten sich leise, wenn er sie sah, seine Stimme
bedeckte sich, wenn er zu ihr sprach.

Einmal -- er war nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt -- meldete er
sich bei der Herzogin. Sie war nicht in ihren Zimmern, das dürre
Fräulein von Rottenburg führte ihn in einen abgelegenen Teil des
abendlichen Gartens. Aus einer Baumgruppe her drang Gesang. Das
Hoffräulein legte die Finger an die Lippen, bedeutete ihm,
stillezustehen, zu schweigen. Eine warme, volle Stimme sang ein
einfaches Lied, jubelte in alle Höhen, schluchzte durch alle
Kümmernisse, sehnte sich, dankte, ging durch alle Irrsale. Den jungen
Menschen überkam es wie in der Kirche bei einem hohen Fest. Er nahm die
Mütze ab. »Die Herzogin?« flüsterte er, ungläubig. Da kam sie schon den
Baumgang herunter. Sie sah das große, bewegte Staunen in seinem offenen
Gesicht. Reichte ihm langsam die Hand. Er küßte sie.

                   *       *       *       *       *

Unterdes war die Angelegenheit der Hinterlassenschaft der Frau von
Flavon so weit gefördert worden, daß man die Entscheidung nicht gut
weiter hinauszögern konnte. Juristische wie politische Gründe sprachen
dafür, die erledigten Lehen den um die luxemburgische Sache sehr
verdienten Bischöfen zurückzugeben. Gleichwohl fanden die Räte allerlei
fadenscheinige Gründe, die für die Damen von Flavon sprachen. Es war
nämlich Agnes bei jedem einzelnen gewesen und hatte so lange Trauer,
Jugend, List, Hilflosigkeit spielen lassen, bis sie die Räte
eingewickelt hatte. Johann entschied also herrisch, daß die Güter den
Fräulein verbleiben sollten. Doch Margarete widersetzte sich. Mit so
guten Gründen und so beharrlich, daß dagegen nicht aufzukommen war. Man
einigte sich schließlich auf einen Vergleich. Schloß und Gericht
Velturns sollte den Schwestern verbleiben, die westlichen Besitzungen an
Chur, Taufers an Brixen zurückfallen; doch mit dem Beding, daß der
Bischof von Brixen nur einen von Schloß Tirol vorgeschlagenen Anwärter
damit belehnen dürfte.

Die Schwestern, die schon den weiten Besitz unter sich geteilt hatten,
mußten sich also mit dem einen Velturns begnügen. Sie waren lärmend,
beweglich, eigenwillig, streitsüchtig. Immerzu herrschte giftiges
Geplänkel auf Burg Velturns. Auffallend war, daß die angenehmen Stimmen
der jungen Damen im Streit eine unerhört harte, pfauenhaft scharfe
Tönung bekamen. In der Öffentlichkeit erschienen die Schwestern übrigens
immer traulich vereint, umschlungen, lieblich, blumenhaft lächelnd.

Als Kandidaten für das erledigte Taufers schlug Margarete Chretien de
Laferte vor. Der Herzog geiferte empört dagegen. Was? In diesen fetten
Besitz soll man den Schlucker setzen, den kahlen Mucker, der sich immer
so falsch bescheiden an die Wand drückt und sicher nach einem stechen
wird, sowie er nur die Macht dazu hat? Doch Margarete blieb fest. Der
Herzog von Kärnten und Graf von Tirol könne sich nicht lumpen lassen.
Könne nicht so lange jemandes Dienste annehmen und dann knausern und
filzig sein. Wenn Chretien jetzt ohne Lohn und Dank an einen andern Hof
gehe, so sei sie selber beschimpft durch solchen schmutzigen Geiz. Als
Johann sich weitersträubte, drohte sie, die Entscheidung des Markgrafen
Karl anzurufen, bis er sich knurrend fügte.

Margarete selbst teilte Chretien diese Entscheidung mit. »Der Bischof
von Brixen wird Sie mit Schloß und Gericht Taufers belehnen. Bewähren
Sie sich, Herr von Taufers! Es ist mein Ruhm, wenn Sie Ehre einlegen,
meine Schande, wenn Sie versagen.«

Chretiens mageres, kühnes, gebräuntes Gesicht rötete sich bis unter das
eigenwillige Haar. Langsam ging er ins Knie. Er sah nicht mehr, daß ihr
Mund sich äffisch vorwulstete, daß ihre Haut grau und lappig war. »Frau
Herzogin!« stammelte er. »Allergnädigste, herzliebste Frau Herzogin!«
Und es war mehr als die übliche Formel, wie er ihr dankte: »_Pour toi
mon âme, pour toi ma vie!_«

                   *       *       *       *       *

In der klobigen, altväterlichen Burg des Tiroler Landeshauptmanns
Volkmar von Burgstall saßen sieben, acht von den einflußreichsten
tirolischen Baronen beim Wein. Es kam selten vor, daß der wuchtige,
massige Herr Gäste zu sich bat, und dann in knurriger, barscher Weise,
die wie ein Befehl klang. Die Halle, in der man saß, war dumpf und
niedrig, die Wände überhaupt nicht, der Boden mit wenigen Tüchern
belegt. Glasfenster, das modische Zeug, verschmähte der konservative
Hausherr. Der junge, fröhliche Albert von Andrion, Margaretes
natürlicher Bruder, machte sich lustig über die Bretter, mit denen jetzt
in der kalten Jahreszeit die Lichtöffnungen vernagelt waren. Man saß wie
in einem Keller. Alles war rauchig, rußig vom Kamin, von den Kerzen und
Pechfackeln. Dabei war der Raum nicht zu durchwärmen; die Herren rückten
unbehaglich hin und her; man briet auf der einen Seite, fror auf der
andern. Der nervöse Herr von Schenna hüstelte, schnupperte, bekam
Kopfweh in dieser ungemütlichen, dumpfen, stinkenden Höhle, in der kalt
und widerwärtig der Geruch der Ställe stand. Aber die Speisen, Wildbret
und Fisch, waren mit Liebe und in ungeheuren Massen zubereitet und
gereicht, und der Wein, das war nicht zu leugnen, war ausgezeichnet.

Wie die Herren den Landeshauptmann kannten, hatte er sie nicht der
bloßen Geselligkeit wegen zu sich gebeten. Aber er war karg und rauh von
Wort; es war nicht geraten, ihn zu fragen, bevor er selbst anfing. Man
trank also, redete Gleichgültiges, wartete.

Langsam, in brummigen, unvollendeten Sätzen lenkte Volkmar das Gespräch
auf die Politik. Stieß die Herren unwirsch dahin, wo er sie haben
wollte. Ja, man war unzufrieden mit den Luxemburgern. Der erste, der es
deutlich aussprach, war Heinrich von Rottenburg. Der kleine Herr, breit,
rauhes, rotes Gesicht, schwarzer Stoppelbart, erregte sich, schlug mit
der Faust auf den Tisch, stieß Drohungen aus. Hatte man nicht, weil er
gewisse Abgaben verweigerte, sein Schloß Laimburg zerstört, sein gutes
Schloß bei Kaltern, an dem Vater, Großvater, Ahn gebaut hatten? Der
junge Herzog hatte es gewollt, der kleine, tückische Wolf. Und der
Bischof von Trient hatte den Befehl gegeben, der finstere Böhme, der
immer »Autorität!« sagte, »Gehorsam!« Hätte man ihm Felder gepfändet,
Weinberge, ein Dorf, eine Pflege. Aber, nur um ihn zu ärgern, ein Schloß
zu zerstören, eine gute Burg aus festem Stein, in eigenem, nicht in
Feindesland, das war sinnlos, das war wüstes Heidentum. Auch Frau
Margarete hatte es nicht gebilligt, die kleine Herzogin. Das kam, weil
sie die angestammte Fürstin war und mit dem Land fühlte. Aber die
Fremden, die Böhmen, die Luxemburger, was fühlten denn die? Die wollten
Geld herauspressen aus Tirol, nichts weiter, genau wie es der
Luxemburger mit Böhmen machte. Und er, Heinrich von Rottenburg, ließ es
sich nicht nehmen, daß König Johann damals doch Tirol habe verschachern
wollen gegen Brandenburg, möge er abschwören was immer.

Schweigend hörten die andern diese gefährlichen Reden an. Behutsam
begann dann der vorsichtige, gepflegte Tägen von Villanders. Rein formal
hätten die Luxemburger den Vertrag ja schließlich eingehalten und keine
Fremden in die wichtigsten Verwaltungsämter berufen. Es sei doch nicht
zu bestreiten, daß Herr von Rottenburg Landeshofmeister sei, Herr von
Volkmar Landeshauptmann. Oder? Der gepflegte, bartlose, etwas
altmodische Herr sah die beiden so ernsthaft an, daß sie nicht wußten:
höhnte er oder was eigentlich wollte er?

Der kleine Rottenburg brach los: Ob der gestrenge Herr ihn zum Narren
habe. Solche Würde habe unter dem guten König Heinrich was bedeutet.
Heute habe der dümmste Bauer lange schon geschmeckt, daß es kahle Titel
seien, und wer in Wahrheit regiere! Es sei ja höllisch schlau, wie die
Luxemburger das gedreht hätten; daß sie die weltlichen Ämter arm und
leer machten und die geistlichen stark und in die geistlichen ihre
Kreaturen hineindrückten. Nein, formal hätten sie dem Land keine fremden
Beamten aufgedrängt. Aber wer regiere denn? Der plattnasige Bischof
Nikolaus von Trient, der Böhme, der kein Wort Tirolisch versteht.

Herr Konrad Botsch von Bozen erzählte Einzelheiten, wie die Bozener
Bürger voll seien von tiefem Verdruß, daß die Luxemburger dem Bischof
wieder alle alten, längst abgeschafften Rechte eingeräumt hätten. Und
wie der Bischof die Welschen begünstige vor den Deutschen. Herr Albert
von Andrion ahmte den Bischof nach, seinen unbeherrschten, heftigen
Gang, der plötzlich wieder durch das Streben nach geistlicher Würde und
Gravität gezügelt werde, seine zischende, sprudelnde, slawische
Aussprache. Dem jungen, fröhlichen Herrn war die Stimmung hier in der
Halle zuwider, auch die Politik war ihm zuwider; er wollte einen
unterhaltlicheren Ton in die Gesellschaft bringen. Mit dem Talg der
Kerzen klebte er sich die Nase platt, stieg auf den Tisch, parodierte
eine Predigt des Bischofs in seiner slawischen Mundart. Dröhnendes
Gelächter.

Aber mit dieser Wendung ins Harmlose war der massige, wuchtige Gastgeber
durchaus nicht einverstanden. »Wissen die gestrengen Herren, was der
Pfarrer von Matrei Strafe zahlen muß, weil er dem Markgrafen Karl nicht
mehr Umsatzsteuer zahlt als dem König Heinrich?« Alle waren gespannt.
Ging man die Steuern und Abgaben genau durch, dann hätte man wohl die
meisten Tiroler Edeln der Hinterziehung beschuldigen können.
»Neunhundertvierundachtzig Veroneser Silbermark!« dröhnte Herr von
Burgstall. Man sprang auf, ging durcheinander wütend hin und her. Ei,
wenn die Luxemburger so kamen, da wird bald keiner mehr von den Tiroler
Landherren ein Dach überm Kopf haben. Das Land war reich. Das Land
nährte den Fürsten so gut wie die Ritter. Da brauchte der Fürst kein
Filz zu sein und auf den Pfennig zu schauen. Aber dieser Markgraf Karl
war von Natur geizig, das Gegenteil seines Vaters, der reinste
Schacherer und Jud. Daß dich Gottes Marter schände! So jung und schon
solcher Knauser.

Der ehrliche Berchtold von Gufidaun saß schwitzend, mit hohen,
unbehaglichen Brauen. Die starken, blauen Augen schauten mißbilligend
auf die aufsässigen, widerspenstigen Barone. Solche Reden waren
unziemlich gegen das von Gott eingesetzte Fürstenhaus. Auch der junge
Albert von Andrion wurde bedenklich. Die Luxemburger hatten ihm zwar
übel mitgespielt und gerade die reichen Legate des guten Königs Heinrich
für seine vielen unehelichen Kinder arg beschnitten. Aber der junge,
offene Albert war ein gutmütiger Junge, illoyalen Ideen keineswegs
geneigt und voll Verehrung für seine kleine Schwester, die Herzogin. Nun
war wirklich Aufrührerisches kaum gesprochen worden, Herr von Burgstall
hatte nichts Greifbares gesagt, der kluge Herr von Villanders schon gar
nicht; eigentliche Drohungen, die man nicht dulden durfte, hatte nur der
kleine Rottenburg ausgestoßen, und der war stark unter Wein. Immerhin
schmeckte die ganze Angelegenheit leicht nach Rebellion.

Der feine Schenna merkte die Verstimmung, renkte ein. Worüber man klage,
mit alldem habe die Fürstin selbst nichts zu tun. Margarete sei fernab
von Knauserei und Schikanen. Sei die rechte Enkelin ihres erhabenen
Großvaters Meinhard. Sei klug, sicher, spüre mit dem Land. Das wüßten
auch alle, vom letzten Leibeigenen bis zum Landeshauptmann.

Gewichtig stimmte Volkmar zu, befreit und überzeugt Albert und Berchtold
von Gufidaun.

Der behutsame Tägen von Villanders streckte wieder die Fühler vor. Ja,
man habe schon das rechte Gefühl. Das angestammte Fürstenhaus, auf dem
Boden des Landes, in seiner Luft gewachsen, sei von Gott bestimmt, in
Tirol zu herrschen. Hier schwieg er. Der kleine, heftige, wildumbartete
Rottenburg nahm den Faden auf. Die Luxemburger sollten dort regieren, wo
Gott oder der Teufel sie hingesetzt. In Luxemburg; wenn es die Böhmen
sich gefallen ließen, in Böhmen. Aber daß sie in Tirol säßen und
regierten, das sei durch Menschenwerk so, nicht durch Gottessatzung, und
das sei eben Irrtum gewesen. An ihnen, an den Herren selber, habe es
gelegen, wen man nach König Heinrichs Tod ins Land gelassen habe. Den
Habsburger, den Wittelsbacher, den Luxemburger. Es habe sich
sichtbarlich erwiesen, daß in Tirol nur der regieren könne, den die
Tiroler selber wollten. Gott habe es durch Berge und Täler und Pässe so
gefügt, daß ein Fremder nicht mit Gewalt könne über sie herfallen. Man
sei treu, man halte zu Margarete. Aber dem Luxemburger sei man nicht von
Gott, sondern nur durch Vertrag verpflichtet. Herzog Johann und die
andern Böhmen hätten den Vertrag schlecht gehalten. Er sei zerrissen,
gelte nicht mehr.

Die Herren starrten ihm auf den Mund, schnauften. Das war klar. Das war
Meuterei. Hier war nichts zu deuteln.

Wie man sich das denn denke, fragte tastend Herr von Villanders. Wie man
denn Margarete und die gottgewollte Untertanenpflicht trennen wolle von
den Luxemburgern.

Schenna, vor sich hinblickend, mit halben, unbestimmten Worten, äußerte:
Sehr glücklich sei die Herzogin nicht gerade, soviel er wisse. Einen
Erben habe sie und das Land von dem Herzog Johann nicht zu erwarten,
soviel ihm bekannt sei. An ihr liege es nicht, sei zu vermuten. Wobei er
mit lächelnder Kopfneigung auf den Zeugen der Fruchtbarkeit König
Heinrichs wies, der rot, frisch, lachend und geschmeichelt unter ihnen
saß, auf Albert von Andrion.

Herr von Villanders faßte zusammen: Man habe nichts gesagt, nichts
beschlossen. Man könne sich eine bessere, volkstümlichere Verwaltung des
Landes denken als die der landfremden Luxemburger. Man hänge mit
unbedingter Treue an der von Gott eingesetzten Herzogin Margarete.
Vielleicht sei es opportun, sie um ihre Meinung und ihren Willen zu
befragen. Seines Bedünkens sei Herr Albert von Andrion dazu der rechte
Mann.

Lärmend stimmte man zu. Nur der redliche Berchtold von Gufidaun schwieg,
in Zweifeln hin und her gerissen. Der junge Albert, bedenklich zuerst,
aber stark unter Wein und geschmeichelt von dem Zureden der andern, nahm
an, verpflichtete sich, seiner Schwester die Meinung der Herren zu
unterbreiten, mit ihr Fühlung zu nehmen.

                   *       *       *       *       *

Margarete liebte es jetzt, viel allein zu sein. Oft hatte sie ein
stilles, sattes, ihren Frauen unbegreifliches Lächeln. Auf dem schmalen
Sockel der kargen Liebeserlebnisse ihrer Wirklichkeit baute ihre
Phantasie einen gigantischen Traum. Aus dem kleinen, ungezogenen,
hinterhältigen Jungen, der ihr Gemahl in Wirklichkeit war, machte sie
einen finster gewalttätigen, großen Tyrannen, der sie nicht verstand und
aus der Finsternis seines herrschsüchtigen Gemüts heraus sie quälte. Den
jungen Chretien schmückte sie mit allen Tugenden des Leibes und der
Seele. Er war Erec und Parzival und Tristan und Lanzelot und der
Löwenritter. Alle hellen, strahlenden Taten, die jemals in Geschichte
und Gedicht ein Held getan hat, er hat sie getan oder, wenigstens,
könnte sie tun.

Es war Glück und Gnade, daß der Himmel streng zu ihr gewesen war und ihr
banale Anmut des Gesichts und der Gestalt versagt hatte. Die Frauen
rings um sie, die Frauen des Alltags, hatten ihre Männer, ihre
Geliebten, vergnügten sich mit ihnen in dumpfer, tierischer Lust in
ihren Kammern, hinter Büschen. Ihre Liebe war ganz rein und hoch, das
Schmutzige, Erdhafte war ihr von Anfang an verboten und versperrt. Sie
schwebte gelöst, hell und sehr anders über den kleinlichen, ärmlich
dumpfigen Lüsteleien und widerlich körperhaftem Getriebe der andern. Süß
war es, streng und rein zu sein vor sich und den andern. Süß war es,
nicht verstrickt zu sein in tierische, unsaubere Verschlingung von Haut
und Fleisch.

Sie wurde krankhaft empfindsam gegen Lautheit, Massigkeit,
Körperlichkeit, Schmutz. Es ekelte sie vor fremder Berührung, die
Ausdünstung anderer Menschen machte ihr Pein.

März war, von Italien her kam in warmen, linden Stößen Wind, der
sehnsüchtig ins Blut ging. Oben lagen die Berge dick in Schnee, aber die
unteren Hänge waren voll vom zarten Geflock der Mandel- und
Pfirsichblüten. Sie schaute hinaus von der Loggia des Schennaschen
Schlosses in das wellige, starkfarbige Land. Über ihr schritten bunt und
überschlank Lanzelot und Ginevra, Tristan fuhr übers Meer, Dido stürzte
sich in die Flammen. Sie gehörte nun zu diesen. Die Verse, die ihr so
lange hohl, versperrt, ohne Sinn gewesen waren, hatten sich aufgetan,
sie hatte trinken dürfen aus ihrer dunkeln, wohligen Fülle.

Willkommen, großes, strenges Schicksal! Willkommen, Häßlichkeit!
Willkommen, fürstlicher Reif und Zepter!

Fast dankbar war sie ihrem harten, tyrannischen Gemahl, denn seine Härte
hatte sie ihren Geliebten finden lassen. Süßer Freund! Er kannte sie. Er
wußte, daß diese graue, lappige, körnige Haut, dieser scheußliche Mund,
dieses tote Haar ein Außen war, und daß sie innen zart war und schlank
und voll Reichtum und Lieblichkeit. Sie sah ihn selten, sprach ihn fast
niemals, nie war ein Wort zwischen ihnen gefallen, das nicht jeder hätte
hören dürfen.

Dennoch zweifelte sie keinen kleinsten Augenblick, daß er sie liebe. Sie
hatte seinen hingegeben dunkeln Blick nicht vergessen damals, als sie
gesungen hatte und aus der Vigne zu ihm trat. Und seine Stimme nicht,
und wie er verströmt war, als sie ihm von seiner Belehnung mit der
Herrschaft Taufers gesprochen hatte. Freilich war dies eine andere
Liebe, als die sie so gemeinhin um sich sah mit Küssen und süßlichen
Alltagsworten und Firlefanz. Sie, Margarete, hatte ihn durch jene Augen
von damals, durch seine Verströmtheit, ganz anders, viel tiefer zu eigen
als sonst eine Dame ihren noch so verliebten Galan. Mochten die andern
ihre Männer leiblich besitzen. Das war wohlfeil und wie Essen und
Trinken gemein. Ihr, der Fürstin, stand eine höhere, strengere Liebe an.
Es war wohl auch leicht, so niedrige, wohlfeile Liebe wie der andern
immer neu anzufachen, aufzuwärmen durch den Anblick, durch den Genuß
tierisch dumpfer Lust. Sie mußte immer wieder gegen ihre Gestalt
kämpfen, die Liebe ihres Freundes immer von neuem seinem Widerwillen
gegen ihr häßliches Außen abringen.

Selige Bitterkeit solchen Kampfes! Sie dankte Gott und der Jungfrau für
so herbe, verschlungene, harte, reine, wahrhaft fürstliche Liebe.

Sie ließ nicht ab, Chretien mit immer mehr Schein und Strahlen zu
verklären. Chretien war ohne Ehrgeiz. Sie war ehrgeizig für ihn. Daß
sich seine strahlende Begabung nicht auch den andern offenbarte, war
nur, weil sie ihn in Tirol zurückhielt, weil ihm hier die Gelegenheit
fehlte. Sie, Margarete, war schuld, daß er vor der Welt unscheinbar und
ohne Größe war. Sie war ihm verschuldet, sie schuldete ihm die
Gelegenheit zur Größe.




Chretien hatte mittlerweile die Herrschaft Taufers übernommen. Er besaß
die Dörfer Luttach, Sand, Kematen, das Nevestal, das Reintal. Das alles
war unter dem Regiment der Damen von Flavon ein wenig heruntergekommen.
Er freute sich darauf, es wieder hochzubringen.

Eine große, unbändige Lust füllte ihn an, nach den langen Jahren bei
Hofe sein eigener Herr zu sein. Leer, bunt und widerwärtig lag die Zeit
bei Herzog Johann hinter ihm. Die vielen, zwangvollen Zeremonien, das
ewige Geknufftwerden, das Nichtsprechendürfen, die tiefen Neigungen und
Kniefälle, die frechen Anmerkungen hinterher, das verlogene Gefeilsche
bei den Turnieren, das glänzende und dabei so drangvoll bettelhafte
Leben, ständig in Angst vor dem Gläubiger. Er reckte das magere,
gebräunte Gesicht mit der starken Nase und dem unbekümmerten, langen
Haar in die Luft, in seine Luft. Er ritt herum auf seinen Höfen, die
Bauern schauten wohlgefällig, voll Verehrung auf den schlanken,
sicheren, hurtigen Herrn, die Weiber und Mädchen starrten ihn andächtig
an wie in der Kirche.

Am Tiroler Hof hätte er es nicht länger ausgehalten. Er wäre gern und
mit Überzeugung irgendwohin geritten ins Abenteuerliche. Jetzt, so war
alles anders, und er fühlte sich sehr wohl. Es genügte seiner
Unternehmungslust vollauf, sein Leben heraufzuwirtschaften. Natürlich
wird er auch zu Hofe reiten, Kriegszüge mitmachen, bei Turnieren nicht
fehlen. Aber etwa nach Afrika zu ziehen und Mauren zu erschlagen oder
sich mit Türk' und Sarazen um das Heilige Grab herumzuhauen, danke sehr!
Dazu verspürte er vorläufig durchaus kein Verlangen. Er ritt männlich
und zufrieden auf seinem Boden herum und genoß seine junge Herrschaft.

Eines Tages besuchte ihn die Herzogin. Er war Margarete tief und
untertänig zugetan. Er dachte keinen Augenblick daran, seine flüchtigen
und sehr wirklichen Beziehungen zu der und jener Frau mit den Gefühlen
für sie zu vermengen. Margarete war ihm ein Begriff, in den sich auch
Vorstellungen eindrängten, die er von den Sängern und Spielleuten her
kannte. War ihm eine poetische und lustige Angelegenheit, die in der
Belehnung mit Taufers eine unerwartete, glückhafte, reale Auswirkung
gefunden hatte, die er aber mit seiner übrigen Wirklichkeit nicht in den
losesten Zusammenhang brachte. Er ahnte nicht, was er für Margarete war,
welche Rolle er in ihrem Leben spielte.

Er empfing die Herzogin freudig und mit ergebener Herzlichkeit. Seine
Stimme hatte jene schleierige, vieldeutige Befangenheit, die Margarete
erbeben machte. Was er sagte freilich, war nüchtern und sachlich. Er
sprach ihr von den Veränderungen, die er für seine Güter plante, von
einer mehr rationellen Bodenbewirtschaftung, strafferen Zucht der
Bauern. Sie unterbrach ihn unvermittelt, auf die Gletscher weisend, die
einsam, klar und höhnisch fern in ein helles Blau zackten: »Haben Sie
nie Lust, Chretien, einen von diesen Gletschern zu betreten?«

Chretien sah sie verblüfft und etwas töricht an. Er sagte, und jetzt
klang auch seine Stimme ganz klar und ohne Geheimnis: »Nein. Warum
sollte ich da hinaufsteigen?« Dann sprach er wieder davon, wie angenehm
und ertragreich die unteren Hänge seien.

Einige Tage später kam Agnes von Flavon. Sie war schon mehrmals bei
Chretien auf Schloß Taufers gewesen. Es ergab sich immer wieder eine
Kleinigkeit, die noch zu regeln war; auch Chretien fand nicht ohne
Geschicklichkeit immer neue Fragen, die Auskunft und persönliche
Besprechung erforderten. Agnes war blond, rührend, hilflos und nahm
stets von neuem mit verlorenen Blicken Abschied von dem Schloß und den
Bergen ringsum.

Unterdes heiratete die ältere Schwester Maria von Flavon einen
bayrischen Herrn und überließ den beiden anderen Schwestern Schloß
Velturns. Es mußte aber dem Bayern eine ansehnliche Mitgift ausgezahlt
werden; die Herrschaft Velturns war an sich schon überlastet; Agnes bat
mit großen, treuherzigen Augen Chretien um Rat. Chretien kam nach
Velturns, sah die schlampige, elegante Wirtschaft der Schwestern,
empfahl Einsparungen da und dort, die sehr praktisch waren, aber die
Herrschaft aus einem Fürstensitz zu einem ertragreichen Bauernsitz
machen mußten. Agnes beneidete die Schwester. Die habe es gut, sei aus
der Misere heraus. Freilich sei der Bayer ein grober, tölpischer Bursch,
auch sei es übel, das schöne Tirol mit der faden bayerischen Ebene zu
vertauschen. Aber am Ende werde ihr wohl auch nur Ähnliches
übrigbleiben. Sie richtete ernst und lange das zarte und doch kühne
Gesicht mit den starken blauen Augen auf Chretien, der schlank,
gebräunt, befangen und ein bißchen dumm vor ihr stand.

Das Projekt gegen die Luxemburger war gereift. Volkmar von Burgstall,
Tägen von Villanders, Jakob von Schenna hatten sich unmerklich, nachdem
sie die Sache gesät, mehr und mehr ins Dunkle gedrückt. Vornean stand
jetzt der kleine, heftige Heinrich von Rottenburg und, halb gegen seinen
Willen, der muntere, harmlose Albert von Andrion, Margaretes Bruder.
Margarete selbst wob und zettelte mit leidenschaftlicher, fiebriger
Beflissenheit die Fäden. Endlich sah sie, endlich, hier die Gelegenheit,
Chretien auf den Platz zu stellen, der ihm gebührte, ihm die Möglichkeit
großer Taten zu schaffen, die sie ihm schuldete.

Die andern Herren zögerten, Chretien einzuweihen oder gar ihm eine
wichtige Stelle anzuvertrauen. Er war kein Einheimischer, er war ein
Welscher, Johanns vertrautester Kämmerling. Margarete mußte umständlich
darauf hinweisen, wie gemein der hämische, bösartige Johann ihn immer
behandelt habe, und daß von allen Chretien am meisten unter den giftigen
Launen ihres tyrannischen Gemahls habe leiden müssen.

Chretien selber war ziemlich verwundert, als Margarete ihm von dem
Projekt sprach. Selbstverständlich war er Ritters genug, sofort
mitzutun, wenn es galt, die Dame, die er so tief verehrte und der er so
sehr verpflichtet war, aus der Hand ihrer Bedränger zu befreien. Aber
sehr begeistert schien er nicht gerade. Er war beschäftigt mit der
Arbeit für seine Güter, es wäre ihm lieber gewesen, wäre das
Abenteuer ein wenig später gekommen. Er sah, abgesehen von der
selbstverständlichen, aber im Augenblick lästigen Erfüllung seiner
Ritterpflicht, einen einzigen, etwas mageren Vorteil in der
Angelegenheit. Er festigte dadurch seine Stellung unter dem
einheimischen Adel; der Herr von Taufers-Laferte konnte fortan, hatte er
sich an diesem tirolisch bodenständigen Unternehmen beteiligt, kaum mehr
als landfremd angesehen werden.

Margarete brannte in Erwartung, schürte, hetzte, spähte mit ihren
klugen, raschen Augen alle Möglichkeiten aus. Wußte es einzurichten, daß
neben Albert von Andrion und Heinrich von Rottenburg Chretien als das
eigentliche Haupt der Unternehmung galt.

Auf Schloß Velturns war mittlerweile ein gewisser Herr Giulio aus Padua
eingekehrt, ein unansehnlicher Mensch, langsam, schweigsam, immer
lächelnd, eigentlich ein bißchen idiotisch. Allein sein Oheim hatte das
Kapitanat von Padua inne, er selber war am Comer See reich begütert. Er
schien Agnes hündisch ergeben, und Chretien überfiel jähe Angst, sie
könnte sich entschließen, ihm in die Lombardei zu folgen wie das Jahr
zuvor ihre Schwester dem Bayern. Seine Burg Taufers, seine Dörfer und
Täler schienen ihm auf einmal wertlos und ohne Licht, wenn er das
dachte.

Man konnte mit Agnes nicht wohl reden wie mit anderen Frauen. Man konnte
sie nicht einfach nehmen. Sie war so zart. Sie wäre einem vor Schreck im
Arm vergangen. Ganz behutsam sprach er zu ihr. Wenn es ihr in dem
überlasteten Velturns nicht mehr gefalle, ob sie nicht wolle mit ihm in
Taufers hausen.

Ei, wie konnte sie erstaunt sein! Sie hieß ihre Augen sich schleiern,
ihre Lippen befangen lächeln, ihre Hand scheu und lockend abwehren.
Antwortete halbe Sätze voll von Sträuben und Versprechen.

Er war ein hübscher Junge, unleugbar, sehr anders als die plumpen
Tiroler Herren. Das kühne, magere Gesicht mit der starken Nase, die
kurzen, vollen Lippen. Mit seinem unbekümmerten, langen,
kastanienfarbenen Haar mußte sich gut spielen lassen. Auch war Taufers
ein reicher Besitz. Aber schließlich, ihr Haar, ihre Augen, ihre Haut,
ihre kostbare Zartheit und Lieblichkeit war, Gotts Donner und Blitz,
zehn solche Herrschaften wert. Wenn sie dachte, wie die Welschen
hingerissen auf ihre Blondheit starrten, wie sie blaß wurden bei ihrem
Anblick, dann war sie überzeugt, sie hätte können in der Lombardei einen
ganz andern Ritter und Herrn finden. Als Gattin eines Visconti in
Mailand, eines Scala in Verona zu herrschen, umrauscht von der
Bewunderung der glänzenden Städte, wäre Triumph gewesen, viel
offenkundiger, als am Tiroler Hof die Gattin des Herrn von
Taufers-Laferte zu sein.

Chretien sah, daß sie zögerte, ihn hinhielt. Er spürte, er müsse sich
größer machen, wichtiger. Er weihte sie ein in den Plan gegen die
Luxemburger.

Agnes hörte zu mit einem merkwürdigen, dummen, sonderbar befriedigten
Lächeln. Sie wußte plötzlich, es war ein viel größerer Triumph, die
Gattin Chretiens zu sein als die des Mastino della Scala oder des
Visconti von Mailand. War es Sieg, der häßlichen Herzogin, der
wüstmäuligen, lapphäutigen, den Mann zu entreißen? Ja, ja! Es war Sieg!
Plötzlich wußte sie, daß sie seit langem auf diesen Sieg gewartet,
diesen Augenblick mit allen Mitteln herbeigekitzelt hatte. Es floß _ein_
Strom von ihr zu der Häßlichen, sie schaukelten auf _einem_ Brett. Jene
war häßlich, gewiß; aber auf ihrem häßlichen Haar saß ein Fürstenreif,
und aus ihrem häßlichen Gesicht schauten ein paar höllisch kluge,
brennend energische Augen. Sie zu besiegen war viel schwerer als eine
andere, Schöne. Der Haß zwischen ihr und jener war ein sehr Lebendiges,
war das wichtigste Stück Leben, ihres sowohl wie jener. Wie hatte jene
gekämpft um den Mann! Hatte sie beraubt und den Raub dem Manne
geschenkt, hatte große Ereignisse künstlich gehäuft, den Mann darauf zu
stellen und zu erhöhen. Sie, Agnes, die arm war und bloß und nichts
besaß als sich selbst, hatte nur gewinkt und der Mann war sogleich
heruntergesprungen von dem riesigen Sockel, den jene so mühsam getürmt,
und ihr zu Füßen. Sie kostete ganz diese Erfüllung, schwoll an, schwamm
in ihr. Nein, sie wird in Tirol bleiben, wird sich messen mit der
Herzogin, die sie haßt, wird ihr mehr noch nehmen als den Mann. Es war
herrlich, oben zu schweben auf der Schaukel, selig und schwebend hoch,
und die andere ganz tief zu sehen und ganz vernichtet.

Chretien ging in den gefährlichen Handel mit den Luxemburgern wie in ein
Turnier. Er war glücklich, Agnes vorher für sich geborgen zu haben. Er
dachte nicht einen Augenblick daran, daß durch seine Verbindung mit ihr
die Herzogin geschmälert werden könnte. Margarete war hier, Agnes dort,
seine Beziehung zu jener, seine Neigung für diese war aus sehr
verschiedenem Stoff. Er rüstete die Hochzeit in aller Eile, denn die
Ereignisse drängten. Agnes war sehr damit einverstanden; es war
kitzelnde Lust für sie, daß Margarete die Befreiung ihrem, ihrem Manne
zu danken haben würde.

Zu Ende der Woche wollte Herzog Johann mit dem Markgrafen Karl und dem
größern Teil der luxemburgisch-böhmischen Truppen das Land auf mehrere
Monate verlassen, um seinem Vater in dem polnischen Krieg Hilfe zu
bringen. Agnes fragte Chretien, wann und wie man die Herzogin von ihrer
Vermählung unterrichten solle. Chretien hatte geplant, Margarete zur
Hochzeit zu bitten. Unter dem unverwandten, tiefblauen, spöttisch
unschuldigen Blick des Fräuleins von Flavon wurde er unsicher, verschob
die Mitteilung an Margarete, die mit allen Gedanken in ihrer Revolution
stecke, erst bis nach vollzogener Vermählung, dann bis zu seiner letzten
Unterredung mit der Herzogin. Als er indes die letzten Einzelheiten der
Unternehmung mit ihr besprach, schien es ihm richtiger, ihr seine Ehe
erst dann zu melden, wenn die luxemburgischen Truppen und Beamten
vertrieben und sie die alleinige Herrin ihres Landes sei. Es war
übrigens, als er sich von ihr verabschiedete, um sie erst nach
geglücktem Staatsstreich wiederzusehen, in seiner Stimme die gleiche
vertrauliche, vieldeutige Schleierung, die sie auf den Scheitelpunkten
ihrer Neigung so beglückt hatte.

Kurz nachdem Chretien gegangen war, stand Herzog Johann in Rüstung vor
Margarete, um nun, auch er, sich zu verabschieden. Markgraf Karl war mit
der Masse der luxemburgischen Garde vorausgezogen. Kühl, verächtlich
hörte Margarete auf Johanns grimmige Sätze. Bissig schloß er: »Jetzt
wird hier ein gescheites Regiment anfangen, wenn Sie ohne mich regieren.
Man sieht ja an Taufers, was dabei herauskommt, wenn man meine Maßnahmen
kreuzt.«

»An Taufers?« konnte sie sich nicht enthalten zu fragen.

»Nun ja, jetzt hat sich die Agnes das Schloß eben auf diese Art
zurückgeholt. Da hätten wir es ihr gleich lassen können.«

Margarete fragte nicht weiter. Sie wußte plötzlich alles. Sie
beherrschte sich, bis der Herzog fort war. Sie fiel nicht um, die Stimme
versagte ihr nicht, ihr Blick hielt seinen kleinen, bösartigen,
lauersamen Wolfsaugen ruhvoll höhnisch stand.

                   *       *       *       *       *

Allein, brach sie furchtbar aus. Wer jemals war so verraten worden?
Geschleiert hatte er die Stimme, beredt gemacht und voll letzter
Ergebenheit den Blick, jede Geste voll Einverständnis. Hatte sie in den
Glauben geschläfert, er sehe durch ihre wüste Haut in die strenge, harte
Schönheit dahinter im Innern. Hatte getan, als verzichte er ihre
Resignation mit, als kämpfe er ihre Kämpfe, ihre leidvollen Siege mit,
ziehe sich mit ihr zurück aus den bequemen Tälern der Alltagslust auf
ihre kalte, einsame, wild strenge Erhöhtheit. Und hatte sie sogleich
preisgegeben an die glatte, leere Larve. Wer weiß, vielleicht saßen sie
jetzt zusammen, Agnes und er, und lachten sie aus!

Schlau hatte er es angestellt, ei ja! Hatte sich seine Gaukelei, die
verzückten Mienen, das ergebene Getue verflucht teuer bezahlen lassen.
Mit solchem Preis, mit der Herrschaft Taufers, hätte man sich sämtliche
Hofzwerge, Sänger, Gaukler, Spielleute des Römischen Reichs erkaufen
können. Und jetzt hatte er es gnädig zugelassen, daß sie ihn dem Projekt
gegen die Luxemburger an die Spitze stellte. Hatte wohl erwartet, er
werde nun Burggraf werden, Landeshauptmann, der eigentliche Regent von
Tirol. Darum wohl auch hatte er ihr bis jetzt nichts mitgeteilt von
seiner Verbindung mit Agnes. War der Streich einmal geglückt, dann hatte
er die Macht in der Hand. Brauchte ihren Zorn nicht mehr zu fürchten.
Konnte im Land schalten, als der Retter von der Fremdherrschaft, auch
gegen ihren Willen.

Wie sie sich lustig machen mußten, er und jene, über die dumme, häßliche
Herzogin, die Gans, die glaubte, sie könne durch Geschenke, durch
Gefühle über ihre Wüstheit hinwegtäuschen! Als wiege dem Mann die
strahlendste Seele einen plumpen Mund auf und hängende Backen. Sie
raste. Sie wütete gegen sich. Mit _einem_ Krach stürzte der ganze
künstliche Bau ein, in den sie sich geflüchtet hatte. Oh, wie verlogen
waren alle diese Phantasien gewesen von ihrer strengen, hohen Sendung,
ihr Willkommgruß an die Häßlichkeit! Lächerlich war sie, lächerlich im
Putz ihrer modischen Kleider und weltumströmenden Gefühle, sie, die Gott
verworfen hatte durch ihre widerwärtige Gestalt und doppelt verhöhnt
durch den Platz, auf den er sie gestellt.

Wie hatte sie herabgeblickt aus ihrer kristallenen Höhe auf Agnes, das
kleine, bunte, dumme Insekt. Und jetzt lag sie im Dreck, wo sie
hingehörte, ekles Geziefer, das sie war, und Agnes lächelte aus dem Blau
auf sie herunter mit ihren feinen, roten, ach, so zierhaft geschwungenen
Lippen.

Haßte sie Agnes? Nein, sie haßte sie nicht. Die war nun, wie sie war.
Wer so schön war, hatte gut herunterlächeln -- warum sollte sie nicht?
-- auf die Häßliche. Aber er, Chretien! Wie er gelogen hatte! Wie er sie
angeschaut hatte aus seinem kühnen, gebräunten, offenen Gesicht,
hündisch ergebene Andacht in den Augen! Wie sich ihm die Stimme gepreßt
hatte aus Bewegtheit und Neigung! Daß einer mit so offenem, treuherzigem
Gesicht so lügen konnte! Daß Gott das zuließ! Daß die Erde nicht aufriß
unter ihm! Der Hund! Der Betrüger! Der schmutzige Lügner!

Sie häufte, in ungehemmter Raserei, alle Flüche und Schimpfworte, die
unflätigsten, die sie kannte, sinnlose, irgendwo aufgeschnappte. Sie
tobte durch das Zimmer, bis sie kraftlos auf den Teppich fiel. Da lag
sie, die plumpen, geschminkten Hände von sich gestreckt, unfähig, sich
zu regen, heiser, das zarte, kupferfarbene Haar gelöst in spröden
Strähnen.

Als sie sich erhob, war sie sehr verändert. Ging an ihre Geschäfte,
eisig starr, rasch, ohne Schwanken, zielklar, mit einer kalten,
besessenen Energie. Diktierte, schrieb selber Briefe, fertigte Kuriere
ab. Neue Briefe, neue Siegel, neue Kuriere. So ging das durch zwei Tage.
Dann versank sie in ebensolche Untätigkeit, wie sie vorher rastlos
gewesen war. Niemand wurde vorgelassen. Sie schleifte sich auf und ab
durch ihre Zimmer. Schaute stundenlang über das Land hin, die dicken,
plumpen Lippen halboffen in einem merkwürdig lüsternen, bösartigen
Lächeln. Wartete. Aß nicht. Sprach nicht. Wartete.




Bevor Markgraf Karl und Herzog Johann die böhmische Grenze erreicht
hatten, erhielten sie einen Eilbrief des Bischofs Nikolaus von Trient,
des der luxemburgischen Sache blind Ergebenen. Er habe von den
verschiedensten Gegenden des Landes anonyme Warnungen erhalten. Es gäre
im Land. An der Spitze der Aufruhrbewegung stünden Chretien von Taufers,
Heinrich von Rottenburg, Albert von Andrion. Er rate den Fürsten
dringend, mit ihren Truppen zurückzukehren.

In Eilmärschen kehrten die Luxemburger um. Fingen Albert von Andrion und
Chretien von Taufers in einem Hinterhalt. Der Aufstand war mißglückt,
ehe er ausgebrochen war. Die revolutionären Feudalherren krochen in ihre
Burgen zurück; keiner hatte von einem Protest gegen das luxemburgische
Regiment etwas gewußt, geschweige denn von bewaffnetem Widerstand. Die
eigentlichen Anstifter, Burgstall, Villanders, Schenna, waren von Anfang
an zu klug gewesen, sich bloßzustellen. Wie Schnee im Sommer
verschwanden die Aufständischen vor den luxemburgischen Truppen.
Heinrich von Rottenburg entkam; gute Freunde, um sich zu halten,
lieferten ihn aus.

Nachdem der Aufstand so rasch und mühelos erstickt war, hielt Markgraf
Karl seinen weiteren Aufenthalt in Tirol für überflüssig. Er empfahl
seinem Bruder und dem Bischof von Trient, die Mitläufer nicht zu
verfolgen, aber die Führer rücksichtslos zu bestrafen. Legte verstärkte
Besatzung nach Schloß Tirol, in die wichtigsten Festungen, zog mit dem
Rest der Truppen seinem Vater zu Hilfe nach Polen.

                   *       *       *       *       *

Auf Schloß Sonnenburg bei Innsbruck saß der Bischof Nikolaus von Trient,
hörte mit finsterer, beflissener Aufmerksamkeit das Protokoll, das der
Sekretär des Herzogs Johann vorlas. Johann selber lehnte am Tisch,
schaute mit kleinem, bösem, triumphierendem Lächeln auf den sitzenden,
finstern Prälaten.

Ja, nun zeigte es sich, daß er recht gehabt hatte. Der Bischof hatte es
für unpolitisch gehalten und, wenn dann doch nichts herauskommen sollte,
für geradezu schädlich. Aber er, Johann, hatte darauf bestanden, hatte
sich kühn hinweggesetzt über so umständliche Bedenken. Was Bruder der
Herzogin! Was Blut vom angestammten Fürstenhaus! Ein Hochverräter war
er, ein meineidiger Rebell. Und er hatte über Albert von Andrion die
Tortur verhängt.

Der blonde, nette, fröhliche Mensch war ihm von je zuwider gewesen. Ei,
er hatte ihn immer angehaßt, mit Margarete gegen ihn gezettelt. Nur
hatte man ihm nichts nachweisen können. Jetzt endlich konnte man ihn,
Gott sei Dank, überführen, unschädlich machen.

Der Herzog selber war dabei gestanden, als man den Gefangenen peinlich
befragte. Den ersten Grad überstand er stumm und trotzig. Man zog ihn,
die Füße mit Bleikugeln beschwert, an den nach rückwärts gebundenen
Händen hoch, ließ nieder, zog wieder hoch. Seine weiße, rosige Haut lief
an, schwitzte. Aber er schwieg. Auch die Daumenschrauben überstand er.
Es knirschte, Blut spritzte, er erbrach sich. Aber seine Heimlichkeit
nicht mit. Erst als man ihn mit glühenden Zangen zwickte und mit
Feuerbränden unter den Achseln kitzelte, bequemte er sich und wurde
gesprächig.

Und nun also hatte man das Protokoll. Ein gutes, kostbares Protokoll.
Der Bischof zwar meinte, der Rottenburger sei ein sprudelnder Narr,
Chretien und Albert dumme Jungen, es müßten bessere Köpfe
dahinterstecken, und an die könne man trotz des Protokolls nicht heran.
Aber jedenfalls hatte man es jetzt schwarz auf weiß, daß die
Revolutionäre Margarete verständigt hatten, daß die Herzogin mit im
Komplott war.

Der finstere Bischof fragte ironisch, ob Johann je daran gezweifelt
habe. Der erwiderte: nein, aber er freue sich, den Beweis in der Hand zu
haben; er werde Margarete das Schriftstück ums Gesicht schlagen. Der
Bischof fragte, ob er glaube, daß dadurch dem Haus Luxemburg großer
Machtzuwachs erreicht sei.

Bevor er nach Schloß Tirol ging, urteilte Johann die Führer der
Verschwörung ab. Albert, verrenkt, siech durch die Folterung, wurde
seiner Lehen für verlustig erklärt; nachdem ihn die Mönche von Wilten
einigermaßen transportfähig gepflegt hätten, sollte er in ewige Haft
nach Böhmen gebracht werden. Den kleinen Heinrich von Rottenburg ließ
Johann in Lumpen vor sich bringen, zerrte den Gebundenen, Geknebelten am
Bart, schlug ihn auf beide Wangen, eröffnete dem unter seinem Knebel
Fauchenden, Augenrollenden, daß nun auch seine beiden anderen Burgen
zerstört, verbrannt, dem Erdboden gleichgemacht werden würden. Der
Rottenburger selber wurde in einen Kerker nach Luxemburg geschafft,
Chretien nach Schloß Tirol mitgeführt.

Der Herzog fand Margarete durchaus nicht so verzweifelt und zerknirscht,
wie er erwartet hatte. Sie hockte in einer Ecke, in einer seltsamen,
toten Müdigkeit. Johann hatte ein Gefühl wie vor einer Schlange, die
sattgefressen ist und sich nicht regt und keine Hoffnung und keine
Furcht mehr kennt in ihrer gelähmten, apathischen Sattheit. Er klirrte
auf und ab vor ihr, machte sich knabenhaft wichtig in seiner Rüstung,
stieß Drohungen aus, unflätige Beschimpfungen. Sie solle sich nicht
beifallen lassen, zu fliehen, alle Gänge seien bewacht, Gräben, Tore,
Mauern dreifach besetzt. Sie dürfe ihr Zimmer nicht verlassen, auf
Monate; er werde sich sehr überlegen, wem er Zutritt zu ihr gestatte.
Aber er kam mit all seinen großen, bedrohlichen Worten durchaus nicht
auf seine Rechnung. Sie fielen leer, ungeflügelt zu Boden. Margarete
hörte mit lässiger, stumpfer Neugier zu, man konnte ihr nicht beikommen,
es hätte durchaus keinen Sinn gehabt, sie zu schlagen und anzuspeien,
wie er es sich ausgemalt hatte. Er funkelte sie an mit seinen kleinen
Wolfsaugen; aber er merkte, daß sein Toben und Wüten ziemlich künstlich
blieb und ohne Eindruck. Enttäuscht zog er schließlich ab.

Sie lag lange allein. Wie war sie leer und ausgehöhlt! Es war trüber,
feuchter Tag. Sie fröstelte. Wollte heizen lassen. Schellte. Niemand
kam. Sie schleppte sich zur Tür. Zwei Geharnischte traten ihr entgegen,
streckten ohne Wort die Lanzen vor.

Abend fahlte herein. Ein Mensch glitt in den Raum, stellte eine große,
brennende Kerze auf den Tisch, still, merkwürdig lautlos, ein Verhülltes
daneben und eine Buchrolle, glitt ebenso stumm wieder hinaus.

Margarete fröstelte stärker, blinzelte in die flackernde Kerze.
Schleifte sich schließlich heran an das Licht, wärmte die klammen Hände
an der Kerze. Die Buchrolle waren Kapitel aus der Schrift. Aus dem
Verhüllten stieg ein fauliger, süßlicher Geruch auf. Gezogen fast und
wider Willen zerrte sie an dem Tuch, es öffnete sich. Fäden, braune
Fäden. Nein, das war Menschenhaar. Langes, kastanienbraunes. Eine Stirn
darunter. Dies war ein abgeschlagener Kopf. Vergraust warf es sie
zurück. Chretiens Kopf starrte sie an aus verglasten Augen. Er lag
schräg da, die starke Nase stach spitz aus dem Tuch, Mund und Kinn waren
noch verhüllt.

Der Gaumen wurde ihr trocken. Sie atmete wild, in kaltem Schweiß,
drückte sich in den Winkel, röchelnd. Stierte auf den Kopf, den das
Licht flackerig, willkürlich und lächerlich verzerrte. Schloß die Augen.
Rötlich tanzte vor ihr die Nacht.

Es zwang sie, wieder auf den Kopf zu stieren. Gut wäre es, wenn diese
Kerze tot wäre und ihr irrsinniges Geflacker. Man müßte sie auslöschen.
Aber sie konnte nicht auf. Hatte sie denn Angst? Nein, sie hat nicht
Angst. Sie ist die Herzogin. Wenn man sie belauert, durch ein Loch in
der Tür? Sie steht auf; Kopf starr geradeaus, mit seltsam gespreizten
Gliedern stelzt sie zu dem Tisch, schlägt die Kerze aus. Sackt hin.

Liegt eine lange Weile steif. Spürt, wohlig fast, die Kälte und nichts
sonst. Dann fängt die Nacht wieder an zu tanzen und zu zucken. Der Kopf
zuckt in ihr hin und her. Wird endlos lang und schmal. Die mageren,
bräunlichen Wangen schillern giftig, bläulichgelb, und jedes dieser
schmutzigen, schwärzlichen Flaumhaare sticht nach ihr. Die toten Augen
klappen auf und zu in der Nacht. Sie sind ganz ohne Ausdruck, wie von
einem toten Tier. Oh, wenn es Tag wäre! Es wäre besser gewesen, die
Kerze nicht totzumachen. Jetzt liegt die Nacht so schwer und plump auf
ihr wie eine grobe, erstickende Decke. Man liegt in dieser Nacht wie in
einem Sarg, und der tote Chretien klappt seine sinnlosen Augen auf und
zu.

Er ist häßlich. Das häßlichste Lebendige ist nicht so häßlich wie ein
Totes.

Nein, es ist ihm nicht gut bekommen, daß er sie hat betrügen wollen. Die
Schöne hat jetzt auch nicht viel von ihm. Mit einem Mann ohne Kopf läßt
sich kein Staat machen.

Er hat andere mitgerissen. Armer Albert! Lieber, gutmütiger,
freundhafter Bruder! Er war so harmlos und kameradschaftlich. Sicher hat
er nur mitgetan, um kein Spaßverderber zu sein. Jetzt ist er kahl und
bloß und verrenkt und im Kerker. Der frische, lustige Junge, der er war.

Aber Chretien war doch anders. Das kühne, magere, bräunliche Gesicht.
Sie wird keine Furcht mehr haben vor dem toten Kopf. Sie wird ihn lang
und genau anschauen, und Chretien wird ihr gehören, nicht der Schönen.
Tag sollte es sein, Tag, daß sie ihn sehen kann. Die dummen Gedichte des
Herrn von Schenna singen immer von den Herrlichkeiten der Nacht und daß
die Nacht der Liebe gehöre und verwünschen den Tag, daß er fernbleiben
möge. Unsinn. Ihre Zeit ist der Tag. Herauf, Tag! Schenk' mir meinen
toten Freund, der mir gehört, Tag!

Doch als der Tag heraufkroch und um den toten Kopf das erste graue Licht
war, lag sie überschauert, mit geschlossenen Augen, im Fieber.

                   *       *       *       *       *

Nach zwei Monaten strenger Überwachung erhielt sie Erlaubnis, für einige
Tage nach dem Kloster Frauenchiemsee zu reisen, zu ihrer kranken
Schwester Adelheid. Sie fand das sieche, krüppelhafte Mädchen scheu und
unzugänglich wie immer.

Margarete war vollkommen leer und ausgeschöpft. Sie aß, trank, ging
herum. Beugte in der Klosterkirche das Knie wie die Nonnen, nahm und gab
Gruß und Rede und Gegenrede. Sie war jung und alt wie die Welt. Sie war
viel älter und erfahrener als die welke, milde Äbtissin, wußte viel
besser als diese, daß alles eitel war und Haschen nach Wind.

Der betuliche Abt von Viktring kam zu Besuch. Er war den Luxemburgern
nie sehr freund gewesen, König Johann galt ihm als Spötter und Freigeist
-- darum auch hatte ihn der Herr mit Blindheit geschlagen -- und er
freute sich, daß Margarete sich gegen sie erhoben hatte. Er sprach in
seiner redseligen Manier viel in sie hinein; doch sie blieb wortkarg. Er
häufte Zitate, führte tröstlich Anselmus an: »Schneller vergeht nicht
die Stunde, als wechselt der Anblick der Dinge. Diesseits ist und für
nichts alle irdische Zierde zu achten.« Aber es schien auf Margarete
nicht viel Eindruck zu machen.

Sie saß mit der Äbtissin lange Stunden am Ufer der winzigen Insel,
schaute über den blassen, hellen See. Das Wasser gluckste träg im
Schilf, stille, fahle Sonne war, weit draußen lag ein Fischer in seinem
plumpen, altertümlichen Kahn. Die Äbtissin schaute sie aufmerksam an,
streichelte ihre dicklichen, jetzt nicht geschminkten Hände. »Junge
Herzogin!« sagte sie mit ihrer welken, milden, wissenden Stimme. »Junge
Herzogin!«

»Jung?« fragte Margarete zurück, so müde, daß es nicht einmal bitter
klang. »Jung? Sie sind zehnmal jünger als ich, hochwürdige Frau.«

Die Äbtissin sagte: »Ein Baum ist nicht tot, auch wenn er im Winter kahl
steht.« Ferner sagte sie: »Es gibt nichts Schmerzhafteres, aber auch
nichts Wohligeres, als wenn man, erstarrt, wieder ins Leben
zurückkehrt.« Auch sagte sie: »Sie sollten mit den Nonnen singen, junge
Herzogin.«




Als Margarete nach Schloß Tirol zurückkehrte, ließ ihr Ludwig der Bayer
von einer prunkvollen kaiserlichen Bedeckung bis an die Grenzen seines
Gebiets das Geleite geben. Die ersten Herren des Münchner Hofs führten
den glänzenden Zug, die Fahne mit dem wittelsbachischen Löwen wehte ihm
voran, Feudalbarone und Behörden standen feierlich an seinem Weg.

Die Herzogin dankte den Herren automatisch, nicht mit der gewohnten
pomphaften Sicherheit. Sie war schlaff, gleichgültig, viel zu müde, sich
Gedanken zu machen über die Gründe, die den Kaiser zu so auffallender
Ehrung veranlaßten.

Ja, der Wittelsbacher hatte seine guten Gründe. Er war erst jetzt wieder
peinlich daran erinnert worden, wie sehr die luxemburgische Herrschaft
in Tirol ihn behinderte. Seine Absicht, gewisse lombardische Händel
durch einen Kriegszug zu beendigen, hatte der Bischof von Trient
vereitelt, der ihm kühl und ohne Umschweife den Durchzug durch sein
Gebiet verbot. Diese Verärgerung des Kaisers hatten die Tiroler
Feudalherren klug genutzt. Die Burgstall, Villanders, Schenna, die sich
bei der ersten Revolution gegen die Luxemburger schlau im Hintergrund
gehalten, hatten ihre Pläne keineswegs aufgegeben. Das mißglückte
Unternehmen hatte sie gelehrt, daß es nötig sei, eine Großmacht als
Rückendeckung zu gewinnen. Was lag näher, als sich an den Feind der
Luxemburger zu wenden, den Kaiser, den Wittelsbacher? Margarete hatte in
dem letzten Unternehmen keine glückliche Hand gezeigt. Es war nicht ganz
klar, was der unmittelbare Grund war, über den jener Aufstand
strauchelte. Aber so viel war gewiß, daß vornehmlich ihre seltsame
Laune, ausgerechnet den Chretien von Taufers zu berufen, die klug
gezettelten Fäden verwirrt und zerrissen hatte. Jedenfalls war es
geratener, diesmal über ihren Kopf hinweg zu handeln und sie erst im
letzten Augenblick beizuziehen. Die Befreiung von Herzog Johann mußte
sie, wie immer sie ins Werk gesetzt wurde, so wie die Dinge jetzt lagen,
als Erlösung empfinden.

Man schickte also in aller Heimlichkeit Botschaft an den Kaiser. Stellte
ihm vor, wie die Erbitterung im Land gegen die Luxemburger steige; wie
man bedaure, daß sein italienischer Feldzug an dem steifnackigen
Widerstand des Bischofs von Trient, des Böhmen, gescheitert sei. Fragte
unverbindlich an, ob er allenfalls einwilligen würde, seinen Sohn, den
Markgrafen von Brandenburg, mit der Herzogin von Tirol zu vermählen. Der
ländersüchtige Wittelsbacher, ungeheuer gelockt durch die Aussicht,
Tirol zu gewinnen, erwiderte ebenso unverbindlich, er werde mit seinem
Sohn, dem Markgrafen, den Plan durchsprechen; solange die Luxemburger
noch im Land säßen, sei das Ganze ein blaues Projekt.

Den tirolischen Herren genügte solche Antwort vollauf. Sie wußten, es
ging nicht an, daß der vorsichtige Wittelsbacher sich mehr exponiere.
Seine Antwort war verklausuliert, doch ihr Kern ein deutliches Ja. Die
prunkvolle Bedeckung, die er jetzt ihrer Herzogin stellte, wäre Bescheid
genug gewesen. Die Zerstörung der Rottenburgischen Festen, die Folterung
Alberts, des Sohnes des guten Königs Heinrich, die Hinrichtung des Herrn
von Taufers hatten die Luxemburger der letzten Sympathien beraubt. Die
Barone schürten weiter, hetzten. Immer ohne Margarete zu verständigen.

                   *       *       *       *       *

Agnes von Flavon stand vereist, als sie von dem Niederbruch der
Revolution erfuhr. Sie durchschaute sofort die Zusammenhänge. So
schreckbar wuchtig also hatte die Häßliche zurückgeschlagen. Sie stand
vergraust, kroch in tierischer Angst für ihr Leben in sich zusammen,
dachte an Flucht.

Als sie sah, daß gegen sie nichts unternommen wurde, tauchte sie dann
langsam aus ihrem Schrecken hoch, äugte um sich. Sah die strengen
Maßnahmen gegen Margarete, verwirrte sich. War jene so ungeschickt, daß
sich das Unternehmen zuletzt gegen sie kehrte? Sicher nicht. Dazu war
sie viel zu klug. Es mußte mit ihrem Willen so gekommen sein. Agnes
begriff die Feindin nicht mehr. Ihr Haß wuchs mit ihrer Angst. Sicher
plante sie einen noch ärgeren Schlag, sich an ihrer Vernichtung zu
weiden.

Es geschah nichts. Man kümmerte sich nicht um sie. Es war verständlich,
daß man sich von ihr, der Frau des schmählich Hingerichteten, fernhielt.
Aber warum beschlagnahmte man ihre Güter nicht? Sie ertrug nicht die
Stille und Gleichgültigkeit um sich herum. Dazu die Angst, dies alles
sei nur Vorbereitung tieferer Vernichtung. Sie beschloß, nach Schloß
Tirol zu reisen.

Auf dem Stadttor von Meran sah sie auf eine Stange gesteckt den Kopf
ihres Mannes Chretien von Taufers. Er glotzte auf sie her, bläulichgelb;
in verfilzten Strähnen wehte sein langes, unbekümmertes,
kastanienfarbenes Haar in dem lauen Wind. Sie zuckte zurück. Dann
schaukelte, von den Pferden getragen, ihre Sänfte unter dem Kopf des
Gerichteten in die Stadt Meran. War es eine schlechte Vorbedeutung? Sie
hatte keine Zeit für Sentimentalitäten. Sie mußte sich sammeln für die
Unterredung mit Herzog Johann. Die war nicht leicht diesmal. Sie war
schon einmal in schwarzer Trauerkleidung vor ihm auf der Erde gelegen.
Wiederholungen wirken matt. Und diesmal ist die Situation gegen sie.

Johann empfing sie denn auch gereizt, bösartig, höhnisch. Fragte giftig,
ob sie auch keine Waffen bei sich habe. Er tue wohl gut daran, sich
vorzusehen. Mit großen, traurigen, ob solcher Kränkung vorwurfsvollen
Augen sah sie ihn an. Weinte sehr, daß der großmütige, junge Herzog, der
ihr huldvoll entgegengekommen, nun Ursach' habe zu solchem Mißtrauen.
Beteuerte, wie sie von den Plänen ihres hochverräterischen Mannes keine
Ahnung gehabt. Sagte, es sei gut, daß er tot sei; denn wer so
hinterlistig seinen Fürsten verrate, trage gewiß nicht lange Bedenken,
auch sein Weib zu verraten. Gestand mit unschuldiger Verruchtheit, sie
habe Chretien nie geliebt; ihn nur geheiratet, um Taufers behalten und
in der Nähe des Fürsten bleiben zu können. Johann hörte zu, mißtrauisch
und geschmeichelt. Sie trat näher an ihn, daß er ihr Fleisch atmete. Er
knurrte, er glaube ihr kein Wort, aber er kämpfe nicht gegen Weiber,
vorläufig könne sie Taufers behalten. Dann klatschte er ihr, die sich
geduldig und lauernd duckte, verächtlich, derb und lüstern den Nacken,
kehrte sich grob ab, warf ihr hin, er werde nächstens nach Taufers
kommen, nachschauen, ob man dort Rebellion treibe; aber allein, er habe
keine Angst. Damit lachte er laut und eindeutig auf, ließ sie stehen,
ging auf die Jagd.

                   *       *       *       *       *

Mittlerweile war die Verschwörung des Adels reif geworden. Schloß Tirol
sollte in Abwesenheit Johanns besetzt werden. Man konnte nicht länger
umhin, Margarete zu verständigen. Auch mußte man ihre Einwilligung in
eine eheliche Verbindung mit dem Wittelsbacher einholen. Herr von
Schenna übernahm es.

Er saß vor ihr, dürr, in lässiger, uneleganter Haltung, sprach ihr mit
seiner welken, brüchigen Stimme von allerlei Kleinzeug. Glitt mit seinen
alten, klugen, skeptischen Augen auf und ab an ihr. Er als einziger
ahnte die Zusammenhänge. Behutsam, beiläufig warf er ihr hin, sie möge
nicht erschrecken, wenn nächster Tage einmal andere Besatzung das Schloß
beziehe, verstärkte Besatzung. Sie möge, auch wenn geschrien, rumort,
mit Waffen geklirrt werde, sich nur ja in ihrem Zimmer halten, für sie
sei keine Gefahr. Er hielt ein, wartete. Sie reagierte nicht. Nach einer
Weile, sacht, holte er aus, ob sie denn nicht frage, warum das alles.
Nein, sie fragte nicht.

Er wechselte. Sprach von Agnes. Jeder neue Trauerfall bekomme ihr
besser. Jetzt wieder, als sie hier im Schloß war, habe jeder sehen
müssen, Schwarz stehe ihr am besten. Margarete horchte auf, der kluge
Schenna sah: jetzt war ihre Gleichgültigkeit Maske. Er lenkte ab, kehrte
dann wieder zurück. Ja, nun werde Agnes wohl bald auf längere Zeit als
Gast hier einziehen; in diesem Stück sei Herzog Johann dem guten König
Heinrich ähnlich. Margarete schnellte hoch. Schenna habe sich bisher
immer als ihr Freund gezeigt. Ob dies wahr sei? Sie als Gefangene und
die andere als Herrin: hier, in den gleichen Wänden, in der gleichen
Luft -- unausdenkbar sei das. Und er solle jetzt um Christi willen die
Wahrheit sagen.

Schenna erwiderte schlicht: Ja, Johann habe Agnes von Flavon eingeladen;
und wie er die Dame kenne, werde sie wohl annehmen. Da Margarete die
Augen schloß, das Gesicht verzerrte: Es gebe ja noch Mittel, tröstete
er, fing an von seinen Plänen. Sie winkte ab, wollte nicht hören.

Bat Herzog Johann dringlich zu sich. Ob das wahr sei? Ob er das wirklich
tun wolle? Sie flammte. Das Schloß hier zu einer Hurenherberge machen?
Er: Ja er werde machen. Er werde sich erlauben. Er sah, daß er endlich,
auf solche Art sie treffen, ihre Starrheit durchstoßen, sie anbohren,
wund machen konnte. Er beschaute sie mit seinen kleinen, hassenden,
gierigen Wolfsaugen, schwoll an. Was sie sich erfreche? Ob sie ihm das
Weib verbieten wolle? Sie ihm? Sie, so wie sie ausschaue? Margarete
schluckte, sagte beherrscht: Sie bitte ihn nicht, zu bedenken, was man
im Volk, was an andern Höfen sagen werde, wenn er hier, im Schloß ihres
Vaters, das sie ihm zugebracht, sie im Kerker und die andere in Glanz
halten wolle. Aber daran müsse sie ihn erinnern, daß der Mann seiner
Mätresse die Revolutionäre geführt habe, daß jene mit im Komplott,
vielleicht die Anstifterin gewesen sei, daß es undenkbar sei, jene habe
den schmählichen Tod ihres Mannes so schnell vergessen. Er solle sich
hüten vor ihr! Er lachte hämisch: Mit solchen Faxen solle sie ihm nicht
kommen. Sie sei eine eifersüchtige Gans. Prahlerisch fügte er hinzu:
Wie, wenn etwa gar Agnes ihn gewarnt, ihre Intrigen vereitelt hätte?

»_Ich_ habe dich doch gewarnt!« rief sie. »Ich! Ich!«

Ihm, für einen Augenblick, stieg ein unbehagliches Gefühl auf: er sah
sie wieder wie damals, als sie vor ihm lag wie eine satte Schlange, er
fühlte sich gedemütigt durch seine widerlegte Prahlerei. Aber sogleich
war er wieder oben. Dies war ja eine offensichtliche, schlaue, freche
Lüge, durch die sie ihn verblüffen wollte.

»In einer so plumpen Schlinge kannst du vielleicht deine Tiroler Bauern
fangen, nicht mich!« sagte er mit gespielter, verächtlicher Trockenheit.
Und, sich weiter hineinsteigernd: »Also das endlich spürt man? Das geht
an die Nieren? Die Schöne soll aus dem Haus? Das stachelt, daß sie da
ist? Just erst recht kommt sie! Just erst recht bleibt sie! Ausreit' ich
mit ihr! Auf die Jagd reit' ich mit ihr! Nach Meran, Bozen, Trient reit'
ich mit ihr! Dir zeig' ich es, Kröte! Häßliche! Giftige! Schmutzige!«

Sie hockte starr entschlossen, als er fort war. So schlicht und ehrlich
hatte sie gesprochen, ihm noch einmal breit den Weg aufgetan zu ihr. Wer
nicht taub und verworfen war, mußte hören. Er selber hatte entschieden.

Andern Tages kam wieder Herr von Schenna. Unterbreitete ihr einen kurzen
Brief an den Kaiser, dessen Schutz sie sich empfahl, die Abmachung ihrer
Barone billigend. Ohne Zögern unterschrieb sie. Schenna eröffnete ihr
ferner knapp, sachlich, andern Tags, wenn Johann auf der Jagd sei, werde
das Schloß von den Truppen der Barone besetzt, Johann der Eintritt
verweigert werden. Sie selber könne ihm das, begehre er bei seiner
Rückkehr Einlaß, mitteilen. Man werde sich hüten, sich ins Unrecht zu
setzen, Hand an ihn zu legen. Man werde ihm nur in der Grafschaft jede
Herberge versagen. Verlasse daraufhin Johann das Land, schloß Schenna
lächelnd, werde niemand ihn hindern. Im übrigen, fügte er freundlich und
sehr ergeben hinzu, sei diesmal vorgesorgt. Selbst wenn der Herzog
gewarnt werde, könne nichts mehr mißglücken. Er nahm den unterzeichneten
Brief an sich, neigte sich, ging mit seinen unbehilflichen,
ungleichmäßigen, schlendernden Schritten.

                   *       *       *       *       *

Am andern Tag, einem Freitag, zog Johann mit kleinem Gefolge auf die
Jagd. Das Wetter -- es war Anfang November -- hatte sich klar und blau
angelassen, bald aber war Nebel eingefallen und feuchter, widriger Wind.
Der Herzog war verdrießlich; was ihm Margarete über Agnes gesagt hatte,
war doch nicht so leicht zu verdauen. Auch hatte sich sein
Lieblingsfalke, ein schöner, grauweißer, norwegischer Gerfalke,
verscheucht von einem größeren Raubvogel, verflogen. Jetzt zankte der
Herzog mit dem Falkner herum, keifte, schrie.

So brach er frühzeitig die Jagd ab, kehrte gegen Abend nach Hause. Fand
die Zugbrücke aufgezogen, das Tor versperrt. Stand verwundert, dann
verärgert, fluchend. Stieß ins Horn. Der Turmwächter erschien, sagte, er
habe keinen Auftrag, den Herrn einzulassen. Der Herzog lief rot an,
bellte dem Mann unflätige Schimpfworte zu. In der Zinne des einen
Torturms war auf einmal Margarete, rief mit ihrer warmen, dunkeln
Stimme, der Prinz von Luxemburg möge nicht weiterschreien, hier sei kein
Platz für ihn, er möge sich andere Herberge suchen. Vielleicht in
Taufers. Johann legte an auf sie. Sie war fort vor seinem Pfeil.

Da stand er nun, schäumend und lächerlich, in seinem Jagdanzug vor dem
versperrten Tor. Seine Begleiter tuschelten. Kalter Wind blies, es
regnete. Ein paar seiner böhmischen Leute aus der Burg machten sich
heran, erzählten kleinlaut, betreten, wie eine riesige Anzahl
gutbewaffneter Tiroler das Schloß besetzt, sie hinausgeworfen habe.

Der Herzog hielt noch eine Weile, kotig schimpfend auf die Feigheit
seiner Leute, vor der hochgezogenen Zugbrücke. Aus der Burg kam
Gelächter, Spottverse:

   »Wer steht vorm Tor? Wer schlottert im Wind?
   Ein Bettler? Ein Jud'? Etwer vom Gesind?
   Es ist bloß der Graf von Tirol.«

Fluchend zog Johann schließlich ab, nach Zenoberg. Das gleiche. Nach
Greifenstein. Das gleiche. Es ging schon auf Mitternacht. Er war
todmüde, heiser vom Schreien und Toben, zerschlagen. Fröstelnd,
jämmerlich, nächtigte er im Freien.

Morgen fahlte herauf. Der Herzog stieg auf sein Pferd, schmutzig,
überwacht, die Glieder schmerzten ihn, der Magen war ihm hohl von
Hunger. Er hatte nur mehr sechs von seinen Leuten um sich, die andern
hatten sich sacht verlaufen.

Es regnete unaufhörlich. Seine Begleiter sagten ihm, das Volk sei sehr
einverstanden mit dem Geschehenen, lache, juble, feiere, höhne. Jene
Verse brummten, lästige Insekten, um seine Ohren: »Ein Bettler? Ein
Jud'? Etwer vom Gesind? Es ist bloß der Graf von Tirol.« Auf Nebenpfaden
schlich er sich in die Burgen etlicher Adeliger, die er sich besonders
verpflichtet hatte. Die Herren waren nicht da, die Kastellane hatten
keine Weisung, verschlossene Tore. Es waren nur mehr vier von seinen
Leuten bei ihm.

Er irrte ziellos durch Weinberge, Forst. Regen, Regen. Er glaubte sich
verfolgt, umstellt. Er kannte keine Furcht in der Schlacht; jetzt kroch
es ihm ekel herauf. Er wollte nicht gehetzt und geschlagen sein wie ein
toller Hund von einem Bauern, einem stinkenden Bürger. Er schlug sich
höher in die Berge. Kam endlich zu einer abgelegenen Burg des Tägen von
Villanders. Der kluge, vorsichtige Baron, er wollte sich, wenn möglich,
auch mit den Luxemburgern verhalten, nahm ihn auf. Allein er wagte nur,
ihm sehr heimliche, auf ganz kurze Zeit befristete Unterkunft zu geben.
Johann lebte die wenigen Tage als ein unbekannter Ritter Ekkehard, ließ
sich nicht sehen. Da klatschten ihm auch hier Fetzen jenes Liedes um die
Ohren: »Etwer vom Gesind? Es ist bloß der Graf von Tirol.« Er machte
sich fort, des Nachts, schlotterig, nur mehr zwei Knechte folgten ihm.
Er war noch immer im Jagdkleid. Schmutzig, verschwitzt, stinkend, auf
abgetriebenem, versagendem Roß, das auf den versumpften Nebenpfaden
nicht mehr weiterkam, schlich er sich die Kreuz und die Quer durch sein
Land. Wenn nur wenigstens dieser verfluchte Regen aufhörte! Er verkaufte
den Schmuck, den er bei sich trug, Waffen, Jagdhorn, zuletzt auch das
Pferd.

Fiebernd, erschöpft, ganz allein erreichte er das Gebiet des Patriarchen
von Aquileja. Kam nach Friaul. In den Palast des Patriarchen. Die
Knechte grölten, wieherten, als der lausige, verlumpte Mensch
behauptete, er sei der Herzog von Kärnten, Graf von Tirol, Enkel der
Römischen Majestät. Der Patriarch, Feind der tirolischen Feudalherren,
von Luxemburg allezeit sehr gefördert, nahm ihn ehrerbietig auf, schloß
ihn in seine Arme. Langsam kam, nach Tagen, der erschöpfte, verstörte
Fürst wieder zu sich. Knirschte, wob bösartige Pläne, sott Gift, spie
Flüche und Drohungen in das Land, aus dem ihn seine Frau vertrieben.




                              Zweites Buch




In München der Kaiser Ludwig hatte seinen Sohn, den Markgrafen, den
Brandenburger, um die Schulter gefaßt. Ging auf und ab mit ihm. Redete
gütlich auf den Finsteren, Verdrießlichen ein. Der Brandenburger sah,
trotzdem er erst fünfundzwanzig Jahre war, sehr männlich aus. Blonder,
kleiner Schnurrbart, harte, graublaue, etwas stechende Augen in
gebräuntem, magerem Gesicht. Er hatte den massigen Nacken der
Wittelsbacher, war groß, sehnig. Aber der wuchtige, ungeschlachte Kaiser
überragte ihn doch um ein beträchtliches. Durch die gemalten Scheiben
kam das helle, fahle Licht des Schneetags. Wie sie so auf und nieder
gingen, der Kaiser den Arm um die Schulter des Sohnes, schien es, als
schleifte er den Zögernden, sich Sperrenden.

Nein, nein! Er konnte es nicht und konnte es nicht. Er brachte es
einfach nicht über sich, die Herzogin Margarete zu heiraten. Er hatte
jetzt eine fünfjährige Ehe hinter sich mit Elisabeth, der dänischen
Prinzessin. Sie war ein bescheidenes Geschöpf gewesen, etwas dürr, ja.
Nun war sie tot, Gott gebe ihr die ewige Ruh'. Jetzt will er drei, vier
Jahre ohne Frau sein. In Brandenburg seine Staatsgeschäfte betreiben,
Ackerbau, Städtewesen hinaufbringen, die Wenden kleinkriegen. Die
tirolische Margarete heiraten, die ihren Mann auf so sonderbare Weise
davongejagt hat? Die extravagante Person? Nein, danke! Sein kaiserlicher
Vater werde ihn stets dienstwillig finden. Aber die Margarete heiraten,
nein!

Der Kaiser richtete die riesigen, starren, blauen Augen auf den Sohn.
Sein Widerspruch überraschte ihn nicht, erregte ihn nicht. Es war kein
Vergnügen, die Tirolerin zu heiraten. Er an seiner Stelle hätte sich
auch gesträubt. Aber er wußte, sein Ludwig war ein guter Sohn, ein
einsichtiger Fürst, der begriff, daß Heirat das wichtigste politische
Mittel war. Eine Gelegenheit wie diese kam nicht wieder. Hatte
Wittelsbach Tirol, so war die Ländermasse geschlossen, so regierte
Wittelsbach vom Nordmeer bis zur Adria. Er verstand durchaus, daß Ludwig
es vorgezogen hätte, auszuschnaufen, etliche Jahre Witwer zu bleiben.
Aber dafür war er Fürst und Wittelsbacher. Er konnte sich solche
Bequemlichkeit nicht gönnen.

Der mürrische Markgraf häufte weiter seine verdrossenen Einwände.
Abgesehen davon, daß ihm diese Margarete und alles um sie tief zu
innerst gegen den Strich gehe, sei es gewiß, daß der Papst die Ehe der
Tirolerin mit dem Luxemburger nicht lösen werde. Die ganze Christenheit
werde wie ein Mann Skandal schreien, wenn er sich jetzt mit der Frau
eines andern vermähle. Der Kaiser erwiderte gelassen, er habe sein Leben
lang Bann und Interdikt tragen müssen; er könne es seinem Sohn nicht
sparen. Ein Wittelsbacher komme leider anders nicht voran.

Der Markgraf entzog sich seinem Vater, lehnte sich an den Tisch in
unbehaglichster Laune, strich sich mechanisch den kleinen Schnurrbart.
Die dänische Elisabeth sei keine Helena gewesen, ein Fürst könne nicht
nach Schönheit der Gestalt freien, das wisse er. Aber die Margarete! Die
plumpe Taille! »Kärnten!« sagte der Kaiser. Das überworfene Maul!
»Tirol!« sagte der Kaiser. Die Hängebacken! Die schrägen, vorstehenden
Zähne! »Trient! Brixen!« sagte der Kaiser.

Durch München ritten indes die tirolischen Herren, die die Verhandlungen
führten. Es war eine prunkvolle Gesandtschaft, an ihrer Spitze die
ersten Herren des Landes, Burgstall, Villanders, Schenna, Eckehard von
Trostberg. Sie hatten keine Eile, waren sehr zuversichtlich, beschauten
anerkennend, behaglich die helle, bunte Stadt, die unter Ludwig rasch
hochkam, die neue, wohnliche Residenz, die er sich baute. Die
Wittelsbacher waren umsichtige, feste Herren. Man mußte nur, damit sie
einem nicht zu genau kamen, sich mit allen Mitteln sichern. Das taten
die Tiroler denn auch. Ließen sich alle ihre Handfesten, Urkunden,
Privilegien bestätigen. Rafften, rissen an sich. Erzwangen sich
Vetorecht und Kontrolle über alle Regierungsmaßnahmen. Verärgert,
verzweifelt brach der Brandenburger aus, was er denn mit einer
Herrschaft solle, die überall so geengt, gepreßt, gehemmt sei. Voll und
bieder schaute ihm der Kaiser in die Augen: »Hab' du den Mantel erst an!
Ist er dann zu lang, kannst du ihn ja abschneiden.«

Nach Lichtmeß, in hohem Winter, unter einem leuchtenden, hellblauen
Himmel, fuhr, ritt der klingelnde, prächtige Zug der Wittelsbacher durch
die grellweißen Berge nach Schloß Tirol. Schnee knirschte, Rüstungen
klirrten, Gehänge, Gold und Silber läuteten. Weich in der dämpfenden
Schneeluft ging der riesige, bunte Zug, Pferde, Saumtiere, Sänften,
Menschen. Der Kaiser, in strahlender Laune, sein Sohn Ludwig, der
Markgraf, der Brandenburger, mißmutig, zögernd, aber halb schon durch
die Größe und Vielgestaltigkeit des Landes gelockt, sein junger Bruder
Stephan. Der Herzog Konrad von Teck, der reiche schwäbische Herr, der
intimste Freund des Brandenburgers, finster, fanatisch, ein wilder
Arbeiter, ein unbedingter Anhänger der Wittelsbacher. Die tirolischen
Barone. Zahllose bayrische, schwäbische, flandrische, brandenburgische
Edle. Die Bischöfe von Freising, Regensburg, Augsburg. Die beiden großen
Theologen, die der Kaiser an seinen Hof gezogen hatte, Wilhelm von Okkam
und Marsilius von Padua.

Der Kaiser hielt während der ganzen Reise vor allem diese geistlichen
Herren in seiner Nähe. Die Nachricht von der beabsichtigten Vermählung
des Brandenburgers mit Margarete hatte ganz Europa skandalisiert. Nicht
nur, daß Margarete die Frau eines andern war, sie war auch von ihrer
Großmutter Elisabeth her mit dem Brandenburger im dritten Grade
verwandt. Der Papst dachte nicht daran, die Herzogin von diesem
Ehehindernis zu lösen, hatte vielmehr sogleich mit Bann und Interdikt
gedroht. Ängstlich hörte, tief beunruhigt, die Bevölkerung diese
Drohung. Der Kaiser war aber durchaus nicht willens, vor der Kurie
zurückzuweichen. Er stellte dem Papst seine Theologen entgegen. Der
Kaiser selbst war ohne viel Bildung, sprach nicht einmal Latein; aber er
hatte eine tiefe, abgründige Ehrfurcht vor der Gelehrsamkeit. Er
bedauerte aufrichtig, daß seine Bayern so dumpf und stumpf waren, sich
zum Studium so gar nicht eigneten. Ach, überall in der Welt fanden die
großen Gelehrten, die er an seinen Hof gezogen, Wilhelm von Okkam und
Marsilius von Padua, Widerhall, nur nicht in seinem Bayern.

Er war fromm, er hatte Gewissen, er verehrte die weisen Herren von
Herzen, glaubte an sie, war überzeugt von ihrem Wissen um Gott. Er hatte
also an seine Theologen, sie aus seinen riesigen blauen Augen
anstarrend, die Frage gerichtet, ob die Einwände des Papstes zu Recht
bestünden. Marsilius und Wilhelm hatten ein Gutachten ausgearbeitet, die
Ehe Margaretes mit Johann dem Luxemburger sei infolge Untauglichkeit des
Gatten nie _de facto_ vollzogen worden, sie bestehe also nicht, sei
ungültig. Daraufhin hatte sich, vom Kaiser dringlich gebeten, der
Bischof von Freising, Ludwig von Chamstein, bereit erklärt, die
Ehescheidung zwischen Margarete und Johann auszusprechen. Aus diesem
Grund also zogen die bayrischen Bischöfe mit über die Alpen. Ihre
Mission kam ihnen sehr gefährlich, sie selber sich sehr kühn und wichtig
vor. Sie hatten gespannte Gesichter, schwitzten.

Der Brandenburger ritt neben Konrad von Teck. Mehr und mehr
interessierte ihn das Land, das Technische der Verwaltung.
Leidenschaftlicher Nationalökonom, der er war, hatte er keinen Blick für
die Gegend, die Sonderart der Menschen, sprach mit seiner harten, hellen
Stimme nur von Ackerbauflächen, Siedlungsmöglichkeiten, Handelsstraßen,
Bezirkseinteilung, Steuermethoden. Ob Brandenburg, ob Tirol -- ihm war
das Land nichts anderes als Verwaltungsgegenstand. Hier war überall
Verrottung, Schlamperei. Er wird mit harter, tüchtiger, wohlmeinender
Hand zupacken.

Herr von Schenna ritt neben Wilhelm von Okkam. Der kluge, weltkundige,
gelehrte Theologe fesselte ihn. Er hatte an der Universität Paris
doziert, war kein blasser Theoretiker, sah die Zusammenhänge von Westen
nach Osten. Vor ihnen -- die Straße stieg sacht an -- hob sich hoch der
wuchtige Rücken, der starke Nacken des Kaisers. Die beiden Herren
sprachen über ihn. Der Theolog, nicht ohne eine gewisse
Leidenschaftlichkeit, rühmte die ideellen Neigungen des Kaisers, seine
Ehrfurcht vor der Bildung, den heiteren Ausbau der Stadt München, die
Stiftung des Ritterordens von Ettal nach dem Muster des Wolframschen
Parzival. Der schärfere Herr von Schenna aber wollte das nicht gelten
lassen, er sah in dem Wittelsbacher einen viel moderneren Typ. Der
Kaiser liebte die Städte mehr als die Burgen, den Kaufmann mehr als den
Kriegsmann, Verträge mehr als Schlachten, sah auf Nutzen mehr als auf
Ritterlichkeit. Gewiß hatte er noch romantische Anwandlungen; aber die
waren Tradition, nicht Ausdruck seines wahren Wesens. König Johann, der
Luxemburger, der war bei aller Wandelbarkeit viel konservativer, war ein
Ritter alten Schlages, ein Abenteurer. Der Kaiser hingegen glich
vielmehr den Stadtbürgern, war ein Mann von heut, ein Rechner. Darum
auch werde der Luxemburger zwar mehr packen, aber weniger festhalten
können, und auf die Dauer werde der Kaiser triumphieren; denn er sei ein
Kind seiner Zeit. Der Theolog hörte den klugen, richtigen und
literarischen Ausführungen nachdenklich und widerstrebend zu. Sie sahen
den breiten, wuchtigen Rücken des Wittelsbachers vor sich. Sie dachten
beide, was keiner sprach: er wird immer nach seinem Nutzen handeln und
nur nach ihm, wird immer bieder und aus großen Augen sich, die andern,
die Welt betrachten, wird immer, ehrlich und überzeugt, Gerechtigkeit,
Moral, Gottes Willen gleichsetzen mit seinem Nutzen.

Man nächtigte in Sterzing, klomm andern Tages in klarer, schneidender,
fröhlicher Kälte den Jaufenpaß hinan. Man hatte schon die Höhe hinter
sich, stieg ins Passeier. Da strauchelte das Pferd des Bischofs von
Freising, scheute, warf den Reiter vornüber ab. Der Bischof flog sehr
unglücklich gegen einen Felsen, brach den Hals. Da lag er, der kleine,
bewegliche Mann, auf dem gefrorenen Schnee unter dem fröhlichen, hellen
Himmel. Er hatte gegen den Kandidaten des Papstes den Bischofsstuhl von
Freising besetzt, er hatte gegen den Willen des Papstes das heilige
Sakrament der Ehe brechen wollen; jetzt lag er gelb und steif und tot.
Der bunte, laute, klingende Zug stockte. »Gottesgericht!« raunte es;
übergraust standen die Herren um die Leiche. Man schlug den Toten in
Decken, führte ihn auf einer Bahre mit nach Meran. Sehr still gelangte
der kleine, wichtige Herr in die Stadt, wo er die kühne, gefährliche Tat
seines Lebens hatte tun wollen. Die erschreckten Bischöfe von Augsburg
und Regensburg weigerten sich den Bitten des Kaisers, daß nun sie
Margaretes erste Ehe lösen sollten.

Gleichwohl brach des Kaisers gute Laune wieder durch, als er in das
Schloß Tirol einzog. Avignon war weit, mochte Benedikt ohnmächtige
Flüche gegen ihn schicken. Das waren Worte: er hatte das Land. Wo war
ein Fürst der Christenheit mächtig wie er? Er hatte beide Bayern
vereinigt, er hatte Brandenburg, hatte sichere Anwartschaft auf Holland,
Friesland, Seeland, Hennegau. Jetzt das Land in den Bergen dazu, das
schöne, alte, reiche, berühmte Land. Dahinter lag Italien, zerrissen,
machtlos. Er hatte es, nun er die Höhen der Alpen beherrschte, fest in
der Hand. Schönes Schloß Tirol! Gutes, festes Schloß Tirol!

Erstaunt hörten die Herren im Vorzimmer, wie der Kaiser innen mit
heller, lauter Stimme sang. »Er singt Lieder wie König David vor der
Bundeslade!« sagte der Bischof von Augsburg. Der Kaiser aber, in seinem
Gemach, allein, schaute in das weiße, helle Land, schlug sich auf die
Schenkel, sang kleine, lustige, derbe Trutzlieder, wie man sie in den
Kneipen seiner bayrischen Dörfer sang.

                   *       *       *       *       *

Zwei Tage später vollzog der Kaiser selber die Vermählung des Markgrafen
Ludwig mit der Herzogin Margarete. Zum großen Ärgernis des Landes und
ganz Europas. Wieder den Tag darauf belehnte er in der Stadt Meran die
Neuvermählten mit Kärnten und Tirol. Er war angetan mit dem kaiserlichen
Ornat. Konrad von Teck hielt das Reichsschwert, Arnold von Maßenhausen
das Zepter, Herr von Krauß den Reichsapfel. Margarete strotzte von
Prunk, steif, übersät mit Edelsteinen standen die schweren Kleider um
sie herum, sie sah starr und reglos geradeaus.

                   *       *       *       *       *

Im Wiener Schloß saßen Albrecht der Lahme und Johann von Böhmen in
langer Unterredung. Der Griff des Wittelsbachers nach Tirol hatte den
Luxemburger und den Habsburger wieder ganz zusammengetrieben. Der
Kaiser, dieser Schamlose, hatte nicht nur Tirol gestohlen, er hatte
seinen Sohn auch mit Kärnten belehnt, in dem der Habsburger festsaß, das
der Kaiser selber ihm hatte erobern helfen. Weniger über die Frechheit,
als über solche Torheit des Wittelsbachers waren die Fürsten erstaunt
und empört.

Albrecht hatte alle Vorsorge getroffen, sein Kärnten gut zu verteidigen.
Der gelähmte Fürst hatte noch einmal, nun auch er, die umständlichen,
ihm doppelt beschwerlichen Zeremonien der Kärntner Thronübernahme auf
sich genommen; es lag ihm daran, nur ja seine Volkstümlichkeit zu
sichern.

Der blinde Luxemburger hatte mehr Phantasie und weiterschauende Pläne.
Dieses Tirol, die schönste Frucht, die der dreiste, plumpe Wittelsbacher
sich gepflückt, trug den Wurm in sich. Der lahme, in Kleidung und Frisur
etwas verwahrloste Albrecht sah mit Interesse, mit einer leisen,
widerstrebenden Bewunderung auf den blinden König, der straff, elegant
und sehr gepflegt vor ihm saß und leicht und behutsam seine blauen,
kühnen Pläne andeutete. Nein, der Kaiser wird an seinem neuen Land nicht
viel Freude haben. Er, Johann, ist im Grund verträglich. Er trat bisher
Ludwig entgegen, wenn er mußte, wenn es sein Nutzen verlangte, aber ohne
Haß und Leidenschaft. Von nun an wird es anders sein. Er ist randvoll
von Ekel und Zorn über diesen letzten plumpen, schoflen Streich, über
solche dumm anmaßliche, vor sich und andern heuchelnde Habgier und
Frechheit. Der Grimm des Ritters und Abenteurers gegen den Kleinbürger
brannte auf.

Der neue Papst, der sechste Klemens, kein Theoretiker wie der
verstorbene Benedikt, nein, ein weltkundiger, glänzender Fürst und Herr
und Politiker, ist ihm und seinem Sohn Karl eng befreundet, der Lehrer
und nächste Vertraute seines Karl. Die Vermählung des Brandenburgers hat
dem Kaiser überall Unwillen erregt. Wenn jetzt der neue Papst von allen
Kanzeln Bann und Interdikt gegen den Kaiser verkünden läßt, wird solche
Verfluchung nicht als Politik aufgefaßt werden, sondern bei aller
Christenheit Billigung und herzlichen Beifall finden. Kurfürsten,
Städte, Volk werden dem Wittelsbacher sich weigern, haben ihm schon ihre
Gefolgschaft aufgesagt. Wenn dann mit Unterstützung Avignons sein Sohn
Karl zum Römischen König erwählt wird, kann er, Johann, ihm eine
unüberwindliche Liga gegen Ludwig schaffen.

Albrecht rieb sich mechanisch das schlechtrasierte Gesicht, hörte
besonnen den Ausführungen des andern zu. Dies waren Pläne, die solider
gegründet waren als gewöhnlich die Pläne des Luxemburgers; aber sie
bedeuteten Angriff, unvermeidlichen Kampf. Er, Albrecht, war nicht
willens, sich hineinzumengen. Er war nicht mehr jung, war gewitzt, zog
das Schwert nur im äußersten Fall.

So saßen sie beisammen, die beiden mächtigen Fürsten, die mehr als die
Hälfte Mitteleuropas regierten; der Blinde zerrte an dem Lahmen, aber er
konnte ihm nur ein Defensivbündnis abringen.

Dann, als die Unterhandlung zu Ende war, reckte sich Johann, erhob sich,
um zu gehen, tastete sich, der Blinde, an der Wand entlang, fand aber
die Türe nicht. Albrecht konnte ihm zwar sagen, wo sie sei, vermochte
aber, der Lahme, dem Tappenden nicht zu Hilfe zu kommen. Da lachten sie
beide lang und herzhaft, bis endlich einer aus dem Gefolge draußen die
Tür öffnete.

                   *       *       *       *       *

Schlimmes Unglück brach über das Land in den Bergen herein, die Strafe
Gottes, weil die Herzogin das Sakrament der Ehe so grob verletzt hatte.
»Die Plagen Ägyptens!« schrien die Anhänger des Papstes durch ganz
Europa. »Die Plagen Ägyptens!« erblaßte das Volk, seufzte, schlug sich
die Brust, fastete.

Zuerst taten zu erneuter Bestrafung der Sünden der Menschen die
Schleusen des Himmels sich auf, eine zweite Sintflut.

»Wehe! Der Wassermann ergießt deukalionischen Regen,« zitierte der Abt
Johannes von Viktring einen alten Lateiner. Als hätten sämtliche Flüsse
Europas sich über das Land ergossen, wurden Bäume, Wiesen, Dörfer,
Menschen von Grund auf weggerissen, der Inn führte Brücken, Türme,
Häuser mit sich, das untere Etschland glich einem See, von Neumarkt fuhr
man zu Schiff nach den unter Tramin gelegenen Gütern.

Im gleichen Jahr rasch nacheinander vernichteten wilde Feuersbrünste die
Städte Meran, Innsbruck, Neumarkt.

Aber das Grauenvollste und Seltsamste, was das Volk erstarren ließ,
waren die riesigen Heuschreckenschwärme, die in diesem Sommer das Land
verheerten. Sie kamen von Osten.

Nachdem sie Ungarn, Polen, Böhmen, Mähren, Österreich, Bayern, die
Lombardei kahl gefressen hatten, lagerten sie sich über dem blühenden
Tirol. Man sah die Sonne nicht, so dicht flogen sie. Sie flogen bei Tag
und bei Nacht, und doch brauchten sie siebenundzwanzig Tage die
Etschufer hinab.

Das erschreckte Volk schleppte in Prozessionen die Heiligenbilder,
betete, streckte die Hände zum Himmel. Der Pfarrer von Kaltern ließ das
Geziefer durch ein förmliches Rechtserkenntnis von Geschworenen
verurteilen, bannte es von der Kanzel herab. Es waren riesige Tiere, sie
hatten Zähne wie leuchtende, edle Steine, so daß die Frauen ihre
Gewänder damit besetzten. Die Schwärme, die die Inngegenden verheerten,
waren zwiefach merkwürdig. Die Führer flogen mit wenigen anderen dem
Heer um eine Tagesreise voraus, suchten die Orte, die der Masse des
Schwarmes geeignet waren. In Geschwadern brachen sie wieder auf, mit
militärischer Disziplin. Sie fraßen Busch und Baum, sie fraßen alles
Grün, sie fraßen den Halm, das Korn, die Hirse, Stumpf und Stiel. Die
Erde war schwarz und grau und wie ausgedorrt, wenn sie endlich
fortzogen.




Die Herzogin Margarete fuhr über den Arlberg. In Sankt Anton stand unter
dem gaffenden Volk ein Mädchen von elf, zwölf Jahren mit seiner Mutter.
Wie der Zug vorbeikam, rief eifrig, wichtig das Kind: »Mutter! Mutter!
Welche ist die gnädige Frau Herzogin? Die Lange, Dürre oder die andere,
die Maultasch?«

Die Mutter, eine derbe, wackere, behagliche, junge Frau, grinste, wurde
rot, schlug nach dem Kind: »Wirst du den Brotladen halten, Saufratz!«

Die Leute ringsum lachten, das Kind plärrte, das Wort wurde aufgenommen.
Es flog durch das Land, flog weiter, bald nannte alle Christenheit die
häßliche Herzogin nur mehr die Maultasche. Margarete hörte davon, trug
den Beinamen mit einer gewissen stillen, bitteren Absichtlichkeit. Wie
sollte ihr neues Schloß heißen? Bruneck? Neugrafenburg? Sie nannte es
Schloß Maultasch.

                   *       *       *       *       *

Markgraf Ludwig saß zusammen mit seinem Freund, dem Herzog Konrad von
Teck, über Rechnungen und Belegen. Der junge, straffe Markgraf stellte
nüchtern, klar Ziffern und Tatsachen zusammen; der massige, soldatische,
etwas ältere Herzog von Teck hörte aufmerksam zu. Er war in Rüstung,
unbeweglich, während der Markgraf bei aller Sachlichkeit sich nicht
enthalten konnte, auf den Tisch zu schlagen, auf die raschelnden
Papiere.

Sein festes, mageres Gesicht, harte, glanzlose, blaue Augen, bräunliche,
verwitterte Haut, etwas spärliches, blondes Haar, gegen die Mode kurzer,
blonder Schnurrbart, war böse und sehr erregt. Er hatte die Tiroler
Barone immer für tückische, betrügerische Raffer gehalten. Doch daß sie
auch unter seinem Regiment so frechen, offenkundigen Unterschleif wagen
würden, daß sie bieder und traulich nicht etwa die Hälfte, sondern neun
Zehntel seiner Einkünfte in ihre Tasche steckten und sich in ihren
Schlußrechnungen kaum bemühten, das zu verschleiern, das war denn doch
ein Gipfel frecher Habsucht, den er nicht erwartet.

Der junge Fürst liebte sachliches, rasches, sauberes Arbeiten. So hatte
er sich in Brandenburg bewährt; es war dem Land gut bekommen. Hier in
Tirol fand er überall Schlamperei, die ganze Verwaltung war ein
Ungefähr, alle Grenzen und Befugnisse verwischt, Betrug und Unterschleif
üppig in Schuß und Wucher. Dabei hatten die Barone gut vorgesorgt.
Amnestie für ihre Verwaltungssünden war ihnen zugesichert, auch konnten
sie fürderhin nur durch Einheimische kontrolliert werden, und da sie
alle versippt waren, blieb solche Kontrolle Formsache.

Der massige, bartlose, soldatische Konrad von Teck ließ den Markgrafen
zu Ende reden. Dann sagte er: »Durchgreifen! Verträge, Amnestie: einen
Schmarren! Pack' einen von ihnen am Kopf! Laß die andern reklamieren,
protestieren! Wenn sie sehen, es nützt nichts, werden sie rasch kirre.«

Mit einem halben Lächeln schob der Markgraf dem Freund ein Schriftstück
hin: einen Haftbefehl für Volkmar von Burgstall. Aber er war nicht
unterzeichnet. »Mein Vater täte es bestimmt nicht,« sagte er. »Es kann
verteufelt schief gehen. Ich hab' keine Rückendeckung.«

Konrad von Teck schaute ihn aus seinen stumpfen, braunen Augen an, sagte
knarrend: »Schaff' dir Rückendeckung.«

Ludwig gab den Blick zurück, schellte, befahl: »Die Frau Herzogin.«

Bis Margarete kam, schwiegen die beiden Männer. Ludwig hatte keine
Heimlichkeit vor dem Freund; so wußte der genau, wie es zwischen ihm und
Margarete stand. Es stand aber so, daß aus Mißtrauen und Abneigung
langsam eine kühle, geschäftsmäßige, wohlwollende Kameradschaftlichkeit
gewachsen war. Margarete war ruhig, klug, nicht zudringlich, gab und
verlangte keine Sentimentalität. Dies war dem Wittelsbacher sehr recht;
seine saubere, straffe, nüchterne Art war die einzige an einem Manne,
die Margarete in diesen Jahren nicht reizte. An ihre seltsame Erstarrung
und Verkrustung gewöhnte er sich langsam ebenso wie an ihre Häßlichkeit,
und es geschah ohne jeden verächtlichen Unterton, wenn er etwa im
Gespräch mit Konrad ebenso wie das ganze Land Margarete die Maultasche
nannte.

Es dauerte eine ziemliche Weile, bis sie kam. Denn nie erschien sie
anders als in herzoglichem Prunk. Sie trug ein Kleid aus schwerem,
braunem Stoff, mit vielem Gold besetzt, das Gesicht maskenhaft steif von
Schminke und Puder, auch die Hände geschminkt. Der Markgraf legte ihr
die Dokumente vor, wies in kurzen Worten darauf hin, wie lückenlos vor
allem das Material gegen Volkmar von Burgstall sei. Margarete sah vor
sich den dumpfen, dröhnenden, wuchtigen Volkmar, die nackte, brutale
Gier seines Gesichts. Er hatte mit seiner plumpen, grausamen Hand
zugeschlagen, wo er konnte, er hatte im Kampf gegen die Luxemburger den
jungen Rottenburg, den lustigen, harmlosen Albert vorgeschickt und sich
selber feig, schwer, tückisch in den kellerigen, widerwärtigen Winkeln
seiner Burg versteckt. Ihr Gesicht unter der Schminke blieb steif und
ohne Ausdruck. »Verhaften Sie ihn!« sagte sie.

Selbst der starre Konrad von Teck sah überrascht auf. »Sie sind eine
tapfere Dame, Frau Herzogin!« sagte er.

»Nachdem das Ihr Rat ist, Margarete,« sagte der Brandenburger, »werden
sich Ihre Landsleute wohl beruhigen müssen, wenn ich ihn befolge.« Er
bat, auch sie möge den Verhaftsbefehl unterzeichnen. Sie tat es.

Der Burggraf Volkmar wurde verhaftet, prozessiert. Solches Vorgehen
gegen den ersten Aristokraten des Landes machte ungeheures Aufsehen. Die
Barone, zitternd jeder für sich selbst, schlossen sich zusammen; vom
Süden her wühlte Bischof Nikolaus von Trient, von Westen der Bischof von
Chur. Konrad von Teck, dem der Gefangene unterstellt war, wich keinen
Schritt. Anklage, Vermögenskonfiskation, Verhör, Tortur. Zum Urteil kam
es nicht. Der Burggraf starb vorher, im Kerker, unversehens. Das Land
raunte, übergraust, wollte sich empören, wagte es nicht, duckte sich,
schwieg.

Margarete saß am Putztisch, als sie die Nachricht von dem plötzlichen
Tod Volkmars erhielt. Das Fräulein von Rottenburg, das ihr Haar kämmte,
schnaufte, zitterte, ließ den Kamm fallen. »Mach' doch weiter!« sagte
Margarete, und ihre volle, dunkle Stimme war gleichmütig und ohne
Schwanken.

                   *       *       *       *       *

Die Herzogin schaute von der Loggia der Burg Schenna aus in das besonnte
Land. Jakob von Schenna saß ihr gegenüber. Zu ihren Häupten an den
Wänden schritten die bunten Ritter.

Es tat wohl, die müde, gescheite Stimme Schennas zu hören. Seine hellen,
klugen, reinlichen, phrasenlosen Sätze waren wie ein laues Bad. Der
Markgraf hatte ihn in seine Dienste ziehen wollen. Doch Herr von Schenna
hatte die diplomatischen Würden, die goldenen Ehrenketten seinen Brüdern
Petermann und Estlein überlassen, er selber war wohl bereit zu raten;
doch ein Amt nahm er nicht an.

Er sprach vom Markgrafen, wie häufig. »Nein,« sagte er, auf die gemalten
Ritter weisend, »von diesen hat er nichts. Wenn er einen Wald sieht,
denkt er nicht an ein Ungeheuer, das darin sein könnte, auch nicht an
eine Dame, die ein Riese hütet und die zu befreien wäre. Er überlegt,
wie groß der Holzwert des Waldes ist, ob es lohnt, das Holz in die
nächste Stadt zu schaffen, dort den Wohnungsbau zu fördern. Die Zwerge
hat der Markgraf nie gesehen; sie werden auch nicht zurückkehren,
solange er regiert. Auch wird er mit König Johann nie konkurrieren. Es
wird ihm nichts daran liegen, achtzehn oder zwanzig Turniersiege im Jahr
zu behaupten, die modischste Rüstung zu haben, möglichst oft in Paris zu
sein. Aber darauf sehen wird er, daß sein Name selten in der
Korrespondenz des Messer Artese aus Florenz vorkommt, daß die Kaufleute
ihre Transporte in Sicherheit führen können, daß in den Städten feste,
redliche Behörden sitzen.«

Margarete schwieg. Ähnliches hatte Schenna schon oft geäußert. Es fiel
ihr auf, daß früher die gleichen Dinge in seinem Munde ironisch
geklungen hatten, ablehnend, während er jetzt fast mit Anerkennung von
diesen bürgerlichen Eigenschaften des Fürsten sprach.

Herr von Schenna blieb bei seinem Lieblingsthema. Die alte Zeit war
vorbei. Rittertum und Rittersitte war wohlfeil geworden und Attrappe.
Man konnte nicht mehr so einfach und geradezu in die Welt hinausziehen
und darauflosschlagen; gleich kam die Polizei. Mit Abenteuern war jetzt,
in dieser farbloseren Zeit, weder Ehre noch Besitz zu holen. Es war
vielleicht schöner gewesen früher, bunter, ehrlicher. Aber die Welt war
verwickelter geworden. An Stelle der Burg trat die Stadt, an Stelle des
kräftigen Einzelnen die Organisation. Wenn der fahrende Ritter Herberge
verlangte, Speis' und Trank, forderte man von ihm -- Gotts Marter! --
Bezahlung. Nicht ihm gehörte die Zukunft, sondern dem Bürger, nicht der
Waffe, sondern der Ware, dem Geld. Mochten Herren wie König Johann noch
so herrlich herfahren über die Erde; was sie taten, blieb ohne Bestand.
Bestand hatte das kleine, langsame, sorgfältige, rechenhafte Gewerk der
Städte; sie bauten winzig, sie bauten ängstlich, aber sie bauten Zelle
an Zelle, schichteten Stein um Stein, unablässig.

Margarete war überzeugt von der Richtigkeit solcher Grundsätze. Hatte
sie es nicht an sich selber tief und grauenvoll erlebt? Was war Liebe?
Was waren Abenteuer? Das höhlte einen aus, zerrieb, machte wund und
leer. Gedanken, die sie früher schon gedacht, setzten sich tiefer,
wurden wesenhaft, mischten sich ihr ins Blut. Ihre Häßlichkeit war
Geschenk, der Wegweiser, mit dem Gott ihr den rechten Weg zeigte.
Rittertum, Abenteuer, das war bunter Schaum und Schein. Ihr Amt war, in
die Zukunft zu bauen. Städte, Handel und Handwerk, gute Straßen, Ordnung
und Gesetz. Ihr Amt waren nicht Feste und Fahrten und Liebe; ihr Amt war
nüchterne, ruhvolle Politik.

Sehr kam solchen Grundsätzen das Wesen des Markgrafen entgegen. Sie
erkannte genau, wußte, spürte, wie eng und pedantisch er war. Aber sie
achtete seine Tüchtigkeit und Verlässigkeit, gewöhnte sich daran als an
etwas Freundhaftes, schwer zu Entbehrendes. Die Gatten waren viel
zusammen, aßen zusammen, schliefen zusammen. Arbeiteten zusammen. Gutes
Einverständnis war von ihm zu ihr. Ihre Gedanken schmiegten sich
ineinander. Margarete regte an; aber so unmerklich, daß nicht zu
unterscheiden war: wer war Führer, wer geführt? Oft, im Gespräch mit
Konrad von Teck, sagte der Markgraf anerkennend: »Ja, meine Frau, die
Maultasche.« Bei alledem blieb Margarete im Innersten zugesperrt, ihre
Umkrustung war nicht zu durchbrechen, es blieb bei einer freilich großen
und ehrlichen Höflichkeit.

Im zweiten Jahr ihrer Ehe wurde Margarete schwanger. Ihr Wesen wurde
gelöster dadurch, ihre volle, dunkle Stimme klang wärmer; aber jene
Fremdheit und Starrheit fiel nie ganz von ihr ab. Sie blieb frei von
heftigen, überschwenglichen Begierden, gleichmäßig, ohne stärkeres
Gefühl. Sie sah, daß das Kind, ein Mädchen, weder schön noch häßlich
war. Es hatte die harte, eckige Stirn des Vaters und, Gott sei Dank,
seinen, nicht ihren Mund. Sie betreute das Kind sorglich, mütterlich,
pflichtbewußt, ohne Herzlichkeit.

                   *       *       *       *       *

Der Papst zog den Arm des jungen Markgrafen Karl von Mähren-Luxemburg in
den seinen, führte den Fürsten, eifrig auf ihn einredend, in dem
behaglichen Zimmer auf und ab. Draußen, über der weißen Stadt Avignon,
brannte helle, starke Sonne. Im päpstlichen Palast war es angenehm
dämmerig, nicht zu heiß. Der sechste Klemens, dunkles, starkes, sehr
repräsentatives Gesicht, die Konturen gehoben durch die bläulichen
Schatten des Rasierens, hatte ein zärtliches, pflegliches Gefühl für den
jungen Fürsten, seinen lieben, verständnisvollen, empfänglichen Zögling.
Der hatte ihm die Tiara, er jenem die römische Kaiserkrone vorausgesagt.

Ja, und nun war es an dem. Der Wittelsbacher, der tölpische Bär, hatte
zu gierig nach jeder Beute getappt. An dem letzten, übergroßen Bissen,
an Tirol, sollte er erwürgen und ersticken. Mochten die Kurfürsten, die
Städte des Römischen Reichs sich noch so vorsichtig und unbehaglich
gegen die Kontrolle der Kurie sperren; der üble Geruch, der von den
tirolischen Händeln ausging, stank allen so in die Nase, daß sie an der
Person dieses Usurpators Ludwig von Bayern doch wohl nicht festhalten
konnten. Ja, jetzt kam er angekrochen, der Wittelsbacher. Demütig
winselte er vor dem päpstlichen Stuhl, erkannte das lange Verzeichnis
seiner Verbrechen an, bot Unterschrift und Unterwerfung. Klemens
lächelte, faßte seinen jungen Schüler fester um die Schulter. Der Bayer
kam zu spät. Schon hatte er, Klemens, in feierlichem Konsistorium den
großen Kirchenbann über ihn ausgesprochen, schon das Kurfürstenkollegium
aufgefordert, zur Wahl eines neuen Königs zu schreiten. Wenn morgen sein
lieber Schüler Karl von Luxemburg an den Rhein fährt, nach Rhense, zur
Wahl, kann er die Gewißheit mitnehmen: der Papst hat alles getan, durch
Segen und Verdammung, seine Prophezeiung von der Kaiserkrone wahr zu
machen.

Wenige Tage später gab denn auch die Majorität der Kurfürsten dem
Luxemburger ihre Stimmen. Von den fünf Fürsten, die für ihn stimmten,
war der erste sein Vater, der zweite sein Oheim, der dritte ein
Erzbischof ohne Stift und Land, der vierte und fünfte durch viel Gold
erkauft.

Karl, nachdem ihm der Vorsitzende des Kollegiums, der Erzbischof Balduin
von Trier, das Ergebnis der Wahl verkündet hatte, nahm die Umarmung
seines Vaters, die Glückwünsche der Kurfürsten entgegen. Sandte einen
Eilkurier an den Papst. Dann, allein, breitete der lange, hagere Mann
die Arme, atmete. Erwählter Deutscher König, Römischer Kaiser bald. Er
war nicht wie sein Vater, der Blinde, der Ritter. Er wird nicht glänzen,
alles, wie er es an sich gerafft, verstreuen. Er wird haben, halten,
besitzen. Er war aber auch nicht wie der Bayer, der Langsame,
Pedantische, Bürgerliche. Burg _und_ Stadt, das war es, Militär _und_
Verwaltung. Nicht Territorien allein erraffen, was ist das groß? Sie
beackern, sie durchkneten. Kirche, Kunst, Wissenschaft, Städtebau.
Sammeln, häufen, pflegen. Alles sammeln und pflegen: Länder, Städte,
Titel, Schlösser, Gelehrte, Reliquien, Kunstdinge. War er eitel? War er
habgierig? Nein, dies war wohldurchdachte, wohlerkannte Fürstenpflicht.
Der hagere, sehnige Herr setzte sich an den Schreibtisch. Notierte sich
Richtlinien, entwarf ein Schema, einen Kanon seiner Regierung.
Disponierte wissenschaftlich Tugenden, Erfordernisse, Pläne. Teilte sie
ein: Ziffer eins, zwei, drei. Arbeitete viele Stunden, tief in die Nacht
hinein.

Überlas das Geschriebene. Stak in all dem nicht doch ein bißchen
Eitelkeit? Er war fromm, Eitelkeit war Sünde. Er wird büßen. Er sammelte
leidenschaftlich Reliquien: Dornen aus der Krone Christi, Kleider,
Schädel, Arme von Heiligen. Aus Pavia hat man ihm die Überreste des
heiligen Veit angeboten. Der Heilige war viel zu teuer. Er wird, zur
Buße, diese Reliquien trotz der Übervorteilung erstehen.

                   *       *       *       *       *

Vor Margarete stand ein kleiner, fetter, zappeliger Mensch, war sehr
unterwürfig, sprach gaumig glucksend. Nannte sich Mendel Hirsch. War
Jude. War während der Verfolgungen durch die Brüder Armleder aus dem
Bayrischen nach Regensburg geflohen, dort von der Bürgerschaft geschützt
worden. War aus den hundertundsiebenundzwanzig Gemeinden, in denen
damals die Juden erschlagen worden waren, einer der wenigen Entkommenen.
Jetzt hatte er einen Schutzbrief des Kaisers, vorsichtshalber auch einen
des Gegenkönigs Karl.

Die Herzogin hatte niemals einen lebendigen Juden aus der Nähe gesehen.
Aufmerksam, mißtrauisch, leicht angewidert, beschaute sie den dicken
Mann, der in braunem Rock und spitzem Hut vor ihr herumagierte, rasch
sprudelnd, gurgelnd, possierlich zappelnd. So also schauen die aus, die
Hostien schändeten, unschuldige Kinder gräßlich marterten, das von Gott
verfluchte Geschlecht, das Gott gemordet hat. Sie hat oft von den
fremden, unheimlichen Menschen gehört, erst unlängst, anläßlich der
letzten Judenmetzeleien, mit dem Abt Johannes von Viktring eingehend
darüber gesprochen. Der hatte die Verfolgungen weder gutgeheißen noch
sie mißbilligt. Es erfüllte sich eben an dem geschlagenen Volk die
uralte Verwünschung, die es sich mit eigenen Lippen herabgeflucht: »Sein
Blut über uns und unsere Kinder!« Der Abt zuckte die Achseln, zitierte
einen antiken Klassiker: »Weh Unseligem mir! Viel fürcht' ich, weil viel
ich verbrochen.«

Margarete fand diese Lösung ein bißchen zu einfach. Gewiß, ein Mann, der
so eine Judenverfolgung anfachte, mochte aus Eifer für die Sache Gottes
handeln. Vielleicht. Sicher war, daß er viel daran verdiente. Denn gab
es ein probateres Mittel, den jüdischen Gläubiger loszuwerden, als ihn
totzuschlagen? Warum, wenn es nützlich und gemäß war, sie zu vertilgen,
setzten sich just die weisesten geistlichen und weltlichen Herrscher für
sie ein? Die Gesetze des zweiten Hohenstaufenfriedrich, die Bullen des
vierten Innozenz bewiesen eine sehr andere Auffassung als die ihres
wackeren Abtes. Und der jetzt regierende Klemens -- er war ihr Feind,
aber verflucht gescheit -- warum stellte sich der so breit und schützend
mit Bullen und strengen Gesetzen vor sie hin?

Sie schaute auf den kleinen Mann, der sich vor ihr abarbeitete. Er
erzählte von dem Jämmerlichen, was er durchgemacht. Wie man seine Leute
in ihre Bethäuser zusammengetrieben und verbrannt habe, andere in Säcke
gesteckt, mit Steinen darin, und elendiglich im Rhein ersäuft, wie man
sie verstümmelt, gemartert, erwürgt, Frauen vor den Augen ihrer
angepflockten Männer geschändet, aufgespießte Kinder wie Fahnen aus den
Fenstern brennender Häuser gehängt habe. Er erzählte das hastig, mit
vielen saftigen Einzelzügen, gestikulierend, seine bunten, gurgelnden
Worte überkugelten sich, er lächelte entschuldigend, anklagend,
resignierend, streute spaßige Sätze in seine Erzählung, rief Gott an,
strähnte nervös seinen mißfarbenen Bart, wiegte den Kopf. Die Herzogin
hörte ihm schweigend zu; in einer Ecke hockte Herr von Schenna, in
schlechter Haltung, betrachtete aufmerksam den kleinen, eifrigen,
possierlichen Mann.

Mendel Hirsch bat, sich in Bozen niederlassen zu dürfen. Er war auf dem
Weg nach Livorno zu Glaubensgenossen. Aber jetzt, beim Anblick der
aufblühenden Städte und Märkte Tirols, war ihm beigefallen, hier sei
besserer Boden, neuerer. »Transithandel, gnädigste Frau Herzogin!« sagte
er. »Transithandel! Messen! Märkte! Hier führten die großen Straßen von
der Lombardei nach Deutschland, von den slawischen Ländern in die
romanischen. Warum sollten Trient, Bozen, Riva, Hall, Innsbruck,
Sterzing, Meran schlechter sein als Augsburg, Straßburg?« Schon seien
die Bischöfe von Brixen und Trient geneigt, Juden in Schutz und Privileg
aufzunehmen. Er werde mit gnädiger fürstlicher Erlaubnis den Handel hier
rasch hochbringen. Geld ins Land, viel Geld, großes Geld. Er verfüge
über Kapital in beliebiger Höhe. Bediene kulanter als die Herren in
Venedig und Florenz. Er werde Wein, Öl, Holz exportieren; Seide,
Pelzwerk, Schwerter einführen, spanische Wolle, Juwelen, maurische
Goldarbeit; aus dem slawischen Osten Felle, vor allem auch Sklaven. Die
brauche man hierzulande nicht? Man habe genügend leibeigene Bauern?
Nicht? Also nicht. Aber Glas, das brauche man doch, sizilianisches Glas,
er habe ausgezeichnete Verbindungen. Und gefärbtes Tuch brauche man
auch. Und Zimt, Pfeffer, Gewürz. Er werde schon machen. Man möge ihn nur
machen lassen.

Margarete sagte, sie werde seine Bitte in Erwägung ziehen. Als er fort
war, überlegte sie mit Schenna. Dem gefielen die Projekte des Juden
sehr. Gewiß solle man ihn hereinlassen, ihn zu halten suchen. Das sei
die neue Zeit, das bringe Leben ins Land. Beim Turnier freilich werde
Herr Mendel Hirsch keine gute Figur machen, die Barone, wohl auch die
Bürger, würden die Stirn runzeln. Aber just wegen dieser faulen
Überheblichkeit solle man dem trägen Volk den raschen, beweglichen Mann
in den Pelz setzen.

So kam also der Jude Mendel Hirsch nach Bozen. Er kam mit einem Gewimmel
von Söhnen, Töchtern, Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern, Enkeln; auch
drei Säuglinge waren dabei und eine uralte, mummelnde Großmutter. Das
kribbelte mandeläugig, flinkfüßig, vielwortig durch die Straßen Bozens,
beschaute die bunten, stattlichen Häuser, Mauern, Tore, Plätze,
Menschen, schätzte ab, urteilte mit raschen, lauten Worten und Gesten.

Man kann nicht sagen, daß die Bozener Bürger den Juden Mendel Hirsch
gerade begeistert aufgenommen hätten. Es bedurfte vielmehr erst der
strengen Vermahnung des Markgrafen -- der wie sein Vater, der Kaiser,
die Juden als städteförderndes Volk schätzte und begünstigte --, bis sie
ihm überhaupt nur Unterkunft gewährten. Und auch dann behandelten sie
ihn denkbar grob und mißtrauisch, riefen die Kinder von den Straßen, wo
er ging, wischten sich die Ärmel, wenn sie ihn angestreift, riefen ihm
Schimpf- und Spottworte nach, bewarfen ihn hinterrücks mit Kot. Der
kleine, fette, bewegliche Mann tat, als sehe und höre er nichts, putzte
sich ab, wenn man ihn besudelte, lächelte, strähnte sich den verfärbten
Bart. Trieb man es zu arg, wiegte er den Kopf, machte: »Nu, nu!« Er
blieb immer gleich unterwürfig, kam wieder, wenn man ihn davongejagt
hatte. Kaufte sich ein Haus, noch eines, ein drittes. Waren kamen für
ihn, stapelten sich, fremdartige, schöne, in einer Fülle, wie man sie
nie gesehen, nicht zu teuer. Er kaufte, was man ihm anbot, prüfte rasch,
sicher, hatte immer Geld, zahlte bar. Die eingesessenen Kaufleute
machten scheele Gesichter, die übrigen Bürger gewöhnten sich an den
Juden, schimpften wohl noch, aber mehr aus Gewohnheit, ohne Überzeugung.

Wenn Mendel Hirsch besonders schöne neue Waren hatte, Tücher, Pelze,
Juwelen, brachte er sie zuerst der Herzogin und Herrn von Schenna. Beide
unterhielten sich gern mit dem flinken, weltbefahrenen Mann, der Wege,
Waren, Menschen, Zusammenhänge gut kannte und aus sehr anderem,
ungewohntem Gesichtswinkel sah. Er schnitt, kam man ihm in ernsthaftem
Gespräch mit großen Worten, ein bitteres Gesicht; für Ritterlichkeit,
Turnier, Fahnen und dergleichen Dinge hatte er eine gutmütige,
schmunzelnde Verachtung, die Schenna ergriff und erheiterte. Er sagte:
»Wozu immer klirren und recht haben? Ein bißchen Billigkeit, und allen
ist geholfen.« Er wurde nervös und ängstlich vor Lanzen, Spießen,
Rüstungen. Einmal, als er bei der Herzogin angesagt war, kam er nicht,
weil viel Kriegsvolk unterwegs war. »Er ist feig,« sagte Margarete.

»Gewiß,« sagte Herr von Schenna. »Mit einem Schwert tut er höchstens
sich selber weh. Aber er geht allein und ohne Waffen herum unter einem
Volk, das ihn anhaßt, und seine ganze Rüstung ist der Schutzbrief des
Markgrafen.«

Margarete erfuhr, daß er Abend für Abend in seinen krausen, hebräischen
Büchern las, seine Kinder darin unterrichtete. Sie hörte von seinen
seltsamen Gebräuchen, Gebetmantel, Gebetriemen, anderer Kost. Sie fragte
ihn nach Einzelheiten. Er wich höflich und entschieden aus. Dies gefiel
Margarete. Er war häßlich und besonders. Er war umkrustet. Sie war die
Maultasch, er der Jud.

Allmählich kamen mehr Juden ins Land. Nach Innsbruck, Hall, Meran,
Brixen, Trient, Rovereto. Alle mit vielen mandeläugigen Kindern. An die
zwanzig Familien. Geld floß herein, die Städte wurden größer, üppiger,
die Straßen besser, neue, fremde Stoffe, Früchte, Gewürze, Waren drangen
ein. Das Land in den Bergen lebte reicher, behaglicher.

Die Woche über trieben die Juden vom frühen Morgen bis in die tiefe
Nacht hinein ihren Handel. Kein Geschäft war ihnen zu gering, sie
warteten stundenlang, unermüdlich, für jeden. Sie nahmen alle
Demütigungen hin, bückten sich, wehrten sich nicht, trat man nach ihnen,
spie man sie an. Aber am Freitagabend schlossen sie sich ein in ihren
Häusern, waren ihren Sabbat über für niemand, auch für den größten Herrn
nicht und für den wichtigsten Handel nicht zu sprechen. Das Volk stand
vor ihren versperrten Türen, drohend: »Da treiben sie ihre Hexerei und
verfluchte Hantierung. Zauberwerk, ruchlose, gottverdammte Kunst.« Doch
die Juden ließen sich die Drohungen nicht kümmern, hielten Türen und
Fenster gut zu.

Mendel Hirsch pflegte an solchen Tagen viele festliche Lichter
anzuzünden, den braunen Rock und den spitzen Hut mit schönen Kleidern
aus alten Stoffen und prächtigen Mützen zu vertauschen, auch seine Frau,
seine Töchter und Schwiegertöchter zogen sich prächtig an. Dann sang er
mit seiner häßlichen, gaumigen Stimme Psalmen und Gebete, und seine
Kinder sangen mit. Er ging und saß in seiner Wohnung herum, aß gut,
trank gut, freute sich seiner Kinder und seines Reichtums. Las einen
Abschnitt aus der Schrift vor, begleitete ihn mit kunstvollen
Auslegungen, bezog ihn auf Ereignisse des Tages. Das Haus strahlte
geschmückt, duftete von kostbaren Essenzen. Er legte den Kindern die
Hand aufs Haupt, segnete sie, daß sie werden möchten wie Manasse und
Ephraim. Er ging behäbig herum in seinem Haus, strähnte sich den Bart,
wiegte sich, sagte: »Am Sabbat sind alle Kinder Israels Fürstenkinder.«

Der Markgraf sagte zu Margarete: »Es war gut, daß man die Juden ins Land
gesetzt hat. Sie bringen Geld herein, Bewegung, treiben an. Aber es hat
schon seinen guten Grund, daß das Volk sie nicht riechen mag. Da lebt so
was wie dieser Jud Mendel Hirsch. Hat keine Kirche, keine Spur Religion.
Ist ärger als ein Heide und das liebe Vieh.«

Herr von Teck mit seiner knarrenden Stimme sagte: »Das widerwärtigste
ist, daß so ein Mensch nicht den leisesten Sinn hat für Würde. Wie sich
das bückt! Wie das hündisch kriecht! Gewanz! Lausepack!«

Margarete schwieg. »Er ist der Jud,« dachte sie, »ich bin die
Maultasch.«




Der blinde König Johann saß in der kahlen, niedrigen Bauernstube, sein
Friseur kämmte ihm Haar und Bart. Der gestrige Tag war drückend heiß
gewesen, aber jetzt kam, von Nordwest her, ein frischer Wind. Es war
halb vier Uhr morgens, die Sonne war noch nicht da, der Himmel hell. Um
den König waren zwei seiner Offiziere, fertig in Rüstung, sein
Erzkämmerling und Adjutant, zwei Pagen. Der Luxemburger legte trotz
seiner sechzig Jahre und seiner Blindheit größtes Gewicht auf
einwandfreie Wappnung und Kleidung. Der Kämmerling und die Pagen rieben
seine weiße, körnige Haut mit Essenzen, legten ihm umständlich Hemd,
Unterkleid, die silberne Rüstung an.

Der König hatte nur wenige Stunden geschlafen, aber er war frisch und in
strahlender Laune. Vor ihnen war ein großes Gehölz, dahinter standen die
Engländer. Heute also, endlich, wird man sich schlagen. Es wird kein
Geplänkel, es wird eine heiße, große Schlacht sein. Es geht für den
Engländer um alles.

Wie der elegante, blinde Mann jetzt dasteht, gewaschen, gerüstet, den
Sommermorgen schnuppernd, hat er alle die leisen, melancholischen
Anwandlungen vergessen, die sonst manchmal in letzter Zeit aus seinem
zerronnenen und zerdunsteten Leben in seine Nacht steigen. Wie ein Tier,
das nach langem winterlichem Stall den Frühling wittert, sog er gierig
den Geruch der Schlacht, der rings in der Luft war.

Trat vor das Haus, frühstückte, scherzte mit seinen Herren. Kleiner,
reiner Wind ging. Nun wird gleich die erste Sonne kommen.

Sein Vater war Römischer Kaiser gewesen, mächtig über alle Christenheit.
Er, Johann, kämpfte jetzt in französischem Sold; es hat eigentlich gar
keinen Sinn gehabt, daß er sich in den großen Zwist zwischen England und
Frankreich gemengt, er hat es aus bloßer Freude am Kampf getan. Zudem
hat er das Geld verschleudert, das er von Frankreich für die
Truppenwerbung erhalten, und muß jetzt ziemlich kläglich Ausflüchte
suchen. Genau gesehen, hat sich ihm nichts, gar nichts gefügt. Wenn
auch! Das geht ihn jetzt nichts an. Jetzt wird er kämpfen. Er ist sehr
vergnügt.

Man reichte ihm weiße Scheiben Brotes, Butter, Honig, einen Trank Met.
Bienen summten um ihn. Er tätschelte die weichen Haare der Pagen.

Er hat das Geld für die Söldner vertan. Er lächelte. Nun ja, wenn heute
sein Sohn Karl Deutscher König ist, so hat jener Sold sein gut Teil dazu
beigetragen. Karl darf es nicht wissen. Er ahnt es wahrscheinlich, aber
wissen darf er es nicht. Er ist so korrekt. Gleichviel, gleichviel. Er
liebt Frankreich, er hat Frankreich viele gute Dienste getan, er wird
auch heute, er spürt es, das vertane Geld reichlich hereinbringen. Er
schüttelte sich, reckte sich, fragte, ob die Sonne schon da sei.

Man stieg zu Pferde, brach auf. Es ging durch ein großes Gehölz,
dahinter stand auf dem weiten, staubigen Feld der Feind. Man hatte die
Visiere noch nicht heruntergelassen; Vögel sangen, Zweige streichelten
das Gesicht, man roch das Laub. Es war schön, zu leben, es war schön, im
Morgen durch den Wald zu reiten, und dahinter stand der Feind.

Ah, jetzt verstummten die Vögel. Klirren, Schreien, Dröhnen, stampfende,
trappelnde Pferde, helle Trompeten, Staub, viel Staub. Man war am Ende
des Waldes. Der König hielt mit seinen Herren. »Wie steht die Schlacht?«
fragte er mit der Erregung des leidenschaftlichen Spielers. Seine Herren
mußten ihm alle Wechsel des Kampfes schildern. Er kommandierte, warf
Truppen hierhin, dorthin. Aber die Strategie des Blinden blieb
notgedrungen theoretisch, die Offiziere korrigierten, ohne viel Worte zu
machen, seine Befehle nach Belieben oder führten sie überhaupt nicht
aus. Staub lag dicht auf dem Feld, legte sich grau, dick auf Halme,
Gräser, Ähren, auf die Pferde, die Rüstungen. Die Schlacht hatte sich in
zahllose, verbissene Gruppenkämpfe aufgelöst. Da hielt es den alten
Herrn nicht mehr. Spürte er, daß seine Befehle leerer Schall waren,
demütig entgegengenommen, unbeachtet weggeworfen wurden? Er reckte sich
plötzlich hoch auf, sein braunes, gutes Pferd stieg, wieherte, er warf
einen hellen, fröhlichen Schrei in das Gewieher, brach los. Seine
Offiziere suchten ihn zu halten, die Pagen drängten brennend, hitzig
vor. So kam er trotz allen Hemmungen ins dickste Getümmel, sein Schmuck,
seine wertvolle Rüstung reizten Gegner. Er wurde umzingelt,
herausgehauen, nochmals umzingelt. Vor allem zwei schottische Ritter,
jüngere Söhne, Habenichtse, hatten es auf seinen Schmuck und den
prachtvollen Brustpanzer abgesehen. Der blinde alte Herr sprach, schrie,
lachte, stach um sich. Er war von seinen Offizieren getrennt, die Pagen
hatten sich bei ihm gehalten. Er sprach, scherzend, grimmig, anfeuernd,
zynisch, zu dem einen, dem blonden, feinen Jehan, seinem Liebling. Der
war schon zusammengehauen, tot, aber der blinde König wußte es nicht.
Endlich warf sein verwundetes Pferd ihn ab, begrub ihn. Man drang ein
auf ihn, riß ihm Helm und Visier herunter, schlug ihm den Schädel ein.
Da lag er still und jämmerlich im Staub, der rastloseste Mann und Fürst
der Zeit, sein eleganter Bart war übel zerrauft und mit Blut verklebt,
die schäbigen Ritter zerrten ihm den silbernen Panzer von der Brust, der
Ring wollte nicht los von der steifen, im Staub verkrampften Hand, so
hackten sie den ganzen Finger ab. Dann zog sich der Kampf weg, und die
Franzosen, für die der Blinde ohne Sinn und ohne Zweck gekämpft hatte,
wurden zersprengt und besiegt.

Der tote König lag allein. Krähen und Raben kreisten.

                   *       *       *       *       *

Karl von Luxemburg, der Deutsche König, hatte sich, verwundet, aus jener
Schlacht gerettet. Der König von England, der immer gern und stolz
betonte, wie ritterlich seine Kriegführung sei, hatte ihm die Leiche des
Vaters mit ehrenvollem Geleite übersandt. Nun stand Karl vor den
scheußlich verstümmelten Resten. Er hatte den Vater nie geliebt. Der
alte Verschwender, der in so launischem Zickzack über die Erde gefahren
war, der so toll und übermütig mit seinen Kronen gespielt hatte, statt
sie zu wahren und zu festigen, hatte sein Erbe schwer gefährdet.
Immerhin, es waren Rechte, Titel, Länder auf allen Seiten erworben. Er
wird sich nicht verzetteln, er wird nicht überflüssig prahlerisch alles
zu halten suchen; er wird zusammenstücken, runden. Nur auf die Sache
sehen, nicht auf äußeren Glanz.

Da lag nun dieser König Johann, sein Vater. Er war ein Ritter gewesen,
der erste Ritter der Christenheit; er hatte groß geglänzt, nun lag er
da, ein Haufe scheußlich verstümmelten, verwesenden Fleisches. Er hatte
gelebt für nichts, er war gestorben für nichts. Er hatte über Kirche,
Priester, Heilige gelacht und die Welt nicht unter seine Sohle
gezwungen, hatte weder den Himmel erworben, noch die Erde. »Schlaf' in
Frieden, Vater! Ich werde anders sein wie du.«

König Karl ließ das Herz ausnehmen, die Fleischteile in siedendem Wasser
von den Knochen lösen. Überführte die Gebeine in das heimatliche
Luxemburg, ließ sie feierlich neben tiefverehrten Reliquien beisetzen.
Dann ließ er -- Aachen hatte seine Tore gesperrt -- sich in Bonn als
Deutscher König krönen, in Prag als Böhmischer. Kaiser Ludwig hielt
jetzt, nach der Niederlage der Franzosen, die richtige Zeit für
gekommen, an den Gegenkönig eine schwungvolle Protestnote zu richten. Er
forderte ihn in großen Worten auf, von seinem Gebaren abzustehen und
sich ihm, dem Stärkeren, zu unterwerfen. Karl antwortete im gleichen
Stil, seine Stärke bestehe nicht in Kriegsheeren, sondern in dem großen
Alliierten: Gott.

Fürs erste aber sah er sich nach irdischen Alliierten um. Unterhandelte
mit Ungarn, mit dem lahmen Albrecht. Karl hatte für sich Legitimität,
Titel, Kirche, Religion, Sympathien, Ludwig die Macht. Ihre Länder
grenzten aneinander; beide aber waren sie wägend und bedacht und
verhüteten, daß hier Krieg losbrach. Der findige, anschlägige Karl
glaubte vielmehr, die schwache Stelle des Wittelsbachers ganz woanders
herausgefunden zu haben: in Tirol.

Hier hatten die Bischöfe von Trient und Chur, denen Markgraf Ludwig
verhaßt war, unablässig gewühlt und gezettelt. Die Feudalbarone,
knirschend gegen die Brutalität und die Rechenhaftigkeit der
Wittelsbacher, warteten nur darauf, die Luxemburger zurückzurufen. Auch
die großen lombardischen Stadtherren, die Carrara, Visconti, della
Scala, Gonzaga, sahen die bedrohliche Nachbarschaft Kaiser Ludwigs mit
tiefer Besorgnis. Der kluge, vorsichtige Tägen von Villanders vereinigte
geschickt die Interessen dieser drei Oppositionsparteien. Er selber war
Landeshauptmann von Tirol, der Markgraf begünstigte ihn, hielt ihn für
zu gefährlich und zu einflußreich, mit ihm anzubinden. Allein der
elegante Herr hatte feine Witterung; er spürte sehr gut, wie
unsympathisch er dem Markgrafen war, wie der immer mehr Befugnisse
seinem brutalen Freund, dem Konrad von Teck, und den anderen
schwäbischen und bayrischen Herren übertrug.

Er sandte Botschaft an König Karl. Kuriere, immer dringendere. Die
Truppen der Bischöfe stünden zu seiner Verfügung, die lombardischen
Söldner, die Kontingente der Barone. Karl entschloß sich. Die
Gelegenheit konnte nicht besser kommen. Markgraf Ludwig kämpfte hoch im
Norden, in Preußen. Möge er sich Ruhm gegen die Heiden erwerben. Tirol
jedenfalls hatte weder Truppen, noch seinen Herrn.

Es kam über Karl etwas von dem abenteuerlichen Geist seines Vaters.
Heimlich brach er auf, von drei Vertrauten begleitet, alle vermummt, als
Kaufleute reisend mit lombardischen Pässen. Reiste im schärfsten Frost,
auf verschneiten Bergpfaden. Stand unerwartet in Trient. Feierliches
Hochamt im Dom. Karl in kaiserlichem Ornat. Die Insignien freilich,
Reichsapfel, Zepter, Schwert, leider nur Ersatz; die echten hielt der
Wittelsbacher in strenger Hut. Glocken, Weihrauch. »_Gloria in
excelsis_,« sang mit seiner fanatischen Stimme der finstere Bischof
Nikolaus, sangen die Knaben. Karl hielt Parade ab: die Truppen des
Bischofs Nikolaus, der italienischen Städte, des Bischofs von Chur, des
Patriarchen von Aquileja, zahlreicher südtirolischer Barone, seines
Bruders Johann, des rachgierigen. Mächtig brach er auf, nahm Bozen, nahm
Meran. Lagerte dick und gewaltig vor Schloß Tirol.

Hier war Margarete allein auf sich angewiesen. Der Markgraf und Konrad
von Teck waren fern in Preußen, der Landeshauptmann Tägen von Villanders
ließ sich nicht auffinden. Die Unterführer zögerten, verwiesen, fragte
man sie: Ist die Burg zu halten? auf Gott, wälzten alle Entscheidung
stets wieder auf Margarete zurück. Immer dichter und enger schloß sich
der Kreis der Belagerer.

Margarete ging herum in grimmiger Ruhe. Ihr Gatte Johann, der kleine,
tückische Wolf, war vor dem versperrten Tor gestanden, und sie hatte ihn
nicht hereingelassen. Jetzt kam er mit Gewappneten und Geschwadern und
allem Pomp des Kriegs, sich den Eingang zu erzwingen. Sie hatte aus
ihrer Vernichtung die Trümmer leidlich wiederzusammengestückt, hatte
sich eine Ehe aufgebaut, hatte ihr Land und ihr Leben einigermaßen
wieder in Ordnung und Fug gebracht. Es war nichts Großes, Schönes,
Leuchtendes. Es war ein armseliges, mitgenommenes Stück Leben, Flickwerk
hier, hier Ersatz, dort Lücke und Verzicht. Aber es war wohlerworben,
war gerettet aus Schlamm und Nichts, war umzäunter, gesicherter Besitz.
Und nun kamen jene Erbärmlichen ein zweites Mal und wollten es ihr
entreißen! Oh, sie wird es dem geduckten, hintertückischen Karl zeigen
und dem Johann, dem boshaften, lauersamen Wolf.

Sie wußte, es kam darauf an, die ersten Tage auszuhalten. Sie hatte
nicht viele, aber zuverlässige Truppen. Organisierte selber den
Widerstand. Sie war nicht feig, trug -- alle sahen das -- keinen
Augenblick Bedenken, sich zu exponieren. Ihr Wille, ihre hinreißende,
umsichtige Energie ging über auf die Besatzung. Die ersten Stürme wurden
sachlich und ohne große Opfer abgeschlagen; unter den Truppen des
Schlosses herrschte eine gewisse grimmige Scherzhaftigkeit; die
Markgräfin wurde vertraulich verehrt und bewundert. »Unsere Maultasch!«
sagten die Soldaten.

Ein Bayer war unter ihren Offizieren, ein junger, häßlicher Mensch, ein
Albino, Konrad von Frauenberg. Die andern mieden ihn wegen seines
abstoßenden, frechen, mürrischen Geweses. Margarete fiel er gerade
dadurch auf. Sie übertrug ihm das Kommando der Verteidigung, verstand
sich gut mit ihm. Fand ihn kurz und energisch von Wort und Sitte, wo die
andern nichts sahen als mürrische Anmaßung. Er wiederum rühmte mit
dreister, karger, quäkender Anerkennung ihre Tatkraft, ihre Anordnungen.

Die Belagerer wurden von Tag zu Tag verdrossener. Es war klar: das Land
konnte nur im Flug genommen werden oder gar nicht. Jetzt lag man da, vor
unerwartetem Hemmnis, belagerte eine Frau, die häßliche, verachtete
Herzogin, die Maultasch, kam nicht vorwärts. Unflätig schimpfte, fluchte
Johann. Herr von Schenna hatte das Gerücht verbreitet, die Luxemburger
wollten Tirol nur, um es an die Visconti zu verschachern, an die
Mailänder; sie hätten bereits heimlichen Vertrag gemacht. Die
tirolischen Hilfstruppen faßten Mißtrauen, murrten auf, hielten keine
Zucht mehr, verliefen sich. Der kluge, vorsichtige Tägen von Villanders
zog sich von den Luxemburgern zurück, wurde unauffindbar auch für sie.
Schon stand der Markgraf, in Eilmärschen von Norden kommend, in Bayern,
wo der Kaiser ihn mit vielen Regimentern verstärkte. Als er in Innsbruck
eintraf, war plötzlich Herr von Villanders in seinem Lager, sagte, ja,
er habe mit dem Gedanken gespielt, zu König Karl überzugehen, habe sich
aber jetzt reuig eines Besseren besonnen, ehe noch ein entscheidender
Schritt geschehen. Bat um Verzeihung, führte dem Markgrafen, dem hart
und steif blickenden Konrad von Teck, seine Truppen zu.

                   *       *       *       *       *

Karl schluckte an dem unvorhergesehenen Hemmnis, preßte die Lippen,
würgte. Es war unbegreiflich, daß seine wohlgerüstete Armee vor diesen
Mauern scheitern sollte. Woher nahm die Frau, diese im Grunde doch
lächerliche Maultasch, die Kraft? Er war tief beunruhigt, betete,
erforschte sein Gewissen. In Trient hatte man ihm einen Finger des
heiligen Nikolaus vorgezeigt. Er hatte die kostbare Reliquie erwerben
wollen -- eine Hand des Heiligen besaß er bereits --, aber man gab den
Finger nicht her. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, zog kurz
entschlossen sein Messer heraus, schnitt ein Glied des Fingers ab, nahm
es mit sich. Vielleicht hatte das den Heiligen verdrossen, vielleicht
hielt der das Glück von seinen Fahnen ab und wog es der Feindin zu. Karl
schickte mit einem weitschweifigen Entschuldigungsschreiben den Knochen
zurück.

Allein, es half nicht mehr, seine Reue kam zu spät. Der Markgraf war
nahe. Nahm man den Kampf erst an, so war große Gefahr, daß der Rückweg
nach Italien abgeschnitten würde. Karl hob sich weg von Schloß Tirol.
Trat den Rückzug nach Süden an, in verbissener Wut. Es kläffte Johann,
es schäumten die italienischen Barone. Karls Straße war Raub, Brand,
Verwüstung. In Asche Meran, in Asche Bozen, überall im Etschland die
Äcker verwüstet, die Reben abgeschnitten, die Häuser zerstört.

Klirrend unterdes ritt der Markgraf in Schloß Tirol ein. Umarmte
Margarete stürmisch, ehrlich. Nie hatte man ihn so herzlich gesehen. Sie
hatte, sie allein, Tirol gerettet. »Unsere Maultasch!« sagte der
Markgraf zu Konrad von Teck, ihr die Schulter klopfend. »Unsere
Maultasch!«

                   *       *       *       *       *

Konrad von Teck nützte die Gelegenheit, den einheimischen Adel bis zur
völligen Machtlosigkeit zu demütigen. Margarete spürte die ganze,
überlegte Grausamkeit seiner Maßnahmen. Doch sie ließ ihn gewähren,
hatte nie Einwände. Seitdem sie Tirol für die Wittelsbacher gerettet,
fühlte sie sich ihrem Gatten herzlich und von innen her verbunden. Sie
fühlte sich eins mit dem Land, ihr eigenes, leibliches Wohlbefinden
verlangte, daß das Land nach wittelsbachischen Grundsätzen verwaltet
werde: der Adel geduckt, Städte und Bürger gehoben. Langsam richtete sie
sich auf, zusammen mit dem Land, befreit von dem Druck der Barone.

Sie saß auf ihrem Schloß Maultasch. Sie bohrte sich, wühlte sich in das
Land hinein. Sie hatte nun drei Kinder, zwei Mädchen und den Knaben
Meinhard. Sie besorgte sie treulich; aber sie hatte nichts mit ihnen
gemein. Das Land war ihr Fleisch und Blut. Seine Flüsse, Täler, Städte,
Schlösser waren Teile von ihr. Der Wind seiner Berge war ihr Atem, die
Flüsse ihre Adern.

Einmal ging sie im Mittag allein spazieren, am Ufer der Passer, legte
sich unter Felsen, ruhte, nickte ein. Da weckte sie eine hohle, feine
Stimme. »Grüß' Gott, Frau Herzogin!« Sie fuhr auf, sah ein winziges,
kleines, behaartes, bebartetes Wesen im Geklüfte stehen, sich mit
raschen, zutraulichen, possierlichen Bewegungen viele Male neigen,
verschwinden. Ein Zwerg! Die Zwerge waren wieder im Land! Die Zwerge,
die nur kamen, wenn sie sich sicher fühlten, die nur dem wirklichen
Fürsten sich zeigten, waren ihr sichtbar. Jetzt war sie in Wahrheit die
Herrin des Landes in den Bergen.




König Karl verließ bald, nachdem er die Belagerung von Schloß Tirol
aufgegeben hatte, das Land in den Bergen. Mit mancherlei Reliquien, aber
sonst geringem Gewinn. Er verfehlte nicht, auf seinem Rückzug vor allem
noch die Grafen von Görz gegen den Brandenburger aufzustacheln; auch
verlieh er, dem Beispiel seines Vaters folgend, an Fürsten und Herren
viele tirolische Städte und Gerichte, die er nicht besaß, so dem
Wittelsbacher immer neue Feinde aufwühlend.

Nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er für die Mißerfolge in Tirol
bald reichlich entschädigt durch eine unerwartete Wendung im Kampf um
das Reich. Ganz plötzlich, auf einer Bärenhatz, in der Nähe seiner
Hauptstadt München, starb Kaiser Ludwig, der Wittelsbacher. Ein
Schlaganfall warf den vollblütigen Mann vom Pferd, eine alte Bäuerin
drückte ihm die riesigen, treuherzigen, blauen Augen zu, Mönche führten
die Leiche heimlich fort, sie trotz Bann und Interdikt geweiht und
heilig zu bestatten.

Da stand nun Karl von Böhmen, und sein Feind, der die weiten Länder
unter sich hatte und dem die Städte anhingen, war tot. Die Heiligen
hatten geholfen. Er, Karl, stand jetzt, da das Jahrhundert sich
scheitelte, als unbestrittener Deutscher König ohne Nebenbuhler.

Er war des Streites mit den Wittelsbachern müde, sie des Streites mit
ihm. Der lahme Albrecht vermittelte. Karl verzichtete gleichwie sein
Bruder Johann auf Tirol und Kärnten, belehnte den Markgrafen mit diesen
Ländern, versprach, die Kurie mit ihm auszusöhnen. Die Wittelsbacher
dagegen erkannten ihn als Deutschen König an, leisteten ihm Huldigung,
lieferten ihm die Reichskleinode aus.

Die Reichskleinode! Karl hatte sich schmerzhaft danach gesehnt. Er besaß
so viele teure Reliquien, nicht diese kostbarsten Zeichen der Macht, die
ihm gehörte. Er hatte sich und seine Würde nackt und bloß gefühlt,
solange er sie nicht besaß und sich mit nachgemachtem Zeug begnügen
mußte. Jetzt führte er die süßen, werten Dinge in feierlichem Zug nach
Prag in seine Schatzkammer. Die heilige Lanze war darunter, auch ein
Nagel von der Kreuzigung, sowie ein Arm der heiligen Anna. Vor allem
aber das altertümliche Zepter, der Reichsapfel von hellem, blassem Gold,
die zackige Krone, das Schwert, das Karl dem Großen durch einen Engel
gegen die Heiden geschickt worden war. Im Dom von Prag ließ der König
die Kleinode weihen. Dann brachte er sie selbst in das Schatzgewölbe. Da
lagen sie nun unter den bleichen Knochen der Märtyrer, unter Juwelen,
unter kostbaren Büchern und Bildern, unter Akten und Verträgen, unter
heiligen Spießen, Dornen von Christi Krone, Splittern von Christi Kreuz.
Der hagere König stand davor, lächelte mit schmalen Lippen, streichelte
mit der mageren, knochigen, bräunlichen Hand die Zinken der Krone, die
merkwürdigen Kanten des unregelmäßigen, keineswegs runden Reichsapfels,
das stumpfe, rostige Schwert des großen Karl, des Ersten seines Namens.

                   *       *       *       *       *

Agnes von Taufers-Flavon kam selten auf ihre tirolischen Güter. Auch
ihre jüngere Schwester hatte sich mittlerweile vermählt, mit einem Herrn
von Castelbarco, der politisch sehr zweideutig war, zwischen dem Bischof
von Trient, gewissen italienischen Stadtherren und dem tirolischen Hof
hin und her pendelte, im übrigen außerordentlich reiche Pflegen und
Privilegien besaß. Agnes reiste viel, lebte häufig bei ihrer älteren
Schwester in Bayern, bei ihrer jüngeren in Italien. Man hatte sie nach
der Austreibung Herzog Johanns nicht weiter behelligt; in allen Fragen,
die zwischen ihr und der markgräflichen Verwaltung strittig sein
konnten, gaben auf ihre kluge Weisung ihre Amtsleute nach, ehe es zu
Streitigkeiten kam. Sie ging zu Hofe nicht öfter, als es der Anstand
erforderte, vermied es peinlich, aufdringlich zu erscheinen.

Sie war jetzt von erregender, bewußter, fast beängstigender Schönheit.
In Italien legte man ihr Städte und Fürstentümer zu Füßen, schlug sich
tot für sie. Selbst die plumpen Bayern schnalzten mit der Zunge,
klatschten sich die Schenkel, erklärten: ah, da lege man sich nieder,
begingen Dummheiten für sie. Sie schritt liebenswürdig mit kleinem,
vieldeutigem Lächeln durch die Huldigungen, Kämpfe, Selbstmorde.

Erschien sie selten am tirolischen Hof, so zeigte sie, wo immer sie war,
das brennendste Interesse für die tirolischen Dinge. Gierig hörte sie,
mit halbgeöffneten Lippen, von Margaretes Tätigkeit. Ihre Maßnahmen
gegen den Adel, für die Städte, für die Juden, ihre Verteidigung gegen
die Luxemburger, jeden kleinsten Zug aus Margaretes Leben ließ sie sich
berichten, wieder und wieder erzählen. Niemals indes griff sie mit einem
Wort oder gar mit einer Tat ein. Forderte man ein Urteil von ihr, so bog
sie aus, sagte Belangloses, lächelte.

Sehr gern zeigte sie sich dem Volk. Sie war hochmütig, sie erwiderte
keinen Gruß. Niemals stiftete sie Geld für die wohltätigen Anstalten der
Dörfer und Städte; auch die Bauern ihrer Güter wurden schlecht
behandelt. Dennoch sah das Volk sie gern. Man stand an ihrer Straße,
wenn sie kam, bewunderte sie, schrie hoch, liebte sie.

Häufig erhielt sie den Besuch des Messer Artese aus Florenz. Agnes lebte
sehr verschwenderisch, sie brauchte immer von neuem die Hilfe des
unscheinbaren, oft sich neigenden Florentiner Bankiers, der Pfandrecht
bereits auf alle Güter hatte. Messer Artese erzählte ihr viel vom
Tiroler Hof. Er war gar nicht gut auf den Markgrafen und die Maultasche
zu sprechen. Wohl war Ludwig immer in finanziellen Nöten; denn seine
Kriege verschlangen gewaltige Summen. Aber er lieh sich von seinen
bayrischen und schwäbischen Herren, vermied ängstlich die Hilfe des
guten, dienstbereiten Messer Artese; ja, er löste sogar mit Opfern die
Pfänder aus, die dieser noch in Händen hatte. Auch die gewalttätige Art,
mit der des Markgrafen Statthalter Konrad von Teck Geld und Gut an sich
zu bringen pflegte, diese Konfiskationen und Hinrichtungen gingen dem
stillen, höflichen Florentiner sehr wider den Strich. Geld verdienen,
gewiß; Geld, wenn es nicht gestohlen ist, kommt von Gott. Säumige
Schuldner nicht schonen, verfallene Pfänder eintreiben,
selbstverständlich. Aber alles mit Manier, höflich, in guten Formen.
Gefängnis, Kopf ab -- pfui, das tut man nicht, das schickt sich nicht.

Am meisten aber war Messer Artese erbittert über die Bevorzugung des
Juden Mendel Hirsch. Was? Ihm, dem stillen, bescheidenen, gebildeten
lateinischen Herrn und guten Christen zog man den stinkenden,
zappelnden, gurgelnden, frechen, aufdringlichen Juden vor, den
widerwärtigen Höllenbraten? War es nicht genug, daß dieses
pestilenzialische, gottverfluchte Volk, das unsern lieben Herrn und
Heiland gemartert und gekreuzigt hat, die deutschen und die
italienischen Städte verseuchte? Mußte ihnen die unselige Maultasch auch
noch das Land in den Bergen hinwerfen, daß sie hineinkrochen wie Würmer,
alles anfraßen, nicht mehr wegzubringen waren? Da saßen sie nun, das
ekle Geziefer, waren überall zur Stelle, drängten jedermann ungerufen
ihr Geld auf und erdreisteten sich, das elende, erbärmliche Gesindel,
niedrigere Zinsen zu verlangen als er, der hochangesehene, ehrsame, bei
allen Fürsten und Herren wohlgelittene Florentiner Bürger! Das Gesicht
des sonst so sanften, gesitteten, beherrschten Mannes verzog sich zu
einer Fratze maßlosen Wütens.

Agnes hörte ihm still zu. Sie hörte alles, schrieb es in ihr Gedächtnis,
bewahrte es wohl auf, war außerordentlich liebenswürdig zu Messer
Artese. Der fing sich wieder ein, entschuldigte sich viele Male, glitt
ins Dunkle.

                   *       *       *       *       *

Nach dem Abkommen mit König Karl bestritt niemand mehr Margarete und dem
Markgrafen den sicheren Besitz von Tirol. Durch den Tod seines Vaters,
des Kaisers, war Ludwig in mannigfache, schwierige Erbstreitigkeiten mit
seinen Brüdern gekommen. Schließlich einigte er sich dahin, daß er aus
diesem Erbe Oberbayern tatsächlich, von der Markgrafschaft Brandenburg
aber nur den Titel und die Kurwürde behielt. Der Sorge um Brandenburg
ledig, regierte er in seinem gesicherten Tirol; seine Macht reichte von
Görz bis ins Burgundische, von der Lombardei bis an die Donau. Er nannte
sich Markgraf zu Brandenburg und zu Lausitz, des Heiligen Römischen
Reichs Oberster Kämmerer, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Bayern und in
Kärnten, Graf zu Tirol und zu Görz, Vogt der Gotteshäuser Agley, Trient
und Brixen.

Margarete war zu ihm von herzlichem, fast mütterlichem Einverständnis.
Es war ihr Gewißheit geworden, Gott hatte ihr alle fraulichen Reize
genommen, daß sie all ihre Fraulichkeit in ihre Regentschaft senken
müsse. Solche Erkenntnis hatte sie befriedet. Sie lag ganz in Ruhe wie
windstilles Wasser. In ihren Entscheidungen war eine große, gerade
Selbstverständlichkeit. Die Frau und die Regentin war eines. Was sie
riet, was sie tat, war nie erklügelt, umwegig. Es war von einer geraden,
gewachsenen, warmen Mütterlichkeit, die oft nicht dem Buchstaben, der
Regel entsprach, aber stets ihren inneren, wohltätigen Sinn hatte.

Es war ein schwieriges, steiniges Regiment, das sie zu führen hatte.
Immer wieder Krieg: mit dem Luxemburger, den Bischöfen, den
lombardischen Städten, den aufsässigen Baronen. Immer wieder das
sorglich Aufgebaute niedergerissen, verheert. Dazu Erdbeben,
Überschwemmungen, Feuersbrünste, Seuchen, die Heuschreckenplage. Die
Finanzen durch die ständigen militärischen Ausgaben übel zerrüttet. Es
war nicht leicht, unter diesen Widernissen das Land blühen zu machen.
Aber ihre starke, Vertrauen atmende und gebende Fraulichkeit strömte ein
in das Land, hielt es hoch, gab ihm immer neuen Schuß und Saft. Sie
schuf Ausgleich, befreite Städte, die durch Krieg und Brand gelitten
hatten, von den Abgaben, zwang trotz ihrem Murren die störrischen
Barone, wenigstens einen Teil ihrer Steuern zu zahlen. Dies alles
geschah mit einer gewissen natürlichen Gesetzmäßigkeit, ohne Geschrei
und Gewalt.

Hatte sie schwierigere Finanzfragen zu regeln, so zog sie den Juden
Mendel Hirsch zu Rate. Flink erschien er in seinem braunen Rock, dick,
zappelnd, betulich, hörte Margarete zu, wiegte den Kopf, lächelte,
sagte, das sei ganz einfach, gurgelte in vielen umwegigen Worten eine
überraschende Lösung. Der kleine, umgetriebene, über die Erde gehetzte
Mann war der Herzogin sehr dankbar für ihr Wohlwollen, das ihm eine
einigermaßen sichere Ruhestätte und ein Dach über dem Kopf gönnte. Er
liebte sie, er spürte sich ein in sie, er strengte alle seine Findigkeit
an für sie.

Denn es war schwer, sich in der ökonomischen Wirrnis der tirolischen
Verwaltung oben zu halten. Zwar hatte man die Willkür der einheimischen
Feudalherren gedämmt, auch den unheilvollen Messer Artese ausgeschaltet.
Aber der Markgraf trug kein Bedenken, die großen Gelder, die er
brauchte, von seinen schwäbischen und bayerischen Herren zu entleihen.
Die ließen sich als Entgelt skrupellos Verpfändungen und Verschreibungen
geben, rafften immer mehr an sich, so daß schließlich nichts gewonnen
war. Im Gegenteil: hatten früher wenigstens Einheimische das Land
ausgesogen, so mästeten sich jetzt Fremde, Bayern und Schwaben. Sie
saßen in allen wichtigen Landesämtern, der habgierige, gewalttätige
Konrad von Teck hatte ungeheuern Besitz an sich gerissen, Hadmar von
Dürrenberg die Salzrechte von Hall, etliche Münchner, Jakob Freimann,
Grimoald Drexler und andere Bürger, die Bergwerke im Gericht Landeck.
Auch sonst die wichtigsten Zölle und Gefälle waren an Bayern, Schwaben,
Österreicher verpachtet. Der Markgraf ließ sich hier nichts einreden. Er
vertraute seinen Bayern und Schwaben, die nutzten das aus. Immerhin
gelang es Mendel Hirsch, der sich vorsichtig, gedeckt von Margarete, im
Hintergrund hielt, in die Verträge mit diesen Herren Klauseln
einzuflechten, die den Fürsten nicht ganz wehrlos ihrer Willkür
auslieferten.

Margarete blieb den bayrischen Freunden ihres Gatten gegenüber stets
sehr zurückhaltend. Nur mit einem wurde sie vertrauter, mit jenem
Offizier, durch dessen Hilfe sie damals Schloß Tirol gegen die
Luxemburger gehalten hatte, mit dem Weißblonden, Häßlichen, Gedrungenen,
Rotäugigen, mit Konrad von Frauenberg. Er war so häßlich, so unbeliebt,
so einsam. Sie spürte Verwandtschaft zwischen sich und ihm, sie sprach
vertraulicher zu ihm als zu den andern, zeichnete ihn aus. Der quäkende,
unwirsche Mann kam rasch vorwärts, bekam Pflegen und Herrschaften. Ja,
sie setzte es durch, daß er die Landeshofmeisterstelle erhielt.

Auch ein anderes erreichte sie: den Erlaß einer Landesordnung. Tarife
wurden festgesetzt, Willkür und Gerichtsbarkeit der Feudalherren weiter
eingeschränkt, die Zentralgewalt gestärkt, Bürger, Handel, Handwerk
gefördert. Aufblühten da die bunten, farbigen Städte, dehnten sich,
wurden breit, üppig. Nicht mehr die Burgen der Barone machten das
Schicksal des Landes; die Magistrate entschieden, die stolzen Messen der
Städte. Selbst die Kleinen regten sich: Bruneck, Glurns, Klausen, Arco,
Ala, Rattenberg, Kitzbühel, Lienz. Von den großen Börsen und Märkten,
von Trient, Bozen, Riva, Brixen zweigten Straßen und Geschäft über alle
Welt. Was Mendel Hirsch gesät hatte, ging reich und blühend auf.

Die Herzogin liebte die bunten, lauten, lärmvollen Städte; die schönen,
lebendigen, sinnvollen Siedlungen waren recht eigentlich ihr Werk. Was
Männer! Was Liebe! Konnte man reicher leben, strömen, blühen, sich
zweigen als so? War dieses Auf und Nieder, dieses lebendige, zweckvolle
Fluten nicht ein Teil von ihr? Sie gab sich ganz hin, wuchs hinein.
Mußte das Land das nicht spüren, so viel Liebe zurückgeben, sie in sich
hineinwachsen lassen? Ja! Ja! Ja! Die Häuser der Städte schauten mit
lebendigen, verständnisvollen Augen auf sie, die Straßen klangen anders,
vertrauter unter den Hufen ihrer Pferde. Ihre Verkrustung löste sich,
sie gab sich hin, verströmte im andern, war befriedet, glücklich.

                   *       *       *       *       *

Herr von Schenna und Berchtold von Gufidaun ritten gemächlich im lauen
Abend den gepflegten Pfad nach Burg Schenna. Sie kamen von Meran, wo die
Herzogin in prunkender Zeremonie dem Großen Rat einen Kleinen
beigegeben, die Rechte der Bürgerschaft wirksam erweitert hatte. Dies
war ein Geschenk von großem Wert, für die Herzogin verbunden mit Opfern
an Geld und Einfluß. Das Volk hatte geziemend und ehrerbietig gedankt,
hatte hoch gerufen, respektvoll »Unsere Maultasch!« gesagt.

Die Herren mußten absteigen, Platz machen vor einem kleinen, eleganten
Zug. Sie grüßten sehr höflich. Agnes von Flavon saß in der Sänfte. Volk
drängte zu: »Wie schön sie ist! Ein Engel vom Himmel!« Man schrie hoch,
es klang sehr anders als vorher bei der Zeremonie, hingerissen,
begeistert.

Herr von Schenna pfiff ein italienisches Liedchen. Berchtold von
Gufidaun schaute nachdenklich vor sich hin; die blauen Augen in dem
männlich kühnen, bräunlichen Gesicht starrten angestrengt. Er war nicht
sehr schnell im Überlegen.

An ihrem Wege, kurz vor der Stadt, zeigte eine kleine
Seiltänzergesellschaft einem Häuflein Volkes ihre Kunststücke. Ein
feuerfarbener Gaukler präsentierte einen großen Affen. Der hockte
melancholisch und grotesk im Reifen, sprang nach dem Apfel. Dann
produzierte sich ein Mädchen, tanzte, jonglierte mit Bällen. Dann kam
wieder der Affe. Man hatte ihn jetzt in blaue Seide gesteckt, ihm
goldenen Flitter auf den Schädel gesetzt. Er saß da, langarmig, plump,
sehr häßlich, traurig, böse, fletschte gelbe Zähne in dem mächtig
vorgewulsteten Maul. Das Volk starrte einen Augenblick. Dann brach es
los, von allen Seiten, wiehernd, sich biegend, schenkelschlagend,
Zwerchfell und alle Eingeweide schütternd, endlos, atemlos: »Die
Maultasch! Das ist ja die Herzogin! Die Maultasch!«

Die Herren ritten weiter. Berchtold stieß tief verdrossen die Luft durch
die Zähne. Ein Winzermädchen kam ihnen entgegen, bloßfüßig, braun,
hübsch. Sie grüßte lächelnd, demütig. Berchtold sah sie nicht an,
Schenna warf ihr ein paar Scherzworte zu. Doch seine Munterkeit klang
nicht ganz echt. Bald versank auch er; schweigend wie Berchtold ritt er
weiter, in schlechter Haltung auf seinem Pferd hockend, das lange,
gescheite, welke Gesicht verzogen in etwas säuerlicher Überlegenheit.




In Ala, während die Barone Azzo und Marcabrun von Lizzana mit einem
Kapitelherrn von Trient verhandelten, mitten im Satz schwankte der
Ältere der Brüder, Herr Azzo; sein Gesicht wurde gelblich, lief
blauschwarz an, er fiel um. In den Achselhöhlen, in den Weichen, an den
Schenkeln beulte es sich schwarz, eiterig, eigroß. Er röchelte, kam
nicht mehr zu Bewußtsein, starb nach wenigen Stunden. Der Tridentiner,
vergraust, ritt auf gehetztem Pferd in seine Stadt zurück. Nun war sie
also da, die Seuche. Nun war sie in das Land in den Bergen eingedrungen.
Daß in Verona schon viere, fünfe umgefallen seien, war keine Lüge
gewesen. Und jetzt war also der Schwarze Tod in den Bergen. Und jetzt
gnade uns allen Gott!

Die Pest war gekommen von Osten her. Sie raste vor allem an den Küsten
der See, drang dann ins Binnenland. Sie tötete in wenigen Tagen, oft in
Stunden. In Neapel, in Montpellier starben zwei Drittel des Volkes. In
Marseille starb der Bischof mit dem ganzen Kapitel, alle Predigermönche
und Minoriten. Weite Gegenden waren ohne Menschen. Große, dreiruderige
Schiffe trieben führerlos auf dem Meer, mit allen ihren Waren, die ganze
Bemannung war gestorben. Gräßlich wütete die Seuche in Avignon. Die
Kardinäle fielen um, der Eiter der zerdrückten Beulen besudelte ihre
prunkenden Gewänder. Der Papst schloß sich in sein innerstes Gemach,
ließ niemand vor, unterhielt den ganzen Tag ein großes Feuer, in dem
Würzkräuter verbrannten und die Luft reinigendes Räucherwerk. In Prag in
dem Schatzgewölbe seiner Burg zwischen Gold, Kuriositäten, Reliquien
hockte Karl, der Deutsche König, fastete, betete.

Schaurig in die Täler Tirols brach die Pestilenz. Von den Bewohnern des
Wipptals blieb nur ein Drittel am Leben, von dem menschenreichen Kloster
Marienberg nur Wyso der Abt, der Priester Rudolf, ein Laienbruder und
der Bruder Goswin, der Chronist. Es gab Täler, in denen von sechs Leuten
nur je einer die Seuche überdauerte. Da der Atem und der Dunst, Kleider
und Gerät die Krankheit übertrugen, floh jeder feindselig und voll
Mißtrauen den andern, Freund den Freund, Braut den Geliebten, Kinder die
Eltern. Die Menschen verröchelten ohne Sakrament, in den Städten standen
viele Häuser leer mit allem Hausrat, und niemand traute sich hinein;
Messen wurden nicht gelesen, Prozesse nicht verhandelt. Die Ärzte
brachten vielerlei vor, vermochten aber schließlich keinen andern Grund
anzugeben, als daß es Gottes Wille sei. Helfen konnten sie nicht. Die
Menschen, irr vor Angst, kasteiten sich, geißelten sich, Frauen taten
sich zu Schwesterbünden zusammen. Flagellantenprozessionen, Schwärmer
und Propheten. Andere fraßen sich toll und voll, trieben jede Völlerei,
Schwelgerei, Ausschweifung. Den blutrünstigen abgezehrten Geißelbrüdern
begegneten Züge besoffener, bunter Fastnachtsnarren.

Von den drei Kindern der Margarete blieb der Sohn Meinhard leben, die
beiden Mädchen starben. Sie lagen scheußlich gedunsen, mit riesigen,
schwarzen Geschwüren. Margarete dachte: »Nun sind sie häßlich wie ich.«

Sie hatte nicht Zeit, sich lange zu grämen, lange darüber zu sinnieren.
Sie arbeitete, ging herum, furchtlos, klar, ruhevoll. In der ungeheuern
Wirrnis wurden von ihren Befehlen nur wenige und schlecht befolgt;
immerhin hielt sie ihr Land fester in Ordnung und Fug, als es anderen
Regierungen in der allgemeinen Auflösung möglich war. Wie dann die Pest
abflaute, straffte sie sogleich die Zügel, paßte die Gesamtverwaltung
des Landes den neuen, durch die Entvölkerung viel weiteren und loseren
Verhältnissen an. Auch baute sie der Verschleuderung der zahlreichen
erledigten Güter vor, wußte übrigens bei dieser Gelegenheit auf
wohlfeile, doch nicht unanständige Art viel Boden und Besitz in ihre
Hand zu bringen.

Messer Artese war sehr geschäftig, es war gute Zeit für ihn. Überall in
der Welt waren Häuser und Liegenschaften, Rechte und Privilegien an
Erben gefallen, die nichts damit anzufangen wußten. Er erwarb, raffte.
Doch in Tirol fand er Widerstand. Gesetze, die ihn hemmten,
Vorkaufsrechte des Hofs, der Behörden, zähe Klauseln. In Schloß Taufers,
vor Agnes, ließ er sich gehen, brach aus, schäumte. Der Jude war, der
schlaue Mendel Hirsch, an allem schuld! Der hinderte ihn, den guten
christlichen Finanzmann, am Geschäft. Der hatte, nur um ihm den Knüppel
zwischen die Beine zu werfen, alle diese frechen, höllisch schlauen
Klauseln und Erschwernisse ausgeheckt.

Agnes ließ den Florentiner sich austoben, hörte still zu, sah ihn mit
ihren tiefen blauen Augen unverwandt an. Begann dann mit ihrer
gleichmütigen und erregenden Stimme zu erzählen. Sie war am Rhein
gewesen. Dort hatte man in zahlreichen Städten die Juden gefangen und
verbrannt. Denn die Juden hatten die Pest gemacht, sie hatten Gift in
die Brunnen geworfen. Sie wußte es genau. In Zofingen hatte man Gift
gefunden. In Basel war sie selbst dabei gewesen, wie man die Juden auf
eine Rheininsel getrieben hatte, in ein Holzhaus, und sie darin
verbrannt. Sie hatten schrecklich geschrien, der Gestank war noch lange
in der Luft geblieben. Recht hatte man getan. Sie, die Verfluchten,
waren wirklich schuld an der Pest. Der lahme Albrecht von Österreich
freilich, der Mainzer Bischof und die Maultasch schützten ihre Juden.
Agnes sagte langsam, gleichmütig, immer ihre Augen auf den Florentiner:
»Die Herrschaften werden wohl ihre guten Gründe haben.«

Messer Artese hörte zu, erwiderte nicht. Kehrte unverrichteter Dinge
zurück nach seinem Florenz.

Von Italien dann kroch es herauf in die Täler Tirols, schleimig, immer
weiter, Geraune erst, dann immer festere Gewißheit: die Juden machen die
Pest. Die Pest hört nicht auf, solang man die Juden im Land läßt. Es
ballte sich zusammen. Hetze, Anschläge.

Die Juden indes gingen herum, trieben ihre Geschäfte. Es gab viele
Geschäfte, große Geschäfte, sie hatten es sehr wichtig. Der kleine
Mendel Hirsch lief, zappelte, gluckste gaumig, seine zahlreichen Kinder
liefen mandeläugig, wichtig, selbst die uralte, mummelnde Großmutter
lebte auf, fragte mühsam, lallend: »Wie gehen die Geschäfte?« Sie gingen
ausgezeichnet, Gott sei Dank. Die Pest war im Abflauen, unberufen. Es
gab viel zu tun, zu handeln, zu kaufen, zu vermitteln, Verträge zu
machen. Schon in wenigen Wochen wird man, so Gott will, in Bozen wieder
den ersten großen Markt halten können. Die gnädige Frau Herzogin -- Gott
schütze sie! -- brauchte Mendel an allen Ecken und Enden.

Unterdes zog es heran, gefährlich, fletschend, sinnlos, immer schwärzer.
Die Juden kannten das. So war es vor zwölf Jahren gewesen bei den großen
Metzeleien der Brüder Armleder. Jetzt kam es von Südwesten her.
Vergebens stellte der Papst, der weise, gütige, weltkundige Klemens,
sich mit seiner Person und mit Bullen entgegen, wies darauf hin, daß die
Juden ebenso von der Seuche getroffen wurden wie die andern: wie also
sollten sie sie fördern? Es waren nicht die vergifteten Brunnen, es war
ihr bares Gut und die Verschreibungen ihrer Schuldner, daran sie
verdarben. Gemordet und geplündert die Juden in Burgund, am Rhein, in
Holland, in der Lombardei, in Polen. In zwölf, in zwanzig, in hundert,
in zweihundert Gemeinden. Die Tiroler Juden warteten ab. Fasteten,
beteten. Den Behörden hier große Geschenke zu machen, tat nicht not. Daß
die Herzogin sie nach Vermögen schützen werde, war gewiß. Auch daß der
Markgraf ihnen wohlwollte wie sein Vater, der Kaiser, der Städte und
Handel Fördernde, der immer seine Hand über sie gehalten. Aber es hatte
sich gezeigt, daß gegen rasendes, Blut und Geld witterndes Volk kein
Kaiser, kein Papst und kein Büttel half. Man konnte nur warten, beten,
seine Geschäfte betreiben.

Und dann, plötzlich und am gleichen Tag, brach es los. In Riva,
Rovereto, Trient, Bozen. In Riva wurden die Juden im See ersäuft, in
Rovereto mußten sie unter großem Gaudium und Gelärm von einem Felsen zu
Tode springen, in Trient wurden sie verbrannt. In Bozen hatte man es
mehr aufs Plündern abgesehen und das Totschlagen schlecht eingefädelt.
Man besorgte es unmethodisch, so blieben die mummelnde Großmutter, eine
Schwiegertochter und eines von den kleinen Kindern am Leben.

Der Markgraf hatte seine Juden in München nicht schützen können; in Hall
und Innsbruck trat er energisch zwischen sie und den gewalttätigen
Pöbel. Er war für Gerechtigkeit und Billigkeit. Nachdem er den Toten
nicht mehr helfen konnte, jagte er den Verfolgern wenigstens die Beute
ab. Die Mörder hatten wenig Freude. Die bayrischen und schwäbischen
Herren trieben nun an Stelle der Getöteten ihre Forderungen für den
Markgrafen ein und sehr viel härter, als die Juden es hätten tun können.
Schließlich mischte sich auch König Karl ein. Er wollte wie von allen
Behörden, deren Juden umgekommen waren, so auch von dem Markgrafen
seinen Teil an dem Nachlaß der Erschlagenen. Ein hartes Feilschen
begann.

Margarete, sowie sie von den Gewalttaten hörte, fuhr in finsterer,
erschreckter Hast nach Bozen. Kam in der Nacht an. Sah bei wanderndem
Fackelschein das viehisch zerstörte Haus, die kleinen, liebevoll mit
allem Möglichen vollgestopften Zimmer kahl, verwüstet, besudelt. Sah die
Leichen der Söhne, Töchter, Schwiegersöhne, Schwiegertöchter, der vielen
wimmelnden Kinder mit den raschen, mandelförmigen Augen, gräßlich
verheert und verstümmelt die einen, die andern ohne sogleich sichtbare
Wunden. Da lagen sie, die Flinken, Beweglichen, sehr still, und sehr
still auch lag Mendel Hirsch. Er hatte einen Gebetmantel an und
Gebetriemen am Arm und an der Stirn; man sah keine Wunde; im Fackellicht
schien es, als lächle er demütig, wichtig, betulich, milde, gescheit.
Margarete glaubte, jetzt müsse er gleich den Kopf schütteln, gurgeln,
das sei gar nicht so schlimm, es sei ganz einfach; die Leute seien gar
nicht so böse, sie seien verhetzt, dazu ein wenig langsam und schwer von
Begriff; man müsse ihnen bloß gut zureden. Aber er sagte nichts, er
zappelte nicht und gurgelte nicht und lag ganz still. Er hatte es gut
gemeint, mit sich gewiß am meisten, aber auch mit ihr und dem Land, und
er war gescheit gewesen und sehr tüchtig und hätte dem Land, ihren
lieben Städten großen Nutzen gebracht. Nun hatten sie ihn erschlagen,
plump, sinnlos, viehisch. Warum eigentlich? Sie packte mit harter,
zufahrender Frage einen der Umstehenden. »Er hat doch die Pest gemacht!«
sagte der, scheu, blöde, ein wenig trotzig.

Leise, in einem Winkel, quäkte das gerettete kleine Kind, die Frau,
sonderbar aufgeputzt, suchte es mit häßlicher, gebrochener Stimme in
Schlaf zu singen, die Großmutter mummelte. Margarete trat näher, hob die
Hand, das Kind zu streicheln. Sie fühlte sich müde, elend. Sie sah im
Fackellicht ihre Hand; sie war groß, unförmig, die Haut fahl, gelblich;
sie hatte vergessen, sie zu schminken.

                   *       *       *       *       *

In München, in einem der weiten Räume der neuen Residenz, die sein Vater
angelegt hatte und an der er eifrig weiterbaute, stand vor dem kühl
blickenden Markgrafen Ludwig die Baronin von Taufers, Agnes von Flavon.
Sie bat um die Erlaubnis, gewisse Bezirke ihrer Herrschaft veräußern zu
dürfen. Als Käufer trat ein Einheimischer auf. Doch im Hintergrund
lauerte Messer Artese. Dem Markgrafen war Agnes nicht sympathisch; er
hatte über ihre lotterige Zigeunerwirtschaft viel Abfälliges gehört;
sein mageres, bräunliches Gesicht mit dem kurzen, blonden Schnurrbart
blieb verschlossen, seine grauen, etwas stechenden Augen schauten
mißtrauisch.

Agnes spürte sehr wohl seine feindliche Abwehr; aber sie gab sich
durchaus nicht gekränkt. Sie glitt auf und ab vor ihm, schaute ihn an
mit ihren tiefen, starkblauen Augen, lächelte mit den schmalen, kühnen,
sehr roten Lippen aus weißem Gesicht, war damenhaft, munter, gefällig,
nicht übertrieben liebenswürdig. Langsam, vorsichtig, geübt lockerte sie
ihn auf, ganz leicht sich über seine Bärbeißigkeit belustigend.

Er schaute sie an. Man hat ihr doch wohl Unrecht getan. Seine Freunde
verlangten von jeder Frau, daß sie Tag und Nacht im Haushalt stecke,
hinter den Dienstboten herlaufe, Herd und Leinenkammer beaufsichtige.
Ein feines Stück Weib war sie, unleugbar. Zart und zier und gepflegt
jede Faser und doch sehnig und voll Kraft. Er verabschiedete sie
höflicher, als er sie empfangen hatte. Beschied sie für ein zweites Mal
zu sich.

Sah ihr lange nach. Seufzte. Dachte an Margarete. Die war jetzt wieder
schwanger. Ja, schön war sie nicht. Wenn man die andere danebenhielt und
dann an sie dachte -- ein Grausen konnte einem ankommen. Klug war sie,
unsere Maultasch. Die Leute hatten Respekt vor ihr. Aber sie mochten sie
nicht. Wenn die andere kam, schrien sie Hoch.

Jetzt waren die beiden Mädchen gestorben. Im Volk sagten sie: Die Strafe
Gottes. Er war schuld, natürlich! Weil der Papst lieber Tirol im Besitz
seines verhätschelten Karl gesehen hätte, war seine Ehe
Sakramentsschändung, waren seine Kinder Bastarde. Die Glocken läuteten
nicht, und an Feuer, Überschwemmung, Heuschrecken, Seuche war er schuld.

Die Narren die! Die pergamentnen Esel! Die Stumpfsinnigen! War es ein so
großes Vergnügen, der Mann der Maultasch zu sein? Lange hatte er keinen
Blick mehr dafür gehabt, wie sie ausschaute. Heute fiel es ihn an. Das
Gespött Europas war er mit einer so wüsten Frau. Da war man ein großer
Fürst und Herr, der mächtigste Mann in Deutschland. Städte blühten auf
und fruchtbares Gelände, wo man streichelte; fielen in Schutt, trat man
zornig auf. Man hat es sich nicht leicht gemacht. Hat gearbeitet, Tag
und Nacht, nach bestem Gewissen. Keine Furcht gekannt außer der Gottes.
Hat seine Pflicht getan, hart und schwer, all die Tage. Was hatte man
nun davon? Das Gespött Europas.

Drunten stieg Agnes in ihre Sänfte. Volk stand herum, barhaupt,
bewundernd. Wäre die an Stelle der Maultasch, sie würden nicht sagen:
Strafe Gottes, auch nicht bei Heuschrecken und Pestilenz.

Sah sie nicht herauf? Rasch wandte er, ein ertappter Schuljunge, sich
ab.

                   *       *       *       *       *

Margarete genas wenige Wochen später eines toten Kindes. Der Markgraf
verfinsterte sich, wurde kälter zu ihr. Nein, seine Ehe war nicht
gesegnet. Nun war alle seine Hoffnung auf den einzigen Sohn gestellt,
Meinhard, einen harmlosen, fetten Burschen, unbegabt, gutmütig,
schwächlich, der gar nicht dem Großvater Ludwig, vielmehr dem
mütterlichen Großvater, dem guten König Heinrich, nachzuarten schien.

Margarete ging schon nach einer Woche wieder an ihre Geschäfte. Sie
arbeitete mit der gleichen Emsigkeit und Gewissenhaftigkeit wie früher.
Doch die Lust war weg, die Städte waren nicht mehr ihr Geliebter. Der
kleine, betuliche Jude, der so geschickt Leben zugeleitet hatte von
überallher, war erschlagen, die Kinder, die sie geboren, waren tot.
Wohin sie trat, ging alles entzwei. Nichts fügte sich, nichts blühte.
Der Markgraf? Ein pflichtbewußter, kahler Herr. Ihr Sohn? Ein
dicklicher, dümmlicher Alltagsjunge. Was blieb ihr?

Um diese Zeit kam Konrad von Frauenberg ihr immer näher. Der häßliche
Mann mit den roten Augen und dem weißblonden Haar war der fünfte von den
sechs Söhnen des Trautsam von Frauenberg, eines nicht sehr ansehnlichen
bayrischen Ritters, der sich aber in einer frühen Schlacht um den Kaiser
Ludwig verdient gemacht hatte. So kam der junge Konrad als Knabe
Kämmerling an den bayrischen Hof, dann im Gefolge des Markgrafen nach
Tirol, wo er als niederer Offizier lange Zeit im Hintergrund blieb.
Seine Häßlichkeit und seine rohe, mürrische, bittere Art sonderten ihn
ab; er hatte keine Aussicht, je was Besseres als ein untergeordneter
Soldat zu werden, bis seine dreiste, kühne Vordringlichkeit bei der
Belagerung des Schlosses Tirol ihn ins Licht hob.

Alles, was in Margarete noch an Phantasie war, an Sehnsucht nach Farbe,
Buntheit, Abenteuer, alle Reste von dem, was Herr von Schenna die
frühere Zeit nannte, hängte sie an den harten, häßlichen Frauenberger.
Der Albino mit dem breiten Froschmaul, der knarrenden Stimme, den
kurzen, groben Händen kam ihr wie eine Art verwunschener Prinz vor. Es
war wie bei ihr; sicherlich war in dem plumpen Außen ein feines, zartes
Innen. Man mußte ja rauh und grob werden, stak man in solcher Haut. Der
Arme, Einsame, Unverstandene! Sie war besonders freundhaft zu ihm und
mütterlich.

Der Frauenberger hatte sich in seiner harten, herumgestoßenen Jugend
kalte, harte Verschlagenheit angeeignet. Er wußte um seine Häßlichkeit;
er hielt es für ganz in der Ordnung, daß alle ihn stießen. Er hätte,
wäre er nur weiter oben, auch die anderen getreten. Er glaubte an nichts
auf der Welt. Geld, Macht, Besitz, Lust war das Ziel aller Menschen,
Geldgier, Machtgier, Geilheit ihre Motive. Es gab nicht Lohn, nicht
Strafe, nicht Gerechtigkeit, nicht Tugend. Das ganze Getriebe war ohne
Sinn. Es gab Geschickte und Tölpel, im übrigen Glück oder Unglück. Er
hielt es mit jenem Lied, das sachlich und überzeugt sieben Dinge als
erstrebens- und besingenswert preist. Fressen ist das erste, saufen das
zweite, sich entleeren des Gefressenen das dritte, des Gesoffenen das
vierte, bei einer Frau liegen ist das fünfte, baden das sechste, aber
das siebente und schönste ist schlafen.

Als die Herzogin ihm offenkundig ihr Interesse zeigte, zweifelte er
keinen Augenblick, daß dieses Interesse nichts sei als sinnlicher
Kitzel. Es war im übrigen nicht weiter verwunderlich, daß die Häßliche
gerade auf ihn, den Häßlichen, verfiel. Er hatte sich beschieden; er war
nüchtern, sachlich. Er hatte sich gesagt, als fünfter Sohn und mit
solchem Gesicht könne man unmöglich vorwärtskommen. Er hatte aber nie
aufgehört, schlau, hart, sprungbereit, scharfäugig auf der Lauer zu
liegen. Jetzt lohnte sich das prächtig. Es war ein Mordsglück, daß die
häßliche Vettel an ihm Feuer fing. Er wird es nutzen.

Vor seinem Burschen ließ er sich gehen, jubelte wüst, unter unflätigen
Lobpreisungen der Maultasch und ihrer Gier. Er schenkte, so geizig er
sonst war, dem Jungen einen Sonderkrug Weines, soff mit ihm. Bei einer
Kerze, einsam mit dem Jungen, soff er die ganze Nacht. Gröhlte sein Lied
von den sieben erstrebenswerten Dingen. Quäkte, aus dieser Maultasch
werde er sich zu bedienen wissen. Streckte sich dann wohlig zum
Schlafen. Ja, dies war das Schönste, was es gab. Er spürte seine vor
Übermüdung schmerzhaften Glieder. Knackte mit den Gelenken. Sperrte das
breite Maul auf. Wälzte sich, gähnte wollüstig. Schlief.

Schlau und vorsichtig ging er, aber nie zu bedenklich, seine Straße. Der
Markgraf, das spürte er, mochte ihn nicht. Er blieb ihm aus dem Weg.
Drängte sich auch sonst nicht vor. War nur immer da und packte im
gegebenen Augenblick, wenn Margarete allein war, mit frecher
Vertraulichkeit zu. So sackte er Schlösser, Herrschaften, Pflegen,
Gerichte ein, wurde schließlich Landeshofmeister. Nie hätte ihm jemand,
er sich selber nicht, einen solchen Aufstieg vorausgesagt. Er steckte,
dreist grinsend und gefräßig, alles ein. Blieb als Landeshofmeister, was
er als kleiner Offizier gewesen war. Hatte vor nichts und niemand
Respekt, glaubte an nichts als an Macht, Geld, Lust.

Margarete hängte nach wie vor alle ihre Träume an den Albino. Sein
scheuseliges Aussehen machte ihn zum Gezeichneten, machte ihn ihr
verwandt. Es mußte, mußte in diesem breiten, fleischigen, widerwärtigen
Kloß eine Seele stecken. Es kam nichts von ihm zu ihr; alle Bindung war
höchstens einmal ein arges, freches, gemeines Grinsen übler
Vertraulichkeit. Sie sah diese Ödnis nicht, oder sie deutete seine Leere
um in bittre Resignation, in gewollte Stummheit, die ihr Zartes, Edles
schamhaft versteckte und verschwieg.

Mit Besorgnis schaute Herr von Schenna zu, wie eigentlich ohne tiefere
Ursache, mehr durch ein Geschehenlassen, Margarete immer weiter von dem
Markgrafen wegglitt und halb gegen ihren Willen zu dem Frauenberger
getrieben wurde. Der war ihm tief zuwider. Es kränkte ihn, störte ihn
zumindest, daß die wählerische Margarete sich neben ihm gerade diesen
Vertrauten auslas. Hatte er denn etwas gemein mit jenem? War es möglich,
daß sie seine feine, kultivierte, empfindsame Skepsis zusammenwarf mit
der rohen, niedrigen Leerheit und Glaubenslosigkeit des Bayern? Es
kratzte seine Eitelkeit, daß Margarete ihm diesen Genossen ihres
Vertrauens gab.

Sonst ging es Herrn von Schenna jetzt sehr gut. Die Seuche war nicht an
ihn herangekommen. Er hatte geerbt, hatte auch sonst die Zeit nach der
Pest genutzt, seine herrlichen Besitzungen auszubauen und abzurunden.
Auf seinen Schlössern lebte er fein und behaglich, zwischen Bildern,
Büchern, Schmuck und Pfauen, lehnte nach wie vor jedes Amt ab, schaute
fröhlich und besinnlich über seine weiten Obstgärten, Äcker, Weinberge,
wurde täglich milder, weiser, ruhte ganz in sich wie eine gepflegte,
reifende Frucht. Der Abt Johannes von Viktring, der jetzt Sekretär des
Herzogs Albrecht war und übrigens nachgerade recht alt und wackelig
wurde, konnte beinahe den ganzen Horaz auf ihn zitieren.

Er hätte, aus seiner Ruhe und Befriedigung heraus, Margarete gern
geholfen. Er versuchte, die Bindung zwischen ihr und dem Markgrafen
wieder fester zu ziehen. Solchen Versuchen war sehr förderlich, daß der
Druck leichter wurde, den der Kirchenbann auf Margaretes Ehe legte.

Herzog Johann nämlich, der Luxemburger, war es längst müde, in Wahrheit
ledig, vor der Kirche aber ein verheirateter Mann zu sein. Seine
Stellung hatte sich durch die kluge Politik seines Bruders, des Königs
Karl, sehr gebessert; er gedachte sie durch eine neue geschickte Heirat
vollends zu festigen. Vorerst aber mußte er zu diesem Zweck legitim und
in aller Form von Margarete geschieden sein. Er bat sie um eine
Zusammenkunft. Er wolle gemeinsam mit ihr eine Formel finden, die,
beiden genehm, weder ihn noch sie demütige. Ihre Interessen seien die
gleichen. Dies lag auf der Hand, und Margarete war bereit, ihn zu
empfangen.

So erschien Herzog Johann als Gast auf Schloß Tirol. Diesmal öffneten
sich die Tore vor ihm. Trommeln, Trompeten, Ehrenbezeigungen. Johanns
langes Gesicht sah immer noch knabenhaft aus. Er blinzelte aus seinen
kleinen, tiefliegenden Augen Margarete ohne jede Verlegenheit an. Fand
einen Ton grimmiger Schalkhaftigkeit, eine gewisse ironische
Kameradschaftlichkeit, die ihr nicht übel gefiel. Sie saßen beieinander,
heckten Gründe aus, drehten sie hin und her, eifrig, kneteten,
schmiedeten. Kamen, befriedigt, überein. Herzog Johann habe Margarete
geehelicht, trotzdem sie mit ihm im vierten Grad verwandt sei, aus
Unkenntnis solcher Verwandtschaft. Wiewohl sie beide sich redlichste
Mühe gegeben, die Ehe zu vollziehen, hätten sie, zweifellos infolge
Verhexung Johanns, dies nicht zustande gebracht. Da nun Johann mit
anderen Frauen die Ehe sehr wohl vollziehen könne und seinen erlauchten
Stamm fortzusetzen wünsche, ersuche er den Papst, die Heirat mit
Margarete für ungültig zu erklären. Der Papst, Freund des Hauses
Luxemburg-Böhmen, werde solchem Ansuchen zweifellos willfahren.

Dies abgesprochen, frühstückte Johann noch mit Margarete. Beide waren
guter Laune. »Sie sind gar nicht älter geworden, kleiner Wolf,« sagte
Margarete.

»Und Sie sind, Gotts Marter! trotz allem ein Staatsweib, Herzogin
Maultasch,« sagte Johann. Sie fühlten sich jeder dem andern sowohl wie
der Situation überlegen; alles hatte sich reinlich gelöst; sie fanden
auf dieser Basis ihre Beziehungen eigentlich ganz angenehm. Trennten
sich wohlgesinnt, mit grimmiger, verständnisvoller Vertraulichkeit.




Durch den Tod jener beiden Kinder Margaretes waren die Erbverhältnisse
des Landes in den Bergen wieder ähnlich geworden wie seinerzeit unter
dem guten König Heinrich. Einziger Erbe des Landes war der Knabe
Meinhard, dessen Gesundheit schwächlich stand und dessen Geschwister
alle in jungen Jahren gestorben waren. Wieder also schauten die
mächtigen deutschen Herrscher nach Tirol, streckten gierige Hände aus.
Die Luxemburger rundeten ihren Besitz am Rhein und an der Moldau, waren
aus dem Kampf um das südliche Land ausgeschieden. Doch Wittelsbach und
Habsburg saßen auf umständlichen, begründeten Ansprüchen, äugten,
lauerten.

Der Habsburger vor allem, der lahme Albrecht, säte einen weiten,
folgerichtigen Plan. Er selber zwar hatte wenig Hoffnung, ihn reifen zu
sehen. Aber der Lahme, durch sein Siechtum bitter und weise geworden,
arbeitete längst nicht mehr für den Erfolg der nächsten Tage, sondern
auf weite Sicht. Für ihn galt es, Tirol zu kriegen, den Weg nach Westen,
die Brücke zu den schwäbischen Besitzungen, oder auf alle
Großmachtsträume zu verzichten.

Er suchte vornächst die Herren der bischöflichen Territorien zu
gewinnen. Trient und Chur hatten mit den Wittelsbachern schlechte
Erfahrungen gemacht; sie waren gern geneigt, dem Habsburger anzuhangen,
der sie hätschelte. Auch sonst hatte Albrecht ein mildes Gesicht und
eine offene Hand für alle Herren, die in Tirol von Einfluß waren. Er
übertrug den Schennas, den Vögten von Matsch, dem Frauenberger Titel,
Würden, Ämter, die keine Mühe und viel Geld brachten.

Dem Markgrafen selbst suchte er auf jede Weise Vertrauen und
Freundschaft abzugewinnen. Er fiel ihm bei dem Angriff des Luxemburgers
nicht in die Flanke, ja, er vermittelte zwischen ihm und diesem. Bald
war es soweit, daß der lahme Albrecht eine seiner Töchter dem Sohne
Ludwigs, dem kleinen, dicken, harmlosen, schwächlichen Meinhard, dem
Erben Tirols, vermählen konnte. Auch zeigte Albrecht, sonst ein sehr
genauer Rechner, dem finanziell immer bedrängten Markgrafen eine stets
offene Hand und brachte ihn dadurch in immer größere Abhängigkeit.

Dann plötzlich, als Ludwig wieder einmal eine erhebliche Summe
benötigte, erklärten die Finanzräte des Österreichers, es sei diesmal
leider unmöglich. Ihre Kassen seien erschöpft; ja, sie müßten ihm sogar
demnächst zu ihrem größten Bedauern früher geliehene Beträge kündigen.
Der Markgraf, tief betroffen, in wütiger Verlegenheit, wollte mit
Blicken, mit Worten auf sie losfahren. Bezwang sich, biß sich die Lippe,
ging wortlos.

Wollte sich persönlich an Albrecht wenden. Rang es seinem Stolz nicht
ab. Bei einer zweiten Zusammenkunft erklärten die habsburgischen
Finanzräte den seinen sehr harmlos, sie hätten einen vortrefflichen,
billigen Ausgleich gefunden. Der Markgraf solle doch als Pfand für die
alte und die neu geforderte Summe Österreich auf einige Jahre die
Verwaltung Oberbayerns übertragen. Durch Einsparungen infolge der
gemeinsamen, verbilligten Verwaltung werde Albrecht sicherlich binnen
kurzem den geschuldeten Betrag aus Oberbayern herauswirtschaften.

Der Markgraf wurde blaß, als seine Räte ihm das österreichische
Anerbieten mitteilten. Überflog sie mit hartem, stechendem, blauem
Blick. Nein, sie lächelten nicht. Sie hatten nüchterne, ernsthafte
Beamtenmienen. Er schluckte, sagte, er werde überlegen, nickte, entließ
sie.

Saß, allein, schwer nieder. Zog den massigen Nacken hoch. Das Ansinnen
war eine Unverschämtheit. Allein Albrecht war klug, ihm befreundet,
hatte gewiß nicht die Absicht, ihn zu beleidigen. Es war also an dem,
daß offenbar auf andere Art kein Geld mehr aufzutreiben war. Die
Einkünfte sollte er abtreten; die Einkünfte waren nicht das Land.
Immerhin, wenn das Haupt der Wittelsbacher einem Habsburger die
Verwaltung seines Stammlandes übertrug, war dies, trotz allen
Sicherungen, eine Einbuße, hart, hart, kaum zu ertragen.

Als er die Angelegenheit in seinem Rat vorbrachte, saß er sachlich,
ruhig, behandelte das Ganze, als wäre es ohne viel Gewicht. Äugte
argwöhnisch, ob seine Herren wagen würden, ihr inneres Grinsen auf ihren
Gesichtern zu zeigen. Ach, lebte sein Freund noch, Konrad von Teck! Bei
dem hätte er solches Mißtrauen nicht nötig gehabt. Alles wäre leichter
zu ertragen gewesen. Keine Sentimentalität! Er sagte in zwei Worten,
worum es ging. Äußerte keine Meinung. Bat um ihre Ansicht.

Als erster sprach der Frauenberger. Er sah natürlich wie alle andern,
daß der österreichische Vorschlag auf eine glatte Erpressung hinauslief.
Es lag ihm nicht das geringste weder an Ludwig noch an Albrecht, weder
an Bayern noch an Tirol noch an Österreich. Der Habsburger war der
Reichere und Klügere; er wird also vermutlich recht behalten. Da er
überdies ihn, den Frauenberger, durch Ehrenämter und riesige Summen
erkauft hat, muß er darauf sehen, daß Ludwig auf den Vorschlag eingeht.
Redet er zu, so wird Ludwig, der ihn ohnedies nicht leiden mag,
argwöhnisch. Umgekehrt bleibt dem Markgrafen, rät man nun zu oder ab,
nichts anderes übrig, als knirschend den demütigenden Vertrag zu
unterschreiben. Er, Konrad von Frauenberg, kann sich also ruhig, ohne
daß der Habsburger es am Ergebnis inne wird, die spaßhafte Geste
leisten, sich als patriotischer Bayer zu gebärden, dem Fürsten von den
erniedrigenden österreichischen Zumutungen abzuraten.

Margarete war stürmisch begeistert von den habsburgischen Vorschlägen.
Man wird Geld in Fülle haben, wird die lastenden Verpflichtungen noch
aus der Zeit des guten Königs Heinrich endlich, endlich abtragen können.
Wie werden, ist dieser Druck erst fort, ihre lieben Städte aufatmen!
Bayern war ihr immer nur ein Anhängsel gewesen. Sie gab es gern preis
für Geld. Sie hatte von Schenna und Mendel Hirsch gelernt, was Geld ist.
Was nutzte es, einen großen Leib zu haben und zu wenig Blut? Jetzt wird
das Land genug Blut haben, jetzt wird es gesund werden. Ihr gutes Land!
Ihre lieben, blühenden Städte!

Finster hörte der Markgraf zu. Nun erwies es sich gut, wie wenig sie ihn
von je verstanden hatte. Er war Bayer, Wittelsbacher, Kaisersohn, an
Weltmacht gewöhnt, gewöhnt, in Ländern zu denken. Sie war Tirolerin; wo
ihre Berge endeten, hörten ihre Gedanken auf. Sie dachte bis an die
Ebene, nicht weiter. Sie war die Tochter des kleinen Grafen von Tirol,
eng, rechenhaft, krämerhaft. Er war der Erstgeborene des Römischen
Kaisers, herrisch, weltweit, nur Gott und sich selber verantwortlich.
Nein, zwischen ihm und ihr stand mehr als nur ihre Häßlichkeit.

Der feine Herr von Schenna sprach. Ludwig mochte ihn gar nicht in diesem
Augenblick. Er war natürlich Margaretes Meinung, er war ja Tiroler, kein
Bayer. Die Finanzen beider Länder aus eigenem großzupäppeln, sei nun
leider unmöglich. Da füge es sich gut, daß man den edlen Renner Bayern
dem befreundeten Habsburger auf kurze Zeit zur Dickfütterung in den
Stall geben könne. Bekomme man so endlich den nötigen Hafer für das gute
Pferd Tirol. Wo bleibe übrigens ein anderer Ausweg?

Ja, wo blieb sonst ein Ausweg? Das war es. Es half nichts, die
Gegengründe noch so hell ins Licht zu stellen. Man mußte das Angebot des
Habsburgers schlucken. Der Markgraf duckte den Kopf auf den dicken,
gefährlichen Nacken. Dankte den Räten, unwirsch, kurz. Sagte, er werde
ihre Meinungen in Erwägung ziehen. Alle wußten, wie er entscheiden wird.

                   *       *       *       *       *

In dicker Verdrossenheit ritt Ludwig von Schloß Tirol ab, mit kleinem
Gefolge, nach Norden, nach München, die letzten nicht mehr wesentlichen
Fragen zu regeln, ehe er das Land der Verwaltung des Habsburgers
überstellte.

Ein trister Oktobertag. Feiner, fader, rieselnder Regen. Was hatte man
vom Leben? Man regierte, man war ein großer Fürst. Aber das meiste, was
man zu tun hatte, die meisten dieser feierlichen Zeremonien,
Kundgebungen, Verschreibungen waren widerwärtig und beschwerten einem
den Sinn. Die Verwaltung des Stammlandes dem Habsburger überlassen, ein
freundlich Gesicht dazu machen, »Vergelt's Gott!« dazu sagen. Er
knirschte. Er sah die riesigen, stumpfen blauen Augen seines Vaters auf
sich. Was hätte der dazu gesagt?

Zuhause, die freuten sich. Der ekelhafte Schenna, der neunmal Kluge, der
an allem seinen Spott hat, mit seinem frechen, faden, milden Lächeln.
Der Frauenberger, der unverschämte Hammel, der von wittelsbachischer
Würde quäkt, von der Bindung zwischen Wittelsbach und Bayern, und dabei
innerlich seine höhnische Freude hat; denn der Giftpilz weiß sehr gut,
er muß doch hineinbeißen. Die Maultasch, die an nichts denkt als an ihr
Tirol, der sein Bayern ein Handelsobjekt ist, das sie gern hinschmeißt,
kriegt sie nur die Gulden und Veroneser Mark. Die Häßliche, die ihn
aller Christenheit zum Gespött macht! Wie sie ihm zuwider ist! Wie sie
dasitzt und gespannt auf das Gequäk des Frauenbergers hört, des Albinos,
des Mißgeschaffenen! Seine Frau! Seine Fürstin! Pfui! Die Maultasch!

Wirklich, in Christi Namen, was denn hatte man vom Leben? Konnte er
nicht, auf dem Weg nach München, ehe er den sauren Trank schluckte, was
tun, was weniger sauer einging? Wenn er etwa in Taufers zukehrte, sich
mit eigenen Augen überzeugte, wie dort die Dinge standen? Es war nicht
viel Zeit verloren; zudem, je länger er jenes hinausschob, so besser.

In Taufers war Agnes keineswegs so überrascht, als er wohl erwartet
hatte. Ja, als der Pförtner ihr meldete, der Markgraf komme mit einigen
Herren, da hatte sie wohl geatmet, die Arme gestreckt, ein sattes
Lächeln um die sehr roten Lippen. Aber sie empfing den Fürsten mit
gelassener Höflichkeit, keineswegs besonders geehrt. Auch das Mahl, das
sie ihm vorsetzen ließ, die übrigen Zurüstungen waren zwar geschmackvoll
und nicht unwürdig, aber weit entfernt von jenem prahlerischen Luxus,
den man ihr nachsagte. Und mit dem sie auch weniger mächtige Herren,
kleine italienische Barone etwa, bewirtet hatte.

Ludwig schaute sie an. Kerzen brannten, ein kleines Feuer im Kamin,
wohlriechende Hölzer. Diener reichten Obst und Konfekt. Eine ziere
Person, bei Gottes Marter und Tod! Kein Wunder, daß man viel über sie
schwatzte. Aber leicht machte sie es einem nicht. Das Gespräch, das sie
führte, war lau, ein bißchen spöttisch; sie ließ einen nicht heran. Der
ernsthafte, ungewandte Markgraf machte ein paar hilflose Versuche, ihr
etwas Galantes zu sagen. Sie schaute ihn ruhig und ohne Verständnis an.
Nein, sie war geradezu spröde.

Um so unerwarteter kam andern Tages ihre gleichmütig vorgebrachte Bitte,
sich dem Markgrafen auf der Reise nach München anschließen zu dürfen.
Sie wolle ihre Schwester besuchen, habe auch sonst im Bayrischen
Geschäfte.

Der Markgraf, zögernd, betreten, schwieg. Diese Bitte kam ihm ungelegen.
Es wird Geschwätz geben. Er war ein ernsthafter, fester Mann, zudem
nicht in den Jahren, derartige Historien zu machen; es paßte ihm
durchaus nicht, daß sich Geschwätz an ihn hängte. Aber er konnte der
Dame -- denn das war sie immerhin --, deren Gastfreundschaft er in
Anspruch genommen hatte, unmöglich die kleine Gefälligkeit abschlagen.
Leicht knurrend, schwerfällig, unwirsch sagte er, er freue sich.

Auf der Reise war sie dann sehr sittsam, zurückhaltend, unauffällig.
Hielt sich die meiste Zeit in ihrer verschlossenen Sänfte. Einsam,
hinter den Vorhängen der Sänfte, kaute sie, schlang sie ihren Triumph.
Die andere, die Feindin, saß auf Schloß Tirol, nannte sich Markgräfin zu
Brandenburg, Herzogin zu Bayern, Gräfin zu Tirol. Hatte ihren soliden,
ehrenfesten Gatten. Hatte ihm Kinder geboren. Sich in ihn, ihn in sich
eingelebt. Aber jetzt zog sie, Agnes von Flavon, mit diesem Markgrafen
herum in dem angeerbten Land der Feindin.

Ludwig erledigte in München hochmütig und unfrei seine verdrießlichen
Geschäfte. Agnes hatte sich bei der Ankunft sogleich mit höflichem,
nicht übertriebenem Dank verabschiedet. Jetzt hätte er seine unmutigen
Abende gern zuweilen durch ihre Gegenwart erhellt. Ein erstes Mal
versagte sie sich, ein zweites Mal kam sie. Er gewöhnte sich an sie. Sie
ging aufs Land zu ihrer Schwester. Er verzögerte seine Rückreise, bis
sie sich anschließen konnte.

Auf dieser Rückreise durch strahlenden Spätherbst verschloß sich Agnes
nicht mehr in der Sänfte. Schimmernd ritt sie auf geschmücktem Pferd an
der Seite des Markgrafen, den Kopf hochmütig geradeaus.

                   *       *       *       *       *

Geld floß ins Land. Die riesigen Summen für die Verpfändung Bayerns. Die
Industrie holte Atem. Die Bergwerke, die Salzwerke. Die Straßen wurden
ausgebaut, der Handelsverkehr erleichtert, geregelt. Die Städte
streckten sich, weiteten sich. Die Bürger stolzierten breit,
gravitätisch. Ihre Häuser wurden höher, füllten sich mit edeln Möbeln,
Kunstwerken, Gerät. Mauern, Türme, Rathaus, Kirchen wuchsen. Geflügel,
Würzwein kam auch am Werktag auf den mit gutem Geschirr gedeckten Tisch
des Bürgers. Prächtiger als die Frau des kleinen Adeligen schritt in
Seide, stolzen Bändern, riesiger Haube, Schleppe, Schmuck die Frau der
Städte.

Seit wann war diese glückliche Veränderung? Seitdem der Markgraf mit der
schönen Agnes von Flavon zusammen war. Agnes von Flavon, die Schöne,
Gesegnete. Sicher war sie es, die den glücklichen Plan gehabt hat,
Bayern abzustoßen, alle Kraft und alles Geld nach Tirol zu leiten. Alle
Gnade Gottes auf unsere schöne Agnes von Flavon! Man sah ja, wie sie
auserlesen war. Sichtbarlich von ihrem himmlisch schönen Antlitz
strahlte aller Segen der lieben Mutter Gottes. Die andere dagegen, die
Maultasch, war gezeichnet. Der Zorn des Himmels war auf ihr. Verflucht
war, was sie tat. Ihre Kinder starben. Seuchen fielen ein, Brand,
Wasser, Geziefer, wo sie die Hand anlegte. Alles, was sie rät, was sie
tut, ist verflucht. Hat sie nicht die Verbindung herbeigeführt mit
Bayern, den Keim alles Verderbens? Hat sie nicht die harten, habgierigen
bayrischen Herren herbeigerufen, die das Land aussogen? Hängt sie nicht
an dem Frauenberger, der scheußlichen Mißgeburt? Hat sie ihn nicht zum
Landeshofmeister gemacht? Ein Glück, daß sich der Fürst von ihr
abgewandt hat. Jetzt endlich hat er erkannt, wo das Rechte lag. Jetzt
ist gute Zeit. Gott segne unsere liebe, schöne Agnes von Flavon!

Agnes sah das Volk an ihrer Straße, wie sie Bäume und Häuser sah,
brauchte seinen Zuruf, wie sie Schmuck brauchte. Lächelte. Schritt durch
die Gaffenden, sie Bewundernden, sah nicht rechts, nicht links, den Kopf
geradeaus, mit schmalen, kühnen, hochmütigen Lippen. Und das Volk
jubelte.




Margarete, sehr weit weg von ihrem Gatten, sehr weit weg von ihrem Sohn
Meinhard, ging herum, schwer, in sich versponnen. Wußte nichts als das
einzige: von Agnes und ihren Siegen. Sah Schenna, sah den Frauenberger.
Sah die Städte aufatmen, sich recken, sich weiten. Ihre Saat, ihr Werk.
Sie war ausgehöhlt, sie war leer und arm. Was einer jeden gegönnt war,
ihr war es versagt. Doch dies wenigstens war getan. Dies wenigstens, es
war ihr Einziges, blieb.

Um so deutlicher sah Schenna. Sah, wie das Volk alles Gute, was die
Häßliche gewirkt, der Schönen zuschrieb. Dies Erkennen wollte er ihr,
dieses schmerzhafte Aufwachen, ersparen. Auch sah er, wie Ludwig immer
mehr in Taufers sich verstrickte. Noch wehrte sich erstaunt und schwer
atmend der dumpfe, hilflose Mann, der solche Wirrnis das erstemal
erlebte. Noch war es Abenteuer, vorübergehend, begrenzt. Aber bald wird
es, in wenigen Wochen vielleicht schon, zu spät sein, bald wird er
willentlich und unlösbar verknüpft sein.

Er wollte ihn zurückhaben zu Margarete. Er wollte das Volk zurückhaben
zu Margarete. Das Volk war dumm, instinktlos. Es war an sich
gleichgültig, was es dachte. Jedes Tier war klüger und hatte mehr
Instinkt. Aber es sollte nicht sein, daß Margarete auch dies Letzte von
sich fortgleiten sah.

Er mußte vor allem dahin wirken, daß endlich diese alberne kirchliche
Verfemung von ihr genommen wurde. Der Makel der kirchlich Ausgestoßenen
scheuchte das Volk von ihr, scheuchte den Gatten von ihr. Denn war auch
ihre Ehe mit Johann in aller Form gelöst, so daß sie der Kirche nicht
mehr als Ehebrecherin galt, so war gleichwohl ihr Zusammenleben mit
Ludwig vom Papste noch keineswegs sanktioniert. Die Kirche betrachtete
ihre Ehe als Konkubinat, ihren Sohn und Kronprinzen Meinhard als
Bastard. Belegte nach wie vor sie und ihren Mann mit dem Bann, ihr Land
mit dem Interdikt. Wohl hatte der Markgraf Gesandte nach Avignon
geschickt, jede Genugtuung angeboten, die der Heilige Vater fordern
konnte; allein der Papst, von Kaiser Karl gehetzt, weigerte sich.

Jetzt war Klemens tot, sein Nachfolger, der sechste Innozenz, stand
stark unter dem Einfluß des Habsburgers. Der lahme Albrecht mußte selber
alles Interesse haben, daß seine Tochter nicht mit einem Bastard,
sondern mit dem von der Kirche anerkannten Erben Tirols vermählt sei.
Schenna arbeitete mit einer an ihm ungewohnten Rastlosigkeit. Fuhr von
Ludwig zu Albrecht, von Albrecht zu Margarete. Von München nach Wien,
von Wien nach Tirol.

Albrecht stellte Bedingungen. Er säte, er säte für die Zukunft. Seine
Tochter wird durch die Vermählung mit Meinhard Anspruch haben auf das
Land in den Bergen. Aber der junge Meinhard war ein Wittelsbacher. Auch
die Wittelsbacher werden, in gewissen Fällen, Ansprüche machen. Es hatte
sich gezeigt, daß das schwierige Land am Schluß immer dem verblieb, dem
das Volk als seinem rechtmäßigen Herrscher anhing. Die Maultasch war
nicht beliebt, aber als der einzige legitime Nachfahr der alten Grafen
von Tirol vom Volk mit religiöser Selbstverständlichkeit als rechtmäßige
Eignerin des Landes angesehen. Sie hatte darüber zu verfügen; wem sie es
übermachte, der hatte das Volk auf seiner Seite. Albrecht verlangte
nichts von Ludwig, dem Wittelsbacher; aber er forderte ein bindendes
Testament von Margarete. Für den Fall, daß sie, ihr Gemahl Ludwig, ihr
Sohn Meinhard ohne Leibeserben abgingen, solle das Land an die Herzöge
von Österreich fallen. Eine Formsache. Eine reine Formsache, betonte er
dem Herrn von Schenna. Dazu noch für einen höchst unwahrscheinlichen und
unerwünschten Fall. Aber er war nun einmal ein Pedant; er verlangte
diese, Margaretes, Unterschrift. Dafür verbürgte er sich, vom Papst für
Ludwig und Margarete Lossprechung von Bann und Interdikt zu erwirken.

Schenna hielt diesen Vorschlag für sehr vorteilhaft. Ihm waren die
heiteren, umgänglichen Österreicher von jeher lieber als die dumpfen,
gewalttätigen Bayern.

                   *       *       *       *       *

Margarete saß über dem Schriftstück, allein; es war später Abend. Also
den Habsburgern soll sie das Land übermachen. Nun ja, sie hat es dem
Luxemburger zugebracht, dann dem Wittelsbacher; warum nicht dem
Habsburger? Der lahme Albrecht war zweifellos der Klügste und Tüchtigste
unter den deutschen Fürsten. Und sein Sohn, der Rudolf, kühn,
entschlossen, gescheit. Tüchtige Leute, die Habsburger. Sie werden
sicher auch Tirol sehr tüchtig regieren. Sie hatten Österreich, Kärnten,
Krain, die schwäbischen Vorlande, Görz, verwalteten Oberbayern. Sie
werden Tirol nicht schlechter verwalten.

Tirol! Ihr Tirol! Gerade erst hat sie es von Bayern losgeeist. Jetzt
dann soll es zu sechs Ländern ein siebentes sein. Ein Verwaltungsobjekt
für fremde Fürsten. Ihr Tirol!

Nicht hitzig. Das alles zielt sehr ins Weite. Vorläufig ist ihr Sohn
noch da. Er ist nicht so gescheit und kühn wie Rudolf, wie Albrechts
Söhne. Er ist, zugegeben, ein etwas belangloser junger Mensch. Aber er
ist ihr Sohn. Der Urenkel des Grafen Meinhard. Was geht eigentlich jene
anderen Tirol an? Und wenn ihr Sohn vollkommen verblödet wäre; er ist
Tirol.

Sachte, sachte. Es will ihm ja niemand an. Für den Fall, daß er ohne
Nachkommen -- Er zielt sehr ins Weite, der kluge Albrecht, der lahme,
bittere. Eigentlich seltsam, daß man gerade von ihr die Unterschrift
will. Ihr Mann, der Markgraf, der Kaisersohn, der Wittelsbacher: aber
der kluge Albrecht will ihre Unterschrift, nicht seine.

Was Ludwig wohl darüber denkt? Tüchtig ist er auch. Er versteht sich gut
mit dem Habsburger. Seltsam, daß man ihn nicht darüber befragt hat. Weiß
der kluge Albrecht schon so genau, wie weit er von ihr weg ist? Früher
hätte er sich mit ihr darüber ausgesprochen. Jetzt ist er fort. In
Bayern. Mit Agnes. Sie schaut vor sich hin, ihr breiter, wüster Mund
verzieht sich, trüb, nicht sehr bitter. Warum soll Ludwig nicht an Agnes
von Flavon sein Pläsier haben? Sie ist sehr schön. Er ist nicht mehr der
Jüngste. Hat sich abgerackert. Jetzt ist er Bayern los. Kann ein wenig
ausschnaufen. Sie ist sehr schön. Warum soll er nicht sein Pläsier
haben?

Sie erhob sich, schwer, ein wenig ächzend. Überlas noch einmal die
Urkunde. Sie war lang und umständlich. »Wir Margarete, von Gottes Gnaden
Markgräfin zu Brandenburg, Herzogin zu Bayern und Gräfin zu Tirol, allen
Christenmenschen ewiglich, die diesen Brief je sehen, lesen oder hören
jetzt und später, Unsern Gruß und die Kenntnis nachgeschriebener Dinge.
Wenn es geschieht, was Gott in seiner Gnade nicht verhänge, daß Wir und
der durchlauchtige Fürst, Unser herzenslieber Gemahl, Markgraf Ludwig
von Brandenburg, abgehen ohne Leibeserben, die wir miteinander gewinnen,
und auch wenn Unser lieber Sohn, Herzog Meinhard, abginge, was Gott
nicht wolle, ohne Leibeserben, daß dann Unsere obgenannten Fürstentümer
und Grafschaften, Länder und Herrschaften mit der Burg zu Tirol und mit
allen andern Burgen, Klausen, Festen, Städten, Märkten, Dörfern, Leuten
und Gerichten soll fallen gänzlich zu rechtem Erb und Vermächtnis den
vorgenannten Unsern lieben Oheimen, den Herzögen von Österreich --«

Sie ließ das Schriftstück zurückgleiten, unbehaglich, daß es sich
knisternd auf dem Tisch zusammenrollte. Sie verließ das Zimmer. Machte
mit ihren schweren, schleppenden Schritten den Rundgang, den sie jede
Nacht vor dem Schlafengehen zu tun gewohnt war. Einsam schleppte sich,
in ihrem prunkvollen Gewand, das sonderbar leblos an ihr niederfiel, die
häßliche Frau durch die Säle, Stuben, Korridore, der ungeschlachte
Schatten der Kerze ihr voraus.

Sie kam an die Spinnstube. Die plumpe Tür öffnete sich ohne viel
Geräusch. Die Mägde waren fertig mit der Arbeit, ein paar Knechte waren
da. Alles drängte sich in einem Knäuel um eine junge, untersetzte Magd,
die breit, verlegen, amüsiert grinsend dastand. Um sie herum Gekreisch,
Stöße von Gelächter. Was? Sie begriff es wirklich nicht? Sie war die
einzige in Tirol, die es nicht kapierte. Nochmals also. Die Pechmarie
war schiech und wüst; wo sie hintrat, verdorrte alles, schrumpfte ein.
Die Goldmarie strahlte himmlisch schön. Was sie anrührte, blühte, Gold
klingelte unter jedem ihrer Schritte. Wer also war die Goldmarie? A--
Ag-- Endlich ging es auf, breit, leuchtend, auf dem Gesicht der Magd.
Agnes von Flavon! Natürlich. Und die Pechmarie? Ah! Großes Staunen. Und
nun schütterte es auch sie in stürmischem Lachen.

Unter dem Gekreisch und Gewieher hatte man die Herzogin nicht bemerkt.
Still war sie mit ihrer Kerze im Schatten der halbgeöffneten Türe
gestanden. Jetzt, langsam, zog sie die Türe zu. Ging. Schleppte sich
über die Korridore. Zurück vor das Dokument.

Breitete die Urkunde vor sich hin. »Wir Margarete, von Gottes Gnaden
Markgräfin --« Das Pergament knisterte. Sie tunkte die Feder ein,
umständlich, unterschrieb.

                   *       *       *       *       *

Der lahme Albrecht saß in seiner Burg in Wien, in Schlafrock und Decken.
Nebenan lag auf einem Tisch unter andern Papieren die Urkunde
Margaretes. Sein Sohn Rudolf war da, der Bischof von Gurk, der uralte
Abt Johannes von Viktring. Der betagte Herzog hatte die letzte Ölung
empfangen; er wußte, daß er in wenigen Stunden verlöschen werde. Er saß
in seinem Lehnstuhl, fror trotz der Decken in dem überheizten Zimmer,
fühlte mit fast wohligem Schmerz, wie langsam das Leben aus ihm
herausrann. Sah im übrigen wie stets klar, ruhig, mit einer gewissen
heiteren Bitterkeit.

Rudolf fragte das drittemal, ob er nicht die anderen Brüder beschicken
solle. Sein festes Gesicht, blond, bräunlich, nicht hohe, eckige Stirn,
Hakennase, starke Unterlippe, blickte ernst, sachlich, selbstbewußt,
unsentimental. Der Lahme lehnte zum drittenmal ab. Die Jungen hatten zu
tun, sein Sterben sollte sie nicht stören.

Er atmete still, die ungelähmte Hand öffnete sich, schloß sich, öffnete
sich. Er hatte ein gutes Leben gelebt, soweit ein menschliches Leben gut
sein kann. Es war Mühe und Arbeit gewesen. Es war Erfolg gewesen. Er
hatte sich gefördert und seine Länder gefördert. Er war mit sich in
Frieden, er war mit den Menschen in Frieden, er war mit Gott in Frieden.

Sein Sohn Rudolf erbte ein gutes Erbe. Schön war es und eine Gnade
Gottes, daß er das Dokument noch zu sehen bekam, das ihm Tirol sicherte.
Jetzt war alles geschlossen, von Schwaben bis Ungarn geschlossenes
habsburgisches Land. Gut und christlich regiert, in Ordnung und Fug.
Seine Söhne gescheite, feste Männer. Er weiß schon, warum er sie nicht
mit seinem Sterben inkommodiert.

Da fährt er also hin, der Letzte von den dreien. Der Luxemburger, der
Johann, ist einen albernen Tod gestorben, einen dummen, ritterlichen Tod
auf einem Schlachtfeld, das ihn nichts anging. Der Bayer, der Ludwig,
ist einen unvorbereiteten, leichtfertigen Tod gestorben, auf der Jagd,
mitten zwischen schwankenden, ungeordneten Geschäften, einen
unentschiedenen Tod ohne Richtlinien und Gesicht, einen Tod, so halb und
blöde und nichtssagend wie sein ganzes Leben. Er, Albrecht, hat sich
niemals Römischer Kaiser genannt, hat nie nach der Römischen Krone
gestrebt, hat sie nicht gehabt und hat sie nicht gewollt. Aber wenn man
es recht erwägt -- er lächelte ein mildes, listiges Lächeln -- war immer
er der Mächtigste gewesen von den dreien, der eigentliche Schiedsrichter
der Christenheit, und immer war geschehen, was er gewollt hatte.

Er fühlte sich jetzt schrecklich müde. Rief -- es verwehte heiser --
nach Rudolf. Der wandte sich schnell ihm zu. Der Lahme tastete mit der
gesunden Hand nach der des Sohnes. Sie fiel herunter, ehe sie den Sohn
erreichte. Auch der Kopf sank vornüber.

Rudolf stand gerafft, fest. Jetzt war er das Haupt der Habsburger, der
mächtigste Mann unter den Deutschen. Der Bischof von Gurk betete. Der
uralte Abt Johannes von Viktring strich mit der dürren, braunen Hand
über das Pergament Margaretes. »Aufgerichtet hab' ich ein Denkmal
dauernder als Erz,« zitierte er murmelnd einen antiken Klassiker. Dann
schlurfte er zu Albrecht hinüber. Sah, daß er tot war. Riß sich
zusammen, streckte sich, schwankte, stand. Machte seine Stimme so fest
wie möglich. Setzte mehrmals an, verkündete: »_Defunctus est Albertus de
Habsburg, imperator Romanus._« Der Bischof und der Fürst sahen sich an;
nie hatte der Tote diese Würde gehabt, nie sie angestrebt. Der Uralte
wiederholte, mit Anstrengung, schwankend, feierlich: »Gestorben ist
Albrecht von Habsburg, Römischer Kaiser.« Dann sank er in sich zusammen,
schlurfte zurück zu dem Tisch, bekreuzte sich, mummelte.

                   *       *       *       *       *

Die kleine, der Heiligen Margarete geweihte Kapelle der Münchner Hofburg
ist dick voll von prunkenden Würdenträgern. Draußen ist klarer,
leuchtender, hellbrauner Herbst. Drinnen reiben sich die Rüstungen der
weltlichen Herren, die strotzenden Ornate der geistlichen; aneinander
gepreßt stehen sie. Die Herzöge von Österreich, Rudolf, Leopold,
Friedrich, ihre Kanzler und Marschälle, Johann von Platzheim, Pilgrim
Strein, die bayrischen und tirolischen Herren, die Marschälle,
Burggrafen, Oberjägermeister, Landeshofmeister des Markgrafen, die
Schenna, Frauenberger, Konrad Kummersbrucker, Dipold Häl. Violett und
lachsfarben die Ornate der geistlichen Fürsten. Die Bischöfe von
Salzburg, Regensburg, Würzburg, Augsburg, Dekane, Pröpste, Domherren.
Die Pfarrer zu Tirol, Teisendorf, Pyber. Fahnen, päpstliche, weltliche.
Weihrauch. Draußen, von Militär zurückgehalten, Volk. In allen Fenstern,
auf den besonnten herbstlichen Bäumen, auf allen Mauern, Vorsprüngen
Volk.

Drinnen knieten Ludwig und Margarete vor den päpstlichen Kommissaren,
dem Bischof Paul von Freising und dem Abt Peter von Sankt Lamprecht.
Gestern war ihre Ehe formal geschieden und ihnen aufgegeben worden,
getrennt zu leben. Jetzt verlas der Bischof feierlich das päpstliche
Reinigungsdekret: Nachdem Ludwig von Bayern, Erstgeborener weiland
Ludwigs von Bayern, der sich als Römischer Kaiser führte, alles erfüllt
habe, was der Papst von ihm gefordert, nachdem er persönlich seine
Vergehen gegen die Kirche bekannt, gäben er und der Abt Peter als
päpstliche Kommissare diesem besagten Fürsten und der Fürstin Margarete
Dispens wegen zu naher Verwandtschaft, erlaubten ihnen, die Ehe neu
einzugehen, legitimierten den bereits geborenen Prinzen Meinhard. Lösten
von Ludwig und Margarete allen Makel und Infamie, machten sie fähig,
Privilegien, Lehen, Güter, Rechte zu besitzen. Nähmen sie wieder auf in
den Verband der Kirche. Befreiten ihre Länder vom Interdikt.

Dann öffneten sich überall in Bayern und Tirol die Kirchentüren, die
viele Jahrzehnte durch geschlossen waren. Die Glocken, die so lange
stumm geblieben, schwangen an, tönten. Das Volk, ausgehungert nach
geistlicher Erhebung, strömte in die Kirchen. Männer, Frauen,
herangewachsen, ohne je Gottesdienst und Glockenklang erlebt zu haben,
hörten zum erstenmal eine Messe, trieben staunend und beglückt auf den
frommen Wellen der tönenden, blendenden, pomphaften Anbetung des
dreieinigen Gottes.




»Ich mache kein Geschäft mehr mit den Habsburgern!« rief heftig mit
seiner harten Offizierstimme Herzog Stephan von Niederbayern und warf
den Metallhandschuh klirrend auf den Tisch. Er stand auf, ging hin und
her. Aus dem eckigen Schädel schauten seine mißtrauischen, kalten Augen
bösartig und zürnend auf den Bruder, den Markgrafen, der sitzengeblieben
war, den Kopf müde zum Tisch geneigt, daß der Nacken noch massiger sich
wulstete. Der große Saal in der Münchner Hofburg war trotz allen Heizens
nicht recht warm geworden, draußen flockte ein widerwärtiges Gemengsel
von Schnee und Regen.

»Also nicht,« sagte der Markgraf, und seine Stimme war mühsam und
gedrückt. »Ich lasse Ihnen dann, Herr Bruder, das andere Dokument
ausfertigen, wie wir es besprochen haben.«

Herzog Stephan preßte die Lippen zusammen unter dem strammen, dicken,
schwarzbraunen Schnurrbart. Er trat näher, erklärte seine Heftigkeit.
»Wir sind in den vielen unangenehmen Erbfragen leidlich
auseinandergekommen. Wir haben einander nichts vorgemacht. Haben klar
und sachlich jeder sein Interesse gewahrt, ohne viel Worte und Flausen,
und einer dem andern nicht eingeredet. Es hat jeden von uns sechsen ins
Herz gebrannt, daß wir die Länder so haben zerstücken und zerteilen
müssen und Wittelsbach klein machen. Es war eben sonst kein Ausweg und
Auskommen, und wir haben nicht groß darüber geredet. Aber, Herr Bruder,«
und er hob die Stimme und knarrte anklägerisch, »daß Sie das tirolische
Testament für Habsburg zugelassen haben, Sie, der Chef der
Wittelsbacher, das zwingt mir den Mund auf. Es ist eine rein tirolische
Angelegenheit, ich weiß, und geht mich nichts an; ich hab' mich auch nie
in Ihre Angelegenheiten gemengt. Aber das beißt mich zu arg, es giftet
mir das Blut, ich muß es Ihnen sagen.«

Der Markgraf antwortete nicht. Seine harten, stechenden blauen Augen
schauten stumpf vor sich hin; er sah sehr viel älter aus als der nur um
weniges jüngere Bruder. Wie er, der sonst zufuhr und keine Gegenrede
schuldig blieb, auch fürder geduckt und stumpf schwieg, sagte Herzog
Stephan etwas gesänftigt: »Sie können sagen, daß es Sache Ihrer Frau
war, nicht Ihre; Sie können auch sagen, daß die Lösung von Kirchenbann
und Interdikt eine gute Zahlung ist für das zweifelhafte Stück Papier,
und Sie haben recht. Aber ich hätte es doch nicht zugelassen an Ihrer
Stelle und von den andern Brüdern auch keiner und der Vater auch nicht,
wenn er noch lebte.« Der Markgraf hockte müde, sonderbar verloschen.
Solche Verlorenheit des sonst so harten und heftigen Mannes war dem
Bruder unbehaglich. Er sagte, und es klang fast wie eine Entschuldigung:
»Ich glaub's, es ist kein Leichtes, die Maultasch zum Weib zu haben und
den Frauenberg zum Landeshofmeister.«

Den Markgrafen, wie er allein war, fiel ein dumpfer, lahmer, hilfloser
Zorn an, wie er ihn nie gespürt. Was war denn das gewesen? Da saß er in
seiner Hofburg und sein jüngerer Bruder stand vor ihm, der Stephan, der
Nichtige, der Mittelmäßige, der Wicht, mit seinem armseligen
Niederbayern, und schimpfte ihn zusammen wie einen Lausbuben. Und er --
ja wie in aller Welt kam denn das? -- er saß und ließ es sich gefallen.
War es so weit mit ihm gekommen? War er so lahm?

Der Stephan hatte recht, das war es. Die Habsburger regierten zusammen,
überließen dem klugen Rudolf die Führung. Er war ihr Haupt, sie waren
ein Ganzes, ihre ganze, große Ländermasse einheitlich gesteuert.
Wittelsbach war zersplittert und zerstückt, in sechs Fetzen zerrissen.
Er hatte es geschehen lassen, er, der Älteste. Und nicht nur das. Er
hatte den Habsburgern Vorschub getan. Mit dem Judenschlag war es
angegangen. Das war der erste Fehler gewesen. Hätte er seine Juden
geschützt wie der lahme Albrecht, niemals wäre sein Beutel so leer und
zerlöchert worden. Niemals hätte er sein Bayern den österreichischen
Finanzräten ausliefern müssen. Jetzt saßen sie dick und zahlreich im
Land, kontrollierten, schalteten nach Belieben. Überall, unter, neben,
über dem wittelsbachischen der rote Löwe Habsburgs. Er fühlte die
riesigen, starren Augen des Vaters auf sich. Er schnaufte. Der Bruder
hatte recht.

Nicht darüber grübeln. Der Fehler war gemacht. Die Juden waren tot; die
am Leben geblieben waren, ließen sich durch keine Versprechungen mehr
zurücklocken. Das Land war kahl und ohne Geld, und der Habsburger
verwaltete es.

Unsinn! Darum ging es ja gar nicht. Niemand hatte ihm das vorgeworfen.
Um das Testament ging es. Um das Testament, das sein Weib gemacht hat,
die Häßliche, die Maultasch. Daran mußte man sich klammern, das war
festzuhalten. Er war froh, vor sich selber alle Schuld ihr zuzuschieben.
Wie hatte der Bruder gesagt? Es ist kein Leichtes, die Maultasch zum
Weib zu haben. Nein, daß dich Gottes Marter schände, es ist kein
Leichtes! Er trieb sich hinein in eine dumpfe Wut gegen das Weib. Sie
war an allem schuld, auch an dem Verwaltungsvertrag mit den Habsburgern.
Da saß sie, die Häßliche, die Maultasch, mit ihrem lächerlichen
Liebhaber, dem Frauenberger, dem Mißgeschaffenen, Quäkenden. Da saßen
sie und machten ihm sein Bayern kaputt. Das Gespött Europas. Oh, er
hatte schon das rechte Gefühl gehabt damals, als sein Vater ihn auf und
ab schleifte und er sich weigerte, das Weib zu heiraten. Er starrte vor
sich hin. Schnaufte, knurrte, stöhnte.

Ging zu Agnes. Die lag auf einem Ruhebett, der Falkenierer stand vor
ihr. Sie hatte den Handschuh an, spielte mit dem neuerworbenen Vogel.
Sie sah sogleich, der Markgraf brannte darauf, mit ihr zu sprechen. Aber
sie ließ ihn warten. Beschäftigte sich mit ihrem Falken, führte ihn vor,
dachte gar nicht daran, den Falkenierer wegzuschicken.

Ludwig drückte heraus, er habe heute wenig übrig für Falkenbeize und
Sport. Oh, der Herr Markgraf sei verstimmt? Habe Ärger gehabt? Das tue
ihr leid. Mit dem Herzog Stephan? Sieh da! Der Herr Herzog sei doch ein
ganz umgänglicher Herr. Er habe vom Testament der Markgräfin gesprochen?
Und von dem bayrisch-habsburgischen Verwaltungsvertrag? Davon nicht?
Doch, auch, freilich nur nebenher.

Wenn sie doch endlich den Kerl mit dem Falken wegschicken wollte! Aber
sie dachte gar nicht daran. Bedeutete es ihr so gar nichts, daß Stephan
das gewagt hatte? Und war es ihr so nebensächlich, daß er sogleich von
seinem Bruder weg zu ihr kam? Der Vogel öffnete die Flügel, schloß sie.
Sie streichelte ihn, gab ihm Hätschelnamen. Ein großer heimlicher
Triumph war in ihr. War es endlich an dem? Brach es endlich los? Stürzte
das Haus der Feindin, das mühsam errichtete, endlich zusammen?

Also von dem bayrisch-habsburgischen Vertrag habe Herzog Stephan
gesprochen? Nun, sie verstehe ja nichts von Politik. Aber, ganz ehrlich,
gewundert habe sie sich immer. Ein so großer, weiser Fürst -- und läßt
die Verwaltung seines Landes einem andern! Ganz beiläufig warf sie es
hin, dem Falken die Haube abziehend, wieder aufsetzend. Stritt sogleich
wieder mit dem Falkenierer, wie lange man jetzt den Vogel hungern lassen
solle. Still jubelte sie: Allen Saft herausquetschen aus Tirol, ihn
fortleiten, nach Bayern, irgendwohin. Verdorren machen das Werk der
Feindin.

Ludwig saß gepreßt in großer Bitternis. Ein Narr war er gewesen. Selbst
die Kinder sahen klarer, worauf es ankam. Niemals hätte er die
Verwaltung Bayerns weggeben dürfen. Und hätte er alle seine Städte und
Einkünfte dem Messer Artese verschreiben müssen. Das Testament
Margaretes, da war nun nichts zu machen. Aber den Verwaltungsvertrag,
der lief ab in wenigen Monaten: er wird ihn kündigen. Komme, was will!

Agnes lag auf dem Ruhebett, kümmerte sich kaum um ihn. Der Falkenierer
war noch immer da. Wäre sie allein gewesen, er hätte sich auf sie
gestürzt, sie geschüttelt: »Höre, lach' nicht über mich! Ich sag' den
Vertrag auf! Ich schmeiß' die habsburgischen Beamten heraus! Lach' nicht
über mich, Luder!« Und er hätte sie gepackt, daß ihr das Lachen und die
Gedanken an den Falken vergangen wären. Aber der Falkenierer stand da
mit seinem dummen, respektvollen Gesicht, und Agnes sah gar nicht auf zu
ihm.

                   *       *       *       *       *

Konrad von Frauenberg verhandelte mit Räten des Bischofs von Brixen. Das
Bistum war ganz in Abhängigkeit des Markgrafen geraten, Konrad gab das
den Herren deutlich zu spüren. Vergnügt saß der quäkende Mann, beschaute
aus kleinen rötlichen Augen die schwitzenden Herren, schikanierte sie
breit, behaglich. Warf ihnen schließlich, den armen Schluckern, mit
verächtlicher, grausamer Jovialität ein paar Brocken hin. Sein Sekretär,
ein unscheinbarer Kleriker, protokollierte still, mit ängstlicher
Gewissenhaftigkeit.

Als die Herren gegangen waren, gab der Frauenberger dem Sekretär Weisung
für etliche Briefe an Amtleute seiner eigenen Besitzungen. Immer wieder
mußte man diesen Herren das gleiche vorkauen. Sie sollen doch -- daß der
dreigeschwänzte Satan sie hole! -- nicht so schlapp sein. Nicht immer
Steuer nachlassen. Nicht immer die Termine für Fronleistungen und Robot
prolongieren. Und diese alberne Gefühlsduselei in der Verhängung von
Strafen. Einen Dieb nur mit Pranger und Gefängnis zu züchtigen, weil er
aus Not handelte. Blödsinn! Jeder handelt aus Not. Dem Schuft wird die
Hand abgehauen wie bisher. Einen Wilderer schonen, weil er Familie hat!
Sein Wild hat auch Familie; hat jener es geschont? Der Kerl wird zu Tod
gehetzt. Das ist guter alter Brauch. Mit der modernen Humanität wird auf
seinen Gütern nicht erst angefangen. Der Frauenberger quäkte, der stille
Sekretär schrieb.

Allein dann, strich sich der häßliche Mensch das farblose Haar zurück,
dehnte sich, legte sich auf Polster, knackte mit den Gliedern, gähnte,
faul und vergnügt. Es war eine wohleingerichtete Welt, und er verstand
sich darauf. Er hat es, Gotts Marter, weit gebracht. Der Markgraf ist
fast immer auf Reisen, bei seiner Agnes, sonstwo. Warum auch nicht?
Warum soll er nicht der Maultasch die schöne Agnes vorziehen? Er, der
Frauenberger, hat freilich viel Arbeit, wenn der Markgraf außer Landes
ist: die Maultasch und Tirol. Viel Arbeit, wüste Arbeit. Aber
profitlich, das ist nicht zu leugnen. Auch könnte es ihm Ludwig nicht
leichter machen, mit ihm auszukommen. So spart ihm der Fürst die Mühe,
sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Er beschaute seine dicken, roten, fleischigen Hände. Er hat seine
Männlichkeit offenbar unterschätzt. Man muß nur selber daran glauben,
dann glauben auch die Weiber daran. Heute wird ihm jede kirr, die er
mag. Er rekelt sich, pfeift, grinst. Steht faul auf. Holt sich Tusche,
Pinsel, Pergament. Zeitvertreib für freie Stunden, wenn man nicht
schläft. Heute hat er Lust, ja. Der Schenna hält ihn für stumpf. Glaubt,
er habe kein Aug' für das, was schön ist. Der Schenna ist kein Esel;
aber wenn er meint, er habe allein den Sinn gepachtet für das, was
schmeckt und rund ist und sich glatt und wohlig anfaßt, dann irrt er
sich, der Geck, der Zierbold! Er legt sich das Pergament zurecht. Ho! Er
weiß sehr genau, worauf es ankommt bei der Schönheit. Er grinst, pfeift
sein Lieblingslied vor sich hin, das von den sieben Freuden des Lebens,
beginnt zu arbeiten. Sein breites Maul zieht sich wohlgefällig
auseinander, er schnalzt, schmatzt, gurgelt, quäkt, rülpst. Strichelt,
pinselt. Bunt, säuberlich. Frauenkleider, Brüste, Gesicht. Vertieft sich
in die Arbeit.

Sieht auf. Margarete steht hinter ihm. Ihr wüstes Antlitz ist sonderbar
lächerlich verzerrt. Sie hat offenbar gesehen; es hat durchaus keinen
Sinn, zu verstecken, zu leugnen. Er schaut sie frech an, verzieht den
breiten Mund, quäkt, nachlässig: »Ein Amulett.«

»Ein Amulett? Das? Das saubere, liebevolle Bild der Person?« Er, naiv,
dreist: Ja, natürlich. Er habe Grenzstreitigkeiten mit ihr, sie wisse
doch. Dazu ihr unheilvoller politischer Einfluß auf den Markgrafen.

Sie schaut ihn finster an mit ihren starken, erfüllten Augen. Er hält
stand, kalt, gleichmütig. Er solle ihr das Bild geben, sagt sie
schließlich.

»Warum nicht?« quäkte er. Es sei ein nicht gerade frommes Amulett. Man
könne seinen Willen, seine Wünsche hineinhexen. Ihre Wünsche für jene
seien vermutlich ebenso unangenehm wie seine eigenen. Er grinst, reicht
ihr mit einer tiefen, übertriebenen Verbeugung das Bild.

Allein, beschaut sie es lange, prüft es. Die Haare sind gold, die Augen
starren, zwei blaue, dumme Flecke, aus der unbeholfenen Malerei.
Margarete zieht mit ihren geschminkten Fingern die Nadel aus ihrem Haar.
Langsam, sorgfältig zielend, stößt sie durch die blauen Flecke. Das
Pergament hält fest, sie bohrt, bohrt stärker, bohrt langsam durch. Das
Pergament knirscht. Dann sind zwei kleine, ausgefranste Löcher an Stelle
der Augen.

                   *       *       *       *       *

Der Markgraf erhob sich, die Besprechung hatte kaum zehn Minuten
gedauert. Es war nur Geschäftliches besprochen worden, Rede und Antwort
waren von eisiger Sachlichkeit gewesen.

»Es bleibt noch die Angelegenheit mit Taufers,« sagte Margarete.

»Auf später,« sagte Ludwig ablehnend.

»Es ist jetzt schon fast ein Jahr, daß die Sache hinausgezögert wird,«
sagte Margarete. »Sie muß endlich erledigt sein.«

»Was also wollen Sie?« sagte feindselig der Markgraf.

Die Sache mit Taufers war so, daß Grenzstreitigkeiten entstanden waren
zwischen Agnes von Taufers und dem Frauenberger. Agnes versteckte sich
hinter dem Bistum Brixen, das sie belehnt hatte, nicht den Frauenberger.
Sachlich war dieser, formal sie im Recht. Der Markgraf brauchte nur zu
wollen, so ließ Brixen seine Einwände fallen, Agnes verlor die Güter.
Die Räte des Bischofs nahmen an, dies sei nicht in der Absicht Ludwigs;
so wagten sie, dem Frauenberger in diesem Punkt zäh zu opponieren.

Margarete, in feindseliger Laune, brachte die Gründe vor, die gegen das
Bistum sprachen. Der Markgraf, ebenso verdrossen und vertrotzt wie sie,
zählte die politischen Motive her, aus denen er jetzt den Bischof nicht
verärgern wollte. Sie maßen sich, finster, entschlossen. Nie hätten sie
sich, wäre es um eigenen Besitz gegangen, mit solcher Erbitterung
widersprochen.

Es war bisher, trotz zunehmender Entfremdung, noch nie zu ernsthaftem
Streit gekommen. Mit keinem Wort je hatte der Markgraf Margaretes
Testament erwähnt, mit keinem Wort ihre Beziehungen zu dem Frauenberger.
Sie hatte den Namen der Agnes in seiner Gegenwart niemals genannt. Jetzt
erhitzten sie sich, bekämpften sie sich, drohend, trotzig, viel
heftiger, als der geringfügigen Sache angemessen war. Sie standen sich
gegenüber, wütend. Das ruhige, männliche Gesicht des Markgrafen
verwilderte, verzerrte sich. Sie erwiderte mit erzwungener Ruhe,
bösartig, stachelig, höhnisch.

Bis er schließlich nicht mehr an sich halten konnte und ihr hinwarf in
hellem, spöttischem Zorn: »Das ist ja alles nur für deinen Affen, den
Frauenberger.«

Sie wurde ganz grau, schnappte, sah ihn haßerfüllt an. Sagte
schließlich, heiser: »Ja, ja, ja! Ich leid' es nicht, daß das Recht
kaputt geht für deine Hur'.«

Er krampfte die Hand, sie nicht zu schlagen. Es war nicht seine Art, zu
schimpfen. Jetzt fiel er unflätig über sie her: »Hexe! Scheußliche!
Stinkende! Hockst du zusammen mit deinem Affen und spintisierst das aus?
Ist es nicht Schande genug, daß ich ein Weib haben muß, von Gott
gezeichnet wie dich? Willst du noch meinen Namen verschimpfieren? Bist
auf Männer aus, so wie du aussiehst? Paßt ja gut zusammen, die Maultasch
und der Aff'!« Er schlug plötzlich um, ging mit dicken Adern und so
verwildertem Gesicht auf sie los, daß sie hinter den Tisch zurückwich.
»Ich duld' es nicht!« schrie er. »Ich schlag' ihn tot! Ich lass' mich
nicht lächerlich machen!«




Unterdes saß der Frauenberger auf Schloß Taufers. Aus seinen rötlichen
Augen blinzelte er Agnes an. »Wir werden uns schon einigen,« quäkte er.
»Sie sind reich, ich bin nicht arm. Liegt Ihnen so viel an den Höfen?
Mir nicht. Mir sind sie ein Vorwand, Sie zu sehen.« Mit seiner roten,
kurzen Hand tätschelte er ihre weiße, lange. Agnes lächelte. Der war ein
Mann, der hatte Kraft, Willen, das nackte Geradezu.

»Die Welt ist dumm,« quäkte er. »Immer noch dümmer, als man denkt.« Er
saß da, weites Maul in dem nackten, roten Gesicht, breit, fest, frech,
häßlich. »Mir ist, ringsherum sind wir die einzigen Vernünftigen.« Und
seine harten, kurzen, zupackenden Finger langten ihren Arm weiter
hinauf.

Er dachte übrigens nicht daran, ihr in der strittigen Frage auch nur ein
Tipfelchen entgegenzukommen.

                   *       *       *       *       *

Agnes ging herum, ein leises, tänzerisches Lächeln um die Lippen. Sog
ihren Triumph über Margarete, schlürfte ihn, ließ ihn auf der Zunge
zergehen. Knüpfte den Markgrafen immer enger an sich, gleichmütig,
unmerklich. Höhlte ihn aus, glitt in ihn hinein, nahm Besitz von ihm.

Er war ein sparsamer, nüchterner Herr, durchaus nicht geneigt, zu
verschwenden. Sie verlangte von ihm, nebenher, über die Achsel,
Ausgaben, die er sich sonst durch Jahre überlegt hätte. Machte er den
leisesten Einwand; so bestand sie nicht, ließ sofort ab. Allein sie
hatte eine Art, sich abzuwenden mit einer höhnischen, kaum greifbaren,
tief verächtlichen Verwunderung, die ihn mehr reizte, als Tränen,
Bitten, Beschimpfungen hätten tun können. So stülpte sie allmählich den
festen, sachlichen, rechenhaften Mann von Grund auf um, trieb ihn in
Prunk und Verschwendung, zermürbte, unterwühlte, was Margarete in der
Arbeit von Jahrzehnten geschaffen hatte.

Plötzlich war auch Messer Artese wieder da. Überall war er, an zehn
Orten zugleich, mit drei Brüdern, die ihm sehr ähnlich sahen,
unscheinbar, überaus höflich. Ehe man es recht merkte, hatte er von
neuem die Hand auf Zöllen, Salzrechten, Bergwerken. Die eisige
Verachtung Margaretes erwiderte er mit zahllosen Verneigungen. Mit
größter Bereitwilligkeit löste er den Markgrafen aus den Verpfändungen
der Habsburger. Jetzt, wenn er wollte, konnte Ludwig jenes
Verwaltungsabkommen kündigen. Freilich war, was er dem Florentiner
zahlte, dreimal höher als die Forderung der Österreicher. Schattenhaft
dann, wie er kam, war Messer Artese wieder fort.

Erschien auf Schloß Taufers. Wer, wenn er den kleinen, höflichen Mann
sah, hätte gedacht, daß er je so toben könnte, wie er es damals vor
Agnes getan? Sie saßen sich gegenüber, Agnes und er. Sie lächelten sich
zu, mit einem kleinen, wissenden Lächeln. Ei ja, schönes Land, reiches,
gesegnetes Land. Wein, Obst, Brotfrucht. Blühende, geordnete, werktätige
Städte. Er zerrte, sie stieß. Sie traf die Herzogin, die Häßliche, wenn
sie stieß. Ihm war es schon weniger die Freude am Gewinn, die lockte: es
trieb ihn, in dem Werk des Feindes zu stochern, zu wühlen, das Werk des
erlegten, erledigten Juden vollends zu zerfetzen. Sie stieß die
Häßliche, er zerrte an dem toten Feind.

Prall im Fett saß Konrad der Frauenberger, mästete sich, sein nacktes,
breitmäuliges Gesicht glänzte rosig. Er lag auf Polstern in dem
eleganten kleinen Saal von Taufers, Agnes saß ihm gegenüber. Sonne kam
herein, er blinzelte, rekelte sich faul, gähnte, knackte mit den
Gliedern. Agnes bat, forderte, schmeichelte, drohte, er solle sie nach
Trient begleiten. Er sagte, er denke nicht daran. Soll der Markgraf ihr
den Narren machen. Sie kehrte sich ab mit jener leisen, gleitenden,
verwunderten Verächtlichkeit, die beim Markgrafen alles erreichte. Er
lachte schallend, derb vergnügt. Kehrte sich nach der andern Seite. Da
sie beharrlich schwieg, fing er an, zu gähnen. Streckte sich knackend,
schlief friedlich, behaglich ein, lärmvoll schnarchend. Nach einer
Stunde wachte er auf; es ging gegen Abend, sie saß noch immer im
entgegengesetzten Winkel, gekränkt. Er stand faul auf, ging zu ihr,
packte sie, grob, jovial, zog sie neben sich auf die Polster. Sie ließ
es geschehen.

Er behandelte sie nach Laune. Ließ sie wie einen Hund nach einer
Liebkosung zappeln. Tätschelte sie mit Versprechungen, die er lachend
und selbstverständlich brach. Ihn davonjagen? Es ging nicht. Er hätte
gelacht. Und es wäre auch lächerlich gewesen. Wer war noch so häßlich?
So frech? So hart von Griff? So gab es keinen zweiten.

Sie dehnte sich unter seinen groben Liebkosungen, schaute schräg zu ihm
auf. Sah sein sattes, schlaues, fleischiges, grinsendes Gesicht. Wie
häßlich es war! Wie voll Kraft und Gemeinheit es war! Sie war neugierig.
Konnte man ihm nicht bei, daß seine freche, selbstsichere Fratze klein
wurde und voll Angst?

Sie begann den Markgrafen zu hetzen. Ganz unmerklich, mit Scherzworten.
Ihre Saat fand guten, lange vorbereiteten Boden. Sproßte, keimte, wuchs.
Wie hatte Herzog Stephan gesagt? Es ist kein Leichtes, zu diesem Weib
den Frauenberger zum Landeshofmeister zu haben. Er wird ein Ende machen.
Er hat es satt bis dahin. Das Gespött Europas. Er wird ein Ende machen.
In München. In _einem_ Aufwischen. Erst mit der habsburgischen
Schweinerei. Dann mit dem Frauenberger, dem Schandkerl, der Mißgeburt.

                   *       *       *       *       *

»Schau mich genau an,« sagte der Frauenberger zu Margarete und spreizte
sich mit grotesk unterstrichener Wichtigkeit. »Schau mich genau an. Du
wirst vielleicht nicht mehr lange Gelegenheit haben.« Da Margarete
erstaunt hoch blickte, quäkte er weiter: »Ich bin kein schöner Mann, ich
weiß, aber sehr einmalig. Wer Interesse an mir hat, wird guttun, mich
genau anzuschauen, daß er mich in Erinnerung behält. Ich werde nicht
mehr lange zu sehen sein. Es braut sich was zusammen gegen mich. Der
Markgraf schaut auf mich mit Blicken wie Lanzen. Leider stehen wirkliche
Lanzen zur Genüge dahinter. Er hat mich mit zur Begleitung nach München
befohlen. Dort tut er sich leichter. Der Gufidaun, der gute, ehrliche
Junge, der mich nicht leiden kann, und der Kummersbrucker haben den Rand
nicht halten können. Schau mich genau an, Margarete. Wenn ich nicht mehr
da bin, sauf dich voll und träum' von mir! Messen brauchst du keine
lesen zu lassen. Bist eine gute Haut, Herzogin Maultasch,« lachte er und
haute sie auf die Schulter. Er pfiff sein Lied von den sieben Freuden,
blinzelte sie an, ging fort mit gegrätschten Beinen.

Margarete hatte kein Wort erwidert. Jetzt saß sie allein vor dem
massigen Tisch, prunkend in hellgrünem Damast, starr geschminkt. Vor ihr
lagen gehäufte Akten und Dokumente. Der Raum war schwer und düster, in
ihrem Ohr war das gepfiffene Lied des Frauenbergers.

Ja, er hatte wohl recht. Was gab es sonst als die sieben Freuden seines
Liedes?

Sie hatte nicht abgelassen. Sie war zerschlagen und zerstört worden ein
erstes Mal, aber sie hatte nicht abgelassen. Hatte sich aus Dreck und
Nichts ein Neues gebaut, das Land, die Städte, ihre bunten, lärmvollen,
menschenvollen, zweckvollen Städte, ihr Werk. Und jetzt sollte das Blut,
das sie ihnen mühsam zugeführt, abgezapft werden, weggeleitet, nach
Bayern, irgendwohin, für die Hure, planlos verströmt. Der Markgraf hatte
ihr nichts gesagt; aber es war ihr zugesickert aus vielen Mündern.
Gekündigt das Verwaltungsabkommen mit den Habsburgern. Ihre Städte, ihr
Tirol entblößt, leer, ausgesogen, hingeschmissen.

Nicht genug. Das andere. Der Frauenberger. Der Häßliche, Einsame. Der zu
ihr gehörte. Den sie herangeholt hatte. Vielleicht war er schlecht,
niedrig, ein Lump. Aber er gehörte zu ihr. Vor allen Menschen er. Und
den wollte er ihr auch nehmen. Oh, sie hatte nicht vergessen, wie er
geschrien hatte in jener Unterredung: »Ich schlag' ihn tot! Ich lass'
mich nicht lächerlich machen!« Sie hörte seine Stimme, die heiser war
vor Haß, sah seine verwilderten Augen. Ja, der Konrad hatte schon die
rechte Witterung, es roch nach Mord. Ging er nach München, kam er nicht
zurück.

Ihr dürres, altes Fräulein von Rottenburg war im Saal, räusperte sich.
Der welsche Händler war da, der Palermitaner, den sie herbestellt. Sie
war froh an der Ablenkung, ließ ihn kommen. Er stand vor ihr, dick,
olivfarbenes Gesicht, rasche, bräunliche Augen. Er hatte vielerlei.
Bunte Vögel, feine, glänzende Tücher und Gewebe, edle Steine, seltene
Essenzen, fremdartiges Konfekt. Mit schnellen, geschmeidigen Bewegungen,
unterstützt von seinem Gehilfen, breitete er seine Dinge vor sie hin.
Sie verweilte da, dort. Ließ sich erklären, war nicht bei der Sache,
sprach dann lebhafter als sonst. Was war das? Ein Fläschchen, eine
kleine Vase aus mattfarbenem Halbedelstein, schönformig, fest
verschlossen und versiegelt. Das? Oh, die Frau Herzogin sei eine
Kennerin, die Frau Herzogin habe sichersten Geschmack. Das sei freilich
eine große Kostbarkeit. Aus _einem_ Stück, wie edel in der Form, in der
Rundung! Von einem großen Meister, ei ja. Und sie möge gnädigst die
Bilder beachten, die eingeschnitten seien. Hier der Hohenstaufenkaiser,
der zweite Friedrich, und hier der jüdische König Salomo, und da die
Königin von Saba, und auf der vierten Seite der Sultan Boabdil, ein
starker, grausamer Fürst der Berberei. Auch sei der Inhalt des
Fläschchens eine große Seltenheit: ein feiner Saft, ohne Geruch, ohne
Farbe, ohne Geschmack; wer auch nur einen Tropfen davon genießt, der
überlebt die Stunde nicht, der geht aus wie ein Docht ohne Öl. Ein
kostbares, edles Fläschchen.

Die Herzogin kaufte viel und wahllos durcheinander, ohne Feilschen,
gegen ihre Gewohnheit. Tücher, Gewürz, viel Schmuck, zwei von den bunten
Vögeln, auch das Fläschchen.

Dann setzte sie sich zu Tische. Aß. Aß ganz allein, prächtig geschmückt.
Auch die Tafel war prunkvoll bereitet, mit Schaugerichten, goldenen
Schüsseln und Tellern. Musik im Nebenraum. Diener, Kämmerlinge,
Vorschneider liefen. Sie aß mächtig. Der Frauenberger hatte recht. Dies
war eine der sieben Freuden des Lebens. Um sie herum waren die Dinge
gestapelt, die sie gekauft hatte, Schmuck, Tücher, auch das Fläschchen.
Sie führte mit ihren geschminkten Händen die Speisen zum Mund: Brühe,
Fische, Braten, von dem köstlichen, fremdartigen Konfekt, das sie heute
erstanden. Sie schlang, schüttete Wein hinunter. Dämmerung brach herein,
schwere, riesige Kerzen wurden entzündet. Sie saß allein, plump, starr,
pomphaft. Aß.

                   *       *       *       *       *

Da also lag es. Er hatte nicht gewagt, es ihr selber zu bringen. Er
hatte es durch einen Boten geschickt. Ein kurzes, höfliches Schreiben
lag bei, in dem er um ihre Unterschrift ersuchte.

Sie hatte sogleich Schenna hergebeten. Vor dem ließ sie sich gehen,
verströmte. Wirklich gekündigt der habsburgische Vertrag! Eingerissen
und kaputt der schöne, kunstvolle Kanal, durch den sie ihren Städten
Saft und Gedeih zuführte. Und sie soll noch ihre Unterschrift dazu
geben! Der Boden unter ihren Füßen bröckelnd wie Sand. Das Werk ihres
Lebens fort, entgleitend, wie fließendes Wasser, nicht zu halten. Hin
alles, blöde, sinnlos vertan.

Schenna hörte still zu, sein welkes, langes Gesicht sonderbar kraus
verzerrt; ihr Verströmen, ihr Zusammenbruch ging ihm näher, als er vor
sich selber wahr haben wollte. Arme Frau! Arme Herzogin Maultasch! Wäre
dein Mund einen Finger schmaler, die Sehnen deiner Backen ein weniges
straffer, du lebtest befriedet, glückhaft, und Tirol und das Römische
Reich sähe anders aus. Er raunzte mit sich selber. Alberne
Sentimentalität!

Als er endlich antwortete, hatte er sich wieder ganz im Zaum. Mit seiner
hohen, müden, brüchigen Stimme legte er dar, es sei nichts zu gewinnen,
wenn sie nicht unterzeichne; formal sei ihre Unterschrift ohne Belang,
der Markgraf verlange sie nur aus Prestigegründen. Unterzeichne sie
aber, so könne man nicht umhin, sie zumindest bei der Liquidierung des
Vertrags miteinreden zu lassen.

Wie sie aber schwieg, breit, plump, verloren und verfallen dahockte,
packte es ihn wieder. Er sagte, er wolle helfen, wo er helfen könne. Er
sei Tiroler; es kratzte ihn, daß das lebendige, wache, rege, kultivierte
Tirol den schläfrigen, dumpfen, trägen, gewalttätigen Bayern solle
ausgeliefert werden. Er gab sich einen Ruck, es war ein schwerer
Entschluß, man sollte eigentlich wirklich nicht so weichherzig sein.
Aber dann stand er und sagte, und in seiner Feierlichkeit war schon ein
bißchen Ironie: wenn sie also noch Wert darauf lege, sei er, um das
Mögliche zu retten, bereit, die Hauptmannschaft im Gebirg, das
Burggrafenamt zu übernehmen. Sie drückte seine lange, dürre,
schlaffknochige Hand mit ihrer dicken, geschminkten.

Dann stand der Frauenberger vor ihr, sich zu verabschieden. Klirrend
stand er, aus dem hellen Eisen grinste rosig, glatt, nackt das freche,
weitmäulige Gesicht. Es bleibe ihm nur übrig, unterzutauchen, ins
Dunkle, ins Subalterne, wo der Markgraf ihn nicht finden könne; denn zu
sterben habe er durchaus nicht die Absicht. Er werde also unterwegs im
gegebenen Augenblick verschwinden. Man sei ein Mann, nehme das
Schaukeln, hinauf, hinunter, nicht zu schwer. Sie sei eine gute Haut, er
habe mehr Spaß an ihr gehabt als an so mancher mit einem zierlichen
Puppenmund. Interessanter sei es sicher gewesen. Somit Gott befohlen.

Sie sagte, er habe ihr ein Amulett gegeben mit bösen Wünschen für eine
gewisse Person. Sie wolle sich revanchieren. Sie reichte ihm das
mattfarbene Fläschchen. Der Saft sei geruchlos, geschmacklos; wer davon
koste, sei in der gleichen Stunde in der Hölle, im Paradies. Bevor er
zurücktauche ins Dunkel, in die Niedrigkeit, solle er sich das
überlegen.

Er griff danach, grinste, sie sei ein Teufelsweib. Geruchlos,
geschmacklos; hm, das sei wohl zu überlegen.

Sie, rasch: sie habe nichts gesagt. So habe es ihr der Sizilianer
geschworen. Und da er vermeine, sie sehe ihn nicht wieder, gebe sie ihm
das. Alles stehe bei ihm, sie habe nichts gesagt.

Er, ungeheuer massig in der Rüstung, quäkte aus dem vielen Eisen heraus,
er danke auch vielmals. Wie gesagt, ein Teufelsweib. Er hob beschwerlich
den eisernen Arm, klopfte sie, quäkte: »Unsere Maultasch.« Zog mühsam
ab, eisern, klirrend, froschmäulig grinsend. Pfiff sein Lied.

Von unten klangen die Hörner und Trompeten der Abreitenden. Der Markgraf
hatte sich nicht verabschiedet. Sollte sie ans Fenster? Kein Glied
gehorchte ihr. Sie lehnte am Tisch, fahl, grau, eine geschminkte Tote.

                   *       *       *       *       *

Durch den braungoldenen September trabten der Markgraf und seine Herren.
Eine Weile ritten sie den blassen, weiten Chiemsee entlang. Starke Luft
ging, die Berge in sattem Blaugrau blieben zurück.

Ludwig war bester Laune. Er trug einen leichten, dunkeln Brustpanzer,
den Helm hatte er einem Knaben gegeben, der Wind wehte angenehm um den
kurzhaarigen Schädel. Er fühlte sich sehr jung, seine harten, blauen
Augen blickten frischer als sonst aus dem bräunlichen, männlichen
Gesicht. Es war ein guter Entschluß gewesen, die Österreicher
hinauszuschmeißen. Jetzt ritt er als wirklicher Herr in seinem Land.
Fort mit dem frechen roten Löwen Habsburgs von dem blauen
wittelsbachischen! Er freute sich darauf, seine Beamten einzusetzen,
reinen Tisch zu machen.

Ja, reinen Tisch. Auch die Sache mit dem Frauenberger hat er sich genau
zurechtgelegt. Heute nacht schon wird er ihn packen, es mit ihm
austragen, ritterlich, mit der Waffe. Am Ausgang zweifelte er nicht.
Dann wird er Luft haben, atmen können. Margarete wird er kaum mehr
sehen. Soll sie in ihrem Schloß Tirol sitzen; er wird in München,
Innsbruck, Bozen residieren, gubernieren, wie er es für gut hält. Stimmt
sie zu, schön; stimmt sie nicht zu, auch gut. Agnes wird keinen Grund
mehr finden, ihm die Schulter zu kehren mit jener frechen, leisen
Manier, die ihn so reizt.

Daß er seine Dumpfheit hinter sich gelassen hatte, daß er so genau
wußte, was er vorhatte, kratzte ihn auf, machte ihn freier und lustiger
als seit Jahren. Er scherzte mit Berchtold von Gufidaun, mit seinem
getreuen Kummersbrucker. Ja, er schaute sogar mit einem gewissen
grimmigen Wohlwollen auf den Frauenberger. Der ritt daher, breit,
plärrend, rosig in seiner hellen Rüstung, blinzelte schlau und behaglich
aus seinen rötlichen Augen in die besonnte, vergnügte Welt -- und war
doch schon so gut wie tot. Der Markgraf rief ihn an, ritt neben ihm. Der
Frauenberger erzählte unflätige Witze, machte freche Anspielungen.
Ludwig lachte schallend, ging auf seinen Ton ein, sie führten ein
derbes, grobes Soldatengespräch, unterhielten sich ausgezeichnet.

Dann machte man, sehr früh, Mittag. Man aß im Freien, reichlich, trank,
legte sich eine Weile nieder. Dann trank man nochmals, saß wieder zu
Pferde. Ludwig hatte jetzt auch den Helm auf, er wollte so durchreiten
bis München. Der Frauenberger hielt sich in der Nähe des Markgrafen, der
suchte ihn geradezu. Man ritt los. Man war jetzt in der Ebene, die Berge
verdämmerten rückwärts, die Ebene war weit, einförmig, zuweilen
flimmerte in der Sonne ein kleiner, unansehnlicher Rittersitz, ein Hof,
ein ziemlich armseliges Dorf. Man ritt frisch zu, man wird noch vor
Abend in München sein.

Die Unterhaltung zwischen dem Markgrafen und dem Frauenberger wurde
lahmer, stockte. Er fühlte sich merkwürdig müde, der Atem ging ihm
schwer, die leichte Rüstung drückte ihn. Hatte er zuviel getrunken?
Rechts am Weg tauchte ein Dorf auf, die Häuser waren so sonderbar rund,
schmutzigblaß trotz der hellen Sonne, schichteten sich komisch
übereinander. Jemand sagte: »Der Ort heißt Zorneding.« War das die
Stimme Gufidauns oder des Kummersbruckers?

Plötzlich nestelte er am Helm, am Panzer, fiel vornüber zur Seite vom
Pferd, der halb gelöste Helm schlug herunter. Der Kummersbrucker ritt
zu, ein Knabe, sie fingen ihn auf. Der Helm kollerte vollends in Staub,
das Gesicht war fahl, doch nicht weiter entstellt, der Unterkiefer hing
herab. Der massige Nacken des Leblosen sah gar nicht mehr gefährlich
aus, nur dumm und plump. Sie rieben ihn, beteten. In die dumpfe
Betretenheit der Herren hinein quarrte die helle, breite, gemeine Stimme
des Frauenbergers: »Seltsamer Zufall. Auf freiem Feld in der Nähe von
München. Genau wie sein Vater.« Berchtold von Gufidaun sah ihn auf und
ab, finster, drohend. Der Frauenberger, frech blinzelnd, hielt stand,
quäkte: »Wünschen der Herr etwas?« Gufidaun kehrte sich langsam ab,
schwieg.

In der Margaretenkapelle der Münchner Hofburg wurde der Leichnam
aufgebahrt. Viele Kerzen brannten. Ulrich von Abensberg, Hippolt vom
Stein, fünf andere Barone hielten Totenwacht. Auch der Frauenberger war
darunter. Doch der begann bald zu gähnen, zog sich zurück. Streckte sich
auf sein Bett, pfiff sein Lied, knackte die Glieder, rülpste, schnalzte,
schlief friedsam ein.




                              Drittes Buch




In Landshut in seiner Hofburg hatte Herzog Stephan eben Weisung gegeben,
wer von seinen Herren ihn nach München begleiten solle. Er wollte seinen
ältesten Bruder begrüßen, den Markgrafen, der den glückhaften Entschluß
gefaßt hatte, die Habsburger aus seinem Land hinauszujagen. Herzog
Stephan freute sich stolz, daß recht eigentlich er diesen Entschluß
angestoßen hatte. Er reckte den Kopf mit dem kurzen, dicken, nußbraunen
Schnurrbart; sicher hatten seine kräftigen Worte jüngst Ludwig den
Rücken gesteift. Und jetzt wird er nach München gehen und zusehen, ob er
nicht einen engeren Zusammenschluß der Wittelsbacher erwirken kann.
Warum soll es -- Pest und geschwänzter Satan! --, wenn Ludwig und er
festen Willens sind, nicht glücken, Wittelsbach unter _ein_ Dach zu
bringen, so wie die Habsburger zusammengeschweißt sind? Sicherlich
streiten die sich wie Hähne, wenn sie ohne Zeugen untereinander Rats
pflegen: aber repräsentieren sie nach außen, dann stehen sie wie _ein_
Mann, und es geht eitel Honig von einem zum andern. Es war gut, daß
Ludwig sich endlich aufgerafft hat. Er wird jetzt nicht locker lassen,
bis das zerfetzte Wittelsbach wieder zusammengeflickt ist.

Man brachte die Rüstung, begann, ihn für die Reise zu wappnen. Da kam
ein Kurier aus München, meldete den Tod des Markgrafen. Herzog Stephan
stand starr, den Mund halb auf, die Finger merkwürdig gespreizt. Dann
mit einem heftigen, knarrenden Kommando schickte er seine Leute weg,
lief, der halb angekleidete Mann, hin und her, machte jähe, herrische
Gesten, sein Gesicht arbeitete, furchte sich drohend, glättete sich, der
kurze, dicke Schnurrbart stieg mit der zuckenden Lippe.

Er sah Möglichkeiten, die mannigfachsten, schillernd. Hier winkten sie,
dort. Der junge Meinhard war ein Knabe, schwach, dümmlich, gutmütig;
hing zudem schwärmerisch an seinem, Stephans, Sohn, dem Friedrich.

Ja, in Stephans Händen lag jetzt das Schicksal Wittelsbachs. Beide
Bayern vereinigen. Die Widerstrebenden, die Brüder, den Holländer,
Brandenburger, die Pfälzer zusammenzwingen. Sie mußten doch sehen, sie
mußten sich doch fügen. Wer waren sie denn, diese Ludwig, Albrecht,
Wilhelm, Ruprecht? Nichts waren sie; aber Wittelsbach war viel, war
alles. Es wird gute Kraft von ihm ausgehen, sein Glaube, sein ehrlicher,
frommer, reiner Wille wird in sie überströmen, sie werden sich
überzeugen lassen.

Er setzte sich schwer nieder, sein Gesicht verlor die künstlich straffe,
soldatische Miene, die Schultern erschlafften. Ach, nichts von alledem
wird sein. Die Hoffnung war krampfhaft, verlogen. Er war nicht der Mann,
das durchzuwirken. Wohl, die Gelegenheit war gut; aber die Bürde war zu
schwer für ihn. Sein Vater schon, der Kaiser, der viel Robustere, war
ein Zauderer gewesen, hatte sein Werk halb fertig liegen lassen müssen:
wie sollte er, der Schwächere, das zerstückte, verstümmelte, zu Ende
bringen?

Sein Bruder war am Wege gestorben. Ein schlechtes Zeichen. Er hatte
Ludwig nicht besonders gemocht, kein vertrauteres Wort mit ihm
gesprochen. Die Brüder hatten sich alle sechs nie enger aneinander
geschlossen, jeder schaute dem andern mißtrauisch auf die Finger, daß
der kein zu großes Stück des Erbes packe. Aber Ludwig war ein
anständiger Mensch gewesen, er hatte es nicht leicht gehabt, er hatte
die Maultasche geheiratet, dem Haus ein großes Opfer gebracht. Nun war
er tot, in guten Mannesjahren gestorben. Es verblaßte um die
Wittelsbacher, ihr Glanz ging aus.

Er erinnerte sich, wie er jene päpstliche Bulle gehört hatte, die den
Bannfluch über den Vater verkündete: »Seine Söhne treffe dieser Fluch:
Aus ihren Wohnsitzen verjagt, sollen sie ihren Feinden in die Hand und
der Vernichtung anheimfallen.« Er war ein kleiner Junge gewesen damals,
er hatte unter den großen, drohenden, pathetischen Worten nichts Rechtes
verstanden, aber sie hatten ihn überschauert und nicht mehr losgelassen.
Es war nicht gut gegangen mit den Wittelsbachern seither. Ihre Länder
zerfallen. Die Brüder sich zerkrallend einer den andern. Im Nordwesten,
in den flandrischen Provinzen, hatte die Mutter geherrscht, die
Kaiserin, zusammen mit Wilhelm, dem begabtesten unter den Brüdern. Sie
waren in Streit geraten, Wilhelm hatte die Mutter in jener wilden,
blutigen Seeschlacht an der Mündung der Maas geschlagen, sie war zu
ihrem Schwager geflohen, dem König von England. Sie war eine hochmütige
Dame gewesen, schwermütig, ihren Kindern fremd; ja, man hatte sich
zusammennehmen müssen, war immer beklommen gewesen in ihrer Gegenwart.
Nun war sie gestorben, müde von Hoheit, Leid und Sorgen, und Wilhelm,
der lichteste, begabteste, liebenswürdigste der Brüder, war in Tobsucht
und Irrwahn gefallen, krank an dem Zwist mit der Mutter, krank an dem
fremden Land. Nein, es stand nicht gut um Wittelsbach; jener Fluch ging,
wenn nicht seine Worte, so doch sein Sinn, in bittere Erfüllung. Er
starrte vor sich hin. Der Tod des Bruders gab ihm die Möglichkeit und
die Pflicht, das Land in den Bergen fester zu klammern, die Südmark zu
halten. Er sah auf seine Hände; sie lagen schwer, schlaff, kraftlos. Wie
soll er mit diesen Händen --?

Unsinn. Er hat zu viel schweren Würzwein zum Frühstück genommen, das ist
alles. Das macht das Blut dick, die Gedanken trüb. Waren seine
Aussichten nicht ausgezeichnet? Der Knabe Meinhard war schwach und
leicht zu lenken. Den wird er doch, Gotts Marter, von sich abhängig
machen können. Er straffte sich, fest über der gepreßten Lippe stand der
kurze, dicke, nußbraune Schnurrbart. Er wird Wittelsbach zusammenkneten
und groß machen in der Welt.

Er ließ sich fertig wappnen. Er hatte jetzt doppelten Anlaß, nach
München zu reiten. Seine Stimme war die alte, soldatisch knarrende. Er
befahl seinen Sohn Friedrich zu sich.

Prinz Friedrich hatte schon von dem Tod des Markgrafen gehört. Er barst
beinahe von Plänen, von Energie. Meinhard hing an ihm mit
schwärmerischer Bewunderung. Er war jetzt durch Meinhard mächtiger als
sein Vater. Der junge Mensch, schlank und elegant von Wuchs, dunkles
Haar tief ansetzend über der breiten, eckigen, eigenwilligen Stirn,
hatte von frühester Jugend an mit Verachtung auf seine Umgebung
geschaut. Er allein war der rechte Kaiserenkel. Knirschend hatte er
gesehen, wie Wittelsbach immer kleiner zersplitterte. Hochfahrend hatte
er sich gebäumt gegen alles Reden und Tun seines Vaters, der nicht Faust
und Schenkel hatte, dieses edle, nervenfeine, widerspenstige Roß
Wittelsbach zu zähmen. Oh, er, Prinz Friedrich, hatte Griff und Gefühl
dafür, er wird es zwingen.

So trat er, schlank, stolz, feindselig, voll heimlicher Verachtung vor
seinen Vater. Herzog Stephan liebte diesen seinen Prinzen mit tiefer,
zerspalteter Liebe. Er hielt ihn für begabter und begnadeter, als er
selber war, sah in ihm seine Erfüllung, liebte sogar seine Raschheit,
seinen Jähzorn, seine Hoffart. Aber er konnte sich nicht halten, wenn
der Junge zu frech gegen ihn aufbegehrte; es kam immer wieder zu wilden
Ausbrüchen zwischen ihnen.

Stephan eröffnete dem Prinzen in kurzen Worten, soldatisch knarrend,
Markgraf Ludwig sei plötzlich gestorben, er werde jetzt zur Bestattung
nach München reiten und gedenke, etwa acht bis zehn Tage zu bleiben.
Friedrich solle inzwischen in Landshut Siegel und Geschäfte führen, in
wichtigeren Fragen ihm Kuriere nach München schicken. Friedrich
überlegte. Noch nie hatte ihm der Vater soviel Verantwortung überlassen:
was stak dahinter? Er maß ihn mißtrauisch. Ah, der Herzog fürchtete
seinen Einfluß auf Meinhard, wollte allein nach München, Meinhard von
ihm abdrängen, ihn dort ausschalten.

Er warf den Kopf zurück, glitt mit raschen, braunen Augen über den
Vater, sagte hochmütig, er denke nicht daran, in so schwerer Stunde
seinem Freunde Meinhard fernzubleiben, er werde selbstverständlich auch
nach München reiten. Es waren noch zwei oder drei Herren im Zimmer, auch
ein Knabe Kämmerling. Herzog Stephan schwoll an, fragte heiser, ob der
Junge verrückt sei. Die andern standen großäugig, gestreckt von
Erwartung. Friedrich sagte, er sei wohl bei Sinnen; jeder anständige
Fürst und Herr müsse ihn verstehen, ihm beistimmen. Der Herzog klirrte
drohend auf ihn los. Der Junge stand zunächst, dann wandte er sich,
wischte hinaus. Warf sich -- niemand wagte ihn zu halten -- auf ein
Pferd, jagte davon, nach Süden, nach München.

Der Herzog lachte, zuerst ärgerlich, dann wohlgefällig. Seine Herren,
froh über diese Lösung, lachten mit. »Ein Teufelsjunge, der Friedrich!«
sagte der Herzog. »Ein Teufelsjunge, der durchlauchtigste Prinz!«
wiederholten seine Herren.

Aber dann, langsam, verfinsterte sich Stephan wieder. Den eigenen Sohn
kann er nicht halten. Wie soll er das ganze bäumende Wittelsbach
kleinkriegen?

Er stieg zu Pferde. Schwer mit großem Troß ritt er die Straße, die Prinz
Friedrich vorangejagt war.

                   *       *       *       *       *

Dem jungen Meinhard machte der Oberjägermeister, Herr von Kummersbruck,
Mitteilung von dem Tod seines Vaters. Er tat dies sehr vorsichtig,
umwegig. Verlorene Mühe. Der Achtzehnjährige begriff durchaus nicht, so
daß Herr von Kummersbruck schließlich schlicht und geradezu erklären
mußte: Der Markgraf ist tot.

Meinhard schaute ihn verblüfft aus großen, runden, treuherzigen Augen
an, wälzte die Nachricht in seinem gutmütigen, dicken Kopf, schwitzte.
Er wußte durchaus nicht, welche Folgen dieses Ereignis haben konnte, was
er mit ihm anfangen sollte. Er war nun Herzog. Das war vermutlich sehr
anstrengend, brachte Arbeit, Ungelegenheiten. Er hätte sich als kleiner
Landbaron viel behaglicher gefühlt. Eigentlich war es wohl traurig für
das Land und für alle, daß sein Vater tot war. Denn er war tüchtig und
energisch gewesen, wohingegen seine Mutter, wie sein Freund, der Prinz
Friedrich, ihm auseinandergesetzt, ausschweifend und widerwärtig war.
Lieber Gott! Im Grund hatte sich weder sein Vater noch die Mutter um ihn
gekümmert. Dieser Tod war ihm gleichgültig, kostete ihn nur Ärger,
forderte Mühe, Nachdenken.

Er holte das kleine Nagetier aus der Tasche, das er stets bei sich zu
führen pflegte, den kleinen, langgeschwänzten Siebenschläfer, den er in
geduldiger Arbeit dressiert hatte, so daß er auf den Namen Peter hörte
und auf seinen Pfiff mit ihm aß, mit ihm schlief. Er betrachtete das
Tier aus großen, verdrossenen, unglücklichen Augen, streichelte es.

Sehr langsam nur löste er sich aus seiner blöden, verworrenen
Befangenheit, als er sah, daß man ihn jetzt ganz anders wichtig nahm als
vorher. Die Gesichter waren, von den Generalen und höchsten Beamten bis
hinunter zum letzten Lakai, ergebener, behutsamer, serviler. Wie er dies
langsam merkte, machte es ihm Freude, es immer wieder zu erproben und zu
erhärten. Er gab Befehle, vielerlei, durcheinander, sich
widersprechende, schaute amüsiert zu, wie man sie beflissen ausführte,
er ließ seine Leute springen, ergötzte sich, wie ihre Gesichter immer
gleich unterwürfig und ohne Widerspruch blieben.

Nur _einer_ ließ sich offenbar von seiner neuen Würde durchaus nicht
imponieren, der Frauenberger. Meinhard hatte, so oft er den feisten Mann
sah, ein unbehagliches Gefühl gehabt; sein fettes, nacktes Gesicht mit
dem Froschmaul, dem weißlichen Haar, den rötlichen Augen, war ihm immer
gefährlich erschienen, auch seine joviale Art hatte ihm Angst gemacht.
Jetzt kam der Frauenberger auf ihn zu, blinzelte, quäkte herablassend,
väterlich: »Na, junger Herzog! Es ist nicht leicht. Aber nur nicht den
Kopf verlieren! Wir werden es schon schaffen.« Er nahm mit seiner
fleischigen, gefährlichen Hand die dicke, gutmütige des Jungen,
blinzelte ihn an, gar nicht ehrfürchtig, gar nicht untertänig, eher mit
einer scherzhaften, spöttischen Überlegenheit, drehte sich um, ging,
pfiff sein Liedchen.

Da langte stürmisch, schwitzend, begeistert Prinz Friedrich an. Drang
sogleich zu dem jungen Herzog. Die Vettern umarmten sich, Meinhard war
erlöst in der Gegenwart des Freundes. Friedrich erzählte die Geschichte
mit seinem Vater, Meinhard war enthusiasmiert. Der schwarze, schlanke
Prinz, geschwellt von Tatendrang, Ehrgeiz, Jugend, Sturm, strömte aus,
riß den blonden, dicken, widerstandslosen Meinhard mit, der aus seinen
blauen, schlichten, runden Augen entzückt zu ihm aufschaute, sich
glücklich pries, diesen herrlichen Freund zu haben. Er schloß sich ganz
auf, erzählte auch von der unbehaglichen, überheblichen Art des
Frauenbergers. Friedrich schäumte, stampfte. Erklärte, das werde er
gleich haben. Ließ den Frauenberger rufen. Sagte ihm über die Achsel,
hoffärtig, der Herzog brauche seine Anwesenheit in München nicht,
beauftrage ihn, die Herzoginwitwe einzuholen, die ohne Zweifel bereits
auf dem Wege nach Bayern sei. Der Frauenberger schaute die beiden jungen
Herren an, langsam, lächelnd, frech, gutmütig-höhnisch, sagte, er hätte
gern bei der Anordnung der Bestattungsfeier für den ihm so huldvollen
verewigten Markgrafen mitgeholfen, fühle sich aber sehr geehrt, daß man
ihm das Geleite der ihm ebenso huldvollen Fürstin übertrage. Er hoffe
nur, fügte er väterlich besorgt hinzu, daß die jungen Herren hier in
München ohne ihn zurechtkommen würden. Er blinzelte vom einen zum
andern, ging.

Friedrich war mit einem heftigen politischen Programm gekommen und
bemühte sich, ehe andere, sein Vater, die Maultasch, der Habsburger
dazwischentreten könnten, den Vetter darauf festzulegen. Er war durchaus
nicht einverstanden mit der traditionellen wittelsbachischen
Regierungsmethode, die den Bürger ausspielte gegen den Adligen, die
Städte bevorzugte auf Kosten der Burgen. Diese zögernde, vorsichtige
Händler- und Krämerpolitik, die den Nichtritter für einen vollen
Menschen nahm und achtete, war ihm in tiefster Seele zuwider. Die Welt
stand -- dies galt ihm für ausgemacht -- auf dem christlichen Ritter,
auf dem Fürsten, der keine andere Schranke kannte als die
selbstgewählten Gesetze der Ritterlichkeit. Aber die heutigen Fürsten
waren ohne Stolz, machten Konzessionen hier, Kompromisse dort, waren
Minderer statt Mehrer ihrer Macht. Den Adel stark machen, was darunter
ist, ducken, daß es nur mehr der Schemel ist für den Fuß des Fürsten.
Was Geld! Was Handel! Was Städte! Die alten, lichten Gesetze der
Ritterlichkeit wieder blank putzen, Land und Reich auf sie stellen.

Der junge Meinhard hörte schwärmerisch den überschwänglichen
Ausführungen des andern zu. Der kam jetzt mit praktischen Vorschlägen.
Meinhard solle diese Grundsätze in seinen Ländern verwirklichen. Noch
gebe es in Bayern Barone der alten Art, die das Bürgergeschmeiß
zeitlebens mit geziemender Verachtung traktiert hätten. Meinhard solle
mit ihm und einer Anzahl dieser Aristokraten eine Jagd- und
Turniergesellschaft aufbauen auf den strengen Statuten früherer
Rittergesellschaften wie der Artusrunde und ähnlicher hochadeliger
Klubs. Aber dieser Bund solle keineswegs nur sportlichen Spielen dienen,
es solle von ihm eine Erneuerung der ganzen Nation ausgehen. Vor allem
auch solle an Stelle eines Kabinetts alter, vertrockneter Theologen und
Beamten dieser Bund die eigentliche Regierung führen.

Meinhard war mit ganzer Seele dabei. Er hatte Angst gehabt vor dem
Regieren; jetzt war er befreit und glücklich, daß sich das so angenehm
anließ, daß man es erledigen konnte in Gesellschaft sportfreudiger
Kavaliere und Kameraden, unter Führung des genialen, herzlichen,
freundhaften Friedrich.

Sie setzten sich zusammen, machten die Liste der Barone, die in den Bund
aufgenommen werden sollten. Ulrich von Abensberg, Ulrich von Laber,
Hippolt vom Stein zuerst. Dann der Höhenrain, Freiberg, Pinzenau, der
Trautsam von Frauenhoffen, Hanns von Gumppenberg, Otto von Maxlrain.
Mancher Name klang nicht ganz unbedenklich, erforderte, daß man ein
Langes und Breites erwog. Der junge Herzog hatte sein Murmeltierchen aus
der Tasche genommen; es saß auf dem Tisch, äugte aus dickem Kopf auf die
Schreibenden, wischte mit dem Schwanz hin und her. Die beiden Jungen
arbeiteten, daß ihnen die Schädel rauchten.

Als am Abend Herzog Stephan eintraf, war die Regierung Bayerns so gut
wie vergeben. Friedrich hatte den Vetter dringlich gewarnt, sich vor
Herzog Stephan bis ins Letzte vorzusehen. So fand der den Neffen scheu,
störrisch. Er wollte Unterschriften von ihm unter gewisse prinzipielle
Fragen, Grenzangelegenheiten, Zollsachen. Meinhard wich aus, sagte, auf
Rat Friedrichs, er wolle zunächst warten, bis sein Vater unter der Erde
sei. Herzog Stephan wußte sehr wohl, daß Friedrich hinter diesem
Widerstand stak. Wütete, freute sich.

Dann kam Margarete und am gleichen Tag, sehr prunkvoll, Herzog Rudolf
von Österreich. Mit ungeheurem Gepräng wurde der Markgraf bestattet.
Wieder sah Agnes von Flavon, daß Schwarz sie am besten kleidete. Von dem
Katafalk des Toten weg, von der Markgräfinwitwe weg, von den Pfalzgrafen
bei Rhein, den Herzogen beider Bayern, Österreichs weg gingen alle Augen
immer wieder zu ihr.

An dem jungen Meinhard zerrten Margarete von Tirol, Herzog Stephan von
Niederbayern, Herzog Rudolf von Österreich, wollten Regelungen,
Verträge, Anerkenntnisse, Unterschriften. Der gutmütige, leicht lenkbare
Junge, unter dem Einfluß Friedrichs, blieb fest. Am dritten Tag nach der
Bestattung des Markgrafen wurde der Artusbund bayrischer Ritterschaft
gegründet. Meister waren Meinhard und Friedrich, Obersten die Herren von
Abensberg, von Laber, vom Stein. Mitglieder zweiundfünfzig ober- und
niederbayrische Barone. Seiner Mutter, den Herzogen, die an ihm zerrten,
erwiderte Meinhard, er sei durch Rittereid gebunden, nichts Endgültiges
zu sagen und zu tun, ohne seine Freunde und Vertrauten, die Herren vom
Artusbund, zu befragen. Verblüfft standen Stephan, Margarete, Rudolf.
Wer war diese Adelssippschaft, die die Hand auf den Jungen gelegt hatte?
Mißtrauisch beschnüffelte einer den andern. Nur Stephan witterte
sogleich das Rechte. »Der Teufelsjunge!« wütete er, vergnügt.

Ulrich von Abensberg war verheiratet mit der älteren Schwester der Agnes
von Flavon-Taufers. Durch ihn lernte Friedrich Agnes kennen. Schwärmte.
Agnes sah wohlgefällig auf den jungen, schlanken, trotzigen,
ungebärdigen Prinzen. Sie übernahm das Patronat des Artusbunds. War
zugegen, als die Fahne des Bundes geweiht wurde, die ihre Farben trug.
Sie sagte zu Friedrich: »Ihre Politik, Prinz Friedrich, kann man mit dem
Herzen mitmachen.« Er sprach die Formel vor, aus dem Innersten, als sich
die Fahne vor ihr senkte: »_Pour toi mon âme, pour toi ma vie._« Sie
ging unter den klirrenden Herren herum, hatte liebenswürdige Worte, für
jeden einzelnen persönlich zugeschnitten. Ihre länglichen, blauen Augen
waren oft und einverständnisvoll auf dem schlanken, schwarzen Friedrich,
ihre schmalen, kühnen Lippen lächelten dem Abensberger zu, mit den
langen, weißen Händen streichelte sie das Murmeltier Herzog Meinhards.
Alle waren begeistert und beglückt.




»Darf ich Eurer Durchlaucht Bericht erstatten,« sagte der Frauenberger
zu Margarete, »wie der Markgraf starb?«

Margarete war sehr dick geworden. Schlaff hing, in wüsten Falten, von
dem äffisch sich wulstenden Maul die Haut herunter; weiter oben war sie
voll von Rissen und Warzen, die die Schminke nicht mehr verdecken
konnte.

»Ja,« sagte der Frauenberger und feixte, »der Markgraf war vergnügt wie
selten, als wir aufbrachen. Wir hatten getrunken, er und ich. Ich hielt
mich immer bei ihm. Er fiel vom Pferd zur Seite. Er war nicht sehr
entstellt. Es ist sonderbar, daß ihn in der Nähe Münchens der Schlag
rührte. Ganz wie den Papa.«

Margarete erwiderte nichts. Ihre sonst so erfüllten Augen blickten starr
und leer. »Na, na, Herzogin Maultasch,« quäkte Konrad, »wir werden es
mit dem Meinhard nicht schwer haben. Ein bißchen scheu, aber ein guter
Kerl. Der Niederbayer hetzt ihn auf, der Friedrich, der Schwarze, der
dumme Junge. Abwarten! Nicht bange werden. Einen Kuß hab' ich wohl
verdient,« grinste er. Aber wie der Atem seines breiten Mundes ihr näher
kam, zuckte sie zurück, überschauert. »Na, dann nicht,« sagte er
gemütlich.

Mit Herzog Rudolf von Österreich war auch der uralte Abt Johannes von
Viktring nach München gekommen. Er war nun ganz wackelig geworden,
ausgehöhlt, zitterig, hielt die meiste Zeit die Augen geschlossen,
mummelte gelegentlich Unverständliches vor sich hin. Er streichelte
Margarete, seine Haut war noch trockener als die ihre, er nannte sie:
»Mein gutes Mädchen.«

Später ließ sie ihn zu sich bitten. Erzählte ihm von dem mattfarbenen
Fläschchen, ihr Gespräch mit dem Frauenberger, Wort um Wort. Es war
keine Beichte und mehr als eine Beichte. Er hockte da, verschrumpft,
erloschen, sie wußte nicht, ob er verstand. Dies war auch gleichgültig;
wichtig war nur, vor lebendigen Ohren zu reden. Doch als sie geendet,
zitierte er einen antiken Klassiker: »Viel Furchtbares ist in der Welt,
doch nichts furchtbarer als das menschliche Herz.«

Agnes wich dem Frauenberger aus, war kalt zu ihm, spöttisch. Er sagte
behaglich: »Sie sind schlechter Laune, Gräfin? Mein Gesicht gefällt
Ihnen nicht mehr?« Dann klopfte er sie auf die Schulter, grinste,
quäkte: »Bist doch eine Gans, Agnes. Hältst dich an die Jungen, die
Gecken. Glaubst, das alte Schiff ist leck. Bist eine gute, dumme Gans,
Agnes.« Er tätschelte sie, tastete sie ab. Da sie sich ihm entzog,
lachte er gemütlich, streckte sich aufs Polster, drehte sich um, gähnte
lärmvoll.

                   *       *       *       *       *

Herzog Rudolf, der Habsburger, griff gierig nach den Dokumenten, die ihm
sein Kanzler, der kluge Bischof von Gurk, bedeutsam feierlich
überreichte. Er vertiefte sich in sie, las wiederholt, fieberisch glühte
der sonst so ruhige, beherrschte Mann. Er streichelte die Papiere. Hörte
auf die Erklärungen, die ihm der Kanzler, der juristisch ungewöhnlich
gebildete Bischof, vortrug. Von wie ungeheuern staatsrechtlichen Folgen
die Auffindung dieser Dokumente sei. Er las nochmals. Küßte feierlich
fromm die Pergamente, kniete nieder, betete. Drückte dem Bischof, der
gesammelt dastand und sich kein kleinstes Lächeln gestattete, voll
heftigen, erregten Dankes die Hände.

Herzog Rudolf hatte von seinem Vater den harten Tatsachensinn geerbt,
den klaren Blick für Realitäten, Möglichkeiten. Er wußte, daß Habsburg
noch nicht stark genug war, die Verpflichtungen der Kaiserwürde zu
tragen, ohne im Innersten Schaden zu nehmen. Die Wahrung des
kaiserlichen Ansehens zwang zu Zersplitterung, sog am Mark. Wittelsbach
und Luxemburg hatten es spüren müssen. Es gab nur eines: vorläufig auf
diesen äußeren höchsten Glanz klug verzichten, sich aber im Innern so
festigen, daß die Kaiserkrone schließlich wie von selbst Habsburg als
dem Stärksten zufallen mußte. Dies war die Politik, die Albrecht mit so
großem Erfolg vorgelebt hatte.

Rudolf sah klar und nüchtern, daß es für ihn einen andern Weg nicht gab.
Eisern zwang er sich, dieses Maß zu halten. Aber er besaß nicht den
ruhevollen Sinn seines Vaters, des Lahmen, der am Bewußtsein der realen
Macht sein Genüge hatte. Ihn brannte es, daß ein anderer da war, der vor
ihm saß, der sein Lehensherr war, der sich, und mit Recht, Römischer
Kaiser nannte. Wer war denn dieser Karl, der Duckmäuser, der hagere,
hohlwangige, mit seinem krausen, schmutzigen Vollbart? Er besaß Land wie
jener, hatte wie jener Universitäten gegründet, Kathedralen, Paläste,
die Universität Wien, den großen Dom. Jener hatte rechtzeitig die
glückliche Gelegenheit gepackt, sich die Krone zu sichern; jetzt wäre es
Unsinn gewesen, Kraft und Macht um dieses äußere Zeichen zu verzetteln.
Aber alle Vernunftgründe hinderten nicht, daß es Rudolf kratzte, nagte,
brannte, schnitt, den andern über sich zu wissen.

Er war zu stolz, seinen Kanzler solche Gedanken merken zu lassen. Aber
der kluge Bischof erriet sie, erwog, wälzte in sich, wie er dem Fieber
seines Herrn die kühlende Salbe schaffen könnte.

Plötzlich, eines Abends, hellte es sich ihm. Der Abt Johannes von
Viktring, mit dem er gern zusammensaß, hatte ihm eben gute Nacht gesagt.
Der Abt schloß sich wie jeden Abend ein, um an der Weltchronik zu
arbeiten, an der er seit ewigen Zeiten schrieb. Er nahm es ungeheuer
genau, hielt das Manuskript versperrt, geheim. In letzter Zeit, da er
nicht mehr schreiben konnte, hatte der Uralte einen Bruder seines
Klosters beigezogen, dem diktierte er. Der hatte einen heiligen Eid
schwören müssen, nie einen Buchstaben zu verraten. Gab es einen
Meinungsstreit, so fragte man den Abt. Was in seiner Chronik stand, galt
als letzte Wahrheit wie das Evangelium.

Wie jetzt der Abt sich zurückgezogen hatte, sagte sich der Kanzler: »Was
der Abt schreibt, gilt als Geschichte, ist Geschichte. Und ist doch nur
Papier. Alles Gewordene, Rechte, Privilegien sind Papier. Und werden
anerkannt, man kann darauf bauen. Nimmt man es genau, so steht die Welt
auf Papier. Der Böhme Karl hat kluge, gelehrte Theologen, die haben um
seine Krone einen Wall von papierenen Privilegien gemacht. Sind wir in
Wien weniger klug und gelehrt als die in Prag?«

Er setzte sich zusammen mit dem Abt. Er erinnerte ihn an den Tod Herzog
Albrechts. Wie da der Abt verkündet hatte: _Defunctus est Albertus de
Habsburg, imperator Romanus._ Dieses Wort, sagte der Kanzler, brenne in
Herzog Rudolf weiter; wie das ewige Licht in den Kapellen brenne es, Tag
und Nacht brenne es. Der Uralte hörte zu mit erloschenen Augen. Der
Kanzler sprach fort in halben, andeutenden Worten, der Uralte mummelte.

Auf einmal waren jene Dokumente da. Der gelehrte Abt hatte sie bei
seinen Forschungen im Archiv der Hofburg aufgestöbert. Verstaubt waren
sie, vergessen im Winkel hatten sie gelegen, die köstlichen Pergamente.
Unbegreiflich.

Waren sie doch, wie jetzt der Kanzler dem Herzog auseinandersetzte, weit
mehr als bloß historische Spielereien. Von ungeheuerm, lebendigem Belang
waren sie, geeignet, Habsburg auf einen neuen, hohen, mächtigen Sockel
zu stellen, unmittelbar neben den Römischen Kaiser.

Fieberisch erregt prüfte Rudolf die Papiere. Es waren fünf Urkunden. Sie
waren ausgestellt von Römischen Kaisern, von dem Ersten Friedrich, dem
Vierten Heinrich, gingen zurück bis auf Cäsar und Nero. Sie bestimmten,
daß Haus Habsburg ausgezeichnet sein solle vor den andern deutschen
Fürstengeschlechtern, befreiten es von lästigen Pflichten, begabten es
mit besonderen Rechten, machten den Habsburger zu des Reiches erstem,
oberstem und treuestem Fürsten.

Rudolf sah langsam, besinnlich auf, sah den Kanzler an. Ernst,
feierlich, gelassen, treuherzig schaute der auf ihn zurück. Da hob
Rudolf die Papiere vom Tisch, drückte sie an seine Brust, sagte fest, er
sei gewillt, die Würden und Verantwortungen, die Gott durch diese
Papiere ihm auferlege, auf sich zu nehmen.

Mit gewaltigem Schwung verkündete er aller Christenheit die Auffindung
dieser Hausprivilegien. Große Gesandtschaften an Papst, Kaiser,
sämtliche Höfe. Feierliche Messen in allen Kirchen der Habsburgischen
Lande. Rudolf, ungeheuer geschwellt, ließ das Zimmer, in dem er geboren
war, er, der Chef der Habsburger, den Gott begnadet hatte, diese
Urkunden wieder ans Licht zu ziehen, in eine Kapelle verwandeln.

In den Kanzleien der deutschen Fürsten gab es verblüffte Gesichter. Die
Juristen des Böhmen, des Brandenburgers, des Pfälzers schrieben sich,
kamen persönlich zusammen, berieten mit halben, vorsichtigen Reden,
schauten sich an, allen lag ein Wort auf der Zunge, keiner wagte es
auszusprechen. Endlich kam von Italien her das Wort, der Chronist
Villani brachte es, der um sein Gutachten angegangene Petrarca hatte es
geprägt, klar, unzweideutig: Die österreichischen Hausprivilegien sind
Schwindel, lahme Fälschungen. Allein man traute sich nicht, das
Gutachten des Welschen zu verwerten.

Tief mißvergnügt schaute Kaiser Karl dem Treiben des Habsburgers zu.
Fast verleidete es ihm seine Reliquien, daß nun auch der Nebenbuhler
solche Dokumente innehatte. Er bezweifelte sehr die Echtheit der
Schriftstücke, vor allem die Urkunden Cäsars und Neros schienen ihm
trotz ihrer einwandfreien Latinität bedenklich. Aber gleichwohl, sogar
nach dem Urteil Petrarcas, schwankte er und wagte auch vor sich selber
nicht, die Pergamente schlechthin für Fälschungen zu halten.

Herzog Rudolf saß über seinen köstlichen Dokumenten, las sie wieder und
wieder, vertiefte sich, prägte jeden Schnörkel, jede Faserung des
Papiers in sein Herz. Der Kanzler, der Abt Johannes schauten zu.
Einverständnisvoll, befriedigt sahen sie, wie tief und immer tiefer der
Herzog die Privilegien in sein Credo einschloß.

                   *       *       *       *       *

Margarete blieb, nach Tirol zurückgekehrt, in ihrer leeren, befremdenden
Erstarrung. Sie kümmerte sich nicht um die Regierungsgeschäfte. Die
Dekrete mußten durch Kuriere dem jungen Herzog nach München geschickt
werden zur Unterschrift; sie blieben wochenlang, monatelang liegen. Die
Räte regierten auf eigene Faust, zögernd, mit halben Maßnahmen; denn man
wußte nicht: wer wird nun endgültig die Herrschaft an sich reißen,
Wittelsbach, Habsburg, die Maultasch, die Münchner Artusrunde? Die
wichtigsten Dinge wurden unerledigt hingeschleppt.

Margarete war ausgeschöpft bis ins letzte. Sie hatte sich mit so
unerhörter Anstrengung hochgehoben, war in den Dreck geschleudert
worden, hatte sich wieder hochgerafft. Es hatte sich alles als Gerede
erwiesen, es war alles dumm, verlogen, frech; Reinheit, Tugend, Kraft,
Ordnung, Sinn und Zweck waren ebenso alberne Phrasen wie Herrentum und
Ritterlichkeit. Der Frauenberger hatte schon recht: es gab die sieben
Freuden, von denen sein unflätiges Lied grinste, und sonst nichts auf
der Welt.

Mit einer fast pedantischen Gier stellte die alternde, häßliche Frau ihr
Leben darauf ein. Ihre Tafeln bogen sich von Leckerbissen, sie saß viele
Stunden bei Tisch, in ihren Küchen wetteiferten burgundische,
sizilianische, böhmische Köche. Aus großen Bechern trank sie schwere,
hitzige Weine. Von allem wollte sie haben, alles mußte sie kosten.
Seltene Fische, Vögel, Wildbret, Muscheln, in immer neuer Zubereitung,
gesotten, gebraten, gebacken, in Mandelmilch, in Würzwein. Unersättlich
verlangte sie, daß man immer anderes herbeischleppe, gierig, voll Angst,
sie könne etwas übersehen, etwas versäumen. Sie ging früh zu Bett, stand
spät auf, schlief auch lange Stunden des Tages. Denn schlafen war das
beste. Von dem Frauenberger hatte sie sich angewöhnt, sich zu strecken,
lärmvoll zu gähnen, mit den Gelenken zu knacken. So lag die dicke,
alternde Frau, grauenvoll häßlich, schnarchend. Ihr hartes,
kupferfarbenes Haar zottelte in spröden Strähnen. Über dem Gesicht trug
sie eine Maske aus Teig, mit Eselsmilch und einem Pulver aus
Zyklamenwurzeln geknetet; denn dies erhielt die Haut jünger.

Der Frauenberger war zufrieden mit der Entwicklung der Herzogin. Ja, die
Maultasch war ein vernünftiges Weib, hatte sich überzeugen lassen, hatte
erkannt, daß seine Weltanschauung die rechte war. Er klopfte ihr
anerkennend die Schulter. Übernahm die Organisation ihrer Freuden.

Seltsame Gerüchte raunten durch die Stadt Meran, durch das Passeier. Um
nächtlichen Verkehr zu erleichtern, sei der Eisenkorb am Erkerfenster
von Schloß Tirol so eingerichtet, daß er in den Hof niedergelassen, der
Besucher in ihm emporgewunden werden könne. Im Fällturm des Schlosses
faulten die Günstlinge, die der Herzogin unbequem geworden seien. Man
rümpfte die Nase über die Privilegien des Passeier Tals, seine
Schildhöfe, die Befreiung von Steuern, die Jagd- und Holzrechte.

Die Herzogin ging tiefer nach Süden. Ihr kleines Lusthaus strahlte ganz
weiß; unten, schwärzlichblau, dunstete in mittäglicher Sonne der
weite See. Verfallene Steinstufen führten hinunter, zwischen
Granatapfelbäumen. Festlich auf großer, bunter, geschmückter Barke glitt
die Häßliche über das schwarzblaue Wasser, vor dem Kiel sprangen
flirrende Fische, gleichmäßig schäumten die Ruder. Aus dem Bauch des
Schiffes, während sie auf dem Verdeck lagerte, klang Musik.

An ihrem Wege stand der kleine Aldrigeto von Caldonazzo. Der heftige,
gewalttätige Junge, gelblichweißes, leidenschaftliches Gesicht, kurze
Nase unter raschen, großen, dunklen Augen, siebzehnjährig, hatte sie in
Verona gesehen, dann in Vicenza, wo ihr Can Grande der Jüngere, der
mächtigste Herr der Lombardei, feierlichen Empfang gerüstet. Der kleine
Baron Aldrigeto war in den zerfleischenden, blutrünstigen Kämpfen der
Castelbarcer als einziger Träger seines stolzen, reichen Namens
übriggeblieben. Er selber hatte wütig in mehreren Scharmützeln
mitgefochten. Jetzt waren die meisten seiner Festungen und Güter in den
Händen der Gegner; er hatte sich an den Hof des großen Veronesers
geflüchtet, fast drohend Hilfe, neuen Kampf verlangt. Er war der letzte
Nachfahr seines uralten Hauses. War maßlos verwöhnt, jeder Wallung bis
an die äußerste Grenze nachgebend. Die Frauen liebten sein hartes,
gelblichweißes Knabengesicht.

Er sah Margarete. Er sah sie an der Seite des großen della Scala die
Stufen seines Palastes hinanschreiten zwischen ehrfürchtigen Gerüsteten
und sich senkenden Fahnen, unter Glockengeläut, starr geschminkt, in
mächtigem, stein- und goldübersätem Prunkkleid, abenteuerlich häßlich.
Er spürte auf sich ihren langen, sonderbar leblosen Blick. Er hatte
natürlich wie alle Welt die dumpfen, wilden Legenden gehört, die um sie
gingen, wie sie, die Unersättliche, ihren ersten Mann vertrieben, ihren
zweiten vergiftet, zahllose Liebhaber habe verschwinden lassen in
grenzenloser Gier. Die deutsche Messalina hieß sie in Italien. Es
schmeichelte ihm, daß sie ihn ansah. Ihn reizte ihre Macht, durch die
er, vielleicht, seine Gegner erdrücken konnte. Ihn reizte das
gefährliche Gerücht, das um sie ging. Er war jung, ein später Abkömmling
eines uralten Geschlechts. Ihn reizte ihre Häßlichkeit.

Zwei Sommermonate verbrachte die Herzogin an dem weiten See mit dem
Knaben Aldrigeto. Es war brütend heiß, sie waren auch die Nächte fast
immer im Freien. Sie hatte Zelte aufschlagen lassen auf einer kleinen
Halbinsel am südöstlichen Ufer, unter den Trümmern lateinischer Villen,
zwischen uralten Oliven. Sie lagen in Hängematten, unter Moskitonetzen.
Schwärzlichblau, ehern lag der See.

Es geschah das Seltsame, daß der wilde, gelblichweiße Knabe die Häßliche
zu lieben begann. Er war schön, schlank, gelblichweiß wie die
zerbrochenen Statuen, die da und dort unter den Ölbäumen herumstanden.
Sie war ein großes, mächtiges, starres, zaubervolles, häßliches
Götzenbild. Was waren die jungen, schlanken, heißen Mädchen, die
schwerer atmeten, wenn er in ihre Nähe kam? Gänse waren sie, leer und
dumm und albern waren sie, eine wie die andere. Die Herzogin war etwas
ganz Besonderes, einmalig, voll von uraltem Wissen, die Herrin des
Landes in den Bergen, eingesperrt in ihrer rätselvollen, machtvollen,
einsamen Besonderheit. Er hängte alle seine Träume um sie herum. Längst
war es nicht mehr Ehrgeiz, Eigennutz, Neugier, was ihn an sie band. Wenn
er ihr vorschwärmte von dem großen Reich, das er zusammenschweißen
wollte vom Po bis zur Donau, wenn sie dann langsam ihre traurige,
starre, unsäglich häßliche Fratze ihm zuwandte, geschah es, daß er
mitten im Wort abbrach, versank. Etwas in diesem Gesicht ergriff ihn
panisch, überschauerte ihn, band ihn geheimnisvoll, unlöslich. So waren
sie zusammen in dem brütenden Mittag, die Herzogin, ein großes, tristes,
altes Sagentier aus einer versunkenen Zeit, umkrustet mit den Narben
zahlloser Kämpfe, träge von endlosem Erleben, und der Knabe,
palmenschlank und biegsam, der letzte, späte Enkel der ungeschlachten
Eroberer, mit heißen, dunkeln Augen aus dem weißen Gesicht in eine
Zukunft schauend, die für jene Vergangenheit war.

Sie zerlegte einen Granatapfel. Der blutige Saft troff über ihre
geschminkten Finger. Ihr weiter, wüster Mund nahm die glasklaren Kerne
auf, sie zerspritzten unter ihren schrägen, großen, malmenden Zähnen.
»Wie seltsam!« dachte sie. »Dieser Knabe schaut zu und ihn ekelt nicht.
Es scheint fast, er hält sich nicht aus Eigennutz zu mir. Ich bin alt
geworden, leer, trocken, und jetzt kommt einer und liebt mich.« Sie
dachte an Chretien de Laferte, sie strich mit ihrer plumpen Hand über
Aldrigetos strahlend schwarzes Haar. Mit einer jähen Bewegung warf der
Knabe den Kopf herum, biß sie in die Hand. Dann lachte er, nicht
bösartig. Silbern standen die Oliven, dunstig im Mittag flirrten die
stillen, trägen, seligen Ufer des Sees.

In Tirol indes, während die Herzogin in Italien war, ging das Gerede um
sie immer dicker und schwefliger. Sie sei eine Hexe, hieß es, sie sauge
den Männern nächtlich das Blut aus, sie könne an zwei Orten zugleich
sein; in Tramin hatten sie, während sie leibhaft in Verona war, ein Weib
auf dunkelrotem Pferd durch die Luft reiten sehen. Immer öfter mußte die
Obrigkeit Leute stäupen lassen, die unehrerbietig von der Herzogin
gesprochen hatten.

Margarete lag schlaff und faul herum an den Ufern des Sees. Stunde, Tag,
Monat stand still. Fuhr die Barke unter den Bäumen hin, dann war der See
plötzlich tot, Schatten weckten einen unheimlich, überfrostend aus dem
warmen Hindämmern. Der Knabe Aldrigeto liebte sie also. Er war schlank,
schön, die Blicke der Frauen feuchteten sich verlangend, wenn sie ihn
trafen, und er liebte sie; aber sie war zu leer und ausgehöhlt, sich
daran zu freuen. Fernher dachte sie an den Frauenberger: Schlafen ist
das Beste. Mit einem matten Verlangen wünschte sie nur eines: immer so
bleiben, immer so dahindämmern in dem brütenden Sommer, schlaff, still
verdunsten wie das besonnte Wasser.

                   *       *       *       *       *

Die Münchner Adelsgesellschaft, die bayrische Artusrunde, hatte sich
mittlerweile konstituiert. Mit großem Zeremoniell vollzog sich
Gründungsfeier, Aufnahme und Ritterschlag der einzelnen Mitglieder,
Fahnenweihe, Krönung der Agnes von Flavon zur Königin des Bundes. Dann
ein großes Turnier, Galatafeln, ausgedehnte Treibjagden.

Den jungen und gewalttätigen Herren des Bundes behagten die Grundsätze
des Prinzen Friedrich außerordentlich. Sie waren da, sie waren jung, sie
waren die Welt. Sie waren erfüllt von einem unbändigen Herrentum,
randvoll von dem Bedürfnis, um sich zu schlagen, zu schreien, zu toben,
einen endlosen, lustigen Lärm zu machen. Die Welt anzufüllen mit ihrer
Jugend, die nicht wußte wohinaus, ihrer ziellosen, zwecklosen Kraft,
ihrem Durst, irgend etwas anzustellen, zu tun. Nun hatte Prinz Friedrich
diesem vagen, gewalttätigen Drang einen schönen, klingenden Namen
gegeben, etwas, das aussah wie Sinn, Idee, Ideal. Die jungen,
übermütigen, rauflustigen Barone fühlten sich plötzlich als Träger einer
Mission, sie hatten Gott, Recht, Macht für sich, waren glücklich.

Wo soff und fraß man so gewaltig wie am Münchner Hof? Wo gab es größere
Jagd? Wo gab es soviel Tote bei Turnieren, soviel festliches Gelärm? Die
Brocken für die Narren und Zwerge, die zwischen den Beinen der Gäste
herumkrochen, waren reicher als die Herrentafel manches kleinen Fürsten.
Die jungen Barone waren so geschwellt von Rauflust, daß sie Wildfremde
anfielen: »Gibt es eine edlere Frau als Agnes von Flavon?« und wenn der
Gefragte erwiderte, er kenne die Dame nicht, ihn zu Tode fochten. Sie
brannten nach ihren Jagden Bauernhäuser, ganze Forsten nieder zur
festlichen Beleuchtung ihrer nächtlichen Gelage im Freien.

Die höfischen Tänze waren zu fein und zu umständlich. Die Sackpfeife
quäkte an Stelle der Flöte, an Stelle der Harfe knurrte der Fotzhobel.
Man tanzte grobe Bauernreigen, den Ridewanz, den Hoppeldei, andere
plumpe, ungeschlachte Tänze, sang dazu, sich die Schenkel klatschend,
unflätige Verse. Fuhr herum wie die wilden Bären, hob die Frauen hoch,
daß die Röcke über den Kopf flogen, streckte sie unter maßlosem
Gelächter auf wenig ehrbare Weise zu Boden. Man spielte Würfel, sinnlos,
erhitzt, verspielte Höfe, Burgen, Herrschaften, schenkte sie vielleicht
zurück, schlug gelegentlich den Partner tot. Dazwischen torkelten
Besoffene, konnten den Wein nicht bei sich halten. Man sang grobe,
schmutzige Lieder, durch die nächtlichen Gassen Münchens grinste,
kreischte in gröhlendem Rundgesang das Lied des Frauenbergers von den
sieben Freuden.

Der junge Herzog Meinhard ging dick, gutmütig, dümmlich und vergnügt in
dem tosenden Getriebe herum, fühlte sich stolz als der Mittelpunkt
dieses festlichen und berühmten Geweses, das in seinem Namen
veranstaltet wurde. Lächelte jeden wohlwollend an, sagte, heute sei
alles wieder besonders gut geglückt. Blickte schwärmerisch zu dem
schlanken, dunkeln Prinzen Friedrich auf. Streichelte seinen kleinen
Siebenschläfer Peter, erzählte dem aufmerksam blickenden Tierchen, daß
er sich sehr wohl fühle, daß das Regieren eine leichte, einfache Sache
sei, viel angenehmer als er erwartet habe.

Agnes ließ sich lässig und mit Wohlgefallen in der Verehrung und dem
Überschwang dieser vielen Jugend treiben. Ganz leise merkte sie hier und
dort eine sprödere Stelle der Haut oder eine schlaffere, ein winziges,
trockenes Fältchen in der Lippe, am Aug', ein gebleichtes Haar, spürte,
wie ihre Bewegungen um ein kleines mühsamer, träger, fetter wurden. Sie
brauchte die tosende Verehrung dieser vielen jungen Menschen als
Bestätigung ihrer Wirkung, sie brauchte ihre geräuschvolle Anhimmelung,
sie schwamm darin, sie ließ sich von der hemmungslosen Anbetung des
Prinzen Friedrich wohlig überspülen.

Der Prinz von Bayern-Landshut vergaß über dem Getümmel nicht seine
politischen Pläne. Er sah nicht Lärm und Roheit, er sah Macht; er sah
nicht Völlerei und Schlemmerei, er sah Herrentum und Glanz. Mit den
Führern der Artusrunde, dem Abensberg, Laber, Hippolt vom Stein riß er
die Leitung der ganzen Geschäfte an sich. Der junge Herzog vertraute
ihnen an, was immer sie wollten: Pflegnis, Rat, Amt, Siegel. Bei Tafel,
auf der Jagd wurde regiert. Hochmütig, zwischen zwei Bechern Weins,
wurden Städten ihre Privilegien abgesprochen, Bauern sinnlos harte Fron
auferlegt. Die alte Vorschrift, die Wildbret und Fisch dem Tisch des
Bauern versagte, dem Herrn vorbehielt, wurde streng erneuert. Die
Hofhaltung Meinhards, die Vergnügungen der Tafelrunde waren
außerordentlich kostspielig. Die Domänen wurden vergeudet, die Zölle,
Gefälle, Gelder der Städte den öffentlichen Bedürfnissen entzogen, für
die Zwecke der Artusrunde verbraucht. Die Steuern wurden erhöht. Der
Wildschaden stieg ins Ungemessene, der Bauer, der sich selbst zu helfen
suchte, wurde grausam zu Tode gehetzt. Einzelne Herren der Artusrunde
überfielen wohl auch die Transporte der Kaufleute, erst war es Scherz,
später willkommene Bereicherung. Handel und Gewerbe stockten durch die
Unsicherheit der Straßen.

Die Städte murrten, die Bauern stöhnten. Die Tiroler Herren standen an
den Grenzen, Herzog Stephan, der Habsburger, untätig noch, aber mit
drohenden Augenbrauen. Zuweilen erschien der Frauenberger in der
Artusrunde, als Gast; zur Mitgliedschaft wurde er nicht aufgefordert. Er
war indes keineswegs gekränkt, machte Späße, stachelte an; es war nicht
zu leugnen, er verstand gut, die Herren zu animieren. Herzog Stephan
schickte scharfe Botschaft an seinen Sohn, er werde seiner Erbschaft
Niederbayern verlustig gehen, kehre er nicht nach Landshut zurück. Prinz
Friedrich antwortete nicht, warf den Gesandten in Fesseln.

Auch der Habsburger, wiewohl er klüger und leiser sondierte, fuhr in
München nicht gut. Herzog Rudolf hatte ein Bündnis mit dem König von
Ungarn gegen Kaiser Karl geschlossen. In einem vertraulichen Schreiben
forderte er Meinhard auf, in dieses Bündnis einzutreten, den Kaiser für
den natürlichen Feind des Wittelsbachers ansehend. Allein Prinz
Friedrich, im Verfolg maßlos dünkelhafter Prestigepolitik, erachtete
keinen Reichsfürsten, sondern nur den Römischen Kaiser für Wittelsbach
gleichbürtig, alliierte sich nicht mit einem gewöhnlichen
Territorialherrn, schon gar nicht mit dem anmaßlichen Habsburger. Nein,
Wittelsbach stand, und mochten auch politische und ökonomische Gründe
dagegensprechen, aus idealen Motiven stolz und adelig zu dem einzigen
ihm ebenbürtigen Deutschen, zum Römischen Kaiser.

Auf seinen Kolben bei Tafel steckte ein buntscheckiger, buckliger
Hofnarr den vertraulichen Brief des Habsburgers, des Ersten, Obersten,
Treuesten Fürsten des Reichs. Von Gast zu Gast lief der vielgefleckte
Zwerg, mit zahlreichen, tiefen Verneigungen, wies auf seinem Kolben das
geheime, bösartig den Kaiser verunglimpfende Schreiben des
Österreichers. Dann schickte Friedrich im Auftrag Meinhards den
durchlöcherten, besudelten Brief mit einem hochtrabenden
Begleitschreiben als Gleicher dem Gleichen dem Kaiser nach Prag.




Auf einer Barke kam zur Halbinsel im Südosten des Sees der uralte
Johannes von Viktring. Er war begleitet von zwei Klosterbrüdern und
führte mit sich in verschlossener Truhe seine Chronik, »Das Buch
gewisser Geschichten,« das er nun endgültig abgeschlossen hatte.

Der Uralte war jetzt ganz ausgetrocknet und sehr weise. Er hatte so
vieles gesehen, alle Menschen und Ereignisse mit schönen Versen
begleitet, alle Dinge gewogen und in seinem Buch aufgezeichnet. Was noch
geschah, das konnten immer nur Variationen von dem sein, was er
geschildert. Zudem hatte er erfahren, daß ein Italiener, ein gewisser
Giovanni Villani aus Florenz, an einer ebenso weit und gründlich
angelegten Chronik arbeitete wie er selber. So hoch er jetzt über
Wallungen und eitlen Erregungen des Gemüts stand, so hatte es ihn doch
verdrossen, als er das Werk des Italieners von klugen und urteilsfähigen
Männern sehr rühmen hörte. Der ehrsüchtige welsche Literat machte es
sich leicht; er arbeitete mit sensationell aufgeputzten, auf starken
Effekt hinzielenden Schilderungen, während er, der verantwortungsvolle
Gelehrte, feilte, rundete, Daten, Fakten solid fundierte, immer das Werk
als Ganzes im Auge haltend. Jetzt also hatte er sich entschlossen, den
großen Punkt zu setzen. Er diktierte seinem Bruder Sekretär mit einem
wissenden Grinsen unterstrichen falscher Bescheidenheit: »Ich aber
überlasse es späteren, die zukünftigen Ereignisse besser zu berichten,
und beende hier meine Aufzeichnungen, und zwar, wie ich wenigstens
selbst gern möchte, in guter und der Geschichte würdiger Weise.« Er
mummelte ein Weniges, kicherte, legte dem Bruder Sekretär die dürre Hand
auf die Schulter, diktierte voll falscher, gespielter Demut den letzten
Satz: »Sollte es aber weniger gut geraten sein, so möge es mir verziehen
werden als unternommen zum Ruhm der heiligen und unteilbaren
Dreieinigkeit, welcher sei Ehre, Lob, Preis und Erhabenheit in alle
Ewigkeit. Amen.«

Und jetzt also saß der Uralte unter Oliven und tausendjährigem Gemäuer
und überreichte der Herzogin das Werk, bei seiner aufmerksamen Schülerin
Verständnis erhoffend. Margarete lag in der Hängematte, schüttete
gekühlten Orangensaft in ihren großen Mund; faul, schlank, weiß dehnte
sich der Knabe Aldrigeto, träg sich moquierend über den zahnlosen Greis.

Als der Abend kam und es kühler wurde, ließ sie sich von dem Bruder
Sekretär vorlesen. Die geübte, dunkle, gleichmäßige Stimme des Klerikers
rezitierte Widmung und Vorrede des Abtes. Unter Anführung vieler Zitate
sprach er davon, wie Leben und Wirklichkeit Geschichte wird, wie nichts
bleibt vom Leben und Sein als Geschichte, und wie Geschichte der letzte
Zweck alles Tuns ist und seine beste Basis. Was bleibt von großen
Männern als ihr Gedächtnis, das gleich ist dem Duft, den mit Äpfeln
beladene Schiffe auf unserm Ufer zurücklassen, wenn die Schiffe schon
weit am jenseitigen Ufer sind? In diesem Sinne begann er aufzurollen das
Bild der letzten hundertundzwanzig Jahre, ein Bild von der Kürze des
menschlichen Lebens, der Vergänglichkeit der Natur, der Unbeständigkeit
des Glücks, dem schnellen und flüchtigen Wechsel irdischen Ruhmes.

Margarete dachte: »Das alles weiß ich, und es trifft mich nicht mehr.
Mein Programm liegt hinter mir.« Aber mählich, wie die dunkle,
gleichmäßige Stimme des Klerikers weiterkam in den vielfältigen
Begebnissen, wie die bunten, einfältigen, schlauen, frechen, milden,
großen, kleinen Historien einander ablösten, alle abgekühlt, gut
gebettet, jede so da und so vorbei wie die vorhergehende und wie die
folgende, mählich da riß es sie mit, sie glitt hinein in den gemalten
Strom der Zeit. Meinhard, der große Graf von Tirol, der starke, schlaue,
unbedenkliche: sie war ein Teil von ihm. Diese Gebiete, die da so lange
getrennt gewesen waren: sie hatte das ihre getan, sie in der rechten Art
zusammenzukneten. Diese Städte, die als kleine, lächerliche Siedlungen
begonnen: sie hatte das ihre getan, sie groß und blühend zu machen.

Und jetzt war sie aus dem breiten, fließenden Strom ausgeschieden,
abgespaltet, brackiges, schlaffes, totes Wasser. Ihr Leben auf der
kleinen Halbinsel kam ihr plötzlich unsäglich albern vor. Die Ölbäume,
das alte Gemäuer, der Orangenhain, was war das anders als eine leere,
dumme, protzige Dekoration? Wie war es möglich, sich zu verstecken in
dem toten, brütenden, einsamen Sommer, während draußen heftige, wilde,
zerstörerische Dinge geschahen, in ihrem Land, während die deutschen
Fürsten sich balgten um ihren armen, lächelnden, blöden Sohn? Was hatte
sie statt dessen? Den Knaben Aldrigeto, einen hübschen, kleinen Jungen.

Den ganzen andern Tag las sie in dem »Buch gewisser Geschichten«. Der
Uralte strahlte, trank gegen seine Gewohnheit Wein, die größere Hälfte
mit zitternder Hand verschüttend, wackelte mit dem Kopfe. Dann schickte
sie einen Eilkurier nach Vicenza zu Can Grande, sie habe ihn dringend zu
sprechen.

Nahm mit einem tiefen, gütigen Lächeln leichten Abschied von dem Knaben,
strich über sein strahlend schwarzes Haar, streichelte sein
gelblichweißes, heftiges Antlitz. Sagte, sie werde in drei Tagen zurück
sein. Der Knabe ließ sich ihre Zärtlichkeiten faul gefallen, preßte
plötzlich mit kräftigen Fingern schmerzhaft scherzend ihr Gelenk, ließ
sie lächelnd fahren.

In Vicenza hatte sie mit dem Herrn della Scala eine kurze Unterredung.
Der kluge, mächtige, energische Herr mochte die Herzogin gut leiden, man
konnte mit ihr rasch und sachlich verhandeln. Sie sagte, die Episode mit
dem kleinen Aldrigeto sei nun zu Ende; sie habe den Knaben in guter,
freundlicher Erinnerung. Da sie ihn in solcher Erinnerung behalten
wolle, möge Herr della Scala ihr die Gefälligkeit erweisen, dafür zu
sorgen, daß jener verschwinde. Can Grande schaute sie mit klaren,
braunen, gewölbten Augen aus dem starken, fleischigen Gesicht aufmerksam
und verständnisvoll an, neigte sich höflich.

                   *       *       *       *       *

Aus brütender, sommerlicher Versunkenheit tauchte Margarete empor in die
frischere Luft der heimatlichen Berge. Man begrüßte sie ohne Schwung.
Das Land litt. Die Münchner Regierung der Artusrunde, von den Launen der
Agnes abenteuerlich hin und her gerissen, preßte experimentierend hier
und dort an Tirol herum, machte das Land krank. Die Städte verfielen,
der Bauer, zusammenbrechend, knurrte. »Die Maultasch macht uns kaputt,«
hieß es. »Sie saugt uns das Blut aus. Jetzt, wo der Markgraf tot ist,
erweist es sich klar, daß alles Gute von ihm kam, alles Schlechte von
ihr.«

Margarete, mit kräftiger Hand, riß die Zügel an. Rottete die schlimmsten
Übelstände aus. Milderte den Vollzug der Vorschriften, die von München
kamen. Das Volk atmete auf: »Ah, nun hat, endlich, Agnes von Flavon
eingegriffen! Die schöne, gesegnete Agnes! Unser Engel, unsere
Retterin.«

In der Loggia von Schloß Schenna saß mit dem Schloßherrn Margarete. An
den Wänden schritten die bunten Ritter, Garel vom Blühenden Tal, der
Löwenritter. »Wie gut, daß Sie aufgewacht sind!« sagte Herr von Schenna.
Hell und freundlich lagen die Berge, sich drängend, gewellt. Frischer
Wind ging, Obst und Wein lag fast gereift, besonnt.

»Warum haben Sie mich nicht früher geweckt?« sagte Margarete.

»Sie mußten durch diesen Sommer allein hindurch, Herzogin Margarete,«
sagte Schenna.

Der Frauenberger quäkte: »Wie schade, daß Sie schon Schluß gemacht
haben, Herzogin Maultasch! Er war ein hübscher Junge, gelblichweiß,
südlich. Und Ihnen so hemmungslos ergeben. Das findet sich nicht alle
Tage. Was haben Sie hier? Arbeit, Dreck, Mist. Hätten Sie die Münchner
Lausbuben ihren Fasching ruhig zu Ende hetzen lassen. Die wären schon
von allein an ihrer Tollheit erstickt.«

Die Herzogin fuhr beschwerlich in schneereichem Januar nach München,
sich das Gewese der bayrischen Artusrunde an Ort und Stelle zu
beschauen. Mit Mißtrauen, Zurückhaltung, starrer Höflichkeit wurde sie
in der Hauptstadt empfangen. Meinhard, als sie fester zupacken, klare
Auskunft von ihm haben wollte, drückte herum, blöde lächelnd, sagte, er
regiere zusammen mit seinen ritterlichen Kameraden, stammelte etwas von
Weiberregiment, warf sich schließlich in die Brust, ein paar Worte des
Prinzen Friedrich von den aristokratischen Grundsätzen deklamierend, die
an Stelle des jämmerlichen, krämerhaften, modernen Pöbelregimes gesetzt
werden müßten. Sie hatte eine Unterredung mit dem Landshuter Prinzen.
Der erklärte ihr schlank, kühl, höflich, hochmütig, seines Wissens sei
Herzog Meinhard mündig. Es stehe bei ihm, wem er sein Siegel anvertrauen
wolle. Ihr mütterlicher Rat werde stets gehört werden. Weiter kam sie
nicht.

Überall stieß sie auf Agnes. Ihre Farben, ihre Sitten, ihre Launen,
Moden, Neigungen gaben dem Hof sein Gesicht, bestimmten die Regierung
des Landes.

Agnes machte der Herzogin den Besuch, den die Etikette verlangte.
Schlank, schlicht saß sie vor der häßlichen, plumpen, geschminkten,
prunkenden Margarete. Ihre tiefen blauen Augen lächelten höflich in
selbstverständlichem Triumph in die erfüllten, dringlichen, drohenden
der andern. Im Kamin brannte ein starkes Feuer, der Duft des
verbrennenden Sandelholzes füllte den großen, dunkeln Raum.

»Sie leben jetzt immer in Bayern, Gräfin Agnes?« fragte Margarete.

»Durchaus nicht, Frau Herzogin,« erwiderte Agnes, und ihre etwas scharfe
Stimme stach grell ab von der warmen, dunkeln Margaretes. »Ich
beabsichtige schon in den nächsten Wochen nach Taufers zu gehen. Nötig
freilich ist meine Gegenwart nicht. Ich habe tüchtige Beamte; auch hat
Herr von Frauenberg die Liebenswürdigkeit, sich der Verwaltung meiner
Güter anzunehmen.«

Die Herzogin betrachtete Agnes still und aufmerksam. Sie war ein klein
wenig voller geworden; aber ihre Haut war ganz glatt. Sie saß leicht und
elastisch; der Hals stieg zart und ohne Falte aus dem dunkeln Kleid. Die
Verehrung all dieser Jugend war ihr offenbar ein feiner Jungbrunnen,
besser als Bad und Schminke. So sicher und voll Sieg saß sie, daß kaum
mehr Hohn um ihre schmalen Lippen war.

»Sie beschäftigen sich neuerdings viel mit Politik?« fragte Margarete.

»Nein, gnädige Frau,« sagte Agnes, sie war sehr aufmerksam jetzt und auf
der Lauer. »Der Herr Herzog und Prinz Friedrich fragen mich zuweilen um
meine Meinung. Ich halte dann nicht zurück; warum auch sollte ich? Aber
es ist die Meinung einer törichten Frau und will nicht mehr sein.« Sie
sprach außerordentlich verbindlich.

»Ich halte Ihre Meinung nicht immer für die rechte, Gräfin Agnes,« sagte
Margarete. »Ja, ganz ehrlich, ich bin überzeugt, daß sie dem Lande
zuweilen schädlich ist. Ich will Ihnen etwas vorschlagen,« sagte sie
heiter, fast scherzend. »Wie wäre es, wenn Sie Ihre Meinungen auf Bayern
beschränkten?«

Agnes erwiderte sehr angeregt, mit der gleichen, leichten, herzlichen
Munterkeit wie Margarete. »Sie sind mein Souverain, gnädige Frau. Aber
ist nicht auch Herzog Meinhard mein Souverain? Wenn er nun meine Meinung
über eine tirolische Angelegenheit durchaus hören will? So freudig ich
jedem Wunsch Eurer Durchlaucht folge, wenn der Fürst meine gewiß
törichte Ansicht verlangt, darf ich sie ihm verweigern? Und es kostet
Sie doch gewiß nur einen Hauch, und mein albernes Gerede ist
weggeblasen.«

Die beiden Damen schauten sich an, beide lächelten. Der Sieg um die
Lippen, in den Augen der Schönen war vielleicht um eine Spur satter
geworden. Dann sprach man von anderem. Von den baulichen Veränderungen
der Münchner Hofburg, von den Haarnetzen, die jetzt wieder aufkamen von
Prag her. Margarete hatte ein schweres, goldenes Gewebe über ihre
spröde, harte, gefärbte, kupferne Frisur gelegt. Agnes fuhr sich lässig
über ihr starkes, leuchtendes Haar; sie konnte sich mit der neuen Mode
nicht befreunden.

                   *       *       *       *       *

Kaiser Karl residierte in großem Prunk in Nürnberg. Hielt Galatafel,
Turnier. Empfing die Ratsherren der Stadt. Fremde Künstler, Gelehrte.
Hatte mit ihnen lange, behaglich interessierte Gespräche. Ruhte fern
seiner Hauptstadt von den Geschäften aus. Nahm teil an den großen
Faschingsfesten, die die reiche Stadt zu Ehren der Römischen Majestät
rüstete.

Der Bart des Kaisers, ein stumpfer Keil, begann sich stark zu verfärben,
die Haut des hageren Gesichts wurde grau, zerknitterte. Aber lebhaft,
schlau, sehr wach blickten über der etwas platten Nase die raschen
Augen, der lange, knochige Körper war schnell, sicher.

Der Kaiser war sehr vergnügt. Er hatte zugewartet, bis er ganz fest in
der Macht saß. Erst dann hatte er ein Kind gezeugt. Gott hatte seine
abwägende Vorsicht gesegnet: es war ein Sohn geworden, ein schwerer,
gesunder Knabe, dem er das Reich vererben konnte. Der beglückte Vater
hatte das Gewicht des Kindes in lauterem Golde als Weihgeschenk nach
Aachen gesandt; dann war er unter seinen Reliquien gekniet und hatte den
Gebeinen verkündet: »Ich, Karl der Vierte, Römischer Kaiser, habe einen
Sohn und Erben. Ihr lieben, verehrten Heiligen, ihr hocherlauchten
Märtyrer! Betet für Wenzel, meinen Sohn!«

Heiter jetzt saß er in Nürnberg, freute sich seiner Dichter und
Architekten, vermied Politik, sprach mit seinem Kanzler, dem
vielerfahrenen, weltläufigen Theologen, leicht und frei über menschliche
und göttliche Dinge, vermehrte seinen Besitz an Reliquien und sonstigen
Kostbarkeiten, erlustierte sich an Schlittenfahrten, Mummenschanz,
Turnier.

Unerwartet in diese unbeschwerten Tage brach die Herzogin Maultasch.
Tief erstaunt waren der Kaiser und seine Herren. Margarete hatte,
seitdem Karl sie in Schloß Tirol belagert, zu ihm nur kühle, sehr
förmliche Beziehungen unterhalten. Ihre Ankunft, schrieb der Kanzler
seinem Freund, dem Erzbischof von Magdeburg, sei eines der fünfzehn
Wunderzeichen vor dem Jüngsten Tag. Er machte sich weidlich lustig über
die deutsche Messalina, diese moderne Kriemhild, die da zu Hofe fahre,
nachdem sie ihr Leben hindurch um ihrer eigenen Liebe und Hasses willen
Land und Leute in Kummer und Elend gestürzt. Er schilderte, wie sie beim
Turnier in der Loge saß, neben der schönen Prinzessin Hohenlohe, die
plumpe Frau, bewarzt wie eine Kröte, dick wie ein Bierbrauer.

Der gutgelaunte Kaiser empfing seine ehemalige Schwägerin mit Wohlwollen
und Ironie. Ei ja, sie waren zusammen jung gewesen. Er hatte damals, als
er das italienische Abenteuer seines Vaters liquidierte, manches gute
Gespräch mit ihr geführt. Sie war eine kluge Prinzessin gewesen, aber
doch wohl eben nicht maßvoll genug. Sie hatte unersättlich von allem
haben wollen, so war ihr schließlich alles zerronnen. Er hatte sein
Temperament klug gezügelt, er war Römischer Kaiser und hatte einen Sohn,
dem er eine festgefügte Herrschaft hinterlassen konnte. Sie irrte herum
in der Welt, ein schwächlicher, ungeratener Junge vergeudete ihre
Länder, war Spielball in der Hand eines jeden, der ihn zu nehmen wußte.
Sie hatte seinen Bruder Johann höhnisch, schmählich aus Schloß Tirol
ausgesperrt; man mußte es dann vor der Kurie so drehen, als könnte aus
der Ehe mit Johann kein rechter Erbe kommen. Der Kaiser konnte es sich
nicht versagen, ihr den stattlichen, schmucken Sohn Johanns
vorzustellen. Wer hatte nun den rechten Erben, sie oder Johann?

Alte Geschichten. Alte Geschichten. Margarete nahm Ironie und Demütigung
still hin, mit einer geschäftsmäßigen Ruhe, die sie vielleicht von dem
Juden Mendel Hirsch gelernt, mit einem Gleichmut, der die
Einleitungsformalitäten ruhig über sich ergehen läßt, um nur ans Ziel zu
kommen. Dann klagte sie. Klagte über die törichten Gewalttätigkeiten der
Artusritter, die das Land ruinierten. Der Kaiser hörte zu; in ihm
grinste eine jungenhafte, hämisch die Zunge weisende Schadenfreude. Er
versicherte ihr sein persönliches Interesse, betonte aber, er habe sich
jetzt nach so vielen Jahren einer anstrengenden Regierung für einige
Wochen Ferien gemacht. Die Sache sei letzten Endes nur eine
Angelegenheit des Hauses Wittelsbach. Er werde sie aber, nach Prag
zurückgekehrt, trotzdem in wohlwollende Erwägung ziehen. Auch bei einem
wiederholten Vorstoß erreichte Margarete nicht mehr; sie hatte sich
umsonst gedemütigt. Karl war offenbar fest entschlossen, der inneren
Schwächung der Wittelsbacher in schmunzelnder Neutralität zuzuschauen.

Im übrigen behandelte der alternde Kaiser die Herzogin mit einer
übertriebenen, amüsierten, fast parodistischen Galanterie, die Margarete
früher aufs Blut gereizt hätte. Es würzte ihm die gehobene Heiterkeit
seiner Ferien- und Faschingstage, sein Glück, seine Erfolge zu
unterstreichen durch die Folie dieser im Grunde gescheiterten
Ehrgeizigen. Fast gutmütig scherzte er mit seinem Kanzler über die
Maultasch. Sie zeigte sich ohne Scheu, im hellsten Licht,
schmuckstrotzend wie ein Götzenbild, an der Seite des Kaisers. Das Volk
staunte sie groß an. Sie starrte nur auf ihr Ziel: Tirol, die Städte.
Agnes verjagen, das Land Agnes aus der Hand reißen. So angefüllt davon
war sie, daß sie mit keiner leisesten Ahnung merkte, was sie dem Hof und
der Stadt war: die groteske Krone dieses Karnevals.

                   *       *       *       *       *

Agnes war sehr belebt durch die Unterredung mit Margarete. Die Herzogin
hatte einen Vergleich angeboten, weiteren Kampf angesagt. Hatte, auf
Umwegen, ihre Niederlage einbekannt.

Agnes wußte, daß die Artusrunde allein das Land nicht auf die Dauer
halten konnte. Die Städte, der ganze Adel, soweit er nicht dem Bund
angehörte, bäumten auf. An den Grenzen stand lauernd der Habsburger,
drohend der Wittelsbacher. Drängte jetzt noch von Süden her die
Maultasch an, dann war es Narretei, ohne Allianz das Land halten zu
wollen.

Prinz Friedrich wollte das nicht wahr haben. Schlank, dunkel, trotzig
stand er, deklamierte überzeugt von seinem Schwert und seinem Recht. Er
gefiel Agnes sehr. Aber sie dachte an den Frauenberger, wie der wortlos
mit seinem jovialen, gefährlichen Lächeln den ganzen knabenhaften
Überschwang in kahle Nebel entzauberte. Sie seufzte ein kleines, träges
Seufzen, strich dem Prinzen über das dunkle Haar, begann vorsichtig eine
Aussöhnung anzuregen mit seinem Vater, mit dem Herzog Stephan, daß
Wittelsbach geschlossen stehe gegen Habsburg, gegen die Maultasch. Wie
gestochen fuhr der Prinz herum, trotzte auf, tief gekränkt, daß sie ihm
das zumute. Agnes schwieg, lächelte mit ihren kühnen Lippen, fuhr fort,
sein Haar zu streicheln.

Wenige Wochen später schlossen Stephan von Niederbayern und die
Pfalzgrafen Ruprecht der Ältere und der Jüngere bei Rhein einen Bund mit
Rat und Bürgern von München und elf anderen bayrischen Städten sowie mit
zweiundzwanzig bayrischen Baronen gegen diejenigen, die sich Artusritter
hießen und den Herzog Meinhard seinen Ländern und Leuten entfremdeten.
Sie sprachen den Ministern, die sich Meinhards, seiner Pflegnis, seines
Rates und Amtes angenommen, ihr Anerkenntnis ab, erklärten das
Regierungssiegel des Artusbundes für ungültig, die Gesetze und
Verordnungen, die jene erlassen hätten, für kraftlos. Sie verpflichteten
sich, den jungen Herzog der Schmach zu entreißen, in welche jene ihn
gestürzt, dahin zu wirken, daß er seine fürstliche Gewalt besser
wahrnehme und handhabe.

Die Artusbrüder machten große, grölende Worte, nahmen ein paar Münchner
Bürger als Geiseln fest, erklärten, sie würden die Meuterer an den
Beinen aufhenken lassen wie räudige Hunde. Indessen wurden in einzelnen
Städten im Oberland Truppen des Artusbundes entwaffnet und
gefangengesetzt, Steuerbeamte, die Gelder erheben wollten, verprügelt.
Die Münchner Tafelrunde hielt sich an den Geiseln schadlos, mißhandelte
sie, hieß sie den Boden rein lecken, zwei wurden schmählich aufgehängt.
Das verhinderte nicht, daß die Truppen der Barone von Tag zu Tag weniger
wurden, während im Norden Herzog Stephan ein Heer zusammenzog. Die
trotzigen Herren dachten nicht daran, ihren Bund gutwillig aufzulösen.
Im großen Saal der Münchner Hofburg schworen sie, mit gekreuzten
Schwertern, feierlich Einigkeit und Widerstand bis zum Untergang. Herzog
Meinhard stand benommen, erhoben, dümmlich und überflüssig bei diesem
Akt herum; heimlich streichelte er sein Murmeltier Peter, heftig dann
schrie er im Chor mit, als die andern beteuerten, sie würden sich nicht
unterwerfen, niemals, niemals, niemals!

Es begann nun für den Herzog ein wildes Wanderleben, dessen Sinn er nur
sehr teilweise begriff. Er wurde herumgeschleppt auf den Burgen der
Artusritter, von einer zur andern. War auf Schloß Laber, Pinzenau,
Maxlrain, Abensberg. Man jagte, soff. Berannte ab und zu die Burg eines
aufständischen Barons. Eroberte Schloß Wörth, zwei Burgen des
Oberjägermeisters von Kummersbruck, des Vertrauten des alten Markgrafen.
Die Maßnahmen, zu denen der Herzog seine Unterschrift gab, wurden immer
wilder und sinnloser. Ein Marktflecken, dessen Steuerertrag hinter den
Erwartungen zurückgeblieben war, wurde dem Erdboden gleichgemacht, der
Kummersbrucker, der sich neutral erklärt hatte, ohne Gerichtsverfahren
enthauptet. Diese Hinrichtung trieb den ganzen neutralen Adel ins Lager
der Gegner.

Der nicht sehr robuste Meinhard war den abenteuerlichen, gehetzten
Fahrten kaum gewachsen. Trist und apathisch saß er, während die andern
zechten, schlief zuweilen im Sitzen ein. Mehr und mehr glichen seine
Reisen einer Flucht. Im ganzen Süden besaßen die Artusritter keine
Stadt, keine Burg mehr. Sie wurden immer mehr zur Donau abgedrängt, wo
ihre festesten Burgen lagen. Noch immer erließen sie hochfahrende
Edikte, bedrohten Meuterer mit den grausamsten Strafen. Sie flohen nach
Neuburg, dann in das Gebiet des Bischofs von Eichstätt, der ihnen
ergeben war. Die Truppen Herzog Stephans besetzten ganz Oberbayern,
belagerten schließlich Meinhard mit den letzten seiner Anhänger in
Schloß Feuchtwangen im Altmühltal. Der Bischof von Eichstätt suchte sich
mit Herzog Meinhard verkleidet durchzuschlagen. Der junge Herzog ging
eifrig darauf ein; er hatte viel Spaß an der Kostümierung und keine
Ahnung, worum es eigentlich ging. Allein schon in Voburg wurden sie von
Bauern erkannt, festgehalten, dem Herzog Stephan nach Ingolstadt
ausgeliefert.

Feuchtwangen fiel. Prinz Friedrich und die Letzten der Artusritter
wurden gefangen.

In der Hofburg von Ingolstadt standen sich der Herzog und Prinz
Friedrich gegenüber. In Gegenwart der Agnes von Flavon-Taufers. Der
Herzog in Rüstung, schäumend. Städte und Dörfer kaputt, Menschen hin,
Geld vergeudet. Alles wegen des dummen Jungen. Soldatisch knarrte er
unter dem dicken Schnurrbart aus ehernem Gesicht. Der Junge stand
schlank, mit verfinsterten, verwilderten Augen, den Arm verwundet, im
Verband, grau das Gesicht. »Du wirst Abbitte tun, in der Kirche, vor
allem Volk, dich unterwerfen!« kommandierte der Vater. Der Junge lachte
nur, höhnisch. »Ich lass' dich verfaulen in meinem stinkigsten
Gefängnis!« tobte der Herzog.

Agnes glitt von einem zum andern. »Der Verband muß erneuert werden,«
sagte sie besorgt, nestelte daran herum.

»Diese Ärzte!« schimpfte der Herzog. »Lauter Pfuscher!« Er lief selbst
nach Arzt und Verbandzeug. »Der Teufelsjunge!« fluchte er.

Langsam, hart feilschend, während Agnes vermittelte, kamen sie überein.
Um jeden einzelnen der Artusritter, Begnadigung, Höhe der Bestrafung,
gab es erbitterten Kampf, Ausbrüche, Schäumen, Toben. Zweimal wies
Herzog Stephan den Henker an, sich bereit zu halten. Endlich fügten sie
sich zu leidlichem Frieden. Meinhard wurde München als ständige Residenz
zugewiesen; Prinz Friedrich führte weiter sein Siegel, doch bedurften
seine Verordnungen der Gegenzeichnung eines niederbayrischen oder eines
rheinpfälzischen Rates. Zwischen München und Landshut-Ingolstadt
vermittelte Agnes.

Herzog Meinhard lächelte sanft und dankbar. War froh, daß er nach den
wilden Wochen ausruhen durfte. Streichelte sein Murmeltier.




Margarete hielt Rat mit ihren Ministern. Anwesend waren der Vogt Ulrich
von Matsch, der Pfarrer Heinrich von Tirol, Graf Egon von Tübingen,
Landeskomtur des Deutschen Ordens in Bozen, Jakob von Schenna, Berchtold
von Gufidaun, Konrad von Frauenberg.

Was war, nachdem Herzog Stephan Macht und Einfluß in Oberbayern an sich
gerissen, zu tun?

Man konnte sich mit dem Wittelsbacher vertragen. Sich damit abfinden,
daß nicht Bayern von Tirol aus, sondern Tirol von Bayern aus regiert
wurde. Dadurch, daß der eigentliche Regent, Herzog Stephan, nicht in
München saß, sondern in Ingolstadt oder in Landshut, war sein Zentrum
nicht gar so nahe an Tirol, die Zentralisierung und Unitarisierung
erschwert, dem Land in den Bergen eine gewisse Autonomie gewährleistet.

Man konnte aber auch den Habsburger anrufen gegen Herzog Stephan. Er
wartete nur darauf. Abhängigkeit in irgendeiner Form wird sich freilich
auch da nicht vermeiden lassen. Aber ein kräftiges, stetiges Regiment
war verbürgt.

Zäh, träge schleppten sich die Argumente hin und her. In dumpfer
Verdrossenheit hörte Margarete zu. Kam denn niemand auf den Gedanken,
der am nächsten lag. Hatte sie sich so schlecht bewährt? Sie schaute auf
Schenna, auf Gufidaun. Die starrten mit mühevollen, leeren Gesichtern
vor sich hin.

Seltsamerweise war es der Frauenberger, der den Plan vorschlug, den sie
erwartete. Breit grinsend, vergnügt führte er aus: Wenn der junge Herzog
wirklich so anlehnungsbedürftig sei und Führung brauche, warum diese
Führung nicht dem gegebenen Vormund anvertrauen, der Mutter, der
Herzogin, die sich in viel schwierigeren Lagen so fürstlich bewährt
habe? Wozu erst lange mit Wittelsbach paktieren? Man bringe Meinhard
nach Tirol. Hätten ihn die bayrischen Herren in ihre scheußlichen,
verlorenen Winkelnester schleppen können, so werde man es mit Gottes
oder Teufels Hilfe noch fertigbringen, ihn nach Tirol zu kriegen, wo er
hingehöre. Habe man ihn erst im Land, dann werde man von hier aus nach
Bayern regieren. Herzog Stephan werde es sich reiflich überlegen, ehe er
von der Donau aus ein kriegerisches Abenteuer in das Land im Gebirg
wage. Und sogar dann habe man immer noch den Rückhalt an dem Habsburger
als natürlichem Bundesgenossen. Im schlimmsten Fall werde man eben
förmlich auf Oberbayern verzichten, gegen Entschädigung, und sich auf
ein großes, autonomes Tirol beschränken.

Ja, ein autonomes Tirol. Das war auch Margaretes Plan. Bayern als
Anhängsel; oder im äußersten Fall überhaupt nicht. Aber Tirol den
Tirolern.

Es handelte sich zunächst darum, Meinhard dem Einfluß Herzog Stephans zu
entziehen, ihn von München weg nach Tirol zu kriegen. Der junge Herzog
hatte seit Antritt seiner Regierung das Land in den Bergen noch nicht
betreten. Es war nur billig, daß das Volk ihn endlich zu sehen
verlangte.

Auf Betreiben Schennas und Gufidauns wurde eine große Tagung nach Bozen
einberufen. Es kamen blonde, stämmige Männer mit kurzen, breiten Nasen
und trägen, schlauen Augen und hagere, schwarzbärtige, gebräunte mit
kühnen, gebogenen Nasen und scharfen, raschen Augen. Es kamen die drei
Hauptleute des Landes im Gebirg, der zu Tirol, der an der Etsch und der
am Inn, es kamen die Hofmeister und Vögte und Burggrafen. Es kamen die
Barone, die großen und die kleinen, die Vertreter der Städte, Pflegen
und Gerichte. Es waren ihrer hundertunddreiundfünfzig Herren und Männer.
Sie traten zusammen auf dem bunten, fröhlichen Marktplatz von Bozen an
zwei strahlend dunkelblauen Spätsommertagen. Sie überlegten, sie
berieten langsam, schwer, vorsichtig, mit harten, krachenden, gurgelnden
Kehllauten. Sie schauten einander schlau und bieder in die Augen, sie
hatten umständliche, eckige, treuherzige Bewegungen, sie wischten sich
mit den schweren Rockschößen den Schweiß von den Gesichtern. Die Berge
standen rotbraun und violett, ganz oben weiß.

Sie entschlossen sich, dem jungen Herzog einen Brief zu schicken. Diesen
Brief unterzeichneten von den Baronen sieben, der ältere Ulrich von
Matsch, Schenna, der Trostburger, Heinrich von Kaltern-Rottenburg,
Gufidaun, der Frauenberger, der Botsch von Bozen, und es siegelten von
den Städten vier, Bozen, Meran, Hall, Innsbruck, im Namen aller übrigen.

Das Schreiben lautete so: »Lieber gnädiger Herr! Wir tun Euer Gnaden zu
wissen, daß wir zu Bozen beieinander gewesen und übereingekommen sind,
Sie zu bitten, daß Sie zu Ihrer wie des Landes Ehre und Nutzen
hereinkommen möchten zu uns, weil wir Sie schon lange gern gesehen
hätten, wie ganz billig ist; denn Sie sind ja unser lieber, rechtmäßiger
Herr. Auch werden Sie bei uns besser gerichtet und gewürdiget werden und
unverdorbener bleiben, als draußen in Bayern, wie man uns sagt,
geschehen ist, und auch Ihr Land und Leute da herinnen werden dann von
den Drangsalen, welche draußen sind, frei bleiben. Bei uns hier in dem
Gebirge steht durch Gottes Segen alles richtig und freundlich, so gut
als es je bei Ihres Vaters seligen Zeiten gestanden hat; auch herrscht
Friede im Land und an der Grenze. Gnädiger Herr! Wir bitten, auf uns zu
vertrauen, wir meinen es gut mit Ihnen. Trauen Sie es uns zu, wir opfern
Gut und Blut für Sie, vertrauen Sie sich sonst niemandem.«

Der Frauenberger brachte das Schreiben nach München. Er kam mit
stattlichem Gefolg, übergab das Schriftstück in feierlicher Audienz.
Versprach sich im übrigen nicht den geringsten Erfolg, sondern war
gewiß, daß man andere Mittel werde brauchen müssen.

Bei Tafel erzählte Prinz Friedrich, sein lieber Herzog und Vetter
Meinhard habe aus seiner Provinz Tirol ein sehr kurioses Dokument
bekommen, das er den edeln Herren doch nicht vorenthalten wolle. Der
Brief wurde verlesen. Erst schmunzelte man, dann pruschte man heraus.
Gelächter, immer lauter, stürmischer, schütterte alle. Es lächelte
Agnes, es lachten die Damen, es dröhnten, bogen sich die Herren, es
lachten scheppernd die Lakaien, es pfiff Meinhards Murmeltier Peter, es
quiekten die Kämmerlinge.

»Diese Tiroler!« sagte man, atemlos von der Erschütterung.

»Ja, unsere Tiroler!« sagte der Frauenberger, behaglich, rosig, fett,
und blinzelte aus den rötlichen Augen.

»Finden Sie auch den Brief Ihres Landes in den Bergen so komisch, Herr
Herzog?« fragte der Frauenberger. Er war, trotzdem eigentlich sein
Geschäft mit der Übergabe des Briefes zu Ende war, in München geblieben
und hielt sich viel in der Nähe Meinhards.

Der junge Herzog hatte in der Gegenwart des breiten, fleischigen Mannes
mit dem Froschmaul in dem nackten, rosigen Gesicht stets ein
unbehagliches Gefühl, seine joviale Art machte ihm angst. Aber er konnte
doch nicht recht fort, wenn er kam; der massige, lachende, quäkende
Mensch imponierte ihm; er sprach so ganz anders als alle andern,
respektlos, selbstverständlich, nackt. Man fühlte sich auf eine nicht
unangenehme Art hilflos vor ihm, von ihm hingenommen. Voll immer neuer,
mit Grauen untermischter Neugier ging der sanfte, dickliche, dümmliche
Herzog um den Albino herum.

Der Brief seiner Tiroler war Meinhard im Grund durchaus nicht lächerlich
vorgekommen, im Gegenteil, er hatte ihm lieb und lieblich in die Ohren
geklungen; nur weil die andern so schrecklich gelacht und das Schreiben
so albern und anmaßend gefunden hatten, hatte er mitlachen müssen. Daß
jetzt der Frauenberger, der große, gescheite Mann, die Kundgebung der
Tiroler so ernsthaft zu nehmen schien, war dem gehetzten, umstellten
Fürsten tröstlich und sehr angenehm. Aus dem zutraulichen Brief hatte
ihn etwas Einfaches, Ruhevolles angesprochen; es war ihm für ein paar
Minuten gewesen, als gebe es kein München und kein schwieriges
Ritterzeremoniell und keinen Artusbund und keine Wittelsbacher. Es mußte
schön sein, auf einer Bergwiese zu liegen zwischen großen Kühen, nichts
zu hören als leisen Wind und das sanfte, blasende Geräusch, mit dem die
Tiere das Gras abrauften.

Der Frauenberger stand vor ihm, blinzelte. Meinhard mußte näher an ihn
heran. »Wie es mich freut,« sagte er und schaute aus seinen blanken,
runden Augen zu ihm auf, »daß Sie den Brief meiner Tiroler nicht dumm
finden.«

»Nicht dumm!« quäkte eifrig der Frauenberger. »Jedes Wort sitzt an der
rechten Stelle! Jeder Buchstab trifft! Die über ihn gelacht haben, sind
die Dummen! Sonst hätte ich ihn doch nicht unterschrieben. Heut und
jederzeit unterschreib' ich ihn wieder, mit beiden Händen!«

Meinhard trat noch einen tastenden Schritt näher an den fetten Mann.
»Ich bin so müd und gehetzt,« klagte er. »Der Friedrich schaut mich auch
nicht mehr so freundhaft an wie früher. Erst hab' ich gedacht, regieren
ist leicht. Jetzt zerrt einer hierhin und eine dahin, und alle reißen an
mir.«

Der Albino legte ihm die fleischige, gefährliche Hand auf die Schulter,
quäkte: »Bub! Laß dich nicht klein kriegen, Bub!«

Meinhard zitterte unter der Hand des feisten Mannes, wollte ihr
entgleiten, schmiegte sich in sie.

»Sie haben Freunde, junger Herzog,« quäkte der Frauenberger, blinzelte
bieder, feixte behäbig.

Den Tag darauf sagte er: »Warum bleiben Sie eigentlich hier, junger
Herzog? Wenn Ihnen der Brief Ihrer Tiroler nicht mißfällt, warum folgen
Sie ihm nicht?« Sie ritten spazieren, es war früh am Morgen, unten
rauschte grün und frisch zwischen vielen Inseln von Kies die Isar, ein
großes Floß unter Lärm und Geräusch der Schiffer steuerte vorsichtig.
Der Gang des Pferdes verlangsamte sich. Meinhard hockte schlaff, dick,
betreten auf seinem Falben.

»Das geht doch nicht,« sagte er. »Das kann ich doch nicht.«

»Warum können Sie nicht?« beharrte der Frauenberger. Er ritt ganz dicht
an ihn heran, hob ihm wie einem Kind das Kinn. »Wer ist hier der Herr,«
sagte er, »Herzog Stephan oder Sie?«

»Ja,« sagte Meinhard, »wer ist hier der Herr?« Aber es klang gar nicht
trotzig, sondern trüb grüblerisch. Sein ganzes Zutrauen zu dem Albino
war weg, es war trist, wie unten die Isar sich zwängte, er hatte Scheu
vor dem Frauenberger, hätte nachmittags beinahe den Prinzen Friedrich
gebeten, ihn wegzuschicken.

Am andern Morgen sprach der Albino nicht mehr von dem Plan, Bayern zu
verlassen. Er lag mit Meinhard im Gras unter reifendem Obst. Er sang
sein Lied von den sieben Freuden, kommentierte es väterlich,
wohlwollend, saftig. Diese Weltanschauung ging dem jungen Fürsten sehr
ein, er streichelte seinen Siebenschläfer Peter, war vergnügt. Der
Frauenberger streckte sich, knackte die Gelenke, drehte sich auf die
Seite, gähnte, schlief mit mächtigem Geräusch. Ja, schlafen war das
Beste. Gelockt, aber doch mit dunkleren, scheuen Augen betrachtete
Meinhard den unbekümmerten, fleischigen, schnarchenden Mann.

Agnes sagte zu ihm: »Sie sind sehr lange in München, Herr von
Frauenberg. Sie haben doch so wichtige Ämter in Tirol. Vermißt man Sie
dort nicht?«

Der Frauenberger grinste, betastete sie mit seinen rötlichen Augen, daß
sie schwerer atmete, quäkte: »Ich bin natürlich nur Ihrethalb hier,
Gräfin Agnes.«

Sie kamen zusammen, er lag auf ihren Polstern, es war drückender Sommer,
die Luft im Raum war dumpf und furchtbar heiß. Sie streichelte seine
prall fette, rosige Haut. »Nun,« lächelte sie, »hab' ich den falschen
Teil erwählt? Ich hab' mich gut gesichert, scheint mir.«

Er feixte: »Werden sehen, Hühnchen, werden sehen.«

Das hieß die gut gesichert, dachte er. Gut gesichert war er. Wenn er
jetzt den Buben mit nach Tirol nahm, hielt er die Mutter durch den
Jungen, den Jungen durch die Mutter. Er war der eigentliche Regent von
Tirol. Ei ja, wenn man noch so häßlich war, was alles aus einem werden
konnte mit einem bißchen Vernunft, Sachlichkeit, Glück.

In seiner breiten, behaglichen, munteren Art hetzte er weiter an dem
Jungen. Lockte, stachelte, trieb. Nahm ihn gewalttätig in seine kurzen,
roten Hände. Nach Tirol! Meinhard solle endlich nach Tirol, sich seiner
Grafschaft zeigen. »Also Flucht?« machte Meinhard, zaghaft. Ei was! Wer
dachte an Flucht? Nur war es nicht nötig, zuviel Wesens aus dieser Reise
zu machen. Man brach einfach auf, Meinhard, er, zwei, drei Knechte. Ohne
große Worte. Es wurde zuviel geredet in Bayern und Tirol; das verwirrte
die einfachsten Dinge. Ende der Woche reiste Prinz Friedrich nach
Ingolstadt zu seinem Vater. Da wird man dann eben auch losreiten. Nach
der umgekehrten Seite, nach Süden, nach Tirol. Das Murmeltier Peter soll
seine Berge wiedersehen.

                   *       *       *       *       *

»Mein Sohn kommt, Schenna!« sagte Margarete, und ihre dunkeln Augen
waren lebendig erfüllt. Sie hatte einen Kurier von dem Frauenberger, er
werde Meinhard bringen.

»Wie Sie sich freuen, Frau Herzogin!« sagte der lange Herr, beugte sich
vor, schaute sie aus seinen grauen, sehr alten Augen gut an. »Ich hatte
nicht mehr gehofft, daß Sie sich so würden freuen können.«

Margarete hörte nicht. »Ich weiß,« sagte sie, »er ist unbegabt. Es gibt
landauf, landab Tausende, die begabter sind. Aber er ist mein Sohn. Er
ist aus dem Boden dieses Landes gemacht, seiner Luft, seinen Bergen.
Glauben Sie mir, Schenna, der sieht die Zwerge.«

Ja, Margarete hatte die zerlöcherte, heruntergelassene Fahne ihrer
Hoffnung wieder hochgezogen. All ihr Wille, all ihr Leben sammelte sich
in der Erwartung ihres Sohnes. Mit plumpen, geschminkten Händen
streichelte sie das Bild des sanften, dicken, dümmlichen Jungen.

                   *       *       *       *       *

Ein Knecht voran, einer hinter ihnen, ritten Meinhard und der
Frauenberger in raschem Trab gegen Süden. Es regnete, die schlechte
Straße führte oft durch dicken Wald, löste sich streckenweise ganz in
Schlamm auf. Es war nicht leicht, in der dunkeln, nassen Nacht den
rechten Weg zu halten; an Fackeln war bei dem Regen nicht zu denken.

Die Herren trugen keine Rüstungen. Man dampfte in den nassen Kleidern,
von den feuchten Lederkollern und Lederkappen ging ein starker Geruch
aus. Man ritt schweigsam; zuweilen, wenn man durch eine nächtige
Siedlung trabte, schlug ein Hund an.

In dem Dorf Lenggries machte man halt. Nach wenigen Stunden drängte der
Frauenberger weiter. Aber Meinhard fühlte sich müde und elend, mehr
durch Erregung als durch den langen Ritt. Der schwierigere Teil des
Weges stand bevor; denn es war ratsam, menschenreichere Orte meidend,
durch die wilde Riß nach Tirol vorzustoßen. Man verzog also, dem Wunsche
Meinhards folgend, in der Herberge des Dorfes Lenggries.

In dem engen, finstern Raum lagen der Frauenberger und Meinhard auf
Strohsäcken. Die Kammer war niedrig, das Feuer rauchte, aber es wärmte
nicht, die Luft war stinkig, Regen und Wind kam durch die
Fensteröffnung. Der Frauenberger schnarchte lärmend; im Winkel nagte
eine Ratte. Meinhard lag, alle Glieder taten weh vor Müdigkeit, aber er
konnte nicht schlafen, die Haut juckte, die Augen brannten ihm. Er
fühlte sich eng und unglücklich, er wußte plötzlich nicht, was er in
Tirol sollte; er wäre am liebsten nach München zurückgekehrt. Er
fürchtete sich vor der Begegnung mit seiner Mutter; sie war so dick und
häßlich und gewalttätig. Er schielte nach dem Albino, der lag massig da,
ruhig, schnaubte, schlief. Er hatte Angst vor ihm, aber der Frauenberger
war doch der einzige, der ihm helfen konnte. Er nahm einen unsicheren
Schluck aus dem klobigen Krug schalen Bieres, der neben ihm stand,
schaute einer Fliege zu, die über das Gesicht des Frauenbergers kroch;
den schien sie nicht zu genieren. Schließlich, leise, rief er: »Herr von
Frauenberg!«

Der war sofort wach, quäkte mit seiner schleierlosen Stimme: »Was
gibt's?«

»Nichts,« sagte reuevoll der Junge. »Nur, es ist so ungemütlich. Ich
kann nicht schlafen.«

»Dann reiten wir weiter,« entschied der Frauenberger und war schon auf
den Beinen.

»Nein, nein,« bat Meinhard. »Es ist nur, ich möchte ein bißchen mit
Ihnen reden. Hernach werde ich gewiß ruhiger sein.«

»Dummer Bub!« knurrte der Frauenberger.

»Hat mein Vater eigentlich Tirol lieber gehabt oder Bayern?« fragte
Meinhard.

Der Frauenberger blinzelte. »Zuerst wohl Tirol, dann Bayern,« sagte er.

»Und dann ist er gestorben?« fragte der junge Herzog.

»Ja,« antwortete der Frauenberger, »dann ist er gestorben.«

Als Meinhard nach ein paar Stunden schlechten Schlafes erwachte, war
sein kleines Murmeltier Peter nicht mehr da. Der junge Herzog und die
Knechte suchten, der Frauenberger knurrte über die Verzögerung.
Schließlich fand sich das Tierchen tot im Stroh des Frauenbergers. Es
mußte seinem Herrn entwischt sein, der schwere Mann hatte es wohl im
Schlaf erdrückt. Meinhard starrte entgeistert. Eine dumpfe, träge,
lähmende Traurigkeit fiel ihn an. Er schaute in stumpfem, wehrlosem
Grauen zu, wie ihm der Albino das possierliche Tierchen, das er geliebt
hatte, aus der Hand nahm, es an den Beinen hochhielt, die kleine Leiche
pfeifend in einen Winkel warf. »Jetzt aber aufs Pferd!« quäkte er.

Man ritt weiter den Fluß hinauf. Das Tal wurde enger, verwinkelter; die
elende, schmale Straße folgte in endlosen Biegungen dem reißenden,
weißgrünen Fluß. Dicker Wald, triefende Bäume. Unten, gischtig, gläsern
grün, von vielen Kiesinseln zerspalten, das lärmende, rasche Wasser,
durch die Tannenwipfel ein trister, schmutziggrauer Himmel. Die
Felswände traten oft so nahe in die Straße, daß die Pferde scheuten, nur
mit Mühe weiterzubringen waren.

Dann gabelte sich der Weg, man tauchte in dicken, endlosen Forst. Den
immer dünneren, tosenden Fluß entlang ritt man, der hell und fröhlich
laut durch den dunkeln Wald seine Straße brach. Die Gegend lag
schweigend, ungeheuer einsam. Regen rann, gleichmäßig, hoffnungslos,
selbst das Pfeifen des Frauenbergers verlor seine Frische in der nassen,
grauen Traurigkeit ringsum, lahmte, starb.

Endlich sperrte ein hoher Gebirgsstock das Flußtal, dem man bisher
gefolgt war. Man war in einem zirkusartigen Halbrund riesenhafter,
grausig kahler, weißlichbrauner Felswände. Dahinter lag Tirol. In diesem
Hochtal nächtigte man. Der Frauenberger und die Knechte richteten sich
im Freien ein, so gut es ging. Eine winzig kleine, verfallene Hütte war
da, die ließ man als Unterschlupf vor dem Regen dem Herzog.

Da hockte nun, halb kauernd, halb liegend, in der Hütte der Knabe
Meinhard, Herzog von Bayern, Markgraf von Brandenburg, Pfalzgraf bei
Rhein, Graf von Tirol. Er äugte, lauschte, ob die andern ihn sehen
könnten, schon schliefen. Als er sich allein glaubte, hielt er sich
nicht mehr. Er hatte Angst, fühlte sich zerschlagen, unsäglich elend.
Langsame Tränen kollerten aus seinen blanken, runden Augen über seine
dicken, dummen Wangen. Er weinte, weil der Frauenberger sein Murmeltier
Peter erdrückt hatte, er weinte, weil die Felswände so hoch waren, die
er morgen übersteigen mußte.

                   *       *       *       *       *

Agnes war verblüfft über die meisterhafte Schlichtheit, wie der
Frauenberger den Herzog so frech und geradezu entführt hatte. Er
imponierte ihr, er war ein Kerl, daran war nicht zu rütteln. Mit Unlust,
ohne Schwung und Glauben an Erfolg traf sie Gegenmaßnahmen. Am liebsten
hätte sie alles dem Prinzen Friedrich überlassen; doch der war in
Ingolstadt. Sie mußte allein die Verfolgung organisieren.

Sie schickte Kuriere an die Grenzen, kleine Streifen Bewaffneter. Man
mußte sacht vorgehen, durfte kein Aufsehen erregen; es ging nicht an,
den Fürsten mit sichtbarer Gewalt am Betreten seiner Grafschaft Tirol zu
hindern.

Der Frauenberger glaubte sich, nachdem er das kleine Jagdhaus im
Karwendel hinter sich hatte, schon ungefährdet. Doch wenige Stunden,
bevor sie den bequemen Paß zum Achensee erreichten, begegnete ihnen der
Transport eines Holzhändlers, der in diesen Gegenden gearbeitet hatte,
und den früher einmal, nachdem er gewisse etwas zu gewalttätige
Transaktionen nicht ruhig hingenommen hatte, der Albino hatte stäupen
lassen. Der Frauenberger dachte zunächst daran, den Holzhändler
anzufallen und beiseite zu schaffen; doch da hätte einer von den sechs
Knechten des Transportes sich durchschlagen können, und dann war der
Herzog noch mehr gefährdet. Der Frauenberger beschloß also, den
Holzhändler laufen zu lassen und, trotz der Bedenken der wegekundigen
Knechte, statt des leichten Übergangs über das Plumser Joch den
schwierigen, ungewöhnlichen Weg über das Lamsenjoch nach Schwaz oder
Freundsberg zu versuchen.

Man ließ die Pferde zurück, bog kurz vor der Felswand in ein Seitental.
Der Bach, der dieses Tal gebildet, hatte kein starkes Gefälle, oft
verlor er sich ganz, floß unterirdisch. Der pfadkundige Knecht führte.
Man stieß auf Weidengehölz, Moorboden. Es regnete noch immer. Dann,
überraschend, weitete sich das Tal. Fremdartig war plötzlich ein
Ahornbaum da. Mehrere. Ein ganzer Hain. Die alten Bäume standen groß und
still im Regen. Nur undeutlich erkannte man durch sie und hinter
Regenschleiern die riesigen, weißen Bergwände, die weit und
unwiderruflich ringsum das Tal schlossen, und sie waren so hoch, daß man
durch die Bäume ihre Gipfel nicht sah. Kein Wind ging, man hörte still
und gleichmäßig den Regen triefen von den Blättern der alten, ernsten,
fahlfarbenen Bäume.

Meinhard konnte nicht weiter. Man rastete in dem ständig rieselnden
Regen, machte sich an die mitgebrachten Speisen. Meinhard konnte nicht
essen. Es ängstete ihn, daß man die Gipfel der Felswände nicht sehen
konnte. Nie wird er da hinauf- und hinüberkommen; man stand eingesperrt
in diesem Tal unter den unheimlichen, leichenhaften Bäumen wie am Ende
der Welt.

Sie begannen den Aufstieg. Er war fürs erste nicht schwer. Man stieg
sachte, in kleinen Windungen einen Gießbach entlang. Die Knechte voraus,
den bequemsten Pfad suchend. Meinhard hatte schon schwierigere Wege
gemacht; aber es war wie eine Lähmung über ihm. Die Beine waren ihm wie
Klötze, er schwitzte vor Mattigkeit, atmete mit Mühe. Er glitschte auf
dem nassen Stein, der Frauenberger stützte ihn, er zuckte bei jeder
Berührung. Je weiter man emporklomm, so höher, höhnischer,
unüberwindlicher starrte ihm die Felswand.

Abgeblühte Alpenrosen, Kriechgehölz, Schnee. Die Knechte stapften
gleichmäßigen Schrittes voran. Unsicher, gleitend, schnaufend,
aussetzend folgte der Herzog. Plötzlich blieb einer der Knechte stehen,
horchte, sah den Frauenberger an. Der hatte schon gehört, erlaubte
seinem nackten Gesicht kein Zucken. Der Holzhändler hatte also doch wohl
Alarm geschlagen. »Menschen oder weidendes Vieh,« sagte er gleichmütig.
Drängte weiter. Auch die Knechte nahmen rascheren Schritt.

Meinhard hatte auf Rast gehofft. Es erbitterte ihn, daß man dazu keine
Anstalt machte. Dann fiel er in trübe Lethargie, ließ sich schlaff von
dem feisten Mann weiterzerren. Sowie man einen Augenblick ausschnaufte,
brannte einen die scharfe Kälte. Der Schnee wurde tiefer, der junge
Herzog brach bei jedem Schritt ungeschickt ein.

Der Frauenberger überlegte schneidend klar. Ohne den Schnee hätte man
ihn wohl hinüberbringen können. So war es nicht möglich, mit dem
Jammerlappen über das Joch zu kommen. Zudem schien es, als ob Meinhard
jetzt störrisch würde. Er machte sich schwerer, träger.

Die Knechte waren ein gutes Stück voraus. Der Frauenberger blieb stehen.
»Na, junger Herzog«? quäkte er. »Müde?« Meinhard sank erschöpft in den
Schnee, atmete hastig. Der Frauenberger pfiff sein Liedchen. Dachte
scharf nach. Dies also war schief gegangen. Er hatte sich schon
abgefunden. Wie weiter? Meinhard in die Hand der Wittelsbacher
zurückfallen lassen? Die würden nach der mißglückten Flucht den Jungen
doppelt fest haben. Es wäre gut gewesen, Meinhard gegen die Maultasch
ausspielen zu können. Das ging nicht. Dann besser mit der Maultasche
allein, und der lästigen Kontrolle der Wittelsbacher ein für allemal der
Vorwand entzogen.

Er pfiff noch immer. Trank Wein aus seiner Flasche. Reichte auch
Meinhard zu trinken. »Wir müssen weiter, junger Herzog,« sagte er. Gab
ihm die Hand, ihm beim Aufstehen zu helfen.

»Ich kann nicht,« klagte Meinhard, als er mühsam stand. »Ich mag auch
nicht,« fügte er störrisch hinzu.

»So«? feixte der Frauenberger. »Na, dann nicht, Bub,« sagte er. Er
quäkte es gemütlich wie stets; aber etwas in seiner Stimme zwang
Meinhard aufzublicken. Der Albino blinzelte durchaus nicht mehr, er
schaute hart, aufmerksam, erst nach den Knechten, die weit voran waren,
dann auf ihn. Meinhards blanke, runde Augen wurden ganz starr vor
Grausen, seine Kehle gab nicht mehr her als einen kleinen, heiseren
Laut. Er krampfte seine kurzen, dicken Kinderhände in das Holzgezweig
der Alpenrose, bohrte seine Füße in den Boden. Der Frauenberger, ruhig
grinsend, sagte: »Na komm, junger Herzog!«, löste langsam mit seinen
roten, fleischigen Händen die steifen, klammernden Finger des Jungen von
dem Felsen, hob ihn hoch, hielt ihn über den Abgrund, quäkte: »Adieu,
Bub!«, ließ ihn fallen. Der Körper schlug mehrmals auf, fiel nicht tief,
blieb liegen.

Der Frauenberger rief mit einem harten, gellen Pfiff die Knechte zurück,
deutete wortlos hinunter. Sie stiegen hinab, die Leiche war arg
zerschrundet, der dicke, sanfte Schädel klaffte an zwei Stellen. Sie
warteten auf die Verfolger. Es waren zwei Offiziere mit mehreren
Knechten. Der Frauenberger sagte, er habe mit dem jungen Herzog
Murmeltiere fangen wollen, da sei der Herzog gestürzt. Fleischig stand
er in seinem nassen, stark riechenden Lederkoller, blinzelte mit den
rötlichen Augen. Flockiges Gemengsel von Schnee und Regen rieselte auf
die Leiche. Ein leichter, kalter Wind hatte sich aufgemacht. Alle hatten
Helme und Kappen abgenommen, standen stumm im Schnee um den
zerschrundeten Toten.




Durch die Säle und Gänge von Schloß Tirol torkelte ein Weib, lallte,
heulte, fiel hin, stand wieder auf, torkelte weiter. Der übergroße,
unförmige Unterkiefer fiel herunter, das Haar zottelte, teils in
stumpfem, widerwärtigem Kupfer, teils gelblichweiß entfärbt. Ein Laken,
eine Art Nachtgewand, flatterte um den untersetzten, aufgequollenen
Leib, um die schlaffen, großen Brüste, schleifte am Boden nach. Die
Dienerschaft hielt die Heulende, Torkelnde, Lallende für eine
Betrunkene, erkannte erst allmählich die Herzogin.

Der Kurier mit der Todesnachricht war in aller Frühe gekommen, Margarete
hatte die Meldung im Bett erhalten. Sie war aufgestanden, nicht
übermäßig rasch, aufheulend, an den ratlosen, scheuen Zofen,
Kämmerlingen vorbei, stier, blind, das Laken hinterherschleifend.

Schenna führte sie zurück. Nun hockte sie in ihrem Schlafzimmer, stierte
vor sich hin, dachte Fetzen von Gedanken.

Gesäumt mit Toten ihre Straße. Der Kopf des Chretien de Laferte, das
Pulver geruchlos, geschmacklos, daran der Markgraf gestorben war, ihre
Mädchen, mit den großen, schwarzen, aufgebrochenen Pestbeulen, der Jude
Mendel Hirsch, im Gebetmantel, lächelnd, der Knabe Aldrigeto, Meinhard.
Es war, weil sie so häßlich war, darum ging der Tod hinter ihr her,
darum stierten sie aus allen Winkeln leere, beinerne Schädel an.

Sie hockte und regte sich nicht. Mittag kam, Abend kam. Ihr dürres
Fräulein von Rottenburg fragte, ob sie nicht essen, sich nicht ankleiden
wolle. Sie regte sich nicht. Ihr Weg gesäumt mit Toten. Es war, weil sie
so häßlich war.

Unterdes geleitete der Frauenberger die Leiche Meinhards über Mittenwald
nach Tirol. Er feixte: er bekam es allmählich in den Griff, seinen toten
Souverän zu geleiten.

Das Land in den Bergen empfing betreten seinen Fürsten. Es hatte ihn in
feierlicher Tagung gebeten, zu kommen. Nun kam er, so. Sie standen an
den Straßen, als der Zug vorbeischwankte, in Regen und Schnee. Glocken
läuteten, die Geistlichen im Ornat, die Feudalherren, Richter, Pfleger
barhaupt. An ihnen vorbei der Sarg, den Zirler Berg hinauf, hinunter,
Innsbruck, den Brenner hinauf, hinunter, den Jaufen, Passeier. Das Volk,
während es, sich bekreuzigend, dem Zuge nachsah, hatte langsame,
schwere, unbehagliche Gedanken. Dies war der letzte Graf von Tirol. Es
war nicht gut gegangen mit der Maultasch. Ihr erster Mann verjagt, der
zweite so seltsam gestorben, ihr Sohn tot, ehe er sein Land gesehen.
Dazu Krieg, Revolution, Wasser, Feuer, Pestilenz. Nein, Tirol hatte
keine gute Zeit gehabt unter der Maultasch.

Starr, am Tor des Schlosses, erwartete die Herzogin den Zug. Grell hob
sich von dem schwarzen Gewand die weiße Schminke. So schritt sie über
die Höfe des Schlosses neben der Bahre, allein. Es schneite. Hinter der
Bahre, massig, in Rüstung, wuchtete der Frauenberger.

                   *       *       *       *       *

In München war man sehr betreten, als die Nachricht eintraf von
Meinhards Tod. Hier glaubte kein Mensch an einen Unglücksfall, man
zweifelte höchstens, ob der Frauenberger auf eigene Faust gehandelt oder
im Auftrag der Maultasch; doch wagte niemand, dieser Überzeugung Laut zu
geben. Nur der sensationslüsterne Florentiner Giovanni Villani, der
Chronist, der sich zur Zeit zum Zweck gewisser archivalischer
Feststellungen in München aufhielt, der Nebenbuhler des wackeren
Johannes von Viktring, behauptete die gewaltsame Beseitigung des jungen
Herzogs als Tatsache. Er zählte sorglich disponiert und sich steigernd
alle Gründe her, die zu solcher Tat führen konnten und mußten, er
schrieb darüber ein elegantes, beredtes Kapitel in seiner Chronik und
las es jedem vor, der es irgend hören wollte.

Stephan, Friedrich, Agnes standen benommen von Wut und Bestürzung. An
eine Lösung von so schlichter, zynischer Brutalität hatte niemand
gedacht. Zum erstenmal seitdem sie sich kannten, sprangen Agnes und
Friedrich einander an. Er hätte den Frauenberger wegschicken müssen,
hätte München nicht verlassen dürfen, solange jener da war, sagte sie.
Er sagte, sie hätte Meinhard besser müssen überwachen lassen; kaum sei
man einen Tag fort, gehe schon alles drunter und drüber, auf niemanden
sei Verlaß. Herzog Stephan stand ziemlich unglücklich zwischen ihnen. Er
hatte es ja gewußt, das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm, es war
ihm nicht vergönnt, Wittelsbach wieder groß zu machen in der
Christenheit. Als sie sich müde gestritten hatten, kamen sie überein,
vorläufig das Hauptaugenmerk auf die Erhaltung von Bayern zu richten;
die Grenzen zu entblößen und nach Tirol vorzustoßen, fühlten sie sich
militärisch nicht stark genug. Hingegen wollte Agnes nach Tirol reisen,
dort vorfühlen.

Mit ganz kleiner Begleitung traf sie auf Schloß Tirol ein. Am gleichen
Tage noch wurde sie von Margarete empfangen. Rosig, glatt, jung, blond
saß sie da; in einem sehr einfachen schwarzen Kleid; grellweiß
geschminkt, die Hände, den unförmigen Hals schwer von leuchtenden
Steinen, prunkte in Atlas und Brokat die Herzogin. Es sei sehr
liebenswert von Agnes, sagte sie mit etwas steifer, zeremoniöser Stimme,
daß sie die beschwerliche Reise im Winter nicht gescheut habe, ihrem
Sohn das letzte Geleit zu geben. Agnes sagte und sah sie süß und
unbefangen an, dies sei eine selbstverständliche Pflicht gewesen nach
dem vielen Guten, das sie von Haus Tirol empfangen. Zudem sei sie ja dem
Toten besonders nahegestanden. Sie könne der Herzogin nicht schildern,
wie furchtbar es sie getroffen habe, als sie die grauenvolle Meldung
erhielt. Margarete starrte sie mit ihrem weißen, breiten, mächtigen,
geschminkten, maskenhaften Gesicht unverwandt an, fragte, ob sie den
Herzog sehen wolle. Agnes, ein wenig zögernd, denn sie sah Tote nicht
gern, bejahte. Die beiden Frauen schritten zu der Kapelle, schwer
schleifte sich die Brokatene, die andere ging leicht und hoch. Prunkend
aufgebahrt lag der junge Herzog, dick wölkte der Weihrauch, silberne
Gewappnete hielten Totenwacht. Die Herzogin winkte, der mächtige
Sargdeckel wurde hochgeschlagen, da lag der junge Fürst, gräßlich
zerschrundet und entstellt stierte aus der Rüstung sein friedfertiges,
dickes Gesicht. Die Leiche war stark verwest, trotz Balsam und Gewürz
stieg ein übler Geruch aus dem leuchtenden Metall. Agnes schwankte,
verfärbte sich. Margarete führte sie zurück.

Als die beiden Damen wieder am Kamin saßen, sagte Margarete leichthin:
»Nun ist unsere letzte Unterredung gegenstandslos geworden, Gräfin
Agnes. Mein Sohn ist wieder bei mir, nicht in München.«

Agnes, durch die Leichtigkeit ihres Tons unsicher, nicht wissend,
wohinaus sie wolle, erwiderte nichts, äugte, wartete ab.

Die Herzogin, immer in dem gleichen, erschreckend leichten,
konversationellen Ton, fuhr fort: »Sie haben Chretien de Laferte
geheiratet, dann starb er. Sie haben mir meine lieben Städte von Bayern
abhängig gemacht, sie sind fast kaputt gegangen. Sie haben sich mit dem
Markgrafen liiert, dann starb er. Sie haben sich zur Vertrauten meines
Sohnes gemacht, jetzt ist er tot. War es nach alledem nicht ein bißchen
kühn, daß Sie zu mir nach Tirol gekommen sind?« Sie sagte das alles ganz
obenhin, sie lächelte mit ihrem wüsten, äffisch sich vorwulstenden Mund,
ihr leichenhaft geschminktes Gesicht verzog sich in gemachter
Liebenswürdigkeit, ja sie beugte sich vor, legte, was noch nie geschehen
war, die Hand mit grauenhafter Vertraulichkeit auf den Arm der Agnes.
Die saß da, starr, blaß. »Ich weiß nicht, was Sie wollen,« stammelte
sie.

»Es ist nett von Ihnen,« fuhr Margarete fort, »daß Sie von selbst
gekommen sind. Ich hätte Sie sonst einladen müssen; glauben Sie mir, ich
hätte Sie auf solche Art eingeladen, daß Sie gekommen wären.«

»Ich verstehe Sie durchaus nicht,« sagte, mit fahlen Lippen, Agnes.

»Ja,« brach Margarete plötzlich ab und stand auf, »Sie bleiben also mein
Gast, bis der Herzog bestattet ist. Es kann noch eine Weile dauern, die
Vorbereitungen sind umständlich.«

»Ich hatte eigentlich vor, die Zwischenzeit in Taufers zu bleiben,«
sagte Agnes; sie war klein und ängstlich geworden, ihre Stimme
flatterte.

»Nichts da, nichts da!« sagte eifrig die Herzogin. »Sie bleiben. Waren
Sie und die Ihren nicht schon oft Gäste in Tirol?«

»Denken Sie nicht ans Fortgehen,« schloß sie, während sie Agnes zur Tür
geleitete. »Die Reise würde sehr ungemütlich werden.« Ein Diener brachte
die schwankende Agnes in ihre Zimmer. Gewappnete standen davor,
präsentierten die Lanzen, während sie die Schwelle überschritt.

                   *       *       *       *       *

Margarete, allein, ging auf und ab, ihr Gang war sonderbar beschwingt,
ein plumper Tanz.

Wie schade, daß jene sich so einfach in ihre Hand gegeben hatte. Es wäre
gut und reizvoll gewesen, sie erst mühsam herzulocken, den Teig zu
kneten, ehe man den Kuchen aß. Aber so waren diese Glattlarvigen. Schön
und dumm.

Margarete ging ins Freie, allein. In den verschneiten Weinterrassen
stapfte sie, kletterte sie. Setzte sich in den Schnee. Tauchte ihre Hand
in das Weiche, Kalte, ballte es, ließ fallen, ballte von neuem.

Sie ganz klein machen, sie zerstören, sie in Staub zerpressen,
zernichten, zerdrücken, daß nichts mehr von ihr bleibt als ein
lächerliches Stück Verwesung. Sich anfüllen mit ihrer Angst, ihrer Not,
ihrem Elend, bis dann ihre Schönheit daliegt, stinkend wie drüben in der
Kapelle ihr Sohn.

Als nach einer Weile das dürre Fräulein von Rottenburg kam, hörte sie,
was sie seit Jahren nicht gehört hatte. Die Herzogin sang. Mit ihrer
dunkeln, warmen, erfüllten Stimme sang sie. Im Schnee saß sie und sang,
voll, hallend, aus ihrer wüsten Kehle.

                   *       *       *       *       *

Sie berief zunächst Schenna zu sich. Führte aus: Der Sturz, an dem
Meinhard sich zu Tode gestürzt, sei fraglos verschuldet durch die Gräfin
von Flavon-Taufers. Sie sei nicht gewillt, dies Verbrechen zu
vertuschen. Beabsichtige vielmehr, es mit beispielhafter Strenge zu
bestrafen. Schenna, tief beunruhigt, riet dringend ab. Das Volk hänge
nun einmal an Agnes mit ebenso heftiger wie grundloser Sympathie. Gegen
sie vorzugehen sei gefährlich. Man könne sie an Besitz, Macht, Einfluß
kürzen; weiter zu gehen verbiete die Staatsklugheit.

Margarete, gereizt und nervös, erwiderte, sie wisse sehr gut, wie
unpopulär sie sei. Schlimmer könne es nicht werden. Sie riskiere also
nichts.

»Doch!« erwiderte mit ungewohnter Schroffheit Schenna. Alles riskiere
sie. Offene, nur den Wittelsbacher fördernde Revolution riskiere sie.
Sie brach aus, verströmte: Unter keinen Umständen dulde sie länger die
Nebenregierung dieser Person. Lieber danke sie ab. Sie starrte hitzig,
allen ruhigeren Erwägungen unerreichbar, vor sich hin. Schenna lief
unbehaglich mit seinen langen, ungleichmäßigen Schritten hin und her.
Wenn sie durchaus beharre, riet er nach einer Weile, das Gesicht
verdrießlich und kurios verzogen, dann solle sie in Gottes Namen einen
Staatsgerichtshof einberufen. Um alles in der Welt nicht möge sie gegen
Agnes vorgehen ohne Spruch und richterliches Urteil.

Sie berief den Frauenberger, die einzelnen einflußreichen Feudalherren.
Schneidend klar erkannte sie: Alle waren gegen sie, alle waren für
Agnes. Aber mit wenigen Ausnahmen waren sie bereit, sich ihre Meinung
abkaufen zu lassen. Sie nahmen Margaretes Vorgehen gegen Agnes als eine
Laune. Gut, sie waren bereit, diese Laune zu decken; aber sie fanden es
angemessen, daß Margarete diese Bereitschaft teuer bezahle.

Alle verlangten, alle forderten. Es preßte Margarete das Herz ab,
knirschte ihr die Zähne zusammen. Sie standen vor ihr, unterwürfig,
loyal, voll patriotischer Bedenken. Darunter grinste der Hohn: gibst du
nicht, so kriegst du nicht.

Die Barone verständigten sich untereinander, glichen ihre Ansprüche aus.
Der Frauenberger überbrachte der Herzogin ihre gemeinsamen Forderungen.
Sie waren nackt, schamlos. Margarete solle ein Kabinett aus neun
Ministern bilden. Vorgesehen waren der Frauenberger, Schenna, Berchtold
von Gufidaun; die beiden Herren von Matsch, der Landeshauptmann und der
Vogt, der Deutschordenskomtur Egon von Tübingen; Heinrich von
Kaltern-Rottenburg, Diepold Häl, Hans von Freundsberg. Diese Herren, die
auch als Richter in dem Prozeß der Gräfin von Flavon fungieren würden,
sollten die oberste Justiz- und Verwaltungsbehörde des Landes bilden.
Margarete solle sich verpflichten, ohne ihre Zustimmung keine
Regierungshandlung vorzunehmen, niemandem ein Amt zu verleihen oder zu
entziehen, mit keinem auswärtigen Fürsten zu verhandeln, Bündnis,
Vertrag zu schließen. Auch solle sie keinen Minister absetzen dürfen;
schied ein Mitglied durch Tod oder sonstwie aus, so solle nicht die
Fürstin, sondern das Kabinett den Nachfolger bestimmen.

Margarete saß über dem Dokument, allein. Sie runzelte die Stirn so
stark, daß die Schminke abbröckelte. Dies unterschreiben hieß: die
Städte preisgeben, das Land den frechen Baronen hinschmeißen, daß sie
ihre gierigen Zähne hineinschlügen, jeder sich ein Stück herausreiße.
Dies unterschreiben hieß: das Land Tirol zerfallen lassen in eine Reihe
kleiner Adelsherrschaften, schimpflich zerschlagen das Werk, daran die
Väter und sie hundert Jahre lang Besitz, Nerven, Leben gesetzt.

In ihren Gedanken war plötzlich das kleine, bebartete Wesen, das sie
einmal gesehen in den Felsen von Schloß Maultasch. Es neigte sich viele
Male, schaute sie aus ernsten, uralten Augen an, tat den Mund auf.

Mit Gewalt scheuchte sie den Zwerg fort. Hin, Land! Hin, Städte!
Hinunter, Nacken! Duck' dich der Arroganz der Vasallen! Es muß sein. Es
muß ausgetragen sein zwischen ihr und jener. Es wäre sinnlos, jetzt die
Forderungen der Barone zu weigern und jene zu schonen. Sie würde weiter
am Werk Margaretes nagen, es aushöhlen, verderben. Die Schöne war der
Wurm des Landes, alles Übel kam von ihrer frechen, geilen Schönheit. Sie
muß hin sein, sie muß getilgt sein, sie muß aus dem Licht, sie muß weg
von der Erde. Das Land in den Bergen hat nicht Frieden, solang jene da
ist.

Wenn sie sich aufriß vor Gott, sie durfte sagen: Es hatte Stunden
gegeben, Tage, Wochen, wo kein kleiner, eitler Gedanke in ihr war, nur
der reine, lautere Wille, sich zu beugen, zu tun, wozu man geschickt
war. Wieder und wieder schlug jene Eitle, Leere mit spielender Hand
entzwei, was sie mit Nöten, Demütigungen, Preisgaben geschaffen, von
deren Qual und böser Artung jene nie einen Hauch zu begreifen imstande
war. War das gerecht? War es gerecht, daß das Leere, Dumme, Schlechte,
Gemeine, nur weil es die glatte Larve hatte, sich spreizte in der Welt,
sie überdeckte, keinen Raum ließ für das Erfüllte, schmerzhaft Wissende?
Das konnte Gott nicht wollen. Das mußte ausgekämpft sein. In einem
wohlig schmerzhaften Krampf spürte sie, wie sie selber mit der Schönen
verkettet war, wie sie selber bestimmt war, es auszutragen. Es gab kein
Hinausschieben, kein Verstecken und Maskieren, keine Scheu vor dem hohen
Einsatz, keinen Kompromiß. Es mußte ausgetragen sein.

Der Frauenberger kam, ihre Antwort zu holen. Ihre Hand lag plump auf dem
Dokument mit den Forderungen der Barone. Sie blickte auf, schaute den
Frauenberger an, sagte ruhig, ohne die Stimme zu heben: »Lumpen!
Erpresser!«

Der Frauenberger erwiderte gleichmütig, jovial: »Ja, Herzogin Maultasch,
billig sind wir nicht.«

Dann unterschrieb sie.

                   *       *       *       *       *

Agnes, als sie allein war, saß in großer Schwäche erschöpft nieder. Was
denn um Gottes willen hatte sie da gemacht? Sich selber freundlich
lächelnd in die Hand der Feindin gegeben. Wo hatte sie denn ihren Kopf
gehabt? Der Tod Meinhards war wohl eine Einbuße und ein Schlag für die
Maultasch, aber er war doch ein noch schlimmerer Schlag für sie selber.
Die Maultasch hatte mit der Beseitigung Meinhards und dem kühnen,
unerwarteten Verzicht auf Bayern sich zur Siegerin gemacht. Sie begriff
sich nicht, wie sie in dieser Situation der Feindin ins Haus laufen
konnte, ihren Triumph zu krönen.

Ganz allein und verloren saß sie da. Das Zimmer war schlecht geheizt,
sie fror. War das wirklich Frost? Ein Gefühl kroch sie an, das sie all
ihre Tage nicht gekannt hatte, zog sie zusammen, schnürte sie. Sie war
immer keck und sicher gewesen, immer hatte sie die Lage in der Hand
gehabt, hatte immer Männer hin und her geworfen nach ihrem Gutdünken.
Jetzt war sie ganz hilflos, die Feindin konnte mit ihr anfangen, was sie
wollte. Angst und Kälte überdeckten sie. Ihre tiefen, blauen Augen waren
nicht mehr kühn, sondern stier und erloschen, ihr elastischer Rücken
erschlaffte, ihre weißen Hände runzelten sich, ihr glattes Gesicht
zerknitterte in kleine, steife, spröde Fältchen.

So blieb sie bis zum Abend. Dann brachte man Licht, schürte das Feuer
neu, setzte Speisen auf den Tisch. Sie raffte sich zusammen, aß, wurde
warm, belebte sich. Ach was! Das war ja das Ziel der andern, sie klein
zu sehen, gedemütigt, winselnd, mutlos. Sicher nicht wird sie es wagen,
ihr etwas Ernstliches anzutun. Steht nicht das ganze Land für sie? Weil
sie häßlich ist, will sie, daß sie sich feig erweise. Sie denkt nicht
daran, ihr den Gefallen zu tun. Sie straffte sich, ihre Augen schauten
lässig und kühn wie immer. Sie aß mit Appetit, verlangte zum zweitenmal,
scherzte mit den Dienern. Schlief gut, tief, ruhig, lange.

Als andern Tages der Frauenberger kam, fand er sie vergnügt, Bonbons
lutschend, ein frivoles Couplet auf der Laute klimpernd. Sie mokierte
sich über die altmodische Einrichtung des Zimmers. Er feixte, freilich,
so modern und komfortabel wie sie gebe die Maultasch es nicht. Er
tätschelte sie. Er blinzelte, meinte väterlich, er habe es ihr doch
rechtzeitig gesagt, sie solle sich nicht einlassen mit den Lausbuben, es
werde schief gehen. Sie fragte leichthin, ob er im Auftrag der Maultasch
komme. Bange machen gelte nicht. Was man eigentlich vorhabe. Wie lange
der Spaß noch dauern solle. Der Albino quäkte, man werde sie wohl vor
ein Staatsgericht stellen. Sie erwiderte, man möge das recht bald tun,
es sei so langweilig auf Schloß Tirol. Auch möge man ihr die Zofe
schicken und ihre Schneiderin, daß sie vor Gericht in einem
entsprechenden Kostüm erscheinen könne. Er sagte, sie brauche nur zu
befehlen. Allein, lutschte sie Bonbons, klimperte.




Die Herzogin ließ es sich angelegen sein, das hohe und heimliche
Gericht, das Agnes aburteilen sollte, mit feierlichem Pomp auszustatten.
Drei Gemächer ringsum waren von Gewaffneten bewacht, damit die
Heimlichkeit des Gerichts gewahrt sei. Die neun Herren saßen schweigsam,
dunkel, Margarete selber prunkte schwer in den Insignien der Herrschaft.

Agnes trug ein schlichtes, lachsrotes Kleid, das für einen Empfang, eine
kleinere Festlichkeit geeignet war. Ihr Gehabe war leicht, sicher. Sie
war überzeugt, daß die Maultasch nicht wagen werde, sie anzutasten, daß
der umständliche, feierliche Apparat des Gerichts nur dazu bestimmt sei,
sie ängstlich zu machen. Dies alles geschah nur, damit sie, die Schöne,
sich klein erweise vor der Häßlichen. Nein, sie war durchaus nicht
gewillt, der Maultasch diesen Gefallen zu tun.

Der Pfarrer von Tirol, der als Protokollführer fungierte, verlas die
Anklage. Die Gräfin von Flavon-Taufers sei von jeher bestrebt gewesen,
auf Meinhard in verderblichem, dem Lande Tirol schädlichem Sinn
einzuwirken. Als der junge Fürst im Begriff war, Tirol zu betreten, sich
ihrem Einfluß zu entziehen, und als das Einvernehmen mit seinen getreuen
und wohlmeinenden Untertanen ihre Pläne zu vereiteln drohte, habe sie
sich mit Gewalt seiner zu bemächtigen versucht; über welchem Versuch der
Herzog zu Tod gekommen sei.

Agnes sagte, sie wundere sich, wie weise und hochmögende Herren einfache
und klare Tatbestände so schlimm mißdeuten könnten. Ja, sie sei mit dem
jungen Fürsten in gutem, herzlichem Einverständnis gewesen, wie auch
sein Vater sie seiner Freundschaft und seines Vertrauens gewürdigt habe.
Sie habe nach ihrem geringen weiblichen Verstand zuweilen den oder jenen
Ratschlag erteilt nach bestem Gewissen als gute Untertanin und Christin,
dem Fürsten und seinen Ländern zu Nutz und Mehrung. Als der Herzog nach
Tirol reiste, habe sie ihm, da unerwartet Herzog Stephan seine baldige
Ankunft in München melden ließ, reitende Boten nachgeschickt mit einem
Brief, daß unter solchen Umständen seine Rückkehr nach München ratsam
sei. Leider hätten ihre Boten den Herzog nur mehr tot vorgefunden. Dies
alles sei klar und unzweideutig. Sie sei eine große Sünderin, schloß sie
lächelnd; aber in ihren Beziehungen zu Herzog Meinhard sei nach ihrer
demütigen weiblichen Einsicht kein Wort und keine leiseste Regung
gewesen, die sie nicht ungescheut vor Gott und den Menschen bekennen
dürfte.

Sie gab diese Erklärung sitzend ab, leichthin, mit ihrer harten,
schleierlosen Stimme. Jung, glatt, klar, vertrauensvoll saß sie in ihrem
schlichten, lachsfarbenen Kleid vor den schweren, dunkeln Richtern.

Margarete sagte, sie habe, in München, die Gräfin von Flavon
aufgefordert, sich nicht in die tirolischen Dinge zu mengen; die Gräfin
habe das verweigert. Agnes erwiderte, die Frau Herzogin habe sie
mißverstanden. Der Pfarrer von Tirol verlas eine eidliche Aussage, die
Reiter der Gräfin hätten nach ihrer eigenen Bekundung Auftrag gehabt,
den Herzog mit Gewalt nach München zurückzuführen. Alle schauten auf den
Frauenberger, auf dem wohl dieses Zeugnis stehen mußte. Er sah
unbeteiligt vor sich hin. Agnes erklärte, die Aussage der Reiter, wenn
sie wirklich erfolgt sei, sei pure Verleumdung. Der Frauenberger
grinste.

Die Herzogin saß da, steif, breit ausladend, schwarz stand das brokatene
Kleid um sie herum, golden prunkten die Insignien der Macht. In ein
Schweigen hinein, unvermutet, ohne Agnes oder irgendwen anzuschauen, tat
sie den Mund auf, sprach. Mit gleichförmiger Stimme sagte sie alles
heraus, mit nackten, schmucklosen Worten. Wo sie für das Land in den
Bergen gewirkt habe, an der Etsch und am Inn, von den welschen Seen bis
zur Isar, überall sei diese Gräfin von Flavon gewesen und habe gehindert
und dagegen gewirkt. Sie sprach langsam und sie hob die Stimme nicht.
Sie sprach von den Städten und von ihren Maßnahmen und wie diese Gräfin
von Flavon sich dagegen gestemmt habe. Sie sprach von ihren
Finanzverordnungen und wie diese Gräfin von Flavon den welschen Bankier,
den Messer Artese, wieder in die Berge gerufen habe, den sie vertrieben.
Sie sprach von der tirolischen Autonomie und wie diese Gräfin von Flavon
dem Land immer wieder den Bayern in den Pelz gesetzt habe, den
Blutsauger. Sie sprach von der Artusrunde, von Ingolstadt und Landshut.
Langsam aus ihrem wüsten, breiten Mund holte sie nackte, sachliche
Worte. Sie fielen gleichmäßig, monoton; wie schwerer Sand rieselten sie,
unhemmbar, sie begruben die feine, leuchtende Agnes, daß sie farblos
dasaß und erbärmlich und ohne Schwung. Es war ganz still, als die
Herzogin zu Ende war, man hörte die Scheiter im Kamin knistern, die
Herren hockten da, trist und grau und gebeugt.

Agnes sagte, sie habe nie Einfluß gesucht. Sie habe gesprochen, wenn man
sie gefragt habe, und da nur zögernd, sie habe nie jemandem einen Rat
aufgedrängt. Sie merkte, daß ihre Worte zu Boden fielen und keinen
überzeugten. Da erhob sie sich, sie stand da, heiter, frei, leicht,
stolz, sie sah die Herren an, einen um den andern, sie sagte: Wenn sie
eine Sünde begangen habe, dann nur die, daß sie auf der Welt sei. So
habe Gott sie geschaffen. Solange sie sich nicht auslösche, könne sie
nicht hindern, daß man den Kopf nach ihr wende, an ihr Gefallen finde.

Alle schauten sie an, selbst der rasche Federkiel des Pfarrers von Tirol
hörte zu kritzeln auf. Mit seinen müden, grauen Augen schaute Schenna
sie auf und ab, angestrengt starrte ihr der hagere, rechtliche Egon von
Tübingen in die tiefen, blauen Augen, der biedere, gutmütige Berchtold
von Gufidaun schnaufte, seufzte, aus seinen rötlichen Augen blinzelte
der Frauenberger. Diese ihre Worte, das spürte Agnes, waren nicht zu
Boden gefallen. Sie hatte einen Teil ihres Wesens herausgeholt,
hochgehoben mit beiden Händen, den Männern hingehalten, stolz, vor der
Feindin: Da! Seht her! So bin ich! Sie genoß ihre Wirkung, atmete,
genoß.

Da sah sie, daß auch die Maultasch sie anschaute. Die blauen Augen der
Schönen tauchten tief in die braunen der Häßlichen. Und Agnes sah, daß
Margarete lächelte. Ja, ein kleines Lächeln zerschnitt das grellweiß
geschminkte Gesicht der Herzogin, und es war nicht gekünstelt, es war
echt. Da wußte Agnes, daß jene vorgesorgt hatte, daß ihr Triumph im
vorhinein vergiftet, daß sie verloren war. Sie begann plötzlich zu
zittern, sie verfahlte, ihre Glieder erschlafften, sie mußte sich
setzen.

                   *       *       *       *       *

In das Gemach der Verurteilten trat ungemeldet, überraschend die
Herzogin. Agnes hatte den Spruch sehr in Haltung hingenommen, frei,
leicht. Sie hatte sich auch, als sie allein war, gesagt, die Maultasch
werde nicht wagen, weiter zu gehen. Aber dann hatte sie an das leise,
tiefe Lächeln Margaretes gedacht, und den Magen herauf war ihr wieder
jenes peinliche, fröstelnde Gefühl gekrochen, das sie früher nie gekannt
hatte. Jetzt, als die Herzogin kam, riß sie sich sogleich zusammen,
erhob sich höflich, nicht zu schnell, bat sie zu sitzen.

Margarete sagte: »Sie haben angedeutet, Gräfin, daß zwischen mir und
Ihnen noch ein anderes sei als die Strenge der Fürstin gegen die
Untertanin, die sich auflehnt und das Land schädigt. Begreifen Sie doch,
daß ich gar nichts anderes sein kann als die Fürstin; denn das
beleidigte Land ist in mir, meine Regungen sind die des Landes.« Sie
sagte das leicht, selbstverständlich, überzeugend, mit großer Hoheit.

Agnes hörte aufmerksam, höflich zu. Sie verstand nicht, was die andere
meinte. Sie verstand nur: »Ah, sie will etwas von mir. Sie will sich
aussprechen mit mir. Will sich rechtfertigen. Wie schwach muß ihre
Position sein! Sie spürt, daß sie die Unterlegene ist. Sie will mich
übertölpeln. Nur sich nicht einfangen lassen. Nein sagen. Was sie auch
verspricht, nein sagen.«

Margarete sah, daß die andere sie nicht begriff. Sie versuchte es von
einer neuen Seite. Müde, ein bißchen ungeduldig, doch versöhnlich sagte
sie: »Sie haben Erfolge gehabt, Gräfin. Ich gönne sie Ihnen. Freuen Sie
sich weiter daran. Mein Sinn und Ehrgeiz geht ganz wo andershin, suchen
Sie das doch zu glauben. Ich will die Gewähr haben, daß Sie Tirol nicht
weiter schaden. Nichts sonst. Bekennen Sie vor Zeugen und durch Ihre
Unterschrift, daß Ihr Wirken meinem Land verderblich war. Schwören Sie
auf das Evangelium, sich fernerhin jeder politischen Tätigkeit zu
enthalten. Ich will dann das Todesurteil kassieren. Ihre Lehen fallen
zurück an meine Verwaltung. Sie sind frei und verlassen mein Land.«

Da war sie, die Schlinge. Agnes höhnte innerlich: »Nie wird sie es
wagen, mich zu töten. Und für so dumm hält sie mich, daß sie sich ihre
Feigheit von mir bezahlen lassen will.«

Sie sagte: »Ein solches Dokument unterzeichnen kann ich nicht. Daß ich
auf der Welt war, daß ich da war, das war wirklich meine ganze
politische Tätigkeit. Sie können mich schwören lassen, was Sie wollen.
Sie können es nicht verhindern, und ich kann es nicht, daß ein Mann,
wenn er mich ansieht, nach meiner Ansicht handelt, nicht nach der
Ihren.« Sie sah Margarete auf und ab, unverwandt; ihre blauen Augen
glitten über sie, beredt, abschätzig, höhnisch. Verhöhnten den wüsten,
äffisch sich vorwulstenden Mund, die herabhängenden Backen, das in
vielen Falten fallende ungeheure Kinn, den plumpen, feisten Leib. Sie
spähten sie aus, drangen durch die Schminke, betasteten spöttisch die
spröde, warzige, bröckelnde Haut.

Die Herzogin, tiefer geschlagen als je, bezwang nur mit Mühe ihre
maßlose, verwirrte Erbitterung. Sie sagte, und ihr Hohn klang nicht
echt: »Lassen Sie es meine Sorge sein, Gräfin, zu beurteilen, ob es
nötig ist, Sie auszulöschen. Ich glaube, Sie überschätzen sich. Mir
genügt es, wenn Sie die verlangte Erklärung unterzeichnen.«

Wie matt und ohne Schlagkraft diese Erwiderung war! Sie spürte es
selbst. Und hoch, triumphierend, genießend spürte es Agnes. Sie war
jetzt ganz gewiß, nie wird jene wagen, den Spruch vollziehen zu lassen.
Ihr etwas einbekennen! Ihr etwas zugestehen! Daß sie eine Närrin wäre!
»Es tut mir aufrichtig leid, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können,«
sagte sie, den konventionellen Ton süßen, spitzbübischen Bedauerns ganz
auskostend.

Die Herzogin erhob sich. In ihr stand fest: austilgen die Person! Das
Land verlangt es. Gott will es. Aus dem Licht muß sie, von der Erde weg
muß sie. Die Luft war verpestet, der Boden brannte, solange sie atmete,
schritt. Schwer schleifte sie sich zum Ausgang, ein krankes,
getroffenes, häßliches, trauriges Tier. Leicht, höflich geleitete sie
Agnes.

                   *       *       *       *       *

Die Minister baten Margarete dringend, sie möge die Gräfin begnadigen.
Nach diesem Prozeß werde sie sich hüten, weiter gegen Tirol zu
intrigieren. Unter keinen Umständen dürfe die Herzogin jetzt etwas gegen
Agnes unternehmen, solange die Tiroler Dinge so wenig konsolidiert
seien. Auch verhinderten die Minister, daß von der ganzen Angelegenheit,
Gefangennahme, Prozeß, Verurteilung, das leiseste Gerücht ins Land
drang.

Schenna stellte Margarete vor, daß das Volk niemals Schlechtes von Agnes
glauben werde, daß sie allen nur denkbaren fanatischen Haß gegen sich
heraufbeschwören werde, taste sie Agnes an. Kein Spruch und keine
Kundgebung des Ministeriums werde verhindern, daß man von Mord und
Blutschuld faseln werde. Jede Wolke, jedes Gewitter, jede Viehseuche
werde als Zeichen des Himmels gegen die Herzogin gedeutet werden.
Dringlich mit seinen gescheiten, grauen Augen bat er sie, beschwor sie,
sie möge nichts Rasches tun, alles hinausschieben bis zumindest nach der
Bestattung Meinhards.

Sie sagte still: »Es geht nicht, Schenna. Der Streit muß ausgetragen
sein, Schenna.«

Der Frauenberger saß allein und soff. Es war Nacht. Im Winkel lag sein
Bursche, schnarchte. Er stieß ihn mit dem Fuß, hieß ihn das Feuer
schüren. Gab ihm dann Wein. Pfiff, sang vor sich hin. Überlegte scharf.
Logik! Logik! Behielt Margarete ihren Willen, wurde Agnes als
Hochverräterin gebrandmarkt oder gar hingerichtet, dann gab es
Revolution, und es war sehr fraglich, ob, wie die Dinge jetzt standen,
das Regiment der Barone sich halten ließ. Tat man der Maultasch nicht
den Willen, dann wird sie, zäh wie sie war, immer wieder darauf
zurückkommen; man wird das Erreichte nie in Ruhe genießen können. Was
also war zu tun? Logik! Logik! Er dachte nach. Soff. Dachte nach.
Erhellte sich. Grinste. Gab dem Burschen zu trinken. Quäkte. Schlief.

Ging andern Tages zu Agnes. Fand sie sehr aufgeräumt, froh über sein
Kommen. Sie sagte, sie könne sich jetzt nicht mehr über Langeweile
beklagen. Besuch wenigstens habe sie zur Genüge. Heute ihn, gestern die
Maultasch. Ja, log er -- Margarete hatte ihm natürlich nichts gesagt --,
er habe gehört, die Damen hätten sich so gut verstanden. Sie schaute ihn
leicht mißtrauisch an. Er blinzelte, begann sich über Margarete lustig
zu machen. Er hatte süßen Schnaps mitgebracht. Sie trank. Sie lag in den
Polstern, ihre weiße, feine Kehle stieg und senkte sich vor Lachen. Er
machte ihr den Hof. Sie fühlte sich vergnügt, beschwingt. Der Schnaps,
den er ihr mitgebracht hatte, war wirklich von besonderer Art und stieg
rasch zu Kopf. Er hatte sie überlistet, der Frauenberger, ei ja, ihr den
Meinhard vor der Nase wegeskamotiert. Aber sie hätte diese Niederlage
nicht missen mögen. Er war ein Mann, der einzige, der ihr imponierte.

Sie lag in den Polstern, angenehm erschöpft.

Wie niedrig die Zimmer waren in Schloß Tirol. Die Decke kam herab. Immer
tiefer. Stemm die Zimmerdecke hoch, Konrad! Man erstickt ja. Sie
erdrückt einen ja. Sie lachte unmäßig. Oder war das ein Röcheln?

Der Frauenberger blinzelte herüber, wartete. Beobachtete sachverständig.
Sah kopfnickend, wie sie sich auf die Seite wälzte, wieder auf den
Rücken, wie sie lachte, schnappte, röchelte, sich verzerrte, mit den
Armen um Luft ruderte, seitwärts vom Polster glitt.

Langsam dann rief er ihre Frauen. Benachrichtigte die andern Herren des
Kabinetts, der Zwist mit der Herzogin um die Begnadigung der Gräfin von
Flavon sei gegenstandslos, da die Gräfin, wohl infolge der Aufregung,
soeben an einem Schlaganfall verschieden sei.

                   *       *       *       *       *

Margarete, als sie von dem Tod der Agnes hörte, spürte eine dumpfe,
lähmende Leere. Sie war angefüllt gewesen mit dem Gedanken: Agnes, jetzt
wich das alles aus ihr, zurück blieb eine leere Hülle.

Langsam aus allen Winkeln holte sie Fetzen von Besinnung. Hätte sie sich
nicht eigentlich frei fühlen müssen, leicht, schwebend, beglückt, nun
die Verderberin tot und aus dem Weg war und das Land nicht mehr
gefährdet? Nichts von dem. Mehr und mehr schwoll eine dumpfe, sinnlose
Wut in ihr hoch. Sie hatte die Feindin unterworfen sehen wollen.
Feierlich zum Tod geführt hätte sie bekennen sollen: Besiegt bin ich,
ein kleines, lächerliches, verworfenes Stück Mensch bin ich, und du bist
die Fürstin, die Hohe, die Unerreichbare, von Gott Erwählte. Ihr Tod war
nicht wichtig, aber dies Einbekenntnis war wichtig. Und jetzt hatte man
sie höhnisch und frech um Haß, Rache, Sieg betrogen, hatte ihr die
Verhaßte vor der Nase weggeflüchtet an ein Ufer, an das sie nie gelangen
konnte. Jämmerlich, roh, plump beschwindelt stand sie, und jene war
davon, emporgeflogen, leicht, lächelnd, unbesiegt.

Margarete tobte. Wozu jetzt hatte sie alle diese Opfer gebracht?
Hingeschmissen das Land, hingeschmissen das Werk der Väter und ihr
eigenes, schmählich sich geduckt der Habgier und der Frechheit der
wölfischen Barone. Und jene davon, höhnisch, lächelnd.

Mit unflätigen Schimpfworten übergoß sie den Frauenberger. Der feiste
Mann stand breit, gelassen, unberührt. An seinem nackten, rosigen
Gesicht prallten die Flüche ab wie Wasserspritzer.

Sie berief den Ministerrat. Kaum sich zügelnd, die sonst so beherrschte
Stimme heiser, ungleichmäßig, aussetzend, verlangte sie, sofort müsse
Prozeß und Urteil publiziert, die Tote infam eingescharrt werden.
Geschehe das nicht, werde man diesen plötzlichen Tod ihr zur Last legen.
Einhellig, mit allen Kräften widersetzten sich die Minister. Die meisten
glaubten wie das ganze Land, Margarete sei wirklich schuld an diesem
dunkeln und unwahrscheinlichen Tod. Sie waren ehrlich empört über die
frivole, gottlose Forderung der Herzogin, den Meuchelmord an der
verhaßten Nebenbuhlerin jetzt als gerechte, patriotische, gottgefällige
Tat hinzustellen. Ja, sie fanden die eigenen Erpressungen an der
Maultasch durch dieses Verhalten hinterher moralisch in jeder Weise
gerechtfertigt; es zeigte sich klar, daß man sich gegen diese maßlose
und verbrecherische Frau nicht Sicherungen genug schaffen konnte. Im
übrigen waren sie sehr erleichtert durch die jähe Lösung des Konflikts
und nicht gewillt, die Dinge durch was immer neu verwirren zu lassen.
Quäkend, unverhohlen, schneidend klar faßte der Frauenberger ihre
Meinung zusammen. Was denn die Frau Herzogin wolle. Gott habe die
Bestrafung des Verbrechens in seine Hand genommen. Nun sei die
Verderberin tot, aus dem Weg geräumt. Mehr habe doch die Fürstin nicht
gewollt, nicht wollen können. Es sei unchristlich, über den Tod hinaus
zu hassen. Es sei dem Volk kaum zu verdenken, wenn es in solchem Fall
losbreche. Der von Matsch führte aus: Ja, natürlich erlaube sich das
Volk unehrerbietige Reden gegen die Herzogin. Es sei auch nach seinen
Informationen da und dort infolge des Todes der Gräfin zu
Demonstrationen gekommen. Aber da sie, die Minister, geschlossen hinter
der Fürstin stünden, werde man mit solchen kleinen Revolten leicht
fertig werden. Schon seien mehrere Demonstranten festgenommen, man werde
sie öffentlich stäupen lassen, das werde den andern den Mund stopfen.
Infamiere man aber die Tote, dann werde die Empörung so allgemein sein,
daß er für nichts einstehe. Der redliche Gufidaun, der nach langem
Ringen zu der Überzeugung gekommen war, die Herzogin sei nicht schuldig,
brachte in mühsamer Rede seine Ansicht zutage: Die Verbrecherin sei tot.
Teurer als mit dem Leben könne vor irdischen Richtern niemand seine
Schuld bezahlen. Das Gedächtnis der Toten zu verunglimpfen, stehe einer
so hohen und edeln Frau wie der Herzogin nicht an. Er setzte sich
verlegen; er redete selten. Alle pflichteten ihm bei.

Die Herzogin sah auf Schenna. Der kratzte mit seinen dürren Fingern
nervös den Tisch, schwieg.

Margarete beharrte. Mit fieberischen, stammelnden, ungeordneten Worten
erklärte sie immer wieder, sie gehe nicht ab, sie sei das ihrem Prestige
schuldig, sie bestehe darauf.

Doch die Minister blieben fest. Sie beriefen sich auf das Abkommen, sie
zeigten die Zähne, erklärten, niemals würden sie die erforderliche
Zustimmung zu Maßnahmen gegen die Tote geben. Margarete geiferte von
Meuterei, Empörung. Die Minister erwiderten, sie nähmen diesen Vorwurf
ruhig hin. Ihr Gewissen sage ihnen, ihr Widerstand geschehe im Interesse
des Landes und der Herzogin selbst; auch seien sie, wenn sie sich vor
die Tote stellten, der Billigung der ganzen Christenheit gewiß.

Margarete mußte sich fügen.

Sie wütete kraftlos, versagend. Die Minister, die Lumpenkerle, die
Feiglinge! Wie froh sie waren, ihren Spruch nicht vertreten zu müssen!
Wie schamlos hatten sie sie übertölpelt! Sie um das Land geprellt und
sich dann mit übler Sophisterei dem Pakt entzogen. Lumpen, Gauner,
Erpresser! Sie dachte daran, sich an das Ausland um Hilfe zu wenden.
Aber die Wittelsbacher waren geschworene Anhänger der Agnes, und der
Habsburger war zu klug, um sich durch Maßnahmen gegen die Tote von
vornherein unpopulär zu machen.

Sie wagte einen äußersten, hilflosen Versuch, die Tote zu besiegen. Sie
setzte in letzter Stunde die Beerdigung Meinhards so an, daß sie
zusammenfiel mit der Beerdigung der Agnes. Wer nach Taufers ging zu der
toten Agnes, mußte der Bestattung des Landesfürsten fernbleiben.
Trotzig, verzweifelnd, rief sie das Land an, zu entscheiden zwischen ihr
und der Toten.

Schweigsam, vor sich hintrotzend, verwildert saß sie auf Schloß Tirol,
wartete, wer zu ihr kommen werde, wer zu Agnes. Im tiefsten Innern wußte
sie so gut wie alle, daß Agnes sie durch ihren Tod besiegt hatte, daß
der Kampf aus war und die Tote durch keine Kraft und keine List mehr
erreichbar.




Die Herren des Kabinetts verständigten sich, wer an der Bestattung des
jungen Herzogs teilnehmen, wer nach Taufers gehen solle. Sie kamen
überein, jedem einzelnen Entschluß und Verantwortung für sich zu
überlassen. Die meisten beschlossen, zur Gräfin von Flavon zu gehen.
Hatten sie nicht die Hände rein von diesem Blut? Warum sollten sie es
nicht zeigen? Der Frauenberger, der Deutschordenskomtur Egon von
Tübingen, der redliche, schwerfällige Gufidaun beschlossen, in Tirol zu
bleiben.

Jakob von Schenna saß spät abends noch wach. Aber er las nicht in dem
Buch, das er sich aufgerollt hatte. Er ging auf und ab mit seinem
steifen, ungleichmäßigen Schritt. Er hatte erst vorgehabt, krank zu sein
und weder nach Tirol, noch nach Taufers zu gehen. Das Politische war ihm
gleichgültig. Die Meinungen und Wallungen des Pöbels kümmerten ihn
nicht, und er hatte für seine Person viel zu wenig Ehrgeiz, um sie in
Rechnung zu stellen. Der Streit zwischen den Frauen aber hatte ihn von
je erregt; er rührte ihn noch tiefer auf, seitdem er zwischen der Toten
und der Lebenden ging. Margarete hatte Hilfe von ihm verlangt; er hatte
sie ihr, zum erstenmal, versagt. Er wollte sich nicht hineinziehen
lassen in diesen Kampf, er wollte nicht Partei nehmen. Er wollte nicht.

Wiederum vielleicht fast als einziger durchschaute er die Zusammenhänge.
Margarete, die Fürstin, hatte recht. Agnes war die Verderberin gewesen,
es war ein Segen für Tirol, daß sie weg war. Aber hatte Margarete die
Fürstin den Schlag geführt oder Margarete die Frau? Hatte Agnes sterben
müssen, weil sie das Land schädigte, oder weil sie schön war? Er wagte
nicht, zu entscheiden. Dies eine war gewiß: Agnes war die schönste Frau
gewesen vom Po bis zur Donau. Er war ein alternder Herr. Wagte er
vielleicht nur deshalb nicht zu entscheiden?

Er wollte nicht bequem sein, er wollte nicht alt sein. Es war nicht
recht gewesen von der Maultasche. Er hatte ihren wüsten Mund
hingenommen, ihre Hängebacken, ihre ganze, arme Häßlichkeit. Ihren Haß
gegen die Tote nahm er nicht hin. Ein simples, gerades Gefühl stellte
sich gegen sie. Man mußte Zeugnis ablegen für die Schönheit. Er wird
nach Taufers gehen.

                   *       *       *       *       *

Vom Pustertal her über Bruneck goß es sich in das Tal von Taufers.
Niemals hatten diese Berge soviel Menschen gesehen. Durch den hohen
Schnee mühselig stapfte es heran, bald war eine Straße getreten. Unter
dem freien, bestirnten Himmel nächtigte es in der scharfen, klaren
Kälte. Eine Stadt von Zelten breitete sich. Tausende und immer neue
Tausende schoben sich heran, Weiber, Kinder, die Mühsal und Gefahr des
Winters nicht scheuend. Durch die Schneeluft klangen die Verwünschungen
der Margarete, der Hexe, der Gezeichneten. Ruchlos, meuchlings hatte die
wüste Teufelin die sanfte, süße Agnes ermordet. Nun lag sie aufgebahrt
in der Kapelle von Taufers, ein Engel Gottes, wächsern, eine bunte,
schöne Heilige. In endlosem Zuge wallte es an ihr vorbei, sehr
verschieden von Stand, Alter, Aussehen, Barone, Bauern, Bürger, aber
alle andächtig, ergriffen, mitleidig, alle voll wilder, fluchender
Empörung gegen die Herzogin.

Vereinsamt indes in der Kapelle von Schloß Tirol lag der tote Meinhard,
letzter Graf von Tirol. Nur die Hofbeamten und Offiziere waren
geblieben, die unter allen Umständen bleiben mußten.

Wortkarg, eisig verschlossen ging Margarete durch ihre tuschelnde
Umgebung, übersah die Lücken unter den Gästen, traf, umkrustet, die
letzten Anordnungen der Trauerfeier. War Herr von Schenna nicht da?
Nein, bis jetzt war er nicht gekommen. Am Nachmittag: immer noch nicht?
Nein, Herr von Schenna war nicht da. Sie schickte einen Kurier nach Burg
Schenna. Herr von Schenna war verreist. Nach Taufers.

Auch Schenna.

Der starke Verwesungsgeruch, der von der Leiche Meinhards ausging, drang
durch alle Essenzen und Gewürze. Er benahm den Leuten in der Kapelle den
Atem, die wachehaltenden Offiziere mußten von Stunde zu Stunde
gewechselt werden.

Um die dritte Stunde nach Mitternacht ging Margarete in die Kapelle.
Stumm hockte sie neben ihrem verwesenden Sohn, der Geruch der Verwesung
scheuchte sie nicht fort. Die Wachen wurden gewechselt, das zweitemal,
das drittemal, sie hockte neben dem Toten, rührte sich nicht.

Auch Schenna.

Sie rief die Feindin herbei, die Tote, sie rief herrisch. Jene kam. Sie
rechtete mit ihr. Jene lächelte, sprach nicht. Sie hielt ihr vor, was
alles sie verbrochen hatte, sinnlos, eitel, frech spielerisch in ihrer
glatten, nichtigen, schamlos genießerischen Schönheit. Hier in der
Kapelle, wo die toten Grafen von Tirol lagen, die das starke, reiche,
berühmte Land in den Bergen gefügt hatten und zusammengeknetet, hielt
sie der toten Feindin vor, was sie zerstört hatte, verdorben, verhunzt.
Jene glitt auf und ab, leicht, unerreichbar, die Verwesung zerteilte
sich rings um sie, sie lächelte, glitt, sprach nicht.

Auch Schenna.

Jene hatte gesiegt. Margarete hatte recht, und jene hatte gesiegt.
Margarete hatte vernichtet, und jene hatte gesiegt. War vernichtet, war
tot und hatte gesiegt. Alle kamen zu ihr. Auch Schenna.

Dann, andern Tages, wölkte der Weihrauch, sangen die Trauerchöre, sank
der Sarg, schlossen die Steinplatten, schwer niedergleitend, die Gruft.
Aber die Feier blieb ohne inneren Hall. Die Chöre blühten nicht in die
Herzen, die feierlichen Gesten blieben kahl, die spärlichen Teilnehmer
standen steif, unbehaglich, fröstelnd.

In der Zeltstadt um Taufers hatte ein großes Trauergelage angehoben. An
riesigen, offenen Feuern wärmte man sich, briet und sott man. Die
scharfen Grenzen der Stände verwischten sich. Wildbret und Fisch, dem
Bauern sonst durch strenges Gesetz versagt, genoß er statt Rüben und
Sauerkraut. Der Stadtbürger steuerte Wurst bei und Schweinebraten. In
der fröhlichen Kälte hob ein großes, gerührtes, trauerndes, maßloses
Fressen und Saufen an. In seliger Trunkenheit gedachte man in
überschwenglichen Reden der engelhaften Schönheit, Milde, Güte der toten
Gräfin von Flavon; wilde Flüche gellten gegen die Maultasche, die
Teufelsbuhle und Mordbübin. Noch die tote Agnes blieb dem Volk verklärt
von einer festlichen Wolke nie mehr zu erreichenden, duftenden,
gebratenen Fleisches und flutenden Weines.

Einsam in Schloß Tirol hielt Margarete das prunkende Totenmahl. Steif
saß sie, geschminkt, allein, unter Fahnen, Feldzeichen, Standarten, an
der von Schaugerichten, Gold und Steinen strotzenden Tafel. Der
Frauenberger, leicht grinsend, Gufidaun, der Deutschordenskomtur nahmen
den Kämmerlingen, Vorschneidern die Speisen ab, trugen sie zeremoniös zu
Tische. Margarete saß steif, starr. Die Speisen kamen, in ungeheurer
Fülle, wurden unberührt wieder weggetragen. So hielt sie Totenmahl, drei
Stunden lang.

                   *       *       *       *       *

Der Sekretär des Frauenbergers, der stille, demütige Kleriker, bekam zu
tun. Die Minister nützten mit nackter Schamlosigkeit den Vertrag aus,
den sie der Herzogin abgepreßt hatten, teilten das Land unter sich auf.
Es flogen die Schenkungsurkunden, Gaben, Gnaden, Privilegien,
Verschreibungen. Das Regiment der bayrischen Artusritter war bescheiden
gewesen, verglich man es mit der großzügigen Plünderung Tirols durch
dieses Kabinett der Maultasch.

Der Frauenberger steckte grinsend, breit, selbstverständlich die
Hinterlassenschaft der Agnes ein, dazu Burg und Pflege Pergine und
Schloß Penede östlich von Riva, Heinrich von Kaltern-Rottenburg die
Feste Cagno auf dem Nonsberg, dazu das Dorf gleichen Namens, Hans von
Freundsberg Festung und Pflege Straßberg bei Sterzing. Ganz aus dem
Vollen scheffelten die Herren von Matsch. Sie ließen sich Nauders
zusprechen, Stadt und Gericht Glurns, die Probstei Eyers, Schloß Jufal
am Eingang ins Schnalser Tal.

Berchtold von Gufidaun und der Deutschordenskomtur Egon von Tübingen
schauten mißbilligend zu, hielten sich, belächelt von den andern um ihre
Naivität, die Hände rein.

Schenna schüttelte betrübt den Kopf über die Habgier der Kollegen. Sagte
sich schließlich: Besser ich als ein anderer. Eignete sich traurig und
sachkundig Pflege und Gericht Sarnthein an, steckte auch Burg und Pflege
Reineck ein, dazu Festung und Gericht Eppan, schließlich, ganz
trübsinnig über soviel Schwäche und Hemmungslosigkeit, Lugano oberhalb
Cavalese.

Margarete, starr und schweigsam, unterschrieb, was man ihr vorlegte. Im
Verlauf von dreizehn Tagen hatte sie das halbe Land verpfändet und
verschenkt.

                   *       *       *       *       *

Über den Krimler Tauern durch den wilden Januar arbeiteten sich fünf
Männer. Sie sanken in Schneemulden, kämpften sich heraus, zerschrundeten
sich Hände und Gesicht an Eis und Stein. Aus Schluchten, trügerischen
Schneehalden, hundertfältig, lautlos, wehte einen Tod an. Zwei Bären
folgten ihnen von Ferne, flohen, schnupperten sich wieder heran. Drei
Tage so arbeiteten die Männer sich vor, bis sie bei dem Dorfe Prettau
wieder eine menschliche Siedlung erreichten.

Es waren Rudolf, Herzog von Österreich, Herr von Rappach, sein
Hofmeister, Herr von Laßberg, sein Kämmerer, und zwei Knechte.

Der Habsburger hatte in der Steiermark, in Judenburg, durch Eilkurier
eine Depesche seines Kanzlers erhalten, der sich in den schwäbischen
Vorlanden an der tirolischen Grenze aufhielt. Bischof Johann von Gurk
meldete ihm die tirolischen Wirren, die im Anschluß an Meinhards Tod
entstanden waren, und forderte ihn ebenso dringlich wie untertänig auf,
so schnell wie möglich in das Land in den Bergen zu kommen.

Rudolf überlegte kurz: Die Wittelsbacher rauften jetzt wohl unter sich
um Meinhards bayrisches Erbe, hatten keine Zeit für Tirol. Ja, der
Kanzler hatte recht, es war das wichtigste, daß er jetzt auf kürzestem
Weg, überraschend, Bayern meidend, bei Margarete erschien. Zurück nach
Wien? Militär? Nein, geradeswegs von Judenburg nach Radstadt ritt er, in
den Pinzgau, hörte nicht auf die Beschwörungen, jetzt im Winter von der
Überquerung der Tauern abzustehen, drang zäh, ums Leben kämpfend, über
den Paß, gelangte nach Prettau, nach Ahrental. Geriet in Taufers
unerkannt in den Strom der abziehenden Trauergäste. Hörte von dem neuen
Ministerium, seinen unerhörten Vollmachten, seinen Plünderungen. Kam
nach Bruneck. War am zwanzigsten Januar, am vierzehnten Tag der
Alleinherrschaft der Margarete, in Bozen.

Da stand er nun. Das Land, sein Land, für dessen Besitz er und sein
Vater durch Jahrzehnte gewirkt hatten, war in der Hand der gewalttätigen
Barone, wurde jämmerlicher zerstückt von Tag zu Tag. Er war ganz allein;
sein Heer bestand aus zwei Offizieren und zwei Mann. Wohl hatte er in
Österreich Order hinterlassen, Truppen an der tirolischen Grenze
zusammenzuziehen. Aber bis solche Maßnahmen wirksam wurden, konnte das
Land in den Bergen aufgeteilt sein. Er erkannte sehr gut, wie voll
Gefahr seine Situation war. Es war möglich, daß die entzügelten,
verwilderten Barone vor seiner geheiligten Person nicht zurückscheuten,
sich, wenn auch solches Vorgehen nur sehr kurzfristigen Erfolg haben
konnte, seiner bemächtigten, ihm Bestätigungen, Zugeständnisse
abzupressen. Aber wie immer, er konnte nicht warten. Er war randvoll vom
Willen zu seiner Sendung, vom Glauben an sich selbst. Alles hing ab von
seinem persönlichen Auftreten.

Der Frauenberger ließ sich melden. Kam als Vertreter des Ministeriums.
Stand vor dem Herzog, lauersam, abwartend. Der war sehr kühl,
verschlossen. Der Frauenberger tastete sich vor. Blinzelte Rudolf
vertraulich an, sagte jovial: Das Kabinett sei allenfalls bereit, jenes
Testament Margaretes zu Habsburgs Gunsten anzuerkennen, vorausgesetzt,
daß Rudolf den Ministern garantiere, daß ihre Privilegien und
Verfügungen für mindestens zwölf Jahre in Geltung blieben.

Rudolf schaute den breiten, massigen Menschen an, der feist und
widerwärtig vor ihm stand. Der blinzelte ihm spitzbübisch zu,
einverständnisvoll wie bei einem guten, unsaubern Handel ein Schelm und
Krämer dem andern. Hochmütig sagte der Habsburger: Das seien merkwürdige
Sitten, die in Tirol eingerissen seien, und sonderbare Begriffe. In
Habsburgischen Landen wage keiner, dem sein Hals lieb sei, solche
Vorschläge an seinen Fürsten. Soviel ihm bekannt, sei ein deutscher
Fürst Gott verantwortlich und allenfalls dem Kaiser, und ein Habsburger
nach den Hausprivilegien nicht einmal dem. Der Frauenberger schaute
gleichmütig, wartete, ob nach dieser allgemeinen, theoretischen
Einleitung ein Besonderes, Praktisches komme. Der Herzog schloß kalt, er
sei bereit, zu prüfen, wie weit die Privilegien der Barone zu Recht
bestünden. Der Albino tat sein Froschmaul auf, quäkte frech, behaglich,
vergnügt: Auf solcher Basis werde man sich wohl einigen. Er rechne
damit, die Prüfung des Herzogs werde weitherzig ausfallen. Sei man doch
auch in Tirol immer weitherzig genug gewesen, niemals die so spät und
unter so merkwürdigen Umständen aufgefundenen habsburgischen
Hausprivilegien anzuzweifeln.

Da geschah etwas Seltsames. Langsam, ruhig hob der junge Herzog die
schmale, feste, knochige Hand. Mit dem bräunlichen Handrücken schlug er
in das fette, nackte, rosige Gesicht des andern, zweimal, rechts, links.

Der Frauenberger hielt ganz still. Sein geschlagenes Gesicht schien
durchaus nicht weiter gekränkt, nur maßlos verblüfft. Die rötlichen,
lidlosen Augen starrten auf den Fürsten, sahen die niedere, eckige,
entschlossene Stirn, die Hakennase, die hängende Unterlippe über dem
starken Kinn. Der Albino blinzelte, blinzelte stärker, wiegte den Kopf,
hob wie entschuldigend die Achseln, verneigte sich, ging.

Rudolf, allein, atmete, breitete die Arme, lächelte, lachte.

Der Frauenberger sagte sich: »Man könnte ihn beiseite schaffen. Aber es
wird nicht so glatt gehen wie bei den andern. Auch hat er sich gewiß
vorgesehen, und es stehen viele hinter ihm. Es ist klüger, sich nicht
mit ihm einzulassen. Es ist schade um die schöne Regiererei. Aber ein
Kerl mit solchem Nacken und solchem Kinn. Na, ich hab' auch so genug
beisammen. Wer hätte mir eine solche Karriere zugetraut? Man muß
schauen, soviel wie möglich zusammenzuhalten. Wozu die ewige Habgier?
Ich bin kein Esel. Ich bescheide mich, wenn das Risiko zu groß wird.
Immerhin, schade. Aber bei solcher Hakennase.«

Er pfiff sein Lied, streckte sich, gähnte geräuschvoll, knackte mit den
Gelenken, schlief.

                   *       *       *       *       *

Jung, fest, gerafft, doch nicht unehrerbietig, trat Rudolf vor die
Herzogin. Er begrüßte die Starre, Verschlossene, drückte ihr auch
mündlich sein Beileid aus. Ging dann sogleich mit höflichen, bestimmten
Worten auf sein Ziel los. Sie sei bekannt an allen Höfen als Fürstin von
Klugheit und Kraft. Um so erstaunlicher, daß jetzt die kurzen Tage ihrer
Alleinherrschaft dem Lande so schlecht bekommen seien. Es sei wohl so,
daß der Schmerz über den Verlust ihres Sohnes so rasch nach dem Verlust
ihres Gemahls sie verwirrt habe und unfähig mache, ihre großen Gaben zu
nutzen. Nun brauche aber das Land in den Bergen jetzt mehr als je eine
feste Hand. An den Grenzen drohe Bayern, auch die lombardischen Herren
würden bei einem wittelsbachischen Angriff nicht still bleiben, im
Innern regiere die nackte Habsucht der Barone. Er gebe zu erwägen, ob
Margarete das Vertrauen, das sie ihrem Testament zufolge dem Haus
Österreich schenke, nicht jetzt schon erweisen, ihm die Verwesung des
Landes abtreten wolle.

Reglos saß die alte, plumpe Frau vor dem jungen Fürsten. Der breite,
wüste Mund zuckte nicht, die massigen, geschmückten Hände lagen tot auf
dem schweren, schwarzen Damast des Kleides.

Die harten, klaren, grauen Augen richtete Rudolf auf sie, wartete,
setzte wieder an: Er wolle sie nicht mit vagen Versprechungen locken.
Das Regiment der Habsburger habe sich bis jetzt gerecht, stark, kräftig
gezeigt. Tirol werde keinen Vorzug haben vor den andern habsburgischen
Besitzungen. Aber dafür stehe er ihr ein, der Fürst der Fürstin, es
werde regiert sein wie diese: stark, gerecht, tüchtig. Was sie
persönlich angehe, so werde für ihre Bedürfnisse bestimmt reicher und
herrenhafter gesorgt werden als unter der Verwaltung der Barone.

Margarete schwieg noch immer, schaute mit leeren, gehetzten Augen vor
sich hin. Rudolf schloß: Er dringe nicht in sie. Sie habe das mit ihrem
Gott und sich selbst abzumachen. Er ersuche, Vertrauen zu ihm zu haben
und seine Worte ohne Voreingenommenheit zu überlegen.

Margarete sagte mit rostiger Stimme: »Es bedarf weiter keiner
Überlegung. Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich erkenne durchaus, wie
folgerichtig Ihre Gedanken sind.«

Sie stand auf, drehte mit ruhiger, seltsam lebloser Bewegung die
geschminkten Hände nach außen, ließ sie sinken. Ließ gleiten, ließ
fallen. Da fiel es von ihr, Tirol, die Städte, ihr Werk, das Werk ihrer
Väter, Alberts, Meinhards, des Starken, Gewalttätigen, Heinrichs, das
Ihre. Nun war sie ganz arm und kahl.

Rudolf war durchaus nicht geneigt zu sentimentalen oder gar pathetischen
Gesten; aber es rührte ihn tief und sonderbar an, wie die Häßliche vor
ihm stand, entblößt, demütig, müde von Hoheit und Schicksal. Er ging auf
ein Knie nieder, sagte, er betrachte das Land als Lehen aus ihren
Händen; er werde sich bewußt bleiben, nichts zu sein als ihr Gouverneur.

                   *       *       *       *       *

Nach allen Richtungen liefen die Kuriere mit Briefen und Dekreten der
Herzogin. Margarete erklärte darin, infolge besonderer Umstände und der
Schwäche des weiblichen Geschlechts sei sie nicht in der Lage, ihr Land
so zu verwesen, wie es sein Vorteil erfordere, und alle und sich selbst
nach Gebühr zu schützen. Nach dem Rat ihrer Minister und der
Repräsentanten des Volkes überantworte sie daher ihre würdigen und edeln
Grafschaften zu Tirol und zu Görz, die Lande und Gegenden an der Etsch
und das Inntal mit der Burg zu Tirol und mit allen andern Burgen,
Klausen, Städten, Tälern, Gebirgen, Märkten, Dörfern, Weilern, Lehen,
Höfen, Vogteien, Gerichten, Münzen, Mauten, Zehenten, Zöllen, Zinsen,
Steuern, Gefällen, Gehölzen, Gefilden, Wäldern, Huben, Weingärten,
Äckern, Seen, fließenden Wassern, Fischteichen, Wildbahnen, kurz ihr
ganzes väterliches Erbe ihren lieben Vettern und nächsten Anverwandten,
den Herzogen von Österreich. Und sie gebiete ernstlich und festlich, daß
alle ihre Prälaten, Äbte und alle Pfaffheit, dazu die Burggrafen,
Pfleger, Vögte und alle Behörden in Tirol und allerwärts in ihren
Ländern, dazu die ganze Bevölkerung huldige und schwöre für jetzt und
alle Zukunft den Herzogen von Österreich als ihren rechten Fürsten und
Herren.

Vornächst leisteten alle widerstandslos den verlangten Eid der Treue und
des Gehorsams. Am dritten Februar huldigte Bozen, am fünften Meran, am
neunten Sterzing, am zehnten Innsbruck. Allein von den Feudalherren
hatten sich nicht alle so klug beschieden wie der Frauenberger. Sie
versuchten wenig aussichtsreichen Widerstand, zettelten mit den
Wittelsbachern, mühten sich, den Norden gegen Habsburg zu
revolutionieren. Als Rudolf in Hall erschien, die Huldigung der Stadt
entgegenzunehmen, kam es zu offenem Aufruhr, der Herzog selbst geriet in
Lebensgefahr. Aber die Bürger von Hall hielten den Söldlingen der Barone
Widerpart, die Stadt Innsbruck schickte dem Habsburger Hilfe, es erwies
sich, daß die Städte entschlossen waren, ihn unter allen Umständen gegen
die Willkürherrschaft der einheimischen, von bayrischen Agenten
unterstützten Aristokraten durchzusetzen. Mit Stolz konnte wenige Tage
später der Österreicher dem befreundeten Dogen von Venedig, Lorenzo
Celsi, berichten: »Auf friedlichem Weg, ohne viel Widerstand, sind Wir
in den Besitz des Landes in den Bergen gelangt, dessen Erbe vom Vater
her Uns zusteht. Edle und Unedle haben Uns den Eid geleistet und
anerkennen Uns als ihren Herrn. Alle Straßen und Übergänge von
Deutschland nach Italien sind, dank der Gnade des Allerhöchsten, in
Unserer Hand.«

Margarete besorgte mit peinlicher Gewissenhaftigkeit die umständlichen,
verwickelten Geschäfte der Übergabe. Aber sie empfing nur die
notwendigsten Besucher, sprach kein Wort über das Amtliche hinaus.
Unauffällig dann, mit ihrem dürren Fräulein von Rottenburg und zwei
Lakaien, wollte sie das Land verlassen. Doch Rudolf gab es nicht zu, daß
sie so klanglos und ohne Repräsentation davonzog. Er ordnete an, daß der
scheidenden Fürstin jede nur denkbare Ehrung erwiesen werde. An den
Grenzen ihrer Territorien empfingen sie die Feudalbarone, am Weichbild
der Städte die geistlichen und weltlichen Behörden. Allein die Sänfte
der Herzogin blieb verschlossen, nur undeutlich zwischen den Vorhängen
erkannte man sie, die starr, reglos in der Roßbahre vorüberschwankte.
Scheu und neugierig spähte das Volk, sah nichts. Da zog sie fort, krank,
abgerissen, die Verderberin, die Hexe, die Mörderin, die Männersüchtige,
Unersättliche, die Häßliche, die Maultasch. Hinter ihr, wild, grausam,
schmutzig, schlugen groteske Legenden zusammen. Rasselten nicht und
klirrten unheimlich auf ihren Schlössern die zurückgelassenen Waffen?
Schepperten nicht in den Kellern und Verliesen die Gerippe der von ihr
Ermordeten? Man mied die Orte, wo sie gern geweilt hatte, sie waren
nicht geheuer. Man schreckte die Kinder: Wenn ihr nicht folgsam seid,
holt euch die Maultasch. Das Vieh mochte das schöne, fette Gras nicht
fressen auf den Almen über Schloß Maultasch.

Als sie Innsbruck hinter sich hatte, hörte sie, in der Sänfte vor sich
hinbrütend, eine kleine, spitze Stimme: »Leben Sie wohl, Frau Herzogin.«
Sie schrak auf, fragte das dürre Fräulein von Rottenburg: »Wer ist da?«
Das Fräulein hatte nichts gehört. Margarete spähte durch die Vorhänge.
Da sah sie zwei winzig kleine, bebartete Wesen. Sie trippelten am Rande
der Straße, sie schauten aus uralten, ernsten Augen auf die Herzogin,
sie zogen die schmutzigbraunen, altmodischen Mützen, neigten sich
ehrerbietig, viele Male. Da verlor Margarete ihre Starre, die Schultern
wurden ihr schlaff, die dicke, häßliche Frau sank schwer in sich
zusammen.

Sie kam an die Grenze zum bayrischen Chiemgau. Hier war eine
Ehrenkompanie aufgestellt, präsentierte die Lanzen. Sich senkende
Fahnen, Musik. Die Vorhänge blieben heruntergelassen, die Sänfte
schwankte über die Grenze, ins Bayrische. Sowie sie außer Sicht war,
holten die Zollsoldaten ihrer Weisung gemäß die schönen, schweren Banner
der Gräfin von Tirol herunter, gemächlich, gähnend, pfeifend, zogen an
ihrer Statt die neuen, nüchternen, sauberen Fahnen hoch mit dem roten
Löwen Habsburgs.

                   *       *       *       *       *

Langsam ruderte die kräftige Magd das schwere, ungefüge Boot von der
kleinen Fraueninsel weg über den Chiemsee. Es war Mittag, sehr heiß, das
Wasser lag blaß, weit, still. Die beiden geistlichen Herren im Boot, der
Kanzler, Bischof Johann von Gurk, und der Abt von Viktring, der Uralte,
waren schlecht gelaunt. Der Florentiner Chronist Giovanni Villani, der
Nebenbuhler des Abtes, hatte das sensationelle Gerücht aufgebracht,
Margarete, Herzogin von Bayern, Markgräfin von Brandenburg, Gräfin von
Tirol, lebe seit ihrer Abdankung in tiefster Not, der Habsburger lasse
sie Hunger leiden, Entbehrung, jedes Elend. Die Herren waren nun im
Auftrag Herzog Rudolfs in Frauenchiemsee gewesen, wo Margarete jetzt
lebte, um sie zu bewegen, in Wien oder einer beliebigen anderen Stadt
würdig Hof zu halten. Hatte ihr nicht der Habsburger die reichsten
Einkünfte verschrieben, die vier Ansitze Gries bei Bozen, Stein auf dem
Ritten, Amras, Sankt Martin bei Zirl, die Einkünfte der Feste Straßberg,
des Passeyers, der Stadt Sterzing, dazu eine Jahresrente von
sechstausend Veroneser Pfund? Die Hofhaltung der Herzogin hätte es mit
der jedes deutschen Fürsten aufnehmen können. Allein weder die
höflichen, klugen Argumente des Bischofs, noch die lateinischen Zitate
des Abtes und seine Beispiele aus der Geschichte hatten sie weglocken
können.

»Sie ist jeder Bewegung abgestorben,« klagte der Bischof auf lateinisch.
»Es kümmert sie nicht, ob Tirol Frieden hat oder Krieg. Ich habe ihr von
dem Einbruch des Wittelsbachers erzählt, von der brutalen Einäscherung
und Plünderung des Inntals. Sie hört zu, als spräche man vom Wetter.«
Der See lag ganz still, weißlich flirrend, gleichmäßig tauchten die
Ruder. Der Uralte schwieg. »Dabei häufen sich ihre Einkünfte,« hub
wieder der Kanzler an. »Sie werden ihr pünktlich überwiesen, kein
Pfennig wird angetastet. Das Gold türmt sich in ihren Schlössern. Sie
muß unausdenkbar reich sein. Beim Herkules!« schloß er ärgerlich, »jener
Italiener ist ein treuloser Verleumder und Verkleinerer, ein schlechter
Pasquillant.«

Dem ausgetrockneten Uralten ging das Herz auf bei dieser Kennzeichnung
des Konkurrenten. »Recht spricht deine Eminenz,« sagte er mühsam,
zahnlos. »Wer hätte je gezweifelt, daß jener ein armseliger, niedriger
Schwätzer ist?«

Am Ufer der kleinen Insel, vernachlässigt, grellweiß geschminkt, unter
Gerank und sehr farbigen Bauernblumen, saß die Herzogin, schaute dem
Boot nach. Es war ganz still, Mücken flirrten, ein Wasservogel schrie
verschlafen. Ein starker Geruch von Fischen, Netzen, Tang stand in der
heißen, unbewegten Luft. Das Boot rückte sehr langsam von der Stelle,
bog um die Spitze der vorgelagerten, größeren Insel, war nicht mehr
sichtbar.

Aus dem niedern, gelblichgrauen, besonnten Fischerhaus kam ihr dürres
Fräulein, holte die Herzogin zum Essen. Margarete stand auf, reckte sich
träg, ging mit ihrem schweren, schleifenden Schritt dem Haus zu. Der
Mund wulstete sich äffisch vor, die Backen hingen schlaff, riesig,
unförmig herab, die Schminke konnte die Warzen nicht verdecken. Das
dürre Fräulein, still, demütig, öffnete die ungefüge, niedere Tür vor
ihr. Wolkig drang der Geruch gebratener Fische heraus. Margarete
schnupperte ihn behaglich ein, ging ins Haus.




                     Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere
Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Ausgaben, sind hier
aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 42]:
   ... der Liturgie zwang ihr Bewunderung ab. Sie ...
   ... der Liturgie zwangen ihr Bewunderung ab. Sie ...

   [S. 93]:
   ... Tugenden Leibes und der Seele. Er war Erec und Parzival ...
   ... Tugenden des Leibes und der Seele. Er war Erec und Parzival ...

   [S. 112]:
   ... die starke Nase stach spitz auf dem Tuch, Mund und Kinn ...
   ... die starke Nase stach spitz aus dem Tuch, Mund und Kinn ...

   [S. 145]:
   ... gegenüber. Zu ihren Häuptern an den Wänden schritten ...
   ... gegenüber. Zu ihren Häupten an den Wänden schritten ...

   [S. 275]:
   ... schmuckstrotzend wie ein Götzenbild, an Seite des Kaisers. ...
   ... schmuckstrotzend wie ein Götzenbild, an der Seite des
       Kaisers. ...

   [S. 284]:
   ... die Albino herum. ...
   ... den Albino herum. ...






End of Project Gutenberg's Die häßliche Herzogin, by Lion Feuchtwanger

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mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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