Prinzessin Sidonie (Band 2/3)

By Julius Bacher

The Project Gutenberg eBook of Prinzessin Sidonie (Band 2/3)
    
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Title: Prinzessin Sidonie (Band 2/3)


Author: Julius Bacher

Release date: November 13, 2023 [eBook #72113]

Language: German

Original publication: Leipzig: Verlag von Friedrich Fleischer, 1870

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PRINZESSIN SIDONIE (BAND 2/3) ***

                    Anmerkungen zur Transkription:

Das Original ist in Fraktur gesetzt.

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes. Folgende
Zeichen sind für die verschiedene Schriftformen benutzt worden:

    =antiqua gedruckter Text=
    ~gesperrt gedruckter Text~




                          Prinzessin Sidonie.


                                 Roman

                                  von

                            Julius Bacher.


                             Zweiter Band.


                            Illustration


                               Leipzig,
                    Verlag von Friedrich Fleischer.
                                 1870.




                            Erstes Kapitel.


Etwa zwei Monate waren über die näher bezeichneten Vorgänge dahin
gegangen. Den lichten, milden Herbsttagen waren die trüben und rauhen
Verkünder des nahenden Winters gefolgt. Nachtfröste und die nie
fehlenden Winde hatten Bäume und Gesträuche allgemach entblättert und
die Menschen in die behaglichen Wohnungen gedrängt, von wo aus sie dem
Walten in dem Naturleben gesicherter zuschauten und sich nun an den
häuslichen Vergnügungen ergötzten.

Dies war namentlich in den Hofkreisen der Fall, woselbst man eifrig
bedacht war, sich Amusements aller Art zu bereiten und in solcher Weise
den unbequemen Winter angenehm zu vertändeln.

Es war die eilfte Vormittagsstunde und wir sehen den Fürsten in einem
nichts weniger als prunkvollen, sondern vielmehr ziemlich einfach
ausgestatteten Gemach mit der Durchsicht einiger vor ihm liegenden
Papiere beschäftigt.

In dem Kamin brannte ein helles Feuer, obwol die Luft nur frisch,
jedoch nicht frostkalt war. Ebenso war der Fürst sehr warm gekleidet,
namentlich waren die Füße durch wärmende Hüllen und Decken geschützt.
Die rauhe Jahreszeit hatte sein altes Leiden, die Gicht, mit vermehrter
Heftigkeit herbei geführt und quälte ihn nun schon seit mehren
Wochen, indem es ihn zugleich am Arbeiten und dem Genuß der frischen
Luft hinderte und ihm überdies alle Lust an seinen gewöhnlichen
Zerstreuungen raubte. Die Stimmung des Fürsten war daher auch keine
gute, trotz der Bemühungen seiner vertrauten Freunde.

Während seiner Beschäftigung wurde ihm der Kammerherr, Chevalier
Boisière gemeldet, und der Fürst befahl, denselben sogleich eintreten
zu lassen. Der Chevalier besaß das besondere Vertrauen des Fürsten und
wurde von diesem zu mancherlei delicaten Diensten verwendet, wozu der
Franzose ganz ausgezeichnete Talente besaß.

Am Hofe in Paris alt geworden, in alle Intriguen desselben eingeweiht
und mit den reichen Erfahrungen eines genußvollen Lebens ausgestattet,
eignete er sich vortrefflich zu dem vertrauten Diener eines Fürsten, an
dessen Hof es nicht besser zuging, als an dem französischen.

Durch Genüsse erschöpft, war der einst sehr schöne Chevalier nur noch
ein Schatten von seiner ehemaligen Herrlichkeit. Er war sechzig und
einige Jahre alt, sein Antlitz mit feinen Runzeln durchfurcht, der
Mund wegen der Zahnlosigkeit eingefallen. Obgleich dürr und hinfällig,
glänzte doch sein dunkles Auge lebensvoll und verrieth die Frische des
Geistes, die ihm trotz seiner körperlichen Schwäche geblieben war. Er
besaß eine feine Bildung, Geist und Witz, die er in einer angenehmen
Weise geltend zu machen wußte, und war überdies in Haltung und Benehmen
ein vollendeter Hofmann. Kleidung und Toilette waren stets sauber
und geschmackvoll, ja der Chevalier verschmähte sogar Schminke und
Schönpflästerchen nicht, um seinen graubraunen Teint zu verbessern und
demselben einen jugendlichen Anstrich zu verleihen. Diese Sorgfalt war
denn auch der Grund, daß er um zehn Jahre jünger erschien, als er es
in der That war. Seiner geistigen Vorzüge, namentlich jedoch seiner
Geschicklichkeit in Ausführung der angegebenen Dienste wegen schätzte
ihn der Fürst ganz besonders und hatte ihn auch heute in seinem
persönlichen Interesse zu sich rufen lassen.

»Nun, Chevalier, bringen Sie Neuigkeiten?« fragte der Fürst, den
Eintretenden mit einem vertraulichen Kopfnicken begrüßend.

»Nichts von Bedeutung, mein gnädigster Fürst. Der Winter eignet
sich eben so wenig zum Krieg wie zum Hervorbringen von anderen
interessanten Vorgängen. Die Elemente wirken tiefer auf den Menschen,
als er eingestehen will, und die Kälte und todte Natur schläfern die
Leidenschaften ein; Winter und Alter verlangen nach Ruhe oder werden
vielmehr durch die ersteren dazu genöthigt.«

»Wie ich hier, =par exemple=, nicht wahr? Und Sie wollten mich
wahrscheinlich durch den Hinweis auf das allgemeine Naturgesetz mit
meinem Leiden aussöhnen? Ich danke Ihnen, Chevalier, wenngleich ich
Ihnen bekenne, sehr wenig Trost darin zu finden, da trotz alledem meine
Schmerzen kein Ende nehmen wollen. Doch Sie haben noch etwas anzuführen
vergessen, nämlich, daß die unfreundliche Jahreszeit uns auch unsere
Sorgen ernster erscheinen läßt, als dies sonst zu sein pflegt.«

»Sollte das bei meinem gnädigsten Fürsten etwa der Fall sein?«

»Ja, Chevalier, und ich darf Ihnen meine Sorgen wol nicht näher
bezeichnen, Sie kennen dieselben.«

»Diese beziehen sich also auf den Prinzen?«

»Natürlich; denn trotz aller meiner Bemühungen und alles Abwartens
währt die unselige Trennung zwischen ihm und der Prinzessin fort. Ich
sehe das Ende dieses Haders nicht und so mehrt sich die Sorge um die
Thronfolge. Ich bin alt und krank genug, um an das Sterben zu denken.
Der Tod kann mich überraschen, ehe die Erbfolge gesichert ist; da gebe
es dann bei des Prinzen Charakter dereinst viel Unruhe und Gefahr, und
diese möchte ich dem Staat gern ersparen.«

»In der That, ein übler Umstand,« bemerkte der Chevalier gedankenvoll.

»Ich bin überzeugt, die Prinzessin trägt keinen kleinen Theil der
Schuld, daß keine Aussöhnung zu Stande kommt. Zwar war des Prinzen
Treiben bisher allerdings nicht zu loben; er hat jedoch meinen
Vorstellungen Gehör gegeben, wie ich zu meiner Freude bemerkt habe.
Seit mehren Monaten verkehrt er fast gar nicht mehr mit der Residenz;
die Debauchen haben aufgehört, und er lebt seit dieser Zeit ziemlich
eingezogen und befleißigt sich der Staatsgeschäfte, ohne, so viel
ich weiß, eine Liaison zu haben. Er hat sich also sehr zum Vortheil
geändert, und dieser Umstand ließ mich mit Bestimmtheit die Herstellung
eines guten Einvernehmens mit der Prinzessin hoffen; statt dessen höre
ich, daß sie sich noch eben so fern als früher, ja man meint sogar,
noch ferner stehen.«

»Nach den Mittheilungen der Baronin Mühlfels -- die, wie mein gnädiger
Fürst weiß, meine vertraute Freundin ist -- muß ich diesen Umstand
durchaus bestätigen.«

»Nun, da sehen Sie, Chevalier, wie die Sache steht, und werden
erkennen, daß ich genöthigt bin, auf Mittel zu denken, diesem Uebel
auf irgend eine Weise sicher zu begegnen!« rief der Fürst, durch das
Vernommene sichtlich verstimmt.

Der Chevalier schaute bedenklich vor sich hin und der Fürst fuhr fort:

»An eine Trennung der Ehe mag ich nicht denken; ich scheue einen
solchen Eclat, wobei der Prinz und ich selbst, da ich diese Ehe
gestiftet habe, nicht eben gut fortkommen würden. Freilich ist an
diesem Zerwürfniß mehr der Prinz als die Prinzessin schuld; denn es
hätte Alles gut sein können, würde er die Prinzessin besser behandelt
oder ihr die schuldigen Rücksichten geschenkt haben. Denn sie war
anfangs ein stilles, geduldiges Wesen, bis es der Prinz zu toll machte,
und nun ist sie uns über den Kopf gewachsen. Sie hat in der letzten
Zeit eine Festigkeit und Selbstständigkeit bewiesen, die ich bei
dieser zarten Frau nie erwartet hätte. So ist an eine Erfüllung meines
Wunsches nicht zu denken, und das macht mich sehr besorgt und läßt
mich auf Mittel denken, diesem Uebelstande in einer geeigneten Weise
abzuhelfen. Was meinen Sie dazu?«

»Ich unterwerfe mich der Weisheit meines Fürsten,« entgegnete der
Chevalier, das feine Spitzentuch an die Lippen führend.

»Ja,« fuhr der Fürst, von dem Interesse des besprochenen Gegenstandes
erfüllt, eifrig fort, »ja, ließe sich der Prinzessin irgend eine
bedenkliche Schwäche mit Bestimmtheit nachweisen, so würde man einen
Anhaltpunkt für die Trennung gewinnen; ~so~ jedoch ist darauf nicht zu
hoffen. Sie ist zu tugendhaft, oder besser gesagt, sie besitzt keine
Leidenschaft.«

Der Chevalier hüstelte und ein feines, schlaues Lächeln umspielte
seinen Mund.

»Ihre Mienen deuten mir an, daß Sie meine Ansicht über der Prinzessin
Charakter nicht theilen,« bemerkte der Fürst, den Chevalier fest
anschauend.

»O, Pardon, mein Fürst! Wie sollte ich nicht?!« fiel der Letztere ein,
sich anmuthig verneigend, und fügte mit einem eigenthümlichen Ton
und Blick hinzu: »Mein hoher Gebieter weiß, daß der Hof Ludwig des
Fünfzehnten mich erzog und ich an demselben meine Erfahrungen über
weibliche Tugend gesammelt habe; ein Bedenken über Ihre Besorgniß, mein
Fürst, dürfte mir daher wohl gestattet sein. Ich meine, wir Menschen
besitzen im Allgemeinen keinen Ueberfluß an moralischen Vorzügen, und
aus dem einfachen Grunde, weil diese Vorzüge nicht beliebt, nicht
amüsant und -- auch nicht in der Mode sind. Dieses letztere ist sehr
wichtig in Bezug auf die Frauen, namentlich auf diejenigen, welche das
Glück genießen, die Luft des Hofes einzuathmen und aus ihren Elementen
sich die Grundsätze zu ihrem Leben zu bilden. Damit wäre ich denn
auch bei dem Tugend-Ueberfluß der Prinzessin angelangt,« schloß der
Chevalier lächelnd.

»So nehmen Sie das letztere an, Mangel an Leidenschaft, gewöhnlich die
Quelle unverdienter Tugenden!« fiel der Fürst ein, der durchaus Recht
behalten wollte.

Wiederum schaute der Kammerherr schweigend vor sich hin, während das
frühere bezeichnende Lächeln sich auf’s Neue geltend machte.

»Auch die zweite Voraussetzung scheinen Sie nicht zu billigen,«
bemerkte der Fürst nach kurzer Pause.

»Ich gestehe, mein Fürst, es ist so. Der Schein trügt am meisten bei
den Frauen, namentlich wenn sie noch so jung wie die Prinzessin sind.
Jede Frau besitzt nach meinen Erfahrungen hinreichende Leidenschaften,
um sich durch sie zu Thorheiten verleiten zu lassen; es kommt nur
darauf an, dieselben in der geeigneten Weise hervor zu rufen. Vorhanden
sind sie alle Zeit, welche Erkenntniß uns nur zu häufig überrascht.
So, meine ich, ist es auch mit der Prinzessin.«

»Wenn ich Ihnen auch Recht geben muß, so bin ich dadurch doch in
meinen Entschlüssen um keinen Schritt weiter gekommen. Was helfen
alle Betrachtungen, da die Situation ein bestimmtes Handeln fordert,«
fiel der Fürst ein. »Sie wissen, daß des Prinzen Tochter nach
den Staatsgesetzen zur Thronfolge nicht berechtigt ist; bei der
gegenseitigen Abneigung ist an keinen Thronerben zu denken; eine
Versöhnung des Paars ist eben so wenig zu erwarten, als eine Trennung
der Ehe zulässig: was läßt sich da thun?« --

Der Chevalier blickte den Fürsten mit einem Ausdruck in seinen Zügen
an, der unschwer den Zweifel an der Rathlosigkeit seines Gebieters
erkennen ließ; alsdann bemerkte er in vertraulichem Ton:

»=Corriger la nature!=« --

Der Fürst schaute nachdenkend vor sich hin und bemerkte nach kurzer
Pause:

»Das ginge; doch ich zweifle, daß sich die Prinzessin dazu verstehen
dürfte. Ich glaube, sie besitzt nicht den Muth dazu und hegt zu viele
Gewissensscrupel.«

»Der Muth wird sich finden, sobald sie weiß, daß der fürstliche
Oheim ihre Neigung nicht nur billigt, sondern dieselbe sogar als ein
nothwendiges Mittel zu Staatszwecken betrachtet.«

»Sie können Recht haben.« --

»Die Legitimität mancher Fürsten ist angezweifelt worden. -- Mein
Fürst kennt die Geschichte Ludwig des Vierzehnten.«

Der Fürst neigte beistimmend das Haupt, indem er lachend bemerkte:

»Lassen wir das! Wollten wir uns um die Erforschungen der Legitimität
der Menschen bemühen, wir würden da überraschende Dinge erfahren. Also
bleiben wir dabei: =Corriger la nature!=«

»Es wäre daher nur noch ein Bedenken zu beseitigen,« bemerkte der
Chevalier.

»Welches?« --

»Hinsichts des Prinzen. Man weiß, daß manche Väter durch den Segen des
Himmels oft sehr unangenehm überrascht werden.« --

»Ah, pah! Der Prinz ist über dergleichen fort! Es wird meine Sache
sein, seine Zustimmung zu unserm Plan zu erhalten; denn ich bin
überzeugt, er wird sehr zufrieden sein, sich in solcher Weise mit der
Ehe abfinden zu können.«

»Fast möchte ich es glauben; denn man spricht bereits von einer neuen
Liaison des Prinzen,« bemerkte der Chevalier.

»Wirklich? Nun um so besser! Wer ist die Dame?«

»Man kennt sie nicht; sie soll nicht in der Stadt wohnen, und der Prinz
beobachtet große Vorsicht, sie nicht zu verrathen. Man sagt, es sei
eine Fremde, aber jung und schön, und der Prinz sei bis über die Ohren
in das Mädchen verliebt.«

»O, nun erkläre ich mir sein Hiersein und eingezogenes Leben. Wie
konnte ich auch an eine wirkliche Besserung glauben. Der Prinz
ist unverbesserlich und ändert nur seine Neigungen. Aber ich wäre
zufrieden, würde er dadurch von dem wilden Treiben in der Residenz
abgehalten. Forschen Sie weiter, lieber Chevalier; ich möchte diese
Angelegenheit genau kennen, um ein richtiges Urtheil darüber zu
gewinnen. Ihre Nachricht kommt mir sehr gelegen; denn nun darf ich nach
Wunsch handeln. Es fragt sich nur, ob die Prinzessin mit angenehmen
Männern umgeht. Wie ich vernommen, empfängt sie meist nur ältere Männer
der Wissenschaft und Künste; von solchen, die unserm Plan entsprechen
dürften, weiß ich nichts.«

»Doch, mein Fürst, doch!« fiel Boisière ein und fügte mit einem
vertraulichen Lächeln hinzu: »Da ist der Baron Mühlfels, des Prinzen
Adjutant, bei den Frauen sehr beliebt und durch seine persönlichen
Vorzüge zu der ihm bestimmten Rolle sehr geeignet.«

»Sie haben Recht, Chevalier. Der Baron ist ein hübscher und gewandter
Mann, wir können das Beste von ihm erwarten,« bemerkte der Fürst.

»Der überdies bereits Ihren Wünschen entgegen kommt, mein Fürst.« --

»Wie das?«

»Seitdem der Prinz nicht mehr so viel in der Residenz lebt, hat man ihn
häufig bei der Prinzessin gesehen, ja man will bemerkt haben, daß er
sich um deren Gunst bewirbt und ihm Durchlaucht mit nicht gewöhnlichem
Wohlwollen entgegenkommt.«

»Das ist ja herrlich!« rief der Fürst erfreut. »So würde denn ohne
unser Zuthun vielleicht unser Wunsch erfüllt werden.«

»Das wäre allerdings noch eine Frage, wenn ich Sie recht verstehe, mein
Fürst --«

»Ah so!« fiel dieser ein. »Sie haben Recht. Nun, Sie könnten den Baron
mit meinen Wünschen bekannt machen und ihm dann wol alles Uebrige
überlassen.«

»Wenn Sie es befehlen, mein Fürst, soll es geschehen, und ich bin
gewiß, den Baron dadurch auf das Höchste zu beglücken.«

»Ich denke, der Prinz wird sich um so leichter über etwaige Bedenken
fortsetzen, wenn er erfährt, daß sein ihm so ergebener Freund von uns
ausersehen ist,« entgegnete der Fürst und fuhr alsdann fort: »Ihre
Mittheilungen haben mir in der That eine große Sorge genommen, mein
lieber Chevalier, und ich danke Ihnen bestens dafür. So wäre denn diese
Angelegenheit in der besten Weise geordnet und ich gestatte Ihnen
hinsichts derselben freies Handeln. Auch trifft es sich gut, daß des
Barons Mutter die Oberhofmeisterin der Prinzessin ist; diese Dame steht
in dem Ruf großer Geschicklichkeit, dergleichen Angelegenheiten zu
ordnen, und ihr Einfluß auf die Prinzessin müßte nicht ohne Werth sein,
falls wir desselben bedürfen sollten und sich die Sache nicht auch ohne
diesen nach Wunsch gestaltet.«

»Es dürfte nicht schaden, der Baronin einige passende Andeutungen zu
machen, um sie zu einem entsprechenden Handeln zu veranlassen.« --

»Das könnte geschehen, und Ihre Klugheit wird das Richtige zu wählen
wissen. Beobachten Sie den Fortgang dieser Angelegenheit recht sorgsam,
Chevalier, und bringen Sie mir, sobald irgend etwas von Bedeutung
geschehen sollte, sogleich Nachricht. Sie wissen, wie viel mir an der
Sache liegt. Mit dem Prinzen gedenke ich erst dann zu sprechen, wenn es
die Umstände erfordern.«

Mit diesen Worten entließ der Fürst den Chevalier, der, durch
die Unterredung sehr befriedigt, bereits die ihm durch die zarte
Angelegenheit in Aussicht gestellten namhaften Vortheile erwog, welche
ihm seiner Ueberzeugung nach und bei den von ihm gehegten Ansichten von
dem moralischen Gehalt der Menschen nicht entgehen konnten.

Wie er Sidoniens Charakter beurtheilte, haben wir erfahren; seine
Klugheit sollte das Uebrige thun, dessen war er gewiß.

Gewöhnt, die Ausführung seiner Absichten nie zu verzögern, begab er
sich sogleich zu Mühlfels, den er zu Hause fand und der weit entfernt
war, die Veranlassung des Besuchs zu ahnen.

Der Chevalier ließ sich bequem in einen Fauteuil nieder, und nachdem
er mit dem Baron allerlei Hofneuigkeiten besprochen, bemerkte er, die
Spitzenmanschette fältelnd, wie beiläufig:

»=A propos=, lieber Baron, man sagt, Sie machten Prinzessin Sidonie den
Hof --«

»Entschuldigung, Chevalier, wer sagt dies?« fragte Mühlfels lächelnd.

»Eine sonderbare Frage in der That! Was könnte ich Ihnen nicht Alles
darauf antworten! Ich könnte Diesen und Jenen, oder besser, ~Diese~
und ~Jene~ nennen; aber um discret zu bleiben, nenne ich Ihnen nur die
Luft, die Ihre Leidenschaft verrathen hat,« scherzte Boisière.

»Die Luft, die Luft!« rief Mühlfels lachend. »Sie haben Recht, lieber
Chevalier, die Luft hier ist zum Verrath von Geheimnissen hinreichend,
und so sehe ich nicht ein, warum ich mit dem Bekenntniß zurückhalten
soll, daß mir die Prinzessin gefällt.« --

»Gefällt, und weiter nichts?« fragte der Chevalier mit einem
zweifelnden Blick.

»Was soll ich Ihnen noch sagen?« lachte Mühlfels.

»Nun, was Sie mir verschweigen, daß auch Sie der Prinzessin gefallen.«

»Möglich!« warf Mühlfels selbstgefällig hin.

»Man sagt, Sie wären oft bei ihr, sie zeichnete Sie durch Aufträge aus,
die sie Ihnen giebt, kurz, man meint, Sie erfreuten sich ihrer Gunst --«

»Halt, halt, mein lieber Chevalier, Sie sprechen da vielerlei Dinge
in einem Athem, ohne zu erwägen, daß man dergleichen Subtilitäten ein
wenig discreter auffaßt!« rief Mühlfels lachend.

»Daß ich diese nicht anders berühre, muß Ihnen ein Zeichen sein, nicht
durch leidige Neugier, sondern durch eine wichtigere Veranlassung dazu
bestimmt worden zu sein,« bemerkte der Chevalier mit Nachdruck.

»Wie das?« -- fragte Mühlfels aufhorchend.

»Sie fragen und scheinen nicht zu bedenken, daß eine intimere Liaison
mit der Prinzessin unter den obwaltenden Umständen eine hohe Bedeutung
gewinnen kann. -- Ich denke, Sie verstehen mich, Baron.« --

»Bei Gott, Chevalier, Sie belieben sich in sehr ausschweifenden
Vermuthungen zu ergehen!« fuhr Mühlfels auf.

»Pah, pah, mein Freund! Eine Liaison mit einer schönen jungen Dame
gestattet dergleichen. Doch ich denke, wir kennen uns genügend, um
einander Vertrauen zu schenken.« --

»Gewiß, doch vergesse ich die Ehre nicht, in Ihnen den Vertrauten des
Fürsten zu sehen!« entgegnete Mühlfels lachend.

»Und ich versichere Sie, daß Sie dies nicht zu beklagen haben. Nehmen
Sie an, der Fürst interessirte sich für diese Liaison --«

»Ah!« stieß der Baron voll Ueberraschung hervor und blickte den
Chevalier forschend an.

Dieser hatte den Handschuh der rechten Hand abgezogen und seine feinen,
weißen und mit Ringen verzierten Finger nestelten wie vorher an der
Manschette, ohne daß er den Baron anschaute.

»Das überrascht Sie?« fragte er. »Ich finde es natürlich, da Sie ja
kaum ahnen konnten, daß Ihre Bemühungen um die Prinzessin von dem
Fürsten bemerkt werden würden.«

»In der That, in der That, so ist es, Chevalier!« fiel Mühlfels erregt
ein.

»Regen Sie sich nicht auf, lieber Baron; denn ich wiederhole Ihnen, der
Fürst interessirt sich für Sie.«

»Billigt er etwa meine Verehrung der Prinzessin?«

»Bevor ich Ihnen diese Frage beantworte, muß ich erst wissen, wie Sie
mit dieser stehen.«

»Viel gefordert, ohne dafür genügend gegeben zu haben,« entgegnete
Mühlfels lachend.

»Nun denn, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Ihr Vertrauen in keiner
Weise gemißbraucht werden, noch Ihnen zum Schaden gereichen soll,«
betheuerte der Chevalier ernst und voll Nachdruck.

»Ah so! die Sache ist ernst. Nun denn, so vernehmen Sie, daß mein
Verhältniß kein anderes ist, als Sie es vorher bezeichneten --«

»Sie haben jedoch Hoffnung, Ihre Bewerbungen angenommen zu sehen?« --

»Sie wissen, Chevalier, wenn man liebt, hofft man auch.«

»Sie weichen mir aus. Das paßt in unserm Fall nicht. Sie haben in der
Liebe Erfahrungen gesammelt, sind bei den Frauen beliebt, besitzen also
in dergleichen Dingen ein Urtheil; also nochmals, was erwarten Sie von
der Prinzessin?« --

»Sidonie ist keine gewöhnliche Dame; sie ist tugendhaft und« --
bemerkte der Baron mit einem Anstrich von Bedenklichkeit, die jedoch
irgend welchen Eindruck auf den Chevalier nicht hervorzurufen schien,
indem dieser ziemlich gleichmüthig einfiel:

»Sie fürchten, nicht ohne besondere Mühe ihre Gunst zu erlangen?«

»Ich muß es vermuthen.« --

»Haben Sie ihr Ihre Zuneigung zu erkennen gegeben?«

»So weit es mir ihre Zurückhaltung gestattete.«

»Jedenfalls ist also die Prinzessin damit bekannt und mißbilligt
dieselbe nicht?«

»Ich glaube, dies bejahen zu dürfen --«

»Warum führten Sie bisher nicht eine Entscheidung herbei? Die
Gelegenheit dazu, meine ich, hat Ihnen nicht gemangelt.«

»Allerdings, doch hielt mich ein besonderer Umstand davon zurück. Die
Prinzessin, scheint es, nimmt trotz des ehelichen Zerwürfnisses noch zu
viel Rücksicht auf ihren Gemahl.« --

»So, so« -- warf der Chevalier hin und bemerkte alsdann nach kurzer
Pause: »Sie glauben das; wie aber wenn Sie sich täuschen und es nur
eines geschickten Versuchs von Ihrer Seite bedürfte, um das Gegentheil
davon zu erfahren? -- Möchten Sie einen solchen wagen, wenn ich Sie
versichere, daß dieser so wie alles Weitere von dem Fürsten nicht nur
gebilligt, sondern sogar gern gesehen würde?« --

»Sie setzen mich in Erstaunen!« rief Mühlfels und schaute Boisière
fragend an.

»Ich glaube es; aber ich glaube dieses Erstaunen noch wesentlich zu
steigern, indem ich Ihrer Erwägung anheimgebe, in wie weit Sie diesen
Vortheil benutzen wollen, um auch etwaige Bedenken der Prinzessin zu
beseitigen.« --

»Sie haben da ein bedeutsames Wort ausgesprochen, Chevalier; das ist
mehr, als ich zu hoffen wagte. Dieser Vortheil wiegt schwer, und ich
zweifle an seiner guten Wirkung nicht.«

»Das denke ich auch; die Frauen haben es gern, ihren Schwächen ein
moralisches Mäntelchen umhängen zu können.«

»Aber der Prinz?!« fragte Mühlfels und schaute den Chevalier bedenklich
an.

»Den übernimmt der Fürst; Sie haben nichts von dem zu besorgen« --
bemerkte Boisière einfach und ruhig.

»Wie? So wäre diese Angelegenheit also schon in dem Cabinet erwogen?«

Der Chevalier nickte vertraulich, während er den Handschuh anzog und
alsdann glättete.

»Impossible!« rief der Baron überrascht und fragte dann: »Wie aber
erfuhr der Fürst meine Zuneigung?«

»Durch mich, lieber Baron,« entgegnete der Chevalier vertraulich und
unbefangen. »Ich hoffe Ihnen damit einen guten Dienst geleistet
zu haben; denn unter so hohem Schutz genießt sich die Liebe einer
fürstlichen Dame viel angenehmer,« fügte er mit einem cynischen Lächeln
hinzu.

»In der That, lieber Chevalier, ich bin Ihnen von Herzen für Ihre
Freundschaft dankbar; denn das Vernommene kommt meinen Wünschen
überraschend entgegen.«

»Von Ihnen wird es also abhängen, den Fürsten zufrieden zu stellen.
Alle Möglichkeiten sind erwogen, um, wenn es erforderlich wird, der
Welt eine passende Comödie vorzuspielen, wozu sich der Prinz leicht
verstehen dürfte, da, wie ich vernommen, er den Reizen einer schönen
Dame in ungewöhnlicher Weise huldigen soll, über welche er seine alten
Freunde und ihr wildes Treiben vergessen hat.« --

Er blickte Mühlfels fragend an; dieser legte jedoch mit einem
verneinenden Achselzucken die Hand auf den Mund und Boisière fuhr fort:

»Nun, nun, ich verlange keine Indiscretion! Aus den Wirkungen pflegt
man gemeinhin auf die Ursachen zu schließen, und wenn ich diesen
Satz auf den Prinzen anwende, so komme ich zu der Voraussetzung, daß
des Prinzen Geliebte ein ganz besonderes Mädchen sein muß, da sie es
verstanden hat, den flatterhaften Mann so sehr zu verwandeln. Der Fürst
ist damit zufrieden, da diese Liaison so vortheilhaft auf den Prinzen
gewirkt hat. Nun, wir werden hoffentlich bald Näheres darüber erfahren,
denn unsere Damen hier sind viel zu neidisch auf die der Unbekannten
geschenkte Gunst, um sich dabei leidend zu verhalten. Bald, denke ich,
werden sie das sonderbare Geheimniß ausgekundschaftet und damit die
erwünschte Gelegenheit gefunden haben, ihre scharfe Zunge daran zu
letzen: Es ist ein trauriges Schicksal der Fürsten und Großen, keine
Geheimnisse haben zu dürfen. Sein Sie bedacht, mein theurer Baron, daß
die verehrte Prinzessin diesem Schicksal nicht gleichfalls unterliegt.
Doch Sie sind ein kluger und vorsichtiger Mann, und ein solches
Geheimniß verbirgt sich leichter im offenen, freien Umgange als in dem
Versteck der Einsamkeit und der Nacht.«

Der Chevalier erhob sich, ergriff des Barons Hand und bemerkte in
vertraulichem Ton:

»Ich muß noch eine Bitte aussprechen. Sie kennen das Interesse des
Fürsten für Ihre Angelegenheit, und es kann Sie daher der Wunsch
desselben nicht überraschen, mit dem Fortgang derselben bekannt gemacht
zu werden. Wollen Sie mir also zu seiner Zeit Mittheilungen darüber
machen?«

»Des Fürsten Wunsch befreit mich von jeder Antwort.«

»Gut, gut, mein lieber Baron. Ich verlasse mich ganz auf Sie. Also viel
Glück! O, wer wie Sie noch jung und schön wäre! Aber, =tempi passati=!
O, Sie Beneidenswerther! Sidonie ist mehr interessant als schön; doch
das läßt noch keinen Schluß zu, was sie in der Liebe ist. Da erscheinen
die Frauen oft mit ganz neuen, nicht geahnten Reizen. O die süßen
kleinen Frauen! =Au revoir, mon cher ami, au revoir!=«

Er umarmte den Baron zärtlich und entfernte sich alsdann, um der
Oberhofmeisterin einen Besuch zu machen und bei dieser Gelegenheit die
von dem Fürsten gewünschten Notizen über des Prinzen neue Liaison zu
sammeln.

Er kannte nämlich den Verkehr des Prinzen in dem Hause der Baronin und
wußte überdies, welche Dienste diese dem Ersteren geleistet; es war
also keine Frage für ihn, daß sie auch bei dieser Liaison die Hand
im Spiel hatte, und es daher seiner Geschicklichkeit gelingen müßte,
sie zu den gewünschten Aeußerungen zu veranlassen. Er gedachte ihr
überdies Andeutungen hinsichts der soeben mit ihrem Sohn besprochenen
Angelegenheit zu machen und es ihr anheim zu geben, in wie weit sie
dabei auf die Prinzessin einzuwirken für gut fand. Eine so erfreuliche
Mittheilung, sagte er sich, war aber auch zu vertraulichen Aeußerungen
sehr geeignet, und so hoffte er seinen Zweck bestimmt zu erreichen.

Mühlfels blieb nach des Chevaliers Entfernung in der glücklichsten
Stimmung zurück.

Was ihm der Chevalier mitgetheilt, kam ihm eben so unerwartet, als
es seine kühnsten Wünsche überflügelte. Der Fürst billigte nicht nur
seine Zuneigung zu der Prinzessin, sondern wünschte dieselbe sogar,
indem er zugleich bedacht war, ihr wie ihm jedes Hinderniß und jede
Bedenklichkeit zu nehmen. Den Grund zu alledem erkannte Mühlfels
nur zu wohl, und dieses Bewußtsein gewährte ihm eine bezaubernde
Aussicht, die ihm die glänzendste Zukunft verhieß. Vor allen Gefahren
gesichert, durch den Wunsch des Fürsten ermuthigt, dessen Erfüllung
seine Eigenliebe zugleich herausforderte; von der Täuschung erfüllt,
Sidoniens Gunst bereits gewonnen zu haben, und mit den Mitteln
ausgestattet, ihr jedes Bedenken zu nehmen, gedachte er nun die erste
Gelegenheit zu benutzen, ihr seine Liebe zu gestehen und sich derselben
voraussichtlich bald zu erfreuen.

Während dieser Ueberlegung hatte der Chevalier das Haus der Baronin
erreicht und wurde von dieser in der freundlichsten Weise empfangen.
Zeigte Boisière bei Mühlfels den Cavalier, so bei der Baronin den
galantesten Hofmann. Als er sie begrüßte, ergriff er ihre Hand, führte
sie an Lippen und Brust, indem er, die Baronin zärtlich anschauend, im
Lispelton bemerkte:

»Wie beglückt es mich, meine theure Freundin in so blühendem Wohlsein
zu finden!« Und nochmals drückte er ihre Hand an das Herz.

»Ich freue mich, Ihnen dieses Compliment zurück geben zu können,«
entgegnete die Baronin.

»O, Sie schmeicheln, meine Gnädigste! Ein alter, gebrechlicher Mann und
eine schöne, liebreizende Dame! O, wie paßt das zusammen!« entgegnete
der Chevalier seufzend und hüstelnd.

»Nun, nun, mein Freund, so arg ist es denn doch noch nicht! Schönheit
und Geist sind unzerstörbar wie Diamant.«

»Ja, bei Gott, Sie selbst überzeugen mich auf das Angenehmste von
dieser Wahrheit,« rief der Chevalier, die Baronin zärtlich anschauend.

»Immer der feine, galante Hofmann!« sprach die Letztere selbstgefällig
und geschmeichelt, während sie dem Gast einen Fauteuil zuschob und sich
selbst in die Kissen des Divans sinken ließ.

»Ich komme soeben von Ihrem Sohn, meine Gnädigste, und war so
glücklich, ihm eine sehr angenehme Botschaft zu überbringen,« bemerkte
Boisière mit einem vielsagenden, vertraulichen Blick.

»Sie überraschen mich, mein Freund! Was ist es?« fragte die Baronin
voll Neugier.

»Eine delicate Angelegenheit.« --

»Sie steigern meine Neugier.« --

»Es betrifft die Prinzessin.« --

»Die Prinzessin? Wie soll ich Sie verstehen?«

Der Chevalier hüstelte ein wenig, ergriff alsdann ihre Hand, neigte
sich zu ihr und entgegnete in leisem Ton:

»Der Baron verehrt die Prinzessin; Serenissimus hat davon Kenntniß
erhalten und sich in Folge dessen veranlaßt gesehen, Ihrem Sohn durch
mich einen gnädigen Wink darüber geben zu lassen. Sie werden mich
verstehen.«

»Sie setzen mich durch eine so überraschende Mittheilung in das
glücklichste Erstaunen!« rief die Baronin und blickte den Chevalier
gespannt an.

Dieser kam ihren Wünschen, mehr zu vernehmen, sogleich entgegen,
theilte ihr das uns bereits Bekannte ziemlich ausführlich mit und
steigerte dadurch die Freude und das Erstaunen der Baronin in hohem
Grade.

»Ich finde keine Worte, meine Empfindungen über das Vernommene
auszudrücken! Also der Fürst wünscht --«

»Sie kennen die Verhältnisse zu genau, meine Freundin, um die
Intentionen unseres Fürsten nicht natürlich zu finden.« --

»Gewiß, gewiß, mein lieber Chevalier. Die Staatspolitik hat andere
Grundsätze, nach denen sie verfährt und verfahren muß, als sie in den
untergeordneten Lebensverhältnissen obwalten, und man darf bei ihr
nicht den gewöhnlichen Maßstab der Beurtheilung ihrer Arrangements
anwenden,« bemerkte die Baronin altklug und wichtig.

»Um so mehr beglückt es mich, Ihren Sohn durch das Vertrauen
Serenissimi beehrt zu sehen. Ich darf Sie nicht an die Vortheile
erinnern, welche sich damit nicht nur allein für ihn verbinden,« --
bemerkte Boisière vertraulich und bedeutungsvoll.

»Eine glückliche Intention des Fürsten!« rief die Baronin erfreut.

»Zu welcher ich ein wenig in Ihrem Interesse und dem Ihres Sohnes
beigetragen habe,« -- bemerkte Boisière leichthin und selbstgefällig.

»Eine Güte, die Ihres edeln Herzens würdig ist und uns zu dem tiefsten
Dank verpflichtet,« entgegnete die Baronin und reichte ihm die Hand.

»Sie wissen, süße Frau, daß es dessen nicht bedarf und ich den
schönsten Lohn in dem Glück meiner Freunde finde,« sprach der Chevalier
ablehnend und die Lippen auf die dargebotene Hand drückend, und fuhr
alsdann vertraulich fort: »Uebrigens, meine Freundin, liegen die
Verhältnisse auch so, daß der Fürst zu irgend einem wirksamen Schritt
genöthigt ist. Bedenken Sie die Erbfolge! -- An eine Aussöhnung
zwischen dem Ehepaar ist jetzt um so weniger zu denken, da, wie Ihnen
wahrscheinlich nicht unbekannt sein wird, der Prinz in den Fesseln
einer bezaubernden Armida schmachten soll, aus denen keine Rückkehr zu
der einfachen Prinzessin zu erwarten ist.« --

Der Chevalier schwieg und blickte die Baronin an; sie schlug ein wenig
verlegen die Augen nieder, faßte sich jedoch rasch und entgegnete:

»Sie glauben das?« --

»Ich spreche nur das Gehörte nach; doch hoffe ich Bestimmteres aus dem
Munde meiner theuren Freundin zu vernehmen.« --

Die Baronin hüstelte; die von dem Chevalier ausgesprochene Erwartung
war ihr nichts weniger als angenehm, da dieselbe sie zu Mittheilungen
herausforderte. Aus den angeführten Gründen durfte sie jedoch nichts
verrathen und befand sich daher in nicht geringer Verlegenheit wegen
einer passenden Antwort. Doch war sie viel zu schlau in dergleichen
Angelegenheiten, um nicht das Geeignete zu finden, und so entgegnete
sie scheinbar unbefangen und leichthin:

»Mein verehrter Freund muthet mir mehr zu, als ich zu leisten vermag.«
--

»In der That, meine gnädigste Baronin?« fragte Boisière überrascht.

»Erwägen Sie selbst, cher ami. Wenn mir der Prinz auch früher bisweilen
die Ehre seines Besuchs schenkte, so darf ich mich dennoch nicht seines
Vertrauens rühmen, um so weniger in einer Angelegenheit, die er selbst
sehr discret behandelt und wahrscheinlich auch also von Jedermann
behandelt wissen will.« --

»Sie haben Recht, ganz Recht, meine Beste!« fiel der Chevalier eifrig
und eingehend ein und fügte hinzu »Ich habe mir das bereits selbst
gesagt und würde Sie daher auch nicht mit einer Frage belästigt
haben, betrachtete der Fürst diese Liaison nicht mit günstigen Augen
und stände dieselbe nicht in einem so genauen Zusammenhange mit der
Angelegenheit Ihres Sohnes.« --

»In der That, das hatte ich nicht bedacht!« fiel die Baronin etwas
unruhig ein.

»Sie werden überdies des Fürsten Wunsch natürlich finden, genügenden
Aufschluß über dieses Verhältniß zu erhalten, und da wäre es mir in
Ihrem Interesse, meine theure Freundin, angenehm gewesen, hätten Sie
sich Ansprüche auf des Fürsten Dank durch irgend welche Mittheilungen
sichern können.« --

»Sie meinen also, dem Fürsten läge etwas an der Kenntniß dieser
Liaison?« fragte die Baronin gespannt.

»Sie können denken! Er verehrt die Dame in hohem Grade, der es
gelungen ist, seinen flatterhaften Neffen zu einem ernsten Menschen
umzuwandeln, und so kann es Sie nicht überraschen, wenn er auch die
näheren Verhältnisse derselben kennen zu lernen wünscht.«

»Sie haben Recht und ich theile Ihre Ansicht; indessen, wenn ich auch
etwas wüßte, so darf ich dennoch nichts verrathen.«

»Ich verstehe, meine Gnädige, und lobe Ihre Discretion. Man muß stets
wissen, wie viel und was man in dergleichen Angelegenheiten sagen darf,
und so will ich nicht weiter in Sie dringen, obgleich ich bedaure,
daß Ihnen unter solchen Umständen der Dank des Fürsten entgehen muß,«
bemerkte der Chevalier mit einem forschenden Blick auf die Baronin.
Zugleich erhob er sich und machte Miene, sich zu entfernen.

»Bleiben Sie doch, lieber Chevalier! Sie haben doch nicht so große
Eile?! Wir plaudern noch ein wenig,« beeilte sich die Baronin voll
Erregung zu bemerken, indem sie zugleich seine Hand ergriff und ihn auf
den Sessel zog.

»Wie Sie befehlen, meine Gnädigste. Sie wissen, es ist mir stets ein
hoher Genuß, mich Ihrer Nähe erfreuen zu dürfen,« sprach der Chevalier,
die einladende Hand zärtlich küssend, worauf er den Sitz wieder
einnahm. »Ja, ja,« fuhr er alsdann unbefangen fort, »es muß in der That
ein ganz besonderes Wesen sein, dem es gelungen ist, unsern Prinzen zu
fesseln. Man sagt, sie sei aus Paris oder sonstwo ganz in der Stille
angekommen und lebe hier im Verborgenen. Das Wunderbarste dabei
ist freilich, wie und wo sie der Prinz kennen gelernt hat, und man
zerbricht sich darüber die Köpfe, ohne doch eine Erklärung zu finden.«

»Ich kann es mir denken; denn diese Liaison ist auch wirklich unter
ganz besonderen Umständen angeknüpft worden,« entgegnete die Baronin
lächelnd und selbstgefällig. »Ich erfuhr darüber durch eine Freundin
Mancherlei, was ich vielleicht weiter sprechen dürfte. -- Es soll also
Alles unter uns Drei bleiben?« fragte sie.

»Gewiß, liebste Baronin, und ich sehe nicht ein, was Sie wagen,
sich des Fürsten Dank zu verdienen? -- Früher oder später würde
er diese Geschichte doch immer erfahren, und so ist es jedenfalls
für Sie vortheilhafter, wenn er sie von Ihnen erfährt. Von meiner
Verschwiegenheit sind Sie hoffentlich überzeugt.«

»Ich bin es, mein Freund, und glaube überdies, daß mich die Pflicht
gegen den Fürsten der Rücksicht gegen den Prinzen überhebt.«

»Das darf gewiß nicht bezweifelt werden!« versicherte Boisière, und die
Baronin fuhr fort:

»Ich habe dem Prinzen allerdings das tiefste Schweigen gelobt; doch
vertraue ich des Fürsten und Ihrer Discretion, mein Freund, und so
hören Sie denn.«

Mit wenigen Worten theilte sie ihm alsdann das uns bereits Bekannte mit.

»Der Fürst,« schloß sie, »wird sehr überrascht sein, zu erfahren, daß
nicht eine vornehme Dame, sondern ein einfaches Naturkind den Prinzen
in so hohem Grade zu fesseln wußte.«

Der Chevalier hatte ihrer Mittheilung mit gespannter Aufmerksamkeit
gelauscht; als sie endete, bemerkte er lachend:

»Also eine Liaison =à la Louis quatorze=! Ich habe so etwas von dem
Prinzen erwartet. Die vornehmen Damen hatte er längst satt, ich habe
es bemerkt, da konnte ein solcher Rückschlag nicht ausbleiben. Chacun
à son goût! Das ist die Parole! Ich bin überzeugt, daß das, was den
vornehmen Damen nicht gelang, diesem Mädchen gelingen wird. Sie
werden es erleben, meine theure Baronin, daß sich der Prinz wirklich
in das Mädchen verliebt, wenn es nicht schon geschehen ist, und sie
von ungeheuerm Einfluß auf uns Alle werden kann! =Voilà tout!= Ein
Landmädchen! Diese Nachricht wird dem Fürsten große Freude bereiten,
da alle die Unbequemlichkeiten und Rücksichten, welche eine Liaison
mit Damen aus der bessern Gesellschaft bedingen, in diesem Fall nicht
in Frage kommen. Passen Sie auf, liebste Baronin, diese Art Liebschaft
wird viele Nachahmer finden, und kommt dergleichen erst in Mode, so
werden die Landmädchen im Preise steigen!«

Und er lachte mit Behagen.

»Sie werden mich nicht verrathen, liebster, bester Freund,« bat die
Baronin.

»Mein Wort zum Pfande! Warum sollte ich es auch? Dafür werden schon
Andere sorgen. Also kein Bedenken. Aber ich gratulire Ihnen auch,
meine Freundin; denn der Fürst wird Ihnen sehr dankbar sein. Diese
Liaison wird ihm viel Vergnügen bereiten und seine ganze Billigung
finden, da sie so vortreffliche Wirkungen ausübt. Ueberdies ist sie
auch im Hinblick auf den Wunsch des Fürsten hinsichts Ihres Sohnes
von großer Bedeutung; je fester der Prinz von den Fesseln seines
Landmädchens umsponnen wird, um so gerechtfertigter ist auch des
Fürsten Absicht. Ich wünsche Ihnen nochmals Glück!«

Also redete der Chevalier in der besten Stimmung und indem er der
Baronin Hand wiederholt an die Lippen führte; alsdann schied er, nicht
wenig stolz, Serenissimi so pikante Nachrichten überbringen zu können
und sich dessen Dank zu erwerben.

Seine Erwartungen wurden in der That nicht getäuscht. Der Fürst zeigte
sich nicht nur sehr zufrieden mit dem Vernommenen, sondern es erregte
auch seine besondere Heiterkeit, daß der Prinz sich in eine solche
idyllische Liebe zurück gezogen hatte.

»Es ist gut ~so~,« bemerkte er. »Dergleichen niedere Personen gewinnen
keinen Einfluß bei Hofe, da ihnen Interessen dieser Art ganz unbekannt
sind. Ohne Ehrgeiz und Ansprüche, sind sie durch ihre glänzende Lage
vollkommen zufrieden gestellt, und man kann sie überdies nach Belieben
seiner Zeit bequem beseitigen. So käme uns diese Angelegenheit denn
sehr nach Wünschen, und was Sie mir über den Baron mitgetheilt haben,
läßt mich an einem guten Erfolg nicht zweifeln. -- Der Prinz,« fuhr er
nach einer Pause fort, »darf in seiner Schwärmerei durchaus nicht durch
aufdringliche Neugier gestört werden; je länger diese Liebschaft währt,
um so besser. Von meiner Seite soll nichts geschehen und ich will
thun, als ob ich nicht die geringste Kenntniß davon besäße; doch kann
es nichts schaden, wenn Sie derselben im Geheimen Ihre Aufmerksamkeit
zuwenden, damit ich stets über Alles unterrichtet bin. Im Uebrigen
reinen Mund, Chevalier. Versichern Sie die Baronin meiner Gnade für
den mir geleisteten Dienst und beruhigen Sie sie hinsichts der von ihr
besorgten Indiscretion. -- Ja, ja,« schloß der Fürst lachend, »eine
Liaison =à la Louis quatorze=! Die schöne Gabriele und ihr königlicher
Schäfer! Nun, man darf des Prinzen Geschmack nicht tadeln. Die
Waldblume bleibt, obgleich sie auch nur im Walde aufblühte, doch immer
eine Blume!«

Lachend entließ er den Chevalier, der seinerseits von diesem Augenblick
an bedacht war, die besten Wege aufzufinden, sich die von dem Fürsten
gewünschten Aufklärungen über des Prinzen Liebschaft zu verschaffen.
Diese Angelegenheit hatte einen ganz besondern Reiz für ihn, und mit um
so größerem Vergnügen ging er an seine Thätigkeit.




                           Zweites Kapitel.


Die ersten Schneeflocken senkten sich aus dichtem Gewölk sanft auf
die Erde nieder, durch keinen Luftzug gestört, hafteten hin und her
an, um bald zu zerfließen oder sich an einem kälteren Gegenstand als
Winterzeichen zu behaupten. Die der Erde fernstehende Sonne vermochte
die Wolken nicht zu durchdringen, noch auch ihr freundliches Licht
geltend zu machen; es war ein recht trüber, melancholischer Tag.

Sidonie saß allein in ihrem Gemach und entlockte der in ihren Armen
ruhenden Harfe die letzten Töne eines Musikstücks, das sie soeben
beendete. Leise vertönten die traurigen Accorde; sie lehnte das Haupt
gegen das Instrument und verlor sich in trüben Gedanken. Fast drei
Wochen waren nun schon über den von dem Grafen zu seiner Rückkehr
bestimmten Zeitpunkt dahin gegangen, ohne daß er sein Versprechen
erfüllt hatte.

Allerlei Zweifel und Bedenken waren in Folge dieses Fernhaltens in
ihr aufgestiegen. Wie nahe lag die Besorgniß, der Graf erachte es
vielleicht wie früher für besser, sein Versprechen nicht zu halten und
Sidonie so allmälig an den Gedanken seiner dauernden Entfernung zu
gewöhnen.

Wie sehr litt sie unter dieser Vorstellung, obgleich sie sich nicht für
berechtigt erachtete, dem Geliebten darum einen Vorwurf zu machen.
Durfte sie denn verlangen, daß er ihr sein Leben opferte und die sich
ihm darbietenden angenehmen Stunden für so Geringes austauschte, was
sie ihm dafür zu bieten vermochte? -- Nein, nein, das konnte und wollte
sie nicht. Dann fiel es ihr wieder ein, der Graf könnte, von seinen
Verwandten gedrängt, vielleicht auch durch eine schöne Dame veranlaßt,
an eine Vermählung denken. -- -- Er war der älteste Sohn der Familie
und hatte Rücksichten auf diese zu nehmen. Sie erbebte, aber nur für
einen Augenblick, alsdann schalt sie sich wegen dieser Besorgnisse, die
den Geliebten beleidigen mußten. Doch was ersinnt sich nicht Alles das
zagende, unglückliche Herz, um sich zu beruhigen und zu quälen.

Ihren Mund umspielte ein süßes Lächeln; sie erwog, daß der Graf, hätte
er sich vermählen wollen, dies dann wol schon in den verflossenen
Jahren gethan haben würde, und der Gedanke schmeichelte sich in ihre
Seele, daß ihre Liebe ihm genüge und genügen würde sein Leben lang.
Hatte sie es nicht schon früher von seinen eigenen Lippen vernommen?
-- Sie war eine Thörin, sich mit dergleichen üblen Vorstellungen und
Zweifeln zu quälen. Warum sollte er auch fern bleiben? -- Gestattete
ihre unabhängige Lage nicht einen ungezwungenen Verkehr mit ihm, der
zu süß und beglückend war, um ihm nicht zu genügen. Auch durfte er
ihretwegen nichts mehr befürchten. Vereinsamt und kaum beachtet lebte
sie; Niemand kümmerte sich um ihr Thun, und so durften sie sich an
einander ohne Sorge erfreuen.

Obwol diese Betrachtungen angenehmer Art waren, vermochten dieselben
dennoch ihre trübe, nachdenkliche Stimmung nicht aufzuheben. Ihr
Gesichtsausdruck verrieth dieselbe, in welchem sich der eingewohnte
Schmerzenszug jetzt mehr denn sonst geltend machte.

Sie wurde ihrem trüben Nachsinnen durch die Meldung entzogen, daß Baron
Mühlfels ihr aufzuwarten wünsche. Sie erinnerte sich, ihm vor einiger
Zeit einen Auftrag wegen eines Künstlers gegeben zu haben, und in der
Voraussetzung, er wolle ihr darüber berichten, ließ sie ihn sogleich zu
sich führen.

»Ich bin so glücklich, Eurer Hoheit mittheilen zu können, daß der von
Ihnen gewünschte Künstler innerhalb eines Monats hier anlangen wird
und sich hochgeehrt fühlt, Eurer Hoheit mit seinen Diensten alsdann
aufwarten zu dürfen,« berichtete Mühlfels, nachdem er die Prinzessin
hochachtungsvoll begrüßt hatte.

»Das ist eine erfreuliche Nachricht, lieber Baron, und ich danke Ihnen
bestens dafür. Meine Soiréen werden dadurch um einen wesentlichen Genuß
vermehrt werden, was mir ungemein lieb ist. Sie haben wol mancherlei
Mühe dieserhalb gehabt?« entgegnete Sidonie in dem ihr natürlichen
herzlichen Ton.

Mühlfels blickte die Prinzessin mit dem Ausdruck tiefster Ergebenheit
an, die jedoch auch zugleich eine Deutung zärtlicher Empfindungen
gestattete. Ihm entging ihr Trübsinn nicht, und theilnahmsvoll
entgegnete er:

»Wie beglückt würde ich mich fühlen, wäre es mir gestattet, mein
ganzes Leben dem Dienst Eurer Hoheit zu weihen! O, wie sehr beklage
ich es, so wenig zur Erheiterung Ihres betrübten Herzens beitragen zu
können!«

Durch diese Versicherung angenehm bewegt, entgegnete Sidonie freundlich:

»Ich danke Ihnen für Ihre Ergebenheit und erinnere Sie, daß es uns
schon genügt, bei unseren Freunden so gute Gesinnungen voraussetzen zu
dürfen. Diese gelten statt der That.«

»Eine wahre Gesinnung verlangt aber auch die Handlung, den Zeugen ihres
Lebens; sie allein vermag denjenigen nicht zu befriedigen, der sein
höchstes Glück in der vollsten Hingabe an seine Gebieterin findet!«
fiel der Baron mit Wärme ein, indem sein Auge dasjenige der Prinzessin
suchte und darin forschte.

Sidonie blickte nachdenkend zu Boden; sie gedachte bei Mühlfels’
Worten des Grafen, der ja in ähnlicher Weise zu ihr gesprochen hatte,
und gab dem Baron darum in ihrem Herzen Recht. Sie vermochte nicht
sogleich die Antwort zu finden, und Mühlfels deutete ihr Schweigen und
nachdenkliches Wesen für eine gute Wirkung seiner Worte, und beeilte
sich, im obigen Ton fortzufahren:

»O, dieses Verlangen, gnädigste Prinzessin, wird um so heftiger, wenn
wir Diejenigen, denen unsere tiefste Verehrung gehört, ein freudloses
Dasein führen sehen. O, bedenken Hoheit, wie sehr die leiden müssen,
die mit solchen Empfindungen erfüllt, sich dennoch nur zu einem
Mitleiden verurtheilt sehen, obwol ihr Herz sie drängt, ihr Leben für
ein Lächeln der Verehrten hinzugeben!«

Sidonie blickte wohlwollend auf ihn. In seinem Ausspruch klangen ihr
ja auf’s Neue des Geliebten Worte wieder; denn also hatte auch er
einst gesprochen, und so that ihr Mühlfels’ Wärme wohl, obwol sie
dadurch überrascht wurde, da sie dergleichen Empfindungen bei ihm nicht
erwartet hatte. Nach kurzem Zögern entgegnete sie mit mildem Ton:

»Ich muß Ihnen beistimmen. Denn es däucht mir natürlich, daß wir
diejenigen, die wir in unser Herz geschlossen haben, auch ganz
glücklich sehen möchten; ist das doch eine Nöthigung unserer Gefühle.
Können und dürfen wir jedoch stets dieser folgen? Entbehren und
Verzichten ist ja einmal das Loos der Menschen!«

»O hegen Sie diesen Glauben nicht, Prinzessin! Er ist zu niederdrückend
und obenein unbegründet! Nicht zum Entbehren ist Jugend und Schönheit
geschaffen, sondern zum vollsten Genuß des Lebens. Nur der Schwache
und Furchtsame entbehrt im Gefühl seiner Machtlosigkeit; ihm mangelt
die wahre Leidenschaft; der Muthige jedoch weiß die Schranken zu
durchbrechen, die ihn von seinem Glück fern halten!«

Die Prinzessin schaute ihn betroffen an; seine Worte paßten auch jetzt
wieder zu ihrem eigenen Verhältniß, ja sogar zu ihrer gegenwärtigen
Lage, so daß sie auf den Gedanken geleitet wurde, der Baron sei mit
ihrer Liebe bekannt und bedacht, sie zu ermuthigen und zu trösten.

Diese Voraussetzung lag nahe; denn warum sollte Mühlfels durch des
Grafen früheren Besuch nicht zu einer solchen Erkenntniß gelangt und
durch Theilnahme für ihre unglückliche Lage veranlaßt worden sein,
ihr in geschickter Weise dies zu erkennen zu geben und seine Dienste
anzubieten. --

Das wäre keine besondere Erscheinung zu nennen gewesen; bot man
sich doch, wie sie genügend erfahren hatte, am Hofe in dergleichen
Angelegenheiten gern die Hand. Und mußte sie des Barons Ansichten nicht
überdies beistimmen? Verlangte ihr eigenes Herz nicht nach dem Glück
des Lebens? Erfüllte sie in diesem Augenblick nicht die Sehnsucht nach
dem Geliebten? Auch erwog sie, daß ein Mann von Mühlfels’ Stellung
ihr unter den obwaltenden Verhältnissen von besonderem Vortheil sein
könnte? --

Dies Alles leitete sie auf den Gedanken, die Gesinnungen des Barons
näher zu prüfen und sich zugleich zu überzeugen, in wie weit er
etwa mit ihrer Liebe vertraut wäre. Daher glaubte sie das Gespräch
fortsetzen zu müssen und ihn dadurch zu weiteren Aeußerungen zu
veranlassen, und sie entgegnete mit Interesse:

»Es mag wol in dem Charakter des zum Handeln geborenen Mannes liegen,
dem Widerstande der Verhältnisse mit Thatkraft zu begegnen, so weit
dies eben möglich ist, und ich kann nicht läugnen, daß ich dies auch
überhaupt bei dem Manne voraussetze; ein Anderes ist es jedoch bei den
Frauen, denen diese Energie mangelt.«

»Darin eben beruht des Mannes Glück, der sich dadurch berufen fühlt,
für sie zu handeln, ihnen den erfüllten Wunsch zu Füßen zu legen und in
ihrem Dank den Lohn der Mühen zu kosten,« fiel Mühlfels mit Wärme ein.

»Sie mögen Recht haben; doch fürchte ich, Sie huldigen zu sehr der
Theorie und übersehen, daß das wirkliche Leben mit seinen tausendfachen
Verschlingungen, Forderungen und Gesetzen auch dem kräftigsten Willen
unbesiegbare Hindernisse entgegen stellt.« --

»Welches Gesetz, welchen Widerstand, scheinbar unüberwindlich, hätte
die Kraft der Leidenschaft nicht schon zu beseitigen gewußt!« bemerkte
Mühlfels mit gesteigerter Wärme. »Wo ~sie~ herrscht und die Energie
anspornt, ist der Sieg stets der ihre. Doch,« fuhr er, sich besinnend
fort, »wir sind auf das unfruchtbare Feld der Speculation gerathen, und
doch war es meine Absicht, Hoheit das heiße Verlangen auszudrücken, so
glücklich zu sein, Ihnen durch meine Ergebenheit ein Lächeln der Freude
zu verschaffen, zu welchem Sie ja vor Allen hier am Hofe berechtigt
sind, da Ihr edles Herz tausendfach schmerzlich berührt worden ist und
-- o, daß ich es sagen muß! -- noch betroffen wird. O, meine gnädige
Prinzessin wird mir verzeihen, wenn ich gestehe, wie ich von Anbeginn
ihren stillen Kummer mitgefühlt, ihre Kränkungen mich nicht geringer
empört haben, wie sie selbst, und ich immer und immer nur den einen
Wunsch hegte, sie über diese Leiden fortzuheben!«

Der Baron hatte, von seiner Leidenschaft für die Prinzessin, deren
mildes Wesen sie ihn doppelt reizend erscheinen ließ, fortgerissen, in
einem wirklich aufrichtigen Ton gesprochen, der um so mehr geeignet
war, eine gute Wirkung auf Sidonie auszuüben, da sie darin nichts
Anderes als eine freundschaftliche Theilnahme mit ihrer Lage erkannte.
Auch lag ihr die Ahnung von des Barons Gefühlen und Absichten so
sehr fern, daß sie durch seine Worte nicht daran erinnert wurde.
Ueberdies war ihr die allgemeine Theilnahme bekannt, welche man ihr
schenkte, warum sollte sich Mühlfels, der mit ihren Verhältnissen am
genauesten vertraut war, warum sollte er daher eine Ausnahme machen.
-- Im Gegentheil war er vor allen Anderen dazu veranlaßt. In dieser
Voraussetzung blieb sie daher unbefangen und entgegnete, durch die
verrathene Theilnahme angenehm berührt, in herzlichem Ton:

»Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Theilnahme, lieber Baron, doch was
vermögen Sie zu thun, meine Lage zu ändern?« --

»O, Hoheit, vielleicht mehr, als Sie glauben!« betheuerte Mühlfels
erfreut.

Sidonie schüttelte das Haupt.

»Sie trauen sich zu viel zu, lieber Baron. Sie kennen die Verhältnisse
und wissen, daß ich mich denselben entsagend fügen muß« -- erwiderte
Sidonie und schaute, von ihren trüben Gefühlen beherrscht, zu Boden.

»Und warum müssen Sie sich fügen, gnädigste Frau? Hat Sie des Prinzen
Verhalten nicht längst zur vollsten Freiheit berechtigt? Ihm schulden
Sie keine Rücksicht mehr, da er sie nicht verdient, und er verdient
dieselbe in diesem Augenblick um so weniger, da er sich in den Fesseln
einer andern Person glücklich fühlt und darüber die Eurer Hoheit
schuldende Ehrfurcht vergessen kann!«

»Schweigen Sie, schweigen Sie!« rief Sidonie mit einer abwehrenden
Handbewegung gegen ihn, indem sie zugleich das Haupt sinken ließ.

»Nein, Hoheit, ich ~darf~, ich ~will~ nicht schweigen! Meine
Ergebenheit für Sie, meine Pflicht gebieten mir, Ihnen die Wahrheit zu
verrathen und vor Ihren Augen das Geheimniß zu enthüllen, in welchem
der Prinz seine Leidenschaft verbirgt. Es ist von keiner flüchtigen
Liaison mehr die Rede, sondern von einem Sie entehrenden ernsteren
Verhältniß. Darum mußte ich reden! Vergebung, Hoheit, wenn ich dem
Unmuth, der mich erfüllt, und in dem Eifer, Ihnen zu dienen, mich so
offen ausdrücke. Ich besitze jedoch ein Recht dazu und bin glücklich in
seinem Besitz!« -- entgegnete Mühlfels.

»Was sprechen Sie da, Baron!« rief Sidonie, durch Mühlfels’ Benehmen
und Aeußerungen in hohem Grade überrascht.

»Ich spreche nur, was ich zu verantworten vermag, und theile Ihnen mit,
daß mir dieses Recht durch die Zustimmung des Fürsten gegeben worden
ist,« fuhr Mühlfels fort.

»Unmöglich, unmöglich!« rief Sidonie.

»Nicht unmöglich, theure Prinzessin, sondern so wahr, wie das Licht des
Tages!«

»Wie können Sie des Fürsten Meinung erfahren haben?« fragte Sidonie
erregt.

»Durch seinen Vertrauten, Chevalier Boisière, der mir zugleich des
Fürsten Wunsch mittheilte, daß Sie dieselbe durch mich erfahren
sollten.«

»Durch Sie, und warum nicht aus seinem eigenen Munde?!«

»Der Fürst mag seine Gründe dazu haben« -- fiel Mühlfels mit
bedeutungsvollem Blick ein und bemerkte alsdann: »Der Fürst erkennt die
Pflicht, Ihnen für des Prinzen beleidigendes Benehmen gegen Sie einen
Ersatz in dem Zugeständniß vollster Freiheit bieten zu müssen, da er
Ihr Verhältniß zu demselben nicht zu bessern vermag.«

»Sie sagen: die vollste Freiheit; wie soll ich das verstehen? Ich
genieße dieselbe bereits in so weit, als mir meine Stellung sie
gestattet; meint der Fürst also eine Trennung der Ehe?« fragte Sidonie
voll Spannung.

»Nein, Hoheit, eine Trennung scheut er; aber er übersieht doch die
Berechtigung nicht, welche Ihre Jugend und Schönheit an dem Vollgenuß
des Lebens besitzen, und wünscht daher, Sie möchten dieselben nach
Belieben geltend machen.« --

»Ah so, jetzt verstehe ich Sie,« fiel Sidonie ein, ohne eine Ahnung von
dem eigentlichen Sinn der vernommenen Worte zu gewinnen, und fügte,
sich der früheren Vorwürfe des Fürsten wegen ihres eingezogenen Lebens
erinnernd, fort: »Ich weiß, der Fürst wünscht, ich soll mein stilles
Leben aufgeben, und glaubt, daß das dem Prinzen gefallen würde. Er
scheint noch immer nicht einzusehen, wie schwer es uns wird, unser
eigentliches Wesen zu ändern.« --

»Vielleicht ist dies nicht des Fürsten Meinung, sondern dieselbe
schließt noch eine tiefere Deutung ein,« bemerkte Mühlfels, die
Prinzessin bedeutsam anblickend.

»Es ist mir sehr lieb, daß der Fürst noch so viel Interesse für mich
hegt; denn ich fürchtete bereits, er hätte mich längst aufgegeben;
sein kaltes Benehmen gegen mich ließ mich dies wenigstens vermuthen.
Doch ist es so, wie Sie sagen, so bin ich dem Fürsten dafür dankbar,«
entgegnete Sidonie unbefangen und ohne Mühlfels’ Blick und Worte zu
verstehen.

»Hoheit können sich auf mein Wort verlassen,« betheuerte Mühlfels und
blickte die Prinzessin wiederum bedeutsam an.

»Nun denn,« entgegnete Sidonie in einer fast heitern Stimmung, »ich
will versuchen, den Wunsch des Fürsten zu erfüllen; in wie weit mir
dies jedoch gelingen wird, weiß ich jetzt freilich noch nicht.«

»Ich versichere Eure Hoheit, daß Sie den Fürsten dadurch in hohem Grade
erfreuen werden!« fiel Mühlfels betheuernd ein und fügte alsdann hinzu:
»O, dürfte ich so glücklich sein, zum Diener Ihrer Wünsche erhoben
zu werden! Hoheit kennen meine Ergebenheit und mögen aus dieser auf
die Empfindungen schließen, die mich für Sie beseelen. Gebieten Sie
über mich! Ach, es ist ja das Schicksal der Niederen, da zum Schweigen
verdammt zu sein, wo ihr Herz am lautesten spricht!«

»Sie haben mich bisher durch Ihren gefälligen Diensteifer erfreut,
und ich werde Ihre heutige Versicherung nicht vergessen,« entgegnete
Sidonie wohlwollend, indem sie ihm die Hand reichte, die Mühlfels mit
größter Innigkeit küßte und sich alsdann auf das Zeichen der Entlassung
mit einem zärtlichen Blick auf sie entfernte.

Sidonie schaute ihm verwirrt nach. Die ihr gemachten Mittheilungen
hatten sie ebenso sehr bewegt als überrascht. Des Prinzen neue
Liaison, die der Baron als eine ernste Leidenschaft bezeichnete, deren
Gegenstand eine Person aus niederen Stande sein sollte; des Fürsten
Rücksicht für sie, noch mehr, daß der Letztere ihr diese und, wie es
ihr schien, mit Absicht durch Mühlfels bekannt machen ließ, hatten
Vermuthungen aller Art in ihr erweckt, ohne ihr ein festes Urtheil
über das Vernommene zu gestatten. In dem Bemühen, sich ein solches zu
bilden, wurde sie durch Aureliens Eintreten angenehm überrascht.

»Du kommst mir sehr erwünscht, Aurelie; denn ich war eben im Begriff,
Dich zu mir bitten zu lassen, um mit Dir allerlei sonderbare Dinge zu
besprechen,« rief sie ihr entgegen und führte sie nach einem Sessel.

»Was ist geschehen? Du scheinst so bewegt,« bemerkte Aurelie und
schaute die Prinzessin fragend an.

»Soeben war Mühlfels bei mir, um mir wegen eines Künstlers Nachricht
zu bringen, und theilte mir dabei allerlei überraschende Neuigkeiten
mit, die mich in der That verwirrt haben,« entgegnete Sidonie und
setzte ihr darauf das Erfahrene auseinander.

Aufmerksam hatte Aurelie ihren Worten gelauscht, während sich zugleich
eine gesteigerte Ueberraschung in ihren Zügen verrieth. Als Sidonie
schwieg, schaute sie gedankenvoll vor sich hin und bemerkte nach kurzem
Sinnen:

»Deine Mittheilung überrascht mich nicht wenig und hat vor Allem die
Frage in mir erregt, welche Gründe den Fürsten wol veranlassen konnten,
Dich durch Mühlfels mit seinen Wünschen bekannt machen zu lassen. Sage
mir, wie benahm sich der Baron dabei?«

»Er legte eine ungewöhnlich tiefe Ergebenheit für mich an den Tag, die
wol eine Folge seiner Theilnahme für meine unglückliche Lage ist und
dem aufrichtigen Wunsch zu entspringen schien, mich froh zu sehen.«

»Du nennst seine Ergebenheit ungewöhnlich; drang Dir diese nicht etwa
die Vermuthung auf, daß dieselbe vielleicht einem zärtlichen Gefühl für
Dich entsprungen sein könnte?« fragte Aurelie nachdenklich.

»Wie geräthst Du bei Mühlfels auf einen solchen Gedanken?! Denn, so ich
Dich recht verstehe, vermuthest Du, Mühlfels’ Theilnahme für mich sei
Liebe.« --

»Ja, Sidonie, so ist es, und Deine heutige Begegnung mit ihm und sein
Benehmen befestigen mich noch mehr in dieser Voraussetzung.« --

»Du erschreckst mich!« rief Sidonie bestürzt.

»Möglich, daß ich mich täusche; wenn dies jedoch der Fall ist, so steht
die Sache noch übler; denn ich argwöhne hinter Alledem nichts Gutes.« --

»Sprich, sprich, was denkst, was fürchtest Du?« --

»Lass’ uns Alles ruhig erwägen. Mir erscheint die Annahme durchaus
gehaltlos, der Fürst könne lediglich aus gütiger Theilnahme für Dich
Dir derartige Mittheilungen durch die dritte Hand zugehen lassen!
Diese Sache hat für mich in der That etwas Räthselhaftes; doch bin
ich überzeugt, es liegt derselben irgend eine bedeutsame Absicht zu
Grunde.« --

»Vielleicht täuschen wir uns, und der Fürst, mit dem neuen Verhältniß
des Prinzen bekannt, hält sich verpflichtet, mir durch seine Güte seine
Theilnahme zu erkennen zu geben, da er voraussetzt, daß mich dieser
neue Schimpf tief verletzen muß.« --

»Es könnte sein. Es gäbe jedoch noch eine andere Annahme.« --

»Und diese wäre?« --

»Mühlfels hat Dich getäuscht,« entgegnete Aurelie mit Nachdruck.

»Wie könnte er so etwas wagen und was sollte ihn dazu veranlassen?« --

»Seine Liebe zu Dir.« --

»Ist nur Ergebenheit und Theilnahme, nichts weiter.« --

»Und wenn diese Voraussetzung unrichtig ist?« --

»Unmöglich!« --

»Nicht so unmöglich, als Du glaubst. Betrachten wir sein Benehmen
gegen Dich genauer. Du kannst nicht läugnen, daß, seitdem der Prinz
die Besuche der Residenz aufgegeben hat, er sich auffällig bemüht,
in Deine Nähe zu gelangen worin ihm Deine Aufträge sehr entgegen
kamen. Zwar bezeigte er Dir bisher nur die Dir gebührende Achtung und
Ergebenheit; es ist mir jedoch nicht entgangen, daß er Dich im Geheimen
mit Zärtlichkeit betrachtet; rechne ich dazu die Wärme, mit welcher er
zu mir über Dich sprach, so ist die Annahme einer zärtlichen Neigung
für Dich nicht zu verwerfen.« --

»Du könntest Recht haben; denn überdenke ich sein heutiges Benehmen,
so fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich gerathe auf die
Vermuthung, daß seine Worte in Bezug auf den Prinzen, ja vielleicht
auch sogar auf den Fürsten, in irgend einem Zusammenhange mit seiner
Neigung stehen können.«

»Deine Verhältnisse, meine liebe Freundin, sind leider der Art, daß sie
zu dergleichen Bekenntnissen heraus fordern,« -- bemerkte Aurelie.

»Doch geben sie dem Baron kein Recht dazu!« fiel Sidonie unmuthig ein.

»Beurtheile ihn nicht härter, als er es verdient. Blicke um Dich und
sieh, welcher Art hier das Leben ist. Eine junge Dame in Deiner Lage
gestattet die Vermuthung, daß sie sich nach angenehmer Zerstreuung und
Tröstung sehnt. Niemand ahnt Deine Liebe. Der Baron verehrt Dich; wie
natürlich also, Dir seine Gefühle in der angenehmen Voraussetzung zu
erkennen zu geben, Dir damit gelegen zu kommen, vielleicht auch von dem
Wahn befangen, Du theiltest seine Neigung.«

»Es könnte sein, doch gestehe ich Dir, ich zählte den Baron trotz
seiner Stellung zu dem Prinzen nicht zu den Schlimmen,« bemerkte
Sidonie.

»Das weiß Mühlfels sehr wohl, und dieser Umstand wird ihm daher
auch den Muth gegeben haben, Dir seine Neigung zu verrathen und das
vielleicht absichtlich in einem Augenblick, in welchem eine neue den
Prinzen entehrende Liaison Dich von allen sittlichen Rücksichten gegen
diesen befreit.«

»Es liegt viel Wahrheit in Deinen Worten.« --

»Er hoffte unter den angegebenen Umständen leichter und sicherer Dein
Herz zu gewinnen, darum enthüllte er Dir seine so lange verborgene
Neigung erst in einem ihm so günstig scheinenden Augenblick.«

»So kann es sein.«

»Die Zeit wird uns ja zeigen, in wie weit wir mit unseren Vermuthungen
Recht haben; doch gebietet es Dir wol die Vorsicht, auf der Huth zu
sein und den Baron zu der Einsicht zu leiten, wie wenig Du geneigt
bist, seine Gefühle zu theilen.«

»Ich wünschte, mir wäre dies erspart worden; denn der Gedanke
beunruhigt und verletzt mich zugleich, ich könnte in Mühlfels
dergleichen Gefühle erweckt und durch mein Verhalten allerlei
Hoffnungen in ihm erregt haben. Ich werde mich fernerhin bemühen, ihn
zur Erkenntniß seiner Täuschung zu führen.«

»Beunruhige Dich nicht zu sehr! Vielleicht beurtheilen wir diese
Angelegenheit ernster, als sie es verdient. Bald, hoffe ich, wird unser
Freund anlangen, und seine Nähe wird die trüben Gedanken aus Deiner
Seele scheuchen.«

»O, wäre er erst hier!« rief Sidonie und fügte seufzend hinzu: »Ach,
oft schleicht sich der schmerzliche Gedanke in mein Herz, ich werde ihn
vielleicht nimmer wieder sehen!«

»Deine Besorgniß, ich versichere es Dir, ist ungerechtfertigt. Römer
kommt, dessen sei gewiß, wenn sich auch seine Ankunft verzögert.
Wahrscheinlich halten ihn wichtige Geschäfte zurück. Er gedenkt, wie Du
weißt, den Winter hier zu bleiben, und da giebt es viel zu ordnen.«

Bei den letzten Worten war Marion eingetreten und händigte Aurelien
einen Brief ein, der soeben angelangt und von deren Dienerin ihr
übergeben worden war.

Ein Blick auf denselben ließ Aurelie des Grafen Handschrift erkennen,
sie beherrschte jedoch die dadurch in ihr erzeugte Freude und empfing
das Schreiben scheinbar gleichgiltig, um Marion dessen Bedeutsamkeit
nicht zu verrathen.

Gleich ihr war auch Sidonie in der Voraussetzung, der Brief käme von
dem Grafen, freudig erregt worden; doch hatte auch sie sich längst
gewöhnt, ihre Empfindungen zu beherrschen, und verrieth sich daher auch
jetzt nicht.

»Von Römer!« rief Aurelie leise, als sich Marion entfernt hatte, indem
sie den Brief hoch hielt.

»Endlich, endlich!« fiel Sidonie ein, fügte jedoch sogleich betrübt
hinzu: »Aber leider nur sein Brief und nicht er selbst!«

»Hören wir vor Allem, was er schreibt; zur Klage bleibt uns immer noch
Zeit,« bemerkte Aurelie und öffnete den Brief, den sie alsdann mit der
Prinzessin gemeinschaftlich las.

Und je mehr sie sich mit dem Inhalt des Schreibens bekannt machten, um
so freudiger wurden ihre Züge, und als sie die letzten Worte gelesen
hatten, stieß Sidonie einen Ruf angenehmster Ueberraschung aus.

»Nun, Sidonie, hatte ich nicht mit meiner Behauptung Recht?« fragte
Aurelie, den Brief faltend.

»Gewiß! Denn während ich noch an seinem Besuch zweifelte, befand sich
der Graf bereits hier. O, wie froh wie glücklich macht mich diese
Gewißheit! Welcher schönen Zukunft darf ich entgegen sehen. In der
Gewißheit seiner Nähe schwinden Sorgen und Trauer!«

Also rief die glückliche Sidonie mit leuchtenden Augen, indem sie die
Freundin umarmte.

»Wie Du vernommen, ist er bedacht gewesen, sich Aufträge von Deinem
Bruder für Dich zu besorgen, um den erwünschten Anlaß zu einem Besuch
zu besitzen,« bemerkte Aurelie.

»O, mein Herz dankt ihm dafür! So darf ich ihn schon morgen erwarten!«
rief Sidonie und bemerkte dann: »Schreibe ihm ein paar Worte und deute
ihm meinen Wunsch an. Der Prinz pflegt nach dem Diner das Palais
gewöhnlich zu verlassen und bleibt auch den Abend fort; wir haben
von seiner Seite also keine Störung zu besorgen. Bezeichne ihm daher
die Stunde, in welcher ich seinem Besuch entgegen sehe. Um seinen
verlängerten Aufenthalt bei mir zu rechtfertigen, will ich meinen
Bruder zu mir bitten lassen. Kommt der Graf um die angegebene Zeit, so
bleiben mir vielleicht zwei Stunden des Alleinseins mit ihm, da, wie Du
weißt, Leonhard selten vor acht Uhr zu kommen pflegt.«

»Es wird geschehen, meine liebe Sidonie, und um die Späher zu
täuschen, kannst Du Römer in dem Blumenzimmer und später in Deinem
Gesellschaftsgemach, wie gewöhnlich, empfangen,« entgegnete die stets
fürsorgliche Aurelie, die sich in dem Glück der Freundin selbst
beglückt fühlte, ohne doch dabei die stets nothwendige Vorsicht zu
vergessen.

Sidonie erklärte sich mit dem Vorschlage gern einverstanden, und auf
ihren Wunsch setzte sich Aurelie sogleich an den Schreibtisch, um
den Brief an den Grafen zu fertigen. Es gewährte Sidonien ein hohes
Vergnügen, daran Theil nehmen zu können und, da sie ihm nicht selbst
schreiben durfte, sich wenigstens in solcher Weise mit dem Geliebten zu
beschäftigen.

Man lächle darüber nicht. Wer so innig liebt, wie Sidonie, wem die
Freuden des Lebens so karg zugemessen sind, wie ihr, und wer sich in
seiner Liebe so ganz mit dem Geliebten vereint hat, wie sie, dem ist
schon das Unbedeutendste in seiner Liebe werthvoll und erwünscht. Und
was wäre der wahren Liebe unbedeutend, sobald es sich auf den Geliebten
bezieht! --

Lange noch nachdem der Brief gefertigt und abgeschickt worden war,
beschäftigte dessen Empfänger die Freundinnen. Alles, was sie,
namentlich Sidonie, zu dessen Erheiterung ersonnen, wurde nochmals
in der ausführlichsten Weise besprochen und viele neue Dinge
vorgeschlagen, und über diesen so liebevollen Bemühungen ging der trübe
Tag, der dunkle Abend rasch dahin, vergaßen sie die Mittheilung des
Barons, obgleich ihnen dieselbe nicht bedeutungslos erschienen war.
Doch würden wir Aurelien Unrecht thun, wollten wir nicht erwähnen,
daß, während Sidonie, von dem Glück der nächsten Stunde erfüllt, jener
Angelegenheit auch nach der Trennung von der Freundin nicht mehr
gedachte, diese durch dieselbe noch lange wach erhalten wurde; denn ihr
erschienen des Barons Benehmen und Worte viel bedenklicher, als sie es
Sidonien zu erkennen gegeben hatte. Sie war der Freundin behütender
Engel, der, durch keine Leidenschaft bewegt, unablässig bedacht war,
jede Gefahr von dem theuern Haupte abzuwenden, und so nahm sie sich
vor, den Baron genauer zu beobachten und ihn vielleicht in einer
geeigneten Stunde zum Verrath seiner geheimen Absichten zu veranlassen.
Obgleich Aurelie sich dergleichen Erwägungen hingab, blieb ihrer
reinen Natur dennoch der Gedanke des eigentlichen Zusammenhanges dieser
Angelegenheit eben so fern, wie Sidonien.

Angenehmer war die Stimmung des Barons. Sidoniens Wohlwollen hatte
ihn in hohem Grade beglückt, fast mehr noch ihre Worte, aus welchen
er die Vermuthung schöpfen zu dürfen glaubte, daß sie seine Huldigung
nicht nur erkannt hatte, sondern auch seine zärtlichen Gefühle für sie
billigte. Ihre Antwort, nachdem er ihr des Fürsten Wunsch mitgetheilt
hatte, erachtete er für weibliche Diplomatie, die geschickt die Wünsche
umging, ohne diese doch ganz zu verhüllen. Er sollte errathen, was sie
verschwieg. Mehr hatte er auch in der That nicht zu erreichen gehofft,
aber er nahm die Ueberzeugung beim Scheiden von Sidonien mit, daß ein
späteres reifliches Erwägen des Mitgetheilten und der Verhältnisse sie
die ganze Bedeutsamkeit des letzteren erkennen lassen und sie ihm den
Weg zu ihrem Herzen öffnen würde. Namentlich hegte er große Hoffnungen
von dem Verrath des Prinzen und dessen Verhältniß zu Marianen, von der
Ueberzeugung erfüllt, daß dieses und des Fürsten Beifall zu Sidoniens
Neigung nur von den besten Wirkungen in seinem Interesse sein müßten.
Von seiner Selbsttäuschung hatte er keine Ahnung und fühlte sich
durch die, wie er meinte, sehr geschickte Weise, in welcher er die
Angelegenheit der Prinzessin auseinander gesetzt hatte, sehr befriedigt.

Alle diese Umstände verleiteten ihn daher, dem Chevalier bei der
nächsten Zusammenkunft die Versicherung des besten Erfolges seines
Handelns zu geben. Er würde dies freilich gethan haben, wenn er sich
dazu auch nicht berechtigt hielt; denn seine Eitelkeit war viel zu
groß, um eine Niederlage einzugestehen. Boisière beeilte sich, dem
Fürsten den erwünschten Bericht abzustatten, seinerseits nicht minder
erfreut, seinem fürstlichen Gebieter durch seine Vorschläge einen so
wesentlichen Dienst geleistet zu haben.

»Ich gestehe Ihnen, lieber Chevalier,« entgegnete der Fürst nach
vernommenem Bericht, »daß ich in Bezug auf die Willfährigkeit der
Prinzessin zum Eingehen auf diese Liaison noch mancherlei Bedenken
hegte. Denn ich bin überzeugt, sie ist wirklich tugendhaft, wenigstens
glaube ich, daß sie es war; freilich, sie wird zur Einsicht gelangt
sein, daß man mit dergleichen Capital heutzutage nicht reussirt.
Die Vorbilder hier am Hofe und vielleicht auch des Prinzen Treiben
sind jedoch sehr geeignet, auch die besten Grundsätze zu lockern und
umzustoßen. Was will auch eine schwache Frau? -- Gegen den allgemeinen
Strom zu schwimmen, ist mißlich und gewährt weder Vortheil noch
Dank. Mit der Moral kommt man in der Politik wie in dem Alltagsleben
nicht weit, und der herrschende Zeitgeist ist viel zu mächtig, um
seine Widersacher nicht mit der Dornenkrone der Märtyrer zu zieren.
Nicht der Einzelne, sondern die Allgemeinheit bestimmt, was erlaubt
ist. Es ist mit der Moral wie mit der Mode. Das wird die Prinzessin
wahrscheinlich eingesehen haben, und ich würde mich freuen, wenn dem
so wäre. Lassen wir nun diese Sache ohne die geringste Beeinflussung
sich ruhig entfalten. Ich selbst werde später Gelegenheit nehmen,
der Prinzessin meine Wünsche, oder vielmehr meine Billigung zu ihrer
Liaison anzudeuten, damit sie sich sicherer fühlt.«

Als der getäuschte Fürst also sprach, ahnte er freilich nicht, wie sich
diese Verhältnisse so ganz anders gestalten und entwickeln sollten, als
er voraus gesehen, ahnte er nicht, daß er durch das Eingehen auf des
Chevaliers Vorschlag selbst in eine Lage gerathen könnte, die seinen
Charakter in hohem Grade herausfordern und durch welche er verleitet
werden sollte, alles Unheil über die edelsten Herzen zu verhängen.

Noch weniger ahnten diejenigen ihr Verhängniß, die unter duftenden
Blumen ein süßes Wiedersehen feierten.

Sich nur der reinsten Empfindungen bewußt, schon reich beglückt, die
Nähe des Geliebten theilen zu dürfen und durch eigenes Bemühen dessen
Stunden mit den lautersten Freuden zu verschönen, genossen sie dieses
Wiedersehen in dem Bewußtsein, keine Einbuße an ihrem sittlichen
Gehalt zu erleiden, wenn sie auch die Verhältnisse nöthigten, sich des
Geheimnisses als ein Mittel dazu zu bedienen.

Wir haben des Grafen edeln Charakter kennen gelernt und auch erfahren,
daß er zum Wohl Sidoniens gegen seine Grundsätze sich für die
Wiederkehr zu ihr bestimmte. Er gestand sich freilich ein, daß er
damit auch dem Verlangen seines eigenen Herzens genügte, das seine
Forderungen eben so sehr geltend machte, wie das Sidoniens. Aber wir
haben auch erfahren, daß er hinreichende Willenskraft besaß, über seine
Empfindungen zu herrschen, und zu entsagen, wo es die Nothwendigkeit
gebot, und seine Wiederkehr lediglich durch die Ueberzeugung bestimmt
wurde, der unglücklichen Geliebten die rettende und tröstende Hand zu
bieten, um sie nicht in dem ihr bereiteten Kummer hinsiechen zu lassen.

In diesem Umstande fand der Graf die ihm so nothwendige Beruhigung
hinsichts seines Handelns. Und so konnte ihr Wiedersehen nur ein
glückliches sein.

Sidonie pflegte in der Winterszeit sich sehr viel in dem Blumenzimmer
aufzuhalten, das ihr einen Ersatz für den Garten und Park bieten mußte.

Sie fühlte sich unter den Blumen und Pflanzen wohler als in ihrem
Gemach, und ihre Vorliebe für diesen Aufenthalt hatte die sorgfältigste
Pflege der Pflanzen und eine bequemere Anordnung in demselben
veranlaßt. Es konnte also aus diesen Gründen ihr Verweilen daselbst um
eine spätere Stunde nicht auffallen, und um so mehr glaubte sich daher
Aurelie berechtigt, ihr diesen Ort zum Empfang des Grafen zu bezeichnen.

Ungefähr eine Stunde vor der zu dem letzteren bestimmten Zeit hatte
sich Sidonie mit der Freundin dahin begeben, dem frohen Augenblick mit
bewegtem Herzen entgegen harrend. Wie gewöhnlich vernahm man nicht das
geringste Geräusch von dem Treiben der Bewohner des Palais. Der Prinz
hatte das letztere bereits verlassen, und die in den Nebengebäuden
wohnenden Personen, so wie die in dem Palais verweilenden Diener,
gewöhnt, durch den Dienst um diese Zeit nur wenig in Anspruch genommen
zu werden, suchten die Zeit durch Plaudern mit ihren Genossen angenehm
zu verkürzen. Nur das leise Rauschen der Bäume im Park unterbrach die
überall in dem Palais herrschende angenehme Stille.

Störungen durch Besuche hatte Sidonie nicht zu befürchten, da sie
dergleichen um diese Zeit nicht erwarten durfte und nur an den
Gesellschaftsabenden empfing, wenn sie es nicht, wie heute, für gut
fand, eine Ausnahme davon zu machen.

Endlich verkündete eine in der Nähe befindliche Uhr die ersehnte
Stunde, und Aurelie begab sich nach ihrer Wohnung, um den Grafen
daselbst zu erwarten und von da aus, wie ehemals, Sidonien zuzuführen.
Auch dieses Mal gelang es Aureliens Klugheit und Fürsorge, den Freund
ohne jedes Aufsehen zu empfangen, worin die Dunkelheit des Abends sie
überdies wesentlich unterstützte.

Bald stand der Graf Sidonien gegenüber, die lieberfüllten Blicke in
ihre freudig erglänzenden Augen tauchend und die sich ihm bebend
entgegen streckenden Hände mit den seinen umfassend.

Sie wußten, daß der Ausdruck ihrer Empfindungen nicht weiter gehen
durfte, und hielten sich darum für sicher, durch die letzteren nicht
überrascht zu werden, weil sie es nicht billigten, und dennoch folgte
Sidonie dem sanften, vielleicht unwillkürlichen Zuge seiner Arme,
dennoch sank ihr Haupt an seine Brust, dennoch hauchte der Graf einen
flüchtigen Kuß auf ihre Stirn. Einen Augenblick jedoch nur faßte ihr
Glück ein; alsdann erhob Sidonie das erröthende Antlitz zu ihm auf und
schaute ihn an. Sie verstanden sich nur zu wohl, und wie abbittend
neigten sich des Grafen Lippen auf ihre Hand, die er nicht lassen
mochte. Dann führte er sie zu ihrem Fauteuil zurück und setzte sich
neben sie.

»Sind Sie mir böse, daß ich mein Versprechen nicht zur rechten Zeit
erfüllte?« fragte er, nur mühsam seine Bewegung beherrschend, die sich
in seiner unsichern Stimme verrieth.

»Wie sollte ich?! Doch verhehle ich Ihnen die Betrübniß nicht, die ich
darüber empfand. Doch jetzt ist ja wieder Alles gut. Sie sind hier
und, was das Angenehmste ist, Sie bleiben nun bei uns für lange Zeit,«
entgegnete Sidonie einfach, aber in einem so herzlichen Ton, der besser
als ihre Worte das ganze große Glück bezeichnete, das ihrer Seele durch
diese Gewißheit und seine Gegenwart gewährt worden war.

»Soll ich mich durch die Versicherung entschuldigen, daß meine
Geschäfte meine Abreise verhinderten?« fragte der Graf.

»O nein, nein! Keine Entschuldigung! dessen bedarf es nicht und ich
habe kein Recht, eine solche von Ihnen zu verlangen. Weiß ich doch nur
zu wohl, wie viele mir unbekannte Opfer Ihre Güte mir schon gebracht
hat!« entgegnete Sidonie, ihm liebevoll in das Antlitz schauend.

»Sie irren, meine Freundin, und ich bitte Sie, mich nicht durch
unverdientes Lob zu beschämen,« fiel der Graf ein.

»Dennoch müssen Sie mir gestatten, jener Opfer zu gedenken! Es ist
das eine Nöthigung meines Dankgefühls und Sie sollen darin zugleich
erkennen, daß ich nicht zu selbstsüchtig bin. Ach, ich bin zu arm,
um Ihnen in einer andern Weise danken zu können, und so thue ich es
wenigstens durch dieses Bekenntniß.«

Sie hatte vor seiner Ankunft ein paar Erika- und Granatblüthen
gepflückt und, zum Sträußchen vereint, an die Brust gesteckt; sie nahm
dasselbe jetzt und reichte es ihm stumm aber mit dem innigsten Blick
dar.

Schweigend empfing der Graf die Gabe, so einfach, so gewöhnlich, und
dennoch wie bedeutsam, da sie an der Geliebten Brust geruht hatte.

Nach kurzer Pause bemerkte Sidonie:

»Sie werden sehen, in welcher Art ich Ihre Reisegeschenke aufbewahrt
habe. O, diese haben mir während Ihrer Abwesenheit manche angenehme
Stunde gewährt, indem sie die Erinnerung an ihre so interessanten
Mittheilungen erneuten und mir dadurch den Anlaß boten, mich durch
Lectüre über ihre Reisen näher zu unterrichten.«

»Ich habe das erwartet, meine Freundin, und um so mehr bedauert,
Ihnen die Mühe des Lesens nicht durch meine Mittheilungen ersparen zu
können,« fiel der Graf ein.

»Wir werden Ihre Güte darum doch in Anspruch nehmen; denn wir sind
wenig durch die Lectüre befriedigt worden. Nicht wahr, Aurelie?«
bemerkte Sidonie mit einem Blick auf die in der Nähe sitzende Freundin.

»Es ist so, lieber Graf, und so werden Sie Sidoniens Wunsch natürlich
finden,« bemerkte Aurelie.

»Dessen Erfüllung mir gewiß großes Vergnügen bereiten wird,« fiel Römer
ein.

»O,« erwiderte Sidonie, »schelten Sie uns nur nicht zu selbstsüchtig;
wir sind auch bedacht gewesen, Ihnen kleine Erheiterungen zu bereiten,
und ich denke Ihnen noch heute den Beweis dafür durch mein Harfenspiel
zu geben.«

»In der That? Sie haben sich in so gütiger Weise meiner Vorliebe für
Ihr Spiel erinnert?« fragte der Graf, durch das Vernommene in der
angenehmsten Weise überrascht.

Die Unterhaltung lenkte sich jetzt auf den herzoglichen Hof und Sidonie
bat den Grafen, ihnen über die Heimath Näheres mitzutheilen, welchen
Wunsch derselbe gern erfüllte. -- Es knüpften sich daran viele Fragen,
die Heimath betreffend, und in dem angenehmen Genuß an einander und
unter ihrem belebten Gespräch war die Zeit des Alleinseins früher
verflossen, als man es erwartet hatte, woran sie die Meldung von der
Ankunft des Prinzen Leonhard mahnte. Aurelie führte den Grafen auf
dem früheren Wege nach ihrer Wohnung zurück, woselbst er sie verließ,
um sich darauf in der üblichen Weise bei der Prinzessin melden zu
lassen. Die spionirenden Diener wurden dadurch in der gewünschten Weise
getäuscht, indem sie also zu dem Glauben genöthigt wurden, der Besuch
des Grafen habe Aurelien gegolten. Sidonie eilte mit freudigem Herzen
zu ihrem Bruder, der, durch ihre Einladung ein wenig überrascht, sich
nach der Veranlassung derselben erkundigte.

»Ich habe Dir heute eine angenehme Ueberraschung zugedacht,« entgegnete
Sidonie heiter und führte ihn darauf in das Gesellschaftszimmer,
woselbst der Graf bereits ihrer harrte.

Der Prinz freute sich herzlich über dessen Wiederkehr, die ihm noch
unbekannt gewesen und auf welche er nicht mehr gehofft hatte, da der
Graf so lange ausgeblieben war; so konnte es nicht fehlen, daß die
übrigen Abendstunden, durch Sidoniens Spiel, ihres Bruders Heiterkeit
und die lebhafte Theilnahme der Freunde verschönt, nur zu rasch und
sehr angenehm dahin gingen.

»Auf baldiges Wiedersehen unter Blumen!« flüsterte Sidonie dem Grafen
zu, als sie von einander schieden, in Beider Herzen süßes Glück und
frohe, liebliche Hoffnungen.




                           Drittes Kapitel.


Vor einem bis zum Boden reichenden prachtvollen venetianischen Spiegel
stand ein reizendes Mädchen im Negligé und betrachtete sich, wie es
schien, mit großer Selbstzufriedenheit.

Das volle dunkle Haar, bereits geordnet, war, gegen die herrschende
Mode, nicht durch Puder, noch durch die damals übliche hohe Frisur
verunstaltet, sondern fiel in glänzenden Locken zwanglos auf Schultern
und Nacken. Das Mädchen wiegte behaglich den Kopf hin und her, sprach
und lächelte mit ihrem Spiegelbilde, wobei sie das Seidenmäntelchen
allmälig abstreifte und zu Boden fallen ließ, und dadurch Büste und
Arme von der Hülle befreite.

»Das bist Du selbst, die Mariane aus dem Walde, die man hier gnädiges
Fräulein nennt und die es auch bald wirklich sein wird, vielleicht
noch mehr. So sagt es der Prinz, und die Voisin meint es auch und
erzeigt Dir großen Respect, und das will etwas sagen.« -- Sie sprach
das mit selbstgefälliger Wichtigkeit und fuhr, indem sie die mit
seidenen Hackenschuhen bekleideten Füßchen gegen den Spiegel streckte
und betrachtete, also fort: »So bist Du noch der ehemalige Waldvogel,
wie der Prinz sagt, aber bald soll der Vogel verschwunden sein und das
gnädige Fräulein zum Vorschein kommen. Pass’ auf!«

Und sie trippelte auf dem schwellenden Teppich nach einem chinesischen
Tischchen, auf welchem sich allerlei Schmucksachen in zierlichen Etuis
befanden, öffnete diese, stellte sie zusammen und ergötzte sich alsdann
an dem Gefunkel der Edelsteine, Perlen und dem Glanz der goldenen
Zierrathen.

»O, welch’ eine Pracht, welch’ eine Herrlichkeit, und Alles, Alles ist
mein und dazu noch die schönen Kleider von Sammet und Seide!« Also
rief sie mit freudigen Blicken, nahm darauf ein kostbares Halsband,
eilte damit an den Spiegel, legte es sich um und bewunderte dessen
Schönheit. Ebenso that sie mit einem Paar Armbändern und Ringen, ohne
sich bewußt zu werden, wie wenig ihr knappes Unterkleid, das die
Gestalt und die seidenen Zwickelstrümpfe nur zum Theil verhüllte,
zu diesem kostbaren Schmuck paßte. Daran schien sie jedoch nicht
zu denken. Und warum sollte sie auch? Einen Lauscher hatte sie in
ihrer einsamen herrlichen Wohnung nicht zu fürchten; die dem Kamin
entströmende Wärme und der rings verbreitete Wohlgeruch thaten ihr
wohl: warum sollte sie sich also nicht nach ihrem Behagen die Zeit
verkürzen. -- Bis zu dem Besuch des Prinzen war es noch lange hin.
Er wollte heute zwar früher als gewöhnlich kommen, um mit ihr das
Diner einzunehmen, doch blieb ihr trotzdem noch immer Zeit genug zum
Ankleiden übrig.

Nachdem sie in der angegebenen Weise eine Stunde und länger vertändelt
und dabei die Schmucksachen angelegt hatte, klingelte sie nach ihrer
Dienerin, um sich ankleiden zu lassen.

»Welche Robe und welches Unterkleid befehlen Euer Gnaden?« fragte das
Mädchen.

»Sieh, das weiß ich selbst noch nicht; darum bringe vorläufig ein paar
Anzüge her, ich will sie anlegen und sehen, welcher mir am besten
gefällt,« entgegnete Mariane in durchaus anspruchsloser Weise und ohne
die Herrin geltend zu machen.

Ihr Befehl wurde sogleich erfüllt und die Dienerin erschien nach
wenigen Augenblicken mit den verlangten Anzügen, die Mariane der Reihe
nach anlegte und von welchen eine ganze Menge ihren Körper noch nicht
berührt hatten.

Bald war ein luxuriöser Reichthum an kostbaren Sammet- und
Seidengewändern, nicht minder kostbaren Spitzengeweben und ein
Ueberfluß an allen möglichen Toilettengegenständen vor ihr
ausgebreitet, wozu endlich aus Mangel an Raum selbst der Boden benutzt
werden mußte, und inmitten diesem Meer von Farben, Glanz und Pracht
stand Mariane in dem Unterkleide da, ohne daß ihre Schönheit durch die
Einfachheit desselben und die herausfordernde Umgebung beeinträchtigt
wurde.

Jeder Anzug wurde vor dem Spiegel geprüft, um sich zu überzeugen,
wie er ihr ließ, mit der Dienerin besprochen, Unter- und Oberkleider
gewechselt, verschieden zusammengestellt, und Marianens Herz hatte an
Alledem seine rechte Freude.

Aber nicht allein durch den Besitz so reicher Gewänder war diese Freude
erzeugt, sondern die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit hatten ihren
guten Theil daran. Mariane war sich bewußt geworden, in dem Staat nicht
übler auszusehen, wie die vornehmen Damen bei Hofe und in der Stadt,
ja vielleicht noch viel besser und schöner. Denn sie brauchte keine
Schminke, um ihrem Antlitz Frische zu verleihen, die hatte ihr die
Natur gegeben; eben so wenig durfte sie das Augenlid dunkeln, damit
der Blick glänzender erschien; ihr Auge funkelte und glänzte, wie die
Diamanten in ihrem Halsband. Und die Robe durfte auch nicht zu tief
fallen, um einen plumpen Fuß zu verhüllen, denn sie konnte nicht nur
ihr Füßchen, sondern auch noch ein wenig von den Zwickelstrümpfen sehen
lassen: Fuß und Bein waren darnach.

Alle diese angenehmen Erwägungen gingen ihr während des Anprobirens
durch den Kopf, bis eine prachtvolle purpurrothe Sammetrobe, das
kurz vorher empfangene Geschenk des Prinzen, ihr ganzes Interesse
beanspruchte. Sie gefiel sich darin so außerordentlich, daß sie
erklärte, dieselbe am heutigen Tage tragen zu wollen.

»O, Euer Gnaden nehmen sich darin wie eine Prinzessin aus!«
schmeichelte die Dienerin, an dem Anzuge nestelnd und alsdann einen
kostbaren Spitzenkragen hinzufügend.

»Und sieh nur, wie die Steine doppelt prächtig in dem Widerschein
der Robe funkeln!« rief Mariane erfreut und sich in dem Spiegel
betrachtend. »Ja, ich bleibe in dem Anzuge, will darin den Prinzen
empfangen und mit ihm speisen. O, das wird ihm gefallen!«

Und so geschah es auch, nachdem die Dienerin sich bemüht hatte, den
Anzug in der geschmackvollsten Weise zu ordnen.

Das eitle Kind vermochte sich von dem Spiegel nicht zu trennen, so sehr
behagte es ihr in diesem prächtigen, anspruchsvollen Kleide, in welchem
sie sich wie eine Prinzessin ausnahm.

Während sie sich in solcher Weise beschäftigte, entdeckte sie
plötzlich, daß ihr Haupt ohne jede Zier war; das gefiel ihr durchaus
nicht; aber sogleich machte sich ihre Vorliebe für Blumen geltend,
und sie eilte nach einem mit den schönsten Blumen geschmückten Zimmer
und pflückte sich hier, was ihr zusagte, und wand sich alsdann einen
duftigen Kranz, den sie vor dem Spiegel sorgfältig auf das Haupt
drückte.

O, wie herrlich paßte derselbe zu ihrem Anzuge! Wie viel schöner
erschien sie sich jetzt selbst! Der Kranz erst hatte dem Anzug den
rechten Abschluß gegeben. O, wie würde und mußte sie dem Prinzen
gefallen!

Das Eintreten der Madame Voisin unterbrach sie in dem Betrachten ihrer
Person.

»Was ist das, Fräulein?!« rief diese voll Ueberraschung aus, als sie
den ungewöhnlichen Anzug sah.

»Nicht wahr, ich gefalle Ihnen in dieser Robe?« fragte Mariane
unbefangen und freundlich.

»Gewiß, Fräulein; er steht Ihnen vortrefflich. Doch müssen Sie sich
bald umkleiden, damit Sie der Prinz nicht darin findet,« bemerkte
Madame Voisin.

»Und warum soll er mich nicht in diesem prächtigen Kleide, das mir so
gut steht, sehen?« fragte Mariane überrascht.

»Das dürfte ich Ihnen kaum noch sagen; wissen Sie doch, daß er Sie am
liebsten in einem einfachen Anzuge sieht.« --

»Das thut er nur, weil er glaubt, ein vornehmer Anzug würde mich nicht
gut kleiden.« --

»Das glaube ich nicht, sondern vermuthe, Sie gefallen ihm am meisten in
einer bescheidenen Tracht.« --

»So soll er sehen, daß ich auch in schönen Kleidern nicht häßlicher,
sondern vielleicht noch schöner bin! Wozu hätte ich sie denn, wenn ich
mich damit nicht schmücken dürfte?!« --

»Sie vergessen, daß der Prinz sich an den prächtigen Toiletten schon
lange satt gesehen hat.« --

»Möglich. Doch ich sage Ihnen, Madame, nicht an den Kleidern, sondern
an den Personen hat sich der Prinz übersättigt, und ich denke Ihnen den
Beweis dafür heute zu liefern,« erörterte Mariane in sehr bestimmtem
Ton.

»Versuchen Sie es; es könnte sein, daß ich mich täusche. Sollte dies
jedoch nicht der Fall sein, so vergessen Sie nicht, dem Prinzen meine
Mißbilligung Ihres Anzugs zu erkennen zu geben, damit er mir keine
Schuld beilegt.«

»Besorgen Sie nichts, liebe Voisin; das ist ~meine~ und nicht ~Ihre~
Sache!«

»Das weiß ich wohl; jedoch glaubte ich, Ihnen meinen Rath nicht
vorenthalten zu dürfen,« bemerkte Madame Voisin begütigend.

»Nun, schon gut, schon gut!« fiel Mariane ein und fügte hinzu: »Warum
soll ich dem Prinzen nicht zeigen, daß es nur eines passenden Anzugs
bedarf, um einer vornehmen Dame zu gleichen? Bin ich etwa häßlicher
als seine Frau oder die Hofdamen und hohen Fräulein der Grafen und
Barone?«

»Ei bewahre, meine Beste; vielmehr sind Sie noch vielmal schöner!«
beeilte sich Madame Voisin zu entgegnen.

»Nun also?! So könnte ich mich auch vor ihnen sehen lassen und
Keiner dürfte sagen: ich wäre nur aus dem Walde« -- fuhr Mariane in
verweisendem Ton fort.

»Gewiß, gewiß!« betheuerte Madame Voisin.

»Nun hören Sie, liebe Voisin, was ich mir ausgedacht habe. Ich will den
Prinzen überraschen; darum sagen Sie ihm nichts von meinem Anzuge, wenn
er kommt, hören Sie?!«

Madame Voisin versicherte, ihren Wunsch genau zu erfüllen, worauf sich
Mariane nach ihrem Boudoir begab. Dasselbe enthielt außer Blumen noch
eine Volière, angefüllt mit farbenprächtigen ausländischen Vögeln,
einem sprechenden Papagei, der auf einer vergoldeten Stange saß, und
ein paar allerliebsten Aeffchen, die unter hochstämmigen Pflanzen auf
einem dürren Bäumchen ihre Wohnstätte hatten. Man sieht, Marianens
Boudoir war eine kleine Natur-Wildniß und bot einen ziemlich schroffen
Gegensatz zu den zierlichen Boudoirs anderer Damen dar.

Mariane hatte sich lediglich in der Absicht dahin begeben, um sich
ihren Lieblingen in dem prächtigen Anzuge vorzustellen; derselbe
versetzte auch namentlich den Papagei und die Affen in eine so große
Aufregung, daß sie mit diesen Complimenten wol zufrieden sein konnte.

Das Gezwitscher der Vögel, das Gekrächze und Schnurren des Papageis und
der Affen war fast ohrbetäubend, aber um so ergötzlicher für Mariane,
die sich unter ihren Lieblingen sehr behaglich fühlte, besonders
wenn diese sich in so lebhafter Weise geltend machten, wozu sie der
farbenvolle Anzug und das Blitzen der Edelsteine herausforderte.

Während sie sich mit den Thieren unterhielt, Fragen an sie richtete,
ob sie ihnen gefalle, und sich in solcher Weise die Zeit verkürzte,
war Madame Voisin nach dem Speisezimmer gegangen, um noch allerlei
Anordnungen zu dem Diner zu treffen. Ein gedankenvoller Zug machte sich
dabei in ihrem Antlitz geltend, der durch Marianens Verhalten gegen sie
hervor gerufen worden war.

»Ja, ja,« dachte sie, »ich habe mich in meinen Erwartungen hinsichts
dieses Mädchens nicht getäuscht. Ihre heutigen Worte und ihr
befehlendes Benehmen, das sie mit dem fürstlichen Anzuge angenommen,
beweisen mir das. Wol hat sie Recht; sie ist schöner als alle Anderen;
daß sie dies jedoch erkannt hat, darin liegt eben ihre Macht, und ich
würde mich wundern, sollte sie nicht einen gewichtigen Einfluß auf den
Prinzen -- den künftigen Regenten! -- gewinnen. Ich muß diese Umstände
wohl beachten; denn wer kann wissen, zu welchem Ende diese Liebschaft
führt. Ja, ja, sie ist reizend, und mir däucht fast, sie ist noch
klüger als schön; denn wie sehr hat sie sich in den wenigen Monaten
ihres Hierseins schon geändert, und wie vortrefflich versteht sie es,
den Prinzen zu behandeln, daß er sich nur bei ihr glücklich fühlt und
darüber Frau und Kind und alle Staatsgeschäfte vergißt.« --

Also bedachte Madame Voisin die Verhältnisse, und nach dem Erfahrenen
dürfen wir ihr nur beipflichten. Mariane beherrschte in der That schon
den Prinzen, ohne daß sie und dieser selbst eine Ahnung davon hatten.

Sie hatte sich mit überraschender Schnelligkeit in die ihr durchaus
neuen Verhältnisse zu schicken gewußt, nicht minder schnell hatte sie
die Scheu vor der Hoheit abgelegt und sich bemüht, dieser die Wünsche
und Schwächen abzulauschen und ihr in der angenehmsten Weise entgegen
zu kommen.

Ihr lebhaftes Naturell, ihr Witz und Verstand leisteten ihr dabei
wesentliche Hilfe, und gleich einer Scheherezade wußte sie den Prinzen
durch allerlei Nichtigkeiten so angenehm zu unterhalten, daß ihm die
Zeit bei ihr wie im Fluge dahin zu eilen schien.

Was den Prinzen jedoch ganz besonders an sie fesselte, war ihre
Wißbegier, wodurch sie ihn stets herausforderte und die ihn veranlaßte,
sie über tausend Dinge aufzuklären. Ihre ungewöhnliche Fassungskraft
und die lebhafte Phantasie, die unaufhörlich neue Gedanken und
Erfindungen in ihr erzeugte, waren der reiche Quell, aus denen sie die
Stoffe der Unterhaltung schöpfte und wodurch sie zugleich des Prinzen
Bemühen um sie angenehm machte. Sie gab geistig fast mehr, als sie
empfing, und verhütete dadurch jede Anstrengung, die der Prinz nicht
liebte, und traf also ganz des Letzteren Geschmack.

An die Waldeinsamkeit gewöhnt und von einem verschwenderischen Luxus
umgeben, der ihr ganz neue Genüsse gewährte; durch Spazierfahrten
mit Madame Voisin und den näher bezeichneten Zeitvertreib mit ihren
Lieblingen ergötzt, fühlte sie sich befriedigt. Der Unterricht im
Gesang und der Musik und des Prinzen Besuche trugen dazu gleichfalls
nicht unwesentlich bei, indem sie sich dabei sehr gut unterhielt.
Dies war dem Prinzen aus den bekannten Gründen sehr erwünscht und um
so inniger gab er sich dem Mädchen hin, das ihn mit jedem neuen Tage
mehr an sich fesselte. Zugleich war er bemüht, das Geheimniß seiner
Liebe zu bewahren, welches seinen Genüssen einen eben so neuen, als
eigenthümlichen Reiz verlieh. So wird es denn auch nicht überraschen,
ihn, tief in einen Mantel gehüllt, nach dem Ufer des Sees fahren und an
einer bestimmten Stelle aussteigen zu sehen.

Während der Wagen zurückkehrte, schlug der Prinz einen nach dem Seeufer
führenden Pfad ein. Daselbst angelangt, wurde er von zwei Männern
empfangen, die seiner mit einer bedeckten Gondel harrten. Nach einem
leichten Kopfnicken begab sich der Prinz in das Fahrzeug, das, durch
die Ruder der Leute rasch fortbewegt, bald über den See geräuschlos
dahin glitt.

Nach kurzer Zeit erreichten sie das entgegengesetzte Ufer, woselbst die
Gondel an dem zu der Villa gehörigen Garten hielt, der hier bis in den
See lief. Kaum landete das Boot, so verließ der Prinz dasselbe und ging
rasch durch die einsamen Gänge nach dem Hause.

Weder hier noch am Landeplatz wurde er von irgend Jemand empfangen.
Er hatte das also bestimmt, und wir erkennen, wie sehr er bedacht
war, jede Wichtigkeit von sich abzuweisen. Den Schiffern und Dienern
in der Villa war auf das strengste anbefohlen worden, dem Prinzen nur
die nothwendigste Aufmerksamkeit zu schenken und sich um sein Kommen
und Gehen durchaus nicht weiter zu kümmern. In solcher Weise bemühte
sich der Prinz, den idyllischen Charakter dieses Verhältnisses zu
bewahren, und indem man ihm dabei von allen Seiten entgegen kam, konnte
es nicht fehlen, daß er in der That von dem tiefen Geheimniß seiner
Liebe überzeugt war, obwol man, wie wir erfahren haben, dasselbe längst
verrathen hatte.

Im Vorzimmer der Villa empfing den Prinzen ein Diener, der ihm den
Mantel abnahm, worauf er sich in das nächstgelegene Gemach begab,
woselbst ihn Madame Voisin mit den üblichen Knixen begrüßte.

»Nun, wo ist Mariane? Warum kommt sie mir nicht wie sonst entgegen?«
fragte der Prinz rasch.

»Hoheit verzeihen; das Fräulein erwartet Sie in dem Boudoir« -- beeilte
sich Madame Voisin mit einem bedeutungsvollen Lächeln zu entgegnen.

»Ah, ich merke, sie hat wieder einen Scherz im Sinn. Nun, wollen
sehen!«

Mit diesen Worten eilte der Prinz davon und blieb, als er den Eingang
des Boudoirs erreichte, mit einem Ausruf der angenehmsten Ueberraschung
stehen.

Mit Wohlgefallen ruhte sein Auge auf Marianen, die mit dem Ausdruck
komischer Wichtigkeit sich ceremoniell vor ihm verneigte und, dabei
zugleich mit dem Fächer kokett spielend, einer Oberhofmeisterin an
höfischer Würde nichts nachgab.

»Bei Gott, Du bist schön und stolz wie eine Königin!« rief der Prinz
entzückt und eilte auf sie zu, um sie in die Arme zu schließen. Mariane
trat, ihrer vorbedachten Rolle getreu, einen Schritt zurück und
entgegnete voll Würde:

»Gemach, Hoheit! In solcher Weise nähert man sich hohen Personen nicht!«

Dabei kokettirte sie, das Antlitz hinter dem Fächer geborgen, mit dem
Prinzen gleich einer Schauspielerin, und wußte das Alles mit solchem
Reiz in Mienen und Benehmen zu thun, daß sich des Prinzen Beifall nur
noch steigerte.

»Köstlich, köstlich!« sprach er, ihr Küsse zuwerfend.

Sie spielte noch einige Augenblicke ihre Rolle weiter: dann aber warf
sie den Fächer auf den Boden, breitete die Arme aus und rief, indem sie
sich an seine Brust sinken ließ:

»So, nun ist’s mit der Prinzessin genug! Hier, Hoheit, hast Du wieder
Deine Waldtaube!« Und sie umschlang und küßte ihn, und als dies
geschehen war, trat sie von ihm zurück und bemerkte:

»Jetzt betrachte mich noch einmal, Hoheit! O, wie bin ich glücklich,
daß ich Dir gefalle und Du nicht böse bist, mich in diesem Anzug zu
finden, wie die Voisin meinte!«

»Da irrte sie; denn Du gefällst mir über die Maßen und ich erkenne,
daß Du dem Hofe alle Ehre machen würdest. Wer von unseren Damen könnte
sich mit Dir vergleichen wollen, ohne vor Deiner Schönheit zurückstehen
zu müssen! Jetzt bist Du nicht mehr der Waldvogel, sondern die
Waldkönigin! Dir fehlt nichts, als ein Diadem, um das sich der Kranz
schlingt, und das sollst Du haben und schöner noch als das der Fee!«

»O, Du gute, liebe Hoheit!« rief Mariane, durch die Aussicht auf ein
so schönes Geschenk beglückt, und tändelte alsdann in der gewöhnten
Weise mit dem Prinzen, bis Madame Voisin sie zum Diner einlud. Diese
bediente sie bei demselben und es herrschte dabei die ungezwungenste
Fröhlichkeit. Mariane beschäftigte den Prinzen durch unaufhörliche
Fragen nach dem Hof und den daselbst weilenden Personen, namentlich
den Damen, und dem Treiben daselbst. Nur seiner Gemahlin gedachte sie
nicht, weil ihr der Prinz dies ein- für allemal verboten hatte. Nach
dem Diner schlug der Letztere mit Marianen Ball, ein Vergnügen, das sie
sehr liebte, worauf, als es dunkelte, er ihr Unterricht auf dem Klavier
ertheilte und sich an der rasch angeeigneten Fertigkeit des Mädchens
ergötzte.

Dann mußte sie ihre Lieder singen, die er mit dem Klavier begleitete.
In solcher Weise ging ihnen die Zeit angenehm dahin, und indem wir
bedacht gewesen, dieses Zusammensein näher zu bezeichnen, liegt die
Frage nahe, warum der Prinz alle diese Bemühungen nicht lieber seiner
Gemahlin darbrachte und sich darin glücklich fühlte?

Die Antwort hierauf dürfte lediglich in dem besondern Charakter des
Prinzen zu suchen sein.

Sidonie würde von diesem Verhältniß ihres Gemahls wahrscheinlich
nichts erfahren haben, hätte es Mühlfels in seinem Interesse nicht für
zweckmäßig erachtet, ihr dasselbe zu verrathen.

Wie wenig Gewicht sie darauf legte, ist uns bekannt geworden, nicht
minder, daß sie in dem Genuß ihres wiedergekehrten Freundes dieses
Verhältnisses kaum noch gedachte, geschweige denn sich etwa weitere
Aufklärung darüber von dem Baron geben ließ.

Der Letztere, mit dem eigentlichen Anlaß dazu nicht bekannt, wußte sich
diese Theilnahmlosigkeit nicht zu deuten. Er hatte mit Bestimmtheit
vorausgesetzt, die Prinzessin würde ihn mit ihrem Vertrauen beehren und
sich mit ihm über diese Angelegenheit besprechen; dies geschah jedoch
nicht, sondern Sidonie schien ihn vielmehr seit jener Unterredung eher
zu meiden als zu suchen, wie das aus den bekannten Gründen wirklich der
Fall war. Was seitdem noch seine ganz besondere Besorgniß erregte, war
der Umstand, daß die Prinzessin ihn nicht mehr allein empfing, sondern
stets in Gegenwart Anderer, ja es geschah sogar, daß sie sich durch
Aurelie vertreten ließ.

Diese Erscheinungen, durchaus nicht erwartet, erregten in ihm die
ersten Zweifel an Sidoniens Zuneigung zu ihm, und der niederbeugende
Gedanke, sich über ihre Empfindungen und ihr Benehmen gegen ihn
vielleicht getäuscht zu haben, machte sich allmälig in ihm geltend.
Zwar verwarf er denselben wieder bei der Erinnerung des ihm von der
Prinzessin bisher geschenkten Wohlwollens; es lag aber auch die Frage
nahe, warum dies nicht nur in der früheren Weise fortbestand, sondern
sich auch, wie er erwartet hatte, steigerte. Alle diese Umstände
erfüllten ihn mit dem Vorsatz, die Prinzessin und ihr Thun genauer zu
prüfen, um dadurch vielleicht den Grund ihres so auffällig veränderten
Benehmens zu entdecken. Hiezu fand er zwar in den Abendgesellschaften
der Prinzessin Gelegenheit; dies genügte ihm jedoch nicht, und so
gedachte er sie auch außerdem im Geheimen zu beobachten. Er war mit
den Hofdamen und Dienern der Prinzessin ziemlich bekannt, und so
konnte es ihm nicht eben schwer werden, mancherlei vielleicht für ihn
Interessantes über sie von diesen zu erfahren.

Gewöhnt, wie wir wissen, dergleichen Angelegenheiten mit seiner Mutter
zu besprechen, vertraute er sich auch jetzt dieser an und überraschte
sie dadurch nicht eben wenig. Ihr war das Zustandekommen des von dem
Fürsten gewünschten Verhältnisses, was sie gewissermaßen als eine
Ehrensache betrachtete, von großer Wichtigkeit, ganz abgesehen, daß es
sich dabei um das besondere Interesse ihres Sohnes handelte.

»So ist Dir also nichts von Bedeutung aufgefallen, wodurch Du Dir diese
Veränderung von Ihrer Seite erklären könntest?« fragte die Baronin
nachdenkend, nachdem sie über Alles aufgeklärt worden war.

Mühlfels verneinte und versicherte, in dieser Beziehung kaum eine
Vermuthung zu besitzen.

Die Baronin erinnerte ihn darauf an Eins und das Andere, was dazu
vielleicht Veranlassung gegeben haben könnte, aber mit gleichem Erfolg.

»So will ich Dir eine überraschende Vermuthung mittheilen, die durch
Deine Worte in mir erzeugt worden ist,« sprach sie nach kurzem
Ueberlegen.

»Und die wäre?« fragte Mühlfels gespannt.

»Die Prinzessin liebt wahrscheinlich bereits.«

»Was sagen Sie!« fuhr der Baron auf.

»Ich sage, es ist so; aber ich füge auch hinzu, daß sie Dich ~nicht~
liebt.«

»Das würde mich in der tiefsten Seele verletzen; denn ich habe den
Fürsten bereits durch den Chevalier mit Sidoniens Zuneigung zu mir
bekannt machen lassen. Ich würde zum Gespötte werden, gäbe sie einem
Andern den Vorzug!« rief der Baron in großer Aufregung.

»Das würde geschehen, und darum müssen wir, und zwar nicht allein aus
diesem Grunde, sondern aus dem viel wichtigeren Interesse, das uns eine
Liaison der Prinzessin bietet, bedacht sein, in dieser Angelegenheit
Gewißheit zu erhalten.«

»Was kann mir diese helfen, wenn ich nicht der Gegenstand ihrer
Neigung bin?!« warf der Baron ärgerlich hin.

»Mehr, als Du jetzt einsiehst, mein Sohn. Gesetzt, es gelingt uns, ihre
Herzensgeheimnisse zu ergründen, so dürfte, lauschen wir ihr irgend
eine Schwäche ab, dies ein wichtiger Umstand sein, Dich in ihre Gunst
zu setzen.«

»So glaubst Du also, es könnte ein solcher Fall eintreten?«

»Warum nicht? Es wäre fast unnatürlich, sollte unsere Voraussetzung
nicht eintreffen und Sidonie unter den obwaltenden Umständen ihre
Empfindungen nicht verrathen.«

»Möglich! Doch dürfte dies lediglich von der Person abhängen, der sie
ihre Liebe geschenkt hat.«

»Gewiß; indessen sind die Verhältnisse zu günstig, dergleichen
Erwartungen nicht zu hegen.«

»Sie haben Recht. Warum sollte sie auch besser sein als alle Anderen,
besonders da des Fürsten Begünstigung sie dazu herausfordert und ihr
jede Besorgniß nimmt. Doch wir vergessen, daß darin auch zugleich ein
Mittel liegt, unsere etwaige Entdeckungen wirkungslos zu machen.«

»Wie willst Du das jetzt schon mit Gewißheit behaupten?! Bedenke, daß,
wie Du selbst sagtest, die Prinzessin den eigentlichen Sinn des von dem
Fürsten geäußerten Wunsches nicht zu ahnen scheint.« --

»Wahrhaftig, diesen Umstand hatte ich vergessen!« fiel Mühlfels erfreut
ein.

»Nun wirst Du also auch begreifen, wie wichtig und zugleich wie
wirkungsvoll für uns eine gewünschte Entdeckung werden kann.«

»Gewiß, gewiß!« rief der Baron erregt, indem er auf und ab schritt.
»Auf diesen Punkt muß nun unser Bemühen fortan gerichtet sein.«

»Natürlich, und Du mußt zugleich klug und geschickt genug sein, Dich
der Prinzessin gegenüber nicht zu verrathen. Beherrsche daher vor
allen Dingen Deine eifersüchtigen Gefühle, namentlich unter Umständen,
die Dich dazu herausfordern. Zeige Gleichgiltigkeit, jedoch nicht
ohne Wärme und die frühere Theilnahme. Das wird Sidonie über Deine
Empfindungen täuschen und sie zugleich veranlassen, Dir gegenüber
weniger Vorsicht zu beobachten. Ja, es könnte sogar geschehen, daß
diese Täuschung sie vielleicht verleitet, Deine Dienste in Anspruch
zu nehmen. Sie kennt Deine Ergebenheit, hält Dich für ihren treuesten
Freund, und so kann man nicht wissen, welche wichtige Erfolge alle
diese Umstände erzielen. Ahnt sie Deine Neigung und Absichten nicht, um
so besser; denn man vertraut sich in der Liebe eher einem Freunde, als
einem Verehrer. Hat sich Sidonie nur erst wirklich verrathen und unser
Forschen einen Boden gewonnen, dann werden wir durch entsprechende
Geschicklichkeit und geduldiges Ausharren auch früher oder später
zu den gewünschten Entdeckungen gelangen. Denn Du hast ganz Recht,
mein lieber Sohn, warum sollte die Prinzessin unter den obwaltenden
Verhältnissen besser sein wollen, als Andere ihres Gleichen.«

»Ihr kluger Rath soll mir zur Richtschnur meines ferneren Handelns
dienen.«

»Gut, mein Sohn. Doch sage, haben Dich nicht etwa die Umstände auf
irgend eine Vermuthung geleitet, ob und wen Sidonie etwa begünstigt?«

»Ich strenge vergeblich mein Gedächtniß an. In den Abendgesellschaften
wenigstens, die mir die einzige Gelegenheit zum Beobachten der
Prinzessin bieten, habe ich dergleichen nicht bemerkt.«

»Das ist recht bedauerlich!« bemerkte die Baronin und fügte nach kurzem
Nachdenken hinzu: »Man sagt, Graf Römer sei wieder hier und besuchte
wie früher die Cirkel der Prinzessin.«

»So ist es. Er war auch neulich daselbst anwesend.«

»Bewies ihm die Prinzessin nicht besondere Aufmerksamkeit?«

»Nicht im geringsten; sie begegnete ihm wie ihren anderen Gästen
freundlich, aber ein wenig förmlich, wie das ihre Art ist.«

»Und der Graf?«

»Schien sich wenig um Sidonie zu kümmern und unterhielt sich viel mit
den Künstlern und Gelehrten. Sie scheinen, liebe Mutter, den Grafen
für bedeutender zu halten, als er ist, und sogar zu vermuthen, die
Prinzessin könnte sich für ihn interessiren. Ich habe Ihnen schon
früher gesagt, daß sich des Grafen ernstes, abgeschlossenes Wesen
wenig zur Liebe eignet, am wenigsten zärtliche Neigungen zu erwecken
befähigt erscheint. Er ist ein Wissenschaftsmensch und wird, wie man
mir sagte, sich nächstens wieder auf eine längere Reise begeben. Alle
diese Umstände verneinen daher Ihre etwaigen Voraussetzungen.«

»Es könnte sein; Du wirst es jedoch natürlich finden, daß bei dem
Mangel an geeigneten Persönlichkeiten mir der Graf nicht gleichgiltig
erscheint. Die Prinzessin interessirt sich bekanntlich für die
Wissenschaften; ein Grund, sie dem Grafen zu nähern. Denn wie ich
vernahm, soll Römer auch außer den gewöhnlichen Gesellschaften bei
der Prinzessin gewesen sein; ein Zeichen, daß ihr diese Besuche
wünschenswerth und angenehm sind.«

»So wird es sein, doch dürfte man daraus noch nicht auf ein
persönliches Interesse schließen dürfen,« fiel Mühlfels ein.

»Sei dem, wie ihm wolle; immerhin könnte es nicht schaden, den Grafen
fortan ein wenig zu beobachten. Thue das also, mein Sohn; ich werde
nicht ermangeln, ein Gleiches zu thun und zugleich bedacht sein,
dabei meine vertrauten und geheimen Quellen zu benutzen. Du weißt,
mein Sohn, die Verstellungskunst ist an unserm Hofe sehr ausgebildet;
sollte es denn geschehen sein, daß dieselbe auf die Prinzessin ganz
ohne Wirkung geblieben wäre? Ich zweifle daran, und eben weil ich dies
thue, erscheinen mir auch ganz harmlose Personen nicht bedeutungslos,
wenigstens dürfen sie das für uns nicht sein. Ich denke, dies wird
nicht ohne Einfluß auf Dein künftiges Benehmen und Handeln sein.«

Hiermit schloß die Baronin ihre Betrachtungen und war erfreut, in dem
Kopfnicken ihres Sohnes die Beistimmung zu denselben zu finden. Mutter
und Sohn trennten sich alsdann, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.

Die Baronin kannte ihr Geschlecht zu wohl, um nicht zu wissen, wie
groß dessen Verstellungskunst wäre, selbst bei Frauen, deren Charakter
nicht gehaltlos genannt werden durfte. Sie urtheilte daher nach ihren
Erfahrungen und hegte überdies hinsichts des Grafen ganz andere
Ansichten als ihr Sohn. Sie fand Römer interessant, sein Benehmen
sehr geeignet, den Frauen zu gefallen, indem ihn sein würdiges und
männliches Wesen weit über seine Umgebung empor hob. Diese Ansicht
hatte sie bereits bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Grafen bei der
Prinzessin gewonnen. Sagte ihr auch ihre Muttereitelkeit, daß ihr Sohn
hübscher und sein Benehmen Liebe erweckender als das des Grafen sei,
so wußte sie doch auch, daß jede Frau ihrer besondern Vorliebe huldigt
und man daher in Bezug auf die Neigung derselben sehr leicht getäuscht
werden könnte.

Ihr erschien daher der Graf der genaueren Beobachtung wol werth, und
sie nahm sich vor, diese nicht zu unterlassen, sobald sich ihr die
Gelegenheit dazu bieten sollte.

Anders war es mit Mühlfels. Er war überzeugt, daß seine Bemühungen
in dieser Beziehung durchaus fruchtlos sein würden, und lächelte über
die Vorurtheile seiner Mutter. Ueberdies hatte ihn die stattgefundene
Unterredung auf einen ganz neuen Gedanken geführt. Er überlegte
nämlich, daß, wenn Sidonie wirklich eine geheime Liebe hegte, damit
doch noch nicht die Nothwendigkeit gegeben war, daß sich der Gegenstand
derselben auch am Hofe und in ihrer nächsten Umgebung befinden müsse.

Die Prinzessin machte Ausfahrten, auf welchen sie oft längere Zeit
fort blieb, ja sie gefiel sich auch in Spaziergängen durch den Park
und Wald: warum, sagte er sich, sollte es ihr nicht vielleicht auch
gefallen, dem Prinzen nachzuahmen und ihre Liebe unter dem Schleier
eines tiefen Geheimnisses zu genießen. Forderte sie ihr Gemahl nicht
dazu heraus und zeigte ihr die geeigneten Wege zur Erreichung ihrer
Wünsche.

Dieser Gedanke gewann bei weiterem Erwägen immer mehr Bedeutung für
ihn und erzeugte den Entschluß, Sidoniens Ausfahrten und Spaziergänge
fortan im Geheimen zu beobachten. Er glaubte hierauf seinen ganzen
Fleiß verwenden zu müssen, von der Ueberzeugung erfüllt, daß, wenn
Sidoniens Begünstigter sich wirklich in ihrer nächsten Nähe befand,
dies auch ohne sein Zuthun von Seiten der weiblichen Späher am Hofe
bald entdeckt und ihm daher schnell bekannt werden würde.

Dafür bürgte ihm schon die Klugheit und der Scharfblick seiner Mutter.

So legte sich um die nichts Uebles fürchtende Prinzessin ein Gewebe
von Intriguen, dem sie um so leichter zum Opfer fallen konnte, da sie
weit entfernt war, das große, für ihre Person und ihr Verhalten gehegte
Interesse zu ahnen. Diese Gefahr mußte um so bedeutsamer im Hinblick
auf ihre Liebe genannt werden, indem diese sie leicht verleiten konnte,
irgend welche Schwächen zu zeigen und sich dadurch zu verrathen. Wie
leicht verräth sich das von Liebe erfüllte Herz, und ein unvorsichtiger
Blick, ein Wort genügt dem Spähenden schon, dem Befangenen immer
wirksamere Fallstricke zu legen.

Die winterliche Jahreszeit beschränkte allerdings sowol Mühlfels’
beabsichtigte Thätigkeit, als diejenige aller Uebrigen, dagegen war
sie auch wiederum sehr geeignet, die Personen in einem engeren Kreise
zusammen zu führen und dadurch Gelegenheit zum Beobachten zu bieten.

Ahnte, wie wir bereits bemerkt haben, Sidonie nicht das Geringste von
den ihr drohenden Gefahren und war dieser Umstand sehr geeignet, sie in
ihrem Verhalten gegen den Grafen weniger vorsichtig zu machen und dem
Zuge ihres Herzens zu folgen, so übte hierauf noch ein anderer Umstand
einen sehr wichtigen Einfluß aus.

Außer in ihren Gesellschaften sah Sidonie den Grafen noch ein- bis
zweimal in der Woche im Theater, woselbst sie zugleich nicht eben
selten die Gelegenheit fand, in den Zwischenacten sich mit dem
Geliebten zu unterhalten. Ihr Bruder führte ihr diesen anfangs zu;
später suchte der Graf die Prinzessin auch allein auf.

Diese Besuche konnten um so weniger als besonders betrachtet werden,
da auch andere Personen gleich ihm Sidonien dergleichen abstatteten
und dies ohnehin eine herkömmliche Sitte war. Römer unterließ die
Beobachtung dieser Sitte um so weniger, weil er sich dadurch einige
glückliche Augenblicke verschaffte, dann aber auch weil das Gegentheil
aufgefallen wäre. Sein näherer Umgang mit der Prinzessin war längst
allgemein bekannt geworden, und er erachtete es daher für klug, sein
Interesse für sie offen zu zeigen.

Denn es darf nicht verschwiegen werden, daß Sidonie den Grafen auch
außer in ihren Gesellschaften noch bei sich sah, bisweilen in der
Begleitung ihres Bruders, oft auch ohne dieselbe. Das konnte nicht
unbekannt bleiben. Jene Besuche freilich, bei welchen sie ihn in
dem Blumenzimmer nur im Beisein Aureliens empfing, blieben der Welt
ein Geheimniß. Es waren das für die Liebenden die süßesten Stunden,
ihnen leider stets zu kurz zugemessen, um ihr liebendes Herz ganz zu
befriedigen. Aber die Verhältnisse gestatteten denselben keine längere
Dauer, und mit stillem Dank genossen sie die ihnen von dem Geschick so
freundlich gewährte Gabe.

Diese Zusammenkünfte wurden dadurch ermöglicht, daß der Graf wie früher
Aurelien besuchte und es daher den Schein gewann, als käme er zu ihr.
Da in dieser Beziehung von allen Seiten eine große Vorsicht beobachtet
wurde, so gelang es ihnen, die zu fürchtende Dienerschaft zu täuschen,
welche in diesen Besuchen lediglich ein Interesse des Grafen für die
Hofdame sah.

Der Fürst war durch den Chevalier sehr bald mit der Anwesenheit des
Grafen und dessen näheren Beziehungen zu der Prinzessin bekannt gemacht
worden, und da Boisière den Grafen zugleich als einen sehr gebildeten
und interessanten Mann bezeichnete, erwachte in dem Fürsten der Wunsch,
Römer persönlich kennen zu lernen.

Da sich der Graf von dem Hof fern hielt, so gedachte der Fürst sich
denselben bei einer geeigneten Gelegenheit vorstellen zu lassen. Diese
Gelegenheit fand sich, als der Fürst nach seiner Wiederherstellung
wieder das Theater besuchte. Kaum daselbst angelangt, erinnerte er sich
Römer’s und ließ, nachdem er dessen Anwesenheit vernommen, sich ihn
durch den Chevalier zuführen.

Eine kurze Unterhaltung überzeugte den Fürsten, daß der Ruf von des
Grafen Vorzügen durchaus begründet sei. Ueberdies sagte ihm auch dessen
Wesen und Benehmen ganz besonders zu, und er entließ den Grafen nicht
nur sehr gnädig, sondern auch mit der schmeichelhaften Bemerkung, daß
er sich freuen würde, ihn recht oft am Hofe zu sehen.

Der Fürst benutzte zugleich diesen Abend, um seine Absicht in Bezug auf
die Prinzessin auszuführen.

Diese befand sich nämlich gleichfalls im Theater. Sein Leiden hatte
ihn seit längerer Zeit von ihr fern gehalten und ihn daher an der
Ausführung seines Vorhabens verhindert. Er wollte darum das Versäumte
nachholen. Durch Mühlfels’ Mittheilungen getäuscht, erachtete er es um
so ersprießlicher, sich persönlich zu überzeugen, in wie weit sich
seine Erwartungen etwa erfüllen könnten.

Er benutzte daher die erste Zwischenpause und begab sich zu Sidonien.

»Wie sehr freue ich mich, liebste Prinzessin, Sie wieder einmal zu
sehen,« bemerkte er in gütigem Ton.

Sidonie dankte und wünschte ihm zu seiner Genesung Glück.

»Man kann auch Ihnen Glück wünschen, meine Liebste; denn ich bin
überrascht über Ihr gutes Aussehen. Seit ich Sie zum letzten Mal
sah, -- ich denke, es sind das mehr denn zwei Monate -- ist ja eine
wesentliche Veränderung mit Ihnen vorgegangen,« bemerkte der Fürst
freundlich und sie mit Wohlgefallen betrachtend.

Sidonie erröthete in dem Bewußtsein, daß diese Veränderung lediglich
die Folge ihres Liebesglückes sei; da sie jedoch irgend etwas auf des
Fürsten Bemerkung antworten mußte, so entgegnete sie, daß sie sich in
der That wohler als früher fühle.

»Das ist mir ja äußerst angenehm zu hören,« fiel der Fürst ein und
fügte mit einem besondern Lächeln hinzu: »Man sagt mir, Sie gefielen
sich jetzt mehr in Zerstreuungen, und das freut mich von Herzen, denn
Sie wissen, daß ich stets gewünscht habe, Sie empfänglicher für die
Lebensgenüsse zu finden. Das ist gut, sehr gut. Vermag ich auch leider
Ihr übles Verhältniß zu dem Prinzen nicht zu bessern, so wünsche ich
doch um so mehr, Sie möchten dadurch nicht in dem Genuß des Lebens
beeinträchtigt werden, wozu Sie ja Ihre Stellung und Jugend so sehr
berechtigen. Wenn wir,« fuhr der Fürst nach kurzer Pause fort, »durch
Leiden belästigt werden, da thun uns heitere und angenehme Personen
wohl; ich habe das an mir selbst erlebt, und es ist mir lieb, zu
erfahren, daß Sie auch außer den Männern der Kunst und Wissenschaft
anderen Persönlichkeiten, wie Baron Mühlfels und Graf Römer, gestatten,
Ihnen aufzuwarten.«

Sidonie erschrak und wandte das Auge von ihm ab. Sie fürchtete,
verrathen zu sein, und erwartete, daß ihr der Fürst dies jetzt zu
erkennen geben würde. Ihr fehlte eine passende Erwiderung, und sie
athmete froh auf, als der Fürst nach kurzem Hüsteln also fortfuhr:

»Der Baron ist mir als ein heiterer und angenehmer Gesellschafter
bekannt und verdient wegen dieser Vorzüge und aus Rücksicht auf seine
Mutter Ihre freundliche Beachtung, und ich wiederhole Ihnen, wie sehr
es mich freuen würde, legten Sie einigen Werth auf seinen Umgang.« --

Der Fürst schwieg und schaute die Prinzessin prüfend an, deren
Betroffenheit über diese Empfehlung eines ihr fast gleichgiltigen
Mannes ihn zu der Vermuthung verleitete, daß er hinsichts eines näheren
Verhältnisses zwischen ihr und Mühlfels nicht falsch berichtet sein
könnte. Mit einem feinen Lächeln fragte er, die Prinzessin unbefangen
anschauend: »Nicht wahr, liebste Prinzessin, Sie sehen den Baron
bisweilen?«

»Allerdings, ohne daß ich ihm jedoch einen besondern Vorzug einräume,«
entgegnete Sidonie.

»Nun, nun, ich fordere von Ihnen kein Bekenntniß,« fiel der Fürst
lächelnd ein. »In wie weit Sie ihn zu bevorzugen geneigt sind, ist Ihre
Sache; doch können Sie sich überzeugt halten, daß Ihre Sentiments stets
meinen Beifall haben werden.« --

Der Fürst lächelte wieder ein wenig und fuhr, ehe die durch das
Vernommene auf’s Neue betroffene Sidonie noch etwas zu erwidern
vermochte, fort: »Da ist auch Graf Römer, den ich soeben kennen gelernt
habe und der ein eben so tüchtiger Kopf wie angenehmer Mann zu sein
scheint und, wie ich hörte, sich gleichfalls Ihrer Beachtung erfreut.
Ich wünsche Ihnen zu dieser Bekanntschaft Glück, liebste Prinzessin,
und sehe es gern, daß Sie auch an seinem Umgange Geschmack finden. Ich
gedenke ihn auch in meine Cirkel zu ziehen, denn er gefällt mir.«

Der Fürst hatte dies im gewöhnlichen Unterhaltungston gesprochen, der
Sidonien die angenehme Beruhigung gewährte, daß ihm ihr Interesse für
Römer durchaus unbekannt sein müßte und auch er, wie alle Anderen,
in dem Grafen nur den ernsten Wissenschaftsmenschen schätzte, der
lediglich in seinen Studien Befriedigung fand und sich darum in der
Huldigung der Frauen kaum gefallen konnte.

Diese Entdeckung beglückte sie tief und nahm ihrem Herzen rasch die
durch des Fürsten Worte in ihr erzeugte Besorgniß. Ebenso that ihr das
Lob des Geliebten wohl, noch mehr die Billigung des Fürsten zu ihrem
Umgange mit demselben, zu welchem dieser ihr sogar Glück wünschte.

In solcher Weise angenehm berührt, glaubte Sidonie sich verpflichtet,
den Fürsten über des Grafen Vorzüge genauer zu unterrichten, damit er
dieselben nach Gebühr schätzen konnte, und darum entgegnete sie mit
Wärme:

»Ich freue mich, mein Fürst, mein Interesse hinsichts des Grafen von
Ihnen getheilt zu sehen; ich bin gewiß, ein näherer Umgang mit Römer
wird Ihnen die Ueberzeugung gewähren, wie sehr er dieses verdient.«

»Ihre Empfehlung des Grafen, =ma chère Nièce=, ist mir angenehm, weniger
meinet- als Ihretwegen; denn ich erkenne daraus, daß Sie etwas auf den
Grafen geben. Männer seiner Art pflegen im Allgemeinen bei den Frauen
nicht sehr beliebt zu sein; die Wissenschaften und der Ernst sind nicht
ihr Element; man weiß das ja,« bemerkte der Fürst leichthin.

»Sie werden, mein Fürst, über des Grafen Vorzüge und Wesen bald selbst
ein Urtheil gewinnen; ich kann jedoch nicht umhin, die Versicherung
auszusprechen, daß der Graf dergleichen mehr besitzt, als ihm die
Welt zuzuerkennen beliebt. Am wenigsten ist er nur ein kalter
Wissenschaftsmensch. Seine Vorzüge beruhen nicht nur in einer seltenen
wissenschaftlichen Bildung, sondern auch in einem edeln Charakter und
warmen, für alles Schöne und Gute empfänglichen Herzen. Der Ernst
und die scheinbare Abgemessenheit in seinem Umgange mit ihm nicht
näher stehenden Personen haben wahrscheinlich den Anlaß zu seiner
einseitigen Beurtheilung geboten, und erst seine nähere Kenntniß
verschafft uns einen wichtigen Einblick in seine edle, reiche Natur,
wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit fand.«

»So, so! Das ist mir lieb zu hören! Um so werthvoller und angenehmer
wird Ihnen daher auch sein Umgang sein, und ich rathe Ihnen, einen so
interessanten Mann recht, recht fest zu halten,« fiel der Fürst, der
ihren Worten sehr aufmerksam gefolgt war, theilnehmend und unbefangen
ein, indem er zugleich sein Auge prüfend über sie streifen ließ.

»So weit mir die Verhältnisse dies gestatten, bin ich darauf bedacht,«
bemerkte Sidonie ein wenig erröthend.

»Seien Sie nicht zu bedenklich, Liebste! Der Welt sind Sie über Ihr
Thun keine Rechenschaft schuldig, und wie ~ich~ in solchen Dingen
denke, wissen Sie,« sprach der Fürst mit Betonung und blickte die
Prinzessin bedeutungsvoll an.

Sidonie verwirrte dieser Blick; sie glaubte in demselben die Andeutung
zu lesen, daß der Fürst bei ihr ein wärmeres Interesse für den Grafen
voraussetzte, das entweder schon vorhanden war, oder etwa später
entstehen könnte, und daß er ein solches nicht mißbilligen würde.

Zu einer weiteren Erwägung behielt sie jedoch nicht Zeit, denn
der Beginn der Vorstellung veranlaßte den Fürsten, in seine Loge
zurückzukehren. Sie that ein Gleiches, jedoch mit besorgtem Herzen. Je
mehr sie des Fürsten Worte erwog, um so mehr glaubte sie sich in ihrer
Voraussetzung nicht zu täuschen, und das steigerte ihre Unruhe.

Sie fragte sich, welche Gründe ihn dazu veranlaßt haben könnten, und
gerieth auf den beunruhigenden Gedanken, ihre Liebe zu Römer könnte ihm
wol gar verrathen worden sein und er wäre daher bedacht gewesen, sie im
Hinblick auf ihr eheliches Zerwürfniß durch die Billigung desselben zu
beruhigen. Vielleicht, so sagte sie sich, fürchtete er von ihrer Seite
eine Anklage gegen den Prinzen und kam ihr daher absichtlich in solcher
Weise zuvor, um ihr dadurch gewissermaßen die Berechtigung zu einer
Beschwerde zu nehmen.

Dann aber erinnerte sie sich, daß er Aehnliches auch hinsichts
Mühlfels’ gesagt und ihr dessen Umgang gleichfalls empfohlen, und
gelangte dadurch zu der Voraussetzung, sich getäuscht zu haben und
lediglich durch ihre Liebe zu Römer auf solche Gedanken geführt worden
zu sein.

Der Fürst, sie wußte es ja genügend, war ein Feind aller Prüderie bei
den Frauen, und so konnte es leicht geschehen sein, daß sie seinen
Worten und Blicken eine viel tiefere Bedeutung unterlegte, als diese es
verdienten.

Eine genauere Erwägung überzeugte sie immer mehr von ihrer Täuschung,
und als die Vorstellung beendet und sie in das Palais zurückgekehrt
war, beeilte sie sich, Aurelien, die sie an diesem Abend nicht in das
Theater begleitet hatte, ihre Gedanken und Besorgnisse mitzutheilen.

Nach kurzem Ueberlegen stimmte die Freundin ihrer Ansicht bei, indem
auch sie die Meinung hegte, Sidonie deute sich des Fürsten Worte in
einem andern Sinn, als dieser es gemeint. Außerdem lag es nahe, daß
Sidoniens Besorgnisse wegen eines Verrathes ihrer Liebe leicht eine
solche Täuschung erzeugen konnten.

In solcher Weise beruhigten sich die Freundinnen allmälig, indem die
Freude, Sidoniens Umgang mit dem Grafen von dem Fürsten nicht nur
gebilligt, sondern sogar gewünscht zu wissen, darauf einen wesentlichen
Einfluß ausübte.

In diesem Bewußtsein lag jedoch die sehr gefährliche Versuchung für
Sidonie, sich in dem Umgange mit Römer fortan weniger Zwang als bisher
aufzulegen. Sie erkannte dieselbe freilich nicht, und eben so wenig
erinnerte sie sich, um wie viel mehr ein liebendes Herz derselben
unterliegen könnte. Wie hätte sie auch in dem beglückenden Genuß, den
ihr die Gegenwart des Geliebten bot, zu dergleichen Betrachtungen
geführt werden können. -- Mit inniger Freude sah sie dem Augenblick
entgegen, in welchem es ihr gestattet sein würde, ihm die Unterredung
und das Lob des Fürsten mittheilen zu können. Sie war überzeugt, ihm
dadurch eine nicht geringere Freude, als die ihrige, zu bereiten.

Wie ganz anders wären ihre Empfindungen gewesen, hätte sie in das Herz
ihres fürstlichen Oheims schauen können! -- Hätte sie das zufriedene
Lächeln bemerkt, mit welchem er sie nach jener Unterredung verließ!

Der erfahrene und scharfblickende Fürst hatte an der Wärme, mit
welcher sie über den Grafen sprach, das nicht gewöhnliche Interesse
errathen, das sie für diesen hegte, und daß es nicht die Vorliebe für
den ~kenntnißreichen~, sondern für den ~liebenswürdigen~ Mann sei,
welche sie seinen näheren Umgang suchen und ihr diesen wünschenswerth
erscheinen ließ. Die Frauen, sagte er sich, hängen sich stets an
die Person; die rein geistigen Vorzüge erwärmen sie nicht genug und
gewähren ihnen daher auch in den meisten Fällen nicht Befriedigung.
Sie müssen stets mehr oder weniger lieben. Die Besonderheit der
verschiedenen Geschlechter macht sich auch hier, wie immer, geltend.

Wir kennen des Fürsten eigenthümliche und in der That ganz besondere
Wünsche und werden daher nicht überrascht sein zu erfahren, daß der
Graf ihm für seine Absichten viel passender als der Baron erschien.
Der Erstere sagte ihm überdies auch viel mehr als der Letztere zu, und
so war es ihm höchst angenehm zu wissen, daß die Prinzessin zärtliche
Gefühle für Römer hegte.

Er wiegte seinen feinen, geistreichen Kopf behaglich hin und her, indem
er erwog, sich auch in den Voraussetzungen hinsichts der Prinzessin
nicht getäuscht zu haben.

»Alles hat seine Zeit, besonders die Tugend der Frauen; das Naturgesetz
ist mächtiger, als alle von den Menschen aufgestellten Moral-Gesetze.
Gut, daß es so ist. So werden die wichtigeren Zwecke des Lebens
erfüllt.« --

Also dachte der calculirende Fürst.




                           Viertes Kapitel.


Mühlfels saß einsam und unmuthig in seinem Zimmer, ohne den milden,
sonnigen Tag zu beachten, der trotz der winterlichen Zeit hinauslockte.
Seine Gedanken waren viel zu trüber Art, um neben ihnen etwa noch Raum
für dergleichen Eindrücke zu gestatten.

Sein Unmuth und Grübeln waren nicht nur durch die Erfolglosigkeit
seiner Bemühungen, sich Sidoniens ihm früher geschenkte Gunst wieder
erwerben zu können, hervorgerufen, sondern noch mehr durch das
niederbeugende Bewußtsein, statt derselben nur noch durch eine kühle
Beachtung abgefunden worden zu sein. Er sah sie nur noch in der
Gesellschaft bei ihr, oder einer zufälligen Begegnung, ohne jedoch
durch vermehrte Freundlichkeit beglückt zu werden.

Ebenso waren seine weiteren Bemühungen, sich Gewißheit über eine
etwaige Neigung Sidoniens zu verschaffen, gleichfalls fruchtlos
geblieben; denn weder in ihren Gesellschaften noch auf ihren Ausfahrten
oder anderen Gelegenheiten hatte er in dieser Beziehung irgend etwas
Wichtiges entdeckt.

Nicht anders war es seiner Mutter ergangen, und so befand er sich nach
Ablauf von mehren Monaten noch eben so rathlos, als bei der früheren
Unterredung mit seiner Mutter. Alle diese Umstände hatten sein Herz
mit den bittersten Gefühlen erfüllt, und er erwog soeben, ob er an dem
heutigen Abend, an welchem wie gewöhnlich bei Sidonien Gesellschaft
war, hingehen sollte, oder nicht. Und dennoch sah er sich dazu
genöthigt, da der von Sidonien erwartete Künstler angelangt war und
sich bei ihr zum ersten Mal hören lassen wollte. Es würde aufgefallen
sein, hätte er denselben der Prinzessin nicht persönlich vorgestellt,
da er den Mann auf ihren Wunsch zum Besuch des Hofes veranlaßt hatte.
Er durfte daher nicht fortbleiben und tröstete sich deshalb in der
angenehmen Erwartung, wenigstens durch Sidoniens Dank erfreut zu werden
und so Gelegenheit zu finden, sich ihr zu nähern.

Er wurde in seinem Grübeln durch das Glockengeläute eines
vorüberfahrenden Schlittens gestört; ihm war dasselbe nicht unbekannt,
und rasch erhob er sich und trat an das Fenster.

Er sah sich in seiner Voraussetzung nicht getäuscht; wie schon so oft,
fuhr auch heute Sidoniens Equipage vorüber, in welcher die Prinzessin
und Aurelie saßen. Sie machten bei der milden Witterung und schönen
Eisbahn fast täglich eine Ausfahrt. Wie schön däuchte ihm Sidonie!
Die Wangen von der frischen Luft ein wenig geröthet, Augen und Züge
angenehm belebt, die schlanke Gestalt von kostbaren Pelzen umhüllt,
erschien sie ihm schöner denn je, und sein Unmuth steigerte sich bei
dem Gedanken, auf das Glück ihrer Zuneigung verzichten zu müssen,
nur noch mehr. Der frohe, behagliche Ausdruck in ihrem Antlitz, der
ihm nicht entgangen war, hatte ihn heute ganz besonders überrascht
und führte ihn zu der Erwägung der auffälligen Veränderung, die seit
kurzer Zeit sowol mit der Person als mit dem Wesen der Prinzessin
vorgegangen war. Die frühere kränkliche Blässe ihres Antlitzes und der
so lange darin bemerkbare kummervolle Zug waren verschwunden und an
ihre Stelle größere Lebensfrische getreten. Eine angenehme Heiterkeit
belebte ihre Züge und selbst ein Lächeln umspielte jetzt öfter ihren
Mund und wies den früheren Ernst zurück. Mit einem Wort, ihm erschien
Sidonie wie neubelebt und eben so sehr verjüngt als verschönt. Solche
wesentliche Veränderungen konnten seiner Ansicht nach jedoch nur durch
ganz besondere Umstände hervorgerufen werden, namentlich im Hinblick
des eigenthümlichen Charakters und der übeln Lebensverhältnisse der
Prinzessin.

Denn war es nicht eine auffällige Erscheinung, daß Sidonie, die früher
durch des Prinzen Verhalten so sehr gelitten, jetzt, obwol dieser
sie über seine neue Liaison gänzlich vernachlässigte, fast gar nicht
zu leiden, sondern vielmehr von der besten Stimmung erfüllt zu sein
schien. Man durfte das nicht bezweifeln.

Nach weiterem Erwägen gelangte Mühlfels zu der Ueberzeugung, daß
dieser Widerspruch sich nur durch die Annahme eines geheimen Glücks,
das Sidoniens Herz ganz erfüllte und sie alles Unangenehme übersehen
ließ, gelöst werden konnte. Und so stimmte er der Ansicht seiner Mutter
bei. Trotz dieser so richtigen Schlüsse muß es befremden, daß Mühlfels
nicht den geringsten Argwohn hinsichts des Grafen hegte, sondern den
Gegenstand von Sidoniens Neigung unter viel ferner stehenden Personen
suchte.

Eine Stunde etwa war seit der Vorüberfahrt Sidoniens dahin gegangen,
als Mühlfels durch das Eintreten eines einfachen Mannes in seinen
Grübeleien gestört wurde. Das erhitzte Gesicht und der lebhafte Blick
desselben verriethen die körperliche Anstrengung, der er ausgesetzt
gewesen. Dieser Mann war ein ehemaliger Diener des Barons, den Mühlfels
mit dem geheimen Auftrag betraut hatte, die Ausfahrten der Prinzessin
zu beobachten, da er selbst dies nicht zu thun vermochte.

»Nun, was bringst Du für Nachrichten?« fragte der Baron, durch das
unerwartete Erscheinen seines Spions überrascht. »Solltest Du endlich
irgend etwas von Belang entdeckt haben?«

»Ich denke, gnädiger Baron,« entgegnete der Diener selbstgefällig und
mit den schlauen Augen zwinkernd.

»Es wird wol nichts Besseres sein, als was ich bereits schon oft von
Dir gehört habe,« warf der Baron geringschätzig hin, und es muß bemerkt
werden, daß sein Diener ihm schon öfter Berichte über seine Bemühungen
gebracht hatte, ohne daß dieselben für Mühlfels irgend welchen Werth
gewannen.

»Das werden Euer Gnaden am besten selbst beurtheilen,« bemerkte der
Spion.

»So rede denn!« befahl Mühlfels, und der Letztere theilte ihm darauf
mit, daß, nachdem Sidonie das Freie erreicht hatte, ihr ein Reiter auf
einem prächtigen Pferde gefolgt wäre.

Sie mußte denselben wahrscheinlich erwartet haben; denn in einem Gehölz
angelangt, fuhr sie langsamer, so daß der Reiter bequem zu ihr gelangen
konnte. Dieser hatte sie begrüßt und alsdann eine Strecke begleitet,
während dessen sie sich unterhielten. An einzelnen Stellen hielt
alsdann der Schlitten und sie erfreuten sich an der schönen Aussicht.
Unter Begleitung des Reiters sei die Prinzessin später nach der Stadt
zurückgekehrt. Der Herr habe sich jedoch, bevor sie die letztere
erreichten, nach einem freundlichen Abschied von ihr getrennt und sei
auf einem Nebenwege fortgeritten.

Mit gesteigerter Ueberraschung hatte Mühlfels dieser Mittheilung
gelauscht, und als der Diener endete, preßte er in großer Bewegung die
Frage hervor:

»Und ist Dir der Reiter bekannt?«

»Nein, Euer Gnaden. Wie Sie wissen, kenne ich so ziemlich viele der
vornehmen Herren hier; diesen habe ich jedoch noch nie gesehen und es
muß wol ein Fremder sein.«

»Und verrieth Dir nicht vielleicht seine Kleidung seinen Stand?«

»Durchaus nicht. Er war in bürgerlicher Tracht, ohne jedes Abzeichen,
doch schien mir sein Pelz von feinem Tuch und sein Pferd nicht
gewöhnlicher Art.«

»Ihm folgte kein Diener?«

»Er war allein.«

»Er begleitete die Prinzessin also nicht nach der Stadt?«

»So war es.«

Mühlfels hatte sich erhoben und ging nachdenkend und bewegt durch
das Zimmer. Es war nach langem fruchtlosen Forschen und Spähen die
erste wichtige Nachricht, die seine Vermuthung zu bestätigen schien,
derselben wenigstens einen Anhalt gewährte.

Wie reich hätte er den Diener belohnt, würde dieser den Reiter erkannt
haben.

Daß in diesem Fall ein Einverständniß zwischen diesem und der
Prinzessin stattfand, glaubte er nicht bezweifeln zu dürfen, und
es kam jetzt vor allen Dingen darauf an, die Beobachtungen auf das
sorgsamste fortzusetzen, um bei einer etwa wiederholten Zusammenkunft
der Bezeichneten Gewißheit über den Reiter zu erhalten. Um diesen Zweck
jedoch zu erreichen, blieb nichts Anderes übrig, als dem Letztern bis
zu seiner Wohnung zu folgen; gelang dies dem Diener, so war Mühlfels
auch des gewünschten Erfolges gewiß. Er unterwies diesen daher über
seine künftige Thätigkeit und entließ ihn alsdann.

Die verschiedensten Gefühle bestürmten ihn bei dem Gedanken, sich in
seiner Voraussetzung hinsichts Sidoniens wirklich nicht getäuscht
zu haben. Unter anderen Umständen würde er der durchaus nicht
ungewöhnlichen Begegnung mit dem Reiter wol kaum irgend welche
Bedeutung beigelegt haben; jetzt jedoch, den Qualen gekränkter
Eigenliebe, unerwiderter Zuneigung und der Besorgniß preisgegeben, sich
vor dem Fürsten bloßgestellt zu haben, griff er gleich dem vom Tode
Bedrohten nach dem Geringsten, das ihm Hilfe und Rettung verschaffen
konnte. Er that dies zugleich in der beruhigenden Gewißheit, durch
seine Maßnahmen seinen Zweck sicher zu erreichen.

Er erachtete die gemachte Entdeckung für zu wichtig, um sie nicht
sogleich seiner Mutter mitzutheilen, und begab sich daher zu ihr.

Die Baronin lächelte geringschätzig über seinen Bericht, indem sie
entgegnete:

»Deine Eifersucht läßt Dich übersehen, wie wenig auf dergleichen zu
geben ist. Glaubst Du, Sidoniens Verehrer würde so unklug sein, ihr in
solcher offenen Weise zu begegnen? Das thut man bei einer wirklichen
Liaison nicht, und um so weniger, wenn sich bequemere und sicherere
Gelegenheiten dazu darbieten. Warum sollte, was Du als vorbedacht
hältst, nicht die Folge eines ganz gewöhnlichen Zufalls sein, und
ein Bekannter der Prinzessin an einem Ritt in’s Freie nicht Gefallen
gefunden und dadurch dieses Zusammentreffen herbeigeführt haben?
Wie bedaure ich, daß Dein Diener den Reiter nicht erkannt hat; er
würde wahrscheinlich einen Officier oder den Stallmeister des Fürsten
entdeckt haben. Die einfache Wintertracht hat ihm gewiß einen Streich
gespielt, und in dem Fremden hat vielleicht ein guter Bekannter
gesteckt. Alles Uebrige ist ohne Bedeutung.«

Mühlfels wurde durch die geringschätzige Aufnahme seines Berichts
verstimmt; wir haben erfahren, mit welchem Interesse er sich an
denselben klammerte, und so wird uns sein Verdruß natürlich erscheinen,
sich des einzigen Mittels zur Erreichung seiner Absicht in solcher
Weise beraubt zu sehen. Freilich glaubte er die von seiner Mutter
ausgesprochene Vermuthung nicht ganz verwerfen zu dürfen; es galt
jedoch, einen Beweis für die Begründung derselben zu erhalten.

Er gab ihr dies zu erkennen, und sie versprach dagegen, ihm denselben
hoffentlich in kurzer Zeit zu verschaffen.

In wenig behaglicher Stimmung trennte sich Mühlfels von seiner Mutter;
er wußte nur zu wohl, wie vielen Werth ihre Worte verdienten. Blieb
sie jedoch mit ihrer Voraussetzung im Recht, so verlor die gemachte
Entdeckung auch jede Bedeutung und alle seine bisherigen Bemühungen
wären fruchtlos gewesen.

Die Baronin begab sich an dem heutigen Abend zeitiger als gewöhnlich
nach dem Palais der Prinzessin. Sie gedachte nämlich noch bei einer ihr
befreundeten und daselbst wohnenden ehemaligen Hofdame vor dem Besuch
der Gesellschaft bei Sidonien anzusprechen und mit ihr ein Weilchen zu
plaudern, wie sie das nicht eben selten that.

Diese Hofdame besaß für sie einen ganz besondern Werth. Dieselbe
stand in dem Ruf, über alle Vorkommnisse am Hofe und in den adligen
Familien, namentlich jedoch in dem Palais der Prinzessin, stets auf
das genaueste unterrichtet zu sein, und wurde wegen dieses Vorzugs von
Gleichgesinnten sehr verehrt.

Selten gelang ihr die Ergründung irgend eines Geheimnisses nicht, und
sie war um so gefährlicher, da sie mit der beharrlichsten Ausdauer und
großer Geschicklichkeit ihre Absichten zu verfolgen pflegte.

Die Unterhaltung der beiden Damen war eben so vertraulich als lebhaft,
worauf die Hofdame eine Dienerin zu sich kommen ließ, mit welcher sie
sich heimlich besprach und sie alsdann entließ.

Nach einiger Zeit erschien die Dienerin wieder und machte ihr
allerlei heimliche Mittheilungen; neue Berathungen fanden dann statt;
die Dienerin ging und kam, bis die Hofdame endlich ihren Auftrag
erfüllt sah. Diese besprach sich darauf wieder mit der Baronin, und
ihre Nachrichten mußten wol erwünschter Art sein, denn diese schied
von ihrer Freundin in der befriedigtsten Stimmung, um sich zu der
Prinzessin zu begeben.

Die Gesellschaft bei der Letzteren war heute zahlreicher als
gewöhnlich. Der Wunsch, Vielen den Genuß eines berühmten Künstlers zu
verschaffen, der an dem heutigen Abend spielen sollte, hatte Sidonie
veranlaßt, außer den gewöhnlichen Gästen noch mehre andere Personen
einladen zu lassen.

Mühlfels erschien eine kurze Zeit nach seiner Mutter, die ihn bereits
mit Ungeduld erwartete, und kaum hatte er sich ihr genähert, so
benutzte sie einen geeigneten Augenblick zu der heimlichen Frage:

»Hast Du etwa erfahren, wer der Reiter gewesen ist?«

Mühlfels verneinte.

»So will ich Dir seinen Namen sagen.« --

»Wie, Sie haben denselben erfahren?« fragte Mühlfels mit Ueberraschung.

Die Baronin bejahte mit einem selbstgefälligen Lächeln.

»Wer ist es?!« fiel Mühlfels erregt ein.

In diesem Augenblick traten zwei Herren in den Salon, die Baronin
wandte sich nach ihnen, und kaum hatte sie dieselben erblickt, so
entgegnete sie, mit den Blicken auf einen derselben deutend:

»Dieser!« --

»Wie, der Graf?!« fragte Mühlfels.

»Es ist so,« fiel die Baronin ein und fuhr alsdann flüsternd fort: »Und
es kann nichts schaden, wenn wir die Beiden heute ein wenig schärfer
als bisher beobachten; ich habe meine Gründe dafür.«

Das Eintreten Sidoniens verhinderte eine verlängerte Unterredung; die
Baronin trennte sich von ihrem Sohn und ging der Ersteren entgegen.
Ihr Wort hatte auf diesen viel tiefer gewirkt, als sie vielleicht
erwartete; denn die Eifersucht machte sich in ihm mit ganzer Gewalt
geltend. Sein Unmuth steigerte sich noch wesentlich bei Sidoniens
Anblick, deren Wesen und Erscheinung ihm heute ganz besonders reizend
erschien, indem er zugleich in ihrem erheiterten Auge einen neuen
Beweis ihres geheimen Glücks zu sehen glaubte.

Daß diese Heiterkeit lediglich durch die Anwesenheit des Grafen bedingt
wurde und keiner andern Ursache entsprungen war, glaubte er mit
Gewißheit annehmen zu müssen, obgleich er dazu keine genügenden Gründe
besaß. Die Andeutungen seiner Mutter genügten ihm in dieser Beziehung.
Die ihn stachelnde Eifersucht veranlaßte ihn daher, dem Wink seiner
Mutter zu folgen und Sidonie und Römer fortan mit geschärften Blicken
zu beobachten.

Die Prinzessin begrüßte ihre Gäste in der gewöhnten freundlichen Weise
und wandte sich alsdann sogleich an ihren Bruder und den Grafen, und
es däuchte dem von Eifersucht erfüllten Baron, daß sie den Letzteren
mit ganz besonders gütigen Blicken anschaute, wie dies auch in der That
der Fall und schon öfter geschehen war, ohne daß Mühlfels dies bisher
beobachtet hatte.

Nachdem sich Sidonie noch mit einigen anderen von ihr bevorzugten
Personen unterhalten hatte, war der Augenblick genaht, in welchem
der Musiker seinen Vortrag halten sollte und die so lange geführte
Unterhaltung verstummte.

Die Leistung des Künstlers befriedigte Sidonie sehr, und sie ließ
Mühlfels ersuchen, ihr den Ersteren vorzustellen.

Dies geschah, und nachdem sie dem Musiker einige schmeichelhafte Worte
gesagt und dieser sich entfernt hatte, sprach sie dem Baron ihren Dank
für seine Bemühungen in dieser Beziehung aus und that dies in der ihr
eigenthümlichen freundlichen Weise.

Diese Umstände waren sehr geeignet, ihn in seinen Voraussetzungen
wieder wankend zu machen, indem dieselben zugleich seine Eigenliebe
wach riefen und ihn zu dem Bedenken leiteten, ob er sich nicht über
Sidoniens Empfindungen für ihn vielleicht dennoch getäuscht hätte.

Seine Leidenschaft für die Prinzessin hatte sich in der Besorgniß,
ein Anderer erfreue sich ihrer Gunst, so sehr gesteigert, daß ihm
jede ruhige Ueberlegung mangelte, und er daher von seinen wechselnden
Gefühlen vollständig beherrscht wurde und fortwährend zwischen Hoffen
und Entsagen schwebte.

Dem Vortrage des Musikers folgte ein kleines Concert von einzelnen
Mitgliedern der Hofkapelle, nach dessen Beendigung die gewöhnliche
zwanglose Unterhaltung wieder aufgenommen wurde, an welcher sich auch
Sidonie lebhaft betheiligte.

Sie hatte einige Damen und Herren, darunter auch den Grafen, um sich
versammelt und besprach mit ihnen ein von dem Adel zu veranstaltendes
Carrousselreiten, das in nächster Zeit stattfinden sollte und das
Interesse, namentlich in den höheren Gesellschaftskreisen, ganz
besonders in Anspruch nahm, als sich ein Diener nahte und dem Grafen
ein Zeichen gab, daß er ihn zu sprechen wünschte. In der nahe liegenden
Voraussetzung, daß nur ein wichtiger Anlaß die Ursache dazu gegeben
haben könnte, zögerte der Graf nicht, sich dem Diener zu nähern. Zu
seiner Ueberraschung vernahm er, daß soeben ein Bote aus der Heimath
des Grafen angelangt sei, der ihn sogleich zu sprechen wünschte, da die
Botschaft nicht den geringsten Verzug gestatte.

In der Besorgniß, eine üble Nachricht zu vernehmen, begab sich der Graf
sofort zu dem Harrenden, und seine Besorgniß steigerte sich rasch, als
er in dem Boten einen Jäger seines Vaters erkannte, dessen Aussehen die
Eile und Anstrengung verriethen, mit welcher er den ziemlich weiten Weg
bis zu der Residenz zurückgelegt haben mußte.

»Ihr bringt mir keine gute Nachricht!« rief Römer ihm entgegen, und der
Diener bejahte mit ernster Miene. »Was ist geschehen?« fragte der Graf
rasch.

»Euer Gnaden Vater ist plötzlich erkrankt und wünscht Ihre schleunige
Rückkehr.«

»So ist sein Zustand bedenklich?«

»Der Arzt meint es.«

Der Graf bekämpfte seine Bestürzung und beauftragte den Jäger alsdann,
sich sofort in seine Wohnung zu begeben und seinen Diener anzuweisen,
ohne Verzug Alles zur Abreise vorzubereiten. In kurzer Zeit würde er
zurückkehren und alsdann sogleich aufbrechen.

Der Jäger entfernte sich, und der Graf verharrte einige Augenblicke in
dem Vorzimmer. Die erhaltene Nachricht hatte ihn tief gebeugt; er mußte
sich sammeln, um der Prinzessin mit der erforderlichen Ruhe wieder
nahen und ihr Lebewohl sagen zu können.

Eine schmerzliche Ahnung hatte ihn ergriffen.

Sein Vater war bejahrt und daher ein übler Ausgang der Krankheit um
so mehr zu fürchten, da der Arzt dieselbe bereits als bedenklich
bezeichnet hatte.

Er durfte daher mit der Abreise nicht säumen, und so begab er sich bald
darauf zu der Prinzessin, um ihr die traurige Botschaft zu bringen.
Er wußte, wie sehr sie dadurch erschreckt werden würde, und war daher
bedacht, ihr dieselbe in der schonendsten Weise mitzutheilen.

Mit dem ganzen Aufwand seiner Beherrschungskraft nahte er sich ihr;
seine Erschütterung war jedoch viel zu tief, als daß er dieselbe
hinreichend zu verbergen vermochte, die sein bleiches Antlitz und seine
besorgten Mienen überdies verriethen.

Sidonien war die Veranlassung seiner Entfernung nicht entgangen und,
gleich ihm von einer übeln Ahnung ergriffen, sah sie seiner Rückkehr
mit Unruhe entgegen. Bei seinem Eintreten hatte ihr Auge sogleich in
seinem Antlitz geforscht und seine tiefe Bewegung errathen, die sie
mit der Gewißheit erfüllte, daß Römer irgend ein besonders wichtiges
Ereigniß betroffen haben müßte. Ihre Liebe ließ sie die nothwendige
Vorsicht vergessen. Als er nahte, ging sie ihm ein paar Schritte
entgegen und erkundigte sich mit der sorglichsten Theilnahme nach dem
Geschehenen.

Der Graf theilte ihr mit wenigen Worten die traurige Botschaft und
seine Absicht, sogleich abzureisen, mit, und obgleich er dies in
ziemlich ruhiger Weise that, wurde Sidonie dadurch dennoch so sehr
bewegt, daß sie ihre warmen Empfindungen für ihn nicht zu verbergen
vermochte. Der zärtliche Blick, mit welchem sie sein Auge suchte, hätte
dazu schon hingereicht, wenn sich nicht in ihrem erbleichten Antlitz
ihr großes Interesse für ihn zu erkennen gegeben hätte. Zwar kehrte
ihre Besonnenheit rasch zurück, und sie bemühte sich, so viel als
möglich unbefangen zu scheinen; leider zu spät, denn das Geschehene
hatte ihre Empfindungen den sie Beobachtenden leider bereits verrathen.

Die gegenwärtigen Verhältnisse gestatteten ihr nicht, ihrem Herzen zu
folgen und den Grafen allein zu sprechen und ihm ein Lebewohl zu sagen;
gewaltsam mußte sie ihre Empfindungen in sich verschließen und sich
von ihm in förmlicher Weise trennen, um dann noch eine kurze Zeit der
Gesellschaft anzugehören.

Wir kennen Sidoniens heiße Liebe und werden daher die große
Selbstverläugnung ermessen, zu der sie sich, um jedem Argwohn
vorzubeugen, gezwungen sah. In dem Bewußtsein jedoch, sich, wenn auch
nur für Augenblicke, verrathen zu haben, bot sie alle Kraft auf, den
etwa erregten Verdacht über sich zu zerstören. Daher bemühte sie
sich, so viel als möglich unbefangen und theilnehmend zu erscheinen,
verharrte nach der Entfernung des Grafen noch eine längere Zeit in der
Gesellschaft, und zog sich erst zurück, als sie ihre Kräfte gänzlich
erschöpft fühlte.

In ihrem Gemach angelangt, brach der so lange verhaltene Schmerz über
Römer’s Leid und seine ungeahnte Abreise mit ganzer Gewalt hervor.

»So mußte denn das Geschick meinem Hoffen und Glück ein so jähes,
schreckliches Ende bereiten! O, der arme Bernhard! Wie sehr wird er
leiden, und wer kann voraussehen, ob sein Leid nicht noch durch den
Verlust seines Vaters erhöht wird!«

Also rief sie, in den Sessel sinkend, indem sich ihre Augen zugleich
mit Thränen füllten.

»Wahrscheinlich erhalte ich in kurzer Zeit Nachricht von Römer; wir
wollen hoffen, daß dieselbe tröstlich lautet,« beruhigte Aurelie, die
sich bei Sidonien befand.

»O, möchte das der Himmel geben, um ihm und Allen das Herz zu erfreuen!
Leider vermag ich eine solche Hoffnung nicht zu hegen; trübe Ahnungen
eines schweren Unglücks, das ihn treffen wird, erfüllen mich.«

»Diese Besorgniß liegt allerdings nahe, denn des Grafen Vater ist
bejahrt, und man muß daher auf Uebles gefaßt sein.«

»O, wie wenig darf der Mensch auf die Beständigkeit des Glücks hoffen!
Und wie unbarmherzig ist das Geschick, ihm dasselbe gerade in einem
Augenblick zu entreißen, in welchem ihn der Vollgenuß reinster Freude
beseligt!« rief Sidonie in schmerzlicher Bewegung aus und fügte nach
kurzer Pause hinzu: »Da ist der Sturmwind plötzlich über mein Paradies
herein gebrochen und hat daraus alles Licht und Leben verscheucht,
und nach kurzer Freude stehe ich wieder trauernd an den vernichteten
Herrlichkeiten, die zu genießen ich mir so schön gedacht! Wann, wann
wird die Zeit wieder kommen, die das Grab meines Glücks mit neuen
Freudenkränzen schmückt und neues, frohes Leben daraus erstehen läßt?!
Ach, ich wage nicht mehr Gutes zu hoffen! Wer so viel geduldet und so
viel entbehrte, wie ich, dem scheint selbst die Hoffnung nicht mehr
gestattet. Und mein Schmerz ist doppelt, da ich nun auch den Geliebten
dem Leid preisgegeben sehe, einem Leid, das ihn mir nun wol für lange,
lange Zeit, vielleicht für immer, fern halten wird!«

Sidoniens Klage war leider nur zu sehr begründet. Denn selbst bei
einem glücklichen Ausgang der Krankheit war Römer genöthigt, in der
Heimath vorläufig zu verweilen; starb sein Vater jedoch, so mußte sich
sein Aufenthalt auf eine noch viel längere Zeit dort ausdehnen, da
das Ordnen der Verhältnisse seine Gegenwart daselbst erforderte. Der
Graf hatte die Pflichten eines Sohnes gegen seine Mutter zu erfüllen,
die durch den Tod ihres Gemahls mehr denn bisher auf seine Pflege und
seinen Beistand angewiesen wurde.

Sidonie erwog mit ihrer Freundin alle diese Umstände, auf welche sie
Rücksicht zu nehmen hatten und die leider zu sehr geeignet waren, ihnen
jede Hoffnung auf die baldige Rückkehr des Grafen zu nehmen.

Sidonie war überaus betrübt, und nur der Freundin Erinnerung, daß
des Grafen innige Liebe sie nicht vergessen und bedacht sein würde,
selbst die wichtigsten Hindernisse zu besiegen, um zu ihr zurückkehren
zu können, tröstete sie ein wenig. Und mehr noch als die Freundin
beruhigte sie die geheime Stimme ihres eigenen Herzens, die ihr sagte,
wie innig der Graf sie liebte und wie sie seinem leuchtenden Auge das
Glück abgelauscht, das er in ihrer Nähe empfand. Wie ~er~ ihrem Leben
Reiz und Bedeutung verlieh, so war ~sie~ es auch, deren Liebe sein
edles Herz mit süßer Freude erfüllte.

Und gewiß, so war es auch. Sie ahnte freilich nicht, daß noch andere
Gründe den Grafen veranlaßten in ihrer Nähe zu weilen, und eben so
wenig, daß er seinen Aufenthalt bei ihr nicht ohne Opfer erkaufte.
Seine Familie und seine näheren Verwandten billigten nämlich seinen
Besuch der fürstlichen Residenz nicht und wünschten überdies, er möchte
sich endlich vermählen. Daß er dies trotz aller Erinnerungen dennoch
nicht that, so wie seine früheren Reisen und noch andere Umstände
hatten den Verdacht einer geheimen Liebe für die Prinzessin erweckt.
Denn es muß hier bemerkt werden, daß trotz des Grafen großer Vorsicht,
seine Neigung zu verhehlen, sich dennoch allerlei dunkle Gerüchte
darüber in seiner Familie und unter seinen Bekannten schon seit langer
Zeit geltend machten.

Sein wiederholter und längerer Besuch der Residenz und vor Allem
sein näherer Umgang mit Sidonien schienen dieses Gerücht wesentlich
zu bestätigen. Man hegte jedoch eine zu aufrichtige Theilnahme für
den Grafen, um nicht zu bedauern, daß er sich einer Neigung opferte,
die ihm weder ein wirkliches Glück verhieß, noch auch ganz gefahrlos
genannt werden konnte.

Darum würde man es gern gesehen haben, hätte er den Hof, namentlich
jedoch Sidoniens Umgang gemieden; denn nur so glaubte man ihn vor
einem verfehlten Leben zu retten. Das Alles wußte der Graf sehr wohl;
mancherlei Andeutungen hatten ihm das verrathen; seine Liebe für
Sidonie war jedoch viel zu selbstsuchtslos, um sich dadurch in seinen
edeln Absichten und Handlungen beirren zu lassen. Schweigend duldete er
manches mahnende Wort, das er von seiner Familie hinnehmen mußte, und
fand es mit einem Lächeln ab, und wenn sich auch der Unmuth bisweilen
in ihm erhob, so kämpfte er denselben doch schnell in dem Gedanken an
Sidonie nieder.

Ohne eine Ahnung der unheilvollen Folgen, welche sich an seine Abreise
knüpften, eilte der Graf in der dunkeln Winternacht auf dem Weg nach
der Heimath dahin. So groß auch seine Bangigkeit war, kehrten seine
Gedanken dennoch oft in den Gesellschaftssaal der Prinzessin zurück
und vergegenwärtigten sich ihre Lage, die sie zwang, ihren Gästen ein
unbefangenes Antlitz zu zeigen, obgleich ihre Seele so tief betrübt
war. Und er seufzte still vor sich hin, daß es so sein mußte. Er hätte
freilich auch ein Bedauern seiner selbst aussprechen können, denn die
Gründe dazu waren genügend vorhanden; seine Liebe war jedoch viel zu
groß, um selbst unter so bedeutsamen Verhältnissen an sich zu denken.

Während er in der kalten, unheimlichen Nacht Strecke um Strecke zurück
legte, sehen wir die Baronin mit ihrem Sohn in großer Behaglichkeit in
dem warmen Gemach sitzen und in vertraulichem Gespräch begriffen.

Mühlfels war wie gewöhnlich mit seiner Mutter nach Hause gefahren;
Beide beobachteten während der Fahrt ein unheimliches Schweigen, das
die Baronin erst unterbrach, als sie ihr Hôtel erreicht und vor dem
Kamin Platz genommen hatten.

»Nun, mein Sohn,« begann sie, »ich meine, der heutige Abend ist für uns
von großer Bedeutung gewesen, indem er uns eine eben so wichtige als
erwünschte Entdeckung machen ließ.«

»Leider!« seufzte der Baron unmuthig.

»Du sagst, leider? Wie soll ich das verstehen? Ich erwartete Deine
Freude zu vernehmen und höre statt dessen ein Bedauern!« bemerkte die
Baronin mit Ueberraschung.

»Finden Sie dasselbe nicht natürlich? Ich bin überzeugt, Sie haben eben
so viel, als ich selbst, gesehen und daher erkannt, daß --«

»Daß ich mit meiner Voraussage durchaus Recht habe!« fiel die Baronin
ein und fügte alsdann hinzu: »Es ist so, mein Sohn. Aber ich dächte,
dieser Umstand sollte Dir eher Freude als Unmuth bereiten.«

»Wie kann das sein, da er mir die letzte Hoffnung raubte, das Ziel
meiner Wünsche jemals erreichen zu können und dem Spott des Fürsten zu
entgehen.«

»Deine Eifersucht raubt Dir alle Ueberlegung.«

»~Das~ hätte ich nie und nimmer erwartet!« rief Mühlfels, ohne den
Vorwurf seiner Mutter zu beachten.

»Beruhige Dich deshalb. Täuschungen der Art sind namentlich bei
vorgefaßten Meinungen sehr natürlich. Doch übersieh in Deinem Unmuth
die Vortheile nicht, welche uns die heutige, so willkommene Entdeckung
gewährt. Ich denke, mein Sohn, wir sind Deinem Ziel mit großen
Schritten näher getreten, indem wir nicht nur der Prinzessin Neigung,
sondern auch den Gegenstand derselben kennen gelernt haben.«

»Dieser ernste, kalte Graf!« warf Mühlfels geringschätzig und unmuthig
hin.

»Du weißt, mein Sohn, es suchen sich die Gegensätze; doch, davon
abgesehen, frägt es sich, ob des Grafen Wesen und Benehmen nicht eine
Maske ist, durch welche er zu täuschen bedacht war. Er ist vielleicht
eben so wenig kalt als ernst.«

»Daß sie ihn liebt, ist kein Zweifel mehr!« rief Mühlfels erregt.

»Und eben so wenig, daß ein Einverständniß zwischen ihnen besteht,«
fiel die Baronin ein und fügte mit Bestimmtheit hinzu: »Ich täusche
mich in dergleichen Angelegenheiten nicht so leicht.«

»Wie ihr Auge ihn ängstlich suchte, wie sie bei seinem Anblick
erbleichte, als gelte es ihr eigenes Unglück! Sie muß ihn heftig
lieben!«

»Ich denke, weiteres Forschen wird diese Voraussetzungen noch mehr
bestätigen.«

»Bei Gott, er soll sich ihrer Liebe nicht erfreuen!« rief Mühlfels
zornig und streckte die Hand drohend aus.

»Nur ruhig und besonnen, mein Sohn! Bedenke, daß es in diesem Fall
nicht gilt, die Liaison zu stören, sondern vielmehr, Dich durch sie vor
dem Spott des Fürsten zu bewahren. Darum beherrsche Deine Leidenschaft
und gieb allein der Klugheit Gehör.«

»O, Sie lieben nicht, meine Mutter, und können also auch nicht den
Schmerz ermessen, der mich bei dem Gedanken meiner Niederlage ergreift!«

»Doch, doch, mein Sohn! Deine Ehre steht mir jedoch eben so hoch, als
Deine Liebe; die erstere wol noch höher, und darum müssen wir bedacht
sein, Dir dieselbe zu sichern. Ich wiederhole Dir daher meine früheren
Rathschläge und bitte Dich inständig, dieselben genau zu befolgen,
damit uns der gewünschte Vortheil nicht entgeht. Beherrsche darum vor
allen Dingen Deine Leidenschaft und Deinen Unmuth; bemühe Dich, durch
Dein Benehmen die Prinzessin von Deiner gänzlichen Unkenntniß ihrer
Liebe zu überzeugen; verdoppele Deine Aufmerksamkeit für sie, wozu Du
bei der Abwesenheit des Grafen leicht Gelegenheit finden dürftest.
Heuchle ihr die tiefste Ergebenheit, ohne jedoch Deine Liebe zu
verrathen, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und ist Dir das gelungen,
so denke ich, wird Dir auch mehr gelingen. Der Graf wird, ich bin
dessen gewiß, früher oder später bestimmt zurückkehren und sich alsdann
für Dein ferneres Handeln auch der geeignete Moment finden. Aber sei
und bleibe beharrlich und geduldig, denn nur so vermagst Du Dir die
gewünschten Erfolge zu sichern. Im gegenwärtigen Augenblick bleibt
uns nichts Anderes zu thun übrig, als die Prinzessin im Geheimen zu
beobachten. Gewiß werden zwischen ihr und dem Grafen Briefe gewechselt
werden; vielleicht könnte man sich in den Besitz eines solchen setzen;
das wäre ein großer Erfolg, denn mit einem solchen Beweis in der Hand
ist Sidonie ganz in Deine Gewalt gegeben. Das bedenke, das überlege!
Uebrigens dürfen wir auch den glücklichen Zufall nicht vergessen, der
ja so oft wirksamer als alle Klugheit ist.«

In solcher Weise war die Baronin bedacht, ihren entmuthigten Sohn zu
beruhigen und zu einem entsprechenden Handeln zu veranlassen, und
ihre Mühe war nicht vergeblich. Mühlfels sah sich genöthigt, die
Zweckmäßigkeit ihrer Rathschläge anzuerkennen, da ihm überdies unter
den obwaltenden Umständen nur das Befolgen derselben gestattet war. Und
als er ihr dies zu erkennen gab und sie ihn deshalb lobte, ergriff sie
seine Hand und bemerkte in überlegenem Ton:

»Du theiltest früher meine Ansicht über der Prinzessin Neigung zu
dem Grafen nicht; jetzt kann ich Dir vertrauen, daß ich dasselbe
bereits geahnt habe, und muß Dir auch sagen, daß Deine Annahme, der
Gegenstand von Sidoniens Liebe sei außerhalb des Hofes zu suchen,
mich veranlaßte, die Hilfe meiner Freundin in dem Palais in Anspruch
zu nehmen, durch die ich erfuhr, daß jener Reiter niemand Anders als
der Graf war. Wir dürfen an der Wahrheit dieser Nachricht um so weniger
zweifeln, da mir das Fräulein dieselbe aus der ersten Hand, nämlich von
der Dienerin der Prinzessin selbst zu verschaffen wußte. Nach dem heute
Erlebten erscheint mir das Zusammentreffen der Prinzessin mit Römer
nicht mehr bedeutungslos; ich erkenne darin ein abgeredetes Spiel, das
auf eine größere Intimität zwischen ihnen hindeutet.«

»Ich habe das gefürchtet,« fiel Mühlfels ein. »O, könnte ich den Räuber
meines Glücks verderben!« fügte er hinzu.

»Keine Rachegedanken, keine Leidenschaft, mein Sohn, ich bitte Dich,
bleibe besonnen! Nicht verderben sollst Du den Grafen, sondern sein
begünstigter Rival werden. Um diesen Vortheil jedoch zu erlangen,
darf von einem Verrath dieser Liaison -- falls eine solche bereits
bestehen sollte -- nicht die Rede sein. Du mußt vielmehr der Freund
des Grafen zu sein scheinen; denn durch einen Verrath zerstörtest Du
Dir selbst alle Vortheile, die zur Erhaltung Deiner Ehre so nothwendig
sind. Gelingt es uns, die untrüglichen Beweise von Sidoniens Schuld zu
erhalten, so hast Du auch ein Mittel, sie zur Erfüllung Deiner Wünsche
zu zwingen, und Du kannst nicht voraussehen, ob daraus für Dich nicht
der Vortheil entspringt, daß sie Dir früher oder später vor dem Grafen
den Vorzug giebt. Diese Voraussetzungen und Hoffnungen müssen für die
Folge Dein Handeln und Benehmen bestimmen, und ich bin überzeugt, Deine
Bemühungen werden nicht fruchtlos, sondern nach Deinen Wünschen sein.
Ich bitte Dich, dies Alles genau zu erwägen.«

Ihre so klugen Worte verfehlten ihre Wirkung auf den Baron nicht; er
gab ihr Recht und das Versprechen, nach ihrem Rath fortan zu handeln.

Aus diesem Gespräch entnehmen wir, daß es Sidonien trotz aller Mühe
nicht gelungen war, ihre Liebe zu verbergen, noch auch den erweckten
Verdacht zu zerstören. Ob dies nur in Bezug auf die Baronin und ihren
Sohn der Fall war, die eifrig bedacht gewesen, sich nicht das Geringste
in dem Benehmen und Wesen der Prinzessin an jenem Abend entgehen zu
lassen, muß dahin gestellt bleiben. Jedenfalls zeigt die Sicherheit,
mit welcher die Baronin ihre Schlüsse zog, wie auffällig Sidonie sich
verrathen haben mußte.

In dem angenehmen Bewußtsein, für ihr künftiges Handeln nun die feste
Bahn gefunden zu haben, schieden Mutter und Sohn in später Nacht
von einander. Die Erstere sehr befriedigt, die Spur der wichtigen
Angelegenheit entdeckt zu haben; der Letztere, zwar noch unmuthig, aber
doch in so weit beruhigt, wenigstens eine Aussicht gewonnen zu haben,
das heiß ersehnte Ziel, wenngleich auch auf Umwegen, vielleicht dennoch
erreichen zu können.




                           Fünftes Kapitel.


Ohne die belebende und beglückende Nähe des Geliebten gingen Sidonien
die Tage fortan in freudloser Einförmigkeit dahin, die für sie um so
drückender war, da ihre Verhältnisse sie zwangen, in der gewöhnten
Weise fortzuleben, ihre Gesellschaften zu geben und an den öffentlichen
Vergnügungen Theil zu nehmen. Von dem Bewußtsein beängstet, ihre
Neigung verrathen zu haben, glaubte sie im Einverständniß mit Aurelien
ihre ganze Sorge darauf richten zu müssen, daß man ihr Benehmen gegen
den Grafen an jenem Abend lediglich nur für herzliche Theilnahme halten
sollte. Sie war daher bedacht, die nächste Gesellschaft bei sich so
heiter als möglich zu gestalten und dabei selbst heiter zu erscheinen,
und versäumte auch nicht, über das den Grafen betroffene Unglück zu
sprechen und dabei ein warmes Interesse für ihn an den Tag zu legen.
Ebenso unterließ sie nicht, im Theater zu erscheinen, ja, ihre Vorsicht
ging so weit, daß sie selbst Mühlfels mehr als gewöhnlich in die
Unterhaltung zog mit ihm und seiner Mutter über die Krankheit des
leidenden Grafen sprach und ihnen über den Fortgang derselben Einiges
mittheilte.

Ihre Absicht gelang ihr in den meisten Fällen vollkommen, und selbst
Mühlfels gestand seiner Mutter, daß er an der Wahrheit der gemachten
Entdeckung zu zweifeln geneigt sei.

Die Baronin antwortete ihm darauf jedoch nur mit einem überlegenen
Lächeln; ihren Scharfblick vermochte Sidoniens Benehmen nicht zu
täuschen; vielmehr erkannte sie dasselbe ganz richtig als ein Mittel
zum Zweck und sah darin eine vermehrte Bestätigung ihrer Voraussetzung.

Aber sie sowol als ihr Sohn spielten die vorbedachte Rolle der
Prinzessin gegenüber vortrefflich, und indem diese überzeugt war, ihren
Zweck erreicht zu haben, ward sie selbst ein Opfer ihres Bemühens.

Diese Täuschung minderte allmälig die gehegte Sorge, die endlich vor
den wichtigeren, ihre ganze Theilnahme herausfordernden Ereignissen
schwand. Wie Aurelie erwartet hatte, lief schon nach einigen Tagen ein
Brief von Römer bei ihr ein, der die betrübende Nachricht enthielt, daß
der Tod seines Vaters in kurzer Zeit zu erwarten sei, da dessen Kräfte
sichtlich schwänden und der Arzt alle Hoffnung auf Genesung aufgegeben
hätte. Seines Schmerzes gedachte er nicht, noch klagte er über den so
jähen Wechsel der anscheinend so glücklichen Verhältnisse. Doch trug
er ihr viele Grüße an die Freundin auf, deutete darauf hin, daß er nun
wol für längere Zeit von ihr fern gehalten sein würde, indem doch aus
seinen Worten zugleich die Hoffnung sprach, sie dereinst wieder zu
sehen.

Wie tief Sidonie durch diese und spätere Nachrichten, namentlich den
bald darauf erfolgten Tod des Grafen betroffen wurde, darf kaum erwähnt
werden. Ihr Leben war ja so innig mit dem des Geliebten verkettet,
daß auch sein Schmerz der ihre war. Um so schwerer wurde es ihr
daher, unter solchen Umständen die so nothwendige Unbefangenheit der
Welt und ihrer Umgebung gegenüber zu behaupten; dennoch ließ sie in
ihrem Bemühen nicht nach und dieses war auch in der That nicht ganz
fruchtlos. Von Schmerz und Unruhe erfüllt, minderte sich jedoch bald
die Frische ihres Antlitzes, und ebenso verrieth der betrübte Ausdruck
desselben ihre Empfindungen, und die Baronin beeilte sich ihren Sohn
darauf in dem angenehmen Bewußtsein aufmerksam zu machen, sich in
keiner ihrer Voraussetzungen getäuscht zu haben. Durch diesen Umstand
noch mehr in der Gewißheit von Sidoniens Liebe befestigt, war nun der
Baron bedacht, sich ihr unter der Maske der tiefsten Ergebenheit wieder
zu nähern, und es gelang ihm dies auch in der That so weit, daß ihn
Sidonie nicht mehr wie früher absichtlich mied, sondern sich seine
Bemühungen gefallen ließ. Mühlfels war ihr viel zu gleichgiltig und
sein Benehmen gegen sie auch fortan so anspruchslos und zurückhaltend,
daß sie zu der Annahme geleitet wurde, sich in ihrer früheren
Beurtheilung über seine Gefühle für sie doch wol getäuscht zu haben.
Ihre Trauer um den fernen Geliebten und die Vernichtung ihres Glücks
war überdies auch viel zu groß, als daß ihr dergleichen Momente noch
Interesse abzugewinnen vermochten.

So konnte es denn geschehen, daß sie ihre Empfindungen, wenn auch nur
für Momente, selbst dem jetzt schlau operirenden Mühlfels verrieth.

In geschickter Weise lenkte er nämlich das Gespräch häufig auf den
Grafen, indem er sein herzliches Bedauern über dessen Abwesenheit
aussprach und daran das schmeichelhafteste Lob der hohen Vorzüge
desselben knüpfte.

Ein solches, anscheinend durchaus unbefangenes Benehmen verfehlte seine
Wirkung auf Sidonie nicht, und so erreichte Mühlfels zum Theil seinen
Zweck.

Seine scheinbar herzliche Theilnahme that Sidonien wohl und verleitete
sie, die nöthige Vorsicht zu vergessen und sich offener mitzutheilen,
als dies gut war.

Mühlfels fühlte sich dadurch jedoch noch nicht befriedigt. Einzelne
Andeutungen, die er von ihr vernommen, hatten ihm ihren früheren
Umgang mit dem Grafen verrathen, und er wurde dadurch zu dem Entschluß
geleitet, sich darüber in Sidoniens Heimath genügende Aufklärung
zu verschaffen. Er sagte sich, daß der Besitz derselben ihm unter
Umständen von großem Werth sein könnte. Er gedachte daher, sich in
kurzer Zeit unter einem schicklichen Vorwand dahin zu begeben, ohne
jedoch seine Reise weder Sidonien oder jemand Anders zu verrathen.
Dieselbe mußte ein Geheimniß bleiben, damit Niemand eine Vermuthung von
seinen Absichten gewann.

Was den von seiner Mutter vorausgesagten Briefwechsel zwischen Sidonien
und dem Grafen anbetraf, so gelang es seinen Nachforschungen, zu
entdecken, daß derselbe seine Vermittlerin in Aurelien gefunden hatte.
Es kam nun darauf an, sich einen dieser Briefe zu verschaffen und den
Inhalt derselben kennen zu lernen.

Dies gelang seinen unausgesetzten Bemühungen wirklich; indessen sah er
sich getäuscht. Weder des Grafen noch Aureliens Briefe enthielten etwas
von Bedeutung, wenngleich daraus auch Römer’s und Sidoniens Interesse
für einander zu entnehmen war.

Er erkannte die große Vorsicht, welche die Schreibenden zu beobachten
für gut fanden, und entnahm aus derselben um so mehr die Ueberzeugung
eines geheimen Einverständnisses.

Der Prinzessin Name war in den Briefen niemals genannt worden, sondern
sie wurde als Freundin bezeichnet, doch war unschwer zu erkennen, wer
dieselbe sei. Ebenso verriethen des Grafen Andeutungen das wärmste
Interesse für Sidonie. Dies genügte, Mühlfels und die Baronin in
ihren Entschlüssen und Ansichten über diese Angelegenheit noch mehr
zu befestigen. Um in den Betheiligten keinen Argwohn zu erregen, war
Mühlfels bedacht, ihnen die unterschlagenen Briefe wieder zukommen zu
lassen. In solcher Weise vorbereitet, ersah der Baron eine geeignete
Gelegenheit und begab sich nach Sidoniens Heimath, und seinen eifrigen
Nachforschungen daselbst gelang es in der That, Kenntniß von dem
ehemaligen vertraulichen Umgang der Prinzessin mit dem Grafen zu
erhalten. Ebenso erfuhr er der Prinzessin Schmerz und Weigerung, sich
mit dem Prinzen zu vermählen.

Diese so wichtigen Entdeckungen waren mehr als hinreichend zu
einer sichern und erschöpfenden Beurtheilung des gegenwärtigen
Verhältnisses der Liebenden; ebenso wußte er sich jetzt auch Sidoniens
Theilnahmlosigkeit für den Prinzen zu erklären. Bei seiner Rückkehr
beeilte er sich, seiner Mutter über Alles Mittheilungen zu machen, und
es darf kaum bemerkt werden, mit welcher großen Freude sie dieselben
aufnahm.

Erfreut, jetzt mit größerer Sicherheit handeln zu können, war er
entschlossen, dies ohne Säumen zu thun, worin ihm die Baronin durchaus
beistimmte.

Sidonie sowol als Aurelie waren weit entfernt, die die Erstere
bedrohenden Gefahren zu ahnen. Nicht das leiseste Zeichen verrieth, daß
man Sidoniens Benehmen an jenem Abend anders, als sie es wünschten,
gedeutet hätte. Was die Baronin und deren Sohn anbelangt, so wissen wir
bereits, daß das Verhalten derselben sie vollkommen getäuscht hatte.

Diese Beruhigung that Sidonien in ihrer Trauer wohl, ebenso war es
ihr angenehm, daß der Prinz sich durchaus fern von ihr hielt. Sie sah
ihn nur selten, und auch dann stets zufällig, und erschien nur bei
Hoffesten und Assembleen in seiner Begleitung, wobei dies nicht zu
umgehen war, da es die Sitte also erheischte. Sie wechselten alsdann
kaum einige Worte, Beide nur bedacht, dem Zwange sobald als möglich
enthoben zu werden.

Aus dieser Ruhe der Trauer und Entsagung sollte Sidonie leider auf die
empfindlichste Weise gestört und zugleich zu einem Schritt veranlaßt
werden, an welchen sich die bedeutsamsten Folgen für ihr künftiges
Geschick knüpften.

Der Winter war dem Prinzen in dem vertraulichen Umgange mit Marianen
rasch dahin gegangen. Seine Zuneigung für dieselbe hatte sich während
dessen nur noch gesteigert, und die Eingeweihten erstaunten über die
Macht, mit welcher das einfache Mädchen ihn so dauernd an sich zu
fesseln verstand. Denn man hatte seitdem nichts von einer neuen Liaison
des Prinzen vernommen, obgleich das schöne Fräulein von Lieben die
Gelegenheit nicht versäumte, sich und ihre Reize bei der Baronin dem
Prinzen zu präsentiren. Dieser beachtete sie jedoch nicht und begnügte
sich mit seinem Waldvogel, der ihm vor wie nach seine Lieder sang und
in launigen Schelmstücken unerschöpflich war.

Zeigte sich jedoch das Mädchen in dieser Beziehung noch ganz so wie
ehemals, so war doch bereits mit ihrem Charakter eine wesentliche
Veränderung vorgegangen. Mit jedem neuen Tage den Einfluß mehr
erkennend, welchen sie über den Prinzen ausübte, regten sich in ihr
allerlei neue Wünsche, die der Prinz zu erfüllen sich beeilte.

Dieser Umstand mußte natürlich sehr bald dahin führen, ihr die früheren
Belustigungen und Zerstreuungen mit ihren Vögeln und Affen, Spiel und
Gesang langweilig erscheinen zu lassen und das Verlangen nach anderen
Zerstreuungen in ihr zu erwecken.

Seitdem sie jenes prächtige Kleid getragen und der Prinz sie durch die
Versicherung beglückt, daß sie schöner als die schönste Hofdame wäre,
erwachte das lebhafte Verlangen in ihr, sich auch durch den Augenschein
davon zu überzeugen.

Darum bat sie den Prinzen wiederholt, ihr zu gestatten, die Stadt und
jene öffentlichen Vergnügungen, bei welchen sich auch Hofpersonen
einfanden, zu besuchen. Ihre Bitte kam dem Prinzen sehr ungelegen, da
für ihn, wie wir wissen, gerade in dem Geheimniß seines Umganges der
eigentliche Reiz desselben lag. Erschien Mariane jedoch öffentlich,
so mußte des Mädchens auffällige Schönheit die Welt zum Nachforschen
veranlassen, und die Entdeckung dieses Verhältnisses konnte nicht
ausbleiben.

Darum war er bedacht, sie durch eine Menge der kostbarsten Geschenke zu
beschwichtigen, ohne jedoch seinen Zweck zu erreichen.

Mariane zeigte nicht die mindeste Freude darüber, sondern schmollte
mit ihm und ihrer Umgebung, und bestand eigensinnig auf der Erfüllung
ihres Verlangens. Sie that dies in dem Bewußtsein ihrer Macht über
den Prinzen und wußte nur zu gut, daß er ihr früher oder später trotz
seiner Weigerung dennoch zu Willen sein würde.

Und sie täuschte sich hierin in der That nicht.

Der Prinz war ein viel zu schwacher Charakter, um sich ihr gegenüber
behaupten zu können. Er vermochte ihre üble Laune nicht lange zu
ertragen und unterlag endlich in einer schwachen Stunde ihren
verführerischen Bitten und Schmeicheleien. Er stellte jedoch die
Bedingung, daß sie bei ihren Besuchen in der Stadt so einfach als
möglich gekleidet erscheinen sollte, um jedes Aufsehen zu vermeiden,
und war überdies bedacht, Madame Voisin, die Mariane bei diesen
Ausgängen begleiten sollte, die genauesten Verhaltungsregeln zu geben,
damit der von ihm gewünschte Zweck sicher erreicht würde.

Mariane ging mit Freuden auf alle seine Bedingungen ein und beobachtete
genau seine Wünsche; trotz dieser bescheidenen Zurückhaltung zog das
schöne Mädchen dennoch die öffentliche Aufmerksamkeit sogleich auf
sich, und so geschah es, daß man sehr bald ihre Verhältnisse erforscht
hatte. Dieser Umstand war jedoch nur zu sehr geeignet, daß die Welt
ihr, wo sie sich zeigte, ein um so größeres Interesse schenkte.

Weder Marianen noch ihrer Begleiterin war dies entgangen; auf der
Ersteren Wunsch wurde es dem Prinzen jedoch verheimlicht, da eine
solche Nachricht ihn nicht nur unangenehm berührt hätte, sondern
sie auch fürchten mußten, auf seinen Befehl die beliebten Besuche
einzustellen.

Sie theilten ihm daher nur Erwünschtes mit und erreichten dadurch
vollkommen ihren Zweck, indem der Prinz Marianen in dieser Beziehung
fortan immer größere Freiheiten gestattete, da es ihm Freude bereitete,
ihr Herz in solcher Weise erheitert zu sehen.

Das aber hatte das schlaue Mädchen nur gewollt; denn sie fühlte sich
durch die erlaubten Genüsse durchaus nicht befriedigt, sondern ihre
Wünsche waren noch auf ganz andere Dinge gerichtet.

Der Prinz erkannte die ihm gespielte Täuschung um so weniger, da
Niemand die Pflicht und Neigung fühlte, ihn darüber aufzuklären, von
der Vermuthung erfüllt, Marianens öffentliches Erscheinen habe seine
Zustimmung. Seine Vorliebe, sein Verhältniß geheim zu halten, kannten
überdies die Wenigsten. Die fröhliche Laune und Zärtlichkeit, der er
sich seit Marianens Besuchen in der Stadt von ihr zu erfreuen hatte,
waren ohnehin sehr geeignete Momente, ihn von jedem Forschen fern
zu halten, indem er den Anlaß dazu lediglich in der ihr bewilligten
Freiheit suchte.

Und das listige Mädchen sorgte dafür, daß sein Behagen in keiner Weise
gestört wurde. Von Madame Voisin hatte sie keinen Verrath zu fürchten,
da diese ihr mehr als dem Prinzen ergeben war; denn längst hatte diese
Dame erkannt, daß ihre Zukunft lediglich von der Gunst der allmächtigen
Favoritin abhing.

In solcher Weise gesichert, ging Mariane fortan unbekümmert ihren
Neigungen nach, stets bedacht, ihre geheimen Wünsche bei der ersten
sich zeigenden Gelegenheit zu befriedigen.

Mehre Wochen waren seitdem verstrichen. Der Frühling machte sich
bereits durch Lerchengesang, knospende Gesträuche, die ersten
Gartenblumen und eine milde Witterung geltend und hatte die
Residenzbewohner in’s Freie gelockt, um sich zu Wagen, zu Roß und zu
Fuß in der Stadt und den Anlagen zu ergötzen. Ueberall sah man ein
reges, vergnügtes Treiben, das jedoch nicht allein durch das schöne
Wetter, sondern zugleich auch durch den Umstand hervorgerufen worden
war, sich am Abend einer ganz besondern Lustbarkeit erfreuen zu
können, welche in dem von den vornehmsten Adelspersonen arrangirten
Carrousselreiten bestand, zu welchem außer dem Hof auch das Publikum
Zutritt hatte. Diese Vorstellung sollte in jeder Beziehung durch
Pracht und Glanz ausgezeichnet sein, und so konnte es nicht fehlen,
daß ein Jeder, ob Mitwirkender, ob Zuschauer, darauf bedacht war, den
Erwartungen in der besten Weise zu entsprechen, und dadurch jenes
bewegte Leben erzeugt wurde.

Schon lange vor dem Beginn des Schauspiels strömten die Zuschauer nach
der zu dieser seltenen Vorstellung prächtig eingerichteten Reitbahn,
ein Jeder beglückt, gegen hohes Eintrittsgeld einen Platz erhalten zu
haben. Denn um ein vornehmes Publikum zu erzielen, war das Entrée sehr
hoch gestellt, und trotzdem noch nicht einmal leicht zu erhalten.

Alle Räume der Bahn waren bald mit reich und glänzend geschmückten
Damen und Herren besetzt, die in angenehmer Erregung dem Erscheinen des
Hofes und dem Beginn der Vorstellung entgegen harrten. Wie gewöhnlich
unter solchen Umständen belebte eine ziemlich laute Unterhaltung die in
allen Farben, Sammet und Seide, Gold, Silber und Edelsteinen prangende
Menge, und alle jene Beziehungen machten sich dabei geltend, wie sie
der damalige frivole Zeitgeist bedingte.

Es wurde gescherzt, geliebelt, intriguirt, geklatscht und vor
allen Dingen Vermuthungen über die Leistungen der Damen und Herren
ausgesprochen, die sich heute dem Hof und Publikum als Reitkünstler
vorzustellen so kühn waren. Man kannte die meisten derselben, und so
war das Interesse ein um so größeres.

Von den Hofleuten fehlte fast Niemand. Kurz vor Beginn der Vorstellung
erschien auch Sidonie in Begleitung der Baronin, Aureliens und anderer
Hofdamen, und mit herzlicher Theilnahme wandte sich ein jedes Auge der
edeln, anmuthigen Erscheinung zu, deren bleiches Antlitz nur zu sehr
geeignet war, das Interesse für sie zu erhöhen, da man den Anlaß dazu
genügend zu kennen glaubte.

Dieses Interesse wurde jedoch schon nach wenigen Augenblicken durch
eine andere Dame beeinträchtigt, die in einer der gewöhnlichen Logen
saß und durch ihre Jugend und Schönheit, vor Allem jedoch durch ihren
kostbaren Anzug sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Diese Wirkung wurde noch durch den Umstand erhöht, daß man sie nicht
kannte, nirgends gesehen hatte, obwol die reiche Kleidung und die
blitzenden Diamanten ihres Halsbandes und der Armbänder auf Reichthum
und Rang schließen ließen.

Ein sich rasch fortspinnendes Fragen und Erkundigen nach ihr
durchschwirrte die Menge, während man die Fremde zugleich ziemlich
unbefangen musterte.

Dieser entging dies nicht, und es hatte den Anschein, als ob ihr
eine solche Aufmerksamkeit nicht eben unlieb wäre; denn sie kam den
Blicken ihrer Beschauer eben so dreist entgegen, was namentlich den
lorgnettirenden Herren sehr zusagte.

Zugleich machte sich in ihrem von Erregung gerötheten Antlitz eine fast
kindliche Neugier geltend; denn sie wandte den lieblichen Lockenkopf
nach allen Seiten und betrachtete sich die Räume sowol als die Personen
mit sichtlichem Interesse. Ab und zu richtete sie an eine hinter ihr
sitzende ältere Dame ein und die andere Frage, und schien sich von
dieser über Personen und Gegenstände Auskunft geben zu lassen, um
alsdann mit gesteigertem Behagen ihre früheren Beobachtungen wieder
aufzunehmen. Sie wurde darin durch das Erscheinen des Fürsten mit
seiner Gemahlin und dem ganzen Hofstaat angenehm unterbrochen, indem
sich zugleich ihre Aufmerksamkeit jetzt lediglich auf diese lenkte.
Beim Eintreten des Fürsten ließ das Orchester einen rauschenden Marsch
ertönen, und wenige Augenblicke darauf erschien der glänzende Zug der
Reitkünstler, der die Bahn durchritt und sich alsdann vor der Hofloge
aufstellte.

Lauter Beifall empfing denselben, der wohlverdient war. Denn die
Schönheit der Personen, die Pracht der Anzüge, der goldene und silberne
Schmuck der Pferde, die ausersehene Vortrefflichkeit derselben und
die eben so geschmack- als wirkungsvolle Anordnung des Zuges, der,
übergossen von dem Licht Tausender von Kerzen, einen wundervollen
Anblick gewährte, waren in der That von so seltener Vollkommenheit, wie
man dergleichen noch nie gesehen hatte.

Bald darauf begann alsdann die Vorstellung, die in verschiedene
Tänze, Ringelstechen und ähnliche Leistungen zerfiel. Die an
sich vortreffliche Ausführung derselben fesselte anhaltend die
Aufmerksamkeit der Zuschauer, bis eine Pause der Erholung für diese und
die Mitwirkenden eintrat.

Nachdem man die empfangenen angenehmen Eindrücke besprochen und
allerlei kritische Bemerkungen daran geknüpft hatte, wandte man das
Auge wieder der fremden Dame zu, und es regte sich auf’s Neue das
Verlangen, deren Namen und Stand kennen zu lernen, da die in dieser
Beziehung bereits angestellten Nachforschungen fruchtlos geblieben
waren.

Die Bezeichnete schien von dem genossenen Schauspiel sehr erregt zu
sein; ihre Augen strahlten von Lust, ihre Wangen waren hoch geröthet,
und lebhaft unterhielt sie sich mit der bereits bezeichneten Dame.

Während dies geschah, flog plötzlich ein heimliches bedeutsames Wort
von Munde zu Munde und steigerte die Aufmerksamkeit des Publikums für
die Fremde in hohem Grade.

Fast gleichzeitig richteten sich auch die Blicke nach der Hofloge und
auf Sidonie, die sich mit der Baronin unterhielt und davon anfangs
nichts bemerkte, bis das Verhalten der Zuschauer sie endlich darauf
aufmerksam machte und veranlaßte, nach der Ursache dieser Erscheinung
zu forschen. Sie entdeckte dabei die fremde Dame und es entging ihr
nicht, daß sich das Interesse des Publikums zwischen ihr und dieser
theilte. Es schien ihr, als ob man einen Vergleich mit ihr und jener
anstellte, oder sie in irgend welche Beziehung zu derselben gebracht
hatte.

Das fiel ihr auf, und sie erkundigte sich zunächst bei der Baronin, wer
die Fremde wäre.

Diese entgegnete verlegen, dieselbe nicht zu kennen, und ebenso thaten
es die anderen Personen, an welche sich Sidonie mit der nämlichen Frage
wandte, die gleich der Baronin eine auffällige Verlegenheit dabei
verriethen.

Dieses Verhalten steigerte Sidoniens Verlangen, Aufklärung über die
Dame und das besondere Benehmen des Publikums zu erhalten, indem sich
ihrer zugleich eine erschreckende Ahnung bemächtigte.

Auch die Fremde war aufmerksam geworden, schaute nach der Prinzessin,
musterte diese und deren Umgebung, während dessen sich in ihren Zügen
ein Ausdruck der Freude geltend machte.

Länger vermochte Sidonie die sie quälende Ungewißheit nicht zu
ertragen, und sie bat Aurelie heimlich, über die Dame sogleich
Erkundigungen einzuziehen. Sie fühlte sich durch das dreiste Benehmen
derselben verletzt, was auch in Bezug auf die sie umgebenden Damen
der Fall war, die sich überdies noch durch die Schönheit und den
prachtvollen Anzug der Fremden wesentlich beeinträchtigt fühlten.

Man warf sich bedeutsame Blicke zu, tauschte auch flüchtig ein
heimliches Wort aus, und es verrieth sich sogar in einzelnen Gesichtern
Unmuth und Aerger.

Alles das entging der Prinzessin nicht, und mit um so größerer Ungeduld
sah sie Aureliens Rückkehr entgegen, die sich in Folge ihres Wunsches
nach dem Corridor begeben hatte.

Aurelie traf daselbst Mühlfels mit Boisière und ein paar anderen
Hofherren, die in einer heimlichen, vertraulichen Unterhaltung
begriffen waren.

Der Baron entdeckte sie sogleich, und in der Voraussetzung, ihr
vielleicht einen Dienst leisten zu können, nahte er sich ihr sogleich
und fragte nach ihren Wünschen. Das kam Aurelien sehr gelegen, und sie
zögerte nicht, ihm dieselben zu erkennen zu geben.

»Ich hatte es erwartet,« flüsterte er ihr bewegt zu. »Die Dreistigkeit
dieses Mädchens ist in der That ganz beispiellos und hat eine
allgemeine Entrüstung hervorgerufen. Ich begreife nicht, wie der Prinz
so etwas gestatten konnte, da er doch wußte, daß sowol die Prinzessin
als auch der Hof anwesend sein würden.«

»Jetzt ahne ich, wer die Fremde ist!« fiel Aurelie erschreckt ein.

»Und Ihre Ahnung täuscht Sie leider nicht.«

»Wie wird die Prinzessin diese Nachricht aufnehmen!« bemerkte Aurelie
betrübt.

»Sie müssen ihr die Wahrheit verheimlichen.«

»Das mag ich nicht, denn ich fürchte, sie ahnt bereits, wer die Dame
ist.«

Mühlfels zog bedauernd die Achseln und entgegnete: »So weiß ich in der
That nicht zu rathen, und es wird eine Scene geben, die nun nicht mehr
ausbleiben kann.«

»Hat man denn nicht daran gedacht, das Mädchen zu entfernen?«

»Allerdings, doch Niemand will sich dazu hergeben; man fürchtet sich
dadurch des Prinzen Ungnade zuzuziehen. Auch scheut man das Aufsehen,
das eine solche Maßnahme erregen würde.«

»So muß ich mich beeilen, der Prinzessin die Wahrheit zu sagen, denn
es bleibt ihr unter solchen Umständen nichts Anderes übrig, als sich
dieser entwürdigenden Lage so schnell als möglich zu entziehen!« rief
Aurelie erregt und unmuthig, und kehrte zu Sidonien zurück, ohne auf
des Barons weitere Vorstellungen zu achten.

»Welche herrliche Vortheile müßte mir der heutige Abend verschaffen,
wäre dieser Graf nicht,« sprach Mühlfels unmuthig vor sich hin und
gesellte sich alsdann den auf ihn harrenden Herren zu, denen er mit
wichtiger Miene das eben Vernommene mittheilte und daran die Vermuthung
eines Eclats knüpfte, zu welchem die Prinzessin durch die üble
Nachricht veranlaßt sein würde. Man stimmte ihm darin bei und erwog
zugleich, ob es nicht gerathen sei, demselben vorzubeugen; Alle aber
zuckten die Achseln; Niemand von ihnen wollte für die arme Sidonie
eintreten, und wir erkennen daraus, wie sehr hilflos dieselbe war.

Mühlfels täuschte sich in seiner Voraussetzung nicht, denn kaum hatte
Sidonie das außergewöhnlich erregte Antlitz ihrer Freundin erblickt,
so erkannte sie auch, sich in Bezug auf die Fremde nicht getäuscht zu
haben.

Als ihr Aurelie mit wenigen Worten den Charakter der Letzteren
bezeichnet hatte, erbleichte sie und schien rathlos; jedoch nur für
einige Augenblicke; alsdann reichte sie Aurelien den Arm und bat sie
mit so lauter Stimme, daß sie von ihrer Umgebung gehört werden konnte,
sie nach dem Wagen zu geleiten, da sie sich nicht wohl fühle. Sie trug
der Baronin zugleich auf, dem fürstlichen Paar die Meldung über den
Grund ihrer Entfernung zu machen, und verließ alsdann an Aureliens
Arm die Loge. Rasch schritt sie an den noch immer berathenden Herren
vorüber, die sich schweigend und überrascht verneigten, nicht ohne zu
bedauern, kein Mittel zur Vermeidung dieses Eclats gefunden zu haben.

Sidoniens plötzlicher Aufbruch erregte natürlich sowol bei ihrer
Umgebung als auch bei den Zuschauern Aufsehen, und ehe die Prinzessin
noch ihren Wagen erreicht hatte, durchlief bereits das Gerücht davon
die Räume.

Die Meisten erriethen leicht, durch welche Umstände Sidoniens
Entfernung hervorgerufen worden war, und billigten dieselbe mit vollem
Herzen, und man unterhielt sich darüber so lange in vertraulicher
Weise, bis die wieder beginnende Vorstellung das Interesse beanspruchte.

Der Fürst und seine Gemahlin, die von Alledem nichts ahnten,
bedauerten Sidoniens unerwarteten Aufbruch um so mehr, da sie eben
beabsichtigten, sie zu sich bitten zu lassen, um die Pause durch
Unterhaltungen mit ihr auszufüllen.

Wir haben früher erfahren, wie leicht Sidonie durch Hitze und Geräusch
angegriffen wurde; das fürstliche Paar war damit bekannt, und so hatte
deren frühe Entfernung für sie durchaus nichts Auffälliges.

Wir kehren jetzt zu der fremden Dame zurück, die nach Sidoniens
Entfernen durchaus unbefangen und mit vermehrtem Vergnügen der
Vorstellung bis zum Schluß beiwohnte, ohne durch irgend Jemand darin
gestört zu werden. Daß diese Dame niemand Anders, als Mariane war, darf
wol kaum bemerkt werden.

Hören wir nun, welche Umstände sie verleitet hatten, an einem Ort zu
erscheinen, an welchem sich, wie sie wußte, sowol der Hof, als auch die
Elite des Adels und die Vornehmsten der Stadt versammeln würden.

Wir haben früher erfahren, daß ihr geheimes Dichten und Trachten darauf
gerichtet war, sich persönlich zu überzeugen, ob sie wol, wie der
Prinz gesagt, durch ihre Schönheit und prächtige Kleidung die Damen
des Hofes verdunkeln würde. Dazu bot sich jedoch keine Gelegenheit
dar, da der Prinz ihr den Besuch aller der Orte verboten hatte, an
welchen der Hof erschien. Sie war untröstlich darüber und bereits
entschlossen, gegen das erhaltene Verbot zu handeln. Ihre Eitelkeit
prickelte sie unablässig, und nur von dieser bestimmt, fiel es ihr
nicht ein, die Folgen zu erwägen, die ein solcher Besuch, namentlich
in einer kostbaren und auffallenden Kleidung nach sich ziehen mußte.
Da vernahm sie die Nachricht von der bevorstehenden Festlichkeit,
die man ihr zugleich in so verlockender Weise schilderte, daß das
Verlangen, derselben beizuwohnen, sich bis zur Leidenschaft steigerte.
Das Schauspiel würde alle ihre Wünsche befriedigt haben, denn nicht
nur fand sie bei demselben die Gelegenheit, den ganzen Hof und die
höchsten Adelspersonen zu sehen, sondern sie konnte dabei auch zugleich
das kaum mehr beherrschte Verlangen, in ihrer prächtigen Kleidung
den gewünschten Vergleich anzustellen, erfüllen. Und wie groß mußte
überdies das durch das Schauspiel gebotene Vergnügen sein, von welcher
Pracht und Schönheit sich ihre lebhafte Phantasie die ausschweifendsten
Vorstellungen machte.

Seitdem sie die erste Kenntniß von dem Schauspiel erhalten hatte,
befand sie sich in einer unaufhörlichen Unruhe, lediglich darauf
sinnend, ob es ihr nicht gelingen dürfte, das erstere besuchen zu
können.

Vor allen Dingen bemühte sie sich jedoch, den Prinzen für ihren Wunsch
zu gewinnen; dieser jedoch lehnte ihre Bitte mit dem entschiedenen
Bemerken ab, daß sie aus den angegebenen Gründen auf den Besuch
durchaus verzichten müßte. Er sprach zugleich sein Bedauern darüber
aus, erklärte aber auch, sich den Verhältnissen fügen zu müssen.
Marianens weitere Vorstellungen blieben gleichfalls fruchtlos, wodurch
ihr ganzer Unmuth erregt wurde.

Sie besaß jedoch bereits hinreichende Verstellungskunst, um dem Prinzen
ihre Empfindungen nicht zu verrathen; heuchelte Unbefangenheit
und ließ die Angelegenheit fallen. Sie war jedoch weit entfernt,
dies wirklich zu thun, sondern vielmehr bedacht, eine passende Art
zu ersinnen, die Erfüllung ihres Verlangens trotz des Verbotes zu
ermöglichen. Sie zog Madame Voisin in ihr Vertrauen, diese jedoch rieth
ihr entschieden von dem Besuch ab, indem sie Mariane an den Zorn des
Prinzen erinnerte, der die unausbleibliche Folge eines Verrathes ihrer
Anwesenheit bei dem Schauspiel sein müßte.

Mariane beruhigte sie jedoch durch die Versicherung, daß sie den
Prinzen wol zu versöhnen wissen würde, es ja auch überdies zweifelhaft
sei, ob ihr Besuch zu seiner Kenntniß gelangte. Sie wollte bedacht
sein, sich unter den Zuschauern zu verbergen, so daß sie der Prinz
nicht entdecken könnte, und wußte überdies noch eine Menge anderer
Vorsichtsmaßregeln, die sie zu beobachten willens war, anzugeben, daß
Madame Voisin endlich von ihrem Widerspruch ließ und es Marianens
Ermessen anheim stellte, zu thun, was sie für gut fände. Sie hatte sich
schon längst gewöhnt, sich Marianens Wünschen unterzuordnen, um ihr
künftiges Interesse zu fördern, und baute übrigens auf des Mädchens
großen Einfluß auf den Prinzen, den sie zur Genüge kennen gelernt hatte.

Mariane war nun vor allen Dingen bedacht, sich durch die dritte Hand im
Geheimen Billets besorgen zu lassen, die man für vieles Geld wirklich
erhielt, ohne daß ihr Name dabei genannt wurde. Im Besitz derselben,
war sie auch entschlossen, das Schauspiel um jeden Preis zu besuchen.
Sie ahnte nicht, daß der Zufall ihren Wünschen in einer nicht gehofften
Weise entgegen kommen und sie endlich die so lange ersehnte Gelegenheit
finden sollte, nicht nur dem Schauspiel beizuwohnen, sondern dies auch
ganz ihrem geheimen Verlangen entsprechend thun zu können.

An dem zu der Vorstellung bestimmten Tage fühlte sich nämlich der Prinz
nicht so wohl, um die Erstere besuchen zu können; man konnte diese
jedoch nicht mehr aufschieben, was gewiß mit Rücksicht auf den Ersteren
geschehen wäre, wenn es die Verhältnisse irgend gestattet hätten. Der
Prinz war durch sein Leiden genöthigt, seine Besuche bei Marianen
vorläufig einzustellen, da er auf ärztlichen Rath das Bett hüten sollte.

Welche Umstände hätten für des Mädchens Wünsche vortheilhafter sein
können! --

Sie hatte seinetwegen nun nichts mehr zu besorgen und sah daher mit
kindischer Freude und Ungeduld dem Fest entgegen.

Als die Stunde zum Besuch desselben gekommen war und Madame Voisin
sie aus ihrem Boudoir abholte, fand sie Mariane bereits vollständig
zur Fahrt vorbereitet. Ein einfacher dunkler Mantel hüllte sie ein,
ein ebensolcher Hut schützte den Kopf, so daß ihre Erscheinung in der
That nichts weniger als auffällig war und sich also zur Ausführung
ihrer Absicht durchaus eignete. Madame Voisin, die gleichfalls einfach
gekleidet war, betrachtete sie mit Vergnügen und drückte ihr ihre
Zufriedenheit über die beobachtete Vorsicht aus, indem sie jetzt mit
größerer Ruhe die Hoffnung aussprach, daß ihr Unternehmen gut ablaufen
würde.

Sie erreichten die Stadt und die Reitbahn und gelangten bei dem
daselbst herrschenden Gedränge unbeachtet in ihre Loge; wie sehr
erschrak jedoch Madame Voisin, als Mariane vor dem Betreten derselben
Mantel und Hut ablegte und vor ihr in dem früher bezeichneten
prachtvollen Anzug dastand. Sie wollte zurückkehren; ihre Vorstellungen
waren jedoch fruchtlos, und eben so wenig vermochte sie Mariane zum
Anlegen des Mantels zu bewegen. Diese beharrte auf ihrem Willen, und
so war die Dame genöthigt, sich, wenngleich seufzend und mit besorgtem
Herzen, in das Unabänderliche zu fügen. Um ihre Angst noch zu mehren,
lauteten die Billets überdies auf Vorderplätze, ein nur zu sehr
geeigneter Umstand, Mariane den Blicken der Zuschauer preisgegeben zu
sehen. Niemand von ihnen hatte daran gedacht. Ohne jede Verlegenheit
nahm Mariane ihren Platz ein, während Madame Voisin es vorzog, sich
im Hintergrunde zu halten und ihren Platz Anderen überließ. Sie hatte
längst erkannt, von dem Mädchen überlistet worden zu sein, und war
jetzt nur noch bedacht, so wenig als möglich Aufsehen zu erregen.

Wir haben das Weitere erfahren und fügen nur noch hinzu, daß Mariane
keine Ahnung von dem auf Sidonie und die Zuschauer erzeugten Eindruck
hatte; eben so wenig gerieth sie auf die Vermuthung, erkannt zu sein.

Viel zu unerfahren, um sich eine richtige Vorstellung von den
Lebensverhältnissen in der Residenz machen zu können, zu angenehm
von dem Glanz der Räume, der Schönheit der Vorstellung und der
bewegten prunkvollen Menge berührt, genoß sie unbefangen die sich ihr
darbietende Lust mit vollen Zügen, nicht wenig stolz über die ihr
gezollte Aufmerksamkeit und in dem schmeichelnden Bewußtsein, nicht
übler, ja vielleicht noch besser und schöner, als alle die anwesenden
Damen zu sein.

Ueberaus beglückt kehrte sie mit ihrer Begleiterin heim und vermochte
die Besorgniß derselben und deren Vorwürfe, sie in solcher Weise
getäuscht zu haben, nicht zu begreifen.

Sie fand das Alles mit Lachen und Scherzen ab, und that dies auch, als
Madame Voisin sie an die übeln Folgen erinnerte, die für sie, würde dem
Prinzen ihr Besuch bekannt, entstehen müßten.

»Fürchten Sie nichts, meine gute Voisin; ich kenne meinen Prinzen; er
wird sich, falls er wirklich etwas erfahren sollte, schon versöhnen
lassen. Das Geschehene ist doch nicht mehr zu ändern? Und was liegt
denn auch Uebles darin? Muß er sich nicht freuen, daß ich den Leuten
gefallen habe? O, ich weiß, er giebt etwas auf meine Schönheit; er hat
es mir ja oft genug gesagt. Und damit lassen Sie es genug sein. Ist der
Prinz über den Besuch böse, so mag er es sein; er wird bald wieder gut
werden.«

Also plauderte das leichtsinnige Mädchen, unbekümmert und froh, nur in
ihrem Genuß schwelgend.

Es verstand sich von selbst, daß Madame Voisin in ihrem eigenen
Interesse dafür sorgte, dem Prinzen den Besuch zu verheimlichen; sie
hoffte diesen Zweck auch zu erreichen, da sie der Dienerschaft hierüber
das strengste Schweigen auferlegt hatte und von deren Gehorsam durchaus
überzeugt war. Der Prinz war genöthigt, mehre Tage das Bett zu hüten,
und sandte fast täglich durch Henri zärtliche Billets an Mariane, in
welchen er seine Sehnsucht nach ihr aussprach, und das Mädchen war
keck genug, den Prinzen an einem dunkeln Abend mit Hilfe des Dieners
und einer allerliebsten Männertracht in seinem Palais zu überraschen.
Der Prinz war über diesen Beweis ihrer Liebe entzückt, noch mehr fast
über die kecke Art, mit welcher sie ihm eine Freude zu bereiten bedacht
war. Dergleichen war ganz nach seinem Geschmack, und würde er Mariane
nicht schon überaus geliebt haben, so hätte ihr Handeln diese Wirkung
jedenfalls hervorgerufen. Wie sehr sie gegen sein Verbot gehandelt
hatte, erfuhr er nicht; denn Niemand, selbst Mühlfels, der ihn während
seiner Krankheit täglich besuchte, wagte es, ihn damit bekannt zu
machen. Von der Gewißheit erfüllt, daß dem Fürsten Marianens Besuch
nicht verrathen worden war, erachtete man es für besser, das Geschehene
mit Stillschweigen zu übergehen und abzuwarten, ob Sidonie vielleicht
irgend etwas in dieser Angelegenheit that. Man nahm dies jedoch nicht
an, da ihre Gleichgiltigkeit gegen den Prinzen bekannt war. Freilich
verrieth ihr plötzliches Entfernen unter dem Vorgeben von Unwohlsein,
daß sie durch den Vorfall tief verletzt worden sei, dieser Umstand
schloß jedoch nicht die Voraussetzung in sich, sie würde sich darum
auch Genugthuung verschaffen wollen.

Hatte sie sich doch schon so Vieles von dem Prinzen gefallen lassen;
was konnte es ihr daher auf diese Bagatelle ankommen. Für ihre Ruhe war
es sogar besser, wenn sie die Sache gehen ließ.

So meinten die klugen und von der Moral nicht geplagten Hofleute, ohne
zu ahnen, wie bald sie zur Einsicht ihrer Täuschung geführt werden
sollten.




                           Sechstes Kapitel.


Durch den erfahrenen Schimpf in der tiefsten Seele verletzt, kehrte
Sidonie in Begleitung Aureliens nach dem Palais zurück und sank, in
ihrem Gemach angelangt, erschöpft in einen Fauteuil. Trostlos starrte
sie einige Augenblicke vor sich hin und rief alsdann, in Thränen
ausbrechend:

»Auch ~das~ noch zu allem, allem Unglück, das ich leiden muß!«

»Ich begreife nicht, wie dem Mädchen der Zutritt gestattet worden ist,«
bemerkte Aurelie, erfreut, die Spannung in Sidoniens Herzen gemindert
zu sehen, und zugleich bedacht, durch Besprechung dieser Angelegenheit
sie von dem schmerzvollen Brüten abzulenken.

»Wie konnte der Prinz es wagen, mir einen ~solchen~ Schimpf anzuthun!
Bin ich denn schon so sehr verachtet, daß er sich so etwas gestatten zu
dürfen glaubte?!« preßte Sidonie unmuthig hervor.

»Vielleicht ist es ohne seinen Willen geschehen,« -- wandte Aurelie ein.

»Glaube das nicht und bedenke, daß ein so einfaches Mädchen gänzlich
von seinem Willen abhängig sein muß.«

»Diese Vermuthung liegt nahe; dennoch erinnere ich Dich, daß der Prinz
unpäßlich ist und das Palais hütet; vielleicht, daß --«

»Nein, nein! Bemühe Dich nicht, ihn zu entschuldigen und mir das
Erfahrene in einem milderen Licht zu zeigen. Selbst wenn das Mädchen
ohne sein Wissen den Besuch wagte, so geht daraus doch hervor, welche
große Macht sie über ihn gewonnen haben und wie geringe Achtung sie
mir zollen muß, um sich über alles das hinweg setzen zu können. Aus
diesem Umstand ersehe ich jedoch, welcher Art sein Verhältniß zu dem
Mädchen ist und daß die Gerüchte von demselben durchaus begründet sein
müssen. So weit ist es also schon mit mir gekommen! Man scheut sich
nicht mehr, mich öffentlich zu verspotten und mich dem Mitleiden der
Menge preiszugeben! Unerhört! Ist es nicht genug, daß ich bisher alles
Ueble schweigend duldete, will man mich auch der theuer erkauften Ruhe
berauben? -- Glaubt man, mir eine solche Schonung nicht mehr schuldig
zu sein?! Wie tief muß ich in der Achtung des Hofes gesunken sein, wenn
~das~ geschehen konnte!«

In schmerzvoller Erregung lehnte sie sich in dem Sessel zurück.

Voll der innigsten Theilnahme, doch schweigend ruhte der Freundin Auge
auf der Leidenden und so schwer Gekränkten; sie vermochte ja nichts
zur Linderung von Sidoniens Kummer beizutragen; denn das Geschehene
konnte nicht ungeschehen gemacht und der erfahrene Schimpf nicht
zurückgenommen werden.

»O, wie schutzlos bin ich doch!« rief Sidonie nach kurzer Pause. »Meine
Brüder besitzen keinen Einfluß bei Hofe; der Fürst ist dem Prinzen
gegenüber zu schwach, und seine Grundsätze und Ansichten vom Leben sind
auch viel zu wenig sittlich, um mich zu verstehen und mein Verhältniß
zu dem Prinzen durch seinen Einfluß auf diesen erträglicher zu machen.
Was soll ich beginnen und wer räth mir in meiner so kummervollen Lage!
-- O, wäre Bernhard hier, mir würde Alles leichter, mein Schmerz
geringer, mein Wille kräftiger werden! -- Ach, mit ihm zog mein
Schutzengel, meine Ruhe und mein Glück davon! O, wie so sicher fühlen
wir uns doch in der Huth treuer Liebe! O wüßte er, wie sehr ich seiner
bedarf, wie schnell würde er zu mir eilen. Doch ich besitze kein Recht,
ihn in seiner Trauer zu stören, und muß diesen Schmerzenskampf allein
auskämpfen!«

Sie schwieg und schaute betrübt und gedankenvoll vor sich hin.

Aurelie ergriff ihre Hand, drückte sie sanft und bemerkte:

»Lass’ uns gemeinschaftlich erwägen, was in Deiner Angelegenheit
geschehen muß; denn daß Du den Dir angethanen Schimpf nicht ruhig
hinnehmen darfst, versteht sich von selbst.«

»Du hast Recht, mich daran zu erinnern; denn der Schmerz ließ mich
dies bisher vergessen. Ja, ich will mir Genugthuung um jeden Preis
verschaffen. Ich fürchte nichts mehr, nun es so weit gekommen ist,
weder des Fürsten Ungnade, noch die Härte des Prinzen,« fiel Sidonie
mit Festigkeit ein.

»Und was gedenkst Du zu thun?« fragte Aurelie.

»Die Gelegenheit erfordert keinen Aufschub, sonst würde ich an meinen
Bruder geschrieben und ihn um seine Herüberkunft gebeten haben. Er
mag sein Ansehen bei dem Fürsten und Prinzen später geltend machen;
denn mittheilen werde und muß ich ihm das Geschehene, das bin ich
der Ehre meiner Familie schuldig. Ich will selbst dem Fürsten meine
Beschwerde vortragen; dies ist der einzige Weg, damit die Angelegenheit
nicht mit dem üblichen Stillschweigen übergangen wird. Denn es muß
mit Bestimmtheit erwartet werden, daß man dem Fürsten die Sache
verheimlicht. Man fürchtet den Prinzen, der alle Tage zur Regentschaft
gelangen kann; ich weiß es nur zu wohl, und der beste Beweis dafür ist
der Umstand, daß sich Niemand veranlaßt fühlte, das Mädchen aus dem
Schauspiel zu entfernen, um mir vor den Versammelten eine öffentliche
Genugthuung zu verschaffen.

»Du siehst, wie es hier mit meinen Freunden steht. Jeder ist nur
auf seinen Vortheil bedacht, und selbst Mühlfels, an dessen treue
Ergebenheit ich glaubte, hat sich feig zurückgezogen. Ihm ist das
Mädchen bestimmt bekannt, er konnte also auch wissen, welchen
Eindruck ihre Anwesenheit auf mich hervorrufen mußte. O, über diese
Selbstsüchtlinge, die nur ihr Ich anbeten und dabei die edelsten
Gefühle heucheln und uns dadurch an ihr besseres Wesen zu glauben
verleiten! O, es ekelt mir vor dieser feilen, sittenlosen Welt, und
der Ewige möge mich bald durch die Gnade beglücken, ihr für immer
entfliehen zu können! O bringe mir ~sein~ Bild, das ich mich an den
edeln, geliebten Zügen wieder aufrichten kann und den Glauben an das
Gute in den Menschen nicht verliere!«

»Ich kann Deinen Entschluß, dem Fürsten persönlich Deine Beschwerde
vorzutragen, nur billigen. Jede Mittelsperson würde in diesem Fall
wirkungslos sein; ich kenne den Fürsten. Man würde Dich zu täuschen
suchen, würde sagen, Du hättest Dich in Bezug auf das Mädchen geirrt;
sie sei nicht die Geliebte des Prinzen, sondern irgend eine andere
Person gewesen, und was man sonst noch zu sagen für gut fände. Eine
Täuschung ist aber in diesem Falle nicht anzunehmen, dafür bürgt uns
Mühlfels’ Aussage und das auffällige Verhalten des Publikums.« --

»Ich will den nächsten Tag noch hingehen lassen; vielleicht ist man
bedacht, mir in irgend einer Weise entgegen zu kommen, um mir den
unangenehmen Schritt bei dem Fürsten zu ersparen.«

»Sei es so; doch gestehe ich Dir offen, ich hege wenig Hoffnung, daß
Deine Erwartungen befriedigt werden.«

»Du wirst Recht haben; doch könnte ich vielleicht morgen noch nähere
Umstände über des Mädchens Besuch, vielleicht durch Mühlfels, erfahren,
die mir bei der Unterredung mit dem Fürsten von Wichtigkeit sein
könnten.«

»Dieser Umstand ist allerdings zu erwägen, und so denke ich, Du thust
nach Deinem Vornehmen.«

»O, mir bangt vor der kalten Gleichgiltigkeit und dem Cynismus des
Fürsten, mit welchen er dergleichen Angelegenheiten zu behandeln
pflegt, und mein Herz krampft sich bei dem Gedanken schmerzvoll
zusammen, daß ich genöthigt bin, mich über die Geliebte meines Gemahls
beklagen zu müssen. Wie hätte ich ahnen sollen, jemals in eine so
erniedrigende Lage versetzt werden zu können!«

»In der That, eine sehr, sehr traurige Nothwendigkeit! Doch hoffen
wir, daß Dir dieser Schritt erspart wird. Vielleicht bestätigt
sich Deine Voraussetzung und man kommt Dir, wie Du es wünschest,
entgegen. Sollte dies jedoch nicht der Fall und Du zu der Unterredung
gezwungen sein, so erzielt sie vielleicht den Vortheil, den Fürsten
zu einem entscheidenden Handeln zu veranlassen, um Dich vor ähnlichen
Beleidigungen für immer sicher zu stellen.«

»Glaubst Du, meine gute Aurelie?« fragte Sidonie gedankenvoll.

»Liegt diese Vermuthung nicht nahe?« --

»Vielleicht nicht so nahe, als Du denkst. Du traust dem Fürsten mehr
feines Gefühl zu, als er in der That besitzt. Ich bin überzeugt, er
wird nur so viel thun, als es ihm unumgänglich nöthig scheint. Doch,«
fuhr Sidonie mit leisem und bedeutungsvollem Ton fort, »doch ich
will ihm sagen, daß ich es müde bin, noch länger die Beleidigte und
Verspottete zu sein, daß meine Geduld ihr Ende erreicht hat, und will
ihm mit einem Vorschlag entgegen kommen, der seiner Staatspolitik
entspricht.«

»Das willst Du wirklich?!« fragte Aurelie besorgt und überrascht.

»Du weißt, ein solcher Entschluß lebt schon lange in mir, und ich
bekenne Dir, er ist mit Bernhard’s Gegenwart immer mehr in mir gereift.
Du wirst das natürlich finden. Muß mich Bernhard nicht schwach und
kraftlos nennen, da mein Stolz sich unter diese erniedrigenden
Verhältnisse beugt und sie geduldig erträgt?« --

»Vermagst Du sie zu ändern?« --

»Ich denke und hoffe ihm zu zeigen, daß ich seiner Liebe würdig bin.
Denn sage selbst, wäre es nicht undankbar von mir, seine so großen
Opfer anzunehmen, ohne daran zu denken, ihm dafür nicht nur mit dem
~Herzen~, sondern auch durch die ~That~ zu danken? Wer liebt und
geliebt wird, übernimmt auch heilige Pflichten, die zu erfüllen sein
Bestreben sein muß. Ich habe das Alles oft und oft bedacht, bin in
mancher ruhelosen Nacht darüber mit mir zu Rathe gegangen, und immer
und immer hob sich der einzige Gedanke vor allen anderen heraus, ihm
für seine aufopfernde Liebe nur ein freudenloses Leben zu bereiten.
Dieser Gedanke läßt mir aber keine Ruhe, und so steht der Entschluß in
mir fest, die gegenwärtigen Umstände in meinem Sinne zu benutzen. Ich
brauche Dir nicht zu sagen, wie sehr mich die Erfüllung meines Wunsches
beglücken würde; Du kennst ja meine grenzenlose Liebe für ihn, Du
weißt, wie unendlich beseligt ich mich fühlen würde, sein freudloses
Dasein durch sie zu verschönen und, von dem Zwang der Verhältnisse
befreit, in seinem Glück das eigene zu genießen. O, welch ein süßer,
wonniger Traum, zu süß, zu schön, um Wahrheit zu werden! Doch er soll
mich ermuthigen zu dem Kampf, den ich aufzunehmen gedenke, und er wird
es, das fühle ich!«

»Ich habe das voraus gesehen, ja ich habe, ohne es Dir zu verrathen,
schon lange gewünscht, es möchte zu einem entscheidenden Schritt
kommen, um Dich und ihn aus einer so unheilvollen Lage zu retten. So
sei es denn! Bin ich auch zu machtlos, um Dir mit der That beistehen
zu können, so weißt Du doch, daß Du über mein Herz gebieten kannst,«
entgegnete Aurelie, die Freundin liebevoll umarmend.

Noch manches wichtige und berathende Wort tauschten die Freundinnen
aus, manche süße Hoffnung wurde ausgesprochen, mancher noch süßere
Traum daran geknüpft, bis endlich die späte Stunde sie zur Trennung
zwang.

Die gute Marion war nicht wenig überrascht, als sie die Prinzessin
entkleidet hatte und, an der Uhr vorübergehend, gewahrte, daß es fast
Morgen geworden sei. Sie schüttelte bedenklich das Haupt, und es wurde
ihr klar, daß irgend welche wichtige Dinge vorgegangen sein und die
Prinzessin betroffen haben müßten; denn ihr waren deren Aufregung
und verweinte Augen nicht entgangen. Wie herzlich that ihr die liebe
Prinzessin leid; so jung und so schön und dennoch so unglücklich sein
zu müssen, das schnitt ihr in die Seele. Sie wußte, daß Sidonie den
Prinzen nicht gemocht und nur aus kindlichem Gehorsam geheirathet
hatte, hatte ihres Lieblings Thränen und Schmerzen gesehen und mit
ihr im Geheimen geweint und gelitten, und litt und weinte noch immer,
ohne Hoffnung auf ein Besserwerden. Denn das war ihrem verständigen
Sinn längst klar, daß sich die Prinzessin mit einem so leichtsinnigen
Gemahl, wie der Prinz, und würde er auch einst Regent, niemals
glücklich fühlen könnte.

»Da sprecht mir von der Weisheit und dem Glück der Großen und
Gewaltigen der Welt; es ist Alles eitel Tand und eitler Schein.
Die Weisheit und Güte bringt nicht der Stand, die muß der Mensch im
Herzen tragen, und wer sie nicht hat, ist auch als Fürst darum nicht
besser, wie gemeine Menschen. Die Krone thut es nicht und auch nicht
der Reichthum und die Macht. Vor Gott ist nur der Gute und Gerechte
etwas, da gilt das Herz und nicht der eitle Flitter. Gott bessere diese
verderbte Welt, in der meine gute Prinzessin leben und von der sie so
schwer leiden muß!« Also dachte sie und überlegte das Alles noch in
später Nacht, als sie sich seufzend zur Ruhe begeben hatte, bis sie
unter einem Gebet für ihren Liebling endlich einschlummerte.

Auch Mühlfels wurde durch den Vorfall bei der Vorstellung mehr
betroffen, als man dies hätte erwarten sollen.

So heftig seine Leidenschaft für Sidonie auch war, stand ihm dennoch
die Gunst des künftigen Regenten höher als ihr Dank, dessen er
jedenfalls sicher war, hätte er Mariane zum Verlassen der Loge
genöthigt. In der Vermuthung jedoch, das Mädchen sei mit Wissen des
Prinzen erschienen, wagte er das nicht. Ihm war nur zu wohl die Macht
bekannt, die Mariane auf den Prinzen ausübte; er hatte sich persönlich
davon überzeugt. Der Letztere gestattete ihm nämlich bisweilen, ihn
zu dem Mädchen zu begleiten und in ihrer Gesellschaft eine Stunde
zuzubringen. Denn bei der von dem Prinzen für Mariane gehegten großen
Vorliebe war es diesem angenehm, den Vertrauten mit den Vorzügen seines
Lieblings bekannt zu machen und sich an dessen Lob des Mädchens
zu ergötzen, das in überschwänglicher Weise auszusprechen Mühlfels
natürlich nicht unterließ. Trotz aller dieser zu nehmenden Rücksichten
erwog der Baron dennoch, in wie weit er den Vorfall in seinem eigenen
Vortheil benutzen sollte; denn es lag die Voraussetzung nahe, Sidonie
könne vielleicht auf seinen Beistand gerechnet haben, und wie wir
erfahren, täuschte er sich in dieser Annahme nicht.

Er mußte sich daher bei ihr entschuldigen und ihr die Unmöglichkeit
seines Handelns klar machen, um ihre Gunst nicht vielleicht ganz und
gar einzubüßen. Ein solcher Verlust würde seine Absicht, sich ihr
Vertrauen zu erwerben, unerreichbar gemacht haben; überdies konnte es
für ihn keine geeignetere Gelegenheit geben, ihr seine Ergebenheit an
den Tag zu legen. Ihr plötzliches Entfernen aus dem Schauspiel verrieth
ihm die tiefe Kränkung ihrer Seele, und er konnte daher mit einiger
Sicherheit annehmen, daß sie irgend einen besondern Schritt in dieser
Angelegenheit thun würde. Unter solchen Umständen ist der Rath eines
ergebenen Mannes von Wichtigkeit, der dem Prinzen so nahe stand, wie er.

Auch war ihm bekannt, daß die Prinzessin keinen andern Mann bei Hofe
mit ihrem Vertrauen beehrte; Grund genug also für ihn, alle diese
Umstände zu benutzen.

Es kam nun darauf an, eine geeignete Gelegenheit zur Ausführung
seines Vorhabens ausfindig zu machen. Eine Audienz bei der Prinzessin
nachzusuchen wagte er nicht. Dieser Schritt wäre zu auffällig gewesen;
er mußte ihn daher vermeiden. Um so erwünschter wäre ihm ein durch den
Zufall herbei geführter Anlaß gewesen. Sein Verlangen sollte in der
That erfüllt werden.

Am nächsten Vormittage besuchte ihn Boisière, um mit ihm über die
Vorstellung und die dabei vorgekommenen kleinen pikanten Ereignisse,
sowol unter den Acteurs als Zuschauern, zu plaudern.

Denn es darf kaum bemerkt werden, daß eine Menge interessanter
Geschichtchen, die man entweder selbst erfahren oder von Anderen
vernommen hatte, von Munde zu Munde gingen, und zwar zum großen
Ergötzen der Nichtbetheiligten. Wie hätte das in der damaligen Zeit
auch anders sein können, die nicht nur der Klatschsucht den reichsten
Stoff, sondern auch zugleich nur zu sehr geneigte Personen, diese
Stoffe in der ergiebigsten Weise zu benutzen, darbot. Ein prickelnder
Witz, eine ähnliche Zweideutigkeit, vor Allem jedoch eine auf
Thatsachen beruhende pikante Geschichte wurden eben so sehr gesucht,
als mit übergroßem Beifall aufgenommen.

Und was wußte der Chevalier nicht Alles zu erzählen, was hatte er nicht
selbst gesehen, belauscht und errathen, und wie viel mehr war ihm noch
zugeflüstert und mitgetheilt worden! -- Da war Material, um den Hof
und die Stadt einen ganzen Monat zu unterhalten. Und was würden die
nächsten Tage noch Alles erzählen!

Der Chevalier befand sich so recht in seinem Element und also
sehr behaglich, und Mühlfels theilte als Freund solcher Dinge
dessen Stimmung. Ihm diente das Vernommene zugleich als ein
Unterhaltungsmittel für den Prinzen, der, von der persönlichen
Theilnahme an der Vorstellung abgehalten, dergleichen Geschichtchen mit
Begier anhörte und sich dabei köstlich unterhielt.

Nachdem der Chevalier das Füllhorn seiner ergötzlichen Mittheilungen
ausgeschüttet hatte, brach er mit dem Bemerken auf, sich von hier aus
gerades Weges nach dem Palais der Prinzessin begeben zu müssen, um sich
im Namen des Fürsten nach deren Befinden zu erkundigen.

»Wie geht es der Prinzessin, lieber Baron? Die gestrige unangenehme
Geschichte hat sie doch nicht wirklich krank gemacht?« fragte er.

»Ich habe darüber noch nichts vernommen,« entgegnete Mühlfels
zurückhaltend.

»O, o, lieber Baron, nichts vernommen! Wozu mir gegenüber dergleichen
Koketterien?« fiel der Chevalier lachend ein.

»Ich versichere, es ist so!«

»Das machen Sie einen Andern glauben! Sie, der Begünstigte der
Prinzessin, sollten nicht schon gestern Abend Gelegenheit gefunden
haben, sie zu beruhigen?! Ah pah! Ich kenne die Frauen. Unter
Umständen, wie die bekannten, suchen sie stets Trost in den Armen ihres
Günstlings. Und das däucht mir auch durchaus praktisch. Unmuth und Zorn
vergessen sich am leichtesten im Arm der Liebe.«

Mühlfels überwand eine augenblickliche Verlegenheit als Folge der
von Boisière ausgesprochenen Voraussetzung, die ihm unter anderen
Umständen sehr schmeichelhaft gewesen wäre, ihm jetzt jedoch die trüben
Aussichten in dieser Beziehung leider nur noch fühlbarer machten. Er
besaß jedoch viel zu viel Täuschungskunst, um sich zu verrathen und so
der über ihn gehegten Meinung zu berauben, und darum beobachtete er ein
gewisses zweideutiges Wesen, das durchaus geeignet war, des Chevaliers
Voraussetzungen zu bestätigen. In den frivolen Ton desselben eingehend,
bemerkte er:

»Sie werden Recht haben, lieber Chevalier; doch müssen Sie bedenken,
daß Ihre Annahme nicht in allen Fällen zutrifft. Uebrigens spricht der
Betheiligte von dergleichen nicht. -- Sie verstehen mich.«

»Vollkommen, vollkommen, und ich versichere Sie, ich billige Ihren
Tact, lieber Baron. Eine gewisse Façon muß bei Liaisons immer
beobachtet werden. Es hat das sein Gutes, namentlich wenn eine hohe
Person im Spiel ist,« entgegnete Boisière mit überlegenen Mienen.
Bildete er sich doch ein, das Muster eines galanten Cavaliers zu sein,
von welchem die jüngere Welt gern Rath annahm und sich nach ihm bildete.

»Doch unter uns, =cher Baron=,« fuhr er leiser und vertraulich
fort, »ich denke, Sie werden etwas über der Prinzessin Befinden und
Intentionen wissen, namentlich, wie sie die Geschichte aufgenommen hat.
Sie dürfen meiner Discretion unbedingt vertrauen; denn Sie wissen, daß
in diesem Fall von einer leidigen Neugier nicht die Rede sein kann.
Der Fall ist von Bedeutung, und es ist mir von Wichtigkeit, in dieser
Beziehung gut unterrichtet zu sein, um dem Fürsten Bestimmtes sagen zu
können. Serenissimus hat die Scene im Schauspiel noch nicht erfahren
und ich würde ihn damit nicht behelligen, falls die Prinzessin nicht
beabsichtigen sollte, irgend etwas darin zu thun. Ist dies jedoch
nicht der Fall, so darf ich ihn nicht in Unkenntniß darüber lassen;
er würde das sonst sehr übel vermerken. -- Sie erkennen, wie angenehm
dem Fürsten unter den vorausgesetzten Umständen ein Mittel wäre, den
etwaigen Ansprüchen der Prinzessin ein Paroli bieten zu können.«

Mühlfels erkannte das nur zu wohl, er erkannte aber auch die üble
Situation, in die er gedrängt worden war und die ihm nur die Wahl ließ,
seine Niederlage bei der Prinzessin entweder einzugestehen oder sich in
der gespielten Täuschung zu behaupten. Daß er das letztere dem ersteren
vorzog, verstand sich von selbst; es fragte sich nun, wie weit er gehen
durfte. Aber er würde nicht ein Kind seiner Zeit, nicht der Vertraute
eines ausschweifenden Prinzen, vor Allem nicht der eitle und ehrgeizige
Mann gewesen sein, wäre er in diesem bedeutsamen Augenblick vor einer
die Prinzessin entwürdigenden Lüge zurück geschreckt. Dazu war er viel
zu leichtsinnig und von einer an Frechheit grenzenden Kühnheit erfüllt,
die ihm in seiner bedenklichen Lage sehr zu Statten kam.

Mit der ihm eigenen Fertigkeit und Kaltblütigkeit hatte er das Alles
schnell erwogen, hatte sich gesagt, daß dasjenige, was er zu erreichen
bestrebt war, zu den Möglichkeiten gehörte und ihm dazu auch der
Besitz des Liebesgeheimnisses Sidoniens ein wichtiges Mittel bot.

Warum sollte er daher die Täuschung nicht erhalten? Ueberdies beruhigte
ihn die Ueberzeugung, daß Sidonie von Alledem niemals etwas erfahren
würde; denn wer wol sollte sie damit bekannt machen? -- Was zwischen
ihm, dem Chevalier und dem Fürsten verhandelt wurde, blieb allen
Anderen ein Geheimniß; er wußte es.

Alle diese Gedanken waren rasch durch seine Seele geflogen, ohne daß
selbst der scharfblickende Chevalier eine Ahnung davon gewann und die
augenblicklich von Mühlfels verrathene Bedenklichkeit lediglich für
Vorsicht hielt, die unter den obwaltenden, so bedeutsamen Verhältnissen
durchaus gerechtfertigt erscheinen mußte.

Fragend schaute er den Baron an, der in Bezug auf die zu gebende
Antwort mit sich bereits im Klaren war und bedeutsam lächelnd
entgegnete:

»Mein lieber Chevalier, Sie wissen, daß wir Sie hier am Hofe als das
Vorbild eines galanten Cavaliers verehren; versetzen Sie sich in meine
Lage und rathen Sie mir, was ich Ihnen antworten soll. Sie haben vorhin
bemerkt, jede Liaison verlange eine gewisse Façon; diese Meinung ist
mir zu bedeutsam, um sie nicht in diesem Fall zu beobachten. Ich will
meinem verehrten Vorbilde ein wenig Ehre machen. Und so stelle ich es
Ihrer Klugheit anheim, dem Fürsten nach Belieben zu berichten; denn was
Sie ihm zu sagen für gut befinden, wird meinen ganzen Beifall gewinnen.
Ihnen mehr zu vertrauen, wird daher nicht nöthig sein, noch halte ich
mich dazu berechtigt.« --

Der Baron hätte den Chevalier durch nichts leichter täuschen können,
als indem er seiner Eitelkeit schmeichelte und, ohne ein wirkliches
Geständniß abzulegen, sich auf Andeutungen beschränkte, die sehr
geeignet waren, dasjenige zu errathen, was er verschwieg, jedoch als
bedeutsam erkannt zu sehen wünschte.

»Als echter Cavalier gesprochen, =cher Baron=!« fiel der Chevalier
geschmeichelt und vertraulich ein, indem er Mühlfels’ Hand ergriff und
drückte. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, und denke, Sie werden
mit mir zufrieden sein. Ich will die Angelegenheit -- Sie haben ganz
Recht, sie ist äußerst difficil -- in der gewünschten Weise tractiren;
verlassen Sie sich ganz auf mich und seien Sie überzeugt, nicht nur in
Ihrem ~Sinn~, sondern auch in Ihrem ~Vortheil~.«

»Ich habe das erwartet, mein theurer Chevalier, und bin beglückt, diese
Sache in Ihren klugen Händen zu wissen,« entgegnete Mühlfels, indem er
den Händedruck des Chevaliers erwiderte.

»Trotzdem muß ich noch einmal auf meine frühere Frage, ob Ihnen in
Bezug auf die Intentionen der Prinzessin in der bewußten Angelegenheit
nicht etwas Bestimmtes bekannt geworden ist, zurück kommen,« bemerkte
der Chevalier und blickte Mühlfels fragend an. »Wissen Sie nichts?«

»Aufrichtig gesprochen, nein. Die Prinzessin war zu aufgeregt und
unmuthig, um an dergleichen zu denken,« entgegnete Mühlfels in einer
Weise, als hätte er Gelegenheit gehabt, Sidonie näher zu beobachten.

»Das ist fatal!« rief der Chevalier. »Ich weiß nicht, was ich dem
Fürsten sagen soll.«

»Vielleicht ließe sich diese Angelegenheit durch mich erledigen,«
bemerkte Mühlfels nachdenkend.

»Das wäre prächtig!« fiel der Chevalier erfreut ein. »Wie gedenken Sie,
mein Lieber?« fragte er.

»Sie beabsichtigen, sich nach dem Befinden der Prinzessin zu
erkundigen; ich war gleichfalls willens, mich aus diesem Grunde zu ihr
zu begeben. Gestatten Sie mir, ihr an Ihrer Stelle den Gruß des Fürsten
zu überbringen; ich habe besondere Gründe zu dieser Bitte, über welche
ich mich nicht näher aussprechen möchte. Es ist aber gut, wenn die
Umgebung der Prinzessin erfährt, daß ich ihr im Auftrage des Fürsten
aufwarten möchte.« --

»Ich verstehe, ich verstehe!« fiel Boisière vertraulich ein und
fügte dann hinzu: »Sie haben ganz Recht, lieber Baron. Man darf die
Hofschranzen nicht zu sehr in die Karten blicken lassen; sie werden
leicht lästig und gefährlich. -- Sie wollten also?« --

»Die Prinzessin bei dieser Gelegenheit über ihre Absichten ausforschen,
wie Sie es wünschen,« bemerkte Mühlfels.

»Vortrefflich, vortrefflich! Ich bin überzeugt, es wird Ihnen das ganz
nach Wunsch gelingen.«

»Ich denke, lieber Chevalier,« entgegnete Mühlfels selbstgefällig und
sicher.

»So will ich Sie verlassen, mein theurer Freund, und in einer Stunde
wieder bei Ihnen vorsprechen, um das Weitere zu erfahren,« sprach
Boisière und brach auf, indem er zugleich fortfuhr:

»Ja, ja, Ihnen wird das leicht werden, was mir wahrscheinlich trotz
aller Klugheit nicht gelungen wäre. Sidonie ist stolz und verschlossen;
doch der Liebe öffnet sich ja leicht und gern das Herz. =Au revoir,
cher Baron!= In einer Stunde bin ich wieder hier.«

Mit diesen Worten und dem angewöhnten Hüsteln entfernte sich der
Chevalier, und Mühlfels bereitete sich zu dem Besuch der Prinzessin vor.

Er war hinsichts seines Benehmens gegen den Chevalier mit sich sehr
zufrieden, von der Ueberzeugung erfüllt, den klugen Kammerherrn
vollständig getäuscht zu haben. Mehr noch als dieses erfreute ihn
der Umstand, die so sehr gewünschte Gelegenheit zu dem Besuch der
Prinzessin durch Boisière erlangt zu haben. Da er im Namen des Fürsten
erschien, mußte sie ihn vorlassen, was unter anderen Umständen
wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre. Während er sich ankleidete,
überlegte er sein Verhalten gegen Sidonie, namentlich wie er es
einrichten sollte, ihre Absichten betreffs der bekannten Angelegenheit
zu erforschen. Denn er sagte sich, daß das Gelingen seines Vorhabens
nicht nur die Täuschung des Fürsten befestigen, sondern ihm auch
in Bezug auf die Prinzessin bei diesem eine vermehrte Würdigung
verschaffen müßte. Also vorbereitet, begab er sich zu Sidonien. Diese
befand sich zufällig allein in ihrem Boudoir, als ihr die Meldung von
Mühlfels’ Erscheinen gemacht wurde. Ihre Stimmung war nichts weniger
als zu einer Unterhaltung mit dem Baron geeignet, da er jedoch als ein
Bote des Fürsten erschien, sie auch vermuthete, er sei als Vertrauter
des Prinzen absichtlich von dem Ersteren, vielleicht auch von dem
Letzteren, zu diesem Auftrag ausersehen worden, überwand sie schnell
ihre Abneigung und empfing ihn mit Freundlichkeit.

Dieser Umstand erhob den Muth und die Hoffnung des Barons nicht wenig,
indem er darin zugleich ein gutes Zeichen für das Gelingen seiner
Absicht sah.

»Sie bringen mir einen Auftrag des Fürsten?« fragte Sidonie.

»Serenissimus wünschen zu erfahren, wie Euer Hoheit Befinden ist, da
er zu seinem innigen Bedauern gestern vernommen, daß Hoheit durch
Unwohlsein gezwungen worden sind, das Schauspiel vor dessen Beendigung
zu verlassen,« entgegnete Mühlfels in theilnehmendem Ton.

»Ich bitte, dem Fürsten meinen ergebensten Dank für seine
Freundlichkeit abzustatten und ihm zu berichten, daß ich mich wieder
wohler fühle.«

»Ich bin glücklich, ihm eine so beruhigende Botschaft überbringen zu
können, und Hoheit mögen mir die Versicherung gestatten, daß ich mich
doppelt beglückt fühle, mich persönlich davon überzeugen und so meinen
lebhaften Wunsch befriedigen zu können.«

»Ich danke Ihnen, lieber Baron,« sprach Sidonie wohlwollend und
unbefangen, und fragte alsdann nach kurzem Zögern: »Haben Sie mir sonst
noch irgend welche Mittheilung zu machen?«

»Im Auftrage des Fürsten nicht; doch stehe ich sonst zu Eurer Hoheit
Befehl.«

»Der Fürst oder der Prinz hätten sich zu weiteren Aufträgen wirklich
nicht bewogen gefunden?« fragte Sidonie mit Befremden.

»Ich muß das bejahen.«

»Wie, ist ihnen denn das Geschehene nicht bekannt geworden?« fuhr
Sidonie mit Ueberraschung fort.

»So viel ich weiß, nein.«

»Das ist nicht denkbar! Der Fürst war ja ein Zeuge desselben, und Sie,
Baron, sind mit dem Prinzen zu vertraut, um nicht zu wissen, daß ohne
seine Billigung so etwas nicht geschehen konnte.«

»Ich habe Hoheit seit mehren Tagen nicht gesehen« -- bemerkte Mühlfels
ausweichend.

»Und auch ~Sie~ wußten von ~jenem~ Besuch nichts?« fragte Sidonie und
blickte ihn forschend an.

Mühlfels zeigte die aufrichtigste Miene, mit welcher er entgegnete:

»Ich versichere Eurer Hoheit, nicht das Geringste.«

»Unglaublich!« rief Sidonie und fragte alsdann: »Sie haben mir also
nichts mehr von dem Fürsten zu sagen?«

»Durchaus nichts, und ich erlaube mir Eure Hoheit nochmals zu
versichern, daß der Fürst bis jetzt den bewußten Vorfall nicht erfahren
hat.«

»Freilich, das erklärt sein Verhalten,« bemerkte die Prinzessin und
fragte: »Warum verschweigt man ihm denselben?«

Mühlfels zuckte die Achseln und schaute sie bedeutungsvoll an.

Sidonie verstand ihn und entgegnete:

»Ich verstehe Sie, Baron. Freilich, wer hätte den Muth, ihm dergleichen
zu verrathen. Ob auch der ganze Hof beleidigt wurde, was hat das zu
sagen? Man nimmt das schweigend in der Besorgniß hin, sich durch ein
aufklärendes Wort die Gnade des künftigen Regenten zu verscherzen.«

»O, glauben Sie das nicht, Hoheit!« betheuerte Mühlfels mit Wärme. »Sie
würden den Beweis dagegen erhalten haben, hätten Sie das Schauspiel
nicht verlassen.«

»Wie das, Baron?« fragte Sidonie überrascht.

»Ich selbst war willens auf die Gefahr hin, mir des Prinzen Ungnade
zuzuziehen, die Entfernung des Mädchens zu veranlassen,« entgegnete
Mühlfels durchaus sicher.

»Sie, Baron? -- -- Und warum thaten Sie es nicht?«

»Weil ich durch maßgebende Personen davon abgehalten wurde; als ich
trotzdem meine Absicht ausführen wollte, entfernten sich Hoheit. Damit
hörte jedes Interesse für diese Angelegenheit für mich auf. Ueberdies
war auf den Fürsten Rücksicht zu nehmen. Hoheit werden zugeben, daß
jedes Aufsehen vermieden werden mußte, und dieses konnte mit Gewißheit
bei dergleichen Maßnahmen erwartet werden. Das Entrée berechtigte
einen Jeden zur Theilnahme an dem Schauspiel, und es war daher eine
unangenehme Scene zu besorgen.«

Sidonie schwieg einige Augenblicke, alsdann fragte sie:

»Sie glauben also, daß der Prinz mit dem Besuch nicht bekannt war?«

»Ich wiederhole, daß ich mich außer Stande fühle, darauf zu antworten;
ich versichere jedoch Eurer Hoheit, wie tief mein Schmerz und Unmuth
war, Sie also leiden zu sehen.«

Die Prinzessin blickte nachdenkend vor sich hin, und es schien, als
wäre sie durch seine Theilnahme an ihrem Kummer angenehm berührt worden.

Dies entging dem Baron nicht, und mit vermehrter Sicherheit und Wärme
fuhr er fort:

»O, möchten Hoheit der Versicherung Ihres ergebensten Dieners ein wenig
Glauben schenken, Sie würden ihn unendlich beglücken. O, ich habe
es in jenem Augenblick erst ganz erkannt, daß es schmerzlicher ist,
Diejenigen leiden zu sehen, denen unsere ganze Seele gehört, als selbst
zu leiden. Klagen Hoheit mich nicht an, wenn ich das nicht früher that,
was zu thun mich die Ehrfurcht und Verehrung für Sie drängte. Sah ich
doch, wie Sie litten, schnitt es mir doch in die Seele, Sie einem
~solchen~ Wesen weichen zu sehen, Sie, die herrliche, hohe Frau, die
über den heuchlerischen Larven des Hofes so hoch emporragt! O, gebieten
Sie über meine schwachen Kräfte, Ihnen die gerechte Genugthuung zu
verschaffen. Ich opfere Alles, Alles, meine Stellung, mein Leben,
sobald Sie es fordern!«

Seine wohl berechneten Worte verfehlten ihre Wirkung auf Sidonie nicht;
dieselben verriethen zu viel Aufrichtigkeit und Ergebung, um nicht
glaubwürdig zu erscheinen und sie zugleich von Mühlfels’ gutem Willen
zu überzeugen.

Die Arglose ahnte freilich nicht, wie viel Täuschung dabei stattfand,
um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zur Mittheilung ihrer Absichten in
dieser Angelegenheit zu veranlassen.

»Ich danke Ihnen, lieber Baron, für Ihre Ergebenheit, die mir sehr
wohl thut; doch fern ist es von mir, das geringste Opfer von Ihnen
anzunehmen. Was ich zu thun genöthigt bin, steht bereits in mir fest,
und ich bedarf Ihrer Dienste dabei nicht; darum schätze ich jedoch Ihre
Bereitwilligkeit, mir zu dienen, nicht minder. Auch zweifle ich nicht
an Ihrem guten Willen, mir die gestrige üble Erfahrung zu ersparen,
und erkenne, daß die besonderen Umstände mancherlei Rücksichten
erforderten. Sie sind also in dieser Beziehung durchaus entschuldigt.
Ueberlassen Sie alles Weitere mir. Ihr heutiger Besuch hat mir
jede Hoffnung genommen, es könnte irgend welches Entgegenkommen
stattfinden. Da ich darauf nun wol nicht rechnen kann, so bin ich
genöthigt, persönlich zu handeln, und das will ich. Doch genug! Ich
danke Ihnen nochmals, lieber Baron.«

Sidonie hatte in der Ueberzeugung von Mühlfels’ Aufrichtigkeit
freundlich und wohlwollend und zugleich aufrichtiger zu ihm gesprochen,
als sie dies unter anderen Umständen gethan haben würde. Als sie
endete, reichte sie ihm als Zeichen des Dankes und der Entlassung die
Hand.

Der Baron ergriff dieselbe und drückte sie an seine heißen Lippen,
indem er zugleich, von seinen Empfindungen überwunden, vor ihr
niedersank und in leidenschaftlichem Ton entgegnete:

»O, wie unglücklich bin ich doch, meine Dienste von Eurer Hoheit zurück
gewiesen zu sehen!«

Sidonie entzog ihm rasch die Hand, die er noch immer hielt, und
erwiderte in nicht eben angenehmer Ueberraschung über des Barons
Verhalten mild und ruhig:

»Stehen Sie auf, Baron! Dieses Zeichen Ihrer Ergebenheit ist unpassend
und ich liebe es nicht. Wenn es Sie beruhigt oder befriedigt, so
verspreche ich Ihnen, falls ich Ihrer Dienste bedürftig sein sollte,
dieselben nicht abzulehnen.«

»Tausend Dank für dieses gütige Wort!« rief Mühlfels und ergriff
Sidoniens Hand, die er küßte, ohne daß Sie es zu verhindern vermochte.
Sie ließ diese selbstgenommene Freiheit jedoch hingehen, die ja ein
Zeichen seiner warmen Empfindungen für sie war, trat von ihm zurück und
grüßte ihn mit Wohlwollen.

Mühlfels entfernte sich und ließ Sidonie in einer bewegten Stimmung
zurück. Sein Benehmen und seine Worte hatten sie überzeugt, daß
Aureliens Voraussetzung in Bezug auf seine Liebe zu ihr begründet sei;
trotzdem vermochte sie nicht, ihn durch Kälte zurückzuweisen, obwol
sie dazu herausgefordert wurde. Sie glaubte jedoch ihm gegenüber ein
richtiges Verhalten beobachtet und ihn zu der Einsicht, daß sie weit
entfernt sei, seine Huldigung anzunehmen, geführt zu haben. Mühlfels’
Mittheilungen hatten sie nämlich hinsichts des Fürsten aufgeklärt und
ihr zugleich die Ueberzeugung eingeflößt, daß sie von diesem nichts
zu erwarten hätte, da man ihm den Vorfall verschweigen würde. Um so
bestimmter trat daher die Nothwendigkeit an sie heran, die mit Aurelien
besprochene Absicht am nächsten Tage auszuführen.

Der Baron kehrte, von der Unterredung mit der Prinzessin sehr
befriedigt, nach Hause. Ihre Freundlichkeit hatte ihn entzückt, noch
mehr die gütige Aufnahme seiner etwas kecken Huldigung.

Dieser Umstand verleitete ihn, trotz der Kenntniß von Sidoniens
Neigung für Römer, an einen tieferen Eindruck zu glauben, den seine
Persönlichkeit und Ergebenheit auf sie hervorgerufen hatten.

So groß war seine Leidenschaft, aber auch seine Eitelkeit, um
dergleichen Hoffnungen Raum zu geben! -- Ueberdies hatte er seine
Absicht vollkommen erreicht, und das war in diesem Augenblick höchst
wichtig für ihn.

Er fand den Chevalier bereits seiner harrend, und dieser war nicht
wenig erfreut, als ihm Mühlfels Sidoniens Absicht, sich persönlich
Genugthuung zu verschaffen, mittheilte.

»Benutzen Sie nun meine Nachricht nach Ihrem Ermessen, lieber
Chevalier, und erinnern Sie den Fürsten zugleich, daß die Prinzessin
irgend einen zufrieden stellenden Schritt erwartet; ob von ihm selbst
oder dem Prinzen, weiß ich nicht. Vielleicht wäre es gut, ihr zuvor zu
kommen; doch das müßten wir dem Fürsten überlassen,« schloß Mühlfels
seine Mittheilung.

Der Chevalier lobte seine Klugheit, drückte ihm in den wärmsten Worten
seinen Dank für die erhaltenen so wichtigen Mittheilungen aus und
beeilte sich alsdann, den Fürsten mit dem Erfolg seiner Sendung bekannt
zu machen. Auf seinem Gange dahin erwog er, wie nothwendig es sei,
Serenissimus den bekannten Vorfall zu verrathen, da er ihm denselben
nicht mehr verschweigen durfte. Es war dies seine Pflicht. Denn wie
wir wissen, beehrte ihn der Fürst mit seinem besondern Vertrauen in
Angelegenheiten der fürstlichen Familie und des Hofes.

»Es ist mir lieb, daß sich die Prinzessin wieder wohl fühlt,«
bemerkte der Fürst, nachdem ihm Boisière hierüber berichtet. »Unsere
Prinzessin,« fuhr er fort, »besitzt ein sehr erregliches Wesen und es
könnte ihr nichts schaden, ein stärkendes Bad zu besuchen.«

Der Chevalier hüstelte ein wenig, ohne des Fürsten Worte zu bestätigen,
indem er zugleich nachdenkend auf den Boden blickte, was er zu thun
pflegte, wenn er gefragt zu werden wünschte. Der Fürst bemerkte das und
fragte:

»Sind Sie nicht auch meiner Meinung?«

»Gewiß, mein Fürst,« entgegnete Boisière zurückhaltend.

»Wir haben in der gestrigen Erkrankung den besten Beweis, wie leicht
Hitze und Geräusch die Prinzessin in hohem Maß angreifen, und solchen
Nerven thut ein Bad gut,« fuhr der Fürst fort.

»Vielleicht, daß noch andere Umstände darauf einwirkten« -- bemerkte
Boisière hüstelnd.

»Glauben Sie?«

»Die Vermuthung dazu liegt nahe.« --

»Wirklich? Und was vermuthen Sie?«

»Ich halte mich verpflichtet, meinen gnädigsten Fürsten auf einen
Vorfall aufmerksam zu machen, der gestern im Schauspiel stattgefunden
hat und seinem Auge entgangen ist, und der, wie ich erfahren, die frühe
Entfernung der Prinzessin hervorgerufen hat.« --

»In der That, Chevalier?« -- fragte der Fürst überrascht.

»Ich betheure, es ist so.«

»So reden Sie! Was ist geschehen? Ich habe nicht das Mindeste bemerkt,
das eine solche Wirkung auf die Prinzessin hätte ausüben können,« fiel
der Fürst erregt ein.

»Es scheint eine kleine Unvorsichtigkeit von Seiten des Prinzen Hoheit
dabei im Spiel zu sein« -- entgegnete Boisière, hüstelte ein wenig
und fügte alsdann mit gedämpftem Ton hinzu: »Man hat die Favorite des
Prinzen in einer Loge bemerkt.« --

»Was sagen Sie!« fuhr der Fürst auf.

Boisière nickte mit dem Haupt und bemerkte, die Hand auf die Brust
legend, mit einer Verneigung:

»Es ist so, mein Fürst.«

»Welche Unvorsichtigkeit!« rief dieser und fragte dann: »Konnte man die
Person nicht zur rechten Zeit entfernen?«

»Man erkannte sie zu spät und dann --«

»Ich merke, dann that man es nicht, weil man den Prinzen fürchtet!«
fiel der Fürst ein.

»Das Mädchen war anständig gekleidet, hatte ihr Billet gelöst und
benahm sich gut,« -- erwiderte der Chevalier.

»Wer aber hat die Prinzessin damit bekannt gemacht?«

»Ich vermag das nicht zu sagen, doch weiß ich, daß die etwas auffällige
Theilnahme des Publikums für ihre Hoheit und die Favorite die
Prinzessin veranlaßte, sich darnach zu erkundigen, worauf sie in großer
Indignation die Loge verließ.«

»Das ist in der That ein ganz fataler Fall; denn bei der großen
Reizbarkeit der Prinzessin kann man mit Bestimmtheit erwarten, daß sie
die Sache nicht ruhig hinnehmen wird.«

»So ist es, mein Fürst. Wie ich erfahren, gedenken sich Hoheit
Genugthuung zu verschaffen.«

»Wirklich, wirklich? -- Freilich, es ist ihr das nicht zu verdenken.
Nun, da habe ich wieder eine üble Scene zu erwarten,« bemerkte der
Fürst unmuthig und fügte alsdann hinzu: »Der Prinz treibt es in der
That zu weit und meine Nachsicht hat ihn bereits zu sehr verwöhnt. Ich
übersehe Vieles; aber Alles muß seine Grenzen haben. Ein solcher Besuch
beleidigt nicht nur die Prinzessin, sondern den ganzen Hof. Das muß
anders werden!«

Erregt schritt er durch das Gemach und fragte nach einer kleinen Pause
des Nachsinnens:

»Hat Ihnen die Prinzessin selbst ihren Vorsatz mitgetheilt?« --

»Nein, mein Fürst, und ich bitte mir zu vergeben, wenn ich in der
guten Absicht, die Intentionen Ihrer Hoheit in dieser so wichtigen
Angelegenheit genau kennen zu lernen und meinem gnädigsten Herrn
darüber erschöpfenden Bericht abstatten zu können, mir erlaubte, den
Baron Mühlfels statt meiner den Auftrag an die Prinzessin ausrichten zu
lassen. Mit dem Vorfall im Schauspiel bekannt und in der nahe liegenden
Voraussetzung, sie könnte irgend einen Schritt beabsichtigen, erachtete
ich es für zweckmäßig, sie ausforschen zu lassen, da es die Wichtigkeit
des Falles und meine Pflicht gebot, meinen gnädigsten Herrn über Alles
aufzuklären, damit Sie nicht durch der Prinzessin Verhalten überrascht
würden.« --

»Sie thaten durchaus sehr recht daran, lieber Chevalier. Doch nun
weiter!« fiel der Fürst ein, der Boisière’s Worten mit vermehrtem
Interesse gefolgt war.

»Ich that dies, mein gnädigster Fürst, in der nahe liegenden
Voraussetzung, daß Dasjenige, was mir nicht gelungen wäre, jedenfalls
dem ~Günstling~ der Prinzessin gelingen müßte.« --

»Sehr richtig calculirt, sehr richtig!« schaltete der Fürst ein und
fragte alsdann: »Hat sich die Prinzessin über ihre Absicht näher
ausgesprochen?«

»Nein, mein Fürst; wenigstens versicherte der Baron, Näheres darüber
nicht zu wissen.«

»Das ist schlimm; doch es bleibt mir unter diesen Umständen nichts
übrig, als ruhig abzuwarten, was sie thun wird,« bemerkte der Fürst und
fuhr nach kurzem Nachdenken fort: »Es wäre mir sehr lieb, ihr in irgend
einer Weise zuvor zu kommen, um ihrer Klage die Spitze abzubrechen.
Jedenfalls würde das am besten durch den Prinzen geschehen; doch der
wird sich, wie ich weiß, dazu nicht verstehen. -- Haben Sie etwa einen
passenden Vorschlag, Chevalier?«

Dieser hüstelte und bemerkte mit einem vielsagenden Blick auf den
Fürsten in leisem Ton:

»Sollte der Günstling Ihrer Hoheit nicht vielleicht als ein Mittel
dienen, der Prinzessin Klage =au niveau= zu stellen?«

»Sie meinen den Baron?« fiel der Fürst voll Interesse ein.

Der Chevalier nickte mit dem Haupt und fuhr in gedämpftem und
vertraulichem Ton fort:

»Die Verhältnisse des Prinzen und der Prinzessin stehen sich ziemlich
gleich, und es findet nur eine Verschiedenheit der Personen statt; sie
halten sich dadurch gewissermaßen im Schach; sollte mein gnädigster
Fürst vielleicht hierauf sein Augenmerk bei Behandlung dieser
Angelegenheit richten wollen?«

»Das ist ein guter Gedanke, Chevalier, und ich will mir denselben
überlegen,« fiel der Fürst nachdenklich ein. »Hm, Sie haben Recht,
vorausgesetzt, daß Ihre Meinung über Mühlfels begründet ist. Wie,
Boisière?«

»Sie ist es, mein Fürst,« entgegnete der Letztere mit Bestimmtheit.
»Die Andeutungen des Barons -- der sich übrigens in dieser Beziehung
sehr =cavalierement= benimmt -- lassen mich mit Bestimmtheit auf seine
Intimität zu der Prinzessin schließen.«

»Das wäre in doppelter Hinsicht erwünscht!« bemerkte der Fürst. »Man
könnte also diese Sache nach Belieben und mit Sicherheit behandeln?«

»Unbedingt, mein Fürst. Des Barons Verhalten in dieser Angelegenheit
berechtigt durchaus dazu.« --

»Gut denn! Ich will mir das zu Nutzen machen, falls die Prinzessin
unter solchen Umständen wirklich kühn genug sein sollte, mir gegenüber
die Tugendhafte und Gekränkte zu spielen. Wir wollen das jedoch
abwarten und darum auch nicht das Mindeste thun. Doch muß ich wissen,
ob der Besuch des Mädchens im Schauspiel mit Zustimmung des Prinzen
erfolgt ist. Begeben Sie sich also zu diesem, erkundigen Sie sich nach
seinem Befinden und lassen Sie sich in meinem Auftrage Aufklärungen
darüber geben, damit ich vollkommen informirt bin. Ich bin Willens,
diesem ewigen Streit ein- für allemal ein Ende zu machen; ihn länger zu
dulden, wäre eine Schwäche, ganz abgesehen, daß die wichtigeren Zwecke
dabei nicht erreicht werden können. Gehen Sie nun zu dem Prinzen,
lieber Chevalier, und nehmen Sie zugleich meinen Dank für Ihre so
klugen Maßnahmen und Vorschläge. Ich denke, wir werden damit etwas
Erkleckliches ausrichten.« --

Mit diesen Worten entließ der Fürst den Kammerherrn, und dieser begab
sich sofort zu dem Prinzen, über das gnädige Wohlwollen Serenissimi
hoch erfreut.




                          Siebentes Kapitel.


Während sich an dem fürstlichen Hofe ein bedeutsames Drama
vorbereitete, dessen Entwicklung nicht bestimmt werden konnte, sah Graf
Römer die Tage unter einer eintönigen, jedoch vermehrten Thätigkeit
schwinden.

Die Regelung der äußeren Verhältnisse war ihm durch den Tod seines
Vaters zugefallen und er unterzog sich derselben mit der an ihm
gewöhnten Umsicht und Genauigkeit. Hatte er auch anfangs erwartet, daß
diese Angelegenheiten eine rasche Erledigung finden müßten, so war
dies dennoch nicht der Fall, und er sah sich zu einem verlängerten
Aufenthalt in der Heimath genöthigt.

Ein anderer Umstand übte hierauf noch einen weiteren Einfluß aus.

Wie wir erfahren haben, hegte seine Mutter, die auf der Besitzung
lebte, den Wunsch, Römer möchte sich endlich vermählen, und sie dadurch
Gelegenheit finden, in seiner Familie ihre Tage zu beschließen.
Einige Wochen nach ihres Gemahls Tode hatte sie ihm ihren Wunsch
und ihre Hoffnung angedeutet, jedoch zu ihrem Schmerz erkannt, daß
sie dem Grafen damit nicht gelegen zu kommen schien. Er war darauf
nicht eingegangen und hatte wie gewöhnlich eine Vermählung bestimmt
abgelehnt. Dieser Umstand veranlaßte sie, darauf nicht wieder zurück
zu kommen und es ihm zu überlassen, ihr seine Entschlüsse freiwillig
mitzutheilen. So gütig dies auch war, litt Römer dennoch unter diesen
Verhältnissen. Zu wohl erkannte er den Wunsch seiner Mutter, und nicht
minder tief fühlte er die Pflicht, ihr denselben zu erfüllen; dennoch
vermochte er das nicht. Zu tief war seine Liebe für die Prinzessin,
um sie auf ein anderes weibliches Wesen übertragen zu können, ganz
abgesehen, daß ein solcher Schritt die ohnehin Unglückliche nur noch
tiefer verletzen und dem Untergange zuführen würde.

Von einer Vermählung durfte also nicht die Rede sein; doch eine Frage
war es, ob er die Pflicht für die geliebte Mutter nicht über diejenige
für die Prinzessin zu stellen hätte, und sein edles Herz bejahte
dieselbe nach kurzem Kampf. Und so war er entschlossen, fortan auf
seiner Besitzung zu leben und seiner Mutter die letzten Lebenstage
durch seine Anwesenheit zu verschönen.

Ging ihm dabei auch die Hoffnung verloren, Sidonie wieder zu sehen und
ihr Schicksal durch seinen längeren Besuch zu erleichtern, so ergab
er sich dennoch der ihm heiligen Pflichterfüllung, wenngleich mit dem
schmerzlichen Bedauern, nicht anders handeln und beide Interessen
vereinen zu können.

Dieses Bedauern war um so lebhafter, da ihn sein Herz zu der so heiß
Geliebten zog, die ihn, wie er wußte, mit Sehnsucht erwartete und
aus seiner Nähe Trost und Muth schöpfte. Wenngleich Aureliens Briefe
diesen Umstand nicht berührten, so bedurfte es dessen auch für ihn
nicht, um Sidoniens Lage lebhaft mit zu fühlen und sein Verlangen nach
ihrem baldigen Wiedersehen zu steigern. Doch verschloß er alle diese
Empfindungen tief in seiner Seele und verrieth dieselben weder seiner
Mutter, noch seiner Umgebung. Er kam Allen mit Milde und Güte entgegen
und war stets bemüht, sie dadurch zu täuschen und den Glauben in ihnen
zu befestigen, daß er sich in ihrer Mitte behaglich und befriedigt
fühlte.

In der That, er täuschte ~Viele~, jedoch nicht ~Alle~. Wer vermöchte
auch das Mutterauge in Beurtheilung ihres Kindes zu täuschen! Und so
war es auch hier.

Die Gräfin hatte längst erkannt, daß die Liebe ihres Sohnes zu ihr
durch eine geheime Sehnsucht getheilt wurde und seine scheinbare
Zufriedenheit lediglich die Folge seines edeln Herzens war.
Ebenso wußte sie, daß nicht der Ehrgeiz oder die Neigung für ein
geräuschvolles Hofleben diese Sehnsucht erzeugten; ihr Sohn huldigte
beiden nicht und fühlte sich in dem abgezogenen Leben wohl, das ihm
Muße bot, seinen wissenschaftlichen Beschäftigungen nachzugehen. Es
konnte also nur die Liebe die Ursache seiner Sehnsucht sein, und sie
hielt diese Annahme um so begründeter, da ihr seine große Vorliebe
für Sidonie schon seit Jahren bekannt war und überdies sein ganzes
Verhalten darauf hindeutete. Hatte er ihr doch schon vor der Prinzessin
Vermählung seine Zuneigung für diese verrathen, welche überdies die
uns bereits bekannten Umstände und seine späteren Besuche des Hofes
durchaus bestätigten. Ihn durch ihre Wünsche und Vorstellungen von
dieser unglücklichen Leidenschaft abzuziehen, fruchtete, wie sie leider
wiederholt erfahren, nichts, und so sah sie sich genöthigt, seinem
Belieben alles Weitere anheim zu geben.

Wie manche im Geheimen geweinte Thräne zeugte von dem tiefen Schmerz,
den sie über des so heiß geliebten Sohnes unglückliches Geschick
empfand, eines Sohnes, der ihr ganzer Stolz und der Quell innigster
Freuden war. Uebertraf er doch ihre anderen Kinder an Stattlichkeit
der Gestalt, an Adel des Herzens und Fülle des Geistes, und war so
reich mit Allem ausgestattet, um zu beglücken, wie seine Vorzüge ihn
selbst zum schönsten Glück des Lebens berechtigten.

Sie kannte und liebte Sidonie, sie wußte, wie sehr dieselbe unter den
Verhältnissen litt, und um so schmerzvoller war daher ihr Bedauern,
zwei Herzen durch das Schicksal getrennt zu sehen, die für einander
geschaffen zu sein schienen und deren Neigung, statt die Quelle
des Glücks zu werden, ihnen die schmerzvollen Kämpfe der Entsagung
auferlegte. Ihr Kummer darüber wurde überdies noch durch die Besorgniß
vermehrt, es könnte diese Liebe ihrem Sohn Unheil bringen. Zwar von
der Ueberzeugung erfüllt, daß der Graf wie die Prinzessin viel zu
sittlich-edel waren, um sich irgend einer Schwäche hinzugeben, quälte
sie dennoch die Furcht, die leider nur zu bekannten Hofintriguen
könnten vielleicht früher oder später sich dieses Geheimnisses
bemächtigen und in ihrem Sinn zum Schaden der Betheiligten ausbeuten.
Diese Sorge lag, wie wir bereits erfahren haben, näher, als die Gräfin
ahnte, und jene war es auch, die sie seine Rückkehr in die Heimath mit
Freuden begrüßen und wünschen ließ, er möchte die Besuche an dem Hof
für immer aufgeben. Darauf zielte auch die Andeutung einer Vermählung
hin, und darum war sie unablässig bedacht, ihn an die Heimath trotz der
Ablehnung ihres Wunsches zu fesseln. Das sorgende Mutterherz wollte den
geliebten Sohn für immer gesichert wissen, und wenn sie auch erkannte,
daß er unter dem Fernhalten von der Prinzessin litt, so erschien
ihr dieses doch viel zu vortheilhaft für sein Interesse, um es nicht
geduldig hinzunehmen.

Römer erachtete es für eine Pflicht gegen Sidonie und sich selbst,
Aurelien seinen Entschluß, in der Heimath zu bleiben, und die Gründe
dazu ausführlich mitzutheilen und sie zu bitten, die Prinzessin damit
bekannt zu machen. Er schloß dabei die Hoffnung nicht aus, daß es ihm
trotzdem später wol gestattet sein würde, wenngleich stets nur für
kurze Zeit, die Residenz ab und zu zu besuchen, und verhehlte ihr den
Schmerz nicht, den dieser Entschluß in ihm hervorrief. Er deutete
jedoch auch auf die seiner Mutter schuldende Rücksicht hin und knüpfte
daran die Ueberzeugung, daß Sidonie in seinem Fernhalten nicht einen
Mangel an Liebe erblicken würde.

Aurelie hatte der Prinzessin seinen Entschluß in der guten Absicht
vorläufig noch verschwiegen, sie nur allmälig darauf vorzubereiten, und
so hoffte Sidonie von einem Tage zum andern auf Römer’s Rückkehr.

Wie schmerzlich sie seine Nähe in einem Augenblick vermißte, in welchem
sie so tief litt, haben wir bereits erfahren, doch bemühte sie sich,
ihre Empfindungen zu beherrschen, um den beabsichtigten Schritt mit
der erforderlichen Ruhe thun zu können. Ihre Hoffnung, der Fürst oder
der Prinz würde ihr durch ein Entgegenkommen den letzteren ersparen,
erfüllte sich nicht, und so war sie genöthigt, den Fürsten um eine
Audienz bitten zu lassen.

Obwol sie sich darauf vorbereitet hatte, bestieg sie dennoch mit
Beklommenheit den auf sie harrenden Wagen, der sie nach dem Palais
bringen sollte.

Der Fürst kam ihr mit Freundlichkeit entgegen, führte sie nach einem
Fauteuil und fragte alsdann, nachdem auch er sich ihr gegenüber
niedergelassen hatte:

»Nun, liebste Prinzessin, was verschafft mir die seltene Ehre Ihres
Besuchs?«

»Sollte Ihnen die Veranlassung dazu nicht bereits bekannt sein, mein
Fürst?« entgegnete Sidonie mit etwas bewegter Stimme.

»In der That, Prinzessin, ich errathe nicht,« bemerkte der Fürst
ziemlich unbefangen und blickte sie fragend an.

»Es betrifft die Anwesenheit einer Person bei dem neulichen
Carroussel-Reiten, durch welche nicht nur ich, sondern auch der Hof
beleidigt worden ist. Ich bin überzeugt, daß Ihnen dieser Vorfall nicht
verborgen geblieben ist,« sprach Sidonie mit vermehrter Bewegung.

»Ah so! Jetzt erst verstehe ich Sie,« fiel der Fürst ziemlich
gleichmüthig ein und fügte hinzu: »Man hat mir davon erzählt; denn
ich selbst habe nichts bemerkt. Ich will nicht fürchten, daß Sie sich
dadurch irgendwie haben alteriren lassen.« --

»Wie, mein Fürst?!« fragte Sidonie und schaute ihn mit Befremden an.

»Sie müssen dieser Sache keine Bedeutung beilegen, da sie in der That
durchaus unbedeutend ist. Sie stehen zu hoch, um ein solches Mädchen
einer Beachtung zu würdigen. So etwas übersieht man gewöhnlich. Wie
mir der Prinz gesagt, ist der Besuch ohne seinen Willen und sein Wissen
gemacht worden,« bemerkte der Fürst leichthin.

Ueber das Vernommene nicht wenig erstaunt, blickte ihn die Prinzessin
einen Augenblick an, alsdann entgegnete sie mit sichtlicher Erregung.

»Es steht mir nicht zu, zu ergründen, in wie weit Sie, mein Fürst, und
Ihre Gemahlin davon berührt worden sind, das muß ich Ihrem Belieben
anheim geben; ich bin gekommen, um Ihnen zu erkennen zu geben, daß ich
mich in meiner Ehre durch diesen Besuch der -- Geliebten meines Gemahls
tief gekränkt fühle und es mir und meiner Familie schuldig zu sein
glaube, mir dafür eine entsprechende Genugthuung von Ihnen zu erbitten.«

»Ja, ich kann die Sache doch nicht mehr ungeschehen machen, meine
liebste Prinzessin, und welche Genugthuung läßt sich in einem solchen
Fall geben? -- Darum lassen Sie diese Angelegenheit fallen und
erwägen Sie, daß wir ja gern geneigt sind, auch Ihren Passionen alle
Rücksicht zu schenken,« entgegnete der Fürst und schaute sie mit einem
zweideutigen Lächeln an.

»Meinen Passionen? Wie soll ich das verstehen, mein Fürst?« fragte
Sidonie mit Ueberraschung.

»Ich denke, wir sprechen nicht darüber; denn dergleichen Erörterungen
dürften Ihnen nicht eben angenehm sein,« -- bemerkte der Fürst
leichthin.

»Doch, doch, mein Fürst, und ich bitte darum!« fiel Sidonie in
bestimmtem Ton ein.

»Und ich will Ihnen dagegen mit der Frage entgegen kommen, ob die
Ernennung des Baron Mühlfels zu Ihrem Kammerherrn Ihnen erwünscht
wäre?« entgegnete der Fürst und forschte in ihren Mienen, um, wie es
schien, die Wirkung seiner Worte zu beobachten.

»Keineswegs, mein Fürst, ja ich habe sogar triftige Gründe, mir dieses
Belieben zu verbitten,« wandte Sidonie ein, durch das Vernommene
überrascht.

»Keine Koketterie, liebste Prinzessin! Wir sind unter uns und dürfen
uns also nicht geniren. Ich weiß, daß Sie den Baron durch Ihre Gunst
beehren,« fiel der Fürst ein.

»Ihre Behauptung setzt mich in Erstaunen! Wer durfte Sie also
täuschen?!« fragte die Prinzessin voll Entrüstung.

»Lassen Sie das Spiel, Liebste! Ich versichere Sie, ich weiß um Ihre
Liaison mit dem Baron und gestehe Ihnen zugleich zu Ihrer Beruhigung,
ich billige dieselbe nicht nur, sondern sehe sie auch aus manchen
Gründen gern. Sie werden mich verstehen.«

»Nein, mein Fürst, ich verstehe Sie nicht; aber ich erkenne, daß
Sie wie ich das Opfer einer schändlichen Intrigue sind!« rief die
Prinzessin, vor Unwillen hoch erröthend und in der ganzen Würde ihrer
Unschuld.

Ihr Verhalten verfehlte seine Wirkung auf den Fürsten nicht; er wurde
unsicher und blickte sie verlegen an, indem er entgegnete:

»Wie, man sollte es gewagt haben, Sie ohne jeglichen Grund in solcher
Weise zu compromittiren?!«

»Sie fragen das noch, mein Fürst? Giebt Ihnen mein Leben hierauf nicht
die deutlichste Antwort?«

»Eine bloße Erfindung ist in diesem Fall fast undenkbar. Sie müssen
irgend einen Anlaß dazu geboten haben.«

»Ich schwöre Ihnen, mein Fürst, daß dies nicht der Fall ist! Wer
beleidigte Sie und mich durch eine so freche Lüge?«

»Der Baron selbst hat sich Ihrer Gunst gerühmt!«

»Allmächtiger Gott!« rief Sidonie in tiefer Bewegung, während Thränen
ihren Augen entquollen.

Der Fürst mißdeutete sich ihr Verhalten, indem er darin einen Beweis
ihrer Schuld zu finden meinte, so wie er den sich darin aussprechenden
Unmuth auch als ein Zeichen der tiefen Verletzung betrachtete, welche
der Verrath ihres Günstlings ihr bereitet hatte. Diese Entdeckung kam
ihm sehr gelegen und er beeilte sich, sie mit den Worten zu beruhigen:

»Rechnen Sie ihm das nicht zu hoch an, denn ich kann Ihnen zu seiner
Entschuldigung sagen, daß er sich nur einem meiner zuverlässigen Leute
anvertraute.«

»Wie tief muß ich in Ihrer Achtung stehen, daß Sie seinen Worten
Glauben schenken konnten!« rief Sidonie, die sich wieder gesammelt
hatte, und fügte hinzu: »Kennen Sie nicht mein Leben? Liegt es nicht
offen vor Ihnen? Oder hat Ihnen mein Benehmen jemals Anlaß gegeben, so
übel von mir zu denken?!«

»Ihre Trennung von dem Prinzen, -- die Verhältnisse« -- wandte der
Fürst entschuldigend ein.

»Also ~das~ ist es! Weil Ihr Neffe durch seine Ausschweifungen mir
das Leben vergiftete, weil sein Beispiel am Hofe als Vorbild dient,
weil die Tugend und Reinheit der Gesinnungen hier nur noch ein Schall
sind, darum beliebt es Ihnen, mein Fürst, mich dem großen Haufen
zuzuzählen und mir Vergehen anzudichten, die, so fern sie auch meinem
Charakter liegen, von Ihnen dennoch als selbstverständlich betrachtet
werden?! Wie bedaure ich Sie, daß Sie so allen Glauben an Menschenwerth
verloren haben! Doch die Pflicht gegen mich selbst gebietet mir, Ihnen
mitzutheilen, daß es der Baron gewagt, sich um meine Gunst zu bewerben,
und ich mich in Folge dessen veranlaßt sah, ihn fern von mir zu halten.
Ich würde mich dieserhalb bereits bei Ihnen beklagt haben, wenn er
seine Neigung nicht unter dem Deckmantel der Ergebenheit verborgen
hätte. Jetzt aber, nachdem er es trotz alledem wagte, Sie in solcher
groben Weise zu täuschen und mich dadurch nicht minder zu beschimpfen,
jetzt, mein Fürst, erwarte ich, daß er der gerechten Strafe nicht
entgehen wird. Sie sind es sich selbst, Sie sind es mir, der Gemahlin
Ihres Neffen, schuldig!«

Mit edler Würde und gesteigerter Wärme hatte Sidonie diese Worte
gesprochen, und es schien ihr gelungen zu sein, den Fürsten zu
überzeugen. Wir sagen, es ~schien~ ihr das; denn in der That machte
sich trotz alledem der Argwohn in ihm geltend, daß Sidonie vielleicht
nur bedacht war, sich, indem sie ihren Günstling, der sie verrathen
hatte, opferte, in seinen Augen über den ihr gemachten Vorwurf zu
rechtfertigen. Denn leider hegte der Fürst mehr Vertrauen zu Boisière,
als zu der Prinzessin, die er überdies mit einer vorgefaßten Meinung
beurtheilte, von den eigenen Ansichten über Menschenwerth befangen.

Dennoch übte ihre Vorstellung und ihr Verhalten eine gute Wirkung auf
ihn aus, indem er sich durch dieselben zur Anerkennung ihrer Unschuld
wenigstens vorläufig gezwungen sah. Eine nähere Untersuchung dieser
Angelegenheit sollte ihm eine feste Ueberzeugung verschaffen. In diesem
Vornehmen entgegnete er in mildem Ton:

»Ihr Verlangen soll erfüllt werden; ich werde selbst mit dem Baron
sprechen. Sie sehen mich tief betrübt, in solcher Weise getäuscht zu
sein. Doch, Sie wissen, das ist einmal das Loos aller Fürsten, und Sie
dürfen es mir nicht verargen, wenn ich den Worten erprobter Diener
Glauben schenkte. Sie sollen Genugthuung erhalten.«

»Ich danke Ihnen, mein gnädiger Fürst, und hoffe mit Bestimmtheit,
daß dies auch in Bezug auf den bekannten Vorfall geschehen wird,«
entgegnete Sidonie.

»Das ist in der That eine sehr üble Sache, und ich weiß nicht, wie ich
Ihnen darin dienen soll,« wandte der Fürst ein. »Was verlangen Sie?«

»Die Entfernung des Mädchens aus meiner Nähe,« sprach Sidonie bestimmt.

»Das wird den Prinzen aufbringen! -- Wie ich höre, hängt er sehr an dem
Geschöpf.«

»Ich dächte, mein Fürst, meine Forderung ist im Hinblick auf den
erduldeten Schimpf sehr gering?«

»Gewiß, gewiß. Nun, wir wollen sehen. Das Beste wird es jedenfalls
sein.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein, während dessen der Fürst unmuthig und
bedenklich vor sich hin schaute und die Prinzessin dasjenige erwog,
was sie dem Fürsten noch zu sagen beabsichtigte. Als sie sich genügend
gesammelt glaubte, sprach sie:

»Mein Besuch ist hiermit noch nicht erledigt, mein Fürst, und bezweckt
noch eine andere, sehr ernste Angelegenheit, die ich Ihnen vorzutragen
wünsche.«

»Haben Sie etwa noch andere Unannehmlichkeiten erfahren?« fragte der
Fürst.

»Ich kann dies glücklicher Weise verneinen. Ich bin genöthigt, einen
Entschluß auszusprechen, der durch die unheilvollen Verhältnisse, in
welchen ich mich befinde, erzeugt worden ist, und der, wie ich glaube,
Ihren und des Prinzen Wünschen entgegen kommen wird.«

»Und was belieben Sie, Prinzessin?« fragte der Fürst gespannt.

»Ich bitte Sie, gnädiger Fürst, meiner unglücklichen Lage ein Ende zu
machen und meine Ehe zu trennen.«

»Wie, Prinzessin?!« rief der Fürst überrascht.

»Sie werden erkennen, daß mir unter den obwaltenden Umständen keine
Wahl bleibt.«

»Bedenken Sie, liebste Prinzessin, die Wichtigkeit eines solchen
Schrittes!«

»Ich habe ihn bedacht und bitte Sie, denselben gleichfalls in Erwägung
zu ziehen.«

»Nein, nein! Nehmen Sie Ihr Wort zurück! Es kann Alles noch besser
werden.«

»Wenn dies auch wirklich der Fall sein sollte, würde es dennoch
meinen Entschluß nicht ändern. Des Prinzen Verhalten hat meine Geduld
erschöpft,« entgegnete Sidonie voll Würde.

»Ueberlegen Sie nochmals die Angelegenheit, und ich gebe es Ihnen
anheim, was Sie alsdann thun. Sie sind die Gemahlin des künftigen
Regenten, Sie haben daher Rücksicht auf diesen Umstand zu nehmen,«
bemerkte der Fürst.

»Ich glaube das bereits lange genug gethan zu haben, vielleicht schon
zu lange für mein Interesse, ohne daß der Prinz sich veranlaßt gesehen,
dies anzuerkennen. Seine Mißachtung länger zu ertragen vermag ich
nicht, und so wiederhole ich meine Bitte,« entgegnete Sidonie.

»Sei es denn!« fiel der Fürst gereizt ein. »Doch lassen Sie uns nichts
übereilen, denn dergleichen will reiflich erwogen sein. Bedenken Sie,
welches Aufsehen ein so bedeutsamer und unerhörter Schritt erregen muß,
und es thut nicht gut, den Leuten einen Einblick in das Familienleben
der Fürsten zu gewähren. Vielleicht können wir dies noch vermeiden.
Ich werde mit dem Prinzen sprechen und Ihnen seiner Zeit das Resultat
mittheilen. Warten Sie also das Weitere ab. Wollen Sie?«

»Ich will es, mein Fürst,« entgegnete Sidonie nach kurzem Ueberlegen
und fügte alsdann hinzu: »Zwar erkenne ich, daß die Verhältnisse
allerdings Berücksichtigung verlangen; sollte diese jedoch so weit
ausgedehnt werden können, ein ganzes langes unglückliches Leben zu
beanspruchen? Ich glaube nicht, mein Fürst; denn auch das Herz hat
seine Rechte.«

»Sie dürfen bei Beurtheilung fürstlicher Ehen nicht den gewöhnlichen
bürgerlichen Maßstab anlegen, noch dergleichen Ansprüche erheben, und
ich wünschte, Sie gelängen zu der Einsicht, daß bei der ersteren mehr
die Interessen des Staats als das Herz maßgebend sind,« bemerkte der
Fürst.

»Und warum sollten sich beide nicht vereinigen lassen? Sollte dem
Fürsten, eben weil er Fürst ist, das Glück des gewöhnlichen Menschen,
das Glück der Liebe, versagt sein? Ich kann mich davon nicht
überzeugen, und das um so weniger, da der Stand unmöglich die Ansprüche
unseres Herzens ändert. Und wenn dem so wäre, so müßte ich die Fürsten
beklagen, da sie zu entbehren gezwungen sind, was der einfachste Mensch
für den höchsten Schatz des Lebens anerkennt.«

»Diese Ansichten begründen eben ihren beklagenswerthen Irrthum,
in welchem Sie sich befinden und durch welchen Sie sich von dem
Hofleben geschieden haben. Sie wollen die Macht des Zeitgeistes nicht
anerkennen, stellen sich über denselben und stoßen dadurch überall
an, wie Sie das bereits erfahren haben müssen. Der Welt zu verrathen,
daß man sich besser dünkt als sie, daß man ihre Sitten und Gebräuche
verachtet, ist unklug und ein großer Fehler, namentlich bei einer Frau,
die nicht die Gewalt und den Geist besitzt, die Welt nach ihrem Sinn
zu leiten. Fügten Sie sich in den Zeitgeist, so würden Sie behaglicher
leben und Ihr gegen mich ausgesprochenes Verlangen würde unterblieben
sein.« --

»Ich glaube Ihnen, mein Fürst; indessen scheinen Sie zu übersehen,
daß, wenn mir auch die Macht fehlt, die Welt nach meinen Ansichten zu
bessern, ich dennoch die Berechtigung besitze, nach den Forderungen
meiner sittlichen Natur zu leben und darnach meine Ansprüche an die
Menschen zu erheben. Das Gute und Wahre gilt für alle Zeiten und darf
dem herrschenden Zeitgeist nicht weichen, wenn der Mensch sich nicht
selbst aufgeben will. Warum wollen Sie mir also mein Streben zum
Vorwurf machen, da es gute Zwecke in sich trägt? Daß man über mich
spöttelt, weil ich jene Dinge verachte, welche die bessere Natur des
Menschen verunzieren, weiß ich; ich besitze jedoch so viel Kraft der
Ueberzeugung, um mich darüber hinweg zu setzen. Mit den Schlechten
schlecht zu werden, zeigt von einem gehaltlosen Charakter, von dem
Mangel wirklich sittlicher Grundsätze. Und sollte nicht einst die Zeit
kommen, in welcher das Bessere wieder allgemeinere Geltung erhält, und
sollten wir diese nicht herbei zu führen bemüht sein? Ist das Leben der
Menschen nicht wandelbar wie ihre Neigungen und Wünsche?« --

»Wer möchte daran zweifeln?! Aber wenn man den Zeitgeist nicht zu
ändern vermag, ist es klug, nicht offen gegen ihn zu verstoßen,«
bemerkte der Fürst.

»Und warum sollten Diejenigen, denen die Macht dazu gegeben ist, warum
sollten die Fürsten sich eine solche Aufgabe nicht stellen wollen?
Warum thun sie es nicht, wenn sie die Nothwendigkeit dazu fühlen? Ihr
Beispiel, ihr Verhalten, ja ihr Wunsch schon genügt, auf das Volk zu
wirken. Dieses schaut stets nach oben, und wenn es schlecht wird, sind
es stets die Folgen eines übeln Beispiels, das sie vor Augen haben.
Man ahmt das Schlimme viel leichter nach als das Gute, aber auch
dieses, wenn es sich beharrlich zeigt. Und bedingen die Höfe nicht so
eigentlich den Zeitgeist? Kennen wir die Einwirkung des französischen
Hofes auf die Höfe in Deutschland nicht zur Genüge, und sind seine
Gebrechen nicht auf uns nur darum übergegangen, weil sie von unseren
Höfen beifällig aufgenommen wurden? Man äfft nicht nur die Trachten,
man äfft noch leichter leichtfertige Gebräuche nach, und die Sünde
wird keine Sünde mehr, weil sie Mode geworden ist und jedes moralische
Bedenken unterdrückt. Ein Verbrechen hört jedoch darum nicht auf,
ein solches zu sein, weil sich ein Jeder in der Gesellschaft daran
betheiligt. Sie achten und lieben die Menschen wenig, mein Fürst; würde
dies nicht sein, so bin ich überzeugt, Sie würden die Ihnen zu Gebote
stehende Macht auch zu deren Besserung und Veredlung benutzen.« --

»Chimären, Chimären!« fiel der Fürst mit Ironie ein. »Sie kennen die
Menschen nicht, und darum hegen Sie dergleichen Wünsche. Ich sage
Ihnen, besäßen Sie meine Kenntniß von der Menschennatur, Sie würden
Ihr Ich zum Mittelpunkt des Lebens machen, und damit Basta. Gelingt es
selbst dem Schöpfer dieser Menschen nicht, sie zu Engeln zu machen, wie
sollte diese Aufgabe einem Menschen zugefallen sein? Hätte die Urkraft
es anders haben wollen, so würden Sie sich heute nicht über Diejenigen
beklagen, welche dem lieben Gott nicht in das Handwerk pfuschen wollen.
Nur die Geister regieren, und ihrer sind wenige; der Haufe besteht aus
Sklaven oder Unvernünftigen, und es lohnt wahrlich nicht der Mühe, sie
zur Erkenntniß ihrer Niedrigkeit zu leiten; sie würden es Ihnen nicht
danken, denn sie würden sich darin unglücklich fühlen. Die Materie,
der Stoff, das Sinnliche ist im Leben das Gesuchteste; in ihnen fühlt
sich der Haufe wohl; Moral und Geist hinken nach, sobald die Sinne
Befriedigung finden; denn die Welt vermag auch ohne Moral zu bestehen,
und an diese hat der liebe Gott wahrlich nicht gedacht, als er unsern
Planeten in den Weltenraum setzte. Diese Ansichten mögen Ihnen
zwar sehr materiell erscheinen, sie sind darum jedoch nicht minder
gerechtfertigt, und Sie würden dieselben theilen, besäßen Sie meine
Erfahrungen. Ueberlegen Sie sich meine Worte, Prinzessin, vielleicht
gelangen Sie alsdann zu anderen Ansichten über das Leben, über sich
selbst und Ihre Verhältnisse. Ich sage Ihnen, das Leben ist es nicht
werth, die Moral über ein behagliches Dasein zu stellen. Sein Ton
verklingt rasch, oft so rasch, ehe man sich darin kaum zurecht gefunden
hat, und auch den bedeutendsten Menschen gelingt es kaum, daß dieser
Ton noch ein wenig nach ihrem Sterben nachklingt, und geschieht es, so
wird sein Widerhall dennoch rasch von dem Getöse des fortrauschenden
Lebens aufgesogen. Doch genug dieser Dinge, die Ihnen vielleicht nicht
zusagen. Aber sie sind gesprochen und Sie mögen daraus erkennen, daß
man zu ganz anderen Ansichten gelangt, wenn man das Leben und die
Menschen nicht aus der Vogelperspective betrachtet.«

Er schwieg und schaute durch das Fenster. Sidoniens Auge hing mit
Ueberraschung an den erregten Zügen des Fürsten. Noch niemals hatte
sich sein Cynismus in solcher Weise zu erkennen gegeben, und sie bebte
davor zurück, indem derselbe ihre Seele verletzte.

Sie fühlte sich der Dialektik des Fürsten nicht gewachsen, und so wäre
es klug gewesen, seine Worte schweigend hinzunehmen. Sie vermochte
dies jedoch nicht; ihr Gefühl trieb sie an, die eigenen Grundsätze
zu vertheidigen und dem Fürsten zu erkennen zu geben, wie weit sie
entfernt war, seine trostlosen Anschauungen zu theilen, und darum
entgegnete sie:

»Sie mögen in vieler Hinsicht Recht haben, mein Fürst; ich darf mir
darüber kein Urtheil erlauben. Ein Jeder beurtheilt das Leben von
seinem Standpunkt aus, und derjenige der Frauen ist ein anderer als
der der Männer, und so will ich Ihnen nicht verhehlen, daß mich Ihre
Worte nur noch mehr in der Erkenntniß befestigt haben, daß es in der
Menschenbrust ein Gefühl giebt, das ihn über die Trostlosigkeit Ihrer
Anschauungen erheben dürfte.« --

»O, ich merke, wo Sie hinaus wollen!« fiel der Fürst ein. »Sie sind
eine Frau und wollen darum von Liebe und Tugend sprechen. Ist es nicht
so?«

»Ja, mein Fürst,« entgegnete Sidonie ruhig. »Wer diese beiden Elemente
im Menschenleben nicht kennt, mag sich leicht mit den Resultaten der
Speculation des Verstandes zufrieden geben, doch nicht derjenige, der
in ihnen die Schöpfer eines höheren Daseins schätzt und sich durch sie
über die Materie des Lebens erhebt.«

»So machen Sie nur rasch den Dreiklang voll und fügen Sie auch den
Glauben hinzu, der ja so eigentlich den Frauen angehört und von ihnen
ganz besonders protegirt wird. Ich sage absichtlich: Dreiklang, denn
meiner Ansicht nach ist die Liebe, wie die Tugend und der Glaube nur
ein flüchtiger Ton, der sich nicht fassen läßt und lediglich in der
Idee, vielleicht im Temperament, in der Constitution des Menschen
beruht, ja vielleicht sogar auch in der Mode, im Zeitgeist. Denn es
hat, wie Sie wissen, Tugend-, Liebes- und Glaubenszeiten gegeben, in
denen man für diese eine besondere Vorliebe zeigte; ob aus Neigung,
Ueberzeugung oder in Folge von Nachahmung und weil es einmal Sitte
war, müßte leicht zu entscheiden sein, ganz abgesehen, daß dabei die
Schauspielkunst gewiß ganz besonders cultivirt wurde. Sie sehen, daß
die von Ihnen gepriesenen Elemente die denselben beigelegte Bedeutung
nicht verdienen. Alles Ideale im Leben weicht früher oder später der
Materie, und diejenigen, welche dies nicht anerkennen wollen, stempeln
sich zu Narren oder Märtyrern. =Chacun à son goût!= Oder ist es etwa
nicht so? Strebt nicht Alles der Materie zu, die sich für den Menschen
im Tode gipfelt, was der unverständige Glaube nicht zu ändern vermag?
Wenn ich der Bibel eine Wahrheit zugestehe, so ist es diese, daß der
Mensch wieder zu Erde werden muß, aus welcher er geschaffen wurde.
-- Und die Liebe! -- Ist sie mehr, als das Mittel sehr realistischer
Zwecke? Erwägen Sie, Prinzessin. Ich stelle die Freundschaft als edler
über sie, vorausgesetzt, daß die Selbstsucht keinen Theil daran hat.
Die Freundschaft entspringt nicht einem Naturgesetz, die Liebe jedoch
lediglich aus diesem, und die Natur ist nur belebte Materie. So wären
wir mit dem von Ihnen so geschätzten Dreiklang fertig, dessen Harmonie
sich vielleicht ganz gut anhört, der uns jedoch betrügt, da er nicht
hält, was er verspricht.« --

»Wenn es mir auch gelänge, Ihren Ansichten beizustimmen, so machte sich
dennoch die Frage in mir geltend, was aus unserm Leben würde, wenn Sie
ihm die wichtigsten Stützen nehmen wollen?« fragte Sidonie und schaute
den Fürsten mit Spannung an.

»Es würde nicht anders werden, als es ist, vielleicht ändert sich seine
Physiognomie ein wenig; mehr aber auch nicht. Das Naturgesetz würde
sich alle Zeit erfüllen, und das ist eben das Leben,« fiel der Fürst
ein.

Sidonie schüttelte bedenklich das Haupt. Es widerstrebte ihrer
sittlichen Natur, dem Fürsten auf einem Gebiet zu folgen, das ihrer
innersten Ueberzeugung nach zu einer trostlosen Oede führen mußte. Auch
fühlte sie sich nicht befähigt genug, die ausgesprochenen Ansichten zu
widerlegen, und so schwieg sie.

Der Fürst bemerkte das und errieth ihre Gedanken; denn er wandte sich
sogleich an sie mit der Bemerkung:

»Ich erkenne, daß unsere Unterredung weiter gegangen ist, als ich
beabsichtigte. Dergleichen ist nicht für Frauen; ich hätte das bedenken
sollen. Um der Wahrheit dreist in’s Antlitz zu schauen, gehört ein
stärkerer Geist, als ihn Frauen besitzen. Sie mögen sich durch eine
sichere Erkenntniß nicht ihre Illusionen rauben lassen, selbst wenn sie
fühlen, daß diese eben nichts Anderes sind. Das ist einmal ihre Natur,
und ich berücksichtige das. Doch würde es mich freuen, sollte unsere
Unterredung in dem bekannten Interesse für Sie und mich von Vortheil
sein und dies durch die Folgezeit begründet werden.« Er reichte ihr
die Hand. »Halten Sie mir Ihr Versprechen und überlegen Sie sich
reiflich die bewußte Angelegenheit; ich werde Ihr Interesse nach allen
Richtungen wahrnehmen, hoffe dagegen auch, daß Sie meinen Wünschen
entgegen kommen werden.« --

Es war Sidonien angenehm, daß der Fürst in solcher Weise die ihr
wenig behagliche Unterredung endete, die sie weder zur Aenderung ihrer
Ansichten bewegen, noch überhaupt ihren Interessen dienen konnte. Mit
einem stillen Bedauern über des Fürsten leeres und kaltes Herz und die
geringen wahrhaften Freuden, die er genießen durfte, erhob sie sich und
bemerkte:

»Ich danke Ihnen, mein gnädiger Fürst, für die mir geschenkte
Theilnahme und bin überzeugt, meine Wünsche werden erfüllt werden. Ich
beuge mich gern und anerkennend vor dem forschenden Geist, fühle ich
mich auch nicht befähigt, ihm zu folgen; doch wenn ich dies auch thue,
halte ich dennoch an der Ueberzeugung fest, daß aller Reichthum des
Geistes den Werth des Herzens nicht zu ersetzen vermag. Verzeihung,
mein Fürst, wenn ich Ihnen dies nicht verhehle; aber ich würde Ihren
Geist zu unterschätzen fürchten, wollte ich die Besorgniß hegen,
derselbe ertrüge den Widerspruch nicht. Sie haben mir meinen Standpunkt
angewiesen; ob ich denselben durch den Widerspruch überschreite, weiß
ich nicht, da ich die ihm von Ihnen bestimmte Grenze nicht kenne; that
ich dies jedoch, mein Fürst, so gewann ich dadurch vielleicht den
Vortheil, Sie auf einen Irrthum in Ihren Voraussetzungen aufmerksam
gemacht zu haben.« --

»Oder sagen Sie richtiger, sich als eine Ausnahme von der Regel zu
bezeichnen,« fiel der Fürst ein und fügte in höflichem Ton hinzu: »Ich
habe Sie längst als eine solche Ausnahme Ihres Geschlechts betrachtet,
und der Beweis dafür ist unsere heutige Unterredung, zu welcher ich
mich unter anderen Verhältnissen vielleicht nicht verstanden haben
würde.«

»Ich danke Ihnen für dieses Compliment und hoffe, daraus die besten
Hoffnungen für meine Wünsche schöpfen zu dürfen.«

Mit diesen Worten verabschiedete sich die Prinzessin.

Der Fürst schaute ihr mit einem fast ironischen Blick nach. Trotz
seiner Versicherung, in ihr eine Ausnahme ihres Geschlechts zu
erkennen, war er dennoch von Sidoniens Unfähigkeit, ihn vollkommen zu
verstehen, überzeugt. Sie war ein Weib und darum auch in die engen
Grenzen ihrer Natur gebannt, aus welcher sie nicht heraus zu treten
vermochte. Darum mußten auch seine Bemühungen fruchtlos bleiben.

Diese Voraussetzung verdroß ihn in hohem Grade, mehr jedoch noch
die Erkenntniß der ihm gespielten Täuschung, wodurch alle seine so
sicheren Hoffnungen zerstört wurden. Denn er glaubte an Sidoniens
Schuldlosigkeit nicht zweifeln zu dürfen; ihr festes Benehmen, vor
Allem jedoch ihr Entschluß, sich von dem Prinzen zu trennen, dienten
ihm als gewichtige Beweise dafür. Zwar hatte er, wie wir wissen,
bereits selbst an eine Trennung der Ehe gedacht; des Prinzen Abneigung
jedoch, sich wieder zu vermählen, so wie sein Widerwille vor einem
solchen Aufsehen erregenden Schritt ließen ihn diesen Gedanken wieder
aufgeben. Damit blieb aber auch sein Wunsch unerfüllt und die Erbfolge
nicht gesichert, und die stattgefundene Unterredung mit Sidonien ließ
ihm keine Hoffnung, mit seinen Arrangements irgend zu reüssiren. Unter
solchen Umständen blieb ihm nur noch der letzte Versuch übrig, durch
Eingehen auf der Prinzessin gerechte Forderungen wieder ein gutes
Verhältniß zwischen ihr und dem Prinzen zu ermöglichen. Ihm war die
gute Wirkung seiner Erinnerung der ihr obliegenden Mutterpflichten
nicht entgangen, und er schloß daraus, daß Sidonie, sobald der Prinz
sich ihr in der entsprechenden Weise näherte, eine Versöhnung mit ihm
nicht ablehnen würde.

Von dieser Ueberzeugung erfüllt, gedachte er nach des Prinzen Genesung
mit diesem die Angelegenheit eingehend zu besprechen und sein ganzes
Ansehen geltend zu machen, um das gewünschte Resultat zu erreichen.
Nachdem er in dieser Beziehung seinen Entschluß gefaßt hatte, war
er bedacht, sich Gewißheit über die ihm gespielte Täuschung zu
verschaffen, und ließ darum sogleich Boisière zu sich rufen, dem
er das Erfahrene mittheilte. Dieser war nicht wenig bestürzt, so
durchaus Ungeahntes vernehmen zu müssen, und entschuldigte sich mit
der Versicherung, lediglich durch Mühlfels’ Mittheilungen zu der
Ueberzeugung einer Liaison verleitet worden zu sein.

Der Fürst schüttelte unmuthig das Haupt; doch kannte er den Chevalier
zu gut, um nicht zu wissen, daß dieser in einer so wichtigen
Angelegenheit nur durch die sichersten Beweise zu dem ihm gemachten
Bericht bestimmt werden konnte. So trug also lediglich Mühlfels die
Schuld, und er befahl dem Chevalier, ihm denselben sogleich zuzuführen.

Der Baron vernahm mit nicht geringer Bestürzung den Befehl des Fürsten
und den Anlaß dazu, und wurde dadurch um so mehr betroffen, da, wie wir
erfahren haben, er den Verrath seiner Täuschung einmal für unmöglich
gehalten und derselbe überdies jetzt eben so plötzlich als ungeahnt
über ihn gekommen war. Derselbe vernichtete zugleich alle seine so
angenehmen Hoffnungen und erfüllte ihn mit der Besorgniß, nicht
straflos davon zu kommen und obenein den ganzen Schimpf gekränkter
Eigenliebe tragen zu müssen.

Trotz alledem verlor er die Fassung nur für wenige Augenblicke; alsdann
gewann er dieselbe wieder in so weit, um sich für die Audienz bei
dem Fürsten vorzubereiten. Er ließ sich nochmals die dem Chevalier
von dem Fürsten gemachten anklagenden Mittheilungen wiederholen,
erwog dieselben in allen Einzelnheiten und gelangte dabei zu der
Ueberzeugung, sich mit einigem Geschick aus der so gefährlichen Lage
ziehen zu können.

Dadurch ermuthigt, erklärte er sich bereit, dem Chevalier zu folgen.

Dieser beschwor ihn, sich und ihn selbst in einer Weise vor dem
entrüsteten Fürsten zu entschuldigen, daß dessen Unmuth beschwichtigt
wurde und er ihnen Gnade angedeihen ließ. Denn geschah dies nicht,
so war seine so ehrenvolle Stellung gefährdet. Mühlfels, dessen
Kaltblütigkeit wieder vollkommen zurückgekehrt war, beruhigte ihn
mit der Versicherung, daß es ihm voraussichtlich gelingen müßte, den
Fürsten von seiner Schuldlosigkeit zu überzeugen, und dadurch in etwas
getröstet, führte ihn der Chevalier zu der Audienz.

Er wurde von dem Fürsten mit Strenge und Kälte empfangen.

»Sie haben sich erlaubt,« sprach dieser, »Boisière und durch ihn auch
mich in der unverantwortlichsten Weise zu täuschen. Sie kannten die
Wichtigkeit eines solchen Handelns, was haben Sie darauf zu sagen?«

Trotz dieser strengen Anrede verlor Mühlfels die Fassung nicht, sondern
entgegnete ruhig:

»Ich vermag, mein gnädiger Fürst, nicht zu beurtheilen, welcher Worte
sich der Chevalier bedient hat, um mein Verhältniß zu der Prinzessin
Hoheit zu bezeichnen; eben so wenig weiß ich, wie er die ihm von mir
anvertrauten Worte zu deuten für gut befunden. Ich habe nicht mehr
gesagt, als ich zu verantworten hoffe, mein Fürst.« --

»Sie weichen einer bestimmten Antwort aus. Lassen Sie alle Umschweife
und sagen Sie, ob Ihnen die Prinzessin wirkliche Gunstbezeigungen
geschenkt hat,« sprach der Fürst hart und befehlend, wobei er den Baron
mit scharfen Blicken fixirte. Dieser wurde dadurch ein wenig verlegen,
faßte sich jedoch und entgegnete:

»Ich darf darauf unbedingt bejahend antworten.«

»Das heißt?« fiel der Fürst ein.

»Hoheit haben meine Dienste wohlwollend aufgenommen,« entgegnete
Mühlfels zögernd.

»Wie soll ich das verstehen? Es ist hier nicht von Diensten die Rede,
sondern von einer Intimität zwischen der Hoheit und Ihnen, deren Sie
sich gegen den Chevalier gerühmt haben.«

»Der Chevalier irrte sich, wenn er meiner Mittheilung eine solche
Deutung untergelegt hat. Ich habe ihm nur das Wohlwollen bezeichnet,
womit mich die Prinzessin beglückt und meine Huldigungen anzunehmen
geruhte. Denn ich läugne nicht, mein gnädiger Fürst, daß ich die
Prinzessin hoch verehre und mich um Ihre Gunst beworben habe; ich würde
jedoch deren Ansehen zu beflecken fürchten, wollte ich die von dem
Chevalier mitgetheilten Worte zugeben. Niemals hat mich die Prinzessin
durch eine Gunst erfreut, welche ihrer Stellung und der guten Sitte
zuwider gewesen wäre.«

»Nun, Boisière, was sagen Sie dazu?« fragte der Fürst und schaute
diesen, der bestürzt dastand, fragend an. »Sollte,« fuhr er fort, »etwa
Ihr Eifer, mir zu dienen, Sie zu weit geführt haben?«

»Halten zu Gnaden, mein Fürst, die Andeutungen des Barons und selbst
sein Wunsch, der Prinzessin statt meiner aufzuwarten, berechtigten mich
zu dem abgestatteten Bericht, mehr noch sein Entgegenkommen, als ich
ihm früher den Wunsch des gnädigsten Fürsten mittheilte,« entschuldigte
sich Boisière.

»Es ist gut, Boisière,« brach der Fürst kurz ab und schritt nachdenkend
durch das Gemach. Sein Scharfblick und seine Menschenkenntniß hatten
ihn leicht errathen lassen, welcher der eigentliche Urheber der
Täuschung war; überdies kannte er den Charakter des Barons genügend.

Er sah aber auch ein, daß er selbst mehr oder weniger die Veranlassung
dieser Täuschung war, indem er den Wunsch betreffs einer Liaison mit
der Prinzessin ausgesprochen und so des Barons Eitelkeit geweckt hatte.
Dieser Umstand stimmte ihn milder gegen diesen, ohne ihn jedoch zu
entschuldigen. Nach einigen Augenblicken wandte er sich an Mühlfels und
bemerkte in verweisendem Ton:

»Ob Ihre Eitelkeit Sie hinsichts der Erfolge bei der Prinzessin
täuschte, will ich dahin gestellt sein lassen; Sie haben jedoch
leichtsinnig gehandelt und nicht bedacht, welche Folgen dergleichen
zweideutige Bemerkungen, wie Sie sie gegen Boisière zu machen sich
erlaubt, nach sich ziehen können. In solchen Angelegenheiten und mir
gegenüber gilt nur die strengste Wahrheit. Das mußten Sie wissen. Sie
sind schuld, daß ich mich compromittirt habe. Sie werden sich morgen
zu der Garnison nach Bergen begeben und daselbst zum Dienst stellen.
Ich hoffe, die dortige Abgeschiedenheit wird Sie zur Erkenntniß
Ihres Leichtsinns gelangen lassen und Sie werden sich der Besserung
befleißigen.«

»Mein gnädigster Fürst!« fiel Mühlfels, durch diesen strengen und
nicht geahnten Urtheilsspruch in der tiefsten Seele getroffen, ein und
blickte flehend zu dem Fürsten auf.

»Kein Wort, Baron! Ich weiß, daß ich viel zu milde mit Ihnen verfahre;
Sie verdienen eine härtere Strafe und verdanken meine gnädige Rücksicht
lediglich Ihrer Stellung zu dem Prinzen und Ihrer Familie,« entgegnete
der Fürst in strengem Ton und winkte mit der Hand; Mühlfels entfernte
sich schweigend, ohne daß er seine Bitte um Milderung der Strafe zu
wiederholen wagte.

Der Fürst befand sich in der übelsten Stimmung. Es war ihm unangenehm,
gezwungen zu sein, des Prinzen Günstling von dem Hof zu verweisen;
denn er wußte, daß dieser Befehl den Letzteren verletzen würde.
Vielleicht wäre er milder gegen Mühlfels gewesen, hätte er nicht die
Nothwendigkeit erkannt, Sidonien dadurch die gewünschte Genugthuung
zu verschaffen und so seiner Absicht, eine Versöhnung zwischen den
Getrennten herbei zu führen, zu dienen.

Ueberdies war er willens, in dieser Angelegenheit mit aller Strenge zu
verfahren und den Prinzen dadurch zum Eingehen auf seine Wünsche zu
zwingen.

Mit welchen Gefühlen Sidonie nach ihrem Palais zurückkehrte, darf kaum
näher bezeichnet werden. Die Unterredung mit dem Fürsten, in welcher
sie Mühlfels’ Täuschung kennen gelernt hatte, beugte sie tief; mehr als
Alles jedoch war es der schmerzliche Gedanke, der süßen Hoffnung, frei
zu werden, wahrscheinlich entsagen zu müssen.

Des Fürsten Vorstellungen und Abneigung, auf eine Trennung ihrer Ehe
einzugehen, hatten sie mit der Ueberzeugung erfüllt, daß man ihr kaum
zu überwindende Schwierigkeiten entgegen stellen würde, um sie zum
Aufgeben ihres Verlangens zu veranlassen. Eben so wenig durfte sie auf
die Hilfe und Zustimmung ihres Bruders zu ihrem beabsichtigten Schritt
rechnen, sobald sich der Fürst dazu nicht geneigt zeigte, da der
Herzog sich stets des Letzteren Willen unterzuordnen für seine Pflicht
erachtete.

Aurelie, die sie bei der Rückkehr von dem Fürsten erwartete, wurde
durch Sidoniens so ungeahnte Mittheilungen in hohem Grade überrascht;
nichts von allem Vernommenen verletzte sie jedoch so tief, als die
Voraussetzung des Fürsten von Sidoniens Einverständniß mit Mühlfels,
und ihr Schmerz darüber war um so tiefer, da sie nur zu gut wußte, wie
sehr ihre Freundin darunter litt.

Und dennoch mußten sie dem Zufall danken, der das Gewebe einer so
schimpflichen Intrigue enthüllt und die Prinzessin von der sie
bedrohenden Gefahr befreit hatte. Wohin hätte es führen müssen, würde
ein so übler Verdacht auf Sidonien geruht haben. --

Eine sehr bedeutungsvolle Frage war es, ob der Fürst nach mit dem
Prinzen genommener Rücksprache über Sidoniens Entschluß die Zustimmung
des Letzteren erhielt und dadurch etwa veranlaßt wurde, früher oder
später auf ihr Verlangen einzugehen. Man war genöthigt, das Weitere
abzuwarten; aber es konnte nicht fehlen, daß diese Angelegenheiten in
der Folgezeit das Interesse der Freundinnen unablässig in Anspruch
nahm, und eben so wenig, daß Sidonie unter denselben sichtlich litt
und, des Trostes des Geliebten beraubt, täglich düsterer wurde und sich
mehr und mehr von allen Zerstreuungen zurückzog. --

Die Urheberin dieser so bedauerlichen Ereignisse ahnte von dem durch
ihren Besuch des Schauspiels angerichteten Unheil nicht das Geringste
und würde darüber auch nichts erfahren haben, wäre dem Prinzen nicht
durch Boisière ihr Ungehorsam und dessen Folgen verrathen worden.

Der Prinz, im höchsten Grade unangenehm überrascht, ließ den Fürsten
durch dessen Abgesandten vorläufig mit seiner gänzlichen Unkenntniß
dieser Angelegenheit bekannt machen und zugleich bitten, ihm, sobald er
sich wohl genug fühlte, eine Unterredung zu gestatten, um sich bei ihm
noch persönlich entschuldigen zu können.

Dies wurde ihm von dem Fürsten gern bewilligt, da, wie wir wissen,
dieser einen ähnlichen Wunsch hegte.

Es verstand sich von selbst, daß der Prinz bei Marianens nächstem
Besuch ihr seinen Unwillen über ihr leichtsinniges und ungehorsames
Benehmen zu erkennen gab und sie zugleich mit den daraus entstandenen
übeln Folgen bekannt machte.

»Nun, was ist dabei?« fragte sie unbefangen, nachdem der Prinz seine
Vorwürfe ausgesprochen hatte, und bemerkte alsdann in schnippischem
Ton: »Wäre ich eine von den vornehmen Damen, die ich im Schauspiel
gesehen habe, so würde man mich gern geduldet und meinen Besuch
nicht unstatthaft gefunden haben; jetzt aber, da ich nur ein ganz
gewöhnliches Waldfräulein bin, spotten sie über mich und wollen mich
unter sich nicht dulden, und doch weiß ich, daß mich eine Jede von
ihnen um Deine Gunst beneidet, mein schöner Prinz. Warum machst Du mich
nicht zu einer solchen vornehmen Dame, damit ich mich überall zeigen
kann? Du bist doch ein Prinz und wirst bald Landesherr sein; hast Du
denn nicht so viel Macht, mich zu einer Gräfin oder wenigstens Baronin
zu machen?«

»Sei nicht thöricht und zufrieden mit dem, was Du hast!« fiel der
Prinz unmuthig ein und fügte verweisend hinzu: »Dein Leichtsinn
und Ungehorsam wird Alles verderben und bringt mich in fatale
Ungelegenheiten. Noch weiß ich nicht, wie ich den Fürsten und meine
Gemahlin beruhigen werde, und fürchte, Deine Keckheit wird nicht
ungestraft hingenommen werden. Das Uebelste dabei ist jedoch, daß Deine
Unvorsichtigkeit das Geheimniß meines Umganges mit Dir zerstört und
mich dadurch des Vergnügens beraubt hat, das mir dasselbe gewährte!«

»Wäre das nicht auch ohne mein Thun früher oder später geschehen?«
fragte sie, mit einem in ihrer Hand befindlichen Stöckchen tändelnd,
und schaute den Prinzen treuherzig an. »Glaubst Du denn, mein schöner
Prinz,« fuhr sie fort, »daß man von Deinen Besuchen bei mir nichts
weiß? Da würdest Du Dich schön irren! Ich denke, die ganze Welt weiß
schon darum. Du solltest also nicht böse sein und Dich vielmehr
herzlich freuen, daß mich die Leute gesehen haben; denn nun haben
sie mich doch von Angesicht schauen und sich mit ihren eigenen Augen
überzeugen können, daß die Mariane wol hübsch genug ist, um Dir zu
gefallen. Du hättest nur sehen sollen, mein Prinz, wie sie mich
begafften, als ob ich ein Wunderthier wäre. O, wie hat mich das
belustigt und wie bin ich bemüht gewesen, die vornehme Dame zu spielen
und meinem Prinzen Ehre zu machen. Auch die blasse junge Dame in der
großen Loge, die sie Deine Frau nannten, hat mich mit ihren sanften
Augen angeschaut; ach, sie war die Schönste von Allen und hat mir am
besten gefallen.«

»Schweig mir damit!« herrschte der Prinz. »Du bist eine Närrin, und
ich erkenne, daß mir Dein Leichtsinn nur üble Streiche spielen wird.
Meine zu große Nachsicht hat Dich verwöhnt und ich bin vor ähnlichen
Thorheiten nicht sicher!«

»O glaub’ das nicht, mein Prinz! Du weißt, ich thue gern Deinen Willen.
Sei nur nicht böse! Sieh, ich bin ein unerfahrenes, dummes Waldkind,
dem darfst Du so etwas nicht übel nehmen. Jetzt bin ich schon klüger
geworden, und ich schwöre Dir, ich werde Deine Befehle stets befolgen.«

Sie hätschelte ihn dabei und wußte ihre Rolle so gut zu spielen, daß
der Prinz unter anderen Umständen sich jedenfalls hätte versöhnen
lassen; dieses Mal gelang ihr das jedoch nicht. Denn durch Boisière
über Sidoniens Forderungen unterrichtet, sah er irgend eine
folgenreiche Maßnahme von Seiten des Fürsten voraus, die nicht mehr
ausbleiben konnte, und das verstimmte ihn in hohem Grade und machte
sein Herz ihren Schmeicheleien unzugänglich. Ueberdies erkannte er die
Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen, sie zur Einsicht der Bedeutsamkeit
der besprochenen Verhältnisse zu leiten. Ihre Befangenheit in
dergleichen Dingen war zu groß. Darum entgegnete er in strengem Ton:

»Lass’ Deine Zärtlichkeiten und erwarte mich morgen! Ich werde eine
Unterredung mit dem Fürsten haben und bin auf Schlimmes gefaßt. Du
sollst es erfahren und wirst dann erkennen, wie schwer sich Dein
Ungehorsam bestraft!«

Mit diesen Worten verabschiedete er sie zugleich. Mariane schaute
ihn überrascht und fragend an. In solcher Weise hatte der Prinz noch
niemals mit ihr gesprochen, und dieser Umstand erfüllte sie mit der
Vermuthung, daß ihr Besuch doch wol etwas Schlimmes angerichtet haben
mußte. Sie ließ den Kopf hängen, blickte traurig vor sich hin und
bemerkte schmollend:

»Prinz, Du gehst sehr hart mit mir um und hast mich gewiß nicht mehr
lieb. -- Vergieb mir!«

»Wir wollen sehen, was der Fürst bestimmt. Jetzt geh’ nur, denn ich
möchte ruhen. Morgen erfährst Du das Weitere,« sprach der Prinz, dessen
Unmuth sie nicht zu beschwichtigen vermochte.

Mariane kannte das, setzte ihr Hütchen auf, blickte den Prinzen noch
einmal traurig an, und als er ihr nicht wie sonst die Arme öffnete,
schied sie still von ihm.

Ihr war ganz wunderlich zu Muthe. Sie hatte zum ersten Mal erfahren,
daß der Prinz auch rauh und lieblos sein konnte.

Sie mußte also wol einen großen Fehler mit ihrem Besuch gemacht haben.
Sie vermochte denselben freilich noch immer nicht einzusehen; denn am
Ende war ihrer Ansicht nach doch nur der Prinz selbst an Allem schuld.
Warum machte er sie nicht zu einer vornehmen Dame? Eignete sich ihre
Schönheit denn nicht dazu und hatte man sie nicht im Schauspiel für
eine solche gehalten? O, sie hatte ganz Recht; wäre sie eine Gräfin
oder Baronin gewesen, so würde man ihre Liebschaft mit dem Prinzen ganz
natürlich gefunden haben; jetzt hielt man sie für viel zu gering dazu.

Als sie nach Hause zurückgekehrt war und Madame Voisin mit Allem
bekannt gemacht und deren Bedauern vernommen hatte, begab sie sich
zu ihren Vögeln und Affen, mit denen sie sich häufig und gern zu
unterhalten pflegte.

Der Papagei und die Affen begrüßten sie mit freudigem Geschrei, da
sie die Herrin sehr gut kannten und manch’ süßen Brocken aus ihrer
Hand empfingen, wie dies auch jetzt der Fall war. Sie unterhielt sich
während dessen mit ihnen.

»O, ihr wißt nicht, wie böse der Prinz mit mir war!« sprach sie mit
einem ernsten Gesicht. »Er hat mich ausgescholten und hieß mich gehen.
Das hättet ihr nicht gethan. Wärst Du, mein Joko,« -- wandte sie
sich an ihren Lieblingsaffen, -- »der Prinz, Du würdest mich nicht
fortgeschickt und so böse behandelt haben. O Joko, Joko, wie sind die
Menschen doch so schlimm und gönnen Einem nicht den Bissen Freude, den
man hat! Nun, wenn es damit zu Ende sein sollte, reisen wir wieder nach
dem Walde, dort will ich mit euch leben herrlich und in Freuden.«

Joko ließ ein zustimmendes Schnurren vernehmen und schmeichelte sich an
ihre Brust.

»Siehst Du, Joko,« fuhr sie fort, »ich bin eigentlich auch nur so eine
Art hübscher Affe wie Du, an dem der Prinz Gefallen findet und mit
dem er sich die Zeit vertreibt, und mache ich nun einmal einen dummen
Sprung, dann wird er gleich böse und die anderen Alle auch, als ob
ich Wunder was gethan hätte. Aber pass’ nur auf, Joko, ich werde den
Prinzen schon wieder lustig machen, wie Du mich, und er wird mich zur
Gräfin erheben, wie sie sagen, und dann können wir Sprünge und Zoten
nach Belieben anstellen, dann schadet das nichts; dann ist Alles in der
Ordnung, und man wird mich dann nicht verspotten, sondern bewundern
und allgemein großen Respect vor mir haben. Das wirst Du Alles hören,
wenn er morgen hierher kommt; denn er wird morgen zum Fürsten gehen
und von dem will er zu mir kommen. Schreie nicht so, Pepi!« befahl sie
dem Papagei, der, neidisch über die dem Affen geschenkte Zärtlichkeit,
sich auf der Stange unruhig hin und her bewegte und ein auffallendes
Gekrächze ausstieß. »Sei still,« fuhr sie fort, »Du kommst mir wie
eine jener vornehmen Damen vor, die eben so neidisch wie Du sind. Zwar
haben sie mich nicht mit dem Munde, doch desto mehr mit den scharfen
Augen angekrächzt, als ob sie mich am liebsten gebissen hätten. O,«
lachte sie hell auf, »sie hätten es schon gethan, wenn sie es nur
durften! Aber siehst Du, Pepi, sie durften es nicht! Sie wagten es
nicht, da ich der Leibaffe des Prinzen bin, was sie so gern sein
möchten.« Und sie belachte ihren Witz, und während sie sich in solcher
Weise unterhielt, vergaß sie bald die erfahrene Unannehmlichkeit;
ihr froher und leichter Sinn half ihr über alles Grübeln und Trauern
schnell fort. Warum sollte sie sich auch grämen? Wußte sie denn nicht,
daß sie den Prinzen bald beruhigen und er wieder nach ihrem Willen sein
würde? Er mußte ~doch~ thun, was sie wünschte, ob er sich auch noch so
hart anstellte. Und mit diesen Betrachtungen hatte ihr Kummer sein Ende
erreicht. --

Wir kehren nun zu Mühlfels zurück, der nach der Unterredung mit dem
Fürsten in der übelsten Stimmung nach Hause zurückgekehrt war und hier
überlegte, was ihm zur Abwendung der über ihn verhängten Strafe zu thun
übrig blieb.

Daß seine Versetzung nach der kleinen, von allem Verkehr entfernten
Garnison Aufsehen erregen und die Leute veranlassen würde, nach
der Ursache der erfahrenen Ungnade zu forschen, verstand sich von
selbst, und eben so selbstverständlich war es, daß man dieselbe
entdeckte. Boisière war nicht zuverlässig, überdies hatte er ihn
durch die abgegebene Erklärung bei dem Fürsten gereizt und kannte die
Hofverhältnisse zu gut, um nicht überzeugt zu sein, der eitle Hofmann
würde sich durch vertrauliche Mittheilungen darüber zu rächen bedacht
sein.

So konnte ihn nur des Prinzen Fürsprache bei dem Fürsten retten; um
sich diese jedoch zu verschaffen, mußte er diesen von der Berechtigung
seines Vorhabens gegen den Fürsten überzeugen. Und sein böser Charakter
ersann sich dazu ein übles Mittel. Es galt seine Rettung und er bebte
vor demselben nicht zurück, unbekümmert um die sich daran knüpfenden
verletzenden Folgen für die Prinzessin. Nachdem er sich in solcher
Weise genügend vorbereitet hatte, begab er sich zu dem Prinzen. Dieser
hatte bereits durch Boisière das Nähere über die Versetzung erfahren
und empfing ihn mit einem Vorwurf über seine Unvorsichtigkeit.

»Ich hoffe, Hoheit werden diesen Vorwurf zurücknehmen, wenn ich Ihnen
Alles vertraut habe,« entgegnete Mühlfels ruhig und resignirt.

»Was haben Sie mir noch zu sagen?« fragte der Prinz.

»Vielleicht etwas, was Sie nicht erwarteten, mein Prinz,« sprach
Mühlfels und fügte hinzu: »Vor allen Dingen habe ich es für meine
Pflicht gegen Eure Hoheit gehalten, Sie über den Fall aufzuklären
und Ihnen die Kenntniß von meiner Schuldlosigkeit zu verschaffen. So
empfindlich mich auch die Ungnade des Fürsten getroffen, würde mir
doch diejenige meines theuern Prinzen noch vielfach schmerzlicher sein,
da ich dieselbe überdies nicht zu verdienen glaube.«

»So reden Sie, reden Sie!« fiel der Prinz ungeduldig ein.

»Der Fürst, mein Prinz, hat mich, ohne Beweise für meine Schuld zu
besitzen, lediglich nach seinem Belieben verurtheilt.«

»Boisière hat ihm doch aber mitgetheilt --« wandte der Prinz ein.

»Und der Chevalier sprach die Wahrheit --« fiel Mühlfels mit Nachdruck
ein.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Sie werden mich verstehen, mein Prinz, wenn ich Ihnen bekenne, daß ich
die Prinzessin nicht compromittiren wollte.« --

»Was sagen Sie?« rief der Prinz überrascht aus.

»Mißdeuten Sie meine Worte nicht, mein gnädiger Prinz. Wenn mir die
Prinzessin auch ein besonderes Wohlwollen schenkte, das mich zu
beglückenden Hoffnungen berechtigte, so trifft sie dennoch nur in
sofern ein Vorwurf, indem sie mich dadurch zu demselben verleitete.
Ob diese Hoffnungen jemals erfüllt worden wären, wage ich nicht zu
bestimmen, obwol ihr Interesse für mich eine solche Annahme nicht
gerade abweist.«

»Und dem ist wirklich so?« fragte der Prinz erregt und blickte Mühlfels
an.

»Ich schwöre es, mein Prinz!« »Warum verschwiegen Sie das dem
Fürsten?« --

»Weil, wie ich schon früher bemerkte, ich es für meine Pflicht
erachtete, die Prinzessin nicht bloszustellen.« --

»Sie thaten nicht recht daran, und ich gestehe Ihnen, es würde mich
gerade in diesem Augenblick gefreut haben, hätten Sie dem Fürsten die
Schwäche der Prinzessin enthüllt, die er noch immer für tugendhaft
hält. Doch, er soll das von mir erfahren; ich spreche ihn morgen und
will ihm Ihr Bekenntniß mittheilen. Wagte Sidonie sich über Mariane
zu beschweren, so bietet mir dies ein erwünschtes Mittel, sie in dem
rechten Licht zu zeigen. Ich sage Ihnen, Ihre Mittheilung kommt mir
sehr gelegen.« --

»Und wollen Hoheit so gnädig sein, mir zu verzeihen, wenn ich das
Entgegenkommen der Prinzessin annahm?« fragte Mühlfels demüthig.

»Ach, lassen Sie die Bagatelle!« fiel der Prinz geringschätzig
ein. »Ich würde die Prinzessin in keiner Weise in ihren Passionen
belästigt haben, hätte sie mich nicht durch die Anklage beim Fürsten
heraus gefordert. Ich will doch sehen, wer mehr bei dem Fürsten gilt,
~sie~ oder ~ich~. Die Tugend an sich ist lächerlich; die geheuchelte
jedoch mehr als das. Sie sollen nicht fort, Mühlfels; Sie sollen und
müssen bleiben; denn ich bedarf Ihrer gerade jetzt am nöthigsten. Die
Prinzessin soll sich in ihren Erwartungen arg getäuscht sehen. Wie
konnte sie es wagen, unter solchen Umständen meinen Freund anzuklagen
und mich seiner zu berauben, lediglich um sich den guten Schein zu
retten. Ich merke, sie hat dabei auf Ihre Gutmüthigkeit gerechnet; es
soll ihr jedoch nichts helfen. Ihre gute Absicht muß von dem Fürsten
anerkannt werden; ich werde dafür sorgen. Im Uebrigen, Mühlfels,
bleiben wir die alten Freunde. -- Ich hoffe, auch die Angelegenheit mit
Marianen wird sich nach Wunsch erledigen lassen. Ich habe keine Lust,
der Prinzessin zu weichen; ich ahne, was sie verlangt; aber wahrlich,
Sie soll ihren Willen nicht haben!«

In solcher Weise sprach der Prinz, und wir erkennen daraus, wie
leicht seine Abneigung gegen die Prinzessin ihn verleitete, den
Einflüsterungen seines Günstlings Gehör zu schenken. Ueberdies kam
ihm, wie wir erfahren haben, Mühlfels’ Geständniß sehr gelegen, da
er dasselbe in seinem eigenen Interesse benutzen konnte. Ob dasselbe
begründet war, ob ihn der Baron absichtlich täuschte, wie es der Fall
war, um der Ungnade des Fürsten zu entgehen, fiel ihm nicht ein zu
untersuchen. Eben so wenig sah er sich veranlaßt, zu überlegen, daß bei
dem fleckenlosen Charakter der Prinzessin die Aussage des Barons wenig
Glauben verdiente. An sittliche Tugend glaubte er nicht, jedoch an die
Schwäche und Sittenlosigkeit der Frauen, und dieser Glaube behielt auch
in diesem Fall um so mehr die Oberhand, da er die Prinzessin schuldig
wissen ~wollte~.

Mühlfels mußte ihm den Abend über Gesellschaft leisten, und er fand
dabei hinreichende Gelegenheit, die bekannten Angelegenheiten vielfach
zu besprechen und sich durch seinen Günstling in seinen Vorsätzen noch
mehr befestigen zu lassen.

Mit den besten Hoffnungen erfüllt, schied der Baron von ihm, in hohem
Grade beglückt, daß sein kühnes Mittel so gute Wirkungen ausgeübt
hatte. Er freute sich, auf den glücklichen Gedanken gerathen zu sein,
sich als das Opfer zu bezeichnen, das er der Ehre der Prinzessin
gebracht hatte. Die sowol von dem Prinzen als dem Fürsten gehegten
Vorurtheile kamen ihm dabei sehr zu statten, denn sie ließen ihn
hoffen, daß man seinen Worten Glauben schenken würde. Und den Prinzen
zu überzeugen, war ihm bereits gelungen. Ueberdies hatte er dem
Fürsten ähnliche Andeutungen gemacht und ebenso gegen Boisière nichts
Bestimmtes ausgesprochen; wenn er nun die Kühnheit besaß, dem Gemahl
der Prinzessin selbst deren Schwächen und seine dadurch erregten
Hoffnungen zu gestehen, so lag in diesem bedeutsamen Umstande ein
gewichtiger Beweis für seine Schuldlosigkeit, indem zugleich alle
Schuld auf Sidonie zurück fiel. Gelang ihm das Letztere, so war er auch
von der Zurücknahme des fürstlichen Befehls überzeugt.

Wie gewöhnlich vertraute er seine Besorgnisse und Hoffnungen seiner
Mutter an, die nicht wenig überrascht war, den lieben Sohn in einer so
übeln Lage zu wissen. Sie stimmte jedoch seinen Voraussetzungen bei
und tröstete sich mit ihm in der Gewißheit von dem großen Einfluß des
Prinzen auf den Fürsten.

Sie sollten bald erfahren, wie sehr sie sich in dieser Beziehung
täuschten.

Der Prinz begab sich an dem nächsten Tage zu dem Fürsten, um die
bekannten Angelegenheiten zu besprechen, und unterließ nicht, das
Interesse seines Günstlings mit aller Wärme zu vertreten.

Mit großer Aufmerksamkeit hörte ihn der Fürst an und schritt, nachdem
der Prinz seine Mittheilung geendet hatte, einigemal schweigend und
gedankenvoll durch das Gemach.

»Und Du glaubst den Worten des Barons?« fragte er, indem er vor dem
Prinzen stehen blieb und ihn fragend anschaute.

»Ich habe keinen Grund zum Gegentheil, und kenne den Baron überdies zu
genau, um an der Wahrheit seiner Mittheilung zu zweifeln.« --

»Du hegst eine natürliche Vorliebe für ihn, da er Dein besonderes
Vertrauen besitzt; diese Vorliebe täuscht Dich jedoch dieses Mal und
Du übersiehst, daß die Prinzessin, fühlte sie sich schuldig, anders
gehandelt haben würde. Ich sage Dir, ein solch’ stolzes, freies Wesen,
wie sie, zeigt keine Schuldige, und der Baron hat das Aeußerste gewagt,
um sich von der Strafe zu befreien. Ich kenne die Menschen genügend,
um nicht zu wissen, daß ein Mann, wie der Baron, in einem Fall, in
welchem seine Ehre auf dem Spiel steht, sich nicht in solcher Weise
opfert. Das ist lediglich ein Kunstgriff von ihm, der ihm jedoch nichts
helfen soll. Ihn verleitete seine Eitelkeit zu der Täuschung; ich bin
davon durchaus überzeugt. Er wollte sich mir gefällig zeigen, um Nutzen
daraus zu schöpfen. Ich gebe zu, daß ihm die Prinzessin ein gewisses
Wohlwollen schenkte; das ist jedoch nichts Besonderes. Sollte er darin
eine Berechtigung zu so bedeutsamen Hoffnungen gefunden haben, so
ist das seine Schuld, und darum muß er büßen. Ich wie Du sind es der
Prinzessin schuldig, und so soll die Sache ihren Gang haben.« --

Der Prinz wurde durch diesen festen Bescheid seines Oheims in hohem
Grade verstimmt und bemühte sich auf das äußerste, den Baron von der
Strafe zu befreien; indessen vergebens. Der Fürst beharrte auf seinem
Entschluß und schnitt seine weiteren Bemühungen mit dem Bemerken ab,
daß eine viel wichtigere Veranlassung ihn bestimmt habe, den Prinzen
zu sich bitten zu lassen, und er daher des Barons Sache als abgethan
betrachte. Alsdann fragte er ihn, durch welche Umstände Mariane
veranlaßt worden sei, sich in das Schauspiel zu drängen.

Der Prinz fand es für gut, dem Fürsten das Nähere darüber zu
verschweigen, indem er seinen Liebling durch die demselben beiwohnende
Unerfahrenheit zu entschuldigen bedacht war und zugleich die
Versicherung aussprach, nicht die geringste Kenntniß von dem Besuch
gehabt zu haben.

Auch jetzt hörte ihn der Fürst ruhig und aufmerksam an und entgegnete
alsdann mit Strenge:

»Nicht das ~Mädchen~, sondern ~Sie~ trifft die Schuld, wenn so
etwas geschehen konnte; daß es geschah, ist ein Zeichen, wie wenig
Respect das Mädchen für Sie hat. So weit durften Sie es jedoch nicht
kommen lassen. Wir haben Ihre Liaisons, sobald sich dieselben in den
erforderlichen Grenzen hielten, schweigend geduldet; wir finden uns
jedoch nach dem Erfahrenen veranlaßt, Sie dem Einfluß dieses jedenfalls
sehr listigen Mädchens zu entziehen, vor Allem jedoch der Prinzessin
für die erfahrene Scene dadurch eine Genugthuung zu verschaffen; und
so befehlen wir Ihnen, das Mädchen sofort zum Verlassen der Stadt zu
veranlassen. Ich weiß, daß die Prinzessin nichts Geringeres erwartet,
und eine solche Forderung kann nur billig genannt werden. Ueberdies
bin ich das auch mir und dem Hofe schuldig. Sie werden sich also mit
dem Mädchen arrangiren. Uebrigens dürfte diese niedrige Person zu
einer Liaison mit einem Prinzen sehr wenig geeignet sein; Sie tragen
daher selbst die Schuld, wenn man darüber spottet und Ihren guten
Geschmack in Zweifel zieht. Des Mädchens freches Eindringen in die gute
Gesellschaft hat nun den schlagendsten Beweis geliefert, daß der Spott
nur gerecht war, und so werden Sie wissen, was Sie zu thun haben.« --

Der Fürst schwieg und trat an das Fenster, durch welches er auf den
Garten blickte.

Bebend vor zorniger Erregung, die des Oheims Strenge und Beschluß in
ihm erzeugt hatte, und zu einer Erwiderung unfähig, stand der Prinz
da. Schon durch die verweigerte Gnade hinsichts des Barons erbittert,
steigerte die Bestimmung über Mariane seinen Zorn in hohem Grade.
Derselbe drohte ihn zu übermannen und er beherrschte ihn nur mühsam.

»Und ist das Ihr unumstößlicher Beschluß?!« preßte er endlich hervor.

»Er ist es,« fiel der Fürst ruhig ein und fügte dann mit Nachdruck
hinzu: »Ich denke, Prinz, Sie sind sich das selbst schuldig, wenn Sie
nicht der Lächerlichkeit verfallen sollen.«

»Wer wagte das zu behaupten?!« fuhr der Prinz auf.

»Ich, Ihr ~Fürst~!« fiel dieser in gebietendem Ton ein.

»Sie können mir den Umgang mit dem Mädchen nicht verwehren!« rief der
Prinz in hellem Zorn und mühsam Athem holend.

»Nicht?« fragte der Fürst ironisch und fuhr mit strenger Kälte fort:
»Hören Sie, Prinz Albert, was Ihnen Ihr Fürst sagt: ist das Mädchen
nicht innerhalb vierundzwanzig Stunden aus dem Bereich der Stadt, so
werde ich es durch Polizeibeamte hinausbringen lassen, und damit Sie
nicht etwa aus zu großer Liebe für die Dirne verleitet werden, sie etwa
als ihr =Cavalier servante= zu begleiten, werden Sie bis auf Weiteres
Ihr Palais nicht verlassen. Und dabei bleibt’s!«

Mit diesen Worten begab sich der Fürst in das Nebengemach und ließ den
Neffen in der furchtbarsten Erregung zurück. Sein Auge flammte, und
ehe der Fürst noch die Thür schloß, zertrümmerte er den Stuhl, auf
den er sich so lange gestützt hatte, mit einem raschen, mächtigen
Stoß. Alsdann taumelte er aus dem Gemach und warf sich in den auf ihn
harrenden Wagen.

Es war tief in der Nacht; dennoch schimmerte in einem der Zimmer der
Villa Marianens Licht und verrieth, daß die Bewohner derselben noch
nicht die Ruhe gesucht hatten.

Dies war in der That der Fall; denn wenn auch die sämmtliche
Dienerschaft daselbst sich der Nachtruhe erfreute, saßen doch Mariane
und Madame Voisin beisammen und unterhielten sich in leisem Ton mit
einander.

Neben ihnen standen gepackte, offene Reisekoffer.

»Ich sage Ihnen, Fräulein, daß das Alles Ihr Besuch des Schauspiels
veranlaßt hat,« wiederholte Madame Voisin zum mehr denn zehnten Mal.

»Sie irren sich. Wie könnte solche Kleinigkeit --« wandte Mariane ein.

»Nun, Sie werden es ja bald erfahren. Ohne einen erheblichen Grund
konnte der Prinz nicht auf den Gedanken gerathen, Sie reisen zu lassen.
Ich wiederhole, das geschieht nicht mit seinem Willen, sondern es
steckt etwas dahinter, Sie werden es erleben. Lesen Sie seinen Brief
nur noch einmal durch.«

Mariane ergriff in Folge dieser Aufforderung einen neben ihr auf dem
Koffer liegenden Brief, den sie vor wenigen Stunden von dem Prinzen
erhalten hatte und worin er ihr anzeigte, daß besondere Umstände ihn
nöthigten, sie aus der Stadt für eine kurze Zeit zu entfernen. Sie und
Madame Voisin, die sie auf der Reise begleiten würde, sollten sich
dazu vorbereiten, jedoch nur mit den nothwendigsten Sachen versehen.
Mariane möge ihn in der Nacht erwarten und würde alsdann alles
Weitere von ihm erfahren. Sein Besuch müßte der Dienerschaft durchaus
verheimlicht werden und sollten sie ganz besonders darauf bedacht sein.

»Nun, Fräulein, ist Ihnen jetzt die Sache klar?« fragte Madame Voisin.

»Wir sollen eine kleine Reise machen, vielleicht nach meiner Heimath,
und das wäre schön; sonst finde ich nichts Besonderes in den Worten,«
meinte Mariane ziemlich ruhig.

»Dann habe ich nichts mehr zu sagen,« sprach Madame Voisin und begann
auf’s Neue zu packen; Mariane jedoch, von der Voraussetzung erfüllt,
eine Zeit lang in der Heimath verleben zu dürfen, plauderte weiter.

»Wie werden sie meine Schmucksachen und schönen Kleider dort bewundern!
So etwas haben sie noch nicht gesehen. O, ich will ihnen davon
schenken, so viel es irgend geht; der Prinz kann ja für Neues sorgen.
Und der Wald ist auch grün und frisch, und ich kann mich darin wie
früher nach Belieben ergehen, und um so besser wird es mir dann wieder
hier gefallen, wenn ich zurückkomme. Wenn ich nur meine Vögel und Affen
auch mit mir nehmen dürfte.« --

In solcher Weise schlug sich das Mädchen alle Sorgen und
Bedenklichkeiten aus dem Herzen, indem sie sehr bald Madame Voisin
nachahmte und allerlei, oft die überflüssigsten Dinge in den Koffer
packte, wobei sie zugleich und auch die Erstere ab und zu aufhorchten,
wenn sich der Nachtwind oder ein anderes Geräusch draußen geltend
machte.

Während sie sich also beschäftigten, bemerkte man zwei in Mäntel
gehüllte Männergestalten durch eine Hinterthür aus dem Palais des
Prinzen schleichen und sich vorsichtig an den Häusern fortbewegen.
Ihr Benehmen verrieth, daß sie nicht erkannt sein wollten, und die
herrschende Dunkelheit kam ihnen dabei sehr zu statten. Auch war
Mitternacht fast vorüber, die Straßen unbelebt und überall herrschte
Ruhe und Stille; ein weiterer günstiger Umstand für ihre Absicht.

Ziemlich rasch und schweigend durchschritten sie mehre Straßen und
gelangten alsdann außerhalb der Stadt und auf den Landweg, den sie
verfolgten, bis sie Marianens Villa erreichten.

Sie traten durch die offene Pforte in den die letztere umgebenden
Garten ein und einer von ihnen begab sich an das erleuchtete Fenster
und klopfte leise an. Die Frauen fuhren erschreckt auf, und Madame
Voisin beeilte sich, die nach der Veranda führende Thür zu öffnen,
durch welche die Gäste dann leise und vorsichtig eintraten.

Es war der Prinz und Mühlfels.

»Schläft Alles?« fragte der Erstere leise.

Die Voisin bejahte, worauf sich der Prinz zu Marianen begab.

Diese empfing ihn mit einem leisen Freudenruf, und er schloß sie innig
in die Arme und küßte sie heftig.

»Und ich soll reisen, mein Prinz?« fragte sie.

»Ja, und es ist Deine Schuld, wenn ich Dich für einige Zeit entbehren
muß. Ich sagte es Dir voraus. Warum warst Du mir auch ungehorsam!«

»O, sei nicht böse, mein Prinz; sei nicht böse und vergieb Deinem
thörichten Waldvogel!« flehte Mariane und schmiegte sich an ihn,
während Thränen ihren Augen entquollen.

Doch es bedurfte ihrer Bitte um Verzeihung nicht mehr; des Prinzen
Unmuth war längst verraucht; er liebte sie viel zu heftig, um ihr nicht
noch Uebleres nachzusehen. Seine Liebe zu ihr machte sich überdies auch
in dem Augenblick, in welchem er sich von ihr für längere Zeit trennen
sollte, nur noch in erhöhterem Maß geltend und erfüllte ihn mit dem
Verlangen, die letzten Stunden des Zusammenseins so viel als möglich
auszukosten.

»Ich habe Dir längst vergeben, mein süßer Vogel, und nun sei wieder
munter und weine nicht mehr,« beruhigte sie der Prinz.

»Ich werde also nach Hause reisen?« fragte sie, wieder beruhigt.

»Nein, mein Liebchen; nicht nach Hause, sondern nach der prächtigsten
Stadt der Städte, nach Paris!« --

»Nach Paris, der Wunderstadt?!« rief Mariane und schlug in freudiger
Ueberraschung die Hände in einander.

»Ja, dahin soll die Geliebte des Prinzen gehen und soll sich dort in
allen Dingen unterrichten lassen, die einer vornehmen Dame ziemen.
Denn wisse, Mariane, sobald ich zur Regierung komme, sollst Du Gräfin
werden, wie Du es willst, und dann wird man Dich gern in den vornehmen
Cirkeln dulden.« --

»O, das ist ein gescheidter Gedanke von meinem Prinzen!« rief Mariane
erfreut aus und umarmte und küßte ihn. »Nach Paris! Was werde ich da
Alles zu sehen bekommen! O,« fuhr sie eifrig fort, »ich will fleißig
sein und mich bemühen, Vielerlei zu lernen, und Du sollst vor meiner
Klugheit erstaunen, wenn ich zurück komme!«

»Das weiß ich und das werde ich,« fiel der Prinz lachend ein. »Und übe
das Singen fleißig; Du weißt, es macht mir Freude.«

»Alles, Alles werde ich thun, wie Du es befiehlst, mein süßer, guter
Prinz!« rief Mariane und fragte dann, diesen betrübt anblickend: »Wirst
Du aber auch nicht Deine Waldtaube vergessen und bisweilen an sie
denken?«

»Sei dessen sicher, mein Schatz; Du weißt, wie lieb ich Dich habe.« --

»Ja, ja, ich weiß es!« rief sie und schmiegte sich an ihn. Nach einer
kurzen Pause fragte sie: »Und meine Vögel und Affen, kann ich sie
mitnehmen?«

»Das geht nicht; übrigens kannst Du Dir dort so viel Du willst und noch
schönere kaufen.« --

»Dann ist es gut; doch mußt Du mir die Thierchen pflegen lassen, damit
ich sie bei meiner Rückkehr wieder finde.« --

»Es soll geschehen; und auch Deine Villa soll behütet werden und ich
will sie noch verschönern lassen.« --

Mariane war darüber sehr glücklich und dankte dem Prinzen mit
zärtlichen Worten und Liebkosungen, indem sie zugleich noch allerlei
Sorgen und Wünsche aussprach, die der Prinz zu beschwichtigen sich
bemühte.

In solchem Geplauder und Getändel ging ihnen die Zeit dahin, während
dessen Mühlfels mit Madame Voisin die ernsteren und geschäftlichen
Angelegenheiten der Reise und des Aufenthaltes in Paris erörterte.
Die Dame war eine Pariserin und also mit den Verhältnissen daselbst
genügend vertraut; sie eignete sich daher zur Gesellschafterin des
unerfahrenen Mädchens ganz vortrefflich. Dieser Umstand hatte den
Prinzen auf den Gedanken geleitet, Mariane dorthin zu schicken.

Die Strenge seines Oheims hatte, wie wir erfahren haben, seinen Zorn
und Unmuth in dem höchsten Grade erregt, so daß er sich sogar zu dem so
groben Verstoß gegen die dem Fürsten schuldige Rücksicht verleiten ließ.

In seinem Palais angelangt, brach sein Zorn in ganzer Stärke aus, und
seine Umgebung hatte darunter wie gewöhnlich nicht wenig zu leiden.

Erst gegen Abend und als ihn Mühlfels besuchte, beruhigte er sich
wieder so weit, daß er einen Entschluß fassen konnte.

In diesen mischte sich jedoch zugleich das lebhafte Verlangen, da er
seines Oheims Befehl nachkommen mußte, der Entfernung Marianens den
übeln Schein der Ausweisung zu nehmen und zugleich zu zeigen, wie weit
entfernt er war, sie aufzugeben.

Und so brach er dem Befehl des Fürsten und der Forderung Sidoniens
die Spitze ab, indem er das Mädchen in der Absicht nach Paris sandte,
sie dort ausbilden zu lassen. Daß dies dem Fürsten und Sidonien bald
bekannt wurde, dafür wollte er sorgen. In solcher Weise war er bemüht,
sich Genugthuung für die seiner Ansicht nach erfahrene Unbill zu
verschaffen.

Er stattete Mariane zugleich so reich mit Mitteln aus, daß sie ein
glänzendes Haus in Paris machen konnte, und that dies nicht allein aus
Zuneigung zu ihr, sondern auch aus der früher bezeichneten Absicht. Das
Weitere haben wir bereits erfahren.

Das Morgengrauen mahnte ihn, zu scheiden, und er trennte sich nach dem
zärtlichsten Abschied von Marianen, -- die reichlich Thränen vergoß und
ihn nicht von sich lassen wollte -- nachdem er ihre Abreise für den
nächsten Tag bestimmt hatte. Dieselbe sollte jedoch nicht etwa heimlich
und auch nicht in der Dunkelheit geschehen, sondern vielmehr am lichten
Tage und während des vollen Treibens in den Straßen, damit sie nicht
den Anschein der Verbannung oder ängstlicher Flucht gewann. So wollte
er dem Fürsten und seiner anspruchsvollen Gemahlin trotzen.

Und wie er es befohlen hatte, so geschah es.

Nachdem sich Mariane von ihren Thieren wiederholt in der zärtlichsten
Weise verabschiedet und ihr Lieblingsäffchen in ihrer Reisetasche
sorglich untergebracht hatte, da sie sich von demselben nicht
zu trennen vermochte, verließ sie, begünstigt von dem schönsten
Frühlingswetter, am Nachmittag die Villa und fuhr stolz durch die
Stadt, um auf die Straße nach Paris zu gelangen.

Hunderte neugieriger Augen gafften die Equipage an, allerlei
zweideutige Witze wurden laut, und manches spöttische Lächeln folgte
ihr, und ehe Mariane noch die Stadt verlassen hatte, durcheilte
dieselbe bereits das Gerücht von ihrer Abreise nach Paris.

So erreichte der Prinz seine Absicht und freute sich darüber nicht
wenig.

Der Trennung von Marianen sollte am nächsten Tage diejenige von
Mühlfels folgen.

Es darf wol kaum bemerkt werden, wie tief der Letztere durch die
Fruchtlosigkeit der Bemühungen des Prinzen, ihm Gnade bei dem Fürsten
auszuwirken, gebeugt wurde. Aber mit seinem Kummer und Zorn erwachte
auch zugleich das lebhafte Verlangen in ihm, sich für die ihm, wie
er glaubte, von Sidonien zugefügte Schmach zu rächen. Diese mußte er
erdulden; ihre Gunst hatte er auf immer verscherzt; so blieb ihm nur
noch das Verlangen nach Rache.

Wie gelegen kam ihm nun die gemachte Entdeckung hinsichts Sidoniens
Neigung für den Grafen, und er war schlecht genug, dieselbe in seiner
Absicht zu benutzen. Von dem Prinzen eingeladen, im traulichen
Beisammensein den letzten Abend bei ihm zu verbringen und ihm
durch seine Gesellschaft den Schmerz über Marianens Abreise zu
beschwichtigen, hatte er sich bei demselben zur Zeit eingefunden.

Es konnte nicht ausbleiben, daß im Lauf der Unterhaltung auch sehr bald
Mühlfels’ Angelegenheiten nochmals von ihnen besprochen wurden, und so
geschah es, daß der Baron bemerkte:

»Muß ich auch dem Machtgebot des Fürsten folgen, so bin ich doch
überzeugt, daß die Zeit nicht zu fern ist, in welcher er das an mir
verübte Unrecht erkennen und einsehen wird, daß ich schuldlos leide.«

»Ich hoffe es, Mühlfels, und geschieht dies nicht, so trösten Sie sich
mit der Aussicht, daß ich dereinst die Fehler meines Oheims gut zu
machen wissen werde.« --

»O, ich weiß es, mein theurer Prinz, und Ihre Gnade ist mein einziger
Trost in meiner entehrenden Lage. Aber ich hoffe, es soll mir gelingen,
den Fürsten zu der Einsicht seines Unrechts zu führen.« --

»Ich verstehe Sie nicht, Mühlfels,« bemerkte der Prinz und schaute ihn
fragend an.

»Das kann nicht anders sein, da ich Ihnen das Wichtigste in der
Angelegenheit mit der Prinzessin verschwiegen habe.« --

»Wissen Sie noch mehr?« fragte der Prinz überrascht.

»Allerdings, und was ich Ihnen sagen kann, ist noch bedeutsamer,
als was Sie bereits von mir erfahren haben, und kennzeichnet die
Scheinheiligkeit Ihrer Gemahlin noch mehr, als ihre Verläugnung der
mir gewährten Gunstbezeigungen,« entgegnete Mühlfels mit Nachdruck.

»Sie machen mich begierig darauf. Sprechen Sie!« fiel der Prinz erregt
ein.

»Vielleicht lag es in der Prinzessin Absicht, mich von hier zu
entfernen,« bemerkte Mühlfels.

»Was sollte sie dazu bestimmen?« --

»Das Bewußtsein, in mir einen Verräther ihrer Schwäche zu finden.« --

»Das könnte sein!« fiel der Prinz ein.

»Verstehen Sie mich recht, mein Prinz, ich meine damit nicht den
Verrath der mir erzeigten Gunst, sondern die Liebe für einen Andern.« --

»Sie hat also eine Liaison?« fragte der Prinz.

»Ich bin davon durchaus überzeugt,« entgegnete Mühlfels und theilte
ihm nun mit gut gewählten Worten seine Entdeckungen und Vermuthungen
hinsichts Sidoniens Neigung für den Grafen mit.

Der durch seine Mittheilung erzeugte Eindruck auf den Prinzen war ein
überraschend erwünschter, da dieser von Alledem keine Ahnung hatte und
das Vernommene daher eine um so tiefere Wirkung auf ihn ausübte.

»Und warum erfahre ich das Alles erst jetzt?!« fragte der Prinz.

»Weil ich es bisher für besser erachtete, darüber zu schweigen. Da
die Prinzessin jedoch durch ihr übles Verhalten gegen mich sich jeder
auf sie zu nehmenden Rücksicht begeben hat, darf ich ihr auch keine
Schonung mehr angedeihen lassen.« --

»Sie hätten mich und den Fürsten schon früher damit bekannt machen
sollen.«

»Das hätte zu keinem erwünschten Resultat geführt und mich obenein
in die Gefahr gesetzt, als Undankbarer und Ruhestörer bezeichnet zu
werden. Sie wissen, mein Prinz, ich war der Prinzessin Rücksicht
schuldig. Uebrigens erinnere ich Sie, daß meine Mittheilung auch, da
ich die erforderlichen Beweise dafür nicht besitze, keine besondere
Bedeutung gewinnen konnte. Meiner Ansicht nach kommt es darauf an,
die Rückkehr des Grafen abzuwarten und ihn und die Prinzessin alsdann
in der Stille zu beobachten und sich also die nöthigen Beweise ihrer
Schuld zu verschaffen. Sie ahnen nicht, daß ihr Geheimniß verrathen
ist, und werden daher um so leichter in die ihnen gestellte Falle
gehen, wenn sie sich nicht vielleicht auch ohne eine solche verrathen.«

»Sie haben Recht, ganz Recht, und Ihre Entdeckung ist kostbar!« rief
der Prinz in großer Erregung, der das Vernommene mit rachsüchtiger
Begier aufgriff. »Könnte ich sie entlarven und der Welt ihre
Scheinheiligkeit offenbaren, ich würde mich für das Erfahrene reich
entschädigt fühlen. Denn ich vermag Ihnen nicht auszudrücken, wie
verhaßt mir Sidonie nach der letzten Geschichte geworden ist. Läßt sich
Ihre Entdeckung in meinem Sinne ausbeuten?«

»Würde ich hier geblieben sein, hätte sich das wahrscheinlich leicht
machen lassen, besonders da der Graf jeden Tag eintreffen kann; jetzt
jedoch, so entfernt von hier, sehe ich dazu keine Möglichkeit.«

»Ein fataler Umstand! Um so mehr werde ich bedacht sein, den Fürsten
zur Abkürzung Ihrer Verbannung zu bewegen. Sie sollen nicht lange dort
sein.«

»Hoheit würden mich dadurch sehr beglücken; denn eine unverdiente
Strafe erträgt sich schwer.«

»Ich werde dafür sorgen, daß Sie dort gut aufgenommen werden und Ihnen
der Commandant alle Freiheit gestattet. Ich gebe Ihnen ein paar Worte
an diesen mit.«

»Tausend Dank, mein gnädigster Prinz. Doch nun gestatten Sie mir, Ihnen
noch meine Ansicht über die Behandlung der bewußten Angelegenheit zu
bezeichnen.«

»Reden Sie, Mühlfels; denn es ist mir lieb, zu erfahren, was Sie für
die Folge darin zu thun gedenken. Ich will die Sache bis zum Aeußersten
verfolgen, um die Befriedigung meiner Rache vollkommen zu genießen.«

»Und ich denke, dies soll uns auch gelingen, besonders wenn mir die
Rückkehr bald gewährt wird. Bis dahin jedoch bitte ich Sie, mein
Prinz, von dem Vernommenen weder dem Fürsten, noch irgend einem
Andern das Geringste zu verrathen. Sie kennen die Hofverhältnisse zu
genau, um eine solche Vorsicht nicht zu billigen. Ueberdies dürfte
Ihre persönliche Einmischung vor der Hand auch gefährlich werden. Sie
sind zu hitzig und Ihre Erregung würde sich um so rascher steigern,
da Sie der Beleidigte sind. Dadurch könnte die Angelegenheit leicht
einen nichts weniger als erwünschten Ausgang nehmen. Darum bitte ich,
lediglich mir alles Weitere zu überlassen, und überzeugt zu sein, daß
ich alle Sorgfalt auf Enthüllung dieser Sache anwenden werde.«

»Sie haben Recht und so soll es dabei bleiben, und um so mehr werde ich
mich bemühen, Ihnen die baldigste Rückkehr bei dem Fürsten auszuwirken.«

Nachdem sie diese Angelegenheit noch weiter besprochen, Mühlfels des
Prinzen Empfehlung an den Commandanten empfangen hatte, schied der
Baron unter den gnädigsten Freundschaftsbezeigungen von dem Prinzen,
nicht wenig erfreut, seinen finstern Racheplan in so vortrefflicher
Weise zur Geltung gebracht zu haben. Daß ihm derselbe gelingen würde,
zweifelte er nicht; jedenfalls verschaffte er ihm die so gewünschte
baldige Rückkehr, und das war ein großer Vortheil. Diese Hoffnung
gewährte ihm und seiner tief verletzten Mutter keinen kleinen Trost,
als er in der Frühe des nächsten Tages sich von ihr und der Residenz
trennte und, nur von einem Diener begleitet, die Reise nach der öden
und einsamen Garnison antrat. Es verstand sich von selbst, daß die
Baronin sofort um ihre Entlassung aus dem Dienst der Prinzessin einkam,
die ihr natürlich auch bewilligt wurde.

Mit besonderer Genugthuung sah der Fürst seine Befehle in solcher
Weise erfüllt, da man ihm die herausfordernde Weise verschwieg, in
welcher Mariane die Stadt verlassen hatte. Ein paar Tage darauf ließ er
dem Prinzen seine Freiheit ankündigen, und dieser benutzte dieselbe
sofort, sich nach der ersten Residenz zu begeben, seine alten Freunde
daselbst um sich zu versammeln und mit ihnen in der früheren Weise
zu leben und so den Schmerz über den Verlust seiner Günstlinge zu
vergessen.

Der Fürst ließ ihn vorläufig gewähren und that dies in der Absicht,
ihn bald mit um so größerer Strenge an seinen Aufenthalt zu binden
und dadurch zugleich zur Einsicht der Nothwendigkeit einer Versöhnung
mit ihm und Sidonien zu leiten. Dies geschah, und der Prinz trug
mit gesteigertem Unmuth den ihm auferlegten Zwang, seine Gemahlin
verwünschend, der er alle Schuld zu dem ihn Betroffenen beilegte.

Sidonie vernahm mit Befriedigung die ihr von dem Fürsten bereitete
Genugthuung, dankte ihm persönlich dafür, und die Frage der Trennung
von dem Prinzen wurde nicht weiter berührt.

Trotzdem übersah sie die Gefahr nicht, welche sie dadurch für sich
herauf beschworen hatte; denn es konnte mit Sicherheit erwartet werden,
daß sich der Prinz und auch Mühlfels für das Erlittene an ihr zu rächen
bedacht sein würden. Um so erwünschter war ihr daher des Fürsten
Vorschlag, ein Bad zur Stärkung zu gebrauchen, und bereitwillig ging
sie darauf ein, da sie sich dadurch zugleich dem leidigen Hofleben
entziehen und in der gebotenen Freiheit ergehen konnte. Wol nicht ohne
Absicht traf sie die Wahl eines Badeorts, der von des Grafen Besitzung
nicht allzu fern lag und diesem die Gelegenheit zu einem Besuch
bot. Da ihr Arzt ihre Wahl billigte, so erschien diese als dessen
Bestimmung, und ihre Vorliebe für den gewählten Ort wurde dadurch
verhüllt.

Ungefähr drei Wochen nach den näher bezeichneten Vorfällen reiste sie
in Begleitung ihrer Tochter, Aureliens und einer nicht eben großen
Dienerschaft dahin ab.

Sie hatte den Prinzen bis zu diesem Augenblick nicht gesprochen; sie
wurde durch ihre Abreise genöthigt, ihm Lebewohl zu sagen, und sie that
dies, wenngleich mit großer Ueberwindung.

Der Prinz, weit entfernt ihr freundlich entgegen zu kommen, zeigte ihr
vielmehr ein kaltes, verletzendes Verhalten, dem sie sich so schnell
als möglich zu entziehen suchte. Ihm war es angenehm, sie nicht mehr
in seiner Nähe zu wissen, und mit Ungeduld sah er der Zeit entgegen,
in welcher es ihm mit Mühlfels’ Hilfe gelingen sollte, sich an ihr zu
rächen.


                       Ende des zweiten Bandes.


                  Druck von G. Pätz in Naumburg a/S.




Anmerkungen zur Transkription:

Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die
Korrektur.

S. 44

   Nein, Hoheit, eine Trauung scheut er;
   Nein, Hoheit, eine Trennung scheut er;

S. 72

   Gedanken und Erfindungen in ihrer zeugte
   Gedanken und Erfindungen in ihr erzeugte




        
            *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PRINZESSIN SIDONIE (BAND 2/3) ***
        

    

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