Kampagne in Frankreich

By Johann Wolfgang von Goethe

Project Gutenberg's Kampagne in Frankreich, by Johann Wolfgang von Goethe

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: Kampagne in Frankreich

Author: Johann Wolfgang von Goethe

Release Date: February 2, 2006 [EBook #17664]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KAMPAGNE IN FRANKREICH ***




Produced by Andrew Sly






Kampagne in Frankreich

Johann Wolfgang von Goethe




Den 23. August 1792.

Gleich nach meiner Ankunft in Mainz besuchte ich Herrn von Stein den
Älteren, königlich preußischen Kammerherrn und Oberforstmeister, der
eine Art Residentenstelle daselbst versah und sich im Hass gegen
alles Revolutionäre gewaltsam auszeichnete. Er schilderte mir mit
flüchtigen Zügen die bisherigen Fortschritte der verbündeten Heere
und versah mich mit einem Auszug des topographischen Atlas von
Deutschland, welchen Jäger zu Frankfurt unter dem Titel
"Kriegstheater" veranstaltet.

Mittags bei ihm zur Tafel fand ich mehrere französische Frauenzimmer,
die ich mit Aufmerksamkeit zu betrachten Ursache hatte; die eine --
man sagte, es sei die Geliebte des Herzogs von Orleans -- eine
stattliche Frau, stolzen Betragens und schon von gewissen Jahren, mit
rabenschwarzen Augen, Augenbraunen und Haar; übrigens im Gespräch mit
Schicklichkeit freundlich. Eine Tochter, die Mutter jugendlich
darstellend, sprach kein Wort. Desto munterer und reizender zeigte
sich die Fürstin Monaco, entschiedene Freundin des Prinzen von Condé,
die Zierde von Chantilly in guten Tagen. Anmutiger war nichts zu
sehen als diese schlanke Blondine: jung, heiter, possenhaft; kein
Mann, auf den sie's anlegte, hätte sich verwahren können. Ich
beobachtete sie mit freiem Gemüt und wunderte mich, Philinen, die ich
hier nicht zu finden glaubte, so frisch und munter ihr Wesen treibend
mir abermals begegnen zu sehen. Sie schien weder so gespannt noch
aufgeregt als die übrige Gesellschaft, die denn freilich in Hoffnung,
Sorgen und Beängstigung lebte. In diesen Tagen waren die Alliierten
in Frankreich eingebrochen. Ob sich Longwy sogleich ergeben, ob es
widerstehen werde, ob auch republikanisch-französische Truppen sich
zu den Alliierten gesellen und jedermann, wie es versprochen worden,
sich für die gute Sache erklären und die Fortschritte erleichtern
werde, das alles schwebte gerade in diesem Augenblick in Zweifel.
Kuriere wurden erwartet; die letzten hatten nur das langsame
Vorschreiten der Armee und die Hindernisse grundloser Wege gemeldet.
Der gepresste Wunsch dieser Personen ward nur noch bänglicher, als
sie nicht verbergen konnten, dass sie die schnellste Rückkehr ins
Vaterland wünschen mussten, um von den Assignaten, der Erfindung
ihrer Feinde, Vorteil ziehen, wohlfeiler und bequemer leben zu können.

Sodann verbracht' ich mit Sömmerrings, Huber, Forsters und andern
Freunden zwei muntere Abende: hier fühlt' ich mich schon wieder in
vaterländischer Luft. Meist schon frühere Bekannte, Studiengenossen,
in dem benachbarten Frankfurt wie zu Hause -- Sömmerrings Gattin war
eine Frankfurterin -- sämtlich mit meiner Mutter vertraut, ihre
genialen Eigenheiten schätzend, manches ihrer glücklichen Worte
wiederholend, meine große Ähnlichkeit mit ihr in heiterem Betragen
und lebhaften Reden mehr als einmal beteuernd: was gab es da nicht
für Anlässe, Anklänge, in einem natürlichen, angebornen und
angewöhnten Vertrauen! Die Freiheit eines wohlwollenden Scherzes
auf dem Boden der Wissenschaft und Einsicht verlieh die heiterste
Stimmung. Von politischen Dingen war die Rede nicht, man fühlte, dass
man sich wechselseitig zu schonen habe: denn wenn sie republikanische
Gesinnungen nicht ganz verleugneten, so eilte ich offenbar, mit einer
Armee zu ziehen, die eben diesen Gesinnungen und ihrer Wirkung ein
entschiedenes Ende machen sollte.

Zwischen Mainz und Bingen erlebt' ich eine Szene, die mir den Sinn
des Tages alsobald weiter aufschloss. Unser leichtes Fuhrwerk
erreichte schnell einen vierspännigen, schwer bepackten Wagen; der
ausgefahrne Hohlweg aufwärts am Berge her nötigte uns, auszusteigen,
und da fragten wir denn die ebenfalls abgestiegenen Schwäger, wer vor
uns dahinfahre? Der Postillion jenes Wagens erwiderte darauf mit
schimpfen und Fluchen, dass es Französinnen seien, die mit ihrem
Papiergeld durchzukommen glaubten, die er aber gewiss noch umwerfen
wolle, wenn sich einigermaßen Gelegenheit fände. Wir verwiesen ihm
seine gehässige Leidenschaft, ohne ihn im Mindesten zu bessern. Bei
sehr langsamer Fahrt trat ich hervor an den Schlag der Dame und
redete sie freundlich an, worauf sich ein junges, schönes, aber von
ängstlichen Zügen beschattetes Gesicht einigermaßen erheiterte.

Sie vertraute sogleich, dass sie dem Gemahl nach Trier folge und von
da baldmöglichst nach Frankreich zu gelangen wünsche. Da ich ihr nun
diesen Schritt als sehr voreilig schilderte, gestand sie, dass außer
der Hoffnung, ihren Gemahl wieder zu finden, die Notwendigkeit,
wieder von Papier zu leben, sie hierzu bewege. Ferner zeigte sie ein
solches Zutrauen zu den verbündeten Streitkräften der Preußen,
Österreicher und Emigrierten, dass man, wär' auch Zeit und Ort nicht
hinderlich gewesen, sie schwerlich zurückgehalten hätte.

Unter diesen Gesprächen fand sich ein sonderbarer Anstoß; über den
Hohlweg, worin wir befangen waren, hatte man eine hölzerne
Rinne geführt, die das nötige Wasser einer jenseits stechenden
oberschlächtigen Mühle zubrachte. Man hätte denken sollen, die Höhe
des Gestells wäre doch wenigstens auf einen Heuwagen berechnet
gewesen. Wie dem aber auch sei, das Fuhrwerk war so unmäßig obenauf
bepackt, Kistchen und Schachteln pyramidalisch übereinander getürmt,
dass die Rinne dem weiteren Fortkommen ein unüberwindliches Hindernis
entgegensetzte.

Hier ging nun erst das Fluchen und Schelten der Postillione los, die
sich um so viel Zeit aufgehalten sahen; wir aber erboten uns
freundlich, halfen abpacken und an der anderen Seite des träufelnden
Schlagbaums wieder aufpacken. Die junge, gute, nach und nach
entschüchterte Frau wusste nicht, wie sie sich dankbar genug benehmen
sollte; zugleich aber wuchs ihre Hoffnung auf uns immer mehr und
mehr. Sie schrieb den Namen ihres Mannes und bat inständig, da wir
doch früher als sie nach Trier kommen müssten, ob wir nicht am Tor
den Aufenthalt des Gatten schriftlich niederzulegen geneigt wären?
Bei dem besten Willen verzweifelten wir an dem Erfolg wegen Größe der
Stadt, sie aber ließ nicht von ihrer Hoffnung.

In Trier angelangt, fanden wir die Stadt von Truppen überlegt, von
allerlei Fuhrwerk überfahren, nirgends ein Unterkommen; die Wagen
hielten auf den Plätzen, die Menschen irrten auf den Straßen; das
Quartieramt, von allen Seiten bestürmt, wusste kaum Rat zu schaffen.
Ein solches Gewirr jedoch ist wie eine Art Lotterie, der Glückliche
zeiht irgendeinen Gewinn; und so begegnete mir Leutnant von Fritsch
von des Herzogs Regiment und brachte mich, nach freundlichstem
Begrüßen, zu einem Kanonikus, dessen großes Haus und weitläufiges
Gehöft mich und meine kompendiöse Equipage freundlich und bequemlich
aufnahm, wo ich denn sogleich einer genugsamen Erholung pflegte.
Gedachter junge militärische Freund, von Kindheit auf mir bekannt
und empfohlen, war mit einem kleinen Kommando in Trier zu verweilen
beordert, um für die zurückgelassenen Kranken zu sorgen, die
nachziehenden Maroden, verspätete Bagagewagen und dergleichen
aufzunehmen und sie weiter zu befördern; wobei denn auch mir seine
Gegenwart zugute kam, ob er gleich nicht gern im Rücken der Armee
verweilte, wo für ihn, als einen jungen strebenden Mann, wenig Glück
zu hoffen war.

Mein Diener hatte kaum das Notwendigste ausgepackt, als er sich in
der Stadt umzusehen Urlaub erbat; spät kam er wieder, und des anderen
Morgens trieb eine gleiche Unruhe ihn aus dem Haus. Mir war diese
seltsame Benehmen unerklärlich, bis das Rätsel sich löste: die
schönen Französinnen hatten ihn nicht ohne Anteil gelassen, er spürte
sorgfältig und hatte das Glück, sie auf dem großen Platz, mitten
unter hundert Wagen haltend, an der Schachtelpyramide zu erkennen,
ohne jedoch ihren Gemahl aufgefunden zu haben.

Auf dem Weg von Trier nach Luxemburg erfreute mich bald das Monument
in der Nähe von Igel. Da mir bekannt war, wie glücklich die Alten
ihre Gebäude und Denkmäler zu setzen wussten, warf ich in Gedanken
sogleich die sämtlichen Dorfhütten weg, und nun stand es an dem
würdigsten Platz. Die Mosel fließt unmittelbar vorbei, mit welcher
sich gegenüber ein ansehnliches Wasser, die Saar, verbindet; die
Krümmung der Gewässer, das Auf- und Absteigen des Erdreichs, eine
üppige Vegetation geben der Stelle Lieblichkeit und Würde.

Das Monument selbst könnte man einen architektonisch-plastisch
verzierten Obelisk nennen. Er steigt in verschiedenen, künstlerisch
übereinander gestellten Stockwerken in die Höhe, bis er sich zuletzt
in einer Spitze endigt, die mit Schuppen ziegelartig verziert ist und
mit Kugel, Schlange und Adler in der Luft sich abschloss.

Möge irgendein Ingenieur, welchen die gegenwärtigen Kriegsläufe in
diese Gegend führen und vielleicht eine Zeitlang festhalten, sich die
Mühe nicht verdrießen lassen, das Denkmal auszumessen, und, insofern
er Zeichner ist, auch die Figuren der vier Seiten, wie sie noch
kenntlich sind, uns überliefern und erhalten!

Wie viel traurige bildlose Obelisken sah ich nicht zu meiner Zeit
erreichten, ohne dass irgendjemand an jenes Monument gedacht hätte!
Es ist freilich schon aus einer spätern Zeit, aber man sieht immer
noch die Lust und Liebe, seine persönliche Gegenwart mit aller
Umgebung und den Zeugnissen von Tätigkeit sinnlich auf die Nachwelt
zu bringen. Hier stehen Eltern und Kinder gegeneinander, man schmaust
im Familienkreis; aber damit der Beschauer auch wisse, woher die
Wohlhäbigkeit komme, ziehen beladene Saumrosse einher, Gewerb' und
Handel wird auf mancherlei Weise vorgestellt. Denn eigentlich sind es
Kriegskommissarien, die sich und den Ihrigen dies Monument
errichteten, zum Zeugnis, dass damals wie jetzt an solcher Stelle
genugsamer Wohlstand zu erringen sei.

Man hatte diesen ganzen Spitzbau aus tüchtigen Sandquadern roh
übereinander getürmt und alsdann, wie aus einem Felsen, die
architektonisch-plastischen Gebilde herausgehauen. Die so manchem
Jahrhunderte widerstehende Dauer dieses Monuments mag sich wohl aus
einer so gründlichen Anlage herschreiben.

       *       *       *       *       *

Diesen angenehmen und furchtbaren Gedanken konnte ich mich nicht
lange hingeben: denn ganz nahe dabei, in Grevenmachern, war mir das
modernste Schauspiel bereitet. Hier fand ich das Korps Emigrierte,
das aus lauter Edelleuten, meist Ludwigsrittern, bestand. Sie hatten
weder Diener noch Reitknechte, sondern besorgten sich selbst und ihr
Pferd. Gar manchen hab' ich zur Tränke führen, vor der Schmiede
halten sehen. Was aber den sonderbarsten Kontrast mit diesem
demütigen Beginnen hervorrief, war ein großer, mit Kutschen und
Reisewagen aller Art überladener Wiesenraum. Sie waren mit Frau und
Liebchen, Kindern und Verwandten zu gleicher Zeit eingerückt, als
wenn sie den innern Widerspruch ihres gegenwärtigen Zustandes recht
wollten zur Schau tragen.

Da ich einige Stunden hier unter freiem Himmel auf Postpferde warten
musste, konnt' ich noch eine andere Bemerkung machen. Ich saß vor dem
Fenster des Posthauses, unfern von der Stelle, wo das Kästchen stand,
in dessen Einschnitt man die unfrankierten Briefe zu werfen pflegt.
Einen ähnlichen Zudrang hab' ich nie gesehen: zu Hunderten wurden sie
in die Ritze gesenkt. Das grenzenlose Bestreben, wie man mit Leib,
Seel' und Geist in sein Vaterland durch die Lücke des durchbrochenen
Dammes wieder einzuströmen begehre, war nicht lebhafter und
aufdringlicher vorzubilden.

Vor Langeweile und aus Lust, Geheimnisse zu entwickeln oder zu
supplieren, dacht' ich mir, was in dieser Briefmenge wohl enthalten
sein möchte? Da glaubt' ich denn eine Liebende zu spüren, die mit
Leidenschaft und Schmerz die Qual des Entbehrens in solcher Trennung
heftigst ausdrückte; einen Freund, der von dem Freund in der
äußersten Not einiges Geld verlangte; ausgetriebene Frauen mit
Kindern und Dienstanhang, deren Kasse bis auf wenige Geldstücke
zusammengeschmolzen war; feurige Anhänger der Prinzen, die, das Beste
hoffend, sich einander Lust und Mut zusprachen; andere, die schon das
Unheil in der Ferne witterten und sich über den bevorstehenden
Verlust ihrer Güter jammervoll beschwerten -- und ich denke, nicht
ungeschickt geraten zu haben.

Über manches klärte der Postmeister mich auf, der, um meine Ungeduld
nach Pferden zu beschwichtigen, mich vorsätzlich zu unterhalten
suchte. Er zeigte mir verschiedene Briefe mit Stempeln aus entfernten
Gegenden, die nun den Vorgerückten und Vorrückenden nachirren
sollten. Frankreich sei an allen seinen Grenzen mit solchen
Unglücklichen umlagert, von Antwerpen bis Nizza; dagegen stünden
ebenso die französischen Heere zur Verteidigung und zum Ausfall
bereit. Er sagte manches Bedenkliche; ihm schien der Zustand der
Dinge wenigstens sehr zweifelhaft.

Da ich mich nicht so wütend erwies wie andere, die nach Frankreich
hineinstürmten, hielt er mich blad für einen Republikaner und zeigte
mehr Vertrauen; er ließ mich die Unbilden bedenken, welche die
Preußen von Wetter und Weg über Koblenz und Trier erlitten, und
machte eine schauderhafte Beschreibung, wie ich das Lager in der
Gegend von Longwy finden würde; von allem war er gut unterrichtet und
schien nicht abgeneigt, andere zu unterrichten. Zuletzt suchte er
mich aufmerksam zu machen, wie die Preußen beim Einmarsch ruhige und
schuldlose Dörfer geplündert, es sei nun durch die Truppen geschehen
oder durch Packknechte und Nachzügler; zum Schein habe man's
bestraft, aber die Menschen im Innersten gegen sich aufgebracht.

Da musste mir denn jener General des Dreißigjährigen Kriegs
einfallen, welcher, als man sich über das feindselige Betragen seiner
Truppen in Freundesland höchlich beschwerte, die Antwort gab: "Ich
kann meine Armee nicht im Sack transportieren," überhaupt aber konnte
ich bemerken, dass unser Rücken nicht sehr gesichert sei.

Longwy, dessen Eroberung mir schon unterwegs triumphierend verkündigt
war, ließ ich auf meiner Fahrt rechts in einiger Ferne und gelangte
den 27. August nachmittags gegen das Lager von Praucourt. Auf einer
Fläche geschlagen, war es zu übersehen, aber dort anzulangen nicht
ohne Schwierigkeit. Ein feuchter, aufgewühlter Boden war Pferden und
Wagen hinderlich; daneben fiel es auf, dass man weder Wachen noch
Posten noch irgendjemand antraf, der sich nach den Pässen erkundigt
und bei dem man dagegen wieder einige Erkundigung hätte einziehen
können. Wir fuhren durch eine Zeltwüste, denn alles hatte sich
verkrochen, um vor dem schrecklichen Wetter kümmerlichen Schutz zu
finden. Nur mit Mühe erforschten wir von einigen die Gegend, wo wir
das herzoglich weimarische Regiment finden könnten, erreichten
endlich die Stelle, sahen bekannte Gesichter und wurden von
Leidensgenossen gar freundlich aufgenommen. Kämmerier Wagner und sein
schwarzer Pudel waren die ersten Begrüßenden; beide erkannten einen
vieljährigen Lebensgesellen, der abermals eine bedenkliche Epoche mit
durchkämpfen sollte. Zugleich erfuhr ich einen unangenehmen Vorfall:
des Fürsten Leibpferd, der Amaranth, war gestern nach einem
grässlichen Schrei niedergestürzt und tot geblieben.

Nun musste ich von der Situation des Lagers noch viel Schlimmeres
gewahren und vernehmen, als der Postmeister mir vorausgesagt. Man
denke sich's auf einer Ebene am Fuß eines sanft aufsteigenden Hügels,
an welchem ein von alters her gezogener Graben Wasser von Feldern und
Wiesen abhalten sollte; dieser aber wurde so schnell als möglich
Behälter alles Unrats, aller Abwürflinge: der Abzug stockte,
gewaltige Regengüsse durchbrachen nachts den Damm und führten das
widerwärtigeste Unheil unter die Zelte. Da ward nun, was die
Fleischer an Eingeweiden, Knochen und sonst beiseite geschafft, in
die ohnehin feuchten und ängstlichen Schlafstellen getragen.

Mir sollte gleichfalls ein zelt eingeräumt werden, ich zog aber vor,
mich des Tags über bei Freunden und Bekannten aufzuhalten und nachts
in dem großen Schlafwagen der Ruhe zu pflegen, dessen Bequemlichkeit
von früheren Zeiten her mir schon bekannt war. Seltsam musste man es
jedoch finden, wie er, obgleich nur etwa dreißig Schritte von den
Zelten entfernt, doch dergestalt unzugänglich bleib, dass ich mich
abends musste hinein und morgens wieder heraus tragen lassen.




Am 28. August.

So wunderlich tagte mir diesmal mein Geburtsfest. Wir setzten uns zu
Pferd und ritten in die eroberte Festung; das wohl gebaute und
befestigte Städtchen liegt auf einer Anhöhe. Meine Absicht war, große
wollene Decken zu kaufen, und wir verfügten uns sogleich in einen
Kramladen, wo wir Mutter und Töchter hübsch und anmutig fanden. Wir
feilschten nicht viel und zahlten gut und waren so artig, als es
Deutschen ohne Tournüre nur möglich ist.

Die Schicksale des Hauses während des Bombardements waren höchst
wunderbar. Mehrere Granaten hintereinander fielen in das
Familienzimmer, man flüchtete, die Mutter riss ein Kind aus der Wiege
und floh, und in dem Augenblick schlug noch eine Granate gerade durch
die Kissen, wo der Knabe gelegen hatte. Zum Glück war keine der
Granaten gesprungen, sie hatten die Möbel zerschlagen, am Getäfel
gesengt, und so war alles ohne weiteren Schaden vorübergegangen; in
den Laden war keine Kugel gekommen.

Dass der Patriotismus derer von Lognwy nicht allzu kräftig sein
mochte, sah man daraus, dass die Bürgerschaft den Kommandanten sehr
bald genötigt hatte, die Festung zu übergeben; auch hatten wir kaum
einen schritt aus dem Laden getan, als der innere Zwiespalt der
Bürger sich uns genugsam verdeutlichte. Königisch Gesinnte, und also
unsere Freunde, welche die schnell Übergabe bewirkt, bedauerten, dass
wir in dieses Warengewölbe zufällig gekommen und dem schlimmsten
aller Jakobiner, der mit seiner ganzen Familie nichts tauge, so viel
schönes Geld zu lösen gegeben. Gleichermaßen warnte man uns vor einem
splendiden Gasthof, und zwar so bedenklich, als wenn den Speisen
daselbst nicht ganz zu trauen sein möchte; zugleich deutete man auf
einen geringeren als zuverlässig, wo wir uns denn auch freundlich
aufgenommen und leidlich bewirtet sahen.

Nun saßen wir alte Kriegs- und Garnisons-kameraden traulich und
froh wieder neben und gegen einander; es waren die Offiziere des
Regiments, vereint mit des Herzogs Hof-, Haus- und Kanzleigenossen;
man unterhielt sich von dem Nächstvergangenen, wie bedeutend und
bewegt es Anfang Mais in Aschersleben gewesen, als die Regimenter
sich marschfertig zu halten Order bekommen, der Herzog von
Braunschweig und mehrere hohe Personen daselbst Besuch abgestattet,
wobei des Marquis von Bouillé als eines bedeutenden und in die
Operationen kräftig eingreifenden Fremden zu erwähnen nicht vergessen
wurde. Sobald dem horchenden Gastwirt dieser Name zu Ohren kam,
erkundigte er sich eifrigst, ob wir den Herren kennten? Die meisten
durften es bejahen, wobei er denn viel Respekt bewies und große
Hoffnung auf die Mitwirkung dieses würdigen, tätigen Mannes
aussprach, ja es wollte scheinen, als wenn wir von diesem Augenblick
an besser bedient würden.

Wie wir nun alle hier Versammelten uns mit Leib und Seele einem
Fürsten angehörig bekannten, der seit mehreren Regierungsjahren so
große Vorzüge entwickelt und sich nunmehr auch im Kriegshandwerk, dem
er von Jugend auf zugetan gewesen, das er seit geraumer Zeit
getrieben, bewähren sollte, so ward auf sein Wohl und seiner
Angehörigen nach guter deutscher Weise angestoßen und getrunken,
besonders aber auf des Prinzen Bernhards Wohl, bei welchem kurz vor
dem Ausmarsch Obristwachtmeister von Weyrach, als Abgeordneter des
Regiments, Gevatter gestanden hatte.

Nun wusste jeder von dem Marsch selbst gar manches zu erzählen, wie
man, den Harz links lassend, an Goslar vorbei nach Northeim durch
Göttingen gekommen; da hörte man denn von trefflichen und schlechten
Quartieren, bäurisch-unfreundlichen, gebildet-missmutigen,
hypochondrisch-gefälligen Wirten, von Nonnenklöstern und mancherlei
Abwechslung des Weges und Wetters. Alsdann war man am östlichen Rand
Westfallens her bis Koblenz gezogen, hatte mancher hübschen Frau zu
gedenken, von seltsamen Geistlichen, unvermutet begegnenden Freunden,
zerbrochenen Rädern, umgeworfenen Wagen buntscheckigen Bericht zu
erstatten.

Von Koblenz aus beklagte man sich über bergige Gegenden,
beschwerliche Wege und mancherlei Mangel und rückte sodann, nachdem
man sich im Vergangenen kaum zerstreut, dem Wirklichen immer näher;
der Einmarsch nach Frankreich in dem schrecklichsten Wetter ward als
höchst unerfreulich und als würdiges Vorspiel beschrieben des
Zustandes, den wir, nach dem Lager zurückkehrend, voraussehen
konnten. Jedoch in solcher Gesellschaft ermutigt sich einer am
anderen, und ich besonders beruhigte mich beim Anblick der köstlichen
wollenen Decken, welche der Reitknecht aufgebunden hatte.

Im Lager fand ich abends in dem großen Zelt die beste Gesellschaft;
sie war dort beisammen geblieben, weil man keinen Fuß heraussetzen
konnte; alles war gutes Muts und voller Zuversicht. Die schnelle
Übergabe von Longwy bestätigte die Zusage der Emigrierten, man werde
überall mit offenen Armen aufgenommen sein, und es schien sich dem
großen Vorhaben des revolutionären Frankreichs, durch die Manifeste
des Herzogs von Braunschweig ausgesprochen, zeigten sich ohne
Ausnahme bei Preußen, Österreichern und Emigrierten.

Freilich durfte man nur das wahrhaft bekannt Gewordene erzählen, so
ging daraus hervor, dass ein Volk, auf solchen Grad verunreinigt,
nicht einmal in Parteien gespalten, sondern im Innersten zerrüttet,
in lauter Einzelheiten getrennt, dem hohen Einheitssinn der edel
Verbündeten nicht widerstehen könne.

Auch hatte man schon von Kriegstaten zu erzählen. Gleich nach dem
Eintritt in Frankreich stießen beim Rekognozieren fünf Eskadronen
Husaren von Wolfrat auf tausend Chasseurs, die von Sedan der unser
Vorrücken beobachten sollten. Die Unsrigen, wohl geführt, griffen an,
und da die Gegenseitigen sich tapfer wehrten, auch keinen
Pardonannehmen wollten, gab es ein gräulich Gemetzel, worin wir
siegten, Gefangene machten, Pferde, Karabiner und Säbel erbeuteten,
durch welches Vorspiel der kriegerische Geist erhöht, Hoffnung und
Zutrauen fester gegründet wurden.

Am 29. August geschah der Aufbruch aus diesen halberstarrten Erd- und
Wasserwogen, langsam und nicht ohne Beschwerde: denn wie sollte man
Zelte und Gepäck, Monturen und sonstiges nur einigermaßen reinlich
halten, da sich keine Stelle fand, wo man irgendetwas zurechtlegen
und ausbreiten können!

Die Aufmerksamkeit jedoch, welche die höchsten Heerführer diesem
Abmarsch zuwendeten, gab uns frisches Vertrauen. Auf das strengste
war alles Fuhrwerk ohne Ausnahme hinter die Kolonne beordert, nur
jeder Regimentschef berechtigt, eine Chaise vor seinem Zug hergehen
zu lassen; da ich denn das Glück hatte, im leichten, offenen
Wägelchen die Hauptarmee für diesmal anzuführen. Beide Häupter, der
König sowohl als der Herzog von Braunschweig, mit ihrem Gefolge
hatten sich da postiert, wo alles an ihnen vorbei musste. Ich sah sie
von weiten, und als wir herankamen, ritten Ihro Majestät an mein
Wäglein heran und fragten in Ihro lakonischen Art, wem das Fuhrwerk
gehöre? Ich antwortete laut: "Herzog von Weimar!" und wir zogen
vorwärts. Nicht leicht ist jemand von einem vornehmern Visitator
angehalten worden.

Weiterhin jedoch fanden wir den Weg hie und a etwas besser. In einer
wunderlichen Gegend, wo Hügel und Tal miteinander abwechselten, gab
es besonders für die zu Pferde noch trockene Räume genug, um sich
behaglich vorwärts bewegen zu können. Ich warf mich auf das meine,
und so ging es freier und lustiger fort; das Regiment hatte den
Vortritt bei der Armee, wir konnten also immer voraus sein und der
lästigen Bewegung des Ganzen völlig entgehen.

Der Marsch verließ die Hauptstraße, wir kamen über Arrancy, worauf
uns denn Chatillon l'Abbaye, als erste Kennzeichen der Revolution,
ein verkauftes Kirchengut, in halb abgebrochenen und zerstörten
Mauern zur Seite liegen blieb.

Nun aber sahen wir über Hügel und Tal des Königs Majestät sich eilig
zu Pferde bewegend, wie den Kern eines Kometen von einem langen,
schweifartigen Gefolge begleitet. Kaum war jedoch dieses Phänomen mit
Blitzesschnelle vor uns vorbei geschwunden, als ein zweites von einer
andern Seite den Hügel krönte oder das Tal erfüllte. Es war der
Herzog von Braunschweig, der Elemente gleicher Art an und nach sich
zog. Wir nun, obgleich mehr zum Beobachten als zum Beurteilen
geneigt, konnten doch der Betrachtung nicht ausweichen, welche von
beiden Gewalten denn eigentlich die obere sei? Welche wohl im
zweifelhaften Falle zu entscheiden habe? Unbeantwortete Fragen, die
uns nur Zweifel und Bedenklichkeiten zurückließen.

Was nun aber hierbei noch ernsteren Stoff zum Nachdenken gab, war,
dass man beide Heerführer so ganz frank und frei in ein Land
hineinreiten sah, wo nicht unwahrscheinlich in jedem Gebüsch ein
aufgeregter Todfeind lauern konnte. Doch mussten wir gestehen, dass
gerade das kühne persönliche Hingeben von jeher den Sieg errang und
die Herrschaft behauptete.

Bei wolkigem Himmel schien die Sonne sehr heiß; das Fuhrwerk in
grundlosem Boden fand ein schweres Fortkommen. Zerbrochene Räder an
Wagen und Kanonen machten gar manchen Aufenthalt, hie und da
ermattete Füseliere, die sich schon nicht mehr fortschleppen konnten.

Man hörte die Kanonade bei Thionville und wünschte jener Seite guten
Erfolg.

Abends erquickten wir uns im Lager bei Pillon. Eine liebliche
Waldwiesenahm uns auf, der Schatten erfrischte schon, zum Küchfeuer
war Gestrüpp genug bereit; ein Bach floss vorbei und bildete zwei
klare Bassins, die beide sogleich von Menschen und Tieren sollten
getrübt werden. Das eine gab ich frei, verteidigte das andere mit
Heftigkeit und ließ es sogleich mit Pfählen und Stricken umziehen.
Ohne Lärm gegen die Zudringlichkeiten ging es nicht ab. Da fragte
einer von unsern Reitern den andern, die eben ganz gelassen an ihrem
Zeug putzten: "Wer ist denn der, der sich so mausig macht?" -- "Ich
weiß nicht," versetzte der andere, "aber er hat recht."

Also kamen nun Preußen und Österreicher und ein Teil von Frankreich,
auf französischem Boden ihr Kriegshandwerk zu treiben. In wessen
Macht und Gewalt taten sie das? Sie konnten es in eignem Namen tun,
der Krieg war ihnen zum Teil erklärt, ihr Bund war kein Geheimnis;
aber nun ward noch ein Vorwand erfunden. Sie traten auf im Namen
Ludwigs XVI., sie requirierten nicht, aber sie borgten gewaltsam. Man
hatte Bons drucken lassen, die der Kommandierende unterzeichnete,
derjenige aber, der sie in Händen hatte, nach Befund beliebig
ausfüllte: Ludwig XVI. sollte bezahlen. Vielleicht hat nach dem
Manifest nichts so sehr das Volk gegen das Königtum aufgehetzt als
diese Behandlungsart. Ich war selbst bei einer solchen Szene
gegenwärtig, deren ich mich als höchst tragisch erinnere. Mehrere
Schäfer mochten ihre Herden vereinigt haben, um sie in Wäldern oder
sonst abgelegenen Orten sicher zu verbergen; von tätigen Patrouillen
aber aufgegriffen und zur Armee geführt, sahen sie sich zuerst wohl
und freundlich empfangen. Man fragte nach den verschiedenen
Besitzern, man sonderte und zählte die einzelnen Herden. Sorge und
Frucht, doch mit einiger Hoffnung, schwebte auf den Gesichtern der
tüchtigen Männer. Als sich aber dieses Verfahren dahin auflöste, dass
man die Herden unter Regimenter und Kompanien verteilte, den
Besitzern hingegen ganz höflich auf Ludwig XVI. gestellte Papiere
überreichte, indessen ihre wolligen Zöglinge von den ungeduldigen,
fleischlustigen Soldaten vor ihren Füßen ermordet wurden, so gesteh'
ich wohl: es ist mir nicht leicht eine grausamere Szene und ein
tieferer männlicher Schmerz in allen seinen Abstufungen jemals vor
Augen und zur Seele gekommen. Die griechischen Tragödien allein haben
so einfach tief Ergreifendes.




Den 30. August.

Vom heutigen Tag, der uns gegen Verdun bringen sollte, versprachen
wir uns Abenteuer, und sie blieben nicht aus. Der auf- und abwärts
gehende Weg war schon besser getrocknet, das Fuhrwerk zog
ungehinderter dahin, die Reiter bewegten sich leichter und
vergnüglich.

Es hatte sich eine muntere Gesellschaft zusammengefunden, die, wohl
beritten, so weit vorging, bis sie einen Zug Husaren antraf, der den
eigentlichen Vortrab der Hauptarmee machte. Der Rittmeister, ein
gesetzter Mann, schon über die mittleren Jahre, schien unsere Ankunft
nicht gerne zu sehen. Die strengste Aufmerksamkeit war ihm empfohlen:
alles sollte mit Vorsicht geschehen, jede unangenehme Zufälligkeit
klüglich beseitigt werden. Er hatte seine Leute kunstmäßig verteilt,
sie rückten einzeln vor in gewissen Entfernungen, und alles begab
sich in der größten Ordnung und Ruhe. Menschenleer war die Gegend,
die äußerste Einsamkeit ahnungsvoll. So waren wir, Hügel auf Hügel
ab, über Mangiennes, Damvillers, Wawrille und Ormont gekommen, als
auf einer Höhe, die eine schöne Aussicht gewährte, rechts in den
Weinbergen ein Schuss fiel, worauf die Husaren sogleich zufuhren, die
nächste Umgebung zu untersuchen. Sie brachten auch wirklich einen
schwarzhaarigen, bärtigen Mann herbei, der ziemlich wild aussah und
bei dem man ein schlechtes Terzerol gefunden hatte. Er sagte trotzig,
dass er die Vögel aus seinem Weinberg verscheuche und niemand etwas
zuleide tue. Der Rittmeister schien, bei stiller Überlegung, diesen
Fall mit seinen gemessenen Orders zusammenzuhalten und entließ den
bedrohten Gefangenen mit einigen Hieben, die der Kerl so eilig mit
auf den Weg nahm, dass man ihm seinen Hut mit großem Lustgeschrei
nachwarf, den er aber aufzunehmen keinen Beruf empfand.

Der Zug ging weiter, wir unterhielten uns über die Vorkommenheiten
und über manches, was zu erwarten sein möchte. Nun ist zu
bemerken, dass unsere kleine Gesellschaft, wie sie sich den
Husaren aufgedrungen hatte, zufällig zusammengekommen, aus den
verschiedensten Elementen bestand; meistens waren es gradsinnige,
jeder nach seiner Weise dem Augenblick gewidmete Menschen. Einen
jedoch muss ich besonders auszeichnen, einen ernsten, sehr achtbaren
Mann von der Art, wie sie zu jener Zeit unter den preußischen
Kriegsleuten öfter vorkamen, mehr ästhetisch als philosophisch
gebildet, ernst mit einem gewissen hypochondrischen Zug, still in
sich gekehrt und zum Wohltun mit zarter Leidenschaft aufgelegt.

Als wir so weiter vor uns hinrückten, trafen wir auf eine so seltsame
als angenehme Erscheinung, die eine allgemeine Teilnahme erregte.
Zwei Husaren brachten ein einspänniges zweirädriges Wägelchen
den Berg herauf, und als wir uns erkundigten, was unter der
übergespannten Leinwand wohl befindlich sein möchte, so fand sich
ein Knabe von etwa zwölf Jahren, der das Pferd lenkte, und ein
wunderschönes Mädchen oder Weibchen, das sich aus der Ecke
hervorbeugte, um die vielen Reiter anzusehen, die ihren zweirädrigen
Schirm umzingelten. Niemand blieb ohne Teilnahme, aber die eigentlich
tätige Wirkung für die Schöne mussten wir unserm empfindenden Freund
überlassen, der von dem Augenblick an, als er das bedürftige Fuhrwerk
näher betrachtet, sich zur Rettung unaufhaltsam hingedrängt fühlte.
Wir traten in den Hintergrund; er aber fragte genau nach allen
Umständen, und es fand sich, dass die junge Person, in Samogneux
wohnhaft, dem bevorstehenden Bedrängnis seitwärts zu entfernteren
Freunden auszuweichen willens, sich eben der Gefahr in den Rachen
geflüchtet habe; wie in solchen ängstlichen Fällen der Mensch wähnt,
es sei überall besser als da, wo er ist. Einstimmig ward ihr nun auf
das freundlichste begreiflich gemacht, dass sie zurückkehren müsse.
Auch unser Anführer, der Rittmeister, der zuerst eine Spionerei hier
wittern wollte, ließ sich endlich durch die herzliche Rhetorik des
sittlichen Mannes überreden, der sie denn auch, zwei Husaren an der
Seite, bis an ihren Wohnort einigermaßen getröstet zurückgebrachte,
woselbst sie uns, die wir in bester Ordnung und Mannszucht bald
nachher durchzogen, auf einem Mäuerchen unter den Ihrigen stehend,
freundlich und, weil das erste Abenteuer so gut gelungen war,
hoffnungsvoll begrüßte.

Es gibt dergleichen Pausen mitten in den Kriegszügen, wo man durch
augenblickliche Mannszucht sich Kredit zu verschaffen sucht und eine
Art von gesetzlichem Frieden mitten in der Verwirrung beordert. Diese
Momente sind köstlich für Bürger und Bauern und für jeden, dem das
dauernde Kriegsunheil noch nicht allen Glauben an Menschlichkeit
geraubt hat.

Ein Lager diesseits Verdun wird aufgeschlagen, und man zählt auf
einige Tage Rast.

Den 31. morgens war ich im Schlafwagen, gewiss der trockensten,
wärmsten und erfreulichsten Lagerstätte, halb erwacht, als ich etwas
an den Ledervorhängen ruaschen hörte und bei Eröffnung derselben den
Herzog von Weimar erblickte, der mir einen unerwarteten Fremden
vorstellte. Ich erkannte sogleich den abenteuerlichen Grothaus,
der, seine Parteigängerrolle auch hier zu spielen nicht abgeneigt,
angelangt war, um den bedenklichen Auftrag der Aufforderung Verduns
zu übernehmen. In Gefolg dessen war er gekommen, unsern fürstlichen
Anführer um einen Stabstrompeter zu ersuchen, welcher, einer solchen
besondern Auszeichnung sich erfreuend, alsobald zu dem Geschäft
beordert wurde. Wir begrüßten uns, alter Wunderlichkeiten eingedenk,
auf das heiterste, und Grothaus eilte zu seinem Geschäft; worüber
denn, als es vollbracht war, gar mancher Scherz getrieben wurde. Man
erzählte sich, wie er, den Trompeter voraus, den Husaren hinterdrein,
die Fahrstraße hinab geritten, die Verduner aber als Sansculotten,
das Völkerrecht nicht kennend oder verachtend, auf ihn kanoniert;
wie er ein weißes Schnupftuch an die Trompete befestigt und immer
heftiger zu blasen befohlen; wie er, von einem Kommando eingeholt und
mit verbundenen Augen allein in die Festung geführt, alldort schöne
Reden gehalten, aber nichts bewirkt -- und was dergleichen mehr war,
wodurch man denn nach Weltart den geleisteten Dienst zu verkleinern
und dem Unternehmenden die Ehre zu verkümmern wusste.

Als nun die Festung, wie natürlich, auf die erste Forderung, sich zu
ergeben, abgeschlagen, musste man mit Anstalten zum Bombardement
vorschreiten. Der Tag ging hin, indessen besorgt' ich noch ein
kleines Geschäft, dessen gute Folgen sich mir bis auf den heutigen
Tag erstrecken. In Mainz hatte mich Herr von Stein mit dem
Jägerischen Atlas versorgt, welcher den gegenwärtigen, hoffentlich
auch den nächstkünftigen Kriegsschauplatz in mehreren Blättern
darstellte. Ich nahm das eine hervor, das achtundvierzigste, in
dessen Bezirk ich bei Longwy herein getreten war, und da unter des
Herzogs Leuten sich gerade ein Boßler befand, so ward es zerschnitten
und aufgezogen und dient mir noch zur Wiedererinnerung jener für die
Welt und mich so bedeutenden Tage.

Nach solchen Vorbereitungen zum künftigen Nutzen und augenblicklicher
Bequemlichkeit sah ich mich um auf der Wiese, wo wir lagerten und von
wo sich die Zelte bis auf die Hügel erstreckten. Auf dem großen,
grünen, ausgebreiteten Teppich zog ein wunderliches Schauspiel meine
Aufmerksamkeit an sich: eine Anzahl Soldaten hatten sich in einen
Kreis gesetzt und hantierten etwas innerhalb desselben. Bei näherer
Untersuchung fand ich sie um einen trichterförmigen Erdfall gelagert,
der, von dem reinsten Quellwasser gefüllt, oben etwa dreißig Fuß im
Durchmesser haben konnte. Nun waren es unzählige kleine Fischchen,
nach denen die Kriegsleute angelten, wozu sie das Gerät neben ihrem
übrigen Gepäck mitgebracht hatten. Das Wasser war das klarste von der
Welt, und die Jagd lustig genug anzusehen. Ich hatte jedoch nicht
lange diesem Spiel zugeschaut, als ich bemerkte, dass die Fischlein,
indem sie sich bewegten, verschiedene Farben spielten. Im ersten
Augenblick hielt ich diese Erscheinung für Wechselfarben der
beweglichen Körperchen, doch blad eröffnete sich mir eine willkommene
Aufklärung. Eine Scherbe Steingut war in den Trichter gefallen.
Welche mir aus der Tiefe herauf die schönsten prismatischen Farben
gewährte. Heller als der Grund, dem Auge entgegen gehoben, zeigte sie
an dem von mir abstehenden Rand die Blau- und Violettfarbe, an dem
mir zugekehrten Rande dagegen die rote und gelbe. Als ich mich darauf
um die Quelle ringsum bewegte, folgte mir, wie natürlich bei einem
solchen subjektiven Versuche, das Phänomen, und die Farben
erschienen, bezüglich auf mich, immer dieselbigen.

Leidenschaftlich ohnehin mit diesen Gegenständen beschäftigt, machte
mir's die größte Freude, dasjenige hier unter freiem Himmel so frisch
und natürlich zu sehen, weshalb sich die Lehrer der Physik schon fast
hundert Jahre mit ihren Schülern in eine dunkle Kammer einzusperren
pflegten. Ich verschaffte mir noch einige Scherbenstücke, die ich
hineinwarf, und konnte gar wohl bemerken, dass die Erscheinung unter
der Oberfläche des Wassers sehr bald anfing, beim Hinabsinken immer
zunahm, und zuletzt ein kleiner weißer Körper, ganz überfärbt, in
Gestalt eines Flämmchens am Boden anlangte. Dabei erinnerte ich mich,
dass Agricola schon dieser Erscheinung gedacht und sie unter die
feurigen Phänomene zu rechnen sich bewogen gesehen.

Nach Tisch ritten wir auf den Hügel, der unseren Zelten die Ansicht
von Verdun verbarg. Wir fanden die Lage der Stadt als einer solchen
sehr angenehm, von Wiesen, Gärten umgeben, in einer heitern Fläche,
von der Maas in mehreren Ästen durchströmt, zwischen näheren und
ferneren Hügeln; als Festung freilich einem Bombardement von allen
Seiten ausgesetzt. Der Nachmittag ging hin mit Errichtung der
Batterien, da die Stadt sich zu ergeben geweigert hatte. Mit guten
Ferngläsern beschauten wir indessen die Stadt und konnten ganz genau
erkennen, was auf dem gegen uns gekehrten Wall vorging: mancherlei
Volk, das sich hin und her bewegte und besonders an einem Fleck sehr
tätig zu sein schien.

Um Mitternacht fing das Bombardement an, sowohl von der Batterie auf
unserm rechten Ufer als von einer andern auf dem linken, welche,
näher gelegen und mit Brandraketen spielend, die stärkste Wirkung
hervorbrachte. Diese geschwänzten Feuermeteore musste man denn ganz
gelassen durch die Luft fahren und bald darauf ein Stadtquartier in
Flammen sehen. Unsere Ferngläser, dorthin gerichtet, gestatteten
uns, auch dieses Unheil im einzelnen zu betrachten; wir konnten
die Menschen erkennen, die sich oben auf den Mauern dem Brand
Einhalt zu tun eifrig bemühten, wir konnten die frei stehenden,
zusammenstürzenden Gesparre bemerken und unterscheiden. Dieses alles
geschah in Gesellschaft von Bekannten und Unbekannten, wobei es
unsägliche, oft widersprechende Bemerkungen gab und gar verschiedene
Gesinnungen geäußert wurden. Ich war in eine Batterie getreten, die
eben gewaltsam arbeitete, allein der fürchterlich dröhnende Klang
abgefeuerter Haubitzen fiel meinem friedlichen Ohr unerträglich: ich
musste mich bald entfernen. Da traf ich auf den Fürsten Reuß den XI.,
der mir immer ein freundlicher, gnädiger Herr gewesen. Wir gingen
hinter Weinbergsmauern hin und her, durch sie geschützt vor den
Kugeln, welche heraus zu senden die Belagerten nicht faul waren.
Nach mancherlei politischen Gesprächen, die uns denn freilich nur in
ein Labyrinth von Hoffnungen und Sorgen verwickelten, fragte mich
der Fürst, womit ich mich gegenwärtig beschäftige, und war sehr
verwundert, als ich, anstatt von Tragödien und Romanen zu vermelden,
aufgeregt durch die heutige Refraktionserscheinung, von der
Farbenlehre mit großer Lebhaftigkeit zu sprechen begann. Denn es
ging mir mit diesen Entwickelungen natürlicher Phänomene wie mit
Gedichten: ich machte sie nicht, sondern sie machten mich. Das einmal
erregte Interesse behauptete sein Recht, die Produktion ging ihren
Gang, ohne sich durch Kanonenkugeln und Feuerballen im mindesten
stören zu lassen. Der Fürst verlangte, dass ich ihm fasslich machen
sollte, wie ich in dieses Feld geraten? Hier gereichte mir nun der
heutige Fall zu besonderem Nutzen und Frommen.

Bei einem solchen Mann bedurft' es nicht vieler Worte, um ihn zu
überzeugen, dass ein Naturfreund, der sein Leben gewöhnlich im
Freien, es sei nun im Garten, auf der Jagd, reisend oder durch
Feldzüge durchführt, Gelegenheit und Muße genug finde, die Natur im
großen zu betrachten und sich mit den Phänomenen aller Art bekannt zu
machen. Nun bieten aber atmosphärische Luft, Dünste, Regen, Wasser
und Erde uns immerfort abwechselnde Farberscheinungen, und zwar unter
so verschiedenen Bedingungen und Umständen, dass man wünschen müsse,
solche bestimmter kennen zu lernen, sie zu sondern, unter gewisse
Rubriken zu bringen, ihre nähere und fernere Verwandtschaft
auszuforschen. Hierdurch gewinne man nun in jedem Fach neue
Ansichten, unterschieden von der Lehre der Schule und von gedruckten
Überlieferungen. Unsere Altväter hätten, begabt mit großer
Sinnlichkeit, vortrefflich gesehen, jedoch ihre Beobachtungen nicht
fort- und durchgesetzt; am wenigsten sei ihnen gelungen, die
Phänomene wohl zu ordnen und unter die rechten Rubriken zu bringen.

Dergleichen war abgehandelt, als wir den feuchten Rasen hin und her
gingen; ich setze, aufgeregt durch Fragen und Einreden, meine Lehre
fort, als die Kälte des einbrechenden Morgens uns an ein Biwak der
Österreicher trieb, welches, die ganze Nacht unterhalten, einen
ungeheueren wohltätigen Kohlenkreis darbot. Eingenommen von meiner
Sache, mit der ich mich erst seit zwei Jahren beschäftigte und die
also noch in einer frischen, unreifen Gärung begriffen war, hätte ich
kaum wissen können, ob der Fürst mir auch zugehört, wenn er nicht
einsichtige Worte dazwischen gesprochen und zum Schluss meinen
Vortrag wieder aufgenommen und beifällige Aufmunterung gegönnt hätte.

Wie ich denn immer bemerkt habe, dass mit Geschäfts- und Weltleuten,
die sich gar vielerlei aus dem Stegreif müssen vortragen lassen und
deshalb immer auf ihrer Hut sind, um nicht hintergangen zu werden,
viel besser auch in wissenschaftlichen Dingen zu handeln ist, weil
sie den Geist frei halten und dem Referenten aufpassen, ohne weiteres
Interesse als eigene Aufklärungen; da Gelehrte hingegen gewöhnlich
nichts hören, als was sie gelernt und gelehrt haben und worüber
sie mit ihresgleichen übereingekommen sind. In die Stelle des
Gegenstandes setzt sich ein Wort-Kredo, bei welchem denn so gut zu
verharren ist als bei irgendeinem andern.

Der Morgen war frisch, aber trocken; wir gingen, teils gebraten,
teils erstarrt, wieder auf und ab und shaen an den Weinbergsmauern
sich auf einmal etwas regen. Es war ein Pikett Jäger, das die Nacht
da zugebracht hatte, nun aber Büchse und Tornister wieder aufnahm,
hinab in die niedergebrannten Vorstädte zog, um von da aus die Wälle
zu beunruhigen. Einem wahrscheinlichen Tod entgegengehend, sangen
sie sehr libertine Lieder, in dieser Lage vielleicht verzeihbar.

Kaum verließen sie die Stätte, als ich auf der Mauer, an der sie
geruht, ein sehr auffallendes geologisches Phänomen zu bemerken
glaubte: ich sah auf dem von Kalkstein errichteten weißen Mäuerchen
ein Gesims von hellgrünen Steinen völlig von der Farbe des Jaspis
und war höchlich betroffen, wie mitten in diesen Kalkflözen eine so
merkwürdige Steinart in solcher Menge sich sollte gefunden haben.
Auf die eigenste Weise ward ich jedoch entzaubert, als ich, auf
das Gespenst losgehend, sogleich bemerkte, dass es das Innere von
verschimmeltem Brot sei, das, den Jägern ungenießbar, mit gutem Humor
ausgeschnitten und zu Verzierung der Mauer ausgebreitet worden.

Hier gab es nun sogleich Gelegenheit, von der, seitdem wir in
Feindesland eingetreten, immer wieder zur Sprache kommenden
Vergiftung zu reden; welche freilich ein kriegendes Heer mit
panischem Schrecken erfüllt, indem nicht allein jede vom Wirt
angebotene Speise, sondern auch das selbstgebackene Brot verdächtig
wird, dessen innerer, schnell sich entwickelnder Schimmel ganz
natürlichen Ursachen zuzuschreiben ist.

Es war den 1. September früh um acht Uhr, als das Bombardement
aufhörte, ob man gleich noch immerfort Kugeln hinüber und
herüber wechselte. Besonders hatten die belagerten einen
Vierundzwanzig-Pfünder gegen uns gekehrt, dessen sparsame Schüsse
sie mehr zum Scherz als Ernst verwendeten.

Auf der freien Höhe zur Seite der Weinberge, grad' im Angesicht
dieses gröbsten Geschützes, waren zwei Husaren zu Pferd aufgestellt,
um Stadt und Zwischenraum aufmerksam zu beobachten. Diese blieben die
Zeit ihrer Postierung über unangefochten. Weil aber bei der Ablösung
sich nicht allein die Zahl der Mannschaft vermehrte, sondern auch
manche Zuschauer grad' in diesem Augenblick herbeiliefen und ein
tüchtiger Klump Menschen zusammenkam, so hielten jene ihre Ladung
bereit. Ich stand in diesem Augenblick mit dem Rücken dem ungefähr
hundert Schritt entfernten Husaren- und Volkstrupp zugekehrt, mich
mit einem Freund besprechend, als auf einmal der grimmige,
pfeifend-schmetternde Ton hinter mir hersauste, so dass ich mich auf
dem Absatz herumdrehte, ohne sagen zu können, ob der Ton, die bewegte
Luft, eine innere psychische, sittliche Anregung dieses Umkehren
hervorgebracht. Ich sah die Kugel, weit hinter der auseinander
gestobenen Menge, noch durch einige Zäune rikoschettieren. Mit großem
Geschrei lief man ihr nach, als sie aufgehört hatte, furchtbar zu
sein; niemand war getroffen, und die Glücklichen, die sich dieser
runden Eisenmasse bemächtigt, trugen sie im Triumph umher.

Gegen Mittag wurde die Stadt zum zweiten Mal aufgefordert und erbat
sich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Diese nutzten auch wir, uns
etwas bequemer einzurichten, um zu proviantieren, die Gegend umher
zu bereiten, wobei ich denn nicht unterließ, mehrmals zu der
unterrichtenden Quelle zurückzukehren, wo ich meine Beobachtungen
ruhiger und besonnener anstellen konnte; denn das Wasser war rein
ausgefischt und hatte sich vollkommen klar und ruhig gesetzt, um das
Spiel der niedersinkenden Flämmchen nach Lust zu wiederholen, und ich
befand mich in der angenehmsten Gemütsstimmung. Einige Unglücksfälle
versetzten uns wieder bald in Kriegszustand.

Ein Offizier von der Artillerie suchte sein Pferd zu tränken, der
Wassermangel in der Gegend war allgemein; meine Quelle, an der er
vorbei ritt, lag nicht flach genug, er begab sich nach der nahe
fließenden Maas, wo er an einem abhängigen Ufer versank: das Pferd
hatte sich gerettet, ihn trug man tot vorbei.

Kurz darauf sah und hörte man eine starke Explosion im
österreichischen Lager, an dem Hügel, zu dem wir hinaufsehen konnten;
Knall und Dampf wiederholte sich einige Mal. Bei einer Bombenfüllung
war durch Unvorsichtigkeit Feuer entstanden, das höchste Gefahr
drohte; es teilte sich schon gefüllten Bomben mit, und man hatte zu
fürchten, der ganze Vorrat möcht ein die Luft gehen. Bald aber war
die Sorge gestillt durch rühmliche Tat kaiserlicher Soldaten, welche,
die bedrohende Gefahr verachtend, Pulver und gefüllte Bomben aus dem
Zeltraum eilig hinaustrugen.

So ging auch dieser Tag hin. Am andern Morgen ergab sich die Stadt
und ward in Besitz genommen; sogleich aber sollte uns ein
republikanischer Charakterzug begegnen. Der Kommandant Beaurepaire,
bedrängt von der bedrängten Bürgerschaft, die bei fortdauerndem
Bombardement ihre ganze Stadt verbrannt und zerstört sah, konnte die
Übergabe nicht länger verweigern; als er aber auf dem Rathaus in
voller Sitzung seine Zustimmung gegeben hatte, zog er ein Pistole
hervor und erschoss sich, um abermals ein Beispiel höchster
patriotischer Aufopferung darzustellen.

Nach dieser so schnellen Eroberung von Verdun zweifelte niemand mehr,
dass wir bald darüber hinausgelangen und in Chalons und Epernay uns
von den bisherigen Leiden an gutem Weine bestens erholen sollten. Ich
ließ daher ungesäumt die Jägerischen Karten, welche den Weg nach
Paris bezeichneten, zerschneiden und sorgfältig aufziehen, auch auf
die Rückseite weißes Papier kleben, wie ich es schon bei der ersten
getan, um kurze Tagesbemerkungen flüchtig aufzuzeichnen.




Den 3. September.

Früh hatte sich eine Gesellschaft zusammengefunden, nach der Stadt zu
reiten, an die ich mich anschloss. Wir fanden gleich beim Eintritt
große frühere Anstalten, die auf einen längeren Widerstand
hindeuteten: das Straßenpflaster war in der Mitte durchaus aufgehoben
und gegen die Häuser angehäuft; das feuchte Wetter machte deshalb
das Umherwandeln nicht erfreulich. Wir besuchten aber sogleich die
namentlich gerühmten Läden, wo der beste Likör aller Art zu haben
war. Wir probierten ihn durch und versorgten uns mit mancherlei
Sorten. Unter andern war einer namens Baume humain, welcher, weniger
süß, aber stärker, ganz besonders erquickte. Auch die Drageen,
überzuckerte kleine Gewürzkörner in saubern, zylindrischen Deuten,
wurden nicht abgewiesen. Bei so vielem Guten gedachte man nun der
lieben Zurückgelassenen, denen dergleichen am friedlichen Ufer der
Ilm gar wohl behagen möchte. Kistchen wurden gepackt; gefällige,
wohlwollende Kuriere, das bisherige Kriegsglück in Deutschland zu
melden beauftragt, waren geneigt, sich mit einigem Gepäck dieser Art
zu belasten, wodurch sich denn die Freundinnen zu Hause in höchster
Beruhigung überzeugen mochten, dass wir in einem Land wallfahrteten,
wo Geist und Süßigkeit niemals ausgehen dürfen.

Als wir nun darauf die teilweise verletzte und verwüstete Stadt
beschauten, waren wir veranlasst, die Bemerkung zu wiederholen: dass
bei solchem Unglück, welches der Mensch dem Menschen bereitet, wie
bei dem, was die Natur uns zuschickt, einzelne Fälle vorkommen, die
auf eine Schickung, eine günstige Vorsehung hinzudeuten scheinen. Der
untere Stock eines Eckhauses auf dem Markt ließ einen von vielen
Fenstern wohl erleuchteten Fayence-Laden sehen; man machte uns
aufmerksam, dass eine Bombe, von dem Platz aufschlagend, an den
schwachen steinernen Türpfosten des Ladens gefahren, von demselben
aber wieder abgewiesen, andere Richtung genommen habe. Der Türpfosten
war wirklich beschädigt, aber er hatte die Pflicht eines guten
Vorfechters getan: die Glanzfülle des oberflächlichen Porzellans
stand in widerspiegelnder Herrlichkeit hinter den wasserhellen, wohl
geputzten Fenstern.

Mittags am Wirtstisch wurden wir mit guten Schöpsenkeulen und Wein
von Bar traktiert, den man, weil er nicht verfahren werden kann, im
Land selbst aufsuchen und genießen muss. Nun ist aber an solchen
Tischen Sitte, dass man wohl Löffel, jedoch weder Messer noch Gabel
erhält, die man daher mitbringen muss. Von dieser Landesart
unterrichtet, hatten wir schon solche Bestecke angeschafft, die man
dort flach und zierlich gearbeitet zu kaufen findet. Muntere,
resolute Mädchen warteten auf, nach derselben Art und Weise, wie sie
vor einigen Tagen ihrer Garnison noch aufgewartet hatten.

Bei der Besitznehmung von Verdun ereignete sich jedoch ein Fall, der,
obgleich nur einzeln, großes Aufsehen erregte und allgemeine
Teilnahme heran rief. Die Preußen zogen ein, und es fiel aus der
französischen Volksmasse ein Flintenschuss, der niemand verletzte,
dessen Wagestück aber ein französischer Grenadier nicht verleugnen
konnte und wollte. Auf der Hauptwache, wohin er gebracht wurde, hab'
ich ihn selbst gesehen: es war ein sehr schöner, wohl gebildeter,
junger Mann, festen Blicks und ruhigen Betragens. Bis sein Schicksal
entschieden wäre, hielt man ihn lässlich. Zunächst an der Wache war
eine Brücke, unter der ein Arm der Maas durchzog; er setzte sich aufs
Mäuerchen, blieb eine Zeitlang ruhig, dann überschlug er sich
rückwärts in die Tiefe und ward nur tot aus dem Wasser herausgebracht.

Diese zweite heroische, ahnungsvolle Tat erregte leidenschaftlichen
Hass bei den frisch Eingewanderten, und ich hörte sonst verständige
Personen behaupten, man möchte weder diesem noch dem Kommandanten
ein ehrlich Begräbnis gestatten. Freilich hatte man sich andere
Gesinnungen versprochen, und noch sah man nicht die geringste
Bewegung unter den fränkischen Truppen, zu uns überzugehen.

Größere Heiterkeit verbreitete jedoch die Erzählung, wie der König in
Verdun aufgenommen worden: vierzehn der schönsten, wohl erzogensten
Frauenzimmer hatten Ihro Majestät mit angenehmen Reden, Blumen und
Früchten bewillkommnt. Seine Vertrautesten jedoch rieten ihm ab, vom
Genuss Vergiftung befürchtend; aber der großmütige Monarch verfehlte
nicht, diese wünschenswerten Gaben mit galanter Wendung anzunehmen
und sie zutraulich zu kosten. Diese reizenden Kinder schienen auch
unseren jungen Offizieren einiges Vertrauen eingeflößt zu haben;
gewiss, diejenigen, die das Glück gehabt, dem Ball beizuwohnen,
konnten nicht genug von Liebenswürdigkeit, Anmut und gutem Betragen
sprechen und rühmen.

Aber auch für solidere Genüsse war gesorgt: denn, wie man gehofft und
vermutet hatte, fanden sich die besten und reichlichsten Vorräte in
der Festung, und man eilte, vielleicht nur zu sehr, sich daran zu
erholen. Ich konnte gar wohl bemerken, dass man mit geräuchertem
Speck und Fleisch, mit Reis und Linsen und andern guten und
notwendigen Dingen nicht haushältisch genug verfahre, welches in
unserer Lage bedenklich schien. Lustig dagegen war die Art, wie ein
Zeughaus, oder Waffensammlung aller Art, ganz gelassen geplündert
ward. In ein Kloster hatte man allerlei Gewehre, mehr alte als neue,
und mancherlei seltsame Dinge gebracht, womit der Mensch, der sich zu
wehren Lust hat, den Gegner abhält oder wohl gar erlegt.

Mit jener sanften Plünderung aber verhielt es sich folgendermaßen:
als nach eingenommener Stadt die hohen Militärpersonen sich von
den Vorräten aller Art zu überzeugen gedachten, begaben sie sich
ebenfalls in diese Waffensammlung, und indem sie solche für das
allgemeine Kriegsbedürfnis in Anspruch nahmen, fanden sie manches
Besondere, welches dem einzelnen zu besitzen nicht unangenehm wäre,
und niemand war leicht mit Musterung dieser Waffen beschäftigt, der
nicht auch für sich etwas herausgemustert hätte. Dies ging nun durch
alle Grade durch, bis dieser Schatz zuletzt beinahe ganz ins Freie
fiel. Nun gab jedermann der angestellten Wache ein kleines Trinkgeld,
um sich diese Sammlung zu besehen, und nahm dabei etwas mit heraus,
was ihm anstehen mochte. Mein Diener erbeutete auf diese Weise einen
flachen, hohen Stock, der, mit Bindfaden stark und geschickt
umwunden, dem ersten Anblick nach nichts weiter erwarten ließ, seine
Schwere aber deutete auf einen gefährlichen Inhalt: auch enthielt
er eine sehr breite, wohl vier Fuß lange Degenklinge, womit eine
kräftige Faust Wunder getan hätte.

So zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Erhalten und Verderben,
zwischen Rauben und Bezahlen lebte man immer hin, und dies mag es
wohl sein, was den Krieg für das Gemüt eigentlich verderblich
macht. Man spielt den Kühnen, Zerstörenden, dann wieder den
Sanften, Belebenden; man gewöhnt sich an Phrasen, mitten in dem
verzweifeltsten Zustand Hoffnung zu erregen und zu beleben; hierdurch
entsteht nun eine Art von Heuchelei, die einen besonderen Charakter
hat und sich von der pfäffischen, höfischen, oder wie sie sonst
heißen mögen, ganz eigen unterscheidet.

Einer merkwürdigen Person aber muss ich noch gedenken, die ich, zwar
nur in der Entfernung, hinter Gefängnisgittern, gesehen: es war der
Postmeister von Sainte Menehould, der sich ungeschickterweise von den
Preußen hatte fangen lassen. Er scheute keineswegs die Blicke der
Neugierigen und schien bei seinem ungewissen Schicksal ganz ruhig.
Die Emigrierten behaupteten, er habe tausend Tode verdient, und
hetzten deshalb an den obersten Behörden, denen aber zum Ruhm zu
rechnen ist, dass sie in diesem, wie in andern Fällens ich mit
geziemender Ruhe und anständigem Gleichmut betragen.




Am 4. September.

Die viele Gesellschaft, die ab- und zuging, belebte unsere Zelte den
ganzen Tag; man hörte vieles erzählen, vieles bereden und beurteilen,
die Lage der Dinge tat sich deutlicher auf als bisher. Alle waren
einig, dass man so schnell als möglich nach Paris vordringen müsse.
Die Festungen Montmedy und Sedan hatte man unerobert sich zur Seite
gelassen und schien von der in dortiger Gegend stehenden Armee wenig
zu befürchten.

Lafayette, auf welchem das Vertrauen des Kriegsvolks beruhte, war
genötigt gewesen, aus der Sache zu scheiden; er sah sich gedrängt,
zum Feind überzugehen, und ward als Feind behandelt. Dumouriez, wenn
er auch sonst als Minister Einsicht in Militärangelegenheiten
beweisen hatte, war durch keinen Feldzug berühmt, und aus der Kanzlei
zum Oberbefehl der Armee befördert, schien er auch nur jene
Inkonsequenz und Verlegenheit des Augenblicks zu beweisen. Von der
andern Seite verlauteten die traurigen Vorfälle von der Hälfte des
Augusts aus Paris, wo, dem braunschweigschen Manifest zum Trutz, der
König gefangen genommen, abgesetzt und als Missetäter behandelt
wurde. Was aber für die nächsten Kriegsoperationen höchst bedenklich
sei, war am umständlichsten besprochen.

Der waldbewachsene Gebirgsriegel, welcher die Aire von Süden nach
Norden an ihm herzufließen nötigt, Forêt d'Argonne genannt, lag
unmittelbar vor uns und heilt unsere Bewegung auf. Man sprach viel
von den Isletten, dem bedeutenden Pass zwischen Verdun und Sainte
Menehould. Warum er nicht besetzt werde, besetzt worden sei, darüber
konnte man sich nicht vereinigen. Die Emigrierten sollten ihn einen
Augenblick überrumpelt haben, ohne ihn halten zu können. Die
abziehende Besatzung von Longwy hatte sich, so viel wusste man,
dorthin gezogen; auch Dumouriez schickte, während wir uns auf dem
Marsch nach Verdun und mit dem Bombardement der Stadt beschäftigten,
Truppen quer über durchs Land, um diesen Posten zu verstärken und den
rechten Flügel seiner Position hinter Grandpré zu decken und so den
Preußen, Österreichern und Emigrierten ein zweites Thermopylä
entgegenzustellen.

Man gestand sich einander die höchst unglückliche Lage und musste
sich in die Anstalten fügen, wonach die Armee, welche unaufhaltsam
gerade vorwärts hätten dringen sollen, die Aire hinabziehen sollte,
um sich an den verschanzten Bergschluchten auf gut Glück zu
versuchen; wobei noch für höchst vorteilhaft galt, dass Clermont den
Franzosen entrissen und von Hessen besetzt sei, welche, gegen die
Isletten operierend, sie wo nicht wegnehmen, doch beunruhigen
konnten.




Den 6. September.

In diesem Sinn ward nunmehr das Lager verändert und kam hinter Verdun
zu stehen; das Hauptquartier des Königs, Glorieux, des Herzogs von
Braunschweig, Regret genannt, gab zu wunderlichen Betrachtungen
Anlass. An den ersten Ort gelangt' ich selbst durch einen
verdrießlichen Zufall. Des Herzogs von Weimar Regiment sollte bei
Jardin Fontaine zu stehen kommen, nahe an der Stadt und der Maas; zum
Tor fuhren wir glücklich heraus, indem wir uns in den Wagenzug eines
unbekannten Regiments einschwärzten und von ihm fortschleppen ließen,
obgleich zu bemerken war, dass man sich zu weit entferne; auch hätten
wir nicht einmal bei dem schmalen Weg aus der Reihe weichen können,
ohne uns in den Gräben unwiederbringlich zu verfahren. Wir schauten
rechts und links, ohne zu entdecken, wir fragten ebenso und
erhielten keinen Bescheid; denn alle waren fremd wie wir und aufs
verdrießlichste von dem Zustand angegriffen. Endlich auf eine
sanfte Höhe gelangt, sah ich links unten in einem Tal, das zu
guter Jahrszeit ganz angenehm sein mochte, einen hübschen Ort mit
bedeutenden Schlossgebäuden, wohin glücklicherweise ein sanfter
grüner Rain uns bequem hinunterzubringen versprach. Ich ließ umso
eher aus der schrecklichen Fahrleise hinabwärts ausbiegen, als ich
unten Offiziere und Reitknechte hin und wider sprengen, Packwagen und
Chaisen aufgefahren sah; ich vermutete eins der Hauptquartiere, und
so fand sich's: es war Glorieux, der Aufenthalt des Königs. Aber auch
da war mein Fragen, wo Jardin Fontaine liege, ganz umsonst. Endlich
begegnete ich, wie einem Himmelsboten, Herrn von Alvensleben, der
sich mir früher freundlich erwiesen hatte; dieser gab mir denn
Bescheid, ich solle den von allem Fuhrwerk freien Dorfweg im Tal bis
nach der Stadt verfolgen, vor derselben aber links durchzudringen
suchen, und ich würde Jardin Fontaine gar bald entdecken.

Beides gelang mir, und ich fand auch unsere Zelte aufgeschlagen, aber
im schrecklichsten Zustand: man sah sie in grundlosen Kot versenkt,
die verfaulten Schlingen der Zelttücher zerrissen eine nach der
andern, und die Leinwand schlug dem über Kopf und Schulter zusammen,
der darunter sein Heil zu suchen gedachte. Eine Zeitlang hatte man's
ertragen, doch fiel zuletzt der Entschluss dahin aus, das Örtchen
selbst zu beziehen. Wir fanden in einem wohl eingerichteten Haus und
Hof einen guten neckischen Mann als Besitzer, der ehemals Koch in
Deutschland gewesen war; mit Munterkeit nahm er uns auf, im
Erdgeschoss fanden sich schöne, heitere Zimmer, gutes Kamin, und was
sonst nur erquicklich sein konnte.

Das Gefolge des Herzogs von Weimar ward aus der fürstlichen Küche
versorgt; unser Wirt verlangte jedoch dringend, ich solle nur ein
einziges Mal von seiner Kunst etwas kosten. Er bereitete mir auch
wirklich ein höchst wohlschmeckendes Gastmahl, das mir aber sehr übel
bekam, so dass ich wohl auch an Gift hätte denken können, wenn mir
nicht noch zeitig genug der Knoblauch eingefallen wäre, durch welchen
jene Schüsseln erst recht schmackhaft geworden, der auf mich aber,
selbst in der geringsten Dosis, höchst gewaltsame Wirkung auszuüben
pflegte. Das Übel war bald vorbei, und ich hielt mich nach wie vor
desto lieber an die deutsche Küche, solange sie auch nur das mindeste
leisten konnte.

Als es zum Abschied ging, überreichte der gut gelaunte Wirt meinem
Diener einen vorher versprochenen Brief nach Paris an eine Schwester,
die er besonders empfehlen wolle; fügte jedoch nach einigem Hin- und
Widerreden gutmütig hinzu: "Du wirst wohl nicht hinkommen."




Den 11. September.

Wir wurden also, nach einigen Tagen gütlicher Pflege, wieder in das
schrecklichste Wetter hinausgestoßen; unser Weg ging auf dem
Gebirgsrücken hin, der, die Gewässer der Maas und Aire scheidend,
beide nach Norden zu fließen nötigt. Unter großen Leiden gelangten
wir nach Malancourt, wo wir leere Keller und Küchen wirtlos fanden
und schon zufrieden waren, unter Dach, auf trockener Bank eine
spärliche, mitgebrachte Nahrung zu genießen. Die Einrichtung der
Wohnungen selbst gefiel mir; sie zeugte von einem stillen, häuslichen
Behagen: alles war einfach naturgemäß, dem unmittelbarsten Bedürfnis
genügend. Dies hatten wir gestört, dies zerstörten wir; denn aus der
Nachbarschaft erscholl ein Angstruf gegen Plünderer, worauf wir denn,
hinzueilend, nicht ohne Gefahr dem Unfug für den Augenblick
steuerten. Auffallend genug dabei war, dass die armen unbekleideten
Verbrecher, denen wir Mäntel und Hemden entrissen, uns der härtesten
Grausamkeit anklagten, dass wir ihnen nicht vergönnen wollten, auf
Kosten der Feinde ihre Blöße zu decken.

Aber noch ein eigneren Vorwurf sollten wir erleben. In unser erstes
Quartier zurückgekehrt, fanden wir einen vornehmen, uns sonst schon
bekannten Emigrierten. Er ward freundlich begrüßt und verschmähte
nicht frugale Bissen; allein man konnte ihm eine innere Bewegung
anmerken, er hatte etwas auf dem Herzen, dem er durch Ausrufungen
Luft zu machen suchte. Als wir nun, früherer Bekanntschaft gemäß,
einiges Vertrauen in ihm zu erwecken suchten, so beschrie er die
Grausamkeit, welche der König von Preußen an den französischen
Prinzen ausübe. Erstaunt, fast bestürzt, verlangten wir nähere
Erklärung. Da erfuhren wir nun: der König habe beim Ausmarsch von
Glorieux, unerachtet des schrecklichsten Regens, keinen Überrock
angezogen, keinen Mantel umgenommen, da denn die königlichen Prinzen
ebenfalls sich dergleichen Wetter abwehrende Gewande hätten versagen
müssen; unser Marquis aber habe diese allerhöchsten Personen, leicht
gekleidet, durch und durch genässt, träufelnd von abfließender
Feuchte, nicht ohne das größte Bejammern anschauen können, ja er
hätte, wenn es nütze gewesen wäre, sein Leben daran gewendet, sie in
einem trockenen Wagen dahin ziehen zu sehen, sie, auf denen Hoffnung
und Glück des ganzen Vaterlandes beruhe, die an eine ganz andere
Lebensweise gewöhnt seien.

Wir hatten freilich darauf nichts zu erwidern, denn ihm konnte die
Betrachtung nicht tröstlich werden, dass der Krieg, als ein Vortod,
alle Menschen gleich mache, allen Besitz aufhebe und selbst die
höchste Persönlichkeit mit Pein und Gefahr bedrohe.




Den 12. September.

Den andern Morgen aber entschloss ich mich, in Betracht so hoher
Beispiele, meine leichte und doch mit vier requirierten Pferden
bespannte Chaise unter dem Schutz des zuverlässigen Kämmerier Wagner
zu lassen, welchem die Equipage und das so nötige bare Geld
nachzubringen aufgetragen war. Ich schwang mit, mit einigen guten
Gesellen, zu Pferde, und so begaben wir uns auf den Marsch nach
Landres. Wir fanden auf Mitte Wegs Wellen und Reisig eines
abgeschlagenen Birkenhölzchens, deren innere Trockenheit die äußere
Feuchte bald überwand und uns lohe Flamme und Kohlen, zur Erwärmung
wie zum Kochen genugsam, sehr schnell zum besten gab. Aber die schöne
Anstalt einer Regimentstafel war schon gestört: Tische, Stühle und
Bänke sah man nicht nachkommen, man behalf sich stehend, vielleicht
angelehnt, so gut es gehen wollte. Doch war das Lager gegen Abend
glücklich erreicht; so kampierten wir unsern Landres, gerade Grandpré
gegenüber, wussten aber gar wohl, wie stark und vorteilhaft der Pass
besetzt sei. Es regnete unaufhörlich, nicht ohne Windstoß; die
Zeltdecke gewährte wenig Schutz.

Glückselig aber der, dem eine höhere Leidenschaft den Busen füllte!
Die Farbenerscheinung der Quelle hatte mich diese Tage her nicht
einen Augenblick verlassen; ich überdachte sie hin und wieder, um sie
zu bequemen Versuchen zu erheben. Da diktierte ich an Vogel, der sich
auch hier als treuen Kanzleigefährten erwies, ins gebrochene Konzept
und zeichnete nachher die Figuren daneben. Diese Papiere besitz' ich
noch mit allen Merkmalen des Regenwetters und als Zeugnis eines
treuen Forschens auf eingeschlagenem, bedenklichem Pfad. Den Vorteil
aber hat der Weg zum Wahren, dass man sich unsicherer Schritte, eines
Umwegs, ja, eines Fehltritts noch immer gern erinnert.

Das Wetter verschlimmerte sich und ward in der Nacht so arg, dass man
es für das höchste Glück schätzen musste, sie unter der Decke des
Regimentswagens zuzubringen. Wie schrecklich war da der Zustand, wenn
man bedachte, dass man im Angesicht des Feindes gelagert sei und
befürchten musste, dass er aus seinen Berg- und Waldverschanzungen
irgendwo hervorzubrechen Lust haben könne.




Vom 13. bis zum 17. September.

Traf der Kämmerier Wagner, den Pudel mit eingeschlossen, bei guter
Zeit mit aller Equipage bei uns ein: er hatte eine schreckliche Nacht
verlebt, war nach tausend anderen Hindernissen im Finstern von der
Armee abgekommen, verführt durch schlaf- und weintrunkene Knechte
eines Generals, denen er nachfuhr. Sie gelangten in ein Dorf und
vermuteten die Franzosen ganz nahe. Von allerlei Alarm geängstigt,
verlassen von Pferden, die aus der Schwemme nicht zurückkehrten,
wusste er sich denn so zu richten und zu schicken, dass er von dem
unseligen Dorf loskam und wir uns zuletzt mit allem mobilen Hab und
Gut wieder zusammenfanden.

Endlich gab es eine Art von erschütternder Bewegung und zugleich von
Hoffnung: man hörte auf unserm rechten Flügel stark kanonieren und
sagte sich: General Clerfiat sei aus den Niederlanden angekommen und
habe die Franzosen auf ihrer linken Flanke angegriffen. Alles war
äußerst gespannt, den Erfolg zu vernehmen.

Ich ritt nach dem Hauptquartier, um näher zu erfahren, was die
Kanonade bedeute und was eigentlich zu erwarten sei. Man wusste
daselbst noch nichts genau, als dass General Clerfait mit den
Franzosen ahndgemein sein müsse. Ich traf auf den Major von Weyrach,
der sich aus Ungeduld und Langeweile soeben zu Pferd setze und an die
Vorposten reiten wollte; ich begleitete ihn, und wir gelangten bald
auf eine Höhe, wo man sich weit genug umsehen konnte. Wir trafen auf
einen Husarenposten und sprachen mit dem Offizier, einem jungen,
hübschen Mann. Die Kanonade war weit über Grandpré hinaus, und er
hatte Order, nicht vorwärts zu gehen, um nicht ohne Not eine Bewegung
zu verursachen. Wir hatten uns nicht lange besprochen, als Prinz
Louis Ferdinand mit einigem Gefolge ankam, nach kurzer Begrüßung und
Hin- und Widerreden von dem Offizier verlangte, dass er vorwärts
gehen solle. Dieser tat dringende Vorstellungen, worauf der Prinz
aber nicht achtete, sondern vorwärts ritt, dem wir denn alle folgen
mussten. Wir warne nicht weit gekommen, als ein französischer Jäger
sich von fern sehen ließ, an uns bis auf Büchsenschussweite
heransprengte und sodann umkehrend ebenso schnell wieder verschwand.
Ihm folgte der zweite, dann der dritte, welche ebenfalls wieder
verschwanden. Der vierte aber, wahrscheinlich der erste, schoss die
Büchse ganz ernstlich auf uns ab, man konnte die Kugel deutlich
pfeifen hören. Der Prinz ließ sich nicht irren, und jene treiben auch
ihr Handwerk, so dass mehrere Schüsse fielen, indem wir unsern Weg
verfolgten. Ich hatte den Offizier manchmal angesehen, der zwischen
seiner Pflicht und zwischen dem Respekt vor einem königlichen Prinzen
in der größten Verlegenheit schwankte. Er glaubte wohl, in meinen
Blicken etwas Teilnehmendes zu lesen, ritt auf mich zu und saget:
"Wenn Sie irgendetwas auf den Prinzen vermögen, so ersuchen Sie ihn,
zurückzugehen, er setzt mich der größten Verantwortung aus: ich habe
den strengsten Befehl, meine angewiesenen Posten nicht zu verlassen,
und es ist nichts vernünftiger, als dass wir den Feind nicht reizen,
der hinter Grandpré in einer festen Stellung gelagert ist. Kehrt der
Prinz nicht um, so ist in kurzem die ganze Vorpostenkette alarmiert,
man weiß im Hauptquartier nicht, was es heißen soll, und der erste
Verdruss ergeht über mich ganz ohne meine Schuld." Ich ritt an den
Prinzen heran und sagte: "Man erzeigt mir soeben die Ehre, mir
einigen Einfluss auf Ihro Hoheit zuzutrauen, deshalb ich um geneigtes
Gehör bitte." Ich brachte ihm darauf die Sache mit Klarheit vor,
welches kaum nötig gewesen wäre: denn er sah selbst alles vor sich
und war freundlich genug, mit einigen guten Worten sogleich
umzukehren, worauf denn auch die Jäger verschwanden und zu schießen
aufhörten. Der Offizier dankte mir aufs verbindlichste, und man sieht
hieraus, dass ein Vermittler überall willkommen ist.

Nach und nach klärte sich's auf. Die Stellung Dumouriez' bei Grandpré
war höchst fest und vorteilhaft; dass er auf seinem rechten Flügel
nicht anzugreifen sei, wusste man wohl; auf seiner Linken waren zwei
bedeutende Pässe, La Croix aux Bois und Le Chêne Populeux, beide wohl
verhauen und für unzugänglich gehalten; allein der letzte war einem
Offizier anvertraut, einem dergleichen Auftrag nicht gewachsenen oder
nachlässigen. Die Österreicher griffen an: bei der ersten Attacke
blieb Prinz von Ligne, der Sohn, sodann aber gelang es, man
überwältigte den Posten, und der große Plan Dumouriez' war zerstört:
er musste seine Stellung verlassen und sich die Aisne hinaufwärts
ziehen, und preußische Husaren konnten durch den Pass dringen und
jenseits des Argonner Waldes nachsetzen. Sie verbreiteten einen
solchen panischen Schrecken über das französische Heer, dass
zehntausend Mann vor fünfhundert flohen und nur mit Mühe konnten zum
Stehen gebracht und wieder gesammelt werden; wobei sich das Regiment
Chamborant besonders hervortrat und den Unsrigen ein weiteres
Vordringen verwehrte, welche, ohnehin nur gewissermaßen auf
Rekognoszieren ausgeschickt, siegreich mit Freuden zurückkehrten und
nicht leugneten, einige Wagen gute Beute gemacht zu haben. In das
unmittelbar Brauchbare, Geld und Kleidung, hatten sie sich geteilt,
mir aber als einem Kanzleimann kamen die Papiere zugute, worunter
ich einige ältere Befehle Lafayettes und mehrere höchst sauber
geschriebene Listen fand. Was mich aber am meisten überraschte, war
ein ziemlich neuer "Moniteur". Dieser Druck, dieses Format, mit dem
man seit einigen Jahren ununterbrochen bekannt gewesen und die man
nun seite mehreren Wochen nicht gesehen, begrüßten mich auf eine
etwas unfreundliche Weise, indem ein lakonischer Artikel vom 3.
September mir drohend zurief: _Les Prussiens pourront venir à Paris,
mais ils n'en sortiront pas._ Also hielt man denn doch in Paris für
möglich, wir könnten hingelangen; dass wir wieder zurückkehrten,
dafür mochten die oberen Gewalten sorgen.

Die schreckliche Lage, in der man sich zwischen Erde und Himmel
befand, war einigermaßen erleichtert, als man die Armee zurücken und
eine Abteilung der Avantgarde nach der andern vorwärts ziehen sah.
Endlich kam die Reihe auch an uns: wir gelangten über Hügel, durch
Täler, Weinberge vorbei, an denen man sich auch wohl erquickte. Man
kam sodann zu aufgehellter Stunde in eine freiere Gegend und sah in
einem freundlichen Tal der Aire das Schloss von Grandpré auf einer
Höhe sehr wohl gelegen, eben an dem Punkt, wo genannter Fluss sich
westwärts zwischen die Hügel drängt, um auf der Gegenseite des
Gebirgs sich mit der Aisne zu verbinden, deren Gewässer, immer dem
Sonnenuntergang zu, durch Vermittlung der Oise endlich in die Seine
gelangen; woraus denn ersichtlich, dass der Gebirgsrücken, der uns
von der Maas trennte, zwar nicht von bedeutender Höhe, doch von
entschiedenem Einfluss auf den Wasserlauf, uns in eine andere
Flussregion zu nötigen geeignet war.

Auf diesem Zug gelangte ich zufällig in das Gefolge des Königs, dann
des Herzogs von Braunschweig; ich unterhielt mich mit Fürst Reuß und
andern diplomatisch-militärischen Bekannten. Diese Reitermassen
machten zu der angenehmen Landschaft eine reiche Staffage, man hätte
einen van der Meulen gewünscht, um solchen Zug zu verewigen: alles
war heiter, munter, voller Zuversicht und heldenhaft. Einige Dörfer
brannten zwar vor uns auf, allein der Rauch tut in einem Kriegsbild
auch nicht übel. Man hatte, so hieß es, aus den Häusern auf den
Vortrab geschossen und dieser, nach Kriegsrecht, sogleich die
Selbstrache geübt. Es ward getadelt, war aber nicht zu ändern;
dagegen nahm man die Weinberge in Schutz, von denen sich die Besitzer
doch keine große Lese versprechen durften, und so ging es zwischen
Freund- und feindseligem Betragen immer vorwärts.

Wir gelangten, Grandpré hinter uns lassend, an und über die Aisne und
lagerten bei Vaux les Mourons; hier waren wir nun in der verrufenen
Champagne, es sah aber so übel noch nicht aus. Über dem Wasser an der
Sonnenseite erstreckten sich wohl gehaltene Weinberge, und wo man
Dörfer und Scheunen visitierte, fanden sich Nahrungsmittel genug für
Menschen und Tiere, nur leider der Weizen nicht ausgedroschen, noch
weniger genugsame Mühlen; Öfen zum Backen waren auch selten, und so
fing es wirklich an, sich einem tantalischen Zustand zu nähern.




Am 18. September.

Dergleichen Betrachtungen anzustellen, versammelte sich eine große
Gesellschaft, die überhaupt, wo es Halt gab, sich immer mit einigem
Zutrauen, besonders beim Nachmittagskaffee, zusammenfügte; sie
bestand aus wunderlichen Elemente, Deutschen und Franzosen, Kriegern
und Diplomaten, alles bedeutende Personen, erfahren, klug,
geistreich, aufgeregt durch die Wichtigkeit des Augenblicks, Männer,
sämtlich von Wert und Würde, aber doch eigentlich nicht in den innern
Rat gezogen und also desto mehr bemüht, auszusinnen, was beschlossen
sein, was geschehen könnte.

Dumouriez, als er den Pass von Grandpré nicht länger halten konnte,
hatte sich die Aisne hinaufgzeogen, und da ihm der Rücken durch die
Isletten gesichert war, sich auf die Höhen von Sainte Menehould, die
Fronte gegen Frankreich gestellt. Wir waren durch den engen Pass
hereingedrungen, hatten uneroberte Festen: Sedan, Montmedy, Stenay,
im Rücken und an der Seite, die uns jede Zufuhr nach Beleiben
erschweren konnten. Wir betraten beim schlimmsten Wetter ein
seltsames Land, dessen undankbarer Kalkboden nur kümmerlich
ausgestreute Ortschaften ernähren konnte.

Freilich lag Reims, Chalons und ihre gesegneten Umgebungen nicht
fern, man konnte hoffen, sich vorwärts zu erholen; die Gesellschaft
überzeugte sich daher beinahe einstimmig, dass man auf Reims
marschieren und sich Chalons' bemächtigen müsse; Dumouriez könne sich
in seiner vorteilhaften Stellung alsdann nicht ruhig verhalten, eine
Schlacht wäre unvermeidlich, wo es auch sei: man glaubte sie schon
gewonnen zu haben.




Den 19. September.

Manches Bedenken gab es daher, als wir den 19. beordert wurden, auf
Massiges unsern Zug zu richten, die Aisne aufwärts zu verfolgen und
dieses Wasser sowohl als das Waldgebirge, näher oder ferner, linker
Hand zu behalten.

Nun erholte man sich unterwegs von solchen nachdenklichen
Betrachtungen, indem man mancherlei Zufälligkeiten und Ereignissen
eine heitere Teilnahme schenkte; ein wundersames Phänomen zog meine
ganze Aufmerksamkeit auf sich. Man hatte, um mehrere Kolonnen
nebeneinander fort zu schieben, die eine querfeldein über flache
Hügel geführt, zuletzt aber, als man wieder ins Tal sollte, einen
steilen Abhang gefunden; dieser ward nun alsbald, so gut es gehen
wollte, abgeböscht, doch blieb er immer noch schroff genug. Nun trat
eben zu Mittag ein Sonnenblick hervor und spiegelte sich in allen
Gewehren. Ich hielt auf einer Höhe und sah jenen blinkenden
Waffenfluss glänzend heranziehen; überraschend aber war es, als
die Kolonne an den steilen Abhang gelangte, wo sich die bisher
geschlossenen Glieder sprungweise trennten und jeder einzelne, so
gut er konnte, in die Tiefe zu gelangen suchte. Diese Unordnung gab
völlig den Begriff eines Wasserfalls: eine Unzahl durcheinander hin-
und wider blinkender Bajonette bezeichneten die lebhafteste Bewegung.
Und als nun unten am Fuß sich alles wieder gleich in Reih' und Glied
ordnete und so, wie sie oben angekommen, nun wieder im Tal fortzogen,
ward die Vorstellung eines Flusses immer lebhafter; auch war diese
Erscheinung umso angenehmer, als ihre lange Dauer fort und fort durch
Sonnenblicke begünstigt wurde, deren Wert man in solchen
zweifelhaften Stunden nach langer Entbehrung erst recht schätzen
lernte.

Nachmittags gelangten wir endlich nach Massiges, nur noch wenige
Stunden vom Feind; das Lager war abgesteckt, und wir bezogen den für
uns bestimmten Raum. Schon waren Pfähle geschlagen, die Pferde
drangebunden, Feuer angezündet, und der Küchenwagen tat sich auf.
Ganz unerwartet kam daher das Gerücht, das Lager solle nicht
statthaben: denn es sei die Nachricht angekommen, das französische
Heer zeihe sich von Sainte Menehould auf Chalons; der König wolle sie
nicht entwischen lassen und habe daher Befehl zum Aufbruch gegeben:
ich suchte an der rechten Schmiede hierüber Gewissheit und vernahm
das, was ich schon gehört hatte, nur mit dem Zusatz: auf diese
unsichere und unwahrscheinliche Nachricht sei der Herzog von Weimar
und der General Heymann mit eben den Husaren, welche die Unruhe
erregt, vorgegangen. Nach einiger Zeit kamen diese Generale zurück
und versicherten, es sei nicht die geringste Bewegung zu bemerken;
auch mussten jene Patrouillen gestehen, dass sie das Gemeldete mehr
geschlossen als gesehen hätten.

Die Anregung aber war einmal gegeben, und der Befehl lautete: die
Armee solle vorrücken, jedoch ohne das mindeste Gepäck, alles
Fuhrwerk solle bis Maisons Champagne zurückkehren, dort eine
Wagenburg bilden und den, wie man voraussetzte, glücklichen Ausgang
einer Schlacht abwarten.

Nicht einen Augenblick zweifelhaft, was zu tun sei, überließ ich
Wagen, Gepäck und Pferde meinem entschlossenen, sorgfältigen
Bedienten und setze mich mit den Kriegsgenossen alsobald zu Pferde.
Es war schon früher mehrmals zur Sprache gekommen, dass, wer sich in
einen Kriegszug einlasse, durchaus bei den regulierten Truppen,
welche Abteilung es auch sei, an die er sich angeschlossen, fest
bleiben und keine Gefahr scheuen solle: denn was uns auch da
betreffe, sei immer ehrenvoll; dahingegen bei der Bagage, beim Tross
oder sonst zu verweilen, zugleich gefährlich und schmählich. Und so
hatte ich auch mit den Offizieren des Regiments abgeredet, dass ich
mich immer an sie und womöglich an die Leibschwadron anschließen
wolle, weil ja dadurch ein so schönes und gutes Verhältnis nur immer
besser befestigt werden könne.

Der Weg war das kleine Wasser die Tourbe hinauf vorgezeichnet, durch
das traurigste Tal von der Welt, zwischen niedrigen Hügeln, ohne Baum
und Busch; es war befohlen und eingeschärft, in aller Stille zu
marschieren, als wenn wir den Feind überfallen wollten, der doch in
seiner Stellung das Heranrücken einer Masse von fünfzigtausend Mann
wohl mochte erfahren haben. Die Nacht brach ein, weder Mond noch
Sterne leuchteten am Himmel, es pfiff ein wüster Wind; die stille
Bewegung einer so großen Menschenreihe in tiefer Finsternis war ein
höchst Eigenes.

Indem man neben der Kolonne herritt, begegnete man mehreren bekannten
Offizieren, die hin und wider sprengten, um die Bewegung des Marsches
bald zu beschleunigen, bald zu retardieren. Man besprach sich, man
heilt still, man versammelte sich. So hatte sich ein Kreis von
vielleicht zwölf Bekannten und Unbekannten zusammengefunden, man
fragte, klagte, wundete sich, schalt und räsonierte: das gestörte
Mittagessen konnte man dem Heerführer nicht verzeihen. Ein munterer
Gast wünschte sich Bratwurst und Brot, ein anderer sprang gleich mit
seinen Wünschen zum Rehbraten und Sardellensalat; da das alles aber
unentgeltlich geschah, fehlte es auch nicht an Pasteten und sonstigen
Leckebissen, nicht an den köstlichsten Weinen, und ein so vollkommnes
Gastmahl war beisammen, dass endlich einer, dessen Appetit übermäßig
rege geworden, die ganze Gesellschaft verwünschte und die Pein einer
aufgeregten Einbildungskraft im Gegensatz des größten Mangels ganz
unerträglich schalt. Man verlor sich auseinander, und der einzelne
war nicht besser dran als alle zusammen.




Den 19. September nachts.

So gelangten wir bis Somme Tourbe, wo man Halt machte; der König
war in einem Gasthof abgetreten, vor dessen Türe der Herzog von
Braunschweig in einer Art Laube Hauptquartier und Kanzlei errichtete.
Der Platz war groß, es brannten mehrere Feuer, durch große Bündel
Weinpfähle gar lebhaft unterhalten. Der Fürst Feldmarschall tadelte
einige Mal persönlich, dass man die Flamme allzu stark auflodern
lasse; wir besprachen uns darüber, und niemand wollte glauben, dass
unsere Nähe den Franzosen ein Geheimnis geblieben sei.

Ich war zu spät angekommen und mochte mich in der Nähe umsehen, wie
ich wollte, alles war schon, wo nicht verzehrt, doch in Besitz
genommen. Indem ich so umherforschte, gaben mir die Emigrierten ein
kluges Küchenschauspiel: sie saßen um einen großen, runden, flachen,
abglimmenden Aschenhaufen, in den sich mancher Weinstab knisternd
mochte aufgelöst haben; klüglich und schnell hatten sie sich aller
Eier des Dorfes bemächtigt, und es sah wirklich appetitlich aus, wie
die Eier in dem Aschenhaufen nebeneinander aufrecht standen und eins
nach dem andern zu rechter Zeit schlurfbar herausgehoben wurde. Ich
kannte niemand vond en edlen Küchengesellen, unbekannt mocht' ich sie
nicht ansprechen; als mir aber soeben ein lieber Bekannter begegnete,
der so gut wie ich an Hunger und Durst litt, fiel mir eine Kriegslist
ein, nach einer Bemerkung, die ich auf meiner kurzen militärischen
Laufbahn anzustellen Gelegenheit gehabt. Ich hatte nämlich bemerkt,
dass man beim Furagieren um die Dörfer und in denselben tölpisch
geradezu verfahre: die ersten Andringenden fielen ein, nahmen weg,
verdarben, zerstörten, die folgenden fanden immer weniger, und was
verloren ging, kam niemand zugute. Ich hatte schon gedacht, dass man
bei dieser Gelegenheit strategisch verfahren und, wenn die Menge von
vorne hereindringe, sich von der Gegenseite nach einigem Bedürfnis
umsehen müsse. Dies konnte nun hier kaum der Fall sein, denn alles
war überschwemmt; aber das Dorf zog sich sehr in die Länge, und zwar
seitwärts der Straße, wo wir hereingekommen. Ich forderte meinen
Freund auf, die lange Gasse mit hinunterzugehen. Aus dem vorletzten
Haus kam ein Soldat fluchend heraus, dass schon alles aufgezehrt und
nirgends nichts mehr zu haben sei. Wir sahen durch die Fenster, da
saßen ein paar Jäger ganz ruhig; wir gingen hinein, um wenigstens auf
einer Bank unter Dach zu sitzen, wir begrüßten sie als Kameraden und
klagten freilich über den allgemeinen Mangel. Nach einigem Hin- und
Widerreden verlangten sie, wir sollten ihnen Verschwiegenheit
geloben, worauf wir die Hand gaben. Nun eröffneten sie uns, dass sie
in dem Haus einen schönen, wohl bestellten Keller gefunden, dessen
Eingang sie zwar selbst sekretiert, uns jedoch von dem Vorrat einen
Anteil nicht versagen wollten. Einer zog einen Schlüssel hervor, und
nach verschiedenen weggeräumten Hindernissen fand sich eine
Kellertüre zu eröffnen. Hinab gestiegen faden wir nun mehrere etwa
zweieimerige Fässer auf dem Lager; was uns aber mehr interessierte,
verschiedene Abteilungen in Sand gelegter gefüllter Flaschen, wo der
gutmütige Kamerad, der sie schon durchprobiert hatte, an die beste
Sorte wies. Ich nahm zwischen die ausgespreizten Finger jeder Hand
zwei Flaschen, zog sie unter den Mantel, mein Freund desgleichen, und
so schritten wir, in Hoffnung baldiger Erquickung, die Straße wieder
hinaufwärts.

Unmittelbar am großen Wachfeuer gewahrte ich eine schwere, starke
Egge, setzte mich darauf und schob unter dem Mantel meine Flaschen
zwischen die Zacken herein. Nach einiger Zeit bracht' ich eine
Flasche hervor, wegen der mich meine Nachbarn beriefen, denen ich
sogleich den Mitgenuss anbot. Sie taten gute Züge, der letzte
bescheiden, da er wohl merkte, er lasse mir nur wenig zurück; ich
verbarg die Flasche neben mir und brachte bald darauf die zweite
hervor, trank den Freuden zu, die sich's abermals wohl schmecken
ließen, anfangs das Wunder nicht bemerkten, bei der dritten Falsche
jedoch laut über den Hexenmeister aufschrieen; und es war, in dieser
traurigen Lage, ein auf alle Weise willkommener Scherz.

Unter den vielen Personen, deren Gestalt und Gesicht im Kreis vom
Feuer erleuchtet war, erblickt' ich einen ältlichen Mann, den ich zu
kennen glaubte. Nach Erkundigung und Annäherung war er nicht wenig
verwundert, mich hier zu sehen. Es war Marquis von Bombelles, dem ich
vor zwei Jahren in Venedig, der Herzogin Amalie folgend, aufgewartet
hatte, wo er, als französischer Gesandter residierend, sich höchst
angelegen sein ließ, dieser trefflichen Fürstin den dortigen
Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Wechselseitiger
Verwunderungsausruf, Freude des Wiedersehens und Erinnerung
erheiterten diesen ernsten Augenblick. Zur Sprache kam seien
prächtige Wohnung am großen Kanal: es war gerühmt, wie wir daselbst,
in Gondeln anfahrend, ehrenvoll empfangen und freundlich bewirtet
worden; wie er durch kleine Feste, gerade im Geschmack und Sinn
dieser, Natur und Kunst, Heiterkeit und Anstand in Verbindung
liebenden Dame, sie und die Ihrigen auf vielfache Weise erfreut,
auch sie durch seinen Einfluss manches andere, für Fremde sonst
verschlossene Gute genießen lassen.

Wie sehr war ich aber verwundert, da ich ihn, den ich durch eine
wahrhafte Lobrede zu ergötzen gedachte, mit Wehmut ausrufen hörte:
"Schweigen wir von diesen Dingen! Jene Zeit liegt nur gar zu weit
hinter mir, und schon damals, als ich meine edlen Gäste mit
scheinbarer Heiterkeit unterhielt, nagte mir der Wurm am Herzen:
ich sah die Folgen voraus dessen, was in meinem Vaterland vorging.
Ich bewunderte Ihre Sorglosigkeit, in der Sie auch die Ihnen
bevorstehende Gefahr nicht ahnten; ich bereitete mich im Stillen zur
Veränderung meines Zustandes. Bald nachher musst' ich meinen
ehrenvollen Posten und das werte Venedig verlassen und eine Irrfahrt
antreten, die mich endlich auch hierher geführt hat."

Das Geheimnisvolle, das man diesem offenbaren Heranzug von Zeit zu
Zeit hatte geben wollen, ließ uns vermuten, man werde noch in dieser
Nacht aufbrechen und vorwärts gehen; allein schon dämmerte der Tag,
und mit demselben strich ein Sprühregen daher, es war schon völlig
hell, als wir uns in Bewegung setzten. Da des Herzogs von Weimar
Regiment den Vortrab hatte, gab man der Leibschwadron, als der
vordersten der ganzen Kolonne, Husaren mit, die den Weg unserer
Bestimmung kennen sollten. Nun ging es, mitunter im scharfen Trab,
über Felder und Hügel ohne Busch und Baum; nur in der Entfernung
links sah man die Argonner Waldgegend; der Sprühregen schlug uns
heftiger ins Gesicht; bald aber erblickten wir eine Pappelallee, die,
sehr schön gewachsen und wohl unterhalten, unsere Richtung quer
durchschnitt. Es war die Chaussee von Chalons auf Sainte Menehould,
der Weg von Paris nach Deutschland; man führte uns drüber weg und ins
Graue hinein.

Schon früher hatten wir den Feind vor der waldichten Gegend gelagert
und aufmarschiert gesehen, nicht weniger ließ sich bemerken, dass
neue Truppen ankamen: es war Kellermann, der sich soeben mit
Dumouriez vereinigte, um dessen linken Flügel zu bilden. Die Unsrigen
brannten vor Begierde, auf die Franzosen loszugehen, Offiziere wie
Gemeine hegten den Glühenden Wunsch, der Feldherr möge in diesem
Augenblick angreifen; auch unser heftiges Vordringen schien darauf
hinzudeuten. Aber Kellermann hatte sich zu vorteilhaft gestellt, und
nun begann die Kanonade, von der man viel erzählt, deren
augenblickliche Gewaltsamkeit jedoch man nicht beschreiben, nicht
einmal in der Einbildungskraft zurückrufen kann.

Schon lag die Chaussee weit hinter uns, wir stürmten immerfort gegen
Westen zu, als auf einmal ein Adjutant gesprengt kam, der uns zurück
beordete: man hatte uns zu weit geführt, und nun erhielten wir den
Befehl, wieder über die Chaussee zurückzukehren und unmittelbar an
ihre linke Seite den rechten Flügel zu lehnen. Es geschah, und so
machten wir Front gegen das Vorwerk La Lune, welches auf der Höhe,
etwa eine Viertelstunde vor uns, an der Chaussee zu sehen war. Unser
Befehlshaber kam uns entgegen; er hatte soeben eine halbe reitende
Batterie hinaufgebracht, wir erhielten Order, im Schutz derselben
vorwärts zu gehen, und fanden unterwegs einen alten Schirrmeister,
ausgestreckt, als das erste Opfer des Tags, auf dem Acker liegen. Wir
ritten ganz getrost weiter, wir sahen das Vorwerk näher, die dabei
aufgestellte Batterie feuerte tüchtig.

Bald aber fanden wir uns in einer seltsamen Lage: Kanonenkugeln
flogen wild auf uns ein, ohne dass wir begriffen, wo sie herkommen
konnten; wir avancierten ja hinter einer befreundeten Batterie, und
das feindliche Geschütz auf den entgegen gesetzten Hügeln war viel
zu weit entfernt, als dass es uns hätte erreichen sollen. Ich hielt
seitwärts vor der Front und hatte den wunderbarsten Anblick: die
Kugeln schlugen dutzendweise vor der Eskadron nieder, zum Glück nicht
rikoschettierend, in den weichen Boden hineingewühlt; Kot aber und
Schmutz bespritze Mann und Ross; die schwarzen Pferde, von tüchtigen
Reitern möglichst zusammengehalten, schnauften und tosten, die ganze
Masse war, ohne sich zu trennen oder zu verwirren, in flutender
Bewegung. Ein sonderbarer Anblick erinnerte mich an andere Zeiten. In
dem ersten Glied der Eskadron schwankte die Standarte in den Händen
eines schönen Knaben hin und wider; er hielt sie fest, ward aber vom
aufgeregten Pferd widerwärtig geschaukelt, sein anmutiges Gesicht
brachte mir, seltsam genug, aber natürlich, in diesem schauerlichen
Augenblick die noch anmutigere Mutter vor die Augen, und ich musste
an die ihr zur Seite verbrachten friedlichen Momente gedenken.

Endlich kam der Befehl, zurück- und hinab zu gehen; es geschah von
den sämtlichen Kavallerie-Regimentern mit großer Ordnung und
Gelassenheit, nur ein einziges Pferd von Lottum ward getötet, da wir
übrigen, besonders auf dem äußersten rechten Flügel, eigentlich alle
hätten umkommen müssen.

Nachdem wir uns denn aus dem unbegreiflichen Feuer zurückgezogen, von
Überraschung und erstaunen uns erholt hatten, löste sich das Rätsel:
wir fanden die halbe Batterie, unter deren Schutz wir vorwärts zu
gehen geglaubt, ganz unten in einer Vertiefung, dergleichen das
Terrain zufällig in dieser Gegend gar manche bildete. Sie war von
oben vertrieben worden und an der andern Seite der Chaussee in einer
Schlucht heruntergegangen, so dass wir ihren Rückzug nicht bemerken
konnten; feindliches Geschütz trat an die Stelle, und was uns hätte
bewahren sollen, wäre beinahe verderblich geworden. Auf unseren Tadel
lachten die Burschen nur und versicherten scherzend, hier unter im
Schauer sei es doch besser.

Wenn man aber nachher mit Augen sah, wie eine solche reitende
Batterie sich durch die schreckbaren, schlammigen Hügel qualvoll
durchzerren musste, so hatte man abermals den bedenklichen Zustand zu
überlegen, in den wir uns eingelassen hatten.

Indessen dauerte die Kanonade immer fort: Kellermann hatte einen
gefährlichen Posten bei der Mühle von Valmy, dem eigentlich das
Feuern galt; dort ging ein Pulverwagen in die Luft, und man freute
sich des Unheils, das er unter den Feinden angerichtet haben mochte.
Und so bleib alles eigentlich nur Zuschauer und Zuhörer, was im Feuer
stand und nicht. Wir hielten auf der Chaussee von Cahlons an einem
Wegweiser, der nach Paris deutete.

Diese Hauptstadt also hatten wir im Rücken, das französische Heer
aber zwischen uns und dem Vaterland. Stärkere Riegel waren vielleicht
nie vorgeschoben, demjenigen höchst apprehensiv, der eine genaue
Karte des Kriegstheaters nun seit vier Wochen unablässig studierte.

Doch das augenblickliche Bedürfnis behauptet sein Recht selbst gegen
das Nächstkünftige. Unsere Husaren hatten mehrere Brotkarren, die von
Chalons nach der Armee gehen sollten, glücklich aufgefangen und
brachten sie den Hochweg daher. Wie es uns nun fremd vorkommen
musste, zwischen Paris und Sainte Menehould postiert zu sein, so
konnten die zu Chalons des Feindes Armee keineswegs auf dem Weg zu
der ihrigen vermuten. Gegen einiges Trinkgeld ließen die Husaren von
dem Brot etwas ab, es war das schönste weiße: der Franzos erschrickt
vor jeder schwarzen Krume. Ich teilte mehr als einen Laib unter die
zunächst Angehörigen, mit der Bedingung, mir für die folgenden Tage
einen Anteil daran zu verwahren. Auch noch zu einer andern Vorsicht
fand ich Gelegenheit: ein Jäger aus dem Gefolge hatte gleichfalls
diesen Husaren eine tüchtige wollene Decke abgehandelt; ich bot ihm
die Übereinkunft an, mir sie auf drei Nächte, jede Nacht für acht
Groschen, zu überlassen, wogegen er sie am Tage verwahren sollte. Er
hielt dieses Bedingnis für sehr vorteilhaft: die Decke hatte ihm
einen Gulden gekostet, und nach kurzer Zeit erhielt er sie mit Profit
ja wieder. Ich aber konnte auch zufrieden sein: mein köstlichen
wollenen Hüllen von Longwy waren mit der Bagage zurückgeblieben, und
nun hatte ich doch bei allem Mangel von Dach und Fach außer meinem
Mantel noch einen zweiten Schutz gewonnen.

Alles dieses ging unter anhaltender Begleitung des Kanonendonners
vor. Von jeder Seite wurden an diesem Tag zehntausend Schüsse
verwendet, wobei auf unserer Seite nur zweihundert Mann und auch
diese ganz unnütz fielen. Von der ungeheuren Erschütterung klärte
sich der Himmel auf: denn man schoss mit Kanonen, völlig als wär' es
Pelotonfeuer, zwar ungleich, bald abnehmend, bald zunehmend.
Nachmittags ein Uhr, nach einiger Pause, war es am gewaltsamsten, die
Erde bebte im ganz eigentlichsten Sinn, und doch sah man in den
Stellungen nicht die mindeste Veränderung. Niemand wusste, was daraus
werden sollte.

Ich hatte so viel vom Kanonenfieber gehört und wünschte zu wissen,
wie es eigentlich damit beschaffen sei. Langeweile und ein Geist, den
jede Gefahr zur Kühnheit, ja zur Verwegenheit aufruft, verleitete
mich, ganz gelassen nach dem Vorwerk La Lune hinauf zu reiten. Dieses
war wieder von den Unsrigen besetzt, gewährte jedoch einen gar wilden
Anblick: die zerschossenen Dächer, die herum gestreuten Weizenbündel,
die darauf hie und da ausgestreckten tödlich Verwundeten, und
dazwischen noch manchmal eine Kanonenkugel, die, sich herüber
verirrend, in den Überresten der Ziegeldächer klapperte.

Ganz allein, mir selbst gelassen, ritt ich links auf den Höhen weg
und konnte deutlich die glückliche Stellung der Franzosen
überschauen; sie standen amphitheatralisch in größter Ruh' und
Sicherheit, Kellermann jedoch auf dem linken Flügel eher zu
erreichen.

Mir begegnete gute Gesellschaft: es waren bekannte Offiziere vom
Generalstab und vom Regiment, höchst verwundert, mich hier zu finden.
Sie wollten mich wieder mit sich zurücknehmen, ich sprach ihnen aber
von besonderen Absichten, und sie überließen mich ohne weiteres
meinem bekannten, wunderlichen Eigensinn.

Ich war nun vollkommen in die Region gelangt, wo die Kugeln herüber
spielten; der Ton ist wundersam genug, als wär' er zusammengesetzt
aus dem Brummend es Kreisels, dem Butteln des Wassers und dem Pfeifen
eines Vogels. Sie waren weniger gefährlich wegen des feuchten
Erdbodens: wo eine hinschlug, blieb sie stecken, und so ward mein
törichter Versuchsritt wenigstens vor der Gefahr des Rikoschettierens
gesichert.

Unter diesen Umständen konnt' ich jedoch bald bemerken, dass etwas
Ungewöhnliches in mir vorgehe; ich achtete genau darauf, und doch
würde sich die Empfindung nur gleichnisweise mitteilen lassen. Es
schien, als wäre man an einem sehr heißen Ort und zugleich von
derselben Hitze völlig durchdrungen, so dass man sich mit demselben
Element, in welchem man sich befindet, vollkommen glich fühlt. Die
Augen verlieren nichts an ihrer Stärke noch Deutlichkeit; aber es ist
doch, als wenn die Welt einen gewissen braunrötlichen Ton hätte, der
den Zustand so wie die Gegenstände noch apprehensiver macht. Von
Bewegung des Blutes habe ich nichts bemerken können, sondern mir
schien vielmehr alles in jener Glut verschlungen zu sein. Hieraus
erhellt nun, in welchem Sinn man diesen Zustand ein Fieber nennen
könne. Bemerkenswert bleibt es indessen, dass jenes grässlich
Bängliche nur durch die Ohren zu uns gebracht wird; denn der
Kanonendonner, das Heulen, Pfeifen, Schmettern der Kugeln durch die
Luft ist doch eigentlich Ursache an diesen Empfindungen.

Als ich zurück geritten und völlig in Sicherheit war, fand ich
bemerkenswert, dass alle jene Glut sogleich erloschen und nicht
das Mindeste von einer fieberhaften Bewegung übrig geblieben
sei. Es gehört übrigens dieser Zustand unter die am wenigsten
wünschenswerten; wie ich denn auch unter meinen leiben und edlen
Kriegskameraden kaum einen gefunden habe, der einen eigentlich
leidenschaftlichen Trieb hiernach geäußert hätte.

So war der Tag hingegangen; unbeweglich standen die Franzosen,
Kellermann hatte auch einen bequemern Platz genommen; unsere Leute
zog man aus dem Feuer zurück, und es war eben, als wenn nichts
gewesen wäre. Die größte Bestürzung verbreitete sich über die Armee.
Noch am Morgen hatte man nicht anders gedacht, als die sämtlichen
Franzosen anzuspießen und aufzuspeisen, ja mich selbst hatte das
unbedingte Vertrauen auf ein solches Heer, auf den Herzog von
Braunschweig zur Teilnahme an dieser gefährlichen Expedition gelockt;
nun aber ging jeder vor sich hin, man sah sich nicht an, oder wenn es
geschah, so war es, um zu flucehn oder zu verwünschen. Wir hatten,
eben als es Nacht werden wollte, zufällig einen Kreis geschlossen, in
dessen Mitte nicht einmal wie gewöhnlich ein Feuer konnte angezündet
werden; die meisten schwiegen, einige sprachen, und es fehlte doch
eigentlich einem jeden Besinnung und Urteil. Endlich rief man mich
auf, was ich dazu denke? Denn ich hatte die Schar gewöhnlich mit
kurzen Sprüchen erheitert und erquickt; diesmal sagte ich: "Von hier
und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt
sagen, ihr seid dabei gewesen."

In diesem Augenblick, wo niemand nichts zu essen hatte, reklamierte
ich einen Bissen Bort von dem heute früh erworbenen; auch war von
dem gestern reichlich verspendeten Wein noch der Inhalt eines
Branntweinfläschchens übrig geblieben, und ich musste daher auf
die gestern am Feuer so kühn gespielte Rolle des willkommenen
Wundertäters völlig Verzicht tun.

Die Kanonade hatte kaum aufgehört, als Regen und Sturm schon wieder
eindrangen und einen zustand unter freiem Himmel, auf zähem Lehmboden
höchst unerfreulich machten. Und doch kam, nach so langem Wachen,
Gemüts- und Leibesbewegung, der Schlaf sich anmeldend, als die Nacht
hereindüsterte. Wir hatten uns hinter einer Erhöhung, die den
schneidenden Wind abhielt, notdürftig gelagert, als es jemanden
einfiel, man solle sich für dies Nacht in die Erde graben und mit dem
Mantel zudecken. Hierzu machte man gleich Anstalt, und es wurden
mehrere Gräber ausgehauen, wozu die reitende Artillerie Gerätschaften
hergab. Der Herzog von Weimar selbst verschmähte nicht eine solche
voreilige Bestattung.

Hier verlangt' ich nun gegen Erlegung von acht Groschen die bewusste
Decke, wickelte mich darein und breitete den Mantel noch oben drüber,
ohne von dessen Feuchtigkeit viel zu empfinden. Ulyß kann unter
seinem auf ähnliche Weise erworbenen Mantel nicht mit mehr
Behaglichkeit und Selbstgenügen geruht haben.

Alle diese Bereitungen warn wider den Willen des Obersten geschehen,
welcher uns bemerken machte, dass auf einem Hügel gegenüber hinter
einem Busch die Franzosen eine Batterie stehen hatten, mit der sie
uns im Ernst begraben und nach Belieben vernichten konnten. Allein
wir mochten den windstillen Ort und unsere weislich ersonnene
Bequemlichkeit nicht aufgeben, und es war dies nicht das letzte Mal,
wo ich bemerkte, dass man, um der Unbequemlichkeit auszuweichen, die
Gefahr nicht scheue.




Den 21. September

waren die wechselseitigen Grüße der Erwachenden keineswegs heiter und
froh, denn man ward sich in einer beschämenden, hoffnungslosen Lage
gewahr. Am Rand eines ungeheuren Amphitheaters fanden wir uns
aufgestellt, wo jenseits auf Höhen, deren Fuß durch Flüsse, Teiche,
Bäche, Moräste gesichert war, der Feind einen kaum übersehbaren
Halbzirkel bildete. Diesseits standen wir, völlig wie gestern, um
zehntausend Kanonenkugeln leichter, aber ebenso wenig situiert zum
Angriff; man blickte in eine weit ausgebreitete Arena hinunter,
wo sich zwischen Dorfhütten und Gräten die beiderseitigen Husaren
herumtrieben und mit Spiegelgefecht bald vor-, bald rückwärts, eine
Stunde nach der andern, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln
wussten. Aber aus all dem Hin- und Hersprengen, dem Hin- und
Widerpuffen ergab sich zuletzt kein Resultat, als dass einer der
Unsrigen, der sich zu kühn zwischen die Hecken gewagt hatte,
umzingelt und, da er sich keineswegs ergeben wollte, erschossen wurde.

Dies war das einzige Opfer der Waffen an diesem Tag; aber die
eingerissene Krankheit machte den unbequemen, drückenden, hilflosen
Zustand trauriger und fürchterlicher.

So schlaglustig und fertig man gestern auch gewesen, gestand man
doch, dass ein Waffenstillstand wünschenswert sei, da selbst der
Mutigste, Leidenschaftlichste nach weniger Überlegung sagen musste:
ein Angriff würde das verwegenste Unternehmen von der Welt sein. Noch
schwankten die Meinungen den Tag über, wo man ehrenthalben dieselbe
Stellung behauptete, wie beim Augenblick der Kanonade; gegen Abend
jedoch veränderte man sie einigermaßen, zuletzt war das Hauptquartier
nach Hans gelegt und die Bagage herbeigekommen. Nun hatten wir zu
vernehmen die Angst, die Gefahr, den nahen Untergang unserer
Dienerschaft und Habseligkeiten.

Das Waldgebirg' Argonne von Sainte Menehould bis Grandpré war von
Franzosen besetzt; von dort aus führten ihre Husaren den kühnsten,
mutwilligsten, kleinen Krieg. Wir hatten gestern vernommen, dass ein
Sekretär des Herzogs von Braunschweig und einige andere Personen der
fürstlichen Umgebung zwischen der Armee und der Wagenburg waren
gefangen worden. Diese verdiente aber keineswegs den Namen einer
Burg, denn sie war schlecht aufgestellt, nicht geschlossen, nicht
genugsam eskortiert. Nun beängstete sie ein blinder Lärm nach dem
andern und zugleich die Kanonade in geringer Entfernung. Späterhin
trug man sich mit der Fabel oder Wahrheit, die französischen Truppen
seien schon den Gebirgswald herab auf dem Weg gewesen, sich der
sämtlichen Equipage zu bemächtigen; da gab sich denn der von ihnen
gefangene und wieder losgelassene Läufer des General Kalckreuth ein
großes Ansehen, indem er versicherte, er habe durch glückliche Lügen
von starker Bedeckung, von reitenden Batterien und dergleichen einen
feindlichen Anfall abgewendet. Wohl möglich! Wer hat nicht in solchen
bedeutenden Augenblicken zu tun oder getan?

Nun waren die Zelte da, Wagen und Pferde; aber Nahrung für kein
Lebendiges. Mitten im Regen ermangelten wir sogar des Wassers, und
einige Teiche waren schon durch eingesunkene Pferde verunreinigt:
das alles zusammen bildete den schrecklichsten Zustand. Ich wusste
nicht, was es heißen sollte, al sich meinen treuen Zögling,
Diener und Gefährten Paul Götze von dem Leder des Reisewagens das
zusammengeflossene Regenwasser sehr emsig schöpfen sah; er bekannte,
dass es zur Schokolade bestimmt sei, davon er glücklicherweise einen
Vorrat mitgebracht hatte; ja was mehr ist, ich habe aus den
Fußstapfen der Pferde schöpfen sehen, um einen unerträglichen Durst
zu stillen. Man kaufte das Brot von alten Soldaten, die, an
Entbehrung gewöhnt, etwas zusammensparten, um sich am Branntwein zu
erquicken, wenn derselbe wieder zu haben wäre.




Am 22. September

hörte man, die Generale Manstein und Heymann seien nach Dampiere in
das Hauptquartier von Kellermann, wo sich auch Dumouriez einfinden
sollte. Es war von Auswechseln der Gefangnen, von Versorgung der
Kranken und Blessierten zum Schein die Rede; im Ganzen hoffte man
aber mitten im Unglück eine Umkehr der Dinge zu bewirken. Seit dem
10. August war der König von Frankreich gefangen, grenzenlose
Mordtaten waren im September geschehen. Man wusste, dass Dumouriez
für den König und die Konstitution gesinnt gewesen; er musste also
seines eignen Heils, seiner Sicherheit willen die gegenwärtigen
Zustände bekämpfen, und eine große Begebenheit wäre es geworden, wenn
er sich mit den Alliierten alliiert und so auf Paris losgegangen wäre.

Seit der Ankunft der Equipage fand sich die Umgebung des Herzogs von
Weimar um vieles gebessert, denn man musste dem Kämmerier, dem Koch
und andern Hausbeamten das Zeugnis geben, dass sie niemals ohne
Vorrat gewesen und selbst in dem größten Mangel immer für etwas warme
Speise gesorgt. Hierdurch erquickt, ritt ich umher, mich mit der
Gegend nur einigermaßen bekannt zu machen, ganz ohne Furcht: diese
flachen Hügel hatten keinen Charakter, kein Gegenstand zeichnete
sich vor andern aus. Mich doch zu orientieren, forscht' ich nach der
langen und hoch aufgewachsenen Pappelallee, die gestern so auffallend
gewesen war, und da ich sie nicht entdecken konnte, glaubt' ich mich
weit verirrt, allein bei näherer Aufmerksamkeit fand ich, dass sie
niedergehauen, weggeschleppt und wohl schon verbrannt sei.

An den Stellen, wo die Kanonade hingewirkt, erblickte man großen
Jammer: die Menschen lagen unbegraben, und die schwer verwundeten
Tiere konnten nicht ersterben. Ich sah ein Pferd, das sich in seinen
eigenen, aus dem verwundeten Leibe heraus gefallenen Eingeweiden mit
den Vorderfüßen verfangen hatte und so unselig dahinhinkte.

Im Nachhausereiten traf ich den Prinzen Louis Ferdinand im freien
Feld auf einem hölzernen Stuhl sitzen, den man aus einem untern Dorf
heraufgeschafft; zugleich schleppten einige seiner Leute einen
schweren, verschlossenen Küchenschrank herbei: sie versicherten, es
klappere darin, sie hofften, einen guten Fang getan zu haben. Man
erbrach ihn begierig, fand aber nur ein stark beleibtes Kochbuch, und
nun, indessen der gespaltene Schrank im Feuer aufloderte, las man die
köstlichsten Küchenrezepte vor, und so ward abermals Hunger und
Begierde durch eine aufgeregte Einbildungskraft bis zur Verzweiflung
gesteigert.




Den 24. September.

Erheitert einigermaßen wurde das schlimmste Wetter von der Welt durch
die Nachricht, dass ein Stillstand geschlossen sei und dass man also
wenigstens die Aussicht habe, mit einiger Gemütsruhe leiden und
darben zu können; aber auch dieses gedieh nur zum halben Trost, da
man bald vernahm, es sei eigentlich nur eine Übereinkunft, dass die
Vorposten Friede halten sollten, wobei nicht unbenommen bleibe, die
Kriegsoperationen außer dieser Berührung nach Gutdünken fortzusetzen.
Dieses war ihre Stellung verändern und uns besser einschließen
konnten, wir aber in der Mitte mussten still halten und in unserem
stockenden Zustand verweilen. Die Vorposten aber ergriffen diese
Erlaubnis mit Vergnügen. Zuerst kamen sie überein, dass, welchem von
beiden Teilen Wind und Wetter ins Gesicht schlage, der solle das
Recht haben, sich umzukehren und, in seinen Mantel gewickelt, von
dem Gegenteil nichts befürchten. Es kam weiter: die Franzosen
hatten immer noch etwas Weniges zur Nahrung, indes den Deutschen
alles abging; jene teilten daher einiges mit, und man ward immer
kameradlicher. Endlich wurden sogar mit Freundlichkeit von
französischer Seite Druckblätter ausgeteilt, wodurch den guten
Deutschen das Heil der Freiheit und Gleichheit in zwei Sprachen
verkündet war; die Franzosen ahmten das Manifest des Herzogs von
Braunschweig in umgekehrtem Sinn nach, entboten guten Willen und
Gastfreundschaft, und ob sich schon bei ihnen mehr Volk, als sie von
oben herein regieren konnten, auf die Beine gemacht hatte, so geschah
dieser Aufruf, wenigstens in diesem Augenblick, mehr, um den
Gegenteil zu schwächen als sich selbst zu stärken.




Zum 24. September.

Als Leidensgenossen bedauerte ich auch in dieser Zeit zwei hübsche
Knaben von vierzehn bis fünfzehn Jahren. Sie hatten, als Requirierte,
mit vier schwachen Pferden meine leichte Chaise bis hierher kaum
durchgeschleppt und litten stille, mehr für ihre Tiere als für
sich; doch war ihnen so wenig als uns allen zu helfen. Da sie um
meinetwillen jedes Unheil ausstanden, fühlte ich mich zu irgendeiner
Pietät gedrungen und wollte jenes erhandelte Kommissbrot redlich mit
ihnen teilen; allein sie lehnten es ab und versicherten, dergleichen
könnten sie nicht essen, und als ich fragte, "was sie denn gewöhnlich
genössen?" versetzten sie: "Du bon pain, de la bonne soupe, de la
bonne viande, de la bonne bière." Da nun bei ihnen alles gut und
bei uns alles schlimm war, verzieh ich ihnen gern, dass sie mit
Zurücklassung ihrer Pferde sich bald darauf davonmachten. Sie
hatten übrigens manches Unheil ausgestanden, ich glaube aber,
dass eigentlich das dargebotene Kommissbrot sie zu dem letzten
entscheidenden Schritt, als ein furchtbares Gespenst, bewogen
habe. Weiß und schwarz Brot ist eigentlich das Schibboleth, das
Feldgeschrei zwischen Deutschen und Franzosen.

Eine Bemerkung darf ich hier nicht unberührt lassen: wir kamen
freilich zur ungünstigsten Jahrszeit in ein von der Natur nicht
gesegnetes Land, das aber denn doch seine wenigen, arbeitsamen,
ordnungsliebenden, genügsamen Einwohner allenfalls ernährt. Reichere
und vornehmere Gegenden mögen eine solche freilich geringschätzig
behandeln; ich aber habe keineswegs Ungeziefer und Bettelherbergen
dort angetroffen. Von Mauerwerk gebaut, mit Ziegeln gedeckt sind die
Häuser, und überall hinreichende Tätigkeit. Auch ist die eigentlich
schlimme Landstrecke höchstens vier bis sechs Stunden breit und hat,
sowohl an dem Argonner Waldgebirge her als gegen Reims und Chalons
zu, schon wieder günstigere Gelegenheit. Kinder, die man in dem
ersten besten Dorfe aufgegriffen hatte, sprachen mit Zufriedenheit
von ihrer Nahrung, und ich durfte mich nur des Kellers zu Somme
Tourbe und des weißen Brotes, das uns ganz frisch von Chalons her
in die Hände gefallen war, erinnern, so schien es doch, als ob in
Friedenszeiten hier nicht gerade Hunger und Ungeziefer zu Hause
sein müsse.




Den 25. September.

Dass während des Stillstandes die Franzosen von ihrer Seite tätig
sein würden, konnte man vermuten und erfahren. Sie suchten die
verlorne Kommunikation mit Chalons wieder herzustellen und die
Emigrierten in unserm Rücken zu verdrängen oder vielmehr an uns
heranzudrängen; doch augenblicklich ward für uns das Schädlichste,
dass sie, sowohl vom Argonner Waldgebirge als von Sedan und Montmedy
her, uns die Zufuhr erschweren, wo nicht völlig vernichten konnten.




Den 26. September.

Da man mich als auf mancherlei aufmerksam kannte, so brachte man
alles, was irgend sonderbar scheinen mochte, herbei; unter andern
legte man mir eine Kanonenkugel vor, ungefähr vierpfündig zu achten,
doch war das Wunderliche daran, sie auf ihrer ganzen Oberfläche in
kristallisierten Pyramiden endigen zu sehen. Kugeln waren jenes Tags
genug verschossen worden, dass sich eine gar wohl hierüber konnte
verloren haben. Ich erdachte mir allerlei Hypothesen, wie das Metall
beim Guss oder nachher sich zu dieser Gestalt bestimmt hätte; durch
einen Zufall ward ich hierüber aufgeklärt.

Nach einer kurzen Abwesenheit wieder in mein Zelt zurückkehrend,
fragte ich nach der Kugel; sie wollte sich nicht finden. Als ich
darauf bestand, beichtete man: sie sei, nachdem man allerlei an ihr
probiert, zersprungen. Ich forderte die Stücke und fand zu meiner
großen Verwunderung eine Kristallisation, die, von der Mitte
ausgehend, sich strahlig gegen die Oberfläche erweitete. Es war
Schwefelkies, der sich in einer freien Lage ringsum musste gebildet
haben. Diese Entdeckung führte weiter, dergleichen Schwefelkiese
fanden sich mehr, obschon kleiner, in Kugel- und Nierenform, auch in
andern weniger regelmäßigen Gestalten, durchaus aber darin gleich,
dass sie nirgends angesessen hatten und dass ihre Kristallisation
sich immer auf eine gewisse Mitte bezog; auch waren sie nicht
abgerundet, sondern völlig frisch und deutlich kristallinisch
abgeschlossen. Sollten sie sich wohl in dem Boden selbst erzeugt
haben, und findet man dergleichen mehr auf Ackerfeldern?

Aber ich nicht allein war auf die Mineralien der Gegend aufmerksam;
die schöne Kreide, die sich überall vorfand, schien durchaus von
einigem Wert. Es ist wahr, der Soldat durfte nur ein Kochloch
aufhauen, so traf er auf die klarste weiße Kreide, die er zu seinem
blanken und glatten Putz sonst so nötig hatte. Da ging wirklich ein
Armeebefehl aus: der Soldat solle sich mit dieser hier umsonst zu
habenden notwendigen Ware soviel als möglich versehen. Dies gab nun
freilich zu einigem Spott Gelegenheit: mitten in den furchtbarsten
Kot versenkt, sollte man sich mit Reinlichkeits- und Putzmitteln
beladen; wo man nach Brot seufzte, sich mit Staub zufrieden stellen.

Auch stutzten die Offiziere nicht wenig, als sie im Hauptquartier
übel angelassen wurden, weil sie nicht so reinlich, so zierlich wie
auf der Parade zu Berlin oder Potsdam erschienen. Die Oberen konnten
nicht helfen; so sollten sie, meinte man, auch nicht schelten.




Den 27. September.

Eine etwas wunderliche Vorsichtsmaßregel, dem dringenden Hunger zu
begegnen, ward gleichfalls bei der Armee publiziert: man solle
die vorhandenen Gerstengarben so gut als möglich ausklopfen,
die gewonnenen Körner in heißem Wasser so lange sieden, bis sie
aufplatzen, und durch diese Speise die Befriedigung des Hungers
versuchen.

Unserer nächsten Umgebung war jedoch eine bessere Beihilfe zugedacht.
Man sah in der Ferne zwei Wagen festgefahren, denen man, weil sie
Proviant und andere Bedürfnisse geladen hatten, gern zu Hilfe kam.
Stallmeister von Seebach schickte sogleich Pferde dorthin; man
brachte sie los, führte sie aber auch sogleich des Herzogs Regiment
zu; sie protestierten dagegen, als zur österreichischen Armee
bestimmt, wohin auch wirklich ihre Pässe lauteten. Allein man hatte
sich einmal ihrer angenommen; um den Zudrang zu verhüten und sie
zugleich festzuhalten, gab man ihnen Wache, und da sie auch von uns
bezahlt erhielten, was sie forderten, so mussten sie auch bei uns
ihre eigentliche Bestimmung finden.

Eilig drängten sich zu allererst die Haushofmeister, Köche und ihre
Gehilfen herbei, nahmen von der Butter in Fässchen, von Schinken und
andern guten Dingen Besitz. Der Zulauf vermehrte sich, die größere
Menge schrie nach Tabak, der denn auch um teuren Preis häufig
ausgegeben wurde. Die Wagen aber waren so umringt, dass sich zuletzt
niemand mehr nähern konnte; deswegen mich unsere Leute und Reiter
anriefen und auf das dringendste baten, ihnen zu diesem notwendigsten
aller Bedürfnisse zu verhelfen.

Ich ließ mir durch Soldaten Platz machen und erstieg sogleich, um
mich nicht im Gedränge zu verwirren, den nächsten Wagen; dort
bepackte ich mich für gutes Geld mit Tabak, was nur meine Taschen
fassen wollten, und ward, als ich wieder herab und spendend ins Freie
gelangte, für den größten Wohltäter gepriesen, der sich jemals der
leidenden Menschheit erbarmt hatte. Auch Branntwein war angelangt;
man versah sich damit und bezahlte die Bouteille gern mit einem
Laubtaler.




Den 27. September.

Sowohl im Hauptquartiere selbst, wohin man zuweilen gelanget, als bei
allen denen, die von dort herkamen, erkundigte man sich nach der Lage
der Dinge: sie konnte nicht bedenklicher sein. Von dem Unheil, das in
Paris vorgegangen, verlautete immer mehr und mehr, und was man
anfangs für Fabeln gehalten, erschien zuletzt als Wahrheit
überschwänglich furchtbar. König und Familie waren gefangen, die
Absetzung dessen schon zur Sprache gekommen; der Hass des Königtums
überhaupt gewann immer mehr Breite, ja schon konnte man erwarten,
dass gegen den unglücklichen Monarchen ein Prozess würde eingeleitet
werden. Unsere unmittelbaren kriegerischen Gegner hatten sich eine
Kommunikation mit Chalons wieder eröffnet, dort befand sich Luckner,
der die von Paris anströmenden Freiwilligen zu Kriegshaufen bilden
sollte; aber diese, in den grässlichen ersten Septembertagen, durch
die reißend fließenden Blutströme, aus der Hauptstadt ausgewandert,
brachten Lust zum Morden und Rauben mehr als zu reinem rechtlichen
Kriege mit. Nach dem Beispiel des Pariser Gräuelvolks ersahen sie
sich willkürliche Schlachtopfer, um ihnen, wie sich's fände,
Autorität, Besitz oder wohl gar das Leben zu rauben. Man durfte sie
nur undiszipliniert loslassen, so machten sie uns den Garaus.

Die Emigrierten waren an uns herangedrückt worden, und man erzählte
noch von gar manchem Unheil, das im Rücken und von der Seite
bedrohte. In der Gegend von Reims sollten sich zwanzigtausend Bauern
zusammengerottet haben, mit Feldgerät und wild ergriffenen
Naturwaffen versehen; die Sorge war gorß, auch diese möchten auf uns
losbrechen.

Von solchen Dingen ward am Abend in der Herzogs Zelt, in Gegenwart
von bedeutenden Kriegsobristen, gesprochen; jeder brachte seine
Nachricht, seine Vermutung, seine Sorge als Beitrag in diesen
ratlosen rat, denn es schien durchaus nur ein Wunder uns retten
zu können.

Ich aber dachte in diesem Augenblick, dass wir gewöhnlich in
misslichen Zuständen uns gern mit hohen Personen vergleichen,
besonders mit solchen, denen es noch schlimmer gegangen; da fühlt'
ich mich getrieben, wo nicht zur Erheiterung doch zur Ableitung, aus
der Geschichte Ludwigs des Heiligen die drangvollsten Begebenheiten
zu erzählen. Der König, auf seinem Kreuzzuge, will zuerst den Sultan
von Ägypten demütigen, denn von diesem hängt gegenwärtig das gelobte
Land ab. Damiette fällt ohne Belagerung den Christen in die Hände.
Angefeuert von seinem Bruder Graf Artois, unternimmt der König einen
Zug das rechte Nilufer hinauf, nach Babylon-Kairo. Es glückt, einen
graben auszufüllen, der Wasser vom Nil empfängt. Die Armee zeiht
hinüber. Aber nun findet sie sich geklemmt zwischen dem Nil, dessen
Haupt- und Nebenkanälen; dagegen die Sarazenen auf beiden Ufern des
Flusses glücklich postiert sind. Über die größeren Wasserleitungen zu
setzen wird schwierig. Man baut Blockhäuser gegen die Blockhäuser der
Feinde; diese aber haben den Vorteil des griechischen Feuers. Sie
beschädigen damit die hölzernen Bollwerke, Bauten und Menschen. Was
hilft den Christen ihre entschiedene Schlachtordnung, immerfort von
den Sarazenen gereizt, geneckt, angegriffen, teilweise in Scharmützel
verwickelt. Einzelne Wagnisse, Faustkämpfe sind bedeutend, Herz
erhebend, aber die Helden, der König selbst wird abgeschnitten. Zwar
brechen die Tapfersten durch, aber die Verwirrung wächst. Der Graf
von Artois ist in Gefahr; zu dessen Rettung wagt der König alles. Der
Bruder ist schon tot, das Unheil steigt aufs Äußerste. An diesem
heißen Tag kommt alles darauf an, eine Brücke über ein Seitenwasser
zu verteidigen, um die Sarazenen vom Rücken des Hauptgefechtes
abzuhalten. Den wenigen da postierten Kriegsleuten wird auf alle
Weise zugesetzt, mit Geschütz von den Soldaten, mit Steinen und Kot
durch Trossbuben. Mitten in diesem Unheil spricht der Graf von
Soissons zum Ritter Joinville scherzend: "Seneschall, lasst das
Hundepack bellen und blöken; bei Gottesthron!" -- so pflegte er zu
schwören -- "von diesem Tag sprechen wir noch im Zimmer vor den Damen."

Man lächelte, nahm das Omen gut auf, besprach sich über mögliche
Fälle, besonders hob man die Ursachen hervor, warum die Franzosen uns
eher schonen als verderben müssten: der lange ungetrübte Stillstand,
das bisherige zurückhaltende Betragen gaben einige Hoffnung. Diese zu
beleben, wagte ich noch einen historischen Vortrag und erinnerte mit
Vorzeigung der Spezialkarten, dass zwei Meilen von uns nach Westen
das berüchtigte Teufelsfeld gelegen sei, bis wohin Attila, König der
Hunnen, mit seinen ungeheuren Heerhaufen im Jahr 452 gelangt, dort
aber von den burgundischen Fürsten unter Beistand des römischen
Feldherrn Aëtius geschlagen worden; dass, hätten sie ihren Sieg
verfolgt, er in Person und mit allen seinen Leuten umgekommen und
vertilgt worden wäre. Der römische General aber, der die Burgunder
Fürsten nicht von aller Furcht vor diesem gewaltigen Feind zu
befreien gedachte, weil er sie alsdann sogleich gegen die Römer
gewendet gesehen hätte, beredete einen nach dem andern, nach Hause zu
ziehen; und so entkam denn auch der Hunnenkönig mit den Überresten
eines unzählbaren Volkes.

In eben dem Augenblick ward die Nachricht gebracht, der erwartete
Brottransport von Grandpré sei angekommen; auch dies belebte doppelt
und dreifach die Geister: man schied getrösteter voneinander, und
ich konnte dem Herzog bis gegen Morgen in einem unterhaltenden
französischen Buch vorlesen, das auf die wunderlichste Weise in meine
Hände gekommen. Bei den verwegenen, frevelhaften Scherzen, welche
mitten in dem bedrängtesten Zustand noch Lachen erregten, erinnerte
ich mich der leichtfertigen Jäger von Verdun, welche Schelmlieder
singend in den Tod gingen. Freilich, wenn man dessen Bitterkeit
vertreiben will, muss man es mit den Mitteln so genau nicht nehmen.




Den 28. September.

Das Brot war angekommen, nicht ohne Mühseligkeit und Verlust; auf den
schlimmsten Wegen von Grandpré, wo die Bäckerei lag, bis zu uns heran
waren mehrere Wagen stecken geblieben, andere dem Feind in die Hände
gefallen und selbst ein Teil des Transports ungenießbar: denn im
wässerigen, zu schnell gebackenen Brot trennte sich Krume von Rinde,
und in den Zwischenräumen erzeugte sich Schimmel. Abermals in Angst
vor Gift, brachte man mir dergleichen Laibe, diesmal in ihren inneren
Hohlungen hochpomeranzenfarbig anzusehen, auf Arsenik und Schwefel
hindeutend, wie jenes vor Verdun auf Grünspan. War es aber auch nicht
vergiftet, so erregte doch der Anblick Abscheu und Ekel; getäuschte
Befriedigung schärfte den Hunger: Krankheit, Elend, Missmut lagen
schwer auf einer so großen Masse guter Menschen.

In solchen Bedrängnissen wurden wir noch gar durch eine unglaubliche
Nachricht überrascht und betrübt; es hieß, der Herzog von
Braunschweig habe sein früheres Manifest an Dumouriez geschickt,
welcher, darüber ganz verwundert und entrüstet, sogleich den
Stillstand aufgekündigt und den Anfang der Feinseligkeiten befohlen
habe. So groß das Unheil war, in welchem wir staken, und noch
größeres bevorsahen, konnten wir doch nicht unterlassen, zu
scherzen und zu spotten; wir sagten, da sehe man, was für Unheil
die Autorschaft nach sich ziehe! Jeder Dichter und sonstige
Schriftsteller trage gern seine Arbeiten einem jeden vor, ohne dass
er frage, ob es die rechte Zeit und Stunde sei; nun ergehe es dem
Herzog von Braunschweig ebenso, der, die Freuden der Autorschaft
genießend, sein unglückliches Manifest ganz zur unrechten zeit wieder
produzierte.

Wir erwarteten nun, die Vorposten abermals puffen zu hören, man
schaute sich nach allen Hügeln um, ob nicht irgendein Feind
erscheinen möchte; aber es war alles so still und ruhig, als wäre
nichts vorgegangen. Indessen lebte man in der peinlichsten
Ungewissheit und Unsicherheit, denn jeder sah wohl ein, dass wir
strategisch verloren waren, wenn es dem Feind im Mindesten einfallen
solle, uns zu beunruhigen und zu drängen. Doch deutete schon manches
in dieser Ungewissheit auf Übereinkunft und mildere Gesinnung; so
hatte man zum Beispiel den Postmeister von Sainte Menehould gegen die
am 20. zwischen der Wagenburg und Armee weggefangenen Personen der
königlichen Suite frei und ledig gegeben.




Den 29. September.

Gegen Abend setzte sich, der erteilten Order gemäß, die Equipage in
Bewegung; unter Geleit Regiments Herzog von Braunschweig sollte sie
vorangehen, um Mitternacht die Armee folgen. Alles regte sich, aber
missmutig und langsam; denn selbst der beste Wille gleitete auf dem
durchweichten Boden und versank, eh' er sich's versah. Auch diese
Stunden gingen vorüber: Zeit und Stunde rennt durch den rausten Tag!

Es war Nacht geworden, und auch diese sollte man schlaflos zubringen;
der Himmel war nicht ungünstig, der Vollmond leuchtete, aber hatte
nichts zu beleuchten. Zelte waren verschwunden, Gepäck, Wagen und
Pferde alles hinweg, und unsere kleine Gesellschaft besonders in
einer seltsamen Lage. An dem bestimmten Ort, wo wir uns befanden,
sollten die Pferde uns Aufsuchen; sie waren ausgeblieben. So weit wir
bei falbem Licht umher sahen, schien alles öd' und leer; wir horchten
vergebens: weder Gestalt noch Ton war zu vernehmen. Unsere Zweifel
wogten hin und her; wir wollten den bezeichneten Platz lieber nicht
verlassen als die Unsrigen in gleiche Verlegenheit setzen und sie
gänzlich verfehlen. Doch war es grauerlich, in Feindesland, nach
solchen Ereignissen, vereinzelt, aufgegeben, wo nicht zu sein, doch
für den Augenblick zu scheinen.

Wir passten auf, ob nicht vielleicht eine feindliche Demonstration
vorkomme, aber es rührte und regte sich weder Günstiges noch
Ungünstiges.

Wir trugen nach und nach alles hinterlassene Zeltstroh in der
Umgegend zusammen und verbrannten es, nicht ohne Sorgen. Gelockt
durch die Flamme, zog sich eine alte Marketenderin zu uns heran: sie
mochte sich beim Rückweg in den fernen Orten nicht ohne Tätigkeit
verspätet haben, denn sie trug ziemliche Bündel unter den Armen. Nach
Gruß und Erwärmung hob sie zuvörderst Friedrich den Großen in den
Himmel und pries den Siebenjährigen Krieg, dem sie als Kind wollte
beigewohnt haben, schalt grimmig auf die gegenwärtigen Fürsten und
Heerführer, die so große Mannschaft in ein Land brächten, wo die
Marketenderin ihr Handwerk nicht treiben könne, worauf es denn doch
eigentlich abgesehen sei. Man konnte sich an ihrer Art, die Sachen zu
betrachten, gar wohl erlustigen und sich für einen Augenblick
zerstreuen, doch waren uns endlich die Pferde höchst willkommen; da
wir denn auch mit dem Regiment Weimar den ahnungsvollen Rückzug
antraten.

Vorsichtsmaßregeln, bedeutende Befehle ließen fürchten, dass die
Feinde unserm Abmarsch nicht gelassen zusehen würden. Mit Bangigkeit
hatte man noch am Tag das sämtliche Fuhrwerk, am bänglichsten aber
die Artillerie, in den durchweichten Boden einschneidend, sich
stockend bewegen sehen; was mochte nun zu Nacht alles vorfallen? Mit
Bedauern sah man gestürzte, geborstene Bagagewagen im Bachwasser
liegen, mit Bejammern ließ man zurückbleibende Kranke hilflos. Wo man
sich auch umsah, einigermaßen vertraut mit der Gegend, gestand man,
hier sie gar keine Rettung, sobald es dem Feind, den wir links,
rechts und im Rücken wussten, belieben möchte, uns anzugreifen; da
dies aber in den ersten Stunden nicht geschah, so stellte sich das
hoffnungsbedürftige Gemüt schnell wieder her, und der Menschengeist,
der allem, was geschieht, Verstand und Vernunft unterlegen möchte,
sagte sich getrost, die Verhandlungen zwischen den Hauptquartieren
Hans und Sainte Menehould seien glücklich und zu unseren Gunsten
abgeschlossen worden. Von Stunde zu Stunde vermehrte sich der Glaube;
und als ich Halt machen, die sämtlichen Wagen über dem Dorf St. Jean
ordnungsgemäß auffahren sah, war ich schon völlig gewiss, wir würden
nach Hause gelangen und in guter Gesellschaft (_devant les Dames_)
von unseren ausgestandenen Qualen sprechen und erzählen dürfen. Auch
diesmal teilt' ich Freunden und Bekannten meine Überzeugung mit, und
wir ertrugen die gegenwärtige Not schon mit Heiterkeit.

Kein Lager ward bezogen, aber die Unsrigen schlugen ein großes Zelt
auf, inwendig und auswendig umher die reichsten, herrlichsten
Weizengarben zur Schlafstätte gebreitet. Der Mond schien hell durch
die beruhigte Luft, nur ein sanfter Zug leichter Wolken war
bemerklich, die ganze Umgebung sichtbar und deutlich, fast wie am
Tage. Beschienen waren die schlafenden Menschen, die Pferde, vom
Futterbedürfnis wach gehalten, darunter viele weiße, die das Licht
kräftig wiedergaben; weiße Wagenbedeckungen, selbst die zur Nachtruhe
gewidmeten weißen Garben, alles verbreitete Helle und Heiterkeit über
diese bedeutende Szene. Fürwahr, der größte Maler hätte sich
glücklich geschätzt, einem solchen Bild gewachsen zu sein.

Erst spät legt' ich mich ins Zelt und hoffte des tiefsten Schlafes zu
genießen; aber die Natur hat manches Unbequeme zwischen ihre
schönsten Gaben ausgestreut, und so gehört zu den ungeselligsten
Unarten des Menschen, dass er schlafend, eben wenn er selbst am
tiefsten ruht, den gesellen durch unbändiges Schnarchen wach zu
halten pflegt. Kopf an Kopf, ich innerhalb, er außerhalb des Zeltes,
lag ich mit einem Mann, der mir durch ein grässlich Stöhnen die so
nötige Ruhe unwiederbringlich verkümmerte. Ich löste den Strang vom
Zeltpflock, um meinen Widersacher kennen zu lernen: es war ein
braver, tüchtiger Mann von der Dienerschaft, erlag, vom Mond
beschienen, in so tiefem Schlaf, als wenn er Endymion selbst gewesen
wäre.

Die Unmöglichkeit, in solcher Nachbarschaft Ruhe zu erlangen, regte
den schalkischen Geist in mir auf; ich nahm eine Weizenähre und
ließ die schwankende Last über Stirn und Nase des Schlafenden
schweben. In seiner tiefen Ruhe gestört, fuhr er mit der Hand
mehrmals übers Gesicht, und sobald er wieder in Schlaf versank,
wiederholt' ich mein Spiel, ohne dass er hätte begreifen mögen, woher
in dieser Jahreszeit eine Bremse kommen könne. Endlich bracht' ich es
dahin, dass er, völlig ermuntert, aufzustehen beschloss. Indessen war
auch mir alle Schlaflust vergangen: ich trat vor das Zelt und
bewunderte in dem wenig veränderten Bild die unendliche Ruhe am Rande
der größten, immer noch denkbaren Gefahr; und wie in solchen
Augenblicken Angst und Hoffnung, Kümmernis und Beruhigung
wechselweise auf- und abgaukeln, so erschrak ich wieder, bedenkend,
dass, wenn der Feind uns in diesem Augenblick überfallen wollte,
weder eine Radspeiche noch ein Menschengebein davonkommen würde.

Der anbrechende Tag wirkte sodann wieder zerstreuend, denn da zeigte
sich manches Wunderliche. Zwei alte Marketenderinnen hatten mehrere
seidene Weiberröcke buntscheckig um Hüfte und Brust übereinander
gebunden, den obersten aber um den Hals und oben darüber noch ein
Halbmäntelchen. In diesem Ornat stolzierten sie gar komisch einher
und behaupteten, durch Kauf und tausch sich diese Maskerade gewonnen
zu haben.




Den 30. September.

So früh sich auch mit Tagesanbruch das sämtliche Fuhrwerk in Bewegung
setzte, so legten wir doch nur einen kurzen Weg zurück; denn schon um
neun Uhr hielten wir zwischen Laval und Wargemoulin. Menschen und
Tiere suchten sich zu erquicken, kein Lager ward aufgeschlagen. Nun
kam auch die Armee heran und postierte sich auf einer Anhöhe;
durchaus herrschte die größte Stille und Ordnung. Zwar konnte man an
verschiedenen Vorsichtsmaßregeln gar wohl bemerken, dass noch nicht
alle Gefahr überstanden sei: man rekognoszierte, man unterhielt sich
heimlich mit unbekannten Personen, man rüstete sich zum abermaligen
Aufbruch.




Den 1. Oktober.

Der Herzog von Weimar führte die Avantgarde und deckte zugleich den
Rückzug der Bagage. Ordnung und Stille herrschten diese Nacht, und
man beruhigte sich in dieser Ruhe, als um zwölf Uhr aufzubrechen
befohlen ward. Nun ging aber aus allem hervor, dass dieser Marsch
nicht ganz sicher sei wegen Streifpartien, welche vom Argonner Wald
herunter zu befürchten waren. Denn wäre auch mit Dumouriez und den
höchsten Gewalten Übereinkunft getroffen gewesen, welches nicht
einmal als ganz gewiss angenommen werden konnte, so gerhorchte doch
damals nicht leicht jemand dem andern, und die Mannschaft im
Waldgebirge durfte sich nur für selbständig erklären, einen Versuch
machen zu unserm Verderben, welches niemand damals hätte missbilligen
dürfen.

Auch der heutige Marsch ging nicht weit; es war die Absicht, Equipage
und Armee zusammen sollten auch gleichen Schritt mit den
Österreichern und Emigrierten halten, die, uns zur linken Seite
parallel, gleichfalls auf dem Rückzug begriffen waren.

Gegen acht Uhr heilten wir schon, bald nachdem wir Rouvroy hinter uns
gelassen hatten; einige Zelte wurden aufgeschlagen, der Tag war schön
und die Ruhe nicht gestört.

Und so will ich denn hier auch noch anführen, dass ich in diesem
Elend das neckische Gelübde getan: man solle, wenn ich uns erlöst und
mich wieder zu Hause sähe, von mir niemals wieder einen Klagelaut
vernehmen über den meine freiere Zimmeraussicht beschränkenden
Nachbargiebel, den ich vielmehr jetzt recht sehnlich zu erblicken
wünsche; ferner wollt' ich mich über Missbehagen und Langeweile im
deutschen Theater nie wieder beklagen, wo man doch immer Gott danken
könne, unter Dach zu sein, was auch auf der Bühne vorgehe. Und so
gelobt' ich noch ein Drittes, das mir aber entfallen ist.

Es war noch immer genug, dass jeder für sich selbst in dem Grad
sorget und Ross und Wagen, Mann und Pferd nach ihren Abteilungen
regelmäßig zusammenblieben, und so auch wir, sobald still gehalten
oder ein Lager aufgeschlagen ward, immer wieder gedeckte Tafeln und
Bänke und Stühle fanden. Doch wollte uns bedünken, dass wir gar zu
schmal abgefunden würden, ob wir uns gleich bei dem bekannten
allgemeinen Mangel bescheiden darein ergaben.

Indessen schenkte mir das Glück Gelegenheit, einem bessern Gastmahl
beizuwohnen. Es war zeitig Nacht geworden, jedermann hatte sich
sogleich auf die zubereitete Streue gelegt; auch ich war
eingeschlafen, doch weckte mich ein lebhafter, angenehmer Traum: denn
mir schien, als röch' ich, als genöss' ich die besten Bissen, und
als ich darüber aufwachte, mich aufrichtete, war mein Zelt voll des
herrlichsten Geruchs gebratenen und versengten Schweinefettes, der
mich sehr lüstern machte. Unmittelbar an der Natur musste es uns
verziehen sein, den Schweinehirten für göttlich und Schweinebraten
für unschätzbar zu halten. Ich stand auf und erblickte in ziemlicher
Ferne ein Feuer, glücklicherweise oder dem Wind: von da her kam mir
die Fülle des guten Dunstes. Unbedenklich ging ich dem schein nach
und fand die sämtliche Dienerschaft um ein großes, blad zu Kohlen
verbranntes Feuer beschäftigt, den Rücken des Schweins schon beinahe
gar, das übrige zerstückt, zum Einpacken bereit, einen jeden aber
tätig und handreichend, um die Würste bald zu vollenden. Unfern
des Feuers lagen ein paar große Baumstämme; nach Begrüßung der
Gesellschaft setzt' ich mich darauf, und ohne ein Wort zu sagen, sah
ich einer solchen Tätigkeit mit Vergnügen zu.

Teils wollten mir die guten Leute wohl, teils konnten sie den
unerwarteten Gast schicklicherweise nicht ausschließen, und wirklich,
da es zum Austeilen kam, reichten sie mir ein kostbares Stück, auch
war Brot zu haben und ein Schluck Branntwein dazu: es fehlte eben
an keinem Guten. Nicht weniger ward mir ein tüchtiges Stück Wurst
gereicht, als wir uns noch bei Nacht und Nebel zu Pferde setzten; ich
steckte es in meine Pistolenhalfter, und so war mir die Begünstigung
des Nachtwindes gut zustatten gekommen.




Den 2. Oktober.

Wenn man sich auch mit einigem Essen und Trinken gestärkt und den
Geist durch sittliche Trostgründe beschwichtigt hatte, so wechselten
doch immer Hoffnung und Sorge, Verdruss und Scham in der schwankenden
Seele: man freute sich, noch am Leben zu sein; unter solchen
Bedingungen zu leben verwünschte man. Nachts um zwei Uhr brachen wir
auf, zogen mit Vorsicht an einem Wald vorbei, kamen bei Vaux über die
Stelle unseres vor kurzem verlassenen Lagers und bald an die Aisne.
Hier fanden wir zwei Brücken geschlagen, die uns aufs rechte Ufer
hinüberleiteten. Da verweilten wir nun zwischen beiden, die wir
zugleich übersehen konnten, auf einem Sand- Und Weidenwerder, das
lebhafteste Küchenfeuer sogleich besorgend. Die zartesten Linsen, die
ich jemals genossen, lange, rote, schmackhafte Kartoffeln waren bald
bereitet. Als aber zuletzt jene von den österreichischen Fuhrleuten
aufgebrachten, bisher streng verheimlichten Schinken gar geworden,
konnte man sich genugsam wieder herstellen.

Die Equipage war schon herüber; aber bald eröffnete sich ein so
prächtiger als trauriger Anblick. Die Armee zog über die Brücken,
Fußvolk und Artillerie, die Reiterei durch einen Furt, alle Gesichter
düster, jeder Mund verschlossen, eine grässliche Empfindung
mitteilend. Kamen Regimenter heran, unter denen man Bekannte,
Befreundete wusste, so eilte man hin, man umarmte, man besprach sich,
aber unter welchen Fragen, welchem Jammer, welcher Beschämung, nicht
ohne Tränen!

Indessen freuten wir uns, so marketenderhaft eingerichtet zu sein, um
Hohe wie Niedere erquicken zu können. Erst war die Trommel eines
allda postierten Piketts die Tafel, dann holte man aus benachbarten
Orten Stühle, Tische und machte sich's und den verschiedenartigsten
Gästen so bequem als möglich. Der Kronprinz und Prinz Louis ließen
sich die Linsen schmecken, mancher General, der von weitem Rauch sah,
zog sich darnach. Freilich, wie auch unser Vorrat sein mochte, was
solle das unter so viele? Man musste zum zweiten und dritten Mal
ansetzen, und unsere Reserve verminderte sich.

Wie nun unser Fürst gern alles mitteilte, so hielten's auch seine
Leute, und es wäre schwer, einzeln zu erzählen, wie viel der
unglücklichen vorbeiziehenden Kranken durch Kämmerier und Koch
erquickt wurden.

So ging es nun den ganzen Tag, und so ward mir der Rückzug nicht etwa
nur durch Beispiel und Gleichnis, nein, in seiner völligen
Wirklichkeit dargestellt und der Schmerz durch jede neue Uniform
erneuert und vervielfältigt. Ein so grauenvolles Schauspiel sollte
denn auch seiner würdig schließen: der König und sein Generalstab
ritt von weiten her, hielt an der Brücke eine Zeitlang still, als
wenn er sich's noch einmal übersehen und überdenken wollte, zog dann
aber am Ende den Weg aller der Seinen. Eben so erschien der Herzog
von Braunschweig an der andern Brücke, zauderte und ritt herüber.

Die Nacht brach ein, windig aber trocken, und ward auf dem traurigen
Weidenkreis meist schlaflos zugebracht.




Den 3. Oktober.

Morgens um sechs Uhr verließen wir diesen Platz, zogen über eine
Anhöhe nach Grandpré zu und trafen daselbst die Armee gelagert. Dort
gab es neues Übel und neue Sorgen: das Schloss war zum Krankenhaus
umgebildet und schon mit mehreren hundert Unglücklichen belegt, denen
man nicht helfen, sie nicht erquicken konnte. Man zog mit Scheu
vorüber und musste sie der Menschlichkeit des Feindes überlassen.

Hier überfiel uns abermals ein grimmiger Regen und lähmte jede
Bewegung.




Den 4. Oktober.

Die Schwierigkeit, vom Platz zu kommen, wuchs mehr und mehr; um den
unfahrbaren Hauptwegen zu entgehen, suchte man sich Bahn über Feld.
Der Acker, von rötlicher Farbe, noch zäher als der bisherige
Kreideboden, hinderte jede Bewegung. Die vier kleinen Pferde konnten
meine Halbchaise kaum erziehen, ich dachte sie wenigstens um das
Gewicht meiner Person zu erleichtern. Die Reitpferde waren nicht zu
erblicken; der große Küchenwagen, mit sechs tüchtigen bespannt, kam
an mir vorbei. Ich bestieg ihn, von Viktualien war er nicht ganz
leer, die Küchenmagd aber stak sehr verdrießlich in der Ecke. Ich
überließ mich meinen Studien. Den dritten Band von Fischers
physikalischem Lexikon hatte ich aus dem Koffer genommen; in solchen
Fällen ist ein Wörterbuch die willkommenste Begleitung, wo jeden
Augenblick eine Unterbrechung vorfällt, und dann gewährt er wieder
die beste Zerstreuung, indem es uns von einem zum andern führt.

Man hatte sich auf den zähen, hie und da quelligen roten Tonfeldern
notgedrungen unvorsichtig eingelassen; in einer solchen Falge musste
zuletzt auch dem tüchtigen Küchengespann die Kraft ausgehen. Ich
schien mir in meinem Wagen wie eine Parodie von Pharao im Roten Meer,
denn auch um mich her wollten Reiter und Fußvolk in gleicher Farbe
gleicher Weise versinken. Sehnsüchtig schaut' ich nach allen
umgebenden Hügelhöhen: da erblickt' ich endlich die Reitpferde,
darunter den mir bestimmten Schimmel; ich winkte sie mit Heftigkeit
herbei, und nachdem ich meine Physik der armen, krankverdrießlichen
Küchenmagd übergeben und ihrer Sorgfalt empfohlen, schwang ich mich
aufs Pferd, mit dem festen Vorsatz, mich sobald nicht wider auf eine
Fahrt einzulassen. Hier ging es nun freilich selbständiger, aber
nicht besser noch schneller.

Grandpré, das nun als ein Ort der Pest und des Todes geschildert war,
ließen wir gern hinter uns. Mehrere befreundete Kriegsgenossen trafen
zusammen und traten im Kreis, hinter sich am Zügel die Pferde
haltend, um ein Feuer. Sie sagen, dies sei das einzige Mal gewesen,
wo ich ein verdrießlich Gesicht gemacht und sie wieder durch Ernst
gestärkt, noch durch Scherz erheitert habe.




Den 4. Oktober.

Der Weg, den das Heer eingeschlagen hatte, führte gegen Buzancy, weil
man oberhalb Dun über die Maas gehen wollte. Wir schlugen unser Lager
unmittelbar bei Sivry, in dessen Umgegend wir noch nicht alles
verzehrt fanden. Der Soldat stürzte in die ersten Gräten und verdarb,
was andere hätten genießen können. Ich ermunterte unsern Koch und
seine Leute zu einer strategischen Furagierung: wir zogen ums ganze
Dorf und fanden noch völlig unangetastete Gräten und eine reiche,
unbestrittene Ernte. Hier war von Kohl und Zwiebeln, von Wurzeln und
andern guten Vegetabilien die Fülle; wir nahmen deshalb nicht mehr,
als wir brauchten, mit Bescheidenheit und Schonung. Der Garten war
nicht groß, aber sauber gehalten, und ehe wir zu dem Zaun wieder
hinaus krochen, stellt' ich Betrachtungen an, wie es zugehe, dass in
einem Hausgarten doch auch keine Spur von einer Türe ins anstoßende
Gebäude zu entdecken sei. Als wir, mit Küchenbeute wohl beschwert,
wieder zurückkamen, hörten wir großen Lärm vor dem Regiment. Einem
Reiter war sein vor zwanzig Tagen etwa in dieser Gegend requiriertes
Pferd davon gelaufen, es hatte den Pfahl, an dem es gebunden gewesen,
mit fortgenommen; der Kavallerist wurde sehr übel angesehen, bedroht
und befehligt, das Pferd wiederzuschaffen.

Da es beschlossen war, den 5. in der Gegend zu rasten, so wurden wir
in Sivry einquartiert und fanden nach so viel Unbilden die
Häuslichkeit gar erfreulich und konnten den französisch-ländlichen,
idyllisch-homerischen Zustand zu unserer Unterhaltung und Zerstreuung
abermals genauer bemerken. Man trat nicht unmittelbar von der Straße
in das Haus, sondern fand sich erst in einem kleinen, offenen,
viereckigen Raum, wie die Türe selbst das Quadrat angab; von da
gelangte man durch die eigentliche Haustüre in ein geräumiges, hohes,
dem Familienleben bestimmtes Zimmer; es war mit Ziegelsteinen
gepflastert, links, an der langen Wand, ein Feuerherd, unmittelbar an
Mauer und Erde; die Esse, die den Rauch abzog, schwebte darüber. Nach
Begrüßung der Wirtsleute zog man sich gern dahin, wo man eine
entschieden bleibende Rangordnung für die Umsitzenden gewahrte.
Rechts am Feuer stand ein hohes Klappkästchen, das auch zum Stuhl
diente; es enthielt das Salz, welches, in Vorrat angeschafft, an
einem trocknen Platz verwahrt werden musste. Hier war der Ehrensitz,
der sogleich dem vornehmsten Fremden angewiesen wurde; auf mehrere
hölzerne Stühle setzten sich die übrigen Ankömmlinge mit den
Hausgenossen. Die landsittliche Kochvorrichtung, _pot au feu_,
konnt' ich hier zum ersten Mal genau betrachten. Ein großer eiserner
Kessel hing an einem Haken, den man durch Verzahnungen erhöhen und
erniedrigen konnte, über dem Feuer; darin befand sich schon ein gutes
Stück Rindfleisch mit Wasser und Salz, zugleich aber auch mit weißen
und gelben Rüben, Porree, Kraut und andern vegetabilischen
Ingredienzien.

Indessen wir uns freundlich mit den guten Menschen besprochen,
bemerkt' ich erst, wie architektonisch klug Anrichte, Gossenstein,
Topf- und Tellerbretter angebracht seien. Diese nahmen sämtlich den
länglichen raum ein, den jenes Viereck des offenen Vorhauses inwendig
zur Seite ließ. Nett und alles der Ordnung gemäß war das Gerät
zusammengestellt; eine Magd oder Schwester des Hauses besorgte alles
aufs zierlichste. Die Hausfrau saß am Feuer, ein Knabe stand an ihren
Knien, zwei Töchterchen drängten sich an sie heran. Der Tisch war
gedeckt, ein großer irdener Napf aufgestellt, schönes weißes Brot in
Scheibchen hinein geschnitten, die heiße Brühe drüber gegossen und
guter Appetit empfohlen. Hier hätten jene Knaben, die mein
Kommissbrot verschmähten, mich auf das Muster von bon pain und bonne
soupe verweisen können. Hierauf folgte das zu gleicher Zeit gar
gewordene Zugemüse, sowie das Fleisch, und jedermann hätte sich an
dieser einfachen Kochkunst begnügen können.

Wir fragten teilnehmend nach ihren Zuständen: sie hatten schon das
vorige Mal, als wir solange bei Landres gestanden, sehr viel
gelitten und fürchteten, kaum hergestellt, von einer feindlichen
zurückziehenden Armee nunmehr den völligen Untergang. Wir bezeigten
uns teilnehmend und freundlich, trösteten sie, dass es nicht lange
dauern werde, da wir, außer der Arrieregarde, die letzten seien, und
gaben ihnen Rat und Regel, wie sie sich gegen Nachzügler zu verhalten
hätten. Bei immer wechselnden Sturm und Regengüssen brachten wir den
Tag meist unter Dach und am Feuer zu, das Vergangene in Gedanken
zurückrufend, das Nächstbevorstehende nicht ohne Sorge bedenkend.
Seit Grandpré hatte ich weder Wagen noch Koffer noch Bedienten wieder
gesehen, Hoffnung und Sorge wechselten deshalb augenblicklich ab. Die
Nacht war herangekommen, die Kinder sollten zu Bett gehen; sie
näherten sich Vater und Mutter ehrfurchtsvoll, verneigten sich,
küssten ihnen die Hand und sagten: "Bon soir, Papa! Bon soir,
Maman!" mit wünschenswerter Anmut. Bald darauf erfuhren wir, dass
der Prinz von Braunschweig in unserer Nachbarschaft gefährlich krank
liege, und erkundigten uns nach ihm. Besuch lehnte man ab und
versicherte zugleich, dass es mit ihm viel besser geworden, so dass
er morgen früh unverzüglich aufzubrechen gedenke.

Kaum hatten wir uns vor dem schrecklichen Regen wieder ans Kamin
geflüchtet, als ein junger Mann herein trat, den wir als den jüngeren
Bruder unseres Wirts wegen entschiedener Ähnlichkeit erkennen
mussten; und so erklärte sich's auch. In die Tracht des französischen
Landvolks gekleidet, einen starken Stab in der Hand, trat er auf, ein
schöner junger Mann. Sehr ernst, ja verdrießlich wild saß er bei uns
am Feuer, ohne zu sprechen; doch hatte er sich kaum erwärmt, als er
mit seinem Bruder auf und ab, sodann in das nächste Zimmer trat. Sie
sprachen sehr lebhaft und vertraulich zusammen. Er ging in den
grimmigen Regen hinaus, ohne dass ihn unsere Wirtsleute zu halten
suchten.

Aber auch wir wurden durch ein Angst- und Zetergeschrei in die
stürmische Nacht hinaus gerufen. Unsere Soldaten hatten unter dem
Vorwand, Furage auf den Böden zu suchen, zu plündern angefangen, und
zwar ganz ungeschickter Weise, indem sie einem Weber sein Werkzeug
wegnahmen, eigentlich für sie ganz unbrauchbar. Mit Ernst und einigen
guten Worten brachten wir die Sache wieder ins gleiche: Denn es waren
nur wenige, die sich solcher Tat unterfingen. Wie leicht konnte das
ansteckend werden und alles drunter und rüber gehen!

Da sich mehrere Personen zusammengefunden hatten, so trat ein
weimarscher Husar zu mir, seines Handwerks ein Fleischer, und
vertraute, dass er in einem benachbarten Haus ein gemästetes Schwein
entdeckt habe: er feilsche darum, könne es aber von dem Besitzer
nicht erhalten; wir möchten mit Ernst dazu tun, denn es würde in den
nächsten Tagen an allem fehlen. Es war wunderbar genug, dass wir, die
soeben der Plünderung Einhalt getan, zu einem ähnlichen Unternehmen
aufgefordert werden sollten. Indessen, da der Hunger kein Gesetz
anerkennt, gingen wir mit dem Husar in das bezeichnete Haus, fanden
gleichfalls ein großes Kaminfeuer, begrüßten die Leute und setzten
uns zu ihnen. Es hatte sich noch ein anderer weimarscher Husar,
namens Liseur, zu uns gefunden, dessen Gewandtheit wir die Sache
vertrauten. Er begann in geläufigem Französisch von den Tugenden
regulierter Truppen zu sprechen und rühmte die Personen, welche nur
für bares Geld die notwendigsten Viktualien anzuschaffen verlangen;
dahingegen schalt er die Nachzügler, Packknechte und Marketender, die
mit Ungestüm und Gewalt auch die letzte Klaue sich zuzueignen gewohnt
seien. Er wolle daher einem jeden den wohlmeinenden Rat geben, auf
den Verkauf zu sinnen, weil Geld noch immer leichter zu verbergen sei
als Tiere, die man wohl auswittere. Seine Argumente jedoch schienen
keinen großen Eindruck zu machen, als seine Unterhandlung seltsam
genug unterbrochen wurde.

An der fest verschlossenen Haustüre entstand auf einmal ein heftiges
Pochen: man achtete nicht darauf, weil man keine Lust hatte, noch
mehr Gäste einzulassen; es pochte fort, die kläglichste Stimme rief
dazwischen, eine Weiberstimme, die auf gut Deutsch flehentlich um
Eröffnung der Türe bat. Endlich erweicht, schloss man auf: es drang
eine alte Marketenderin herein, etwas in ein Tuch gewickelt auf dem
Arm tragend; hinter ihr eine junge Person, nicht hässlich, aber blass
und entkräftet, sie heilt sich kaum auf den Füßen. Mit wenigen, aber
rüstigen Worten erklärte die Alte den Zustand, indem sie ein nacktes
Kind vorwies, von dem jene Frau auf der Flucht entbunden worden.
Dadurch versäumt, waren sie, misshandelt von Bauern, in dieser Nacht
endlich an unsere Pforte gekommen. Die Mutter hatte, weil ihr die
Milch verschwunden, dem Kind, seitdem es Atem holte, noch keine
Nahrung reichen können. Jetzt forderte die Alte mit Ungestüm Mehl,
Milch, Tiegel, auch Leinwand, das Kind hineinzuwickeln. Da sie kein
Französisch konnte, mussten wir in ihrem Namen fordern, aber ihr
herrisches Wesen, ihre Heftigkeit gab unseren Reden genug
pantomimisches Gewicht und Nachdruck: man konnte das Verlangte nicht
geschwind genug herbeischaffen, und das Herbeigeschaffte war ihr
nicht gut genug. Dagegen war auch sehenswert, wie behänd sie verfuhr.
Uns hatte sie blad vom Feuer verdrängt; der beste Sitz war sogleich
für die Wöchnerin eingenommen, sie aber machte sich auf ihrem Schemel
so breit, als wenn sie im Haus allein wäre. In einem Nu war das Kind
gereinigt und gewickelt, der Brei gekocht; sie fütterte das kleine
Geschöpf, dann die Mutter, an sich selbst dachte sie kaum. Nun
verlangte sie frische Kleider für die Wöchnerin, indes die alten
trockneten. Wir betrachteten sie mit Verwunderung: sie verstand sich
aufs Requirieren.

Der Regen ließ nach, wir suchten unser voriges Quartier, und kurz
darauf brachten die Husaren das Schwein. Wir zahlten ein Billiges;
nun sollte es geschlachtet werden; es geschah, und als im Nebenzimmer
am Tragebalken ein Kloben eingeschraubt zu sehen war, hing das
Schwein sogleich dort, um kunstmäßig zerstückt und bereitet zu werden.

Dass unsere Hausleute bei dieser Gelegenheit sich nicht verdrießlich,
vielmehr behilflich und zutätig erwiesen, schien uns einigermaßen
wunderbar, da sie wohl Ursache gehabt hätten, unser Betragen roh und
rücksichtslos zu finden. In demselbigen Zimmer, wo wir die Operation
vornahmen, lagen die Kinder in reinlichen Betten, und aufgeweckt
durch unser Getöse, schauten sie artig furchtsam unter den Decken
hervor. Nahe an einem großen zweischläfrigen Ehebett, mit grünem
Rasch sorgfältig umschlossen, hing das Schwein, so dass die Vorhänge
einen malerischen Hintergrund zu dem erleuchteten Körper machten. Es
war ein Nachtstück ohnegleichen. Aber solchen Betrachtungen konnten
sich die Einwohner nicht hingeben; wir merkten vielmehr, dass sie
jenem Haus, dem man das Schwein abgewonnen, nicht sonderlich
befreundet seien und also eine gewisse Schadenfreude hierbei obwalte.
Früher hatten wir auch gutmütig einiges von Fleisch und Wurst
versprochen; das alles kam der Funktion zu statten, die in wenig
Stunden vollendet sein sollte. Unser Husar aber bewies sich in seinem
Fach so tätig und behänd, wie die Zigeunerin drüben in dem ihrigen,
und wir freuten uns schon auf die guten Würste und Braten, die uns
von dieser Halbbeute zuteil werden sollten. In Erwartung dessen
legten wir uns in der Schmiedewerkstatt unseres Wirtes auf die
schönsten Weizengarben und schliefen geruhig bis an den Tag. Indessen
hatte unser Husar sein Geschäft im Innern des Hauses vollendet, ein
Frühstück fand sich bereit, und das übrige war schon eingepackt,
nachdem vorher den Wirtsleuten gleichfalls ihr Teil gespendet worden,
nicht ohne Verdruss unserer Leute, welche behaupteten: bei diesem
Volk sei Gutmütigkeit übel angewendet, sie hätten gewiss noch Fleisch
und andere gute Dinge verborgen, die wir auszuwittern noch nicht
recht gelernt hätten.

Als ich mich in dem innern Zimmer umsah, fand ich zuletzt eine Türe
verriegelt, die ihrer Stellung nach in einen Garten gehen musste.
Durch ein kleines Fenster an der Seite konnt' ich bemerken, dass ich
nicht irre geschlossen hatte: der Garten lag etwas höher als das Haus,
und ich erkannt' ihn ganz deutlich für denselben, wo wir uns früh mit
Küchenwaren versehen hatten. Die Türe war verrammelt und von außen so
geschickt verschüttet und bedeckt, dass ich nun wohl begriff, warum
ich sie heute früh vergebens gesucht hatte. Und so stand es in den
Sternen geschrieben, dass wir, ungeachtet aller Vorsicht, doch in das
Haus gelangen sollten.




Den 6. Oktober früh.

Bei solchen Umgebungen darf man sich nicht einen Augenblick Ruhe,
nicht das kürzeste Verharren irgendeines Zustandes erwarten. Mit
Tagesanbruch war der ganze Ort auf einmal in großer Bewegung: die
Geschichte des entflohenen Pferdes kam wieder zur Sprache. Der
geängstigte Reiter, der es herbeischaffen oder Strafe leiden und zu
Fuß gehen sollte, war auf den nächsten Dörfern herumgerannt, wo man
ihm denn, um die Plackerei selbst loszuwerden, zuletzt versicherte,
es müsse in Sivry stecken; dort habe man vor so viel Wochen einen
Rappen ausgehoben, wie er ihn beschreibe; unmittelbar vor Sivry
habe nun das Pferd sich losgemacht, und was sonst noch die
Wahrscheinlichkeit vermehren mochte. Nun kam er, begleitet von einem
ernsten Unteroffizier, der, durch Bedrohung des ganzen Ortes, endlich
die Auflösung des Rätsels fand. Das Pferd war wirklich hinein nach
Sivry zu seinem vorigen Herrn gelaufen; die Freude, den vermissten
Haus- und Stallgenossen wieder zu sehen, sagen sie, sei in der
Familie grenzenlos gewesen, allgemein die Teilnahme der Nachbarn.
Künstlich genug hatte man das Pferd auf einen Oberboden gebracht und
hinter Heu versteckt; jedermann bewahrte das Geheimnis. Nun aber ward
es, unter Klagen und Jammern wieder hervorgezogen, und Betrübnis
ergriff die ganze Gemeinde, als der Reiter sich darauf schwang und
dem Wachtmeister folgte. Niemand gedachte weder eigener Lasten noch
des Keineswegs aufgeklärten allgemeinen Geschickes: das Pferd und
der zum zweiten Mal getäuschte Besitzer waren der Gegenstand der
zusammengelaufenen Menge.

Eine augenblickliche Hoffnung tat sich hervor: der Kronprinz von
Preußen kam geritten, und indem er sich erkundigen wollte, was die
Menge zusammengebracht, wendeten sich die guten Leute an ihn mit
Flehen, er möge ihnen das Pferd wieder zurückgeben. Es stand nicht in
seiner Macht, denn die Kriegsläufe sind mächtiger als die Könige; er
ließ sie trostlos, indem er sich stillschweigend entfernte.

Nun besprachen wir wiederholt mit unsern guten Hausleuten das Manöver
gegen die Nachzügler; denn schon spukte das Geschmeiß hin und wieder.
Wir rieten: Mann und Frau, Magd und Geselle sollten in der Türe
innerhalb des kleinen Vorraums sich halten und allenfalls ein Stück
Brot, einen Schluck Wein, wenn es gefordert würde, auswendig reichen,
den eindringenden Ungestüm aber standhaft abwehren. Mit Gewalt
erstürmten dergleichen Leute nicht leicht ein Haus; einmal
eingelassen aber werde man ihrer nicht wieder Herr. Die guten
Menschen baten uns, noch länger zu bleiben, allein wir hatten an uns
selber zu denken: das Regiment des Herzogs war schon vorwärts und der
Kronprinz abgeritten; dies war genug, unsern Abschied zu bestimmen.

Wie klüglich dies gewesen, wurde uns noch deutlicher, als wir, bei
der Kolonne angelangt, zu hören hatten, dass der Vortrab der
französischen Prinzen gestern, als er eben den Pass Le Chêne Populeux
und die Aisne hinter sich gelassen, zwischen les Grandes und les
Petites Armoises von Bauern angegriffen worden; einem Offizier solle
das Pferd unterm Leib getötet, dem Bedienten des Kommandierenden eine
Kugel durch den Hut gegangen sein. Nun fiel mir's aufs Herz, dass in
vergangner Nacht als der bärbeißige Schwager ins Haus trat, ich einer
solchen Ahnung mich nicht erwehren konnte.




Zum 6. Oktober.

Aus der gefährlichen Klemme waren wir nun heraus, unser Rückzug
jedoch noch immer beschwerlich und bedenklich, der Transport unseres
Haushaltes von Tag zu Tage lästiger; denn freilich führten wir ein
komplettes Mobiliar mit uns: außer dem Küchengerät noch Tisch und
Bänke, Kisten, Kasten und Stühle, ja ein paar Blechöfen. Wie sollte
man die mehreren Wagen fortbringen, da der Pferde täglich weniger
wurden! Einige fielen, die überbliebenen zeigten sich kraftlos. Es
blieb nichts übrig, als einen wagen stehen zu lassen, um die andern
fortzubringen. Nun ward geratschlagt, was wohl das Entbehrlichste
sei, und so musste man einen mit allerlei Gerät wohl bepackten Wagen
im Stich lassen, um nicht alles zu entbehren. Diese Operation
wiederholte sich einige Mal, unser Zug ward um vieles kompendioser,
und doch wurden wir aufs neue an eine solche Reduktion gemahnt, da
wir uns an den niedrigen Ufern der Maas mit größter Unbequemlichkeit
fortschleppten.

Was mich aber in diesen Stunden am meisten drückte und besorgt
machte, war, dass ich meinen Wagen schon einige Tage vermisste. Nun
konnt' ich mir's nicht anders denken, als mein sonst so resoluter
Diener sei in Verlegenheit geraten, habe seine Pferde verloren, und
andere zu requirieren nicht vermocht. Da sah ich denn in trauriger
Einbildungskraft meine werte böhmische Halbchaise, ein Geschenk
meines Fürsten, die mich schon so weit in der Welt herumgetragen, im
Kot versunken, vielleicht auch über Bord geworfen, und somit, wie ich
da zu Pferde saß, trug ich nun alles bei mir. Der Koffer mit
Kleidungsstücken, Manuskripten jeder Art und manches durch Gewohnheit
sonst noch werte Besitztum, alles schien mir verloren und schon in
die Welt zerstreut.

Was war aus der Brieftasche mit Geld und bedeutenden Papieren
geworden? Aus sonstigen Kleinigkeiten, die man an sich herumsteckt?
Hatte ich das alles nun recht umständlich und peinlich durchgedacht,
so stellte sich der Geist aus dem unerträglichen Zustand bald wieder
her. Das Vertrauen auf meinen Diener fing wieder an, zu wachsen, und
wie ich vorher umständlich den Verlust gedacht, so dacht' ich nunmehr
alles durch seine Tätigkeit erhalten und freute mich dessen, als läg'
es mir schon vor Augen.




Den 7. Oktober.

Als wir eben auf dem linken Ufer der Maas aufwärts zogen, um an die
Stelle zu gelangen, wo wir übersetzen und die gebahnte Hauptstraße
jenseits erreichen sollten, gerade auf dem sumpfigsten Wiesenfleck,
hieß es, der Herzog von Braunschweig komme hinter uns her. Wir
heilten an und begrüßten ihn ehrerbietig; er heilt auch ganz nahe vor
uns stille und sagte zu mir: "Es tut mir zwar leid, dass ich Sie in
dieser unangenehmen Lage sehe, jedoch darf es mir in dem Sinn
erwünscht sein, dass ich einen einsichtigen, glaubwürdigen Mann mehr
weiß, der bezeugen kann, dass wir nicht vom Feind, sondern von den
Elementen überwunden worden."

Er hatte mich in dem Hauptquartier zu Hans vorbeigehend gesehen und
wusste überhaupt, dass ich bei dem ganzen traurigen Zug gegenwärtig
gewesen. Ich antwortete ihm etwas Schickliches und bedauerte noch
zuletzt, dass er, nach so viel Leiden und Anstrengung, noch durch die
Krankheit seines fürstlichen Sohnes sei in Sorgen gesetzt worden,
woran wir vorige Nacht in Sivry großen Anteil empfunden. Er nahm es
wohl auf, denn dieser Prinz war sein Liebling, zeigte sodann auf ihn,
der in der Nähe hielt; wir verneigten uns auch vor ihm. Der Herzog
wünschte uns allen Geduld und Ausdauer, und ich ihm dagegen eine
ungestörte Gesundheit, weil ihm sonst nichts abgehe, uns und die gute
Sache zu retten. Er hatte mich eigentlich niemals geliebt, das musste
ich mir gefallen lassen; er gab es zu erkennen, das konnt' ich ihm
verziehen: nun aber war das Unglück eine milde Vermittlerin geworden,
die uns auf eine teilnehmende Weise zusammenbrachte.




Den 7. und 8. Oktober.

Wir hatten über die Maas gesetzt und en Weg eingeschlagen, der aus
den Niederlanden nach Verdun führt; das Wetter war furchtbarer als
je, wir lagerten bei Consenvoye. Die Unbequemlichkeit, ja das Unheil
stiegen aufs höchste: die Zelte durchnässt, sonst kein Schirm, kein
Obdach; man wusste nicht, wohin man sich wenden sollte; noch immer
fehlte mein Wagen, und ich entbehrte das Notwendigste. Konnte man
sich auch unter einem Zelt bergen, so war doch an keine Ruhestelle zu
denken. Wie sehnte man sich nicht nach Stroh, ja nach irgendeinem
Brettstück, und zuletzt blieb doch nichts übrig, als sich auf den
kalten, feuchten Boden niederzulegen!

Nun hatte ich aber schon in vorigen gleichen Fällen mir ein
praktisches Hilfsmittel ersonnen, wie solche Not zu überdauern
sei; ich stand nämlich so lange auf den Füßen, bis die Knie
zusammenbrachen, dann setzt' ich mich auf einen Feldstuhl, wo ich
hartnäckig verweilte, bis ich niederzusinken glaubte, da denn jede
Stelle wo man sich horizontal ausstrecken konnte, höchst willkommen
war. Wie also Hunger das beste Gewürz bleibt, so wird Müdigkeit der
herrlichste Schlaftrunk sein.

Zwei Tage und zwei Nächte hatten wir auf diese Weise verlebt, als der
traurige Zustand einiger Kranken auch Gefunden zugute kommen sollte.
Des Herzogs Kammerdiener war von dem allgemeinen Übel befallen, einen
Junker, vom Regiment hatte der Fürst aus dem Lazarett von Grandpré
gerettet; nun beschloss er, die beiden in das etwa zwei Meilen
entfernte Verdun zu schicken. Kämmerier Wagner wurde ihnen zur Pflege
mitgegeben, und ich säumte nicht, auf gnädigste vorsorgliche
Anmahnung, den vierten Platz einzunehmen. Mit Empfehlungsschreiben
and en Kommandanten wurden wir entlassen, und als beim Einsitzen der
Pudel nicht zurückbleiben durfte, so ward aus dem sonst so beliebten
Schlafwagen ein halbes Lazarett und etwas Menagerieartiges.

Zur Eskorte, zum Quartier- und Proviantmeister erhielten wir jenen
Husaren, der, namens Liseur, aus Luxemburg gebüritg, der Gegend
kundig, Geschick, Gewandtheit und Kühnheit eines Freibeuters
vereinigte; mit Behagen ritt er vorauf und machte dem mit sechs
starken Schimmeln bespannten Wagen und sich selbst ein gutes Ansehen.

Zwischen ansteckende Kranke gepackt, wusst' ich von keiner
Apprehension. Der Mensch, wenn er sich getreu bleibt, findet zu jedem
Zustand eine hilfreiche Maxime; mir stellte sich, sobald die Gefahr
groß ward, der blindeste Fatalismus zur Hand, und ich habe bemerkt,
dass Menschen, die ein durchaus gefährliche Metier treiben, sich
durch denselben Glauben gestählt und gestärkt fühlen. Die
mahomedanische Religion gibt hiervon den besten Beweis.




Den 9. Oktober.

Unsere traurige Lazarettfahrt zog nun langsam dahin und gab zu
ernsten Betrachtungen Anlass, da wir in dieselbe Heerstraße fielen,
auf der wir mit so viel Mut und Hoffnung ins Land eingetreten waren.
Hier berührten wir nun wieder dieselbe Gegend, wo der erste Schuss
aus den Weinbergen fiel, denselben Hochweg, wo uns die hübsche Frau
in die Hände lief und zurückgeführt worden; kamen an dem Mäuerchen
vorbei, von wo sie uns mit den Ihrigen freundlich und zur Hoffnung
aufgeregt begrüße. Wie sah das alles jetzt anders aus! Und wie
doppelt unerfreulich erschienen die Folgen eines fruchtlosen Feldzugs
durch den trüben Schleier eines anhaltenden Regenwetters!

Doch mitten in diesen Trübnissen sollte mir gerade das Erwünschteste
begegnen. Wir holten ein Fuhrwerk ein, das mit vier kleinen,
unansehnlichen Pferden vor uns herzog; hier aber gab es einen Lust-
und Erkennungsauftritt, denn es war mein Wagen, mein Diener. "Paul!"
rief ich aus, "Teufelsjunge, bist du's! Wie kommst du hierher?"
Der Koffer stand geruhig aufgepackt an seiner alten Stelle: welch
erfreulicher Anblick! Und als ich mich nach Portefeuille und anderem
hastig erkundigte, sprangen zwei Freunde aus dem Wagen, geheimer
Sekretär Weyland und Hauptmann Vent. Das war eine gar frohe Szene des
Wiederfindens, und ich erfuhr nun, wie es bisher zugegangen.

Seit der Flucht jener Bauerknaben hatte mein Diener die vier Pferde
durchzubringen gewusst und sich nicht allein von Hans bis Grandpré,
sondern auch von da, als er mir aus den Augen gekommen, über die
Aisne geschleppt und immer so fort verlangt, begehrt, furagiert,
requiriert, bis wir zuletzt glücklich wieder zusammentrafen und nun,
alle vereint und höchst vergnügt, nach Verdun zogen, wo wir genugsame
Ruhe und Erquickung zu finden hofften.

Hierzu hatte denn auch der Husar weislich und klüglich die besten
Voranstalten getroffen: er war voraus in die Stadt geritten und hatte
sich, bei der Fülle des Dranges, gar bald überzeugt, dass hier
ordnungsgemäß, durch Wirksamkeit und guten Willen eines Quartieramts,
nichts zu hoffen sei; glücklicherweise aber sah er in dem Hof eines
schönen Hauses Anstalten zu einer herannahenden Abreise, er sprengte
zurück, bedeutete uns, wie wir fahren sollten, und eilte nun, sobald
jene Partei heraus war, das Hoftor zu besetzen, dessen Schließen zu
verhindern und uns gar erwünscht zu empfangen. Wir fuhren ein, wir
stiegen aus, unter Protestation einer alten Haushälterin, welche,
soeben von einer Einquartierung befreit, keine neue, besonders ohne
Billett, aufzunehmen Lust empfand. Indessen waren die Pferde schon
ausgespannt und im Stall, wir aber hatten uns in die oberen Zimmer
geteilt; der Hausherr, ältlich, Edelmann, Ludwigsritter, ließ es
geschehen: weder er noch Familie wollten von Gästen weiter wissen, am
wenigsten diesmal von Preußen auf dem Rückzug.




Den 10. Oktober.

Ein Knabe, der uns in der verwilderten Stadt herumführte, fragte mit
Bedeutung: ob wir denn von den unvergleichlichen Verduner Pastetchen
noch nicht gekostet hätten? Er führte uns darauf zu dem berühmtesten
Meister dieser Art. Wir traten in einen weiten Hausraum, in welchem
große und kleine Öfen ringsherum angebracht waren, zugleich auch in
der Mitte Tisch und Bänke zum frischen Genuss des augenblicklich
Gebacknen. Der Künstler trat vor, sprach aber seine Verzweiflung
höchst lebhaft aus, dass es ihm nicht möglich sei, uns zu bedienen,
da es ganz und gar an Butter fehle. Er zeigte die schönsten Vorräte
des feinsten Weizenmehls; aber wozu nützten ihm diese ohne Milch und
Butter! Er rühmte sein Talent, den Beifall der Einwohner, der
Durchreisenden und bejammerte nur, dass er gerade jetzt, wo er sich
vor solchen Fremden zuzeigen und seinen Ruf auszubreiten Gelegenheit
finde, gerade des Notwendigsten ermangeln müsste. Er beschwor uns
daher, Butter herbeizuschaffen, und gab zu verstehen, wenn wir nur
ein wenig Ernst zeigen wollten, so sollte sich dergleichen schon
irgendwo finden. Doch ließ er sich für den Augenblick zufrieden
stellen, als wir versprachen, bei längerem Aufenthalt von Jardin
Fontaine dergleichen herbeizuholen.

Unsern jungen Führer, der uns weiter durch die Stadt begleitete und
sich ebenso wohl auf hübsche Kinder als auf Pastetchen zu verstehen
schien, befragten wir nach einem wunderschönen Frauenzimmer, das sich
eben aus dem Fenster eines wohl gebauten Hauses herausbog. "Ja,"
rief er, nachdem er ihren Namen genannt, "das hübsche Köpfchen mag
sich fest auf den Schultern halten: es ist auch eine von denen, die
dem König von Preußen Blumen und Früchte überreicht haben. Ihr Haus
und Familie dachten schon, sie wären wieder obendrauf, das Blatt
aber hat sich gewendet, jetzt tausch' ich nicht mir ihr." Er sprach
hierüber mit besonderer Gelassenheit, als wäre es ganz naturgemäß und
könne und werde nicht anders sein.

Mein Diener war von Jardin Fontaine zurückgekommen, wohin er, unsern
alten Wirt zu begrüßen und den Brief an die Schwester zu Paris
wiederzubringen, gegangen war. Der neckische Mann empfing ihn
gutmütig genug, bewirtete ihn aufs beste und lud die Herrschaft ein,
die er gleichfalls zu traktieren versprach.

So wohl sollt' es uns aber nicht werden; denn kaum hatten wir den
Kessel übers Feuer gehängt, mit herkömmlichen Ingredienzien und
Zeremonien, als eine Ordonnanz herein trat und im Namen des
Kommandanten, Herrn von Courbière, freundlich andeutete, wir möchten
uns einrichten, morgen früh um acht Uhr aus Verdun zu fahren. Höchst
betroffen, dass wir Dach, Fach und Herd, ohne uns nur einigermaßen
herstellen zu können, eiligst verlassen und uns wieder in die wüste
schmutzige Welt hinaus gestoßen sehen sollten, beriefen wir uns auf
die Krankheit des Junkers und Kammerdieners, worauf er denn meinte,
wir sollten diese baldmöglichst fortzubringen suchen, weil in der
Nacht die Lazarette geleert und nur die völlig intransportablen
Kranken zurückgelassen würden.

Uns überfiel Schrecken und entsetzen; denn bisher zweifelte niemand,
dass von Seiten der Alliierten man Verdun und Longwy erhalten, wo
nicht gar noch einige Festungen erobern und sichere Winterquartiere
bereiten müsse. Von diesen Hoffnungen konnten wir nicht auf einmal
Abschied nehmen; daher schien es uns, man wolle nur die Festung von
den unzähligen Kranken und dem unglaublichen Tross befreien, um sie
alsdann mit der notwendigen Garnison besetzen zu können. Kämmerier
Wagner jedoch, der das Schreiben des Herzogs dem Kommandanten
überbracht hatte, glaubte das Allerbedenklichste in diesen Maßregeln
zu sehen. Was es aber auch im ganzen für einen Ausgang nähme, mussten
wir uns diesmal in unser Schicksal ergeben und speisten geruhig den
einfachen Topf in verschiedenen Absätzen und Trachten, als eine
andere Ordonnanz abermals herein trat und uns beschied, wir möchten
ja ohne Zaudern und Aufenthalt morgen früh um drei Uhr aus Verdun zu
kommen suchen. Kämmerier Wagner, der den Inhalt jenes Briefs an den
Kommandanten zu wissen glaubte, sah hierin ein entschiedenes
Bekenntnis, dass die Festung den Franzosen sogleich wieder würde
übergeben werden. Dabei gedachten wir der Drohung des Knaben,
gedachten der schönen geputzten Frauenzimmer, der Früchte und Blumen
und betrübten uns zum ersten Mal recht herzlich und gründlich über
eine so entschieden misslungene, große Unternehmung.

Ob ich schon unter dem diplomatischen Korps echte und
verehrungswürdige Freunde gefunden, so konnt' ich doch, sooft ich sie
mitten unter diesen großen Bewegungen fand, mich gewisser neckischen
Einfälle nicht enthalten; sie kamen mir vor wie Schauspieldirektoren,
welche die Stücke wählen, Rollen austeilen und in unscheinbarer
Gestalt einhergehen, indessen die Truppe, so gut sie kann, aufs beste
herausgestutzt, das Resultat ihrer Bemühungen dem Glück und der Laune
des Publikums überlassen muss.

Baron Breteuil wohnte gegen uns über; seit der Halsbandsgeschichte
war er mir nicht aus den Gedanken gekommen. Sein hass gegen den
Kardinal von Rohan verleitete ihn zu der furchtbarsten Übereilung;
die durch jenen Prozess entstandene Erschütterung ergriff die
Grundfesten des Staates, vernichtete die Achtung gegen die Königin
und gegen die obern Stände überhaupt: denn leider alles, was zur
Sprache kam, machte nur das gräuliche Verderben deutlich, worin der
Hof und die Vornehmeren befangen lagen.

Diesmal glaubte man, er habe den auffallenden Vergleich gestiftet,
der uns zum Rückzug verpflichtete, zu dessen Entschuldigung man
höchst günstige Bedingungen voraussetzte: man versicherte, König,
Königin und Familie sollten freigegeben und sonst noch manches
Wünschenswerte erfüllt werden. Die Frage aber, wie diese großen
diplomatischen Vorteile mit allem übrigen, was uns doch auch bekannt
war, übereinstimmen sollten, ließ einen Zweifel nach dem andern
aufkeimen.

Die Zimmer, die wir bewohnten, waren anständig möbliert; mir fiel ein
Wandschrank auf, durch dessen Glastüren ich viele regelmäßig
beschnittene gleiche Hefte in Quart erblickte. Zu meiner Verwunderung
ersah ich daraus, dass unser Wirt als einer der Notablen im Jahre
1787 zu Paris gewesen; in diesen Heften war seine Instruktion
abgedruckt. Die Mäßigkeit der damaligen Forderungen, die
Bescheidenheit, womit sie abgefasst, kontrastierten völlig mit den
gegenwärtigen Zuständen von Gewaltsamkeit, Übermut und Verzweiflung.
Ich las diese Blätter mit wahrhafter Rührung und nahm einige
Exemplare zu mir.




Den 11. Oktober.

Ohne die Nacht geschlafen zu haben, waren wir früh um 3 Uhr eben im
Begriff, unsern gegen das Hoftor gerichteten Wagen zu besteigen, als
wir ein unüberwindliches Hindernis gewahr wurden; denn es zog schon
eine ununterbrochene Kolonne Krankenwagen zischen den zur Seite
aufgehäuften Pflastersteinen durch die zum Sumpf gefahrene Stadt. Als
wir nun so standen, abzuwarten, was erreicht werden könnte, drängte
sich unser Wirt, der Ludwigsritter, ohne zu grüßen, an uns vorbei.
Unsere Verwunderung über sein frühes und unfreundliches Erscheinen
ward aber bald in Mitleid verkehrt; denn sein Bedienter, hinter ihm
drein, trug ein Bündelchen auf dem Stock, und so ward es nur allzu
deutlich, dass er, nachdem er vier Wochen vorher Haus und Hof wieder
gesehen hatte, es nun abermals, wie wir unsere Eroberungen, verlassen
musste.

Sodann ward aber meine Aufmerksamkeit auf die bessern Pferde vor
meiner Chaise gelenkt; da gestand denn die liebe Dienerschaft, dass
sie die bisherigen schwachen, unbrauchbaren gegen Zucker und Kaffee
vertauscht, sogleich aber in Requisition anderer glücklich gewesen
sei. Die Tätigkeit des gewandten Liseurs war hierbei nicht zu
verkennen; auch durch ihn kamen wir diesmal vom Fleck: denn er
sprengte in eine Lücke der Wagenreihe und hielt das folgende Gespann
so lange zurück, bis wir sechs- und vierspännig eingeschaltet waren;
da ich mich denn frischer Luft in meinem leichten Wägelchen abermals
erfreuen konnte.

Nun bewegten wir uns mit Leichenschritt, aber bewegten uns doch; der
Tag brach an, wir befanden uns vor der Stadt in dem größtmöglichen
Gewirr und Gewimmel. Alle Arten von Wagen, wenig Reiter, unzählige
Fußgänger durchkreuzten sich auf dem großen Platz vor dem Tor. Wir
zogen mit unserer Kolonne rechts gegen Etain, auf einem beschränkten
Fahrweg mit Gräben zu beiden Seiten. Die Selbsterhaltung in einem so
ungeheuren Drange kannte schon kein Mitleiden, keine Rücksicht mehr:
nicht weit vor uns fiel ein Pferd vor einem Rüstwagen, man schnitt
die Stränge entzwei und ließ es liegen. Als nun aber die drei übrigen
die Last nicht weiterbringen konnten, schnitt man auch sie los, warf
das schwer bepackte Fuhrwerk in den Graben, und mit dem geringsten
Aufenthalt fuhren wir weiter und zugleich über das Pferd weg, das
sich eben erholen wollte, und ich sah ganz deutlich, wie dessen
Gebeine unter den Rädern knirschten und schlotterten.

Reiter und Fußgänger suchten sich von der schmalen, unwegsamen
Fahrstraße auf die Wiesen zu retten; aber auch diese waren zugrunde
geregnet, von ausgetretenen Gräben überschwemmt, die Verbindung der
Fußpfade überall unterbrochen. Vier ansehnliche, schöne, sauber
gekleidete französische Soldaten wateten eine Zeitlang neben unseren
wagen her, durchaus nett und reinlich, und wussten so gut hin und her
zu treten, dass ihr Fußwerk nur bis an die Knorren von der
schmutzigen Wallfahrt zeugte, welche die guten Leute bestanden.

Dass man unter solchen Umständen in Gräben, auf Wiesen, Feldern und
Angern tote Pferde genug erblickte, war natürliche Folge des
Zustands; bald aber fand man sie auch abgedeckt, die fleischigen
Teile sogar ausgeschnitten -- trauriges Zeichen des allgemeinen
Mangels!

So zogen wir fort, jeden Augenblick in Gefahr, bei der geringsten
eigenen Stockung selbst über Bord geworfen zu werden; unter welchen
Umständen freilich die Sorgfalt unseres Geleitsmanns nicht genug zu
rühmen und zu preisen war. Dieselbe betätigte sich denn auch zu
Etain, wo wir gegen Mittag anlangten und in dem schönen, wohl
gebauten Städtchen durch Straßen und auf Plätzen ein Sinn
verwirrendes Gewimmel um und neben uns erblickten: die Masse wogte
hin und her, und indem alles vorwärts drang, ward jeder dem anderen
hinderlich. Unvermutet ließ unser Führer die Wagen vor einem wohl
gebauten Haus des Marktes halten; wir traten ein, Hausherr und Frau
begrüßten uns in ehrerbietiger Entfernung.

Man führte uns in ein getäfeltes Zimmer auf gleicher Erde, wo im
schwarz-marmornen Kamin behagliches Feuer brannte. In dem großen
Spiegel darüber beschauten wir uns ungern: denn ich hatte noch immer
nicht die Entschließung gefasst, meine langen Haare kurz schneiden zu
lassen, die jetzt wie ein verworrener Hanfrocken umher quollen; der
Bart, strauchig, vermehrte das wilde Ansehen unserer Gegenwart.

Nun aber konnten wir, aus den niedrigen Fenstern den ganzen Markt
überschauend, unmittelbar das grenzenlose Getümmel beinahe mit Händen
greifen. Aller Art Fußgänger, Uniformierte, Marode, gesunde aber
trauernde Bürgerliche, Weiber und Kinder drängten und quetschten sich
zwischen Fuhrwerk aller Gestalt; Rüst- und Leiterwagen, Ein- und
Mehrspänner; hunderterlei eigenes und requiriertes Gepferde,
weichend, anstoßend, hinderte sich rechts und links. Auch Hornvieh
zog damit weg, wahrscheinlich geforderte, weggenommene Herden. Reiter
sah man wenig; auffallend aber waren die eleganten Wagen der
Emigrierten, vielfarbig lackiert, vergoldet und versilbert, die ich
wohl schon in Grevenmachern mochte bewundert haben. Die größte Not
entstand aber da, wo die den Markt füllende Menge in eine zwar gerade
und wohl gebaute, doch verhältnismäßig viel zu enge Straße ihren Weg
einschlagen sollte. Ich habe in meinem Leben nichts Ähnliches
gesehen; vergleichen aber ließ sich der Anblick mit einem erst über
Wiesen und Anger ausgetretenen Strom, der sich nun wieder durch enge
Brückenbogen durchdrängen und im beschränkten Bett weiter fließen
soll.

Die lange, aus unsern Fenstern übersehbare Straße hinab schwoll
unaufhaltsam die seltsamste Woge; ein hoher zweisitziger Reisewagen
ragte über der Flut empor. Er ließ uns an die schönen Französinnen
denken; sie waren es aber nicht, sondern Graf Haugwitz, den ich mit
einiger Schadenfreude Schritt vor Schritt dahinwackeln sah.




Zum 11. Oktober.

Ein gutes Essen war uns bereitet, die köstlichste Schöpsenkeule
besonders willkommen; an gutem Wein und Brot fehlte es nicht, und so
waren wir, neben dem größten Getümmel, in der schönsten Beruhigung:
wie man auch wohl der stürmenden See, am Fuß eines Leuchtturms auf
dem Steindamm sitzend, der wilden Wellenbewegung zusieht und dort und
da ein Schiff ihrer Willkür preisgegeben. Aber uns erwartete in
diesem gastlichen Haus eine wahrhaft herzergreifende Familienszene.

Der Sohn, ein schöner junger Mann, hatte schon einige Zeit,
hingerissen von den allgemeinen Gesinnungen, in Paris unter den
Nationaltruppen gedient und sich dort hervorgetan. Als nun aber die
Preußen eingedrungen, die Emigrierten mit der stolzen Hoffnung eines
gewissen Sieges herangelangt waren, verlangten die nun auch
zuversichtlichen Eltern dringend und wieder dringend, der Sohn solle
seine dortige Lage, die er nunmehr verabscheuen müsse, eiligst
aufgeben, zurückkehren und diesseits für die gute Sache fechten. Der
Sohn, wider Willen, aus Pietät, kommt zurück, eben in dem Moment, da
Preußen, Österreicher und Emigrierte retirieren; er eilt
verzweiflungsvoll durch das Gedränge zu seinem Vaterhaus. Was soll er
nun anfangen? Und wie sollen wir ihn empfangen? Freude, ihn wieder zu
sehen, Schmerz ihn in dem Augenblick wieder zu verlieren, Verwirrung,
ob Haus und Hof in diesem Sturm werde zu erhalten sein. Als junger
Mann dem neuen Systeme günstig, kehrt er genötigt zu einer Partei
zurück, die er verabscheut, und eben als er sich in diese Schicksal
ergibt, sieht er diese Partei zugrunde gehen. Aus Paris entwichen,
weiß er sich schon in das Sünden- und Todesregister geschrieben; und
nun im Augenblick soll er aus seinem Vaterland verbannt, aus seines
Vaters Haus gestoßen werden. Die Eltern, die sich gern an ihm letzen
möchten, müssen ihn selbst wegtreiben, und er, in Schmerzenswonne des
Wiedersehens, weiß nicht, wie er sich losreißen soll; die Umarmungen
sind Vorwürfe, und das Scheiden, das vor unsern Augen geschieht,
schrecklich.

Unmittelbar vor unserer Stubentüre ereignete sich das alles auf der
Hausflur. Kaum war es still geworden und die Eltern hatten sich
weinend entfernt, als eine Szene, fast noch wunderbarer,
auffallender, uns selbst ansprach, ja in Verlegenheit setzte und,
obgleich herzergreifend genug, uns doch zuletzt ein Lächeln
abnötigte. Einige Bauersleute, Männer, Frauen und Kinder, drangen in
unsere Zimmer und warfen sich heulend und schreiend mit zu Füßen. Mit
der vollen Beredsamkeit des Schmerzes und des Jammers klagten sie,
dass man ihr schönes Rindvieh wegtreibe, sie schienen Pächter eines
ansehnlichen Gutes; ich solle nur zum Fenster hinaussehen: eben
treibe man sie vorbei, es hätten Preußen sich derselben bemächtigt;
ich solle befehlen, solle Hilfe schaffen. Hierauf trat ich, um mich
zu besinnen, ans Fenster, der leichtfertige Husar stellte sich hinter
mich und sagte: "Verzeihen Sie! Ich habe Sie für den Schwager des
Königs von Preußen ausgegeben, um gute Aufnahme und Bewirtung zu
finden. Die Bauern hätten freilich nicht hereinkommen sollen; aber
mit einem guten Wort weisen Sie die Leute an mich und schein
überzeugt von meinen Vorschlägen."

Was war zu tun? Überrascht und unwillig nahm ich mich zusammen und
schien über die Umstände nachzudenken. Wird doch, sagt' ich zu mir
selbst, List und Verschlagenheit im Krieg gerühmt! Wer sich durch
Schelme bedienen lässt, kommt in Gefahr, von ihnen irregeführt
zu werden. Ein Schakal, unnütz und beschämend, ist hier zu
vermeiden. Und wie der Arzt in verzweifelten Fällen wohl noch ein
Hoffnungsrezept verschreibt, entließ ich die guten Menschen mehr
pantomimisch als mit Worten; dann sagt' ich mir zu meiner Beruhigung:
Hatte doch bei Sivry der echte Thronfolger den bedrängten Leuten ihr
Pferd nicht zusprechen können, so dürfte sich der untergeschobene
Schwager des Königs wohl verzeihen, wenn er die Hilfsbedürftigen mit
irgendeiner klugen, eingeflüsterten Wendung abzulehnen suchte.

Wir aber gelangten in finsterer Nacht nach Spincourt; alle Fenster
waren hell, zum Zeichen, dass alle Zimmer besetzt seien. An jeder
Haustüre ward protestiert von den Einwohnern, die keine neuen Gäste,
von den Einquartierten, die keine Genossen aufnehmen wollten. Ohne
viel Umstände aber drang unser Husar ins Haus, und als er einige
französische Soldaten in der Halle am Feuer fand, ersuchte er sie
zudringlich, vornehmen Herren, die er geleite, eine Platz am Kamin
einzuräumen. Wir traten zugleich herein; sie warne freundlich und
rückten zusammen, setzten sich aber bald wieder in die wunderliche
Positur, ihre aufgehobenen Füße gegen das Feuer zu strecken. Sie
liefen auch wohl einmal im Saal hin und wider und kehrten bald in
ihre vorige Lage zurück, und nun konnt' ich bemerken, dass es ihr
eigentliches Geschäft sei, den unteren Teil ihrer Gamaschen zu
trocknen.

Gar bald aber erschienen sie mir als bekannt: es waren eben
dieselbigen, die heute früh neben unserm Wagen im Schlamm so zierlich
einher traten. Nun, früher als wir angelangt, hatten sie schon
am Brunnen die untersten Teile gewaschen und gebürstet, trockneten
sie nunmehr, um morgen früh neuem Schmutz und Unrat galant
entgegenzugehen. Ein musterhaftes Betragen, an das man sich in
manchen Fällen des Lebens wohl wieder zu erinnern hat! Auch dacht'
ich dabei meiner lieben Kriegskameraden, die den Befehl zur
Reinlichkeit murrend aufgenommen hatten.

Doch uns dergestalt untergebracht zu haben, war dem klugen,
dienstfertigen Liseur nicht genug; die Fiktion des Mittags, die sich
so glücklich erwiesen hatte, ward kühnlich wiederholt: die hohe
Generalsperson, der Schwager des Königs, wirkte mächtig und vertrieb
eine ganze Masse guter Emigrierten aus einem Zimmer mit zwei Betten.
Zwei Offiziere von Köhler nahmen wir dagegen in demselben Raum auf,
Ich aber begab mich vor die Haustüre zu dem alten erprobten
Schlafwagen, dessen Deichsel, diesmal nach Deutschland gekehrt, mir
ganz eigene Gedanken hervorrief, die jedoch durch ein schnelles
Einschlummern gar bald abgeschnitten wurden.




Den 12. Oktober.

Der heutige Weg erschien noch trauriger als der gestrige: ermattete
Pferde waren öfter gefallen und lagen mit umgestürzten Wagen häufiger
neben der Hochstraße auf den Wiesen. Aus den geborstenen Decken der
Rüstwagen fielen gar niedliche Mantelsäcke, einem Emigriertenkorps
gehörig, hervor; das bunte, zierliche Ansehen dieses herrenlosen,
aufgegebenen Gutes lockte die Besitzlust der Vorbeiwandernden, und
mancher bepackte sich mit einer Last, die er zunächst auch wieder
abwerfen sollte. Daraus mag denn wohl die Rede entstanden sein, auf
dem Rückzug seien Emigrierte von Preußen geplündert worden.

Von ähnlichen Vorfällen erzählte man auch manches Scherzhafte. Ein
schwer beladener Emigrantenwagen war ebenermaßen an einer Anhöhe
stecken geblieben und verlassen worden. Nachfolgende Truppen
untersuchen den Inhalt, finden Kästchen von mäßiger Größe, auffallend
schwer, belästigen sich gemeinschaftlich damit und schleppen sie mit
unsäglicher Mühe auf die nächste Höhe. Hier wollen sie nun in die
Beute und in die Last sich teilen: aber welch ein Anblick! Aus jedem
zerschlagenen Kasten fällt eine Unzahl Kartenspiele hervor, und die
Goldlustigen trösten sich im wechselseitigen Spott durch Lachen und
Possen.

Wir aber zogen durch Longuyon nach Longwy; und hier muss man, indem
die Bilder bedeutender Freudenszenen aus dem Gedächtnis verschwinden,
sich glücklich schätzen, dass auch widerwärtige Gräuelbilder sich vor
der Einbildungskraft abstumpfen. Was soll ich also wiederholen, dass
die Wege nicht besser wurden, dass man nach wie vor zwischen
umgestürzten wagen abgedeckte und frisch ausgeschnittene Pferde aber-
und abermals rechts und links verabscheute! Von Büschen schlecht
bedeckte, geplünderte und ausgezogene Menschen konnte man oft genug
bemerken, und endlich lagen auch die vor dem offenen Blick neben der
Straße.

Uns sollte jedoch auf einem Seitenweg abermals Erquickung und
Erholung werden, dagegen aber auch traurige Betrachtungen über den
Zustand des wohlhabenden, gutmütigen Bürgers in schrecklichem,
diesmal ganz unerwartetem Kriegsunheil.




Den 13. Oktober.

Unser Führer wollte nicht freventlich seine braven, wohlhabenden
Verwandten in dieser Gegend gerühmt haben; er ließ uns deshalb einen
Umweg machen über Arlon, wo wir in einem schönen Städtchen, bei
ansehnlichen und wackern Leuten, in einem wohl gebauten und gut
eingerichteten Haus, von ihm angemeldet, gar freundlich aufgenommen
wurden. Die guten Personen freuten sich selbst ihres Vetters,
glaubten gewisse Besserung und nächste Beförderung schon in dem
Auftrag zu sehen, dass er uns mit zwei Wagen, so viel Pferden und,
wie er ihnen glauben gemacht hatte, mit vielem Geld und Kostbarkeiten
aus dem gefährlichsten Gewirr herauszuführen beehrt worden. Auch wir
konnten seiner bisherigen Leitung das beste Zeugnis geben, und ob wir
gleich an die Bekehrung dieses verlorenen Sohnes nicht sonderlich
glauben konnten, so waren wir ihm doch diesmal so viel schuldig
geworden, dass wir auch seinem künftigen Betragen einiges Zutrauen
nicht ganz verweigern durften. Der Schelm verfehlte nicht, mit
schmeichelhaftem Wesen das Seinige zu tun, und erhielt wirklich in
der Stille von den braven Leuten ein artiges Geschenk in Gold. Wir
erquickten uns dagegen an gutem, kaltem Frühstück und dem
trefflichsten Wein und beantworteten die Fragen der freilich auch
sehr erstaunten, wackeren Leute wegen der wahrscheinlichen nächsten
Zukunft so schonend als möglich.

Vor dem Haus hatten wir ein paar sonderbare Wagen bemerkt, länger und
teilweise höher als gewöhnliche Rüstwagen, auch an der Seite mit
wunderlichen Ansätzen geformt. Mit rege gewordener Neugier fragte ich
nach diesem seltsamen Fuhrwerk; man antwortete mir zutraulich, aber
mit Vorsicht: es sei darin die Assignatenfabrik der Emigrierten
enthalten, und bemerkte dabei, was für ein grenzenloses Unglück
dadurch über die Gegend gebracht worden. Denn da man sich seit
einiger Zeit der echten Assignate kaum erwehren könne, so habe man
nun auch, seit dem Einmarsch der Alliierten, diese falschen in Umlauf
gezwungen. Aufmerksame Handelsleute hätten dagegen sogleich, ihrer
Sicherheit willen, diese verdächtige Papierware nach Paris zu senden
und sich von dorther offizielle Erklärung ihrer Falschheit zu
verschaffen gewusst; dies verwirre aber Handel und Wandel ins
Unendliche: denn da man bei den echten Assignaten sich nur zum Teil
gefährdet finde, bei den falschen aber gewiss gleich um das Ganze
betrogen sei, auch beim ersten Anblick niemand sie zu unterscheiden
vermöge, so wisse kein Mensch mehr, was er geben und was er empfangen
solle; dies verbreite schon bis Luxemburg und Trier solche
Ungewissheit, Misstrauen und Bangigkeit, dass nunmehr von allen
Seiten das Elend nicht größer werden könne.

Bei allen solchen erlittenen und noch zu fürchtenden Unbilden zeigen
sich diese Personen in bürgerlicher Würde, Freundlichkeit und gutem
Benehmen zu unserer Verwunderung, wovon uns in den französischen
ernsten Dramen alter und neuer Zeit ein Abglanz herüber gekommen ist.
Von einem solchen Zustand können wir uns in eigener vaterländischer
Wirklichkeit und ihrer Nachbildung keinen Begriff machen. Die petite
ville mag lächerlich sein, die deutschen Kleinstädter sind dagegen
absurd.




Den 14. Oktober.

Sehr angenehm überrascht fuhren wir von Arlon nach Luxemburg auf der
besten Kunststraße und wurden in diese sonst so wichtige und
wohlverwahrte Festung eingelassen wie in jedes Dorf, in jeden
Flecken. Ohne irgend angehalten oder befragt zu werden, sahen wir uns
nach und nach innerhalb der Außenwerke, der Wälle, Gräben,
Zugbrücken, Mauern und Tore, unserm Führer, der Mutter und Vater hier
zu finden vorgab, das weitere vertrauend. Überdrängt war die Stadt
von Blessierten und Kranken, von tätigen Menschen, die sich selbst,
Pferde und Fuhrwerk wieder herzustellen trachteten.

Unsere Gesellschaft, die sich bisher zusammengehalten hatte, musste
sich trennen; mir verschaffte der gewandte Quartiermeister ein
hübsches Zimmer, das aus dem engsten Höfchen, wie aus einer
Feueresse, doch bei sehr hohen Fenstern genugsames Licht erhielt.
Hier wusste er mich mit meinem Gepäck und sonst gar wohl einzurichten
und für alle Bedürfnisse zu sorgen; er gab mir den Begriff von den
Haus- und Mietleuten des Gebäudes und versicherte, dass ich gegen
eine kleine Gabe so bald nicht ausgetrieben und wohl behandelt werden
sollte.

Hier konnt' ich nun zum ersten Mal den Koffer wieder aufschließen und
mich meiner Reisehabseligkeiten, des Geldes, der Manuskripte wieder
versichern. Das Konvolut zur Farbenlehre bracht' ich zuerst in
Ordnung, immer meine früheste Maxime vor Augen: die Erfahrung zu
erweitern und die Methode zu reinigen. Ein Kriegs- und Reisetagebuch
mocht' ich gar nicht anrühren. Der unglückliche Verlauf der
Unternehmung, der noch Schlimmeres befürchten ließ, gab immer neuen
Anlass zum Wiederkäuen des Verdrusses und zu neuem Aufregen der
Sorge. Meine stille, von jedem Geräusch abgeschlossene Wohnung
gewährte mir wie eine Klosterzelle vollkommenen Raum zu den ruhigsten
Betrachtungen, dagegen ich mich, sobald ich nur den Fuß vor die
Haustüre hinaussetzte, in dem lebendigsten Kriegsgetümmel befand und
nach Lust das wunderlichste Lokal durchwandeln konnte, das vielleicht
in der Welt zu finden ist.




Den 15. Oktober.

Wer Luxemburg nicht gesehen hat, wird sich keine Vorstellung
von diesem an- und übereinander gefügten Kriegsgebäude machen.
Die Einbildungskraft verwirrt sich, wenn man die seltsame
Mannigfaltigkeit wieder hervorrufen will, mit der sich das Auge des
hin und her gehenden Wanderers kaum befreunden konnte. Plan und
Grundriss vor sich zu nehmen wird nötig sein, nachstehendes nur
einigermaßen verständlich zu finden.

Ein Bach, Petrus genannt, erst allein, dann, verbunden mit dem
entgegenkommenden Fluss, die Elze, schlingt sich mäanderartig
zwischen Felsen durch und um sie herum, bald im natürlichen Lauf,
bald durch Kunst genötigt. Auf dem linken Ufer liegt hoch und flach
die alte Stadt; sie, mit ihren Festungswerken nach dem offenen Lande
zu, ist andern befestigten Städten ähnlich. Als man nun für die
Sicherheit derselben nach Westen Sorge getragen, sah man wohl ein,
dass man sich auch gegen die Tiefe, wo das Wasser fließt, zu
verwahren habe; bei zunehmender Kriegskunst war auch das nicht
hinreichend, man musste, auf dem rechten Ufer des Gewässers, nach
Süden, Osten und Norden auf ein- und ausspringenden Winkeln
unregelmäßiger Felspartien neue Schanzen vorschieben, nötig immer
eine zur Beschützung der andern. Hieraus entstand nun eine Verkettung
unübersehbarer Bastionen, Redouten, halber Monde und solches Zangen-
und Krakelwerk, als nur die Verteidigungskunst im seltsamsten Fall zu
leisten vermochte.

Nichts kann deshalb einen wunderlichern Anblick gewähren, als das
mitten durch dies alles am Fluss sich hinab ziehende enge Tal, dessen
wenige Flächen, dessen sanft oder steil aufsteigende Höhen zu Gärten
angelegt, in Terrassen abgestuft und mit Lusthäusern belebt sind; von
wo aus man auf die steilsten Felsen, auf hoch getürmte Mauern rechts
und links hinaufschaut. Hier findet sich so viel Größe mit Anmut, so
viel Ernst mit Lieblichkeit verbunden, dass wohl zu wünschen wäre,
Poussin hätte sein herrliches Talent in solchen Räumen betätigt.

Nun besaßen die Eltern unseres lockeren Führers in dem Pfaffental
einen artigen abhängigen Garten, dessen Genuss sie mir gern und
freundlich überließen. Kirche und Kloster, nicht weit entfernt,
rechtfertigte den Namen dieses Elysiums, und in dieser geistlichen
Nachbarschaft schien auch den weltlichen Bewohnern Ruh' und Friede
verheißen, ob sie gleich mit jedem Blick in die Höhe an Krieg, Gewalt
und Verderben erinnert wurden.

Jetzt nun aber aus der Stadt, wo das unselige Kriegsnachspiel
mit Lazaretten, abgerissenen Soldaten, zerstückten Waffen,
herzustellenden Achsen, Rädern und Lafetten, zugleich mit sonstigen
Trümmern aller Art aufgeführt wurde, in eine solche Stille zu
flüchten, war höchst wohltätig; aus den Straßen zu entweichen, wo
Wagner, Schmiede und andere Gewerke ihr Wesen öffentlich unermüdet
und geräuschvoll trieben, und sich in das Gärtchen im geistlichen Tal
zu verbergen, war höchst behaglich. Hier fand ein Ruh- und
Sammlungsbedürftiger das willkommenste Asyl.




Den 16. Oktober.

Die allen Begriff übersteigende Mannigfaltigkeit der auf- und
aneinander getürmten, gefügten Kriegsgebäude, die bei jedem Schritt
vor- oder rückwärts, auf- oder abwärts ein anderes Bild zeigten,
riefen die Lust hervor, wenigstens etwas davon aufs Papier zu
bringen. Freilich musste diese Neigung auch wieder einmal sich regen,
da seit so viel Wochen mir kaum ein Gegenstand vor die Augen
gekommen, der sie geweckt hätte. Unter andern fiel es sonderbar auf,
dass so manche gegeneinander über stehende Felsen, Mauern und
Verteidigungswerke in der Höhe durch Zugbrücken, Galerien und gewisse
wunderliche Vorrichtungen verbunden waren. Irgendjemand vom Metier
hätte dieses alles mit Kunstaugen angesehen und sich mit
Soldatenblick der sichern Einrichtung erfreut; ich aber konnte nur
den malerischen Effekt ihr abgewinnen und hätte gar zu gern, wäre
nicht alles Zeichnen an und in den Festungen höchlich verpönt, meine
Nachbildungskräfte hier in Übung gesetzt.




Den 19. Oktober.

Nachdem ich nun also mehrere Tage in diesen Labyrinthen, wo Naturfels
und Kriegsgebäu wetteifernd seltsam steile Schluchten gegeneinander
aufgetürmt und daneben Pflanzenwachstum, Baumzucht und Luftgebüsch
nicht ausgeschlossen, mich sinnend und denkend einsam genug herum
gewunden hatte. Fing ich an, nach Hause kommend, die Bilder, wie sie
sich der Einbildungskraft nach und nach einprägten, aufs Papier zu
bringen, unvollkommen zwar, doch hinreichend, das Andenken eines
höchst seltsamen Zustandes einigermaßen festzuhalten.




Den 20. Oktober.

Ich hatte Zeit gewonnen, das kurz Vergangene zu überdenken, aber je
mehr man dachte, je verworrener und unsicherer ward alles vor dem
Blick. Auch sah ich, dass wohl das Notwendigste sein möchte, sich auf
das unmittelbar Bevorstehende zu bereiten. Die wenigen Meilen bis
Trier mussten zurückgelegt werden; aber was mochte dort zu finden
sein, da nun die Herren selbst mit andern Flüchtlingen sich
nachdrängten!

Als das Schmerzlichste jedoch, was einen jeden, mehr oder weniger
resigniert wie er war, mit einer Art von Furienwut ergriff, empfand
man die Kunde, die sich nicht verbergen ließ, dass unsere höchsten
Heerführer mit den vermaledeiten, durch das Manifest dem Untergang
gewidmeten, durch die schrecklichsten Taten abscheulich dargestellten
Aufrührern doch übereinkommen, ihnen die Festungen übergeben mussten,
um nur sich und den Ihrigen eine mögliche Rückkehr zu gewinnen. Ich
habe von den Unsrigen gesehen, für welche der Wahnsinn zu fürchten
war.




Den 22. Oktober.

Auf dem Weg nach Trier fand sich bei Grevenmachern nichts mehr von
jener galanten Wagenburg; öde, wüst und zerfahren lagen die Anger,
und die weit und breiten Spuren deuteten auf jenes vorübergegangene
flüchtige Dasein. Am Posthaus fuhr ich diesmal mit requirierten
Pferden ganz im stillen vorbei, das Briefkästchen stand noch auf
seinem Platz, kein Gedränge war umher, man konnte sich der
wunderlichsten Gedanken nicht erwehren.

Doch ein herrlicher Sonnenblick belebte soeben die Gegend, als mir
das Monument von Igel, wie der Leuchtturm einem nächtlich
Schiffenden, entgegenglänzte.

Vielleicht war die Macht des Altertums nie so gefühlt worden als an
diesem Kontrast: ein Monument, zwar auch kriegerischer Zeiten, aber
doch glücklicher, siegreicher Tage und eines dauernden Wohlbefindens
rühriger Menschen in dieser Gegend.

Obgleich in später Zeit, unter den Antoninen, erbaut, behält es immer
noch von trefflicher Kunst so viel Eigenschaften übrig, dass es uns
im ganzen anmutig-ernst zuspricht und aus seinen, obgleich sehr
beschädigten Teilen das Gefühl eines fröhlich-tätigen Daseins
mitteilt. Es hielt mich lange fest; ich notierte manches, ungern
scheidend, da ich mich nur desto unbehaglicher in meinem erbärmlichen
Zustand fühlte.

Doch auch jetzt wechselte schnell wieder eine freudige Aussicht in
der Seele, die blad darauf zur Wirklichkeit gelangte.




Den 23. Oktober.

Wir brachten unserm Freunde, Leutnant von Fritsch, den wir auf seinem
Posten widerwillig zurückgelassen, die erwünschte Nachricht, dass er
den Militär-Verdienstorden erhalten habe, mit Recht, wegen einer
braven Tat, und mit Glück, ohne an unserm Jammer teilgenommen zu
haben. Die Sache verhielt sich aber also.

Die Franzosen, weil sie uns weit genug ins Land vorgedrungen, uns in
bedeutender Entfernung, in großer Not wussten, versuchten im Rücken
einen unvermuteten Streich. Sie näherten sich Trier in bedeutender
Anzahl, sogar mit Kanonen. Leutnant von Fritsch erfährt es, und mit
weniger Mannschaft geht er dem Feind entgegen, der, über die
Wachsamkeit stutzend, mehr anrückende Truppen befürchtend, nach
kurzem Gefecht sich bis Merzig zurückzieht und nicht wieder
erscheint. Dem Freund war das Pferd blessiert, durch dieselbe Kugel
sein Stiefel gestreift, dagegen er aber auch, als Sieger
zurückkehrend, aufs beste empfangen wird. Der Magistrat, die
Bürgerschaft erzeigen ihm alle mögliche Aufmerksamkeit; auch die
Frauenzimmer, die ihn bisher als einen hübschen jungen Mann gekannt,
erfreuen sich nun doppelt an ihm als einem Helden.

Sogleich berichtet er seinem Chef den Vorfall, der, wie billig, dem
König vorgetragen wird, worauf denn der blaue Kreuzstern erfolgt. Die
Glückseligkeit des braven Jünglings, dessen lebhafteste Freude
mitzufühlen, war ein ungemeiner Genuss; ihn hatte das Glück, das uns
vermied, in unserm Rücken aufgesucht, und er sah sich für den
militärischen gehorsam belohnt, der ihn an einer untätigen Lage zu
fesseln schien.




Den 24. Oktober.

Der Freund hatte mir bei jenem Kanonikus abermals Quartier
verschafft. Auch ich war von der allgemeinen Krankheit nicht ganz
frei geblieben und bedurfte daher einiger Arznei und Schonung.

In diesen ruhigen Stunden nahm ich sogleich die kurzen Bemerkungen
vor, die ich bei dem Monument zu Igel aufgezeichnet hatte.

Soll man den allgemeinsten Eindruck aussprechen, so ist hier Leben
dem Tod, Gegenwart der Zukunft entgegengestellt und beide
untereinander im ästhetischen Sinn aufgehoben. Dies war die herrliche
Art und Weise der Alten, die sich noch lange genug in der Kunstwelt
erhielt.

Die Höhe des Monuments kann 70 Fuß betragen, es steigt in mehreren
architektonischen Abteilungen obeliskenartig hinauf: erst der Grund,
auf diesem ein Sockel, sodann die Hauptmasse, darüber eine Attike,
sodann ein Fronton und zuletzt eine wundersam sich aufschlingende
Spitze, wo sich die Reste einer Kugel und eines Adlers zeigen. Jede
dieser Abteilungen ist mit den Gliedern, aus denen sie besteht,
durchaus mit Bildern und Zierraten geschmückt.

Diese Eigenschaft deutet denn freilich auf spätere Zeiten: denn
dergleichen tritt ein, sobald sich die reine Proportion im Ganzen
verliert, wie denn auch hier daran manches zu erinnern sein möchte.

Dessen ungeachtet muss man anerkennen, das dieses Werk auf eine erst
kurz vergangene, höhere Kunst gegründet ist. So waltet denn auch über
das Ganze der antike Sinn, in dem das wirkliche Leben dargestellt
wird, allegorisch gewürzt durch mythologische Andeutungen. In dem
Hauptfeld Mann und Frau von kolossaler Bildung, sich die Hände
reichend, durch eine dritte, verloschene Figur, als einer Segnenden,
verbunden. Sie stehen zwischen zwei sehr verzierten, mit übereinander
gestellten tanzenden Kindern geschmückten Pilastern.

Alle Flächen sodann deuten auf die glücklichsten
Familienverhältnisse, überein denkende und -wirkende Verwandte,
redliches, genussreiches Zusammenleben darstellend.

Aber eigentlich waltet überall die Tätigkeit vor; ich getraue mir
jedoch nicht alles zu erklären. In einem Feld scheinen sich
Geschäft-überlegende Handelsleute versammelt zu haben; offenbar aber
sind beladene schiffe, Delphine als Verzierung, Transport auf
Saumrossen, Ankunft von waren und deren Beschauen, und was sonst noch
Menschliches und Natürliches mehr vorkommen dürfte.

Sodann aber auch im Zodiak ein rennendes Pferd, das vielleicht
vormals Wagen und Lenker hinter sich zog, in Friesen, sodann
sonstigen Räumen und Giebelfeldern Bacchus, Faunen, Sol und Luna, und
was sonst noch Wunderbares Knopf und Gipfel verzieren und verziert
haben mag.

Das Ganze ist höchst erfreulich, und man könnte, auf der Stufe, wo
heutzutage Bau- und Bildkunst stehen, in diesem Sinn ein herrliches
Denkmal den würdigsten Menschen, ihren Lebensgenüssen und Verdiensten
gar wohl errichten. Und so war es mir denn recht erwünscht, mit
solchen Betrachtungen beschäftigt, den Geburtstag unserer verehrten
Herzogin Amalie im Stillen zu feiern, ihr Leben, ihr edles Wirken und
wohl Tun umständlich zurückzurufen; woraus sich denn ganz natürlich
die Aufregung ergab, ihr in Gedanken einen gleichen Obelisk zu widmen
und die sämtlichen Räume mit ihren individuellen Schicksalen und
Tugenden charakteristisch zu verzieren.




Trier, den 25. Oktober.

Die mir nunmehr gegönnte Ruh' und Bequemlichkeit benutzte ich nun,
ferner manches zu ordnen und aufzubewahren, was ich in den wildesten
Zeiten bearbeitet hatte. Ich rekapitulierte und redigierte meine
chromatischen Akten, zeichnete mehrere Figuren zu den Farbentafeln,
die ich oft genug veränderte, um das, was ich darstellen und
behaupten wollte, immer anschaulicher zu machen. Hierauf dacht' ich
denn auch, meinen dritten Teil von Fischers physikalischem Lexikon
wieder zu erlangen. Auf Erkundigung und Nachforschen fand ich endlich
die Küchenmagd im Lazarett, das man mit ziemlicher Sorgfalt in einem
Kloster errichtet hatte. Sie litt an der allgemeinen Krankheit, doch
waren die Räume luftig und reinlich; sie erkannte mich, konnte aber
nicht reden, nahm den Band unter dem Haupt hervor und übergab mir ihn
so reinlich und wohl erhalten, als ich ihn überliefert hatte, und ich
hoffe, die Sorgfalt, der ich sie empfahl, wird ihr zugute gekommen
sein.

Ein junger Schullehrer, der mich besuchte und mir verschiedene der
neuesten Journale mitteilte, gab Gelegenheit zu erfreulichen
Unterhaltungen. Er verwunderte sich, wie so viel andere, dass ich von
Poesie nichts wissen wolle, dagegen auf Naturbetrachtungen mich mit
ganzer Kraft zu werfen schien. Er war in der Kantischen Philosophie
unterrichtet, und ich konnte ihm daher auf den Weg deuten, den ich
eingeschlagen hatte. Wenn Kant in seiner "Kritik der Urteilskraft"
der ästhetischen Urteilskraft die teleologische zur Seite stellt, so
ergibt sich daraus, dass er andeuten wolle: ein Kunstwerk solle wie
ein Naturwerk, ein Naturwerk wie ein Kunstwerk behandelt und der Wert
eines jeden aus sich selbst entwickelt, an sich selbst betrachtet
werden. Über solche Dinge konnte ich sehr beredet sein und glaube,
dem guten jungen Mann einigermaßen genutzt zu haben. Es ist
wundersam, wie eine jede Zeit Wahrheit und Irrtum aus dem kurz
Vergangenen, ja dem längst Vergangenen mit sich trägt und schleppt,
muntere Geister jedoch sich auf neuer Bahn bewegen, wo sie sich's
denn freilich gefallen lassen, meist allein zu gehen oder einen
Gesellen auf eine kurze Strecke mit sich fortzuziehen.




Tier, den 26. Oktober.

Nun durfte man aber aus solchen ruhigen Umgebungen nicht
heraustreten, ohne sich wie im Mittelalter zu finden, wo
Klostermauern und der tollste unregelmäßigste Kriegszustand
miteinander immerfort kontrastierten. Besonders jammerten
einheimische Bürger sowie zurückkehrende Emigrierte über das
schreckliche Unheil, was durch die falschen Assignaten über Stadt und
Land gekommen war. Schon hatten Handelshäuser gewusst, dergleichen
nach Paris zu bringen, und von dort die Falschheit, völlige
Ungültigkeit, die höchste Gefahr vernommen, sich mit dergleichen nur
irgend abzugeben. Dass die echten gleichfalls dadurch in Misskredit
gerieten, dass man bei völliger Umkehrung der Dinge auch wohl die
Vernichtung aller dieser Papiere zu fürchten habe, fiel jedermann
auf. Dieses ungeheure Übel nun gesellte sich zu den übrigen, so dass
es vor der Einbildungskraft und dem Gefühl ganz grenzenlos erschien:
ein verzweiflungsvoller Zustand, demjenigen ähnlich, wenn man eine
Stadt vor sich niederbrennen sieht.




Trier, den 28. Oktober.

Die Wirtstafel, an der man übrigens ganz wohl versorgt war, gab auch
ein Sinne verwirrendes Schauspiel: Militärs und Angestellte, allerart
Uniform, Farben und Trachten, im stillen missmutig, auch wohl in
Äußerungen heftig, aber alle wie in einer gemeinsamen Hölle
zusammengefasst.

Daselbst begegnete mir ein wahrhaft rührendes Ereignis. Ein alter
Husarenoffizier, mittlerer Größe, grauen Bartes und Haares und
funkelnden Auges, kam nach Tisch auf mich zu, ergriff mich bei der
Hand und fragte: ob ich denn das alles auch mit ausgestanden habe?
Ich konnte ihm einiges von Valmy und Hans erzählen, woraus er
sich denn gar wohl das übrige nachbilden konnte. Hierauf fing
er mit Enthusiasmus und warmem Anteil zu sprechen an, Worte,
die ich nachzuschreiben kaum wage, des Inhalts: es sei schon
unverantwortlich, dass man sie, deren Metier und Schuldigkeit es
bleibe, dergleichen Zustände zu erdulden und ihr Leben dabei
zuzusetzen, in solche Not geführt, die vielleicht kaum jemals erhört
worden; dass aber auch ich -- er drückte seine gute Meinung über
meine Persönlichkeit und meine Arbeiten aus -- das hätte mit erdulden
sollen, darüber wollt' er sich nicht zufrieden geben. Ich stellte
ihm die Sache von der heiteren Seite vor, von der Seite, mit meinem
Fürsten, dem ich nicht ganz unnütz gewesen, mit so vielen wackren
Kriegsmännern, zu eigner Prüfung diese wenigen Wochen her geduldet zu
haben; allein er blieb bei seiner Rede, indessen ein Zivilist zu uns
trat und dagegen erwiderte: man sei mir Dank schuldig, dass ich das
alles mit ansehen wollen, indem man sich nun gar wohl von meiner
geschickten Feder Darstellung und Aufklärung erwarten könne. Der alte
Degen wollte davon auch nichts wissen und rief: "Glaubt es nicht, er
ist viel zu klug! Was er schreiben dürfte, mag er nicht schreiben,
und was er schreiben möchte, wird er nicht schreiben."

Übrigens mochte man kaum hie und da hinhorchen, der Verdruss war
grenzenlos. Und wie es schon eine verdrießliche Empfindung erregt,
wenn glückliche Menschen nicht ablassen, uns ihr Behagen
vorzurechnen, so ist es noch viel unausstehlicher, wenn uns ein
Unheil, das wir selbst aus dem Sinn schlagen möchten, immer
wiederkäuend vorgetragen wird. Von den Franzosen, die man hasste, aus
dem Land gedrängt zu sein, genötigt, mit ihnen zu unterhandeln, mit
den Männern des 10. Augusts sich zu befreunden, das alles war für
Geist und Gemüt so hart, als bisher die körperliche Duldung gewesen.
Man schonte der obersten Leitung nicht, und das Vertrauen, das man
dem berühmten Feldherrn so lange Jahre gegönnt hatte, schien für
immer verloren.




Trier, den 29. Oktober.

Als man sich nun auf deutschem Grund und Boden wieder fand und
aus der ungeheuersten Verwirrung zu entwickeln hoffen durfte,
traf uns die Nachricht von Custinens verwegenen und glücklichen
Unternehmungen. Das große Magazin zu Speyer war in seine Hände
geraten, er hatte darauf gewusst, eine Übergabe von Mainz zu
bewirken. Diese Schritte schienen die grenzenlosesten Übel nach sich
zu ziehen, sie deuteten auf einen außerordentlichen, so kühnen als
folgerechten Geist, und da musste denn schon alles verloren sein.
Nichts fand man wahrscheinlicher und natürlicher, als dass auch schon
Koblenz von den Franken besetzt sei -- und wie sollten wir unsern
Rückweg antreten! Frankfurt gab man in Gedanken gleichfalls auf;
Hanau und Aschaffenburg an einer, Kassel an der anderen Seite
sah man bedroht, und was nicht alles zu fürchten! Vom unseligen
Neutralitätssystem die nächsten Fürsten paralysiert, desto
lebendig-tätiger die von revolutionären Gesinnungen ergriffene Masse.
Sollte man, wie Mainz bearbeitet worden, nicht auch die Gegend und
die nächst anstoßenden Provinzen zu Gesinnungen vorbereiten und die
schon entwickelten schleunig benutzen? Das alles musste zum Bedanken,
zur Sprache kommen.

Öfters hört' ich wiederholen: sollten die Franzosen wohl ohne große
Überlegung und Umsicht, ohne starke Heeresmacht solche bedeutende
Schritte getan haben? Custinens Handlungen schienen so kühn als
vorsichtig; man dachte sich ihn, seine Gehilfen, seine Obern als
weise, kräftige, konsequente Männer. Die Not war groß und Sinne
verwirrend, unter allen bisher erduldeten Leiden und Sorgen ohne
Frage die größte.

Mitten in diesem Unheil und Tumult fand mich ein verspäteter
Brief meiner Mutter, ein Blatt, das an jugendlich-ruhige,
städtisch-häusliche Verhältnisse gar wundersam erinnerte. Mein Oheim,
Schöff Textor, war gestorben, dessen nahe Verwandtschaft mich von der
ehrenhaft wirksamen Stelle eines Frankfurter Ratsherrn bei seinen
Lebzeiten ausschloss, worauf man, herkömmlich löblicher Sitte gemäß,
meiner sogleich gedachte, der ich unter den Frankfurter Graduierten
ziemlich weit vorgerückt war.

Meine Mutter hatte den Auftrag erhalten, bei mir anzufragen: ob ich
die Stelle eines Ratsherrn annehmen würde, wenn mir, unter die
Losenden gewählt, die goldene Kugel zufiele? Vielleicht konnte eine
solche Anfrage in keinem seltsamern Augenblick anlangen als in dem
gegenwärtigen; ich war betroffen, in mich selbst zurückgewiesen,
tausend Bilder stiegen mir auf und ließen mich nicht zu Gedanken
kommen. Wie aber ein Kranker oder Gefangener sich wohl im Augenblick
an einem erzählten Märchen zerstreut, so wahr auch ich in andere
Sphären und Jahre versetzt.

Ich befand mich in meines Großvaters Garten, wo die reich mit
Pfirsichen gesegneten Spaliere des Enkels Appetit gar lüstern
ansprachen und nur die angedrohte Verweisung aus diesem Paradies, nur
die Hoffnung, die reifste, rotbäckigste Frucht aus des wohltätigen
Ahnherrn eigner Hand zu erhalten, solche Begierde bis zum endlichen
Termin einigermaßen beschwichtigen konnte.

Sodann erblickt' ich den ehrwürdigen Altvater um seine Rosen
beschäftigt, wie er gegen die Dornen mit altertümlichen Handschuhen,
als Tribut überreicht von Zoll befreiten Städten, sich vorsichtig
verwahrte, dem edlen Laertes gleich, nur nicht wie dieser sehnsüchtig
und kummervoll. Dann erblickt' ich ihn im Ornat als Schultheiß, mit
der goldnen Kette, auf dem Thronsessel unter des Kaisers Bildnis;
sodann leider im halben Bewusstsein einige Jahre auf dem Krankenstuhl
und endlich im Sarg.

Bei meiner letzten Durchreise durch Frankfurt hatte ich meinen Oheim
im Besitz des Hauses, Hofes und Gartens gefunden, der als wackrer
Sohn, dem Vater gleich, die höheren Stufen freistädtischer Verfassung
erstieg. Hier, im traulichen Familienkreis, in dem unveränderten, alt
bekannten Lokal riefen sich jene Knabenerinnerungen lebhaft hervor
und traten mir nun neukräftig vor die Augen.

Sodann gesellten sich zu ihnen andere jugendliche Vorstellungen, die
ich nicht verschweigen darf. Welcher reichstädtische Bürger wird
leugnen, dass er, früher oder später, den Ratsherrn, Schöff und
Bürgermeister im Auge gehabt und, seinem Talent gemäß, nach diesen,
vielleicht auch nach minderen Stellen emsig und vorsichtig gestrebt:
denn der süße Gedanke, an irgendeinem Regiment teilzunehmen, erwacht
gar bald in der Brust eines jeden Republikaners, lebhafter und
stolzer schon in der Seele des Knaben.

Diesen freundlichen Kinderträumen konnt' ich mich jedoch nicht lange
hingeben; nur allzu schnell aufgeschreckt, besah ich mir die
ahnungsvolle Lokalität, die mich umfasste, die traurigen Umgebungen,
die mich beengten, und zugleich die Aussicht nach der Vaterstadt
getrübt, ja verfinstert. Mainz in französischen Händen, Frankfurt
bedroht, wo nicht schon eingenommen, der Weg dorthin versperrt und
innerhalb jener Mauern, Straßen, Plätze, Wohnungen, Jugendfreunde,
Blutverwandte vielleicht schon von demselben Unglück ergriffen, daran
ich Longwy und Verdun so grausam hatte leiden sehen -- wer hätte
gewagt, sich in solchen Zustand zu stürzen!

Aber auch in der glücklichsten Zeit jenes ehrwürdigen Staatskörpers
wäre mir nicht möglich gewesen, auf diesen Antrag einzugehen; die
Gründe waren nicht schwer auszusprechen. Seit zwölf Jahren genoss ich
eines seltenen Glückes, des Vertrauens wie der Nachsicht des Herzogs
von Weimar. Dieser von der Natur höchst begünstigte, glücklich
ausgebildete Fürst ließ sich meine wohlgemeinten, oft unzulänglichen
Dienste gefallen und gab mir Gelegenheit, mich zu entwickeln, welches
unter keiner andern vaterländischen Bedingung möglich gewesen wäre;
meine Dankbarkeit war ohne Grenzen, so wie die Anhänglichkeit an die
hohen Frauen Gemahlin und Mutter, an die heranwachsende Familie, an
ein Land, dem ich doch auch manches geleistet hatte. Und musste ich
nicht zugleich jenes Zirkels neu erworbener höchst gebildeter Freunde
gedenken, auch so manches andern häuslich Lieben und Guten, was sich
aus meinen treu beharrlichen Zuständen entwickelt hatte! Diese bei
solcher Gelegenheit abermals erregten Bilder und Gefühle erheiterten
mich auf einmal in dem betrübtesten Augenblick: denn man ist schon
halb gerettet, wenn man aus traurigster Lage im fremden Land einen
hoffnungsvollen Blick in die gesicherte Heimat zu tun aufgeregt wird;
so genießen wir diesseits auf Erden, was uns jenseits der Sphären
zugesagt ist.

In solchem Sinn begann ich den Brief an meine Mutter, und wenn sich
diese Beweggründe zunächst auf mein Gefühl, auf persönliches Behagen,
individuellen Vorteil zu beziehen schienen, so hatt' ich noch andere
hinzuzufügen, die auch das Wohl meiner Vaterstadt berücksichtigten
und meine dortigen Gönner überzeugen konnten. Denn wie sollt' ich
mich in dem ganz eigentümlichen Kreis tätig wirksam erzeigen, wozu
man vielleicht mehr als zu jedem andern treulich herangebildet sein
muss? Ich hatte mich seit so viel Jahren zu Geschäften, meinen
Fähigkeiten angemessen, gewöhnt, und zwar solchen, die zu städtischen
Bedürfnissen und Zwecken kaum verlangt werden möchten. Ja, ich durfte
hinzufügen, dass, wenn eigentlich nur Bürger in den rat aufgenommen
werden sollten, ich nunmehr jenem Zustand so entfremdet sei, um mich
völlig als einen Auswärtigen zu betrachten.

Dieses alles gab ich meiner Mutter dankbar zu erkennen, welche sich
auch wohl nichts anderes erwartete. Freilich mag dieser Brief spät
genug zu ihr gelangt sein.




Trier, den 29. Oktober.

Mein junger Freund, mit dem ich gar manche angenehme
wissenschaftliche und literarische Unterhaltung genoss, war auch im
Geschichtlichen der Stadt und Umgebung gar wohl erfahren. Unsere
Spaziergänge bei leidlichem Wetter waren deshalb immer belehrend,
und ich konnte mir das Allgemeinste merken.

Die Stadt an sich hat einen auffallenden Charakter: sie behauptet,
mehr geistliche Gebäude zu besitzen als irgendeine andere von
gleichem Umfang, und möchte ihr dieser Ruhm wohl kaum zu leugnen
sein; denn sie ist innerhalb der Mauern von Kirchen, Kapellen,
Klöstern, Konventen, Kollegien, Ritter- und Brüdergebäuden belastet,
ja erdrückt, außerhalb von Abteien, Stiftern, Kartausen blockiert,
ja belagert. Dieses zeugt denn von einem weiten geistlichen
Wirkungskreis, welchen der Erzbischof sonst von hier aus beherrschte;
denn seine Diözes war auf Metz, Toul und Verdun ausgedehnt. Auch dem
weltlichen Regiment fehlt es nicht an schönen Besitztümern, wie denn
der Kurfürst von Trier auf beiden Seiten der Mosel ein herrliches
Land beherrscht; und so fehlt es auch Trier nicht an Palästen, welche
beweisen, dass zu verschiedener Zeit von hier aus die Herrschaft sich
weit und breit erstreckte.

Der Ursprung der Stadt verliert sich in die Fabelzeit; das
erfreuliche Lokal mag früh genug Anbauende hierher gelockt haben. Die
Trevirer waren ins Römische Reich eingeschlossen, erst Heiden, dann
Christen, von Normannen und von Franken überwältigt, und zuletzt ward
das schöne Land dem Römisch-Deutschen Reiche einverleibt.

Ich wünschte wohl, die Stadt in guter Jahreszeit, an friedlichen
Tagen zu sehen, ihre Bürger näher kennen zu lernen, welche von jeher
den Ruf haben, freundlich und fröhlich zu sein. Von erster
Eigenschaft finden sich in diesem Augenblick wohl noch Spuren, von
der zweiten kaum; und wie sollte Fröhlichkeit sich in einem so
widerwärtigen Zustand erhalten!

Freilich, wer in die Annalen der Stadt zurücksieht, findet
wiederholte Nachricht von Kriegsunheil, das diese Gegend betroffen,
da das Moseltal, ja der Fluss selbst dergleichen Züge begünstigt.
Attila sogar aus dem fernsten Osten hatte mit seinem unzählbaren
Heere Vor- und Rückzug, wie wir, durch diese Flussregion genommen.
Was erduldeten die Einwohner nicht im Dreißigjährigen Kriege, bis zu
Ende des siebzehnten Jahrhunderts, indem sich der Fürst an
Frankreich, als den nachbarlichsten Alliierten, angeschlossen hatte
und darüber in langwierige österreichische Gefangenschaft geriet.
Auch an inneren Kriegen erkrankte die Stadt mehr als einmal, wie es
überall in bischöflichen Städten sich ereignen musste, wo der Bürger
mit geistlich-weltlicher Obergewalt sich nicht immer vertragen konnte.

Mein Führer, indem er mich geschichtlich unterrichtete, machte mich
auf Gebäude der verschiedensten Zeit aufmerksam, wovon das meiste
kurios und daher wohl merkwürdig schien, weniges aber dem
Geschmacksurteil erfreulich zusagte, wie vorher an dem Monumente zu
Igel gerühmt werden konnte.

Die Reste des römischen Amphitheaters fand ich respektabel; da aber
das Gebäude über sich selbst zusammengestürzt und wahrscheinlich
mehrere Jahrhunderte als Steinbruch behandelt war, ließ sich
nichts entziffern. Bewundernswert jedoch war noch immer, wie die
Alten, ihrer Weisheit gemäß, große Zwecke mit mäßigen Mitteln
hervorzubringen suchten und die Naturgelegenheit eines Tals zwischen
zwei Hügeln zu nutzen gewusst, wo die Gestalt des Bodens an
Exkavation und Substruktion dem Baumeister vieles glücklich ersparte.
Wenn man nun von den ersten Höhen des Martisberges, wo diese Ruine
gelegen, etwas weiter aufsteigt, so sieht man über alle Reliquien der
Heiligen, über Dom, Dächer und Schirme nach dem Apolloberg hinüber,
und so behaupten beide Götter, den Merkur zur Seite, ihres Namens
Gedächtnis: die Bilder waren zu beseitigen, der Genius nicht.

Zu Betrachtung der Baukunst früherer Mittelzeit bietet Trier
merkwürdige Monumente: ich habe von solchen Dingen wenige Kenntnis,
und sie sprechen nicht zum gebildeten Sinn. Mich wollte der Anblick
bei einiger Teilnahme verwirren; manches davon ist verschüttet,
zerstückt, zu anderem Gebrauch gewidmet.

Über die große Brücke, auch noch im Altertum gegründet, führte man
mich im heitersten Moment, hier nun sieht man deutlich, wie die Stadt
auf einer mit ausspringendem Winkel nach dem Fluss zudrängenden
Fläche, welche denselben gegen das linke Ufer hinweist, erbaut ist.

Nun überschaut man vom Fuß des Apolloberges Fluss, Brücke, Mühlen,
Stadt und Gegend, da sich denn die noch nicht ganz entlaubten
Weinberg, sowohl zu unsern Füßen als auf den ersten Höhen des
Martisberges gegenüber, gar freundlich ausnahmen, anschaulich
machten, in welcher gesegneten Gegend man sich befinde, und ein
Gefühl von Wohlfahrt und Behagen erweckten, welches über den
Weinländern in der Luft zu schweben scheint. Die besten Sorten
Moselwein, die uns nun zuteil wurden, schienen nach diesem Überblick
einen angenehmern Geschmack zu haben.




Trier, den 29. Oktober.

Unser fürstlicher Heerführer kam an und nahm Quartier im Kloster St.
Maximin. Diese reichen und sonst überglücklichen Menschen hatten denn
freilich schon eine gute Zeit her große Unruhe erduldet: die Brüder
des Königs waren dort einquartiert gewesen, und nachher war es nicht
wieder leer geworden. Eine solche Anstalt, aus Ruh' und Frieden
entsprungen, auf Ruh' und Friede berechnet, nahm sich freilich unter
diesen Umständen wunderlich aus, da, man mochte noch so schonend
verfahren, ein gewaltiger Gegensatz des Ritter- und Mönchtums sich
hervortat. Der Herzog wusste jedoch hier wie überall, selbst als
ungebetener Gast, durch Freigebigkeit und freundliches Betragen sich
und die Seinigen angenehm zu machen.

Mich aber sollte auch hier der böse Kriegsdämon wieder verfolgen.
Unser guter Obrist von Gotsch war gleichfalls im Kloster
einquartiert; ich fand ihn zur Nacht seinen Sohn bewachend und
besorgend, welcher an der unglücklichen Krankheit gleichfalls hart
daniederlag. Hier musst' ich nun wieder die Litanei und Verwünschung
unseres Feldzugs aus dem Mund eines alten Soldaten und Vaters
vernehmen, der die sämtlichen Fehler mit Leidenschaft zu rügen
berechtigt war, die er als Soldat einsah und als Vater verfluchte.
Auch die Isletten kamen wieder zur Sprache, und es musste wirklich
ein jeder, der sich diesen unseligen Punkt deutlich machte, durchaus
verzweifeln.

Ich erfreute mich der Gelegenheit, die Abtei zu sehen, und fand ein
weitläufiges, wahrhaft fürstliches Gebäude; die Zimmer von
bedeutender Größe und Höhe, und die Fußboden getäfelt, Samt und
damastne Tapeten, Stuckatur, Vergoldung und Schnitzwerk nicht
gespart, und was man sonst in solchen Palästen zu sehen gewohnt ist,
alles doppelt und dreifach in großen Spiegeln wiederholt.

Auch ward den einquartierten Personen ganz wohl dahier; die Pferde
jedoch konnten nicht sämtlich untergebracht werden, sie mussten unter
freiem Himmel aushalten, ohne Lagerstätte, Raufen und Tröge.
Unglücklicherweise waren die Futtersäcke gefault, und so musste der
Hafer von der Erde aufgeschnopert werden.

Wenn aber die Stallungen unbedeutend waren, so fand man die Keller
desto geräumiger. Noch über die eigenen Weinberge genoss das Kloster
die Einnahme von vielen Zehnten. Freilich mochte in den letzten
Monaten gar manches Stückfass geleert worden sein, es lagen deren
viele auf dem Hof.




Den 30. Oktober

gab unser Fürst große Tafel: drei der vornehmsten geistlichen Herren
waren eingeladen, sie hatten köstliches Tischzeug, sehr schönes
Porzellanservice hergegeben; von Silber war wenig zu sehen, Schätze
und Kostbarkeiten lagen in Ehrenbreitstein. Die Speisen von den
fürstlichen Köchen schmackhaft zubereitet; Wein, der uns früher hatte
nach Frankreich folgen sollen, von Luxemburg zurückkehrend, ward hier
genossen; was aber am meisten Lob und Preis verdiente, war das
kostbarste weiße Brot, das an den Gegensatz des Kommissbrots bei Hans
erinnerte.

Ich hatte mich, als ich nach Trierscher Geschichte in diesen Tagen
forschte, notwendig auch um die Abtei St. Maximin bekümmern müssen;
ich konnte daher mit meinem geistlichen Nachbar ein ganz
auslangendes, geschichtliches Gespräch führen. Das hohe Alter des
Stifts ward vorausgesetzt; dann gedachte man seiner mannigfaltig
wechselnden Schicksale, der nahen Lage des Stifts and er Stadt,
beiden Teilen gleich gefährlich; wie es denn im Jahr 1674
niedergebrannt und völlig verwüstet wurde. Von dem Wiederaufbau und
der allmählichen Herstellung in den gegenwärtigen Zustand ließ ich
mich auch unterrichten. Dazu konnte man viel Gutes sagen und die
Anstalten preisen, welches der geistliche Herr auch gern vernahm;
von den letzten Zeiten aber wollte er nichts Rühmliches wissen: die
französischen Prinzen waren da lange im Quartier gelegen, und man
hatte von manchem Unfug, Übermut und Verschwendung zu hören.

Bei Abwechslung des Gesprächs daher ging ich wieder ins
Geschichtliche zurück; als ich aber der früheren Zeit erwähnte, wo
das Stift sich dem Erzbischof gleichgesetzt und der Abt Reichsstand
des Römisch-Deutschen Reichs gewesen, wich er lächelnd aus, als wenn
er eine solche Erinnerung in der neusten Zeit für verfänglich halte.

Die Sorge des Herzogs für sein Regiment ward nun tätig und klar; denn
als die Kranken zu Wagen fortzubringen unmöglich war, so ließ der
Fürst ein Schiff mieten, um sie bequem nach Koblenz zu transportieren.

Nun aber kamen andere auf eine eigene Weise presshafte Kriegsmänner
an. Auf dem Rückzug hatte man gar blad bemerkt, dass die Kanonen
nicht fortzubringen seien: die Artilleriepferde kamen um, eines nach
dem andern, wenig Vorspann war zu finden, die Pferde, auf dem Hinzug
requiriert, beim Herzug geflüchtet, fehlten überall. Man griff zu der
letzten Maßregel: Von jedem Regiment musste eine starke Anzahl Reiter
absitzen und zu Fuß wandern, damit das Geschütz gerettet werde. In
ihren steifen Stiefeln, die zuletzt nicht mehr durchhalten wollten,
litten diese braven Menschen bei dem schrecklichen Wege unendlich;
aber auch ihnen erheiterte sich die Zeit, denn es ward Anstalt
getroffen, dass auch sie zu Wasser nach Koblenz fahren konnten.




November.

Mein Fürst hatte mir aufgetragen, dem Marquis Lucchesini aufzuwarten,
eine Abschiedsempfehlung auszusprechen und mich nach einigem zu
erkundigen. Bei später Abendzeit, nicht ohne einige Schwierigkeiten,
ward ich bei diesem mir früher nicht ungewogenen, bedeutenden Mann
eingelassen. Die Anmut und Freundlichkeit, mit der er mich empfing,
war wohltätig; nicht so die Beantwortung meiner Fragen und Erfüllung
meiner Wünsche. Er entließ mich, wie er mich aufgenommen hatte, ohne
mich im mindesten zu fördern, und man wird mir zutrauen, dass ich
darauf vorbereitet gewesen.

Als ich nun die Abfahrt jener kranken und ermüdeten Reiter eifrig
betreiben sah, ergriff mich gleichfalls das Gefühl, es sei wohl am
besten getan, einen Ausweg auf dem Wasser zu suchen. Sehr ungern ließ
ich meine Chaise zurück, die man mir aber nach Koblenz nachzusenden
versprach, und mietete ein einmänniges Boot, wo mir denn beim
Einschiffen meine sämtlichen Habseligkeiten, gleichsam vorgezählt,
einen sehr angenehmen Eindruck machten, indem ich sie mehr als einmal
verloren glaubte oder zu verlieren fürchtete. Zu dieser Fahrt
gesellte sich ein preußischer Offizier, den ich als alten Bekannten
aufnahm, dessen ich mich als Pagen gar wohl erinnerte und dem seine
Hofzeit noch gar deutlich vorschwebte; wie er mir denn gewöhnlich den
Kaffee wollte präsentiert haben.

Das Wetter war leidlich, die Fahrt ruhig, und man erkannte die Anmut
dieser Wohltat umso mehr, je mühseliger auf dem Landweg, der sich dem
Fluss hie und da näherte, die Kolonnen dahin zogen oder auch wohl von
Zeit zu Zeit stockend verweilten. Schon in Trier hatte man geklagt,
dass bei so eiligem Rückmarsch die größte Schwierigkeit sei, Quartier
zu finden, indem gar oft die einem Regiment angewiesenen Ortschaften
schon besetzt gefunden worden, wodurch große Not und Verwirrung
entstehe.

Die Uferansichten der Mosel waren längs dieser Fahrt höchst
mannigfaltig; denn obgleich das Wasser eigensinnig seinen Hauptlauf
von Südwest nach Nordost richtet, so wird es doch, da es ein
schikanöses gebirgisches Terrain durchstreift, von beiden Seiten
durch vorspringende Winkel bald rechts bald links gedrängt, so dass
es nur im weitläufigen Schlangengang fortwandeln kann. Deswegen ist
denn aber auch ein tüchtiger Fährmeister höchst nötig; der unsere
bewies Kraft und Gewandtheit, indem er bald hier einen vorgeschobenen
Kies zu vermeiden, sogleich aber dort den an steiler Felswand
herflutenden Strom zu schnellerer Fahrt kühn zu benutzen wusste. Die
vielen Ortschaften zu beiden Seiten gaben den muntersten Anblick; der
Weinbau, überall sorgfältig gepflegt, ließ auf ein heiteres Volk
schließen, das keine Mühe schont, den köstlichen Saft zu erzielen.
Jeder sonnige Hügel war benutzt, bald aber bewunderten wir schroffe
Elsen am Strom, auf deren schmalen vorragenden Kanten, wie auf
zufälligen Naturterrassen, der Weinstock zum allerbesten gedieh.

Wir landeten bei einem artigen Wirtshaus, wo uns eine alte Wirtin
wohl empfing, manches erduldete Ungemach beklagte, den Emigrierten
aber besonders alles Böse gönnte. Sie habe, sagte sie, an ihrem
Wirtstisch gar oft mit Grauen gesehen, wie diese gottesvergessenen
Menschen das liebe Brot kugel- und brockenweise sich an den Kopf
geworfen, so dass sie und ihre Mägde es nachher mit Tränen
zusammengekehrt.

Und so ging es mit gutem Glück und Mut immer weiter hinab bis zur
Dämmerung, da wir uns denn aber in das mäandrische Flussgewinde, wie
es sich gegen die Höhen von Montroyal herandrängt, verschlungen
sahen. Nun überfiel uns die Nacht, bevor wir Trarbach erreichen oder
auch nur gewahren konnten. Es ward stockfinster, eingeengt wussten
wir uns zwischen mehr oder weniger steilem Ufer, als ein Sturm,
bisher schon ruckweise verkündigt, gewaltsam anhaltend hereinbrach:
bald schwoll der Strom im Gegenwind, bald wechselten abprallende
Windstöße niederstürzend mit wütendem Sausen; eine Welle nach der
anderen schlug über den Kahn, wir fühlten uns durchnässt. Der
Schiffmeister barg nicht seine Verlegenheit; die Not schien immer
größer, je länger sie dauerte, und der Drang war aufs höchste
gestiegen, als der wackere Mann versicherte, er wisse weder wo er
sei, noch wohin er steuern solle.

Unser Begleiter verstummte, ich war still in mir gefasst. Wir
schwebten in der tiefsten Finsternis, nur manchmal wollte mir
schienen, dass Massen über mir doch noch etwas dunkler als
der verfinsterte Himmels ich dem Auge bemerkbar machten; dies
gewährte jedoch wenig Trost und Hoffnung: zwischen Land und Fels
eingeschlossen zu sein, drang sich immer ängstlicher auf. Und so
wurden wir im Stockfinstern lange hin und her geworfen, bis sich
endlich in der Ferne ein Licht und damit auch Hoffnung auftat. Nun
ward nach Möglichkeit drauf los gesteuert und gerudert, wobei sich
Paul nach Kräften tätig erwies.

Endlich stiegen wir in Trarbach glücklich ans Land, wo man uns in
einem leidlichen Gasthof Henne mit Reis alsobald anbot. Ein
angesehener Kaufmann aber, die Landung von Fremden in so tiefer
stürmischer Nacht vernehmend, nötigte uns in sein Haus, wo wir bei
hellem Kerzenschein, in wohl geschmückten Zimmern englische schwarze
Kunstblätter, in Rahm und Glas gar zierlich aufgehangen, mit Freude,
ja mit Rührung gegen die kurz vorher erduldeten finsteren
Gefährlichkeiten begrüßend erblickten. Herr und Frau, noch junge
Leute, beeiferten sich, uns gütlich zu tun; wir genossen des
köstlichsten Moselweins, an dem sich mein Gefährte, der eine
Wiederherstellung freilich am nötigsten haben mochte, besonders
erquickte.

Paul gestand, dass er schon Rock und Stiefel ausgezogen, um, wenn wir
scheitern sollten, uns durch Schwimmen zu erretten; wobei er sich
denn freilich nur allein möchte durchgebracht haben.

Kaum hatten wir uns getrocknet und geletzt, als es in mir schon
wieder zu treiben anfing und ich fortzueilen begehrte. Der
freundliche Wirt wollte uns nicht entlassen, sondern verlangte
vielmehr, wir sollten den morgenden Tag noch zugeben, versprach auch
von einer benachbarten Höhe die weiteste, schönste Aussicht übe rein
bedeutend Gelände und manches andere, was uns zur Erquickung und
Zerstreuung hätte dienen können. Aber es ist wunderbar: wie sich der
Mensch an ruhige Zustände gewöhnt und in denselben verharren mag, so
gibt es auch eine Gewöhnung zum Unruhigen; es war in mir die Nötigung
zu einem rollenden Forteilen, der ich nicht gebieten konnte.

Als wir daher fortzueilen im Begriff standen, nötigte uns der wackere
Mann noch zwei Matratzen auf, damit wir im Schiff wenigstens einige
Bequemlichkeit hätten; die Frau gab solche nicht gerne her, welches
ihr, da der Barchent neu und schön, gar nicht zu verdenken war. Und
so ereignet sich's oft in Einquartierungsfällen, dass bald der eine,
bald der andere Gatte dem aufgedrungenen Gast mehr oder weniger wohl
will.

Bis Koblenz schwammen wir ruhig hinunter, und ich erinnere mich nur
deutlich, dass ich am Ende der Fahrt das schönste Naturbild gesehen,
was mir vielleicht zu Augen gekommen. Als wir gegen die Moselbrücke
zu fuhren, stand uns dieses schwarze mächtige Bauwerk kräftig
entgegen; durch die Bogenöffnungen aber schauten die stattlichen
Gebäude des Tals, über der Brückenlinie sodann das Schloss
Ehrenbreitstein im blauen Duft durch und hervor. Rechts bildete die
Stadt, an die Brücke sich anschließend, einen tüchtigen Vorgrund.
Dieses Bild gab einen herrlichen, aber nur augenblicklichen Genuss,
denn wir landeten und schickten sogleich gewissenhaft die Matratzen
unversehrt an das von den wackeren Trarbachern uns bezeichnete
Handelshaus.

Dem Herzog von Weimar war ein schönes Quartier eingeräumt, worin auch
ich ein gutes Unterkommen fand. Die Armee rückte nach und nach heran;
die Dienerschaft des fürstlichen Generals traf ein und konnte nicht
genug von den Unbilden erzählen, die sie erleiden müssen. Wir
segneten uns, die Wasserfahrt eingeschlagen zu haben, und die
glücklich überstandene Windsbraut schien nur ein geringes Übel gegen
eine stockende und überall gehinderte Landfahrt.

Der Fürst selbst war angekommen, um den König versammelten sich viele
Generale. Ich aber, in einsamen Spaziergängen den Rhein hin,
wiederholte mir die wunderlichen Ereignisse der vergangenen Wochen.

       *       *       *       *       *

Ein französischer General, Lafayette, Haupt einer großen Partei, vor
kurzem der Abgott seiner Nation, des vollkommensten Vertrauens der
Soldaten genießend, lehtn sich gegen die Obergewalt auf, die allein
nach Gefangennehmung des Königs das Reich repräsentiert; er
entflieht, seine Armee, nicht stärker als 23000 Mann, bleibt ohne
General und Oberoffiziere, desorganisiert, bestürzt.

Zur selbigen Zeit betritt ein mächtiger König, mit einem 80000 Mann
starken verbündeten Heer, den Boden von Frankreich; zwei befestigte
Städte, nach geringem Zaudern, ergeben sich.

Nun erscheint ein wenig gekannter General, Dumouriez; ohne jemals
einen Oberbefehl geführt zu haben, nimmt er, gewandt und klug, eine
sehr starke Stellung; sie wird durchbrochen, und doch erreicht er
eine zweite, wird auch daselbst eingeschlossen und zwar so, dass der
Feind sich zwischen ihn und Paris stellt.

Aber sonderbar verwickelte Zustände werden durch anhaltendes
Regenwetter herbeigeführt; das furchtbare alliierte Heer, nicht
weiter als sechs Stunden von Chalons und zehn von Reims, sieht sich
abgehalten, diese beiden Orte zu gewinnen, bequemt sich zum Rückzug,
räumt die zwei eroberten Plätze, verliert über ein Drittel seiner
Mannschaft, und davon höchstens 2000 durch die Waffen, und sieht sich
nun wieder am Rhein. Alle diese Begegnisse, die an das Wunderbare
grenzen, ereignen sich in weniger als sechs Wochen, und Frankreich
ist aus der größten Gefahr gerettet, deren seien Jahrbücher jemals
gedenken.

Vergegenwärtige man sich nun die vielen tausend Teilnehmer an solchem
Missgeschick, denen das grimmige Leibes- und Seelenleiden einiges
Recht zur Klage zu geben schien, so wird man sich leicht vorstellen,
dass nicht alles im stillen abgetan ward, und so sehr man sich auch
vorzusehen gedachte, doch aus einem vollen Herzen der Mund zuzeiten
überging.

Und so begegnete denn auch mir, dass ich an großer Tafel neben einem
alten trefflichen General saß und vom Vergangenen zu sprechen mich
nicht ganz enthielt, worauf er mir, zwar freundlich, aber mit
gewisser Bestimmtheit antwortete: "Erzeigen Sie mir morgen früh die
Ehre, mich zu besuchen, da wir uns hierüber freundlich und aufrichtig
besprechen wollen." Ich schien es anzunehmen, blieb aber aus und
gelobte mir innerlich, das gewohnte Stillschweigen so bald nicht
wieder zu brechen.

Auf der Wasserfahrt sowie auch in Koblenz hatte ich manche Bemerkung
gemacht zum Vorteil meiner chromatischen Studien; besonders war mir
über die epooptischen Farben ein neues Licht aufgegangen, und ich
konnte immer mehr hoffen, die physischen Erscheinungen in sich zu
verknüpfen und sie von andern abzusondern, mit denen sie in
entfernterer Verwandtschaft zu stehen schien.

Auch kam mir des treuen Kämmerier Wagner Tagebuch zu Ergänzung des
meinigen gar wohl zustatten, das ich in den letzten Tagen ganz und
gar vernachlässigt hatte.

Des Herzogs Regiment war herangekommen und kantonierte in den Dörfern
gegen Neuwied über. Hier bewies der Fürst die väterlichste Sorgfalt
für seine Untergebenen: jeder einzelne durfte seine Not klagen, und
soviel nur möglich ward abgestellt und nachgeholfen. Leutnant von
Flotow, in der Stadt auf Kommando stehend und dem Wohltäter am
nächsten, erwies sich tätig und hilfreich. Dem Hauptbedürfnis an
Schuhen und Stiefeln wurde dadurch abgeholfen, dass man Leder kaufte
und die im Regiment sich findenden Schuster unter den Meistern der
Stadt arbeiten ließ. Auch für Reinlichkeit und Zierde war gesorgt,
gelbe Kreide angeschafft, die Kolletts gesäubert und gefärbt, und
unsere Reiter trabten wieder ganz schmuck einher.

Meine Studien jedoch sowohl als die heitere Unterhaltung mit den
Kanzlei- und Hausgenossen wurden gar sehr belebt durch den Ehrenwein,
welcher, von trefflicher Moselsorte, unserem Fürsten vom Stadtrat
gereicht ward und welchen wir, da der Fürst meist auswärts speiste,
zu genießen die Erlaubnis hatten. Als wir Gelegenheit fanden, einem
von den Gebern darüber ein Kompliment zu machen, und dankbar
anerkannten, dass sie sich bei solcher Gelegenheit um unsertwillen
mancher guten Flasche berauben wollen, vernahmen wir die Erwiderung:
dass sie uns dies und noch viel mehr gönnten und nur die Fässer
bedauerten, welche sie an die Emigrierten wenden müssen, welche zwar
viel Geld, aber auch viel Unheil über die Stadt gebracht, ja den
Zustand derselben völlig umgekehrt; besonders aber wollte man
ihr Betragen gegen den Fürsten nicht rühmen, an dessen Stelle
sie sich gewissermaßen gesetzt und gegen seine Willen kühnlich
Unverantwortliches unternommen.

In der letzten, Unheil drohenden Zeit, war er auch nach Regensburg
abgereist, und ich schlich, zu schöner heiterer Mittagsstunde, an
sein Schloss hin, das auf dem linken Rheinufer, etwas oberhalb der
Stadt, wunderschön, seitdem ich diese Gegen nicht betreten, aus der
Erde gewachsen war. Es stand einsam und als die allerneuste, wenn
auch nicht architektonische, doch politische Ruine da, und ich hatte
nicht den Mut, mir von dem umherwandelnden Schlossvogt den Eingang zu
gewinnen. Wie schön war die nähere und weitere Umgebung, wie angebaut
und gartenreich der Raum zwischen Schloss und Stadt, die Aussicht den
Rhein stromauf ruhig und besänftigend, gegen Stadt und Festung aber
prächtig und aufregend.

In der Absicht, mich übersetzen zu lassen, ging ich zur fliegenden
Brücke, ward aber aufgehalten oder hielt mich vielmehr selbst auf, in
Beschauung eines österreichischen Wagentransportes, welcher nach und
nach übergesetzt wurde. Hier ereignete sich ein Streit zwischen einem
preußischen und österreichischen Unteroffizier, welcher den Charakter
beider Nationen klar ins Licht setzte.

Vom Österreicher, der hierher postiert war, um die möglich schnelle
Überfahrt der Wagenkolonne zu beaufsichtigen, aller Verwirrung
vorzubeugen und deshalb kein anderes Fuhrwerk dazwischen zu lassen,
verlangte der Preuße heftig eine Ausnahme für sein Wägelchen, auf
welchem Frau und Kind mit einigen Habseligkeiten gepackt waren. Mit
großer Gelassenheit versagte der Österreicher die Forderung, auf die
Order sich berufend, die ihm dergleichen ausdrücklich verbiete; der
Preuße ward heftiger, der Österreicher wo möglich gelassener; er litt
keine Lücke in der ihm empfohlenen Kolonne, und der andere fand sich
einzudrängen keinen Raum. Endlich schlug der Zudringliche an seinen
Säbel und forderte den Widerstehenden heraus: mit Drohen und
Schimpfen wollte er seinen Gegner ins nächste Gässchen bewegen, um
die Sache daselbst auszumachen; der höchst, ruhige, verständige Mann
aber, der die Rechte seines Postens gar wohl kannte, rührte sich
nicht und hielt Ordnung nach wie vor.

Ich wünschte diese Szene wohl von einem Charakterzeichner aufgefasst,
denn wie im Betragen so auch in Gestalt unterschieden sich beide: der
Gelassene war stämmig und stark, der Wütende -- denn zuletzt erwies
er sich so -- hager, lang, schmächtig und rührig.

Die auf diesen Spaziergang zu verwendende Zeit war zum Teil schon
verstrichen, und mir vertrieb die Frucht vor ähnlichen Retardationen
bei der Rückkehr jede Lust, das sonst so geliebte Tal zu besuchen,
das doch nur das Gefühl schmerzlichen Entbehrens erregt und mich
fruchtlos zu Betrachtung früherer Jahre aufgeregt hätte; doch stand
ich lange hinüberschauend, friedlicher Zeiten mitten im verwirrenden
Wechsel irdischer Ereignisse treulich eingedenk.

Und so traf es zufällig, dass ich von den Maßregeln zum ferneren
Feldzug auf dem rechten Ufer näher unterrichtet ward. Des Herzogs
Regiment rüstete sich, hinüberzuziehen; der Fürst selbst mit seiner
ganzen Umgebung sollte folgen. Mir bangte vor jeder Fortsetzung des
kriegerischen Zustandes, und das Fluchtgefühl ergriff mich abermals.
Ich möchte dies ein umgekehrtes Heimweh nennen, eine Sehnsucht ins
Weite statt ins Enge. Ich stand, der herrliche Fluss lag vor mir: er
geleitete so sanft und lieblich hinunter, in ausgedehnter breiter
Landschaft; er floss zu Freunden, mit denen ich, trotz manchem
Wechseln und Wenden, immer treu verbunden geblieben. Mich verlangte
aus der fremden, gewaltsamen Welt an Freundesbrust, und so mietete
ich, nach erhaltenem Urlaub, eilig einen Kahn bis Düsseldorf, meine
noch immer zurückbleibende Chaise Koblenzer Freunden empfehlend, mit
Bitte, sie mir hinabwärts zu spedieren.

Als ich nun mit meinen Habseligkeiten mich eingeschifft und sogleich
auf dem Strom dahin schwimmen sah, begleitet vom getreuen Paul und
einem blinden Passagier, welcher gelegentlich zu rudern sich verband,
heilt ich mich für glücklich und von allem Übel befreit.

Indessen standen noch einige Abenteuer bevor. Wir hatten nicht lange
flussabwärts gerudert, als zu bemerken war, dass der Kahn ein starkes
Leck haben müsse, indem der Fährmann von Zeit zu Zeit das Wasser
fleißig ausschöpfte. Und nun entdeckte ich erst, dass wir, bei
übereilt unternommener Fahrt, nicht bedacht hatten, wie auf die weite
Strecke hinab vom Koblenz bis Düsseldorf der Schiffer nur ein altes
Boot zu nehmen pflegt, um es unten als Brennholz zu verkaufen und,
sein Fährgeld in der Tasche, ganz leicht nach Hause zu wandern.

Indessen fuhren wir getrost dahin. Eine sternhelle, doch sehr kalte
Nacht begünstigte unsere Fahrt, als auf einmal der fremde Ruderer
verlangte, ans Land gesetzt zu werden, und sich mit dem Schiffer zu
streiten anfing, an welcher Stelle es denn eigentlich für den Wandrer
am vorteilhaftesten sei; worüber sie sich nicht vereinigen konnten.

Unter diesen Händeln, die mit Heftigkeit geführt wurden, stürzte
unser Fährmann ins Wasser und wurde nur mit Mühe herausgezogen. Nun
konnte er bei heller, klarer Nacht nicht mehr aushalten und bat
dringend um die Erlaubnis, bei Bonn anfahren zu dürfen, um sich zu
trocknen und zu erwärmen. Mein Diener ging mit ihm in eine
Schifferkneipe, ich aber beharrte, unter freiem Himmel zu bleiben,
und ließ mir ein Lager auf Mantelsack und Portefeuille bereiten. So
groß ist die Macht der Gewohnheit, dass mir, der ich die letzten
sechs Wochen fast immer unter freiem Himmel zugebracht hatte, vor
Dach und Zimmer graute. Diesmal aber entstand daraus für mich ein
neues Unheil, welches man freilich hätte vorhersehen sollen: den Kahn
hatte man zwar soweit als möglich auf den Strand gezogen, aber nicht
so weit, dass er nicht durch das Leck noch hätte Wasser einnehmen
können.

Nach einem tiefen Schlaf fand ich mich mehr als erfrischt, denn das
Wasser war bis zu meinem Lager gedrungen und hatte mich und meine
Habseligkeiten durchnässt. Ich war daher genötigt, aufzustehen, das
Wirtshaus aufzusuchen und mich in Tabak schmauchender, Glühwein
schlürfender Gesellschaft so gut als möglich zu trocknen, worüber
denn der Morgen ziemlich herankam und eine verspätete Reise durch
frisches Rudern eifrig beschleunigt wurde.




Zwischenrede


Wenn ich mich nun so, in der Erinnerung, den Rhein hinunter schwimmen
sehe, wüsst' ich nicht genau zu sagen, was in mir vorging. Der
Anblick eines friedlichen Wasserspiegels, das Gefühl der bequemen
Fahrt auf demselben ließ mich nach der kurz vergangenen Zeit
zurückschauen wie auf einen bösen Traum, von dem ich mich soeben
erwacht fände; ich überließ mich den heitersten Hoffnungen eines
nächsten gemütlichen Zusammenseins.

Nun aber, wenn ich mitzuteilen fortfahren soll, muss ich eine andere
Behandlung wählen, als dem bisherigen Vortrag wohl geziemte: denn wo
Tag für Tag das Bedeutendste vor unsern Augen vorgeht, wenn wir mit
so viel Tausenden leiden und fürchten und nur furchtsam hoffen, dann
hat die Gegenwart ihren entschiedenen Wert und, Schritt vor Schritt
vorgetragen, erneut sie das Vergangene, indem sie auf die Zukunft
hindeutet.

Was aber in geselligen Zirkeln sich ereignet, kann nur aus einer
sittlichen Folge der Äußerungen innerlicher Zustände begriffen
werden: die Reflexion ist hier an ihrer Stelle, der Augenblick
spricht nicht für sich selbst, Andenken an das Vergangene, spätere
Betrachtungen müssen ihn dolmetschen.

Wie ich überhaupt ziemlich unbewusst lebte und mich vom Tag zum Tage
führen ließ, wobei ich mich, besonders die letzten Jahre, nicht übel
befand, so hatte ich die Eigenheit, niemals weder eine nächst zu
erwartende Person noch eine irgend zu betretende Stelle voraus zu
denken, sondern diesen Zustand unvorbereitet auf mich einwirken zu
lassen. Der Vorteil, der daraus entsteht, ist groß: man braucht von
einer vorgefassten Idee nicht wieder zurückzukommen, nicht ein
selbstbeliebig gezeichnetes Bild wieder auszulöschen und mit
Unbehagen die Wirklichkeit an dessen Stelle aufzunehmen; der Nachteil
dagegen mag wohl hervortreten, dass wir mit Unbewusstsein in
wichtigen Augenblicken nur herumtasten und uns nicht gerade in jeden
ganz unvorhergesehenen Zustand aus dem Stegreif zu finden wissen.

In eben dem Sinn war ich auch niemals aufmerksam, was meine
persönliche Gegenwart und Geistesstimmung auf die Menschen wirke, da
ich denn oft ganz unerwartet fand, dass ich Neigung oder Abneigung
und sogar oft beides zugleich erregte.

Wollte man nun auch dieses Betragen als eine individuelle Eigenheit
weder loben noch tadeln, so muss doch bemerkt werden, dass sie im
gegenwärtigen Fall gar wunderliche Phänomene, und nicht immer die
erfreulichsten, hervorbrachte.

Ich war mit jenen Freunden seit vielen Jahren nicht zusammengekommen;
sie hatten sich getreu an ihrem Lebensgang gehalten, dagegen mir das
wunderbare Los beschieden war, durch manche Stufen der Prüfung, des
Tuns und Duldens durchzugehen, so dass ich, in eben der Person
beharrend, ein ganz anderer Mensch geworden, meinen alten Freunden
fast unkenntlich auftrat.

Es würde schwer halten, auch in späteren Jahren, wo eine freiere
Übersicht des Lebens gewonnen ist, sich genaue Rechenschaft von jenen
Übergängen abzulegen, die bald als Vorschritt, bald als Rückschritt
erscheinen und doch alle dem Gott geführten Menschen zu Nutz und
Frommen gereichen müssen. Ungeachtet solcher Schwierigkeiten aber
will ich, meinen Freunden zuliebe, einige Andeutung versuchen.

Der sittliche Mensch erregt Neigung und Liebe nur insofern, als man
Sehnsucht an ihm gewahr wird: sie drückt Besitz und Wunsch zugleich
aus, den Besitz eines zärtlichen Herzens und den Wunsch, ein gleiches
in andern zu finden; durch jenes zeihen wir an, durch dieses geben
wir uns hin.

Das Sehnsüchtige, das in mir lag, das ich in früheren Jahren
vielleicht zu sehr gehegt und bei fortschreitendem Leben kräftig zu
bekämpfen trachtete, wollte dem Mann nicht mehr ziemen, nicht mehr
genügen, und er suchte deshalb die volle, endliche Befriedigung.

Das Ziel meiner innigsten Sehnsucht, deren Qual mein ganzes Inneres
erfüllte, war Italien, dessen Bild und Gleichnis mir viele Jahre
vergebens vorschwebte, bis ich endlich durch kühnen Entschluss die
wirkliche Gegenwart zu fassen mich erdreistete. In jenes herrliche
Land sind mir meine Freunde gern auch in Gedanken gefolgt, sie haben
mich auf Hin- und Herwegen begleitet; möchten sie nun auch nächstens
den längeren Aufenthalt daselbst mit Neigung teilen und von dort mich
wieder zurück begleiten, da sich alsdann manches Problem fasslicher
auflösen wird.

In Italien fühlt' ich mich nach und nach kleinlichen Vorstellungen
entrissen, falschen Wünschen enthoben, und an die Stelle der
Sehnsucht nach dem Land der Künste setzte sich die Sehnsucht nach der
Kunst selbst: ich war sie gewahr geworden, nun wünscht' ich sie zu
durchdringen.

Das Studium der Kunst, wie das der alten Schriftsteller, gibt uns
einen gewissen Halt, eine Befriedigung in uns selbst: indem sie unser
Inneres mit großen Gegenständen und Gesinnungen füllt, bemächtigt sie
sich aller Wünsche, die nach außen strebten, hegt aber jedes würdige
Verlangen im stillen Busen; das Bedürfnis der Mitteilung wird immer
geringer, und wie Malern, Bildhauern, Baumeistern, so geht es auch
dem Liebhaber: er arbeitet einsam, für Genüsse, die er mit andern zu
teilen kaum in den Fall kommt.

Aber zu gleicher Zeit sollte mich noch eine Ableitung der Welt
entfremden, und zwar die entschiedenste Wendung gegen die Natur, zu
der ich aus eigenstem Trieb auf die individuellste Weise hingelenkt
worden. Hier fand ich weder Meister noch Gesellen und musste selbst
für alles stehen. In der Einsamkeit der Wälder und Gärten, in den
Finsternissen der dunklen Kammer wär' ich ganz einzeln geblieben,
hätte mich nicht en glückliches, häusliches Verhältnis in dieser
wunderlichen Epoche lieblich zu erquicken gewusst. Die "Römischen
Elegien," die "Venezianischen Epigramme" fallen in diese Zeit.

Nun aber sollte mir auch ein Vorgeschmack kriegerischer
Unternehmungen werden: denn, der schlesischen, durch den
Reichenbacher Kongress geschlichteten Kampagne beizuwohnen beordert,
hatte ich mich in einem bedeutenden Land durch manche Erfahrung
aufgeklärt und erhoben gesehen und zugleich durch anmutige
Zerstreuung hin- und hergaukeln lassen, indessen das Unheil der
französischen Staats-Umwälzung, sich immer weiter verbreitend,
jeden Geist, er mochte hin denken und sinnen, wohin er wollte, auf
die Oberfläche der europäischen Welt zurückforderte und ihm die
grausamsten Wirklichkeiten aufdrang. Rief mich nun gar die Pflicht,
meinen Fürsten und Herrn erst in die bedenklichen, bald aber
traurigen Ereignisse des Tags abermals hinein zu begleiten und das
Unerfreuliche, das ich nur gemäßigt meinen Lesern mitzuteilen gewagt,
männlich zu erdulden, so hätte alles, was noch Zartes und Herzliches
sich ins Innerste zurückgezogen hatte, auslöschen und verschwinden
mögen.

Fasse man dies alles zusammen, so wird der Zustand, wie er
nachstehend skizzenhaft verzeichnet ist, nicht ganz rätselhaft
erscheinen; welches ich umso mehr wünschen muss, da ich ungern dem
Trieb widerstehe, diese vor vielen Jahren flüchtig verfassten Blätter
nach gegenwärtiger Einsicht und Überzeugung umzuschreiben.




Pempelfort, November 1792.

Es war schon finster, als ich in Düsseldorf landete und mich
daher mit Laternen nach Pempelfort bringen ließ, wo ich nach
augenblicklicher Überraschung die freundlichste Aufnahme fand;
vielfaches Hin- und Hersprechen, wie ein solches wieder Sehen
aufregt, nahm einen Teil der Nacht hinweg.

Den nächsten Tag war ich durch Fragen, Antworten und Erzählen
bald eingewohnt: der unglückliche Feldzug gab leider genugsame
Unterhaltung, niemand hatte sich den Ausgang so traurig gedacht.
Aber auch aussprechen konnte niemand die tiefe Wirkung eines beinahe
vierwöchentlichen furchtbaren Schweigens, die sich immer steigernde
Ungewissheit bei dem Mangel aller Nachrichten. Eben als wäre das
alliierte Heer von der Erde verschlungen worden, so wenig verlautete
von demselben; jedermann, in eine grässliche Leere hineinblickend,
war von Furcht und Ängsten gepeinigt, und nun erwartete man mit
Entsetzen die Kriegsläufe schon wieder in den Niederlanden, man sah
das linke Rheinufer und zugleich das rechte bedroht.

Von solchen Betrachtungen zerstreuten uns moralische und literarische
Verhandlungen, wobei mein Realismus, zum Vorschein kommend, die
Freunde nicht sonderlich erbaute.

Ich hatte seit der Revolution, mich von dem wilden Wesen einigermaßen
zu zerstreuen, ein wunderbares Werk begonnen, eine Reise von sieben
Brüdern verschiedener Art, jeder nach seiner Weise dem Bund dienend,
durchaus abenteuerlich und märchenhaft, verworren, Aussicht und
Absicht verbergend, ein Gleichnis unseres eigenen Zustandes. Man
verlangte eine Vorlesung, ich ließ mich nicht viel bitten und rückte
mit meinen Heften hervor; aber ich bedurfte auch nur wenig Zeit, um
zu bemerken, dass niemand davon erbaut sei. Ich ließ daher meine
wandernde Familie in irgendeinem Hafen und mein weiteres Manuskript
auf sich selbst beruhen.

Meine Freunde jedoch, die sich in so veränderte Gesinnung nicht
gleich ergeben wollten, versuchten mancherlei, um frühere Gefühle
durch ältere Arbeiten wieder hervorzurufen, und gaben mir "Iphigenie"
zur abendlichen Vorlesung in die Hand; das wollte mir aber gar nicht
munden, dem zarten Sinn fühlt' ich mich entfremdet; auch von andern
vorgetragen, war mir ein solcher Anklang lästig. Indem aber das Stück
gar blad zurückgelegt ward, schien es, als wenn man mich durch einen
höheren Grad von Folter zu prüfen gedenke. Man brachte "Ödipus auf
Kolonos," dessen erhabene Heiligkeit meinem gegen Kunst, Natur und
Welt gewendeten, durch eine schreckliche Kampagne verhärteten Sinn
ganz unerträglich schien; nicht hundert Zeilen hielt ich aus. Da
ergab man sich denn wohl in die Gesinnung des veränderten Freundes:
fehlte es doch nicht an so mancherlei Anhaltepunkten des Gesprächs.

Aus den früheren Zeiten deutscher Literatur ward manches einzelne
erfreulich hervorgerufen, niemals aber drang die Unterhaltung in
einen tieferen Zusammenhang, weil man Merkmale ungleicher Gesinnung
vermeiden wollte.

Soll ich irgendetwas Allgemeines hier einschalten, so war es schon
seit zwanzig Jahren wirklich eine merkwürdige Zeit, wo bedeutende
Existenzen zusammentrafen und Menschen von einer Seite sich
aneinander schlossen, obgleich von der andern höchst verschieden:
jeder brachte einen hohen Begriff von sich selbst zur Gesellschaft,
und man ließ sich eine wechselseitige Verehrung und Schonung gern
gefallen.

Das Talent befestigte seinen erworbenen Besitz einer allgemeinen
Achtung, durch gesellige Verbindungen wusste man sich zu hegen und zu
fördern, die errungenen Vorteile wurden nicht mehr durch einzelne,
sondern durch die übereinstimmende Mehrheit erhalten. Dass hierbei
eine Art Absichtlichkeit durchwalten musste, lag in der Sache; so
gut wie andere Weltkinder verstanden sie, eine gewisse Kunst in
ihre Verhältnisse zu legen: man verzieh sich die Eigenheiten, eine
Empfindlichkeit heilt der andern die Wage, und die wechselseitigen
Missverständnisse blieben lange verborgen.

Zwischen diesem allen hatte ich einen wunderlichen Stand: mein
Talent gab mir einen ehrenvollen Platz in der Gesellschaft, aber
meine heftige Leidenschaft für das, was ich als wahr und naturgemäß
erkannte, erlaubte sich manche gehässige Ungezogenheit gegen
irgendein scheinbar falsches Streben; weswegen ich mich auch mit den
Gliedern jenes Kreises zu Zeiten überwarf, ganz oder halb versöhnte,
immer aber im Dünkel des Rechthabens auf meinem Weg fortging. Dabei
behielt ich etwas von der Ingenuität des Voltaireschen Huronen noch
im späteren Alter, so dass ich zugleich unerträglich und
liebenswürdig sein konnte.

Ein Feld jedoch, in welchem man sich mit mehr Freiheit und
Übereinstimmung erging, war die westliche, um nicht zu sagen
französische Literatur. Jacobi, indem er seinen eigenen Weg wandelte,
nahm doch Kenntnis von allem Bedeutenden, und die Nachbarschaft der
Niederlande trug viel dazu bei, ihn nicht allein literarisch,
sondern auch persönlich in jenen Kreis zu ziehen. Er war ein sehr
wohlgestalteter Mann, von den vorteilhaftesten Gesichtszügen, von
einem zwar gemessenen, aber doch höchst gefälligen Betragen,
bestimmt, in jedem gebildeten Kreis zu glänzen.

Wundersam war jene Zeit, die man sich kaum wieder vergegenwärtigen
könnte. Voltaire hatte wirklich die alten Bande der Menschheit
aufgelöst; daher entstand in guten Köpfen eine Zweifelsucht an dem,
was man sonst für würdig gehalten hatte. Wenn der Philosoph von
Ferney seine ganze Bemühung dahin richtete, den Einfluss der
Geistlichkeit zu midnern und zu schwächen, und hauptsächlich Europa
im Auge behielt, so erstreckte de Pauw seinen Eroberungsgeist über
fernere Weltteile; er wollte weder Chinesen noch Ägyptern die Ehre
gönnen, die ein vieljähriges Vorurteil auf sie gehäuft hatte. Als
Kanonikus von Xanten Nachbar von Düsseldorf, unterhielt er ein
freundschaftliches Verhältnis mit Jacobi. Und wie mancher andere
wäre nicht hier zu nennen!

Und so wollen wir doch noch Hemsterhuis einführen, welcher, der
Fürstin Gallitzin ergeben, in dem benachbarten Münster viel
verweilte. Dieser ging nun von seiner Seite mit Geistesverwandten auf
zartere Beruhigung, auf ideelle Befriedigung aus und neigte sich, mit
platonischen Gesinnungen, der Religion zu.

Bei diesen fragmentarischen Erinnerungen muss ich auch noch Diderots
gedenken, des heftigen Dialektikers, der sich auch eine Zeitlang in
Pempelfort als Gast sehr wohl gefiel und mit großer Freimütigkeit
seine Paradoxen behauptete.

Auch waren Rousseaus und Naturzustände gerichtete Aussichten diesem
Kreis nicht fremd, welcher nichts ausschloss, also auch mich nicht,
ob er mich gleich eigentlich nur duldete.

Denn wie die äußere Literatur auf mich in jüngeren Jahren gewirkt,
ist an mehreren Orten schon angedeutet. Fremdes konnt' ich wohl in
meinem Nutzen verwenden, aber nicht aufnehmen; deshalb ich mich denn
über das Fremde mit andern ebenso wenig zu verständigen vermochte.
Ebenso wunderlich sah es mit der Produktion aus: diese heilt immer
gleichen Schritt mit meinem Lebensgang, und da dieser selbst für
meine nächsten Freunde meist ein Geheimnis blieb, so wusste man
selten mit einem meiner neuen Produkte sich zu befreunden, weil man
denn doch etwas Ähnliches zu dem schon Bekannten erwartete.

War ich nun schon mit meinen sieben Brüdern übel angekommen, weil sie
Schwester Iphigenie nicht im mindesten glichen, so merkt' ich wohl,
dass ich die Freunde durch meinen Groß-Cophta, der längst gedruckt
war, sogar verletzt hatte; es war die Rede nicht davon, und ich
hütete mich, sie darauf zu bringen. Indessen wird man mir gestehen,
dass ein Autor, der in der Lage ist, seine neuesten Werke nicht
vortragen oder darüber reden zu dürfen, sich so peinlich fühlen muss
wie ein Komponist, der seine neusten Melodien zu wiederholen sich
gehindert fühlte.

Mit meinen Naturbetrachtungen wollte es mir kaum besser glücken: die
ernstliche Leidenschaft, womit ich diesem Geschäft nachhing, konnte
niemand begreifen, niemand sah, wie sie aus meinem Innersten
entsprang; sie hielten dieses löbliche Bestreben für einen
grillenhaften Irrtum, ihrer Meinung nach konnt' ich was Besseres tun
und meinem Talent die alte Richtung lassen und geben. Sie glaubten
sich hierzu um desto mehr berechtigt, als meine Denkweise sich an die
ihrige nicht anschloss, vielmehr in den meisten Punkten gerade das
Gegenteil aussprach. Man kann sich keinen isolierteren Menschen
denken, als ich damals war und lange Zeit blieb. Der Hylozoismus,
oder wie man es nennen will, dem ich anhing und dessen tiefen Grund
ich in seiner Würde und Heiligkeit unberührt ließ, machte mich
unempfänglich, ja unleidsam gegen jene Denkweise, die eine
tote, auf welche Art es auch sei, auf- und angeregte Materie
als Glaubensbekenntnis aufstellte. Ich hatte mir aus Kants
Naturwissenschaft nicht entgehen lassen, dass Anziehungs- und
Zurückstoßungskraft zum Wesen der Materie getrennt werden könne;
daraus ging mir die Urpolarität aller Wesen getrennt werden könne;
daraus ging mir die Urpolarität der Erscheinungen durchdringt und
belebt.

Schon bei dem früheren Besuch der Fürstin Gallitzin mit Fürstenberg
und Hemsterhuis in Weimar hatte ich dergleichen vorgebracht, ward
aber, als wie mit gotteslästerlichen Reden, beiseite und zur Ruhe
gewiesen.

Man kann es keinem Kreis verdenken, wenn er sich ins ich selbst
abschließt, und das taten meine Freunde zu Pempelfort redlich. Von
der schon ein Jahr gedruckten "Metamorphose der Pflanzen" hatten sie
wenig Kenntnis genommen, und wenn ich meine morphologischen Gedanken,
so geläufig sie mir auch waren, in bester Ordnung und, wie es mir
schien, bis zur kräftigsten Überzeugung vortrug, so musste ich doch
leider bemerken, dass die starre Vorstellungsart, nichts könne
werden, als was schon sei, sich aller Geister bemächtigt habe. In
Gefolg dessen musst' ich denn auch wieder hören, dass alles Lebendige
aus dem Ei komme, worauf ich denn mit bitterem Scherz die alte Frage
hervorhob: ob denn die Henne oder das Ei zuerst gewesen? Die
Einschachtelungslehre schien so plausibel und, die Natur mit Bonnet
zu kontemplieren, höchst erbaulich.

Von meinen "Beiträgen zur Optik" hatte auch etwas verlautet, und ich
ließ mich nicht lange bitten, die Gesellschaft mit einigen Phänomenen
und Versuchen zu unterhalten, wo mir denn ganz Neues vorzubringen
nicht schwer fiel: denn alle Personen, so gebildet sie auch waren,
hatten das gespaltene Licht eingelernt und wollten leider das
lebendige, woran sie sich erfreuten, auf jene tote Hypothese
zurückgeführt wissen.

Doch ließ ich mir dergleichen eine Zeitlang gern gefallen, denn ich
heilt niemals einen Vortrag, ohne dass ich dabei gewonnen hätte;
gewöhnlich gingen mir unterm Sprechen neue Lichter auf, und ich
erfand im Fluss der Rede am gewissesten.

Freilich konnte ich auf diese Weise nur didaktisch und dogmatisch
verfahren, eine eigentlich dialektische und konversierende Gabe war
mir nicht verliehen. Oft aber trat auch eine böse Gewohnheit hervor,
deren ich mich anklagen muss: da mir das Gespräch, wie es gewöhnlich
geführt wird, höchst langweilig war, indem nichts als beschränkte,
individuelle Vorstellungsarten zur Sprache kamen, so pflegte ich den
unter Menschen gewöhnlich entspringenden bornierten Streit durch
gewaltsame Paradoxe aufzuregen und ans Äußerste zu führen. Dadurch
war die Gesellschaft meist verletzt und in mehr als einem Sinn
verdrießlich. Denn oft, um meinen Zweck zu erreichen, musst' ich das
böse Prinzip spielen, und da die Menschen gut sein und auch nicht
gut haben wollten, so ließen sie es nicht durchgehen: als Ernst
konnte man es nicht gelten lassen, weil es nicht gründlich, als
Scherz nicht, weil es zu herb war; zuletzt nannten sie mich einen
umgekehrten Heuchler und versöhnten sich bald wieder mit mir. Doch
kann ich nicht leugnen, dass ich durch diese böse Manier mir manche
Person entfremdet, andere zu Feinden gemacht habe.

Wie mit dem Zauberstäbchen jedoch konnte ich sogleich alle bösen
Geister vertreiben, wenn ich von Italien zu erzählen anfing. Auch
dahin war ich unvorbereitet, unvorsichtig gegangen; Abenteuer fehlten
keineswegs, das Land selbst, seine Anmut und Herrlichkeit hatte
ich mir völlig eingeprägt, mir war Gestalt, Farbe, Haltung jener
vom günstigsten Himmel umschienen Landschaft noch unmittelbar
gegenwärtig. Die schwachen Versuche eigenen Nachbildens hatten das
Gedächtnis geschärft, ich konnte beschreiben, als wenn ich's vor mir
sähe: von belebender Staffage wimmelte es durch und durch, und so war
jedermann von den lebhaft vorbei geführten Bilderzügen zufrieden,
manchmal entzückt.

Wünschenswert wäre nunmehr, dass man, um die Anmut des Pempelforter
Aufenthalts vollkommen darzustellen, auch die Örtlichkeit, worin dies
alles vorging, klar vergegenwärtigen könnte. Ein freistehendes
geräumiges Haus, in der Nachbarschaft von weitläufigen wohl
gehaltenen Gärten, im Sommer ein Paradies, auch im Winter höchst
erfreulich. Jeder Sonnenblick war in reinlicher, freier Umgebung
genossen; abends oder bei ungünstigem Wetter zog man sich gern in die
schönen großen Zimmer zurück, die, behaglich, ohne Prunk
ausgestattet, eine würdige Szene jeder geistreichen Unterhaltung
darboten. Ein großes Speisezimmer, zahlreicher Familie und nie
fehlenden Gästen geräumig heiter und bequem, lud an eine lange Tafel,
wo es nicht an wünschenswerten Speisen fehlte. Hier fand man sich
zusammen, der Hauswirt immer munter und aufregend, die Schwestern
wohlwollend und einsichtig, der Sohn ernst und hoffnungsvoll, die
Tochter wohl gebildet, tüchtig, treuherzig und liebenswürdig, an die
leider schon vorübergegangene Mutter und an die früheren Tage
erinnernd, die man vor zwanzig Jahren in Frankfurt mit ihr zugebracht
hatte. Heinse, mit zur Familie gehörig, verstand, Scherze jeder Art
zu erwidern, es gab Abende, wo man nicht aus dem Lachen kam.

Die wenigen einsamen Stunden, die mir in diesem gastfreisten aller
Häuser übrig blieben, wendete ich im Stillen an eine wunderliche
Arbeit. Ich hatte während der Kampagne neben dem Tagebuch poetische
Tagesbefehle, satirische Ordres du jour aufgezeichnet; nun wollte ich
sie durchsehen und redigieren, allein ich bemerkte bald, dass ich,
mit kurzsichtigem Dünkel, manches falsch gesehen und unrichtig
beurteilt habe, und da man gegen nichts strenger ist als gegen erst
abgelegte Irrtümer, es auch bedenklich schien, dergleichen Papiere
irgendeinem Zufall auszusetzen, so vernichtete ich das ganze Heft in
einem lebhaften Steinkohlenfeuer; worüber ich mich nun insofern
betrübe, als es mir jetzt viel wert zur Einsicht in den Gang der
Vorfälle und die Folge meiner Gedanken darüber sein würde.

In dem nicht weit entfernten Düsseldorf wurden fleißige Besuche
gemacht bei Freunden, die zu dem Pempelforter Zirkel gehörten; auf
der Galerie war die gewöhnliche Zusammenkunft. Dort ließ sich eine
entschiedene Neigung für die italienische Schule spüren, man zeigte
sich höchst ungerecht gegen die niederländische; freilich war der
hohe Sinn der ersten anziehend, edle Gemüter hinreißend. Einst hatten
wir uns lange in dem Saal des Rubens und der vorzüglichsten
Niederländer aufgehalten; als wir heraustraten, hing die Himmelfahrt
von Guido gerade gegenüber. Da rief einer begeistert aus: "Ist
es einem nicht zumute, als wenn man aus einer Schenke in gute
Gesellschaft käme!" An meinem Teil konnt' ich mir gefallen lassen,
dass die Meister, die mich noch vor kurzem über den Alpen entzückt,
sich so herrlich zeigten und leidenschaftliche Bewunderung erweckten;
doch sucht' ich mich auch mit den Niederländern bekannt zu machen,
deren Tugenden und Vorzüge im höchsten Grade sich hier den Augen
darstellten: ich fand mir Gewinn für ganze Leben.

Was mir aber noch mehr auffiel, war, dass ein gewisser Freiheitssinn,
ein Streben nach Demokratie sich in die hohen Stände verbreitet
hatte; man schien nicht zu fühlen, was alles erst zu verlieren sei,
um zu irgendeiner Art zweideutigen Gewinnes zu gelangen. Lafayettes
und Mirabeaus Büste, von Houdon sehr natürlich und ähnlich gebildet,
sah ich hier göttlich verehrt, jenen wegen seiner ritterlichen und
bürgerlichen Tugenden, diesen wegen Geisteskraft und Rednergewalt. So
seltsam schwankte schon die Gesinnung der Deutschen; einige waren
selbst in Paris gewesen, hatten die bedeutenden Männer reden hören,
handeln sehen und waren, leider nach deutscher Art und Weise, zur
Nachahmung aufgeregt worden, und das gerade zu einer Zeit, wo die
Sorge für das linke Rheinufer sich in Furcht verwandelte.

Die Not schien dringend: Emigrierte füllten Düsseldorf, selbst die
Brüder des Königs kamen an. Man eilte, sie zu sehen; ich traf sie
auf der Galerie und erinnerte mich dabei, wie sie durchnässt bei
dem Auszug aus Glorieux gesehen worden. Herr von Grimm und Frau
von Bueil erschienen gleichfalls. Bei Überfüllung der Stadt hatte
sie ein Apotheker aufgenommen: das Naturalienkabinett diente zum
Schlafzimmer, Affen, Papageien und andres Getier belauschten den
Morgenschlaf der liebenswürdigsten Dame, Muscheln und Korallen
hinderten die Toilette, sich gehörig auszubreiten. Und so war das
Einquartierungsübel, das wir kaum erst nach Frankreich gebracht
hatten, wieder zu uns herübergeführt.

Frau von Coudenhoven, eine schöne, geistreiche Dame, sonst die Zierde
des Mainzer Hofes, hatte sich auch hierher geflüchtet. Herr und Frau
von Dohm kamen von deutscher Seite heran, um von den Zuständen nähere
Kenntnis zu nehmen.

Frankfurt war noch von den Franzosen besetzt, die Kriegsbewegungen
hatten sich zwischen die Lahn und das Taunusgebirge gezogen; bei
täglich abwechselnden, bald sichern bald unsichern Nachrichten war
das Gespräch lebhaft und geistreich; aber wegen streitenden
Interesses und Meinungen gewährte es nicht immer eine erfreuliche
Unterhaltung. Ich konnte einer so problematischen, durchaus
ungewissen, dem Zufall unterworfenen Sache keinen Ernst abgewinnen
und war mit meinen paradoxen Späßen mitunter aufheiternd, mitunter
lästig.

So erinnerte ich mich, dass an dem Abendtisch der Frankfurter Bürger
mit Ehren gedacht ward: sie sollten sich gegen Custine männlich und
gut betragen haben; ihre Aufführung und Gesinnung, hieß es, steche
gar sehr ab gegen die unerlaubte Weise, wie sich die Mainzer betragen
und noch betrügen. Frau von Coudenhoven, in dem Enthusiasmus, der sie
sehr gut kleidete, rief aus: sie gäbe viel darum, eine Frankfurter
Bürgerin zu sein. Ich erwiderte: das sei etwas Leichtes; ich wisse
ein Mittel, werde es aber als Geheimnis für mich behalten. Da man
nun heftig und ehftiger in mich drang, erklärt' ich zuletzt, die
treffliche Dame dürfe mich nur heiraten, wodurch sie augenblicklich
zur Frankfurter Bürgerin umgeschaffen werde. Allgemeines Gelächter!

Und was kam nicht alles zur Sprache! Als einst von der unglücklichen
Kampagne, besonders von der Kanonade bei Valmy die Rede war,
versicherte Herr von Grimm, es sei von meinem wunderlichen Ritt ins
Kanonenfeuer an des Königs Tafel die Rede gewesen. Wahrscheinlich
hatten die Offiziere, denen ich damals begegnete, davon gesprochen;
das Resultat ging darauf hinaus, dass man sich darüber nicht wundern
müsse, weil gar nicht zu berechnen sei, was man von einem seltsamen
Menschen zu erwarten habe.

Auch ein sehr geschickter, geistreicher Arzt nahm teil an unsern
Halbsaturnalien, und ich dachte nicht in meinem Übermut, dass ich
seiner so bald bedürfen würde. Er lachte daher zu meinem Ärger laut
auf, als er mich im Bett fand, wo ein gewaltiges rheumatisches Übel,
das ich mir durch Verkältung zugezogen, mich beinahe unbeweglich
festhielt. Er, ein Schüler des Geheimrat Hofmann, dessen tüchtige
Wunderlichkeiten von Mainz und dem kurfürstlichen Hof aus bis weit
hinunter den Rhein gewirkt, verfuhr sogleich mit Kampfer, welcher
fast als Universalmedizin galt. Löschpapier, Kreide darauf gerieben,
sodann mit Kampfer bestreut, ward äußerlich, Kampfer gleichfalls, in
kleinen Dosen, innerlich angewandt. Dem sei nun, wie ihm wolle, ich
war in einigen Tagen hergestellt.

Die Langeweile jedoch des Leidens ließ mich manche Betrachtung
anstellen, die Schwäche, die aus einem bettlägrigen Zustand gar
leicht erfolgt, ließ mich meine Lage bedenklich finden: das
Fortschreiten der Franzosen in den Niederlanden war bedeutend und
durch den Ruf vergrößert, man sprach täglich und stündlich von neu
angekommenen Ausgewanderten.

Mein Aufenthalt im Pempelfort war schon lang genug, und ohne die
herzlichste Gastfreiheit der Familie hätte jeder glauben müssen, dort
lästig zu sein. Auch hatte sich mein Bleiben nur zufällig verlängert:
ich erwartete täglich und stündlich meine böhmische Chaise, die ich
nicht gern zurücklassen wollte; sie war von Trier schon in Koblenz
angekommen und sollte von dort bald weiter herab spediert werden; da
sie jedoch ausblieb, vermehrte sich die Ungeduld, die mich in den
letzten Tagen ergriffen hatte. Jacobi überließ mir einen bequemen,
obgleich an Eisen ziemlich schweren Reisewagen. Alles zog, wie man
hörte, nach Westfalen hinein, und die Brüder des Königs wollten dort
ihren Sitz aufschlagen.

Und so schied ich denn mit dem wunderlichsten Zwiespalt: die Neigung
hielt mich in dem freundlichsten Kreis, der sich soeben auch höchst
beunruhigt fühlte, und ich sollte die edelsten Menschen in Sorgen und
Verwirrung hinter mir lassen, bei schrecklichem Weg und Wetter mich
nun wieder in die wilde, wüste Welt hinauswagen, von dem Strom mit
fortgezogen der unaufhaltsam eilenden Flüchtlinge, selbst mit
Flüchtlingsgefühl.

Und doch hatte ich Aussicht unterwegs auf die angenehmste Einkehr,
indem ich so nahe bei Münster die Fürstin Gallitzin nicht umgehen
durfte.




Duisburg, November.

Und so fand ich mich denn abermals, nach Verlauf von vier Wochen,
zwar viele Meilen weit entfernt von dem Schauplatz unseres ersten
Unheils, doch wieder in derselben Gesellschaft, in demselben Gedränge
der Emigrierten, die nun, jenseits entschieden vertrieben, diesseits
nach Deutschland strömten, ohne Hilfe und ohne Rat.

Zu Mittag in dem Gasthof etwas spät angekommen, saß ich am Ende der
langen Tafel; Wirt und Wirtin, die mir als einem Deutschen den
Widerwillen gegen die Franzosen schon ausgesprochen hatten,
entschuldigten, dass alle guten Plätze von diesen unwillkommenen
Gästen besetzt seien. Hierbei wurde bemerkt, dass unter ihnen, trotz
aller Erniedrigung, Elend und zu befürchtender Armut, noch immer
dieselbe Rangsucht und Unbescheidenheit gefunden werde.

Indem ich nun die Tafel hinaufsah, erblickt' ich ganz oben, quer vor,
an der ersten Stelle einen alten, kleinen, wohlgestalteten Mann von
ruhigem, beinahe nichtigem Betragen. Er musste vornehm sein, denn
zwei Nebensitzende erwiesen ihm die größte Aufmerksamkeit, wählten
die ersten und besten Bissen, ihm vorzulegen, und man hätte beinahe
sagen können, dass sie ihm solche zum Mund führten. Mir bleib nicht
lange verborgen, dass er, vor Alter seiner Sinne kaum mächtig,
als ein bedauernswürdiges Automat den schatten eines früheren
wohlhabenden und ehrenvollen Lebens kümmerlich durch die Welt
schleppe, indessen zwei Ergebene ihm den Traum des vorigen Zustandes
wieder herbeizuspiegeln trachteten.

Ich beschaute mir die übrigen: das bedenklichste Schicksal war auf
allen Stirnen zu lesen, Soldaten, Kommissäre, Abenteurer vielleicht
zu unterscheiden; alle waren still, denn jeder hatte sein eigene Not
zu übertragen, sie sahen ein grenzenloses Elend vor sich.

Etwa in der Hälfte des Mittagmahles kam noch ein hübscher junger Mann
herein, ohne ausgezeichnete Gestalt oder irgendein Abzeichen; man
konnte an ihm den Fußwanderer nicht verkennen. Er setzte sich still
gegen mir über, nachdem er den Wirt um ein Kuvert begrüßt hatte, und
speiste, was man ihm nachholte und vorsetzte, mit ruhigem Betragen.
Nach aufgehobener Tafel trat ich zum Wirt, der mir ins Ohr sagte:
"Ihr Nachbar soll seine Zeche nicht teuer bezahlen!" Ich begriff
nichts von diesen Worten, aber als der junge Mann sich näherte und
fragte: was er schuldig sei? erwiderte der Wirt, nachdem er sich
flüchtig über die Tafel umgeschaut, die Zeche sei ein Kopfstück. Der
Fremde schien beteten und sagte, das sei wohl ein Irrtum, denn er
habe nicht allein ein gutes Mittagsessen gehabt, sondern auch einen
Schoppen Wein; das müsse mehr betragen. Der Wirt antwortete darauf
ganz ernsthaft, er pflege seine Rechnung selbst zu machen, und die
Gäste erlegten gerne, was er forderte. Nun zahlte der junge Mann,
entfernte sich bescheiden und verwundert; sogleich aber löste mir der
Wirt das Rätsel. "Dies ist der erste von diesem vermaledeiten Volk,"
rief er aus, "der Schwarzbrot gegessen hat: das musste ihm zugute
kommen."

In Duisburg wusst' ich einen einzigen alten Bekannten, den ich
aufzusuchen nicht versäumte: Professor Plessing war es, mit dem sich
vor vielen Jahren ein sentimental-romanhaftes Verhältnis anknüpfte,
wovon ich hier das Nähere mitteilen will, da unsere Abendunterhaltung
dadurch aus den unruhigsten Zeiten in die friedlichsten Tage versetzt
wurde.

"Werther," bei seinem Erscheinen in Deutschland, hatte keineswegs,
wie man ihm vorwarf, eine Krankheit, ein Fieber erregt, sondern
nur das Übel aufgedeckt, das in jungen Gemütern verborgen lag.
Während eines langen und glücklichen Friedens hatte sich eine
literarisch-ästhetische Ausbildung auf deutschem Grund und Boden,
innerhalb der Nationalsprache, auf das schönste entwickelt; doch
gesellte sich bald, weil der Bezug nur aufs Innere ging, eine gewisse
Sentimentalität hinzu, bei deren Ursprung und Fortgang man den
Einfluss von Yorik-Sterne nicht verkennen darf: wenn auch sein Geist
nicht über den Deutschen schwebte, so teilte sich sein Gefühl um
desto lebhafter mit. Es entstand eine Art zärtlich-leidenschaftlicher
Asketik, welche, da uns die humoristische Ironie des Briten nicht
gegeben war, in eine leidige Selbstquälerei gewöhnlich ausarten
musste. Ich hatte mich persönlich von diesem Übel zu befreien gesucht
und trachtete nach meiner Überzeugung andern hilfreich zu sein; das
aber war schwerer, als man denken konnte: denn eigentlich kam es
drauf an, einem jeden gegen sich selbst beizustehen, wo denn von
aller Hilfe, wie sie uns die äußere Welt anbietet, es sei Erkenntnis,
Belehrung, Beschäftigung, Begünstigung, die Rede gar nicht sein
konnte.

Hier müssen wir nun gar manche, damals mit einwirkende Tätigkeiten
stillschweigend übergehen, aber zu unseren Zwecken macht sich nötig,
eines andern großen, für sich waltenden Bestrebens umständlicher zu
gedenken.

Lavaters Physiognomik hatte dem sittlich-geselligen Interesse eine
ganz andere Wendung verliehen. Er fühlte sich im Besitz der
geistigsten Kraft, jene sämtlichen Eindrücke zu deuten, welche des
Menschen Gesicht und Gestalt auf einen jeden ausübt, ohne dass er
sich davon Rechenschaft zu geben wüsste; da er aber nicht geschaffen
war, irgendeine Abstraktion methodisch zu suchen, so heilt er sich am
einzelnen Fall und also am Individuum.

Heinrich Lips, ein talentvoller junger Künstler, besonders geeignet
zum Porträt, schloss sich fest an ihn, und sowohl zu Haus als auf der
unternommenen Rheinreise kam er seinem Gönner nicht von der Seite.
Nun ließ Lavater, teils aus Heißhunger nach grenzenloser Erfahrung,
teils umso viel bedeutende Menschen als möglich an sein künftiges
Werk zu gewöhnen und zu knüpfen, alle Personen abbilden, die nur
einigermaßen durch Stand und Talent, durch Charakter und Tat
ausgezeichnet ihm begegneten.

Dadurch kam denn freilich gar manches Individuum zur Evidenz, es
ward etwas mehr wert, aufgenommen in einen so edlen Kreis; seine
Eigenschaften wurden durch den deutsamen Meister hervorgehoben, man
glaubte, sich einander näher zu kennen: und so ergab sich's aufs
sonderbarste, dass mancher einzelne in seinem persönlichen Wert
entschieden hervortrat, der sich bisher im bürgerlichen Lebens- und
Staatsgang ohne Bedeutung eingeordnet und eingeflochten gesehen.

Diese Wirkung war stärker und größer, als man sie denken mag:
ein jeder fühlte sich berechtigt, von sich selbst, als von einem
abgeschlossenen, abgerundeten Wesen, das Beste zu denken, und in
seiner Einzelheit vollständig gekräftigt, hielt es ich auch wohl für
befugt, Eigenheiten, Torheiten und Fehler in den Komplex seines
werten Daseins mit aufzunehmen. Dergleichen erfolg konnte sich umso
leichter entwickeln, als bei dem ganzen Verfahren die besondere
individuelle Natur allein, ohne Rücksicht auf die allgemeine
Vernunft, die doch alle Natur beherrschen soll, zur Sprache kam;
dagegen war das religiöse Element, worin Lavater schwebte, nicht
hinreichend, eine sich immer mehr entscheidende Selbstgefälligkeit
zu mildern, ja es entstand bei Frommgesinnten daraus eher ein
geistlicher Stolz, der es dem natürlichen an Erhebung auch wohl
zuvortrat.

Was aber zugleich nach jener Epoche folgerecht auffallend hervorging,
war die Achtung der Individuen untereinander. Namhafte ältere Männer
wurden, wo nicht persönlich, doch im Bild verehrt; und es durfte auch
wohl ein junger Mann sich nur einigermaßen bedeutend hervortun, so
war alsbald der Wunsch nach persönlicher Bekanntschaft rege, in deren
Ermangelung man sich mit seinem Porträt begnügte; wobei denn die mit
Sorgfalt und gutem Geschick aufs genauste gezogenen Schattenriss
willkommene Dienste leisteten. Jedermann war darin geübt, und kein
Fremder zog vorüber, den man nicht abends an die Wand geschrieben
hätte; die Storchschnäbel durften nicht rasten.

"Menschenkenntnis und Menschenliebe" waren uns bei diesem Verfahren
versprochen; wechselseitige Teilnahme hatte sich entwickelt,
wechselseitiges Kennen und Erkennen aber wollte sich so schnell nicht
entfalten: zu beiden Zwecken jedoch war die Tätigkeit sehr groß, und
was in diesem Sinn von einem herrlich begabten jungen Fürsten, von
seiner wohlgesinnten, geistreich-lebhaften Umgebung für Aufmunterung
und Fördernis nah und fern gewirkt ward, wäre schon zu erzählen, wenn
es nicht löblich schiene, die Anfänge bedeutender Zustände einem
ehrwürdigen Dunkel anheim zu geben. Vielleicht sahen die Kotyledonen
jener Saat etwas wunderlich aus; der Ernte jedoch, woran das
Vaterland und die Außenwelt ihren Anteil freudig dahin nahm, wird
in den spätesten Zeiten noch immer ein dankbares Andenken nicht
ermangeln.

Wer Vorgesagtes in Gedanken festhält und sich davon durchdringt,
wird nachstehendes Abenteuer, welches beide Teilnehmende unter
dem Abendessen vergnüglich in der Erinnerung belebten, weder
unwahrscheinlich noch ungereimt finden.

Zu manchem andern, brieflichen und persönlichen Zudrang erheilt ich
in der Hälfte des Jahrs 1776, von Wernigerode datiert, Plessing
unterzeichnet, ein Schreiben, vielmehr ein Heft, fast das
Wunderbarste, was mir in jener selbstquälerischen Art vor Augen
gekommen: man erkannte daran einen jungen, durch Schulen und
Universität gebildeten Mann, dem nun aber sein sämtlich Gelerntes zu
eigener innerer, sittlicher Beruhigung nicht gedeihen wollte. Eine
geübte Handschrift war gut zu lesen, der Stil gewandt und fließend,
und ob man gleich eine Bestimmung zum Kanzelredner darin entdeckte,
so war doch alles frisch und brav aus dem Herzen geschrieben, dass
man ihm einen gegenseitigen Anteil nicht versagen konnte. Wollte
nun aber dieser Anteil lebhaft werden, suchte man sich die Zustände
des Leidenden näher zu entwickeln, so glaubte man statt des Duldens
Eigensinn, statt des Ertragens Hartnäckigkeit und statt eines
sehnsüchtigen Verlangens abstoßendes Wegweisen zu bemerken. Da ward
mir denn, nach jenem Zeitsinn, der Wunsch lebhaft rege, diesen jungen
Mann von Angesicht zu sehen; ihn aber zu mir zu bescheiden, hielt ich
nicht für rätlich. Ich hatte mir, unter bekannten Umständen, schon
eine Zahl von jungen Männern aufgebürdet, die, anstatt mit mir auf
meinem Wege einer reineren, höheren Bildung entgegenzugehen, auf dem
ihrigen verharrend, sich nicht besser befanden und mich in meinen
Fortschritten hinderten. Ich ließ die Sache indessen hängen, von der
Zeit irgendeine Vermittelung erwartend.

Da erhielt ich einen zweiten, kürzern, aber auch lebhafteren,
heftigeren Brief, worin der Schreiber auf Antwort und Erklärung drang
und, sie ihm nicht zu versagen, mich feierlichst beschwor.

Aber auch dieser wiederholte Sturm brachte mich nicht aus der
Fassung; die zweiten Blätter gingen mir so wenig als die ersten zu
Herzen, aber die herrische Gewohnheit, jungen Männern meines Alters
in Herzens- und Geistesnöten beizustehen, ließ mich sein doch nicht
ganz vergessen.

Die um einen trefflichen jungen Fürsten versammelte weimarsche
Gesellschaft trennte sich nicht leicht, ihre Beschäftigungen und
Unternehmungen, Scherze, Freuden und Leiden waren gemeinsam. Da ward
nun zu Ende Novembers eine Jagdpartie auf wilde Schweine,
notgedrungen auf das häufige Klagen des Landvolks, im Eisenachschen
unternommen, der ich, als damaliger Gast, auch beizuwohnen hatte;
ich erbat mir jedoch die Erlaubnis, nach einem kleinen Umweg mich
anschließen zu dürfen.

Nun hatte ich einen wundersamen geheimen Reiseplan. Ich musste
nämlich, nicht nur etwa von Geschäftsleuten, sondern auch von vielen
am Ganzen teilnehmenden Weimarern öfter den lebhaften Wunsch hören,
es möge doch das Ilmenauer Bergwerk wieder aufgenommen werden. Nun
ward von mir, der ich nur die allgemeinsten Begriffe vom Bergbau
allenfalls besaß, zwar weder Gutachten noch Meinung, doch Anteil
verlangt, aber diesen konnt' ich an irgendeinem Gegenstand nur durch
unmittelbares Anschauen gewinnen. Ich dachte mir unerlässlich, vor
allen Dingen das Bergewesen in seinem ganzen Komplex, und wär'
es auch nur flüchtig, mit Augen zu sehen und mit dem Geiste zu
fassen; denn alsdann nur konnt' ich hoffen, in das Positive weiter
einzudringen und mich mit dem Historischen zu befreunden. Deshalb
hatt' ich mir längst eine Reise auf den Harz gedacht. Und gerade
jetzt, da ohnehin diese Jahrszeit in Jagdlust unter freiem Himmel
zugebracht werden sollte, fühlte ich mich dahin getrieben. Alles
Winterwesen hatte überdies in jener Zeit für mich große Reize, und
was die Bergwerke betraf, so war ja in ihren Tiefen weder Winter noch
Sommer merkbar; wobei ich zugleich gern bekenne, dass die Absicht,
meinen wunderlichen Korrespondenten persönlich zu sehen und zu
prüfen, wohl die Hälfte des Gewichtes meinem Entschluss hinzufügte.

Indem sich nun die Jagdlustigen nach einer andern Seite hin begaben,
ritt ich ganz allein dem Ettersberge zu und begann jene Ode, die
unter dem Titel "Harzreise im Winter" solange als Rätsel unter meinen
kleineren Gedichten Platz gefunden. Im düstern und von Norden her
sich heranwälzenden Schneegewölk schwebte hoch ein Geier über mir.
Die Nacht verblieb ich in Sondershausen und gelangte des andern Tags
so bald nach Nordhausen, dass ich gleich nach Tisch weiter zu
gehen beschloss, aber mit Boten und Laterne nach mancherlei
Gefährlichkeiten erst sehr spät in Ilfeld ankam.

Ein ansehnlicher Gasthof war glänzend erleuchtet, es schien ein
besonderes Fest darin gefeiert zu werden. Erst wollte der Wirt mich
gar nicht aufnehmen: die Kommissarien der höchsten Höfe, hieß es,
seien schon lange hier beschäftigt, wichtige Einrichtungen zu treffen
und verschiedene Interessen zu vereinbaren, und da dies nun glücklich
vollendet sei, gäben sie heute Abend einen allgemeinen Schmaus. Auf
dringende Vorstellung jedoch und einige Winke des Boten, dass man mit
mir nicht übel fahre, erbot sich der Mann, mir den Bretterverschlag
in der Wirtsstube, seinen eigentlichen Wohnsitz, und zugleich sein
weiß zu überziehendes Ehebett einzuräumen. Er führte mich durch das
weite, hell erleuchtete Wirtszimmer, da ich mir denn im Vorbeigehen
die sämtlichen munteren Gäste flüchtig beschaute.

Doch sie sämtlich zu meiner Unterhaltung näher zu betrachten, gab mir
in den Brettern des Verschlags eine Astlücke die beste Gelegenheit,
die, seine Gäste zu belauschen, dem Wirte selbst oft dienen mochte.
Ich sah die lange und wohl erleuchtete Tafel von unten hinauf, ich
überschaute sie, wie man oft die Hochzeit von Kana gemalt sieht;
nun musterte ich bequem von oben bis herab also: Vorsitzende, Räte,
andere Teilnehmende und dann immer so weiter, Sekretarien, Schreiber
und Gehilfen. Ein glücklich geendigtes beschwerliches Geschäft schien
eine Gleichheit aller tätig Teilnehmenden zu bewirken, man schwatzte
mit Freiheit, trank Gesundheiten, wechselte Scherz und Scherz, wobei
einige Gäste bezeichnet schienen, Witz und Spaß an ihnen zu üben;
genug, es war ein fröhliches, bedeutendes Mahl, das ich bei dem
hellsten Kerzenscheine in seinen Eigentümlichkeiten ruhig beobachten
konnte, eben als wenn der hinkende Teufel mir zur Seite stehe und
einen ganz fremden Zustand unmittelbar zu beschauen und zu erkennen
mich begünstigte. Und wie dies mir nach der düstersten Nachtreise
in den Harz hinein ergötzlich gewesen, werden die Freunde solcher
Abenteuer beurteilen. Manchmal schien es mir ganz gespensterhaft,
als säh' ich in einer Berghöhle wohlgemute Geister sich erlustigen.

Nach einer wohl durchschlafenen Nacht eilte ich frühe, von einem
Boten abermals geleitet, der Baumannshöhle zu; ich durchkroch sie und
betrachtete mir das fortwirkende Naturereignis ganz genau. Schwarze
Marmormassen, aufgelöst, zu weißen kristallinischen Säulen und
Flächen wieder hergestellt, deuteten mir auf das fortwebende Leben
der Natur. Freilich verschwanden vor dem ruhigen Blick alle die
Wunderbilder, die sich eine düster wirkende Einbildungskraft so gern
aus formlosen Gestalten erschaffen mag; dafür blieb aber auch das
eigne wahre desto reiner zurück, und ich fühlte mich dadurch gar
schön bereichert.

Wieder ans Tageslicht gelangt, schrieb ich die notwendigsten
Bemerkungen, zugleich aber auch mit ganz frischem Sinn die ersten
Strophen des Gedichtes, das unter dem Titel "Harzreise im Winter" die
Aufmerksamkeit mancher Freunde bis auf die letzten Zeiten erregt hat;
davon mögen denn die Strophen, welche sich auf den nun blad zu
erblickenden wunderlichen Mann beziehen, hier Platz finden, weil sie
mehr als viele Worte den damaligen liebevollen Zustand meines Innern
auszusprechen geeignet sind.

    Aber abseits, wer ist's?
    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
    Hinter ihm schlagen
    Die Sträuche zusammen,
    Das Gras steht wieder auf,
    Die Öde verschlingt ihn.

    Ach, wer heilt die Schmerzen
    Des, dem Balsam zu Gift ward?
    Der sich Menschenhass
    Aus der Fülle der Liebe trank?
    Erst verachtet, nun ein Verächter,
    Zehrt er heimlich auf
    Seinen eignen Wert
    In ungenügender Selbstsucht.

    Ist auf deinem Psalter,
    Vater der Liebe, ein Ton
    Seinem Ohre vernehmlich,
    So erquicke sein Herz!
    Öffne den umwölkten Blick
    Über die tausend Quellen
    Neben dem Dürstenden
    In der Wüste!

Im Gasthof zu Wernigerode angekommen, ließ ich mich mit dem Kellner
in ein Gespräch ein; ich fand ihn als einen sinnigen Menschen, der
seine städtischen Mitgenossen ziemlich zu kennen schien. Ich sagt'
ihm darauf, es sei meine Art, wenn ich an einem fremden Ort
ohne besondere Empfehlung anlangte, mich nach jüngern Personen
zu erkundigen, die sich durch Wissenschaft und Gelehrsamkeit
auszeichneten; er möge mir daher jemanden der Art nennen, damit ich
einen angenehmen Abend zubrächte. Darauf erwiderte ohne weiteres
Bedenken der Kellner: es werde mir gewiss mit der Gesellschaft des
Herrn Plessing gedient sein, dem Sohn des Superintendenten; als Knabe
sei er schon in Schulen ausgezeichnet worden und habe noch immer den
Ruf eines fleißigen guten Kopfs, nur wolle man seine finstere Lauen
tadeln und nicht gut finden, dass er mit unfreundlichem Betragen sich
aus der Gesellschaft ausschließe. Gegen Fremde sei er zuvorkommend,
wie Beispiele bekannt wären; wollte ich angemeldet sein, so könne es
sogleich geschehen.

Der Kellner brachte mir bald eine bejahende Antwort und führte mich
hin. Es war schon Abend geworden, als ich in ein großes Zimmer des
Erdgeschosses, wie man es in geistlichen Häusern antrifft, hineintrat
und den jungen Mann in der Dämmerung noch ziemlich deutlich
erblickte. Allein an einigen Symptomen konnt' ich bemerken, dass die
Eltern eilig das Zimmer verlassen hatten, um dem unvermuteten Gast
Platz zu machen.

Das hereingebrachte Licht ließ mich den jungen Mann nunmehr ganz
deutlich erkennen: er glich seinem Brief völlig, und so wie jenes
Schreiben erregte er Interesse, ohne Anziehungskraft auszuüben.

Um ein näheres Gespräch einzuleiten, erklärt' ich mich für einen
Zeichenkünstler von Gotha, der wegen Familienangelegenheiten in
dieser unfreundlichen Jahrszeit Schwester und Schwager in
Braunschweig zu besuchen habe.

Mit Lebhaftigkeit fiel er mir beinahe ins Wort und rief aus: "Da Sie
so nahe an Weimar wohnen, so werden Sie doch auch diesen Ort, der
sich so berühmt macht, öfters besucht haben!" Dieses bejaht' ich ganz
einfach und fing an, von Rat Kraus, von der Zeichenschule, von
Legationsrat Bertuch und dessen unermüdeter Tätigkeit zu sprechen;
ich vergaß weder Musäus noch Jagemann, Kapellmeister Wolf und einige
Frauen und bezeichnete den Kreis, den diese wackern Personen
abschlossen und jeden Fremden willig und freundlich unter sich
aufnahmen.

Endlich fuhr er etwas ungeduldig heraus: "Warum nennen Sie denn
Goethe nicht?" Ich erwiderte, dass ich diesen auch wohl in gedachtem
Kreis als willkommenen Gast gesehen und von ihm selbst persönlich als
fremder Künstler wohl aufgenommen und gefördert worden, ohne dass
ich weiter viel von ihm zu sagen wisse, da er teils allein, teils in
andern Verhältnissen lebe.

Der junge Mann, der mit unruhiger Aufmerksamkeit zugehört hatte,
verlangte nunmehr, mit einigem Ungestüm, ich solle ihm das seltsame
Individuum schildern, das so viel von sich reden mache. Ich trug
ihm darauf mit großer Ingenuität eine Schilderung vor, die für mich
nicht schwer wurde, da die seltsame Person in der seltsamsten Lage
mir gegenwärtig stand, und wäre ihm von der Natur nur etwas mehr
Herzenssagazität gegönnt gewesen, so konnte ihm nicht verborgen
bleiben, dass der vor ihm stehende Gast sich selbst schildere.

Er war einige Mal im Zimmer auf und ab gegangen, indes die Magd
herein trat, eine Flasche Wein und sehr reinlich bereitetes kaltes
Abendbrot auf den Tisch setzte; er schenkte beiden ein, stieß an und
schluckte das Glas sehr lebhaft hinunter. Und kaum hatte ich mit
etwas gemäßigteren Zügen das meinige geleert, ergriff er heftig
meinen Arm und rief: "O verzeihen Sie meinem wunderlichen Betragen!
Sie haben mir aber so viel Vertrauen eingeflößt, dass ich Ihnen alles
entdecken muss. Dieser Mann, wie Sie mir ihn beschreiben, hätte mir
doch antworten sollen! Ich habe ihm einen ausführlichen, herzlichen
Brief geschickt, ihm meine Zustände, meine Leiden geschildert, ihn
gebeten, sich meiner anzunehmen, mir zu raten, mir zu helfen, und
nun sind schon Monate verstrichen, ich vernehme nichts von ihm;
wenigstens hätte ich ein ablehnendes Wort auf ein so unbegrenztes
Vertrauen wohl verdient."

Ich erwiderte darauf, dass ich ein solches Benehmen weder erklären
noch entschuldigen könne; so viel wisse ich aber aus eigener
Erfahrung, dass ein gewaltiger, sowohl ideeller als reeller Zudrang
diesen sonst wohlgesinnten, wohlwollenden und hilfsbereiten jungen
Mann oft außerstand setze, sich zu bewegen, geschweige zu wirken.

"Sind wir zufällig so weit gekommen," sprach er darauf mit einiger
Fassung, "den Brief muss ich Ihnen vorlesen, und Sie sollen urteilen,
ob er nicht irgendeine Antwort, irgendeine Erwiderung verdiente."

Ich ging im Zimmer auf und ab, die Vorlesung zu erwarten, ihrer
Wirkung schon beinahe ganz gewiss, deshalb nicht weiter nachdenkend,
um mir selbst in einem so zarten Fall nicht vorzugreifen. Nun saß er
gegen mir über und fing an, die Blätter zu lesen, die ich in- und
auswendig kannte, und vielleicht war ich niemals mehr von der
Behauptung der Physiognomisten überzeugt, ein lebendiges Wesen sei in
allem seinem Handeln und Betragen vollkommen übereinstimmend mit sich
selbst, und jede in die Wirklichkeit hervorgetretene Monas erzeige
sich in vollkommener Einheit ihrer Eigentümlichkeiten. Der Lesende
passte völlig zu dem Gelesenen, und wie dieses früher in der
Abwesenheit mich nicht ansprach, so war es nun auch mit der
Gegenwart. Man konnte zwar dem jungen Mann eine Achtung nicht
versagen, eine Teilnahme, die mich denn auch auf einen so
wunderlichen Weg geführt hatte: denn ein ernstliches Wollen sprach
sich aus, ein edler Sinn und Zweck; aber obschon von den zärtlichsten
Gefühlen die Rede war, blieb der Vortrag ohne Anmut, und eine ganz
eigens beschränkte Selbstigkeit tat sich kräftig hervor. Als er nun
geendet hatte, fragte er mit Hast, was ich dazu sage? Und ob ein
solches Schreiben nicht eine Antwort verdient, ja gefordert hätte?

Indessen war mir der bedauernswürdige Zustand dieses jungen Mannes
immer deutlicher geworden: er hatte nämlich von der Außenwelt
niemals Kenntnis genommen, dagegen sich durch Lektüre mannigfaltig
ausgebildet, alle seine Kraft und Neigung aber nach innen gewendet
und sich auf diese Weise, da er in der Tiefe seines Lebens kein
produktives Talent fand, so gut als zugrunde gerichtet; wie ihm denn
sogar Unterhaltung und Trost, dergleichen uns aus der Beschäftigung
mit alten Sprachen so herrlich zu gewinnen offen steht, völlig
abzugehen schien.

Da ich an mir und andern schon glücklich erprobt hatte, dass in
solchem Falle ein rasche gläubige Wendung gegen die Natur und ihre
grenzenlose Mannigfaltigkeit das beste Heilmittel sei, so wagt' ich
alsobald den Versuch, es auch in diesem Fall anzuwenden und ihm daher
nach einigem Bedenken folgendermaßen zu antworten:

"Ich glaube zu begreifen, warum der junge Mann, auf den Sie so viel
Vertrauen gesetzt, gegen Sie stumm geblieben: denn seine jetzige
Denkweise weicht zu sehr von der Ihrigen ab, als dass er hoffen
dürfte, sich mit Ihnen zu verständigen zu können. Ich habe selbst
einigen Unterhaltungen in jenem Kreis beigewohnt und behaupten hören:
man werde sich aus einem schmerzlichen, selbstquälerischen, düsteren
Seelenzustand nur durch Naturbeschauung und herzliche Teilnahme
an der äußeren Welt retten und befreien. Schon die allgemeinste
Bekanntschaft mit der Natur, gleichviel von welcher Seite, ein
tätiges Eingreifen, sei es als Gärtner oder Landbewohner, als Jäger
oder Bergmann, ziehe uns von uns selbst ab; die Richtung geistiger
Kräfte auf wirkliche, wahrhafte Erscheinungen gebe nach und nach das
größte Behagen, Klarheit und Belehrung; wie denn der Künstler, der
sich treu an der Natur halte und zugleich sein Inneres auszubilden
suche, gewiss am besten fahren werde."

Der junge Freund schien darüber sehr unruhig und ungeduldig, wie
man über eine fremde oder verworrene Sprache, deren Sinn wir nicht
vernehmen, ärgerlich zu werden anfängt. Ich darauf, ohne sonderliche
Hoffnung eines glücklichen Erfolges, eigentlich aber um nicht zu
verstummen, fuhr zu reden fort. "Mir, als Landschaftsmaler," sagte
ich, "musste dies zu allererst einleuchten, da ja meine Kunst
unmittelbar auf die Natur gewiesen ist; doch habe ich seit jener Zeit
emsiger und eifriger als bisher nicht etwa nur ausgezeichnete und
auffallende Naturbilder und Erscheinungen betrachtet, sondern mich zu
allem und jedem liebevoll hingewendet." Damit ich mich nun aber
nicht ins Allgemeine verlöre, erzählte ich, wie mir sogar diese
notgedrungene Winterreise, anstatt beschwerlich zu sein, dauernden
Genuss gewährt; ich schilderte ihm, mit malerischer Poesie und doch
so unmittelbar und natürlich, als ich nur konnte, den Vorschritt
meiner Reise, jenen morgendlichen Schneehimmel über den Bergen,
die mannigfaltigsten Tageserscheinungen, dann bot ich seiner
Einbildungskraft die wunderlichen Turm- und Mauerbefestigungen von
Nordhausen, gesehen bei hereinbrechender Abenddämmerung, ferner die
nächtlich rauschenden, von des Boten Laterne zwischen Bergschluchten
flüchtig erleuchtet blinkenden Gewässer und gelangte sodann zur
Baumannshöhle. Hier aber unterbrach er mich lebhaft und versicherte,
der kurze Weg, den er daran gewendet, gereue ihn ganz eigentlich;
sie habe keineswegs dem Bild sich gleichgestellt, das er in seiner
Phantasie entworfen. Nach dem Vorhergegangenen konnten mich solche
krankhafte Symptome nicht verdrießen: denn wie oft hatte ich erfahren
müssen, dass der Mensch den Wert einer klaren Wirklichkeit gegen ein
trübes Phantom seiner düstern Einbildungskraft von sich ablehnt.
Ebenso wenig war ich verwundert, als er auf meine Frage: wie er sich
denn die Höhle vorgestellt habe? Eine Beschreibung machte, wie kaum
der kühnste Theatermaler den Vorhof des Plutonischen Reiches
darzustellen gewagt hätte.

Ich versuchte hierauf noch einige propädeutische Wendungen, als
Versuchsmittel einer zu unternehmenden Kur; ich ward aber mit der
Versicherung, es könne und solle ihm nichts in dieser Welt genügen,
so entschieden abgewiesen, dass mein Innerstes sich zuschloss und ich
mein Gewissen durch den beschwerlichen Weg, im Bewusstsein des besten
Willens, völlig befreit und mich gegen ihn von jeder weiteren Pflicht
entbunden glaubte.

Es war schon spät geworden, als er mir den zweiten, noch heftigern,
mir gleichfalls nicht unbekannten brieflichen Erlass vorlesen wolle,
doch aber meine Entschuldigung wegen allzu großer Müdigkeit gelten
ließ, indem er zugleich eine Einladung auf morgen zu Tisch im Namen
der Seinigen dringend hinzufügte; wogegen ich mir die Erklärung auf
morgen ganz in der Frühe vorbehielt. Und so schieden wir friedlich
und schicklich. Seine Persönlichkeit ließ einen ganz individuellen
Eindruck zurück. Er war von mittlerer Größe, seine Gesichtszüge
hatten nichts Anlockendes, aber auch nichts eigentlich Abstoßendes,
sein düsteres Wesen erschien nicht unhöflich, er konnte vielmehr für
einen wohlerzogenen jungen Mann gelten, der sich in der Stille auf
Schulen und Akademien zu Kanzel und Lehrstuhl vorbereitet hatte.

Heraustretend fand ich den völlig aufgehellten Himmel von Sternen
blinken, Straßen und Plätze mit Schnee überdeckt, blieb auf einem
schmalen Steg ruhig stehen und beschaute mir die winternächtliche
Welt. Zugleich überdacht' ich das Abenteuer und fühlte mich fest
entschlossen, den jungen Mann nicht wieder zu sehen: infolge dessen
bestellt' ich mein Pferd auf Tagesanbruch, übergab ein anonymes,
entschuldigendes Bleistiftblättchen dem Kellner, dem ich zugleich
so viel Gutes und Wahres von dem jungen Mann, den er mir bekannt
gemacht, zu sagen wusste; welches denn der gewandte Bursche mit
eigner Zufriedenheit gewiss wohl benutzt haben mag.

Nun ritt ich an dem Nordosthang des Harzes, im grimmigen, mich zur
Seite bestürmenden Stöberwetter, nachdem ich vorher den Rammelsberg,
Messinghütten und die sonstigen Anstalten der Art beschaut und ihre
Weise mir eingeprägt hatte, nach Goslar, wovon ich diesmal nicht
weiter erzähle, da ich mich künftig mit meinen Lesern darüber
umständlich zu unterhalten hoffe.

Ich wüsste nicht, wie viel Zeit vorübergegangen, ohne dass ich etwas
weiter von dem jungen Mann gehört hätte, als unerwartet an einem
Morgen mir ein Billett ins Gartenhaus bei Weimar zukam, wodurch
er sich anmeldete; ich schrieb ihm einige Worte dagegen, er
werde mir willkommen sein. Ich erwartete nun einen seltsamen
Erkennungsauftritt, allein er blieb, herein tretend, ganz ruhig
und sprach: "Ich bin nicht überrascht, Sie hier zu finden; die
Handschrift Ihres Billetts rief mir so deutlich jene Züge wieder ins
Gedächtnis, die Sie, aus Wernigerode scheidend, mir hinterließen,
dass ich keinen Augenblick zweifelte, jenen geheimnisvollen Reisenden
abermals hier zu finden."

Schon dieser Eingang war erfreulich, und es eröffnete sich ein
trauliches Gespräch, worin er mir seine Lage zu entwickeln trachtete
und ich ihm dagegen meine Meinung nicht vorenthielt. Inwiefern sich
seine inneren Zustände wirklich gebessert hatten, wüsst' ich nicht
mehr anzugeben, es musste aber damit nicht so gar schlimm aussehen,
denn wir schieden nach mehreren Gesprächen friedlich und freundlich;
nur dass ich sein heftiges Begehren nach leidenschaftlicher
Freundschaft und innigster Verbindung nicht erwidern konnte.

Noch eine Zeitlang unterhielten wir ein briefliches Verhältnis; ich
kam in den Fall, ihm einige reelle Dienste zu leisten, deren er sich
denn auch bei gegenwärtiger Zusammenkunft dankbar erinnerte, sowie
denn überhaupt das Zurückschauen in jene früheren Tage beiden Teilen
einige angenehme Stunden gewährte. Er, nach wie vor immer nur mit
sich selbst beschäftigt, hatte viel zu erzählen und mitzuteilen.
Ihm war geglückt, im Lauf der Jahre sich den Rang eines geachteten
Schriftstellers zu erwerben, indem er die Geschichte älterer
Philosophie ernstlich behandelte, besonders derjenigen, die sich
zum Geheimnis neigt, woraus er denn die Anfänge und Urzustände der
Menschen abzuleiten trachtete. Seine Bücher, die er mir, wie sie
herauskamen, zusendete, hatte ich freilich nicht gelesen; jene
Bemühungen lagen zu weit von demjenigen ab, was mich interessierte.

Seine gegenwärtigen Zustände fand ich auch keineswegs behaglich: er
hatte Sprach- und Geschichtskenntnisse, die er so lange versäumt und
abgelehnt, endlich mit wütender Anstrengung erstürmt und durch dieses
geistige Unmaß sein Physisches zerrüttet. Zudem schienen seine
ökonomischen Umstände nicht die besten, wenigstens erlaubte sein
mäßiges Einkommen ihm nicht, sich sonderlich zu pflegen und zu
schonen; auch hatte sich das düstere jugendliche Treiben nicht
ganz ausgleichen können: noch immer schien er einem Unerreichbaren
nachzustreben, und als die Erinnerung früherer Verhältnisse
endlich erschöpft war, so wollte keine eigentlich frohe Mitteilung
stattfinden. Meine gegenwärtige Art, zu sein, konnte fast noch
entfernter von der seinigen als jemals angesehen werden. Wir schieden
jedoch in dem besten Vernehmen, aber auch ihn verließ ich in Furcht
und Sorge wegen der drangvollen Zeit.

Den verdienten Merrem besuchte ich gleichfalls, dessen schöne
naturhistorische Kenntnisse alsbald eine frohere Unterhaltung
gewährten. Er zeigte mir manches Bedeutende vor, schenkte mir sein
Werk über die Schlangen, und so ward ich aufmerksam auf seinen
weitern Lebensgang, woraus mir mancher Nutzen erwuchs; denn das ist
der höchst erfreuliche Vorteil von Reisen, dass einmal erkannte
Persönlichkeiten und Lokalitäten unsern Anteil zeitlebens nicht
loslassen.




Münster, November 1792.

Der Fürstin angemeldet, hoffte ich gleich den behaglichsten Zustand,
allein ich sollte noch vorher eine zeitgemäße Prüfung erdulden:
denn, auf der Fahrt von mancherlei Hindernissen aufgehalten,
gelangte ich erst tief in der Nacht zur Stadt. Ich heilt nicht für
schicklich, durch einen solchen Überfall gleich beim Eintritt die
Gastfreundschaft in diesem Grad zu prüfen; ich fuhr daher an einen
Gasthof, wo mir aber Zimmer und Bett durchaus versagt wurde: die
Emigrierten hatten sich in Masse auch hierher geworfen und jeden
Winkel gefüllt. Unter diesen Umständen bedachte ich mich nicht lange
und brachte die Stunden auf einem Stuhl in der Wirtsstube hin, immer
noch bequemer als vor kurzem, da beim dichtesten Regenwetter von Dach
und Fach nichts zu finden war.

Auf diese geringe Entbehrung erfuhr ich den andern Morgen das
Allerbeste. Die Fürstin ging mir entgegen, ich fand in ihrem Haus zu
meiner Aufnahme alles vorbereitet. Das Verhältnis von meiner Seite
war rein, ich kannte die Glieder des Zirkels früher genugsam, ich
wusste, dass ich in einen frommen sittlichen Kreis herein trat, und
betrug mich darnach. Von jener Seite benahm man sich gesellig, klug
und nicht beschränkend.

Die Fürstin hatte uns vor Jahren in Weimar besucht, mit von
Fürstenberg und Hemsterhuis; auch ihre Kinder waren von der
Gesellschaft. Damals verglich man sich schon über gewisse Punkte und
schied, einiges zugeben, anderes duldend, im besten Vernehmen. Sie
war eines der Individuen, von denen man sich gar keinen Begriff
machen kann, wenn man sie nicht gesehen hat, die man nicht richtig
beurteilt, wenn man eben diese Individualität nicht in Verbindung
sowie im Konflikt mit ihrer Zeitumgebung betrachtet. Von Fürstenberg
und Hemsterhuis, zwei vorzügliche Männer, begleiteten sie treulich,
und in einer solchen Gesellschaft war das Gute sowie das Schöne
immerfort wirksam und unterhaltend. Letzterer war indessen gestorben,
jener, nunmehr umso viel Jahre älter, immer derselbe verständige,
edle, ruhige Mann; und welche sonderbare Stellung in der Mitwelt!
Geistlicher, Staatsmann, so nahe, den Fürstenthron zu besteigen.

Die ersten Unterhaltungen, nachdem das persönliche Andenken früherer
Zeit sich ausgesprochen hatte, wandten sich auf Hamann, dessen Grab,
in der Ecke des entlaubten Gartens, mir bald in die Augen schien.

Seine großen, unvergleichlichen Eigenschaften gaben zu herrlichen
Betrachtungen Anlass, seine letzten Tage jedoch bleiben ungesprochen:
der Mann, der diesem endlich erwählten Kreis so bedeutend und
erfreulich gewesen, ward im Tod den Freunden einigermaßen unbequem;
man machte sich über sein Begräbnis entscheiden, wie man wollte, so
war es außer der Regel.

Den Zustand der Fürstin, nahe gesehen, konnte man nicht anders als
liebevoll betrachten: sie kam früh zum Gefühl, dass die Welt uns
nichts gebe, dass man sich in sich selbst zurückziehen, dass man in
einem innern, beschränkten Kreis um Zeit und Ewigkeit besorgt sein
müsse. Beides hatte sie erfasst; das höchste Zeitliche fand sie im
Natürlichen, und hier erinnere man sich Rousseauscher Maximen über
bürgerliches Leben und Kinderzucht. Zum einfältigen Wahren wollte man
in allem zurückkehren, Schnürbrust und Absatz verschwanden, der Puder
zerstob, die Haare fielen in natürlichen Locken. Ihre Kinder lernten
schwimmen und rennen, vielleicht auch balgen und ringen. Diesmal
hätte ich die Tochter kaum wieder gekannt. Sie war gewachsen
und stämmiger geworden, ich fand sie verständig, liebenswert,
haushälterisch, dem halb klösterlichen Leben sich fügend und widmend.
So war es mit dem zeitlich Gegenwärtigen; das ewige Künftige hatten
sie in einer Religion gefunden, die das, was andere lehrend hoffen
lassen, heilig beteuernd zusagt und verspricht.

Aber als die schönste Vermittlung zwischen beiden Welten entsprosste
Wohltätigkeit, die mildeste Wirkung einer ernsten Aszetik: das Leben
füllte sich aus mit Religionsübung und wohl tun; Mäßigkeit und
Genügsamkeit sprach sich aus in der ganzen häuslichen Umgebung; jedes
tägliche Bedürfnis ward reichlich und einfach befriedigt, die Wohnung
selbst aber, Hausrat und alles, dessen man sonst benötigt ist,
erschien weder elegant noch kostbar; es sah eben aus, als wenn man
anständig zur Miete wohne. Eben dies galt von Fürstenbergs häuslicher
Umgebung: er bewohnte einen Palast, aber einen fremden, den er seinen
Kindern nicht hinterlassen sollte. Und so bewies er sich in allem
sehr einfach, mäßig, genügsam, auf innerer Würde beruhend, alles
Äußere verschmähend, so wie die Fürstin auch.

Innerhalb dieses Elementes bewegte sich die geistreichste,
herzlichste Unterhaltung, ernsthaft, durch Philosophie vermittelt,
heiter durch Kunst, und wenn man bei jener selten von gleichen
Prinzipien ausgeht, so freut man sich, bei dieser meist
Übereinstimmung zu finden.

Hemsterhuis, Niederländer, fein gesinnt, zu den Alten von Jugend auf
gebildet, hatte sein Leben der Fürstin gewidmet, sowie seine
Schriften, die durchaus von wechselseitigem Vertrauen und gleichem
Bildungsgang das unverwüstlichste Zeugnis ablegen.

Mit eigener scharfsinniger Zartheit wurde dieser schätzenswerte Mann
dem Geistig-Sittlichen sowie dem Sinnlich-Ästhetischen unermüdet
nachzustreben geleitet. Muss man von jenem sich durchdringen, so soll
man von diesem immer umgeben sein; daher ist für einen Privatmann,
der sich nicht in großen Räumen ergehen und selbst auf Reisen einen
gewohnten Kunstgenuss nicht entbehren kann, eine Sammlung
geschnittener Steine höchst wünschenswert: ihn begleitet überall das
Erfreulichste, ein belehrendes Kostbares ohne Belästigung, und er
genießt ununterbrochen des edelsten Besitzes.

Um aber dergleichen zu erlangen, ist nicht genug, dass man wolle; zum
Vollbringen gehört, außer dem Vermögen, vor allen Dingen Gelegenheit.
Unser Freund entbehrte dieser nicht: auf der Scheide von Holland und
England wohnend, die fortdauernde Handelsbewegung, die darin auch
hin und her wogenden Kunstschätze beobachtend, gelangte er nach und
nach durch Kauf- und Tauschversuche zu einer schönen Sammlung von
etwa siebzig Stücken, wobei ihm Rat und Belehrung des trefflichen
Steinschneiders Natter für die sicherste Beihilfe galt.

Diese Sammlung hatte die Fürstin zum größten Teil entstehen sehen,
Einsicht, Geschmack und Liebe daran gewonnen und besaß sie nun als
Nachlass eines abgeschiedenen Freundes, der in diesen Schätzen immer
als gegenwärtig erschien.

Hemsterhuis' Philosophie, die Fundamente derselben, seinen Ideengang
konnt' ich mir nicht anders zu eigen machen, als wenn ich sie in
meine Sprach übersetzte. Das Schöne und das an demselben Erfreuliche
sei, so sprach er sich aus, wenn wir die größte Menge von
Vorstellungen in einem Moment bequem erblicken und fassen; ich aber
musste sagen: das Schöne sei, wenn wir das gesetzmäßig Lebendige in
seiner größten Tätigkeit und Vollkommenheit schauen, wodurch wir,
zur Reproduktion gereizt, uns gleichfalls lebendig und in höchste
Tätigkeit versetzt fühlen. Genau betrachtet, ist eins und eben
dasselbe gesagt, nur von verschiedenen Menschen ausgesprochen, und
ich enthalte mich, mehr zu sagen; denn das Schöne ist nicht sowohl
leistend als versprechend, dagegen das Hässliche, aus einer Stockung
entstehend, selbst stocken macht und nichts hoffen, begehren und
erwarten lässt.

Ich glaubte mir auch den "Brief über die Skulptur" hiernach meinem
Sinn gemäß zu deuten; ferner schien mir das Büchlein "Über das
Begehren" auf diesem Weg klar: denn wenn das heftig verlangte Schöne
in unsern Besitz kommt, so hält es nicht immer im einzelnen, was es
im ganzen versprach, und so ist es offenbar, dass dasjenige, was uns
als Ganzes aufregte, im einzelnen nicht durchaus befriedigen wird.

Diese Betrachtungen waren umso bedeutender, als die Fürstin ihren
Freund heftig nach Kunstwerken verlangen, aber im Besitz erkalten
gesehen, was er so scharfsinnig und liebenswürdig in obgemeldetem
Büchlein ausgeführt hatte. Dabei hat man freilich den Unterschied zu
bedenken, ob der Gegenstand des für ihn empfundenen Enthusiasmus
würdig sei: ist er es, so muss Freude und Bewunderung immer daran
wachsen, sich stets erneuen; ist er es nicht ganz, so geht das
Thermometer um einige Grade zurück, und man gewinnt an Einsicht, was
man an Vorurteil verlor. Deshalb es wohl ganz richtig ist, dass man
Kunstwerke kaufen müsse, um sie kennen zu lernen, damit das Verlangen
aufgehoben und der wahre Wert festgestellt werde. Indessen muss
auch hier Sehnsucht und Befriedigung in einem pulsierenden Leben
miteinander abwechseln, sich gegenseitig ergreifen und loslassen,
damit der einmal Betrogene nicht aufhöre, zu begehren.

Wie empfänglich die Sozietät, in der ich mich befand, für solche
Gespräche sein mochte, wird derjenige am besten beurteilen, der von
Hemsterhuis' Werken Kenntnis genommen hat, welche, in diesem Kreis
entsprungen, ihm auch Leben und Nahrung verdankten.

Zu den geschnittenen Steinen aber wieder zurückzukehren, war
mehrmals höchst erfreulich, und man musste dies gewiss als einen der
sonderbarsten Fälle ansehen, dass gerade die Blüte des Heidentums
in einem christlichen haus verwahrt und hochgeschätzt werden sollte.
Ich versäumte nicht, die allerliebsten Motive hervorzuheben, die aus
diesen würdigen, kleinen Gebilden dem Auge entgegen sprangen. Auch
hier durfte man sich nicht verleugnen, dass Nachahmung großer,
würdiger, älterer Werke, die für uns ewig verloren wären, in diesen
engen Räumen juwelenhaft aufgehoben worden; und es fehlte fast an
keiner Art. Der tüchtigste Herkules, mit Efeu bekränzt, durfte seinen
kolossalen Ursprung nicht verleugnen; ein ernstes Medusenhaupt,
ein Bacchus, der ehemals im Medicischen Kabinett verwahrt worden,
allerliebste Opfer und Bacchanalien und zu allem diesen die
schätzbarsten Porträte von bekannten und unbekannten Personen mussten
bei wiederholter Betrachtung bewundert werden.

Aus solchen Gesprächen, die ungeachtet ihrer Höhe und Tiefe nicht
Gefahr liefen, sich ins Abstruse zu verlieren. Schien eine
Vereinigung hervorzugehen, indem jede Verehrung eines würdigen
Gegenstandes immer von einem religiösen Gefühl begleitet ist. Doch
konnte man sich nicht verbergen, dass die reinste christliche
Religion mit der wahren bildenden Kunst immer sich zwiespältig
befinde, weil jene sich von der Sinnlichkeit zu entfernen strebt,
diese nun aber das sinnliche Element als ihren eigentlichsten
Wirkungskreis anerkennt und darin beharren muss. In diesem Geist
schrieb ich nachstehendes Gedicht augenblicklich nieder:

    Amor, nicht das Kind, der Jüngling, der Psychen verführte,
      Sah im Olympus sich um, frech und der Siege gewohnt;
    Eine Göttin erblickt' er, vor allen die herrlichste Schöne,
      Venus Urania war's, und er entbrannte für sie.
    Ach! Die Heilige selbst, sie widerstand nicht den Werben,
      Und der Verwegene hielt fest sie im Arme bestrickt.
    Da entstand aus ihnen ein neuer lieblicher Amor,
      Der dem Vater den Sinn, Sitte der Mutter verdankt.
    Immer findest du ihn in holder Musen Gesellschaft,
      Und sein reizender Pfeil stiftet die Liebe der Kunst.

Mit diesem allegorischen Glaubensbekenntnis schien man nicht ganz
unzufrieden; indessen blieb es auf sich selbst beruhen, und
beide Teile machten sich's zur Pflicht, von ihren Gefühlen und
Überzeugungen nur dasjenige hervorzukehren, was gemeinsam wäre und zu
wechselseitiger Belehrung und Ergötzung, ohne Widerstreit, gereichen
könnte.

Immer aber konnten die geschnittenen Steine als ein herrliches
Mittelglied eingeschoben werden, wenn die Unterhaltung irgend
lückenhaft zu werden drohte. Ich von meiner Seite konnte freilich nur
das Poetische schätzen, das Motiv selbst, Komposition, Darstellung
überhaupt beurteilen und rühmen, dagegen die Freunde dabei noch ganz
andere Betrachtungen anzustellen gewohnt waren. Denn es ist für den
Liebhaber, der solche Kleinodien anschaffen, den Besitz zu einer
würdigen Sammlung erheben will, nicht genug zur Sicherheit seines
Erwerbs, dass er Geist und Sinn der köstlichen Kunstarbeit einsehe
und sich daran ergötze, sondern er muss auch äußerliche Kennzeichen
zu Hilfe rufen, die für den, der nicht selbst technischer Künstler im
gleichen Fach ist, höchst schwierig sein möchten. Hemsterhuis hatte
mit seinem Freunde Natter viele Jahre darüber korrespondiert, wovon
sich noch bedeutende Briefe vorfanden. Hier kam nun erst die Steinart
selbst zur Sprache, in welcher gearbeitet worden, indem man sich der
einen in frühern, der andern in folgenden Zeiten bedient; sodann war
vor allen Dingen eine größere Ausführlichkeit im Auge zu halten,
wo man auf bedeutende Zieten schließen konnte, so wie flüchtige
Arbeit bald auf Geist, teils auf Unfähigkeit, teils auf Leichtsinn
hindeutete, frühere oder spätere Epochen zu erkennen gab. Besonders
legte man großen Wert auf die Politur vertiefter Stellen und glaubte
darin ein unverwerfliches Zeugnis der besten Zeiten zu sehen. Ob aber
ein geschnittener Stein entschieden antik oder neu sei, darüber wagte
man keine festen Kriterien anzugeben; Freund Hemsterhuis habe selbst
nur mit Beistimmung jenes trefflichen Künstlers sich über diesen
Punkt zu beruhigen gewusst.

Ich konnte nicht verbergen, dass ich hier in ein ganz frisches Feld
gerate, wo ich mich höchst bedeutend angesprochen fühle und nur die
Kürze der Zeit bedaure, wodurch ich die Gelegenheit mir abgeschnitten
sehe, meine Augen sowohl als den innern Sinn auch auf diese
Bedingungen kräftiger zu richten. Bei einem solchen Anlass äußerte
sich die Fürstin heiter und einfach: sie sei geneigt, mir die
Sammlung mitzugeben, damit ich solche zu Hause mit Freunden und
Kennern studieren und mich in diesem bedeutenden Zweig der bildenden
Kunst, mit Zuziehung von Schwefel- und Glaspasten, umsehen und
bestärken möchte. Dieses Anerbieten, das ich für kein leeres
Kompliment halten durfte und für mich höchst reizend war, lehnt' ich
jedoch dankbarlichst ab; und ich gestehe, dass mir im Innern die Art,
wie diese Schatz aufbewahrt wurde, eigentlich das größte Bedenken
gab. Die Ringe waren in einzelnen Kästchen, einer allein, zwei, drei,
wie es der Zufall gegeben hatte, nebeneinander gesteckt: es war
unmöglich, beim Vorzeigen am Ende zu bemerken, ob wohl einer fehle;
wie denn die Fürstin selbst gestand, dass einst, in der besten
Gesellschaft ein Herkules abhanden gekommen, den man erst späterhin
vermisst habe. Sodann schien es bedenklich genug, in gegenwärtiger
Zeit sich mit einem solchen Wert zu beschweren und eine höchst
bedeutende, ängstliche Verantwortung zu übernehmen. Ich suchte daher
mit der freundlichsten Dankbarkeit die schicklichsten ablehnenden
Gründe vorzubringen, welche Einrede die Freundin wohlwollend in
Betracht zu ziehen schien, indem ich nun um desto eifriger die
Aufmerksamkeit auf diese Gegenstände, insofern es sich nur
einigermaßen schicken wollte, zu lenken suchte.

Von meinen Naturbetrachtungen aber, die ich, weil auch wenig Glück
für sie hier am Ort zu hoffen war, eher verheimlichte, war ich doch
genötigt einige Rechenschaft zu geben. Von Fürstenberg brachte zur
Sprache, dass er mit Verwunderung, welche beinahe wie Befremden
aussah, hie und da gehört habe, wie ich der Physiognomik wegen
die allgemeine Knochenlehre studiere, wovon sich doch schwerlich
irgendeien Beihilfe zu Beurteilung der Gesichtszüge des Menschen
hoffe lasse. Nun mocht' ich wohl bei einigen Freunden, das für einen
Dichter ganz unschicklich gehaltene Studium der Osteologie zu
entschuldigen und einigermaßen einzuleiten, geäußert haben, ich sei,
wie es denn wirklich auch an dem war, durch Lavaters Physiognomik in
dieses Fach wieder eingeführt worden, da ich in meinen akademischen
Jahren darin die erste Bekanntschaft gesucht hatte. Lavater selbst,
der glücklichste Beschauer organisierter Oberflächen, sah sich, in
Anerkennung, dass Muskel- und Hautgestalt und ihre Wirkung von dem
entschiedenen inneren Knochengebilde durchaus abhängen müsse,
getrieben, mehrere Tierschädel in sein Werk abbilden zu lassen und
selbige mir zu einem flüchtigen Kommentar darüber zu empfehlen. Was
ich aber gegenwärtig hiervon wiederholen oder in demselben sinn
zugunsten meines Verfahrens aufbringen wollte, konnte mir wenig
helfen, indem zu jener Zeit ein solcher wissenschaftlicher Grund
allzu weit ablag und man, im augenblicklichen geselligen Leben
befangen, nur den beweglichen Gesichtszügen, und vielleicht gar nur
in leidenschaftlichen Momenten, eine gewisse Bedeutung zugestand,
ohne zu bedenken, dass hier nicht etwa bloß ein regelloser Schein
wirken könne, sondern dass das Äußere, Bewegliche, Veränderliche als
ein wichtiges, bedeutendes Resultat eines innern entschiedenen Lebens
betrachtet werden müsse.

Glücklicher als in diesen Vorträgen war ich in Unterhaltung größerer
Gesellschaft: geistliche Männer von Sinn und Verstand, heranstrebende
Jünglinge, wohlgestaltet und wohlerzogen, an Geist und Gesinnung viel
versprechend, waren gegenwärtig. Hier wählte ich unaufgefordert die
römischen Kirchenfeste Karwoche und Ostern, Fronleichnam und Peter
Paul; sodann zur Erheiterung die Pferdeweihe, woran auch andere Haus-
und Hoftiere teilnehmen. Diese Feste waren mir damals nach allen
charakteristischen Einzelheiten vollkommen gegenwärtig, denn ich
ging darauf aus, ein "römisches Jahr" zu schreiben, den Verlauf
geistlicher und weltlicher Öffentlichkeiten; daher ich denn auch,
sogleich jene Feste nach einem reinen, direkten Eindruck darzustellen
imstande, meinen katholischen frommen Zirkel mit meinen vorgeführten
Bildern ebenso zufrieden sah als die Weltkinder mit dem Karneval. Ja,
einer von den Gegenwärtigen, mit den Gesamtverhältnissen nicht genau
bekannt, hatte im Stillen gefragt: ob ich denn wirklich katholisch
sei? Als die Fürstin mir dieses erzählte, eröffnete sie mir noch ein
anderes: Man hatte ihr nämlich vor meiner Ankunft geschrieben, sie
solle sich vor mir in Acht nehmen; ich wisse mich so fromm zu
stellen, dass man mich für religiös, ja für katholisch halten könne.

"Geben Sie mir zu, verehrte Freundin," rief ich aus, "ich stelle
mich nicht fromm, ich bin es am rechten Ort; mir fällt nicht schwer,
mit einem klaren, unschuldigen Blick alle Zustände zu beachten und
sie wieder auch ebenso rein darzustellen. Jede Art fratzenhafte
Verzerrung, wodurch sich dünkelhafte Menschen nach eigener
Sinnesweise an dem Gegenstand versündigen, war mir von jeher zuwider.
Was mir widersteht, davon wend' ich den Blick weg, aber manches, was
ich nicht gerade billige, mag ich gern in seiner Eigentümlichkeit
erkennen: da zeigt sich denn meist, dass die andern ebenso recht
haben, nach ihrer eigentümlichen Art und Weise zu existieren, als ich
nach der meinigen." Hierdurch war man denn auch wegen dieses Punkts
aufgeklärt, und eine freilich keineswegs zu lobende heimliche
Einmischung in unsere Verhältnisse hatte gerade im Gegenteil, wie sie
Misstrauen erregen wollte, Vertrauen erregt.

In einer solchen zarten Umgebung wär' es nicht möglich gewesen, herb
oder unfreundlich zu sein; im Gegenteil fühlt' ich mich milder als
seit langer Zeit, und es hätte mir wohl kein größeres Glück begegnen
können, als dass ich nach dem schrecklichen Kriegs- und Fluchtwesen
endlich wieder fromme menschliche Sitte auf mich einwirken fühlte.

Einer so edlen, guten, sittlich-frohen Gesellschaft war ich jedoch in
einem Punkt ungefällig, ohne dass ich selbst weiß, wie es zugegangen
ist. Ich war wegen eines glücklichen, freien, bedeutenden Vorlesens
berühmt, man wünschte mich zu hören, und da man wusste, dass ich die
"Luise" von Voß, wie sie im Novemberheft des "Merkur" 1784 erschienen
war, leidenschaftlich verehrte und sie gerne vortrug, spielte man
darauf an, ohne zudringlich zu sein; man legte das Merkurstück unter
den Spiegel und ließ mich gewähren. Und nun wüsst' ich nicht zu
sagen, was mich abhielt; mir war wie Sinn und Lippe versiegelt, ich
konnte das Heft nicht aufnehmen, mich nicht entschließen, eine Pause
des Gesprächs zu meiner und der andern Freude zu nutzen, die Zeit
ging hin, und ich wundere mich noch über diese unerklärliche
Verstocktheit.

Der Tag des Abschieds nahte heran: man musste doch sich einmal
trennen. "Nun," sagte die Fürstin, "hier gilt keine Widerrede! Sie
müssen die geschnittenen Steine mitnehmen, ich verlange es." Als ich
aber meine Weigerung auf das höflichste und freundlichste fort
behauptete, sagte sie zuletzt: "So muss ich Ihnen denn eröffnen,
warum ich es fordere. Man hat mir abgeraten, Ihnen diesen Schatz
anzuvertrauen, und eben deswegen will ich, muss ich es tun; man hat
mir vorgestellt, dass ich Sie doch auf diesen Grad nicht kenne, um
auch in einem solchen Fall von Ihnen ganz gewiss zu sein. Darauf habe
ich," fuhr sie fort, "erwidert: Glaubt ihr denn nicht, dass der
Begriff, den ich von ihm habe, mir lieber sei als diese Steine?
Sollt' ich die Meinung von ihm verlieren, so mag dieser Schatz auch
hinterdrein gehen." Ich konnte nun weiter nichts erwidern, indem
sie durch eine solche Äußerung in eben dem Grad mich zu ehren und
zu verpflichten wusste. Jedes übrige Hindernis räumte sie weg;
vorhandene Schwefelabgüsse, katalogisiert, waren zu Kontrolle,
sollte sie nötig befunden werden, in einem sauberen Kästchen mit den
Originalen eingepackt, und ein sehr kleiner Raum fasste die leicht
transportablen Schätze.

So nahmen wir treulich Abschied, ohne jedoch sogleich zu scheiden;
die Fürstin kündigte mir an, sie wolle mich auf die nächste Station
begleiten, setze sich zu mir im Wagen, der ihrige folgte. Die
bedeutenden Punkte des Lebens und der Lehr kamen abermals zur
Sprache: ich wiederholte mild und ruhig mein gewöhnliches Credo, auch
sie verharrte bei dem ihrigen. Jedes zog nun seines Weges nach Hause;
sie mit dem nachgelassenen Wunsch, mich wo nicht hier, doch dort
wieder zu sehen.

Diese Abschiedsformel wohl denkender freundlicher Katholiken war mir
nicht fremd, noch zuwider: ich hatte sie oft bei vorübergehenden
Bekanntschaften in Bädern und sonst meist von wohlwollenden, mir
freundlichst zugetanen Geistlichen vernommen, und ich sehe nicht ein,
warum ich irgendjemand verargen sollte, der wünscht, mich in seinen
Kreis zu ziehen, wo sich nach seiner Überzeugung ganz allein ruhig
leben und, einer ewigen Seligkeit versichert, ruhig sterben lässt.

       *       *       *       *       *

Durch Vorsorge, auf Anregung der edlen Freundin, ward ich von dem
Postmeister nicht allein rasch gefördert, sondern auch durch
Laufzettel weiter angemeldet und empfohlen, welches angenehm und
höchst notwendig war. Denn ich hatte bei schöner, freundschaftlicher,
friedlicher Unterhaltung vergessen, dass Kriegsflucht mir nachstürme;
und leider fand ich unterwegs die Schar der Emigrierten, die sich
immer weiter nach Deutschland hineindrängte und gegen welche die
Postillione ebenso wenig als am Rhein günstig gesinnt waren. Gar oft
kein gebahnter Weg, man fuhr blad hüben bald drüben, begegnete und
kreuzte sich. Heidegebüsch und Gesträuche, Wurzelstumpfen, Sand, Moor
und Binsen, eins so unbequem und unerfreulich wie das andere. Auch
ohne Leidenschaftlichkeit ging es nicht ab.

Ein Wagen blieb stecken, Paul sprang geschwind herab und zu Hilfe:
er glaubte, die schönen Französinnen, die er in Düsseldorf in den
traurigsten Umständen wieder angetroffen, seien abermals im Fall,
seines Beistandes zu bedürfen. Die Dame hatte ihren Gemahl nicht
wieder gefunden und war, in dem Strudel des Unheils mit fortgerissen
und geängstigt, endlich über den Rhein geworfen worden.

Hier aber in dieser Wüste erschien sie nicht: einige alte ehrwürdige
Damen forderten unsere Teilnahme. Als aber unser Postillion halten
und mit seinen Pferden dem dortigen Wagen zu Hilfe kommen sollte,
weigerte er sich trotzig und sagte, wir sollten nur zu unserm eignen,
mit Silber und Gold genugsam beschwerten Wagen ernstlich sehen, damit
wir nicht etwa stecken blieben oder umgeworfen würden; denn ob er es
gleich mit uns redlich meine, so ständ' er doch in dieser Wüstenei
für nichts.

Glücklicherweise, unser Gewissen zu beschwichtigen, hatte sich eine
Anzahl westfälischer Bauern um jenen Wagen versammelt und gegen ein
bedungenes gutes Trinkgeld ihn wieder auf den fahrbaren Weg gebracht.

An unserm Fuhrwerk war freilich das Eisen das Schwerste, und der
kostbare Schatz, den wir mit uns führten, so leicht, um in einer
leichten Chaise nicht bemerkt zu werden. Wie lebhaft wünscht' ich mir
mein böhmisches Wägelchen herbei! Gleichwohl gab mir jenes Vorurteil,
welches wichtige Schätze bei uns voraussetzte, doch immer eine Art
von Unruhe. Wir hatten bemerkt, dass ein Postillion dem andern die
Notiz von Überschwere des Wagens und die Vermutung von Geld und
Kostbarkeiten jederzeit überlieferte. Nun aber wurden wir wegen
vorausgeschickter Postzettel, deren richtige Stunde wir ohnehin des
schlechten Wetters wegen nicht einhielten, auf jeder Station eilig
vorwärts gedrängt und ganz eigentlich in die Nacht hinaus gestoßen,
da uns denn wirklich der bängliche Fall begegnete, dass der
Postillion in düsterer Nacht schwur, er könne das Ding nicht weiter
fortbringen, und an einer einsamen Waldwohnung stillhielt, deren
Lage, Bauart und Bewohner schon beim hellsten Sonnenschein hätten
Schaudern erregen können. Der Tag, selbst der grauste, war dagegen
erquicklich: man reif das Andenken der Freunde hervor, bei denen man
vor kurzem so trauliche Stunden zugebracht; man musterte sie mit
Achtung und Liebe, belehrte sich an ihren Eigenheiten und erbaute
sich an ihren Vorzügen. Wie aber die Nacht wieder hereinbrach, da
fühlte man sich schon wieder von allen Sorgen umstrickt in einem
kummervollen Zustand. Wie düster aber auch in der letzten und
schwärzesten aller Nächte meine Gedanken mochten gewesen sein, so
wurden sie auf einmal wieder aufgehellt, als ich in das mit hundert
und aber hundert Lampen erleuchtete Kassel hinein fuhr. Bei diesem
Anblick entwickelten sich vor meiner Seele alle Vorteile eines
bürgerlich-städtischen Zusammenseins, die Wohlhäbigkeit eines
jeden einzelnen in seiner von innen erleuchteten Wohnung und die
behaglichen Anstalten zu Aufnahme der Fremden. Diese Heiterkeit
jedoch ward mir für einige Zeit gestört, als ich auf dem prächtigen
tageshellen Königsplatz an dem wohlbekannten Gasthof anfuhr: der
anmeldende Diener kehrte zurück mit der Erklärung, es sei kein Platz
zu finden. Als ich aber nicht weichen wollte, trat ein Kellner sehr
höflich an den Schlag und bat in schönen französischen Phrasen um
Entschuldigung, da es nicht möglich sei, mich aufzunehmen. Ich
erwiderte darauf in gutem Deutsch, wie ich mich wundern müsse, dass
in einem so großen Gebäude, dessen Raum ich gar wohl kenne, einem
fremden in der Nacht die Aufnahme verweigert werden wolle. "Sie sind
ein Deutscher!" rief er aus, "das ist ein anderes!" und sogleich
ließ er den Postillion in das Hoftor hereinfahren. Als er mir
ein schickliches Zimmer angewiesen, versetzte er: er sei fest
entschlossen, keinen Emigrierten mehr aufzunehmen. Ihr Betragen sei
höchst anmaßend, die Bezahlung knauserig; denn mitten in ihrem Elend,
da sie nicht wüssten, wo sie sich hinwenden sollten, betrügen sie
sich noch immer, als hätten sie von einem eroberten Land Besitz
genommen. So schied ich nun in gutem Frieden und fand auf dem Weg
nach Eisenach weniger Zudrang der so häufig und unversehens heran
getriebenen Gäste.

Meine Ankunft in Weimar sollte auch nicht ohne Abenteuer bleiben; sie
ereignete sich nach Mitternacht und gab Anlass zu einer
Familienszene, welche wohl in irgendeinem Roman die tiefste
Finsternis erhellen und erheitern würde.

Nun fand ich das von meinem Fürsten mir bestimmte, erneuerte, wohl
eingerichtete Haus schon meistens bewohnbar, ohne dass mir die Freude
ganz versagt gewesen wäre, bei dem Ausbau mit- und einzuwirken. Die
Meinigen entgegneten mir munter und gesund, und als es an ein
Erzählen ging, kontrastierte freilich der heitere, ruhige Zustand, in
welchem sie die aus Verdun gesendeten Süßigkeiten genossen, mit
demjenigen, worin wir, die sie in paradiesischen Zuständen glaubten,
mit aller denkbaren Not zu kämpfen hatten. Unser stiller häuslicher
Kreis war nun umso reicher und froher abgeschlossen, indem Heinrich
Meyer, zugleich als Hausgenosse, Künstler, Kunstfreund und
Mitarbeiter, zu den Unsrigen gehörte und an allem Belehrenden sowie
an allem Wirksamen kräftigen Anteil nahm.

Das weimarsche Theater bestand seit dem Mai 1791; es hatte sowohl den
Sommer genannten Jahres als auch den des laufenden in Lauchstädt
zugebracht und sich durch Wiederholung damals gangbarer, meist
bedeutender Stücke schon ziemlich gut zusammengespielt. Ein Rest der
Bellomoschen Gesellschaft, also schon aneinander gewöhnter Personen,
gab den Grund; andere teils schon brauchbare, teils viel
versprechende Glieder füllten schicklich und gemächlich die
entstandene Lücke.

Man kann sagen, dass es damals noch ein Schauspielerhandwerk gab,
wodurch befähigt, sich Glieder entfernter Theater gar bald in
Einklang setzten, besonders wenn man so glücklich war, für
die Rezitation Niederdeutsche, für den Gesang Oberdeutsche
herbeizuziehen; und so konnte das Publikum für den Anfang gar wohl
zufrieden sein. Da ich teil an der Direktion genommen, so war es mir
eine unterhaltende Beschäftigung, gelind zu versuchen, auf welchem
Weg das Unternehmen weitergeführt werden könnte. Ich sah gar bald,
dass eine gewisse Technik aus Nachahmung, Gleichstellung mit andern
und Routine hervorgehen konnte; allein es fehlte durchaus an dem, was
ich Grammatik nennen dürfte, die doch erst zum Grund liegen muss, ehe
man zu Rhetorik und Poesie gelangen kann. Da ich auf diesen
Gegenstand zurückzukehren gedenke und ihn vorläufig nicht gern
zerstückeln möchte, so sage ich nur so viel: dass ich eben jene
Technik, welche sich alles aus Überlieferung aneignet, zu studieren
und auf ihre Elemente zurückzuführen suchte und das, was mir klar
geworden, in einzelnen Fällen, ohne auf ein Allgemeines hinzuweisen,
beobachten ließ.

Was mir bei diesem Unternehmen aber besonders zustatten kam, war der
damals überhand nehmende Natur- und Konversationston, der zwar höchst
lobenswert und erfreulich ist, wenn er als vollendete Kunst, als eine
zweite Natur hervortritt, nicht aber, wenn ein jeder glaubt, nur sein
eigenes nacktes Wesen bringen zu dürfen, um etwas Beifallswürdiges
darzubieten. Ich aber benutzte diesen Trieb zu meinen Zwecken, indem
ich gar wohl zufrieden sein konnte, wenn das angeborne Naturell sich
mit Freiheit hervortat, um sich nach und nach, durch gewisse Regeln
und Anordnungen, einer höhern Bildung entgegenführen zu lassen. Doch
darf ich hiervon nicht weiter sprechen, weil was getan und geleistet
worden, sich erst nach und nach aus sich selbst entwickelte und also
historisch dargestellt werden musste.

Umstände jedoch, die für das neue Theater sich höchst günstig
hervortaten, miss ich kürzlich anführen. Iffland und Kotzebue blühten
in ihrer besten Zeit, ihre Stücke, natürlich und fasslich, die einen
gegen ein bürgerlich rechtliches Behagen, die andern gegen eine
lockere Sittenfreiheit hingewendet; beide Gesinungen waren dem Tage
gemäß und erhielten freudige Teilnahme; mehrere noch als Manuskript
ergötzten durch den lebendigen Duft des Augenblicks, den sie mit sich
brachten. Schröder, Babo, Ziegler, glücklich energische Talente,
lieferten bedeutenden Beitrag; Bretzner und Jünger, ebenfalls
gleichzeitig, gaben anspruchslos einer bequemen Fröhlichkeit Raum.
Hagemann und Hagemeister, Talente, die sich auf die Länge nicht
halten konnten, arbeiteten gleichfalls für den Tag und waren, wo
nicht bewundert, doch als neu geschaut und willkommen. Diese
lebendige, sich im Zirkel herumtreibende Masse suchte man mit
Shakespeare, Gozzi und Schiller Geister zu erheben; man verließ die
bisherige Art, nur Neues zum nächsten Verlust einzustudieren, man war
sorgfältig in der Wahl und bereitete schon ein Repertorium vor,
welches viele Jahre gehalten hat. Aber auch dem Mann, der uns diese
Anstalt gründen half, müssen wir eine dankbare Erinnerung nicht
schuldig bleiben. Es war F. J. Fischer, ein Schauspieler in Jahren,
der sein Handwerk verstand, mäßig, ohne Leidenschaft, mit seinem
Zustand zufrieden, sich mit einem beschränkten Rollenfach begnügend.
Er brachte mehrere Schauspieler von Prag mit, die in seinem Sinn
wirkten, und wusste die einheimischen gut zu behandeln, wodurch ein
innerer Friede sich über das Ganze verbreitete.

Was die Oper anlangt, so kamen uns die Dittersdorfischen Arbeiten auf
das Beste zustatten. Er hatte mit glücklichem Naturell und Humor für
ein fürstliches Privattheater gearbeitet, wodurch seinen Produktionen
eine gewisse leichte Behaglichkeit zuteil ward, die auch uns zugute
kam, weil wir unser neues Theater als eine Liebhaber-Bühne zu
betrachten die Klugheit hatten. Auf den Text, im rhythmischen und
prosaischen Sinn, wendete man viel Mühe, um ihn dem obersächsischen
Geschmack mehr anzueignen; und so gewann diese leichte Ware Beifall
und Abgang.

Die aus Italien wiedergekehrten Freunde bemühten sich, die leichteren
italienischen Opern jener Zeit, von Paesiello, Cimarosa, Guglielmi
und andern, herüberzuführen, wo denn zuletzt auch Mozarts Geist
einzuwirken anfing. Denke man sich, dass von diesem allem wenig
bekannt, gar nichts abgebraucht war, so wird man gestehen, dass die
Anfänge des weimarschen Theaters mit den jugendlichen Zeiten des
deutschen Theaters überhaupt oder zugleich eintraten und Vorteile
genossen, die offenbar zu einer natürlichen Entwickelung aus sich
selbst den reinsten Anlass geben mussten.

Um nun aber auch Genuss und Studium der anvertrauten Gemmensammlung
vorzubreiten und zu sichern, ließ ich gleich zwei zierliche
Ringkästchen verfertigen, worin die Steine mit einem Blick übersehbar
nebeneinander standen, so dass irgendeine Lücke sogleich zu bemerken
gewesen wäre; worauf alsdann Schwefel- und Gipsabgüsse in Mehrzahl
verfertigt und der Prüfung durch stark vergrößernde Linsen
unterworfen wurden, auch vorhandene Abdrücke älterer Sammlungen
vorgesucht und zu Rate gezogen. Wir bemerkten wohl, dass hier für uns
das Studium der geschnittenen Steine zu gründen sei; wie groß aber
die Vergünstigung der Freundin gewesen, wurde erst nach und nach
eingesehen.

Das Resultat mehrjähriger Betrachtung sei deshalb hier eingeschaltet,
weil wir wohl schwerlich unsere Aufmerksamkeit so bald wieder auf
diesen Punkt wenden dürften.

Aus innern Gründen der Kunst sahen sich die weimarschen Freunde
berechtigt, wo nicht alle, doch bei weitem die größte Anzahl dieser
geschnittenen Steine für echt antike Kunstdenkmale zu halten, und
zwar fanden sich mehrere darunter, welche zu den vorzüglichsten
Arbeiten dieser Art gerechnet werden durften. Einige zeichneten sich
dadurch aus, dass sie als wirklich identisch mit ältern
Schwefelpasten angesehen werden mussten; mehrere bemerkte man, deren
Darstellung mit andern antiken Gemmen zusammentraf, die aber deswegen
immer noch für echt gelten konnten. In den größten Sammlungen kommen
wiederholte Vorstellungen vor, und man würde sehr irren, die einen
als Original, die andern als moderne Kopien anzusprechen.

Immer müssen wir dabei die edle Kunsttreue der Alten im Sinn tragen,
welche die einmal glücklich gelungene Behandlung eines Gegenstandes
nicht oft genug wiederholen konnte. Jene Künstler hielten sich für
original genug, wenn sie einen originellen Gedanken aufzufassen und
ihn auf ihre Weise wieder darzustellen Fähigkeit und Fertigkeit
empfanden. Mehrere Steine zeigten sich auch mit eingeschnittenen
Künstlernamen, worauf man seit Jahren großen Wert gelegt hatte. Eine
solche Zutat ist wohl immer merkwürdig genug, doch bleibt sie meist
problematisch: denn es ist möglich, dass der Stein alt und der Name
neu eingeschnitten sei, um dem Vortrefflichen noch einen Beiwert zu
verleihen.

Ob wir uns nun gleich hier wie billig alles Katalogisierens
enthalten, da Beschreibung solcher Kunstwerke ohne Nachbildung wenig
Begriff gibt, so unterlassen wir doch nicht, von den vorzüglichsten
einige allgemeine Andeutungen zu geben.

Kopf des Herkules. Bewundernswürdig in Betracht des edlen, freien
Geschmacks der Arbeit, und noch mehr zu bewundern in Hinsicht auf die
herrlichen Idealformen, welche mit keinem der bekannten Herkulesköpfe
ganz genau übereinkommen und eben dadurch die Merkwürdigkeit dieses
köstlichen Denkmals noch vermehren helfen.

Brustbild des Bacchus. Arbeit, wie auf den Stein gehaucht, und in
Hinsicht auf die idealen Formen eines der edelsten antiken Werke.
Es finden sich in verschiedenen Sammlungen mehrere diesem ähnliche
Stücke, und zwar, wenn wir uns recht erinnern, sowohl hoch als tief
geschnitten; doch ist uns noch keines bekannt geworden, welches vor
dem gegenwärtigen den Vorzug verdiente.

Faun, welcher einer Bacchantin das Gewand rauben will. Vortreffliche
und auf alten Monumenten mehrmals vorkommende Komposition, ebenfalls
gut gearbeitet.

Eine umgestürzte Leier, deren Hörner zwei Delphine darstellen, der
Körper oder, wenn man will, der Fuß Amors Haupt, mit Rosen bekränzt;
zu derselben ist Bacchus' Panther, in der Vorderpfote den Thyrsusstab
haltend, zierlich gruppiert. Die Ausführung dieses Steins befriedigt
den Kenner, und wer zarte Bedeutung liebt, wird gleichfalls seine
Rechnung finden.

Maske, mit großem Bart und weit geöffnetem Mund; eine Efeuranke
umschlingt die kahle Stirn. In seiner Art mag dieser Stein einer der
allervorzüglichsten sein, und ebenso schätzbar ist auch

Eine andere Maske mit langem Bart und zierlich aufgebundenen Haaren;
ungewöhnlich tief gearbeitet.

Venus tränkt den Amor. Eine der lieblichsten Gruppen, die man sehen
kann, geistreich behandelt, doch ohne großen Aufwand von Fleiß.

Cybele, auf dem Löwen reitend, tief geschnitten: ein Werk, welches
als vortrefflich den Liebhabern durch Abdrücke, die fast in allen
Pastensammlungen zu finden sind, genugsam bekannt ist.

Gigant, der einen Greif aus seiner Felsenhöhle hervorzieht. Ein Werk
von sehr vielem Kunstverdienst und als Darstellung vielleicht ganz
einzig. Die vergrößerte Nachbildung desselben finden unsere Leser vor
dem Voßschen Programm zu der Jenaischen A. L. Z. 1804, IV. Band.

Behelmter Kopf im Profil, mit großem Bart. Vielleicht ist's eine
Maske; indessen hat sie im geringsten nichts Karikaturartiges,
sondern ein gedrungenes heldenmäßiges Angesicht, und ist vortrefflich
gearbeitet.

Homer, als Herme, fast ganz von vorne dargestellt und sehr tief
geschnitten. Der Dichter erscheint hier jünger als gewöhnlich, kaum
im Anfang des Greisenalters; daher diese Werk nicht allein von Seiten
der Kunst, sondern auch des Gegenstandes wegen schätzbar ist.

In Sammlungen von Abdrücken geschnittener Steine wird oftmals der
Kopf eines ehrwürdigen bejahrten Mannes mit langem Bart und
Haaren angetroffen, der -- jedoch ohne dass Gründe dafür angegeben
werden -- das Bildnis des Aristophanes sein soll. Ein ähnlicher, nur
durch unbedeutende Abweichungen von jenem sich unterscheidender Kopf
ist in unserer Sammlung anzutreffen und in der Tat eins der besten
Stücke.

Das Profil eins Unbekannten ist vermutlich über der Augenbraune
abgebrochen gefunden und in neuerer Zeit wieder zum Ringstein
zugeschliffen worden. Großartiger und lebenvoller haben wir nie
menschliche Gestalt auf dem kleinen Raum einer Gemme dargestellt
gesehen, selten den Fall, wo der Künstler ein so unbeschränktes
Vermögen zeigte. Von ähnlichem Gehalt ist auch

Der ebenfalls unbekannte Porträtkopf mit übergezogener Löwenhaut;
derselbe war auch so wie der vorige über dem Auge abgebrochen, allein
das Fehlende ist mit Gold ergänzt.

Kopf eines bejahrten Mannes von gedrungenem, kräftigem Charakter, mit
kurz geschornen Haaren. Außerordentlich geistreich und meisterhaft
gearbeitet; besonders ist die kühne Behandlung des Barts zu bewundern
und vielleicht einzig in ihrer Art.

Männlicher Kopf oder Brustbild ohne Bart, um das Haar eine Binde
gelegt, das reich gefaltete Gewand auf der rechten Schulter geheftet.
Es ist ein geistreicher, kräftiger Ausdruck in diesem Werk und Züge,
wie man gewohnt ist dem Julius Cäsar zuzuschreiben.

Männlicher Kopf, ebenfalls ohne Bart, die Toga, wie bei Opfern
gebräuchlich war, über das Haupt gezogen. Außerordentlich viel
Wahrheit und Charakter ist in diesem Gesicht, und kein Zweifel, dass
die Arbeit echt alt und aus den Zeiten der ersten römischen Kaiser
sei.

Brustbild einer römischen Dame; um das Haupt doppelte Flechten von
Haaren gewunden, das Ganze bewunderungswürdig fleißig ausgeführt und
in Hinsicht des Charakters voll Wahrheit, Behaglichkeit, Naivität,
Leben.

Kleiner, behelmter Kopf, mit starkem Bart und kräftigem Charakter,
ganz von vorne dargestellt und schätzbare Arbeit.

Eines neuern vortrefflichen Steines gedenken wir zum Schluss: das
Haupt der Meduse in dem herrlichsten Karneol. Es ist solches der
bekannten Meduse des Sosikles vollkommen ähnlich, und geringe
Abweichungen kaum zu bemerken. Allerdings eine der vortrefflichsten
Nachahmungen antiker Werke: denn für eine solche möchte er unerachtet
seiner großen Verdienste doch zu halten sein, da die Behandlung etwas
weniger Freiheit hat und überdies ein unter dem Abschnitt des Halses
angebrachtes N doch wohl auf eine Arbeit von Natter selbst schließen
lässt.

An diesem Wenigen werden wahre Kunstkenner den hohen Wert der
gepriesenen Sammlung zu ahnen vermögen. Wo sie sich gegenwärtig
befindet, ist uns unbekannt; vielleicht erhielte man hierüber einige
Nachricht, die einen reichen Kunstfreund wohl anreizen könnte, diesen
Schatz, wenn er verkäuflich ist, sich zuzueignen.

Die weimarschen Kunstfreunde zogen, solange diese Sammlung in ihren
Händen war, allen möglichen Vorteil daraus. Schon in dem laufenden
Winter gab sie der geistreichen Gesellschaft, welche sich um die
Herzogin Amalie zu vereinigen pflegte, ausgezeichnete Unterhaltung.
Man suchte sich in dem Studium geschnittener Steine zu begründen,
wobei uns das Wohlwollen der trefflichen Besitzerin sehr zustatten
kam, indem sie uns mehrere Jahre diesen Genuss gönnte. Doch ergötzte
sie sich kurz vor ihrem Ende noch an der schönen anschaulichen
Ordnung, worin sie die Ringe in zwei Kästchen auf einmal, wie sie
solche nie gesehen, vollständig gereiht wieder erblickte und also des
geschenkten großen Vertrauens sich edelmütig zu erfreuen hatte.

Auch nach einer andern Seite wendeten sich unsere Kunstbetrachtungen.
Ich hatte die Farben genugsam in unterschiedenen Lebensverhältnissen
beobachtet und sah die Hoffnung, auch endlich ihre Kunstharmonie,
welche zu suchen ich eigentlich ausgegangen war, zu finden. Freund
Meyer entwarf verschiedene Kompositionen, wo man sie teils in einer
Reihe, teils im Gegensatz zu Prüfung und Beurteilung aufgestellt sah.

Am klarsten ward sie bei einfachen landschaftlichen Gegenständen, wo
der Lichtseite immer das Gelbe und Gelbrote, der Schattenseite
das Blau und Blaurote zugeteilt werden musste, aber wegen
Mannigfaltigkeit der natürlichen Gegenstände gar leicht durchs
Braungrüne und Blaugrüne zu vermitteln. Auch hatten hier schon große
Meister durch Beispiel gewirkt, mehr als im Historischen, wo der
Künstler bei Wahl der Farben zu den Gewändern sich selbst überlassen
bleibt und in solcher Verlegenheit nach Herkommen und Überlieferung
greift, sich auch wohl durch irgendeine Bedeutung verführen lässt und
dadurch von wahrer harmonischer Darstellung öfters abgeleitet wird.

Von solchen Studien bildender Kunst fühle ich mich denn doch
gedrungen, wieder zum Theater zurückzukehren und über mein eigenes
Verhältnis an demselben einige Betrachtungen anzustellen, welches
ich erst zu vermeiden wünschte. Man sollte denken, es sei die beste
Gelegenheit gewesen, für das neue Theater und zugleich für das
deutsche überhaupt als Schriftsteller auch etwas von meiner Seite zu
leisten: denn, genau besehen, lag zwischen oben genannten Autoren und
ihren Produktionen noch mancher Raum, der gar wohl hätte ausgeführt
werden können; es gab zu natürlich einfacher Behandlung noch
vielfältigen Stoff, den man nur hätte aufgreifen dürfen.

Um aber ganz deutlich zu werden, gedenk' ich meiner ersten
dramatischen Arbeiten, welche, der Weltgeschichte angehörig, zu sehr
ins Breite gingen, um bühnenhaft zu sein; meine letzten, dem tiefsten
inneren Sinn gewidmet, fanden bei ihrer Erscheinung wegen allzu
großer Gebundenheit wenig Eingang. Indessen hatte ich mir eine
gewisse mittlere Technik eingeübt, die etwas mäßig Erfreuliches dem
Theater hätte verschaffen können; allein ich vergriff mich im Stoff,
oder vielmehr ein Stoff überwältigte meine innere sittliche Natur,
der allerwiderspenstigste, um dramatisch behandelt zu werden.

Schon im Jahr 1785 erschreckte mich die Halsbandsgeschichte wie das
Haupt der Gorgone. Durch dieses unerhört frevelhafte Beginnen sah ich
die Würde der Majestät untergraben, schon im voraus vernichtet, und
alle Folgeschritte von dieser Zeit an bestätigten leider allzu
sehr die furchtbaren Ahnungen. Ich trug sie mit mir nach Italien
und brachte sie noch geschärfter wieder zurück. Glücklicherweise
ward mein "Tasso" noch abgeschlossen, aber alsdann nahm die
weltgeschichtliche Gegenwart meinen Geist völlig ein.

Mit Verdruss hatte ich viele Jahre die Betrügereien kühner Phantasten
und absichtlicher Schwärmer zu verwünschen Gelegenheit gehabt und
mich über die unbegreifliche Verblendung vorzüglicher Menschen bei
solchen frechen Zudringlichkeiten mit Widerwillen verwundert. Nun
lagen die direkten und indirekten Folgen solcher Narrheiten als
Verbrechen und Halbverbrechen gegen die Majestät vor mir, alle
zusammen wirksam genug. Um den schönsten Thron der Welt zu
erschüttern.

Mir aber einigen Trost und Unterhaltung zu verschaffen, suchte ich
diesem Ungeheuren eine heitere Seite abzugewinnen, und die Form der
komischen Oper, die sich mir schon seit längerer Zeit als eine der
vorzüglichsten dramatischen Darstellungsweisen empfohlen hatte,
schien auch ernstern Gegenständen nicht fremd, wie an "König Theodor"
zu sehen gewesen.

Und so wurde denn jener Gegenstand rhythmisch bearbeitet, die
Komposition mit Reichardt verabredet, wovon denn die Anlagen einiger
tüchtigen Bass-Arien bekannt geworden; andere Musikstücke, die außer
dem Kontext keine Bedeutung hatten, blieben zurück, und die Stelle,
von der man sich die meiste Wirkung versprach, kam auch nicht
zustande: das Geistersehen in der Kristallkugel vor dem schlafend
weissagenden Cophta sollte als blendendes Final vor allen glänzen.

Aber da waltete kein froher Geist über den Ganzen, es geriet ins
Stocken, und um nicht alle Mühe zu verlieren, schreib ich ein
prosaisches Stück, zu dessen Hauptfiguren sich wirklich analoge
Gestalten in der neuen Schauspielergesellschaft vorfanden, die denn
auch in der sorgfältigsten Aufführung das Ihrige leisteten.

Aber eben deswegen, weil das Stück ganz trefflich gespielt wurde,
machte es einen um desto widerwärtigern Effekt. Ein furchtbarer und
zugleich abgeschmackter Stoff, kühn und schonungslos behandelt,
schreckte jedermann, kein Herz klang an; die fast gleichzeitige Nähe
des Vorbildes ließ den Eindruck noch greller empfinden, und weil
geheime Verbindungen sich ungünstig behandelt glaubten, so fühlte
sich ein großer respektabler Teil des Publikums entfremdet, so wie
das weibliche Zartgefühl sich vor einem verwegenen Liebesabenteuer
entsetzte.

Ich war immer gegen die unmittelbare Wirkung meiner Arbeiten
gleichgültig gewesen und sah auch diesmal ganz ruhig zu, dass diese
letzte, an die ich so viel Jahre gewendet, keine Teilnahme fand; ja
ich ergötzte mich an einer heimlichen Schadenfreude, wenn gewisse
Menschen, die ich dem Betrug oft genug ausgesetzt gesehen, kühnlich
versicherten, so grob könne man nicht betrogen werden.

Aus diesem Ereignis zog ich mir jedoch keine Lehre; das, was mich
innerlich beschäftigte, erschien mir immerfort in dramatischer
Gestalt, und wie die Halsbandsgeschichte als düstre Vorbedeutung,
so ergriff mich nunmehr die Revolution selbst als die grässlichste
Erfüllung: den Thron sah ich gestürzt und zersplittert, eine große
Nation aus ihren fugen gerückt und nach unserm unglücklichen Feldzug
offenbar auch die Welt schon aus ihren Fugen.

Indem mich nun dies alles in Gedanken bedrängte, beängstigte, hatte
ich leider zu bemerken, dass man im Vaterland sich spielend mit
Gesinnungen unterhielt, welche eben auch uns ähnliche Schicksale
vorbereiteten. Ich kannte genug edle Gemüter, die sich gewissen
aussichten und Hoffnungen, ohne weder sich noch die Sache zu
begreifen, phantastisch hingaben; indessen ganz schlechte Subjekte
bittern Unmut zu erregen, zu mehren und zu benutzen strebten.

Als ein Zeugnis meines ärgerlich-guten Humors ließ ich den
"Bürgergeneral" auftreten, wozu mich ein Schauspieler verführte,
namens Beck, welcher den Schnaps in den "beiden Billetts" nach
Florian mit ganz individueller Trefflichkeit spielte, indem selbst
seine Fehler ihm dabei zustatten kamen. Da ihm nun diese Maske so gar
wohl anstand, brachte man des gedachten kleinen, durchaus beliebten
Nachspiels erste Fortsetzung, den "Stammbaum" von Anton Wall, hervor,
und als ich nun auf Proben, Ausstattung und Vorstellung dieser
Kleinigkeit ebenfalls die größte Aufmerksamkeit wendete, so konnte
nicht fehlen, dass ich mich von diesem närrischen Schnaps so
durchdrungen fand, dass mich die Lust anwandelte, ihn nochmals zu
produzieren. Dies geschah auch mit Neigung und Ausführlichkeit; wie
denn das gehaltreiche Mantelsäckchen ein wirklich französisches war,
das Paul auf jener Flucht eilig aufgerafft hatte. Inder Hauptszene
erwies sich Malkolmi als alter wohlhabender, wohlwollender
Bauersmann, der sich eine gesteigerte Unverschämtheit als Spaß auch
einmal gefallen lässt, unübertrefflich und wetteiferte mit Beck in
wahrer, natürlicher Zweckmäßigkeit. Aber vergebens! Das Stück brachte
die widerwärtigste Wirkung hervor, selbst bei Freunden und Gönnern,
die, um sich und mich zu retten, hartnäckig behaupteten: ich sei
der Verfasser nicht, habe nur aus Grille meinen Namen und einige
Federstriche einer sehr subalternen Produktion zugewendet.

Wie mich aber niemals irgendein Äußeres mir selbst entfremden konnte,
mich vielmehr nur strenger ins Innere zurückwies, so blieben jene
Nachbildungen des Zeitsinnes für mich eine Art von gemütlich
tröstlichem Geschäft. Die "Unterhaltungen der Ausgewanderten,"
fragmentarischer Versuch, das unvollendet Stück "Die Aufgeregten"
sind ebensoviel Bekenntnisse dessen, was damals in meinem Busen
vorging; wie auch späterhin "Hermann und Dorothea" noch aus
derselbigen Quelle flossen, welche denn freilich zuletzt erstarrte.
Der Dichter konnte der rollenden Weltgeschichte nicht nacheilen und
musste den Abschluss sich und andern schuldig bleiben, da er das
Rätsel auf eine so entschiedene als unerwartete Weise gelöst sah.

Unter solchen Konstellationen war nicht leicht jemand, in so weiter
Entfernung vom eigentlichen Schauplatz des Unheils, gedrückter als
ich; die Welt erschien mir blutiger und blutdürstiger als jemals, und
wenn das Leben eines Königs in der Schlacht für tausende zu rechnen
ist, so wird es noch viel bedeutender im gesetzlichen Kampf. Ein
König wird auf Tod und Leben angeklagt: da kommen Gedanken in Umlauf,
Verhältnisse zur Sprache, welche für ewig zu beschwichtigen sich das
Königtum vor Jahrhunderten kräftig eingesetzt hatte.

Aber auch aus diesem grässlichen Unheil suchte ich mich zu retten,
indem ich die ganze Welt für nichtswürdig erklärte, wobei mir denn
durch eine besondere Fügung "Reineke Fuchs" in die Hände kam. Hatte
ich mich bisher an Straßen-, Markt- und Pöbelauftritten bis zum
Abscheu übersättigen müssen, so war es nun wirklich erheiternd, in
den Hof- und Regentenspiegel zu blicken: denn wenn auch hier das
Menschengeschlecht sich in seiner ungeheuchelten Tierheit ganz
natürlich vorträgt, so geht doch alles, wo nicht musterhaft, doch
heiter zu, und nirgends fühlt sich der gute Humor gestört.

Um nun das köstliche Werk recht innig zu genießen, begann ich
alsobald eine treue Nachbildung; solche jedoch in Hexametern zu
unternehmen, war ich folgenderweise veranlasst.

Schon seit vielen Jahren schrieb man in Deutschland nach Klopstocks
Einleitung sehr lässliche Hexameter; Voß, indem er sich wohl auch
dergleichen bediente, ließ doch hie und a merken, dass man sie besser
machen könne, ja er schonte sogar seine eigenen vom Publikum gut
aufgenommenen Arbeiten und Übersetzungen nicht. Ich hätte das gar
gern auch gelernt, allein es wollte mir nicht glücken. Herder und
Wieland waren in diesem Punkte Latitudinarier, und man durfte der
Voßschen Bemühungen, wie sie nach und nach strenger und für den
Augenblick ungelenk erschienen, kaum Erwähnung tun. Das Publikum
selbst schätzte längere Zeit die Voßschen früheren Arbeiten, als
geläufiger, über sie späteren; ich aber hatte zu Voß, dessen Ernst
man nicht verkennen konnte, immer ein stilles Vertrauen und wäre, in
jüngeren Tagen oder anderen Verhältnissen, wohl einmal nach Eutin
gereist, um das Geheimnis zu erfahren. Denn er, aus einer zu ehrenden
Pietät für Klopstock, wollte, solange der würdige, allgefeierte
Dichter lebte, ihm nicht geradezu ins Gesicht sagen: dass man in der
deutschen Rhythmik eine striktere Observanz einführen müsse, wenn
sie irgend gegründet werden solle. Was er inzwischen äußerte, waren
für mich sibyllinische Blätter. Wie ich mich an der Vorrede zu den
Georgiken abgequält habe, erinnere ich mich noch immer gerne, der
redlichen absicht wegen, aber nicht des daraus gewonnenen Vorteils.

Da mir recht gut bewusst war, dass alle meine Bildung nur praktisch
sein könne, so ergriff ich die Gelegenheit, ein paar tausend
Hexameter hinzuschreiben, die bei dem köstlichsten Gehalt selbst
einer mangelhaften Technik gute Aufnahme und nicht vergänglichen Wert
verleihen durften. Was an ihnen zu tadeln sei, werde sich, dacht'
ich, am Ende schon finden; und so wendete ich jede Stunde, die mir
sonst übrig blieb, an eine solche schon innerhalb der Arbeit
vorläufig dankbare Arbeit, baute inzwischen und möbilierte fort, ohne
zu denken, was weiter mit mir sich ereignen würde, ob ich es gleich
gar wohl voraussehen konnte.

So weit wir auch ostwärts von der großen Weltbegebenheit gelegen
waren, erschienen doch schon diesen Winter flüchtige Vorläufer
unserer ausgetriebenen westlichen Nachbarn; es war, als wenn sie
sich umsähen nach irgendeiner gesitteten Stätte, wo sie Schutz
und Aufnahme fänden. Obgleich nur vorübergehend, wussten sie
durch anständiges Betragen, duldsam-zufriedenes Wesen, durch
Bereitwilligkeit, sich ihrem Schicksal zu fügen und durch irgendeine
Tätigkeit ihr Leben zu fristen, dergestalt für sich einzunehmen,
dass durch diese einzelnen die Mängel der ganzen Masse ausgelöscht
und jeder Widerwille in entschiedene Gunst verwandelt wurde. Dies
kam denn freilich ihren Nachfahrern zeugte, die sich späterhin in
Thüringen festsetzten, unter denen ich nur Mounier und Camille Jordan
zu nennen brauche, um ein Vorurteil zu rechtfertigen, welches man für
die ganze Kolonie gefasst hatte, die sich, wo nicht den Genannten
gleich, doch derselben keineswegs unwürdig erzeigte.

Übrigens lässt sich hierbei bemerken, dass in allen wichtigen
politischen Fällen immer diejenigen Zuschauer am besten dran sind,
welche Partei nehmen: was ihnen wahrhaft günstig ist, ergreifen sie
mit Freuden, das Ungünstige ignorieren sie, lehnen's ab oder legen's
ob oder legen's wohl gar zu ihrem Vorteil aus. Der Dichter aber, der
seiner Natur nach unparteiisch sein und bleiben muss, sucht sich von
den Zuständen beider kämpfenden Teile zu durchdringen, wo er denn,
wenn Vermittlung unmöglich wird, sich entschließen muss, tragisch zu
endigen. Und mit welchem Zyklus von Tragödien sahen wir uns von der
tosenden Weltbewegung bedroht!

Wer hatte seit seiner Jugend sich nicht vor der Geschichte des Jahres
1649 entsetzt, wer nicht vor der Hinrichtung Karls I. geschaudert und
zu einigem Troste gehofft, dass dergleichen Szenen der Parteiwut sich
nicht abermals ereignen könnten! Nun aber wiederholte sich das alles,
gräulicher und grimmiger, bei dem gebildetsten Nachbarvolke wie vor
unsern Augen, Tag für Tag, Schritt für Schritt. Man denke sich,
welchen Dezember und Januar dijenigen verlebten, die, den König zu
retten, ausgezogen waren und nun in seinen Prozess nicht eingreifen,
die Vollstreckung des Todesurteils nicht hindern konnten.

Frankfurt war wieder in deutschen Händen; die möglichsten
Vorbereitungen, Mainz wieder zu erobern, wurden eifrigst besorgt. Man
hatte sich Mainz genähert und Hochheim besetzt. Königstein musste
sich ergeben. Nun aber war vor allen Dingen nötig, durch einen
vorläufigen Feldzug auf dem linken Rheinufer sich den Rücken frei
zu machen. Man zog daher am Taunusgebirge hin auf Idstein, über
das Benediktinerkloster Schönau nach Kaub, sodann über eine wohl
errichtete Schiffbrücke nach Bacharach; von da an gab es fast
ununterbrochene Vorpostengefechte, welche den Feind zum Rückzug
nötigten. Man ließ den eigentlichen Hunsrück rechts, zog nach
Stromberg, wo General Neuwinger gefangen wurde. Man gewann Kreuznach
und reinigte den Winkel zwischen der Nahe und dem Rhein; und so
bewegte man sich mit Sicherheit gegen diesen Fluss. Die Kaiserlichen
waren bei Speyer über den Rhein gegangen, und man konnte die
Umzingelung von Mainz den 14. April abschließen, wenigstens vorerst
die Einwohner mit Mangel, als dem Vorläufer größerer Not, in Angst
setzen.

Diese Nachricht vernahm ich zugleich mit der Aufforderung, mich an
Ort und Stelle zu zeigen, um, wie früher an einem beweglichen Übel,
so nun an einem stationären teilzunehmen. Die Umzingelung war
vollbracht, die Belagerung konnte nicht ausbleiben; wie ungern ich
mich dem Kriegstheater abermals näherte, überzeuge sich, wer etwa die
zweite nach meinen Skizzen radierte Tafel in die Hand nimmt. Sie ist
einem sehr genauen Federumriss nachgebildet, den ich wenige Tage vor
meiner Abreise sorgfältig auf Papier gebracht hatte. Mit welchem
Gefühl, sagen die wenigen dazu gedichteten Reimzeilen:

    Hier sind wir denn vorerst ganz still zu Haus,
    Von Tür zu Türe sieht es lieblich aus;
    Der Künstler froh die stillen Blicke hegt,
    Wo Leben sich zum Leben freundlich regt.
    Und wie wir auch durch ferne Lande ziehn,
    Da kommt es her, da kehrt es wieder hin;
    Wir wenden uns, wie auch die Welt entzücke,
    Der Enge zu, die uns allein beglücke.






End of the Project Gutenberg EBook of Kampagne in Frankreich, by 
Johann Wolfgang von Goethe

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KAMPAGNE IN FRANKREICH ***

***** This file should be named 17664-8.txt or 17664-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/1/7/6/6/17664/

Produced by Andrew Sly

Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.