Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy

By Laurence Sterne

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Title: Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy

Author: Laurence Sterne

Editor: Rudolf Presber

Illustrator: Lovis Corinth

Translator: Johann Joachim Christoph Bode

Release date: July 30, 2025 [eBook #76593]

Language: German

Original publication: Berlin: Buchverlag fürs Deutsche Haus, 1908

Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LEBEN UND DIE MEINUNGEN VON HERRN TRISTRAM SHANDY ***



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                     Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
sind stillschweigend korrigiert worden.

Am Ende der Kapitel 82, 88, 93, 104 und 105 ist die fehlende Dekoration
eingefügt worden.

Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter umgestaltet. Ein Urheberrecht
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                  Dieses Buch wurde in der Deutschen
                  Buch- u. Kunstdruckerei G. m. b. H.
                in Zossen gedruckt u. bei der Leipziger
                    Buchbinderei-Actiengesellschaft
                         in Leipzig gebunden.

                            [Illustration]




                            Tristram Shandy




                            [Illustration:


                       Die Bücher des Deutschen
                                Hauses

                   Herausgegeben von Rudolf Presber

                             Zweite Reihe

                               39. Band

                   Die Bücher des Deutschen Hauses]




                            [Illustration:

                               Das Leben
                         und die Meinungen von
                         Herrn Tristram Shandy

                                  von

                            Laurence Sterne


                              Illustriert
                           von Lovis Corinth

                                 1908

                     Buchverlag fürs Deutsche Haus

                           Berlin-Leipzig.]




»Diese Satiren im kleinen mit ihren köstlichen Wahrheiten sind nur mit
den griechischen Klassikern zu vergleichen. Wenn Ihr nicht mit ihm
fühlt, mag er Euch oft kleinlich, frivol, gesucht, kindisch erscheinen.
Habt Ihr aber sein Genie erkannt, werdet Ihr in ihm einen gewaltigen
Lehrer der Menschheit finden.«

                                                  Voltaire über Sterne.




                            [Illustration]

                            Der arme Yorick

                               1713-1768


Die Welt nannte den Dorfprediger von Sutton und Stillington bei York,
Laurence Sterne, nicht anders als den armen Yorick, nach dem Pfarrer,
den Tristram Shandy so über alles schätzte, daß er ganz gegen seine
Gewohnheit in einem Zuge seine Lebensbeschreibung erzählt, ehe noch
Tristram Shandy selbst -- in dem Buche natürlich -- geboren ist.
»Mancher Zug aus dem Charakter dieses Mannes«, sagt Tristram, »kommt,
wie mich dünkt, den artigen, lustigen Streichen des unnachahmlichen
Ritters la Manche gleich, welchen ich mit all seinen Narrheiten mehr
liebe als den größten Helden des Altertums.« Auf niemanden paßt diese
Schilderung so gut, wie auf Laurence Sterne selbst. Auch er war ein
rechter echter Shandist, ohne welche Eigenschaft er niemals in diesem
kuriosesten aller Leben und Meinungen hätte eine Rolle spielen können,
am wenigsten die des Autors. Laurence Sterne hat auch seine eigene
Biographie geschrieben. In einem Briefe an seine Tochter Lydia, kurz
vor seinem Tode, gibt er alle wesentlichen Daten seines Lebens.

Die Jugend nimmt den breitesten Raum dieser Beschreibung in Anspruch,
auch darin seinem Tristram Shandy zum mindesten blutsverwandt. Roger
Sterne, sein Vater, war Leutnant im irischen Handaside-Regiment.
Das bedeutete damals ruheloses Umherziehen von Ort zu Ort, von Land
zu Land. Und Frau und Kinder zogen mit durch Wind und Wetter, Sommer
und Winter, von Baracken zu Baracken, wenn sie nicht vorübergehend
bei mildtätigen Verwandten einen Unterschlupf fanden. Zweimal sind
Frau Agnes (sie war die Tochter eines angesehnen Marketenders, »mein
Vater hatte Schulden bei ihr, als er sie heiratete«) und ihre Kinder
bei der Überfahrt von England nach Irland in Lebensgefahr gewesen
und von ihrem Mann schon aufgegeben. Laurence ist das zweite Kind
dieser kriegerischen Ehe. Er wurde in Clonmel im Süden Irlands am
24. November 1713 geboren. Von den fünf Geschwistern, zwei Brüdern
und drei Schwestern, haben nur noch zwei Schwestern mit ihm dieses
entbehrungsvolle Wanderleben ihrer Jugend überstanden.

Die Familie Sterne hatte bessere Zeiten erlebt, als ihr die
Leutnantsgage von Sternes Vater bereiten konnte, dessen
verschwenderische Güte in Onkel Tobys Zügen verewigt worden ist. »Sie
hätten ihn, Madame, an einem Tage zehnmal hintergehen können, wenn es
Ihnen mit neunen noch nicht genug ist.« -- Roger Sterne war der Enkel
eines Erzbischofs von York, und ein Onkel Laurence Sternes war erster
Pfarrer in York. Ihm verdankte später der junge Vikar, der auf Kosten
eines reichen Vetters und mit einem Stipendiat seines Urgroßvaters in
Cambridge studiert hatte, seine erste Pfründe: Sutton. »In York lernte
ich deine Mutter kennen und machte ihr zwei Jahre lang den Hof. -- Auch
sie war mir herzlich zugetan, hielt sich aber wohl nicht für reich
genug oder mich für zu arm für eine dauernde Verbindung. Sie ging zu
ihrer Schwester nach S., und ich schrieb sehr fleißig. Ich glaube, daß
sie wohl halb entschlossen war mich zu nehmen, ohne es mich merken zu
lassen. -- Nach ihrer Rückkehr wurde sie sehr krank, und als ich eines
Abends bei ihr saß -- ich war sehr traurig, sie so krank zu wissen --,
sagte sie, ›mein lieber Laurey, ich kann nie dein werden, denn ich
glaube sicher, daß ich nicht mehr lange lebe! Ich habe dir aber mein
ganzes Vermögen zugesprochen.‹ Damit zeigte sie mir ihr Testament.
Diese Großmut überwältigte mich. Es gefiel Gott, sie wieder gesund
werden zu lassen, und ich heiratete sie im Jahre 1741. Mein Onkel
(Jaques Sterne, Pfründner von Durham, Vorsänger und Pfründner in York,
mit dem Wohnsitz in York, Vorsteher der Pfarren in Rise und Hornsey mit
Riston, im Ostbezirk der Grafschaft York) und ich standen uns damals
sehr gut. Er verschaffte mir sehr bald eine Pfründe in York. -- Später
kamen wir in Streit, weil ich mich weigerte, Parteiartikel in die
Zeitungen zu schreiben. Er war ein eifriger Parteimann, und ich nicht.
Ich verachtete diese Art Propaganda und hielt mich für zu schade dazu.
Und von da an wurde er mein erbittertster Feind. Durch Vermittelung
meiner Frau erhielt ich noch die Pfründe von Stillington. Einer ihrer
Freunde hatte ihr versprochen, daß, wenn sie einen Geistlichen in
Yorkshire heiratet, er ihr als Zeichen seiner Freundschaft bei der
nächsten Vakanz die Pfründe besorgen werde. Fast zwanzig Jahre blieb
ich in Sutton und übte mein Pfarramt an beiden Orten aus. Die ganze
Zeit erfreute ich mich einer vorzüglichen Gesundheit. Bücher, Malen,
Geige spielen und auf die Jagd gehen, das waren meine Zerstreuungen.
Mit dem Squire der Pfarrei standen wir uns nicht besonders, dafür
verkehrten wir in Stillington mit der Familie C--s, die sehr freundlich
gegen uns war, und das war sehr angenehm für uns, innerhalb einer Meile
so herzliche Freunde zu haben. 1760 mietete ich ein Haus in York für
deine Mutter und dich. Ich selbst ging nach London, für den ersten
Band des Shandy einen Verleger zu suchen. Im selben Jahre bot mir Lord
Falconbridge die Pfarrstelle in Coxwould an, das gegen Sutton ein
lieblicher Wohnsitz genannt werden muß. 1762 ging ich nach Frankreich,
noch vor dem Friedensschluß, und ihr beide folgtet mir. Dann bliebt
ihr drüben. Ich ging erst wieder zwei Jahre darauf nach Italien, um
etwas für meine Gesundheit zu tun. Auf meine dringende Bitte seid
auch ihr jetzt nach England zu mir zurückgekehrt und ich habe die
unbeschreibliche Freude erlebt, mein Kind wiederzusehen, alles, was ich
mir noch wünschen konnte.«

Es ist kurz hinzuzufügen, was von jenem Leben in den Hauptstädten
London und Paris, das die letzten acht Jahre fast ausfüllt, der Vater
seiner Tochter nicht ausdrücklich hat sagen wollen, aus Zartgefühl
gegen ihre Mutter. Die Ehe war keine glückliche. Das Paar, das sich auf
so romantische Weise gefunden hatte, wurde einer des anderen herzlich
überdrüssig, bevor viele Jahre verflossen waren .. Eine drollige
Mischung von Selbstanklage und Überlegenheit liegt in folgendem
Shandystischen Stoßseufzer: »Ein verteufeltes Glück für einen Mann,
der Herr über die zartesten Vernunftschlüsse ist, ein Weib zu haben,
in dessen Kopf er auf keine Weise einen Gedanken einschmuggeln kann,
der seine Seele vor der Verdammnis rettet.« -- Aber der arme Yorick war
der Meinung, daß dieses mühevolle Leben eine trübe und wertlose Sache
bleiben muß, »Ihr hättet der Liebe denn ...« »Ich liebte eine oder
die andere Prinzessin mein Leben lang. Und ich hoffe, ich werde es so
halten bis zu meinem Ende, denn ich bin davon überzeugt, daß, wenn ich
je einer häßlichen Tat fähig war, es zu einer Zeit war, die zwischen
einer alten und einer neuen Leidenschaft lag.«

So machte er nacheinander Miß Fourmentelle (einer schönen französischen
Hugenottin), Frau Garrik, Lady Percy und Eliza Draper (der jungen Frau
eines indischen Farmers) den Hof, ohne daß diese Aufzählung Anspruch
auf Vollständigkeit machen kann. »+L'amour n'est rien sans le
sentiment+,« sagte Sterne, »+Mais le sentiment permet tout+,«
hätte er hinzusetzen sollen. Zweien von diesen Frauen gegenüber, Miß
Fourmentelle und Eliza Draper, versteigen sich seine Empfindungen bis
zu dem Ausruf: Möchte Gott uns die Tür zu einem gemeinsamen Leben
öffnen. An seine »+Dear, dear Kitty+« (Miß Fourmentelle) schreibt
er: »Ich bin keine Stunde ohne Wunsch, denn ich wünsche immer, mit
Dir zusammen zu sein.« Ein Jahr darauf hat er sich kopfüber in ein
anderes Gefühl gestürzt, er liegt in den Banden der Lady Percy, deren
Abenteuer London genug Gelegenheiten zu Klatschereien gaben. »Ihre
Augen und Lippen haben einen Mann zum Narren gemacht, den die ganze
Stadt für einen sehr geistreichen Menschen hält.« Laurence Sterne
war über fünfzig und seine Nerven trotz der italienischen Reise
äußerst angegriffen, als er sich zum letzten Male mit dem gewohnten
Erfolg in den Glauben versetzte, daß er liebe. Eliza Draper war
fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte, weil sie das Klima in Indien
nicht vertragen konnte, bei Freunden in London. Sie gehörte zu jenen
interessanten Frauen, die eine körperliche Anfälligkeit dem Manne nur
noch sympathischer macht, weil sie ihm Gelegenheit gibt, in seiner
Zärtlichkeit unermüdlich zu sein. Ganz London wußte von dieser neuen
Liaison des armen Yorick, und irgendein Fant beeilte sich auch, Frau
Sterne in Toulon davon zu unterrichten. Ich will davon nichts wissen,
soll sie geantwortet haben. Später hat sie aber ihrem Gatten die Rolle
des »Braminen«, die er bei der jungen Dame aus Indien spielte, von all
seinen Abenteuern am wenigsten verzeihen können. Als sie mit Lydia nach
York zurückkehrte, war Eliza Draper schon auf der Fahrt nach Bombay.

Als wollte sich das Schicksal des armen Yorick wirklich seines Autors
bemächtigen, so starb auch Sterne, »ob er gleich dem Anscheine nach
bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, vor Kummer
und Gram. Seine unvorsichtige Scherzhaftigkeit hatte ihn in solche
Schlingen verwickelt, daraus ihn kein Nachwitz losmachen konnte.« Der
Mann, der in Coxwould ein Haus und in York eine Wohnung hatte, dessen
Familie nach fünf Jahren aus Frankreich eben erst zurückgekehrt war,
der vergötterte Liebling der Pariser und Londoner Salons (aber ebenso
hartnäckig von seinen Feinden verfolgt), starb am 16. März 1768 in
einem möblierten Zimmer in der Bondstreet in London. Es lockte ihn
der Ruhm der Großstadt, die Lorbeern der +sentimental Yourney+
sollten ihn seinen Kummer vergessen machen. Aber er mußte erfahren,
daß auch der berühmteste Witzbold in dem Augenblick von seinen
Freunden vergessen wird, wenn ihn Krankheit abhält, regelmäßig ihre
Abendgesellschaften mit seinen cervantischen Einfällen zu würzen.
Nicht einmal die geizige Vermieterin war bei dem Sterbenden. Und als
ein Diener seiner Freunde sich nach dem Befinden des Herrn Sterne zu
erkundigen kam, fand er einen Toten im Lehnstuhl. Leichenräuber gruben
ihn am Tage seiner Beerdigung aus (es heißt, die Wirtin habe von dem
Erlös ihren Mietzins abgezogen) und verkauften ihn an die Universität
Cambridge, wo ein Professor den armen Yorick wiedererkannte.

Das achtzehnte Jahrhundert hat seine besten Kinder am
stiefmütterlichsten behandelt. Es gab ihnen die Süßigkeiten eines
ungebundenen (wir sagen galanten) Lebens. Der Kern aber war eine
bittere Mandel.

Diese Ausgabe bringt die berühmte Übersetzung von Bode, die in
Deutschland unter den vielen Übersetzungen, die sofort auf die
englische Ausgabe folgten, als die bei weitem beste die größte
Verbreitung hatte und an verschiedenen Orten mit und ohne Erlaubnis
nachgedruckt wurde. Ich habe zum besseren Verständnis der kräftigen
Ausdrucksweise, die auch der deutsche Text so gut getroffen hat, die
Interpunktion und einige nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, die dem
Gesichtskreis des modernen Lesers ganz entschwunden sind, geändert.
Im ganzen aber ist der altmodische Stil gewahrt, der die Eigenart des
achtzehnten Jahrhunderts und die unserer Prüderie bisweilen gefährliche
Derbheit bewahrt und rechtfertigt. Den ganzen Text zu bringen ist
uns hier unmöglich. Die zahlreichen längeren Abschweifungen, die sich
Sterne erlaubt, haben es leicht gemacht, dennoch den Charakter des
Ganzen wie im einzelnen zu bewahren sowie die anschauliche Kraft der
Shandystischen Meinungen.

                                                                  W. M.




         Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy




                            Erstes Kapitel.


Am fünften Tage des November 1718, welcher, von der festgesetzten
Ära an gerechnet, neun Kalendermonate so richtig vollmachte, als es
irgendein Ehemann billigerweise erwarten konnte, ward ich, Tristram
Shandy, Erbherr, für diese unsere schäbige, unglücksvolle Welt geboren.
-- Ich wollte, ich wäre im Monde geboren worden oder in jedem anderen
Planeten, nur nicht im Jupiter oder Saturn, weil ich mich gar nicht
mit der Kälte vertragen kann; denn es könnte mir schwerlich in einem
davon schlimmer ergangen sein -- ob ich wohl für die Venus nicht gut
sagen möchte -- als in diesem schmutzigen Lumpendinge von Planeten,
der, wenn ich meines Herzens Meinung, jedoch mit allem Respekt, frei
heraus sagen soll, wohl nur von den Schnitzeln und Feilspänen gemacht
ist, die von den übrigen abfielen. Noch wäre der Planet gut genug,
wäre nur ein Mensch darauf als Erbe zu einem hohen Titel oder großen
Vermögen geboren, oder wüßte er's nur so anzugreifen, daß er zu
großen Ehrenämtern berufen würde, die ihm fein viel Ansehen und Macht
erteilten; aber das ist nun mein Casus nicht, und also -- jedermann
spricht von der Messe, nachdem er auf derselben seinen Handel gemacht
hat; deswegen also, sage ich noch einmal, es ist das elendeste
Lumpending von einer Welt, die jemals gemacht worden; denn ich kann
mit Wahrheit sagen, daß ich von der ersten Stunde an, da ich darin
meinen Atem schöpfte, bis zu der jetzigen, da ich fast gar keinen mehr
schöpfen kann wegen meines Asthmas, das ich mir dadurch zugezogen, daß
ich in Flandern auf Schlittschuhen gegen den Wind lief, ein Spiel der
mutwilligen Dame bin, welche die Welt Fortuna nennt; ob ich ihr gleich
nicht das Unrecht tun und ihr nachsagen will, sie habe mich jemals die
Last irgendeinen großen oder sich auszeichnenden Leidens fühlen lassen,
so bezeuge ich doch mit aller möglichen Friedsamkeit von der Welt, daß
bei allen Auftritten meines Lebens, und an jeder Ecke oder in jedem
Winkel, wo sie mir nur einigermaßen beikommen konnte, sie mir einen
Packen so jämmerlicher Widerwärtigkeiten und Querhändel an den Hals
geworfen hat, als jemals ein kleiner Held hat erdulden müssen.

                            [Illustration]




                           Zweites Kapitel.


Im Anfange des vorhergehenden Kapitels berichtete ich Ihnen ganz
genau, wann ich geboren ward; -- ich berichtete Ihnen aber nicht, wie?
Nein, dieser Umstand ward für ein ganz eigenes Kapitel aufgespart.
-- Überdies, mein Herr, da Sie und ich gewissermaßen einander noch
völlig unbekannt sind, so würde es sich nicht geschickt haben, Sie
sogleich auf einmal mit verschiedenartigen Umständen, die nur mich
angehen, bekannt zu machen. -- Sie müssen ein wenig Geduld haben. Ich
habe es unternommen, wie Sie sehen, nicht bloß mein Leben, sondern
auch meine Meinungen zu schreiben in der Hoffnung und Erwartung, daß,
wenn Sie erst meinen Charakter kennten und wüßten, von was für einem
Schlage von Sterblichen ich bin, das eine Ihnen desto mehr Geschmack
an dem andern beibringen würde. Sowie Sie weiter von mir fortgehen,
wird die kleine Bekanntschaft, die eben unter uns anfängt, zu einer
Vertraulichkeit auszuschlagen, und diese, oder die Schuld müßte an
einem von uns beiden liegen, wird sich in Freundschaft endigen. --
+O diem præclaram!+ -- Dann wird nichts, was mir begegnet ist,
für Kleinigkeit an sich selbst oder für langweilig in der Erzählung
gehalten werden. Deswegen also, mein liebster Freund und Gefährte, wenn
Sie meinen sollten, ich gehe im Anfange meiner Geschichten ein wenig
sparsam zu Werke, so übersehen Sie's mir, und lassen Sie mich meinen
Gang gehen und meine Historie auf meine Weise erzählen. Oder sollte es
scheinen, daß ich dann und wann auf meinem Wege ein bißchen tändelte
oder für ein paar Minuten, sowie wir weiter kommen, eine Kappe mit
Schellen aufsetzte, so laufen Sie nur nicht gleich davon, sondern haben
Sie die Gefälligkeit und geben mir für ein wenig mehr Weisheit Kredit,
als mir an der Stirne geschrieben steht, und sowie wir fortwackeln,
lachen Sie mit mir oder über mich, oder kurz, tun Sie, was Sie wollen.
Nur ungeduldig müssen Sie nicht werden.

                            [Illustration]




                           Drittes Kapitel.


Mein Vater, müssen Sie wissen, der eigentlich ein Kaufmann war und nach
der Levante handelte, seit einigen Jahren aber den Handel niedergelegt
hatte, um sich auf ein väterliches Landgut in der Grafschaft Z.
zu begeben und daselbst zu leben und zu sterben, war, glaub' ich,
der regelmäßigste Mann in allem, was er tat, es sei Geschäft oder
Zeitvertreib.

In ebendem Dorfe, worin mein Vater und meine Mutter wohnten, wohnte
auch eine hagere Matrone, eine züchtige, alte, gute Frau von Hebamme,
welche mit Hilfe etwas wenigen, schlechten Menschenverstandes, und
weil sie einige Jahre hindurch alle Hände voll in ihrem Geschäfte zu
tun hatte, wobei sie sich beständig auf ihre Bemühungen sehr wenig,
auf Frau Mutter Natur aber sehr stark verließ, nach ihrer Art keine
geringe Staffel des Ruhms in der Welt erstiegen hatte. -- Bei welchem
Worte Welt ich Euer Hochedelgeboren notwendig sagen muß, daß Sie nicht
denken, ich meine mehr damit als einen kleinen Zirkel, der auf dem
Zirkel der großen Welt beschrieben ist, von vier englischen Meilen im
Durchmesser oder so ungefähr, von welchem die Hütte, worin die gute
alte Frau lebte, als Mittelpunkt angenommen werden muß. -- Sie war, wie
es scheint, in ihrem siebenundvierzigsten Jahre zur Witwe geworden mit
drei oder vier kleinen Kindern in großer Dürftigkeit. Da sie damals
eine Person von ehrbarer Aufführung, ernsthaftem Betragen, ja noch
dazu ein Weibsbild von wenig Worten und obendrein ein Gegenstand des
Mitleids war, deren Armut und das Stillschweigen, womit sie solche
ertrug, desto lauter um freundschaftlichen Beistand rief, so ward die
Frau des Pfarrers am Kirchspiel von Mitleid gerührt. Sie hatte schon
oft einen üblen Umstand beklagt, dem die Herde ihres Eheherrn schon
viele Jahre hindurch ausgesetzt war. Daß nämlich kein solches Ding
als eine Hebamme von irgendeiner Art zu finden war, der Fall mochte
so dringend sein, als er wollte. Man mußte erst sechs oder sieben
lange Meilen danach reiten, welche besagte sieben lange Meilen bei
finsteren Nächten und bösen Wegen, da der Boden in der Gegend umher aus
zähem Lehm bestand, ebenso gut waren als vierzehn und dieses zuweilen
ebensoviel hieß als gar keine Hebamme haben. So hatte die Frau Pfarrer
den Einfall, daß es ein ebensowohl angebrachter Dienst für das ganze
Kirchspiel als für die arme Frau selbst sein würde, wenn man sie ein
wenig in den Anfangsgründen der Kunst unterweisen ließe, damit sie
hernach Hebamme des Kirchspiels werden könnte. Da keine Frau in der
ganzen Gegend geschickter war, ihren entworfenen Plan auszuführen,
so übernahm es die Frau Pastor christlicherweise. Und sie vermochte
über die weibliche Hälfte der Pfarrkinder soviel, daß sie ihn ohne
Schwierigkeit nach allem Herzenswunsch ausführte. In der Tat half auch
in dieser Sache der Pfarrer seiner Frau mit seinem ganzen Ansehen. Um
in der gehörigen Ordnung zu Werke zu gehen und dem guten Geschöpfe
ein ebenso gutes Recht zur Ausübung durch die Gesetze zu geben, als
ihr seine Frau durch Unterweisung gegeben hatte, -- bezahlte er mit
Freuden aus seiner eigenen Tasche das Geld für den Freiheitsbrief
vom Landphysikus, welches sich überhaupt ungefähr auf einen Louisdor
belief. So wurde die gute Frau unter vier Augen völlig in den wahren
und körperlichen Besitz ihres Amtes eingesetzt mit allen seinen
Rechten, Artikeln und Gefällen, wie sie auch immer Namen haben mochten.

Diese letzten Worte, müssen Sie wissen, standen nicht in dem
alten Formular, nach welchem gewöhnlich solche Freiheitsbriefe
und Vollmachtsscheine lauteten, sondern waren aus einem netten
Formularbuche des Didius eigener Erfindung genommen, welcher, aus
einer besonderen Gabe, alle dergleichen Instrumente zu zerstückeln und
von neuem zusammenzufügen, nicht allein diese herrliche Verbesserung
ausersann, sondern auch mancher von den alten privilegierten Matronen
in der Nachbarschaft den Mund so wässerig machte, daß sie ihren
Freiheitsbrief auffrischen ließ, um diesen seinen Bimbam beigefügt zu
haben.

Ich gestehe, ich habe Didius wegen dieser Art von seinen Einfällen
niemals beneiden können; aber laß jedermann seinen besonderen
Geschmack. -- Fand nicht +Dr.+ Kunastrokius, dieser große Mann,
in müßigen Stunden darin das größte erdenkliche Vergnügen, daß er
Eselsschwänze klar kämmte und die tauben Haare mit seinen Zähnen
ausrupfte, obgleich er beständig die Haarzange bei sich in der Tasche
trug? Ja, weil Sie doch einmal daraufkommen, mein Herr, hatten nicht
die weisesten Männer zu allen Zeiten, Salomo selbst nicht ausgenommen,
ihre Steckenpferde, ihre Wettrenner, ihre Münzsammlung, ihre Konzilien,
ihre Trommeln, ihre Trompeten, ihre Geigen, ihre Paletten, ihre
chinesischen Porzellanfiguren, ihre Schmetterlinge? Solang' ein Mann
sein Steckenpferd auf der Heerstraße ruhig und friedsam fortreitet und
weder Sie noch mich zwingen will, mit ihm zu reiten, -- ich bitte Sie,
mein Herr, was geht es Sie oder mich an?

                            [Illustration]




                           Viertes Kapitel.


Was für einen Grad des kleinen Verdienstes die wohltätige Handlung zum
Besten der Hebamme mit Recht heischen könnte, oder wem dieses Recht
eigentlich zustand, das scheint beim ersten Anblick nicht wesentlich zu
dieser Geschichte zu gehören. -- Soviel war aber gewiß, daß die Frau
Pastor zu der Zeit mit dem ganzen Ruhm davon durchging. Dennoch kann
ich für mein Leben nicht umhin, zu denken, daß der Pfarrer selbst, ob
er gleich nicht das Glück hatte, zuerst auf den Einfall zu kommen,
dennoch, da er den Augenblick, da ihm die Sache vorgetragen wurde,
herzlich gerne Teil daran nahm und ebenso herzlich gerne sein Geld
hergab sie auszuführen, ein Recht auf etwas, wo nicht zur vollen Hälfte
von aller der Ehre hatte, die ihr gebührte.

Der Welt gefiel es damals, die Sache anders zu entscheiden.

Legen Sie das Buch weg, und ich gebe Ihnen einen halben Tag Zeit, eine
wahrscheinliche Mutmaßung von dem Grunde dieses Verfahrens ausfindig zu
machen.

Man wisse also, daß ungefähr fünf Jahre vor dem Datum, unter welchem
der Hebamme der Freiheitsbrief ausgestellt wurde, von welchem Sie
eine so umständliche Nachricht erhalten, der Pfarrer sich durch einen
Fehler gegen alles Dekorum, den er gegen sich selbst, seinen Stand und
sein Amt begangen, ins Gerede der Leute gebracht hatte. Der bestand
darin, daß er niemals ein anderes oder besseres Pferd ritt als ein
dürres, steifes Roß, ungefähr neuneinhalb Taler wert, welches, um es
kurz zu beschreiben, ein so echter Bruder vom Rosinante war, als ihn
die leibhaftige Ähnlichkeit dazu machen konnte; denn die Beschreibung
fehlte nicht um Haaresbreite. -- Ausgenommen, daß ich mich nicht
erinnere, daß es irgendwo gesagt worden, Rosinante habe sich verfangen
gehabt, und auch dieses, daß Rosinante, wie es die Glückseligkeit fast
aller spanischen Hengste ist, ganz gewiß in allen Punkten ein volles
Pferd war.

Ich weiß recht gut, daß das Pferd des Helden ein Pferd von sehr
keuscher Aufführung war, und das mag Gelegenheit zu einer gegenseitigen
Meinung gegeben haben. Es ist aber zu gleicher Zeit ebenso gewiß, daß
die Enthaltsamkeit des Rosinante aus keinem körperlichen Mangel oder
irgendeiner andern Ursache herrührte als aus dem Mangel an Temperament
und dem ordentlichen Umlaufe des Bluts. Und erlauben Sie mir, Ihnen zu
sagen, Madame, es gibt manche ehrliche Keuschheit in der Welt, für die
Sie nichts mehr anführen könnten, und stünde auch Ihr Leben darauf.

Das nebenher. Da meine Absicht ist, jeder Kreatur, die auf der Szene
dieses dramatischen Werkes vorkommt, die strengste Gerechtigkeit
angedeihen zu lassen, so konnte ich diese Distinktion zum Besten Don
Quixotes Pferd nicht unterdrücken. In allen übrigen Punkten sage ich,
war des Pfarrers Pferd ihm völlig gleich; denn es war ein so mageres
und so dünnes, elendes Roß, daß die Demut es in eigener Person hätte
beschreiben können.

Nach dem Dafürhalten eines Mannes von schwachem Urteile stand es sehr
gut in des Pfarrers Macht, der Figur dieses seines Pferdes aufzuhelfen;
denn er besaß einen sehr hübschen Reitsattel, der auf dem Gesäß mit
grünem Plüsch gepolstert war, ausgeziert mit einer doppelten Reihe
von silbernen Stiften, und ein herrliches Paar glänzender messingener
Steigbügel, eine Schabracke von sehr feinem, grünem Tuche, am Rande mit
schwarzen Spitzen besetzt, wovon lange, schwarze seidene Fransen, mit
goldenen Fäden vermischt, herabhingen. -- Alles dieses hatte er, nebst
mit Silber belegten Stangen und einer gehörig zierlichen Trense in der
Blüte seines Lebens gekauft. -- Da er aber sein Pferd nicht zum Narren
haben wollte, hatte er das alles in seiner Studierstube hinter der Türe
aufgehängt. -- Und statt dessen hatte er ganz ernsthaft gerade solch
einen Zaum und Sattel angeschafft, als sich für die Gestalt und den
Wert eines solchen Tieres eigentlich schickten und gebührten.

Auf den verschiedenen Ritten in seinem Kirchspiel und gelegentlich
der Besuche bei dem kleinen Landadel, welcher in der Nachbarschaft um
ihn herum wohnte, können Sie leicht begreifen, daß der solchergestalt
ausstaffierte Pfarrer genug zu sehen und zu hören bekommen mußte, um
seine Philosophie vorm Verrosten zu bewahren. Die Wahrheit zu sagen,
er konnte niemals in ein Dorf reiten, oder er zog die Aufmerksamkeit
der Alten und Jungen auf sich. -- Die Arbeit stand still, wenn er
vorbeiritt, -- der Eimer blieb im Brunnen schweben, -- das Spinnrad
vergaß seinen Lauf -- selbst die Häuflein Kinder beim Kügelchen-
oder die größeren Buben beim Münz- und Letterspiel vergaßen alles
und standen mit offenem Munde, bis sie ihn aus dem Gesicht verloren.
Da seine Bewegung nicht die schnellste war, so hatte er gewöhnlich
mehr als zuviel Zeit, seine Beobachtungen anzustellen, das Seufzen
der Ernsthaften und das Lachen der Leichtherzigen zu hören, was er
mit unvergleichlicher Ruhe ertrug. -- Sein Charakter war, er liebte
einen kurzweiligen Einfall im Grunde der Seele, und da er sich selbst
in einer wahren Lächerlichkeit sah, so, pflegte er zu sagen, könnte
er sich über andere Leute nicht ärgern, wenn sie ihn in einem Lichte
erblickten, das ihm selbst so stark auffiele, dergestalt, daß er bei
seinen Freunden, welche wußten, daß die Liebe zum Gelde seine Schwäche
nicht war, und sich daher am wenigsten ein Gewissen daraus machten, ihn
mit seiner drolligen Laune aufzuziehen, anstatt die wahren Ursachen
anzugeben, -- lieber in das Gelächter über sich selbst mit einstimmte.
-- Da er selbst keine Unze Fleisch auf seinen eigenen Knochen trug,
sondern ebenso hager von Ansehen war, wie sein Tier, so behauptete er
zuweilen, das Pferd wäre so gut, als es der Reiter verdiente, beide
machten einen Zentauren -- aus einem Stücke. Zu anderen Zeiten und bei
anderer Laune, wenn er zu stark war, den Versuchungen des falschen
Witzes zu unterliegen, sagte er wohl, er fühlte sich selbst auf
einem guten Wege zur Auszehrung. Ein anderes Mal gab er wohl fünfzig
sonderbare und entgegenstehende Ursachen an, warum er ein demütiges
und wehmütiges Gespenst von keuchendem Rappen lieber ritte als ein
mutiges Pferd. Auf so einem könnte er ganz mechanisch sitzen und nach
Herzenslust +de vanitate mundi et saeculi+ meditieren, so gut,
als ob er einen Totenkopf vor sich stehen hätte. Wenn er so langsam
vor sich hin ritte, könnte er seine Zeit zu allerlei Geistesübungen
ebensogut anwenden, als ob er auf seinem Studierstuhle säße. Er könne
eine Lücke in seiner Predigt -- oder ein Loch in seinen Beinkleidern
-- auf dem einen so gut wie auf dem anderen flicken. -- Munteres
Trottieren und langsames Argumentieren wären wie Witz und Verstand
zwei unverträgliche Bewegungen. Auf seinem Rosse aber könne er alles
miteinander verbinden und vereinigen; er könne darauf das Studieren auf
seine Predigt abwarten und seinen Husten und, falls ihn die Natur dazu
einlüde, seine Mittagsruhe obendrein. Kurz, der Pfarrer führte bei
solchen Angriffen alle Ursachen an, nur die wahre nicht. -- Die wahre
hielt er zurück aus einer bloß ihm eigenen Bedenklichkeit: -- weil er
glaubte, sie mache ihm Ehre.

Der wahre Knoten der Geschichte aber war folgender: In den ersten
Amtsjahren dieses Mannes, und zu der Zeit, da der prächtige Sattel
und Zaum angeschafft wurden, war es so seine Art oder Eitelkeit, oder
nennen Sie's, wie Sie wollen, auf der entgegengesetzten Seite zuviel
zu tun. In der Sprache des Landes hieß es: er hielte große Stücke auf
einen guten Reithengst. Gewöhnlich hatte er auch einen der besten im
ganzen Kirchspiele sattelfertig im Stalle stehen. Und da die nächste
Hebamme, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht näher beim Dorfe wohnte als
sieben Meilen, in einer Gegend, wo lauter tiefe Wege waren, so fiel's
immer dahin aus, daß selten eine ganze Woche hinging, da nicht an den
armen Mann eine flehentliche Bitte um sein Tier gelangte. Er war kein
hartherziger Mann, und jeder Fall war immer dringender und jammervoller
als der vorige. So lieb er also sein Pferd haben mochte, so konnte er's
doch nicht übers Herz bringen, nein zu sagen. Das Ende vom Liede war
dann gemeiniglich, daß sein Pferd gedrückt war oder Drüsen bekam oder
die Fußgallen oder ward spatlahm oder hatte sich verfangen oder kurz,
hatte einen oder den anderen Fehler bekommen, der es rauhaarig machte
und ihm kein Fleisch auf den Knochen ließ. So hatte er alle neun oder
zehn Monate eine Kracke abstehen und ein gutes Pferd an ihrer Statt
wieder zu kaufen.

Wie hoch sich, ein Jahr ins andere gerechnet, der Verlust in einer
Solchen Bilanz belaufen mochte, das überlasse ich einer eigentlich dazu
erwählten Zahl von Obmännern zu bestimmen, die selbst bei dergleichen
Handel gelitten haben. -- Aber laß ihn so groß gewesen sein, wie er
wolle, der ehrliche Mann ertrug ihn viele Jahre lang ohne Murren,
bis er endlich, nach zu oft wiederholten Zufällen dieser Art, es für
nötig fand, die Sache in Erwägung zu ziehen, und beim Überrechnen und
Aufsummieren in seinen Gedanken herausbrachte, daß es nicht nur kein
Verhältnis gegen seine übrigen Ausgaben hätte, sondern auch schon
an und für sich ein so lästiger Artikel wäre, daß er ihn unfähig
mache, irgendeine andere großmütige Handlung in seinem Kirchspiel
auszuüben. Zudem machte er die Überlegung, daß er mit der Hälfte dieser
verrittenen Summe zehnmal soviel Gutes tun könnte. Und was noch mehr
Gewicht bei ihm hatte als alle andere Betrachtungen zusammengenommen,
war dies, daß er alle seine Werke der Barmherzigkeit auf einen
besonderen Teil einschränkte, der ihrer nach seiner Einbildung am
wenigsten bedurfte, nämlich den schwangeren und gebärenden Teil seines
Kirchspiels. Er behielt nichts übrig für die Schwachen und Kranken,
nichts für die betagten Alten, nichts für die jammervollen Auftritte,
zu denen er stündlich gerufen wurde, woselbst Armut, Krankheit und
Elend beisammen wohnten.

Aus diesen Ursachen beschloß er, den Aufwand einzuziehen, und dazu
hatte er, wie's ihm schien, nur zwei mögliche Wege, und diese waren,
entweder sich's zu einem unverbrüchlichen Gesetze zu machen, sein Pferd
niemals wieder auszuleihen, man möchte ihn bitten, so sehr man wollte,
oder sich darein zu finden, daß er den letzten armen Köter von Rappen,
so wie sie ihn zugerichtet hatten, fortritte, mit allen Seinen Fehlern
und Gebrechen, bis ans äußerste Ende des Kirchspiels.

Da er seiner eigenen Standhaftigkeit nicht traute, erwählte er ganz
getrost den zweiten Weg, und ob er gleich, wie ich gesagt habe, es
hätte zu seiner Ehre verkünden können, so sah er aus Großmut davon
ab und wollte lieber die Verachtung seiner Feinde und das Gelächter
seiner Freunde erdulden, als sich der Mühe unterziehen, eine Geschichte
zu erzählen, welche eine Lobrede auf ihn selbst scheinen möchte.

Ich habe den höchsten Begriff von den großmütigen und zarten
Gesinnungen dieses ehrwürdigen Geistlichen aus diesem einzigen Zuge in
seinem Charakter gefaßt, der nach meiner Meinung ebensoweit geht als
irgendeine von den treugemeinten Zärtlichkeiten des unvergleichlichen
Ritters v. Mancha, welchen ich, im Vorbeigehen gesagt, mit allen Seinen
Narrheiten lieber habe und viel weiter gereist sein würde, um ihn zu
besuchen, als den größten Helden des Altertums.

Aber das ist nicht die Moral aus meiner Erzählung. Was ich eigentlich
im Sinne hatte, war, zu zeigen, wie sich die Welt bei dieser ganzen
Sache benahm; denn Sie müssen wissen, solange als diese Aufklärung
dem Pfarrer Ehre gebracht hätte, fand sich keine arme Seele, die
dahinterzukommen vermochte. -- Ich glaube, seine Feinde wollten nicht,
und seine Freunde konnten nicht. -- Aber sobald er sich zum Besten der
Hebamme bemühte und das Geld für ihr Examen und ihren Erlaubnisschein
bezahlte, war das ganze Geheimnis heraus. Jedes Pferd, das ihm
draufgegangen war, und noch ein paar darüber, mit allen Umständen, wie
sie zugrunde gerichtet worden, kamen ans Licht und wurden der Länge
nach her erzählt. Die Geschichte griff um sich wie wildes Feuer.

Der Pfarrer habe einen neuen Anfall vom Hochmutsteufel bekommen und
stände im Begriff, noch einmal in Seinem Leben wieder ein gutes Pferd
für seinen Leib zu halten, und wenn das geschähe, so wäre es so klar
wie die liebe Sonne am hellen Mittage, daß er die Ausgabe für die
Hebamme in einem einzigen Jahre zehnfach im Sack behielte. Man könne
also beurteilen, was für Absichten er bei dieser Barmherzigkeit gehabt
hätte.

Was für Absichten er bei dieser oder jeder anderen Handlung in seinem
Leben gehabt, oder vielmehr, was für Meinungen darüber in dem Gehirn
anderer Leute schwammen, war ein Gedanke, der zuviel in seinem eigenen
umherschwamm und ihn zu oft in seiner Ruhe störte, wenn er eines
gesunden Schlafes bedurfte.

Vor ungefähr zehn Jahren hatte dieser brave Mann das gute Glück, über
diesen Punkt völlig beruhigt zu werden; denn gerade so lange ist es
her, daß er seine Pfarre und zugleich die ganze Welt hinter sich ließ
und einem Richter zur Rechenschaft steht, über den sich zu beklagen er
nicht Ursache haben wird.

Es gibt ein unvermeidliches Schicksal, das die Handlungen einiger
Menschen begleitet. Laß sie solche einrichten, wie sie wollen; sie
fallen durch ein gewisses Mittelglas, welches die Strahlen dieser
Handlungen so verwirrt und in ihrer wahren Richtung solchergestalt
bricht, daß, mit allen den Ansprüchen auf Lob, welche die
Rechtschaffenheit des Herzens geben kann, diejenigen, die sie ausüben,
gleichwohl leben und sterben müssen, ohne es zu genießen.

Daß dieses eine Wahrheit sei, davon war dieser Geistliche ein
unangenehmes Beispiel. Um aber zu wissen, wie das zuging und dieses
Wissen Ihnen nützlich zu machen, muß ich ausdrücklich verlangen, daß
Sie die zwei folgenden Kapitel lesen, welche eine solche Skizze von
seinem Leben und Umgange enthalten, daß die Moral zugleich mit darin
ist. Wenn dies geschehen ist und uns kein anderer Stein in den Weg
fällt, dann wollen wir mit der Hebamme weitergehen.

                            [Illustration]




                           Fünftes Kapitel.


Yorick war dieses Geistlichen Name, und was dabei sehr merkwürdig,
wie aus einer sehr alten, auf dickes Pergament geschriebenen
Familiennachricht, die noch gut erhalten ist, hervorgeht, er ist genau
ebenso buchstabiert, seit fast -- auf ein Haar breit hätte ich gesagt
neunhundert Jahren. Ich mag aber meine Zuverlässigkeit dadurch keinem
Zweifel unterwerfen, daß ich eine unwahrscheinliche Wahrheit sage, so
unbezweifelt richtig sie auch an sich selbst ist. Also will ich mich
begnügen, bloß zu sagen, er ist genau ebenso buchstabiert, ohne die
geringste Veränderung oder Versetzung eines einzigen Buchstabens. Hat
dies an dem Hochmute oder an der Schamhaftigkeit ihrer respektiven
Eigner gelegen? Die offenherzige Wahrheit zu sagen, ich glaube,
zuweilen an dem einen und zuweilen an der anderen, nachdem es die
Versuchung so mit sich brachte. Eine häßliche Sache aber bleibt's doch
immer und wird uns eines Tages noch so untereinander vermischen und
vermengen, daß kein Mensch vermögend sein wird, die Finger aufzuheben
und zu schwören, daß sein leiblicher Urgroßvater der Mann war, der
dieses oder jenes tat.

Diesem Übel war durch die kluge Vorsicht der Yorickschen Vorfahren und
ihre sorgfältige Aufbewahrung des angeführten Pergaments hinlänglich
vorgebaut. Die Urkunde teilt uns ferner mit, daß das Geschlecht
eigentlich dänischen Ursprungs und bereits unter der Regierung des
dänischen Königs Horwendilius nach England verpflanzt worden sei.
An dem Hofe dieses letzteren, scheint es, bekleidete einer von den
Vorfahren unseres Herrn Yorick, von welchem er in gerader Linie
abstammt, bis an das Ende seines Lebens einen ansehnlichen Posten.
Von was für einer Art dieser ansehnliche Posten gewesen, sagt das
Familienregister nicht. Es fügt nur hinzu, daß er seit fast zweihundert
Jahren nicht allein an diesem, sondern beinahe an allen anderen
christlichen Höfen als völlig unnötig eingegangen sei.

Es ist mir oft in den Kopf gekommen, daß dieser Posten wohl kein
anderer habe sein können als des Königs Oberspaßmacher, und daß Hamlets
Yorick in unserem Shakespeare, dessen dramatische Stücke, wie Sie
wissen, sich oft auf wahre Geschichten gründen, gerade derselbe Mann
war.

Ich habe nicht Zeit, die dänische Geschichte des Saxo-Grammatikus
nachzuschlagen, um hierüber Gewißheit zu bekommen. Das können Sie
aber ebensogut selbst tun, wenn Sie Muße haben und das Buch unschwer
erhalten können.

Ich hatte eben nur soviel Zeit auf meinen Reisen durch Dänemark mit
Herrn Neddys ältestem Sohne, den ich 1741 als Hofmeister begleitete und
mit Extrapost durch die meisten Teile von Europa führte, daß die Pferde
rauchten, -- ich hatte eben nur soviel Zeit, sage ich, und zu nichts
mehrerem, die Wahrheit der Bemerkung bestätigt zu finden, die jemand
gemacht, der sich lange in dem Lande aufgehalten hatte, daß nämlich die
Natur weder sehr verschwenderisch noch sehr knickerig mit ihren Gaben
von Genie und Fähigkeiten gegen seine Einwohner sei; -- sondern, gleich
einer klugen Mutter, gegen alle mäßig gütig wäre; daß sie bei der
Austeilung ihrer Geschenke dergestalt Ebenmaß hielte, daß sie solche
so ziemlich einander gleich machte. So daß Sie in diesem Reiche wenige
Beispiele von hervorragenden Genies finden werden, wohl aber ziemlich
viel von gutem natürlichen Alltagsverstande in allen Ständen und bei
allen Leuten, wovon jedermann sein Teil bekommen hat, was denn auch
nach meiner Meinung ganz recht ist.

Bei uns, sehen Sie, geht die Sache ganz anders zu. Wir stehen alle,
was diese Materie betrifft, sehr hoch oder sehr tief. Sie sind ein
großes Genie, mein Herr, oder fünfzig gegen eins: Sie sind ein großer
Dummkopf. Nicht als ob es so ganz und gar an Mittelstufen fehlte.
-- Nein, so völlig außer aller Regel sind wir nun wohl nicht. Aber
die beiden äußersten Spitzen sind gewöhnlicher und stehen weiter
voneinander in dieser unsteten Insel, wo selbst die Natur in ihren
Gaben und Austeilungen dieser Art höchst willkürlich und eigensinnig
ist. Das Glück selbst kann in Bescherung seiner Habe und Güter nicht
sonderbarer zu Werke gehen als sie.

Das ist es alles, was mich jemals in meinem Glauben von Yoricks
Abkunft wankend gemacht hat, welcher, soviel ich mich erinnern kann,
und zufolge aller Nachrichten, die ich nur von ihm habe erhalten
können, nicht einen einzigen Tropfen dänisches Blut in seiner ganzen
Mischung zu haben schien. In neunhundert Jahren kann es möglicherweise
alles verlaufen sein. Philosophieren darüber mag ich indessen keinen
Augenblick mit Ihnen. Denn es mag zugegangen sein, wie es wolle, so ist
soviel zuverlässig, daß statt des kalten Phlegmas und der ängstlichen
Regelmäßigkeit des Verstandes und der Laune, die Sie bei einem Manne
von dergleichen Abkunft erwartet hätten --, er vielmehr von so zarter
Körperbeschaffenheit war, als nur immer das mildeste Klima hätte
hervorbringen und zusammensetzen können. Bei allen diesen Segeln
hatte der arme Yorick dennoch keine Unze Ballast geladen. Er hatte
nicht die geringste Weltkenntnis. In einem Alter von einundzwanzig
Jahren wußte er ebensoviel davon, wohin er sein Ruder halten sollte,
als ein unschuldiges Mädchen von dreizehn Jahren, das unter Knaben
die Blindekuh spielt. Sie können sich denken, daß ihn also bei seiner
ersten Ausfahrt der rasche Windstoß seiner Lebensgeister wohl zehnmal
des Tages in fremdes Tauwerk trieb, und da ihm die Ernsthaften und
Bedächtigeren am meisten auf seinem Wege aufstießen, -- so können Sie
sich ebenfalls leicht vorstellen, daß es gerade solche waren, mit
denen er das Unglück hatte, sich am ärgsten zu verwickeln. Ich bin
immer der Meinung, daß eine kleine Mischung von unglücklichem Witz am
Ende der Grund aller dieser Händel war. Yorick hatte, die Wahrheit zu
sagen, von Natur einen unbeweglichen Widerwillen und Abscheu gegen die
Ernsthaftigkeit. Nicht gegen die wirkliche Ernsthaftigkeit; denn er
konnte, wenn's darauf ankam, tage- und wochenlang der ernsthafteste
Sterbliche von der Welt sein. Aber der nachgeäfften Ernsthaftigkeit war
er herzlich feind und kündigte ihr den öffentlichen Krieg an, insofern
sie ein Deckmantel der Unwissenheit oder Narrheit schien. Wo sie ihm
nur aufstieß, sie mochte auch noch so mächtigen Schutz haben, gab er
ihr sehr selten Pardon.

Zuweilen, nach seiner unbedachtsamen Art zu reden, pflegte er zu
sagen, die affektierte Ernsthaftigkeit sei eine durchtriebene Bübin,
und setzte noch wohl hinzu: von der gefährlichsten Gattung, weil sie
so listig sei. Er glaube im Ernste, sie brächte in einem Jahre mehr
ehrliche, sorglose Leute um ihr Gut und Geld, als Beutelschneider
und Spitzbuben in sieben tun könnten. In der nackten Gemütsart, die
ein fröhliches Herz sehen läßt, sagte er, stecke keine Gefahr als
nur für den Besitzer, dahingegen das wahre Wesen der affektierten
Ernsthaftigkeit Vorsatz und folglich Betrug wäre. Es wäre ein
studierter Kunstgriff, sich bei der Welt das Zutrauen zu erwerben,
als ob man mehr Verstand und Einsicht habe, als in der Tat wahr sei.
Ungeachtet alles dessen, wofür sie gerne gehalten sein wollte, wäre
sie doch nicht besser, sondern oft noch schlimmer als die Definition,
die schon vor langer Zeit ein witziger Franzose von ihr gegeben
hätte: ein geheimnisvolles Bestreben des Körpers, die Gebrechen des
Gemüts zu verbergen. Diese Definition der Ernsthaftigkeit, pflegte
Yorick unbehutsamerweise zu sagen, verdiente mit goldenen Buchstaben
geschrieben zu werden.

Er war aber, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, unerfahren
in der Welt, und unversucht und war ebenso unbedachtsam und töricht
bei jedem andern Vorwurfe des Gesprächs, wobei die Politik gewöhnlich
befiehlt, sich Zwang aufzuerlegen. Yorick nahm keine anderen Eindrücke
an als nur einen. Das war der, welcher aus der Natur der Handlung
entstand, wovon gesprochen wurde, welchen Eindruck er dann gewöhnlich
ohne allen Umschweif geradeheraus sagte, nur zu oft, ohne dabei auf
Person, Zeit oder Ort zu achten, dergestalt, daß, wenn eines niedrigen,
unedlen Verfahrens Erwähnung geschah, er sich niemals einen Augenblick
Zeit ließ, zu überlegen, wer der Held des Stückes sei, von welchem
Stande oder was für Macht er habe, ihm hiernächst zu schaden. Es
war für ihn eine schändliche Handlung, ohne weitere Komplimente --
der Mann ein schändlicher Kerl und so weiter. Da seine Kommentare
unglücklicherweise zumeist mit einem witzigen Einfall endigten oder
durchgängig von drolligen, launigen Ausdrücken belebt waren, so gab das
seinen Übereilungen Flügel. Mit einem Worte, ob er gleich niemals die
Gelegenheit suchte, sie aber auch selten vermied, wo er geradezu und
ohne viel Umstände heraus sagen konnte, was ihm in den Mund kam, so
hatte er in seinem Leben nur zuviel Versuchung, seinen Witz und seine
Laune, seinen Spott und seine Satiren auszuschütten. Sie gingen aus
Überfluß an Auflesern nicht verloren.

Was für Folgen das hatte, und was sich Yorick für eine Katastrophe
dadurch zuzog, das können Sie im nächsten Kapitel lesen.

                            [Illustration]




                           Sechstes Kapitel.


Der hypothekarische Gläubiger und der hypothekarische Schuldner denken
über die Länge der Zeit in Geldsachen nicht verschiedener als der
Spötter und der Ausgespottete über die Länge des Gedächtnisses. Doch
hierin geht das Gleichnis unter ihnen, wie die Scholasten es nennen,
auf allen vieren, was, im Vorbeigehen anzumerken, auf einem oder
zweien Füßen mehr ist, als sich einige der besten im Homer rühmen
können. Der eine trägt eine Summe, der andere ein Gelächter auf Kosten
eines Dritten davon und denkt nicht weiter daran. -- In beiden Fällen
gleichwohl laufen die Interessen in die Höhe. Der festgesetzte oder
zufällige Zahlungstag dient nur gerade dazu, die Sache nicht völlig ins
Vergessen kommen zu lassen, bis endlich, zu einer bösen Stunde, der
Gläubiger zu beiden kommt, auf der Stelle sein Kapital mit den vollen
Interessen bis auf den letzten Tag fordert und beide die Gültigkeit
ihrer Obligationen in ihrer ganzen Ausdehnung fühlen läßt.

Da der Leser (ich kann die Wenns nicht leiden) eine gründliche Kenntnis
der menschlichen Natur hat, so brauche ich nichts mehr zu sagen, um
ihn zu überzeugen, daß mein Held es nicht lange so forttreiben konnte,
ohne eine oder die andere kleine Erfahrung zu machen. Die Wahrheit zu
gestehen, hatte er sich üppigerweise in eine Menge kleiner Buchschulden
von diesem Schlage verwickelt, welche er, ungeachtet Eugenius' häufiger
Warnung, zu sehr auf die leichte Achsel nahm. Er meinte, da er keine
einzige davon aus böser Absicht gemacht, sondern vielmehr aus sehr
redlichem Herzen und aus bloßer aufgeräumter Gemütsart, so würden sie
sich alle bei Gelegenheit von selbst tilgen.

Eugenius wollte ihm das niemals zugeben und sagte oft zu ihm, daß man
ihm ein oder des andern Tages die Rechnungen gewiß einschicken würde,
und zwar, fügte er oft mit einem traurigen, ahnungsvollen Tone hinzu,
wird man weder Pfennig noch Heller vergessen, worauf Yorick nach seiner
gewöhnlichen Sorglosigkeit des Herzens mit einem: »Warum nicht gar?«
zu antworten pflegte, und fiel das Gespräch im freien Felde vor, mit
einem Linksumkehrt, einem Vor- oder Seitensprunge statt der Antwort.
War er aber beim geselligen Kamine, in einer Ecke hinter einem Tische
und ein paar Lehnstühlen eingeschlossen, wo der arme Sünder stichhalten
mußte und nicht so leicht davonwischen konnte, -- dann fuhr Eugenius
mit seiner Klugheit in ungefähr folgenden Worten fort, die aber ein
wenig besser zusammengefügt waren:

»Glaube mir, lieber Yorick, diese deine unvorsichtige Scherzhaftigkeit
wird dich früher oder später in solche Schlingen verwickeln, aus
welchen dich kein Nachwitz wird losmachen können. -- Bei diesen
Angriffen seh' ich's zu oft, daß der Mann, über den gelacht wird,
sich in dem Lichte einer beleidigten Person betrachtet, mit allen
den Rechten, die ihm in einer solchen Lage zustehen. Und wenn du
ihn ebenfalls in diesem Lichte betrachtest und seine Freunde, seine
Angehörigen, seine Verwandten und Bundesgenossen zusammenrechnest und
die vielen Rekruten mit in die Glieder stellst, die sich aus Besorgnis
einer gemeinschaftlichen Gefahr in seinem Dienst werden anwerben
lassen, dann ist es keine übertriebene Rechnung, wenn man sagt, für
jede zehn spitzige Einfälle hast du dir hundert Feinde erkauft, du
willst es nicht glauben, bis du so weit gekommen bist, daß dir das
aufgerührte Wespennest um die Ohren summt und dich halbtot gestochen
hat.

Ich kann von dem Manne, den ich hochachte, nicht argwöhnen, daß ihn der
kleinste Sporn von Milzsucht oder menschenfeindlicher Absicht zu diesen
Angriffen reize. Ich glaube und bin überzeugt, sie sind unschuldig und
bloß als Scherz gemeint. Aber bedenke es wohl, lieber Junge, Narren
können den Unterschied nicht einsehen, und -- Buben wollen nicht. Du
weißt nicht, was es heißt, den einen zu zerren oder mit dem andern zu
tändeln! Wo sie sich jemals zu gemeinsamer Verteidigung zusammentun,
so, glaube mir, werden sie den Krieg gegen dich auf eine solche Art
führen, mein liebster Freund, daß du seiner und deines Lebens dazu
herzlich satt werden wirst.

Die Rachsucht wird aus einem giftigen Winkel ein ehrenrühriges
Märchen gegen dich richten, welches weder Unschuld des Herzens
noch Unsträflichkeit des Wandels abwehren wird. Die Glückseligkeit
deines Hauses wird erschüttert, dein guter Leumund, worauf sie ruht,
allenthalben verwundet, deine Redlichkeit in Zweifel gezogen, deine
Taten belogen, dein Witz vergessen, deine Gelehrsamkeit mit Füßen
getreten, und, um dir den letzten Auftritt deines Trauerspiels vor die
Augen zu bringen: Grausamkeit und Feigheit, zwei Zwillings-Raufbolde,
die als Mietlinge der Bosheit im Finstern schleichen, werden zugleich
deine Schwachheiten und Irrtümer bestürmen. -- Der beste von uns, mein
teuerster Kumpan, gibt hier Blößen. Und glaube, glaube mir, Yorick,
wenn es einmal, eine besondere Lust zu büßen, beschlossen ist, daß ein
hilfloses unschuldiges Tier geopfert werden soll, so ist es leicht,
in jedem grünen Gebüsche, wohin es sich verirret hat, genug trockenes
Reisholz zum Feuer zu finden, worauf es verbrannt werde.«

Yorick hörte diese traurige prophetische Rede fast niemals
vorsagen, oder es stahl sich eine Träne aus seinem Auge, welche ein
versprechender Blick begleitete, daß er fürs künftige entschlossen
sei, seinen Klepper mit mehr Mäßigung zu reiten. -- Aber, leider! zu
spät! -- Eine große Verschwörung tat sich zusammen, noch ehe sie zum
erstenmal geweissagt war. Der ganze Plan zum Angriff ward, gerade wie
Eugenius vorhergesagt, auf einmal zur Ausführung gebracht. Mit so
wenig Schonung von Seiten der Verbündeten und so wenig Argwohn von
Seiten Yoricks von dem, was gegen ihn geschmiedet wurde, daß, als der
gutherzige Mann dachte, seine sichere Amtsbeförderung stände in voller
Reife, sie ihn an der Herzwurzel angegriffen hatten. So fiel er, wie
mancher würdige Mann vor ihm gefallen war.

Yorick betrug sich anfangs eine Zeitlang mit aller ersinnlichen
Tapferkeit, bis er, der Anzahl über und endlich des Elends des Krieges
überdrüssig, am meisten aber der ungroßmütigen Art, womit er geführt
wurde, satt, das Schwert aus der Hand legte. Ob er gleich dem Anschein
nach bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, starb er
dennoch, wie man überall überzeugt war, vor Kummer und Gram.

Was den Eugenius zu ebender Meinung brachte, war folgendes:

Wenige Stunden, ehe Yorick seinen Geist aufgab, ging Eugenius zu ihm,
in der Absicht, ihn noch einmal zu sehen und den letzten Abschied
von ihm zu nehmen. Wie er Yoricks Vorhang aufzog und ihn fragte, wie
er sich befinde, sah ihm Yorick ins Gesicht, faßte ihn bei der Hand,
und nachdem er ihm für so manchen Beweis seiner Freundschaft gedankt
hatte, wofür, wenn es ihr Schicksal wollte, daß sie sich künftig wieder
antreffen sollten, er ihm immer mehr und mehr danken wollte, und sagte
zu ihm, in ein paar Stunden würde er seinen Feinden auf ewig das
Nachsehen lassen. -- »Das hoffe ich nicht,« antwortete Eugenius mit dem
zärtlichsten Tone, in dem jemals ein Mann gesprochen hat, wobei ihm die
Tränen die Wange herabrollten. »Das hoffe ich nicht, Yorick,« sagte
er. Yorick antwortete mit einem in die Höhe gerichteten Blicke und mit
einem sanften Drucke, den er Eugenius' Hand gab, und mit sonst nichts.
Aber es ging Eugenius durchs Herz. -- »Komm, komm, Yorick,« erwiderte
Eugenius, indem er sich die Augen wischte und sich wie ein Mann zu
fassen suchte, »sei wohlgemut, mein lieber Bruder. Laß nicht allen Mut
und Standhaftigkeit in dieser Stunde der Prüfung sinken, wo du ihrer
am meisten bedarfst. Wer weiß, was für Hilfe noch vorhanden ist und
was Gottes Macht noch für dich zu tun vermag?« -- Yorick legte seine
Hand auf sein Herz und schüttelte sanft den Kopf. »Ich muß dir sagen,«
fuhr Eugenius fort und weinte bitterlich, als er die Worte sprach,
»ich weiß nicht, wie ich's aushalten soll, mich von dir zu trennen,
Yorick, und möchte gern meiner Hoffnung schmeicheln, daß noch genug
von dir übrig sei, einen Bischof daraus zu machen, und daß ich das
noch erleben werde.« -- »Ich bitte dich, Eugenius,« erwiderte Yorick,
und nahm, so gut er konnte, mit seiner linken Hand die Schlafmütze vom
Kopfe, weil er seine rechte noch immer fest in Eugenius' seiner liegen
hatte, »ich bitte dich, siehe mein Haupt an!« -- »Ich seh' nicht, daß
es ihm etwas schadet!« versetzte Eugenius. »Ach, mein Freund,« sagte
Yorick, »so muß ich dir sagen, daß es so zerschlagen, so mißhandelt
ist von den Streichen, welche mir so unsanft im Finstern versetzt
wurden, daß ich mit Sancho-Pansa sagen möchte, wenn ich wieder aufkäme:
›und sollten denn auch Bischofshüte vom Himmel regnen, so dicht wie
Hagel, es würde doch keiner darauf passen‹.« -- Yoricks letzter Atem
schwebte auf seinen zitternden Lippen, in völliger Bereitschaft zu
entfliehen, als er dieses hervorbrachte. Dennoch brachte er's mit einem
eigentümlichen Tone hervor, und wie er's sprach, konnte Eugenius einen
Strom sanften Feuers bemerken, das sich auf einen Augenblick in seinen
Augen entzündet hatte. Schwaches Gemälde von jenen Blitzen des Witzes,
welche, wie Shakespeare von Yoricks Ahnherrn sagt, gewohnt waren, den
Tisch zu lautem Gelächter zu zwingen.

Eugenius ward hierdurch überzeugt, daß der Gram seines Freundes Herz
gebrochen habe; er drückte ihm die Hand -- ging leise aus dem Zimmer
und weinte, wie er ging. Yorick folgte ihm mit den Augen bis zur Türe.
Darauf schloß er sie -- und öffnete sie nie wieder.

Er liegt begraben in einer Ecke seines Kirchhofes, in dem Kirchdorfe
unter einem kunstlosen, platten Marmorstein, den sein Freund Eugenius
mit Erlaubnis seiner Exekutores über sein Grab legte, mit nicht
mehr als diesen drei Worten einer Inschrift, welche als Grab- und
Klageschrift dient:

                          »Ach, armer Yorick«

Zehnmal des Tages hat Yoricks Geist den Trost, seine Gedächtnisschrift
mit einer solchen Mannigfaltigkeit von klagenden Tönen lesen zu hören,
welche Mitleid und Hochachtung für ihn anzeigen. Da ein Fußsteig über
den Kirchhof, dicht an der Seite des Grabes vorbeiführt, so geht kein
Fußgänger vorüber, der nicht einen Augenblick verweilt, einen Blick
daraufwirft und im Weitergehen seufzt: Ach armer Yorick!

                            [Illustration]




                          Siebentes Kapitel.


Eher wollte ich mich unterstehen, das schwerste Problem in der
Geometrie zu lösen, als auf mich zu nehmen, zu erklären, wie ein
Mann von meines Vaters vielem und richtigem Verstande, belesen, und
zwar kritisch in philosophischen Sachen, dabei weise in politischen
Anschlägen und in der Polemik, wie er sehen wird, gar nicht unwissend,
fähig sein konnte, eine Meinung in seinem Kopfe zu unterhalten, die
soweit von allen gewöhnlichen abwich, daß ich besorge, der Leser, wenn
ich ihm solche sage, wofern er nur wenig cholerischen Temperaments ist,
werde den Augenblick das Buch beiseite werfen. Ist er sanguinisch, so
wird er herzlich darüber lachen, und ist er von der ernsthaften und
strengeren Gattung, so wird er solche beim ersten Anblicke, ohne Gnade,
als phantastisch und ausschweifend verdammen. Es ist seine Meinung,
über die Wahl und Beilegung der Taufnamen, worauf nach seiner Ansicht
weit mehr ankäme, als solche Leute, die nur oberflächlich denken, zu
begreifen fähig wären. -- Seine Meinung in diesem Punkte war, daß es
eine sonderbare Art von magischer Kraft gäbe, welche gute oder böse
Namen, wie er sie nannte, unserm Charakter und unserer Aufführung
unwiderstehlich eindrückten.

Cervantes' Held konnte seinen Punkt nicht ernsthafter behaupten, noch
es ernstlicher meinen oder mehr erzählen von der Macht der Zauberer,
die seine Taten mit Schande befleckten, oder von dem Namen seiner
Dulcinea, der sie mit Ehre bekrönte, als mein Vater von den Namen
Trismegistus oder Archimedes auf der einen Seite oder von Nyky und
Simkin auf der anderen vorzubringen hatte. Wie manche Cäsars und
Pompejen, pflegte er zu sagen, sind durch bloßen Einfluß der Namen
ihrer unwürdig geworden! Und wie manche gibt es, fügte er hinzu, die
ungemein viel Gutes in der Welt gestiftet haben möchten, wäre ihr
Charakter und Mut nicht gänzlich unterdrückt worden.

Ich seh's Ihnen deutlich an den Augen an, oder wie es sonst traf,
sagte wohl mein Vater, daß Sie dieser meiner Meinung nicht von Herzen
beitreten, welche für diejenigen, fügte er hinzu, die sie nicht
sorgfältig bis auf den Grund gesichtet haben -- ich gestehe es --,
mehr das Ansehen einer Grille als eines geprüften Satzes haben mag.
Dennoch, mein lieber Herr, wenn ich mir nicht zuviel einbilde, Ihren
Charakter zu kennen, so bin ich moralisch gewiß, ich würde nicht wagen,
Ihnen eine Sache vorzulegen, nicht als einem, der Teil am Streit nimmt,
sondern als einem Richter, auf dessen Einsichten und unparteiische
Entscheidung ich mich bei meiner Appellation in dieser Sache sicher
verlassen kann. -- Sie sind eine, von vielen eingeschränkten
Vorurteilen der Erziehung so freie Person wie wenige Menschen, und wenn
ich's wagen darf, noch tiefer in Sie zu dringen, von einer Großmut des
Geistes, die es verschmäht, eine Meinung bloß deswegen zu verwerfen,
weil ihr Anhänger fehlen. Ihren Sohn! Ihren geliebten Sohn, von dessen
sanftem und aufgeräumtem Naturell Sie soviel zu erwarten haben, Ihr
Fritzchen, mein Herr! wollten Sie ihn um alles in der Welt wohl Judas
haben taufen lassen? Möchten Sie wohl, lieber Freund, fuhr er fort,
indem er ihm mit der sanftesten Art seine Hand auf die Brust legte,
-- und mit dem Schmeichelnden und unwiderstehlichen Piano der Stimme,
welche das +Argumentum ad hominem+ seiner Natur nach erheischt,
möchten Sie, mein Herr, wenn ein Jude den Namen für Ihren Sohn
vorgeschlagen und Ihnen dabei seine Geldsäcke angeboten hätte, möchten
Sie wohl in eine solche Entweihung Ihres Sohnes gewilligt haben? O,
mein Gott, sagte er dann, wenn ich Ihr Gemüt recht kenne, ist Ihnen das
unmöglich. Sie hatten das Anerbieten mit Füßen getreten. Mit Abscheu
hätten Sie die Versuchung an den Kopf des Versuchers geworfen.

Ihre Seelengröße bei dieser Tat, die ich ebenso wie die uneigennützige
Verachtung des Geldes bewundere, die Sie bei diesem ganzen Vorfalle an
den Tag legen, ist wirklich edel, und wodurch sie solches noch mehr
wird, ist das Prinzip, woraus sie entspringt: Wirkungen der Liebe eines
Vaters, nach der Wahrheit und Überzeugung von ebendieser Hypothesis,
nämlich: wäre Ihr Sohn Judas getauft worden, die habsüchtige und
verräterische Idee, die von dem Namen so unzertrennlich ist, würde ihn
sein ganzes Leben durch wie ein Schatten verfolgt und ihn zuletzt,
trotz Ihrem Beispiele, Herr, zu einem Schabhals und Schurken gemacht
haben.

Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der auf ein solches Argument
zu antworten vermochte. -- Wirklich, aber auch von meinem Vater die
Wahrheit zu sagen: -- er war unwiderstehlich, beides im Verstehen und
Disputieren. Er war zum Redner geboren. Überredung hing an seinen
Lippen, und die Elemente der Logik und Rhetorik waren dergestalt
durch ihn verwebt, und ganz besonders wußte er so schnell und Schlau
die Schwachheiten und Leidenschaften seiner Gegner aufzufinden, daß
die Natur selbst ihr Votum geben würde: dieser Mann ist beredt. Kurz,
mein Vater mochte recht oder unrecht haben, es war in beiden Fällen
viel gewagt, ihn anzugreifen. Und dennoch, es ist wunderbar, hatte
er niemals weder den Cicero noch Quintilian +de oratore+ noch
Isokrates noch Aristoteles oder Longinus unter den Alten, noch den
Vossius noch Scioppius noch Ramus noch Farnabius unter den Neueren
gelesen, und was noch mehr zum Erstaunen ist, so war in seinem
ganzen Leben kein Strahl oder Funke von Subtilität dadurch in seine
Seele gebracht worden, daß er etwa ein Kollegium über irgendeinen
niederländischen Logiker oder Kommentator gehört hätte. Er wußte
nicht einmal, worin der Unterschied zwischen einem Argument +ad
ignorantiam+ und +ad hominem+ bestünde --, so daß ich
mich recht gut erinnere, als er mit mir hingereist war, mich im
Jesuiterkollegio zu N. einschreiben zu lassen, wie mein würdiger Lehrer
und zwei oder drei andere Mitglieder dieser gelehrten Sozietät sich
höchlich wunderten, daß ein Mann, der nicht einmal die Namen seiner
Werkzeuge kannte, dennoch so behende damit arbeiten könnte.

Damit so gut, als er nur immer konnte, zu arbeiten, dazu ward mein
Vater indessen unaufhörlich gezwungen; denn er hatte wohl tausend
kleine skeptische Ideen von der komischen Gattung zu verfechten,
-- wovon die meisten, wie ich fest glaube, sich anfangs bloß als
sonderbare Einfälle und als vive la bagatelle einschlichen. Mit ihnen
mochte er dann wohl eine halbe Stunde oder so seinen Spaß treiben,
und nachdem er seinen Witz an ihnen geschärft hatte, sie bis auf ein
andermal abtreten lassen.

Ich führe dieses nicht bloß als eine Hypothese oder Mutmaßung über das
Emporkommen und die Einnistung von meines Vaters sonderbaren Meinungen
an, sondern als eine Warnung für den gelehrten Leser gegen die
unvorsichtige Aufnahme solcher Gäste, welche, nachdem sie einige Jahre
lang in unserem Gehirn haben ungehindert und frei aus und ein gehen
dürfen, endlich gar als Einheimische betrachtet sein wollen. Einige
Zeit arbeiten sie, als Spielten sie nur Pfand; aber gemeiniglich wird
wie bei einem verliebten Paare aus Pfandwechseln Handwechseln.

Ob das mit meines Vaters sonderbaren Meinungen der Fall war, oder
ob endlich sein Witz seinem Verstande einen blauen Dunst vormachte,
-- oder wiefern er in einigen seiner Meinungen, so sonderbar sie
schienen, völlig recht haben mochte, das soll der Leser an Ort und
Stelle entscheiden. Hier behaupte ich weiter nichts, als daß es mit
dieser einen über den Einfluß der Taufnamen sein ganzer Ernst war. Er
war systematisch und gleich allen Systematikern hätte er Himmel und
Erde bewegt und jedes Ding in der Schöpfung gereckt und gezerrt, um
es seiner Hypothese anzupassen. Kurz, ich sage es noch einmal, es war
sein Ernst, und demzufolge konnte er alle Geduld verlieren, wenn er
Leute, besonders Leute von Stande sah, die es hätten besser wissen
sollen, die sich ebensowenig oder noch weniger darum bekümmerten, wie
ihr Kind genannt werden sollte, als um die Wahl eines Namens für ihren
Schoßhund, ob Ponto oder Cupido.

Das, sagte er, stünde sehr schlecht. Wenn einmal ein schlechter Name
mit Unrecht und Unbedacht gegeben worden, so ginge es nicht, wie in dem
Falle, da eines Mannes guter Leumund verunglimpft worden, der wieder
verglimpft werden könnte. Da wäre es möglich, daß der, wenn nicht bei
Lebzeiten des Mannes, wenigstens nach seinem Tode wieder gerettet
würde. Bei dem andern aber, sagte er, ließe sich das geschehene Übel
niemals wieder gutmachen. --

Es war merkwürdig, daß, obgleich mein Vater, dieser Meinung gemäß, wie
ich Ihnen gesagt habe, gegen gewisse Namen die stärkste Zuneigung oder
Abneigung hatte, es dennoch Namen gab, weiche auf der Wagschale vor ihm
so eben schwebten, daß sie ihm völlig gleichgültig waren. Jack, Dick
und Tom waren in dieser Klasse. Diese nannte mein Vater neutrale Namen
und behauptete von ihnen ohne Satire, daß es von Anbeginn der Welt
her wenigstens ebenso viele Schurken und Narren gegeben wie gute und
kluge Männer, die solche Namen ohne Unterschied geführt hätten. Indem
sie so als gleiche Kräfte in entgegengesetzter Richtung aufeinander
wirkten, hoben sie nach seiner Meinung ihre Wirkungen wechselweise auf,
aus welcher Ursache er, wie er oft erklärte, keinen Kirschkern für die
Wahl unter diesen hingeben möchte. Bob, so hieß mein Bruder, war ein
anderer von dieser neutralen Gattung von Taufnamen, welche weder auf
die eine noch andere Seite wenig wirkten; und da sich mein Vater zu
Epsom befand, als er ihm gegeben ward, so dankte er oft dem Himmel, daß
es kein schlimmerer wäre. Andreas kam ihm fast vor wie eine negative
Größe in der Algebra. Er sei schlechter, sagte er, als nichts. Der
Name Wilhelm war bei ihm in hohem Ansehen, Numps wieder weniger und
Ruprecht, sagte er, sei gar des Teufels.

Allein, unter allen Namen in der weiten Welt hatte er den
unbezwinglichsten Widerwillen gegen Tristram. -- Von keinem Dinge auf
dem Erdboden hatte er einen niedrigeren und verächtlicheren Begriff,
indem er glaubte, er könne unmöglich +in rerum natura+ etwas
anderes hervorbringen, als was höchst gemein und elend wäre. Ja, mitten
in einem Disput über den Punkt, worin er nicht selten ganz von ungefähr
verwickelt wurde, brach er oft voll Feuer plötzlich ab, stieg eine
Terze und zuweilen eine ganze Quinte über den Grundton seiner Rede
hinauf und fragte seinen Gegner kategorisch, ob er's auf sich nehmen
wolle, zu sagen, er habe sich jemals erinnert, habe jemals gelesen
oder habe jemals erzählen gehört von einem Menschen, der Tristram
geheißen, daß er etwas Großes oder Andenkenswertes verrichtet? -- Nein,
pflegte er zu sagen, Tristram! 's ist eine Unmöglichkeit!

Was konnte meinem Vater mehr fehlen, als ein Buch zu schreiben, um
diese seine Meinung der Weit mitzuteilen? Sehr wenig Genuß bringt
es dem spekulativen Kopfe, seine Meinung allein zu haben, wenn er
sie nicht zu Markte bringen darf. Gerade das war's, was mein Vater
tat; denn im Jahre 1716, zwei Jahre vor meiner Geburt, machte er
sich darüber her und schrieb ausführliche Dissertationen über das
einzige Wort Tristram, worin er der Welt mit vieler Aufrichtigkeit und
Bescheidenheit die Gründe seines großen Abscheus gegen diesen Namen vor
Augen legte.

Wenn diese Erzählung mit dem Titelblatte verglichen wird, wird dann
nicht der gutherzige Leser meinen Vater von Herzen bedauern? Wird
es ihn nicht schmerzen, sehen zu müssen, wie einem ordentlichen,
gutgesinnten Manne, der zwar sonderbare, aber doch unschädliche
Meinungen hegt, dergestalt von Widerwärtigkeiten mitgespielt worden
ist, und wenn er ihn auf dem Schauplatze erblickt, wo ihm alle seine
kleinen Systeme und Wünsche über den Haufen geworfen und vereitelt
werden, wenn er einen Troß von Zufällen beständig auf ihn zustürmen
sieht, und zwar auf eine so abgemessene und grausame Weise, als ob's
ausdrücklich darauf angelegt wäre, seine Spekulationen zu verspotten?
mit einem Worte: wenn er so einen Mann in seinen alten Tagen, die nicht
für Kummer und Sorgen gemacht sind, zehnmal täglich an seinen Schmerz
erinnert sieht, wie er zehnmal an einem Tage sein vom Himmel erflehtes
Kind Tristram rufen muß? -- Melancholischer zweisilbiger Klang, der
in seinen Ohren mit Claasklump oder jedem andern Spottnamen unter der
Sonne im Einklang steht! -- Bei seiner Asche schwöre ich's! hat jemals
ein boshafter Geist sich ein Vergnügen oder Geschäft daraus gemacht,
die Vorsätze eines Sterblichen zu vereiteln, so muß es hier gewesen
sein, und wäre es nicht notwendig, daß ich erst geboren sein müßte, ehe
ich getauft werden kann, ich gäbe den Augenblick dem Leser Nachricht
davon.

                            [Illustration]




                            Achtes Kapitel.


»Ich kann nicht begreifen, was das Lärmen und das Hin- und Herlaufen
da oben heißen soll,« sagte mein Vater, und wendete sich nach einem
anderthalbstündigen Stillschweigen an meinen Onkel Toby, der, wie
Sie wissen müssen, an der anderen Seite beim Feuer saß und seine
gesellige Pfeife Tabak in stiller Betrachtung eines neuen schwarzen
Plüsch-Beinkleides, das er trug, immerfort schmauchte. -- »Was mögen
sie vorhaben, Bruder?« sagte mein Vater, »wir können ja kaum unser
eigen Wort hören?«

»Ich glaube,« antwortete mein Onkel Toby, wobei er die Pfeife aus dem
Munde nahm und den Kopf derselben zwei- oder dreimal auf den Nagel
seines linken Daumens schlug, als er zu reden anfing, »ich glaube,«
sagte er ... Aber um meines Onkels Meinung über diese Sache gehörig zu
fassen, müssen Sie erst ein wenig mit seinem Charakter bekannt sein,
dessen äußeren Umriß ich Ihnen hier auf der Stelle geben will. Hernach
wird der Dialog zwischen ihm und meinem Vater desto besser vonstatten
gehen.

O, können Sie mir nicht sagen, wie der Mann hieß -- denn ich
schreibe so in der Eile; ich habe weder Zeit, mich zu besinnen noch
nachzuschlagen --, der die Bemerkung zuerst machte, daß unsere
Luft und unser Klima sehr unbeständig seien? Er mag gewesen sein,
wer er will, er hat damit eine gute Bemerkung gemacht. Die daraus
gefolgerte Behauptung aber, daß es daher komme, daß wir eine so
große Mannigfaltigkeit an eigenen und sonderbaren Charakteren haben,
kam nicht von ihm, sie ward von einem anderen Manne, wenigstens
anderthalbhundert Jahre vorher ausfindig gemacht, wie ebenfalls, daß
dieses volle Zeughaus von Originalstoff die wahre und natürliche
Ursache sei, daß unsere Lustspiele viel besser sind als die Lustspiele
der Franzosen oder alle die, welche auf dem festen Lande geschrieben
worden sind oder geschrieben werden können. -- Das ist eine Entdeckung,
die eigentlich erst in der Mitte der Regierung des Königs William
gemacht ward, als der große Dryden, bei Verfertigung einer von seinen
langen Vorreden, wenn ich nicht irre, glücklicherweise darauf verfiel.
In der Tat begann der große Addison in den letzten Jahren der Königin
Anna diese Meinung in Schutz zu nehmen, und erklärte solche der Welt in
ein oder zwei Blättern des »Zuschauers« weitläufiger. Die Entdeckung
war aber nicht sein eigen. Endlich viertens und letztens, daß diese
sonderbare Unregelmäßigkeit in unserem Klima, die eine so sonderbare
Unregelmäßigkeit in unseren Charakteren hervorbringt -- und uns dadurch
gewissermaßen schadlos hält --, indem sie uns etwas gibt, womit wir uns
einen Zeitvertreib machen können, wenn uns das Wetter nicht erlaubt,
über unsere Schwelle zu treten. -- Die Bemerkung ist von mir selbst und
ward von mir ans Tageslicht gebracht, an ebendiesem regnerischen Tage,
dem 26. März 1759 zwischen neun und zehn Uhr des Vormittags.

Aber ich vergesse meinen Onkel Toby, den wir die ganze Zeit über haben
die Asche aus seiner Pfeife klopfen lassen.

Sein eigentümlicher Charakter war von der besonderen Gattung, welche
unserem Himmelskreise Ehre machte. Ich würde mich nicht besinnen,
ihn unter dessen vorzüglichste Produkte zu rechnen, hätte er nicht
so viele deutliche Striche von einer Familienähnlichkeit erhalten,
welche bewiesen, daß die Sonderbarkeit seines Tuns und Sagens mehr vom
Geblüte als von Wind oder Wasser herkäme, solche möchten vermischt
oder versetzt sein, wie sie wollten. Deswegen habe ich mich auch oft
gewundert, daß mein Vater, ob ich gleich glaube, daß er seine Ursachen
dazu hatte, wenn er, als ich noch ein Knabe war, gewisse Abweichungen
von meiner natürlichen Bahn bemerkte, niemals versucht hat, solche
aus dieser Ursache zu erklären. -- Denn die ganze Shandysche Familie
bestand aus Originalcharakteren. -- Ich meine die Männlein -- die
Weiblein hatten gar keinen --, ausgenommen meine Großtante Dinah, die
ungefähr vor sechzig Jahren sich mit ihrem Kutscher verheiratete und
vermehrte. Was sie, wie mein Vater, zufolge seiner Meinung von den
Taufnamen, oft zu sagen pfegte, ihren Gevattern und Gevatterinnen zu
verdanken hätte.

Es wird sehr befremdend scheinen -- und ich möchte ebensolieb dem Leser
ein Rätsel auf die Bahn werfen, welches sonst meine Art nicht ist,
als ihn nach der Ursache herumsinnen lassen --, daß ein Unfall dieser
Art so lange Jahre aufgehoben werden könnte, Friede und Einigkeit zu
stören, welche sonst so herzlich zwischen meinem Vater und Onkel Toby
obwalteten. Man sollte gedacht haben, die ganze Macht des Unglücks
würde sich gleich in der ersten Zeit in der Familie gebrochen und
verloren haben, wie gemeiniglich zu geschehen pflegt. Aber in unserer
Familie nahm alles seine ganz besondere Wendung. Vielleicht hatte
sie damals, als es sich zutrug, ein anderes Kreuz zu tragen. Und da
uns doch Kreuz und Leiden zu unserem Besten gesendet werden, und
dies hier der Shandyschen Familie noch niemals zum Besten gediehen
war, so lag es vielleicht und wartete, bis ihm die rechte Zeit und
Umstände Gelegenheit gaben, seine Dienste auszuüben. -- Bemerken Sie
wohl, ich entscheide hierin nichts. -- Meine Gewohnheit ist immer,
dem Forschbegierigen von verschiedenen Spuren einen Fingerzeig zu
geben, nach welchem er bis zu den ersten Quellen der Begebenheiten
gelangen kann, die ich erzähle. -- Nicht mit dem entscheidenden Tone
des Tacitus, der sich selbst und seine Leser überwitzt, sondern mit
der gehorsamsten Dienstbeflissenheit eines Herzens, das sich bloß dem
Dienst der Forschbegierigen gewidmet hat. -- Für diese schreibe ich --
und diese werden mich lesen bis -- wenn nur irgendein Lesen wie dieses
so lange aushalten könnte -- bis ans Ende der Welt hinzu.

Warum also die Ursache des Verdrusses solchergestalt für meinen Vater
und Onkel aufgespart worden, das lasse ich unentschieden. Wie aber und
in was für einer Richtung es wirkte, um Veranlassung zu Mißvergnügen
unter ihnen zu geben, nachdem es einmal in Gang gekommen war, das bin
ich imstande mit großer Genauigkeit zu erklären, und ist wie folgt.

Mein Onkel Toby Shandy, Madame, war ein Offizier, der neben den
Tugenden, welche gewöhnlich den Charakter eines ehrlichen und
rechtschaffenen Mannes bestimmen, noch eine andere in einem hohen Grade
besaß, die selten oder niemals ins Verzeichnis gesetzt wird. Diese war
eine außerordentliche und unvergleichliche Züchtigkeit der Natur. --
Doch nehme ich das Wort Natur als Ursache zurück, damit ich nicht eine
Sache vorher abtue, die später vorkommen muß. Ob nämlich diese seine
Züchtigkeit natürlich oder erworben war. -- Auf welche Weise aber mein
Onkel dazu gelangt sein mochte, es war allemal Züchtigkeit im wahrsten
Sinne. Und zwar, Madame, nicht in Worten -- denn er war so unglücklich,
daß er nicht viel Wahl darunter hatte --, sondern in Taten. Und diese
sittsame Zucht beherrschte ihn dergestalt und ging bei ihm so weit,
daß sie womöglich der Züchtigkeit eines Frauenzimmers fast gleichkam.
Dieser weiblichen Sittsamkeit, Madame, und innerlichen Keuschheit der
Sinne und Gedanken Ihres Geschlechts, wodurch Sie dem unserigen so
große Ehrfurcht einflößen.

Sie werden glauben, Madame, daß mein Onkel Toby alles dieses aus der
wahren Quelle geschöpft habe, -- daß er seine Zeit im Umgange mit
Ihrem Geschlecht zugebracht und daß er durch eine völlige Kenntnis von
Ihnen und durch die Macht der Nachahmung, welche so schöne Beispiele
unwiderstehlich machen, diese liebenswürdige Eigenschaft des Gemüts
erworben habe.

Ja, ich wollte, daß ich das sagen könnte! -- Doch außer mit seiner
Schwägerin, meines Vaters Frau und meine Mutter, wechselte er mit
einem anderen Frauenzimmer nie drei Worte in ebensoviel Jahren. --
Nein, er erlangte sie im Wurfe, Madame. -- Im Wurf! -- Ja, Madame,
es kam von einem Stein, der bei der Belagerung von Namur durch eine
Kanonenkugel von einem Hornwerke abgerissen und meinem Onkel Toby
gerade aufs Latzbein geworfen wurde. -- Wie konnte der die Wirkung tun?
Die Erzählung davon, Madame, ist lang und anziehend. Aber ich würde
meine Historie ganz zusammendrängen, wenn ich sie Ihnen hier geben
wollte. Sie ist weiterhin zu einer Episode bestimmt und soll Ihnen mit
allen sich darauf beziehenden Umständen an gehöriger Stelle getreulich
vorgelegt werden. Bis dahin steht es nicht in meiner Gewalt, Ihnen mehr
Licht von der Sache zu geben oder mehr zu sagen, als ich bereits gesagt
habe: -- Daß mein Onkel Toby ein Offizier von einer unvergleichbaren
Züchtigkeit war, welche zufälligerweise durch die beständige Hitze
eines kleinen Familienstolzes verdünnt und verfeinert wurde, so, daß
beide zugleich so bei ihm arbeiteten, daß er die Geschichte von Tante
Dinah niemals erwähnen hören konnte, ohne in heftige Gemütsbewegung
zu geraten. -- Die geringste Anspielung darauf war hinreichend,
ihm das Blut ins Gesicht zu treiben. Wenn aber mein Vater gar in
vermischten Gesellschaften sich weitläufiger darüber ausließ, wozu
er sich oft, um seine Hypothesen zu erläutern, genötigt sah, so fraß
dieser unglückliche Meltau auf einem der schönsten Zweige der Familie,
in meines Onkels Ehrliebe und Züchtigkeit, blutige Wunden; dann nahm
er oft meinen Vater mit aller nur erdenklichen Besorglichkeit auf die
Seite, um ihm vorzustellen, er wolle ihm alles geben, was er in der
Welt hätte, wenn er nur die Geschichte ruhen lassen möchte.

Mein Vater, glaube ich, hegte die wahrste und zärtlichste Zuneigung für
meinen Onkel Toby, die jemals ein Bruder für den anderen hegte, und
hätte gerne alles auf der Welt getan, was ein Bruder vernünftigerweise
von dem anderen verlangen konnte, um meines Onkels Toby Herz über
diesen oder jeden anderen Punkt zu beruhigen. Aber dieses stand nicht
in seinen Kräften.

Mein Vater, wie ich Ihnen gesagt habe, war ein Philosoph, haarscharf,
spekulativ, systematisch; und meiner Tante Dinah Geschichte war ihm
von ebensovieler Wichtigkeit, als dem Kopernikus die Retrogadation der
Planeten. -- Die Nebenschliche der Venus aus ihrer geraden Laufbahn
bestätigten das Kopernikanische System, das von ihm seinen Namen
erhielt. Die Nebenschliche der Tante Dinah von ihrer ebenen Bahn taten
ebendie Dienste bei der Errichtung des Systems meines Vaters, das, wie
ich glaube, hinfort beständig nach ihm das Shandysche System heißen
wird.

Bei jeder anderen Familienkränkung hatte mein Vater, glaube ich, ein
ebenso feines Gefühl der Schamhaftigkeit als irgend jemand. Ich getraue
mir zu sagen, weder er noch Kopernikus würden in beiden Fällen die
Geschichten haben auskommen lassen oder der Welt ein Wort davon gesagt
haben, wäre es nicht, wie sie dachten, aus Pflicht gegen die Wahrheit
gewesen. -- +Amicus Plato+, pflegte mein Vater zu sagen, wobei er
ihm die Worte übersetzte. -- +Amicus Plato+, das heißt, Dinah war
meine Tante; -- +sed magis amica veritas+ -- aber die Wahrheit ist
meine Schwester.

Diese Uneinigkeit der Meinungen meines Vaters und Onkels war die Quelle
manches brüderlichen Zwistes. Der eine konnte nicht ertragen, daß ein
Familienfleck weitergetragen wurde, der andere konnte schwerlich einen
einzigen Tag hingehen lassen, ohne darauf anzuspielen.

»Um's Himmels willen,« rief mein Onkel, »und um meinet-, um unserer
aller willen, mein liebster Bruder Shandy, laß doch die Geschichte
unserer Tante und ihre Gebeine in Ruhe schlafen. Wie kannst du so wenig
Gefühl und Mitleid für den guten Namen unserer Familie haben. Wie
kannst du!« -- »Was ist der Name einer Familie gegen eine Hypothese?
-- Ja, wenn ich's recht sagen soll, was das Leben einer Familie?« --
»Das Leben einer Familie!« sagte dann mein Onkel und fiel dabei in
seinen Lehnstuhl zurück und hob seine Hände, seine Augen und ein Bein
in die Höhe. -- »Ja, das Leben,« sagte darauf mein Vater, seinen Satz
zu behaupten. »Wie manches Tausend wird jährlich -- in allen gesitteten
Reichen wenigstens -- weggeschleudert und für nichts weiter geachtet
als gemeine Luft in Vergleichung mit einer Hypothese?« -- »Nach meinem
geringen Verstande von den Dingen,« antwortete Onkel Toby, »ist ein
jedes solches Beispiel barer Mord, es begehe ihn, wer will.« -- »Da
steckt dein Irrtum,« versetzte mein Vater, »denn wissenschaftlich
darüber zu urteilen, kann es nicht ~Totschlag~, sondern muß es
~Mannesschlag~ heißen.«

Mein Onkel gab sich niemals damit ab, hierauf mit etwas anderem
zu antworten, als daß er ein halbes Dutzend Takte von seinem
Regimentsmarsch Lillabullero herpfiff. -- Sie müssen wissen, dies war
der gewöhnliche Kanal, durch den er seinem Affekt Luft gab, wenn ihn
etwas ärgerte oder überraschte, -- besonders aber, wenn ihm etwas
gesagt wurde, das er für sehr ungereimt hielt.

Da noch niemand unter den Schriftstellern über die Logik, oder unter
deren Kommentatoren, soviel ich weiß, für gut befunden hat, dieser
eigenen Gattung von Argument einen Namen zu geben, so nehme ich mir
hier die Freiheit, es selbst zu tun, und das aus zweierlei Ursachen.
Erstens, damit solches, um aller Verwirrung im Disputieren vorzubeugen,
ein für allemal ebensogut von den übrigen Gattungen unterschieden
bleiben möge, als das +Argumentum ad verecundiam, ex absurdo, ex
fortiori+, oder wie es heißen mag. Zweitens, daß noch einmal meine
Kindeskinder, wenn mein Haupt schon längst zur Ruhe niedergelegt ist,
sagen können, daß ihres gelehrten Großvaters Kopf mit ebenso nützlichen
Dingen beschäftigt gewesen sei, als der anderer Leute. -- Daß er für
eins der allertreffendsten -- und wenn der Zweck des Disputierens mehr
der ist, seinen Gegner zum Schweigen zu bringen als ihn zu überzeugen
--, ja, so können sie nach Belieben hinzusetzen, für eines der besten
Argumente in der Disputierkunst einen Namen erfunden und solchen
großmütigerweise in den Schatzkasten der +Ars logica+ geworfen
habe.

Deswegen also gebiete und verordne ich durch Gegenwärtiges, daß
besagtes Argument künftig bei dem Titel +Argumentum fistulatorium+
erkannt und distinguiert werde, welchen und keinen anderen ich
ihm hiermit beilege, -- und daß es künftig einerlei Rang mit dem
+Argumentum baculinum+ haben und allemal in einem und ebendem
Kapitel mit diesem abgehandelt werden soll.

                            [Illustration]




                           Neuntes Kapitel.


Wäre ich nicht moralisch gewiß, daß der Leser voller Ungeduld nach
meines Onkels Toby Charakter sein muß, so hätte ich ihn hier vorläufig
überzeugt, daß kein Instrument so geschickt ist, so etwas zu zeichnen,
als das, worauf ich verfallen bin.

Von einem Manne und seinem Steckenpferde kann ich nun zwar nicht sagen,
daß sie genau so, wie die Seele und der Leib, aufeinander Wirkung und
Gegenwirkung täten. Ohne Zweifel aber ist unter ihnen eine Art von
Kommunikation, und zwar bin ich der Meinung, daß es sehr nach der Art
zugehe wie mit elektrisierten Körpern.

Nun war das Steckenpferd, welches mein Onkel Toby beständig ritt,
nach meiner Meinung ein Steckenpferd, das schon einer Beschreibung
wert ist. War's auch nur seiner großen Sonderbarkeit wegen; denn Sie
möchten von York nach Dover, von Dover nach Penzanze im Cornwallis, und
von Penzanze wieder nach York gereist sein, und doch auf der ganzen
Heerstraße seinesgleichen nicht gefunden haben. Oder hätten Sie ein
solches gesehen, so hätten Sie noch so eilig sein mögen, Sie hätten
unfehlbar stillhalten müssen, um es zu beschauen. In der Tat war
sein Wuchs und sein Gang so wunderbar und vom Kopfe bis zum Schweife
jedem anderen von der ganzen Gattung so über und über unähnlich, daß
es zuweilen Anlaß zu streiten gab, ob es wirklich ein Steckenpferd
sei oder nicht? Allein wie der Philosoph dem Skeptiker, der ihm die
Wirklichkeit der Bewegung ableugnen wollte, keinen anderen Beweis
entgegensetzte, als daß er auf die Füße trat und durchs Zimmer ging, so
wollte mein Onkel Toby sich keines anderen Arguments bedienen, um zu
beweisen, daß sein Steckenpferd wirklich ein Steckenpferd sei, als daß
er sich daraufsetzte und es vorritt. -- Hernach möchte die Welt den
Punkt entscheiden, wie's ihr gut dünkte.

Im rechten Ernste, mein Onkel Toby bestieg es mit soviel Wohlgefallen,
und es trug meinen Onkel Toby so schön, daß er sich herzlich wenig
darum bekümmerte, was die Welt davon sagte oder dachte.

Indessen ist's endlich wohl einmal hohe Zeit, daß ich Ihnen eine
Beschreibung davon gebe. -- Um aber mit aller Ordnung zu verfahren, muß
ich mir nur erst die Erlaubnis ausbitten, Ihnen zu berichten, wie mein
Onkel Toby darankam.

                            [Illustration]




                           Zehntes Kapitel.


Da meines Onkels Toby Wunde, welche er in der Belagerung von Namur
empfing, ihn zum Dienste untüchtig machte, so ward für gut befunden,
daß er nach England zurückkehren sollte, um womöglich seinen Schaden
wieder zurechtbringen zu lassen.

Vier volle Jahre hindurch mußte er teils das Bett, teils sein Zimmer
hüten. Und während seiner Kur, welche diese ganze Zeit dauerte, litt er
unsägliche Schmerzen.

Mein Vater fing zu der Zeit eben seine Handlung in London an und
hatte ein Haus gemietet. Da unter den beiden Brüdern die treueste,
herzlichste Freundschaft obwaltete, und mein Vater glaubte, mein Onkel
Toby könne nirgends so gut gewartet und gepflegt werden, als in seinem
eigenen Hause, so wies er ihm die beste Gelegenheit darin an. -- Und
was noch ein aufrichtigeres Zeichen seiner Zuneigung war, es durfte
kein Freund oder guter Bekannter ins Haus kommen, er nahm ihn denn
bei der Hand und führte ihn die Stiegen hinauf, daß er seinen Bruder
besuchen und eine Stunde vor seinem Bette verschwatzen mußte.

Die Geschichte der Wunde eines Soldaten läßt ihn ihre Schmerzen
vergessen. Wenigstens dachten die so, die meinen Onkel besuchten, und
bei ihren täglichen Besuchen lenkten sie, aus einer Höflichkeit, die
sich auf diesen Glauben gründete, sehr oft die Unterredung auf diesen
Gegenstand. -- Und von diesem Gegenstande lief dann das Gespräch
gewöhnlich auf die Belagerung selbst hinaus.

                            [Illustration]




                            Elftes Kapitel.


Wenn sich ein Mensch einer herrschenden Leidenschaft überläßt, oder mit
anderen Worten, wenn sein Steckenpferd hartmäulig wird, -- so, ade,
kalte Vernunft und liebe Klugheit!

Meines Onkels Toby Wunde war beinahe geheilt, und sobald sich der
Wundarzt von seinem Erstaunen erholt hatte und zu Worte kommen konnte,
sagte er ihm, sie beginne eben, sich zu schließen, und wenn sich keine
neue Aussplitterung zeigte, wozu kein Schein vorhanden, so würde sie
in fünf oder sechs Wochen trocken und heil sein. Zwölf Stunden vorher
würde der Klang so vieler Olympiaden eine Idee von kürzerer Dauer in
meines Onkels Toby Seele gebracht haben. -- Die Sukzession seiner
Ideen war nunmehr schnell; er kochte vor Ungeduld, seinen Vorsatz
auszuführen. Und ohne eine lebendige Seele weiter um Rat zu fragen, --
was ich, nebenher gesagt, für recht halte, wenn man einmal fest willens
ist, von keiner Seele Rat anzunehmen --, befahl er seinem Bedienten
Trim unter vier Augen, ein Bündel Charpie und Binden zusammenzupacken
und eine Kutsche mit Vieren zu bestellen, die den Tag genau um zwölf
Uhr vor der Türe sein müßte, um welche Zeit, wie er wußte, mein Vater
an der Börse sein würde. -- Nachdem er eine Banknote für den Wundarzt
wegen seiner Mühe und einen Brief mit dem zärtlichsten Dank für meinen
Vater auf seinem Tische zurückgelassen, packte er seine Karten und
Pläne, seine Bücher von der Kriegsbaukunst, seine Instrumente usw.
zusammen, und mit Hilfe einer Krücke an der einen Seite und Trim auf
der anderen Stieg er in den Wagen. Und fort nach Shandy-Hall.

Der Grund oder vielmehr die Grille, welche diese schnelle Auswanderung
veranlaßte, war wie folgt.

Der Tisch in meines Onkels Toby Zimmer, an welchem er den Abend
vorher saß, ehe sich diese Veränderung zutrug, mit seinen Grundrissen
usw. um sich her, war ein wenig zu klein für die Menge von großen
und kleinen Werkzeugen der Wissenschaft, welche gewöhnlich darauf
durcheinanderlagen. -- Da begegnete ihm nun der Zufall, daß er, indem
er die Hand nach seiner Schnupftabaksdose ausstreckte, seinen Zirkel an
die Erde warf, und indem er sich bückte, ihn aufzuheben, mit dem Ärmel
sein Besteck und die Lichtscheren dazu herunterwischte, -- und der
Würfel war ihm auf einmal so unglücklich, daß durch sein Bestreben, die
Lichtscheren aufzufangen, er den Monsieur Blondel vom Tische warf und
den Comte de Pagan oben darauf.

Für einen Mann, lahm wie mein Onkel Toby, war es vergebens, darauf
zu denken, alle diese Übel selbst zu heben. -- Er klingelte seinem
Bedienten Trim. -- »Trim,« sagte mein Onkel Toby, »seh Er einmal,
was ich da für eine Patsche gemacht habe. -- Ich muß das Ding besser
eingerichtet haben, Trim. -- Kann Er nicht mein Lineal nehmen und
die Länge und Breite dieses Tisches messen und dann hingehen und
einen bestellen, der noch einmal so groß ist?« -- »Ja, Euer Gnaden,«
antwortete Trim und machte seinen Bückling; »aber ich hoffe, Euer
Gnaden sollen bald so gesund sein, daß Sie nach Ihrem Landgute reisen
können. Dort, da Euer Gnaden so großen Gefallen am Fortifikationswesen
haben, könnten wir die Sache ganz Schmuck einrichten.«

Hier muß ich Ihnen Nachricht geben, daß dieser Bediente meines Onkels
Toby, der allenthalben Trim genannt wurde, in meines Onkels eigener
Kompagnie Korporal gewesen war. Sein wahrer Name ist James Butler,
da er aber einmal im Regiment den Zunamen Trim wegbekommen hatte, so
nannte ihn mein Onkel Toby auch beständig dabei, oder er mußte eben
nach seiner Art recht böse sein.

Der arme Kerl war zum Dienst untüchtig wegen einer Wunde von einer
Musketenkugel am linken Knie, die er in der Landauer Bataille, zwei
Jahre vor der Affäre bei Namur, bekommen hatte. Und weil der Kerl im
Regiment sehr wohlgelitten und sonst wortgewandt war, so nahm ihn mein
Onkel zu sich als Bedienten und traf's mit ihm vortrefflich; denn er
wartete meinem Onkel im Felde und in den Winterquartieren auf, als
Diener, Stallknecht, Barbier, Koch, Schneider und Krankenwärter; und
er wartete und pflegte ihn von Anfang bis Ende mit großer Treue und
Ergebenheit.

Mein Onkel Toby liebte den Menschen auch wieder, und was ihn noch mehr
an ihn gewöhnte, war die Gleichheit ihrer Kenntnisse. Denn Korporal
Trim -- bei dem Namen werde ich ihn künftig immer nennen -- hatte durch
ein vierjähriges Anhören der Gespräche seines Herrn von befestigten
Städten, und durch den Vorteil, daß er beständig in seines Herrn Pläne,
Grundrisse usw. sehen konnte -- nicht einmal mitgerechnet, was er als
Leibdiener von der steckenpferdischen Materie an sich ziehen mußte,
wenn er auch an und für sich selbst dieser Reiterei nicht ergeben
war --, nicht wenige Kenntnis von der Wissenschaft der Kriegsführung
erworben. Und die Köchin und das Kammermädchen waren der Meinung, daß
er wohl ebensogut eine Festung bestürmen könnte wie sein Herr.

Ich habe nur noch einen Pinselzug an Korporal Trims Charakter zu tun,
und zwar den einzigen dunkeln Schatten darin: der Kerl mochte gerne
seinen Senf mit dazugeben oder vielmehr sich selbst sprechen hören.
Sein Betragen indessen war dabei so ehrerbietig, daß es leicht war,
ihn beim Stillschweigen zu erhalten, wenn sie ihn einmal darin hatten.
War aber seine Zunge einmal im Gange, so war kein Aufhalten, sie
lief immerfort. Die ewigen Euer Gnadens, die er einflickte und sein
untertäniges Bezeigen sprachen so stark für seine Beredsamkeit, daß er
Ihnen wohl überlästig, Sie ihm aber nicht böse werden konnten. Meinem
Onkel Toby begegnete das eine wie das andere sehr selten, wenigstens
veranlaßte dieser Fehler keine Spaltung unter ihnen. Wie gesagt,
mein Onkel liebte den Menschen. Und da er beständig seinen Bedienten
als einen ärmeren Freund betrachtete, konnte er es nicht übers Herz
bringen, ihm das Maul zu verbieten. So sah Korporal Trim aus.

»Wenn ich mich unterstehen dürfte,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden einen
guten Rat zu geben und meine Meinung zu sagen?« -- »Das darf Er,
Trim,« sagte mein Onkel Toby, »spreche Er, Sage Er, was Er von der
Sache denkt, ohne Furcht, guter Trim.« -- »Gut denn,« versetzte Trim,
und ließ nicht dabei die Ohren hängen und kraute auch nicht in den
Haaren, wie ein Bauernlümmel, sondern strich sich die Haare von der
Stirn zurück und stand stramm wie vor seiner Rotte. »Ich meine,« sagte
Korporal Trim, und setzte den linken Fuß, welches der lahme war, ein
wenig vorwärts, und zeigte mit der offenen Hand nach einem Grundriß
von Dünkirchen, der mit Nadeln an die Tapete gesteckt war, »ohne Euer
Gnaden ins Kommando zu fallen, daß die Ravalins da, Basteien, Kurtinen
und Hornwerke nur ein armseliges, jämmerliches Stück Klitterwerk auf
dem Papier sind gegen das, was Euer Gnaden und ich daraus machen
könnten, wenn wir so für uns auf dem Lande wären und hätten nur einen
Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was
wir wollten. Der Sommer ist vor der Tür,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden
könnten dabei sitzen und mir die Nographie« -- »Ichnographie muß Er
Sagen,« fiel ihm mein Onkel ein -- »von der Stadt oder Zitadelle,
wovor Euer Gnaden gern sitzen möchten. -- Und auf dem Wall, den ich
selbst gemacht habe, sollen mich Euer Gnaden harkebusieren lassen,
wenn ich es nicht fortifiziere, so gut wie es Euer Gnaden wünschen
mögen.« -- »O, das könnte Er wohl,« sagte mein Onkel. -- »Denn wenn
Euer Gnaden,« fuhr der Korporal fort, »mir nur das Polygone mit allen
Spitzen und Linien angeben können« -- »Das kann ich recht gut,« sagte
mein Onkel --, »so wollte ich mit dem Graben anfangen. Und wenn Euer
Gnaden mir die gehörige Tiefe und Breite angeben könnten« -- »Auf
ein Haar kann ich das,« sagte mein Onkel --, »so wollte ich die Erde
nach dieser Hand gegen die Stadt zu aufwerfen, und machte daraus die
Scharpe, und nach jener Hand, gegen das Feld zu, die Konterscharpe.«
-- »Ganz richtig, Trim,« sagte mein Onkel Toby. -- »Und wenn ich es
ausgetieft hätte, wie es sein sollte, so wollte ich, mit Euer Gnaden
Wohlnehmen, Gras darüberlegen, wie die feinsten Festungen in Flandern,
mit Grassoden, wie Euer Gnaden wissen, daß sie sein sollten. Und die
Wälle und Parapetts wollte ich auch mit Soden machen.« -- »Die besten
Ingenieure nennen es Wasen oder Rasen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.
-- »Soden, Wasen oder Rasen, das will nicht viel tun,« versetzte Trim.
»Euer Gnaden wissen, sie sind zehnmal besser dazu, als Sand oder
Mauersteine.« -- »Ich weiß es, in gewissen Fällen sind sie's,« sagte
mein Onkel Toby und nickte mit dem Kopfe. »Denn eine Kanonenkugel geht
durch den Rasen gerade durch, ohne daß sie Kummer mitnimmt, wodurch der
Graben verschüttet werden kann, wie es vor dem St. Nikolastor ging, und
man desto leichter über ihn steigen kann.«

»Euer Gnaden verstehen diese Dinge besser,« versetzte Korporal Trim,
»als alle Offiziere in des Königs Diensten. Wollen nur Euer Gnaden
das Tischbestellen gut sein lassen und mich mit sich aufs Land
nehmen. Ich wollte unter Euer Gnaden Anführung arbeiten wie ein Pferd
und Fortifikationen machen. Sie sollten so lecker aussehen wie ein
Butterkuchen, mit allen Batterien, Sappen, Graben und Palisaden, daß
zwanzig Meilen rundum die Leute sich's nicht verdrießen lassen sollten,
herzureisen und es sich zu besehen.«

Mein Onkel Toby ward im Gesicht rot wie Scharlach, als Trim so
fortfuhr. Es war aber nicht aus bösem Gewissen, daß er rot wurde, noch
aus Bescheidenheit oder Ärger. Es war ein freudiges Erröten. Korporal
Trims Projekt und Beschreibung trieb ihm das Blut zu Kopfe. -- »Trim,«
sagte mein Onkel Toby, »Er hat genug gesagt.« -- »Wir könnten an
ebendem Tage in Kampagne gehen,« fuhr Trim fort, »wenn unsere Völker
und die Alliierten ins Feld rücken, und eben so geschwind Stadt für
Stadt einnehmen und demolieren, als --« »Trim,« sprach mein Onkel
Toby, »sage Er nichts mehr.« -- »Euer Gnaden,« sprach Trim immer
weiter, »könnten in Ihrem Lehnstuhl sitzen« -- indem er darauf zeigte
-- »bei dem schönen Wetter, und gäben Ihre Order, und so wollte ich
--« »Nichts mehr, Trim,« rief mein Onkel Toby. -- »Noch dazu wäre es
für Euer Gnaden nicht allein Vergnügen und guter Zeitvertreib, sondern
gute, frische Luft, gute Bewegung und gute Gesundheit obendrein,
und Euer Gnaden Wunde würde in einem Monat zu sein.« -- »Er hat
genug gesagt, Trim,« rief mein Onkel Toby, und griff dabei in seine
Beinkleidertasche. »Sein Projekt gefällt mir sehr gut.« -- »Und wenn
Euer Gnaden erlauben, so will ich stehenden Fußes hingehen und einen
Pionierspaten kaufen, den wir mitnehmen, und will eine Schaufel
bestellen und eine Spitzhacke, und ein paar --« -- »Still, still,
Trim,« sagte mein Onkel Toby, sprang auf ein Bein, ganz von Entzücken
überwältigt, drückte ein Goldstück in Trims Hand und sprach: »Sage
Er kein Wort weiter, lieber Bursche, sondern gehe Er den Augenblick
hinunter, daß ich gleich mein Abendessen bekomme.«

Trim lief hinunter und brachte seinem Herrn das Essen. -- Aber da
stand's. -- Trims Operationsplan lief meinem Onkel Toby so im Kopfe
herum, daß er nichts davon kosten konnte. »Trim,« sagte mein Onkel,
»bringe Er mich zu Bett.« -- Es war auch nichts. -- Korporal Trims
Beschreibung hatte seine Imagination erhitzt. Mein Onkel Toby konnte
kein Auge zutun. Je mehr er sie betrachtete, desto bezaubernder kam ihm
die Szene vor. -- Und zwei volle Stunden vor Tagesanbruch schon hatte
er seine endliche Entschließung gefaßt und den ganzen Plan zu seinem
und Korporal Trims Abmarsch ins reine gebracht.

Mein Onkel Toby hatte ein eigenes kleines, hübsches Landhaus in dem
Dorfe, wo die Shandyschen Güter lagen; das hatte ihm ein alter Onkel
vermacht und so viele Ländereien dabei, die jährlich fünfhundert
Reichstaler Pacht trugen. Von hinten stieß ein Küchengarten an dieses
Haus von ungefähr einem halben Morgen Land, und hinter dem Garten und
durch eine hohe Taxushecke davon getrennt, war ein grüner Spielplatz,
der ungefähr soviel Grundmasse enthielt, wie Korporal Trim wünschte,
so daß, als Korporal Trim die Worte sagte, »und hätten wir nur einen
Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was
wir wollten«, sich dieser leibhafte grüne Spielplatz auf einmal
darstellte und im Hui in meines Onkels Phantasie vortrefflich gemalt
erschien. -- Und das war die physische Ursache, die ihn die Farbe
verändern ließ oder wenigstens seine Gedichtsröte zu dem ungemäßigten
Grade trieb, von dem ich sprach.

Niemals kann ein Liebhaber nach seiner teuren Geliebten mit mehr
Hitze und größerer Erwartung reiten oder fahren, als mein Onkel tat,
um dieses liebe Ding so für sich allein zu genießen. -- Ich sage,
so für sich allein. -- Denn er war abgesondert vom Hause durch eine
hohe Taxushecke, wie ich Ihnen schon gesagt, und an den drei anderen
Seiten war es vor dem Gesicht der Sterblichen mit dickem, grünem, wild
verwachsenem Gebüsch verdeckt. So daß der Gedanke, nicht gesehen zu
werden, nicht gering zu der Hoffnung des Vergnügens beitrug, das sich
mein Onkel Toby in seinem Gemüt vorbildete. Eitler Gedanke -- es mag
noch so dicht bewachsen sein, noch so einsam scheinen --, zu hoffen,
liebster Onkel Toby, du könntest ein Ding genießen, das einen ganzen
Viertelmorgen und einen halben Grund und Boden umfaßt, ohne daß es
bekannt würde!

Wie mein Onkel Toby und Korporal Trim diese Sache angriffen, nebst
der Geschichte ihrer Feldzüge, welche gar nicht leer an Begebenheiten
waren, kann eine ganz interessante Nebenhandlung abgeben, die mit der
Haupthandlung dieses Dramas fortläuft. -- Jetzt muß der Vorhang fallen,
-- der Schauplatz verwandelt sich in das Wohnzimmer mit dem Kaminfeuer.

                            [Illustration]




                           Zwölftes Kapitel.


»Was mögen sie vorhaben?« sagte mein Vater. -- »Ich denke,« antwortete
mein Onkel Toby, wobei er, wie ich Ihnen sagte, die Pfeife aus dem
Munde nahm und die Asche ausklopfte. -- »Ich denke,« antwortete er, »es
wäre wohl gut, Bruder, wenn wir klingelten.«

»Höre, Obadiah, was heißt das Gepoltere über unserem Kopfe?« fragte
mein Vater. »Mein Bruder und ich können kaum hören, was wir sprechen.«

»Herr,« antwortete Obadiah, und beugte seine linke Schulter vor,
»Madame ist ganz übel geworden.« -- »Und was hat Susanna da im Garten
zu rennen, als wenn ein halbes Dutzend Ehrenräuber hinter ihr wären?«
-- »Herr, sie rennt den kürzesten Weg,« versetzte Obadiah, »die alte
Bademutter zu holen.« -- »So sattelt ein Pferd,« sagte mein Vater, »und
reitet geschwind zum Doktor Slop, dem Akkoucheur. Wir ließen ihn alle
grüßen, -- und sagt ihm, daß Madame in Kindesnöten ist und daß ich ihn
bitten lasse, er möchte gleich mit Euch kommen.«

»Es ist sehr närrisch,« sagte mein Vater zu meinem Onkel Toby,
als Obadiah die Türe zugemacht hatte, »da wir einen so erfahrenen
Geburtshelfer wie Doktor Slop so ganz in der Nähe haben, daß meine Frau
bis auf den letzten Augenblick auf ihrer eigensinnigen Grille bestehen
und das Leben ihres Kindes, das schon sein Teil Leiden gehabt hat, der
Unwissenheit eines alten Weibes anvertrauen muß. -- Und nicht allein
das Leben meines Kindes, Bruder, sondern auch ihr eigenes und das Leben
aller der Kinder dazu, die ich hernach vielleicht noch hätte mit ihr
haben können.«

»Es kann sein, Bruder,« versetzte mein Onkel Toby, »daß sie's tut, um
die Unkosten zu sparen.« -- »Ein Endchen Licht lieber!« erwiderte mein
Vater. »Der Doktor muß sein Geld haben, er tue was dafür oder nicht;
wo nicht noch mehr, um ihn bei guter Laune zu erhalten.« -- »Dann kann
es wohl aus keiner anderen Ursache sein,« sagte mein Onkel Toby in
der Arglosigkeit seines Herzens, »als aus Schamhaftigkeit. Vielleicht
schämte sich meine Schwester,« fuhr er fort, »käme ihr eine Mannsperson
zu nahe an ***.« Ich will nicht Sagen, ob mein Onkel Seinen Satz
geschlossen hatte oder nicht. Desto besser für ihn, daß man glaubt,
er habe seinen Punkt gemacht. Denn nach meiner Meinung hätte er kein
einziges Wort hinzusetzen können, um ihn zierlicher zu machen.

Hatte hingegen mein Onkel Toby die Periode nicht ganz zu Ende gebracht,
so hat die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Tabakspfeife plötzlich
zerbrach, eins der nettesten Exempel von der zierlichen Figur in der
Redekunst zu danken, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. --
Hilf Himmel! Wie genau kommt es nicht auf das +Poco più+ und das
+Poco meno+ der italienischen Artisten, auf das unmerkliche mehr
oder weniger an, die wahre Schönheitslinie sowohl in einer Periode
als in einer Statue zu treffen! Wie kann doch der geringste Zug des
Griffels, des Pinsels, der Feder, des Violinbogens usw. diese wahre,
sanfte Rundung geben, welche das wahre Vergnügen erregt! O meine
lieben Landsmänner, seid sorgfältig, seid behutsam mit eurer Zunge,
und niemals, o niemals laßt es euch aus dem Sinne kommen, an was für
kleinen Partikeln eure Beredsamkeit hängt und euer Ruhm.

»Meine Schwester schämte sich vielleicht,« sagte mein Onkel Toby, »käme
ihr eine Mannsperson zu nahe an ***.« Diese Sternchen gemacht, und es
ist eine Aposiopesis. Die Sternchen weggenommen und dafür geschrieben
das Gesäß -- Zote wird's. Streicht man das Gesäß aus und setzt dafür
den bedeckten Weg, so wird's eine Metapher. Und da meinem Onkel Toby
das Fortifikationswesen so sehr im Kopfe lag, so getraue ich mir zu
sagen, hatte man ihn noch ein Wort hinzusetzen lassen, -- so war's das
Wort.

Ob das aber geschehen oder nicht geschehen, oder ob mein Vater seine
Tabakspfeife in dem kritischen Augenblick von ungefähr oder aus
Unwillen zerbrach, wird sich zu rechter Zeit ausweisen.

                            [Illustration]




                         Dreizehntes Kapitel.


Obgleich mein Vater ein guter natürlicher Philosoph war, so war er doch
auch so etwas von einem Moralisten dabei. Deswegen hätte er, als ein
solcher, da seine Pfeife in der Mitte entzweibrach, beide Stücke nehmen
und gelassen ins Kaminfeuer werfen sollen. Und damit gut! -- Das ließ
er aber wohl bleiben. Er warf sie mit aller möglichen Heftigkeit und,
um der Handlung noch mehr Nachdruck zu geben, Sprang er vom Stuhl auf
beide Füße, um sie auszuüben.

Dies hatte so etwas Ähnliches von Hitze. Und die Art, womit er auf das,
was mein Onkel Toby sagte, antwortete, bewies es.

»Schämen,« sagte mein Vater und wiederholte meines Onkels Tobys Worte,
»käme ihr eine Mannsperson zu nah an. Wahrhaftig, Bruder Toby! Hiobs
Geduld solltest du ermüden, die ich nicht habe; obgleich schon seine
Plagen, dünkt mich.« -- »Wie so? -- Warum? -- Worin? -- Weswegen? --
Worüber?« versetzte mein Onkel Toby mit dem größten Erstaunen. -- »Wenn
ich bedenke, daß ein Mann so alt geworden sein kann, wie du, Bruder,
und noch so wenig Weiberkenntnis hat!« -- »Ich kenne von ihnen gar
nichts,« versetzte mein Onkel Toby, »und ich dächte,« fuhr er fort,
»der Puff, den ich das Jahr nachher, da Dünkirchen geschleift ward, in
der Affäre mit der Witwe Wadman bekam, welchen Puff ich, wie du weißt,
nicht bekommen haben würde, hätte ich nur die geringste Kenntnis vom
Frauenzimmer gehabt, hätte mir wohl eine gerechte Ursache gegeben, zu
sagen, daß ich von den Weibern und ihren Sachen weder etwas weiß, noch
zu wissen verlange.« -- »Mich deucht, Bruder,« versetzte mein Vater,
»soviel könntest du doch wenigstens wissen, das rechte Ende eines
Weibes vom unrechten zu unterscheiden.«

In Aristoteles' Meisterstücke wird gesagt: »Wenn ein Mensch an etwas
denkt, das vorbei ist, so sieht er nieder auf die Erde; aber, wenn
er an etwas denkt, das noch zukünftig ist, so sieht er aufwärts gen
Himmel.«

Mein Onkel Toby dachte also wohl an keins von beiden, denn er sah
gerade vorwärts. »Rechte Ende!« sagte mein Onkel Toby, murmelte es
leise in den Bart und blieb dabei, wie er's murmelte, unvermerkt mit
den Augen an einer kleinen Spalte hängen, die eine losgewichene Fuge
im Gesimse des Kamins gemacht hatte. -- »Rechte Ende eines Weibes! --
Fürwahr,« sagte mein Onkel, »ich weiß ebensowenig, was das ist, als der
Mann im Monde. -- Und wenn ich auch einen ganzen Monat darauf sänne« --
er hielt dabei noch immer die Augen auf die losgewichene Fuge --, »so
weiß ich gewiß, ich würde es nicht ausfindig machen.«

»So will ich's dir sagen, Bruder,« erwiderte mein Vater. --

»Jedes Ding in der Welt,« fuhr mein Vater fort, indem er eine frische
Pfeife füllte, »jedes Ding in dieser Welt, mein lieber Bruder Toby,
hat zwei Enden.« -- »Nicht immer,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Zum
wenigsten,« versetzte mein Vater, »immer zwei Seiten, was auf eins
ausläuft. -- Nun, wenn sich jemand hinsetzt und überlegt mit kaltem
Blute bei sich selbst, die Gestalt, den Bau, das Beikommensvermögen
und die Brauchbarkeit aller Teile des Ganzen an dem Tiere, genannt
Weib, und vergleicht solche analogisch« -- »Ich habe den Sinn dieses
Wortes niemals deutlich verstanden,« sagte mein Onkel Toby. --
»Analogie,« versetzte mein Vater, »heißt ein gewisses Verhältnis und
Übereinstimmung, die verschie --« Hier brach ein vertracktes Klopfen
an der Türe meines Vaters Definition -- wie seine Tabakspfeife --
in Stücken und zertrat einer der merkwürdigsten und sinnreichsten
Dissertationen den Kopf, die jemals im Schoße der Spekulation erzeuget
worden; es gingen einige Monate hin, ehe mein Vater Gelegenheit finden
konnte, glücklich davon entbunden zu werden. Und bis auf diese Stunde
ist es -- wegen Verwirrung und Mannigfaltigkeit unserer häuslichen
Unglücksfälle, die sich nun scharenweise auf die Fersen treten --,
ebenso problematisch, als der Gegenstand der Dissertation selbst -- ob
ich in diesem Buche einen Platz dafür finden werde oder nicht.

                            [Illustration]




                         Vierzehntes Kapitel.


Stellen Sie sich eine kleine, quabbelige, plattnasige Figur von einem
Doktor Slop vor, von ungefähr vier und einem halben Fuß perpendikularer
Höhe. Mit einer Breite von Rücken und einer Janitscharentrommel von
Bauch, worauf sich ein Feldwebel unter der Reitergarde nicht wenig
hätte einbilden können.

So sah der Umriß von Doktor Slops Figur aus, die, wie Sie wissen, wenn
Sie Hogarths Zergliederung der Schönheit gelesen haben, wo nicht, so
wünsche ich, daß Sie solche noch lesen, ebenso gewiß durch drei Züge
beschrieben und zu Gemüte geführt werden kann wie durch dreihundert.

So einen stellen Sie sich vor, denn so, sage ich, war der Umriß von
Doktor Slops Figur beschaffen, wie er ganz langsam, Schritt für
Schritt, durch den Kot daherschwankte, auf dem Rückgrate eines kleinen
winzigen Rößleins von hübscher Farbe. Aber an Umfang -- o weh! -- kaum
soviel, daß es unter einem solchen Packen hätte zum Trott gebracht
werden können, wären die Wege auch trocken und eben gewesen, was sie
gar nicht waren. Nun stellen Sie sich Obadiah vor, auf einem Riesen von
Kutschpferd, das er zum vollen Galopp angetrieben hat, wie er mit aller
Hast ihm entgegenreitet.

Ich bitte Sie, mein Herr, nehmen Sie doch einen Augenblick Anteil an
dieser Beschreibung.

Hätte Doktor Slop den Obadiah in einer Entfernung von tausend Schritten
wahrgenommen, wie er in einem schmalen Fuhrwege so ungeheuerlich
auf ihn zu jagte, wie der Dreckteufel durch dick und dünn auf allen
Seiten spritzte und schlenkerte, als er sich näherte, sollte nicht
ein solches Phänomen mit einem solchen Wirbel von Schlamm und Wasser,
das sich um seine Achse drehte, dem Doktor Slop in seinen Umständen
eine weit fürchterlichere Erscheinung sein als der drohendste Komet?
Nicht einmal seines Kerns, das ist Obadiah und sein Kutschpferd, zu
gedenken. So war -- nach meiner Meinung -- sein Wirbel allein genug,
wo nicht den Doktor, doch wenigstens sein Rößlein zu fassen und rein
mit fortzureißen. Was denken Sie, wie groß muß die Angst, Schlamm-
und Wasserscheu des Doktor Slop gewesen sein, wenn Sie lesen, was
im Augenblick geschehen wird, daß, als er eben so ganz sinnig und
bedächtig nach Shandy-Hall zuritt, nur noch sechzig Ruten weit davon
war und fünf von einer scharfen Ecke der Gartenmauer, Obadiah und
sein Kutschpferd plötzlich wütend um die Ecke und gerade auf ihn
lossprengten! -- Nein, in der ganzen Natur kann nichts Schrecklicheres
gedacht werden als ein solcher Zusammenstoß. So unerwartet, so übel
vorbereitet wie der Doktor Slop war, einen solchen Überfall zu erleben.

Was konnte Doktor Slop tun? Er bekreuzigte sich. Warum nicht gar? Nun
ja, mein Herr, der Doktor war ein Katholik. Einerlei; er hätte besser
getan, sich am Sattelknopf festzuhalten. Das wohl! Ja, wie die Sache
ging, hätte er lieber ganz und gar nichts tun sollen. Denn wie er das
Kreuz schlug, ließ er seine Peitsche fallen, und als er solche zwischen
seinem Knie und dem Sattelleder wieder fangen wollte, verlor er den
Steigbügel. Und indem er den verlor, verlor er auch den Sitz im Sattel.
Und über der Menge aller dieser Verluste -- was nebenher beweisen
kann, wie wenig das Bekreuzigen nützt -- verlor der arme Doktor
seine Geistesgegenwart, so daß er, ohne den Überfall von Obadiah zu
erwarten, sein Tier seinem eigenen Schicksale überließ, seitwärts davon
herunterpurzelte, ungefähr wie ein Packen Wolle, ohne irgendeine andere
Folge des Falles, als daß er -- wie es natürlich zuging -- mit seinem
breitesten Teile zwölf Zoll tief im Moraste versunken liegen blieb.

Obadiah zog zweimal seine Kapuze vor dem Doktor ab. Einmal, als er
fiel, und als er ihn sitzen sah wiederum. Unzeitige Höflichkeit!
Hätte der Kerl nicht lieber sein Pferd anhalten, absteigen und ihm
helfen können! Er tat alles, mein Herr, was er in seinen Umständen tun
konnte. Aber der Schuß des Kutschpferdes war zu heftig, daß Obadiah
nicht sogleich konnte, wie er wollte. Er ritt dreimal in einem Zirkel
um Doktor Slop herum, ehe er's möglich fand, und zuletzt, als er sein
Pferd zum Stehen brachte, geschah es mit einem solchen Schwall von
Schlamm, daß Obadiah lieber eine Meile weit davon hätte sein mögen.
Kurz, in seinem Leben war Doktor Slop noch nicht so transubstanziert
worden, seitdem das Transubstanzieren Mode geworden ist.

                            [Illustration]




                         Fünfzehntes Kapitel.


Als Doktor Slop in das Hinterzimmer trat, worin mein Vater und mein
Onkel saßen und ihre Unterredung über das Frauenzimmer hatten, war
es schwer zu entscheiden, ob Doktor Slops Gestalt oder Gegenwart
sie mehr in Verwunderung setzte. Denn weil das Unglück sich nahe
beim Hause zutrug, daß Obadiah es nicht der Mühe wert hielt, ihm
wieder aufs Pferd zu helfen, so hatte ihn Obadiah, so wie er war,
ungestriegelt, ungebürstet und ungespült, mit allen seinen Flecken und
Klecksen hineingeführt. Er stand wie Hamlets Geist, unbeweglich und
stumm, anderthalb Minuten an der Zimmertür -- Obadiah hielt beständig
seine Hand angefaßt -- in aller Majestät des weichen Urstoffs des
ersten Menschen. Die hinteren Falten seines Kleides, welche ihm zum
Kissen gedient, waren gänzlich davon getränkt, und alle übrigen Teile
desselben waren so über und über gesprenkelt von Obadiahs Schwall, daß
Sie geschworen hätten -- ohne sich etwas im Sinne vorzubehalten --, es
wäre kein Schmutzkörnchen an ihm verloren oder vorbeigegangen.

Hier war eine schöne Gelegenheit für meinen Onkel Toby, seinerseits
über meinen guten Vater zu triumphieren. Denn kein Sterblicher, welcher
den Doktor Slop eingepökelt gesehen, hätte wenigstens das nicht von
meines Onkels Toby Meinung ableugnen können, »daß meine Schwester es
nicht gerne hätte, es käme ihr ein solcher Doktor Slop so nahe an
›***‹«. Allein das war ein +Argumentum ad hominem+, und weil mein
Onkel Toby nicht recht gewandt darin war, so können Sie denken, daß er
sich deswegen nicht gern damit abgab. Nein, die Ursache war -- Spott
und Hohn war seine Sache nicht.

Doktor Slops Gegenwart war um die Zeit ebenso unerklärbar als die Art
und Weise derselben. Obgleich soviel richtig ist, daß ein Augenblick
Nachdenkens meinen Vater hätte zurechtweisen können. Denn er hatte erst
die Woche vorher dem Doktor Slop davon Nachricht gegeben, daß meine
Mutter am Ende ihrer Rechnung wäre. Und da der Doktor nachher nichts
weiter davon gehört hatte, so war's natürlich und politisch von ihm,
einen Spazierritt nach Shandy-Hall zu machen, bloß um zu sehen, wie es
da stünde.

Allein meines Vaters Gedanken nahmen unglücklicherweise einen
verkehrten Weg bei der Untersuchung und hielten sich, wie mein allzeit
fertiger Kritikus, bloß bei dem Klingeln und dem Pochen an der Tür auf,
maßen den Zeitraum von einem zum andern, und waren dergestalt bei der
Operation geschäftig, daß sie alles andere in der Welt nichts anging.
Ein gewöhnlicher Fehler der größten Mathematiker, die mit Macht und
Gewalt an der Demonstration arbeiten und darüber so sehr ihre Kräfte
verschwenden, daß sie keine übrig behalten, den Schluß zu ziehen und
die Anwendung zu machen.

Das Klingeln und das Pochen an der Tür wirkte zwar auch stark auf
das Sensorium meines Onkels Toby. Sie brachten aber ein ganz anderes
Gefolge von Gedanken in Gang. Die beiden unvereinbarten Punkte des
Abstoßes brachten augenblicklich den Stevinus mit in meines Onkels
Gedanken. Was Stevinus mit dieser Sache zu tun hatte, ist wohl das
größte Problem von allen; es soll aufgelöst werden. In dem nächsten
Kapitel aber noch nicht.

                            [Illustration]




                         Sechzehntes Kapitel.


Bücherschreiben, wenn's am rechten Ende angegriffen wird -- Sie können
sich darauf verlassen, daß ich denke, das meinige sei es --, ist nur
eine andere Benennung für Konversation. Da niemand, der weiß, wie er
sich in Gesellschaft benehmen muß, es wagen wird, alles herauszusagen,
so wird kein Schriftsteller, der die Grenzen seines Dekorums und der
guten Lebensart kennt, so voreilig sein, alles zu denken. Die größte
Ehrerbietung, die Sie dem Verstande Ihres Lesers erweisen können,
ist, wenn Sie freundschaft-brüderlich mit ihm teilen und seiner
Einbildungskraft ebensowohl etwas zu schaffen übrig lassen als Ihrer
eigenen.

Ich meinesteils lasse es an Höflichkeitsbezeigungen von dieser Art
niemals fehlen und tue alles, was in meinem Vermögen Steht, seine
Imagination ebenso geschäftig zu erhalten wie die meinige.

Die Reihe ist jetzt an ihm; ich habe von Doktor Slops jämmerlichem
Sturz und Fall, von seinem erbärmlichen Aufzuge in dem Hinterzimmer
eine Beschreibung gegeben. Nun muß seine Einbildung sich eine Weile
damit beschäftigen.

Der Leser bilde sich also ein, daß Doktor Slop seine Geschichte erzählt
habe. Mit was für Worten und Vergrößerungen es seiner Phantasie
beliebt. Er nehme an, daß Obadiah die seinige gleichfalls erzählt
habe, und mit so traurigen Gebärden und angenommenem Leidwesen,
als er glaubt, das die beiden Figuren, die nebeneinanderstehen, in
die beste Gegenhaltung setzen kann. Er bilde sich ein, daß mein
Vater hinaufgegangen sei, meine Mutter zu sehen. Und um dieses
Werk der Einbildungskraft zu Ende zu bringen, denke er sich den
Doktor gewaschen, abgerieben, kondoliert, gratuliert, in einem Paar
niedergetretener Schuhe, von Obadiah geborgt, nach der Türe gehend und
im Begriff zu agieren.

Gemach! -- gemach, lieber Doktor Slop! -- halte deine Hand zurück!
Stecke sie ruhig wieder in deinen Busen, daß sie warm bleibe. Du weißt
wenig davon, was für Schwierigkeiten, was für verdeckte Hindernisse
ihrem Wirken im Wege liegen! Hat man dir, lieber Doktor Slop, hat
man dir die geheimen Artikel des feierlichen Vertrages anvertraut,
demzufolge du hierher gebracht bist? Hast du es schon gemerkt, daß
in diesem Augenblick eine von Lucinens Töchtern über dir steht? Ach,
es ist leider nur zu wahr! Außerdem, großer Sohn des Pilumnus, was
kannst du machen? Du bist unbewaffnet erschienen, du hast dein +Tire
tête+, deinen neuerfundenen Forceps, dein Crochet, dein Squirt und
alle deine Rettungs- und Erlösungswerkzeuge zu Hause gelassen. -- Beim
Himmel! Da hängen sie im grünen Filetbeutel, zwischen deinen beiden
Pistolen, am Kopfende deines Bettes! Klingle! Rufe! Sende Obadiah auf
dem Kutschpferde zurück, daß er sie in aller Eile herhole.

»Eilet, was Ihr könnt, Obadiah,« sagte mein Vater, »und ich gebe Euch
einen Gulden.« -- »Von mir,« sagte mein Onkel Toby, »noch einen.«

                            [Illustration]




                         Siebzehntes Kapitel.


»Ihre plötzliche unerwartete Ankunft,« sagte mein Onkel Toby zum Doktor
Slop -- alle drei setzten sich beim Kaminfeuer nieder, als mein Onkel
Toby zu sprechen begann -- »erinnerte mich augenblicklich an den großen
Stevinus, der, wie ich Ihnen sagen muß, mein Leib-Autor ist.« -- »So,«
unterbrach ihn mein Vater, »so will ich vierzig Dukaten gegen einen
Gulden setzen -- welchen ich Obadiah geben kann, wenn er zurückkommt
--, daß dieser Herr Stevinus ein Ingenieur oder so was ist, oder
daß er, es sei auch, was es sei, mittelbar oder unmittelbar von der
Fortifikation geschrieben hat.« --

»Das hat er,« versetzte mein Onkel Toby. »Dacht' ich's nicht?« sagte
mein Vater. »Ob ich gleich, und sollte mich's das Leben kosten, nicht
einsehen kann, was zwischen des Herrn Doktors Slop unerwarteter
Ankunft und einer Abhandlung von der Fortifikation für eine Art
von Zusammenhang sein kann. Doch hab' ich's gefürchtet. Bruder! wir
mögen doch sprechen, wovon wir wollen, oder laß die Gelegenheit noch
so weit weg oder unschicklich für dein Thema sein, so mußt du es
doch einschieben. Nein, Bruder Toby,« fuhr mein Vater fort. »Nein,
wahrhaftig, so voll möchte ich doch auch meinen Kopf nicht von Kurtinen
und Hornwerken haben.« -- »Das glaub' ich wohl, daß Sie das nicht
möchten,« sagte Doktor Slop, indem er einfiel und ganz unmäßig über
sein Wortspiel lachte.

Dennis, der kritische Meister, konnte ein Wortspiel oder nur einen
Anschein vom Wortspiele nicht herzlicher verabscheuen und hassen als
mein Vater. -- Er runzelte immer die Stirne, wenn er eins hörte. Aber,
wenn man ihn in einer ernsthaften Rede durch eine solche Witzelei
unterbrach, pflegte mein Vater zu sagen, das wäre so gut, als wenn man
ihm Nasenstüber gäbe. Er wüßte keinen Unterschied.

»Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby zu Slop, »die Kurtinen, wovon mein
Bruder Shandy spricht, sind nichts weniger als Bettgardinen; obzwar,
ich weiß wohl, du Cange sagt: ›daß nach aller Wahrscheinlichkeit solche
ihren Namen von jenen bekommen haben‹. Ebensowenig haben die Hornwerke,
wovon er spricht, das geringste mit dem Hörnerkrame zu tun, worüber sie
lachen. Sondern Kurtine, Herr Doktor, ist das Wort, welches wir in der
Fortifikation gebrauchen, den Teil des Walles damit zu benennen, der
zwischen zwei Bastionen liegt und solche zusammenfügt. Die Belagerer
wagen es selten, ihre Attacke gerade auf die Kurtinen zu richten, aus
dem Grunde, weil sie so gut flankiert sind.« -- »Ebenso ist's mit
den Gardinen,« sagte Doktor Slop lachend. -- »Indessen,« fuhr mein
Onkel Toby fort, »um sie völlig zu decken, pflegen wir gewöhnlich
Raveline davorzulegen, die wir an der anderen Seite des Grabens
anbringen. Der gemeine Mann, der wenig von der Fortifikation versteht,
verwechselt das Ravelin und den halben Mond miteinander, obgleich es
sehr verschiedene Dinge sind. Nicht in ihrer Bauart oder Figur, denn
wir machen solche in allen Stufen einander ähnlich. Sie bestehen aus
zwei Facen, die eine Vorspringespitze mit der Brust ausmachen, nicht
winkelrecht, sondern wie eine Sehne vom Zirkel.« -- »Worin steckt denn
der Unterschied?« fragte mein Vater ein wenig beißend. -- »In ihrer
Lage,« antwortete mein Onkel Toby. »Denn wenn ein Ravelin vor einer
Kurtine steht, Bruder, so ist's ein Ravelin, und wenn ein Ravelin vor
einer Bastion steht, so ist das Ravelin kein Ravelin, sondern ein
halber Mond. Ebenso ist ein halber Mond, solange er vor seiner Bastion
steht, ein halber Mond, aber nicht länger. Würde er von der Bastion
weggenommen und vor eine Kurtine gesetzt, so wäre es nicht mehr ein
halber Mond. Ein halber Mond ist in dem Falle kein halber Mond, es ist
weiter nichts als ein Ravelin.« »Ich merke,« sagte mein Vater, »die
edle Verteidigungskunst hat ihre schwachen Seiten so gut wie andere.«
-- »Die Hornwerke,« -- nun, Himmel, sei gnädig! seufzte mein Vater
-- fuhr mein Onkel Toby fort, »die mein Bruder nannte, machen einen
wichtigen Teil der Außenwerke. Die französischen Ingenieure nennen
solche +Ouvrages à Corne+, und wir legen sie gemeiniglich an, um
solche Stellen zu decken, die wir für Schwächer halten als die übrigen.
Sie bestehen aus einer Face und einer Flanke oder halben Bastion; sie
sehen recht hübsch aus, und wenn Sie einen Spaziergang machen wollen,
so versichere ich Sie, will ich Ihnen eins zeigen, das sich der Mühe
verlohnen soll. Es ist wahr, wenn wir sie krönen,« fuhr mein Onkel
Toby fort, »so werden sie viel stärker. Aber dann sind sie auch sehr
kostbar und nehmen viel Raum weg, so daß sie meiner Meinung nach die
besten Dienste tun, die Front eines Lagers zu decken. Das doppelte
Zangenwerk aber --« »Bei der Mutter, die uns gebar! Bruder Toby,«
sagte mein Vater, der sich nicht länger halten konnte, »du könntest
einem Heiligen einen Fluch ablocken. Da hast du uns, ich weiß nicht
wie, ganz unter der Hand wieder mitten in deine alte Brühe gepökelt. --
Aber dein Kopf ist so voll von diesen verdammten Werken, daß du meine
Frau in Nöten kreißen, sie schreien hörst, und doch willst du mir den
Operateur fortschleppen.« -- »Akkoucheur höre ich lieber, wenn's Ihnen
so gefällt,« sagte Doktor Slop. »Nun denn, Akkoucheur! in Gottes Namen!
Aber ich wünsche die ganze Kriegsbaukunst mit allen ihren Erfindern
über alle Berge; Tausenden hat sie schon das Leben gekostet, und mir
wird sie auch noch den Tod bringen. Ich möchte nicht, Bruder Toby, ich
möchte nicht mein Gehirn so voller Sappen, Minen, Blenden, Schanzkörbe,
Palisaden, Raveline, halben Monde und wie der Plunder alles heißt,
haben, und sollte ich Namur und alle Städte in Flandern dazu dafür
bekommen.«

Mein Onkel Toby, der die Beleidigungen geduldig ertragen konnte, nicht
weil's ihm an Herzhaftigkeit fehlte -- ich habe Ihnen gesagt: ›daß er
ein Mann war, der Mut hatte‹, und will hier hinzusetzen, daß, wenn sich
eine gerechte Gelegenheit darböte, die solchen aufforderte --, ich
keinen Mann wüßte, unter dessen Arme ich lieber Schutz suchen möchte.
Auch das kam nicht von irgendeiner Gefühllosigkeit oder Stumpfheit
seines Verstandes her, denn er fühlte diese Beleidigung meines
Vaters so empfindlich, wie ein Mann sie fühlen konnte. Er war von
friedfertiger, sanftmütiger Natur, kein zänkisches Sonnenstäubchen war
in ihm, alles war an ihm von so gutartiger Mischung, daß meines Onkels
Toby Herz kaum zuließ, an einer Fliege Rache zu nehmen. ›Geh‹, sagte
er eines Tages beim Essen zu einer häßlichen großen Brummfliege, die
ihm um die Nase summte, ihn die ganze Mahlzeit über jämmerlich gequält
hatte und die er endlich im Vorbeifliegen haschte, ›ich will dir kein
Leids tun,‹ stand vom Stuhle auf und ging mit der Fliege in der Hand
durchs Zimmer. ›Ich will dir kein Haar krümmen. Geh,‹ sagte er, indem
er das Fenster aufschob und die Hand öffnete, um sie fliegen zu lassen.
›Geh, armes Ding, mach' daß du wegkommst, warum sollt' ich dir Leides
tun? Diese Welt hat Raum genug für dich und für mich.‹

Ich war kaum zehn Jahre alt, als dies geschah. Aber, war es, daß die
Handlung selbst in diesem mitleidigen Alter mit meinen Nerven mehr im
Einklang stand, daß es augenblicklich meinen ganzen Bau in Schwingungen
des angenehmsten Gefühls versetzte, oder war es die Art und Weise des
Ausdrucks, die dazu beitrug, in welchem Grade oder durch welche geheime
Magie der Ton der Stimme und Harmonie der Bewegung einen Weg zu meinem
Herzen finden mochten, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß die Lehre
des unbegrenzten Wohlwollens, die mich damals mein Onkel Toby lehrte
und mir einprägte, seitdem nie aus meinem Gemüte verloschen ist. Und
ob ich gleich das, was das Studium der schönen Wissenschaften auf der
Universität in diesem Punkte an mir getan hat, nicht verachten oder
die Hilfe einer kostbaren Erziehung zu Hause und hernach in der Fremde
herabwürdigen will, so denke ich doch oft, daß ich die eine Hälfte
meiner Güte des Herzens diesem einen zufälligen Eindruck zu verdanken
habe.

~Dieses kann Eltern und Hofmeistern statt eines ganzen Bandes über
diese Materie dienen.~

Diesen Zug in meines Onkels Toby Porträt konnte ich dem Leser
nicht vermittels ebendes Instrumentes geben, mit welchem ich die
anderen zeichnete. Dem nämlich, das nichts mehr aufnimmt als die
bloße steckenpferdische Ähnlichkeit. Dies ist ein Teil seines
moralischen Charakters. Mein Vater war in dem Punkte der geduldigen
Verträglichkeit, deren ich erwähnt, viel anders beschaffen, wie
der Leser schon längst bemerkt haben wird. Er hatte von Natur ein
weit schärferes und schnelleres Gefühl, begleitet von ein wenig
mürrischer Gemütsart. Obgleich ihn solches nie zu etwas verleitete,
das einer Bosheit ähnlich sah, so zeigte sich's doch bei den kleinen
Verdrießlichkeiten des Lebens in einer drolligen und witzigen Art
von Unwillen. Dabei war er offenherzig und großmütig und ließ
sich jederzeit gerne bedeuten. In den kleinen Aufwallungen dieser
überflüssigen Säure in den Säften gegen andere, besonders aber gegen
seinen Bruder Toby, den er aufrichtig liebte, fühlte er selbst zehnmal
mehr Unlust -- ausgenommen mit der Geschichte von Tante Dinah oder
wenn's auf eine Hypothese ankam --, als er verursachte.

Die Charaktere der beiden Brüder, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet,
warfen Licht übereinander und erschienen in ihren großen Vorzügen in
dieser Geschichte, die über den Stevinus entstand. Ich brauche dem
Leser nicht zu sagen, wenn er sich ein Steckenpferd auf der Streu hält,
daß eines Mannes Steckenpferd ein so empfindlicher Fleck ist, wie er
nur einen an sich hat, und daß diese unverschuldeten Hiebe, die man dem
seinigen gab, meinen Onkel nicht unempfindlich ließen. -- Nein, wie ich
oben sagte, mein Onkel Toby fühlte sie wirklich, und sehr schmerzhaft
dazu.

Nun, mein Herr, was sagte er? Wie betrug er sich? O, mein Herr, groß!
Denn sobald mein Vater sein Steckenpferd genug gepeitscht hatte,
wendete er ohne die geringste Hitze sein Gesicht von Doktor Slop
weg, mit dem er gesprochen hatte, und sah meinem Vater in die Augen,
mit einer Miene, in der sich soviel Gutherzigkeit, soviel Sanftmut,
brüderliche Liebe, so unaussprechliche Zärtlichkeit gegen ihn zeigte,
daß es meinem Vater durchs Herz ging. Er stand hastig von seinem
Stuhle auf und ergriff meines Onkels Toby beide Hände, als er sprach:
»Bruder Toby, ich bitte um Verzeihung! Vergib mir, ich bitte dich,
dieses auffahrende Wesen, das mir meine Mutter anerbte.« -- »Mein
liebster, teuerster Bruder,« antwortete mein Onkel Toby, und richtete
sich mit meines Vaters Hilfe vom Stuhle auf, »sprich nicht mehr davon.
Ich kann es gerne leiden und wäre es zehnmal mehr, Bruder.« -- »Aber
es ist ungroßmütig,« erwiderte mein Vater, »irgendeinen Menschen zu
beleidigen, einen Bruder noch ärger. Aber einen Bruder zu beleidigen,
der so gütig ist, der so wenig reizt, niemals ahndet, es ist
schändlich. Wahrhaftig, es ist niederträchtig!« -- »Ich kann es gerne
leiden, Bruder,« sagte mein Onkel Toby, »wär's auch fünfzigmal mehr
gewesen!« -- »Überdem,« sagte mein Vater, »was habe ich mich um deinen
Zeitvertreib und dein Vergnügen zu bekümmern, es sei denn, daß ich's in
meiner Macht hätte, wie ich's nicht habe, ihr Maß zu vermehren.«

»Bruder Shandy,« antwortete mein Onkel Toby, und sah ihm mit vieler
Bedeutung ins Angesicht, »hierin irrst du dich sehr! Denn du vermehrst
mein Vergnügen ungemein dadurch, daß du in deinem Alter die Shandysche
Familie mit Kindern vermehrst.« -- »Dadurch, mein Herr,« sagte Doktor
Slop, »vermehrt Herr Shandy sein eigenes.« -- »Nicht um ein Jota!«
sagte mein Vater.

                            [Illustration]




                         Achtzehntes Kapitel.


»Mein Bruder tut es,« sagte mein Onkel Toby, »aus Grundsätzen.« -- »Des
lieben Hausfriedens wegen, denke ich,« sagte Doktor Slop. -- »Pscha!«
sagte mein Vater, »was wollen wir da viel von reden!«

                            [Illustration]




                         Neunzehntes Kapitel.


Obadiah gewann die zwei Gulden ohne Widerrede. Denn er trat mit dem
grünen Filetbeutel, dessen wir schon erwähnt haben, und worin alle die
Instrumente klirrten, wie mit einer Jägertasche über der Schulter ins
Zimmer.

»Mich dünkt,« sagte Doktor Slop und heiterte dabei seine Mienen auf,
»es wird nun nachgerade Zeit sein, da wir uns jetzt imstande befinden,
Madame Shandy hilfreiche Hand zu leisten, daß wir hinaufschicken und
fragen lassen, wie es geht?«

»Ich habe der alten Bademutter befohlen,« antwortete mein Vater, »daß
sie gleich herunterkommen soll, sobald es ein wenig schwer geht. Denn
Sie müssen wissen, Herr Doktor,« fuhr er mit einem eckigen Lächeln
auf dem Gesicht fort, »daß Sie zufolge eines besonderen Traktats, der
zwischen meiner Frau und mir feierlich ratifiziert ist, bei dieser
Affäre bloß Hilfstruppe sind. Und das nicht einmal so völlig, wenn die
alte magere Bademutter ohne Sie zurechtkommen kann. Weiber haben ihre
eigenen Grillen, und bei Dingen von dieser Art, wo sie die ganze Last
alleine tragen, und für das Beste der Familien und die Vermehrung der
Welt so viel aushalten müssen, wollen sie sich das Recht nicht nehmen
lassen, +en souveraines+ zu entscheiden, in wessen Hände sie
fallen wollen und wie.«

»Sie haben auch recht,« sagte mein Onkel Toby. -- »Aber mein Herr,«
erwiderte Doktor Slop, welcher tat, als hörte er nicht, was mein Onkel
Toby sagte, und sich an meinen Vater wandte, »sie täten besser, wenn
sie in anderen Dingen herrschten. Und ein guter Hausvater, der gerne
gesunde Kinder haben will, sollte sich dieses Recht abtreten lassen und
ihnen dafür lieber irgendein anderes einräumen.« -- »Ich wüßte nicht,«
sagte mein Vater, und antwortete ein wenig zu bitter, um ihn bei dem,
was er sagte, für ganz gleichgültig zu halten, »was wir wohl gegen
die Wahl, wer die Kinder holen soll, einzuräumen hätten.« -- »Alles
sollte man lieber einräumen,« sagte Doktor Slop. -- »Um Vergebung --«
antwortete mein Onkel Toby. -- »Sir,« versetzte Doktor Slop, »Sie
würden erstaunen, wenn Sie wüßten, wie hoch es in den letzten Jahren in
allen Zweigen der Geburtshilfe getrieben ist, besonders in dem einzigen
Punkte, den Fötus behend und wohlbehalten zu extrahieren. Darüber ist
ein solches Licht aufgegangen, daß ich für mein Teil bezeuge« -- hier
hielt er beide Hände in die Höhe --, »daß ich nicht begreifen kann,
wie die Weit noch --« -- »Ich wünschte,« fiel mein Onkel Toby ein,
»Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in Flandern
hatten.«

                            [Illustration]




                         Zwanzigstes Kapitel.


»Ich wünschte, Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby, und wiederholte
seinen Wunsch für den Doktor Slop zum zweiten Male, und das mit mehr
Eifer und Ernst in seiner Art zu wünschen, als er es zuerst gewünscht
hatte, »Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in
Flandern hatten.«

Meines Onkels Toby Wunsch tat dem Doktor Slop einen Mißdienst, den sein
Herz keiner lebendigen Seele zudachte. Denn, mein Herr, er machte ihn
verwirrt. Er brachte anfänglich seine Ideen in Unordnung und darauf
zur Flucht, so daß er solche nicht wieder in Reih' und Glied bringen
konnte, er mochte es anfangen, wie er wollte.

In allen Arten von Disputationen, männlichen oder weiblichen -- es sei
um Ehre, um Brot oder um Liebe, das ändert in der Hauptsache nichts --,
ist nichts gefährlicher, Madame, als wenn einem ein Wunsch auf diese
unerwartete Art so ganz in die Quere auf die Haut fährt. Überhaupt
ist der sicherste Weg für den bewünschten Teil, um den Wunsch in der
Schwäche aufzufassen, den Augenblick sich zu erheben, auf beide Füße
zu treten und dem Wünscher etwas von ungefähr ebendem Werte dagegen
zu wünschen. Dadurch rechnen Sie stehenden Fußes ab, und die Sachen
bleiben, wie sie waren, Sie können sogar zuweilen den Vorteil des
Angriffs dadurch gewinnen.

Der Doktor verstand nichts von der Art und Weise dieser Verteidigung.
Er wurde dadurch außer aller Fassung gebracht, und die Disputation
geriet vier ganze Minuten in ein völliges Stocken; fünf Minuten wären
ihr tödlich gewesen. Mein Vater sah die Gefahr. Die Disputation war
eine der wichtigsten Disputationen von der ganzen Welt: ob der Sohn
seines Betens und Arbeitens mit oder ohne Kopf auf die Weit kommen
sollte! -- Er wartete bis auf den letzten Augenblick, um dem Doktor
Slop sein Recht, zu erwidern, zu lassen. Da er aber merkte, daß er
irre geworden war, und fortfuhr, mit dem verstörten, bedeutungslosen
Auge umherzusehen, womit gewöhnlich verblüffte Seelen herumzugaffen
pflegen, erst in meines Onkels Toby Gesicht, dann in das seinige, dann
auf, dann nieder, dann ostwärts, dann ostsüdwärts und so weiter an dem
Gesimse der Wand herumspaziert bis an den gegenüberstehenden Punkt des
Kompasses, und daß er wirklich schon angefangen hatte, die messingnen
Tapetennägel an dem Arme seines Lehnstuhles zu zählen, da dachte mein
Vater, es sei mit meinem Onkel Toby keine Zeit weiter zu verlieren und
nahm also das Wort auf wie folgt.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                      Einundzwanzigstes Kapitel.


»Bruder Toby,« sagte mein Vater, »ich weiß, du bist ein so ehrlicher
Mann und hast ein so gutes und aufrichtiges Herz, als jemals Gott
erschaffen hat. Es ist auch deine Schuld nicht, wenn alle die
Kinder, welche gezeugt worden sind, können, werden, mögen, sollen
oder müssen mit dem Kopfe voran auf die Welt kommen; aber glaube es
mir, lieber Toby, es ist schon genug an den Zufällen, welche ihnen
unvermeidlicherweise über den Häuptern schweben, an den Gefahren und
Widerwärtigkeiten, die unsere Kinder umgeben, nachdem sie ihren Weg auf
die Welt gefunden haben, daß es gar nicht nötig ist, sie auf diesem
Wege unnötigerweise noch neuen Gefahren bloßzustellen.« -- »Sind diese
Gefahren,« sagte mein Onkel Toby, indem er seine Hand auf meines Vaters
Knie legte und ihm ganz ernsthaft nach einer Antwort ins Gesicht sah,
»heutzutage größer, Bruder, als vordem?« -- »Bruder Toby,« antwortete
mein Vater, »wenn ein Kind nur redlicherweise gesund und lebendig auf
die Welt kam, und sich die Mutter im Wochenbette wohl befand, weiter
bekümmerten sich unsere Vorfahren um nichts.« -- Den Augenblick zog
mein Onkel Toby seine Hand von meines Vaters Knie weg, lehnte sich ganz
sanft in seinen Stuhl zurück, hob seinen Kopf so weit in die Höhe, daß
er eben das Gesims des Zimmers sehen konnte, und alsdann brachte er in
seinen Backen die Pfeifmuskeln und in seinen Lippen die Gewölbmuskeln
in die gehörige Lage, um sein gewöhnliches Konzert anzufangen -- er
pfiff seinen Regimentsmarsch.

                            [Illustration]




                      Zweiundzwanzigstes Kapitel.


»Gott segne uns! Meine arme Herrschaft wird ganz ohnmächtig, und sie
hat keine Wehen mehr, und die Tropfen sind alle geworden, und das
Julepsglas ist entzweigebrochen, und die Wartefrau hat sich in den
Arm geschnitten, und das Kind ist, wo's war, und die Bademutter ist
rücklings übergeschlagen und mit den Lenden auf den Kaminherd gefallen,
daß sie so schwarz sind, wie eine taube Kohle,« sagte Susanna. --
»Ich will danach sehen,« sagte Doktor Slop. -- »Es ist nicht nötig,«
versetzte Susanna, »sehen Sie nur nach meiner Herrschaft. Aber die
Bademutter wollte Ihnen gerne erst Bescheid sagen, wie es steht, und
läßt Ihnen sagen, Sie sollten gleich heraufkommen, daß sie mit Ihnen
sprechen könnte.«

Die menschliche Natur äußert sich auf gleiche Weise in allen
Professionen.

Eben vorher war die Hebamme dem Doktor Slop über den Kopf gesetzt
worden. Das hatte er noch nicht verdaut. »Nein,« antwortete der
Doktor, »es wäre wohl ebenso schicklich, wenn die Bademutter zu mir
herunterkäme.« -- »Ich liebe die Subordination,« sagte mein Onkel
Toby, »wenn die es nicht getan hatte, so weiß ich nicht, was nach der
Einnahme von Lisle aus der Besatzung von Gant geworden sein möchte
bei dem Brottumult Anno zehn.« -- »Ich ebensowenig,« versetzte Doktor
Slop, und parodierte meines Onkels Toby steckenreiterische Anmerkung,
obgleich er selbst ebensowohl auf seinem Steckenpferde saß. »Wüßte Herr
Kapitän Shandy, was aus der Besatzung da über unserem Kopfe geworden
sein möchte bei der Unordnung und dem Tumult, worin ich jetzt alles
finde, täte es nicht die Subordination unter ***, die mir unter meinen
jetzigen Umständen so glücklich zustatten kommt, sonst hätte es die
Shandysche Familie fühlen können, solange sie Shandysche Familie
heißt.«

                            [Illustration]




                      Dreiundzwanzigstes Kapitel.


Laß uns zurückgehen zu den *** im vorigen Kapitel.

Es ist ein besonderer Griff in der Redekunst -- zum wenigsten war es
einer, da die Beredsamkeit zu Athen und Rom im Flor war, und würde
es noch sein, wenn unsere Redner Mäntel trügen --, den Namen eines
Dinges nicht zu nennen, wenn man das Ding selbst bei der Hand hatte,
es husch vorzuweisen, gerade an dem Orte, wo es nötig war. Eine Wunde,
eine Narbe, ein Schwert, ein durchlöchertes Gewand, ein blutiger
Helm, anderthalb Pfund Pottasche in einer Urne, vor allen Dingen aber
ein zartes Kind in königlichem Putze. Freilich, wenn's noch zu jung
und die Rede so lang war, als Ciceros zweite Philippische, mußte es
notwendig des Redners Mantel unsauber machen. Und wiederum, wenn es zu
alt war, mußte es ihm beschwerlich fallen und seiner Aktion hinderlich
sein, dergestalt, daß er durch das Kind ebensoviel verlor, wie er
dadurch gewinnen konnte. Wenn aber ein politischer Redner das wahre
Alter bis auf eine Minute richtig getroffen, -- sein Bambino so listig
unter seinen Mantel verborgen hatte, daß keine sterbliche Nase es
riechen konnte, -- und es da in einem so entscheidenden Augenblicke
hervorbrachte, daß keine Seele sagen konnte, es würde bei den Haaren
herbeigezogen, -- o, ihr Herren, da tat es Wunder! Es hat wohl eher die
Geldbeutel einer halben Nation geöffnet, ihre Gehirne verrückt, ihre
Grundsätze erschüttert und ihre Staatskunst aus der Angel gehoben.

Solche Taten lassen sich jedoch nicht tun, außer, sage ich, in den
Staaten und Zeiten, wo die Redner Mäntel trugen. Und zwar hübsch weite,
meine lieben Brüder, von einigen dreißig oder vierzig Ellen gutem,
aufrichtigem, superfeinem, rotem Scharlach, mit lang hingegossenen
Falten, nach hoher, edler Zeichnung in der Draperie. Aus welchem
allem, mit Euer Hochwohlgeboren gnädigen Erlaubnis, erhellet, daß der
Verfall der Beredsamkeit an nichts anderem in der Welt liegt als an
den kurzen Röcken. Unter den unserigen, Madame, können wir nichts mehr
verbergen, das sich der Mühe verlohnte vorzuweisen.

                            [Illustration]




                      Vierundzwanzigstes Kapitel.


Es fehlte nur um ein Härchen, so wäre Doktor Slop eine Ausnahme von dem
geworden, was ich hier alles vorgetragen habe; denn da er eben seinen
grünen Filetbeutel vor sich auf den Knien liegen hatte, als er begann,
meinen Onkel Toby zu parodieren, so war der für ihn so gut, wie der
beste Mantel von der Welt. Wes Endes er dann, als er voraussah, seine
Phrase würde mit seinem neu erfundenen Forceps endigen, seine Hand in
den Beutel steckte, um solchen bereitzuhalten, an der Stelle damit
hervorzuwischen, welches, wenn er es recht gemacht hätte, meinen Onkel
Toby gewiß gesprengt haben würde. In dem Falle wäre der Satz und der
Beweis in einem Punkte so fest ineinandergelaufen, wie die zwei Linien,
welche die vorspringende Spitze eines Ravelins machen. Doktor Slop
hätte sich gewiß herausgezogen, und mein Onkel Toby hätte ebenso leicht
daran gedacht, zu fliehen, als es mit Sturm zu erobern. Aber Doktor
Slop kramte so lange dabei, als er ihn herausnehmen wollte, daß die
ganze Wirkung darüber verloren ging. Und was noch ein zehnmal größeres
Unglück dabei war -- denn ein Unglück kommt selten allein --, sowie er
den Forceps hervorzog, brachte er schändlicherweise auch die Spritze
mit zum Vorschein.

Wenn eine Proposition in zweierlei Sinn genommen werden kann, so ist
es ein Gesetz in der Disputierkunst, daß der andere auf denjenigen von
beiden antworten mag, der ihm gut oder zuträglich dünkt. Dies brachte
den Vorteil des Arguments ganz auf meines Onkels Toby Seite. -- »Ach,
lieber Gott,« rief mein Onkel Toby, »werden die Kinder mit einer
Spritze auf die Weit gebracht?«

                            [Illustration]




                      Fünfundzwanzigstes Kapitel.


»Bei meiner Ehre, Herr Doktor, Sie haben mir mit Ihrem Forceps die Haut
von meinen beiden Händen rein abgerissen,« rief mein Onkel Toby, »und
obendrein haben Sie mir alle Knöchel zu Brei gequetscht.« -- »'s ist
Ihre eigene Schuld,« sagte Doktor Slop, »Sie hätten Ihre beiden Hände
falten und halten sollen wie einen Kindeskopf, wie ich Ihnen sagte,
und festsitzen.« -- »Das tat ich ja,« antwortete mein Onkel Toby. --
»Ja, so müssen die Zähne meines Forceps nicht recht gefüttert oder das
Niet zu locker sein, oder auch der Schnitt in meinen Daumen hat mich
nicht recht ansetzen lassen, oder, es ist auch möglich --« -- »Ein
Glück ist's,« sagte mein Vater und unterbrach das Herrechnen aller
Möglichkeiten, »daß das Experiment nicht zuerst an meines Kindes Kopf
gemacht ist.« -- »Das hätte ihm nicht soviel schaden sollen, als ich im
Auge leiden kann,« antwortete Doktor Slop. -- »Ich behaupte es,« sagte
mein Onkel Toby, »es hätte sein Zerebellum zerbrochen oder der Schädel
hätte so hart sein müssen wie eine Granate, und ein ordentliches
Pappmus daraus gemacht.« -- »Warum nicht gar!« versetzte Doktor Slop;
»ein Kindskopf ist von Natur so weich wie ein gebratener Apfel. Die
Suturen geben nach. Und überdem hätte ich's auch hernach bei den Füßen
holen können.« -- »Das sollen Sie wohl bleiben lassen,« sagte Susanna.
-- »Ich wünschte lieber, daß Sie den letzten Weg gleich einschlügen,«
sagte mein Vater.

»O tun Sie doch das,« setzte mein Onkel Toby hinzu.

                            [Illustration]




                     Sechsundzwanzigstes Kapitel.


»Es ist zwei Stunden und zehn Minuten, und länger nicht,« schrie mein
Vater, wobei er auf die Uhr sah, »seitdem Doktor Slop und Obadiah
angekommen sind. Und ich weiß nicht, Bruder Toby, wie es zugeht, aber
meinen Gedanken kommt's fast wie hundert Jahre vor.«

Da, mein Herr, nehmen Sie, ich bitte, meine Kappe. Ja, die Schelle nur
auch, und meine Pantalonsschuhe dazu.

Nun sehen Sie, mein Herr, es steht alles zu Ihrem Dienst. Und es soll
Ihnen geschenkt sein, wenn Sie mir alle Ihre Aufmerksamkeit für dieses
Kapitel leihen wollen.

Obgleich mein Vater sagte, er wüßte nicht, wie es zuginge, so wußte
er doch recht gut, wie es zuging. Und den Augenblick, da er es
sagte, war er schon in seinem Sinne entschlossen, meinem Onkel Toby
eine metaphysische Dissertation über die Dauer und ihre simplen
Modifikationen zu halten, um ihm die Sache klarzumachen und ihm zu
beweisen, durch welchen Mechanismus und Maßstab im Gehirn es geschehen,
daß die schnell abwechselnde Folge ihrer Ideen und das beständige
Überhüpfen ihres Gespräches von einer Sache zur anderen, seitdem Doktor
Slop zu ihnen ins Zimmer gekommen, eine so kurze Zeit zu einer so
unbegreiflichen Länge habe ausdehnen können. -- »Ich weiß nicht, wie es
zugeht,« sagte mein Vater, »aber es kommt mir vor wie hundert Jahre.«

»Das kommt bloß von der Folge unserer Ideen,« sagte mein Onkel Toby.

Mein Vater hatte mit allen Philosophen den Kitzel gemein, über
alles, was ihm vorkam, zu philosophieren und das Warum zu beweisen.
Er versprach sich also ein unendliches Vergnügen von seiner
Dissertation über die Sukzession der Ideen, und dachte meilenweit
nicht daran, daß mein Onkel Toby ihm Solche vorm Maule wegnehmen
würde, der gewöhnlich -- die ehrliche Seele! -- jedes Ding so nahm,
wie es vorkam, und unter allen Menschen in der Welt sein Gehirn am
wenigsten mit abstraktem Denken marterte. Die Ideen von Zeit und
Raum, oder wie wir zu diesen Ideen kommen, oder aus was für Stoff
solche geschnitten sind, oder ob sie uns angeboren sind, oder ob wir
solche hernach erst aufsammeln, oder ob wir das tun, wenn wir noch im
Kinderröckchen gehen, oder erst, wenn wir Beinkleider bekommen haben,
nebst tausend anderen Untersuchungen und gelehrten Fragen über das
~Unendliche~, die ~vorherbestimmte Harmonie~, den ~freien Willen~, die
~unbedingte Notwendigkeit~ und dergleichen, über deren verzweifelte und
unauflösbare Theorien so mancher feine Kopf vor die Hunde gegangen ist,
taten meines Onkels Toby Kopfe nicht den geringsten Schaden. Mein Vater
wußte das und erstaunte daher nicht weniger über seine Antwort, als er
darüber betroffen war.

»Weißt du denn die Theorie von den Ideen?« versetzte mein Vater.

»Gar nicht,« sagte mein Onkel.

»Du hast aber doch einige Ideen,« sagte mein Vater, »von dem, worüber
du sprichst.«

»Ebensowenig wie mein Pferd,« versetzte mein Onkel Toby.

»O lieber Himmel,« rief mein Vater, wobei er die Augen gen Himmel
richtete und seine beiden Hände zusammenschlug, »in deiner
unschuldigen Unwissenheit, Bruder Toby, liegt eine solche Würde, daß
es fast schade ist, dich herauszureißen. Ich will dir aber sagen: um
richtig zu verstehen, was die Zeit ist, ohne welches wir niemals das
begreifen können, was man unendlich nennt, weil die eine ein Teil des
anderen ist, müssen wir sorgfältig untersuchen, was das für eine Idee
sei, die wir von der Dauer haben, bis wir genaue Rechenschaft geben
können, wie wir dazu gelangt sind.« -- »Wem in der Welt geht das was
an?« sagte mein Onkel Toby. -- »~Denn wenn du deine Augen auf das
Innere deiner Gedanken richtest~,« fuhr mein Vater fort, »~und
solche aufmerksam beobachtest, so wirst du gewahr werden, Bruder,
daß, derweile du und ich hier sprechen und denken und unsere Pfeife
rauchen, oder wir auf eine andere Art nach und nach Ideen in unsere
Seelen bekommen, wir uns bewußt sind, daß wir da sind. Und wenn wir
die Dauer oder die Währung unseres eigenen Daseins oder eines jeden
anderen Dinges nach dem Maßstabe der Ideen in unserer Seele schätzen
und messen, so folgt aus diesem Vorsatze~ --« -- »Du machst, daß mir
der Kopf schwindelt,« rief mein Onkel Toby.

»Nun ist, wir mögen es bemerken oder nicht,« fuhr mein Vater fort, »in
dem Kopfe eines jeden gesunden Menschen eine regelmäßige Folge der
Ideen einer oder der anderen Art, welche aufeinander folgen wie --« --
»ein Artilleriezug?« sagte mein Onkel. -- »Warum nicht gar Leichenzug!«
sagte mein Vater leise. »Welche in unserer Seele in gewissen Abständen
aufeinander folgen wie die Bilder in der inwendigen Seite einer
Laterne, die von der Wärme eines Lichts gedreht werden.« -- »Ich
versichere dich,« sagte mein Onkel Toby, »meine drehen sich wie eine
Rauchfahne.« -- »Wenn das ist, Bruder Toby, so habe ich dir über diese
Materie weiter nichts zu sagen,« versetzte mein Vater.

                            [Illustration]




                     Siebenundzwanzigstes Kapitel.


Obgleich mein Vater darauf beharrte, das Gespräch nicht fortzusetzen,
so konnte er doch meines Onkels Toby Rauchfahne nicht aus dem Kopfe
bringen. So sehr er sich auch anfangs darüber ärgerte, im Grunde
steckte etwas in der Vergleichung, die seine Einbildungskraft in
Gang brachte. Deswegen stützte er seinen Ellenbogen auf den Tisch
und die rechte Seite seines Kopfes mit der flachen Hand und -- erst
aber sah er starr ins Feuer --, begann für sich selbst zu denken
und darüber zu philosophieren. Da aber seine Lebensgeister von der
Arbeit, neue Gedanken auszuspähen, und der beständigen Anstrengung
seines Nachdenkens über die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die im
Gespräch vorgefallen waren, erschöpft worden, so drehte die Idee von
der Rauchfahne alle seine Ideen sehr bald über und über und er fiel in
Schlaf, ehe er's noch merkte.

Meines Onkels Toby Rauchfahne hatte sich noch kein dutzendmal
herumgedreht, als auch er einschlief. Ich wünsche beiden wohl zu ruhen!
Doktor Slop hat oben mit der Hebamme und meiner Mutter zu schaffen.
Trim hat beide Hände voll damit zu tun, daß er aus einem Paar alter
steifer Reitstiefel ein Paar Mörser macht, die nächsten Sommer bei der
Belagerung von Messina gebraucht werden sollen, und bohrt ebendiesen
Augenblick mit einem glühenden Feuerstocher die Zündlöcher hinein.

                            [Illustration]




                      Achtundzwanzigstes Kapitel.


Jeden Tag, seit wenigstens zehn ganzen Jahren, beschloß mein Vater,
es ändern zu lassen. Noch ist's nicht geändert. In keinem anderen
Haushalt als dem unsrigen hätte man es eine Stunde geduldet. Und was
Sie noch mehr wundern wird, in keiner Sache von der Welt war mein Vater
eigener als in Tür und Angel. Und nichtsdestoweniger war er sicherlich,
nach meiner Meinung, einer von denen, die am meisten dadurch gelitten
haben. Seine Theorie und seine Praxis lagen sich hierüber beständig
in den Haaren. Die Stubentüre konnte nicht aufgehen, ohne daß seine
Philosophie oder seine Grundsätze eine Ohrfeige bekamen. Drei Tropfen
Öl auf einer Feder und ein guter Schlag mit einem Hammer hätten seine
Ehre auf einmal gerettet.

Was ist der Mensch für ein widersinniges Ding! Er kränkelt an Wunden,
die es nur bei ihm steht zu heilen! Sein ganzes Leben ein Widerspruch
seines besseren Wissens! Seine Vernunft, diese ihm von Gott geschenkte
teure Gabe -- anstatt Öl zur Linderung aufzugießen -- dient ihm bloß,
ihre Reizbarkeit zu erhöhen, ihre Schmerzen zu vervielfältigen und ihn
dabei ungeduldiger und trauriger zu machen. -- Warum, unglückliches
Geschöpf, bist du so! Ist's nicht genug an den unvermeidlichen Übeln
dieses Lebens, mußt du denn den Haufen deiner Bekümmernisse noch
freiwilligerweise vermehren! Da kämpft er gegen Übel an, die nicht zu
vermeiden sind, und unterwirft sich anderen, welche ein Zehntel von
der Mühe, die sie ihm machen, ein für allemal von seinem Herzen wälzen
könnte.

Bei allem, was gut und tugendhaft ist, wenn innerhalb zwanzig Meilen in
der Runde um Shandy-Hall noch drei Tropfen Öl und ein Hammer zu finden
sind, so soll die Haspe an der Tür geändert werden. Noch unter dieser
Regierung!

                            [Illustration]




                      Neunundzwanzigstes Kapitel.


Als Korporal Trim seine beiden Mörser beschickt hatte, freute er sich
über die Maßen über das Werk seiner Hände. Und wohl wissend, was es
seinem Herrn für Vergnügen machen würde, sie zu sehen, konnte er dem
Verlangen unmöglich widerstehen, solche stehenden Fußes nach seinem
Zimmer zu bringen.

Außer dem moralischen Satze, auf welchen ich bei Erwähnung der Tür und
Angel anspielte, hatte ich auch eine spekulative Betrachtung auf dem
Korn, die daraus entspringt, und das ist diese:

Wäre die Türe aufgegangen und die Haspe in der Angel gelaufen, wie
Türen eigentlich tun sollten.

Oder zum Beispiel ebenso willig wie unsere Regierung -- das ist, wenn
Euer Hochwohlgeboren von ihr haben, was Sie wünschen, sonst will ich
mein Gleichnis lassen. -- In dem Falle, sage ich, wäre bei Korporal
Trims Eintreten keine Gefahr weder für den Herrn noch den Bedienten
gewesen. Im Augenblick, da er gesehen hätte, daß mein Vater und mein
Onkel Toby fest schliefen -- so ehrerbietig war er in seinem Betragen
--, wäre er mäuschenstill fortgegangen und hätte sie beide in ihren
Lehnstühlen so süß fortträumen lassen, wie er sie gefunden. Das war
aber, menschlicherweise davon zu sprechen, so unmöglich, daß während
der vielen Jahre, da man diese Tür so hatte weiterknarren lassen, und
unter den vielen Verdrießlichkeiten, die sich mein Vater dadurch zuzog,
unter andern war auch diese, daß er niemals seine Arme übereinander
schlug, um sein bißchen Mittagsruhe zu halten, ohne daß der Gedanke,
daß ihn der erste beste, der die Tür aufmachte, unvermeidlich wecken
müßte, ihm immer im Kopfe herumlief, und sich so stracks zwischen ihn
und den ersten balsamischen Vorgeschmack des Schlafes drängte, daß er
ihm, wie er oft bezeugte, alle seine Annehmlichkeiten raubte.

Wie kann's, mit Euer Exzellenz Erlaubnis, anders sein, wenn die Sachen
auf schlechten Angeln laufen?

»Nun, was gibt's? Wer ist da?« rief mein Vater, der den Augenblick
aufwachte, als die Türe zu knarren begann. »Ich wollte doch wohl
einmal, daß der Schmied nach der vertrackten Türe sähe!« -- »'s
ist nichts, gnädiger Herr,« sagte Trim, »als zwei Mörser, die ich
hereinbringe.« -- »Ich will hier keinen Lärm haben,« sagte mein Vater
hastig. »Wenn Doktor Slop Spezereien zu stampfen hat, so mag er's in
der Küche tun.« -- »Mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim, »es sind
zwei Bombenmörser, zu einer Belagerung auf nächsten Sommer, die ich aus
einem Paar steifer Reitstiefel gemacht habe. Obadiah hat mir gesagt,
Euer Gnaden brauchten sie nicht mehr.« -- »Hol's der Teufel,« schrie
mein Vater und sprang fluchend vom Stuhle auf. »Unter aller meiner Fahr
und Habe ist mir nichts lieber und teurer, als diese Steifstiefel,
sie kommen noch von unserem Großvater her, Bruder Toby. Es waren
Erbstücke.« -- »Ja, so tut mir's leid,« sagte mein Onkel Toby, »daß
Trim sie vom Hauptgute getrennt hat.« -- »Ich habe nichts aufgetrennt,
gnädiger Herr,« sagte Trim, »ich habe nur die Stulpen abgeschnitten.«
-- »Ich kann alte Dinge ebensowenig leiden, wie ein anderer,« sagte
mein Vater; »aber diese Steifstiefel,« fuhr er fort, wobei er bitter
lächelte, »Bruder, sind seit dem letzten Rebellenkriege beständig bei
der Familie gewesen. Sir Roger Shandy trug sie in der Schlacht bei
Marstonmoor. Ich versichere dich, ich hätte sie nicht für zehn Louisdor
gegeben.« -- »Ich will dir das Geld geben, Bruder Shandy,« sagte
mein Onkel Toby, betrachtete dabei die beiden Mörser mit unendlichem
Vergnügen und fuhr mit der Hand nach der Geldtasche, wie er sie ansah.
»Von Herzen gerne will ich dir den Augenblick das Geld dafür bezahlen.«
--

»Bruder Toby,« versetzte mein Vater mit veränderter Stimme, »du
bekümmerst dich nicht, was du für Geld verschleuderst und wegwirfst,
wenn's nur für eine Belagerung ist.« -- »Habe ich nicht jährlich
hundertundvierzig Louisdor Renten und meine Pension dazu?« rief mein
Onkel Toby. -- »Was verschlägt das,« versetzte mein Vater hastig,
»wenn du zehn Pistolen für ein Paar alte Stiefel gibst, zwölfe für
deine Pontons und halb soviel für deine holländische Zugbrücke,
geschweige des kleinen Artillerietrains von messingenen Kanonen, die
du vorige Woche bestellt hast, nebst zwanzig anderen Zurüstungen für
die Belagerung von Messina, mehr. -- Glaube mir, liebster Bruder
Toby,« fuhr mein Vater fort, und nahm ihn dabei ganz freundlich bei
der Hand, »diese deine Kriegsoperationen übersteigen deine Kräfte. Du
meinst es gut, Bruder, aber sie verleiten dich zu stärkeren Ausgaben
als du anfangs gedacht hast. Und verlaß dich auf das, was ich sage,
lieber Toby, sie werden dich endlich noch um all das Deinige und an den
Bettelstab bringen.« -- »Je nun, Bruder, was wär's denn nun auch mehr,«
versetzte mein Onkel Toby, »solange wir wissen, daß es zum Besten
unseres Vaterlandes geschieht.«

Mein Vater mußte lächeln, wenn er auch nicht gewollt hätte. Sein Zorn
war allemal höchstens nur Knallpulver, und Trims Dienstfertigkeit und
Einfalt und die großmütige, obgleich steckenreiterische Gesinnung
meines Onkels Toby söhnte sie augenblicklich beide wieder mit ihm aus.

»Großmütige Seelen! -- Gott erhalte euch und eure Bombenmörser dazu,«
sagte mein Vater bei sich selbst.

                            [Illustration]




                         Dreißigstes Kapitel.


»Nun ist alles ruhig und still,« rief mein Vater, »da oben wenigstens.
Ich höre keinen Menschen mehr gehen. Sage Er mir doch, Trim, wer
ist in der Küche?« -- »In der Küche ist niemand,« antwortete Trim
und machte dabei seinen tiefen Bückling, »außer Doktor Slop.« --
»Verdammt!« schrie mein Vater und hob sich abermals auf die Füße.
»Diesen Tag geht doch nicht das geringste seinen ordentlichen Gang.
Wenn ich an die Sterndeuterei glaubte, Bruder -- welches mein Vater,
unter uns gesagt, tat --, so möchte ich schwören, daß irgendein Planet
im Zeichen des Krebses über meinem unglücklichen Hause hinge, und jedes
Ding darin verkehrt gehen ließe. Wie? ich dachte, Doktor Slop wäre oben
bei meiner Frau, und da sagt Er -- -- Was hat der Patron in der Küche
zu suchen?« -- »Ja, wenn's Euer Gnaden nicht übelnehmen wollen, er ist
dabei und macht eine Brücke.« -- »Das ist doch sehr gütig von ihm,«
sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine schönste Empfehlung, Trim,
und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm von Herzen danke.«

Sie müssen wissen, daß mein Onkel Toby ebensoweit an der richtigen
Brücke vorbeischoß, als mein Vater an den Mörsern. Um aber zu
verstehen, wie mein Onkel Toby die Brücke verfehlen konnte, fürchte
ich, muß ich Ihnen wohl eine genaue Nachricht von dem Wege geben,
der dahin führte. Oder ich will den Vergleich fahren lassen -- denn
einem Geschichtschreiber ist nichts unanständiger, als wenn er welche
gebraucht --. Um die Möglichkeit richtig zu begreifen, wie mein Onkel
Toby sich darin irren konnte, muß ich Ihnen etwas Nachricht von einem
von Trims Abenteuern erteilen, so ungern ich auch wollte. Ich sage, so
ungern ich auch wollte, weil die Geschichte hier gar nicht an ihrem
rechten Orte steht. Denn eigentlich sollte sie erst da vorkommen, wo
ich die Anekdoten von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten mit der
Witwe Wadmann erzähle, wobei Trim keine unbeträchtliche Rolle spielt.
Oder auch in der Mitte der Feldzüge, die er mit meinem Onkel Toby auf
dem grünen Spielplatze tat. Allein, wenn ich sie bis zu einem von
diesen Teilen meiner Historie aufspare, so entsteht eine Lücke in der
Historie, die ich eben vor mir habe. Und erzähle ich's hier, so mähe
ich mein Korn grün und tu meiner Geschichte dort Schaden.

Was raten mir Euer Hochweisheiten, was soll ich hier tun? --

Erzählen Sie ja gleich, Herr Shandy. -- Tristram, du bist nicht klug,
wenn du's tust!

O, ihr Mächte! -- denn Mächte seid ihr, und hohe dazu -- welche den
unsterblichen Menschen das Vermögen verleihen, eine Historie zu
erzählen, die des Hörens wert sei, die ihr ihm freundlich weiset, wo
er anfangen muß und wo aufhören, was er hineinbringen muß und was
herauslassen, wieviel er davon in Schatten zu bringen hat, und wohin
er seine Lichter verteilen soll! Ihr, die ihr dem weiten Reiche der
biographischen Freibeuter vorsteht, und die mancherlei Not und Kummer
seht, in welche eure Untertanen täglich und stündlich geraten, wollt
ihr mir eins zu Gefallen tun?

Ich ersuche und bitte euch -- falls ihr nichts Besseres für uns tun
wollt -- wenn es sich so gebührt und zuträgt, daß in eurem Gebiete drei
Wege sich kreuzen, wie hier eben geschehen ist, so laßt doch wenigstens
einen Wegweiser auf den Scheideweg setzen, aus bloßer Barmherzigkeit,
einem armen Tropf zu raten, welchen von den dreien er nehmen soll.

                            [Illustration]




                      Einunddreißigstes Kapitel.


Obgleich der Stoß, den mein Onkel Toby das Jahr nach der Scheidung von
Dünkirchen in seiner Affäre mit der Witwe Wadmann erlitt, ihn in dem
Vorsatze bestärkt hatte, niemals wieder an das schöne Geschlecht, noch
an irgend etwas, das dazu gehörte, zu denken, so hatte doch Korporal
Trim kein solches Bündnis mit sich selbst gemacht. In der Tat war bei
meines Onkels Toby Begebenheit ein sonderbarer und unbegreiflicher
Zusammenfluß von Umständen, die ihn unvermerkt leiteten, die schöne und
starke Zitadelle von einem Weib zu belagern. Trims Begebenheit war kein
Zusammenfluß von irgend etwas in der Welt, als von ihm und Brigitten in
der Küche. Doch war, die Wahrheit zu sagen, die Liebe und Ehrerbietung,
die er gegen seinen Herrn hegte, so groß, und so gern ahmte er ihn
in allem, was er tat, nach, daß hätte mein Onkel Toby sein Genie und
seine Zeit darauf verwendet, Spitzen zu klöppeln, ich bin versichert,
der ehrliche Korporal hätte seine Waffen niedergelegt und wäre seinem
Beispiel mit Vergnügen gefolgt. Jedesmal, wenn also mein Onkel Toby
sich bei der Herrschaft setzte, nahm Trim flugs seinen Posten bei der
Kammerjungfer.

Nach einer ganzen Kette von Angriffen und Verteidigungen während neun
ganzer Monate, die meines Onkels Toby Belagerung dauerte, wovon alle
Umstände am gehörigen Ort aufs treulichste erzählt werden sollen, hielt
es mein ehrlicher Onkel Toby für ratsam, seine Truppen zurückzuziehen
und die Belagerung mit einigem Verdrusse aufzuheben.

Korporal Trim, wie gesagt, hatte kein solches Bündnis, weder mit sich
selbst noch mit andern, gemacht. Da ihm die Treue seines Herzens
indessen nicht erlaubte, in einem Hause aus und ein zu gehen, das sein
Herr mit Widerwillen verlassen hatte, so begnügte er sich damit, daß er
seinen Teil der Belagerung in eine Blockade verwandelte. Das heißt, er
hielt andere entfernt. Denn ob er gleich hernach niemals in ihr Haus
ging, ward er doch auch seiner Brigitte niemals im Dorfe ansichtig,
ohne daß er ihr zunickte, zulächelte, winkte oder sie freundlich ansah.
Und wenn's die Gelegenheit gab, faßte er sie bei der Hand oder fragte
sie ganz verliebt, wie's ihr ginge. Oder er schenkte ihr ein Band, oder
zuweilen, doch niemals, als wenn's mit Dekorum geschehen konnte, gab
er ihr -- --

Genau in dieser Lage befanden sich die Sachen fünf Jahre hindurch, vom
Jahre 1713 an, da Dünkirchen geschleift wurde, bis gegen das Ende des
Feldzugs meines Onkels Toby, 1718, ungefähr sechs oder sieben Wochen
vor der Zeit, von der ich spreche. Als Trim, nach seiner Gewohnheit,
nachdem er meinen Onkel Toby zu Bett gebracht hatte, an einem
mondhellen Abend hinunterging, um zuzusehen, ob in seiner Fortifikation
noch alles richtig stünde, spionierte er auf der Wiese, die von dem
Spielplatze mit grünen Hecken abgesondert war, seine Brigitta aus.

Da der Korporal glaubte, es sei in der ganzen Welt nichts so
sehenswürdig wie die herrlichen Werke, die er und mein Onkel Toby
miteinander gemacht hatten, so nahm er sie höflich und mutig bei
der Hand und führte sie hinein. Dies geschah nicht so heimlich, daß
es nicht die plapperhafte Trompete der Fama so lange von Ohr zu Ohr
herumgetragen hätte, bis es endlich wohl an meinen Vater gelangen
mußte, zugleich mit dem ungünstigen Umstande, daß meines Onkels Toby
hübsche Zugbrücke, die nach holländischer Manier gebaut und bemalt war
und ganz über den Graben reichte, in ebender Nacht zerbrochen und,
der Himmel weiß wie, in tausend Stücke zersplittert worden war. Mein
Vater, wie Sie bemerkt haben, hatte eben nicht viel Hochachtung für
meines Onkels Toby Steckenpferd. Er hielt es für das lächerlichste
Hotthott, das nur jemals ein Kavalier geritten, und konnte niemals
daran denken, mein Onkel mußte ihm denn eben damit in die Quere reiten,
ohne zu lächeln. Es konnte also niemals lahm werden oder ihm sonst
ein Zufall zustoßen, oder es kitzelte meines Vaters Gedanken über die
Maßen. Allein dies hier war ein Zufall, der seinem Herzen sanfter tat
als alle, die ihm noch begegnet waren, und er wußte sich eine Freude
damit zu machen, so oft er wollte. -- »Gut, und nicht allzugut, lieber
Toby,« pflegte er zu sagen, »erzähle uns doch, wie ging's denn mit der
Brücke eigentlich zu?« -- »Wie kannst du mich nur so damit zerren,«
pflegte wohl mein Onkel Toby zu antworten. -- »Ich habe es ja wohl
zwanzigmal schon erzählt, Wort für Wort, wie ich's von Trim weiß!« --
»Nun, wie war's denn, Korporal?« rief dann mein Vater und wendete sich
an Trim. -- »Es war ein reines Unglück, wenn's Euer Gnaden verzeihen,
ich zeigte Brigitte unsere Befestigungen. Und als ich so zu nahe an
den Rand des Grabens kam, rutschte ich unglücklicherweise hinein.« --
»Ei, hübsch, Trim!« rief dann mein Vater, wobei er schalkhaft lächelte
und mit dem Kopfe nickte, ohne ihn zu unterbrechen. »Und da ich mit
Euer Gnaden Wohlnehmen die Brigitte fest in meinen Armen hielt, zog
ich sie so mit mir, und da fiel sie rücklings über, gegen die Brücke.«
-- »Und da Trim mit seinem Fuße,« rief mein Onkel Toby und nahm ihm
die Historie vorm Maule weg, »in die Verschanzung geriet, taumelte er
auch gegen die Brücke. -- Es war ein großes Glück,« pflegte mein Onkel
hinzuzusetzen, »daß der arme Mensch kein Bein brach.« -- »Ja wohl, ja
wohl!« pflegte mein Vater zu sagen. »Ein Bein ist leicht gebrochen,
Bruder! besonders in solchen Fällen!« -- »Und also brach die Brücke,
die, mit Euer Gnaden Erlaubnis, nur dünn gemacht war, zwischen uns
entzwei und ging in tausend Stücke.«

Mein Onkel Toby versuchte es niemals, sich gegen den Angriff dieses
Spotts mit etwas anderem zu wehren, als daß er noch einmal so geschwind
aus seiner Tabakspfeife dampfte, wodurch er eines Abends eine so
dicke Wolke machte, daß mein Vater, der ein wenig zur Schwindsucht
geneigt war, darüber einen erschrecklichen Anfall von Husten bekam.
Mein Onkel Toby sprang auf, ohne der Schmerzen an seinem Latzbeine zu
achten, und mit unendlichem Mitleid stand er bei seines Bruders Stuhl,
klopfte ihm mit einer Hand den Rücken und hielt ihm mit der andern den
Kopf. Und von Zeit zu Zeit wischte er ihm die Augen mit einem reinen
holländisch-leinenen Tuche, das er aus der Tasche zog. Die herzlich
liebevolle Art, womit mein Onkel Toby diese kleinen Dienste leistete,
durchdrang meinen Vater bis in sein innerstes Eingeweide über den
Verdruß, den er ihm eben gemacht hatte. Eher soll man mir das Gehirn
mit einem Mauerbrecher oder gleichviel womit ausstoßen, sagte mein
Vater zu sich selbst, ehe ich dieser ehrlichen Seele wieder spotte.

                            [Illustration]




                      Zweiunddreißigstes Kapitel.


Als Trim hereinkam und meinem Vater sagte, daß sich Doktor Slop in
der Küche damit beschäftige, eine Brücke zu machen, war mein Onkel
Toby -- die Geschichte mit den Steifstiefeln hatte eben eine Reihe
von Kriegsideen in seinem Gehirn in Gang gebracht -- der Meinung, daß
Doktor Slop ein Modell von des Marquis d'Hopitals Brücke machte. »Das
ist doch sehr gütig von ihm,« sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine
schönste Empfehlung, Trim, und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm
von Herzen danke.«

Wäre meines Onkels Toby Kopf ein Raritätenkasten gewesen, und hätte
mein Vater beständig durchs Glas hineingeschaut, so hätte es ihm
von dem, was in meines Onkels Toby Hirn herumarbeitete, keinen
deutlicheren Begriff machen können, als er schon ohnedies hatte. Trotz
des Mauerbrechers und der heftigen Verwünschungen, die ihm solche
Hirngespinste schon abgelockt hatten, wollte er eben triumphieren, als
Trims Antwort plötzlich den Lorbeer von seiner Schläfe und in Stücke
riß.

                            [Illustration]




                      Dreiunddreißigstes Kapitel.


»Mit eurer verwünschten Zugbrücke!« sagte mein Vater. »Mit Euer Gnaden
Wohlnehmen, 's ist eine Brücke in unseres jungen Junkers Nase. Als er
ihn mit seinem verdammten Klimperkrame auf die Welt geholt hat, so hat
er ihm die Nase zerdrückt, daß sie so platt in seinem Angesichte ist,
sagt Susanna, wie ein Pfannkuchen. Nun macht er von einem Lappen Kattun
und einem Stückchen Fischbein aus Susannens Schnürleibe eine falsche
Brücke, die sie wieder aufrichten soll.«

»O, Bruder Toby, komm, führe mich sogleich nach meiner Kammer!«

                            [Illustration]




                      Vierunddreißigstes Kapitel.


Von dem ersten Augenblicke an, da ich mich hinsetzte, mein Leben
zum Vergnügen der Welt und meine Meinungen zu ihrer Belehrung
aufzuschreiben, hat sich unvermerkt eine Wolke über meinem Vater
zusammengezogen. Eine Flut von Übeln und Widerwärtigkeiten hat sich
gegen ihn gehäuft. Nicht das allergeringste, wie er selbst bemerkt, ist
richtig gegangen, und nun ist das Gewitter reif und wird mit aller Wut
über seinem Haupte ausbrechen.

Ich gehe an diesen Teil meiner Geschichte mit einem so schweren und
melancholischen Gemüte, das nur je eine sympathische Seele empfunden
hat. Meine Nerven werden schlaff, indem ich's erzähle. Bei jeder Zeile,
die ich schreibe, fühle ich, daß die Lebhaftigkeit meines Pulses sinkt,
und die sorglose Munterkeit, die mich sonst jeden Tag meines Lebens
antreibt, tausend Dinge zu sagen und zu schreiben, die ich nicht sagen
und schreiben sollte. Und in diesem Augenblick, wie ich gerade meine
Feder in die Tinte tauchte, fiel mir's recht aufs Herz, mit was für
einer behutsamen Art von kummervoller Bedächtigkeit und Feierlichkeit
das geschah. Himmel! wie verschieden von dem schnellen Zufahren und
dem hitzigen Ausspritzen, das du sonst gewohnt bist, Tristram! -- in
anderer Laune. Wenn du die Feder niederwirfst und deine Tinte auf
deinem Tische und deinen Büchern herumkleckst, als ob deine Feder und
deine Tinte, deine Bücher und deine Möbel dich kein Geld kosteten.

                            [Illustration]




                      Fünfunddreißigstes Kapitel.


Ich will mich bei langen Beweisen nicht aufhalten. Es ist erwiesen,
und ich bin davon überzeugt, Madame, so lebhaft als möglich, daß
beides, Mann und Weib Schmerzen oder Kummer, und, soviel ich weiß, auch
Vergnügen, in einer horizontalen Lage am besten ertragen.

Sobald mein Vater auf seine Kammer kam, warf er sich der Quere
nach über das Bett, mit dem heftigsten Unmut, der sich nur denken
läßt. Dabei aber in der kläglichsten Stellung eines von Kummer
niedergeschlagenen Mannes, über den jemals das Mitleid eine Träne
geweint hat. Seine rechte flache Hand empfing, wie er aufs Bett fiel,
seinen Vorderkopf, bedeckte größtenteils seine beiden Augen. Dann sank
er sachte nieder mit dem Kopfe (sein Ellenbogen wich hinterwärts), bis
er mit der Nase das Kopfkissen berührte. Seine linke Hand hing schlaff
über den Bettrand, die Faust kam auf den Henkel eines Kammertopfes zu
liegen, der unter dem Bettschurze hervorguckte. Sein rechtes Bein,
das linke hatte er an den Leib gezogen, hing halb über den Bettrand,
mit dem Schienbeine auf der Kante des Bretts. Er fühlte es nicht. Ein
tiefer eingewurzelter Kummer nahm seinen Sitz auf jedem Zuge seines
Gesichts. Einmal seufzte er, seine Brust hob sich oft, sprach aber kein
Wort.

Ein alter, auf Tapetenart gestickter Stuhl, mit abgebleichten,
verwitterten Fransen besetzt, stand am Kopfe des Bettes der Seite
gegenüber, wo meines Vaters Haupt hing. Mein Onkel Toby setzte sich
hinein.

Ehe eine Betrübnis ganz verdaut ist, kommt das Trösten immer zu früh,
und ist sie verdaut, kommt's zu spät. Sie sehen also, Madame, daß
zwischen beiden Grenzen eine fast haarfeine Linie liegt, die ein
Tröster zu fassen wissen muß. Mein Onkel Toby griff beständig entweder
diesseits oder jenseits fehl und pflegte oft zu sagen, er glaubte, daß
er ebensoleicht die Meereslänge erwischen könnte. Deshalb zog er, als
er sich in den Stuhl setzte, den Vorhang ein wenig weiter zu, und,
wie er immer für jedermann eine Träne bereit hatte, zog er ein weißes
Taschentuch hervor, holte einen tiefen Seufzer und -- sagte kein Wort.

                            [Illustration]




                     Sechsunddreißigstes Kapitel.


»Es ist nicht alles Gewinn, was in die Kasse fällt.« Und ob also mein
Vater gleich das Glück hatte, die ältesten Bücher von der Welt zu
lesen, und dazu an und für sich selbst die eigenartigste Denkungsart
besaß, womit nur ein Sterblicher beseligt sein mochte, so war er doch
bei dem allen auch wieder solchen Launen unterworfen, die ihn in die
sonderbarsten und oft widersinnigsten Verlegenheiten setzten, von denen
diese eine, die ihm hier über den Hals kam, ein so starkes Beispiel
ist, wie sich nur irgend anführen läßt.

Freilich, das Eindrücken des Knorpels an der Nase eines Kindes
durch ein Instrument, wäre es auch nach den besten Regeln der Kunst
geschehen, sollte wohl jeden Mann in der Welt ärgerlich machen, wenn
ihm auch schon die Erziehung eines Kindes nicht soviel Mühe und Sorgen
kostete wie meinem Vater. Dennoch kann es das Übermaß seiner Betrübnis
nicht entschuldigen, noch die unchristliche Art rechtfertigen, mit
welcher er sich derselben überließ.

Um dies zu erklären, muß ich ihn auf eine halbe Stunde auf seinem Bette
liegen und meinen Onkel Toby auf seinem alten Tapetenstuhle bei ihm
sitzen lassen.

                            [Illustration]




                     Siebenunddreißigstes Kapitel.


»Ich halte es für eine sehr ungewissenhafte Forderung,« rief mein
Urgroßvater, rollte das Papier zusammen und warf's auf den Tisch. »Aus
dieser Rechnung erhellt, Madame, daß Sie nur zweitausend Pistolen
Brautschatz und nicht einen Heller mehr haben. Und doch bestehen Sie
auf einem Leibgedinge von dreihundert Pistolen jährlich!« --

»Das kommt,« versetzte meine Urgroßmutter, »weil Sie eine kleine oder
fast gar keine Nase haben, Herr.«

»Verflucht!« schrie mein Urgroßvater, und fuhr mit der Hand nach seiner
Nase, »so klein ist sie doch auch noch nicht, sie ist einen ganzen Zoll
länger als meines Vaters Nase.« Nun war aber meines Urgroßvaters Nase
allen Nasen der Männer, Weiber und Kinder, die Pantagruel auf der Insel
Ennasin fand, so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Nebenbei gesagt, wenn
Sie die sonderbare Art und Weise kennen lernen wollen, wie man sich mit
einem so plattnasigen Volk verschwägern kann, so müssen Sie das Buch
lesen. -- Es von selbst auszufinden, das sollen Sie wohl bleiben
lassen.

Herr, sie sah aus wie ein Treffaß.

»'s ist ein ganzer Zoll,« fuhr mein Urgroßvater fort und drückte mit
Finger und Daumen sein Endchen Nase und wiederholte seine Behauptung:
»'s ist ein ganzer Zoll, Madame, daß sie länger ist als meines Vaters
Nase.« -- »Sie mögen die Ihres Onkels meinen,« erwiderte meine
Urgroßmutter.

Mein Urgroßvater ward überführt. Er rollte das Papier wieder auf und
unterschrieb den Ehevertrag.

                            [Illustration]




                      Achtunddreißigstes Kapitel.


»Welch ein unbilliges Leibgedinge, mein Schatz, das wir aus unserem
kleinen Gute zahlen müssen!« sagte meine Großmutter zu meinem
Großvater.

»Mein Vater,« erwiderte mein Großvater, »mein Kind, hatte ebensowenig
Nase, den Tüpfel ausgenommen, wie mir hier auf der Hand sitzt.«

Nun müssen Sie wissen, daß meine Urgroßmutter meinen Urgroßvater zwölf
Jahre überlebte, und ihr also mein Großvater die ganze Zeit über immer
halbjährlich -- alle Ostern und Michaelis -- ihre hundertundfünfzig
Pistolen Witwengehalt auszahlen mußte.

Niemand war williger und bereiter, seine Schulden abzutragen, als
mein Vater. Bis an volle Hundert pflegte er die Pistolen wurfweise
mit der Miene hinzuschießen, die großmütige Seelen, und auch nur die
großmütigen Seelen, beim Geben und Bezahlen zu machen pflegen und die
gleichsam sagt: ich geb's gern. Sobald er aber an die folgenden Fünfzig
kam, stieß er gewöhnlich ein lautes Hm! aus, rieb sich dabei ganz
gemächlich mit dem flachen Zeigefinger an der Nase, schob die Hand ganz
bedächtig unter die Perücke, besah jedes Goldstück, ehe er's weggab,
auf beiden Seiten, und zählte selten die Fünfzig zu Ende, ohne sein
Schnupftuch zur Hand zu nehmen und den Angstschweiß von der Stirne zu
wischen.

Behüte mich, gütiger Himmel, vor solchen Verfolgungsgeistern, welche
keine Nachsicht mit dergleichen Bewegungen, die in uns vorgehen, haben
können. Nie, o nie, laß mich in einem Gezelte mit denen liegen, die
den Bogen immer so hoch spannen und kein Mitleiden mit der Macht der
Erziehung und mit dem überwiegenden Einflusse der von unseren Voreltern
geerbten Meinungen haben wollen.

Schon bis ins dritte Glied wenigstens hatte der Glaube an das Glück
der langen Nasen nach und nach Wurzel in unserer Familie geschlagen.
Das Hörensagen war ganz auf seiner Seite, und alle halbe Jahre kam
das Geldausgeben dazu, um ihn zu bestärken, dergestalt, daß meines
Vaters grillenhafter Kopf weit entfernt war, sich von diesem wie von
fast allen seinen übrigen sonderbaren Sätzen die Ehre allein anmaßen
zu können. Denn man konnte sagen, daß er ihn zum großen Teil mit der
Muttermilch eingesogen hatte. Indessen tat er das seinige dazu. Wenn
seine Erziehung den Irrtum -- falls es einer war -- pflanzte, so begoß
ihn mein Vater und wartete und pflegte ihn bis zur völligen Reife.

Er beteuerte oft, wenn er seine Gedanken über diesen Punkt äußerte,
daß er nicht begreife, wie die größte Familie in der Welt eine
ununterbrochene Folge von sechs oder sieben kurzen Nasen gutmachen
könnte. Und aus dem entgegenstehenden Grunde, pflegte er hinzuzusetzen,
müßte es eine der unerklärbarsten Erscheinungen im bürgerlichen Leben
sein, daß dieselbe Anzahl tüchtiger langer Nasen, in gerader Linie
vererbt, einen Menschen nicht zu den höchsten Ehrenstaffeln erhebe und
emporschwinge. Mit Selbstgefälligkeit rühmte er's oft, daß die Shandys
unter Heinrichs +VIII.+ Regierung sehr hoch im Range gewesen und
ihre Erhebung keinen Staatskniffen zu danken gehabt, sondern nur, sagte
er, diesem Glücksumstande. Allein, pflegte er hinzuzufügen, das Rad
habe sich gleich wie bei anderen Familien bis zu dem Schlag von meines
Urgroßvaters Nase gedreht. Und sie wären niemals wieder in die Höhe
gekommen. Jawohl, es war ein Treffaß! rief er dann und schüttelte dabei
den Kopf. Und ein so häßliches, als nur jemals Trumpf geworden ist.

                            [Illustration]




                      Neununddreißigstes Kapitel.


Mein Vater lag ausgestreckt auf dem Bette volle anderthalb Stunden so
still, als hatte die Hand des Todes ihn niedergeschleudert, ehe er
mit den Zehen des Fußes, der über der Bettkante hieg, auf der Erde
zu spielen anfing. Meines Onkels Toby Herz fühlte sich dadurch ein
Pfund leichter. Wenige Augenblicke später bekam auch seine linke Hand,
mit der er beständig auf den Henkel des Kammertopfes gelegen hatte,
wieder ihr Gefühl. Er schob ihn ein wenig weiter hinunter. Nachdem das
geschehen, zog er die Hand herauf an seinen Busen und stieß ein Hm!
aus. Mein guter Onkel Toby beantwortete es mit unendlichem Vergnügen
und hätte herzlich gerne einen Trostspruch in die Spalte geimpft, die
es machte. Da er aber, wie schon gesagt, hierin keine vorzügliche Gabe
hatte und überdem noch besorgte, es möchte ihm etwas entfahren, das das
Übel nur ärger machte, so begnügte er sich damit, daß er mit seinem
Kinn ganz gelassen auf seinem Krückhaken liegen blieb.

Ob nun der Druck von unten meines Onkels Toby Gesicht zu einem
angenehmeren Oval verkürzte, oder ob die Menschenliebe seines Herzens,
als er seinen Bruder sich aus dem See seiner Leiden hervorarbeiten sah,
seine Muskeln angeschwellt hatten, so daß der Druck auf sein Kinn bloß
die Leutseligkeit verdoppelte, die man vorher darin sah, ist nicht
schwer zu entscheiden. Mein Vater, als er die Augen auf ihn richtete,
ward von einem solchen Sonnenscheine aus seinem Gesicht bestrahlt, daß
dadurch augenblicklich die Starrheit seiner Traurigkeit auftaute.

Er brach folgendermaßen das Stillschweigen.

                            [Illustration]




                         Vierzigstes Kapitel.


»Hat wohl jemals, Bruder Toby,« sagte mein Vater, indem er sich auf
seinen Ellenbogen stemmte und sich nach der anderen Seite des Bettes
kehrte, während mein Onkel Toby auf dem alten befransten Stuhle saß und
das Kinn auf seine Krücke gestützt hielt, »ein armer, unglücklicher
Mann so vielen Hieben standhalten müssen?« -- »Die meisten, die ich
habe austeilen sehen,« sagte mein Onkel Toby, »bekam ein Grenadier.
Ich glaube« -- hier klingelte er mit der Glocke, Trim zu rufen --
»in Mackays Regiment.« -- Hätte mein Onkel Toby meinem Vater eine
Musketenkugel durchs Herz gejagt, er hätte nicht plötzlicher Knall und
Fall mit der Nase aufs Kissen fallen können.

»Gott bewahre!« sagte mein Onkel Toby.

[Illustration]




                      Einundvierzigstes Kapitel.


»War's nicht in Makays Regiment,« fragte mein Onkel Toby, »als zu
Brügge der Grenadier der Dukaten wegen so erschrecklich viele Hiebe
bekam?« -- »Ach lieber Gott, er hatte keine Schuld!« schrie Trim mit
einem tiefen Seufzer. »Und er ward, mit Euer Gnaden Erlaubnis zu
melden, fast zu Tode gepeitscht. Sie hätten ihn lieber totschießen
sollen, wie er sie bat, so wäre er gerade in den Himmel gefahren, denn
er war so unschuldig wie Euer Gnaden.« -- »Dank Ihm, Trim,« sagte mein
Onkel Toby. -- »Ich kann niemals an sein,« fuhr Trim fort, »oder
meines armen Bruders Tom Unglück denken, denn wir waren alle drei
Schulkameraden, ohne daß ich weinen muß wie 'ne alte Vettel.« -- »Man
ist nicht gleich eine alte Vettel, wenn man weint, Trim; mir kommen
selbst zuweilen Tränen in die Augen.« -- »Ich hab's Euer Gnaden wohl
angemerkt,« versetzte Trim, »und darum schäme ich mich auch nicht
davor. Wenn man aber, mit Euer Gnaden Respekt,« fuhr Trim fort, wobei
sich eine Träne in seinen Augenwinkel drängte, als er sprach, »wenn
man aber an zwei so brave Jungen denkt, die ein so warmes und schönes
Herz hatten, wie sie nur je aus Gottes Backofen kommen können, so ganz
ehrlicher Leute Kinder, die so ganz in Gottes Namen in die weite Welt
gehen, sich in etwas zu versuchen, und müssen dann so in die Patsche
fallen! Armer Tom, so behandelt zu werden! Und in der Welt nichts getan
haben, als eine Judenwitwe gefreit, die Bratwürste verkaufte! Und des
armen Dick Johnsens Seele aus dem Leibe zu karbatschen, und das wegen
der Dukaten, die ein anderer Mann in seinen Rucksack gesteckt hatte! --
O, so was nenne ich Unglück,« rief Trim, und langte sein Taschentuch
hervor. »Unglück, Euer Gnaden, daß man seine blutigen Tränen darüber
weinen sollte.«

Meinem Vater trat die Schamröte ins Gesicht.

»Es wäre schade, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wenn Er jemals selbst
Not und Sorgen erleben sollte! Er beklagt andere Leute so gutherzig!«
-- »Ach lieber Gott!« versetzte der Korporal, und sein Gesicht heiterte
sich auf. »Euer Gnaden wissen ja, ich habe weder Weib noch Kind, ich
kann keine Not und Sorgen in dieser Welt haben.« -- Mein Vater mußte
lächeln. -- »So wenig, als ein Mensch haben kann, Trim,« erwiderte mein
Onkel Toby; »ich kann auch nicht absehen, was ein Mann von einem so
zufriedenen Herzen wie Er für Kummer leiden könnte; es sei denn Furcht
vor Armut in seinen alten Tagen. Wenn Er nicht mehr dienen kann, Trim,
wenn Ihm alle seine Freunde abgestorben sind --« -- »So arg wird's, mit
Euer Gnaden Wohlnehmen, nicht werden,« versetzte Trim. -- »Ich wollte
aber auch nicht, Trim, daß es so arg werden sollte,« erwiderte mein
Onkel Toby, »und eben deswegen,« fuhr er fort, wobei er die Krücke
niederwarf und sich auf seine Füße stellte, als er das Wort ~eben
deswegen~ aussprach, »soll Er, Trim, für seine vieljährige Treue
gegen mich und für sein gutes Herz, davon ich soviele Proben habe,
solange sein Herr noch einen Gulden im Vermögen hat, keinen anderen
Menschen um das geringste ansprechen.« Trim bestrebte sich, meinem
Onkel Toby zu danken, konnte aber nicht. Die Tränen liefen ihm häufiger
die Wangen hinunter, als er sie abwischen konnte. Er legte seine Hände
auf seine Brust, bückte sich bis auf die Erde und machte die Türe zu.

»Ich habe Trim meinen grünen Spielplatz vermacht,« rief mein Onkel
Toby. -- Mein Vater lächelte. -- »Ich habe ihm dazu jährlich ein
Gewisses verschrieben,« fuhr mein Onkel Toby fort. -- Mein Vater ward
ernsthaft.

                            [Illustration]




                      Zweiundvierzigstes Kapitel.


Ist dies wohl eine schickliche Zeit, sagte mein Vater zu sich selbst,
von Vermächtnissen und von Grenadieren zu sprechen?

                            [Illustration]




                      Dreiundvierzigstes Kapitel.


Als mein Onkel Toby zuerst des Grenadiers erwähnte, fiel mein Vater,
sagte ich, mit der Nase platt aufs Kissen, und das so schnell, als
ob ihn mein Onkel Toby erschossen hätte. Es wurde aber nicht dabei
gesagt, daß jedes andere Glied und Gelenk meines Vaters im selben
Augenblick mit seiner Nase wieder in die vorhin beschriebene Stellung
verfiel, so daß, als Trim hinausging und mein Vater Lust bekam, das
Bett zu verlassen, er alle die vorhergehenden kleinen Bewegungen
noch einmal durchlaufen mußte, ehe er's bewerkstelligen konnte. --
Stellungen sind nichts, Madame. In dem Übergange von einer Stellung
zur anderen, gleichwie man die Dissonanzen präpariert und hernach in
Konsonanzen auflöst, darin steckt alles.

Aus dieser Ursache pedalierte mein Vater von neuem sein Stückchen,
stieß den Kammertopf noch ein wenig weiter unter das Bett, tat sein
Hm! -- richtete sich auf seinen Ellenbogen in die Höhe und wollte eben
meinen Onkel Toby anreden, als er sich besann, wie schlecht es ihm
vorher in dieser Stellung gelungen sei. Er machte sich also auf die
Füße, und nachdem er dreimal auf und nieder gegangen war, blieb er vor
meinem Onkel Toby stehen. Und indem er den Vorderfinger seiner rechten
Hand in die flache Linke legte und sich ein wenig niederbeugte, redete
er meinen Onkel Toby folgendermaßen an:

                            [Illustration]




                      Vierundvierzigstes Kapitel.


»Wenn ich so meine Gedanken habe, Bruder Toby, über den Menschen, und
so diese Seite an ihm beschaue, die sein Leben so manchen Ursachen der
Mühseligkeit bloßstellt, -- wenn ich so bedenke, Bruder Toby, wie oft
wir das Jammerbrot essen, und daß wir dazu geboren sind, wie zu unserem
Erbschaftsteile.« -- »Ich ward zu nichts geboren,« sagte mein Onkel
Toby und fiel meinem Vater in die Rede, »als zu meiner Monatsgage.«
-- »Seht doch,« sagte mein Vater, »hat dir mein Onkel nicht jährlich
hundertundzwanzig Pistolen vermacht?« -- »Ja, wie hätte ich's sonst
machen sollen?« erwiderte mein Onkel Toby. -- »Das ist eine andere
Frage,« sagte mein Vater ein wenig mürrisch. »Aber ich sage, Toby, wenn
man so die Liste von Klitterschulden und täglichen Items durchläuft,
womit das Herz des Menschen belastet und beschwert ist, so muß man sich
wundern, durch was für heimliche Zuflüsse das Gemüt instand gesetzt
wird, es auszuhalten und noch die Auflagen so abzutragen, die unserer
Natur aufgebürdet sind.« -- »Durch Hilfe des allmächtigen Gottes,« rief
mein Onkel Toby mit gen Himmel gerichteten Augen und festgefalteten
Händen, »geschieht das. Nicht durch unsere eigene Kraft, Bruder
Walter. Eine Schildwache in einem hölzernen Schilderhäuschen könnte
ebensoleicht gegen ein Detachement von fünfzig Mann standhalten wollen.
Die Gnade und der Beistand des allerliebreichsten Wesens hält uns
aufrecht.« -- »Das heißt den Knoten zerhauen,« sagte mein Vater, »und
nicht auflösen. Aber erlaube mir, Bruder, daß ich dich ein wenig tiefer
ins Geheimnis einführe.«

»Gern, gern,« erwiderte mein Onkel Toby.

Mein Vater änderte alsobald die Stellung, in der er war, in die
Stellung, in der Raffael in seiner Athenienser Schule den Sokrates
so vortrefflich dargestellt hat. In welcher Stellung, wie Euer
Kennerschaft wissen, sogar die eigentümliche Lehrart des Sokrates
ausgedrückt liegt. Denn er hält den Zeigefinger seiner linken Hand
zwischen dem Zeigefinger und Daumen seiner Rechten, und scheint zu dem
Gauche, den er zurechtweisen will, zu sagen: »Das räumst du mir ein und
dies und dies, und das frage ich nicht einmal, weil's natürlich von
selbst folgt.«

So stand mein Vater, hielt den einen Zeigefinger zwischen dem anderen
Zeigefinger und Daumen, und philosophierte mit meinem Onkel Toby, der
auf dem alten Tapetenstuhle saß, der mit abgebleichten, verwitterten
Fransen besetzt war. -- O Garrick, was würdest du mit deiner Kunst
hieraus für einen reichhaltigen Auftritt machen! Und wie gerne schrieb
ich noch so einen, um mich an deine Unsterblichkeit zu schmiegen und
mich dahinter der meinigen zu versichern.

                            [Illustration]




                      Fünfundvierzigstes Kapitel.


»Obgleich der Mensch das herrlichste Fuhrwerk von allen ist,« sagte
mein Vater, »so ist's gleichwohl dabei so leicht gebaut und so wackelnd
gefügt, daß die harten Püffe und Stöße, die es in dieser höckerigen
Fahrt des Lebens ausstehen muß, jeden Tag es wohl zwölfmal umwerfen und
in Stücke bröckeln würden, hätten wir nicht, mein lieber Toby, eine
geheime Stahlfeder in uns.« -- »Das muß wohl, meine ich,« sagte mein
Onkel Toby, »nichts anderes sein als die Religion.« -- »Will die meines
Kindes Nase ansetzen?« rief mein Vater, indem er den Finger losließ
und eine Hand gegen die andere schlug. -- »Sie macht alles eben und
schlicht,« antwortete mein Onkel Toby. -- »Das mag figürlich recht wohl
sein, mein guter Toby,« sagte mein Vater. »Die Stahlfeder aber, von der
ich spreche, ist diejenige große und elastische Kraft in unserem Wesen,
den Übeln entgegenzuwirken, die wie eine verborgen angebrachte Feder in
einem gutgemachten Wagen zwar nicht den Stoß abwendet, aber doch macht,
daß wir ihn weniger fühlen.«

»Und siehe nun, mein lieber Bruder,« sagte mein Vater, und faßte
seinen Zeigefinger wieder, als er näher zur Hauptsache kam. »Wäre mein
Kind ganz und gut zur Welt gekommen, dann wäre es nicht an seinem
köstlichsten Gliede ein Märtyrer geworden. Siehe, so ein Grillenfänger
und Sonderling ich der Welt in meiner Meinung über die Taufnamen auch
immer scheinen mag, so ist doch der Himmel mein Zeuge, daß ich in der
Ergießung der heißesten Wünsche für die Wohlfahrt meines Kindes nie
gewünscht habe, sein Haupt mit mehr Ruhm und Ehre zu krönen, als womit
Georg und Eduard es bekränzen könnten.

Aber nun, leider,« fuhr mein Vater fort, »da ihm das größte Unglück
überkommen ist, muß ich dem entgegenwirken und es durch das größte
Glück aufheben.

Er soll ~Trismegistus~ getauft werden, Bruder.«

»Daß es gut anschlage, wünsche ich!« versetzte mein Onkel Toby und
stand dabei auf.

                            [Illustration]




                     Sechsundvierzigstes Kapitel.


»Was für ein Kapitel von Glückschancen,« sagte mein Vater, wobei er auf
dem ersten Treppenabsatze sich umkehrte, als er mit meinem Onkel Toby
hinuntergehen wollte. »Was für ein Kapitel von Chancen zeigen uns nicht
die Begebnisse dieser Welt. Nimm Feder und Tinte, Bruder Toby, und
kalkuliere einmal richtig.« -- »Ich weiß soviel von der Kalkulation als
das Geländer da!« Er schlug dabei mit der Krücke darauf, die glitt aber
ab und versetzte meinem Vater einen derben Schlag vors Schienbein. »Es
war hundert gegen eins!« rief mein Onkel Toby. -- »Ich meinte,« sagte
mein Vater und rieb sich das Schienbein, »ich meinte, du wüßtest nichts
von Kalkulationen, Bruder Toby.« -- »Ich kann nichts dafür, es ist ein
Zufall.« -- »So ist das Kapitel um eins vermehrt,« versetzte mein
Vater.

Die zweifache Gelegenheit, da mein Vater eine witzige Antwort anbringen
konnte, vertrieb ihm auf einmal die Schmerzen aus dem Schienbein. Es
war ein Glück. -- Schon wieder eine Chance. -- Sonst wüßte die Welt
bis auf den heutigen Tag noch nicht, was mein Vater kalkuliert haben
wollte. Es zu erraten, dafür war keine einzige Chance. -- Was für ein
glückliches Kapitel von Chancen dieses geworden ist! Dadurch habe ich
die Mühe, ausdrücklich eins darüber zu schreiben, und wahrhaftig, ich
habe ohnedies schon alle Hände voll zu tun.

»Nimm Feder und Tinte zur Hand, und kalkuliere genau, Bruder Toby,«
sagte mein Vater. »Und es wird herauskommen wie eine Million zu eins,
daß der Rand des Forceps so unglücklicherweise unter allen Gliedern
des Körpers gerade auf das eine fallen und es niederdrücken mußte, das
zugleich das Glück unserer Familie mit unterdrückt.«

»Es hätte ärger werden können,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Das sehe
ich nicht ein,« sagte mein Vater. -- »Wenn das Kind verkehrt gelegen
hätte, was meinst du,« sagte mein Onkel Toby, »wie sich's Doktor Slop
entfallen ließ!«

Mein Vater dachte eine halbe Minute nach, sah auf die Erde, legte
seinen Finger locker an seine Stirn:

»Wahr!« sagte er.

                            [Illustration]




                     Siebenundvierzigstes Kapitel.


Ist's nicht eine Schande, zwei Kapitel aus dem zu machen, was vorging,
unterdessen man die Treppe hinunterstieg? Denn weiter als bis zum
ersten Treppenstuhle sind wir noch nicht gekommen und haben noch
fünfzehn Stufen bis ganz hinunter. Und nach meines Vaters und meines
Onkels Toby Gesprächigkeit zu urteilen, kann's noch ebensoviel Kapitel
geben wie Stufen. Lassen Sie's gehen, mein Herr, ich kann ebensowenig
dafür als für meinen Tod. Da kommt mir's auf einmal vor, als gäbe mir's
einer ein: Laß den Vorhang fallen, Shandy. Ich ließ ihn fallen. Zieh
eine Querlinie über dein Papier, Tristram! Ratsch! da steht sie -- und
heida! zu einem neuen Kapitel.

Kein Lineal habe ich, nach dem ich mich in diesem Geschäfte richte. Und
hätte ich eins, da ich lieber alles aus freier Faust tue, ich bräche es
lieber vor den Knien in Stücke und würfe es ins Feuer. Werde ich warm?
Ja, ich werde es, und die Ursache läßt es nicht anders zu. Seht doch!
Soll sich der Mann nach Regeln und Linealen richten, oder sie nach ihm?

                            [Illustration]




                      Achtundvierzigstes Kapitel.


»Wir wollen noch alles wieder in Ordnung bringen,« sagte mein Vater,
als er den Fuß auf den ersten Tritt vom Treppenabsatz setzte. »Dieser
Trismegistus,« fuhr mein Vater fort, indem er das Bein wieder zurückzog
und sich zu meinem Onkel Toby wandte, »war das größte, Toby, von allen
irdischen Wesen. Er war der größte König, der größte Gesetzgeber, der
größte Philosoph, und der größte Priester.« »Und Ingenieur!« sagte mein
Onkel Toby.

»Versteht sich,« sagte mein Vater.

                            [Illustration]




                      Neunundvierzigstes Kapitel.


»Was macht Ihre Wochenbetterin?« Schrie mein Vater, der abermal den
Schritt vom Treppenabsatz heruntertat und Susanna anrief, die er eben
unten an der Stiege mit einem großen Nadelkissen vorbeigehen sah. »Was
macht Ihre Wochenbetterin?« -- »Recht gut, nach den Umständen,« sagte
Susanna im Vorbeigehen, ohne heraufzusehen. -- »Was für ein Tor ich
bin!« sagte mein Vater, der sein Bein abermals zurückzog. »Laß das
Befinden sein, wie es will, Bruder Toby, so ist das die ewige Antwort.
Und wie ist's mit dem Kinde? Keine Antwort. Und wo ist Herr Doktor
Slop?« fuhr mein Vater fort, mit lauterer Stimme, und sah dabei übers
Geländer. Fort war Susanna.

»Unter allen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte mein Vater und ging
über den Treppenabsatz, um sich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen,
derweile er meinem Onkel Toby die Sache vortrug. »Unter allen den
verworrenen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte er, »davon man, du
kannst dich auf meine Erfahrung verlassen, Bruder Toby, davon man
mehr Esel bepacken könnte, als Hiobs ganze Herde Esel ausmachte, ist
keins so schwer zu lösen als dieses, daß, Sobald die Frau des Hauses
in die Wochen gekommen, jedes Weibsbild im Hause, von Madame ihrem
Kammermädchen an bis auf das geringste Scheuermädchen, einen Zoll höher
wächst, und sich dieses einzigen Zolls wegen mehr in die Brust wirft
als aller ihrer übrigen Zölle wegen zusammengenommen.«

»Ich denke vielmehr,« antwortete mein Onkel Toby, »daß wir es sind,
die einen Zoll einschrumpfen. Wenn ich nur einer schwangeren Frau
ansichtig werde! -- Es ist eine schwere Last, die dieser Hälfte unserer
Mitgeschöpfe aufgelegt ist, Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby.
»'s ist wohl eine klägliche Bürde,« fuhr er fort, und schüttelte den
Kopf. -- »Ja, ja, 's ist eine mühselige Sache,« sagte mein Vater, und
schüttelte seinen Kopf gleichfalls. Aber seitdem das Kopfschütteln Mode
gewesen ist, schüttelten nie zugleich zwei Köpfe konzertmäßig zusammen
aus so verschiedenen Ursachen.

  »Gott bewahre    }
  »Der Henker hole } sie alle,«

sagten mein Onkel Toby und mein Vater zugleich bei sich.

                            [Illustration]




                         Fünfzigstes Kapitel.


Holla! -- guter Freund, Lastträger! Da hat Er drei Groschen, geh' Er
doch nach jenem Buchladen und hole Er mir einen handfesten Kritiker
her. Ich will gerne einem jeden von ihnen einen Gulden geben, wenn er
mir mit seinen kritischen Seiten und Winden helfen will, meinen Vater
und meinen Onkel Toby die Treppe herunter und zu Bette zu bringen.

Es ist die höchste Zeit; denn außer dem kleinen Nicker, den sie taten,
derweile Trim die Steifstiefel bohrte, und wovon, nebenher gesagt,
mein Vater keinen Nutzen hatte, wegen der bösen Türangel, haben sie
seit neun Stunden vor der Zeit, da Doktor Slop von Obadiah in die
Hinterstube geführt ward, kein Auge zugetan.

Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben ein so geschäftsvoller Tag
sein und soviel Zeit wegnehmen, wahrhaftig: so --

Ich will die Periode nicht ausschreiben, bis ich eine Bemerkung über
den sonderbaren Zustand der Sache, zwischen dem Leser und mir selbst,
so wie gerade jetzt die Sachen stehen, gemacht habe. Eine Bemerkung,
die noch niemals auf einen biographischen Schriftsteller, solange die
Welt steht, gepaßt hat, und, wie ich glaube, auf niemand anderes wird
anwendbar werden, bis zu ihrem letzten Untergange, außer auf mich.
Und deshalb, schon der Neuheit wegen, wird solche Euer Wohlgeboren
Aufmerksamkeit wert sein.

Ich bin diesen Monat ein ganzes Jahr älter als heute vor zwölf Monaten,
und da ich, wie Sie sehen, schon fast bis auf die Hälfte meines Buches
gelangt bin -- und noch nicht weiter als bis auf den ersten Tag meines
Lebens gekommen bin, so ist es demonstrativ klar, daß ich schon jetzt
dreihundertvierundsechzig Tage mehr zu schreiben habe als ich zuerst
begann, daß ich, anstatt, wie ein gewöhnlicher Schriftsteller getan,
mit dem, was ich daran getan, weiterzukommen vielmehr gerade soviel
Bände zurückgekommen bin. Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben
ein so geschäftiger Tag sein, wie dieser? -- Und warum nicht? -- Warum
sollten sie kürzer abgefertigt werden? Da ich auf diese Weise gerade
dreihundertvierundsechzig Tage geschwinder lebte, als ich schreibe, so
muß, mit Euer Wohlgeboren Erlaubnis, daraus folgen, daß ich, je mehr
ich zu schreiben haben werde, und folglich, je mehr Euer Wohlgeboren
lesen, je mehr werden Euer Wohlgeboren zu lesen haben.

Wird dies zuträglich sein für Euer Wohlgeboren Augen?

Für meine wenigstens, und, sollten mir meine Meinungen nicht den Hals
kosten, so seh' ich schon, werde ich von diesem meinem Leben ein
hübsches Leben führen, oder, mit andern Worten, ich werde ein paar
hübsche Leben zugleich führen.

Der Vorschlag, jedes Jahr zwölf Bände, oder jeden Monat einen zu
geben, verändert meine Aussicht gar nicht. -- Laß mich schreiben, wie
ich mag und wie ich will, nach Horazens Rat, mitten in meine Materie
hineinfallen, ich werde mich niemals einholen. Trotz alles Treibens und
Peitschens, wenn auch das Ärgste zum Argen kommen sollte, habe ich doch
immer einen Tag vor meiner Feder voraus. -- Ein Tag ist genug für zwei
Bände, und zwei Bände werden genug sein für ein Jahr.

Der Himmel gebe nur seinen Segen zur Papiermacherei unter dieser
glückverkündenden Regierung, die für uns angefangen hat. Wie ich das
Vertrauen habe, er werde alles übrige segnen, was darunter vorgenommen
wird.

Die Vernehmung der Gänse -- o, die macht mir keinen Kummer -- die Natur
ist immer gütig. An Werkzeug zum Schreiben wird mir's nie gebrechen.

So, also, guter Freund, haben Sie meinen Vater und meinen Onkel
Toby die Treppen herunter und zu Bette gebracht? Und wie haben Sie
das zustande gebracht? Sie ließen unten vor der Treppe einen Vorhang
fallen. -- Ich dachte gleich, daß es nicht anders gehen würde. Da haben
Sie einen Gulden für Ihre Mühe.

                            [Illustration]




                      Einundfünfzigstes Kapitel.


»So gebe Sie mir meine Beinkleider vom Stuhle her,« sagte mein Vater zu
Susanna. »Sie haben keinen Augenblick Zeit, sich anzukleiden, Herr,«
sagte Susanna. »Das Kind ist so schwarz im Gesichte, wie mein --« »Wie
Ihr, was?« sagte mein Vater. Denn wie alle Rhetoriker, war er ein
sorgfältiger Untersucher der Gleichnisse. »O, Himmel, Herr, das Kind
hat die Bangigkeit.« -- »Und wo ist Herr Yorick?« »Ist nirgends zu
finden,« sagte Susanna, »aber sein Kaplan ist im Besuchzimmer und hat's
Kind schon auf dem Arme, und wartet auf den Namen. Und Madame sagte
mir, ich sollte geschwind laufen und fragen, weil doch Herr Kapitän
Shandy Gevatter ist, ob's nicht nach ihm heißen sollte.«

»Wenn man gewiß wüßte,« sagte mein Vater zu sich selbst und strich die
Augenbrauen, »daß das Kind nicht aufkäme, täte man gut, dem Bruder Toby
das Kompliment zu machen. 's wäre in dem Fall schade, einen so großen
Namen wie Trismegistus daran zu verschwenden. Aber es kann besser
werden.« --

»Nein, nein,« sagte mein Vater zu Susanna, »ich will aufstehen.« --
»'s ist keine Zeit,« schrie Susanna, »das Kind ist so schwarz wie mein
Schuh.« -- »Trismegistus,« sagte mein Vater. »Aber warte Sie, Sie ist
ein durchlöchertes Sieb, Susanna,« setzte mein Vater hinzu. »Kann Sie
wohl Tris-me-gi-stus in Ihrem Kopfe über die Galerie tragen, ohne
etwas davon zu verlieren.« -- »Das dächt' ich!« rief Susanna, und
schlug mit aufgeworfener Nase die Tür zu. »Ich will mich hängen lassen,
wenn ich's denke,« sagte mein Vater, und sprang im Finstern aus dem
Bette und suchte nach seinen Beinkleidern.

Susanna rannte eilig über die Galerie.

Mein Vater tat, was er konnte, seine Beinkleider zu finden.

Susanna gewann den Vorsprung und behielt ihn. »'s ist Tris -- oder
so was,« rief Susanna. »Es ist kein anderer christlicher Name in der
Welt,« sagte der Kaplan, »der mit Tris anfängt, als Tristram.« »Ja, ja.
Tristram-gi-stus,« sagte Susanna.

»'s ist nichts zu gistussen dabei,« sagte der Kaplan, »'s ist mein
eigener Name,« und fuhr dabei mit der Hand ins Taufbecken. »Tristram!«
sagte er, »ich -- usw.« So ward ich Tristram getauft, und Tristram
werde ich wohl heißen bis an mein seliges Ende.

Mein Vater folgte der Susanna, mit dem Schlafrocke über dem Arme und
mit nichts weiter am Leibe als seinen Beinkleidern, die, der Eile
wegen, nur mit einem Knopf zugeknöpft waren. Und dieser Knopf saß, der
Eile wegen, nur halb in seinem Knopfloche.

»Sie hat doch den Namen nicht vergessen?« schrie mein Vater, als er die
Tür nur erst halb geöffnet hatte. -- »Nein, nein,« sagte der Kaplan,
mit einem schlauen Tone. -- »Und das Kind ist besser,« rief Susanna.
-- »Und was macht Ihre Wöchnerin?« -- »Recht gut, nach den Umständen,«
sagte Susanna. -- »Pitsch!« sagte mein Vater, und der Hosenknopf sprang
aus dem Knopfloche. So daß, ob das Pitsch auf die Susanna oder auf das
Knopfloch ging, ob es eine Interjektion der Verachtung oder der Scham
war, im Zweifel ist und so lange im Zweifel bleiben wird, bis ich Zeit
gewinne.

Alles Licht, was ich für jetzt dem Leser geben kann, besteht darin, daß
mein Vater in dem Augenblick, da er pitsch! sagte, sich herumdrehte,
mit der einen Hand seine Beinkleider in die Höhe hielt und mit dem
Schlafrock auf dem anderen Arme wieder über die Galerie hin nach seinem
Bette ging, etwas langsamer, als er gekommen war.

                            [Illustration]




                      Zweiundfünfzigstes Kapitel.


»Wenn's meine Frau nur wagen will, Bruder Toby, so sollen sie
Trismegistus anziehen und zu uns herunterbringen, derweile du und ich
unseren Tee trinken. -- Geh Er, Obadiah, und sage Er Susanna, sie soll
hierherkommen.«

»Sie ist eben hinaufgerannt,« antwortete Obadiah, »und seufzt und heult
und ringt die Hände, als ob ihr das Herz in Stücke springen wollte.« --

»Das werden hübsche sechs Wochen werden,« sagte mein Vater, wendete
sich von Obadiah weg und sah meinem Onkel Toby einige Zeit steif ins
Gesicht. »Hübsche sechs Wochen werden wir erleben, Bruder Tob,« sagte
mein Vater und stemmte seine Arme in die Seiten. »Feuer, Wasser,
Weiber, Wind -- Bruder Toby!« -- »'s ist wieder ein Unglück,« sagte
mein Onkel Toby. »Das ist's,« sagte mein Vater. »So viele widersinnige
Elemente, die losbrechen und in jedem Winkel dieses Hauses im Triumph
herumfahren. Es fruchtet der Ruhe einer Familie sehr wenig, Bruder
Toby, daß du und ich über uns selbst Meister sind und hier still und
ruhig sitzen, derweile solch ein Sturm über unseren Häuptern pfeift.«

»Und was hat Sie denn zu winseln, Susanna?« -- »Sie haben das
Kind Tristram getauft -- und meine Madame hat darüber eben einen
hysterischen Anfall gehabt. -- Nein, ich kann nichts dafür,« sagte
Susanna, »ich hab's ihm recht gesagt, Tristramgistus.«

»Mache nur Tee für dich alleine, Bruder Toby,« sagte mein Vater und
nahm seinen Hut von der Wand. Wie verschieden aber von Aufwallungen und
Bewegungen, die sich ein gewöhnlicher Leser dabei vorstellen möchte!

Er sprach in der sanftesten Modulation und nahm den Hut mit der
gelindesten Bewegung seines Armes herab, die nur jemals die Betrübnis
mit der Harmonie zusammenbrachte.

»Geh Er nach dem Spielplatze und rufe Er Trim,« sagte mein Onkel Toby
zu Obadiah, sobald mein Vater das Zimmer verließ.

                            [Illustration]




                      Dreiundfünfzigstes Kapitel.


Als das Unglück mit meiner Nase so schwer auf meines Vaters Haupt fiel,
wie sich der Leser erinnert, ging er flugs treppauf und warf sich
über sein Bette. Hieraus, oder er müßte eine tiefe Einsicht in die
menschliche Natur haben, wird er geneigt sein, eine Reihe ebensolcher
steigender und fallender Bewegungen über das Unglück mit meinem Namen
von ihm zu erwarten. Nichts!

Das verschiedene Gewicht, mein teurer Herr. Ja was, Gewicht? Das
verschiedene Gepäck zweier Widerwärtigkeiten, von einer -- macht schon
eine himmelweite Verschiedenheit in unserer Art und Weise, wie wir
solche aufnehmen und tragen. Noch keine halbe Stunde ist es her, daß
ich -- in der großen Eile und Hast eines armen Teufels, der ums liebe
tägliche Brot schreibt -- einen druckfertigen Bogen, den ich eben
sorgfältig rein abgeschrieben hatte, anstatt der Kladde patsch ins
Feuer warf.

Stracks riß ich mir die Perücke ab und warf sie mit aller möglichen
Gewalt gerade auf den Balken. Ich fing sie zwar im Herunterfallen
wieder auf. Aber damit war's auch vorbei, und denke ich auch nicht,
daß sonst etwas in der Natur mir eine so unmittelbare Erleichterung
verschafft hätte. Sie, die teure Göttin, treibt uns durch eine
plötzliche Anwandlung, in allen aufreizenden Fällen, zu einem Ausfalle
mit diesem oder jenem Gliede. Oder sie wirft uns an diesen oder jenen
Platz oder an diese oder jene Stellung des Körpers. Wir wissen nicht,
wie? Merken Sie aber, Madame, wir sind von Geheimnissen und Rätseln
umringt. Die einfachsten Dinge, die uns umgeben, haben ihre dunklen
Seiten, die der Scharfsichtigste nicht durchschauen kann. Selbst der
hellste und größte Kopf unter uns befindet sich fast bei jedem Riß im
Werke der Natur in Verlegenheit und weiß nicht, was er daraus machen
soll. Dieses so gut wie tausend andere Dinge fallen auf eine solche Art
für uns aus, von der wir zwar die Ursache nicht ergründen, von der wir
aber, mit Euer Hochwürden und Euer Wohlgeboren Genehmigung den Nutzen
ziehen können. Und das ist genug für uns.

Nun konnte mein Vater sich ums Leben mit dieser Betrübnis nicht
niederlegen, konnte sie auch nicht, wie die andere, die Treppen
hinauftragen. Er ging ganz gesetzt damit spazieren zum Fischteiche.

Hätte mein Vater den Kopf in die Hand gelegt, und eine Stunde darüber
nachgedacht, welchen Weg er nehmen müßte, die Vernunft mit aller ihrer
Stärke hätte ihm nichts Besseres anweisen können. Herr, es steckt so
etwas in den Fischteichen! Was es aber ist, das überlasse ich den
Systemschmieden und Fischteichgräbern untereinander ausfindig zu
machen. Für die erste aufwallende Leidenschaft ist ein Spaziergang
zum Fischteich etwas unbegreiflich Besänftigendes, daß ich mich oft
gewundert habe, wie weder Pythagoras, noch Plato, noch Solon, noch
Lykurg, noch Mohammed oder sonst einer der berühmten Gesetzgeber jemals
das geringste davon erwähnt haben.

                            [Illustration]




                      Vierundfünfzigstes Kapitel.


»Euer Gnaden,« sagte Trim und machte die Tür zu, ehe er zu reden
begann, »haben, glaube ich, von dem Unglück gehört, das vorgefallen
ist.« -- »O ja, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es geht mir sehr nahe.«
-- »Mir geht's auch recht nahe, ich hoffe aber, Euer Gnaden,« erwiderte
Trim, »kennen mich und wollen also nur nicht glauben, daß ich die
geringste Schuld daran habe.« -- »Er, Trim?« rief mein Onkel Toby,
und sah ihm gütig ins Gesicht. »Susannens und des Kaplans Unverstand
ist's.« -- »Aber, Euer Gnaden, was konnten die miteinander im Garten zu
schaffen haben?« -- »Auf der Galerie, meint Er, Trim,« erwiderte mein
Onkel Toby.

Trim merkte, daß er auf einer falschen Fährte sei und brach mit
einem tiefen Bückling kurz ab. Zwei Unglücke, sagte der Korporal bei
sich selbst, sind mindestens zweimal soviel, als für eine Nachricht
erforderlich ist. Das Unheil, das die Kuh in unseren Fortifikationen
angerichtet hat, kann ich dem gnädigen Herrn schon hernach erzählen.
Trims listige Kasuisterei unter dem Deckmantel seines tiefen Bücklings
kam allem Argwohn meines Onkels Toby zuvor, der also mit dem, was er
Trim zu sagen hatte, fortfuhr:

»Ich für mein Teil, Trim, sehe wenig oder gar keinen Unterschied
dabei, ob mein Neffe Tristram oder Trismegistus heißt. Da aber die
Sache meinem Bruder so sehr zu Herzen geht, Trim, so wollte ich noch
gerne hundert Louisdor aus meiner Tasche drum geben, daß es nicht
geschehen wäre.« -- »Hundert Louisdor, Euer Gnaden!« erwiderte Trim.
-- »Ich würde nicht einen Heller für diese Taufe geben.« -- »Ich gäbe
auch nichts drum, Trim, wenn's nur auf mich ankäme,« sagte mein Onkel
Toby. »Aber mein Bruder, der sich darüber nichts singen noch Sagen
läßt, behauptet, daß an dem Taufnamen viel mehr gelegen ist, als
Ungelehrte wohl meinen! Denn er sagt, solange die Welt steht, hätte
noch kein Mann, der Tristram geheißen, eine große oder heldenmäßige Tat
ausgerichtet. Ja, wenn's nach ihm geht, Trim, so kann ein Mensch weder
gelehrt sein, noch weise, noch tapfer, der nicht --« »'s ist nichts
dran, mit Euer Gnaden Wohlnehmen. -- Ich focht ebensogut,« versetzte
der Korporal, »als ich im Regimente Trim hieß, als da sie mich Jakob
Butler hießen.« -- »Was mich anbelangt, ob ich mich gleich vor Eigenlob
schämen würde, Trim, aber hätte ich auch Alexander geheißen, ich hätte
doch bei Namur nicht mehr tun können als meine Pflicht.« -- »Gott ehre
mir Euer Gnaden,« schrie Trim, und avancierte bei den Worten drei
Schritte. »Denkt ein Mann wohl an seinen Taufnamen, wenn er ins Treffen
geht?« -- »Oder, Trim, wenn er in den Laufgräben steht?« schrie mein
Onkel Toby mit standhaftem Blick. -- »Oder wenn er auf eine Bresche
losmarschiert?« sagte Trim und drang zwischen zwei Stühle. -- »Oder
die Linien verstärkt?« schrie mein Onkel Toby, wobei er aufstand und
seine Krücke fällte, wie eine Picke. »Oder dem feindlichen Pluto in das
Weiße im Auge sieht,« rief Trim, indem er mit seinem Stocke einen Hieb
ausführte. »Oder wenn er einen Wall hinaufmarschiert,« rief mein Onkel
Toby, wobei er erhitzt aussah und seinen Fuß auf den Stuhl setzte.

                            [Illustration]




                      Fünfundfünfzigstes Kapitel.


Mein Vater war von seinem Spaziergange nach dem Fischteiche
zurückgekommen und öffnete die Türe des Zimmers, gerade in der größten
Hitze des Angriffs, als eben mein Onkel Toby den Wall hinanmarschierte
und Trim wieder laden wollte. In seinem Leben war mein Onkel Toby noch
auf keinem so verzweifelten Galopp überrascht worden. O, lieber Onkel
Toby! hätte nicht eine wichtigere Sache alle bare Beredsamkeit meines
Vaters erheischt -- wie lahm und jämmerlich würdest du mit deinem armen
Steckenpferde davongekommen sein.

Mein Vater hing seinen Hut mit ebender Miene wieder auf, mit der er
ihn vom Nagel genommen hatte. Und als er einen flüchtigen Blick auf
die Unordnung im Zimmer getan hatte, nahm er einen von den Stühlen,
aus denen der Korporal eine Bresche gemacht hatte, setzte ihn meinem
Onkel Toby gegenüber, ließ sich darauf nieder, und sobald das Teezeug
weggenommen und die Türe zugemacht war, brach er in ein Klagelied aus,
wie folgt:


                      ~Klagelied meines Vaters~.

»Es ist hinfort umsonst,« sagte mein Vater und wendete sich ebensogut
an des Ernulphus Fluchbuch, das auf einer Ecke des Kamingesimses lag,
als an meinen Onkel Toby, der darunter saß, mit der mürrischsten
Eintönigkeit, die sich erdenken läßt, »gegen diese bitterste von allen
menschlichen Überzeugungen zu kämpfen, wie ich bisher getan. -- Ich
seh' es klar, mag sein wegen einer meiner Sünden, Bruder Toby, oder
wegen der Sünden und Torheiten des Geschlechts der Shandys, daß der
Himmel für gut gefunden hat, mit seiner schwersten Artillerie gegen
mich auszurücken, und daß die Wohlfahrt meines Kindes das Zentrum ist,
auf welches sie mit aller ihrer Macht hinzielt.« -- »So was kann einem
die ganze Weit um die Ohren herumschleudern, Bruder Walther!« sagte
mein Onkel Toby. -- »Wär' es. -- Unglücklicher Tristram! Kind des
Zorns! Kind welker Lenden! der Unterbrechung! des Mißverständnisses!
des Mißvergnügens! Was ist für ein einziges Unheil oder Unglück in dem
Buche embryonischer Übel, das deinen Bau aus seinen Fugen bringen oder
deine Fibern verwirren konnte, das nicht auf deinen Kopf gefallen
wäre, noch ehe du einmal in die Welt gekommen. Was für Übel auf deinen
Weg -- was für Übel nachher! -- Gezeugt in den abnehmenden Tagen
deines Vaters, da schon das Siegel seiner Geister und seines Körpers
anfing stumpf zu werden, da Lebenswärme und Lebenssäfte, Elemente,
welche die deinigen hätten stählen sollen, schon im Verfliegen waren,
und nichts übrigblieb, wodurch dein Keim zu stärken, als Negationen
-- 's ist nicht sonderlich erklecklich, Bruder Toby. Wie ist uns der
Paß verhauen! Du weißt, wie's zugegangen ist, Bruder Toby. 's ist zu
melancholisch, es hier zu wiederholen, wie die wenigen Lebensgeister,
die ich noch in der Welt besaß, und mit welchen Gedächtnis, Phantasie,
Genie und Fähigkeiten hätten hinbegleitet werden sollen: wie sie auf
einmal auseinandergestöbert, verblüfft, verjagt, verschlagen und zu
allem Henker gehetzt wurden. --

»Aber was war das alles, mein lieber Toby, gegen den Schaden und
Nachteil, der uns dadurch zugefügt ist, daß das Kind mit dem Kopfe
zuerst auf die Welt gekommen ist. Alles, was ich bei der allgemeinen
Verwüstung seiner Bildung wünschte, war, diesen kleinen Verstandskasten
unversehrt und ganz zu erhalten. --

»Was für einen Purzelbaum hat, bei aller meiner Vorsicht, mein
System mit dem Kinde schon im Mutterleibe machen müssen. Sein Kopf
mußte der Hand der Gewalttätigkeit herhalten und einem Drucke von
vierhundertsiebzig schweren Pfund, so ganz senkrecht auf seinen
Scheitel -- daß es noch neunzig Prozent Assekuranz steht, ob das feine
Netzwerk des Verstandgewebes nicht in tausend Fetzen zerrissen und
zerschlissen ist.

»Noch wäre ihm zu helfen gewesen! Narr, Geck, Laffe, man gebe ihm nur
eine Nase; Krüppel, Zwerg, Greiferbart, Tölpel -- laß ihn gebildet
sein, wie er will --, das Glückspförtchen steht offen.

»Aber noch, Bruder Toby, war nach alle diesem ein Wurf mit dem Würfel
für unser Kind übrig. -- O Tristram! Tristram! Tristram!«

»Wir wollen zum Herrn Yorick schicken,« sagte mein Onkel Toby.

»Schicke zu wem du willst!« erwiderte mein Vater.

                            [Illustration]




                     Sechsundfünfzigstes Kapitel.


»Sagen Sie, kann dem Dinge noch Wandel geschaffen werden, Yorick?«
sagte mein Vater, »denn nach meiner Meinung,« fuhr er fort, »geht's
nicht.« -- »Ich verstehe mich wenig aufs geistliche Recht,« erwiderte
Yorick. »Weil ich aber unter allen Übeln die Ungewißheit für das
quälendste halte, so müssen wir doch wenigstens zu wissen bekommen,
ob es auch das ärgste ist.« -- »Ich hasse die großen Mahlzeiten,«
sagte mein Vater. -- »Auf die Größe der Mahlzeit kommt's hier nicht
an,« antwortete Yorick. »Wir wollen ja nur, Herr Shandy, auf den Grund
der Sache kommen, ob sich der Name umtauschen läßt. Und da die Bärte
so mancher Kommissarien, Konsistorialen, Advokaten, Deputierten,
Registratoren und der geschicktesten unserer Schultheologen nebst
anderen morgen sich an einem Tische versammeln werden, und Didius Sie
so dringend eingeladen hat, wer wollte wohl in Ihrer Verlegenheit eine
so schöne Gelegenheit versäumen? Es wird nichts weiter nötig sein, als
daß wir Didius benachrichtigen, und daß er nach Tische das Gespräch auf
die Materie bringe.« -- »So soll,« sagte mein Vater und schlug beide
Hände zusammen, »mein Bruder Toby mit uns gehen.«

»Laß Er meine alte Knotenperücke,« sagte mein Onkel Toby, »und
meine gestickte Montierung die ganze Nacht am Feuer hangen, Trim.«

                            [Illustration]




                      Achtundfünfzigstes Kapitel.


Sie haben ganz recht, Herr, hier fehlt ein ganzes Kapitel, und daraus
entsteht in dem Buche eine Lücke von zehn Seiten. Und doch ist der
Buchbinder weder ein Dummkopf, noch ein Schelm, noch ein Tölpel. Auch
ist das Buch um keinen Tüttel unvollkommener -- dadurch wenigstens
nicht! Vielmehr ist das Buch dadurch, daß das Kapitel fehlt, besser und
vollkommener, als wenn's da wäre, wie ich solches Euer Hochwürden auf
folgende Weise demonstriere. -- Nebenbei möchte es eine Frage sein, ob
nicht der Versuch eben so glücklich mit verschiedenen anderen Kapiteln
angestellt werden könnte. Aber wie Euer Hochwürden zugeben werden, das
Versuchanstellen über Kapitel geht ins Unendliche. Wir haben schon
genug davon, und so mag's hierbei beruhen.

Allein bevor ich meine Demonstration beginne, lassen Sie mich Ihnen
nur noch sagen: das Kapitel, welches ich ausgerissen habe und an
welchem Sie sonst, statt diesem, eben gelegen haben würden, war die
Beschreibung des Rittes meines Vaters, meines Onkel Tobys, Trims und
Obadiahs zu der Visitation zu ***.

»Wir wollen in der Kutsche hinfahren,« sagte mein Vater. »Hör' Er,
ist das Wappen geändert, Obadiah?« -- Es würde meiner Erzählung viel
Vorteil getan haben, wenn ich es damit angefangen hätte, Ihnen zu
sagen, daß damals, als meiner Mutter Wappen zu dem Shandyschen gefügt
und die Kutsche bei meines Vaters Verheiratung von neuem angemalt ward,
es sich so gefügt hatte, daß der Kutschenmaler, es sei nun, daß er
alles mit der linken Hand gemacht hatte wie Turpilius, der Römer, oder
Hans Holbein von Basel, oder daß der Fehler mehr an seinem Kopfe als
an seiner Hand lag, oder war's gar der unglückliche, schiefe Gang,
welchen alles, was unsere Familie betraf, zu nehmen geneigt war. Genug,
es fügte sich so zu unserer Kränkung, daß anstatt des Bandes, welches
wir seit Heinrichs +VIII.+ Zeiten mit Ehren führten, durch eine
von diesen Fatalitäten ein Riemen quer durch das ganze Schild des
Shandyschen Wappens gezogen wurde. Kaum sollte man es glauben, daß das
Gemüt eines so vernünftigen Mannes wie mein Vater war, sich soviel aus
einer solchen Kleinigkeit machen könne. Der Name Kutsche -- gleichviel
wessen -- oder Kutscher, oder Kutschpferd, oder Kutscherlohn konnte
niemals in seiner Gegenwart ausgesprochen werden, ohne daß er sich über
dieses schändliche Malzeichen der Seitenabkunft auf seinen Kutschtüren
beklagte. Er konnte niemals ein- oder aussteigen, er mußte erst die
Wappen begucken. Er tat dann allemal ein Gelübde, das sollte doch das
letztemal sein, daß er seinen Fuß hineinsetzte, bis aus dem Riemen ein
Band gemacht würde. Aber es ging eben wie mit dem Türknarren. Es war
eins von den vielen Dingen, von denen auf den Tafeln des Verhängnisses
geschrieben war: es sollte immer vom Ändern und Bessern gesprochen, und
-- wie in weiseren Familien als der unserigen -- nie was daraus werden.

»Hat der Maler das Wappen an der Kutsche übergebürstet? sage ich,«
sagte mein Vater. -- »Die Kutsche inwendig und die Sitzkissen habe
ich rein ausgebürstet,« antwortete Obadiah, »der Maler hat nichts
gebürstet.« -- »Wir wollen reiten,« sagte mein Vater zu Yorick. -- »Von
allen Dingen in der Welt, die Politik ausgenommen, ist die Heraldik den
Geistlichen am wenigsten bekannt,« sagte Yorick. -- »Das tut nichts,«
sagte mein Vater. »Ich möchte doch nicht gerne mit einer solchen Sau
in meinem Wappenschilde aufziehen.« -- »Was ist's denn, ob der breite
Strich rechts oder links durchs Schild geht,« sagte mein Onkel Toby. --
»Wenn dir Band oder Riemen gleich ist, so kannst du mit Tante Dinah
und dem Riemen im Wappen zu der Visitation fahren, wenn du Lust hast.«
--

Mein armer Onkel Toby wurde rot im Gesicht. Mein Vater ärgerte sich
über sich selbst. »Nein, mein lieber Bruder Toby,« sagte mein Vater
und änderte den Ton. »Sieh nur, wenn ich lange auf den dumpfigen
Kutschpolstern säße, da könnte ich wieder das Hüftweh an den Hals
bekommen wie vorigen Dezember, Januar und Februar. Tue mir's also zum
Gefallen und reite meiner Frau ihr Pferd. Und da Sie doch predigen
sollen, lieber Yorick, so tun Sie wohl am besten, daß Sie vorausreiten
und mich mit meinem Bruder Toby langsam nachfolgen lassen.«

Das Kapitel nun, das ich gezwungen war, auszureißen, war die
Beschreibung dieser Kavalkade, bei welcher Korporal Trim und Kutscher
Obadiah auf zwei Kutschpferden in einem Gliede langsam als Patrouille
voranritten, derweile mein Onkel Toby in seiner gestickten Montierung
und Knotenperücke mit meinem Vater Rang und Reihe hielt in tiefen Wegen
und Untersuchungen über den Vorzug der Lehr- und Wehrkunst, die die
Oberhand gewinnen könnte.

Das Gemälde dieser Reise, da ich sie wieder ansehe, hebt sich so weit
über den Stil und die Manier alles übrigen, was ich vermochte in
diesem Buche zu malen, daß es nicht darin bleiben konnte, ohne jeden
anderen Auftritt zu verdunkeln und das nötige Ebenmaß -- im Guten oder
Schlechten -- zwischen Kapitel und Kapitel zu stören, aus dem die
richtige und harmonische Proportion eines ganzen Werkes entsteht. Ich
selbst habe freilich das Handwerk noch nicht lange getrieben, um laut
mitzusprechen. Aber, so meine ich, ein Buch schreiben ist in der Welt
nichts weiter, als einen Gesang so vor sich hin in den Bart singen. --
Wenn Sie nur in der Melodie bleiben, Madame, Sie mögen hoch oder tief
anfangen.

Das ist, wenn Euer Hochwürden nicht ungütig vermerken wollen, die
Ursache, warum einige der flachsten und schlechtesten Werke (mein Onkel
Toby horchte bei dem Worte Werke schon hoch auf, ob nicht mehr von
Fortifikationen vorkommen würde, als ihm Yorick eines Abends dieses
sagte) so guten Abgang finden.

                            [Illustration]




                      Neunundfünfzigstes Kapitel.


»Seht nur, schneidet er's nicht in lauter Fidibusse und teilt's herum,
die Pfeifen damit anzuzünden!« -- »Es ist schändlich,« antwortete
Didius. -- »Das sollte ihm nicht so frei hingehen,« sagte Doktor
Kysarcius, einer von den Kysarciis aus den Niederlanden.

»Mich dünkt,« sagte Didius, wobei er halb vom Stuhle aufstand, um eine
große Kanne und eine kleine Weinflasche wegzurücken, die in gerader
Linie zwischen ihm und Yorick standen, »diesen satirischen Streich
hätten Sie hier wohl unterlassen, Herr Yorick, und an einem anderen
Orte, bei einer schicklicheren Gelegenheit wenigstens, ihre Verachtung
über unsere abgelegte Verrichtung anbringen mögen. Wenn die Predigt
nicht mehr wert ist, als die Pfeife damit anzuzünden, mein Herr, so war
sie gewiß nicht gut genug, vor einer so gelehrten Versammlung gehalten
zu werden. Und war sie gut genug, vor einer so gekehrten Versammlung
gehalten zu werden, mein Herr, so war sie gewiß zu gut, daß Sie hernach
Ihre Pfeifen damit anzünden.«

Ich habe ihn, sagte Didius bei sich selbst, in der Klemme. An einem der
Gründe muß er hängen bleiben. Laß ihn sehen, wie er sich loshilft.

»Die Geburt dieser Predigt,« sagte Yorick, »hat mir so unsägliche
Schmerzen gekostet, daß ich Ihnen beteuere, Herr Didius, lieber will
ich -- und womöglich mein Gaul mit mir -- tausendmal die Märtyrerkrone
verdienen, als mich noch einmal hinsetzen und eine ähnliche machen. Ich
bin am verkehrten Ende davon entbunden. Sie ging mir vom Kopfe ab und
sollte vom Herzen kommen. Und wegen der Wehen, die sie mir sowohl beim
Aufschreiben wie beim Predigen gemacht hat, räche ich mich auf diese
Weise an ihr. Eine Predigt, die den Umfang unserer Belesenheit oder die
Feinheit unseres Witzes zeigen will vor den Augen des großen Haufens
mit seinem bißchen Gelehrsamkeit, die mit einigen schimmernden Worten,
die aber wenig Licht und noch weniger Wärme enthalten, überfirnißt
ist, einen Schacher treiben, das ist eine unredliche Verwendung der
armseligen, einzigen halben Stunde, die man uns wöchentlich einräumt.
Das heißt nicht das Evangelium, das heißt sich selbst predigen. Ich
meinesteils,« fuhr Yorick fort, »ich möchte lieber fünf Worte so
schußgerade ans Herz --« Als Yorick das Wort schußgerade aussprach,
stand mein Onkel Toby auf, um etwas über die Brustwehren zu sagen, als
ein einziges Wort, das sich an der anderen Seite des Tisches hören
ließ, aller Ohren auf sich zog. Ein Wort, das man unter allen im besten
Wörterbuche, am wenigsten an diesem Orte erwarten sollte. Ein Wort,
das ich mich schäme zu schreiben, aber geschrieben, gelesen werden
muß; illegal, paradox. Spekulieren Sie auf zehntausend Spekulationen,
in sich selbst multipliziert, recken und strecken Sie Ihre Einbildung,
soviel Sie wollen, Sie treffen es nicht. Kurz, im nächsten Kapitel will
ich's sagen.

                            [Illustration]




                         Sechzigstes Kapitel.


»Blitz!« -- -- -- -- -- -- -- --

       *       *       *       *       *

-- -- -- »B--tz!« rief Phutatorius halb leise, aber doch so laut, daß
es überall gehört wurde, und das Seltsame dabei war, daß es mit einer
Miene im Gesicht und mit einem Tone in der Stimme ausgesprochen wurde,
die etwas zwischen einem Erstaunen und einem körperlichen Schmerz
anzeigte.

Einer oder zwei, die sehr helle Ohren hatten, und das verschmolzene
Verhältnis der beiden Töne ebenso deutlich unterscheiden konnten wie
eine Terzie oder Quinte oder jeden anderen Klang in der Musik, wußten
am allerwenigsten, was sie daraus machen sollten. Der Akkord an sich
war gut, gehörte aber zu einer weitentlegenen Tonart. Kurz, mit aller
ihrer Gelehrsamkeit saßen sie da!

Andere, welche nichts von musikalischen Verhältnissen wußten und bloß
ihr Ohr auf den Sinn des Wortes wendeten, dachten, Phutatorius, der ein
wenig cholerischen Temperaments war, wollte Didius das Schwert aus der
Hand nehmen, um Yorick tüchtig eins auf die Krone zu geben. Und das
verzweifelte Wörtlein B--tz wäre die Einleitung zu einer Rede, die eine
unsanfte Behandlung ankündigte, so daß meines Onkels Toby gutes Herz
schon Angst für ihn hatte, was der arme Yorick nicht würde aushalten
müssen. Als man aber sah, daß Phutatorius schwieg, ohne Lust zu zeigen
oder einen Versuch zu machen fortzufahren, so fing eine dritte Partie
an zu glauben, daß es nichts weiter gewesen sei als ein unfreiwilliges
Atemschöpfen, so ganz von selbst und von ungefähr in einem Bettelfluch
zusammengefahren wäre, ohne die Eigenschaft oder Sünde desselben zu
haben.

Andere, und besonders einer oder zwei, welche dicht bei ihm saßen,
betrachteten es hingegen als einen wirklichen und wesentlichen Fluch,
der mit Fleiß und Bedacht gegen Yorick ausgestoßen worden, gegen den er
bekanntermaßen nicht gut gesinnt war. Welch besagter Fluch, nach meines
Vaters Schlüssen darüber, schon in dem Augenblicke ganz geprickelt
und prall in Herrn Phutatorius' Gallenblase obenauf geschwommen, und
also natürlicherweise und nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge bei
dem ersten Zurückfluß des Blutes hervorgerufen werden mußte, der in
Phutatorius' rechter Herzkammer durch den überraschenden Stoß, den eine
so sonderbare Predigertheorie ihm beibrachte, entstand.

Wie witzig wir doch über mißverstandene Begebnisse philosophieren
können!

Es war keine Seele, die sich nicht in ihren Gedanken über das
einsilbige Wort, das dem Phutatorius entfahren, beschäftigte, die es
nicht für bekannt annahm und daraus als aus einem Vordersatz folgerte:
daß nämlich Phutatorius in seinen Gedanken mit dem Zwist beschäftigt
sei, der zwischen Didius und Yorick entstanden. Und freilich, da er
erst den einen und dann den anderen mit der Miene eines Mannes ansah,
der darauf achtet, was in der Gesellschaft vorgeht, so hatte man nicht
anders denken können. In der Tat aber wußte Phutatorius kein Wort von
allem, was vorging. Seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit waren
gänzlich auf das gerichtet, was eben in dem Augenblicke in der Gegend
seiner Pluderhosen, und zwar an einer Stelle in denselben vorging,
die er vor bösen Zufällen zu bewachen die höchste Ursache hatte.
Deswegen, obgleich er das aufmerksamste Gesicht von der Welt machte
und allmählich jeden Nerv und jeden Muskel in seinem Gericht so scharf
angezogen hatte, wie das Instrument es nur aushalten wollte, um, wie
man dafür hielt, dem Yorick, der ihm gegenübersaß, eine derbe Antwort
zu versetzen, so war doch, wie ich sage, kein Yorick in irgendeinem von
den Gemächern von Phutatorius' Gehirn anzutreffen. Die wahre Ursache
seiner Ausrufung lag wenigstens etliche Fuß tiefer.

Ich will mich bemühen, Ihnen dieses mit aller ersinnlichen Züchtigkeit
zu erklären.

Sie müssen sich also berichten lassen, daß Gastripheres, der kurz
vorher, ehe man sich zu Tische setzte, ein wenig in die Küche ging,
um zu sehen, wie es darin stände, auf der Anrichtebank einen Korb
mit schönen Kastanien erblickte und befohlen hatte, daß sie ein paar
hundert davon braten und solche gleich zum Nachtisch heiß aufsetzen
sollten. Gastripheres gab seinem Befehle dadurch noch einen größeren
Nachdruck, daß er sagte, Didius und besonders Phutatorius wären
Liebhaber davon.

Ungefähr zwei Minuten vorher, ehe mein Onkel Toby Yoricks Rede
unterbrach, wurden Gastripheres Kastanien hereingebracht. Und da es dem
Aufwärter noch im frischen Andenken war, daß Phutatorius sie so gerne
möchte, so setzte er solche dicht vor ihm hin, auf einem Teller in
einem sauberen, damastnen Tellertuch.

Lag es nun an der physischen Unmöglichkeit, daß nicht ein halbes
Dutzend Hände zugleich in das Tellertuch fahren konnten, ohne daß
die eine oder die andere Kastanie, von mehr Feuer und Rinde als die
übrigen, in Bewegung geriet, oder -- kurz, so war's: eine rollte über
den Tisch und herunter. Und da Phutatorius mit auseinandergesperrten
Knien daruntersaß, so fiel solche senkrecht in die ganz eigene Öffnung
in Phutatorius' Beinkleidern, für welche ich, zur Schande unserer
Sprache oder auch meines Gedächtnisses sei es gesagt, kein keusches
Wort finden kann. Sie müssen sich damit begnügen, wenn ich sage, es war
die ganz eigene Öffnung, welche, den strengen Wohlstandsgesetzen in
allen hübschen Gesellschaften zufolge, gleich dem Tempel des Janus --
in Friedenszeiten wenigstens -- völlig geschlossen sein sollen.

Die Verabsäumung dieser Vorsicht -- welches zugleich dem Phutatorius
und allen Menschenkindern eine Warnung sein mag -- hatte dem Zufall
eine Pforte geöffnet.

Alles, was mir als Geschichtschreiber obliegt, ist, das Begebnis
darzustellen und es dem Leser glaublich zu machen, daß der Hiatus in
Phutatorius' Beinkleidern geräumig genug war, die Kastanie aufzunehmen,
und daß die Kastanie auf eine oder die andere Weise senkrecht und
zischend heiß hineinfiel, ohne daß Phutatorius oder sonst jemand es
gewahr wurde.

Die natürliche Wärme, die die Kastanie verbreitete, war die ersten
zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden nicht unangenehm und tat weiter
nichts, als Phutatorius' Aufmerksamkeit auf die Stelle zu richten.
Wie aber die Hitze gradweise zunahm und in einigen Sekunden mehr über
den Punkt der angenehmen Empfindungen hinausging und darauf mit aller
Eile in das Gebiet der Schmerzen drang, tummelte sich Phutatorius'
Seele mit allen seinen Ideen, seinen Gedanken, einer Aufmerksamkeit,
seiner Imagination, seinem Verstande, seinen Entschließungen, seinen
Überlegungen, seinem Urteile, seinem Gedächtnisse, seiner Phantasie,
mit zehn Bataillonen Lebensgeistern über Hals und Kopf durch
verschiedene Wege und Steige hinunter nach dem Orte, dem die Gefahr
drohte, und ließen alle seine oberen Plätze, wie Sie sich vorstellen
können, so leer, wie mein Geldbeutel ist.

Nach den besten Berichten, die ihm alle diese Boten zurückzubringen
vermochten, war Phutatorius nicht imstande, das Geheimnis einzusehen,
das unten vorging. Er hatte keine Art von Vermutung, was zum Henker es
wohl sein möchte. Indessen, da er nicht wußte, wie die wahre Ursache
ausfallen möchte, hielt er es für das klügste, es womöglich wie ein
Stoiker zu ertragen, was er auch mit Hilfe einiger Zuckungen im Gesicht
und einigem Maulspitzen glücklich durchgesetzt hätte, wenn nur seine
Einbildung aus dem Spiele geblieben wäre. -- Aber bei Dingen von
dieser Art ist die Brunst der Einbildung unbezähmlich; es hob sich
plötzlich ein Gedanke in seinem Gemüt, daß, obgleich es einem Schmerz
von glühender Hitze ähnlich sei, es dennoch ebensogut ein Biß wie ein
Brand sein könnte, und wenn dem so, auch wohl eine Eidechse oder Otter
oder ein anderes häßliches Ungeziefer heraufgekrochen sein könnte, das
seine Zähne -- der gräßliche Gedanke daran und ein frischer Schmerz,
den ihm in diesem Augenblick die Kastanie verursachte, überfielen
Phutatorius mit einem plötzlichen Schrecken, und in der ersten
Überrumpelung und Bestürzung brachte es ihn -- wie es wohl den besten
Generälen auf der Welt ergangen ist -- gänzlich aus seiner Fassung.
Die Wirkung davon war, daß er gleich aufsprang, und im Aufspringen
stieß er die Silbe aus, über die schon soviel gesprochen ist, mit dem
Ausrufungszeichen dahinter, das, obgleich nicht so völlig geistig
anständig, doch immer noch so wenig war, wie nur ein Mensch bei
solcher Gelegenheit sagen konnte, und das auch, nebenbei bemerkt --
geistig wohlanständig oder nicht -- Phutatorius ebensowenig wie die
Veranlassung desselben in seiner Gewalt hatte.

Obgleich dies nun beim Erzählen einige Zeit weggenommen hat, so
dauerte doch der ganze Vorgang selbst wenig mehr Zeit, als Phutatorius
brauchte, die Kastanie hervorzulangen und solche mit Heftigkeit auf den
Fußboden zu werfen, -- und Yorick von seinem Stuhle aufzustehen und die
Kastanie aufzuheben.

Es ist der Mühe wert, zu bemerken, was für mächtigen Einfluß
geringfügige Umstände auf das Gemüt haben, von was für einem
unglaublichen Gewicht sie bei der Bildung und Richtung unserer
Meinungen sowohl von Menschen als Sachen sind, -- daß Kleinigkeiten, so
leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele führen und ihn darin so
tief einpflanzen können, daß keine Batterie von Demonstrationen stark
genug ist, ihn herauszukanonieren.

Yorick, sagte ich, nahm die Kastanie auf, die Phutatorius im Zorn
niedergeworfen hatte. Die Tat war unerheblich; ich schäme mich, Grund
und Ursache davon anzugeben. Er tat es aus keiner anderen Ursache, als
weil er dachte, die Kastanie sei trotz der Begebenheit noch ebenso
gut als vorher, und eine gute Kastanie sei immer des Aufnehmens wert.
Dieser Umstand aber, so geringfügig er war, wirkte in Phutatorius' Kopf
ganz anders. Er betrachtete Yoricks Handlung, da er vom Stuhle aufstand
und die Kastanie aufnahm, als ein deutliches Geständnis seinerseits,
daß die Kastanie eigentlich ihm gehöre, und folglich, daß es der Eigner
der Kastanie und sonst niemand gewesen sein müßte, der ihm damit einen
solchen Possen gespielt habe. Was ihn in dieser Meinung sehr bestärkte,
war dies: die Tafel war länglich und sehr schmal, und Yorick, der dem
Phutatorius gerade gegenübersaß, hatte die schönste Gelegenheit, die
Kastanie hineinzustecken --, folglich mußte er es getan haben. Ein mehr
als bloß argwöhnischer Blick, den Phutatorius jetzt auf Yorick warf,
zeigte diese Meinung zu klar an. Da man natürlicherweise voraussetzte,
daß Phutatorius mehr von der Sache wüßte als sonst jemand, so
wurde seine Meinung die allgemeine, und aus einer von allen bisher
angeführten sehr verschiedenen Ursache hielt man es in kurzer Zeit für
völlig ausgemacht.

Dieses, wie der Leser von Anfang bis Ende gesehen hat, war so grundlos
wie die Träume der Philosophie. Yorick war freilich, wie Shakespeare
von seinem Urahnen sagte, ein Mann, der Kurzweil trieb; aber seine
Kurzweil war mit etwas vermischt, das ihn sowohl von diesem als manchen
anderen beleidigenden Possen abhielt, die man ihm unverdienterweise
aufpackte. Aber all sein Leben lang hatte er das Unglück, daß man ihm
tausend Dinge zur Last legte, die er gesagt oder getan haben sollte,
deren seine Natur -- oder meine Hochachtung blendet mich -- unfähig
war. Alles, was ich an ihm tadle, oder vielmehr, weswegen ich ihn
bald tadle, bald liebe, war seine eigene Gemütsart, die ihm niemals
gestattete, sich Mühe zu geben, der Welt aus ihrem Traume zu helfen,
so sehr es auch in seiner Gewalt stand. Bei jeder üblen Nachrede von
der Art machte er's gerade eben so, wie bei der Geschichte mit seinem
mageren Klepper. Er hätte es zu seiner Ehre an den Tag legen können,
aber sein Sinn war darüber erhaben. Überdem sah er auf den Erfinder,
Verbreiter und gläubigen Hörer solcher boshaften und ehrenrührigen
Sagereien verächtlich herab. Er konnte sich nicht so tief herablassen,
ihnen seine Geschichte zu erzählen, und so erwartete er's von der Zeit
und Wahrheit, daß die es für ihn tun würden.

Diese heroische Gesinnung zog ihm mancherlei Unbequemlichkeiten zu.
Bei der gegenwärtigen Geschichte folgte darauf eine rachsüchtige
Feindschaft des Phutatorius, der, wie Yorick eben mit seiner Kastanie
fertig war, zum zweiten Male vom Stuhle aufstand, um es ihm zu
verstehen zu geben, welches er freilich nur mit einem Lächeln tat und
den Worten, er wolle darauf bedacht sein, ihm die Gefälligkeit nicht zu
vergessen. Allein, Sie müssen zwei Dinge sorgfältig unterscheiden und
in Ihrem Herzen bewahren.

Das Lächeln galt der Gesellschaft.

Die Drohung galt Yorick.

                            [Illustration]




                      Einundsechzigstes Kapitel.


»Ja,« sagte Didius, indem er aufstand und seine rechte Hand mit
ausgespreizten Fingern auf seine Brust legte, wäre ein solches Versehen
mit dem Taufnamen vor der Reformation gemacht -- es war vorgestern, da
es gemacht wurde, sagte mein Onkel Toby bei sich selbst --, da noch der
Taufaktus in Latein gehalten ward -- nein, 's war in der Muttersprache,
sagte mein Onkel --, so hatte vielerlei Irrtum dabei vorgehen können;
nach dem Beispiele verschiedener dekretierter Fälle hätte dann die
Taufe für null und nichtig erklärt und die Macht erteilt werden können,
dem Kinde einen neuen Namen zu geben. Hätte zum Beispiel ein Priester,
was wegen der Unwissenheit in der lateinischen Sprache so unerhört eben
nicht war, Hans Graubarts Kind getauft: +in nomino patriæ et filia et
spiritum sanctos+, so wäre die Taufe für ungültig gehalten worden.«
-- »Um Vergebung,« erwiderte Kysarcius, »in dem Falle wäre, da der
Fehler nur in den Endungen steckte, die Taufe gültig geblieben. Um sie
ungültig zu machen, hätte der Fehler des Priesters auf die erste Silbe
eines jeden Namens fallen müssen, und nicht wie in Ihrem Beispiele, auf
die letzte.«

Mein Vater fand seines Herzens Freude an dergleichen Subtilitäten und
hörte mit unendlicher Aufmerksamkeit zu.

»Gastripheres zum Beispiel,« fuhr Kysarcius fort, »tauft Hans
Strodlings Kind +in Gomine gatris etc. etc.+ anstatt +in
Nomine patris+ usw., heißt das eine Taufe? -- Nein, sagen die
geschicktesten Kanonisten, um so weniger, weil die Wurzeln eines jeden
Wortes aufgerissen und ihr Sinn auf einen entfernten und ganz andern
Gegenstand verpflanzt worden. Denn +Gomine+ heißt ebensowenig
im Namen, als +gatris+ eines Vaters.« -- »Was heißen sie denn?«
sagte mein Onkel Toby. -- »Gar nichts,« sagte Yorick. »Ergo,« sagte
Kysarcius, »ist eine solche Taufe ungültig.« -- »Was zu beweisen war,«
antwortete Yorick in einem Tone von zwei Teilen Scherz und einem Teile
Ernst.

»In dem angeführten Falle aber,« fuhr Kysarcius fort, »wo +patrim+
statt +patris+, +filia+ statt +filii+ usw. gesagt wird,
ist das nur ein Fehler in der Endung, und die Wurzeln der Worte sind
unangetastet, und ihre Äste, hierhin oder dorthin, können die Taufe
nicht ungültig machen. Um so weniger als in den Worten derselbe Sinn
bleibt wie vorher. -- Und davon, mein lieber Herr Amtsbruder Didius,
haben wir einen ähnlichen Fall in einem Dekrete der Dekretalien
des Papstes Leo +III.+« -- »Meines Bruders Kind,« rief mein
Onkel Toby, »hat aber nichts mit dem Papste zu schaffen. Es ist ja
erwiesenermaßen das Kind eines protestantischen Mannes, das man
Tristram getauft hat gegen Wunsch und Willen seines Vaters, seiner
Mutter und aller übrigen Blutsverwandten.«

»Wenn nur der Wunsch und Wille,« sagte Kysarcius und fiel meinem Onkel
Toby in die Rede, »derer ein Gewicht haben soll, die mit Herrn Shandys
Kind in Blutsverwandtschaft stehen, so kommt Madame Shandy unter allen
Menschen doch dabei am wenigsten in Betracht.« Mein Onkel Toby legte
seine Pfeife nieder, und mein Vater rückte mit seinem Stuhle noch näher
an den Tisch, um das Ende einer so seltsamen Einleitung zu hören.

»Es ist nicht nur, mein Herr Kapitän Shandy, unter den besten
Rechtslehrern und Advokaten des Landes,« fuhr Kysarcius fort,
»die Frage aufgeworfen worden, ~ob die Mutter mit ihrem Kinde
in Blutsverwandtschaft steht~, sondern sie ist wirklich nach
vielen unparteiischen Untersuchungen und Hin- und Widerreden darüber
verneinend entschieden, nämlich ~daß die Mutter keine Blutsverwandte
ihres Kindes sei~.«

Mein Vater legte den Augenblick seine Hand auf meines Onkels Toby
Mund, unter dem Scheine, als ob er ihm etwas ins Ohr flüsterte. In der
Tat aber, weil er sein Maultier fürchtete. Und da er herzlich Lust
hatte, über einen so hübschen Vorwurf noch mehr zu hören, so bat er
meinen Onkel Toby, er möchte sie ihm doch um's Himmels willen nicht
verderben. Mein Onkel Toby nickte mit dem Kopfe und begnügte sich
damit, daß er seinen Regimentsmarsch in Gedanken pfiff. Kysarcius,
Didius und Triptolemius fuhren mit dem Gespräch fort.

»Diese Entscheidung,« sprach Kysarcius weiter, »so sehr sie auch gegen
den Strom der allgemeinen Meinung anzuschwimmen scheinen mag, hat
dennoch die Vernunft sehr auf ihrer Seite und ist durch den berühmten
Rechtsfall, der nach dem Herzog von Suffolk genannt wird, außer allen
Zweifel gesetzt werden.« -- »Brook führte ihn an,« sagte Triptolemius.
-- »Und Lord Coke erwähnt seiner gleichfalls,« fügte Didius hinzu. --
»Sie können ihn auch im Swimburn, von den Testamenten, finden,« sagte
Kysarcius.

»Der Rechtshandel, Herr Shandy, war dieser:

Unter der Regierung Eduards +VI.+ machte Karl, Herzog von Suffolk,
der aus dem zweiten Bette einen Sohn und aus dem ersten eine Tochter
hatte, sein Testament, darin er seine Güter dem Sohn vermachte, und
starb darauf. Nach ihm starb der Sohn gleichfalls, aber ohne Testament,
ohne Weib und ohne Kind. -- Seine Mutter und seine Schwester von
Vatersseite -- denn sie war aus der ersten Ehe --, überlebten ihn. Die
Mutter übernahm die Administration von ihres Sohnes Gütern, zufolge des
einundzwanzigsten Artikels der Statuten Heinrichs +VIII.+, in dem
es heißt: ›Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, so
soll die Administration seiner Güter der Person anheimfallen, die mit
ihm im nächsten Grade der Blutsverwandtschaft steht‹.

Da also die Administration der Mutter zugestanden worden, machte die
Schwester von väterlicher Seite vor dem geistlichen Gerichte eine
Klage anhängig, worin sie anführte: 1. daß sie selbst die nächste
Blutsverwandte sei, und 2. daß die Mutter mit dem Erblasser in gar
keiner Blutsverwandtschaft stände. Daher bat sie das Gericht, daß
solches die der Mutter zugesprochene Administration widerrufen und ihr,
vigore des besagten Artikels, als nächster Blutsverwandten zugeurteilt
werden möge.

Hierüber wurden, weil es ein wichtiger Prozeß war, an dessen Ausgang
viel gelegen, und in der Folge mancher wichtiger Rechtshandel danach
entschieden werden möchte, die gelehrtesten Männer, sowohl in den
Rechten des engländischen Reichs als im Römischen Rechte konsultiert:
ob die Mutter eine Blutsverwandte ihres Kindes sei oder nicht.
Worüber dann nicht nur die weltlichen, sondern auch die geistlichen
Rechtslehrer, die +Juris consulti+, die +Juris prudentes+,
die Zivilsten, die Advokaten, die Kommissarien, die Richter der
Konsistorial- und Prärogativgerichte zu York und Canterbury nebst den
Doktoren und Lizentiaten alle einstimmig der Meinung waren: die Mutter
sei keine Blutsverwandte ihres Kindes.«

»Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu?« sagte mein Onkel Toby.

Das Unerwartete bei meines Onkels Toby Frage machte den Kysarcius
verwirrter, als der geschickteste Advokat hätte tun können. -- Er
schwieg eine völlige Minute und sah meinem Onkel Toby starr ins
Gesicht, ohne zu antworten. Und in der einzigen Minute warf ihn
Triptolemius hinter sich und führte den Reihen wie folgt:

[Illustration]

»In den Rechten ist es ein Grundsatz,« sagte Triptolemius, »daß die
Dinge darin nicht aufsteigen, sondern absteigen; und ich zweifle nicht,
daher muß es geleitet werden, daß, so wahr es ist, daß das Kind vom
Blute der Eltern sein mag, dennoch die Eltern nicht von seinem
Blute sind. Da die Eltern nicht von dem Kinde gezeuget werden, sondern
das Kind von den Eltern. Denn so steht geschrieben: +Liberi sunt de
sanguine Patris et Matris, sed Pater et Mater non sunt de sanguine
librorum.+«

»Das beweiset aber zuviel,« rief Didius, »denn nach dieser angeführten
Autorität würde nicht bloß das folgen, was in der Tat von allen Seiten
zugestanden wird, daß die Mutter keine Blutsverwandte ihres Kindes
ist, sondern der Vater ebensowenig.« -- »Es wird auch für die beste
Meinung gehalten,« sagte Triptolemius, »weil der Vater, die Mutter und
das Kind, ob es gleich drei Personen sind, nur -- +una caro+ --
ein Fleisch und folglich keinen Grad von Verwandtschaft ausmachen oder
~in der Natur~ erlangen können.« -- »Da treiben Sie Ihren Beweis
abermals zu weit,« rief Didius. »Denn in der Natur ist kein Verbot
wie im levitischen Gesetze, daß jemand mit seiner Großmutter ein Kind
haben könne.« -- »Das ist das +Argumentum commune+,« setzte Yorick
hinzu. -- »'s ist so gut,« sagte Eugenius, und nahm Seinen Hut in die
Hand, »wie Sie's verdienen.«

Die Gesellschaft brach auf.

                            [Illustration]




                      Zweiundsechzigstes Kapitel.


»Nun,« sagte mein Onkel Toby, der sich auf Herrn Yorick stützte,
welcher ihm mit meinem Vater gemächlich die Treppen hinunterhalf.
Erschrecken Sie nur nicht, Madame, dieses Treppengespräch ist nicht so
lang wie das vorige. -- »Nun, lieber Herr Yorick,« sagte mein Onkel
Toby, »auf welche Art ist denn endlich die Sache mit Tristram von
diesen gelehrten Männern entschieden?« -- »Sehr hinlänglich,« versetzte
Yorick. »Kein Sterblicher hat was damit zu schaffen, mein lieber Herr
Kapitän, denn Madame Shandy, die Mutter, ist nichts weniger als seine
Blutsverwandte. Und da doch die mütterliche Seite die sicherste ist,
so ist folglich Herr Shandy ihm noch weniger, als nicht. Kurz, er ist
nicht so nahe mit ihm verwandt, Herr, wie ich --«

»Das kann wohl sein,« sagte mein Vater mit Kopfschütteln.

»Laß die Gelehrten sagen, was sie wollen, es muß doch gewiß eine Art,«
sagte mein Onkel Toby, »von Blutsfreundschaft zwischen der Herzogin von
Suffolk und ihrem Sohne gewesen sein.« --

»Die Ungelehrten sind,« sagte Yorick, »noch bis auf diese Stunde
ebender Meinung.«

                            [Illustration]




                      Dreiundsechzigstes Kapitel.


Ob mein Vater gleich von den Subtilitäten dieser Unterredung mächtig
gekitzelt ward, so ging's doch damit wie mit der Salbe auf einem
gebrochenen Knochen. Sobald er zu Hause angekommen, fiel die Last
seiner Betrübnis desto schwerer auf ihn zurück. Wie's immer zu gehen
pflegt, wenn der Stab, worauf wir uns lehnten, ausweicht. Er geriet
ins Nachdenken, ging häufig nach dem Fischteiche, ließ eine Krempe
von seinem Hute nieder, seufzte öfters, fuhr niemand mehr hitzig an.
Und da die schnellen Anwandlungen des Zorns, die einen Menschen so
auffahren lassen, so sehr die Ausdünstung und Verdauung befördern, wie
Hippokrates sagt, so wäre er gewiß aus Mangel daran krank geworden,
wenn nicht noch eben zu rechter Zeit seine Gedanken davon abgekehrt und
seine Gesundheit durch einen frischen Troß von Unruhen erlöst worden
wäre, die ihm meine Tante Dinah mit einem Vermächtnis von fünf- bis
sechstausend Talern hinterließ.

Mein Vater hatte kaum den Brief gelesen, als er die Sache gleich beim
rechten Zipfel faßte und seinen Kopf ängstete und plagte, wie er's am
besten zur Ehre der Familie anlegen sollte. Wohl hundertundfünfzig
wundersame Projekte nisteten sich, eins nach dem andern, in sein
Gehirn. Er wollte dies tun und das -- und das andere. -- Er wollte nach
Rom, es dem Papste abprozessieren, wollte Aktien kaufen, John Hobson
sein Landgut abfeilschen, er wollte einen neuen Giebel vor seinem Hause
heraufziehen und einen neuen Flügel dranbauen. An dieser Seite des
Baches stand eine hübsche Wassermühle, und er wollte jenseits, gerade
gegenüber, eine Windmühle bauen, der hübschen Symmetrie wegen. Vor
allen Dingen aber in der Welt wollte er das große Ochsenmoor bestellen
und meinen Bruder Bobby auf Reisen schicken.

Da aber die Summe endlich war, und folglich nicht alles ausrichten
konnte und in der Tat sehr wenig von all diesem gehörig und gut, so
schienen von allen Projekten, die sich bei dieser Gelegenheit darboten,
die beiden letzten den tiefsten Eindruck zu machen. Er würde sich auch
gewiß zu beiden zugleich entschlossen haben, wenn's nicht der kleine,
eben erwähnte Umstand gehindert hätte, der ihn allerdings in die
Notwendigkeit versetzte, sich entweder für das eine oder das andere zu
erklären.

Dies war nicht so leicht geschehen; denn so gewiß es ist, daß mein
Vater schon längst sein Herz auf diesen wesentlichen Teil der Erziehung
meines Bruders eingestellt und wie ein kluger Mann beschlossen
hatte, ihn von dem ersten Gelde, das ihm von der zweiten Dividende
der Mississippiaktien einliefe, seine Reise antreten zu lassen, so
hatte doch das Ochsenmoor, ein hübscher, großer, brachliegender,
dem Shandyschen Gute zugehöriger Anger, fast ebenso alte Rechte und
Ansprüche. Er hatte schon lange und ernstlich darauf gesonnen, es unter
Pflug und Egge zu bringen.

Da ihn aber bisher noch kein solcher Zusammenfluß von Dingen gedrängt,
auszumachen, welches von beiden das älteste oder beste Recht hätte, so
hatte er sich wie ein weiser Mann enthalten, sich in eine kritische
Untersuchung darüber einzulassen. Dergestalt also, daß, nachdem alle
übrigen Projekte bei dieser Krise den Laufpaß erhalten, die beiden
alten, das Ochsenmoor und mein Bruder darüber wieder unter sich
stritten -- sie waren einander dergestalt gewachsen, daß sie manchen
nicht geringen Kampf im Kopfe des alten Herrn veranlaßten --, welches
zuerst in Gang gebracht werden sollte.

Die Leute haben gut lachen, die Sache war so:

Es war beständig in der Familie Brauch gewesen und war durch die
Verjährung gleichsam ein Recht geworden, daß der älteste Sohn, bevor er
heiratete, in fremde Gebiete freien Ein-, Aus- und Zugang haben mußte.
Nicht nur um durch die Leibesübung und häufige Veränderung der Luft
ein eigenes persönliches Gebiet zu verbessern, sondern auch zum reinen
Vergnügen seiner Phantasie. Daß man ihm, weil er sagen konnte, ich bin
gereist, eine bunte Feder mehr in den Schwanz setzte. -- +Tantum
valet+, pflegte mein Vater zu sagen, +quantum sonat+.

Da dieses nun ein vernünftiger und also ein allerchristlicher Brauch
war -- wenn man ihn ohne Warum und Weswegen aufsetzte -- und dadurch
das erste Exempel gegeben würde, daß ein Shandyscher Erbe nicht
in einer Postchaise durch Europa kutschiert worden, und zwar bloß
deswegen, weil er noch ein Knabe war, so hieß das ärger mit ihm
umspringen, als mit einem Heiden und Türken.

Auf der anderen Seite war der Fall des Ochsenmoores ebenso dringend.

Den ersten Kaufschilling nicht mitgerechnet, der achthundert Louisdor
betrug, hatte es der Familie schon vor fünfzehn Jahren noch andere
achthundert an Prozeßkosten gefressen. Der Himmel weiß, wie manchen
Ärger und Verdruß man dadurch hatte.

Überdem war es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein beständiges
Eigentumsstück der Shandyschen Familie, und ob es gleich groß und
breit vor dem Hause lag und man an einer Seite die Wassermühle sah und
an der anderen die projektierte Windmühle sehen sollte, von der oben
gesprochen worden -- und aus allen diesen Gründen das begründetste
Recht vor allen ändern Grundstücken auf die Pflege und Fürsorge der
Familie zu haben schien: -- so war es dennoch durch ein unbegreifliches
Schicksal, dem sowohl die Menschen, wie der Grund, den sie betreten,
unterworfen sind, -- die ganze Zeit her schändlich übersehen worden.
Es hatte, die Wahrheit zu gestehen, dadurch so sehr gelitten, daß dem
Manne, sagte Obadiah, der wüßte, was Land wäre, und darüber ritte
und sähe, in welchen kläglichen Umständen es läge, das Herz im Leibe
darüber bluten müßte.

Indessen, da weder der Ankauf dieses Grundstücks, noch seine Lage,
so gut sie auch war, meines Vaters Werk waren, so hatte er gemeint,
daß es ihn eigentlich nichts anginge. Bis vor fünfzehn Jahren der
oben erwähnte verdammte Grenzprozeß losbrach, der als meines Vaters
eigentümliche Tat und Handlung zugleich alle anderen Gründe zu seinem
Besten aufweckte. Nachdem er sie alle aufgezählt hatte, fand er, daß er
nicht nur des Nutzens, sondern auch der Ehre wegen verpflichtet sei,
etwas dafür zu tun, und daß es jetzt Zeit sei oder niemals.

Es muß ein Unglück dazu geschlagen sein, daß die Gründe auf beiden
Seiten so völlig gleichwiegend waren. Denn ob mein Vater sie
unter allen Umständen und in allerlei Gemütsverfassungen abwog --
manche kummervolle Stunde in sehr tiefen und abstrakten Gedanken
darüber hinbrachte, heute Bücher von der Landwirtschaft, morgen
Reisebeschreibungen las, alle Leidenschaften beiseitesetzte, die
Gründe auf beiden Seiten mit allen ihren Umständen beleuchtete,
täglich mit meinem Onkel Toby darüber Rat pflog, mit Yorick darüber
philosophierte und über die ganze Sache, das Ochsenmoor betreffend, mit
Obadiah sich besprach, so ergab sich doch in all der Zeit nichts, was
so stark für das eine sprach, das sich nicht auch ganz genau auf das
andere anwenden ließ, oder doch wenigstens durch eine oder die andere
Rücksicht, von gleichem Gewicht, die Schalen gleichschwebend hielt.

Soviel war unstreitig gewiß, wenn das Ochsenmoor in gute Hände geriet
und gehörig bearbeitet würde, so müßte es ein ganz anderes Ansehen in
der Welt haben, als es der Fall war oder in seiner jetzigen Verfassung
jemals tun konnte. Das war aber auch, Obadiah mochte sagen, was er
wollte, alles haarklein von meinem Bruder Bobby wahr.

In Ansehung des Einträglichen, gestehe ich, schien der Streit dem
ersten Augenblicke nach nicht so unentschieden unter den beiden; denn
so oft mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und sich darüber her
machte, zu berechnen, was die Ausgaben für Aufbrechen, Ausbrennen,
Einhägen usw. des Ochsenmoors betrügen, und dagegen den sicheren
Profit, den es ihm wieder bringen müßte, so war der letzte, auf die
Art, wie er das Exempel ansetzte, so unglaublich überwiegend, daß man
hätte schwören sollen, das Ochsenmoor müßte die Oberhand behalten.
Denn es war klar, er müßte gleich das erste Jahr über hundert Last
Rapssamen ziehen, die Last zu hundert Taler gerechnet. Hierauf das
zweite Jahr eine vortreffliche Weizenernte. Das Jahr darauf, um es
nur gering anzuschlagen, hundert, nach aller Wahrscheinlichkeit aber
hundertfünfzig, wo nicht zweihundert Wispel Bohnen und Erbsen, nicht
zu gedenken der unendlichen Menge Kartoffeln. -- Aber dann klopfte der
Gedanke, daß er derweile meinen Bruder auferzöge wie ein Schwein, das
sie fressen sollte, wieder in seinem Kopfe an und ließ den lieben
alten Herrn in solcher Unentschlossenheit, daß er, wie er oft meinem
Onkel Toby erklärte, ebensowenig wußte, was er tun sollte wie sein
Absatz.

Kein Mensch als er, der es gefühlt hat, kann sich vorstellen, was für
eine Not es ist, wenn ein Mann von zwei Projekten von gleicher Stärke
gezerrt wird, die ihn beide gleich hartnäckig in entgegenstehender
Richtung ziehen und reißen. Denn, nicht zu gedenken der Verwüstung,
die solches natürlicherweise in dem ganzen feineren Systeme der Nerven
anrichten muß, welche, wie Sie wissen, die Lebensgeister und subtileren
Säfte vom Herzen nach dem Haupte und so weiter führen: -- so ist es
nicht zu sagen, in was für einem hohen Grade ein so widersinniges
Reiben schon auf die gröberen und solideren Teile wirkt, indem es,
sooft es vorwärts geht oder rückwärts, allemal das Fett eines Mannes
schmilzt und seine Kräfte schwächt.

Mein Vater wäre diesem Übel erlegen, so gewiß als er dem mit meinem
Taufnamen erlag, wäre er nicht aus diesem eben so erlöset, wie aus
jenem: durch ein frisches Übel, das Unglück von meines Bruders Bobby
Tod.

Was ist des Menschen Leben! Ist's nicht bald hier, bald dort? Aus einer
Sorge in die andere? Eine Ursache des Verdrusses zugeknöpft, eine
andere wieder auf!

                            [Illustration]




                      Vierundsechzigstes Kapitel.


Als mein Vater den Brief empfing, der ihm die traurige Nachricht von
meines Bruders Bobby Tode gab, saß er eben über der Berechnung der
Kosten der Extrapost für ihn von Calais nach Paris und so weiter nach
Lyon.

Es war eine unglückliche Reise. Mein Vater mußte jeden Schritt noch
einmal durchreisen und seine Berechnung von vorne wieder anfangen, als
er bereits fast bis ans Ende gelangt war. Denn Obadiah machte die Türe
auf, ihm zu sagen, es sei keine Hefe mehr im Hause, und ihn zu fragen,
ob er nicht morgen früh das große Kutschpferd nehmen und hinreiten
sollte, welche zu holen. »Meinethalben, Obadiah,« sagte mein Vater und
ließ sich in seiner Reise nicht irremachen, »nehme Er das Kutschpferd
und damit gut!« -- »Aber es hat ein Eisen verloren, das arme Tier!«
sagte Obadiah. -- »Das arme Tier,« sagte mein Onkel Toby und
wiederholte die Schwingungen der Note wie eine rein gestimmte Saite. --
»So nehme Er den Schottländer,« sagte mein Vater hastig. -- »Der ist
so gedrückt, daß er um alles in der Welt keinen Sattel leiden kann,«
sagte Obadiah. -- »Mit dem Pferde ist auch immer was; so nehme Er den
Patrioten,« rief mein Vater, »und mache Er die Türe zu.« -- »Patriot
ist verkauft,« sagte Obadiah. -- »Da seh' mir einer!« schrie mein Vater
und machte eine Pause und sah meinem Onkel Toby ins Gesicht, als ob die
Sache sich nicht wirklich so verhalten könnte. -- »Euer Gnaden befahlen
mir ja im letzten April, daß ich ihn verkaufen sollte,« sagte Obadiah.
-- »Nun, so mag Er zu Fuß gehen,« rief mein Vater. -- »Ich gehe auch
lieber, als ich reite,« sagte Obadiah und machte die Türe zu.

»Was für ein Geplage!« schrie mein Vater und fuhr mit seiner Berechnung
fort. -- »Aber die Wege stehen unter Wasser,« sagte Obadiah und machte
die Türe wieder auf.

Bis auf diesen Augenblick hatte mein Vater mit einer Karte von Sanson
und einem Buche von den Postrassen vor sich seine Hand auf den Knauf
des Zirkels gehalten, mit einer Spitze auf Nevers, als die letzte
Station, welche er bezahlt hatte, -- in der Absicht, von da mit seiner
Reise und Berechnung weiterzugehen, sobald Obadiah aus der Türe wäre.
-- Dieser zweite Überfall von Obadiah aber, indem er die Türe öffnete
und das ganze Land unter Wasser setzte, war zu arg. -- Er ließ den
Zirkel fahren -- oder vielmehr er warf ihn mit einer vermischten
Bewegung von Zufall und Zorn auf den Tisch. Nunmehr blieb ihm nichts
weiter übrig, als -- wie manche andere -- eben so klug wieder nach
Calais zurückzugehen, wie er von dort abgereist war.

Als der Brief ins Zimmer gebracht wurde, welcher die Nachricht von
meines Bruders Tode enthielt, war mein Vater mit seiner Reise schon
abermals so weit gekommen, daß der Zirkel nur noch einen Schritt tun
durfte, so war er wieder auf der nämlichen Station zu Nevers. -- »Mit
Ihrer Erlaubnis, Herr Sanson,« drückte die Zirkelspitze durch Nevers
in den Tisch und nickte meinem Onkel Toby zu, um zu sehen, was der
Brief sagte. »Zweimal an einem Abend vor einem so lumpigen Städtchen
als Nevers wieder umzukehren, ist für einen englischen Herrn und seinen
Sohn zu viel, Herr Sanson. Ist's nicht wahr, Toby?« fügte mein Vater
mit einem scherzhaften Tone hinzu. -- »Es müßte denn eine Garnison
darin liegen,« sagte mein Onkel Toby. -- »Alsdann bin ich ein Geck,«
sagte mein Vater lächelnd und bei sich selbst, »solange ich lebe.«
-- Damit nickte er zum zweiten Male, und indem er seinen Zirkel auf
Nevers mit der einen und sein Buch von den Postrassen mit der anderen
Hand hielt, halb rechnend und halb zuhörend, lehnte er sich mit seinen
beiden Ellenbogen auf den Tisch. Mein Onkel Toby überlas leise den
Brief. -- -- -- -- -- --

       *       *       *       *       *

»Er ist abgereist,« sagte mein Onkel Toby. -- »Wohin, wer?« rief mein
Vater. -- »Mein Neffe,« sagte mein Onkel Toby. -- »Was, ohne Urlaub,
ohne Geld und ohne Wechsel? Ohne Hofmeister?« rief mein Vater mit
Erstaunen. -- »Nein, er ist gestorben, mein lieber Bruder,« sagte mein
Onkel Toby. -- »Und nicht krank gewesen?« schrie mein Vater wieder. --
»Das kann ich nicht sagen,« sagte mein Onkel Toby mit leiser Stimme und
holte dabei einen tiefen Seufzer aus dem Grunde seines Herzens. »Er
ist krank genug gewesen, armer Knabe, dafür bin ich Bürge, denn er ist
gestorben!«

Als der Agrippina der Tod ihres Sohnes bekannt gemacht wurde, erzählt
Tacitus, konnte sie die Heftigkeit ihres Schmerzes nicht mäßigen und
habe ihre Beschäftigung abgebrochen. -- Mein Vater steckte seinen
Zirkel noch fester in Nevers hinein. -- Was für Verschiedenheiten!
Seins war freilich ein Rechnungsgeschäft. Agrippinas muß ein ganz
anderes Geschäft gewesen sein, wie könnte man sonst Schlüsse aus der
Historie ziehen wollen?

Was mein Vater weiter tat, das verdient nach meiner Meinung ein eigenes
Kapitel.

                            [Illustration]




                      Fünfundsechzigstes Kapitel.


Und ein Kapitel soll es haben, und zwar ein Kapitel, das sich gewaschen
hat. -- Also nehmen Sie sich in acht!

Es ist entweder Plato oder Plutarch, oder Seneka oder Xenophon, oder
Epiktet oder Theophrast, oder Lucian -- oder jemand anders vielleicht
aus neueren Zeiten -- Cordan oder Buddeus, oder Petrach oder Stella --,
es kann auch wohl ein Gottesgelehrter oder Kirchenvater sein, welcher
behauptet, daß es ein unwiderstehlicher und natürlicher Hang ist, den
Verlust unserer Freunde oder Kinder zu beweinen. Seneka -- dies weiß
ich zuverlässig -- sagt uns irgendwo, daß dergleichen Betrübnisse sich
am besten durch diesen besonderen Kanal ausleeren. Demzufolge finden
wir, daß David um seinen Sohn Absalom weinte, Adrian um seinen Sohn
Antinous, Niobe um ihre Kinder, und daß Apollodorus und Krito beide um
Sokrates Tränen vergossen, bevor er starb.

Mein Vater behandelte seine Betrübnis auf eine andere Manier, und
zwar ganz verschieden von den meisten Menschen unter den Alten oder
Neueren; denn er weinte sie nicht etwa weg, wie die Hebräer und
Lateiner, verschlief sie nicht wie die Lappländer, erhing sie nicht wie
die Engländer und ersäufte sie nicht wie die Deutschen, noch fluchte,
verdammte, bannte, reimte oder pfiff er sie weg.

Er ward ihrer indessen doch los.

Wollen Euer Hochwohlgeboren mir erlauben, daß ich hier eine Historie
einschalte?

Als Tullius seiner Tochter Tullia beraubt wurde, nahm er sich's anfangs
sehr zu Herzen. Er hörte auf die Stimme der Natur, und nach dieser
modulierte er seine eigene. -- O meine Tullia! Meine Tochter! Mein
Kind! Noch, noch, noch bist du's! warst es, o meine Tullia! Meine
Tullia! Mich dünkt, ich sehe meine Tullia, ich höre meine Tullia, ich
spreche mit meiner Tullia. -- Allein sobald er sich im Zeughause der
Philosophie umsah und bedachte, was sich über die Veranlassung für
vortreffliche Sachen sagen ließen -- kein Mensch auf der Welt vermag
sich's vorzustellen --, sagte der große Redner, wie glücklich, wie
fröhlich es ihn machte.

Mein Vater dachte ebenso hoch von seiner Beredsamkeit wie Marcus
Tullius Cicero nur immer von seiner. Und wenn ich nicht ganz und gar
falsch berichtet bin, mit ebensoviel Grund. Es war wirklich seine
Stärke -- und seine Schwäche dazu. Seine Stärke, denn er war beredt
von Natur. Seine Schwäche, denn sie spielte ihm stündlich Streiche.
Wenn ein Vorfall in seinem Leben ihm nur Anlaß gab, seine Gaben zu
zeigen oder etwas Kluges, Witziges oder Satirisches zu sagen -- ein
systematisches Unglück ausgenommen --, so hatte er, was er wollte. Ein
Glück, welches meines Vaters Zunge fesselte, und ein Unglück, welches
solche auf eine gute Art in freien Gang setzte, waren ihm ziemlich
gleich willkommen. Zuweilen gar das Unglück am angenehmsten; denn wenn
zum Beispiel das Vergnügen des Redehaltens sich wie zehn, und der
Verdruß des Unglücks nur wie fünf verhielt, gewann mein Vater Hundert
auf Hundert, und befand sich folglich so wohl dabei, als wenn ihn gar
nichts überkommen wäre.

Aus diesem Knäuel entwickelt sich alles, was sonst in meines Vaters
häuslichem Charakter zusammenhängend scheinen möchte. Nämlich,
daß bei den Gelegenheiten zum Ärger, die die Nachlässigkeit oder
Tölpelei des Gesindes oder andere in einer Haushaltung unvermeidliche
Verdrießlichkeiten hervorbrachten, sein Zorn oder vielmehr die Dauer
desselben niemals das war, was man vermutete.

Mein Vater hatte eine kleine Stute, die er sehr liebte; dieser hatte
er einen sehr schönen arabischen Hengst zugegeben, um ein Füllen für
seinen eigenen Sattel von ihr zu erzielen. Er war lebhaft in allen
seinen Projekten; also sprach er täglich von dem Füllen wie von einem
wirklich vorhandenen Dinge, das schon geworfen, gezähmt, gezäumt und
zum Reiten gesattelt vor seiner Türe stände, das er nur besteigen
dürfte. Durch ein oder zwei Versehen des Obadiah kam es, daß aus meines
Vaters Erwartung nichts anderes wurde als ein Maulesel, und zwar in
seiner Art so häßlich, wie nur einer, der einen Esel zum Vater hat,
sein kann.

Meine Mutter und mein Onkel Toby meinten nicht anders, als mein Vater
würde Obadiah den bittersten Dampf antun und das bittere Leben würde
kein Ende nehmen. -- »Nun seh Er einmal, Schäker,« rief mein Vater und
wies auf den Maulesel, »was er gemacht hat!« -- »Das habe ich nicht
getan,« sagte Obadiah. -- »Woher kann ich das wissen?« versetzte mein
Vater.

Triumph über diese witzige Antwort schwamm in meines Vaters Auge. Das
attische Salz brachte Wasser hinein. Und somit hörte Obadiah kein Wort
weiter darüber.

Nun laßt uns zurückkehren zu meines Bruders Tode.

Die Philosophie hat auf jede Sache einen hübschen Spruch. Auf den Tod
hat sie eine ganze Schnur voll; das Unglück war nur, daß sie alle auf
einmal auf meines Vaters Kopf losstürzten und es schwer war, sie so
aneinanderzureihen, daß ein hübsches beschauliches Ganzes daraus wurde.
Er nahm sie also, wie sie kamen.

»Es ist ein unvermeidliches Geschick. Das erste Gesetz im allgemeinen
Gesetzbuche. Es ist eine unwiderrufliche Parlamentsakte, mein lieber
Bruder: alles muß sterben. «

»Wenn mein Sohn nicht hätte sterben können, das wäre Ursache zum
Verwundern gewesen, nicht, daß er gestorben ist. Monarchen und Prinzen
tanzen mit uns in einem Reigen.

Sterben ist der große, der Nation schuldige Zoll und Tribut. Gräber
und Monumente, die unser Gedächtnis verewigen sollten, bezahlen solche
selbst, und die stolzeste Pyramide unter allen, die Reichtum und Kunst
errichtet, hat ihre Spitze verloren und liegt dort in großen Trümmern
in entferntem Anblicke des Wanderers.« Mein Vater fand, daß es ihm
sehr gut tat, und fuhr fort: »Ganze Reiche und Länder, und Flecken
und Städte, haben sie nicht ihre Perioden? Denn wenn die Prinzipia
und Kräfte, welche sie zuerst gründeten und zusammenfügten, ihre
verschiedenen Evolutionen bewirkt haben, so fallen sie zusammen.« --
»Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby bei dem Worte Evolutionen
und legte seine Pfeife nieder. -- »Revolutionen wollte ich sagen,«
unterbrach ihn mein Vater, »wahrhaftig, Revolutionen wollte ich sagen,
Bruder Toby; Evolutionen ist Unsinn.« -- »Unsinn ist's doch auch
nicht,« sagte mein Onkel Toby. -- »Aber ist's nicht Unsinn, den Faden
eines solchen Gesprächs über eine solche Veranlassung zu zerreißen?«
rief mein Vater. »Höre, lieber Toby,« fuhr mein Vater fort und faßte
ihn bei der Hand, »höre, höre, ich bitte dich, unterbrich mich nicht in
dieser Krisis!« -- Mein Onkel Toby nahm seine Pfeife in seinen Mund.

»Wo ist Troja und Mykenä, und Theben und Delos, und Persopolis und
Agrigent?« fuhr mein Vater fort, wobei er sein Buch von den Postrassen
wieder aufnahm, das er niedergelegt hatte. »Wo, mein Bruder Toby,
wo sind Ninive und Babylon, und Cizicum und Mitileno geblieben? Die
schönsten Städte, über welche jemals die Sonne aufgegangen, sind jetzt
nicht mehr da. Die Namen sind nur noch übrig, und diese -- denn viele
davon werden falsch buchstabiert - zerstäuben auch schon wie Wurmmehl
und werden mit der Zeit vergessen und mit allen anderen Dingen in eine
ewige Nacht gehüllt werden. Die Welt selbst, Bruder Toby, muß, muß ein
Ende nehmen.

Auf der Rückkehr aus Asien, da ich von Ägina nach Megara segelte« --
wann mag das wohl gewesen sein, dachte mein Onkel Toby --, »begann
ich das Land umher zu beschauen. Ägina lag hinter mir, Megara vor
mir, Pyräus zu meiner Rechten, Korinth zur Linken. Was für blühende
Städte, nun liegen sie auf der Erde im Staube! Ach, ach! sagte ich zu
mir selbst, daß einen Mann die Ruhe seiner Seele stören kann über den
Verlust eines Kindes, wenn so gewaltige Trümmer so fürchterlich vor
seinem Anblicke liegen. Bedenke, sagte ich abermals zu mir selbst,
bedenke, du bist ein Mensch!«

Nun sehen Sie, mein Onkel Toby wußte nicht, daß dieser letzte Paragraph
ein Auszug aus Servius Sulpicius' Trostschreiben an den Cicero war.
Der ehrliche Mann war ebensowenig in den Fragmenten wie in den ganzen
Stücken der Altertümer bewandert. Und da mein Vater, als er noch Anteil
am Handel hatte, drei bis vier Reisen nach der Levante gemacht und
einmal ganze anderthalb Jahre sich zu Zanthen aufgehalten hatte, so kam
mein Onkel Toby natürlich auf den Gedanken, mein Vater müsse einstmals
einen Abstecher durch den Archipelagus nach Asien gemacht haben, und
daß dieser ganze Segeleikram, mit Ägina hinten, Megara vorne und Pyräus
zur Rechten usw. nichts anderes sei, als der wahre Weg und Lauf der
Reise und der Betrachtungen meines Vaters.

Es war ganz in seiner Manier; mancher Kritikus würde wohl zwei
Stockwerke höher auf noch schlechterem Grund gebaut haben. -- »Sage mir
doch, Bruder,« sagte mein Onkel Toby und legte das Ende seiner Pfeife
auf meines Vaters Hand, als eine freundschaftliche behende Art des
Indieredefallens, wobei er jedoch wartete, bis sein Bruder einen Punkt
machte, »in welchem Jahre unseres Herrn war das?« -- »In keinem Jahre
unseres Herrn,« versetzte mein Vater. -- »Das ist unmöglich!« rief mein
Onkel Toby. -- »Du Taubenkopf,« sagte mein Vater, »es war vierzig Jahre
vor Christi Geburt.«

Meinem Onkel Toby blieb nur unter zwei Dingen die Wahl: entweder zu
glauben, sein Bruder sei der ewige Jude oder der Verlust seines Sohnes
habe ihm das Gehirn verrückt. »Gott im Himmel und auf Erden möge ihn
beschützen und genesen lassen!« sagte mein Onkel Toby, indem er mit
Tränen in den Augen still in seinem Herzen für meinen Vater betete.

Mein Vater brachte die Tränen gehörig in Rechnung und fuhr frisch mit
seiner Rede fort.

»Es gibt keine so große Ungleichheit, Bruder Toby, zwischen Gutem und
Bösem, wie sich die Welt einbildet« -- diese Art zu beginnen, war,
beiläufig gesagt, eben nicht sehr tüchtig, meinem Onkel Toby seinen
Argwohn zu benehmen --; »Arbeit, Sorgen, Betrübnis, Krankheit, Not und
Mangel sind Brühen über das Leben.« -- »Wünsche wohl zu bekommen!«
sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.

»Mein Sohn ist tot! -- Desto besser. Eine Schande wär's, in einem
solchen Sturme nur einen Anker zu haben.

Allein er hat uns verlassen und kehrt nicht wieder! Mag's! Er ist nur
den Händen seines Barbiers entronnen, ehe ihm sein Haar ausfiel. Er ist
nur von einer Mahlzeit aufgestanden, ehe er den Magen überladen hat,
von einem Gelage, ehe er trunken worden.

Die Thrazier weinten, wenn ein Kind geboren wurde« -- »und wir waren
auch nicht weit davon,« sagte mein Onkel Toby --, »und schmausten und
lebten fröhlich, wenn ein Mensch aus der Welt ging; und das mit Recht.
Der Tod öffnet die Pforte des Nachruhms und schließt die Pforte des
Neides hinter sich zu. Er entledigt den Gefangenen von seinen Ketten
und gibt das Werk des Tagelöhners den Händen eines anderen.

Zeige mir den Mann, der weiß, was das Leben ist, der es fürchtet, und
ich zeige dir einen Gefangenen, der seine Freiheit scheut.

Ist es nicht besser, mein lieber Bruder Toby -- denn merke dir, unsere
Lüste sind eigentliche Gebrechen --, ist es nicht besser, gar keinen
Hunger zu haben, als zu essen? Keinen Durst, als eine Mixtur zu nehmen,
um ihn zu stillen?

Der Tod ist nichts Grauenvolles, Bruder Toby, in seinen Blicken, als
was er vom Ächzen und den Zuckungen borgt, und von dem Nasenschneuzen
und Augenwischen mit den Gardinenzipfeln in dem Krankenzimmer eines
Sterbenden. Nimm ihm das, was bleibt er?« -- »Er ist besser in der
Schlacht als auf dem Bette,« sagte mein Onkel Toby. -- »Nimm ihm
seine Bahre, seine feierliche Stille, seinen schwarzen Flor, seine
Federbüsche, Sargschilde und andere solche mechanische Hilfsmittel,
was bleibt er? Besser in der Schlacht?« fuhr mein Vater lächelnd
fort, denn meinen Bruder Bobby hatte er rein vergessen. »Nirgends
ist er furchtbar. Denn sieh nur, Bruder Toby: wenn wir sind, so ist
der Tod nicht; und ist der Tod, so sind wir nicht.« -- Mein Onkel
Toby legte seine Pfeife nieder, um den Satz nachzudenken. Meines
Vaters Beredsamkeit war zu reißend, um auf einen Menschen zu warten,
fortströmte sie, und zog meines Onkel Tobys Ideen mit sich dahin.

»Deswegen ist es,« fuhr mein Vater fort, »der Mühe wert zu bemerken,
wie wenig Schrecken die Annäherung des Todes großen Männern
verursacht hat. Vespasianus starb scherzend auf seinem Nachtstuhle,
Galba mit einem Sittenspruche, Septimus Severus machte eben eine
Depesche, Tiberius machte jemandem etwas weis, und Cäsar Augustus ein
Kompliment.« -- »Ich hoffe, es war ein aufrichtiges,« sagte mein Onkel
Toby.

»Es war an seine Gemahlin,« sagte mein Vater.

                            [Illustration]




                     Sechsundsechzigstes Kapitel.


»Und endlich und zuletzt -- denn unter allen den ausgewählten
Anekdoten, welche die Geschichte über diese Materie aufweisen kann,«
fuhr mein Vater fort -- »ziert diese wie ein vergoldetes Kuppeldach das
ganze Gebäude.

Es ist die von Kornelius Gallus, dem Prätor, die du gewiß gelesen
hast, Bruder Toby.« -- »Ich habe sie gewiß nicht gelesen,« erwiderte
mein Onkel. -- »Er starb,« sagte mein Vater, »als er -- -- -- -- -- --
--« -- »Nun, wenn's seine Ehefrau war,« sagte mein Onkel Toby, »so
konnte nichts Anstößiges dabei sein.« -- »Das ist mehr, als ich weiß,«
versetzte mein Vater.

                            [Illustration]




                     Siebenundsechzigstes Kapitel.


Meine Mutter ging eben ganz leise im Finstern den Gang entlang, der auf
die Stube stieß, als mein Onkel Toby das Wort Ehefrau aussprach. Das
Wort ist an sich schon sehr tönend, und Obadiah war ihm noch dadurch
zu Hilfe gekommen, daß er die Türe nur ans Schloß gelehnt hatte, so,
daß meine Mutter genug davon hörte, um zu glauben, man spräche eben
von ihr. Sie legte deswegen einen Finger über ihre beiden Lippen,
hielt den Atem an, beugte den Kopf ein wenig seitwärts nieder, nicht
nach der Türe hin, sondern davon ab, daß ihr Ohr an die Spalte kam,
und horchte aus allen Kräften. Der römische Horcher mit der Göttin des
Stillschweigens hinter sich, könnte keinen schöneren Gedanken zu einem
Gemmenschnitt gegeben haben.

In dieser Stellung bin ich willens, sie fünf Minuten stehen zu lassen,
bis ich die Sachen in der Küche zu ebender Periode geführt habe.

                            [Illustration]




                      Achtundsechzigstes Kapitel.


»Unser Junker in London ist tot!« sagte Obadiah.

Ein grüner Atlasmorgenrock meiner Mutter, der schon zweimal aufgeputzt
worden, war die erste Idee, welche Obadiahs Ausrufung in Susannas Kopf
brachte. Locke hatte wohl recht, ein Kapitel über die Unvollkommenheit
der Worte zu schreiben. »Nun,« sagte Susanna, »so müssen wir alle
trauern.« -- Aber merken Sie's noch einmal: das Wort trauern,
ungeachtet Susanna es selbst brauchte, verfehlte dennoch seine Wirkung.
Es erweckte keine einzige in Schwarz oder Grau gefärbte Idee, alles war
grün, der grüne Atlasmorgenrock hing noch da.

»O! meine arme Madame wird den Tod davon bekommen,« rief Susanna. Nun
folgte meiner Mutter ganzer Kleidervorrat. Was für eine Prozession!
Ihr rotdamastnes, ihr orangefarbenes, ihr weiß und gelb gestreiftes,
ihr braun taffetnes Kleid, ihre Spitzenkopfzeuge, ihre Morgenröcke
und ausgenähten Unterröcke. Alles, bis auf den geringsten Lappen,
ging durch die Musterung. »Nein, das überlebt sie gewiß nicht,« sagte
Susanna.

Wir hatten ein dickes, närrisches Küchenmensch, mein Vater, glaube ich,
behielt sie wegen ihrer Einfalt. Sie hatte sich den ganzen Herbst mit
der Wassersucht geschleppt. »Er ist tot!« sagte Obadiah. »Er ist ganz
gewiß tot!« -- »Ich nicht,« sagte das närrische Küchenmensch.

»Das gibt hier betrübte Zeiten, Trim!« rief Susanna und wischte sich
die Augen, als Trim in die Küche trat. »Junker Bobby ist tot und
begraben.« Das Begräbnis war eine Interpolation von Susannas Erfindung.
»Nun müssen wir alle trauern,« sagte Susanna.

»Das hoffe ich nicht,« sagte Trim. -- »Er hofft nicht!« sagte Susanna
ganz ernsthaft. Die Trauer mochte noch so sehr in Susannens Kopfe
herumlaufen, in Trims kam sie nicht. -- »Ich hoffe,« sagte Trim, sich
deutlicher zu erklären, »ich hoffe zu Gott, die Nachricht soll falsch
sein.« -- »Den Brief habe ich mit meinen eigenen Ohren lesen hören,«
antwortete Obadiah. »Und nun werden wir 'n hübsch Stück Arbeit kriegen,
mit dem alten Ochsenmoore, das werden wir nun wohl roden und reuten
müssen.« -- »O! er ist tot,« sagte Susanna. -- »So tot,« sagte das
Küchenmensch, »als ich lebe.«

»Ich beklage ihn von ganzem Herzen,« sagte Trim mit einem Seufzer. --
»Der arme Mensch! Der arme Junker! Der arme Herr!«

»Vorige Pfingsten tat er noch leben,« sagte der Kutscher. --
»Pfingsten! Ach was hat Pfingsten, Jonathan,« -- so hieß der Kutscher
-- rief Trim und streckte seinen rechten Arm aus, »oder Fasten oder
alles, was vorbei ist, damit zu tun? Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr
der Korporal fort -- er stieß dabei mit seinem Stecken perpendikulär
auf den Boden, um gleichsam eine Idee von Gesundheit und Festigkeit zu
geben --. »Und sind wir nicht« -- dabei warf er seinen Hut auf den Flur
-- »dahin in einem Hui!« -- Es war ordentlich rührend! Susanna brach in
eine Tränenflut aus. »Wir sind weder Stein noch Stöcke.« -- Jonathan,
Obadiah, die Köchin, alle wurden weichherzig. Das dicke Küchenmensch
selbst, das eben einen Fischkessel auf den Knien hatte und scheuerte,
ward davon angegriffen. Die ganze Küche drängte sich um den Korporal
herum.

Da ich nun ganz deutlich gewahr werde, daß die Erhaltung unserer
Konstitution im kirchlichen und weltlichen Staate, und wohl gar die
Erhaltung der ganzen Welt, oder was einerlei ist, die Verteilung
und das Gleichgewicht des Vermögens und der Gewalt in derselben in
der Beredsamkeit des Korporals vorkommen kann, so bitte ich um dero
Aufmerksamkeit. Euer Hochwürden, Wohlgeboren können allemal wieder zehn
Seiten hindurch, an welcher andern Stelle des Buches Sie wollen, ganz
ruhig schlafen.

Ich sagte: wir wären weder Steine noch Stöcke, ganz gut. Ich hätte
hinzufügen sollen, auch keine Engel -- ich wollte, wir wären's!
--, sondern Mensch in Fleisch gekleidet und von unserer Einbildung
beherrscht. Und was es zwischen der und unseren sieben Sinnen,
besonders einigen darunter, für ein herrliches Stück Arbeit setzt, für
meinen eigenen Teil muß ich's gestehen, schäme ich mich zu bekennen.
Laß es genug sein, zu behaupten, daß von allen diesen Sinnen das
Gesicht -- denn dem Gefühle spreche ich's ohne weiteres ab -- den
schnellsten Verkehr mit der Seele hat, einen härteren Anstoß gibt
und etwas Unaussprechlicheres in der Phantasie läßt, als Worte weder
annehmen oder auch zuweilen los werden können.

Ich bin ein wenig umhergeschlendert -- tut nichts! 's ist der
Gesundheit halber! -- Laß uns nur wieder in Gedanken zur Sterblichkeit
und zu Trims Hut zurückkehren. »Sind wir nicht jetzund hier, und in
einem Hui dahin?« Was steckte denn wohl in den Worten? -- Es war eine
von den unbescholtenen Wahrheiten, die wir das Glück haben können, alle
Tage zu hören; und hätte sich Trim nicht auf seinen Hut mehr verlassen
können, als auf seinen Kopf, nichts hätte er damit ausgerichtet.

»Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr der Korporal fort, »und sind wir
nicht« -- wobei er seinen Hut plump auf die Fliesen fallen ließ und
pausierte, ehe er das Wort sagte -- »dahin in einem Hui?« Der Fall des
Hutes war so, als ob ein schwerer Klumpen Ton in den Kopf geknetet
gewesen wäre. Nichts hätte das Gefühl der Sterblichkeit, von dem er
der Vorläufer und das Vorbild war, so gut auszudrücken vermocht. Seine
Hand schien darunter zu verschwinden. Er fiel wie tot. Des Korporals
Auge war darauf geheftet wie auf eine Leiche. Susanna brach in eine
Tränenflut aus.

Nun gibt es zehntausend und zehntausendmal zehntausend -- denn Materie
und Bewegung sind unendlich -- Art und Weisen, wie man einen Hut
auf die Erde fallen lassen kann, ohne daß es wirke. Hätte er ihn
geschleudert, geschlenkert, geworfen, hingeschmissen, hingegossen, oder
ihn in irgendeiner möglichen Richtung unter der Sonne sinken oder
fallen lassen, oder in der besten Richtung, die man ihm geben könnte,
hätte er ihn fallen lassen wie einen Gänsekopf, wie ein Tölpel, wie
ein Esel, oder hätte er dabei, oder auch nur nachher ausgesehen wie
ein Dummbart, wie ein Tropf, wie ein Gimpel -- vorbei war's, und die
Wirkung aufs Herz wäre verloren gegangen.

Ihr, die ihr diese mächtige Welt und ihre mächtigen Angelegenheiten
mit der Esse der Beredsamkeit regieret. -- Die ihr sie erhitzt und
kältet und schmelzt und zerlaßt und dann wieder härtet, ihr, die ihr
die Leidenschaften mit diesem Hebezeuge kehrt und wendet, und wenn
es geschehen, die Besitzer derselben dahinbringt, wohin ihr wollt.
Ihr endlich, die ihr Menschen wie Truthähne mit einer Gerte und rotem
Haderlumpen zu Markte treibt, und, warum auch nicht ihr, die ihr euch
so treiben laßt -- zieht eure Anmerkungen -- zieht eure Anmerkungen,
ich bitte euch, aus Trims Hute.

                            [Illustration]




                      Neunundsechzigstes Kapitel.


Halt! -- Ich habe eine kleine Rechnung mit dem Leser abzutun, ehe Trim
mit seiner Rede fortfahren kann. -- In zwei Minuten soll's geschehen
sein.

Unter verschiedenen anderen Buchschulden, welche ich zu gehöriger
Zeit alle entrichten werde, bekenne ich mich als ein Schuldner der
Welt wegen zwei Items. Ein Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern,
welche ich in den vorhergehenden Kapiteln meines Werkes versprach und
willens war, noch dies Jahr abzubezahlen. Da mir aber einige von dero
Hochwürden und Wohlgeboren sagten, daß diese Subjekte, so miteinander
verbunden, besonders die Moral der Welt in Gefahr bringen möchten, so
ersuche ich, daß man mir die Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern
schenken möge, und daß man an deren Stelle das letzte für Lieb und
Willen nehmen wolle, welches, mit Euer Hochwürden Wohlnehmen, weiter
nichts ist, als ein Kapitel von Kammerzofen, grünen Schlafröcken und
alten Hüten.

Trim nahm den seinigen von der Erde auf, setzte ihn auf seinen Kopf und
fuhr darauf in seiner Rede vom Tode fort, auf die Art und Weise, wie
folgt.

                            [Illustration]




                         Siebzigstes Kapitel.


»Für uns, Jonathan, die wir keine Sorgen und keinen Mangel kennen, die
hier im Dienste sind, bei zwei der besten Herren (ausgenommen, was mich
anbelangt, Seine königliche Majestät, König Wilhelm +III.+, dem
ich die Ehre gehabt habe zu dienen, sowohl in Irland wie in Flandern),
ja, das gestehe ich, da ist von Pfingsten bis Advent nicht lange. Es
ist fast nichts; aber für diejenigen, die den Tod recht kennen und
wissen, was er für eine Zerstörung Jerusalems anrichten kann, ehe sich
ein Mensch einmal auf seinem Absatze herumdrehen kann, ja, für die
ist's eine lange Zeit. -- O, Jonathan, einem gutherzigen Menschen muß
das Herz im Leibe bluten,« fuhr der Korporal Trim fort und richtete
sich stramm auf, »wenn man bedenkt, wie mancher ehrliche, brave Kerl
seit der Zeit tief unter die Erde gesteckt worden! -- Und glaube mir
nur, Suschen,« fügte der Korporal hinzu und wendete sich an Susanna,
deren Augen im Wasser schwammen, »ehe diese Zeit wieder herumkommt,
wird auch manch helles Auge dunkel sein.« -- Susanna ließ das Wort
nicht auf die Erde fallen, sie weinte, aber sie knickselte auch. --
»Sind wir nicht,« fuhr Trim fort und sah dabei immer die Susanna an,
»sind wir nicht wie eine Blume auf dem Felde?« -- Ein Hochmutstränchen
schlich sich zwischen jedes Paar Tränen der Demut, sonst hätte keine
Zunge Susannas Betrübnis aussprechen können. »Ist nicht alles Fleisch
wie Heu? Es ist Leim, es ist Kot.« Alle sahen den Augenblick auf das
Küchenmädchen, das eben einen Fischkessel scheuerte. Es war nicht
recht.

»Was ist das niedlichste Geschöpf, das jemals ein Mann angesehen hat!«
-- »Ich könnte es gar nicht müde werden, Trim so sprechen zu hören,«
sagte Susanna. -- »Was ist es?« -- Susanna legte ihre Hand auf Trims
Schulter -- »als Koder und Moder!« Susanna zog ihre Hand zurück.

»Dafür eben mag ich euch leiden. Diese herzlabende Mixtur in euch,
teure Geschöpfe, macht euch zu dem, was ihr seid. Wer euch deswegen
hasset, der -- alles, was ich dazu sagen kann, ist --, der hat entweder
einen Kürbis statt des Kopfes auf dem Rumpfe, oder einen Holzapfel
statt des Herzens im Leibe. Wenn er anatomiert wird, wird sich's
zeigen, daß ich recht habe.«

                            [Illustration]




                      Einundsiebzigstes Kapitel.


Ob Susanna dadurch, daß sie die Hand zu plötzlich von Trims Schulter
zog (da sich ihre Leidenschaft so schnell herumwarf) die Kette seiner
Betrachtungen ein wenig unterbrach, oder ob der Korporal zu argwöhnen
begann, daß er dem Magister ins Gehege geraten, und mehr wie ein
Prediger als in seiner eigenen Person redete, oder ob -- -- -- -- --
-- Oder ob --, denn in allen solchen Fällen kann ein erfindungsreiches
Genie mit Freuden ein paar Seiten mit Voraussetzungen anfüllen. -- Was
von all diesem die Ursache war, das mag der scharfsinnige Sonstjemand
ausmachen. -- Soviel ist wenigstens gewiß, der Korporal fuhr mit seiner
Standrede also fort:

»Für mein Teil kann ich sagen, daß ich, außen vor der Türe, mir nichts
aus dem Leben mache, nicht das!« -- setzte der Korporal hinzu und
machte ein Schnippchen mit den Fingern. Aber mit einem Anstande, den
kein anderer als der Korporal der Empfindung hätte geben können. »In
einer Schlacht achte ich den Tod nicht das ... Laß ihn mich nur nicht
wie eine feige Memme überrumpeln, wie den armen Paul Gibbins, da er
seine Flinte auswusch. -- Was ist er denn? Ein Klapp des Hahns an den
Pfannendeckel, ein Puff mit dem Bajonett ein Zoll tief hier oder da,
das ist alles. Sieh das Glied hinab, rechts. Sieh! da liegt Jakob! Gut!
's ist so gut, als ob er Rittmeister geworden wäre. -- Nein, 's ist
Dirk. Nun, so ist's für Jakob ebensogut. Laß fallen, was fällt, wir
avancieren. In der Hitze des Treffens fühlt man sogar die Wunde nicht,
wenn er kommt. Das beste ist, man sieht ihm in die Augen. Der Mann,
welcher flieht, ist in zehnmal größerer Gefahr als der, der ihm in den
Rachen marschiert. Ich habe ihm wohl hundertmal,« setzte der Korporal
hinzu, »in die Fresse gesehen und ich weiß, was er ist. Nichts, gar
nichts ist er, Obadiah, im Felde!« -- »Ja, aber im Hause ist er sehr
graulich,« sagte Obadiah. -- »Ich scher' mich nicht darum, ich,« sagte
Jonathan, »wenn ich auf dem Kutschbock sitze.« -- »Im Bette, meine ich,
muß es wohl am natürlichsten sein,« sagte Susanna. -- »Und könnte ich
ihm aus dem Wege, wenn ich in das elendeste Kalbsfell kröche, daraus
jemals ein Schnappsack gemacht ist, so tät' ich's da,« sagte Trim.

»Natürlich ist natürlich,« sagte Jonathan. -- »Und deswegen,« rief
Susanna, »bedaure ich meine Madame so herzlich. Sie wird es in ihrem
Leben nicht überwinden.« -- »Und ich, ich bedaure den Kapitän am
meisten in der ganzen Familie,« antwortete Trim. »Madame wird sich
das Herz erleichtern durch Weinen, und der alte Herr durch sein
Sprechen darüber, aber mein armer Herr wird alles stillschweigend bei
sich behalten. Ich werde ihn einen ganzen Monat lang im Bette seufzen
hören, wie er um den Leutnant Le Fever tat. --›O, Euer Gnaden müssen
nicht kläglich seufzen,‹ sagte ich dann zu ihm, wenn ich neben ihm lag.
-- ›Ich kann nicht dafür, Trim,‹ sagte dann der Kapitän. ›'s ist ein
so melancholischer Zufall, ich kann's nicht aus dem Kopfe kriegen.‹
--›Euer Gnaden fürchten sich ja selbst vor dem Tode nicht.‹ -- ›Ich
hoffe,‹ pflegte er dann zu sagen, ›ich fürchte mich vor nichts, als was
Böses zu tun. -- Gut so!‹ pflegte er hinzuzusetzen, ›es gehe, wie es
gehe, für Le Fevers Knaben will ich sorgen.‹ Und damit, wie mit einem
schmerzlindernden Tranke, fiel Seine Gnaden in Schlaf.«

»Ich mag Trims Historien vom Kapitän gerne hören,« sagte Susanna. --
»'s ist ein so gutherziger Herr,« sagte Obadiah, »als jemals Atem
holte.« -- »Das sollt' ich meinen,« sagte der Korporal, »und so brav
obendrein, als jemals vor einer Division aufmarschiert ist. -- 's war
niemals ein besserer Offizier in des Königs Armee oder ein besserer
Mann in Gottes weiter Welt. Er ging auf die Mündung einer Kanone los,
und wenn er auch die glühende Lunte schon am Zündloch sähe. Und doch
hat er dabei ein so weiches Herz wie ein Kind, gegen andere Leute. Er
könnte keinem jungen Hühnchen was zuleide tun.« -- »Ja, lieber wollt'
ich so einen Herrn,« sagte Jonathan, »das Jahr für fünfunddreißig Taler
Lohn fahren als viele andere für vierzig.« -- »Dank, Jonathan, für die
fünf Taler. Ebensogut, Jonathan,« sagte der Korporal, und schüttelte
ihm die Hand, »als ob du mir das bare Geld in die Hand gezählt hättest.
-- Ich, bis an mein letztes Ende wollte ich ihm aus Liebe dienen. --
Er handelt an mir wie ein Freund und Bruder. Und wenn ich's gewiß
wüßte, daß mein armer Bruder Thomas tot wäre,« fuhr der Korporal fort
und zog sein Schnupftuch aus der Tasche »und hätte ich fünftausend
Taler im Vermögen, ich vermachte es dem Kapitän bis auf den letzten
Groschen.« -- Trim konnte sich bei diesem testatorischen Beweise von
seiner Zuneigung gegen den Kapitän der Tränen nicht erwehren. -- Die
ganze Küche ward gerührt. -- »Komm' Er, hört Er, und erzähle uns die
Geschichte von dem armen Leutnant,« sagte Susanna. »Von Herzen gern,«
antwortete der Korporal.

Susanna, die Köchin, Jonathan, Obadiah und der Korporal Trim machten
einen Kreis um das Feuer, und so bald das Küchenmädchen die Küchentüre
zugemacht hatte, fing der Korporal an.

                            [Illustration]




                      Zweiundsiebzigstes Kapitel.


Ich will ein Türke sein, wenn ich nicht meine Mutter ebenso rein
vergessen hatte, als ob mich die Natur aufgepflastert und am Ufer
des Nils nackt niedergesetzt hätte, ohne mir eine zu geben. Ihr ganz
gehorsamster Diener, Madame! Ich habe Ihnen sehr viel Mühe gemacht.
Ich wünsche, es möchte anschlagen! Sie haben mir aber noch eine große
Öffnung im Rücken gelassen. Und da, hier vorne, ist ein großes Stück
abgefallen. Was soll ich mit diesem Fuße anfangen? Damit werde ich
England niemals erreichen.

Ich meinesteils wundere mich über nichts, und mein Urteil hat mich
in meinem Leben so oft mißgeleitet, daß ich ihm niemals recht traue,
es mag richtig sein oder falsch, wenigstens bin ich selten heiß bei
kalten Gegenständen. Dem allen ungeachtet, verehre ich die Wahrheit so
aufrichtig, wie nur jemand tun kann. Und wenn sie uns aus den Augen
entkommen, und ein Mensch nimmt mich gelassen bei der Hand, um sie
miteinander zu suchen, wie eine Sache, die wir beide verloren haben
und ohne die wir doch nicht raten können, so gehe ich mit ihm bis an
der Welt Ende. Das Disputieren aber hasse ich, und deswegen -- wenn's
nicht auf Glaubens- oder solche Sachen ankommt, die die menschliche
Gesellschaft betreffen -- werde ich fast immer lieber alles zugeben,
was mir nicht im ersten engen Wege den Hals zuschnürt, als mich dazu
bringen lassen. Nur das Ersticken ist mir zuwider, und stinkender
Qualm am ärgsten. Aus dieser Ursache faßte ich gleich von Anbeginn den
Entschluß, daß, wenn ja die Armee der Märtyrer verstärkt oder eine neue
errichtet werden sollte, ich auf keine Weise was damit zu schaffen
haben wollte.

                            [Illustration]




                      Dreiundsiebzigstes Kapitel.


Aber wieder zu meiner Mutter zu kommen. --

Meines Onkels Toby Meinung, Madame, daß nichts Böses dabei sein könnte,
oder vielmehr das Wort Ehefrau -- denn das war alles, was meine Mutter
davon hörte --, faßte sie bei der schwachen Seite des ganzen weiblichen
Geschlechts. Sie müssen mich nicht falsch verstehen; ich meine ihre
Neugierde. Sie schloß flugs, man spräche von ihr; und wenn Sie den
Glauben bei ihr annehmen, so werden Sie leicht begreifen, wie sie
jedes Wort, das mein Vater sagte, auf sich oder auf ihre häuslichen
Angelegenheiten deutete.

Sagen Sie mir doch, Madame, ich bitte, in welcher Gasse wohnt die Dame,
die es nicht ebenso getan hätte.

Mein Vater hatte einen Sprung auf Sokrates' Tod getan und gab meinem
Onkel Toby einen Auszug aus seiner Schutzrede vor seinen Richtern.
Sie war unwiderstehlich; nicht die Rede des Sokrates, sondern die
Versuchung, die meinen Vater dazu trieb. Er selbst hatte das Jahr
vorher, ehe er den Handel niederlegte, das Leben des Sokrates[1] zu
schreiben angefangen. Ich fürchte, das eben förderte seinen Entschluß,
aus dem Handel zu scheiden. Also war niemand fähiger, mit so vollen
Segeln und mit solcher hohen Flut von heroischer Beredsamkeit über die
Gelegenheit daherzufahren als mein Vater. Es gibt keine Periode in
Sokrates' Rede, die mit einem kürzeren Worte schließt als: sterbliche
Hülle verlassend, oder: ewiger Vernichtung geweiht --, oder einen
geringeren Gedanken in der Mitte derselben hatte als: sein oder nicht
sein. -- Der Übergang zu einem neuen unversuchten Zustande der Dinge
oder zu einem langen, einem tiefen, einem ruhigen Schlafe ohne Träume,
ohne Auffahren: daß wir und unsere Kinder geboren sind, zu sterben,
aber keiner von uns geboren zu Sklaven. -- Nein, da irre ich; das war
eine Stelle aus Eleazars Rede, wie uns solche Josephus aufbewahrt
hat. Eleazar gesteht, er habe es von den Philosophen aus Indien. Nach
aller Wahrscheinlichkeit hat Alexander der Große bei seinem Einfall in
Indien, nachdem er Persien mit Krieg überzogen, unter den mancherlei
Dingen, die er gestohlen, auch dieses Sortiment Beute gemacht, von dem
es dann, wo nicht den ganzen Weg durch ihn allein -- denn wir wissen
alle, daß er zu Babylon starb --, wenigstens durch einige von seinen
Marodeurs nach Griechenland gebracht ist. Von Griechenland kam es nach
Rom, von Rom nach Frankreich und von Frankreich nach England. So kommen
die Sachen herum.

Zu Lande kann ich mir keinen anderen Weg denken.

Zu Wasser konnte das Sortiment ganz gemächlich den Ganges herunter- in
den Sinus Gangeticus oder die Bai von Bengalen und so in das Indische
Meer kommen, und indem es den Weg des Handels nahm -- der Weg über Cap
de bonne espérance war damals noch nicht entdeckt --, konnte es mit
anderen Gewürz- und Spezereiwaren übers Rote Meer nach Joddah, dem
Hafen von Mekka, oder nach Tor oder Suez, zwei Städtchen im Innersten
des Golfo, gebracht werden. Von da mit den Karawanen nach Coptos, das
nur drei Tagereisen davon liegt. Dann den Nil herunter geraden Weges
nach Alexandria, woselbst das Sortiment gerade unten an der Treppe der
Alexandrinischen Bibliothek ausgeschifft werden konnte. Und aus diesem
Packhause konnte es geholt werden. Gott segne uns, was in den Zeiten
die Gelehrten für einen Handel betrieben!

                            [Illustration]




                      Vierundsiebzigstes Kapitel.


Sehen Sie, mein Vater hatte eine Art an sich, so ein wenig wie Hiob,
falls jemals ein solcher Mann gelebt hat. Wo nicht, so ist nichts
weiter dabei.

Obgleich, im Vorbeigehen gesagt, unsere Herren Gelehrten einige
Schwierigkeiten finden, die Zeit zu bestimmen, in welcher ein so großer
Mann lebte -- ob z. B. vor oder nach den Patriarchen usw. --, so war
es doch ein wenig hart, nun sogleich deswegen zu behaupten, daß er
nie gelebt habe. Mein Vater, sage ich, hatte eine Art an sich, wenn
ihm etwas sehr in die Quere ging, besonders im ersten Anfalle seiner
Ungeduld, sich zu wundern, warum er geboren worden, zu wünschen, daß
er unter der Erde läge -- zuweilen noch ärger. Und wenn die Reizung
sehr weit ging und Betrübnis seine Lippen mit mehr als gewöhnlichen
Kräften berührte: -- Herr, Sie hätten ihn kaum von Sokrates selbst
unterscheiden können. Jedes Wort schmeckte nach der Empfindung einer
Seele, die das Leben gering achtet und sich um alle seine Ereignisse
wenig kümmert. Weswegen denn auch meiner Mutter, obgleich sie nicht
viel Belesenheit hatte, der Auszug aus Sokrates' Schutzrede, den eben
mein Vater meinem Onkel Toby gab, nicht ganz neu war. Sie hörte solchem
mit kaltem Verstande zu und hätte so bis zum Ende zugehört, hatte nicht
mein Vater -- so ohne alle Ursache und Gelegenheit -- einen Sprung
zu der Stelle in der Schutzrede getan, wo der große Philosoph seine
Freunde, seine Verwandten und Kinder herzählt und dabei den Vorteil
verachtet, den er dadurch gewinnen könnte, wenn er solchergestalt die
Leidenschaften seiner Richter auf seine Seite zöge. »Ich habe Freunde,
ich habe Anverwandte, ich habe drei verlassene Kinder,« sagte Sokrates.

»So?« sagte meine Mutter und machte die Türe auf. »Das ist eins mehr,
Herr Shandy, als ich weiß.«

»Wahrhaftig, und ich habe eins weniger!« sagte mein Vater, stand auf
und ging zur Türe hinaus.

                            [Illustration]




                      Fünfundsiebzigstes Kapitel.


»Es sind Sokrates seine Kinder,« sagte mein Onkel Toby. -- »Der ist
schon wohl hundert Jahre tot,« sagte meine Mutter.

Mein Onkel Toby verstand sich nicht auf die Chronologie. Und da er sich
also nicht ohne Schiff aufs Meer wagen wollte, legte er ganz gelassen
seine Pfeife auf den Tisch nieder, stand auf, faßte meine Mutter sehr
freundschaftlich bei der Hand, und ohne ihr noch ein anderes Wort,
weder im Guten noch im Bösen zu sagen, führte er sie hinaus zu meinem
Vater, daß der die Erklärung selbst zustande bringen möchte.

Pling -- twing -- twang -- prut -- trut. Es ist ein altes Brett von
einer Geige. Wissen Sie, ob meine Geige stimmt oder nicht? Trut ...
prut ... Es sollen reine Quinten sein. Die Saiten sind grundfalsch. --
Tr ... +G+, +D+, +A+, +E+, twang, -- der Steg ist eine Meile zu hoch
und der Stimmstock liegt gar überm Haufen. Sonst -- trut, prut -- höre,
ist der Ton so übel nicht. Didl, didl, didl, didl, didl, didl, dum. Vor
wahren Kennern ist gut spielen, aber dort steht ein Mann, dort -- nein,
den mit dem Bündel unter dem Arme meine ich nicht -- den feierlichen
Mann im schwarzen Rocke? -- Nicht doch! Auch den Herrn da mit dem Degen
nicht! -- Herr, der Kalliope selbst möchte ich lieber ein Kaprizzio
vorspielen, als vor dem Manne meinen Bogen über die Saiten hin und
her ziehen. Und doch setze ich meine Cremoneser Geige gegen eine
Maultrommel -- und das ist wohl die ungleichste musikalische Wette, die
jemals gewettet ist --, daß ich diesen Augenblick dreihundertundfünfzig
Meilen weit aus meiner Geige neben den Ton greifen will, ohne daß es
einem einzigen Nerven in seinen beiden Ohren wehetun soll. Twadl didl,
twedl didl, twidl didl, twodl didl, twudl didl, -- prut -- trut --
krisch -- krasch -- krasch. Sie können's nicht mehr aushalten, Herr?
Das sehe ich. Sie sehen aber, ihm tut's nicht weh. Und nähme auch
Apollo selbst nach mir seine Leier, er bringt es nicht zustande, daß es
ihm sanft tut.

Didl didl, didl didl, didl didl -- hum -- dum -- drum.

Euer Gnaden und Hochwürden lieben die Musik -- und Gott hat ihnen
allen gesunde Ohren gegeben -- und einige unter ihnen spielen selbst
vortrefflich -- trut -- prut -- prut -- trut.

O, ich kenne jemand, bei dem ich ganze Tage sitzen und zuhören möchte,
dessen ganze Kunst darin besteht, daß er für die Empfindsamen spielt,
der mich mit Freuden und Hoffnungen beseelt und die geheimsten
Triebfedern meines Herzens in Bewegung setzt. Wenn Sie mich um zwanzig
Taler ansprechen wollen, welches gewöhnlich vierzig mehr sind, als ich
missen kann, oder Sie, mein Herr Apotheker oder Schneider, gerne Ihre
Rechnungen bezahlt haben wollten, dann müßten Sie kommen.

                            [Illustration]




                     Siebenundsiebzigstes Kapitel.


Das erste, was meinem Vater einfiel, nachdem die Sachen in der
Haushaltung ein wenig in Ordnung gebracht waren und Susanna von meiner
Mutter grünem Atlasmorgenrock Besitz genommen hatte, war, sich nach
dem Beispiele Xenophons ganz gelassen hinzusetzen und eine +Tristra
pædia+ oder Erziehungssystem für mich zu schreiben.

Zu dem Ende sammelte er erst seine einzelnen Gedanken, Einfälle und
hingeworfenen Ideen und verband sie hernach dergestalt, daß solche ein
Erziehungsinstitut für meine Kinder- und Jünglingsjahre ausmachten.
Ich war meines Vaters letzter Satz; meinen Bruder Bobby hatte er rein
verloren; von mir, nach seiner eigenen Berechnung, schon dreiviertel.
Das ist, er war in seinen ersten großen Chancen für mich unglücklich
gewesen: meiner Zeugung, meiner Nase und meinem Namen. Es blieb ihm nur
noch diese eine. Demzufolge war mein Vater ebenso andächtig darüber
her, als es mein Onkel Toby über die Lehre von den Gesetzen der
Bewegung gewesen war. Der Unterschied unter beiden war, daß mein Onkel
Toby seine ganze Wissenschaft von den Gesetzen der Bewegung aus dem
Nikolaus Tartaglia hernahm. Mein Vater spann die seinige bis auf den
letzten Faden aus seinem eigenen Gehirn oder haspelte und zwirnte, was
alle übrigen Spinner und Spinnerinnen vor ihm gesponnen hatten, daß er
beinahe ebendieselbe Arbeit damit hatte.

In ungefähr drei Jahren und etwas darüber war mein Vater mit
seinem Werke schon bis auf die Hälfte fertig. Gleich allen anderen
Schriftstellern stieß er auf Schwierigkeiten. Er dachte, er würde
alles, was er zu sagen hätte, so in die Kürze ziehen können, daß, wenn
alles fertig und eingebunden wäre, meine Mutter es aufgerollt in ihrem
Besteck tragen könnte. Die Materien wachsen uns unter den Händen. Nun
sage ein Mann einmal: komm, ich will einen Duodezband schreiben.

Mein Vater indessen arbeitete daran mit dem mühsamsten Fleiße, ging in
jeder Zeile Schritt vor Schritt mit ebender Vorsicht und Behutsamkeit
-- obgleich ich nicht sagen kann, aus einer ebenso frommen Ursache
--, welche Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, bei der
Ausfeilung seiner Galatea anwendete. Wobei Seine Hochwürden Eminenz
von Benevent fast vierzig Jahre von dero Leben zubrachten, und als das
Ding endlich ans Licht kam, war es nicht über die Hälfte der Dicke
eines Taschenkalenders. Wie es der heilige Mann anfing, wenn er nicht
den größten Teil seiner Zeit damit hinbrachte, seinen Bart zu kämmen
oder mit seinem Kaplan Brett zu spielen, -- das könnte einem jeden
Sterblichen, dem man das Geheimnis nicht sagte, den Kopf verrücken.
Es ist deshalb wohl wert, daß man's der Welt erklärt, wär's auch nur,
um die wenigen in derselben aufzumuntern, die nicht sowohl um Brot
schreiben wie um Ruhm.

Ich gestehe, wäre Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent,
für dessen Andenken -- ungeachtet seiner Galatea -- ich die höchste
Ehrerbietung hege, wäre er, mein Herr, ein magerer Skribent gewesen,
von stumpfem Witz, langsamen Begriffen, von verstopftem Kopfe und so
mehr, er und seine Galatea möchten meinetwegen bis zu Methusalems
Alter miteinander fortgeholpert sein, die Erscheinung wäre keiner
Parenthese wert gewesen.

Aber das Gegenteil gerade war die Wahrheit. Johann de la Casse war ein
Genie von großen Fähigkeiten und fruchtbarer Phantasie. Und doch, bei
allen diesen großen Naturgaben lag er zugleich an einer Kraftlosigkeit
danieder, daß er an einem langen Sommertage nicht über anderthalb
Zeilen zustande bringen konnte. Dieses Unvermögen Seiner Eminenz kam
von einer Meinung, womit Seine Eminenz behaftet waren. Besagte Meinung
war nämlich diese: Sooft ein Christ sich hinsetzte, ein Buch zu
schreiben, nicht bloß zu seinem eigenen Zeitvertreibe, sondern seine
Absicht und sein Zweck mögen sogar +bona fide+ sein, so wären
seine ersten Einfälle allemal Versuchungen des Bösen. Dies wäre der
Fall mit gewöhnlichen Schriftstellern; wenn aber gar eine Person von
ehrwürdigem Charakter und hohem Stande entweder in der Kirche oder
im Staate einmal Autor würde, so behauptete er, daß von demselben
Augenblicke an, da ein solcher die Feder in die Hand nähme, alle Teufel
in der Hölle aus ihren Löchern hervorkämen, um ihn zu verlocken. Das
wäre ihre Walpurgisnacht. Jeder Gedanke, der erste und letzte, sei
verfänglich, ob scheinbar oder wirklich gut, gleichviel, in was für
Gestalt oder Farben er sich der Imagination darstellen möchte: es
wäre dennoch ein Streich eines oder des anderen von den Teufeln, der
auf ihn gerichtet sei und welcher abpariert werden müßte. -- So daß
der Stand eines Schriftstellers, er möchte es nun glauben wollen oder
nicht, nicht sowohl ein Stand der Feder als des Schwertes sei. Seine
Probejahre wären wie die eines jeden Kriegsmannes auf diesem Erdboden.
In beiden, bei dem einen wie bei dem anderen, käme es nicht halb soviel
auf den Grad des Verstandes als des Widerstandes an.

Meinem Vater behagte diese Theorie des Johann de la Casse, Erzbischofs
von Benevent, außerordentlich. Wäre sein Glaube nicht ein wenig dabei
in die Enge gekommen, ich glaube, er hätte die besten zehn Äcker von
den Shandyschen Gütern darum gegeben, daß er sie selbst erfunden haben
möchte. Wie viel oder wenig mein Vater an einen Teufel glaubte, das
wird sich erweisen, wenn ich in der Folge dieses Werkes von meines
Vaters Meinungen in der Religion sprechen werde. Hier ist's genug, zu
sagen, da er von dem buchstäblichen Sinne dieser Lehre nicht die Ehre
haben konnte, so begnügte er sich mit dem Allegorischen. Er pflegte oft
zu sagen, besonders wenn seine Feder ein wenig stätisch war, es wäre
unter dem Schleier des Johann de la Casse parabolischer Vorstellung
ebensoviel Sinn, Wahrheit und Wissenschaft verborgen, wie man nur in
irgendeiner poetischen Fiktion oder mystischen Erzählung des Altertums
fände. -- »Vorurteil der Erziehung,« pflegte er zu sagen, »das ist
der Satan, und die Menge derselben, welche wir mit der Muttermilch
einsaugen, sind alle Teufel. Wir werden von ihnen verfolgt, Bruder
Toby, bei unseren Untersuchungen und Ausarbeitungen. Wäre ein Mann dumm
genug, ihren Zudringlichkeiten so zahmerweise nachzugeben, was würde
aus seinem Buche werden? Nichts!« pflegte er hinzuzusetzen, und warf
seine Feder an die Erde, daß es krachte. »Nichts als ein Gemengsel
von dem Ammengeklatsche und dem Unsinn der alten Weiber -- von beiden
Geschlechtern -- aus dem ganzen Reiche.«

Dies ist die beste Ursache, die ich von dem langsamen Fortgange,
den mein Vater bei seiner +Tristra pædia+ machte, anzugeben
entschlossen bin, an welcher er, wie gesagt, drei Jahre und etwas
darüber unermüdlich arbeitete und zuletzt kaum -- nach seiner eigenen
Berechnung -- die Hälfte seines Planes ausgeführt hatte. Das Unglück
dabei war, daß ich die ganze Zeit über völlig versäumt und meiner
Mutter überlassen wurde. Und was fast ebenso schlimm war, durch die
Verzögerung wurde der erste Teil des Werkes, an den mein Vater den
meisten Fleiß verwendet hatte, völlig unbrauchbar. Jeden Tag wurden
eine oder ein paar Seiten unnütz.

Gewiß muß es eine Rute für den Stolz der menschlichen Weisheit geben;
da auch die Weisesten unter uns allen sich so übereilen und ewig ihren
Zweck, durch die unmäßige Hitze ihn zu erhaschen, verfehlen müssen.

Kurz, mein Vater hielt sich so lange bei seinem Widerstand auf -- oder
mit anderen Worten --, er förderte sein Werk so ungemein langsam,
und ich begann so flink zu leben und zu wachsen, daß, wenn nicht ein
Zufall dazwischengekommen wäre -- der, wenn wir so weit gelangt sind
und es mit Wohlanständigkeit geschehen kann, keinen Augenblick länger
vor meinem Leser verheimlicht werden soll --, ich wahrhaftig glaube,
ich hätte an meinem Vater vorbei gelebt, und hätte ihm eine Sonnenuhr
zeichnen lassen, um solche unter die Erde zu vergraben.

                            [Illustration]




                      Achtundsiebzigstes Kapitel.


Es war nichts, ich verlor keine zwei Tropfen Bluts dabei. Es war nicht
der Mühe wert, einen Wundarzt zu rufen, und hätte er Türe an Türe bei
uns gewohnt -- Tausende leiden aus Wahl, was ich aus Zufall litt. --
Doktor Slop machte zehnmal mehr Aufhebens davon, als nötig war. --
Einige Leute bringen sich dadurch empor, daß sie die Kunst verstehen,
großes Gewicht an dünnen Draht zu hängen. Und ich muß noch bis auf den
heutigen Tag (den 10. August 1761) den Ruhm dieses Mannes mit bezahlen.
O, es sollte wohl einen Stein ärgern, zu sehen, wie es in dieser
Welt hergeht! Das Stubenmädchen hatte keinen -- -- -- unter dem Bette
gelassen. »Kann das Kind sich nicht behelfen,« sagte Susanna, indem
sie bei den Worten mit einer Hand das Fallfenster aufschob und mit
der andern mich ins Fenster stellte, »kann das Kind es nur einmal so
machen, daß es -- --?«

Ich war fünf Jahre alt. Susanna bedachte nicht, daß in unserer Familie
nichts am rechten Haken hing. Und klapps! schoß das Fallfenster wie der
Blitz auf uns herab. »Nichts übrig,« schrie Susanna, »nichts übrig für
mich, als aus dem Lande zu laufen.«

Meines Onkels Toby Haus war eine viel bessere Freistatt. Also floh
Susanna dahin.

                            [Illustration]




                      Neunundsiebzigstes Kapitel.


Als Susanna dem Korporal den Unfall mit dem Fallfenster erzählte, nebst
allen Umständen, die meinen Mord -- wie sie es nannte -- begleitet
hatten, trat ihm das Blut aus den Wangen zurück. Da alle, die zum
Morden beitragen, Totschläger sind, sagte Trimm sein Gewissen, daß
er ebenso schuldig sei wie Susanna. Und wenn der Satz wahr wäre, so
hätte mein Onkel Toby das Blutbad ebensogut vor Gott zu verantworten
gehabt wie einer von ihnen beiden. Auf diese Weise hätten weder
Vernunft noch Instinkt, einzeln oder zusammen, Susanna unmöglich nach
einer besseren Freistatt führen können. Dieses der Einbildung des
Lesers anheimzugeben, wäre vergebens. Nur zu irgendeiner Hypothese zu
gelangen, die einigen Stich hielte, müßte er sein Gehirn wundpeitschen
-- und es ohne das zu tun --, müßte er ein Gehirn haben, wie noch kein
Leser vor ihm gehabt hat. -- Warum sollte ich ihn einer solchen Prüfung
oder Tortur aussetzen? Es ist meine eigene Sache, ich will es selbst
erklären.


                            [Illustration]




                         Achtzigstes Kapitel.


»Schade, Trim!« sagte mein Onkel Toby, mit seiner Hand auf Trims
Schulter gelehnt, als sie beide standen und ihre Werke besahen, »daß
wir nicht ein paar Feldstücke haben, die wir in die Schießscharten
dieser neuen Redoute pflanzen könnten. Das würde alle jene Linien
decken und die Attacke an der Seite vollkommen machen. Laß Er mir ein
paar gießen, Trim.«

»Euer Gnaden sollen sie haben,« versetzte Trim, »ehe es morgen Tag
wird.«

Es war Trim eine Herzensfreude, und seinem anschlägigen Kopfe fehlte
es niemals an Einfällen, meinem Onkel Toby in seinen Feldzügen
mit allem an die Hand zu gehen, was nur immer seine Phantasie für
nötig erachtete. Wäre es auch sein letzter harter Taler gewesen,
er hätte sich hingesetzt und einen Ringkragen daraus gehämmert, um
dem geringsten Wunsche seines Herrn zuvorzukommen. Der Korporal
hatte schon, vermittels der Enden von meines Onkels Toby Dachröhren,
des Bleis aus seinen Dachrinnen, seines eingeschmolzenen zinnernen
Barbierbeckens, und da er zuletzt, wie Ludwig +XIV.+, bis zu den
Kirchspitzen gegangen, um das überflüssige Blei usw. zu holen, in
ebendem Feldzuge nicht weniger als acht neue Batteriestücke nebst drei
halben Feldschlangen ins Lager geliefert. Meines Onkels Begehren nach
noch zwei Kanonen für die Redoute hatte den Korporal von neuem Hand ans
Werk legen lassen. Da sich aber nichts Besseres darbot, hatte er die
beiden bleiernen Gegengewichte von den Fallfenstern in der Ammenstube
genommen. Und da die Rollen, worauf diese Gegengewichte liefen, nachdem
diese fort, unnütz waren, so hatte er sie gleichfalls mitgehen heißen,
um ein Paar Räder zu einer von ihren Lafetten daraus zu machen.

Er hatte jedes Fenster in meines Onkels Toby Hause, lange vorher schon,
auf ebendie Art beraubt, obgleich nicht eben auf diese Weise. Denn
zuweilen fehlte es ihm an Rollen und nicht am Blei. Alsdann begann
er mit den Rollen. Wenn dann die Rollen fort waren, so ward das Blei
unnütz und mußte dann auch zum Schmelzlöffel.

Man könnte hieraus ganz behende eine wichtige Moral ziehen, aber ich
habe nicht Zeit. Genug, wenn ich sage, die Plünderung mochte anfangen,
wo sie wollte, es war für die Fallfenster gleich schlimm.

                            [Illustration]




                      Einundachtzigstes Kapitel.


Der Korporal hatte bei diesem Ingenieurstreiche seine Maßregeln nicht
so schlecht genommen, daß er nicht das ganze Geheimnis hätte für sich
behalten und Susanna dem ganzen Gewichte der Attacke aussetzen können.
Allein wahrer Tapferkeit ist's nicht genug, sich so durchzuhelfen.
Der Korporal, ob als General oder als Trainkommissarius -- das tut
nichts --, hatte die Fenster in einen Zustand versetzt, ohne den, wie
er glaubte, das Unglück nicht hätte geschehen können, wenigstens nicht
unter Susannas Händen. Wie hätten sich Eure Gnaden dabei benommen? Er
beschloß auf der Stelle, sich nicht hinter Susanna zu verkriechen,
sondern sie zu decken. Und mit dieser Entschließung marschierte er
geradeswegs ins Wohnzimmer, um meinem Onkel das Manöver vorzulegen.

Mein Onkel Toby hatte eben dem Herrn Yorick eine Beschreibung von der
Schlacht bei Steenkirchen gemacht und von der sonderbaren Abordnung des
Grafen Solms, welcher der Infanterie befohlen Halt zu machen und der
Kavallerie zu marschieren, wo sie nicht agieren konnte. Das war gerade
gegen die Order des Königs und zog den Verlust der Bataille nach sich.

In einigen Haushaltungen gibt es Vorfälle, die sich so genau an das,
was folgen soll, anschmiegen, daß es kaum durch die Erfindung der
dramatischen Schriftsteller besser ausgedacht werden konnte, die aus
alten Zeiten meine ich.

Trim bestrebte sich, seine Historie dadurch, daß er seinen Zeigefinger
flach auf den Tisch legte und mit der Handkante in einem scharfen
Winkel daraufschlug, so zu erzählen, daß sie Priester und Jungfrauen
hätten anhören können. Und nachdem die Historie erzählt, ging der
Dialog fort, wie folgt.

                            [Illustration]




                      Zweiundachtzigstes Kapitel.


»Ich wollte mich lieber in der Türkenallee totpeitschen lassen,« rief
der Korporal, »als leiden, daß dem Frauenzimmerchen deswegen Leides
geschehe. -- Es war meine Schuld, Euer Gnaden, nicht ihre.«

»Korporal Trim,« erwiderte mein Onkel Toby, wobei er seinen Hut
aufsetzte, der auf dem Tische lag, »wenn man das eine Schuld nennen
kann, was der Dienst unumgänglich notwendig macht, so bin ich's
unstreitig, auf den sie fällt. Er gehorchte dem Kommando.«

»Hätte der Graf Solms, mein guter Trim, es bei der Steenkircher
Schlacht ebenso gemacht,« sagte Yorick ein wenig spaßhaft zu dem
Korporal, der im Rückzug von einem Dragoner übergeritten worden, »so
hätte er Ihn gerettet.« -- »Gerettet!« schrie Trim und fiel ihm in die
Rede. »Fünf ganze Regimenter, Hochehrwürden, hätte er gerettet. Da war
Cutts, Mackays, Angus, Grahams und Levens Regiment, die wurden alle in
die Pfanne gehauen. Unserer Leibgarde wäre es nicht besser gegangen,
hätten's nicht etliche Regimenter vom rechten Flügel verhindert, welche
ihnen beherzt zu Hilfe kamen und den Feind erst auf sich abfeuern
ließen, ehe eine Seele von ihnen einen Hahn abdrückte. Sie haben
dabei den Himmel mit verdient,« setzte Trim hinzu. »Trim hat recht,«
sagte mein Onkel Toby und nickte Yorick zu. »Er hat ganz recht.« --
»Was wollte er damit, daß er die Reiter aufmarschieren ließ,« fuhr
der Korporal fort. »Wo das Terrain so knapp war und die Franzosen
solch eine Nation von Hecken, von Koppeln, von Graben und in die
Kreuz und Quer umgehackten Bäumen hatten, daß man ihnen nicht an den
Leib kommen konnte -- wie sie's immer machen --. Graf Solms sollte
uns hinkommandiert haben. Wir hätten ihnen Schuß um Schuß ganz anders
einheizen wollen. Die Kavallerie konnte nicht ankommen. Aber wie ging's
ihm auch dafür? Wurde ihm nicht gleich die nächste Kampagne darauf bei
Landen der Fuß abgeschossen?« -- »Der arme Trim bekam da seine Wunde,«
sagte mein Onkel Toby. -- »Ich hatte es keinem Menschen sonst, mit Euer
Gnaden Wohlnehmen, zu danken als dem Grafen Solms. Hätten wir sie zu
Steenkirchen brav zusammengeschossen, so hätten sie bei Landen nicht
stehen können.« -- »Vielleicht, und vielleicht auch nicht, Trim,«
sagte mein Onkel Toby. »Denn wenn sie nur ein Holz vor sich kriegen
oder einen Augenblick Zeit gewinnen können, sich einzugraben, so
ist's eine Nation, die einen immer bald hinten, bald vorne neckt und
zwickt. Man kommt nicht anders mit ihnen aus, als man muß ihnen nur
kaltblütig auf die Haut rücken, ihr Feuer aushalten und dann frisch
über sie herfallen.« -- »Piff, paff,« setzte Trim hinzu. »Zu Fuß und zu
Pferde,« sagte mein Onkel Toby. -- »Was hast du, was kannst du,« sagte
Trim. -- »Links und rechts,« rief mein Onkel Toby. -- »Feuer auf die
Hunde!« schrie der Korporal. Das Treffen war hitzig, Yorick rückte der
Sicherheit wegen seinen Stuhl ein wenig auf die Seite und nach einer
Minute Pause ließ mein Onkel Toby seine Stimme um eine Sekunde sinken
und faßte das Gespräch wieder auf, wie folgt:


                            [Illustration]




                      Dreiundachtzigstes Kapitel.


»Der König Wilhelm,« sagte mein Onkel Toby, wobei er sich an Yorick
wendete, »verhängte eine solche Ungnade über den Grafen Solms, daß
er ihn einige Monate lang nicht vor sich kommen lassen wollte.« --
»Ich besorge,« antwortete Yorick, »unser Herr Shandy wird ebenso
ungnädig auf den Korporal sein wie der König auf den Grafen.« -- »Es
würde aber hier ganz sonderbar hart sein, wenn Korporal Trim, dessen
Aufführung bei dieser Sache der Aufführung des Grafen so schnurstracks
entgegengesetzt ist, das Schicksal haben sollte, mit einerlei Ungnade
belohnt zu werden. Zu oft geht's leider so in dieser Welt! -- Ich
wollte eine Mine anzünden,« rief mein Onkel Toby und stand dabei auf,
»und meine Fortifikationen samt meinem Hause in die Luft sprengen,
und wir wollten uns lieber unter dem Schutt begraben lassen, ehe ich
dabeistehen und das ansehen wollte.« -- Trim machte einen kleinen, aber
dankbaren Bückling gegen seinen Herrn. Und so endigt das Kapitel.

                            [Illustration]




                      Vierundachtzigstes Kapitel.


»Wohlan, Herr Yorick,« erwiderte mein Onkel Toby, »Sie und ich wollen
in Front voraufgehen. Er, Korporal, Er kann ein paar Schritte hinter
uns nachfolgen.« -- »Und Susanna, wenn es Euer Gnaden erlauben, soll
in der Arrieregarde folgen,« sagte Trim. Es war eine vortreffliche
Disposition.

In dieser Ordnung, ohne klingendes Spiel und fliegende Fahnen,
marschierten sie langsam vor meines Onkels Toby Hause nach Shandy-Hall.

»Ich wollte,« sagte Trim, als sie durch den Torweg zogen, »ich hatte
statt des Bleis an den Fallfenstern die Enden von den Dachröhren an der
Kirche abgeschlagen, wie ich schon einmal zu tun willens war.« -- »Laß
er des Endenabschlagens genug sein,« versetzte Yorick.

                            [Illustration]




                      Fünfundachtzigstes Kapitel.


So manche Zeichnung auch von meinem Vater gegeben worden und so ähnlich
sie ihm auch in seinen verschiedenen Mienen und Stellungen sein mögen,
so kann doch weder eine noch alle zusammengenommen dem Leser eine Art
von Vorhersehen verschaffen, wie mein Vater bei neuen Vorfällen und
Begebenheiten des Lebens denken, sprechen oder handeln würde. Die
Endlosigkeit des Sonderbaren in seinem Charakter und der zufälligen
Bestimmungen, bei welchem Ende er eine Sache angreifen würde, ging so
weit, mein Herr, daß solche einen Strich durch alle ihre Berechnungen
machte. -- Die Sache war, sein Pfad lag von dem, worauf die meisten
Menschen wandeln, so weit seitwärts, daß jedes Ding, was ihm vorkam,
seinem Auge in einer eigenen Gestalt und Richtung erschien. Ganz
verschieden von der Höhe und Breite, in der es andere Menschenkinder
erblickten. Mit anderen Worten: es war ein ganz anderes Ding und ward
denn auch ganz anders betrachtet.

Dies ist die wahre Ursache, warum meine liebe Jenny und ich sowohl als
alle Welt um uns her soviel Hader um nichts haben. Sie sieht auf ihr
Äußeres und ich auf ihr Inneres. Wie ist es möglich, daß wir über ihren
Wert einig werden sollten.

                            [Illustration]




                     Sechsundachtzigstes Kapitel.


Es ist eine ausgemachte Sache -- und ich führe es hier zu Konfuzius'
Troste an, der die Gabe hat, sich beim Erzählen einer schlechten
Geschichte gar weidlich zu verwickeln, daß es, wofern er nur die
Geschichte nicht ganz von der Leine läßt, er mag rückwärts oder
vorwärts gehen, so wird es ihm nicht als Entgleisung angerechnet.

Dieses vorausgesetzt, will ich von diesem Privileg des freien
Zurückgehens selbst Gebrauch machen.

                            [Illustration]




                     Siebenundachtzigstes Kapitel.


Fünfzigtausend Körbe mit Teufeln geladen -- ich meine nicht des
Erzbischofs von Beneventos, sondern Rabelais' Teufel -- denen die
Schwänze dicht am Rumpfe abgehackt worden, könnten den Hals nicht so
höllisch darüber aufgerissen haben, wie ich bei meinem Unfall tat.
Mein Geschrei lockte meine Mutter den Augenblick nach der Kinderstube,
so daß Susanna nur ebensoviel Zeit hatte, durch die Hintertreppe zu
entwischen, als meine Mutter die große Stiege heraufkam.

Nun wäre ich freilich alt genug gewesen, diese Historie selbst zu
erzählen, und jung genug, hoffe ich, es zu tun, ohne Arges daraus zu
haben; aber Susanna hatte es in ihrer Furcht, als sie an der Küche
vorbeiging, der Köchin in Eile überliefert. Die Köchin hatte es
mit einem Kommentar dem Jonathan und Jonathan dem Obadiah erzählt.
Dergestalt, daß, nachdem mein Vater ein halbes Dutzend Male geklingelt
hatte, zu erfahren, was da oben vorginge, Obadiah bereits imstande war,
ihm genaue Nachricht zugeben, was und wie es sich zugetragen hätte. --
»Dacht' ich's nicht!« sagte mein Vater, warf seinen Schlafrock über und
stürmte so die Treppe hinauf.

Aus diesem sollte man fast schließen -- obgleich ich für meinen Teil es
ein wenig in Zweifel ziehe --, daß mein Vater schon vor dieser Zeit das
merkwürdige Kapitel in der +Tristra pædia+ wirklich geschrieben
haben müßte, welches für mich das Originellste und Unterhaltendste im
ganzen Buche ist -- ich meine das Kapitel von den Fallfenstern, mit
einer derben Strafpredigt am Ende desselben, über die Vergessenheit der
Stubenmädchen. Ich habe nur zwei Ursachen, anders zu denken.

Erstlich, wäre die Sache in seine Gedanken gekommen, bevor der Unfall
geschah, so würde mein Vater ein für allemal das Fallfenster zugenagelt
haben. Was er, wenn man bedenkt, wie sauer ihm das Bücherschreiben
wurde, mit zehnmal leichterer Mühe hätte tun können, als das Kapitel
schreiben. Dieser Grund, sehe ich schon, könnte auch dazu angewendet
werden, daß er das Kapitel auch nach dem Vorfall nicht geschrieben
habe. Ist aber nicht nötig, ihn dazu zu verwenden, wegen der zweiten
Ursache nicht, welche ich die Ehre habe, der Welt zur Unterstützung
meiner Meinung vorzulegen: warum mein Vater das Kapitel von den
Fallfenstern und Kammergefässen zu der besagten Zeit nicht geschrieben
haben könne. Und das ist diese: Daß, um die +Tristra pædia+
vollständig zu machen, ich selbst das Kapitel geschrieben habe.

                            [Illustration]




                      Achtundachtzigstes Kapitel.


Mein Vater setzte seine Brille auf -- beguckte -- nahm sie wieder ab
-- legte sie ins Futteral -- alles in weniger als einer vollen Minute.
Ohne die Lippen zu öffnen, kehrte er sich um und ging plötzlich die
Treppe hinunter. Meine Mutter dachte, er wäre hinuntergegangen, um
gezupftes Leinen und Wundbalsam zu holen. Als sie ihn aber mit ein
paar Foliobänden unter dem Arme und Obadiah mit einem großen Lesepuite
hinter ihm hereintreten sah, meinte sie nichts anderes, als es sei ein
Kräuterbuch, und zog ihm also einen Stuhl an die Seite des Bettes,
damit er mit Bequemlichkeit ein Heilkraut suchen könnte.

»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte mein Vater und schlug die
Sektion auf: +de sede vel subjecto circumcisionis+. Denn er
hatte Spender +de legibus Hebræorum ritualibus+ heraufgebracht
und den Maimonides, um uns alle miteinander zu konfrontieren und zu
examinieren. --

»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte er. -- »Wenn ich nur erst weiß,
was für ein Kraut.« -- »Wenn du das wissen willst, mußt du nach dem
Doktor Slop schicken.«

Meine Mutter ging hinunter, und mein Vater las die Sektion weiter, wie
folgt:

       *       *       *       *       *

-- -- »recht gut,« sagte mein Vater, -- -- -- -- -- -- -- -- »Ja, wenn
die Unbequemlichkeit dabei ist.« Und nun, ohne sich einen Augenblick
dabei aufzuhalten, ob die Juden es von den Ägyptern oder die Ägypter
von den Juden hatten, stand er auf. Nachdem er mit der flachen Hand
zwei- oder dreimal über die Stirn gefahren war -- so wie wir wohl die
Fußtapfen der Sorge wegzuwischen pflegen, wenn ein Unglück uns nicht
so hart getreten, wie wir fürchteten -- schlug er das Buch zu und ging
hinunter. »Nun denn,« sagte er, und sowie er den Fuß auf einen andern
Tritt Setzte, nannte er dabei den Namen je einer großen Nation: »Wenn
die Ägypter, die Syrer, die Phönizier, die Araber, die Kappadozier, die
Kolchier und die Troglodyten es taten, wenn Solon und Pythagoras es
auch unterließen, wer ist Tristram, wer bin ich, daß ich mich über die
Sache einen Augenblick übel gebärden sollte?«

                            [Illustration]




                      Neunundachtzigstes Kapitel.


»Lieber Yorick,« sagte mein Vater lächelnd -- denn Yorick war aus dem
Gliede getreten, da er mit meinem Onkel Toby durch den engen Gang
gekommen war, und trat also zuerst in das Wohnzimmer --, »finden Sie
nicht auch, daß unser Tristram da sich es um alle Sakramente recht
sauer werden lassen muß? Wohl niemals ist das Kind eines Juden,
Christen, Türken oder Heiden auf eine so krumme und schiefe Art zu
seinen Religionsgebräuchen gekommen.« -- »Ich hoffe doch, daß es nichts
auf sich haben wird,« sagte Yorick. »Es muß ganz gewiß,« fuhr mein
Vater fort, »eben der Henker in irgendeiner Gegend der Ekliptik los
gewesen sein, als dieses Zweiglein aus meinem Stamme gebildet worden.«
-- »Das können Sie besser beurteilen als ich,« erwiderte Yorick. --
»Die Astrologen wissen's besser, wie wir alle beide,« sagte mein Vater.
»Die gedritte oder gesechste Scheine müssen übereinandergesprungen
sein, oder die Gegenscheine ihrer Aszendenten haben es nicht getroffen,
wie sie sollten, oder die Zeugevorsteher -- wie sie sie nennen -- haben
eben Verstecken gespielt, oder es ist sonst etwas, entweder unten oder
oben mit uns nicht recht gewesen.«

»Wohl möglich,« antwortete Yorick. »Aber,« schrie mein Onkel Toby,
»hat das Kind auch großen Schaden genommen?« -- »Die Troglodyten sagen
nein,« versetzte mein Vater. -- »Und Ihre Theologen, Yorick, sagen uns
--« -- »Theologisch gesprochen?« sagte Yorick.

»Ich weiß nicht gewiß,« erwiderte mein Vater. »Aber sie sagen uns,
Bruder Toby, daß es ihm Vorteil tue.« -- »Vorausgesetzt,« sagte Yorick,
»daß Sie ihn nach Ägypten reisen lassen.« -- »Was das anbelangt,«
antwortete mein Vater, »so wird er den Vorteil haben, wenn er die
Pyramiden sieht.«

»Nun, so ist doch jedes Wort hiervon,« sagte mein Onkel Toby, »für mich
so gut wie Arabisch.« -- »Ich wünschte,« sagte Yorick, »es wäre so für
die halbe Welt.«

»Ilus,« fuhr mein Vater fort, »beschnitt eines Morgens sein ganzes
Kriegsheer.« -- »Doch nicht ohne Kriegsrecht?« rief mein Onkel Toby.
»Obgleich die Gelehrten,« fuhr er fort, ohne auf meines Onkels Toby
Frage zu achten, sondern an Yorick sich wendend, »sehr geteilter
Ansicht darüber sind, wer dieser Ilus war. Einige sagen Saturnus,
andere das höchste Wesen. Andere nichts weiter als Generalbrigadier
unter Pharao-neco.« -- »Es sei, wer es sei,« sagte mein Onkel Toby,
»ich sehe nicht, nach was für einem Punkt aus den Kriegsartikeln er es
rechtfertigen kann.«

                            [Illustration]




                         Neunzigstes Kapitel.


»Sie sehen, es ist hohe Zeit,« sagte mein Vater, indem er sich zugleich
an meinen Onkel Toby und Herrn Yorick wendete, »daß man den Knaben den
Weiberhänden wegnimmt und ihn einem eigenen Hofmeister in die Hände
gibt. Marcus Antonius nahm auf einmal vierzehn Hofmeister, seinen Sohn
Commodus zu erziehen. In sechs Wochen gab er fünf davon den Abschied.
-- Ich weiß recht gut,« fuhr mein Vater fort, »daß Commodus' Mutter zu
der Zeit, als sie mit ihm schwanger ward, in einen Fechter verliebt
war, woraus sich eine Menge von den Grausamkeiten erklären lassen, die
er beging, als er Kaiser wurde. -- Aber ich bin doch immer der Meinung,
daß diese fünf, welche Antonius verabschiedete, dem Gemüt des Commodus
in der kurzen Zeit mehr Schaden taten, als die übrigen neun in ihrem
ganzen Leben gutzumachen vermochten.

Da ich nun die Person, die um meinen Sohn sein soll, als einen Spiegel
betrachte, in weichem er sich von morgens bis abends erblicken und nach
dem er seine Blicke, Mienen und Gebärden und vielleicht die innigsten
Empfindungen seines Herzens einrichten muß, so möchte ich gerne, mein
lieber Yorick, einen haben, der, wenn es möglich, über und über poliert
und dazu tüchtig wäre, daß sich mein Kind darin spiegelte.« -- »Das ist
recht vernünftig,« sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.

»Es gibt,« fuhr mein Vater fort, »einen gewissen Anstand und eine
gewisse Bewegung des Körpers und aller seiner Glieder sowohl im Handeln
als im Reden, welche von der inneren Güte eines Menschen zeugen.
Es wundert mich keineswegs, daß Gregorius von Nazianzum, als er am
Julian die schnellen und unsteten Gebärden wahrnahm, voraussagte, daß
er eines Tages abtrünnig werden würde. Oder daß St. Ambrosius seinen
Amanuensem wegen einer unanständigen Bewegung mit dem Kopfe, der wie
ein Dreschflegel hin und her ging, wegjagte. Oder daß Demokritus gleich
merkte, daß Protagoras ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel
Reisholz binden und die dünnsten Reiser in die Mitte legen sah. Es gibt
tausend unbemerkte Öffnungen,« fuhr mein Vater fort, »durch die ein
scharfes Auge auf einmal die Seele entdecken kann. Ich behaupte, daß
ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut niederlegen kann, wenn er in ein
Zimmer kommt, oder aufnehmen, wenn er hinausgeht, ohne daß ihm etwas
entwischt, das ihn verrät.

Dieser Gründe wegen,« fuhr mein Vater fort, »darf der Hofmeister, den
ich erwählen werde, weder lispeln noch schielen oder blinzeln, weder
laut reden noch störrisch oder närrisch aussehen, weder die Lippen
beißen noch mit den Zähnen knirschen, weder durch die Nase sprechen
noch darin wühlen oder sie mit den Fingern putzen.

Er soll weder geschwind gehen noch langsam, nicht sich einhängen,
denn das ist Faulheit, noch seine Arme bummeln lassen, denn das ist
tölpelhaft, noch seine Hände in den Taschen verstecken, denn das ist
abgeschmackt.

Er soll auch nicht schlagen, nicht kratzen, nicht kneifen, nicht
kitzeln, nicht beißen, keine Nägel abschneiden, keinen Schleim
hinunterwürgen, nicht ausspucken, nicht ausrotzen, nicht trommeln mit
Füßen oder Fingern, wenn er in Gesellschaft ist, noch -- nach Erasmus
-- mit jemand sprechen, wenn er Wasser läßt. Er soll auch auf kein
totes Aas oder einen Auswurf mit dem Finger weisen.« -- »Nun, da haben
wir wieder ganz unvernünftiges Zeug!« sagte mein Onkel Toby bei sich
selbst.

»Ich will haben, er soll,« fuhr mein Vater fort, »freundlich sein,
munter, aufgeweckt, und dabei klug, aufmerksam auf sein Geschäft,
wachsam, verschlagen, erfindsam, schnell in Auflösung der Zweifel und
spekulativer Fragen; soll bedächtig, vernünftig und gelehrt sein.« --
»Und warum nicht auch bescheiden und mäßig, und sanftmütig und gut?«
sagte Yorick. -- »Und warum nicht auch,« schrie mein Onkel Toby,
»freimütig und großmütig, und guttätig und herzhaft?« -- »Das soll er,
mein lieber Toby,« versetzte mein Vater, wobei er aufstand und ihm
die Hand schüttelte. -- »Gut, Bruder Walther,« antwortete mein Onkel
Toby, der gleichfalls aus seinem Stuhle aufstand und seine Pfeife
niederlegte, um meines Vaters andere Hand zu erfassen. »Ich bitte dich
ergebenst, daß ich dir den Sohn des armen Le Fevers empfehlen dürfte.«
Eine Freudenträne blitzte wie der schönste Brillant in meines Onkels
Toby Auge, und eine andere, die das Paar vollmachte, im Auge des
Korporals, als der Vorschlag getan ward.

Le Fevers schwebte meinem Onkel Toby die ganze Zeit über in den
Gedanken, da mein Vater ihm und Herrn Yorick beschrieb, was für eine
Art von Person er zum Hofmeister für mich haben wollte. Da aber
anfangs mein Vater meinem Onkel Toby in Ansehung der Vollkommenheiten
ein wenig zu begehrlich schien, enthielt er sich, Le Fevers' Namen zu
nennen, bis endlich der Charakter durch die Dazwischenkunft des Herrn
Yorick unvermutet auf jemand hinauslief, der Mut hätte, großmütig und
gutherzig wäre. So rückte ihm solches Le Fevers' Bild wieder näher vor
die Seele und legte sein Bestes meinem Onkel Toby so innig ans Herz,
daß er augenblicklich vom Stuhle aufstand und seine Pfeife niederlegte,
um meines Vaters beide Hände zu fassen. »Ich bitte, Bruder Walther,«
sagte mein Onkel Toby, »laß dir Le Fevers' Sohn dazu empfohlen sein.«
-- »Ich bitte gleichfalls darum,« fügte Yorick hinzu. -- »Er hat ein
gutes Herz,« sagte mein Onkel Toby. -- »Und ein braves dazu, mit Euer
Gnaden Erlaubnis,« sagte der Korporal. -- »Die besten Herzen, Trim,
sind immer die bravsten,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Und die
größten alten Memmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, bei unserem Regiment,
waren allzeit die ärgsten Leutequäler. Da war der Sergeant Kumbart und
der Fähnrich --«

»Da wollen wir,« sagte mein Vater, »ein andermal von sprechen.«

                            [Illustration]




                      Einundneunzigstes Kapitel.


Wenn der Leser keinen deutlichen Begriff von den anderthalb Ruten
Landes hat, welches am Ende von meines Onkels Toby Küchengarten liegt
und welches die Szene so mancher seiner süßen Stunden war, so liegt die
Schuld nicht an mir, sondern an seiner Imagination. Denn ich hab's ihm
doch wahrhaftig so kindisch deutlich beschrieben, daß ich mich fast
selbst davor schäme.

Als die Göttin des Schicksals eines Nachmittags einen Blick in die
großen Begebenheiten der künftigen Zeiten tat und übersann, zu welchem
Zwecke diese kleine Verwicklung durch ein in diamantene Tafeln
gegrabenes Dekret bestimmt sei, gab sie der Natur einen Wink. Mehr
brauchte sie nicht.

Die Natur warf eine halbe Schaufel voll ihrer bestartigsten Erdmischung
darauf, die gerade so viel von zähem Ton enthielt, als nötig war, um
die Winkel und Einschnitte der Festung haltbar zu machen, und doch so
wenig, daß es nicht an Hacke und Spaten klebte, und daß bei schlechtem
Wetter die Werke von so großer Herrlichkeit nicht das Ansehen eines
Sudels bekämen.

Mein Onkel kam herunter, wie der Leser belehrt ist, und hatte die
Grundrisse von fast allen festen Städten in Italien und Flandern bei
sich. -- Der Herzog von Marlborough oder die Alliierten mochten also
eine Stadt belagern, welche sie wollten, mein Onkel Toby war allemal
fertig und bereit.

Seine Weise, eine der natürlichsten von der Welt, war diese: Sobald nur
eine Festung eingeschlossen war -- und noch früher, wenn der Vorsatz
bekannt war --, nahm er den Grundriß derselben zur Hand -- die Stadt
mochte sein, welche es wollte -- und vergrößerte den Maßstab nach dem
genauen Umfange seines grünen Spielplatzes. Dann trug er vermittels
einer Rolle Bindfaden und einer Anzahl kleiner Pflöcke, die er an den
verschiedenen Ecken und Winkeln in die Erde schlagen ließ, alle Linien
von seinem Papier auf die Fläche dieses Platzes. Wenn er darauf das
Profil des Platzes mit seinen Werken hatte, um die Breite und Tiefe
der Gräben, die Abschüssigkeit der Wälle und die genaue Höhe der
verschiedenen Brustwehren zu bestimmen, so stellte er den Korporal ans
Werk. Und es ging hübsch vonstatten. Die Gutartigkeit des Bodens, die
Gutartigkeit des Werkes selbst, und vornehmlich die Gutartigkeit des
Gemüts meines Onkels Toby, der vom Morgen bis Abend dabeisaß und mit
dem Korporal freundlich von ihren Taten plauderte, ließen der Arbeit
weiter nichts als die Zeremonie des Namens.

Wenn auf diese Weise die Festung vollendet und in gehörigen
Verteidigungsstand gesetzt worden war, wurde sie eingeschlossen. Mein
Onkel Toby und der Korporal fingen an, die erste Parallele zu ziehen.
Ich bitte, mich in meiner Geschichte dadurch nicht zu stören, daß man
etwa sagen möchte, die erste Parallele sollte wenigstens dreihundert
Ruten weit von der Festung entfernt sein, und ich habe nicht einen
einzigen Zoll breit dazu freigelassen. Denn mein Onkel Toby nahm
sich die Freiheit, in seinem Küchengarten um sich zu greifen, um die
Werke auf dem Spielplatze desto größer machen zu können. Aus dieser
Ursache ging er gewöhnlich mit seiner ersten und zweiten Parallele
zwischen zwei Reihen von Kraut- und Blumenkohl hindurch. Das Bequeme
und Unbequeme hierbei soll weitläufig erwogen werden in der Geschichte
von meines Onkels Toby und des Korporals Feldzügen, wovon dieses, was
ich jetzt schreibe, nur eine Skizze ist, und wenn ich recht mutmaße --
aber wie's mit allem Mutmaßen geht! --, mit drei Seiten abgetan sein
wird. Die Feldzüge selbst werden ebensoviel Bücher ausmachen. Deswegen
besorge ich, es möchte ein zu großes Gewicht von einer Art Materie für
ein so lockeres Werk sein wie dieses, wenn ich solche, wie ich einst
willens war, fragmentweise hier einschaltete. Nein, es ist besser, ich
lasse sie besonders drucken. -- Wir wollen's überlegen! -- Nehmen Sie
unterdessen mit folgender Skizze davon fürlieb.

                            [Illustration]




                      Zweiundneunzigstes Kapitel.


Wenn die Stadt mit ihren Festungswerken zustande gebracht war, fingen
mein Onkel Toby und der Korporal an, ihre erste Parallele zu ziehen,
nicht aufs Geratewohl oder so, sondern aus ebenden Punkten und in
ebenden Distanzen, wie die Alliierten die ihrigen begonnen hatten. Sie
richteten ihren Aufmarsch und ihre Attacken genau nach der Nachricht
ein, die mein Onkel Toby durch die Zeitungen empfing. Auf diese Weise
gingen sie die ganze Belagerung durch, Schritt für Schritt mit den
Alliierten. Machte der Herzog von Marlborough ein Lager, so machte
mein Onkel Toby sein Lager auch. Und wenn die Face einer Bastei
niedergeschossen oder ein Außenwerk ruiniert wurde, nahm der Korporal
seine Hacke und tat desgleichen. Und sofort gewannen sie Terrain und
bemeisterten sich eines Werkes nach dem anderen, bis die Stadt in ihre
Hände fiel.

Für jemanden, der an anderer Leute Glückseligkeit Vergnügen fand,
konnte in der Welt kein herrlicherer Anblick sein, als an einem Morgen
eines Posttages, wenn die Nachricht kam, daß der Herzog von Marlborough
eine brauchbare Bresche dem Hauptwalle der Stadt beigebracht hätte,
hinter der Taxushecke zu stehen und die Emsigkeit zu beobachten, mit
der mein Onkel Toby und der Korporal hinter ihm anrückten. Der eine mit
der Zeitung in der Hand, der andere mit einem Spaten auf der Schulter,
den Inhalt ins Werk zu setzen. Was für eine Herzensfreude leuchtete aus
meines Onkels Toby Blicken, wenn er den Wall hinanmarschierte! Welch
ein inniges Vergnügen schwamm in seinen Augen, wenn er vor dem Korporal
stand und ihm den Zeitungsartikel bei der Arbeit zehnmal vorlas, damit
er nicht aus Versehen die Bresche einen Zoll zu weit machte oder einen
Zoll zu eng ließ. Wurde aber erst die Einfallsbresche geschlagen und
der Korporal half ihm hinauf und folgte ihm mit der Fahne in der Hand.
um sie auf den Wall zu pflanzen -- Himmel! Erde! Meer! -- Aber was
sollen die Apostrophen? -- Aus allen Elementen, naß oder trocken, ist
noch niemals ein so berauschender Trank verfertigt worden.

Auf dieser Bahn des Vergnügens wandelten sie ununterbrochen,
ausgenommen wenn zuweilen starker Westwind war, so acht oder zehn
Tage das niederländische Postschiff aufhielt und sie so lange auf der
Folter ließ. Aber auch das war doch nur die Folter glücklicher Leute.
Auf dieser Bahn, sage ich, wandelten mein Onkel Toby und Trim manche
Jahre fort, und jedes Jahr und zuweilen jeder Monat brachte, nach der
Erfindung des einen oder des anderen von beiden, in ihren Operationen
eine oder die andere neue Erfindung oder listige und nützliche
Verbesserung hervor, welche ihnen bei der Ausführung allemal neue
Quellen des Vergnügens eröffnete.

Die Kampagne des ersten Jahres wurde von Anfang bis Ende in der einfach
ungekünstelten Art geführt, wie ich erzählt habe.

Im zweiten Jahre, in welchem mein Onkel Toby Lüttich und Roermond
einnahm, dachte er, er könnte wohl die Kosten für vier hübsche
Zugbrücken daran wagen. Von einem Paar derselben habe ich bereits in
den vorigen Teilen dieses Werkes eine genaue Beschreibung gegeben.

Gegen das Ende ebendieses Jahres tat er ein paar Tore mit Fallgattern
hinzu. Die letzteren aber wurden nachher als Orgelstücke besser
genutzt; und im Winter desselben Jahres spendierte sich mein Onkel Toby
statt eines neuen Kleides, das er sich sonst allemal zu Weihnachten
machen ließ, ein schönes Schilderhaus, das er an die Ecke des grünen
Spielplatzes stellte. Zwischen diesem und dem Fuße des Walles ließ
er eine kleine Art von Esplanade, auf welcher er und der Korporal
konferieren und Kriegsrat halten konnten.

Das Schilderhaus war dazu, wenn's regnen sollte.

Alles dieses wurde den folgenden Frühling dreimal weiß übermalt.
Dadurch setzte sich mein Onkel Toby in den Stand, mit vieler Pracht ins
Feld zu rücken.

Mein Vater pflegte oft zu Yorick zu sagen, wenn irgendein anderer
Sterblicher in der ganzen Welt, als sein Bruder Toby, so etwas getan
hätte, so würde jedermann es angesehen haben als die feinste und
bitterste Satire auf die paradierende und prachtsüchtige Weise, mit
welcher Ludwig +XIV.+ vom Anfange des Krieges an, besonders aber
ebendieses Jahr, ins Feld gerückt war. Aber meinem Bruder Toby, pflegte
mein Vater hinzuzusetzen, der gutherzigen Seele, kommt nie in den Sinn,
jemanden zu beleidigen.

Aber laßt uns fortfahren.

                            [Illustration]




                      Dreiundneunzigstes Kapitel.


Ich muß anmerken, daß, obgleich bei dem Feldzuge des ersten Jahres
das Wort Stadt oft vorkommt, dennoch damals noch keine Stadt in dem
Polygone war. Dieser Zusatz wurde erst in dem Sommer gemacht, der
auf den Frühling folgte, in welchem die Brücken und das Schilderhaus
angemalt wurden. Es war das dritte Jahr der Feldzüge meines Onkels
Toby. Da, nachdem Amberg, Bonn, Rheinburg und Huy und Limburg
nacheinander von ihnen eingenommen worden, dem Korporal der Gedanke
kam, daß man von der Einnahme so vieler Städte spräche, ohne eine
einzige Stadt davon aufweisen zu können, wäre eine dumme Art zu Werke
zu gehen. Also schlug er meinem Onkel Toby vor, daß sie sich ein
kleines Modell von einer Stadt bauen lassen müßten. Sie brauchte nur
von Tannenlatten zusammengeschlagen, dann angemalt, in das Polygon
hineingesetzt und für alle Städte benutzt werden.

Mein Onkel Toby fühlte augenblicklich das Gute an dem Projekt und
genehmigte es auf der Stelle; nur mit dem Zusatz von zwei ganz eigenen
Verbesserungen, auf welche er sich fast ebensoviel einbildete, als ob
er der erste Erfinder des Projekts selbst gewesen wäre.

Die eine war, die Stadt sollte ganz genau in dem Geschmacke derjenigen
gebaut werden, die sie sehr wahrscheinlicherweise würde vorstellen
müssen. -- Mit kleinen Fensterscheiben und den hohen Giebelenden der
Häuser nach der Gasse usw., wie in Gent und Brügge und den übrigen
brabantischen und flandrischen Städten.

Die andere war, die Häuser sollten nicht eins ins andere gebaut werden,
wie der Korporal vorschlug, sondern jedes Haus sollte für sich sein, so
daß man es an- oder abhacken könne, um sie in den Grundriß einer jeden
Stadt bringen zu können. Dies wurde den Augenblick vorgenommen, und
mancher glückwünschende Blick wurde zwischen meinem Onkel Toby und dem
Korporal Trim gewechselt, während der Zeit, daß der Zimmermann das Werk
machte.

Sie tat ihnen außerordentliche Dienste den nächsten Sommer. Die Stadt
war ein wahrer Proteus. Sie war Landen und Trarbach, und Santvliet und
Drusen, und Hagenau -- und dann wurde sie wieder Ostende und Menin, und
Aeth und Dendermonde.

Fürwahr, seit Sodom und Gomorrha hat noch keine Stadt so mancherlei
Rollen gespielt, als meines Onkels Toby Stadt spielte.

Im vierten Jahre dachte mein Onkel Toby, eine Stadt ohne eine Kirche
habe ein so kahles Ansehen, und tat eine recht hübsche Kirche mit einem
Glockenturme hinzu. Trim hätte auch gerne Glocken hinein gehabt, mein
Onkel Toby aber sagte, das Metall könnte besser zu Kanonen vergossen
werden.

Dies führte in der nächsten Kampagne zu einem halben Dutzend
messingener Feldstücke. Drei und drei an jeder Seite von meines
Onkels Toby Schilderhaus. In kurzer Zeit führten diese zu einem
etwas größeren Artillerietrain. Und so immer weiter, wie es allemal
bei steckenpferdischen Geschichten hergehen muß. Von Kanonen von
halbzölligem Kaliber, bis es endlich bis zu meines Vaters weiten
Steifstiefeln hinanstieg.

Das Jahr darauf, in welchem Lisle belagert wurde, und am Ende dessen
Gent und Brügge in unsere Hände fielen, ging's meinem Onkel Toby sehr
hart um die gehörige Munition. Ich sage, gehörige Munition, weil sein
Geschütz kein Pulver vertragen konnte; und ein Glück für die Shandysche
Familie war das! Denn so voll standen die Zeitungen vom Anfang
bis zu Ende der Belagerung, von dem unaufhörlichen Feuer, das die
Belagerer unterhalten hätten, -- und so erhitzt war meines Onkels Toby
Imagination von den Nachrichten davon, daß er sonst ganz gewiß sein Hab
und Gut verschossen hätte.

Etwas war also nötig, statt dessen unterzuschieben, zumal in einem
oder zwei der heftigsten Paroxismen der Belagerung, um etwas in der
Einbildung einem beständigen Feuer Ähnliches zu unterhalten. Und dieses
Etwas schaffte der Korporal, dessen vorzügliche Stärke im Erfinden
bestand, durch ein von ihm ganz neu erdachtes Batteriefeuer. Ohne
welches die militärischen Kritiker an meines Onkels Toby Apparates
daran auszusetzen gefunden hätten, daß eins der notwendigsten
Erfordernisse dabei fehlte.

Dies wird nicht schlechter erklärt werden, wenn ich, wie ich gewöhnlich
pflege, ein wenig von der Sache abgehe.

                            [Illustration]




                      Vierundneunzigstes Kapitel.


Unter zwei oder drei anderen Lappalien, die an sich selbst nichts
bedeuteten, aber dadurch einen großen Wert bekamen, daß sie der arme
Thomas, des Korporals unglücklicher Bruder, mit der Nachricht von
seiner Verheiratung mit der Judenwitwe überschickt hatte, waren: Eine
Reitmütze und zwei türkische Tabakspfeifen.

Die Reitmütze will ich gelegentlich beschreiben. Die türkischen
Tabakspfeifen hatten nichts Besonderes; sie waren gemacht und gezieret
wie alle übrigen, mit biegsamen Röhren von Saffian mit Golddraht, und
auf den Enden mit kleinen Mundstücken, das an der einen von Elfenbein
und das an der ändern von schwarz Ebenholz mit Silber eingefaßt.

Mein Vater, der alle Dinge von einem ändern Gesichtspunkte aus ansah
wie die übrigen Menschen, wollte dem Korporal sagen, er hatte diese
beiden Geschenke mehr als ein Zeichen der Ekelheit als der Gewogenheit
seines Bruders zu betrachten. -- »Seinem Bruder Thomas ekelte davor,
Trim,« sagte er, »eine Mütze aufzusetzen, die ein Jude getragen,
oder aus einer Pfeife zu rauchen, die ein Jude im Mund gehabt.« --
»Gott Segne Euer Gnaden,« erwiderte der Korporal -- und führte einen
wichtigen Grund fürs Gegenteil an --, »wie reimte sich das?« --

Die Reitmütze war scharlachfarben, von dem feinsten spanischen Tuche,
in der Wolle gefärbt, rundum mit Rauchwerk besetzt, ausgenommen eine
vier Finger breite Kappe vorne, von hellblauem, ein wenig gesticktem
Tuche. Sie schien einem portugiesischen Quartiermeister, nicht zu Fuße,
sondern zu Pferde, wie der Name schon andeutet, gehört zu haben.

Der Korporal tat nicht wenig groß damit, sowohl wegen ihres eigenen
Wertes als wegen des Gebers, und setzte sie deswegen selten oder
niemals auf, außer an Galatagen. Dennoch ward wohl niemals eine
Reitmütze zu so mancherlei gebraucht. Denn bei allen streitigen
Punkten, im Kriegs- oder Küchenwesen, wenn nur der Korporal gewiß
wußte, daß er recht hätte, brauchte er sie, als Wette, als Beteurung
oder als Geschenk.

Die Reihe war jetzt an ihr als Geschenk.

»Ich will gehalten sein,« sagte der Korporal, der mit sich selber
sprach, »dem ersten besten Bettler, der vor die Türe kommt, meine
Reitmütze zu schenken, wenn ich die Sache nicht so mache, daß der
gnädige Herr seine Lust und Freude daran haben soll.«

Die Ausführung ward nicht weiter hinausgeschoben als bis auf den
folgenden Morgen, welches eben der Morgen war, da auf die Konterskarpe,
zwischen der niederen Dudane und dem Andreastore zur Rechten, und zur
Linken zwischen St. Magdalenen und dem Flusse, Sturm gelaufen wurde.

Da dieses die merkwürdigste Attacke im ganzen Kriege war, die tapferste
und hartnäckigste auf beiden Seiten, und ich muß hinzusetzen, die
blutigste dazu, denn sie kostete die Alliierten selbst diesen Morgen
über elfhundert Mann, so schickte sich mein Onkel Toby mit mehr als
gewöhnlicher Feierlichkeit dazu an.

Den Abend vorher, als mein Onkel Toby zu Bette ging, befahl er, seine
Dreiknotenperücke, welche manches Jahr, die Haarseite nach innen
gekehrt, im Winkel einer alten Feldkiste gelegen hatte, die beim Bette
stand, hervorzusuchen und für morgen früh auf den Deckel bereit zu
legen. Und das erste, was er des Morgens noch im bloßen Hemde tat, als
er aus dem Bette gestiegen, nachdem er die rauhe Seite auswärts gekehrt
hatte, war, daß er sie aufsetzte. Als das geschehen, tat er darauf auch
die Beinkleider an, und sobald er den Gürtel zugeknöpft, schnallte er
auch das Degengehänge um und hatte schon den Degen halb hineingesteckt,
als er merkte, daß er sich den Bart abnehmen lassen müßte, und daß
sich das mit dem Degen an der Seite nicht schicke. Er legte ihn also
ab. Als er Weste und Rock anlegen wollte, fand mein Onkel dasselbe
Hindernis an der Perücke. Also kam die auch herunter: so, daß durch ein
Hindernis hier und durch ein Hindernis dort, wie es immer geht, wenn
ein Mensch in der größten Eile ist, die Uhr zehn schlug. Das war eine
halbe Stunde später, als mein Onkel gewöhnlich ausrückte.

                            [Illustration]




                      Fünfundneunzigstes Kapitel.


Mein Onkel Toby war kaum um die Ecke seiner Taxushecke gekommen, die
seinen Küchengarten von dem grünen Spielplatz trennte, als er gewahr
ward, daß der Korporal die Attacke bereits ohne ihn angefangen hatte.

Laßt mich hier ein wenig verweilen und Ihnen ein Gemälde von den
Anstalten des Korporals machen und von dem Korporal selbst, in der
heftigsten Hitze dieser Attacke, wie sie meinem Onkel Toby in die Augen
fiel, als er auf das Schilderhaus losging, wo der Korporal in der
Arbeit war. Denn in der ganzen Natur gibt's nicht dergleichen -- und
aus allem, was in ihren Werken Groteskes und Seltsames zu finden ist,
läßt sich kein Ähnliches zusammenbringen.

Der Korporal. --

Tretet leise auf seinen Staub, ihr Männer von Genie, denn euch war er
nahe verwandt.

Haltet sein Grab vom Unkraut rein, ihr Männer von gutem Herzen, denn
er war euer Bruder. -- O, Korporal! hätte ich dich doch jetzt, jetzt,
da ich imstande bin, dir eine Mahlzeit zu geben und dir Schutz zu
verleihen. -- Wie wollte ich dein warten und pflegen! Deine liebe
Reitmütze solltest du tragen, jede Stunde des Tages und jeden Tag
der Woche. Und wäre sie abgetragen, ich wollte dir ein paar andere
ebenso gute kaufen. Aber, leider! leider! leider, ach! Jetzt, da ich
das kann, trotz Ihro Hochwürden, ist die Gelegenheit dahin! -- Denn du
bist dahin. Dein Genius flog auf zu den Sternen, von wannen er kam.
Und dieses, dein warmes Herz, mit allen seinen großmütigen offenen
Gefäßen, ist zu einem Erdenkloß des Jammertals zerdrückt. Doch was --
was ist das gegen jenes künftige trauervolle Blatt, wo ich das sammetne
Leichentuch betrachte, verziert mit dem kriegerischen Ehrenzeichen
deines Herrn -- des ersten -- des besten der geschaffenen Wesen, wo
ich dich erblicken werde, du getreuer Knecht, wie du seinen Degen und
Scheide mit zitternder Hand kreuzweise über seinen Sarg legst und
dann aschbleich zur Türe hinaustrittst, sein Trauerpferd beim Zaume
zu fassen und hinter seiner Barre zu führen, wie er von dir begehrte.
Wo alle Systeme meines Vaters vor seinem Kummer dahinsinken, und ich
ihn sehen werde, wie er trotz seiner Philosophie den goldgefirnißten
Wappenschild betrachtet, zweimal die Brille von der Nase nimmt, den Tau
wegzuwischen, den die Natur daraufgoß. Wenn ich ihn sehe, wie er den
Rosmarinzweig mit stummem Jammer ins Grab wirft, der durch mein Ohr
schallet: O, Toby, in welchem Winkel der Erde soll ich den suchen, der
dir gliche? --

Gütige Mächte! die ihr vor grauen Zeiten die Lippen des Stummen
geöffnet und die Zunge des Stammlers recht sprechen gelehrt. Komme ich
einst bis zu diesem trauervollen Blatte, dann, o dann rührt mich an,
mit allgewaltiger Hand!

                            [Illustration]




                     Sechsundneunzigstes Kapitel.


Der Korporal, der den Abend vorher in seinem Sinne beschlossen hatte,
dem Mangel des erwünschten Etwas, das ein ununterbrochenes Feuer auf
den Feind während der Hitze der Attacke vorstellen könnte, abzuhelfen,
hatte damals keine andere Idee in seinem Kopfe gefaßt, als ein
Kunststück zu erfinden, wie er aus einem der sechs Feldstücke meines
Onkels Toby, die zu beiden Seiten seines Schilderhauses gepflanzt
waren, Tabaksrauch nach der Stadt hin dampfen möchte. Da ihm nun
zugleich die Mittel einfielen, wie er's bewerkstelligen könnte, so
hatte er zwar seine Reitmütze verpfändet, hielt sie aber, wegen der
Zuversicht zu seinem Projekte, in gar keiner Gefahr.

Nachdem er hin und her überlegt hatte, machte er es bald ausfindig,
daß vermittels seiner zwei türkischen Tabakspfeifen, mit Hilfe von
drei kleinen Röhren von Schafsleder, an jedem von ihren unteren
Enden, an welchen ebenso viele dünne Sauger befestigt waren, die
auf die Zündlöcher paßten, mit Ton an die Kanone geklebt und dann
an den Stellen, wo sie in die Saffianröhre gingen, mit gewächster
Seide hermetisch verschlossen würden --, er imstande sein müßte, alle
sechs Feldstücke auf einmal abzubrennen, und zwar mit ebensovieler
Leichtigkeit, als ob's nur eine wäre.

Sage doch niemand mehr, daß es Zähne und Zacken gebe, woraus man nicht
Winke zur Verbesserung der menschlichen Wissenschaften entlehnen
könne! -- Sage kein Mensch ferner, aus was für Art Körpern eine Fackel
zur vollkommenen Aufklärung der Künste und Wissenschaften gemacht,
oder nicht gemacht werden kann. -- Himmel! du weißt, wie sehr ich sie
liebhabe. Du kennst die Geheimnisse meines Herzens, und daß ich diesen
Augenblick mein Hemd hingäbe. -- Du bist nicht klug, Shandy, sagte
Eugenius, denn du hast nur ein Dutzend in deinem Vermögen, und da
bliebe es ja nicht mehr voll. --

Wenn auch, Eugenius, das Hemde vom Leibe gäbe ich hin und ließe Zunder
für ein Feuerzeug daraus brennen, wäre es nur nütze, einen hitzigen
Forscher bei der Untersuchung zu unterstützen, der untersuchen will,
wie viele Funken auf einen guten Schlag ein guter Stahl und Stein in
die Zunderpfanne schlagen könne. -- Glauben Sie nicht, daß er, indem er
diese hineinschlüge -- er gar wohl etwas herausbringen könnte?

Doch dies Projekt bei Gelegenheit.

Der Korporal saß den größten Teil der Nacht darüber, dieses zustande zu
bringen. Und nachdem er eine hinlängliche Probe mit seinem Geschütze
angestellt, da er's mit Tabak bis an die Mündung voll geladen hatte,
ging er vergnügt zu Bette.

                            [Illustration]




                     Siebenundneunzigstes Kapitel.


Der Korporal hatte sich ungefähr zehn Minuten vor meinem Onkel Toby
hinausgeschlichen, um seine Anstalten in Ordnung zu bringen und dem
Feinde nur eine oder zwei Salven zu geben, ehe mein Onkel Toby käme.

Zu diesem Ende hatte er die sechs Feldstücke zusammen, dicht
beieinander, bei meines Onkels Toby Schilderhause in Fronte gestellt,
und nur etliche Fuß Platz zwischen den dreien rechter Hand und den
dreien linker Hand gelassen, um Raum zum Laden usw. zu behalten und
vielleicht auch, wer weiß, um zwei Batterien zu haben, die ihm nach
seinen Gedanken doppelt soviel Ehre brachten als eine.

Hinter der Linie, dieser Öffnung gegenüber, den Rücken nach der Türe
des Schilderhauses gekehrt, aus Furcht, überflügelt zu werden, hatte
der Korporal sehr weislich seinen Posten genommen. -- Er hielt die
Röhre mit Elfenbein, zur Batterie rechter Hand gehörend, zwischen
Finger und Daumen seiner Rechten und die Röhre aus mit Silber
belegtem Ebenholze, zur Batterie linker Hand gehörend, zwischen
Daumen und Finger der anderen. Mit seinem rechten Knie fest auf den
Boden gestemmt, als ob er im ersten Gliede im Anschlage läge, schoß
der Korporal mit seiner Reitmütze auf dem Kopfe mit seinen beiden
Kreuzbatterien zugleich gar gewaltig auf die Kontergarde, welche die
Konterskarpe deckte, wo diesen Morgen die Attacke geschehen sollte.
Sein erster Vorsatz war, wie gesagt, nichts weiter, als einen Puff oder
ein paar zu geben. Aber das Vergnügen, sowohl über die Püffe als am
Puffen hatte sich unbemerkt des Korporals bemächtigt und ihn von Puff
zu Puff bis zur vollen Attacke geführt, gegen die Zeit, als mein Onkel
Toby zu ihm stieß.

Ein Glück war es für meinen Vater, daß mein Onkel Toby nicht ebenden
Tag sein Testament machte.

                            [Illustration]




                      Achtundneunzigstes Kapitel.


Mein Onkel Toby nahm das Pfeifenröhrchen mit Elfenbein aus der Hand des
Korporals, besah es eine halbe Minute und gab's ihm wieder.

In weniger als zwei Minuten nahm mein Onkel Toby das Rohr wieder vom
Korporal und führte es den halben Weg zum Munde. Dann gab er's zum
zweiten Male hastig zurück.

Der Korporal verdoppelte den Angriff. Mein Onkel Toby lächelte, sah
wieder ernsthaft aus, lächelte wieder einen Augenblick. Dann sah er
wieder lange Zeit ernsthaft zu. -- »Geb' Er mir das Röhrchen mit
Elfenbein, Trim,« sagte mein Onkel Toby. Mein Onkel Toby brachte es
bis an die Lippen, zog es gleich wieder zurück, sah ein wenig umher
über die Buschhecken. In seinem Leben hatte meinem Onkel Toby nicht so
der Mund nach einer Pfeife gewässert. -- Mein Onkel Toby begab sich mit
der Pfeife in der Hand in sein Schilderhaus. --

Liebster Onkel Toby! O gehen Sie doch nicht mit der Pfeife ins
Schilderhaus, ich bitte! Wie ist einem Menschen mit solch einem Dinge
in einem solchen Winkel zu trauen!

                            [Illustration]




                      Neunundneunzigstes Kapitel.


Ich bitte, der Leser wolle mir beistehen, meines Onkels Toby grobes
Geschütz hinter die Szene abzufahren, sein Schilderhaus abzubrechen und
das Theater womöglich von den Hornwerken und Halbmonden zu räumen und
das übrige Kriegsgeräte aus dem Wege zu schaffen. Wenn das geschehen
ist, mein lieber Freund Garrick, wollen wir die Lichter sauber putzen,
das Theater mit einem neuen Besen fegen, den Vorhang aufziehen und
meinen Onkel Toby in einem neuen Charakter auftreten lassen, in welchem
die Welt keine Idee haben kann, wie er agieren wird. Und dennoch, wenn
Mitleiden mit der Liebe verschwistert ist und Tapferkeit mit ihr in
keiner Feindschaft lebt, so haben Sie in diesen Stücken schon genug
von meinem Onkel Toby gesehen, um diese Familienähnlichkeit unter
den beiden Leidenschaften -- wo nur eine da ist -- nach Herzenslust
auszuspähen.

Eitle Wissenschaft! Du kommst uns in keinem Falle dieser Art zustatten.
Und in jedem anderen läßt du uns stecken.

Bei meinem Onkel Toby, Madame, befand sich eine so edle Einfalt des
Herzens, welche ihn so weit von den krummen Wegen, auf welchen die
Dinge dieser Art gemeiniglich zu wandern pflegen, ableitete, daß Sie
-- daß Sie es sich nicht vorstellen können. Dabei fand sich ferner
eine solche arglose treuherzige Art zu denken und eine solche von
allem Mißtrauen entfernte Unwissenheit in der Kenntnis der mancherlei
Falten des weiblichen Herzens. Und so nackend und wehrlos stand er da
vor Ihnen, wenn er nicht eben mit einer Belagerung beschäftigt war,
daß Sie hinter dem ersten besten von Ihren krummen Wegen hätten stehen
und meinen Onkel Toby zehnmal an einem Tage durch und durch schießen
können, wenn Sie mit neunmal an einem Tage noch nicht genug gehabt
hätten, Madame.

Neben alle diesem, Madame, und was auf der anderen Seite wieder
ebensoviel verdarb, hatte mein Onkel Toby diese unvergleichbare
Züchtigkeit der Natur, von der ich Ihnen schon erzählt habe, und
welche, beiläufig gesagt, beständig bei seinen Empfindungen Schildwache
stand, daß Sie ebensoleicht hätten -- aber wo gerate ich hin? Diese
Betrachtungen strömen mir wenigstens zehn Seiten zu früh zu und nehmen
die Zeit weg, die ich auf Fakta verwenden sollte.

                            [Illustration]




                         Hundertstes Kapitel.


Unter den wenigen echten Söhnen Adams, deren Brust niemals den
Pfeil der Liebe empfunden haben -- als ausgemacht angenommen, daß
alle Weiberhasser unechte Kinder sind --, haben die größten Helden
der älteren und neueren Geschichte schon neun Zehntel von der Ehre
dahin. Um dieser Helden wollte ich, daß ich den Schlüssel zu meiner
Schreibstube wieder aus dem Ziehbrunnen herauf hatte. Nur auf fünf
Minuten, um ihre Namen anführen zu können. Aus dem Kopfe weiß ich sie
nicht. Je nun! begnügen Sie sich für jetzt statt ihrer, mit diesen:

Da war der große König Aldrovandus, und Bosphorus, und Capadocius, und
Dardanus, und Pontus und Asius -- nicht zu gedenken des stahlherzigen
Karls +XII.+, mit dem selbst die Gräfin K... nichts anfangen
kannte. -- Da waren Babilonicus, und Mediterraneus, und Polixenes, und
Persicus, und Prusicus, wovon nicht einer -- ausgenommen Capadocius
und Pontus, weiche beide ein wenig verdächtig waren -- seine Brust
der Göttin zuneigte. -- Denn, die Wahrheit zu sagen, sie hatten alle
miteinander wohl sonst etwas zu tun. Und so war's mit meinem Onkel
Toby, bis das Schicksal, bis die Göttin des Schicksals, sage ich,
welche ihm den Ruhm beneidete, daß sein Name mit Aldrovandus und den
übrigen auf die Nachkommenschaft kommen sollte, hämischerweise den
Utrechter Frieden ausheckte.

Glauben Sie mir, mein Herr, das war in dem Jahre ihre heimtückischste
Tat.

                            [Illustration]




                        Hunderterstes Kapitel.


Unter den manchen üblen Folgen des Utrechter Traktates war auch
diese, daß nicht viel fehlte, so hätte mein Onkel Toby einen Ekel an
den Belagerungen bekommen. Und ob er gleich seine Belagerungslust
nachher wieder bekam, so ließ doch selbst Calais keine tiefere Narbe
in dem Herzen der Königin Marie, als Utrecht im Herzen meines Onkels
Toby. Bis an sein seliges Ende konnte er Utrecht niemals gelassen
nennen hören, nicht einmal einen Artikel lesen, der aus der Utrechter
Zeitung genommen war, ohne einen Seufzer zu holen, als ob ihm das Herz
zerspringen wollte.

Mein Vater, der ein großer Ursachenkrämer war und folglich eine
gefährliche Person für einen Mann, der in seiner Gegenwart lachte oder
weinte -- denn gemeiniglich wußte er die Ursache, warum Sie beides
täten, weit besser wie Sie selbst --, suchte beständig meinen Onkel
Toby bei solchen Gelegenheiten zu trösten -- auf eine Art zwar, welche
deutlich verriet, er bilde sich ein, meinem Onkel Toby ginge bei der
ganzen Sache nichts so sehr zu Herzen als sein liebes Steckenpferd.
»Laß nur gut sein, Bruder Toby,« pflegte er zu sagen, »wenn es Gottes
Wille ist, werden wir bald wieder neuen Krieg haben. Und wenn der
losgeht, wenn sich die kriegführenden Mächte auch aufhingen, können sie
uns doch nicht aus dem Spiele lassen. Ich will doch einmal sehen, mein
lieber Toby,« pflegte er hinzuzusetzen, »ob sie Länder nehmen können
ohne Städte, oder Städte ohne Belagerungen.«

Mein Onkel Toby konnte diesen Rückenhieb nach seinem Steckenpferde
niemals freundlich hinnehmen. -- Er hielt den Hieb für ungroßmütig. Und
zwar um so mehr, da er nicht auf das Pferd treffen konnte, ohne den
Reiter mit zu treffen, und zwar auf den schimpflichsten Fleck an seinem
Leichname, wohin ein Hieb fallen kann. Sonach legte er bei diesen
Gelegenheiten allemal die Pfeife mit mehr Feuer als gewöhnlich auf den
Tisch, um sich zu verteidigen.

Heute vor zwei Jahren sagte ich dem Leser, daß mein Onkel Toby nicht
beredt gewesen -- und gab auf dieser Seite hier ein Beispiel vom
Gegenteil. -- Ich wiederhole die Bemerkung und bringe ein Faktum bei,
welches ihr abermals widerspricht. Er war nicht beredt. Es fiel meinem
Onkel Toby schwer, lange Reden zu halten, und die geblümelten haßte
er. Es gab aber Gelegenheiten, da der Strom den Mann mit fortriß und
dergestalt gegen seinen gewöhnlichen Lauf anstürzte, daß mein Onkel
Toby auf eine Zeitlang in einigen Stücken dem Tertullus gleichkam, ihn
in anderen aber, nach meiner Meinung, unendlich weit übertraf.

Mein Vater fand an einer von diesen Schutzreden meines Onkels
Toby, die er eines Abends vor ihm und Yorick gehalten hatte, ein so
außerordentliches Gefallen, daß er sie aufschrieb, ehe er zu Bette
ging.

                            [Illustration]




                        Hundertzweites Kapitel.


Ich erzählte dem christlichen Leser. -- Ich sage christlichen, weil ich
hoffe, daß er das ist. Wenn er's nicht ist, so tut mir's seinetwegen
leid -- und ich bitte ihn nur, der Sache reiflich nachzudenken und
nicht die Schuld so ganz auf dieses Buch zu schieben.

Ich erzählte ihm, mein Herr, denn bei meiner Treue, wenn ein Mensch
seine Historie auf eine so seltsame Art erzählt wie ich die meinige,
so muß er wohl alle Augenblicke zurück- oder vorwärtsgehen, um in
des Lesers Gedächtnis hübsch alles beieinander zu behalten. Ich
meinerseits, wenn ich's jetzt nicht noch mehr und fleißiger täte als
vorher, so tut sich so vielerlei schwankende zweideutige Materie mit
so vielen Lücken und Brüchen hervor. Und die Sterne, welche ich in
einigen der dunkelsten Gänge aufhänge, leisten so wenig Dienste, weil
ich weiß, daß sich die Welt bei allem Lichte, das ihr die Sonne Selbst
am hellsten Mittage gibt, so leicht verirren kann, daß -- und nun, da,
sehen Sie, habe ich mich selbst verirrt!

Aber es ist meines Vaters Schuld. Und wenn einst mein Gehirn anatomiert
wird, so werden Sie ohne Brille sehen können, daß er einen groben,
unebenen Faden hat mit durchschleichen lassen, wie man zuweilen in
einem ausgeschossenen Stück Leinwand die ganze Webe hindurchlaufen
sieht und fühlt, wenn man auch nur einen -- da hängen schon wieder ein
paar Lichtlein! -- oder eine Aderlaßbinde oder einen Däumling daraus
schneiden will. --

+Quanto id diligentias in liberis Procreandis cavendum+, sagt
Cardan, welcher alles wohl überlegt; da Sie sehen, daß es mir
moralischerweise unmöglich ist, dieses wieder herum- und dahin zu
winden, wo ich anfing, es herauszuziehen, so will ich das Kapitel
lieber noch einmal anfangen.

                            [Illustration]




                        Hundertdrittes Kapitel.


Ich erzählte dem christlichen Leser im Anfange des Kapitels, welches
vor meines Onkels Toby Schutzrede vorhergeht -- obgleich in einem
anderen Gleichnisse, als das ist, dessen ich mich jetzt bedienen
werde --, daß der Utrechter Frieden auf ein Haar breit eine ebenso
große Entfremdung zwischen meinem Onkel Toby und seinem Steckenpferde
hervorgebracht hätte, wie er unter der Königin und den übrigen
verbundenen Mächten veranlaßte.

Es gibt eine verächtliche Art, mit der ein Mann zuweilen von seinem
Pferde absitzt, die etwa sagt: »Lieber wollte ich all mein Lebelang zu
Fuße gehen, Bestie, als mein Bein wieder über deinen Rücken bringen!«
-- Nun konnte man von meinem Onkel Toby nicht sagen, daß er auf diese
Art abgesessen sei. Gewissermaßen und nach dem strengen Sprachgebrauche
konnte man gar nicht einmal sagen, er sei abgesessen, sondern hätte
richtiger sagen müssen, er sei vom Pferde abgesetzt, und ein wenig
tückischerweise; das machte, daß mein Onkel Toby es noch zehnmal übler
nahm. Aber laß die Staatsroßkämme das unter sich abtun, wie sie wollen.

Es brachte, sage ich, eine Art von Entfremdung zwischen meinem Onkel
Toby und seinem Steckenpferde hervor. -- Vom Monat März bis November,
den Sommer, nachdem der Friede geschlossen worden, brauchte er's fast
gar nicht, außer wenn er etwa einmal einen ganz kurzen Ritt tat, um
eben nur zuzusehen, ob der Hafen und die Werke von Dünkirchen versenkt
und geschleift wären, wie die Zeitungen berichtet hatten.

Die Franzosen ließen es den ganzen Sommer bei dieser Sache so langsam
angehen. Monsieur Tugghe, der Deputierte des Dünkirchener Magistrats,
übergab der Königin so manche rührende Bittschrift, worin er Ihre
Majestät anflehte, doch ihre Donnerkeile auf die anderen Werke fallen
zu lassen, die sich ihre Ungnade könnten zugezogen haben, -- und um
Schonung -- um Schonung des Befestigungswerkes, das in seiner nackten
Lage nichts weiter sein könnte als ein Gegenstand des Mitleidens. Und
die Königin, welche -- als ein Frauenzimmer -- erbittlichen Herzens
war -- und ihre Minister gleichfalls --, konnte es nicht übers Herz
bringen, daß die Stadt so entblößt würde, aus der besonderen Ursache --

       *       *       *       *       *

-- -- so daß es also im ganzen meinem Onkel Toby sehr sauer gemacht
wurde. Um so mehr, da drei volle Monate noch darüber hingingen,
in denen er und der Korporal die Stadt aufgebaut und in gehörigen
Stand gesetzt hatten, um sie schleifen zu können, ehe es ihm die
verschiedenen Kommandanten, Kommissarien, Deputierte, Negotiateurs und
Intendanten erlaubten, sich daran zu machen. -- Schlimmer, schlimmer
Zwischenraum der Untätigkeit.

Der Korporal war dafür, die Schleifung damit anzufangen, daß sie eine
Bresche in den Wall oder die Hauptfestung der Stadt machten. -- »Nein,
Korporal, das geht nicht,« sagte mein Onkel Toby, »denn wenn wir so
mit der Stadt zu Werke gehen, so wird die englische Garnison keinen
Augenblick darin sicher sein. Denn wenn die Franzosen falsch sind --«
-- »Sie sind so falsch, mit Euer Gnaden Erlaubnis, so falsch wie
der Satan,« sagte der Korporal. -- »Das tut mir allemal leid, wenn
ich's höre, Trim,« sagte mein Onkel Toby; »denn es fehlt ihnen nicht
an persönlicher Herzhaftigkeit. Und wenn eine Bresche in dem Walle
ist, können sie dadurch hineindringen und sich zum Herrn des Ortes
machen, wenn sie nur wollen.« -- »Laß sie einmal hineindringen,«
sagte der Korporal, und hob seinen Pionierspaten mit beiden Händen
in die Höhe, als ob er um sich hauen wollte. »Laß sie hineindringen,
Euer Gnaden, sage ich, wenn sie's sich unterstehen.« -- »In Fällen
wie dieser, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, wobei er die Hand bis
auf die Mitte seines Stockes hinunterrutschen ließ und ihn darauf als
einen Kommandostab mit ausgestrecktem Zeigefinger faßte, »muß sich
der Kommandant nicht darum bekümmern, was sich der Feind unterstehen
oder nicht unterstehen möchte: er muß auf seiner Hut sein. Wir wollen
mit den Außenwerken anfangen, sowohl nach der See- als Landseite.
Fort Louis soll das erste sein, das ist am weitesten entlegen und
soll zuerst demoliert werden. Dann die übrigen, alle eins nach dem
anderen, wie sie liegen, links und rechts, wie wir uns nach der Stadt
zurückziehen. Dann wollen wir die Dudane abtragen, hernach den Hafen
versenken, uns in die Zitadelle ziehen, sie in die Luft sprengen, und
wenn wir das getan haben, Korporal, dann zu Schiffe und nach England.«
-- »Da sind wir,« sagte der Korporal, der zur Besinnung kam. -- »Es ist
ja wahr,« sagte mein Onkel Toby und sah nach der Kirche.

                            [Illustration]




                        Hundertviertes Kapitel.


Ein Kriegsrat oder ein paar von dieser entzückenden täuschenden
Gattung, gepflogen zwischen meinem Onkel Toby und Trim, über die
Schleifung von Dünkirchen, brachten auf einen Augenblick die Ideen von
den Vergnügungen wieder in Reih und Glieder, welche gar davonwischen
wollten. -- Aber es ging damit nur schlaff her. Der Zauber schwächte
das Gemüt nur mehr. Die Göttin des Schlafes kam mit ihrem stummen
Gefolge ins einsame Wohnzimmer geschlichen und hüllte meines Onkels
Toby Kopf in ihren flornen Mantel. Und die Verdrossenheit mit ihren
schlaffen Fiebern und unbestimmtem Auge setzte sich ruhig bei ihm in
seinen Lehnstuhl hin. Amberg und Rheinburg, und Limburg und Huy, und
Bonn jagten nicht mehr dies Jahr -- und die Prospekte von Landen und
Trarbach, und Drusen und Dendermonde nicht im anderen Jahre das Blut
herum. Die Sappen, Minen, Schirme, Schanzkörbe und Palisaden wehrten
diesen schönen Feind der Ruhe des Menschen nicht länger ab. Nicht
mehr konnte mein Onkel Toby, wenn er bei seinem gekochten Ei zum
Abendessen die französischen Linien passierte, tiefer hinein ins Herz
von Frankreich dringen, über die Oyes setzen, die ganze Pikardie offen
hinter sich liegen lassen, bis vor die Tore von Paris marschieren und
mit lauter Bildern von Ehre und Ruhm einschlafen. Nicht mehr sollte es
ihm träumen, er habe das britische Panier auf den Turm der Bastille
gepflanzt, und erwachen, da es ihm noch im Kopfe flatterte.

Liebreichere Erscheinungen, sanftere Regungen stahlen sich unvermerkt
in seinen Schlummer, -- die Drommete des Krieges entfiel seiner Hand.
Er ergriff dafür die Laute, das liebliche Instrument! Unter allen
anderen das delikateste, das schwerste! -- Wie wirst du sie spielen,
liebster Onkel Toby!

                            [Illustration]




                        Hundertfünftes Kapitel.


Freilich habe ich's ein- oder ein paarmal nach meiner unbedachtsamen
Weise ausgeplaudert; ich verließ mich darauf, daß die folgenden
Nachrichten von den Liebesbegebenheiten meines Onkels Toby und der
Witwe Wadmann, sobald ich nur Zeit gewinne sie zu schreiben, eins
der vollständigsten Systeme -- sowohl nach den elementarischen als
praktischen Teilen der Liebe -- enthalten würden, die nur jemals
der Welt vorgelegt worden; aber müssen Sie sich deswegen nun gleich
einbilden, ich werde mit einer Beschreibung des Amor anfangen? -- Ob er
halb Gott ist und halb Teufel, wie Plotinus behauptet.

Oder nach einer kritischeren Gleichung, die das Ganze der Liebe durch
zehn Einheiten ausdrückt, mit dem Ficinus zu bestimmen, wie viele von
diesen Einheiten zum ersten und wie viele zum zweiten gehören. -- Oder
ob Amor über und über, vom Kopfe bis zum Schwanze, ein großer Teufel
ist, wie Plato sich unterstanden hat zu entscheiden. Über welchen
platonischen Einfall ich meine Meinung nicht sagen mag. Aber meine
Meinung vom Plato ist diese, daß er in diesem Beispiel sich als ein
Mann zeigt, der sehr viel Ähnliches in seiner Gemütsart und Philosophie
mit dem Doktor Baynyard hatte. Welcher Baynyard ein großer Feind von
spanischen Fliegen war und sich einbildete, ein halbes Dutzend, auf
einmal gelegt, würde einen Menschen ebensosicher dem Grabe zuführen,
wie ein mit sechsen bespannter Leichenwagen, und daher den übereilten
Schluß machte: der Teufel selbst sei in der Welt nichts anderes als
eine große spanische Brummfliege.

Das sind solche Untersuchungen, womit mein Vater, der sich einen
großen Vorrat von dergleichen Wissenschaft aufgestapelt hatte, in dem
Fortgange des Liebeshandels meines Onkels Toby sehr geschäftig sein
wird. Soviel muß ich voraussagen, daß er von seiner Theorie der Liebe
-- womit er, beiläufig gesagt, es so zu machen wußte, daß er meines
Onkels Toby Gemüt ebensosehr damit kreuzigte als Amors selbst -- nur
einen Ausfall in die Praxis tat, und vermittels eines in Kampfer
getränkten Wachstuches, das er Mittel fand, dem Schneider für Zwillich
aufzuhängen, als er eben meinem Onkel Toby ein Paar neue Beinkleider
machte, brachte er bei meinem Onkel Toby ebendie Wirkung wie Gordonius,
und ohne den bösen Geruch, hervor.

Was dies für Veränderungen hervorbrachte, wird man gehörigen Ortes
lesen. Alles, was nötig ist, der Anekdote hinzugesetzt zu werden, ist
dieses: Was es auch für Wirkung auf meinen Onkel Toby haben mochte, es
hatte eine häßliche Wirkung auf das Haus. -- Und hätte es mein Onkel
nicht, so wie er tat, ganz gelassen niedergeschmaucht, es hätte auch
auf meinen Vater eine häßliche Wirkung tun können.

                            [Illustration]




                       Hundertsechstes Kapitel.


Es wird sich bei Gelegenheit schon von selbst finden. -- Alles, was
ich hier verfechte, ist, daß ich nicht notwendig mit einer Definition
der Liebe anfangen muß. Und solange ich meine Historie wegerzählen und
sie mit dem Worte selbst verständlich sein kann, ohne einen anderen
Begriff damit zu verknüpfen, als den ich mit allen Leuten gemein habe,
warum sollte ich einen Augenblick vor der Zeit davon abgehen? -- Kann
ich erst nicht mehr weiter und sehe ich mich von allen Seiten in diesem
mystischen Labyrinth verwickelt, so wird meine Meinung von selbst dazu
kommen und mich herausführen.

Für jetzt, hoffe ich, wird man mich hinlänglich verstehen, wenn ich
dem Leser sage: mein Onkel Toby ward verliebt.

Ich kann nicht sagen, daß mir die Redensart gefiele; gar nicht! Denn
wenn man sagt, ein Mann ist verliebt, oder er ist heftig verliebt,
oder gar er ist rasend verliebt, oder noch ärger, er ist mit Haut
und Haar verliebt --, so wollen diese unter den Leuten gang und
gäben Redensarten allemal soviel mit andeuten, daß der Zustand eines
Menschen, welcher liebt, unnatürlich und gefährlich sei. -- Das heißt
der Meinung des Plato Anhänger machen, welche ich bei aller seiner
Göttlichkeit für verdammlich und ketzerisch halte. Doch genug davon.

Lieben und Verliebtsein mag also sein, was es will: mein Onkel ward
verliebt.

Und vermutlich, gütiger Leser, bei einer solchen Untersuchung würdest
du es selbst. Denn nie sahen deine Augen oder begehrten deine Begierden
auf dieser weiten Welt ein Ding, das begehrenswürdiger gewesen wäre als
die Witwe Wadmann.

                            [Illustration]




                       Hundertsiebentes Kapitel.


Um es recht zu fassen, fordern Sie Tinte und Feder. Hier ist reines
Papier für Sie. -- Setzen Sie sich, Herr, malen Sie sich eine Witwe
Wadmann, wie's Ihnen gelüstet. Ihrer Geliebten so ähnlich, wie Sie
können. Ihrer Frau so unähnlich, wie Ihnen Ihr Gewissen erlauben will.
Mir ist's gleich; machen Sie sich's nur selbst zu Danke.

Ist in der ganzen Schöpfung noch etwas so Liebreizendes -- etwas so
Vollkommenes anzutreffen!

Nun, lieber Herr, war es wohl ein Wunder, daß mein Onkel Toby nicht
widerstehen konnte?

O dreimal glückseliges Buch! Du hast doch wenigstens eine Seite in
deinem Bande, welche die Bosheit nicht anschwärzen und die Dummheit
nicht mißdeuten kann.

                            [Illustration]




                        Hundertachtes Kapitel.


Da Susanna durch einen Expressen von Jungfer Brigitte Nachricht
erhielt, daß mein Onkel Toby in ihre Herrschaft verliebt sei, schon
fünfzehn Tage vorher, ehe sich's zutrug, und Susanna das Wesentliche
dieser expressen Nachricht den folgenden Tag gleich meiner Mutter
mitteilte, so hat mir das Gelegenheit gegeben, gerade vierzehn Tage
früher von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten zu schreiben, als
er sie wirklich hatte.

»Ich habe dir was Neues zu sagen, lieber Walther,« sagte meine Mutter,
»das dich sehr erstaunen wird.«

Bitte zu merken, daß mein Vater eben die Beschwerlichkeiten des
Ehestandes überdachte, als meine Mutter das Stillschweigen brach.

»Bruder Toby,« sagte sie, »ist mit Frau Wadmann versprochen.«

»Nun, so soll er in seinem Leben nicht wieder diagonal im Bette liegen,
da stehe ich ihm für,« sagte mein Vater.

Meinem Vater war es ein herznagender Verdruß, daß meine Mutter ihn
niemals fragte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand.

Daß sie kein gelehrtes Frauenzimmer ist, pflegte mein Vater zu sagen,
das ist ihr Unglück und nicht ihre Schuld. Aber fragen könnte sie doch.

Meine Mutter tat das niemals. Kurz, sie ging am Ende aus der Welt, ohne
zu wissen, ob sie sich rund drehte, ob sie stillstände. Mein Vater
hatte es ihr ganz dienstfertigerweise wohl tausendmal gesagt, wie es
damit wäre. Aber sie konnte es gar nicht behalten.

Aus dieser Ursache ging ein Gespräch unter ihnen selten weiter, als
Proposition, Replik und Duplik. Wenn die vorbei, holte er gewöhnlich
auf ein paar Minuten Atem und schlenderte dann weiter.

»Wenn er sich verheiratet,« sagte meine Mutter, »so verlieren wir doch
immer dabei.«

»Nicht einen Kirschkern,« sagte mein Vater. »Er mag das seinige
ebensolieb auf diese Art als auf eine andere verschießen.«

»Es ist wohl wahr,« sagte meine Mutter. Und hiermit endigten sich
Proposition, Replik und Duplik, wovon ich Ihnen sprach.

»So hat er doch noch wohl einigen Zeitvertreib,« sagte mein Vater.

»Sehr angenehmen,« antwortete meine Mutter, »wenn er Kinder bekommen
sollte.«

»Gott verzeihe mir meine Sünden!« sagte mein Vater bei sich selbst.

                            [Illustration]




                        Hundertneuntes Kapitel.


Mein Onkel Toby und der Korporal waren mit solcher Hitze und Übereilung
aufgebrochen, um von dem Stücke Landes Besitz zu nehmen, von dem
wir so oft gesprochen haben, damit sie ihren Feldzug ebenso früh
eröffnen könnten als die übrigen Alliierten, daß sie darüber einen der
allerunentbehrlichsten Artikel bei der ganzen Sache vergessen hatten.
Es war weder ein Pionierspaten, noch eine Pickelhacke, noch eine
Schaufel.

Es war ein Schlafbett. Da Shandy-Hall noch nicht mit Hausgerät
versehen, und das kleine Wirtshaus, in welchem der arme Le Fevers
starb, noch nicht gebaut war, war mein Onkel Toby genötigt, in
Madame Wadmanns Hause auf eine Nacht oder ein paar mit einem
Bette vorliebzunehmen, so lange, bis Korporal Trim -- der zu den
Eigenschaften eines vortrefflichen Bedienten, Stallknechts, Kochs,
Schneiders, Baders und Ingenieurs auch noch die Eigenschaften
eines vortrefflichen Tapezierers hinzufügte -- mit der Hilfe eines
Zimmermanns und eines Schneiders in meines Onkels Toby Hause selbst
eines zustande brachte.

Eine Tochter Evens, denn das war unsere Witwe Wadmann, und der ganze
Charakter, den ich von ihr zu geben willens bin, ist:

»~Sie war ein vollkommenes Frauenzimmer.~«

Sie wäre zehn Meilen weit davon besser daran gewesen -- oder auch in
ihrem warmen Bette -- oder wenn sie mit ihrem Taschenmesser gespielt
hätte -- oder womit sie sonst wollte, anstatt einen Mann zum Gegenstand
ihrer Aufmerksamkeit zu machen, wenn das Haus mit allem ihrem Geräte
ihr eigen ist.

Wenn ein Frauenzimmer außer dem Hause und bei hellem Tageslichte es in
ihrer Gewalt hat, physikalisch von der Sache zu reden, einen Mann in
mancherlei Lichte zu betrachten, so hat es nichts zu bedeuten. Aber
hier, fange sie es an, wie sie will, kann sie ihn in keinerlei Lichte
sehen, oder es klebt ihm beständig etwas an, das zu ihrer eigenen
Fahr und Habe gehört, bis sie ihn endlich so lange und oft in dieser
Verbindung erblickt, daß er selbst ein Artikel in diesem Inventario
wird.

Und dann, gute Nacht!

Doch das gehört nicht zum System; denn das habe ich schon oben
vorgelegt. Auch nicht zum Katechismus. Denn ich lege für niemand ein
Glaubensbekenntnis ab als für mich selbst. Es ist auch keine Tatsache,
wenigstens nicht, soviel ich wüßte, sondern die Sache ist kopulativisch
und soll die folgende einleiten.

                            [Illustration]




                        Hundertzehntes Kapitel.


Ich sage es nicht in Ansehung ihrer verschiedenen Feinheit oder
Weise, noch in Ansehung der Stärke ihrer Windlaschen. Aber sagen Sie
selbst, sind nicht die Nachthemden von den Taghemden in diesem Stücke
ebensosehr verschieden wie in jedem andern in der Welt, daß sie diese
so weit in der Länge übertreffen, daß, wenn Sie sich darin niedergelegt
haben, solche ebensoweit über die Füße reichen, als die Füße aus den
Taghemden hervorstehen?

Der Witwe Wadmanns Nachthemden -- ich glaube es war unter der Regierung
des Königs Wilhelm und der Königin Anna so die Mode -- waren wenigstens
solchergestalt zugeschnitten. Und wenn die Mode abgekommen ist -- denn
in Italien sind sie ganz verschwunden --, desto schlimmer für das
Publikum. Sie waren zweieinhalb Brabanter Ellen lang; wenn man also auf
ein mäßiges Frauenzimmer zwei Ellen rechnet, so hatte sie eine halbe
Elle übrig, womit sie machen konnte, was sie wollte.

Nun war es von einer kleinen Pflege zur andern, woran sie sich in den
schaurigen Winternächten während ihres siebenjährigen Witwenstandes
gewöhnt hatte, unvermerkt dahin gediehen und zu einer von den Regeln
der Schlafkammer geworden, daß, sobald Madame Wadmann zu Bette gebracht
worden und ihre Füße völlig ausgestreckt hatte, wovon sie der Brigitte
allemal ein Zeichen gab, Brigitte mit allem gehörigen Dekorum, nachdem
sie erst die Bettlaken zu den Füßen auseinandergeschlagen, die halbe
Elle Leinwand, von der wir hier sprechen, faßte, solche behende und
mit beiden Händen stramm herunterzog, nach der Länge in vier oder fünf
ebene Falten legte, eine große Stecknadel von ihrem Ärmel nahm und
damit, die Spitze nach sich gekehrt, diese Falten ein wenig über dem
Saume alle fest zusammensteckte. Wenn das geschehen, deckte sie zu den
Füßen alles wieder hübsch warm zu und wünschte ihrer Madame eine gute
Nacht.

Dies war ein beständiger Gebrauch und litt keine Abänderung als diese:
daß bei frostigen und stürmischen Nächten, wenn Brigitte das Bette zu
den Füßen öffnete usw., um diese ihre Pflicht zu verrichten, sie kein
anderes Thermometer als ihr eigenes Gefühl zu Rate zog. So verrichtete
sie es stehend, kniend oder kauernd, je nach den verschiedenen Graden
ihres Glaubens, ihrer Liebe oder Hoffnung, in denen sie sich ebenden
Abend gegen ihre Herrschaft befand. In jedem anderen Betracht war die
Etikette unverbrüchlich und konnte mit der allermechanischsten von
jeder Kammer im ganzen Christentume um den Vorzug streiten.

Den ersten Abend, sobald der Korporal meinen Onkel Toby nach seiner
Schlafkammer hinaufgebracht hatte, was um zehn Uhr war, warf sich
Madame Wadmann in ihren Lehnstuhl, schlug ihr rechtes Bein über das
linke, wodurch sie einen Ruheplatz für ihren Ellenbogen machte, legte
ihren Kopf in ihre Hand, und so gestützt saß sie bis Mitternacht und
dachte der Sache, für und gegen dieselbe, nach.

Den zweiten Abend ging sie vor ihr Schreibpult, und nachdem sie
Brigitten befohlen, ein paar frische Lichter zu bringen und auf den
Tisch zu legen, suchte sie ihren Ehekontrakt hervor und las ihn sehr
andächtig durch. Und den dritten Abend -- der der letzte von meines
Onkels Toby Bleiben war --, als Brigitte das Nachthemde niedergezogen
hatte und dabei war, die Nadel einzustecken, stieß sie mit einem Stoße
mit beiden Fersen zugleich ihr die Stecknadel aus der Hand. Nieder
fiel auch die Etikette und zertrümmerte in tausend Sonnenstäubchen.

Aus welchem allen es dann ganz deutlich erhellte, daß die Witwe Wadmann
in meinen Onkel Toby verliebt war.

                            [Illustration]




                        Hundertelftes Kapitel.


Mein Onkel Toby hatte damals seinen Kopf mit anderen Dingen angefüllt,
so daß er erst nach der Schleifung von Dünkirchen, als alle anderen
Höflichkeiten von Europa abgemacht worden, Muße fand, diese zu
erwidern.

Dieses machte einen Waffenstillstand -- das heißt in Ansehung meines
Onkels Toby, auf seiten der Witwe Wadmann aber eine Vakanz -- von fast
elf Jahren. Da aber in allen Fällen dieser Art es der zweite Schlag
ist, er geschehe, so spät er wolle, der die Kriegshändel befestigt, so
ist es dieser Ursache wegen, daß ich es lieber die Liebeshändel meines
Onkels Toby mit Madame Wadmann, als die Liebeshändel der Madame Wadmann
mit meinem Onkel Toby nenne.

Dies ist keine Distinktion, weil kein Unterschied vorhanden ist.

Es ist nicht wie die Geschichte des alten aufgekrempten Hutes und des
aufgekrempten alten Hutes, worüber Euer Hochwürden sich so oft einander
in den Haaren gelegen, sondern hier ist ein Unterschied in der Natur
der Dinge. --

Und zwar erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, meine hochzuverehrenden
Herren, ein sehr großer.

                            [Illustration]




                       Hundertzwölftes Kapitel.


Da nun die Witwe Wadmann meinen Onkel Toby liebte, und mein Onkel Toby
die Witwe Wadmann nicht liebte, so war für die Witwe Wadmann nichts
anderes zu tun als fortzufahren, meinen Onkel Toby zu lieben, oder es
bleiben zu lassen.

Die Witwe Wadmann wollte so wenig das eine wie das andere tun.

Gütiger Himmel! Aber ich vergesse, daß ich so ein bißchen von ihrer
Gemütsart an mir habe. Denn sooft es sich begibt, wie es wohl zuweilen
geschieht, wenn eben Tag und Nacht gleich sind, daß eine irdische
Göttin bald dies ist, bald das und bald jenes, daß ich ihretwegen mein
Frühstück nicht verzehren kann und sie sich keinen schweren Schilling
darum bekümmert, ob ich mein Frühstück verzehre oder nicht. Verdammt
mit ihr! Und damit schicke ich sie nach der Tartarei, und von der
Tartarei nach Terra del Fuogo und so weiter zu Meister Hämmerling.
Kurz, es gibt keine höllische Nische, da ich nicht Ihro Gottheiten
fasse und hineinpacke.

Allein, weil das Herz zärtlich ist und es auf diesem Strome der
Leidenschaften zehnmal in einer Minute Ebbe und Flut wird, so bringe
ich sie wieder zurück. Und da ich in allen Dingen bis aufs Äußerste
gehe, versetze ich sie in den Himmel, mitten in die Milchstraße.

Glänzendstes unter den Gestirnen! O, schütte deinen Einfluß auf ihn,
der -- hole sie der Henker, mitsamt ihrem Einflusse. Denn bei dem Worte
reißt mir alle Geduld aus! Wohl bekomm's ihm! --

Bei allem, was rauh und geschlitzt ist, rufe ich, und nehme meine
Pelzmütze ab und lasse meinen Finger rund laufen, keinen Groschen gäbe
ich für ein Dutzend solcher!

Es ist gleichwohl eine vortreffliche Mütze, sage ich dann wieder --
indem ich sie auf den Kopf setze und auf die Ohren festdrücke --, und
ist warm und weich, besonders wenn Sie sie mit dem Haare streicheln,
aber leider! So gut wird mir's niemals gehen -- und damit hat denn
meine Philosophie abermals Schiffbruch gelitten --.

Nein, an die Pastete werde ich wohl keinen Finger bringen -- hier
zerbreche ich meine Metapher --.

Rinde und Krumen,

Gefüllsel und Rand,

Deckel und Boden -- ich verabscheue es, hasse es, verwerfe es -- mir
ekelt schon vom Ansehen.

Es ist nichts als Pfeffer
                  Knoblauch
                  Kaviar
                  Salz und

   Teufelsdreck --

beim großen Erzkoch aller Köche, welcher, denke ich, vom Morgen bis
Abend nichts anderes tut, als daß er beim Feuer sitzt und hitzige
Gerichte für uns aussinnt, ich rühre es nicht an, um die Welt --

O, Tristram! Tristram! rief Jenny.

O, Jenny! Jenny! versetzte ich und fuhr fort mit dem hundertdreizehnten
Kapitel.

                            [Illustration]




                      Hundertdreizehntes Kapitel.


Die Göttinnen des Schicksals, welchen ganz gewiß alles von dieser
Liebesgeschichte der Witwe Wadmann mit meinem Onkel Toby vorher bekannt
war, hatten von der ersten Schöpfung der Materie und Bewegung an --
und zwar mit mehr Gütigkeit, als sie bei Dingen von dieser Art pflegen
-- einen Strang von Ursachen und Wirkungen gesponnen, die so fest
aneinanderhingen, daß es meinem Onkel Toby kaum möglich gewesen, in
irgendeinem anderen Hause zu wohnen oder einen anderen Garten in der
Christenheit zu besitzen als gerade das Haus und den Garten, die dicht
an der Witwe Wadmanns Haus und Garten lagen. Dieses nebst dem Vorteile
einer dichten Laube in Madame Wadmanns Garten, die in meines Onkels
Toby grüne Hecke hineingepflanzt war, gab ihr alle die Gelegenheiten an
die Hand, deren die Kriegskunst der Liebe bedurfte. Sie konnte meines
Onkels Toby Bewegungen wahrnehmen, und seine Entschlüsse im Kriegsrate
wußte sie gleichfalls alle. Und da sein verdachtloses Herz dem Korporal
durch die Vermittlung der Brigitte Erlaubnis erteilt hatte, ihr ein
kleines Heckenpförtchen zu machen, um desto mehr Raum zum Spazieren
zu gewinnen, sah sie sich dadurch imstande, ihre Approchen bis dicht
an die Türe des Schilderhauses zu führen und zuweilen zur schuldigen
Danksagung eine Attacke zu machen und ihr Bestes zu versuchen, meinen
Onkel mit diesem seinem eigenen Schilderhause in die Luft zu sprengen.

                            [Illustration]




                      Hundertvierzehntes Kapitel.


Es ist Jammer und schade -- aber mir nicht weniger aus meiner täglichen
Beobachtung des Menschen gewiß, daß er wie eine Kerze an beiden Enden
angezündet werden kann. Woferne nur der Docht weit genug hervorsteht.
Ist keiner da und er wird unten angezündet, so, weil in dem Falle die
Flamme gewöhnlich das Unglück hat, sich selbst auszulöschen, geht's
wieder nicht.

Was mich anbelangt, könnte ich's immer selbst einrichten, von welchem
Ende an ich brennen wollte -- denn ich kann den Gedanken nicht
ausstehen, so viehdumm zu brennen --, so sollte mich eine ehrliche
Hausfrau allemal bei der Spitze anzünden. Denn alsdann könnte ich
hübsch mit Ehren herunterbrennen. Das heißt von meinem Kopfe bis zu
meinem Herzen, von meiner Leber bis zu meinen Eingeweiden, und so den
Weg der mesenterischen Venen und Arterien herunter, durch alle die
Windungen und Seitenschnitte der Intestinen und ihrer Häute, bis zum
blinden Darm.

»Ich bitte Sie, Herr Doktor Slop,« sagte mein Onkel Toby und fiel ihm
in die Rede, als er in einem Gespräch an dem Abende, da meine Mutter
von mir entbunden ward, des blinden Darms erwähnte. »Ich bitte Sie,«
sagte mein Onkel Toby, »sagen Sie mir doch, welches ist der blinde
Darm? Denn ich versichere Sie, so alt ich bin, weiß ich doch bis diesen
Tag noch nicht, wo er liegt.«

»Der blinde Darm,« antwortete Doktor Slop, »liegt zwischen dem Illion
und Kolon.«

»Bei einem Manne?« sagte mein Vater.

»Es ist genau ebenso bei den Weibern,« versetzte Doktor Slop.

»Das ist mehr, als ich weiß,« sagte mein Vater.

                            [Illustration]




                      Hundertfünfzehntes Kapitel.


Und so, um mit beiden Systemen gewiß zu gehen, beschloß die Witwe
Wadmann, meinen Onkel Toby weder an dem einen noch anderem Ende
anzuzünden, sondern, wie das Licht eines Verschwenders, womöglich an
beiden Enden zugleich.

Nun hätte sie sieben ausgeschlagene Jahre hindurch alle militärischen
Polterkammern, beides, der Infanterie und Kavallerie mit
eingeschlossen, vom großen Arsenal in Venedig an bis auf den Tower
in London (exklusive) durchkramen und ihre Brigitte zur Hilfe nehmen
mögen, -- Madame Wadmann hätte doch keine zu ihrem Zweck so dienliche
Blende finden können, als was ihr der Behelf meines Onkels Toby in
seinen Belagerungen ganz bereit in die Hände gab.

Mich dünkt, ich habe Ihnen noch nicht gesagt -- ich weiß es jedoch
nicht, es kann wohl sein; wie ihm aber sei, es ist eins von den vielen
Dingen, die ein Mann lieber noch einmal tun, als darüber streiten
sollte --, was für eine Stadt oder Festung der Korporal eben während
ihres Feldzuges unter der Arbeit haben mochte, mein Onkel Toby
war allemal besorgt, einen Grundriß des Platzes an der inwendigen
Seite seines Schilderhauses gegen seine linke Hand oben am Rande
mit zwei oder drei Nadeln festzustecken. Unten hing er lose, um ihn
mit Bequemlichkeit näher vors Gesicht zu bringen usw., wie es die
Gelegenheit so mit sich brachte. Dergestalt, daß, wenn Madame Wadmann
eine Attacke beschlossen, sie nichts weiter zu tun nötig hatte,
nachdem sie bis an die Türe des Schilderhauses avanciert war, als
ihre rechte Hand auszustrecken. Und indem sie mit derselben Bewegung
ihren linken Fuß hineinrücken ließ, brauchte sie nur die Karte, den
Grundriß, die Zeichnung oder was es sonst war, zu ergreifen, solchem
mit ausgestrecktem Halse auf halbem Wege zu begegnen und es nach sich
zu ziehen. Wodurch meines Onkels Toby Leidenschaften unfehlbar Feuer
fangen mußten. Denn er faßte beständig den anderen Zipfel der Karte mit
seiner linken Hand und begann, mit dem Ende seiner Tabakspfeife in der
anderen, eine Erklärung.

Wenn die Attacke bis zu diesem Punkte gediehen war --. Die Welt wird
natürlicherweise die Gründe der folgenden Kriegslist der Madame Wadmann
billigen, welche darin bestand, daß sie, sobald sie nur dazu kommen
konnte, meinem Onkel Toby die Tabakspfeife aus der Hand nahm, was sie
unter diesem oder jenem Vorwande, gewöhnlich aber unter dem, daß sie
eine Redoute oder Brustwehr auf dem Risse deutlicher gezeigt haben
möchte, zu bewerkstelligen wußte, ehe noch mein Onkel Toby -- die gute
Seele! -- ein halbes Dutzend Ruten damit marschiert war.

Es nötigte meinen Onkel Toby, seinen Zeigefinger zu gebrauchen. Die
Veränderung, die es in der Attacke veranlaßte, war diese: Wenn in dem
ersten Falle Madame Wadmann mit der Spitze ihres Zeigefingers an dem
Ende der Tabakspfeife meines Onkels Toby herumfuhr, da hätte sie auf
den Linien herumreisen mögen von Dan gen Berseba -- hätten meines
Onkels Toby Linien sich so weit erstreckt --, ohne daß es die geringste
Wirkung getan hätte. Denn weil in dem Ende der Tabakspfeife kein Blut
und keine Lebensgeister waren, so konnte es keine Empfindungen erregen.
Es konnte weder durch Pulsation Feuer geben noch durch Sympathie
welches fangen. Es war bloß Schmauch.

Dahingegen, wenn sie meines Onkels Toby Zeigefinger mit dem ihrigen
folgte, Finger an Finger, durch alle Krümmungen und Spitzen seiner
Werke, ihn zuweilen an der Seite drückte, dann mit ihrem Finger auf
seinen Nagel trat, dann damit über seinen her stolperte, ihn bald hier
tippte, bald da und so fort, setzte das wenigstens etwas in Bewegung.

Dieses waren zwar nur leichte Scharmützel und fielen in einiger
Entfernung vom Hauptkorps ab, zettelten aber das übrige herbei.
Wenn dann, wie gewöhnlich, die Karte wieder an die Wand des
Schilderhauses herniederfiel, so pflegte mein Onkel Toby mit der
größten Treuherzigkeit seine flache Hand daraufzuhalten, um mit seiner
Erklärung fortzufahren. Madame Wadmann, durch ein Manöver so schnell
wie Gedanken, hielt eben so gewiß ihre Hand dicht bei der seinigen.
Dieses eröffnete auf einmal eine Kommunikation, die weit genug war,
jede Empfindung hin und her passieren zu lassen, wie sie eine Person,
die in dem elementarischen und praktischen Teile der Liebe bewandert
war, sich nicht schöner wünschen konnte.

Sobald sie ihren Zeigefinger (wie vorher) mit dem Zeigefinger
meines Onkels Toby in eine Parallele brachte, brachte solches ganz
unvermeidlich auch den Daumen ins Feuer -- und der Zeigefinger und
Daumen einmal im Treffen, zogen eben so natürlicherweise die ganze Hand
ins Gemenge. Deine, mein liebster Onkel Toby, war doch nun niemals
auf der rechten Stelle. -- Madame Wadmann mußte sie immer aufheben
oder sie hatte zu tun immer mit dem sanftesten Stoßen, Schieben oder
zweideutigen Drängen und Drücken, die eine den Platz zu verändernde
Hand nur immer leiden mag, ein Haar breit aus dem Wege zu rücken.

Derweil dieses vorging, wie hätte sie's vergessen können, ihn empfinden
zu lassen, daß es ihr eigenes Bein sei (und sonst keines Menschen), das
ihn unten am Schilderhause sanft an seiner Wade drückte.

Da also mein Onkel Toby auf diese Weise attackiert und ihm auf beiden
Flügeln hart zugesetzt wurde, war es ein Wunder, wenn solches zuweilen
sein Zentrum in Unordnung brachte? --

»Das hole der Henker!« sagte mein Onkel Toby.

                            [Illustration]




                      Hundertsechzehntes Kapitel.


Diese Attacken von Madame Wadmann, wie Sie leicht denken können, waren
von verschiedener Art. So voneinander unterschieden wie die Attacken,
von denen die Geschichte voll ist. Und das aus einerlei Ursachen. Ein
zuschauender General würde ihnen den Namen Attacken kaum geben. --
Oder täte er's, würde er sie doch alle über einen Kamm scheren. Aber
für solche Herren schreibe ich nicht. Es wird Zeit genug sein, mehr
Genauigkeit in meinen Beschreibungen anzuwenden, wenn ich erst zu ihnen
komme, welches in einigen Kapiteln noch nicht geschehen wird. Zu diesem
habe ich weiter nichts hinzuzusetzen, als daß in meinem Bündel von
Originalpapieren und Zeichnungen, welche mein Vater die Sorgfalt gehabt
hat besonders aufzurollen, sich ein Grundriß von Bouchain befindet, der
noch völlig gut konserviert ist -- und es bleiben soll, solange ich
imstande bin, etwas zu konservieren --, auf dessen unterem Rande an
der rechten Seite noch die Flecken von Finger und Daumen sind, womit
Schnupftabak genommen worden. Und es ist nach allen Gründen von der
Welt zu mutmaßen, daß es Madame Wadmanns Finger waren. Denn die Seite
des Randes gegenüber, welche nach meiner Vermutung die meines Onkels
Toby war, ist ganz und gar rein.

Dieses scheint ein authentisches Protokoll von einer von diesen
Attacken zu sein. Denn man sieht noch die Spuren von zwei Nadelstichen,
die zwar schon teils wieder zugegangen, aber dennoch an der oberen
Seite der Karte sichtbar und ohne allen Widerspruch die leibhaften
Löcher sind, durch welche sie im Schilderhause angesteckt gewesen ist.

Bei allem, was priesterlich heißt, ich schätze die kostbare Reliquie
mit ihren Mälern und Löchern höher, als alle übrigen Reliquien
zusammengenommen! -- Allemal ausgenommen, wenn ich über diese Materie
schreibe, sind die Löcher, welche Sankta Radagunda in der Wüste in ihr
Fleisch bekam, welche Ihnen auf Ihrer Reise von Fesse nach Clugny die
Nonnen dieses Namens aus christlicher Milde zeigen werden.

                            [Illustration]




                      Hundertsiebzehntes Kapitel.


»Ich glaube, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Korporal Trim,
»die Fortifikationen sind genug abgetragen, und der Hafen ist nun
ausgefüllt, so hoch, wie auf dem Plan gesagt ist.« -- »Ich denke es
auch,« erwiderte mein Onkel Toby mit einem halb unterdrückten Seufzer.
»Aber gehe Er nach meinem Zimmer, Trim, und hole er die Traktaten, sie
liegen auf dem Tische.«

»Sie haben da sechs Wochen lang gelegen,« versetzte der Korporal, »bis
heute morgen, da hat die alte Frau Feuer damit angemacht.«

»Nun,« sagte mein Onkel Toby, »so haben unsere Dienste ein Ende.« --
»Um so mehr,« sagte Korporal Trim, »ist's, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,
Jammer und schade.« Mit diesen Worten warf er seinen Spaten in den
Schiebkarren, der bei ihm stand, mit einer Miene, welche die größte
Trostlosigkeit ausdrückte, die man sich nur denken kann, und wendete
sich schwermütig herum, seine Pickelhacke, seine Schaufel, Steckpflöcke
und das andere kleine Kriegsgerät zusammenzusuchen, um es aus dem Felde
zu führen, -- als ein tiefes Ach! aus dem Schilderhause, das aus dünnen
Schaldielen gemacht war und also den Schall um so trauriger nachhallen
ließ, ihn daran verhinderte.

»Nein,« sagte der Korporal bei sich selbst, »ich will's morgen früh
tun, ehe der Herr Kapitän aufsteht.«

Damit nahm er seinen Spaten wieder aus dem Schiebkarren hervor, mit ein
wenig Erde darauf, als ob er eine Stelle am Fuße des Walles damit ebnen
wollte. In der eigentlichen Absicht aber, sich seinem Herrn zu nähern,
um ihm die Grillen zu vertreiben. Er lockerte ein paar Rasen, stieß die
Ecken mit seinem Spaten ab, und nachdem er mit der Fläche ein- oder
ein paarmal leise darauf geklopft hatte, setzte er sich dicht zu den
Füßen meines Onkels Toby nieder und hob an wie folgt.

                            [Illustration]




                      Hundertachtzehntes Kapitel.


»Es wäre wohl ewig schade, ob ich schon glaube, mit Euer Gnaden
Wohlnehmen, daß ich wohl nur einfältiges Zeug vorbringen werde, für 'n
Soldaten.«

»Ein Soldat,« rief mein Onkel Toby und fiel dem Korporal in die Rede,
»hat darin nichts voraus, Trim; er kann ebensowohl einfältiges Zeug
hervorbringen wie ein Gelehrter.« -- »Aber nicht so oft, mit Euer
Gnaden Wohlnehmen,« versetzte der Korporal. -- Mein Onkel Toby nickte
Beifall.

»Es wäre denn also ewig schade,« sagte der Korporal und warf seine
Augen auf Dünkirchen und den Hafen, wie Servius Sulpicius, als er aus
Asien zurückkam und von Ägina gen Megara segelte, seine Augen auf
Korinth und Pyräus richtete.

»Es wäre ewig schade, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, diese Werke zu
demolieren -- und ewig schade, wenn man sie hätte stehen lassen.«

»Er hat recht, Trim, in beiden Stücken,« sagte mein Onkel Toby. --
»Das,« fuhr Korporal Trim fort, »ist die Ursache, warum ich von
Anbeginn ihrer Schleifung bis ans Ende nicht ein einziges Mal gepfiffen
oder gesungen, oder gelacht oder geweint, oder von unseren alten Taten
gesprochen oder Euer Gnaden ein einziges Histörchen erzählt habe, gut
oder schlecht.«

»Er hat viel Gutes an sich, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Und ich
lobe es an Ihm, da Er doch sein Histörchen erzählen mag, daß Er unter
allen, die Er mir erzählt, um mir meine Schmerzen vergessen zu machen
oder mir meine Grillen zu vertreiben, Er mir selten ein schlechtes
erzählt hat.«

»Das kommt davon, mit Euer Gnaden gütiger Erlaubnis, daß sie alle wahr
sind, wenn ich die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben
Schlössern nicht mitrechne. Denn sie gehen alle zusammen mich selbst
was an.«

»Und ebendarum mag ich sie wohl leiden,« sagte mein Onkel Toby. »Aber
was für eine Historie ist denn das? Er hat mich ja recht neugierig
gemacht.«

»Euer Gnaden können's gleich hören, wenn ich's erzählen soll.«

»Nur,« sagte mein Onkel Toby und sah von neuem nach Dünkirchen und
dem Hafen hin, »nur muß es keine lustige sein. Wer sich eine lustige
Historie erzählen lassen will, Trim, der muß ohnedem schon aufgeräumt
sein, sonst geht's nicht. Und so wie mir jetzt zumute ist, würde Er
wohl nicht die Freude haben, daß ich über Seine Historie lachte.«

»Lustig ist sie ganz und gar nicht,« versetzte der Korporal.

»Gar zu ernsthaft möchte ich sie aber auch nicht haben,« setzte mein
Onkel Toby hinzu. -- »Es ist weder das eine noch das andere,« erwiderte
der Korporal, »und wird für Euer Gnaden recht passen.« -- »Nun, so
nehme ich sie zu herzlichem Danke an,« rief mein Onkel Toby. »Sei Er
nur so gut und fange Er an, Trim.«

Der Korporal machte seine Reverenz; und obgleich es nicht so leicht
ist, als man wohl glaubt, eine welke Reitmütze mit einem schicklichen
Anstande abzunehmen -- oder etwa um ein Haar leichter, nach meiner
Ansicht, wenn ein Mensch auf gut türkisch auf der Erde kauert, einen so
ehrfurchtsvollen, tiefen Bückling zu machen, wie der Korporal gewohnt
war, so tat es Trim doch dadurch, daß er seine rechte flache Hand, mit
der er nach seinem Herrn hin saß, ein wenig hinterwärts hinter seinem
Körper aufs Gras fallen ließ, damit er sich besser vornüberbeugen
könnte. Und er tat es durch eine ungezwungene Zusammenklemmung seiner
beiden Vorderfinger und des Daumens seiner linken Hand, wodurch der
Umfang der Mütze kleiner wurde, und man eher hätte sagen können,
er habe sie abgedrückt als abgerissen, und zwar auf eine bessere
Weise als die Lage, darin er war, es zu versprechen schien. Und
nachdem er ein paarmal hm! hm! gesagt hatte, um den Ton ausfindig zu
machen, in welchem die Historien am besten gehen und welche in seines
Herrn Gemütsart am besten eingreifen möchte, wechselte er nur einen
vertraulich freundlichen Blick mit ihm und begann also:


   ~Die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.

»Es war einmal ein König von Böhmen --«

Wie der Korporal die Grenzen von Böhmen beschritt, nötigte ihn mein
Onkel Toby, auf einen Augenblick innezuhalten. Er hatte barhaupt
begonnen, indem er seine Reitmütze, die er am Ende des vorigen Kapitels
abgezogen, neben sich auf der Erde hatte liegen lassen.

Das Auge der Güte späht auf alles. -- Der Korporal hatte also noch
nicht völlig die fünf ersten Worte seiner Historie hervorgebracht, als
mein Onkel Toby bereits mit seinem spanischen Rohre zweimal die Mütze
frageweise angerührt hatte -- gleichsam, um zu sagen: warum setzt Er
sie nicht auf, Trim? Trim hob sie mit der ehrerbietigsten Langsamkeit
auf, und indem er dabei, wie er's tat, einen demütigen Blick auf das
gestickte Vorderblatt warf, das jämmerlich abgebleicht und daneben in
den besten Blumen und kühnsten Zügen der Stickerei abgeschlissen war,
legte er sie von neuem zwischen seine beiden Beine, um über den Umstand
zu moralisieren.

»Leider ist jedes Wort von dem nur zu wahr,« rief mein Onkel Toby, »was
Er da anmerken will.«

»Nichts in dieser Welt, Trim, ist gemacht, daß es ewig halten soll.«

»Aber wenn die Andenken deiner Liebe und Treue, liebster Thomas, sich
verschleißen,« sagte Trim, »was sollen wir dann sagen?« --

»Er hat nicht nötig, das geringste weiter zu sagen,« rief mein
Onkel Toby. »Und wenn auch ein Mensch sein Gehirn bis an den lieben
Jüngsten Tag zermarterte, Trim, ich glaube, so könnte er es doch nicht
herausfinden.«

Da der Korporal merkte, daß mein Onkel Toby recht hatte, und daß es
für den Witz eines Menschen vergebens sein würde, darauf zu sinnen,
eine reinere Moral aus seiner Mütze zu ziehen, so ließ er's dabei
bewenden und setzte sie auf, fuhr mit seiner Hand über die Stirne, um
eine tiefsinnige Runzel wegzureiben, die der Text und die Nutzanwendung
miteinander gezeuget hatten, und wendete sich wieder, mit dem vorigen
Blicke und Tone in der Stimme, zu seiner Historie vom Könige von Böhmen
und seinen sieben Schlössern.


  ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.

                             Fortsetzung.

»Es war einmal ein König von Böhmen, aber unter was für einer
Regierung, wenn es nicht unter seiner eigenen war, das kann ich Euer
Gnaden nicht sagen --«

»Das verlange ich von Ihm auch nicht, Trim, gar nicht,« sagte mein
Onkel Toby.

»Es war ein Weilchen vorher, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ehe die Hünen
anfingen keine Kinder mehr zu kriegen. Aber in was für einem Jahr
Christi es war --«

»Da gebe ich keinen roten Heller um, ob ich das weiß, oder nicht,«
sagte mein Onkel Toby.

»Ja, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine Historie kriegt doch so ein
besser Ausgehen danach.«

»Es ist Seine Historie, Trim, schmücke Er sie aus nach Seinem eigenen
Gutdünken und verlege Er sie, auf welches Jahr Er will,« sagte mein
Onkel Toby und sah ihn spaßhaft an. »Verleg' Er sie, auf welches Jahr
Er nur Lust hat. Ich bin's von Herzen zufrieden.«

Der Korporal verneigte sich; denn, von jedem Jahrhunderte und von
jedem einzelnen Jahr dieses Jahrhunderts, vom Anbeginn der Schöpfung
bis zur Sündflut, und von der Sündflut bis zu Abrahams Geburt, durch
alle Wallfahrten der Leben der Erzväter bis auf den Ausgang der Kinder
Israel aus Ägypten -- und alle Dynastien, Olympiaden, Urbiconditas und
andere merkwürdige Epochen der verschiedenen Völkerschaften auf dem
Erdboden, bis zu Christi Geburt, und von da an bis auf den eigentlichen
Augenblick, in welchem Trim seine Historie erzählte --, dieses weite
Meer der Zeit, mit allen seinen Abgründen, hatte mein Onkel Toby seiner
Wahl überlassen. Aber wie die Bescheidenheit das kaum mit einem Finger
zu berühren pflegt, was ihr die Freigebigkeit mit beiden offenen Händen
darbeut, so begnügte sich der Korporal mit dem schlechtesten Jahre aus
dem ganzen Bausch, welches, um die Herren Kameralisten, Projektisten
und Lottologisten abzuhalten, daß sie sich durchs Zanken darüber nicht
das Fleisch von den Knochen nagen -- ob das Jahr nicht allemal das
letzt zurückgelegte Jahr des zuletzt abgelegten Kalenders sei -- ich
Ihnen deutlich sagen muß: aus anderen, ganz anderen Ursachen aber, als
Sie denken.

Es war das Jahr, das ihm am nächsten war, zu sagen, das Jahr unseres
Herrn siebzehnhundertundzwölfe. Weil in diesem Jahr der Herzog von
Ormond in Flandern sein Wesen trieb, nahm es der Korporal und trat
damit von neuem seine Reise nach Böhmen an.


  ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.

                             Fortsetzung.

»Es war im Jahre unseres Herrn eintausendsiebenhundertundzwölf, mit
Euer Gnaden Wohlnehmen --«

»Die Wahrheit zu sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »würde mir
jedes andere Jahr lieber gewesen sein, nicht nur des üblen Kleckses
wegen, den dieses Jahr in unserer Geschichte von England macht. Weil
unsere Völker aus dem Felde geführt wurden und man sich weigerte,
die Belagerung von Ovesnoy zu decken, ungeachtet Fagel die Werke mit
solcher unglaublicher Herzhaftigkeit fortführte, -- sondern auch seiner
eigenen Historie wegen, Trim. Weil, wenn darin -- wie ich aus einigen
Worten, die Ihm entfallen sind, schließen muß -- wenn Riesen, oder, wie
Er es nennt, Hünen darin vorkommen.«

»Nur ein einziger, mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«

»Das ist so gut wie zwanzig,« sagte mein Onkel Toby. »Er hätte ihn
einige sieben- oder achthundert Jahre zurück aus dem Schusse bringen
sollen, sowohl wegen der Kunstrichter als anderer Leute. Deswegen
möchte ich Ihm wohl raten, wenn Er es jemals wieder erzählt --«

»Wenn ich nur so lange lebe, daß ich einmal damit zu Ende komme, so
will ich's,« sagte Trim, »in meinem Leben nicht wieder erzählen, weder
einem Manne, noch einer Frau, noch einem Kinde.« -- »Nun, nun!« sagte
mein Onkel Toby. Aber mit einer so zuredenden Stimme sagte er's, daß
der Korporal mit mehr Freudigkeit fortfuhr als zuvor.


  ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.

                             Fortsetzung.

»Es war einmal, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, erhob
dabei seine Stimme und rieb sich freudig die Hände, wie er begann, »ein
König von Böhmen --«

»Laß Er das Jahr nur aus, Trim,« sagte mein Onkel Toby, indem er sich
vorne überbückte und seine Hand vertraulich auf des Korporals Schulter
legte, um seiner Unterbrechung das Unangenehme zu benehmen. -- »Laß
Er's nur ganz aus, Trim. Eine Historie kann recht gut sein, ohne solche
Genauigkeit, man müßte es denn ganz sicher wissen.«

»Sicher wissen!« sagte der Korporal und schüttelte den Kopf.

»Richtig,« antwortete mein Onkel Toby. »Es ist so leicht nicht, für
jemand, der nicht tiefer studiert hat, wie Er und ich, der selten
weiter vor sich hin sieht als aufs Ende seiner Muskete oder weiter
hinter sich als nach seinem Schnappsacke, und also von solchen Dingen
nicht viel versteht.«

»Jawohl, jawohl, Euer Gnaden,« sagte der Korporal, der sowohl durch die
Art wie durch das, was mein Onkel sagte, hingerissen ward, »er hat wohl
sonst was zu tun. Ist er nicht in einer Schlacht oder auf dem Marsche
oder in Garnison auf der Wache, so hat er, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,
sein Gewehr zu putzen, sein Lederzeug zu kollern und zu wichsen, seine
großen und kleinen Montierungsstücke unter der Nadel zu halten, sein
Haar zu kräuseln und zu pudern, daß er immer so schmuck ist wie auf der
Parade. Was hat ein Soldat nötig,« setzte der Korporal hinzu, »daß er
sich um die Geographie bekümmert, Euer Gnaden.«

»Chronologie will Er sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Denn die
Geographie, sieht Er, die kann er nicht entbehren. Er muß mit jedem
Lande und mit seinen Grenzen genau bekannt sein, wohin ihn sein Beruf
führt. Er sollte jede Stadt, jeden Flecken, jedes Dorf und jede Meierei
kennen, mit den Heerstraßen, Fußsteigen und Hohlwegen, die dahin gehen.
Er sollte über keinen Fluß oder Bach kommen oder er sollte gleich beim
ersten Anblick zu sagen wissen, wie er heißt, in was für einem Gebirge
er entspringt, was er für einen Lauf nimmt, wo er schiffbar ist, wo
man durchwaten kann und wo er zu tief ist. Er sollte die Fruchtbarkeit
eines jeden Tales ebenso gut wissen, wie der Bauer, der es bepflügt,
und sollte es beschreiben, oder, wenn's begehrt wird, imstande sein,
eine richtige Karte aufnehmen zu können, von allen Planen, Defileen,
Werken, Anhöhen, Waldungen, Morästen, wo seine Armee durch- oder
vorbeimarschieren muß. Er sollte ihre Produkte, ihre Pflanzen, ihre
Mineralien, ihre Wasser, ihre Art Vieh, ihre Witterung, ihre Winde,
ihre Hitze und Kälte, ihre Einwohner, ihre Gebräuche, ihre Sprache,
Sitten und sogar ihre Religion kennen.«

»Wäre es sonst wohl begreiflich, Korporal,« fuhr mein Onkel Toby fort
und richtete sich in seinem Schilderhause in die Höhe, wie er bei
diesem Teile seiner Rede warm wurde, »daß Marlborough seine Armee
von den Ufern der Maas bis Belburg führen konnte? Von Belburg nach
Kerpenord -- konnte der Korporal nicht länger sitzen --. Von Kerpenord,
Trim, nach Kalsacken, von Kalsacken nach Neudorf, von Neudorf nach
Landenburg, von Landenburg nach Mildenheim, von Mildenheim nach
Elchingen, von Elchingen nach Gingen, von Gingen nach Balmerchofen, von
Balmerchofen nach Schellenberg. Wo er die feindlichen Werke überfiel,
sich eine Passage über die Donau erzwang, über den Lechfluß setzte,
mit seinem Heere bis ins Herz des Deutschen Reiches drang, an der
Spitze desselben durch Freiburg, Hohenwert und Schönefeld marschierte,
bis zu dem Schlachtfelde bei Blenheim und Höchstädt? -- So groß er war,
Korporal, er hätte keinen Fußbreit avancieren oder den Marsch von einem
einzigen Tage anordnen können, ohne Hilfe der Geographie.

»Die Chronologie aber, das gesteh' ich, Trim,« fuhr mein Onkel Toby
fort und setzte sich wieder ganz kalt in seinem Schilderhause nieder,
»die scheint unter allen anderen eine Wissenschaft zu sein, deren ein
Soldat am ersten entraten könnte. Wenn's nicht wegen der Einsichten
wäre, die sie ihm eines Tages erteilen muß, wenn er ausmachen will, um
welche Zeit das Pulver erfunden worden, dessen greuliche Verwüstung, da
es wie der Donner alles vor sich niederreißet, eine neue Zeitrechnung
für unsere Kriegskunst beginnt. Es hat die Natur des Angreifens und
des Verteidigens sowohl zur See als zu Lande so durchgängig verändert
und hat dabei soviel Kunst und Geschicklichkeit erweckt, daß die Welt
darüber, den eigentlichen Zeitpunkt der Entdeckung auszumachen, nicht
zu genau, noch zu forschbegierig sein kann: Zu wissen, welch großer
Mann der Erfinder war und was für Veranlassung ihn darauf führte.«

»Ich bin weit entfernt,« fuhr mein Onkel Toby fort, »das zu bestreiten,
worin die Geschichtschreiber übereinstimmen, daß im Jahre 1380, unter
der Regierung Wenzeslaus', ein Sohn Karls +IV.+, ein gewisser
Mönch namens Schwarz den Venetianern in ihrem Kriege mit den Genuesern
den Gebrauch des Pulvers angab. Aber das ist gewiß, der erste war
er nicht. Weil, wenn wir dem Don Pedro, Bischof von Leon, Glauben
beimessen dürfen.« --

»Wie kamen denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, Mönche und Bischöfe dazu,
daß sie ihre Nase so oft ins Pulver steckten?« -- »Gott weiß es,«
sagte mein Onkel Toby. -- »Seine Vorsehung weiß alles zum besten zu
lenken, und er behauptet in seiner Chronik vom König Alphonsus, welcher
Toledo eroberte, daß im Jahre 1343, volle dreißig Jahre früher, das
Geheimnis des Pulvers ganz bekannt gewesen und mit Nutzen gebraucht
sei, von Mauren und Christen, nicht nur in ihren Seetreffen um diese
Zeit und bei vielen anderen von ihren merkwürdigen Belagerungen
in Spanien und in der Barbarei. Der ganzen Welt ist es bekannt,
daß der Mönch Bacon ausdrücklich darüber geschrieben und der Welt
großmütigerweise das Rezept gegeben hat, wie man es machen kann, schon
länger als hundertundfünfzig Jahre vorher, ehe Schwarz geboren war. Und
jeder weiß auch, daß die Chinesen,« fügte mein Onkel Toby hinzu, »uns
mit unserer Rechnung noch mehr in Verlegenheit setzen, indem sie sich
der Erfindung sogar noch einige hundert Jahre vor ihm rühmen.«

»Das Chinesenvolk ist wohl ein ganzes Lügenpack, glaub' ich,« schrie
Trim.

»Sie mögen wohl in dieser Sache,« sagte mein Onkel Toby, »ein wenig
irre sein, wie es für mich ganz deutlich erhellet aus dem elenden
Zustande, worin sich gegenwärtig ihre Kriegsbaukunst befindet, welche
in der Welt in weiter nichts begeht als in einem Graben mit einem Walle
von Ziegelsteinen ohne Flanken. Und, was sie uns für eine Bastion,
an jeder Ecke desselben, geben wollen, ist ein Ding, das lebhaftig
aussieht, wie -- --« »Wie eins von meinen sieben Schlössern, mit Euer
Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim.

Obgleich mein Onkel Toby um ein Gleichnis in der äußersten Verlegenheit
war, so lehnte er doch Trims Anerbieten in ganz höflicher Weise ab,
bis Trim sagte, er habe doch noch ein ganzes halbes Dutzend in Böhmen,
damit er nichts anzufangen wüßte, und mein Onkel Toby über den lustigen
Spaß des Korporals so vergnügt wurde, daß er seine Dissertation über
das Schießpulver abbrach -- und den Korporal bat, er möchte nur stracks
mit seiner Historie vom Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern
fortfahren.

                            [Illustration]




   ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.

                             Fortsetzung.

»Dieser unglückliche König von Böhmen,« sagte Trim -- »War er also
unglücklich?« rief mein Onkel Toby. Denn er war in seine Dissertation
über das Schießpulver und andere Kriegshändel so verwickelt gewesen,
daß, obgleich er von dem Korporal verlangt hatte, er sollte fortfahren,
dennoch seine häufigen Unterbrechungen ihm nicht mehr stark genug
im Andenken waren, um das Beiwort nicht zu erklären. »War er also
unglücklich, Trim?« sagte mein Onkel Toby mit gerührter Stimme.

Der Korporal, nachdem er erst das Wort mit allen gleichbedeutenden
zu allen Henkern gewünscht hatte, begann den Augenblick, die
hauptsächlichsten Begebenheiten seines Königs von Böhmen in Gedanken
durchzulaufen. Aus einer jeden derselben aber erhellte, daß er
einer der glücklichsten Menschen war, die jemals in der Welt gelebt
haben. Das brachte den Korporal zum Stocken; denn er wollte nicht
gerne das Beiwort zurücknehmen -- und noch weniger es erklären --
am allerwenigsten aber seine Historie drehen und winden -- wie
systematische Historiker -- um sie seinem System anzupassen. Er blickte
also meinem Onkel Toby ins Angesicht um Beistand. Da er aber sah, daß
das gerade die Sache wäre, die mein Onkel Toby von ihm erwartete, fuhr
er nach einigen Hms! und Jas fort:

»Der König von Böhmen,« versetzte der Korporal, »war mit Euer Gnaden
Wohlnehmen, als wenn ich so sagen wollte, unglücklich darin, daß er
große Lust und Vergnügen an der Schiffahrt fand und an allen Arten von
Seesachen --, und da es sich nun begab, daß in dem ganzen böhmischen
Königreiche keine Stadt mit einem Seehafen war --«

»Ich glaub's wohl! wie hätte das auch zugehen sollen, Trim?« rief mein
Onkel Toby. »Da Böhmen allenthalben festes Land ist, so konnte es sich
nicht anders begeben.« -- »Es hätte doch wohl,« sagte Trim, »wenn's
Gottes Wille gewesen wäre.« --

Mein Onkel Toby sprach niemals von dem Wesen und den Eigenschaften
Gottes außer mit der ehrfurchtsvollsten und zurückhaltendsten
Behutsamkeit.

»Ich glaube nicht,« erwiderte mein Onkel Toby nach einigem Nachdenken.
»Denn da es festes Land ist, wie ich gesagt habe, und Schlesien und
Mähren gegen Osten, die Lausitz und Obersachsen gegen Norden, das
Fränkische gegen Westen und Bayern gegen Süden gelegen hat, so hätte
Böhmen nicht an die See gerückt werden können, oder es wäre nicht mehr
Böhmen geblieben. Ebensowenig konnte auf der andern Seite die See nach
Böhmen kommen, ohne einen großen Teil von Deutschland zu überschwemmen
und Millionen von armen Einwohnern zu verschlingen, die sich dagegen
nicht schützen können.« -- »Sünd' und Schande!« schrie Trim. »Welches,«
setzte mein Onkel Toby mit Sanftmut hinzu, »einen solchen Mangel an
Barmherzigkeit in Ihm anzeigen würde, der der Menschen Vater ist, daß
ich glaube, Trim, die Sache konnte sich auf keinerlei Art und Weise
begeben.«

Der Korporal machte die Verbeugung der unverstellten Überzeugung und
fuhr fort:

»Da es sich nun an einem schönen Sommerabend begab, daß der König von
Böhmen mit seiner Königin und Hofleuten ausging« -- »Ha! ja! da ist
das Wort begab recht, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »denn der König von
Böhmen konnte mit seiner Königin ausgehen oder es unterlassen. Das war
eine zufällige Sache und konnte sich begeben, je nachdem es der Zufall
mit sich brachte.«

»Der König William hatte den Glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß
alles schon so für uns in der Welt vorher bestimmt wäre. Das ging so
weit, daß er oft zu seinen Soldaten zu sagen pflegte, daß eine jedwede
Kugel ein Billett hätte.« -- »Es war ein großer Mann,« sagte mein Onkel
Toby. -- »Und ich glaube noch bis auf diese Stunde,« fuhr der Korporal
fort, »daß der Schuß, der mich in der Schlacht bei Landen zum Invaliden
machte, ganz allein darum auf mein Knie gezielt wurde, damit ich aus
seinem Dienste heraus und in Euer Gnaden Dienste kommen mußte, worin
ich es soviel besser auf meine alten Tage haben sollte.« »Ehrlicher
Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es soll niemals anders ausgelegt werden
können.«

Die Herzen, sowohl des Herrn als des Dieners, waren zu schneller
Ergießung gleich stark geneigt. -- Es erfolgte ein kurzes
Stillschweigen.

»Und noch dazu,« sagte der Korporal und nahm das Wort wieder, aber
mit heitererem Gesichte und Tone, »wäre es nicht dieser einzige Schuß
gewesen, ich wäre Ihnen, Euer Gnaden, in meinem Leben nicht verliebt
worden.« --

»So? ist Er einmal verliebt gewesen, Trim?« sagte mein Onkel Toby
lächelnd.

»Ja, was wollte ich nicht!« versetzte der Korporal. »Bis über Kopf und
Ohren! mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«

»Ei, sag' Er mir doch, wann, wo und wie das zuging? Ich habe ja noch
kein Wort davon gehört,« sagte mein Onkel Toby. »Ich wollte doch wohl
sagen, daß es das ganze Regiment bis auf den Steckenknecht gewußt
hätte.« -- »So ist's hohe Zeit, daß ich's auch erfahre,« sagte mein
Onkel Toby. -- »Euer Gnaden,« sagte der Korporal, »werden sich noch
wohl mit Unlust an die greuliche Verwüstung und Konfusion unseres
Lagers und unserer Armee nach der Affäre bei Landen erinnern. Da war
an kein Kommando mehr zu denken. Ein jeder mochte zusehen, wie er sich
rettete. Und hätten's nicht die Regimenter von Windham, Lumley und
Galway getan, welche noch die Retirade über die Brücke zu Neerspeeken
deckten, so hätte der König selbst kaum darüber kommen können. -- Sie
setzten ihm, wie Euer Gnaden wissen, an allen Seiten hart zu.«

»Der tapfere Herr!« schrie mein Onkel Toby, von seinem Enthusiasmus
ergriffen. »Diesen Augenblick, da alles vorbei ist, sehe ich ihn noch
an mir vorbeireiten, Korporal, nach dem linken Flügel, um den Rest der
engländischen Kavallerie herbeizuführen, um den rechten zu unterstützen
und den Lorbeer von Luxemburgs Stirne zu reißen, wenn's noch möglich
wäre. Ich sehe ihn, wie eben der Knoten von seiner Schärpe abgeschossen
ist und wie er dem Galwayischen Regimente neuen Mut einspricht. Er
reitet vor der Linie hinauf. Nun wendet er sich um und greift an ihrer
Spitze den Conti an. Brav! brav wahrhaftig,« rief mein Onkel Toby. »Er
verdient eine Krone! -- so gewiß wie ein Dieb den Strick,« jauchzte
Trim.

Mein Onkel Toby kannte des Korporals Treue als Untertan. -- Sonst war
die Vergleichung gar nicht nach seinem Sinne. Sie gefiel dem Korporal
selbst auch nicht so ganz, sobald er sie gemacht hatte. -- Aber sie war
heraus. Er konnte also nichts weiter dabei tun, als nur fortfahren.

»Da der Haufen der Verwundeten erstaunlich groß war und niemand Zeit
hatte, an was anderes zu denken als seine eigene Sicherheit --« --
»Aber Talmash,« sagte mein Onkel Toby, »führte doch die Infanterie mit
großer Klugheit ab.« -- »Ich aber ward auf dem Felde liegen gelassen,«
sagte der Korporal. »Das ward Er; armer Mensch!« versetzte mein Onkel
Toby. -- »So, daß es den andern Tag Mittag wurde,« fuhr der Korporal
fort, »ehe ich ausgewechselt und mit dreizehn oder vierzehn andern auf
den Karren geladen wurde, der uns nach unserem Hospital bringen sollte.

»Es ist, mit Euer Gnaden Erlaubnis, kein Glied am ganzen Leibe, wo eine
Wunde mehr unausstehliche Schmerzen macht als am Knie.« --

»Das Latzbein ausgenommen,« sagte mein Onkel Toby. -- »Wenn's Euer
Gnaden nicht übelnehmen wollen, so glaub' ich, daß, nach meiner
Meinung, das Knie das schmerzlichste sein muß. Denn da sind soviel
Sehnen und soviel andere, wie heißt es? herum her.«

»Ebendeswegen,« sagte mein Onkel Toby, »kommt's, daß das Latzbein
unendlich empfindlicher ist. Da liegen nicht nur ebensoviel Sehnen und
andere, wie es heißt? -- denn ich kenne ihre Namen ebensowenig wie Er
-- umher, sondern auch -- --«

Madame Wadmann, die die ganze Zeit über in ihrer Laube gewesen, hielt
geschwind den Atem an, zog die Nadel aus ihrer Kappe unterm Kinn,
schlug sie in die Höhe und stellte sich auf die Zehen eines Fußes.

Der Streit ward freundschaftlich und mit gleichem Nachdruck zwischen
meinem Onkel Toby und Korporal Trim eine Zeitlang fortgesetzt. Bis
sich endlich Trim besann, daß er öfters über meines Onkels Toby
Leiden geweint, über sein eigenes aber nie eine Träne vergossen habe,
und deswegen nachzugeben dachte, was ihm aber mein Onkel Toby nicht
gestatten wollte. »Das beweist nichts, Trim,« sagte er, »als die Güte
seines Herzens.«

Daher also, ob die Pein einer Wunde am Latzbein (+Caeteris
paribus+) größer ist als die Pein einer Wunde am Knie, oder --

Ob die Pein einer Wunde am Knie nicht größer ist als die Pein einer
Wunde am Latzbein? -- eine Sache ist, die bis auf den heutigen Tag
unentschieden bleibt.

                            [Illustration]




                      Hundertneunzehntes Kapitel.


»Die Schmerzen an meinem Knie,« fuhr der Korporal fort, »waren an
und für sich schon erschrecklich groß; und beim Rumpeln des Karrens,
bei dem entsetzlich ausgefahrenen Wege, welche das Übel immer ärger
machten, wollte mir die Seele aus dem Leibe fahren. Und so war das
viele verlorene Blut und der Mangel an Pflege und ein Fieber, das ich
noch dazu ankommen fühlte --« der arme Mensch, sagte mein Onkel Toby
--; »alles das zusammen war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, zuviel für
mich.«

»Ich klagte mein Elend einem jungen Frauenzimmerchen in einem
Bauernhause, vor dem unser Karren, der der letzte in dem Zuge
war, stillgehalten hatte. Sie hatten mir hereingeholfen, und
das Frauenzimmerchen hatte ein Glas Herzstärkung aus der Tasche
hervorgelangt und tröpfelte es auf ein Stückchen Zucker. Und als sie
sah, daß es mir guttat, hatte sie mir's zum zweiten- und drittenmal
eingegeben. Und so sagte ich ihr, mit Euer Gnaden Erlaubnis, was ich
für einen Jammer hatte. Und sagte ihr, daß es mir so unausstehlich
wäre, daß ich lieber auf dem Bette liegen -- und wendete meinen Kopf
nach einem, das in der Ecke der Stube stand -- und sterben wollte als
weiterfahren. Und als sie sich die Mühe gab, mich dahin zu führen,
kriegte ich 'ne Ohnmacht in ihren Armen. -- Es war so 'ne gute Seele,
wie Euer Gnaden,« sagte der Korporal und wischte sich die Augen, »hören
werden.«

»Ich hätte gedacht, die Liebe wäre was Lustiges,« sagte mein Onkel
Toby.

»Es ist so was Ernsthaftes zuweilen, mit Euer Gnaden Erlaubnis, als nur
was von der Welt.

»Auf das Zureden des Frauenzimmerchens,« fuhr der Korporal fort, »fuhr
der Karren mit der blessierten Mannschaft ohne mich weiter. Sie hatte
ihnen versichert, ich würde daran sterben, wenn ich wieder auf den
Karren käme. Und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in
einem stillen, ruhigen Bauernhause, und war sonst kein Mensch mit mir
drinnen als das Frauenzimmerchen und der Bauer und seine Frau. Ich
lag quer überm Bett in der Ecke der Stube, mit meinem Bein auf dem
Stuhle, und das Frauenzimmerchen saß bei mir und hielt ihren Zipfel
vom Schnupftuche, den sie in Essig getaucht hatte, mit einer Hand vor
meiner Nase und rieb mir mit der andern die Schläfe.

»Ich hielt sie erst für die Tochter des Bauern (denn es war kein
Krug) und hatte ihr deswegen einen kleinen Beutel mit achtzehn Gulden
hingegeben, welche mir mein armer Bruder Thomas (hier wischte Trim
seine Augen) mit einem Rekruten zum Andenken geschickt hatte, als er
eben nach Lissabon gehen wollte.

»Ich habe Euer Gnaden die klägliche Historie noch kein Mal erzählt.«
Hier wischte sich Trim zum dritten Male die Augen.

»Das Frauenzimmerchen rief den alten Mann und seine Frau her in die
Stube und wies ihnen das Geld, daß sie mir ein Bett geben sollten und
die kleine Pflege, die ich nötig hätte, bis ich erst ins Hospital
gebracht werden könnte. Gut so, mein guter Freund, sagte sie und
knüpfte den Beutel zu, -- ich will seine Ausgeberin sein. Aber da ich
damit allein wohl nicht genug zu tun habe, so will ich auch seine
Wärterin sein.

»Nach der Manier, womit sie das sagte, und nach ihrer Tracht, die
ich nun ein bißchen genauer examinierte, dachte ich wohl, daß das
Frauenzimmerchen wohl nicht des Bauern Tochter sein könnte.

»Sie ging schwarz vom Kopfe bis zu den Füßen und hatte ihre Haare
unter einer weißleinenen Haube, die ihr ganz dicht am Kopfe lag. Es
war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine von der Art Nonnen, die es in
Brabant soviel gibt und die sie frei herumgehen lassen.« -- »Aus
seiner Beschreibung, Trim, sollte ich schließen, daß es eine junge
Begyne gewesen, von denen man sonst nirgends welche findet, als in
den Niederlanden, und in Amsterdam auch. Sie sind darin von Nonnen
unterschieden, daß sie ihr Kloster verlassen können, wenn sie heiraten
wollen. Sie besuchen die Kranken und pflegen sie nach ihrem Gelübde.
Ich wollte aber lieber, sie täten's aus gutem Herzen.«

»Sie hat mir oft gesagt, sie tät's aus Liebe zum Heilande. Das wollte
mir nicht recht gefallen.« -- »Ich glaube, Trim, wir haben beide
unrecht,« sagte mein Onkel Toby. »Wir wollen den Pfarrer Yorick darum
fragen, wenn er heute abend nach meines Bruders Hause kommt. Erinnere
Er mich nur daran.«

»Die junge Begyne,« fuhr der Korporal fort, »hatte kaum das Wort
ausgesagt, daß sie meine Krankenwärterin sein wollte, als sie wie der
Wind hinging, ihren Dienst anzutreten und was für mich zurechtzumachen.
Es währte nicht lange -- ob schon es mich lange dünkte --, so kam sie
wieder und hatte Flanell und dergleichen geholt. Und als sie mir mein
Knie ein paar gute Stunden lang gekühlt und dergleichen und mir einen
kleinen Napf Hafersuppe zu essen gegeben hatte, wünschte sie mir wohl
zu schlafen und versprach des Morgens früh wiederzukommen. -- Aber,
Euer Gnaden, sie wünschte mir was, das ich nicht haben konnte. Mein
Fieber wurde die Nacht sehr stark. Ihre Gestalt richtete großes Unheil
in meinem Kopfe an. Ich tat die ganze Nacht nichts, als daß ich immer
die Welt in zwei Stücken schnitt, um ihr eine Hälfte abzugeben. Und
alle Augenblicke weinte ich wieder, daß ich nichts hatte, als einen
Tornister und achtzehn Gulden, mit ihr zu teilen.

»Die ganze Nacht stand die hübsche Begyne wie ein Engel vor meinem
Bette, zog den Vorhang weg und gab mir was ein. -- Und ich wachte erst
aus meinen Träumen dadurch auf, daß sie kam, wie sie versprochen hatte
und mir wirklich eingab. Es ist gewißlich wahr, sie kam fast gar nicht
von mir weg, und ich war so daran gewöhnt, von ihren Händen mein Leben
zu nehmen, daß mir ganz bange ums Herz wurde und bleich im Gesicht,
wenn sie nur aus der Türe ging. Und dabei doch,« fuhr der Korporal fort
und machte eine der sonderbarsten Anmerkungen darüber,

»war's keine Liebe.

  Es war an einem Sonntagnachmittag.
  Der alte Mann und seine Frau waren ausgegangen.
  Es war im ganzen Hause alles mausestill.
  Auf dem Hofe krähte weder Huhn noch Hahn,
  Als die hübsche Begyne kam und mich besuchte.

»Meine Wunde war nun auf gutem Wege der Besserung. Die Geschwulst hatte
sich schon seit einiger Zeit gelegt, aber es folgte darauf sowohl über
als unter dem Knie ein so unerträgliches Jucken, daß ich die ganze
Nacht hatte kein Auge davor zutun können.

»Laß Er mich sehen, sagte sie, und kniete gerade vor meinem Knie auf
die Erde nieder und begriff die Stelle unten daran.

»Es muß nur ein bißchen gerieben werden, sagte die Begyne. Damit legte
sie das Bettlaken darüber und fing

                            [Illustration]

an, mit ihrem vordersten Finger hin und her zu reiben unter dem Flanell
herum, das über dem Verband gebunden war.

»In fünf oder sechs Minuten fühlte ich schon ein bißchen von der Spitze
ihres Fingers -- und bald darauf streckte sie ihn auch aus und rieb mit
zwei Fingern eine lange Weile so rund herum; da fiel mir's ein, daß
ich verliebt werden würde. Ich wurde ganz rot im Gesicht, als ich sah
was sie für eine weiße Hand hatte. Ja, Euer Gnaden, ich werde eine so
schneeweiße Hand nicht wieder zu sehen kriegen, solange ich lebe.«

»An der Stelle nicht,« sagte mein Onkel Toby.

Es war zwar für den Korporal die ernsthafteste Verzweiflung von der
Welt, er konnte aber doch nicht unterlassen zu schmunzeln.

»Als die junge Begyne sah,« fuhr der Korporal fort, »daß es gewaltig
half, nachdem sie ein Weilchen mit zwei Fingern gerieben hatte, fing
sie endlich an, mit dreien zu reiben, bis sie endlich nach und nach
auch den vierten dazunahm und nun mit der ganzen Hand rieb. Ich will,
mit Euer Gnaden Wohlnehmen, kein Wort wieder von schneeweißen Händen
sagen -- aber sie war so weich, so weich, weicher als Atlas.«

»Höre Er, Trim, lobe Er sie, soviel als Er will,« sagte mein Onkel
Toby, »ich werde seine Erzählung mit desto größerem Vergnügen hören.«
-- Der Korporal dankte seinem Herrn ohne alle Verstellung. Da er aber
nichts weiter von der Hand der Begyne zu sagen hatte als ebendasselbe
noch einmal, so ging er weiter, zu ihrer Wirkung.

»Die schöne Begyne,« sagte der Korporal, »rieb immer, immer weg mit
ihrer ganzen Hand unter meinem Knie, bis ich besorgte, ihr Eifer würde
sie müde machen. Ich wollte noch wohl tausendmal mehr tun, sagte
sie, aus Liebe zum Heilande. Und wie sie das sagte, fuhr sie über
den Flanell herüber nach der Stelle über dem Knie, worüber ich auch
geklagt hatte, und rieb sie ebenfalls.

»Nun merkte ich, daß ich anfing verliebt zu werden.

»Als sie das Reiben, Reiben, Reiben so forttrieb, so fühlte ich, mit
Euer Gnaden Erlaubnis, daß es unter ihrer Hand anfing und sich durch
alle meine Glieder ausstreckte.

»Je mehr sie rieb und je längere Züge sie tat, je mehr zündete sich
das Feuer in meinen Adern an, bis endlich meine Verliebtheit auf den
höchsten Gipfel stieg -- ich ergriff ihre Hand --«

»Und Er drückte sie an seine Lippen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.

Ob es mit des Korporals Verliebtheit genau so ablief, wie mein Onkel
Toby es beschrieb, das ist keine wesentliche Sache. Genug, daß sie
alles das Wesentliche aller verliebten Romane in sich enthielt, welche
von Anbeginn der Welt her geschrieben sind.

                            [Illustration]




                      Hundertzwanzigstes Kapitel.


Sobald der Korporal seiner Liebesgeschichte, oder vielmehr mein Onkel
Toby an seiner Statt, ein Ende gemacht hatte, -- marschierte Madame
Wadmann ohne Sang und Klang aus ihrer Laube, steckte ihre Haube wieder
unterm Kinn zu, passierte das kleine Heckenpförtchen und avancierte
langsam auf meines Onkels Toby Schilderhaus los. Die Disposition,
welche Trim in seinem Gemüte gemacht hatte, war ein zu vorteilhafter
Umstand, ihn nicht zu nützen.

Die Attacke ward beschlossen; sie war dadurch noch mehr begünstigt,
daß mein Onkel Toby dem Korporal befohlen hatte, den Spaten, die
Pionierschaufel, die Steckpflöcke und das übrige Kriegsgerät, welches
auf dem Platze, wo Dünkirchen gestanden, zerstreut herumlag, aus dem
Felde zu fahren. Der Korporal war abmarschiert -- das Feld war offen.

Nun überlegen Sie, mein Herr, wie unvernünftig es sei, sowohl beim
Fechten und Schreiben als sonst bei irgend etwas, das man vorhat --
es sei gereimt oder nicht --, nach einem Plane zu handeln. Denn wenn
jemals ein Plan, von allen Umständen unabhängig betrachtet, verdiente
mit goldenen Buchstaben registriert zu werden -- ich meine in den
utopischen Archiven --, so war es gewiß der Plan von Madame Wadmanns
planmäßiger Attacke auf meinen Onkel Toby in seinem Schilderhause. --
Nun aber war der Plan, der eben bei dieser Gelegenheit daran hing,
der Plan von Dünkirchen -- und die Geschichte von Dünkirchen eine
niederschlagende Geschichte, welche sich jedem Eindrucke widersetzte,
den sie machen konnte. Und überdem, hätte sie ihm auch folgen können,
war das Manöver mit den Fingern und der Hand bei der Attacke im
Schilderhause durch das Manöver der Begyne in Trims Geschichte so sehr
weit übertroffen, daß gerade dadurch diese besondere Attacke, so sehr
sie auch vorher gelang, die allerherzloseste Attacke war, die nur
gemacht werden konnte.

O, man lasse für so etwas das Frauenzimmer nur sorgen! Madame Wadmann
hatte kaum das Heckenpförtchen geöffnet, als ihr Genie sich schon ein
bloßem Spiel aus den veränderten Umständen machte.

Sie entwarf augenblicklich eine neue Attacke.

                            [Illustration]




                   Hunderteinundzwanzigstes Kapitel.


»Ich bin halb von Sinnen, Herr Kapitän,« sagte Madame Wadmann und hielt
ihr weiß holländisch-leinen Schnupftuch vor ihr linkes Auge, wie sie
sich der Türe von meines Onkels Toby Schilderhause näherte. »Eine Mücke
oder ein Sandkorn oder so etwas, ich weiß nicht was, ist mir da in mein
Auge gekommen. -- O sehen Sie mir doch einmal hinein -- es ist nicht im
Weißen.«

Sowie sie das sagte, drängte sie sich zu meinem Onkel Toby hinein auf
die Ecke von seiner Bank und gab ihm Gelegenheit, es zu tun, ohne daß
er aufzustehen brauchte. »Ich bitte, sehen Sie doch hinein!« sagte sie.

Gute ehrliche Seele! Du sahest hinein mit ebensoviel Unschuld des
Herzens, als jemals ein Kind in einen Kasten voll schöner Raritäten
geguckt hat, und es wäre eine ebenso große Sünde, dir etwas zuleide zu
tun.

Will ein Mensch aus freien Stücken in dergleichen Dinger hineingucken,
so habe ich nichts dazu zu sagen.

Das tat mein Onkel Toby niemals; und ich will für ihn Bürge sein, daß
er vom Julimonat bis zum Januar -- welches, wie Sie wissen, die heißen
und kalten Monate in sich faßt -- ruhig auf einem Sofa gesessen hätte
bei einem eben so schönen Auge als das Auge der thrazischen Rhodope,
ohne daß er imstande gewesen wäre zu sagen, ob es ein blaues oder ein
schwarzes gewesen.

Die Schwierigkeit war, meinen Onkel Toby dahin zu bringen, daß er nur
überall in eins sähe.

Die ist überstiegen. Und:

Ich sehe ihn dort mit seiner Pfeife in seiner Hand, die Asche
herausfallend, wie er guckt und guckt, dann sich die Augen reibt und
wiederum guckt, mit zweimal soviel Treuherzigkeit, als Galilei nach
einem Flecken in der Sonne guckte.

Vergebens! Denn bei allen Mächten, welche die Sehwerkzeuge beseelen,
der Witwe Wadmann linkes Auge scheint diesen Augenblick ebenso helle
wie ihr rechtes. Es schwimmt darin weder Mücke, weder Sand, weder
Staub, weder Kaff, weder Fleck, noch Teilchen von undurchsichtiger
Materie. -- Du findest nichts darin, mein liebster Onkel von
väterlicher Seite, als ein liebliches loderndes Feuer, welches
verstohlenerweise aus jedem seiner Punkte in allen Richtungen heraus in
deines schießt. Guckst du, mein Onkel Toby, nach diesem Stäubchen noch
einen Augenblick länger -- so bist du verloren.

                            [Illustration]




                  Hundertzweiundzwanzigstes Kapitel.


Ein Auge ist darin ganz vollkommen einer Kanone gleich, daß es nicht
sowohl das Auge oder die Kanone an und für sich selbst tut, als die
Richtung des Auges und die Richtung der Kanone, wodurch das eine und
die andere so viele Verwüstung anrichten. Ich halte das Gleichnis nicht
für schlecht. Indessen, da ich's ebensowohl des Nutzens als der Zierde
wegen gemacht und an die Spitze des Kapitels gestellt habe, so ist
alles, was ich dafür zur Vergeltung verlange, dieses, daß Sie solches,
sooft ich von Madame Wadmanns Augen spreche -- einmal in den nächsten
Perioden ausgenommen -- im Sinne behalten mögen.

»Ich versichere Sie, Madame,« sagte mein Onkel Toby, »ich kann ganz und
gar nichts in Ihrem Auge gewahr werden.«

»Es ist nicht im Weißen,« sagte Madame Wadmann. Mein Onkel Toby guckte
aus allen Kräften und Vermögen in den Stern.

Nun war von allen Augen, die jemals geschaffen sind -- von Ihren
eigenen, gnädige Frau, bis auf die Augen der Venus zurück, welches
doch wahrhaftig ein so buhlend Paar Augen waren, wie jemals in einem
Kopfe gestanden --, kein einziges Auge so geschickt, meinen Onkel
Toby um seine Ruhe zu bringen, wie gerade dasselbige Auge, in welches
er da hineinsah. Es war kein rollendes Auge, Madame, kein tobendes
oder mutwilliges, auch war's kein funkelndes, kein drohendes oder
befehlendes Auge, das stracks viel fordern und ertrotzen wollte.
Das hätte auf einmal jene Milch der menschlichen Natur gerinnen
gemacht, aus der mein Onkel Toby gemolken war. Sondern es war ein
Auge voll sanften Grußes und lieblicher Antworten. Es sprach nicht
wie ein Trompetenregister in einer schlechtgebauten Orgel, in welchem
Tone manches Auge, dem man etwas sagt, eine kreischende Unterredung
führt, -- sondern es lispelte leise, gleich dem leisen Röcheln einer
sterbenden Heiligen:

»Wie können Sie ohne alle Pflege leben, Herr Kapitän Shandy, und so
einsam, ohne einen Busen, an den Sie Ihr Haupt lehnen oder dem Sie Ihre
Sorgen vertrauen könnten?«

Es war ein Auge --

Aber ich werde mich noch selbst darin verlieben, wenn ich nur noch ein
Wort weiter davon sage.

Meinem Onkel Toby machte es den Garaus.

                            [Illustration]




                  Hundertdreiundzwanzigstes Kapitel.


Nichts setzt die Charaktere meines Vaters und meines Onkels Toby in
ein unterhaltenderes Licht als ihre verschiedene Art des Betragens bei
einerlei Zufalle. -- Denn ich nenne die Liebe keinen Unfall, aus der
Überzeugung, in der ich bin, daß das Herz eines Menschen beständig
dadurch besser wird. -- Gütiger Gott! Was müßte aus dem Herzen meines
Onkels Toby geworden sein, das ohnedem schon lauter Güte war.

Mein Vater, wie aus vielen seiner Papiere erhellt, war dieser
Leidenschaft sehr unterworfen, ehe er heiratete. Wegen einer etwas
säuerlichen Art von schnurriger Ungeduld in seinem Wesen aber wollte
er sich, sooft es ihn überkam, niemals als ein Christ darin finden,
sondern tobte und schnaubte und stampfte und schlug hinten aus und
stellte sich ungebärdig und schrieb so bittere Stachelschriften gegen
das Auge, wie jemals ein Mann geschrieben hat. Eine findet sich noch,
die er gegen irgendeines oder das andere Auge geschrieben hat, das ihn
drei Nächte hintereinander am Schlaf gehindert hatte. Er hebt in der
ersten Aufwallung seines Zorns also an:

  »Ein Satan ist's -- und tut solch Unheil wirken,
  Als niemals noch geschah von Heiden, Juden, Türken.«[2]

Kurz zu sagen, während des ganzen Anfalls tat mein Vater nichts als
schimpfen und schmähen. Es ging sogar bis zum vermaledeien. Nur tat er
das nicht so methodisch wie Ernulphus. Da war er zu hitzig zu. Denn
obgleich mein Vater mit der unbiegsamsten Gemütsart von der Welt dieses
und jenes und alles unter der Sonne zu vermaledeien pflegte, was seine
Liebe entzündete oder begünstigte, so schloß er doch niemals sein
Vermaledeiungskapitel dagegen, ohne sich im Kauf mit zu verwünschen:
als einen der größten Gimpel und Faselhänse, wie er zu sagen pflegte,
die nur jemals in Gottes weiter Welt herumgelaufen wären.

Mein Onkel Toby dagegen fand sich darin, wie ein Lamm -- saß still
und ließ das Gift in seinen Adern wirken, ohne Widerstand zu tun. --
In der schärfsten Eiterung seiner Wunde (wie bei der Wunde an seinem
Latzbein) ließ er sich niemals ein störrisches oder mißvergnügtes
Wort entfallen. Er tadelte weder Himmel noch Erde, dachte oder sagte
niemals Schmähungen gegen jemanden oder jemandes Glied. Er saß einsam
und ernst mit seiner Pfeife, sah auf sein lahmes Bein, hauchte ein
empfindsames Ach! aus der Brust, das sich mit dem Schmauche vermischte
und keinem Sterblichen lästig fiel.

Er fand sich darin wie ein Lamm, sage ich.

                            [Illustration]




                  Hundertvierundzwanzigstes Kapitel.


Die Welt schämt sich, tugendhaft zu sein. Mein Onkel Toby wußte wenig
von der Welt; und deswegen, als er fühlte, daß er in die Witwe Wadmann
verliebt wäre, fiel es ihm ebensowenig ein, daß die Sache ein Geheimnis
sein müßte, als wenn Madame Wadmann ihn mit einem Bugmesser in die
Finger geschnitten hätte. Und hätte er es auch anders verstanden: Da er
einmal seinen Trim beständig als einen ärmeren Freund betrachtete, und
von Tag zu Tag neue Ursache fand, ihm als einem solchen zu begegnen, so
würde das keine Änderung in der Art gemacht haben, womit er ihm von der
Sache Nachricht gab.

»Ich bin verliebt, ehrlicher Trim!« sagte mein Onkel Toby.

                            [Illustration]




                  Hundertfünfundzwanzigstes Kapitel.


»Verliebt!« sagte der Korporal, »Euer Gnaden befanden sich doch
vorgestern noch ganz wohl, als ich Euer Gnaden die Historie vom Könige
von Böhmen erzählte.« -- »Böhmen!« sagte mein Onkel Toby und dachte
lange nach. »Was ist aus der Historie geworden, Trim?«

»Wir müssen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ungefähr davon abgekommen
sein. Aber Euer Gnaden waren ebensoweit vom Verliebtsein weg, als ich
es bin.«

»Es war eben, als Er mit dem Schiebkarren abmarschierte -- mit der
Witwe Wadmann,« sagte mein Onkel Toby. »Hier hat sie eine Kugel sitzen
lassen,« setzte mein Onkel Toby hinzu und zeigte auf seine Brust.

»Sie kann mit Euer Gnaden Erlaubnis ebensowenig eine Belagerung
aushalten, wie sie fliegen kann,« schrie der Korporal.

»Da wir aber Nachbarn sind, Trim, so ist es doch wohl der beste Weg,
denke ich, ihr es erst in aller Güte anzuzeigen,« sagte mein Onkel
Toby.

»Wenn ich so frei sein dürfte,« sagte der Korporal, »Euer Gnaden einen
anderen guten Rat zu geben --«

»Warum spräche ich sonst mit Ihm davon, Trim?« sagte mein Onkel Toby.

»So würde ich damit anfangen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß ich
wieder eine derbe donnernde Attacke auf sie machte und es ihr hernach
in aller Güte mitteilte. Denn wenn sie vorher den geringsten Wind davon
bekommt, daß Euer Gnaden verliebt sind --« »Ach, lieber Himmel! Sie
weiß noch ebensowenig davon, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wie ein
Kind, das noch geboren werden soll.«

Die guten Seelen!

Madame Wadmann hatte es schon, mit allen Umständen, ihrer Brigitte
vierundzwanzig Stunden vorher erzählt und saß in ebendem Augenblicke
und hielt Kriegsrat mit ihr über einige kleine Zweifel, wie die Sache
ablaufen möchte, die ihr der Meister Hämmerling, der bei solchen
Vorfällen niemals zu schlafen pflegt, in den Kopf gesetzt hatte, ehe er
ihr erlauben wollte, daß sie ihr +Te deum+ mit Ruhe halb aussänge
--

»Mir ist erschrecklich bange,« sagte Madame Wadmann, »im Fall ich ihn
heiraten sollte, Brigitte, daß der gute Kapitän mit seiner ungeheuren
Wunde in der Hüfte niemals recht gesund sein möchte.« -- »Sie mag wohl
nicht so schlimm sein,« versetzte Brigitte, »als Sie denken, und ich
glaube auch überdem,« fügte sie hinzu, »daß sie zugeheilt ist.« --

»Das möchte ich doch wohl wissen, bloß seinetwegen,« sagte Madame
Wadmann.

»Wir wollen erfahren, wie lang und breit sie ist,« antwortete Jungfer
Brigitte, »ehe noch zehn Tage vorbei sind. Denn derweile der Herr
Kapitän Ihnen seine Aufwartung macht, wird sein Korporal Trim, das
weiß ich, seine Liebe bei mir anbringen wollen. Und ich will ihn ruhig
machen lassen, was er will,« setzte Brigitte hinzu, »um alles von ihm
herauszukriegen.«

Die Maßregeln wurden den Augenblick genommen. Und mein Onkel Toby und
der Korporal gingen weiter mit den ihrigen.

»Nun,« sagte der Korporal, wobei er seine linke Hand in die Seite
stemmte und mit der rechten einen solchen Schwung durch die Luft tat,
der einen glücklichen Ausgang -- und mehr nichts -- versprach. »Wenn
Euer Gnaden mir die Erlaubnis geben wollen, den Plan zu dieser Attacke
zu machen.« --

»Er wird mir damit einen großen Gefallen erweisen, Trim,« sagte mein
Onkel Toby. »Und da ich schon vorher sehe, daß er ihn als mein Adjutant
wird mit helfen ausführen müssen, so hat er hier ein paar Gulden, daß
er sein Patent in ein Glas Wein tauchen kann.«

»Nun, so wollen wir denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der
Korporal -- und machte dabei einen Bückling für sein Avancement --
»damit anfangen, daß wir Euer Gnaden besetzte Kleider aus dem großen
Feldkasten hervorholen und brav auslüften lassen, und wollen die
Aufschläge mit Gold auf die Ärmel heften. Und ich will die weiße
Knotenperücke frisch aufwickeln und zum Schneider gehen, daß er Euer
Gnaden scharlachene Hosen kehrt.«

»Ich tue wohl besser, Trim, daß ich die rotplüschenen anziehe,« sagte
mein Onkel Toby. »Die werden zu schlecht sitzen,« sagte der Korporal.

                            [Illustration]




                  Hundertsechsundzwanzigstes Kapitel.


»Putz' Er meinen Degen mit einer Bürste und ein wenig Kreide.« -- »Es
soll geschehen, wie Euer Gnaden befehlen,« versetzte Trim.

                            [Illustration]




                 Hundertsiebenundzwanzigstes Kapitel.


Unterdessen mein Vater seine schriftliche Instruktion abfaßte, waren
mein Onkel Toby und der Korporal beschäftigt, alles auf die Attacke
vorzubereiten. Da der Gedanke, die feinen scharlachenen Beinkleider
kehren zu lassen, aufgegeben war -- fürs erste zum wenigsten --, blieb
nichts mehr im Wege, warum sie weiter hinausgesetzt werden müßte, als
auf den nächsten Morgen. Also ward sie auf elf Uhr festgesetzt.

»Komm, mein Kind,« sagte mein Vater zu meiner Mutter. »Es wird für
einen Bruder und eine Schwester ganz wohlgetan sein, wenn wir beide ein
wenig nach meines Bruders Hause hinübergehen und ihm bei seiner Attacke
ein wenig mit Rat und Tat beistehen.«

Mein Onkel Toby und der Korporal Trim waren schon seit einiger Zeit in
vollem Putze, und als mein Vater und meine Mutter hereintraten, standen
sie, da es eben elf Uhr schlug, schon auf dem Sprunge, den Marsch mit
dem linken Fuße anzutreten. Die Beschreibung hiervon aber ist mehr
wert, als in das Ende eines Kapitels, wie dieses, hineingewebt zu
werden.

Mein Vater hatte nur gerade soviel Zeit, seine Instruktion meinem Onkel
Toby in die Rocktasche zu stecken und ihm, mit meiner Mutter zugleich,
viel Glück zu seiner Attacke zu wünschen.

»Ich hätte wohl Lust,« sagte meine Mutter, »durchs Schlüsselloch zu
gucken, aus Neugierde.« -- »Nenne nur das Kind beim rechten Namen, mein
Schatz,« sagte mein Vater --

»Und gucke durchs Schlüsselloch, solange wie du willst.«

                            [Illustration]




                  Hundertachtundzwanzigstes Kapitel.


Obgleich der Korporal sein Wort ehrlich gehalten und meines Onkels Toby
große Dreiknotenperücke auf Pfeifenstiele gewickelt hatte, so war doch
die Zeit zu kurz, daß es sonderlich große Wirkung hätte tun können.
Sie war manches liebe Jahr in einer Ecke seines alten Feldkastens
zusammengequetscht worden. Und da sich schlimme Falten nicht so leicht
herausmachen lassen und ihm der Handgriff mit den Enden von Talgkerzen
nicht so geläufig war, so war es keine so lenksame Arbeit, wie man wohl
denken möchte. Der Korporal trat wohl ein Schock Male mit funkelnden
Augen und beiden Armen ausgestreckt in gerader Linie von ihr zurück, um
ihr, wo möglich, eine bessere Miene einzuflößen. Hätte die Grämlichkeit
einen Blick darauf geworfen, es würde Ihro grämlichen Gnaden ein
Schmunzeln abgelockt haben. -- Sie fiel allenthalben in Locken, nur
nicht da, wo es der Korporal haben wollte und wo eine oder ein paar
Wellen ihr nach seiner Meinung würden Ehre gemacht haben. Da hätte er
ebensoleicht einen Toten erwecken können.

So sah sie aus -- oder vielmehr, so würde sie auf jedem anderen
Gesichte ausgesehen haben. Der sanfte Blick der Güte aber, der auf
dem Gesichte meines Onkels Toby saß, machte jedes Ding in seiner Nähe
mit so unwiderstehlicher Macht sich selbst ähnlich. Und dabei hatte
die Natur mit so leserlichen Buchstaben in jeden Zug seiner Miene
geschrieben: ~ein feiner Mann~, daß ihn selbst sein abgebleichter
goldener Tressenhut und die große Hutschleife von schlaffem Taffetband
gut kleidete. Obgleich an sich selbst kein Scherflein wert, wurden
sie doch den Augenblick, da mein Onkel Toby sie aufsetzte, Dinge von
Bedeutung und schienen ausdrücklich von der Hand der Wissenschaft
ausgesucht zu sein, ihm ein Ansehen zu geben.

Nichts in dieser Welt hätte so kräftig zu diesem Endzwecke beitragen
können, wie meines Onkels Toby blaues Kleid mit Gold, wäre nicht
gewissermaßen Fülle mit zur Grazie erforderlich gewesen. In einem
Zeitraume von fünfzehn oder sechzehn Jahren, seitdem es gemacht worden,
war das blaue Kleid mit Gold meinem Onkel Toby durch ein völlig
untätiges Leben -- denn er kam selten weiter als nach seinem grünen
Spielplatze -- so kläglich eng geworden, daß es den Korporal große Mühe
und Künste kostete, ehe er ihn hineinbringen konnte. Das Aufheften der
Aufschläge hatte nicht viel geholfen. Es war indessen vorne und hinten
und auf den Taschen und Schößen usw. mit Tressen besetzt, nach der Mode
unter des Königs Wilhelm Regierung. Um die Beschreibung abzukürzen,
schienen sie diesen Morgen in der Sonne so glänzend und machten ein so
metallisches und tapferes Ansehen, daß mein Onkel Toby, wenn er auf
eine kriegerische Attacke mit Schild und Speer ausgegangen wäre, nichts
Besseres nach seinem Sinne hätte ausfinden können.

Was die feinen scharlachenen Beinkleider anbetrifft: die waren von dem
Schneider in der inwendigen Naht aufgetrennt, und weiter hatte er sich
nicht darum bekümmert.

Ja, Madame! -- Aber laß uns unserer Einbildung nicht die Zügel
schießen. Genug, sie wurden den Abend vorher für unbrauchbar erklärt,
und da in meines Onkels Toby Garderobe keine Wahl war, so blieb es bei
seinen rotplüschenen.

Der Korporal hatte sich mit der Regimentsuniform herausstaffiert. Das
Haar unter seiner Reitmütze zusammengeknotet, die er des Endes neu
aufgebürstet hatte, marschierte er in einer Distanz von drei Schritten
hinter seinem Herrn. Ein Hauch von militärischem Stolze hatte seine
Vorärmel über den Händen hervorgezupft. Auf eine derselben hatte der
Korporal an einem ledernen Bande, das unter dem Knoten in eine Quaste
geschnitzelt war, seinen Stock hängen.

Mein Onkel Toby trug seinen Stock wie einen Speer.

Es sieht doch wenigstens nicht übel aus, sagte mein Vater bei sich
selbst.

                            [Illustration]




                  Hundertneunundzwanzigstes Kapitel.


Mein Onkel Toby wendete sich mit dem Gesichte mehr als einmal herum, um
zu sehen, wie ihn das Hintertreffen, der Korporal, unterstützte. Und
sooft er das tat, machte der Korporal mit seinem Stock einen Schwung in
die Luft -- doch nicht prahlerischerweise. Mit dem leisesten Tone des
ehrerbietigsten Zuredens hieß das soviel wie: »Nichts gefürchtet!«

Mein Onkel Toby aber fürchtete, und zwar gar herzlich. Er hatte
noch nicht einmal -- wie ihm mein Vater vorgeworfen hatte -- das
rechte Ende eines Frauenzimmers vom unrechten unterscheiden gelernt.
Deswegen war er niemals an seiner rechten Stelle, wenn er nahe bei
einem sein mußte. Ausgenommen, wenn es in Kummer und Betrübnis war.
Alsdann war sein Mitleiden unendlich; auch hätte der liebreichste
Ritter aus dem vorigen Jahrhunderte nicht weiter reisen können -- auf
einem Beine wenigstens nicht --, um eine Träne von einem weiblichen
Auge zu wischen. Und dennoch, das eine Mal nicht gerechnet, da ihn
Madame Wadmann dazu überlistete, hatte er niemals steif in eines
hineingesehen, und pflegte oft in der Einfalt seines Herzens zu meinem
Vater zu sagen, das wäre fast ebenso arg -- wo nicht ebenso laut -- wie
unzüchtig reden.

»Und nun, wenn's das wäre?« pflegte mein Vater zu antworten.

                            [Illustration]




                      Hundertdreißigstes Kapitel.


»Sie kann's doch nicht,« sagte mein Onkel Toby und machte Halt, als sie
bis auf zehn Schritte von Madame Wadmanns Haustüre aufmarschiert waren
-- »sie kann's doch nicht übelnehmen, Korporal?«

»Sie wird's nehmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal,
»eben wie es die Witwe zu Lisbon von meinem Bruder Thomas nahm.«

»Und wie war das?« sagte mein Onkel Toby und machte fast völlig Front
herum gegen den Korporal.

»Euer Gnaden,« versetzte der Korporal, »wissen meines Bruders Tom
Unglück. Aber diese Sache hat nichts weiter damit zu tun als nur:
hätte Tom die jüdische Witwe nicht gefreiet, oder wäre es des lieben
Herrgotts Wille gewesen, daß sie Schweinefleisch in ihre Würstchen
getan hätten, so hätten sie die ehrliche Haut meines Bruders nicht
aus seinem warmen Bette geholt und zur Inquisition geschleppt. -- --
Es ist ein verdammtes Loch,« fügte der Korporal hinzu und schüttelte
den Kopf. »Wenn einmal erst ein armer Kerl, mit Euer Gnaden Erlaubnis,
darin ist, so ist kein Herauskommen wieder.«

»Sehr wahr!« versetzte mein Onkel Toby und sah nach Madame Wadmanns
Hause, als er das sagte.

»Nichts,« fuhr der Korporal fort, »kann wohl so elend sein wie eine
ewige Gefangenschaft, und nichts süßer, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, als
die Freiheit.«

»Nichts, Trim,« sagte mein Onkel Toby, in tiefen Gedanken --

»Solange ein Mensch frei ist,« rief der Korporal und Schwang dabei
seinen Stock, wie hier

[Illustration]

Ein ganzes Tausend von meines Vaters subtilsten Syllogismen hätte
nichts Stärkeres für den Ehelosenstand sagen können.

Mein Onkel Toby sah ernsthaft nach seinem Landhäuschen und dem grünen
Spielplatze zurück.

                            [Illustration]




                   Hunderteinunddreißigstes Kapitel.


Als mein Onkel Toby und der Korporal bis ans Ende der Allee marschiert
waren, fiel es ihnen ein, daß ihr Geschäft eines anderen Weges läge.
Sie machten also linksum und marschierten geradeswegs auf Madame
Wadmanns Türe zu.

»Es soll gut gehen, Euer Gnaden,« sagte der Korporal und legte dabei
seine Hand an seine Reitmütze, als er an ihm vorbeiging, um an die
Türe zu klopfen. Mein Onkel Toby, gegen seine sonst unveränderliche
Gewohnheit, seinem treuen Diener zu begegnen, antwortete ihm weder
Gutes noch Böses. Das lag daran, daß er seine Ideen noch nicht völlig
in Ordnung gebracht hatte. Er wünschte noch erst einmal in Konferenz zu
treten. Und als der Korporal die drei Stufen vor der Türe hinaufging,
stieß er zweimal hm! aus. Ein Teil von meines Onkels Toby sehr
bescheidener Herzhaftigkeit flog mit jedem Hm! zu dem Korporal hin. Der
stand eine ganze Minute lang mit dem aufgehobenen Türklopfer in der
Hand und wußte kaum, warum. -- Brigitte stand inwendig auf Vorposten
mit ihrem Finger und Daumen an der Klinke, erstarrt vor Erwartung der
Dinge. Madame Wadmann, mit einem Auge voller Bereitwilligkeit, die
Blume noch einmal zu opfern, saß atemlos hinter dem Vorhange vor dem
Fenster in ihrer Schlafkammer und bemerkte die Annäherung.

»Trim!« sagte mein Onkel Toby -- --. Aber als er die Worte aussprach,
war die Minute verstrichen, und Trim ließ den Klopfer fallen.

Mein Onkel Toby, als er gewahr wurde, daß solches alle seine Hoffnung
zu einer Konferenz den Kopf eingeschlagen hätte, -- pfiff den
Lillabullero.

                            [Illustration]




                  Hundertzweiunddreißigstes Kapitel.


Da Jungfer Brigitte schon mit Finger und Daumen die Klinke gefaßt
hielt, so klopfte der Korporal nicht so oft, wie vielleicht Euer Gnaden
Schneider tun muß. Ich hätte mein Beispiel schon ein wenig mehr in
die Nähe nehmen können, denn ich bin dem meinigen wenigstens über die
hundert Taler schuldig und wundere mich über des Mannes Geduld.

Aber das geht keinem Menschen etwas an; nur soviel, es ist eine
verdammte Sache, in Schulden zu stecken, und es scheint ein für allemal
ein feindliches Schicksal über die Schatzkammern gewisser guter
Prinzen zu walten, besonders über die von unserem Hause, das keine
Kameralwissenschaft in Fesseln zu legen vermag. Ich meinesteils bin
überzeugt, es ist kein anderer Prinz, Prälat, Papst, Potentat, groß
oder klein in der Welt, der in seinem Herzen mehr und eifriger wünscht
als ich, mit der ganzen Welt Saldo zu sein, oder dazu dienlichere
Mittel brauchte. Ich gebe niemals über einen Dukaten, gehe nicht in
Stulpenstiefeln, kaufe keine Zahnstocher, lege das ganze Jahr nicht
ein Viergroschenstück für Bänder und Spitzen an. Die sechs Monate, die
ich auf dem Lande zubringe, lebe ich so kärglich, daß ich mit aller
Gutherzigkeit von der Welt Rousseau meilenweit zurücklasse, denn ich
halte mir weder Kerl noch Jungen, noch Pferd noch Kuh, noch Hund noch
Katze, noch irgendein lebendiges Ding, das ißt oder trinkt, ausgenommen
ein armes dünnes Stück von einer Vestale, mein Feuer zu unterhalten,
die gewöhnlich eben so schlechten Appetit hat wie ich selbst. -- Wenn
Sie aber denken, das mache mich zum Philosophen, so möchte ich, meine
guten Leutchen, keinen Strohhalm für ihr Urteil geben!

Wahre Philosophie --. Aber der Gedanke läßt sich unmöglich abhandeln,
derweil mein Onkel Toby den Lillabullero pfeift.

»Laßt uns ins Haus gehen.«

                            [Illustration]




                  Hundertdreiunddreißigstes Kapitel.




                  Hundertvierunddreißigstes Kapitel.




                  Hundertfünfunddreißigstes Kapitel.


»Sie sollen die eigentliche Stelle sehen, Madame,« sagte mein Onkel
Toby.

Dieses erheischt abermals eine Erklärung. Es zeigt, wie wenig man aus
bloßen Worten lernen kann. Wir müssen zu der ersten Quelle zurückgehen.

Um nun den Nebel aufzuhellen, welcher über diesen drei Seiten liegt,
muß ich mich bestreben, selbst so hell und deutlich zu sehen wie
möglich.

Reiben Sie Ihre Hände dreimal über Ihre Stirnen, -- schneuzen Sie sich,
-- reinigen Sie die Schleimdrüsen, -- niesen Sie, meine lieben Freunde!
-- So! Gott helf!

Nun kommen Sie mir aus aller Macht zu Hilfe.

Wir leben in unserer Welt, an allen Seiten mit Geheimnissen und Rätseln
umgeben. Also tut's nichts, sonst schiene es wunderbar, daß die Natur,
welche alle Dinge so zweckmäßig macht und selten oder niemals irrt (es
sei denn aus Spielerei), indem sie allem, was durch ihre Hand geht, sie
bestimme es für den Pflug, für die Karawane oder für den Karren -- oder
was für ein Geschöpf sie modelliert, wär's auch nur ein Eselsfüllen
--, solche Bildung und Fähigkeiten gibt und mitteilt, daß Sie sicher
sind, das Ding zu bekommen, was Sie verlangen; -- daß die Natur, sage
ich, doch zu gleicher Zeit beständig so fortpfuscht, wenn sie ein so
einfältiges Ding macht wie einen Ehemann.

Liegt das an der Wahl des Erdkloßes oder daß solcher häufig durchs
Kneten verdorben wird. Durch zu häufiges Kneten, wissen Sie, kann der
Leim und ein Ehemann einerseits zu krustig werden, anderseits durch
Mangel an Wärme nicht krustig genug. Oder ist diese große Künstlerin
nicht aufmerksam genug auf die kleinen platonischen Bedürfnisse
desjenigen Teils des menschlichen Geschlechts, zu dessen Gebrauch sie
diesen macht? -- Oder weiß die gnädige Frau zuweilen selbst nicht
recht, was für eine Art Ehemann es sein soll? -- Kurz, das alles weiß
ich nicht. Nach dem Abendessen wollen wir davon sprechen.

Es ist genug, daß weder die Bemerkung selbst noch die daraus gemachte
Folgerung im geringsten für die Sache sind, sondern vielmehr dagegen.
Weil in Ansehung der Fähigkeiten meines Onkels Toby zum heiligen
Ehestande nichts in der Welt besser sein konnte. Die Natur hatte ihn
aus dem besten und gutartigsten Leim gebildet, hatte solchen mit ihrer
eigenen Milch eingeweicht und den sanftesten Geist hineingeblasen. Sie
machte ihn durch und durch tapfer, großmütig und menschlich. Sie hatte
sein Herz mit Treue und gutem Glauben angefüllt, und hatte jede Leitung
zu demselben zur Mitteilung der zärtlichsten Dienste eingerichtet. Sie
hatte noch bei dem allen die anderen Ursachen mit in Betracht gezogen,
weswegen der Ehestand eingesetzt wurde.

Und hatte also -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
       *       *       *       *       *

Der Segen war auch durch meines Onkels Toby Wunde nicht von ihm
genommen.

                            [Illustration]




                  Hundertsechsunddreißigstes Kapitel.


Jungfer Brigitte hatte den ganzen Vorrat von Ehre, den eine arme
Zofe aufbringen konnte, darauf verpfändet, daß sie, noch ehe zehn
Tage vergingen, die Sache von Grund aus wissen wollte. Und sie hatte
einen der unbestrittensten Vorsätze gefaßt; derweil mein Onkel Toby
seine Liebe bei ihrer Herrschaft antrüge, würde der Korporal nichts
Besseres zu tun finden, als ihr die seinige anzutragen. »Und ich will
ihm soviel Willen lassen, wie er will,« sagte Brigitte, »um es aus ihm
herauszubringen.«

Madame Wadmann aber war entschlossen, ihre Karten selbst zu spielen.
Es bedurfte bei ihr keines Zuredens. Ein Kind hätte ihm in die Karten
gucken können. Er spielte mit solcher Offenherzigkeit und Ehrlichkeit
alle seine Trümpfe aus der Hand und hatte sowenig Arg daraus, wie man
sich mit Aß und Dame hinter die Hand bringen müßte, -- und so nackt und
wehrlos saß er da mit Madame Wadmann auf einem Sofa beisammen, daß ein
großmütiges Herz geweint haben würde, ihm das Spiel abzugewinnen.

Laß uns die Metapher beiseitesetzen.

                            [Illustration]




                 Hundertsiebenunddreißigstes Kapitel.


Und die Geschichte dazu, wenn's Ihnen beliebt! Denn obgleich ich
beständig mit solchem herzlichen Verlangen auf diese Stelle zugeeilt
bin, wohl wissend, daß es von allem, was ich der Welt vorzusetzen
habe, der beste Leckerbissen ist, so will ich doch jetzt, da ich dabei
angelangt bin, gerne einem jeden meine Feder übergeben, die Historie
an meiner Statt fortzusetzen. Ich sehe die Schwierigkeit dieser
Beschreibungen ein, die ich vorhabe, und fühle meinen Mangel an
Kräften.

Ich habe wenigstens den einen Trost, daß ich diese Woche an die acht
Unzen Blut in einem sehr tückischen Fieber verloren habe, das mich
überfiel, als ich dieses Kapitel anfing. Daß ich also noch einige
Hoffnung habe, es könne eher an den seriösen und kugelförmigen Teilen
des Blutes liegen, als an der subtilen Aura des Gehirns. -- Es sei,
wie ihm wolle. Eine Anrufung kann nicht schaden! Und ich überlasse es
völlig dem Angerufenen, mir's einzublasen oder einzuspritzen, wie er's
für nützlich findet.


                            ~Die Anrufung~.

Gütiger Spiritus der angenehmen Laune, der du vormals auf der leichten
Feder meines geliebten Cervantes saßest. Du, der du täglich durch seine
Fensterscheiben schlüpftest und die Dämmerung seines Gefängnisses durch
deine Gegenwart in hellen Mittagsschein verkehrtest, seinen kleinen
Wasserkrug mit himmlischem Nektar vermischtest und die ganze Zeit, da
er von Sancho und seinem Herrn schrieb, deinen mystischen Mantel über
seinen welken Stummel warfst[3] und ihn weit über alle Übel seines
Lebens breitetest.

Kehre bei mir ein, ich bitte dich! Siehe diese Beinkleider! Mehr habe
ich nicht in dieser Welt. Diesen häßlichen Riß bekamen sie zu Lyon. --

Meine Hemden! Siehe, was für ein schreckliches Schisma sich unter ihnen
hervorgetan hat. Denn die vorderen Zipfel sind in der Lombardei und das
übrige davon hier. Nie hatte ich mehr als sechs, und eine listige Hexe
von Wäscherin zu Mailand schnitt mir von fünf die Zipfel ab. Doch um
ihr nicht Unrecht zu tun, sie tat es mit Bescheidenheit.

Und dennoch, trotz alledem und einem Pistolenfeuerzeug, das mir noch
dazu in Sienna weggemaust ward, und daß ich zweimal fünf Paoli für zwei
harte Eier bezahlen mußte, einmal zu Radioffini und das andere Mal zu
Capua, -- halte ich eine Reise durch Frankreich und Italien -- nur muß
ein Mensch auf dem ganzen Wege nicht ärgerlich werden -- für keine so
schlimme Reise, wie einige Leute Ihnen gern weismachen möchten. Es muß
zuweilen auf und nieder gehen. Wie Henker wollten wir sonst zu den
Tälern gelangen, in denen die Natur so manche Tafel des Vergnügens für
uns gedeckt hat. Unklug ist's, sich einzubilden, sie werden uns ihr
Fuhrwerk leihen, daß wir es umsonst in Stücken zerbrechen können. Und
wenn Sie nicht zwölf Sous bezahlen, ihre Räder zu schmieren, woher
sollte der arme Bauer Butter zu seinem Brote nehmen? -- Wirklich,
wir erwarten zuviel -- und für das Paar Lire, das man Ihnen für Ihr
Abendessen und Bette zuviel abnimmt, was machen denn am Ende die aus?
Wer wollte darüber seine Philosophie verwirren? Um's Himmels und um
Ihrer selbst willen, zahlen Sie -- zahlen Sie mit zwei offenen Händen!
Lieber, als bei Ihrem Abfahren eine vereitelte Hoffnung auf dem Auge
der hübschen Wirtin und ihrer schönen Tochter sitzen zu lassen. Und
noch dazu, mein lieber Herr, nehmen Sie einen schwesterlichen Kuß von
beiden. Jeder ist seinen Louisdor wert. Ich wenigstens tat es! --

Denn da mir den ganzen Weg über meines Onkels Toby Liebesgeschichte im
Kopfe herumlief, tat solche die nämliche Wirkung auf mich, als wäre
es meine eigene gewesen. -- Ich befand mich in dem vollkommensten
Zustande der Güte und des Wohlwollens und fühle bei jeder Erschütterung
des Wagens die Schwingungen der sanftesten Harmonie, dergestalt, daß
mir's keinen Unterschied machte, ob die Wege höckerig waren oder eben.
Alles, was ich sah oder womit ich zu tun hatte, fiel auf eine geheime
Springfeder des Empfindens oder Entzückens.

Es waren die lieblichsten Töne, die je mein Ohr berührt hatten; und
den Augenblick ließ ich das Vorderglas nieder, um sie deutlicher zu
hören. -- »Es ist Maria,« sagte der Postillon, der es bemerkte, daß
ich horchte. -- »Die arme Maria,« fuhr er fort und bog sich dabei nach
einer Seite, um mich sie sehen zu lassen, denn er saß in gerader Linie
zwischen uns, »sitzt auf dem Rasen und spielt auf ihrer Flöte ihren
Vespergesang, mit ihrer kleinen Ziege neben ihr.«

Der junge Kerl brachte dies mit einem Tone und Blicke hervor,
die so völlig rein zu einem gefühlvollen Herzen gestimmt waren,
daß ich augenblicklich ein Gelübde tat, ich wollte ihm ein
Vierundzwanzigsousstück geben, wenn ich nach Moulins käme.

»Und wer ist die arme Maria?« sagte ich.

»Die Liebe und das allgemeine Bedauern aller Dorfschaften um uns
herum,« sagte der Postillon. »Es ist erst drei Jahre her, daß die Sonne
auf kein schöneres, witzigeres und liebenswürdigeres Mädchen schien.
Und Maria verdiente ein besseres Schicksal, als daß ihr ein Eheverbot
angelegt würde, und das durch die Kunstgriffe des Pfarrers, der sie
aufbieten sollte.«

Er wollte weiterreden, als Maria, die eine kurze Pause gemacht hatte,
die Flöte in den Mund nahm und den Gesang von neuem begann. Es waren
dieselben Noten, aber sie waren zehnmal lieblicher. »Es ist das
Abendlied an die heilige Jungfrau,« sagte der junge Mann. »Aber wer
es sie spielen gelehrt oder wie sie zu ihrer Flöte gekommen, das weiß
kein Mensch. Wir denken, der Himmel hat ihr zu beiden verholfen. Denn
solange es in ihrem Kopfe nicht richtig ist, scheint das ihr einziges
Labsal zu sein. -- Sie hat die Flöte noch niemals aus der Hand gelegt,
sondern darauf ihr Abendlied beständig fast Nacht und Tag gespielt.«

Der Postillon erzählte dieses mit so vieler Bescheidenheit und solcher
natürlichen Beredsamkeit, daß ich mich nicht enthalten konnte, etwas in
seinem Gesicht zu entziffern, das über seinen Stand wäre. Und ich würde
sein Gesicht ausgeforscht haben, hätte nicht Marias Gesicht so völligen
Besitz von mir genommen.

Wir waren um diese Zeit fast bis an den Rasen gekommen, auf welchem
Maria saß. Sie trug ein weißes feines Mieder, und ihre Haare, bis auf
zwei Locken, waren in ein seidenes Netz aufgebunden, in das an der
einen Seite ein wenig phantastisch ein paar Olivenblätter geflochten
waren. Sie war schön; und wenn ich jemals die ganze Stärke eines
redlichen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick, da
ich sie sah.

»Gott steh' ihr bei! Armes Mädchen! Sie haben mehr als hundert Messen
in den verschiedenen Dorf- und Klosterkirchen um uns herum für sie
lesen lassen. Aber es hat nichts geholfen. Wir haben doch noch
Hoffnung, denn sie ist zuweilen auf kurze Zeit ganz verständig, daß sie
die heilige Mutter Gottes wieder zurechtbringen wird. Ihre Eltern aber,
die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und meinen,
daß sie ihre Sinne auf immer verloren hat.«

Als der Postillon das sagte, machte Maria eine so melancholische
Kadenz, so zärtlich und wehklagend, daß ich aus dem Wagen sprang, ihr
zu helfen, und fand mich zwischen ihr und ihrer Ziege sitzend, ehe ich
aus meinem Enthusiasmus wieder zu mir selbst kam.

Maria sah einige Zeit ganz starr auf mich und dann auf ihre Ziege --
und dann wieder auf mich -- und dann wieder auf ihre Ziege, und so
fort, eins um das andere.

»Nun, Maria,« sagte ich sanft, »was für eine Ähnlichkeit findet Sie?«

Ich bitte den redlichen Leser, mir zu glauben, daß die Frage aus der
demütigsten Überzeugung geschah, daß der Mensch ein Tier sei. In der
ehrwürdigen Gegenwart des Elends hätte ich mir keinen unzeitigen Scherz
entfallen lassen mögen, hätte ich dadurch einen Anspruch auf den besten
Witz erlangen können, den Rabelais jemals ausgelassen hat. Und dennoch,
ich bekenne es, tat mir's im Herzen wehe. Ich wurde über den bloßen
Gedanken daran so unruhig, daß ich schwur, ich wollte mich mein ganzes
Leben auf Weisheit legen und nichts als ernsthafte Sittensprüche sagen
-- und niemals, niemals wieder versuchen, mit Mann, Weib oder Kind
Schnurren zu treiben, solange ich lebte.

Was das betrifft, Wischiwaschi für Sie zu schreiben, -- ich glaube, das
war ein Vorbehalt --; aber das überlasse ich der Welt.

Lebe wohl, Maria! Lebe wohl, armes unglückliches Mädchen!

Zu einer anderen Zeit, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deine
Leiden von deinen eigenen Lippen. -- Aber ich irrte mich. Denn ebenden
Augenblick nahm sie ihre Flöte und erzählte mir damit eine solche
Geschichte des Jammers, daß ich aufstand und mit schwankendem Schritt
langsam nach meinem Wagen ging.

Was für ein vortreffliches Wirtshaus zu Moulins!

                            [Illustration]




                  Hundertachtunddreißigstes Kapitel.


Wenn wir bis ans Ende dieses Kapitels gekommen sind, aber nicht eher,
müssen wir alle wieder zu den beiden in Blanko gelassenen Kapiteln
zurückkehren. Ihretwegen liegt meine Ehre schon eine halbe Stunde
und blutet. Ich stille es dadurch, daß ich einen von meinen gelben
Pantoffeln abziehe und ihn aus allen meinen Kräften an die Wand
gegenüber werfe, mit der Erklärung dahinter:

Was für eine Ähnlichkeit auch unter der Hälfte von allen Kapiteln
sein mag, die in der Welt geschrieben sind, oder, wenn ich mich nicht
gröblich irre, eben jetzt geschrieben werden: -- so war es doch ganz
so zufällig, wie der Schaum an Zeus' Pferden, daß in diesen beiden
Kapiteln, wie in der Hälfte von »allen«, auch nichts stand. Überdem
habe ich auch für ein Kapitel, in welchem nichts steht, allemal
Respekt. Und in Betracht, was für schlimmere Sachen es in der Welt
gibt, halte ich so etwas für keinen schicklichen Gegenstand der Satire.

Warum wurden sie denn in Blanko gelassen? Und hier, ohne meine Antwort
zu erwarten, werde ich Dummkopf, Pinsel, Gimpel, Gelbschnabel,
Firlefanz, Ölgötze, Langohr, Brausebart und mit anderen unverdaulichen
Namen mehr gescholten werden, wie sie jemals die Kuchenbäcker von
Lernee den Schäfern des Königs Garagantnas in die Zähne warfen; und
mögen sie's tun, wie Brigitte sagte, soviel als sie gelüstet; denn wie
war es möglich, daß sie die Notwendigkeit vorhersehen konnten, in die
ich gesetzt war, das hundertachtunddreißigste Kapitel meines Buches
früher zu schreiben als das hundertdreiunddreißigste usw.?

Ich nehme es ihnen also nicht übel. Alles, was ich wünsche, ist, daß es
der Welt eine Lehre sein möchte: »~Die Leute ihre Historien auf ihre
eigene Art erzählen zu lassen.~«

                            [Illustration]




                           Das 132. Kapitel.


Da Jungfer Brigitte die Türe öffnete, ehe der Korporal noch einmal
recht geklopft hatte, so war zwischen dem und der Einführung meines
Onkels Toby ins Besuchszimmer die Zeit so kurz, daß Madame Wadmann nur
ebensoviel Zeit hatte, hinter dem Vorhange wegzuwischen, eine Bibel auf
den Tisch zu legen und ein paar Schritte gegen die Türe zu gehen, um
ihn zu empfangen.

Mein Onkel Toby begrüßte Madame Wadmann nach der Weise, wie im Jahre
unseres Herrn eintausendsiebenhundertunddreizehn das Frauenzimmer von
Mannspersonen begrüßt ward. Darauf machte er rechtsum, ging in einem
Gliede mit ihr zum Kanapee und in drei kleinen Worten, doch nicht,
bevor er sich gesetzt hatte, auch nicht, nachdem er sich gesetzt hatte,
sondern indem er sich setzte, sagte er ihr, er liebte sie.

Madame Wadmann sah natürlicherweise nieder auf eine Naht, die sie
in ihrer Schürze aufgetrennt hatte, und erwartete alle Augenblicke,
daß mein Onkel weitergehen würde. Allein, da er keine Gabe zur
Amplifikation hatte, und Liebe dazu noch eine Sache war, mit der er
unter allen am wenigsten meisterlich umzugehen wußte, so ließ er's,
nachdem er Madame Wadmann einmal gesagt hatte, daß er sie liebte, damit
gut sein und ließ die Sache durch sich selbst wirken.

Mein Vater hatte beständig seine herzliche Freude über dies System
meines Onkels Toby, wie er's fälschlich nannte, und pflegte oft zu
sagen, hätte sein Bruder zu diesem Prozesse nur noch das Feuer von
einer Pfeife Tabak setzen können, er hätte damit flugs, wenn nur irgend
etwas Wahres an einem spanischen Sprichworte wäre, seinen Weg zu den
Herzen der Hälfte von allen Weibern auf der Erdkugel gefunden.

Mein Onkel Toby verstand niemals, was mein Vater damit sagen wollte.
Ebensowenig will ich voreilig sein und mehr daraus schließen als die
Verwerfung eines Irrtums, in welchem der große Haufen in der Welt
steckt. -- Aber die Franzosen, Mann für Mann, glauben fast eben so
himmelfest daran wie an die körperliche Gegenwart, daß von Liebe reden
Liebe sei.

Nach diesem Rezept möchte ich ebensogut eine Blutwurst machen wollen.

Laß uns weitergehen. Madame Wadmann saß in der Erwartung, daß er es
täte, bis fast auf den ersten Pulsschlag ~der~ Minute, in der das
Stillschweigen von einer Seite oder der anderen gewöhnlich unanständig
wird. Dann rückte sie ein wenig näher zu ihm. Und indem sie ihre Augen
aufhob, errötete sie ein wenig, nahm den Ausforderungshandschuh oder,
wenn Sie das lieber hören, das Gespräch auf und fing die Unterredung
mit meinem Onkel Toby folgendermaßen an:

»Die Sorgen und die Beschwerlichkeiten des Ehestandes,« sagte Madame
Wadmann, »sind sehr groß.« -- »Das sind sie, glaube ich,« sagte mein
Onkel Toby. -- »Wenn also eine Person,« fuhr Madame Wadmann fort,
»so ruhig leben kann wie Sie, so glücklich, Herr Kapitän, durch sich
selbst, durch Ihre Freunde und durch Ihren Zeitvertreib, so wundere ich
mich, was Sie für Ursachen haben können, sich in diesen neuen Stand zu
begeben.«

»Sie stehen,« sagte mein Onkel Toby, »alle in dem Buch geschrieben,
woraus der Prediger bei der Trauung vorliest.«

Bis dahin ging mein Onkel Toby mit Behutsamkeit, blieb auf seiner Tiefe
und ließ Madame Wadmann über dem Abgrunde segeln nach ihrem eigenen
Gefallen.

»Was die Kinder anbelangt,« sagte Madame Wadmann, »obgleich vielleicht
ein hauptsächlicher Zweck der Einsetzung der Ehe und ein natürlicher
Wunsch, wie ich glaube, aller Eheleute, so wissen wir gar wohl, daß
sie gewisse Sorgen und sehr ungewisse Freuden machen! Und, mein lieber
Herr Kapitän, was hat man für das Herzeleid, was für Vergeltung für die
manchen zärtlichen, unruhigen Bekümmernisse einer leidenden wehrlosen
Mutter, die sie auf die Welt bringen muß?« -- »Ich bekenne,« sagte mein
Onkel Toby, von mitleidigem Gefühl ergriffen, »ich kenne keine, es sei
denn das Vergnügen, womit es dem lieben Gott gefallen hat --.«

»Ein Wischiwaschi,« sagte sie.




                           Das 133. Kapitel.


Nun gibt es eine solche unendliche Menge von Tönen, Klängen, Weisen,
Melodien, Mienen, Blicken und Akzenten, womit das Wort Wischiwaschi in
allen solchen Fällen wie dieser ausgesprochen werden kann. Und jedes
darunter drückt ihm einen von den anderen so verschiedenen Sinn und
Verstand ein, wie Schmutz von Reinlichkeit sind. So daß die Kasuisten
-- denn in dieser Betrachtung ist es ein Gewissensfall -- nicht weniger
als vierzehntausend Fälle aufrechnen, in welchen man es richtig oder
falsch sagen kann.

Madame Wadmann sagte ihr Wischiwaschi so, daß es meinem Onkel Toby all
sein bescheidenes Blut in die Wangen trieb. Da er dergestalt fühlte,
daß er unversehenerweise über seine Tiefe hinausgeraten sein müßte,
brach er kurz ab. Und ohne sich weiter auf die Sorgen oder Freuden des
Ehestandes einzulassen, legte er seine Hand auf sein Herz und tat sein
Anerbieten, solche, wie sie vorkämen, auf sich zu nehmen und mit ihr zu
teilen.

Als mein Onkel Toby dieses gesagt hatte, mochte er's nicht gerne noch
einmal sagen. Da er dabei seine Augen auf die Bibel warf, welche Madame
Wadmann auf den Tisch gelegt hatte, nahm er sie in die Hand. Und da ihm
gleich -- der gute Mann! -- eine vor allen anderen sehr interessante
Stelle auffiel -- es war die Belagerung von Jericho --, so machte er
sich daran, sie zu überlesen. Indessen ließ er seinen Heiratsantrag,
wie er vorher mit seiner Liebeserklärung gemacht hatte, durch sich
selbst bei ihr wirken. Nun wirkte er weder als ein Adstringens noch als
ein Solvens, weder als Opium noch als Chinarinde, weder als Merkurius
noch als Stechdorn noch als irgendein Apothekermittel, welches die
Natur der Welt verliehen hat. Kurz, er wirkte ganz und gar nicht bei
ihr. Und das lag daran, daß vorher schon etwas bei ihr in Wirkung war.
-- Was ich für ein Plappermaul bin! Ein dutzendmal wohl habe ich schon
vorher gesagt, was es war. Aber es ist noch Feuer in der Materie. --
Nur zu!

                            [Illustration]




                  Hundertneununddreißigstes Kapitel.


Es ist für einen völlig Fremden, der von London nach Edinburg reist,
sehr natürlich, ehe er ausreiset, zu fragen, wieviel Meilen es bis York
ist. Welches ungefähr die Hälfte des Weges ausmacht. Auch wundert sich
niemand darüber, wenn er in seinen Fragen fortfährt und sich nach der
Stadt, Einrichtung, den Zünften usw. erkundigt.

Ebenso natürlich war es für Madame Wadmann, deren erster Ehemann
beständig das Hüftweh gehabt hatte, daß sie zu erfahren wünschte, wie
weit es von der Hüfte bis zum Latzbeine sei. Und wieviel sie ungefähr
mehr oder weniger, als Frau, in ihrem Gemüte, von dem einen oder dem
anderen Falle zu leiden haben möchte.

Sie hatte also Drakes Anatomie von einem Ende zum andern durchgelesen.

Sie hatte gleichfalls mit ihrem eigenen Verstande darüber
philosophiert, Theorema festgesetzt, Folgerungen daraus gezogen, und --
war zu keinem Schlusse gekommen.

Um die Sache deutlich zu erfahren, hatte sie den Doktor Slop zweimal
gefragt, ob wohl der gute Kapitän Shandy jemals von seiner Wunde
hergestellt werden könnte.

»Er ist hergestellt,« sagte Doktor Slop beidemal.

»Wie, völlig?«

»Völlig, Madame.«

»Aber was verstehen Sie unter der Herstellung eigentlich?« sagte Madame
Wadmann.

Doktor Slop war der ärgste Stümper unter der Sonne im Definieren. Also
konnte Madame Wadmann nicht erfahren, was sie wissen wollte. Kurz, es
gab keinen Weg, es herauszubringen, sie würde denn meinen Onkel Toby
selbst fragen.

Es gibt bei Erkundigungen dieser Art einen so menschenfreundlichen
Ton, der den Verdacht in Schlaf singt. -- Und halb bin ich überzeugt,
die Schlange in ihrem Gespräche mit Mutter Eva mußte ihm ziemlich
nahekommen. Denn die weibliche Neigung, sich betrügen zu lassen, konnte
doch so stark nicht sein, daß sie sonst so verwegen gewesen sein würde,
mit dem Teufel selbst zu kosen. Aber es gibt einen menschenfreundlichen
Ton, wie soll ich ihn beschreiben? -- Es ist ein Ton, der die Wahrheit
mit einem Gewande bedeckt und dem Frager ein Recht gibt, ebenso
unanständig darüber zu sein wie Ihr Wundarzt.

»War es ohne alle Gnade?

»War es erträglicher im Bette?

»Konnte er dabei auf beiden Seiten gleich gut liegen?

»Konnte er dabei noch zu Pferde sitzen?

»War die Bewegung dabei schädlich? usf.« wurden so zärtlich
ausgesprochen und dergestalt auf meines Onkels Toby Herz gerichtet, daß
jedes Item davon zehnmal tiefer in dasselbe sank, als die Schmerzen
selbst. -- Als aber Madame rund um Namur herumging, um an meines Onkels
Toby Wunde am Latzbeine zu gelangen, und ihn dahin brachte, die Spitze
der äußersten Konterskarpe zu attackieren, pelemele mit den Holländern,
mit dem Degen in der Faust, die Kontergarde St. Roch einzunehmen --
und alsdann mit rührenden Tönen sein Ohr erfüllte, ihn blutend bei der
Hand nahm und aus der Schußlinie führte, sich ihre Augen wischte, als
er in sein Zelt getragen wurde -- Himmel! Erde! See! -- alles ward
emporgerichtet. -- Die Quellen der Natur stiegen über ihre natürliche
Höhe hinauf. -- Ein Engel des Mitleids saß ihm zur Seite auf dem Sofa.
Sein Herz glühte von Feuer. Und hätte er tausend Herzen gehabt, er
hätte sie alle an Madame Wadmann verloren.

»Und in welcher Gegend, lieber Herr Kapitän,« fragte Madame Wadmann
ein wenig aufdringlich, »empfingen Sie diese häßliche Wunde?« -- Als
sie diese Frage tat, warf Madame Wadmann einen Seitenblick auf den
Hüftengurt von meines Onkels Toby rotplüschenen Beinkleidern, indem sie
natürlicherweise als die kürzeste Antwort erwartete, mein Onkel Toby
würde seinen Zeigefinger auf die Stelle legen. -- Es fiel anders aus.
Denn, da mein Onkel Toby seine Wunde vor dem St. Nikolaustore bekommen
hatte, in einer von den Traversen der vorspringenden Spitze der halben
Bastion Sankt Roch gegenüber, so konnte er allemal eine Nadel auf
die eigentliche Stelle stecken, wo er stand, als ihn der Stein traf.
Dieses traf augenblicklich meines Onkels Toby Sensorium. Und zugleich
damit die große Karte von der Stadt und Zitadelle von Namur und ihren
Gegenden, welche er sich gekauft und mit Hilfe des Korporals während
seiner langwierigen Krankheit auf ein Brett geklebt hatte. Sie hatte
seitdem beständig mit anderem militärischen Poltergeräte in einer
Dachkammer gelegen, und also ward der Korporal dahin detachiert, sie
herzuholen.

Mein Onkel Toby maß mit Madame Wadmanns Scheren dreißig Ruten ab, von
der äußersten Spitze vor dem St. Nikolaustore, und legte mit einer
so jüngferlichen Bescheidenheit ihren Finger auf die Stelle, daß die
Göttin der Wohlanständigkeit, wenn sie damals vorhanden -- wo nicht,
so war's ihr Schatten --, ihren Kopf schüttelte und indem sie mit
einem Finger vor ihren Augen hin und her fuhr, ihr verbot, den Irrtum
aufzudecken.

Unglückliche Madame Wadmann! --

Denn durch nichts kann ich diesem Kapitel ein lebhaftes Ende geben,
wie durch eine Apostrophe an dich! -- Aber mein Herz sagt mir, daß in
einer so kritischen Lage eine Apostrophe nur ein verstecktes Höhnen
sei, und lieber, ehe ich ein in Nöten steckendes Frauenzimmer verhöhnen
wollte, laß das Kapitel dahinfahren zum Meister Hämmerling! Wenn sich
nur ein verdammter Kunstrichter in Lohn und Brot die Mühe geben will,
es mitzunehmen.

                            [Illustration]




                      Hundertvierzigstes Kapitel.


Meines Onkels Toby Karte wird hinunter in die Küche genommen.

                            [Illustration]




                   Hunderteinundvierzigstes Kapitel.


»Und hier ist die Maas -- und hier die Sambre,« sagte der Korporal und
wies mit seiner etwas ausgestreckten rechten Hand auf die Karte und
hatte die linke auf Brigittens Schulter. Aber nicht auf der Schulter,
die ihm zunächst. -- »Und dies,« sagte er, »ist die Stadt Namur.
-- Und dies die Zitadelle. Und hier liegen die Franzosen. Und hier
liegt mein Herr und ich. Und in diesem verdammten Graben,« sagte der
Korporal und faßte sie bei der Hand, »bekam er die Wunde, welche ihn
so jämmerlich zerquetschte: hier.« Und so wie er das sagte, drückte er
ihre auswendige Hand an die Stelle -- und ließ sie fallen.

»Wir dachten, Herr Trim, es wäre mehr nach der Mitte hin gewesen,«
sagte Jungfer Brigitte. --

»Das hätte uns unser Lebtage unglücklich gemacht,« sagte der Korporal.

»Und hätte meine Madame auch eine unglückliche Frau bleiben lassen,«
sagte Brigitte.

Der Korporal versetzte nichts anderes auf diese Antwort, als daß er
Brigitten einen Kuß gab.

»Komm, komm,« sagte Brigitte und hielt das Auswendige ihrer rechten
Hand in der Fläche des Horizonts und wischte mit den Fingern der
anderen Hand darüber hin. Was nicht hätte geschehen können, wäre nur
die geringste Warze oder Minderung im Wege gewesen. »Wort für Wort eine
Unwahrheit,« rief der Korporal, ehe sie noch halb ausgeredet hatte.

»Ich weiß aber,« sagte Brigitte, »von glaubwürdigen Leuten, daß es die
Wahrheit ist.«

»Auf meine Ehre,« sagte der Korporal und legte seine Hand aufs Herz und
ward, indem er sprach, vor edlem Zorne rot. »Es ist eine Erdichtung,
Jungfer Brigitte, so falsch wie die Hölle.« -- »Nicht,« sagte Brigitte
und fiel ihm in die Rede, »daß ich oder meine Madame uns das geringste
daraus machten, ob es so ist oder nicht. Nur soviel, wenn man sich
verheiratet, so gehört es denn doch ein bißchen mit dazu.«

Es war ein wenig unglücklich für Jungfer Brigitte, daß sie den Angriff
mit ihren Handgriffen begonnen hatte, denn der Korporal augenblicklich
-- -- -- -- -- -- --

                            [Illustration]




                  Hundertzweiundvierzigstes Kapitel.


Es war das kurz vorübergehende Streiten in den nassen Augenlidern eines
Aprilmorgens: »Ob Brigitte lachen oder weinen sollte.«

Sie ergriff ein Mangelholz. -- Es war zehn gegen eins, sie hätte
gelacht --

Sie legte solches nieder -- sie weinte; und hätte nur eine Zähre nach
Bitterkeit geschmeckt, das Herz des Korporals würde voll Bekümmernis
gewesen sein, daß er das Argument gebraucht hatte. Allein der Korporal
verstand sich wenigstens um eine Quarte besser als mein Onkel Toby aufs
Frauenzimmer. Demzufolge bestürmte er Jungfer Brigitte auf diese
Manier.

»Ich weiß, Jungfer Brigitte,« sagte der Korporal und gab ihr einen
sehr ehrerbietigen Kuß, »daß du von Natur gut und bescheiden und
obendrein ein so großmütiges Mädchen bist, daß du, wenn ich dich recht
kenne, keinem Wurm etwas zuleide tun und noch weniger einen so braven
und würdigen Mann an seiner Ehre kränken wolltest, wie mein Kapitän
ist, und wollte dich dafür zur Gräfin machen. Aber man hat dir was
weisgemacht und dich betrogen, liebste Brigitte, wie es einem Mädchen
oft geht, mehr um anderen einen Gefallen zu tun als sich selbst.«

Brigitten träufelten die Tränen aus den Augen über die Empfindungen,
die der Korporal in ihr erregte.

»Sage mir, -- sag' mir also, meine liebste Brigitte,« fuhr der
Korporal fort, wobei er sie an der Hand faßte, welche ihr an der Seite
niederhing und ihr einen zweiten Kuß gab, »wessen Argwohn hat dich
verführet?«

Brigitte schluchzte ein paarmal und tat darauf die Augen auf. Der
Korporal trocknete sie mit dem Zipfel ihrer Schürze. Sie tat alsdann
ihr Herz auf und erzählte ihm alles. [Illustration]

                            [Illustration]




                  Hundertdreiundvierzigstes Kapitel.


Mein Onkel Toby und der Korporal hatten den größten Teil der Kampagne
ihrer Operation getrennt fortgesetzt. Es war zwischen ihnen die
Kommunikation aller Nachrichten von dem, was der eine oder andere getan
hatte, so rein abgeschnitten, als ob sie durch die Maas und Sambre
voneinander getrennt gewesen wären.

Mein Onkel Toby seinerseits war jeden Nachmittag in seinem roten Kleide
mit Silber oder wechselweise mit seinem blauen mit Golde ausgerückt und
hatte darin eine unendliche Menge Attacken ausgehalten, ohne überhaupt
zu wissen, daß es Attacken gewesen, und hatte also nichts zu berichten.

Der Korporal seinerseits, indem er Brigitten genommen, hatte große
Vorteile dadurch gewonnen und hatte also viel zu berichten. Worin aber
die Vorteile bestanden, sowie die Art und Weise, wodurch er solche
gewonnen, erforderten einen so geschickten Historiker, daß der Korporal
es nicht wagen durfte, sich damit abzugeben. So empfindlich er auch
gegen die Ehre war, so hätte er doch lieber sein ganzes Leben hindurch
mit unbekränzter Glatze gehen als seines Herrn Züchtigkeit nur auf
einen Augenblick Gewalt antun mögen.

Bester unter allen redlichen und treuen Knechten! -- Doch, ich habe
dich, Trim! bereits einmal vorher apostrophiert. -- Und könnte ich dich
auch apotheosieren -- in guter Gesellschaft, meine ich -- ich täte es
ohne Zeremonien, gleich auf folgender Seite.

                            [Illustration]




                  Hundertvierundvierzigstes Kapitel.


Nun hatte mein Onkel Toby eines Abends seine Pfeife auf den Tisch
niedergelegt und zählte in Gedanken an seinen Fingern -- beim Daumen
anfangend -- Madame Wadmanns Vollkommenheiten her. Eine nach der
andern: und da es ihm zwei- oder dreimal begegnet war, entweder,
weil er eine oder die andere ausgelassen, oder die andere zweimal
gezählt, daß er sich jämmerlich verrechnete, ehe er noch bis zu seinem
Mittelfinger kam. -- »Hör' Er, Trim,« sagte er und nahm seine Pfeife
wieder auf, »bring' Er mir Tinte und Feder.« Trim brachte Papier dazu.

»Nehme Er einen Bogen, Trim,« sagte mein Onkel Toby und gab ihm
zugleich ein Zeichen mit seiner Pfeife, daß er einen Stuhl nehmen und
sich zu ihm an den Tisch niedersetzen sollte. Der Korporal gehorchte,
legte das Papier gerade vor sich nieder, nahm eine Feder und tunkte
solche in die Tinte.

»Sie besitzt tausend Tugenden, Trim!« sagte mein Onkel Toby.

»Soll ich die aufschreiben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen?« fragte der
Korporal.

»Sie müssen aber nach ihrem Range gestellt werden,« erwiderte mein
Onkel Toby. »Denn, Trim, die, welche mich vor allen anderen am
meisten einnimmt und welche mir Bürge für alle übrigen wird, ist
ihr mitleidiges Gemüt und die ganz ausnehmende Menschlichkeit ihres
Charakters. -- Ich beteure es,« fügte mein Onkel Toby hinzu und
sah dabei, wie er es beteuerte, oben nach der Gipsdecke, »wäre ich
tausendmal ihr Bruder, Trim, sie könnte sich nicht mehr und zärtlicher
nach meinem Leiden erkundigen, ob solche gleich vorüber sind.«

Der Korporal tat keine andere Widerrede gegen meines Onkels Toby
Beteuerung als einen kurzen Husten. Er tunkte die Feder zum zweitenmal
ein. Und mein Onkel Toby zeigte mit dem Ende seiner Pfeife so dicht an
den obersten Rand des Bogens auf der linken Ecke, als er nur konnte. --
Und der Korporal schrieb dahin das Wort:

»Menschlichkeit« -- -- -- -- -- -- -- -- wie hier.

»Sag' Er mir doch, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, sobald als Trim es
getan hatte -- »wie oft erkundigt sich wohl Seine Brigitte nach Seiner
Wunde an Seiner Kniescheibe, die Er in der Schlacht bei Landen
empfing?«

»Sie erkundigt sich, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, gar niemals danach.«

»Das, Korporal,« sagte mein Onkel Toby mit allem Triumphe, den ihm die
Güte seines Herzens erlaubte, »das zeigt den Unterschied im Charakter
der Herrschaft und des Kammermädchens. Hätte das Kriegsglück mich
ebenden Unfall betreffen lassen, so würde Madame Wadmann sich nach
allen Umständen dabei wohl hundertmal erkundigt haben.« -- »Sie würde
sich zehnmal so oft nach Euer Gnaden Wunde am Latzbein erkundigt
haben.« -- »Der Schmerz ist gleich unausstehlich, Trim. Und das
Mitleiden nimmt ebensoviel Anteil an der einen Wunde wie an der
andern.«

»Der liebe Gott vergelt's Euer Gnaden!« rief der Korporal. -- »Was hat
denn das Mitleid eines Frauenzimmers mit der Wunde eines Mannes an
seiner Kniescheibe zu schaffen? Wäre Euer Gnaden Kniescheibe in der
Schlacht bei Landen in hunderttausend Splitter zerschossen, Madame
Wadmann würde sich den Kopf ebensowenig darüber zerbrochen haben wie
Brigitte. Und zwar weil,« setzte der Korporal hinzu, indem er leiser,
obgleich ganz vernehmlich sprach, als er seinen Grund anführte. --

»Weil das Knie soweit von dem Hauptwerke abliegt, dahingegen, wie Euer
Gnaden wissen, das Latzbein dicht an der Kurtine des Ortes liegt.«

Mein Onkel Toby pfiff eine lange Note, aber so leise, daß man es kaum
über den Tisch hinüber hören konnte.

Der Korporal war zu weit gegangen, um zurückzuziehen. Er sagte das
Übrige in drei Worten.

Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so leise auf den Kaminrost, als ob
sie aus den ausgefaserten Fäden eines Spinnengewebes gesponnen gewesen.

»Laß uns nach meines Bruders Shandy Hause gehen,« sagte er.

                            [Illustration]




                  Hundertfünfundvierzigstes Kapitel.


Wir werden gerade soviel Zeit haben unterdessen, daß mein Onkel Toby
und Trim nach meines Vaters Hause gehen, Ihnen zu berichten, daß Madame
Wadmann einige Monate vorher, ehe dieses vorging, meine Mutter zur
Vertrauten gemacht hatte, und daß Jungfer Brigitte, die sowohl ihre
eigene Bürde zu tragen hatte als die Bürde des Geheimnisses ihrer
Herrschaft, sich von beiden gegen die Susanna hinter der Gartenmauer
glücklich entladen hatte.

Was meine Mutter anbetrifft, so sah die gar nichts in der ganzen Sache,
worüber Aufhebens zu machen gewesen.

Allein Susanna war alleine genug, ein Familiengeheimnis auszubringen.
Denn sie teilte es augenblicklich dem Jonathan durch Zeichen mit. Und
Jonathan sagte es der Köchin, als sie eine Hammelkeule am Feuer begoß.
Die Köchin verkaufte es mit etwas Bratenfett für einen Dreier an den
Postillon, der es mit dem Milchmädchen um etwas von ebendem Werte
umstutzte. Und obgleich es auf dem Heuschober geflüstert wurde, hatte
doch die Fama die Noten mit ihrer ehernen Trompete aufgefaßt und vom
Giebel des Hauses umhergeblasen. -- Mit einem Worte, es war im ganzen
Dorfe oder fünf Meilen in der Runde kein altes Weib, die nicht gewußt,
warum es mit meines Onkels Toby Belagerung so langsam zuginge, und
welches die geheimen Artikel wären, die die Übergabe verzögerten.

Mein Vater, dessen Gewohnheit es war, jede Begebenheit in der Welt zu
einer Hypothese zu zwängen, wodurch kein Mensch der Wahrheit einen
solchen Drang antat wie er, hatte eben das Gerücht vernommen, als
mein Onkel Toby ausging. Und da er über die Beleidigung, die seinem
Bruder dadurch widerfuhr, plötzlich Feuer fing, war er dabei, dem Herrn
Yorick, ungeachtet meine Mutter dabeisaß, zu demonstrieren, nicht nur,
daß der Satan in den Weibern stecke, sondern daß jedes Übel und jede
Unordnung in der Welt, sie habe Namen, wie sie wolle, vom ersten Falle
Adams bis hinab zu meines Onkels Toby seinem -- inklusive -- auf eine
oder die andere Art diesem zügellosen Wesen zuzuschreiben sei.

Yorick stand eben im Begriff, meines Vaters Hypothese ein wenig zu
mäßigen, als mein Onkel Toby mit Zeichen unendlicher Gutherzigkeit
und Verzeihung in seinen Blicken ins Zimmer trat und meines Vaters
Beredsamkeit gegen die Leidenschaft von neuem anfachte. Und da er eben
nicht sehr sanft in der Wahl seiner Worte war, wenn er im Eifer redete,
so brach er, sobald mein Onkel Toby sich ans Feuer gesetzt und seine
Pfeife gefüllt hatte, folgendergestalt los:

                            [Illustration]




                  Hundertsechsundvierzigstes Kapitel.


»Daß für die Erhaltung eines so großen, erhabenen und göttlichen
Wesens, wie der Mensch ist, Anstalten und Vorkehrungen gemacht werden
müssen, das bin ich sehr entfernt zu leugnen. Die Philosophie aber
sagt von jeder Sache ihre Meinung frei heraus. Und deswegen denke
und behaupte ich, es sei ein Jammer, daß es durch eine Leidenschaft
geschehen sollte, welche die Seelenkräfte nieder- und alle Weisheit,
Betrachtungen und Wirkungen der Seele zurückhält. -- Eine Leidenschaft,
mein Schatz,« fuhr mein Vater fort und wendete sich an meine Mutter,
»welche den Weisen mit den Törichten zusammen paaret und sie gleich
macht, und uns aus unseren Höhlen und Schlupfwinkeln mehr als Satire
und vierfüßige Tiere hervorgehen läßt, denn als Menschen.

»Ich weiß es, daß man sagen wird,« fuhr mein Vater fort, »daß sie, an
sich selbst und ohne Nebenabsicht betrachtet, so gut wie Hunger, Durst
oder Schlaf eine Sache sei, die weder gut noch böse, noch schändlich
oder dergleichen sei. -- Warum denn aber sträubte sich die Delikatesse
des Diogenes und Platos so heftig dagegen? Und warum löschen wir, wenn
wir darauf denken, einen Menschen zu pflanzen, das Licht aus? Und aus
was für Ursache ist es, daß alles Dahingehörige -- die Zurüstungen --
die Werkzeuge und was nur dabei erforderlich ist, als Sachen angesehen
werden, die man keinem reinen Gemüte durch Sprache, Übersetzung oder
Umschreibung von irgendeiner Art verständlich machen dürfe? --

»Die Handlung, einen Menschen zu töten oder zu vernichten,« fuhr mein
Vater fort und erhub seine Stimme, wobei er sich an meinen Onkel Toby
wendete, »ist, wie du siehst, rühmlich. Und die Waffen, womit wir
sie verrichten, sind ehrenvoll. Wir marschieren damit auf unseren
Schultern, wir prunken damit an unseren Hüften, wir vergolden sie, wir
schnitzeln sie, wir legen sie aus, wir besetzen sie mit Edelsteinen.
Ja, wenn's auch nur eine lumpige Kanone ist, so gießen wir einen Zierat
auf ihre Traube.«

Mein Onkel Toby legte seine Pfeife nieder, um für ein besseres Beiwort
zu bitten. Und Yorick machte sich fertig, die ganze Hypothese über den
Haufen zu kanonieren. --

Als Obadiah mitten ins Zimmer mit einer Klage hereinbrach, die um ein
unmittelbares Gehör schrie.

Die Sache war diese:

Mein Vater war, entweder nach einer lang hergebrachten Gewohnheit oder
als Inhaber des großen Zehntens verpflichtet, einen Bullen für die
Gemeinde zu halten, und Obadiah hatte den vorigen Sommer eines Tages
seine Kuh zu einem kurzen Morgenbesuche zu ihm geführt. Ich sage, eines
Tages, weil es der Zufall so mit sich brachte, daß es an ebendem Tage
war, an welchem er mit meines Vaters Hausmagd verheiratet wurde. So
daß die Rechnungen von einer Zeit an liefen. Deshalb also, da Obadiahs
Ehefrau niederkam, dankte Obadiah Gott.

»Nun,« sagte Obadiah, »krieg' ich auch ein Kalb.« Und Obadiah ging
täglich hin, nach seiner Kuh zu sehen.

»Sie wird den Montag kalben, oder Dienstag, oder Mittwoch spätestens.«

Die Kuh kalbte nicht. »Nein, vor künftiger Woche wird sie nicht
kalben.« -- Die Kuh schob es entsetzlich lang auf. Bis am Ende der
sechs Wochen Obadiahs Verdacht -- wie der Verdacht eines guten Mannes
-- auf den Bullen fiel.

Nun war die Gemeinde sehr stark, und meines Vaters Bulle, die Wahrheit
von ihm zu sagen, seinem Geschäft gar nicht gewachsen, er hatte sich
aber, auf eine oder die andere Art in die Bedienung geschlichen. --
Und weil er seine Sache mit einem steifen Amtsgesichte verrichtete, so
hatte mein Vater eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten gefaßt.

»Die meisten Hauswirte glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte
Obadiah, »daß die Schuld an dem Bullen liegt.« --

»Aber kann nicht auch eine Kuh unfruchtbar sein?« erwiderte mein Vater
und wendete sich an den Doktor Slop.

»Das kommt nicht vor,« sagte Doktor Slop. »Aber Obadiah seine Frau kann
sehr leicht zu früh gekommen sein. Sage Er doch, hat das Kind Haare auf
seinem Kopfe?« setzte Doktor Slop hinzu. --

»Es ist ebenso haarig, wie ich selbst,« sagte Obadiah.

Obadiah war in drei Wochen nicht barbiert worden. -- »Hu--u--u!« rief
mein Vater, und begann seine Rede mit einer pfeifenden Ausrufung: »da
haben wir's, Bruder Toby! Da könnte mein armer Bulle, der so gut ist,
wie ein Bulle bei Kühen sein kann und in züchtigeren Zeiten für die
Europa selbst gut genug gewesen wäre, ginge er nur auf zwei Beinen,
vors Ehegericht geschleppt werden und seinen guten Namen einbüßen.
Welcher für einen Dorfbullen, Bruder Toby, ebensoviel wert ist wie das
Leben.«

»Du liebe Zeit,« sagte meine Mutter, »worüber macht ihr denn solchen
Lärm?«

»Sie geißeln den toten Hahn, weil die Henne ein Windei gelegt hat,«
sagte Yorick. Es war ein hübsches Geschichtchen!

                            [Illustration]

                            [Illustration:

                      Typographmaschinensatz der
           Deutschen Buch- und Kunstdruckerei, G. m. b. H.,
                       Zossen--Berlin +SW. 11+]




Die Bücher des Deutschen Hauses

Herausgegeben von ~Rudolf Presber~.

In gleicher Ausstattung gelangen zur Ausgabe:


 +I.+ Reihe: Buch  1 - 25,
+II.+ Reihe: Buch 26 - 50.

  1. ~Goethe~: Die Leiden des jungen Werther.

  2. ~Otto Ludwig~: Zwischen Himmel und Erde.

  3. ~E. T. A. Hoffmann~: Die Elixiere des Teufels.

  4. ~Friedrich Spielhagen~: Deutsche Pioniere.

  5. ~Zschokke~: Hans Dampf. Kleine Ursachen.

  6. ~Max Kretzer~: Die Sphinx in Trauer.

  7. ~Thackeray~: Der Diamant.

  8. ~Balzac~: Die Frau von dreißig Jahren.

  9. ~Brüder Grimm~: Märchen.

 10. ~Dickens~: Weihnachtserzählungen.

 11. ~Nicolai~: Zur Neujahrszeit.

 12. ~Tolstoi~: Die Kosaken.

 13. ~Karl Grunert~: Der Marsspion.

 14. ~Spanische Novellen.~

 15. ~Hans Hauptmann~: Auf tönernen Füßen.

 16. ~Henri Murger~: Bohême.

 17. ~Deutscher Humor.~: 1. Band.

 18. ~Björnson~: Synöve Solbakken.

 19. ~Jean Paul~: +Dr.+ Katzenbergers Badereise.

 20. ~Gespensternovellen.~

 21. ~Canter~: Fahrendes Volk.

 22. ~Gerstäcker~: Die Flußpiraten. 1. Bd.

 23. ~Gerstäcker~: Die Flußpiraten. 2. Bd.

 24. ~Deutscher Humor~: 2. Band.

 25. ~Puschkin~: Pique Dame.

 26. ~Heinrich von Kleist~: Novellen.

 27. ~Levin Schücking~: Agathens Geheimnis.

 28. ~Walter Harlan~: Die Dichterbörse.

 29. ~Karl Immermann~: Der Oberhof.

 30. ~Gogol~: Novellen.

 31. ~Friedrich von Oppeln-Bronikowski~: Der Rebell.

 32. ~Charles Dickens~: Klein Dorrit +I.+

 33. ~Charles Dickens~: Klein Dorrit +II.+

 34. ~Richard Nordhausen~: Die rote Tinktur.

 35. ~Guy de Maupassant~: Novellen.

 36. ~Ed. A. Poe~: Die denkwürdigen Erlebnisse des A. G. Pym.

 37. ~Margarete Wolff-Meder~: In den Sielen.

 38. ~Arthur Achleitner~: Geschichten aus den deutschen Alpen.

 39. ~Sterne~: Tristram Shandy.

 40. ~Max Bittrich~: Spreewaldgeschichten.

 41. ~Cervantes~: Don Quixote +I.+

 42. ~Cervantes~: Don Quixote +II.+

 43. ~Hermann Heiberg~: Fluch der Schönheit.

 44. ~Joseph von Eichendorff~: Aus dem Leben eines Taugenichts.

 45. ~Léon de Tinseau~: Der Mitgiftjäger.

 46. ~Max Nordau~: Zur linken Hand +I.+

 47. ~Max Nordau~: Zur linken Hand +II.+

 48. ~Verga~: Novellen.

 49. ~Emil Zola~: Ein Blättlein Liebe.

 50. ~Fritz Reuter~: Ut mine Stromtid.


Jeder Band 75 Pfg. -- 1 Krone -- 1 Frc.




Fußnoten:

[1] Mein Vater wollte niemals einwilligen, dies Buch drucken zu lassen;
es befindet sich nebst einigen andern von seinen Abhandlungen im
Manuskript bei der Familie, welche alle, oder doch größtenteils, zu
seiner Zeit gedruckt werden sollen.

[2] »Dieses soll meines Vaters Leben des Sokrates usw. mit beigedruckt
werden.«

[3] Er hatte in der Schlacht bei Lepanto eine Hand verloren.






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LEBEN UND DIE MEINUNGEN VON HERRN TRISTRAM SHANDY ***


    

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with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
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unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

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facility: www.gutenberg.org.

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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