Die Probefahrt nach Amerika

By Leopold Schefer

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Title: Die Probefahrt nach Amerika

Author: Leopold Schefer

Release Date: June 11, 2013 [EBook #42912]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE PROBEFAHRT NACH AMERIKA ***




Produced by Jens Sadowski








                       Die
             Probefahrt nach Amerika.


                      Roman
                       von
                 Leopold Schefer.



                     Bunzlau,
              Appun's Buchhandlung.
                      1837.




                       Die
             Probefahrt nach Amerika.


     Motto: Lasset der Welt nur den Lauf,
            und das Wasser dann findet ihn selbst schon!





»Schönen guten Abend, Herr Pastor! Hier bringe ich die sechs Dreier
Reisegeld nach Amerika von meinem Vater.«

So sprach eine junge Mädchenstimme in unser abenddunkles Zimmer herein,
darin ich gedankenvoll, ja kummervoll, auf- und abging. Ich hatte wohl
verstanden, was das liebe Kind wie mit Engelsstimme zu mir gesagt. Aber
desto mehr war ich von dem himmlischen Gruß überrascht und bewegt, und
stand, gewiß über und über roth geworden, im Düstern still, und hatte die
Hände gefaltet. Das arme Mädchen aber mochte glauben, wir hätten es nicht
gehört, und so sprach es mit leiser Stimme noch einmal: »Schönen guten
Abend! Ich bringe unsre sechs Dreier zur Probefahrt . . . .«

Mache doch Licht an! -- sagte ich zu meiner Frau, die in der Feierstunde am
Fenster saß, zu welchem die wie jung gewordenen ersten Frühlingssterne vom
dunkelblauen Himmel herein glänzten; -- mache doch Licht, liebe Frau! Es
ist Webers Gretchen!

Meine liebe Frau aber regte sich nicht; oder vielmehr, sie legte sich mit
dem Gesicht in ihre weißschimmernde Arbeit vor ihr auf ihr Tischchen. Ich
seufzete unhörbar, ging selbst, zündete einen Streifen Papier an meiner
Luftfeuermaschine an -- woraus die Flamme mir blitzschnell dienstfertig
herausfuhr und mich dadurch sehr erquickte; und als das Licht brannte,
sprach das liebe kleine Mädchen, wie nun erst getrost, recht freundlich:
»Schönen guten Abend!«

Guten Abend, mein Kind! sagte ich ihr mit dem Gefühl, das ihr, ihren armen
Ältern, und der ganzen armen gepeinigten Gegend recht gute Tage wünschte.
Sie gab mir die sechs Dreier Reisegeld nach Amerika, lauter Kupferdreier,
mit Grünspan belegt, also aus dem Salzgelde, denn der Weber verkaufte nur
Salz. Du bist die Erste, die mir bringt. Gieb mir Deine Hand und Deinen
Segen, mein Kind! sprach ich halblaut, meiner Frau wegen, und mit nassen
Augen, des übervollen Herzens wegen. Ich trug den Weber in das dazu bereite
Buch, gab ihr eine Quittung . . . . damit man den Amerikanischen Kaufleuten
nicht zur Schande nachsagen möge, daß sie über jede Kleinigkeit in ihrem
wohlgeordneten Lande ein Quittung geben, selbst über ein bezahltes
Halstuch; und das liebe Kind schied mit einer verlegenen »Guten Nacht!« an
die Frau Pastorin, und mit einer getrosten guten Nacht an mich.

Die Nacht möchte nicht gut werden! dachte ich. Ich trat zu meiner Frau,
legte meine Hand ihr auf den Kopf, den sie seitwärts wandte. Mein Kind!
Meine liebe Frau! sprach ich so mild als möglich. Sie regte sich nicht. Und
so fuhr ich fort in meinem Styl: Laß uns betrachten! Wie wäre es denn --
wenn ich ein Missionair wäre? Müßte ich dann nicht? . . . . Oder hättest Du
mich dann nicht geheirathet? . . . . Und bin ich nicht wirklich ein
Missionair, ein Abgesandter von dem, der uns sagte, uns, mir also auch, und
in der Noth erst recht laut: Gehet hin in alle Welt! Und unter _aller_ Welt
ist doch gewiß die neue Welt, und so Gott will, die beßre Welt, auch mit
begriffen! Ihm war Himmel und Erde bekannt, und gewiß auch Amerika, das in
der alten Welt ja auch bekannt war, den Tyriern und Sidoniern; und wenn sie
sich auch vor dem Wasser fürchten, doch auch den Juden, und dem weisesten
Juden, der so viel und gern am Meere wandelte und lehrte. Und soll ich
zeitlebens, oder um meine zwanzig Amtsjahre nur immer geredet haben? Soll
ein Geistlicher nicht auch _thun?_ Mit gutem Beispiel vorangehn? Mit Muth!
mit Erfahrung! Wer ist denn noch überall der stille Freund und Tröster des
Volkes, als die Geistlichen, die Weltgeistlichen? Bin ich's nicht auch?
Habe ich mich nicht um meine schöne laute Stimme gepredigt? Habe ich mich
nicht um allen meinen eigenen Trost getröstet, so daß ich selbst wie ein
Irrlicht schwebe, nicht wie ein mächtiges Licht, so stark, daß es selber
steht! Habe ich mir die gute redliche Brust nicht verdorben, daß nur eine
weite Seereise mich herstellen kann, aber gründlich herstellen wird, wie
der Doctor sagt. Gönnst Du mir das nicht? Soll das Volk verkommen,
verzweifeln, da in aller Welt doch Hülfe für alle Welt ist? Soll ich nicht
reisen und ihnen die Ruhestätte der Lebendigen helfen bereiten? Soll ich
sterben vor Leiden und Qual? Leide ich nicht? -- denn seh' ich nicht
leiden? Laß mich leben! Komm Du mit!

»Das ist mein Tod!« sprach meine liebe Frau, sich aufrichtend, und, sahe
von mir weg, hinaus, hinauf unter die Sterne. Aber sie hatte ihre rechte
Hand herabhangen lassen, und das hieß von ihr -- wie ich aus Erfahrung
wußte: -- sie hatte mir ihre Hand gegeben.

»Du gehst als ein Volksspion!« sprach sie jetzt, wie für mich sich
schämend, aus ihrem edlen liebevollen Herzen.

. . . . Volksspion? wiederholte ich ohne es zu wollen. Aber, mein Kind,
sprach ich mit ruhigem Selbstgefühl, haben die Hirten der Heerden nicht
ihre Gesandten, die ihnen alles berichten, was ihnen frommt? Sollen die
Völker nicht ihre Gesandten haben? Und willst Du den Apostel Paulus, den
Columbus, den Vasco da Gamma, den berühmten Reisenden schlechtweg, und den
Prinzen, einen Volksspion nennen, weil am Ende jede Reise, jede große
Entdeckung, jede kleinste Erfindung für das Volk ist! Halte mich lieber für
eine Taube Noäh, oder einen Raben! Und heiße ich nicht _Volkmar?_ Was
_Volk_ ist, weißt Du; und was _mar_ bedeutet, habe ich unsrem Gustav Adolph
erklärt. Also Volkmar will ich auch seyn!

»So oft er den Soldaten, _dem Volke_, wie man, nach Deinem Worte,
mißbräuchlich und unchristlich sagt, nachläuft, dann nennst Du den Jungen:
Volks-Narr! und Du, Du willst ihm vorlaufen! Verstanden?« sprach sie; stand
auf und ging hinaus, um das Abendbrot zu besorgen.

Ich aber schämte mich für Alle, die sich des Volkes anzunehmen schämen,
nach Kräften, kniete auf ein Knie nieder, beugte mein Haupt und betete: O
Volk, o deutsches Volk, Dein bin ich, so lange ein Athem in mir weht, der
Athem Gottes. Denn in dir, o Volk, lebt derselbe alte Vater heilig, aber
jetzt hier recht erbarmungswürdig, Gottes unwürdig! Denn Gott soll für alle
seine Gaben doch nicht hungern und dursten, nicht halbnackend frieren, und
so bekümmert aussehen, wie die theuren Menschengesichter hier alle weit und
breit um mich. Gott soll kein Schloß vor dem Munde haben, Gott soll man
nicht lebendig begraben, in seinem Sohne, seinen Kindern allen, dem Volke!
O Gott, gieb, daß Alle erkennen, Wer, welch heiliger Wer in dem Volke lebt.
Darum Dein bin ich, o Volk, so lange ich einen Tropfen Blut in den Adern
habe, eine Zunge im Munde; denn ich weiß, wer es ist, der _Es!_ -- _Es_
blitzt! _Es_ donnert! _Es_ regnet über die Saaten! _Es_ reißt mir am
Herzen. _Es_ führt mich fort! --

Ich stand auf, ich konnte nicht mehr. Aber ich war ruhig.

Da kam meine Tochter _Marie_, oder _Mirjam_, wie ich sie ihrer Ahnfrau zu
Ehren am liebsten nenne. Sie eilte auf mich zu, sie sank mir an die Brust,
und ich hielt sie umarmt an dem treuen Vaterherzen. Ich weiß nicht, eine
Tochter erscheint dem Vater immer so wunderbar eigen, wie seine Mutter und
sein Weib zugleich, und doch wie das zarte schöne Herzblatt des eigenen
Wesens selbst. Heut rührte sie mich doppelt. Sie war in ihren
Sonntagskleidern, weiß und sauber und lieblich angezogen; sie kam so
hastig, ihre ganze Gestalt wollte wie eine vollgedrängte Knospe brechen;
ihre Augen, ihre Lippen wollten tausend Dinge, die ganze Welt mir erzählen,
vertrauen, preisen! Sie schien eine Flamme, die nicht lodern will, eine
Lilie, die nicht gesehen sein will, so kam mir die Jungfrau verändert vor
-- aber wodurch? Wie so schnell? Denn am Nachmittage war sie auf das Schloß
gegangen, das auf einem Hügel mitten in der Stadt liegt, um ihre Freundin,
ihre Jugendgespielin zu besuchen, zu trösten. Denn der jungen _Baronesse
Freysingen_ war erst vor Kurzem die Mutter gestorben, eine musterhaft gute
Wittwe; denn alle Weiber werden als Wittwen gut, besonders aber diese, die
schon als Weib unvergleichlich gewesen. Denn um nur Eins zu sagen: sie
hatte alle Einwohner der zwanzig großen Dörfer ihrer Baronie frei gegeben
ohne Entschädigung. Die Mädchen waren beide siebzehn Jahr alt, also wahre
Jungfrauen, ich hatte sie beide zusammen unterrichtet, und aus voller Seele
mich bemüht, sie in allem Herrlichen redlich zu confirmiren. Was thut ein
Vater nicht! Auch mein ältester Sohn, mein _Marbod_, hatte Theil an meinen
ausländischen Worten, an dem Unterricht in der englischen und französischen
Sprache Theil genommen. Viel Augen können Ein Licht sehen, viel Ohren Einen
Mund hören, und Kindern gegenüber ist der Vater ein feuriger, reiner,
undurchdringlicher Lehrer. Die Kinder waren wie Geschwister. Meine Mirjam
hatte den Abend auf dem Schlosse bleiben wollen, und sie kam schon nach
Hause? Zu mir? Es war also etwas vorgegangen, geschehen, _ihr_ geschehen,
und ich frug sie, was sie mir bringe?

»Mich!« antwortete sie. »Dir . . . oder, wollte ich sagen, Ihnen, lieber,
lieber Vater!« Dabei drückte sie mich heftig.

Hat Dir die Mutter draußen gesagt? -- Ach die Mutter! Du weißt, daß sie
schon ein Jahr und länger her nie ein Wort dagegen gesagt, daß ich nach
Amerika will, auf Probe; aber um wirklich sagen und fühlen zu können, wie
Auswanderern um das Herz ist, wie ihnen also in Wahrheit geschieht, bin ich
mit Gott entschlossen, auf immer auszuwandern. In den zwanzig Dörfern
sammeln die Vorsteher . . . . das arme Reisegeld; hier aus der Stadt
brachte jetzt ein Kind an mich die ersten sechs Dreier. Nun also ist Ernst!
Das Reden ist aus, das Thun geht an, und nun spricht die Mutter: das ist
mein Tod! -- nicht meiner, mein Kind, sondern _ihrer_, meint sie -- und das
macht mir den schweren Gang nur schwerer, denn ich gehe -- und sie wird
bleiben! Nun, soll ich allein gehen? Oder -- kommst Du mit? Denn unser
Marbod bleibt hier in der Pfarre als mein Vicar, mein Substitut, cum spe
succedendi -- sag' ich Dir heut. Und bleibst Du auch bei der Mutter, so
reis' ich allein mit meinem Gustav Adolph und Gott! Und euch befehle ich
Gott!

Ich hielt inne. Du weinst? frug ich dann. Ja, Scheiden ist schwer. Scheiden
von Lebendigen schwerer, als von den Todten; denn da hat die Natur
geschieden, das Schicksal. Wer aber von Lebendigen, von Geliebten scheidet,
der kommt ihnen vor wie ein übermüthiger, leichtsinniger -- Narr! Denn so
hat mich die Mutter genannt -- Volksnarr!

»Ach, mein Vater!« sprach sie leise, »wie soll ich Ihnen nun gestehen --
sagen, wollte ich sprechen, daß ein Amerikaner hier ist! Im Schlosse! Den
zweiten Osterfeiertag reist er schon fort nach Bremen, sich wieder
einzuschiffen. Er will Sie mitnehmen. Sie sollen ihn heut besuchen. Ich
soll Sie holen! Ach! --«

Mir war ernst, mir war froh zu Muth. Und doch kam mir meine Tochter noch
räthselhaft vor. Ich war bewegter als sie. Denn Alles in meinem Hause, in
der Meinen Herzen hat mir immer das Wichtigste geschienen. Und scheinbar
gleichgültig frug ich meine Tochter nur: Ist er jung?

»Zehn Jahr gewiß jünger als Sie, mein Vater!«

Also dreißig! -- Ist er verständig?

»O wie es sich ihm zuhört! Und dann hat man doch nichts verstanden, nichts
gemerkt! Ich könnte kein Wort treu wiedererzählen!«

Also ist er schön? frug ich eben so gleichgültig.

»O Vater,« fuhr sie fort, meine Frage zur Seite lassend, »das Herz klopft
Einem vor Freude, endlich einmal einen Mann sprechen zu hören, männlich,
frei, stolz -- als wenn der blaue Himmel über ihm voll Heldengeister
schwebte, die ihn durch frohe Billigung stärkten und zur Feuerflamme
machten. Mein Gott! denk' ich mir selbst den General, den Vormund der
Baronesse, oder den Superintendenten dagegen, die mit eingezogenen Achseln
stehn, und mit schüchternen Blicken inne halten und lauschen, ob ja nicht
etwa ein Minister oder Prinz da oben schwebt, der ihre kriechenden Worte
noch nicht kriechend genug findet und sie von oben herab mit dem Finger
warnt, daß sie zusammenfahren . . . . . Was habe ich doch gesagt, mein
Vater, ja, ja, so kommt es mir vor, als wenn ich bis heut noch keinen Mann
reden gesehen hätte, verzeihen Sie, lieber Vater, als Sie auch. Sie können
auch reden! -- Aber Sie sind ja -- mein Vater. --«

Schon gut, schon gut! sprach ich, und wußte genug und seufzte: o Freiheit,
wie machst du den Menschen schön! Mein armes Mädchen, dachte ich, auch Dir
ist es geschehen! -- Ist er verheirathet? ist er reich? frug ich weiter.

». . . Würde er so weit reisen, wenn er eine Frau hätte . . . .«

-- meinst Du! Du Schelm! schaltete ich ein. --

». . . ich meine nur: er kommt aus Petersburg, über Constantinopel,
Alexandrien und Rom durch Österreich, Baiern. In Nürnberg hat er tausend
Dutzend Schachspiele bestellt und bezahlt. Gehn Sie hinauf auf das Schloß;
ich will noch bei der Mutter bleiben!«

Noch? Du gutes Kind! Du willst also mit mir! Das danke Dir Gott! Freilich.
Die neue Zeit ist wunderbar, oder die neuen Menschen, die den alten elenden
Menschen ausgezogen haben, den neuen anziehen wollen, und indeß schauernd
stehn wie Bettler. Decke den Tisch.

Die Mutter wollte das Essen noch nicht auftragen. Ich bestand auf Eile: und
sie folgte mir zwar, doch mit einer Miene, als wenn ich mich um eine Freude
brächte. Warum aber heut am Sonntag Abend ein gebratenes Huhn? -- Warum
heut Alles so besser als sonst, das erfuhr ich, als zwei Reiter in den Hof
gesprengt kamen, und bald darauf ein Husar in der Mutter Armen lag, und in
der Schwester Armen. Denn es war mein Sohn, mein Vicar! noch in der bunten
Soldatenraupe. Mein Ersatzmann! Die Ankunft des Sohnes bedeutete der Mutter
ganz sichtbar meine Abreise, meinen Verlust, und so hatte sie ihn ohne
lauten Ausruf, nur mit stillen Thränen empfangen. Darauf setzten wir uns zu
Tisch. Ihre Augen hingen immer an seinem -- schönen Gesicht; denn warum
soll ich als Vater blind und stumm seyn? Sie aß wenig und nichts, er allein
fast alles! Denn mein Gott, wie war überhaupt der junge Mensch verwandelt!
Einen fein gebildeten jungen Mann hatte ich vor Jahr und Tag fortgeschickt,
unter die Soldaten, einen Candidaten der frömmsten Wissenschaft, einen
Nachfolger der Jünger Christi, der nie zu laut sprach, wie ein Mädchen
erröthete, sich einfach kleidete, die Kartenkönige und Ober nur vom
Amtmannspiel her kannte, der nicht tanzte, nicht Pistolen schoß, nicht Wein
nicht Branntwein trank, nicht Tabak rauchte, nur von belebenden Dingen,
wenn auch froh und heiter, sprach -- und ach! was mußte ich jetzt von ihm
hören! Nichts wie von Pferden, Jagden und Hunden, von Spielgewinnst, von
vortrefflichem Tabak, und noch edlern Tabaks-Pfeifen; von Bällen, von
schönen Mädchen in den Quartieren bei der Musterung, Geschichten und
Abentheuer von seinen Cameraden, wie sie vielleicht heut an andern Orten
_seine_ Abend- oder Nachttheuer erzählten! Und seine Sprache -- wie
baßrauh, cantormäßig ausgetrunken seine Stimme, sein Auge so zu sagen
frech, sein Ansehn -- dem Ansehn nach gesund . . . . aber ich bin Kenner,
ich sah mit Vateraugen. Da muß ein Vater Freude haben! seufzete ich
herzinniglich. Da müssen tausend Väter jetzt Freude haben, denen ihre Söhne
so wiederkommen. Alle redliche Mühe der Mütter, alle Sorgfalt der Väter,
alle Zucht im Hause, aller heiliger Zorn über die kleinen Keime von Unarten
der Knaben, alle Lehren in den Schulen, alle Predigten in den Kirchen --
Alles umsonst! Von Unkraut erstickt alles ächte, rechte Menschenwesen und
Menschensinn. Predigt doch nicht, lehrt doch nicht! Lehrer und Prediger!
Lieben Eltern, laßt doch alle Knaben aufwachsen wie Wilde, ja eure Mädchen
auch -- denn auf _der_ Universität aller Rohheit und Laster bekommt ihr
doch Candidaten der Unreligion nach Hause, die euch Gott und Herz und Athem
und Lunge ersparen; die mit ausgerenktem und ausgerenkt verwachsenem Herzen
verdorben, sie euch doch verderben, euer Leben und ihres. Aber so verlangt
es die in Europa eiserne Zeit. -- Ich ward immer überzeugter von der
Wahrheit meiner innern Worte. Die Mutter hatte die letzte Flasche Wein ihm
zu Ehren herauf holen wollen -- denn er hatte bescheiden seine Schwester
blos um ein Weinglas gebeten -- die Mutter aber kam mit leerer Hand wieder,
denn ich hatte den Wein armen Kranken hingetragen, und ihr Auge gab mir
ihren Dank; der Sohn lächelte und sein Calfactor mußte die Feldflasche mit
Arrak bringen -- und ich mußte den vortrefflichen kosten! Ich trank den
Tropfen aber auf die Gesundheit der Mäßigkeitsvereine in Amerika, und bat
den Sohn um Verzeihung . . . . daß _ich_ den Wein, und heimlich,
fortgetragen in der Tasche, mit der ich im Finstern an das Geländer der
elenden Treppe der armen Leute angestoßen habe, und die guten Kinder
derselben hätten mir die Glasscherben aus der Tasche gezogen -- und mit
hohlen untergehaltenen Händchen den filtrirten Trank der Mutter hingetragen
-- und auch noch vergossen, weil sie auf die Mutter gesehen, und nicht auf
das Händchen.

Da lachte mein Sohn! Und wie Odysseus überlegte ich, ob ich das lachende
Gesicht aus väterlichem Zorne ganz einschlagen sollte, oder ihn nur so ein
wenig schlagen, daß ihm Kinnlade und Zähne ausfielen -- aber er hätte ja
vielleicht den Säbel gezogen, und ich hätte ihn dann selber todtstechen
müssen, und alles war aus! Meine Fahrt nach Amerika! Selbst meine Hülfe an
alle arme Ältern gegen _solche_ Freude an ihren Söhnen! Die
himmelschreiende Freude! Ich stand nur vom Tische auf, und meine
feinfühlige Tochter Maria hing sich mir an meinen Arm und flüsterte mir
beschwichtigend zu: »Vater, liebes Väterchen! Der Bruder wird in drei
Tagen, oder doch in drei Wochen ganz anders seyn, wieder wie zu Hause!
Vergeben Sie ihm!«

»Habe ich Sie beleidigt? Vater! Womit denn?« frug der Sohn, so unschuldig
unbewußt -- daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Das war das Ärgste: er
wußte nicht mehr, wo und wie er fehlte! Und ich sagte zur Antwort die
Wahrheit: _Du_ nicht, mein Sohn! Du hast mich nicht beleidigt, nicht
gekränkt. Du hast nur Ordre pariert. Du erfüllst nur das Gesetz. -- Und so
begriff ich einigermaßen die neue, wahrhaft edle Absicht: die Soldaten nun
fromm zu machen, ihnen Gebetbücher in die Hände und Tornister zu bringen,
und die Commerschlieder mit frommen Morgen- und Abendliedern zu ersetzen.
Nur so ist _ihnen_ zu helfen.

Desto heißer brannte ich auf das Schloß zu gehen. Da kamen sie schon! Meine
Augen waren, wie des alten Zacharias Augen, auf den Amerikaner gespannt.
Aber vor ihm trat ein junger schlanker Schwarzer ein, ein Afrikaner, der
fröhlich und wohlgemuth seinen Herrn meldete. Den Namen überhörte ich, weil
er selbst schon mit der Baronesse und ihrem Vormund, dem General, eintrat.
Die Weiber beknipten sich, die Männer -- nämlich ich mit -- krümmten sich
wie lange Haarwürmer, die lange in einem hölzernen Violinbogen gesteckt.
Der Amerikaner aber grüßte blos durch seine anständige Erscheinung, das
heitre gesunde Antlitz, den wohlwollenden Blick aus den blauen Augen, zu
welchen das braune Haar ihm so wohl stand. Nach und nach schied sich die
kleine Gesellschaft und vereinigte sich. Die Mutter klagte vermuthlich dem
General-Vormund die Noth, der Husarenoffizier theilte der jungen Baronesse
seine mit Freuden aufgenommene Freude mit, sie wieder zu sehen, wozu Maria
mit einer Hand auf dem leisen Harfenzuge des Pianoforte von Zeit zu Zeit
die Melodie von dem Volksliede hören ließ:

   »Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!
   Der Abschiedstag ist da.
   Schwer liegt er auf der Seele, schwer,
   Wir müssen über Land und Meer
   In's heiße Afrika!«

Und so trugen die alten, im Volke unvergeßnen und jetzt neu lebendig
gewordenen Töne meine Seele in dem nun entsponnenen Gespräch mit dem
willkommenen Gaste, dem Amerikaner.

Ihre Kunde, sprach ich am Caminfeuer mit ihm sitzend, darf ich als
Wegweiser wohl benutzen, denn Wegweiser sollen etwas mehr wissen und eher
als die Weg_wandler_ -- Auswanderer.

»Also wirklich! Sie wollen auswandern? -- -- Auswandern?« sprach er ernst.
»Auswandern, sich selbst verbannen! Sich selbst ermorden! -- um der Kinder
willen. Seinen Leib, sein Herz, seine Seele aus dem Leibe reißen -- um der
Freiheit willen. O schwer, o bitter, das Bitterste auf der Welt. Sterben
wir, so ist hoffentlich Land und Erde vergessen. Meine ich. Aber! Wandern
wir aus, so geben wir Vaterland und Leben verloren -- es bleibt Alles,
Alles hinter uns, wie hinter einem Lebendigbegrabenen. Denn so eng, so
dumpf und schweigend und leblos, so jammervoll ist es um den
Ausgewanderten, sagte mein Vater uns Kindern bei jeder Gelegenheit, bis in
das Alter, noch oft; selbst auf dem Sterbebette -- bald leise, bald laut;
und im letzten Traume sprach er erst recht bewegt von der Heimath, hier
drüben von dem Berge! von dem Vaterhaus -- dem Schlosse hier drüben -- von
den alten Linden -- so daß uns in der Fremde geborenen Kindern zu Muthe
ward, als wäre ein weltfremder Mann, ein gutmüthiger Wilder -- ein Sohn der
Sonne unser Vater! Ich führe das nur an, so wie er auch sagte: Selber
Bäume, einen ganzen Wald würde man für desto rasender halten, wenn sich die
Bäume alle selber ausrissen, über Felder und Berge und das Weltmeer liefen,
und drüben mit den Wipfeln oder Köpfen sich in die Erde pflanzten, und die
Wurzeln hoch in die Höhe kehrten, daß sie grünten und blühten und Früchte
trügen! Doch wenn ich euch ansehe, Kinder, sprach er auch wohl, sehe ich
doch, in der Welt ist Alles möglich! . . . . wenn es nöthig ist! Das
Unglück ist das einzig wahre Saamenkorn des Glücks! Die Noth, die äußerste
Noth ist dem Menschen die Todtenerweckerin, die unbarmherzige Aufschreierin
seiner tiefsten, gewaltigsten Kräfte, die ihn über bloßes Menschenseyn mit
zwei Beinen und Armen erhebt, und ihm Flügel giebt über das Meer. Es giebt
ein kleines Insekt, der Vater wies es mir oft, das hat zwar Flügel unter
den Flügeldecken, aber es läßt sich von den Kindern jagen, martern,
stechen, brennen -- und erst, wenn man ihm die Flügel ansreißen will, dann
fliegt es fort, hoch in die Luft, und macht sich unsichtbar seinen
Marterhölzern von Menschenfleisch oder Menschenfleischern. Der Mensch ist
noch lebenszäher als ein Polyp, der sich umkehren läßt, das Innere heraus,
die Haut hinein, und fortlebt -- das vermag der Mensch bei Herz und Seele
im Leibe -- aber mein Vater kam mir doch vor wie . . . . wie eine nackte
Seele, so immer wund, so immer schauernd, daß mir erst wohl ward, als er
mir seinen Segen gab, der gewaltig klang und voll Verheißung triefte wie
Gottes Wort. Aber sein Schloß, seine Kinderstube, seine alten Linden hier
mußte ich doch sehen. Wahrlich, mich trieb nicht das Capital, welches noch
von ihm her auf diesen Gütern steht. Es mag stehen bleiben, wenn es sicher
ist. Sonst will ich sehen, was hier zu unternehmen und auszuführen ist --
nach _seinem Testament_.«

Ich denke, es steht sicher; sprach ich, nicht ganz überzeugt, meinte aber,
daß die Sequestration, die jetzt eingetreten war, das Capital desto
sicherer stellte. Der Amerikaner war also der Sohn des vorigen alten Herren
der Baronie, und der jüngere Herr _von_ Steinbach, und Herr von Steinbach
wollte ich ihn nennen, als er nicht unanständig, aber gnugsam lachte, und
sprach: »Ich heiße _Winhing_, mein Bruder _Johannes_, meine Schwester
_Sabina_, und auch meine Mutter heißt _Susa_, so daß alle Vornamen der
Straßburger Familie sich in uns einmal wiederholen. Aber dem a und de
Steinbach haben wir Ade gegeben und den Taufnamen _Erwin_ zu unserem
Familiennamen gemacht, da wir einen Mann haben, der den Geschlechtsnamen
erst durch Verstand und Fleiß und Kunst geadelt. Das ist nicht ganz zum
Lachen, und nicht ganz des Vergessens werth.« Er lachte aber. Und doch
freute er sich über mein Weib, auch eine geborne von Steinbach, also eine
Mitenkelin vom alten _Erwin_ von Steinbach, der den Straßburger Münster
erbaut, und blos als Andenken zeigte er mir das Wappen auf seinem Petschaft
--: das gekrönte Kind, das aus blauem Meer auftauchend eine weiße Rose in
der rechten Hand hält.

»Mein Vater!« erzählte er dabei, »ging aus dem Wunsch aus Europa: kein
_armer_ Adliger mit unglückseligen Sclaven oder sogenannten Unterthanen,
wie man sie hier nennt, zu seyn, sondern lieber ein reicher, freier, bloßer
Mensch; durch Landbesitz, den er für sein Geld erworben, also adliger, als
jene ersten Adligen in Deutschland, die mit gewaffneter Faust einwandernd
Leute und Land behielten. Mein Vater hat mir in seinem Testamente vermacht
und aufgegeben -- und Geld dazu: -- in meinen männlichen Jahren eine
Colonie verarmter Adliger und bauergutsloser Rittergutsbesitzer nach unsrer
Union überzusiedeln, und ich habe schon sechzig Familien, freilich kaum ein
Hunderttheil der ganzen Trauerliste. Aber entschließen sie sich? Sie hängen
wie Faulthiere am abgefressenen, eingegangenen Brotfruchtbaume, bis sie
verschmachtet herabfallen und dann kaum weiter schleichen können auf den
neuen Lebensbaum.«

Freilich, kann ich sagen, sprach ich, Frau und Mann müssen Beide gleich
entschlossen seyn, auszuwandern! _Das ist die erste Regel!_ Freilich muß
die neue Europäische Noth der alten Asiatischen Noth, gleichsam einer
ägyptischen Finsterniß gleich kommen, ehe die Deutschen ihr _Ruheland_
Deutschland verlassen, wie einst Asien, aus welchem sie noch verschiedene
Kasten voll und von Noth mitgebracht. Die Deutschen vor allen sind
Erdwanderer, vielleicht Erdumwanderer -- bis ihre Enkel klug und glücklich
durch Californien und das von den herrlichen Menschen volle Sibirien wieder
heimkommen! Aber was ist Noth? Wenigstens bei den Deutschen, also auch
Menschennoth? . . . . »Noth« heißt bei den alten Deutschen: Fessel, Gewalt
und Zwang. Dieses Kleeblatt von der Todes- oder Höllenwiese war ihr
tiefstes Unglück! Ihr einziges! Sonst ertrugen sie Alles! Was nicht Fessel,
Gewalt und Zwang war, war keine Noth -- und Noth bezeichnet, wie ihnen,
auch uns noch das tiefste Unglück; das letzte aber auch. Ein Volk von
Charakter hat Jahrtausende dasselbe Herz, denselben Sinn. Glauben Sie,
Master Erwin, daß der klügste Mann von Rom, Cäsar, ein Esel gewesen ist,
oder daß er Luchsaugen gehabt? Und dieser alte Luchs und Fuchs, Cäsar, sagt
von den Deutschen: »Ubi fons, campus, nemusve iis placuerit, ibi domos
figunt, _mox alio transituri_ cum conjugibus et liberis. _Nam diu eodem in
loco morari periculosum arbitrantur libertati._« Und schon haben es sich
die Deutschen über 2000 Jahre hier zu Lande gefallen lassen.

»Wir Amerikaner haben auch die lateinische Sprache abgethan! Was sagen Sie
also, Herr Volkmar?«

Und froh verwundert darüber sagt ich: »Wo ein Quell, Feld oder Hain den
Deutschen gefällt, da befestigen sie ein Haus, mit der Absicht bald vorüber
zu ziehen mit Weibern und Kindern. Denn lange an demselben Orte zu sitzen,
halten sie gefährlich für die Freiheit.« -- Wir Deutschen kennen unser
Vaterland nicht, blos unser Gasthaus und Wirthshaus. Und schändlich wäre es
von Einem Deutschen, Einen Deutschen zu beschuldigen, von Einem Übles zu
reden, denn es ist nur geschehn, was sie Alle hier gewollt und gesollt,
oder geduldet. Nur vom Übel redet ein Redlicher. Aber davon auch frei.
_Wohin_ aber nun unser Zug geht, der unwiderstehliche Zug, aus
unerklärlichem Drang und Zwang, wo nun das Zelt aufschlagen? Das ist die
Frage!

»Kleinasien, Rußland faßt viele Millionen,« bemerkte der Amerikaner.
»Ägypten!« --

Da giebt es nur Einen Stoffehändler. Freier Handel wäre uns lieb! versetzte
ich.

-- »Griechenland ist schön und öde.« --

Da fürchten wir den Religionskrieg, die Pest.

-- »Italien ist nah, und Wüste genug um Rom.« --

Von den Römischen Pfaffen ist den Deutschen alles Unglück gekommen, Beten
lehrt uns die Noth schon genug. Den Papst hat ein Nebenzweig von unserem
Stamme, die Trojaner und ihre Colonie die Römer, mit aus der Mongolei
gebracht. Er ist weit genug geschleppt.

-- »Also nach Spanien! Das Hesperien selbst der Hesperiden, der Italiäner.
Nicht? -- Südamerika? An der Grenze von Peru kauft man ein Königreich um
das Geld für ein englisches Pferd. --«

Lieber in die Wüste gebaut, als neben unruhige Nachbarn.

-- »Also nenne ich Mexico nicht, weil es Neu-Spanien ist. Aber Canada?«

Das soll erst werden und thun, was die vereinigten Staaten von Nordamerika
sind und gethan, hört man von dort. Aber warum wollen Sie uns nicht zu
sich?

-- »Wenn die Deutschen ihren Charakter behaupten können! Und den Charakter
verdirbt alles Nachmachen, Nachreden, die angenommene Sprache, Nachsitten,
Nacharten, Nachneigen, Nachgehorchen, selbst wenn Gesetze, Verfassung und
Regierung höchst menschlich und wünschenswerth wären.«

Wir geben klein zu! Dürfen wir bei Ihnen Wir seyn und Wir bleiben, wenn wir
kein Gesetz, keinen Menschen beleidigen?

-- »_Ja!_ Ich meine! --« schloß der Amerikaner.

Wir hatten Amerikanisch, also Englisch, und im Grunde dann Altsächsisch,
Altdeutsch gesprochen, und dieses uralte »I guess« ich meine, vergesse ich
nie. Ich stand auf. Wir waren fertig mit dem -- Friedensplan und
Friedenszug. Nur noch das Wort setzte mein neuer Freund hinzu: »Raum zu
leben und sich wohl zu befinden, haben noch Vierhundert Millionen Menschen,
so breit sie sich machen, so hoch sie wachsen wollen. Aber auf den
Einmalhunderttausend deutschen Quadratmeilen Land ist unterschiedliches
Klima, mit Seeen, mit Wald, mit Bergen, mit Strömen, mit Meeren nach Morgen
und Abend und Mittag, mit Pflanzen und Blumen und Kräutern und Bäumen, mit
Fischen und Vögeln, mit zahmen und wilden Thieren der Erde, daß Jeder das
Seine sich wählen kann. »_Brot und Freiheit_« steht mit Schweiß und Thränen
für unsere Gäste angeschrieben über dem Thor zu unserem Lande. Aber nicht
mit Blut! Wir haben _keine Schulden_ -- wenn Ihr das Wort versteht. Wir
haben _keine Feinde_, als solche, die wir verachten könnten -- wenn Ihr das
Wort versteht. Wir haben _Frieden_ auf lange Jahrhunderte -- wenn Ihr das
Wort versteht. Wir haben _keine Armen_ -- wenn Ihr das Wort versteht. Ja
wir haben selbst eine miserable Miliz, einen lächerlichen Landsturm, der
aber gradezu eine himmlische Heerschaar ist, weil er lächerlich seyn kann
-- wenn Ihr das Wort begreift. Ich meine.«

Ich meine auch; sagte ich. Heut zu Tage braucht man nichts mehr zu sagen.
Die ganze Welt meint blos, und die ganze Welt versteht. So weit haben wir
es durch Cultur gebracht! Wie stehen in Etwas erschrecklich hoch, und was
bei Ihnen fehlt, weil es noch nicht nöthig ist, die Humanität ist unser
Unglück. Denn ein Vernünftiger läßt sich am Ende Alles gefallen, selber ans
Kreuz schlagen, weil er meint, es thut Andern wohl, und so thut es ihm
nicht weh. Aber das lange Hängen macht Zappeln.

Der General-Vormund fühlte sich bedrückt, daß seine ganze schöne Armee in
Amerika mehr als überflüssig und ein Unding sein sollte! So viel Festungen
-- Undinge! So viel Kanonen -- Undinge! So viel Plage, Geschrei und müde
Gebeine -- Undinge! Aber er fühlte sich schuldig, verschuldet, und schwieg.
Mein Sohn Marbod saß in seiner Husaren-Uniform wie ein Gespenst da, und das
Gold darauf blitzte umsonst. Meine Tochter hatte endlich ein wenig lauter
auf dem Pianoforte, wenn auch nur mit einem Finger, die Melodie des
neugebornen Liedes: »Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!« gespielt, und
Master Erwin trat nun sehr bescheiden zu ihr und bemerkte blos, daß in der
ganzen Union Sonntags kein Laut Musik aus Schonung der vollständigen Ruhe
der Andern erklingen dürfe -- als sie feuerroth ward und das Instrument
verschloß. Der Gehorsam rührte mich schwer und bewegte mich tief zu
seufzen, denn meine Braut war mir einst auch so gehorsam gewesen. Kaum aber
hatte ich dies sichere Zeichen der Neigung gesehen, als sie erblaßte, sich
an die Freundin lehnte und bald darauf aus dem Zimmer ging, ja nicht mehr
wieder kam, so lange die Gäste dablieben, denn ihr bewunderter Freund hatte
im ferneren Gespräch gesagt: »_daß er hundert Sclaven habe_.« Hundert
Menschensclaven -- Er!

Es war schon spät. Abreden wurden getroffen, sie sagten gute Nacht, und
Erwin ließ gute Nacht dem armen Kinde sagen. Als sie fort waren, kam meine
Maria wieder und versicherte mich: daß sie nun getrost mit mir gehe. Ich
wünschte ihr gute Nacht. Da hob sich ihre Brust nur, und ihre Augen
blinkten vor dem Licht in ihrer Hand, und sie getraute sich nicht, die
Augen vor ihrem Vater aufzuschlagen.

Vom Morgen an war nun ein neuer Geist über mich gekommen. Die Zeit zur
Abreise war kurz. Ich verzeichnete mir alle Geschäfte, ich theilte sie in
die Tage ein. Durch meinen Entschluß zu reisen war mir die Heimath zur
Fremde geworden, das Volk selbst zu Gästen im Lande. Ich war wie ernstlich
krank geworden. Ich war mir und Andern unnütz, zu jeder Arbeit unwillig,
ungeschickt, verdrossen. Daß die Sonne zum Frühling höher und wärmer
schien, kam mir überflüßig vor. Aus jährlicher Gewohnheit deckte ich die
Weinlaube ab; aber ob die Reben Augen hatten -- die Kirschbäume Knospen --
ich sah nicht darnach! Daß die Primeln in reichem Flor standen, erregte mir
nur Bedauern; daß ich Kinder taufte, junge Paare traute, schien mir ganz
überflüßig. Jemanden zu begraben, that mir recht leid. Hier war es ja nicht
werth zu leben, nicht werth zu sterben, oder recht werth, und ich segnete
die Todten mit gewaltigen Worten ein -- mit Zornworten von der Erde, nicht
mit Vorbereitungsworten für ihre neue Welt, ihre beßre Welt. Dem Kaiser
Karl V. kann nicht so zu Muth gewesen seyn, als er sich lebendig begraben
ließ. Denn um mich sangen ganz andere Stimmen! Prophetenworte riefen mich.
Den kommenden Vögeln sagte ich: bleibt dort, liebe Kinder! Alle Papiere
suchte ich durch, um Jedem jeden Heller zu bezahlen. Ein langes Geschäft.
Ich hatte Geld einzufordern. Ein längeres, undankbareres Geschäft. Von
nahen und fernen Freunden hatte ich Abschied zu nehmen, und einen
lithographirten Brief schämte ich mich an Alle zu schicken. Da mußte Sohn
und Tochter schreiben, ich unterschrieb nur. Von den Andern hatte ich in
den Zeitungen Abschied genommen. Aber darauf erhielt ich nun Briefe,
dringende Bitten: Zehn, Zwanzig, Hundert, Tausend, Zweitausend Menschen
mitzunehmen oder nur zu führen! Diese Briefe voll Noth und Klage, schwerer
als sie zu ertragen schien, so lange zu ertragen unmöglich schien, ließ ich
in Quartbände heften, binden: die Briefe unglückseliger armer Geistlichen,
die auf Korn gesetzt, bei Korn fast verhungerten, weil es nicht galt; die
Briefe von -- bei ihren Gemeinden verhaßten Geistlichen, weil sie in ein
gewisses Horn geblasen; Briefe von examinirten oder gleichsam im Examen
entseelten -- durchgefallenen Candidaten; die Briefe von Rechtsconsulenten,
die nächstens zu verhungern versprachen, weil Bauer und Bürger aus Mangel
an Geld zu Prozessen lieber gleich alles Unrecht über sich ergehen ließen;
Briefe von Hammerwerksbesitzern, die nur noch den großen Hammer besaßen,
aber keine eisernen Gänse; Briefe von Gelehrten, Philologen,
Schriftstellern, Professoren, Juris-Doctoren, ja sogar die trübseligsten
Briefe von Censoren, Waschweibern, Kammerjungfern, von Studenten,
Gymnasiasten und Schuljungen sogar! Briefe von armen Bergleuten, die
Tagelöhner, Klafterschläger und Stöckeroder geworden, von ihren
Frau-Spitzenklöpplerinnen, den Nachkommen der Frau Barbara Uttmann, die für
sie nach Brabant gereiset, und für welche ich nach Amerika reisen sollte,
als ein Barbarus Uttmann; denn die armen Weiber versicherten, daß sie ihre
Männer und Kinder von dem Kleinhandel nicht ernähren könnten, sondern aus
Noth das Körbchen Obst, Gemüse, ja Nägel, Blechgeräthe, Schwefel und
Zündhölzchen angreifen und veressen müßten. Der Amerikaner, Master Erwin,
besuchte mich täglich, oder ich ihn; er war mein neuer Freund, denn die
Noth macht Freunde, oder zum Glück, sie hat auch noch Freunde. --Ich sollte
nun aller Welt Freund und Erlöser seyn, wie die Briefe sagten; ein
abgesetzter Professor der Geschichte titulirte mich den neuen Cadmus oder
Pelops; denn die Noth und der Druck in Ägypten möge wohl auch entsetzlich
gewesen seyn bis zum Aus-der-Haut-fahren; denn das Vaterland sei die weite
Haut des Menschen oder der Leib des Leibes. Das war auch Erwins Meinung; er
war nicht recht einverstanden mit meiner Reise, und sprach eines Tages:
»Denken Sie sich nur, wenn wir Amerikaner auswandern wollten; wenn wir
freien Amerikaner in Deutschland eine Niederlassung gründen wollten, als
saurer Sauerteig in das alte Backfaß . . . .«

Ich erschrak billig, wie Tausende oder Hundert doch, vor diesem furchtbaren
Gedanken. Aber es schien Ernst dahinter, er verzog keine Miene, gab mir
Plan und Ausführung an, und als sie ihm immer schöner und heilsamer, mir
immer grausenvoller erschien, frug er mich: Was Wir denn bei Ihnen zu Lande
wollten -- als abgebackenes Obst oder Mehl, nicht Korn!

Da brachte mir meine Frau zwei Briefe zusammen herein. Ich überflog sie.
Ich ließ sie ihn lesen. Und so laut vorgetragen rauschten und zündeten sie
ordentlich in der gemeinen Luft, und es kam fast Entsetzen über mich, daß
der heilige Äther auch dazu da seyn solle, solch Geistergift und Elend zu
tragen -- wie das heilige Meer Sclavenschiffe mit dumpfem Gestöhn. Und so
zitterte in der Luft der

_Brief des Executors_.

»Sie gar lieber Herr Pastor, Sie wissen, daß ich im Nachbarland
Justizamtmann gewesen, aber untergehen mußte, weil ich keine Arbeit mehr
hatte. So habe ich nunmehr hier die allerhöchste, wichtigste Stelle der
Justiz erstiegen, als Executor. Nur ein Executor kennt Recht und Unrecht,
von Gerechtigkeit will ich nicht reden. Er kennt Milde und Elend, Milde
derer, die auf alte Gerechtsame halten, wie mit Händen von Eisen, um nicht
um Schloß und -- Thür zu kommen, und das Elend derer, die alte Schuld der
Zeit und der Menschen, die sie sich im Schlafe der Dummheit und Feigheit
haben aufladen lassen, nun mit erwachten Herzen abzahlen sollen. Kurz, ich
bin müde, den Leuten die letzte Kuh aus dem Stalle zu nehmen, und die
dürren Thiere meilenweit an miserablen Stricken fortzuschleppen und für ein
Hundegeld, kein Kuhgeld, erstehen zu sehen von den abscheulichsten,
hartherzigsten Stöcken von armen Teufeln, welche aus Noth ein Auge
zudrücken müssen, und das Herz im Leibe todt. Ich heiße zwar kein Sclave,
aber ich bin ein _Seelensclave_, ich lebe in der Seelen- und
Herzens-Sclaverei, und ich bitte mit dem letzten Tropfen guten Blutes im
Herzen, daß Sie mich mitnehmen, und mich für die Kosten der Überfahrt
vermiethen, auf tausend Jahre meinetwegen, oder gradezu als _leiblichen_
Sclaven verkaufen, und mir soll wohl seyn. Die alten Deutschen verspielten
sich auch und verkauften sich selbst. Meine Seele verkauft meinen Leib.
Brot habe ich so nicht. Nehmen Sie mich mit, oder, ich versichre Sie,
lieber Herr Pastor, ich habe noch mehr als einen alten Strick, und so
morsch er ist -- schwer bin ich nicht. Ich stehe draußen vor Ihrer Thür und
warte auf Antwort.«

Ich sprang gleich hinaus, sahe den Mann mit seinem verwilderten Barte,
Thuiskon und alle alten Götter standen vor mir; ich führte ihn herein. Er
mußte sich setzen, und schwieg. Denn der Amerikaner war ins Feuer gekommen
und las nun laut den zweiten:

_Brief des Schulmeisters_.

»Ew. Hochwürden verzeihen, Sie als Christ von Ihrem großgünstigsten
Vorhaben abreden zu wollen. Ist gegen allen herkömmlichen Respekt. Aber wo
der Respekt in solcher Zeit hingekommen, weiß ich sub fide quasi pastorali
nicht anzugeben. Jetzt speculirt man gradezu auf Alles, die Menschheit
sogar zu vermindern, was doch stracks gegen das Einzige Gebot läuft,
welches der alte Vater im Paradiese gegeben hat: »Seid fruchtbar und mehret
euch!« Ein wahrhaft göttliches, ja paradiesisches Gebot! Wie ich denn
selber 9 Kinder habe, zwei Mädchen und sieben Söhne, welche für die Prämie
von 50 Rthlr. -- also 9 Rthlr. 3 Gr. 5 1/7 Pf. pro Sohn -- nun, Gott sei
Dank! alle bei den Soldaten auf Lebenszeit versorgt sein werden und müssen.
So habe ich als Speculant nun gelesen, daß in China Hungerschulen in Flor
sind. Erschrecken Sie nicht, Hungerschulen, worin und wodurch man nicht
verdächtig und strafbar die Noth sucht abzuwehren, sondern menschlich und
hochpreislich zu ertragen. Wer hungern kann, kann gradezu Alles auf Erden.
Und Wer hungern will, der will Alles, der ist zufrieden mit Allem, es heiße
wie es wolle, ja es sei, was man will. Ich lege Ew. Hochwürden, sub signo
solis, einen ausführlichen Plan bei, worin Alles landesmäßig ausgearbeitet
ist, aus dem chinesischen Reiche und Clima in unser deutsches Reich oder
Clima übersetzt. In China heißen diese respectablen Schulen gradezu
Hungerschulen oder Tsing-Long. Ich schlage für uns und die lieben Unsern
lieber den Titel vor: Friedensschulen, Geduldschulen, oder höchstens:
Magenschulen. Dort existiren sie zu tausenden. Die _Studenten_ darin tragen
eine Ehrenkleidung, die nur sie und auch der Kaiser trägt. Sehr gut und
exemplarisch. Denn daß bei uns die Armen wissen, daß Fürsten und
Fürstinnen, nebst Prinzen und Prinzeßchen, doch zu Zeiten auch Kartoffeln
essen und alle Tage Salz, das giebt den Armen einen gewissen Adelstolz,
auch wenn sie selber nichts andres haben. Über die Kleidung wollten wir uns
nicht streiten, denn das dort Wohlfeile ist hier theuer, und so habe ich
_Nanking_ etwas frei mit »roher Leinwand« übersetzt. Climatisch! Oder
Schaafpelz? (Der Kälte wegen. Denn hungern _und_ frieren ruinirte alle
unsere Schüler, Studenten oder _Akademiker_; denn dieser Ehrentitel
»Akademiker« würde die deutschen armen Schlucker sehr anlocken.) Beispiele
von Vornehmen, Adligen u. s. w. würden Wunder wirken, wie der Hof den Dänen
das Pferdefleisch zur Probe gegessen hat. Beilage sub signo lunae aber
enthält ein vorläufiges Verzeichniß der Studenten und -- hier fehlt mir das
Wort -- etwa der geistlichen Schwestern unserer Gegend. Die ganze Kunst der
Chinesen beruht nun auf dem (sonderbar!) deutschen Sprichwort: »Der Hunger
ist der beste Koch!« Die Chinesen in sothanen Schulen, Gymnasien oder
Akademieen _fasten_ also, geistlich gesprochen, blos so lange, als es nur
ein Araber oder Wilder aushalten kann. Der Schmachtriemen hilft nach;
Wasser thut Wunder und nährt lange allein, wie man an Pflanzen sieht. Wenn
aber keine Kunst, keine Geduld, kein Zureden der angestellten geistlichen
und weltlichen Beamten mehr hilft, und auf lange Schwäche endlich Ohnmacht
schon eingetreten, dann wird das Zimmer mit Gänsebraten geräuchert, nämlich
mit ungebratenem, mit den Federn, die ein prächtiges Gastmahl vermuthen
lassen; oder Kinder schreien im Hofe der Anstalt wie ein Kalb und bellen
dazu wie ein Hund, als führe ein Fleischer eins heim, oder schlachte es
schon; oder es ertönt quickendes und erquickendes Schweinegeschrei, als
werde sogar schon ein Schwein geschlachtet. Andere Knaben klopfen mit zwei
stumpfen Beilen auf ein Bret, als mache man Wurst. Kurz nach allen
Kunststücken der Politik und der Seelenlehre, wenn der Studiosus wirklich
zu sterben drohte vor Appetit -- dann wird ihm ein wenig -- aber was? --
Pferdefleisch gebracht, und die gute ehrliche Seele bleibt wieder in ihrem
Leibe oder in ihrem irdischen Vaterlande, und läßt sich wieder täuschen. So
lernt er, so kann er, wird sanft, mildthätig, lehrfähig, und stiftet dann
selbst wieder eine Magenschule in andern eßbegierigen Gegenden, und alle
Unzufriedenen, durch Steuern oder Prozesse, oder gar Arbeitslosigkeit zu
Grunde Gerichteten gehen in diese dem Lande räthlichen Schulen. Aber erst
in unsern Kleinkinderschulen diese wahre Koch- und Eßkunst einzuführen,
wäre eine Verbesserung, welche die Sache an der Wurzel angriffe, und bleibt
wie die Erfindung derselben uns Abendländern vorbehalten . . . . Ihnen, ich
erspare Ihnen und der seelensguten Frau Pastorin Ihre Auswanderung, und
30,000 unwissenden, armen, deutschen, jährlich blos darum Auswandernden,
weit sie eine Erfindung der Chinesen nicht ahnen, die ihnen doch Allen so
nahe liegt, sich so aufdrängt Tag für Tag. Aber vergebens. Denn die Welt
ist blind. . . . .«

So weit hatte der Amerikaner gelesen, laut, und wir sahen uns billig an,
und zuckten die Achseln, als der Verfasser, mein braver Schulmeister in
Hammersdorf, hereintrat, weil ihn das Vorlesen wie ein Strom in seine
eigenen Worte gezogen. Er hatte seinen besten Staat an, ein abgeschabtes,
gewandtes, schwarzes Kleid, aber das blasse, redliche, wohlmeinende,
kummervolle lange Gesicht, die mild und treu uns anblickenden Augen
benahmen uns jeden Gedanken, als den des redlichen frommen Willens in
diesem Manne.

»Daß die Natur so weit herabsinken kann bis in eine solche Gestalt, bis in
solche Gedanken!« sprach der Amerikaner leise zu mir. »Er scheint seinen --
Schulplan schon selbst erprobt, ja probat gefunden zu haben; so
himmlisch-chinesisch sieht er aus. Aber das nennen wir in Amerika:
Phantasmen! Schlimme Zeichen schlimmer Krankheit! Sogar in unsern
Irrenhäusern spuken doch andere Pläne. Solche nicht. Der redliche Mann ist
mir wie ein Verwesungszeichen an einem noch Unbegrabenen -- den man nun
begraben kann! Man begräbt sicher nur einen Todten. Jetzt rathe ich Ihnen
mit mir zu reisen! Noch ein anderes Zeichen habe ich unterweges bemerkt.
Die Leute, besonders die Männer bei Ihnen und weithin, scheinen nämlich
taub. Man muß schreien, ehe sie hören, zweimal es sagen, ehe sie antworten.
Das bedeutet Geistesabwesenheit, Versunkenheit. Kurz, wir reisen! --«

Ich sagte ihm, daß der Schulmeister Tolera, als Repräsentant aller
möglichen Toleranz, von den armen Schulkindern kein Schulgeld nehme -- und
der Executor bestätigte, daß er nie Leute für ihn habe auspfänden sollen --
daß derselbe mit Kühen handle, Capitale von 3 bis 20 Thalern den Armen
negozire, und der Amerikaner rieth mir, diesen Speculanten mitzunehmen;
Fracht und Spesen wolle er für ihn tragen. Ich sagte das laut. _Tolera_
nahm es an, und versprach in seinem Eifer die Magenschule in der
vereinigten Republik anzulegen, worauf ihm bemerkt ward, daß dort nur die
Faulen hungerten, nicht die Fleißigen »und Fleiß ist die Tugend der freien
Amerikaner.« Der Schneider brachte mir eben meine Reisesachen, und so
konnte ich dem armen Tolera sogleich meinen respectablen Rock schenken,
welchen er draußen anzog und sich dann uns präsentirte. Er ging ihm bis auf
die Knöchel, aber das gab ihm Würde. Der Executor hätte den Rock gern
gehabt, aber er schlug die Augen nieder und weinte fast, denn für ihn
schien der Amerikaner nicht Fracht und Spesen tragen zu wollen. -- »Das
Glück ist selten doppelt,« sprach er, »das Unglück aber oft. Ich mußte oft
wegen zwei Schuldposten auspfänden -- und ich will es ferner mit Gottes
Hülfe.«

Mit _Gottes Hülfe!_ Das verzweifelte Wort entsetzte und rührte mich. Soll
Gott zu Druck und Rache helfen? Ich getraute mich, beim General-Vormund ihm
die vacante Stelle des glücklichen Meisters Tolera zu verschaffen, damit er
lieber ein Executor des göttlichen Willens werde. Das war er zufrieden und
fühlte sich glücklich. Master Erwin nahm dagegen mit feinem Lächeln den
Schulmeister in Pflicht, zum Heil Amerika's dort die Hungerschulen
einzuführen. Das war er zufrieden und fühlte sich glücklich.

Ich hatte in den Zeitungen von meinen entfernten Freunden Abschied
genommen, aber die Nahen konnte ich nicht besuchen. Mein Gott, so sollte
ich sie denn hier lassen, dahinten auf immer! Sie sollten alt werden, Staub
werden, vergessen seyn! Wahrscheinlich, wie bisher, sahe ich -- wenn ich
blieb -- etwa nur Einen oder den Andern in Jahren, und noch zufällig
irgendwo auf eine Stunde! Aber es war doch möglich, daß ich zu ihnen
konnte, sie zu mir! Diese beglückende Möglichkeit schnitt ich mir nun ab.
Ach, die Möglichkeit! Die Menschen wissen gar nicht, was sie an der bloßen
Möglichkeit haben. Oder vielmehr, sie wissen es wohl, Alle überschätzen
sogar die Möglichkeit! Weil alles Gute, Freiheit, Friede, Glück, möglich
ist -- darum halten sie aus wie besessen, so lange es möglich ist, ja meist
noch länger, noch schändlicher. Diese Betrachtung stärkte mich recht, wenn
ich mit meinem Sohne durch die zwanzig Dorfschaften ritt, deren Ambassadeur
ich war. Wie sie so still vor den Thüren saßen, wie sie sich um mich
versammelten, die Greise, die Männer, die Weiber und Kinder, die Jungfrauen
und Junggesellen! Sie waren Alle ausgewurzelt mit dem Geiste, nur leicht in
Erde geschlagen, wie Bäume, die versetzt werden sollen. Aber es war auch
schon ein Geist über sie gekommen, wie ich ihn diesen Leuten nie zugetraut
hätte, sondern überhaupt nur der Welt und dem Gott, von wannen er ihnen
gekommen. Ja die Leute trösteten mich und drängten mich! In Frankreich
hatten die Pfaffen wieder einmal dem Volke den jüngsten Tag weiß gemacht
und angesetzt. Der Wirrwarr soll aus der Maaßen gewesen seyn. So konnte ich
auch an jedem Abend sagen: Ich habe heut seltsame Dinge gesehen. Wie vor
dem jüngsten Tage ging es auch hier zu -- und wer weiß, wie nahe er ist --
nur alles hier geordneter und zu einem vernünftigen Zwecke, wozu eine
besondere Thätigkeit nöthig war, kein Heulen und Zähneklappen und
Lippengeplärr. Fast Alles, was die guten Leute hatten, war auf die
Bedingung verkauft, verschenkt, ja durch Testamente vermacht an Andere,
Bleibende, Herziehende, wenn ich ihnen Nachricht sendete, Freudennachricht:
»Ihr Menschen kommt! Ich habe gefunden, was Ihr gesucht, seit Eure Väter
aus Indien gezogen, so viel tausend Jahre sie hier sich versessen, und am
Teich Bethesda gelegen, den kein Engel bewegt, geschweige ein schwarzer
Engel oder mehrere.« Sie betrachteten den Amerikaner, wie ohngefähr die
Peruaner einst einen weißen Sohn der Sonne, der zaubern könne. Und so
thaten wirklich seine einfachen, graden, wahren Worte, keine
Versprechungen. Selber der kleine Landesherr würde keinen solchen Eindruck
mehr auf sie gemacht haben, wie Er. Ich seufzte und schwieg. Mein Sohn ging
statt rothweltlich nunmehr wiederum schwarzgeistlich; auch den Schnurr- und
Schnauzbart hatte ich ihm im Schlafe abrasirt, versteht sich in Eil _nur_
ein Wenig davon, nur die Hälfte auf einer Seite, und die andere Hälfte
mußte er Schande halber am Morgen dann selbst cassiren. Alles Volk kam mir
auch wie von einem guten Vater jetzt so halb rasirt vor, und die Schande
des Halben wird alles Halbe nun selbst rasiren. Wie lange saß ich selber
nicht eingeseift! Ich ermahnte die guten Leute zu Geduld, und sie frugen
mich fast wehmüthig, ob sie nicht Geduld gelernt hätten, und nun eben erst
recht beweisen wollten dadurch, daß sie wegzögen? Ich hatte mich mit den
Anordnern von Auswanderungen in vielen andern Gegenden in Verbindung,
gesetzt; mit den sehr löblichen Anordnern und Versorgern der Auswanderer
aus der Schweiz, aus Würtemberg, aus Rheinbaiern, den Rheinprovinzen, aus
Hessen und Sachsen, und manches Gute erfahren, auch Bücher zugesandt
erhalten, viele von den Verfassern selbst; denn welcher Deutsche meint es
nicht selbst mit dem Teufel gut -- wie Klopstock mit dem bösen Engel --
geschweige mit Deutschen. Diese Bücher vertheilte ich nun in alle die
Dörfer so, daß sie wechselten und Jedes in jedem den Gemeinden an den
Sonntagen vorgelesen wurde. Als: Kromme's Reise durch die vereinigten
Staaten; Klinkhardts Reise nach Nordamerika; das herrliche: »Michigan«, ein
Wegweiser für Auswanderer; »Illinois«, ein Wegweiser für _Ein_wanderer;
(schön gesagt: _ein_ statt _aus_, denn wer auswandert, thut es eben blos um
einzuwandern) »Leben und Sitten in Amerika«; -- »Missouri, ein Wegweiser
für Einwanderer«; -- »Doctor August Neanders Richard Boxter«; -- »Kurze
Schilderung der Nordamerikanischen Staaten nebst ausführlichen
Vorsichtsregeln für Auswanderer, von Witte«; -- »Der Nordamerikanische
Rathgeber von Gerke«; -- »Der vollkommene Nordamerikaner, von Dalp aus
Bern.« (Das bis jetzt beste Buch von allen). Und so manche andere Bücher
und Charten. Auch hatte ich mir selbst eine enorme Charte der vereinigten
Staaten zusammengemalt, eine Specialcharte, illuminirt, so groß, wie ein
Scheuntenne, und auf ein Tenne ließ ich sie breiten, und mein bester
Schulmeister Tolera erklärte sie mit einem Rechenstiele den Zuschauern im
leeren Bansen. Abends fand ich gewöhnlich Handwerker mit ihren Weibern bei
mir; und selbst ein sonst immer betrunkener Schlosser war so
feierlich-nüchtern, so weiß gewaschen, verständig, so wohl gekleidet und
artig, voll vom Gefühl, daß sie nach Amerika wollten -- als wenn sie wegen
einer edlen That sollten zu einem König zur Tafel gehen, und bei mir Probe
äßen, denn ich behielt die guten Leute zu Tische. Meine Tochter Maria hatte
ihre Kleider, und Alles, was ich von Weiberhand bedurfte, selbst fleißig
gemacht und fertig. Die Mutter hatte keine Hand dabei angelegt. Mein Sohn
Marbod war in meine Stelle eingewiesen. Ihr ward noch kein Auge feucht.
Erst als ich am Auferstehungstage meine letzte Predigt gehalten, als ich
den Leuten das Abendmahl ausgetheilt und es selbst genommen, noch einmal
den lieben Ort, die versammelten Menschen, die Apostel über mir im Gewölbe
angesehen, und die Altarstufen hinunter gewankt und über die Gräber nach
Hause geeilt war, und meiner Frau um den Hals fiel, da glaubte sie mir --
denn sie war in der Kirche gewesen und, aus Wehmuth, vor mir nach Hause
geeilt. Als sie sich ausgeweint hatte, stand sie, düster zur Erde blickend,
glühend im Gesicht, und sprach zuletzt: »Das hätte ich nicht von Dir
geglaubt, daß Du mich verlassen würdest . . . .«

Und ich nicht von Dir, sprach ich gestärkt, und bat und drängte sie,
mitzukommen.

»Siehe,« sprach sie aufblickend, »soll ich es denn sagen? Wie elend haben
wir Jahre lang uns durchgebracht, wie schwer die Kinder erzogen! Denn was
Ältern jetzt auf Kinder wenden wollen, das müssen sie sich abdarben. Ihr
Geistlichen seid zumeist auf Korn und Hafer gesetzt -- auf Geld sitzt Ihr
nicht; höchstens auf den paar Groschen für Trauen und Taufen; zum Abendmahl
gehen Viele nicht, weil sie es bezahlen müssen -- und Korn und Hafer gilt
nicht, und von Brot lebt man heut zu Tag nicht -- und so haben wir
schändlich genug auf den Tod meiner alten Muhme, der Frau von Gaispitzheim
in Breslau, gewartet; aber heute lebt sie noch und sitzt auf ihren drei
Tonnen Goldes. Gehe ich nun . . . sterbe ich vielleicht, so bekommen unsere
Kinder Nichts! Und die armen drei Kinder müssen sich eben so plagen, so
darben und dulden wie wir. In Breslau liegt Amerika für mich! Also weil ich
redlich als Mutter denke, darum bleibe ich! -- Sprich nicht, ich bin kein
gutes Weib, oder gar: ich scheide mich von Dir. Du scheidest Dich ja auch
nicht von mir -- das weiß ich -- Du gehest nur! Ach, darum gehe, und gehe
getrost, und laß mich getrost. Nur Eins wäre schlimm, und ein schlimmer
Betrug, wenn ich bliebe und doch vor der Erblasserin stürbe. Dann gedenke
mein! Ich habe es gut gemeint.«

Darauf gab sie sich mir wieder hin. Ich fühlte ihre Nähe, ihr Glühen, ihre
Liebe, Ihren Besitz. Die helle schöne Sonne schien uns Beide an, wir hatten
zwei Schatten, aber Ein Herz für die Unsern -- _Wen_ wir jedes denn für die
Unsern hielten! _Wie_ wir es Beide denn gut mit ihnen zu meinen glaubten.
Und von ihren heißen Worten schmolz mein Verdacht, als bliebe sie nur weil
sie eine Adlige war, und sie wußte, daß ein Adliger eben grade viel weniger
in den Freistaaten gilt, als ein verständiger Bauer, und alle Europäische
Thorheit, wie türkische Pantoffeln vor dem Gotteshause, auf dem Strande von
Amerika abgelegt werden muß, wenn Jemand noch so halsstarrig gewesen, sie
nicht zu Hause abzulegen, oder auf der tausend Meilen langen Bußreise durch
die Meereswüste, und da sie Gott und Menschen, selbst Wallfischen und
Gestirnen abzubitten. Mir war also ein Stein _vom_ Herzen, aber ein anderer
_darauf_ gewälzt -- mit sehenden Augen, mit Liebe im Herzen, bei lebendigem
Leibe und vollem Verstande von meinem Weibe zu scheiden. Denn meine
Trennung war einer Scheidung wenigstens gleich! Aber ich hatte mein Wort
gegeben, ja meine Seele, das heißt: meine Überzeugung, und so schied ich
mich als Geistlicher mit den gebräuchlichen Worten von ihr; aber sie war
dazu vor mir niedergeknieet -- und ich knieete zuletzt auch zu ihr, und wir
hielten uns an den Händen und sahen uns an einander noch einmal satt. Da
hörten wir den Gustav Adolph gelaufen kommen. Wir standen gefaßt auf. Und
daß der Knabe bei der Mutter bleiben sollte, -- weil er wollte, war mir nun
lieb; denn sie blieb bei unserem Sohne Marbod, und wenn Dieser nun droben
über ihr in der Studirstube umher ging, konnte sie denken: Ich bin's. Bis
sie weinte und sprach, ach, Er ist es nicht, Der ist geschieden! Aber ich
will ihm alle Jahre schreiben zur Christbescherung und er schreibt mir, und
wenn die Dörfer nachwandern, wandre ich mit . . . . oder schiffe nach! --

Drauf saßen wir Alle vereint, die Henkersmahlzeit zu essen. Da ereignete
sich noch eine kurze Scene. Nun, da meine Mirjam mit weggehen sollte, jetzt
war es meinem Diakonus Bierey eingefallen sie zu heirathen. Er kam noch vor
Tische und hielt um sie an. Ich überließ die Antwort meiner Tochter, die
ihm Ja sagte -- wenn er mitgehen wollte. »In Amerika soll das
vortrefflichste Bier seyn,« sprach er, »auch Wein schon. Das lockt mich
sehr; aber dort bin ich von der Gemeinde absetzbar, und meine Einkünfte
hängen von der Vortrefflichkeit meiner Predigten ab -- und da man sich
auspredigt, und alle Jahre schlechter -- schlecht will ich nicht sagen --
so will ich doch in meinem Europäischen schwarzen Talar stecken bleiben --
so leid es mir thut, beste Maria! Nun heirathe ich in meinem Leben nicht,
denn es war nur so ein Einfall, aus Neid gewiß nur, denn das Lagerbier ist
noch zu jung und bekommt mir nicht. Also ein Einfall aus Neid, aus was Sie
wollen, nur machen Sie mich nicht lächerlich, daß ich derber Vierziger habe
heirathen wollen. Es würde mir schlecht gegangen seyn!«

Mit den letzten Worten meinte er seine bewährte Antipathie gegen die
Mäßigkeitsvereine, nicht gegen die verschiedenen trinkbaren Stoffe, wogegen
sie errichtet sind. In Amerika hätte er nun vielleicht gar an die Spitze
eines solchen Vereines treten sollen. Er mußte, als Dank von meiner Seite,
mein Gast seyn. Die Baronesse schickte mir zur Henkersmahlzeit mit den
Meinen sechs Flaschen edlen Wein; und schon bei der zweiten hatte er seine
neue Liebschaft über die alte vergessen. Was uns aber traurig überraschte
-- sechs sehr artige, liebe, wohlerzogene Jungfrauen, die Töchter des uns
bekannten, verarmten und als Wittwer begrabenen Eisengußwerkdirectors
Horazius kamen reisefertig, und baten mich, daß sie blos unter meinem
Schutze mitreisen dürften. Sie wollten sich ungekannt _drüben_ vermiethen
-- hier schämten sie sich. Sie zeigten mir ihre sechs kleinen Beutelchen
mit dem Gelde zur Überfahrt. Es ward ein Taufen angesagt; der Diakonus
empfahl sich uns allen und seinen lieben sechs Muhmen -- und wünschte uns:
glückliche Reise! Es ist kein Zweifel, wer das Sterben erfunden, der hat
auch das Abschiednehmen erdacht, es geschieht alle Tage auf der ganzen Erde
gewiß tausendfach, aber ich glaube hauptsächlich nur deswegen, daß der
Mensch recht empfinden soll, was er besitzt, besessen hat, und in Wahrheit
doch behält, sonst würde es bei allen bittern Schmerzen doch nicht zugleich
ja gar so selig seyn! »Wir behalten uns!« sprach ich schon immer im Voraus,
indem ich in der Stube auf und abging, bald meine -- ach was denn! _meine_
Kupferstiche ja nicht mehr -- an der Wand ansah, bald meine Mirjam, die,
auf dem Sofa sitzend, eine Hand der Mutter gegeben hatte, eine Hand ihrer
Jugendfreundin, der Baronesse. Darum ist mein zweiter Hauptrath zum
Auswandern: _Nehme Jeder alle die Seinen mit!_ Sonst scheidet er nicht,
nein, er schneidet sich entzwei, kommt mit dem verdrossenen Leibe drüben
an, und hat die Seele zu Hause gelassen. Wo _alle_ die Unsern sind, da ist
es zuletzt überall schön oder doch gut genug. Kinder aber scheiden noch
leicht und verlieren noch unbekümmert. Denn mein dummer Junge, mein Gustav
Adolph, malte lieber Ostereier, als daß er eine Viertelstunde neben mir
gesessen hätte, um meine letzten väterlichen Worte anzuhören! Kinder sind
Etwas, sind Viel -- und auch Nichts! Unsere Stube war voll vornehmes
Abschiedsgesindel, Gevattern, Pathen, Anverwandte. Alles Weltneugierige.
Die Menschen können Keinen sterben lassen, er muß ihnen wenigstens noch 12
mal 12 multipliciren; sie müssen ihn trösten, bedauern, vergeben, kränken
und zu rechte rücken; sie können Keinen scheiden lassen, sie müssen ihm das
Leben schwer und die Zunge leicht machen. Ich ging also indeß auch
Abschied, nehmen -- zu meinen Büchern. Hilf Gott! wie überfiel es mich da!
Ich weinte bitterlich! Aber sonderbar, wie ein Sterbender that ich einen
befreiten Blick über die armen Geister. Viel Freude ist in unsrer Literatur
nicht, das Meiste: Bedürfniß, Noth, Hülfe. Es ging mir ein Licht auf; ich
möchte sagen, ein bitteres. Kein Mensch schreibt mehr aufrichtig! Höchstens
ein Mediciner, ein Bohneneinsalzer. Keine Geographie, keine Geschichte ist
aufrichtig, was verdient Aufrichtigkeit genannt zu werden. Und da nun Jeder
anders fühlt und denkt, so seufzte ich schwer: Ach, mit der Aufrichtigkeit
stirbt die Treue, mit der Treue stirbt der Mensch. --

»Sind wir Menschen?« frug eine höhnische Stimme, wie der Teufel, hinter
mir, und ich sahe mich um. Aber nun auch, wie viel war ich los und warf ich
ab: zuerst alle Landcharten, Rußland, Türkei, Kirchenstaat, Spanien,
Portugal, selber Deutschland! Alle Journale fielen von mir ab, wie
angeklebte Bilder von einem als Bildermann maskirten Apotheker. Alle
Zeitungen, alle Kirchenzeitungen, denn nur noch eine Teufelszeitung fehlt
-- zerfielen in ihren deutschen Staub, Gott sei Dank! Ich war wie
neugeboren. Alle Philosophie, die zuletzt nur dem Papst den Pantoffel
flickte. Selbst alle Dichter. Und wie im Himmelsfeuer stand mir Göthe auf
seinem Tabor verklärt. Denn sonderbar, unser Matador, der manchen Stier
erlegt, unser Dichterfürst, was hat er wiederum in seinem besten, schönsten
Werk, dem Wilhelm Meister, anders angelegt -- und vollständig in den schwer
verkannten Wanderjahren gelehrt -- als _die Auswanderung! Die
Auswanderung!_ Derselbe, der Herrmann und Dorothee das einzig hülfreiche
Wort zur Zeit sprach: Dächten Alle wie ich, so stände die Macht gegen die
Macht auf, und wir erfreuten uns Alle des Friedens. Könnte man sich manche
Deutschen so dumm denken, daß ein Mann wie Göthe, genährt mit dem Mark der
alten Welt, und in Leib und Herzen und Geist das Mark der Natur, ein Mann,
der für sich gar herrlich wußte frei zu seyn, und sich aus Allem los zu
ringen, so vernagelt, so neidisch, so niederträchtig gelebt und gedacht,
nicht Allen Andern das zu gönnen, was ihm allein nichts helfen konnte? In
Amerika will ich ein Büchlein ediren »der Volksfreund von Goethe,« der
seine ungeheuren Worte frei machen soll. Ja, ich getraute mich, durch
Auszüge und Zusammenstellungen seiner schlagenden und erschlagenden Blitze
ihn gradezu auf eine der beliebtesten Vestungen zu bringen, wenn er nicht
sicher in der Fürstengruft ruhte. -- Sicher? -- Hat man nicht schon gesagt,
er werde wieder hinaus practicirt werden? Weil auch der Staub verschieden
sei . . . . weil auch noch die Feder der todten Taube sich vor der Feder
des todten Habichts krümme, also krümmen müsse. Fahret hin! sprach ich
lachend. Ich fahre auch hin. Aber zur Mitgift auf die Reise stach ich mit
dem Finger blind in ein Buch, dachte dabei an Amerika, blickte dann hin und
las mit Rührung die schöne tröstliche Stelle in Iphigenia:

   »Denken die Himmlischen
   Einem der Erdgebornen
   Viele Verwirrungen zu,
   Und bereiten sie ihm
   Von der Freude zu Schmerzen
   Tief-erschütternden Übergang;
   Dann erziehen sie ihm
   In der Nähe der Stadt,
   _Oder an fernem Gestade_ --
   Daß in Stunden der Noth
   Auch die Hülfe bereit sei --
   _Einen ruhigen Freund_.«

Ich küßte den Band und ließ ihn wie Honig in einem absterbenden Baume. Die
größte Aufgabe der Indier während ihres Lagers im sogenannten Deutschland
scheint mir die Läuterung des durch die herrschsüchtigen Neu-Römer
verfälschten Christenthums, und so nahm ich als reines Facit nur »D. August
Neanders Werke« und »Reinhards Plan Jesu« mit mir. Von weltlichen Büchern
aber ein Buch -- wozu ein Volk von Gelehrten gehörte, also die Deutschen,
und Jahrtausend alte und reiche Kenntniß es zu schreiben -- eine Bibliothek
in Einem Werke, mit einem Wort: die unschätzbare »Encyclopädie von Gruber
und Ersch.« Wenn einmal ein auf Welt-Unkosten reisender himmlischer
Regierungsrath, oder himmlischer geheimer Consistorial-Assessor käme, und
auf der Erde Schulexamen ihrer Kinder vorgehalten haben wollte, oder Adam
früge: wie viel wissen denn nun meine Kinder durch die Frucht vom Baume der
Erkenntniß; so thäte man füglich am kürzesten, dem Vater Adam oder dem
himmlischen Regierungsrath oder himmlischen Ober-Consistorial-Assessor die
Encyclopädie von Gruber und Ersch als Scriptum der geistreichen Kinder zur
Einsicht und Kenntnißnahme gehorsamst darzureichen. Und der Bericht an die
Weltregierung, das große Ministerium des wahren Cultus, würde glänzend
ausfallen.

Jetzt Abends brachten mir arme Bürger eine Musik. Ich weiß nicht, ich bin
bei allen Dingen standhaft, sie kommen mir alle noch weltlich,
oberflächlich, menschlich vor. Aber, so wie Musik erschallt, wie Klänge aus
der gewöhnlichen Menschenluft da draußen sich regen und hervorbrechen wie
rosige Blitze aus Wolken, und wie Donnergemurr und Gottes Rede aus Wolken
-- dann bin ich hin, dann bin ich erweicht, und die Geister machen mit mir
was sie wollen, und das Ereigniß erscheint nun geweiht, es geschieht nun im
ewigen schönen geheimen Leben; die Geister des Himmels wissen darum, sie
loben, sie preisen, sie verherrlichen es mit ihren Engelszungen, und nur
mit höchster Überwindung bring' ich's dahin, dazu und darein zu singen, und
wenn mir's gelingt, dann lebe ich mit in dem Leben der himmlischen
Heerschaaren! Und nun sangen sie gar: »Befiehl du deine Wege!« . . . und
mit erhöhter gewaltiger Stimme: »Und ob gleich alle Teufel hier wollten
widerstehn, so wird doch ohne Zweifel Gott nicht zurücke gehn. Was Er sich
fürgenommen, und was Er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem
Zweck und Ziel!« . . . und das Kraftwort: »Mach' End, o Herr, mach' Ende an
aller unser Noth!« -- Da trat der General-Vormund mit meiner lieben
Lehrtochter, der Baronesse, zu mir Einsamen herein. Sie wünschten mir
Glück, sie empfahlen sich meiner Gunst und Vorsorge. Denn er übergab mir
2000 Guineen als Privateigenthum seiner Mündel, das in der englischen Bank
gestanden und den Gläubigern nie mit gehört habe -- nur die Baronie -- und
auf den Fall, daß sie den Gläubigern ganz gehören werde, sollte ich dem
armen Kinde reicher Ahnen, der jungen Baronesse, drüben wieder ein Stück
Amerika kaufen, so groß es für das Geld seyn werde und könne. Kaufen aber
sollte ich jedenfalls; »denn,« sprach der General-Vormund, »in Zeiten muß
Jeder für seinen Fall besorgt seyn. Vorsorge ist die wahre Sorge. Alles
Andere ist Kummer und Noth.« -- Dagegen versprachen sie mir, für meinen
Sohn alles Mögliche zu thun, und meiner -- Strohwittwe Freude zu machen,
die eigentlich nur um des geliebten Sohnes willen dableibe -- und die
Freysingen gab mir ihr Händchen darauf, aber sie zitterte, sie war erröthet
und ihre Augen schlug sie schüchtern nieder und ein Lächeln schwebte über
ihr Gesicht und -- ich segnete sie . . . . . wenn mein Vaterherz sie recht
verstanden hatte, und sie weinte.

»Ja, es ist ein Elend,« stöhnte der General-Vormund; »die alten Burgen
wäscht der Regen herunter, und auch alle die Herren _von_ -- »»die Herren
von Hab' und Gut«« -- führt der Himmel auch herab unter die
Menschenkinder.«

Am schwersten schien mir der Abschied von meiner alten lieben Großmutter,
die in dem Alter von 88 Jahren und staarblind in meinem Hause lebte, still
und ungemerkt. Aber er ward mir am leichtesten. Denn die gute Alte segnete
meinen Gang und sprach: »Du hast wohl einmal gehört, mein Kind, daß mein
jüngster Sohn August, um mich als Wittwe zu kränken, von mir gegangen ist
nach Amerika. Das hab' ich aus Rotterdam erfahren. Er war kaum Chirurgus.
Meine Augen waren immer schwach; er wollte mich heilen und sein Mittel
machte mich blind. Da stieß ich harte Worte im ersten Schrecken gegen ihn
aus. Er solle aus meinen Augen gehn! Ich wolle ihn nicht mehr sehn! -- Ich
will Sie nicht mehr sehen, meine Mutter; ich kann es auch nicht! sprach er
und floh. Mein Gesicht kam wieder. Er blieb fort. Nun bin ich blind! Nun
kann er kommen! So lange habe ich gelebt, ihn wieder zu sehen! Und gieb
Acht, er lebt noch, Du findest ihn! Ja, so lange sterbe ich nicht, bis er
kommt. Und Du kommst auch wieder, mein Sohn!«

Nach Allem endlich schliefen wir zum letzten Male im Hause zusammen. O das
letzte Lichtauslöschen! Das letzte Gute-Nachtsagen! Und die Glockenschläge
der alten Uhr vom alten Thurme! Und das letzte Tagabrufen des
Nachtwächters! O die Welt ist entsetzlich tief und schauerlich! Und das
Menschenherz ist sehr stark, und unzerreißbar von allen Erdbeben und
Stürmen, die unter Gewitterwolken es zittern und klingen lassen von
unbegreiflichen, hinreißenden Melodieen des Lebens. Und die Träume kamen;
die alten Träume, die weinenden, kamen lachend; und die neuen Träume, die
lachenden, kamen weinend! Und ich schlummerte ein wenig, und die Träume
weinten viel, aber die Thränen standen am Morgen _mir_ in den Augen. Und
ich dachte, so ist schon Hunderttausenden gewesen, in alten Tagen und
neuen! So wird noch Millionen seyn, so Gott will. Alle Thüren im Hause
standen offen, als ginge es auf einen großen Jahrmarkt . . . . ich jagte
noch unser Rothkehlchen hinaus in die Freiheit; ich lies den Zeisig aus dem
Gebauer in die Freiheit -- die Katze blieb und der Hund lief mit! Und
sonderbar -- ich schied von Nichts und von Niemand schwerer, als von
Jemand, den ich doch mit mir nahm -- von meiner Tochter! Wohl weil ich sah,
wie sie Mutter und Bruder und Heimath verlor. Man muß die Augen zumachen
wie ein Todter, den man hinausträgt, sprach ich zu mir. Mit offenen Augen
schiede er selber schwer! --

»_Du kommst wieder!_« sprach mein Weib zum Abschiedswort, und blieb fest in
der Hausthür stehen, »Komm' wieder, Vater!« sprach mein Knabe, und kroch
mir noch in den Wagen nach, um mich noch einmal zu küssen; -- denn ich
hatte Pfefferkuchen bei mir!

Ein Wagen ist so dumm nicht erdacht; nach hinten und an den Seiten zu --
nur nach vorn, nach der Zukunft offen! Die Tochter saß neben mir, mein
Schulmeister gegenüber und mein ältester Sohn, der mich begleitete. Der
Schwager stieß in sein Horn . . . . mein Gott! ich hatte die Nacht noch
Abschied nehmen wollen von Vater und Mutter auf dem Kirchhof -- und nun
mußte ich denken: wir lassen nur Staub hier; was die Todten uns gewesen und
was sie noch sind, das besitzen wir, das sind wir selbst, das nehmen wir
mit. Sie waren auch überhaupt nicht von hier -- sie sind auch noch weiter
ausgewandert! Sie mußten. Wir müssen. Und in den frischen Morgen klang das
Horn in den Wald hinein, in den Gesang der Vögel, den Berg hinan, dann den
Fluß entlang -- und die stillen Wellen reiseten ja alle so Tag und Nacht,
so still nach dem Ocean! Die Morgensonne trat auf die Berge und lächelte
uns an, die große Reisende, die gestern das Land gesehen, wohin wir
wollten, und sie leuchtete uns _dazu_, gewiß dazu! Meine Frau hatte mir ein
Blatt Papier beim Scheiden gegeben, ich entfaltete es; es war ein
Notenblatt, das Lied: »Dir folgen meine Thränen!« Da that ich einen
Morgenschlaf im Wagen, und die Ändern wurden still, und schliefen wohl
auch. O Schlaf! Zwei Augen zu -- und die Welt ist still, und das Herz wird
leicht und rein, als schmölze der Schlaf es ein, läuterte das Gold, und
gösse es nun in die Form des neuen Tages, die ihm die Hoffnung gegeben und
reizend geschmückt. Im bestimmten Nachtquartier fanden wir uns mit dem
Amerikaner und seinem Neger Wilberforce zusammen. Als er auch meine Mirjam
aussteigen sah, schien er sehr froh -- er diente ihr höflich-amerikanisch;
er frug lächelnd: ob nicht der Diaconus mitgekommen? Sie sah ihn an, er
sie; und sie errötheten Beide so flüchtig, wie eine Schwalbe vorüberfliegt.
So kamen wir nach und nach, geschwind genug, durch vieler Herren Staaten,
über Grenzen und Grenzen, durch mannigfarbig bemalte Schlagbäume, erhielten
mancherlei kleines Geld heraus und bekamen nach mancherlei Ellen gemessen.
Wir sahen das Bewegen, das Hinundherregen, das Umherdrehen von Soldaten,
Fuhrleuten, Landleuten. Nur zu einer Übung in allerhand Privatkleidern
sagte der Amerikaner: »Vergessen Sie das nicht!«

Und als wir so viele mißmuthige, verdroßne Gesichter gesehen, und wenig von
Lust und Freude gehört, sagte er wieder: »Vergessen Sie das nicht! wenn Sie
unsere Gesichter sehen. Kind und Greis sehen einerlei gleichgültig aus, und
innerliche Betrachtungen und Überlegungen hemmen Hand und Fuß und Auge und
Leben. So tanzen wir auch noch nicht. _Die Seele_ ist zu steif dazu.«

Endlich eines Abends überholten wir in einem dünnen Walde, im Sandweg,
Auswanderer! Deutsche Auswanderer nach Amerika. Scheckige Ochsen zogen
langsam einen Wagen fort, darauf Grabscheite, Hacken, ein Gebund Betten und
kleine Kinder saßen, während die Väter, Mütter, Söhne und Töchter von drei
Familien nebenher zu Fuße gingen. Ein andrer Wagen mit Pferden fuhr die
letzten oder ersten nöthigsten Sachen, Säckchen mit Sämereien und allerhand
Zusammengehäuftes von mehreren Haushaltungen. Wenn Swift ein Gebet über den
Besenstiel verfertigt, so wäre mir gewiß jetzt ein rührenderes »Gebet über
ein Grabscheit« gelungen, deren Eisen mich glänzend anblitzte. Die Leute
gingen anständig gekleidet, aber stumm, wie der Sprache beraubt. Nur eine
Jungfrau frug uns: »Wie weit ist noch Bremen?«

Dort liegt es ja! antwortete ich selber überrascht. Die Wagen hielten, die
Männer nahmen ihre Mützen ab, Alle falteten die Hände und beteten ein
stilles Vaterunser, ein Walte-Gott, oder ein: Nun danket alle Gott!
vermuth' ich. Nun standen die Thürme der Stadt uns auf aus der Hoffnung,
der hohe Angariusthurm, die Liebfrauenkirche, das Rathhaus, die Domkirche,
die Sternwarte, alles in dem geschmückten grünen Wall umher wie Spielsachen
in dem Raum eines Geburtstagskuchens. Dann die Masten der Schiffe! Seiler
spannen hier Schifsstaue; dort schmiedeten Männer in Hemden große Anker.
Dann umfing uns die enge Straße mit Häusern voll Erkern, über und über vorn
mit Fenstern, wie eine streifige _gläserne_ Weste, die Gott vor Schloßen
bewahren möge. Endlich die lange Brücke, die liebe Weser und das große
Wasserrad. Ein schöner junger Mensch begegnete uns, der unwillkürlich sein
englisches Pferd anhielt, wohlwollend, ja fast zärtlich uns . . . ich
glaube, zumeist meine Tochter, ansah, den Kopf senkte und dann erst still
des Weges ritt. Zufall! Schicksal!

Denn mein lieber Master Erwin kehrte bei einem Handelsfreunde ein; ich, bei
meinem redlichen, guten, besten Freunde, dem Doctor Professor Weber. Wir
stiegen hinauf, er kannte mich nicht; ich aber wußte, daß er es war, ich
brachte ihm Grüße von meinem Bruder, den ich gar nicht habe -- und nun fiel
er mir um den Hals. Seine schönen Kinder standen um uns und hielten den
Athem an -- meine Tochter hatte er nicht gesehen, und es ist wohl die
eigenste Befriedigung, die schönste Lösung des heiligen Lebensräthsels:
einem Freunde die erwachsene Tochter zu bringen, zu zeigen. Und das gute
Mädchen stand vor ihm befangen, ja gefangen da, wie eine unbewußte
Schuldnerin von unabwehrbarer Neigung und Liebe, die ich dem theuren
Freunde im Herzen bewahrte. Er führte sie zu seinem Weibe, der auch ich
gleich wie ein naher Verwandter war; und meine Augen hingen an seinen
Knaben, wie an Ablegern einer köstlichen Nelke, die der Gärtner bisher nur
immer allein gesehen hat! Und nun hat sie sich verdoppelt, vervierfacht,
verjüngt, verschönt. Er fand mich im Verlieren, ich wollte nach Amerika,
und die Glocke der Freude zersprang. Und so sagte er mir im Vertrauen, daß
sein werther Freund und Gönner, der Graf B . . . . . St . . . . . . . ihm
den jungen, incognito hierher gekommenen Prinzen empfohlen, der neben ihm
wohne und den Titel eines Herzogs in seiner ursprünglichen Bedeutung den
Deutschen auffrischen wolle -- und als Führer der Auswanderer aus seinem
nicht gar großen Ländchen auftreten, da sein Vater sich noch nicht
entschließen könne, dem das Amt eigentlich zukomme. Denn, sage er, mit
einem Schwarm junger Bienen, welche den alten Mutterstock verlassen, und in
die neue, von den Spurbienen gesuchte Bäute schwärmen, zieht nicht ein
junger Weisel, sondern der alte erfahrene Weisel des Stockes, als rührendes
Beispiel für Menschen! Die Herzöge der alten Deutschen seien es auch nur
für die Zeit des Zuges oder der That gewesen, und in dem drüben angekauften
freien Lande möchten ihn die Seinen nun ferner zum Haupt wählen, oder einen
Andern, wenn er nur brüderlich für sie gesorgt, bis wo sie sein und des
Vaters nicht mehr bedürften. Er meine eine große, deutsche, zeitgemäße That
dadurch zu thun, indem er mit Willen und Liebe sich an die Spitze der
Bewegung stelle; aber sein Vater wolle ihn davon abhalten, und werde dieser
Tage in Bremen eintreffen, »um den so guten, edlen, feurigen, jungen Sohn
auf gute Weise zurückzuführen und wieder einzuspannen in den alten schweren
Wagen von Europa, von dem Niemand wisse, wohin er fahre, nur wie schlecht
der Weg sei --« wie er selbst ihm geschrieben. Übrigens lagern Tausende von
Auswanderern so eben jenseits der Altstadt, nach Elsfleth zu, die ich
lieber sogleich gesehen und ausgefragt hätte. Da kam der junge Prinz
gesprengt, er sprang ab, er kam herauf, und überrascht, uns . . . . ich muß
es sagen . . . . meine Mirjam hier zu finden, sah er noch einmal so
schwärmerisch schön aus, seine Augen leuchteten, aber seine Anrede
verwirrte sich, selbst sein Gruß stockte, seine Frage blieb aus, und er
schlug die Augen wie ein Mädchen zur Erde. Im Geiste hatte er schon seinen
Titel abgelegt, und dem gewünschten Incognito gemäß, lernten wir ihn nur
als Herrn _Leuthold_ kennen! Leuthold -- Publicola -- der Name machte mir
ihn werth; und als er nun hörte, daß ich die armen Einwohner von zwanzig
großen Dörfern hinübersiedeln wolle, überschüttete er mich mit einer Masse
von wohlgegründeten Nachrichten aus redlicher Männer Munde, drückte mir die
Hände, und es ward verabredet, das Lager der Auswanderer gegen Abend zu
besuchen, und auf dem Pianoforte spielte er mir den unvergleichlich
rührenden »_Gesang der Pilger_« aus Hasses Pilgerinnen vor, und sang dazu
mit feuchten Augen und bebender Stimme. Ungern schied ich indeß. Denn ich
hatte die eben angekommenen sechs Freundinnen meiner Tochter
unterzubringen, die sich drüben vermiethen wollten.

Gegen Abend also gingen wir dann. Ich mit dem Freunde; der Prinz führte
meine Tochter und sprach in seinem Feuer mit edlem Anstand zwar, doch wenig
verhalten zu ihr -- als uns der Amerikaner begegnete und als Freund sich
uns anschloß. Er gesellte sich aber zu mir, ging mit mir hinter dem Paare,
und sahe ernst und blaß aus und sprach nicht, und sahe bisweilen murmelnd
lange starr zu Boden, als schimmere ihm unter der Erde ein großes Buch,
dessen Schrift er mit Gewalt entziffern wolle. Der immer vorsichtige Mann
stolperte jetzt sogar. Zuletzt trug er, wie ich wohl bemerkte, erst Eine,
dann beide geballte Fäuste in der Tasche. Wilberforce, sein Neger, sahe,
wie ein treuer Hund nach dem Jäger sieht, gespannt nach den Augen seines
Herrn. Er frug endlich, doch leise, meinen Freund, wer der junge Gentleman
sei, der die Miß vor ihnen führe. . . . . . »Der Prinz . . .« sagte ich
ihm, zwar leis, doch etwas unvorsichtig, und er hörte es kaum halb, als ihm
recht wohl schien. Es stand ein Lächeln auf seinem Gesicht, das ganz Europa
weglächelte, ein kostbares Lächeln, das mich hinriß. Aber meine Tochter war
noch Gänschen genug und noch von keinem Prinzen und so verbindlich geführt
worden, und ich als Herr Vater und Unterthan steckte auch noch so tief in
der Eselshaut, daß ich keine Scene, besonders nicht gleich und hier auf der
Straße besorgte. Der schätzbare Master Erwin aber nahm mich unter den Arm,
hielt mich zurück, als wolle er mir etwas zeigen; und als die Übrigen
voraus genug waren, frug er mich ehrerbietig und lüftete den Hut dazu:
»Wollen Sie mir Ihre Tochter gönnen?«

Wie so? -- frug ich.

»Zur Hausfrau! -- meine ich.«

Ich wußte, wie meine Tochter dachte und fühlte. Ich gestand ihm das; aber
auch, daß sie ihm, daß sie der je ihr eignen und freien Neigung entsagt --
weil er Sclaven -- hundert -- fünfhundert Sclaven habe.

Der Mensch in dem Amerikaner, in dem Kaufmann und reichen Plantagenbesitzer
ward roth. Er preßte die Lippen zusammen, blickte mit starren Augen ein
inneres Bild vor seiner Seele an, und sprach dann: »Schon gut! meine ich.
Also Sie meinen sonst Ja?«

Ich zuckte, eigentlich wunderbar froh die Achseln und meinte: Ja!

Da verließ er mich, ohne Übereilung, ging dem guten Prinzen zur Seite und
sprach: »Wollen Sie mir nicht erlauben, meine Braut zu führen?«

Da ließen die Arme der beiden unschuldigen Kinder sich los. Mein Kind war
blaß, so viel ich sehen konnte, sie stand ein wenig vorgeneigt, mit
gesenktem Antlitz, und hielt ihre linke Hand leicht über die Augen, ihre
Lippen standen geöffnet, als wäre eine Rose plötzlich aufgeblüht.

. . . . Das habe ich nicht gewußt; -- stammelte der Jüngling.

»Ich auch nicht! Aber Sie wissen es jetzt;« sprach der überraschte und
überraschende Bräutigam.

Der Jüngling trat zurück. Die Braut ließ sanft und langsam ihre Hand von
den Augen sinken, und ihre großen Augen sahen einen wunderbaren Augenblick
nach mir zurück; dann sah sie vorwärts, sah nicht den Bräutigam an, der den
gesenkten Arm anständig an den seinen nahm.

Und nun gingen wir -- schweigend bis ganz in die Nähe des friedlichen
Lagers. Da hörten wir singen, blieben betroffen stehen, und hörten nach
rührender Weise in Moll ganz deutlich die Worte:

   »Nun wandern wir mit Thränen aus,
   Von Bergen und von Thal!
   Die Erde ist ein großes Haus
   Mit manchem Saal!
   Du Sonne, kommst mit über's Meer
   In jene beßre Welt;
   Du Mond, du schiffst still nebenher
   Am Sternenzelt.

   Der Boden zieht sich unterm Meer
   Dahin, in sichrem Band;
   Und drüben hebt er sich so hehr
   Als freier Strand!
   Da drüben blüht der Frühling auch
   Im alten Himmelreich;
   Die Erde hält den alten Brauch --
   Bleibt Euch nur gleich!

   Habt Dank, Ihr Brüder, nah und fern!
   Ihr halft uns Alle gern;
   Habt großen Dank, Ihr großen Herrn,
   Habt Dank, Ihr Herrn!
   Ihr Flüsse habt den schönsten Dank
   Für eure klare Fluth;
   Doch euer Trank, der macht uns krank,
   Ihr meintet's gut!

   Nun sind wir Furcht und Qualen los,
   Wir werfen Alles ab;
   Und glückt uns Nichts -- im Erdenschooß
   Bleibt uns das Grab!
   Drum angenehme Ruh! Glück zu!
   Nun Alle gute Nacht!
   Haus, Bäume, Feld und Pferd und Kuh --
   Es ist vollbracht!

   Viel thaten wir mit unsrem Arm,
   Viel tausend Städte stehn! --
   Der Korb ist nicht der Bienenschwarm.
   Sie stehn -- wir gehn!
   Wohl hundertmal jed' Beet mit Fleiß
   Umpflügten wir mit Muth --
   Das Land ist naß von unsrem Schweiß,
   Von unsrem Blut.

   Manch Schlachtfeld deckt die Väter zu,
   Der Todten morsch Gebein!
   Drum laßt uns ziehn in Fried' und Ruh,
   Uns unser seyn!
   Nicht hundert Jahr, so kommen wir
   Zurück zu Euren Gau'n,
   Und wie's Euch geht, geloben wir,
   Mit Ernst zu schau'n!«

                   *       *       *       *       *

So etwas hatte ich noch nicht gehört auf Erden, gedachte aber an das Lied:
»An Wasserflüssen Babylon.« Die Leute, die gesungen, schwiegen kaum, als
wir von einer andern Seite her schon den Ausgang eines andern Liedes
vernahmen, das junge Burschen in lustiger Weise sangen:

   »Nun schnürt die letzten Lumpen ein
   Und macht ein groß Gebund!
   Schnürt Sonne, Mond und Sterne drein!
   Und bleibt nur fein gesund!

   Vor allen schnürt die Hände ein!
   Und Kopf und Herz und Mund!
   Ein Hüttchen wird schon drüben seyn,
   Das glaubt sogar mein Hund!«

                   *       *       *       *       *

Einer von ihnen wollte jetzt das bekannte Lied anstimmen: »Was ist des
Deutschen Vaterland?« -- als Andre ihn unterbrachen und frugen! Ist das
noch nicht aus? -- und Einer wollte in das Lied eingestimmt haben: »Wer
weiß, wie nahe mir mein Ende?« -- Mädchen kamen uns entgegen gesprungen,
welche schon einen Maikäfer gehascht und wieder fliegen lassen, und aus der
dreißigjährigen alten Noth dazu sangen:

   »Flieh, Käfer, flieh!
   Dein Vater ist im Krieg,
   Deine Mutter ist in Pommerland --
   Pommerland ist abgebrannt --
   Flieh, Käfer, flieh!«

Die Knaben aber sangen ein andres, mir unbekanntes, schwermüthiges, treues
Lied, auch aus Moll, was »die Schwalbe« hieß; denn unter diesem Titel
forderten es von den andern Kindern zwei liebe, schöne Knaben, beide wie
Brüder gleich gekleidet; beide gelbe Strohhütchen auf, beide blaue Jäckchen
an, beide weiße lange Hosen und beide baarfuß. Sie sahen gesund, aber
kummervoll aus. Und die andern Kinder wollten es, manche dem Anselm, manche
dem Wilhelm zu Liebe mitsingen; die Brüder selber sangen nun, hell und bang
herauszuhören aus dem lieben Knabengesang:

   Du, meine liebe Schwalbe,
   Ziehst weit nun über's Meer,
   Siehst meine Heimath wieder --
   Ach, wenn Ich doch -- _Du_ wär'!

   Ich baut' an Mutter's Fenster
   Mein Nest mir einsam, leer;
   Ich säng' ihr meinen Kummer,
   Wenn Stille um uns wär'!

   Da spräch' sie einst zum Vater:
   »Das Lied macht mir so schwer!
   Ach, fange doch die Schwalbe,
   Und bringe sie mir her!«

   Da laß ich mich ihn fangen;
   Die Mutter küßt mich sehr!
   Drauf soll ich wieder fliegen --
   Da bin ich schon nicht mehr!

   Da steht sie tief betroffen,
   Denkt bang an mich und schwer,
   Begräbt mich bei dem Weinstock,
   Der sagt ihr: daß Ich's wär!

Jetzt hatten wir Stimmung! Das Herz war uns schwer, und wir begriffen, wie
den Abgeschiedenen zu Muth war, die mir so eigen bedürftig, so eigen
heimathlos vorkamen, wie den Schiffern die müden Vögel, die vor Hunger und
Müdigkeit ohne Menschenfurcht sich auf dem Fluge über das Meer in die
Segelstangen setzen, sich ausruhen, auch wohl schlafen und im Schlafe vom
Morgen träumend singen! -- O Natur, du bist unter allen Masken nur Eine,
voll Leid und Freude und Trost und Hoffnung immer und überall.

Darauf gingen wir hinter in den grünen Raum, wo die deutschen Auswanderer
lagerten, theils in offen stehenden leeren Magazinen, Scheunen, theils auf
dem Platze davor. Es ist unmöglich, zu leugnen, daß der Anblick ergriff:
diese kraftvollen, rüstigen Männer, diese gesunden, auch schönen Weiber und
rosigen Jungfrauen, diese Knaben und Mädchen, diese kleinen Kinder in
Bettchen hier, dort auf Strohe liegend, und von den kleinen Schwesterchen
gewiegt, herumgetragen, oder im Schlafe bewacht von einem treuen Hunde, der
wie aus dem Schlaf die Augen nach uns richtete, aber die wohlwollende Seele
in den unsern erkannte, nicht anschlug, nicht knurrte, sondern ruhig wieder
die Schnauze hinstreckte. Auch alte Männer mit weißen Haaren saßen da,
welche, kaufmännisch betrachtet, doch kaum die paar Thaler für die
Überfahrt werth waren, und welche doch -- wie die Türken in Constantinopel
sich drüben in Scutari begraben lassen -- auch drüben wollten begraben
seyn. Sie schnitzten Löffel, auch nur Spielsachen für die Kinder. Hier und
da hing ein Ochse oder eine Kuh, welche für ihre Mühe: die Wagen hierher an
das Ufer zu ziehen, geschlachtet und für die Seereise in Fässer
eingepöckelt wurden. Selbst einigen Ziegen war es so gegangen, die räuchern
hingen, und ihre gehörnten Felle nicht weit davon zum Trocknen. Andere
Ziegen mit schwellenden vollen Eutern, von den Jungfern mit Gras gefüttert
und eben gemolken, sollten den Kindern auf der See frische Milch geben, und
es drängte mich, den Weibern zu lehren, wie sie auch Milch aufbewahren
können. Kessel kochten das Abendessen über Feuern; im Strom gefangene
Fische zappelten auf dem Rasen noch ungeschlachtet. Wasserkrüge und kleine
Trinkkrügchen standen bereit. Alle waren anständig gekleidet, Manche
vielleicht aus Armuth sonntäglich.

»Welche Wehmuth geht von dem Raume aus!« sprach der Prinz. »Hier schaut man
unleugbar: Ganz gewiß ist etwas vorgegangen, ganz gewiß ist diesen Menschen
etwas Unleidliches geschehen, ganz gewiß hoffen sie Erlösung, eine bessere
Zukunft, als sie hier abwarten und mit durchleben wollen, daß wir diese
Tausend und schon Legionen und noch Legionen hier am Eingang des Meeres
sehen! Etwas ganz gewiß. Das ist unleugbar. Etwas, dem Niemand helfen kann
oder will. Denn menschliche Geduld ist -- übermenschlich, oder deutsch.
Ach, wer in alle die Herzen sehen könnte! Diese Menschen sind nur --
heilige Meerschweine, die auf die Oberfläche der See kommen, wenn Sturm
soll kommen! Sie sind Sturmvögel! Oder fliegende Fische, die nicht vor
Vergnügen . . . . sondern, dem Tode zu entgehen, vor Angst vor einem oder
vielen kleinen Haien, sich der ihnen von der Natur aus Vorsorge zu Lehn
gegebenen großen Flossen oder Flosse -- der Schiffe -- bedienen. Sie sind
Männchen im Mantel, die aus dem Wetterhäuschen bei schlechtem Wetter
herauskommen, und von der gekrümmten Darmsaite gezwungen, sich herauswinden
müssen. Denn welche Schnecke bleibt nicht gern in ihrem Hause? Welcher
Fuchs ist so dumm, aus der Haut zu fahren, als wenn sie aufgeschnitten ist
und er gebrannt und geprellt wird. Der Mensch ist nicht dümmer als das
Vieh, aber _am Ende_ auch so klug und so tapfer. Ja der Zahnarzt, der
keinen Zahnarzt findet, nimmt sich in der Angst selbst einen Zahn aus, und
je weher er sich selber thut, je lieber er sich selber zur Thür
hinauswerfen möchte, je gewaltiger ruckt er an seinem Zahne, bis er
hinausfliegt. Kurz, hier schmerzen die Zähne, oder die Herzen. Herzensweh,
größtes Weh!« sprach er und schlug die Augen nieder. Meine Tochter auch,
die dem von Wohlwollen leuchtenden Jüngling mit feuchten Augen zugesehen,
oder zugehört -- ich weiß nicht.

Mein ehrwürdiger Prinz -- wollte ich sagen -- aber durfte nur sprechen: Sie
einziger, theurer Herr Leuthold, wie ungern gebe ich Ihnen Recht --
verzeihen Sie, es ist höchst unrecht und unanständig, vornehmen Leuten
Recht zu geben -- Furcht und Hoffnung treibt und jagt die Welt. Indeß, was
Jeder, oder was Alle hoffen oder fürchten, ist nach der Bildung des Geistes
und Herzens eines Jeden verschieden, und stuft sich ab von Brot bis zur
Freiheit, von Qual bis zu Kälberbraten und Salat. Indessen wäre es doch
höchst wichtig, selbst den Höchstwichtigen, zu wissen: was diese fliegenden
Fische oder Wettermännchen fürchten oder hoffen, oder hoffen _und_
fürchten. Wir wissen es so ziemlich gewiß, aber ob auch Diese? Doch das
Volk weiß Alles wahr und klar, durch handgreifliche Dinge, und beurtheilt
die Saaten und die Bäume nach Garbe und Frucht; die Graf Magnische Wolle,
Electoral- und Königlich-Spanische Wolle beurtheilt es aber blos nach dem
Rocke -- den es selber tragen kann!

»Rem acu tetigisti! Sie haben den Schaden mit der Sonde berührt, und er
schmerzt mich!« versetzte Herr Leuthold. Mein Schulmeister Tolera hatte
schon Bekanntschaft unter der Menschenheerde gemacht, und er zeigte uns
Studenten von verschiedenen Universitäten, die, wie er uns erzählte, statt
Doctoren zu werden, mit dem Gelde von ihren Ältern, theils ohne . . .
theils daß diese es wußten, und zufrieden waren, nach Amerika auswanderten.
Sie wollen auf einer Nordamerikanischen Universität studiren, oder drüben
Garten-, Vieh- und Menschenzucht betreiben, und haben sich schon die
haltbarsten, schönsten Mädchen hier ausgesucht, die ihnen die Ältern nicht
abschlagen wollen. Ich begreife gar nicht, wie aus altem Holze schon neue
Triebe wachsen, wie man auf der Reise an's Heirathen denken kann. Freilich
paaren sich Störche, Amseln, Kraniche und Schwalben, grade ehe sie
fortziehn -- wie die fortgeschickten Polen in Danzig alles von der Straße
wegheiratheten. So wundre ich mich nun nicht mehr so sehr. Vorhin war ein
Herr hier, der frug einen Professor, der auch mit auswandert: »Das sind
wohl eigentlich alles Pracken?« Gewiß, versetzte der Professor; aber es
bleibt dabei die Frage: ob sie geprackt worden, oder ob sie geprackt haben
-- alle Andern, alle Solche wie Sie, und Sie nicht ausgenommen. Dabei
kehrte er ihm den Rücken. Tolera brachte uns aber eigentlich nur die beiden
Knaben, die vorhin das Lied von der Schwalbe gesungen, und winkte sie
näher. Sie kamen, die gelben Strohhütchen in den wie zum Beten gefalteten
Händen, waren bildhübsch, und der Älteste, der Anselm, sprach: »Ach, liebe
Herren, Alle oder Einer, unser Vater ist blos über dem Wasser hier drüben,
in einer großen Stadt, die Kentucky heißt; unsre Mutter hat sollen
nachkommen, sie ist aber gestorben, und nun lacht uns jeder Schiffscapitain
aus, wenn wir ihn bitten: uns ohne Geld mit hinüber zu nehmen. Erbarmen Sie
sich, Einer oder Alle, unsres Vaters, der wird sich doch gar zu sehr
freuen! Ach, und das ist ein rechtes Unglück, man kann drüben nicht mehr
die Überfahrt abverdienen, wenn Einen der Capitain dafür auf ein paar Jahr
vermiethet, das hat der drübensche Congreß verboten! Ach, wenn der Congreß
uns sähe am Ufer stehen, er wäre ein barmherziger Amerikanischer Congreß!
Aber die Congresse sind so weit von uns, so unbarmherzig und hart und wie
blind, daß sie uns arme Kinder freilich nicht hier stehen sehen können!
Aber Sie sehen uns stehen, beste Herren! Oder wenn Sie kein Geld haben,
oder an uns nichts wenden wollen, befehlen Sie nur einem Capitain, daß er
uns mitnehmen muß! Schreiben Sie es mit ihm nieder, daß er mich drüben
verkaufen muß, für mich und meinen Bruder, den armen Schelm! Ich will Gutes
thun. Indeß wachs' ich noch größer. Und wenn ich meinen Vater erst in zehn
Jahren sehe, so sehe ich ihn doch einmal und mein Bruder auch.« Die Kinder
faßten vor Freude sich schon bei den Köpfen.

Master Erwin sagte uns, daß alle europäische Contracte in der Union gar
nichts gelten, und warnte uns. Meine Tochter schien ihn zu bitten, den
lieben Knaben die Überfahrt zu bezahlen, als sie der Prinz schon beide an
den Händen ergriff, und zu einem Capitain führte, der jetzt aus einer
Scheune kam. Ein sonnegebräunter, kerniger, hoher Mann im blauen Frack und
langen, weiß und roth gestreiften Hosen und Schuhen, einen dreieckigen
langen niedrigen Hut die Quere auf dem Kopfe, wie ein kleines schwarzes
Boot. Er gab jedem der Knaben darauf eine Karte aus seiner Brieftasche; und
ohne vor Freuden sich nur zu bedanken, sprangen sie fort und rissen vor
Eifer im Laufe andere Kinderchen um. Der Prinz kam still wieder zu uns.
Master Erwin, oder nun mit Gott denn: mein Schwiegersohn, hatte indeß ein
Gespräch mit mehreren Auswanderern angeknüpft, deren Einer ihn jetzt als
Amerikaner auf sein Gewissen frug:

Also freies Raff- und Leseholz können Sie uns gewiß versichern?

»Auf fünfhundert Jahr vor der Hand, meine ich.«

Der Kreis sahe sich froh an. Eine alte Frau rieb sich den Rücken und
seufzte: Da werde ich also nicht krumm und lahm geprügelt. -- Mein Gott!
wie bist Du doch gnädig da drüben über dem Wasser! Hier war es wie's war!

Und ein Anderer frug wieder: Herr, ich habe wegen Angeln und Krebsen vier
Jahr gesessen, und bin freilich ein Liebhaber, aber auch ein armer Teufel
-- wie steht es da drüben?

»-- Freier Fischzug in allen Flüssen und Seeen. --«

Der Mann machte eine besondere Geberde, die aber uns nicht galt, zog einen
alten Jäger herbei, und frug weiter: Der hier hat, als streng angewiesener
Grünspecht, einen oder ein paar Wildschützen erschossen, die einen Hasen
nicht haben herausgeben wollen -- ist dort Wildpret genug? Denn, lieber
Herr, wo jeder Bauer den Garten voll Pflaumenbäume stehen hat, da stiehlt
kein Kind eine Pflaume.

»-- Freie Jagd und Wildpret in Unzahl. Geflügel in Unzahl. Maisvögel,
Truthühner, Tauben.«

Da möchte man sich das Leben nehmen! seufzte der alte Jäger, dessen Augen
und Wesen deutlich verriethen, daß er dem Wahnsinn und einer schrecklichen
That an sich selber ganz nahe stand.

Aber Wiesewachs, Futter für die Kühe! Wie viel Stunden weit hat man wohl in
das Gras? und wächset auch welches?

»-- Liebe Frau, da wird ihr der Rücken nicht weh thun. Die Kühe hinaus! und
wenn Ihr hundert habt; und welche ihr melken wollt, die ruft Ihr bei Namen.
Aber einen Namen muß sie haben. So macht Ihr es auch mit Euren hundert
Schweinen, und Ihr ruft nur: Komm, laß dich schlachten! Ich lüge nicht, so
mach' ich es, so machen es tausend Nachbarn noch hundert Jahr . . . Ein
Pfaffe hat Europa verdorben, und das Schwein verdirbt Amerika. Haltet keine
Schweine, damit ihr keine Schweine werdet; denn auf dreimal Schinken den
Tag, setzet Ihr auch vielleicht dreimal Whisky und Rum.«

Ach Gott! nur zu Weihnachten ein Schweinchen! schmunzelte eine Frau.

»-- Schlachtet Ochsen! --«

Ach, der liebe Gott ist doch sehr gnädig da drüben über dem Wasser! Hier
war es mit den Ochsen nicht recht richtig; stöhnte die alte Frau und sahe
ganz jung aus vor Freude.

Aber, aber! sprach ein alter Mann: Ich habe Zeitlebens gearbeitet wie mein
eigener Sclave, und habe Nichts, als diese Jacke auf dem Leibe, weil Arbeit
uns hier nicht mehr nährt, Alles der bösen Nachbarn wegen, des Krieges
wegen, der Schulden wegen, der Furcht wegen! Was wollte ich noch fragen?
Ja! -- Sind drüben gute Nachbarn? Sonst kehre ich heim.

»Das Weltmeer ist der schlimmste und beste Nachbar; übrigens ist dort kein
Papst, kein Kaiser, kein König auf weit und breit. Friede und Brot!« sprach
mein Schwiegersohn.

Friede und Brot! wiederholte der alte Mann; und drei alte Weiber sprachen
nun wie die drei Eumeniden wieder im Chor: Mein Gott, wie bist Du doch
gnädig da drüben über dem Wasser!

»_Meine_ Söhne!« rief hier eine Mutter zu ihren vier Jünglingen. »_Meine_
Söhne!« sprach eine andere Mutter zu ihren Sechsen. »_Mein_ Sohn!« rief
eine dritte Mutter.

»Ja, Euer seid Ihr dort!« sprach mein Schwiegersohn; »selber das ganze Land
oder Reich, nämlich die souveraine Republik, ist dort Euer, und selber der
Präsident, der bloß Euer Vorsitzer ist. Ohne Erbe ist kein Erbfolgekrieg;
ohne Furcht vor dem Volke ist keine Unterdrückung, ohne Schulden sind keine
Zinsen, ja, es ist die bitterste Wahrheit: in wenigen Jahren muß Jeder bei
uns von der Regierung alle Jahre Etwas heraus bekommen an Gelde!«

Und die drei Eumeniden sprachen wieder: Mein Gott, wie bist Du doch gnädig
da drüben über dem Wasser!

»Ihr habt Recht!« sprach er, »aber vergeßt nicht: blos Europa hat es
dadrüben gut gemacht! Alles, was man hier im Geiste gesehn und gewünscht,
das wird da drüben in Wahrheit; was man hier verwünscht hat, das bleibt
hier begraben. Drum tretet dankbar und leise auf das heilige Grab und
segnet es hier und noch drüben!«

Und es war wunderlich anzusehen, wie Einige leise und schonend auf dem
heiligen Boden des Vaterlandes -- des Mutterlandes der Freiheit -- fort zu
den Ihren schlichen. Mir quollen die Thränen in den Augen.

Herr Leuthold aber drückte meinem Schwiegersohn die Hand, daß er
Deutschland gepriesen als die saure Rebe der süßen Traube. Das Lager der
Auswanderer hatte den tiefsten Eindruck auf ihn und uns Alle gemacht. Und
diese ihre erzwungene Muße, dieses große Müßigsein voll stiller Geduld und
schönen Zutrauens war allerdings ein eigener Zustand der Menschen auf
Erden, in deren Leben wir einen tiefen, düstern und erfreulichen Blick
thaten. Diese hier sangen, andre wuschen die Kinder, noch andre aßen, alles
in herzlicher Eintracht. Einer theilte dem Andern mit, was er hatte, und es
that ihm nur leid, wenn es ihm fehlte, und er sprach wohl freundlich zu
ihm: Bruder, das habe ich nicht! und ein Nachbar hatte es gehört, rief ihn
und sprach: Bruder, ich habe noch, komm! So wurden die Verschiedenen zu
Einem. Denn gleicher Wille und gleiches Ziel verbinden die Völker.

Es war noch Zeit, unsre Arche, das Schiff zu besehen, das mein
Schwiegersohn gemiethet. Wir fuhren zu Wasser hin. O so ein Haus! So ein
großer verständiger Fisch! Wie sauber Alles. Und die goldenen Sterne, 27
Sterne, für jeden Freistaat ein Stern in himmelblauem Eckfelde der roth,
blau und weißen Flagge. Seine Flügel schliefen. Die sauberen Räume standen
noch leer. »Es ist nicht groß, darum geht es nicht tief, und kann überall
eher ans Land;« sagte mein Schwiegersohn; »es ist neu, also wird es der
Capitain nicht mit Willen stranden lassen, um die versicherte Prämie zu
gewinnen. Ich habe es ganz gemiethet, es faßt 150 Menschen, und so kostet
Jedem die Überfahrt ohne Essen und Trinken nur 30 Thaler. Sie kommen mit
nach New-Orleans, um Florida zu sehen, das man so rühmt, und dann den
Todtenstrom, den Missisippi hinauf, auf einem der Dampfboote, nach
Kentucky, Ohio und wohin Sie wollen.«

So hatten wir denn, wie die Kinder, schon in der Kutsche gesessen, die noch
ohne Pferde steht. Abends aber führte uns Master Erwin in die Versammlung
der verarmten Rittergutsbesitzer, denn wohl zwanzig Familien hatten seiner,
auf des Vaters Befehl gethanen Einladung, mit Freuden Folge geleistet. Sie
wohnten alle in der Nähe, sie waren versammelt, sie lernten ihn kennen, wir
sie. Unter den merkwürdigen, anständigen, mitunter schönen Gesichtern und
den unleugbar sich auszeichnenden Gestalten der Männer, Frauen, jungen
Herren und Fräulein, und unter den mannigfachen Reden der Verdrossenen,
Neu-hoffenden, vergesse ich nie die Valet- oder Standrede des Adels, welche
ein launiger alter Herr hielt, welcher sich selbst den Herrn von Habenichts
nannte. Unter andern sprach er: »O Don Colibrados, und alle Ihr Colibraden,
kommt mit! Was Ihr einmal waret, begreift Niemand, Ihr selber nicht mehr!
selbst Euren Namen nicht. »Wir sind vom Geschlecht der Colibraden!« Das
Wort mußte uns Spannung geben. Für den Schein mußten wir alle Wahrheit
opfern! Pferde, Spiele, Bälle. Wir tanzten wie ein gewisses fettes Thier
vor Angst auf den heißen Eisenstäben. Denn der Güterhandel, der
Pferdehandel, der Holzhandel, der Wollhandel, der Getreidehandel, kurz alle
Handel und Händel brachten uns zum Tanzen. Was waren wir noch? Sequester
der Juden! Sclaven unserer Schaafe und Ochsen. Und nun sollten unsere
Junker _lernen!_ Lernen, was andere Menschen, die Krety und Plety, wissen
und können; unsere Fräulein sollten Bürger heirathen -- blos um das einzige
Wörtchen _von_ im Stillen zu behaupten! Das sei Gott geklagt. Wir werfen
das einzige Wörtchen »_von_« von uns ab, als den alten schweren Harnisch,
verlassen die hohe Region, erwerben im Thale des Lebens für unser letztes
Hab und Gut große Güter, und nennen uns heimlich, bis wir es sind, »die
Herren _von_ -- Europa.« Und sind wir nicht dennoch die Vorbilder des
Volkes gewesen? Und haben wir es nicht vortrefflich gehabt, so lange wir es
gewesen? Haben wir Edlen nicht alle wilden Schweine, Hirsche, Rehe, alle
Hasen, alle Rebhühner und Lerchen gebraten und gekocht, alle Hechte,
Karpfen, und Krebse gegessen, bis wir dem gemeinen Volke den Mund wäßrig
gemacht, und alle das liebe Wild ihnen verkauft, um Kutschen und Kleider zu
kaufen. Sind wir nicht Keiler, Zehnender, Hasen, Bretklötzer, Hechte u. s.
w. über und über? Ja durch und durch! Und unsere Burgen und Zimmer, haben
sie nicht nun Alle? Was wir tragen, trägt es nicht Jeder? Was wir wissen,
weiß es nicht Jeder? Wie wir ohne Steuern und Gaben zu seyn wußten, will es
nicht Jeder? Haben wir uns nicht gegen den hohen Adel gestemmt, und ihm
Alles abgetrotzt? Kurz, durch uns Muster und Modelle sind nun Alle im Lande
Edelleute geworden, ja sie wollen sogar edle Leute seyn! Und so sind wir
die Steinplatte mit der ersten, so so gezeichneten Menschengestalt gewesen,
welche man tausendfach abgedruckt hat, die aber selbst darüber abgenutzt
und verwischt worden bis zum Unkenntlichen, hoff' ich. Das war nobel! hoff'
ich. Und unser Lohn ist, der Abschied eines Dieners, oder eines Herrn, der
sich unnütz gemacht hat -- eines Stockes, der durch Lehre und Zucht der
Schulknaben zu kurz geworden -- eines Flegels in genere, der durch Dreschen
abgedroschen ist, und in der Scheune verloren dahängt, als sein eignes
Monument. O Welt, wie schön bist du, wie dankbar! so daß dein größter Dank
für die Größten und Edelsten grace, der himmlische Dank ist: daß sie darin
überflüßig, verachtet, verspottet, zum alten Flegel werden, vom seligen
Herrn von Habealles, allmählig zum Herrn von Habewas, bis endlich zu meines
Gleichen: den seligen Herrn von Habenichts! Und so danke ich allen meinen
Ahnen, die das vollendet, -- allen Schatten der nobelsten Geschlechter
danke ich hier in dem Einen schwarzen Schatten, der von mir an der Wand
schwebt, als letztes concretes und concentrirtes Bild unsrer edlen Kaste,
ich gehe hin und küsse ihn dreimal laut: Dank! Dank! Dank!«

Und so that der herrliche fröhliche Mann wirklich, ging hin und küßte den
Schatten »mit dreimal Dank.« Und mit sonderbarem Gefühl wischte er sich den
Kalk der Wand von den Lippen, setzte sich und sprach: Nun sage Niemand
mehr, daß Einer sich nicht selber küssen kann! Sie meine Herren und Damen,
sind männiglich Zeuge! Und männiglich sind Sie, daß Sie mich nicht etwa
erzürnt zur Thüre hinauswerfen, sondern so edel, so gescheidt, so
politisch, so habsüchtig, daß wir in genere die Landstraße zu Wasser nach
Amerika einschlagen wollen und werden. --

»Sie lachen! Alle! Sie lachen heiter! Sie haben überwunden;« sagte mir der
liebe Leuthold ins Ohr. »Es wäre vielleicht doch nicht gut, ein ganzes
Ländchen mit allen Ständen und Ständchen hinüber zu setzen! Wer drüben
leben und denken, unbillig leben und denken will, der bleibe gleich lieber
hier und leide sich und Andere! Man dürfte nur »Constantinopel wie es ist«
-- »Venedig wie es ist« -- »Wien -- Rom -- wie es ist -- Neapel -- Baiern,
wie es ist« -- nach Amerika hinüber versetzen, und ganz Amerika wäre auf
immer verdorben! Und das verdorbne Europa auch! Ich fange an, Nord-Amerika
für eine Art wohlgedeckte große Freimaurerloge anzusehen, wohin man nur mit
Schurzfell und Kelle kommen darf. Diese Erfahrung hier wird meine
Übersiedelung stark berichtigen! Aber sehen Sie nur, was Herr von
Habenichts auskramt!«

Ich sah. Dieser breitete eine große Charte von einem kleinen angekauften
Ländchen aus, und zeigte Jedem sein neues Gut, oder doch Habe. »Für den
Rest, den Ihr auf Eure Schulden herausbekommen, für die 5000 Thaler etwa,
habt Ihr Jeder so viel Erde dort wieder, als Ihr hier niemals besessen --
Teiche, Wälder, Wild! Für den Werth des Holzes in Wien oder Berlin kauftet
Ihr hier ein Fürstenthum; aber thut es ja nicht! Denn dort müßtet Ihr
verhungern, wenn Ihr das schöne Mahagoniholz nicht verbrennen wolltet zu
Acker, da die Bäume keine Brotbäume sind. Aber Menschen -- denn mit
Erlaubniß, so nenne ich Euch jetzt, pflanzt Pisang! Pisang! Denn ein Stück
Land, das mit Euren vermaledeiten Kartoffeln bepflanzt, nur Adam und Eva
nährt, das nährt, mit Pisang bepflanzt, ein halbes Hundert. Ihr seht also,
daß Ihr die alte Bärenhaut mitnehmen könnt, um dort mit den Händen so viel
auszuruhen, als Ihr hier mit dem Kopfe habt arbeiten müssen. Jeder findet
sein Haus, und gefällt es Euch nicht, wie vermuthlich nicht -- doch ein
Blockhaus ist kein Stockhaus, sondern nur einstöckig -- so baut Euch Ein
Schloß auf der Stelle, wo alle Eure Grenzen zusammenstoßen -- einen großen
Boarding, ein Gemeinlogis, schämt Euch des Namens nicht! Denn ein Gut,
wovon nicht Jeder das Gleiche besitzen und brauchen kann, ist ein wahres
Übel, wie unsere _Güter_ waren, welchen Namen ein alter Prophet
aufgebracht, um uns einmal -- das heißt jetzt -- den Stolz zu benehmen.
Aber was macht denn das Kartenspiel so interessant für die herrlichsten
Menschen? Also auch für Euch, denn ich darf Euch nun Menschen nennen, und
herrliche Menschen, denn Ihr habt wieder Etwas, ja viel -- was reißt so zum
Kartenspiel? Nun? . . . . daß sie Freiherrn werden, Schicksalsgötter, daß
sie nach ihrem Kopfe mit Königen, Königinnen, Buben, As, Spadille und
Manille verfahren können, wo ihnen keine Hausehre, kein Offizier, kein
König darein reden darf, denn wenn er kann und will, sticht er -- oder
paßt, verpaßt. Seht, hier habt Ihr eine beßre Art Charte, die Euch noch
froher machen wird -- hier ist ein neues Spiel; setzt Euch ein! Da seid Ihr
wieder Herren!«

Während nun die schöne klare Charte und mancher Plan den Auszug oder die
Auszügler und Vorzügler des Adels beschäftigte, und sie wünschten, daß Alle
als Nachzügler kämen, ward mein Freund Weber abgerufen. Er holte bald den
Prinzen nach, dessen Vater, der Fürst, gekommen war, mein gnädigster
Landesherr, der, obgleich souverain, doch, so viel er von höhrem Ort
durfte, Jedem Freiheit ließ, ja gab. Und doch schien mir seine Ankunft dem
guten menschenfreundlichen Prinzen fatal. Wir zogen uns auch zurück, und
mein Schwiegersohn, Gott bewahre, nicht der neue Landesherr dieser
vornehmen Neuweltsrekruten -- unter welchen Obersten, Generale und große
Thiere waren -- sondern blos der bescheidene Herr ihres neuen Landes, ward
von ihnen, wie Moses am rothen Meere von den Kindern Israels verehrt, und
Jeder empfahl sich ihm einzeln zu gnädigem Schutz. So steckte noch die alte
Lust und Gewohnheit: protegirt zu seyn, in den redlichen Leuten!

Zu Nacht erst war ich allein mit meiner Tochter, und konnte sie, als Braut
eines ihr lieben Mannes, in meine Arme schließen und segnen. Sie war zu
allem still, und sprach zuletzt nur: »O wenn nur die Mutter hier bei uns
wär'!« -- Ich deutete das in meinem Sinn, wie ich ihr eigentlich nur Segen
von dem Segen gab, den ich durch ihre reiche Heirath über mich
ausgeschüttet, fühlte. Fand ich drüben keine Anstellung als Prediger,
vielleicht wohl gar bei den ausgezognen Adligen, und starb ich nicht, ehe
ich verhungerte -- so verhungerte ich nun nicht, sondern meine gute Tochter
gab mir gewiß das Gnadenbrot! und ich konnte umsonst predigen, taufen,
trauen, begraben, was bei uns der nobelste Bischof nicht thut, und wir
theuren Herren kosten mit Kirchen und Schulen den armen Leuten zu viel, und
ich habe immer einen Stich in der Seele gefühlt, wenn ich den Becher
Taufwasser, oder den Leib des Herrn mit den paar Dreiern von den guten
Leuten bezahlt erhielt, welche sie hinter dem Altare wandelnd
hervorgesucht! Und doch schielte ich abscheulicher Mann dennoch manchmal
nach dem Gelde, oder schlauer sogar nur freundlich, nach den Augen der
Opfernden; denn, wer mit zugemachten Augen gab, der schämte sich, so wenig
zu geben, als er in den bedeckenden Fingern mir auf den Altar heraufreichte
-- aber, mein Gott! ich bedurfte das Geld, und seufzte, wenn ich es so
geschwind durchzählen konnte, und es für den Herrn Sohn auf der --
Pferdeakademie nicht langte, denn er lernte reiten; oder nicht langte zu
dem bestellten Weihnachtsgeschenk für die Frau . . . . und morgen ging die
Post! Darum segnete ich die Tochter mit feurigem Dank für meine Erlösung
und bat: daß alle Geistlichen so liebe Töchter hätten, auch so liebe
Amerikaner fänden, um Alle, Alle im Geldsinn, nicht im Weltsinn umsonst zu
predigen, umsonst Wein und Oblaten auszutheilen, umsonst kleine Kinder zu
taufen, kurz, Alle von Judas Ischariot's Sünde erlöst zu werden -- wie ich
nun schien. Ich schlief die Nacht in einem Rosengarten, der in Amerika lag;
denn im Traume sah ich ungeheure Ströme, Höhlen, Wälder, Wasserfälle,
Blumen und Bäume, tausend Wunder, Alles mir neu -- und selbst meine Tochter
wandelte dort, nebst einem Häuflein Kinder, aber mit dem Prinzen Hand in
Hand, der sie dort in seiner Provinz, wohin er sein ganzes Völkchen
übergesiedelt, als redlicher einfacher Herr Leuthold geheirathet hatte --
-- -- und ich küßte ihm die Hand, aber er gab mir mit meiner Tochter Hand
eine Ohrfeige, und die Hand war eiskalt! -- So etwas mußte am Tage mir
still durch die Seele gefahren seyn, ich meine nicht die Ohrfeige, sondern,
daß die lieben Kinder ein schönes Paar wären!

Der Amerikaner sagte mir am Morgen nichts Näheres, Gewisseres über seine
Verlobung -- bloß, daß unser Schiff fertig liege, und daß der Wind nur nach
Ost umzusetzen brauche. Freund Weber, vom Fürsten beschäftigt, konnte mir
auch kein Wörtchen sagen, als: der hergeeilte Vater will den armen Leuthold
nach Hause bringen oder zwingen. So kamen wir, ich, meine Tochter, Erwin,
von seinem Wilberforce und nun seinem Tolera begleitet, am Ufer der Weser
zu einer herzzerreißenden und doch herzerfreuenden Scene. Der junge
Leuthold kam uns düster und allein entgegen. Er blieb bei uns stehen, wir
lasen in seiner Seele, aber nicht laut, und deuteten lieber auf etwas auf
dem Strome, den Knaben, dem er gestern mit seinem Bruder die Überfahrt zu
seinem Vater in Kentucky besorgt hatte. Wir kannten den Anselm an seiner
Kleidung, ja am Gesicht; sein Bruder Wilhelm fischte mit ihm.
Wahrscheinlich hatten sie einen großen Lachs gefangen und der ältere Bruder
beugte sich über, er konnte die Last nicht erheben, er wollte sie nicht
fahren lassen, während der kleinere Bruder im Strome den Kahn nicht zu
halten vermochte. Uns verging der Athem vor Angst. Er machte eine
Anstrengung nach dem Fisch und stürzte in die Wogen des tiefen und breiten
Stromes. Den kleinen Knaben führte die Strömung im Kahne davon. Der
Verschwundene kam nicht herauf. Endlich, endlich erschien das schwarze
kleine Haupt -- das wieder überspielt ward, dann wieder einmal eine Hand --
wie Geisterzeichen aus einer Mauer -- endlich zwei Hände. Und indem wir
starr hinblicken, ohne an Hülfe zu denken, erblicken wir eine Gestalt in
der Gegend des Knaben -- meine Tochter ruft gedämpft! es ist der Prinz! und
fällt dem Amerikaner um den Hals und verbirgt ihr Gesicht an seiner Brust,
und so hält sie ihn auf. Indeß seh' ich allein das Traurige. Der
menschenfreundliche Leuthold ist uns entschlichen, ist weiter unterhalb in
den Strom gesprungen -- weil kein Kahn hier steht -- und hat sich gewiß
gefährlich gestoßen an einem ungeheuren Pfahl; denn aus seinen
gelegentlichen Worten von gestern weiß ich, daß er schwimmen kann -- und
jetzt doch dort draußen mitten auf dem Wasser hält er sich kaum. Er rudert;
vergeblich. Er sucht; vergeblich. Er bedarf selbst der Hülfe. Der
Amerikaner sieht, was vorgeht, über die Achseln seiner Braut, oder doch
meiner Tochter. Eine seiner Wangen ist glühend roth, die andere weiß -- er
hat ein Auge geschlossen, eins hat er mitleidig offen. Ich rede zu ihm an
das linke Ohr und frage: »kann Wilberforce nicht schwimmen?« -- ich erwarte
keine Antwort, gehe vor Eifer auf die andre Seite. »Wilberforce!« rufe ich.
Das hat nun auf dem rechten Ohre der sonderbare, halbtodte, halblebendige,
halbfrohe, halbtraurige Erwin gehört -- er winkt, und der Neger, der sich
schon bereitet hat, theilt sicher und flink, wie ein Reh, die Fluth --
endlich, endlich kommt er auf die gefährliche Mitte. Ich habe nicht Augen
genug, wie es sich ereignen wird, schon ereignet hat. Ein Kahn ist vom
jenseitigen Ufer herüber gekommen zu Hülfe. Der Neger hat den rettenden
Jüngling ergriffen, er zieht ihn nach. Aber Leuthold, Kindhold,
Menschenhold hat den Knaben mit seiner Hand an der Hand und zieht ihn nach.
Ich jauchze: sie leben! Er lebt! -- Meine Tochter schlägt die Augen auf und
sieht mich an. Sie lehnt sich nicht mehr an ihres Bräutigams Brust. Sie
sieht nun selbst -- der Jüngling wird von den Schiffern in den Kahn gehoben
-- aufrecht gesetzt, oder setzt er sich selbst; der Knabe wird zu seinen
Füßen gelegt, und ist nicht zu sehn. Der Neger schwingt sich in den Kahn.
Sie rudern schnell. Sie kommen. Sie nahen. Sie landen. Sie springen ans
Land. Selber der Knabe kommt wie betrunken getaumelt. Maria faßt ihn in
ihre Arme, so naß er ist. Er drückt sich die schwarzen Locken aus. Leuthold
bleibt ruhig in dem Kahn. Ich steige hinein. Der Amerikaner steigt hinein
-- der schöne Jüngling ist ertrunken, und seine schöne Hoffnung ist dahin,
ins Land der Hoffnung, oder war sie zuvor schon dahin. Und die Hoffnung
vieler Tausend. Durch den Vater.

Der Bruder des Knaben kommt am Ufer heraufgelaufen. Er ist weiter unten
glücklich gelandet. Es freut uns nicht. Hülfe kommt; ein Wundarzt; es freut
uns nicht. Das edle purpurne Blut fließt aus dem entblößten mädchenweißen
Arm des blassen schönen Jünglings; die Hülfe bleibt vergebens -- es betrübt
uns nicht. Der Vater, der Fürst kommt. Es betrübt uns nicht. Es ist sein
einziger Sohn; er hat nicht Viele retten sollen -- Einen zu retten, dem er
schon Freude gemacht, dem er Vater und Vaterland wiedergeschenkt, das hat
er nicht unterlassen können; die abgeschnittene Rebe hat in der engen
einzelnen That sich ausgeweint. Meine Tochter weint. Sie soll mit dem
Bräutigam gehen. Sie hat sein Wort nicht gehört. Er geht allein. Der Fürst
schenkt dem Neger seine goldene Uhr; Wilberforce läuft seinem Herren nach,
zeigt sie und frägt: ob er sie behalten dürfe? Der wirft sie gelassen in
den Strom und geht. Jetzt eilen wir nach. Wir kommen zusammen nach Hause.
Er hat vorher geschwiegen. Er schweigt auch jetzt. Er steht nur einmal
still, blickt freundlich ernst auf den Boden -- und ist dann der Vorige! So
hing denn auch dieses hin, wie so Vieles in der Welt hinhängt,
unausgemacht, ungewiß, selber die Sonne am Himmel.

Tolera berichtete am folgenden Tage, daß sich die Auswanderer alle
bereiteten, mit Leuthold zu Grabe zu gehen, der ihnen so manches Gute
gethan, wie sich jetzt erst hervorthat. Der Leichenzug wäre merkwürdig
gewesen. Besonders wenn die guten Deutschen, wenn Diese noch so genannt
werden durften, gewußt hätten, daß er ein Prinz sey, der einmal sich an die
Spitze des Volkes zu stellen entschlossen war, um Volkswillen auszuführen,
nämlich das Volk, wie Moses aus Ägypten. Wir unter uns glaubten, der Vater
werde ihn in dem Bleikeller der hohen Domkirche beisetzen lassen, damit er
dort unverweslich und unverwandelt als die größte Merkwürdigkeit ruhe und
lehre. Der Vater war aber durch des Sohnes Tod, das Andenken an ihn, das
Hineindenken in ihn so zum Sohne geworden, daß er ihn wenigstens in den
Freistaaten begraben lassen wollte. Aber Amerika weiset die Todten von
sich; kein Schiffer schifft sie hinüber. Das nennt man Aberglauben. Ich
hatte die Ehre mit meiner Tochter, den Vater an demselben Abend bei meinem
Freunde zu sehen, als Leuthold nach der Gruft seiner Ahnen abgeführt
worden. Da ihm als Incognito Niemand besonders krumme Rücken und
jämmerlich-unterthänige Redensarten zeigte, so sahe man hier, was
Behandlung, die Art des Selbstbenehmens, thut. Er war fast wie wir andern.
Es waren an diesem Tage mehrere reiche Auswanderer angekommen, denen keine
leiblichen Güter fehlten, also nur die geistigen Güter; denn es waren
bekannte hochgebildete Männer, und Frauen darunter!

Der Fürst erzählte, er habe mit ihnen gesprochen -- und solcher Deutschen
Auswanderung habe ihn frappirt -- an das Herz geschlagen. Und wie schlugen
mir seine Worte an's Herz! »Europa,« sprach er, »Europa ist das Land wo
alle Rechtsinstitutionen zuerst im Großen auf Völker angewendet worden
sind. Seit einem Jahrtausend hat es sogar versucht, die Religion auf den
Staat anzuwenden, in jedes Haus, an jeden Heerd, bis in das Gewissen jedes
Menschen eindringend. Das sind denn wohl ungeheure, höchst ehrwürdige
Versuche! Daß ihr Gelingen aber nicht möglich war, und seyn wird, daß
Europa an dem Widerstreit seiner alten, ersten und nun hinzugekommenen
entwickelten Institutionen untergehen wird und muß, deswegen grade sey es
glücklicheren, durch keine alten Fesseln gehemmten Völkern desto
ehrwürdiger -- weil es rechtlich war! Es hat den Begriff des Rechtes
festgehalten, und heilig das Erworbene, Überkommene geehrt; ob es gleich in
späterer Zeit nicht neu ertheilt worden wäre, so hat es doch das Bestehende
geschützt -- um Keinen zu kränken, und lieber den Anschein haben wollen:
als kenne es nicht das Reine, Vollkommene; lieber im Kampf mit Ablösung
alter Asiatischer Gebrechen untergehen, als mit dem Schritt zu einem
Zustande, wie er den Einsichten der _entwickelten Menschheit_ angemessen
wäre, die Verbindlichkeiten seiner Erblasser abschütteln, und groß, frei,
herrlich . . . . aber _schuldig_ und verschuldet dastehn. Indeß sichern ihm
seine niedergelegten Beweise von Kenntniß des Höchsten: die Achtung des
Geistes überall; und sein _Verhalten_: den Adel des Herzens; und sein
Schicksal und seine Verlassenschaft: die ewige Dankbarkeit aller spätern
Völker. Und seine Grabschrift wird seyn: Es that, was Recht war; darüber
ging es zu Grunde, der Welt zum Opfer. Have, anima pia!«

Er schwieg. Er dachte gewiß an seinen Sohn, denn er sprach noch einmal mit
feuchten Augen auf Deutsch: »Ruhe sanft, du gute Seele!«

In dieser wehmüthigen Pause zogen grade die Studenten nach Elsfleth
vorüber, um sich diese Nacht noch einzuschiffen. Wir hörten die ersten und
letzten Verse ihres Liedes nicht, nur diese beiden, die mit Kraft und Jubel
gesungen, nicht ohne Eindruck blieben:

   Dem Menschen ist nichts angeboren,
   Als Maul und Nase, Aug' und Ohren
   Et caetera! Et caetera!
   Und hat er nicht den Kopf verloren,
   So steht der Bursch stets neugeboren
   In Galla da! In Galla da!

   Dem Menschen ist viel _ein_geboren --
   Ein Leben, frei und unbeschoren
   Et caetera! Et caetera!
   Wo guter Wein gut ausgegohren,
   Da singt der Bursch, wie neugeboren:
   Halleluja! Halleluja!

»Die guten jungen Menschen!« sagte der Fürst. »Wirklich: junge _Menschen_!
Sie kommen mir so unschuldig vor, wie der Lebensbalsam, der nicht in der
Retorte bleiben kann, in welcher er bereitet worden, sondern übergeht! Auch
keine Blume blüht in der Erde, in der sie gekeimt. Dann ist die ganze Natur
treulos, wenn diese jungen Blumen, jungen Menschen treulos sind. Diese alle
fliehen den langweiligen unsichern Proceß, das Recht zu gewinnen. Und
. . . . sie wollen des Lebens positive Güter. Und wie kommen mir Alle, alle
die Auswanderer so fromm vor, gar so fromm! Sie murren nicht, sie tadeln
nicht, sie klagen nicht! Sie leiden! Sie meiden! _Sie gehn_! Geht mit Gott!
Ruhe fordert der Mensch mit Recht; Ruhe seit uralten Tagen; Ruhe zu eigenem
thätigem Leben. Und darum Sicherheit -- heitere Aussicht -- Lämmer am
Himmel, nicht Kriegsgestalten. Und hätten wir nicht Alle die Ruhe verdient?
Ist es nicht unmenschlich, dem nicht die Ruhe zu gönnen, der sie erlangen
kann, der gern arbeiten will, daß ihm das Blut aus den Nägeln dringt, um
nur Ruhe zu haben. Die Ruhe ist ein inneres Gut. Und wäre ich so reich, um
Jedem sein halbes Brot da drüben zu sichern, und wäre der Mantel des Doctor
Faust noch im Gange, daß Jeder gleich drüben erwachen könnte mit allen den
Seinen, und früh zu dem Fenster hinaus sehn -- wie viele Ämter würden früh
ohne Männer seyn. Pfarrämter, Gerichtsämter, selber mancher Ministerstuhl
würde leer stehn. Und nur die, welche vom Wirrwarr, vom Kritisiren leben,
die würden, sich dann doppelt breit und groß machen, wie Kinder, die auf
dem Kirchhofe den Geist spielen, und das Betttuch auf dem Rechen
emporstrecken. Indessen ist das Meer eine Art von Zaubermantel. Die Reichen
ziehen fort, um ihres Wohlstandes sich drüben doppelt zu freuen, doppelt
reich zu seyn -- leiblich und geistig. Selber die Besten ziehen fort, die
da glauben, daß es in Europa gewiß gut werden wird, ja daß die deutschen
»Vereinigten Staaten« die Amerikanischen himmelhoch übertreffen werden.
Aber da hört' ich ein Lied derselben, das heißt:

   Und selber die Leiden
   Und Wehen vom Neuen --
   Die wollen wir meiden;
   Dort Deiner uns freuen
   Wie Hirten vom Feld --
   _Du geborener Held_!

Und sie glauben also: Wir müssen durch den großen Umschwung in Europa uns
viel mehr verwandeln, aus Mangel an Kopf oder Geld von dem in Schwung
gebrachten Rade zur Seite geschleudert, als wir uns dort verwandeln müssen,
nämlich nur die Augen aufmachen! Die Armen aber, sie finden drüben die oft
uns genannten zehn Plagen nicht. In Amerika sind nicht: Europäische
Politik; stehende Heere; zu kostspielige Hofhaltung;
Aristokratenherrschaft; papistische Umtriebe und Priesterherrschaft;
Staatsschulden; Staatspapiere; Handelssperre durch directe und indirecte
Abgaben; Ungleichheit der Besteuerung; Ungleichheit vor dem Gesetz. --
_Nichts_ ist _Viel_. Viel ist Nichts. -- So gehen sie denn. Und mit
doppeltem Eindruck wiederholte er seine Worte: Sie murren nicht, sie tadeln
nicht, sie klagen nicht. -- Sie leiden! Sie meiden. _Sie gehn_. Geht mit
Gott! Gott ist gewiß auch über dem Wasser!«

Zu diesem Worte, das uns an den Alten-Weiber-Spruch erinnerte, mußten wir
beinahe lachen. Er schloß aber ernst:

   »Denn keusche Reinheit, zarter Göttersinn
   Wohnt in dem armen menschlichen Geschlecht.
   Im stillen sanft, im Ganzen allverbreitet
   Laß es das Leben allgemach sich schmücken
   Auf reinstem Wege, wie dem Menschen ziemt.
   Die Einzelnen nur mögen Reue fühlen,
   Dem menschlichen Geschlecht ziemt Reue nicht,
   Ziemt alles Große, Würdige und Schöne;
   Und sicher seines Tags, in mildem Stolz,
   So wandelt's rein zum reinsten Erdenglück.«

Ich führe diese Gesinnungen deswegen an, weil sie darauf einen geheimen
Contract zwischen dem Vater des Leuthold und Herrn Erwin zur Folge hatten,
worunter ich mich nur als Zeuge mit unterschreiben mußte, ohne jetzt mehr
zu erfahren, als daß beide Theile dabei das Beste ihres resp. Vaterlandes
besonders im Werke führten. So viel jedoch konnte ich mir abnehmen, daß die
Sache einen Austausch von Einwohnern oder Unterthanen betraf, wie sie für
jedes Land am zweckmäßigsten wäre! Ich sollte dabei höchlich interessirt
seyn, und vorzüglich wirken. Ich! Und somit ward ich in die Welt
verwickelt. Wer lebt, kann in Alles gerathen. Ein Kind kann groß wachsen,
ein Erwachsener kann Soldat werden, ein Soldat kann -- Nelson erschießen!
oder Moreau! die auch einmal Jungen gewesen sind. Denn dieß ganze
Geschlecht besteht aus großgewachsenen Jungen und Mädchen, und die Kinder
spielen nun Leute. Darum kann ich immer keinen rechten Respect vor allen
den Herren bekommen! Und was ich selber thue, kommt mir immer nur wie ein
großer Kinderstreich vor! Und wenn mich ein alter Bauer »Hochwürden«
nannte, so mußte ich mich recht zusammennehmen, um das Amtsgesicht zu
machen! Wie mag das dem Papst erst schwer werden! Nur nicht, wenn er
bedenkt, daß alle seine Vorfahren und Pfaffen ja eigentlich auch nur Kinder
sind. Im Nebenzimmer, unter vier Augen steckte mir der Fürst den kostbaren
Ring an den Finger, den sein Leuthold getragen -- als ein Andenken für
meine schöne liebe Tochter an ihn. Die Vornehmen erfahren und vermuthen
doch Alles, weil Jeder sie für seinen Beichtvater hält, dem er Alles aus
dem Herzen schütten muß, und der alle Sünden vergeben kann. So war auch
meine Tochter verrathen -- oder ihr zur Ehre nur der gute Leuthold. Ich
kehrte aber die großen funkelnden Steine des Ringes in das Inwendige der
Hand -- und mußte noch obendrein mich bedanken. Es kam aber nicht besonders
heraus. Mehr Freude machte mir ein Beutelchen Gold zum Abschiedsfest der
Auswanderer im Lager, damit sie »Einen guten Tag« in Deutschland, hätten.
Und wir Andern, die sich selbst hinauspracticirenden Adligen, die
Wohlhabenden, kurz wir Alle feierten das Abschiedsfest mit ihnen, unter
ihnen als alle nun: Neue Landsleute! Amerikaner! Das Fest war sehenswerth,
mehr aber hörenswerth, am meisten jedoch bedenkenswerth.

Ein weißer weiter Frühlingsnebel bedeckte das Vaterland am Einschiffmorgen.
Wir sahen die Sonne nicht mehr. Nur einzelne Stimmen ließen sich vernehmen,
und ein gewisser Krüppel sang wieder sein unvergessenes Lied: Frisch auf,
Cameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen! --
Wir umarmten die bleibenden Freunde am Ufer, empfahlen ihnen die
Abschiedsbriefe in die Heimath, und saßen dann wie die alten Helden -- im
Pferdebauch. Kanonenschüsse donnerten, so daß wir in der Seele recht hell
erwachten und einen Blick in die Welt thaten. Der Lootse, ein Kerl wie ein
Bär aus Helgoland, sprang aus dem Nebel auf das Verdeck, der Anker ward
eingeladen und wir schwammen! Das nächste Land, das wir sahen, war Amerika,
und dazwischen lag nur die Meereswüste, wie vor den Kindern Israel ihre
Sandwüste, um in der einsamen heiligen Zeit unsere Sünden abzubüßen und
neue gute Entschlüsse zu fassen. O Weltmeer, mit deinem blauen Gewölbe,
worin des Tages nur Eine große Lampe vorübergetragen wird, und des Nachts
viel tausend goldene Lampen -- welcher Tempel vergleicht sich dir! Wo man
den Menschen vergißt, da erscheint Gott! Und Deutschland lag mit seinem
Gewimmel, seinen Thürmen und Hütten hinter uns, wie den Nachhauseziehenden
eine kleine Stadt mit ihrem verlöschenden Jahrmarkt, wenn es drinnen
finster werden will. Nur als draußen auf offener See am Abend der Mond aus
der Fluth aufstieg, als ich glaubte zu Hause zu seyn, und nur die Tochter
neben mir stand, da wurden die Augen mir feucht, und ich lehnte mich an
sie. O was ist ein Kind in der Fremde! Wir sehen uns an -- und wir reisen
nicht; wir sind daheim; da wo wir auch zu Hause daheim sind, wenn wir uns
ansehn. Nur die Mutter hatte mir das Herz schwer gemacht; denn das
Postschiff hatte uns draußen bei Wangerooge noch eingeholt, Briefe
nachgebracht -- und meine Frau schrieb mir: »Ich komme! Segle vor dem
Zwanzigsten ja nicht ab! Ich bringe unsern Gustav Adolph mit. Es hat sich
hier viel verändert!« -- Und das las ich bei vollem Winde den Achten des
Monats! Zwölf Tage zu spät! Ich hatte ihr geschrieben, daß Steinbach unsere
Tochter zur Frau von mir begehrt, und daß ich sie ihm zugesagt. Das war
gewiß Eine von den Veränderungen, die sie bestimmt hatten, mir sogleich
nachzufolgen. Und nun war ich fort! Mit einem schweren Seufzer mußte ich
auch Das gut seyn lassen, wie tausend Andere in der Heimath! Ich verschwieg
aber der Tochter die Nachkunft der Mutter, meine Sorge und die Verwirrung,
welche nun entstehen mußte. Die Männer müssen verstehen, das Schwerste
allein zu tragen. Darum sind auch noch die Weiber und Kinder so lustig in
Deutschland. Dafür wußte ich Einem Vater drüben Freude zu machen, durch die
zwei Knaben, den Anselm und Wilhelm, die mir anvertraut waren. Vom
Schulmeister Tolera unterstützt, hielt ich Vor- und Nachmittags
Schiffsschule mit den Kindern der Auswanderer, und trieb vorzüglich nur
Neueweltkunde, Geographie und Naturgeschichte. Die Kinder lernten alle wie
Genie's! Denn das Interesse lag vor uns -- nicht rückwärts! Das ist die
Ursache, daß so viele Candidaten, besonders der heiligen Theologie, den
Repuls bekommen! Die Ältern hier aber erlebten Freude und saßen mit
gefalteten Händen an den Borden umher. Bisweilen sangen in der Morgen- und
Abendstunde auch die Rothkehlchen dazu, und die Staare schwatzten. Denn ein
Freund der Natur hatte eine kleine Arche voll Singvögel mit eingeschifft:
Leipziger Lerchen, 50, je ein Männlein und ein Fräulein; Polnische
Sprosser, 50, je ein Männlein und ein Fräulein. Bayersche Staare! Und
Oberlausitzer Haidelerchen, die Vögel mit dem wehmüthigsten Gesange auf
Erden! Und auch den fröhlichsten, liebsten Vogel der Kinder -- den Kukuk!
12, je ein Männlein und ein Fräulein.

War der Mann mehr ein Menschenfreund? Oder ein Freund der Vögel, der diesen
da drüben neue unermeßliche Wälder schenken wollte? Ich weinte fast, wenn
ich die lieben Sänger ansah, und war voll von tausend Frühlingen. Der
Inhaber derselben frug mich lächelnd: »Bin ich der Herr von Habenichts? Ich
will durchaus wissen, ob ich drüben der Herr von Kannnichts seyn werde; das
will ich wagen und prüfen! Die geheime Macht ist die größte; und das
geheime Wissen und Können, was Jedem einwohnt, ohne daß er es weiß -- das
ist das Herrlichste. Was für ein Esel hat mein Ahn und Ihr Ahn -- Adam
geglaubt zu seyn, als ihn der Engel zur Auswanderung aus dem Paradiese
genöthigt; und ward er nicht ein herrlicher Landpfleger in Asia, der
Normalbauer, auch Schaafzüchter der Heidenheit! Und o wie schwer mußte dem
Herrn von Adam das Leben unter nicht einmal bürgerlichen, sondern
thierischen Canaillen werden -- da er das Paradies geschaut hatte und
drinnen gelebt! Wie viel tausendmal besser haben es wir -- die wir bei uns
nichts vom Paradiese gesehen haben, als Schwarzkittel, Regimenter Engel mit
dem Schwerdt, und wenig Freudenhäuser -- als die privilegirten! Und ist
jeder Bauer im Schiff hier nicht ein Auserwählter des Herrn, wie Noah in
seinem Kasten! Damit wir gesegnet würden, durften Millionen nicht ersaufen,
sie durften _auf trockenem Lande_ bleiben! Und was fand Noah, als er
ausstieg? -- Recta Nichts! Und was finden wir? -- Recta Alles! Bis auf die
Singvögel, und die bringe Ich!«

Zur Ergötzlichkeit der Andern wurden fast alle Gespräche öffentlich
gehalten, und ich erstaunte, wie bald sich der Mensch an Redefreiheit
gewöhnt. Die alten ertragenen Leiden waren unleugbar überstanden, und wie
man von Todten spricht, so redeten hier die Leute von Europäern und
Europäischen Dingen: das _waren_ große Schulden -- das _waren_ schwere
Zeiten -- das _waren_ schlechte Aussichten. Kurz, der liebe Schiller ist
nie zur See gefahren, sonst hätte er wahrer gesungen: »Auf dem _Meere_ ist
Freiheit!« -- Uns war es die Freiheitsschule.

Wir waren schon mehrere Wochen gesegelt, und Anselm wußte, wie wir Alle,
daß Amerika da sey, wenn die Wache aus dem Mastkorbe riefe: _Land_! Da rief
sie nach einem schweren Gewitter einst: Land! Land! -- Es konnten diesmal,
da uns der Sturm zur Seite gedrückt, jedoch nur erst die azorischen Inseln
seyn. Der Knabe aber stieg in die Strickleitern hinauf -- sahe Land, sah in
seiner Meinung das heiß ersehnte Amerika -- er dachte gewiß an seinen
Vater, wollte gewiß die Hände ausstrecken, hatte sich also nicht mehr
angehalten, und so war der arme, vor Freude taumelnde Knabe herabgestürzt
auf die harten Bohlen, und wir hatten einen Halbtodten im Schiff, den der
Arzt herzustellen nicht gewiß versprach. Ich bekam eine Nothtaufe; darum
schrieb ich zu den andern Regeln für Überfahrer auch die: nur geborene
Menschen mitzunehmen. Der Sturm hatte in der Ferne wo ein Schiff
zerbrochen, und in der darauf folgenden gänzlichen Windstille erkannten wir
endlich einen Menschen, der, mit einem Schwimmgürtel versehen, sein Leben
gerettet hatte. Ich fuhr im Boote mit hinaus ihn aufzufischen. Welch ein
Mensch! Alle die Seinen waren umgekommen. Er hatte in einer Tasche vor der
Brust noch Lebensmittel auf viele Tage. Sein erstes Wort war: »Niemand muß
sich allein retten. Das ist schändlich, unausstehlich!« Der Mann sah
furchtbar aus. Er trug einen leichten Panzer, über und über mit
Stahlstacheln gegen die Angriffe der Seeungeheuer, womit er auch schon zu
Lande, in Wäldern und Sümpfen, jeder Schlange, jedem Bäre getrotzt. Er
erzählte uns im Schiffe seine Abenteuer. Trotz dem, daß er der größte
Wagehals schien, war er doch nur der größte Gottfried Sicher gewesen und
nannte sich selbst den größten Feigling. Auch uns Auswanderern wollte er
seinen Namen wie einen großen Mantel umwerfen, daß wir ausgewandert wären.
Seine Worte waren schneidend. Er gab mir eines Abends seine
Lebensbeschreibung in einer Glasbouteille »Leben eines Wagehalses«, und am
andern Morgen war er, so sehr wir auch überall suchten, doch nirgends auf
dem Schiffe zu finden. Viele hielten ihn für eine Geistererscheinung, die
einem von uns den Tod bedeute. Andere konnten über das untergegangene
Schiff nur beruhigt werden, daß sie von Seekundigen hörten: »Erst das
hundertste Schiff scheitert, und von hundert gescheiterten Schiffen kommt
erst die Mannschaft von Einem um. So steht die Seerechnung!«

Ein ander Seegesicht darauf erfreute und bestürzte mich bang! Ein Schiff
segelte unter dem Winde an uns vorüber. Nicht fünfhundert Schritt weit. Die
helle Morgensonne schien hinein. Ein Schiff ist auf der See eine
Merkwürdigkeit. Nach meiner Gewohnheit sahe ich mit dem Fernrohr hinüber in
die rosig und saffranfarbig glühenden Segel. Auch die Reisenden sahen nach
uns herüber; Frauen, Knaben, die Gesichter nach uns gewandt. Endlich
erblicke ich, ein Gesicht -- Gott! es war mein Weib! Ich konnte vor Beben
kaum sehen, wie ihr die Augen leuchteten! Wie sie sehnsuchtblaß aussah. Sie
hielt die Hand auf den Kopf meines Sohnes. Aber ach! sie vermuthete uns
nicht, und sahe sofort herüber in stillem Trübsinn. Das Meer rauschte; der
Wind sauste. Ich wollte durch das Sprachrohr dennoch versuchen ihr
zuzurufen, mich ihr bemerklich zu machen, sie wenigstens zu grüßen! Ich
rief meine Tochter, ich sagte ihr: Kniee nieder! siehe hinüber, da steht
ein Weib . . . . wie unsere Mutter. Sie sahe hinüber -- sie hatte eben das
Mutterantlitz gefunden, da wendete sich das Schiff und zeigte uns das
Steuerruder. Es rauschte mit Flügeln, des Sturmes davon. Maria sah mich an.
Und ich faßte mich, ich verrieth ihr nichts; und so wußte sie ruhig die
Mutter daheim bei den Brüdern. Ich aber besann mich, daß die Mutter ja
wußte, wir segelten nach Neu-Orleans. »Also auf fröhliches Wiedersehen in
einer bessern Welt!« sprach ich gedankenlos. Und so hatte ich richtig
geahnt. Ich hatte sie zum letztenmale gesehen!

Darauf überfiel uns wieder tagelange Windstille. Unser Schiff schien wie
ein Schwan auf dem Wasser zu schlafen. Die Tage waren schon heiß. Anselm
ward kränker; Er ließ sich noch von seinem Bruder Wilhelm das Lied von der
Schwalbe vorsingen, und die andern Knaben sangen es mit; Und für seinen
Vater hörte ich weinend die letzten Verse mit an:

   Da laß ich mich ihn fangen;
   Die Mutter küßt mich sehr!
   Drauf soll ich wieder fliegen --
   Da bin ich schon nicht mehr!
   Da steht sie tief betroffen,
   Denkt bang an mich und schwer;
   Begräbt mich bei dem Weinstock --
   Der sagt ihr: daß Ich's wär'! --

Unter diesem Gesange war er gestorben, ohne auch todt noch zu seinem
ersehnten Vater zu kommen; Denn wir begruben ihn darauf, wie man auf dem
Schiffe begraben kann, in Gottes heilige See! Auf ein Bret gebunden, das
mit Steinen beschwert war, um zu Grunde zu gehen, in ein weißes Tuch
geschlagen, das Gesicht unverhüllt, versenkten wir ihn in die heilige
Tiefe. Es war nicht zu weit mehr von der südlichen Spitze von Ostflorida,
dem Eingang in den Meerbusen von Mexiko, oder in das neue mittelländische
Meer von Amerika, in einem Clima wie in Ägypten. Die See war nicht zu tief
und bei der Klarheit des Himmels und der Klarheit des Wassers glaubten wir
den Grund des Meeres zu sehen; oder wie wir mit Erstaunen und Bewunderung
wahrnahmen: sie trug ihren Grund oben! Und welchen Grund! Welche
Zaubergärten! Gesträuche und Wasserpflanzen mit köstlichen großen Blumen,
wie Kindergesichter, blühten und schwankten leis, ob sie gleich alle aus
Edelsteinen gemacht schienen! Blätter, breit und gezänkelt, wie aus Rubin!
Zweige, wie aus Gold und Rauchtopas! Blüthen und Blumen, wie aus Milch oder
Schnee -- aber Alles, Alles mit einem Anhauch von Smaragdgrün überflossen,
wie die Pflaume von blauem Hauch. Und im lichten goldnen Sonnenstrahl
funkelte der Zaubergarten golden und blau und grün und roth, wie besät mit
funkelndem, strahlendem Thau! -- Da hinab -- in dies Paradies, das, hierher
in das heilige Meer, verzaubert, so himmlisch und ruhig fortblüht -- da
hinab versenkten wir die weiße Gestalt des schönen Knaben; noch einmal so
wohlgemuth durch das tröstliche Wunderspiel der Natur. Das Schiff stand in
der Windstille, wie angewachsen, und so sahen wir, wie er losgelassen von
den Seilen sank und sank und sank! Wie das weiße Gebild gemach und leise
grünlich ward vom Scheine des Meeres, und grüner, und endlich kräftig grün,
wie sonnedurchschienener Smaragd. Endlich ruhte er, wie ein großes
funkelndes schönes Gestirn, auf schwankenden Zweigen, wie eingewiegt von
lieblichen Zaubergestalten von guten Geistern, die sich, in große Blumen
verwandelt, ihm weich und hold, öffneten, sich reizend über ihn neigten,
und über ihm schlossen. Alles war so wunderbar, daß wir uns nicht gewundert
hätten, wenn die Zaubergebilde da drunten nun auch mit heiligen zarten
Stimmen gesungen hätten! Selbst nicht, wenn sie den Menschenvers gesungen:
»Wer will mir nun den Himmel rauben?« Alles schwieg sofort. Er blieb da
drunten sofort und die Augen vergingen uns über der Pracht. Da kam ein
Lüftchen, kräuselte das Meer -- und Alles war hin! Ein schönes Grab! Ein
schöner Tod, der Tod vor Sehnsucht! Aber ich hatte noch einen Knaben für
seinen Vater. Und der Knabe war nicht lange begraben, so schrie die Wache
vom Mastkorb: Land! Land! Licht! -- Denn es war Nacht. Und in der Nacht
fuhren wir um die Spitze von Florida, diesem papstlosen Italien der neuen
Welt, dessen Sicilien Cuba heißt.

Die leicht anzulegende Durchfahrt quer durch Florida wäre sehr zu wünschen!
Denn im Canal von Bahama wurden wir so von Wind und Wogen gepeinigt, daß
der wieder seekranke arme Tolera sich mit den Armen an mich anhielt, mir in
die Augen sah und frug: »Mein Herr Pastor! was müßte wohl Einer an
Hochwürden bezahlen, wenn er Sie zu Hause auf Ihrem Hofe in einen Kasten
sperren und fünf Wochen lang Hochwürden Tag und Nacht dermaßen schütteln
und rütteln wollte, daß Sie die Welt für einen Dreier verkauften? Ich
glaube, schweres Geld!«

Das heißt Krieg, sagte Napoleon, sprach ich, und das heißt Seefahren, und
man kommt wohin, und wohin? mein Tolera! Denk' Er doch! -- Am Morgen war
uns die Küste wieder zu dem heraufdämmernden Streifen eines Traumes
geworden. Die Hitze ward unausstehlich, und die dicksten Männer ließen sich
an Stricken unter dem Arme und an das Schiff gebunden eine Stunde lang
durch die frische Flut nachschwemmen. Unser Schiff ward gewaschen und neu
angestrichen, damit wir, wie Garden geputzt, wie von einem bloßen
Spaziergang heiter in das heitre Land einzögen.

Endlich erreichten wir die Mobile-Bay, und den Meerteich vor dem Hafen von
Neu-Orleans. Hüben und drüben grünende Küsten, flach wie Ägypten, mit
Tulpenbäumen, Akajous, Wachsmyrthen, mit Feigenbäumen, Orangenbäumen voll
Früchte, ja mit Palmen!

Wir begegneten ein großes Amerikanisches Kriegsschiff. Es war ein Man of
War, ein Seeheld vom ersten Rang. In schweigender Majestät. Und Tolera
sagte: Columbus sahe nur grüne Zweige treiben und schloß auf das Land.
Solche Früchte aber lassen auf einen Riesenbaum schließen. »Es leone
unguem!« Die Sonne stand uns im Rücken. Ein Frühlingsgewitter zog
segenverstreuend in's Land. Ein breiter, prachtvoller Regenbogen bildete
ein himmlisches Thor zu dem herrlichen Lande, hoch und weit geöffnet vor
uns, wie von bunten, hellen, dreifarbigen Blumen bekränzt! Vor Entzücken
glaubten wir selbst an dem himmlischen Thore die himmlische Überschrift mit
Gold geschrieben zu sehen:

FRIEDE. BROT. FREIHEIT.

Die Kanonen hallten. Wir waren da! Wir umarmten uns Alle durcheinander vor
Freuden! Wir weinten wieder einmal recht aus Herzens Grund, wie die Kinder.
So steuerte uns der Lootse in den Hafen, unter die hundert Schiffe, der
Stadt näher, nahe, dicht hinan. Wir hatten nicht Augen genug! Und als der
Anker fiel, als die Segel alle nach und nach eingezogen waren, als das
Schiff stand, -- als Alle aus tiefer Brust dem glücklichen Capitain das
»Hurrah!« riefen, da erwachte ich wie aus einem Traum. Ich rieb mir die
nassen Augen. Es überfiel mich mit Todesangst: Du bist fort! Ein tausend
Meilen breiter Meerschwall trennt dich . . . . ich wußte nicht von wem? von
was? Aber es lag eine Gewalt in dem stillen, unbekannten, verlornen Etwas,
daß ich in einen Winkel hinter das große Steuerrad ging und bitterlich
weinte. Auswandern -- sterben! Doch auch: Auferstehn! sprach ich wieder zu
mir. Steh' also auf aus dem Grabe! Steh' auf in der neuen Welt, mit neuem
Leibe und neuer Kinderseele!

Ein Gesundheitsbeamter kam -- er fand uns Alle gesund, und wir durften an's
Land! -- Aber bald murmelte es in der verworrenen Menge der an's Land zu
steigen Begierigen: »Das gelbe Fieber ist in der Stadt! das gelbe Fieber!«
Und vor Schrecken legten die Meisten ihre Bürden wieder hin und sahen sich
an. Es ward Abend über uns, und wir hatten uns nicht gerührt. Nur um den
großen Todtenstrom, den furchtbar angeschwollenen, fünftausend Fuß breiten
Missisippi zu sehn, dessen gewaltiges Rauschen und Tosen wir über den Damm
weg hörten, stiegen wir nach einander in den obersten Mastkorb. Große
Ströme und große Völker gelangen schwer in den Ocean der Zeit! Sie führen
zu viel Ballast mit sich, und verwälzen sich selbst ihr Ende mit Staub der
Erde. Nur hohe Dämme führten den gewaltigen Strom noch mühsam durch das
Delta, durch die vielen Bayous in's Meer, und nur weil er in Empörung war!
Sonst versiegt er wie der Ganges, wie der Nil, wie der Rhein, und wie ihre
Völker, und die Pest herrscht in Calcutta, in Ägypten und hier. Dies Ende
der Völker und Ströme, diese Lehre der Natur stimmte mich herzhaft! Ich
ließ meine Tochter in dem sichern anständigen Schiffe, selber Erwin bat sie
darum, und sie folgte doppelt gern. Ich mußte mein gutes Weib aufsuchen!
Meinen Knaben! Ich fuhr auf einem kleinen Boot mit einem Führer an die
Schiffe, welche in diesen Tagen vor uns schon Auswanderer mitgebracht. Ich
fand glücklich den Capitain, der mein Weib und Kind übergeführt. Er nannte
mir das Haus, wohin sie mit dem Knaben sich gewendet. Ich bat darauf meinen
Freund um seinen Neger Wilberforce; und sauber gekleidet und glühend im
Gesicht ging ich in der Abenddämmerung mit ihm dahin. Er trug meinen Mantel
und mein rothes Saffian-Kästchen. So drängten wir uns durch ein Gewirr von
Menschen, und daß ich auch so schändlich unterscheide -- durch unzählige
Sclaven, von welchen sehr viele nur Einen Arm hatten, der ihnen von ihren
Herren weggehauen worden, wenn sie ihn auch oft nur zufällig gegen
denselben erhoben. Alle wichen mir als einem Weißen aus, schon von Weitem.
Aber Alle sahen düster, ja gefährlich aus, und ihre Augen funkelten und
desto greller in der sinkenden Dämmerung. Das ersehnte war ein ziemlich
einsam stehendes prächtiges Haus mit großem Erker mit Spiegelscheiben, in
denen der Abendschein glühte. Der treue Wilberforce meldete mich unter dem
Namen eines französischen Obersten. Das sey der geringste Titel, den ich
mir geben müsse, meinte er. Ich dachte an das Wiener »Gnaden« und ließ es
geschehen. Ich ward angenommen. Alles prachtvoll im Hause! Kostbare
Teppiche auf der Treppe. Ein glänzendes Vorzimmer. Ein unbeschreiblich
liebliches Zimmer, worin ein Weib auf der Ottomane lag, sich halb
aufrichtete, als ich hereintrat; und als ich ihr näher trat, und ihr doch
noch zu fern stehen mochte, als daß sie in dem abendroth dämmernden Zimmer,
wie sie wünschte, mich sahe -- da stand sie ganz auf, und leise, leise bog
sie ihr Köpfchen vor. Es war mein Weib nicht. Aber da ich mit
unbeschreiblicher Sehnsucht, mit dem Lächeln, Jemand zu überraschen, mit
der Freude: Freude zu machen, mit großen, gewiß leuchtenden Augen nach ihr
gesehen, so hatte ich auch gesehen, daß es ein Weib war, schön, wie die
Kaiserin Josephine in ihrer blühendsten Jugend gewesen seyn mag; aber
solche Augen voll Seele, groß und mild, solch einen Wuchs, solche Glieder
hatte ich noch nie gesehen. Es war, ihrem nur wie mit einem Hauch vom
lichtesten, fast weißen Braun behauchten Gesicht, dem Hals und Nacken und
den Armen nach, eine Quarterone, die, ein Theil Indisch, zu drei Theilen
Weiß gemischt, meist zauberisch schön sind. Mit dieser Neugier, dieser
Verwunderung, ich will nicht sagen Bewunderung, sah ich sie an. Sie
lächelte, wie ich sie so ansah. Wir waren allein. Ich schlug die Augen
nieder. Dann glaubte ich Geräusch hinter den Vorhängen ihres Schlafcabinets
zu vernehmen -- und ich blickte mit Sehnsucht dahin! Aber es trat Niemand
heraus! Nur ein buntgefiederter Ara hatte sich in seinem Ringe geschaukelt
und mit der Kette gespielt. Sie hatte sich wieder gesetzt. Und ihr Blick
stieg jetzt langsam von meiner Fußspitze an mir herauf und blieb dann an
meinen fragenden Augen fest geheftet, bis jetzt _sie_ die Augen
niederschlug, und vor sich hinlächelte, wie ich nie gesehen.

Ich ward roth, ich fühlte es, über ein mögliches, wenn auch noch so
ehrenwerthes oder holdes Mißverständniß, und so wollte ich, alle Schleier
zerreißend, nun, leise jedoch, nach meinem Weibe, meinem Knaben fragen --
denn auch er stürzte dem Vater noch nicht in die Arme . . . . oder hatte
sie mich in dem Briefe gutmüthig getäuscht, oder ich mich gutmüthig im
Schiff -- aber wie dann doch der Capitain des Schiffes . . . . so überlegte
ich noch . . . . aber eben deswegen wollte ich ja fragen, fiel mir, von dem
jungen Weibe ganz Verworrenen ein -- da sprang sie plötzlich auf und stieß
einen Schrei aus; und wie erschrocken darüber, daß sie so laut geschrieen,
hielt sie sich doch gleich selbst mit der kleinen Hand den kleinen Mund zu
-- ich blickte im Zimmer umher -- es war hell! ich blickte nach dem Fenster
-- ich sah Gluth. Feuer ging auf in der Stadt. Schon schlug eine hohe Lohe
empor. Rauch quoll auf Rauch, und die Feuersäule stieg himmelan. --

Die schöne Frau zitterte am ganzen Leibe; ihre Zähnchen klapperten vor
Schrecken, und Furcht. -- »Sehen Sie dort! Dort auch!« -- sprach sie auf
französisch, mit gedämpfter, hastiger, ängstlicher Stimme, deren Drang und
Laut mich innig durchscholl und bewegte. Und als sie einige Schritt auf die
Gluth zu gethan, rief sie in höchster Bestürzung: »Und dort! Dort auch!« --

Sie sank auf ein Knie und verbarg ihr Gesicht in den Händen, und ihr volles
Haar fiel schwarz und auch wie schrecklich über sie herab, mit den Spitzen
bis auf den Teppich. -- »Ich bin verloren!« stöhnte sie. »Wir sind
verloren!«

-- Die Feuer sind weit! tröstete ich sie. Sie scheinen freilich angelegt.
Denn drei Gehöfte gehen an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit mit
demselben Stundenschlage auf. Aber man wird es löschen. Das Feuer ist dem
Menschen oder doch dem Wasser, unterthan.

»Ach, die Sclaven! die Sclaven! Sie stiften den Brand nur an, um uns zu
ermorden, um frei zu seyn!« sprach sie, in höchster Angst aufspringend,
irrte im Zimmer umher und rang die Hände. »Mein Mann ist todt; schon ein
Jahr. Er war hart. Ich bin gut. Aber sie haben es ihm nicht vergessen.
Sclavenrache ist fürchterlich! Die südlichen Staaten zittern vor ihren
Millionen Sclaven! Wohl hunderttausend sind hier in der Nähe! Und hier,
hier im Gehöft sind 63 Neger! Himmel! Sie singen ihr fürchterlich Lied!
Quillt nicht dort Rauch aus dem Dach? -- Ach, wie entflieh' ich? Retten Sie
mich! Ach, ich bin noch so jung! Ich lebte so gern, nun wollt' ich erst
leben, und soll nun sterben!«

Sie weinte. Und ehe ich nur so was denken konnte, lag das zitternde,
glühende, bebende Weib schon an meiner Brust . . . ihre Augen sahen
himmlisch bittend mit ihren schwarzen, großen Sternen aus dem großen,
reinen, feuchten Milchweiß zu mir auf . . . . ihre Lippen zuckten . . . sie
war ein Weib . . . . ich war ein Mensch . . . Lärmen von tausend dumpfen
Stimmen scholl her, die Gluth wuchs, als wenn die Wolken anbrennten, Wagen
eilten und rasselten, Glocken lauteten grell und ängstlich; »Alle Sclaven
bei Todesstrafe in die Häuser!« hörte ich deutlich unten rufen -- --
Schiller trat als Geist vor mich, ich erblickte sein blasses,
menschenfreundliches, keckes Gesicht deutlich, und er sprach deutlich.

   »-- Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht --
   Vor dem freien Menschen erzittert nicht!«

So etwas hatte ich mir nicht vorgestellt, nirgends, am wenigsten hier; aber
ich war mitten hinein geworfen, die junge Wittwe küßte meine Hände, sie
gelobte mir ewige Freundschaft, ewige Dankbarkeit, wie ein Weib sich nur
irgend bedanken könne, mit Allem, was sie habe und sei, wenn das zulange,
mir genug oder nicht genug sei . . . . . nur erretten sollt' ich sie,
retten . . . .

-- und ich war bereit.

Aber wie? -- Das war die Frage; und ich that sie mit Trost, aber mit Eifer.
Ich weiß nicht wie. Es ist etwas Eigenes um ein gar so schönes Weib! und in
Noth und in Thränen! Sie wußte Rath. Das Opfer war nicht gering. Aber es
gab nur diesen Weg, sonst keinen. Denn an Vertheidigung war nicht zu
denken. -- In meinen Kleidern wollte sie fliehen, mit meinem Mantel und
Hut, mit meinem Bündel. Denn so hatten sie mich gewiß hereinkommen gesehn,
so ließen sie mich in dem Eifer gewiß wieder hinaus; aber _sie_, statt
mich. Ich sollte mich aber in ihr Bett legen -- als Kranker, vom gelben
Fieber plötzlich Befallener -- wenn mich die Sclaven suchten und fänden und
hervorrissen. Sie würden sehen, ich sei fremd. Selbst in der Wuth würden
sie so blind nicht seyn. Am wenigsten könnten sie ahnen, daß wir schon ein
Einverständniß hätten!

Bei diesem Wort sah sie mich mit Augen an, von welchen ich nicht mehr
geglaubt hätte, daß sie mich angehen, mich anfechten, ja in mich dringen
könnten. Ich kam aus dem Erstaunen nicht heraus. In der Welt ist Alles
möglich! dacht' ich. Zeit, Ort und Umstände sind die Herren aller Dinge.
Sollte ich sie in Stücke zerhauen sehn? Doch, wenn ihre Flucht gelang, wenn
sie sicher war, dann war ich erst in der größten Gefahr. Doch das dachte
ich nicht. Denn . . . .

Sie war rasch zum Werk. Sie holte mein Ledertäschchen selbst aus dem
Vorzimmer, sie warf meine Sachen heraus, meine besten, theuersten Sachen
und Papiere, sie schloß eine Commode auf, nahm Papiere heraus, und füllte
es dafür damit an; sie band mir das Halstuch ab, nahm die Weste, nahm den
Hut, den Mantel, die Stiefeln, sogar; ich mußte mich in ihr weiches zartes
Bett legen, sie deckte mich zu, ja, als ich gehorsam wie ein großes
Windelkind, überrascht und wie gefangen mit dem Kopf in den weichen Pfühlen
lag, neigte sie schnell ihr Gesicht über mich, ihr rechter Arm schlang sich
unter meinem Nacken durch, ihre Stirn ruhte einen Augenblick auf meiner,
und ihre Lippen küßten meine Lippen im Fluge einen Augenblick, während ich
nicht aufblickte, sondern die Augen fest zugeschlossen hatte; und schnell
lispelte sie mir noch zu: »Das soll Dir nicht unvergolten bleiben! So Gott
will!«

Und so verschwand sie -- wie mein zweites Ich, und ich träumte mit
wachenden Augen, und sahe die Gluth des Feuers und hörte das Tosen in der
Stadt.

So lag ich voller Erwartung der Dinge. Ich liege eine Viertelstunde, eine
halbe Stunde, eine -- -- zwei Stunden -- -- ich höre keine Uhr mehr; keine
Glocke; das Tosen läßt nach, das Feuer brennt lichter am Himmel als auf der
Erde. Ich bin halb eingeschlafen. Endlich ganz. Ich weiß nicht wie lange.
Aber mit Sorgen. Denn nun höre ich leise Tritte, überall im düstern Zimmer
umher! Ich höre rufen! Es kommt zu meinem Bett! Es ruft mich! meinen Namen!
Es greift und tappt auf meiner Decke, es ergreift meinen Kopf, meine Hand.
Ich fasse zu, als wenn ich einen Löwen festhalten wollte.

»Ich bin's!« spricht die Stimme. Es ist der Neger -- Wilberforce. »Sind Sie
hier? Sind Sie es?« frägt er.

Ich muß leider Ja sagen.

»Haben Sie Muth?« frägt er mich. »Wissen Sie schon?«

Ich habe Muth, wie Du siehst, und weiß nichts! antworte ich.

»Wissen Sie nicht ihr Schicksal?«

Ist sie todt? frag ich, und fahre empor.

»Nun Sie es sagen -- ja! Sie ist todt!« spricht er und weint.

Ich falle vor Schreck zurück. Ich denke sie mir todt. In der That, mir
stockt das Herz. Ich athme kaum. Weinen kann ich nicht.

»Aber Ihr kleiner Sohn lebt;« spricht er.

Also _meine Frau_ ist todt! ruf' ich und springe aus dem Bett.

»Am gelben Fieber;« sagt er. »Vor vierzehn Tagen. Die reiche, schöne, junge
Wittwe hier hat sie redlich pflegen und begraben lassen, und ihr ein
gemauertes Kästchen in das Wasser machen, denn hier begräbt man in Wasser.«

Nun kann ich weinen.

Nach langem Schweigen frag' ich zu meinem Troste: aber mein Sohn lebt,
warum kommt er nicht?

»Schon Ihre vormalige Frau hat geglaubt, Sie sind voraus nach Ohio -- und
so hat, natürlich aus einem Irrthum, das gute liebe Weib hier, ich meine
Madame Josephine, ihn in guter Begleitung nach Cincinnati abreisen lassen
mit Briefen an dasselbe Haus, an das Sie empfohlen sind. Das weiß ich vom
Hausvoigt. Ja, sie hat ihn schon fortgesandt, ehe er auch erkranke, und ehe
seine Mutter gestorben ist.«

Aber warum lebe ich noch? Wo sind die Neger gewesen?

»Zufällig eingeschlossen, -- von mir! Sie wären ermordet worden im, Bett.
Vielleicht auch nicht. Denn wir sind nur rachsüchtig, nicht blutdürstig.
Ich sah Sie forteilen ohne mich -- ich eile nach; da entdeck' ich, es ist
Josephine, die sich mir entreißt. Da vermuth' ich mit Recht, daß Sie noch
im Hause sind. Da verschloß ich die Sclaven. Im Grunde umsonst; denn der
Aufruhr ward in der Stadt gedämpft. Die Neger hörten nichts mehr, und so
blieben sie ruhig. Aber alle hatten sich schon mit Waffen versehn! sie sind
schuldig. Ach, bitten Sie morgen für meine Brüder, wenn Josephine vom
Landhaus wiederkehrt. Die Gefahr ist vorüber. Morgen können Sie gewiß
hundert Sclaven sehen die rechte Hand abhauen. Denn wer von uns nur eine
Hand gegen seinen Herrn aufhebt, dem wird sie abgehauen. Darum tragen wir
sie gern ganz steif an den Schenkeln hinunter. Ach Gott, wer zu Hause wäre,
und hätte nur Freiheit im Vaterland! Freiheit und Vaterland, keins ist ohne
das andere was werth -- wie nur Ein Bein, Eine Hand! Ach! Ich bin frei! Für
treue Begleitung auf seiner Reise hatte mir mein Herr die Freiheit
versprochen. Aber was ist das ohne Vaterland! Was ich Jahre gehofft, ist
mir nun nichts! Doch nein -- die Freiheit ist mir die Erlaubniß im
Vaterlande zu wohnen!«

So verließ er mich weinend.

Es war natürlich, daß mir das Unglück meiner Frau um meiner Tochter willen
am tiefsten leid that. Denn weil die Tochter lebte . . . . so war ich jetzt
am meisten um die Tochter besorgt. Was würde sie gelitten haben! Und warum?
Warum schon jetzt? Warum überhaupt! Ich beschloß also fest, meiner einzigen
Tochter den Tod ihrer Mutter zu verschweigen. Meiner Großmutter Sohn war
gewiß schon lange todt, und in der alten Frau lebte er immer noch
glücklich! Und so schlief ich endlich voll Liebe und Träume ein, mit nassen
Augen. Zu Hause saß meine alte Großmutter blind -- ohne ihren liebsten
Sohn; mein Sohn Marbod vielleicht noch auf dem Schlosse bei der Baronesse
Freysingen Doppelsonaten spielend. Mein Knabe war hier im Land, aber fremd
unter Fremden mich suchend! Aber meine Tochter hatte ich nahe, die arme,
ungewisse Braut, die sich edel scheute vor einem Mann, der Sclaven hat
. . . . und ich lag hier in dem weichen Bett . . . . als Gesandter . . .
und wer hatte gestern in diesem Bett geruht . . . . ein Gebild, das ich nie
gekannt, das mir wie im Traume Verheißungen gethan, die mir heiß machten
. . . . die nun in Erfüllung gehen konnten . . . . und morgen früh im
Morgenroth kam sie vielleicht schon . . . . oder kam nicht . . . . Und ich
fürchtete mich vor ihr! und auch nicht . . . . .

Mein Gott! Was ist der Mensch! Das Meer murmelte, ich dachte an seine Wüste
-- aber auch an seine Blumengärten in der Tiefe. Und ich beschloß neu zu
seyn in der neuen Welt. Und ich sah einen mir neuen, hellen, schönen Stern
am Himmel, den ich nie gesehn. Und er war doch, und ich war! Ich -- 40
Jahr! In meinen schönsten Jahren!

Was ist der Mensch! Und auf diesen Grundstein baute ich edle Pläne für
viele Menschen -- für schwarze und weiße! Das Alles versteht sich -- im
Traume!

Ich schlief bis die Sonne schon hoch stand. Ich war todtmüde an Leib und
Seele, und die erste Nacht Schlaf auf dem Lande, diese Wonne, dieses Gefühl
der Erde, ist allein eine tausend Meilen weite Seereise werth. Das kann man
mir glauben, mir, der ich gar nichts auf solche Dinge halte, als da sind:
Braten, Wein, gutes Bett und alle die Herrlichkeiten der Herrlichkeiten.
Ich sah mir die Sonne an, das heilige Bild, das treu aussehend wie in der
Heimath, hier wunderhell am Himmel strahlte und mich anlächelte. Ich war
barbarisch hungrig -- in diesem Lande, wo Millionen Fische in den Strömen
und Seeen schwimmen, wo alle Früchte der Erde im Überfluß wuchsen, war ich
barbarisch hungrig, und im Hause regte sich Niemand, kein Mensch frug nach
mir. Ich hätte mir gern ein halbes Dutzend Feigen oder Orangen von den
Bäumen am Hause hereingelangt; aber ich wäre bald zum Fenster
hinausgestürzt, und schlug mir auf den Magen: Freund, Geduld! -- Ich goß
Waschwasser in das Porcellainbecken, ich ließ es eine Zeit auf dem offenen
Fenster stehen, während ich meine zerstreuten Sachen zusammenlas, und als
ich mich waschen wollte, verbrannte ich mir fast die Hände darin, so heiß
war es von der bloßen Sonne geworden, die hier ein ganz anderes Ding war!
Und ich erklärte den im Geiste vor mich tretenden Vorstehern unsrer zwanzig
Dörfer laut: Laßt uns betrachten! Es ist Unsinn, hierher in die Gluth zu
wandern. Wollt Ihr faul werden? -- faul, wie die Italiäner? Zu sinnlichen,
unwissenden Menschen? Oder fleißige Deutsche bleiben, die den Tag fleißig
arbeiten, oder bis in die Nacht noch fleißig studiren? -- Selber Bienen,
die hierher kommen, und den ersten und alle Winter hier Blumen und Nahrung
im Überfluß finden, werden faul, das heißt: sie nähren sich blos. Oder,
liebe Gemeinden, wollt Ihr in Furcht vor den Sclaven leben? Oder noch
schlimmer, wollt Ihr Sclaven halten? Ihr könnt Euch ja denken, wie Sclaven
zu Muth ist; denn das kann Jeder. Wollt Ihr Plantagenbesitzer werden,
Diener der Kaufleute? Wollt Ihr alle Jahre am gelben Fieber sterben? Das
heißt: Jeder der Euren nur einmal. Aber das ist genug für Jeden. Und wenn
der Vater oder die Mutter in einem Hause stirbt, zu früh, zu unnöthig,
macht das nicht oft ein ganzes Geschlecht bis auf Kind und Kindeskind
unglücklich? -- Ihr wollt das Alles Alle nicht! Ich höre es. Also Kinder,
vermeidet _die Küste_ von Amerika, von Boston bis Neu-Orleans, wo ich meine
Frau verloren. Zieht nicht in die Staaten, wo die Sclaven die heimlichen
Herren sind, also nur nach Ohio, wo kein Mensch einen Menschen als Sclaven
halten darf, nach Kentucky höchstens, wo sie verlöschen. Lieber nach
Indiana, Illinois! Aber nördlicher nicht! Denn alte Menschen müssen in ein
wärmeres Clima wandern, das thut ihnen wohl! Nicht in ein kälteres, wo kein
Wein wächst, die Milch der Alten, der Wein, der des Menschen Herz erfreut
-- und soll sich der Mensch nicht freuen der Erde auf Erden? Bedürft Ihr
nicht Freude? Ach, ein Glas Wein Euren Armen und Alten hätte Euch wohl
gethan! -- Ich dachte in dieser Rede an die Flasche, die ich an dem
Treppengeländer zerschlagen, an das Lachen meines Herrn Sohnes -- und
schwieg; Mit diesen Worten, sahe ich, hatte ich mir aber selbst meinen
Reiseplan vorgezeichnet -- und ich war nur auf einige Staaten gewiesen,
freute mich und rieb mir die Hände. Die Herren Vorsteher mit ihren Hüten in
den Händen verschwanden mir aber plötzlich alle; denn ein prachtvoller
englischer Wagen mit herrlichen Pferden kam donnernd vor das Haus gefahren
und hielt. Ich sah zum Fenster hinab. Und das rückwärts gebeugte Köpfchen,
das herauf strahlende Auge, das freundlich lächelnde Gesicht, die wie
Perlen blitzenden Zähnchen im rothen, schwellenden Munde -- ich kannte das
Alles schon wie aus einem Traume. Ich fuhr in meinen Rock -- ja, um ein
aufrichtiger Mann zu seyn -- ich sah in den Spiegel. Die Seereise hatte
mich wundervoll hergestellt. Ich konnte kaum öffnen, als sie an ihrer
eignen Thür mit schnellem Finger anpochte, und wie eine Erscheinung, rasch
und leuchtend, stand Josephine schon im Zimmer; aber wie sorgfältig
geschmückt, wie ländlich-lieblich im weißen Kleide mit blauen Bändern um
Leib und Brust, und doch wie reich! große Perlen am Ohr; ein unschätzbares
Halsband von sehr großen Diamanten um den Hals, dreimal ihn weit umlagernd.

»Nun,« sprach sie doppelt zart und unschuldig klingend auf französisch, und
reichte mir ein Händchen und sahe mir in die Augen -- »nun, wie schlief es
sich hier . . . in Amerika?« und meinte gewiß nur ihr Bett. Denn sie
erröthete zart und unschuldig. Aber plötzlich brach sie in lautes Gelächter
aus, denn sie sahe auf meine Füße. Ich war in Strümpfen. Aber um ein
aufrichtiger Mann zu seyn, mußte ich gestehen und ihr sagen: »Als Sie
gerettet waren, sahe ich nicht ein, warum ich hier bleiben, vielleicht den
Tod erleiden und nicht lieber versuchen sollte, desgleichen zu entkommen!
Das vergeben Sie mir gewiß auch! Ich malte mir also mit meinem Finger aus
ihrem Dintenfaß -- schwarze Schuhe auf die Strümpfe . . . aber da glaubt'
ich heraufkommen zu hören, und, um ein aufrichtiger Mann zu seyn, ich
verbrachte ein angenehmes halbes Stündchen in ihrem Camin, -- -- Ich mußte
lachen. Es war unmöglich, ich mußte. Sie betrachtete ihr Bett und sagte,
lachend bis zu Thränen: »Ja, es ist wahr!« Und wie vor Lachen barg sie ihr
Gesicht einen Augenblick in den Kopfkissen.

Ich räusperte mich; ich rieb mir mit der flachen Hand die Brust; ich
machte, ärgerlich, ein finstres Gesicht.

Aber sie sprach, jetzt ernstlich besorgt: Sie sind hungrig! Ich lebe jetzt
auf dem Lande und war gestern nur auf ein Huschchen hereingekommen, doch
ist hier Rath. Und schlank und flink, willig und gutmüthig, ja fast
gehorsam, als wäre sie selbst eine weiße Sclavin, eilte sie, rief sie,
besorgte sie; und athemschöpfend und rosig und heiter kam sie wieder. Mein
Gott! mußte ich sprechen und seufzen! Sie hatte mir, ehe sie wiedergekehrt,
die mir fehlenden Kleidungsstücke mit einer jungen Sclavin, schwarz wie
eine Schnecke, aus dem Wagen geschickt. Dieselbe bediente uns bei Tisch, an
welchem wir uns Beide gegenübersaßen, und uns von der überstandenen Angst
und der Nacht erzählten. Die kalten Speisen, die Früchte, der Wein, Alles
war köstlich, und ein heitres Mahl läßt Alles heitrer betrachten. Und doch
kostete sie kaum von Einem oder dem Andern, wie Kinder. Und doch ward ich
immer trauriger mit jedem Glase Wein, ob er gleich Amerikaner war. O wie
hatte ich mich auf den ersten Bissen Amerikanisches Brot gefreut! auf den
ersten Trunk Amerikanisches Wasser! Ich dachte zu Hause an unsre letzte
Mahlzeit, ja mein Diakonus stand wieder vor mir, und hielt um Maria an; ich
lächelte, und Josephine lächelte hold unbewußt. Darauf nahm sie ein, vielen
deutschen Bürgermeistern und Andern noch wohlbekanntes Russisches
Instrument, eine Knute von der Wand, aber ländlich zierlich mit schöner
bunter Schlangenhaut überzogen und aus Schlangenhaut geflochten. Wir gingen
hinab in den Hof, in dessen Mauern vor den Gebäuden die Sclaven standen,
die im Glauben, ein Unrecht gestern begangen zu haben, auf ihre Kniee
fielen. Sie hatten das Lied gesungen . . . .! Ich sollte es bezeugen! Da
knieeten nun die Kinder jener ersten Kinder der frühsten anfänglichen Erde,
noch schwarz wie ihre ersten Ältern unter der überall heißen Sonne. Und
ihre kleinen Kinder hoben neben den Müttern die kleinen schwarzen Händchen
in die Höhe. So weit hatten sie es also in Jahrtausenden gebracht! So weit
das weiße Geschlecht! Ich bat für die Armen, die nichts verbrochen, als daß
sie die Freiheit wünschten. Ich mußte lange bitten, während ihre Herrin mit
von mir abgewandtem Gesicht langsam umherging. Endlich wandte sie sich
plötzlich um und sprach: »Ich habe Allen sogleich verziehen, Glauben Sie
es! Aber es ist gar so hold, wenn Sie bitten; ich weiß nicht, es macht mir
recht innerlich Freude.« Sie rief sechs Mädchen herbei und sagte ihnen:
»Ihr habt Euch verheirathen wollen, so macht denn heut Hochzeit, und Alle
freuen sich mit Euch!«

Kein Hund, kein Mensch kann sich so bedanken, wie diese von einem guten
Worte Glücklichen. Josephine konnte sich nicht ihrer wehren, und sie wies
auf mich und sagte: »Danket dem Herrn hier!« -- Nun umkniete mich der
Schwarm, und ich sagte ihnen: Danket dem Herrn Jesus Christ! Da tiefen
Alle: »Ah, Monsieur Jesus Christ! Monsieur Jesus Christ -- quand viendrat
-- il en Amerique?«

Mich frug dann ein alter Neger genauer. Er glaubte: Ihr Freund lebe bei
Uns! aber außer seinem Namen wußte er kein Wort von ihm. Die Neger hatten
nur jeder einen Namen; von einer Taufe wußten sie nichts, auch nicht, daß
ein Pfarrer die jungen Paare trauen werde. Das mußte nun wohl einen Pastor
verdrießen, aber nicht grade einen Lehrer und Prediger. Dafür dankte ich
meiner gütigen Wirthin für ihre Güte . . . und es mußte gesagt seyn -- ich
dankte ihr auch, daß sie mein Weib so gepflegt, und sie, die Unbekannte, so
dankenswerth habe begraben lassen! Nun war mir der Stein vom Herzen.

»Aber mein Gott!« . . . rief Josephine, und trat einen Schritt auf mich zu.
Sie war blaß, ganz blaß geworden, ihre Arme hingen an ihren Schenkeln
herab, und die Hand ließ noch eine wundervolle, tellergroße, rothe Blüthe
fallen, und ihr Köpfchen neigte sich auf die Brust. Welche Gedanken sie im
Innern überwältigten, wie sollte ich es bedenken, ich, dessen Herz so voll
war, dessen Augen sich füllten. Endlich lispelte sie, wie zu sich selbst,
ohne mich anzusehen: -- »also der unvergleichlich schöne Knabe, das war
seyn Sohn! Und wie erkannt' ich nicht gleich den Vater! Ist er ihm nicht
ähnlich, wie der halbgefüllte Mond dem vollen Mond?« Und zu mir gewandt
sprach sie mit Thränen in den Augen: »Ich hatte den Knaben so lieb, drum
schickt' ich in Zeiten ihn fort!«

Was sollte ich sagen? -- Mein Geschäft hier war zu Ende. Mir blieb nichts
als zu scheiden, aber erst Abschied zu nehmen; jedoch bei den ersten Worten
dazu fragte sie mich, während ihre großen Gazellenaugen mich treuherzig
ansahen: »Und wieder in alle Welt schon wollen Sie hin? Wohin? Habe ich Sie
beleidigt? War ich zu heiter -- war ich zu aufrichtigen Herzens? Ach, viel
im Leben hängt davon ab, in welcher Reihenfolge wir etwas vernehmen, in
welcher Gedankenfolge ein Mensch den andern sieht . . . . o, ich war so
heiter! Und alle die Angst!«

Ich bat sie nur Eins: zu verschweigen, daß die Fremde hier gestorben sei,
damit es meinem Knaben, damit es meiner Tochter ein ruhiges Geheimniß
bleibe . . . .

»Ihrer Tochter!« sprach sie fast betreten. »Sie haben . . . .?«

Ja, sie ist hier; hatte ich kaum gesagt, als meine Maria schon vor mir
stand, und hinter ihr Wilberforce. Die Unruhe hatte sie hergetrieben.
Josephine stand lange vor ihr mit niedergesenkten Augen, den Mund fein
geschlossen; sie getraute sich aus reinster Schaam, ja Beschämung nicht sie
anzusehn. Ja, in dieser befangenen Stellung sprach sie zu ihr, begrüßte
sie, hieß sie willkommen, ja reichte sie ihr eine langsame Hand, die sie
gleich wieder zurückzog. Sie erblickte im offenen Thor die sechs
Schwestern, die auch vom Schiffe an's Land gekommen; sie sahe mich fragend
an, sie ließ sie einladen; und während Wilberforce ging, und nachdem sie
von mir gehört, welche Absicht sie hätten, versprach sie mir schon im
Voraus, sie alle bei sich zu behalten, wenn ich auch das erlaube . . . .
oder vielleicht auch die Tochter . . . wenn ich gehe, damit sie nicht ganz
allein sei. Und den Schwestern entgegen wandelnd, vertraute ich dem
treuherzigsten Geschöpf von der Welt, daß sie eine sonderbare Braut sei mit
Master Erwin; die Ursache ihrer Scheu vor ihm, als einem so grausamen Mann,
der Sclaven halte, und nun seine Scheu vor ihr. Aber zu meiner Verwunderung
fand sie sein Anhalten sehr natürlich. O der Mensch ist blind über gute
Menschen; dann wie ich hätte Ursache gehabt mich zu freuen.

Nun mußte ich bleiben. Ich ging darauf allein zu Erwin, um meine Sachen
alle zu Josephinen tragen zu lassen. Er war das zufrieden; auch daß meine
Maria bei ihr bleibe, war er zufrieden, ob er mir gleich mit Achselzucken
vertraute, daß Josephine, als Abkömmling von schwarzer Haut, bei keiner
ganz weißen Haut in irgend einer menschlichen Achtung stehe; so schön, so
seelengut, so achtungswerth, ja so reich sie sei -- denn sie sei die Wittwe
seines Bruders, und wahrscheinlich, wie er sich einbilde, sei ich nur durch
Namensverwechselung an ihr Haus gewiesen worden. Ohne etwas zu ahnen, hatte
er damit nur mein Weib gemeint.

Also ihr Bruder ist todt? wollte ich fragen, aber ich vermied aus eigener
Trauer die Frage. Er versprach mir zur Reise den Todtenstrom hinauf alles
Erforderliche anzuordnen; er selbst habe Hoffnung zum Senator gewählt zu
werden, und dann müsse er mit, oder nach mir -- denn er habe noch Vieles
und Schweres zuvor zu besorgen -- nach Philadelphia, nach Washington. Dabei
gab er mir wieder die Hand, und schüttelte sie dreimal, wie in Bremen auf
der Straße, als er die wohl von Eifersucht ausgepreßte Frage an mich that.
Das war mein ganzer Bescheid! Ich mochte verdrossen aussehen, aber er
lächelte kaum bemerklich. Das ergrimmte mich noch mehr. Meine Hoffnungen
waren zu Wasser! Die Auswanderer waren schon lange in's Land, den Strom auf
einem der hundert Dampfschiffe hinauf! Nur den Wilhelm fand ich allein, den
ich mit mir nahm. Ich traf zu Hause, so mußte ich schon sagen, aber meine
Tochter nicht mehr, Josephinen nicht mehr, sondern nur einen angespannten,
auf mich wartenden Wagen, der uns im Fluge hinaus nach dem prächtigen
Landsitz brachte.

In den wenigen Tagen, die ich darauf noch hier blieb, hatte sich Josephine
an die dritte der sechs Schwestern, an die schöne Clöta gewöhnt, die
französisch verstand, sie lieb gewonnen; und gegen meine Maria war
Josephine verschämt, aber mild, und so war auch meine Tochter verschämt vor
ihr, aber mild. Gegen mich war Josephine gelassen, ernst, düster, so
anständig und zart, wie ich kaum je ein so junges Weib, ja nur eine
Jungfrau gesehen. Schien ich etwas zu wünschen, so sprang sie in der ersten
Zeit noch behend auf wie ein Reh, aber sie kam wieder und hatte nur für
sich etwas geholt. Mir war sonderbar zu Muth. Manchmal, wenn wir neben
einander am Abend in den schattigen Gängen ihres Gartens wandelten, und die
große, hier himmlische Abendsonne durch Lücken der blühenden Akazien und
Magnolien ihr Gesicht und Schulter vergoldete, da, um ein aufrichtiger Mann
zu seyn -- fiel folgendes Gespräch in mir vor:

-- Mein liebes Weib, Du bist ja doch nun todt einmal, also auf immer! Ich
lebe noch -- auf dem Gipfel des Lebens. Der Hinuntergang ist schlimmer als
der Hinaufgang. Wie viel Gutes und Schönes würde ich für mich und die
Kinder erlangen, mit dieser Gestalt . . . . . wenn ich Muth hätte!

-- -- Unterstehe Dich! und sag' ihr ein Wort! sprach meine Frau, die als
Erscheinung der Seele mir klar, sogar sichtbar vor meinen Augen in dem
Schattengang schwebte, und uns nicht von der Seite wich, -- und näher mir
wiederholte: Unterstehe Dich das! Und jetzt schon! O Du Undankbarer! Denn
war ich nicht eine Adlige, die Dir ihre Hand gab? Und ist diese arme Person
hier nicht eine Namenlose, eine Unehrliche im Lande? Mucke!

Da schwieg ich eine Weile. Dann fing ich doch leise wieder an: Aber wenn
ich sie nach Europa nähme mit alle den Sclaven? Und ehe wir reiseten,
könnte ich Dir lassen ein prachtvolles Mausoleum erbauen mit Deinem Wappen;
und vor meinem Namen wollte ich lassen ein »Von« einhauen damit ein Jeder
hier läse, daß Du keine Mißheirath gethan!

Lügen willst Du sogar? sprach das Luftgebild. Ich sehe schon, wie Du
denkst. Ich bin verloren, aber zum Glück bin ich todt!

Nein, sprach ich, Du sollst meine innere, geistige Frau seyn, und diese
hier meine äußere, leibliche.

O sie ist schön! sprach meine geistige Frau; um mich in Versuchung zu
führen.

Soll ich ihr hier ungesehen zu Füßen fallen? Ach, ich dürfte nur ihre Hand
ergreifen -- und ich denke, sie fällt mir zuvor um den Hals.

Da schrie meine Frau auf, und fuhr zwischen mich und Josephine, die sich
mit dem Arm an eine Cypresse gelehnt, und der sinkenden Sonne nachsah, aber
mit zugeschlossenen Augen. Ich selbst aber hatte den Schrei meiner Frau mit
meinem Munde ausgestoßen -- so daß die Vögel erschreckt von den Zweigen
flogen -- daß Josephine mich ansah, und erstaunt sah, wie ich zitternd und
bebend und ganz blaß vor Schrecken dastand, wie aus dem Himmel gefallen;
aber ich war nur aus dem innern Hause des Menschen heraus auf die lebendige
Erde getreten. Und ich schämte mich und schwieg. Und sie frug nicht. Und so
blieb es. So blieb sie. So blieb ich. Ein Wittwer ist eine besondere
Person. Aber ich dachte auch manchmal: auch eine Wittwe ist eine besondere
Person; nicht Jungfrau, nicht Weib, nicht Mutter -- denn Josephinen stand
dereinst erst dies Glück bevor. -- Ach! es sollte nur Wittwen geben von 70
Jahren, und Wittwer von 80! Der Tod, besonders der frühe Tod stiftet
allerhand Unheil.

So ein Gespräch wäre mir, in Allem ehrlichem Manne, wahrlich nicht
vorgekommen, wenn ich nicht auf immer aus dieser Gegend nun scheiden mußte;
Josephinen auf immer zurücklassen. Und die Trennung ist ein Wurm, der die
Früchte zu früh reift -- daß sie abfallen. Es war ein Gedanke gewesen zum
Besten meiner Kinder, zum Besten der armen schwarzen Kinder der Erde. Ich
schrieb einen ausführlichen, lehrreichen Brief in die Heimath, an mein Volk
-- dessen Gesandter ich war; an meinen Sohn. Meine Tochter schrieb an die
Baronesse Freysingen, an ihren kleinen Bruder, und -- was ich heimlich mit
Thränen sah -- sie schrieb einen langen, herzlichen Brief an ihre Mutter,
die aber nicht weit von ihr in der freien Erde lag. Sie versprach ihr,
recht oft zu schreiben. Dann besprachen wir, neben Josephinen sitzend,
unsere Reise. Meine Tochter wollte mich nicht verlassen und fiel mir um den
Hals. Josephine sagte mir am letzten Abend blos gute Nacht wie gewöhnlich.
Aber am Morgen war sie schon früh abgereiset . . . . nach der Stadt in ihr
Haus. Dafür fand ich in unserem Dampfschiff unsre Karte für mich, für Maria
und unsern Wilhelm _Mosburg_ bezahlt; wir fanden Körbe voll köstlicher
Speisen, voll Wein, voll Früchte. Aber auch meine Tochter fand nach dem
Wirrwarr des Morgens jetzt erst im Schiffe: daß das dreifache Halsband mit
den großen Diamanten von Josephinen ihr um den Hals gebunden war. Das
deutete auf ewigen Abschied. Das konnte Niemand gethan haben, als sie --
des Nachts -- und wir sahen uns an und weinten fast Beide. Mein Kind wollte
wieder an's Land, es zurückstellen, Gewißheit haben, doch danken. Aber das
Schiff ging schon sausend den heiligen Todtenstrom hinauf in das heilige
Land, einen Urgarten der Erde, das künftige Paradies der schwarzen Kinder,
denn hier konnten sie allein arbeiten und gedeihen. Ihnen gehört es also
von Natur. Nicht den Weißen, denen es eine Schande geworden, etwas zu thun,
weil sie nicht können.

Ich finde in meinem Reisebuche bemerkt: »Hier waren also _alle_ Weiße
adlig, oder fühlen sich so; und alle Schwarzen -- Canaille, und fühlen sich
nicht so; bei uns sind es doch nur einige berühmte Geschlechter -- gewesen.
In den nördlichen Staaten darf sich sogar kein freier Neger niederlassen.«

Unser Dampfschiff ward, nach der neusten Erfindung, selber mit Wasser
gefeuert. Und so fuhren wir, auf der größten Silberader, der Saugader des
Landes, in welche 40 große Silberadern sich ergießen, auf dem Missisippi,
nach und nach in immer höheren Ufern hinauf. Meine Tochter ist
niedergeschlagen. Aus Einem Grunde. Ich bin niedergeschlagen. Aus
dreifachem Grunde! Unsere Reisegefährten waren nicht heiter, und
erheiterten sich und uns wenig. Viele Amerikaner reisen zu ihrem Vergnügen;
und da Europa zu unerheblich oder Asien zu weit ist, so reisen sie im
Vaterlande und lernen es kennen und schätzen. Denn wahrlich hier ist ein
Vaterland! Und wer wollte den Menschen den Stolz darauf verargen! Wer sich
darüber ärgern? Ach, eher kümmern! Aber in dem Gesicht des Amerikaners
liegt etwas Unerklärliches. Nicht Tiefsinn, nicht Muthlosigkeit, nicht
Schüchternheit, nicht Verlegenheit; aber die Stille einer großen Zukunft,
und eine bescheidne und doch schmachtende Begierde danach, und eine fast
kindische Befangenheit und ein Bangen, wie eines Bräutigams, ruht auf den
Gesichtern. Mir kamen sie vor, als wenn sie selber auswandern sollten -- in
ferne, ungekannte, schöne Tage! Daher die heimliche Unruh, der eigene
gedämpfte Blick, ein fast komischer Ernst und eine heitre Trauer! O wie
rührend und schön ist der Jugend Gesicht! Ich seufzete selbst über alte
Männer! Und auch die jungen Städte des Landes, groß angelegt aus ungeheurer
Hoffnung und doch noch in ihrer Kindheit -- rührten mich. Baton;
Francesville; Fort Adam; Natchez; Huntson; Warren. Old-Arkansaw gegenüber,
kamen Auswanderer den Arkansaw herab, die sich, nicht Alle, aus einem
Überfall der noch nicht weit genug vertriebenen Wilden gerettet. Wir mußten
sie aufnehmen; es waren Neu-Griechen, die sogar erst seit dem Frieden ihr
königliches Vaterland verlassen; ein _griechischer_ Bischof führte sie. Das
zeigte deutlich, welche Furcht sie hinweg getrieben. Nach und nach wußten
wir um Namen, Vorhaben und Vermögen fast aller Mitreisenden. Und so ward
denn ein junger Mensch von etwa 22 Jahren, so hübsch und anständig er war,
von den Meisten zuletzt vermieden. Darum grade suchte ich seine
Bekanntschaft. Und nach einigen Tagen konnte er nicht über das Herz
bringen, mir nicht sein Schicksal zu klagen. -- »Man hat mir meinen Vater
erschlagen,« sprach er betrübt und zornig, und ich habe als Sohn es so weit
gebracht, daß sein Mörder nun hingerichtet wird, ein Ansiedler in Kentucky,
dem er Landeserzeugnisse verkauft, und ihn dabei vielleicht zu sehr
gedrückt hat; denn im Inlande ist kein Geld, und ganz ohne Geld kann
Niemand bestehn, weil doch nicht Jeder Alles erzeugt. Mein Vater war ein
Aufkäufer, die freilich überall hier so verhaßt als unentbehrlich sind.
Auch hätte er längst in seinem Alter von 60 Jahren ausruhen können, da er
die schönste Besitzung in Ohio hat. Aber er hoffte noch immer seinen Sohn,
meinen älteren Bruder, zu finden, der ihn verlassen hat, weil der Vater
wirklich fast unerträglich sich gegen ihn benommen. Aber hier ist es
vergebens, einen Menschen zu suchen. Der Zufall allein thut oft Wunder, wie
ich schon gesehen, so jung ich bin. Mein Vater stammte aus Deutschland, und
er selbst scheint auch seinen Ältern heimlich davon gegangen zu seyn; denn
alle Weihnachtsabende hat er zwar nach Hause geschrieben, aber nie die
Briefe fortgeschickt, sondern sie alle gesammelt und sorgfältig vor uns
verschlossen. Auch hat er nie einen Brief empfangen, so unerhört es ist,
daß Einer auf unsern 7000 Postämtern verloren geht. Hier ist Jedermann
unbedingter Herr selbst von dem höchst achtbarsten Vermögen; der Vater kann
frei Einem Alles, den andern Kindern Nichts vermachen -- mir hatte mein
Vater Alles vermacht, und so konnte ich unbesorgt meinen Bruder suchen, und
hatte ihn glücklich gefunden. Ich bewege ihn glücklich, mit mir zum Vater
zu reisen; er ist nicht daheim; wir reisen ihm nach; -- er ist nicht auf
der Meierei, von wo er doch nicht fortgereist war. Unser Neufoundländer
Hund findet seyn Geripp in einem Ameisenhaufen der großen Ameisen. So sah
der Sohn den Vater wieder. Und nun macht man mir Vorwürfe, daß ich das
Gesetz angerufen, und sagt: »Hier wird Niemand hingerichtet! Man bessert!
Und unsere Anstalten dazu sind die erfolgreichsten auf Erden. Wir haben nur
noch die Todesstrafe auf qualificirten Mord, und sind insofern noch dem
alten Judengott zugethan, dem: Auge um Auge, Zahn um Zahn; wenn die
Europäer -- welche hier nur die Verwahrloseten heißen -- noch das halbe
Judenthum, und das ganze römische Heidenthum in ihrem italiänischen Glauben
und römischen Gesetzbuch haben! Statt tausend Straftitel haben wir die
Geschworenen, die es so christlich machen können, als sie wollen; auch das
ist nicht verboten, und je weniger diese ehrwürdigen Männer von
Gesetzgebung und Wesen wissen, je einfacher sie sind, ja wenn sie blos ein
Menschenherz im Leibe haben, desto vollkommner sind sie, desto ehrwürdiger.
Aber sie sprachen den _Mosburg_ nicht frei, weil sie grade glaubten, einem
Mörder müsse es eine Wohlthat seyn, Strafe zu leiden; denn auf
Wiedervergeltung beruhe das Weltgericht, und sonst brauche keines zu seyn.
Aber das müsse ja seyn, sonst werde die Tugend ja auch nicht belohnt im
Himmel, und ewig, ewig.« --

Ich war über ein Wort in der Erzählung erschrocken, und bebte über den
Namen _Mosburg_, denn so hieß der Vater des Knaben, seines noch einzigen
Kindes, des armen Wilhelms, der neben mir zuhörte, aber zum Glück nicht
Englisch verstand. Sein Vater wohnte bei Perkins. Und so frug ich in Gottes
Namen, wie der Ort heiße, wo der Mosburg wohne, oder gewohnt.

Er nannte mir unbedenklich den Ort. Es war _Perkins_! --

Meine Tochter ging von uns und weinte. Sie führte den Wilhelm mit fort, und
zeigte ihm den schönen Abendhimmel und die grünenden Berge, wie ich von
fern an ihrem ausgestreckten Arme bemerkte. Dann setzte sie sich, und hatte
ihn vor sich umarmt, und ich sahe, er trocknete ihr die Augen mit ihrem
Tuche.

Mosburg lebt doch noch? frug ich weiter.

»Ich reise zur Hinrichtung. Es werden Tausende bei diesem seltnen, fast
erloschnen Schauspiel zugegen seyn!« sprach er.

Ich war froh. Ich konnte dem lebenden Vater doch den lebenden Knaben
bringen! Und wir beschlossen zusammen zu reisen. Ich, wie ich sagte, blos
aus Neugier.

Einige vertheidigten dann auch den braven Sohn mit den Worten: »Wenn wir
Amerikaner endlich einmal ein rechtes; Volk, ein Muster- und End-Volk
werden sollen, so müssen Alle für Alles solidarisch einstehen, so weit es
Menschen möglich ist; für Mord und Brand, Diebstahl und Schaden in aller
Art; Jeder muß das Recht, ja den Beruf haben, statt eines Andern zu klagen,
der feig oder gefühllos es selbst nicht kann oder will. Dann sind erst die
Staaten ein wahrer Rechtsstaat, bis dahin ist Alles nur Pfuscherei! Der
Freie muß Alles dürfen und können, was recht und was gut ist.«

Man lobte zum Einwandern besonders mir Indiana, das herrliche; Illinois, ja
Einer sagte: »Wer redlich an die Zukunft denkt, der thut wohl, sich ganz im
Westen am Meere, am Columbiastrom niederzulassen, auf den Fall, daß es mit
Europa aus ist und aus wird, und wir die Kräfte nach Asien wenden. Haltet
Ihr die Natur für so kurzsüchtig und albern, daß sie sonst dort nach Abend
einen solchen allmächtigen Strom hat fließen lassen, und so lange umsonst.
Sie könnte ihr Wasser ja besser brauchen.« --

Und so wäre ich lieber in Indiana gereiset, statt nach Kentucky mit
Sclaven, aber das Schicksal trieb mich hin; und ich rathe keinem Menschen,
auf Reisen eine Commission anzunehmen -- denn wie bitter war mir die meine!
Aber das reichliche Reisegeld von dem guten Prinzen für den Knaben reichte
für mich und Maria. Noch zog mich ein Anderes an den jungen Mann. Nicht,
daß er reich und wohlerzogen war, und täglich auf die bescheidenste Weise
meiner Tochter gefälliger war, die sie selber rührte, ob sie gleich
innerlich fest an ihrem sonderbaren Freunde Erwin hing; und ob ich gleich
mit zu jener schlimmsten Art der Väter gehörte, nämlich zu denen, die
Töchter haben, und Luchsaugen haben möchten, um jungen Männern in die
Herzen zu sehen, wem sie das Beste, was sie haben, einmal anhängen können.
Das ist die abscheulichste Sorge für einen Töchter-Vater. Ein Sohn- oder
Zehn-Söhne-Vater ist glücklich. Denn die versorgen sich selbst, und müssen
und können ihr Schicksal machen. Und meine Tochter war mir so gut wie
wiederum auf dem Halse, was mir nur schwer fiel, weil ich mir schon eine
lange glückliche Zeit diese Bürde eines Tochter-Vaters erleichtert gefühlt.
Doch, um ein aufrichtiger Mann zu seyn, das Alles war es nicht, was mich an
den jungen Mann zog, sondern es war die Neugier, die Wißbegier -- für meine
alte blinde Großmutter -- es war der _Koffer_ des jungen Mannes, auf dessen
vergoldetem Schilde der Name: Marfolk stand. Das bemerkte ich, als er das
Schild sich zerbrach, die zwei Stücken verschoben neben einander lagen, so,
daß sein Name nun »Folkmar« zu lesen war. Das gab mir einen Stich in meiner
Großmutter Herz. Ihr Sohn, ihr August war also erschlagen -- und kam nie
wieder? Der Name Volkmar konnte à la Norfolk nur Marfolk englisirt seyn.
Denn der Vater war ja ein Deutscher. Der junge Mann bekannte sich zwar zu
dem Koffer und zu dem Namen. Aber so fein und plump ich mehr zu wissen
versuchte -- er wußte nicht mehr.

Wir gelangten in den schönen Ohiofluß und landeten in Handerson in
Kentucky, wo Washington auf Mount Vernon, wie vom Herrn, begraben liegt.
Hier sah ich mit Freuden das erste Geld, Silber und Gold, und sahe die
ersten Zeitungen, die Literatur der Amerikaner; denn das ganze Land
schreibt für das ganze Land diese tausend Zeitungen, die in Millionen
Blättern wie Wundertauben über das Land fliegen -- und wie aufrichtig! Wie
der Geist Gottes! Vox populi, vox Dei! Ich wollte sie übersetzen, Auszüge
für uns. Aber was für Amerikaner aufrichtig ist, ist noch nicht aufrichtig
für Deutschland. Eine oder tausend eben so aufrichtige Zeitungen für
Deutschland müßten ganz anders seyn. Und hier schreibt Einer im ganzen
Leben vielleicht nur Einen lehrreichen Aufsatz. Ich sahe die erste Schule
-- aber was wußten die Kinder hier mehr! Wie viel, wie gründlich Alles, was
sie Zeit Lebens brauchen können und sollen und werden. Aber wie geschieht
das? Antwort: Die Griechen und Römer waren so klug und weise und groß in
ihrem Fach -- besonders, weil sie nicht mit Griechisch und Lateinisch die
jungen Seelen verhunzten. O wir Armen! Wir armen Gläubigen! Wir glauben an
alle Völker! Nur an uns nicht. Und deswegen sagte Napoleon: »Die Deutschen
sind kein Volk.«

Auf dem grünen Fluß schifften wir nach der Besitzung von Wilhelms Vater. Er
war nicht da -- in der Stadt im Gefängniß. Ich mußte dem Knaben doch Alles
zeigen, und mit wie schwerem Herzen sah ich zu, wenn er sich auf des Vaters
Stuhl setzte, seinen im Schrank hängenden blauen Oberrock anzog, und vor
Freuden damit in der Stube umhersprang; wenn er die alte Hausfrau nach ihm
frug, wie er vor Ungeduld weinte, wenn sie ihn nicht verstand, und wie sie
weinte, als ich ihr sagte: es ist der Sohn des Herrn! Selber Marfolk hielt
es hier nicht aus, und ehe wir fortzogen, durchrannte der Knabe noch den
Garten mit angepflanzten Bäumen, die Wiesen, bestieg die Hügel und hatte
fast einen Arm voll duftende Blumen, die er dem Vater mit nach der Stadt
nehmen wollte. Selber der Haushund war gerührt, und leckte ihm die Hand,
als müsse Derjenige seines Herren Sohn seyn, der sich hier so freue, ihn
mit so guten Bissen füttere!

In der Stadt erlangte ich gern, ja mit Seufzen des Mitleids die Erlaubniß,
den Vater zu sehn. Der Ort, ein höchst saubrer, freundlicher. Der Mann, ein
höchst gutmüthiger, wohlwollender. Und ihm mußte ich sagen, daß ich ihm
seinen Sohn Wilhelm bringe!

Der ruhige Mann schlug sich vor den Kopf. Dann saß er mit aufgestemmten
Händen, während der Sohn an die Thür pochte vor Ungeduld. Wilhelm aber
sollte und wollte dem Vater nicht sagen, daß Mutter und Bruder gestorben
seyen.

O Wiedersehn! heiliges Wiedersehn! Wie weinte meine Maria, wie -- um ein
aufrichtiger Mann zu seyn -- wie weinte ich! Wie gedrückt war des Vaters
Herz, denn in wenigen Stunden hatte er zu sterben. Wie strömten ihm Lehren
und Küsse vom Munde! und segnende Blicke und Thränen von den Augen! --
Endlich und endlich, nachdem ihm der Knabe viel erzählen müssen von Mutter
und Bruder -- ja als er ihm auch im Eifer, sein kindliches Herz ganz
auszuschütten, erzählte, wie sie den Anselm in den Meergarten begraben --
weil sie beide zu ihm gewollt -- weil ja die Mutter gestorben sey -- -- --
da faßte sich der Mann wunderbar, schwieg eine Zeit, schien viel zu fühlen
und zu bedenken, und gab mir seinen Sohn dann an der Hand mit den Worten:
»Ich habe eine weite Reise vor, mein Kind! Lerne indessen fleißig, lebe gut
und fromm und dulde kein Unrecht wie ich! Ich reise gern. Könnte ich nur
Alle mitnehmen, die mich dazu nöthigen! Dein Führer hier wird ferner Dein
Freund und . . . . Dein Vater seyn.« Dann setzte er sich ruhig hin und
sprach nicht mehr. Wie konnte ich anders, als, so schwer sie mir war, eine
so heilige Pflicht von dem Vater übernehmen.

Endlich gingen wir fort. Der Knabe ging rückwärts zum Zimmer, rückwärts zur
Thür hinaus, um den Vater also noch länger zu sehn -- und als die Thür
schon zu war, wünschte er ihm noch »glückliche Reise, fröhliches
Wiedersehn!« durchs Schlüsselloch. Da hörten wir drinn einen dumpfen Fall!
-- Aber wir gingen! Und noch war hier ein Herz geschont, das Herz des armen
Knaben, der nun mein war.

Nach der Hinrichtung des Vaters besuchte ich allein den freien Platz,
worauf viele Tausende versammelt waren. Und wohl zwanzig reisende
Geistliche benutzten die Gelegenheit zu zwanzig getrennten camp meetings,
zu Feldpredigten oder Bergpredigten. Ich urtheile nie über Männer von
meinem Fach -- aber die Seele ging mir groß auf, als ich dachte, als ich
sah -- Erde und Himmel sind die schönste, die einzige wahre Kirche! Und das
Leben ist der einzige, reinste, ächteste Gottesdienst. -- Auch will ich
nicht verschweigen, daß der Ankläger Marfolk fast gesteinigt worden wäre,
daß ihn Furcht befiel, dann Haß und Lust von dannen zu ziehn. In dieser
Noth hätte ich ihn beinahe »Vetter« genannt. Auch Maria zeigt ihm Mitleid.
Nach einigen Tagen stellt er sich gleichfalls beinahe an: mich zu bitten,
daß er mich Schwiegervater nennen dürfe. Aber nur beinahe. Maria bittet
mich dringend von dannen zu reisen. Und hier muß ich doch sagen, wie meine
Tochter hätte gesinnt seyn mögen! Und wie ich hätte gesinnt seyn mögen!
Jedes ganz verschieden.

Nämlich Josephine und Erwin wußten, daß wir uns länger in Handerson
aufhalten würden, um auszuruhen. Wir empfingen also Briefe. Ich einen Brief
von meinem Caplan aus der Heimath, der meldete: daß die Baronesse
Freysingen bankrot sey! Daß _Erwin_ sie ausgeklagt. (Das bestürzte Marien
vollends.) Daß sie im Schlosse zur Miethe wohne, und daß sie nunmehr als
armes, geringes, fast verachtetes Mädchen entschlossen sey, ihrem
Jugendfreund Marbod, meinem Sohn, ihre Hand zu geben, wenn er nur von
seiner tödtlichen Krankheit genese, und sie hoffe grade durch diese
Aussicht ihn herzustellen. Daß meine alte Großmutter mit Gewalt sich habe
den Staar stechen lassen, weil ihr Sohn kommen würde; daß sie aber von der
Vorbereitungscur ganz schwach, und vor Alter ganz kindisch geworden.

Das war Ein Brief.

Dann schrieb mir meine liebe Clöta aus Neu-Orleans nach manchen andern und
vielen Eingängen, daß ihre »_schöne_,« ihre »_seelengute_,« ihre
»_reiche_,« ihre »_junge_,« ihre »_geliebte und liebenswürdige_« Herrin
Josephine -- seit dem Tage, unserer oder meiner Abreise krank sey, recht
bedauernswürdig krank. Ihre großen Augen seyen noch größer, noch
schmachtender geworden, ihr Mund noch kleiner, ihre Grübchen in den reinen
Wangen noch sichtbarer. Sie rede oft im Schlafe -- und von mir! Sie rufe
mich! Sie springe im Nachtkleid aus dem Bett und ringe mit ihr matt und
flehend, sie hinaus, sie fort zu lassen. Deswegen meine sie (nämlich
Clöta), daß ihre Herrin seit _meiner_ Abreise krank geworden, und wohl
nicht besser werden möchte, wahrlich nicht _möchte_ -- so gleichgültig sey
ihr das Leben, bis ich wiederkäme, oder bis sie mich wiedersähe, bis ich
sie wiedersähe, aber mit günstigen Augen. Das läßt Clöta nur durchblicken.
Clöta hat von Josephinen ihr kleines Bildniß erhalten -- das schickt Clöta
mir. Die kostbare Einfassung habe sie behalten. Als Nachschrift stehen die
Worte: »Sie hat ihre Plantagen verkauft.«

Das war der zweite Brief.

Diesen las ich allein! Denn eine erwachsene Tochter ist wie ein Engel, vor
welchem der Vater sich selber schämt . . . . geschweige ein schönes und
junges Weib zu nehmen -- so nöthig es dem armen Manne ist, so wohl es ihr
selber auch thäte, damit sie vermöchte ein Engel zu bleiben, und nicht eine
Sclavin zu werden brauchte.

Maria aber beredete mich fortzureisen. Ich war willig und wollte bereit
seyn, wenn ich ein herrliches Grundstück, das ich hier gesehen hatte, für
die Baronesse . . . . also auch für meinen Sohn gekauft hätte, woran ich
jetzt erinnert worden. O, ein Vater ist ein edler Mann! Aber die Kinder
machen ihn dazu! Ich fuhr mir unwillig und schnell mit der flachen Hand
über die Stirn bis hinauf in die Haare! Es war aber klug und gut.

Kaufte ich nun für die Baronesse eine kleine Grafschaft, -- denn hier sind
auch Grafschaften, wie Spinnennetze ohne Spinne, so ohne ihre Hauptzierde:
die Grafen -- so war zu Hause Marbods Stelle leer, wenn er mit ihr herzog;
oder der Diakonus nahm sie an, und bekam vielleicht wieder einmal am Tage
Heirathsgedanken. Das Alles war Vorrath für jede Hoffnung, für jedes
pis-aller. Ich hatte mit meinen paar Guineen in der Tasche unermeßliche
Lande vom Strom aus gesehen, und die Begier, der Geiz der Ankömmlinge war
über mich gefallen. Ich wollte das schönste, fruchtbarste Land, den Morgen
für 27 Kreuzer, nicht gern aus der zweiten Hand für ein paar Kreuzer mehr.
War es noch ganz mit Wald bewachsen, so schien es nach unseren Preisen wohl
100,000 Thaler mehr werth. Aber leerer Acker gilt hier mehr. So zweifelnd
und wählend trieb ich mich müde umher, bis ich vor Verzweiflung am grünen
Flusse in Kentucky 5000 Morgen -- Alles kaufte, was mir irgendwo reizend
geschienen. Aber als ich das Gold aufgezählt, von meinen paar Dreiern noch
zugelegt, da sah ich -- daß die Bergabhänge die Sonne im Rücken hatten --
daß hier kein Wein gedeihen möchte. Gott, kein Wein! Ich war außer mir!
Aber ich mußte die Acten zu mir stecken, und empfahl Bäume, Quellen,
Wildpret, Truthühner, Vögel, Fische und Schlangen, Alles indessen dem
lieben Gott. Mit dem Gelde war mir ein Stein vom Herzen, und zwei darauf.
Denn ich fand auch, daß mein Eldorado unter dem 37sten Grade der Breite
lag; und höchstens erst unter dem 38sten Grade soll sich ein Deutscher
ankaufen, wenn er nicht aqua toffana schwitzen will, wie ich vor Angst
schon schwitzte. Und nun sollte ich meinen Committenten zu Hause ihr
künftiges Paradies aussuchen! War es schlechter als mein gekauftes, dann
schien ich ein Eigennütziger! War es besser, dann war ich ein Narr gewesen
-- Volkmar! In _Ohio_ sollte alles gute Stromuferland schon besessen seyn.
_Indiana_ erst später bequem; und da es so breit daliegt, wird auch noch
später wohl in Europa ein Unglück seyn, welches Unglückliche hier glücklich
macht. Ich weiß nicht, wie mir ward; aber ich fuhr, über den Ohio eben nach
Indiana hinüber, hinauf nach Clarkesville ganz in dessen Nähe mein Freund
oder Feind Erwin den Adligen auf seines Vaters Befehl im Testament ein
unschätzbares Grundstück eingeräumt. Und das erste Wort, das ich von dem
vorigen Herrn von Habenichts hörte, war: »Rechts und links von White river,
oder gar erst droben von Recovery bis Weautenan soll es am schönsten seyn!«
-- Wir hatten himmlische Freude, uns wiederzusehen. Ihre Wohnungen waren
gut, ihre Gärten und Felder und Wälder wie unvergleichlich. Überall führten
mich wenigstens immer funfzig glückliche Menschen herum. Der Nacken that
mir weh, die thurmhohen, mit Blüthen wie dunkele große Rosenknospen
überschütteten Fichten anzusehn! Die Trompetenbäume, welche, wie die Kinder
sagten, Posaunenbäume heißen sollten. Aber wo führte mich der alte Freund
auch hin! -- In einen Saal, nicht weit vom Ohio, den schon Tausende, die
stromauf oder stromab gefahren, besucht hatten, als ein hiesiges
Weltwunder. Ich sahe beim ersten Blick ein Wachsfigurencabinet mit allen
Europäischen Potentaten, die hier ganz eigenthümlich in tiefem Schweigen,
wie in tiefer Überlegung dasaßen. Ich nahm meinen Hut ab, obgleich nichts
gesünder ist, als der Gebrauch der Amerikaner, grade wenn man in's Zimmer
kommt, den Hut, selbst vor Damen, aufzubehalten, die ihre noch
wunderlichern, man möchte oft sagen unhöflichern Hüte ja auch nicht
abnehmen. Aber ich sahe nach langer Wehmuth endlich, daß der Saal ein
Klein-Europa, voll seiner besten Erinnerungen, war, alle blos zum Andenken
mitgebracht an das theure Vaterland -- Deutschland. Da lagen aus dem Cours
der Menschen mit fortgenommene Münzen, mit dem Bilde der verschiedenen
souverainen Herren. Da hingen Ellen aus jeder Provinz, länger oder kürzer,
keine gleich. Da blecherne Maaße, alle verschieden; Meßviertel und Metzen,
alle verschieden. Und so tausend verschiedene Dinge. Dort Censuredicte,
Cataloge verbotener Bücher aus jedem Ländchen, die einander meist aufhoben.
Verschiedene Strafgesetzbücher, Städterechte, Privilegien, Uniformen,
silberne Bischofsmützen, schwarze evangelische Mützen. Da hingen an einer
langen Kette von Eisen die abgelegten Orden der Herren, ja der Stifts- und
anderer Damen. Da lagen Armenlisten, Klosterlisten und Abbildungen von
Sonderbarkeiten, eine Reihe Carrikaturen vom ersten Witz, aber
unbeschreiblich. Dort lag schwarzes Bauerbrot nebst einer in Wachs
bossirten Bauerfamilie. Da verkaufte ein Herr Salz; da Tabak; da einer
Wolle, Holz; da hingen Studentenmützen von allen Farben . . . . da lagen
Zeitungen mit den letzten Nachrichten; ich bückte mich -- ich las den
Büchertitel: »Von Authenrieth, Kunst aus Holz Brot zu backen.« -- Mein
Gott, ich war daheim! Unbezwingliche Wehmuth befiel mich. Heilige Sehnsucht
nach alle dem Elend! Das Herz bleibt das Herz. Der Mensch bleibt der
Mensch. -- »Laßt uns betrachten« . . . . wollte ich anfangen, aber ich
mußte aufhören vor Weinen. Ich ging an den großen Häuptern vorüber, die
ohne Kronen und Scepter, nur ein Täfelchen mit ihren Namen an den gedeckten
leeren Tischchen, saßen -- bestaubt, blaß, in hundert Jahren alle todt,
zerfallen, wie diese Wachsbilder bald zerschmolzen, in das uralte schwarze
Element der Erde. Und ich sahe: Sie waren alle Menschen! Ich sahe, sie
waren ja alle aus ihrem Volke! Sie thaten alles Mögliche für ihr Volk, in
den Ketten und Banden der Zeit, die schleichen muß wie eine Schlange, nicht
fliegen . . . . nicht auswandern kann, sondern daheim gebaut ist, wie
Ulysses Bett auf den im Boden festgewachsenen Stämmen der uralten
Olivenbäume gezimmert; unbeweglich wohl, aber theuer und werth ist, einzig
werth; und wie Penelope daran, an diesem Geheimniß ihren lang verkannten
Gemahl erkannte, so erkannte ich hier mein Vaterland! Aber ich stand wie
ein Ehebrecher dabei -- wie der erschlagene Sohn meiner Großmutter, der
seiner Mutter um ein herbes Wort willen auf immer entronnen und umgekommen
war, und die arme alte Mutter saß daheim, zwar nicht mehr blind, aber ohne
ihn elend, wie er elend ohne sie gewesen. -- »Laßt uns betrachten« --
wollte ich wieder beginnen, aber ich konnte kaum meine Gedanken alle
fassen! Mir war auf der Reise die Flasche zerbrochen, welche mir der
Wagehals mit dem Schwimmgürtel ausgehändigt. Ich hatte eine Stelle in
seinem Lebenslauf, den ich der Welt einmal mittheilen will, noch vor Kurzem
nicht verstehen können; jetzt, jetzt klar und gewaltig überkamen mich die
Worte, wie Feuer vom Himmel: »Nichts ist feiger als Flucht! Die armen
Elenden! Sie ihrem Schicksal zu überlassen und sich allein zu retten -- o
Schaam, o Schande! Als wenn eine Mutter oder ein Vater ein krankes Kind,
alle seine Kinder krank und gebeugt und hungrig zu Hause wüßte -- und an
einer prächtigen Hochzeittafel tafeln wollte, sich allein es wohl seyn
lassen wollte, in dem freien, fröhlichen, hellen, sicheren, prachtvollen
Hause -- und nicht heimkehren! O Schaam! O Schande! Nicht heimkehren! Oder
fortgehen! wenn sie ihm auch nur krank _geschienen_! Wenn er ihnen auch
nicht helfen könnte, nur mit ihnen leiden, sie nur trösten, sie nur küssen!
Ja, hier in Amerika ist das freie, das fröhliche, helle, das sichere,
prachtvolle Haus. Ja, es ist hier so schön -- daß es eine Schande ist, es
sich allein wohlgehen zu lassen, und nicht zu Hause zu sorgen, daß das Übel
besser werde. Wo der Mensch besser werden kann, wo er am besten, am
hülfreichsten, ja wo er nur am edelsten seyn kann, da ist sein Vaterland!«

So sprach ich mir ohngefähr in zitternder Gluth die Worte vor und vergab
dem Manne. Ja, wie ich in Bremen gesehen meinen adligen Freund sich küssen
an der Wand, so wußte ich es zu machen, daß ich meine Lippen an die Mauer
drücken konnte -- denn ich küßte die Welt. _Ich_ war der Schatten hier. Und
ich hatte in mir ein Gelöbniß gethan, still, aber fest wie der stille Fels.
Nämlich das Gelöbniß: Als ein Deutscher nach Deutschland zu kehren, in ein
. . . in mein Vaterland! Damit ich ein Vaterland hätte, und das Vaterland
mich; damit ich nicht ehrlos, feig, selbstsüchtig, muthlos, rathlos,
hülflos _scheine_, so sehr ich es _wäre_! Oder _war_! O, ich war es nicht
mehr, denn ich fühlte mich froh schon daheim! O wie wollt' ich nun wirken
. . . und weben und ruhig sitzen an meinem, an unserem großen Webstuhl, der
uns Deutschland heißt: O, ich hätte Heiden bekehrt, geschweige deutsche
Auswanderer! Jetzt war mir ein schwererer Stein vom Herzen, der Fels, der
mich zu Tode gedrückt. Wie der Riese hatte ich wieder die Erde berührt, und
alle ihre Kraft hatte mich geladen. Ich hatte aber noch Pflichten. Mein
armes Weib war also umsonst gestorben. Die guten, die edlen Weiber haben
immer Recht. In jeder Mutter wohnt die Stimme der Natur. Ich schrieb in
meiner neuen Stimmung an Clöta, ließ neue Plane durchblicken -- ich legte
ihr eine schwarze Locke von meinem Haupte mit in den Brief. Ich fühlte ein
neues Leben -- gesund am Leibe war ich so schon geworden, ich fühlte das
Leben neu. Sollte ich blind seyn? Herzlos? Undankbar? Denn was ist älter
als alle Welt? Welches Gefühl? Und wie Josephine mich eher gesehen, und ich
sie eher gesehen hatte, ehe wir Beide wußten, daß _meine Frau_ das
Schicksal getroffen -- wie ich Josephinen also noch in eine lebendige Welt,
als die letzte, die schönste Gestalt mit aufgenommen, nicht farbenlos,
geisterhaft in die darauf erst mir aufgethane farbenlose, geisterhafte Welt
der Geraubten, so war Josephine ja nun darinnen lebendig, und regte sich --
o sie regte sich wunderbar! Was ist der Mensch? -- Ein immer neues Wesen in
der immer um ihn versinkenden Welt. Oder man sollte im neuen Lenz keine
neue Rose brechen und an die alte Brust stecken, ja nur ansehn.

Darauf zog es mich ins Land hinein, links an den Wabasch. Schon der Name
»Harmoniten« reizte mich. Ich wanderte mit meiner Tochter, wie in einem
langen Traume, im süßesten Sonnenschein. Aber die Flasche konnte ja Unrecht
haben, ich konnte nun erst am gewaltigsten irren, nun ich glaubte Recht zu
haben! Das Gefühl, Unrecht gethan zu haben, verstimmt mit der Welt und
macht blind auch. Und wollte ich billig seyn, ich konnte nicht leugnen:
diese Deutschen in alle den Ansiedlungen, die ich nun antraf, schienen mein
Heimweh überstanden zu haben! Denn sie schienen nicht nur, sie waren
wirklich glücklich. Bei mäßiger, ja nicht der Rede werther Arbeit
glückliche, harmlose Landleute. Sie waren keine Städter, keine von der
alten Welt gebildete oder verbildete Leute, kurz keine Gelehrte, keine
Vornehme gewesen. Und doch sagte mit ein Doctor, der hier zum Bauer
geworden: »Welch Unglück ist größer, als eine große Stadt? -- Welche Lüste
tauchen dort auf wie aus feuerspeienden Bergen und schwelgen sich satt!
Hier im ganzen Lande, den einzelnen Meiereien, ist kaum ein treuloses Weib.
Kein Spieler. Ich sage meine ganze Überzeugung: Es ist nichts schöner und
menschlicher, als ganz an und mit der Natur zu leben! Versteht sich
menschlich! Menschlich mit Blumen, die man tränkt, menschlich mit alten
Bäumen, menschlich mit dem Lamme, dem Hunde, ja mit dem Bär im Walde und
mit der Schlange. Denn durch Milde des Menschen sind alle Thiere zähmbar,
dienstbar zu machen, und alle sind seiner väterlichen Stimme, seinem
liebevollen Auge unterthan, denn die Thierseele ist auch noch ein Hauch von
der großen Seele, wenn auch nur wie letzter rosiger Hauch an den Wolken in
wunderlichen Gestalten, noch heiliges Licht der Sonne. Gartenbau, Feldbau,
das ist das erste, mittle und letzte Geschäft selbst des einst ganz klaren,
ganz großen Menschen, und im Schooße der Natur wird es am ersten, am
schuldlosesten, wenn einmal die Flamme in ihm entbrannt ist -- und sie ist
entbrannt! Und hier im Lande werden nur lauter Gärten seyn, lauter Gärtner
und Bauern. Aber ein Bauer ist ein ungeheurer Kerl, groß wie Adam,« schloß
er lächelnd. Der Doctor begleitete uns auf der Weiterreise, bis nach dem
kleinen Flecken Fashionout oder Modelos, welchen Engländer angebaut, um der
Mode zu entfliehn.

Mein Gott! wie oft des Tages mußte ich hier im Lande mein kaum gesagtes
Wort zurücknehmen! Zu des Doctors Lob des Bauers hatte ich gesagt: In der
freien Natur, in einzelnen Pflanzungen hebt das angeborene richtige Gefühl
die Menschen über den kleinlichen, schwelgerischen, neidischen,
erbärmlichen Verkehr großer Städte. Und hier gilt nur das Herz! Kein Rang,
kein adliger Stolz, nicht Schaam einer niedrigen Magd. Man sieht, was in
Europa die Seelen bedrückt, das Gefühl der Stände, des eigenen, von
Jahrtausenden ausgedrückten Unwerths, das nicht zum Gefühl der _gleichen_
Menschenwürde empor gelassen wird -- nur fort nach Amerika. Ich mußte das
Wort sehr bedingen. Denn der Doctor frug mich nun gern: »Warum wandern die
so ziemlich freien Engländer aus? -- Um der Sclaverei der Mode zu
entfliehn, der Jeder, der reich geworden, erst recht verfällt! Ein
ruinirter Fashionable, den ich curiren soll, sagte mir erst gestern: die
Mode ist die albernste Gesetzgebung, die kostspieligste; die Mode ist das
Ungeheuer, welches Europa's Fleiß, der Männer und Weiber Schätze,
Lebenslust und wahres Leben auffrißt. Die Europäer, vor allen die
Engländer, sind die wahrsten Sclaven durch die Mode. Die Engländer -- denn
ich bin keiner mehr, sagte er -- sind überall frei -- aber im Hause
Sclaven! Es wäre besser, sie wären in der Nachtmütze, in Pantoffeln, bei
der Suppe, bei Messer und Gabel frei, als frei überall außerdem auf Land
und Meer. Alle Künste müssen darüber zu Grunde gehn, alle Künstler, kurz
Land und Leute. Die englische Gesellschaft und ein jeder Abdruck derselben
umher ist die erbärmlichste auf dem Erdboden, und wenigstens zehntausendmal
erbärmlicher als die chinesische, wo doch viel zu merken und viel zu lernen
ist; aber Alles auf Zeit Lebens, auf das Leben vom Urgroßvater bis zur
Urenkeltochter und immerdar in die selige Ewigkeit. Hier in Fashionout
beobachten wir Menschenanstand, und kleiden uns und leben nach Wetter,
Bedarf, Vermögen, Gesundheit.«

Ich aber dachte, daß Deutschland 2500 Städte hat und 40 Millionen deutsche
Zungen, Seelen, oder _Mäuler_, wie die Chinesen sagen, und Großmäuler, wie
die großen Deutschen gern sagen.

Wie von diesem braven Doctor, so ging für mich nun ein tägliches Scheiden
an, von jeder Gegend, jedem Bach, jedem Baum, jedem guten, freundlichen
Menschen -- aber zuerst beinahe von meiner Tochter! Sie war mir krank
geworden; ich wollte sie in Gottes Namen nach Lawrencebury am Ohio
schicken, in das Haus des jungen, sie ehrenden Marfolk. Aber mit wem? Ach,
war nur mein Schulmeister Tolera hier! Denn auf dem Straßenbau hier im
Lande hätte er nicht nöthig gehabt, die Menschen hungern zu lehren! Im
Gegentheil nicht gar so viel essen; zum Frühstück schon in Butter
gebratenen Schweinebraten, Fische, fetten Kuchen, Eier, Käse; und ihr
Aufseher -- nicht gegen die Unmäßigkeit im Essen angestellt -- erzählte mir
mit sonderbarer Freude, daß die 6000 Arbeiter hier in 90 Tagen keiner einen
Schnaps getrunken habe! Aber meine Tochter nahm sich zusammen, und ihr
Geist, so jung der liebe Geist war, war stark. Ich fand es für meine Leute
hier überall gut, sich niederzulassen, so weit wir umherzogen, beschwerlich
genug. Hier begruben die Leute selbst; sie trauten junge Paare, sie tauften
selbst -- und der Papst und die Clerisei fiele auch hier in Ohnmacht! Ja,
wir wurden selber zu einer Taufe in Silverheelstown eingeladen, wo ein
Vater an jedem seiner Kinder einen besondern Gläubigen hatte. Der älteste
Sohn war ein Jude; der folgende ein Türke; der dritte ein Quäker; die
älteste Tochter eine Katholikin, und so fort, damit doch Eines seiner
Kinder den rechten Glauben erwische. Ich sollte nun Pathe stehen bei einem
kleinen Buddhaisten. Aber wir wußten Alle von den Ceremonieen dabei nichts.
Tolera selbst hätte sich zu Tode gewundert oder betrunken. Indessen dieser
Vater wollte auch Vater meiner Kinder werden, und ihnen ein gesegnetes
Stück Wüstenei verkaufen. Und ich schloß mit ihm die Bedingungen ab. Und
nun begehrten wir alle nach Cincinnati zum Bruder, vielleicht alle weiter,
nach Hause. Aber das Geld ging mir unterwegs nun endlich aus! Maria will
ihr Halsband von Josephinen verkaufen; -- das will ich nicht! Ich will den
Ring vom Prinzen verkaufen; -- das will sie nicht. Aber das mußte geschehn,
denn für den spätern Erlös des Halsbandes bezahlten wir die Heimfahrt nach
Europa. Aber nun war kein baares Geld von den Kauflustigen für den Ring
aufzutreiben! Höchstens Anweisungen auf eine ferne Bank. Sollten wir nun
hier, was wir an Materialien zum Tausch erhielten, verzehren -- so waren
wir nicht weiter. Wir mußten also lebendige Ochsen und Schweine nehmen und
einen Treiber, um sie am Ohio in Geld zu verwandeln. Die Reise war
merkwürdig genug. Schweine verliefen sich -- ich konnte nicht nachlaufen!
Ochsen waren marode, Maria schüttete ihnen Gras hin, beklagte sie und ließ
sie liegen. Eine Nacht ruhten wir in einer Höhle der Berge, die voll
uralter fremdartiger Menschengerippe war. Wir sahen Postdampfwagen
pfeilschnell vorüberfahren, wir konnten keine Stelle darauf bezahlen.
Endlich trieben wir glücklich in Lawrencebury ein. Aber Niemand lachte uns
aus. Alles Nothwendige steht hier in Achtung. Wir frugen nach Marfolk's
Wohnung, fanden sein großes Gehöft mit Niederlagen und Speichern, und ob er
gleich mein Schwiegersohn werden wollte, so drückte er mir doch die übrigen
Ochsen und Schweine ab. »Im Handel keine Freundschaft!« sagte er. Dagegen
im Hause war er unser Freund. Er wußte um mein Anliegen, er führte mich,
noch ehe wir ausgeruht, in seines Vaters Zimmer. Da hing über seinem Tische
meiner Großmutter Bild.

Schwarz, in großer Haube, und drunten stand der Name des reisenden
Silhouetteurs _Näthe_ aus Görlitz. Er öffnete die Weihnachtsbriefe. Sie
waren nach dem Ort meiner Heimath adressirt. Es gab eine Scene der
Erkennung, welche Maria durch kühlen Anstand milderte. Marfolk war in allen
Zeitungen im ganzen Lande durch seine Anklage auf Hinrichtung gleichsam
an's schwarze Bret geschrieben. Er wollte fort aus Amerika. Er fand es
schön, vor die alte Großmutter zu treten, und wenn er nicht in Europa
bliebe, wollte er bei der Rückkehr als ein frischer Einwanderer sich in
einem andern Staate der Union unter seinem wahren Namen Volkmar
niederlassen. Er wollte mit uns reisen! Das setzte voraus, daß wir wirklich
reiseten. Auch war ihm die Reise im Testament des Vaters, also nun meines
Oheims, aufgegeben. Wegen des Knaben Wilhelm bestimmten wir, daß er ein
Gerber werde, als die jetzt noch vortheilhafteste Profession, weil Häute um
ein Spottgeld und Leder sehr theuer wären. Übrigens war hier nichts mit
andern Handwerken; denn die Maschinen machen schon alles, oder werden hier
noch alles machen, als seelenlose, blinde Ableger oder Riesenkinder des
Menschen, gleichsam ein eisernes Geschlecht, in welches der Mensch seine
Sclaverei gebannt hat; und worüber Europa zu Grunde geht, durch Maschinen,
das bringt Amerika empor, weil hier Alle breit und bequem auf die
fruchtbare Erde sich stützen, und Alle sich neben und mit Maschinen grade
erst recht hoch emporrichten. Um dem Wilhelm zu der Ansiedlung von seinem
Vater zu verhelfen, mußte ich ihn jedoch erst durch einen verschriebenen
Taufschein als Erben legitimiren. Übrigens lernte ich hier im Hause das
Verhältniß und das Verhalten der Dienstboten -- bei uns des Gesindes --
hier der dienenden Herren und Frauen -- kennen, die so behandelt werden und
so sich betrugen, als bei uns adlige Herrn und Fräulein im Dienst bei
Bürgerlichen sich benehmen und behandelt werden würden. Mein Gott! so viel
thut schon das bloße Bewußtseyn: Wir sind frei! und das große Verhältniß:
Es ist nur Ein Stand im Lande -- der Stand des Menschen! Das war das
Bitterste, was ich erfahren habe, und das Schönste. Ja, wenn wir hier
blieben, wenn ich keine andere Aussicht für uns wüßte -- und ich sahe weder
als Pastor, ja nur als Schulmeister ein Ankommen -- wenn wir nicht _Bauer_
wurden, in dem kolossalen, freien, Amerikanischen Sinne, durch Ankauf aus
dem Ertrag des Diamantenhalsbandes -- -- -- so wollten wir uns selbst mit
meiner Tochter vermiethen.

Aber ich hatte recht vermuthet! Mein Vetter Marfolk hielt um meine Tochter
an. Ich konnte ihm nichts darauf sagen, als daß schon ein Anderer um sie
angehalten, dem ich es schreiben wolle. Und so that ich. In 14 Tagen
erhielt ich die Antwort von Erwin: »Im November komme ich nach
Philadelphia. In vielen Geschäften. Erwin.« Noch stand das Wort dabei: »Ich
bin Senator der vereinigten Staaten.«

Auf solche unbestimmte Antwort drängte mich meine arme Tochter, die mir
herzlich leid that, zur Heimreise nach Europa. Ja vorher, gewiß vorher --
ehe sie den Erwin wiedersähe. Aber leider waren wir schon im Herbst, der
unendlich schön und bunt und mild und heiter sich über das ganze Land
gesenkt hatte. Meine Reise konnte nicht die Absicht haben, die Natur
abzumalen, und so habe ich alle die tausend Gelegenheiten vorüber gehen
lassen, ein Bild von Dinte ihr nachzupfuschen! Denn hier ist mehr wie
Griechenland und Italien. Hier ist Persien, kurz alle schönen Gegenden der
Welt, nur keine Schweiz. Freilich blieb mir übrig, auf der Besitzung der
Baronesse Freysingen und ihres mir so nah verwandten jungen Mannes den
Voigt zu machen, oder den Gehülfen auf der Ansiedlung unsrer zwanzig Dörfer
-- aber meine Tochter hatte _alle_ Amerikaner satt, durch Einen, und
Amerika mit ihm herzlich satt. Zum nächsten Frühjahr also versprach mir der
gute, bescheidene Vetter Marfolk mit nach Europa überzufahren. Jetzt nahmen
wir von ihm Abschied. Wir reiseten ziemlich armselig. Jeder Vater kann sich
denken, daß ich endlich schweres Verlangen trug, meinen Knaben in
Cincinnati zu sehen. Wir schifften die kurze Strecke den Ohio hinauf nach
der Stadt, die einen Hügel hinauf schön und herrlich liegt. Wo er seyn
sollte, wußte ich. Ich ließ meine Tochter in unserm Boarding, oder höchst
anständigen Familien- oder Gesellschafts-Gasthof, ging allein und fand das
Haus. Aber mein Sohn war fort! Fort in eine Anstalt nach Philadelphia. Wer
konnte das gethan, ihm so wohlgethan haben? Alles Rathen war aber
vergebens. Indeß er lebte, er hatte geschrieben -- auch an mich; ich
empfing seine Briefe. Ich mußte sie küssen, ehe ich sie las, und dann
weinen, denn er erinnerte mich an die Mutter, die nun schon lange im Lande
hier schlief. Ich schrieb ihm wieder und ein Diener ging sogleich mit dem
Briefe fort.

Als ich nach Hause gekommen, fand ich eine Einladung zum Mittagessen zu
einem guten Freunde, der sich jedoch nicht genannt hatte. Straße und Haus
war angegeben. Warum sollte ich der Einladung nicht folgen? Meine Aufregung
war heftig. Ich zog wieder einmal die guten Kleider an. Alle meine guten
Freunde schwebten mir vor. Wie angenehm war mir ihre Nähe im Geist. Aber
ach, wie viele waren elend gebannt zu Hause! Doch auch unter den Wenigen,
die hierher gewandert seyn konnten, rieth ich vergebens, und blieb in der
holden Erwartung, wen ich sehen, wen ich an das Herz drücken würde.

So geh' ich. So trete ich ein. Niemand zu sehn! Nur ein Tischchen mit zwei
Gedecken steht bereit. Aber im Cabinet regt sich es wieder mich sonderbar
erinnernd. Ich sehe. Es lauscht zwischen den zugehaltenen Vorhängen. Ich
spähe. Ich gewahre ein großes braunes Auge in seinem milchweißen Himmel.
Mir klopft das Herz. Ich sehe oben darüber schwarzes, glänzendes Haar. Nun
erscheint ein kostbares Nasenspitzchen, die schöne, edelgebildete Nase.
Jetzt Lippen wie Erdbeeren, wie eine Doppelkirsche. Mir beben die Kniee wie
in meiner grünsten Jugend. Mir vergehen die Sinne. Denn nun sehe ich auch
schöne, aber blasse Wangen -- das ganze edle Antlitz ist frei. Aber die
Augen sind jetzt leise geschlossen. Die Augensterne zucken unter den
langbesäumten Augenliedern. Ja, an den Wimpern quillt es leis und zart
hervor wie Thau an Blumen. Ich weine selbst.

Josephine! ruf' ich.

Da verhüllt sich ihre ganze Gestalt wieder hinter dem Vorhang. Ich bin
betäubt. Ich setze mich gleichsam in Ohnmacht auf das Sopha. Meine Hand
bedeckt die Augen. So bleibe ich lange. Ich träume, ich schlafe eine
mannigfach bestürmte, aber schöne Zeit. Ich komme zu mir. Die Gestalt sitzt
neben mir. Ihre Hand hält meine Hand. Ich schlage die Augen auf. Ihre
großen, feuchten Augen sehen mich an. Wenn ich nicht auf dem Sopha saß,
wär' ich ihr zu Füßen gefallen.

In dieser herzbeklemmenden Stunde erschien mir wie damals wieder im Zimmer
vor mir stehend die Gestalt meiner Frau. Ich machte die Augen vor ihr zu.
Aber sie sprach heut mild zu mir: »Fürchte Dich nicht! Ich bin unter den
Todten so klug geworden, wie alle Todten. Weiber und Männer, die von den
Ihren hinweggerissen, nur wohlthun, ihnen auf Erden noch alles Glück zu
gönnen, ihnen neidlos alles Glück zu verschaffen, oder bei ihrer Ohnmacht
sie doch zu segnen. Also jetzt sprich zu dem armen Weibe. Sie wird kein
Wort Dir sagen. Denn ein Weib ist edel. Und so sehr sie verrufen sind, daß
sie schwatzen, so halten sie doch ihre Liebe zu heilig, als sie je auf die
Zunge zu nehmen gegen einen Mann. Rede also Du! Und sie wird Dir antworten
ohne Worte, mit Thränen, mit ihrem ganzen Dir holden, schönen Wesen. Auch
prophezeihe ich Dir, lieber Volkmar: Noch heut wirst Du mit ihr getraut.
Diese Nacht schon ruhest Du hier. Und wenn Du das Licht auslöschest, und es
sich unheimlich im düstern Zimmer regt, so denke: ich bin's, die
hinschwebt, das kalte Lager der Todten zu drücken.« --

Jetzt schwieg sie, sahe mich zärtlich an, und verschwand oder verlosch
vielmehr auf derselben Stelle allmählig, wie ein Regenbogen verschwindet
und hin ist.

Ich aber war noch ganz verworren, und sagte laut und verständlich vor mich
hin: Das laß ich mir eine vernünftige Frau seyn! Sie räth mir nun selbst
zu, den Engel zum Weibe zu bitten. -- Ich fuhr auf. Denn ich erwachte jetzt
über die Worte erst völlig und war gewiß über und über roth.

Aber auch Josephine war von Röthe übergossen. Aber sie verbarg sie an mir.

Und das einmal ausgesprochene Wort meines vormaligen Weibes gab mir Muth
und Veranlassung, der schönen jungen Wittwe zu erklären, ja Alles
aufrichtig zu sagen, was ich von der Erscheinung gehört . . . . und mein
Schlußwort dazu zusetzen oder anzubringen.

Und wie mich mein Weib versichert, so geschahe es. Josephine weinte blos,
oder schlang höchstens nur einmal ihre Arme um meinen Nacken -- aber die
Edle küßte mich nicht! Doch -- um ein aufrichtiger Mann zu seyn -- ich
küßte sie! Zum Erstenmal. Aber nicht zum Letzten. Und als Braut führte sie
der Bräutigam -- meine Wenigkeit -- zu Tische.

Wie wenig essen Glückliche!

Aber wie viel trinkt ein armer erlöster Pastor vortrefflichen Wein! Um ein
aufrichtiger Mann zu seyn, muß ich aber gestehen -- und jeder Eingang mit
dem Worte »_gestehen_« taugt gewöhnlich nicht viel -- ich schämte mich vor
meiner Tochter, wieder ein Weib zu nehmen, und ein so schönes, so junges,
und da es einmal so war, auch ein so reiches. Wenn meine Tochter
heirathete, so mußte sie sich vor mir schämen -- daß sie so liebte bis zum
Heirathen. Oder wir waren doch quitt. O, ein Vater hat in jeder Lage gar
viel zu denken, zu bedenken, zu beobachten. Doch meine Tochter sollte ja
gar nicht erfahren, daß ich nur wieder heirathen könnte! So war ich heraus.
Aber dabei mußt' ich nun bleiben.

So viele Monate, so schwere Zwischentage waren wir uns unter tausend
Zweifeln mit Josephinen doch gut gewesen -- hier zu Lande war kein
langweiliges, meist nur überflüßiges Aufgebot nöthig, da keine Kirche, also
auch keine Kirchenordnung oder Litanei hier ist. Auf einem Spaziergang
gegen Abend ließen wir uns dem Geistlichen melden, denn meine Braut kam mir
garnicht mehr so voll vor, als da ich sie zum letztenmal gesehen. Und so
standen wir vor dem Geistlichen, gelobten uns Treue, gelobten uns: Glück
und Unglück mit einander zu ertragen, und der Mann hielt eine kurze Rede,
wie ich selber niemals eine zu halten im Stande gewesen -- so gerührt war
er. Und als junger Mann und junge Frau wandelten wir nach Hause. Marien
aber ließ ich sagen, ich wäre in so liebe Gesellschaft gerathen, daß ich
wohl vor Morgen früh nicht nach Hause kommen würde. Dabei schickte ich aber
der guten Seele ein großes Körbchen mit allerhand vortrefflichen Speisen
und Wein, damit sie unbewußt doch von meinem Hochzeitschmause koste.

Bis zum Morgen aber hatte sich meine liebe, kostbare Jungefrau
entschlossen, mit uns nach Europa zu gehn. Ich bat sehr, ob ich gleich
wußte, wie gern sie ging, um aus einem Lande zu kommen, wo sie, so schön
und edel sie war, nur mit dem Schleier sich zeigen durfte -- ihrer
schimmernden Farbe wegen.

Als ich nach Hause kam, schlief meine Tochter, und ich küßte sie, und bat
ihr unser Glück ab und meine liebende Täuschung. Ich aber konnte ja nun
wieder -- versteht sich ohne den rechten Namen -- von ihrer guten Mutter
reden. Ja, der folgenden Tage Einem führte ich Josephinen bei ihr ein --
als eine Gesellschafterin für sie auf der schönen Herbstreise durch Ohio
nach Philadelphia, ja nach Europa.

Abends ging ich gewöhnlich in die oben angeführte »so liebe Gesellschaft.«
Und so hatte ich in diesen wieder glücklichen Tagen nur einen, aber höchst
bittern Verdruß. Ich wollte doch das Merkwürdige von Cincinnati sehen. So
lasse ich mich in die gelehrte Gesellschaft einführen, zu der auch, und
besonders die hiesigen Buchhändler gehören. Man muß meinen Namen Volkmar
mit: Volkhard verwechselt haben. Manche kommen und bedauern mich. Manche
drücken mir die Hände. Einer fragt mich mißtrauisch: wie ich aus meinem
19jährigen Zuchthaus entkommen? Ein Andrer: was ich gedacht oder für
Entschlüsse gefaßt, als ich das Bildniß habe um Vergebung anflehen müssen?
Andere wendeten mir den Rücken, oder sahen mich höhnisch, ja was noch
barbarischer war, sie sahen mich mitleidig an. Kurz, ehe es zu der Collecte
kam, die man für meine arme, unschuldige Frau und Kinder sammeln und ihnen
schicken wollte, suchte ich zu entkommen. Denn meine nackte Versicherung,
daß ich kein Buchhändler, am wenigsten ein Bayer sei, schlug bei den einmal
Verblendeten nicht an, und sie hielten mein Ablehnen für Schaam, für
falsche Schaam in Amerika. Durch diesen Vorfall erwachte aber -- in meiner
Weise, der mitleidigen, hülfreichen -- mein Heimweh bis zur Angst. Und ich
wand die Hände.

Also nach einer schönen, glücklichen Reise durch das, reich angebaute,
unvergleichliche Ohio -- worin aber zwischen Urbana und Bixbie und zwischen
Chillicothe und Marietta noch ungeheurer Platz zu den gesegnetsten
Niederlassungen der Einwanderer harret -- waren wir im November endlich in
Philadelphia, und wohl logirt, denn meine Frau hatte unermeßliches
Vermögen, ob ich gleich noch nicht darnach gefragt, und ich war der Herr
wiederum meiner Frau.

Sie ging mit mir voll Freuden zu nunmehr unsrem Sohne Gustav Adolph,
welchen, wie ich jetzt erfuhr, _sie_ in eine vortreffliche
Erziehungs-Anstalt hatte bringen lassen. Sie ging zuerst zu ihm hinein.
Aber das war vergebliche Vorsicht ihn auf den Vater vorzubereiten! Er kam
-- bei ihr vorbei, über den Saal, auf die Treppe mir entgegen gestürzt, wo
er auf den höheren Stufen stehend, mich wie gleichgewachsen, so recht
umhalsen konnte. Aber er hatte ja mich, den Vater. Und so war sein erstes
Wort: »Ist die Mutter drunten?«

Vorbereitet auf diese Frage sagte ich ihm, daß sie wieder nach Hause
gereiset sei, weil ihr lieber Sohn Marbod krank gelegen.

Das glaubte er. Denn er kannte ihre Vorliebe zu jenem Kinde. Und ach, so
blieb ihm die Mutter leben, lange, lange Jahre. Er frug aber nach der
Schwester Maria. Und so mußte ich ihn unter Bitten und Bedrohungen
ermahnen, daß er sage: die Mutter habe mir ihn selbst, den Gustav Adolph,
mit einem Freunde hierher nach Philadelphia nachgesandt, weil die Schwester
sonst über die Mutter und den kranken Bruder sich grämen würde. Was die
Mutter betraf, hatte ich die Wahrheit gesagt. Unter dieser mir von dem
folgsamen Knaben zugesagten Bedingung konnte ich der armen Tochter doch
eine Freude machen: den Bruder wiederzusehn. Auch mußte sie das glauben,
denn auch ihr hatte ich in Vorrath gesagt, daß ich meinen kleinen Sohn gern
nachgesandt hätte, und deswegen nach Hause an die Mutter geschrieben. Und
so belohnte sich diese fromme List auf der Stelle. Denn Maria kam herauf,
und die Geschwister weinten reine Freudenthränen.

Eines Abends darauf -- es mochte in Deutschland um die Zeit seyn, wo Tag
und Nacht mit einander ringen, nach Mitternacht -- kam meine heimliche Frau
zu uns in merkbarer Aufregung, und ladete uns zu einem Gang an den Hafen
ein, denn es wären Schiffe gekommen, die auslandeten. Wir gingen also.

Die Delawarabai wimmelte von Schiffen. Unmerklich aber führte uns Josephine
an einen Stapelplatz, wo Boot auf Boot voll Neger, Hundert zu Hunderten ans
Land gesetzt wurden. Negermütter saßen schon auf der Erde, und hatten die
Kinder an der Brust, auf dem Schooß, oder um sich her. Junge und ältere
Männer, alle neu gekleidet, gingen ab und zu und halfen den Ihrigen Seil
ziehen, Päcke tragen, alles in brüderlicher, fröhlicher Gemeinschaft. Auf
einmal trat meine Tochter bestürzt hinter mich. Ich wandte mich um. Sie
verbarg sich an meiner Brust. Sie war blaß wie von Schnee; sie bebte wie
geschüttertes Rohr. »Was? Wer? Warum?« frug ich. -- »Ach, dort!« sprach sie
und deutete unmerklich über meine Achsel mit dem Zeigefinger. Ich sah
überall umher. So erblickte ich auch unter einigen Gruppen zwei einzeln
stehende Männer, deren Einem, dem großen, schlanken in blauem Überrock ich
nicht ins Gesicht sehen konnte; aber der Andere hatte es uns zugewandt --
es war Erwin. Nun wußte ich Alles! Ich drückte ihr herzlich die Hand und
hieß sie abwärts sehen. Aber die Männer kamen beide im Gespräch auf uns zu.
Ich wich unmerklich aus, aber Erwin schien uns vermuthet, erkannt zu haben.
Und während wir alle die Augen zur Erde niedergeschlagen hielten, kamen sie
uns so nahe, daß ich ihre Fußspitzen sahe. So blieben sie vor uns stehen.
Sie grüßten leicht und zuversichtlich -- und ich hatte die Ehre und das
Vergnügen und die Erfahrung, an Erwin das Compliment eines getäuschten
Tochtervaters zu machen oder zu schneiden, und ihm zu danken. Welches
Gesicht ich aber dazu gezogen oder geschnitten, kann ich als ein
aufrichtiger Mann nicht sagen; denn ich habe es nicht gesehen -- als im
Spiegel von Josephinens Antlitz, worauf es ganz roth aussah. Wie mußte mir
aber erst werden, als Erwin nun so seine liebe Stimme vernehmen ließ:

»Ich sollte eigentlich recht bös seyn, und ich will auch nicht leugnen, daß
ich im Kern der Seele, im Stolze, recht schwer, ja recht schwer beleidigt
war! Sehen Sie nur, General,« sprach er zu seinem Begleiter, »da hinter dem
Vater steht verschämt das Kind, das mir das Leben so schwer gemacht -- aber
mich zum freien Manne, und hoffentlich nun auch zum glücklichen« . . . .

Er wollte Mariens Hand ergreifen, und wie sie sich ihm entzog, und um mich
herum schlüpfen wollte -- ergriff er sie von der andern Seite und hielt sie
fest an der Hand. Und das ganze Mädchen zitterte.

Und mit seelenreiner, seelenfroher Stimme sprach er getrost zu ihr: »Ehe
ich nicht frei war -- denn wer nur noch einen Schatten von einem Sclaven
hat, der ist selber ein Sclave -- eher schämte ich mich Dir mit einem Worte
zu nahen -- und Du, Du hast doch das Schweigen verstanden? Meine ich! Aber
jetzt, jetzt! Ich habe keinen Sclaven mehr! Bin ich nun Deiner werth? Nicht
wahr -- ein Amerikaner! . . . . und er sollte Sclaven haben . . . . nicht
wahr, das konnte die liebe Seele ja nicht ertragen! Wer würde so ein Mann
als Mann gewesen seyn! Nicht wahr? Aber ich habe keinen Sclaven mehr, da
siehst Du sie alle umher! Du, mein edles Kind, Du hast sie frei gemacht --
und hast doch nur Einen Menschen recht geliebt. Und das hab' ich
verstanden! Das hab' ich geehrt.«

»Wohl, sehr wohl! Senator,« sprach der General.

Wir andern alle weinten, und namentlich mir schnürte es heimlich ordentlich
die Kehle zu. Aber o Gott, der Blick, der jetzt aus meines Mädchens Augen
in ihres Freundes Augen strömte, der war wohl werth, daß Du Menschen
geschaffen hast, Du allliebender Vater, daß Du sie Sclaven werden lässest
und erlösest, durch Deine heilige Macht. Was hätten die Menschen denn sonst
auf der Welt zu thun, als etwa alle ewig im Bett zu liegen -- wenn Alles
vollkommen wäre! Das verhüthe Gott, und hat es verhüthet. So haben die
guten Menschen etwas vor, das Gute zu thun, und eine Freude, den Sieg über
Irrthum und Blindheit der andern armen Menschen. -- Das war mein
innerliches Gebet. O ich war ja nun endlich ein glücklicher Tochtervater!
Und die Unglücklichen können nicht beten; denn Beten heißt: Gott loben in
allen Dingen. So meine ich.

»Die Sache freut mich!« sprach der General. »Sie geben ein Beispiel, und
ich danke Ihnen für Viele, Senator.«

»Es geschieht nach meines Vaters Testament;« sprach nach Gottes Willen nun
mein Schwiegersohn. »Denn welcher Deutsche vergäße sein Vaterland! Das ist
uns keine Schande; denn Deutschland ist auch das Vaterhaus von England,
woraus unser Penn stammt. Thue ich was dazu, so geschieht es aus allerhand
Liebe und Ehrfurcht. -- Also mir keinen Dank, Präsident!«

Gott's Wetter! hätte ich bald laut gesagt, das ist der Präsident der ganzen
27 vereinigten Freistaaten! und ich hielt mir wirklich den Mund bescheiden
zu und sahe meine Tochter bedeutend an, deren Auge aber schon an dem Manne
hing, still, sanft, ehrfurchtsvoll, wie eines Kindes Auge, das zum
erstenmal den Engel, das Christkind sieht, und selber die eigene größere
Schwester in ihm nicht erkennt, ob es sich gleich ohne Maske zu ihm neigt
und mit unverstellter Stimme freundlich zu ihm spricht. Das blaue Band auf
ihrem Busen ging aber auf und nieder . . . so klopfte ihr Herz. Und ich
hätte die golden untergehende Sonne fragen mögen, ob sie etwas Größeres auf
ihrer weiten Bahn erblicke, als einen freien Vater freier Kinder.

. . . . . »Und lieber Vater,« sagte Erwin nun zu mir, »die Neger gehen nach
Deutschland.« --

Ich erschrak billig und unbillig.

»Ich meine in die Schule,« fuhr er fort, »in die mein gewesenen zwanzig
Dörfer der Freysingen; denn ich habe sie laut Testament den Menschen zur
Ausstattung mitgegeben. Die Güter der Einzelnen habe ich gekauft. Die
Schiffe bringen die Neger hin, und laden Ihre Gesellschaft her. Künftig
folgen Mehrere! Tausende! Sorgen Sie nur, daß Sie dagegen 5000 Männer
hersenden; denn so viele können gleich einen eigenen Staat gründen und sich
eine Verfassung geben, und schon Abgeordnete zum Congresse schicken. Das
Schloß der Freysingen, den Park und die Appendixe von Vorwerken aber
erlaube ich mir Ihnen anzubieten, lieber Vater!«

»Sie wollen also nicht bei uns bleiben? Wir haben die Deutschen so gern;«
sagte mir der gegenwärtige Vater des Volks, »Jeder, wie er will. Nur recht
für sich und nicht unrecht für Andere. Aber was haben Sie hier gesehen und
bemerkt?«

Ich hatte aber das Herz auf einmal zu voll von der Heimath, oder sprach aus
Verwirrung: Was ich alles nicht gesehen? Sub fide pastorali: keinen
Majestätsverbrecher, keinen Censor, keinen Pfennig Steuer oder
Gewerbesteuer im ganzen Lande, keinen Hungrigen, keinen Faulen, keinen
Soldaten, keinen Adligen, keinen Erbitterten, der die Regierung stürzen
will, keinen Bettler, keinen Krüppel, keinen Executor, keinen sogenannten
Advokaten, keinen Theologen, ja nicht einmal einen Papst; schloß ich.

Es sollte aber noch ärger kommen, denn er wiederholte: »Nein, ich meine,
Was Sie hier bemerkt haben?« -- Und ich sagte nun gar: Keine Kunst, keine
Cultur, keine Religion, -- oder Moral, wollte ich sagen! Aber ich konnte
gar nichts mehr sagen, und blieb rein stecken, roth wie begossen, denn ich
merkte meinen groben Fehler, oder meine fehlerhafte Grobheit -- aber mich
überkam ein furchtbarer, verzweifelter Muth, und ich setzte hinzu . . . »um
ein aufrichtiger Mann zu seyn. Hier steh' ich, Gott helfe mir, Amen!«

Der Volksvater legte die Hand an's Kinn. Erwin aber entgegnete mir, fein
lächelnd: »Sehn Sie umher, lieber Vater! Es giebt ein großes Thier, dem der
Mensch nur Alles nachmachen kann, aber soll! Wo ist in diesem großen Thiere
Religion, als im Menschen? Im freien, im ausgebildeten Herzen des Menschen!
das bedenken Sie wohl. Aber liegt nicht eben darum die Sittlichkeit der
ganzen Natur zum Grunde, schwimmt sie nicht darauf, lebt sie nicht darin,
wie eine Wasserblume mit allen ihren Kelchen? So muß die Sittlichkeit auch
der Menschenschöpfung, dem Staate zum Grunde liegen, aus ihr hingebreitet,
wie ein unsichtbares, aber festes Netz -- das Niemand fängt, der es nicht
sieht, nicht sehen will, oder nicht gewahren kann.«

Ich hatte mich wieder gesammelt, und fing an zu hören, was ich hörte; und
hörte nun weiter: »Da ist die Staatsgestalt die rechte, da ist die
Staatsgewalt die ächte, wo sie nicht alle Gewalten selbst ist, sondern alle
ebenbürtigen Gewalten neben sich grade befördert; alle Gewalten nämlich,
die keine Staatsgewalt weder hervorbringen, noch je vertilgen kann: die
Gewalt der Seele: die sittliche oder religiöse Gewalt, und die
patriarchalische, die väterliche, die hausväterliche Gewalt. Diese zwei
Gewalten müssen in jedem Menschen, in jedem Hause herrschen. Daran darf
nicht einmal ein Scherge klopfen -- also auch kein Priester. Es giebt also
Millionen Staatsgewalten im Lande, deren Ausdruck und Schutz blos die
sogenannte eingesetzte Staatsgewalt ist. Wo es so steht, da ist das wahre
Recht, die wahre Freiheit zu _Hause_, wahrhaft zu Hause, zu Kopfe, zu
Herzen! -- und somit denn im ganzen Lande, bei uns, meine ich. Und der
erste negative Staat wird wundersam der erste positive, den die Menschheit
aber ausfüllen muß und darf und kann! meine ich.«

Jetzt fielen Kanonenschüsse von einem anlegenden Schiffe, und die Worte
wurden mir ordentlich eingedonnert.

»Und was die Kunst betrifft? Ohne Wohlstand, Überfluß und Reichthum keine
Kunst? Wo wird sie also eher aufblühen oder eher auslöschen, hüben oder
drüben? -- So frug ich mich selbst von Rom bis Bremen. Und glauben Sie,
gegen eingewurzelte, in Jahrhunderten begründete Armuth sind Fleiß,
Ordnung, Recht, ja selber die endliche Freiheit vergebliche Mittel. Doch
unsere famose Geldaristokratie ist nur ein offenes, steigendes, sinkendes
Institut, das hier kein einziges Vorrecht gewährt! Und wenn Viele im Lande
100,000 Dollar haben, was hindert das, daß nicht Alle so viel erwerben und
haben? Was schadet das Haben der Andern Jedem, der nicht _vorreich_ seyn
will, sondern nur reich, _mitreich_! Denn das ist der erbärmliche
Unterschied, der den Reichthum dem Vorreichen wieder zu Armuth macht, und
dem Reichen den Reichthum zu Pein. Auch dieser Pein wird hier begegnet,
durch auseinander wohnende Menschen! Das Paradies mit Einer großen Stadt,
voll siebenstöckiger Häuser, wäre auch ganz ohne Adam's und Eva's
Sündenfall dennoch zur Hölle geworden. Ich meine. Nur die Sonne sieht man
mit einem geschwärzten Glase an! Uns aber gar mit russischem Marienglas?
Doch sehen Sie nur dort die neuen Einwanderer, die da eben heraufsteigen --
o es giebt auch Augen für uns! Indessen Sie sehen, es giebt Patrioten auch
hier, die unaufhörlich aufmerksam und unermüdlich thätig das Volk das Gute
finden lassen!«

Dabei lächelte er, gab mir eine Rolle Papier und sagte: »Das ist die Magna
Charta für Ihre Neger. Ich meine, sie werden den Fürsten achten -- unsern
Freund, den Vater des lieben Leuthold; sie werden alle Gaben gern geben;
gern Soldat werden; nach keiner Preßfreiheit fragen und so weiter; kurz,
folgsame, glückliche Deutsche seyn. Ich dächte aber, Sie tauften sie dieser
Morgen einen im noch einsamen Dämmer, gäben ihnen Namen, trauten die lange
Verheiratheten und thäten dergleichen Europäisch Erforderlichen Alles. Bis
zur Abfahrt lernen sie auch noch Etwas -- das müssen sie wissen. Aber meine
Schwägerin Maria hat ihren guten Theil an dem Allen, müssen Sie wissen.
Werde nicht roth! Du aber, Maria, komm auch mit uns! Und der Vater! . . .«

Ich aber hatte mit Erschrecken meinen Sohn Marbod mit der Baronesse
Freysingen unter den Gelandeten erkannt, war in einiger Höllenangst und
versprach nachzukommen! Sogleich! Und so ging denn meine Tochter, von Erwin
an der linken Hand geführt, und zu ihrer Linken von dem edlen, ernsten,
wohlwollenden Freunde ihres Freundes begleitet von hinnen, meine heimliche
Frau aber zur Rechten Erwins. Mir war wohl, mir war unvergleichlich zu
Muth. Denn meine Tochter sahe sich nach mir um, und ihre leuchtenden Augen
nickten mir unter dem schattigen Hute so glücklich zu! O es ist wohl werth,
edel zu denken und edel zu bleiben -- und dann erst recht werth, wenn man
dadurch _nicht_ glücklich wird -- wie mein armes Kind. Jetzt hatte sie
gewiß Respect vor allen Amerikanern. Jetzt blieb sie hier!

Ich flog meinen Kindern entgegen. Wie froh waren sie, einen Vater zu
finden, und hier. O, wer kann das beschreiben! Denn um uns standen
Hunderte, die wie ein sonderbares, ganz eigenthümliches Geschlecht, ohne
Heimath wie die Fische, ohne König und Herrn wie die Vögel gleichsam als
Amphibien der Vor- und Nachwelt hier im Abendscheine standen, die noch
wankenden Kleinen an ihrer Hand! Aber auch für sie war gesorgt. Nach den
ersten Umarmungen aber schon frug auch mein Sohn nach der Mutter. Und so
täuschte ich auch ihn, mit dem Wort, das nun gelten und stehen bleiben
konnte, als Wahrheit für sie, so bald und so oft sich auch alle, jetzt und
später, besprachen, daß die Mutter von Neu-Orleans nach Hause gereiset sey
-- in unsrer Abwesenheit -- weil ihr Marbod krank gelegen. So sollte und
konnte nun auch Maria wissen.

»So haben wir sie also verfehlt! die gute Mutter!« sprachen sie bedauernd.
»Aber, Väterchen, Du gehst ja heim.« Und nun verschlang der Strom des
Lebens die Gedanken, die Todten und Lebenden, die Fernen, die Alten, die
heiligen Alten, die alte Welt -- Alles und Alle. Ich führte die
Angekommenen nach, zu Erwin und zu Maria, zu Josephinen -- und heut war
Amerika ein herrliches, heiliges Land.

Meine Lage war nun für einen Pastor äußerst lobenswerth, besonders, wenn
ich wieder in die vorgeschobene »angenehme Gesellschaft« ging. Ja, ich
bekam Amtsarbeit. Die Neger, wohl untergebracht, wohl unterrichtet im A. B.
C., wohl beaufsichtigt und versorgt durch Wilberforce und meinen ganz dick
gewordenen, fast majestätischen, langen, noblen, gutmüthigen Tolera -- die
Neger kamen eines Morgens sehr früh (am 14ten November) zur Taufe. Die
katholischen Priester hatten ganze Schaaren Südamerikaner mit der
Feuerspritze getauft, und dann mit Kartätschen erschossen -- so _viele_
Köpfe zu taufen, so _viele_ Pathen zu stellen, war in der nöthigen Kürze
unmöglich. Die Schwarzen lagen auf den Knieen. Der Morgen, von sonderbaren
Wolken umhangen, graute kaum. In die heilige Stille sprach ich einige Worte
zum Eingang. Da war es auf einmal, als wenn eine allmächtige Hand alle
Wolken vom Himmel weggerissen! Tausend Gestirne glänzten da droben
funkelnd, sprühend, Strahlen versendend, ausströmend, wie goldnen,
brennenden, leuchtenden, langen Regen. Jetzt, jetzt rühren sich die
Gestirne am Firmament -- oder wanke ich? taumle ich? Aber nein! Was nie
geschah, und nie geschehen wird -- das ganze Firmament voll Gestirne zieht
rasch, wie auf entsetzlicher Eil durch das dunkelblaue Himmelsschwarz.
Alles wird licht auf der Erde! Die Meerbucht glänzt, die Büsche brennen,
die Nachtvögel stürzen, wie betrogen von tausend Sonnen, zur Ruhe; ich
unterscheide die Blätter der Blumen zu meinen Füßen, denn ich erblicke mit
Erstaunen meinen wie rasend um mich schwirrenden Schatten. Jetzt reißt sich
ein Stern los, er stürzt mit Gezisch und Gestrahl, mit Gedonner hernieder.
Zehn Sterne reißen sich los, wie reife Früchte! Hundert Sterne stürzen mit
Gezisch und Gestrahl hernieder! Tausend Gestirne, immer größer, wie
Feuerkugel-Lawinen, stürzen und zischen und strahlen, und tausendfältiges
Donnergekrach stürzt drüber hernieder. Ich war blind, ich war taub, ich war
außer der Welt.

Es war geschehn. Es war ruhig, als wenn nichts geschehen. Es war
todtenstill, es war grabesfinster. Da standen die schwarzen Menschen auf,
beteten mich fast an, und dankten mir bebend vor Furcht, und klappten noch
mit den weißen Zähnen, die in dem Nachtgraun schimmerten. »Nun sind wir
getauft!« riefen sie alle. Und: Ihr seyd getauft! sprach ich und segnete
ihren Ausgang und Eingang -- in Europa. Dann enteilten sie wie Geister.

Das war wieder einmal ein Wunder, stöhnte ich. Und nach langem Betrachten
schlich ich nach Hause und verschlief den ganzen Tag. Mir träumte: Ich war
in einem brennenden Hause und fiel in Ohnmacht -- dann sprang ich auf und
lief fort. Der Traum war meine völlige Lehre oder Cur. Wenigstens hast Du
nun Deine Kinder und Kindeskinder beim sicheren Nachbar. So ergötzte ich
mich nun noch mit ihnen Allen.

Zum zeitigen heiteren Frühling kam unser Vetter Marfolk richtig. Da war
neue Freude. Meine Tochter, die ich mit Erwin getraut, in Gesellschaft der
zu trauenden verheiratheten Neger, kam von Washington zu unsrer Abreise.
Ich fuhr meinen anvertrauten Einwanderern voraus auf dem ersten
Dampfschiff. Der Morgen der Abreise kam. Erwin kam noch, und nach dem
Abschied flüsterte er mir noch ein Wort in's Ohr: »Wir bitten einander zu
Pathen!« -- Er wußte also, daß ich ein Weib hatte -- und Wen! Ich legte als
Antwort den Finger über die Lippen. Und er sagte leise: »O gern!« -- Ich
band ihm meine Einwanderer nach Indiana nochmals auf die Seele. -- Was soll
ich nun sagen, wie ich von Tochter und Söhnen schied? O es war schwer. Aber
alle sagten hier, wie daheim mir wieder: Väterchen, Du kommst wieder! Oder
-- droheten sie -- wir kommen zu Dir! Und dennoch brach mir der Abschied
von meinem Hunde, dem Pudel »Menschenfreund« fast das Herz. Meine Tochter
wollte ihn behalten. Sie mußte ihn fort-, zurückschleppen, den Strand
hinauf; da blieb er geduckt liegen und winselte. Ich mußte noch von ihm
Abschied nehmen. Ich streichelte ihm den Rücken; ich sagte ihm:
Menschenfreund, sey verständig! Ich ließ ihn mir eine Pfote geben, und er
gab mir seine treue, sanfte Hundehand. Aber wie er mich dabei ansah! Was,
ja Wer in seinen dunkeln, bangen Augen so wehmüthig heraussah, herausdrang!
O ich schämte mich! Kurz, warum bleibt der Hund im ärmsten Hause -- wenn er
auch darin mager und elend wird? O, die Welt ist gut. Nur der Mensch taugt
nicht immer. Du bist ein gutes Thier, ein Menschenfreund! sagte ich ihm,
und er wedelte mit seinem feinwolligen Wedel.

Wir kamen ohne Gefährde nach Hamburg. Diesmal in 14 Tagen! Ich konnte nun
also langsam fahren, und das that schon fast Noth, doch nicht meinetwegen.
Josephine war wie neugeboren. Und -- um ein aufrichtiger Mann zu seyn --
ich auch. O, es lebt nicht nur ein eigener Geist, meinetwegen ein erst so
gewordner in jedem Menschen. Jedes Haus im Lande, jede Familie, jedes Dorf,
jede Stadt hat einen eigenthümlichen Geist, _eine_ Stimme wie ein
Bienenstock, einen lieblichen Wiederhall, ein Verständniß all unsrer Worte,
unsrer Wünsche, unsrer Freuden und Leiden. Und der Geist in einem Lande --
der wäre kein Geist? Der Jahrtausende Eingewohnte, das millionenfache Ich?
O, das ist das Vaterland! Und als ich Deutschland wiedersah, rief ich aus
voller Brust: Ja, es giebt ein Vaterland! Nur wer es noch nicht erkannt,
höchstens die Jugend wandere aus, und mache ihre Stimme wo drüben zur neuen
Seele des Landes, der Berge, der Flüsse, der Haine. Aber wer je wo geweint
hat, wie Männer weinen, der bleibe, und hoffe Frucht von seinen Thränen,
und Segen von seinem Seufzen. Denn Millionen weinen und seufzen mit ihm,
und wünschen und schaffen mit ihm, und sind stark und mild wie er, und
werden sich freuen wie er.

Ich kaufte vier englische Schimmel und einen prächtigen Wagen -- wenigstens
um nicht ausgelacht zu seyn. Denn am Strande in Amerika hatte ich einen
Müller gesehen, der bei schönen Müllerkenntnissen eine künstliche Mühle
dort bauen wollen und Mehl wie Kreide mahlen. Aber er hatte eine Handvoll
Amerikanisches Mehl in die Hand genommen -- wie Schnee und fein -- wie
Amerikanisches Mehl, und war fein still nach Hause gereiset.

In meiner Vaterstadt fuhr ich nun donnernd über die Schloßbrücke, in nun
mein Schloß. Ich saß kaum im Lehnstuhl, als es murmelte und trappelte auf
der Treppe und im Vorsaal. Selbst mein Caplan war darunter, denn ich hörte
ihn krähen. Aber ich bestellte ihn auf Morgen, denn meine Tochter war
verheirathet, und ließ ihm nur sagen, seine sechs Muhmen hätten sechs
reiche Kaufleute in Neu-Orleans; aber dort handelten auch die Geistlichen
sogar mit Wein, und die Doctoren predigten auch nach Gelegenheit. -- »Schon
gut, schon gut,« hörte ich ihn sagen.

Eine Freude aber, mußte ich sogleich noch machen: Meiner guten, theuren
Großmutter! Ich ging zu ihr selbst hinüber auf die Pfarre; denn sie hatte
nur gebeten, sie noch kurze Zeit in der Wohnung zu lassen. Sie wohnte aber
unten. Sie sahe mich, sie erkannte mich. »Also Du hast ihn gefunden?«
sprach sie. Nach einer langen Erzählung gestand ich vorsichtig zu: Ja, er
ist gefunden! Er ist auf dem Schlosse. Er wird kommen. Aber mein Gott, sie
freute sich so -- daß sie einschlief! -- Seliges Alter! Wer nicht alt wird,
ist kein Mensch gewesen. Es ist fast übermenschlich und hautschauernd, so
übermenschlich gefühllos, jetzt mit der Seele weg, jetzt da zu seyn! Jetzt
jung, jetzt alt! Jetzt schon im Paradies -- jetzt noch in der Kinderstube!
Ein alter Mensch ist wirklich Alles; ein Junger ist nur immer -- sein Tag,
seine Stunde. Ihr Enkel, der ihrem Sohne so ähnlich sah, hatte auch sogar
heut wieder die Kleider angezogen, in welchen sein Vater der Mutter
entflohen war. Denn der Vater hatte sie treulich aufgehoben. So, in
altväterscher Tracht, aber jung und wirklich voll Schaam hier
hereinzutreten, trat er herein. Ich winke ihm, ruhig sich ihr gegenüber zu
setzen, weil sie schläft. Nachdem er des armen Vaters gute Mutter sich
lange angesehen, schläft er selber noch müde ein. Ich gehe indeß auf den
Thurm; ich füttre die Tauben; ich winke Josephinen mit dem Tuche. Mir ist
es wie ein Wunder, sie hier zu sehn. Wohl nach einer Stunde gehe ich wieder
in das Zimmer. Der junge Volkmar schläft noch. Die Großmutter scheint zu
schlafen. Aber ich sehe deutlich, -- sie ist munter gewesen! Sie hat sich
vorgeneigt -- sie hat ihn erblickt -- sie hat ihn erkannt: den Sohn! den
treulosen Sohn. Die kindische Seele hat ihn für denselben gehalten -- so
ist sie sitzen geblieben -- -- aber gestorben, und ruhig und selig _todt_!
Und ich wiederholte meine Worte, jetzt aber mit fromm gefalteten Händen:
»Jetzt jung; jetzt alt; jetzt noch in der Kinderstube -- jetzt schon im
Paradies! O, es können nicht Alle wiederkehren, die hinüber wandern! Schon
Ein verlorener Sohn zerreißt der Mutter das Herz, daß sie nicht sterben
kann. -- -- Und Ihr, Ihr tausend Söhne des Vaterlandes! Wie könnt' es
selbst sterben ohne Euch? -- O, es giebt ein Vaterland! O seyd denn seine
Söhne!«

Ich würde gar nicht geglaubt haben, weg, fort, so lange, so weit gewesen,
und wieder da zu seyn, wenn nicht meine Amerikanische Frau kam, so still,
so schön, so lieb, und lächelte, als sie die beiden Schlafenden sah. Viele
der neuen Auswanderer umringten jetzt das Haus; sie sahen durch die
Fenster; ich kannte die Gesichter. Ja Manche stimmten ein fröhliches
Auswandrerlied an! Ihre Augen funkelten vor Freude! Und ich dachte: -- Was
kein Mensch erklären kann, das kann kein Mensch verhindern! Das ist nicht
menschlicher Sinn; das ist göttliche Macht! So mußte ich sagen, um ein
aufrichtiger Mann zu seyn. Denn ich sahe mein Weib vor mir; und welchen
Schatz hatte ich da drüben gefunden! Ist nicht die Schönheit der Welt da
drüben? Und die Welt der Liebe? --

Die Sonne ging unter. Die Glocke im Thurme läutete ihr zu Grabe. Der
verlorene Sohn sprang auf von dem Hall und stand von dem Glanze geblendet.
Und selber die Kinder draußen nahmen schon vor dem Walten der Welt ihr
Hütchen ab, und beteten, unter dem Schwirren der Schwalben, das Vaterunser.

_Breslau_, gedruckt bei _Leopold Freund_.




Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.





End of Project Gutenberg's Die Probefahrt nach Amerika, by Leopold Schefer

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE PROBEFAHRT NACH AMERIKA ***

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