Der Pilger Kamanita: Ein Legendenroman

By Karl Gjellerup

The Project Gutenberg eBook, Der Pilger Kamanita, by Karl Adolph Gjellerup


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Title: Der Pilger Kamanita

Author: Karl Adolph Gjellerup

Release Date: February 7, 2005  [eBook #14962]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PILGER KAMANITA***


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DER PILGER KAMANITA

Ein Legendenroman

von

KARL GJELLERUP







[Illustration]


I. DER ERHABENE BEGRÜSST DIE STADT DER FÜNF HÜGEL


Einst wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach
Rajagaha. Der Tag ging schon zur Neige, als der Erhabene sich der Stadt
der fünf Hügel näherte. Gleich dem Abglanz einer segnenden Götterhand
breiteten sich die milden Strahlen der Sonne über die weite, mit grünen
Reisfeldern und Wiesen bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an
der Erde hinkriechende Wölkchen, wie aus reinstem Goldstaube, daß
Menschen und Ochsen von der Feldarbeit heimkehrten; und die
langgestreckten Schatten der Baumgruppen waren wie von einer
regenbogenfarbigen Glorie umgeben. Aus dem Kranze der blühenden Gärten
glänzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und Türme der Hauptstadt
hervor, und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als wären sie aus
Topasen, Amethysten und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenhügel
da.

Von diesem Anblick ergriffen, blieb der Erhabene stehen. Mit Freuden
begrüsste er jene vertrauten Formen, die so manche Erinnerungen für ihn
bargen: das graue Horn, das breite Joch, den Seherfelsen und den
Geierkulm, "dessen schöner Gipfel die andern wie ein Dach
überragt";--vor allen aber Vibhara, den Berg der heissen Quellen, der
mit seiner Höhle des Sattapannibaumes dem Heimatlosen eine erste Heimat
bereitet hatte--die erste Rast auf dem letzten Wege vom Sansara ins
Nirvana.

Denn als er damals "noch in frischer Blüte, mit glänzendem, dunklem
Haar, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den
Wunsch seiner weinenden und klagenden Eltern" das fürstliche Vaterhaus
im nördlichen Lande der Sakyer verlassen und seine Schritte nach dem
Gangatal gerichtet hatte, da gönnte er sich erst dort einen längeren
Aufenthalt, indem er jeden Morgen um Almosenspeise nach Rajagaha ging.
In jener Höhle hatte ihn auch damals der König von Magadha, Bimbisara,
besucht und ihn vergebens beschworen, ins Elternhaus und ins Weltleben
zurückzukehren, bis der Fürst, durch die Worte des jungen Asketen
umgestimmt, das erste Vertrauen fasste, das ihn später zum Anhänger des
Buddha machte.

Lange Zeit war seitdem verflossen--ein halbes Jahrhundert, in dem er
nicht nur seinen eigenen Lebenslauf, sondern den Lauf der Welt gewendet
hatte. Welcher Unterschied zwischen damals, als er drüben in der Höhle
des Sattapannibaumes weilte, und jetzt! Damals war er noch ein
Suchender, ein nach der Erlösung Ringender: schreckliche Seelenkämpfe
standen ihm noch bevor, jahrelange, ebenso furchtbare wie fruchtlose
Kasteiungen, bei deren Schilderungen selbst dem Beherztesten seiner
Zuhörer sich die Haare vor Entsetzen sträubten;--bis er dann endlich,
nach völliger Überwindung solcher Schmerzensaskese, durch inbrünstige
Selbstvertiefung die Erleuchtung errang und zum Heil der Wesen als ein
allerhöchster, vollendeter Buddha aus dem Kampfe hervorging.

Damals ähnelte sein Leben einem unstäten Vormittag in der Regenzeit, wo
blendender Sonnenschein und tiefe Schatten wechseln, während der Monsun
die Wolken immer höher aufeinander türmt, und das tödlich drohende
Gewitter immer näher grollt. Jetzt aber war es von demselben
abendlichen, heiteren Frieden erfüllt, der über dieser Landschaft ruhte,
und der immer tiefer und verklärter zu werden schien, je mehr der
Sonnenball sich dem Horizonte näherte. Auch die Sonne seines Lebenstages
neigte sich ja dem Untergange zu. Sein Werk war vollbracht. Das Reich
der Wahrheit war fest begründet, die Heilslehre der Menschheit
verkündet; viele wandel- und wissensbewährte Mönche und Nonnen und
Laien-Anhänger beiderlei Geschlechts waren fähig, dieses Reich zu
schützen, diese Lehre aufrechtzuerhalten und weiterzuverbreiten. Und
schon stand nach den Erwägungen dieses Tages, den er mit einsamer
Wanderung zugebracht hatte, die Erkenntnis in seinem Herzen fest: gar
bald wird es für mich Zeit sein, auf immer diese Welt zu verlassen, aus
der ich mich selber und alle, die mir folgen, erlöst habe, und in die
Ruhe Nirvanas einzugehen.--

Und die Gegend mit wehmütigem Gefallen überblickend, sprach der Erhabene
bei sich selber:

"Lieblich fürwahr ist Rajagaha, die Stadt der fünf Hügel, reizend sind
ihre Umgebungen! Reich gesegnet sind die Felder, herzerfreuend die
baumbeschatteten, wasserblinkenden Auen, überaus anmutig die buschigen
Felsenhügel.--Zum letzten Male sehe ich ja jetzt von diesem schönsten
Punkte aus diese liebliche Gegend. Nur einmal noch, wenn ich weiterziehe
und mich auf jenem Joche umwende, werde ich von drüben das liebliche Tal
Rajagahas erblicken und dann nimmermehr."

In der Stadt ragten nur noch zwei Bauwerke goldig in das Sonnenlicht
empor: der höchste Turm des Königspalastes, von wo aus Bimbisara ihn
zuerst erspäht hatte, als er, ein junger unbekannter Asket, seine Straße
zog und durch seinen hohen Anstand die Aufmerksamkeit des Magadhakönigs
auf sich lenkte;--und der Kuppelaufsatz des Indratempels, in welchem
damals, bevor sein Wort die Menschen von blutigem Aberglauben erlöst
hatte, Tausende und Abertausende von unschuldigen Tieren jährlich dem
Gott zu Ehren hingeschlachtet wurden. Nun tauchten auch die Turmzinnen
erlöschend in das steigende Schattenmeer unter, und nur jener Kegel von
goldenen, übereinandergespannten Sonnenschirmen,[1] der den Tempeldom
krönte, glühte noch, gleichsam frei in der Luft schwebend, als ein
Wahrzeichen der "Königsstadt"[2];--immer röter sprühte und funkelte er
auf dem dunkelblauen Hintergrund von hochragenden Baumwipfeln. Und hier
erblickte der Erhabene das immer noch ziemlich entfernte Ziel seiner
Wanderung. Denn jene Baumwipfel waren die des Mangohaines jenseits der
Stadt, der ihm von seinem Anhänger Jivaka, dem Leibarzt des Königs,
geschenkt worden war, und in welchem ein schönes Klostergebäude den
Mönchen gesunde und bequeme Unterkunft gewährte.

 [1] Der goldene Sonnenschirm ist das Emblem der Königswürde.

 [2] Rajagaha (Sanskrit: Rajagriha) = Königsstadt, jetzt Rajgir, 10
 Meilen südöstlich von Patna.

Nach diesem Besitztum des Ordens hatte nun der Erhabene die ihn
begleitenden Mönche--zweihundert an der Zahl--unter der Leitung seines
Vetters und treuen Begleiters Ananda vorausgehen lassen, weil es ihn
lockte, die Wonne einer einsamen Tageswanderung zu kosten. Und es war
ihm bekannt, daß um die Zeit des Sonnenunterganges von Westen her ein
Zug junger Mönche, geführt vom weisen Sariputta, dem großen Schüler, in
dem Mangohain eintreffen würde. In seinem lebhaften, auf das
Anschauliche gerichteten Geiste spielte sich nun das Schauspiel ab, wie
die ankommenden Mönche mit den schon anwesenden sich freundlich
begrüßten, wie ihnen von jenen Sitz und Lagerstatt angewiesen, Mantel
und Almosenschale abgenommen wurden, und wie dabei großer Lärm und
lautes Geschrei entstand, als ob Fischer um die Beute rauften. Und ihm,
der stille Betrachtung liebte und dem Lärm abhold war, wie der einsam
wandernde Löwe: ihm war gerade jetzt, nach der köstlichen Ruhe der
einsamen Wanderung und dem friedlichen Segen dieser Abendlandschaft, der
Gedanke doppelt peinlich, in ein solches Treiben hineinzugeraten.

Und so entschloß er sich im Weiterschreiten, nicht durch die Stadt nach
seinem Mangohain zu gehen, sondern in dem ersten besten Hause des
Vorortes, in dem er Unterkunft finden konnte, sein Nachtlager
aufzuschlagen.

Unterdessen waren die goldigen Flammen des westlichen Himmels in
brennende Orangetöne verweht und diese wiederum in die feurigste
Scharlachglut zerschmolzen. Ringsum leuchteten die Felder immer grüner
und grüner, als ob die Erde ein Smaragd wäre, der von innen durchstrahlt
würde. Aber schon umspann ein traumhaft violetter Dunst die Ferne,
während eine fast übersinnliche Purpurflut--man wußte nicht, ob Licht,
ob Schatten--wie von überallher niedersinkend, emporsteigend und
hereinströmend, den ganzen Raum durchwallte, Festes auflösend und Loses
sammelnd, Nahes fortschwemmend und Fernes heranflutend, Alles aber in
Schwanken und flimmerndes Zittern versetzend....

Durch die Schritte des einsamen Wanderers emporgeschreckt, hakte ein
fliegender Hund seine ledernen Flügel von dem Zweig eines schwarzen
Salabaumes los und strich mit piepsendem Schrei durch die Dämmerung, um
den Obstgärten des dorfähnlichen Vorortes einen Besuch abzustatten.

So war es Abend geworden, als der Erhabene diesen Vorort Rajagahas
erreichte.




II. DIE BEGEGNUNG


Beim ersten Hause, dessen Wand bläulich zwischen den Gartenbäumen
hervorschimmerte, gedachte der Erhabene vorzusprechen. Wie er sich nun
aber der Tür nähern wollte, wurde er ein Netz gewahr, das auf einen Ast
gehängt war. Und der Erhabene schritt fürbass, das Haus des
Vogelstellers verschmähend.

An diesem äußeren Rande des Ortes waren die Häuser spärlich verstreut,
auch hatte dort unlängst eine Feuersbrunst gewütet, und so dauerte es
denn eine Weile, bis er wieder an eine menschliche Wohnung kam. Es war
dies das Gehöft eines wohlhabenden Brahmanen. Der Erhabene war schon zum
Tor hereingetreten, da hörte er, wie drinnen die beiden Frauen des
Brahmanen keiften, mit lauten schreienden Stimmen sich zankten und sich
gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen. Und der Erhabene wendete
sich um, trat wieder zum Torwege hinaus und schritt fürbaß.

Der Lustgarten jenes reichen Brahmanen erstreckte sich weithin den Weg
entlang. Der Erhabene begann schon Müdigkeit zu spüren, und sein rechter
Fuß, von einem scharfen Stein verletzt, schmerzte ihn im
Weiterschreiten. So näherte er sich endlich dem nächsten Wohnhause, das
schon von weitem sichtbar war; denn heller Lichtschimmer strömte quer
über den Weg durch das Gitter der Fensterläden und die offenstehende
Tür. Wäre aber auch ein Blinder gekommen, so hätte er doch das Haus
bemerkt, denn übermütiges Lachen, Becherklang, Stampfen tanzender Füße
und lieblich heitere Töne der siebensaitigen Vina drangen ins Freie
heraus; an den Türpfosten gelehnt aber stand ein schönes Mädchen in
reichem Seidengewand und mit Jasmingewinden behangen. Lachend ihre vom
Betelkauen roten Zähne zeigend, lud sie den Wanderer ein: "Tritt herein,
Fremder! Hier wohnt die Freude."

Und der Erhabene schritt fürbaß, seines Wortes gedenkend: "Als Weinen
gilt im Orden der Heiligen das Singen; als Tollsein gilt im Orden der
Heiligen der Tanz; als kindisch gilt im Orden der Heiligen das
Zähnezeigen zur Unzeit, das Lachen: Genüg' euch in Wahrheit Entzückten
das Lächeln des lächelnden Blickes."

Das Nachbarhaus war nicht weit entfernt, aber der Lärm der Zecher und
der Vinaspieler drang bis dahin, und so ging der Buddha weiter bis zum
nächsten Hause. Neben diesem waren aber zwei Metzgergesellen beim
letzten Schimmer des Tageslichtes eifrig am Werk, eine soeben
geschlachtete Kuh mit scharfen Messern zu zerlegen.

Und der Erhabene schritt an der Wohnung des Schlächters vorüber.

Vor dem nächsten Hause standen viele Schüsseln und Näpfe aus frischem
Ton, die Ausbeute einer rechtschaffenen Tagesarbeit; unter einer
Tamarinde befand sich das Töpferrad, und der Hafner löste gerade eine
Schüssel davon ab und trug sie zu den anderen.

Der Erhabene trat zum Hafner hin, begrüßte ihn höflich und sagte:

"Wenn es dir, Abkömmling Bhagas, nicht ungelegen ist, bleibe ich über
Nacht in deinem Vorsaale."

"Es ist mir, o Herr, nicht ungelegen. Doch ist soeben ein Pilger
angekommen, müde von einer langen Wanderung. Und er hat schon sein Lager
hier aufgeschlagen. Wenn es ihm recht ist, mögest du bleiben, o Herr,
nach Belieben."

Und der Erhabene überlegte sich: "Einsamkeit freilich ist der beste
Gefährte. Aber dieser liebe Pilger ist hier spät angekommen, wie ich
selber, müde von einer langen Wanderung. Und er ist an den Häusern
unreiner, blutiger Gewerbe vorbeigegangen, ist an dem Hause des Zankes
und des gehässigen Streits und an dem Hause des Lärms und der unwürdigen
Freuden vorübergeschritten, um erst hier beim Hafner einzukehren. Mit
einem solchen Manne zusammen kann man die Nacht verbringen."

So trat denn der Erhabene in die Vorhalle ein, wo er einen jungen Mann
von edlen Gesichtszügen gewahr wurde, der in der einen Ecke auf einer
Matte saß.

"Wenn es dir, Pilger, nicht ungelegen ist," sprach der Erhabene zu ihm,
"bleibe ich über Nacht hier im Vorsaale."

"Geräumig, Bruder, ist der Vorsaal des Hafners; bleibe der Ehrwürdige
nach Belieben."

Da breitete nun der Erhabene an der einen Wand die Strohmatte hin und
setzte sich nieder, die Beine gekreuzt, den Körper gerade aufgerichtet,
in heiliges Sinnen versunken. Und der Erhabene brachte die ersten
Stunden der Nacht sitzend zu. Und auch der junge Pilger brachte die
ersten Stunden der Nacht sitzend zu.

Da gedachte denn der Erhabene bei sich: "Ob wohl dieser edle Sohn
fröhlich beflissen ist?--Wie, wenn ich ihn nun darum fragte?"

Und der Erhabene wandte sich also an den jungen Pilger:

"Weshalb, o Pilger, bist du in die Heimatlosigkeit gegangen?"

Der junge Pilger antwortete:

"Nur ein paar Nachtstunden sind vergangen. Wohlan, wenn mir der
Ehrwürdige seine Aufmerksamkeit schenken will, werde ich erzählen,
weshalb ich in die Heimatlosigkeit gegangen bin."

Der Erhabene gab durch freundliches Kopfnicken sein Einverständnis zu
erkennen, und der junge Pilger hub zu erzählen an.




III. NACH DEM UFER DER GANGA


Ich heisse Kamanita mit Namen und bin in Ujjeni geboren, einer weit im
Süden gelegenen Stadt, im Lande Avanti, im Gebirge. Dort kam ich in
einer begüterten, wenn auch nicht sehr vornehmen Kaufmannsfamilie zur
Welt. Mein Vater ließ mir eine gute Erziehung zuteil werden, und als ich
die Opferschnur anlegte, war ich schon ziemlich im Besitze der meisten
Fertigkeiten, die sich für einen jungen Mann von Stand passen, so daß
man allgemein glaubte, ich müßte in Takkasila[1] erzogen worden sein. Im
Ringkampf und im Degenfechten war ich einer der ersten; ich hatte eine
schöne, wohlgeübte Singstimme und verstand die Vina kunstreich zu
schlagen; ich konnte alle Gedichte Bharatas und noch viele andere
auswendig hersagen; mit den Geheimnissen der Metrik war ich aufs
innigste vertraut, und verstand auch selber gefühlvolle und sinnreiche
Verse zu schreiben. Im Zeichnen und Malen übertrafen mich nur Wenige,
und meine Art Blumen zu streuen wurde allgemein bewundert. Groß war mein
Geschick im Färben der Kristalle und meine Kenntnis von der Herkunft der
Juwelen; keine Papageien oder Predigerkrähen sprachen so gut wie
diejenigen, die ich abgerichtet hatte. Auch verstand ich von Grund aus
das vierundsechzigfeldige Brettspiel, das Stäbchenspiel, das Bogenspiel
und das Ballspiel in allen seinen Abarten, sowie allerlei Rätsel- und
Blumenspiele. Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in
Ujjeni: "Vielbefähigt wie der junge Kamanita."

 [1] Das Oxford des alten Indien (in Pendschab gelegen).

Als ich zwanzig Jahre alt war, ließ mein Vater mich eines Tages rufen
und sprach also zu mir:

"Mein Sohn, deine Erziehung ist jetzt vollendet, und es ist Zeit, daß du
dich in der Welt umsiehst und dein Kaufmannsleben beginnst, auch habe
ich dafür jetzt eine gute Gelegenheit gefunden. In diesen Tagen schickt
unser König eine Gesandtschaft an den König Udena in Kosambi, weit von
hier, im Norden. Dort habe ich aber einen Gastfreund Panada. Der hat mir
längst gesagt, in Kosambi wäre mit Produkten unseres Landes, besonders
mit Bergkristallen und Sandelpulver, sowie mit unseren kunstvollen
Rohrgeflechten und Weberwaren ein gutes Geschäft zu machen. Ich habe
aber immer eine solche Geschäftsreise als ein großes Wagnis gescheut
wegen der vielen Gefahren des Weges. Wer nun aber die Hin- und Herreise
im Gefolge dieser Gesandtschaft macht, für den ist gar keine Gefahr
vorhanden. Wohlan, mein Sohn, wir wollen auf den Lagerplatz gehen und
uns die zwölf Ochsenwagen und die Waren ansehen, die ich für deine Fahrt
bestimmt habe; du wirst für unsere Produkte Musselin aus Benares und
ausgesuchten Reis mit zurückbringen, und das wird, hoffe ich, ein
glorreicher Anfang deiner kaufmännischen Laufbahn sein; auch wirst du
Gelegenheit haben, fremde Länder mit anderer Natur und anderen Sitten
kennen zu lernen und unterwegs mit Hofleuten, Männern vom höchsten
Anstande und feinsten Betragen tagtäglich zu verkehren, was ich für
einen hohen Gewinn erachte; denn ein Kaufherr muß ein Weltmann sein."

Ich dankte meinem Vater unter Freudentränen, und schon wenige Tage
danach nahm ich vom Elternhause Abschied.

Wie schlug mein Herz vor freudiger Erwartung, als ich inmitten dieses
prächtigen Zuges, an der Spitze meiner Karren, zum Stadttor hinauszog
und die weite Welt offen vor mir lag. Jeder Tag dieser Reise war mir wie
ein Fest, und wenn abends die Lagerfeuer flammten, um Tiger und Panther
zu verscheuchen, und ich im Kreise älterer und vornehmer Männer an der
Seite des Gesandten saß, dünkte ich mich vollends im Märchenland.

Durch den herrlichen Waldbereich Vedisas und über die sanften Höhenzüge
des Vindhyagebirges erreichten wir die ungeheure nördliche Ebene, wo
eine ganz neue Welt sich mir eröffnete; denn ich hätte nie gedacht, daß
die Erde so flach und so groß sei. Und etwa einen Monat nach unserer
Abreise sahen wir an einem herrlichen Abend, von einer palmengekrönten
Anhöhe aus, zwei goldene Bänder, die sich dem Dunstkreise des Horizontes
entwanden, das unendliche Grün durchzogen und sich allmählich einander
näherten, bis sie sich zu einem breiten Band vereinigten.

Eine Hand berührte meine Schulter.

Es war der Gesandte, der an mich herangetreten war.

"Da siehst du, Kamanita, die heilige Jamuna und die hochheilige Ganga,
die dort vor unseren Augen ihre Fluten vereinigen."

Unwillkürlich erhob ich anbetend meine Hände.

"Du tust recht, sie also zu grüßen," fuhr mein Beschützer fort. "Denn
wenn die Ganga von dem Göttersitz im nördlichen Schneegebirge kommt und
gleichsam aus der Ewigkeit flutet, so kommt die Jamuna aus fernen
Heldenzeiten, und ihre Fluten haben die Trümmer der Ilfenstadt[1]
gespiegelt und jene Ebene bespült, wo die Panduinge und die Kuruinge um
die Herrschaft rangen, wo Karna in seinem Zelte grollte, wo Krishna
selber die Rosse Arjunas lenkte--doch ich brauche dich ja nicht daran zu
erinnern, da du in den alten Heldenliedern wohl bewandert bist. Oft habe
ich drüben auf jener spitzen Landzunge gestanden und gesehen, wie die
blauen Wogen der Jamuna neben den gelben der Ganga dahinflossen, ohne
sich mit ihnen zu vermischen, so wie die Kriegerkaste neben der
Brahmanenkaste unvermischt besteht. Dann kam es mir vor, als ob ich mit
dem Rauschen dieser blauen Fluten auch kriegerische Klänge vernähme,
Waffengetöse und Hörnerrufe, Wiehern von Rossen und Trompeten der
Kampfilfen, und mein Herz schlug höher, denn auch meine Ahnen waren ja
dabei gewesen und der Sand Kurukschetras hatte ihr Heldenblut
getrunken."

 [1] Hastinapura = Elefantenstadt. Das Wort "Ilf" hat _Adolph Holtzmann_
 geprägt ("Indische Sagen" XXIX).

Voll Bewunderung blickte ich zu diesem Manne aus der Kriegerkaste empor,
in dessen Familie solche Erinnerungen lebten.

Er aber faßte mich an der Hand.

"Komm, mein Sohn, und begrüße das Ziel deiner ersten Reise."

Und er führte mich nur wenige Schritte um ein dichtes Gebüsch herum, das
bis jetzt die Aussicht nach Osten verdeckt hatte.

Als diese sich nun plötzlich öffnete, stieß ich unwillkürlich einen
Schrei der Bewunderung aus.

Dort--an einer Biegung der breiten Ganga--lag eine große Stadt: Kosambi.

Mit ihren Mauern und Türmen, ihrer aufsteigenden Häusermasse, ihren
Terrassen, ihren Quais und Ghâts[1] sah sie, von der untergehenden Sonne
beleuchtet, wahrlich aus, als wäre sie ganz und gar aus rotem Gold
gebaut--so wie es ja Benares war, bis die Sünden der Einwohner es in
Stein und Mörtel verwandelten;--die wirklich goldenen Kuppeln aber
glänzten wie ebensoviele Sonnen. Oben von den Tempelhöfen stiegen
dunkle, rotbraune Rauchsäulen, von den Leichenverbrennungsstätten am
Ufer solche von hellblauer Farbe, kerzengerade in die Höhe, und,
gleichsam von ihnen getragen, schwebte baldachinartig über dem Ganzen
ein Schleier wie aus den zartesten Perlmuttertönen gewoben, während
dahinter alle Farben, die da brennen und leuchten können, über den
Himmel ausgegossen durcheinander glühten. Auf dem heiligen Strom, der
diesen Glanz widerspiegelte, schaukelten unzählige Boote mit bunten
Segeln und Wimpeln, und trotz der Entfernung sah man, wie die breiten
Treppen der Ghâts von Leuten wimmelten, während viele schon unten in den
glitzernden Wellen plätscherten. Ein fröhliches Geräusch, wie das Summen
eines Bienenkorbes, drang von Zeit zu Zeit zu uns herauf.

 [1] Landungsplatz mit prachtvollen Freitreppen für Badende--gewöhnlich
 von Vorsprüngen und Kiosken unterbrochen und durch einen monumentalen
 Torbau abgeschlossen.

Du kannst dir denken, daß ich eher eine Stadt der dreiunddreißig Götter
als eine der Menschen zu sehen vermeinte, wie denn überhaupt das
Gangatal mit seinem üppigen Reichtum uns Bergbewohnern wie das Paradies
vorkam. Und für mich sollte ja auch hier das Paradies auf Erden sich
zeigen.

Noch in derselben Nacht schlief ich unter dem wirtlichen Dache Panadas,
des Gastfreundes meines Vaters. Früh am folgenden Tage eilte ich aber
zum nächsten Ghât und stieg mit unbeschreiblichen Gefühlen in die
heiligen Wogen, um nicht nur den Reisestaub, sondern auch meine Sünden
abzuspülen. Diese waren infolge meiner Jugend ja nur gering; ich füllte
aber eine große Flasche mit dem Gangawasser, um sie meinem Vater
mitzubringen. Sie ist jedoch, wie du erfahren wirst, leider nie in
seinen Besitz gekommen.

Der edle Panada, ein Greis von ehrwürdigstem Aussehen, führte mich nun
nach den Kaufhallen, und durch seine freundliche Hilfe gelang es mir, im
Verlaufe der folgenden Tage meine Waren vorteilhaft zu verkaufen und
eine überreiche Menge von den bei uns sehr geschätzten Produkten der
nördlichen Ebene einzukaufen.

Dies mein Geschäft war glücklich zu Ende gebracht, bevor die
Gesandtschaft noch daran dachte, sich zur Abreise zu rüsten, was mich
keineswegs verdroß; denn ich hatte nun volle Freiheit, mir die Stadt
anzusehen und ihre Vergnügungen zu genießen, was ich in der Gesellschaft
Somadattas, des Sohnes meines Wirtes, in ausgiebigstem Maße tat.




IV. DIE BALLSPIELERIN


An einem schönen Nachmittage begaben wir uns in einen öffentlichen
Garten vor der Stadt--eine gar prächtige Anlage unmittelbar am hohen
Ufer der Ganga mit schattigen Baumgruppen, großen Lotusteichen,
Marmorhäuschen und Jasminlauben, wo zu dieser Tageszeit immer ein reges
Treiben herrschte. Hier ließen wir uns in einer goldenen Schaukel von
der Dienerschaft schaukeln, während wir den herzerfreuenden Tönen der
liebestrunkenen Kokila und dem süßen Plaudern der grünen Papageien
lauschten. Da erhob sich plötzlich ein gar erheiterndes Klingen von
Fußspangen. Sofort sprang mein Freund aus der Schaukel und rief:

"Sieh da! Gerade kommen die schönsten Mädchen von Kosambi, auserlesene
Jungfrauen aus den reichsten und vornehmsten Häusern, um die
Vindhya-bewohnende Göttin durch Ballspiel zu verehren. Du kannst von
Glück sagen, Gastfreund! denn bei diesem Spiel kann man sie ungehindert
sehen! Komm, wir wollen diese Gelegenheit nicht versäumen."

Ich ließ mir dies natürlich nicht zweimal sagen, sondern folgte eiligst
meinem Freunde.

Auf einer großen, edelsteinbesetzten. Bühne erschienen sofort die
Mädchen, zum Spiele bereit. Wenn es nun schon eine seltene Augenweide
war, diese Schar von Schönheiten in ihrem Glanz von schimmernder Seide,
duftigen Musselinschleiern, Perlen, Edelsteinen und Goldspangen zu
sehen--was soll man dann erst von dem Spiele selbst sagen, das diesen
Schwellgliederigen die mannigfaltigste Gelegenheit gab, ihre ganze Anmut
in überaus reizenden Stellungen und Bewegungen zu entfalten? Und doch
war das nur gleichsam ein Vorspiel. Denn als diese Gazellenäugigen uns
eine geraume Zeit durch die verschiedenartigsten Spiele ergötzt hatten,
traten sie alle zurück, und nur eine blieb in der Mitte der
edelsteinbesetzten Bühne--und in der Mitte meines Herzens stehen.

Ach, mein Freund, was soll ich sagen! Von ihrer Schönheit zu reden wäre
Verwegenheit! Denn ich müßte ein Dichter sein wie Bharata selbst, um
auch nur einen schwachen Abglanz davon deiner Phantasie vorzuzaubern. Es
sei genug, hervorzuheben, daß diese Mondgesichtige von makelloser
Gestalt und an allen Gliedern von frischer Jugend umblüht war, daß sie
mir als die leibliche Glücks- und Schönheitsgöttin erschien, und daß
alle meine Körperhärchen sich bei diesem Anblick vor Entzücken
sträubten. Und nun begann sie zu Ehren der Göttin, deren Verkörperung
sie schien, ein kunstreiches Spiel. Lässig warf sie den Ball zu Boden,
und als er dann langsam emporstieg, gab sie ihm mit ihrer
schößlinggleichen Hand, deren Daumen sie etwas krümmte und deren zarte
Finger sie ausstreckte, einen kräftigen Schlag, trieb dann den
aufsteigenden Ball mit dem Handrücken empor und fing ihn beim
Herabfallen in der Luft wieder auf. Sie warf ihn in langsamem, in
mittlerem und in raschem Tempo, bald ihn anfeuernd, bald ihn
besänftigend, schlug ihn abwechselnd mit der linken und mit der rechten
Hand, trieb ihn in jede Himmelsrichtung und wieder zurück. Wenn
du--wie's mir aus deinem verständnisvollen Blick scheinen will--mit der
Spielballwissenschaft vertraut bist, so brauche ich dir nichts zu sagen,
als daß du wohl niemals das Curnapada und das Gitamarga so vollkommen
ausgeführt gesehen haben wirst.

Dann aber machte sie etwas, was ich nie gesehen und wovon ich auch nie
gehört habe. Sie nahm nämlich zwei goldene Bälle, und während ihre Füße
zum Klange ihrer Schmuckjuwelen sich tanzend bewegten, ließ sie diese
Bälle so schnell in blitzartigen Linien springen, daß man gleichsam nur
die Goldstäbchen eines Käfigs sah, in dem ein Wundervogel niedlich
umherhüpfte. Dabei geschah es, daß unsere Blicke sich plötzlich
begegneten; und noch heute, o Fremder, verstehe ich nicht, wie es
zuging, daß ich nicht augenblicklich tot niedersank, um in einem
Wonnehimmel wiedergeboren zu werden. Aber es mag wohl sein, daß meine
Werke eines vorhergehenden Lebens, deren Früchte ich in _diesem_
genießen muß, noch nicht erschöpft waren; denn dieser Rest meines
Wandels von einst hat mich ja in der Tat durch mehrere tödliche Gefahren
bis auf den heutigen Tag gebracht und wird wohl noch lange vorhalten.

Gerade jetzt aber entfloh ihr einer der Bälle, die ihr bisher so
gehorsam gewesen waren, und sprang in einem mächtigen Satze von der
Bühne herunter. Viele junge Leute eilten ihm nach; ich und ein junger,
reich gekleideter Mann erreichten ihn gleichzeitig und wir gerieten
aneinander, weil keiner ihn dem anderen gönnte. Durch mein genaues
Vertrautsein mit den Kniffen der Ringerkunst gelang es mir, ihm ein Bein
zu stellen; er aber ergriff, um mich zurückzuhalten, meine kristallene
Halskette, an der ich ein Amulett trug. Die Kette zerriß, er stürzte zu
Boden und ich erhaschte den Ball. Wütend sprang er auf und schleuderte
mir die Kette vor die Füße. Das Amulett war ein Tigerauge, kein gerade
sehr kostbarer Stein, aber dieser war ein unfehlbares Mittel gegen den
bösen Blick--und jetzt, als der seine mich traf, mußte ich ihn gerade
vermissen. Aber was kümmerte mich das? Hielt ich doch den Ball, den ihre
Lotushand soeben berührt hatte, in Händen, und als sehr geschicktem
Ballspieler gelang es mir, einen so genau berechneten Wurf zu tun, daß
der Ball gerade vor der einen Ecke der Bühne aufschlug, um dann mit
einem mäßigen Sprung gleichsam bezähmt in den Bereich der schönen
Spielerin zu gelangen, die keinen Augenblick aufgehört hatte, den
anderen Ball in Bewegung zu erhalten, und sich nun wieder in ihren
Goldkäfig einspann--unter großem Jubel der zahlreichen Zuschauer.

Damit war denn nun die Ballspielverehrung der Lakshmi zu Ende, die
Mädchen verschwanden von der Bühne, und wir begaben uns auf den Heimweg.

Unterwegs meinte mein Freund, es sei gut, daß ich nichts dort am Hofe
erreichen wollte, denn der junge Mann, dem ich den Ball abgejagt hätte,
sei kein geringerer als der Sohn des Ministers, und man habe es ihm
angesehen, daß er mir unversöhnlichen Haß geschworen habe. Das ließ mich
nun völlig kalt; wie viel lieber hätte ich erfahren, wer meine Göttin
war. Ich scheute mich aber, danach zu fragen, ja, als Somadatta mich mit
der Schönen necken wollte, tat ich sehr gleichgültig, lobte in
Kennerausdrücken ihre Fertigkeit im Spielen, fügte jedoch hinzu, daß wir
in meiner Heimatstadt wenigstens ebenso geschickte Spielerinnen
hätten--während ich in meinem Herzen der Unvergleichlichen diese Lüge
abbat.

Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß diese Nacht kein Schlaf in meine
Augen kam, die ich nur schloß, um immer wieder von der reizenden
Erscheinung umschwebt zu werden. Den nächsten Tag brachte ich in einer
von allem Tageslärm entfernten Ecke des Hausgartens zu, wo der Sandboden
unter einem Mangobaum meinem von Liebesglut gepeinigten Körper Kühlung
bot, die siebensaitige Vina als einzige Gefährtin, der ich meine
Sehnsucht anvertraute. Sobald aber die abnehmende Tageshitze einen
Ausflug erlaubte, überredete ich Somadatta, mit mir nach dem Lustgarten
zu fahren, obschon er es vorgezogen hätte, einem Wachtelkampf
beizuwohnen. Aber umsonst durchirrte ich den ganzen Park--viele Mädchen
waren da, überall ihr Spiel treibend, als wollten sie mich mit falscher
Hoffnung von einem Ort zum anderen locken; aber jene einzige, Lakshmis
Ebenbild, war nicht darunter.

Nun tat ich, als ob ich eine unwiderstehliche Sehnsucht hätte, das
eigentümliche Leben an der Ganga wieder zu genießen. Wir besuchten alle
Ghâts und bestiegen schließlich eine Barke, um uns in die fröhliche
Flottille zu mischen, die jeden Abend auf den Wogen des heiligen Stromes
schaukelte, bis das Farbenspiel und der Goldglanz erloschen und Lichter
von Fackeln und Lampions auf dem Strome tanzten und wirbelten.

Dann mußte ich endlich meine ebenso stumme wie stürmische Hoffnung
aufgeben und den Bootsführer anweisen, nach dem nächsten Ghât zu
steuern.

Nach einer schlaflosen Nacht blieb ich in meinem Zimmer, und um meinen
Geist, der doch nur von ihrem Bild erfüllt war, zu beschäftigen und zu
zerstreuen, bis ich wieder in den Lustgarten eilen konnte, versuchte ich
mittelst Pinsel und Farben ihre holde Erscheinung, wie sie tanzenden
Schrittes den Ball schlug, auf die Tafel zu bannen. Keinen Bissen
vermochte ich zu mir zu nehmen; denn wie der lieblich singende Çakora
nur von Mondstrahlen lebt, also lebte ich nur von den Strahlen jener
Mondgesichtigen, obgleich sie mich nur durch den Nebel der Erinnerung
erreichten; doch hoffte ich zuversichtlich, daß sie an diesem Abend im
Lustgarten mit ihrem vollen Glanz mich letzen und beleben würden. Aber
auch diesmal wurde ich enttäuscht. Nun wollte Somadatta mich in ein
Spielhaus mitnehmen, denn er war so versessen auf das Würfelspiel wie
Nala, nachdem der Dämon Kali in ihn gefahren war. Ich schützte indessen
Müdigkeit vor. Aber anstatt nach Hause zu gehen, begab ich mich wieder
nach den Ghâts und auf den Fluß hinaus--leider nicht mit besserem Erfolg
als am vorhergehenden Abend.




V. DAS MAGISCHE BILDNIS


Da ich wußte, daß für mich doch nicht an Schlaf zu denken war, legte ich
mich an diesem Abend gar nicht zu Bett, sondern setzte mich auf das zur
Andacht bestimmte Graslager am Kopfende des Bettes, und brachte dort
unter inbrünstigen Liebesbetrachtungen und im Gebet an die lotustragende
Lakshmi, ihr himmlisches Urbild, in frommer und geziemender Weise die
Nacht zu; aber die frühe Morgensonne fand mich wieder mit Pinsel und
Farben an der Arbeit.

Mehrere Stunden waren mir dabei im Fluge vergangen, als Somadatta
hereintrat. Ich hatte gerade noch Zeit, die Tafel und die Malwerkzeuge
unters Bett zu schieben, als ich ihn kommen hörte. Dies tat ich ganz
unwillkürlich.

Somadatta nahm einen niedrigen Stuhl, setzte sich neben mich und
betrachtete mich lächelnd.

"Ich merke wohl," sagte er, "daß unserem Hause die Ehre widerfahren
soll, die Ausgangsstätte eines Heiligen zu sein. Du fastest ja, wie es
nur die strengsten Asketen tun, und enthältst dich der üppigen
Gewohnheit des Lagers. Denn weder auf den Kopf- und Fußkissen noch auf
der Matratze ist der geringste Eindruck deines Körpers zu sehen, und die
weiße Decke ist faltenlos. Obwohl du durch das Fasten schon recht
schmächtig geworden bist, ist dein Körper doch wohl noch nicht ganz ohne
Gewicht, was sich übrigens auch hier am Grassitze zeigt, wo du offenbar
die Nacht in Gebet und Selbstvertiefung zugebracht hast. Aber ich finde
doch, daß für einen so heiligen Bewohner dies Zimmer etwas zu weltlich
aussieht. Hier auf dem Nachttisch die freilich unberührte Salbenbüchse
und der Napf mit Sandelstaub, das Gefäß mit wohlriechendem Wasser und
die Dose mit Zitronenbaumrinde und Betel. Dort an der Wand die gelben
Amaranthkränze, die Laute--aber wo ist denn das Malbrett, das doch sonst
an jenem Haken hängt?"

Während ich in meiner Verlegenheit auf diese Frage keine Antwort zu
finden vermochte, entdeckte er nun das vermißte Brett und zog es unter
dem Bett hervor.

"Ei, was ist denn das für ein böser, abgefeimter Zauberer," rief er,
"der hier auf dem Brett, das ich doch selber ganz leer an jenen Haken
gehängt habe, das reizende Bild eines ballspielenden Mädchens durch
magische Kraft hat entstehen lassen--offenbar in der bösen Absicht, den
angehenden Asketen gleich im Anfange mit Versuchungen anzufallen und ihm
Sinne und Gedanken zu verwirren! Oder am Ende ist es ein Gott, denn wir
wissen ja, daß die Götter sich vor der Allmacht der großen Asketen
fürchten; und bei solch einem Beginnen wie dem deinigen könnte schon das
Vindhyagebirge vor der Inbrunst deiner Buße zu rauchen anfangen, ja
durch die Aufhäufung deines Verdienstes müßte das Reich der himmlischen
Götter ins Wanken kommen. Und jetzt weiß ich auch, welcher Gott es ist:
gewiß ist es der, den sie den unsichtbaren nennen, der Gott mit den
Blumenpfeilen, der einen Fisch im Banner trägt--Kama, der Liebesgott,
von dem du ja auch deinen Namen hast. Und--Himmel, was seh' ich! das ist
ja Vasitthi, die Tochter des reichen Goldschmiedes."

Als ich so zum ersten Male den Namen der Geliebten hörte, fing mein Herz
heftig zu pochen an, und mein Gesicht entfärbte sich vor Erregung.

"Ich sehe, lieber Freund," fuhr der schlimme Spaßmacher fort, "daß
dieser Gedanke von dem Zauber Kamas dich in großen Schrecken versetzt,
und in der Tat müssen wir etwas tun, um seinem Zorn zu entgehen. Da ist
aber ein Weiberrat nicht zu verachten. Ich will dies magische Bild
meiner geliebten Medini zeigen, die auch mit beim Tanze war und überdies
die Milchschwester der schönen Vasitthi ist."

Hiermit wollte er sich mit dem Bilde entfernen. Da ich nun wohl merkte,
was der Schelm vorhatte, hieß ich ihn warten, weil dem Bilde noch eine
Inschrift fehlte. Ich mischte mir die schönste feurig-rote Farbe und in
gar kurzer Zeit schrieb ich mit den zierlichsten Schriftzügen einen
vierzeiligen Vers, der sehr einfach den Vorgang mit dem goldenen Ball
erzählte. Wenn man aber die Zeilen rückwärts las, besagte der Vers, daß
jener Ball, mit dem sie gespielt hatte, mein Herz sei, das ich selber
ihr zurückschickte, wenn sie es auch davonjage; man konnte aber auch den
Vers quer durch die Zeilen von oben nach unten lesen, und dann enthielt
er eine Klage über die Verzweiflung, in die mich die Trennung von ihr
gestürzt hatte; las man aber in umgekehrter Richtung, dann wurde man
gewahr, daß ich doch zu hoffen wagte.

Von dem, was ich solchermaßen hineingeheimnißt hatte, ließ ich aber
nichts verlauten, und so war denn Somadatta von dieser Probe meiner
Dichtkunst, die ihm gar zu einfach schien, auch nicht sonderlich erbaut.
Er meinte, ich müsse durchaus davon sprechen, wie Gott Kama, durch meine
Askese in Schreck versetzt, das Zauberbild zu meiner Versuchung
hervorgezaubert und mich dadurch überwunden hätte--wie denn jeder immer
am meisten von seinem eigenen Witze entzückt ist.

Als nun Somadatta das Bild entführt hatte, fühlte ich mich in einer
gehobenen und tatkräftigen Stimmung, weil doch nun ein Schritt getan
war, der vielleicht in seinen Folgen zum ersehnten Glücksziel führen
mochte. Ich konnte wieder essen und trinken, und nachdem ich mich
gestärkt hatte, nahm ich die Vina von der Wand und ließ ihre Saiten bald
melodisch seufzen, bald jubeln, während ich den himmlischen Namen
Vasitthi in immer neuen Tönen wiederholte.

So fand mich denn auch Somadatta, als er mehrere Stunden später mit dem
Bild in der Hand wieder hereintrat.

"Die ballspielkundige Zerstörerin deiner Ruhe hat auch gedichtet," sagte
er, "aber vielen Sinn finde ich eben nicht in ihren Versen
aufgespeichert, wenn auch die Schrift für ungewöhnlich hübsch gelten
darf."

Wirklich gewahrte ich--mit welchem Entzücken, vermag ich nicht zu
sagen--einen zweiten Vierzeiler, der mit Schriftzügen wie zarte
Blütenzweige auf das Brett gleichsam hingehaucht war. Somadatta freilich
hatte keinen Sinn darin finden können, denn das Ganze bezog sich eben
auf das, was er nicht bemerkt hatte, und zeigte mir, daß die Holde meine
Strophe in allen Richtungen--rückwärts, nach unten und aufwärts--richtig
gelesen hatte, was mir einen hohen Begriff von ihrer Bildung und ihren
Kenntnissen gab, wie denn auch ihr feiner Geist sich in der anmutig
scherzenden Wendung zeigte, mit welcher sie meine feurige Erklärung als
eine höfliche Galanterie hinnahm, der man nicht allzu große Bedeutung
beimessen dürfe.

Nun versuchte ich freilich auch dieselben Lesemethoden auf ihre Strophe
anzuwenden, in der Hoffnung, vielleicht doch ein verblümtes Geständnis
oder irgend eine geheime Botschaft, wohl gar die Einladung zu einem
Stelldichein darin zu finden; jedoch vergeblich. Ich sagte mir denn auch
sogleich, daß dies gerade ein Beweis der höchsten und feinsten
weiblichen Gesittung sei: die Liebliche zeigte mir, daß sie wohl
imstande sei, die Subtilität und die verwegenen Pfade des männlichen
Geistes zu verstehen, daß sie sich aber nicht verleiten lasse, seinen
Spuren zu folgen.

Über meine enttäuschte Erwartung wurde ich nun auch sofort durch die
Worte Somadattas getröstet.

"Aber diese Schönbrauige, wenn sie auch keine große Dichterin ist, hat
doch wahrlich ein gutes Herz. Sie weiß, daß ich schon seit langer Zeit
meine geliebte Medini, ihre Milchschwester, nicht gesehen habe, außer in
großer Gesellschaft, wo nur die Augen sprechen können, und auch die nur
verstohlen. Und so gibt sie uns Gelegenheit, uns in der folgenden Nacht
auf der Terrasse des väterlichen Palastes zu treffen. Diese Nacht ist es
leider nicht möglich, weil ihr Vater ein Gastmahl gibt; so lange müssen
wir uns also gedulden. Vielleicht hast du Lust, mich bei diesem
Abenteuer zu begleiten?"

Dabei lachte er ganz verschmitzt, und ich lachte ebenso und sicherte ihm
meine Begleitung zu. In der vortrefflichsten Laune nahmen wir das
Brettspiel, das an die Wand gelehnt war, und wollten uns durch diese den
Geist anregende Beschäftigung die Zeit verkürzen, als ein Diener
hereintrat und sagte, ein Fremder wünsche mich zu sprechen.

Ich ging in die Vorhalle und traf da den Bedienten des Gesandten, der
mir sagte, ich müsse mich zur Abreise fertig machen und mich schon in
dieser Nacht mit meinen Wagen im Hofe des Palastes einfinden, damit man
beim ersten Morgengrauen aufbrechen könne.

Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen. Ich wähnte, ich müsse
unversehens irgend eine Gottheit beleidigt haben. Sobald ich meine
Gedanken einigermaßen sammeln konnte, stürzte ich zum Gesandten und log
ihm eine Menge vor von einem Geschäft, das noch nicht ganz abgewickelt
wäre und unmöglich in so kurzer Frist zum gedeihlichen Abschluß gebracht
werden könnte. Mit heißen Tränen beschwor ich ihn, die Reise nur noch um
einen Tag zu verschieben.

"Du sagtest mir doch schon vor acht Tagen, daß du fertig wärest,"
entgegnete er.

Ich aber versicherte ihm, daß sich nachher unverhofft noch eine Aussicht
auf einen bedeutenden Gewinn eröffnet hätte. Und das war auch keine
Unwahrheit, denn welcher Gewinn hatte für mich mehr zu bedeuten, als die
Eroberung dieses unvergleichlichen Mädchens?--Und so gelang es mir denn
endlich, ihm diesen einen Tag abzulisten.

Die Stunden des folgenden Tages vergingen schnell mit den nötigen
Reisevorbereitungen, so daß mir die Zeit, trotz meiner Sehnsucht, nicht
allzu lang wurde. Als der Abend hereinbrach, standen die Karren beladen
im Hof. Alles war zum Vorspannen bereit, um, sobald ich--noch vor
Morgengrauen--erschien, aufbrechen zu können.




VI. AUF DER TERRASSE DER SORGENLOSEN


Als es nun völlig Nacht geworden war, begaben wir, Somadatta und ich,
uns in dunkelfarbiger Kleidung, hoch aufgeschürzt, fest gegürtet und das
Schwert in der Hand, nach der Westseite des palastartigen Hauses des
reichen Goldschmiedes, wo sich die Terrasse über der steilen Felswand
einer Schlucht befand. Mit Hilfe einer mitgebrachten Bambusstange
erkletterten wir nun, die wenigen Vorsprünge geschickt benutzend, die in
tiefen Schatten gehüllte Felsenwand, überstiegen dann mit Leichtigkeit
die Mauer und befanden uns nun auf einer großen, mit Palmen, Asokabäumen
und prächtigen Blumenpflanzen aller Art geschmückten Terrasse, die, in
Mondlicht gebadet, sich vor uns ausbreitete.

Nicht weit von mir entfernt sah ich die der Lakshmi ähnliche Großäugige,
die mit meinem Herzen Ball spielte, neben einem jungen Mädchen auf einer
Ruhebank sitzen, und bei diesem Anblick fing ich an so heftig an allen
Gliedern zu zittern, daß ich mich an die Brüstung lehnen mußte, deren
marmorne Kälte meine in Feuersglut schon entschwindenden Sinne
erfrischte und stärkte. Indessen war Somadatta auf seine Geliebte
zugeeilt, die mit einem leisen Ruf aufgesprungen war.

Nun faßte ich mich denn auch so weit, daß ich mich der Unvergleichlichen
nähern konnte, die, anscheinend überrascht durch die Ankunft eines
Fremden, sich erhoben hatte und unschlüssig schien, ob sie bleiben oder
gehen sollte, während sich ihr Auge, wie das der erschreckten jungen
Antilope, wiederholt mit Seitenblicken aus dem äußersten Augenwinkel auf
mich richtete, wobei sie wie eine vom leisen Winde geschaukelte Ranke
bebte. Ich aber stand da in beständig wachsender Verwirrung, mit
gesträubten Wangenhaaren und weit aufgeblühten Augen und konnte nur
mühsam einige Worte von dem unverhofften Glück, sie hier zu treffen,
hervorstammeln. Als sie aber meine große Zaghaftigkeit bemerkte, schien
sie selber ruhiger zu werden. Sie setzte sich wieder auf die Bank und
lud mich mit einer lässigen Bewegung ihrer Lotushand ein, neben ihr
Platz zu nehmen, während sie mit einer Stimme, die sehr leicht und gar
lieblich zitterte, mir versicherte, sie sei sehr glücklich über diese
Gelegenheit, mir zu danken, weil ich ihr den Ball mit solcher
Geschicklichkeit zurückgeworfen hätte, daß keine Störung im Spiel
entstanden sei; denn wäre das geschehen, so würde ihr ganzes Verdienst
dahin gewesen sein, und die von ihr ungeschickt verehrte Göttin hätte
ihr gezürnt oder ihr wenigstens kein Glück geschenkt. Darauf antwortete
ich, sie habe mir nicht zu danken, da ich höchstens das wieder gut
gemacht hätte, was ich selber verfehlt; und als sie nicht verstand, wie
ich das meinte, wagte ich sie daran zu erinnern, wie unsere Blicke sich
begegnet hatten und sie darob verwirrt den Ball schief traf, so daß er
ihr davonflog. Sie aber errötete heftig und wollte das durchaus nicht
zugeben--was hätte sie denn auch dabei verwirren können?

"Ich denke," antwortete ich, "daß meine weit aufgeblühten Augen
gleichsam einen solchen Duft von Bewunderung haben entströmen lassen,
daß du dadurch einen Augenblick betäubt wurdest und mit der Hand daneben
schlugst."

"Ei, was sprichst du mir da von Bewunderung," antwortete sie, "du bist
ja gewohnt, in deiner Heimat noch viel geschicktere Spielerinnen zu
sehen."

Aus dieser Äußerung entnahm ich mit Genugtuung, daß man sich über mich
unterhalten hatte, und daß meine an Somadatta gerichteten Worte ihr
getreulich mitgeteilt worden waren. Doch wurde mir auch heiß und kalt
bei dem Gedanken, daß ich ja fast geringschätzig über sie gesprochen
hatte, und ich beeilte mich, ihr zu versichern, daß daran kein wahres
Wort gewesen wäre, und daß ich nur so gesprochen hätte, um nicht mein
süßes Geheimnis dem Freunde preiszugeben. Das wollte sie aber nicht
glauben, oder tat wenigstens so; und darüber vergaß ich dann glücklich
meine ganze Schüchternheit, geriet in großen Eifer, um sie zu
überzeugen, und erzählte ihr, wie bei ihrem Anblick der Liebesgott seine
Blumenpfeile auf mich hatte regnen lassen. Ich sei überzeugt, daß sie in
einem früheren Leben meine Frau gewesen sei, denn woher käme wohl sonst
eine so plötzliche und unwiderstehliche Liebe? Wenn dem aber so sei,
dann müsse doch auch sie in mir ihren ehemaligen Gemahl erkannt haben,
und es müsse auch bei ihr eine solche Liebe entstanden sein.

Mit solchen dreisten Worten drang ich ungestüm auf sie ein, bis sie
endlich ihre glühende, tränenperlende Wange an meiner Brust verbarg und
mir in kaum hörbaren Worten gestand, daß es ihr ebenso gegangen sei wie
mir, und daß sie gewiß gestorben wäre, wenn ihre Milchschwester ihr
nicht noch rechtzeitig das Bild gebracht hätte.

Dann küßten und herzten wir uns unzählige Male und meinten vor Wonne
vergehen zu müssen, bis plötzlich der Gedanke an meine unmittelbar
bevorstehende Abreise wie ein schwarzer Schatten über meine Fröhlichkeit
fiel und mir einen tiefen Seufzer erpreßte.

Erschrocken fragte Vasitthi, warum ich also seufzte. Als ich ihr aber
dann den Grund nannte, sank sie wie ohnmächtig auf die Bank zurück, und
brach in einen unerschöpflichen Tränenstrom und in herzzerreißendes
Schluchzen aus. Vergeblich waren meine Versuche, die innig Geliebte zu
trösten. Umsonst versicherte ich ihr, daß ich, sobald die Regenzeit
vorüber sei, zurückkehren und sie dann nimmermehr verlassen wolle, wenn
ich mich auch als Tagelöhner in Kosambi verdingen müsse.--In den Wind
gesprochen waren alle Beteuerungen, daß meine Verzweiflung bei der
Trennung nicht geringer sei als die ihre, und daß nur die harte,
unerbittliche Notwendigkeit mich so bald von ihr wegrisse. Kaum daß sie
unter Schluchzen ein paar Worte hervorbringen konnte, um zu fragen,
warum es denn so notwendig sei, schon morgen, nachdem wir uns eben erst
gefunden hätten, abzureisen--und als ich ihr dies dann sehr genau und
umständlich erklärte, schien sie keine Silbe davon zu hören oder zu
verstehen. O, sie sähe schon, daß ich mich danach sehne, nach meiner
Vaterstadt zurückzukommen, wo es noch viel schönere Mädchen als sie
gäbe, die auch viel besser Ball spielen könnten, wie ich es ja selber
gesagt hätte!

Ich mochte sagen, beteuern und beschwören was ich wollte--sie blieb
dabei, und immer reichlicher flossen ihre Tränen. Kann man sich wundern,
daß ich bald darauf zu ihren Füßen lag, ihre schlaff herabhängende Hand
mit Küssen und Tränen bedeckte und ihr versprach, nicht abzureisen? Und
wer war dann seliger als ich, als Vasitthi mich nun mit ihren weichen
Armen umschlang und mich wieder und wieder küßte und vor Freude lachte
und weinte. Freilich sagte sie nun gleich: "Da siehst du, es ist gar
nicht so notwendig, daß du schon wegreisest, denn dann müßtest du es ja
unbedingt tun."--Als ich mich aber anschickte, ihr Alles noch einmal
auseinanderzusetzen, schloß sie mir den Mund mit einem Kusse und sagte,
sie wisse, daß ich sie liebe, und sie meine nicht wirklich, was sie von
den Mädchen meiner Vaterstadt gesagt hätte. Unter zärtlichen
Liebkosungen und traulichem Plaudern flogen die Stunden wie im Traume
dahin, und es wäre kein Ende all der Seligkeit gewesen, wenn nicht
plötzlich Somadatta mit Medini gekommen wäre, um uns zu sagen, daß es
die höchste Zeit sei, an die Heimkehr zu denken.

In unserem Hofe fanden wir Alles zum Aufbruch bereit. Ich rief den
Führer der Ochsenkarren und schickte ihn eiligst zum Gesandten mit dem
Bescheid, daß mein Geschäft leider noch nicht völlig erledigt sei, und
ich infolgedessen darauf verzichten müsse, die Heimreise unter dem
Schutze der Gesandtschaft zu machen. Ich bat ihn nur, meinen Eltern
einen Gruß zu bringen und empfahl mich seiner Gewogenheit.

Kaum hatte ich mich auf mein Lager gestreckt, um--wenn möglich--einiger
Stunden Schlafes zu genießen, als der Gesandte selber hereintrat.
Erschrocken sprang ich auf und verbeugte mich tief vor ihm, während er
mit ziemlich barscher Stimme fragte, was dies unglaubliche Betragen
bedeuten sollte--ich hätte ihm sofort zu folgen.

Nun wollte ich anfangen, von meinem noch immer unbeendigten Geschäft zu
reden, aber er unterbrach mich gebieterisch:

"Ach was, Geschäft! Laß es mit der Lüge jetzt genug sein. Ich sollte
wohl wissen, was für Geschäfte im Gange sind, wenn ein junger Fant
plötzlich eine Stadt nicht verlassen kann, selbst wenn ich nicht gesehen
hätte, daß deine Ochsenkarren vorgespannt und beladen im Hofe halten."

Da stand ich nun blutrot und zitternd als ein vollkommen Ertappter. Als
er mich aber ihm augenblicklich zu folgen hieß, da schon ohnehin zu viel
der kostbaren kühlen Tageszeit verloren gegangen sei, stieß er bei mir
auf einen Widerstand, mit dem er offenbar nicht gerechnet hatte. Vom
befehlenden Ton ging er zum drohenden, von diesem zuletzt zum bittenden
über. Er erinnerte mich daran, wie meine Eltern sich nur deshalb
entschlossen hätten, mich auf eine so weite Reise zu schicken, weil sie
gewußt, daß ich sie in seiner Begleitung und unter seinem Schutze hin
und zurück machen könnte.

Er hätte aber keinen für seinen Zweck weniger geeigneten Grund ins Feld
führen können. Denn ich sagte mir sofort: dann würde ich ja auch wohl
warten müssen, bis wieder einmal eine Gesandtschaft nach Kosambi ginge,
bevor ich zu meiner Vasitthi zurückkehren könnte! Nein, ich wollte
meinem Vater schon zeigen, daß ich wohl imstande sei, allein eine
Karawane durch alle Beschwerlichkeiten und Gefahren des Weges zu leiten.

Diese Gefahren schilderte mir der Gesandte nun zwar drohend genug, aber
das alles war in den Wind gesprochen. Endlich verließ er mich in großem
Zorn: ihn treffe keine Schuld, ich müsse jetzt selber meine Torheit
ausbaden.

Mir war es, als ob eine große Last von mir genommen wäre. Ich hatte mich
ja jetzt so ganz meiner Liebe hingegeben. In diesem süßen Bewußtsein
schlief ich fest ein und erwachte erst, als es Zeit war, sich nach der
Terrasse zu begeben, wo unsere Geliebten unser harrten.

Nacht um Nacht trafen wir uns nun dort, und bei jeder Begegnung
entdeckten wir neue Schätze in unserer gegenseitigen Neigung und trugen
eine noch größere Sehnsucht nach dem Wiedersehen von dannen. Das
Mondlicht wollte mir silberner erscheinen, der Marmor kühler, der Duft
der Doppeljasminen berauschender, der Ruf der Kokila liebestrunkener,
das Rauschen der Palmen träumerischer und das unruhige Flüstern der
Asokas noch verheißungsvoller, als diese Dinge sonstwo in der Welt sein
mochten.

O, wie deutlich besinne ich mich auf jene herrlichen Asokas, die längs
der ganzen Terrasse standen, und unter denen wir so oft gewandelt sind,
uns mit den Armen umschlungen haltend! "Die Terrasse der Sorgenlosen"
wurde sie nach diesen Bäumen genannt, denn "den sorgenlosen Baum" und
auch "Herzensfrieden" nennen ja die Dichter den Asoka, den ich nirgends
so schön gewachsen gesehen habe wie gerade dort. Die speerförmigen,
nimmer ruhigen Blätter glänzten in den Mondstrahlen und lispelten im
leisen Nachtwinde, und zwischen ihnen glühten die goldigen,
orangefarbenen und scharlachroten Blumen, obschon die Vasantazeit erst
im Anzuge war. Aber wie sollten denn auch, o Bruder, diese Bäume dort
nicht schon in voller Blütenpracht stehen, da der Asoka ja gleich seine
Knospen öffnet, sobald der Fuß eines schönen Mädchens seine Wurzeln
berührt!

In einer wunderbaren Vollmondnacht--mir ist's, als sei es gestern
gewesen--stand ich unter diesen Bäumen neben der holden Ursache ihrer
Frühblüte, meiner lieblichen Vasitthi. Über den tiefen Schatten der
Schlucht schauten wir weit hinaus ins Land, sahen die Silberbänder der
beiden Flüsse sich durch die ungeheure Ebene winden und sich an der
hochheiligen Stätte vereinigen, die sie die "Dreilocke" nennen, weil sie
glauben, daß die himmlische Ganga als dritte sich dort mit ihnen
verbinde. Diese zeigte mir aber Vasitthi über den Wipfeln der
Bäume--denn mit diesem schönen Namen nennen sie ja hier das
Himmelslicht, das wir im Süden als die Milchstraße kennen.

Dann sprachen wir von dem mächtigen Himavat im Norden, aus dem die Ganga
herflutete, dessen Schneegipfel die Wohnung der Götter, dessen
unermeßliche Wälder und tiefe Felsenklüfte der Aufenthalt der großen
Asketen waren. Noch lieber aber folgte ich der Jamuna aufwärts.

"O," rief ich, "daß ich doch einen Märchennachen hätte, aus
Perlmutterschale, von meinen Wünschen besegelt, von meinem Willen
gelenkt, damit er uns jenen silbernen Strom hinauftragen könnte. Dann
müßte sich die Ilfenstadt wieder aus ihren Trümmern erheben, und die
ragenden Paläste würden vom Gelage der Zecher und vom Streit der
Würfelspieler widerhallen. Der Sand Kurukschetras müßte seine Toten
wiedergeben. Da würde der greise Bhishma, in silberner Rüstung und
weißem Gelock auf hohem Wagen emporragend, seine glattröhrigen Pfeile
über die Feinde regnen lassen; der tapfere Phagadatta würde auf seinem
kampfwütigen, rüsselschwingenden Ilfenstier heranstürmen, der gewandte
Krishna das weiße Viergespann Arjunas in das wildeste Kampfgetümmel
hineinjagen. O, wie sehr habe ich den Gesandten um seine Zugehörigkeit
zur Kriegerkaste beneidet, als er mir sagte, seine Vorfahren hätten an
jener unvergeßlichen Schlacht teilgenommen! Aber das war töricht! Denn
nicht nur im Geschlechte gibt es ja Vorfahren, sondern wir selber sind
unsere eigenen Vorfahren. Wo war ich damals? Vielleicht eben dort, unter
den Kämpfenden. Denn obwohl ich ein Kaufmannssohn bin, habe ich immer
meine größte Freude an Waffenspielen gehabt, und ich darf wohl sagen,
daß ich mit dem Degen in der Hand meinen Mann stelle."

Vasitthi umarmte mich stürmisch und nannte mich ihren Helden: ich sei
ganz gewiß einer jener Heroen, die in den Liedern leben. Welcher,
könnten wir freilich nicht wissen, da durch diesen süßen Wohlgeruch der
sorgenlosen Bäume der Duft des Korallenbaumes kaum zu uns dringen würde.

Ich fragte sie, was denn das für ein Duft sei, denn davon hatte ich nie
etwas gehört--wie ich denn überhaupt fand, daß, wie alles andere, auch
das Märchen hier an der Ganga üppiger blühte als bei uns im Gebirge.

Und sie erzählte mir, wie Krishna einst auf seinem Fluge durch Indras
Welt im Kampfspiel den himmlischen Korallenbaum gewonnen und ihn in
seinen Garten gepflanzt habe, einen Baum, dessen tiefrote Blüten weit in
die Runde ihren Duft verbreiten. Und wer diesen Duft eingesogen habe,
der erinnere sich in seinem Herzen langer, langer Vergangenheit, längst
entschwundener Zeiten aus früheren Leben.

"Aber nur die Heiligen können schon hier auf Erden diesen Duft
einatmen," sagte sie und fügte fast schalkhaft hinzu: "und wir beide
werden wohl keine werden. Aber was tut's? Wenn wir auch nicht Nala und
Damayanti waren, so haben wir uns gewiß so lieb gehabt wie sie,--welche
nun auch unsere Namen gewesen sein mögen. Und vielleicht sind Liebe und
Treue das einzig Wirkliche, das Namen und Gestalten wechselt. Sie sind
die Melodien, und wir die Lauten, auf denen sie gespielt werden. Die
Laute zerbricht, und eine andere wird gestimmt; aber die Melodie bleibt
dieselbe. Sie klingt freilich voller und feiner auf dem einen Instrument
als auf dem anderen, wie ja auch meine neue Vina viel schöner tönt als
die alte. Wir aber sind zwei herrliche Lauten für die Götter darauf zu
spielen, die wonnigste aller Weisen darauf ertönen zu lassen."

Ich drückte sie stumm an mich, innig ergriffen und verwundert ob solcher
seltsamen Gedanken. Sie aber fügte mit leisem Lachen hinzu, indem sie
wohl meine Gedanken erriet:

"Freilich darf ich eigentlich nicht solche Gedanken haben, denn unser
alter Hausbrahmane wurde einmal recht böse, als ich etwas Ähnliches
verlauten ließ: ich solle nur zu Krishna beten und das Denken den
Brahmanen überlassen. Da ich nun also nicht denken, wohl aber glauben
darf, so will ich glauben, daß wir wirklich und wahrhaftig Nala und
Damayanti waren."

Und indem sie ihre Hände betend zum blütenschimmernden,
blätterflimmernden Wipfel vor uns emporhob, sprach sie den Baum an mit
den Worten, die Damayanti, im Walde umherirrend, an den Asoka richtet,
nur daß die schmiegsamen Clokaverse des Dichters sich wie von selber auf
ihren Lippen mehrten und reicher blühten, wie ein Schößling, der in
geweihten Boden umgepflanzt ist:

"Du Sorgenloser! der Wehklage lausche der sorgenvollen Maid!
Der du den Namen trägst 'Herzfrieden'! diesem Herzen den Frieden schenk'!
Mit Blumenaugen umherspähend, sprechend mit Blätterzungen fein,
Gieb Kunde mir, wo mein Herzwalter wandert, wo jetzt mein Nala weilt".

Dann blickte sie mich mit liebevollen Augen an, in deren Tränen das
Mondlicht sich spiegelte, und sagte mit bebenden Lippen:

"Wenn du fern von hier bist und an diesen Ort unserer Seligkeit
zurückdenkst, dann stelle dir vor, daß ich hier stehe und so mit diesem
schönen Baume spreche. Nur sage ich dann nicht 'Nala', sondern
'Kamanita'."

Ich schloß sie in meine Arme und preßte meine Lippen auf die ihren.

In diesem Augenblick rauschte der Wipfel über uns. Eine große, leuchtend
rote Blume schwebte herab und ließ sich auf unsere tränenfeuchten Wangen
nieder. Vasitthi nahm sie lächelnd in die Hand, weihte sie mit einem
Kusse und reichte sie mir. Ich verbarg sie an meiner Brust.

Mehrere Blumen waren in dem Baumgange zur Erde gefallen. Medini, die
neben Somadatta auf einer Bank nicht weit von uns entfernt saß, sprang
auf, und, einige gelbe Asokablüten emporhaltend, rief sie, indem sie auf
uns zukam:

"Sieh, Schwester! Die Blumen fangen schon an abzufallen. Bald werden
genug für dein Bad da sein."

"Aber diese gelben darf Vasitthi freilich nicht in ihr Badewasser tun,"
fügte mein immer schalkhafter Freund hinzu, "wenn ihr blumenhafter Leib
ihrer Liebe gemäß blühen soll, sondern nur solche scharlachrote, wie
jene, die Freund Kamanita soeben in seinem Gewande verbarg. Denn im
goldenen Buch der Liebe heißt es: 'Safrangelbe Neigung nennt man sie,
wenn sie zwar in die Augen fällt, aber wieder verloren geht;
scharlachrot aber nennt man sie, wenn sie nicht wieder verloren geht und
übermäßig in die Augen fällt'"

Dabei lachten er und seine Medini auf ihre lustige, vertrauliche Weise.

Vasitthi aber antwortete ernst, wenn auch mit ihrem süßen Lächeln, indem
sie meine Hand fest und sanft drückte:

"Du irrst dich, lieber Somadatta! Meine Liebe hat keine Blumenfarbe.
Denn ich habe sagen hören, die Farbe der echtesten Liebe sei nicht rot,
sondern schwarz--schwarz wie der Hals Qivas wurde, als der Gott das Gift
verschlang, das sonst die Wesen vernichtet hätte. Und so muß es auch
sein: auch das Gift des Lebens muß die wahre Liebe vertragen können, und
willig muß sie das Bitterste kosten, um es dem Geliebten zu ersparen.
Und gewiß wird sie lieber davon ihre Farbe wählen, als von allen
leuchtenden Freuden."

Also sprach meine geliebte Vasitthi in jener Nacht unter den sorgenlosen
Bäumen.




VII. IN DER SCHLUCHT


Tief bewegt durch diese lebhafte Erinnerung, schwieg der Pilger eine
kleine Weile. Dann seufzte er, strich sich mit der Hand über die Stirn
und fuhr in seiner Erzählung fort.

Kurz, Bruder, ich ging während dieser ganzen Zeit wie in einem Rausche
von Seligkeit umher, und meine Füße schienen kaum mehr die Erde zu
berühren. Einmal mußte ich laut lachen, weil ich hörte, daß es Leute
gebe, die diese Welt ein Jammertal nennen und ihre Gedanken und Wünsche
darauf richten, nicht mehr unter den Menschen wiedergeboren zu werden.
"Welch ausgemachte Toren, Somadatta!" rief ich, "als ob es einen
vollkommeneren Ort der Seligkeit geben könnte als die Terrasse der
Sorgenlosen."

Aber unter der Terrasse war die Schlucht.

In diese waren wir gerade hinuntergeklettert, als ich jene törichten
Worte ausrief, und als sollte mir gezeigt werden, daß auch die höchste
Erdenwonne ihre Bitterkeit hat, wurden wir in demselben Augenblick von
mehreren bewaffneten Männern angefallen. Wie viele es waren, vermochten
wir in der tiefen Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Glücklicherweise
konnten wir uns den Rücken durch die Felsenwand decken, und mit dem
beruhigenden Bewußtsein, nur von vorn bedroht zu sein, fingen wir an,
für unser Leben und unsere Liebe zu fechten. Wir bissen die Zähne
zusammen und waren schweigsam wie die Nacht, während wir so ruhig wie
möglich parierten und stießen; unsere Gegner aber heulten wie die
Teufel, um sich gegenseitig anzufeuern, und wir vermeinten acht bis zehn
Stimmen unterscheiden zu können. Wenn sie nun auch ein paar bessere
Degen vorfanden, als sie erwartet haben mochten, so war unsere Stellung
doch ernst genug. Bald lagen aber zwei von ihnen auf der Erde, und ihre
Körper hinderten die anderen, die fürchteten, über sie zu stolpern und
so unseren Schwertspitzen überliefert zu werden, beträchtlich am
Kämpfen. Sie mochten sich einige Schritte zurückgezogen haben, denn wir
fühlten nicht mehr ihren heißen Atem im Gesicht.

Ich flüsterte Somadatta ein paar Worte zu, und wir rückten mehrere
Schritte zur Seite, in der Hoffnung, daß die Angreifer, uns an der alten
Stelle wähnend, einen plötzlichen Vorstoß machen und dabei anstatt an
uns an die Felsenwand geraten und an dieser ihre Schwertspitzen
zerbrechen würden, während die unserigen ihnen gehörig zwischen die
Rippen fahren sollten. Obwohl wir nun die äußerste Vorsicht
beobachteten, muß aber doch wohl ein leises Geräusch ihren Verdacht
erweckt haben. Denn der erhoffte blinde Angriff erfolgte nicht, wohl
aber sah ich plötzlich einen schmalen Lichtstreif die Wand treffen und
wurde auch gewahr, daß dieser Strahl von einem Lampendocht herkam, der
offenbar in einer vorsichtig geöffneten Dose steckte, neben der sich
auch eine warzige Nase und ein zusammengekniffenes Auge zeigten.

Da die Bambusstange, mit deren Hilfe wir die Terrasse erklommen hatten,
glücklicherweise sich noch in meiner linken Hand befand, stieß ich
beherzt zu--ein lauter Schrei, das Verschwinden des Strahls und das
Klirren des zu Boden gefallenen Lämpchens bezeugten, wie gut ich
getroffen hatte; und diesen Augenblick benutzten wir nun, in der
Richtung, in der wir gekommen waren, eilends davon zu laufen. Wir
wußten, daß hier die Kluft allmählich enger wurde und ziemlich steil
aufstieg, und daß man zuletzt ohne übermäßige Mühe die Höhe erklettern
konnte. Doch war es ein großes Glück, daß unsere Angreifer die
Verfolgung in der Finsternis sehr bald aufgaben, denn beim letzten
Aufstieg drohten meine Kräfte mich zu verlassen, und ich fühlte, daß ich
aus mehreren Wunden heftig blutete; auch mein Freund war verwundet,
obschon leichter.

Oben angekommen, zerschnitten wir mein Gewand und verbanden notdürftig
unsere Wunden, und so gelangte ich denn endlich, auf Somadattas Arm
gestützt, glücklich nach Hause, wo ich dann mehrere Wochen auf dem
Schmerzenslager zubringen mußte.

Da lag ich nun, von dreifachem Leid geplagt. Denn die Wunden und das
Fieber verbrannten mir den Leib, und sehrende Sehnsucht nach der
Geliebten verzehrte meine Seele--bald aber kam noch die Besorgnis um ihr
teures Leben hinzu. Denn das zarte, blumenhafte Wesen hatte die
Nachricht von der tödlichen Gefahr, in der ich geschwebt hatte und
vielleicht noch immer schwebte, nicht ertragen können und war von einer
schweren Krankheit befallen worden. Ihre getreue Milchschwester Medini
ging aber tagtäglich von einem Krankenlager zum anderen, und so fehlte
es uns wenigstens nicht an dauernder Verbindung und an sinnigem Verkehr.
Blumen wanderten zwischen uns hin und her, und da wir beide in die
Wissenschaft der Blumensprache eingeweiht waren, vertrauten wir uns
durch diese lieblichen Boten gar mancherlei an. Später, als unsere
Kräfte sich hoben, fand auch manch zierlicher Vers den Weg von Hand zu
Hand, und so hätte unser Zustand sich bald recht erträglich gestaltet,
wenn nicht mit der Genesung, der wir in gleichem Schritt uns
näherten--gleichsam zu treu verbunden, als daß der eine dem anderen
darin vorauseilen wollte--auch die Zukunft an uns herangetreten wäre und
uns mit schweren Sorgen erfüllt hätte.

Es war uns nämlich nicht verborgen geblieben, welcher Art jener
scheinbar so rätselhafte Überfall gewesen war. Kein anderer als der Sohn
des Ministers--Satagira war sein verhaßter Name--, mit dem ich an jenem
unvergeßlichen Nachmittage im Parke um Vasitthis Ball gerungen hatte:
kein anderer war es als er, der die gedungenen Mörder auf mich gehetzt
hatte. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß ich nach der Abreise der
Gesandtschaft noch immer in der Stadt zurückblieb, und sein dadurch
geweckter Argwohn hatte gar bald meine nächtlichen Besuche auf der
Terrasse erspäht.

Ach, jene Terrasse der Sorgenlosen war unserer Liebe jetzt wie ein
versunkenes Eiland. Wohl hätte ich freudig immer wieder und wieder mein
Leben in die Schanze geschlagen, um die Holde dort zu umfangen. Aber
selbst wenn Vasitthi das Herz gehabt hätte, mich allnächtlich tödlicher
Gefahr auszusetzen, so blieb uns doch eine solche Versuchung erspart.
Der böse Satagira mußte die Eltern meiner Geliebten von unseren geheimen
Zusammenkünften unterrichtet haben, denn es zeigte sich bald, daß
Vasitthi sorgfältig und argwöhnisch überwacht wurde, und daß der
Aufenthalt auf der Terrasse ihr nach Sonnenuntergang verboten
war--angeblich wegen ihrer noch gefährdeten Gesundheit.

So war denn unsere Liebe obdachlos! Die sich so gern im Verborgenen
heimisch fühlt, durfte nur dort zu Hause sein, wo es alle Welt war!--In
jenem öffentlichen Garten, wo ich zuerst ihre göttliche Gestalt erblickt
und sie ein paarmal schon vergebens gesucht hatte, trafen wir uns wie
von ungefähr. Aber was für eine Begegnung war das! Wie flüchtig die
gestohlenen Minuten, wie zaghaft und sparsam die hastigen Worte, wie
gezwungen die Bewegungen, die sich neugierigen oder wohl gar spähenden
Blicken ausgesetzt fühlten! Vasitthi beschwor mich, die Stadt, wo mir in
ihrer Nähe tödliche Gefahr drohte, sofort zu verlassen. Sie klagte sich
bitter an, daß sie an jenem unvergeßlichen ersten Abend auf der Terrasse
durch ihren Eigensinn mich zum Bleiben überredet und mich dadurch
beinahe schon in den Rachen des Todes getrieben habe; vielleicht würden
in diesem Augenblick neue Meuchelmörder gegen mich gedungen. Wenn ich
mich nicht durch schleunigste Abreise dieser Gefahr entzöge, machte ich
sie zur Mörderin ihres Liebsten! Unterdrücktes Schluchzen erstickte ihre
Stimme, und ich mußte daneben stehen, ohne sie in meine Arme schließen
und ihr die Tränen, die schwer wie Gewittertropfen ihre blassen Wangen
herabrollten, wegküssen zu können. Einen solchen Abschied ertrug ich
nicht, und ich erklärte ihr, ich könne nicht von dannen reisen, ohne
vorher eine Zusammenkunft mit ihr zu haben, wie diese nun auch zu
bewerkstelligen sei.

Vasitthis verzweifelt flehender Blick, als wir gerade in diesem Moment
durch das Nahen mehrerer Personen uns zu trennen genötigt wurden, konnte
meinen Entschluß nicht zum Wanken bringen. Ich vertraute auf die
Erfindungsgabe meiner Geliebten, die nunmehr, durch Sehnsucht nach mir
und durch Angst um mein Leben angespornt und von der schlauen und in
Liebessachen bewanderten Milchschwester Medini beraten, gewiß einen
Ausweg finden würde. Hierin täuschte ich mich nicht; denn noch in
derselben Nacht konnte Somadatta mir ihren recht verheißungsvollen Plan
mitteilen.




VIII. DIE PARADIESKNOSPE


Etwas außerhalb der östlichen Mauer Kosambis liegt ein schöner
Sinsapawald der eigentlich ein heiliger Hain ist. Auf einer Lichtung
steht noch das Heiligtum, freilich in sehr verfallenem Zustande. Schon
längst fand in diesem uralten Tempelchen kein Opferdienst mehr statt,
weil dem Krishna, dem es geweiht ist, ein neuer, weit größerer und
prachtvoller Tempel in der Stadt selber erstanden war. In der Ruine aber
hauste außer einem Eulenpaar eine Heilige, die des Rufes genoß, mit
Geistern in Verbindung zu stehen, durch deren Hilfe sie einen Einblick
in die Zukunft bekam--einen Einblick, den die gute Seele Opfergabe
darbietenden Mitmenschen nicht vorenthielt. Solche pilgerten denn auch
in großer Zahl zu ihr hin, und zwar vornehmlich nach Sonnenuntergang
junge verliebte Leute beiderlei Geschlechts, und es gab böswillige
Zungen, die behaupteten, die Alte sei eher eine Kupplerin, denn eine
Heilige zu nennen. Wie dem nun auch sein möge, _diese_ Heiligkeit war
gerade das, was wir brauchten, und ihr Tempelchen wurde als Stätte
unserer Zusammenkunft ausersehen.

Am nächsten Tage zog ich mit meinen Ochsenkarren ab, und zwar zu der
Stunde, da sich die Leute in den Bazar oder in die Gerichtshalle
begaben. Dabei wählte ich geflissentlich die belebtesten Straßen, so daß
meine Abreise meinem Feinde Satagira gewiß kein Geheimnis bleiben
konnte. Aber schon nach wenigen Stunden der Fahrt machte ich in einem
großen Dorfe Halt und ließ meine Karawane dort ihr Nachtquartier
beziehen, zu nicht geringer Freude meiner Leute. Ich selbst bestieg ein
frisches Pferd und ritt gegen Sonnenuntergang, in den groben Mantel
eines meiner Diener gehüllt, denselben Weg nach Kosambi zurück.

Es war völlig Nacht geworden, bis ich den Sinsapawald erreichte. Als ich
behutsam mein Reittier zwischen die Stämme hineinlenkte, wurde ich, wie
zum Willkommen, von dem herrlichen Dufte der Nachtlotusblüten auf dem
alten Krishnateiche empfangen. Bald zeichnete das zerbröckelnde, von
Götterbildern wimmelnde Tempeldach seine zackigen und wirren Formen
gegen den sternenfunkelnden Himmel. Ich war am Ziele. Kaum hatte ich
mich aus dem Sattel geschwungen, so waren auch meine Freunde schon an
meiner Seite. Mit einem Aufschrei des Entzückens stürzten Vasitthi und
ich einander in die Arme, halb besinnungslos vor Freude des
Wiedersehens, und ich weiß nur noch von Liebkosungen, stammelnden Worten
der Zärtlichkeit und Beteuerung unserer Liebe und Treue, bis ich jäh
emporschrak durch das unerwartete Gefühl eines weich fächelnden
Fittichs, der mir die Wange streifte, worauf sofort der Schrei einer
Eule und der häßliche Klang einer gesprungenen Bronzeglocke mich völlig
aus der Liebesverzückung erweckten.

Medini hatte am Strange der alten Gebetglocke gezogen und dadurch die
Eule aus der Nische, in der sie hauste, verscheucht. Dies tat das gute
Mädchen nicht so sehr, um die Heilige zu rufen, als vielmehr, weil sie
sah, daß diese schon zum Tempelchen herauskam, offenbar ungehalten, weil
sie Stimmen im heiligen Bezirk vernommen hatte, ohne daß geläutet oder
angepocht worden wäre.

Medini erklärte der Alten, der große Ruf ihrer Heiligkeit und ihrer
erstaunlichen Kenntnisse habe sie und diesen jungen Mann--wobei sie auf
Somadatta zeigte--bewogen, sie aufzusuchen, um Auskunft über das zu
erhalten, was von der Zeit noch verborgen sei. Die Heilige erhob prüfend
den Blick zum Himmel und meinte, da das Siebengestirn gerade eine
ungemein günstige Stellung zum Polarstern einnähme, dürfte sie
wohl hoffen, daß die Geister ihre Hilfe nicht versagen würden;
worauf sie Somadatta und Medini einlud, in das Haus Krishnas, des
sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams[1], einzutreten, der einem
liebenden Paar gern seine Herzenswünsche gewähre. Vasitthi und ich
blieben aber, als vermeintliche Dienerschaft, draußen zurück.

 [1] Die sich an diesen seltsamen Namen knüpfende Legende wird im
 Kapitel "Buddha und Krishna" erzählt--s.S. 242 ff.

Wie wir uns nun zuschwuren, daß nur der Alles hinraffende Tod uns sollte
trennen können, wie wir von meiner baldigen Rückkehr, sobald die
Regenzeit vorüber wäre, sprachen und Mittel und Wege erörterten, um ihre
sehr reichen Eltern dahin zu bringen, daß sie in unsere Verbindung
einwilligten, und wie dies von unzähligen Küssen, Tränen und Umarmungen
unterbrochen wurde: das wäre ich nicht einmal mehr imstande, dir genau
zu erzählen, denn es ist in meinem Gedächtnis nur wie die Erinnerung an
einen wirren Traum zurückgeblieben. Noch weniger aber kann ich, wenn du
selbst nicht Ähnliches erlebt hast, dir eine Vorstellung davon geben,
wie sich in jeder Umarmung wonniges Entzücken und herzzerreißende
Verzweiflung umschlangen; denn eine jede gemahnte daran, daß die letzte
für diesmal bald folgen würde; und wer stand dafür ein, daß diese dann
nicht die letzte überhaupt war?

Nur gar zu bald traten Somadatta und Medini wieder aus dem Tempel
heraus. Die Heilige wollte nun auch uns die Zukunft offenbaren, aber
Vasitthi entsetzte sich ob dieses Gedankens.

"Wie sollte ich es denn ertragen, wenn eine unheildrohende Zukunft sich
entschleierte?" rief sie aus.

"Warum denn auch gerade unheildrohend?" meinte die wohlwollende Alte,
die wohl wegen ihrer Heiligkeit freundliche Lebenserfahrungen gemacht
haben mochte. "Auch dem Diener blüht das Glück," fügte sie
verheißungsvoll hinzu.

Aber Vasitthi ließ sich durch ihre Worte nicht locken; schluchzend
umklammerte sie meinen Hals.

"Ach, mein einzig Geliebter," rief sie, "mir ist es, als ob die Zukunft
mit unerbittlichem Gesicht dreinschaute. O, ich fühle es,--ich werde
dich nie mehr wiedersehen!"

Obwohl mich diese Worte mit eisigem Schauer durchrieselten, versuchte
ich ihr doch diese grundlose Angst auszureden; aber eben, weil sie
grundlos war, vermochten meine beredtesten Worte wenig oder gar nichts.
Die Tränen rollten unaufhaltsam über Vasitthis Wangen; mit einem Blick
überirdischer Liebe ergriff sie meine Hand und drückte sie an ihre
Brust.

"Aber wenn wir uns hier nicht mehr sehen sollten, so wollen wir uns doch
treu bleiben, und wenn dies kurze und leidenvolle Erdenleben vorüber
ist, wollen wir uns im Paradiese wiederfinden und dort vereinigt auf
immer himmlische Wonne genießen.... O, Kamanita! Versprich mir das--wie
viel stärker wird das mich aufrichten als alle tröstenden Worte! Denn
diese sind ja doch gegen den unvermeidlichen, schon heranbrausenden
Schicksalsstrom so ohnmächtig wie das Schilf gegen die Wasserflut. Aber
allmächtig, neues Leben gebärend, ist der heilige, feste Entschluß."

"Wenn es nur darauf ankommt, geliebte Vasitthi--wie sollte ich dich dann
nicht überall finden?" sagte ich, "aber hoffen wir, daß es in dieser
Welt geschehen wird!"

"Hier ist Alles unsicher, und schon der Augenblick, in dem wir sprechen,
gehört uns nicht an--aber nicht so im Paradiese."

"Ach, Vasitthi," seufzte ich, "gibt es ein Paradies--und wo liegt es?"

"Wo die Sonne untergeht," sagte sie mit voller Überzeugung, "liegt das
Paradies des grenzenlosen Lichtes, und Allen, die den Mut haben, das
Irdische zu verachten und ihr Denken auf jenen Ort der Seligkeit zu
richten, steht dort eine reine Geburt bevor, aus dem Schoße einer
Lotusblume. Die erste Sehnsucht nach jenem Paradiese bringt dort im
heiligen, kristallklaren See eine Knospe hervor, jeder reine Gedanke,
jede gute Tat läßt sie anschwellen, während alles Böse, was in Gedanken,
Wort und Tat vollbracht wird, wie ein Wurm in ihr nagt und sie dem
Verwelken nahe bringt."

Ihre Augen leuchteten gleich Tempelkerzen, als sie so sprach mit einer
Stimme, die wie die lieblichste Musik klang.

Dann erhob sie ihre Hand und zeigte hinauf, wo über den schwarzen
Wipfeln der Sinsapabäume die Milchstraße sich in sanft strahlendem
Alabasterglanz durch die mit funkelnden Sternen übersäte, purpurdunkle
Himmelsebene streckte.--

"Sieh dort, Kamanita," rief sie--"die himmlische Ganga! Schwören wir bei
ihren silbernen Wellen, die die Lotusseen jener seligen Gefilde
speisen,--unsere ganze Seele darauf zu richten, dort unserer Liebe eine
ewige Heimat zu bereiten."

Seltsam bewegt, hingerissen und in meinem Innersten tief erschüttert,
erhob ich meine Hand zu der ihren, und unsere Herzen bebten gemeinsam
bei dem göttlichen Gedanken, daß in diesem Augenblick in unabsehbaren
Weltenfernen hoch über den Stürmen dieses irdischen Daseins eine
Doppelknospe ewigen Liebeslebens sich bildete.

Als ob hiermit ihre Kräfte erschöpft wären, sank Vasitthi in meine Arme,
wo sie wie leblos liegen blieb, nachdem sie noch einen hinsterbenden
Abschiedskuß auf meine Lippen gedrückt hatte.

Ich legte sie sanft in die Arme Medinis, bestieg mein Pferd und ritt
davon, ohne daß ich mich noch einmal umzusehen wagte.




IX. UNTER DEM RÄUBERGESTIRN


Als ich das Dorf, wo meine Leute Nachtquartier bezogen hatten, wieder
erreichte, zögerte ich nicht, diese zu wecken, und schon ein paar
Stunden vor Sonnenaufgang war die Karawane unterwegs.

Am zwölften Tage erreichten wir um die Mittagsstunde ein gar liebliches
Tal in der waldigen Gegend Vedisas. Ein kleiner kristallklarer Fluß wand
sich gemach durch die grünen Wiesen; die sanft ansteigenden Hügel waren
mit blühendem Gebüsch bestanden, das einen würzigen Duft verbreitete;
etwa in der Mitte der langgestreckten Talsohle und unfern dem Flüßchen
erhob sich ein Nyagrodhabaum, dessen undurchdringliche Laubkuppel einen
schwarzen Schatten auf die smaragdene Matte warf und, von ihren tausend
Nebenstämmen gestützt, einen Hain bildete, in dem wohl zehn Karawanen
wie die meinige hätten Obdach finden können.

Die Stelle war mir von der Hinreise wohl erinnerlich, und ich hatte sie
schon zur Lagerstätte ausersehen. Es wurde also Halt gemacht. Die
wegmüden Ochsen wateten in den Strom hinaus und tranken begehrlich das
kühle Naß, um sich dann am zarten Ufergras zu laben. Die Leute
erfrischten sich durch ein Bad und machten sich dann gleich daran, dürre
Zweige zu sammeln und ein Feuer zum Reiskochen anzuzünden, während ich
selbst--auch durch ein Bad erfrischt--mich im tiefsten Schatten, an eine
Wurzel des Hauptstammes angelehnt, hinstreckte, um an Vasitthi zu denken
und bald in der Tat von ihr zu träumen. An der Hand des geliebten
Mädchens schwebte ich durch paradiesische Gefilde.

Ein großes Geschrei brachte mich jäh zur rauhen Wirklichkeit zurück. Als
ob ein böser Zauberer sie aus der Erde hätte emporwachsen lassen,
wimmelten bewaffnete Männer um uns herum, und das nahe Gebüsch entsandte
immer neue. Sie waren schon bei den Wagen, die ich in einem Kreise um
den Baum hatte aufstellen lassen, und fochten mit meinen Leuten, die
alle im Gebrauch der Waffen geübt waren und sich tapfer verteidigten.
Bald war ich mitten im Kampfgetümmel. Mehrere Räuber fielen von meiner
Hand. Plötzlich sah ich einen großen, bärtigen Mann von schrecklichem
Aussehen vor mir; sein Oberkörper war unbekleidet, und um den Hals trug
er eine dreifache Reihe von Menschendaumen. Da wußte ich denn: "Das ist
der Räuber Angulimala, der grausame, der blutgierige, der die Dörfer
undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich macht, der die
Leute umbringt und ihre Daumen sich um den Hals hängt." Und ich glaubte
schon, meine letzte Stunde sei gekommen.

Wirklich schlug mir dies Ungetüm sofort das Schwert aus der Hand"-eine
Leistung, die ich keinem Wesen aus Fleisch und Blut zugetraut hätte.
Bald lag ich an Händen und Füßen gefesselt auf der Erde. Um mich her
waren alle meine Leute erschlagen bis auf einen, einen alten Diener
meines Vaters, der von der Menge überwältigt worden und, ebenso wie ich,
unverwundet in Gefangenschaft geraten war. Ringsum, unter dem schattigen
Dache des Riesenbaumes, in Gruppen gelagert, taten die Räuber sich
gütlich.

Jene kristallene Kette mit dem Tigerauge, von der ich dir schon erzählt
habe, wie sie beim Ringkampf mit Satagira um Vasitthis Ball zerriß"-jene
Kette, die mir meine gute Mutter beim Abschied als Amulett umgehängt
hatte, war mir durch Angulimalas blutige Mörderhand vom Halse gezerrt
worden. Noch viel schmerzlicher war mir aber der Verlust der Asokablume,
die ich seit jener Nacht auf der Terrasse immer an meinem Herzen
getragen hatte. Nicht weit von mir glaubte ich sie zu entdecken, ein
rotes Flämmchen im zerstampften Grase, gerade dort, wo die jüngsten
Räuber hin und her liefen, das dampfende Fleisch des schnell
geschlachteten und gebratenen Rindes und Kürbisflaschen mit Branntwein
den Schmausenden zu bringen. Mir war es, als ob sie mein Herz
zerstampften, so oft ich meine arme Asokablume unter ihren schmutzigen
Füßen verschwinden sah, um immer weniger leuchtend zum Vorschein zu
kommen, bis ich sie gar nicht mehr erspähen konnte. Und ich dachte, ob
wohl Vasitthi jetzt vor dem sorgenlosen Baume stände, um ihn zu
befragen? Wie gut dann, daß er ihr nicht sagen konnte, wo ich weilte,
denn gewiß hätte sie vor Schreck ihre zarte Seele ausgehaucht, wenn sie
mich in dieser Umgebung gesehen hätte.

Nur ein Dutzend Schritte von mir entfernt zechte der furchtbare
Angulimala selber mit einigen seiner Vertrauten. Fleißig machte die
Flasche die Runde, und die Gesichter"--mit Ausnahme eines einzigen, von
dem ich noch später sprechen werde"--wurden immer röter, während die
Räuber sich lebhaft, fast erregt unterhielten, ja bald in offenbaren
Streit gerieten.

Leider gehörte die Wissenschaft der Gaunersprache damals noch nicht zu
meinen vielen Fähigkeiten--woraus man ersieht, wie wenig der Mensch
beurteilen kann, welche Kenntnisse ihm am nützlichsten sein werden. Gar
zu gern hätte ich den Sinn ihrer lauten Rede verstanden, denn ich konnte
nicht in Zweifel sein, daß sie mich und mein Schicksal betraf. Die
Mienen und Gebärden zeigten mir das mit unheimlicher Deutlichkeit, und
wahre Flammenblicke, die unter den dichten, zusammengewachsenen Brauen
des Häuptlings von Zeit zu Zeit nach mir herüberblitzten, ließen mich
mein Amulett gegen den bösen Blick, das jetzt auf der zottigen Brust des
Ungeheuers selber erglänzte, sehr vermissen. In der Tat hatte ich, wie
ich später erfuhr, einen Liebling Angulimalas und dazu den besten Degen
der ganzen Bande vor seinen Augen niedergestreckt, und der Häuptling
hatte mich nur deshalb nicht getötet, weil er seine Rachsucht durch den
Anblick meiner langsamen Todesmarter zu stillen gedachte. Die anderen
aber wollten nicht zugeben, daß eine reiche Beute, die von Rechts wegen
der ganzen Bande gehörte, auf solche Weise nutzlos vergeudet würde. Ein
kahler, glatt rasierter Mann, der wie ein Priester aussah, fiel mir als
Angulimalas Hauptgegner auf, der allein es verstand, diesen Wilden zu
bändigen. Er war auch der einzige, dessen Gesichtsfarbe während des
Zechens seine Blässe bewahrte. Nach einem langen Streit, währenddessen
Angulimala ein paarmal in die Höhe fuhr und zum Schwerte griff, siegte
schließlich--zu meinem Heile--der professionelle Gesichtspunkt.

Die Bande Angulimalas gehörte nämlich zu den "Absendern"--so genannt,
weil es zu ihren Regeln gehört, von zwei Gefangenen den einen
abzusenden, damit er das geforderte Lösegeld auftreibe. Wenn sie einen
Vater und seinen Sohn gefangen nahmen, hießen sie den Vater gehen, das
Lösegeld für den Sohn zu beschaffen; von zwei Brüdern schickten sie den
älteren; war ein Lehrer mit seinem Jünger in ihre Hände gefallen, so
wurde der Jünger abgesandt, hatten sie einen Herrn und seinen Diener
gefangen, so mußte der Diener gehen--darum eben hießen sie "Absender".
Zu diesem Zwecke hatten sie, ihrer Sitte gemäß, jenen Diener meines
Vaters geschont, während sie alle meine anderen Leute niedermetzelten;
denn obschon etwas bejahrt, war dieser noch rüstig und sah klug und
erfahren aus--wie er denn auch schon mehrmals Karawanen geführt hatte.

Er wurde nun seiner Fesseln entledigt und noch an demselben Abend
abgeschickt, nachdem ich ihm eine vertrauliche Botschaft mitgegeben
hatte, an der meine Eltern die Richtigkeit der Sache erkennen konnten.
Bevor er sich auf den Weg begab, ritzte aber Angulimala einige Zeichen
in ein Palmblatt und übergab es ihm. Es war eine Art Geleitbrief für den
Fall, daß er auf dem Rückweg, wenn er die Summe bei sich trug, in die
Hände anderer Räuber fallen sollte. Denn Angulimalas Name war so
gefürchtet, daß selbst Räuber, die Königsgeschenke von der Straße
entführten, sich nimmer vermessen hätten, etwas, das sein Eigentum war,
auch nur anzurühren.

Auch mir wurden nun bald die Fesseln abgenommen, da man wohl wußte, daß
ich nicht töricht genug sein würde, einen Fluchtversuch zu machen. Das
erste, wozu ich meine Freiheit benutzte, war, daß ich nach der Stelle
hinstürzte, wo ich die Asokablume hatte verschwinden sehen. Aber ach,
nicht einmal mehr ein farbloses Restchen konnte ich von ihr entdecken!
Diese zarte Blumenflamme schien unter den rohen Räuberfüßen gänzlich zu
Asche zerstampft. War sie ein Wahrzeichen unseres Liebesglücks?

Ziemlich frei lebte und bewegte ich mich jetzt unter diesen gefährlichen
Gesellen, in der Erwartung des Lösegeldes, das binnen zwei Monaten
kommen mußte.

Da wir uns in der dunklen Hälfte des Monats befanden, gingen die
Diebstähle und Räubereien lebhaft vonstatten. Denn diese Zeit, die der
furchtbaren Göttin Kali gehört, wird fast ausschließlich zu den
regelmäßigen Geschäften benutzt, so daß keine Nacht ohne irgend einen
Überfall oder Einbruch verging. Mehrmals wurden auch ganze Dörfer
geplündert. In der fünfzehnten Nacht des abnehmenden Mondes aber wurde
Kalis Fest mit grauser Feierlichkeit begangen. Nicht nur Stiere und
zahllose schwarze Ziegen, sondern auch einige unglückliche Gefangene
wurden vor ihrem Bild geschlachtet; man stellte das Opfer vor den Altar
und öffnete ihm eine Schlagader, so daß das Blut gerade in den
aufgerissenen Mund der scheußlichen, mit Menschenschädeln behangenen
Gestalt spritzte. Danach folgte eine wilde Orgie, wobei die Räuber sich
im Rauschtrank bis zur Besinnungslosigkeit besoffen und sich mit den
Bajaderen ergötzten, die man zu diesem Zwecke mit beispielloser
Dreistigkeit aus einem großen Tempel entführt hatte. Angulimala, der in
seiner Weinlaune großmütig wurde, wollte auch mich mit einer schönen,
jungen Bajadere beglücken. Da ich aber in Erinnerung an Vasitthi das
Mädchen verschmähte, so daß es ob dieser Schmach in Tränen ausbrach,
geriet er darüber in eine solche Wut, daß er mich ergriff und auf der
Stelle erdrosselt hätte, wäre mir nicht jener kahle, glattrasierte
Räuber zu Hilfe gekommen. Wenige Worte von ihm genügten, um den eisernen
Griff des Häuptlings erschlaffen zu lassen und ihn dann, brummend wie
eine notdürftig bezähmte Bestie, fortzuschicken.

Dieser merkwürdige Mann, der jetzt zum zweitenmal mein Retter wurde--mit
Händen, die von dem von ihm geleiteten schrecklichen Kaliopfer noch
blutig waren--war der Sohn eines Brahmanen. Weil er aber unter einer
Räuberkonstellation geboren war, wandte er sich dem Räuberhandwerke zu.
Zuerst hatte er den "Würgern" angehört, trat aber auf Grund
wissenschaftlicher Erwägungen zu den "Absendern" über. Vom väterlichen
Hause her hatte er nämlich einen Hang zu religiösen Betrachtungen und
nicht weniger zu gelehrten Erörterungen ererbt. So leitete er einerseits
den Opferdienst als Priester--und man schrieb das seltene Glück dieser
Bande fast ebensosehr seiner Priesterwissenschaft wie der
Führertüchtigkeit Angulimalas zu--andererseits trug er auch die
Wissenschaft des Räuberwesens in systematischer Form vor, und zwar
sowohl die Technik wie die Moral; denn ich merkte zu meinem Erstaunen,
daß die Räuber eine solche hatten, und sich keineswegs für schlechtere
Menschen als andere hielten.

Diese Vorträge fanden besonders nachts in der lichten Hälfte des Monates
statt, in der--abgesehen von zufälligen Vorkommnissen--die Geschäfte
ruhten. Auf einer Waldwiese hockten die Zuhörer in mehreren
halbkreisförmigen Reihen um den ehrwürdigen Vajaçravas, der mit
untergeschlagenen Beinen dasaß. Sein mächtiger haarloser Schädel
erglänzte im Mondlicht, und seine ganze Erscheinung war der eines
vedischen Lehrers nicht unähnlich, der in der Stille der Mondnacht den
Insassen der Waldeinsiedelei die Geheimlehre mitteilt--aber manches
unheilig wilde Gesicht, ja manche Galgenphysiognomie war rings in der
Runde zu schauen. Mir ist es in der Tat, als ob ich sie in diesem
Augenblick sähe--als ob ich das tiefe auf und ab schwellende Brausen des
ungeheuren Waldes hörte, manchmal durch das ferne Gebrüll eines Tigers
oder das heisere Bellen des Panthers unterbrochen--und dazu, ruhig
fließend wie ein Strom, die Stimme Vajaçravas'--diesen tiefen,
volltönenden Baß, eine köstliche Erbschaft ungezählter Generationen von
Udgatars[1].

 [1] Vedischer Opfersänger.

Zu diesen Vorträgen hatte ich Zutritt, weil Vajaçravas eine Vorliebe für
mich gefaßt hatte. Er behauptete sogar, ich sei unter einem Räuberstern
geboren wie er, und ich würde mich einmal den Dienern Kalis zugesellen,
weshalb es mir nützlich sei, seiner Rede zu lauschen, die unzweifelhaft
den in mir noch schlummernden Trieb wachrufen würde. Ich habe da also
sehr merkwürdige Vorlesungen von ihm gehört über die verschiedenen
"Sekten Kalis"--gewöhnlich Diebe und Räuber genannt--und über ihre
unterschiedlichsten Gebräuche. Ebenso lehrreich wie unterhaltend waren
seine Exkurse über Themata wie: "Die Nützlichkeit der Dirnen zum
Hineinlegen der Polizei", oder "Kennzeichen der für Bestechung
zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges, nebst kurzer Anweisung
über die in Frage kommenden Geldbeträge". Von scharfsinnigster
Menschenbeobachtung und strengster Schlußfolgerung zeugte seine
Behandlung der Frage "Wie und warum die Spitzbuben sich auf den ersten
Blick gegenseitig erkennen, während die ehrlichen Leute es nicht tun,
und welche Vorteile aus diesem Umstande ersteren erwachsen", nicht zu
reden von den glänzenden Ausführungen: "Über die Stupidität der
Nachtwächter im allgemeinen, eine anregende Betrachtung für
Anfänger"--bei welchen der nächtliche Wald von einem Lachchor
widerhallte, so daß man von allen Seiten des Lagers zusammenströmte, um
zu hören, was los sei.

Aber auch trockene technische Fragen wußte der Meister interessant zu
behandeln, und ich erinnere mich wirklich fesselnder Schilderungen, wie
man geräuschlos eine Bresche in der Wand macht oder einen unterirdischen
Gang kunstgerecht anlegt. Die richtige Verfertigung der verschiedenen
Arten von Brecheisen, besonders des sogenannten "Schlangenmaules", sowie
des "krebsförmigen" Hakens wurde sehr anschaulich dargelegt; der
Gebrauch des leisen Saitenspieles, um zu erkunden, ob jemand wacht, und
des aus Holz gemachten Männerkopfes, den man zur Tür oder zum Fenster
hereinsteckt, um zu sehen, ob dieser vermeintliche Einbrecher bemerkt
wird--alles dies wurde gründlich besprochen. Seine Erörterungen, wie man
bei Ausführung eines Diebstahls unbedingt jeden umbringen müsse, der
später als Zeuge würde auftreten können, sowie die allgemeinen
Betrachtungen, wie ein Dieb nicht mit einem moralischen Wandel behaftet
sein dürfe, sondern rauh, hart und gewalttätig, gelegentlich dem
Rauschtrank und den Dirnen ergeben sein müsse, zählen zu den
gelehrtesten und geistreichsten Vorträgen, die ich je gehört habe.

Um dir aber eine richtige Vorstellung von diesem wahrhaft profunden
Geiste zu geben, muß ich dir die berühmteste Stelle aus seinem in fast
kanonischem Ansehen stehenden Kommentar zu den uralten Kali-Sutras, der
Geheimlehre der Diebe, hersagen.[1]

 [1] Über den indischen Sutrastil und das folgende Kapitel siehe die
 Note am Schlusse des Werkes.




X. Geheimlehre


Also: Das 476. Sutram lautet: _"Auch die göttliche, meint
ihr?--Nein!--Unverantwortlichkeit--wegen des Raumes der Schrift, der
Tradition."_

Der ehrwürdige Vajaçravas kommentiert dies folgendermaßen:

_"Auch die göttliche--"_ nämlich Strafe. Denn im vorhergehenden
Sutram war von solchen Strafen die Rede, welche der Fürst oder die
Obrigkeit über den Räuber verhängt, als da sind: Hand-, Fuß- und
Nasenverstümmelung, der Breikessel, der Pechkranz, das Drachenmaul, das
Spießrutenlaufen, der Marterbock, die siedende Ölbeträufelung, die
Enthauptung, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung bei lebendigem
Leibe--hinreichende Gründe, warum der Räuber sich womöglich nicht fangen
lassen darf, wenn er aber doch gefangen worden ist, auf jede Weise zu
entfliehen versuchen soll.

Nun meinen einige: auch göttliche Strafe drohe dem Räuber. "Nein," sagt
unser Sutram; und zwar deshalb nicht, weil _Verantwortungslosigkeit_
statthat. Welches auf drei Weisen ersichtlich ist: durch Vernunft, durch
den Veda und durch die überlieferten Heldenlieder.

_"Wegen des Raumes"_--hiermit ist folgende Vernunfterwägung gemeint.
Wenn ich einem Menschen oder einem Tier den Kopf abhaue, so fährt das
Schwert zwischen die unteilbaren Teilchen hindurch; denn diese selbst
kann es, eben wegen ihrer Unteilbarkeit, nicht durchschneiden. Was es
durchschneidet, ist der die Teilchen trennende leere Raum. Diesem aber
kann man, eben wegen seiner Leerheit, keinen Schaden zufügen. Denn einem
Nichts schaden ist gleich: nicht schaden. Folglich kann man durch dies
Durchschneiden des Raumes keine Verantwortlichkeit auf sich laden, und
eine göttliche Strafe kann nicht stattfinden. Wenn aber dies vom Töten
gilt, wieviel mehr dann von Handlungen, die von den Menschen geringer
bestraft werden!

Soweit die Vernunft, nunmehr die Schrift.

Der heilige Veda lehrt uns, daß das einzige wahrhaft Existierende, die
höchste Gottheit, das Brahman ist. Wenn dies aber wahr ist, dann ist
offenbar alle Tötung eine leere Täuschung. Dies sagt auch der Veda mit
deutlichen Worten an der Stelle, wo Yama, der Todesgott, den jungen
Naçiketas über dies Brahman belehrt und unter anderem sagt:

Wer, tötend, glaubt, daß er tötet,
Wer, getötet, zu sterben glaubt,
Irr geht dieser wie jener:--
Der stirbt nicht, und der tötet nicht.

Noch überzeugender aber wird diese abgründige Wahrheit im Heldenliede
von Krishna und Arjuna uns offenbart. Denn Krishna, der an sich das
ungewordene, unvergängliche, ewige, allgewaltige, unerdenkliche Wesen
war, der höchste Gott, der sich zum Heil der Wesen als Mensch hatte
gebären lassen--Krishna half in den letzten Tagen seines Erdenwandeins
dem Könige der Panduinge, dem hochherzigen Arjuna, im Kriege gegen die
Kuruinge, weil diese ihm und seinen Brüdern großes Unrecht getan hatten.
Als nun die beiden Heere in Schlachtordnung ihre waffenstrotzenden
Reihen einander gegenüberstellten, erblickte Arjuna auf der gegnerischen
Seite manchen einstigen Freund, manchen Vetter und Gevatter der
vergangenen Tage: denn die Panduinge und die Kuruinge waren Söhne von
zwei Brüdern. Und Arjuna ward im Herzen innig gerührt, und er zögerte,
das Zeichen zur blutigen Schlacht zu geben; denn er mochte nicht jene
töten, die einst die Seinen gewesen. So stand er gesenkten Hauptes, von
schmerzlichem Zaudern zernagt, unschlüssig auf seinem Streitwagen: und
neben ihm der goldene Gott, Krishna, der sein Wagenlenker war. Und
Krishna erriet die Gedanken des edlen Pandaverfürsten. Und er zeigte
lächelnd auf die beiden Heeresmassen und belehrte ihn, wie alle jene
Wesen nur scheinbar entstehen und vergehen, weil in ihnen allen nur das
eine unerstandene und unvergängliche, von der Geburt und vom Tode
unberührte Wesen besteht:

Wer einen für den Mörder hält,
Wer einen hier gemordet meint,
Der kennt und weiß von beiden nichts:--
Denn Keiner mordet, Keiner stirbt.
Wohlan, den Kampf beginne du!

Solchermaßen belehrt, gab der Pandaverfürst das Zeichen zum Beginn der
ungeheuren Schlacht und siegte. Also machte Krishna, der menschgewordene
höchste Gott, durch Offenbarung dieser großen Geheimlehre Arjuna von
einem flachsinnigen und weichherzigen Mann zu einem tiefsinnigen und
hartherzigen Weisen und Helden.

So gilt denn nun in Wahrheit folgendes:

Was Einer begeht und begehen läßt: wer zerstört und zerstören läßt, wer
schlägt und schlagen läßt, wer Lebendiges umbringt, Nichtgegebenes
nimmt, in Häuser einbricht, fremdes Gut raubt: Was Einer begeht, er
ladet keine Schuld auf sich.--Und wer da gleich mit einer scharf
geschliffenen Schlachtscheibe alles Lebendige auf dieser Erde zu einer
einzigen Masse Mus, zu einer einzigen Masse Brei machte, der hat darum
keine Schuld, begeht kein Unrecht. Und wer auch am südlichen Ufer der
Ganga verheerend und mordend dahinzöge, so hat der darum keine Schuld:
und wer da auch am nördlichen Ufer der Ganga spendend und schenkend
dahinzöge, so hat der darum kein Verdienst. Durch Milde, Sanftmut,
Selbstverzicht erwirbt man kein Verdienst, begeht man nichts Gutes.

Und es folgt nun das erstaunliche, ja schreckliche

               _477. Sutram_,

welches in seiner frappanten Kürze lautet:

_"Vielmehr--wegen des Essers."_

Den Sinn dieser wenigen, in tiefstes Geheimnis sich hüllenden Worte
erschließt uns der ehrwürdige Vajaçravas folgendermaßen:

Weit davon entfernt, daß göttliche Strafe dem Räuber und Totschläger
droht, findet "_vielmehr_" das Entgegengesetzte statt: nämlich
Gottähnlichkeit, was aus den Vedastellen hervorgeht, wo der höchste Gott
als der "_Esser_" gepriesen wird, wie:

Der Krieger und Brahmanen ißt wie Brot,
Das mit des Todes Brühe er begießt.

Wie nämlich die Welt in Brahman ihren Ursprung hat, so auch ihr
Vergehen, indem das Brahman sie immer wieder hervorgehen läßt und sie
immer wieder vernichtet. Gott ist somit nicht nur der Schöpfer, sondern
auch der Verschlinger aller Wesen, von denen hier nur "Krieger und
Brahmanen" genannt werden, als die Vornehmsten, die für alle stehen. Wie
es denn auch an einer anderen Stelle heißt:

Ich esse Alle, aber mich ißt niemand.

Diese Worte sagte nämlich der höchste Gott, als er in der Gestalt eines
Widders den Knaben Medhatithi zur Himmelswelt trug. Denn ungehalten über
seine gewaltsame Entführung verlangte dieser zu wissen, wer sein
Entführer sei: "Sage mir, wer du bist, sonst werde ich, ein Brahmane,
dich mit meinem Zorn treffen." Da gab nun der Widdergestaltige sich zu
erkennen als jenes höchste Brahman, das Alles in Allem ist, mit den
Worten:

Wer ist's, der tötet und gefangen nimmt?
Wer ist der Widder, der dich führt von dannen?
Ich bin es, der in dieser Form erscheint,
Ich bin es, der erscheint in allen Formen.

Wenn Einer fürchtet sich vor was auch immer,
Ich bin's, der fürchtet und der fürchten macht;
Doch in der Größe ist ein Unterschied:
Ich esse Alle, aber mich ißt niemand.

Wer könnte mich erkennen, wer erklären?
Ich schlug die Feinde alle, mich schlug niemand.

Hier muß es nun auch dem blödesten Auge klar werden, daß die
Brahmanähnlichkeit nicht darin liegen kann, geschlagen und gegessen zu
werden--wie es der Fall sein müßte, wenn Sanftmut und Selbstverzicht
etwas Gutes wäre--sondern im Gegenteil darin, alle Anderen zu schlagen
und zu essen--d.h. auszunutzen und zu vernichten--selbst aber von
niemand Schaden zu leiden.

Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß jene Lehre--von der
Höllenstrafe der Gewalttäter--von den Schwachen erfunden ist, um sich
vor der Gewalttätigkeit der Starken zu schützen, indem sie dadurch die
letzteren einschüchtern wollen.

Und wenn im Veda einige Stellen diese Lehre enthalten, so müssen
sie--weil mit den Hauptsätzen unvereinbar--von jenen fälschlich
eingeschoben worden sein.

Wenn also der Rigveda sagt, daß, obwohl die ganze Welt eigentlich
das Brahman ist, der Gott dennoch den Menschen als das
Brahmandurchdrungenste erkenne:--so muß nunmehr anerkannt werden,
daß unter den Menschen wiederum der echte und wahre Räuber das
Brahmandurchdrungenste Wesen ist und somit die Krone der Schöpfung
darstellt. Was aber den Dieb anbelangt, der sich zur Räuberschaft nicht
erhebt, so ist es, weil die Schrift des öfteren erklärt, daß die Meinung
"dies gehört mir" eine Wahnvorstellung ist, die dem höchsten Zwecke des
Menschen hinderlich ist, ohne weiteres klar, daß der Dieb, der eben die
beständige tatsächliche Widerlegung jenes Wahnes "dies gehört mir" zu
seiner Lebensaufgabe gemacht hat, die höchste Wahrheit vertritt. Doch
steht, wegen seiner Gewalttätigkeit, der Räuber höher.

So ist denn nun das "Krone-der-Schöpfung-Sein" des Räubers erwiesen,
sowohl durch Vernunfterwägung, wie mittelst der Schrift, und ist als
unwiderlegbar zu betrachten.




XI. DER ELEFANTENRÜSSEL


Nach dieser Probe der seltsamen Denkweise dieses außerordentlichen
Mannes--dem man wenigstens nicht, wie so vielen anderen berühmten
Denkern, zur Last legen kann, daß er seine Theorie nicht in die Praxis
umsetzte--nehme ich den Faden meiner Erzählung wieder auf.

Bei solchen mannigfachen Erlebnissen und neuen
Geistesbeschäftigungen--ich versäumte selbstverständlich nicht, die
Gaunersprache mir zu eigen zu machen--konnte die Wartezeit mir nicht
lang werden. Je mehr sie sich aber ihrem Ende näherte, um so mehr wurde
meine Seelenruhe durch drückende Besorgnisse erschüttert. Würde das
Lösegeld überhaupt ankommen? Wenn auch jener Geleitbrief den Diener
gegen Räuber schützte, so könnte ihn ja unterwegs ein Tiger zerreißen
oder ein angeschwollener Fluß fortschwemmen, oder irgend einer der
zahllosen, nicht vorauszusehenden Zufälle einer Reise ihn aufhalten, bis
es zu spät war. Die Flammenblicke Angulimalas schossen oft so böswillig
nach mir hin, als ob er diesen Fall erhoffte, und der Angstschweiß brach
mir dann aus allen Poren. Wie wundervoll systematisch eingeleitet und
scharf logisch begründet auch die Ausführung Vajaçravas' darüber war,
daß in jedem Fall, in dem das Lösegeld nicht zur rechten Stunde gebracht
würde, der Betreffende mit einer Baumsäge durchzusägen und beide Teile
mitten auf die Landstraße hinzuwerfen seien--und zwar der Kopfteil nach
der Seite des aufgehenden Mondes zu: so gestehe ich doch, daß meine
Bewunderung für diese wissenschaftlich gewiß staunenswerte Leistung
meines gelehrten Freundes durch eine eigentümliche Bewegung meines etwas
"betroffenen" Bauchfelles einigermaßen beeinträchtigt wurde, zumal als
wirklich die doppelzähnige Baumsäge, die bei solchen Gelegenheiten
benutzt wurde, hergebracht und zur Veranschaulichung von zwei grimmigen
Gesellen an einem einen Menschen vorstellenden Bündel in Wirksamkeit
gesetzt wurde.

Vajaçravas, der bemerkte, wie mir übel wurde, klopfte mir aufmunternd
auf die Schulter und meinte, das ginge mich ja nichts an. Dadurch
schöpfte ich natürlich die Hoffnung, daß er mich im Notfalle zum dritten
Male retten würde. Als ich aber in dankbarstem Tone etwas davon
verlauten ließ, machte er ein gar ernstes Gesicht und sprach:

"Wenn dir dein Karma wirklich so gram sein sollte, daß das Lösegeld
nicht zur rechten Zeit ankommt, und wäre es auch nur um einen halben Tag
verspätet, dann kann dir freilich kein Gott und kein Teufel helfen, denn
die Gesetze Kalis sind unverbrüchlich. Jedoch, sei getrost, mein Sohn!
Du bist noch zu ganz anderen Dingen bestimmt. Und für dich fürchte ich
eher, daß du einmal, nach einem ruhmreichen Räuberleben, auf einem
öffentlichen Platze enthauptet oder gepfählt wirst--doch das hat ja noch
gute Weile."

Ich könnte nicht sagen, daß dieser Trost mich sehr aufgerichtet hätte,
und so fühlte ich mich denn nicht wenig erleichtert, als eine volle
Woche vor Ablauf der Frist unser getreuer alter Diener mit der
geforderten Geldsumme eintraf. Ich nahm Abschied von meinem furchtbaren
Wirt, der in Erinnerung an seinen erschlagenen Freund finster
dreinblickte, als ob er mich lieber hätte durchsägen lassen, und drückte
zärtlich die Hand des Brahmanen, der eine Träne der Rührung durch die
Zuversicht bannte, wir würden uns sicher noch auf den nächtlichen Pfaden
Kalis begegnen. So zogen wir beide denn ab, von vier Räubern begleitet,
die mit ihrer Haut für unsere sichere Ankunft in Ujjeni hafteten. Denn
Angulimala, der um seine Räuberehre sehr besorgt war, versprach ihnen,
als er uns verabschiedete, wenn ich nicht heil in meiner Vaterstadt
abgeliefert würde, ihnen die Haut über die Ohren zu ziehen und ihre
Felle an den vier Ecken eines Kreuzweges aufzuhängen; und es war
bekannt, daß er immer sein Versprechen hielt. Glücklicherweise wurde das
hier nicht nötig, und die vier Gesellen, die sich unterwegs sehr wacker
betrugen, mögen noch in diesem Augenblick im Dienste der
schädelhalsbandschüttelnden Tänzerin sein.

Wir erreichten Ujjeni ohne weitere Abenteuer, und ich hatte in der Tat
auch an den erlebten genug. Die Freude meiner Eltern, mich
wiederzusehen, war unbeschreiblich. Um so unmöglicher war es, ihnen die
Erlaubnis abzuringen, bald wieder eine Reise nach Kosambi zu
unternehmen. Mein Vater hatte ja außer der nicht unbedeutenden Lösesumme
auch alle Waren meiner Karawane und alle Leute verloren und war so bald
nicht imstande, eine neue Karawane auszurüsten. Aber dies war nur ein
kleines Hindernis im Verhältnis zu dem Schrecken, der meine Eltern beim
Gedanken an die Gefahren des Weges befiel. Auch hörte man ab und zu
immer wieder von furchtbaren Taten Angulimalas, und ich kann nicht
leugnen, daß es mich wenig gelüstete, noch einmal in seine Hände zu
fallen. Eine Botschaft nach Kosambi gelangen zu lassen, gab es in dieser
Zeit durchaus keine Möglichkeit, und so mußte ich mich denn mit der
Erinnerung begnügen und in fester Zuversicht auf die Treue meiner
angebeteten Vasitthi mich auf bessere Zeiten vertrösten.

Diese kamen denn endlich auch. Eines Tages flog wie ein Lauffeuer die
Nachricht durch die Stadt, der schreckliche Angulimala sei von Satagira,
dem Sohne des Ministers in Kosambi, aufs Haupt geschlagen, die Bande
niedergemetzelt oder zersprengt, der Häuptling aber mit vielen der
hervorragendsten Räuber gefangen genommen und hingerichtet worden.

Nun konnten meine Eltern meinen stürmischen Bitten nicht mehr
widerstehen. Man hatte in der Tat guten Grund, anzunehmen, daß jetzt für
längere Zeit die Straßen frei sein würden, und mein Vater war nicht
abgeneigt, wieder mit einer Karawane sein Glück zu versuchen. Da befiel
mich plötzlich eine Krankheit, und als ich vom Lager wieder aufstand,
war die Regenzeit schon so nahe herangerückt, daß man diese erst
abwarten mußte. Dann stand aber auch meiner Abreise nichts mehr
entgegen. Mit vielen Ermahnungen zur Vorsicht nahmen meine Eltern
Abschied von mir, und ich befand mich wieder unterwegs an der Spitze
einer wohlversehenen Karawane von dreißig Ochsenkarren, freudigen und
mutigen Herzens und von brennender Sehnsucht getrieben.

Unsere Reise ging so glatt vonstatten, wie das erste Mal, und an einem
schönen Morgen zog ich, halb närrisch vor Freude, in Kosambi ein. Hier
gewahrte ich nun bald ein ungewöhnliches Menschengedränge in den
Straßen. Ich kam infolgedessen immer langsamer vorwärts, bis mein Zug an
einer Stelle, wo er eine Hauptverkehrsader der Stadt zu durchkreuzen
hatte, endlich völlig zum Stillstehen gebracht wurde. Es war
schlechterdings nicht möglich, durch die Menge hindurchzudringen, und
ich bemerkte nun auch, daß jene Hauptstraße durch Fahnenstangen, von den
Fenstern und Söllern herabhängende Teppiche und querüber gespannte
Blumengewinde aufs prächtigste geschmückt war--wie für irgend einen
Aufzug. Fluchend vor Ungeduld, fragte ich die vor mir Stehenden, was
hier los sei.

"Ei," riefen sie, "weißt du denn nicht, daß heute Satagira, der Sohn des
Ministers, seine Hochzeit feiert? Du kannst dich glücklich preisen,
gerade zu rechter Zeit eingetroffen zu sein, denn der Zug kommt jetzt
vom Krishnatempel hier vorüber, und eine solche Pracht hast du gewiß
noch nirgends gesehen."

Daß Satagira Hochzeit hielt, war mir eine ebenso wichtige wie
willkommene Nachricht, weil sein Werben um meine Vasitthi bei ihren
Eltern eins der größten Hindernisse für unsere Vereinigung gewesen wäre.
So ließ ich mir denn das Warten gefallen, um so mehr als es nicht lange
dauern konnte; denn schon waren die Lanzenspitzen einer Reiterabteilung
sichtbar, die unter ohrenbetäubendem Jubel vorüberzog. Diese Reiter
genossen, wie man mir mitteilte, in Kosambi die größte Volksgunst, weil
hauptsächlich sie es waren, die die Bande Angulimalas unschädlich
gemacht hatten.

Fast unmittelbar hinter ihnen kam der Elefant, der die Braut
trug--allerdings ein überwältigender Anblick. Die knorrige, hügelartige
Stirn des Riesentieres war, dem Götterberg Meru ähnlich, mit einem Flor
von mannigfarbigen Edelsteinen bedeckt. Wie bei einem brünstigen
Ilfenstier der Saft an den Schläfen und Wangen herabträufelt, und
Bienenschwärme, von seinem süßen Duft angelockt, darüber hängen, also
erglänzten hier Schläfen und Wangen von den wundervollsten Perlen und
darüber baumelten durchsichtige Gehänge von schwarzen Diamanten--eine
Wirkung, die zum Aufschreien schön war. Die mächtigen Hauer waren mit
dem feinsten Golde beschlagen; und aus demselben edlen Metalle war die
mit großen Rubinen besetzte Brustplatte, von der der duftigste blaue
Benaresmusselin herabhing und die kräftigen Beine des Tieres--wie
Morgennebel die Baumstämme--leicht umwallte.

Aber es war der Rüssel des Staatselefanten, der vor allem meinen Blick
fesselte. Auch zu Hause, in Ujjeni, hatte ich ja bei Prozessionen sehr
prachtvolle Dekorationen der Elefantenrüssel gesehen, aber niemals eine,
die so geschmackvoll gewesen wäre wie diese. Bei uns nämlich wurde der
Rüssel in Felder eingeteilt, die irgend ein feines Muster bildeten, und
war also ganz mit Farbe gedeckt. Hier aber war die Haut als Untergrund
frei gelassen, und über diesen astähnlichen Grund war ein loses
Laubgeranke von lanzettförmigen Asokablättern geschlungen, aus dem
gelbe, orangefarbene und scharlachrote Blumen hervorleuchteten--Alles in
köstlichster ornamentaler Stilisierung ausgeführt.

Während ich nun mit dem Blick eines Kenners dies Wunderwerk studierte,
kam ein gar wehmütiges Gefühl über mich, indem ich gleichsam den ganzen
Liebesduft jener seligen Nächte auf der Terrasse wieder einatmete. Mein
Herz begann heftig zu pochen, da ich unwillkürlich an meine eigene
Hochzeit denken mußte; denn welcher Schmuck konnte sinniger erfunden
werden für das Tier, welches dereinst Vasitthi tragen sollte, als gerade
dieser, da ja die "Terrasse der Sorgenlosen" wegen ihrer wunderbaren
Asokablüten in ganz Kosambi berühmt war?

In diesem fast traumhaften Zustande vernahm ich, wie eine Frau neben mir
zu einer anderen sagte:

"Aber die Braut--die sieht doch gar nicht fröhlich aus!"

Unwillkürlich blickte ich in die Höhe, und ein seltsam unheimliches
Gefühl beschlich mich, als ich die Gestalt gewahr wurde, die dort unter
dem purpurnen Baldachin saß. Gestalt, sage ich--das Gesicht konnte ich
nicht sehen, weil der Kopf vornüber auf die Brust gesunken war--aber
auch von einer Gestalt sah man wenig, und es schien, als ob in jener
Masse von regenbogenfarbigen Musselins, wenn auch ein Körper, so doch
kein mit lebendiger, widerstandsfähiger Kraft begabter steckte. Die Art
und Weise, wie sie hin und her schwankte bei den Bewegungen des Tieres,
dessen mächtige Schritte das Zelt auf seinem Rücken in starkes Schaukeln
versetzten, hatte etwas unsagbar Trauriges, ja fast etwas
Grauenerregendes an sich. Man konnte in der Tat befürchten, daß sie im
nächsten Augenblick herunterstürzen würde. Eine solche Furcht mochte
auch die hinter ihr stehende Dienerin bewegen, denn sie faßte die Braut
an den Schultern und neigte sich zu ihr vor, um ihr aufmunternde Worte
ins Ohr zu flüstern.

Ein eisiger Schreck lähmte mich, als ich in dieser vermeintlichen
Dienerin--Medini erkannte. Und ehe mir diese Ahnung noch deutlich
geworden war, hatte die Braut Satagiras den Kopf erhoben.

Es war meine Vasitthi.




XII. AM GRABE DES HEILIGEN VAJAÇRAVAS


Ja, sie war es. Keine Möglichkeit, sich in diesen Zügen zu
täuschen,--und doch ähnelten sie sich selber nicht, und ähnelten in der
Tat nichts, das ich je gesehen hatte; in einem so namenlosen,
übermenschlichen Jammer schienen sie versteinert zu sein.

Als ich wieder zur Besinnung kam, zogen gerade die Letzten des Zuges
vorüber. Man schrieb meine plötzliche Ohnmacht der Hitze und dem
Menschengedränge zu. Willenlos ließ ich mich in die nächste Karawanserei
bringen.

Hier warf ich mich in der dunkelsten Ecke nieder, das Gesicht nach der
Wand gekehrt, und blieb da, in Tränen gebadet und alle Speise
verschmähend, tagelang liegen, nachdem ich jenem alten Diener und
Karawanenführer, der mich schon auf der ersten Fahrt begleitet,
Anweisung gegeben hatte, so schnell wie möglich und selbst unter
schlechten Bedingungen unsere Waren loszuschlagen, da ich zu krank sei,
um mich mit Geschäften abzugeben. In der Tat konnte ich nur an meinen
unfaßbaren Verlust denken; auch wollte ich mich nicht in der Stadt
zeigen, um von niemand erkannt zu werden. Denn ich wollte vor allem
verhindern, daß Vasitthi von meiner Anwesenheit etwas erführe.

Ihr Bild, wie ich sie zuletzt gesehen, schwebte mir fortwährend vor der
Seele. Wohl war ich über ihren Wankelmut oder eher ihre Schwäche
entrüstet; denn ich sah wohl ein, daß nur die letzte in Frage kam, und
daß sie dem Drängen der Eltern nicht hatte widerstehen können. Daß sie
dem triumphierenden Ministersohn nicht ihr Herz zugewandt hatte, davon
zeugten ihre Haltung und Miene deutlich genug. Wenn ich mich aber ihrer
erinnerte, wie sie im Krishnahaine leuchtenden Blickes mir ewige Treue
zugeschworen hatte, verstand ich nicht, wie es möglich war, daß sie so
bald nachgegeben hatte, und ich sagte mir unter bitterem Seufzen, daß
auf Mädchenschwüre kein Verlaß sei. Aber immer wieder tauchte jenes
Gesicht voll tiefsten Jammers vor mir auf--und sofort war dann auch
jeder Groll verscheucht, nur das innigste Mitleid wallte ihm entgegen;
und so beschloß ich fest, ihren Kummer nicht dadurch noch zu vermehren,
daß von meiner jetzigen Anwesenheit in Kosambi ihr etwas zu Gehör käme.
Nie mehr sollte sie etwas von mir erfahren; sicher würde sie dann
glauben, daß ich gestorben sei, und sich in ihr Schicksal, dem es ja an
äußerem Glanz nicht fehlte, nach und nach ergeben.

Ein günstiger Umstand fügte es, daß mein alter Diener unerwartet schnell
die Waren sehr vorteilhaft eintauschte oder verkaufte, so daß ich schon
nach wenigen Tagen in früher Morgenstunde mit meiner Karawane Kosambi
verlassen konnte.

Als ich nun durch das westliche Stadttor hinausgekommen war, wandte ich
mich um und warf einen letzten Blick auf die Stadt, in deren Mauern ich
so Unvergeßliches an Freude und Leid erlebt hatte. Vor einigen Tagen,
als ich eingezogen, war ich dermaßen von ungeduldiger Erwartung erfaßt
gewesen, daß ich für nichts in der Nähe ein Auge gehabt hatte. So wurde
ich denn jetzt zum ersten Male gewahr, daß nicht nur die Zinnen des
Tores, sondern auch der Mauerrand zu beiden Seiten mit aufgespießten
Menschenköpfen schrecklich geschmückt war?

Kein Zweifel--es waren die Köpfe der hingerichteten Räuber aus der Bande
Angulimalas!

Zum ersten Male, seitdem ich Vasitthis Gesicht unter dem Baldachin
gesehen, erfüllte mich jetzt ein anderes Gefühl als das der Trauer,
indem ich mit unaussprechlichem Schauder diese Köpfe betrachtete, von
denen die Geier längst nur das Knochengerüst übrig gelassen hatten und
höchstens noch die Zöpfe oder hier und dort einen Bart, dessen
Urwüchsigkeit sein Gebiet geschützt hatte. So wären sie alle unerkennbar
gewesen, wenn nicht einer durch den wilden, roten Bart, ein anderer
durch die nach der Art der asketischen Flechtenträger am Scheitel
aufgewundenen Zöpfe sich verraten hätte. Diese beiden und zweifelsohne
auch viele der anderen hatten mir oft in der nächtlichen Runde
kameradschaftlich zugenickt, und ich erinnerte mich mit entsetzlicher
Anschaulichkeit, wie dieser rote Bart, im Mondesstrahle sprühend, bei
jenem Vortrage über die Stupidität der Nachtwächter vor Lustigkeit
gewackelt hatte, ja fast vermeinte ich aus dem lippenlosen Munde noch
das dröhnende Gelächter zu hören.

Aber auf der mittleren Torzinne erglänzte, etwas über die anderen
erhoben, ein mächtiger Schädel im Strahle der aufgehenden Sonne und zog
gebieterisch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wie sollte ich diese
Formen nicht wiedererkennen? Der war's, der uns damals zum Lachen
gebracht hatte, ohne selbst eine Miene seines Brahmanengesichtes zu
verziehen. Vajaçravas' Kopf dominierte hier, während der Angulimalas
zweifelsohne über dem östlichen Stadttor aufgesteckt war. Und ein
sonderbares Gefühl beschlich mich bei dem Gedanken, wie gründlich er
einst die verschiedenen Arten von Todesstrafen expliziert hatte--das
Vierteilen, das Zerreißen durch Hunde, die Pfählung, die
Enthauptung--und wie sorgfältig er dadurch begründen wollte, daß der
Räuber sich nicht fangen lassen dürfe; wenn er aber schon einmal
gefangen sei, versuchen müsse, durch alle Mittel zu entfliehen. Ach! Was
hatte ihm seine Wissenschaft geholfen? So wenig vermag der Mensch seinem
Schicksal zu entgehen, das ja nur die Frucht unserer Taten ist--sei es
in diesem, sei es in einem vorhergehenden Leben!

Und mir war es, als ob er durch seine leeren Augenhöhlen mich gar ernst
betrachtete und sein halb geöffneter Mund mir zuriefe: "... Kamanita,
Kamanita! betrachte mich genau, achte wohl auf diesen Anblick! Auch du,
mein Sohn, bist unter einem Räubergestirn geboren, auch du wirst die
nächtigen Pfade Kalis betreten, und ebenso wie ich hier, wirst auch du
einmal irgendwo enden."

Aber seltsam genug: diese Phantasie, die so lebhaft wie eine sinnliche
Wahrnehmung war, erfüllte mich nicht mit Schrecken und Schaudern. Meine
vermeintlich vorgeschriebene Räuberlaufbahn, der ich noch nie einen
ernsten Gedanken geschenkt hatte, stand plötzlich nicht nur in ernstem,
sondern sogar in verlockendem Lichte vor mir.

Räuberhäuptling!--Was konnte mir Elenden erwünschter sein? Denn daran
zweifelte ich keinen Augenblick, daß ich mit meinen vielen Fähigkeiten
und Kenntnissen, und besonders mit denen, die ich dem Unterricht des
ehrwürdigen Vajaçravas verdankte, eine leitende Stellung einnehmen
würde. Und welche Stellung käme denn für mich der eines Räuberhäuptlings
gleich? War doch selbst die eines Königs dagegen gering zu schätzen.
Denn konnte die mir Rache an Satagira verschaffen? Konnte die Vasitthi
in meine Arme führen? Ich sah mich selbst mitten im Walde im Kampfe mit
Satagira, dem ich mit einem wuchtigen Schwerthieb den Schädel spaltete;
und wieder sah ich mich, wie ich die ohnmächtige Vasitthi in meinen
Armen aus dem brennenden, von Räuberstimmen widerhallenden Palast
entführte.

Zum ersten Maie seit jenem jammervollen Anblick schlug mein Herz wieder
mutig und hoffnungsvoll einer Zukunft entgegen; zum ersten Male wünschte
ich mir nicht den Tod, sondern das Leben.

Von solchen Bildern erfüllt war ich kaum tausend Schritte weiter
gezogen, als ich vor mir auf dem Wege eine von der entgegengesetzten
Seite kommende Karawane halten sah, während der Führer an einem kleinen
Hügel unmittelbar an der Landstraße offenbar ein Opfer darbrachte.

Ich ging auf ihn zu, grüßte ihn höflich und fragte ihn, welche Gottheit
er hier verehrte.

"In diesem Grabe," antwortete er, "ruht der heilige Vajaçravas, dessen
Schutze ich es verdanke, daß ich, durch eine gefährliche Gegend ziehend,
heil und unversehrt an Leib und Gut nach Hause komme. Und ich rate dir
sehr, es ja nicht zu versäumen, hier ein passendes Opfer darzubringen.
Denn wenn du auch beim Einziehen in das waldige Gebiet hundert Waldhüter
mietetest, so würden die dir keine so gute Hilfe gegen Räuber sein, wie
es der Schutz dieses Heiligen ist."

"Mein lieber Mann!" entgegnete ich, "dieser Grabhügel scheint nur wenige
Monate alt zu sein, und wenn in ihm ein Vajaçravas begraben liegt, so
wird das gewiß kein Heiliger sein, sondern der Räuber dieses Namens."

Der Kaufmann aber nickte ruhig zustimmend.

"Der nämliche--gewiß.... Ich sah, wie er an dieser Stelle gepfählt
wurde. Und sein Kopf steckt noch über dem Tor. Nachdem er aber so die
vom Fürsten verhängte Strafe erlitten hat, ist er, dadurch von seinen
Sünden geläutert, fleckenlos in den Himmel eingegangen, und sein Geist
schützt jetzt den Reisenden gegen Räuber. Auch sagt man übrigens, daß er
schon während seines Räuberlebens ein gar gelehrter und fast heiliger
Mann gewesen sei; denn er wußte selbst geheime Teile des Veda
auswendig--wenigstens heißt es so."

"Das verhält sich wirklich so," versetzte ich, "denn ich habe ihn sehr
gut gekannt und darf mich sogar seinen Freund nennen."

Als der Kaufmann mich bei diesen Worten etwas erschrocken ansah, fuhr
ich fort:

"Du mußt nämlich wissen, daß ich einst bei dieser Bande in
Gefangenschaft geraten war, und daß Vajaçravas mir bei dieser
Gelegenheit zweimal das Leben gerettet hat."

Der Blick des Kaufmanns ging vom Schrecken zu bewunderndem Neid über:

"Nun, dann kannst du dich wahrlich glücklich preisen. Stünde ich so bei
ihm in Gunst, dann würde ich in wenigen Jahren der reichste Mann in
Kosambi sein. Und nun, eine glückliche Reise, Beneidenswerter!"

Damit ließ er seine Karawane sich wieder in Bewegung setzen.

Ich versäumte selbstverständlich nicht, am Grabe meines berühmten und
verehrten Freundes eine Totenspende niederzulegen, mein Gebet ging aber,
allen anderen hier abgehaltenen entgegen, darauf hinaus, daß er mich
geradeswegs in die Arme der nächsten Räuberbande leiten sollte, der ich
mich dann mit seiner Hilfe anschließen wollte und deren Führung, woran
ich nicht zweifelte, bald von selber in meine Hände übergehen würde.

Es sollte sich aber deutlich zeigen, daß mein gelehrter und nunmehr
durch Volksmund heilig gesprochener Freund sich geirrt hatte, als er
annahm, eine Räuberkonstellation habe über meiner Geburt geleuchtet.
Denn auf dem ganzen Weg nach Ujjeni trafen wir keine Spur von Räubern,
und doch wurde, kaum eine Woche nachdem wir einen großen Wald hart an
der Grenze Avantis gekreuzt hatten, eine Karawane, der wir begegnet
waren, in eben diesem Walde von Räubern überfallen.

Es ist mir eine Quelle sonderbarer Betrachtungen gewesen, daß es
anscheinend auf einem reinen Zufall beruhte, wenn ich im bürgerlichen
Leben blieb, anstatt, wie mein Herz brennend begehrte, in das
Räuberleben einzutreten. Freilich mag wohl von den nächtigen Pfaden
Kalis auch einer auf den Weg der Pilgerschaft ausmünden, wie ja auch von
den vom Herzen ausgehenden, mit fünffarbigem Safte erfüllten
hundertundein Adern eine einzige nach dem Kopfe führt und diejenige ist,
durch welche beim Tode die Seele den Körper verläßt. So könnte ich ja
auch in dem Falle, daß ich Räuber geworden wäre, noch immer jetzt ein
Pilger sein und mich auf dem Wege nach dem Ziele der Erlösung befinden.
Wenn aber Einer die Erlösung erlangt, dann werden seine Werke, böse wie
gute, zu nichts, durch die Glut des Wissens gleichsam zur Asche
verbrannt.

Auch muß ich sagen, daß jene Zwischenzeit, im Räuberleben oder im
bürgerlichen verbracht, vielleicht hinsichtlich der moralischen Früchte
nicht so verschieden ausgefallen wäre, wie es dir, o Bruder, wohl
scheinen mag. Denn ich habe, während ich unter den Räubern lebte, wohl
bemerkt, daß es auch unter ihnen sehr verschiedenartige Leute gibt, und
zwar einige mit sehr vortrefflichen Eigenschaften, und daß, wenn man von
gewissen Äußerlichkeiten absieht, der Unterschied zwischen Räubern und
ehrlichen Leuten nicht ganz so ungeheuer ist, wie die letzteren es sich
gern vorstellen. Und andererseits habe ich in der reifen Periode meines
Lebens, in die ich nunmehr eintrat, nicht umhin können zu bemerken, daß
die ehrlichen Leute den Dieben und Räubern in das Handwerk pfuschen,
einige gelegentlich und gleichsam improvisierend, andere beständig und
mit großer und für sie sehr bekömmlicher Meisterschaft, so daß durch
gegenseitige Annäherung sogar nicht wenig Berührung zwischen beiden
Gruppen stattfindet.

Weshalb ich denn auch nicht weiß, ob ich durch das günstige Schicksal,
das mich von den nächtigen Pfaden der schädelhalsbandschüttelnden
Tänzerin fernhielt, eigentlich so sehr viel gewonnen habe."--

Nach dieser tiefsinnigen Betrachtung schwieg der Pilger Kamanita und
richtete in Sinnen versunken seinen Blick nach dem Vollmond, der groß
und glühend draußen über dem fernen Wald--dem Aufenthalt der
Räuber--aufstieg und sein Licht gerade in die offene Halle des Hafners
hereinströmen ließ, wo es den gelben Mantel des Erhabenen in lauteres
Gold zu verwandeln schien, wie die Bekleidung eines Götterbildes.

Der Erhabene, auf den der Pilger, vom Glanze angezogen und dennoch ohne
zu ahnen, wen er sah, unwillkürlich seinen Blick richtete, gab durch ein
langsames Kopfnicken seine Teilnahme zu erkennen und sagte:

"Noch seh' ich dich, Pilger, vielmehr der Häuslichkeit als der
Hauslosigkeit zuschreiten, obwohl der Weg in die letztere sich dir
wahrlich deutlich genug eröffnet hatte."

"So ist es, Ehrwürdiger! Blöden Auges sah ich diesen Ausweg nicht,
sondern schritt eben, wie du sagtest, der Häuslichkeit zu."

Und nach einem tiefen Seufzer fuhr der Pilger mit frischer und heiterer
Stimme in dem Bericht seiner Erlebnisse fort.




XIII. DER LEBEMANN


So lebte ich denn im Elternhause zu Ujjeni.--Diese meine Vaterstadt, o
Fremder, ist ja aber nicht weniger durch ihre Lustbarkeit und rauschende
Lebensfreude als wegen ihrer glänzenden Paläste, und prächtigen Tempel
in ganz Indien berühmt. Ihre breiten Straßen hallen bei Tage vom Wiehern
der Pferde und Trompeten der Elefanten wider, und bei Nacht vom
Lautenspiele der Verliebten und von den Liedern fröhlicher Zecher.

Besonders aber erfreuen sich die Hetären Ujjenis eines außerordentlichen
Rufes. Von den großen Kurtisanen, die in Palästen wohnen, Tempel den
Göttern und öffentliche Gärten dem Volke stiften und in deren
Empfangssälen man Dichter und Künstler, Schauspieler, vornehme Fremde,
ja manchmal sogar Prinzen trifft--bis zu den gewöhnlichen Dirnen herab
sind sie alle von schwellgliedriger Schönheit und unbeschreiblicher
Anmut. Bei den großen Festlichkeiten, bei Aufzügen und Schaustellungen
bilden sie den Hauptschmuck der blumenprangenden, wimpelumflatterten
Straßen. In cochenilleroten Kleidern, duftende Kränze in den Händen, von
Wohlgerüchen umwallt, von Diamanten funkelnd, siehst du sie dann, o
Bruder, auf ihren besonderen Prachttribünen sitzen oder die Straßen
dahinziehen, mit liebevollen Blicken, aufreizenden Gebärden und
lachenden Scherzworten allerwärts die Sinnenglut der Lustverlangenden zu
hellen Flammen schürend.

Vom König verehrt, vom Volke angebetet, von den Dichtern besungen,
heißen sie ja "die bunte Blumenkrone des felsenragenden Ujjeni" und
ziehen uns den Neid der weniger begünstigten Nachbarstädte zu. Öfters
gastieren auch dort die hervorragendsten unserer Schönheiten, ja es
kommt sogar vor, daß eine solche durch eine königliche Verordnung
zurückgerufen werden muß.

Mir, der ich nun meinen lebenverzehrenden Kummer ertränken wollte, wurde
von den Händen dieser fröhlichen Schwesterschaft der goldige Lustkelch
des berauschenden Vergessenheitstrankes willig und reichlich an die
Lippen geführt. Durch meine vielen Fähigkeiten und großen Kenntnisse der
schönen Künste aller Art und nicht weniger aller geselligen Spiele wurde
ich ein gern gesehener Gast der großen Kurtisanen, von denen eine sogar,
deren Gunst mit Geld kaum aufzuwiegen war, sich zuletzt so
leidenschaftlich in mich verliebte, daß sie sich meinetwegen mit einem
Prinzen überwarf. Andererseits wurde ich durch meine völlige
Beherrschung der Gaunersprache leicht vertraut mit den Dirnen der
Gäßchen, deren Gesellschaft ich auf dem Wege derben Lebensgenusses
keineswegs verschmähte, und von denen mehrere mir von Herzen ergeben
waren.

So tauchte ich denn tief in den rauschenden Strudel der Vergnügungen
meiner Vaterstadt, und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche
Redensart in Ujjeni: "Ein Lebemann wie der junge Kamanita."

Nun zeigte es sich aber, daß schlechte Gewohnheiten, ja selbst Laster
manchmal dem Menschen einen Glücksfall bringen, so daß der weltlich
Gesinnte nicht leicht entscheiden kann, ob er am meisten seinen guten
oder seinen schlechten Eigenschaften sein Gedeihen zu verdanken hat.

Jene Vertrautheit mit den niedrigeren Dirnen kam mir nämlich sehr
zustatten. Im Hause meines Vaters wurde ein Einbruch verübt, und
Juwelen, die ihm zum großen Teil zur Schätzung anvertraut waren,
gestohlen, und zwar in einem Betrage, der kaum mehr zu ersetzen war. Ich
war außer mir, denn völliger Ruin drohte uns. Vergebens bot ich alle die
Kenntnisse auf, die ich im Walde mir erworben hatte. Nach der Weise, wie
der unterirdische Gang angelegt war, konnte ich wohl sagen, was für
einer Art von Dieben die Täterschaft zuzuschreiben sei. Aber selbst
dieser so nützliche Wink war zwecklos für die Polizei--die allerdings in
Ujjeni nicht auf ähnlicher Höhe steht wie die Hetärenwirtschaft, was
vielleicht nicht ganz ohne inneren Zusammenhang sein mag. Habe ich doch
in einem sehr gelehrten Vortrag über das Liebesleben der verschiedenen
Stände folgenden Satz gehört: "Die Liebesabenteuer des Polizeimeisters
haben während der nächtlichen Inspizierung stattzufinden und zwar mit
den Stadtdirnen;"--was in Verbindung mit jener Vorlesung Vajaçravas'
"Über die Nützlichkeit der Dirnen zum Hineinlegen der Polizei" in jener
Zeit des ängstlichen Wartens mir manches zu denken gab.

Nun scheint es ja aber in dieser unserer sonderbaren Welt so
eingerichtet zu sein, daß die linke Seite für das aufkommen muß, was die
rechte versäumt. Und so geschah es denn auch hier, daß jene üppige Blüte
Ujjenis mir die Frucht trug, welche der, vielleicht wegen dieser
Üppigkeit etwas kümmerlich geratene Dornenhag des Polizeiwesens zu
zeitigen nicht vermochte. Denn die guten Mädchen, als sie mich wegen der
mir und den Meinigen drohenden Not untröstlich sahen, ermittelten die
Täter und zwangen sie, durch Androhung völliger Entziehung ihrer Gunst,
die Beute wieder herauszugeben, so daß wir glimpflich davon kamen, mit
Verlust des Wenigen, das schon verpraßt gewesen, und mit einem
Schrecken, der für mich nicht ohne gute Wirkung blieb.

Durch ihn wurde ich nämlich aus meinem Zeit und Jugendkraft unnütz
vergeudenden Wüstlingsleben aufgerüttelt. Dieses war ohnehin zu einem
Punkt gelangt, wo es mich entweder unter dem Joch der Gewohnheit völlig
knechten und versumpfen lassen, oder aber mich anzuwidern anfangen
mußte. Die letztere Wirkung wurde nun eben durch jenes Erlebnis
gefördert. Ich hatte die Armut mir ins Gesicht starren sehen--die Armut,
der mich jenes Leben wehrlos überliefert hätte, um mich dann treulos mit
allen seinen kostspieligen Freuden zu verlassen. Nun besann ich mich auf
jenes Wort des Kaufmannes am Grabe Vajaçravas: "Wenn ich so hoch in
Gunst bei Vajaçravas stände wie du, dann würde ich in wenigen Jahren der
reichste Mann in Kosambi sein." Und ich beschloß, der reichste Mann in
Ujjeni zu werden, und zu diesem Zwecke mich mit aller Kraft auf den
Karawanenhandel zu verlegen.

Ob nun mein im Jenseits weilender Freund und Meister, Vajaçravas, mir
bei meinen Unternehmungen in eigener Person beistand, wage ich nicht zu
entscheiden, wiewohl ich es manchmal glaubte; sicher aber ist, daß seine
Worte es jetzt nachträglich taten. Denn daß ich durch seine Belehrung
mit allen Gewohnheiten und Gebräuchen der verschiedenen Räuberarten
vertraut, ja selbst in ihre geheimen Regeln eingeweiht war, das setzte
mich jetzt in den Stand, ohne törichte Waghalsigkeit Unternehmungen
durchzuführen, die ein anderer nimmermehr hätte wagen dürfen. Gerade
solche aber suchte ich mir jetzt aus und gab mich mit gewöhnlichen
Reisen gar nicht mehr ab.

Wenn ich nun eine große Karawane nach einer Stadt führte, zu der
monatelang keine andere hatte vordringen können, weil gerade zu der Zeit
starke Räuberbanden die Gegend gleichsam abgesperrt hatten, so fand ich
die Einwohner dermaßen auf meine Waren erpicht, daß ich diese manchmal
mit dem zehnfachen Gewinn absetzen konnte. Aber damit nicht genug: einen
unschätzbaren Vorteil zog ich aus jener Belehrung "über die Kennzeichen
der für Bestechung zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges
nebst Anweisung über die dabei in Frage kommenden Geldbeträge"; und was
ich im Verlauf weniger Jahre durch geschickte Benutzung dieser Winke
gewonnen habe, kommt für sich allein einem mäßigen Vermögen gleich.--

So vergingen denn einige Jahre in gesundem Wechsel zwischen allerlei
Lebensgenüssen meiner freudigen Vaterstadt und gefahrreichen
Geschäftsreisen, die übrigens bei allem Ernst auch nicht die Lust
ausschlossen; denn ich stieg in den fremden Städten immer bei einer
Hetäre ab, an die ich gewöhnlich von einer gemeinsamen Ujjenier Freundin
empfohlen war, und die meine Kaufmannsgeschäfte oft gar schlau für mich
einfädelte.

Eines Tages trat nun mein Vater vormittags in mein Zimmer, als ich
gerade damit beschäftigt war, auf meine Lippen Lackfarbe aufzutragen,
während ich gleichzeitig meinem Diener Anweisungen gab, der im Hofe vor
meinem Fenster mein Lieblingspferd sattelte. Das mußte diesmal mit
besonderer Sorgfalt geschehen, und es sollten durch eine eigenartige
Vorrichtung Kissen angeschnallt werden, denn ich mußte unterwegs eine
Gazellenäugige vor mir im Sattel halten. Ich hatte nämlich mit mehreren
Freunden und Freundinnen einen Besuch in einem öffentlichen Garten
verabredet.

Ich wollte sofort meinem Vater Erfrischungen bringen lassen; er lehnte
es aber ab, und als ich ihm aus meiner goldenen Dose wohlriechende
Mundkügelchen anbot, schlug er auch diese aus und nahm nur etwas Betel.
Ich schloß daraus sofort, nicht ohne einige Beklemmung, daß er wohl
etwas Ernstes vorhaben mochte.

"Ich sehe, daß du dich zu einem Vergnügungsausflug bereit machst, mein
Sohn," sagte er, nachdem er auf dem ihm von mir gebotenen Sitze Platz
genommen hatte; "auch kann ich dies keineswegs tadeln, da du erst
kürzlich von einer anstrengenden Geschäftsreise zurückgekehrt bist. Wo
willst du heute hin, mein Sohn?"

"Ich will, Vater, mit einigen Freunden und Freundinnen nach dem Garten
der hundert Lotusteiche reiten, wo wir uns mit Spielen belustigen
wollen."

"Gut, sehr gut, mein Sohn! Reizend, entzückend ist ja der Aufenthalt im
Garten der hundert Lotusteiche--tiefer Schatten der Bäume und kühlender
Hauch des Wassers laden da zum Verweilen ein. Auch sind artige und
sinnige Spiele zu loben, denn sie beschäftigen Körper und Geist ohne sie
anzustrengen. Ob wohl jetzt noch dieselben Spiele gebräuchlich sind, die
wir in meiner Jugend spielten? Was meinst du, Kamanita, wird wohl heute
dort gespielt werden?"

"Es kommt darauf an, Vater, wer von uns mit seinem Vorschlage
durchdringt. Ich weiß, daß Nimi das Wasserspritzspiel vorschlagen will."

"Das kenne ich nicht," sagte mein Vater.

"Nein, Nimi hat es im Süden gelernt, wo es sehr Mode ist. Man füllt
dabei Bambusrohre mit Wasser und bespritzt sich gegenseitig, und wer am
nassesten wird, hat verloren. Das ist sehr drollig.--Kolliya aber will
den Kadambakampf in Vorschlag bringen."

Mein Vater schüttelte den Kopf:

"Das kenn' ich auch nicht."

"O, das ist jetzt sehr beliebt. Die Spielenden teilen sich in zwei
Parteien, die einander bekämpfen, und dabei dienen eben die Zweige des
Kadambastrauches mit ihren großen, goldigen Blüten als gar prächtige
Schlagwaffen. Durch den Blütenstaub sind die Wunden kenntlich, so daß
die Kampfrichter danach entscheiden können, welche Partei gewonnen hat.
Das Ganze ist recht spannend und hat etwas Zierliches. Ich aber
beabsichtige, das Hochzeitsspiel vorzuschlagen."

"Das ist ein gutes altes Spiel," sagte mein Vater mit einem auffallenden
Schmunzeln, "und es freut mich recht, daß du dafür eintreten willst,
denn das zeugt von deiner Gesinnung. Vom Spiel zum Ernst ist der Schritt
nicht gar zu groß."

Dabei schmunzelte er wieder selbstgefällig, und mir wurde recht gruselig
zumute.

"Ja, mein Sohn," fuhr er fort, "ich komme dabei gerade auf das, was mich
heute zu dir geführt hat. Du hast bei deinen vielen Kaufmannsreisen
durch Geschicklichkeit und Glück unser Vermögen vervielfacht, so daß das
Gedeihen unserer Geschäfte in Ujjeni sprichwörtlich geworden ist.
Andererseits hast du aber auch in vollen Zügen deine Jugendfreiheit
genossen. Aus dem ersteren folgt, daß du wohl imstande bist, deinen
eigenen Haushalt zu gründen. Aus dem zweiten, daß es jetzt auch für dich
an der Zeit ist, dies zu tun und daran zu denken, den Faden des
Geschlechts weiterzuspinnen. Um dir, meinem lieben Sohn, alles recht
leicht zu machen, habe ich schon im Voraus eine Braut für dich
ausgesucht. Es ist die älteste Tochter unseres Nachbars Sanjaya, des
großen Kaufmannes, die erst kürzlich das heiratsfähige Alter erreicht
hat. Sie stammt also, wie du siehst, aus einer ebenbürtigen, achtbaren
und sehr begüterten Familie und hat großen Verwandtenanhang, sowohl von
väterlicher wie von mütterlicher Seite. Ihr Körper ist makellos; sie hat
Haare von der Schwärze der Biene, ein Gesicht wie der Mond, die Augen
eines Gazellenlammes, eine der Sesamblüte ähnelnde Nase, Zähne wie
Perlen und Bimbalippen, von denen eine Stimme so süß wie die der Kokila
ertönt. Ihr Schenkelpaar ist herzerfreuend wie ein Pisangstamm, und
durch die Fülle der Hüften beschwert, hat ihr Gang die lässige Majestät
des Ilfen. Du wirst also unmöglich etwas gegen sie einwenden können."

Ich hatte in der Tat nichts gegen sie einzuwenden, außer etwa, daß ihre
vielen mir so poetisch angepriesenen Reize mich völlig kalt ließen. Und
ich gestehe, daß von allen Hochzeitszeremonien mir diejenige der drei
Nächte der Enthaltsamkeit, in denen ich der Satzung gemäß mit meiner
jungen Gattin, nichts Scharfgewürztes essend, auf dem Boden schlafend
und das Hausfeuer unterhaltend, die Keuschheit zu bewahren hatte, die am
wenigsten lästige war.

Eine ungeliebte Frau, o Bruder, macht das Heim nicht lieb und das Haus
nicht fesselnd, und so begab ich mich von jetzt ab fast noch williger
als zuvor auf Reisen und kümmerte mich in der Zwischenzeit nur um meine
Geschäfte. Und da ich--um der Wahrheit die Ehre zu geben--bei diesen
nicht gar zu skrupelhaft zu Werke ging, sondern ohne viel Bedenken
meinen Vorteil nahm, wo ich ihn sah, so wuchs mein Reichtum dermaßen,
daß ich mich nach wenigen Jahren dem Ziel meines Ehrgeizes nahe fand und
einer der reichsten Bürger meiner Vaterstadt war.

Nun wollte ich aber auch als Hausherr und Familienvater--denn meine
Gattin hatte mir zwei Töchter geboren--meines Reichtums recht genießen
und besonders auch vor meinen Mitbürgern damit prunken. Ich erwarb mir
deshalb ein großes Grundstück in der Vorstadt, wo ich einen gar
prächtigen Lustgarten anlegte und in seiner Mitte ein geräumiges, mit
marmornen Säulenhallen versehenes Haus errichten ließ. Dies Besitztum
wurde zu den Wundern Ujjenis gerechnet, und selbst der König kam, um es
zu besichtigen.

Hier veranstaltete ich nun märchenhafte Gartenfeste und gab die
üppigsten Gastmähler. Denn ich hatte mich mehr und mehr auf die Freuden
der Tafel geworfen. Die leckersten Speisen, die zur betreffenden
Jahreszeit überhaupt für Geld zu haben waren, mußten auf meinem Tische
sein, selbst zu den täglichen Mahlzeiten. Damals war ich nicht, wie du
mich jetzt siehst, durch lange Wanderungen, durch Waldaufenthalt und
Askese hager und abgezehrt, sondern von blühender Körperfülle; ja ein
Bäuchlein hatte schon angefangen sich zu runden.

Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: "Man
ißt bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita."




XIV. DER EHEMANN


Eines Morgens ging ich in den Anlagen mit meinem Obergärtner, um zu
erwägen welche neue Verbesserungen anzubringen wären, als mein Vater auf
seinem alten Esel in den Hof ritt. Ich eilte hin, um ihm beim Absteigen
behilflich zu sein, und wollte ihn in den Garten führen, da ich glaubte,
er käme, um dessen Blumenpracht zu genießen. Er zog es aber vor, ins
erste beste Zimmer zu treten, und als ich dem Diener befahl,
Erfrischungen zu bringen, schlug er auch diese aus--er wolle ungestört
mit mir sprechen.

Etwas unheimlich berührt, eine drohende Gefahr witternd, nahm ich neben
ihm auf einem niedrigen Sitze Platz.

"Mein Sohn," fing er nun sehr ernst an, "deine Frau hat dir nur zwei
Töchter geboren, und es ist keine Aussicht, daß sie dir einen Sohn
schenken wird. Nun heißt es ja aber sehr richtig, daß der Mann
erbärmlich stirbt, für den kein Sohn das Totenopfer vollziehen kann. Ich
tadle dich nicht, mein Sohn," fügte er hinzu, als er bemerken mochte,
daß ich etwas unruhig wurde; und obwohl ich nicht wußte, wodurch ich mir
in diesem Handel hätte Tadel verdienen können, dankte ich ihm mit
geziemender Demut für seine Milde und küßte seine Hand.

"Nein, ich muß mich selber tadeln, weil ich bei der Wahl deiner Frau
mich durch weltliche Rücksichten auf Familie und Güter zu sehr habe
blenden lassen und nicht genügend auf die Zeichen achtete. Das Mädchen,
das ich jetzt für dich im Auge habe, ist zwar aus einer wenig
hervorragenden und keineswegs begüterten Familie; auch kann man ihr das,
was der oberflächliche Betrachter 'Schönheit' nennt, nicht nachrühmen.
Dafür aber hat sie einen tief sitzenden und nach rechts gedrehten Nabel;
sowohl Hände wie Füße weisen Lotus-, Krug- und Radmal auf; ihr Haar ist
ganz glatt, nur im Nacken hat sie zwei nach rechts gewundene Locken. Von
einem Mädchen, das solche Zeichen besitzt, sagen ja die Weisen, daß es
fünf Heldensöhne gebären wird."

Ich erklärte mich mit dieser Aussicht vollkommen befriedigt, dankte
meinem Vater für die Güte, mit der er für mich sorgte, und sagte, ich
sei bereit, das Mädchen sofort heimzuführen. Denn ich dachte: wenn es
doch sein muß!...

"Sofort?" rief mein Vater erschrocken aus. "Aber, mein Sohn! Dämpfe dein
Ungestüm! Wir sind ja jetzt im südlichen Laufe der Sonne. Wenn diese
Gottheit in ihren nördlichen Lauf eintritt, und wir dann die
Monatshälfte, in welcher der Mond zunimmt, erreichen, dann wollen wir
einen günstigen Tag zur Handergreifung erwählen--aber eher nicht--eher
nicht, mein Sohn! Was würden uns sonst alle guten Eigenschaften der
Braut nützen?"

Ich bat meinen Vater, unbesorgt zu sein. Ich würde mich so lange
gedulden und mich in allen Punkten von seiner Weisheit leiten lassen;
worauf er meinen Gehorsam lobte, mir seinen Segen erteilte und mir
gestattete, daß ich Erfrischungen kommen ließ.

Endlich nahte der von mir nicht sehr ersehnte Tag, auf den sich alle
glückverheißenden Zeichen vereinten. Die Zeremonien waren diesmal noch
viel umständlicher; ich hatte vorher volle vierzehn Tage gebraucht, um
alle notwendigen Sprüche genau einzustudieren. Welche Angst ich während
der Handergreifung im Hause meines Schwiegervaters ausgestanden habe,
läßt sich mit Worten kaum beschreiben, Ich zitterte fortwährend vor
Furcht, daß ich irgend einen Vers nicht ganz richtig oder genau bei der
Bewegung, zu der er gehörte, hersagen möchte; denn mein Vater hätte mir
das ja nie vergeben. Und darüber hätte ich beinahe die Hauptsache
vergessen, denn anstatt ihren Daumen zu ergreifen, faßte ich nach ihren
vier Fingern, als ob ich wünschte, daß sie mir Töchter gebären
sollte--aber glücklicherweise hatte die Braut Geistesgegenwart genug, um
mir den Daumen in die Hand zu schieben.

Ich war ganz in Schweiß gebadet, als ich endlich zur Abfahrt die Stiere
einspannen konnte, während meine Braut in die Kummetlöcher der Geschirre
je einen Zweig von einem fruchttragenden Baume steckte. Ich sprach aber
den betreffenden Halbvers mit dem Bewußtsein, daß jetzt das Schlimmste
vorüber sei. Die Gefahren waren jedoch keineswegs überstanden.

Zwar erreichten wir mein Haus, ohne daß irgend einer von den vielen
kleinen Unfällen, die bei einer solchen Gelegenheit wie auf der Lauer
liegen, unterwegs sich ereignet hätte. Vor der Tür angekommen, wurde die
Braut von drei Brahmanenfrauen unbescholtenen Wandels, die alle nur
Knaben geboren hatten, und deren Männer noch lebten, vom Wagen gehoben.
So weit ging Alles gut. Nun aber kannst du dir, Bruder, meinen Schrecken
denken, als beim Eintreten ins Haus der Fuß meiner Frau _beinahe_ die
Schwelle berührt hätte. Ich weiß noch heute nicht, woher ich die
Entschlossenheit nahm, sie in meinen Armen hoch empor zu heben und
dadurch zu verhüten, daß eine Berührung wirklich stattfände. Immerhin
war eine solche Unregelmäßigkeit beim Hineingehen schlimm genug, und
dazu kam, daß ich nun selber vergaß, mit dem rechten Fuß zuerst
einzutreten. Glücklicherweise waren Alle, und besonders mein Vater, über
die drohende Berührung der Schwelle dermaßen entsetzt, daß mein
Fehltritt fast gänzlich unbeachtet blieb.

In der Mitte des Hauses nahm ich zur Linken meiner Frau auf einem roten
Stierfell Platz, das mit der Nackenseite nach Osten und mit der
Haarseite nach oben lag. Nun hatte mein Vater nach langem Suchen und mit
unendlicher Mühe ein männliches Wunderkind ausfindig gemacht, das selber
nur Brüder und keine Schwester--auch keine gestorbene--hatte und von
einem Vater stammte, der sich in demselben Fall befand, nur Brüder zu
haben, was sogar auch noch von dessen Vater galt--alles gerichtlich
bescheinigt. Dies Knäblein sollte nun meiner Braut auf den Schoß gesetzt
werden. Schon stand an ihrer Seite die kupferne Schüssel bereit mit den
im Schlamme gewachsenen Lotusblumen, die sie dem Kinde in die
zusammengelegten Hände geben sollte;--da war das Unglücksmenschlein
nirgends zu finden. Erst nachher, als es schon zu spät war, entdeckte
ein Diener, daß der Kleine das Opferbett zwischen den Feuern gar zu
verlockend gefunden und sich in dem weichen Grase gewälzt hatte, bis er
fast gänzlich darin begraben war. Nun mußte natürlich das Opferbett neu
geschichtet und dazu frisches Kugagras geschnitten werden--was schon an
sich verkehrt war, weil ja das Gras bei Sonnenaufgang geschnitten sein
muß.

Diese Krone des ganzen Werkes fahren lassend, mußten wir uns mit einem
in aller Hast herbeigeschafften Knäblein begnügen, dessen Mutter nur
Söhne geboren hatte. Mein Vater war aber über das Mißlingen dieser
Maßregel, auf die er so große Hoffnung gesetzt hatte, dermaßen erregt,
daß ich fürchtete, der Schlag könne plötzlich seinem teuren Leben ein
Ende machen. Freilich wäre er unter keinen Umständen jetzt gestorben, um
nur nicht dadurch den Zeremonien den allerverderblichsten Abbruch zu
tun. Diese tröstliche Betrachtung stellte ich aber damals nicht an.
Während ich von entsetzlicher Furcht gequält wurde, mußte ich die
Wartezeit bis zur Ankunft des Ersatzknaben damit ausfüllen, daß ich
ununterbrochen geeignete Sprüche hersagte, damit ja nicht eine leere
Pause entstände.

In dieser Stunde aber gelobte ich mir fest, daß ich, was auch kommen
möchte, nie wieder heiraten würde.

Nachdem endlich Alles erledigt war, mußte ich mit meiner Gemahlin--die
gar nicht ein solcher Ausbund von Häßlichkeit war, wie ich nach der
Empfehlung meines Vaters erwartet hatte--zwölf Nächte in gänzlicher
Enthaltsamkeit und unter strengem Fasten, auf dem Fußboden schlafend,
zubringen. Diesmal waren es nämlich _zwölf_ Nächte, weil mein Vater
meinte, wir müßten lieber zuviel, denn zuwenig des Guten tun. Dabei
empfand ich nun freilich recht schmerzlich, daß ich während der ganzen
Zeit alle meine gewürzten Lieblingsgerichte entbehren mußte.

Indessen auch diese Probe wurde überstanden, und das Leben ging in dem
alten Geleise weiter--jedoch mit einem sehr wesentlichen Unterschied. Es
sollte sich mir nämlich nun bald zeigen, wie berechtigt meine Scheu vor
dem neuen Heiratsvorschlag meines Vaters gewesen war. Wohl hatte ich
mich sofort damit getröstet, daß man, wenn man _eine_ Frau hatte, auch
zwei haben konnte. Aber, ach! wie hatte ich mich darin getäuscht!

Meine erste Frau hatte immer einen sanftmütigen Charakter gezeigt, der
eher zum Stumpfsinn als zu auffahrender Heftigkeit neigte; und auch
meiner zweiten Frau rühmte man eine echt weibliche Milde nach. So sind
ja auch, o Bruder, das Wasser und das Hausfeuer alle beide gar
wohltätige Dinge; wenn sie aber auf dem Kochherd zusammentreffen, dann
zischt's. Und so hat es denn von jenem Unglückstage an in meinem Hause
gezischt. Aber wie wurde es erst, als meine zweite Frau mir nun wirklich
den ersten jener fünf verheißenen Heldensöhne gebar! Nun beschuldigte
mich meine erste Frau, ich hätte mit ihr keine Söhne haben wollen und
nicht die rechten Opfer gebracht, um so einen Vorwand zu haben, eine
andere zu heiraten; während meine zweite Frau, wenn sie von der ersten
gereizt wurde, es an bitterem Hohn ihr gegenüber nicht fehlen ließ. Auch
herrschte ein fortwährender Rangstreit; meine erste Frau forderte als
solche den Vorrang, während meine zweite als Mutter meines Sohnes
dieselbe Forderung erhob.

Aber bald sollte es noch schlimmer kommen. Eines Tages stürzte meine
zweite Frau ganz zitternd vor Erregung zu mir herein und verlangte, ich
sollte die erste fortschicken, da diese meinen Sohn vergiften wolle--der
Knabe hatte nämlich Leibschneiden bekommen, weil er genascht hatte. Ich
wies sie streng zurecht, kaum aber war ich sie los geworden, als die
erste hereinstürzte und rief, ihre beiden Lämmchen wären ihres Lebens
nicht mehr sicher, solange jenes niederträchtige Weib im Hause
bliebe--ihre Nebenbuhlerin wolle meine Töchterchen aus dem Wege räumen,
damit deren Mitgift nicht das Erbe ihres Sohnes vermindern sollte.

So war denn unter meinem Dach kein Frieden mehr zu finden. Wenn du, o
Bruder, vorhin vielleicht am Gehöfte des reichen Brahmanen unweit von
hier stehen geblieben bist und gehört hast, wie drinnen die beiden
Frauen des Brahmanen keiften, mit lauten, schreienden Stimmen sich
zankten und sich gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen--dann
bist du sozusagen auch an meinem Hause vorübergekommen.

Und es wurde nun leider auch eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni;
"Die beiden vertragen sich wie die Frauen Kamanitas."




XV. DER KAHLE PFAFF


So waren die Verhältnisse in meinem Hausstande, als ich mich eines
Vormittags in dem geräumigen, auf der Schattenseite gelegenen Zimmer
befand, das ich zum Besorgen aller geschäftlichen Angelegenheiten
benutzte, und das deswegen dem Hofe zugekehrt war; denn es war mir
bequem, von dort aus die wirtschaftlichen Vorgänge im Auge behalten zu
können. Vor mir stand ein bewährter Diener, der alle meine Fahrten
während einer Reihe von Jahren mitgemacht hatte, und ich gab ihm genaue
Anweisungen über die Führung einer Karawane nach einem ziemlich
entfernten Orte, sowie über die Art und Weise, wie er dort am besten die
Waren würde absetzen können, welche Produkte er von dort aus
zurückbringen müsse, welche Geschäftsverbindungen er dort anzuknüpfen
habe und was dergleichen mehr war--denn ich wollte ihm die ganze Sache
anvertrauen.

Allerdings war meine Häuslichkeit weniger anheimelnd als je, und man
könnte glauben, daß ich mit Freuden jede Gelegenheit ergriffen hätte, um
in der Fremde umherzuschweifen. Aber ich fing jetzt an, etwas bequem und
verwöhnt zu werden und scheute eine längere Reise, nicht nur wegen der
Strapazen der Fahrt, sondern vor allem wegen der kargen Kost, mit der
man, wenigstens unterwegs, vorlieb nehmen mußte. Ja, wenn man auch an
Ort und Stelle angekommen, das Verlorene nachholen und sich recht
gütlich tun wollte, so erlitt man doch oft Enttäuschungen, und
jedenfalls, so gut wie am eigenen Tische aß ich dort nirgends.

So hatte ich denn angefangen, meine Karawanen unter zuverlässigen
Führern auszusenden, während ich selber zu Hause sitzen blieb.

Als ich nun mitten in meinen sehr umständlichen und gar wohlüberlegten
Anweisungen war, erschallten vom Hofe her die zänkischen Stimmen meiner
beiden Frauen, und zwar ungewöhnlich laut und mit einem Redefluß, der
nicht aufhören zu wollen schien. Ärgerlich über diese lästige Störung
sprang ich schließlich auf, und nachdem ich vergebens durchs Fenster
geblickt hatte, trat ich in den Hof hinaus.

Ich sah meine beiden Frauen am Eingangstor stehen. Aber weit davon
entfernt, sie in gegenseitigem Zank zu finden--wie ich es erwartet
hatte--, traf ich sie zum ersten Male einig, indem sie sich einen
gemeinsamen Gegner ausgesucht hatten, über den sich ihr vereinigter Zorn
ergoß. Dieser Unglückliche war ein wandernder Asket, der an den
Torpfosten gelehnt dastand, und ruhig diesen Strom von Beschimpfungen
über sich ergehen ließ. Was der eigentliche Grund ihres Angriffes war,
habe ich nie erfahren, vermute aber, daß der bei beiden stark
entwickelte mütterliche Instinkt in diesem Entsager einen Verräter gegen
die heilige Sache der menschlichen Vermehrung und einen Feind ihres
Geschlechts gewittert hatte, und daß sie sich so unwillkürlich über ihn
geworfen hatten wie zwei Ichneumons über eine Cobra.

"Pfui über ihn, den kahlen Pfaffen, den schamlosen Bettler!--Sieh
nur, wie er dasteht, mit gebeugten Schultern und gesenktem
Blick--Frömmigkeit, Beschaulichkeit atmet er aus, der Heuchler, der
Gleißner! Nach dem Kochtopf späht er hin, schaut nach und schnüffelt und
schnuppert--wie der Esel, vom Karren losgeschnallt, im Hofe zum
Kehrichthaufen geht und hinspäht, und nachschaut, und schnüffelt und
schnuppert.... Pfui über ihn, den faulen Tagedieb, den schamlosen
Bettler, den kahlen Pfaffen!"

Der Gegenstand dieser und ähnlicher Schmähreden, jener wandernde Asket,
ein Mann von auffallend hohem Wuchse, stand unterdessen immer noch an
den Türpfosten gelehnt, in gelassener Haltung da. Sein Mantel, von der
gelben Farbe der Kanikarablume und dem deinigen nicht unähnlich, fiel in
malerischen Falten über seine linke Schulter bis zu den Füßen hinab und
ließ einen kräftigen Körperbau erraten. Der schlaff herabhängende rechte
Arm war unbedeckt, und ich konnte nicht umhin, das gewaltige Geflecht
der Muskeln zu bewundern, das eher der wohlerworbene Besitz eines
Kriegers als das müßige Erbteil eines Asketen zu sein schien; auch die
tönerne Almosenschale mutete mich in seiner nervigen Hand ebenso
sonderbar und unangemessen an, wie eine eiserne Keule mir dort an
rechter Stelle erschienen wäre. Sein Kopf war geneigt, der Blick zu
Boden gesenkt, keine Miene verzog sich um den Mundwinkel, und so stand
er regungslos da, als ob ein tüchtiger Künstler das Bild eines
wandernden Asketen in Stein gehauen und fein bemalt und bekleidet hätte,
und ich nun dieses Bildwerk an meinem Tor hätte aufstellen lassen--etwa
als Wahrzeichen meiner Freigebigkeit.

Diese seine Ungestörtheit, die ich für Sanftmut hielt, meine beiden
Frauen aber als Verachtung auffaßten, spornte natürlich diese zu immer
größeren Anstrengungen an, und so wäre es wohl schließlich zu
Tätlichkeiten gekommen, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre, meinen
bösen Frauen ihr schändliches Betragen verwiesen und sie ins Haus gejagt
hätte.

Dann trat ich zum Asketen hin, verneigte mich ehrerbietig und sprach:

"Wolle, Ehrwürdigster, dir nicht zu Herzen nehmen, was diese Frauen,
deren Verstand ja kaum zwei Finger breit ist, an Ungebührlichem,
Unziemlichem gesagt haben mögen! Wolle, Ehrwürdigster, nicht deshalb mit
deinem Asketenzorn dies mein Haus vernichtend treffen! Ich will ja,
Ehrwürdigster, selber deine Almosenschale mit dem Besten füllen, was das
Haus vermag--welch ein Glück, daß sie noch leer ist! Ich will sie
füllen, daß kein Bissen mehr hineingeht, und kein Nachbar sich heute
dadurch, daß er dich ernährt, Verdienst erwerben kann. Du bist auch
wahrlich nicht vor die unrechte Schmiede gekommen, Ehrwürdigster, und
ich denke, das Essen wird dir munden, denn es ist sogar eine
sprichwörtliche Redensart hier in Ujjeni: 'Man ißt bei ihm, wie beim
Kaufmann Kamanita'--und der bin ich. Wolle also, Ehrwürdiger, nicht über
das Vorgefallene zürnen und meinem Hause fluchen."

Der Asket aber antwortete darauf, mit nicht eben unfreundlicher Miene:

"Wie könnte ich wohl, o Hausvater, über solche Schimpfereien zürnen, da
es mir doch zusteht, wegen viel gröberer Behandlung sogar dankbar zu
sein. Denn einst, o Hausvater, begab ich mich, zeitig gerüstet, mit
Mantel und Schale versehen, in eine Stadt, um Almosenspeisen zu sammeln.
In dieser Stadt aber hatte Mara, der Teufel, gerade damals die Brahmanen
und Hausväter gegen den Orden der Heiligen aufgehetzt. 'Geht mir mit
euren tugendhaften, edelgearteten Asketen! Beschimpft sie, beleidigt
sie, verjagt sie, verfolgt sie.' Und so geschah es, Hausvater, als ich
nun die Straßen daherging, daß bald ein Stein mir an den Kopf flog, bald
ein Scherben mich im Gesicht traf, bald ein Stock meinen Arm halb
zerquetschte. Als ich nun mit zerschnittenem, von Blut überströmtem
Kopfe, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum Meister
zurückkam, sagte dieser: 'Dulde nur, Asket, dulde nur! Um welcher Tat
Vergeltung du viele Jahre Höllenqual erlitten hättest, dieser Tat
Vergeltung findest du noch bei Lebzeiten.'

Bei den ersten Lauten seiner Stimme zuckte mir ein jäher Schreck durch
den Leib vom Scheitel bis zur Sohle, und mit jedem Wort durchdrang ein
eisiges Erstarren tiefer mein ganzes Wesen. Denn das war ja, o Bruder,
die Stimme Angulimalas, des Räubers--wie konnte ich daran zweifeln? Und
als mein krampfhafter Blick sich an sein Gesicht heftete, erkannte ich
auch dieses wieder, obschon ihm früher der Bart fast bis an die Augen
gegangen und das Haar ihm tief in die Stirn gewachsen war, während er
jetzt kahl und rasiert vor mir stand. Nur zu gut erkannte ich die Augen
unter den buschigen, zusammengewachsenen Brauen wieder, obwohl sie mir
nicht wie damals Zornesblitze entgegensprühten, sondern mit tiefer
Verstellungskunst mich vielmehr freundlich anblickten; und die sehnigen
Finger, die die Almosenschale umspannten--gewiß waren es dieselben, die
einst wie Teufelskrallen meine Kehle umklammert hatten.

"Wie sollte ich wohl, o Hausvater"--fuhr mein unheimlicher Gast
fort,--"wie sollte ich wohl über Schimpfreden in Zorn geraten? Denn der
Meister hat ja gesagt: 'Wenn auch, ihr Jünger, Räuber und Mörder euch
mit einer Baumsäge Gelenke und Glieder abtrennten, so würde, wer da in
Wut geriete, nicht meine Weisung erfüllen.'"

Als ich aber, o Bruder, diese Worte mit ihrer so teuflisch versteckten
und mir so deutlichen Drohung vernahm, zitterten mir die Beine dermaßen,
daß ich mich an der Wand festhalten mußte, um nicht umzusinken. Nur mit
Mühe vermochte ich mich so weit zusammenzunehmen, daß ich, mehr noch
durch Gebärden als mit einigen hergestammelten Worten, dem als Asketen
verkleideten Räuber bedeuten konnte, er möchte sich gedulden, bis ich
die Speisen beschafft hätte.

Dann eilte ich, so schnell wie meine wackeligen Beine mich tragen
wollten, quer über den Hof in die große Küche, wo gerade das Mittagsmahl
für meine Familie und die ganze Haushaltung zubereitet wurde, und es in
allen Pfannen und Töpfen briet und brodelte. Hier wählte ich nun ebenso
schnell wie sorgfältig das Beste und Schmackhafteste aus. Mit einer
goldenen Kelle bewaffnet und von einer ganzen Schar schüsseltragender
Diener gefolgt, stürzte ich wieder in den Hof, um meinen furchtbaren
Gast zu bedienen und womöglich zu versöhnen.

Angulimala aber war verschwunden.




XVI. KAMPFBEREIT


Halb ohnmächtig sank ich auf eine Bank nieder. Doch fingen meine
Gedanken sofort wieder zu arbeiten an. Angulimala war dagewesen, dessen
war kein Zweifel; und auch der Grund seines Kommens war mir nur zu klar.
Wie viele Geschichten hatte ich nicht über seine Unversöhnlichkeit und
Rachsucht gehört! Nun hatte ich ja aber das Unglück gehabt, seinen
besten Freund zu erschlagen, und von meinem Aufenthalt unter den Räubern
wußte ich wohl, daß die Freundschaft bei ihnen nicht weniger gilt als
bei einer ehrsamen Bürgerschaft, wenn nicht sogar weit mehr. Als ich
aber sein Gefangener war, konnte Angulimala mich nicht töten, ohne sich
gegen die Regeln der "Absender" zu versündigen; und trotzdem hätte er es
zweimal beinahe getan und damit einen unauslöschlichen Fleck auf seine
Räuberehre gesetzt. Nun aber hatte er endlich dieses, von dem sonstigen
Gebiete seiner Tätigkeit weit abseits gelegene Land aufsuchen können und
wollte jetzt das Versäumte nachholen. In der Verkleidung eines Asketen
hatte er die Örtlichkeiten bequem in Augenschein nehmen können und ohne
Zweifel wollte er noch in derselben Nacht handeln. Wenn er auch bemerkt
haben mochte, daß ich ihn wieder erkannte, durfte er doch nicht zögern,
denn diese Nacht war die letzte der dunklen Hälfte des Monats, und ein
Unternehmen wie dieses in der lichten Hälfte auszuführen, wäre ein
Verstoß gegen die heiligen Räubergesetze gewesen, der ihm den strafenden
Zorn der schrecklichen Göttin Kali hätte zuziehen müssen.

Sofort ließ ich mein bestes Pferd satteln und ritt in die Stadt nach dem
Palast des Königs. Leicht hätte ich bei ihm Zutritt erhalten, aber zu
meiner Enttäuschung erfuhr ich, daß er sich gerade in einem seiner
fernen Jagdschlösser aufhielt. Ich mußte mich also damit begnügen, den
Minister aufzusuchen. Dieser war gerade derselbe Mann, der einst jene
Gesandtschaft nach Kosambi geführt hatte und in dessen Obhut, wie du
dich erinnern wirst, ich wohl hin--aber nicht zurückgereist war. Seit
jenem Tage nun, an dem ich mich geweigert hatte, ihm zu folgen, war er
mir nicht sehr gewogen, was ich bei verschiedenen Begegnungen gespürt
hatte, wie ich denn auch wußte, daß er sich des öfteren über meinen
Lebenswandel aufgehalten hatte. Bei ihm meine Sache vorbringen zu
müssen, war mir nicht gerade angenehm; indessen ihre Berechtigung, ja
sogar Verdienstlichkeit war so augenscheinlich, daß hier, wie mir
schien, für persönliche Ab- oder Zuneigung wenig Spielraum war.

Ich erzählte ihm also so kurz und klar wie möglich, was sich in meinem
Hofe zugetragen hatte, und fügte die fast selbstverständliche Bitte
hinzu, eine Truppenabteilung möge für die Nacht in meinem Haus und
Garten aufgestellt werden, um mein Besitztum gegen den sicher zu
erwartenden Angriff der Räuber zu verteidigen und so viele wie möglich
von diesen gefangenzunehmen.

Der Minister hörte mich schweigend und mit einem unergründlichen Lächeln
an. Dann sagte er:

"Mein guter Kamanita! Ich weiß nicht, ob du heute schon einen recht
kräftigen Frühtrunk zu dir genommen hast, oder noch unter dem Einfluß
einer deiner in Ujjeni sprichwörtlich berühmten nächtlichen Gelage
stehst, oder ob du dir gar überhaupt durch deine ebenfalls
sprichwörtlich berühmten scharf gewürzten Leckereien dermaßen den Magen
verdorben hast, daß du nicht nur bei Nacht, sondern auch am hellen Tag
böse Träume hast. Denn nur als einen solchen kann ich diese hübsche
Geschichte betrachten, zumal wir wissen, daß Angulimala längst nicht
mehr unter den Lebenden weilt."

"Das war aber ein falsches Gerücht, wie wir jetzt sehen," rief ich
ungeduldig.

"_Ich_ sehe das keineswegs," versetzte er in scharfem Ton. "Von falschem
Gerücht kann hier keine Rede sein, denn kurze Zeit nach der Begebenheit
hat Satagira selber mir in Kosambi erzählt, daß Angulimala in den
unterirdischen Gewölben des Ministerpalastes unter den Folterwerkzeugen
gestorben sei, und ich habe noch seinen Kopf über dem östlichen Stadttor
aufgespießt gesehen."

"Ich weiß nicht, wessen Kopf du dort gesehen hast," sagte ich--"das aber
weiß ich genau, daß ich noch vor einer Stunde den Kopf Angulimalas
wohlbehalten auf seinen Schultern gesehen habe, und daß ich so wenig
deinen Spott verdiene, daß du mir vielmehr danken solltest, weil du
durch mich Gelegenheit bekommst--

"Einen toten Mann totzuschlagen und aus mir selbst einen Narren zu
machen," unterbrach mich der Minister--"ich danke!"

"Dann bitte ich wenigstens zu bedenken, daß es sich hier nicht um den
ersten besten Besitz handelt, sondern um ein Haus und um Gartenanlagen,
die zu den Wundern Ujjenis gerechnet werden, und die unser gnädiger
König selber mit großer Bewunderung besichtigt hat. Er wird dir's nicht
danken, wenn Angulimala diese Herrlichkeiten seiner Hauptstadt
einäschert."

"O, das kümmert mich wenig," antwortete dieser Unmensch lachend. "Folge
meinem Rat, gehe nach Hause, beruhige dich durch ein Schläfchen und laß
die Sache dich nicht weiter kümmern. Das Ganze kommt übrigens daher, daß
du dich damals in Kosambi in ein galantes Abenteuer gestürzt hast und
töricht genug warst, meine Worte in den Wind zu schlagen und nicht mit
mir abzureisen. Hättest du das getan, dann wärest du nie in Angulimalas
Hände gefallen und würdest jetzt nicht von einer grundlosen und leeren
Angst geplagt. Auch ist dein monatelanges Zusammenleben mit dem
Räubergesindel für deine Sitten nicht günstig gewesen, wie wir ja alle
hier in Ujjeni gesehen haben."

Er erging sich noch in einigen moralisierenden Gemeinplätzen und entließ
mich dann.

Schon unterwegs überlegte ich mir, was nun, da ich auf mich selber
angewiesen war, zu tun sei. In meinem Hause angekommen, ließ ich sofort
alle beweglichen Schätze, die sich da fanden, vornehmlich solche Dinge
wie kostbare Teppiche, eingelegte Tische und ähnliches in den Hof
bringen und dort auf Karren verladen, um diesen Teil meiner Güter in der
inneren Stadt in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig ließ ich an alle
meine Leute Waffen verteilen--sowohl Karren wie Waffen waren ja
reichlich wegen der beabsichtigten Karawanenfahrt vorhanden. Aber dabei
ließ ich es nicht bewenden. Das Allererste, was ich zu tun hatte, war,
einige vertraute Diener in die Stadt zu schicken, um dort gegen
Versprechen eines ansehnlichen Lohnes mutige und waffentüchtige Kerle
für die Nacht zu werben. Für jeden anderen wäre dies nun freilich ein
gar gefährliches Wagestück gewesen; denn wie leicht konnten solche Leute
im entscheidenden Augenblick mit den Angreifern gemeinsame Sache machen!
Ich vertraute aber gewissen Freundinnen, die meinen Dienern nur
zuverlässige Spitzbuben empfahlen--nämlich solche, die zwar sonst zu
Allem fähig sind, denen aber doch ihr feierlich gegebenes Wort und das
genommene Handgeld heilig sind. Da ich dies Gesindel und seine
sonderbaren Gewohnheiten kannte, wußte ich wohl, was ich tat.

Während dieser Vorbereitungen schickte ich, da ich selber nicht Zeit
hatte, zu meinen Frauen zu gehen, einen Diener zu einer jeden von ihnen
und ließ ihnen sagen, sie müßten sich bereit halten--die erste mit ihren
beiden Töchterchen, die zweite mit ihrem Söhnlein--noch heute nach der
Stadt ins Vaterhaus zu ziehen. Daß es nur für die eine Nacht sein
sollte, ließ ich sie nicht wissen, weil ich wohlweislich bedacht hatte,
wenn sie erst einmal dort wären, könnten sie auch eine Woche oder länger
dort bleiben, und ich würde unterdessen zu Hause einen ungeahnten
Frieden genießen--vorausgesetzt natürlich, daß es mir gelänge, den
Angriff abzuschlagen. Ebensowenig ließ ich sie den Grund zu dieser
Maßregel erfahren, weil man ja überhaupt Weibern gegenüber sich nicht
auf Gründe berufen soll.

Ich war nun gerade im Begriff, meiner bewaffneten Dienerschaft eine
anfeuernde Rede zu halten, wie ich das bei gefahrdrohenden Gelegenheiten
während einer Karawanenreise immer und mit großem Erfolg getan hatte. Da
stürzten gleichzeitig, wie auf Verabredung, aus zwei verschiedenen Türen
meine beiden Frauen in den Hof, mit verstörten Mienen und lautem
Schreien, so daß Alle sich nach ihnen umsahen, und ich meine kaum
angefangene Rede unterbrechen mußte. Die erste schleppte die beiden
Töchterlein, die zweite mein Söhnchen mit sich.

Vor mir angelangt, zeigte die eine auf die andere und beide schrien:

"So ist es denn endlich diesem schlechten Weib gelungen, dein Herz gegen
mich zu wenden, daß du mich verstoßen willst, und mir, deiner getreuen
Ehefrau, die Schande antust, mich ins Vaterhaus zurückzuschicken mit
deinen unschuldigen Töchterlein--(mit deinem armen Söhnlein)--."

Die überschäumende Wut, unterstützt von ihrem angeborenen kurzen
Verstande, verursachte, daß keine von ihnen merkte, wie die andere _sie_
genau derselben Sache beschuldigte, die sie selbst dieser zur Last
legte, und sich genau über das gleiche Schicksal beklagte, das sie
selbst als das ihrige beweinte, und daß also jedenfalls ein Irrtum
vorliegen mußte. Aber weit entfernt davon, so etwas zu ahnen, schrien
und heulten sie immer weiter, wobei sie sich die Haare rauften und ihre
Brüste mit den Fäusten schlugen, bis sie dann, wie zur Erholung, sich
gegen die vermeintliche siegreiche Gegnerin in Schimpfreden ergingen,
die an Grobheit Alles, was ich je in der Gesellschaft übelberufener
Weiber gehört hatte, weit übertrafen.

Endlich gelang es mir doch, zu Wort zu kommen und ihnen, wenn auch mit
großer Mühe, klar zu machen, daß sie meine Diener gänzlich mißverstanden
hätten, daß keine von ihnen zu ihren eigenen Eltern zurückgeschickt
werden sollte, sondern daß sie beide in das Haus meiner Eltern gebracht
würden, und zwar nicht zur Strafe oder als Zeichen meiner Ungnade,
sondern lediglich um ihrer und der Kinder Sicherheit willen. Als ich nun
aber sah, daß sie dies vollkommen begriffen hatten, ließ ich mich
hinreißen und rief:

"Das habt ihr von eurer Unart, nun lernet endlich euch anständig zu
betragen! Da habt ihr euren "kahlen Pfaffen"! Wer, glaubt ihr wohl, daß
das war? _Angulimala_ war es, der Räuber, der Schreckliche, der die
Menschen tötet und sich ihre Daumen um den Hals hängt! _Den_ habt ihr
beschimpft, _den_ habt ihr gereizt! Ein Wunder, daß er euch nicht mit
der Almosenschale totgeschlagen hat. Wir anderen, wenn jemand von uns in
seine Hände fällt, wir werden es ausbaden müssen, und wer weiß, ob ihr
noch im Hause meines Vaters vor ihm sicher seid."

Als meinen Frauen der Sinn dieser Rede völlig aufging, fingen sie
alsbald an zu schreien, als ob sie schon die Messerschneide an der Kehle
spürten, und wollten mit den Kindern zum Tor hinausstürzen. Ich ließ sie
jedoch zurückhalten und setzte ihnen umständlich auseinander, daß
vorläufig noch gar keine Gefahr zu befürchten sei, da Angulimala, wie
ich wohl wußte, uns auf keinen Fall vor Mitternacht angreifen würde.
Dann hieß ich sie in die Wohnung zurückkehren und Alles zusammenpacken,
was sie und die Kinder während der Zeit, die sie, der Räubergefahr
wegen, in der Stadt bleiben mußten, nötig haben könnten. Das taten sie
denn auch sofort.

Dabei hatte ich nun allerdings die Wirkung nicht bedacht, die meine
Worte auf meine Leute haben könnten. Und diese erwies sich bald als
wenig günstig. Denn als sie erfuhren, daß es der schreckliche, für tot
gehaltene Angulimala war, der mein Haus ausgekundschaftet hatte und es
sicher in der Nacht angreifen wollte, schlich erst der eine und andere
still davon, dann aber warfen sie zu Dutzenden die Waffen von sich und
erklärten, mit einem solchen Teufel nicht anbinden zu wollen: das könne
man keineswegs von ihnen verlangen. Auch die in der Stadt Angeworbenen,
von denen gerade jetzt die ersten ankamen und hörten, wie die Dinge
standen, meinten, so hätten sie nicht gewettet und zogen wieder ab. Nur
etwa zwanzig meiner eigenen Leute, an ihrer Spitze mein braver
Hausmeier, erklärten, sie wollten mich nicht verlassen, sondern bis zum
letzten Blutstropfen das Haus verteidigen, denn sie sahen wohl, daß ich
entschlossen war, diesen herrlichen Besitz, an dem mein Herz hing, nicht
preiszugeben, sondern, wenn es sein müßte, mit ihm unterzugehen.

Mehrere entschlossene Kerle aus der Stadt, die die Aussicht auf einen
tüchtigen Kampf fast noch mehr als das Geld lockte und die sich nicht
einmal vor dem Namen Angulimala fürchteten, ja sich wohl gar einredeten,
daß sie, nachdem sie sich brav geschlagen und gefangengenommen worden,
der Bande einverleibt werden würden--mehrere solche verzweifelte
Gesellen schlossen sich an, und so gebot ich doch zuletzt über gegen
vierzig wohlbewaffnete und tapfere Männer.

Unterdessen war es fast Abend geworden, und der Wagen für meine Frauen
fuhr vor. Diese kamen mit den Kindern einigermaßen beruhigt heraus; aber
ein neues Geheul erhob sich sofort, als sie merkten, daß ich nicht
mitfahren wollte, ja überhaupt nicht beabsichtigte, das Haus zu
verlassen. Sie warfen sich auf die Knie, ergriffen mein Gewand und
beschworen mich unter strömenden Tränen, mich mit ihnen zu retten:
"Unser Gebieter, unser Beschützer, verlaß uns nicht, stürze dich nicht
in den Rachen des Todes!" Ich erklärte ihnen, daß, wenn ich meinen
Posten verließe, dies Haus sicher ein Raub der Flammen und plündernder
Hände werden, und mein Sohn den Hauptteil seines Erbes verlieren würde,
während es jetzt noch vielleicht durch tapferes Ausharren zu retten sei,
da man nicht wisse, ob Angulimala mit großer Stärke angreifen würde.

"Ach, weh uns!" riefen sie, "unser Herr und Beschützer verläßt uns! Und
der schreckliche Angulimala wird ihn umbringen und seine Daumen an der
Halskette tragen! Zu Tode martern wird er unseren Gemahl in seinem
furchtbaren Grimm, und unsere Schuld wird es sein! Um unserer
Schimpfreden willen muß unser Gatte leiden, und uns wird es deshalb in
der Hölle übel ergehen!"

Ich versuchte sie zu beruhigen so gut es ging, und als sie sahen, daß
ich unerschütterlich war, mußten sie sich dazu bequemen, den Wagen zu
besteigen. Kaum aber hatten sie ihre Plätze eingenommen, so fingen sie
an sich mit gegenseitigen Beschuldigungen anzufeinden.

"Du warst's, die anfing."--"Nein, du--du hast mich auf ihn aufmerksam
gemacht, wie er dort am Torpfosten stand. Jawohl--gerade dort, du
zeigtest mit Fingern auf ihn."

"Und du hast nach ihm ausgespuckt--roten Speichel--_ich_ hatte noch
keinen Betel gekaut, das tu ich morgens nie."--"Aber du nanntest ihn
einen Landstreicher, einen faulen Bettler."--"Und du einen kahlen
Pfaffen...."

Und so ging's weiter; aber das Knarren der Räder, als die Ochsen jetzt
anzogen, übertäubte ihre Stimmen,




XVII. IN DIE HEIMATLOSIGKEIT


Welch ungekannte Stille umfing mich jetzt, o Bruder, als ich, nachdem
ich den Leuten ihre Posten angewiesen hatte, wieder ins Haus trat! Daß
ich die Stimmen meiner Frauen nicht hörte--das war es nicht allein,
sondern daß ich diese Stimmen sich zum Torweg hinaus hatte entfernen
hören, daß keine Möglichkeit da war, aus irgend welchen Ecken plötzlich
die keifenden Stimmen zu vernehmen, bis sie, gegenseitig sich steigernd,
sich schließlich zu einem mißtönigen Zankduett vereinigten oder vielmehr
entzweiten:--das war es, was meinem Hause eine für mich fast
unbegreifliche und unsagbar wohltuende Ruhe verlieh.

So erschien mir nun mein von weiten Parkanlagen umfriedeter Palast
herrlicher denn je, und ich zitterte bei dem Gedanken, daß diese
Herrlichkeit in wenigen Stunden durch verruchte Räuberhände vernichtet
werden sollte. Weit weniger kümmerte mich die Angst um mein eigenes
Leben, als die beständige, lebhafte Vorstellung, wie diese
wohlgepflegten Baumgänge verwüstet, diese kunstfertig ausgehauenen
Marmorsäulen gestürzt werden würden, und daß all dies, dessen
Herrichtung mir so viele Überlegung und so langwierige Mühe gekostet,
dessen Vollendung mir so große Freude gemacht hatte, ein Trümmerhaufen
sein würde, wenn die Sonne wieder aufging. Denn nur zu gut kannte ich ja
die Spuren Angulimalas.

Indessen war nun für mich nichts anderes mehr zu tun als zu warten; und
bis zur Mitternacht blieben noch mehrere Stunden.

Nun hatte ich aber stets in einer immerfort rollenden Kette von
Vergnügungen und Geschäften gelebt, so daß ich nie zur Besinnung kam;
und wie ich hier, ohne irgend etwas zu tun zu haben, allein in einem
nach der Säulenhalle und dem Garten sich öffnenden Zimmer, mitten im
totenstillen Palast, dasaß, erlebte ich gewissermaßen seit meiner
frühesten Jugend die ersten Stunden, die gänzlich mir selbst gehörten.
Da fingen nun auch meine freigelassenen Gedanken an, sich zum erstenmal
auf mich selber zu richten; und mein ganzes Leben zog an mir vorüber.
Und indem ich es so gleichsam als ein Fremder betrachtete, konnte ich
keinerlei Gefallen daran finden.

Diese Betrachtungen unterbrach ich ein paarmal, um einen Gang durch
Haus, Hof und Garten zu machen und mich so zu vergewissern, daß die
Leute wachten. Als ich zum dritten- oder viertenmal zwischen die Säulen
hinaustrat, bemerkte mein durch so viele Karawanenfahrten geübtes Auge
am Stande der Sternbilder, daß es nur noch eine halbe Stunde bis
Mitternacht war. Ich machte eilig die Runde und ermahnte meine Leute zur
äußersten Wachsamkeit. Ich selbst fühlte mein Blut in allen Adern
hämmern, und die Kehle wollte sich vor angstvoller Spannung
zusammenschnüren. Nach dem Zimmer zurückgekehrt, setzte ich mich nieder
wie zuvor. Aber kein Gedanke wollte sich regen; ich spürte einen starken
Druck vor der Brust, und bald war es mir, als ob ich ersticken müßte.

Ich sprang auf und trat, um Luft zu schöpfen, zwischen die Säulen
hinaus. Ein weichfächelnder Hauch strich mir plötzlich über die Wange
und gleich danach ertönte das Geschrei einer Eule; in demselben
Augenblick wehte mir von den Gartenteichen ein starker Duft von
Nachtlotusblüten entgegen. Ich hatte den Blick erhoben, um wiederum nach
den Sternen die Zeit zu bemessen: da sah ich quer über dem tiefblauen
Ausschnitt des Himmels zwischen den schwarzen Baumwipfeln den mild
leuchtenden Streifen der Milchstraße.

"Die himmlische Ganga," murmelte ich unwillkürlich. Da war es auf
einmal, als ob jener Druck vor der Brust sich auflöste und in einer
warmen Welle emporstiege, um sich schließlich in einem heißen
Tränenstrom durch die Augen zu ergießen.

Wohl hatte ich vorher, als mein Leben an meinem inneren Blicke
vorüberzog, auch an Vasitthi und an die Zeit meiner Liebe gedacht--aber
wie an etwas Fernes und Fremdes, das mir fast wie ein törichter Traum
erschien. Jetzt aber _dachte_ ich nicht mehr daran, sondern erlebte es
wieder; ich war auf einmal ich selber von damals und ich selber von
jetzt, und mit wahrem Entsetzen wurde ich den ganzen Unterschied inne.
Damals besaß ich nichts außer mir selbst und meiner Liebe; wie wären die
zu trennen gewesen? _Jetzt_--o, was besaß ich jetzt nicht alles! Frauen
und Kinder, Elefanten, Rosse und Rinder, Zugochsen, Diener und Sklaven,
reich gefüllte Warenhäuser, Gold und Juwelen, einen Lustpark und einen
Palast, um die mich meine Mitbürger beneideten--wo aber war ich selber
geblieben? Wie in einer mißratenen Frucht war der Kern eingetrocknet,
verschwunden, und Alles war zur Schale geworden!...

Wie erwachend sah ich mich um.

Der weitgedehnte Park, der seine schwarzen Baumkronen gegen den
sternenbesäten, von der Milchstraße durchzogenen Nachthimmel erhob, und
die stolze Halle, wo alabasterne Lampen zwischen den Säulen leuchteten:
sie erschienen mir jetzt in einem ganz neuen Licht; feindselig und
drohend umgaben sie mich, wie prächtig schimmernde Vampyre, die schon
fast mein ganzes Herzblut ausgesogen hatten und begierig gähnten, um
sich noch an den letzten Tropfen zu laben und nur den dürren Leichnam
eines verfehlten Menschenlebens übrig zu lassen.

Ein ferner undeutlicher Lärm--Murmeln oder Tritte, wie mir
schien--schreckte mich auf. Das entblößte Schwert in der Hand, sprang
ich ein paar Stufen hinunter, und blieb dann stehen, um zu lauschen. Die
Räuber!--Doch nein! Alles war still, Alles blieb still; weit und breit
rührte sich nichts. Es war nur einer jener unergründlichen Laute der
Nachtstille, die mich so oft am Wachtfeuer der Karawane hatten
aufspringen lassen.--Draußen war nichts! Aber was war das in _mir_? Das
war nicht mehr Angst, was mir jetzt das Blut in den Schläfen pochen
ließ; und auch der Mut der Verzweiflung war es nicht; nein, das war
frohlockender Jubel:

"Willkommen, ihr Räuber! Nur her, Angulimala! Verwüstet, äschert ein!
Das sind ja meine Todfeinde, die ihr vernichtet! Was mich erdrücken
würde, nehmt ihr von mir! Her zu mir! Die Schwerter in mein Blut
getaucht! Das ist ja mein ärgster Feind, den ihr durchbohrt, dieser
Leib, der der Wollust ergebene, der Völlerei verfallene! Das ist ja mein
schlimmster Besitz, dies Leben, das ihr mir nehmt.--Willkommen, Räuber,
gute Freunde, alte Kameraden!"

Es konnte ja nicht lange dauern; Mitternacht war vorüber. Und wie freute
ich mich jetzt auf den Kampf! Angulimala würde mich suchen: ich wollte
doch sehen, ob er mir auch diesmal das Schwert aus der Hand schlagen
könnte! O, wie süß würde das sein, zu sterben, nachdem ich ihn
durchbohrt--ihn, der allein die Schuld an meinem ganzen Unglück trug.

"Es kann nicht mehr lange dauern"--wie oft mag ich mir in jenen
Nachtstunden diesen Trost wiederholt haben!

Jetzt--endlich! Nein, es war ein Rauschen der Baumwipfel, das in der
Ferne dahinstarb, um sich wieder zu erheben. Es klang als ob ein großes
zottiges Tier sich schüttelte. Immer wieder geschah es, und einmal
ertönte der kurze Schrei irgend eines Vogels.

Waren das nicht Zeichen des herannahenden Tages?

Mir wurde kalt vor Schrecken. War es möglich, daß ich enttäuscht werden
sollte? Ja, ich zitterte jetzt bei dem Gedanken, daß die Räuber
schließlich _nicht_ kämen. Wie greifbar nahe war mir das Ende
erschienen--ein kurzer, aufregender Kampf und dann der Tod, kaum
gespürt. Nichts schien mir nun so trostlos, als die gemeine Aussicht, am
Morgen hier angetroffen zu werden, in der alten Umgebung, selbst wieder
der alte und dem alten Leben verschrieben. Sollte das wirklich
geschehen?--Kämen sie nicht, die Befreier! Es mußte sicher die höchste
Zeit sein--ich wagte nicht einmal nachzuforschen. Aber wie war das
möglich? War ich am Ende doch das Opfer einer Sinnestäuschung geworden,
als ich in jenem Asketen Angulimala erkannte? Wieder und wieder warf ich
diese Frage auf, jedoch ich konnte das nicht glauben. Dann aber mußte er
ja noch kommen--ohne Zweck hatte er sich doch gewiß nicht in dieser sehr
geschickten Verkleidung bei mir eingefunden, um sofort wieder zu
verschwinden, als ob ihn die Erde verschlungen hätte. Denn ich hatte
Nachforschungen angestellt und wußte, daß er nirgends sonst um
Almosenspeise vorgesprochen hatte.

Das schlaftrunkene Krähen eines jungen Hahnes im nahen Hofe weckte mich
aus meinem Grübeln. Das Sternbild, das ich suchte, konnte ich kaum mehr
finden; einige seiner Sterne waren schon hinter die Baumwipfel gesunken,
und die Gestirne hatten, mit Ausnahme der am höchsten stehenden, ihr
klares Funkeln eingebüßt. Es war kein Zweifel: das Tagesgrauen kündigte
sich schon an, und ein Angriff Angulimalas war völlig ausgeschlossen.

Von allem Wunderlichen, was ich in dieser Nacht erlebte, kam aber jetzt
das Wunderlichste.

Diese Erkenntnis war nämlich von keinem Gefühl der Enttäuschung
begleitet, noch weniger freilich von einer Erleichterung durch das
Verschwinden aller Gefahr. Sondern ein neuer Gedanke war da und erfüllte
mich ganz:

"Was habe ich denn auch diese Räuber nötig?

Ihre Fackeln und Pechkränze wollte ich, um von der Last dieses
prächtigen Besitztums befreit zu werden. Aber es gibt ja Männer, die
freiwillig sich ihres Besitzes entäußern und als Pilger umherziehen. Wie
ein Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit seinen Fittichen versehen
fliegt, ebenso ist auch der Pilger mit dem Gewande zufrieden, das seinen
Leib deckt, mit der Almosenspeise, die sein Leben fristet. Und ich habe
sie ja preisend sagen hören: 'Ein Gefängnis, ein Schmutzwinkel ist die
Häuslichkeit, der freie Himmelsraum ist die Pilgerschaft.'

Und die Schwerter der Räuber rief ich an, um diesen Leib zu töten. Wenn
aber dieser Leib zerfällt, bildet sich ja ein neuer, und aus diesem
Leben geht ein neues als seine Frucht hervor.--Was für eins würde wohl
aber aus dem meinigen hervorgehen? Freilich haben wir ja, Vasitthi und
ich, uns bei jener himmlischen Ganga, deren Silberwellen die Lotusteiche
des westlichen Paradieses speisen, feierlich zugeschworen, uns in jenen
seligen Gefilden zu finden--und mit jenem Schwur hat sich; wie sie
sagte, dort im heiligen, kristallklaren See für jeden von uns eine
Lebensknospe gebildet; durch jeden reinen Gedanken, jede gute Tat müsse
sie wachsen, alles Böse und Nichtswürdige aber werde wie ein Wurm an ihr
nagen. Ach, längst muß ja die meinige zernagt sein! Ich habe ja auf mein
Leben zurück geblickt: nichtswürdig hat es sich gestaltet,
Nichtswürdiges würde aus ihm hervorgehen. Was hätte ich denn durch einen
solchen Tausch gewonnen?

Nun gibt es ja aber Männer, die schon in diesem Leben jede irdische
Wiedergeburt vernichten und die unerschütterliche Gewißheit ewiger
Seligkeit gewinnen. Und das sind eben dieselben Männer, die, Alles
hinter sich lassend, frei umherpilgern.

Was sollen mir also die Brandfackeln der Räuber, was ihre Schwerter?"

Und ich, der ich zuerst vor den Räubern angstvoll gezittert und nachher
mich ungeduldig nach ihnen gesehnt und meine Hoffnung auf sie gesetzt
hatte--ich fürchtete mich weder vor ihnen, noch erhoffte ich von ihnen
irgend etwas; von Furcht und Hoffnung frei, empfand ich eine große Ruhe.
In dieser Ruhe kostete ich aber einen Vorgeschmack der Wonne, die
denjenigen zu eigen ist, die das Ziel der Pilgerschaft erreicht haben;
denn wie ich den Räubern gegenüberstand, so mögen sie wohl allen Mächten
der Welt gegenüberstehen: weder fürchten sie solche, noch hoffen sie
etwas von ihnen, sondern verharren in Frieden.

Und ich, der ich noch vor vierundzwanzig Stunden mich scheute, eine
kurze Reise anzutreten wegen der Strapazen und der kargen Kost des
Karawanenlebens, ich beschloß jetzt, ohne Zagen und Wanken, bis an das
Ende meiner Tage obdachlos zu Fuß zu wandern, mein Leben fristend "so
wie es eben kommt".

Ohne auch nur noch einmal in das Haus zurückzukehren, ging ich
geradenwegs nach einer zwischen Garten und Hof gelegenen Scheune, wo
allerlei Geräte aufbewahrt wurden. Dort nahm ich den Stock eines
Ochsentreibers und schnitt die Spitze ab, um ihn als Wanderstab zu
benutzen, und eine Kürbisflasche, wie die Gärtner und Feldarbeiter sie
bei sich tragen, hängte ich um.

Am Brunnen im Hofe füllte ich die Flasche.

Da trat der Hausmeier an mich heran.

"Angulimala und seine Räuber kommen wohl jetzt nicht mehr, o Herr?"

"Nein, Kolita, sie kommen nicht mehr."

"Aber wie, o Herr? Gehst du schon aus?"

"So ist es, Kolita, ich gehe aus, und eben davon wollte ich mit dir
sprechen. Denn ich gehe jetzt den Weg, den sie den Weg der höchsten
Zugvögel nennen. Von diesem Weg, Kolita, gibt es aber für einen, der auf
ihm ausharrt, keine Rückkehr. Keine Rückkehr nach dem Tode in diese
Welt, wieviel weniger während des Lebens nach diesem Hause. Dies Haus
aber gebe ich in deine Obhut, denn du hast dich treu bewährt bis in den
Tod. Verwalte Haus und Vermögen, bis mein Sohn das Mannesalter erreicht.
Grüße meinen Vater und meine Frauen, und gehab dich wohl!"

Nachdem ich also gesprochen, und meine Hand, die der gute Kolita mit
Küssen und Tränen bedeckte, frei gemacht hatte, schritt ich dem Tore zu.
Und beim Anblick des Pfostens, an dem die Gestalt des Asketen gelehnt
hatte, dachte ich: wenn ihre Ähnlichkeit mit Angulimala nur eine
Erscheinung war, so habe ich nun diese Erscheinung richtig gedeutet.

Schnell, ohne mich umzusehen, durchschritt ich den Vorort mit seinen
Gärten; und vor mir erstreckte sich, wie in die Unendlichkeit
fortlaufend, im ersten Schimmer des Tagesgrauens, die öde Landstraße.

So bin ich, Ehrwürdiger, in die Heimatlosigkeit gegangen.




XVIII. IN DER HALLE DES HAFNERS


Als der Pilger Kamanita mit diesen Worten seine Erzählung zu Ende
geführt hatte, schwieg er und sah sinnend in die Landschaft hinaus.

Und auch der Erhabene schwieg und sah sinnend in die Landschaft hinaus.
Große Bäume waren da sichtbar, nähere und fernere, einige sich in
schattige Massen sammelnd, andere sich duftig in wolkenartige Gebilde
auflösend, um nebelhaft in der Ferne zu zerfließen.

Der Mond stand jetzt über dem Dachvorsprung, und sein Licht drang in den
vorderen Teil der Halle, wo es wie drei auf die Bleiche gebreitete weiße
Tücher auf dem Boden lag, während die linken Seiten der Pfeiler
glänzten, als ob sie mit Silber beschlagen wären.

In der tiefen Stille der Nacht hörte man, wie eine Büffelkuh irgendwo in
der Nähe mit regelmäßigen kurzen Rucken das Gras abrupfte.

Und der Erhabene überlegte bei sich:

"Sollte ich wohl jetzt diesem Pilger sagen, was ich alles von Vasitthi
weiß? Wie treu sie ihm war, wie sie ohne eigene Schuld, durch schnöden
Betrug, dahin gebracht wurde, Satagira zu heiraten? Wie es _ihr_ Werk
war, daß Angulimala in Ujjeni erschien, und daß dadurch auch er,
Kamanita, selber sich auf diesem Pilgerwege befindet, anstatt in
schmutzigem Wohlleben zu verkümmern. Sollte ich ihm offenbaren, auf
welchem Wege sich jetzt Vasitthi befindet?"

Und er entschied sich dahin, daß die Zeit dafür noch nicht gekommen sei,
und daß ein solches Wissen dem Streben des Pilgers nicht förderlich sein
könne.

Da sprach der Erhabene:

"Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist
Leiden. Wurde dies gesagt, so wurde es darum gesagt."

"O wie wahr!" rief Kamanita mit bewegter Stimme--"wie überaus tief und
wahr! Wer hat denn, o Fremder, diesen trefflichen Ausspruch getan?"

"Laß es gut sein, Pilger. Gleichviel, wer ihn getan hat, wenn du nur
seine Wahrheit fühlst und erkennst."

"Wie sollte ich nicht! Enthält er doch in wenigen Worten den ganzen
Jammer meines Lebens. Hätte ich mir nicht schon einen Meister erwählt,
ich würde keinen anderen als den Trefflichen, von dem diese Worte
stammen, aufsuchen."

"So hast du also, o Pilger, einen Meister, zu dessen Lehre du dich
bekennst, in dessen Namen du ausgezogen bist?"

"Zwar bin ich nicht, Ehrwürdiger, in irgend jemandes Namen ausgezogen,
vielmehr dachte ich damals allein das Ziel zu erringen. Und wenn ich
tagsüber in der Nähe eines Dorfes, am Fuße eines Baumes oder im tiefen
Walde rastete, dann lag ich inbrünstig dem tiefsten Denken ob. Und ich
hing, o Ehrwürdiger, Gedanken wie den folgenden nach: 'Was ist die
Seele? Was ist die Welt? Ist die Welt ewig? Ist die Seele ewig? Ist die
Welt zeitlich? Ist die Seele zeitlich? Ist die Welt ewig und die Seele
zeitlich? Ist die Seele ewig und die Welt zeitlich?' Oder: 'Warum hat
der höchste Brahma diese Welt aus sich hervorgehen lassen? Und wenn der
höchste Brahma vollkommen und reine Wonne ist, wie kommt es dann, daß
die von ihm erschaffene Welt unvollkommen und mit Leiden behaftet ist?'

Und indem ich, Ehrwürdiger, solchen Gedanken nachhing, kam ich zu keiner
befriedigenden Lösung. Es erhoben sich vielmehr immer neue Zweifel, und
dem Ziel, um dessen willen edle Söhne für immer das Haus verlassen und
in die Heimatlosigkeit gehen, schien ich mich um keinen Schritt genähert
zu haben."

"Ebenso, o Pilger, wie wenn Einer dem Horizonte nachliefe: 'O, daß ich
doch heute oder morgen den Horizont erreichen könnte!'--ebenso entflieht
das Ziel demjenigen, der solchen Fragen nachgeht"

Kamanita nickte nachdenklich und fuhr dann fort:

"Da geschah es eines Tages, als die Schatten der Bäume schon länger zu
werden begannen, daß ich in der Lichtung eines Waldes auf eine Klause
stieß. Und ich sah da junge, weiß gekleidete Männer, von denen einige
die Kühe molken, während andere Holz spalteten und wieder andere die
Eimer an der Quelle spülten. Auf einer Matte vor der Halle saß ein alter
Brahmane, bei dem diese jungen Leute offenbar die Lieder und Sprüche
lernten. Er begrüßte mich freundlich, und obwohl es, wie er sagte, nur
eine knappe Stunde bis zum nächsten Dorfe sei, bat er mich, ihr Mahl zu
teilen und bei ihnen zu übernachten. Das tat ich denn auch dankbar
genug, und bevor ich mich zum Schlafen hinlegte, hatte ich manche gute
und beherzigenswerte Rede gehört. Als ich nun am folgenden Tage
weitergehen wollte, fragte mich der Brahmane: 'Wer ist dein Meister, o
Pilger, und in wessen Namen bist du ausgezogen?' Und ich antwortete, wie
ich dir geantwortet habe.

Da sagte denn der Brahmane: 'Wie wirst du, o Pilger, jenes hohe Ziel
erreichen, wenn du allein wanderst wie das Nashorn, anstatt wie der
weise Elefant in einer Herde, von einem erfahrenen Führer geleitet?'

Dabei blickte er beim Worte 'Herde' wohlwollend auf die umherstehenden
jungen Leute, beim Worte 'Führer' schien er selbstgefällig in sich
hineinzulächeln.

'Denn,' fuhr er dann fort, 'gar zu hoch ist ja dies für eigenes, tiefes
Denken, und ohne einen Lehrer gibt es hier gar keinen Zugang.
Andererseits aber sagt auch der Veda in der Belehrung Çvetaketus:
"Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem Lande der Gandharer mit
verbundenen Augen hergeführt und dann in die Einöde losgelassen haben,
nach Osten oder nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil er
mit verbundenen Augen hergeführt und mit verbundenen Augen losgelassen
worden war; aber nachdem ihm jemand die Binde abgenommen und zu ihm
gesprochen: 'Dort hinaus wohnen die Gandharer, dort hinaus gehe,' von
Dorf zu Dorf sich weiterfragend, belehrt und verständig zu den
Gandharern heimgelangt: also auch ist ein Mann, der hienieden einen
Lehrer gefunden hat, sich bewußt: diesem Welttreiben werde ich nur so
lange angehören, bis ich erlöst sein werde, und dann werde ich
heimgehen.'"

Nun merkte ich wohl, daß dieser Brahmane darauf ausging, mich zum
Schüler zu gewinnen. Aber eben diese Begehrlichkeit erweckte bei mir
kein Zutrauen. Gar wohl aber gefiel mir jenes Vedawort, das ich im
Weitergehen mir immer wiederholte, um es zu behalten. Dabei fiel mir ein
Spruch ein, den ich einmal über einen Meister gehört hatte: 'Den
Vollendeten verlangt es nicht nach Jüngern, aber die Jünger verlangt es
nach dem Vollendeten.' Wie muß der, dachte ich mir, ein ganz anderer
Mann sein als dieser Waldbrahmane! Und es verlangte mich, Ehrwürdiger,
nach jenem nicht verlangenden Meister."

"Wer war wohl aber der Meister, den du also hattest preisen hören, und
wie nennt er sich?"

"Es ist, o Bruder, der Asket Gautama, der Sakyersohn, der dem Erbe der
Sakyer entsagt hat. Diesen Meister Gautama aber begrüßt man allenthalben
mit dem frohen Ruhmesruf: 'Das ist der Erhabene, der Heilige, der
Wissens- und Wandelsbewährte, der Meister der Götter und Menschen, der
vollkommen Erwachte, der Buddha.' Um des Erhabenen willen pilgere ich
nun; zu seiner Lehre will ich mich bekennen."

"Wo aber, Pilger, weilt er jetzt, der Erhabene, vollkommen Erwachte?"

"Es liegt, o Bruder, oben im nördlichen Reiche Kosala, eine Stadt, die
Savatthi heißt. Und vor der Stadt ist der Waldpark Jetavana, mit
mächtigen, tiefen Schatten spendenden Bäumen, worunter Menschen
lärmentrückt sitzen und denken können, mit klaren, Kühlung aushauchenden
Teichen, mit smaragdenen Matten, mit zahllosen Blumen in mannigfaltigen
Farben. Diesen Hain aber hat der reiche Kaufmann Anathapindika schon vor
Jahren vom Prinzen Jeta um so viel Gold erstanden, daß damit der ganze
Boden bedeckt werden könnte, und hat ihn dann dem Buddha übergeben. Dort
also in Jetavana, dem lieblichen, Weisenscharen-durchwandelten, hat er,
der Erhabene, der vollkommen Erwachte, gegenwärtig seinen Aufenthalt.
Und im Verlaufe von etwa vier Wochen hoffe ich, wenn ich rüstig
ausschreite, den Abstand von hier nach Savatthi bewältigt zu haben und
zu seinen, des Erhabenen, Füßen zu sitzen."

"Hast du aber, Pilger, ihn, den Erhabenen, schon einmal gesehen, und
würdest du ihn, wenn du ihn sähest, erkennen?"

"Nein, Bruder, ich habe ihn, den Erhabenen, noch nicht gesehen, und sähe
ich ihn, so würde ich ihn nicht erkennen."

Da dachte denn der Erhabene bei sich: "Um meinetwillen pilgert dieser
Pilger, zu meinem Namen bekennt er sich; wie, wenn ich ihm nun die Lehre
darlegte?" Und der Erhabene wandte sich an Kamanita und sprach:

"Der Mond hat sich erst gerade über den Dachvorsprung erhoben, wir sind
noch nicht tief in der Nacht, und langer Schlaf ist dem Geiste nicht
gut. Wohlan, wenn es dir recht ist, will ich als Gegengeschenk für deine
Erzählung dir die Lehre des Buddha darlegen."

"Es ist mir recht, Bruder, und ich bitte dich, es zu tun."

"So höre, Pilger, und achte wohl auf meine Rede."




XIX. DER MEISTER


Und der Erhabene sprach: "Der Vollendete, Bruder, der vollkommen
Erwachte hat zu Benares, am Sehersteine im Gazellenhain, das Rad der
Lehre ins Rollen gesetzt. Und dawiderstellen kann sich kein Asket und
kein Priester, kein Gott und kein Teufel, noch irgendwer in der Welt.
Sie ist die Enthüllung, die Offenbarung der vier heiligen Wahrheiten.
Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der heiligen Wahrheit
von der Leidensentstehung, der heiligen Wahrheit von der
Leidensvernichtung, der heiligen Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung
führenden Pfad.

Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit vom Leiden? Geburt ist
Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden;
Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind Leiden; von Liebem
getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden; das,
was man begehrt, nicht erlangen, ist Leiden; kurz, die verschiedenen
Formen des Anhangens sind Leiden. Das heißt man, Bruder, die heilige
Wahrheit vom Leiden.

Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung? Es
ist dieser Durst, der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führende, von
Lust und Leidenschaft begleitete, bald da, bald dort sich ergötzende,
ist der Lüstedurst, der Werdedurst, der Vergänglichkeitsdurst. Das nennt
man, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensentstehung.

Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung?
Es ist eben dieses Durstes vollkommene, restlose Vernichtung, das
Verlassen, das Sichlosmachen, die Befreiung, die Erlösung von ihm. Das
nennt man, Bruder, die heilige Wahrheit von der Leidensvernichtung.

Was ist aber, Bruder, die heilige Wahrheit von dem zur
Leidensvernichtung führenden Wege? Dieser heilige, achtfältige Pfad ist
es, der da besteht in rechtem Erkennen, rechtem Entschließen, rechter
Rede, rechtem Handeln, rechtem Wandeln, rechtem Streben, rechtem
Gedenken, rechtem Sichversenken. Das nennt man, Bruder, die heilige
Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Wege."

Nachdem nun der Meister auf solche Weise die vier Ecksteine errichtet
hatte, ging er daran, das ganze Lehrgebäude aufzuführen, zu einem
wohnlichen Heim für die Gedanken und Gesinnungen seines Schülers; er
erläuterte jeden einzelnen Satz, wie man jeden einzelnen Stein behaut
und glättet, und so wie man Stein auf Stein legt, fügte er Satz zu Satz,
überall sorgfältig grundlegend und Alles genau aneinander passend. Der
Säule des Leidensgedankens zur Seite stellte er die Säule des
Vergänglichkeitsgedankens; beide verbindend und von beiden getragen,
schloß sich aber als Gebälk der schwerwiegende Gedanke von der
Wesenlosigkeit aller Erscheinungen an. Durch solch mächtiges Portal
stieg er, seinen Schüler behutsam führend, Schritt für Schritt die
wohlgefügte Stufenleiter des Grundfolgegesetzes mehrmals auf und ab,
überall befestigend und vervollkommnend.

Und wie ein geschickter Baumeister beim Errichten eines Prachtgebäudes
an passenden Stellen Bildwerke einfügt, und zwar so, daß sie nicht nur
als Schmuck, sondern auch als tragende oder stützende Teile dienen, also
brachte der Erhabene auch manchmal ein gefälliges und sinniges Gleichnis
an, da ja durch ein Gleichnis oft der dunkle Sinn einer tiefgedachten
Rede klar wird.

Schließlich aber faßte er das Ganze zusammen, indem er ihm gleichsam die
deckende, weithin leuchtende Kuppel aufsetzte, und sprach:

"Durch Haften, o Pilger, kommst du zum Entstehen; durch Nichthaften
kommst du nicht zum Entstehen.

Ein Mönch aber, der nirgend anhänglich haftet, dem geht in der
ungetrübten Heiterkeit seines Gleichmutes dieses Schauen auf:
Unerschütterlich ist meine Erlösung, dies ist die letzte Geburt, nicht
gibt es ferner ein neues Sein.

So ist nun ein dahin gelangter Mönch mit dieser höchsten Weisheit
belehnt. Das ist ja, Pilger, die höchste, heilige Weisheit: alles Leiden
versiegt zu wissen. Wer ihrer teilhaftig geworden, der hat eine Freiheit
gefunden, die wahrhaft, unantastbar besteht. Denn das, Pilger, ist ja
falsch, was eitel und vergänglich ist: und das ist wahr, was echt und
unvergänglich' ist: die Wahnerlöschung.

Und er, der von Hause aus der Geburt, dem Altern und dem Tode
unterworfen war, er hat nun, das Unheil dieses Naturgesetzes merkend,
sich die geburtlose, alterslose, todlose Sicherheit errungen; er, der
der Krankheit, dem Schmutze, der Sünde unterworfen war, hat die
unvergängliche, reine, heilige Sicherheit erreicht:

Im Erlösten ist die Erlösung, versiegt ist das Leben, gewirkt das Werk,
nicht mehr ist für mich diese Welt da.

Ein solcher, o Pilger, wird 'Endiger' genannt, denn er hat dem Leiden
ein Ende gemacht.

Ein solcher, o Pilger, wird 'Auslöscher' genannt, denn den Wahn von
'Ich' und 'Mein' hat er ausgelöscht.

Ein solcher, o Pilger, wird 'Ausroder' genannt, denn den Lebenstrieb hat
er mit der Wurzel ausgerodet, so daß kein Leben mehr keimen kann.

Ein solcher, solange er im Leibe ist, sehen ihn die Menschen und Götter;
nachdem aber sein Leib im Tode zerfallen ist, sehen ihn die Menschen und
Götter nicht mehr. Und auch die Natur, die Alles erspähende, sieht ihn
nicht mehr: geblendet hat er das Auge der Natur, entschwunden ist er der
bösen.

Den Strom des Werdens durchkreuzend, hat er die Insel erreicht, die
einzige, das Jenseits von Alter und Tod--das Nirvana."




XX. DAS UNVERNÜNFTIGE KIND


Nachdem der Erhabene seine Belehrung also beschlossen hatte, blieb der
Pilger Kamanita lange Zeit stumm und regungslos sitzen, in
widerstreitenden und zweifelnden Gedanken befangen. Endlich sagte er:
"Du hast mir da, Ehrwürdiger, gar vieles davon gesagt, wie der Mönch dem
Leiden schon bei Lebzeiten ein Ende macht, aber nichts davon, was aus
ihm wird, wenn dann sein Leib im Tode zerfällt und zu den Elementen
zurückkehrt, ausgenommen, daß von da ab weder Menschen noch Götter, noch
die Natur selber ihn sehen. Aber von einem ewigen Leben, von höchster
Wonne und himmlischer Seligkeit"-davon habe ich nichts vernommen. Hat
denn der Erhabene darüber nichts offenbart?

"So ist es, Bruder, so ist es. Der Erhabene hat darüber nichts
offenbart."

"Dann heißt das so viel, als daß der Erhabene von dieser wichtigsten
Frage nicht mehr weiß als ich selber," versetzte Kamanita unmutig.

"Meinst du? So höre denn, Pilger. In jenem Sinsapawalde bei Kosambi, wo
du und deine Vasitthi euch ewige Treue und Wiedersehen im Paradiese des
Westens zugeschworen habt, weilte auch zu einer Zeit der Erhabene. Und
der Erhabene trat aus dem Walde, ein Bündel Sinsapablätter in der Hand,
und sprach zu den Jüngern: 'Was meint ihr, ihr Jünger, ist mehr, diese
Sinsapablätter, die ich in die Hand genommen habe, oder die anderen
Blätter droben im Sinsapawalde?' Und ohne sich lange zu besinnen,
antworteten sie: 'Die Blätter, Herr, die der Erhabene in die Hand
genommen hat, sind wenige, und viel mehr sind jene Blätter droben im
Sinsapawalde.' 'Ebenso auch, ihr Jünger,' sprach der Erhabene, 'ist das
viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet, als das, was ich
euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich euch jenes nicht
verkündet? Weil es nicht heilsam, nicht urasketentümlich ist, nicht zur
Abkehr, nicht zur Wendung, nicht zur Auflösung, nicht zum Erwachen,
nicht zum Nirvana führt."

"Wenn der Erhabene im Sinsapawalde vor Kosambi also gesprochen hat,"
antwortete Kamanita, "dann dürfte die Sache noch schlimmer stehen. Denn
er hat dann über diesen Punkt geschwiegen, um die Jünger nicht zu
entmutigen, oder gar abzuschrecken, indem er ihnen die letzte Wahrheit
enthüllte: nämlich die Vernichtung. Diese scheint mir denn auch als
notwendige Folge aus dem hervorzugehen, was du mir auseinandergesetzt
hast. Denn nachdem alle Gegenstände der fünf Sinne und des Denkens als
vergänglich, wesenlos und leidvoll abgewiesen und verneint sind, bleiben
eben keine Bestimmungen übrig, mittelst welcher irgend etwas zu fassen
wäre. Und so verstehe ich denn, Ehrwürdiger, die mir von dir dargelegte
Lehre dahin, daß ein Mönch, der alle Unreinheit von sich abgetan hat,
wenn sein Leib zerbricht, der Vernichtung anheimfällt, daß er vergeht,
daß er nicht mehr ist jenseits des Todes."

"Sagtest du mir nicht, Pilger," fragte dann der Buddha, "daß du binnen
eines Monats zu Füßen des Erhabenen im Waldparke Jetavana bei Savatthi
sitzen würdest?"

"Das hoff ich sicher zu tun, Ehrwürdiger; warum fragst du mich?"

"Wenn du nun also zu Füßen des Erhabenen sitzest, was meinst du dann,
Freund--die Körperform, die du dann siehst, die du mit den Händen
berühren kannst--ist die der Vollendete, siehst du es also an?"

"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger."

"Wenn nun aber der Erhabene mit dir spricht,--das Bewußtsein, das dann
zum Vorschein kommt, mit seinen Empfindungen, Wahrnehmungen und
Vorstellungen--ist denn das der Vollendete? Siehst du es also an?"

"Das tue ich nicht, Ehrwürdiger." "So sind wohl, Freund, der Körper und
das Bewußtsein zusammengenommen der Vollendete?"

"Auch so sehe ich es nicht an, Ehrwürdiger."

"Ist denn der Vollendete geschieden von dem Körper? oder vom Bewußtsein?
oder von beiden? Siehst du es so an, Freund?"

"Er ist insofern von ihnen geschieden, als sein Wesen durch diese
Bestimmungen noch nicht erschöpft ist."

"Welche Bestimmungen hast du denn nun, Freund, außer denen der
Körperlichkeit mit allen ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und
dem Bewußtsein mit seinem ganzen Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen
und Vorstellungen--welche Bestimmungen hast du noch außerdem, mittelst
welcher du das noch nicht Erschöpfte im Wesen des Vollendeten erschöpfen
kannst?"

"Solcher anderer Bestimmungen, Ehrwürdiger, habe ich freilich keine."

"So ist also, Freund Kamanita, schon hier in der Sinnenwelt der
Vollendete nicht in Wahrheit und Wesenhaftigkeit für dich zu erfassen.
Hast du da also ein Recht, zu sagen, daß der Vollendete--oder der Mönch,
der alle Unreinheit von sich abgetan hat--wenn sein Leben zerbricht, der
Vernichtung anheimfällt, daß er nicht ist jenseits des Todes; lediglich,
weil du kein Mittel besitzest, um ihn dort in Wahrheit und
Wesenhaftigkeit zu erfassen?"

Solchermaßen befragt, saß der Pilger Kamanita eine Weile, gebeugten
Rumpfes, gesenkten Kopfes, schweigend da.

"Wenn ich auch kein Recht habe, das zu behaupten," sagte er schließlich,
"so scheint es mir doch deutlich genug eben aus jenem Schweigen des
Vollendeten hervorzugehen. Denn gewiß hätte er nicht geschwiegen, wenn
er etwas Erfreuliches mitzuteilen gehabt hätte, was ja der Fall wäre,
wenn er wüßte, daß den Mönch, der dem Leiden ein Ende gemacht hat, nach
dem Tode keineswegs Vernichtung, sondern ewiges, seliges Leben erwartet.
Denn eine solche Mitteilung könnte ja die Jünger nur anspornen und ihnen
in ihrem rechten Streben förderlich sein."

"Wähnst du, Freund? Wie nun aber, wenn der Vollendete als letztes Ziel
nicht die Vernichtung des Leidens hingestellt hätte--ebenso wie er mit
dem Leiden selbst anfing--sondern noch darüber hinaus ein ewiges,
seliges Leben jenseits des Todes gepriesen hätte? Und gar viele von den
Jüngern hätten an dieser Vorstellung Gefallen gefunden, hingen ihr
anhänglich an, ersehnten ihre Erfüllung mit heißer Sucht, die alle
Heiterkeit der Gedenkenruhe trübte: hätten sie sich dann nicht wieder
unversehens in das gewaltige Fangnetz der Lebenslust verstrickt? Und
indem sie sich an ein Jenseits hielten, hierfür aber notwendigerweise
alle Farben vom Diesseits nähmen, würden sie da nicht, je mehr sie dem
Jenseits nachjagten, eben am Diesseits festkleben? Gleichwie etwa ein
Kettenhund, der an einen festen Pfahl gebunden ist und loszukommen
versucht, sich um diesen Pfahl im Kreise dreht:--ebenso würden jene
lieben Jünger aus Abscheu vor dem diesseitigen Leben sich gerade um das
diesseitige Leben im Kreise drehen."

"Wenn ich auch diese Gefahr zugeben muß," gab Kamanita zur Antwort, "so
halte ich doch das andere Übel, die durch das Schweigen hervorgerufene
Unsicherheit, für viel gefährlicher, weil es von vornherein den Eifer
lähmt. Denn wie kann wohl der Jünger entschlossen und mutig mit allen
Kräften streben, dem Leiden ein Ende zu machen, wenn er nicht weiß, was
darauf folgt--ob ewige Seligkeit oder Nichtsein?"

"Was meinst du, Freund, wenn da ein Haus wäre, das vom Feuer ergriffen
würde, und der Diener liefe, den Herrn zu wecken: 'Steh auf, Herr!
Flieh! Das Haus brennt! Schon flammen die Balken, und das Dach will
einstürzen'--würde wohl dann der Herr erwidern: 'Geh, mein Lieber, und
sieh nach, ob es draußen regnet und stürmt, oder ob es eine liebliche
Mondnacht ist; und ist letzteres der Fall, dann wollen wir uns ins Freie
begeben."'

"Wie könnte wohl, Ehrwürdiger, der Herr also antworten? Denn der Diener
hat ihm ja angstvoll zugerufen: 'Flieh, Herr! Das Haus brennt! Schon
flammen die Balken, und das Dach will einstürzen'."

"Freilich hat der Diener ihm das zugerufen. Wenn nun aber dennoch der
Herr antwortete: 'Geh, mein Lieber, und sieh nach, ob es draußen regnet
und stürmt, oder ob es eine liebliche Mondnacht ist; und ist letzteres
der Fall, dann wollen wir uns ins Freie begeben'--würdest du dann nicht
daraus schließen, daß der Herr gar nicht richtig gehört hat, was ihm der
getreue Diener zurief? daß es ihm keineswegs klar geworden ist, welche
tödliche Gefahr über seinem Kopfe schwebt?"

"Freilich müßte ich ja diese Schlußfolgerung ziehen, Ehrwürdiger, da es
anderenfalls undenkbar wäre, daß der Mann eine solche törichte Antwort
geben könnte."

"Ebenso nun auch, Pilger--wandere, als ob dein Haupt von Flammen umgeben
wäre! denn das Haus brennt. Und welches Haus? Die Welt! Durch welches
Feuer entflammt? Durch der Begierde Feuer, durch des Hasses Feuer, durch
der Verblendung Feuer. Die ganze Welt wird von Flammen verzehrt, die
ganze Welt ist von Rauch umwölkt, die ganze Welt erbebt."

Solchermaßen angerufen, zitterte der Pilger Kamanita, wie ein junger
Büffel zittert, wenn er zum erstenmal aus dem Dickicht den Ruf des Löwen
vernimmt. Gebeugten Rumpfes, gesenkten Kopfes, das Gesicht von
brennender Röte übergossen, saß er eine Weile schweigend da. Dann sagte
er mit mürrischer, obwohl etwas bebender Stimme:

"Das will mir aber dennoch nicht gefallen, daß der Erhabene darüber
nichts offenbart hat, wenn er etwas Verheißungsvolles darüber hätte
mitteilen können. Und auch wenn er geschwiegen hat, weil das, was er
wußte, eben trostlos und abschreckend ist, oder weil er überhaupt nichts
wußte: so will mir das auch nicht gefallen. Denn des Menschen Sinnen und
Trachten geht auf Glückseligkeit und Wonne, was auch in der Natur
begründet ist und nicht anders sein kann. Und so habe ich ja auch die
Brahmanischen Priester verkünden hören:

'Gesetzt, es sei ein Jungling, ein wackerer Jüngling, ein
lernbegieriger, der schnellste, kräftigste, stärkste, und ihm gehörte
die ganze Erde mit all ihrem Reichtum: so ist das eine menschliche
Wonne. Aber hundert menschliche Wonnen sind _eine_ Wonne der himmlischen
Genien. Und hundert Wonnen der himmlischen Genien sind _eine_ Wonne der
Götter. Und hundert Wonnen der Götter sind _eine_ Wonne des Indra. Und
hundert Wonnen des Indra sind _eine_ Wonne des Prajapati, und hundert
Wonnen des Prajapati sind _eine_ Wonne des Brahman. Dies ist die höchste
Wonne, dies ist der Weg zur höchsten Wonne!'"

"Gleichwie, o Pilger, wenn da ein unerfahrenes Kind wäre, der
vernünftigen Erwägung unfähig. Dieses Kind empfände in einem Zahne
brennenden, stechenden, bohrenden Schmerz; und es liefe zu einem
kundigen, bewährten Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle,
Ehrwürdigster, durch deine Kunst schaffen, daß ich in diesem Zahn
anstatt des Schmerzes ein wonniges Hochgefühl empfinde.' Und der Arzt
antwortete: 'Liebes Kind, meine Kunst befaßt sich nur damit, den Schmerz
zu beseitigen.'--Aber das unvernünftige Kind finge an zu klagen: 'Habe
ich doch, ach! in diesem Zahne nun so lange brennenden, stechenden,
bohrenden Schmerz empfunden; wie billig ist es da, daß ich jetzt statt
dessen ein wonniges Gefühl, süße Lust darin genösse. Auch gibt es ja,
habe ich gehört, kundige, bewährte Ärzte, deren Kunst so weit reicht,
und ich glaubte, daß du ein solcher wärest!' Und dies unvernünftige Kind
liefe nun zu einem Heilzauberer, einem Wunderarzt aus dem Lande der
Gandarer, einem Marktschreier, der durch einen öffentlichen Ausrufer zum
Schall von Trommeln und Muschelhörnern auf den Straßen verkünden ließe:
'Gesundheit ist das höchste Gut, Gesundheit ist des Menschen Ziel.
Blühende, üppige Gesundheit, wohliges, wonniges Hochgefühl in allen
Gliedern, in allen Adern und Fasern des Körpers, wie es die seligen
Götter genießen, kann auch der Kränkste um eine geringe Opfergabe durch
meine Hilfe erlangen.' Zu diesem Wunderarzt liefe das Kind und klagte
ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst schaffen, daß
ich in diesem Zahn anstatt des Schmerzes ein wohliges, wonniges
Hochgefühl genieße.' Und der Zauberer antwortete: 'Liebes Kind, gerade
darin besteht meine Kunst.' Und nachdem er das ihm vom Kinde
dargereichte Geld eingestrichen, berührte er den Zahn mit seinem Finger
und brächte eine magische Wirkung hervor, wodurch ein wonniges
Lustgefühl sofort den Schmerz verdrängte. Und das unvernünftige Kind
liefe erfreut und hochbeglückt nach Hause.--Nach einer kurzen Weile aber
ließe das Lustgefühl nach, und der Schmerz stellte sich wieder ein. Und
warum? _Weil ja die Ursache des Übels nicht beseitigt war_.

Aber, o Pilger, ein verständiger Mann empfände in einem Zahn brennenden,
stechenden, bohrenden Schmerz. Und er ginge zu dem kundigen, bewährten
Arzt und klagte ihm seine Not: 'Wolle, Ehrwürdigster, durch deine Kunst
mich von diesem Schmerz befreien.' Und der Arzt antwortete: 'Wenn du,
mein Lieber, nichts weiter von mir verlangst, so viel vertraue ich
meiner Kunst.' 'Was könnte ich wohl weiter verlangen?' fragte der
verständige Mann. Und der Arzt untersuchte den Zahn und fände die
Ursache des Schmerzes in einer Entzündung an der Zahnwurzel. 'Geh nach
Hause, mein Lieber, und lasse dir an dieser Stelle einen Blutegel
setzen. Wenn er sich vollgesogen hat und abfällt, dann lege diese
Kräuter auf die Wunde. Dann wird der Eiter und das ungesunde Blut
entfernt sein, und der Schmerz wird aufhören.' Und der verständige Mann
ginge nach Hause und täte, wie der Arzt ihm gesagt. Und der Schmerz
verginge und kehrte nicht wieder. Und warum nicht? _Weil ja die Ursache
des Übels beseitigt war_."

Als nun der Erhabene nach Beendigung dieses Gleichnisses schwieg, saß
der Pilger Kamanita verstummt und verstört, gebeugten Rumpfes, gesenkten
Hauptes, das Antlitz von brennender Röte übergossen, wortlos da, und der
Angstschweiß tröpfelte ihm von der Stirn herab und rieselte ihm aus den
Achselhöhlen herunter. Fühlte er sich doch von diesem Ehrwürdigen mit
einem unvernünftigen Kinde verglichen und ihm gleichgestellt. Und da er
trotz aller Anstrengung keine Antwort zu finden vermochte, war er dem
Weinen nahe.

Endlich, als er seine Stimme beherrschen konnte, fragte er kleinlaut:

"Hast du, Ehrwürdiger, dies alles aus dem Munde des Erhabenen, des
vollendeten Buddha selber?"

Selten geschieht es, daß Vollendete lächeln. Bei dieser Frage jedoch
umspielte ein Lächeln die Lippen des Erhabenen.

"Das freilich nicht, Bruder."

Als der Pilger Kamanita dies vernahm, richtete er freudig seinen Körper
empor, blickte leuchtenden Auges auf und sprach mit frisch belebter
Stimme:

"Dachte ich's doch! O, ich wußte ja, daß dies nicht die ureigene Lehre
des Vollendeten sein könne, sondern nur deine eigene mißverständlich
ergrübelte Auslegung derselben. Heißt es ja doch, daß die Lehre des
Buddha im Anfange beseligend, in der Mitte beseligend und am Ende
beseligend sei. Wie aber könnte jemand das von einer Lehre sagen, die
mir nicht ein ewiges, seliges Leben in höchster Wonne verheißt? Nun, in
wenigen Wochen werde ich ja zu Füßen des Vollendeten sitzen und von
seinen eigenen Lippen die Heilslehre empfangen, wie ein Kind aus der
Mutterbrust seine süße Nahrung saugt. Und auch du wirst da sein und
richtig belehrt von deiner irrigen, verderblichen Auffassung
zurückkommen. Aber sieh, jene Streifen des Mondlichtes haben sich fast
bis zur Schwelle der Halle zurückgezogen; wir müssen tief in der Nacht
sein. Wohlan, wir wollen uns jetzt schlafen legen."

"Wie es dir, Bruder, belieben mag," antwortete der Erhabene freundlich.

Und sich fester in seinen Mantel hüllend, legte der Erhabene sich auf
der Matte in der Stellung des Löwen hin, auf den rechten Arm gestützt,
den linken Fuß auf dem rechten ruhen lassend.

Und der Stunde des Erwachens gedenkend, schlief er sofort ein.




XXI. MITTEN IM LAUFE


Als der Erhabene beim ersten Morgengrauen erwachte, sah er, wie der
Pilger Kamanita emsig seine Matte zusammenrollte, seine Kürbisflasche
umhängte und sich nach dem Stabe umsah, den er nicht gleich in der Ecke
bemerkte, weil er umgefallen war. Dabei hatte er in allen seinen
Bewegungen das Gepräge eines Menschen, der es sehr eilig hat.

Der Erhabene setzte sich auf und grüßte ihn freundlich.

"Willst du schon aufbrechen, Bruder?"

"Freilich, freilich," rief Kamanita erregt. "Denke dir, es ist wirklich
kaum zu glauben--rein zum Lachen, und doch so wunderbar--ein wahres
Glück! Vor wenigen Minuten erwachte ich und fühlte mich, nach dem vielen
Reden von gestern, recht trocken im Halse. Ich sprang sofort auf und
lief zum Brunnen--unter den Tamarinden, quer über den Weg. Dort stand
schon ein Mädchen und schöpfte Wasser. Und was meinst du wohl, was ich
von ihr höre?--Der Vollendete ist gar nicht in Savatthi! Und wo ist er
denn, glaubst du? Gestern ist er, von dreihundert Mönchen begleitet,
hier in Rajagaha angekommen! Und er weilt jetzt in seinem Mangohaine
jenseits der Stadt. In einer Stunde, in weniger vielleicht, werde ich
ihn gesehen haben--ich, der ich glaubte, noch vier Wochen pilgern zu
müssen! Was sage ich--in einer Stunde?--Es ist nur eine gute halbe
Stunde bis dahin, sagte das Mädchen, wenn man nicht durch die
Hauptstraßen geht, sondern durch die Gäßchen und Höfe nach dem Westtor
läuft...ich kann mir's kaum denken! Mir brennt der Boden unter den
Sohlen--leb' wohl, Bruder! Du hast es gut mit mir gemeint, und ich werde
nicht unterlassen, auch dich zum Erhabenen zu führen--jetzt aber kann
ich mich wahrlich keinen Augenblick mehr aufhalten."

Und der Pilger Kamanita stürzte aus der Halle hinaus und lief die Straße
dahin, so schnell ihn die Beine nur tragen wollten. Als er aber das
Stadttor Rajagahas erreichte, war es noch nicht geöffnet, und er mußte
eine kleine Weile warten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam und seine
Ungeduld aufs höchste steigerte.

Indessen benutzte er die Zeit, um von einer alten Frau, die einen Korb
voll Gemüse nach der Stadt trug und, wie er selbst, dort warten mußte,
genaue Erkundigungen über den kürzesten Weg einzuziehen--wie er durch
jene Gäßchen, rechts an einem Tempelchen und links an einem Brunnen
vorübergehen müsse und dann einen Turm ja nicht aus den Augen verlieren
dürfe, so daß er die vor der Stadtmauer verlorene Zeit vielleicht
innerhalb derselben einholen könne.

Als nun das Tor sich geöffnet hatte, stürzte er unaufhaltsam in der ihm
bezeichneten Richtung fort. Manchmal rannte er ein paar Kinder über den
Haufen, rempelte eine Frau an, die am Rinnstein Geschirr spülte, so daß
eine Schüssel ihr klirrend davonrollte und zerbrach, oder er stieß mit
einem Wasserträger zusammen. Aber die Schimpfworte, die hinter ihm
herflogen, erreichten verschlossene Ohren, so ganz war er von dem einen
Gedanken erfüllt, daß er bald, ganz bald den Buddha sehen würde.

"Welches Glück!" sagte er zu sich selber. "Wie viele Geschlechter leben
dahin, ohne daß ein Buddha auf der Erde mit ihnen zusammen wandert; und
von dem Geschlecht, das einen Buddha zum Zeitgenossen hat--o wie so
wenige sind es, die ihn sehen! Mir aber ist jetzt dies Glück
gewiß!--Immer habe ich ja gefürchtet, daß auf dem weiten, gefahrvollen
Wege wilde Tiere oder Räuber mich um dies Glück bringen könnten, jetzt
aber kann es mir nicht mehr geraubt werden!"

Während er so dachte, war er in ein sehr enges Gäßchen eingebogen. In
seinem törichten Vorwärtsstürmen sah er nicht, daß vom anderen Ende her
eine Kuh, die aus irgend einem Grunde scheu geworden war, ihm
entgegenstürzte, bemerkte auch nicht, wie ein paar Leute vor ihm sich
eiligst in ein Haus flüchteten, und andere sich hinter einem
vorspringenden Mauerstück verbargen; er hörte nicht den Ruf, durch den
eine auf einem Söller stehende Frau ihn warnen wollte--er spähte nur
hinauf nach den Turmzinnen, die ihn am Verfehlen des Weges hindern
sollten.

Erst als es zum Ausweichen zu spät war, sah er entsetzt, gerade vor
sich, die dampfenden Nüstern, die mit Blut unterlaufenen Augen und das
blanke Horn, das ihm unmittelbar danach tief in die Seite drang.

Mit einem lauten Schrei fiel er an der Mauer nieder. Die Kuh stürzte
weiter und verschwand in einer anderen Straße.

Sofort eilten nun Leute herbei, teils aus Neugier, teils um zu helfen.
Das Weib, das ihn gewarnt hatte, brachte Wasser, um die Wunde zu
reinigen. Man zerriß seinen Mantel, um ihm einen Verband anzulegen und
womöglich das Blut zu stillen, das wie ein Quell hervorbrach.

Kamanita hatte fast keinen Augenblick das Bewußtsein verloren. Es war
ihm sofort klar, daß dies seinen Tod bedeute. Aber weder diese
Vorstellung, noch die Schmerzen quälten ihn so sehr, wie die Angst, daß
er den Buddha jetzt nicht zu sehen bekäme. Mit bewegter Stimme flehte er
die Umstehenden an, ihn nach dem Mangohaine zum Buddha zu tragen:

"So weit bin ich gepilgert, ihr lieben Leute!--So nahe war ich schon am
Ziel! O, habt Erbarmen mit mir, zögert nicht, mich dahin zu tragen!
Denkt nicht an die Schmerzen, fürchtet nicht, daß ich ihnen
unterliege--ich werde nicht sterben, bevor ihr mich dem Vollendeten zu
Füßen niedergelegt habt, und dann werde ich selig sterben, selig
auferstehen."

Einige liefen nun, Stangen und eine Matratze zu holen. Eine Frau brachte
ein stärkendes Getränk, von dem Kamanita ein paar Löffel voll nahm. Die
Männer waren uneinig, welcher Weg zur Versammlungshalle im Mangohaine
der kürzeste sei, da es wohl auf jeden Schritt ankommen konnte. Denn es
war jedem klar, daß es mit dem Pilger bald zu Ende ging.

"Da kommen Jünger des Vollendeten!" rief einer der Umstehenden, das
Gäßchen hinanzeigend, "die werden uns das am besten sagen können."

Wirklich nahten sich einige Mönche aus dem Orden des Buddha, in gelbe
Mäntel gehüllt, die den rechten Ann frei ließen, und die Almosenschale
in der Hand. Die meisten waren jüngere Leute; aber zuvörderst schritten
zwei ehrwürdige Gestalten: ein Greis, dessen ernstes, etwas strenges
Gesicht mit dem durchdringenden Blick und dem kräftigen Kinn
unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und ein Mann in
mittleren Jahren, aus dessen Zügen eine so herzgewinnende Milde
leuchtete, daß er dadurch fast das Aussehen eines Jünglings bekam. Auch
konnte ein erfahrener Beobachter in seiner Haltung und in den etwas
lebhaften Bewegungen, wie auch im feurigen Blicke, die unveräußerlichen
Merkmale der Kriegerkaste entdecken, während die bedächtige Ruhe des
Älteren den geborenen Brahmanen verriet. An hohem Wuchs und fürstlichem
Anstand kamen aber beide einander gleich.

Als diese Mönche bei der Gruppe, die sich um den verwundeten Mann
gebildet hatte, Halt machten, erzählten ihnen viele redselige Zungen
sofort, was vorgefallen war, und daß man im Begriff sei, diesen
verwundeten Pilger auf einer Bahre--die gerade gebracht wurde--nach dem
Mangohaine zum Buddha zu tragen, um dadurch seinen sehnlichen Wunsch zu
erfüllen;--ob nicht einer der jüngeren Mönche mit zurückkehren wolle, um
ihnen den kürzesten Weg nach der Stelle zu weisen, wo der Erhabene sich
augenblicklich aufhielt?

"Der Erhabene," antwortete der Greis mit dem strengen Gesicht, "ist
nicht im Mangohaine, und wir wissen selbst noch nicht, wo er sich
aufhält."

Bei dieser Antwort entrang ein verzweifeltes Stöhnen sich der wunden
Brust Kamanitas.

"Aber freilich kann er nicht weit von hier sein," fügte der Jüngere
hinzu. "Der Erhabene hat gestern die Mönchsgemeinschaft vorausgeschickt
und ist allein weitergegangen. Er wird sich wohl verspätet haben und
irgendwo, vielleicht im Vororte, eingekehrt sein. Wir sind jetzt
unterwegs, ihn zu suchen."

"O, suchet eifrig, findet ihn!" rief Kamanita.

"Wenn wir auch wüßten, wo der Erhabene ist, so ginge es doch nicht an,
diesen Verwundeten hinzutragen," meinte der strenge Mönch. "Denn die
Erschütterung auf der Bahre würde seinen Zustand schnell verschlimmern,
und wenn er es auch überstände, so würde er doch sterbend ankommen, und
sein Geist würde nicht fähig sein, die Worte des Erhabenen zu erfassen.
Wenn er sich aber jetzt schont, und von einem kundigen Wundarzt
behandelt und sorgfältig gepflegt wird, dann ist doch immer noch
Hoffnung vorhanden, daß er so weit zu Kräften kommen kann, um der Rede
des Erhabenen zu lauschen.

Aber Kamanita zeigte ungeduldig auf die Bahre:

"Keine Zeit--sterben--mich mitnehmen--ihn sehen--berühren--selig
sterben--mitnehmen--eilet!"

Achselzuckend wandte sich der Mönch an die jüngeren Brüder:

"Dieser arme Mann hält den siegreich Vollendeten für ein Götzenbild, bei
dessen Berührung man entsühnt wird."

"Er hat Vertrauen zum Vollendeten gefaßt, Sariputta, wenn ihm auch das
tiefere Verständnis fehlt," sagte der andere und beugte sich über den
Verwundeten, um den Grad seiner Kräfte festzustellen; "vielleicht könnte
man es doch wagen. Der Arme dauert mich, und ich glaube, man kann ihm
nichts Besseres antun, als den Versuch zu machen."

Ein dankbarer Blick des Pilgers belohnte ihn für seine Fürsprache.

"Wie es dir beliebt, Ananda," antwortete Sariputta freundlich.

In diesem Augenblick kam von der Seite, von welcher auch Kamanita
gekommen war, ein Hafner gegangen, der auf dem Rücken einen Korb mit
allerlei Töpferwaren trug. Als er den Pilger Kamanita bemerkte, den man
soeben mit großer Vorsicht, aber nicht ohne ihm heftige Schmerzen zu
verursachen, auf die Bahre gelegt hatte, blieb er erschrocken
stehen--und zwar so plötzlich, daß die aufeinandergetürmten Schüsseln,
die er auf dem Kopfe trug, zu Boden fielen und zerbrachen.

"Ihr Götter! Was ist denn hier vorgefallen? Das ist ja der fromme
Pilger, der meiner Halle die Ehre angetan hat, dort zu übernachten. In
der Gesellschaft eines Mönches, der dasselbe Gewand trug, wie diese
Ehrwürdigen, hat er in meinem Hause die Nacht zugebracht."

"War jener Mönch ein alter Mann und von hoher Gestalt?" fragte
Sariputta.

"Gewiß, Ehrwürdiger--und er schien mir dir selber nicht unähnlich zu
sein."

Da wußten nun die Mönche, daß sie nicht länger zu suchen brauchten, und
daß der Erhabene im Hause des Hafners war. Denn "der Jünger, der dem
Meister ähnelt"--also wurde ja Sariputta genannt.

"Ist es möglich?" sagte Ananda und blickte von dem Verwundeten auf, der
durch die Schmerzen, die ihm das Emporheben verursacht hatte, fast
bewußtlos geworden war und die Ankunft des Hafners gar nicht bemerkt
hatte.--"Ist es möglich? Dieser arme Mann hätte das Glück, nach dem er
so sehnlich trachtet, die ganze Nacht genossen, ohne es auch nur im
geringsten zu ahnen?"

"Das ist die Art des Toren," sagte Sariputta. "Aber gehen wir; jetzt
kann er ja hingebracht werden."

"Einen Augenblick!" rief Ananda, "die Schmerzen haben ihn überwältigt."

In der Tat zeigte der leere Blick Kamanitas, daß er kaum bemerkte, was
um ihn vorging. Es fing an, ihm schwarz vor den Augen zu werden. Aber
der lange Streifen des Morgenhimmels, der oben zwischen den hohen Mauern
leuchtete, drang doch noch bis zu seinem Bewußtsein durch und mochte ihm
wohl als die den Nachthimmel durchquerende Milchstraße erscheinen. Seine
Lippen bewegten sich:

"Die Ganga--," murmelte er.

"Seine Sinne wandern," sagte Ananda.

Die Zunächststehenden, die das Wort vernommen hatten, faßten es anders
auf.

"Er wünscht jetzt an die Ganga gebracht zu werden, damit die heiligen
Wogen seine Sünden abspülen.--Aber Mutter Ganga ist ja weit von
hier--wer könnte ihn wohl dahin tragen?"

"Erst der Buddha, dann die Ganga!"--murmelte Sariputta mit dem halb
verächtlichen Mitleid des Weisen einem Toren gegenüber, der unrettbar
von einem Aberglauben in den anderen fällt.

Aber plötzlich belebten die Augen Kamanitas sich wunderbar. Ein seliges
Lächeln verklärte seine Züge. Sein Körper wollte sich aufrichten. Ananda
stützte ihn.

"Die himmlische Ganga," flüsterte er mit schwacher, aber freudiger
Stimme, und zeigte mit der rechten Hand nach dem Himmelsstreifen über
seinem Haupte: "Die himmlische Ganga!--wir schwuren--bei ihren
Wellen--Vasitthi--"

Sein Körper zitterte, Blut quoll ihm aus dem Munde, und in den Armen
Anandas verschied er.--

Kaum eine halbe Stunde später traten Sariputta und Ananda, von den
Mönchen begleitet, in die Halle des Hafners ein, begrüßten den Erhabenen
ehrerbietig und setzten sich ihm zur Seite nieder.

"Nun, mein lieber Sariputta," fragte da der Erhabene, nachdem er ihnen
freundlichen Gruß entboten,--"hat die junge Mönchsgemeinde unter deiner
Führung die weite Wanderung gut und ohne Unfälle überstanden? Habt ihr
Mangel an Nahrung oder Arznei für die Kranken unterwegs gehabt? Ist die
Jüngerschaft fröhlich beflissen?"

"Glücklich bin ich, Ehrwürdigster, sagen zu können, daß es uns an nichts
gefehlt hat, und daß die jungen Mönche voll Eifer und Zuversicht, sich
nur danach sehnen, den Erhabenen von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
Diese edlen Jünglinge, Kenner des Wortes, Nachfolger der Lehre, habe ich
mitgenommen, um sie schon jetzt dem Meister vorzustellen."

Bei diesen Worten erhoben sich drei junge Mönche und begrüßten den
Erhabenen mit zusammengelegten Händen:

"Heil dem Erhabenen, dem vollendeten Buddha--Heil!"

"Seid mir willkommen," sprach der Erhabene und lud sie mit einer
Handbewegung wieder zum Sitzen ein.

"Und ist auch der Erhabene," fragte Ananda, "nach der gestrigen
Wanderung ohne Übermüdung oder üble Folgen gut hier angekommen? Und hat
der Erhabene in dieser Halle die Nacht leidlich zugebracht?"

"So ist es, Brüder. Ich bin bei einbrechender Dunkelheit zwar recht
müde, doch ohne üble Folgen der Wanderung hier angekommen und habe in
der Gesellschaft eines fremden Pilgers die Nacht nicht eben schlecht
zugebracht."

"Dieser Pilger," nahm Sariputta das Wort, "ist in den Straßen Rajagahas
durch eine Kuh des Lebens beraubt worden."

"Und nicht ahnend, mit wem er die Nacht hier zugebracht hatte," fügte
Ananda hinzu, "begehrte er sehnlich, zu Füßen des Erhabenen gebracht zu
werden."

"Bald danach freilich verlangte er, man möchte ihn nach der Ganga
tragen," bemerkte Sariputta.

"Nicht doch, Bruder Sariputta!"--berichtigte Ananda. "Denn er sprach von
der _himmlischen_ Ganga. Leuchtenden Blickes gedachte er eines Schwures
und nannte dabei einen Frauennamen--Vasitthi, glaube ich--und so
verschied er."

"Irgend einen Frauennamen auf den Lippen, ging er von dannen," sagte
Sariputta.--"Wo ist er wohl wieder ins Dasein getreten?"

"Töricht, ihr Jünger, war der Pilger Kamanita, einem unvernünftigen
Kinde vergleichbar. Diesem Pilger, ihr Jünger, der in meinem Namen
umherzog und sich zur Lehre des Erhabenen bekennen wollte, habe ich die
Lehre ausführlich und eingehend dargelegt. Und er hat an der Lehre
Anstoß genommen. Auf Seligkeit und Himmelswonnen war das Sehnen und
Trachten seines Herzens gerichtet. Der Pilger Kamanita, ihr Jünger, ist
in Sukhavati, im Paradiese des Westens, wieder ins Dasein getreten,
tausend- und abertausendjährige Himmelswonnen zu genießen."




XXII. IM PARADIESE DES WESTENS


Als der Erhabene in der Halle des Hafners zu Rajagaha diese Worte
sprach, erwachte der Pilger Kamanita im Paradiese des Westens. In einen
roten Mantel gehüllt, der zart und glänzend wie ein Blumenblatt in
reichem Faltenwurf um ihn herabfloß, fand er sich mit untergeschlagenen
Beinen, auf einer mächtigen, gleichfarbigen Lotusrose sitzend, die
mitten auf einem großen Teiche schwamm. Auf der weiten Wasserfläche
waren überall solche Lotusblumen zu sehen, rote, blaue und weiße, einige
noch als Knospen, andere, obwohl ziemlich entwickelt, doch immer noch
geschlossen, aber unzählige offen wie die seine; und fast auf einer
jeden thronte eine menschliche Gestalt, deren faltiges Gewand aus den
Blumenblättern emporzuwachsen schien.

Auf den schrägen Ufern des Teiches, im grünsten Gras, lachte ein
Blumenflor, als ob alle Edelsteine der Erde hier in Blumengestalt
wiedergeboren wären, ihren Glanz und ihr durchleuchtetes Farbenspiel
beibehaltend, aber den harten Panzer, den sie in ihrem Erdenleben
getragen, gegen die Weiche, schmiegsame, lebendige Pflanzenhülle
eintauschend. So war auch der Duft, den sie aushauchten, mächtiger als
die herrlichste Essenz, die je in ein kristallenes Fläschchen
eingeschlossen wurde, und hatte doch die ganze herzhafte Frische des
natürlichen Blumenduftes.

Von diesem fesselnden Ufersaum schweifte nun der entzückte Blick weiter
zwischen hohen und breitwipfeligen, smaragdlaubigen und juwelenblühenden
Bäumen, die bald einzeln sich erhoben, bald in Gruppen zusammen standen,
bald tiefe Haine bildeten, hinüber nach den anmutigsten Felsenhügeln,
die bald nackt ihre kristallenen, marmornen und alabasternen Formen
zeigten, bald sie mit dichtem Gebüsch bedeckten oder mit duftigem
Blütenflor verhüllten. An einer Stelle aber wichen Haine und Felsen
gänzlich zur Seite, um einem schönen Fluß Raum zu geben, der sich still,
wie ein Strom von Sternenglanz, in den Teich ergoß.

Über die ganze Gegend wölbte sich ein Himmel, dessen Ultramarinblau nach
unten zu eher noch tiefer wurde, und unter dieser Kuppel schwebten
weiße, geballte Wölkchen, auf welchen liebliche Genien gelagert waren,
deren Instrumente den ganzen Raum mit den Zauberklängen wonniger Weisen
erfüllten.

Aber an diesem Himmel war keine Sonne zu sehen, noch bedurfte es einer
solchen. Denn von den Wölkchen und den Genien, von Felsen und Blumen,
vom Wasser und von den Lotusrosen, von den Gewändern der Seligen, noch
mehr aber von ihren Gesichtern strahlte ein wundersames Licht aus. Und
wie dies Licht von strahlender Helligkeit war, ohne doch im mindesten zu
blenden, so wurde die weiche, duftgesättigte Wärme durch den ständigen
Hauch des Wassers erfrischt, und schon diese Luft einzuatmen war eine
Lust, der nichts auf Erden gleichkommt.

Als Kamanita den ersten Anblick dieser Herrlichkeiten so weit verwunden
hatte, daß sie ihn nicht mehr überwältigten, sondern anfingen, sich ihm
als seine natürliche Umgebung unterzuordnen, richtete er seine
Aufmerksamkeit auf jene anderen Wesen, die, wie er selber, ringsum auf
den schwimmenden Lotusthronen saßen. Er bemerkte bald, daß die rot
gekleideten männlichen, die weiß gekleideten weiblichen Geschlechts
waren, während von den in blaue Mäntel gehüllten Gestalten, wie ihm
schien, einige diesem, einige jenem Geschlechte angehörten. Alle
miteinander aber standen sie in vollster Jugendblüte, und alle schienen
von freundlichster Gesinnung erfüllt zu sein.

Ein Nachbar in blauem Mantel flößte ihm besonderes Vertrauen ein, und
die Lust, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, regte sich in ihm.

"Ob es wohl angeht, von selber und unaufgefordert diesen Ehrwürdigen zu
fragen?" dachte er. "Gar zu gern möchte ich doch wissen, wo ich bin."

Zu seiner größten Verwunderung erfolgte die Antwort sofort, lautlos und
ohne daß der Blaue die Lippen auch nur leise bewegt hätte:

"Du bist in Sukhavati, dem Orte der Seligkeit."

Unwillkürlich fragte Kamanita in Gedanken weiter:

"Du warst hier, Ehrwürdigster, als ich die Augen aufschlug, denn mein
Blick fiel sofort auf dich. Bist du vielleicht gleichzeitig mit mir
erwacht, oder warst du schon lange hier?"

"Seit undenklichen Zeiten bin ich hier," antwortete der Blaue, "und ich
würde glauben, daß ich von Ewigkeit her hier wäre, wenn ich nicht so oft
gesehen hätte, wie eine Lotusblume sich öffnete und ein neues Wesen zum
Vorschein kam--und wenn nicht der Duft des Korallenbaumes wäre."

"Was ist's denn mit diesem Duft?"

"Das wirst du selber bald entdecken. Der Korallenbaum ist das größte
Wunder dieses Paradieses."

Die Musik der himmlischen Genien, die wie von selber dieses lautlose
Gespräch zu begleiten schien, mit ihren Weisen und Klängen sich jedem
Satz desselben anschmiegend, gleichsam um seinen Sinn zu vertiefen und
das klar zu machen, was die Worte nicht fassen konnten, wob bei diesen
Worten ein seltsam mystisches Tongebilde, und es schien dem lauschenden
Kamanita, als ob in seinem Geiste unendliche Tiefen sich öffneten, in
deren Schatten formlose Erinnerungen sich regten, ohne erwachen zu
können.

"Das größte Wunder!" sagte er nach einer Pause. "Ich meinte, von allem
Wunderbaren hier sei das Wunderbarste jener herrliche Strom, der sich in
unsern Teich ergießt."

"Die himmlische Ganga," nickte der Blaue.

"Die himmlische Ganga!"--wiederholte Kamanita träumerisch, und wiederum
überkam ihn, nur in verstärktem Maße, jenes Gefühl von etwas, das er
kennen müsse und doch nicht kennen konnte, während die geheimnisvollen
Töne in den tiefsten Abgründen seines eigenen Selbstes die Quellen jenes
Stromes zu suchen schienen.




XXIII. SELIGE REIGEN


Mit Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm
auf ihrer Lotusrose thronende weiße Gestalt plötzlich in die Höhe wuchs.
Die aufgehäufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich
auseinander, bis das Gewand geradlinig von den Schultern bis zum
goldigen Saume hinabfloß. Und dieser berührte schon nicht mehr die
Blumenblätter--die Gestalt schwebte frei über den Teich hin, über das
Ufer hinauf, und verschwand zwischen den Bäumen und hinter dem Gebüsch.

"Wie herrlich muß das sein!"--dachte Kamanita. "Aber das ist wohl eine
sehr schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts wäre.
Ob ich das wohl jemals lernen kann?"

"Du kannst schon, wenn du nur willst," antwortete der Blaue, an den die
letzte Frage gerichtet war.

Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen Körper in die
Höhe höbe. Er schwebte schon quer über den Teich nach dem Ufer zu, und
bald war er mitten im Grünen. Wohin er seinen Blick wünschend richtete,
dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah
nun andere Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen
hatte, durchstreifte liebliche Haine, wo bunte Vögel von Zweig zu Zweig
hüpften und ihr melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der
Wipfel mischten, strich über blumenreiche Auen hin, wo niedliche
Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im geringsten vor ihm zu
fürchten, und ließ sich endlich auf dem sanften Abhang eines Hügels
nieder. Zwischen Baumstämmen und blühendem Gebüsch sah er die Ecke eines
Teiches, wo das Wasser rings um die großen Lotusblüten glitzerte, deren
Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt trugen, während mehrere
selbst von den ganz entfalteten leer waren.

Es war nämlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen
Schwärmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtkäfer unter den
Bäumen und um das Gebüsch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes
Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und
paarweise, in ganzen Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die
Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen und Blicken an, daß sie sich
lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die unsichtbaren Fäden
des Gespräches, die sich zwischen den lautlos Dahinziehenden hinüber und
herüber spannen.

In süßer, traumhafter Befangenheit genoß Kamanita dies reizende
Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen
Fröhlichen zu unterhalten.

Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich
begrüßte als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten.

Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Gerücht von seinem
Entstehen sich schon überall in Sukhavati verbreitet hätte.

"O, wenn ein Lotus sich öffnet, regen sich alle Lotusblumen in den
Paradiesteichen, und jedes Wesen fühlt, wenn hier irgendwo ein neues
Wesen zur Seligkeit erwacht."

"Aber wie könnt ihr wissen, daß gerade ich der Neue bin?"

Die ihn Umschwebenden lächelten lieblich.

"Du bist noch nicht so ganz erwacht."

"Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten sähest und dich davor
fürchtetest, daß sie plötzlich verschwinden könnten und daß eine rauhe
Wirklichkeit dich wieder umgeben möchte."

Kamanita schüttelte den Kopf.

"Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?"

"Ihr vergeßt," sagte eine Weißgekleidete, "daß er gewiß noch nicht am
Korallenbaume war."

"Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm gehört.
Mein Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder
sein. Was ist's denn mit ihm?"

Aber sie lächelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und
den Kopf schüttelnd.

"Ich möchte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?"

"Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist."

Kamanita strich sich mit der Hand über die Stirn.

"Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach....Ja! Die himmlische
Ganga....Von ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch
so?"

Die Weißgekleidete zeigte nach dem klaren Flüßchen, das sich um den Fuß
des Hügels wand und in gemächlichen Krümmungen sich dem Teiche
zuschlängelte.

"Das ist unser Zufluß. Unzählige solcher Adern durchziehen diese
Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn
auch eine größere. Aber die himmlische Ganga selber umschließt das ganze
Sukhavati."

"Hast du auch sie selber gesehen?"

Die Weiße schüttelte den Kopf.

"So kann man denn nicht dorthin kommen?"

"Man kann schon," antworteten sie alle. "Aber keiner von uns war dort.
Warum sollten wir auch? Nirgends kann es schöner sein als hier. Einige
andere freilich waren da--aber sie sind nie wieder hingeflogen."

"Warum denn nicht?"

Die Weiße zeigte nach dem Teiche:

"Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer?--Er war dort, es ist
lange, lange her. Wollen wir ihn fragen, ob er später noch einmal nach
dem Gestade der Ganga geflogen ist?"

"Nimmermehr," klang sofort die Antwort des Roten.

"Und warum denn nicht?"

"Fliege selber hin und hole dir Antwort."

"Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon."

"Ich möchte wohl hin--aber jetzt nicht."

Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang
sich zu einem Reigen um das Wiesengebüsch, und indem die Reihe sich
ausdehnte, ergriff die äußerste Gestalt--eine hellblaue--die Hand der
Weißen. Diese reichte einladend ihre andere Hand Kamanita hin.

Er dankte ihr lächelnd, schüttelte aber leise den Kopf:--

"Noch möchte ich lieber zusehen."

"Ja, ruhe nur, und erwache. Auf Wiedersehen!"

Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im
luftigen Ringeltanz.

Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gruß davon,
um ihm Ruhe zur Sammlung zu geben.




XXIV. DER KORALLENBAUM


Kamanita folgte ihnen lange mit dem Blick und wunderte sich. Und dann
wunderte er sich über sein Wundern. "Wie kommt es denn, daß Alles mich
hier so seltsam anmutet? Wenn ich hierher gehöre, warum scheint mir dann
nicht Alles selbstverständlich?--Aber jede neue Erscheinung hier ist mir
rätselhaft und setzt mich in Erstaunen. Zum Beispiel dieser Duft, der
jetzt plötzlich an mir vorüberweht. Wie ist er doch so ganz verschieden
von allem anderen Blumendufte hier--viel voller und mächtiger, anziehend
und beunruhigend zugleich. Wo mag er wohl herkommen?

...Aber wo mag ich wohl selber herkommen? Es scheint, als ob ich vor
kurzem noch ein Nichts gewesen bin. Oder habe ich doch ein Dasein
gehabt, nur nicht hier? Aber wo dann? Und wie bin ich denn
hierhergekommen?"

Während diese Fragen in ihm aufstiegen, hatte sich sein Körper, ohne daß
er es bemerkte, vom Rasen losgelöst, und er schwebte schon weiter--aber
in keiner von den Richtungen, denen die anderen gefolgt waren. Kamanita
stieg aufwärts, gegen eine Einsattelung im Gipfel des Hügels. Als er
über sie hinstrich, wurde er von einem noch stärkeren Hauch jenes neuen,
seltsamen Duftes empfangen.

Kamanita flog weiter.

Jenseits des Hügels verlor die Gegend etwas an Lieblichkeit. Der
Blumenflor war spärlicher, das Gebüsch dunkler, die Haine dichter, die
Felsen schroffer und höher. Herden von Gazellen weideten da, aber nur
ganz vereinzelt zeigte sich eine selige Gestalt.

Das Tal verengte sich und mündete in eine Kluft. Hier war jener Duft
noch stärker. Immer schneller wurde seine Flucht, immer nackter, steiler
und höher schlossen sich die Felsenwände zusammen, bis nirgends mehr ein
Ausgang zu sehen war.

Die Schlucht machte ein paar scharfe Wendungen und öffnete sich
plötzlich.

Um Kamanita breitete sich ein von himmelstrebenden Malachitfelsen
eingeschlossener Talkessel, und mitten in diesem stand der Wunderbaum.

Stamm und Äste waren von blanker, roter Koralle; ein wenig gelblicher
war die Röte des krausen Laubwerkes, aus dem die Blüten tief
karmesinfarbig hervorglühten.

Über Felsenzinnen und Baumwipfel spannte der Himmel sich dunkelblau,
ohne daß ein einziges Wölkchen zu sehen war. Auch drang die Musik der
Genien kaum hierher--was noch in der Luft zitterte, war wie eine
Erinnerung an längst gehörte Melodien.

Nur drei Farben waren da: das Ultramarinblau des Himmels, das
Malachitgrün der Felsen, das Korallenrot des Baumes. Und nur _ein_
Duft--jener geheimnisvolle, allen anderen unähnliche Duft der
karmesinroten Blumen, der Kamanita hierher geführt hatte.

Und alsbald zeigte sich nun auch die Wunderart dieses Duftes:

Als Kamanita ihn hier einsog, wo er verdichtet den ganzen Kessel füllte,
erweiterte sich plötzlich sein Bewußtsein und überschwemmte und
durchbrach die Schranke, die bis jetzt hinter seinem Erwachen im Teiche
errichtet gewesen war.

Sein vorheriges Leben lag offen vor ihm:

Er sah die Halle des Hafners, wo er mit jenem törichten Buddhamönch im
Gespräche saß; er sah das Gäßchen in Rajagaha, das er durcheilte, und
die ihm entgegenstürmende Kuh--dann die bestürzten Gesichter ringsum und
die gelbgekleideten Mönche....

Und er sah die Waldungen und Landstraßen seiner Pilgerschaft, seinen
Palast und seine beiden Frauen, die Hetären Ujjenis, die Räuber, den
Krishnahain und die Terrasse der Sorgenlosen mit Vasitthi, das
Elternhaus und die Kinderstube....

Und dahinter sah er ein anderes Leben und noch eins und noch eins--und
immer noch andere, wie man die Baumreihe einer Landstraße sieht, bis die
Bäume zu Punkten werden und die Punkte in einen einzigen
Schattenstreifen zusammenschmelzen.

Bei diesem Anblick schwindelte ihm. Und sofort befand er sich wieder in
der Kluft, wie ein Blatt, das vom Winde getrieben wird. Denn das
erstemal hält niemand den Duft des Korallenbaumes lange aus, und der
Selbsterhaltungstrieb führt Jeden beim ersten Schwindel von dannen.

Als er nun ruhiger durch das offene Tal schwebte, erwog Kamanita:

"Jetzt verstehe ich, warum die Weiße sagte, ich sei wohl noch nicht am
Korallenbaume gewesen. Denn freilich konnte ich damals nicht verstehen,
was sie mit 'Traumgestalten' meinten; jetzt aber weiß ich es, denn in
jenem Leben habe ich ja solche gesehen. Und jetzt begreife ich auch,
warum ich hier bin. Ich wollte ja im Mangohaine bei Rajagaha den Buddha
aufsuchen. Freilich wurde das durch meinen plötzlichen, gewaltsamen Tod
vereitelt, aber mein guter Wille ist mir angerechnet worden, und so bin
ich an diesen Ort der Seligkeit gelangt, als ob ich zu seinen Füßen
gesessen und in seiner beseligenden Lehre gestorben wäre. Also ist mein
Pilgergang nicht vergebens gewesen."

Und Kamanita erreichte bald wieder den Teich und ließ sich auf seine
rote Lotusrose nieder, wie ein Vogel, der sein Nest aufsucht.




XXV. DIE KNOSPE ÖFFNET SICH


Plötzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas
Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen
aufsteigenden Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine
große Lotusknospe mit roter Spitze schoß wie ein Fisch aus der Flut
empor, um dann schwimmend auf der Wasserfläche sich zu wiegen, die erst
in Kreisen wellte und dann noch lange danach wie zersplittert zitterte
und glitzerte, farbensprühend, als ob der Teich mit fließenden Diamanten
gefüllt wäre, während der Widerschein der Wasserblinke wie kleine
Flammen über die Lotusblätter, die Gewänder und die Gesichter der
seligen Gestalten emporflatterte.

Und auch das Gemüt Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen
verborgenen Farben, auch über sein Herz schien ein Widerschein freudiger
Bewegung spielend hinzutanzen.

"Was war das wohl?" fragte sein Blick den blauen Nachbar.

"Tief unten, in weiten Weltfernen, auf der trüben Erde, hat in diesem
Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet,
hier in Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch
beobachten, ob die Knospe sich schön entwickelt und zum Blühen gelangt.
Denn gar manche Seele richtet ihren Wunsch auf den reinen Ort der
Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben, sondern verstrickt sich
wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des Fleisches
und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verkümmert die Knospe
und verschwindet zuletzt gänzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine
männliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter
vom Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, daß, wenn auch die
roten und die weißen sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den
blauen die helleren, weiblichen, bei weitem die meisten sind."

Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob
auf einmal schmerzliche Freude und lustgebärendes Weh es in schwankende
Bewegung setzten, und sein Blick ruhte rätselratend auf einer
geschlossenen Lotusrose, die, weiß wie die Brust eines Schwans, dicht
neben ihm sich in dem noch leise bewegten Wasser anmutig wiegte.

"Kannst du dich auch darauf besinnen, daß du einmal gesehen hast, wie
die Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?" fragte er den
erfahrenen Nachbar.

"Gewiß, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser weißen Blume auf, die du
jetzt gerade betrachtest. Und ich habe das Paar immer beobachtet,
manchmal nicht ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an,
sichtlich zusammenzuschrumpfen und sie war fast gänzlich unter die
Wässerfläche hinabgesunken, als sie sich plötzlich wieder erhob, voller
und blanker wurde und sich dann gar prächtig bis zum Entfalten
entwickelte. Die weiße aber wuchs langsam, allmählich und gleichmäßig
ihrer Entfaltung entgegen--dann aber wurde auch sie plötzlich wie von
einer Krankheit befallen. Doch sie erholte sich rasch wieder und wurde
solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir siehst."

Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, daß
es ihn dünken wollte, als sei er bis jetzt nur ein trüber Gast an einem
trüben Ort gewesen,--dermaßen schien jetzt Alles um ihn herum zu
leuchten, zu duften und zu klingen.

Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem weißen Lotus ruhte, ein
Zauberstab wäre, um verborgene Schätze zu heben, regte sich die Spitze
der Blume, die Blätter bogen ihre Ränder nach vorne und neigten sich
nach allen Seiten; und sieh'--in ihrer Mitte saß Vasitthi mit weit
geöffneten Augen, deren süß lächelnder Bück dem seinigen begegnete.

Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nach einander
aus, und, ihre Hände ineinanderlegend, schwebten sie über den Teich dem
Ufer zu.

Kamanita merkte wohl, daß Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte,
sondern sich ihm nur unwillkürlich zuwandte, wie die Sonnenblume der
Sonne. Wie hätte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort
bei seinem Erwachen sich seines vorausgegangenen Lebens erinnerte--wenn
auch in den Tiefen ihres Gemütes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen
regen mochten, wie einst bei ihm, als sein Nachbar von der himmlischen
Ganga sprach.

Er zeigte ihr den strahlenden Fluß, der sich still in den Teich ergoß:

"So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche
in den Gefilden der Seligen."

"Die himmlische Ganga?" wiederholte sie fragend und strich sich mit der
Hand über die Stirn.

"Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum."

"Dort aber ist der Hain und das Gebüsch so lieblich, und sie spielen
dort solch heitere Spiele," sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung
zeigend.

"Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch
seinen Wunderduft zu erquicken."

Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug darüber
getröstet hat, daß es am fröhlichen Treiben der Kameraden nicht
teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen
entgegenzuwehen begann, belebten sich ihre Züge mehr und mehr.

"Wo führst du mich hin?" fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht
einlenkten. "Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es
kommt mir vor, als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein
Lächeln mich daran erinnert, daß ich ja eben erst zum Bewußtsein erwacht
bin. Aber du hast dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter."

"O, man kann weiter, viel, _viel_ weiter," lächelte Kamanita, "und
vielleicht wirst du jetzt gewahr, daß jenes Gefühl dich nicht getäuscht
hat, liebste Vasitthi!"

Und schon öffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit
dem roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller
Düfte umfing sie.

Vasitthi legte die Hände auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen
zu hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren
Zügen erkannte Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen über sie
dahinbrauste.

Plötzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust:

"Kamanita, mein Liebster!"

Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht
zurückstürmend.

Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Gebüsch und dichten
Hainen, wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die
Einsamkeit störte, ließ er sich mit ihr unter einem Baume nieder.

"O, du Ärmster!"--sprach Vasitthi, "was mußt du gelitten haben! Und was
mußt du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, daß ich Satagira
geheiratet hatte!"

Aber Kamanita erzählte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht
erfahren, sondern selber in der Hauptstraße Kosambis den Hochzeitszug
gesehen habe, und wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte
geprägt stand, ihn unmittelbar davon überzeugt habe, daß sie nur dem
Zwang ihrer Eltern nachgegeben hätte.

"Aber keine Macht der Erde hätte mich gezwungen, du einzig Geliebter,
wenn ich nicht hätte glauben müssen, den sicheren Beweis zu haben, daß
du nicht mehr am Leben seist."

Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten.




XXVI. DIE KETTE MIT DEM TIGERAUGE


Als du, mein Freund, Kosambi verlassen hattest, schleppte ich meine Tage
und Nächte elend dahin, wie es ein Mädchen tut, das vom schleichenden
Fieber der Sehnsucht verzehrt wird und dabei in tausend Ängsten um den
Geliebten schwebt. Ich wußte ja nicht einmal, ob du noch die Erdenluft
mit mir atmetest. Denn ich hatte gar oft von den Gefahren solcher Reisen
gehört. Und nun mußte ich mir auch noch die schrecklichsten Vorwürfe
machen, weil ich ja selber durch den törichten Eigensinn meiner Liebe
die Schuld daran trug, daß du nicht unter dem Schutze der Gesandtschaft
die Rückreise in völliger Sicherheit gemacht hattest. Und dennoch
vermochte ich nicht, diese meine Unbesonnenheit zu bereuen, da ich ihr
doch alle jene schönen Erinnerungen verdankte, die mein ganzer Schatz
waren.

Selbst Medinis aufmunternde und tröstende Worte vermochten nur selten
die Wolke meiner Schwermut zeitweilig zu vertreiben. Mein bester und
treuester Freund war der schöne Asokabaum, unter dem wir in jener
herrlichen Mondnacht standen, die du, mein süßer Freund, gewiß nicht
vergessen hast, und den ich damals mit den Worten Damayantis anredete.
Unzählige Male versuchte ich aus dem Rauschen seiner Blätter eine
Antwort auf meine besorgte Frage herauszuhören, in dem Fallen einer
Blume oder dem Spiele der Lichtflecken auf dem Boden irgend eine
Vorbedeutung zu sehen. War dann einmal ein solches selbstgemachtes
Orakelzeichen im günstigen Sinne ausgefallen, dann konnte ich mich einen
ganzen Tag oder noch länger fast glücklich fühlen und hoffnungsvoll in
die Zukunft schauen. Gerade dadurch wuchs dann aber die Sehnsucht, und
mit ihr kehrten dann die Befürchtungen zurück, wie böse Träume der
Fieberhitze entwachsen.

In diesem Zustand war es fast eine Wohltat, daß es bald nicht länger
meiner Liebe erlaubt wurde, in einsamer Tatenlosigkeit nur ihrem Leide
zu leben, sondern daß sie in eine Kampfstellung gedrängt wurde, in der
sie alle ihre Kräfte zusammennehmen mußte, wenn ich mich auch dadurch
fast mit meinen Nächsten völlig entzweit hätte.

Satagira, der Sohn des Ministers, verfolgte mich nämlich jetzt immer
eifriger mit den Zeichen seiner Liebe, und ich konnte mich nicht mehr in
einem öffentlichen Lustgarten mit meinen Gespielinnen zeigen, ohne daß
er da war und mich zum Gegenstand seiner aufdringlichen Aufmerksamkeit
machte. Daß ich diese nicht im geringsten erwiderte, ja ihm deutlicher,
als es höflich war, zeigte, wie sehr sie mir verhaßt war, hatte nicht
die mindeste abkühlende Wirkung. Bald fingen nun meine Eltern an, erst
mit allerlei Andeutungen, dann immer unverblümter, seine Sache zu
befürworten, und als er schließlich mit seinem Werben offert hervortrat,
verlangten sie, daß ich ihm meine Hand geben sollte. Ich versicherte
Ihnen unter bitteren Tränen, niemals Satagira lieben zu können; das
machte jedoch nur wenig Eindruck auf sie. Aber ebensowenig wirkten auf
mich ihre Vorstellungen, ihr Bitten und Zürnen, das Flehen meiner
Mutter, die Drohungen meines Vaters.

In die Enge getrieben, erklärte ich ihnen zuletzt geradeaus, daß ich
mich _dir_--von dem sie schon durch Satagira gehört hatten--versprochen
hätte, und daß keine Macht der Welt mich zwingen könnte, dir das heilige
Wort zu brechen und einem Anderen anzugehören. Käme es aber zum
Äußersten, dann würde ich durch dauernde Verweigerung jedweder Nahrung
mir selber den Tod geben.

Als meine Eltern nun merkten, daß ich wohl imstande war, diese Drohung
auszuführen, gaben sie endlich, wenn auch sehr betrübt und erzürnt, die
Sache auf; und auch Satagira schien sich nun in sein Schicksal zu fügen
und darauf bedacht zu sein, sich über seine Niederlage in der Liebe
durch Siegestaten auf einem rauheren Schlachtfelde zu trösten.

In dieser Zeit meldete das Gerücht viel Schreckliches von dem Räuber
Angulimala, der mit seiner Bande ganze Gegenden verheerte, die Dörfer
einäscherte und die Wege so unsicher machte, daß zuletzt fast niemand
mehr wagte, nach Kosambi zu reisen. Ich geriet darob in große Angst,
denn ich fürchtete natürlich, daß du jetzt endlich kommen und unterwegs
in seine Hände fallen möchtest. Es verlautete nun plötzlich, Satagira
habe den Oberbefehl über eine große Truppenmacht erhalten, um die ganze
Gegend von Kosambi zu säubern und womöglich Angulimala selber und die
anderen Hauptführer der Bande gefangen zu nehmen. Er habe, hieß es,
geschworen, dies zu erreichen oder bei dem Versuche im Kampfe zu fallen.

So wenig ich auch sonst dem Sohne des Ministers hold war, so konnte ich
doch nicht umhin, ihm diesmal besten Erfolg zu gönnen, und als er
auszog, folgten meine segnenden Wünsche seinen Fahnen.

Etwa eine Woche später war ich mit Medini im Garten, als wir von der
Straße her lautes Geschrei vernahmen. Medini lief sofort hin, um zu
erfahren, was geschehen sei und meldete alsbald, Satagira kehre im
Triumph nach der Stadt zurück, nachdem er die Räuber niedergemetzelt
oder gefangen genommen habe; auch der schreckliche Angulimala sei
lebendig in seine Hände gefallen. Sie forderte mich auf, mit ihr und
Somadatta auf die Straße zu gehen, um den Einzug der Krieger und der
gefangenen Räuber zu sehen, aber ich wollte nicht, weil ich es Satagira
nicht gönnte, mich unter den Zuschauern seines Triumphes zu sehen. So
blieb ich denn allein zurück, überglücklich bei dem Gedanken, daß die
Wege für meinen Geliebten jetzt wieder geöffnet seien. Denn so wenig
ahnen ja die Sterblichen den Gang des Schick-sals, daß sie manchmal, wie
ich es damals tat, als einen Glückstag den Tag begrüßen, an welchem
gerade ihr Leben eine Wendung zum Düsteren nimmt.

Am folgenden Morgen trat mein Vater in mein Zimmer. Er überreichte mir
eine kristallene Kette mit einem Tigeraugen-Amulett und fragte mich, ob
ich sie wohl erkenne.

Mir war, als ob ich umsinken müßte, aber ich nahm alle meine Kräfte
zusammen und antwortete, die Kette ähnele einer, die du immer um den
Hals getragen hättest.

"Sie ähnelt ihr nicht," sagte mein Vater mit grausamer Ruhe--"sie _ist_
es. Als Angulimala gefangen genommen wurde, trug er sie, und Satagira
erkannte sie sofort wieder. Denn, wie er mir erzählte, hat er einmal mit
Kamanita im Parke um deinen Ball gerungen. Dabei zerriß Kamanitas Kette,
die er ergriffen hatte, um seinen Widersacher daran zurückzuhalten, und
blieb in seinen Händen, so daß er sie genau betrachten konnte. Er war
überzeugt, sich nicht zu täuschen. Auch hat dann Angulimala, peinlich
befragt, eingestanden, daß er vor etwa zwei Jahren die Karawane
Kamanitas auf ihrem Rückwege nach Ujjeni in der Gegend von Vedisa
angegriffen, die Leute niedergemetzelt und Kamanita mit einem Diener
gefangen genommen habe. Den Diener schickte er nach Ujjeni um Lösegeld.
Da dies aber aus irgend einem Grunde ausblieb, hat er nach dem Brauch
der Räuber Kamanita getötet."

Bei diesen schrecklichen Worten hätte mich wohl die Besinnung verlassen,
wenn sich nicht meinen verzweifelten Gedanken sofort eine Möglichkeit
eröffnet hätte, noch gegen die Hoffnung selbst zu hoffen:

"Satagira ist ein schlechter und verschlagener Mensch," antwortete ich
mit scheinbarer Ruhe, "der vor keinem Betrug zurückschreckt, und er hat
sein Herz oder vielmehr seinen Stolz darauf gesetzt, mich zur Frau zu
gewinnen. Wenn er damals die Kette so genau betrachtet hat, was sollte
ihn dann hindern, eine ähnliche anfertigen zu lassen? Ich glaube, als er
von Angulimala hörte, ist er auf diesen Gedanken verfallen. Hätte er
auch nicht Angulimala selber gefangen, so könnte er doch immer sagen,
die Kette sei im Besitz der Räuber gefunden worden und sie hätten
eingestanden, Kamanita getötet zu haben."

"Das ist kaum möglich, meine Tochter," sagte mein Vater
kopfschüttelnd--"und zwar aus einem Grunde, den du freilich nicht sehen
kannst, den ich aber glücklicherweise als Goldschmied dir aufdecken
kann. Wenn du die kleinen Goldglieder betrachtest, die die
Kristallstücke miteinander verbinden, so wirst du bemerken, daß das
Metall rötlicher ist als das der hiesigen Schmucksachen, weil wir in
unseren Legierungen mehr Silber als Kupfer verwenden. Auch ist die
Arbeit gerade von der etwas gröberen Art, wie man sie in den
Gebirgsländern ausführt."

Mir schwebte die Antwort auf der Zunge, er sei selber ein so geschickter
Goldschmied, daß sowohl die richtige Zusammensetzung als auch die
charakteristische Bearbeitung des Goldes ihm wohl gelingen dürfte; denn
ich sah Alles gegen unsere Liebe verschworen und traute selbst meinen
Nächsten nicht. Indessen begnügte ich mich damit, zu sagen, ich ließe
mich keineswegs durch diese Kette überzeugen, daß mein Kamanita nicht
mehr am Leben sei.

Mein Vater verließ mich nun in großem Zorn, und ich konnte mich in der
Einsamkeit ganz meiner Verzweiflung hingeben.




XXVII. DER WAHRHEITSAKT (SACCAKIRIYA)


Die resten Stunden der Nacht verbrachte ich in dieser Zeit immer auf der
Terrasse der Sorgenlosen, entweder allein oder mit Medini zusammen. An
diesem Abend war ich allein da, was mir in meiner augenblicklichen
Stimmung auch das liebste war. Der Vollmond strahlte herab wie damals,
und ich stand vor dem großen blütenreichen Asoka, um mir von ihm, dem
"Herzfrieden", eine tröstende Vorbedeutung für mein friedloses Herz zu
erbitten. Und ich sagte zu mir selber: "Wenn zwischen mir und dem Stamm
eine safrangelbe Blume niederfällt, bevor ich bis hundert gezählt habe,
dann ist mein geliebter Kamanita noch am Leben."

Als ich bis fünfzig gezählt hatte, fiel eine Blume nieder, aber eine
orangefarbige. Als ich die Zahl achtzig erreicht hatte, fing ich an,
langsamer und immer langsamer zu zählen. Da öffnete sich knarrend eine
Tür in der Ecke zwischen Terrasse und Hausmauer, wo eine Treppe in den
Hof hinunterführte--ein Zugang, der eigentlich nur für Arbeiter und
Gärtner bestimmt war.

Mein Vater trat hervor und hinter ihm Satagira. Ein paar bis an die
Zähne bewaffnete Reisige folgten, danach kam ein Mann, der die anderen
um Haupteslänge überragte, und zuletzt beschlossen noch andere Reisige
diesen seltsamen, ja unerklärlichen Aufzug. Zwei von den letzteren
blieben als Wache an der Tür zurück, alle übrigen kamen auf mich zu.
Dabei fiel es mir auf, daß der Riese in ihrer Mitte nur mit Mühe gehen
konnte, und daß bei jedem seiner Schritte ein unheimliches Klirren und
Rasseln ertönte.

In diesem Augenblick schwebte eine safrangelbe Asokablume nieder und
blieb gerade vor meinen Füßen liegen. Aber ich hatte vor Verwunderung zu
zählen aufgehört und wußte daher nicht mehr festzustellen, ob sie vor
oder nach der Zahl Hundert gefallen war.

Als die Gruppe nun aus dem Mauerschatten in das volle Mondlicht
heraustrat, sah ich mit Entsetzen, daß jene Riesengestalt mit
Eisenketten beladen war. Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt;
um die Fußknöchel klirrten schwere, durch Kugelstangen verbundene
eiserne Ringe, von denen doppelte Eisenketten zum Halsringe
hinaufführten, an welchen wiederum zwei andere Ketten befestigt waren,
die von zwei Reisigen gehalten wurden. Wie bei Einem, der zum Richtplatz
geführt wird, hing ihm ein Gewinde von roten Kanaverablüten um den
Nacken und die haarige Brust, und das rotgelbe Backsteinpulver, mit dem
sein Haupt bestreut war, ließ das wirr über die Stirn herabhängende Haar
und den fast bis an die Augen reichenden Bart noch wilder erscheinen.
Aus dieser Maske hervor blitzten die Augen mir entgegen--jedoch nur eben
blitzartig schnell; dann senkte sich der Blick und irrte scheu wie der
eines bösen Tieres am Boden umher.

Wen ich vor mir hatte, danach hätte ich auch _dann_ nicht zu fragen
gebraucht, wenn die Kanaverablüten jenes Wahrzeichen seines furchtbaren
Namens verdeckt hätten: das Halsband von Menschendaumen.[1]

 [1] Angulimala = Fingerkranz.

"Nun, Angulimala," brach Satagira das Schweigen, "wiederhole vor dieser
edlen Jungfrau, was du auf der Folter von der Ermordung des jungen
Kaufmanns Kamanita aus Ujjeni gestanden hast."

"Kamanita wurde nicht ermordet," antwortete der Räuber mürrisch,
"sondern gefangen genommen und unseren Gebräuchen gemäß umgebracht."

Und er erzählte mir nun in wenigen Worten, was mein Vater mir schon
darüber gesagt hatte.

Ich stand unterdessen mit dem Rücken an den Asokabaum gelehnt und hielt
mich mit beiden Händen an den Stamm gestützt, die Fingernägel krampfhaft
in die Rinde grabend, um nicht umzusinken. Als Angulimala zu Ende
gesprochen hatte, schien sich Alles um mich im Kreise zu drehen. Noch
gab ich es aber nicht auf.

"Du bist ein ehrloser Räuber und Mörder," sagte ich, "was kann mir dein
Wort gelten? Warum solltest du nicht aussagen, was der dir befiehlt, in
dessen Gewalt dich deine Missetaten gebracht haben?"

Und wie auf eine plötzliche Eingebung, die mich selber überraschte und
mir fast einen Hoffnungsschimmer aufleuchten ließ, fügte ich hinzu:

"Du darfst mir ja nicht einmal in die Augen sehen--du, der Schrecken
aller Menschen--mir, einem schwachen Mädchen! Du darfst es nicht--weil
du auf Anstiftung dieses Mannes eine feige Lüge sagst."

Angulimala blickte nicht auf, aber er lachte grimmig und antwortete mit
einer Stimme, die wie das Brummen eines gefesselten Raubtieres klang:

"Wozu sollte das wohl gut sein, dir in die Augen zu sehen? Das überlasse
ich den jungen Fanten. Dem Blicke eines ehrlosen Räubers würdest du ja
doch ebensowenig glauben wie seinen Worten. Und von seinem Eide würdest
du wohl auch nicht mehr halten."

Er trat einen Schritt näher.

"Wohlan, Mädchen! So sei nun Zeugin meines 'Wahrheitsaktes'."

Noch einmal traf mich der Blitz seines Blickes, als dieser sich aufwärts
nach dem Monde richtete, so daß mitten im Gewirr seines mißfarbigen
Haares und Bartes nur die weißen Augäpfel zu sehen waren. Seine Brust
arbeitete, daß die roten Blumen sich tanzend bewegten, und mit einer
Stimme, wie wenn der Donner zwischen den Wolken rollt, rief er:

"Die du den Tiger zäumest, schlangengekrönte, nächtige Göttin! Die du im
Mondschein auf Bergeszinnen tanzest, mit dem Schädelhalsband rasselnd,
zähnefletschend, die Blutschale schwingend, Kali, Herrin der Räuber, die
du mich durch tausend Gefahren geführt hast, höre mich! So wahr ich nie
mit dem Opfer kargte, so wahr ich deine Gesetze immer treulich gehalten
habe, so wahr ich auch mit diesem Kamanita getreu verfuhr nach deiner
Satzung, die uns 'Absendern' gebietet, wenn das Lösegeld nicht zur
festgesetzten Stunde eintrifft, den Gefangenen mitten durchzusägen und
die Körperteile auf die Landstraße zu werfen:--so wahr wirst du mir
jetzt in meiner höchsten Not beistehen, meine Ketten zerreißen und mich
aus den Händen meiner Feinde befreien!"

Indem er das sagte, machte er eine gewaltsame Bewegung--die Ketten
klirrten--Anne und Beine waren frei--die beiden Reisigen, die ihn
hielten, lagen am Boden, einen dritten schlug er mit dem Kettenstück,
das an seinem Handgelenke hing, nieder, und bevor jemand von uns recht
begriff, was eigentlich geschehen war, hatte Angulimala sich über die
Brustwehr geschwungen. Mit einem wilden Schrei stürmte Satagira ihm
nach.--Das war das Letzte, was ich sah und hörte.

Nachher erfuhr ich, daß Angulimala gestürzt sei, sich einen Fuß
gebrochen habe und von der Wache festgenommen worden sei; später sei er
dann im Gefängnis auf der Folter gestorben, und sein Kopf über dem
nördlichen Stadttor aufgesteckt worden, woselbst Medini und Somadatta
ihn gesehen haben.

Durch den Wahrheitsakt Angulimalas war der letzte Zweifel und die letzte
Hoffnung von mir gewichen. Denn ich wußte wohl, daß selbst jene
teuflische Göttin kein Wunder zu seiner Rettung hätte wirken können,
wenn er nicht die Macht der Wahrheit auf seiner Seite gehabt hätte.

Was nun aus mir wurde, darum kümmerte ich mich wenig, denn auf dieser
Erde war ja doch Alles für mich verloren. Nur im Paradiese des Westens
konnten wir uns wiedersehen: du warst vorausgegangen, und ich würde, so
hoffte ich, bald folgen. Dort blühte das Glück, alles andere war
gleichgültig.

Da nun Satagira sein Werben fortsetzte und meine Mutter mir immer wieder
jammernd und weinend Vorstellungen machte, sie würde gebrochenen Herzens
sterben, wenn sie durch mich die Schmach erlitte, daß ich unverheiratet
im Elternhause sitzen bliebe--hätte sie dann doch ebensogut das
häßlichste Mädchen von Kosambi zur Welt bringen können!--da erlahmte
endlich nach und nach mein Widerstand.

Übrigens hatte ich auch jetzt nicht mehr so viel gegen Satagira
einzuwenden wie früher. Ich konnte nicht umhin, die Standhaftigkeit und
Treue seiner Neigung anzuerkennen, und ich fühlte auch, daß ich ihm
Dankbarkeit schuldig war, weil er den Tod meines Geliebten gerächt
hatte.

So wurde ich denn--als wiederum fast ein Jahr verstrichen war--die Braut
Satagiras.




XXVIII. AM GESTADE DER HIMMLISCHEN GANGA


Als Kamanita merkte, daß selbst hier, am Orte der Seligkeit, diese
Erinnerungen die noch zarte, neuerwachte Seele der Geliebten wie mit
dunklen Fittichen überschatteten, faßte er sie bei der Hand und führte
sie weiter, indem er ihren gemeinsamen Flug nach jenem lieblichen Hügel
richtete, auf dessen Abhang er kürzlich gelegen und dem Spiele der
Schwebenden zugeschaut hatte.

Hier lagerten sie sich. Schon waren Haine und Gebüsche, Wiesen und
Hügelabhänge voll unzähliger schwebender Gestalten, roter, blauer und
weißer. Immer neue Gruppen umringten sie, um die Neuerwachte zu
begrüßen. Und die beiden mischten sich in die Reihen der Spielenden.

Schon lange waren sie hin und her durch die Haine, um die Felsen, über
Wiesen und Lotusteiche geschwebt, wohin der Reigen sie führte, als ihnen
jene Weiße begegnete, die damals Kamanita aufgefordert hatte, mit ihr
die Fahrt nach der Ganga zu wagen. Als sie sich im Tanze die Hände
reichten, fragte sie mit einem lieblichen Lächeln:

"Bist du nun auch am Gestade der Ganga gewesen? Jetzt hast du ja eine
Begleiterin."

"Noch nicht," antwortete Kamanita.

"Was ist das?" fragte Vasitthi.

Und Kamanita erzählte es ihr.

"Da wollen wir hin," sagte Vasitthi. "O, wie oft habe ich unten im
trüben Erdental hinaufgeblickt zu dem fernen Abglanz ihres
Himmelstromes, und an die seligen Gefilde gedacht, die von ihr
umschlungen und bewässert werden, und gefragt, ob wir wohl einst an
diesem Ort der Wonne vereinigt sein würden. Unwiderstehlich zieht es
mich jetzt dahin, mit dir zusammen an ihrem Gestade zu weilen."

Sie lösten sich aus der Kette des Reigens und lenkten ihren Flug in
einer Richtung, die sie von ihrem eigenen Teiche weit wegführte. Nach
einiger Zeit sahen sie keine Weiher mehr, deren Lotusrosen selige
Gestalten trugen, immer mehr nahm die Blütenpracht ab, immer seltener
begegneten sie schwebenden Gestalten; Herden von Antilopen belebten die
Ebene, auf den Seen segelten Schwäne, eine Schleppe von blanken Wellen
über das dunkle Wasser nach sich ziehend. Die Hügel, die anfangs immer
schroffer und felsiger geworden waren, verschwanden gänzlich.

Sie schwebten über eine flache, wüstenartige Ebene, die mit Tigergras
und Dornengebüsch bestanden war. Vor ihnen spannte sich der unabsehbare
Bogen eines Palmenwaldes.

Sie erreichten den Wald. Immer tiefer umgab sie der Schatten. Die
narbigen Schäfte leuchteten wie Bronze. Hoch oben rauschten die Wipfel
mit ehernem Klange.

Vor ihnen fingen glitzernde Punkte und Streifen zu tanzen an. Und
plötzlich strömte ihnen ein solcher Lichtglanz entgegen, daß sie die
Hände vor die Augen halten mußten. Es war, als ob im Walde eine
ungeheure Kolonnade von blanken Silbersäulen stände, die das Licht der
aufgehenden Sonne zurückwarf.

Als sie sich getrauten, die Hände wieder von den Augen zu nehmen,
schwebten sie gerade zwischen den letzten Palmen des Waldes hinaus.

Vor ihnen lag die himmlische Ganga, bis zum Horizonte ihre silbrige
Fläche breitend, während zu ihren Füßen flache Wellenzungen, wie
flüssiges Sternenlicht, flammenartig den perlgrauen Sand des flachen
Ufers beleckten.

Wenn sonst der Himmel nach unten zu allmählich heller wird, so war es
hier umgekehrt: das Ultramarinblau ging in Indigo über, das schließlich
mit einem fast gänzlich schwarzen Rand sich auf die silberweiße Kimmung
stützte.

Vom Dufte der Paradiesblüten war nichts mehr zu spüren. Wie aber im
Malachittale um den Korallenbaum jener erinnerungsschwangere Duft aller
Düfte gesammelt stand, so wehte hier den Weltenstrom entlang ein kühler
und herber Hauch, dem das Fehlen aller Düfte, das vollkommen Reine als
einziger Duft eignete. Und Vasitthi schien ihn begierig wie einen
erfrischenden Trank einzuschlürfen, während er Kamanita den Atem raubte.

Auch von jener lieblichen Musik der Genien vernahm man hier nicht den
leisesten Ton. Aber aus dem Strome schienen mächtige, donnerartig
dröhnende Klänge emporzusteigen.

"Horch!"--flüsterte Vasitthi und erhob ihre Hand.

"Sonderbar!"--sagte Kamanita. "Einst war ich in eine Hütte eingekehrt,
die an dem Ausgange einer Bergschlucht lag und an der ein kleiner,
lieblicher Bach vorüberfloß, in dessen klarem Wasser ich nach meiner
Wanderung meine Füße wusch. Während der Nacht ging ein mächtiger Regen
nieder, und als ich in der Hütte wach lag, hörte ich, wie der Bach, der
abends nur leise gerauscht hatte, immer ungestümer brauste und tobte.
Zugleich aber vernahm ich einen polternden, donnernden Schall, den ich
mir durchaus nicht zu erklären wußte. Am nächsten Morgen sah ich nun,
daß aus dem klaren Bach ein reißender Gebirgsstrom mit grauen,
schäumenden Fluten geworden war, in welchem große Steine rollend und
springend dahinstürzten. Und diese waren es, die dies Getöse verursacht
hatten. Wie mag es wohl kommen, daß nun hier, beim Anhören jener Klänge,
diese Erinnerung aus meiner Pilgerschaft in mir emporsteigt?"

"Es kommt daher," antwortete Vasitthi, "weil in jenem Gebirgsbache
Steine, in dem Strome der himmlischen Ganga aber Welten gerollt und
mitgetrieben werden, und die sind es, von denen jene donnerartig
dröhnenden Klänge herrühren."

"Welten!"--rief Kamanita entsetzt.

Vasitthi lächelte und schwebte dabei weiter; aber erschrocken hielt
Kamanita sie an ihrem Gewände zurück.

"Hüte dich, Vasitthi! Wer weiß, welche Mächte, welche furchtbaren Kräfte
draußen über diesem Weltenstrome schweben, Mächte, in deren Gewalt du
geraten könntest, wenn du dieses Ufer verließest. Ich zittere schon bei
dem Gedanken, dich plötzlich fortgerissen zu sehen."

"Dürftest du mir dann nicht folgen?"

"Gewiß würde ich dir folgen. Wer weiß aber, ob ich dich erreichen
könnte, ob man uns nicht voneinander reißen würde? Und wenn wir auch
zusammen blieben, welcher Jammer wäre es doch, in das Unbegrenzte
getragen zu werden, weit weg von diesem trauten Orte der Seligkeit."

"In das Unbegrenzte!" wiederholte Vasitthi sinnend, und ihr Blick
schweifte über die Fläche der himmlischen Ganga hinaus bis dorthin, wo
die silberne Flut den schwarzen Himmelsrand erreichte, und schien noch
immer weiterdringen zu wollen;--"und kann denn ewige Seligkeit bestehen,
wo Begrenzung ist?" sprach sie gleichsam in Gedanken verloren.

"Vasitthi!" rief Kamanita, ernstlich erschreckend--"ich wollte, ich
hätte dich nie hierher geführt! Komm, Geliebte, komm!"

Und noch ängstlicher als vom Korallenbaume zog er sie von dannen.

Nicht unwillig folgte sie ihm, wobei sie jedoch zwischen den äußersten
Palmen das Haupt wandte und einen letzten Blick auf den himmlischen
Strom warf....

       *       *       *       *       *

Und wiederum thronten sie auf ihren Lotussitzen im kristallklaren
Teiche, wiederum schwebten sie zwischen juwelenblühenden Bäumen und
mischten sich unter die Reihen der Seligen und genossen die himmlischen
Wonnen, glücklich in ihrer ungetrübten Liebe.

Aber als sie im Reigen einmal der Weißen begegneten, sagte diese:

"So seid ihr also wirklich am Gestade der Ganga gewesen?"

"Wie kannst du es wissen, daß wir dort gewesen sind?"

"Ich sehe es; denn Alle, die da waren, tragen gleichsam einen Schatten
über den Brauen. Deshalb will ich auch nicht dahin. Und ihr werdet auch
nicht zum zweiten Male hingehen, niemand tut das"




XXIX. IM DUFTE DER KORALLENBLÜTEN


Sie besuchten in der Tat nicht wieder jenes ungastliche Gestade der
himmlischen Ganga. Oft aber lenkten sie ihren Flug nach dem Tale der
Malachitfelsen. Unter der mächtigen Krone des Korallenbaumes gelagert,
atmeten sie jenen Duft aller Düfte, der den karmesinroten Blüten
entströmte, und in der Tiefe ihrer Erinnerung öffnete sich dann die
Aussicht auf ihre früheren Leben.

Bald in Palästen, bald in Hütten sahen sie sich nun wieder, aber ob in
Seide und Musselin gehüllt oder in die groben Erzeugnisse des
Dorfwebstuhles gekleidet: immer war die gegenseitige Liebe da. Bald
wurde sie durch das Glück der Vereinigung gekrönt, bald war die Trennung
durch Lebensgeschicke oder durch den Tod ihr jammervolles Los: aber
glücklich oder unglücklich, die Liebe blieb dieselbe.

Und sie sahen sich in anderen Zeiten, da die Menschen gewaltiger waren
als jetzt, in jenen ewig unvergessenen Heroentagen, als er sich aus
ihren Armen riß und seinen Kampfilfen bestieg, um nach der Ilfenstadt zu
ziehen und seinen Freunden, den Pandaverprinzen, im Kampfe gegen die
Kuruinge beizustehen; wo er dann an der Seite Arjunas und Krishnas
kämpfend, am zehnten Tage der Riesenschlacht auf der Ebene Kurukschetra
seine Heldenseele aushauchte. Sie aber, als sie die Nachricht von seinem
Tode empfing, bestieg vor dem Palaste, von allen ihren Frauen gefolgt,
den Scheiterhaufen, den sie mit eigener Hand anzündete.

       *       *       *       *       *

Und wieder sahen sie sich in fremden Gegenden und in anderer Natur. Es
war nicht länger das Tal der Ganga und der Jamuna mit seinen prächtigen,
palastreichen Städten, wo waffenstrahlende Krieger, stolze Brahmanen,
reiche Bürger und fleißige Çudras die Straßen belebten; mit seinen
Reisfeldern und vielstämmigen Feigenbaumriesen, seinen Palmenhainen
und seinen Dschungeln, seinen Elefanten und Tigern und den
weithinleuchtenden Schneezinnen des Himavat. Dieser Schauplatz, der mit
seiner mannigfachen tropischen Pracht so oft ihr gemeinsames Leben
umschlossen hatte, als ob es keine andere Welt gäbe, verschwand nun
gänzlich, um einem öderen und herberen Lande Platz zu machen.

Hier brennt freilich die Sommersonne so heiß wie an der Ganga, trocknet
die Wasseradern aus und versengt das Gras. Aber im Winter beraubt der
Frost die Wälder ihres Laubes, und Reif bedeckt die Felder. Keine Städte
erheben ihre Türme, aber weitgedehnte Dörfer mit großen Hürden liegen
mitten in ihren weidereichen Triften, und die schützende Anhöhe daneben
ist durch Wälle und rohe Mauern in eine kleine Feste verwandelt. Ein
kriegerisches Hirtenvolk ist hier seßhaft. Die Wälder sind voll von
Wölfen, und meilenweit hört der zitternde Wanderer das Gebrüll des
Löwen, "des furchtbaren, schweifenden, in Bergen hausenden Wildes"--wie
_er_ ihn nennt; denn er ist ein Sänger.

Nach langer Wanderung nähert er sich einem Dorfe, als unbekannter, aber
willkommener Gast; denn das ist er überall. Über seiner Schulter hängt
seine einzige sichtbare Habe, eine kleine Laute; aber im Kopfe trägt er
das ganze kostbare Erbe seiner Väter: alte, geheime Hymnen an Agni und
Indra, an Varuna und Mitra, ja sogar an unbekannte Götter; Kriegs- und
Trinklieder für die Männer; Liebeslieder für die Mädchen; segnende
Zaubersprüche für die Milchspendenden. Und er hat Kraft und Kenntnisse,
um diesen Vorrat aus eigenen Mitteln zu vermehren. Wo wäre wohl ein
solcher Gast nicht willkommen?

Es ist um die Zeit, da die Rinder nach Hause getrieben werden. An der
Spitze einer Herde schreitet mit der höchsten Anmut in allen Bewegungen
des jugendlichen Körpers ein hochgewachsenes Mädchen; ihr zur Seite geht
ihre Lieblingskuh, deren Glocke die anderen folgen, und leckt ab und zu
ihre Hand. Er bietet ihr guten Abend; sie erwidert freundlich den Gruß.
Lächelnd sehen sie sich an--und es ist derselbe Blick, der im Lustparke
von Kosambi zwischen der Ballspielerin auf der Bühne und dem fremden
Zuschauer hin und her flog.

       *       *       *       *       *

Aber auch das Land der fünf Ströme, nachdem es sie mehrmals beherbergt
hat, verschwindet, wie zuvor das Gangatal--andere Gegenden tun sich auf,
andere Menschen und Sitten umgeben sie--Alles rauher, wilder und
ärmlicher.

Die Steppe, über welche der Zug sich hinzieht--Reiter, Wagen und
Fußgänger in endloser Reihe--ist weiß von Schnee. Die Luft ist voll von
den wirbelnden Flocken. Schwarze Berge schauen schattenartig herein. Aus
dem Zeltdache eines schweren Ochsenwagens beugt sich ein Mädchen so
lebhaft hervor, daß der Schafpelz zur Seite gleitet, und die goldene
Haarfülle ihr über Wangen, Hals und Brust niederwallt. Angst leuchtet
aus ihren Augen, als sie hinausspäht, wohin alle Blicke sich wenden,
alle Finger hinzeigen:--wie eine dunkle, vom Winde aufgewirbelte Wolke
braust eine Reiterhorde heran. Aber vertrauensvoll lächelt sie, als ihr
Blick dem des Jünglings begegnet, der neben dem Wagen auf einem
schwarzen Stiere reitet;--und es ist wieder derselbe Blick, wenn auch
aus blauen Augen. Dieser Blick entflammt das Herz des blonden Jünglings,
der seine Streitaxt schwingt und laut rufend mit den anderen Kriegern
dem Feind entgegenstürmt--entflammt es und wärmt es noch, als es vom
kalten Eisen eines Skythenpfeiles durchbohrt wird.

       *       *       *       *       *

Aber noch größere Veränderungen erlebten sie; noch weitere Wanderungen
unternahmen sie, vom Dufte des Korallenbaumes geleitet.

Sie fanden sich selbst als Hirsch und Hinde im ungeheuren Walde. Wortlos
war jetzt ihre Liebe, aber nicht blicklos. Und wiederum war es derselbe
Blick:--tief im innersten Dunkel ihrer großen, ahnungsvollen Augen
leuchtete noch, wenn auch wie durch trübe Nebelbläue hindurch, derselbe
Funken, der so strahlend von Menschenauge zu Menschenauge den Weg
gefunden hatte.

Sie ästen zusammen, nebeneinander wateten sie im klaren, kühlen
Waldbach, Körper an Körper ruhten sie im hohen, weichen Grase. Gemeinsam
waren ihre Freuden, gemeinsam zitterten sie vor Angst, wenn plötzlich
ein Ast lebendig wurde und der Rachen des Pythons sich aufsperrte; oder
wenn in der Stille der Nacht eine fast unhörbare, schleichende Bewegung
von ihren regen Ohren aufgefangen wurde, während ihre geblähten Nüstern
den scharfen Geruch eines Raubtieres witterten, und sie dann in
mächtigen Sätzen davonflohen, gerade als es im Gebüsche knisterte und
knackte und das Zorngebrüll des zu kurz gekommenen Tigers durch den
jetzt ringsum lebendig werdenden Wald rollte.

Viele Jahre schon hatten sie so gemeinsam alle Wonnen und Schrecken des
Waldes durchgekostet, als sie eines Tages an einem schattigen Orte die
jungen saftigen Schößlinge benagten. Da geschah es, daß die Hinde sich
in die Wildschlinge eines Jägers verstrickte. Vergebens arbeitete das
Männchen mit Zacken und Klauen, um die Bande, welche die Freundin
fesselten, zu zersprengen, und ließ nicht davon ab, bis der Jäger sich
nahte. Dann stellte er sich diesem mit gefälltem Geweih entgegen und
bald machte der Jagdspieß beider Leben ein Ende.

       *       *       *       *       *

Und als ein paar Goldadler horsteten sie hoch im wilden Felsengebirge,
schwebten über die bläulichen Abgründe des Himavat und umkreisten seine
schneeigen Zinnen.--

Als zwei Delphine aber befuhren sie die grenzenlose Salzflut des
Ozeans.--

Ja, einmal erwuchsen sie als zwei Palmen auf einer Insel mitten im
Weltmeere, schlangen im kühlen Strandsande ihre Wurzeln ineinander und
ließen gemeinsam ihre Wipfel im Seewinde rauschen.

       *       *       *       *       *

Und wie ein Fürstenpaar sich zur Kurzweil und Belehrung vom Hoferzähler
mancherlei vortragen läßt--bald den Lebenslauf eines Königs, bald eine
einfache Dorfgeschichte, bald ein Heldenepos, bald eine Sage aus uralten
Tagen, bald irgend eine Tierfabel oder ein Märchen, und dabei weiß: wie
oft es uns auch gelüstet, zu lauschen, so ist doch nicht zu befürchten,
daß diesem trefflichen Erzähler jemals der Stoff ausgeht, da der Hort
seiner Sagenkenntnisse und die Fülle seines Erfindungsvermögens
unerschöpflich sind--ebenso wußten diese beiden:--wie oft und wie lange
wir auch hier weilen, und wäre es auch eine ganze Ewigkeit hindurch, so
ist doch keine Gefahr da, daß dieser Duft keine Erinnerungen mehr wecken
könnte; denn je weiter wir in die Zeit hinabsteigen, um so weiter
schiebt sich die Vorzeit zurück.

Und sie wunderten sich sehr.

"Wir sind so alt wie die Welt," sagte Vasitthi.




XXX. "ALLES ENTSTANDENE--"


"Gewiss sind wir so alt wie die Welt," sagte Kamanita. "Aber bisher sind
wir immer ruhelos gewandert, und immer wieder hat uns der Tod in ein
neues Leben gestürzt. Jetzt aber haben wir endlich eine Stätte erreicht,
wo es kein Vergehen mehr gibt, sondern nur ewige Wonne unser Los ist."

Als er so sprach, kehrten sie gerade vom Korallenbaume zu ihrem Teiche
zurück. Er wollte sich soeben auf seine Lotusrose niedersenken, als er
zu bemerken glaubte, daß ihre rote Farbe an Frische und Glanz etwas
eingebüßt habe. Ja, als er nun über ihr in der Luft schwebend stehen
blieb und aufmerksam auf sie hinunterblickte, sah er mit Schrecken, daß
die Kronenblätter am Rande bräunlich und gleichsam verbrannt waren, und
daß ihre Spitzen sich erschlaffend krümmten.

Nicht anders sah Vasitthis weißer Lotus aus, über dem auch sie stehen
geblieben war, offenbar durch dieselbe Wahrnehmung gefesselt.

Er richtete seinen Blick nach seinem blauen Nachbar. _Sein_ Lotus zeigte
die gleiche Wandlung und es fiel Kamanita auf, daß sein Gesicht nicht so
freudig strahlte wie damals, als er ihn zuerst begrüßt hatte; die Züge
waren nicht so belebt wie früher, seine Haltung war nicht so frei, ja in
seinem Blick las er dieselbe Befremdung, die ihn und Vasitthi ergriffen
hatte.

Und so war es in der Tat überall, wo er hinsah. Mit Blumen und Gestalten
war eine Veränderung vor sich gegangen.

Wieder senkte er prüfend den Blick zu seinem eigenen Lotus nieder. Ein
Kronenblatt schien lebendig zu werden--langsam neigte es sich vornüber
und fiel losgelöst auf die Wasserfläche.

Gleichzeitig aber hatte sich von jeder Lotusblume ein Kronenblatt
abgelöst--die Wasserfläche glitzerte zitternd und schaukelte leise die
bunten Blätternachen. Durch die Haine am Ufer ging ein Frösteln, und ein
juwelenfunkelnder Blütenregen fiel zur Erde. Ein Seufzer entrang sich
jeder Brust, und eine leise, doch schneidende Disharmonie durchdrang die
Musik der himmlischen Genien.

"Vasitthi, Geliebte!" rief Kamanita, bestürzt ihre Hand
ergreifend--"siehst du? Hörst du?--Was ist denn dies? Was kann das
bedeuten?"

Aber Vasitthi sah ihn ruhig lächelnd an:

"Daran hat er gedacht, als er sagte:

'Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch,
Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch.'"

"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen hoffnungsvernichtenden
Ausspruch getan?"

"Wer denn sonst als er, der Erhabene, der Wandels-und Wissensbewährte,
der aus Mitleid mit den Menschen die Lehre darlegt, Allen zur
Aufklärung, dem Einzelnen zum Trost; der die Welt mit ihren edlen und
unedlen Wesen, ihren Scharen von Göttern, Menschen und Dämonen offenbart
und erklärt, der Wegweiser, der den Weg aus dieser Wandelwelt zeigt: der
Erhabene, der Vollendete, der Buddha."

"Der Buddha hätte das gesagt? O nein, Vasitthi, das glaub' ich nicht.
Vielfach werden ja die Worte solch großer Lehrer mißverstanden und
unrichtig wiedergegeben, wie ich selber am besten weiß. Denn einst, zu
Rajagaha, habe ich in der Vorhalle eines Hafners mit einem törichten
Asketen zusammen übernachtet, der mir durchaus die Lehre des Buddha
darlegen wollte. Was er vorbrachte, war aber trauriges Zeug, eine
grüblerische, vernagelte Lehre, wiewohl ich schon spüren konnte, daß
echte Aussprüche des Erhabenen ihr zugrunde lagen--jedoch verballhornt
und von diesem Querkopfe umgedeutet. Gewiß hat man auch dir dies Wort
falsch berichtet."

"Nicht doch, mein Freund! Denn aus dem Munde des Erhabenen selber habe
ich es ja."

"Wie, Geliebte? So hast du denn selbst den Vollendeten von Angesicht zu
Angesicht gesehen?"

"Gewiß habe ich das. Zu seinen Füßen bin ich ja gesessen."

"Glücklich preise ich dich, Vassitthi! Glücklich--das sehe ich ja--bist
du jetzt in der Erinnerung. Ach, auch ich würde ja glücklich und
zuversichtlich sein wie du, wenn nicht im letzten Augenblick mein böses
Geschick--die eben reif gewordene Frucht von schlechten Taten der
Vergangenheit--mich des Glücks beraubt hätte, den erhabenen Buddha zu
sehen. Denn ein gewaltsamer Tod raffte mich dahin, als ich auf dem Wege
zu ihm war, in demselben Orte, in dem er weilte, eben gerade in
Rajagaha, an dem Morgen nach meinem Gespräch mit jenem törichten
Asketen. Nur etwa noch eine Viertelstunde entfernt von dem Mangohaine,
in dem der Erhabene sich aufhielt, ereilte mich mein Schicksal. Aber nun
ist mir _dies_ zum Tröste gegeben, daß meine Vasitthi das erreichte, was
mir versagt blieb. O, erzähle mir Alles davon, wie du zu ihm, dem
Erhabenen, kamst. Denn gewiß wird mich das aufrichten und stärken, und
jenes Wort, das mir so schrecklich, so hoffnungsvernichtend erschien,
wird mir dann verständlich werden und seinen Stachel verlieren, ja
vielleicht sogar irgend einen geheimen Trostgrund enthalten."

"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi.

Sie ließen sich auf ihre Lotusrosen nieder, und Vasitthi setzte den
Bericht ihrer Erlebnisse fort.




XXXI. DIE ERSCHEINUNG AUF DER TERRASSE


Als Satagira sein Ziel, mich als Frau zu besitzen, erreicht hatte,
erkaltete seine Liebe schnell, um so mehr, als sie ja von meiner Seite
keine Erwiderung fand. Ich hatte versprochen, ihm eine treue Gattin zu
sein, und er wußte wohl, daß ich mein Versprechen halten würde. Mehr
stand aber auch nicht in meiner Macht, selbst wenn ich es gewollt hätte.

Da ich ihm nur eine Tochter gebar, die schon im zweiten Jahre starb,
wunderte sich niemand--und ich wahrlich am wenigsten--darüber, daß er
sich eine zweite Frau nahm. Diese gebar ihm den erwünschten Sohn.
Dadurch bekam sie die erste Stellung im Hause; auch verstand sie, seine
Liebe, auf die ich so willig verzichtet hatte, auf geschickte Weise zu
fesseln. Außerdem nahmen die Geschäfte meinen Gemahl immer mehr in
Anspruch, denn er war nach dem Tode seines Vaters mit dessen Stellung
betraut worden.

So gingen mehrere Jahre ruhig dahin, und ich vereinsamte mehr und mehr,
was mir denn auch ganz recht war. Ich gab mich meiner Trauer hin,
verkehrte mit meinen Erinnerungen und lebte in der Hoffnung auf ein
Wiedersehen hier oben, eine Hoffnung, die mich ja auch nicht getäuscht
hat.

Der Palast Satagiras lag an derselben Schlucht, aus der du so oft nach
der "Terrasse der Sorgenlosen" hinaufgestiegen bist, aber an einer viel
steileren Stelle, und hatte eine ganz ähnliche Terrasse wie mein
Vaterhaus. Hier pflegte ich alle schönen Abende zuzubringen, ja in der
heißen Zeit blieb ich dort oft die ganze Nacht, auf einem Ruhebett
schlafend. Denn die Felswand der Schlucht, die noch dazu von hohem
Mauerwerk gekrönt wurde, war so steil und glatt, daß gewiß kein Mensch
an ihr hinaufklettern konnte.

Einmal in einer herrlichen, milden Mondnacht lag ich nun dort auf meinem
Lager, ohne zu schlafen. Ich dachte an dich, und zwar an jenen ersten
Abend unseres Zusammenseins; der Augenblick, wo ich mit Medini auf der
marmornen Bank der Terrasse saß und eure Ankunft erwartete, stand mir so
lebhaft vor der Seele, und ich dachte daran, wie sich dann plötzlich,
noch bevor wir es hofften, deine Gestalt über den Mauerrand erhob--denn
du warst ja in deinem ungestümen Eifer Somadatta zuvorgekommen.

In diese süßen Träume verloren, hatte ich unwillkürlich meinen Blick auf
der Brustwehr ruhen lassen, als plötzlich eine Gestalt sich über
dieselbe erhob.

Ich war so überzeugt, daß nie und nimmer ein Mensch diese Stelle
erklimmen könne, daß ich gar nicht daran zweifelte, dein Geist, von
meiner Sehnsucht heraufbeschworen, käme, um mich zu trösten und um mir
Kunde zu bringen von dem seligen Orte, wo du mich erwartetest.

Deshalb erschrak ich denn auch gar nicht, sondern stand auf und breitete
die Arme gegen den Kommenden aus.

Wie nun aber dieser auf der Terrasse stand und sich mit raschen
Schritten näherte, sah ich, daß seine Gestalt viel größer als die deine,
ja sogar riesenhaft war, und ich merkte, daß ich den Geist Angulimalas
vor mir hatte. Nun erschrak ich so heftig, daß ich mich am Kopfende der
Ruhebank festhalten mußte, um nicht umzusinken.

"Wen hast du erwartet?" fragte der Furchtbare, an mich herantretend.

"Einen Geist, aber nicht den deinen," antwortete ich.

"Kamanitas Geist?"

Ich nickte.

"Als du jene Bewegung des Bewillkommnens machtest," fuhr er
fort,--"fürchtete ich, daß du einen Liebhaber hättest, der dich des
Nachts hier besuchte. Denn in dem Falle würdest du mir nicht helfen. Und
ich habe deine Hilfe so nötig, wie du jetzt die meinige."

Bei diesen sonderbaren Worten wagte ich aufzublicken, und nun schien es
mir, daß ich keinen Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut vor
mir habe. Aber der Mond stand hinter ihm, und geblendet von seinen
Strahlen und vom Schrecken verwirrt, konnte ich nur die mächtigen
Umrisse einer Gestalt sehen, die wohl auch einem Dämon angehören
konnten.

"Ich bin nicht der Geist Angulimalas," sagte er, meinen Zweifel
erratend, "ich bin er selber, ein Mensch wie du."

Ich fing heftig zu zittern an, nicht vor Angst, sondern, weil ich dem
Menschen gegenüberstand, der meinen Geliebten grausam ermordet hatte.

"Fürchte dich nicht, edle Frau!" fuhr er fort--"du hast von mir nichts
zu befürchten; bist du doch der einzige Mensch, vor dem ich selber mich
gefürchtet habe, und dem ich, wie du so richtig sagtest, nicht in die
Augen sehen durfte, weil ich dich betrog."

"Du betrogst mich?" rief ich, und kaum weiß ich, ob in meiner Seele
Freude aufstieg, geweckt durch die Hoffnung, mein Geliebter sei noch am
Leben, oder ob noch größere Verzweiflung mich bei dem Gedanken ergriff,
daß ich mich hatte verleiten lassen, mich von dem Lebenden zu trennen.

"Ich tat es," antwortete er, "und deshalb sind wir aufeinander
angewiesen. Denn wir haben beide etwas zu rächen und an demselben Mann:
an Satagira!"

Mit dem Anstand eines Fürsten machte dieser Räuber eine Handbewegung,
mit der er mich aufforderte, mich zu setzen, als ob er mir viel zu sagen
hätte. Ich, die ich mich nur noch mit Mühe aufrechthalten konnte, ließ
mich willenlos auf die Bank niedersinken, und staunte ihn an, atemlos
begierig auf seine nächsten Worte, die mich über das Schicksal des
Geliebten aufklären mußten.

"Kamanita mit seiner Karawane," fuhr er fort--"fiel mir in der
Waldgegend Vedisas in die Hände. Er verteidigte sich tapfer, wurde aber
unverwundet gefangen genommen, und als das Lösegeld zur rechten Zeit
eintraf, unbehelligt nach Hause geschickt. Wohlbehalten kam er in Ujjeni
an."

Bei dieser Nachricht entrang sich ein tiefer Seufzer meiner Brust. Ich
empfand in diesem Augenblick nur Freude darüber, den Geliebten unter den
Lebenden zu wissen, so töricht dies Gefühl auch war. Denn durch das
Leben war er mir noch mehr als durch den Tod entfernt.

"Als ich in Satagiras Gewalt fiel," fuhr Angulimala fort, "erkannte
dieser sofort die kristallene Kette mit dem Tieraugen-Amulett an meinem
Halse, als dieselbe, die Kamanita angehört hatte. Am folgenden Abend kam
er allein in mein Gefängnis und versprach mir, zu meinem größten
Erstaunen, mir die Freiheit zu schenken, wenn ich vor einem Mädchen
beschwören wollte, daß ich Kamanita umgebracht habe. 'Dein Eid allein,'
sagte er, 'würde sie freilich nicht überzeugen, aber einem
'Wahrheitsakte' muß sie glauben.'--Er erklärte mir jetzt, ich sollte in
der ersten Stunde der Nacht auf eine Terrasse geführt werden, wo das
Mädchen sich aufhalten werde. Er wollte dafür sorgen, daß die Fesseln
durchfeilt wären, so daß ich sie unschwer sprengen könne, worauf es dann
ein leichtes für mich sei, mich über die Brustwehr zu schwingen, in die
Schlucht hinabzusteigen und derselben abwärts folgend zu entfliehen, da
sie schließlich in eine enge Rinne ausmünde, durch die ein kleiner Bach
unter der Stadtmauer sich in die Ganga ergösse. Mit einem feierlichen
Eide schwor er mir zu, mich an der Flucht aus Kosambi nicht hindern zu
wollen.

Zwar traute ich ihm nicht allzusehr, aber ich sah keinen anderen Ausweg.
Einen ganz falschen Wahrheitsakt zu begeben, dazu hätte mich allerdings
nichts verleiten können, denn ich hätte ja dadurch das furchtbarste
Zorngericht der beleidigten Göttin auf mich geladen. Aber ich erkannte
sofort, wie ich meinen Schwur so einrichten könnte, daß ich nicht mit
klaren Worten eine Unwahrheit sagte, während dennoch ein jeder
heraushören würde, daß ich Kamanita getötet habe: und ich vertraute
darauf, daß Kali, die an allen Schlauheiten Gefallen findet, mir wegen
dieses Kraftstückes mit aller Macht beistehen und mich heil durch die
Gefahren führen würde, die ein Verrat Satagiras mir bereiten möchte.

Alles ging nun in der Tat, wie es zwischen uns verabredet war, und du
selber hast gesehen, wie ich die eisernen Ketten sprengte. Noch heute
weiß ich aber nicht, ob Satagira Wort gehalten und die Ketten hat
durchfeilen lassen, wie er es mir versprochen hatte, oder ob mir Kali
durch ein Wunder half. Doch glaube ich eher das erstere. Denn kaum war
ich einige Klafter in die Ganga hinausgeschwommen, so wurde ich von
einem Boote voll Bewaffneter überfallen. Auf diesen Hinterhalt hatte er
also vertraut. Hier aber zeigte es sich, was die Hilfe Kalis wert ist:
denn obwohl die an meinen Handgelenken hängenden Kettenstücke meine
einzigen Waffen waren, gelang es mir doch, alle Krieger totzuschlagen,
und auf dem während des Kampfes gekenterten Boote erreichte ich
glücklich das sichere nördliche Ufer; freilich nicht ohne so viele und
tiefe Wunden davonzutragen, daß ein ganzes Jahr verging, bevor ich mich
davon erholt hatte. In dieser Zeit habe ich aber oft genug geschworen,
daß Satagira mir dies büßen solle. Und nun ist die Zeit dazu gekommen."

In meiner Seele wütete ein Sturm von Entrüstung über diesen an mir
verübten, unerhörten Betrug. Ich konnte es dem Räuber nicht verdenken,
daß er durch dies Mittel sein Leben gerettet hatte, und da er seine
Hände nicht mit dem Blute meines Geliebten befleckt hatte, vergaß ich in
diesem Augenblick, wieviel anderes unschuldiges Blut aber an ihnen
klebte, und empfand weder Schreck noch Abscheu vor diesem Manne, der mir
die Botschaft gebracht hatte, daß mein Kamanita noch auf dieser Erde
wanderte wie ich selber. Aber ein bitterer Haß erhob sich in mir gegen
ihn, der schuld daran war, daß wir beide getrennt unsere Erdenwanderung
zu Ende führen mußten, und die Drohung Angulimalas gegen sein Leben
vernahm ich mit einer unwillkürlichen Freude, die wohl in meinem
Oesichtsausdrucke zu lesen war.

Denn mit erregter, leidenschaftlicher Stimme fuhr Angulimala fort:

"Ich sehe, hohe Frau! daß deine edle Seele nach Rache dürstet, und die
soll dir auch bald werden. Deshalb bin ich ja hierher gekommen. Schon
viele Wochen habe ich hier vor Kosambi auf Satagira gelauert. Endlich
habe ich jetzt aus sicherer Quelle in Erfahrung gebracht, daß er in
diesen Tagen die Stadt verlassen wird, um sich nach den östlichen Gauen
zu begeben, wo ein zwischen zwei Dörfern schwebender Rechtsstreit zu
schlichten ist. Ehe ich davon wußte, war mein ursprünglicher Plan, ihn
zu zwingen, einen Ausfall gegen mich zu machen, um mich wieder gefangen
zu nehmen; diese seine Reise macht es mir aber noch bequemer. Freilich
habe ich infolge meiner ersten Absicht kein Geheimnis aus meiner
Anwesenheit gemacht, sondern meine Taten für mich sprechen lassen, und
das Gerücht von meinem Wiedererscheinen ist längst verbreitet. Obwohl
die meisten glauben, daß irgend ein Betrüger erstanden ist und sich für
Angulimala ausgibt, so hat doch die Furcht schon so sehr um sich
gegriffen, daß nur größere und gut bewaffnete Züge sich in die bewaldete
östliche Gegend, wo ich hause, hinauswagen. Du scheinst freilich davon
nichts gehört zu haben, weil du eben als eine um ihr Lebensglück
betrogene Frau allein mit deiner Trauer verkehrst."

"Ich habe wohl von einer dreisten Räuberbande vernommen," sagte ich,
"aber deinen Namen noch nicht nennen gehört, weshalb ich auch glaubte,
deinen Geist zu sehen."

"Satagira aber hat mich nennen gehört," fuhr der Räuber fort, "verlasse
dich darauf, und da er guten Grund hat, zu glauben, daß es der richtige
Angulimala ist und noch besseren Grund, diesen zu fürchten, so ist
anzunehmen, daß er nicht nur unter starker Bedeckung reisen, sondern
auch noch andere Vorsichtsmaßregeln treffen und sich vieler auf
Täuschung berechneter Schliche bedienen wird. Indessen, obschon die
Bande, über die ich gebiete, nicht sehr groß ist, soll weder das eine
noch das andere ihm helfen, wenn ich nur mit Sicherheit weiß, zu welcher
Stunde er auszieht und welchen Weg er einschlägt. Und dies ist es, was
ich durch dich zu erfahren hoffe."

Wenn ich auch bis jetzt stumm und gleichsam in einen Bann geschlagen
seiner Erklärung gelauscht hatte, ohne zu bedenken, wieviel ich mir
schon dadurch vergab, so stand ich doch bei dieser Zumutung entrüstet
auf und fragte ihn, was ihm wohl berechtige, zu glauben, daß ich tief
genug gesunken wäre, um einen Dieb und Räuber zum Bundesgenossen zu
nehmen.

"Bei einem Bundesgenossen," erwiderte Angulimala ruhig, "ist die
Hauptsache, daß er zuverlässig ist, und du fühlst wohl, daß du dich in
dieser Sache ganz auf mich verlassen kannst. Auch brauche ich deine
Hilfe, denn nur durch sie kann ich das, was ich wünsche, mit Sicherheit
erfahren. Wohl habe ich eine sonst gute Quelle für Nachrichten, durch
die ich eben auch von der bevorstehenden Reise Satagiras weiß; aber wenn
er vorsichtshalber ein falsches Gerücht verbreitet, so kann auch sie
getrübt werden. Du aber bedarfst meiner, weil eine stolze und edle Seele
in einem Fall wie dem deinigen nur durch den Tod des Verräters
Genugtuung findet. Wärest du ein Mann, dann würdest du ihn selber töten;
da du eine Frau bist, brauchst du dazu meines Armes."

Ich wollte ihn heftig abweisen, aber er gab mir mit einer so würdigen
Handbewegung zu verstehen, er habe noch nicht Alles gesagt, daß ich
gegen meinen Willen schwieg.

"Dies, edle Frau," fuhr er fort, "ist die Rache. Aber es gibt noch ein
Anderes, Wichtigeres. Für dich: das künftige Glück zu ergreifen; für
mich: Vergangenes zu sühnen. Mit Recht sagt man ja von mir, daß ich
grausam sei, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Ja, ich habe tausend
Taten vollbracht, für deren jede man hundert oder tausend Jahre in einer
Erzhölle büßen muß, wie die Priester lehren. Zwar hatte ich einen
gelehrten und weisen Freund, Vajacravas, den das Volk jetzt sogar als
einen Heiligen verehrt, und an dessen Grab ich auch reichlich geopfert
habe: der hat uns oft bewiesen, daß es solche Höllenstrafen nicht gebe,
und daß der Räuber im Gegenteil das brahmandurchdrungenste Wesen und die
Krone der Schöpfung sei. Doch hat er mich nie so recht davon überzeugen
können....

Sei dem nun, wie es wolle. Ob es Höllenstrafen gibt oder nicht:--gewiß
ist es, daß von allen meinen Taten nur eine mir schwer auf dem Herzen
liegt, und zwar die, daß ich mit meinem schlauen Wahrheitsakt dich
betrogen habe. Schon damals durfte ich dir nicht ins Gesicht sehen, und
die Erinnerung an jene Stunde sitzt mir noch immer wie ein Dorn im
Fleische. Nun wohl, was ich damals gegen dich verbrach, möchte ich jetzt
wieder gut machen, soweit es noch möglich ist; die bösen Folgen möchte
ich vernichten. Du wurdest durch meine Schuld von dem tot geglaubten
Kamanita getrennt und an diesen falschen Satagira gebunden. Diese Fessel
will ich dir nun abnehmen, so daß du wieder frei bist, dich mit dem
Geliebten zu verbinden; und ich selber will nach Ujjeni gehen und ihn
heil und sicher herbringen. Nun tue du das deinige, ich werde das
meinige tun. Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwer, dem Gemahl ein
Geheimnis zu entlocken. Morgen, sobald es dunkel ist, komme ich hierher,
um mir den Bescheid von dir zu holen."

Er verbeugte sich tief, und bevor es mir in meiner Verwirrung und
Bestürzung möglich war, ein Wort hervorzubringen, war er so plötzlich
von der Terrasse verschwunden, wie er erschienen war.




XXXII. SATAGIRA


Die ganze Nacht blieb ich auf der Terrasse, eine willenlose Beute der
entfesselten, mir unbekannten Leidenschaften, die mit meinem Herzen ihr
Spiel trieben wie Wirbelwinde mit einem Blatt.

Mein Kamanita war noch am Leben! Er hatte in seiner fernen Heimat von
meiner Heirat gehört--denn sonst wäre er ja längst gekommen. Wie
treulos--oder wie erbärmlich schwach mußte ich in seinen Augen sein! Und
an dieser meiner Erniedrigung war allein Satagira schuld. Mein Haß gegen
ihn wurde mit jeder Minute tödlicher, und tief fühlte ich die Wahrheit
in Angulimalas Worten, daß ich, wenn ich ein Mann gewesen wäre,
sicherlich Satagira getötet hätte.

Dann zeigte sich wieder jene Aussicht, die Angulimala mir so unerwartet
eröffnet hatte:--wenn ich frei war, konnte ich den Geliebten heiraten.
Bei diesem Gedanken geriet mein ganzes Wesen in einen so stürmischen
Aufruhr, daß ich glaubte, das Blut müßte mir Brust und Schläfen
sprengen. Außerstande, mich aufrechtzuhalten, vermochte ich nicht
einmal, nach der Bank zu wanken, sondern sank auf die marmornen Fliesen
nieder, und die Sinne vergingen mir.

Die Kühle des Morgentaues brachte mich zu meinem unseligen Dasein mit
seinen furchtbaren Fragen zurück.

War es denn Wahrheit, daß ich mich mit einem Räuber und tausendfachen
Mörder verbinden wollte, um den Mann aus dem Wege zu räumen, der mich
einst um das Hochzeitsfeuer geführt hatte?

Aber ich wußte ja noch gar nicht, wann mein Gemahl fortzöge! Und wie
sollte ich die Zeit seiner Abreise, wie auch den genauen Weg, den er zu
nehmen beabsichtigte, erfahren, wenn er ein Geheimnis daraus machte?

"Für eine schöne Frau ist es ja nicht schwierig, dem Gemahl ein
Geheimnis zu entlocken"--diese Worte des Räubers klangen mir noch im
Ohre und zeigten mir die ganze Niedrigkeit einer solchen Handlungsweise.
Nie würde ich mich dazu entschließen können, mich durch Zärtlichkeit in
sein Vertrauen einzuschleichen, um ihn dann seinem Todfeinde zu
verraten. Aber gerade dadurch, daß ich dies so deutlich fühlte, wurde es
mir auch klar, daß es eigentlich nur das verräterische und heuchlerische
Erschleichen des Geheimnisses war, das ich so von Grund aus
verabscheute. Wäre ich aber schon im Besitz des Geheimnisses
gewesen--hätte ich gewußt, wo ich hingehen und eine Tafel finden könnte,
auf der Alles aufgeschrieben stand:--dann würde ich sicher die tödliche
Kunde Angulimala mitgeteilt haben.

Wie mir dies nun klar wurde, zitterte ich vor Entsetzen, als ob ich
schon schuldig an Satagiras Tod wäre. Ich dankte meinem Schicksal, daß
keine Möglichkeit für mich vorhanden war, diese Kunde zu erlangen; denn
wenn ich auch vielleicht hätte erfahren können, zu welcher Stunde sie
aufbrechen würden, so konnte doch nur Satagira selbst und höchstens noch
ein Vertrauter wissen, welche Wege und Stege man gewählt hatte.

Ich sah die aufgehende Sonne die Türme und Kuppeln Kosambis vergolden,
so wie ich dies hinreißende Schauspiel von der Terrasse der Sorgenlosen
aus so oft--aber ach! mit wie ganz anderen Gefühlen--betrachtet hatte,
wenn ich selige Nachtstunden dort mit dir verbrachte. Unglücklich wie
noch nie zuvor, matt und elend, als ob ich in dieser Nacht um Jahrzehnte
gealtert wäre, begab ich mich in den Palast zurück.

Um nach meinem Zimmer zu kommen, mußte ich durch eine lange Galerie
gehen, nach der einige Räume mit vergitterten Fenstern sich öffneten.
Als ich an einem derselben vorüberschritt, vernahm ich Stimmen. Die
eine--die meines Gemahls--hub gerade an:

"Gut, wir wollen also heute Nacht--eine Stunde nach
Mitternacht--aufbrechen."

Ich war unwillkürlich stehen geblieben. Die Stunde wußte ich also! Aber
den Weg? Die Schamröte stieg mir ins Gesicht, weil ich den Lauscher an
der Tür spielte--"fliehe, fliehe!" rief es in mir--"noch ist es Zeit!"
Aber ich blieb wie angewurzelt stehen.

Satagira sprach indessen nicht weiter. Er mochte meine Schritte und ihr
Aufhören an der Tür bemerkt haben; denn diese wurde plötzlich
aufgerissen. Mein Gemahl stand vor mir.

"Ich hörte deine Stimme im Vorbeigehen," sagte ich mit raschem
Entschluß, "und dachte daran, anzufragen, ob ich dir einige
Erfrischungen bringen sollte, da du so früh den Geschäften obliegst.
Dann befürchtete ich wieder, dich zu stören und wollte weitergehen."

Satagira sah mich ohne Mißtrauen, ja sogar sehr freundlich an.

"Ich danke dir," sagte er, "ich bedarf keiner Erfrischungen, aber du
störst mich keineswegs. Im Gegenteil, ich wollte gerade nach dir
schicken und fürchtete nur, daß du noch nicht aufgestanden wärest. Du
kannst mir gerade jetzt von dem größten Nutzen sein."

Er lud mich ein, in das Zimmer zu treten, was ich mit der höchsten
Verwunderung tat, sehr darauf gespannt, Was für einen Dienst er wohl von
mir begehrte, gerade in diesem Augenblick, wo ein tödlicher Anschlag
gegen ihn mein Gemüt erfüllte.

Ein Mann, in dem ich einen Reiterführer und Vertrauten Satagiras
erkannte, saß auf einem niedrigen Sitz. Er erhob sich bei meinem
Eintreten und verbeugte sich tief. Satagira ließ mich neben sich Platz
nehmen, winkte dem Reiteranführer, sich wieder zu setzen, und wandte
sich zu mir.

"Es handelt sich, meine liebe Vasitthi, um Folgendes: Ich muß möglichst
bald eine Reise antreten, um einen Dorfstreit in den östlichen Gauen zu
schlichten. Nun haben sich seit einigen Wochen in den Waldgegenden
östlich von Kosambi, und zwar recht nahe der Stadt, Räuber gezeigt. Es
geht sogar das törichte Gerücht, ihr Führer sei kein anderer als
Angulimala, indem man die unerhörte Frechheit hat, zu behaupten,
Angulimala sei damals aus dem Gefängnis entflohen, und ich hätte statt
seines Kopfes einen anderen, dem seinen ähnlichen, über dem Tor
aufgesteckt. Über solche Märchen können wir freilich lachen. Allerdings
aber scheint dieser Räuber dem berühmten Angulimala an Dreistigkeit
nicht viel nachzugeben, und wenn er sich wirklich für jenen ausgibt, um
durch den glorreichen Namen großen Anhang zu finden, so geht er gewiß
darauf aus, irgend eine recht glänzende Tat zu vollbringen. Deshalb ist
immerhin eine gewisse Vorsicht geboten."

Auf einem kleinen, mit edlen Steinen ausgelegten Tische neben ihm lag
ein seidenes Tuch. Er nahm es und wischte sich damit die Stirn. Es sei
doch heute, meinte er, trotz der frühen Stunde recht heiß. Ich merkte
wohl, daß es die Angst vor Angulimala war, die ihm den Schweiß aus den
Poren trieb. Aber anstatt daß dadurch mein Mitleid geweckt worden wäre,
fühlte ich bei diesem Anblick vielmehr nur Verachtung für ihn. Ich sah,
daß er kein Held war und fragte mich verwundert, durch welchen
Glücksfall er dazu gekommen wäre, Angulimala gefangen zu nehmen,
Angulimala, den Räuber, der mir vorkam wie der furchtbare Bhima im
Mahabharata, an dessen Seite du ja selber, mein lieber Kamanita, auf der
Ebene Kurukschetra gekämpft hast.

"Nun kann ich aber," fuhr indessen mein Gemahl fort, "nicht gut in jenen
Dörfern mit einem ganzen Heere ankommen, ja ich möchte sogar nicht gern
mehr als dreißig Reiter auf diese Reise mit mir nehmen. Um so mehr aber
ist Vorsicht und sogar täuschende List geboten. Ich habe dies gerade mit
meinem getreuen Panduka besprochen, und er hat mir einen guten Vorschlag
gemacht, den ich dir auch mitteile, damit du nicht während dieser Tage
in allzu großer Angst um mich bist."

Ich murmelte etwas, das einen Dank für diese Rücksichtnahme bedeuten
sollte.

"Panduka," fuhr er fort, "wird also recht augenfällig alle
Vorbereitungen treffen, als ob ich morgen früh mit einer ziemlich
ansehnlichen Truppenmacht gen Osten einen Zug machen wollte, um die
Räuber zu fangen. Wenn diese also--was ich nicht bezweifle--hier in der
Stadt Helfershelfer haben, die sie auf dem Laufenden halten, so werden
sie dadurch hinters Licht geführt. Mittlerweile breche ich mit meinen
dreißig Reitern eine Stunde nach Mitternacht auf, und zwar durch das
südliche Tor, und ziehe durch das Hügelland in einem großen Bogen
ostwärts. Doch möchte ich auch hier gern die Hauptstraßen vermeiden, bis
ich einige Meilen von Kosambi entfernt bin. Nun liegt ja aber gerade in
dieser Gegend das Sommerhaus deines Vaters, und du kennst von Kind auf
alle Wege und Stege dort--kannst mir also, denke ich, hier mit deinem
Rate viel nützen."

Ich war sofort dazu bereit, und während ich ihm Alles ausführlich
beschrieb, ließ ich mir eine Tafel geben und zeichnete darauf eine
genaue Karte von der Umgebung jenes Hauses, mit Kreuzzeichen an den
Stellen, die er sich besonders merken mußte. Vor allem aber empfahl ich
ihm einen Pfad, der durch eine Schlucht führte. Diese verengte sich
allmählich so sehr, daß auf einer kurzen Strecke nicht zwei Reiter
nebeneinander reiten konnten, dafür war aber dieser Weg so unbekannt,
daß, selbst wenn die Räuber ahnen sollten, daß er einen solchen Umweg
machte, gewiß niemand ihn dort suchen würde.

In dieser Schlucht aber hatte ich als ein unschuldiges Kind mit meinen
Brüdern und Medini und den Kindern unseres Pächters gespielt.

Satagira bemerkte, daß meine Hand, die auf die Tafel zeichnete,
zitterte, und fragte mich, ob ich Fieber hätte. Ich antwortete, daß es
nur etwas Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht sei. Er ergriff aber
meine Hand und fand besorgt, daß sie kalt und feucht sei, und als ich
sie mit der Bemerkung, das habe gar nichts zu sagen, zurückziehen
wollte, behielt er sie in der seinen, während er mich ermahnte,
vorsichtig zu sein und mich zu schonen; und in seinem Blick und seiner
Stimme bemerkte ich mit unsagbarem Unwillen, ja mit Entsetzen etwas von
der bewundernden Zärtlichkeit aus jener Zeit, als er vergebens um mich
warb. Ich beeilte mich zu sagen, daß ich mich wirklich nicht ganz wohl
fühlte und mich gleich zur Ruhe begeben wollte.

Satagira folgte mir aber noch in die Galerie hinaus, und hier, wo wir
allein waren, fing er an, sich zu entschuldigen: er habe allerdings über
die Mutter seines Sohnes mich jetzt lange Zeit vernachlässigt; aber nach
seiner Rückkehr sollte das anders werden; ich würde nicht länger nötig
haben, die Nacht allein auf der Terrasse zuzubringen.

Wenn auch jene Zärtlichkeit, die dem Grabe einer verschollenen
Jugendliebe entstiegen schien, bei der ich anerkennen mußte, daß sie
sogar mit einer gewissen halsstarrigen Treue nur mir gegolten hatte,
nicht umhin konnte, mein Herz etwas zu seinen Gunsten zu stimmen, so daß
ich einen Augenblick in meinem Vorsatz wankte: so waren doch die letzten
Worte, die mit einem süßlichen Lächeln und einer ekelhaften
Vertraulichkeit vorgebracht wurden, nur zu geeignet, diese Wirkung
wieder aufzuheben, indem sie mich an Rechte gemahnten, die er sich mir
gegenüber durch seinen feigen Verrat erschlichen hatte.




XXXIII. ANGULIMALA


Eine schreckliche Ruhe kam über mich, als ich jetzt in meine Zimmer
zurückkehrte. Es gab nichts mehr zu bedenken, kein Zweifel war zu
bekämpfen, keine Fragen wollten beantwortet sein. Alles war entschieden.
Sein Karma wollte es so. Offenbar war er durch seinen doppelten Verrat
mir und Angulimala verfallen.

So groß war diese Ruhe, daß ich einschlief, sobald ich mich auf das
Lager gestreckt hatte--als ob meine Natur ängstlich bemüht gewesen wäre,
über diese inhaltslosen Wartestunden hinwegzukommen.

Als es dunkel wurde, ging ich auf die Terrasse. Der Mond war noch nicht
aufgegangen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Die mächtige Gestalt
Angulimalas schwang sich über die Brustwehr und kam auf die Bank zu, auf
der ich, halb abgewendet, saß.

Ich rührte mich nicht, und ohne den Blick von dem Muster der bunten
Marmorfliesen zu erheben, sprach ich:--

"Was du zu wissen wünschest, weiß ich. Alles: die Stunde, wann er
fortzieht, die Stärke seiner Begleitung, die Richtung, die er
einschlägt, und Wege und Pfade, denen er folgt. Von seinem bösen Karma
getrieben, hat er selber mir seine Vertraulichkeit aufgedrungen, sonst
wüßte ich das alles nicht, denn nie hätte ich es ihm durch heuchlerische
Zärtlichkeit entlockt."

Ich hatte mir diese Worte wohl überlegt; denn so töricht sind wir in
unserem Stolz, daß es selbst jetzt, da ich mich zum Handlanger eines
Verbrechers machte, für mich ein unerträglicher Gedanke war, in seinen
Augen niedriger zu erscheinen, als ich wirklich war.

Nicht weniger überlegt waren meine weiteren Worte.

"Von all dem wirst du aber keine Silbe erfahren, wofern du mir nicht
zuerst versprichst, daß du ihn _nur_ töten, auf keine Weise aber quälen
wirst, und daß du nur _ihn_, jedoch keinen seiner Begleiter töten wirst,
wenn du es nicht zur Selbstverteidigung nötig hast. Ich werde dir aber
eine Stelle zeigen, wo du ihn ganz allein und ohne Handgemenge tödlich
treffen kannst. Dies also mußt du mir mit einem feierlichen Eide
versprechen. Sonst kannst du mich töten, wirst aber kein Wort mehr von
mir vernehmen."

"So wahr ich bis heute ein treuer Diener Kalis war," erwiderte
Angulimala, "so gewiß will ich keinen von seinen Begleitern töten, und
so gewiß soll er auch keine Qual erleiden."

"Gut," sagte ich, "ich will dir trauen. So höre also nun und merke dir
Alles genau. Wenn du hier in der Stadt Hehler hast, so wirst du schon
erfahren haben, daß Vorbereitungen getroffen werden, um morgen gegen die
Räuber vorzugehen. Das ist aber alles leerer Schein, um dich zu
täuschen. In Wirklichkeit verläßt Satagira, von dreißig Reitern gefolgt,
noch heute, eine Stunde nach Mitternacht, die Stadt durch das südliche
Tor, läßt den Sinsapawald links liegen und biegt noch etwas südlicher
aus, um auf Nebenwegen durch das Hügelland ostwärts zu ziehen."

Und ich gab ihm nun eine ganz genaue Beschreibung der Gegend bis zu
jener engen Schlucht, durch die Satagira kommen mußte, und wo er ihn
leicht und sicher erschlagen konnte.

Meiner Rede folgte ein bedrückendes Schweigen, währenddessen ich nur
mein eigenes schweres Atemholen hörte. Ich fühlte, daß ich noch nicht
Kraft genug hatte, um mich zu erheben und wegzugehen, wie ich es mir
vorgenommen hatte.

Endlich sprach Angulimala, und schon der milde, ja traurige Klang seiner
Stimme überraschte mich derart, daß ich fast erschrak und unwillkürlich
zusammenfuhr.

"So wäre es denn also nun geschehen," sagte er, "und du, die zarte,
milde Frau, die du gewiß niemals mit Willen auch nur dem geringsten
Geschöpfe ein Leid zugefügt hast, du wärest nunmehr im Bunde mit dem
schlechtesten Menschen, dessen Hände von Blut triefen, ja der Mord
deines Gatten lastete auf deinem Gewissen und würde für dich seine
schwarzen Karmafäden auf abschüssiger Fährte bis in die höllische Welt
weiter wirken--ja, so wäre es in der Tat, wenn du jetzt zu dem Räuber
Angulimala geredet hättest."

Ich wußte nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Zu wem sonst hatte
ich denn geredet? War es doch die Stimme Angulimalas, wenn auch mit
jener sonderbaren Veränderung des Klanges; und als ich mich jetzt
bestürzt umwandte und ihn scharf ansah, war es außer allem Zweifel, daß
der Räuberhäuptling vor mir stand, wenn auch in seiner ganzen Haltung
sich gleichsam ein anderer Charakter ausdrückte als der, der mich Tags
zuvor in seinem furchtbaren Banne gehalten hatte.

"Aber sei unbesorgt, edle Frau"--fügte er hinzu--"dies Alles ist nicht
geschehen. Nichts ist geschehen, nicht mehr, als wenn du deine Rede an
diesen Baum gerichtet hättest."

Diese Worte waren mir so rätselhaft wie die vorhergehenden. So viel aber
verstand ich, daß er aus irgend einem Grunde seinen Racheplan gegen
Satagira aufgegeben hatte.

Nachdem ich mich durch furchtbare Seelenkämpfe zu dieser unnatürlichen
Höhe des Verbrechens emporgerungen hatte, war dies plötzliche
unbegreifliche Zerrinnen, diese spukhafte Verflüchtigung des Werkes eine
Enttäuschung, die ich nicht ertrug. Die krankhafte Spannung meines
Gemütes machte sich Luft in einem Strome von Schimpfworten, die ich
Angulimala ins Gesicht schleuderte. Ich nannte ihn einen ehrlosen
Schuft, einen wortbrecherischen, leeren Prahler, eine Memme und was weiß
ich noch--das Schlimmste, was mir einfallen wollte, denn ich hoffte, daß
dieser wegen seines Jähzorns in ganz Indien berüchtigte Mann,
solchermaßen gereizt, mich mit einem Schlage seiner eisernen Faust
leblos zu Boden strecken würde.

Als ich aber schwieg, eher, weil mir der Atem als der Wortvorrat
ausging, antwortete mir Angulimala mit beschämender Ruhe:--

"Dies alles und noch Schimpflicheres habe ich ja von dir verdient, und
nicht einmal den alten Angulimala hättest du damit, glaube ich, so
reizen können, daß er dich getötet hätte--denn dies zu erreichen ist ja,
wie ich wohl erkenne, deine Absicht. Aber wenn auch jetzt ein anderer
mir noch Schlimmeres gesagt hätte, so würde ich das nicht nur ruhig
ertragen haben, sondern ihm sogar dankbar dafür sein, daß er mir
Gelegenheit gab, eine heilsame Prüfung zu bestehen. Hat doch der Meister
selber mich gelehrt: 'Der Erde gleich, Angulimala, sollst du Gleichmut
üben. Gleichwie man da auf die Erde Reines hinwirft und Unreines
hinwirft, und die Erde sich weder darob entsetzt noch sich sträubt--also
sollst du, Angulimala, der Erde gleich Gleichmut üben.' Denn du sprichst
ja, Vasitthi, nicht mit dem Räuber, sondern mit dem Jünger Angulimala."

"Was für ein Jünger? Welcher Meister?" fragte ich mit verächtlicher
Ungeduld, obwohl die seltsame Sprache dieses unbegreiflichen Mannes
nicht verfehlte, eine eigentümliche, fast bestrickende Wirkung auf mich
auszuüben.

"Den sie den Vollendeten nennen, den Weltkenner, den vollkommen
Erwachten, den Buddha," antwortete er, "der ist der Meister. Du hast
doch wohl auch schon von ihm gehört?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Glücklich preise ich mich," rief er, "daß ich es bin, durch dessen Mund
du zuerst den Namen des Gesegneten vernimmst. Hat Angulimala dir einst
als der Räuber viel Böses getan, so hat er dir jetzt als Jünger noch
mehr Gutes getan."

"Wer ist denn dieser Buddha?" fragte ich wieder in demselben Tone, ohne
mir es anmerken lassen zu wollen, wie sehr meine Teilnahme geweckt
war.--"Was hat er mit diesem deinem rätselhaften Betragen zu tun, und
was könnte mir das für Segen bringen, seinen Namen zu hören?"

"Auch nur den Namen dessen zu hören, den sie den Willkommenen nennen,"
sagte Angulimala, "ist wie der erste Schimmer einer Leuchte für den, der
im Dunkel sitzt. Aber ich will dir jetzt Alles erzählen, wie er mir
begegnet ist und mein Leben gewendet hat; denn gewiß ist das nicht zum
wenigsten deinetwegen gerade heute geschehen."

Schon am ersten Abend hatte mich trotz der Wildheit, die seinem Wesen
entströmte, ein gewisser Anstand seines Betragens überrascht; noch
auffallender war aber die ungesuchte Würde, mit der er jetzt neben mir
Platz nahm, wie Einer, der sich bei seinesgleichen fühlt.




XXXIV. DIE SPEERHÖLLE


Ich stand heute--hub er an--ein paar Stunden nach Sonnenaufgang am
Waldesrande und spähte nach den Türmen Kosambis hinüber, meine Rache an
Satagira im Sinne, und die Frage erwägend, ob du mir wohl die
erwünschten Aufklärungen bringen würdest: als ich auf der Straße, die
vom östlichen Stadttor zum Walde führt, einen einsamen, in einen gelben
Mantel gehüllten Wanderer gewahr wurde, der rüstig einherschritt. Zu
beiden Seiten des Weges aber waren Hirten und Landleute mit ihren
Arbeiten beschäftigt. Und ich sah nun, wie diejenigen, die dem Wege am
nächsten waren, jenem einsamen Wanderer etwas zuriefen, während auch die
weiter entfernten mit ihrer Arbeit innehielten, ihm nachsahen und mit
Fingern auf ihn zeigten. Und die Nächststehenden schienen ihn, je weiter
er vorwärts schritt, um so eifriger zu warnen, ja aufhalten zu wollen,
indem einige ihm nachliefen und seinen Mantel ergriffen, und dann mit
eifrigen und entsetzten Gebärden nach dem Walde zeigten. Fast glaubte
ich hören zu können, wie sie ihm zuriefen: "Nicht weiter! Gehe nicht in
den Wald! Dort haust ja der schreckliche Räuber Angulimala."

Aber jener Wanderer schritt unbekümmert weiter, dem Walde zu. Und jetzt
sah ich an seinem Mantel und an seinem kahlgeschorenen Kopfe, daß es ein
Asket war, einer von denen, die dem Orden des Sakyersohnes angehören,
ein alter Mann von stattlicher Gestalt.

Und ich gedachte bei mir: "Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es!
Auf diesem Wege sind schon zehn Mann, ja dreißig und fünfzig Mann
vereint und bewaffnet ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten:
und dieser Asket da kommt allein, wie ein Eroberer heran!"

Und es verdroß mich, daß er so offen meiner Macht Hohn sprach. So
entschloß ich mich denn, ihn zu töten, um so mehr, als ich mir dachte,
möglicherweise sei er als Späher von Satagira in den Wald geschickt.
Denn diese Asketen--so meinte ich--sind ja alle heuchlerisch und feil
und lassen sich zu Allem gebrauchen, indem sie auf die Sicherheit bauen,
die sie durch den Aberglauben des Volkes genießen--denn so hatte ich von
meinem gelehrten Freunde Vajaçravas gelernt, die Sache zu betrachten.

Schnell entschlossen ergriff ich meinen Speer, hängte Bogen und Köcher
um und ging dem Asketen, der jetzt in den Wald eingetreten war, Schritt
für Schritt nach.

Als ich aber eine günstige Stelle erreicht hatte, wo keine Bäume uns
trennten, blieb ich stehen, nahm den Bogen von der Schulter und schoß
einen Pfeil so ab, daß er dem Wanderer in die linke Seite des Rückens
eindringen und sein Herz durchbohren mußte; aber er flog über den Kopf
des Asketen dahin.

"Da muß sich unter meine Pfeile ein ganz schlechter verirrt haben,"
sagte ich mir, nahm meinen Köcher zur Hand und wählte einen schön
gefiederten, tadellosen Pfeil, mit dem ich so zielte, daß er dem Asketen
das Genick durchbohren mußte. Der Pfeil schlug aber links von ihm in
einen Baumstamm ein. Der nächste flog rechts von ihm vorbei, und so ging
es mit allen Pfeilen, bis mein Köcher geleert war.

"Unbegreiflich, außerordentlich ist das!" dachte ich bei mir. "Habe ich
mich doch oft damit belustigt, einen Gefangenen mit dem Rücken an einen
Zaun zu stellen und die Pfeile so nach ihm zu schießen, daß, nachdem er
zur Seite getreten, der ganze Umriß seines Körpers durch die im Zaune
steckenden Pfeile abgezeichnet war--und das auf eine noch größere
Entfernung. Bin ich doch gewohnt, mit meinem Pfeil den Adler im vollen
Flug aus der Luft zu holen. Was fehlt denn heute meiner Hand?"

Unterdessen hatte jener Asket einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, und
ich begann hinter ihm her zu laufen, um ihn mit dem Speere zu töten.
Nachdem ich ihm aber auf etwa fünfzig Schritte nahe gekommen war, gewann
ich ihm keinen Schritt mehr ab, obschon ich mit aller Macht rannte,
jener Asket aber ganz gemach vorwärts zu schreiten schien.

Da sagte ich zu mir selber: "Wahrlich, dies ist noch das Wunderbarste
von Allem! Habe ich doch sonst oft den scheuen Ilfen und den flüchtigen
Hirsch eingeholt, und diesen gemach dahinschreitenden Asketen kann ich
jetzt, mit aller Macht laufend, nicht einholen. Was fehlt denn heute
meinen Füßen?"

Und ich blieb stehen und rief ihm zu:

"Stehe, Asket! Stehe!"

Er aber schritt ruhig weiter und rief zurück:

"Ich stehe, Angulimala! Stehe auch du!"

Da wunderte ich mich denn wieder gar sehr und dachte: "Offenbar hat
dieser Asket soeben durch irgend einen Wahrheitsakt mein Pfeilschießen
vereitelt, durch irgend einen Wahrheitsakt mein Laufen vereitelt. Wie
kann er denn also jetzt eine offenbare Unwahrheit sagen, indem er zu
stehen behauptet, während er doch geht, mich aber zum Stehenbleiben
auffordert, obschon er sehr wohl sieht, daß ich bereits so still stehe
wie dieser Baum? So würde wohl die fliegende Gans zur Eiche sagen: 'Ich
stehe, Eiche! Stehe auch du!' Sicher muß also hier etwas dahinter
stecken. Wohl möchte es mehr wert sein, den geheimen Sinn dieser
Asketenworte zu verstehen als einen Asketen zu töten."

Und ich rief ihm zu:

"Wandelnd wähnst du dich stätig, Asket, und mich, der stätig, wähnst du
wandelnd. Erkläre mir das, Asket! Wie bist du stätig, wie bin ich
unstät?" Und er antwortete mir:

"Ich, der ich keinem Wesen Leides antue, bin beständig, wandle nicht
mehr; du aber, der du gegen die Wesen wütest, mußt ruhelos von
Leidensort zu Leidensort wandeln."

Ich antwortete wieder:

"Daß wir immer wandeln, habe ich wohl gehört. Das vom Beständigsein, vom
Nachtwandeln verstehe ich aber nicht. Wolle, Ehrwürdiger, mir das kurz
Gesagte ausführlich erläutern. Sieh, ich habe meinen Speer von mir getan
und feierlich schwöre ich dir: ich schenke dir Frieden!"

"Zum zweiten Male, Angulimala," sagte er, "hast du falsch geschworen."

"Zum zweiten Male?"

"Das erste Mal geschah es bei jenem falschen Wahrheitsakt."

Das schien mir nun nicht der Wunder geringstes, daß er um jene geheime
Sache wußte; aber ohne mich dabei aufzuhalten, beeilte ich mich, meine
schlaue Handlung zu verteidigen.

"Meine Worte, Ehrwürdiger, waren da freilich gleichsam auf Schrauben
gestellt, aber mit den Worten beschwor ich nichts Falsches, nur der Sinn
war täusehend. Das aber, was ich dir schwöre, ist sowohl den Worten wie
dem Sinne nach wahr."

"Nicht doch," antwortete er, "denn du kannst mir keinen Frieden
schenken. Wohl dir, wenn du dir von mir den Frieden schenken ließest."

Dabei hatte er sich umgewandt und winkte mir freundlich, heranzutreten.

"Gern, Ehrwürdiger," sagte ich demütig.

"So höre denn und gib wohl acht!"

Er setzte sich im Schatten eines großen Baumes nieder und hieß mich zu
seinen Füßen Platz nehmen.

Und er fing an, mich über gute und böse Taten und über ihre Folgen zu
belehren, indem er mir Alles ausführlich auseinandersetzte, so wie man
zu einem Kinde spricht. Denn ich war ja ganz ungelehrt, während sonst
Asketenschüler meistens Brahmanenjünglinge sind, die sogar den Veda
kennen. Ich aber hatte so tiefgedachten Reden nie gelauscht, seitdem ich
im nächtlichen Walde zu den Füßen Vajaçravas' gesessen, von dem ich dir
schon erzählt habe, und den du wohl auch sonst hast nennen hören.

Als nun aber dieser Asket mir offenbarte, daß nicht eine willkürliche
Göttermacht, sondern unser eigenes Herz allein durch seine Gedanken und
Taten uns hier und dort geboren werden läßt, bald auf Erden, bald in
einem Himmel, bald wieder in einer Hölle--da mußte ich eben an jenen
Vajaçravas denken, wie er uns durch Vernunftgründe und mittelst der
Schrift bewies, daß es keine Höllenstrafen geben könne, und daß alle
darauf bezüglichen Stellen in der heiligen Schrift von den schwachen und
feigen Seelen in dieselbe hineingeschmuggelt seien, um die starken und
mutigen durch solche Drohungen einzuschüchtern und dadurch sich vor der
Gewalttätigkeit der letzteren zu schützen.--"Freund Vajaçravas," dachte
ich, "hat mich niemals so ganz überzeugen können. Ob wohl dieser Asket
es vermag? Hier steht eben Meinung gegen Meinung, Gelehrter gegen
Gelehrten. Denn selbst, wenn auch dieser Asket einer der großen Jünger
des Sakyersohnes sein sollte, so wurde ja auch Vajaçravas von seinen
Anhängern hochgepriesen, und jetzt, nach seinem Tode, wird er sogar vom
gemeinen Volke als ein Heiliger verehrt. Wer will also entscheiden, wer
von diesen beiden recht hat?"

"Du bist nicht mehr ganz bei der Sache, Angulimala," sagte da der Asket:
"du denkst an jenen Vajaçravas und an seine Irrlehren."

Sehr verwundert gab ich das zu.

"So hat denn der Ehrwürdige auch meinen Freund Vajaçravas gekannt?"

"Man hat mir sein Grab vor dem Tore gezeigt, und ich sah, wie dort
törichte Reisende ihr Gebet verrichteten in dem Wahne, er sei ein
Heiliger"

"So ist er denn kein Heiliger?"

"Nun, wir wollen, wenn es dir so scheint, ihn aufsuchen und sehen, wie
es ihm mit seiner Heiligkeit nun geht."

Der Asket sagte dies, als ob es sich darum handele, von einem Hause ins
andere zu gehen. Ganz bestürzt starrte ich ihn an:

"Ihn aufsuchen? Vajaçravas? Wie wäre denn das möglich?"

"Gib mir deine Hand," sprach er. "Ich werde mich in jene
Selbstvertiefung versenken, durch die in einem standhaften Herzen der zu
den Göttern und der zu den Dämonen führende Weg sichtbar werden. Da
wollen wir denn seiner Fährte folgen, und was ich sehe, wirst auch du
sehen."

Ich reichte ihm meine Hand. Eine Weile saß er schweigend da, die Augen
gesenkt, die Pupillen nach innen gerichtet, und ich spürte nichts.
Plötzlich aber war es mir, wie es wohl einem Schwimmer sein mag, wenn
der Dämon, der im Wasser haust, seinen Arm ergreift und ihn nach unten
zieht, so daß der blaue Himmel und die Bäume des Ufers verschwinden,
indem die Welle über seinem Kopfe zusammenschlägt, und immer tiefer
werdendes Dunkel ihn umgibt. Bisweilen aber loderte auch Flammenschein
um mich, und mächtiges Getöse dröhnte mir im Ohre.

Schließlich befand ich mich wie in einer ungeheuren Höhle, die ganz
dunkel war, jedoch durch unzählige kurz zuckende Blitze unruhig
beleuchtet wurde. Als ich mich etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatte,
entdeckte ich, daß diese Blitze von dem Erglänzen eiserner Speerspitzen
herrührten, die hin und her fuhren, als ob Lanzen von unsichtbaren Armen
geschwungen würden--etwa in einer Geisterschlacht. Auch hörte ich
Schreie, aber nicht wilde und mutige wie von kampfestrunkenen Streitern,
sondern Schmerzensschreie und Stöhnen Verwundeter, die ich jedoch nicht
sah. Denn diese Schreckenslaute kamen aus dem Hintergrunde, wo das
Zucken der Lanzenspitzen einen einzigen zitternden und wirbelnden Nebel
bildete. Der Vordergrund aber war leer.

Hier traten nun aber drei Gestalten herein, von einem rechts
einmündenden, schwarzen Höhlenschlund gleichsam ausgespieen. Der Mann in
der Mitte war Vajaçravas; sein nackter Körper zitterte vom Kopf bis zu
den Füßen, als ob er heftig fröre oder vom Fieber geschüttelt würde.
Seine Begleiter hatten beide einen menschlichen Rumpf, der aber von
Vogelbeinen mit starken Krallen getragen wurde, während er bei dem einen
von einem Fischkopfe, bei dem anderen von einem Hundekopfe gekrönt war.
In den Händen trug jeder einen langen Speer.

Der mit dem Fischkopf sprach zuerst:

"Dies, Ehrwürdiger, ist die Speerhölle, wo du nach dem Spruch des
Höllenrichters zehntausendjährige Strafe abzubüßen hast, indem du von
diesen zuckenden Speeren ununterbrochen durchbohrt wirst;--um dann je
nach deinen sonstigen Taten irgendwo wiedergeboren zu werden.

Dann sprach der mit dem Hundekopf:

"So oft sich, Ehrwürdiger, in deinem Herzen zwei Speere kreuzen, wisse,
daß dann tausend Jahre von deiner Höllenqual um sind."

Kaum hatte er dies gesagt, so schwangen beide Höllenwächter ihre Lanzen
und durchbohrten Vajaçravas. Wie auf ein gegebenes Zeichen zuckten jetzt
alle Speere ringsum auf ihn los und durchbohrten ihn mit ihren Spitzen
von allen Seiten, wie eine Schar von Raben sich über ein hingeworfenes
Aas wirft und ihre Schnäbel in das Fleisch hackt. Bei diesem
schrecklichen Anblick und den jammervollen Schreien, die Vajaçravas in
seiner Qual ausstieß, vergingen mir die Sinne.

Als ich wieder erwachte, lag ich im Walde, unter dem großen Baume, zu
Füßen des Erhabenen hingestreckt.

"Hast du gesehen, Angulimala?"

"Ich habe gesehen, o Herr."

Und ich wagte nicht einmal hinzuzufügen: "Errette mich!" Denn wie konnte
_ich_ begehren, errettet zu werden?

"Wenn du nun nach der Auflösung deines Leibes infolge deiner Taten auf
abschüssige Fährte gelangst, in höllische Welt, und der Richtender
Schatten über dich denselben Spruch ergehen läßt, und die Höllenwächter
dich in die Speerhölle zu derselben Strafe führen: geschieht dir dann
zuviel, Angulimala?"

"Nein, Herr, es geschieht mir nicht zu viel."

"Ein Wandel aber, von dem du selber gestehst, daß er gerechterweise zu
solchen, unausdenkbaren Qualen führt, ist das wohl, Angulimala, ein
Wandel, der wert ist, fortgesetzt zu werden?"

"Nein, o Herr! Diesem Wandel will ich entsagen, abschwören will ich
meine teuflischen Gewohnheiten um ein Wort deiner Wahrheit."

"Vor Zeiten einmal, Angulimala, hat der Richter der Schatten innig
erwogen: 'Wer da wahrlich Übeltaten in der Welt verübt, wird mit solchen
mannigfachen Strafen gestraft. O, daß ich doch Menschentum erreichte,
und daß ein Vollendeter, ein vollkommen erwachter Buddha in der Welt
erschiene, und ich um ihn, den Erhabenen, sein könnte: und daß er, der
Erhabene, mir die Satzung darlegte, und daß ich sie verstände!'

Was nun jener Richter der Schatten sich so innig erwünschte, das ist
dir, Angulimala, geworden. Du hast das Menschentum erreicht. Gleichwie
aber, Angulimala, auf diesem indischen Festlande nur wenig freundliche
Haine, herrliche Wälder, schöne Hügel und liebliche Lotusteiche sich
befinden, sondern im Vergleich damit reißende Flüsse, Urwälder, öde
Felsgebirge und dürre Wüsten bei weitem zahlreicher sind:

ebenso auch werden nur wenig Wesen unter den Menschen geboren im
Vergleich zu den weit zahlreicheren Wesen, die in anderen Reichen als
dem der Menschheit zum Dasein gelangen;--

ebenso auch sind nur wenige Geschlechter gleichzeitig mit einem Buddha
auf Erden, im Vergleich zu den weit zahlreicheren, zu deren Zeit kein
Buddha erstanden ist;--

ebenso auch wird es von jenen wenigen Geschlechtern nur wenigen Wesen
zuteil, den Vollendeten zu sehen, im Vergleich zu jenen weit
zahlreicheren, die ihn nicht sehen.

Du aber, Angulimala, hast Menschentum erlangt; und zwar zu einer Zeit,
wo ein vollkommener Buddha in der Welt erschienen ist, und du hast ihn
gesehen und du kannst um ihn, den Erhabenen, sein."

Als ich diese Worte vernahm, faltete ich die Hände und rief:

"Heil dir, o Heiliger! So bist du denn selber der vollkommen erwachte
Buddha! So hat denn das edelste der Wesen sich des schlechtesten
erbarmt! So willst denn du, Erhabener, mir erlauben, um dich zu sein?"

"Ich will's," antwortete der Erhabene. "Und so vernimm nun auch dieses:

ebenso gibt es unter den wenigen, die den Erhabenen sehen, nur wenige,
die seine Satzung hören, und von diesen nur wenige, die sie verstehen.
Du aber wirst die Satzung hören und verstehen. Komm, Jünger!"

Und der Erhabene war in den Wald hineingeschritten gleichwie ein
Elefantenjäger, der auf seinem zahmen Ilfen reitet. Er verließ aber den
Wald wieder, gleichwie ein Elefantenjäger den Wald verläßt, von einem
wilden, durch seine Kunst bezähmten Ilfen gefolgt.

So bin ich denn nun zu dir gekommen, Vasitthi: nicht der Räuber
Angulimala, sondern der Jünger Angulimala. Sieh, ich habe Speer und
Keule, Stock und Geißel von mir geworfen, habe Töten und Quälen
abgeschworen, und vor mir haben alle Wesen Frieden.




XXXV. LAUTERE SPENDE


Ich weiss nicht, wie lange es dauerte, ehe ich meine Lippen öffnete,
aber eine recht lange Zeit, glaube ich, saß ich stumm da und ließ Alles,
was mir Angulimala erzählt hatte, Punkt für Punkt vor mir auftauchen,
und dachte darüber nach und wunderte mich immer mehr. Denn obwohl ich
viele Sagen aus alter Zeit von göttlichen Wundern und besonders von den
Wundertaten Krishnas, als er auf dieser Erde wanderte, gehört hatte, so
kamen sie mir doch alle miteinander geringfügig vor, wenn ich sie mit
dem verglich, was an diesem Tage Angulimala im Walde widerfahren war.

Und ich fragte mich nun selber, ob jener große Mann, der in wenigen
Stunden aus dem schrecklichen Räuber diesen sanften Menschen, der soeben
zu mir gesprochen, gemacht hatte--jener "Vollendete", der das Wildeste,
was es in der ganzen Natur gab, so leicht und sicher gezähmt hatte: ob
er nicht auch imstande sei, mein friedloses, von Leidenschaften
stürmisch bewegtes Herz zu beruhigen und durch das Licht seiner Worte
die nächtige Trauerwolke von ihm zu verscheuchen? Oder war dies
vielleicht noch schwieriger, ja wohl gar eine Aufgabe, deren Lösung
selbst die Kräfte des heiligsten Asketen überstieg?

Fast fürchtete ich, das letztere möchte der Fall sein, aber ich fragte
doch, wo wohl jener große Asket, den er seinen Meister nannte, sich
aufhielte, und ob auch ich ihn wohl aufsuchen könne.

"Recht so," antwortete Angulimala, "daß du sofort danach fragst--und
wonach solltest du auch sonst fragen? Deshalb bin ich ja zu dir
gekommen. Die wir im Bösen Verbündete sein wollten, wir werden es jetzt
im Guten sein. Der Erhabene weilt jetzt im Sinsapawalde, von dem du
selber sprachst. Begib dich morgen dorthin, aber erst gegen Abend. Denn
dann haben die Mönche ihre Gedenkenruhe beendigt und versammeln sich am
alten Krishnatempel, und der Erhabene spricht da zu ihnen und zu den
sonst Anwesenden. Zu dieser Stunde gehen nämlich viele Männer und Frauen
von der Stadt dort hinaus, um den Gesegneten zu sehen und seinen
lichtspendenden Worten zu lauschen; und mit jedem Abend wird der Andrang
größer. Oft dauert ein solcher Vortrag bis in die späte Nacht hinein.
Von alledem war ich schon genau unterrichtet, weil ich in der
Sündhaftigkeit meines Herzens den scheußlichen Plan geschmiedet hatte,
mit meinen Leuten nächstens die Versammlung zu überfallen. Die Gaben an
Lebensmitteln und Stoffen, die viele der Besucher als Geschenke für den
Orden mitbringen, bilden schon eine--wenn auch nicht reiche--so doch
keineswegs ganz zu verschmähende Beute. Besonders aber gedachte ich
einige vornehme Bürger aufzuheben und schweres Lösegeld von ihnen zu
erpressen, und verband damit die Hoffnung, durch einen so dreisten
Handstreich, gerade vor den Toren der Stadt, Satagira endlich aus den
Mauern herauszulocken. Denn als ich den Plan faßte, war mir seine
bevorstehende Reise noch unbekannt.--Versäume also nicht, edle Frau,
morgen gegen Abend nach dem alten Krishnatempel zu gehen, das wird dir
lange zum Heil gereichen. Mich verlangt es jetzt eiligst dahin zu
kommen, ob ich wohl noch etwas hören werde. Doch in solchen schönen
Mondnächten bleiben die Mönche lange beisammen, in religiöse Gespräche
vertieft, und erlauben Einem gern zuzuhören."

Er verbeugte sich tief vor mir und entfernte sich schnell.--

Am nächsten Vormittage schickte ich nach Medini, die nun ebenso bereit
war, mit ihrem Gatten Somadatta mir Gefolge nach dem Krishnahain zu
leisten, wie damals, als es sich darum handelte, die Begegnung zweier
Liebenden zu vermitteln. In der Tat hatte sie schon vorher einmal ihren
Gatten gebeten, sie eines Abends dort hinaus zu bringen, denn sie ließ
sich nicht leicht etwas entgehen, wovon die Leute sprachen. Somadatta
aber hatte sich vor dem Hausbrahmanen gefürchtet, und so war sie denn
hocherfreut, durch die Aufforderung der Ministersgattin jenem Tyrannen
gegenüber gedeckt zu sein.

Wir fuhren sofort nach den Kaufhallen, wo Somadatta, der dort seine
Geschäfte besorgte, uns behilflich war, solche Stoffe auszusuchen, die
für die Bekleidung der Mönche und der Nonnen geeignet waren. Auch kaufte
ich dort eine große Menge Arzneien. Wieder nach Hause gekommen,
plünderten wir die Vorratskammern: Krüge mit dem feinsten öl, Kisten mit
Honig, mit Butter und mit Zucker, Schüsseln mit Eingemachtem aller Art
wurden für unseren frommen Zweck zur Seite gestellt. Meine eigenen
Schränke mußten das Ausgesuchteste, was sie an wohlriechendem Wasser,
Sandelstaub und Kampfer bargen, hergeben, und dann ging es in den
Garten, dessen Blumenflor nicht geschont wurde.

Als die ersehnte Stunde kam, waren schon alle diese Sachen auf einen mit
Maultieren bespannten Wagen geladen. Wir selber nahmen unter dem Zelte
eines anderen Wagens Platz, und von den zwei silberweißen
Vollblut-Sindhrossen gezogen, die jeden Morgen dreijährigen Reis aus
meiner Hand fraßen, fuhren wir zum Stadttor hinaus.

Die Sonne näherte sich schon den Kuppeln und Türmen der Stadt hinter
uns, und ihre Strahlen vergoldeten den Staub, der den ganzen Weg entlang
aufgewirbelt wurde von den vielen, die wie wir--meistens jedoch zu
Fuß--hinauspilgerten, um den Buddha zu sehen und zu hören.

Bald erreichten wir den Eingang zum Walde. Hier ließen wir die Wagen
halten und begaben uns zu Fuß weiter, von Dienern gefolgt, welche die
mitgebrachten Weihgeschenke trugen.

Seit jener Nacht aber, als wir dort voneinander Abschied nahmen, war ich
in diesem Walde nicht wieder gewesen. Als ich nun--in derselben
Begleitung--in seinen kühlen Schatten eintrat, überwältigte mich ein
solcher Erinnerungsduft, der, gleichsam für mich hier aufgespeichert, im
Verlaufe der Jahre seine Süßigkeit bis zur Giftigkeit konzentriert
hatte, daß ich betäubt stehen blieb. Es war mir, als ob meine Liebe, in
voller Stärke erwacht, sich mir in den Weg stellte, mich der
Fahnenflucht und des Verrates zeihend. Denn ich kam ja nicht hierher, um
ihr durch Einatmen des Erinnerungsduftes neue Nahrung zu geben, sondern
um für mein enttäuschtes und gequältes Herz den Frieden zu suchen. Hieß
das aber nicht vergessen, der Liebe entsagen wollen? War das nicht
Wortbruch und feiger Verrat?

In solchem bangen Zweifel stand ich da, unschlüssig, ob ich weitergehen
oder umkehren solle--zu großer Enttäuschung Medinis, die vor Ungeduld
trippelte, wenn Andere uns überholten.

Jedoch der Anblick dieses Waldinneren, von der späten Nachmittagssonne
mild und goldig durchstrahlt--das leise, gleichsam mahnende Rauschen und
Lispeln der Blätter--die Leute, die beim Eintreten sofort verstummten
und sich erwartungsvoll, fast scheu umsahen--hier und dort, in einiger
Entfernung, am Fuße eines mächtigen Baumstammes, ein in die Falten
seines gelben Mantels gehüllter Asket, mit untergeschlagenen Beinen und
in Selbstvertiefung versunken, aus der erwachend wohl dann auch dieser
und jener sich erhob und, ohne sich umzusehen, dieselbe Richtung
einschlug, in der alle einem noch unsichtbaren Ziele zustrebten:--alles
dies trug einen so still erhabenen Charakter und schien davon zu zeugen,
daß hier Geschehnisse vorgingen so seltener, ja heiliger Art, daß sich
keine Macht in der Welt dagegen stellen dürfte, ja, daß selbst die
Liebe, wenn sie ihre Stimme dagegen erhöbe, ihres ganzen göttlichen
Rechtes verlustig gehen würde.

So schritt ich denn entschlossen weiter, und die an Angulimala
gerichteten Worte des Erhabenen von den vielen Menschengeschlechtern,
die dahinleben, ohne daß ein Buddha in der Welt wäre, und von den so
äußerst wenigen selbst unter den Zeitgenossen eines Buddha, denen es
beschieden sei, ihn zu hören und zu sehen--diese Worte hallten mir im
Ohre, wie das Läuten einer Tempelglocke, und ich fühlte mich wie eine
Gebenedeite, die einem Erlebnisse entgegengeht, um welches kommende
Geschlechter sie beneiden.

Als wir die Lichtung erreichten, wo die Tempelruine stand, waren hier
schon viele Leute versammelt, sowohl Laien wie Mönche. Sie standen in
Gruppen verteilt, die meisten in der Nähe der Ruine, die sich uns
gegenüber erhob. Nahe an der Stelle, wo wir die Waldwiese betraten,
bemerkte ich eine größere Gruppe von Mönchen, unter welchen mir ein
wahrer Riese auffallen mußte, denn er überragte auch die höchsten neben
ihm Stehenden um Haupteslänge.

Während wir uns nun umsahen, wohin wir wohl am besten unsere Schritte
lenken sollten, trat zwischen uns und jenen Mönchen ein alter Asket aus
dem Walde heraus. Seine hohe Gestalt hatte eine so königliche Haltung,
und eine so heitere Ruhe strahlte aus seinen edlen Zügen, daß mir sofort
der Gedanke kam: ob dieser Asket wohl der Sakyersohn sein sollte, den
sie den Buddha nennen?

In seiner Hand trug er einige Sinsapablätter, und an jene Mönche sich
wendend, sprach er:

"Was meint ihr, ihr Jünger, was ist mehr, diese Sinsapablätter, die ich
in der Hand halte, oder die anderen Blätter droben im Sinsapawalde?"

Und die Mönche antworteten:

"Die Blätter, die der Erhabene in der Hand hält, sind wenige, und viel
mehr sind jene Blätter droben im Sinsapawalde."

"So auch," sagte er, der--wie ich jetzt wußte--der Buddha war--"so auch,
ihr Jünger, ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet,
als das, was ich euch verkündet habe. Und warum, ihr Jünger, habe ich
euch jenes nicht verkündet? Weil es euch keinen Gewinn bringt, weil es
nicht den Wandel in Heiligkeit fördert, weil es nicht zur Abkehr vom
Irdischen, zum Untergang aller Lust, zum Aufhören des Vergänglichen, zum
Frieden, zum Nirvana führt."

'So hatte also jener törichte Greis doch darin recht!' rief Kamanita.

'Welcher Greis?' fragte Vasitthi.

'Jener Asket, mit dem ich--wie ich dir erzählte--im Vororte Rajagahas,
in der Halle eines Hafners, die Nacht zubrachte, die letzte meines
Erdenlebens, Er wollte mir durchaus die Lehre des Erhabenen darlegen,
was ihm, wie ich wohl merkte, nicht sonderlich gelang. Aber er brachte
doch offenbar viele echte Aussprüche vor, und unter diesen eben auch
wortgetreu, was du mir jetzt berichtet hast--sogar den Ort gab er
richtig an und bewegte mich dadurch tief. Freilich, hätte ich geahnt,
daß du dabei anwesend warst, dann wäre ich noch tiefer ergriffen
worden.'

'Er mag wohl selber sich unter den Anwesenden befunden haben,' sagte
Vasitthi, jedenfalls hat er dir genau berichtet. Und der Erhabene fügte
noch hinzu:

"Und was, ihr Jünger, habe ich euch verkündet? Was das Leiden ist, habe
ich euch verkündet. Was die Entstehung des Leidens ist, was die
Leidensvernichtung ist, was der zur Leidensvernichtung führende Weg
ist--dies alles habe ich euch verkündet. Darum, ihr Jünger, was ich
offenbart habe, das lasset offenbart sein, und was ich unoffenbart
gelassen habe, das lasset unoffenbart bleiben."

Indem er diese Worte sprach, öffnete er die Hand und ließ die Blätter
fallen. Als nun das eine wirbelnd in meine Nähe hinflatterte, nahm ich
mir ein Herz, trat eilig hervor und fing es auf, noch bevor es die Erde
berührt hatte, indem ich es somit gleichsam aus seiner Hand empfing--um
dann dies unschätzbare Erinnerungszeichen an meinem Busen zu verbergen,
ein Symbol des Wenigen, aber einzig Nötigen, das uns der Vollendete aus
seinem unermeßlichen Wissenshort mitteilte, das mich bis zu meinem Tode
nicht mehr verlassen sollte.

Diese meine Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Erhabenen auf mich.
Jener riesenhafte Mönch verbeugte sich jetzt vor ihm und machte ihm
flüsternd eine Mitteilung, worauf der Meister mich noch einmal ansah und
dann dem Mönche einen Wink gab.

Dieser trat auf uns zu.

Wir verneigten uns alle tief, und ich sagte, daß ich, die Gemahlin des
Ministers Satagira, einige geringe Gaben für den Orden der Heiligen
mitgebracht hätte, um deren gütige Annahme ich bäte, und daß wir alle
gekommen wären, um die Worte der Wahrheit zu vernehmen.

"Tritt näher, edle Frau," sagte der Mönch--und sofort hörte ich, daß es
Angulimala war--"der Erhabene will selber deine Gaben in Empfang
nehmen."

Wir traten alle bis auf ein paar Schritte an den Erhabenen heran und
verneigten uns tief, ihn ehrfurchtsvoll mit den vor der Stirn
gehaltenen, zusammengelegten Händen begrüßend, ohne daß ich ein Wort
hervorzubringen vermochte.

"Reich sind deine Gaben, edle Frau," sagte der Erhabene, "und meine
Jünger haben wenige Bedürfnisse. Erben der Wahrheit sind sie, nicht
Erben der Not. Aber auch die Buddhas der Vorzeit haben es so gehalten
und gern Spenden frommer Anhänger entgegengenommen, damit diesen
Gelegenheit werde, die Tugend des Almosengebens zu üben. Denn wenn die
Wesen die Frucht des Gebens kennten, wie ich sie kenne, dann würden sie,
wenn sie auch nur eine Handvoll Reis übrig hätten, diese nicht
verzehren, ohne einem noch Ärmeren davon zu geben, und der Gedanke des
Eigennutzes, der ihren Geist verdunkelt, würde aus ihm entweichen. So
sei denn deine Spende vom Orden des Buddha mit Dank angenommen--eine
lautere Spende. Denn das nenne ich eine lautere Spende, durch welche der
Geber geläutert wird und der Empfänger auch. Und wie geschieht das? Da
ist, Vasitthi, der Geber sittenrein, edel geartet, und die Empfänger
sind sittenrein, edel geartet; so wird bei einer Spende der Geber
geläutert und der Empfänger. Das ist, Vasitthi, höchste Lauterkeit der
Spende--einer solchen, die du dargebracht hast."

Darauf wandte der Erhabene sich an Angulimala:

"Geh, mein Lieber, und laß diese Geschenke zu den Vorräten bringen.
Zuerst aber weise unseren edlen Gästen Plätze an vor den Stufen des
Tempels, denn von dort aus werde ich den heute Anwesenden die Lehre
darlegen."

Angulimala hieß die Diener warten und forderte uns auf, ihm zu folgen.
Zuerst aber ließen wir uns alles, was wir an Blumen mitgebracht hatten,
und auch einige schöne Teppiche herausgeben. Dann gingen wir, von unserm
stattlichen Begleiter geführt, durch die zusammenströmende Menge, die
uns ehrerbietig Platz machte, nach dem Tempel.

Hier breiteten wir die Teppiche über die Stufen und schlangen
Blumengewinde um die alten, verwitterten und zerbröckelten Säulen. Dann
zerpflückten Medini und ich einen ganzen Korb voll Rosen und streuten
die Blütenblätter über den Teppich auf der obersten Stufe, für den
Erhabenen, darauf zu stehen.

Unterdessen hatten die Versammelten sich in einem großen Halbkreise
geordnet, die Laien links, die Mönche und Nonnen rechts vom Tempel--die
vordersten Reihen im Grase sitzend. Und auch wir nahmen jetzt auf einer
umgestürzten Säule Platz, nur wenige Schritte von den Stufen entfernt.

Es mochten wohl etwa fünfhundert Menschen dort versammelt sein, aber
eine fast lautlose Stille herrschte in der Runde, und man vernahm nur
das stoßweise Rauschen und das leise Blätterlispeln des Waldes.




XXXVI. BUDDHA UND KRISHNA


Die untergehende Sonne schoß ihre Strahlenbündel zwischen die Stämme
hindurch, die lautlos wartende Versammlung im Waldesgrunde gleichsam mit
einem göttlichen Segensgruß weihend, und rosige Abendwölkchen lugten
immer leuchtender durch die Baumwipfel, als ob draußen, aus der Bläue
der Luft hervorschwebend, eine zweite Versammlung himmlischer Scharen
sich bildete.

Der Tempelbau vor mir trank mit seinen schwarzen, zerbröckelten Steinen
diese letzte Sonnenglut, wie ein hinfälliger Alter einen
Verjüngungstrank schlürft. Unter dem Zauber der rotgoldigen Lichter und
der purpurnen Schatten belebten seine Massen sich wunderbar. Die
schartigen Ränder der Säulenkannelüren glitzerten, die Ecken sprühten,
die Schnecken krümmten sich, das Wellenmuster schäumte Gold, das
Blätterwerk wuchs. Die stufenartigen Absätze des hohen Unterbaues
entlang, um Plinthen und Kapitäle, am Gebälk und auf den Terrassen des
kuppelförmigen Daches--überall regte es sich in wirrem Durcheinander
seltsamer und mystischer Formen. Götter traten im Glorienschein hervor,
mehrköpfige und vielarmige Gestalten mit üppig wuchernden, vielfach
verstümmelten Gliedmaßen, dieser vier kopflose Hälse streckend, jener
acht Armstümpfe schwenkend. Brüste und Hüften schwellgliedriger
Göttinnen entschleierten sich und wälzten sich heran, und ihre runden
Gesichter neigten sich unter der Last turmhoher diademgeschmückter
Haaraufsätze, ein sonniges Lächeln um die vollen, sinnigen Lippen. Die
Schlangenleiber der Dämonen wanden sich, Greifenflügel spannten sich,
zähnefletschend grinsten grimme Unholdsfratzen; Menschenkörper
wimmelten, Elefantenrüssel, Pferdeköpfe, Stierhörner, Hirschgeweihe,
Krokodilkiefer, Affenmäuler und Tigerrachen taumelten in wirrem Knäuel
durcheinander.

Das war kein bildwerkgeschmückter Bau mehr: das waren lebendig gewordene
Bildwerke, die, den Bann des Bauwerkes brechend, sich von seiner Masse
loslösten und diese kaum noch als Stütze duldeten. Eine ganze Welt
schien aus ihrem steinernen Schlaf erwacht zu sein und mit ihren
Tausenden von Gestalten sich hervorzudrängen um zu lauschen--dem Manne
zu lauschen, der dort von ihrem Schwarm umschlossen und überschattet auf
der obersten Stufe stand, golden glänzend in den länglich herabfallenden
Mantelfalten--er, der Lebendige, der einzig Ruhige mitten im unruhigen
Wahnleben des Leblosen.

Jetzt war es, als ob die Stille der Versammlung noch tiefer würde, ja,
mir schien es, daß auch die Bäume ihr Blätterlispeln einstellten.

Und der Erhabene hub an zu reden.

Er sprach von dem Tempel, auf dessen Stufen er stand, und wo unsere
Vorfahren jahrhundertelang Krishna angebetet hatten, um durch das
Vorbild seines Heroenlebens zu einem heldenhaften Wirken und Dulden hier
auf Erden aufgemuntert und durch seine Gnade gestärkt zu werden, und um
dann nach dem Tode in sein Freudenparadies einzugehen und dort
himmlische Wonne zu genießen. Nun aber hätten wir, die Nachkommen uns
dort eingefunden, um aus dem Munde eines vollkommenen Buddha die Worte
der Wahrheit zu vernehmen, um zu lernen, einen lauteren, heiligen Wandel
zu führen, und schließlich, durch völlige Überwindung jedes Verlangens
nach dem Vergänglichen, das Ende des Leidens zu erreichen, das Nirvana.
So vollende er, der Buddha, der völlig Erwachte, das Werk des träumenden
Gottes, so vollendeten wir, die Erwachsenen, was unsere Vorfahren in
kindlich erhabenem Schwärmen begonnen hätten.

"Dort seht ihr," sagte er, "wie ein trefflicher Künstler längst
vergangener Tage den Elefantenkampf Krishnas in Stein gebildet hat"--und
er zeigte auf ein mächtiges Reliefstück, das fast vor meinen Füßen lag,
die eine Ecke in den Rasen bohrend, die andere auf ein halb begrabenes
Kapital gestützt. In der letzten Sonnenglut, die den bemoosten Stein
streifte, erkannte man noch deutlich eine Gruppe--einen Jüngling, der,
den Fuß auf den Kopf eines gefallenen Ilfen setzend, diesem einen Hauer
ausbricht.

Und der Erhabene erzählte nun, wie der König von Mathura, der
schreckliche Tyrann Kamsa, nachdem er Krishna zu einem Wettkampf an
seinem Hofe eingeladen hatte, im geheimen seinem Elefantentreiber
befahl, am Eingang des Kampfplatzes den wildesten Kriegselefanten aus
seinem Stalle auf den ahnungslosen Jüngling zu hetzen. Wie aber dann
dieser das Ungetüm tötete und, zum Schrecken des Königs, blutbesprengt
und den abgebrochenen Hauer in der Hand, die Arena betrat.

"Aber auch auf den Erhabenen"--so führte er weiter aus--"hatten seine
Feinde einen wilden Elefanten gehetzt. Und beim Anblick des
heranstürmenden Ungetüms wurde der Erhabene von Mitleid ergriffen. Denn
das Blut strömte dem Tiere am Bug herunter aus den Wunden, die ihm die
Lanzen der Hetzer beigebracht hatten. Noch mehr aber erfaßte ihn
Mitleid, weil er da ein armes, in blindwütender Leidenschaft befangenes
Wesen vor sich sah, von der Natur mit Mut und ungeheurer Kraft begabt,
aber mit wenig Verstand versehen, und um dies Wenige durch die
Grausamkeit schlechter Menschen gebracht, die es in einen Zustand von
Wahnsinn gesetzt hatten, in welchem es nun gar einen Buddha umbringen
mußte:--ein wildes, verblendetes Wesen, dem es nur schwer gelingen
mochte, durch unendlich lange Wanderungen günstiges Menschentum zu
erlangen und den Weg der Erlösung zu betreten. Solchermaßen von Mitleid
ganz erfüllt, konnte der Erhabene keine Furcht empfinden, und kein
Gedanke an eigene Gefahr konnte in ihm aufkommen. Denn er überlegte
sich: wenn es mir gelänge, auch nur den schwächsten Lichtstrahl in diese
stürmische Finsternis zu werfen, so würde ein solcher Lichtsamen nach
und nach aufgehen, und wenn dann dies Wesen, durch dessen Schein
geleitet, Menschentum erreichte, dann würde es auf Erden noch die Lehre
des Erhabenen vorfinden, den es einst erschlug, und diese Lehre würde
ihm zur Erlösung verhelfen.

"Von diesem Gedanken erfüllt, blieb der Erhabene mitten auf der Straße
stehen, erhob besänftigend die Hand, blickte den Wüterich liebevoll an
und sprach milde Worte, deren Klang das Herz des Wilden erreichte. Der
riesige Ilf stockte in seinem Sturmlauf, wiegte unschlüssig seinen
bergähnlichen Kopf hin und her, indem er anstatt des Donnergebrülls, das
er vorher hatte hören lassen, einige fast ängstliche Trompetenrufe
ausstieß. Dabei bewegte er den Rüssel in der Luft suchend nach allen
Richtungen hin und her--so wie es ein angeschossener Elefant im Walde
tut, wenn er die Fährte seines verborgenen Feindes verloren hat und sie
wieder aufzuwittern hofft--und in der Tat hatte dieser sich ja in seinem
Feinde geirrt. Endlich kam er langsam bis auf einige Schritte an den
Erhabenen heran und beugte die Kniee, wie er es vor seinem Herrn zu tun
gewohnt war, wenn dieser ihn besteigen wollte. Und von dem bezähmten
Elefanten gefolgt, trat der Erhabene zur Beschämung seiner Feinde in den
Park hinein, nach welchem er eben unterwegs war.

"Auf solche Weise"--so schloß der Buddha diesen Vergleich--"nimmt der
Erhabene den Elefantenkampf Krishhas auf, vergeistigt ihn, veredelt ihn,
vervollkommnet ihn!"

Während ich dieser Erzählung lauschte--wie konnte ich da anders als an
Angulimala denken, den Wildesten der Wilden, der noch gestern den Buddha
hatte umbringen wollen und durch die unwiderstehliche Macht seiner
Persönlichkeit bezähmt, ja bekehrt worden war, so daß ich ihn jetzt
drüben in den Reihen der Mönche andächtig sitzen sah--selbst im Äußeren
ein anderer geworden. Und so erschien es mir denn, daß die Worte des
Erhabenen ganz besonders an mich gerichtet waren, als an die einzige
Person--wenigstens außerhalb des Mönchskreises--die um diese Sache wußte
und den geheimen Sinn der Rede verstehen konnte.

Weiter sprach nun der Erhabene von Krishna als dem
"sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigam", als welchen ihn unsere
Vorfahren hier geehrt hatten, und wieder hatte ich ein Gefühl, als ob
dieses einen geheimen Bezug auf mich hätte, denn ich erinnerte mich ja,
wie in jener Nacht unserer letzten Zusammenkunft die häßliche alte Hexe
den göttlichen Heros mit diesem Namen genannt hatte, den ich nicht ganz
ohne Herzklopfen vernahm. Mit einem leisen Anflug von Humor erzählte der
Erhabene dann, wie Krishna von allen den Schätzen Besitz nahm, die er
aus der Burg des Dämonenkönigs Naraka entführt hatte. 'Und an einem
glücklichen Tage,' heißt es, 'vermählte er sich mit all den Jungfrauen,
zu gleicher Zeit, indem er jeder einzelnen als ihr Gatte erschien.
Sechzehntausendeinhundert aber war die Zahl seiner Frauen, und in so
vielen einzelnen Gestalten verkörperte sich der Gott, so daß ein jedes
Mädchen meinte: mich allein hat der Herr erwählt.'

"Wenn ich aber"--also fuhr der Erhabene fort--"die Lehre verkünde und
vor mir eine Versammlung von mehreren hundert Mönchen und Nonnen und
Laienanhängern beiderlei Geschlechtes lauschend sitzt, denkt ein jeder
von allen diesen Zuhörern: 'Nur für mich hat der Asket Gautama die Lehre
verkündet.' Denn auf das einzelne Gemüt eines jeden Friedensuchenden
richte ich da die Kraft meines Geistes, bringe es zur Ruhe, einige es,
füge es zusammen.

"So halte ich es allezeit, und auf diese Weise nehme ich den
sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigamsstand Krishnas auf,
durchgeistige ihn, veredle ihn, vollende ihn."

Da war es mir nun, als ob der Erhabene meine Gedanken mir abgelesen
hätte und mir einen geheimen Verweis gäbe, auf daß ich nicht durch den
Wahn einer bevorzugten Stellung eine verderbliche Eitelkeit in mir
aufkommen ließe.

Und der Buddha sprach nun weiter davon, wie Krishna nach dem Glauben
unserer Vorfahren, obschon er an sich der höchste Gott war, der die
ganze Welt trägt und erhält, dennoch durch Mitleid mit den Wesen bewegt,
mit einem Teil seines Selbstes von seinem hohen Himmel herabstieg und
sich als Mensch unter Menschen gebären ließ. Ihn aber, den Erhabenen,
als er nach heißem Ringen die vollkommene Erleuchtung, die selige,
unerschütterliche Erlösungsgewißheit sich zu eigen gemacht hatte, kam
das Verlangen an, im Genuß dieser seligen Heiterkeit zu verharren und
Anderen die Lehre nicht zu verkünden. "Denn dies genußsüchtige
Geschlecht--so dachte ich--wird das Sichlosmachen von allen Gebilden,
die Versiegung der Lebenslust, die Wahnerlöschung kaum verstehen, und
aus der Darlegung der Lehre wird mir nur Mühe und Plage erwachsen. So
neigte sich mein Gemüt zur Verschlossenheit, nicht zur Darlegung der
Lehre. Und ich blickte dann noch einmal mit dem erwachten Auge in die
Welt. Und wie man in einem Lotusweiher einige Lotusrosen sieht, die sich
im Wasser entwickeln und unter dem Wasserspiegel bleiben, andere, die
bis zum Wasserspiegel dringen und darauf schwimmen, und endlich
einzelne, die über das Wasser emporsteigen und unbenetzt vom Wasser
dastehen: also sah ich in der Welt Wesen gemeiner Art und Wesen edler
Art und Wesen der edelsten Art. Und ich dachte: Ohne Gehör der Lehre
verlieren sie sich: diese werden die Lehre verstehen. Und aus Mitleid
mit den Wesen entschloß ich mich dazu, auf den ungetrübten Besitz der
seligen Nirvanaruhe zeitweilig zu verzichten und der Welt die Lehre zu
verkünden.

"So nimmt ein vollkommener Buddha Krishnas Herabsteigen vom Himmel und
sein Menschwerden auf, verinnigt es, verklärt es, vollendet es."

Da kam mir ein Gefühl unsagbarer Freude, denn ich wußte, daß der Buddha
mich zu den Lotusrosen zählte, die aus der Wassertiefe bis zur
Spiegelfläche gedrungen sind, und daß ich durch seine Hilfe einst mich
darüber emporheben und frei dastehen würde, unbenetzt von der Materie.

Und der Erhabene erzählte die Heroentaten Krishnas, durch welche er zum
Heile der Wesen die Welt von Unholden und bösen Herrschern befreite,
indem er die Schlange der Gewässer Koliya bezwang, den stiergestaltigen
Dämon Aristha erschlug, die verheerenden Unholde Dhenuka und Kishi und
den Dämonenfürsten Naraka vernichtete, die bösen Könige Kamsa und
Paundraka und andere blutige Tyrannen, den Schrecken hilfloser Menschen,
besiegte und tötete und so auf mannigfache Weise das leidige Los der
Menschen linderte. Der Erhabene aber bekämpfe nicht die Feinde, die von
außen die Menschen bedrohen, sondern die Unholde in seinem eigenen
Herzen: Gier, Haß und Irrwahn, Eigenliebe, Lustverlangen, Durst nach
Vergänglichem; und er befreie nicht die Menschheit von diesem und jenem
Ungemach, sondern vom Leiden.

Vom Leiden sprach dann der Gesegnete, wie es überall und immer dem Leben
als sein Schatten folgt. Da war es mir, als ob eine milde Hand mein
eigenes Liebesleiden aufhöbe, von mir wegnähme, und es in die große
Leidensmasse hineinwürfe, wo es in dem allgemeinem Strudel meinem Blick
entschwand. Innig tief empfand ich, daß ich da kein Recht auf dauerndes
Glück habe, wo Alle leiden. Ich hatte mein Glück genossen: es war
entstanden, hatte sich entfaltet und war vergangen, wie uns der Buddha
lehrte, daß Alles in dieser Welt durch eine Ursache entsteht und nach
Verlauf seiner Zeit--über kurz oder lang--wieder vergehen muß; und daß
eben diese Vergänglichkeit, in welcher die Wesenlosigkeit eines jeden
Dinges sich entschleiert, der letzte unaufhebbare Grund des Leidens
sei--unaufhebbar, solange die Daseinslust unausgerottet fortwuchert und
immer Neues entstehen läßt. Ja, wie ein jeder an diesem Weltleiden schon
durch sein Dasein mitschuldig ist, so müsse ich--kam es mir vor--wenn
ich von Schmerz verschont geblieben wäre, mich jetzt doppelt schuldig
fühlen und ein Verlangen empfinden, auch mein Teil zu tragen. So konnte
ich denn nicht mehr mein eigenes Los bejammern, vielmehr wurde bei
seinen Worten der Gedanke in mir wach: "O, daß doch alle Wesen nicht
länger zu leiden hätten! daß doch diesem Heiligen sein Erlösungswerk so
gelänge, daß sie Alle, Alle entsündigt und erleuchtet, das Ende alles
Leidens erreichten!"

Und auch von diesem Ende des Leidens und der Welt, von der Überwindung
jeder Daseinsform, von der Erlösung in wunschloser Gleichmütigkeit, von
der Wahnerlöschung, von Nirvana sprach nun der Meister--seltsame,
wunderbare Worte von der einzigen Insel im wogenden Meere des Werdens,
dessen Todesbrandung machtlos an ihrem Felsenufer zerschäumte, und nach
welcher die Lehre des Vollendeten wie ein sicheres Fahrzeug
hinüberführe. Und er sprach von dieser seligen Stätte des Friedens,
nicht wie Einer spricht, der uns erzählt, was er von Anderen--von
Priestern--gehört hat, und auch nicht wie ein Sänger, der seine
Einbildungskraft schweifen läßt, sondern wie Einer, der Selbsterlebtes
und Geschautes mitteilt.

Vieles freilich sagte er dabei, was ich, die ungelehrte Frau, nicht
verstand, und was wohl selbst dem Gelehrtesten nicht leicht verständlich
gewesen wäre, Manches vermochte ich nicht miteinander zu verknüpfen,
denn hier war Sein und Nichtsein zugleich, nicht Leben und doch noch
weniger Leblosigkeit. Mir war aber zu Mute, wie einem, der ein neues,
allen anderen unähnliches Lied hört, von dem er nur wenige Worte
auffassen kann, während die Töne ihm Alles sagend ins Herz dringen. Und
welche Töne! Töne von solch kristallener Reinheit, daß alle anderen
dagegen gehalten, Einem wie leeres Geräusch vorkommen mußten, Klänge,
die von so fern her, von solch überweltlichen Höhen herübergrüßten, daß
eine neue, ungeahnte Sehnsucht erweckt wurde, von der man fühlte, daß
sie von nichts Irdischem oder Erdenähnlichem jemals gestillt werden
könnte, und daß sie ungestillt nie mehr ganz schwinden würde.

Unterdessen war es völlig Nacht geworden. Das schwache Licht des Mondes,
der hinter dem Tempel aufging, warf dessen Schatten quer über die ganze
Waldwiese. Kaum sah man noch die Gestalt des Redners. Diese
übermenschlichen Worte schienen aus dem Heiligtum selber herauszutönen,
das alle die tausende wilden und wirren, lebentäuschenden Gestalten
wieder in seine Schattenmasse verschlungen hatte und in einfachen,
wuchtigen Formen sich auftürmte--ein Grabmal alles irdischen und
himmlischen Lebens.

Die Hände um die Kniee gefaltet, saß ich lauschend da und blickte zum
Himmel empor, wo große Sterne über den dunkeln Baumwipfeln funkelten.
Leuchtend durchquerte ihn die himmlische Ganga. Da gedachte ich jener
Stunde, als wir beide hier an derselben Stelle feierlich die Hände zu
ihr emporhoben und bei ihren silbernen Fluten, die diese Lotusteiche
speisen, uns zuschworen, hier, im Paradiese des Westens, uns
wiederzusehen--in einem Freudenhimmel, gleich demjenigen Krishnas, von
welchem jetzt auch der Erhabene sprach, als von dem Orte, dem die
Gläubigen zustrebten. Und als ich daran dachte, wurde mir wehmütig ums
Herz, aber ich konnte kein Verlangen in mir spüren nach einem solchen
Paradiesleben--denn ein Schimmer von etwas unendlich Höherem hatte mein
Auge erleuchtet.

Und ohne Enttäuschung, ohne schmerzliche Bewegung, wie etwa bei Einem,
dem die teuerste Hoffnung zerstört wird, vernahm ich die Worte des
Erhabenen:

"Alles Entstandene auflösend weht dahin der Verwesung Hauch,
Wie ein irdischer Prachtgarten welken Paradiesblumen auch."



XXXVII. PARADIESWELKEN


"Ja, mein Freund," fügte Vasitthi hinzu, "ohne Enttäuschung vernahm ich
jene Worte, die dir so hoffnungsvernichtend erschienen, wie ich jetzt
ohne Schmerz, ja sogar mit Freude sehe, wie hier ringsum die Wahrheit
dieser Worte zur Wirklichkeit wird."

Während der Erzählung Vasitthis war in der Tat das Welken langsam, aber
unaufhaltsam fortgeschriten, und es konnte nunmehr nicht der leiseste
Zweifel bestehen, daß alle diese Wesen und ihre Umgebungen dem Untergang
und der völligen Auflösung entgegensiechten.

Die Lotusrosen hatten schon mehr als die Hälfte ihrer Kronenblätter
gefällt, und das Wasser glitzerte nur noch spärlich hervor zwischen
diesen bunten Schifflein, jeden Augenblick in Zittern versetzt durch das
Fallen eines Blattes. Auf ihren schmuckberaubten Blumenthronen saßen die
Gestalten in mehr oder weniger zusammengesunkenen Stellungen; diesem war
der Kopf vornüber auf die Brust, jenem seitlings auf die Schulter
gesunken, und wie Fieberschauer durchzuckte es sie jedesmal, wenn ein
fröstelndes Schaudern die schon gelichteten Wipfel der Haine durchlief,
so daß Blüten und Blätter herniederregneten. Traurig gedämpft, und immer
häufiger von schmerzlichen Dissonanzen durchzogen, klang die Musik der
himmlischen Genien; tiefe Seufzer und angstvolles Stöhnen mischten sich
hinein. Alles, was geleuchtet hatte--Gesichter und Gewänder der Seligen
und der Genien, Wolken und Blumen--, sie alle verloren mehr und mehr
ihren Glanz, und ein bläulicher Dämmerungsnebel schien seine Fäden um
die Fernen zu spinnen. Aus dem frischen Blumenduft, der vorher so
herzerquickend Alles durchhaucht hatte, war aber jetzt allmählich ein
atembeklemmender und sinnenbetäubender, einschläfernder Geruch geworden.

Und Kamanita zeigte umher mit einer matten Handbewegung:

"Wie kann man denn, Vasitthi, an einem solchen Anblick Freude
empfinden?"

"Deshalb, mein Freund, kann ich mich über diesen Anblick freuen, weil,
wenn dies Alles dauerhaft und unvergänglich wäre, es kein Höheres gäbe.
Nun aber gibt es ein Höheres, denn dies vergeht--und es gibt ein
Unvergängliches, Unentstandenes. Das eben nennt der Erhabene "Freude der
Vergänglichkeit", und deshalb sagt er: 'Wenn du den Untergang des
Erschaffenen erkannt hast, dann kennst du das Unerschaffene'."

Durch diese zuversichtlichen Worte belebten sich die Züge Kamanitas, wie
eine vor Trockenheit hinwelkende Blume sich unter dem Regen erholt.

"Gepriesen seist du, Vasitthi! zu meinem Heile bist du mir gegeben. Ja,
ich fühle es: darin nur haben wir gefehlt, daß unsere Sehnsucht nicht
hoch genug gezielt hat. Denn wir ersehnten uns ja dies Leben in einem
Blumenparadiese. Und Blumen müssen freilich, ihrer Natur nach,
verwelken. Unvergänglich aber sind die Sterne; nach ewigen Gesetzen
wandeln sie ihre Bahnen. Und sieh dort, Vasitthi, während alles andere
die blassen Spuren des Verfalles zeigt, gießt jenes Flüßchen--ein Zweig
der himmlischen Ganga--sein Wasser ebenso sternenklar und ebenso
reichlich wie je in unseren Teich--weil es eben von der Sternenwelt
kommt. Wer das erreichen könnte, unter den Sternengöttern wieder ins
Dasein zu treten, der wäre über den Kreislauf des Vergänglichen
erhaben."

"Warum sollten wir das nicht erreichen können?" fragte Vasitthi. "Denn
ich habe ja von Mönchen gehört, die ihren Sinn und ihr Herz darauf
richteten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wiederzukehren. Und
auch jetzt kann es noch nicht zu spät sein, wenn das alte Wort aus dem
hohen Liede wahr ist:

'Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet,
In dieses Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet'."

"Vasitthi! du gibst mir jenen übermenschlichen Mut! Wohlan, wir wollen
unser ganzes Sinnen darauf richten, im Reiche des hunderttausendfachen
Brahma wieder ins Dasein zu treten."

Kaum hatten sie diesen Entschluß gefaßt, so brauste ein mächtiger
Sturmwind durch die Haine und über die Teiche. Blüten und Blätter
wirbelten haufenweise dahin, die Lotusthronenden duckten sich und zogen
stöhnend den Mantel dichter um die zitternden Glieder.

Wie aber Einer, der in der eingeschlossenen, düftegesättigten Luft eines
Zimmers am Ersticken ist, wenn der frische Meerwind, salzig von den
Fluten des Ozeans, durch das geöffnete Fenster hereinweht, diesen aus
voller Brust atmet und sich neu belebt fühlt: also wurde Kamanita und
Vasitthi zu Mute, als ihnen jener Duft des völlig Reinen
entgegenströmte, den sie einst am Gestade der himmlischen Ganga geatmet
hatten.

"Merkst du's?" fragte Vasitthi.

"Ein Gruß von der Ganga. Und horch, sie ruft," sagte Kamanita.

Denn die klagende Sterbeweise der Genien wurde jetzt durch jene
feierlichen, donnerähnlichen Klänge übertäubt.

"Gut, daß wir schon den Weg kennen," jubelte Vasitthi. "Fürchtest du
dich noch, mein Freund?"

"Wie sollte ich mich fürchten? Komm!"

Und wie ein Vogelpaar sich aus dem Neste stürzt und dem Winde
entgegenfliegt, also flogen sie von dannen.

Alle starrten ihnen nach, verwundert, daß es hier noch Wesen gäbe, die
Kraft und Mut zu einem Fluge besäßen.

Als sie aber so dem Winde entgegenflogen, entstand ein Wirbelsturm, der
hinter ihnen Alles entblätterte und entseelte, dem hinsiechenden Leben
Sukhavatis ein Ende machend.

Bald war der Palmenwald erreicht, bald durchflogen. Vor ihnen breitete
sich die silbrige Fläche des Weltenstromes bis zum schwarzblauen
Himmelsrande.

Sie schwebten über seine Fluten hinaus, und sofort wurden sie von der
dort herrschenden Luftströmung erfaßt und im Sturmesflug davongetragen.
Durch die Schnelligkeit der Fahrt und unter dem mächtigen Getöse wie von
Donner und Glockengeläute schwanden ihnen die Sinne.




XXXVIII. IM REICHE DES HUNDERTTAUSENDFACHEN BRAHMA


Und Kamanita und Vasitthi traten wieder ins Dasein, im Reiche des
hunderttausendfachen Brahma, als die Götter eines Doppelgestirns.

Der leuchtende Astralstoff, an den die geistige Wesenheit Kamanitas
gebunden war, umhüllte gleichmäßig den Himmelskörper, der von seiner
Kraft belebt, von seinem Willen gelenkt wurde. Durch diesen Willen wurde
der Stern zunächst um seine Achse gedreht, und diese Bewegung war sein
Eigenleben, war seine Selbstliebe.

Und er spiegelte sich im Glanze Vasitthis und spiegelte ihren Glanz
wider. Strahlenwechselnd umkreisten sie einen Mittelpunkt, wo sich ihre
Strahlen sammelten. Dieser Punkt war ihre Liebe, das Kreisen darum war
ihr Liebesleben, und daß sie sich dabei ineinander spiegelten--das war
ihre Liebeswonne.

Allseitig Auge, schaute jeder von ihnen gleichzeitig nach allen
Richtungen des unendlichen Raumes. Und überall sahen sie zahllose
Sternengötter, wie sie selber, deren Strahlenblicke sie empfingen und
erwiderten. Da war zunächst eine Anzahl, die mit ihnen zusammen eine
Gruppe für sich bildeten; daneben andere Gruppen, die mit der ihrigen
zusammen ein ganzes Weltsystem ausmachten; ferner andere Systeme, die
sich zu einer Kette von Systemen verbanden, und weiter noch mehrere
Ketten, und Ringe von Ketten, und Sphären von Kettenringen. Und Kamanita
und Vasitthi lenkten nun ihr Doppelgestirn in harmonischem Fluge unter
den anderen Sternen und Doppelgestirnen ihrer Gruppe, indem sie, wie in
einem wohlgeordneten Tanzreigen, ihren Nachbarn weder zu nahe kamen,
noch sich zu weit von ihnen entfernten, während alle gegenseitig, durch
eine gewisse Sympathie, einander die genaue Richtung und das rechte Maß
der Bewegung mitteilten. Dabei bildete sich aber auch gleichsam ein
gemeinsamer Wille, der ihre ganze Gruppe in die Bewegung der Gruppen
ihres Systems einlenkte, welches dann wiederum auf dieselbe Weise unter
seinesgleichen sich weiterbewegte.

Und diese Teilnahme am ungeheuren, schwebenden Tanze der Weltkörper,
diese gemeinsame und endlos vielfältige Wechselbewegung--das war ihre
Weltangehörigkeit, ihr Außenleben, ihre Alles umfassende und
durchdringende Nächstenliebe.

Was aber hier Harmonie der Bewegung ist, das erscheint den unterhalb der
Sternengötter weilenden Luftgöttern als Harmonie der Klänge; durch
Teilnahme an ihrem Genüsse ahmen die himmlischen Genien in den
Paradiesen diese Harmonien in ihren wonnigen Weisen nach, und indem ein
schwacher Abklang von diesen bisweilen bis an die Erde dringt--so
schwach, daß er nur von den geistigen Ohren der Erwachten aufgefangen
wird--reden die Seher rätselhaft von der Harmonie der Sphären, und die
großen Künstler der Musik schaffen nach, was sie in ihrer Begeisterung
sich erlauscht haben; und dies ist das höchste Entzücken der
Menschenkinder. Aber wie das Sein zu dem immer trüber werdenden Schein
sich verhält--also verhält sich zu diesem Entzücken der Menschen über
Klänge und Töne und Weisen die Daseinswonne der Sternengötter.

Denn eben dies ist ihre Lebenslust, ihre Daseinswonne.

Aber alle diese Bewegungen, diese ungeheuren Reigen der Weltsysteme,
umkreisten ein einziges Wesen: den in der Mitte des Weltganzen
thronenden hunderttausendfachen Brahma, dessen unermeßlicher Glanz alle
Sternengötter durchdrang, und dem sie alle den Glanz wieder
zurückstrahlten, wie so viele Spiegel seiner Herrlichkeit; dessen
unerschöpfliche Kraft, wie eine nie versiegende Quelle, ihnen allen ihre
Bewegung mitteilte, und in dem sich ihre Bewegungen alle konzentrierten.

Und dies war ihr Brahmadurchdrungensein, ihre Gemeinschaft mit dem
höchsten Gott, ihr Gebenedeitsein, ihre Anbetung, ihre Seligkeit.

Wenn sie aber in Brahma den Alles sammelnden Mittelpunkt hatten, so war
diese Brahmawelt auch, obschon unendlich, dennoch gleichsam begrenzt.
Wie das Auge des Menschen schon in uralten Zeiten ahnend am
Himmelsgewölbe einen "Tierkreis" entdeckt hat, so sahen die
Sternengötter hier unzählige Tierkreise in- und umeinander
beschrieben--eine ganze Sphärenfläche von Bildern webend, indem die
fernsten Sternengruppen zu leuchtenden Figuren zusammenschmolzen.
Ineinanderstrahlend, auseinanderleuchtend, erschienen da Gestalten,
Astralformen aller Wesen, die auf den Weltkörpern oder zwischen ihnen
leben und weben, bleibende Urbilder alles dessen, was, in die groben
Elemente sich hüllend, unaufhörlich entsteht und vergeht im wandelbaren
Flusse des Werdens.

Und dies Schauen der Urbilder war ihr Weltwissen.

Dieweil sie aber alläugig, ohne von diesem fort auf jenes hinzusehen,
ohne zu blinzeln, mit einem Blicke die Einheit Gottes und die Vielheit
der Weltwesen erschauten: fiel für sie Gottesweisheit und Weltwissen in
Eins zusammen. Wenn nämlich ein Mensch auf die göttliche Einheit den
Blick richtet, dann entschwindet ihm die Gestaltenvielheit der
Wandelwelt; und wiederum, wenn er diese betrachtet, kann er die Einheit
nicht mehr festhalten. Somit bleibt sein Wissen ein zerstückeltes, immer
schwankendes, ein von Zweifel fortwährend bedrohtes Wissen. Sie aber
sahen auf einmal Zentrum und Kreis, und deshalb war ihr Wissen ein
einheitliches, nimmer schwankendes, von keinem Zweifel bedrohtes Wissen.

Durch diese ganze leuchtende Brahmawelt floß nun die Zeit still und
unbemerkbar. Wie man einem ruhig und gerade dahinfließenden, völlig
klaren Strome, dessen Flut von keinem Widerstand irgendwie gehemmt oder
gebrochen wird, die Bewegung nicht ansieht: ebenso war die Flut der Zeit
hier unmerkbar, weil sie von keinen aufsteigenden und absteigenden
Gedanken und Gefühlen Widerstand erfuhr.

Diese Unmerkbarkeit des Zeitverlaufs war ihre Ewigkeit.

Und diese Ewigkeit war ein Wahn.

So war denn auch Alles, was sie in sich befaßte: ihr Wissen, ihre
Gottseligkeit, ihre Daseinswonne, ihr Weltleben, ihr Liebesleben und ihr
Eigenleben in Wahn getaucht, mit der Farbe des Wahns behaftet.




XXXIX. WELTENDÄMMERUNG


Denn es geschah einmal, daß in Kamanita ein Gefühl von Unbehagen, von
Mangel aufstieg.

Da richtete er unwillkürlich seine Aufmerksamkeit auf den
hunderttausendfachen Brahma, als die Quelle aller Fülle. Aber jene
Empfindung wurde dadurch nicht verscheucht, sondern nahm von
Jahrtausend-Dekade zu Jahrtausend-Dekade fast bemerkbar zu.

Denn durch jenes aufsteigende Gefühl war der bisher unmerkbar stille
Strom der Zeit auf Widerstand gestoßen, wie durch eine auftauchende
Insel, an deren Felsenriff er jetzt schäumend vorüberflutete. Und es
entstand sofort ein "Vorher" und ein "Nachher"--wie in einem Flusse
durch ein auftauchendes Riff ein "vor" und "nach" der Stromschnelle
entsteht.

Und es schien Kamanita, als ob der hunderttausendfache Brahma jetzt
nicht ganz so klar leuchte, wie vorher.

Nachdem er aber fünf Millionen Jahre den Brahma betrachtet hatte, kam es
ihm vor, als ob er ihn jetzt schon lange beobachtet habe, ohne Gewißheit
zu erlangen.

Und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Vasitthi.

Da wurde er inne, daß auch sie aufmerksam den Brahma beobachtete.

Da geriet er in Bestürzung. Mit dieser Bestürzung kamen die Gefühle. Mit
den Gefühlen kamen die Gedanken, mit den Gedanken kam die
Gedankensprache.

Und er sprach:

"Vasitthi, siehst du es auch? Was ist es mit dem hunderttausendfachen
Brahma?"

Nach hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:

"Das ist es mit dem hunderttausendfachen Brahma, daß sein Glanz
abnimmt."

"Mir will es auch so scheinen," sagte Kamanita nach Ablauf einer
gleichen Zeit "Freilich kann das ja nur eine vorübergehende
Erscheinung sein. Aber schon das kommt mir wunderlich vor, daß am
hunderttausendfachen Brahma überhaupt eine Veränderung stattfinden
kann."

Nach geraumer Weile, nach einigen Millionen Jahren, sprach Kamanita
weiter:

"Ich weiß nicht, ob ich vielleicht geblendet bin. Bemerkst du etwa,
Vasitthi, daß der Glanz des hunderttausendfachen Brahma wieder zunimmt?"

Nach fünfmal hunderttausend Jahren antwortete Vasitthi:

"Der Glanz des hunderttausendfachen Brahma nimmt nicht zu, sondern nimmt
stätig ab."

Wie ein Stück Eisen, das, weißglühend aus dem Schmiedeofen
genommen, bald danach rotglühend wird: also hatte der Glanz des
hunderttausendfachen Brahma jetzt einen rötlichen Schein bekommen.

"Mich wundert, was das wohl zu bedeuten hat," sagte Kamanita.

"Das hat es zu bedeuten, mein Freund, daß der Glanz des
hunderttausendfachen Brahma im Erlöschen begriffen ist."

"Unmöglich, Vasitthi, unmöglich! Was würde dann aus dem Glänze und der
Herrlichkeit dieser ganzen Brahmawelt werden?"

"Daran hat er gedacht, als er sagte:

'Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich--und zerfällt.
Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt'"

Schon nach einigen tausend Jahren erfolgte die ängstlich überstürzte
Frage Kamanitas:

"Wer hat denn diesen schrecklichen, diesen weltzermalmenden Ausspruch
getan?"

"Wer sonst, als er, der Erhabene, der Weltkenner, der Vollendete, der
Buddha."

Da wurde Kamanita nachdenklich.

Eine geraume Zeit überlegte er sich diese Worte und erinnerte sich an
manches.

Da sprach er:

"Einst schon, o Vasitthi, in Sukhavati, im Paradiese des Westens,
sagtest du einen Spruch des Buddha her, der sich vor unseren Augen
erfüllte. Und ich besinne mich, wie du dort eine ganze Rede von ihm, dem
Erhabenen, mir treu berichtetest, in welcher jener Spruch vorkam. Dies
weltzermalmende Wort aber war darin nicht enthalten. So hast du denn, o
Vasitthi, noch andere Reden vom Erhabenen gehört?"

"Viele, mein Freund, denn mehr als ein halbes Jahr verbrachte ich
täglich in seiner Nähe. Ja, auch sogar die letzten von ihm geäußerten
Worte habe ich vernommen."

Kamanita sah sie mit Bewunderung und Ehrfurcht an. Dann sprach er:

"So bist du eben deshalb, wie ich meine, das weiseste Wesen in dieser
ganzen Brahmawelt. Denn alle diese Sternengötter ringsum sind in
Bestürzung geraten, leuchten unstät, flackern und blinken; und auch der
hunderttausendfache Brahma selber ist unruhig geworden, und aus seinem
trüberen Glänze zucken dann und wann gleichsam Zornesblitze hervor. Du
aber leuchtest ruhig, wie eine Lampe an windstillem Ort. Und auch das
ist ein Zeichen der Störung, daß die Bewegung dieser Himmelskörper jetzt
hörbar wird--wie wir einst, fern von hier, im Paradiese am Gestade der
himmlischen Ganga stehend, donnerartige Klänge und mächtige Töne wie von
fernem Glockengeläute aus dieser Brahmawelt vernahmen, so hören wir es
jetzt von allen Seiten. Das deutet darauf, daß die Harmonie der
Bewegungen gestört ist, daß Entzweiung und Auseinandertreten der Kräfte
sich einstellt. Denn richtig heißt es ja: 'Wo Mangel ist, wird Lärm
erzeugt, die Fülle ist in sich gefaßt.' Und so zweifle ich nicht daran,
daß du recht hast. Wohlan, Vasitthi, während ringsum uns nun diese
Brahmawelt erlischt und der Vernichtung anheimfällt, teile du mir deine
Erinnerungen an den Vollendeten mit, damit ich ruhig werde wie du. Teile
mir Alles aus deinem Leben mit! denn wohl mag es sein, daß wir zum
letzten Male an einem Orte vereinigt sind, wo Geschehnisse von Geist zu
Geist sich mitteilen lassen, und noch bleibt es mir unerklärlich, wie
Angulimala bei mir in Ujjeni erschien, obwohl ich über sein Asketentum
aufgeklärt wurde. Jene seine Erscheinung aber gab den Anstoß zu meinem
Pilgergang, war die Ursache, daß ich nicht auf abschüssige Pfade kam,
sondern im Paradiese des Westens auferstand, um von dort aus, durch
deine Hilfe, zu dieser höchsten Himmelswelt emporzusteigen, wo wir
unermeßliche Zeiträume hindurch göttliches Leben genossen haben. Es ahnt
mir aber, daß auch jener Anstoß zu meiner Pilgerschaft von dir ausging.
Dies nun, vor allem aber auch, wie es kam, daß du zu meinem Heile im
Paradiese erschienst und nicht an einem weit höheren Orte der Seligkeit
wieder ins Dasein tratest, möchte ich nun erfahren."

Und während von Jahrhunderttausend zu Jahrhunderttausend die zunehmende
Trübung des Brahmaglanzes immer bemerkbarer wurde und die Sternengötter
immer mehr erblaßten;

während diese immer unruhiger flackerten und sprühten, und aus dem
trüber werdenden Glutkreise des Brahma ungeheure Flammenstreifen
hervorschossen und durch den ganzen Raum hin und her fegten, als ob der
Gott mit hundert Riesenarmen nach dem unsichtbaren Feinde suchte, der
ihn bedrängte;

während durch die gestörten Bewegungen der Himmelskörper sich
Wirbelströmungen erhoben, die ganze Sternensysteme aus dem Brahmareiche
hinausrissen, an deren Stelle dann die Finsterniswelle des leeren Raumes
hereinbrach, wie das Meerwasser da hereinstürzt, wo das Schiff einen
Leck bekommen hat;

und während an anderen Stellen Systeme ineinander gerieten und ein
Weltbrand sich entzündete, dessen Explosionen Garben von Sternschnuppen
bis in den Glutschlund des Brahma schleuderten;

während die Donnerschläge der zusammenbrechenden und
ineinanderstürzenden Harmonien--das Todesröcheln der Sphärenmusik--immer
furchtbarer von Himmelsgegend zu Himmelsgegend rollten und
widerhallten:--

teilte Vasitthi unverstört, in gemessener Weise, Kamanita ihre letzten
irdischen Erlebnisse mit.




XL. IM KRISHNAHAIN


Seit jenem ersten Abend versäumte ich keine Gelegenheit, um den
Krishnahain zu besuchen und durch die Worte des Erhabenen oder eines
seiner großen Schüler tiefer in die Lehre eingeführt zu werden.

Während mein Gemahl nun noch abwesend war, stieg die Furcht der Bürger
Kosambis vor dem Räuber Angulimala von Tag zu Tag. Gerade dadurch, daß
von neuen Taten nichts verlautete, wurde die Phantasie aufgeregt.
Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, Angulimala wolle eines Abends
den Krishnahain überfallen und die dort zum Besuch versammelten Bürger,
ja wohl gar den Buddha selbst entführen. Dadurch steigerte sich die
Erregung der Gemüter fast bis zum Aufruhr. Man sagte sich, daß, wenn
durch verruchte Räuberhände dem Erhabenen vor Kosambi ein Leid geschähe,
dann würde der Zorn der Götter die ganze Stadt treffen.

Ungeheure Menschenmengen wogten durch die Straßen, und, vor dem
königlichen Palast sich sammelnd, verlangten sie drohend, daß König
Udana dies Unheil abwenden und Angulimala unschädlich machen solle.

Am folgenden Tage kehrte Satagira zurück.

Er überhäufte mich sofort mit Lob wegen meines guten Rats, dem er es
allein danken wollte, daß er heil nach Hause kam. Vajira, seine zweite
Frau, die mit ihrem Söhnlein auf dem Arm erschien, um ihn zu
bewillkommnen, wurde kurz abgefertigt: er habe mit mir noch Wichtiges zu
besprechen.

Als wir nun wieder allein waren, fing er zu meinem unsagbaren Unbehagen
sofort an, von seiner Liebe zu reden, wie er mich unterwegs vermißt, wie
sehr er sich auf diese Stunde des Wiedersehens gefreut habe.

Schon wollte ich von den Unruhen in der Stadt erzählen, um ihn auf
andere Gedanken zu bringen, als der Kämmerer gemeldet wurde, der ihn zum
König rief.

Nach etwa einer Stunde kehrte er zurück--ein anderer Mensch. Blaß, mit
verstörten Zügen trat er bei mir ein, warf sich auf eine Bank und rief,
er sei der unglückseligste Mann im ganzen Reiche, eine gefallene Größe,
bald ein Bettler, wenn nicht gar Kerker oder Verbannung ihm drohe, und
an seinem ganzen Unglück sei seine grenzenlose Liebe zu mir schuld, die
ich nicht einmal erwidere. Auf meine wiederholte Aufforderung, mir doch
zu sagen, was geschehen sei, beruhigte er sich endlich so weit, daß er,
unter vielen Verzweiflungsausbrüchen und während er sich fortwährend die
Schweißtropfen von der Stirn trocknete, mir den ganzen Vorgang im
Palaste berichten konnte.

Der König hatte ihn sehr ungnädig empfangen und ohne etwas von dem
geschlichteten Dorfstreit hören zu wollen, ihm unter Drohungen geboten,
die volle Wahrheit über Angulimala einzugestehen, die Satagira jetzt
auch mir beichten mußte, ohne zu ahnen, wie gut ich schon davon
unterrichtet war. Übrigens sah er darin nur einen Beweis seiner
"grenzenlosen Liebe" zu mir, und erwähnte meine Liebe zu dir leichthin
als eine törichte Jugendschwärmerei, die ja jedenfalls zu nichts geführt
hätte.

Die Sache war aber auf folgende Weise dem König zu Ohren gekommen.

Während der Abwesenheit Satagiras war es der Polizei gelungen, den
Helfershelfer Angulimalas aufzuspüren, und dieser hatte im peinlichen
Verhör bekräftigt, daß jener Räuber wirklich Angulimala selber sei, der
damals nicht, wie der Minister immer behauptet hatte, auf der Folter
gestorben, sondern entflohen wäre; auch jenen Anschlag Angulimalas auf
den Krishnahain hatte er bekannt. Der Fürst war natürlich aufs höchste
darüber erzürnt, daß Satagira seinerzeit den furchtbaren Räuber hatte
entschlüpfen lassen und dann ganz Kosambi und seinen König durch einen
aufgesteckten falschen Kopf betrogen hatte; er wollte auf keine Worte
der Verteidigung oder auch nur der Entschuldigung hören. Wenn Satagira
nicht binnen drei Tagen Angulimala unschädlich machte--wie es das Volk
so stürmisch verlangte--dann würden ihn alle Folgen der fürstlichen
Ungnade aufs empfindlichste treffen.

Nachdem Satagira dies erzählt hatte, warf er sich weinend auf die Bank,
raufte sich die Haare und gebärdete sich wie ein Wahnsinniger.

"Sei getrost, mein Gemahl," sagte, ich. "Folge meinem Rate, und nicht
erst in drei Tagen, sondern noch heute sollst du wieder im Besitz der
fürstlichen Gunst sein, ja nicht nur das, sondern diese wird noch
strahlender über dich leuchten denn je zuvor."

Satagira setzte sich auf und sah mich an, wie man wohl ein Naturwunder
anstaunt.

"Und wozu rätst du mir denn?"

"Du sollst zum König zurückkehren und ihn überreden, sich nach dem
Sinsapawalde vor der Stadt zu begeben, dort am alten Tempel den Buddha
aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen. Der Rest wird dann von selber
folgen."

"Du bist eine kluge Frau," sagte Satagira. "Jedenfalls ist dieser Rat
sehr gut, denn jener Buddha soll ja der weiseste aller Menschen sein.
Wenn es auch schwerlich so gute Folgen für mich haben kann, wie du dir
denkst, so will ich doch den Versuch machen."

"Daß die Folgen nicht ausbleiben werden," antwortete ich, "dafür stehe
ich mit meiner Ehre ein."

"Ich glaube dir, Vasitthi," rief er, indem er aufsprang und meine Hand
ergriff. "Wie wäre es möglich, dir nicht zu glauben. Beim Indra! Du bist
eine wunderbare Frau, und ich sehe jetzt, wie wenig ich mich irrte, als
ich in meiner noch unerfahrenen Jugend, wie einem Instinkte gehorchend,
aus dem reichen Mädchenflor Kosambis dich allein ausersah und mich auch
durch deine Kälte von meiner Liebe nicht abbringen ließ."

Die Feurigkeit, mit welcher er mich lobte, ließ mich fast bereuen, daß
ich ihm den hilfreichen Rat gegeben hatte, aber schon seine nächsten
Worte beruhigten mich, denn er sprach jetzt von seiner Dankbarkeit, die
unerschöpflich sein würde, auf welche Probe ich sie auch stellte.

"Nur eine einzige Bitte habe ich, durch deren Erfüllung du mir deine
Dankbarkeit hinreichend bezeugen kannst."

"Nenne sie mir sofort," rief er, "und wenn du auch verlangst, daß ich
Vajira mit ihrem Sohne zu ihren Eltern zurückschicke, so werde ich es
unweigerlich tun."

"Meine Bitte ist eine gerechte, keine ungerechte, aber ich werde sie
erst vorbringen, wenn mein Rat sich in vollstem Maße bewährt hat. Eile
du aber nun zum Palast und setze beim Fürsten diesen Besuch durch."

Ziemlich bald kehrte er zurück, glücklich, daß es ihm gelungen war, den
König zu diesem Ausflug zu bestimmen.

"Erst als Udena vernahm, daß der Rat von dir herrührte," sagte er, "und
daß du mit deiner Ehre dich für den guten Erfolg verbürgtest, gab er
nach, denn auch er hält große Stücke auf dich. O, wie stolz bin ich auf
eine solche Gemahlin!"

Diese und ähnliche Worte, an denen er es in seiner zuversichtlichen
Stimmung nicht fehlen ließ, waren mir peinlich genug und wären es noch
mehr gewesen, wenn ich nicht bei dieser ganzen Sache meine geheimen
Gedanken gehabt hätte.

Wir begaben uns nun sofort nach dem Palast, wo schon Vorbereitungen zur
Fahrt getroffen wurden.

Sobald die Strahlen der Sonne ihre Glut etwas milderten, bestieg König
Udena seinen Staatselefanten, die vielgerühmte Bhaddavatika, die, weil
sie schon sehr alt war, nur noch bei den feierlichsten Gelegenheiten
benutzt wurde. Wir, der Kämmerer, der Schatzmeister und andere hohe
Würdenträger folgten in Wagen nach, zweihundert Reiter eröffneten und
ebensoviele beschlossen den Zug.

Am Eingange des Waldes ließ der König Bhaddavatika niederknien und stieg
ab; wir anderen verließen die Wagen und begaben uns In seinem Gefolge zu
Fuß nach dem Krishnatempel, wo der Buddha, der vom fürstlichen Besuche
schon unterrichtet war, von seinen Jüngern umgeben, uns erwartete.

Der König bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich zur
Seite nieder. Als nun auch wir andern Platz genommen hatten, fragte der
Vollendete:

"Was ist dir, edler König? Hat etwa der König von Benares oder irgend
ein anderer deiner fürstlichen Nachbarn dein Land mit Krieg bedroht?"

"Nicht hat, o Herr, der König von Benares, noch irgend einer meiner
fürstlichen Nachbarn mich bedroht: ein Räuber, o Herr, lebt in meinem
Lande, Angulimala genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag
gewöhnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer
undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die
Leute um und hängt sich ihre Daumen um den Hals. Und in der Bosheit
seines Herzens hat er jetzt den Plan gefaßt, diesen heiligen Hain zu
überfallen und den Erhabenen und seine Anhänger zu entführen. Ob solch
großer Gefahr entsetzt, murrt mein Volk, drängt sich in großen Scharen
um meinen Palast und verlangt, daß ich diesen Angulimala unschädlich
mache. Das also liegt mir allein im Sinne."

"Wenn du aber, edler König, Angulimala sähest, mit geschorenem Haar und
Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, dem Töten entfremdet, dem Stehlen
entwöhnt, zufrieden mit _einer_ Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein,
edel geartet: was würdest du dann mit ihm machen?"

"Wir würden ihn, o Herr, ehrerbietig begrüßen, uns vor ihm erheben und
ihn zu sitzen einladen, ihn bitten, Kleidung, Speise, Lager und Arznei
für den Fall einer Krankheit anzunehmen, würden ihm, wie sich's gebührt,
Schutz und Schirm und Obhut angedeihen lassen. Wie aber sollte, o Herr,
ein so arger, bösartiger Mensch eine solche Tugendläuterung erfahren?"

Nun saß aber der ehrwürdige Angulimala nicht fern vom Erhabenen. Und der
Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu König Udena:

"Dieser, edler Fürst, ist Angulimala."

Da entfärbte sich das Gesicht des Königs vor Angst. Aber bei weitem
stärker war das Entsetzen Satagiras. Seine Augen schienen aus ihren
Höhlen springen zu wollen, seine Haare sträubten sich, kalter Schweiß
tropfte von seiner Stirn.

"Weh mir," rief er, "ja, jener ist gewißlich Angulimala, und ich Elender
habe meinen König verleitet, sich in seine Gewalt zu begeben."

Dabei sah ich's ihm nur zu deutlich an, daß er nur deshalb so vor Angst
bebte, weil er sich selbst in der Gewalt seines Todfeindes wähnte.

"Dieser Schreckliche," rief er weiter, "hat uns alle betrogen--hat den
Erhabenen selbst betrogen und auch meine leichtgläubige Gemahlin, die,
wie alle Frauen, viel auf Bekehrungsgeschichten gibt. So sind wir in
diese Falle gegangen."

Und seine Blicke irrten umher, als ob er hinter jedem Baum ein halbes
Dutzend Räuber entdeckte. Mit stotternder Stimme und zitternder Hand
beschwor er den König, durch eilige Flucht seine teure Person in
Sicherheit zu bringen.

Da trat ich denn vor und sprach:

"Sei ruhig, mein Gemahl! Ich bin imstande, sowohl dich wie meinen edlen
Fürsten zu überzeugen, daß hier keine Falle gelegt ist und daß keine
Gefahr droht."

Und ich erzählte jetzt, wie ich, von Angulimala überredet, mit ihm
zusammen einen Anschlag gegen das Leben meines Gemahls vorgehabt hätte,
und wie dieser Anschlag eben nur durch die Bekehrung meines Verbündeten
vereitelt worden sei.

Als Satagira hörte, wie nahe er dem Tode gewesen war, mußte er sich auf
den Arm des Kämmerers stützen, um nicht umzusinken.

Ich bat nun den König fußfällig, meinem Gemahl zu verzeihen, wie ich ihm
verziehen habe, da er durch Leidenschaft irregeführt gesündigt habe und
dabei wohl auch unbewußt einer höheren Führung gefolgt sei, die vor
unseren Augen das höchste Wunder wirken wollte: anstatt daß man einen
Räuber hingerichtet hätte, sei jetzt aus einem Räuber ein Heiliger
geworden.

Und als der Fürst mir gnädig zugesagt hatte, meinem Gemahl wieder seine
volle Gunst zuzuwenden, sprach ich zu Satagira:

"Mein Versprechen habe ich nun gehalten. So halte auch du das deine und
gewähre mir meine einzige Bitte. Diese aber geht dahin, du mögest mir
gestatten, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten."

Mit einem stummen Kopfnicken gab Satagira seine Einwilligung, wie er
denn auch nicht anders konnte.

Der König aber, der nun ganz beruhigt war, trat an Angulimala heran,
sprach freundlich und ehrerbietig zu ihm und sicherte ihm seinen
fürstlichen Schutz zu. Darauf ging er wieder zum Buddha hin, verneigte
sich tief und sprach:

"Wunderbar ist es in der Tat, o Herr, wie da der Erhabene Unbändige
bändigt. Denn diesen Angulimala, den wir weder mit Strafe noch Schwert
bezwingen konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert
bezwungen. Dieser doppelt und dreifach heilige Hain aber, wo uns ein
solches Wunder kund ward, soll von heute ab auf ewige Zeiten dem Orden
der Heiligen gehören. Und der Erhabene möge mir gestatten, darin einen
Bau zur Unterkunft der Mönche und einen zweiten für die Nonnen zu
errichten."

Mit würdevoller Dankbezeugung nahm der Erhabene das fürstliche Geschenk
an. Darauf empfahl sich der König und entfernte sich mit seinem Gefolge.
Ich aber blieb zurück unter der Obhut der anwesenden Schwestern, um
schon am folgenden Tage das Gelübde abzulegen.




XLI. DER LEICHTE SPRUCH


Ich war nun Ordensschwester geworden und begab mich jeden Tag früh
morgens mit meiner Almosenschale nach Kosambi, wo ich von Haus zu Haus
ging, bis sie gefüllt war--obwohl Satagira mir diesen Bettelgang nur zu
gern erspart hätte.

Eines Tages stellte ich mich auch am Eingange seines Palastes hin, weil
die ältesten Nonnen mir geraten hatten, mich auch dieser Prüfung zu
unterziehen. Da trat Satagira gerade in den Torweg, wich mir aber scheu
aus und verhüllte traurig sein Antlitz. Gleich danach kam dann der
Hausmeier und bat mich weinend, doch ja zu gestatten, daß Alles, wofür
ich Gebrauch habe, mir täglich zugeschickt werde. Ich aber antwortete
ihm, daß es mir gezieme, der Ordensregel nachzukommen.

Wenn ich von diesem Gange zurückgekehrt war und das Gespendete verzehrt
hatte, womit dann für den ganzen Tag die elende Nahrungsfrage erledigt
war, wurde ich von einer der älteren Nonnen unterrichtet, und abends
lauschte ich in der Versammlung den Worten des Erhabenen oder auch denen
eines großen Jüngers, wie Sariputta oder Ananda. Nachher aber geschah es
wohl, daß eine Schwester die andere aufsuchte: "Entzückend, Schwester,
ist der Sinsapawald, herrlich die klare Mondnacht, die Bäume stehen in
voller Blüte, himmlische Düfte, meint man, wehen umher. Wohlan, laß uns
Schwester Sumedha aufsuchen. Sie ist eine Hüterin des Wortes, ein Hort
der Lehre. Ihre Rede dürfte wohl diesem Sinsapawalde doppelten Glanz
verleihen." Und wir brachten dann den größten Teil einer solchen Nacht
mit sinnigen Gesprächen zu.

Dies Leben in der freien Natur, diese fortwährende Geistestätigkeit und
der rege Gedankenaustausch, wodurch keine Zeit für trübes Hinbrüten über
eigenen Schmerz oder für müßige Träumereien übrig blieb, endlich die
Erhebung und Läuterung des Gemütes durch die Macht der Wahrheit--all
dies stärkte mir Körper und Geist wunderbar. Ein neues und edleres Leben
tat sich vor mir auf, und ich genoß ein ruhiges, heiteres Glück, von dem
ich mir wenige Wochen vorher nichts hätte träumen lassen.

Als die Regenzeit kam, stand schon das Gebäude für die Schwestern
bereit, mit geräumiger Halle zum gemeinsamen Aufenthalte und mit Zellen
für jede einzelne. Mein Gemahl und einige andere reiche Bürger, die
Verwandte unter den Nonnen hatten, ließen es sich nicht nehmen, diese
unsere Heimstätte mit Matten und Teppichen, Stühlen und Ruhebetten
auszustatten, so daß wir reichlich mit Allem versehen waren, was zur
vernünftigen Bequemlichkeit des Lebens gehört, und seiner Üppigkeit um
so lieber entrieten. So ging denn auch diese Zeit der Eingeschlossenheit
leidlich genug dahin, im regelmäßigen Wechsel von gemeinsamen
Unterhaltungen über religiöse Fragen und von Selbstdenken und
Vertiefung. Gegen Abend aber begaben wir uns, wenn das Wetter es
erlaubte, nach der großen Halle der Mönche, um dem Meister zu lauschen,
oder es kam auch der Erhabene oder einer der großen Jünger zu uns
herüber.

Als nun aber der Wald, den der Meister lobt, erfrischt und verjüngt, in
hundertfacher Blätterfülle und Blumenpracht uns wieder einlud, unter
sein freies Obdach unsere einsame Gedenkenruhe und unsere gemeinsamen
Versammlungen zu verlegen, da traf uns die betrübende Kunde, daß der
Erhabene sich jetzt bereit mache, seine Wanderung nach den östlichen
Gegenden anzutreten. Aber freilich hatten wir ja nicht hoffen dürfen,
daß er immer in Kosambi bleiben werde; auch wußten wir, wie töricht es
ist, Ober etwas Unvermeidliches zu klagen, und wie wenig wir uns des
Meisters würdig zeigten, wenn wir uns von Trauer überwältigen ließen.

So begaben wir uns denn in später Nachmittagsstunde gefaßt und ruhig
nach dem Krishnatempel, um zum letzten Male für lange Zeit den Worten
des Buddha zu lauschen und dann von ihm Abschied zu nehmen.

Auf den Stufen stehend, redete der Erhabene vom Vergehen alles
Entstandenen, von der Auflösung alles dessen, was sich zusammengesetzt
hat, von der Flüchtigkeit aller Erscheinungen, von der Wesenlosigkeit
aller Gestaltungen. Und nachdem er gezeigt hatte, wie nirgends in dieser
oder in jener Welt, soweit die Daseinslust keimt, nirgendwo in Raum und
Zeit eine feste Stelle, ein bleibender Zufluchtsort zu finden ist,
sprach er jenes Wort, das du mit Recht "weltzermalmend" nanntest, und
das sich jetzt rings um uns verwirklicht:

"Bis in den höchsten Lichthimmel drängt das Leben sich und zerfällt;--
Wisset, einmal erlischt gänzlich auch der Glanz einer Brahmawelt."

Es war uns Schwestern von einem der Jünger gesagt worden, daß wir nach
dem Vortrage eine nach der anderen zum Erhabenen gehen sollten, um von
ihm Abschied zu nehmen und einen Geleitspruch für unser weiteres Streben
von ihm zu empfangen. Da ich eine der jüngsten war und mich
geflissentlich zurückhielt, gelang es mir, die letzte zu werden. Denn
ich gönnte es keiner anderen, nach mir mit dem Erhabenen zu reden, und
meinte auch, daß mir dadurch eine ruhigere, längere Unterredung
ermöglicht würde, als wenn andere hinter mir warteten.

Nachdem ich mich nun ehrfurchtsvoll verneigt hatte, blickte mich der
Erhabene an mit einem Blicke, der mich bis ins Innerste durchleuchtete,
und sprach:

"Und dir, Vasitthi, gebe ich an der Schwelle dieses zerfallenden
Heiligtums des sechzehntausendeinhundertfachen Bräutigams zum
Meingedenken und zum Durchdenken unter dem Laubdache dieses
Sinsapawaldes, von dem du ein Blatt am Herzen und einen Schatten im
Herzen trägst--folgenden Spruch: '_Überall, wo Liebe entsteht, entsteht
auch Leid_.'"

"Ist das Alles?" fragte ich törichterweise.

"Alles und genug."

"Und ist es, o Herr, gestattet, wenn ich mit dem Spruche zu Ende bin,
wenn ich mir den Sinn völlig zu eigen gemacht habe, zum Erhabenen zu
pilgern, um einen neuen Spruch zu empfangen?"

"Es ist gestattet, wenn du noch das Bedürfnis hast, den Erhabenen zu
fragen."

"Wie sollte ich nicht das Bedürfnis haben? Du bist ja, o Herr, unsere
Zuflucht."

"Nimm deine Zuflucht zu dir selber, nimm deine Zuflucht zur Lehre!"

"Das will ich. Doch du, o Herr, bist ja das Selbst der Jünger, bist die
lebendige Lehre. Und du hast ja gesagt: es ist gestattet."

"Wenn dich der Weg nicht müht."

"Kein Weg kann mich mühen."

"Der Weg ist weit, Vasitthi! Weiter ist der Weg als du dir denkst,
weiter, als Menschengedanken es auszudenken vermögen."

"Und führte der Weg auch durch tausend Leben, über tausend Welten: kein
Weg wird mich mühen."

"Schon gut, Vasitthi! Gehab dich wohl, und gedenke deines Spruchs."

In diesem Augenblick nahte der König mit großem Gefolge, um vom
Erhabenen Abschied zu nehmen.

Ich zog mich in die hinterste Reihe zurück, von wo aus ich ein ziemlich
zerstreuter Zeuge der weiteren Vorgänge dieses letzten Abends war. Denn
ich kann nicht leugnen, daß ich mich durch den so sehr leichten Spruch,
den mir der Erhabene gegeben hatte, etwas enttäuscht fühlte. Hatten doch
mehrere der Schwestern ganz andere schwierige Sprüche zur geistigen
Verarbeitung vom Erhabenen zugeteilt bekommen: die eine den Spruch vom
Entstehen aus Ursachen, die andere den vom Nichtselbst, eine dritte den
von der Vergänglichkeit der Erscheinungen. So meinte ich denn, eine
Zurücksetzung erfahren zu haben, was mich sehr betrübte. Wie ich aber
weiter darüber nachdachte, kam mir die Vermutung, daß der Erhabene
vielleicht bei mir etwas Selbstüberhebung bemerkt habe und sie auf diese
Weise dämpfen wolle. Und ich nahm mir vor, auf der Hut zu sein, um nicht
durch Eitelkeit und Selbstgefälligkeit in meinem geistigen Wachstum
gehindert zu werden. Bald würde ich mich ja rühmen können, mit dem
Spruche zu Ende zu sein, und durfte mir dann einen neuen von den Lippen
des Erhabenen selber holen.

In dieser Zuversicht sah ich früh am nächsten Morgen den Buddha mit
vielen Jüngern von dannen wandern--unter diesen selbstverständlich auch
Ananda, der ja des Meisters wartete und immer um ihn war, und der mir
stets auf seine milde Art so besonders wohlwollend begegnet war, daß ich
fühlte, ich würde auch ihn und seinen aufmunternden Blick sehr
vermissen, noch mehr als den weisen Sariputta, der durch seine scharf
zergliedernden Auseinandersetzungen mir in manchem schwierigen Punkt
geholfen hatte. Nun war ich meinen eigenen Kräften überlassen.

Sobald ich von meinem Almosengange zurückgekehrt war und mein Mahl
verzehrt hatte, suchte ich mir einen schönen Baum aus, der in der Mitte
einer kleinen Waldwiese stand--das wahre Urbild jener "mächtigen,
lärmentrückten Bäume", von denen es heißt, daß Menschen darunter sitzen
und denken können.

Das tat ich nun, indem ich meinen Spruch ernstlich vornahm. Als ich
gegen Abend nach der Versammlungshalle zurückkehrte, brachte ich, als
Ausbeute meiner Tagesarbeit, eine innere Unruhe mit mir und eine leise
Ahnung, was für eine Bewandtnis es mit diesem Spruche haben mochte. Als
ich aber am folgenden Abend nach beendigter Gedenkenruhe zurückkehrte,
wußte ich schon genau, was der Erhabene gemeint hatte, als er mir diesen
Spruch gab.

Ich hatte ja geglaubt, auf dem graden Wege zum vollkommenen Frieden mich
zu befinden und meine Liebe mit ihren leidenschaftlichen Erregungen weit
hinter mir zu haben. Aber jener unvergleichliche Herzenskenner hatte gar
wohl gesehen, daß die Liebe keineswegs von mir überwunden war, sondern
daß sie nur durch den mächtigen Einfluß des neuen Lebens verscheucht,
sich In einen Innersten Winkel zurückgezogen hatte, um dort ihre Zeit zu
erwarten. So wollte er denn, daß ich dadurch, daß ich meine
Aufmerksamkeit auf sie richtete, sie aus diesem Schlupfloche
hervorlocken solle, um sie dann zu überwinden.

Und freilich kam sie auch hervor, aber mit solcher Macht, daß ich mich
sofort mitten in schweren, ja zerrüttenden Seelenkämpfen befand und
einsah, daß mir kein leichter Sieg beschieden sei.

Die überraschende Kunde, daß mein Geliebter damals nicht getötet worden
war und aller Wahrscheinlichkeit nach noch mit mir diese Erdenluft
atmete, war jetzt freilich mehr als ein halbes Jahr alt. Als aber durch
die Erscheinung auf der Terrasse jenes Wissen so plötzlich in mir
auftauchte, wurde es sofort wieder durch die stürmischen Gemütswellen,
die es selber aufregte, gleichsam überschwemmt und tauchte fast wieder
in ihren Strudel unter. Haßgefühl, Rachegedanken, Brüten über
Verbrecherpläne wechselten in einem wahren Dämonenreigen--dann kam
Angulimalas Bekehrung, der überwältigende Eindruck des Buddha, das neue
Leben, der Tagesanbruch einer neuen, gänzlich ungeahnten Welt, deren
Elemente in der Vernichtung aller Elemente der alten bestanden. Nun aber
war der erste Sturm des Neuen vorüber, der große Meister dieses heiligen
Zaubers war aus meinem Gesichtskreis entschwunden, und ich saß einsam
da, meinen Blick auf die Liebe--auf meine Liebe gerichtet. Da tauchte
jene Kunde nun wieder klar hervor und eine grenzenlose Sehnsucht nach
dem fernen, noch lebenden Geliebten erfaßte mich.

Aber lebte er denn auch noch?--Und liebte er mich denn noch?

Solche Fragen regten durch ihre bange Ungewißheit meine Sehnsucht nur
noch mehr auf, und mit der Überwindung meiner Liebe, mit der Aneignung
des Spruches wollte es nicht vorwärtsgehen. Immer dachte ich über die
Liebe nach und kam nicht zum Leid und zur Leidensentstehung.

Diese meine immer aussichtsloseren Seelenkämpfe blieben den anderen
Schwestern nicht verborgen. Ich hörte wohl, wie sie von mir sprachen:

"Vasitthi, die frühere Ministersgattin, die doch selbst der strenge
Sariputta wegen ihrer schnellen und sicheren Auffassung auch schwieriger
Punkte der Lehre uns des öfteren gepriesen hat, sie kann jetzt mit ihrem
doch so leichten Spruch nicht fertig werden."

Dadurch wurde ich noch mehr entmutigt. Scham und Verzweiflung
bemächtigten sich meiner und zuletzt glaubte ich, diesen Zustand nicht
mehr ertragen zu können.




XLII. DIE KRANKE NONNE


Um diese Zeit kam wöchentlich einmal einer der Brüder zu uns herüber und
legte uns die Lehre dar. Als nun Angulimala an der Reihe war, ging ich
nicht in die Versammlungshalle, sondern blieb in meiner Zelle auf der
Ruhebank liegen und bat eine Nachbarschwester, Angulimala zu sagen:

"Die Schwester Vasitthi, Ehrwürdiger, liegt in ihrer Zelle krank
darnieder und kann in der Versammlung nicht erscheinen. Wolle,
Ehrwürdiger, nach dem Vortrag dich nach der Zelle Schwester Vasitthis
begeben, um auch ihr, der Kranken, die Lehre darzulegen."

Und der ehrwürdige Angulimala kam nach dem Vortrag in meine Zelle,
grüßte mich ehrerbietig und setzte sich neben mein Lager.

"Du siehst hier, Bruder," sagte ich dann, "was niemand sehen sollte:
eine liebeskranke Nonne, und an dieser meiner Krankheit bist du selber
schuld, denn du hast mich des Gegenstandes meiner Liebe beraubt. Zwar
hast du mich dann zu diesem großen Arzte gebracht, der von der ganzen
Lebenskrankheit heilt; aber seine starke Heilkunst kann jetzt nicht
weiter auf mich einwirken. In seiner großen Weisheit hat er dies wohl
erkannt und hat mir ein Mittel gegeben, um den schleichenden
Krankheitsstoff zur Ausscheidung durch eine Fieberkrisis zu bringen. So
siehst du denn nun das Sehnsuchtsfieber in mir wüten. Und nun will ich
dich an ein Versprechen mahnen, das du mir einst gegeben hast, in jener
Nacht nämlich, wo du mich zu dem Verbrechen verleiten wolltest, dessen
Ausführung nur durch das Dazwischentreten des Erhabenen vereitelt wurde.
Damals sagtest du, du würdest nach Ujjeni gehen und mir sichere Kunde
von Kamanita bringen, ob er noch am Leben sei, und wie es ihm ergehe.
Was mir nun der Räuber einst versprach, das fordere ich jetzt vom
Mönche. Denn mein Verlangen zu wissen, ob Kamanita lebt und wie er lebt,
ist ein so gebieterisches, daß, bevor es nicht gestillt worden ist, für
keinen anderen Gedanken, für kein anderes Gefühl in meiner Seele Raum
ist, und es mir somit unmöglich ist, auch nur den kleinsten Schritt
weiter auf diesem unserem Heilswege zu tun. Deshalb mußt du dies für
mich tun und mein Gemüt durch irgend eine Gewißheit beruhigen."

Nachdem ich also gesprochen hatte, erhob sich Angulimala und sagte:

"Wie du es eben, Schwester Vasitthi, von mir verlangst," verbeugte sich
tief und schritt zur Tür hinaus.

Er ging aber geradeswegs nach seiner Zelle, um seine Almosenschale zu
holen und verließ noch in derselben Stunde den Sinsapawald. Man glaubte
allgemein, er sei dem Erhabenen nachgepilgert. Nur ich kannte das Ziel
seiner Wanderung.

Nach diesem Schritt fühlte ich mich in der Tat etwas beruhigt, obwohl
ich bald zu zweifeln anfing, ob ich ihm nicht einen Gruß oder eine
Botschaft an den Geliebten hätte mitgeben sollen. Aber es kam mir
unpassend und unheilig vor, einen Mönch auf solche Weise als
Liebesvermittler zu gebrauchen, während er doch ganz gut nach einer
entfernten Stadt gehen und berichten konnte, was er dort gesehen. Auch
würde es etwas ganz anderes sein--meinte ich mit geheimer Hoffnung--wenn
er, ohne einen Auftrag zu haben und nur seinem eigenen Urteil folgend,
sich entschließen sollte, mit dem Geliebten von mir zu sprechen.

"Ich selber werde nach Ujjeni gehen und ihn heil und sicher
herbringen"--diese Worte hallten immer in meinem Innersten wider. Würde
der Mönch vielleicht das Versprechen des Räubers einlösen? Warum denn
nicht, wenn er selber einsah, daß es für uns beide notwendig war,
einander zu sehen und zu sprechen?

Und damit kam ein neuer Gedanke, der, von einem, ungeahnten
Hoffnungsschimmer umstrahlt, mich zunächst blendete und verwirrte. Wenn
mein Geliebter zurückkäme--was hinderte mich dann, aus dem Orden
auszutreten und seine Frau zu werden?

Als diese Frage auftauchte, bedeckte eine brennende Röte mein Gesicht,
das ich unwillkürlich in meinen Händen verbarg aus Furcht, jemand könne
mich gerade beobachten. Welcher häßlichen Mißdeutung würde nicht eine
solche Handlung ausgesetzt sein! Sähe das nicht aus, als ob ich den
Orden des Buddha lediglich als eine Brücke betrachtet hätte, um aus
einer unlieben Heirat in eine liebe hinüberzuwandeln? Gewiß würde das
von Vielen so ausgelegt werden. Aber was könnte mir schließlich am
Urteil Anderer liegen? Und wieviel besser wäre es nicht, eine fromme
Laienschwester zu sein, die treu zum Orden hielt, als eine
Ordensschwester, deren Herz außerhalb des Ordens weilte.

Ja, wenn auch Angulimala mir nur die Mitteilung brächte, daß mein
Kamanita noch lebe, und ich der Schilderung ihrer Begegnung entnähme,
daß der Geliebte mir noch immer in treuer Sehnsucht ergeben sei: dann
würde ich ja auch selber nach Ujjeni pilgern können. Und ich malte mir
aus, wie ich eines Morgens als wandernde Asketin am Eingange deines
Hauses stehen würde, wie du mir dann eigenhändig die Almosenschale
füllen und mich dabei erkennen würdest--und dann die ganze
unbeschreibliche Freude, uns wiedergefunden zu haben.

Freilich war es eine weite Wanderung nach Ujjeni, und es geziemte einer
Nonne nicht, allein zu pilgern. Aber ich brauchte nicht lange nach einer
Begleiterin zu suchen. Gerade in dieser Zeit fand Somadatta ein
trauriges Ende. Seine Leidenschaft für die unseligen Würfel hatte immer
mehr die Oberhand gewonnen, und nachdem er seine ganze Habe verspielt
hatte, ertränkte er sich in der Ganga. Die tief erschütterte Medini trat
nunmehr in den Orden ein. Es mochte wohl weniger das religiöse Leben
selbst in seiner herben Strenge und mit seinem hohen Ziele sein, was sie
unwiderstehlich in diesen heiligen Hain zog, als vielmehr das Bedürfnis,
immer in meiner Nähe zu weilen; denn ihr kindliches Herz hing mit
rührender Treue an mir. Und so zweifelte ich denn auch nicht daran, daß
sie, wenn ich ihr mein Vorhaben offenbarte, mit mir nach Ujjeni, ja,
wenn es sein sollte, bis an das Ende der Welt gehen würde. Auch jetzt
schon gereichte mir ihre Gesellschaft vielfach zur Aufmunterung, wie ich
denn andererseits auch ihre aufrichtige Trauer über den Verlust ihres
Gemahls durch tröstende Worte milderte.

Als nun die Zeit kam, wo Angulimalas Rückkehr zu erwarten war, ging ich
nachmittags immer nach dem südwestlichen Rande des Waldes und setzte
mich unter einen schönen Baum auf einer mäßigen Anhöhe, von welcher aus
ich dem Wege, den er kommen mußte, weit mit dem Blicke folgen konnte.
Ich dachte mir, er würde wohl gegen Abend sein Ziel erreichen.

Eine Woche hielt ich dort vergebens Wache, war aber auch darauf gefaßt,
einen ganzen Monat lang warten zu müssen. Am achten Tage aber, als die
Sonne schon so tief stand, daß ich mir mit der Hand die Augen beschatten
mußte, wurde ich in der Ferne eine Gestalt gewahr, die sich dem Walde
näherte. Bald erglänzte ihr gelber Mantel, und als sie an einem
heimkehrenden Waldarbeiter vorüberschritt, erkannte man, daß
sie von ganz ungewöhnlich hohem Wüchse war. Es war in der Tat
Angulimala--allein. Meinen Kamanita hatte er nicht "heil und sicher
mitgebracht"--was tat's? Wenn er mir nur versichern konnte, daß der
Geliebte am Leben sei, dann würde ich ja selber den Weg zu ihm finden.

Heftig pochte mein Herz, als Angulimala vor mir stand und mich mit
höflichem Anstand begrüßte.

"Kamanita lebt in seiner Vaterstadt in großem Wohlstand," sagte er, "ich
habe ihn selber gesehen und gesprochen."

Und er erzählte mir nun, wie er eines Morgens an dein palastähnliches
Haus gekommen sei, wie deine beiden Frauen ihn gröblich beschimpft
hätten, wie du dann selber hinzugetreten seiest, die bösen Frauen ins
Haus gejagt und ihn freundlich und entschuldigend angeredet hättest.

Als er nun Alles--so wie es dir ja bekannt ist--genau berichtet hatte,
verbeugte er sich vor mir, schlug den Mantel wieder um die Schulter und
wandte sich um, als ob er in derselben Richtung weiter wandern wollte,
statt in den Wald hineinzugehen.

Verwundert fragte ich ihn, ob er nicht nach der Halle der Mönche gehe.

"Ich habe nun," antwortete er, "deinen Auftrag getreulich ausgerichtet,
und nichts gibt es jetzt mehr, was mich hindern könnte, meinen Weg
ostwärts zu nehmen, in den Spuren des Erhabenen, nach Benares und
Rajagaha, wo ich ihn nun antreffen werde."

Also sprechend, ging dieser mächtige Mann mit weit ausholenden Schritten
fürbaß, den Waldrand entlang, ohne sich die geringste Rast zu gönnen.

Ich starrte ihm lange nach und sah, wie die untergehende Sonne seinen
Schatten weit vor ihm bis zum Hügelrande am Horizonte, ja gleichsam noch
darüber hinaus streckte, als ob seine Sehnsucht ihm ungestüm vorauseile,
während ich wie eine Gelähmte zurückblieb ohne ein Sehnsuchtsziel für
irgend eine liebe Hoffnung.

Mein Herz war gestorben, mein Traum zerronnen. Das herbe Asketenwort:
"ein Schmutzwinkel ist die Häuslichkeit", hallte durch mein ödes Gemüt
wider. Auf jener herrlichen Terrasse der Sorgenlosen, unter freiem,
sternenblinkendem und monddurchstrahltem Himmel war ja meine Liebe
daheim. Wie hätte ich Törin je daran denken können, sie nach jener
schmutzwinkligen Häuslichkeit in Ujjeni betteln zu schicken, damit
zankende Frauen sie mit Schimpfreden begeiferten?

Mit Mühe schleppte ich mich nach meiner Zelle zurück, um mich auf das
Krankenlager zu strecken. Diese plötzliche Vernichtung meiner fieberhaft
erregten Hoffnungen war zuviel für meine schon durch monatelange
Seelenkämpfe erschütterte Widerstandskraft. Mit einer Selbstaufopferung
ohnegleichen pflegte Medini mich Tag und Nacht. Sobald aber, durch ihre
Sorgfalt gestützt, mein Geist sich über die Schmerzen und den
Fieberbrand erheben konnte, reifte mein Wanderplan in einer neuen
Richtung aus. Nicht dorthin, wo ich Angulimala hingeschickt hatte,
sondern dorthin, wo er jetzt von selber hinwanderte, wollte ich nun
pilgern: den Spuren des Erhabenen wollte ich folgen, bis ich ihn träfe.
War ich denn nicht mit meinem Spruche zu Ende? Wie mit der Liebe Leid
entsteht, hatte ich ja im tiefsten Grunde erfahren. Und so durfte ich
denn auch, meinte ich, den Buddha aufsuchen und von der Kraft des
Heiligen mich neu beleben lassen, um nach dem höchsten Ziele weiter
vorwärtsstreben zu können.

Ich vertraute denn auch dies mein Vorhaben der guten Medini an, die
sofort mit wahrem Feuereifer den unerwarteten Gedanken aufnahm und sich
in ihrem kindlichen Gemüt ausmalte, wie herrlich es sein würde, mit mir
zusammen durch liebliche Gegenden zu streifen, frei wie die Vögel durch
die Luft, wenn die Wanderzeit sie nach fernen Himmelsstrichen ruft.

Freilich mußten wir erst geduldig warten, bis ich wieder hinlänglich zu
Kräften gekommen war. Und als dies einigermaßen der Fall war, legte uns
die schon eingetretene Regenzeit eine noch längere Geduldsprobe auf.

In seiner letzten Rede hatte der Erhabene uns zugerufen:

"Gleich wie etwa, wenn im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, nach
Zerstreuung und Vertreibung der wasserschwangeren Wolken, die Sonne am
Himmel aufgeht und alle Nebel der Lüfte strahlend verscheucht und flammt
und leuchtet: ebenso nun auch, ihr Jünger, erscheint da diese
Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt, und
verscheucht strahlend die Redereien gewöhnlicher Büßer und Geistlicher
und flammt und leuchtet."

Als nun die Natur ringsum uns dies Bild verwirklichte, verließen wir den
Krishnahain vor Kosambi, und unsere Schritte ostwärts lenkend, eilten
wir jener Sonne einer heiligen Lebensführung entgegen.




XLIII. DAS NIRVANA DES VOLLENDETEN


Meine Entkräftung erlaubte es mir nicht, lange Tageswanderungen zu
unternehmen und nötigte uns bisweilen, uns einen Ruhetag zu gönnen, so
daß wir erst nach einer einmonatigen Pilgerfahrt in Vesali ankamen, wo,
wie wir wußten, der Erhabene sich längere Zeit aufgehalten hatte, von wo
er aber vor etwa sechs Wochen weiter gewandert war.

Kurz vorher hatten wir in einem Dorfe, wo Anhänger der Lehre wohnten,
gehört, daß Sariputta und Moggallana in das Nirvana eingegangen waren.
Der Gedanke, daß diese beiden großen Jünger, die Häuptlinge der Lehre,
wie wir sie nannten, nicht mehr auf Erden weilten, erschütterte mich
tief. Wohl wußten wir alle, daß auch diese Großen, ja der Buddha selber,
nur Menschen waren wie wir; aber die Vorstellung, daß sie uns verlassen
könnten, war nie in uns aufgetaucht. Sariputta, der mir so oft auf seine
bedächtige Weise schwierige Fragen der Lehre gelöst hatte, war
davongegangen. Er war der Jünger, der dem Meister ähnlich sah, und er
stand wie der Erhabene in seinem achtzigsten Lebensjahre; wäre es
möglich, daß auch der Buddha selber sich schon dem Ende seines
Erdenlebens näherte?

Vielleicht, daß die Unruhe, die durch diese Furcht entstand, einen
schleichenden Rest meines Fieberzustandes wieder anschürte: jedenfalls
kam ich erschöpft und krank in Vesali an. Hier lebte eine reiche
Anhängerin des Ordens, die es sich angelegen sein ließ, für die
durchziehenden Mönche und Nonnen auf jede Weise zu sorgen. Wie sie nun
erfuhr, daß eine kranke Nonne angekommen sei, suchte sie mich sofort
auf, brachte Medini und mich nach ihrem Hause und pflegte mich dort
sorgsam.

Ihr gegenüber äußerte ich gar bald meine Furcht: ob es wohl möglich sei,
daß der Erhabene, der ebenso alt sei wie Sariputta, uns nun auch bald
verlassen würde?

Da brach die fromme Seele in einen Strom von Tränen aus und rief
schluchzend:

"Ach! So weißt du es denn noch nicht? Hier in Vesali--vor zwei Monaten
etwa--hat ja der Gesegnete vorausgesagt, daß nach drei Monaten sein
Nirvana stattfinden wird. Wir haben ihn alle hier zum letzten Male
gesehen. Und man denke: wenn nur Ananda Verstand genug besessen und zu
rechter Zeit gesprochen hätte, dann wäre das nimmer geschehen, und der
Buddha hätte bis zum Ende dieser Weltperiode fortgelebt!"

Ich fragte, was denn der gute Ananda damit zu tun habe, und auf welche
Weise er eine solche Rüge verdient habe.

"Auf folgende Weise," antwortete die Frau. "Eines Tages weilte der
Erhabene mit Ananda vor der Stadt bei dem Capala-Tempel. Da sagte nun
der Gesegnete zu Ananda: wer auch immer die geistigen Kräfte in sich
vollkommen entwickelt habe, der könne, wenn er wolle, durch eine ganze
Weltperiode am Leben bleiben. O über diesen einfältigen Ananda, daß er,
trotz dieses deutlichen Winkes, nicht sofort sprach: 'Möge doch der
Erhabene eine Weltperiode hindurch zum Heile Vieler am Leben bleiben!'
Sicher war sein Geist von Mara, dem Bösen, besessen, da er seine Bitte
erst dann vorbrachte, als es zu spät war."

"Wie konnte es aber zu spät sein," fragte ich, "da ja der Erhabene noch
lebt?"

"Das war folgendermaßen. Du mußt nämlich wissen, vor fünfzig Jahren, als
der Erhabene in Uruvela sich das Buddhawissen errungen hatte, und nach
siebenjährigem Kampfe den Besitz heiliger Gemütsruhe genießend, unter
dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten weilte: da nahte sich ihm Mara, der
Böse, gar sehr besorgt wegen der Gefahr, die seinem Reiche durch den
Buddha drohte; und in der Hoffnung, die Verbreitung der Lehre zu
verhindern, sprach er: 'Heil dir! Jetzt ist es Zeit für den Erhabenen,
in das Nirvana einzugehen!' Aber der Buddha antwortete: 'Nicht eher
werde ich, du Böser, in das Nirvana eingehen, als bis ich der Menschheit
die Lehre verkündet habe; nicht eher, als bis ich mir Jünger geworben
habe, die imstande sind, diese Lehre gegen Angriffe zu verteidigen und
sie weiter zu verkünden. Erst dann, Böser, werde ich in das Nirvana
eingehen, wenn das Reich der Wahrheit fest begründet ist.'

Nachdem nun aber der Erhabene hier am Çapalaheiligtum so, wie ich dir
sagte, zu Ananda gesprochen hatte und dieser, ohne den Wink zu
verstehen, weggegangen war, nahte sich Mara, der Böse, dem Erhabenen und
sprach zu ihm: 'Heil dir! Jetzt ist für den Erhabenen die Zeit gekommen,
in das Nirvana einzugehen. Was mir der Erhabene damals unter dem
Nyagrodhabaume des Ziegenhirten zu Uruvela als Bedingung für sein
Nirvana angab, das ist ja jetzt erfüllt. Fest gegründet ist das Reich
der Wahrheit. Möge also der Erhabene jetzt in das Nirvana eingehen!' Da
sprach der Buddha zu Mara, dem Bösen, also: 'Sei du, o Böser, ohne
Sorge! Das Nirvana des Vollendeten wird bald stattfinden; nach Verlauf
von drei Monaten von jetzt ab wird der Vollendete in das Nirvana
eingehen.' Bei diesen Worten aber erzitterte die Erde, wie du es wohl
auch selber bemerkt haben wirst."

In der Tat hatten wir in Kosambi, etwa einen Monat bevor ich den
heiligen Hain verließ, ein leichtes Erdbeben gespürt, was ich ihr nun
auch sagte.

"Siehst du!" rief die Frau erregt--"überall haben sie es gespürt. Die
ganze Erde bebte, und die Trommeln der Götter dröhnten, als der
Vollendete auf längere Lebensdauer verzichtete. Ach, daß doch der
einfältige Ananda zu rechter Zeit den ihm so deutlich gegebenen Wink
verstanden hätte! Denn als er nun, durch dies Erdbeben aus seiner
Selbstvertiefung geweckt, zum Erhabenen zurückkam und ihn bat, er möge
doch noch den Rest dieser Weltperiode hindurch am Leben bleiben:--da
hatte ja der Vollendete schon Mara sein Wort gegeben und auf längere
Lebensdauer verzichtet."

Aus diesen Reden der frommen, aber etwas abergläubischen Frau entnahm
ich, daß der Erhabene während seines Aufenthaltes in Vesali Zeichen des
herannahenden Todes gespürt und wohl den Jüngern gesagt habe, daß er
bald sterben würde.

So litt es mich denn nicht länger unter dem gastlichen Dache. Ich mußte
den Buddha erreichen, bevor er uns verließ. Das war ja unser großer
Trost gewesen, daß wir uns immer an ihn, den unerschöpflichen Quell der
Wahrheit, wenden konnten. Nur von ihm konnten ja alle Zweifel meiner
geängstigten Seele gelöst werden; nur er in der ganzen Welt war ja
imstande, mir den Frieden wiederzugeben, den ich einst gekostet hatte,
als ich am alten Krishnatempel im Sinsapawalde bei Kosambi ihm zu Füßen
saß.

So brachen wir denn auf, als, nach Verlauf von zehn Tagen meine Kräfte
mir das Wandern einigermaßen erlaubten. Meine gute Wirtin, die sich ein
Gewissen daraus machte, mich in meinem geschwächten Zustande weitergehen
zu lassen, tröstete ich mit dem Versprechen, ihren Gruß dem Erhabenen zu
Füßen zu legen.

Wir gingen nun in nordwestlicher Richtung weiter in den Spuren des
Erhabenen, die wir immer frischer fanden, je weiter wir vordrangen, von
Ort zu Ort uns erkundigend. In Ambagama war er acht Tage vorher gewesen;
den Salahain von Bhoganagara hatte er drei Tage vor unserer Ankunft
verlassen, um sich nach Pava zu begeben.

Sehr ermüdet trafen wir am frühen Nachmittage in diesem Orte ein.

Das erste Haus, das uns auffiel, gehörte einem Kupferschmied, wie an den
vielen Metallwaren zu erkennen war, die an der Mauer entlang standen.
Aber kein Hammerschlag ertönte; es schien ein Feiertag zu sein, und im
Hofe wurden am Brunnen von den Dienern Schüsseln und Platten abgespült,
als ob dort eine Hochzeit stattgefunden hätte.

Da trat ein kleiner, festlich gekleideter Mann auf uns zu und bat
höflich, unsere Almosenschalen füllen zu dürfen.

"Wäret ihr einige Stunden früher gekommen," fügte er hinzu, "dann hätte
ich bei meinem Feste noch zwei liebe und würdige Gäste gehabt, denn euer
Meister, der Erhabene, hat heute mit seinen Mönchen bei mir gespeist."

"So ist denn der Erhabene noch hier in Pava?"

"Jetzt nicht mehr, Ehrwürdigste," antwortete der Kupferschmied. "Gleich
nach der Mahlzeit wurde der Erhabene von einer schweren Krankheit
befallen, mit scharfen Schmerzen, die ihn einer Ohnmacht nahe brachten,
so daß wir alle sehr erschraken. Aber der Erhabene überwand diesen
Anfall und begab sich vor etwa einer Stunde weiter nach Kusinara."

Am liebsten wäre ich sofort weiter gewandert, denn was der Schmied von
diesem Krankheitsanfall sagte, ließ mich das Schlimmste befürchten. Aber
es war eine gebieterische Notwendigkeit, den Körper nicht nur durch
Speise, sondern auch durch kurze Ruhe zu stärken.

Der Weg von Pava nach Kusinara war nicht zu verfehlen. Er führte bald
von den bebauten Feldern fort, durch Tigergras und Gestrüpp, immer
tiefer in die Dschungeln. Wir durchwateten einen kleinen Fluß und
erfrischten uns ein wenig durch Baden. Nach kurzer Ruhe brachen wir
wieder auf. Es wollte Abend werden, und ich konnte mich nur mit Mühe
weiterschleppen.

Medini versuchte mich zu überreden, unter einem Baume auf einer kleinen
Anhöhe zu übernachten. Es habe keine so große Eile:

"Dies Kusinara ist wohl nicht viel mehr als ein Dorf und scheint ganz in
den Dschungeln begraben zu sein. Wie kannst du nur glauben, daß der
Vollendete hier sterben wird? Gewiß wird er einmal im Jetavanapark bei
Savitti, oder in einem seiner beiden Haine bei Rajagaha von dannen
scheiden; aber der Erhabene wird doch nicht in dieser Einöde erlöschen!
Wer hat denn je von Kusinara gehört?"

"Vielleicht wird man von jetzt ab von Kusinara hören," sagte ich und
ging weiter.

Meine Kräfte waren aber bald so erschöpft, daß ich mich entschließen
mußte, die nächste baumlose Anhöhe zu besteigen, in der Hoffnung, von
dort aus die Nähe Kusinaras erkennen zu können. Sonst mußten wir die
Nacht dort oben zubringen, wo wir dem Angriffe der Raubtiere und
Schlangen weniger ausgesetzt waren und auch den fiebererzeugenden
Ausdünstungen einigermaßen entrückt blieben.

Dort oben angelangt, spähten wir vergebens nach einem Anzeichen
menschlicher Wohnsitze aus. Scheinbar ununterbrochen stiegen die
Dschungeln vor uns allmählich aufwärts, wie ein Teppich, den man in die
Höhe zieht. Bald aber tauchten große Bäume aus dem niedrigen Gebüsch
auf; die dichten Laubmassen eines Hochwaldes wölbten ihre Kuppeln
übereinander, und in einer schwarzen Schlucht schäumte ein Wildbach,
derselbe Strom, in dessen ruhig fließendem Wasser wir kurz vorher
gebadet hatten.

Den ganzen Tag über war es schwül und trübe gewesen. Hier wehte uns nun
ein frischer Hauch entgegen, und immer klarer wurde es vor unseren
Augen, als ob ein Schleier nach dem andern gelüftet würde.

Ungeheure Felsenmauern türmten sich über dem Walde empor, und als ihr
Dach bauten grüne Bergkuppen sich immer höher hinauf--bewaldete Berge
mußten es ja sein, obwohl sie wie Mooskissen aussahen--immer höher, bis
sie im Himmel selber zu verschwinden schienen.

Nur eine einzige langgestreckte, rötliche Wolke schwebte dort oben.

Während wir sie betrachteten, fing sie an gar seltsam zu glühen.
Gleichwie wenn mein Vater mit der Zange ein Stück geläuterten Goldes aus
dem Schmelzofen herausnahm und, nachdem es abgekühlt war, es auf eine
lichtblaue seidene Decke hinlegte: also erglänzte jetzt dies leuchtende
Luftgebilde in scharf begrenzten goldig-blanken Flächen; dazwischen aber
dämmerten duftig hellgrüne Streifen und zogen sich fächerförmig nach
unten, indem sie erblassend in die farblose Luftschicht untertauchten,
als ob sie die grünen Bergkuppen erreichen wollten. Immer rötlicher
glühten die Flächen, immer grüner wurden die Schatten.

Das war keine Wolke!

"Der Himavat!" flüsterte Medini, überwältigt und ergriffen meinen Arm
berührend.

Ja, da erhob er sich vor uns, der Berg der Berge, die Stätte des ewigen
Schnees, die Wohnung der Götter, der Aufenthalt der Heiligen! Der
Himavat--schon von Kindheit an hatte mich dieser Name mit tiefen
Gefühlen von Scheu und Ehrfurcht, mit heimlicher Ahnung des Erhabenen
erfüllt! Wie oft hatte ich in Sagen und Märchen den Satz gehört: "und er
begab sich nach dem Himavat und lebte dort ein Asketenleben"! Zu
Tausenden und Abertausenden waren sie dort hinaufgestiegen, die
Erlösungsuchenden, um in der Bergeinsamkeit durch Bußübungen sich das
Heil zu erringen--jeder mit seinem Wahn: und nun nahte er, der einzige
Wahnlose, dessen Spuren wir folgten.

Während ich also dachte, erlosch das leuchtende Bild, als ob der Himmel
es in sich aufgesogen hätte.

Ich fühlte mich aber durch diesen Anblick so wunderbar belebt und
gestärkt, daß ich an keine Ruhe mehr dachte.

"Wenn auch der Erhabene," sagte ich zu Medini, "uns bis zu jenem Gipfel
voranschritt, um von solchem erhabenen Standorte aus in jenes höchste
der Gefilde einzugehen: so würde ich ihm doch folgen und ihn erreichen."

Und ich wanderte mutig weiter. Wir waren aber keine halbe Stunde
gegangen, da verschwand das Gestrüpp plötzlich, und bebautes Land lag
vor uns. Es war schon ganz dunkel, und der Vollmond ging groß und
glühend über dem uns gegenüberliegenden Walde auf, als wir endlich
Kusinara erreichten.

Es war in der Tat nicht viel mehr als ein Dorf der Mallas, mit Mauern
und Häusern von gestampftem Lehm und Weidengeflecht. Mein erster
Eindruck war, daß eine verheerende Krankheit das Städtchen entvölkert
haben müsse. Vor den Haustüren saßen einige alte und kranke Leute und
jammerten laut.

Wir fragten sie, was denn geschehen sei.

"Ach," riefen sie händeringend: "Gar zu bald wird der Vollendete
sterben. Noch in dieser Stunde wird das Licht der Welt erlöschen. Die
Mallas sind nach dem Salahain gegangen, um den Heiligen zu sehen und zu
verehren. Denn kurz vor Sonnenuntergang kam Ananda in unsere Stadt und
begab sich zur Markthalle, wo die Mallas eine öffentliche Sache
berieten, und sagte: 'Heute, noch vor Mitternacht, o Mallas, wird das
Nirvana des Vollendeten stattfinden. Sorget, daß ihr euch nicht später
einen Vorwurf machen müßt: in unserer Stadt ist der Buddha gestorben,
und wir benutzten nicht die Gelegenheit, um den Vollendeten in seinen
letzten Stunden zu besuchen.' So zogen denn die Mallas mit Weibern und
Kindern, klagend und jammernd, nach dem Salahain. Wir aber sind zu alt
und schwach, wir mußten hier zurückbleiben und können den Erhabenen
nicht in seinen letzten Stunden verehren."

Wir ließen uns nun den Weg von der Stadt nach jenem Salahaine zeigen.
Dieser Weg war aber, als wir ihn betraten, schon gänzlich angefüllt mit
den Scharen der zurückkehrenden Mallas. Wir eilten also lieber
querfeldein, nach einer Ecke des Wäldchens zu.

Hier stand, an einen Baumstamm gelehnt, ein Mönch und weinte. In dem
Augenblick, da ich ergriffen stehen blieb, erhob er sein Antlitz zum
Himmel--das volle Mondlicht fiel auf die schmerzdurchdrungenen Züge, und
ich erkannte Ananda.

"So bin ich doch zu spät gekommen," sagte ich mir, und ich fühlte, wie
meine Kräfte mich verließen.

Ich vernahm aber ein Rascheln im Gebüsch und sah einen riesengroßen
Mönch hervortreten und seine Hand auf Anandas Schulter legen:

"Bruder Ananda, der Meister ruft dich."

So sollte ich doch noch den Buddha in seinen letzten Augenblicken sehen!
Sofort kehrten meine Kräfte wieder und befähigten mich, den beiden zu
folgen.

Jetzt bemerkte und erkannte Angulimala uns. Seinen besorgten Blick
richtig deutend, sagte ich:

"Fürchte nicht, Bruder, daß wir durch lautes Weinen und weibisches
Klagen die letzten Augenblicke des Vollendeten stören werden. Wir haben
uns von Vesali bis hierher keine Ruhe gegönnt, um den Erhabenen noch zu
sehen. Verwehre uns den Zutritt nicht, wir wollen stark sein."

Da winkte er uns, ihnen zu folgen.

Wir hatten nicht weit zu gehen.

Auf einer kleinen Waldwiese waren wohl an die zweihundert Brüder
versammelt und standen da in einem Halbkreise. In der Mitte erhoben sich
zwei Salabäume, die eine einzige Masse von weißen Blüten bildeten, und
unter ihnen, auf einem Lager von gelben Mänteln, die zwischen den beiden
Stämmen ausgebreitet waren, ruhte der Vollendete, den Kopf auf den
rechten Arm gestützt. Und die Blüten regneten leise über ihn herab.

Hinter ihm sah ich im Geiste die jetzt im Nachtdunkel verborgenen, in
ewigen Schnee gehüllten Zinnen des Himavat, von denen ich soeben einen
flüchtigen, traumhaften Anblick genossen hatte, dem ich es verdankte,
daß ich jetzt hier vor dem Vollendeten stand. Der überirdische Glanz
aber, der von ihnen herübergegrüßt hatte, strahlte mir jetzt in
geistiger Verklärung von seinem Gesichte wider. Auch er, der Erhabene,
schien ja, ebenso wie jene wolkenartig schwebenden Gipfel, der Erde gar
nicht anzugehören, und doch war er wie sie, von derselben Ebene aus, die
uns alle trägt, bis zu jener unermeßlichen Geisteshöhe emporgestiegen,
von welcher aus er jetzt im Begriff stand, dem Blick der Menschen und
der Götter zu entschwinden.

Und er sprach zu dem vor ihm stehenden Ananda:

"Ich weiß wohl, Ananda, daß du einsam weintest in dem Gedanken: 'Ich bin
noch nicht frei von Sünden, ich habe noch nicht das Ziel erreicht, und
mein Meister wird jetzt in das Nirvana eingehen--er, der sich meiner
erbarmte.' Aber nicht also, Ananda--klage nicht, jammere nicht! Habe ich
es dir nicht zuvor gesagt, Ananda:--von Allem, was man lieb hat, muß man
scheiden? Wie wäre es möglich, Ananda, daß das, was entstanden ist,
nicht verginge? Du aber, Ananda, hast lange Zeit den Vollendeten geehrt,
in Liebe und Güte, mit Freuden, ohne Falsch. Du hast Gutes getan. Strebe
ernstlich, und du wirst bald frei sein von Sinnenbegier, von Ichsucht
und von Irrwahn."

Wie um zu zeigen, daß er sich nicht mehr von Trauer überwältigen ließe,
fragte nun Ananda, indem er mit Gewalt seine Stimme beherrschte, was die
Jünger mit den sterblichen Resten des Vollendeten tun sollten.

"Laßt euch das nicht kümmern," antwortete der Buddha. "Es gibt weise und
fromme Anhänger unter den Adligen, unter den Brahmanen, unter den
bürgerlichen Hausvätern--sie werden den sterblichen Resten des
Vollendeten die letzte Ehre erweisen. Ihr aber habt Wichtigeres zu tun.
Gedenket des Ewigen, nicht des Sterblichen; eilet vorwärts, schauet
nicht zurück."

Und indem er seinen Blick im Kreise herumgehen ließ und jeden einzelnen
ansah, sprach er weiter:

"Es möchte sein, ihr Jünger, daß ihr also denkt: 'das Wort hat seinen
Meister verloren, wir haben keinen Meister mehr.' Aber so müßt ihr nicht
meinen. Die Lehre, ihr Jünger, die ich euch gelehrt habe, die ist euer
Meister, wenn ich von dannen gegangen bin. Darum haltet euch an keiner
äußeren Stütze. Haltet fest an der Lehre, wie an einer Stütze! Seid eure
eigene Leuchte, eure eigene Stütze."

Auch mich bemerkte er dann--voll Mitleid ruhte der Blick des
Allerbarmers auf mir, und ich fühlte, daß mein Pilgergang nicht
vergeblich gewesen war.

Nach einer kurzen Weile sprach er dann:

"Es möchte sein, ihr Jünger, daß in jemand von euch irgend ein Zweifel
aufstiege hinsichtlich des Meisters oder hinsichtlich der Lehre. Fragt
frei, ihr Jünger, auf daß ihr euch nicht später den Vorwurf zu machen
habt: 'der Meister war bei uns, von Angesicht zu Angesicht, und wir
haben ihn nicht gefragt.'"

Da er also gesprochen, also uns aufgefordert hatte, schwiegen Alle.

Wie hätte wohl auch da noch ein Zweifel bestehen können angesichts des
dahinscheidenden Meisters? Wie er dalag, von milden Mondstrahlen
überflutet--als ob himmlische Genien ihm das Sterbebad bereiteten; von
den niederregnenden Blüten bestreut--als ob die Erde ihren Verlust
beweine; inmitten der tief erschütterten Jüngerschar selber
unerschüttert, ruhig, heiter: wer fühlte da nicht, daß dieser vollkommen
Heilige auf ewig alles Unvollkommene abgetan, alle Übel überwunden
hatte? Was sie da "das sichtbare Nirvana" nennen, das sahen wir ja vor
uns in den leuchtenden Zügen des weltverlassenden Buddha.

Und Ananda faltete seine Hände und sagte, inniglich ergriffen:

"Wie wunderbar ist doch dies, o Herr! Wahrlich, ich glaube, in dieser
ganzen Versammlung ist auch nicht einer, in dem sich ein Zweifel regt."

Und der Erhabene antwortete ihm:

"Aus der Fülle deines Glaubens, Ananda, hast du gesprochen. Ich aber
weiß, daß in keinem sich ein Zweifel regt. Selbst wer am weitesten
zurück war, ist erleuchtet worden und wird schließlich das Ziel
erreichen."

Bei dieser Verheißung war es wohl jedem von uns, als ob eine starke Hand
ihm die Pforte der Ewigkeit auftue.

Noch einmal öffneten sich die Lippen, die der Welt die höchste und
letzte Wahrheit verkündet hatten:

"Wohlan, ihr Jünger, wahrlich, ich sage euch: vergänglich ist jegliche
Gestaltung. Ringet ohne Unterlaß!"

Das waren die letzten Worte des Erhabenen.




XLIV. VASITTHIS VERMÄCHTNIS


Und es waren die letzten, die ich auf Erden vernahm.

Meine Lebenskraft war erschöpft, das Fieber umnebelte meine Sinne. Wie
flüchtige Traumbilder sah ich noch Gestalten um mich her--Medinis
Gesicht war oft dem meinigen nahe. Dann wurde Alles dunkel. Plötzlich
aber war es mir, als ob ein kühles Bad meinen Fieberbrand lösche. Nein,
ich fühlte mich, wie ein Wanderer, in der Sonnenglut an einem Teiche
stehend, sich wohl vorstellen mag, daß die Lotuspflanze sich fühlen muß,
die, gänzlich in quellenkühles Naß getaucht, ihre Labung mit allen
Fasern einsaugt. Gleichzeitig hellte es sich nach oben auf, und ich sah
dort über mir eine große schwimmende, rote Lotusrose; und über ihren
Rand neigte sich dein liebes Gesicht hervor. Da stieg ich von selber
aufwärts und ich erwachte neben dir, im Paradiese des Westens!"

"Und gepriesen seist du," sagte Kamanita, "daß du, von deiner Liebe
gelenkt, jenen Weg nahmst. Wo wäre ich wohl jetzt, wenn du dich mir dort
nicht zugesellt hättest? Zwar weiß ich nicht, wohin wir uns aus den
Trümmern dieses schrecklichen Weltunterganges retten können--doch du
flößest mir Zuversicht ein, denn du scheinst von diesen Schrecknissen so
unerschüttert zu sein, wie der Sonnenstrahl vom Sturm."

"Wer das Größte gesehen hat, mein Freund, den bewegt das Geringere
nicht. Geringfügig aber ist ja dies, daß Tausende und Abertausende von
Welten vergehen, im Vergleich damit, daß ein vollendeter Buddha in das
Nirvana eingeht. Denn alles dies, was wir rings um uns sehen, ist nur
eine Veränderung, und alle diese Wesen werden wieder ins Dasein treten.
Jener hunderttausendfache Brahma, der sich zornglühend gegen das
Unabänderliche sträubt und wohl gar _uns_ neidisch ansieht, weil wir
noch ruhig leuchten: der wird auf irgend einer niedrigeren Stufe wieder
erscheinen, während vielleicht ein hochstrebender Menschengeist als der
Brahma entsteht; jedes Wesen aber wird sich dort befinden, wo sein
innerster Herzenswille und seine Geisteskraft es hinführt. Im ganzen
jedoch wird Alles sein wie es war, weder besser noch schlimmer; weil es
eben gleichsam aus demselben Stoff gemacht ist. Deshalb nenne ich dies
geringfügig. Und deshalb ist es nicht nur keineswegs schrecklich,
sondern sogar erfreulich, diesen Weltuntergang zu erleben. Denn wäre
diese Brahmawelt ewig, dann gäbe es ja nichts Höheres."

"So weißt du denn ein Höheres als diese Brahmawelt?"

"Diese Brahmawelt ist, wie du siehst, vergänglich. Aber es gibt ein
Unvergängliches, ein Ungewordenes. 'Es gibt,' sagt der Herr, 'eine
Stätte, wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Licht noch Luft, weder
Raumunendlichkeit noch Bewußtseinsunendlichkeit, weder Vorstellung noch
Nichtvorstellung. Das heiße ich, ihr Jünger, weder Kommen noch Gehen,
weder Sterben noch Geburt; das ist des Leidens Ende, die Stätte der
Ruhe, das Land des Friedens, das unsichtbare Nirvana.'"

"Hilf mir, du Heilige, daß wir dort, im Lande des Friedens,
auferstehen!"

"'Auferstehen'--hat der Herr gesagt--"das trifft dort nicht zu;
Nichtauferstehen, das trifft dort nicht zu. Womit du bezeichnend irgend
etwas greifbar machen und erfassen kannst--das trifft dort nicht zu.'"

"Was soll mir aber das Ungreifbare?"

"Lieber frage: was greifbar ist, ist das noch wert, die Hand danach
auszustrecken?"

"Ach, Vasitthi, wahrlich, ich glaube, einst muß ich einen Brahmanenmord
oder ein ähnliches Verbrechen begangen haben, das mich mit seiner
Vergeltung so grausam in dem Gäßchen Rajagahas traf. Denn wäre ich dort
nicht jäh ums Leben gekommen, so hätte ich dem Erhabenen zu Füßen
gesessen, ja gewiß wäre ich auch wie du bei seinem Nirvana zugegen
gewesen. Und ich würde sein wie du bist.--Aber wohlan, Vasitthi--während
uns noch Gedanken und Vorstellungen gehören, tue mir dies zu Liebe.
Beschreibe mir den Vollendeten genau, auf daß ich ihn im Geiste sehe und
somit das erreiche, was mir auf Erden nicht vergönnt war: gewiß wird das
mir den Frieden geben."

"Gern, mein Freund," antwortete Vasitthi. Und sie schilderte ihm die
Erscheinung des Vollendeten, Zug um Zug, auch nicht das Geringste
vergessend.

Aber mißmutig sagte Kamanita:

"Ach, was helfen Beschreibungen! Was du da sagst, das könnte alles
ebensogut auf jenen alten Asketen passen, von dem ich dir erzählt habe,
daß ich mit ihm zusammen zu Rajagaha in der Halle eines Hafners die
Nacht zubrachte, und der wohl nicht ganz so töricht war, wie ich
geglaubt habe, denn er hat doch, wie ich jetzt merke, manches Richtige
gesagt. Wohlan, Vasitthi, sage mir nichts mehr, sondern stelle dir im
Geiste den Vollendeten vor, bis du ihn siehst, wie du ihn zuletzt von
Angesicht zu Angesicht gesehen hast; und infolge unserer geistigen
Gemeinschaft werde ich dann vielleicht an dieser Vision teilnehmen."

"Gern, mein Freund."

Und Vasitthi stellte sich den Vollendeten vor, wie er im Begriff war, in
das Nirvana einzugehen.

"Siehst du ihn, mein Lieber?"

"Noch nicht, Vasitthi."

"Ich muß dies Phantasiebild versinnlichen," dachte Vasitthi.

Und sie sah sich im unermeßlichen Raume um, wo die Brahmawelt im
Erlöschen begriffen war.

Gleichwie etwa ein großer Erzgießer, wenn er die Form eines herrlichen
Götterbildes fertiggestellt hat, und es ihm an Erz gebricht um diese
Form zu füllen, sich nun in seiner Werkstatt umsieht; und was da alles
umhersteht an kleinen Götterbildern, Figuren, Vasen und Gefäßen, sein
ganzes Eigentum, das Werk seines Lebens,--das wirft er alles gern und
willig in den Schmelzofen, um dies eine herrliche Götterbild vollkommen
gießen zu können:

also sah Vasitthi sich im unermeßlichen Räume um:

und was da alles noch von erblassendem Licht und zerfließenden Formen
dieser Brahmawelt übrig war, das zog sie durch ihre Geisteskraft an
sich, den ganzen Raum entvölkernd, und bannte diese ganze Masse von
Astralstoff in die Formen ihrer Phantasie und schuf so im Räume ein
kolossales leuchtendes Bild des Vollendeten, wie er im Begriff war, in
das Nirvana einzugehen.

Und wie sie dies Bild sich gegenüber erblickte, erhob sich in ihr keine
Neigung, keine Wehmut.

Denn selbst der große Heilige Upagupta, als er durch die Zauberkunst
Maras, des Bösen, die Gestalt des längst gestorbenen Buddha zu sehen
bekam, da erhob sich in ihm Neigung, so daß er sich vor der
Trugerscheinung anbetend niederwarf und von Wehmut übermannt klagte:
"Wehe über diese erbarmungslose Unbeständigkeit, daß sie auch so
herrliche Gestalten auflöst! Denn der so herrliche Körper des großen
Heiligen unterlag der Vergänglichkeit und ist der Vernichtung
anheimgefallen."

Nicht aber so Vasitthi.

Unbewegt, gesammelten Geistes betrachtete sie die Erscheinung, wie ein
Künstler sein Werk, nur darauf bedacht, dieselbe Kamanita mitzuteilen.

"Jetzt fange ich an, eine Gestalt zu sehen," sagte dieser. "O halte sie
fest, laß sie noch deutlicher aufleuchten!"

Da blickte Vasitthi sich wieder im Raume um.

In seiner Mitte war noch der rotglühende, zornesblitzende Glanz des
hunderttausendfachen Brahma geblieben.

Und Vasitthi riß durch ihre Geisteskraft diese höchste Gottheit aus
ihrer Stätte und bannte sie in die Form der Buddhaerscheinung hinein. Da
erleuchtete sich diese und belebte sich, wie Einer, der einen stärkenden
Trank genießt.

"Jetzt seh' ich sie schon deutlicher," sagte Kamanita.

Da schien es Vasitthi, als ob der Buddha zu ihr spräche:

"So bist du denn gekommen, meine Tochter. Bist du mit deinem Spruch zu
Ende?"

Und wie man seinem Traumbilde antwortet, entgegnete Vasitthi:

"Ich bin damit zu Ende, Herr."

"Recht so, meine Tochter! Und der lange Weg hat dich nicht gemüht? Noch
bedarfst du der Hilfe des Vollendeten?"

"Nein, o Herr, ich bedarf nicht mehr der Hilfe des Vollendeten."

"Recht so, meine Tochter! Bei dir selber hast du Zuflucht genommen, in
deinem eigenen Selbst ruhest du, Vasitthi."

"Mein Selbst habe ich kennen gelernt, o Herr. Wie man die Blattscheiden
eines Pisangstammes aufrollt und findet darin kein Kernholz, aus dem
eine feste Stütze zu zimmern wäre; also habe ich da mein Selbst kennen
gelernt: ein Haufen wechselnder Gestaltungen, in denen nichts Ewiges
ist, worin man ruhen könnte. Und ich gebe dies mein Selbst auf: 'das bin
ich nicht, das gehört mir nicht'--also urteile ich darüber."

"Recht so, meine Tochter! Nur an der Lehre hältst du dich noch fest."

"Die Lehre, o Herr, hat mich zum Ziel gebracht. Wie einer, der mittelst
eines Flosses einen Strom durchquert hat, wenn er das jenseitige Ufer
betritt, das Floß nicht festhält, nicht mit sich schleppt: also halte
ich mich nicht mehr an der Lehre fest, lasse die Lehre fahren."

"Recht so, meine Tochter! Solcherweise nirgend anhänglich haftend, wirst
du bei mir am Orte des Friedens auferstehen."

"'Auferstehen,' hast du gesagt, o Herr, 'das trifft nicht zu.
Nichtauferstehen, das trifft nicht zu.' Und auch diese Lehre, daß weder
Auferstehen noch Nichtauferstehen zutrifft--auch die trifft nicht mehr
zu. Nichts trifft mehr zu, _und am wenigsten trifft das Nichts zu_. Also
hab' ich es jetzt verstanden."

Da lächelte die Buddhaerscheinung ein leuchtendes Lächeln.

"Jetzt werde ich auch die Züge gewahr," sagte Kamanita. "Wie ein
Spiegelbild in fließendem Wasser erkenne ich sie undeutlich. O, halte
sie fest, stätige sie, Vasitthi!"

Vasitthi sah sich im Raume um.

Der Raum war leer.

Da warf Vasitthi ihre eigene Körperlichkeit in die Astralmasse der
Erscheinung hinein.

Kamanita merkte, wie Vasitthi entschwand. Wie aber ein Sterbender ein
Vermächtnis hinterläßt, so hatte Vasitthi ihm jetzt das Buddhabild
vermacht, das mit ihm allein im Räume zurückblieb, und das er jetzt
deutlich erkannte.

"Jener alte Asket, mit dem ich in Rajagaha übernachtete und den ich
töricht schalt, das war ja der Vollendete! O über mich Toren! Gab es je
einen größeren Toren als mich? Was ich als das höchste Heil, als die
Erlösung selber ersehnte, das hab' ich ja schon seit Milliarden von
Jahren besessen!"

Da näherte sich ihm die Erscheinung wie eine heranziehende Wolke und
hüllte ihn in einen glänzenden Nebel ein.




XLV. WELTENNACHT UND WELTENGRAUEN


Wie in einer Festhalle, wenn alle Fackeln und Lampen ausgelöscht sind,
in einer Ecke vor einem heiligen Bilde ein Lämpchen noch brennen bleibt:
also blieb Kamanita in der Weltennacht allein zurück.

Denn wie seine Leiblichkeit in den Astralstoff jener Buddhaerscheinung
gehüllt war, so war seine Seele ganz und gar vom Buddhagedanken umhüllt:
und das war das Öl, welches die Flamme dieses Lämpchens speiste.

Das ganze Gespräch, das er in der Vorhalle des Hafners zu Rajagaha mit
dem Erhabenen gehabt hatte, stieg Satz für Satz, Wort für Wort in seiner
Erinnerung auf. Nachdem er es aber ganz durchgegangen war, hub er wieder
von vorne an. Und jeder Satz war ihm da wie eine Pforte, von der aus
sich neue Gedankenwege eröffneten, die wiederum zu anderen führten. Und
er wanderte sie alle, bedächtigen Schrittes, und nichts war da, was ihm
dunkel blieb.

Und während sein Geist da solchermaßen den Buddhagedanken in sich
hineinspann und verarbeitete, sog seine Körperlichkeit immer mehr von
dem sie umgebenden Astralnebel in sich, so daß dieser endlich
durchsichtig wurde. Und die Finsternis der Weltennacht fing an sich als
ein zartes Blau zu zeigen, das immer dunkler ward.

Da dachte Kamanita:

"Draußen herrscht nun die ungeheure Finsternis der Weltennacht. Einst
aber wird die Zeit kommen, da der Tag graut und eine neue Brahmawelt ins
Dasein tritt. Wenn mein Sinnen und Trachten nun darauf gerichtet wäre,
der hunderttausendfache Brahma zu sein, der diese Welt ins Leben rufen
wird, so sehe ich nicht, wer mir da den Rang ablaufen könnte. Denn
während alle Wesen jener Brahmawelt in Ohnmacht und Nichtsein versunken
sind, bin ich hier wach und geistesmächtig zur Stelle. Ja, ich könnte,
wenn ich wollte, in diesem Augenblick jene Wesen alle ins Dasein rufen,
jedes an seine Stelle, und den neuen Weltentag beginnen. Eins aber
könnte ich nicht: Vasitthi könnte ich nimmer wieder ins Dasein rufen.
Vasitthi ist davongegangen in jenem Entschwinden, das keine Daseinskeime
zurückläßt; kein Gott und kein Brahma kann sie finden. Was aber soll mir
ein Leben ohne Vasitthi, die im Leben das Schönste und Beste war? Und
was soll mir ein Brahmasein, über welches man hinausgehen kann? Was soll
mir die Zeitlichkeit, wenn es eine Ewigkeit gibt?

"Es gibt eine Ewigkeit und einen Weg in die Ewigkeit. Einst hat mich ein
alter Waldbrahmane gelehrt, daß um das Herz hundert feine Adern
gesponnen sind, durch welche die Seele in dem ganzen Körper
umherschweifen kann; eine einzige Ader aber gäbe es, die zum Scheitel
führe, und durch diese verlasse die Seele den Körper. So gibt es auch
hundert, ja tausend und hunderttausend Wege, die in dieser Welt
umherführen, durch mannigfache Leidensstätten, langwierige und
kurzwierige, schön ausgestattete und häßlich ausgestattete: Himmel und
Menschenwelt und Tierreiche und Höllen. Aber einen einzigen Weg gibt es,
der aus dieser Welt gänzlich hinausführt. Das ist der Weg in die
Ewigkeit, der Weg ins Unbetretene. Auf diesem Wege befinde ich mich
jetzt. Wohlan, ich will ihn zu Ende gehen."

Und er dachte den Buddhagedanken von dem zur Leidensvernichtung
führenden Wege immer weiter.

Und immer dunkler wurde das Blau der durchscheinenden Weltennacht.

Wie dasselbe aber anfing fast schwarz zu werden, leuchtete der neue
Brahma auf, ein hunderttausendfacher Brahma, der hunderttausend Welten
erleuchtet und erhält.

Und der Brahma ließ den frohen Weckruf ergehen:

"Wachet auf, ihr Wesen alle, die ihr diese ganze Weltennacht hindurch im
Schoße des Nichtseins ruhtet! Hierher, die neue Brahmawelt zu bilden,
den neuen Weltentag zu genießen, jeder an seiner Stätte, jeder nach
seiner Kraft!"

Und die Wesen und Welten tauchten aus dem Nichtsein der Finsternis
hervor, Stern an Stern, und wie Jauchzen von hunderttausend Stimmen und
Schall von hunderttausend Pauken und Muschelhörnern erklang es:

"Heil dem hunderttausendfachen Brahma, der uns zum neuen Weltentage
ruft! Heil uns, die wir berufen sind, den Weltentag mit ihm zu genießen,
seinen göttlichen Glanz selig widerzuspiegeln!"

Als Kamanita dies sah und vernahm, wurde er von tiefem Mitleid
ergriffen.

"Diese Wesen und Welten, diese Sternengötter und der hunderttausendfache
Brahma selber jauchzen dem Weltentage entgegen, erfreuen sich des
Lebens. Und warum? Weil sie es nicht kennen."

Durch dies sein Mitleid mit der Welt, mit den Göttern und mit dem
höchsten Gott überwand Kamanita den letzten Rest von Eigenliebe.

Aber er erwog nun:

"Auch während dieses Weltentages werden ja vollendete Buddhas
erscheinen, welche die Wahrheit verkünden. Wenn nun diese Gottheiten die
Heilswahrheit vernehmen und sich erinnern, daß sie im ersten Grauen des
Weltentages ein Wesen gesehen haben, das aus der Welt hinausging, dann
wird ihnen diese Erinnerung zum Vorteil gedeihen. 'Schon einer aus
unserer Mitte, gleichsam ein Teil von uns, ist auf jenem Weg
vorausgegangen,' werden sie sich sagen und das wird ihnen zum Heil
gereichen. Also helfe ich Allen, indem ich mir selber helfe. Denn
niemand kann in Wahrheit sich selber helfen, ohne Allen zu helfen."

Da bemerkten nun bald einige, dann immer mehrere der Sternengötter, daß
Einer da war, der nicht wie die anderen klarer und klarer leuchtete,
sondern vielmehr an Glanz abnahm.

Und sie riefen ihm zu:

"Heda, Bruder! Blicke doch auf den großen, den hunderttausendfachen
Brahma, auf daß dein Glanz sich erfrische, auf daß du aufleuchten mögest
wie wir! Auch du, Bruder, bist ja berufen, den Glanz des höchsten Gottes
selig widerzuspiegeln."

Als die Götter ihn so anriefen, blickte Kamanita weder hin, noch hörte
er hin.

Und die Götter, die ihn noch trüber werden sahen, wurden um ihn gar sehr
besorgt. Und sie wandten sich an Brahma:

"Großer Brahma! Erleuchter und Erhalter! O siehe doch dies arme Wesen,
das zu schwach ist, um mitzufolgen, dessen Glanz abnimmt, anstatt
zuzunehmen! O, richte doch deine Aufmerksamkeit auf ihn, erleuchte ihn,
erfrische ihn! Auch ihn hast du ja gerufen, damit er deinen göttlichen
Glanz selig widerspiegele."

Und der große Brahma, voll Fürsorge für die Wesen, richtete seine
Aufmerksamkeit auf Kamanita, um ihn zu erfrischen und zu stärken.

Aber der Glanz Kamanitas nahm trotzdem zusehends ab.

Da verdroß es nun den großen Brahma mehr, daß dies eine Wesen sich von
ihm nicht erhellen ließ und seinen Glanz nicht widerspiegelte, als es
ihn erfreute, daß hunderttausend Welten sich in seinem Lichte sonnten
und ihn jauchzend priesen.

Und er zog einen großen Teil seiner göttlichen Leuchtkraft von den
Welten zurück--Leuchtkraft genug, um tausend Welten zu entzünden--und
richtete sie auf Kamanita.

Aber der Glanz Kamanitas nahm immer noch ab, als ob er dem völligen
Erlöschen entgegenginge.

Nun geriet Brahma in große Angst, in große Besorgnis:

"Dieser eine entzieht sich meiner Macht--so bin ich denn nicht
allmächtig? Nicht kenn' ich den Weg, den er geht--so bin ich denn nicht
allwissend? Denn nicht erlischt jener, wie die Wesen im Tode erlöschen,
um je nach den Werken wiedergeboren zu werden; nicht, wie die Welten in
der Brahmanacht erlöschen, um sich wieder zu entzünden. Welches Licht
leuchtet denn ihm, daß er das meine verschmäht? So gibt es also ein
Licht, leuchtender als das meine? So gibt es also einen Weg, dem meinen
entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene? Werde ich wohl selber jemals
diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"

Und auch die Sternengötter alle gerieten in große Angst, in große
Besorgnis:

"Dieser eine entzieht sich der Macht des großen Brahma--so ist denn der
große Brahma nicht allmächtig? Welches Licht leuchtet wohl ihm, daß er
dasjenige des großen Brahma verschmäht? So gibt es denn ein Licht,
herrlicher als das göttliche, das wir selig widerspiegeln? So gibt es
also einen Weg, dem unseren entgegengesetzt--einen Weg ins Unbetretene?
Werden wir wohl jemals diesen Weg einschlagen--den Weg ins Unbetretene?"

Da erwog nun der hunderttausendfache Brahma:

"Wohlan, ich werde meine Leuchtkraft, die jetzt in dem Raume verbreitet
ist, wieder zurückziehen und werde alle diese Welten wiederum in das
Dunkel der Brahmanacht versenken. Und in einen einzigen Strahl gesammelt
werde ich mein Licht auf jenes Wesen richten, um es für diese meine
Brahmawelt noch zu retten."

Und der hunderttausendfache Brahma zog nun seine in dem Raume
verbreitete Leuchtkraft an sich zurück, so daß alle die Welten wieder in
das Dunkel der Brahmanacht versanken. Und indem er sein Licht in einen
einzigen Strahl sammelte, richtete er diesen auf Kamanita.

"Nun muß an dieser Stelle der strahlendste Stern meiner ganzen
Brahmawelt leuchten!" dachte er.

Da zog der hunderttausendfache Brahma diesen einzigen Strahl, mit
Leuchtkraft genug um hunderttausend Welten zu entzünden, an sich zurück
und verbreitete dann wieder sein Licht durch den ganzen Raum.

An der Stelle aber, wo er hoffte, den strahlendsten Stern leuchten zu
sehen, war nur noch ein verglimmendes Fünkchen zu entdecken.

Und während im unermeßlichen Raume Welten an Welten aufleuchtend und
aufjauchzend zum neuen Brahmatage sich hervordrängten, erlosch der
Pilger Kamanita gänzlich, wie eine Lampe erlischt, wenn sie den letzten
in ihren Docht aufgesogenen Öltropfen verzehrt hat.

Ende




NOTE


Mit Ausnahme der Begegnung des Buddha und des Pilgers in der Vorhalle
des Hafners (_Majjhimanikayo_ Nr. 140, wo aber der Pilger den Buddha
versteht und erkennt) und der Bekehrung Angulimalas[1] sind die in
diesem Buche erzählten Begebenheiten von mir frei erfunden--was ich
deshalb bemerke, weil einige Leser des Manuskriptes glaubten, ich hätte
irgend eine indische Sage bearbeitet. Nur die Schilderung des
Ballspieles habe ich aus _Dandins_ Novellenkranze _Daçakumaracaritam_
genommen; auch in der glänzenden Einleitung der deutschen Übersetzung
dieses Werkes--von _J.J. Meyer_--fand ich manchen guten Wink. Daß ich
zum Ausmalen des Milieus kulturhistorische Werke älteren und neueren
Datums--vor allen die _Jatakas_--benutzt habe, versteht sich wohl von
selber; von modernen Werken sei hier _Richard Schmidts_ "_Beiträge zur
indischen Erotik_" als ausgiebige Fundgrube erwähnt (Lotus-Verlag,
Leipzig 1902; in demselben Verlage ist Daçakumaracaritam erschienen).

 [1] XXXIV. Kap. Die Einzelheiten der Legende nach Majjh. No. 86. Doch
 ist das vereitelte Pfeilschießen von mir hinzugefügt. Das Höllenbild
 findet sich auch nicht dort, sondern in No. 50; die daran sich
 schließende Stelle vom Höllenrichter ist aus No. 130 genommen; die dann
 folgende Skala von den Vielen und den Wenigen gehört einem andern Teile
 des Kanons an (Anguttara-Nikayo--nach K.E. Neumanns "Buddhistischer
 Anthologie", p. 104 ff.).

Die echten Buddhaworte sind durch ihren Stil leicht als solche zu
erkennen--wiewohl einige nachgemachte (p. 140 bis 144) mit ihnen
verwechselt werden können. Sie sind meistens dem großartigen
Übersetzungswerke Dr. _Karl E. Neumanns_ "_Die Reden Buddhos_"
(Majjhimanikayo) entnommen. Aber auch dem epochemachenden und noch immer
unübertroffenen Werke Prof. _Oldenbergs_ ("Buddha") verdanke ich einige
wichtige Stellen.

Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die wenigen Upanishadstellen (p.
36ff., 129, 141) nach Prof. _Deussens_ "Sechzig Upanishads des Veda"
zitiert sind. Dem zweiten großen Übersetzungswerke dieses trefflichen
und unermüdlichen Forschers "_Die Sutras des Vedanta_" verdankt mein
_zehntes Kapitel_ seine Entstehung. Wenn dies kuriose Stück inhaltlich
eine Darstellung des Indischen Übermenschentums ist--als des äußersten
Gegensatzes zum Buddhismus--so ist es in seiner Form eine peinlich
genaue Nachbildung des vedantischen Sutrastils, mit der änigmatischen
Kürze des Textes, dessen eigentliches Prinzip--wie Deussen richtig
erkannt hat--darin besteht, nur Stichworte für das Gedächtnis,
keineswegs aber die für den Sinn wichtigen Worte zu geben; so konnte man
ohne Gefahr den Text schriftlich fixieren, da er doch von keinem
verstanden wurde, dem der Lehrer nicht auch mündlich den Kommentar
mitteilte, der dann gewöhnlich um so pedantisch umständlicher ausfiel.
Allerdings sind diese _Kali-Sutras_--wie der ganze Vajaçavas--eine
scherzhafte Fiktion von mir,--aber eine, glaube ich, von der jeder
Kenner des alten Indien zugeben wird, daß sie sich innerhalb der Grenzen
des Möglichen--ja sogar des Wahrscheinlichen--hält. Indien ist eben das
Land, wo auch der Räuber philosophieren muß und es gelegentlich bis zum
"wunderlichen Heiligen" treibt, und wo auch der Höllenwächter "höflich
bis zur letzten Galgensprosse" bleibt.

Sollte nun einen solchen Kenner die Lust anwandeln, mich wegen einiger
Ungenauigkeiten zu schulmeistern, so bitte ich ihn, zu bedenken, daß
der, der den "Pilger Kamanita" schrieb, wohl am besten weiß, welche
Freiheiten er sich genommen hat und warum. So hätte ich ja leicht
anstatt des späteren Sukhavati den Himmel der dreiunddreißig Götter
nehmen können und wäre dann korrekt geblieben. Aber was in aller Welt
hätte ich mit dreiunddreißig Göttern anstellen sollen, da ich nicht
einmal in Sukhavati für den einen Amithaba Verwendung hatte? So ließ
mich denn auch als Dichter die Frage recht kalt, ob das Mahabharatam
schon zur Zeit des Buddha existierte, und in welcher Form. Auch gestehe
ich gern, daß ich gar nicht weiß, ob man von Kusinara aus die
Schneegipfel des Himalaya erblicken kann, ja daß ich dies sogar sehr
bezweifle; wiewohl nicht der Entfernung wegen, da Schlagintweit aus noch
größerer den Gaurisankar von der Ebene aus gesehen hat. Dem sei nun wie
es wolle: ich bin der Ansicht, daß die Forderungen der Poesie denen der
Geographie vorangehen.

Dagegen würde ich mir nie erlaubt haben, am ursprünglichen Buddhismus
"poetischer" Zwecke halber auch nur den geringsten Zug zu ändern; denn
daß ich, wie gesagt, die später so höchst populäre Vorstellung von
Sukhavati hineingezogen habe, wird man mir nicht als eine solche
Entstellung anrechnen können, da doch der Sache nach identische
Vorstellungen im ältesten Buddhismus lebendig sind. Vielmehr ist es mir
ein Herzensbedürfnis gewesen, ein echtes Bild buddhistischer Lebens- und
Weltanschauung aufzurollen. Wenn Dr. _K.E. Neumann_, ohne dessen
Arbeiten diese Dichtung nicht hätte entstehen können, in seinem Nachwort
zum "Wahrheitspfad" vor dreizehn Jahren schrieb: "Die letzten
Jahrzehnte, die letzten Jahre haben uns erst Aufschluß darüber gegeben,
wer der Buddha war und was er gelehrt hat....Die Poesie des Buddhismus,
sein Innerstes, ist uns aber noch ein Buch mit fünf Siegeln. Eins nach
dem andern muß gelöst werden, wollen wir sein Herz verstehen
lernen....Nachdem die Gelehrten das Ihrige getan haben, komme nun der
Dichter und tue das Seinige: die Pali-Urkunden warten auf ihn. Dann erst
wird die Buddhalehre auch bei uns zum Leben erwachen, wird deutsch unter
Deutschen blühn"--so hoffe ich, daß mein gelehrter und verehrter
Freund--und vielleicht mancher mit ihm--in diesem Werk den Anfang der
Erfüllung jenes Wunsches begrüßen wird.

Dresden, September 1906                             Karl Gjellerup



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or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://www.gutenberg.org/fundraising/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit:
https://www.gutenberg.org/fundraising/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.