Die Menschen der Ehe

By John Henry Mackay

The Project Gutenberg eBook, Die Menschen der Ehe, by John Henry Mackay


This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org





Title: Die Menschen der Ehe

Author: John Henry Mackay

Release Date: January 15, 2005  [eBook #14700]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE MENSCHEN DER EHE***


E-text prepared by Hubert Kennedy



DIE MENSCHEN DER EHE

Schilderungen aus der kleinen Stadt

von

JOHN HENRY MACKAY







Ich lache nicht über sie, weil sie so sind, wie sie sind; ich lache
über sie, weil sie sich einbilden, ihr Leben sei ein Muster und ein
Beispiel, und daß es wert sei, zu leben, wie sie leben.

John Henry Mackay



I.

Der Dunst der brennenden Kohle erfüllte die Luft weithin. Aus
tausend Schloten qualmte der Rauch, gelb, schwarz, grau und weiß,
empor, und all' diese dicken Wolken lösten sich unmerklich auf in
die ungeheure Dunstwelle welche unablässig auf Meilen hin das
Flußtal in seiner ganzen Breite beschattete.

Ueber der kleinen Stadt lag sie wie ein dünner Schleier. Zuweilen
lüftete diesen Schleier ein frischerer Windhauch, der von Süden das
Tal heraufzog. Aber es dauerte nicht lange und er war wieder
herniedergefallen auf die reizlosen Züge, die er wie in Mitleid
verhüllte.

Eigentlich waren es zwei Städte, die hier zusammenlagen. Aber nur
der Fluß, ein träger, gelber Fluß, trennte sie, und zwei Brücken
verbanden sie: eine alte massive aus Stein, mit mächtigen Pfeilern
und Quadern, die noch alles lautlos ertragen hatte, was über sie
hinweggezogen war, und eine neue aus modernem Eisen, welche ächzte
und bebte, wenn die großen Lastwagen über sie hin fuhren, und
gräßliche Massen Staub unter den schweren Rädern hervorhustete.

Der Fremde, der auf den Höhen des Tales hinwandernd die roten und
schwarzen Giebel zu seinen Füßen sah, glaubte nicht anders, als sie
gehörten alle zu dem Bezirke einer Stadt. Aber die, welche unter
diesen Giebeln wohnten, waren anderer Meinung. Und auf sie kam es
doch an.

Seit undenklichen Zeiten lagen die Schwesterstädte einander in den
Haaren. Die kleinen Reibereien endeten nie; die letzten Wahrzeichen
der großen entscheidenden Schlachten aber waren die leeren
Augenhöhlen der Gaslaternen auf der "alten" Brücke--: unter den
Steinwürfen der den Alten nachzwitschernden, nein, nachheulenden
Jugend beider Städte waren sie dahingesunken, unter Würfen, die ihre
edleren Ziele leider verfehlt hatten.

In Dialogen von gleich klassischer Kürze und Schönheit endeten diese
Kämpfe:

"Wart' nur, ich sahns abber meinem Vatter!" der eine.

"Und ich sahns meiner Mutter, die packt dei Mutter!" der andere.

"Aber mei Vatter is stärker wie dei Vatter."

"O du Dürmel, kumm nure nit dohär . . ."




II.

Die Gesellschaft der Stadt setzte sich leicht erkennbar aus drei
Grundelementen zusammen: aus Großhändlern, Beamten und aus Militär.

Seit sehr langen Jahren saßen die Ersteren hier fest. Sie waren der
Urstamm des Bürgertums. So lange hatten sie fast nur untereinander
geheiratet, daß sie gewissermaßen eine große Familie geworden waren,
welche sich in ererbten Anschauungen und Bräuchen so lange wie
irgend möglich fortzubewegen suchte und unter sich mit einem harten
Anklang an den Dialekt der Gegend sprach.

Million zu Million häufend hatten sie hier eine moderne Zwingburg
des Kapitals errichtet, gegen die anzukämpfen eine Unmöglichkeit
schien. Noch nie war es versucht worden.

So hatten sie--die unumschränkten Herrscher dieser Stadt--ihr
lange den Stempel aufgedrückt; den Stempel eines souveränen,
starren, fortschrittfeindlichen Willens.

Das waren die "Alldahiesigen!" . . .

Dann hatte der Staat große Betriebe errichtet, und eine unzählige
Schar von Beamten jeder Art war hier zusammengeströmt, aus allen
Teilen des Reiches, neue Sprachen, neue Sitten, neue Kochrezepte mit
sich führend. Neues Leben kam mit ihnen nicht. Machtlos zu irgend
einer Initiative hatten sie sich willenlos einzuschmiegen als Räder
in das Werk der großen Maschine Staat, welche sie verbrauchte. Aber
die Luft begann zu schwirren von neuen Titeln, vom Morgengang zum
Büro bis zum letzten--immer sehr späten--Abendschoppen im
"Münchener Kindl", und die Eingesessenen zogen sich mürrisch mehr
und mehr zurück unter die dicke Haut ihrer sicheren Privilegien . . .

Waren sie zehn Jahre hier gewesen, alle diese Fremden, ohne nach
einer anderen Stadt weiterversetzt zu sein, so wurden sie zu
"Hiesigen". Bis dahin blieben sie, was sie waren--: die
"Hergeloffenen".

Unweit der Grenze lag die Stadt. Seit dem gräßlichen Kriege mit dem
"Erbfeind" war unablässig Militär über Militär hergezogen, bis zwei
Regimenter hier festlagen. Ueberall an den sich erweiternden Grenzen
der Stadt entstanden weißgetünchte Baracken von Holz und große,
rote, viereckige Ziegelhaufen von abscheulicher Häßlichkeit, hinter
deren Umfassungsmauern die rohen Flüche brutaler Unteroffiziere und
die stampfenden Schritte schwerer und keuchender Menschenmassen
hervortönten, und die bis dahin so friedlichen Straßen der Städte
erzitterten unter dem Klirren rasselnder Schleppsäbel.

Furchtbarer aber noch waren die Verheerungen, welche diese neue
Macht in den Herzen der Großbürgertöchter der Stadt anrichtete, und
murrend nur sahen die Väter, wutschnaubend aber die betrogenen
Vettern der großen Familie eine der lieblichen Blüten nach
der anderen gepflückt von der kecken Hand eines adeligen
Sekonde-Leutnants, der die Geldsäcke nicht nur zu verachten, sondern
auch mit Grazie zu leeren verstand.

Und war es nicht in Ordnung so?--Das Kapital verband sich mit der
Gewalt, welche seine Privilegien schützte.

Dazwischen lebte ein träges Kleinbürgertum und ein machtloser
Handwerkerstand so hin, von Tag zu Tag, kleine Kannegießer und
schlechte Musikanten. Sie verlangten kaum etwas anderes, als
beständig über etwas brummen zu dürfen . . .

Das waren die Leute der Städte.

Von geistigen Bedürfnissen verspürte man hier noch nichts.

Draußen aber, dort, wo die Schlote dampften und die Feuer lohten, wo
die Erde bis in ihre Tiefen hinein durchwühlt wurde in rastlosem
Kampfe, dort wo kolossale Arbeitermassen aneinander gekettet durch
den Schweiß ihrer furchtbaren Arbeit lagen, dort fielen die Gedanken
der Zeit in den Boden der Fruchtbarkeit.




III.

Mit dem Schnellzug, der um elf Uhr vormittags eintraf, kam der
Reisende an. Er wies die Kofferträger von sich, als er ausstieg, und
trug seine Handtasche selbst die Treppe hinab bis zu dem Ausgang.

Vier oder sechs Portiers nahmen dort die Reisenden in Empfang. Er
überflog die Schilder ihrer Mützen, und da er den Namen nicht fand,
den er suchte, nannte er ihn selbst: "Zur alten Post".

Man grinste, man sah sich fragend an, indem man mit den Augen
zwinkerte. Endlich sagte der älteste der Leute: "Es gibt hier keine
'alte Post' mehr; sie ist seit sechs Jahren eingegangen. Wollen der
Herr hier gleich am Bahnhof bleiben, dort unten liegt unser Haus,
ganz neu eingerichtet--"

Der Fremde zögerte einen Augenblick, aber als sie nun alle nach
seiner Handtasche griffen, überließ er sie achselzuckend dem
Sprecher, gab ihm den Auftrag, seinen Koffer sofort zu besorgen, und
ging den Weg hinab, der sich in die Stadt hinunterzog. Es war ein
schwüler und staubiger Tag. Er war müde, denn er war die halbe Nacht
gereist, und er war bestaubt von der langen Fahrt. Er fühlte Hunger
und Durst, und die Zunge klebte ihm am Gaumen.

Doch nachdem er ein Bad genommen und sich umgezogen hatte, fühlte er
sich frisch und gesund wie immer. Er stieg die Treppe hinab und
schrieb in das ihm vorgelegte Fremdenbuch: Franz Grach. Während er
sich für eine Minute in der Loge des Portiers befand, erkannte er
plötzlich das Haus wieder.

Er vermied die Table d'hote. Die langen, weißen Tische mit den
Reihen von schmatzenden und schwatzenden Menschen waren ihm zuwider.
Man deckte ihm in einem Nebenzimmer.

Einmal ließ er Messer und Gabel sinken, so schreiend-deutlich stand
plötzlich eine Szene aus seiner Jugendzeit vor seinen Augen, die
sich vor langen Jahren hier in diesem selben Räume abgespielt hatte.

Nicht das saubere Frühstückszimmer eines modernen Hotels, das trübe
Hinterzimmer eines übelbeleumdeten Gasthofs zweiten Ranges war der
Raum damals gewesen. Die Möblierung hatte sich geändert, wie der
Wirt und die Gäste, und doch wurde dem Fremden alles wieder
lebendig:

Sie waren alle noch jung, kaum einer von ihnen hatte das zwanzigste
Jahr erreicht. Alle hatten sie dieselben Schulbänke gedrückt, und
sich, nun vielfach getrennt den größten Teil des Jahres hindurch auf
auswärtigen Schulen, in den Ferien wieder zusammengefunden zu
lustigen Tagen und ausgelassenen Nächten--eine tolle, von Jugendmut
und Lebenskraft überschäumende, zu allen tollen Streichen immer
aufgelegte Gesellschaft, deren Zahl jahrelang auf sieben, acht Mann
beschränkt blieb . . .

An jenem Abend nun waren sie alle nach einer langen Wanderung hier
herein gestürmt, wie sie wahllos in alle Wirtschaften, wo "noch
Licht war", drangen. Eine dicke Kellnerin war aus dem Vorderzimmer
mit hereingezogen worden, durch die Tür wurde niemand mehr
hereingelassen, und eine jener nächtlichen, dem Dunst des Bieres und
dem Qualm des Tabaks entstiegenen Szenen entrollte sich, die dem
Alter so widerlich, der Jugend so reizvoll erscheinen.

Auch der Einzelheiten erinnerte sich der, vor dessen Auge sie wieder
stand nach so langen Jahren, noch: wie er selbst in eine vorhanglose
Fensternische gepreßt ihr zugesehen hatte, die Beine heraufgezogen
und das Glas auf einem Stuhle neben sich, damals schon noch in der
Trunkenheit erkennend, was er sah, beobachtend, was ihn umgab, und
Sieger so auch noch über die Stunde, die ihn mit sich gerissen
hatte: wie der "Dicke" das Klavier bearbeitete und seine schaurigen
Baßtöne in den hellen Jubel und Lärm der anderen mischte; wie die
ganze Bande plötzlich im Kreise um das grobe Frauenzimmer und den
"Kleinen"--einen schmächtigen Menschen mit wasserblauen Augen, voll
Gelehrsamkeit trotz, und voll Schüchternheit wegen seiner Jugend,
herumgetanzt war, und die Vermählung des ungleichen Paares
proklamiert hatte . . .

Die Gläser klirrten; die Stimmen schrieen durcheinander; schwere
Füße stampften den Boden; an der Decke lagerte sich der Rauch;
einer, in einer trüben Erinnerung an Nana leerte sein Bierglas in
das Klavier; ein anderer riß die rotgestreiften Decken von den
Tischen und hüllte darin ein, was ihm unter die Hände kam, indes die
letzten--mit der zähen Hartnäckigkeit der halben Trunkenheit--
nicht abließen, sondern auf der Erfüllung ihrer tollen Idee
bestanden--und bereits war die Grenze überschritten, wo das
Verzeihliche aufhört, um der Sinnlosigkeit zu weichen, als er mit
einem großen Satze aus seiner Fensternische aufgesprungen war,
mitten unter die Schreienden und sie überrief:

"Aber seid ihr denn ganz verrückt!"

Und er schob die Kellnerin zur Türe hinaus, ungeachtet aller
schreienden Proteste, setzte seinen Hut auf, und ihm nach war die
ganze Gesellschaft gestolpert, einer anderen Kneipe, einer anderen
Torheit zu, die stille Straße mit neuem Singen und Lärmen erfühlend,
daß friedliche Bürger aus dem Schlaf ihrer Ruhe fuhren und das
träumende Gespons mit der Frage weckten: ob es denn etwa brenne . . .

Nein, es waren diesmal nur die Kinder ihrer eigenen Liebe.




IV.

Sollte er sie aufsuchen, die Genossen jener Tage?--Fast wandelte
ihn die Lust dazu an, wie nun Gestalt um Gestalt vor ihm
emportauchte.

Was war aus ihnen geworden?--Wie waren sie geworden? Wo waren sie
gelandet?

Von den meisten war es nicht schwer, es zu ahnen.

Denn die meisten waren schon damals in ihrer Jugend dazu bestimmt,
ein vorgeschriebenes Leben zu leben: das Leben herunterzuleben, wie
Grach es nannte.

Nachdem ein Examen--ein Tor, welches unwiderruflich passiert werden
mußte, wollte man in dieses Leben eintreten--sie gezwungen hatte,
sich den Kopf mit einer unglaublichen Menge modernden Gerümpels zu
füllen, wurden ihnen einige Jahre gegönnt, ihn von diesem Wuste zu
befreien.

Sie hatten zu vergessen, was sie gelernt hatten. Nach diesen Jahren
einer ungebundenen Freiheit auf der Hochschule aber steckte sie der
Vater unerbittlich in das von dem Großvater gemachte, und von ihm
selbst wohlgewärmte Bett, und "niemals wieder sah sie die Welt."

Sie wählten unter den Töchtern des Landes eine--jeder eine--und
begannen, sich zu vermehren in Züchten und Ehren.

Sie traten in die "Harmonie" oder in die Dilettantengesellschaft
"Urania" ein und tanzten im Winter im "Kasino", solange sie noch
jung waren.

Wurden sie älter, so begann das einzige Gefühl von Würde, dessen der
Philister fähig ist: ein Bürger des Staates zu sein, ihre Brust zu
schwellen, und sie glaubten sich an den Geschicken des Landes
zu beteiligen, wenn sie von Zeit zu Zeit einen Zettel in die
Wahlurne warfen und abends beim Biere endlose Debatten über die
gleichgültigsten und belanglosesten Fragen innerer und äußerer
Politik--dieses Tummelgebietes aller Menschen ohne Geist und Kraft
--führten, bis die Stunde schlug, wo die Angst vor der Frau sie nach
Haus und in das gemeinsame Bett trieb . . .

Sie waren _Menschen der Ehe_ geworden.

Nein, er wollte keinen von ihnen wiedersehen. Man würde sich doch
nur gegenseitig eine traurige Enttäuschung bereiten, und in einer so
veränderten Sprache über Menschen und Dinge reden, daß man sich
nicht mehr verstehen würde . . .




V.

Während der Neuangekommene seinen Kaffee trank und die Wolken seiner
Zigarre in die Luft blies, war die flüchtige Erinnerung schon wieder
versunken, und andere, dem heutigen Tage angehörende Gedanken
beschäftigten ihn.

Ein Brief hatte ihn wieder in diese Stadt gerufen, die er seit
länger als zehn Jahren nicht gesehen. Auf vielen Umwegen hatte er
ihn erreicht, und nachdem er ihn gelesen, war sein erstes Gefühl
gewesen, ihn in die Ecke zu werfen.

Er lachte erst; dann ärgerte er sich.

Aber zugleich dachte er an mancherlei Freundlichkeit, welche er von
der Mutter der Frau--sie war lange tot--, die ihn geschrieben,
empfangen vor langen Jahren und an ihre größte Freundlichkeit: daß
sie ihn meist unbehelligt gelassen, und er bemaß Zeit und Geld, sah,
daß beides reichte, und war kurzentschlossen hierhergereist.

Er stand früh allein und wurde, fast noch ein Kind, von einer
entfernten Verwandten aufgenommen, in deren Heim er lange Jahre
lebte, nicht abhängig von ihrer Gnade, aber doch angewiesen auf ihre
Freundlichkeit. Sie hatte eine einzige Tochter, die ihr Abgott war;
er beanspruchte nichts von der sentimentalen Zärtlichkeit, mit der
das verzogene, launische Kind einer kurzen und sehr unglücklichen
Ehe überschüttet wurde.

Fast von dem Augenblick an, in dem er diese Stadt verlassen, hatte
sich sein Leben so von Grund aus geändert, waren Kreise und
Beziehungen desselben so andere geworden, daß er selten veranlaßt
worden war, zurückzudenken, um so mehr, als ihm die Muße
behaglicher, lässiger Einkehr und Umschau fast nie beschieden und
kaum ein Tag gewesen war, der ihm Zeit gelassen hätte, ihn
einzuspinnen zwischen die weißen Träume der Vergangenheit und der
Zukunft.

Zweimal nur noch schrieb er den Namen dieser Stadt auf die Adresse
eines Briefes: das erste Mal, als seine Verwandte gestorben war, und
er der Tochter freundliche Worte des Beileids sagte, das zweite Mal,
als er sie zu ihrer eigenen Verheiratung kurz beglückwünschte.

Dann kam dieser Brief, unerwartet und unerwünscht.

Er lag vor ihm, und noch einmal las er ihn, aufmerksam, Wort für
Wort.

Von dem blaßrosa Papier stieg der starke Duft eines eigentümlichen
Parfüms auf. Die Schrift, mit der seine vier Seiten bedeckt waren,
war liegend, sinnlich und weibisch-schwach.

Er las ihn zum vierten Male, und zum vierten Male suchte er hinter
den leblosen Worten nach der lebendigen Seele derer, die sie
geschrieben: er fand sie nicht.

Das war es, was sie ihm mitteilte.

Erstens: daß sie sehr unglücklich sei; zweitens: daß sie so
unglücklich sei daß sie es nicht mehr "aushalten" könne; drittens:
daß ihr Mann der Grund ihres Unglücks sei; viertens: daß sie gehört
habe, er, ihr Bruder, der "Freund ihrer Jugend", habe ein Buch
geschrieben, in welchem er sich "freisinnig" über die Ehe geäußert
habe; fünftens: daß er sie "retten" möge; sechstens: daß sie sehr
unglücklich sei; und siebentens: daß sie so unglücklich sei, daß sie
es nicht mehr "aushalten" könne . . .

Das alles war sehr albern.

Er sagte sich mit Recht, daß das Unglück so nicht nach Hilfe ruft.

Aber er sagte sich auch, und er sagte es sich immer wieder, daß
Frauen dieser Art nicht imstande sind, einen individuellen Ausdruck
für ihre Gefühle--und wären es ihre wahrsten--zu finden. Wie sie
gelehrt wurden zu sprechen, so sprachen sie: immer in denselben
Ausdrücken und Redewendungen ihrer spezifischen Kreise, die Männer
so und die Frauen so und waren sich daher so ähnlich, wie immer nur
es möglich ist.

Und daher waren sie meistens auch so langweilig.

Wie sie sprachen, so schrieben sie auch.

Es ist, als fürchteten sie sich davor, ein neues Wort zu gebrauchen,
und sorgsam verbergen sie, kommt ihnen einmal, nicht ein neuer
Gedanke, nein, nur eine eigene Anschauung über irgend Etwas, die
verbrecherische Regung hinter der gewohnten Gewöhnlichkeit.

Er wußte, daß das Unglück ein großer Befreier ist. Und er dachte
weiter, und seine Augen sahen den gegen die Ketten der Tage
ringenden und in diesem Ringen blutenden Menschen vor sich, wie er
schreien will, aber seine ungewohnten Lippen finden nur die alten,
kleinen Worte für den neuen, großen Schmerz, und das Schreien des
selbständigen Herzens--es klingt auf dem Mund nur wie das Stammeln
der Unselbständigkeit und Gleichgültigkeit.

Konnte es so nicht hier sein?

Er strengte die Augen an, um hinter die Worte sehen zu können. Was
lag da?--Ein zu Boden gestürztes, mit Füßen getretenes Weib?--Oder
eine faule, unzufriedene Frau der Welt, die sich einfach langweilte?--

Fand er denn nicht ein Wort, ein einziges ungefügiges, in seiner
Hilflosigkeit rührendes, in seiner Einfachheit erschütterndes Wort?--

Er fand keines. Und dennoch folgte er den Rufen dieser platten und
nichtssagenden Sprache.

Es gibt Menschen, von denen wir nie glauben können, daß sie
unglücklich zu werden imstande sind.

So ging es ihm mit ihr.

Und dennoch kam er hierher.

Er tat es in letzter Linie seiner selbst wegen, um ganz sicher zu
sein vor den Vorwürfen des eigenen Herzens.




VI.

Die letzte Rauchwolke seiner Zigarre verflog an der Decke, und er
sah nach der Uhr.

Es war nach zwei. Ein langer Nachmittag lag jetzt vor ihm. Er ging
daher auf sein Zimmer, warf sich auf das Bett und schlief länger als
eine Stunde, bleiern und traumlos.

Verwundert fuhr er in die Höhe, als er erwachte. Er mußte sich
darauf besinnen, wo er war, und es war mit einem Gefühl des
Mißbehagens, daß er die Treppe hinunterstieg. Ihm war, als solle er
nun an die Erfüllung einer unangenehmen Pflicht gehen, und er
wünschte hinter sich zu haben, was ihm bevorstand.

Dann trat er vor die Tür.

Die Hitze war noch gestiegen. Um diese Stunde des Nachmittags
stockte das Leben.

Eine lange Straße zog sich vor ihm hin--die Hauptstraße der
Schwesterstadt, die längste und belebteste in beiden Städten und der
Mittelpunkt des Handels und Wandels beider.

Wie oft er sie als Knabe durchschritten hatte, hinauf und wieder
hinunter, und wieder hinauf!

Wenig schien sich an dem äußeren Ansehen der Stadt verändert zu
haben. Einige Lücken, wo früher auf steinigem Rasen Zirkus- und
Karussellbesitzer ihre flüchtige Leinwand gespannt, waren ausgebaut
worden, und nur die Nebenstraßen noch öffneten sich dem Blicke nach
dem Flusse hin. Die neuentstandenen Häuser zeigten das Bestreben,
Schritt zu halten mit modernem Stil. Gesimse und Balkone hingen
überall an ihnen herum, und in ihren Erdgeschossen waren Läden und
Bierhallen entstanden mit hohen Fensterscheiben und lauten
Aushängeschildern, die mit dem leuchtenden Gold ihrer Lettern die
armen, verblaßten und altertümlichen Inschriften der alten Firmen
verdrängten . . .

Der Schwindel des Handels, welcher die Arbeit mordet, trieb sein
Unwesen diese ganze Straße entlang.

Arme Arbeiter! Des Sonntags kamen sie, weither aus den Dörfern und
Flecken, mit ihren schweren Schuhen, die Männer mit plumpen Stöcken
und die Weiber mit ungeheuren, unförmigen Parapluies, halb noch
bedeckt mit dem Schweiße und dem Staub der Woche, ganz noch erdrückt
unter der Wucht ihrer Sklaverei, kamen sie, um einzukaufen, was sie
brauchten, das heißt, drei-, vier-, fünf- und zehnfach verteuert
einzutauschen, was sie selbst erschaffen hatten in anderer Form: die
Arbeit. Verlegen, unsicher, bittend und schüchtern traten sie in die
"Geschäfte" und ließen sich von schwatzenden Juden, und Christen,
die schlimmer waren als die Juden, das Fell über die Ohren ziehen,
daß es nur so flutschte.

In erschreckender Menge hatten sich die offenen Geschäfte in diesen
paar Jahren vermehrt. Gleich aber war der trostlose, nüchterne
Eindruck dieser Straße geblieben, und vom Morgen bis zur Dämmerung
glich sie noch immer in ihrem reizlosen, staubigen Grau einem
alternden, ungekämmten und ungewaschenen Weibe.

Grach ließ seine Blicke überall hin gehen. Eigentümlich verändert
schien ihm alles--: fremd und doch bekannt. Aber alles war kleiner
geworden, zusammengeschrumpft und, wie alte Leute, in sich
zusammengesunken.

Größer sieht das Kind die Welt, kleiner sieht sie der Mann.

Vor den Läden lungerten die Kommis, an den Brunnen standen die Mägde
und schrieen sich an. Warum schrieen sie so laut? Stritten sie sich?
Nein, es war nur eine "gemütliche Unterhaltung". Aber dieser Dialekt
war breit, geeignet nur zu einem lauten Sprechen, und schwer
verständlich für den Fremden. Grach bemühte sich, Worte und Sätze
der Vorübergehenden aufzufangen und verstand meist, was sie sagten.
Hatte er selbst früher so gesprochen?

Und wie die Menschen sich grüßten! Mit beängstigender Sorgfalt
überspähten sie die Straße, knickten, den Arm nach auswärts in einem
spitzen Winkel und zogen oder rissen dann den Hut herab, entweder
steil in die Luft hinaus oder hinunter bis fast auf den Boden. "Ihr
Diener", sagten sie dabei, "Ihr Diener"--und ein langer Titel
folgte.

Die unverhüllte Neugier, mit der die Menschen ihn an- und ihm
nachsahen, begann Grach zu ärgern. Ihre Blicke wurden ihm lästig,
und er bildete sich ein, von ihnen erkannt werden zu müssen. Er
hatte vergessen, daß kein Fremder diesen Blicken entging.

Er ging schneller. Diese Nebenstraße mußte über die Brücke nach dem
jenseitigen Ufer führen. Er schlug sie ein.

Eine junge Dame kam ihm entgegen. Sittsam die Blicke zu Boden
gesenkt, den Schirm in der Länge einer kleinen Ulanenlanze gegen die
Brust gedrückt, eingeschnürt und aufgeputzt mit Bändern und
Bauschen, trippelte sie daher, und gegen seinen Willen mußte er
lachen, erst heimlich, dann herzlich und offen.

So war, genau so war schon damals alles gewesen: diese ängstliche
Unsicherheit im Verkehr, diese feige Rücksichtnahme auf tausend und
abertausend in Watte sorgsam gehegter Vorurteile, diese engbrüstige
Steifheit, die pappedeckelne Würde--wie kannte er das alles, wie
erkannte er das alles wieder!

Und über all dies lachte er, hatte er gelernt zu lachen.

Und abermals lachte er, als er über die Brücke ging, die alte
Brücke, und sah, daß alle Scheiben in den Gaslaternen heil und
unverletzt waren.

Wie, wurden sie nicht mehr geschlagen, die Schlachten der Ehre?--
War Waffenstillstand zwischen den erschöpften Schwestern
geschlossen?--Oder aber--war Versöhnung--Friede--aber nein, es
war ja Wahnsinn, daran zu denken! . . .

Eine komische Stadt! Eine komische, kleine Stadt! murmelte Grach vor
sich hin.




VII.

Auf hohen Terrassen erhob sich vor ihm das "Schloß", ein massives,
altes Gebäude mit vielen Anbauten aus neuerer Zeit. Uralter Efeu
hing an den Mauern nieder, von einem Garten in den anderen, bis er
die Dächer der Häuser an ihrem Fuße fast berührte.

Das Schloß hatte keine Bestimmung mehr. Seine einzelnen Stockwerke
mit ihren vielen Flügeln und unzähligen Zimmern waren an einige
Familien vermietet, an die reichsten der "Alldahiesigen" und
"Hiesigen", welche keine eigenen Häuser besaßen.

Der Fremde, der hier nicht fremd war, stieg langsam den steilen Weg
hinauf, der an der alten, düsteren Kirche--sie stand in seltsamen
unterirdischen Gängen, die längst verschüttet waren, mit dem
Schlosse in Verbindung--zu dem weiten, totenstillen Platze hinauf,
der die Flügel des Schlosses gleichsam bis an die Ränder der Anhöhe
auseinandergedehnt hatte. Gras, das eine glühende Sonne gelb sengte,
wucherte hier zwischen den plumpen, unregelmäßigen Pflastersteinen;
nie spielte hier die Jugend der Stadt, auf diesem weiten Platze, der
wie geschaffen war zum Umhertummeln. Zuweilen nur bewegte sich eine
der weißen Gardinen hinter den hohen Fenstern, und ein behaubter
Kopf lugte zwischen ihnen durch, um bald wieder zu verschwinden,
denn die leere Oede dieses weiten Raumes wurde selten unterbrochen
durch eine Gestalt, die ihren Weg über ihn hinweg nahm, um die
andere Seite zu erreichen. Die meisten gingen an den langen Fluchten
entlang, um plötzlich in einer der Türen zu verschwinden, öfter
während des Tages, in den Nachmittagsstunden geschah es, daß Wagen--
moderne, elegante Geschirre mit vortrefflichen Pferden--an den
Toren hielten.

Und wieder mußte Grach lächeln, als er diesen weiten, toten Platz
überschritt, auf dem die Sonne ungestört die Spiele ihrer Schatten
trieb, den er als Kind nie betreten hatte und von dem er nie
geglaubt hätte, daß er ihn je betreten würde.

Aber hier mußte sie--der Adresse in ihrem Briefe nach--jetzt
wohnen.

Er ging langsam. Und doch war er neugierig geworden auf das
Wiedersehen. So lange war es her, daß er keine Blicke mehr in das
Heimwesen deutschen Bürgertums getan hatte. Er ein Fremder--und
alles ihm fremd geworden, was von dorther kam . . .




VIII.

Er klingelte an der Tür, von welcher er glaubte, daß es die richtige
sei.

Schrill hallte der Klang der Glocke. Dann kamen schlürfende
Schritte, und ein Diener in Livree, aber mit vorgebundener blauer
Schürze, öffnete. Es war keine Besuchsstunde. Aber das war dem
Fragenden jetzt natürlich ganz gleichgültig.

"Ist Frau Boehmer zu Hause?"

"Wen darf ich melden?"

"Ist Frau Boehmer zu Hause?" wiederholte er noch einmal.

"Ja--aber--ich weiß nicht--gnädige Frau--"

"Sagen Sie ihr, ein Herr wünsche sie zu sprechen."

"Gnädige Frau sind im Garten. Ich werde ihr melden--"

Der Diener war völlig außer Fassung und Würde gebracht durch den
energischen Ton des Besuchers.

"Dann werde ich Frau Boehmer selbst im Garten aufsuchen. Wo ist der
Garten?"

Der Diener wagte keine Einwendung mehr. Er warf seine Schürze fort
und ging voran.

"Hier, bitte."

Sie durchschritten hohe und kühle Gänge, über große Steinfliesen
hin, mit denen der Boden belegt war, vorbei an breiten und vornehmen
alten Treppen, deren Stufen niedrig und deren Geländer mit weißer,
sauberer Oelfarbe gestrichen waren.

Dann öffneten sich die Terrassen der Gärten vor ihnen, die da lagen:
still, wie im Schlummer, in der brütenden Nachmittagssonne, weite
Blicke in das Tal nach Osten und Westen eröffnend, wo die Schlote
qualmten und das Leben hämmerte.

Von wohlgepflegten, üppigen Beeten stiegen die Düfte von reifen
Blüten empor. Der Kies der geharkten Wege war so fein, daß er die
Tritte der Hinschreitenden lautlos aufnahm.

"Ich habe mich anders besonnen," sagte der Fremde plötzlich, "gehen
Sie voran und melden Sie Frau Boehmer, ein Herr wünsche sie zu
sprechen."

Der Diener versagte es sich jetzt nicht, mit den Achseln zu zucken,
aber er ging.

Vor einem Tulpenbeet blieb Grach zögernd stehen und sah nachdenkend
in die purpurnen, weitgeöffneten Kelche nieder.




IX.

Der Diener kam zurück.

"Gnädige Frau lassen bitten--" schnarrte er.

Aus einer Laube im Hintergründe des Gartens schimmerte ein weißes
Kleid.

Dort, in einem Modejournal blätternd, das sie sichtlich unlustig bei
Seite warf, lag in einen Schaukelstuhl hingestreckt eine junge Frau
von ungewöhnlicher Schönheit.

Sie blinzelte dem Nähertretenden zu, aber sie machte keine Miene,
sich zu erheben.

Erst als er ihr die Hand hinstreckte und lächelnd sagte: "Ich habe
deinen Brief erhalten, Clara, und bin selbst gekommen, ihn zu
beantworten"--sprang sie mit einem Ruf der Ueberraschung in
sichtlicher Verlegenheit auf.

"Nein, wie du dich verändert hast, Franz!" rief sie ein paar Mal;
dann aber, nachdem sie sich gesetzt hatten, und während sie ihn mit
jener prüfenden Neugier, die nur der Frau eigen ist, musterte,
folgte ein Schwall von Fragen, deren Antworten nicht abgewartet
wurden, weil sie gestellt waren, ohne daß der Verstand sich etwas
bei ihnen dachte und das Herz das Geringste bei ihnen fühlte.

Bei dem ersten Wort, das sie gesprochen, merkte er, daß diese Frau
geistig um keinen Schritt weitergerückt war und--ganz wie früher--
hörte er gutmütig und geduldig eine Zeit lang ihrer Neugierde zu,
beantwortete kaum etwas, und begnügte sich damit, hier und da mit
einem Ja oder Nein, oder höchstens einem kurzen Wort sein Schweigen
zu unterbrechen.

So kam es, daß sie ihn nach einer halben Stunde nach allem gefragt,
aber nichts von ihm erfahren hatte. Später pflegte sie sich dann
darüber zu beklagen, daß sie allen Menschen alles, keiner aber ihr
etwas erzähle.

Dann fiel ihr ein, daß sie noch nicht wußte, wo er abgestiegen war
--:

"Du wirst doch bei uns wohnen, Franz?--gewiß, nicht wahr?"

Sie hatte bisher vermieden, ihn voll anzusehen, nun aber begegneten
sich ihre Augen. Sie errötete leicht, als sie seine Antwort vernahm.

"Unter diesen Umständen?"--sagte er ernst und fragend zugleich.

Als sie nun, die Hände erst abwehrend von sich streckend, dann sie
vor dem Gesicht zusammenschlagend in gemachtem Schmerze, in ihren
Schaukelstuhl zurücksank, hätte er hundert gegen eins wetten mögen,
daß sie sich erst in diesem Augenblicke genauer dessen erinnerte,
was sie ihm geschrieben . . .

Sie kam nicht auf ihre Frage zurück. Ihre Gedanken weilten bereits
bei anderem.

"O laß uns jetzt noch nicht davon sprechen, von meinem Unglück--du
bleibst doch länger hier, nicht wahr?--Einige Tage, einige
Wochen . . . Du mußt doch alle wiedersehen, deine alten Freunde und
Schulkameraden, denke dir, die kleine Ehrling, neben der ich in der
Schule saß und die so oft zu uns kam--du mußt dich doch erinnern?--
hat einen Landgerichtsrat geheiratet und schon drei Kinder, und dein
dicker Freund Rempe, der mit den vielen Schmissen--doch das weißt
du nicht, du kanntest ihn ja nur auf der Schule, und da schlägt man
sich noch nicht, ja, was wollte ich sagen . . . ja, der dicke Rempe
hat die reiche Krüger gekriegt, die mit den Simpelfranzen und den
seidenen Kleidern. Ach ja, es hat sich viel verändert hier--"

Sie scheute sich, ihn wieder zu fragen, denn sie fürchtete seinen
Blick, seine ernste, fast harte Stimme, mit welcher er eben gesagt
hatte: "Unter diesen Umständen?"--

Und so sprach sie weiter: Von dem langen Lenz, der sich "--ach ja,
das war es ja, was ich sagen wollte--" wegen einer Frau habe
schießen müssen und eine Kugel in den Unterleib bekommen habe; von
den Schicksalen der großen Familie Neuhaus, wo so viele Söhne
gewesen seien--einer habe sich vergiftet, und der andere sei nach
Amerika, denn der Vater sei so hart, aber es sei doch ein rechtes
Elend, wenn die Söhne ihren Eltern nicht folgten; und von--und von
--und immer so weiter, ein seichtes, unerquickliches Geschwätz,
das den Zuhörer betäubte, ängstigte und seine Nerven folterte.

Der hörte zuletzt überhaupt nicht mehr hin. Während sie so vor ihm
saß, in der üppigen Schönheit einer reiferen Frau, dachte er daran,
daß er es gewesen war, der die Knospe dieser Blüte mit dem ersten
Kusse geweckt hatte.




X.

Ihre Schönheit hatte alles gehalten, was sie versprochen. Schon als
Kind war sie gradezu auffallend gewesen, obwohl dieses Kind weder
graziös und fein, noch von irgendwie eigenartigem Liebreiz gewesen
war. Aber das blonde Haar konnte heute kaum reicher sein, als es
damals gewesen war, und der feuchte Glanz dieser blauen Augen, der
ihm heute nur ein Zeichen trübseliger Langeweile schien, war ihm und
anderen--denn die halbe Klasse war in sie verliebt--damals
schwärmerische Idealität und echt weibliches Hingebungsbedürfnis
gewesen.

Nicht für lange.

Aber es gab eine kurze Zeit in seiner Jugend--es war zwei Jahre vor
ihrer Trennung--, da war ihm das ständige Zusammenleben mit seiner
Halbschwester unter den blinden Augen der Mutter sehr gefährlich
geworden.

Seine Sinne erwachten und verlangten nach ihr. Ihre beständige Nähe
brachte sie in Aufruhr und hielt sie wach.

Den ganzen Sommer hindurch verbrachte er in qualvoller Aufregung, in
einem beständigen Zwiespalt, der seiner energischen Natur schwerer
zu ertragen war als alles andere.

Sie war ihm gleichgültig. Alles, was sie sprach, ließ ihn kalt. Ihr
Benehmen gegen ihre Mutter empörte ihn mehr als je, wenn er sich
auch niemals tätlich darum kümmerte, was zwischen diesen beiden
Personen vorging. Ihr Kokettieren mit seinen Kameraden, die sich
über das eitle Mädchen lustig machten, fand er lächerlich--und doch
beschäftigte sie ihn. Er träumte von ihr. Er glaubte sie in den
Armen zu halten. Er haschte nach ihrer Hand, wenn sie allein waren,
und er war ruhiger, wenn sie ihm dieselbe nicht entzog. Er war öfter
um sie, als je zuvor. Die Mutter freute sich darüber, daß das sonst
so kühle Verhältnis zwischen Schwester und Bruder sich besserte.

Eine unheimliche Glut ging von ihr aus, die ihn wahnsinnig machte.
Tage konnten vergehen, ohne daß sie ihm gefährlich war, aber dann
kam immer wieder eine Stunde, in der er von ihrer Seite aufspringen
mußte, weil er es nicht mehr ertragen konnte, sie zu sehen, ohne sie
an sich zu reißen.

Er fürchtete sich vor sich selbst; aber vor ihr graute ihm.

Ein später Abend brachte die Erlösung. Sie saßen zusammen in der
Laube bei einer trübe brennenden Lampe. Die Mutter hatte sich
gähnend und seufzend zur Ruhe begeben.--Es war ein Abend voll
wunderbarer Weichheit der Luft. Der Glanz der Sterne war feucht und
tief.

Sie wagte es zu bleiben. Sie spielte mit dem Feuer in verzehrender
Neugier.

Er las in einem Buche und hielt den Kopf gesenkt, um sie nicht
ansehen zu müssen. Er hatte noch zu lernen und glaubte, sie würde
gehen.

Sie aber ging nicht, sondern beugte sich noch weiter vor, mit ihrer
weichen Stimme, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, eine
gleichgültige Frage stellend.

Fast berührten sich ihre Stirnen. Da riß er ihren Kopf mit einer
jähen Bewegung an sich und bedeckte ihr Gesicht mit unzähligen
Küssen: er küßte ihre Augen, ihre Wangen, ihren Mund, ihren Hals.

Sie wehrte sich, aber nur schwach. Während sie sich indessen--ein
halb ernstliches, halb freudiges Erschrecken heimlich überwindend--
in der Ueberlegenheit der Frau fragte, ob sie ihn gewähren lassen
solle, fühlte sie, wie er sie plötzlich losließ und von sich stieß.

Wenn sie oft nachher--nachdenklich über diese jähe Veränderung
seines Wesens in dieser Minute--sich einbilden wollte, es sei ein
moralischer Antrieb gewesen, der ihn so plötzlich von ihr gerissen,
so irrte sie sich völlig.

Ein Duft war von ihr ausgegangen, als er an ihren Lippen hing, und
in ihren Haaren wühlte, der ihn plötzlich ernüchtert hatte. Derselbe
Duft, der ihn betäubt hatte in der Ferne und ihn angezogen, stieß
ihn ab, als er in nächster Nähe auf seine Sinne wirkte. Es war
direkter Widerwille, der ihn erfaßte--unerklärlich, aber zwingend.

Eben noch über alles begehrenswert, war sie ihm jetzt so
gleichgültig, wie nur je zuvor.

Hurtig raffte er seine Bücher zusammen und eilte mit einem schnellen
"Gute Nacht!" in das Haus.

Sie sah ihm nach und verstand ihn nicht.

Ihr Zauber war völlig gebrochen.

Sie merkte es sofort am nächsten Tage.

Sie bot viel auf, um ihn wieder zu gewinnen. Aber nichts mehr gelang
ihr.

Im Laufe der nächsten beiden Jahre, in denen sie wieder
nebeneinander herlebten, vergaßen sie fast die Szene dieses Abends.

Auch er wurde ihr gleichgültig.

Sie dachte bereits an ihren zukünftigen Gatten, wenn sie die Männer
sah, die sich um ihre Schönheit drängten.

Sie wählte sich einen der ältesten unter ihnen und fast den
reichsten.

An ihren Halbbruder dachte sie erst wieder, als die Langeweile ihrer
Tage sie nach neuen Sensationen suchen ließ, und die Neugierde neue
Nahrung für ihre klatschhafte Zunge verlangte.




XI.

Der Zauber war gebrochen.

Sie war ihm nur noch eine Studie, wie sie dort vor ihm saß--: die
kleinen Füße in den eleganten Schuhen vorgestreckt, ermüdet durch
Nichtstun, scherzend, liebäugelnd mit der Wohlhabenheit ihrer
Umgebung, denn sie fand, daß er es doch wenig weit gebracht hatte,
seiner einfachen, fast unmodernen Kleidung nach zu schließen.

Doch sie begann es zu merken, daß auch er sie beobachtete, obwohl er
sie nicht ansah und offenbar nicht hörte, was sie sagte.

Sie wurde unruhig.

"Aber du hörst mir ja gar nicht zu, und ich sitze hier und erzähle
dir alle Neuigkeiten von Bedeutung, die seit zehn Jahren hier
geschehen sind--"

Er sah auf. Und wieder errötete sie unter seinem Blick.

Wieder suchte sie ihn abzulenken.

"Und nächsten Mittwoch ist Harmonie-Abend im Kasino: Musik und Ball,
da wirst du alle wieder sehen, die du kennst, unsere ganze
Gesellschaft--"

Zum erstenmal sprach sie von ihrem Mann:

"Er hat mir zwar verboten, hinzugehen, ersagt, es sei zu viel für
mich", sie stampfte mit dem Fuße auf, "aber jetzt, wo du hier bist,
_muß_ er es mir erlauben, _muß_ es, _muß_ es!"

Sie hielt einen Augenblick inne, etwas erschöpft und erhitzt von dem
langen Sprechen, aber schon ging es weiter.

"Oder besser noch, wir geben eine Gesellschaft, eine große
Gesellschaft dir zu Ehren--" sie klatschte in die Hände vor
Vergnügen und wartete offenbar auf einen ähnlichen Ausbruch des
Entzückens bei ihm.

Aber er erkannte jetzt, daß es die höchste Zeit war, dieser Komödie
ein Ende zu machen.

Er rückte seinen Stuhl näher und beugte sich etwas vor, so daß er
gerade vor ihr saß.

Sie fühlte, nun kam es.

Fast scherzend begann er.

"Ich glaube, du langweilst dich, Clara."

"Ach ja, ich langweile mich--" seufzte sie.

"Nun, so solltest du dir Tätigkeit suchen--"

Sie antwortete nicht. Er lächelte unmerklich und fuhr fort: "Oder
aber Zerstreuung--"

Da sah sie auf und richtete ihre schwimmenden Augen auf ihn.

"Zerstreuung--aber wie?--Was gibt es hier für Zerstreuung?"

"Reise."

"Reisen--ich kann ja nicht, er hat ja nie Zeit."

"Wer?"

"Nun, er, mein Mann."

"Daran dachte ich nicht. Ich meinte natürlich, du solltest allein
reisen."

"Allein?!" wiederholte sie mit dem Ausdruck des Erstaunens, des
Erschreckens. "Wie kann eine verheiratete Frau allein, ohne ihren
Mann, reisen?"

"Weshalb kann denn eine verheiratete Frau nicht allein, ohne ihren
Mann, reisen?" Unwillkürlich brauchte er dieselben Worte wie sie.
Aber es geschah ganz ohne spottende Absicht.

Er wartete auf ihre Antwort. Sie wich ihm aus.

"Ja, ich weiß, daß du so seltsame Ansichten über die Ehe hast. Wie
heißt doch dein Buch darüber?--Eine Freundin--die Frau von
Redlich, du kennst sie nicht, sie sind erst drei Jahre hier, der
Mann ist Hauptmann--ja, sie hat es mir gesagt. Sie wollte mir auch
das Buch leihen, sie hat es mir ganz fest versprochen, aber sie hat
es mir immer noch nicht gebracht, denn sie muß erst den Professor
Hastrich vom Gymnasium fragen, dem gehört es . . ."

Grach hatte Mühe, nicht loszulachen.

Daß man ein Buch auch kaufen könne, war dieser Frau offenbar noch
nicht bekannt, und sie, die gewohnt war, auf Damast zu schlafen und
von silbernen Schüsseln zu speisen, scheute sich nicht, die
schmutzigsten Leihbibliotheksbände durch ihre weißen Hände gleiten
zu lassen. Auf dem Tische vor ihm lagen einige Exemplare dieser Art.

Die Sonne brannte durch die Blätter der Laube. Ihre Glut hatte die
höchste Höhe erreicht. Ihn dürstete. Er bat um etwas Wein und
Wasser. Während der Diener es brachte, schwiegen sie. Da sie sah,
daß er nicht antwortete, sagte sie: "Könntest du mir nicht sagen,
was du in deinem Buche geschrieben hast über die Ehe, nur ganz kurz
--ich komme so selten dazu, ein Buch zu lesen--"

Er beugte sich wieder zu ihr hin.

"Ich glaube, daß es so viel verschiedene Neigungen und Bedürfnisse
gibt, als es Menschen gibt, und ich wünsche, daß jeder Mensch diesen
seinen Neigungen ungestört nachlebe, aus dem einfachen Grunde, um
selbst ungestört den meinen folgen zu können.

Ich maße mir nicht an, die Menschen zu verstehen. Wir verstehen
überhaupt wenig von einander. Aber frech greifen wir täglich und
stündlich in das Leben unserer Mitmenschen ein, unter dem
lügenhaften Vorgeben, ihnen helfen zu wollen. Ich möchte, daß ein
jeder nach seiner Façon glücklich werde hier auf der Erde.

So ungefähr ist der Grundgedanke meines Buches. Du hast es nicht
gelesen; ich mußte ihn dir daher schnell herzeichnen.

Wovon man dir aber wahrscheinlich erzählt haben wird, das ist das
Kapitel, welches ich 'Die Menschen der Ehe' betitelt habe. Ohne
irgendwie zu klassifizieren oder zu schematisieren, habe ich in ihm
die Frage gestellt, ob es nicht einen größeren Teil Menschen gäbe in
unserer Zeit, auf welche diese Bezeichnung mit Recht sich anwenden
ließe; Menschen der Enge im Gegensatz zu den Menschen der Weite;
Menschen, die nie in Konflikt kommen mit ihrer Umgebung, da sie alle
Geschicke--alle, die aus der Menschen Hände kommen--als von Gott
ihnen auferlegt betrachten; Menschen der kleinen Zufriedenheit, die
ihr Glück finden in den Winkeln des Tages, immer an dem einen Tische
und immer an derselben Brust: Menschen, die nicht wissen, was es
heißt, ein Versprechen auf Lebenszeit zu geben, weil sie nicht
wissen, was es heißt: zu leben; Menschen der Stagnation, nicht
Menschen der Bewegung; Nummern, aber Nummern, welche zu Zahlen
werden, und welche ich deshalb hasse!--

Menschen der Gewöhnlichkeit!--Menschen der Ehe!--"

Er hatte fast langsam, mit Ruhe und ohne äußere Leidenschaft
gesprochen.

Aber während er sprach, hatte er vergessen, zu wem er sprach.

Als er geendet hatte und es merkte, verdroß es ihn. Seit so langer
Zeit war er gewohnt, zu sprechen, wie er wirklich dachte, so daß er
es verlernt hatte, seine Gedanken zu modeln nach dem Ohr seiner
Zuhörer.

Es hätte ihn nicht zu verdrießen brauchen. Denn er hatte zu tauben
Ohren gesprochen.

"Verzeih," sagte er--er glaubte, sehr lange gesprochen zu haben--
"verzeih, daß ich so lange sprach. Ich möchte nicht mißverstanden
werden in dem, was ich dir jetzt sagen muß."

Wieder zwang er sie, ohne es zu wollen, zu erröten. Er hatte bis
jetzt kaum den Mund aufgetan, sie hatte unaufhörlich geplappert--:
er bat sie um Entschuldigung.

Sie begann ihn zu hassen.

Verstanden hatte sie kaum etwas von dem, was er gesagt hatte. Sie
hatte ihm fast so wenig zugehört, wie er ihr. Ihre Gedanken waren
jetzt damit beschäftigt, wie sie ihn auf die beste Manier loswerden
könne.

Für sie gab es keine bedeutenden und unbedeutenden Menschen. Für sie
gab es nur Menschen, die ihr zuhörten. Und die Männer zumal! Von
denen war sie ja gar nichts anderes gewohnt, als daß sie ihr zu
Füßen lagen.

Daher beleidigten sie diese Ruhe und Sicherheit.

"Ach, ich bin sehr unglücklich!" rief sie und deckte mit den Händen
die Augen. "Ich weiß nicht, was ich tun soll . . ."

Es war ihr zweites Mittel, mit diesem Manne fertig zu werden. Ihr
drittes und letztes waren die Tränen. Aber zu diesem wollte sie erst
greifen, wenn alle anderen erschöpft waren.

"Ja, Clara, wenn du nicht weißt, was du tun sollst, wer soll es dann
wissen?"

Sie sah ihn an mit ihren hellen Augen, wie ein hilfloses Kind.

"Du bist doch hergekommen, um mir zu helfen."

Er stand auf. Diese Frau verstand nichts, sie konnte und wollte
nichts verstehen.

Er mußte sie zwingen, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen, vor denen
sie floh, feig, jammernd und haltlos.

Er blieb vor ihr stehen.

"Nach deinem Briefe mußte ich annehmen, daß du den unwiderruflichen
Entschluß gefaßt hattest, dich von deinem Manne auf immer zu
trennen, da du ein Weiterleben mit ihm als unmöglich erkannt hast.
In der Ausführung dieses Entschlusses, dir zu helfen, bin ich
hergekommen, nicht aber, um dich in deinen Entschlüssen zu
beeinflussen. Und auch nicht, wie du dir vorhin glauben zu machen
suchtest, um diese Stadt, die mir ganz uninteressant ist, und alte
Bekannte, von denen ich nichts mehr weiß, und die nichts mehr von
mir wissen wollen, wiederzusehen, oder auf eure Bälle und in eure
Gesellschaften zu gehen, denn ich verkehre überhaupt nicht in
bürgerlichen Kreisen.--Meine Zeit ist sehr bemessen--"

Er ging hastig umher. Sie fürchtete sich vor ihm.

"Aber du hast mich gerufen mit dem Schrei nach Hilfe. Läßt man den
Sinkenden vor seinen Augen untergehen, wenn man seine verzweifelnde
Stimme vernimmt? Und wenn"--so unterbrach er sich unwillkürlich
lächelnd--"ich dich auch nicht auf dem offenen Meere kämpfen sah,
so sah ich dich doch ringen mit der trüben Flut dieses--Teiches."

Er wurde wärmer.

"Deine verstorbene Mutter ist sehr gut gegen mich gewesen. Sie hat
mir, dem Verwaisten, ein Dach und einen Tisch geboten viele Jahre
lang. Und dann haben wir beide unsere Jugend nebeneinander verlebt,
wenn auch nicht miteinander. Das vergißt sich nicht so leicht. Darum
bin ich gekommen, nur darum."

Er hatte eine Rose vom Strauch gerissen und zerstreute während des
Sprechens ihre Blätter achtlos umher.

"Wie er die Blume behandelt!"--dachte sie. Sie hatte nur noch einen
Wunsch: diese erbarmungslos klare und schneidende Stimme nicht mehr
zu hören. Aber diese Stimme klang weiter.

"Ich komme hierher in dem festen Glauben, dich bereit zu finden, den
entscheidenden Schritt zu tun. Ich finde dich völlig schwankend,
ohne jeden Entschluß--sage mir doch, weshalb du mich eigentlich
gerufen hast?"--

Sie sah sich bis auf den letzten Punkt gedrängt und verließ ihn, um
sich zu retten, indem sie zum Angriff überging.

"Du sprichst so viel", klagte sie, "von den Mißständen in der Ehe.
Willst du mir nicht sagen, wie du dir denn die Ehe denkst?--Wenn du
etwas beseitigen willst, so mußt du doch etwas anderes an dessen
Stelle setzen können."

Diesen letzten Satz hatte sie einmal irgendwo gehört, und er däuchte
ihr gut und passend, um ihn jetzt anzuwenden. Kein Weib ist ganz
ohne Schlauheit. Auch sie war es nicht.

Grach antwortete sofort.

"Ich kenne nur ein Verhältnis wie zwischen Mensch und Mensch, so
zwischen Mann und Weib, das ich würdig nenne: das auf gegenseitiger
Unabhängigkeit beruhende; denn es ist zugleich das einzige, das die
gegenseitige Achtung ermöglicht. Der Herr verachtet den Knecht, und
der Knecht haßt den Herrn."

Mit verständnislosen Augen sah sie vor sich hin.

"Und in der Ehe?"--fragte sie unsicher.

"Bemitleidet der Mann heimlich die Frau, während die Frau ihn
heimlich belächelt."

Verstohlen blickte sie ihn von der Seite an.

Woher weiß er das?--war ihr erster Gedanke.

"Es gibt doch so viele glückliche Ehen--"

"Wie viele kennst du?"

"Nein--, aber--"

"Nun, ich leugne es. Es gibt verschwindend wenige. Was Glück genannt
wird, ist Zufriedenheit. Und was Zufriedenheit scheint, ist nur
Gewöhnung jene Gewöhnung der schwächlichen Ohnmacht, die davor
zurückschaudert, Ketten zu brechen, und in feiger Nachgiebigkeit
Schritt für Schritt zurückweicht, Stück um Stück ihrer eigenen
Würde, ihrer eigenen Freiheit und--was das Traurigste ist--ihres
eigenen Glückes opfert, um das zu werden, was eine alberne
Oeffentlichkeit einen guten Ehegatten, ein treues Eheweib nennt."

"Aber wie denkst du dir denn--" begann sie zu wiederholen.

"Das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Freiheit?--Ich
verstehe eine solche Frage kaum. Vernünftige Menschen kommen
zusammen, wenn sie sich lieben und gehen auseinander, wenn sie sich
nicht mehr lieben. Mag sein, daß sie bis an ihr Lebensende
zusammenbleiben in Liebe und Einigkeit. Oft wird es nicht der Fall
sein."

Auch sie stand nun auf.

"Aber um Gotteswillen, das ist ja im höchsten Grade unmoralisch, was
du da sagst!" rief sie. "Es ist ja unanständig!"

Er lachte nur, laut und rücksichtslos.

Er hatte ihr so viel Klugheit zugetraut, daß sie ihn fragen würde,
was aus den Kindern der freien Verbindung werden würde. Aber er
täuschte sich auch diesmal. Sie rief--wie alle Schwachköpfe--die
Moral zu Hilfe, wo ihr Verstand nicht mehr ausreichte.

Gleichmütig sagte er:

"Ja, über Anständigkeit und Ehrenhaftigkeit gehen meine Anschauungen
und die deiner Klasse, welche du teilst, wie ich sehe, weit
auseinander. Ich weiß, daß es noch viele, viele Menschen gibt, die
eine Vereinigung erst dann für anständig halten, wenn sie sich
dieselbe gegenseitig erlaubt haben: Standesamt--Kirche und Pfaffe--
Hochzeitsreise; die es anständig nennen, wenn zwei Menschen
zusammenbleiben, die sich nicht mehr sehen können und die erkannt
haben, daß auch das leiseste Gefühl sie nicht mehr zusammenhält,
sondern nur noch das gegebene Wort. Ich weiß aber auch, daß es
Menschen gibt, welche jede Umarmung, die aus anderen Gründen erfolgt
als aus gegenseitiger Liebe, gemein nennen, und zu diesen Menschen
gehöre auch ich. Und eins möchte ich dir und allen, die die Ehe
verteidigen und unsere Anschauungen der freien Liebe so laut und
emphatisch beschreien, eins Möchte ich euch allen, euch Menschen der
Ehe, sagen: Tut, was ihr wollt, aber zeigt uns durch eure eigenen
glücklichen Ehen, daß wir im Unrecht sind und ihr im Recht seid mit
eurer Heiligsprechung der Ehe! Dann werden wir euch vielleicht
glauben, eher nicht!"

Er griff nach Hut und Stock.

"Adieu, Clara," sagte er und gab ihr die Hand, "leb' wohl! Ich habe
gesehen, daß du nicht unglücklich bist. Du bist unzufrieden,
natürlich--du bist ja nicht frei. Aber wer kann dir da helfen, wenn
du es nicht selbst tust?"--

Sie war vollständig verwirrt. Sie wollte ihm noch etwas entgegnen,
sie hatte den glühenden Wunsch, ihn noch zu demütigen, aber sie fand
kein Wort mehr seiner kalten Ueberlegenheit gegenüber. Nicht einmal
ihr letztes Mittel jetzt anzuwenden, schien ihr zweckmäßig. O, wenn
sie das vorher gewußt hätte, nie hätte sie ihm geschrieben!

Und sie kämpfte mit ihren Tränen der Wut und des Zornes, als sie ihm
gegen ihren Willen die Hand geben mußte. Er aber ergriff sie und
schüttelte sie freundlich. Dann ging er mit seinen schnellen
Schritten den Kiesweg entlang, durch den hohen und kühlen Flur an
der weißen Treppe vorbei und über den weiten Platz, der verlassen
lag wie vor einigen Stunden.

Als er in seiner Mitte angelangt war, kam von der anderen Seite her
ein älterer Herr. Er ging schon gebeugt.

Grach sah ihn in die Tür treten, die er soeben verlassen. War das
ihr Mann?

Wenn er mit den Blicken die Wände hätte durchdringen können, wäre
ihm folgendes Bild erschienen: Frau Clara Boehmer hing am Halse
dieses älteren Herrn, küßte ihn stürmisch und bettelte ihm die
Erlaubnis ab, am nächsten Mittwoch den Ball im "Kasino" besuchen zu
dürfen (--in einem ganz neuen Kleide--), während sie in ihrem Innern
beschlossen hatte, ihm fürs Erste noch nichts von dem Besuch zu
erzählen, den sie so schnell und dazu noch auf eine verhältnismäßig
so gute Art und Weise losgeworden war.




XII.

Grach ging, ohne eigentlich zu wissen, wohin. Während er noch in
Gedanken versunken war, die ihm in diesen Stunden gekommen und die
er nun weiter und zu Ende dachte, während er so in Gedanken zu Boden
sah, ging er ganz instinktiv die Wege, die zur Höhe des Berges
zwischen den Gärten und ihren Mauern hinführten, und die er so
zahllose Male als Kind und als Knabe im Spiele gelaufen, lernend,
erzählend, mit Kameraden und allein, traurig und fröhlich gegangen
war.

Er sah nicht, wohin er ging. Nur ins Freie, hinaus, fort aus der
Albernheit dieser Enge, die ihn eben stundenlang umschnürt gehalten
hatte!

Er war wie zerschlagen.

Seit Jahren hatte ihn nichts, keine Unterredung, keine Diskussion,
keine Verhandlung, so ermüdet, wie die Unterhaltung dieses
Nachmittags.

Ihm war, als habe er Zuckerwasser trinken müssen, in großen
Quantitäten, ein Glas nach dem andern. Ihm war als sei er
umhergetappt in schwülen und haltlosen Nebeln, als habe er etwas
Weiches, Zerrinnendes zwischen seinen Fingern gehalten, etwas, das
formlos war und keine Gestalt annehmen wollte, er mochte bilden, wie
er wollte.

Es war die Moral der Bourgeoisie gewesen, mit der er eben diesen
Kampf gekämpft hatte, diese satte, selbstgefällige, verächtliche
Moral, die keinem Gedanken Stand hielt, an jeder Wahrheit genäschig
schleckte und alles, alles, alles herunterzog in den Staub ihrer
Mittelmäßigkeit. Er haßte sie, diese Menschen, er fühlte erst jetzt,
wie sehr er sie immer gehaßt hatte: ihre Anschauungen, ihre Sitten,
ihre Gewohnheiten, ihr heuchlerisches Weinen und ihr oberflächliches,
humorloses Lachen.

Was wollte denn diese Frau eigentlich?

Hatte sie nicht alles, was ein Mensch nur an äußerlichem Glück
begehren konnte?

Sie war schön. Sie war noch jung. Sie war reich. Aber sie hatte
einen Mann, der wohl zuweilen eine eigene Meinung zu haben sich
erlaubte; einen Mann, der sie nicht so befriedigte, wie ihre Natur
es verlangte. Nun, warum ging sie nicht von ihm, wenn sie es bei ihm
nicht mehr "aushalten" konnte?

Nichts hielt sie, als die kindischen Anschauungen ihrer Klasse von
Ehre und Sittlichkeit.

Die Welt lag vor ihr. Warum ging sie nicht hinein, lernte kennen,
was dem Suchenden so interessant, so geheimnisvoll, so neu und so
unendlich reizvoll erscheinen muß?

Weshalb genoß sie nicht die Schönheit dieser Welt, von der sie
nichts kannte?

Sie konnte nicht allein sein. Zu flach, um sich selbst auch nur auf
eine Stunde zu genügen, konnte sie auf eine Stunde nicht die
Gesellschaft entbehren, deren Leben ihre Nahrung war. Machtlos, sich
durch ihre eigene Persönlichkeit neue Verbindungen zu schaffen, wäre
sie draußen in der weiten Welt gestorben vor Langeweile, verzehrt
von Sehnsucht nach dem kleinlichen Getriebe ihrer früheren Tage.

Deshalb mußte sie bleiben, wo sie war, auf dem Platze, auf den sie
ihr eigener freier Wille gestellt, und den zu verlassen sie nicht
die Kraft besaß.

Sie mußte ihr "Unglück" weitertragen.

Er glaubte nicht an dieses Unglück. In Wirklichkeit hatte er nie
geglaubt, daß diese Frau jemals unglücklich werden könne.

Außerdem würde sie ihren Mann allmählich besiegen. Eine echte Frau,
die sie war, würde sie ihn mürbe machen--: langsam, nach und nach,
mit aller Zähigkeit, würde sie ihm Locke auf Locke seiner Kraft
rauben, bis er willenlos geworden war ihr gegenüber.

Der Mann war mehr zu bedauern als sie.

Für ihn aber war sie eine abgetane Sache. Es war eine Dummheit
gewesen, daß er hierher gekommen war. Er gehörte nicht zu den
Menschen, die sich schämen, ihren Dummheiten ins Gesicht zu sehen.
Aber er glaubte doch, nun sagen zu dürfen, daß er so bald keine neue
machen würde.

Am liebsten wäre er noch heute Abend abgereist. Doch er wußte nicht,
wann die Züge gingen. Und außerdem--er war nun einmal hier. Die
Hitze des Tages begann langsam nachzulassen. Er wollte noch einige
Stunden verbringen auf dieser Höhe mit dem Blick auf die Stadt zu
seinen Füßen. Irgendwo würde er schon ein grünes und kühles
Plätzchen finden.

Und mit dem charakteristischen Ruck seiner Schultern schüttelte er
die Erlebnisse dieses Nachmittages von sich: aus seiner Stirn und
von seiner Brust.

Nun waren sie ihm erledigt für immer.




XIII.

"Eine komische, kleine Stadt!" hatte er noch vor drei Stunden zu
sich selbst gesagt.

Aber von dieser Höhe aus gesehen schien die Stadt weder klein noch
komisch, und er dachte, es müsse gräßlich sein, in ihr zu leben und
zu sterben.

Gewiß--man wußte nicht mehr, was der Nachbar kochte und aß, aber
was er trieb und ließ, man kümmerte sich darum noch immer bis in die
kleinsten Einzelheiten hinein.

Daher wagte sich keiner zu rühren, und bei jeder Handlung, die er
beging, sah er zuerst den anderen an, ob dieser dasselbe je getan
oder je tun würde.

Es gab Männer von Genie in dieser Stadt: aber ihr Genie war völlig
einseitig. Es war einzig darauf gerichtet, Geld in möglichst großen
Massen zusammenzuspeichern. Ein schlechterer Gebrauch konnte von
demselben nicht gemacht werden, wie es hier geschah: es blieb oft
einfach liegen und vermehrte sich dann--infolge der Privilegien,
die es schützten--von selbst. Es zog alle Kraft und alle Energie
dieses ganzen Landes an sich. Es war ein kaltes, grausames,
sinnloses Ungetüm, unersättlich und gierig.

Auch denen, die es besaßen, gab es nichts. Denn sie hatten keinen
Geist. Sie hatten keine Spur von Geist. Sie machten alle Jahre eine
vierwöchentliche Reise und schickten ihre Söhne einige Jahre in die
Freiheit des Lebens.

Außerdem gaben sie alle paar Wochen ihrer ganzen Familie große
Essen, bei denen es hoch herging. Man sprach im heimischen Dialekt
und ergänzte die Familienchronik.

Das war aber auch alles. Für kein Vergnügen feinerer Art hatte man
hier den geringsten Sinn. Man besaß kein Theater, keine
Konzerthalle, und man kaufte nie ein Buch. Die Kunst war hier so
heimatlos wie die Wissenschaft.

So war es vor zehn Jahren noch gewesen.

Ob es heute noch so war, wußte Grach nicht. Es war ihm auch
gleichgültig. In der Zeitung der einen Stadt--die der einen war
konservativ, die der anderen freisinnig, und sie lagen sich
natürlich beständig in den Haaren--hatte sich noch kein Wort
geändert gegen früher. Er hatte sie beim Essen durchflogen.

Nein, es war keine komische Stadt, wenigstens nicht für den, der in
ihr zu leben gezwungen war.

Es war auch eigentlich keine kleine Stadt, denn sie füllte, wie er
jetzt sah, die ganze Breite dieses Tales. Sie hatte sich vergrößert.
Man hatte--traurig genug--zu den drei alten noch zwei neue Kirchen
gebaut.

Dieses Tal entbehrte der Anmut nicht. Der träge Fluß durchschnitt
üppige Wiesen, und die Hügel waren bedeckt mit dichtem Tannen und
Laubholz. Aus einer dieser dunklen Kuppen ragten die schlanken
Turmspitzen eines modernen Schlosses in den sonnenheißen Himmel.
Dort wohnte der König der Gegend. Er wußte, daß er das war: er
redete seine Arbeiter mit Ihr an und sorgte für sie, wie "ein Vater
für seine Kinder." Ihm ging es gut dabei; seinen "Kindern" weniger.
Never mind!--

Und immer wieder wandten sich Grachs Augen nach rechts und nach
links, dorthin, wo an den Grenzen seiner Blicke die Wolken des
Rauches sich ballten zu seltsamen, fremdartigen, formlosen Gebilden.

Ideen schienen es zu sein, die nach Gestaltung rangen. Und er sah im
Geiste den Tag, wo diese Ideen, nicht am hellen Nachmittag in heißer
Sonne, nein, am kühlen Abend, beim Beginn der Nacht, in rußige,
markige Gestalten verkörpert, von beiden Seiten dieses Tales
herangezogen kamen und diese ganz abgelebte Gewöhnlichkeit, dieses
ganze Nest von Aemtern, Titeln und Würden, diese ganze Uniformität
der Gesinnung so durcheinander rüttelten, daß die friedlichen
Schläfer dieser guten Städte am nächsten Morgen nicht mehr wissen
würden, auf welcher Seite des Flusses sie eigentlich waren.

Dann würde er vielleicht endlich geendet sein, der erbitterte Streit
um die Oberherrschaft.

Aber dann würde es auch zu spät sein.

------------------------------------

Eine komische kleine Stadt!

Nein, es war weder eine komische, noch eine kleine Stadt.

Trotz der Hitze fröstelte Grach.

Die Sonne quälte ihn, und seine undankbaren Gedanken quälten ihn
ebenfalls.

Hatte er nicht Grund, dankbar zu sein?

Dankbar dafür, daß er nicht mehr hier zu leben brauchte?--

Er wandte sich ab und stieg den Weg weiter hinauf. Ein Blechschild
fiel ihm in die Augen:

"Gartenwirtschaft". Das war, was er suchte. Bäume und Schatten und
Stille.

Er stieg eine Treppe empor und durchschritt die Tür. Da stutzte er
plötzlich.

Vor ihm her ging eine Frau.




XIV.

Er erkannte sie sofort.

Nur eine Frau war ihm im Leben begegnet, der dieser feste, stolze
Gang, diese aufrechte, und doch graziöse Haltung eigen war: Dora
Syk. Sie mußte seine Schritte gehört haben, denn sie wandte sich um.

Zu gleicher Zeit streckten ihre Hände sich einander entgegen und
faßten sich mit starkem, freundschaftlichem Druck.

Die Freude, sich wiederzusehen, war auf beiden Seiten gleich groß
und ehrlich. Gleich war aber auch bei beiden eine gewisse
Verlegenheit: man war hier auf fremdem Boden und wußte im ersten
Augenblick nicht recht, wie man es dem anderen klar machen sollte,
weshalb man hier war . . .

Dort, wo ihre eigentliche Heimat war, in der großen, weiten Welt, in
dem Getriebe der ungeheuren Stadt, in den schrankenlosen
Verhältnissen, deren Physiognomie wechselte wie der schwankende Tag,
in der großen, geistigen Bewegung, waren sie sich zuerst begegnet,
hatten sie sich gesehen, sich gesprochen, waren sie schnell wieder
auseinander gerissen, hatten sich nicht vergessen, aber auch kaum
mehr aneinander gedacht, vielleicht nur deshalb, weil sie keine Zeit
dazu hatten.

Seinen Namen hörte sie oft: er wurde überhaupt viel genannt; ihren
Namen hatte er lange gekannt, ehe er sie sah, denn er war eine
Zeitlang viel genannt worden. Es war gewesen, als sie einundzwanzig
Jahre alt war und ihr erstes Werk Aufsehen erregte. Vor etwa sechs
Jahren.

"Franz Grach"--

"Dora Syk"--

Sich hier wiederzusehen, war für beide eine ganz außergewöhnliche
Ueberraschung, und indem sie nach einem Wort suchten, um dieselbe
auszudrücken, fingen sie beide plötzlich an zu lachen und gaben sich
nochmals die hand, wie um sich zu vergewissern, daß sie es wirklich
waren.

"Fräulein Dora Syk!" rief er aus. "Also deshalb hört man nichts mehr
von Ihnen--"

"Es ist sehr eigentümlich, daß wir uns hier treffen," sagte sie,
indem sie ihre Hand zurückzog.

"Nicht so sehr, was mich betrifft: bin ich doch hier in der Stadt
meiner Jugend. Ich bin nämlich hier erzogen."

"So. Und ich erziehe jetzt hier."

Er fuhr zurück.

"Das ist schrecklich. Wen erziehen Sie denn?"

Sie lachte herzlich. "Kinder", sagte sie, "Mädchen von zwölf und
dreizehn Jahren."

"In der höheren Töchterschule?"--

"Ja, in derselben", entgegnete sie, und immer noch lag Lachen um
ihren Mund. "Ich bewundere die Treue Ihres Gedächtnisses. Wie lange
waren Sie nicht hier?"--

"Fast ein Jahrzehnt nicht.--Hören Sie:

Der Herr segne Deinen Ausgang und--"

"Und deinen Eingang--ja, so steht es über dem Tor geschrieben."

"Lachen Sie doch nicht, Fräulein Syk! Ich weiß, was es heißen will,
Lehrerin an dieser Schule zu sein--für Sie ist es unwürdig."

"Nein," sagte sie schnell und wurde ernst, "es ist nicht unwürdig,
um sein Brot zu arbeiten. Aber eines ist sicher: es ist lähmend,
weil es unnütz, total unnütz ist. Denn ich bin gehindert, das zu
sagen, was ich sagen möchte, wenn ich auch nicht gezwungen bin, zu
sagen, was ich nicht sagen will . . . Unwürdig?--Nein, das
Schweigen der Machtlosigkeit ist nie unwürdig."

Er sah sie inmitten dieser Gesellschaft, die er kannte--die
Personen konnten sich geändert haben, die Tendenzen nie: der
Direktor ein Pietist, die Lehrer zu halben Weibern geworden in ihrer
falschen Stellung zwischen lauter Unterröcken, die Lehrerinnen alte
Jungfern, verbittert die einen, emanzipiert im unguten Sinne die
anderen--und er hörte nicht auf das, was sie ihm entgegnete.

"Wie können Sie hier leben?" rief er fast heftig. "Wie können Sie
sich stellen zu diesen Mumien--"

"Sehr gut. Sie hassen mich so, daß wir fast nie zusammen sprechen--"

"Ja, was sollten Sie auch zusammen sprechen!" rief er. "Und machen
Sie mir nur nicht vor, daß es anders ist mit dieser entzückenden
Jugend, ich kenne sie, diese unreife Gesellschaft, schlimmer als die
Buben sind sie: kokett schon, noch mit der Puppe im Arm, neugierig,
naschhaft, und ganz schon von dieser entsetzlichen Schwatzhaftigkeit
der Alten, dieser Schwatzhaftigkeit der Leere, die nichts zu sagen
weiß und immer plappert, plappert--o, ich habe sie eben drei
Stunden lang gehört!--"

Sie ging ruhig weiter, aber sie antwortete ihm nicht mehr. Ihr
Beispiel, dachte er da, dieses herrliche Beispiel der Kraft und
Gesundheit, der Vorurteilslosigkeit und Schönheit, des Geschmacks
und der Gesundheit der Harmonie, ihr Beispiel, sollte wenigstens
nicht dieses schweigend wirken? Und er fragte sie danach.

Mit einiger Ungeduld lehnte sie seine weiteren Fragen ab. Auch ihr
Beispiel nicht, sie sagte es schon. Es war kein Boden bereitet.

Er merkte plötzlich, daß sie litt, und ward still.




XV.

Während ihres kurzen Gespräches hatten sie den Garten betreten.
Ueber die ganze Kuppe des Hügels hin erstreckte er sich. Seine Bäume
waren herrlich. Sie bildeten dichte und schützende Dächer über den
Tischen und Stühlen, die überall auf die ansteigenden Terrassen
gestellt waren.

Eine große Halle lag auf der höchsten Höhe des Hügels. Sie war roh
aus Holz aufgezimmert und dazu bestimmt, großen Massen bei
schlechtem Wetter Aufenthalt zu gewähren. Denn an allen Sonn- und
Feiertagen belebten Hunderte und Aberhunderte von Menschen die
Stille dieser fast einsamen Höhe; an Wochentagen verlief sich selten
ein Gast hierher. Die reiche Natur konnte ungestört die Schäden
wieder heilen, welche trampelnde Füße, die keiner Wege achteten, und
rohe Hände, die frevlerisch in dieser grünen Pracht wühlten, ihr
schlugen.

Keine Großstadt besaß einen größeren, in seiner rauhen und nie
gepflegten Wildheit schöneren Garten.

Grach breitete die Arme aus vor Freude.

"Das ist herrlich!" rief er.

Sie lächelte.

"Ja, es ist herrlich!" sagte sie auch. "Es vergeht fast kein Tag, an
dem ich nicht die letzten Stunden des Nachmittags hier verbringe.
Hier stört mich kein Mensch. Ich kann sitzen, wo ich will, ich kann
gehen, ich kann lesen, ich kann tun, was ich will. Mir ist, als sei
sie mein, diese ganze Höhe."

An dem Wirtshause vorbei, wo der Besitzer des Gartens mit seiner
Familie wohnte, führte sie ihn langsam empor.

"Ueberall können wir uns setzen, Grach," sagte sie. "Wollen Sie die
Stadt sehen? Oder wollen wir hier bleiben auf dieser Terrasse, wo es
am kühlsten ist?"--

"Hier," bat er, "lassen Sie uns hier bleiben. Hier ist es einsam,
kühl und schön."

So setzten sie sich, einander gegenüber, an einen der Tische. Ein
Mädchen kam mit einer Flasche und einem Glase. Als sie den gewohnten
einsamen Gast in Gesellschaft eines zweiten sah, malte sich
sprachloses Erstaunen auf dem frischen, jungen Gesicht.

"Kein Bier heute, Käthchen," sagte Dora Syk, "ich habe Besuch heute.
Eine Flasche Rheinwein und zwei Gläser."

Das Mädchen entfernte sich nur zögernd.

"Sie ist völlig außer Fassung, die Kleine. In den drei Sommern ist
ihr das nicht vorgekommen. Und, daß ich es Ihnen nur gestehe, auch
ich bin etwas verwundert.--Also die Sehnsucht hat Sie einmal wieder
hierhergetrieben? Sie wollten einmal wieder wandeln auf den Fluren
Ihrer Kindheit?"

"Ach was," rief er fast barsch, "ich habe eine Dummheit gemacht,
eine große Dummheit."

Er erzählte ihr in hundert Worten, was er soeben erlebt.




XVI.

Der Wein glänzte in den Gläsern vor ihnen. Sie stießen miteinander
an.

"Aber ich bin ausgesöhnt mit meiner Dummheit--" rief er in ehrlicher
Freude, während er sie ansah.

Sie war es wert, angesehen zu werden.

Fest zurückgelehnt in den Stuhl und die Füße gegen den Boden
gestemmt, die Hände im Schoße gefaltet, saß sie in der unbewegten
Ruhe von Menschen da, die viel arbeiten, und diese Ruhe, derer sie
bedürfen, dann wenn sie ihnen wird, auch wirklich genießen.

Ihren Hut hatte sie abgenommen, und Grach bewunderte die einfache
Kunst, mit der sie ihr dunkelbraunes Haar in einen griechischen
Knoten gebunden trug.

Alle Linien an dieser schönen Gestalt waren groß, kühn und frei;
lang und natürlich, durch keine künstlichen Mittel verziert, fielen
die Falten ihres Kleides nieder.

Ihre Hände, an denen sie keine Ringe trug, waren groß und weiß, und
ebenso waren ihre Zähne, keine "Perlen"-Zähne, aber Zähne von
tadelloser Ebenmäßigkeit.

Das Gleichmaß der ruhigen, großen Schönheit war in ihr verkörpert.
Und wie es unmöglich war, sich dieses Gleichmaß ihrer Erscheinung
durch irgend etwas: durch eine eckige, unbehilfliche Bewegung, durch
die Wildheit eines fassungslosen Schmerzes, die Raserei einer
zügellosen Leidenschaft, die Unschönheit einer Erniedrigung oder
einer gewaltsamen Ueberhebung gestört zu denken, so unmöglich war es
auch zu glauben, daß das Alter jemals diese hohe Gestalt beugen, das
Elend diese einfache Würde knicken, Krankheit diese verkörperte
Gesundheit brechen könne.

Es gibt Profile, die hingekritzelt scheinen, stümperhafte
Dilettantismen, verzerrte Karrikaturen in die Breite oder in die
Länge, hingeklatscht von ungeübter Hand und dann verwischt durch
Zerknitterung des Papiers; und es gibt Profile, die mit Künstlerhand
schnell entworfen scheinen in verräterisch-schönen Linien voll
Weichheit, Grazie und Liebreiz, oder aber hingezeichnet in einem
großen, wundervollen Zuge in seltener Stunde . . .

Zu den letzteren gehörte Dora Syks Profil. Ein Ansatz, ein kühner
Zug, rasch, energisch, meisterhaft--tadellos: so war ihr Profil,
das Grach in erwachender Leidenschaft mit dem Auge sich immer wieder
heimlich nachzeichnete, während er es betrachtete.

Nie war ihm früher die bestechende Harmonie ihres Wesens so
aufgefallen, wie jetzt. Der beschäftigte Tag hatte damals seinen
Blick getrübt. Nun saß sie vor ihm und sah vor sich hin, während er
sprach.

Und mehr als alles bezwang ihn der Ausdruck einer beginnenden
Müdigkeit, die sich über dies schöne Antlitz ausbreitete. Keine Spur
von der Unschönheit der Bitterkeit, nur das ganz allmähliche
Erlahmen  . . .

Ein noch fast unsichtbares Erlahmen.

Aber er sah es.

Dieser schöne Mund begann sich zu schließen in der Herbheit des
Stolzes--wann durfte er einmal sprechen in den Lauten, die er
gewohnt war, den Lauten der Erkenntnis, der Freiheit und des
Verständnisses der Liebe?--Diese tiefen Augen umschatteten sich
bereits. Gewöhnt, in die weiteste Ferne zu schauen, Abwechslung,
Fülle, Reichtum alles äußeren Lebens zu trinken, fingen sie an sich
zu trüben zwischen den Dunstwolken dieses ärmlichen Tales, dem
Rauche der Feuerherde dieser erbärmlichen Stadt, der Stickluft einer
ungelüfteten Schulstube.

Er dachte an anderes, während er ihr erzählte, weshalb er
hierhergekommen war. Er wurde unruhig.




XVII.

"Menschen der Ehe!" sagte sie, als er geendet hatte. Er sah auf. Sie
hatte also sein Werk gelesen. Er wußte nicht, daß es seit Jahren
keinen Mann gab, den sie im Stillen seines Mutes und seiner
unerschütterlichen Energie wegen so bewunderte wie ihn.

"Menschen der Ehe!" wiederholte sie, ohne Geringschätzung oder
Verachtung, sondern mit der Ruhe, mit welcher der Forscher das
Objekt seines Studiums benennt. Aber lachen schien sie doch nicht zu
können über Grachs hastige Erzählung. Dazu war sie diesen Menschen
doch zu nah.

Mehr und mehr überzeugte sich Grach während des Gespräches der
nächsten Stunde, wie sehr sie es verstanden hatte, sich allem, was
die Zeit an Gutem, Bedeutendem und Großem leistete, nah zu halten.
Fast nichts war ihr unbekannt geblieben: jedes Buch hatte sie
gelesen, jedes Ereignis mit dem ihr eigenen Scharfblick betrachtet
und beurteilt, jede neue Erscheinung in den Kreis ihres Verstehens
gezogen.

Sie sprachen von allem, wie es ihnen kam. Ueber vieles gingen ihre
Ansichten auseinander, aber über jedes hörten sie des anderen
Meinung, und über nichts verschwiegen sie ihm die eigene.

Er forschte sie aus. Aber es war so, wie er dachte: sie stand hier
ganz allein, ohne Freunde, ohne Verkehr, ohne Verständnis bei irgend
einem Menschen. Sie las viel. Aber sie war die einzige vielleicht in
der ganzen Stadt, die anderes las als Zeitungen und die Romane der
Leihbibliotheken.

Kein Mensch auch wußte hier, wer sie war. Eine fremde Erscheinung,
war sie hierhergekommen, und mit scheuer Achtung ging man ihr aus dem
Wege, während man ihr nach den ganzen Klatsch der Verständnislosigkeit
und des Hasses, weil sie "anders war", schüttete.

Wer sollte hier auch ihren Namen kennen? Hier waren nur die Namen
berühmt, welche die Schilder der Straßen und die Zeitungen des Tages
nannten.

Sie war plötzlich verschollen, und der Laut ihres Namens war schon
fast verhallt. War sie hier untergetaucht in diesem Sumpf, um hier
zu sterben?--Der Gedanke machte Grach schaudern.

Und wieder betrachtete er sie mit den Blicken der Liebe, während er
auf den Klang dieser tiefen, schönen Altstimme lauschte. Sie sprach
langsam das Ernste, das sich in ihrem Gehirn bildete, und mit
Nachdruck in jedem Wort. Leicht jedoch und ungezwungen beantwortete
sie seine Fragen nach ihrem persönlichen Leben, mit einem ganz
kleinen Anflug von Spott und Wehmut in ihrer Stimme.

Sie war wohltuend, diese Stimme. Unwillkürlich mußte er einmal diese
einfache und schöne Sprache mit dem Geplapper vergleichen, das ihn
den ganzen Nachmittag gefoltert. Auch in allen Nebensächlichkeiten
war keine größere Verschiedenheit denkbar, als zwischen diesen
beiden Frauen.

Welche wunderbare Frau! Welche wunderbare Frau! dachte er immer
wieder und ließ keinen Blick von ihr. Immer mehr begann er sie zu
verstehen. Täuschte er sich dennoch?--War sie glücklicher hier, als
sie es früher gewesen? Oder war diese Resignation nur die Folge
eines äußeren Zwanges.

Nein, er konnte sich nicht täuschen!

Sie litt.

Eine herrliche und fast unerschöpfliche Fülle von Lebenskraft hatte
sie bisher aufrecht erhalten. Noch war nichts in ihr angegriffen,
geschweige denn gestört.

Aber der äußere Dunst begann sie zu bleichen. Sie verlangte nach
Leben, wie die Pflanze nach Wasser verlangt.

Drei Jahre schon hatte sie keinen Tropfen vielleicht äußeren Glücks
genossen--jenes Glückes, welches ein tägliches Bedürfnis ist: für
Körper und Geist eine Befriedigung.

Und noch immer stand sie aufrecht!--Aber von heute schon auf morgen
konnte sich das erste dieser dunklen Haare bleichen, konnte sich
diesem Munde zum erstenmal ein Schrei der Wildheit: der Wut und der
Klage entlösen und er sich dann auf immer in Schweigen schließen,
konnte dieser noch so helle und klare Geist sich trüben in der Nacht
dieses Lebens . . . Und dann war es zu spät!

Nein, nie durfte das sein!

Er lachte plötzlich laut und bitter.

Sie sah erstaunt auf.

"Weshalb lachen Sie so?"

Alles in ihm schäumte auf.

"Dora Syk", rief er, und lachte wieder, wie eben, "Dora Syk--und
zweite Klassenlehrerin in der Schule für höhere Töchter zu Abdera!--
Nun, wenn das kein Witz ist, über den man lachen darf, dann weiß ich
es nicht!"

Sie erblaßte erst, dann überzog ein tiefer Unmut ihre Stirn. Zum
erstenmal mischte sich ein Klang von Schärfe in ihre Stimme.

"Sie verstehen meine Stellung völlig falsch, Grach." Sie sah ihn
fest an. "Ich bin nicht nur hierhergekommen, um für einige Zeit in
sicherer, äußerlich sicherer Situation leben zu können, sondern ich
bin auch hierhergekommen, weil ich--ich wiederhole: für einige Zeit
--der inneren Ruhe bedurfte. Und das ist genug Entschuldigung für
meine Flucht, wenn sie überhaupt einer bedarf."

Aber Grach war so erregt, daß er nur halb vernahm, was sie sagte.

"Ach was," rief er ungestüm, "eine Frau wie Sie hat überhaupt keine
Entschuldigung! Die einzige, welche es gäbe, wäre die: daß Sie hier
Ihr Leben wirklich leben. Aber zwischen diesen Mumien und
Geldsäcken, in diesem stagnierenden Haufen müssen sie ja über kurz
oder lang ersticken!"

Ihre Antwort erfolgte sofort. Sie war erzürnt.

"Sie gehen immer wieder von der unbegründeten und ganz falschen
Voraussetzung aus, daß ich mich auf immer hier vergraben wolle. Ich
denke nicht daran."

Er war aufgesprungen und ging auf und ab.

Sie war wieder völlig ruhig. Auch während der letzten Worte hatte
sich keine Linie ihrer ruhigen Haltung verändert.

"Ich weiß, was ich zu tun und zu lassen habe. Und wenn Sie es
durchaus wissen willen, nun ja, ich denke, ich gehe bald zurück in
die weite Welt meiner Heimat . . ."

Er stand ihr zur Seite und sie hörte seinen schweren Atem.

"Tun Sie es noch heute!" rief er leidenschaftlich, und mit bebender
Stimme fügte er, kaum hörbar selbst für sie, hinzu: "Und--tun Sie
es mit mir!" . . . .

Er sah auf sie nieder. Sie rührte sich nicht. Die leise Dämmerung,
die unter den hängenden Zweigen lag, verhinderte ihn zu sehen, wie
die Farbe ihres Gesichtes wechselte.

Sie antwortete nicht. Seine Hand lag auf der Lehne ihres Stuhles.

Dann sah sie auf seinen Sitz. Er verstand sie und setzte sich
langsam.

Sie nahm das vor ihr stehende Glas und leerte es mit einem Zuge.

Sein Herz klopfte.

Da sah sie ihn an und lächelte. Noch immer entgegnete sie ihm mit
keinem Worte. Aber er wußte jetzt, was er begehrte zu wissen.

Er nahm ihre schlaff herabhängende Hand. Er küßte sie nicht. Aber
mit beiden Händen umfaßte er sie innig, mit einem zarten und
zugleich festen Druck.

"Dora Syk," sagte er leise, und seine Stimme bebte noch immer, "die
Erde ist so arm an Glück in unseren Tagen. Sollten wir nicht einmal
versuchen, zusammen glücklich zu sein?"

Sie sahen sich an. In seinen Augen glühte die heiße, stumme,
begehrende Bitte.

Er hatte gesiegt. Er sah es an dem Ausdruck ihrer Augen, dem Lächeln
ihres Mundes, und er fühlte es an der Wärme ihrer Hand, die er nicht
losließ.

Sie zog sie zurück. Sie wollte nicht, daß die Stimmung sie
überwältigte.

"Schenken Sie mir noch einmal ein, Grach.--So.--Und nun lassen Sie
uns vernünftig zusammen sprechen, nun, wie Leute, die nicht mehr
ganz jung sind, über so etwas sprechen sollten."

Ihre Stimme hatte nur äußerlich den scherzhaften Klang.

Sie machte noch eine Pause, ehe sie begann.

"Ja" sagte sie endlich. "Sie haben recht. Ich muß fort von hier. Ich
will es selbst. Und auch darin haben Sie recht: es soll bald, es
soll sofort sein.--Meine Ferien beginnen erst in acht Tagen. Aber
ich kann mich vertreten lassen. Es ist das erste Mal, daß ich eine
Hilfe dieser Art in Anspruch nehme, und da es auch das letzte Mal
ist, habe ich keine Ursache, eine Zustimmung erst abzuwarten. Es
genügt, wenn ich dem Direktor die Anzeige meines Fortgehens mache.

Auch meine Verhältnisse kann ich sofort ordnen.--Aber bevor ich mit
Ihnen gehe, müssen Sie die folgenden Bedingungen annehmen:

Ich liebe meine Freiheit über alles, wie Sie die Ihre. Wir werden
also vollständig, in jeder Beziehung, unabhängig voneinander sein.
Wir werden uns gegenseitig verschonen mit allen läppischen
Zudringlichkeiten an Zeit und Stimmung. Wollen wir einen Weg nicht
zusammen miteinander gehen, so geht jeder seinen eigenen. Und--was
das Wichtigste ist--wir werden uns trennen in der ersten Stunde. in
der wir--anfangen werden, uns miteinander zu langweilen."

Sie beugte sich vor und sah ihn mit ihren schönen, klugen Augen an.

"Wollen Sie auf diese Bedingungen eingehen, Grach, dann geben Sie
mir nochmals die Hand."

Er griff nach ihren beiden Händen.

"Dora Syk," rief er in jugendlicher Begeisterung, "weiß der Himmel,
aber Sie sind doch die herrlichste Frau, die ich je in meinem Leben
kennen gelernt habe!"

Da lachte sie hell auf, und der Bann zwischen ihnen war gebrochen.
Frage auf Frage und Antwort auf Antwort folgten nun in buntem
Wirbel.

Nach Paris wollten sie gehen. Noch heute Abend. Mit dem Schnellzug
um halb elf Uhr. Morgen früh waren sie dort. Er zweifelte, daß sie
bis zehn Uhr fertig sein könnte. Gewiß, drei Stunden würden genügen
für sie. Hatte sie doch von niemand hier Abschied zu nehmen.

Aber lange hier bleiben durften sie dann nicht mehr. Welche Zeit war
es denn? Schon sieben! Ja, es war dunkel schon unter den Bäumen.
Einen Abschied aber wollte sie doch noch nehmen: von der Kleinen,
die sie so oft hier bedient, und mit der sie so manches freundliche
Wort getauscht, in der Einsamkeit ihrer vielen Stunden, die sie hier
verbracht.

Sie ging in das Haus und bat ihn, zu warten.

Nach zehn Minuten--zehn Minuten, in denen er wie betäubt von seinem
neuen Glück dagesessen hatte--kam sie zurück.

"Armes kleines Ding, sie hätte beinahe geweint. Aber ich habe ihr
gesagt, sie solle es so machen, wie ich."

Da hielt er sich nicht mehr und nahm sie in seine Arme. Sie ließ es
geschehen, daß er sie küßte.

Ernst, Würde, Fassung--Liebreiz, Güte, Harmonie, der Witz der
Feinheit--ein außergewöhnlicher Verstand, ein unergründbares Herz:
wie, alles dies besaß er plötzlich, ohne es sich erworben zu haben?--

Das letzte Glas stand vor ihnen. Der gelbe Wein schimmerte in der
Dämmerung.

"Auf unsere Liebe!--Dora!" rief er.

"Nein, auf die Freiheit unserer Liebe, die sie so schön macht!"
sagte sie langsam, bevor sie trank.




XVIII.

Sie verließen den Garten.

Sie sprachen nicht mehr. Schweigend gingen sie hin.

Aber als sie eine helle Kinderstimme singen hörten--grell und
falsch, doch unbekümmert klang es von den Lippen:



"Nur einmal blüht im Jahr der Mai--

"Nur einmal--im Leben--die--Lie--be!--"



sahen sie sich an und lächelten.

"Es ist nicht wahr--" sagten sie sich mit diesem Lächeln,
"hundertmal blühen sie, und immer von neuem, oft zusammen, oft der
eine ohne die andere . . ."

Und sie sagten sich:

"Aber nie hat sie uns so schön geblüht, wie dieses Mal . . ."

Wieder hörten sie die Stimme und die Worte.

"Es ist nicht wahr--"

"Es ist ewig nicht wahr--"

An dem Kreuzwege blieb sie stehen. Laut sagte sie ihm:

"Ich gehe jetzt nach Hause. Ich komme schneller dahin, wenn ich
allein gehe.--Um zehn Uhr bin ich auf dem Bahnhofe."

Sie gab ihm nicht die Hand, sie grüßte ihn nur mit dem Neigen ihrer
Stirn.

Er verstand sie. Er hatte den Hut abgenommen und er verbeugte sich,
als sie ging. Er verstand sie: es war nicht Feigheit, daß sie nicht
in den Gassen der Stadt mit ihm zusammen gesehen sein wollte. Nur
_jetzt_ wollte sie unbehelligt bleiben von den frechen Blicken der
Neugier, deren Worte sie von nun an nicht mehr berühren, deren Taten
sie von nun an nicht mehr hindern konnten . . .

Aber er konnte sich nicht enthalten, ihr nachzusehen. Nur eine ging
so: sie. Ohne das Wiegen der Hüften, das Schwanken der Schultern,
ging sie stets mit denselben ruhigen, auch in der Eile, wie jetzt,
noch gleichmäßigen, festen, kühnen Schritten die mehr als alles die
Gesundheit ihres Wesens zeichneten.

Die steile Straße abwärts führten sie diese Schritte; dann verbarg
ihren Kopf der hängende Zweig eines Baumes und gleich darauf ein
Haus ihre Gestalt, die der dämmernde Schatten des Abend bereits
verwischte.

So lange seine Augen sie noch faßten, sah er ihr nach. Nicht eher
ließ er los, was er leibhaftig mit den Sinnen zu fühlen noch
vermochte.

Auch durch die Dunkelheit der Entfernung hin versuchte er ihr noch
zu folgen.

Aber er war bereits lange allein.




XIX.

Er sah nach der Zeit: halb acht Uhr.

Also noch nicht drei Stunden waren vergangen, seit er zuletzt auf
diesem Platze gestanden hatte!--

Fast begann er irre zu werden an der Wirklichkeit seines Glückes.

War es nicht alles ein Traum?

Wie wunderbar: er stand als Mann wieder auf der Stätte seiner
Kindheit. Vor Augenblicken hatte er sie wieder gesehen, nach
Augenblicken sollte sie--und voraussichtlich--für immer wieder
hinter ihm liegen.

Kurze Augenblicke im langen Leben--: noch die Zeit eines Tages nicht
war vergangen. War sie vorüber, so faßten ihn wieder die Hände
_seiner_ Welt.

Alles war wunderbar.

Nur einen Menschen vielleicht gab es in dieser Stadt der Kleinheit,
der Selbstgefälligkeit, der Enge, nur einen einzigen wirklichen,
eigenen, freien Menschen, mit dem er zusammen zu leben vermochte--
und diesen Menschen hatte er gefunden! Seltsamer Zufall!

Hier gefunden--nicht in der Länge der Zeit, die auf kleinem Räume
alle Menschen, die ihn bewohnen, einmal aneinander vorüberzugehen
zwingt, nein, durch den seltensten Zufall der Welt, an den Grenzen
dieses Raumes, in der Freiheit der Natur, in der stillsten Stunde,
die keiner ihnen störte.

Er hatte erkannt, daß das Meiste von dem, was die Menschen Glück
nennen, sich erwerben läßt in Erfahrung und Ausdauer: Ruhe,
Klarheit, Sicherheit und eine gewisse Unabhängigkeit.

Die großen Zufälligkeiten des Glückes waren ihm nie begegnet und
wenig war, was er sich nicht hatte erringen müssen in eigener Kraft.
Daher fühlte er um so tiefer, wie ungeheuer groß der Zufall dieses
Glückes war, welches ihm hier entgegengetreten war, schimmernd,
blendend aus dunklem Rahmen hervor, dicht vor ihn hin--

Und eine wahnsinnige Seligkeit überkam ihn! . . .

Die Dämmerung nahm zu, und die Kühle mit ihr. Aus den Gärten kehrten
die Bürger mit den Ihrigen heim--zum Nachtessen, danach zur Kneipe.
Lichter flammten zu seinen Füßen auf. Ineinander zerrannen die
Umrisse der Häuser und Straßen, und scharf ragten nur noch die
spitzen Türme der Kirchen, der alten und der neuen, empor. Am
hellsten erstrahlten die Lichter drüben am anderen Bergeshang, wo
der Bahnhof lag. Flimmernde Linien liefen von dort aus nach beiden
Seiten und erloschen in den Nebentälern.

An den Enden des Tales aber lohten die mächtigen Brände der Hochöfen
in das Dunkel empor, riesige Feuergarben, dort wo eine Tag und Nacht
nicht rastende Arbeit in siegreichem Ringen lag mit einer
barmherzigen Natur und in fruchtlosem Kampfe mit unbarmherzigen,
ererbten, allmächtigen, verschimmelten Vorrechten.--

Ein Kätzchen in weißem Fell schlich über den Weg. An einem Kinde,
das auf der Bank vor einem der zerstreuten Häuser saß, wand es sich
vorüber und dann mit schnellen Sprüngen an Grach.

Dieser sah das Kind. Er griff in die Tasche, gab ihm alles, was er
an Geld erfaßte, hob es in die Höhe und küßte das Erschrockene auf
den Mund, gleich als müsse er sie stillen, die Erwartung nach seinem
Glück, die er nicht mehr ertrug.

Dann eilte er schnellen Schrittes und wie beflügelt die engen Pfade
zwischen den Gärten hin und den Berg hinunter.




XX.

Da war er wieder, der große, totenstille Platz, jetzt eingehüllt in
das Dunkel des Abends, da war sie wieder, die alte Kirche, an der er
jetzt vorbeischritt und die er als Knabe so oft zu betreten
gezwungen war, um tötliche Stunden der Langeweile auf ihren Bänken
zu verbringen, da waren sie wieder, die alte Brücke von Stein und
der alte Fluß.

Er stand lange über das Geländer gebeugt. Ein Gefühl von Versöhnung
begann sich in sein Inneres zu schleichen.

Er haßte sie nicht mehr, diese Stadt; er haßte sie nicht mehr, diese
Menschen.

Was waren sie ihm denn, daß er sie hassen sollte? Nichts.

Mochten sie leben und sterben, wie sie wollten, ihm war es gleich.
Litten sie selbst nicht am meisten darunter, daß sie so dicht
aufeinander saßen, einer in dem Genick des anderen, und sich so
gegenseitig langsam zu Tode quälten?

Und warum sollte er ihnen nicht das harmlose Vergnügen der
Selbstgefälligkeit gönnen? Mehr als ein Lachen war die Eitelkeit
dieser aufgeblähten Kleinheit sicher nicht wert.

Sie hatte hier gelebt und gelitten, drei Jahre lang. Er schämte
sich, wenn er seinen eigenen Unmut über den einen heutigen Tag
verglich mit ihrer vornehmen, schwermütigen Ruhe und ihrem milden,
starkem Ernst, der diese Menschen nicht ändern wollte, sondern sie
gehen ließ, aber sie bei Seite schob, wenn sie ihr lästig wurden.

Arme Stadt! lächelte er vor sich hin. Und er nahm ihr noch ihr
kostbarstes Gut . . .

Noch zwei Stunden. Immer noch zwei Stunden?

Er überschritt die Brücke und bog in die Hauptstraße ein. Dann
betrat er eine große, öffentliche Wirtschaft und setzte sich still
in eine Ecke.

Er bestellte sich zu essen. Aber als das Fleisch vor ihm stand,
erlosch plötzlich sein Hunger vor dem warmen Geruch, und er schob es
wieder von sich.

Innerlich--er fühlte es jetzt deutlich--war er dennoch aufs
höchste erregt.

Er sah sich um. In seiner Nähe stand ein großer runder Stammtisch,
der sich langsam zu besetzen begann. Mehr als ein Gesicht kam Grach
bekannt vor, und plötzlich fiel es ihm ein: das waren ja--es war
kein Zweifel mehr möglich--die "Schlitzohrigen", die größten Männer
der Stadt, weise im Rat und vorsichtig in der Tat, die er da vor
sich sah. Weshalb sie die "Schlitzohrigen" genannt wurden, wußte er
nicht mehr und hatte es wohl auch früher nie gewußt, aber der Name
tauchte wieder in ihm empor mit ganzer Deutlichkeit.

Und doch hatten sie sich verändert, die Zeiten: denn früher hatten
diese Gewaltigen allabendlich im "Nähkörbchen" verkehrt, und jetzt--
welcher Unterschied--saßen sie hier im Rachen des "Krokodils"!

Innerlich lachte er heimlich und herzlich. Die Lustigkeit siegte in
ihm. Jetzt konnte er essen, während er einzelne Worte auffing, die
von dort zu ihm herüberflogen.

Man sprach über städtische Angelegenheiten. Natürlich. Grach wußte,
über Politik zu sprechen, war hier verpönt.

Plötzlich hörte er eine Stimme, die er kannte. Er sah schärfer hin.
Kannte er dieses Gesicht?--Nein, es war nicht möglich.

Dieser philiströs aussehende Mann, der in kleinen, bedächtigen Zügen
sein Bier trank und in kleinen, bedächtigen Zügen seine Zigarre
rauchte, der so aussah, als ob er kein größeres Glück kenne, als
hier zu sitzen und zuzuhören, dieser Mann mit den schweren
Bewegungen und der zufriedenen Stimme, der offenbaren Hochachtung
vor jedem dieser alten Zöpfe, das war nimmermehr sein alter,
lustiger, zu allen Dummheiten stets aufgelegter Fritz, der mit dem
Gebrüll seiner Stimme so oft die Gasse erschüttert hatte in der
spätesten aller späten Stunden!--

Grach rief die Kellnerin herbei und fragte leise.

"I--e," sagte sie, "das ist der Herr Stadtverordnete Beuer."

Da trank er schnell sein Bier aus, zahlte und verließ das Lokal. Er
hatte plötzlich Angst bekommen, jener möge auch ihn wiedererkennen
und anreden. Und das wäre für sie beide doch zu niederdrückend
gewesen.




XXI.

Er war in seinem Hotel gewesen, um seine Sachen zu packen und seine
Rechnung zu bezahlen. Dann war er zum Bahnhof hinaufgestiegen und
hatte zwei Billets erster Klasse nach Paris gelöst. Er wußte, wann
er extravagant sein durfte. Heute. Im Wartesaal kaufte er dann noch
von dem alten Zeitungsverkäufer,--er erkannte auch ihn wieder--
einem alten Original, Fahrplan und Zeitungen.

Nun ging er auf dem Perron auf und ab mit großen und unregelmäßigen
Schritten.

Er wußte, sie würde kommen, denn sie hatte es gesagt. Eher ging die
Welt unter, als daß sie ihr Wort nicht hielt.

Und dennoch quälte ihn die Unruhe, die Unruhe der Erwartung.

Noch war die zehnte Stunde lange nicht gekommen. Der große Zeiger
auf der weißen Uhr hatte kaum die Sechszahl erreicht. Er wußte, daß
sie auch nicht früher kommen würde, als sie gesagt; und doch kehrten
seine unruhigen Blicke immer wieder zu der schwarzen, gähnenden
Oeffnung des Aufstiegs zurück, aus der von Zeit zu Zeit die Menschen
emporstiegen: Beamte, Reisende, Kofferträger, ein buntes
Durcheinander . . .

Der sommerliche Abend lag schwül unter dieser weiten Halle, die das
Dröhnen der Züge und hundert Rufe durchtönten und erzittern machten.
Ein und aus rasselten die Züge. Nur das Gleis für den Expreßzug, der
hier drei Minuten halten sollte, blieb frei. Die von den Rädern
abgeschliffenen Schienen glänzten weiß.

Grach hatte alles vergessen, was er heute gesehen--außer ihr.

Nur an sie dachte er noch und an sein Glück.

Er nannte nicht viel sein eigen. Jeder seiner Jugendfreunde in
dieser Stadt lebte sicher besser als er, und unter allen diesen
Menschen hätte wohl nicht einer mit ihm getauscht.

Und doch war er ein seliger Mann. Denn er war ein freier Mann.

Niemand hatte ihm zu befehlen, und niemandem hatte er zu gehorchen.
Er konnte gehen und kommen, wie er wollte, die ganze Welt war sein.

Nicht zu hassen und nicht zu verspotten, nicht zu beneiden, nein, zu
bemitleiden waren sie, die Menschen dort unten in der Stadt, die nur
ein Glück und nur eine Zufriedenheit kannten: Geld, Geld, Geld
zusammenzuscharren in mühseligem Erwerben, dem alle große Freude
fehlte: die Freude des echten Genießens! . . .

Und er wandte sich ab von ihnen.

Mit jeder Minute, die der zehnten Stunde nahte, wurde er ruhiger.
Seine Schritte wurden langsamer.

Als der Zeiger auf der Uhr den erwarteten Punkt ereicht hatte,
lehnte er sich mit verschränkten Armen an einen Pfeiler und ließ
keinen Blick mehr von der Treppe des Aufgangs.

Viele und verschiedene Menschen stiegen noch in den nächsten Minuten
vor ihm empor und gingen an ihm vorüber. Wohl an die hundert. An
keinem blieb sein Auge haften.

Dann aber sah er sie: langsam und sicher hob sich ihre hohe, stolze,
jetzt in einen grauen Staubmantel gehüllte, geliebte Gestalt von
Stufe zu Stufe.

Ihre Blicke waren gesenkt, und noch bemerkte sie ihn nicht.

Er ging ihr entgegen.



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE MENSCHEN DER EHE***


******* This file should be named 14700-8.txt or 14700-8.zip *******


This and all associated files of various formats will be found in:
https://www.gutenberg.org/dirs/1/4/7/0/14700



Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
https://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://www.gutenberg.org/fundraising/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit:
https://www.gutenberg.org/fundraising/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.