Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes

By Johann Peter Hebel

The Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes
by Johann Peter Hebel

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Title: Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes
       Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen

Author: Johann Peter Hebel

Release Date: April, 2005 [EBook #7810]
[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
[This file was first posted on May 19, 2003]

Edition: 10

Language: German


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHATZKAESTLEIN ***




Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen




This Etext is in German.


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Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen

Johann Peter Hebel


Inhalt

Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht
Baumzucht
Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will
Blutbad in Neuburg am Rhein
Böser Markt
Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813
Brennende Menschen
Brotlose Kunst
Dankbarkeit
Das Bettlerkind
Das Blendwerk
Das Bombardement von Kopenhagen
Das Branntweingläslein
Das fremde Kind
Das letzte Wort
Das Mittagessen im Hof
Das schlaue Mädchen
Das seltsame Rezept
Das Vivat der Königin
Das wohlbezahlte Gespenst
Das wohlfeile Mittagessen
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande
Der Barbierjunge von Segringen
Der betrogene Krämer
Der Bock
Der falsche Edelstein
Der fechtende Handwerksbursche in Anklam
Der fremde Herr
Der Fremdling in Memel
Der fromme Rat
Der Furtwanger in Philippsburg
Der geduldige Mann
Der geheilte Patient
Der geheilte Patient
Der Generalfeldmarschall Suwarow
Der geschlossene Magen
Der grosse Sanhedrin zu Paris
Der grosse Schwimmer
Der Handschuhhändler
Der Heiner und der Brassenheimer Müller
Der Herr Graf
Der Herr Wunderlich
Der Husar in Neisse
Der kann Deutsch
Der kluge Richter
Der kluge Sultan
Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld
Der Lehrjunge
Der listige Kaufherr
Der listige Quäker
Der listige Steiermarker
Der Prozess ohne Gesetz
Der Rekrut
Der Rekrut
Der schlaue Husar
Der schlaue Mann
Der schlaue Pilgrim
Der Schneider in Pensa
Der Schneider in Pensa
Der schwarze Mann in der weissen Wolke
Der sicherste Weg
Der silberne Löffel
Der sinnreiche Bettler
Der Star von Segringen
Der Talhauser Galgen
Der unschuldig Gehenkte
Der Vater und der Sohn
Der verachtete Rat
Der verwegene Hofnarr
Der vorsichtige Träumer
Der Wasserträger
Der Wegweiser
Der Wettermacher
Der wohlbezahlte Spassvogel
Der Wolkenbruch in Türkheim
Der Zahnarzt
Der Zirkelschmied
Des Dieben Antwort
Des Seilers Antwort
Die Bekehrung
Die Besatzung von Oggersheim
Die drei Diebe
Die falsche Schätzung
Die gute Mutter
Die lachenden Jungfrauen
Die leichteste Todesstrafe
Die nasse Schlittenfahrt
Die Ohrfeige
Die Ohrfeige
Die Probe
Die Raben
Die Schlafkameraden
Die Schmachschrift
Die Tabaksdose
Die Wachtel
Die Wachtel
Die Weizenblüte
Die zwei Postillione
Drei Worte
Drei Wünsche
Drei Wünsche
Ein gutes Rezept
Ein Hausmittel
Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler
Ein Wort gibt das andere
Eine merkwürdige Abbitte
Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte
Eine sonderbare Wirtszeche
Einer Edelfrau schlaflose Nacht
Einer oder der andere
Einfältiger Mensch in Mailand
Einträglicher Rätselhandel
Erinnerung an die Kriegszeit
Etwas aus der Türkei
Farbenspiel
Franz Ignaz Narocki
Franziska
Geschwinde Reise
Gleiches mit Gleichem
Glück im Unglück
Glück im Unglück
glücklich über die Grenzen kam
Gute Antwort
Gute Geduld
Gutes Wort, böse Tat
Heimliche Enthauptung
Herr Charles (Eine wahre Geschichte)
Hilfe in der Not
Hochzeit auf der Schildwache
Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf
Jakob Humbel
Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne
Kannitverstan
Kindesdank und Undank
König Friedrich und sein Nachbar
König Friedrichs Leibhusar
Lange Kriegsfuhr
List gegen List
Mancherlei gute Lehren 1
Mancherlei gute Lehren 2
Mancherlei gute Lehren 3
Mancherlei gute Lehren 4
Mancherlei gute Lehren 5
Mancherlei gute Lehren 6
Mancherlei gute Lehren 7
Mancherlei gute Lehren 8
Mancherlei gute Lehren 9
Mancherlei gute Lehren 10
Mancherlei gute Lehren 11
Mancherlei gute Lehren 12
Merkwürdige Gespenstergeschichte
Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers
Merkwürdiges Rechnungsexempel 5
Merkwürdiges Rechnungsexempel 6
Missverstand
Missverstand
Mittel gegen Zank und Schläge
Mohammed
Moses Mendelssohn
Pieve
Reise nach Frankfurt
Rettung einer Offiziersfrau
Rettung vom Hochgericht
Schlechter Gewinn
Schlechter Lohn
Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz
Seinesgleichen
Seltene Liebe
Seltsame Ehescheidung
Seltsamer Spazierritt
Streich spielen
Suwarow
Teure Eier
Teures Spässlein
Tod vor Schrecken
Unglück der Stadt Leiden
Unglück in Kopenhagen
Untreue schlägt den eigenen Herrn
Unverhofftes Wiedersehen
Unverhofftes Wiedersehen
Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte)
Verloren oder gefunden
Wasserläufer
Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und
Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen
Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist
Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird
Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus
Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht
Willige Rechtspflege
Willige Rechtspflege
Zwei Erzählungen
Zwei Gehilfen des Hausfreunds
Zwei honette Kaufleute
Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk
Zwei Sprichwörter
Zwei Weissagungen





Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht


Jetzt schwingen wir den Hut.
Der Wein, der war so gut.
Der Kaiser trinkt Burgunder Wein,
Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
Und schmeckt ihm doch nicht besser,
Nicht besser.
Der Wirt, der ist bezahlt,
Und keine Kreide malt
Den Namen an die Kammertür
Und hintendran die Schuldgebühr.
Der Gast darf wiederkommen,
Ja kommen.
Und wer sein Gläslein trinkt,
Ein lustig Liedlein singt
Im Frieden und mit Sittsamkeit
Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
Der Gast darf wiederkehren,
Mit Ehren.
Des Wirts sein Töchterlein
Ist züchtig, schlank und fein,
Die Mutter hält's in treuer Hut,
Und hat sie keins, das ist nicht gut,
Musst' eins in Strassburg kaufen,
Ja kaufen.
Jetzt, Brüder, gute Nacht!
Der Mond am Himmel wacht;
Und wacht er nicht, so schläft er noch.
Wir finden Weg und Haustür doch
Und schlafen aus im Frieden,
Ja Frieden.



Baumzucht


Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne dass er's weiss, mit
blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern zu dem
Hausfreund.  "Die Kirschen", sagt er, "schmecken mir doch nie besser,
als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf dem luftigen
Baum kann sitzen und essen frischweg von den Zweigen die schönsten--
auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.

Wir nähren uns doch alle", sagt er, "an dem nämlichen grossen
Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand; die Biene, die
Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rösslein und der Herr Vogt,
der darauf reitet.

Hausfreund", sagt der Adjunkt, "singt mir einmal in Eurer Weise das
Liedlein vom Kirschbaum.  Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt."
Der lieb Gott het zum Früehlig gseit:

"Gang, deck im Würmli au si Tisch!"
Druf het der Chriesbaum Blätter treit,
viel tausig Blätter grüen und frisch.
Und's Würmli, us em Ei verwacht's,
's het gschlofen in sim Winterhus;
es streckt si und sperrt 's Müli uf
Und ribt die blöden Augen us.

Und druf, se het's mit stillem Zahn
am Blättli gnagt enanderno
und gseit: "Wie isch das Gmües so guet!
Me chunnt schier nimme weg dervo."

Und wieder het der lieb Gott gseit:

"Deck jetz im Imli au si Tisch!"

Druf het der Chriesbaum Blüete treit,
viel tausig Blüete wiss und frisch.

Und 's Imli sieht's und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morgeschin;
Es denkt: "Das wird mi Kaffi sy,
sie hen doch chosper Porzelin."

"Wie sufer sin die Chächeli geschwenkt!"
Es streckt si troche Züngli dry.

Es trinkt und seit: "Wie schmeckt's so süess,
Do muess der Zucker wolfel sy."

Der lieb Gott het zuem Summer gseit:

"Gang, deck im Spätzli au si Tisch!"
Druf het der Chriesbaum Früchte treit,
viel tausig Chriesi rot und frisch.
Und 's Spätzli seit: "Isch das der Bricht?
Do sitzt me zue und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei
Und stärkt mer d' Stimm zuem neue Gsang."

"Hausfreund", sagte der Adjunkt, "hat Euch auch manchmal der
Feldschütz verjagt ab den Kirschenbäumen in Eurer Jugend?  Und habt
Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die
Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse
eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr
Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat?  Man denkt doch am längsten
dran, was einem in der Jugend begegnet ist."

"Das geht natürlich zu,", sagte der Hausfreund; "man hat am längsten
Zeit daran zu denken."

Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:

"Rum ab!  sie hen jetz alli gha!"
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
Und 's het scho chleini Rife g’ha.
Und d' Blättli werden gel und rot
und fallen eis im andere no,
und was vom Boden obsi chunnt,
muss au zuem Bode nidsi go.

Der lieb Gott het zuem Winter gseit:
"Deck weidli zui, was übrig isch."

Druf het der Winter Flocke gstreut--

"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "Ihr seid ein wenig heiser.  Wenn ich
die Wahl hätte: ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum oder
Nussbaum, lieber ein Baum."

Der Hausfreund sagt: "Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell.  Ihr
denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt' ich auch einen
eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht.  Eine eigene
Haustüre wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen
Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein."

"Das ist's eben", sagt der Adjunkt, "so ein Baum frisst keinen Klee
und keinen Haber.  Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den
nährenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem
Sonnenschein und frisches aus der Luft und schüttelt die Haare im
Sturm.  Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben.  Aber so ein
Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit
seinen Vogelnestern und mit seinem Segen.  Die Bäume wären die
glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüssten, wie
frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in
ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und
sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in
ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak geniesst, oder ein Stücklein
Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können und
jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht
heimgehen.  Nein, sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann
zurecht, wenn Fahrwege und Fusspfade verschneit sind: "Rechts--
jetzt links--jetzt noch ein wenig links über das Berglein.

"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr einmal Vogt werdet,
Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr,
so müsst Ihr Eure Untergebenen fleissig zur Baumzucht und zur
Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel
voranleuchten.  Ihr könnt Eurer Gemeinde keinen grösseren Segen
hinterlassen.  Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird,
kostet nichts oder wenig; wenn er aber gross ist, so ist er ein
Kapital für die Kinder und trägt dankbare Zinsen.  Die Gottseligkeit
aber hat die Verheissung dieses und des zukünftigen Lebens".

"Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe", sagt der
Adjunkt zum Hausfreund, "dass ich mir ein eigenes Gütlein kaufen und
meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe
Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein
eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muss heissen wie das Kind,
Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und
Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen
und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein
selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht.  Wenn mir
aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den
Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Bäumlein, und
wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie
Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und
Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe
leise hinab: "Stilles Kind, dein Bäumlein blüht.  Schlafe du indessen
ruhig fort!  Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus."

Er ist kein unwäger Mensch, der Adjunkt.



Bequeme Schiffahrt, wer's dafür halten will


Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidelberg
gezogen.  Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und ein Paar
heraushängender Stiefelschuhe ein Handwerksbursche.  "Darf ich auch
mit für Geld und gute Worte?  Was muss ich geben?" Der Schiffmeister,
der ein gar lustiger Kumpan war, sagte: "Fünfzehn Kreuzer, wenn Ihr
in's Schiff wollt sitzen.  Wollt Ihr aber helfen ziehen, nur sechs.
Das Felleisen könnt Ihr mir in das Schiff werfen, es hindert Euch
sonst nur." Der Handwerksbursche fing an zu rechnen.  "Fünfzehn
Kreuzer--sechs Kreuzer--sechs von fünfzehn bleibt neun." Die neun
Kreuzer, dachte er, kann ich verdienen.  "Wenn's denn erlaubt ist",
sagte er und warf das Felleisen in das Schiff.  Hernach schlang er
eins von den Seilern über die Achsel und half ziehen, was er nach
Leibeskräften vermochte.  "Wir kommen eher an Ort und Stelle", dacht'
er, "wenn ich nicht lass bin." In Heidelberg aber entrichtete er
sechs Kreuzer Fährgeld--für die Erlaubnis mit zu ziehen und nahm
das Felleisen wieder in Empfang.



Blutbad in Neuburg am Rhein


Als im Dreissigjährigen Krieg der Schwed am Rhein war, stachen
einmal die Neuburger eine schwedische Patrouille tot und sagten:
"Wenn wir nach Schweden kommen, macht's uns auch so." Darob
entrüstete sich der schwedische General dergestalt; dass er einen
hohen und teuren Schwur tat.  "Auch kein Hund soll am Leben bleiben",
schwur er hoch und teuer, und hatte etwas im Kopf, ein Gläslein
Norschinger zuviel.  Als solches die Neuburger hörten, schlossen sie
die Tore zu.  Aber am andern Tag, als der Zorn und der Wein von dem
General gewichen war, da reute es ihn, denn er war vormittags ein
gar menschlicher Herr, und bekam fast grosse Anfechtung in seinem
Gewissen, dass er mit viel unschuldigem Blut sein Wort und seinen
Eid sollt' lösen.  Also liess er den Feldprediger kommen und klagte
ihm seine Not.  Der Feldprediger meinte zwar, massen der
Feldhauptmann einen Schwur getan hätte, der Gott leid sei, so sei
brechen besser als halten.  Das glaubte der Feldhauptmann nicht, denn
er hielt sein Wort und seinen Schwur über alles teuer.  Aber nach
langem Besinnen kam's auf einmal wie Sonnenschein in sein Angesicht,
und sagte: "Was ich geschworen habe, das will ich auch halten,
Punktum!" Als aber die schwedischen Zimmerleute das Stadttor hatten
eingehauen, und der Feldhauptmann ritt selber mit drei Fähnlein
hinein, befahl er, alle Hunde im Städtlein zu töten, aber die
Menschen liess er leben, und wurden selbigen Tages neunzehn grosse
Metzgerhunde, drei Schäferhunde, vierundsechzig Pudel, acht
Windhunde, zwölf Dachshunde und zwei gar feine Möpperlein jämmerlich
teils zusammengehauen, teils mit Büchsen zu Tod geschossen.  Also hat
der Feldhauptmann das menschliche Blut verschont und doch seinen Eid
gehalten.  Denn er hatte den Schwur getan: Kein Hund soll am Leben
bleiben, und ist auch keiner daran geblieben.



Böser Markt


In der grossen Stadt London und rings um sie her gibt es
ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder
Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben
und nicht ruhen, bis sie dieselben haben.  Dies bringen sie zuweg
manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff,
manchmal am hellen, lichten Tag und an der offenen Landstrasse.
Einem geratet es, dem andern nicht.  Der Kerkermeister zu London und
der Scharfrichter wissen davon zu erzählen.  Eine seltsame Geschichte
begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann.  Der
König und viele andere grosse Herren und Frauen waren an einem
schönen Sommertage in einem grossen königlichen Garten versammelt,
dessen lange, gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald
verloren.  Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht
auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König
und seine Familie froh und glücklich zu sehen.  Man ass und trank,
man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und
zwischen dem duftenden Rosengebüsch, paarweise und allein, wie es
sich traf.  Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er
auch dazu gehörte, mit einer Pistole unter dem Rock in einer
abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt,
dachte: es wird schon jemand kommen.  Wie gesagt, so geschehen.  Kommt
ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit
diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will
spazieren gehn im kühlen Schatten und denkt an nichts.  Indem er an
nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem
guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen
dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihr Maul auf des Herrn Brust
und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu
wissen, was sie miteinander zu reden haben.  Man muss übel dran sein,
wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiss, was drin
steckt.  Der Herr dachte vernünftig: Der Leib ist kostbarer als das
Geld; lieber den Ring verloren als den Finger; und versprach zu
schweigen.  "Gnädiger Herr", fuhr jetzt der Geselle fort: "wären Euch
Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung?  Unser
Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anderst, man weiss nie, wie
man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt." Will
der reiche Herr wohl oder übel, so muss er dem Halunken die Uhren
verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, so man kaum ein Schöpplein
dafür kann trinken.  Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und
Schnallen und Ordensstern und das goldne Herz, so er vorne auf der
Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld und immer
mit der Pistole in der linken Hand.  Als endlich der Herr dachte:
Jetzt bin ich absolviert, gottlob!  fing der Spitzbube von neuem an:
"Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet
Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?" Der Herr denkt
an das Sprichwort, dass man müsse zu einem bösen Markt ein gutes
Gesicht machen, und sagt: "Lasst sehen!" Da zog der Bursche allerlei
Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkrämer
gekauft oder auch schon auf einem ungewischten Bank gefunden hatte,
und der gute Herr musste ihm alles abkaufen, Stück für Stück um
teures Geld.  Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole
übrig hatte und sah, dass der Herr noch ein paar schöne Dublonen in
dem grünen, seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: "Gnädiger
Herr, wolltet Ihr mir für den Rest, den Ihr da, in den Händen habt,
nicht die Pistole abkaufen?  Sie ist vom besten Büchsenschmied in
London und zwei Dublonen unter Brüdern wert." Der Herr dachte in der
Überraschung: "Du dummer Dieb!" und kauft die Pistole.  Als er aber
die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach "Nun
halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich
dich heissen werde, oder ich schiesse dich auf der Stelle tot." Der
Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: "Schiesst
herzhaft los, gnädiger Herr; sie ist nicht geladen." Der Herr
drückte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur
beweist; denn sonst müsste man Rauch sehen.  Er liess den Ladstock in
den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin.  Der Dieb
aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engländer
ging schamrot zurück, dass er sich also habe in Schrecken setzen
lassen, und dachte an vieles.



Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813


Im Spätjahr 1813 erfuhren wir Brassenheimer von dem Krieg in Sachsen
auch lange nichts anders, als lauter Liebes und Gutes, wer nämlich
französisch gesinnt war, und niemand hatte bei Turmstrafe das Herz,
etwas anderes zu wissen, noch viel weniger zu sagen, ausgenommen ein
lustiger Kumpan, der Spielmann in der untern Gasse, hat's gemerkt.
Was tut der Spielmann?  Er geht ins Amtshaus.  "Herr Amtmann, die
Hochzeiten- und Kirchweihtänze wollen heuer gar nicht recht geraten.
Wolltet Ihr mir und meinen Kameraden nicht erlauben, dann und wann
an einem Sonntag abends im Roten Löwen eine Komödie zu spielen für
ein Geringes?" Der Amtmann erwiderte: "Reichenauer, das lob' ich an
Euch, dass Ihr Euch lieber auf eine geziemliche Art forthelfen und
Euern Mitbürgern einen lustigen Abend dafür machen wollt, als dass
Ihr wieder Schulden macht oder stehlt." Also kündeten sie auf den
nächsten Sonntag eine nagelneue Komödie an.  Es sei die neueste,
sagten sie, die es gibt.  In derselben Komödie musste einer
mitspielen, der hiess Franz, und hatte eine Frau mit Namen Viktoria,
ein gar stattliches, handfestes Weibsbild.  Im Verlauf der Komödie
musste es sich schicken, dass der Franz mit einem fremden Mann
Verdruss bekam.  Der Zank gebar Schimpf, der Schimpf gebar Schläge,
und wer die meisten bekam, war nicht der fremde Mann, sondern der
Franz, also dass er zuletzt seine Frau zu Hilfe rief.  Weil sie aber
Viktoria hiess, konnte er nicht Apollonia oder Kunigunda rufen, und
also fügete es sich, dass, je mehr er Schläge bekam und je besser
sie aufsassen, desto lauter rief er: "Viktoria!  Viktoria!" Daran
haben wir Brassenheimer, was verständige Leute unter uns sind, zum
ersten Mal gemerkt, wie es damals in Sachsen stehen mochte, und was
es zu bedeuten hatte, wenn man schrie: "Viktoria!  Viktoria!" Der
Herr Amtmann hat zum Glück nichts gemerkt.



Brennende Menschen


Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft gehört, aber seltener von
brennenden Frauen.  Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in
den Keller und will etwas holen.  Die Magd steigt mit dem Licht auf
eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche
voll Branntwein um, worin ungefähr 6-8 Mass waren, und zerbricht
sie, der Branntwein strömt plötzlich herab, so über die Magd, so
über die Frau.  Das Licht kommt der Magd an den Ärmel.  Die Magd fangt
an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein.  Die Frau will ihr
zu Hilfe eilen.  Die Frau brennt auch an.  Beide rennen brennend die
Treppe hinauf in den Hof.  Der Apothekerjung sieht's und springt
davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht,
den der Hausfreund nicht nennen darf.  Im Hof am Brunnen begiessen
sie sich mit Wasser.  Das Wasser wird nicht Meister über den
Branntewein.  Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof
und wälzt sich darauf.  Die Frau wirft sich ebenfalls auf den
Dunghaufen und wälzt sich auch.  Beide löschten aus; die Magd wurde
noch geheilt, aber die Frau musste sterben.
Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen wälzen.
Solches ist auch gut für die, welche den Branntewein inwendig im
Leib haben.--



Brotlose Kunst


In der Stadt Aachen ist eine Fabrik, in welcher nichts als Nähnadeln
gemacht werden.  Das ist keine brotlose Kunst.  Denn es werden in
jeder Woche 200 Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf
ein Pfund gehen; Facit: eine Million, und der Meister Schneider und
die Näherin und jede Hausmutter weiss wohl, wieviel man für einen
Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer auszurechnen, wie viel Geld
an den Aachener Nadeln in der Fabrik selbst und durch den Handel
jährlich verdient und gewonnen wird.  Das Werk geht durch Maschinen,
und die meisten Arbeiter sind Kinder von acht bis zehn Jahren.
Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten und wunderte sich, dass
es möglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feinern
Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste,
fast unsichtbare Faden kann gezogen werden.  Aber ein Mägdlein,
welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar
aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln ein Loch dadurch,
nahm das eine Ende des Haares, bog es um und zog es durch die
Öffnung zu einer artigen Schleife oder, wie man's sonst nennt,
Schlupf oder Letsch.

Das war so brotlos eben auch nicht.  Denn das Mägdlein bot dieses
künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür
ein artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen
sein.  Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleissigen Kinde
wohl zu gönnen.

Aber während ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nützliches
arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen und mit gutem Gewissen
essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in
der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich grossen Entfernung durch
ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen.  Das war eine brotlose Kunst.
Doch lief es auch nicht ganz leer ab.  Denn als der Linsenschütz
unter anderm nach Rom kam, liess er sich auch vor dem Papst sehen,
der sonst ein grosser Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein
hübsches Stück Geld von ihm zu beikommen und machte schon ein paar
wunderfreundliche Augen, als der Schatzmeister des Heiligen Vaters
mit einem Säcklein auf ihn zuging, und bückte sich entsetzlich tief,
als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot.

Allein was war darin?  Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise
Papst zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleisses übermachen
liess, damit er sich in seiner Kunst noch ferner üben und immer
grössere Fortschritte darin machen könne.



Dankbarkeit


In der Seeschlacht von Trafalgar, während die Kugeln sausten und die
Mastbäume krachten, fand ein Matrose noch Zeit, zu kratzen, wo es
ihn biss, nämlich auf dem Kopf.  Auf einmal streifte er mit
zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger bedächtig an einem Haare
herab und liess ein armes Tierlein das er zum Gefangenen gemacht
hatte, auf den Boden fallen.  Aber indem er sich niederbückte, um ihm
den Garaus zu machen, flog eine feindliche Kanonenkugel ihm über den
Rücken weg, paff, in das benachbarte Schiff.  Da ergriff den Matrosen
ein dankbares Gefühl, und überzeugt, dass er von dieser Kugel wäre
zerschmettert worden, wenn er sich nicht nach dem Tierlein gebücket
hätte, hob er es schonend von dem Boden auf und setzte es wieder auf
den Kopf.  "Weil du mir das Leben gerettet hast", sagte er; "aber
lass dich nicht zum zweiten Mal attrapieren, denn ich kenne dich
nimmer."



Das Bettlerkind


Zu einem betagten Herrn, der zwar wohltätig, aber fast wunderlich
war, kommt ein freundliches Bettelkind und bittet ihn um ein
Almosen.  "Wir haben schon seit dem Samstag kein Weissbrot mehr, und
das schwarze ist so teuer, weil die Laibe so gross sind." Der Herr,
der auf Ordnung hielt und das Betteln nicht wohl leiden konnte,
sagte: "Weil du sonst so bescheiden bist, ich habe dich noch nie
gesehen, und heute zum ersten Mal zu mir kommst, so will ich dir
zwar ein Sechskreuzerlein schenken.  Aber unterstehe dich nicht, dass
du dich wieder bei mir blicken lassest, sonst geht's mit einem
Groschen ab." Also holte das Kind in Zukunft den Groschen fast über
jeden andern Tag.  Als er aber des Überlaufens müde war, sagte er:
"Jetzt bin ich's müde.  Wenn du dich noch einmal unterstehst, so
setze ich dich auf einen Kreuzer herab." Also kam das Kind in
Zukunft alle Morgen und holte den Kreuzer.  Die Köchin riet dem
Herrn, er solle dem Kind gar nie mehr etwas geben, so wird's schon
wegbleiben.  "So?" sagte er, "das ist mir ein sauberer Rat.  Seht Ihr
nicht, je weniger man ihm gibt, desto öfter kommt's?"



Das Blendwerk


Manche Leute, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen, noch
weniger nachmachen können, so sagen sie kurz und gut, das ist ein
Blendwerk.  Nämlich, dass man etwas zu sehen glaube, wo nichts ist,
oder dass man die Sache anders sehe, als sie wirklich ist.
Dass es aber viel Blendwerk gibt, das unterliegt keinem Zweifel.  Z.
B.  wenn jemand im Mondschein auf der Strasse ist und sieht an einer
Mauer oder im Nebel seinen Schatten aufrecht, dass er meint, es sei
ein ungebetener Kamerad, der mit ihm geht, einer von der schwarzen
Legion.

Item, wenn jemand einen falschen Freund für einen guten Freund hält
und trotz aller Warnung dem Spitzbuben traut, bis er zuletzt um Hab
und Gut betrogen ist und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt.
Das ist ein grosses Blendwerk.
Item, wenn jemand meint, etwas sei ein Blendwerk, und ist doch
keins.

In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein
Tausendkünstler, und bekam die Erlaubnis, auf einer alten Heubühne,
die schon lange nicht mehr war gebraucht worden, seine Künste zu
zeigen, und zwar gleich zum letzten Mal.  Fast die ganze Gemeinde
versammelte sich, und es war der Mühe wert.

Dem Vernehmen nach--der Hausfreund war nicht dabei--brachte der
Tausendkünstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hörten
einander das grosse Einmaleins ab und rechneten verschiedene Exempel
aus der verkehrten Regeldetri.

Nachdem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch und
kam auf der andern Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er
vorher war.

Etwas an der Sache scheint übertrieben zu sein.

Hierauf sagte er, das sei aber noch alles nichts.  Jetzt wolle er
sich mit einem scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden.  Hernach
wolle er ganz in den Bauch hineinschlupfen, dass man gar nichts mehr
von ihm sehe.  Hernach wolle er sich wieder aus sich selber
herauswickeln, dass er wieder sichtbar werde.

Ehe er aber das grosse Wägestück beginnen konnte, fing die Bühne an
zu knacken.  Es kracht links, es kracht rechts.  Knack, stürzte der
morsche Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft wäre in dem
untern Raume zusammengestürzt, wenn nicht noch einer sich an einem
schwebenden Balken erhalten hätte.  Die andern lagen alle unten.  Da
entstand nun ein grosses, vierstimmiges Not- und Zetergeschrei von
Männern, Weibern, Kindern und Säuglingen.  Es ist gar klug, wenn man
kleine Kinder zu so etwas mitträgt.  Sie sehen alles gar gut, und
wenn's an Musik fehlt, so können sie machen.  Alles schrie: "O mein
Kopf, o mein Arm, o meine Rippen", so dass der oben auf dem Balken
genug zu trösten und zu ermahnen hatte.  "Habt doch nur Geduld",
sagte er, "und seid verständig!  Man muss sich ja schämen vor dem
fremden Mann: Merkt ihr denn nicht, dass es nur Blendwerk ist?  Euch
Leuten", sagte er, "ist keine Ehre anzutun." Denn er hielt das
Unglück für ein Blendwerk vom Künstler und meinte, unversehens
würden wieder alle an ihren Plätzen sitzen.



Das Bombardement von Kopenhagen


In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem
andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg
gezogen wurde, hatte sich das Königreich Dänemark teils durch seine
Lage, teils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden
erhalten.  Sie lebte niemand zu lieb und niemand zu leid, dachte nur
darauf, den Wohlstand der Untertanen zu vermehren, wurde deswegen
von allen Mächten in Ehren erhalten.  Als aber im Jahr 1807 der
Engländer sah, dass Russland und Preussen von ihm abgegangen sei,
und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und dass die Franzosen in
allen Häfen und festen Plätzen an der Ostsee Meister sind, und die
Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Dänemark
kommen, sagte er kein Wort, sondern liess eine Flotte auslaufen, und
niemand wusste, wohin.  Als aber die Flotte im Sund und an der
dänischen Küste und vor der königlichen Haupt- und Residenzstadt
Kopenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die
Engländer Bericht nach Kopenhagen hinein: "Weil wir so gute Freunde
zusammen sind, so gebt uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte,
damit sie nicht in des Feindes Hände kommt, und die Festung.  Denn es
wäre uns entsetzlich leid, wenn wir euch müssten die Stadt über dem
Kopfe zusammenschiessen." Als wenn ein Bürgersmann oder Bauer mit
einem andern einen Prozess hat, und kommt in der Nacht mit seinen
Knechten einem Nachbar vor das Bette, und sagt: "Nachbar, weil ich
mit meinem Gevattermann einen Prozess habe, so müsst Ihr mir bis
Ausgang der Sache Eure Rosse in meine Verwahrung geben, dass mein
Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zünd' ich
Euch das Haus an, und müsst mir erlauben, dass ich an der Strasse
mit meinen Knechten in Euer Kornfeld stehe, auf dass, wenn der
Gevattermann auf seinem eigenen Ross zum Hofgericht reiten will, so
verrenn' ich ihm den Weg." Der Nachbar sagt: "Lass mir mein Haus
unangezündet!  Was gehn mich eure Händel an?" Und so sagten die Dänen
auch.  Als aber der Engländer fragte: "Wollt ihr gutwillig oder
nicht?" und die Dänen sagten: "Nein, wir wollen nicht gutwillig!" so
stieg er mit seinen Landungstruppen ans Ufer, rückte immer näher
gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, führte Kanonen drein,
und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit, jetzt sei die
letzte Frist.  Allein alle Einwohner von Kopenhagen und die ganze
dänische Nation sagten: Das Betragen des übermütigen Feindes sei
unerhört, und es wäre eine Schande, die der Belt nicht abwaschen
könnte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen und in seine
ungerechten Forderungen einzuwilligen.  Nein!  Da fing das
fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal
beschlossen war.  Denn von abends um sieben Uhr an hörte das
Schiessen auf Kopenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die
ganze Nacht hindurch zwölf Stunden lang nimmer auf; und ein Satan,
namens Congreve, war dabei, der hatte ein neues Zerstörungsmittel
erfunden, nämlich die sogenannten Brandraketen.  Das war ungefähr ein
Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und
vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren.  Im Schuss
entzündet sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas
hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal wo
niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was
brennen konnte.  Auch diese Brandraketen flogen die ganze Nacht in
das arme Kopenhagen hinein.  Kopenhagen hatte damals 4000 Häuser,
85’965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22
Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele
Fabriken.  Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser
angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz
sich nicht zu helfen wusste, wie manche Wunde blutete, und wie die
Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der
Kanonendonner durcheinander ging.  Am 3. September, als der Tag kam,
hörte das Schiessen auf, und der Engländer fragte, ob sie noch nicht
wollten gewonnen geben.  Der Kommandant von Kopenhagen sagte: "Nein!"
Da fing das Schiessen nachmittags um vier Uhr von neuem an, und
dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlass und ohne
Barmherzigkeit.  Und als der Kommandant noch nicht wollte Ja sagen,
fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den
5. des Mittags.  Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche;
ganze Kirchtürme waren eingestürzt, und noch überall wütete die
Flamme.  Mehr als 800 Bürger waren schon getötet und mehrere schwer
verwundet.  Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem
Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich.
Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch
Hülfe und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7.
September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt.
Das erste war, die Engländer nahmen die ganze Seeflotte von
Kopenhagen in Besitz und führten sie weg: 18 Linienschiffe, 15
Fregatten und mehrere kleinere bis auf eine Fregatte, welche der
König von England ehemals dem König von Dänemark zum Geschenk
gemacht hatte, als sie noch Freunde waren.  Diese liessen sie zurück.
Der König von Dänemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will
nichts Geschenktes mehr zum Andenken haben.  Im Land selbst und auf
den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat
weiss nicht, was er tut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient
hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen.  Zum Glück dauerte ihr
Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19.  Oktober
wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub
davon, und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und
Kinder nimmer gesehen.  Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich
mit den Franzosen, und Kaiser Napoleon will nicht eher mit den
Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder
zurückgegeben, und Kopenhagen bezahlt haben.  Dies ist das Schicksal
von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen, es sei nicht so
schlimm gemeint gewesen; andere aber sagen, es hätte nicht können
schlimmer sein, und die Dänen meinen's auch.



Das Branntweingläslein


Ein Unteroffizier trat im Roten Rösslein ein von der Parade.  Der
Wirt sagt zu ihm: "Aber den habt Ihr nicht schlecht getroffen heut
in dem Kasernenhof.  Was hat er angestellt?"--"Nicht wahr, ich hab'
ihn gut getroffen?" sagte der Unteroffizier.  "Es ist ein
ausgelernter Spitzbube, gegen den keine Vorsicht hilft.  Er ist
imstand und stiehlt Euch ein Rad vom Wagen, während Ihr darauf sitzt
und Wein holt im Ramstal.  Kommt Ihr herein, so habt Ihr noch drei
Räder." Der Wirt sagt: "Mir ist keiner schlau genug.  Der ist noch
nicht auf der Welt." Denn der Wirt war ein wenig dumm.  Es ist fast
immer ein Zeichen von Unverstand, wenn man allein klüger zu sein
glaubt als alle andern.  Deswegen sagte er: mir ist keiner schlau
genug.  Der Unteroffizier sagte: "Gilt's einen Taler, er führt Euch
an?" Der Wirt geht die Wette ein.  Nachmittags kommt der Soldat mit
einem Branntweinfläschlein in der Hand und verlangt für einen
Sechser Branntenwein.  Er habe daheim einen kranken Kameraden.  Er
hatte aber noch ein anderes Fläschlein von gleicher Grösse und
Gestalt in der Tasche, darin war Brunnenwasser, so viel als man
Branntwein bekommen mag für sechs Kreuzer.  Als er in das leere
Fläschlein den Branntwein bekommen hatte, steckte er es zu dem
andern in die nämliche Tasche und gab dem Wirt einen Sechser, der
war falsch.  Als er aber schon an der Türe war, während der Wirt den
Sechser umkehrte, ruft er dem Soldaten: "Guter Freund, Euer Sechser
ist falsch auf der untern Seite.  Gebt mir einen andern." Der Soldat
stellte sich schrecklich erbost über den Spitzbuben, der ihm den
falschen Sechser gegeben hatte, und zum Unglück habe er keinen
andern bei sich.  Er wolle aber sogleich einen holen.--"Nein", sagte
der Wirt, "so ist's nicht gewettet.  Gebt den Branntwein wieder
heraus, und holt zuerst das Geld." Da stellte ihm der Soldat das
Fläschlein auf den Tisch, wo das Brunnenwasser drin war, und ging
und kam nicht wieder.  Abends kam der Unteroffizier.

"Ei, seid Ihr es?" sagte der Wirt und lachte aus vollem Halse.  "Was
gilt's, Ihr wollt mir einen Taler bringen." Der Unteroffizier aber
lächelte nur, zwar etwas spöttisch und sagte: "Nein, ich will einen
holen.  Versucht einmal Euern Branntwein, ob er nicht schmeckt
akkurat wie Brunnenwasser." Da wusste der Wirt vor Verwunderung und
Beschämung nicht, was er sagen wollte.  Der Unteroffizier aber sagte
spöttisch: "Euch ist keiner schlau genug." Also hatte er den Taler
gewonnen, doch durfte der Wirt sechs Kreuzer davon abziehen, was der
Branntwein kostete, und bekam, wie das Sprichwort sagt, zum Schaden
den Spott.



Das fremde Kind


Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt abends
am 5.  Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb barfuss, halb
nackt vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Gebirg und gesellt
sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes, die
vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir
nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans
Fortgehen.  Nicht anders als ein Schäflein, das sich vor der Herde
verlaufen hat und in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu
seinesgleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr.  Der Taglöhner
fragt das Kind, wo es herkomme.  "Oben aben von Gutenberg."--"Wie
heisst dein Vater?"--"Ich habe keinen Vater."--"Wie heisst deine
Mutter?"--"Ich habe keine Mutter."--"Wem gehörst du denn sonst
an?"--"Ich gehöre niemand sonst an."--Aus allem, was er fragte,
war nur so viel herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten
sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und
Gaunern sei herumgezogen, dass sie es zuletzt in St.  Peter haben
sitzen lassen, und dass es allein über St.  Märgen gekommen sei und
jetzt da sei.  Als der Taglöhner mit den Seinigen zu Nacht ass,
setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch.  Als es Zeit war zu
schlafen, legte es sich auf den Ofenbank und schlief auch; so den
andern Tag, so den dritten.  Denn der Mann dachte: ich kann das arme
Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich
ankommt, eins mehr zu füttern.  Aber am dritten Tag sagte er zu
seiner Frau: "Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer
anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des armen
Mannes, der Hausfreund auch; "aber das Mägdlein", sagte der
Pfarrherr, "soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst
werden die Stücklein zu klein.  Ich will ihm einen Vater und eine
Mutter suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und
gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat,
und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte:
"Peter", sagte er, "wollt Ihr ein Geschenk annehmen?"--"Nach dem's
ist", sagte der Mann.--"Es kommt von unserm lieben Herr Gott.--
"Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler." Also bot ihm der
Pfarrherr das verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte
dazu, so und so.  Der Mann sagte: "Ich will mit meiner Frau reden.  Es
wird nicht fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit
Freuden auf.  "Wenn's guttut", sagte der Mann, so will ich's
erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber verdienen kann.  Wenn's
nicht guttut, so will ich's wenigstens behalten bis im Frühjahr.
Denn dem Winter darf man keine Kinder anvertrauen." Jetzt hat er's
schon viermal überwintert und viermal übersommert auch.  Denn das
Kind tat gut, ist folgsam und dankbar und fleissig in der Schule,
und Speise und Trank ist nicht der grösste Gotteslohn, den das
fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern die christliche Zucht, die
väterliche Erziehung und die mütterliche Pflege.  Wer das fremde
Töchterlein unter den andern in der Schule sieht, sollt' es nicht
erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es gekleidet.  So
etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den braven Taglöhner
und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen nennen, wer sie
sind, und wie sie heissen.  Aber über seinen Mund kommt's nicht.



Das letzte Wort


Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau herwärts Ulm lebten
miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward
nicht im Himmel geschlossen.  Sie war verschwenderisch und hatte eine
Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen
Mund und Magen ging.  Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte
sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen
Ehrentitel des Tags hören wollte.  Denn wenn er hundertmal in einer
Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: "Du Knicker",
und das letzte Wort gehörte allemal ihr.  Einmal fingen sie es wieder
miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben
haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die
Augen zufielen und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte,
kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: Du
Knicker!  Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur
Häuslichkeit und lief fort, sobald er konnte, und wohin?  Ins
Wirtshaus.  Und was im Wirtshaus?  Zuerst trinken, danach spielen,
endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf Borgs.  Denn
wenn die Frau nichts zu Rat hält und der Mann nichts erwirbt, in
einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts
heraus.  Als er aber im Roten Rösslein den letzten Rausch gekauft
hatte, und konnte ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen
Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die
Stubentür, und als er nach Haus kam und die Frau erblickte: "Nichts
als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin", sagte er
zu ihr.  "Und nichts als Unehre und Verdruss hat man von dir, du
Säufer, du der und jener, du Knicker", sagte sie.  Da stieg es
schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen
Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten
zu ihm: "Wirf die Bestie in die Donau!" Das liess er sich nicht
zweimal sagen.  "Wart', ich will dir zeigen, du Vergeuderin" ("du
Knicker", sagte sie ihm drauf), "ich will dir schon zeigen, wo du
hingehörst", und trug sie in die Donau.  Und als sie schon mit dem
Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der
Unmensch noch einmal: "Du Vergeuderin." Da hob die Frau noch einmal
die Arme aus dem Wasser empor und drückte den Nagel des rechten
Daumens auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man
einem gewissen Tierlein den Garaus macht, und das war ihr Letztes.--
Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man
nicht sagen dürfen, dass der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt,
sondern er ging heim und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an
einen Pfosten.



Das Mittagessen im Hof


Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit
manchen Menschen auszukommen.  Das mag denn freilich auch wahr sein.
Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur
wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und
auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig
und nie zu nachgiebig, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung
zu bringen.  Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen.
Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles
entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht.  So kam einmal
der Herr sehr verdriesslich nach Hause, und setzte sich zum
Mittagessen.  Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt oder keines von
beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich.  Er fasste daher die
Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene
Fenster in den Hof hinab.  Was tat der Diener?  Kurz besonnen warf er
das Fleisch, welches er eben auf den Teller stellen wollte, mir
nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das
Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch
darauf war.  "Verwegener, was soll das sein?" fragte der Herr und
fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf.  Aber der Bediente
erwiderte ganz kalt und ruhig: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre
Meinung nicht erraten habe.  Ich glaubte nicht anders, als Sie
wollten heute in dem Hofe speisen.  Die Luft ist so heiter, der
Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht,
und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!"--Diesmal die
Suppe hinabgeworfen, und nimmer.  Der Herr erkannte seinen Fehler,
heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte
heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm
im Herzen für die gute Lehre.



Das schlaue Mädchen


In einer grossen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen
lustigen Tag.  Einer von ihnen dachte: "Könnt ihr heute dem Wirt und
den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen geben, so könnt
ihr auch etwas für die liebe Armut steuern." Also kam, als die
Herren am fröhlichsten waren, ein hübsches und nett gekleidetes
Mädchen mit einem Teller und bat mit süssen Blicken und liebem Wort
um eine Steuer für die Armen.  Jeder gab, der eine weniger, der
andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz.
Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig.  Weiter Beutel und
grosses Herz gibt viel.  So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das
Mägdlein jetzt kommt.  Denn als er ihm in die hellen, schmeichelnden
Augen schaute, ging ihm das Herz fast in Liebe auf.  Deswegen legte
er zwei Louisdor auf den Teller und sagte dem Mägdlein ins Ohr: "Für
deine zwei schönen blauen Augen." Das war nämlich so gemeint: Weil
du, schöne Fürbitterin für die Armen, zwei so schöne Augen hast, so
geb' ich den Armen zwei so schöne Louisdor, sonst tät's eine auch.
Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz
anders verstünde.  Denn weil er sagte: "Für deine zwei schöne Augen"
- nahm es ganz züchtig die zwei Louisdor vom Teller weg, steckte sie
in den eigenen Sack und sagte mit schmeichelnden Gebärden: "Schönen,
herzlichen Dank!  Aber seid so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas
für die Armen." Da legte der Herr noch einmal zwei Louisdor auf den
Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen und sagte: "Du
kleiner Schalk!" Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich
ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die
Musikanten machten Tusch.



Das seltsame Rezept


Es ist sonst kein grosser Spass dabei, wenn man ein Rezept in die
Apotheke tragen muss; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein
Spass.  Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit
einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud
sorgsam eine grosse tannene Stubentüre ab und trug sie hinein.  Der
Apotheker machte grosse Augen und sagte: "Was wollt Ihr da, guter
Freund, mit Eurer Stubentüre?  Der Schreiner wohnt um zwei Häuser
links." Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau
gewesen und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem
ganzen Haus keine Feder, keine Tinte und kein Papier gewesen, nur
eine Kreide.  Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre
geschrieben, und nun soll der Herr Bachin so gut sein und das
Tränklein kochen.

Item, wenn es nur gut getan hat.  Wohl dem, der sich in der Not zu
helfen weiss.



Das Vivat der Königin


Nicht ebenso gut als der Franzos, der dem Engländer auf der Brücke
zu Pferd begegnete, kam ein anderer Franzos zu Königszeiten mit
einem andern Engländer davon in einem Wirtshaus.  Der Engländer sass
schon über eine halbe Stunde still und stumm in einer Ecke und
wartete auf einen Chirurgus, hätte gern die Zähne zusammengebissen
vor Ungeduld, aber einer davon war hohl und tat ihm von Zeit zu Zeit
entsetzlich weh, zum Exempel diesmal.  Kommt auf einmal der Franzose,
ein Perückenmacher oder so etwas, an den Tisch, wo der Engländer
sass, und wollte seinen Kameraden einen Spass zum besten geben.  Denn
er glaubte, der Engländer sei dumm oder noch scheu dortzuland.  Also
fing er ein langes Gespräch mit ihm an, worauf der Engländer wenig
antwortete, rühmte ihm, was Frankreich für ein reiches und grosses
Land sei, und dass einer schon ein gutes Pferd haben müsse, wenn
er's in drei Vierteljahren durchreiten wollte, und wie der König so
gerecht sei, und die Königin so gut.  "Aber auf das Wohl der
Königin", sagte er, "trinkt Ihr doch eins mit mir, und noch mehr?"
Als sie ausgetrunken hatten, zerriss der Franzos die Hemdkrause an
seinem alten, abgewaschenen Hemde und sagte: "Es lebe die Königin!
Gentleman", sagte er, "Ihr müsst Eure Hemdkrause auch zerreissen auf
das Wohlsein der Königin.  Ich hab' meine auch zerrissen." "Geht zum
Henker, Ihr Sapperment", sagte der Engländer, "Euer Hemd hat nimmer
weit in die Papiermühle.  Meins kommt nagelneu von der Näherin weg
und ist an einigen Orten noch ganz heiss vom Durchzug der Nadel."
Aber der Perückenmacher sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass!
Entweder zerreisst Ihr Euer Hemd, oder Ihr müsst Euch mit mir
stechen auf Leben und Tod." Wollte der fremde Engländer keinen
Spektakel haben, so musste er seine Hemdkrause zerreissen wie der
Franzose.  Aber jetzt wurde er auf einmal freundlich und redselig und
erzählte dem Perückenmacher viel von England und von London und von
dem grossen Kirchturm in London, und wie einer droben schon gute
Augen haben müsse, wenn er unten die Stadt noch sehen wolle; bis der
Chirurgus kam.  Als der Chirurgus kain und fragte, was der fremde
Herr befehle, "seid so gut", sagte der Engländer, "und zieht mir
diesen Stockzahn da aus, den dritten, aufs Wohlsein der Königin von
England.!  Herr", sagt er zu dem Perückenmacher, "Ihr bleibt da
sitzen und rührt Euch nicht." Als der Zahn glücklich heraus war,
sagte er zu dem Zahnarzt: "Seid so gut und zieht jetzt diesem Herrn
da ebenfalls einen Zahn aus aufs Wohlsein der Königin von England.
Guter Freund", sagte er, "Ihr müsst Euch auch einen ausreissen
lassen, ich hab' mir auch einen ausreissen lassen." Da verging dem
Spassmacher der Mutwillen und die roten Backen, und protestierte
zwar, die Sache sei nicht gleich.  "Euer Zahn da", sagte er, "ist so
hohl, dass eine Häsin drin setzen könnte.  Die meinigen sind alle so
kerngesund, dass ich eine Bleikugel damit breit beissen kann.  Wenn
drei Lilien drauf wären könnt' ich Geld damit prägen." Aber der
andere gab darauf kein Gehör, sondern sagte: "Herr, ich verstehe
keinen Spass!  Entweder Ihr lasst Euch einen Zahn ausbrechen auf der
Stelle, oder Ihr könnt Euch mit mir stechen auf Leben und auf Tod,
und ich bohr' Euch da an die Tür hinan, dass der Degen eine Elle
weit in die Kammer hineingeht." Da dachte der Perückenmacher: Ein
Zahn,--Ein Leben!--Neun Kinder hab ich daheim.--Lieber ein Zahn.
Also liess er sich wohl oder übel auch einen ausreissen, und
schieden darauf in Frieden voneinander.  Aber zu seinen Kameraden
sagte er nachher: "Diesmal mit einem Fremden Mutwillen getrieben,
den ich nicht kenne!  Hört man mir nichts an, wenn ich rede?"



Das wohlbezahlte Gespenst


In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen könnte, geht ein
üblicher Fussweg über den Kirchhof und von da durch den Acker eines
Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht.  Wenn nun die
Ackerwege bei nasser Witterung schlüpfrig und ungangbar sind, ging
man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigentümer die
Saat, so dass bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter
und der Acker immer schmäler wurde, und das war kein Recht.  Zum Teil
wusste nun der beschädigte Mann sich wohl zu helfen.  Er gab bei Tag,
wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleissig acht, und wenn ein
unverständiger Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als
seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und
pfändete ihn oder tat's mit ein paar Ohrfeigen kurz ab.  Bei Nacht
aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, war's
nur desto schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit welchen er
den Wandernden verständlich machen wollte, wo der Weg sei, waren
allemal in wenig Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und
mancher tat's vielleicht mit Fleiss.  Aber da kam dem Mann etwas
anderes zustatten.  Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe,
über welchen der Weg ging.  Bei trockenem Wetter und etwas hellen
Nächten sah man oft ein langes, weisses Gespenst über die Gräber
wandeln.  Wenn es regnete oder sehr finster war, hörte man im
Beinhaus bald ein ängstliches Stöhnen und Winseln, bald ein
Klappern, als wenn alle Totenköpfe und Totengebeine darin lebendig
werden wollten.  Wer das hörte, sprang bebend wieder zur nächsten
Kirchhoftüre hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend
dämmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war,
gewiss keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein
verständiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich
an diesem Ort verspätete und den nächsten Weg nach Haus doch über
diesen verschrienen Platz und über den Gerstenacker nahm.  Denn ob
ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten,
so sagte er doch am Ende: "Wenn es ein Geist ist, geh' ich mit Gott
als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu meiner Frau und zu meinen
Kindern heim, habe nichts Böses getan, und ein Geist, wenn's auch
der schlimmste unter allen wäre, tut mir nichts.  Ist's aber Fleisch
und Bein, so habe ich zwei Fäuste bei mir, die sind auch schon dabei
gewesen." Er ging.  Als er aber auf den Kirchhof kam und kaum am
zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein klägliches Ächzen
und Stöhnen, und als er zurückschaute, siehe, da erhob sich hinter
ihm, wie aus einem Grab herauf, eine lange, weisse Gestalt.  Der Mond
schimmerte blass über die Gräber.  Totenstille war ringsumher, nur
ein paar Fledermäuse flatterten vorüber.  Da war dem guten Manne doch
nicht wohl zumute, wie er nachher selber gestand, und wäre gerne
wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst
hätte vorbeigehen müssen.  Was war nun zu tun?  Langsam und still ging
er seines Weges zwischen den Gräbern und manchem schwarzen
Totenkreuz vorbei.  Langsam und immer ächzend folgte zu seinem
Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und
das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war
dumm.

Aber so geht es.  Kein Betrüger ist so schlau, er vertratet sich.
Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker
erblickte, dachte er bei sich selber: Ein rechtes Gespenst muss wie
eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf
den Kirchhof gehört, geht nicht aufs Ackerfeld.  Daher bekam er auf
einmal Mut, drehte sich schnell um, fasste die weisse Gestalt mit
fester Hand und merkte bald, dass er unter einem Leintuch einen
Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf dem Kirchhof daheim
sei.  Er fing daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln,
bis er seinen Mut an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem Leintuch
selber nicht sah, wo er hinschlug, so musste das arme Gespenst die
Schläge annehmen, wie sie fielen.

Damit war nun die Sache abgetan, und man hat weiter nichts mehr
davon erfahren, als dass der Eigentümer des Gerstenackers ein paar
Wochen lang mit blauen und gelben Zieraten im Gesicht herumging und
von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen
war.  Denn solche Leute wie unser handfester Ehrenmann, das sind
allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, dass
jeder andere Betrüger und Gaukelhans ebenso sein Recht und seinen
Meister finden möchte.



Das wohlfeile Mittagessen


Es ist ein altes Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt
selber darein.--Aber der Löwenwirt in einem gewissen Städtlein war
schon vorher darin.  Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast.  Kurz und
trotzig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe.  Hierauf
forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüs für sein Geld.
Der Wirt fragte ganz höflich, ob ihm nicht auch ein Glas Wein
beliebe?  "O freilich ja!", erwiderte der Gast, "wenn ich etwas Gutes
haben kann für mein Geld." Nachdem er sich alles hatte wohl
schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der
Tasche und sagte: "Hier, Herr Wirt, ist mein Geld." Der Wirt sagte:
"Was soll das heissen?  Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?" Der
Gast erwiderte: "Ich habe für keinen Taler Speise von Euch verlangt,
sondern für mein Geld.  Hier ist mein Geld.  Mehr hab' ich nicht.  Habt
Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist's Eure Schuld."--Dieser
Einfall war eigentlich nicht weit her.  Es gehörte nur
Unverschämtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüt, wie es am Ende
ablaufen werde.  Aber das Beste kommt noch.  "Ihr seid ein
durchtriebener Schalk", erwiderte der Wirt, "und hättet wohl etwas
anderes verdient.  Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier
noch ein Vierundzwanzigkreuzerstück dazu.  Nur seid stille zur Sache
und geht zu meinem Nachbarn, dem Bärenwirt, und macht es ihm
ebenso!" Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bärenwirt,
aus Brotneid in Unfrieden lebte und einer dem andern jeglichen Tort
und Schimpf gerne antat und erwiderte.  Aber der schlaue Gast griff
lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der
andern vorsichtig nach der Türe, wünschte dem Wirt einen guten
Abend, und sagte: "Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirt, bin ich
schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein
anderer." So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte
hatte den Nutzen davon.  Aber der listige Kunde hätte sich noch
obendrein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute
Lehre daraus gezogen und sich miteinander ausgesöhnt hätten.  Denn
Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.



Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 1.


In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb
ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat
anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn
nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein.  Die
es sahen, verdross es, aber niemand konnte erraten, warum der arme
Mann den Stein aufhob und, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche
steckte, und niemand dachte daran, dass er ihn von nun an so bei
sich tragen würde.  Aber das tat er.

Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nämlich er
verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines
Vermögens verlustig, sondern er musste auch nach dortiger Sitte zur
Schau und Schande, rückwärts auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt
reiten.  An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem
rätselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben
auch da, und erkannte seinen Beleidiger.  Jetzt fuhr er schnell mit
der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er
ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu
werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, liess er ihn wieder
fallen und ging mit einem bewegten Gesicht davon.

Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glück nicht übermütig,
nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen
sein.  Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen
Morgen war, und "wer dir als Freund nichts nutzen kann, der kann
vielleicht als Feind dir schaden".  Zweitens, man soll seinem Feind
keinen Stein in der Tasche und keine Rache im Herzen nachtragen.
Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen liess und
davonging, sprach er zu sich selber so: "Rache an dem Feind
auszuüben, so lange er reich und glücklich war, das war töricht und
gefährlich; jetzt wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und
schändlich."

Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 2.

Ein anderer meinte, es sei schön, Gutes zu tun an seinen Freunden,
und Böses an seinen Feinden.  Aber noch ein anderer erwiderte, das
sei schön, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden
zu machen.

Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 3.

Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und
tun.

Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und
wohlgefälligen Sitten gelernt habe?  Er antwortete: "Bei lauter
unhöflichen und groben Menschen.  Ich habe immer das Gegenteil von
demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat."

Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande 4.

Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen
Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer in gutem Frieden
ausgekommen sei.  Er sagte so: "Ein verständiger Mann und ein
törichter Mann können nicht einen Strohhalm mit einander zerreissen.
Denn wenn der Tor zieht, so lässt der Verständige nach, und wenn
jener nachlässt, so zieht dieser.  Aber wenn zwei Unverständige
zusammenkommen, so zerreissen sie eiserne Ketten.



Der Barbierjunge von Segringen


Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht.  Denn im
vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von
der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich
aussah, also dass ihm nicht recht zu trauen war.  Der sagt zum Wirt,
eh' er etwas zu essen und zu trinken fordert: "Habt Ihr keinen
Barbier im Ort, der mich rasieren kann?" Der Wirt sagt Ja und holt
den Barbierer.  Zu dem sagt der Fremde: "Ihr sollt mir den Bart
abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut.  Wenn Ihr mich nicht ins
Gesicht schneidet, so bezahl' ich Euch vier Kronentaler.  Wenn Ihr
mich aber schneidet, so stech' ich Euch tot.  Ihr wäret nicht der
erste." Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr
machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das
spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und
schickt den Gesellen.  Zu dem sagt der Herr das nämliche.  Wie der
Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den
Lehrjungen.  Der Lehrjunge lässt sich blenden von dem Geld und denkt:
"Ich wag's.  Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir
für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und
einen Schnepper.  Geratet's nicht, so weiss ich, was ich tue", und
rasiert den Herrn.  Der Herr hält ruhig still, weiss nicht, in
welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene
Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im
Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder
im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zundel oder Fliesspapier
darauf zu tun wäre und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben,
und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und
ohne Blut und dachte doch, als er fertig war: "Gottlob!"

Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und
abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler; sagt er
zu ihm: "Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu
rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen?  Denn
wenn du mich geschnitten hättest, so hätt' ich dich erstochen." Der
Lehrjunge aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld und
sagte: "Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht verstochen, sondern
wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt' Euch ins Gesicht geschnitten,
so wär' ich Euch zuvorgekommen, hätt' Euch augenblicklich die Gurgel
abgehauen und wäre auf- und davongesprungen." Als aber der fremde
Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war,
ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem
Burschen noch einen Kronentaler extra und hat seitdem zu keinem
Barbier mehr gesagt: "Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest."



Der betrogene Krämer


Ein Rubel ist in Russland eine Silbermünze und beträgt 27 Batzen hin
oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und tut zehen Rubel;
deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum
Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für
einen Rubel einen Imperial.  Allein ein schlauer Soldat in Moskau
sagte doch: "Was gilt's?  morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem
Rubel einen doppelten Imperial angeln." Als den andern Tag in langen
Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufging, vor allen Ständen
standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu,
und die Menge ging auf und ging ab, und die Knaben grüssten die
Mägdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Händen.
"Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel?  Gehört er Euch?" fragt
er jeden Krämer an jedem Stand.  Einer, der ohnehin nicht viel Geld
löste und lange zusah, dachte endlich: wenn dich dein Geld an die
Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde.  "Hieher, Musketier,
der Rubel ist mein." Der Soldat sagte: "Wenn Ihr mir nicht gerufen
hättet, ich hätt' Euch schwerlich gefunden unter der Menge", und
gibt ihm den Rubel.  Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her und
klingelt daran, ob er gut sei; ja, er war gut, und steckt ihn in die
Tasche.  "Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial",
sagte der Musketier.  Der Kaufmann erwiderte: "Ich habe keinen
Imperial von Euch, so bin ich Euch keinen schuldig.  Da habt Ihr
Euren einfältigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spass wollt machen."
Aber der Musketier sagte: "Meinen zweifältigen Imperial gebt mir
heraus, mein Spass ist Ernst, und die Marktwache, die Polizei wird
zu finden sein." Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das
trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und es hängt sich an den
Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb.  Auf einmal
bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge.  "Was geht hier vor?"
fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die
Menge durchgebohrt hatte.  "Was geht vor?  frag' ich." Der Krämer
wusste wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier.
Vor keiner Viertelstunde, erzählte er, hab' er diesem Mann für einen
Rubel abgekauft, das und das.  Als er ihn bezahlen wollte, in allen
Taschen hatte er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial,
den ihm sein Pate geschenkt hatte, als er gezogen wurde.  So habe er
ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel
bringe.  Wie er mit dem Rubel wieder kommen sei, hab' er den rechten
Kaufladen nimmer gefunden und an allen Ständen gefragt: "Wem bin ich
einen Rubel schuldig?" so habe dieser da gesagt, er sei derjenige,
und sei's auch und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem
Imperial wolle er nichts wissen.  "Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig
herausgeben oder nicht?" Als aber der Polizeisergeant die
Umstehenden fragte und die Umstehenden sagten: ja, der Musketier
habe an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser
habe bekannt, er gehöre ihm und habe ihn auch angenommen und daran
geklingelt, ob er probat sei.  Als der Polizeihauptmann das hörte, so
gab er den Bescheid: "Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem
Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert Euch Euren
Stand mit Lattnägeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen
Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und könnt Ihr alsdann
lang Hunger leiden, so könnt Ihr auch lang leben." Das sagte der
Anführer der Polizeiwache, und wer dem Musketier für seinen Rubel
einen Imperial herausgeben musste, war der Kaufmann.

Merke: Fremdes Gut frisst das eigene, wie neuer Schnee den alten.



Der Bock


Einst im strengen Winter, an einem Sonntag abends, fuhr eine fremde,
wunderschöne Frau den Schliengener Berg hinauf, und als auf einmal
die Pferde stillstanden, waren sie auch klüger als ein Bauersmann,
der vor ihnen mitten im Weg und im Schnee lag und schlief.  Denn die
Pferde hatten nur Haber im Leib, aber der Bauersmann Branntewein und
kam von unten herauf, wollte nach Kandern gehen, verfehlte aber in
Schliengen den Rang.  Die wunderschöne Frau liess ihn wecken.  "Fehlt
Euch etwas, guter Mann, oder seid Ihr sonst in den Schnee gefallen?"
- "Nein", stammelte der Bauersmann, " da ist mir eine schwarze Katze
mit feurigen Augen vor meinen Augen herumgefackelt und hat mich
irregeführt und schlaftrunken gemacht, und wenn ich weiss, wo ich
bin,--so weiss es"--das Kind im Mutterleib, wollte er etwa sagen,
aber er brachte es nicht heraus.--"Ihr seid betrunken, guter Mann,
und wenn Ihr hier liegen bleibt, müsst Ihr erfrieren."--"Wenn ich
betrunken bin", fragte er, "habt Ihr mir den Rausch bezahlt, oder
hab' ich ihn bezahlt, oder bin ich ihn nicht vielmehr noch
schuldig?" Als aber die Frau, so freundlich sie ist und sein kann,
ihm zuredete, vornen auf den Bock zu sitzen bis zum nächsten Ort,--
"Bock sitzen?" dachte er in seinem erschrecklichen Rausch und fing
auf einmal an, aus einem andern Ton zu sprechen.  "Ihr seid die
schwarze Katze und habt Euch in eine heidnische Prinzessin
verwandelt.  Um Gottes willen, verschont mich nur diesmal!" Denn er
dachte an einen andern Bock, auf dem die Hexen reiten, und jetzt
geh' es zum Pech- und Schwefel-Brünnlein, und nicht zur Kalten
Herberge, die auf dem Schliengener Berg steht, sondern zur heissen.
In seinem Leben wollte er keinen Rausch mehr trinken.  Allein das
half alles nichts, sondern der Kutscher, der Postillion von
Müllheim, band ihn auf den Bock.  Und so fuhr er mausstill und in
ängstlicher Erwartung seines Schicksals mit bis zur Station.  Auf der
Station aber, auf Kaltenherberge, legten ihn die Postknechte in
einen warmen Kuhstall und liessen ihn seinen Rausch dort
ausschlafen.  Aber noch bis, auf diese Stunde glaubt der Mann, er sei
verhext und bezaubert gewesen, und hat seitdem keinen Rausch mehr
getrunken, ausgenommen an den Werktagen.

Dies Geschichtlein ist wahr, und wenn's auch nicht zwischen
Schliengen und Kaltenherberge sollte geschehen sein, und der
Hausfreund kennt die schöne Frau.  Hat sie's ihm nicht selber
geschrieben von Freiburg aus im Üchtland?



Der falsche Edelstein


In einem schönen Garten vor Strassburg vor dem Metzgertor, wo
jedermann für sein Geld hineingehen und lustig und honett sein darf,
da sass ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schöpplein trank,
und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein und
spiegelte den Ring.  So kommt ein Jude und sagt: "Herr, Ihr habt
einen schönen Edelstein in Eurem Fingerring, dem wär' ich auch nicht
feind.  Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem
Brustschildlein des Aharons?" Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz
kurz und trocken: "Der Stein ist falsch; wenn er gut wäre, steckte
er wohl an einem andern Finger als an dem meinigen." Der Jud bat den
Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben.  Er wendet ihn hin, er
wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links.  Soll
dieser Stein nicht echt sein?  dachte er und bot dem Fremden für den
Ring zwei neue Dublonen.  Der Fremde sagte ganz unwillig: "Was soll
ich Euch betrügen?  Ihr habt es schon gehört, der Stein ist falsch."
Der Jude bittet um Erlaubnis, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer,
der dabei sass, sagte: "Ich stehe gut für den Israeliten, der Stein
mag wert sein, was er will." Der Fremde sagte: "Ich brauche keinen
Bürgen, der Stein ist nicht echt."

In dem nämlichen Garten sass damals an einem andern Tisch auch der
Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und
honett für ihr Geld, nämlich für das Geld der Gevatterleute, und
einer davon ist ein Goldschmied, der's versteht.  Einem Soldaten, der
in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine
silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase
war gut.  Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte
er nicht.  Zu dem Gevattermann kommt der Jude.  "Herr", sagte er,
"soll dieses kein echter Edelstein sein?  Kann der König Salomon
einen schönern in der Krone getragen haben?" Der Gevattermann, der
auch ein halber Sternseher ist, sagte: "Er glänzt wie am Himmel der
Aldebaran.  Ich verschaffe Euch neunzig Dublonen für den Ring.  Was
Ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist Euer Schmus." Der Jud kehrt zu dem
Fremden zurück.  "Echt oder unecht, ich gebe Euch sechs Dublonen",
und zählte sie auf den Tisch, funkelnagelneu.  Der Fremde steckte den
Ring wieder an den Finger und sagte jetzt: "Er ist mir gar nicht
feil.  Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, dass Ihr ihn für
einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut", und steckte die
Hand in die Tasche, dass der lüsterne Israelit den Stein gar nicht
mehr sehen sollte.--"Acht Dublonen."--"Nein."--"Zehn Dublonen."
"Nein."--"Zwölf--vierzehn--fünfzehn Dublonen." "Meinetwegen",
sagte endlich der Fremde, "wenn Ihr mir keine Ruhe lassen und mit
Gewalt wollt betrogen sein.  Aber ich sage es Euch vor allen diesen
Herren da, der Stein ist falsch, und ich gebe Euch kein gut Wort
mehr dafür.  Denn ich will keinen Verdruss haben.  Der Ring ist Euer."

Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring.  "Morgen
komm ich zu Euch und hole das Geld." Aber der Gevattermann, den noch
niemand angeführt hat, machte ein paar grosse Augen.  "Guter Freund,
das ist nicht mehr der nämliche Ring, den Ihr mir vor zwei Minuten
gezeigt habt.  Dieser Stein ist zwanzig Kreuzer wert zwischen
Brüdern.  So macht man sie bei Sankt Blasien im Eieli in der
Glashütte." Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in
der Tasche, der völlig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger
spiegelte, und während der Jud mit ihm handelte und er die Hand in
der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den echten Ring vom
Finger ab und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der
Jud.  Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakete
geritten wäre, zu dem Fremden zurück: "Au waih, au waih!  Ich bin ein
betrogener Mann, ein unglücklicher Mann, der Stein ist falsch." Aber
der Fremde sagte ganz kaltblütig und gelassen: "Ich hab' ihn Euch
für falsch verkauft.  Diese Herren hier sind Zeugen.  Der Ring ist
Euer.  Hab' ich Euch ihn angeschwätzt, oder habt Ihr ihn mir
abgeschwätzt?" Alle Anwesenden mussten gestehen: "Ja, er hat ihm den
Stein für falsch verkauft und gesagt: der Ring ist Euer."

Also musste der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher
vertuscht.



Der fechtende Handwerksbursche in Anklam


Im August des Jahrs 1804 stand in der Stadt Anklam in Pommern ein
reisender Handwerksbursche an einer Stubentüre und bat um einen
Zehrpfennig ganz fleissig.  Als sich niemand sehen liess noch rührte,
öffnete er leise die Türe und ging hinein.  Als er eine arme und
kranke Witwe erblickte, die da sagte, sie habe selber nichts, so
ging er wieder hinaus.

Lieber Leser, denke nicht, der hat's lassen drauf ankommen, ob
jemand in der Stube ist, hat seinen Zehrpfennig selber wollen
nehmen.  Sonst musst du dich schämen und in deinem Herzen einem edeln
Menschen Abbitte tun.  Denn der Handwerksbursche kam nach ungefähr
fünf Stunden wieder.  Die Frau, rief ihm zwar entgegen: "Mein Gott!
ich kann Euch ja nichts geben.  Ich selbst lebe von anderer Menschen
Milde und bin jetzt krank." Allein der edle Jüngling dachte bei sich
selber: Eben deswegen.  Anständig und freundlich trat er bis vor den
Tisch, legte aus beiden Taschen viel Brot darauf, das er unterdessen
gesammelt hatte, und viele auf gleiche Art gesammelte kleine
Geldstücke.  "Das ist für Euch, arme, kranke Frau", sagte er mit
sanftem Lächeln, ging wieder fort und zog leise die Stubentüre zu.
Die Frau war die Witwe eines ehemaligen braven Unteroffiziers namens
Laroque bei dem preussischen Regiment von Schönfeld.

Den Namen des frommen Jünglings aber hat ein Engel im Himmel für ein
ander Mal aufgeschrieben.  Ich kann nicht sagen, wie er heisst.



Der fremde Herr


Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln
ein wenig verrostet und die Schere zusammengewachsen; also nährt er
sich, so gut er kann.  "Gevatter", sagt zu ihm der Peruckenmacher,
"Ihr tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von
Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel?  Sie ist
leicht, und er zahlt Euch den Gang."--"Gevatter", sagt der
Schneider, "es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim.  Leiht mir die
Kleider, die Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der
Euch angeschmiert hat, so stell' ich auf dem Jahrmarkt etwas vor."
Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen
Markt weiss, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von
dem Hausfreund wohl bezahlt, so gibt er dem Jahrmarkt viel zu lösen
für neue weltliche Lieder und feine Damaszener Maultrommeln.  Also
sass jetzt der Adjunkt auch zu Brassenheim im Wilden Mann und
musterte die Lieder.  Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen
usw.  Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen usw.  Drittes
Lied: Kein schöner Leben auf Erden usw.  und probierte die Trommeln.
Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem Rock, hirschledernen
Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran und zwei Sporen.  Der
Wirt zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und: "Hat Euch, Herr
Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?" fragte
ihn der Wirt.  "Mein Normänder, der Scheck?" sagte der Schneider.

"Ich hab' ihn au Cerf eingestellt, im Hirschen.  Ich will hier nur
ein Schöpplein trinken.  Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf
Menschenkenntnis und Weinkunde.  Platz da!" sagte er zum Adjunkt.
"Holla", denkt der Adjunkt, "der meint auch, grob sei vornehm.  Was
gilt's, er ist nicht weit her?" Als aber der Schneider die Gerte
breit über den Tisch legte und räusperte sich wie ein Kamel und
betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch,
steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in
das Ohr.  Ein Ehninger, der es hörte, sagt: "Herr Landsmann, Ihr seid
auf der rechten Spur.  Ich hab' ihn gesehn die Stiefel am Bach
abwaschen und eine Gerte schneiden.  Er ist zu Fuss gekommen." Ein
Scherenschleifer sagte: "Ich kenn' ihn wohl, er ist einmal ein
Schneider gewesen.  Jetzt hat er sich zur Ruh' gesetzt und tut
Botengänge um den Lohn." Also geht der Wirt ein wenig hinaus und
kommt wieder herein.  "So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein
Unglück vorübergehen", sagt er im Hereinkommen.  "Da suchen die
Hatschierer in allen Wirtshäusern einen Herrn in einem roten Rocke,
der heute durch die Dörfer galoppiert ist und ein Kind zu Tod
geritten hat." Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan an; der
sagte in der Angst: "Mein Rock ist eher gelb als rot." Aber der
Ehninger sagte: "Nein, aber Euer Gesicht ist eher blass als gelb,
und hat auf einmal viel Schweisstropfen darauf geregnet.  Gesteht’s,
Ihr seid nicht geritten."--"Doch, er ist geritten", sagte der Wirt;
"ich hab' ihm eben das Ross draussen angebunden.  Es ist losgerissen
im Hirsch und sucht ihn.  Hat nicht Euer Normänder die Mähnen unten
am Hals und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier
nicht meinen, dass es ein Ross ist!  Zahlt Euer Schöpplein und reitet
ordentlich heim." Als er aber vor das Haus kam und den Normänder
sah, den ihm der Wirt an die Türe gebunden hat, wollte er nicht
aufsitzen, sondern ging zu Fuss zum Flecken heraus und wurde von den
Gästen entsetzlich verhöhnt.

Merke: Man muss nie mehr scheinen wollen, als man ist und als man
sich zu bleiben getrauen kann wegen der Zukunft.



Der Fremdling in Memel


Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus.  Das erfuhr ein Fremder,
der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Küsten
der Ostsee ankam.  Damals war der russische Kaiser bei dem König von
Preussen auf Besuch.  Beide Potentaten standen in gewöhnlicher
Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei rechte gute
Freunde beieinander am Ufer.  So etwas sieht man nicht alle Tage.  Der
Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie
zu, meinte, es seien zwei Kaufleute oder andere Herren aus der
Gegend, und fing ein Gespräch mit ihnen an, war begierig, allerlei
Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe.
Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm
unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine höfliche Art
zu fragen, wer er sei.  "Ich bin der König von Preussen", sagte der
eine.  Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar
vor.  Doch dachte er: Es ist möglich, und machte vor dem Könige ein
ehrerbietiges Kompliment.  Und das war vernünftig.  Denn in
zweifelhaften Dingen muss man immer das Sicherste und Beste wählen
und lieber eine Höflichkeit aus Irrtum begehen als eine Grobheit.

Als aber der König weiter sagte und auf seinen Begleiter deutete:
"Dies ist Se.  Majestät der russische Kaiser", da war's doch dem
ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Vögel ihn zum besten haben
wollten, und sagte: "Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern
Spass haben wollt, so sucht einen andern als ich bin.  Bin ich
deswegen aus Westindien hierher gekommen, dass ich euer Narr sei?"--
Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, dass er allerdings derjenige
sei.  Allein der Fremde gab kein Gehör mehr.  "Ein russischer
Spassvogel möget Ihr sein", sagte er.  Als er aber nachher im Grünen
Baum die Sache erzählte und andern Bericht bekam, da kam er ganz
demütig wieder, bat fussfällig um Vergebung, und die grossmütigen
Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel
Spass an dem Vorfall.



Der fromme Rat


Ein achtzehnjähriger Jüngling ging, noch unerfahren, katholisch und
fromm, zum ersten Mal aus der Eltern Haus auf die Wanderschaft.  In
der ersten grossen Stadt auf der Brücke blieb er stehen und wollte
rechts und links ein wenig umschauen, weil er fürchtete, es möchten
ihm nimmer viel solche Brücken kommen, an welche unten und oben
solche Städte angebaut seien wie diese.  Als er aber rechts
umschaute, kam daher von einer Seite ein Pater und trug das
hochwürdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig
ist und es recht meint.  Als er aber links umschaute, kam von der
andern Seite der Brücke auch ein Pater und trug auch das hochwürdige
Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demütig ist und es
recht meint, und beide waren ihm schon ganz nahe, und beide waren im
Begriff, an ihm vorbeizugehen im nämlichen Augenblick, der eine
links von daher, der andere rechts von dorther.  Da wusste sich der
arme Mensch nicht zu helfen, vor welchem hochwürdigen Gut er
niederknien, und welches er mit Gebet und Liebe grüssen soll, und es
war ihm auch schwer zu raten.  Als er aber den einen Pater mit
Bekümmernis anschaute und ihn gleichsam mit den Augen fragte und
bat, was er tun sollte, lächelte der Pater wie ein Engel freundlich
die fromme Seele an und hob die Hand und den Zeigefinger gegen den
hohen und sonnenreichen Himmel hinauf.  Nämlich vor dem dort oben
soll er niederknien und ihn anbeten.  Das weiss der Hausfreund zu
loben und hochzuachten, obwohl er noch nie einen Rosenkranz gebetet
hat; sonst schrieb' er den lutherischen Kalender nicht.



Der Furtwanger in Philippsburg


Im Jahre 1734, als der Franzos Sturm lief auf Philippsburg, und die
Reichstruppen lagen darin, steht ein Rekrut, ein Furtwanger, auf
einem einsamen Posten seitwärts vom Angriff und denkt: "Wenn's nur
nicht hieher kommt!" Indem wächst ganz leise eine französische
Grenadierkappe hinter dem Rempart herauf, und kommt ein Kopf nach
mit einem Schnauzbart, wie wenn der Mond aufgeht hinter den Bergen.
Denn ein paar Dutzend Waghälse hatten draussen eine Sturmleiter
angelegt, um unbeschrien auf den Rempart zu kommen, und sahen die
Schildwache nicht, dass eine da sei.  Springt der Furtwanger herbei
und gibt dem Franzosen einen Stich.  Pfeifen auf einmal Kugeln genug
um ihn her aus Windbüchsen, und geht ein zweites Franzosengesicht
auf hinter dem Rempart.  Gibt ihm der Furtwanger auch einen Stich und
sagt: "Aber jetzt kommst du nimmer." Item: es kam der dritte und der
vierte und bis zum zwölften.  Als der Sturm abgeschlagen war und der
Platzkommandant auf dem Platz herumritt, ob alles in der Ordnung
sei, sieht er von weitem die Sturmleiter und zwölf tote Franzosen
dabei, und wie er zu dem Posten kommt, fragt er den Furtwanger: "Was
hat's hier gegeben?"--"So?" sagt der Furtwanger, "Ihr habt gut
fragen.  Wisst Ihr, dass mir einer mehr zu schaffen gemacht hat als
Euch alle?  Nur zwölfmal hintereinander hat er angesetzt.  Unten im
Graben muss er liegen." Denn er meinte, es sei immer der nämliche
gewesen, und es könne nur mit dem Bösen zugegangen sein, dass ihm
allemal hinter dem Bajonett die Wunde wieder heilte.  Da lächelte der
Kommandant und die Offiziere, so mit ihm waren, und nahm ihm seinen
Unverstand nicht übel, sondern er liess ihm für jeden ein
Halbguldenstück Stechgeld bezahlen, und durfte er überdies selbigen
Abend auf Rechnung der Reichs-Operationskasse Wein trinken und Speck
essen, so viel er wollte.



Der geduldige Mann


Ein Mann, der eines Nachmittags müde nach Hause kam, hätte gern ein
Stück Butterbrot mit Schnittlauch darauf gegessen oder etwas von
einem geräucherten Bug.  Aber die Frau, die im Haus ziemlich der
Meister war und in der Küche ganz, hatte den Schlüssel zum
Küchenkästlein in der Tasche und war bei einer Freundin auf Besuch.
Er schickte daher die Magd und den Knecht, eins um das andere, die
Frau soll heimkommen oder den Schlüssel schicken.  Sie sagte allemal:
"Ich komm' gleich, er soll nur ein wenig warten." Als ihm aber die
Geduld immer näher zusammenging und der Hunger immer weiter
auseinander, trägt er und der Knecht das verschlossene
Küchenkästlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch
war und sagt zu seiner Frau: "Frau, sei so gut und schliess mir das
Kästlein auf, dass ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt'
ich's nimmer aus." Also lachte die Frau und schnitt ihm ein
Stücklein Brot herab und etwas vom Bug.



Der geheilte Patient


Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch
allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der
arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der
Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den
weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer
ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel
und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen
feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher,
und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draußen oder schnauft
der Nachbar so?" Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls
bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit,
aus lauter Langeweile bis an den Abend, so daß man bei ihm nie redet
sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und wo das Nachtessen
anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so müd,
als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten
hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen
war wie ein Sack. Essen und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und
er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht redet gesund und
nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365
Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere.

Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm raten. Er verschluckte
ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver und
Pillen wie Enteneier so groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise
nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts,
denn er befolgte nicht, was ihm die Arzte befahlen, sondern sagte:
"Wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich leben soll wie ein Hund,
und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?"
Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg
wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund würden, wenn er
sie nur redet anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Wege, wo er
sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen und
schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte,
nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung, und sagte:
"Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm
ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen
schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen
wollt. Ihr habt ein böses Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben
Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und Ihr müßt zu mir
kommen. Aber für's erste, so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem
Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt
Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme
auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen als
zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, mittags ein Bratwürstlein
dazu, und nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit
Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm
größer, so daß er Euch die Leber verdrückt, und der Schneider hat
Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat,
und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im anderen Frühjahr den
Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit
sich reden hörte, ließ er sich sogleich den anderen Morgen die
Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor
befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß eine Schnecke
hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte er
nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber
schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die
Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten, und der Tau
schien ihm so frisch und die Kornrosen im Felde so rot, und alle
Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und
alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er
ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in
der Stadt des Arztes ankam und den anderen Morgen aufstand, war es
ihm so wohl, daß er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit
können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir
doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief'
mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und
sagte ihm: "jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was
Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts,
und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der
Doktor sagte: "Das hat Euch. ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem
Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt
noch Eier im Leib, deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen und
daheim fleißig Holz sägen und nicht mehr essen, als Euch der Hunger
ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter
Mann werden", und lächelte dazu.

Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner
Kauz, und ich versteh Euch wohl', und hat nachher dem Rat gefolgt
und siebenundachtzig Jahre, vier Monate, zehn Tage gelebt, wie ein
Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt zwanzig
Dublonen zum Gruß geschickt."



Der geheilte Patient


Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch
allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob!  der
arme Mann nichts weiss; denn es gibt Krankheiten, die nicht in der
Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den
weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener hautreiche
Amsterdamer ein Wort davon reden kann.  Den ganzen Vormittag sass er
im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder
hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, ass aber zu Mittag doch wie
ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draussen
oder schnauft der Nachbar so?"--Den ganzen Nachmittag ass und trank
er ebenfalls, bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und
ohne Appetit, aus lauter langer Weile, bis an den Abend, also, dass
man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte, und
wo das Nachtessen anfing.  Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett
und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder
Holz gespalten hätte.  Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der
so unbeholfen war wie ein Maltersack.  Essen und Schlaf wollte ihm
nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht
recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte,
so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere.  Alle
Ärzte, die in Amsterdam sind, mussten ihm raten.  Er verschluckte
ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver, und
Pillen wie Enteneier so gross, und man nannte ihn zuletzt
scherzweise nur die zweibeinige Apotheke.  Aber alles Doktern half
ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen,
sondern sagte: "Foudre, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich
soll leben wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund
machen für mein Geld?" Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert
Stund weit wegwohnte, der sei so geschickt, dass die Kranken gesund
werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem
Weg, wenn er sich sehen lasse.  Zu dem Arzt fasste der Mann ein
Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand.  Der Arzt merkte bald, was
ihm fehle, nämlich nicht Arznei, sondern Mässigkeit und Bewegung,
und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen
schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr
habt einen schlimmen Umstand; doch wird Euch zu helfen sein, wenn
Ihr folgen wollt.  Ihr habt ein bös Tier im Bauch, einen Lindwurm mit
sieben Mäulern.  Mit dem Lindwurm muss ich selber reden, und Ihr
müsst zu mir kommen.  Aber fürs erste, so dürft Ihr nicht fahren oder
auf dem Rösslein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst
schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beisst Euch die Eingeweide ab,
sieben Därme auf einmal ganz entzwei.  Fürs andere dürft Ihr nicht
mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, Mittags
ein Bratwürstlein dazu, und Nachts ein Ei, und am Morgen ein
Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf.  Was Ihr mehr esset, davon
wird nur der Lindwurm grösser, also, dass er Euch die Leber
verdruckt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber
der Schreiner.  Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so
hört Ihr im andern Frühjahr den Kuckuck nimmer schreien.  Tut, was
Ihr wollt!" Als der Patient so mit ihm reden hörte, liess er sich
sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf
den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte.  Den ersten Tag ging es
so langsam, dass perfekt eine Schnecke hätte können sein Vorreiter
sein, und wer ihn grüsste, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein
auf der Erde kroch, das zertrat er.  Aber schon am zweiten und am
dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer
so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Tau schien ihm so
frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute, die ihm
begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen,
wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging
leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der
Stadt des Arztes ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so
wohl, dass er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können
gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll.  Wenn's mir doch nur
ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als
er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm:
"Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt."
Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so
gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das
hat Euch ein guter Geist geraten, dass Ihr meinem Rat gefolgt habt.
Der Lindwurm ist jetzt abgestanden.  Aber Ihr habt noch Eier im Leib.
Deswegen müsst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und daheim fleissig Holz
sägen, dass niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger
ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter
Mann werden", und lächelte dazu.  Aber der reiche Fremdling sagte:
"Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh' Euch wohl",
und hat nachher dem Rat gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage
gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem
Arzt 20 Dublonen zum Gruss geschickt.



Der Generalfeldmarschall Suwarow


Das Stücklein von Suwarow im Kalender 1809 hat dem geneigten Leser
nicht übel gefallen.  Von ihm selber wäre viel Anmutiges zu erzählen.
Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmütig ist, sondern redet auch mit
geringen Leuten und stellt sich manchmal, als wenn er nur
ihresgleichen wäre, so sagt man zu seinem Lob: er ist ein gemeiner
Herr.  Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust
hängen, manchen Diamantring an die Finger stecken, und aus mancher
goldenen Dose Tabak schnupfen.  War er nicht Sieger in Polen und in
der Türkei, russischer Generalfeldmarschall und Fürst und an der
Spitze von dreimal hunderttausend Mann, soviel als seinesgleichen
ein anderer?  Aber bei dem allen war er ein sehr gemeiner Herr.
Wenn es nicht sein musste, so kleidete er sich nie wie ein General,
sondern wie es ihm bequem war.  Manchmal, wenn er kommandierte, so
hatte er nur Einen Stiefel an.  An dem andern Bein hing ihm der
Strumpf herunter, und die Beinkleider waren auf der Seite
aufgeknüpft.  Denn er hatte einen Schaden am Knie.

Oft war er nicht einmal so gut gekleidet.  Morgens, wenn's noch so
frisch war, ging er aus dem Bett oder von der Streue weg vor dem
Zelt im Lager spazieren, nackt und bloss wie Adam im Paradies, und
liess ein paar Eimer voll kaltes Wasser über sich herabgiessen zur
Erfrischung.

Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht,
keine Kutsche und kein Ross.  In dem Treffen setzte er sich aufs
nächste beste.

Sein Essen war gemeine Soldatenkost.  Niemand freute sich gross, wenn
man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde.  Manchmal ging er
zu den gemeinen Soldaten ins Zelt und war wie ihresgleichen.
Wenn ihn auf dem Marsch oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam,
wo ein anderer an einen Baum steht oder hinter eine Hecke geht, da
machte er kurzen Prozess.  Seinetwegen durfte ihm jedermann
zuschauen, wer's noch nie gesehen hat.

Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten
Marschallsuniform voll Ehrenkreuzen und Ordenssternen dastand und,
wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb
er's doch wie ein säuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in
die Rocktasche steckt.  Er schneuzte die Nase mit den Fingern, strich
die Finger am Ärmel ab und nahm alsdann wieder eine Prise aus der
goldenen Dose.

Also lebte der General und Fürst Italinsky-Suwarow.



Der geschlossene Magen


Als einst der Zirkelschmied wieder auf vier bis sechs Wochen in gute
Umstände gekommen war, lebte er so lange gar ehrbar und häuslich mit
seiner Frau, der Bärbel, und war in keinem Wirtshaus mehr zu sehen.
Nein, er ass alle Mittag ein Pfündlein Fleisch mit ihr daheim und
liess eine halbe Mass Wein dazu holen aus dem Adler und gab auf ihre
Ermahnungen.  Einmal jedoch, als es ihm besonders schmeckte, schickte
er nach dem Essen das Büblein heimlich in das Wirtshaus, dass es
noch eine Halbe holen sollte.  Als aber das Büblein die zweite Halbe
brachte und auf den Tisch stellte, schaute seine Frau ihn bittend
an: "Männlein", sagte sie, "lass es jetzt genug sein!  Weisst du
nicht, was im Doktorbuch steht, dass der Magen nach dem Essen
geschlossen sei." Dem entgegen schaute der Zirkelschmied so lieb und
freundlich zuerst den Wein, hernach die Bärbel an: "Liebes
Weiblein", sagte er, "sei unbesorgt!  Soll der Magen auch geschlossen
sein, so viel bring' ich noch wohl durch das Schlüsselloch."



Der grosse Sanhedrin zu Paris


Dass die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das heisst, seit mehr
als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht auf der ganzen
Erde in der Zerstreuung leben; dass die meisten von ihnen, ohne
selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden
Einwohnern eines Landes nähren; dass sie daher auch an vielen Orten
als Fremdlinge verachtet, misshandelt und verfolgt werden, ist Gott
bekannt und leid.--Mancher sagt daher im Unverstand: "Man sollte
sie alle aus dem Lande jagen." Ein anderer sagt im Verstand: "Man
sollte arbeitsame und nützliche Menschen aus ihnen machen und sie
alsdann behalten."

Der Anfang dazu ist gemacht.  Merkwürdig für die Gegenwart und für
die Zukunft ist dasjenige, was der grosse Kaiser Napoleon wegen der
Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und
veranstaltet hat.

Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich
wohnen, das französische Bürgerrecht, und man sagte frischweg:
Bürger Aaron, Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die
Hand.  Aber was will da herauskommen?  Der christliche Bürger hat ein
anderes Gesetz und Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein
anderes Gesetz und Recht und will nicht haben Gemeinschaft mit den
Gojim.  Aber zweierlei Gesetz und Willen in einer Bürgerschaft tut
gut wie ein brausender Strudel in einem Strom.  Da will Wasser auf,
da will Wasser ab, und eine Mühle, die darin steht, wird nicht viel
Mehl mahlen.

Das sah der grosse Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe
er antrat die grosse Reise nach Jena, Berlin und Warschau und Eylau,
liess er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, dass sie
ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer
aus allen Departementern des Kaisertums.  Da war nun jedermann in
grossem Wunder, was das werden sollte, und der eine sagte das, der
andere jenes, z.  B.  der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in
ihre alte Heimat am grossen Berg Libanon, an dem Bach Ägypti und am
Meer.

Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern,
worin Juden wohnen, beisammen waren, liess bald der Kaiser ihnen
gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen und
beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die
Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben und von einer
festen Verbindung der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und
in dem Königreich Italien.  Denn alle diese Fragen gingen darauf
hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben
könne ansehen und liebem als sein Vaterland und die andern Bürger
desselben als seine Mitbürger und die bürgerlichen Gesetze desselben
halten.

Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht
gut sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein.

Allein die Abgeordneten sagen, dass der Geist der göttlichen
Weisheit erleuchtet habe ihre Gemüter, und sie erteilten eine
Antwort, die war wohlgefällig in den Augen des Kaisers.

Darum formierte die jüdische Versammlung aus sich, zum unerhörten
Wunder unsrer Zeit, den Grossen Sanhedrin.  Denn der Grosse Sanhedrin
ist nicht ein grosser Jude zu Paris wie der Riese Goliath, so aber
ein Philister war, sondern--Sanhedrin, das wird verdolmetscht: eine
Versammlung, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt der Hohe
Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71 Ratsherren, die wurden für die
verständigsten und weisesten Männer gehalten, ein ganzes Volk, und
wie diese das Gesetz erklärten, so war es recht und musste gelten in
ganz Israel.

Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder
ein und sagen, es sei seit 1500 Jahren kein Grosser Sanhedrin
gewesen als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon.
Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der Grosse Sanhedrin aussprach
zu Paris im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar
desselbigen Jahres, am 22sten Tag des Monats:

1. Die jüdische Ehe soll bestehen aus einem Manne und einer Frau.
Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben als eine Frau.

2. Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei
dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei
nach dem bürgerlichen Gesetz aufgelöst.

3. Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sei
dann, dass die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen
Trauschein haben.

Aber ein Jude darf eine Christentochter heiraten und ein Christ eine
jüdische Tochter.  Solches hat nichts zu sagen.

4. Denn der Grosse Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden
seien Brüder, weil sie Einen Gott anbeten, der die Erde und den
Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit
dem Franzosen und Italiener und mit den Untertanen jedes Landes, in
welchem sie wohnen, so leben als mit Brüdern und Mitbürgern, wenn
sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren.

5. Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten,
wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausüben, ebenso gegen die
Christen, weil sie seine Brüder sind, als gegen seine eigenen
Glaubensgenossen in oder ausser Frankreich und dem Königreich
Italien.

6. Der Grosse Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite
geboren und erzogen ist oder wo er sich niedergelassen hat und den
Schutz der Gesetze geniesst, sei sein Vaterland, und befiehlt daher
allen Israeliten in Frankreich und in dem Königreich Italien,
solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu
verteidigen usw.

Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei,
die damit nicht vereinbar sind.

7. Der Grosse Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe
zur Arbeit einzuflössen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern
anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen und allen
Beschäftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer
Mitbürger können verhasst oder verächtlich werden.

8. Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer
Hausvater in der Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen.  Es ist ein
Werk der Liebe.  Aber ein Kapital, das auf Gewinn in den Handel
gesteckt wird, ist verzinsbar.

9. Das nämliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen.
Aller Wucher ist gänzlich verboten, in und ausser Frankreich und dem
Königreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger,
sondern auch gegen Fremde.

Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. März 1807 und
unterschrieben von dem Vorsteher des Grossen Sanhedrin, Rabbi d.
Sinzheim von Strassburg und andern hohen Ratsherren.



Der grosse Schwimmer


Vor dem leidigen Krieg, als man noch unangefochten aus Frankreich
nach England reisen und in Dover ein Schöpplein trinken oder Zeug
kaufen konnte zu einem Westlein, ging wöchentlich zweimal ein
grosses Postschiff von Calais nach Dover durch die Meerenge und
wieder zurück.  Denn dort ist das Meer zwischen beiden Ländern nur
wenige Meilen breit.  Aber man musste kommen, eh' das Schiff abfuhr,
wenn man mitfahren wollte.  Dies schien ein Franzos aus Gaskonien
nicht zu wissen, denn er kam eine Viertelstunde zu spät, als man
schon die Hühner eintat in Calais, und der Himmel überzog sich mit
Wolken.  Soll ich jetzt ein paar Tage hier sitzen bleiben und
Maulaffen feil haben, bis wieder eine Gelegenheit kommt?  Nein,
dachte er, ringer, ich gebe einem Schiffsmann ein Zwölfsousstücklein
und fahre dem Postschiff nach.  Denn ein kleines Boot fährt
geschwinder als das schwere Postschiff und holt es wohl ein.  Als er
aber in dem offenen Fahrzeuge sass, "wenn ich daran gedacht hätte",
sagte der Schiffsmann, "so hätt' ich ein Spanntuch mitgenommen";
denn es fing an zu tröpfeln; aber wie?  In kurzer Zeit strömte ein
Regenguss aus der hohen Nacht herab, als wenn noch ein Meer von oben
mit dem Meer von unten sich vermählen wollte.  Aber der Gaskonier
dachte: "Das gibt einen Spass."--"Gottlob!" sagte endlich der
Schiffsmann, "ich sehe das Postschiff." Als er nun an demselben
angelegt hatte, und der Gaskonier war hinaufgeklettert und kam
mitten in der Nacht und mitten im Meer auf einmal durch das Türlein
hinein zu der Reisegesellschaft, die im Schiff sass, wunderte sich
jeder, wo er herkomme, so spät, so allein und so nass.  Denn in einem
solchen Meerschiff sitzt man wie in einem Keller und hört vor dem
Gespräch der Gesellschaft, vor dem Geschrei der Schiffsleute, vor
dem Getöse, vor dem Rauschen der Segel und Brausen der Wellen nicht,
was draussen vorgeht, und keinem dachte das Herz daran, dass es
regnete.  "Ihr seht ja aus", sagte einer, "als wenn Ihr wäret
gekielholt, das heisst unter dem Schiff durchgezogen worden."--"So?
Meint Ihr", sagte der Gaskonier, "man könne trocken schwimmen?  Wenn
das noch einer erfindet, so will ich's auch lernen, denn ich bin der
Bote von Oleron und schwimme alle Montage mit Briefen und
Bestellungen nach dem festen Lande, weil's geschwinder geht.  Aber
jetzt hab' ich etwas in England zu verrichten.  Wenn's erlaubt ist",
fuhr er fort, "so will ich nun vollends mitfahren, weil ich euch
glücklicherweise angetroffen habe.  Es kann den Sternen nach nimmer
weit sein nach Dover."--"Landsmann", sagte einer und stiess eine
Wolke von Tabaksrauch aus dem Mund (es war aber kein Landsmann,
sondern ein Engländer), "wenn Ihr von Calais bis hierher geschwommen
seid durch das Meer, so seid Ihr noch über den schwarzen Schwimmer
in London."--"Ich gehe keinem aus dem Weg", sagte der Gaskonier.--
"Wollt Ihr's mit ihm versuchen", erwiderte der Engländer, "wenn ich
hundert Louisdor auf Euch setze?" Der Gaskonier sagte: "Mir an!"
Reiche Engländer haben im Brauch, auf Leute, die sich in einer
körperlichen Kunst hervortun, grosse Summen untereinander zu
verwetten; deswegen nahm der Engländer im Schiff den Gaskonier auf
seine Kosten mit sich nach London und hielt ihm gut zu mit Essen und
Trinken, dass er bei guten Kräften bliebe.  "Mylord", sagte er in
London zu einem guten Freund, "ich habe einen Schwimmer mitgebracht
vom Meer.  Gilt's hundert Guineen: er schwimmt besser als Euer Mohr?"
Der gute Freund sagte: "Es gilt!" Den andern Tag erschienen beide
mit ihren Schwimmern auf einem bestimmten Platz an dem Themsefluss,
und viel hundert neugierige Menschen hatten sich versammelt und
wetteten noch extra, der eine auf den Mohr, der andere auf den
Gaskonier, einen Schilling, sechs Schilling; eine, zwei, fünf, zehn,
zwanzig Guineen, und der Mohr schlug den Gaskonier nicht hoch an.
Als sich aber beide schon ausgekleidet hatten, band sich der
Gaskonier mit einem ledernen Riemen noch ein Kistlein an den Leib
und sagte nicht warum, als wenn's so sein müsste.  Der Mohr sagte
"Wie kommt Ihr mir vor?  Habt Ihr so etwas dem grossen Springer
abgelernt, der Bleikugeln an die Füsse binden musste, wenn er einen
Hasen fangen wollte, damit er den Hasen nicht übersprang?" Der
Gaskonier öffnete das Kistlein und sagte: "Ich habe nur eine Flasche
Wein darin, ein paar Knackwürste und ein Laiblein Brot.  Ich wollte
Euch eben fragen, wo Ihr Euere Lebensmittel habt.  Denn ich schwimme
jetzt geradeswegs den Themsefluss hinab in die Nordsee und durch den
Kanal ins Atlantische Meer nach Cadix, und wenn's nach mir geht, so
kehren wir unterwegs nirgends ein, denn bis Montag, als den
sechzehnten, muss ich wieder in Oleron sein.  Aber in Cadix im
Rösslein will ich morgen früh ein gutes Mittagessen bestellen, dass
es fertig ist, bis Ihr nachkommt." Der geneigte Leser hätte kaum
gedacht, dass er sich auf diese Art aus der Affäre herausziehen
würde.  Aber der Mohr verlor Hören und Sehen.  "Mit diesem Enterich",
sagte er zu seinem Herrn, "kann ich nicht in die Wette schwimmen.
Tut, was ihr wollt", und kleidete sich wieder an.  Also war die Wette
zu Ende, und der Gaskonier bekam von seinem Engländer, der ihn
mitgebracht hatte, eine ansehnliche Belohnung, der Mohr aber wurde
von jedermann ausgelacht.  Denn ob man wohl merken mochte, dass es
von dem Franzosen nur Spiegelfechterei war, so fand doch jedermann
Vergnügen an dem kecken Einfall und an dem unerwarteten Ausgang, und
er wurde nachher von allen, die auf ihn gewettet hatten, noch vier
Wochen lang in allen Wirtshäusern und Bierkneipen freigehalten und
bekannte, dass er noch sein Leben lang in keinem Wasser gewesen sei.



Der Handschuhhändler


Ein Handschuhhändler, welcher eine Kiste voll feine Handschuh aus
Frankreich nach Deutschland bringen wollte, gebrauchte folgende
List.  Nämlich, es ist ein Gesetz an den französischen Zollstätten,
dass, wer mit einer Ware hinüber oder herüber will, der muss
angeben, "wie hoch schätzest du sie", wegen dem Zoll.  Schätzt er sie
nun, dass es gehen und stehen mag, gut, so zahlt er den Zoll, so
viel oder so wenig.  Sieht aber der Zollgardist, dass der Kaufmann
oder der Krämer seine Ware viel zu gering anschlägt, damit er nicht
viel dafür entrichten muss, so darf der Zollgardist sagen: "Gut, ich
gebe dir so viel dafür, ich geb' dir auch zehn Prozent mehr", so
muss sich's dann der Krämer gefallen lassen.  Der Krämer bekommt das
Geld, und der Zollgardist behaltet die Ware, die alsdann versteigert
wird in Kolmar oder in Strassburg oder so.  Solches ist listig
ausgedacht, und man kann nichts dagegen sagen.  Aber der Listigste
findet seinen Meister.

Ein Kaufmann, welcher zwei Kisten voll Handschuh über den Rhein
bringen wollte, verabredete zuerst etwas mit einem Freunde.  Alsdann
legte er in die erste Kiste lauter rechte Handschuhe, nämlich für
die rechte Hand, je zwei und zwei, in die andere lauter linke.  Die
linken schmuggelte er bei Nacht und Nebel herüber.  Siehst du nichts,
merkst du nichts.  Mit den andern kam er an der Zollstätte an.
"Was habt Ihr in Eurer Kiste?" "Pariser Handschuhe." "Wie hoch
schlagt Ihr sie an?" "Zweihundert Franken." Der Zollgardist
betastete die Handschuhe; zart war das Leder, fest war es auch, fein
die Naht, kurz sie waren 400 Franken wert zwischen Brüdern.  "Ich
gebe euch 220 Franken dafür, sagte der Zollgardist, "sie sind mein."
Der Krämer sagt: "Sind sie Euer, so sind sie mein gewesen.  Zehn
Prozent sind auch Profit." Also nahm er 220 Franken und liess die
Kiste im Stich.  Freitags drauf in Speier im Kaufhaus, es war noch in
der alten Zeit, kamen die Handschuhe zur Steigerung.

"Wer gibt mehr als zweihundert und zwanzig?"

Die Liebhaber besichtigten die Ware.  " Es scheint mir", sagte der
Freund des Krämers, "die linken seien etwas rar." "Parbleu", sagte
ein anderer, "es sind lauter rechte." Kein Mensch tat ein Gebot.
"Wer gibt zweihundert?--hundertundfünfzig?--hundert?--Wer gibt
achtzig?"--Kein Gebot.  "Wisst ihr was", sagte endlich der Freund
des Krämers, "es kommen vielleicht viel Leute mit einzechten Armen
aus dem Feld zurück." Es war Anno 13. "Ich geb sechzig Franken!"
sagte er.  Wem zugeschlagen wurde, war er.  Wer vor Zorn des Henkers
hätte werden mögen, war der überrheinische Zollgardist.  Der
angestellte Käufer aber hat hernach die rechten Handschuhe ebenfalls
über den Rhein geschmuggelt--siehst du nichts, merkst du nichts,
und hat sie in Waldangelloch mit seinem Freund wieder
zusammensepariert, je einen linken und einen rechten, und haben sie
in Frankfurt auf der Messe für ein teures Geld verkauft.  An dem
Zollgardist aber hat der Krämer gewonnen: einhundertundvierzig
Franken und den Zoll.  Item, wie sagt die Schrift?  "Ich wusste nichts
von der Lust, so das Gesetz nicht hätte gesagt: lass dich nicht
gelüsten!"



Der Heiner und der Brassenheimer Müller


Eines Tages sass der Heiner ganz betrübt in einem Wirtshaus und
dachte daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und danach sein eigener
Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist.  "Nein", dachte
er, "es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint,
es sei einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub." Unterdessen
kommen mehrere Gäste in das Wirtshaus und trinken Neuen, und "wisst
Ihr auch," sagte einer, "dass der Zundelheiner im Land ist und wird
morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der
Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand?" Als das der
Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den Augen, denn er
dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten.  Ein anderer
aber sagte: "Es ist wieder einmal ein blinder Lärm.  Sitzt nicht der
Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?" Drüber kommt
auf einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit roten
Pausbacken und kleinen, freundlichen Augen dahergeritten.  Und als er
in die Stube kam, und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen,
Bescheid und hört, dass sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er:
"Ich hab' schon so viel von dem Zundelheiner erzählen gehört.  Ich
möcht' ihn doch auch einmal sehen." Da sagte ein anderer: "Nehmt
Euch in acht, dass Ihr ihn nicht zu früh zu sehen bekommt!  Es geht
die Rede, er sei wieder im Land." Aber der Müller mit seinen
Pausbacken sagte: "Pah!  ich komm' noch bei guter Tageszeit durch den
Fridstädter Wald, dann bin ich auf der Landstrasse; und wenn's
fehlen will, geb' ich dem Schimmel die Sporen." Als das der Heiner
hörte, fragt er die Wirtin: "Was bin ich schuldig", und geht fort in
den Fridstädter Wald.  Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein
lahmer Mensch.  "Gebt mir für ein Käsperlein Eure Krücke", sagte er
zu dem lahmen Soldaten.  "Ich habe das linke Bein übertreten, dass
ich laut schreien möchte, wenn ich drauf treten muss.  Im nächsten
Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der Wagner eine neue."
Also gab ihm der Bettler die Krücke.  Bald darauf gehen zwei
betrunkene Soldaten an ihm vorbei und singen das Reiterlied.  Wie er
in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen
Ast, setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Strasse und
zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre.  Drüber kommt
auf stattlichem Schimmel der Müller daher trottiert und macht ein
Gesicht, als wenn er sagen wollte: "Bin ich nicht der reiche Müller,
und bin ich nicht der schöne Müller, und bin ich nicht der witzige
Müller?" Als aber der witzige Müller zu dem Heiner kam, sagte der
Heiner mit kläglicher Stimme: "Wolltet Ihr nicht ein Werk der
Barmherzigkeit tun an einem armen, lahmen Mann?  Zwei betrunkene
Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet sein, haben mir all mein
Almosengeld abgenommen und haben mir aus Bosheit, dass es so wenig
war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist an den Ästen
hängen blieben, dass ich nun nimmer weiter kann.  Wolltet Ihr nicht
so gut sein und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?" Der Müller
sagte: "Ja, sie sind mir begegnet an der Waldspitze.  Sie haben
gesungen: So herzig, wie mein Liesel ist halt nichts auf der Welt."
Weil aber der Müller auf einem schmalen Steg über einen Graben zu
dem Baum musste, so stieg er von dem Ross ab, um dem armen Teufel
die Krücke herabzuzwicken.  Als er aber an dem Baum war, und schaut
hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den
stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen und reitet
davon.  "Lasst Euch das Gehen nicht verdriessen," rief er dem Müller
zurück, "und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruss
aus von dem Zundelheiner!" So etwas muss man selber sehen, wenn
man's glauben soll.  Deswegen steht's hierneben abgebildet.  Als er
aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die
Mühle kam und alle Räder klapperten, dass ihn niemand hörte, stieg
er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel wieder an der
Haustüre an und setzte seinen Weg zu Fuss fort.



Der Herr Graf


Eines Abends, da sassen wir in einem vornehmen Gasthause und
vexierten einander mit allerlei.  "Wisst Ihr noch, zum Beispiel",
fragte der Graf den Hausfreund, "wie Ihr einst mit einem fremden
Herrn angegangen seid, an dem nämlichen Platz, wo Ihr jetzt sitzet,
von wegen der Sternseherei, und wie Ihr von einem beschrien worden
seid, als Ihr nachher auf dem linken Flügel wolltet abziehen?  Man
muss sich mit fremden Leuten in acht nehmen, die man nicht kennt",
sagte der Graf im Scherz, und erfuhr es bald nachher im Ernst.  Denn
mancher gibt eine gute Lehre und befolgt sie selber nicht.
Es kamen jetzt aus einer Chaise vier fremde Personen in die Stube
und darunter zwei schöne weibliche Gestalten, wie sie der Graf gerne
sieht, und freute sich schon der angenehmen Tischgesellschaft.  Als
wir aber näher zusammenrückten, damit die Fremden Platz hätten am
Tisch, bestellten sie ihr Nachtessen in ein eigenes Gemach, denn sie
seien müde von der Reise und reich.  Als aber der Hausfreund
hinwiederum den Grafen vexieren wollte: "denkt Ihr auch noch daran,
wie Ihr einmal seid heimgeschickt worden, als der ungarische Major
im Land war", da war schon kein Graf mehr weit und breit zu sehen,
sondern er war mit des Wirts Vorwissen und Gefälligkeit in eine
Kammer gegangen und kleidete sich daselbst anderst an, als wenn er
in die Wirtschaft gehörte.  In solcher Gestalt ging er in die Stube,
wo die Fremden waren, deckte den Tisch, brachte das Essen, wartete
auf und erfreute sein Herz an der Schönheit der weiblichen Gestalten
und an ihren süssen Reden.  Auch musste er ihnen Neuigkeiten
erzählen.  Mehr Unglücksfälle sind in zehn Jahren nicht geschehen,
als damals an einem Tag nach des Grafen Erzählung.  Den andern Tag
reisten die Fremden wieder weiter, wir meinten nach Basel.  Am
Mittwoch aber oder Donnerstags drauf wurden wir einig, in die
lustige Badestadt zu gehen, wo unzählige Fremde aus allen Weltteilen
der Gesundheit pflegen und sich der wunderschönen Landschaft
erfreuen.  Als wir aber dort um die Mittagszeit in einen Speisesaal
traten, es waren schon viele Leute da, erblickten wir die nämlichen
vier Personen wieder und sie uns; und wer uns kannte, bewillkommte
uns laut mit Namen und tat uns unsre Ehre an.  "Seid uns höchlich
gegrüsst, Herr Graf!  Guten Tag, Herr Hausfreund!  Was führt Euch für
ein Glücksstern zu uns, Herr Graf?  Hausfreund, was bringt Ihr Neues
von daheim?" Da schaute mit Schweisstropfen auf der Stirne der Graf
den Hausfreund an: "Jetzt ist guter Rat teuer, wenn Ihr keinen
wisst.  Was Ihr aber tut, bringt's nicht in den Kalender." "Herr
Graf", erwiderte der Hausfreund, "diesmal will ich Euch noch retten.
Aber künftig befolgt die Lehren selbst, die Ihr andern gebt!  In
solche Verlegenheit kommt man mit Euch." Also redete der Hausfreund
mit dem Wirt, was er zu den fremden Personen sagen sollte.  Der Wirt
sagte: "Wenn das so ist, so muss man freilich aus der Not eine
Tugend machen", und redete mit den Fremden.  "Wisst ihr", sagte er,
"wer die zwei Personen sind, die zuletzt da hereinkamen?  Der eine
ist eines Wirts Sohn nicht weit von hier, sonst ein
wahrheitsliebender junger Mann, nur bisweilen, nachdem als der Mond
steht, kommt es ihm in den Kopf, er sei der Graf Susse.  Deswegen
machen ihm die Leute, weil er gut ist, diesen Spass.  Der andere ist
der Rheinländische Hausfreund, dem im Jahr 1814 auf 1815 eine Eule
aufgesessen ist, wie ihr im Morgenblatt könnt gelesen haben." Da
sprach die eine weibliche Gestalt halb seufzend: "Der arme Mensch!"
- nämlich der Graf--"wir kennen ihn", sagte sie.  "Wir haben auch
damals schon etwas an ihm gemerkt.  Statt des Kaffee, den er uns auf
den andern Morgen bestellen sollte, bestellte er uns eine
Habermehlsuppe." Also wurde die Sache noch glücklich vertuscht, und
als sie hernach sahen, mit welcher Feinheit und Würde er sich gegen
jedermann benahm, sagten sie: "Man sieht's ihm recht an, dass ihm
der Graf von Herzen geht.  Mit Vorsatz könnte sich einer nicht so
verstellen."



Der Herr Wunderlich


Nicht nur wird die Einfalt von dem Mutwillen irregeführt, oft auch
von dem Zufall.  Seltener erlöst sie der Zufall wieder aus den
Fangstricken des Mutwillens.  Wie erging es jenem Bauersmann, der in
der Stadt einem Bürger namens Wunderlich einen Wagen voll Holz
verkauft hatte auf dem Marktplatz?  "Fahrt jetzt nur dort die Strasse
hinaus", sagte der Bürger, "bis zum Eisenladen, hernach links in die
Gasse, hernach beim ersten Brunnen wieder rechts, hernach beim Roten
Löwen wieder links.  Numero 428 ist mein Haus, Jakob Wunderlich." Und
bis so weit gut.  Der Bauersmann aber dachte: "Ist's nicht noch früh
am Vormittag, hab' ich nicht das Holz um einen guten Preis verkauft,
will ich nicht zuerst noch ein Schöpplein trinken in der Kneipe da?"
und repetierte für sich: "Eisenladen,--links--rechts--links--
Numero 428." Aber in der Kneipe sassen bei einem Saueressen auch
schon ein paar lustige Gesellen, und als sie ihn sahen hereinkommen,
stiess einer den andern mit den Ellenbogen, und der andere fing an,
als wenn er fortführe: "Drum muss man's selber gesehen haben", sagte
er, "und bei den Russen gewesen sein, wenn man's glauben soll, wo
der Mann im mittleren Glied, ich will vom Flügelmann nicht reden,
zwanzig Ellen misst, auch weniger.  Jeder Finger ist eine Pistole,
die Zähne sind Pallisaden mit Feldschlangen dazwischen, die Nase ein
Bollwerk, die Augen Bombenkugeln.  Jedes Barthaar ist ein Bajonett,
jedes Haupthaar ein Sabel.  Ein solcher Sabel lässt sich
auseinanderziehen, wie ein Perspektiv, für in die Nähe zu fechten
und in die Weite.  Verliert ihn einer, so zieht er einen andern aus
dem Haar.  An den Füssen sind ihnen Schiffe gewachsen, und es ist
ihnen einerlei, ob auf dem Wasser oder auf dem Land.  Der Mann
schultert seinen Achtundvierzigpfünder.  Jeder hat sieben Leben.
Tötet Ihr ihm eins, so hat er noch sechs.  Jeder Gemeine hat
Majorsrang." Der geneigte Leser wird an diesem Müsterlein genug
haben.  Unserm Bauersmann aber verging Hören und Sehen, und so weit
war es nicht gut.  Denn als er wieder auf die Strasse kam, waren ihm
vor Staunen und Entsetzen der Eisenladen, die Gasse links, die Gasse
rechts und der Herr Wunderlich aus dem Gedächtnis heraus
verschwunden, und wen er fragte: "Guter Freund, wisst Ihr mir nicht
zu sagen, wo der Herr wohnt, dem ich das Holz verkauft habe, so und
so sieht er aus?" der gab ihm keine Antwort oder eine falsche.  Der
eine sagte: "Am obern Tore Numero 1." Dort sagte ein anderer: "Nein,
er ist ausgezogen und wohnt jetzt in der untern Vorstadt Numero 916.
Glücklicherweise führte ihn sein Weg nach der untern Vorstadt durch
die Schulgasse, und einige Schüler standen vor der Türe.  Die
Bürschlein, dachte er, wissen sonst den Bescheid in der Stadt herum
am besten, weil sie der Wind aus allen Gassen zusammengeht.  "Junger
Herr", sagte er zu einem, "wolltet Ihr mir nicht sagen, wo der Herr
wohnt, der mir dieses Holz abgekauft hat", und so und so.  Der
Schüler, ein durchtriebener Kopf, erwiderte: "Guter Freund, ich bin
noch nicht in der Schwarzen Kunst, ich bin noch in der Philosophie
(so hiess die Klasse, worin er sass).  Wenn ihr aber", sagte er, "zu
dem Herrn in der obern Stube gehen wollt, der das grosse Buch hat,
wo Gribis Grabis drin steht: Tunkus, Blemsum, Schalelei, Ikmack und
Norma, der schlagt's Euch auf für zwei Schillinge." In der obern
Stube legte er zwei Schillinge auf den Tisch.  "Herr Magister, ich
habe vergessen, wie der Herr heisst, und wo er wohnt, dem ich mein
Holz verkauft habe.  Wollet Ihr nicht so gut sein und es mir aus
Euerm Gribis-Grabis-Buch dort sagen." Der Schulherr aber schaute
diese Zumutung mit ungemeinem Staunen an, also dass er zuletzt die
Brille abhob und den baumwollenen Schlafrock übereinadernahm.  "Guter
Freund", wollte er sagen, "das ist wohl wunderlich von Euch, dass
Ihr meint, ich könne Euch aus meinen Büchern sagen, was Euch im Kopf
fehlt." Als er aber angefangen hatte: "Guter Freund, das ist wohl
wunderlich", fiel ihm der Bauersmann mit freudiger Verwunderung in
die Rede.  "Ganz richtig", sagte er, "es ist Herr Wunderlich.
Sapperment", sagte er, "das heiss ich ins Schwarze getroffen gleich
auf den ersten Schuss und ohne Buch", und entsetzte sich jetzt noch
viel mehr über die allwissende Gelehrsamkeit des Schulherrn, als
vorher über die fürchterlichen Soldaten in der Kneipe.  Der Schulherr
aber gab ihm seine zwei Schillinge wieder und liess ihm hernach
durch ein Büblein zeigen, wo der Herr Wunderlich wohnt.  Also hat dem
Mann ein lächerlicher Zufall wieder auf die Spur geholfen, von
welcher er war abgeleitet worden durch den Mutwillen.



Der Husar in Neisse


Als vor achtzehn Jahren die Preussen mit den Franzosen Krieg führten
und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran,
dass sich das Blättlein wenden könnte, und dass der Franzos noch im
Jahr 1806 nach Preussen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen
werde.  Denn nicht jeder führte sich auf, wie es einem braven
Soldaten in Feindesland wohl ansteht.  Unter andern drang damals ein
brauner preussischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus
eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel
war, und viel Geldeswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit
nagelneuem Überzug und misshandelte Mann und Frau.  Ein Knabe von
acht Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen Eltern nur das
Bett wiedergeben.  Der Husar stosst ihn unbarmherzig von sich.  Die
Tochter läuft ihm nach, hält ihn am Dolman fest und fleht um
Barmherzigkeit.  Er nimmt sie und wirft sie in den Sodbrunnen, so im
Hofe steht, und rettet seinen Raub.  Nach Jahr und Tagen bekommt er
seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neisse in Schlesien, denkt
nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meint, es sei schon
lange Gras darüber gewachsen.  Allein, was geschieht im Jahr 1806?
Die Franzosen rücken in Neisse ein; ein junger Sergeant wird abends
einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet.  Der
Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich auf und scheint guter
Dinge zu sein.  Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum
Frühstück.  Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den
Kaffee ins Ofenrohr.  Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie
endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe auf und will
sehen, ob ihm etwas fehlt.

Da sass der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die
Hände ineinander gelegt und seufzte, als wenn ihm ein gross Unglück
begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte oder so etwas, und
sah nicht, dass jemand in der Stube ist.  Die Frau aber ging leise
auf ihn zu und fragte ihn: "Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant,
und warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit einem Blick
voll Tränen an und sagte, die Überzüge dieses Bettes, in dem er
heute Nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in
Champagne angehört, die in der Plünderung alles verloren haben und
zu armen Leuten geworden seien, und jetzt denke er an alles und sein
Herz sei voll Tränen.  Denn es war der Sohn des geplünderten Mannes
in Champagne und kannte die Überzüge noch, und die roten
Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja
auch noch daran.  Da erschrak die gute Frau und sagte, dass sie
dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch
hier in Neisse lebe, und sie könne nichts dafür.

Da stand der Franzose auf und liess sich in das Haus des Husaren
führen und kannte ihn wieder.

"Denkt Ihr noch daran", sagte er zu dem Husaren, "wie Ihr vor 18
Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut und zuletzt
auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, und habt keine
Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung
anflehte, und an meine Schwester?" Anfänglich wollte der alte Sünder
sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Kriege nicht alles, wie
es soll, und was der eine liegen lasse, hole doch ein anderer, und
Lieber nimmt man's selber.  Als er aber merkte, dass der Sergeant der
nämliche sei, dessen Eltern er geplündert und misshandelt hatte, und
als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor
Gewissensangst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem
Franzosen auf die zitternden Knie nieder und konnte nichts mehr
herausbringen als: "Pardon!", dachte aber: Es wird nicht viel
helfen.

Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: "Jetzt wird der Franzos
den Husaren zusammenhauen", und freut sich schon darauf.  Allein das
könnte mit der Wahrheit nicht bestehen.  Denn wenn das Herz bewegt
ist und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache
nehmen.  Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er
denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem
vergelten.  So dachte der Franzose auch und sagte: "Dass du mich
misshandelt hast, das verzeihe ich dir.  Dass du meine Eltern
misshandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine
Eltern verzeihen.  Dass du meine Schwester in den Brunnen geworfen
hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott!"--Mit
diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide
zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl.  Dem Husaren
aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem jüngsten Gericht
gestanden wäre und hätte keinen guten Bescheid bekommen.  Denn er
hatte von dieser Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach
einem Vierteljahr gestorben sein.

Merke: Man muss in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim
nicht darf finden lassen.

Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.



Der kann Deutsch


Bekanntlich gibt es in der französischen Armee viele
Deutschgeborene, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer
merken lassen.  Das ist alsdann für einen Hauswirt, der seinen
Einquartierten für einen Stockfranzosen hält, ein gross Kreuz und
Leiden, wenn er nicht französisch mit ihm reden kann.  Aber ein
Bürger in Salzwedel, der im letzten Krieg einen Sundgauer im
Quartier hatte, entdeckte von ohngefähr ein Mittel, wie man bald
dahinter kommt.  Es ging so zu.  Der Sundgauer parlierte lauter Foudre
Diable, forderte mit dem Säbel in der Faust immer etwas anders, und
der Salzwedler wusste nie, was?  Hätt's ihm gern gegeben, wenn er
gekonnt hätte.  Da sprang er in der Not in seines Nachbarn Haus, der
sein Gevatter war und ein wenig französisch kann, und bat ihn um
seinen Beistand.  Der Gevatter sagte: "Er wird aus der Dauphine sein,
ich will schon mit ihm zurechtkommen." Aber weit gefehlt.  War's
vorher arg, so war's jetzt ärger.  Der Sundgauer machte Forderungen,
die der gute Mann nicht zu befriedigen wusste, so dass er endlich im
Unwillen sagte "Das ist ja der vermaledeiteste Spitzbube, mit dem
mich der Bolettenschreiber noch heimgesucht hat." Aber kaum war das
unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeinten
Stockfranzosen eine ganz entsetzliche Ohrfeige.  Da sagte der
Nachbar: "Gevattermann!  Nun lasst Euch nimmer Angst sein, der kann
Deutsch."



Der kluge Richter


Dass nicht alles so uneben sei, was im Morgenlande geschieht, das
haben wir schon einmal gehört.  Auch folgende Begebenheit soll sich
daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine beträchtliche
Geldsumme, welche in ein Tuch eingenähet war, aus Unvorsichtigkeit
verloren.  Er machte daher seinen Verlust bekannt und bot, wie man zu
tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von
hundert Talern, an.  Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann
dahergegangen.  "Dein Geld habe ich gefunden.  Dies wird's wohl sein!
So nimm dein Eigentum zurück!" So sprach er mit dem heitern Blick
eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schön.
Der andere machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er
sein verloren geschätztes Geld wieder hatte.  Denn wie es um seine
Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen.  Er zählte das Geld,
und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um
seine versprochene Belohnung bringen könnte.  "Guter Freund", sprach
er hierauf, " es waren eigentlich 800 Taler in dem Tuch eingenäht.
Ich finde aber nur noch 700 Taler.  Ihr werdet also wohl eine Naht
aufgetrennt und Eure 100 Taler Belohnung schon herausgenommen haben.
Da habt Ihr wohl daran getan.  Ich danke Euch." Das war nicht schön.
Aber wir sind auch noch nicht am Ende.  Ehrlich währt am längsten,
und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn.  Der ehrliche Finder, dem
es weniger um die 100 Taler als um seine unbescholtene
Rechtschaffenheit zu tun war, versicherte, dass er das Päcklein so
gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden
habe.  Am Ende kamen sie vor den Richter.  Beide beistanden auch hier
noch auf ihrer Behauptung, der eine, dass 800 Taler seien eingenäht
gewesen, der andere, dass er von dem Gefundenen nichts genommen und
das Päcklein nicht versehrt habe.  Da war guter Rat teuer.  Aber der
kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte
Gesinnung des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so
an: er liess sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste
und feierliche Versicherung geben, und tat hierauf folgenden
Ausspruch: "Demnach, und wenn der eine von euch 800 Taler verloren,
der andere aber nur ein Päcklein mit 700 Talern gefunden hat, so
kann auch das Geld des letztern nicht das nämliche sein, auf welches
der erstere ein Recht hat.  Du, ehrlicher Freund, nimmst also das
Geld, welches du gefunden hast, wieder zurück, und behältst es in
guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Taler verloren hat.
Und dir da weiss ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis
derjenige sich meldet, der deine 800 Taler findet." So sprach der
Richter, und dabei blieb es.



Der kluge Sultan


Zu dem Grosssultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die
Kirche gehen wollte, trat ein armer Teufel von seinen Untertanen mit
schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln,
schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte:
"Glaubst du auch, grossmächtiger Sultan, was der Prophet sagt?" Der
Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: "Ja, ich glaube, was der
Prophet sagt." Der arme Teufel fuhr fort: "Der Prophet sagt im
Alkoran: Alle Muselmänner (das heisst, alle Mohammedaner) sind
Brüder.  Herr Bruder, so sei so gut und teile mit mir das Erbe." Dazu
lächelte der Kaiser und dachte: Das ist eine neue Art, ein Almosen
zu betteln, und gibt ihm einen Löwentaler.  Der Türke beschaut das
Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite.  Am Ende
schüttelt er den Kopf und sagt: "Herr Bruder, wie komme ich zu einem
schäbigen Löwentaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als
hundert Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor
Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz
zuwachsen.  Heisst das geteilt mit einem Bruder?" Der gütige Sultan
aber hob warnend den Finger in die Höhe und sagte: "Herr Bruder, sei
zufrieden, und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn
unsere Familie ist gross, und wenn unsere andern Brüder alle auch
kommen und wollen ihr Erbteil von mir, so wird's nicht reichen, und
du musst noch herausgeben." Das begriff der Herr Bruder, ging zum
Bäckermeister Abu Tlengi und kaufte ein Laiblein Brot, der Kaiser
aber begab sich in die Kirche und verrichtete sein Gebet.



Der Kommandant und die badischen Jäger in Hersfeld


Folgende Begebenheit verdient, dass sie im Andenken bleibe, und wer
keine Freude daran hat, den will ich nicht loben.

Im verflossenen Winter, als die französische Armee und ein grosser
Teil der bundesgenossischen Truppen in Polen und Preussen stand,
befand sich ein Teil des badischen Jägerregiments in Hessen und in
der Stadt Hersfeld auf ihren Posten.  Denn dieses Land hatte der
Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen und mit Mannschaft
besetzt.  Da gab es nun von seiten der Einwohner, denen das Alte
besser gefiel als das Neue, mancherlei Unordnungen, und es wurden
besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeübt
und unter andern ein französischer Offizier getötet.  Das konnte der
französische Kaiser nicht geschehen lassen, während er mit einem
zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, dass auch hinter ihm
Feindseligkeiten ausbrachen und ein kleiner Funke sich zu einer
grossen Feuersbrunst entzündete.  Die armen Einwohner von Hersfeld
bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte Kühnheit zu bereuen.
Denn der französische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu plündern
und alsdann an vier Orten anzuzünden und in die Asche zu legen.
Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken und daher auch viele
reiche und wohlhabende Einwohner und schöne Gebäude hat; und ein
Menschenherz kann wohl empfinden, wie es nun den armen Leuten, den
Vätern und Müttern zumute war, als sie die Schreckenspost vernahmen;
und der arme Mann, dem sein Hab und Gut auf einmal auf dem Arm
konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran als der reiche,
dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte; und in der Asche
sind die grossen Häuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln
auch so gleich als die reichen Leute und die armen Leute auf dem
Kirchhof.  Nun, zum Schlimmsten kam es nicht.  Auf Fürbitte der
französischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe
so gemildert: es sollten zwar nur vier Häuser verbrannt werden, und
dies war glimpflich; aber bei der Plünderung sollte es bleiben, und
das war noch hart genug.  Die unglücklichen Einwohner waren auch, als
sie diesen letzten Bescheid hörten, so erschrocken, so alles Mutes
und aller Besinnung beraubt, dass sie der menschenfreundliche
Kommandant selber ermahnen musste, statt des vergeblichen Klagens
und Bittens die kurze Frist zu benutzen und ihr Bestes noch
geschwind auf die Seite zu schaffen.  Die fürchterliche Stunde
schlug; die Trommel wirbelte ins Klaggeschrei der Unglücklichen.
Durch das Getümmel der Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten
eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz.  Da trat der brave
Kommandant von Hersfeld vor die Reihen seiner baldigen Jäger,
stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft
vor die Augen und sagte hierauf: "Soldaten!  Die Erlaubnis zu
plündern fängt jetzt an.  Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem
Glied!" So sprach der Kommandant; und wer jetzt ein Glas voll Wein
hat neben sich stehen, der trinke es aus zu Ehren der badischen
Jäger.  Kein Mann trat aus dem Glied.  Nicht einer!  Der Aufruf wurde
wiederholt.  Kein Fuss bewegte sich; und wollte der Kommandant
geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen.  Aber es war
niemand lieber als ihm, dass die Sache also ablief; das ist leicht
zu bemerken.  Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zumute wie
einem, der aus einem schweren Traum erwacht.  Ihre Freude ist nicht
zu beschreiben.  Sie schickten sogleich eine Gesandtschaft an den
Kommandanten, liessen ihm für diese Milde und Grossmut danken und
boten ihm aus Dankbarkeit ein grosses Geschenk an.  Wer weiss, was
mancher getan hätte!  Aber der Kommandant schlug dasselbe ab und
sagte: er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen.  "Nur zum
Andenken von euch", setzte er hinzu, "erbitte ich mir eine silberne
Münze, auf welcher die Stadt Hersfeld vorgestellt ist und der
heutige Auftritt.  Dies soll das Geschenk sein, welches ich meiner
künftigen Gattin aus dem Krieg mitbringen will." Dies ist geschehen
im Februar des Jahrs 1807, und so etwas ist des Lesens zweimal wert.



Der Lehrjunge


Eines Tages wurde in Rheinfelden ein junger Mensch wegen eines
verübten Diebstahls an den Pranger gestellt, an das Halseisen, und
ein fremder, wohlgekleideter Mensch blieb die ganze Zeit unter den
Zuschauern stehen und verwandte kein Auge von ihm.  Als aber der Dieb
nach einer Stunde herabgelassen wurde von seinem Ehrenposten und zum
Andenken noch 20 Prügel bekommen sollte, trat der Fremde zu dem
Hatschier, drückte ihm einen Kleinen Taler in die Hand und sagte:
"Setzt ihm die Prügel ein wenig kräftig auf, Herr Haltunsfest!  Gebt
ihm die besten, die Ihr aufbringen könnt"; und der Hatschier mochte
schlagen, so stark er wollte, so rief der Fremde immer: "Besser!
Noch besser!" und den jungen Menschen auf der Schranne fragte er
bisweilen mit höhnischem Lachen: "Wie tut's, Bürschlein?  Wie
schmeckt's?"

Als aber der Dieb zur Stadt war hinausgejagt worden, ging ihm der
Fremde von weitem nach, und als er ihn erreicht hatte auf dem Weg
nach Degerfelden, sagte er zu ihm: "Kennst du mich noch, Gutschick?"
Der junge Mensch sagte: "Euch werde ich so bald nicht vergessen.
Aber sagt mir doch, warum habt Ihr an meiner Schmach eine solche
Schadenfreude gehabt und an dem Pass, den mir der Hatschier mit dem
Weidenstumpen geschrieben hat, so ich doch Euch nicht bestohlen,
auch mein Leben lang sonst nicht beleidiget habe." Der Fremde sagte:
"Zur Warnung, weil du deine Sache so einfältig angelegt hattest,
dass es notwendig herauskommen musste.  Wer unser Metier treiben
will, ich bin der Zundelfrieder", sagte er, und er war's auch--"wer
unser Metier treiben will, der muss sein Geschäft mit List anfangen
und mit Vorsicht zu Ende bringen.  Wenn du aber zu mir in die Lehre
gehen willst, denn an Verstand scheint es dir nicht zu fehlen, und
eine Warnung hast du jetzt, und so will ich mich deiner annehmen und
etwas Rechtes aus dir machen." Also nahm er den jungen Menschen als
Lehrjungen an, und als es bald darauf unsicher am Rhein wurde, nahm
er ihn mit sich in die spanischen Niederlande.



Der listige Kaufherr


Der Adjunkt, der dieses schreibt, hat allemal eine grosse Freude,
wenn er auch ein Geschichtlein einmauren kann in den Kalender.  Denn
was er in gelehrte Bücher hineinstiftet, lesen nicht viel Leute, am
wenigsten die Gelehrten selber.  Der Hausfreund aber hat nach den
neuesten Zählungen 700’000 Leser, ohne die, welche umsonst zuhören.
Diesmal aber freut er sich insbesondere zu erzählen, wie einmal ein
grosser Spitzbube auch hinter das Licht geführt worden ist; denn die
Wölfe beissen bisweilen auch ein gescheites Hündlein, sagt Doktor
Luther.

Ein französischer Kaufherr segelte mit einem Schiff voll grossen
Reichtums aus der Levante heim, aus dem Morgenland, wo unser Glaube,
unsere Fruchtbäume und unser Blut daheim ist, und dachte schon mit
Freuden daran, wie, er jetzt bald ein eigenes Schlösslein am Meer
bauen, und ruhig leben und alle Abend dreierlei Fische zu Nacht
speisen wolle.  Paff, geschah ein Schuss.  Ein algierisches Raubschiff
war in der Nähe, wollte uns gefangen nehmen und geraden Wegs nach
Algier führen in die Sklaverei.  Denn hat man zwischen Wasser und
Himmel gute Gelegenheit Luftschlösser zu bauen, so hat man auch gute
Gelegenheit zu stehlen.  So denken die algierschen Seeräuber auch.
Hat das Wasser keine Balken, so hat's auch keine Galgen.  Zum Glück
hatte der Kaufherr einen Ragusaner auf dem Schiff, der schon einmal
in algierischer Gefangenschaft gewesen war und ihre Sprache und ihre
Prügel aus dem Fundament verstand.  Zu dem sagte der Kaufherr:
"Nicolo, hast du Lust noch einmal algierisch zu werden?  Folge mir,
was ich dir sage, so kannst du dich erretten und uns." Also
verbargen wir uns alle im Schiff, dass kein Mensch zu sehen war, nur
der Ragusaner stellte sich oben auf das Verdeck.  Als nun die
Seeräuber mit ihren blinkenden Säbeln schon nahe waren und riefen,
die Christenhunde sollten sich ergeben, fing der Ragusaner mit
kläglicher Stimme auf algierisch an: Tschamiana, fing er an,
tschamiana halakna bilabai monaschid ana billah onzorun min almaut.
"Wir sind alle an der Pest gestorben bis auf die Kranken, die noch
auf ihr Ende warten, und ein deutscher Adjunkt und ich.  Um Gottes
willen rettet mich!" Dem Algierer Seekapitän, als er hörte, dass er
so nah an einem Schiff voll Pest sei, kam's grün und gelb vor die
Augen.  In der grössten Geschwindigkeit hielt er das Schnupftuch vor
die Nase, hatte aber keins, sondern den Ärmel; und lenkte sein
Schiff hinter den Wind.  Lajonzork, sagte er, Allahorraman arrahim
atabarra laka it schanat chall.  "Gott helfe dir, der Gnädige und
Barmherzige!  Aber geh zum Henker mit deiner Pest!  Ich will dir eine
Flasche voll Kräuteressig reichen." Darauf liess er ihm eine Flasche
voll Kräuteressig reichen an einer langen Stange und segelte so
schnell als möglich linksum.  Also kamen wir glücklich aus der
Gefahr, und der Kaufherr baute hernach in der Gegend von Marseille
das Schlösslein und stellte den Ragusaner als Haushofmeister an auf
lebenslang.



Der listige Quäker


Die Quäker sind eine Sekte, zum Exempel in England, fromme,
friedliche und verständige Leute, wie hierzuland die Wiedertäufer
ungefähr, und dürfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen: nicht
schwören, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehn, aber
reiten dürfen sie, wenn sie Pferde haben.  Als einer von ihnen einmal
abends auf einem gar schönen, stattlichen Pferd nach Haus in die
Stadt wollte reiten, wartet auf ihn ein Räuber mit kohlschwarzem
Gesicht ebenfalls auf einem Ross, dem man alle Rippen unter der
Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen konnte, nur nicht die Zähne,
denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Haber, aber am Stroh.
"Kind Gottes", sagte der Räuber, "ich möchte meinem armen Tier da,
das sich noch dunkel an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten
erinnern kann, wohl auch ein so gutes Futter gönnen, wie das Eurige
haben muss dem Aussehen nach.  Wenn's Euch recht ist, so wollen wir
tauschen.  Ihr habt doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich."
Der Quäker dachte bei sich selbst: "Was ist zu tun?  Wenn alles
fehlt, so hab' ich zu Haus noch ein zweites Pferd, aber kein zweites
Leben." Also tauschten sie miteinander, und der Räuber ritt auf dem
Ross des Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des
Räubers am Zaum.  Als er aber gegen die Stadt und an die ersten
Häuser kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: "Geh
voraus, Lazarus; du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich."
Und so liess er das Pferd vorausgehen und folgte ihm nach Gasse ein,
Gasse aus, bis es vor einer Stalltüre stehen blieb.  Als es stehen
blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in die
Stube, und der Räuber fegte gerade den Russ aus dem Gesicht mit
einem wollenen Strumpf.  "Seid Ihr wohl nach Hause gekommen?" sagte
der Quäker.  "Wenn's Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern
Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestätigt.
Gebt mir mein Rösslein wieder, das Eurige steht vor der Tür." Als
sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte er wohl oder übel, gab
er dem Quäker sein gutes Pferd zurück.  "Seid so gut", sagte der
Quäker, "und gebt mir jetzt auch noch zwei Taler Rittlohn; ich und
Euer Rösslein sind miteinander zu Fuss spaziert." Wollte der
Spitzbube wohl oder übel, musst' er ihm auch noch zwei Taler
Rittlohn bezahlen.  "Nicht wahr, das Tierlein lauft einen sanften
Trab?" sagte der Quäker.



Der listige Steiermarker


In Steiermark, ein wenig abhanden von der Strasse, dachte ein
reicher Bauer im letzten Krieg: wie fang' ich's an, dass ich meine
Kronentaler und meine Dukätlein rette in dieser bösen Zeit?  Die
Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, tröst' sie Gott, und
der Kaiser Joseph, tröst' ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott
schenk' ihm Leben und Gesundheit.  Und wenn man meint, man habe die
lieben Herrschaften noch so gut verborgen und geflüchtet, so riecht
sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und führt sie in
die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne, dass einem
armen Untertanen das Herz dabei bluten möchte vor Patriotismus.
"Jetzt weiss ich," sagte er, "wie ich's anfange", und trug das Geld
bei dunkler, blinder Nacht in den Krautgarten.  "Das Siebengestirn
verratet mich nicht", sagte er.  Im Krautgarten legte er das Geld
geradezu zwischen die Gelveieleinstöcke und die spanischen Wicken.

Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten und
warf allen Grund daraus auf das Geld und zertrat rings herum die
schönen Blumenstöcke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut
einstampft.  Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen
Revier, und am Donnerstag kam eine Partie ins Dorf, frisch auf die
Mühle zu, und aus der Mühle mit weissen Ellenbogen zu unserm Bauern:
und "Geld her, Buur," rief ihm ein Sundgauer mit blankem Säbel
entgegen, "oder bet' dein letztes Vaterunser." Der Bauer sagte, sie
möchten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden.  Er habe nichts
mehr, es sei gestern und vorgestern schon alles in Rapuse gegangen.
"Vor euch kann man etwas verbergen," sagt er, "ihr seid die
Rechten." Als sie nichts fanden ausser ein paar Kupferkreuzer und
einen vergoldeten Sechser mit dem Bildnis der Kaiserin Maria
Theresia und ein Ringlein dran zum Anhängen, "Buur," sagte der
Sundgauer, "du hast dein Geld verlochet; auf der Stelle zeig', wo du
dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein letztes Vaterunser
aus der Welt." "Auf der Stelle kann ich's euch nicht zeigen," sagte
der Bauer, "so sauer mich der Gang ankommt, sondern ihr müsst mit
mir in den Krautgarten gehen.  Dort will ich euch zeigen, wo ich es
verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist.  Der Herr Feind ist
schon gestern und vorgestern dagewesen und haben's gefunden und
alles geholt." Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein,
fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte
daran, dass das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder
schaute in das leere Loch und dachte: wär' ich nur früher gekommen.
"Und hätten sie nur die schönen Gelveieleinstöcke und den Goldlack
nicht so verderbt", sagte der Bauer, und so hinterging er diese und
alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze
erzherzogliche Haus, den Kaiser Franz, den Kaiser Joseph, die
Kaiserin Maria Theresia und den allerhöchstseligen Herrn Leopold den
Ersten gerettet und glücklich im Land behalten.



Der Prozess ohne Gesetz


Nur weil es unter allen Ständen einfältige Leute gibt, gibt es
solche auch unter dem achtungswerten Bauernstand; sonst wär es nicht
nötig.  Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen Rettich und
ein Stück Brot in die Tasche, und "Frau", sagte er, "gib acht zum
Haus, ich gehe jetzt in die Stadt." Unterwegs sagte er von Zeit zu
Zeit: "Dich will ich bekommen.  Mit dir will ich fertig werden", und
nahm allemal eine Prise darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit
ihm woll' er fertig werden; er meinte aber seinen Schwager, den
Ölmüller.  In der Stadt ging er geradeswegs zu einem Advokaten und
erzählte ihm, was er für einen Streit habe mit seinem Schwager wegen
einem Stück Reben im untern Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein
gewesen sei und seine Voreltern drauf ins Land gekommen seien, der
Schwager aber sei von Enzberg im Württembergischen, und der Herr
Advokat soll jetzt so gut sein und einen Prozess daraus machen.  Der
Advokat mit einer Tabakspfeife im Mund, sie rauchen fast alle, tat
gewaltige Züge voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein in
der Luft, der Adjunkt kann auch machen.  Dabei war er aber ein
aufrichtiger Mann, als Rechtsfreund und Rechtsbeistand natürlich.
"Guter Mann", sagte er, "wenn's so ist, wie Ihr mir da vortragt, den
Prozess könnt Ihr nicht gewinnen", und holte ihm vom Schaft das
Landrecht hinter einem porzellinen Tabakstopf hervor.  "Seht da",
schlug er ihm auf, "Kapitel soundsoviel, Numero vier, das Gesetz
spricht gegen Euch unverrichteter Sachen." Indem klopft jemand an
der Türe und tritt herein, und ob er einen Zwerchsack über die
Schulter hängen hatte und etwas drin, genug, der Advokat geht mit
ihm in die Kammer abseits.  "Ich komm' gleich wieder zu Euch."
Unterdessen riss der Bauersmann das Blatt aus dem Landrecht, worauf
das Gesetz stand, drückte es geschwind in die Tasche und legte das
Buch wieder zusammen.  Als er wieder bei dem Advokaten allein war,
stellt er den rechten Fuss ein wenig vor und schlotterte mit dem
Knie ein paarmal ein- und auswärts, teils weil es dortzuland zum
guten Vortrag gehört, teils damit der Advokat etwas sollte klingeln
hören oben in der Tasche.  "Ihr Gnaden", sagte er zu dem Advokaten,
"ich hab' mich unterdessen besonnen.  Ich meine, ich will's doch
probieren, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten", und, machte
ein verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch etwas wüsste und
sagen wollte: Es kann nicht fehlen.  Der Advokat sagte: "Ich habe
aufrichtig mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt."
Der Bauersmann schaute unwillkürlich auf den Tisch, aber er sah
keinen.  "Wenn Ihr's wollt drauf ankommen lassen", fuhr der Advokat
fort, "so kommt's mir auch nicht drauf an." Der Bauersmann sagte:
"Es wird nicht alles gefehlt sein."

Kurz, der Prozess wird anhängig, und der Advokat brauchte das
Landrecht nicht mehr weiters dazu, weil er das Gesetz auswendig
wusste wie alle.  Item was geschieht?  Der Gegenpart hatte einen
saumseligen Advokaten, der Advokat verabsäumt einen Termin, und
unser Bauersmann gewinnt den Prozess.  Als ihm nun der Advokat den
Spruch publizierte, "aber nicht wahr", sagte der Advokat, "diesen
schlechten Rechtshandel hab' ich gut für Euch geführt?"--"Den
Kuckuck hat Er", erwiderte der Bauersmann und zog das ausgerissene
Blatt wieder aus der Tasche hervor: "Sieht Er da?  Kann Er gedruckt
lesen?  Wenn ich nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen hätte,
Er hätt' den Prozess lang verloren." Denn er meinte wirklich, der
Prozess sei dadurch zu seinem Vorteil ausgefallen, dass er das
gefährliche Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und auf dem
Heimweg, so oft er eine Prise nahm, machte er allemal ein pfiffiges
Gesicht und sagte: "Mit dir bin ich fertig worden, Ölmüller."
Item.  So können Prozesse gewonnen werden.  Wohl dem, der keinen zu
verlieren hat.



Der Rekrut


Ein Rekrut, dem schon in den ersten 14 Tagen das Schildwachstehen
langweilig vorkam, betrachtete einmal das Schilderhaus unten und
oben und hinten und vornen, wie ein Förster, wenn er einen Baum
schätzt, oder ein Metzger ein Häuptlein Vieh.  Endlich sagte er: "Ich
möchte nur wissen, was sie an dem einfältigen Kasten finden, dass
den ganzen Tag einer dastehen und ihn hüten muss." Denn er meinte,
er stehe da wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus wegen
ihm.



Der Rekrut


Zum schwäbischen Kreiskontingent kam im Jahr 1795 ein Rekrut, so ein
schöner, wohlgewachsener Mann war.  Der Offizier fragte ihn, wie alt
er sei.  Der Rekrut antwortete: "Einundzwanzig Jahr.  Ich bin ein
ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst wär' ich zweiundzwanzig."



Der schlaue Husar


Ein Husar im letzten Kriege wusste wohl, dass der Bauer, dem er
jetzt auf der Strasse entgegenging, 100 Gulden für geliefertes Heu
eingenommen hatte und heimtragen wollte.  Deswegen bat er ihn um ein
kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein.  Wer weiss, ob er mit ein
paar Batzen nicht zufrieden gewesen wäre.  Aber der Landmann
versicherte und beteuerte bei Himmel und Hölle, dass er den eigenen
letzten Kreuzer im nächsten Dorfe ausgegeben und nichts mehr übrig
habe.  "Wenn's nur nicht so weit von meinem Quartier wäre", sagte
hierauf der Husar, "so wäre uns beiden zu helfen; aber wenn du hast
nichts, ich hab' nichts, so müssen wir den Gang zum heiligen
Alfonsus doch machen.  Was er uns heute beschert, wollen wir
brüderlich teilen." Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in
einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg.  Der Landmann hatte
anfangs keine grosse Lust zu dieser Wallfahrt.  Aber der Husar nahm
keine Vorstellung an und versicherte unterwegs seinen Begleiter so
nachdrücklich, der heilige Alfonsus habe ihn noch in keiner Not
stecken lassen, dass dieser selbst anfing, Hoffnung zu gewinnen.
Vermutlich war in der abgelegenen Kapelle ein Kamerad und
Helfershelfer des Husaren verborgen?  Nichts weniger!  Es war wirklich
das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jetzt
niederknieten, während der Husar gar andächtig zu beten schien.
"Jetzt", sagte er seinem Begleiter ins Ohr, "jetzt hat mir der
Heilige gewunken." Er stand auf, ging zu ihm hin, hielt die Ohren an
die steinernen Lippen und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter
zurück.  "Einen Gulden hat er mir geschenkt: in meiner Tasche müsse
er schon stecken." Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern
einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und
teilte ihn versprochenermassen brüderlich zur Hälfte.  Das leuchtete
dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, dass der Husar die Probe
noch einmal machte.  Alles ging das zweite Mal wie zuerst.  Nur kam
der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurück.

"Hundert Gulden hat uns jetzt der gute Alfonsus auf einmal
geschenkt.  In deiner Tasche müssen sie stecken." Der arme Bauer
wurde todesblass, als er dies hörte, und wiederholte seine
Versicherung, dass er gewiss keinen Kreuzer habe.  Allein der Husar
redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heiligen Alfonsus
haben und nachsehen.  Alfonsus habe ihn noch nie angeführt.  Wollte er
wohl oder übel, so musste er seine Taschen umkehren und leer machen.
Die hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher
dem schlauen Husaren die Hälfte von seinem Gulden abgenommen, so
musste er jetzt auch seine hundert Gulden mit ihm teilen, da half
kein Bitten und kein Flehen.

Das war fein und listig, aber eben doch nicht recht, zumal in einer
Kapelle.



Der schlaue Mann


Einem andern, als er das Wirtshaussitzen bis nach Mitternacht
anfing, schloss einmal die Frau nachts um zehn Uhr die Türe zu und
ging ins Bett, und wollt' er wohl oder übel, so musste er unter dem
Immenstand im Garten über Nacht sein.  Den andern Tag, was tut er?
Der geneigte Leser gebe acht!  Als er ins Wirtshaus ging, hob er die
Haustüre aus den Kloben und nahm sie mit, und früh um ein Uhr, als
er heimkam, hängt er sie wieder ein und schloss sie zu, und seine
Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen,
sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmut gebessert.



Der schlaue Pilgrim


Vor einigen Jahren zog ein Müssiggänger durch das Land, der sich für
einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn und
laufe geradenweges zum Heiligen Grab nach Jerusalem, fragte schon in
Müllheim an der Post: "Wie weit ist es noch nach Jerusalem?" Und
wenn man ihm sagte: "Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fussweg
über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher", so ging er, um auf
dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen.  Das
wäre nun so übel nicht.  Man muss einen kleinen Vorteil nicht
verachten, sonst kommt man zu keinem grossen.  Man hat öfter
Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, als einen
Gulden.  Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege
von 700 Stunden nur allemal an fünf Stunden weiss eine Viertelstunde
abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen--rechnet selber
aus, wieviel?  Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht ebenso,
sondern weil er nur dem Müssiggang und guten Essen nachzog, so war
es ihm einerlei, wo er war.  Ein Bettler kann nach dem alten
Sprichwort nie verirren, muss in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er
nicht mehr drin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreisst,
zumal wenn er barfuss geht.  Unser Pilgrim aber dachte doch immer
darauf, sobald als möglich wieder an die Landstrasse zu kommen, wo
reiche Häuser stehen und gut gekocht wird.  Denn der Halunke war
nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner
Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht
wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte
Kieselsteinsuppen.  Wenn er nämlich irgendwo so ein braves Wirtshaus
an der Strasse stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in
Krotzingen oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und
bat ganz demütig und hungrig um ein gutes Wassersüpplein von
Kieselsteinen, um Gottes willen, Geld habe er keines.--Wenn nun die
mitleidige Wirtin zu ihm sagte: "Frommer Pilgrim, die Kieselsteine
könnten Euch hart im Magen liegen!" so sagte er: "Eben deswegen!  Die
Kieselsteine halten länger an als Brot, und der Weg nach Jerusalem
ist weit.  Wenn Ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt,
um Gottes willen, so könnt' ich's freilich besser verdauen." Wenn
aber die Wirtin sagte: "Aber, frommer Pilgrim, eine solche Suppe
kann Euch doch unmöglich Kraft geben!" so antwortete er: "Ei, wenn
Ihr anstatt des Wasser wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, um Gottes
willen, so wär's freilich nahrhafter." Brachte nun die Wirtin eine
solche Suppe und sagte: "Die Tünklein sind doch nicht so gar weich
geworden", so sagte er: "Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus.
Hättet Ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüs darein oder ein
Stücklein Fleisch oder beides um Gottes willen?" Wenn ihm nun die
mitleidige Wirtin auch noch Gemüs und Fleisch in die Schüssel legte,
so sagte er: "Vergelts Euch Gott!  Gebt mir jetzt Brot, so will ich
die Suppe essen." Hierauf streifte er die Ärmel seines
Pilgergewandes zurück, setzte sich und griff an das Werk mit
Freuden, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und Gemüs und die
Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser
und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ärmel
ab, oder auch gar nicht, und sagte: "Frau Wirtin, Eure Suppe hat
mich rechtschaffen gesättigt, so dass ich die schönen Kieselsteine
nicht einmal mehr zwingen kann.  Es ist schad dafür!  Aber hebt sie
auf.  Wenn ich wieder komme, so will ich Euch eine heilige Muschel
mitbringen ab dem Meeresstrand von Askalon oder eine Rose von
Jericho."

(Drum hüte dich; nicht das Gewand macht den Pilgrim, sondern der
fromme Sinn, und eine Sünde ist es, dasselbe zu missbrauchen.)



Der Schneider in Pensa


Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein!
Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein für halb
Rußland Arbeit genug und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer
Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in Asien
deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.

Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die
Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch
Pensa, das für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von
Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder
englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar
Stunden zu spät.  In Pensa ist der Sitz des ersten russischen
Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt.  Also
wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und
alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die
Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt,
wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa
mitbringt.  Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert, auch
sechzehn Rheinländer, badische Offiziere, die damals unter den
Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und
Brandstätten Europas ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und
schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in
Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das
ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden
erbarmte.  Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte:
"Was wird aus uns werden?" oder "Wann wird der Tod unserm Elend ein
Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie
mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein
Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutschen
da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine
liebe, freundliche Gestalt.  Das war der Schneider von Pensa, Franz
Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Großherzogtum
Baden.  Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim?
Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein
wenig nach Petersburg hinein.  Ein Pfälzer Schneider schlägt sieben
bis acht mal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig
treibt.  In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches
Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit
ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach
Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert.  In Pensa
aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er
jetzt ein angesehenes Männlein.  Will jemand in ganz Asien ein
sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen
Schneider in Pensa.  Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch
ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein
guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges
ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem
Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost,
Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und
Bett, nur kein Geld.

Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist,
blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne
Freudenernte Sooft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam,
warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und
"Sind keine Deutschen da?" war seine erste Frage.  Denn er hoffte von
einem Tag zum anderen, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen,
und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon
zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt
und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat.  "Wenn sie nur so oder so
aussähen", dachte er.  Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit
ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine
Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte
ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er
konnte.  Diesmal aber, und als er mitten unter so viele brave
Landsleute, auch Darmstädter und andere, hineinrief: "Sind keine
Deutschen da?" er mußte zum zweitenmal fragen, denn das erstemal
konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das
süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein
Harfenton, und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem
erfragte, woher er sei er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen
auch zufrieden gewesen, aber einer sagte.  "Von Mannheim am
Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo
Mannheim liegt; der andere sagte: Yon Bruchsal", der dritte: "Von
Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim", da zog es wie ein warmes,
auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch.  "Und ich
bin von Bretten`, sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Egetmeier
von~Bretten, wie Joseph von Agypten zu den Söhnen Israels sagte:
"Ich bin Joseph, euer Bruder" und die Tränen der Freude, der Wehmut
und heiligen Heimatliebe traten a112n in die Augen, und es war
schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider oder
der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am
gerührtesten war.  jetzt führte der gute Mensch seine teuern
Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem
erquicklichen Mahle, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war.
jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um dit Gnade, daß er
seine Landsleute in Pensa behalten dürfe.  "Anton", sagte der
Statthalter, wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?" jetzt lief er in
der Stadt herum und suchte für die, die in seinem Hause nicht Platz
hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus.
jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem anderen.  "Herr
Landsmann", sagte er zu dem einen, "mit Eurem Weißzeug sieht's
windig aus.  Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder
sorgen." "Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem
andern Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem
dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten,
und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an
Kleidungsstücken für seine werten rheinischen Hausfreunde.  In
wenigen Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert.  Ein guter
Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde
Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinischen Hausfreunde:
"Herr Landmann, verrechnet Euch nicht.  Ein Kriegsgefangener bringt
keine Münzen mit.  So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure
großen Auslagen werden schadlos halten können und wann."Darauf
erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlängliche Entschädigung in
dem Gefühl, Ihnen helfen zu können.  Benutzen Sie alles, was ich
habe!  Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So
kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt
in Würde, die Güte hervorblickt.  Denn nicht nur die hohe fürstliche
Geburt und Großmut, sondern auch die liebe häusliche Demut gibt,
ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein,
Gesinnungen ohnehin.  jetzt führte er sie freudig wie ein Kind in der
Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen.  Der
Erzähler hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen,
das er seinen Freunden erwies.  So sehr sie zufrieden waren, so wenig
war er es.  jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen
Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben
in Asien angenehm zu machen.  War in der lieben Heimat ein hohes
Geburts oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tage von den Treuen
auch in Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur
etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen.  Kam eine frohe
Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in
Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wußte und
seinen Kindern er nannte sie nur noch seine Kinder mit Freudentränen
zubrachte, darum, daß sich ihre Erlösung nahte.  Als einmal Geld zur
Unterstützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste
Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu vergüten.  "Kinder", sagte
er, "verbittert mir meine Freude nicht!" Vater Egetmeier", sagten
sie, "tut unserem Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum
Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben und um das
Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus
den Händen war.

Das gute Geld war für einen anderen Gebrauch zu bestimmen; aber man
kann nicht an alles denken.  Denn als endlich die Stunde der Erlösung
schlug, gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der
Trennung und zu dem bitteren Schmerz die Not.  Denn es fehlte an
allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in
den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren
Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch
Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht
wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin.  Darum ging in
diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes,
still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war
wenig mehr zu Hause.  "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die
rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts.  Aber auf
einmal kam er mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz
zurück: "Kinder, es ist Rat; Geld genug!" Was war's?  Die gute Seele
hatte für 2000 Rubel das Haus verkauft "Ich will schon eine
Unterkunft finden", sagte er, wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach
Deutschland kommt." 0 du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein
des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es
denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel
haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die
Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten!  Ich bin hungrig
gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr
habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr
habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu großem Trost
für die edlen Gefangenen, wieder rückgängig gemacht.

Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert
Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem
russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn
sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe.  Den
Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben.  Keiner, der dabei
war, vermag es.  Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen
des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für
ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei.  Die Reisenden aber
sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in
Pensa, und als sie in Bialystok in Polen wohlbehalten ankamen und
Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene
Reisegeld zurück.

Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in
Asien.



Der Schneider in Pensa


Ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat
von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen,
nämlich, dass er die Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung
für die Hilfe sorgt, noch ehe die Not da ist, und dass er kundmache
das Lob vortrefflicher Menschen, sie mögen doch auch stecken, fast
wo sie wollen.

Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein!
Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus jahrein für halb
Russland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer
Sinn, ein Gemüt treu und köstlich wie Gold und mitten in Asien
deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.

Im Jahr 1812, als Russland nimmer Strassen genug hatte für die
Kriegsgefangenen an der Berezina oder in Wilna, ging eine auch durch
Pensa, welches für sich schon mehr als hundert Tagereisen weit von
Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder
englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar
Stunden zu spat.  In Pensa ist der Sitz des ersten russischen
Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt.  Also
wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und
alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die
Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt,
wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa
mitbringt.  Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert auch
sechzehn rheinländische Herren Leser, badische Offiziere, die damals
unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder
und Brandstätten von Europa ermattet, krank, mit erfrorenen
Gliedmassen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung,
ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein
Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über
ihre Leiden erbarmte.  Als aber einer den andern mit trostloser Miene
anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder: "Wann wird der Tod
unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da
vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch
wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine
Deutsche da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen
Füssen eine liebe, freundliche Gestalt.  Das war der Schneider von
Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis,
Grossherzogtum Baden.  Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt
in Mannheim?  Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg,
hernach ein wenig nach Petersburg hinein.  Ein Pfälzer Schneider
schlagt sieben bis achtmal hundert Stunden Wegs nicht hoch an,
wenn's ihn inwendig treibt.  In Petersburg aber liess er sich unter
ein russisches Kavallerie-Regiment als Regimentsschneider engagieren
und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles
anderst ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem
Schwert.  In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich
niederliess, ist er jetzt ein angesehenes Männlein.  Will jemand in
ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu
dem deutschen Schneider in Pensa.  Verlangt er etwas von dem
Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser
reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat
auf dreissig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen
Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an, er findet
bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge
voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld.

Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist,
blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne.
Freudenernte.  So oft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam,
warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und
"Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage.  Denn er hoffte von
einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen,
und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon
zum voraus ungesehener Weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt
und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat.  "Wenn sie nur so oder so
aussähen", dachte er.  "Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit
ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine
Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte
ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er
konnte.  Diesmal aber, und als er mitten unter so viele geneigte
Leser, auch Darmstädter und andere hineinrief: "Sind keine Deutsche
da?"--er musste zum zweiten Mal fragen, denn das erste Mal konnten
sie vor Staunen und Ungewissheit nicht antworten, sondern das süsse
deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton,
und als er hörte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er
sei--er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden
gewesen, aber einer sagte: "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn
der Schneider nicht vor ihm gewusst hätte, wo Mannheim liegt, der
andere sagte: "Von Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der
vierte: "Von Gochsheim"; da zog es wie ein warmes, auflösendes
Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch.  "Und ich bin von
Bretten", sagte das herrliche Gemüte, Franz Anton Egetmeier von
Bretten, wie Joseph in Ägypten zu den Söhnen Israels sagte: "Ich bin
Joseph, euer Bruder"--und die Tränen der Freude, der Wehmut und
heiligen Heimatsliebe traten allen in die Augen, und es war schwer
zu sagen, ob sie einen freudigern Fund an dem Schneider oder der
Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am
gerührtesten war.  Jetzt führte der gute Mensch seine teuern
Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem
erquicklichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war.
Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, dass er
seine Landsleute in Pensa behalten dürfe.  "Anton", sagte der
Statthalter, "wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er
in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in seinem Hause
nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten
Quartiere aus.  Jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem andern.
"Herr Landsmann", sagte er zu einem, "mit Euerm Weisszeug sieht's
windig aus.  Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder
sorgen.--Ihr braucht auch ein neues Röcklein", sagte er zu einem
andern.--"Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu
einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde
zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und
Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinländischen
Hausfreunde.  In wenig Tagen waren alle neu oder anständig
ausstaffiert.  Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist,
missbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die
rheinländischen Hausfreunde: "Herr Landsmann, verrechnet Euch nicht.
Ein Kriegsgefangener bringt keine Münzen mit.  So wissen wir auch
nicht, wie wir Euch für Eure grossen Auslagen werden schadlos halten
können, und wann." Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde
hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können.
Benutzen Sie alles, was ich habe!  Sehen Sie mein Haus und meinen
Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder
König spricht, wenn eingefasst in Würde die Güte hervorblickt.  Denn
nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Grossmut, sondern auch die
liebe häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen
königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin.  Jetzt führte er sie
freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und
machte Staat mit ihnen.  Der Kalender hat jetzt nimmer Zeit und Raum
genug, alles Gute zu rühmen, was er seinen Freunden erwies.  So sehr
sie zufrieden waren, so wenig war er es.  Jeden Tag erfand er neue
Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu
erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen.  War in
der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am
nämlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl mit Vivat
und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren
falsch gehen.  Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem
Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der
erste, der sie wusste, und seinen Kindern--er nannte sie nur noch
seine Kinder--mit Freudentränen zubrachte, darum, dass sich ihre
Erlösung nahte.  Als einmal Geld zur Unterstützung der Gefangenen aus
dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine
Auslagen zu vergüten.  "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine
Freude nicht!"--"Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserm Herzen
nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung,
nur um sie nicht zu betrüben, und um das Geld wieder zu ihrem
Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war.  Das
gute Geld war für einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann
nicht an alles denken.  Denn als endlich die Stunde der Erlösung
schlug, gesellte sich zur Freude ohne Mass der bittere Schmerz der
Trennung und zu dem bittern Schmerz die Not.  Denn es fehlte an
allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in
den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren
Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch
Russland zu reisen hatten, täglich 13 Kreuzer verabreicht wurden, so
reichte doch das wenige nirgends hin.  Darum ging in diesen letzten
Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und
nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu
Hause.  "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinländischen
Herren Hausfreunde und merkten nichts.  Aber auf einmal kam er mit
grossen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: "Kinder,
es ist Rat.  Geld genug!"--Was war's?  Die gute Seele hatte für
zweitausend Rubel das Haus verkauft.  "Ich will schon eine Unterkunft
finden", sagte er, "wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach
Deutschland kommt." O du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein
des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es
denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel
haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die
Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten!  Ich bin hungrig
gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nackt gewesen, und ihr
habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr
habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu grossem Trost
für die edeln Gefangenen, wieder rückgängig gemacht.

Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert
Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem
russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn
sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe.  Den
Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben.  Keiner, der dabei
war, vermag es.  Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen
des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dass dieses für
ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei.  Die Reisenden aber
sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in
Pensa, und als sie in Bialystock in Polen wohlbehalten ankamen und
Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene
Reisegeld zurück.

Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in
Asien.  Der Hausfreund wird im künftigen Kalender noch ein freudiges
Wort von ihm zu reden wissen, und es wäre nimmer der Mühe wert,
einen Kalender zu schreiben, wenn sich die geneigten Leser nicht auf
sein Bildnis freuen wollten, was er ihnen zu stiften verspricht.



Der schwarze Mann in der weissen Wolke


Sonst hat der Hausfreund nie viel auf Gespenster gehalten, wenn
einem die Gespenster erscheinen; diesmal zwar auch nicht.  Denn als
er eines Tages, es war aber Nacht, mit dem Adjunkt und mit dem
Vizepräsident durch den Brassenheimer Wald nach Hause ging; vornehme
Herren schämen sich nicht, mit ihm zu gehen und gut Freund zu sein,
absonderlich bei Nacht, wenn es niemand sieht, und wenn sie selber
froh sind, dass sie jemand begleitet; denn als wir aus dem Wald
kamen, schlug es 12 Uhr in Brassenheim, und die Mitternacht seufzte
in den Bäumen.  Ein schwacher Wind wehte durch die finstere Nacht,
und der Himmel war verhängt; nur bisweilen schimmerte der abnehmende
Mond ein wenig durch die Wolken, wo sie am brüchigsten waren.
"Adjunkt", sagte der Vizepräsident, "wisst Ihr nichts zu erzählen?"
"Ja", sagte der Adjunkt: "die Hirschauer wollten Anno 3 eine Brücke
bauen, so stellten sie die Brücke der Länge nach in den Strom, denn
sie sagten: Es sieht besser aus, und wenn ein grosses Wasser kommt,
kann es besser an der Brücke vorbei und nimmt sie nicht mit."

"Adjunkt", sagte der Hausfreund, "sind wohl die Flinten zuerst
erfunden worden oder die Ladstecken?" Der Adjunkt sagte: "Die
Ladstecken.  Denn sonst wäre es nicht der Mühe wert gewesen, die
Flinten zu erfinden, weil man sie doch nicht hätte laden können."
Als aber der Adjunkt niessen musste, drehte er den Kopf seitwärts
gegen das Feld und niesst.  Indem er den Kopf seitwärts dreht, druckt
er sich auf einmal an den Hausfreund.  "Habt Ihr nichts gesehn,
Hausfreund?" sagte er ängstlich und leise.  "Eine schneeweisse Wolke
stieg aus der Erde auf, und in der Wolke stand ein schwarzer Mann
und hat mir gewinkt, ich soll kommen." "Warum seid Ihr nicht
gegangen?" sagte der Hausfreund.  "Es sind Euch Funken aus den Augen
gefahren, weil Ihr habt niessen müssen." "Er hat das Feuer im Elsass
gesehen", sagte der Vizepräsident.  Aber bald verging uns der Spass,
und die Mitternacht schauerte allen durch Mark und Bein.  Denn im
nämlichen Augenblick erscheint wieder die weisse Wolke und in der
weissen Wolke die schwarze Gestalt und winkt.  Weg war's wieder auf
einmal.  "Habt Ihr's jetzt gesehen?" fragte der Adjunkt; "es ist gut,
dass der Herr Präsident bei uns ist, mit uns zweien machte er kurzen
Prozess." Aber der Präsident dachte, es ist gut, dass der Hausfreund
bei mir ist, dass ich mich an ihm heben kann.  Denn allen zitterten
die Kniee, und der Mut stieg keinem sonderlich in die Höhe, aber das
Haar.  Der Hausfreund will's einstweilen dem geneigten Leser zu raten
geben, was es war.  Denn als wir wieder ein wenig zur Besinnung
gekommen waren, obgleich die Erscheinung wenigstens siebenmal
wiederkam, sagte endlich der Präsident: "Hausfreund, Ihr habt doch
am meisten getrunken in Neuhausen, so werdet Ihr auch den meisten
Mut haben; redet den Geist an!" Da rief der Hausfreund: "Alle guten
Geister!  Schwarze Gestalt der Mitternacht, wer bist du?" Da rief der
Geist mit Zetergeschrei: "Ich bin der Xaveri Taubenkorn von
Brassenheim.  Um unsrer lieben Frauen willen verschont mich!"

Merke: Der Taubenkorn ist ein unbescholtener Gerichtsmann in
Brassenheim und wirtet; also kennt ihn der Hausfreund wohl, und ist
ein lobenswerter Feldmann, dem keine Stunde in der Nacht zu spät
oder zu früh ist für seinen Acker.  Als ihn nun der Hausfreund
fragte: "Xaveri, was treibt Ihr für Blendwerk?  Seid Ihr mit dem
Bösen im Bund?"--sagte er: "Seid Ihr's, Hausfreund?  Nein, ich
streue Ips auf meinen Kleeacker.  Der Wind ist gut, und es kommt bald
ein linder Regen." Also, wenn er eine Handvoll Gips auswarf,
entstand die Wolke, ein wenig vom Mond erhellt, und man sah darin
den Xaveri wie einen Schatten, und wenn er die Hand zurückzog,
meinte man, er winke; aber wenn das Gipsmehl verflogen und gefallen
war, sah man nichts mehr.--"Ihr habt mich rechtschaffen
erschreckt", sagte der Xaveri zum Hausfreund, "denn ich habe nicht
anders geglaubt, als es beschreit mich ein Gespenst.  Ein ander Mal
lasst Euere Possen bleiben."



Der sicherste Weg


Bisweilen hat selbst ein Betrunkener noch eine Überlegung oder doch
einen guten Einfall, wie einer, der auf dem Heimweg aus der Stadt
nicht auf dem gewöhnlichen Pfad, sondern gerade in dem Wasser ging,
das dicht neben dem Pfade fortläuft.  Ihm begegnete ein
menschenfreundlicher Herr, der gerne der Notleidenden und
Betrunkenen sich annimmt, und wollte ihm die Hand reichen.  "Guter
Freund", sagte er, "merkt Ihr nicht, dass Ihr im Wasser geht?  Hier
ist der Fusspfad!" Der Betrunkene erwiderte: sonst finde er's auch
bequemer, auf dem trockenen Pfad zu gehen, aber diesmal habe er ein
wenig auf die Seite geladen.  "Eben deswegen", sagte der Herr, "will
ich Euch aus dem Bache heraushelfen!" "Eben deswegen", erwiderte der
Betrunkene, "bleib' ich drin.  Denn wenn ich im Bach gehe und falle,
so falle ich auf den Weg.  Wenn ich aber auf dem Weg falle, so falle
ich in den Bach." So sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf
die Stirne, nämlich, dass darin ausser dem Rausche auch noch etwas
mehr sei, woran ein anderer nicht denke.



Der silberne Löffel


In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im Roten
Ochsen zu Mittag essen, und geht in den Roten Ochsen.  Da waren
bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmässige,
ehrliche Leute und Spitzbuben wie überall.  Man ass und trank, der
eine viel, der andere wenig.  Man sprach und disputierte von dem und
jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von
dem Machin in Frankreich, der mit dem grossen Wolf gekämpft hat.  Das
sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt alles ein
Jahr früher als andere Leute.--Als nun das Essen fast vorbei war,
einer und der andere trank noch eine halbe Mass Ungarwein zum
Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brot, als wenn er
ein Apotheker wär' und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit
dem Messer oder mit der Gabel oder mit dem silbernen Löffel.  Da sah
der Offizier von ungefähr zu, wie einer in einem grünen Rocke mit
dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in
den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam.
Ein anderer hätte gedacht: was geht's mich an?  und wäre still dazu
gewesen oder hätte grossen Lärm angefangen.  Der Offizier dachte: Ich
weiss nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für ein
Verdruss geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das
Geld einzog.  Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier
auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei
Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zum, andern hinaus, wie es
manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel
mitbringen, aber keine Suppe.--Währenddem der Offizier seine Zeche
bezahlte, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: Das ist
ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat.  Der muss
sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, dass er zum
Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat; oder ist's gar
einer von meinen eigenen?  Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche
bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: "Und der Löffel geht
ja drein.  Nicht wahr?  Die Zeche ist teuer genug dazu." Der Wirt
sagte: "So etwas ist mir noch nicht vorgekommen.  Wenn Ihr keinen
Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentlöffel schenken,
aber meinen silbernen lasst mir da." Da stand der Offizier auf,
klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte.  "Wir haben nur Spass
gemacht", sagte er, "ich und der Herr dort in dem grünen Rocke.  Gebt
Ihr Euern Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will
ich meinen auch wieder hergeben."

Als der Löffelschütz merkte, dass er verraten sei, und dass ein
ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er:
Lieber Spass als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her.  Also
kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum,.  und der Löffeldieb lachte
auch--aber nicht lange.  Denn als die andern Gäste das sahen, jagten
sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande und ein paar Tritten
unter der Türe zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den
Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach.  Den wackern
Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein
auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute.

Merke: Man muss keine silbernen Löffel stehlen.

Merke: Das Recht findet seinen Knecht.



Der sinnreiche Bettler


Sonst bemessen die Bettler ihre dankbaren Wünsche nach dem Wert der
Gabe, die ihnen gereicht wird.  Derjenige, von welchem hier die Rede
ist, sagt, das sei grundfalsch.  Wer ihm viel gibt, dem wünscht er
eine hundertfältige Vergeltung von Gott.  Wer ihm aber wenig gibt,
dem wünscht er eine tausendfältige oder, wenn es noch weniger ist,
eine hunderttausendfältige Vergeltung.  Denn er sagt: "Ich muss einen
gleich guten Willen bei allen voraussetzen.  Wer wenig reicht, wird
wenig haben.  Ich muss ihm also mehr wünschen.  Soll ich das Meinige
auch noch dazu beitragen, dass zuletzt die Reichen alles bekommen?"



Der Star von Segringen


Selbst einem Staren kann es nützlich sein, wenn er etwas gelernt
hat, wie viel mehr einem Menschen.--In einem respektabeln Dorf, ich
will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern
hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es
vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch.  In
Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte
Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen.  Der Star lernte nicht nur
alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte
zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum
Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen.  Sein Herr hatte sonst
noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit
wiederholte, zum Exempel: so so lala; oder par compagnie (das heisst
so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder:
du Dolpatsch.  So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen,
wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich anstatt aufs Tuch,
oder wenn er das Schermesser am Rücken abzog anstatt die Schneide,
oder wenn er ein Gütterlein verheite.  Alle diese Redensarten lernte
nach und nach der Star auch.  Da nun täglich viel Leute im Haus
waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's
manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste miteinander ein Gespräch
führten, und der Star warf auch eins von seinen Wörtern drein, das
sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte; und
manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: "Hansel, was machst du?"
antwortete er: "du Dolpatsch!" und alle Leute in der Nachbarschaft
wussten von dem Hansel zu erzählen.  Eines Tages aber, als ihm die
beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war
offen und das Wetter schön, da dachte der Star: Ich hab' jetzt schon
so viel gelernt, dass ich in der Welt kann fortkommen, und husch!
zum Fenster hinaus.  Weg war er.  Sein erster Flug ging ins Feld, wo
er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie
aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: sie wissen die
Gelegenheit hierzuland besser als ich.  Aber sie flogen
unglücklicherweise alle miteinander in ein Garn.  Der Star sagte:
"Wie Gott will." Als der Vogelsteller kommt und sieht, was er für
einen grossen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern
behutsam heraus, dreht ihm den Hals um und wirft ihn auf den Boden.
Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen
ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: "Ich bin der
Barbier von Segringen!" Als wenn er wüsste, was ihn retten muss.  Der
Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten
Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er
kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: "Ei, Hansel, hier
hätt' ich dich nicht gesucht; wie kommst du in meine Schlinge?" da
antwortete der Hansel: "Par compagnie." Also brachte der
Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder und bekam ein gutes
Fanggeld.  Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch,
denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch
weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum
Balbierer von Segringen.

Merke: So etwas passiert einem Staren selten.  Aber schon mancher
junge Mensch, der auch lieber herumflankieren als daheim bleiben
wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten und
nimmer herauskommen.



Der Talhauser Galgen


"Wann bringt man denn die Juden?  Es kommt ja niemand", sagte zu dem
Vogt von Gillmannshofen endlich der Obmann.  Nämlich der Vogt war
Tages vorher in der Stadt gewesen und hatte sich bei dem Herrn
Amtmann Rates erholt in irgend einer Sache.  "Es ist ganz gut", sagte
der Amtmann, "dass Ihr da seid: hier sind vier Oberamtsbefehle an
Euch, die könnt Ihr nun selber mitnehmen." Als der Vogt in den Roten
Löwen zurückgekommen war, während er fortfuhr, wo er vorher war
stehen geblieben, nämlich am fünften Schöpplein, zog er die vier
Befehle aus der Tasche, ob er ihnen nicht vorderhand aussen ansehen
könne, was inwendig stehen möchte, wie man bisweilen seltsamerweise
tut.  Hernach schob er die Befehle wieder in die Rocktasche.  Hernach
bei dem sechsten Schöpplein legte er die Arme auf den Tisch und den
Kopf auf die Arme und schlief ein.  Lustige Herren sassen an einem
andern Tisch, und der durchtriebenste von ihnen, einer wie der Herr
Theodor, sagte: "Ich will einen Spass machen." Nämlich er schrieb
einen falschen Befehl, dass, da morgen den 15ten drei Juden sollen
gehenkt werden, so habe sich der Vogt von Gillmannshofen mit
vierundzwanzig Mann und einem Obmann, nicht minder sämtlichen
Schulkindern bei dem Talhauser Galgen früh um 9 Uhr unfehlbar
einzufinden.  Hernach zog er dem Vogt einen Befehl heimlich aus der
Tasche und schob an dessen Stelle den falschen hinein.  Auf dem
Heimwege nach Gillmannshofen fing doch der Vogt an die Befehle
aufzutun, was der Amtmann wieder mit ihm wolle, und als er anfing,
den falschen Befehl zu lesen, "das muss ein Irrtum sein", sagte er
zu sich selber, und ging in die Stadt zurück, um den Amtmann darüber
zu befragen.  Der Amtmann und seine Frau und der Herr Oberrevisor und
seine Frau ergötzten sich nach des Tages Last und Arbeit mit einem
Kartenspiel.  "Was wollt Ihr schon wieder", fuhr ihn der Amtmann an,
"seht Ihr nicht, dass Gesellschaft bei mir ist?" Der Vogt wollte ihm
erklären, dass er einen Anstoss habe an einem von den Befehlen, und
dass er meine--"Ein unruhiger Kopf seid Ihr", sagte der Amtmann,
wie er's denn auch wirklich war.  "Ihr habt nichts zu meinen--
Gehorsam habt Ihr zu leisten, was man Euch befiehlt, und damit
Punktum.  Seid Ihr noch nicht genug gestraft worden?" Demnach so ging
der Vogt wieder seines Wegs, und den andern Morgen zog er mit einer
Rotte von vierundzwanzig Mann und einem Obmann und der Herr
Schulmeister mit der Schuljugend und viele Freiwillige nach dem
Talhauser Galgen, der linker Hand auf einer kleinen Anhöhe steht,
wenn man von der Neuhauser Mühle in die Stadt geht.  "Es ist schade",
sagte der Vogt zum Obmann, "dass es so entsetzlich regnet.  Es wird
mancher daheim bleiben." Als sie vor den Talhauser Wald hinauskamen
und den Galgen noch mutterseelallein im Felde stehen sahen, "wir
sind die ersten", sagte der Vogt zum Obmann, "es ist noch niemand
da." Der Freiwilligen suchte sich jeder einen guten Platz aus, wo
man's gut sehen kann.  Einige setzten sich zum voraus auf
nahestehende Bäume, andere standen einstweilen unter.  Aber es
geschah nichts.  Wandersleute, die in ihren Geschäften des Weges
zogen, blieben auch im Regen stehen und wollten abwarten, was aus
dem seltsamen Aufzug werden wolle.  Aber es geschah nichts.  "Sie
werden warten", sagte der Vogt, "bis es nimmer so arg schüttet." Der
Herr Schulmeister hielt zur Zeitverkürzung eine Standrede um die
andere an die Schuljugend, dass, ob es gleich nur Juden seien,
sollten sie doch ein christliches Exempel daran nehmen.  Aber es
wollt noch nichts kommen.  Es läutete schon Mittag in allen Dörfern,
aber der Mittag läutete auch nichts herbei.  Deswegen sagte zuletzt
der Obmann zu dem Vogt: "Wann bringt man denn die Juden?  Es kommt ja
niemand.  Oder sind wir gar zuletzt Eure Narren?" sagte er.  "Es wäre
kein Wunder, wir henkten Euch selber daran, damit die Leute nicht
umsonst dagewesen sind."--Kurz, es kam eben niemand.

Seitdem, wer durch Gillmannshofen geht und fragt in guter Meinung
oder aus Mutwillen, ob schon lang niemand mehr am Talhauser Galgen
gehenkt worden sei, oder so, der wird geschlagen.



Der unschuldig Gehenkte


Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart
zugetragen.  Mehrere Knaben hüteten miteinander an einer Berghalde
unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister.  In der
Langweile trieben sie allerlei und ahmten untereinander, wie dieses
Alter zu tun pflegt, die Handlungen und Geschäfte der erwachsenen
Menschen spielend nach.  Eines Tages sagte der eine von ihnen: "Ich
will der Dieb sein."--" So will ich das Oberamt sein", sagte der
zweite.  "Seid ihr die Hatschiere", sagte er zum dritten und vierten,
"und du bist der Henker", sprach er zum fünften.  Gut!  Der Dieb
stiehlt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und setzt sich
auf flüchtigen Fuss; der Bestohlene klagt beim Oberamt; die
Hatschiere streifen im Revier, attrapieren den Dieb in einem hohlen
Baum und liefern ihn ein.  Der Richter verurteilt ihn zum Tode.
Unterdessen hört man im Wald einen Schuss fallen; Hundegebell erhebt
sich.  Man achtet's nicht.  Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und
gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und
Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also, dass er mit
den Füssen nicht gar kann die Erde berühren, denkt, ein paar
Augenblicke kann er's schon aushalten.  Plötzlich rauscht es im
dürren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehörst; ein
schwarzer, wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald
hervor und läuft über den Richtplatz.  Die Hirtenbuben, denen es
ohnehin halber zumute war, als ob es doch nicht ganz recht wäre, mit
einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Mutwillen zu treiben,
erschrecken, meinen, es sei der Teufel, vor dem uns Gott behüte,
laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf und erzählt, was
geschehen sei.  Aber als man kam, um den Gehenkten abzulösen, war er
erstickt und tot.  Dies ist eine Warnung.  Das Oberamt und die
Hatschiere kamen nachher auf drei Wochen ins Zuchthaus, und der
Henker auf sechs.  Dass aber der Eber soll der Teufel gewesen sein,
hat sich nicht bestätigt.  Denn er wurde von den nacheilenden Jägern
erlegt und zum Forstamt geliefert; der Teufel aber befindet sich
noch am Leben.



Der Vater und der Sohn


Der Vater stellte ein Gläslein voll Arznei in die Schublade, weil er
glaubte, es sei nirgends besser verwahrt.  Als aber der Sohn nach
Hause kam und die Schublade schnell aufziehn wollte, fiel das
Gläslein um und zerbrach.  Da gab ihm der Vater eine zornige Ohrfeige
und sagte: "Kannst du nicht zuerst schauen, was in der Tischlade
ist, eh' du sie auftust?" Der Sohn erwiderte zwar: Nein, das könne
niemand.  Aber der Vater sagte: "Den Augenblick sei still, oder du
bekommst noch eine."

Merke: Man ist nie geneigter Unrecht zu tun, als wenn man Unrecht
hat.  Recht ist gut beweisen.  Aber für das Unrecht braucht man schon
Ohrfeigen und Drohungen zum Beweistum.



Der verachtete Rat


Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als
wenn man auf die Stunde einhalten will.  Ein Fussgänger auf der
Basler Strasse drehte sich um und sah einen wohlbeladenen Wagen
schnell hinter sich hereilen.  "Dem muss es nicht arg pressieren",
dachte er.--"Kann ich vor Torschluss noch in die Stadt kommen?"
fragte ihn der Fuhrmann.--"Schwerlich", sagte der Fussgänger, "doch
wenn Ihr recht langsam fahrt, vielleicht.  Ich will auch noch
hinein."--"Wie weit ist's noch?"--"Noch zwei Stunden."--"Ei",
dachte der Fuhrmann, "das ist einfältig geantwortet.  Was gilt's, es
ist ein Spassvogel." Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden
hineinkomme, dachte er, so zwing' ich's mit Geschwindigkeit in
anderthalber und hab's desto gewisser.  Also trieb er die Pferde an,
dass die Steine davonflogen und die Pferde die Eisen verloren.  Der
Leser merkt etwas.  "Was gilt's", denkt er, "es fuhr ein Rad vom
Wagen?" Es kommt dem Hausfreund auch nicht darauf an.  Eigentlich
aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse.  Kurz, der
Fuhrmann musste schon im nächsten Dorf über Nacht bleiben.  An Basel
war nimmer zu denken.  Der Fussgänger aber, als er nach einer Stunde
durch das Dorf ging und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den
Zeigfinger in die Höhe.  "Hab ich Euch nicht gewarnt", sagte er,
"hab' ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!"



Der verwegene Hofnarr


Der König hatte ein Pferd, das war ihm so lieb, dass er sagte: "Ich
weiss nicht, was ich tue, wenn das Pferd mir stirbt.  Aber den, der
mir von seinem Tod die erste Nachricht bringt, den lass ich auch
gewiss aufhenken." Item, das Rösslein starb doch, und niemand wollte
dem König die erste Nachricht davon bringen.  Endlich kam der
Hofnarr.  "Ach, gnädigster Herr", rief er aus, "Ihr Pferd!  Ach das
arme, arme Pferd!  Gestern war es noch so"--da stotterte er, und der
erschrockene König fiel ihm ins Wort und sagte: "Ist es gestorben?
Ganz gewiss ist es gestorben, ich merk's schon." "Ach gnädigster
Herr", fuhr der Hofnarr mit noch grösserm Lamento fort, "das ist
noch lange nicht das Schlimmste." "Nun, was denn?" fragte der König.
"Ach, dass Sie jetzt noch sich selber müssen henken lassen.  Denn Sie
haben's zuerst gesagt, dass Ihr Leibpferd tot sei.  Ich hab's nicht
gesagt." Der König aber, betrübt über den Verlust seines Pferdes,
aufgebracht über die Frechheit des Hofnarren und doch belustigt
durch seinen guten Einfall, gab ihm augenblicklich .den Abschied mit
einem guten Reisegeld.  "Da, Hofnarr", sagte der König, "da hast du
100 Dukaten.  Lass dich statt meiner dafür henken, wo du willst.  Aber
lass mich nichts mehr von dir sehen und hören!  Sonst, wenn ich
erfahre, dass du dich nicht hast henken lassen, so tu ich's."



Der vorsichtige Träumer


Es gibt doch einfältige Leute in der Welt.  In dem Städtlein
Witlisbach im Kanton Bern war einmal ein Fremder über Nacht, und als
er ins Bett gehen wollte und ganz bis auf das Hemd ausgekleidet war,
zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Bündel, legte sie an, band
sie mit den Strumpfbändeln an den Füssen fest und legte sich also in
das Bette.  Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der
nämlichen Kammer über Nacht war: "Guter Freund, warum tut Ihr das?"

Darauf erwiderte der erste: "Wegen der Vorsicht.  Denn ich bin einmal
im Traum in eine Glasscherbe getreten.  So habe ich im Schlaf solche
Schmerzen davon empfunden, dass ich um keinen Preis mehr barfuss
schlafen möchte."



Der Wasserträger


In Paris holt man das Wasser nicht am Brunnen.  Wie dort alles ins
Grosse getrieben wird, so schöpft man auch das Wasser ohmweise in
dem Strom, der hindurch fleusst, in der Seine, und hat eigene
Wasserträger, arme Leute, die jahraus, jahrein das Wasser in die
Häuser bringen und davon leben.  Denn man müsste viel Brunnen graben
für fünfmalhunderttausend Menschen in einer Stadt, ohne das
unvernünftige Vieh.  Auch hat das Erdreich dort kein ander trinkbares
Wasser; solches ist auch eine Ursache, dass man keine Brunnen gräbt.
Zwei solche Wasserträger verdienten ihr Stücklein Brot und tranken
am Sonntag ihr Schöpplein miteinander manches Jahr, auch legten sie
immer etwas weniges von dem Verdienst zurück und setzten's in der
Lotterie.

Wer sein Geld in die Lotterie trägt, trägt's in den Rhein.  Fort
ist's.  Aber bisweilen lässt das Glück unter viel Tausenden einen
etwas Namhaftes gewinnen und trompetet dazu, damit die andern Toren
wieder gelockt werden.  Also liess es auch unsere zwei Wasserträger
auf einmal gewinnen, mehr als 100’000 Livres.  Einer von ihnen, als
er seinen Anteil heimgetragen hatte, dachte nach: Wie kann ich mein
Geld sicher anlegen?  Wie viel darf ich des Jahrs verzehren, dass
ich's aushalte und von Jahr zu Jahr noch reicher werde, bis ich's
nimmer zählen kann?  Und wie ihn seine Überlegung ermahnte, so tat
er, und ist jetzt ein steinreicher Mann, und ein guter Freund des
Hausfreunds kennt ihn.

Der andere sagte: "Wohl will ich mir's auch werden lassen für mein
Geld, aber meine Kunden geb ich nicht auf, dies ist unklug", sondern
er nahm auf ein Vierteljahr einen an, einen Adjunkt wie der
Hausfreund, der so lang sein Geschäft verrichten musste, als er
reich war.  Denn er sagte: "In einem Vierteljahr bin ich fertig."
Also kleidet er sich jetzt in die vornehmste Seide, alle Tage ein
anderer Rock, eine andere Farbe, einer schöner als der andere, liess
sich alle Tage frisieren, sieben Locken übereinander, zwei Finger
hoch mit Puder bedeckt, mietete auf ein Vierteljahr ein prächtiges
Haus, liess alle Tage einen Ochsen schlachten, sechs Kälber, zwei
Schweine für sich und seine guten Freunde, die er zum Essen
einladete, und für die Musikanten.  Vom Keller bis in das Speiszimmer
standen zwei Reihen Bediente und reichten sich die Flaschen, wie man
die Feuereimer reicht bei einem Brand, in der einen Reihe die leeren
Flaschen, in der andern die vollen.

Den Boden von Paris betrat er nimmer, sondern wenn er in die Komödie
fahren wollte oder ins Palais royal, so mussten ihn sechs Bedienten
in die Kutsche hineintragen und wieder hinaus.  Überall war er der
gnädige Herr, der Herr Baron, der Herr Graf und der verständigste
Mann in ganz Paris.  Als er aber noch drei Wochen vor dem Ende des
Vierteljahrs in den Geldkasten griff, um eine Handvoll Dublonen
ungezählt und unbeschaut herauszunehmen, als er schon auf den Boden
der Kiste griff, sagte er: "Gottlob, ich werde geschwinder fertig,
als ich gemeint habe." Also bereitete er sich und seinen Freunden
noch einen lustigen Tag, wischte alsdann den Rest seines Reichtums
in der Kiste zusammen, schenkte es seinem Adjunkt und gab ihm den
Abschied.  Denn am andern Tag ging er selber wieder an sein altes
Geschäft, trägt jetzt Wasser in die Häuser wie vorher, wieder so
lustig und zufrieden wie vorher.  Ja, er bringt das Wasser selbst
seinem ehemaligen Kameraden, nimmt ihm aus alter Freundschaft nichts
dafür ab und lacht ihn aus.

Der Hausfreund denkt etwas dabei, aber er sagt's nicht.



Der Wegweiser


Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner
Frau, dass ihn sein Französisch fast unter den Boden bringe.  Er
sollte nämlich einem französischen Soldaten, der ausgerissen war,
den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt
und bekam für die beste Meinung Schläge genug zum Dank oder vielmehr
zum Undank.  Anders sah ein Wegweiser an der württembergischen Grenze
die Sache an.  Er sollte nämlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen
den Weg über das Gebirg zeigen, wusste aber kein Wort von ihrer
Sprache als Oui, welches so viel heisst als Ja, und Bougre, welches
ein Schimpfname ist.  Diese zwei Worte hatte er oft gehört und lernte
sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen.  Anfänglich ging alles
gut, solange die Franzosen nur unter sich sprachen und ihn mit
seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehängt
hatten, voraus oder nebenher gehen liessen.  Da er aber der Spur nach
allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn
einer französisch, ob er auch verstünde, was sie miteinander
redeten.  Er hätte herzhaft sagen dürfen: Nein!  Aber eben weil er es
nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete.  Er
nahm daher all sein Französisch zusammen und antwortete: "Oui,
Bougre" (Ja, Ketzer!).  Mit einem ellenlangen französischen Fluche
riss der Soldat den Säbel aus der Scheide und liess ihm denselben um
den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbeisausen.  "Wie?" sagte er,
"du willst einen französischen Soldaten schimpfen?" "Oui, Bougre!"
war die Antwort.  Die andern hatten die höchste Zeit, dem erbosten
Kameraden in den Arm zu fallen, dass er dem Wegweiser, ohne welchen
sie in der finstern Nacht nicht konnten weiterkommen, nicht auf der
Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und
Flintenstoss rechts und links zu verstehen, wie es gemeint sei, und
fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher sein.  "Oui,
Bougre!" war die Antwort.  Nun wurde er jämmerlich zerschlagen, und
alle seine Bitten um Verzeihung, und alle seine Bitten um Schonung
legte er ihnen mit lauter "Oui, Bougre" ans Herz.  Endlich kamen sie
auf die Vermutung, er sei verrückt (denn dass er französisch
verstehe, hatte er bejaht).  Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch
ein Licht brannte, einen andern Führer, jagten diesen fort, und er
erwiderte den Abschied des einen, dass er sich zum Henker packen
sollte, richtig mit " Oui, Bougre".  Als er aber so bald wieder nach
Haus kam und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den
andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzählte er, wie die
Soldaten unterwegs viel Spass mit ihm gehabt hätten, so dass es ihm
fast sei zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zierhauser Hof
einen andern genommen und ihn wieder heimgeschickt hätten.  Die
Franzosen (setzte er treuherzig hinzu) sind nicht so schlimm, als
man meint, wenn man nur mit ihnen reden kann.



Der Wettermacher


Gleichwie einem Siebmacher oder einem Hafenbinder, wenn er in einem
kleinen Ort zu Hause ist, können seine Mitbürger nicht das ganze
Jahr Arbeit und Nahrung geben, sondern er begibt sich auf
Künstlerreisen im Revier herum und geht seinem Verdienst nach; also
auch der Zirkelschmied ist fleissig darauf im andern Revier und
handelt nicht mit Zirkeln, sondern mit Trug und Schelmerei, um die
Leute zu berücken und sich freizutrinken im Wirtshaus.  Also
erscheint er einmal in Obernehingen und geht gerade zum Schulz.
"Herr Schulz", sagt er, "könntet Ihr kein ander Wetter brauchen?  Ich
bin durch Euere Gemarkung gegangen.  Die Felder in der Tiefe haben
schon zu viel Regen gehabt, und auf der Höhe ist das Wachstum auch
noch zurück." Der Schulz meinte, das seie geschwind gesagt, aber
besser machen sei eine Kunst.  "Ei", erwidert der Zirkelschmied, "auf
das reise ich ja.  Bin ich nicht der Wettermacher von Bologna?  In
Italien", sagte er, "wo doch Pomeranzen und Zitronen wachsen, wird
alles Wetter auf Bestellung gemacht.  Darin seid ihr Deutsche noch
zurück." Der Schulz ist ein guter und treuherziger Mann und gehört
zu denen, die lieber geschwind reich werden möchten als langsam.
Also leuchtete ihm das Anbieten des Zirkelschmieds ein.  Doch wollte
er vorsichtig sein.  "Macht mir morgen früh einen heitern Himmel",
sagte er, "zur Probe, und ein paar leichte weisse Wölklein dran, den
ganzen Tag Sonnenschein und in der Luft so zarte, glänzende Fäden.
Auf den Mittag könnt Ihr die ersten gelben Sommervögel los lassen,
und gegen Abend darf's wieder kühl werden." Der Zirkelschmied
erwiderte: "Auf einen Tag kann ich mich nicht einlassen, Herr
Schulz.  Es trägt die Kosten nicht aus.  Ich unternehm's nicht anderst
als auf ein Jahr.  Dann sollt Ihr aber Not haben, wo Ihr Euere Frucht
und Euern Most unterbringen wollt." Auf die Frage des Schulzen,
wieviel er für den Jahrgang fordere, verlangte er zum voraus nichts
als täglich einen Gulden und freien Trunk, bis die Sache
eingerichtet sei, es könne wenigstens drei Tage dauern; "hernach
aber von jedem Saum Wein, den ihr mehr bekommt", sagte er, "als in
den besten Jahren, ein Viertel, und von jedem Malter Frucht einen
Sester." "Das wär' nicht veil", sagte der Schulz.  Denn dortzuland
sagt man veil statt viel, wenn man sich hochdeutsch explizieren
will.  Der Schulz bekam Respekt vor dem Zirkelschmied und explizierte
sich hochdeutsch.  Als er nun aber Papier und Feder aus dem
Schränklein holte und dem Zirkelschmied das Wetter von Monat zu
Monat vorschreiben wollte, machte ihm der Zirkelschmied eine neue
Einwendung: "Das geht nicht an, Herr Schulz!  Ihr müsst auch die
Bürgerschaft darüber hören.  Denn das Wetter ist eine Gemeindssache.
Ihr könnt nicht verlangen, dass die ganze Bürgerschaft Euer Wetter
annehmen soll." Da sprach der Schulz: "Ihr habt recht!  Ihr seid ein
verständiger Mann."

Der geneigte Leser aber ist nun der Schelmerei des Zirkelschmieds
auf der rechten Spur, wenn er zum voraus vermutet, die Bürgerschaft
sei über die Sache nicht einig geworden.  In der ersten
Gemeindsversammlung wurde noch nichts ausgemacht, in der siebenten
auch noch nichts, in der achten kam's zu ernsthaften Redensarten,
und ein verständiger Gerichtsmann glaubte endlich, um Fried' und
Einigkeit in der Gemeinde zu erhalten, wär's am besten, man zahlte
den Wettermacher aus und schickte ihn fort.  Also beschied der Schulz
den Wettermacher vor sich: "Hier habt Ihr Euere neun Gulden,
Unheilstifter, und nun tut zur Sache, dass Ihr fortkommt, eh' Mord
und Totschlag in der Gemeinde ausbricht." Der Zirkelschmied liess
sich nicht zweimal heissen.  Er nahm das Geld, hinterliess eine
Wirtsschuld von zirka 24 Mass Wein, und mit dem Wetter blieb es, wie
es war.

Item, der Zirkelschmied bleibt immer ein lehrreicher Mensch.  Merke,
wie gut es sei, dass der oberste Weltregent bisher die Witterung
nach seinem Willen allein gelenkt hat.  Selbst wir Kalendermacher,
Planeten und übrigen Landstände werden nicht leicht um etwas gefragt
und haben, was das betrifft, ruhige Tage.



Der wohlbezahlte Spassvogel


Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus.  Ein
Spassvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt
zum besten haben.  Er sprach also zu ihm: "Weisst du auch, Mauschel,
dass in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten
müssen?" Dem hat der Jude also geantwortet: "Wenn das ist, artiger
Herr, so wollen wir zwei auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon
Ihr kein Jude seid."



Der Wolkenbruch in Türkheim


Ein ehemalig guter Bekannter des Hausfreundes tat im Oktober einen
Streifzug auf Wein in das Elsass.  Wie er in Türkheim abends in das
Wirtshaus kommt, sitzt der Präsident da bei einem Schöpplein und
isst zwei Bratwürste, eine nach der andern.  "Herr Präsident", sagte
der gute Bekannte, "treff' ich Euch hier an?  Eher hätte ich des
Himmels Einfall vermutet." Der Präsident lächelt und sagte: "Es ist
alles möglich." Sie bleiben beisammen, diskurieren allerlei
miteinander, trinken auch allerlei miteinander, gehn miteinander in
das Schlafgemach, jeder in ein Bett apart.  Das Bett des guten
Freundes hatte einen Umhang.  Früh gegen Tag, wenn man anfängt sich
zu strecken, stemmte er sich mit den Füssen gegen das untere Brett
der Bettlade.  Das Brett gab nach, der Betthimmel gab auch nach.  Ein
paar Bretter, ein Haspel, zwei Paar Schuh usw., Brastbergers
Predigtbuch und eine grosse Flasche voll Kirschenwasser stürzten
herunter.  Aber die Flasche zerbrach unterwegs an dem Haspel und
übergoss den guten Bekannten mit Kirschenwasser und Glasscherben
"Herr Präsident, kommt mir zu Hilfe!"--"Was ist Euch begegnet?"
fragte der Präsident.--"Ich glaube, der Himmel, der über dem Bett
ist, sei eingefallen." Da lachte der Präsident und sagte: "Es kommt
mir auch so vor.  Die Wolken hängen auch bis aufs Deckbett herunter.
Sie sind von Tannenholz.  Hab' ich Euch nicht gesagt, es sei alles
möglich?"



Der Zahnarzt


Zwei Tagdiebe, die schon lange miteinander in der Welt herumgezogen,
weil sie zum Arbeiten zu träg oder zu ungeschickt waren, kamen doch
zuletzt in grosse Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten und
nicht geschwind wussten, wo nehmen.  Da gerieten sie auf folgenden
Einfall.  Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie
nicht zur Stillung des Hungers geniessen, sondern zum Betrug
missbrauchen wollten.  Sie kneteten nämlich und drehten aus dem
Weichen desselben lauter kleine Kügelein oder Pillen und bestreuten
sie mit Wurmmehl aus altem, zerfressenem Holz, damit sie völlig
aussahen wie die gelben Arzneipillen.  Hierauf kauften sie für ein
paar Batzen einige Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder
(denn eine schöne Farbe muss gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen).
Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein,
je sechs bis acht Stücke in ein Päcklein.  Nun ging der eine voraus
in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den Roten Löwen, wo
er viele Gäste anzutreffen hoffte.  Er forderte ein Glas Wein, trank
aber nicht, sondern sass ganz wehmütig in einem Winkel, hielt die
Hand an den Backen, winselte halblaut für sich und kehrte sich
unruhig bald so her, bald so hin.  Die ehrlichen Landleute und
Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, dass der
arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse.  Aber was war zu
tun?  Man bedauerte ihn, man tröstete ihn, dass es schon wieder
vergehen werde, trank sein Gläslein fort und machte seine
Marktaffären aus.  Indessen kam der andere Tagdieb auch nach.  Da
stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in
seinem Leben gesehen hätte.  Keiner sah den andern an, bis der zweite
durch das Winseln des erstern, der im Winkel sass, aufmerksam zu
werden schien.  "Guter Freund", sprach er, "Ihr scheint wohl
Zahnschmerzen zu haben?" und ging mit grossen, aber langsamen
Schritten auf ihn zu.  "Ich bin der Doktor Staunzius Rapunzia von
Trafalgar", fuhr er fort.  Denn solche fremde, volltönige Namen
müssen auch zum Betrug behilflich sein wie die Farben.  "Und wenn Ihr
meine Zahnpillen gebrauchen wollt", fuhr er fort, "so soll es mir
eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien von
Euern Leiden zu befreien."--"Das wolle Gott", erwiderte der andere
Halunk.  Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzia eines von seinen
roten Päcklein aus der Tasche und verordnete dem Patienten, ein
Kügelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu
beissen.  Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe
herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit
anzusehen.  Nun könnt ihr euch vorstellen, was geschah.  Auf diese
erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr tat er
einen entsetzlichen Schrei.  Das gefiel dem Doktor.  Der Schmerz,
sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite
Pille zu gleichem Gebrauch.  Da war nun plötzlich aller Schmerz
verschwunden.  Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den
Angstschweiss von der Stirne weg, obgleich keiner dran war, und tat,
als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand
drückte.--Der Streich war schlau angelegt und tat seine Wirkung.
Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen
Pillen haben.  Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in
wenig Minuten waren alle verkauft.  Natürlich gingen jetzt die zwei
Schelmen wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie
wieder zusammenkamen, über die Einfalt dieser Leute und liessen
sich's wohl sein von ihrem Geld.

Das war teures Brot.  So wenig für 24 Kreuzer bekam man noch in
keiner Hungersnot.  Aber der Geldverlust war nicht einmal das
Schlimmste.  Denn die Weichbrotkügelein wurden natürlicherweise mit
der Zeit steinhart.  Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und
Tag Zahnweh bekam und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal
und zweimal darauf biss, da denke man an den entsetzlichen Schmerz,
den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer aus der
eigenen Tasche machte.

Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn
man den Vorspiegelungen jedes hergelaufenen Landstreichers traut,
den man zum ersten Mal in seinem Leben sieht und vorher nie und
nachher nimmer; und mancher, der dieses liest, wird vielleicht
denken: "So einfältig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon
gewesen."

[Merke: Wer so etwas kann, weiss an andern Orten Geld zu verdienen,
läuft nicht auf den Dörfern und Jahrmärkten herum mit Löchern im
Strumpf oder mit einer weissen Schnalle am rechten Schuh und am
linken mit einer gelben.]



Der Zirkelschmied


In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz,
dass, wer sich an einem verheirateten Mann vergreift und gibt ihm
eine Ohrfeige, der muss 5 Gulden Busse bezahlen und kommt 24.
Stunden lang in den Turn.  Deswegen dachte am Andreastag ein
verlumpter Zirkelschmied im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen
Namenstag ein gutes Mittagessen im Goldenen Lamm bekommen, wenn ich
schon keinen roten Heller hier und daheim habe und seit zwei Jahren
nimmer weiss, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind.  Darauf
hin lässt er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen und trinkt
viel Wein dazu, also dass die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreuzer
ausmachte; was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmied
schon viel war.  Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig
machen und in Jast bringen.  "Das war ein schlechtes Essen, Herr
Lammwirt", sagte er, "für ein so schönes Geld.  Es wundert mich, dass
Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch
nichts habe rühmen hören." Der Wirt, so ein Ehrenmann war,
antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es
hatte ihm schon ein paar Mal im Arme gejuckt.  Als aber der
Zirkelschmied zuletzt sagte: "Es soll mir eine Warnung sein; denn
ich habe mein Leben lang gehört, dass man in den schlechtesten
Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird." Da gab
ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die allein zwei Dukaten
unter Brüdern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine
Zeche bezahlen, "oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die
Vorstadt hinausprügeln".  Der Zirkelschmied aber lächelte und sagte:
"Es ist nur mein Spass gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen
war recht gut.  Gebt mir nur für die Ohrfeige, die ich von Euch bar
erhalten habe, zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer auf mein
Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen.  Es ist besser,
wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft.  Hat nicht Eure
selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe
gehoben?"--Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose
Augen; denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei
wohlhabender Mann und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen
eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen und nur eine
Stunde des Turnhüters Hausmann sein.  Deswegen dachte er: zwei Gulden
und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken
abverdient; ringer, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünfundvierzig
Kreuzer drauf, als dass ich das Ganze noch einmal bezahlen muss und
werde beschimpft dazu.  Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber:
"Jetzt komm mir nimmer ins Haus!"

Drauf, sagt man, habe es der Zirkelschmied in andern Wirtshäusern
probiert, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari
gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel
kr.  gilt, als das bare Geld, wofür er verschrieben ist.  Drauf seien
sie schnell auf 50 Prozent heruntergesunken und am Ende, wie die
Assignaten in der Revolution, so unwert worden, dass man jetzt
wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische
Grenze so viele unentgeltlich ausgeben und wieder einnehmen kann,
als man ertragen mag.



Des Dieben Antwort


Einem Dieb, der sich mit Reden mausig machen wollte, sagte jemand:
"Was wollt Ihr?  Ihr dürft ja gar nicht mehr in Eure Heimat
zurückkehren und müsst froh sein, wenn man Euch hier duldet."--
"Meint Ihr?" sagte der Dieb; "meine Herren daheim haben mich so
lieb, ich weiss gewiss, wenn ich heimkäme, sie liessen mich nimmer
fort."



Des Seilers Antwort


In Donauwörth wurde zu seiner Zeit ein Rossdieb gehenkt, und der
Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer heutzutag an den Galgen
oder ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Ross zu stehlen?  Kommt
man nicht zu Fuss früh genug?  Der Donauwörther hat auch geglaubt,
der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite; und ist das Ross
einem ungeschickten Dieb in die Hände gefallen, so fiel der Dieb
einem ungeschickten Henkersknecht in die Hände.  Denn als er ihm das
hänfene Halsband hatte angelegt und stiess ihn von der Leiter vom
Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her,
als wenn er sich noch ein Rösslein aussuchen wollte in der Menge.
Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwägen
und dachten: man sieht's besser.  Als aber das Volk anfing laut zu
murren, und der ungeschickte Henker wusste sich nicht zu helfen, so
warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfasste ihn
mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und
zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen und ihm
den Atem töten sollte.  Da brach der Strick entzwei, und fielen beide
miteinander auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben
gewesen.  Der Missetäter lebte noch, und sein Advokat hat ihn nachher
gerettet.  Denn er sagte: "Der Malefikant hat nur ein Ross gestohlen,
nicht zwei, so hat er auch nur einen Strick verdient", und hat
hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie
sie's machen.  Der Henker aber, als er nachmittags den Seiler sah,
fuhr ihn ungebärdig an: "Ist das auch ein Strick gewesen?" sagte er,
"man hätt' Euch selber dran henken sollen." Der Seiler aber wusste
zu antworten: " Es hat mir niemand gesagt", sagte der Seiler, "dass
er zwei Schelmen tragen soll.  Für einen war er stark genug, du oder
der Rossdieb."



Die Bekehrung


Zwei Brüder im Westfälinger Land lebten miteinander in Frieden und
Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb und ältere katholisch
wurde.  Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch
wurde, taten sie sich alles Herzeleid an.  Zuletzt schickte der Vater
den katholischen als Ladendiener in die Fremde.  Erst nach einigen
Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder.  "Bruder", schrieb
er, "es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht Einen Glauben
haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht
in gar keinen.  Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und
gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser." Also beschied
er ihn in den Roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft
durchreiste.  "Dort wollen wir's ausmachen." In den ersten Tagen
kamen sie nicht weit miteinander.  Schalt der Lutherische: "der Papst
ist der Antichrist", schalt der Katholische: "Luther ist der
Widerchrist." Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin,
sagte der Lutherische: "Ich hab' nichts gegen ihn, er mag ein
gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu
Jerusalem war er nicht dabei." Aber am Samstag ass schon der
Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise.  "Bruder," sagte er, "der
Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen";
und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die
lutherische Vesper.  "Bruder," sagte er, "euer Schulmeister singt
keinen schlechten Tremulant." Den andern Tag wollten sie miteinander
zuerst in die Frühmesse, danach in die lutherische Predigt, und was
sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das
wollten sie tun.  Als sie aber aus der Vesper und aus dem Grünen Baum
nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht.
Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn.
"Augenblicklich setzt Eure Reise fort!  Hab' ich Euch auf eine
Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr
nicht vielmehr die Musterkarte reiten?" Und der andere fand einen
Brief von seinem Vater: "Lieber Sohn, komm heim sobald du kannst, du
musst spielen." Also gingen sie noch den nämlichen Abend
unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach,
was er von dem andern gehört hatte.  Nach sechs Wochen schreibt der
jüngere dem Ladendiener einen Brief "Bruder, deine Gründe haben mich
unterdessen vollkommen überzeugt.  Ich bin jetzt auch katholisch.  Den
Eltern ist es insofern recht.  Aber dem Vater darf ich nimmer unter
die Augen kommen." Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen
die Feder.  "Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit
Gewalt in die Verdammnis rennen, dass du die seligmachende Religion
verleugnest?  Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden." Also
hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der
lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie
vorher, höchstens ein wenig schlimmer.

Merke: du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit
du nicht deines Glaubens Kraft verlierst.  Auch sollst du nicht mit
Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die
es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn
die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch
deine Überzeugung.  Sondern du sollst deines Glaubens leben und, was
gerade ist, nicht krumm machen.  Es sei dann, dass dich dein Gewissen
selber treibt zu schanschieren.



Die Besatzung von Oggersheim


Zu Oggersheim, gegenüber von Mannheim, um die Wahl etwas weiter oben
oder unten, je nachdem man sich stellt, als im Dreissigjährigen
Krieg unversehens die Spaniolen vor Oggersheim anrückten, flohen
fast alle Einwohner nach Mannheim.  Nur zwanzig Hausväter blieben
zurück und hatten das Herz, die Zugbrücke aufzuziehen und die Tore
zu schliessen.  Es gehört nicht viel Herz zum Schliessen, aber zum
Öffnen.  Denn als der spanische Feldhauptmann Don Gonsalva
hineintrompeten liess: "Wenn ihr bis morgen um diese Zeit den Platz
nicht übergebt", liess er hineintrompeten, "alsdann gebt acht, wer
am Leben bleibt, wenn ich den spanischen Sturmmarsch schlagen lasse
und doch hineinkomme", da sahen die Helden einander an und sagten:
"Der Weg nach Mannheim ist doch der sicherste." Nur einer dachte:
"Was soll ich tun?  Meine Frau steht an ihrem Ziel.  Soll sie
unterwegs oder gar auf dem Rhein ins Kindbett kommen?  In Gottes
Namen, ich bleibe da." Als nun die andern alle sich geflüchtet
hatten und er noch allein in dem Städtlein war, trat er mit einem
weissen Fähnlein auf die Stadtmauer und rief in das spanische Lager:
"Kund und zu wissen sei euch im Namen des Herrn Kommandanten von
Oggersheim, der Garnison und der ehrsamen Bürgerschaft!  Ihr sollt
uns versprechen, das Eigentum zu schonen und die protestantische
Religion unangefochten zu lassen.  Wenn ihr dieses tut und halten
wollt, so sollen euch in einer Stunde die Stadttore geöffnet werden.
Ich, der Trompeter."--Da sahen der Feldhauptmann und seine Leute
einander an.  ja, Nein--Nein, ja.  "Was sollen wir katholisches Blut
vergiessen lassen", sagte endlich der Feldhauptmann, "um einen
ketzerischen Altar umzuwerfen, oder was werden wir in diesem
Bauernstädtlein für Schätze finden?" und rief mit lauter Stimme:
"Akkordiert!" Nach einer Stunde, als der Feind mit geschlossenen
Reihen und Gliedern, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel
einzog, am äussern Tor war niemand.--"Sie werden am innern sein."
Am innern Tor war auch niemand.--"Sie werden auf dem Platz sein."
Auf dem Platz stand mutterseelallein mit dem weissen Fähnlein der
herzhafte Burgersmann.--"Was soll das heissen?  Wo ist der
Kommandant und die Besatzung, wo ist der Burgermeister und der Rat?"
Da fiel der Burgersmann vor dem Feldhauptmann auf die Kniee nieder:
"Gnädiger Herr, ich bin der einzige, der sich Euerer Grossmut
anvertraut hat.  Die andern sind nach Euerer Aufforderung alle nach
Mannheim geflohen.  Nur meine Frau ist noch bei mir im Städtlein,
aber ein ellenlanger Rekrut wird nächster Tagen eintreffen.

Unterdessen bin ich mein eigener Kommandant und mein Trompeter, mein
Gemeiner und mein Profoss.  Wenn ich seit gestern hätte desertieren
wollen, ich hätte mich selber wieder einfangen und Spiessruten jagen
müssen." Da lächelte der Feldhauptmann und hiess ihn aufstehn, und
obgleich die Spanier zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges keinen
Spass verstanden, so leistete er doch, was er versprochen hatte, und
noch mehr.  Denn als den andern Morgen der brave Burgersmann wieder
zu dem Feldhauptmann kam, "Ihro Gnaden", sagte er, "wolltet Ihr mir
nicht auf eine Viertelstunde Euern Peldpater leihen, wenn er
evangelisch taufen kann?  Der ellenlange Rekrut ist angekommen und
schon einquartiert", da sagte der Feldhauptmann: "Ja, braver
Kamerad, und ich will Gevattermann sein und dein Kind zur Taufe
halten." Also hielt der General das Kind zur Taufe und schenkte ihm
ein spanisches Goldstück zum Andenken.  Den folgenden Tag zogen die
Spaniolen wieder weiters.



Die drei Diebe


Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles für wahr zu halten, was
in dieser Erzählung vorkommt.  Doch ist sie in einem schönen Buch
beschrieben und zu Vers gebracht.

Der Zundelheiner und der Zundelfrieder trieben von Jugend auf das
Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des
Seilers Tochter kopuliert war, nämlich mit dem Strick; und ein
Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit und war der Jüngste
Doch mordeten sie nicht und griffen keine Menschen an, sondern
visitierten nur so bei Nacht in den Hühnerställen und, wenn's
Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und Speichern, allenfalls
auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie immer am
wohlfeilsten ein.  Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so übten sie
sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstücken, um im
Handwerk weiterzukommen.  Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem
hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eier, und
fragt die andern: "Wer ist imstand und holt dem Vogel dort oben die
Eier aus dem Nest, ohne dass es der Vogel merkt?" Der Frieder wie
eine Katze klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam
ein Löchlein unten drein, lässt ein Eilein nach dem andern in die
Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos und bringt die Eier.
- "Aber wer dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann",--sagte
jetzt der Frieder, "ohne dass es der Vogel merkt!" Da kletterte der
Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und
während der Heiner dem Vogel langsam die Eier unterschob, ohne dass
es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen
ab, ohne dass es der Heiner merkte.  Da gab es ein gross Gelächter,
und die beiden andern sagten: "Der Frieder ist der Meister." Der
rote Dieter aber sagte: "Ich sehe schon, mit euch kann ich's nicht
zugleich tun, und wenn's einmal zu bösen Häusern geht und der Letze
kommt über uns, so ist's mir nimmer Angst für euch, aber für mich."
Also ging er fort, wurde wieder ehrlich und lebte mit seiner Frau
arbeitsam und häuslich.  Im Spätjahr, als die zwei andern noch nicht
lang auf dem Rossmarkt ein Rösslein gestohlen hatten, besuchten sie
einmal den Dieter und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten
gehört, dass er ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig
achtgeben, wo es liegt.  Es hing in der Kammer an der Wand.  Als sie
fort waren, sagte der Dieter: "Frau, ich will das Säulein in die
Küche tragen und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer
unser." In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie können,
die Mauer durch, aber die Beute war nicht, mehr da.  Der Dieter merkt
etwas, steht auf, geht um das Haus und sieht nach.  Unterdessen
schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett,
wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an und sagt: "Frau, die
Sau ist nimmer in der Kammer." Die Frau sagt: "Schwätz' nicht so
einfältig!  Hast du sie nicht selber in die Küche unter die Mulde
getragen?" "Ja so", sagte der Heiner, "drum bin ich halber im
Schlaf" und ging, holte das Schwein und trug es unbeschrieen fort,
wusste in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er
wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald.  Und als der
Dieter wieder ins Haus kam und nach dem Säulein greifen will,
"Frau", rief er, "jetzt haben's die Galgenstricke doch geholt."

Allein so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben
nach, und als er den Heiner einholte (es war schon weit vom Hause
weg), und als er merkte, dass er allein sei, nahm er schnell die
Stimme des Frieders an und sagte: "Bruder, lass jetzt mich das
Säulein tragen, du wirst müde sein." Der Heiner meint, es sei der
Bruder, und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehn in den
Wald und ein Feuer machen.  Der Dieter aber kehrte hinter ihm um,
sagte für sich selber: "Hab' ich dich wieder, du liebes Säulein!"
und trug es heim.  Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum,
bis er im Wald das Feuer sah, und kam und fragte den Bruder: "Hast
du die Sau, Heiner?" Der Heiner sagte: "Hast du sie denn nicht,
Frieder?" Da schauten sie einander mit grossen Augen an und hätten
kein so prasselndes Feuer von buchenen Spänen gebraucht zum
Nachtkochen.  Aber desto schöner prasselte jetzt das Feuer daheim in
Dieters Küche.  Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft
verhauen und Kesselfleisch über das Feuer getan.  Denn der Dieter
sagte: "Frau, ich bin hungrig, und was wir nicht beizeiten essen,
holen die Schelmen doch." Als er sich aber in einen Winkel legte und
ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel
das Fleisch herum und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann
im Schlaf so ängstlich seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam
durch das Kamin herab, spiesst das beste Stück im Kessel an und
zog's herauf; und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte
und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweiten
Mal und zum dritten Mal; und als die Frau den Dieter weckte: "Mann,
jetzt wollen wir anrichten", da war der Kessel leer, und wär'
ebenfalls kein so grosses Feuer nötig gewesen zum Nachtkochen.  Als
sie aber beide schon im Begriff waren, hungrig ins Bett zu gehen,
und dachten: Will der Henker das Säulein holen, so können wir's ja
doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch
der Mauer in die Kammer und aus der Kammer in die Stube und brachten
wieder, was sie gemaust hatten.  Jetzt ging ein fröhliches Leben an.
Man ass und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt
hätte, es sei das letzte Mal, und war guter Dinge, bis der Mond im
letzten Viertel über das Häuslein wegging und zum zweiten Mal im
Dorf die Hahnen krähten und von weitem der Hund des Metzgers bellte.
Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des roten
Dieters sagte: "Jetzt ist's einmal Zeit ins Bett", kamen die
Strickreiter von wegen des gestohlenen Rössleins und holten den
Zundelheiner und den Zundelfrieder in den Turn und in das Zuchthaus.



Die falsche Schätzung


Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von
ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein
anderer sagt.

Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Wert und nicht
wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer
Hochzeit angezogen hatte und sich mit seinen fetten, roten Backen im
Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen
Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute:
"Nun, Thadde", fragte er ihn, "wie viel mag ich wohl wert sein, wie
ich dastehe?" Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes
Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit
ausgestreckten Fingern so her und so hin.  "Doch auch
fünfhundertundfünfzig Gulden", sagte er endlich, "weil doch
heutzutag alles teurer ist als sonst." Da sagte der Herr: "Du dummer
Kerl, glaubst du nicht, dass mein Gewand, das ich anhabe, allein
seine fünfhundert Gulden wert ist?" Da trat der Kammerdiener ein
paar Schritte gegen die Stubentüre zurück und sagte: "Verzeiht mir
meinen Irrtum, ich hab's etwas höher angeschlagen, sonst hätt' ich
nicht so viel herausgebracht."



Die gute Mutter


Im Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rückzug aus
Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine Mutter in
der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war, und von dem sie
lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte daheim keine Ruhe
mehr.  "Er muss bei der Rheinarmee sein", sagte sie, "und der liebe
Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm führen", und als sie
auf dem Postwagen zum St.  Johannistor in Basel heraus und an den
Rebhäusern vorbei ins Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig,
wie alle Gemüter sind, die Teilnehmung und Hoffnung bedürfen, und
die Schweizer ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten bald, was
sie auf den Weg getrieben hatte.  "Find' ich ihn in Kolmar nicht, so
geh' ich nach Strassburg, find' ich ihn in Strassburg nicht, so geh'
ich nacher Mainz." Die andern sagten das dazu und jenes und einer
fragte sie: "Was ist denn Euer Sohn bei der Armee?  Major?" Da wurde
sie fast verschämt in ihrem Inwendigen.  Denn sie dachte, er könnte
wohl Major sein oder so etwas, weil er immer brav war, aber sie
wusste es nicht.  "Wenn ich ihn nur finde", sagte sie, "so darf er
auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn." Zwei Stunden
herwärts Kolmar aber, als schon die Sonne sich zu den Elsässer
Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern
rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Strasse
standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuss, und die Generale und
Obersten standen vor dem Lager beisammen, diskurierten miteinander,
und eine junge, weissgekleidete Person von weiblichem Geschlecht und
feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind.
Die Frau im Postwagen sagte: "Das ist auch keine gemeine Person, da
sie nahe bei den Herren steht.  Was gilt's, der, wo mit ihr redet,
ist ihr Mann." Der geneigte Leser fängt allbereits an, etwas zu
merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts.  Ihr
Mutterherz hatte keine Ahndung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren
war, sondern bis nach Kolmar hinein war sie still und redete nimmer.
In der Stadt im Wirtshaus, wo schon eine Gesellschaft an der
Mahlzeit sass, und die Reisegefährten setzten sich auch noch, wo
Platz war, da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und
Hoffnung eingeengt, da sie jetzt etwas von ihrem Sohn erfahren
könnte, ob ihn niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er etwas
sei, und hatte doch den Mut fast nicht zu fragen.  Denn es gehört
Herz dazu, eine Frage zu tun, wo man das Ja so gerne hören möchte,
und das Nein ist doch so möglich.  Auch meinte sie, jedermann merke
es, dass es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und dass sie hoffe, er
sei etwas geworden.  Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die
Suppe brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Rocke fest und fragte
ihn: "Kennt Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von
einem gehört, so und so?" Der Diener sagt: "Das ist ja unser
General, der im Lager steht.  Heute hat er bei uns zu Mittag
gegessen", und zeigte ihr den Platz.  Aber die gute Mutter gab ihm
wenig Gehör darauf, sondern meinte, es sei Spass; der Diener ruft
den Wirt.  Der Wirt sagt: "Ja, so heisst der General." Ein Offizier
sagte auch: "Ja, so heisst unser General", und auf ihre Fragen
antwortete er: "Ja, so alt kann er sein", und "Ja, so sieht er aus
und ist von Geburt ein Schweizer." Da konnte sie sich nicht mehr
halten vor inwendiger Bewegung und sagte "Es ist mein Sohn, den ich
suche"; und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig
einfältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham.  Denn
sie schämte sich, dass sie eines Generals Mutter sein sollte vor so
vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen.  Aber der Wirt
sagte: "Wenn das so ist, gute Frau, so lasst herzhaft Eure Bagage
abladen ab dem Postwagen, und erlaubt mir, dass ich morgen in aller
Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch hinausführe zu Eurem
Herrn Sohn in das Lager." Am Morgen, als sie in das Lager kam und
den General sah, ja, so war es ihr Sohn, und die junge Frau, die
gestern mit ihm geredet hatte, war ihre Schwiegertochter, und das
Kind war ihr Enkel.  Und als der General seine Mutter erkannte und
seiner Gemahlin sagte: "Das ist sie", da küssten und umarmten sie
sich, und die Mutterliebe und die Kindesliebe und die Hoheit und die
Demut schwammen ineinander und gossen sich in Tränen aus, und die
gute Mutter blieb lange in ungewöhnlicher Rührung, fast weniger,
dass sie heute die Ihrigen fand, als darüber, dass sie sie gestern
schon gesehen hatte.--Als der Wirt zurückkam, sagte er, das Geld
regne zwar nirgends durch das Kamin herab, aber nicht zweihundert
Franken nähme er darum, dass er nicht zugesehen hätte, wie die gute
Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glück sah; und der Hausfreund
sagt: Es ist die schönste Eigenschaft weitaus im menschlichen
Herzen, dass es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehörige
unverhofft wieder zusammenkommen, und dass es allemal dazu lächeln
oder vor Rührung mit ihnen weinen muss, nicht ob es will.



Die lachenden Jungfrauen


Wer weiss, wo Saratow liegt?  Der Hausfreund hat viel Bücher.  Er
weiss alles.  Saratow liegt weit gegen Sonnenaufgang in das wilde
Asien hinein und ist ebenfalls der Sitz einer russischen
Statthalterschaft, nämlich wie Pensa, und war im Jahr 1812 ebenfalls
der Sammelplatz, wo viel Tausend unglückliche Kriegsgefangene
abgegeben und dann tiefer hineingeführt wurden in das Elend.
Ein Transport von gefangenen Deutschen wird eines Tages eingebracht.
Eine Menge von Einwohnern, wie zu geschehen pflegt, stehen auf den
Gassen; die Neugierigen schauten, der Übermut trotzte und spottete,
die Rachsucht fluchte und schimpfte.  Keine Hand bot sich zur Pflege
der kranken, der verwundeten, der verschmachtenden Fremdlinge an,
eher zu etwas anderm.  Niemand wehrte ihnen.  Denn die
Kriegsgefangenschaft spinnt keine Seide, und man kann nicht glauben,
wie erbittert damals die Russen über ihre Feinde waren, und keiner
wurde vorher gefragt, ob er zu den Schlimmen gehöre, sondern man
nahm ihn dafür.  Aber einem wohlbetagten Hauptmann und seinem
Leutnant begegnete etwas Merkwürdiges.  Denn eben als der Hauptmann
den Leutnant an der Hand ergriff und ihn trösten wollte: "Fasse
dich, junges Blut, auch das wird vorübergehen und ein Ende nehmen,
mit dem Frieden oder mit dem Tode",--in dem Augenblicke hören sie
zunächst vor sich ein mutwilliges Lachen, und indem sie
unwillkürlich aufschauen,--sie hätten's bereits können gewohnt
sein,--was erblicken ihre Augen?  In einem vornehmen russischen
Gefährt zwei Jungfrauen, schön wie zwei Sonnen, lieblich wie der
Frühlingstag, wenn die Rosen blühen.  Beide Teile schauten einander
an, aber ob auch die Jungfrauen sich wollten Gewalt antun, sie
konnten sich nicht erwehren, und trat auch eine die andere auf den
Fuss, so ward's nur ärger.  Das griff schmerzhaft den sonst
vielgeprüften Mut des bejahrten Hauptmanns an.  Noch so jung, dachte
er, und schon so entartet, und der Leutnant dachte: so schön und
doch so grausam, und der Schmerz des einen brach in eine Träne, der
Unmut des andern aber in Worte aus: "Töchter dieses unwirtlichen
Landes", fing der Hauptmann an, "ihr versteht zwar meine Rede
nicht", die Jungfrauen lachten aufs neue,--"aber wollte Gott, ihr
verstündet sie", da lachten auf einmal die Jungfrauen nicht mehr.
"Gar unfein", fuhr der Hauptmann fort, "steht das euerem
Geschleckte, euerer Jugend und euren schönen Kleidern an, an dem
Jammer schuldloser Menschen eure Augen zu weiden und mit solchem
Hohngelächter unsere Herzen zu durchschneiden." Da fiel ihm errötend
die ältere der Jungfrauen in das Wort, sie war ungefähr 18 Jahre alt
und die jüngere 17, und redete die Unglücklichen zu ihrem Erstaunen
ebenfalls deutsch an, mitten in Saratow und mitten in Russland, mehr
als 1000 Stunden weit von der Heimat deutsch.  "Edle Fremdlinge",
sagte sie, sanft wie ein Engel und mit tiefbewegter Stimme, "sprecht
nicht also, dass wir gekommen seien, unsere Augen an euerem Elende
zu weiden und euere Herzen durch Verhöhnung zu martern, die wir die
Absicht haben, euch zu bitten, dass ihr mit uns gehen wollet in die
Wohnung unserer Eltern und Pflege und Liebe anzunehmen, bis die
Engel des Friedens euch zurückführen mögen zu euren Fahnen oder in
die Umarmungen eurer Angehörigen, dass ihr bei ihnen glücklich sein
möget alle Tage eures Lebens." Ihr entgegnete hinwiederum erstaunt
über diese Worte der Hauptmann: "Edle Jungfrauen, wes herrlichen
Geschlechts Töchter ihr sein möget, wenn dem also ist, wie ihr
saget, so vertrauen wir uns eurer Einladung an, die ihr aus
deutschem Blute entsprossen scheint, so ihr das Unrecht verzeihen
könnt; womit mein Schmerz euch beleidigt hat."

Als sie aber in den Wagen einstiegen, und der Hauptmann wollte; wie
es sich traf, neben die ältere der Jungfrauen sitzen, widerfuhr
ihnen noch etwas Apartes, denn es zog ihn die jüngere sanft auf ihre
Seite: "Verzeiht mir", sagte sie; "edler Fremdling, meine Ansprüche
auf Euch sind mir zu wert.  Meine Freundin hat kein Recht an Euch."
Und zu dem Leutnant sprach die ältere ebenfalls: "Meine Freundin hat
kein Recht an Euch",--und zog ihn sanft und sittsam an ihre Seite.
Den zwei Kriegsgefangenen aber war alles recht, denn auch jedem
andern hätte die Wahl zwischen beiden schönen Jungfrauen schwerer
sein müssen als jeder andern Jungfrau die Wahl zwischen einem
fünfzigjährigen Mann und einem zwanzigjährigen Jüngling.

Fragt sich nun: wer waren die Jungfrauen, und wo führten sie ihre
Gefangenen hin?  Antwort: Es leben in Saratow zwei reiche und
angesehene deutsche Familienväter; der Deutsche kommt, wie das
Quecksilber, überall durch, wenn er schon keins ist.  Beide Familien
waren des Abends vorher wie gewöhnlich beisammen und sprachen von
allerlei.  "Ist's wahr",--sagte der eine,--"dass morgen deutsche
Kriegsgefangene ankommen?"--"Sie sind schon angesagt", erwiderte
man ihm.--"Die armen Menschen haben einen schweren Gang",--sprach
wehmütig eine der Mütter.  Da trat die ältere Jungfrau ihren Vater
an: "Werden wir auch einen bekommen, mein Vater?  Wie sorglich wollte
ich gleich einer Tochter oder Schwester sein pflegen und ihn
trösten." Der Vater erwiderte: "Den Gefangenen bettet man nicht auf
Rosen.  Sie werden in den Vorstädten in den dürftigsten Hütten
untergebracht."--"Oder wolltet Ihr denn nicht selbst einen einladen
oder Euch einen ausbitten von dem Hauptmann ihrer Bewachung?"--"Das
könnte mir wohl übel gedeutet werden", erwiderte der Vater, "sie
sind Feinde des Vaterlandes, in welches wir selbst als Fremdlinge
aus ihrer Heimat sind aufgenommen worden.  Wir dürfen die Feinde
nicht als unsere Landsleute erkennen.  Doch wenn einen von ihnen mir
das Schicksal ohne mein Zutun entgegenführt, will ich mich seiner
nicht entschlagen", und ebenso sprach auch der Vater der andern
Jungfrau.  Da redeten die beiden Töchter miteinander, und
leichtsinnig und gutmütig, wie die Jugend ist, beschlossen sie, wenn
die Gefangenen kämen, zu tun, was sie taten.

Anfänglich fuhren sie ein wenig um den Transport herum, wie wenn man
auf den Jahrmarkt geht, um einzukaufen.  Man sieht zuerst die Waren
an, was da ist, ehe man auf Geratewohl kauft, das Nächste, das
Beste.  Als aber die Jungfrauen den Hauptmann erblickten, wie er
dastand, wenig gebeugt von seinen Leiden, und angeschmiegt an ihn
den Jüngling, den Leutnant, den das Schicksal zum ersten Mal in die
Schule der Prüfung genommen hatte, und zwar gleich in die oberste
Klasse, sagten sie zueinander, "diese zwei wollen wir nehmen."--
"Willst du den Alten?" sagte scherzhaft die jüngere.  "Oder willst du
ihn?" sagte zu ihr ihre Freundin.  Da nahm die jüngere zwei
Stecknadeln aus ihrem Busengewand, eine längere und eine kürzere,
und zogen miteinander das Hälmlein mit Stecknadeln.  Als aber die
ältere den Leutnant zog und die jüngere den Hauptmann behielt, in
dem Augenblick, als dieser sagte, "auch das wird ein Ende nehmen",--
lachten die Jungfrauen.  Denn diesen Erbschatz teilt noch die
Kindheit mit der Jugend, dass Schmerz und Freude leichter an ihr
vorübergehen und in schnellern Ablösungen miteinander wechseln.
Hernach aber, als der Hauptmann so ernsthaft sie anredete, "euer Ohr
versteht zwar meine Rede nicht", lachten sie von neuem.  Denn wenn
man einmal darin ist, man muss; und das Gefühl, dass es unschicklich
sei, hilft nur dazu, die Unschicklichkeit zu begehen.  Aber als sie
den Schmerz erkannten, mit dem er nach einem süssen deutschen Wort
in dieser fremden Welt wie nach einem Almosen seufzte, und sie
hatten's in ihrem milden Herzen und konnten's ihm geben und waren
deswegen da, da lachten sie nicht mehr und boten ihnen in deutscher
Sprache und Rede die Pflege und Liebe ihrer Eltern an und führten
sie zu ihnen.  Die Väter hoben zwar die Finger gegen ihre Töchter auf
"Was habt ihr getan!" aber im Herzen waren sie es froh.  Sie zeigten
sogleich der Obrigkeit an, was geschehen war, und der
menschenfreundliche Statthalter gab ihnen gerne die Erlaubnis, auf
ihre Bürgschaft zwar, ihre gefangenen Landsleute bei sich zu
behalten bis auf ein Weiteres.

Da gebrach ihnen auf einmal nichts mehr, da waren sie auf einmal
aller ihrer Leiden quitt, da verzogen sich alle ihre Bekümmernisse.
Der Hauptmann in dem Hause, das ihn aufgenommen hatte, wurde
angesehen und geliebt als ein Bruder, der Leutnant in dem seinigen
als ein Sohn, von seiner schönen Retterin auch noch ein wenig
anderst, nämlich ebenso wie sie von ihm, bis die Engel des Friedens
kamen.  Als aber die Engel des Friedens kamen, schangschierte der
Leutnant seinen Glauben, nämlich, dass er in der Uniform sterben
werde.  Er verschaffte sich den Abschied von seinem Regiment und
freut sich jetzt als Gatte der Liebe und der Jugend seiner schönen
Retterin.  Der Hauptmann aber trennte sich von diesen edeln Menschen
und von seinem jungen Freund mit einer Rührung und mit einem
Schmerz, der mehr Tränen als Worte hat, und kam wohlbehalten wieder
in Deutschland und bei den Seinigen an, und wer ihn sah und vorher
gekannt hatte, wunderte sich sein.  "Ei, wie seid Ihr so jung
geworden, Herr Hauptmann, in Eurer Gefangenschaft, Euch muss es
nicht übel gegangen sein."

Der geneigte Leser darf an der Wahrheit dieser Erzählung nicht
zweifeln, denn der Hausfreund hat sie aus dem zweiten Mund.  Nämlich
der Hauptmann hat sie selbst einem rheinländischen Herrn
Kriegsobristen also mitgeteilt, der auch weiss, wie man über die
Berezina geht, und von dem Kriegsobristen aber hat sie der
Hausfreund und hat seitdem schon manches Täublein mit ihm verzehrt
und schon manches Schöpplein mit ihm herausgemacht, Fuchs oder Has.



Die leichteste Todesstrafe


Man hat gemeint, die Guillotine sei's.  Aber nein!  Ein Mann, der
sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte und bei dem
Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das
er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt.  Da half
nicht Bitten, nicht Beten.  Weil er aber sonst bei dem Fürsten wohl
angeschrieben war, liess ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten
sterben wolle; denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm
werden.  Also kam zu ihm in den Turn der Oberamtsschreiber: "Der
Herzog will Euch eine Gnade erweisen.  Wenn Ihr wollt gerädert sein,
will er Euch rädern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er
Euch henken lassen.  Es hängen zwar schon zwei am Galgen, aber
bekanntlich ist er dreischläferig.  Wenn Ihr aber wollt lieber
Rattenpulver essen, der Apotheker hat.  Denn welche Todesart Ihr
wählen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden.  Aber sterben
müsst Ihr, das werdet Ihr wissen." Da sagte der Malefikant: "Wenn
ich denn doch sterben muss, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und
das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher.  Aber Ihr
versteht's doch nicht recht.  Meines Orts, ich habe immer geglaubt,
der Tod aus Altersschwäche sei der sanfteste, und den will ich denn
auch wählen, und keinen andern", und dabei blieb er und liess sich's
nicht ausreden.  Da musste man ihn wieder laufen und fortleben
lassen, bis er an Altersschwäche selber starb.  Denn der Herzog
sagte: "Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht
brechen."

Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne
umkommen lässt, wenn sie ihn retten kann.



Die nasse Schlittenfahrt


Der Hausfreund hat viel gute Freunde am Rhein auf und ab, zwischen
Friedlingen und Andernach, unter andern ein paar lose.  Einer davon
versteht sich gut darauf, Kissen und Säcke auszustopfen, um weich
darauf zu sitzen, und man darf ihn rekommandieren.  Zwei andere gute
Freunde von ihm sagten zueinander an einem schönen, kalten
Wintertag: "Wollen wir nicht auf dem Schlitten fahren?"--"Wohin?"--
"Zum Theodor." Sie nannten ihn nur mit dem Vornamen.  Theodor heisst
er mit dem Vornamen.  Also spannten sie den Rappen an den
Rennschlitten und legten einen Sack voll Spreu darauf, der Länge
nach, um weicher zu sitzen.  Als sie bei dem guten Freund angelangt
waren, wurde lustig getrunken--der Wein lag ihm nie überzwerch im
Fass--: Schliengener, Böllinger, Steinenstatter, Vierundachtziger,
Achtziger, Vierundsiebenziger.  Beim Vierundsiebenziger blieben sie
sitzen, bis der Abendstern über dem Wasgau funkelte und die
Bettglocken laut wurden in den Dörfern.  Als die Bettglocken laut
wurden, sagte einer von ihnen: "Jetzt will ich anspannen, unser Weg
ist der weiteste." Der Theodor sagte: "Wahrscheinlich auch der
krümmste.  Hüst um!  Dort links ist die Stubentür." Denn der Gast
taumelte nach der Türe eines Milchschranks, in der Meinung, es sei
die Stubentür.  Als sie auf dem Schlitten noch eins genommen hatten
zu St.  Johannes' Segen und ungefähr an die Tannen gekommen waren,
wurde es beiden nass zwischen den Beinen.  Der vordere dachte: "Soll
mir etwas passiert sein, oder ist mein Kamerad dahinten nicht
wasserfest?  Der andere dachte: Schmelzen die Spreu im Spreuersack,
oder ist meinem Kameraden etwas passiert?--"Gevatter", stammelte
endlich der vordere, " es scheint mir, Ihr habt's euch kommod
gemacht.  Ich hätt' Euch wohl ein paar Minuten lang das Leitseil
halten mögen."--"Gevatter", erwiderte der andere, "mir kommt's vor,
Ihr solltet nicht mehr saufen, als Ihr bei Euch behalten könnt."
Während sie aber so Wortwechsel treiben und jeder die Schuld auf den
andern warf, wurden sie immer nässer, und der Sack unter ihnen gab
immer mehr nach, bis sie auf dem harten Brette sassen.

"Mordsapperment, Ihr schwemmt mich noch über den Schlitten
hinunter", fuhr der zweite fort.--"Oder Ihr mich", erwiderte der
erste.--"Wenn ich nicht dasässe wie einer, der zwischen den zwei
Buckeln eines Trampeltieres reitet, ich läge schon lange auf dem
Boden, und die Stiefel sind mir bereits mitsamt den Füssen
angefroren am Schlittenkufen."--"Drum eben", erwiderte der erste.
"Woher kommt's, dass Euch das Wasser an den Beinen herabläuft?" Als
sie aber halbsteif nach Hause gekommen waren und die Spreu aus dem
Sacke ausleeren wollten, schoss etwas ganz anderes als Spreu heraus.
Da sagte der eine: "Ich glaube gar, der Schalk, der Theodor, hat uns
den Sack mit Schnee angefüllt.  Darum sind wir so nass geworden." Der
andere sagte: "Es kömmt mir auch so vor."--Es war auch so.



Die Ohrfeige


Ein Büblein klagte seiner Mutter: "Der Vater hat mir eine Ohrfeige
gegeben." Der Vater aber kam dazu und sagte: "Lügst du wieder?
Willst du noch eine?"



Die Probe


In einer ziemlich grossen Stadt, wo nicht alle Leute einander
kennen, auch nicht alle Hatschiere, ging ein neu angenommener
Hatschier in ein verdächtiges Wirtshäuslein hinein und hatte einen
braunen Überrock an.  Denn er dachte: Weil ich noch nicht lange
angenommen bin, so kennt mich niemand, und niemand nimmt sich vor
mir in acht; vielleicht gibt's etwas zu fischen.  Ein bejahrter Mann
in bürgerlicher Kleidung folgt ihm nach und geht auch in das
Wirtshäuslein.  Der neue Hatschier fordert einen Schoppen, der
betagte Mann setzt sich an den nämlichen Tisch und fordert auch
einen Schoppen.  Unter ihnen und ober ihnen und an andern Tischen
sassen mehrere Leute und sprachen in Friede und Eintracht von
allerlei, von dem Elefant, von dem grossen Diebstahl, von den
Kriegsoperationen.  Einer zog mit dem Finger einen Strich von Wein
über den Tisch und sagte: "Zum Exempel, dies wäre die Donau." Drauf
legte er ein Stücklein Käsrinde daneben und sagte: "Jetzt, das wär'
Ulm." Ein anderer, als er Ulm nennen hörte, sagte zu dem betagten
Mann: "Ich bin von Ulm und hätte Haus und Gewerb daselbst.  Aber die
alten Zeiten sind nicht mehr." Der betagte Mann sagte: "Landsmann,
Ulm ist überall, die guten Zeiten sind nirgends mehr", und fing an
zu hadern und sich zu vermessen über die Zeit und über die Abgaben
und über die Obrigkeit, wie es sich nicht geziemt.  Da wurde der
Hatschier im braunen Überrock aufmerksam und stille und sagte
endlich: "Guter Freund, ich warne Euch." Der betagte Mann aber
sagte: "Was habt Ihr mich zu warnen?" und trank ein Glas voll Wein
nach dem andern aus und schimpfte über die Obrigkeit nur noch ärger.
Der verkleidete Hatschier sagte: "Guter Freund, ich kenn' Euch
nicht.  Aber ich will Euch noch einmal gewarnt haben." Der Betagte
erwiderte: "Warnen hin und warnen her!  Was wahr ist, muss man reden
dürfen.  Was bleibt einem noch übrig als die freie Rede?" und so und
so.  Da schlug der verkleidete Hatschier den braunen Überrock zurück
und zeigte sich, wie er war, in einem hechtgrauen Rocke mit roten
Aufschlägen und einem Bandelier.  "Jetzt, guter Freund", sagte er,
"jetzt kommt mit mir!" Da stellte sich der Mann, als er an dem Rock
den Hatschier erkannte, auf einmal wie umgewendet.  "Guter Freund",
sagte er, "Ihr werdet doch meinen Spass nicht für Ernst angesehen
haben und nicht erst heute auf die Welt gekommen sein.  Ich sehe
schon", sagte er, "wir müssen eine Bouteille miteinander trinken,
dass Ihr mich besser kennen lernt", und forderte noch eine Bouteille
und winkte der Wirtin: "Vom Guten." Allein der Hatschier sagte: "Ich
habe keinen Wein mit Euch zu trinken", und fasste ihn wohl oben am
Arm, und fort zur Türe hinaus.  Unterwegs fuhr der Arrestant fort zu
reden: "Ihr meint zum Beispiel, ich sei ein Feind von Abgaben, weil
ich über die Abgaben geschimpft habe.  Aber nein, ich will Euch das
Gegenteil beweisen, denn Ihr seid auch eine obrigkeitliche Person,
und ich habe vor Euersgleichen Respekt." Also zog er einen
Kronentaler aus der Tasche und wollte sich damit loskaufen.  Aber der
Hatschier sagte: "Ihr habt mir keine Abgaben zu bezahlen." Eine
Gasse weiter fuhr der Arrestant fort: "Was gilt's, Ihr seid noch
nicht verheiratet und habt für keine Frau noch Kinder zu sorgen,
weil Ihr keine Abgabe von mir braucht.  Ich will Euch zu einem
schönen Weibsbild führen." Der Hatschier erwiderte: "Ihr habt mich
zu keinem Weibsbild zu führen, aber ich Euch zu einem Mannsbild."
Als sie aber miteinander in den Polizeihof und vor den Herrn
Stadtvogt gekommen waren, fing der Stadtvogt an laut zu lachen, dann
er gar ein lustiger Mann ist, und sagte: "Welcher von Euch zweien
bringt den andern?" Denn es ist jetzt Zeit, dem geneigten Leser zu
sagen, dass der Arrestant selber ein alter Hatschier war, und hatte
sich verkleidet und war dem neuen nachgegangen, nur um ihn zu
prüfen, ob er seine Pflicht tut.  Deswegen sagte der Stadtvogt:
"Welcher von Euch zweien bringt den andern." Der junge wollte
anfangen, der alte aber, der vermeintliche Arrestant, schaute ihn
gebieterisch an und sagte: "Es ist an mir zu reden, ich bin älter im
Dienst.  Ihro Gnaden, Herr Stadtvogt", sagte er, "dieser junge Mann
ist probat, und wir können uns verlassen auf ihn, denn er hat mich
arretiert mit Manier und in der Art und hat sich nicht von mir
bestechen oder breitschlagen lassen, noch mit Wein, noch mit Geld,
noch mit Weibsleuten." Da lächelte der Stadtvogt gar freundlich,
dass ihm solches wohlgefalle, und schenkte jedem einen kleinen
Taler.

Item, an einem solchen Ort mag es nicht gut sein, ein Spitzbube zu
sein, wo ein Hatschier selber dem andern nicht trauen darf.
Dies Stücklein ist noch ein Vermächtnis von dem Adjunkt, der jetzt
in Dresden ist.  Hat er nicht dem Hausfreund einen schönen
Pfeifenkopf von Dresden zum Andenken geschickt und ist ein
geflügelter Knabe darauf und ein Mägdlein und machen etwas
miteinander.  Aber er kommt wieder, der Adjunkt.



Die Raben


Zwei gute Freunde, ein Geistlicher und ein Kaufmann, machten
miteinander eine Reise.  Der Kaufmann neckte im Spass den
Geistlichen, und der Geistliche neckte den Kaufmann.  Nicht weit von
dem Hochgericht, als die Raben aufflatterten und den beiden um die
Köpfe flogen, sagte der Kaufmann: "Da haben wir's!  Es ist kein
Schick dabei, wenn man mit einem Geistlichen reist."--Denn manche
Leute glauben sonst, es bedeute ein Unglück, wenn einem die Raben
über den Kopf fliegen.--Der Geistliche sagte: "Glaubt doch nicht so
einfältige Fabeln, ein Mann, wie Ihr seid.  Ich habe in kurzer Zeit
mehrere armen Sünder zum Tod begleitet.  Jetzt meinen die dummen
Tiere, ich bringe wieder einen, und halten Euch für gute Beute." Der
Kaufmann sagte: "Herr Pfarrer, Ihr seid ein loser Vogel!"



Die Schlafkameraden


Eines Abends kam ein fremder Herr mit seinem Bedienten im Wirtshaus
zu der goldenen Linden in Brassenheim an und liess sich bei dem
Nachtessen beiderlei wohl schmecken, nämlich das Essen selbst und
das köstliche Getränk.  Denn der Lindenwirt hat Guten.  Der Bediente
aber an einem andern Tisch dachte: Ich will meinem Herrn keine
Schande machen, und trank wie im Zorn ein Glas und eine Bouteille
nach der andern aus, sagend zu sich selbst: "Der Wirt soll nicht
meinen, dass wir Knicker sind." Nach dem Essen sagte der Herr zu dem
Lindenwirt: "Herr Wirt, ich hab' an Eurem Roten sozusagen eine
gefährliche Entdeckung gemacht.  Bringt mir noch eine Flasche voll in
das Schlafstüblein." Der Bediente hinter dem Rücken des Herrn winkte
dem Wirt: "Mir auch eine!" Denn sein Herr liess sich vieles von ihm
gefallen, weil er auf Reisen auch sein Leibgardist war und immer mit
ihm in der nämlichen Stube schlafen musste, und je einmal, wenn er
sich zuviel Freiheit herausnahm, war der Herr billig und dachte: Ich
will nicht wunderlich sein.  Es ist ja nicht das erste Mal, dass er's
tut.  Also trank an seinem Tisch der Herr und las die Zeitung, und am
andern Tisch dachte der Bediente: "Es ist ein harter Dienst, wenn
man trinken muss anstatt zu schlafen, zumal so starken.  Gleichwohl,
als er dem Herrn die zweite Flasche holen musste, nahm er für sich
auch noch eine mit vom nämlichen.  Der Herr fing endlich an, laut mit
der Zeitung zu reden, und der Bediente nahm wie ein Echo zwischen
der Türe und dem Fenster auch Anteil daran, aber wie?  Der Herr las
von dem grossen Mammutsknochen, der gefunden wurde.  Der Bediente,
der eben das Glas zum Munde führte, lallte für sich: "Soll leben der
Mohammedsknochen." Oder als der Herr von dem Seminaristen las aus
dem Seminarium in Pavia, der mit Lebensgefahr eines Schriftgiessers
Kind aus den Flammen rettete, ergriff er das Glas, und "Bravo",
sagte er, "wackerer Seminarist!" Der Bediente aber stammelte für
sich: "Soll leben der wackere Seeminister" und goss richtig das
halbe Glas über die Liberei hinab.  "Hast du's gehört, Anton?  So eine
Tat wiegt viele Meriten auf", fuhr der Herr fort.--"Sollen auch
leben die Minoriten", erwiderte der Diener; und so oft jener z.  B.
sich räusperte oder gähnte, räusperte sich und gähnte der Anton
auch.  Endlich sagte der Herr: "Anton, jetzt wollen wir ins Bett."
Der Anton sah seine Flasche an und erwiderte: " Es wird ohnehin
niemand mehr auf sein in der Wirtschaft." Denn seine Flasche war
leer.  Aber in der Flasche des Herrn war noch ein Restlein.  Früh
gegen zwei Uhr weckte es den Anton, dass noch ein Restlein in der
Flasche des Herrn sei.  Also stand er auf und trank es aus.  "Sonst
verriecht es", dachte er.  Als er aber sich wieder legen wollte, kam
er ein wenig zu weit rechts an das Bett seines Herrn.  Denn beide
Betten standen an der nämlichen Wand mit den Fussstätten
gegeneinander.  Also legte sich der Anton neben seinen Herrn, mit dem
Kopf unten und mit den Füssen oben, neben des Herrn Gesicht, weil er
meinte, er liege wieder in seinem eigenen.  Eine Stunde vor Tag aber,
als der Herr erwachte, kam es ihm vor, er wusste selbst nicht recht,
wie.  "Soll ich denn gestern abend haben Backensteinkäs heraufkommen
lassen?" dachte er.  Als er aber sich umdrehen wollte, ob ein
Schränklein in der Wand sei, fühlte er auf einmal neben sich etwas
Lebendiges und Warmes, und das Warme und Lebendige bewegte sich
auch.  Jetzt rief er: "Anton, Anton!" mit ängstlicher und leiser
Stimme, dass der unsichere Schlafkamerad nicht aufwachen sollte, und
derjenige, den er wecken wollte, war doch der Schlafkamerad.
"Anton", schrie er endlich in der Herzensangst, so laut er konnte.
"Was befehlen Ihro Hochwürden", erwiderte endlich der Anton.--"Komm
mir zu Hilfe!  Es liegt einer neben mir."--"Ich kann nicht, neben
mir liegt auch einer", erwiderte der Bediente und wollte sich
strecken, so zwar, dass er mit dem linken Fuss unter des Herrn Kinn
kam.  "Anton, Anton", rief der Herr, "meiner reisst mir den Kopf ab",
und suchte ebenfalls mit den Füssen eine Habung.  "Meiner will mir
die Nase aufschlitzen", schrie noch viel ärger der Anton.  "Wirf
deinen heraus", schrie der Herr, "und komm mir zu Hilfe."--Also
fasste der Bediente seinen Mann an den Beinen, und dieser, als er
Ernst sah, fasste er seinen Mann ebenfalls an den Beinen, und rangen
also die beiden miteinander, dass keiner dem andern konnte zu Hilfe
kommen; und der Bediente fluchte wie ein Türk, der Herr aber fluchte
zwar nicht, aber doch rief er die unsichtbaren Mächte an, sie
sollten seinem Gegner den Hals brechen, was auch fast hätte
geschehen können; denn auf einmal hörte unten der Wirt, der schon
auf war, einen Fall, dass alle Fenster zitterten und der Perpendikel
an der Wanduhr sich in die Ruhe stellte.  Als er aber geschwind mit
dem Licht und dem Hauptschlüssel hinaufgeeilt war, ob ein Unglück
sich zugetragen habe, denn er kannte seinen Roten, lagen beide
miteinander ringend auf dem Boden und schrieen Zeter Mordio um
Hilfe.  Da lächelte der Wirt in seiner Art, als ob er sagen wollte,
der Rote hat gut gewirkt, die gefährliche Entdeckung.  Die beiden
aber schauten einander mit Verwunderung und Staunen an.  "Ich glaube
gar, du bist es selbst, Anton", sagte der Herr.--"So, seid nur Ihr
es gewesen", erwiderte der Diener, und legten sich wieder ein jeder
in sein Bett, worein er gehörte.



Die Schmachschrift


Als bekanntlich eine Pasquille oder Schmachschrift auf den König
Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platz aufgeheftet wurde
und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: "Ihro Majestät",
sagte der Kammerdiener, "es ist Ihnen heute nacht eine Ehre
widerfahren, das und das.  Alles hab' ich nicht lesen können; denn
die Schrift hängt zu hoch.  Aber was ich gelesen habe, ist nichts
Gutes"; da sagte der König: "Ich befehle, dass man die Schrift
tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazustelle, auf dass
jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt." Nachderhand
geschah nichts mehr.

Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim.  Denn
Brassenheim ist ein Amtsstädtlein.  Als ihm eines Morgens eine
Pasquille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit Teig in der Nacht
an die Haustüre geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebärdig,
fluchte wie ein Türk im Haus herum und schlug der unschuldigen Katze
ein Bein entzwei, dass die Frau Amtsschreiberin ganz entrüstet wurde
und fragte: "Bist du verrückt, oder was fehlt dir?" Der
Amtsschreiber sagte: "Da lies!  Du hast deinen Teil auch darin." Als
das die losen Vögel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt
hatten, dass der Herr Amtsrichter also im Harnisch sei, hatten sie
grosse Freude daran und sagten: "Heut nacht tun wir's wieder." Den
zweiten Morgen, als ihm die neue Schandtat gebracht wurde und ein
Rezept für lahmgeschlagene Katzen darin, ward er noch viel wütender
und warf Tische und Stühle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand
einen zornigen Bericht darüber an den regierenden Grafen, ob er
gleich niemand nennen konnte, und als er ihn geschrieben hatte und
den Sand darauf streuen wollte, ergriff er in der Rasche statt der
Sandbüchse das Tintenfass und goss die Tinte über den Bericht und
über die weisstüchenen Amtshosen.

Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: "Hansstoffel", sagte er,
"vigiliere heut nacht um das Haus herum, bis der Hahn kräht, und
wenn du den Kujonen attrapierst, so bekommst du einen grossen Taler
Fanggeld.  Ich will sehen", sagte er, "ob ich mir soll auf der Nase
herumtanzen lassen."

Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und der
Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf dass, wenn der Stoffel den
Pasquillenmacher brächte, dass er ihn gleich auf frischer Tat
erstechen könnte.  "Herr Amtsschreiber", sagte der Stoffel, "ich will
nur melden, dass heute nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir
erlauben, jetzt ins Bett zu gehen.  Alle Lichter im Städtlein sind
ausgelöscht, die Wirtshäuser sind leer, die zwei letzten sind nach
Haus gegangen, und des Wagner-Mattheisen Hahn hat zweimal
hintereinander gekräht, es wird wohl morgen auch wieder einmal
regnen." Da fuhr ihn der Amtsschreiber wie ein betrunkener Heide an:
"Dummes Vieh, auf der Stelle begib dich auf deinen Posten, bis der
Tag aufgeht, oder ich schlage dir das Gehirn im Leib entzwei", sagte
er im unvernünftigen Zorn.  Der geneigte Leser denkt: Was gilt's,
während der Stoffel bei dem Amtsschreiber war, ist die dritte
Pasquille auch angepappt worden, und wenn er herabkommt, findet er
sie jetzt.  Nichts weniger.  Sondern als der Stoffel im Fortgehen
bereits an der Stubentür war und der Amtsschreiber ihm noch einmal
nachsah, "Hansstoffel", rief er ihm, "komm noch ein wenig daher!"--
Der Stoffel kam.  "Dreh' dich um!  Was hast du auf dem Rücken?"
"Will's Gott, keinen Galgen", sagte der Stoffel.  "Nein,
vermaledeiter Dummkopf, aber wahrscheinlich ein Pasquill."--Wie
gesagt, so erraten: der Stoffel trug das dritte Pasquill bereits auf
dem Rücken geklebt, und standen darin noch viel mutwilligere Dinge
als in dem ersten und zweiten, und unter andern ein Rezept für
Tintenflecke aus den Amtshosen zu bringen.  Dies war so zugegangen.
Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen war, kamen zwei lose
Gesellen heran, und einer von ihnen hatte schon die dritte Pasquille
auf der flachen Hand liegen, also dass die beschriebene Seite des
Papiers gegen die Hand hineinlag, die äussere Seite aber war mit
Teig bestrichen, dass er im Vorbeigehen die Schrift nur an die Türe
hätte drücken dürfen.  Als sie aber den Bedienten des Amtsschreibers
vor der Türe sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, aber
nicht alle Leute kannte der Stoffel: "Ei, guten Abend", sagte der
eine, "was schafft Er Guts hier, Herr Hansstoffel?  Was gilt's, Er
kann nicht hinein!" da erzählte er ihnen, warum er da sitzen müsse
und bis wann, und wie ihm bereits die Zeit so lange sei, und es
komme doch niemand.  "Ei", sagte der eine, "die Lichter im Städtlein
sind ausgelöscht, und die Wirtshäuser sind leer, und wir zwei sind
die letzten, die heimgehen.  Also gehe Er in Gottes Namen ins Bett."
Der andere aber, der das Papier in der flachen Hand hatte, schlug
ihm im Fortgehen sanft und freundlich die Hand auf den Rücken, dass
das Papier am Rocke hängen blieb, und sagte: "Gute Nacht, Herr
Hansstoffel, schlaf' Er wohl!" "Ebenfalls!" sagte der Stoffel, und
als sie um das Eck herum waren, krähte einer von ihnen zweimal wie
ein Hahn oder wie der russische General-Feldmarschall Suwarow Fürst
Italinsky im Lager.  Also brachte der Stoffel dem Amtsschreiber die
Pasquille selber auf dem Rücken in die Stube, und der Herr
Amtsschreiber prügelte zwar den Stoffel im Zimmer herum und schlug
bei dem Ausholen ein paar Spiegel entzwei, aber den Schimpf und
Schaden und Zorn musste er an sich selber haben und brachte nichts
heraus.  Denn die zwei Spassvögel sagten: "Der Klügste gibt nach.
Jetzt wollen wir's aufgeben, eh' es zu bösen Häusern geht", und
jedermann, der davon erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus.
Merke: Der König von Preussen hat sich in diesem Stücke klüger
betragen als der Herr Amtsschreiber von Brassenheim.



Die Tabaksdose


In einer niederländischen Stadt in einem Wirtshaus waren viele Leute
beisammen, die einander einesteils kannten, zum Teil auch nicht.
Denn es war ein Markttag.  Den Zundelfrieder kannte niemand.  "Gebt
mir auch noch ein Schöpplein", sagte ein dicker, bürgerlich
gekleideter Mann zu dem Wirt und nahm eine Prise Tabak aus einer
schweren, silbernen Dose.  Da sah der Zundelfrieder zu, wie ein
windiger, gewürfelter Gesell sich zu dem dicken Mann stellte, ein
Gespräch mit ihm anfing und ein paarmal wie von ungefähr nach der
Rocktasche schaute, in welche der Mann die Dose gesteckt hatte.  Was
gilt's, dachte der Frieder, der führt auch etwas im Schild?
Anfänglich stand der Gesell.  Hernach liess er ein Schöpplein kommen,
setzte sich auch auf den Bank und sprach mit dem Dicken allerlei
kuriose Sachen, woran dieser Mann viel Spass fand.  Endlich kam ein
Dritter.  "Exküse", sagte der Dritte, "kann man auch noch ein wenig
Platz hier haben?" Also rückte der windige Gesell ganz nahe an den
dicken Mann hin und diskurierte immer fort: "Ja", sagte er, "ich
habe mich ein Rechtes verwundert, als ich in dieses Land kam und
sah, wie die Windmühlen so flätig vom Winde umgetrieben werden.  Bei
mir zulande geht das ganze Jahr kein Lüftlein.  Also muss man die
Windmühlen anlegen, wo die Wachteln ihren Strich haben.  Wenn nun im
Frühjahr die Milliontausend Wachteln kommen vom Meer her aus Afrika
und fliegen über die Mühlenräder, so fangen die Mühlen an zu gehen,
und wer in dieser Zeit nicht kann mahlen lassen, hat das ganze Jahr
kein Mehl im Haus." Darüber geriet der dicke Mann so ins Lachen,
dass ihm fast der Atem verging, und unterdessen hatte der schlaue
Gesell die Dose.  "Aber jetzt hört auf", sagte der Dicke.  "Es tut mir
weh im Kreuz", und schenkte ihm von seinem Wein auch ein Glas ein.
Als der Spitzbube ausgetrunken hatte, sagte er: "Der Wein ist gut.
Er treibt.  Exküse", sagte er zu dem Dritten, der vorne an ihm sass,
"lasst mich einen Augenblick heraus!" Den Hut hatte er schon auf.

Als er aber zur Tür hinausging und fort wollte, ging ihm der
Zundelfrieder nach, nahm ihn draussen auf die Seite und sagte zu
ihm: "Wollt Ihr mir auf der Stelle meines Herrn Schwagers seine
silberne Dose herausgeben?  Meint Ihr, ich hab's nicht gemerkt?  Oder
soll ich Lärmen machen?  Ich hab Euch schonen wollen vor den vielen
Leuten, die drin in der Stube sitzen." Als nun der Dieb sah, dass er
verraten sei, gab er zitternd dem Frieder die Dose her und bat ihn
vor Gott und nach Gott, stille zu sein.  "Seht", sagte der Frieder,
"in solche Not kann man kommen, wenn man auf bösen Wegen geht.  Euer
Leben lang lasst es Euch zur Warnung dienen.  Unrecht Gut faselt
nicht.  Ehrlich währt am längsten." Den Hut hatte der Freister auch
schon auf.  Also gab er dem Gesellen noch eine Prise Tabak aus der
Dose und trug sie hernach zu einem Goldschmied.



Die Wachtel


Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbaren lebten sonst miteinander
immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer
von ihnen hatte eine Wachtel.  Zu ihm kommt endlich der Nachbar und
sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Lärmenmacher, Euer
Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein
Stündlein schlafen möchte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der
ganzen Nachbarschaft?"--Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife
das Gegenteil.  Ist's nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der
ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen
weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten
allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und Wachtel
immer früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch
einmal und sagt: "Freund, wär' Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der
Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie tot machen?"--"Das nicht", erwiderte
der andere.--"Oder fliegen lassen?"--"Nein, auch nicht."--"Oder
in eine andere Gasse stiften?"--"Auch das nicht, sondern hier vor
mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören
könnt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der
Klügere von beiden.  Ei, dachte er, wenn ich sie vor deinem Fenster
umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ist's besser.--
"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den Nachbar.  Der
Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll's ihm nicht
verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel
umquartiert.

Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf
erweckte und er eben denken wollte: "Ei, meine gute Wachtel ist auch
schon munter",--halbwegs des Gedankens fällt's ihm ein: "Nein, es
ist meines Nachbars Wachtel,--das undankbare Vieh", sagte er
endlich am dritten Morgen, "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und
gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt
mir zum Schabernack.--Der Nachbar sollte verständiger sein und
bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht
allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss
es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an:
"Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht
wieder einen kurzen Schlaf gehabt."--"Es ist ein braver Vogel",
erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft."--"Er
ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort.  "Was
verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?" Da lächelte
der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht tot machen?"--
"Nein!"--"Oder sie fliegen lassen?"--"Das auch nicht."--"Oder in
eine andere Gasse vermachen?"--"Auch das nicht.  Aber an ihren alten
Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja eben so gut hören
könnt wie an ihrem jetzigen."--"Freund", erwiderte ihm hierauf der
Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt
Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen." Der
Nachbar dachte bei sich: "Wohlfeiler kann ich sie nicht los werden,
als für sein eigenes Geld." Also gab er ihm die zwei Gulden wieder,
und die Wachtel flog.

Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es
nötig hat, was für ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem
eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem
andern, ferner--denn es braucht keine Wachtel dazu--ob einer in
einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt, oder ob
es ein anderer anhören muss; item: ob einer selber bis nachts um 10
Uhr eine langweilige Geschichte erzählt, und ob ein anderer dabei
sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss,
gleich als ob er achtgäbe.



Die Wachtel


Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten sonst miteinander
immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer
von ihnen hatte eine Wachtel.  Zu ihm kommt endlich der Nachbar und
sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, daß mir Euer Lärmenmacher, Euer
Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein
Stündlein schlafen möchte, und daß Ihr Euch unwert macht bei der
ganzen Nachbarschaft?" Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das
Gegenteil.  Ists nicht aller Ehren wert, daß meine Wachtel der ganzen
Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch
sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als
alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und die Wachtel immer
früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch
einmal und sagt: "Freund, wär Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der
Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie totmachen?" --"Das nicht", erwiderte
der andere.  "Oder fliegen lassen?" --"Nein, auch nicht." --"Oder in
eine andere Gasse stiften?" --"Auch das nicht, sondern hier vor mein
Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören könnt
alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der
Klügere von beiden.  ›Ei‹, dachte er, ›wenn ich sie vor deinem
Fenster umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ists
besser.‹ --"Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?" fragte er den
Nachbar.  Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch solls ihm
nicht verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die
Wachtel umquartiert.

Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf
erweckt und er eben denken wollte: ›Ei, meine gute Wachtel ist auch
schon munter‹, --halbwegs des Gedankens fällts ihm ein: ›Nein, es
ist meines Nachbars Wachtel.‹ --"Das undankbare Vieh", sagte er
endlich am dritten Morgen; "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und
gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt
mir zum Schabernack.  --Der Nachbar sollte verständiger sein und
bedenken, daß er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht
allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruß
es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an:
"Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht
wieder einen kurzen Schlaf gehabt." --"Es ist ein braver Vogel",
erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft." --"Er
ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort.  "Was
verlangt Ihr Aufgeld, daß er Euch wieder feil werde?" Da lächelte
der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht totmachen?" --
"Nein." --"Oder fliegen lassen?" --"Das auch nicht." --"Oder in eine
andere Gasse vermachen?" --"Auch das nicht.  Aber an ihren alten
Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja ebenso gut hören
könnt wie an ihrem jetzigen." --"Freund", erwiderte ihm hierauf der
Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt
Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so laß ich sie fliegen." Der
Nachbar dachte bei sich: ›Wohlfeiler kann ich sie nicht loswerden
als für sein eigenes Geld.‹ Also gab er ihm die zwei Gulden wieder,
und die Wachtel flog.

Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es
nötig hat, was für ein großer Unterschied es sei, ob etwas vor dem
eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem
andern, ferner --denn es braucht keine Wachtel dazu --, ob einer in
einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt oder ob
es ein anderer anhören muß; item: ob einer selber bis nachts um zehn
Uhr eine langweilige Geschichte erzählt und ob ein anderer dabei
sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muß,
gleich als ob er achtgäbe.



Die Weizenblüte


Nie muss sich einer über fremdes Unglück freuen, weil es ihm Nutzen
bringt, sonst kommt die Zeit, es freuen sich andere wieder.
In einigen Gegenden hat man das Sprichwort, wenn man sagen will,
dass man einen Gewinn oder Vorteil zu hoffen habe--sagt man: "Mein
Weizen blüht." Als daher der Chirurgus und ein Zimmermann in der
Nacht miteinander auf der Strasse gingen und in einiger Entfernung
ein bekanntes Dörflein brannte, deutete der Zimmermann hinüber und
sagte zu dem Chirurgus: "Herr Gevatter, mein Weizen blüht." Nämlich,
weil es neue Häuser aufzuschlagen gibt, wenn die alten verbrennen.
Weil er aber auf den Brand und nicht auf den Weg sah, fiel er im
nämlichen Augenblick in einen Graben und brach einen Arm entzwei.  Da
sagte zu ihm der Chirurgus: "Gevatter, es kommt mir vor, mein Weizen
sei zeitig."--Der geneigte Leser versteht's.



Die zwei Postillione


Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fürth nach
Hechingen oder von Hechingen nach Fürth, wie jeden sein Geschäft
ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld,
so gab ihm der andere kein gutes.  Denn jeder sagte: "Für was soll
ich dem Postknecht einen Zwölfer schenken?  Ich trag ja nicht schwer
daran." Die Postillione aber, der von Dinkelsbühl und der von
Ellwangen, sagten

"Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen könnten, dass
sie spendaschlicher würden!" Eines Tages kommt der Fürther in
Dinkelsbühl an und will weiters.  Der Postillion sagte zu seinem
Kameraden: "Fahr du den Passagier." Der Kamerad sagte: "Es ist an
dir." Unterdessen sass der Reisende ganz geduldig in seinem offenen
Eliaswagen, bis der Postillion aufsass.  Als er sah, dass der
Postillion im Sattel recht sass und die Peitsche erhob, sagte er:
"Fahr' zu, Schwager!  Werf' Er mich nicht um!" Am nämlichen
Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der
Postillion dachte bei sich selbst: "Wenn jetzt nur mein Kamerad von
Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Weg wäre!" Indem er fährt,
bergauf bergab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund
und seinem Reisekumpan in München auch einmal die Haare geschnitten
worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern
ausweichen.  Jeder sagt: "Ich führe einen honetten Herrn, einen
Schwitie, keinen Pfennigschaber wie du, dem seine Sechsbatzenstücke
aussehen wie Hildburghäuser Groschen." Endlich legte sich der
Fürther auch in den Streit.  "Gott's Wunder!" sagte er, "sollen wir
noch einmal vierzig Jahr in der Wüste bleiben?" und schimpfte
zuletzt den Ellwanger, dass ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb
ins Gesicht gab.  Der Dinkelsbühler sagt: "Du sollst meinen Passagier
nicht hauen, er ist mir anvertraut und zahlt honett; oder ich hau'
den deinigen auch."--"Untersteh dich und hau mir meinen Herrn!"
sagte der Ellwanger.  Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers
Passagier, und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühlers Passagier, und
riefen einander in unaufhörlichem Zorn zu: "Willst du meinen Herrn
in Frieden lassen, oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem
Lungenmus zusammenhauen?" und je schmerzlicher der eine Au und der
andere Weih schrie, desto kräftiger hieben die Postillione auf sie
ein, bis sie des unbarmherzigen Spasses selber müde wurden.  Als sie
aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten
die Postillione zu ihren Reisenden so und so: "Nicht wahr, ich hab'
mich Euer rechtschaffen angenommen?  Mein Kamerad wird's niemand
rühmen, wie ich ihm seinen Herrn zerhauen habe.  Aber diesmal kommt's
Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an.  Wenn's der Fürst
wüsste", sagte der Dinkelsbühler, "es wäre ihm um einen Maxd'or
nicht leid.  Er sieht darauf, dass man die Reisenden gut hält."
Merke: Es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten
am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wofür man gehauen oder sonst
verunehrt wird.  Für ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit
und guten Willen kaufen.

Merke: Der Herr, der auf der Abbildung seitwärts steht, hat's mit
angesehen und hat's dem Hausfreund vier Wochen hernach zu Karlsruhe
am Mittagessen erzählt.



Drei Worte


Ein Jude in Endingen im Wirtshaus erblickte einen Kaufherrn, der ihm
bekannt vorkam.  "Seid Ihr nicht einer von den graussmütigen Herrn,
dass ich hab' die Gnad' gehabt mit ihnen von Basel nach Schalampi zu
fahren auf dem Wasser?" Der Gersauer Kaufherr, er war von Gersau,
sagte: "Hast du unterdessen nichts Neues ausspintisiert,
Reiskamerad?" Der Jud antwortet: "Habt Ihr gute Geschäfte gemacht
auf der Messe?  Wenn Ihr gute Geschäfte gemacht habt,--um einen
Sechsbätzner, Ihr könntet mir drei Worte nicht nachsagen." Der
Gersauer dachte: Ein paar Franken hin oder her.  "Lass hören!" Der
Jud sagte: Messerschmied.  Der Gersauer: Messerschmied.  Dudelsack--
Dudelsack.  Da schmunzelte der Jude und sagte: Falsch!--Da dachte
der Gersauer hin und her, wo er könnte gefehlt haben.  Aber der Jude
zog eine Kreide aus der Tasche und machte damit einen Strich.
"Einmal gewonnen." Noch einmal!  sagte der Kaufherr.  Der Jud sagte:
Baumöl.  Der Kaufherr: Baumöl.  Rotgerber--Rotgerber.  Da schmunzelte
der Hebräer abermal und sagte: Falsch, und so trieben sie's zum
sechsten Mal.  Als sie's zum sechsten Mal so getrieben hatten, sagte
der Kaufherr: "Nun will ich dich bezahlen, wenn du mich überzeugen
kannst, wo ich gefehlt habe." Der Jude sagte: "Ihr habt mir das
dritte Wort nie nachgesprochen.  Falsch war das dritte Wort, das habt
Ihr mir nie nachgesprochen, und also war die Wette gewonnen."



Drei Wünsche


Diesmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabei, auch riecht es
nicht nach Rosenduft und Morgenrot, sondern nach Klingenberger und
nach Kalbfleisch in einer sauren Brühe.  Drei lustige Kameraden
sassen beisammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen
verzehrt hatten und noch eine Flasche voll Klingenberger miteinander
tranken, sprachen sie von allerlei und fingen zuletzt an zu
wünschen.  Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch
einen kernhaften Wunsch tun, und wer den grössten Wunsch
hervorbringe, der soll frei ausgehen an der Zeche.

Da sprach der erste: "So wünsch' ich dann, dass ich alle
Festungsgräben von ganz Strassburg und Kehl voll feiner Nähnadeln
hätte und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider müsste
mir ein Jahr lang lauter Maltersäcke nähen, und wenn ich dann jeden
Maltersack voll doppelte Dublonen hätte, so wollte ich zufrieden
sein."

Der zweite sagte: "So wollt' ich denn, dass das ganze Strassburger
Münster bis unter die Krone des Turmes hinauf voll Wechselbriefe vom
feinsten Postpapier läge, so viel darin Platz haben, und wäre mir
auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen
deinen Maltersäcken Platz hat, und ich hätt's."
Der dritte sagte: "So wollt ich denn, dass ihr beide hättet, was ihr
wünscht, und dass euch alsdann beide in Einer Nacht der Henker
holte, und ich wär euer Erbe."

Der dritte ging frei aus an der Zeche, und die zwei andern
bezahlten.



Drei Wünsche


Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beisammen und
hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim
ist: wenn man's gut hat, hätt man's gerne besser.  Aus diesem Fehler
entstehen so viele törichte Wünsche, woran es unserm Hans und seiner
Liese auch nicht fehlte.  Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald
des Löwenwirts Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald
einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg.  Eines
Abends aber, als sie friedlich am Ofen sassen und Nüsse aufklopften
und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam
durch die Kammertür ein weisses Weiblein herein, nicht mehr als eine
Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze
Stube war voll Rosenduft.  Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer
wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem
Weiblein aus und überzog alle Wände.  Über so etwas kann man nun doch
ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag.  Aber unser gutes
Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit
wundersüsser, silberreiner Stimme sprach: "Ich bin eure Freundin,
die Bergfei Anna Fritze, die im kristallenen Schloss mitten in den
Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und
über siebenhundert dienstbare Geister gebietet.  Drei Wünsche dürft
ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden." Hans drückte den
Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das
lautet nicht übel.  Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu
öffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Kappen,
seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die
Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: "Acht Tage lang",
sagte sie, "habt ihr Zeit.  Bedenkt euch wohl und übereilt euch
nicht." Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau
die Hand auf den Mund.  Das Bergfräulein aber verschwand.  Die Lampe
brannte wie vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine
Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube.

So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus
waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter
Bassgeigen, so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor
lauter Wunsch nicht wussten, was sie wünschen wollten, und nicht
einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu
sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren, ehe sie es
genug überlegt hätten.  "Nun", sagte die Frau, "wir haben ja noch
Zeit bis am Freitag."

Des andern Abends, während die Grundbirn zum Nachtessen in der
Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem
Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der
russigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald
auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem
künftigen Glück.  Als sie aber die gerösteten Grundbirn aus der
Pfanne auf das Plättlein anrichteten und ihr der Geruch lieblich in
die Nase stieg:--"Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu
hätten", sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu
denken, und--o weh, da war der erste Wunsch getan.--Schnell wie
ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und
Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Grundbirn
lag die schönste Bratwurst.--Wie gewünscht, so geschehen.--Wer
sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht
ärgern?  Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht
unwillig werden?  "Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase
angewachsen wäre", sprach er in der ersten Überraschung, auch in
aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken--und wie
gewünscht so geschehen.  Kaum war das letzte Wort gesprochen, so sass
die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen im
Mutterleib und hing zu beiden Seiten hinab wie ein
Husarenschnauzbart.

Nun war die Not der armen Eheleute erst recht gross.  Zwei Wünsche
waren getan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um
kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher.
Noch war ein Wunsch zwar übrig.  Aber was half nun aller Reichtum und
alles Glück zu einer solchen Nasenzierat der Hausfrau?  Wollten sie
wohl oder übel, so mussten sie die Bergfei bitten, mit unsichtbarer
Hand Barbiersdienste zu leisten und Frau Liese wieder von der
vermaledeiten Wurst zu befreien.  Wie gebeten, so geschehen, und so
war der dritte Wunsch auch vorüber, und die armen Eheleute sahen
einander an, waren der nämliche Hans und die nämliche Liese, nachher
wie vorher, und die schöne Bergfei kam niemals wieder.
Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht
geizig, sondern wünsche

Numero eins: Verstand, dass du wissen mögest, was du
Numero Zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden.  Und weil es
leicht möglich wäre, dass du alsdann etwas wähltest, was ein
törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch
Numero Drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue.
Oder so

Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den
Verstand nicht hat, sie zu benutzen.



Ein gutes Rezept


In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch,
wie jedermann weiss; aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der
Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert hat.  Eine arme kranke
Frau sagte zu ihrem Büblein: "Kind, hol' mir einen Doktor, sonst
kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen." Das Büblein lief zum
ersten Doktor und zum zweiten; aber keiner wollte kommen, denn in
Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme
Knabe hatte nichts als Tränen, die wohl im Himmel für gute Münze
gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde.  Als er aber zum
dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser
in einer offenen Kutsche an ihm vorbei.  Der Knabe hielt ihn wohl für
einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wusste, dass es der Kaiser
ist, und dachte: Ich will's probieren.  "Gnädiger Herr", sagte er,
"wollet Ihr mir nicht einen Gulden schenken?  Seid so barmherzig!"
Der Kaiser dachte: "Der fasst's kurz und denkt, wenn ich den Gulden
auf einmal bekomme, so brauch' ich nicht sechzig Mal um den Kreuzer
zu betteln.  "Tut's ein Käsperlein oder zwei Vierundzwanziger nicht
auch?" fragt ihn der Kaiser.  Das Büblein sagte: "Nein", und
offenbarte ihm, wozu er das Geld benötigt sei.  Also gab ihm der
Kaiser den Gulden und liess sich genau von ihm beschreiben, wie
seine Mutter heisst, und wo sie wohnt, und während das Büblein zum
dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe
Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer
Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also dass man
ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht express darum ansah.
Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und sah recht
leer und betrübt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und
erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und
sich nicht pflegen könne.  Der Kaiser sagte: "Ich will Euch dann
jetzt ein Rezept verschreiben", und sie sagte ihm, wo des Bübleins
Schreibzeug ist.  Also schrieb er das Rezept und belehrte die Frau,
in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heimkommt,
und legte es auf den Tisch.  Als er aber kaum eine Minute fort war,
kam der rechte Doktor auch.  Die Frau verwunderte sich nicht wenig,
als sie hörte, er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es
sei schon so einer dagewesen und hab' ihr etwas verordnet, und sie
habe nur auf ihr Büblein gewartet.  Als aber der Doktor das Rezept in
die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was für
einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch
nicht wenig und sagte zu ihr: "Frau", sagte er, "Ihr seid einem
guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch fünfundzwanzig
Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und untendran steht:
Joseph, wenn Ihr ihn kennt.  Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe
und Augentrost hätt' ich Euch nicht verschreiben können." Da tat die
Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor
Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne
Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr
eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege,
die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen
wieder auf gesunden Beinen.  Also hat der Doktor die kranke Frau
kuriert und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich
nachgehends wieder verheiratet.



Ein Hausmittel


Ein fremder Mann in einem Wirtshause bemerkte lange bei seinem
Schöpplein, wie die Frau Vogtin (der Vogt führte die Wirtschaft)
unaufhörlich am Stricken gehindert wurde durch etwas anderes.
Endlich sagte er: "Es scheint, Ihr wollt ander Wetter prophezeien,
Frau Vögtin.  Euere braunen Tierlein machen Euch viel Zeitvertreib."
Die Wirtin ward dessen fast verschämt und sagte: "Ihr habt mir nicht
sollen zusehen." Darauf erwiderte der Fremde: "Ein Floh ist doch
auch ein Geschöpflein, und ich weiss nicht, warum man nicht davon
reden soll.  Wenn sie Euch aber zur Plage sind, und es kommt Euch auf
einen Vierundzwanziger nicht an, ich wollte Euch wohl sagen, was Ihr
tun müsstet, damit Ihr nie in Euerm Leben einen Floh bekämet." Die
Wirtin sagte: "Einen Vierundzwanziger wär' es wohl noch wert", und
als er sich denselben voraus hatte bezahlen lassen, sagte er mit
schelmischem Lächeln: "Nämlich, wenn Euch ein Floh am rechten Arm
beisst, müsst Ihr ihn am linken suchen.  Beisst er Euch aber am
linken, so sucht ihn am rechten.  Alsdann bekommt Ihr gewiss keinen.
Ich hab's von der Polizei in Brassenheim gelernt", sagte er.  Es war
der Zirkelschmied.



Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler


Als der letzte König von Polen noch regierte, entstand gegen ihn
eine Empörung, was nichts Seltenes war.  Einer von den Rebellern, und
zwar ein polnischer Fürst, vergass sich so sehr, dass er einen Preis
von 20’000 Gulden auf den Kopf des Königs setzte.  Ja, er war frech
genug, es dem König selber zu schreiben, entweder um ihn zu betrüben
oder zu erschrecken.  Der König aber schrieb ihm ganz kaltblütig zur
Antwort: "Euern Brief habe ich empfangen und gelesen.  Es hat mir
einiges Vergnügen gemacht, dass mein Kopf bei Euch noch etwas gilt.
Denn ich kann Euch versichern: für den Eurigen gäb' ich keinen roten
Heller."



Ein Wort gibt das andere


Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris,
dass er sollte Französisch lernen und ein wenig gute Sitten.  Nach
einem Jahr oder drüber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch
nach Paris.  Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll
Staunen und Freude aus: "Ei, Hans, wo führt dich der Himmel her?  Wie
steht es zu Hause, und was gibt's Neues?"--"Nicht viel Neues, Herr
Wilhelm, als dass vor zehn Tagen Euer schöner Rabe krepiert ist, den
Euch vor einem Jahr der Weidgesell geschenkt hat."

"O das arme Tier", erwiderte der Herr Wilhelm.  "Was hat ihm denn
gefehlt?"

"Drum hat er zu viel Luder gefressen, als unsere schönen Pferde
verreckten, eins nach dem andern.  Ich hab's gleich gesagt."
"Wie!  Meines Vaters vier schöne Mohrenschimmel sind gefallen?",
fragte der Herr Wilhelm.  "Wie ging das zu?"

"Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserführen, als uns
Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen."

"Um Gottes willen!" rief der Herr Wilhelm voll Schrecken aus.  "Ist
unser schönes Haus verbrannt?  Wann das?"

"Drum hat man nicht aufs Feuer achtgegeben an Ihres Herrn Vaters
seliger Leiche, und ist bei Nacht begraben worden mit Fackeln.  So
ein Fünklein ist bald verzettelt!"

"Unglückliche Botschaft!", rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus.
"Mein Vater tot?  Und wie geht's meiner Schwester?"

"Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu Tod gegrämt, als Ihre
Jungfer Schwester ein Kindlein gebar und hatte keinen Vater dazu.  Es
ist ein Büblein.

Sonst gibt's just nicht viel Neues", setzte er hinzu.



Eine merkwürdige Abbitte


Das ist merkwürdig, dass an einem schlechten Menschen der Name eines
ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und dass er durch solchen nur
ärger geschimpft ist.

Zwei Männer sassen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im
Wirtshaus.  Aber der eine von ihnen hatte bösen Leumund wegen
allerlei, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof.
Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts.  Mit dem bekam
der andere Zwist im Wirtshaus, und im Unwillen und weil er ein Glas
Wein zuviel im Kopfe hatte, so sagte er zu ihm: "Du schlechter
Kerl!"--Damit kann einer zufrieden sein, wenn er's ist, und braucht
nicht mehr.  Aber der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben,
schimpfte auch und verlangte Beweis.  Da gab ein Wort das andere, und
es hiess: "Du Spitzbub!  du Felddieb!"--Damit war er noch nicht
zufrieden, sondern ging vor den Richter.  Da war nun freilich
derjenige, welcher geschimpft hatte, übel dran.  Leugnen wollt' er
nicht, beweisen konnt' er nicht, weil er für das, was er wohl
wusste, keine Zeugen hatte, sondern er musste einen Gulden Strafe
erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheissen habe, und
ihm Abbitte tun, und dachte bei sich selber: Teurer Wein!  Als er
aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er: "Also einen Gulden kostet
es, gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben
nennt?  Was kostet's denn, wenn man einmal in der Vergesslichkeit
oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann?" Der Richter
lächelte und sagte: "Das kostet nichts, und damit ist niemand
geschimpft." Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Kläger um und
sagte: "Es ist mir leid, ehrlicher Mann!  Nichts für ungut, ehrlicher
Mann!  Adies, ehrlicher Mann!" Als der erboste Gegner das hörte und
wohl merkte, wie es gemeint war, wollte er noch einmal anfangen und
hielt sich jetzt für ärger beleidigt als vorher.  Aber der Richter,
der ihn doch auch als einen verdächtigen Menschen kennen mochte,
sagte zu ihm, er könne jetzt zufrieden sein.



Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte


Zwei Schiffer fuhren frühmorgens den Strom herab, und der Tag war
schon ins enge, stille Tal gekommen, als sie an der hohen
Felsenwand, genannt die Riesenmauer, vorbeifahren wollten.  Es
steigen nämlich daselbst die Felsen fast senkrecht in die Höhe.  Weit
oben ist's wie abgeschnitten, und der heilige Nepomuk, ob er gleich
von Stein ist, meint man doch, es müsse ihm schwindlig werden, und
es wird's einem für ihn, wenn man hinaufschaut.  Keine Ziege weidet
an dieser Halde, kein Fusspfad führt den Wanderer hinauf oder hinab.
Nur einzelne arme Tannen oder Eichen sind aus den Felsenspalten da
und dort herausgewachsen, mehr hangend als stehend, und nähren sich,
so gut sie können, vom Wasserduft und Sonnenschein.  Als aber die
Schiffer gegen die Felsenwand kamen, hörten sie ein klägliches
Notgeschrei, und um einen Buck herumfahrend, sahen sie mit
Entsetzen, dass ein lebendiger Mensch in einsamer Todesnot und Angst
auf einem solchen Eichstämmlein sass und sich mit den Händen an
einem schwachen Ästlein festhielt wie ein furchtsamer Reiter am
Kammhaar, und sah auch wirklich aus, als wenn er in die Luft
hinausreiten wollte, unten Wasser, oben Himmel, vor ihm nichts.  Aber
der eine Schiffer verwunderte sich noch viel mehr, als er den Mann
ins Auge fasste und erkannte.  "Seid Ihr es, Herr Schulmeister, oder
trügt mich ein Blendwerk?" Ja, es war der Herr Schulmeister, ein
braver, unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut kennt als
sich selbst oder seinen Adjunkt, ein Vater von drei Kindern.

Der Hausfreund müsste sich sehr an dem geneigten Leser oder an
seiner eigenen Beschreibung irren, wenn derselbe früher fragen
sollte, was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann auf diesen
Baum hinaufgekommen, als vielmehr, wie er wieder herabgebracht und
aus des Todes Angst und Not gerettet worden sei.  Man holte die
längste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an dem schmalen Bort
zwischen dem Strom und den Felsen auf.  Sie reichte nicht hinan.  Man
band die zwei längsten aneinander und richtete sie mit unsäglicher
Mühe und eigener Todesgefahr auf.  Sie reichten nicht hinan.  Es war
schon 10 Uhr, und die Sonne schwamm über das Tal, als ob sie das
seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und Hoffnung machen wollte
zur Rettung.  Man erstieg auf der andern Seite die Anhöhe, schlang
das längste Seil, das zu haben war, um den heiligen Nepomuk und
liess es hinab, dass er es um den Leib binden, sich alsdann mit den
Händen und Füssen gegen die Felsenwand stemmen und seine Auffahrt
regieren sollte.  Aber der arme Mann durfte mit den Händen den Ast
nicht verlassen, weil er sonst keine Habung hatte auf dem schwachen
Stamm und unvermeidlich das Gleichgewicht und das Leben hätte
verlieren müssen.  Endlich liess man auf die nämliche Art noch einen
Mann von Mut und Kraft zu ihm hinab, der ihm das eine Seil um den
Leib befestigte, und zog alsdann unversehrt einen nach dem andern
herauf.  Der Herr Schulmeister aber, als er wieder Boden erfasst und
sozusagen gelandet hatte, küsste er zuerst mit Dank und Gebet die
Füsse des Schutzheiligen, der ihm gleichsam in der Gestalt des Seils
seine hilfreiche Hand hinabgereicht hatte und absichtlich um seiner
Rettung willen da zu stehen schien, und dankte seinen Mitbürgern.
Hernach winkte er seiner zagenden Frau und seinen weinenden Kindern,
die am jenseitigen Ufer standen, dass es jetzt nichts mehr zu sagen
habe.  Aber auf die Frage, wie er auf den Baum herabgekommen sei,
konnte er keine Antwort geben, sondern er bewies hernach als ein
Mann, dem an seiner Reputation viel gelegen ist, dass er in dem Dorf
auf dem Berge ein einziges Schöpplein getrunken habe und nüchtern
fortgegangen sei, um nach Hause zu kommen.  Was sich aber weiter mit
ihm zugetragen habe, wisse er nicht, sondern, als er aufgewacht sei,
sei er auf dem Baum gesessen.

Dem Hausfreund aber ist es insofern lieb für seine Leser, dass die
Sache im Dunkeln bleibt.  Denn ob es gleich muss natürlich zugegangen
sein, so sieht es doch wunderbarer aus und greift besser an, wenn
man nicht weiss, wie.  So viel ist klar auf alle Fälle: "Er hat
seinen Engeln über dir Befehl getan, dass sie dich behüten auf
deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen."



Eine sonderbare Wirtszeche


Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet's den
Rock, oft sogar die Haut dazu.  Diesmal aber nur den Rock.  Denn
obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten
Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so gingen sie
doch noch einmal in ein Wirtshaus und dachten, sie wollten sich
schon wieder hinaus helfen und doch nicht wie Schelmen davon
schleichen, und es war ihnen gar recht, dass die junge und artige
Wirtin ganz allein in der Stube war.  Sie assen und tranken guten
Mutes und führten miteinander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn
die Welt schon viele tausend Jahre alt wäre und noch ebenso lang
stehen würde, und dass in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder
Stunde des Jahrs alles wieder so komme und sei, wie es am nämlichen
Tag und in der nämlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen
sei.  "Ja", sagte endlich einer zur Wirtin--die mit einer Stickerei
seitwärts am Fenster sass und aufmerksam zuhörte--"ja, Frau Wirtin,
das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen." Und einer war
so keck und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, dass
sie vor sechstausend Jahren schon einmal da gewesen seien, und das
hübsche, freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch
wohlbekannt.  Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr
die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser liessen sich die
jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel
schmecken, bis eine Rechnung von 5 fl.  16 kr.  auf der Kreide stand.
Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der
List heraus, worauf es abgesehen war.

"Frau Wirtin", sagte einer, "es steht diesmal um unsere Batzen nicht
gut, denn es sind der Wirtshäuser zu viele an der Strasse.  Da wir
aber an Euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als
alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn's Euch recht ist, so
wollen wir in sechstausend Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte
Zeche samt der neuen bezahlen." Die verständige Wirtin nahm das
nicht übel auf, war's vollkommen zufrieden und freute sich, dass die
Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die
Stubentüre und bat, die Herren möchten nur so gut sein und jetzt die
5 fl.  16 kr.  bezahlen, die sie vor sechstausend Jahren schuldig
geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es
wieder komme.  Zum Unglück trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit
ein paar braven Männern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein
in Ehren zu trinken.  Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb.
Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil gefällt und vollzogen:
"Es sei aller Ehren wert, wenn man sechstausend Jahre lang geborgt
habe.  Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld
bezahlen, oder ihre noch ziemlich neuen Oberröcke in Versatz geben."

Dies letzte musste geschehen, und die Wirtin versprach, in
sechstausend Jahren, wenn sie wieder kommen und besser als jetzt bei
Batzen seien, ihnen alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen.
Dies ist geschehen im Jahr 1805 am 17ten April im Wirtshause zu
Segringen.



Einer Edelfrau schlaflose Nacht


Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit, wie in dem
menschlichen Leben alles zusammenhängt, wenn man es zu entdecken
vermag, z.  B.  Zahnschmerzen und das Glück eines Ehepaars, und wie
selbst das, was unrecht und verboten ist, wieder gutgemacht werden
kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt, und
wie in dem grossen, unaufhörlichen Wechsel der Dinge alles einzelne
wieder verschwimmt, dass man ihm nimmer nachkommt, und doch getan
bleibt und nicht verloren geht, es sei gut oder bös.  Gleich als wenn
man ein Glas Wasser in den Rhein ausgiesst, kein Sterblicher ist
imstand, es wieder herauszuschöpfen, sondern es ist jetzt dem Rhein
vermählt und augenblicklich verschwemmt in der grossen Flut.  Ja,
wenn die Sonne Wasser aufzieht, wie man zu sagen pflegt, sind ein
paar Tröpflein davon vielleicht auch dabei und fallen irgendwo, in
Bayern oder Lothringen, wieder aus einer Wasserwolke vom Himmel
herab und erquicken ein Blümlein.

Eine Dienstmagd, jung und brav, auch hübsch, und ein Knecht gleicher
Qualität dienten miteinander auf einem Edelhof und hätten nicht so
gerne Kaffee getrunken oder alle Tage Braten gegessen, als vielmehr
einander geheiratet.  Allein sie waren Leibeigene, insoweit, dass sie
verpflichtet waren, eine gewisse Zeit Hofdienste zu tun, und die
Edelfrau auf dem Hofe wollte sie nicht früher aus dem Dienst
entlassen, weil sie so brav waren in ihrer Aufführung und so
fleissig und treu in ihren Geschäften.  Deswegen sassen sie oft
beisammen und weinten, oder sie weinte, und er nagte an einem
Holzsplitter.  Ein ander Mal, wie die menschliche Laune wechselt,
sprachen sie sich Mut ein, dass es ja nur noch um zwei Jährlein zu
tun sei, und freuten sich schon zum voraus ihres zukünftigen Glücks,
"wenn du mein Weib bist"--sagte er--"und ich dein Mann", und
einmal vergassen sie sogar die Zukunft und meinten, es sei jetzt.
Nach Verlauf aber eines Jahres hat die Frau auf dem Edelhof in der
Nacht desperates Zahnweh, nicht gerade deswegen.  Sie steht aus dem
Bette auf und wirft sich auf einen Stuhl, sie läuft aus einer Stube
in die andere, aus der andern in die dritte.  In der dritten setzt
sie sich gegenüber einem Fensterlein, das in die Küche geht, mit
einem weissen Vorhang davor, und das Zahnweh wird ihr nun bald
vergehen.  Sie sitzt jetzt am rechten Orte dazu.  Denn auf einmal
sieht sie hell werden hinter dem weissen Vorhang, sie hört etwas
sich bewegen, sie hört etwas flüstern und knistern, sie schiebt
leise das Vorhänglein weg, und in der Küche stehen der Knecht und
die Magd an einem Feuerlein nachts um zwölf Uhr und legen Späne an
das Feuer, und auf dem Feuer steht ein Pfännlein.--Bereits gibt das
Zahnweh ein wenig nach.--"O ihr gottloses Lumpenpack", sagte sie
inwendig für sich.  "So ist denn keinem Menschen mehr zu trauen.  Habt
ihr nicht alle Tage euer ordentliches Essen.  Ist es euch nicht gut
genug?  Müsst ihr mich noch in der Nacht bestehlen und Leckerbissen
kochen!" Nach einiger Zeit stellt das Weibsbild das Pfännlein von
dem Feuer, als ob sie jetzt die Leckerbissen verzehren wollten, der
Knecht aber geht zur Türe hinaus.--"Wie der Tag anbricht, lass ich
beide in das Gefängnis werfen", so fuhr die Edelfrau fort, "und jage
sie weg ohne ehrlichen Abschied.  Am Ende wird mir die Dirne auch
noch schwanger von dem Burschen in meinem eigenen Haus.  So weit
soll's mir nicht kommen." Indem kommt der Knecht zurück und bringt
ein vierteljähriges Kind auf dem Arme und gibt's der Mutter auf die
Schoss.  Da hörte plötzlich das Zahnweh der Edelfrau auf wie
weggeflogen.  Die Mutter gibt dem Kindlein aus der Pfanne den Brei,
sie legt es an die mütterliche Brust, und der Schein des abnehmenden
Feuers ging zur rechten Zeit über ihr Angesicht, als sie mit nassen
Blicken ihr Kindlein noch einmal beschaute und dem Vater zurückgab
und etwas zu ihm sagte.  Denn da ward das Herz der Edelfrau wunderbar
bewegt und kam auf andere Gedanken.  Denn es war ihr, als ob die
Mutter mit den nassen Blicken gesagt hätte: "Gott wird des armen
Würmleins sich auch erbarmen", und als ob sie dazu bestimmt wäre.
Ja, es fuhr ihr mit Grausen durch die Seele, was für ein Unglück in
ihrem Hause hätte geschehen können, wenn nicht Gott das Herz der
Eltern vor einem schweren Verbrechen bewahrt hätte.

Am frühen Morgen aber liess sie beide Eltern vor sich bescheiden.
Beide sahen einander an.  "Was gilt's",--sagte sie--"wir bekommen
unsere Freiheit."--"Oder auch nicht",--sagte er.  Die Edelfrau
aber, als sie hereingetreten waren, redete sie ernsthaft und
gebieterisch an: "Wo habt ihr euer Kind?" Da glaubten beide in den
Boden zu versinken vor Schrecken und Scham und schauten einander
verstohlenerweise an, gleichsam ob das andere noch da sei.  "Wo ihr
euer Kind habt",--wiederholte die Edelfrau.--"Weil wir denn doch
eins haben",--stotterte endlich der Vater,--"in der Holzkammer
hinter einer Beige." Als es aber der Bursche holen musste, bracht'
er es, wie es war in einem alten Felleisen.  Es war reinlich gehalten
und gebüschelt auf einem Bettlein von Heu und weinte, als ob es
schon wusste, wie man es machen muss.  Da erbarmte sich das Herz der
Edelfrau noch mehr, und als die treue Magd und Mutter reuevoll und
mit Tränen bat, sie und ihr unschuldiges Kind nicht unglücklich zu
machen, konnte die Edelfrau ihre Rührung nicht mehr verbergen:
"Nein, ich will euch nicht unglücklich machen",--sagte sie.  "Ich
will euch die Härte vergelten, die ich an euch begangen habe.  Ich
will euch den Kummer versüssen, den ihr getragen habt.  Ich will eure
Sünde wieder gut machen.  Ich will euch die Barmherzigkeit vergelten,
die ihr an euerm Kinde getan habt." Meint man nicht, man höre den
lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen?  Ein
Gemüt, das zum Guten bewegt ist und sich der Elenden annimmt und die
Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich das Ebenbild
Gottes an und fällt deswegen auch in seine Sprache.--"Ihr könnt
euch am Sonntag in der Stille zusammengeben lassen",--sagte die
Edelfrau.  "Ich will euch ein angenehmes Heiratsgut stiften.  Ich will
aus eurem Kinde etwas werden lassen.  Ist's ein Büblein?"--Also
wurden sie am nächsten Sonntag auf Geheiss der Edelfrau
zusammengegeben und lebten seitdem in Liebe und Frieden ehelich
beisammen.  Das Büblein aber kann jetzt schon Haselnüsse aufbeissen
und lernt fleissig und hat runde, rote Backen.--Was aber weiter
daraus werden soll, weiss der, der den Himmel mit der Spanne misst
und den Staub der Erde mit einem Dreiling.



Einer oder der andere


Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekrönte Häupter sich
unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie König Heinrich der
Vierte in Frankreich, sei es auch nur zu einem gutmütigen Spass.
Zu König Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein vom Lande
her des Weges nach Paris.  Nicht mehr weit von der Stadt gesellt sich
zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welches der König war,
und sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung
zurück.  "Woher des Landes, guter Freund?"--"Da und da her."--"Ihr
habt wohl Geschäfte in Paris?"--"Das und das; auch möchte ich gerne
unsern guten König einmal sehen, der so väterlich sein Volk liebt."
- Da lächelte der König und sagte: "Dazu kann Euch heute Gelegenheit
werden."--"Aber wenn ich nur auch wüsste, welcher es ist unter den
vielen, wenn ich ihn sehe!"--Der König sagte: "Dafür ist Rat.  Ihr
dürft nur achtgeben, welcher den Hut allein auf dem Kopf behaltet,
wenn die andern ehrerbietig ihr Haupt entblössen." Also ritten sie
miteinander in Paris hinein, und zwar das Bäuerlein hübsch auf der
rechten Seite des Königs.  Denn das kann nie fehlen.  Was die liebe
Einfalt Ungeschicktes tun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das
tut sie.  Aber ein gerader und unverkünstelter Bauersmann, was er tut
und sagt, das tut und sagt er mit ganzer Seele und sieht nicht um
sich, was geschieht, wenn's ihn nichts angeht.  Also gab auch der
unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landbau, nach seinen
Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topf habe,
gesprächige Antwort und merkte lange nichts.  Endlich aber, als er
doch sah, wie sich alle Fenster öffneten und alle Strassen mit
Leuten sich füllten und alles rechts und links auswich und
ehrerbietig das Haupt entblösst hatte, ging ihm ein Licht auf.
"Herr", sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit
Bedenklichkeit und Zweifel an, "entweder seid Ihr der König oder ich
bin's.  Denn wir zwei haben noch allein die Hüte auf dem Kopf." Da
lächelte der König und sagte: "Ich bin's.  Wenn Ihr Euer Rösslein
eingestellt und Euer Geschäft versorgt habt", sagte er, " so kommt
zu mir in mein Schloss.  Ich will Euch alsdann mit einem
Mittagssüpplein aufwarten und Euch auch meinen Ludwig zeigen."
Von dieser Geschichte her rührt das Sprichwort, wenn jemand in einer
Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf
dem Kopf behält, dass man ihn fragt: "Seid Ihr der König oder der
Bauer?"



Einfältiger Mensch in Mailand


Ein einfältiger Mensch in Mailand wollte sein Haus verkaufen.  Damit
er nun um so eher davon los werden möchte, brach er einen grossen
Stein aus demselben heraus, trug ihn auf den grossen Marktplatz, wo
viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter
die Verkäufer.  Wenn nun ein Mann kam und fragte ihn: "Was habt Ihr
denn feil?" so sagte er: "Mein zweistöckigtes Haus in der
Kapuzinergasse.  Wenn Ihr Lust dazu habt--hier ist ein Muster."

Der nämliche sagte einmal bei einer Gelegenheit, als von der
Kinderzucht die Rede war: "Es ist ein Glück für meine Kinder, dass
ich keine habe.  Ich könnte so zornig werden, dass ich sie alle
totschlüge."



Einträglicher Rätselhandel


Von Basel fuhren elf Personen in einem Schiff, das mit allen
Kommlichkeiten versehen war, den Rhein hinab.  Ein Jude, der nach
Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel zu
setzen und auch mitzufahren, wenn er sich gut aufführen und dem
Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld geben wolle.  Nun klingelte es
zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur
noch ein Dreibatzenstück darin; denn das andere war ein messingener
Knopf.  Dessenungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar an.  Denn er
dachte: "Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen.
Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich geworden." Im Anfang und
von dem Wirtshaus zum Kopf weg war man sehr gesprächig und lustig,
und der Jude in seinem Winkel und mit seinem Zwerchsack an der
Achsel, den er ja nicht ablegte, musste viel leiden, wie man's
manchmal diesen Leuten macht und versündiget sich daran.  Als sie
aber schon weit an Hüningen und an der Schusterinsel vorbei waren
und an Märkt und an dem Isteiner Klotz und St.  Veit vorbei, wurde
einer nach dem andern stille und gähnten und schauten den langen
Rhein hinunter, bis wieder einer anfing: "Mausche", fing er an,
"weisst du nichts, dass uns die Zeit vergeht?  Deine Väter müssen
doch auch auf allerlei gedacht haben in der langen Wüste."--Jetzt,
dachte der Jude, ist es Zeit, das Schäflein zu scheren, und schlug
vor, man sollte sich in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen
vorlegen, und er wolle mit Erlaubnis auch mithalten.  "Wer sie nicht
beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen;
wer sie gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen." Das war der
ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an
dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag
hinein, was ihm einfiel.  So fragte z.  B.  der erste: "Wie viel
weichgesottene Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?"--Alle
sagten, das sei nicht zu erraten, und bezahlten ihre Zwölfer.  Aber
der Jude sagte: "Eins, denn wer ein Ei gegessen hat, isst das zweite
nimmer nüchtern." Der Zwölfer war gewonnen.

Der andere dachte: Wart', Jude, ich will dich aus dem Neuen
Testament fragen, so soll mir dein Dreibätzner nicht entgehen.
"Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Korinther
geschrieben?" Der Jud sagte: "Er wird nicht bei ihnen gewesen sein,
sonst hätt' er's ihnen mündlich sagen können." Wieder ein Zwölfer.

Als der dritte sah, dass der Jude in der Bibel so gut beschlagen
sei, fing er's auf eine andere Art an: "Wer zieht sein Geschäft in
die Länge, und wird doch zu rechter Zeit fertig?" Der Jud sagte:
"Der Seiler, wenn er fleissig ist."

Der vierte: "Wer bekommt noch Geld dazu und lässt sich dafür
bezahlen, wenn er den Leuten etwas weismacht?" Der Jud sagte: "Der
Bleicher."

Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte: "Das ist
Bamlach." Da fragte der fünfte: "In welchem Monat essen die
Bamlacher am wenigsten?" Der Jud sagte: "Im Hornung, denn der hat
nur 28 Tage."

Der sechste sagt: "Es sind zwei leibliche Brüder, und doch ist nur
einer davon mein Vetter." Der Jud sagte: "Der Vetter ist Eures
Vaters Bruder.  Euer Vater ist nicht Euer Vetter."

Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: "Welche
Fische haben die Augen am nächsten beisammen?" Der Jud sagte: "Die
kleinsten."

Der achte fragt: "Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von
Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiss scheint?"
Der Jud sagt: "Wo kein Schatten ist, muss er absteigen und zu Fuss
gehn."

Fragt der neunte: "Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet
und hat die Handschuhe vergessen, wie muss er's angreifen, dass es
ihn nicht an die Hand friert?" Der Jud sagt: "Er muss aus der Hand
eine Faust machen."

Fragt der zehnte: "Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?" Der Jud
sagt: "Wenn die Fässer Türen hätten, könnte er aufrecht
hineingehen."

Nun war noch der elfte übrig.  Dieser fragte: "Wie können fünf
Personen fünf Eier teilen, also dass jeder eins bekomme und doch
eins in der Schüssel bleibe?" Der Jud sagte: "Der letzte muss die
Schüssel samt dem Ei nehmen, dann kann er es darin liegen lassen,
solang er will."

Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst einen
guten Fang zu machen.  Mit viel Komplimenten und spitzbübischer
Freundlichkeit fragte er: "Wie kann man zwei Forellen in drei
Pfannen backen, also dass in jeder Pfanne eine Forelle liege?" Das
brachte abermal keiner heraus, und einer nach dem andern gab dem
Hebräer seinen Zwölfer.

Der Hausfreund hätte das Herz, allen seinen Lesern, von Mailand bis
nach Kopenhagen, die nämliche Frage aufzugeben, und wollte ein
hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als am Kalender selber,
der ihm nicht viel einträgt.  Denn als die elfe verlangten, er sollte
ihnen für ihr Geld das Rätsel auch auflösen, wand er sich lange
bedenklich hin und her, zuckte die Achseln, drehte die Augen.  "Ich
bin ein armer Jüd", sagte er endlich.  Die andern sagten: "Was sollen
diese Präambeln?  Heraus mit dem Rätsel!"--"Nichts für ungut!"--war
die Antwort--"dass ich gar ein armer Jüd bin."--Endlich nach
vielem Zureden, dass er die Auflösung nur heraussagen sollte, sie
wollten ihm nichts daran übelnehmen, griff er in die Tasche, nahm
einen von seinen gewonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das
Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: "Dass ich's auch nicht
weiss.  Hier ist mein Zwölfer!"

Als das die andern hörten, machten sie zwar grosse Augen und
meinten, so sei's nicht gewettet.  Weil sie aber doch das Lachen
selber nicht verbeissen konnten, und waren reiche und gute Leute,
und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen-Kems bis
nach Schalampi die Zeit verkürzt, so liessen sie es gelten, und der
Jud hat aus dem Schiff getragen--das soll mir ein fleissiger
Schüler im Kopf ausrechnen: wie viel Gulden und Kreuzer hat der Jude
aus dem Schiff getragen?  Einen Zwölfer und einen messingenen Knopf
hatte er schon.  Elf Zwölfer hat er mit Erraten gewonnen, elf mit
seinem eigenen Rätsel, einen hat er zurückbezahlt und dem Schiffer
achtzehn Kreuzer Trinkgeld entrichtet.



Erinnerung an die Kriegszeit


Es ist nicht zu leugnen: wenn hie und da ein siegreiches
Truppenkorps in eine feindliche Landschaft einrückte und Quartiere
nahm, dass sich alsdann der arme Einwohner viel musste gefallen
lassen, nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von dem
Unverstand und höhnendem Übermut.  Zu einem solchen Unteroffizier,
als er eben am Mittagessen war, kam sein Kamerad und verwunderte
sich über ihn mit folgenden Worten:

"Herr Kamerad", sagte er zu ihm, "seit wann seid Ihr ein Jude
geworden, dass Ihr Euch zwicken lasst?  Euch ist seit gestern ein
kurioser Bart gewachsen."

Nämlich der Unteroffizier, der am Mittagessen war, ass gerne Nudeln.
Deswegen musste ihm der Wirt jeden Mittag Nudeln aufstellen und
natürlich ein fettes Huhn darin.  Der Unteroffizier wusste, dass die
Nudeln von feinem Mehl und Teig längere Fäden haben als die groben.
Deswegen musste ihm der Wirt lange und feine Nudeln aufstellen,
welche sich fast mit keiner Geschicklichkeit um die Gabel
herumspinnen lassen, sondern wann man meint, jetzt sei eine
umgesponnen, haspelt sich eine andere wieder ab, und eine Gabel oder
einen Löffel voll mit allen Enden auf einmal in den Mund zu bringen,
ist eine Kunst.  Zwar darf man sie nur zuerst ein wenig auf dem
Teller zerschneiden.  Allein das wollte der Unteroffizier nicht.
Nein, der Wirt, und wenn er auch des Kuckucks hätte werden mögen,
musste, solang der Unteroffizier an den Nudeln ass, mit einer Schere
neben ihm stehen, und was zu lange war und nicht in den Mund hinein
zu bringen war, musste er ihm von den Lippen vorsichtig abschneiden.
Deswegen, als dieses der andere Unteroffizier sah, verwunderte er
sich und sagte zu ihm scherzweise und lachend: "Euch ist ein
kurioser Bart gewachsen.  Seit wann lasst Ihr Euch zwicken wie ein
Jud?" Dem Wirt kam der Spass nicht lächerlich vor.  Allein der andere
Unteroffizier tröstete ihn.  "Landsmann", sagte er zu ihm, "es ist
Krieg."

So etwas kann man schon erzählen und zur Erinnerung an die
überstandenen Zeiten lesen, wann durch Gottes Gnade und durch die
Weisheit der friedliebenden Potentaten alle Plackereien und
Hudeleien ein Ende haben.



Etwas aus der Türkei


In der Türkei ist Justiz.  Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der
Nacht und Müdigkeit überfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren
Waren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an einen Baum,
legt sich selber unter das Obdach des Baumes und schläft ein.  Früh,
als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut
geschlafen, aber das Rösslein war fort.

Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, nämlich zu dem
Prinzen Karosman Oglu, der in der Nähe sich aufhielt, und klagte vor
seinem Richterstuhl seine Not.  Der Prinz gab ihm wenig Gehör.  "So
nahe bei dem Wachthaus; warum bist du nicht die fünfzig Schritte
weiter geritten, so wärest du sicher gewesen.  Es ist deines
Leichtsinns Schuld." Da sagte der Kaufmannsdiener: "Gerechter Prinz,
hab' ich mich fürchten sollen, unter freiem Himmel zu schlafen, in
einem Lande, wo du regierst?" Das tat dem Prinzen Karosman wohl und
wurmte ihn zugleich.  "Trink heute Nacht ein Gläslein türkischen
Schnaps," sagte er zu dem Kaufmannsdiener, "und schlafe noch einmal
unter dem Baum." So gesagt, so getan.  Des andern Morgens, als ihn
die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut
geschlafen, denn das Rösslein stand mit allen Kostbarkeiten wieder
angebunden neben ihm, und an dem Baum hing ein toter Mensch, der
Dieb, und sah das Morgenrot nimmermehr.

Bäume gäb' es noch an manchen Orten, grosse und kleine.



Farbenspiel


In einer Schule sassen zwei Schüler, von denen hiess der eine
Schwarz, der andere Weiss, wie es sich treffen kann; der Schullehrer
aber für sich hatte den Namen Rot.  Geht eines Tages der Schüler
Schwarz zu einem andern Kameraden und sagt zu ihm: "Du, Jakob", sagt
er, "der Weiss hat dich bei dem Schulherrn verleumdet." Geht der
Schüler zu dem Schulherrn und sagt: "Ich höre, der Weiss habe mich
bei Euch schwarz gemacht und ich verlange eine Untersuchung.  Ihr
seid mir ohnehin nicht grün, Herr Rot!" Darob lächelte der Schulherr
und sagte: "Sei ruhig, mein Sohn!  Es hat dich niemand verklagt, der
Schwarz hat dir nur etwas weisgemacht.



Franz Ignaz Narocki


Man erfährt doch durch den Krieg allerlei, unter vielem Schlimmen
auch manchmal etwas Gutes, und es heisst da wohl: Die Berge kommen
nicht zusammen, aber die Leute.  So wird wohl zum Beispiel ein
Polack, namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran
gedacht haben, dass nach 100 Jahren der französische Kaiser Napoleon
noch zu ihm nach Polen kommen und ihm ein sorgenfreies Alter
verschaffen werde; und doch ist's geschehen in den ersten Wochen des
Jahres 1807.  Er ist geboren im Jahr 1690 und lebt noch, und ich will
glauben, dass er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht
ausschweifend gelebt habe, denn er hat in seinem
hundertsiebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in
seiner Jugend Kriegsdienste tat, als Gefangener von den Russen nach
Asien geführt wurde und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte.
Diesem Mann hat es in 117 Jahren manchmal auf den Hut geschneit, und
er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darin liegt.  In seinem
losten Jahr, wenn andere bald ans Sterben denken, hat er zum ersten
Mal geheiratet und vier Kinder gezeugt.  Im 86sten Jahr nahm er die
zweite Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder.  Aber von allen ist nur
noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben.  Der König von Preussen
liess diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von
24 polnischen Gulden bezahlen.  Das ist doch auch schön.  Ein
polnischer Gulden aber beträgt nach deutschem Geld ungefähr 15 kr.
Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend
seiner Heimat kam, wünschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen.  Es
geschah, und er überreichte ihm ein sehr artiges Bittschreiben,
welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben
hatte.  Der Kaiser nahm es mit Wohlgefallen auf und machte ihm ein
schönes Geschenk von hundert Napoleonsd'or.  Ein Napoleonsd'or ist
eine Goldmünze von 9 fl. 18 kr. unseres Geldes.

Auf nebenstehender Figur sieht man

1. den alten Narocki an seinem Stab.  Er sieht noch recht gut aus für
sein Alter.

2. Seinen einzigen Sohn, der ihn mit kindlicher Liebe begleitet.

3. Den Kaiser Napoleon, der ihn freundlich ansieht und ihm das
Schreiben abnimmt, nebst einem General und einem Adjutanten.

4. Einige Polacken und Soldaten, die den alten Mann neugierig
betrachten.  Mancher von ihnen, der selber schon einen engen Atem hat
und mehr Leid erfahren, als ihm lieb ist, der denkt: So alt möchte
ich nicht werden.  Ein junges Blut daneben denkt so: Das möchte ich
in hundert Jahren, Anno 1907, meinen Enkeln noch erzählen können.

Aber der Klügste zwischen beiden sagt:

Froher Mut, gutes Blut,
Leb' solang es Gott gefällt
Fromm und redlich in der Welt!



Franziska


In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein sass eines Abends, als es
schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem
Webstuhl und dachte während der Arbeit unter andern an den König
Hiskias, hernach an Vater und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch
schon von der Spule abgelaufen war, hernach an den Grossvater selig,
dem er einst auch noch auf den Knieen gesessen und an das Grab
gefolgt war, und war so vertieft in seinen Gedanken und in seiner
Arbeit, dass er gar nichts davon merkte, wie eine schöne Kutsche mit
vier stattlichen Schimmeln vor seinem Häuslein anfuhr und
stillehielt.  Als aber etwas an der Türfalle druckte, und ein holdes,
jugendliches Wesen trat herein von weiblichem Ansehen mit wallenden,
schönen Haarlocken und in einem langen, himmelblauen Gewand, und das
freundliche Wesen fragte ihn mit mildem Ton und Blick: "Kennst du
mich, Heinrich?" da war es, als ob er aus einem tiefen Schlaf
aufführe, und war so erschrocken, dass er nichts reden konnte.  Denn
er meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es war auch so etwas
von der Art, nämlich seine Schwester Franziska, aber sie lebte noch.
Einst hatten sie manches Körblein voll Holz barfuss miteinander
aufgelesen, manches Binsenkörbchen voll Erdbeeren am Sonntag
miteinander gepflückt und in die Stadt getragen und auf dem Heimweg
ein Stücklein Brot miteinander gegessen, und jedes ass weniger
davon, damit das andere genug bekäme.  Als aber nach des Vaters Tod
die Armut und das Handwerk die Brüder aus der elterlichen Hütte in
die Fremde geführt hatte, blieb Franziska allein bei der alten,
gebrechlichen Mutter zurück und pflegte ihrer, also, dass sie
dieselbe von dem kärglichen Verdienst ernährte, den sie in einer
Spinnfabrik erwarb, und in den langen, schlaflosen Nächten mit ihr
wachte und aus einem alten, zerrissenen Buch von Holland erzählte,
von den schönen Häusern, von den grossen Schiffen, von der grausamen
Seeschlacht bei Doggersbank, und ertrug das Alter und die
Wunderlichkeit der kranken Frau mit kindlicher Geduld.  Einmal aber,
früh um zwei Uhr, sagte die Mutter: "Bete mit mir, meine Tochter!
Diese Nacht hat für mich keinen Morgen mehr auf dieser Welt." Da
betete und schluchzte und küsste das arme Kind die sterbende Mutter,
und die Mutter sagte: "Gott segne dich und sei"--und nahm die
letzte Hälfte ihres Muttersegens "und sei dein Vergelter!" mit sich
in die Ewigkeit.  Als aber die Mutter begraben und Franziska in das
leere Haus zurückgekommen war und betete und weinte und dachte, was
jetzt aus ihr werden sollte, sagte etwas in ihrem Inwendigen zu ihr:
"Geh nach Holland!" Und ihr Haupt und ihr Blick richtete sich
langsam und sinnend empor, und die letzte Träne für diesmal blieb
ihr in dem blauen Auge stehen.  Als sie von Dorf zu Stadt und von
Stadt zu Dorf betend und bettelnd und Gott vertrauend nach Holland
gekommen war und so viel ersammelt hatte, dass sie sich ein sauberes
Kleidlein kaufen konnte, in Rotterdam, als sie einsam und verlassen
durch die wimmelnden Strassen wandelte, sagte wieder etwas in ihrem
Inwendigen zu ihr: "Geh in selbiges Haus dort mit den vergoldeten
Gittern am Fenster!  "Als sie aber durch den Hausgang an der
marmornen Treppe vorbei in den Hof gekommen war, denn sie hoffte,
zuerst jemand anzutreffen, ehe sie an einer Stubentüre anpochte, da
stand eine betagte, freundliche Frau von vornehmem Ansehen in dem
Hofe und fütterte das Geflügel, die Hühner, die Tauben und die
Pfauen.

"Was willst du hier, mein Kind?" Franziska fasste ein Herz zu der
vornehmen, freundlichen Frau und erzählte ihr ihre ganze Geschichte:
"Ich bin auch ein armes Hühnlein, das Eures Brotes bedarf", sagte
Franziska und bat sie um Dienst.  Die Frau aber gewann Zutrauen zu
der Bescheidenheit und Unschuld und zu dem nassen Auge des Mädchens
und sagte: "Sei zufrieden, mein Kind!  Gott wird dir den Segen deiner
Mutter nicht schuldig bleiben.  Ich will dir Dienst geben und für
dich sorgen, wenn du brav bist." Denn die Frau dachte: Wer kann
wissen, ob nicht der liebe Gott mich bestimmt hat, ihre Vergelterin
zu sein, und sie war eines reichen Rotterdamer Kaufmanns Witwe, von
Geburt aber eine Engländerin.  Also wurde Franziska zuerst Hausmagd,
und als sie gut und treu erfunden ward, wurde sie Stubenmagd, und
ihre Gebieterin gewann sie lieb, und als sie immer feiner und
verständiger ward, wurde sie Kammerjungfer.  Aber jetzt ist sie noch
nicht alles, was sie wird.  Im Frühling, als die Rosen blühten, kam
aus Genua ein Vetter der vornehmen Frau, ein junger Engländer, zu
ihr auf Besuch nach Rotterdam, er besuchte sie fast alle Jahre um
diese Zeit, und als sie eins und das andere hinüber und herüber
redeten und der Vetter erzählte, wie es aussah, als die Franzosen
vor Genua in dem engen Pass in der Bocchetta standen und die
Österreicher davor, trat heiter und lächelnd, mit allen Reizen der
Jugend und Unschuld geschmückt, Franziska in das Zimmer, um etwas
aufzuräumen oder zurechtzulegen, und dem jungen Engländer, als er
sie erblickte, ward es sonderbarlich um das Herz, und die Franzosen
und Österreicher verschwanden ihm aus den Sinnen.  "Tante", sagte er
zu seiner Base, "Ihr habt ein bildschönes Mädchen zur Kammerjungfer.
Es ist schade, dass sie nicht mehr ist als das." Die Tante sagte:
"Sie ist eine arme Waise aus Deutschland.  Sie ist nicht nur schön,
sondern auch verständig, und nicht nur verständig, sondern auch
fromm und tugendhaft und ist mir lieb geworden als mein Kind." Der
Vetter dachte: Das lautet nicht bitter.  Den andern oder dritten
Morgen aber, als er mit der Tante in dem Garten spazierte, "wie
gefällt dir dieser Rosenstock?" fragte die Tante; der Vetter sagte:
"Sie ist schön, sehr schön." Die Tante sagte: "Vetter, du redest
irr.  Wer ist schön?  Ich frage ja nach dem Rosenstock." Der Vetter
erwiderte: "Die Rose",--"oder vielmehr die Franziska?" fragte die
Tante.  "Ich hab's schon gemerkt", sagte sie.  Der Vetter gestand ihr
seine Liebe zu dem Mädchen, und dass er sie heiraten möchte.  Die
Tante sagte: "Vetter, du bleibt noch drei Wochen bei mir.  Wenn es
dir alsdann noch so ist, so habe ich nichts darwider.  Das Mädchen
ist eines braven Mannes wert." Nach drei Wochen aber sagte er: "Es
ist mir nimmer wie vor drei Wochen.  Es ist noch viel ärger, und ohne
das Mägdlein weiss ich nicht, wie ich leben soll." Also geschah der
Verspruch.  Aber es gehörte viel Zureden dazu, die Demut der frommen
Magd zu ihrer Einwilligung zu bewegen.

Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Gebieterin, aber
nicht mehr als Kammermädchen, sondern als Freundin und Verwandte in
dem reichen Haus mit vergoldetem Fenstergitter, und noch in dieser
Zeit lernte sie die englische Sprache, die französische, das
Klavierspielen: "Wenn wir in höchsten Nöten sein" usw.  "Der Herr,
der aller Enden" usw.  "Auf dich, mein lieber Gott, ich traue" usw.--
und was sonst noch ein Kammermädchen nicht zu wissen braucht, aber
eine vornehme Frau, das lernte sie alles.  Nach einem Jahr kam der
Bräutigam, noch ein paar Wochen vorher, und die Trauung geschah in
dem Hause der Tante.  Als aber von der Abreise des neuen Ehepaars die
Rede war, schaute die junge Frau ihren Gemahl bittend an, dass sie
noch einmal in ihrer armen Heimat einkehren und das Grab ihrer
Mutter besuchen und ihr danken möchte, und dass sie ihre Geschwister
und Freunde noch einmal sehen möchte.  Also kehrte sie jenes Tages
bei ihrem armen Bruder, dem Weber, ein, und als er ihr auf ihre
Frage: "Kennst du mich, Heinrich?" keine Antwort gab, sagte sie:
"Ich bin Franziska, deine Schwester." Da liess er vor Bestürzung das
Schifflein aus den Händen fallen, und seine Schwester umarmte ihn.

Aber er konnte sich anfänglich nicht recht freuen, weil sie so
vornehm geworden war, und scheute sich vor dem fremden Herrn, ihrem
Gemahl, dass sich in seiner Gegenwart die Armut und der Reichtum so
geschwisterlich umarmen und zueinander sagen sollen Du, bis er sah,
dass sie mit dem Gewande der Armut nicht die Demut ausgezogen und
nur ihren Stand verändert hatte, nicht ihr Herz.  Nach einigen Tagen
aber, als sie alle ihre Verwandten und Bekannten besucht hatte,
reiste sie mit ihrem Gemahl nach Genua, und beide leben vermutlich
noch in England, wo ihr Gemahl nach einiger Zeit die reichen Güter
eines Verwandten erbte.

Der Hausfreund will aufrichtig gestehen, was ihn selber an dieser
Geschichte am meisten rührt.  Am meisten rührt ihn, dass der liebe
Gott dabei war, als die sterbende Mutter ihre Tochter segnete, und
dass er eine vornehme Kaufmannsfrau in Rotterdam in Holland und
einen braven, reichen Engländer am welschen Meere bestellt hat, den
Segen einer armen sterbenden Witwe an ihrem frommen Kinde gültig zu
machen.

Weg hat er aller Wege,
an Mitteln fehlt's ihm nicht.



Geschwinde Reise


Ein italienischer Kaufmann, der auf die Frankfurter Messe reisen
wollte, hatte sich in Stuttgart um einen Tag verspätet.  Also musste
er die Extrapost anspannen lassen.  Wie fang' ich's an, dachte er,
dass ich geschwind aus dem Feld komme, und doch mit geringen Kosten?
"Postillion", sagte er, als er in das Kaleschlein sass, "fahr
langsam, denn ich sitze nicht nur auf dem Kutschenkistlein, sondern
auch auf einem Blutgeschwür, und meine entsetzliche Kopfwunde da auf
der linken Seite wirst du hoffentlich sehn.  " Eigentlich aber war
sie nicht wohl zu sehen.  Denn fürs erste war der Kopf mit einem
Tüchlein verbunden, das zwar blutig aussah, fürs zweite hatte er
unter dem Verband keine Wunde.  "Wenn du recht langsam fahrst", sagte
er, "auf der Station soll's dich nicht reuen." Der Postillion
dachte: solchen Gefallen kann ich den Rossen tun und, was das
Trinkgeld anbelangt, mir auch, und fuhr so langsam, dass die Pferde
selber anfingen, eins nach dem andern vor langer Weile zu gähnen,
was doch selten geschieht.  Nichtsdestoweniger schrie der Italiener
unaufhörlich: "Zetter und Mordio.  O mein Kopf!  o mein Bein!  Fahr
langsam!" Der Postillion sagte: "Wollt Ihr auf der Strasse über
Nacht bleiben, so will ich Euch abladen.  Ich kann nicht gar fahren,
als wenn ich etwas anders ausführte auf den Acker.  Tu ich nicht
langsam genug?" Aber der Passagier sagte: "Ich schiess dich tot,
wenn du nicht gemach fahrst." Auf der Station in Ludwigsburg, als er
dem Postillion das Trinkgeld gab, gab er ihm zwei schäbige Zwölfer,
einen Albus und ein paar verrufene Kreuzerlein, bis es einen halben
Gulden ausmachte.  Andere gaben sonst wenigstens achtundvierzig
Kreuzer, auch einen Gulden und drüber.  Wenn's recht pressiert und
wenn's recht in der Tasche klingelt, auch einen Kronentaler.  Aber
alle Vorstellung des Postillions und alles Protestieren half nichts.
"Hab' ich Euch nicht schlecht genug geführt", fragte er.  "Nein, du
hast mich nicht langsam genug geführt.  Geh zum Henker." Der
Postillion nahm das Geld und dachte: lieber wenig als gar nichts.
Aber wart' nur, dachte er, du bist noch lange nicht zu Frankfurt.
Als der Ludwigsburger die Pferde einspannte, fragte er den
Stuttgarter: "Ist der Weg gut?"--"Schlecht", antwortete der
Stuttgarter und winkte ihm ein wenig abseits.  Ein wenig abseits
sagte er ihm, was er für einen wunderlichen und geizigen Passagier
führe, wie ihm noch keiner vorgekommen sei.  "Fahr den Ketzer drauf
los", sagte er, "dass die Räder davonfliegen.  Er hat drei Bluteisen,
drei Löcher im Kopf und eine gespaltene Kniescheibe." Der Passagier,
als der Postknecht aufsass, sagte: "Fahr langsam, Schwager.  Es kommt
mir auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Aber der Postillion dachte:
Dein Trinkgeld kenn ich.  "Meine Pferde sind auf gesunde Herrn
dressiert", sagte er, "ich kann sie nicht halten, wenn sie im Lauf
sind", und fuhr drauf los, als wenn die ganze türkische Armee hinter
ihm dreinkäme.  Der Passagier im Kaleschlein bittet vor Gott und nach
Gott, lamentiert, flucht, dass sich der Himmel mit Wolken überzieht.
Alles vergeblich.  Auf der Station in Besigheim gibt er dem
Postillion dreissig Kreuzer wie dem erstern.  "Was bringst du für
einen presthaften Herrn?" sagte der Besigheimer.  "Fahr ihn gar tot",
sagte der Ludwigsburger, "es ist ohnedem nicht mehr viel an ihm",
und so rekommandierte ihn einer dem andern, und einer fuhr mit ihm
geschwinder davon als der andere, so dass er noch eine Stunde früher
nach Frankfurt kam, als nötig war.  In Frankfurt sprang er zur
Verwunderung und zum Staunen des Postillions kerngesund aus dem
Kaleschlein heraus und gab ihm auch dreissig Kreuzer.



Gleiches mit Gleichem


Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines Nachmittags am
Fenster.  Da ging mit seinem Zwerchsack der Jud von Brassenheim
vorbei.  "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu
meinem Ross einen guten Käufer weisst, 20 Dublonen ist es wert, so
bekommst du .  .  ."--"Na, was bekomm ich?"--"Einen Sack Haber."--
Es vergingen aber drei Wochen, bis der Jud den rechten Liebhaber
fand, der nämlich 6 Dublonen mehr dafür bezahlte als es wert war,
und unterdessen stieg der Preis des Habers schnell auf das Doppelte,
weil die Franzosen überall aufkauften; damals kauften sie noch.  Also
gab der geistliche Herr dem Juden statt eines ganzen Sackes voll
einen halben.  "Vielleicht bekehr' ich ihn", dachte er, "wenn er
sieht, dass wir auch gerecht sind in Handel und Wandel."

Das war nun zu nehmen, wie man wollte.  Der Jud nahm's aber für recht
und billig.  "Wart nur, Gallech", dachte er, "du kommst mir wieder."
Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von Trudenbach am
Fenster, und der Jud von Brassenheim ging durch das Dorf.  "Nausel",
rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinen zwei fetten
Ochsen..."--"Na was bekomm ich, wenn ich Euch einen guten Käufer
schaffe?"--"Zwei Grosse Taler."

Jetzt ging der Jud zu einem verunglückten Metzger, der schon lange
kein Messer mehr führt, weil alles guttut nur, solange es mag, z.  B.
das Schuldigbleiben.  Endlich sagte er zu seinen zwei letzten Kunden:
"Ich weiss nicht, ich bin seit einiger Zeit so weichmütig, dass ich
gar kein Blut mehr sehen kann", und schloss die Metzig zu.  Seitdem
heisst er zum Übernamen der Metzger Blutscheu und nährte sich wie
der Zirkelschmied von kleinen Künsten und Projekten, wie wirklich
eins im Werk ist.  Denn an ihm suchte und fand der Jud seinen Mann
und sagte ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art.  Nach zwei
Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen Herrn.  Aber wie war der
Metzger ausstaffiert?  In einem halbneuen, brauntüchenen Rock, in
langen, schön gestreiften Beinkleidern von Barchent, um den Leib
eine leere Geldgurt, am Finger einen lotschweren silbernen Ring, ein
dito Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch, hinter sich her
einen wohlgenährten Hund, alles auf des Juden Bürgschaft
zusammengeborgt, nichts sein eigen als das rote Gesicht.  Die Ochsen
wurden kunstmässig umgangen, betastet, mit den Augen gewogen und wie
mit einer Klafterschnur gemessen.--"Na, wie jauker."--"Zwanzig
Dublonen."--"Siebenzehn!"--"Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "macht
neunzehn draus, Ihr verkauft Euch nicht."--"Die Ochsen sind brav",
sagte der Blutscheu; "wenn ich's zwei Stunden früher gewusst hätte,
als meine Gurt noch voll war, dass ich sie alsogleich fassen könnte,
so wären sie mir ein paar Dublonen mehr wert.  Aber am Freitag hol'
ich sie für achtzehn", und zog den ledernen Beutel aus, als wenn er
etwas draufgeben wollte.  Unterdessen flüsterte der Jude dem
geistlichen Herrn etwas in das Ohr, und "wenn Ihr für die Jungfer
Köchin zwei Grosse Taler in den Kauf geben wolltet", sprach er dem
Metzger zu, "so könnt Ihr die Ochsen alsogleich mitnehmen für
neunzehn.  Ihr seid ein Ehrenmann, und der Herr Dechant ist auch so
einer.  Am Freitag bringt Ihr ihm das Geld." Der Kauf war richtig,
zwei Grosse Taler gingen auf die Hand.  "Herr Adlerwirt", sagte der
Jud, "Ihr habt einen guten Handel gemacht." Also trieb der Blutscheu
die schöne, fette Beute fort.  Die meisten geneigten Leser aber
werden bereits merken, dass der Herr Dechant sein Geld am Freitag
noch nicht bekam.  Eines Nachmittags, nach vier Wochen oder nach
sechs, stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der
Jud ging durch das Dorf.  "Nausel", rief der geistliche Herr ihm zu:

"wo bleibt der Adlerwirt?  Ich habe mein Geld noch nicht."--"Na, wo
wird er bleiben", sagte der Nausel.  "Er wird warten bis eine Dublone
das Doppelte gilt, alsdann bringt er Euch statt neunzehn neun und
eine halbe.  Verliert Ihr etwas dabei?  Hab ich vor einem Jahr an
meinem Haber etwas verloren?"

Da ging dem Herrn Dechant ein Licht auf.

Das Artigste an dieser ganzen Geschichte ist die Wahrheit.  Der Jud
hat es nachgehends selber erzählt und gerühmt, wie ehrlich der
Metzger an dem Scheideweg im Wald mit ihm geteilt habe.  "Was er
geton hat", sagte er, "den schönsten hat er für sich behalten und
mir den geringern gegiben."



Glück im Unglück


Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück und Unglück im
Glück noch selten beisammen gewesen wie in dem Schicksal zweier
Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und Türken.
Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zuging, die Kugeln
sausten, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen,
da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht
gelöscht werden.  Es muss schrecklich sein, wenn man keine andere
Wahl hat, als dem Tod ins Wasser entgegenzuspringen oder im Feuer zu
verbrennen.  Aber unsern zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl
erspart.  Ihr Schiff fing Feuer in der Pulverkammer und flog mit
entsetzlichem Krachen in die Luft.  Beide Matrosen wurden mit in die
Höhe geschleudert, wirbelten unter sich und über sich in der Luft
herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer
hinab und waren noch lebendig und unbeschädigt, und das war ein
Glück.  Allein die Türken fuhren jetzt wie Drachen auf sie heraus,
zogen sie wie nasse Mäuse aus dem Wasser und brachten sie in ein
Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz.  Man
fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen
Flotte schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte
sie in den untersten feuchten und dunkeln Teil des Schiffes an
Ketten, und das war kein Glück.  Unterdessen sausten die Kugeln fort,
die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und
paff!  sprang auch das türkische Schiff, auf welchem die Gefangenen
waren, in tausend Trümmern in die Luft.  Die Matrosen flogen mit,
kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden
eilig von ihren Freunden hineingezogen und waren noch lebendig, und
das war ein grosses Glück.  Allein für diese wiedererhaltene Freiheit
und für das zum zweiten Mal gerettete Leben mussten diese guten
Leute doch ein teures Opfer geben, nämlich die Beine.  Diese Glieder
wurden ihnen beim Losschnellen von den Ketten, als das türkische
Schiff auffuhr, teils gebrochen, teils jämmerlich zerrissen und
mussten ihnen, sobald die Schlacht vorbei war, unter dem Knie weg
abgenommen werden, und das war wieder ein grosses Unglück.  Doch
hielten beide die Operation aus und lebten in diesem Zustande noch
einige Jahre.  Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war
nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste.

Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Mann bekanntgemacht, welcher
beide Matrosen ohne Beine selber gesehen und die Erzählung davon aus
ihrem eigenen Munde gehört hat.



Glück im Unglück


Wie hat zu einem Bauersmann ein Doktor gesagt?  "Ihr Landleute",
sagte er, "habt's doch immer gut.  Wenn des Getreides wenig gewachsen
ist, so verkauft ihr es um einen teuern Preis.  Ist es wohlfeil, so
habt ihr viel zu verkaufen und löset auch viel Geld."--"Umgekehrt,
Herr Doktor", sagte der Bauersmann, "wir kommen auf keinen grünen
Zweig.  Denn wenn das Getreide teuer ist, so haben wir nicht viel zu
verkaufen.  Wenn wir aber viel haben, so ist es wohlfeil und macht
uns doch nicht reich."--Auch gut gegeben.



Gute Antwort


Wer ausgibt, muss auch wieder einnehmen.  Reitet einmal ein Mann an
einem Wirtshaus vorbei, der einen stattlichen Schmerbauch hatte,
also, dass er auf beiden Seiten fast über den Sattel herunterhängte.
Der Wirt steht auf die Staffel und ruft ihm nach: "Nachbar, warum
habt Ihr denn den Zwerchsack vor Euch auf das Ross gebunden und
nicht hinten?" Dem rief der Reitende zurück: "Damit ich ihn unter
den Augen habe.  Denn hinten gibt es Spitzbuben." Der Wirt sagte
nichts mehr.



Gute Geduld


Ein Franzos ritt eines Tages auf eine Brücke zu, die über ein Wasser
ging und fast schmal war, also, dass sich zwei Reitende kaum darauf
ausweichen konnten.  Ein Engländer von der andern Seite her ritt auch
auf die Brücke zu, und als sie auf der Mitte derselben
zusammenkamen, wollte keiner dem andern Platz machen.  "Ein Engländer
geht keinem Franzosen aus dem Wege", sagte der Engländer.  "Par
Dieu", erwiderte der Franzos, "mein Pferd ist auch ein Engländer.  Es
ist schade, dass ich hier keine Gelegenheit habe, es umzukehren und
Euch seinen Stumpfschweif zu zeigen.  Also lasst doch wenigstens
Euern Engländer, auf dem Ihr reitet, meinem Engländer, wo ich darauf
reite, aus dem Wege gehen.  Euerer scheint ohnehin der jüngere zu
sein; meiner hat noch unter Ludwig dem Vierzehnten gedient in der
Schlacht bei Käferolse Anno 1702."

Allein der Engländer machte sich wenig aus diesem Einfall, sondern
sagte: "Ich kann warten.  Ich habe jetzt die schönste Gelegenheit,
die heutige Zeitung zu lesen, bis es Euch gefällt, Platz zu machen."
Also zog er kaltblütig, wie die Engländer sind, eine Zeitung aus der
Tasche, wickelte sie auseinander wie eine Handzwehle und las darin
eine Stunde lang auf dem Ross und auf der Brücke, und die Sonne sah
nicht aus, als wenn sie den Toren noch lange zusehen wollte, sondern
neigte sich stark gegen die Berge.  Nach einer Stunde aber, als er
fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte, sah er den
Franzosen an und sagte: "Eh bien!" Aber der Franzos hatte den Kopf
auch nicht verloren, sondern erwiderte: "Engländer, seid so gut und
gebt mir jetzt Eure Zeitung auch ein wenig, dass ich ebenfalls darin
lesen kann, bis es Euch gefällt auszuweichen." Als aber der
Engländer diese Geduld seines Gegners sahe, sagte er: "Wisst Ihr
was, Franzos?  Kommt, ich will Euch Platz machen." Also machte der
Engländer dem Franzosen Platz.



Gutes Wort, böse Tat


In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer
den Herrn Schulmeister im Felde an.  "Ist's noch Euer Ernst,
Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich
jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch
dar?" Der Herr Schulmeister sagt: "Ich kann nichts davon und nichts
dazu tun.  Es steht im Evangelium." Also gab ihm der Bauer eine
Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen
Verdruss auf ihn.  Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann
vorbei und sein Jäger.  "Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort
miteinander haben." Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der
ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: "Es
steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch
wieder gemessen werden.  Ein voll gerüttelt und überflüssig Mass wird
man in euern Schoss geben", und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm
noch ein halbes Dutzend drein.  Da kam der Joseph zu seinem Herrn
zurück und sagte: "Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie
legen einander nur die heilige Schrift aus."

Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht
versteht, am allerwenigsten so.  Denn der Edelmann liess den Bauern
noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn
Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte
haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den
Abschied.



Heimliche Enthauptung


Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seinerzeit die
sechste Bitte des Vater Unsers mit Andacht gebetet, so weiss ich's
nicht.  Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am
geschicktesten Tag.  In dem Brieflein stand geschrieben: "Nachrichter
von Landau!  Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen und Euer
grosses Richtschwert mitbringen.  Was Ihr zu tun habt, wird man Euch
sagen und wohl bezahlen."--Eine Kutsche zur Reise stand auch schon
vor der Haustüre.  Der Scharfrichter dachte: Das ist meines Amts, und
setzte sich in die Kutsche.  Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig
war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken
unter, und der Kutscher hielt stille und sagte: "Wir bekommen morgen
wieder schön Wetter", da standen auf einmal drei starke, bewaffnete
Männer an der Strasse, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter
und versprachen ihm, dass ihm kein Leids widerfahren sollte; "aber
die Augen müsst Ihr Euch zubinden lassen"; und als sie ihm die Augen
zugebunden hatten, sagten sie: "Schwager, fahr zu!" Der Schwager
(das ist der Kutscher) fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als
wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und
konnte nicht wissen, wo er war.  Er hörte die Nachteulen der
Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Betglocken
läuten.  Auf einmal hielt die Kutsche wieder still.  Man führte ihn in
ein Haus und gab ihm eins zu trinken und einen guten Wurstwecken
dazu.  Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man
ihn weiter im nämlichen Haus, Tür ein und aus, Treppe auf und ab,
und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem grossen
Saal.  Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und
auf den Tischen brannten Wachskerzen.  Der Künstler aber, der
nebenstehende Abbildung dazu verfertiget hat, sagt, es sei besser,
er lasse das Tageslicht hinein, der Scharfrichter sehe alsdann auch
besser zu seinem Geschäft.  Denn in der Mitte sass auf einem Stuhl
eine Person mit entblösstem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht
und muss etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht
reden, sondern nur schluchzen.  Aber an den Wänden standen mehrere
Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den
Angesichtern, also dass der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt
hätte, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet wäre, und
einer von ihnen überreichte ihm sein Schwert mit dem Befehl, dieser
Person, die auf dem Stühlein sass, den Kopf abzuhauen.  Da ward's dem
armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser
stünde bis übers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht übel
nehmen; sein Schwert, das dem Dienst der Gerechtigkeit gewidmet sei,
könne er mit einer Mordtat nicht entheiligen.  Allein einer von den
Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen und sagte
"Entweder, oder!  Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heisst, so seht
Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr." Da dachte der
Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, "und wenn's nicht anders
sein kann", sagte er, "und ich vergiesse unschuldiges Blut, so komme
es auf Euer Haupt", und schlug mit einem Hieb der armen Person den
Kopf vom Leibe weg.  Nach der Tat so gab ihm einer von den Herrn
einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren.  Man band ihm die
Augen wieder zu und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück.  Die
nämlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten.
Und als endlich die Kutsche stillehielt, und er bekam die Erlaubnis
auszusteigen und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder,
wo die drei Männer zu ihm eingesessenes waren, eine Stunde herwärts
Nanzig auf der Strasse nach Landau, und es war Nacht.  Die Kutsche
aber fuhr eiligs wieder zurück.

Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem
Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die
auf einem so blutigen Wege in die Ewigkeit hat gehen müssen.  Nein,
es hat niemand erfahren, wer sie war, und was sie gesündiget hat,
und niemand weiss das Grab.



Herr Charles (Eine wahre Geschichte)


Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose, wiegte eben
sein wunderschönes Büblein auf dem Knie und machte ein Gesicht dazu,
dass er ein wohlhabender und glücklicher Mann sei und sein Glück für
einen Segen Gottes halte.  Indem trat ein fremder Mann, ein Pole, mit
vier kranken, halberfrorenen Kindern in die Stube.  "Da bring' ich
Euch die Kinder." Der Kaufmann sah den Polen kurios an.  "Was soll
ich mit diesen Kindern tun?  Wem gehören sie?  Wer schickt Euch zu
mir?"--"Niemand gehören sie", sagte der Pole, "einer toten Frau im
Schnee, siebenzig Stunden herwärts Wilna.  Tun könnt Ihr mit ihnen,
was Ihr wollt." Der Kaufmann sagte: "Ihr werdet nicht am rechten
Orte sein", und der Hausfreund glaubt's auch nicht.  Allein der Pole
erwiderte, ohne sich irremachen zu lassen: "Wenn Ihr der Herr
Charles seid, so bin ich am rechten Ort", und der Hausfreund
glaubt's auch.  Er war der Herr Charles.  Nämlich es hatte eine
Französin, eine Witwe, schon lange im Wohlstande und ohne Tadel in
Moskau gelebt.  Als aber vor fünf Jahren die Franzosen in Moskau
waren, benahm sie sich landsmannschaftlicher gegen sie, als den
Einwohnern wohlgefiel.  Denn das Blut verleugnet sich nicht; und
nachdem sie in dem grossen Brand ebenfalls ihr Häuslein und ihren
Wohlstand verloren und nur ihre fünf Kinder gerettet hatte, musste
sie, weil sie verdächtig sei, nicht nur aus der Stadt, sondern auch
aus dem Land reisen.  Sonst hätte sie sich nach Petersburg gewendet,
wo sie einen reichen Vetter zu finden hoffte.  Der geneigte Leser
will bereits etwas merken.  Als sie aber in einer schrecklichen Kälte
und Flucht und unter unsäglichen Leiden schon bis nach Wilna
gekommen war, krank und aller Bedürfnisse und Bequemlichkeiten für
eine so lange Reise entblösst, traf sie in Wilna einen edlen
russischen Fürsten an und klagte ihm ihre Not.  Der edle Fürst
schenkte ihr dreihundert Rubel, und als er erfuhr, dass sie in
Petersburg einen Vetter habe, stellte er ihr frei, ob sie ihre Reise
nach Frankreich fortsetzen oder ob sie mit einem Pass nach
Petersburg umkehren wolle.  Da schaute sie zweifelhaft ihr ältestes
Büblein an, weil es das verständigste und das kränkste war.  "Wo
willst du hin, mein Sohn?"--"Wo du hingehst, Mutter", sagte der
Knabe, und hatte recht.  Denn er ging noch vor der Abreise ins Grab.
Also versah sie sich mit dem Notwendigen und akkordierte mit einem
Polen, dass er sie für fünfhundert Rubel nach Petersburg brächte zum
Vetter; denn sie dachte, er wird das Fehlende schon drauflegen.  Aber
alle Tage kränker auf der langen, beschwerlichen Reise, starb sie am
sechsten oder siebenten.--"Wo du hingehst", hatte der Knabe gesagt;
und der arme Pole erbte von ihr die Kinder, und konnten miteinander
so viel reden, als ein Pole verstehen mag, wenn ein französisches
Kind russisch spricht, oder ein Französlein, wenn man mit ihm reden
will auf polnisch.  Nicht jeder geneigte Leser hätte an seiner Stelle
sein mögen.  Er war es selber nicht gern.  "Was anfangen jetzt?" sagte
er zu sich selbst.  "Umkehren--wo die Kinder lassen?  Weiter fahren--
wem bringen?" Tue, was du sollst, sagte endlich etwas in seinem
Inwendigen zu ihm.  Willst du die armen Kinder um das Letzte und
Einzige bringen, was sie von ihrer Mutter zu erben haben, um dein
Wort, das du ihr gegeben hast?  Also kniete er mit den unglücklichen
Waisen um den Leichnam herum und betete mit ihnen ein polnisches
Vaterunser.  "Und führe uns nicht in Versuchung." Hernach liess jedes
ein Händlein voll Schnee zum Abschied und eine Träne auf die kalte
Brust der Mutter fallen, nämlich, dass sie ihr gerne die letzte
Pflicht der Beerdigung antun wollten, wenn sie könnten, und dass sie
jetzt verlassene, unglückliche Kinder seien.  Hernach fuhr er getrost
mit ihnen weiter auf der Strasse nach Petersburg, denn es wollte ihm
nicht eingehen, dass, der ihm die Kindlein anvertraut hatte, könne
ihn stecken lassen, und als die grosse Stadt vor seinen Augen sich
ausdehnte, wie ein Hauderer tut, der auch erst vor dem Tor fragt, wo
er stillhalten soll, erkundigt er sich endlich bei den Kindern, so
gut er sich verständlich machen konnte, wo denn der Vetter wohne,
und erfuhr von ihnen, so gut er sie verstehen konnte: "Wir wissen's
nicht."--Wie er denn heisse?  "Wir wissen's auch nicht."--Wie denn
ihr eigener Geschlechtsname sei?  "Charles." Der geneigte Leser will
schon wieder etwas merken, und wenn's der Hausfreund für sich zu tun
hätte, so wäre der Herr Charles der Vetter.  Die Kinder wären
versorgt, und die Erzählung hätte ein Ende.  Allein die Wahrheit ist
oft sinniger als die Erdichtung.  Nein, der Herr Charles ist der
Vetter nicht, sondern dieses Namens ein anderer, und bis auf diese
Stunde weiss noch niemand, wie der wahre Vetter eigentlich heisst,
nicht, ob und wo in Petersburg er wohnt.  Also fuhr der arme Mann in
grosser Verlegenheit zwei Tage lang in der Stadt herum und hatte
Französlein feil.  Aber niemand wollte ihn fragen: "Wie teuer das
Pärlein?" und der Herr Charles begehrte sie nicht einmal geschenkt,
und war noch nicht willens, eines zu behalten.  Als aber ein Wort das
andere gab und ihm der Pole schlicht und menschlich ihr Schicksal
und seine Not erzählte,--eins, dachte er, will ich ihm abnehmen,--
und es füllte sich immer wärmer in seinem Busen,--ich will ihm zwei
abnehmen, dachte er; und als sich endlich die Kinder um ihn
anschmiegten, meinend, er sei der Herr Vetter, und anfingen, auf
französisch zu weinen, denn der geneigte Leser wird auch schon
bemerkt haben, dass die französischen Kinder anders weinen, und als
der Herr Charles die Landesart erkannte, da rührte Gott sein Herz
an, dass ihm ward wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen
und klagen sieht, und "in Gottes Namen", sagte er, "wenn's so ist,
so will ich mich nicht entziehen", und nahm die Kinder an.  "Setzt
Euch ein wenig nieder", sagte er zu dem Polen, "ich will Euch ein
Süpplein kochen lassen."

Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, ass die Suppe und
legte den Löffel weg,--er legte den Löffel weg und blieb sitzen,--
er stand auf und blieb stehen.  "Seid so gut", sagte er endlich, "und
fertigt mich jetzt ab, der Weg nach Wilna ist weit.  Auf fünfhundert
Rubel hat die Frau mit mir akkordiert"; da fuhr es doch dem milden
Menschen, dem Herrn Charles, über das Gesicht, wie der Schatten
einer fliegenden Frühlingswolke über die sonnenreiche Flur.  "Guter
Freund", sagte er, "Ihr kommt mir ein wenig kurios vor.  Ist's nicht
genug, dass ich Euch die Kinder abgenommen habe, soll ich Euch auch
noch den Fuhrlohn bezahlen?" Denn das kann dem redlichsten und
besten Gemüt begegnen, wenn's ein Kaufmann ist, jedem andern aber
auch, dass es wider Wissen und Willen zuerst ein wenig handeln und
markten muss, sei es auch nur mit sich selbst.  Der Pole erwiderte:
"Guter Herr, ich will Euch nicht ins Gesicht sagen, wie Ihr mir
vorkommt.  Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder bringe?  Sollt'
ich sie auch noch umsonst geführt haben?  Die Zeiten sind bös, und
der Verdienst ist gering."--"Eben deswegen", sagte Herr Charles,
"darüber lasst mich klagen.  Oder meint Ihr, ich sei so reich, dass
ich fremde Kinder aufkaufe, oder so gottlos, dass ich mit ihnen
handle?  Wollt Ihr sie wieder?" Als aber noch einmal ein Wort das
andere gab und der Pole jetzt erst mit Staunen erfuhr, dass der Herr
Charles gar nicht der Vetter sei, sondern nur aus Mitleiden die
armen Waisen angenommen habe, "wenn's so ist", sagte er, "ich bin
kein reicher Mann, und Eure Landsleute, die Franzosen, haben mich
auch nicht dazu gemacht, aber wenn's so ist, so kann ich Euch nichts
zumuten.  Tut den armen Würmlein Gutes dafür", sagte der edle Mensch,
und es trat ihm eine Träne ins Auge, die wie aus einem überwältigten
Herzen kam, wenigstens überwältigte sie dem Herrn Charles das
seinige.  Monsieur Charles, dachte er, und ein armer polnischer
Fuhrmann!--und als der Pole schon anfing, eines der Kinder nach dem
andern zum Abschied zu küssen und sie auf polnisch zur Folgsamkeit
und Frömmigkeit ermahnte, "guter Freund", sagte der Herr Charles,
"bleibt noch ein wenig da.  Ich bin doch so arm nicht, dass ich Euch
nicht Euern wohlverdienten Fuhrlohn bezahlen könnte, so ich doch die
Fracht Euch abgenommen habe", und gab ihm die fünfhundert Rubel.

Also sind jetzt die Kindlein versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt, und
so ein oder der andere geneigte Leser vor den Toren der grossen
Stadt hätte zweifeln mögen, ob der Vetter auch zu finden seie, und
ob er's, tun werde, so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht
einmal dazu vonnöten gehabt.



Hilfe in der Not


Als im verwichenen Spätjahr der Zirkelschmied mit seiner Frau
ungegessen ins Bett gehen wollte--schon seit drei Tagen war kein
Feuer mehr in die Küche gekommen, und das letzte Mäuslein hatte sich
ausquartiert--, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von
Brassenheim einen fetten Schinken, so gross als manches Säulein, was
noch ganz ist, und drei Würste dazu, so lang wie Glockenseiler, und
der Zirkelschmied wusste nicht warum; der geneigte Leser weiss es
auch nicht.  Aber er erfahrt's.

Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das
Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied sass
damals auch schon drin, etwa beim dritten Schöpplein oder beim
vierten.  Als der Fremde eine Zeitlang da war und dem Zirkelschmied
weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich
will ein Gespräch mit ihm anfangen.  Vielleicht lässt er sich über
den Löffel halbieren.  "Ihr seid wohl auch zum ersten Mal hier,
seitdem der Rosenwirt dies schöne Haus gebaut hat, weil Ihr so lange
an einem Nagel gesucht habt für Euern Kaputrock?" Der Fremde sagte:
"Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte mein Haus noch nicht gegen
dieses, wenn eins nicht wäre."--"Habt Ihr noch namhafte Schulden
darauf?"--"Das nicht."--"Oder riecht der Abtritt?"--"Das auch
nicht."--"Oder habt Ihr ein böses Weib im Haus?"--"Das auch nicht,
aber sonst nichts Gutes." Endlich erfuhr der Zirkelschmied nach
einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das Unglück habe
in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht auf
seinem Speicher erwache und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen
sehe und an den Lücken im Dach.  Der wohlbelehrte Leser des
Rheinländischen Hausfreundes ist darüber im klaren, ehe man ihm
sagt, dass dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des
Hausbesitzers könne gewesen sein.  Nämlich es war sein eigener
Schwager, der ihm das Haus verleiden und feilmachen wollte.  Der
Zirkelschmied sagte: "Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch
gegessen und noch keinem Ross das Einmaleins abgehört habt, so ist
Rat, wenn's Euch auf zwei Grosse Taler nicht ankommt, einen
sogleich, den andern, wenn Euch geholfen ist." Der Fremde griff
sogleich in die Tasche.  "Jetzt geht zum Herr Barbier", sagte der
Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst niemand in der Stube war,
"und klagt ihm Eure Not.  Anfänglich wird er Euch kein Gehör geben,
denn es ist ihm bei Strafe verboten.  Wenn Ihr aber nicht nachlasst,
so bekommt Ihr das Mittel" (oder den Buckel voll Schläge, dachte für
sich der Zirkelschmied).  Als aber der Fremde zu dem Barbier gekommen
war, der ein gar vernünftiger Mann ist, fuhr der Barbier ihn an:
"Wer hat Euch zu mir geschickt?"--"Einer in einem abgeschabten
Röcklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit einer breiten
messingenen Schnalle, drei Finger hoch über dem Rockkragen, hinten
auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreissig Härlein und
doch ein Kamm drin." Da hob der Barbier drohend und zürnend den
Zeigefinger auf und sagte: "Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab'
ich dich einmal ausgekundschaftet?" Der Fremde aber fiel ihm ins
Wort: "Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiss alles,
und helft mir von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst." Der
Barbier bekam gute Laune, weil er den Zirkelschmied
ausgekundschaftet hatte.  "Ich will Euch ein stinkendes Rauchpulver
geben", sagte er, "mit dem geht dem Geist auf den Leib und schlagt
ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem braven Weidenstumpen
lederweich, bis er vor Euch zur Erde fällt, nur nicht zu Tod, denn
die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod schlägt.
Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrien nach
Hause kann."
Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier und dachte nicht daran,
was die Sache für ein schlimmes Ende nehmen könnte.  Aber sie nimmt
ein gutes Ende.  Der Hausfreund weiss es schon.

Denn, wie gesagt, im verwichenen Spätjahr am Katharinentag, als der
Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von
Brassenheim, wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens
ein in einem Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen
Schild sieht.  Als er aber in der Stube war und den Wirt erblickte,
erschrak er gar sehr und dachte: "O weh, wie werd' ich wieder da
herauskommen", und machte in der Geschwindigkeit ein krummes Maul,
dass ihn niemand kennen sollte, denn der Wirt war der nämliche, dem
er das Rauchpulver gegeben hatte, und er wusste nicht, wie der
Handel ausgegangen war.  Der Wirt aber, während er ihm ein Schöpplein
holte, sann hin und her.  "Den Mann sollt' ich kennen.  Wenn er nicht
das Maul so verdammt krumm im Gesicht hätte, so wär's der Barbier
von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom Gespenst erlöst hat.
Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt"; und als er
hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: "Woher des Landes
und wohin?" sagte er: "Herr Landsmann, nehmt mir meine Neugierde
nicht zum Vorwitz auf!  Wenn Euer Mund besser im Blei läge, so wollt'
ich glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von
Brassenheim." Dem Barbier ging der Angstschweiss aus.  "Wenn Euch
mein krummes Maul irre macht", sagte er, "so muss der Barbier von
Brassenheim ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der
nämliche sein.  Zudem, so bin ich der Papiermüller von Neuhausen."
Jetzt erzählte ihm der Wirt die ganze Geschichte, und unmerklich,
wie sie immer besser lautete, zog sich sein Mund immer gerade in die
Linie, "und Ihr seid es doch", rief endlich der Wirt.--"Freilich
bin ich's", erwiderte der Barbier, "ich habe Euch nur ein wenig
vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt.  Aber nicht wahr", sagte er,
"das Mittel hat geholfen?"--"Gleich aufs erste Mal", erwiderte der
Wirt und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und die Kinder
herein und bestellte ein gutes Mittagsessen für seinen ehrenwerten
Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun könne.  Als
daher der Barbier sich entschuldigte, dass er noch nach Waldsheim
auf den Katharinenmarkt gehen und ein Säulein kaufen wolle, da ging
eine freundliche Heiterkeit über das Angesicht des Wirtes, und sagte
er zu ihm: "Ei, steht Euch keine von meinen an?" Jetzt liess er ihm
sechs gemästete Schweine, eines grösser als das andere, in den Hof
herausspringen.  "Da sucht Euch eine heraus, Herr Doktor." Der
Barbier kam in Verlegenheit, so ein Schwein könne er nicht bezahlen,
auch nicht gewältigen in seiner kleinen Haushaltung.  Aber der Wirt
fasste kurzweg eine am Bein.  "Die ist Euer." Also blieben sie
beisammen über den Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken
hatten, befahl der Wirt dem Knecht, das Wägelein anzuspannen und den
Herrn Doktor und die Sau nach Brassenheim zu führen.--Deswegen
schickte der Barbier dem Zirkelschmied tags darauf den Schinken und
die Würste, weil sein Mutwillen ihm dazu verholfen hatte.  "Sieh,
Bärbel", sagte hernachmals der Zirkelschmied zu seiner Frau, " du
hast mich schon oft verkannt.  Mit einem Mann, wie ich bin, ist eine
Frau versorgt."



Hochzeit auf der Schildwache


Ein Regiment, das sechs Wochen lang in einem Dorfbezirk in
Kantonierung gelegen war, bekam unversehens in der Nacht um 2 Uhr
Befehl zum plötzlichen Aufbruch.  Also war um 3 Uhr schon alles auf
dem Marsch, bis auf eine einsame Schildwache draussen im Feld, die
in der Eile vergessen wurde und stehen blieb.  Dem Soldaten auf der
einsamen Schildwache wurde jedoch zuerst die Zeit nicht lang, denn
er schaute die Sterne an und dachte: "Glitzert ihr, solange ihr
wollt, ihr seid doch nicht so schön als zwei Augen, welche jetzt
schlafen in der untern Mühle." Gegen fünf Uhr jedoch dachte er: " Es
könnte jetzt bald drei sein." Allein niemand wollte kommen, um ihn
abzulösen.  Die Wachtel schlug, der Dorfhahn krähte, die letzten
Sterne, die selbigen Morgen noch kommen wollten, waren aufgegangen,
der Tag erwachte, die Arbeit ging ins Feld, aber noch stand unser
Musketier unabgelöst auf seinem Posten.  Endlich sagte ihm ein
Bauersmann, der auf seinem Acker wandelte, das ganze Bataillon sei
ausmarschiert schon um drei Uhr, kein Kamaschenknopf sei mehr im
Dorf, noch weniger der Mann dazu.  Also ging der Musketier unabgelöst
selber ins Dorf zurück.  Des Hausfreunds Meinung wäre, er hätte jetzt
den Doppelschritt anschlagen und dem Regiment nachziehen sollen.
Allein der Musketier dachte: "Brauchen sie mich nimmer, so brauch
ich sie auch nimmer." Zudem dachte er: Es ist nicht zu trauen.  Wenn
ich ungerufen komme und mich selber abgelöst habe, so kann's
spanische Nudeln absetzen; er meinte Röhrlein.  Zudem dachte er: Der
untere Müller hat ein hübsches Mägdlein, und das Mägdlein hat einen
hübschen Mund, und der Mund hat holde Küsse, und ob sonst schon
etwas mochte geschehen sein, geht den Hausfreund nichts an.  Also zog
er das blaue Röcklein aus und verdingte sich in dem Dorf als
Bauernknecht, und wenn ihn jemand fragte, so antwortete er wie jener
Hüninger Deserteur, es sei ihm ein Unglück begegnet, sein Regiment
sei ihm abhanden gekommen.  Brav war der Bursche, hübsch war er auch,
und die Arbeit ging ihm aus den Händen flink und recht.  Zwar war er
arm, aber desto besser schickte sich für ihn des Müllers
Töchterlein, denn der Müller hatte Batzen.  Kurz die Heirat kam
zustande.  Also lebte das junge Paar in Liebe und Frieden glücklich
beisammen und bauten ihr Nestlein.  Nach Verlauf von einem Jahr aber,
als er eines Tages von dem Felde heimkam, schaute ihn seine Frau
bedenklich an: "Fridolin, es ist jemand dagewesen, der dich nicht
freuen wird."--"Wer?"--"Der Quartiermacher von deinem Regiment; in
einer Stunde sind sie wieder da." Der alte Vater lamentierte, die
Tochter lamentierte und sah mit nassen Augen ihren Säugling an.  Denn
überall gibt es Verräter.  Der Fridolin aber nach kurzem Schrecken
sagte: "Lasst mich gewähren.  Ich kenne den Obrist." Also zog er das
blaue Röcklein wieder an, das er zum ewigen Andenken hatte
aufbewahren wollen, und sagte seinem Schwiegervater, was er tun
soll.  Hernach nahm er das Gewehr auf die Achsel und ging wieder auf
seinen Posten.  Als aber das Bataillon eingerückt war, trat der alte
Müller vor den Obristen.  "Habt doch ein Einsehen, Herr General, mit
dem armen Menschen, der vor einem Jahr auf den Posten gestellt
worden ist draussen an der Waldspitze.  Ist es auch permittiert, eine
Schildwache ein geschlagenes Jahr lang stehen zu lassen auf dem
nämlichen Fleck und nicht abzulösen." Da schaut der Obrist den
Hauptmann an, der Hauptmann schaute den Unteroffizier an, der
Unteroffizier den Gefreiten, und die halbe Kompanie, alte gute
Bekannte des Vermissten, liefen hinaus, die einjährige Schildwache
zu sehen, und wie der arme Mensch müsse zusammengeschmoret sein,
gleich einem Borstdorfer Äpfelein, das schon vier Jahre am Baum
hängt.  Endlich kam auch der Gefreite, der nämliche, der ihn vor
zwölf Monaten auf den Posten geführt hatte, und löste ihn ab:
"Präsentiert das Gewehr, das Gewehr auf die Schulter, Marsch", nach
soldatischem Herkommen und Gesetz.  Hernach musste er vor dem
Obristen erscheinen, und seine junge, hübsche Frau mit ihrem
Säugling auf den Armen begleitete ihn und mussten ihm alles
erzählen.  Der Obriste aber, der ein gütiger Herr war, schenkte ihm
einen Federntaler und half ihm hernach zu seinem Abschied.



Ist der Mensch ein wunderliches Geschöpf


Einem König von Frankreich wurde durch seinen Kammerdiener der Namen
eines Mannes genannt, der das 75.  Jahr zurückgelegt habe und noch
nie aus Paris herausgekommen sei.  Er wisse noch auf diese Stunde
nicht anderst als vom Hörensagen, was eine Landstrasse sei oder ein
Ackerfeld oder der Frühling.  Man könnte ihm weismachen, die Welt sei
schon vor zwanzig Jahren untergegangen.  Er müsse es glauben.  Der
König fragte, ob denn der Mann kränklich oder gebrechlich sei.
"Nein", sagte der Kammerdiener, "er ist so gesund wie der Fisch im
Wasser." Oder ob er trübsinnig sei.  "Nein, es ist ihm so wohl wie
dem Vogel im Hanfsamen." Oder ob er durch seiner Hände Arbeit eine
zahlreiche Familie zu ernähren habe.  "Nein, er ist ein wohlhabender
Mann.  Er mag eben nicht.  Es nimmt ihn nicht wunder." Des verwunderte
sich der König und wünschte diesen Menschen zu sehen.  Der Wunsch
eines Königs von Frankreich ist bald erfüllt, zwar auch nicht jeder,
aber dieser, und der König redete mit dem Menschen von allerlei, ob
er schon lange gesund und wohlauf sei.  "Ja, Sire", erwiderte er,
"allbereits 75 Jahre." Ob er in Paris geboren sei.  "Ja, Sire!  Es
müsste kurios zugegangen sein, wie ich anderst hineingekommen wäre,
denn ich bin noch nie draussen gewesen."--"Das soll mich doch
wunder nehmen", erwiderte der König.  "Denn eben deswegen hab' ich
Euch rufen lassen.  Ich höre, dass Ihr allerlei verdächtige Gänge
macht, bald zu diesem Tor hinaus, bald zu jenem.  Wisst Ihr, dass man
schon lange auf Euch Achtung gibt?" Der Mann war über diesen Vorwurf
ganz erstaunt und wollte sich entschuldigen.  Das müsse ein anderer
sein, der seinen Namen führe, oder so.  Aber der König fiel ihm in
die Rede: "Kein Wort mehr!  Ich hoffe, Ihr werdet in Zukunft nicht
mehr aus der Stadt gehen ohne meine ausdrückliche Erlaubnis."--Ein
rechter Pariser, wenn ihm der König etwas befiehlt, denkt nicht
lange, ob es notwendig sei und ob es nicht auch anderst ebensogut
sein könnte, sondern er tut's.  Der Unsrige war ein rechter,
obgleich, als auf seinem Heimweg die Postkutsche vor ihm vorbeifuhr,
dachte er: "O ihr Glücklichen da drinnen, dass ihr aus Paris
hinausdürft!" Als er nach Hause kam, las er die Zeitung wie alle
Tage.  Aber diesmal fand er nicht viel drin.  Er schaute zum Fenster
hinaus, das war auf einmal so langweilig.  Er las in einem Buch, das
war auf einmal so einfältig.  Er ging spazieren, er ging in die
Komödie, in das Wirtshaus, das war so alltäglich.  So das erste
Vierteljahr lang, so das zweite, und mehr als einmal im Gasthaus
sagte er zu seinen Nachbarn: "Freunde, es ist ein hartes Wort,
fünfundsiebenzig Jahre kontinuierlich in Paris gelebt zu haben und
jetzt erst nicht hinauszudürfen." Endlich im dritten Vierteljahr
konnte er's nimmer aushalten, sondern meldete sich einen Tag um den
andern wegen der Erlaubnis: das Wetter sei so hübsch, oder es sei
heut' ein schöner Regentag.  Er wolle sich gern auf seine Kosten von
einem vertrauten Mann begleiten lassen, wenn's sein müsse, auch von
zweien.  Aber vergebens.  Nach Verlauf aber eines schmerzlich
durchlebten Jahrs, gerade am nämlichen Tage, als er abends nach
Hause kam, fragt er mit bösem Gesicht die Frau: "Was ist das für ein
neues Kaleschlein im Hof?  Wer will mich zum besten haben?"

"Herzensschatz", antwortete die Frau, "ich habe dich überall suchen
lassen.  Der König schenkt dir das Kaleschlein und die Erlaubnis,
darin spazieren zu fahren, wohin du willst." "Ma foi!" erwiderte der
Mann mit besänftigter Miene, "der König ist gerecht."--"Aber nicht
wahr", fuhr die Gattin fort, "morgen fahren wir spazieren aufs
Land?"--"Ei nun", erwiderte der Mann kalt und ruhig, "wir wollen
sehn.  Wenn's auch morgen nicht ist, so kann's ein ander Mal sein,
und am Ende, was tun wir draussen?  Paris ist doch am schönsten
inwendig."



Jakob Humbel


Jakob Humbel, eines armen Bauern Sohn von Boneschwyl im
Schweizer-Kanton Aargau, kann jedem seinesgleichen zu einem
lehrreichen und aufmunternden Beispiel dienen, wie ein junger
Mensch, dem es ernst ist, etwas Nützliches zu lernen und etwas
Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen am Ende seinen Zweck
durch eigenen Fleiss und Gottes Hilfe erreichen kann.

Jakob Humbel wünschte von früher Jugend an ein Tierarzt zu werden,
um in diesem Beruf seinen Mitbürgern viel Nutzen leisten zu können.
Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht.

Sein Vater gab ihn daher in seinem 16. Jahr einem sogenannten
Viehdoktor von Mummental in die Lehre, der aber kein geschickter
Mann war.

Bei diesem lernte er zwei Jahre, bekam alsdann einen braven
Lehrbrief und wusste alles, was sein Meister wusste, nämlich
Tränklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten für den bösen
Wind, sonst nichts--und das war nicht viel.

Ich weiss einen, der wäre damit zufrieden gewesen, hätte nun auf
seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, Pflaster
gestrichen drauf und dran für den bösen Wind, das Geld dafür
genommen und selber gemeint, er sei's.

Jakob Humbel nicht also.  Er ging zu einem andern Viehdoktor in
Oberoltern im Emmental noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein
Jahr bei ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief und wusste
abermal--nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber
nicht verstand, keine Kenntnis hatte von der innern Beschaffenheit
eines Tieres im gesunden und kranken Zustand und von der Natur der
Arzneimittel.

Ich weiss einen, der hätt's jetzt bleiben lassen, wär' eben wieder
heimgekommen, wie er fortgegangen, und hätt' sich mit andern
getröstet, aus denen auch nichts hat werden wollen.

Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel ebenso aus.  Mit bösen
Wind-Salben war wenig Geld, noch weniger Kredit und Ehre zu
verdienen.  Was er verdiente, zog der Vater.  Humbel wurde gemeiner
Tagelöhner, ging in armseliger Kleidung umher, ohne Geld und ohne
Rat, und dennoch hatte er noch immer den Tierarzt--nicht im Kopf,
denn das wäre schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen
Verlangen.  Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bei Herrn
Ringier im Klösterli zu Zofingen.  Bei diesem Herrn war er drei
Jahre, bekam einen guten Lohn und wurde gütig behandelt wie ein
Kind.

Ich weiss einen, der hätte die Güte eines solchen Herrn missbraucht,
wäre meisterlos worden, den Lohn hätten bekommen der Wirt und der
Spielmann.

Aber Jakob Humbel wusste mit seinem Verdienst etwas Besseres
anzufangen.  Oft, wann er bei dem Essen aufwartete, hörte er die
Herren am Tisch französisch reden.  Da kam er auf den Gedanken, diese
Sprache auch zu lernen.  Vermutlich hoffte er dadurch auf irgend eine
Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und
braver Tierarzt zu werden.  Er ging mit seinem zusammengesparten
Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell und lernte
so viel, als in neun Monaten zu lernen war.  Jetzt war sein Vorrat
verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzen konnte, musste er
darauf denken, wie er wieder Geld verdiente.

Gott wird mich nicht verlassen, dachte er.  Er ging zu Herrn Landvogt
Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Diensten, erwarb sich bei
diesem und nachher bei einem andern Herrn wieder etwas Geld und
befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in
seinem Geburtsort zu Boneschwyl und trieb mit seinem erworbenen Geld
einen kleinen Kornhandel nach Zürich, der recht gut vonstatten ging
und seine Barschaft nach Wunsch vermehrte.  Jetzt war er im Begriff,
ins Ausland zu gehen und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich
seine Kunst rechtschaffen zu studieren.  Da wurde ein Korps von
18’000 Mann helvetischer Hilfstruppen errichtet.  Die Gemeinde
Boneschwyl musste acht Mann stellen.  Die jungen Bursche müssen
spielen: den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden.
Ich weiss einen, der hätte gedacht: die Welt ist gross, und der Weg
ist offen; wär' mit seiner kleinen Barschaft zum Teufel gangen und
hätte seine Mitbürger dafür sorgen lassen, wo sie statt seiner den
achten Mann nehmen wollten.

Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland und ist ein ehrliches Blut.

Er stellte einen Mann, den er zwei Jahre lang auf seine Kosten
unterhalten musste.  Das Beste von seinem erworbenen Vermögen, wovon
er noch etwas lernen wollte, ging zu seinen unsäglichen Schmerzen
drauf, und er dachte: jetzt habe ich hohe Zeit, sonst ist's Mathä am
letzten.  Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in
die Tasche, einen Stecken in die Hand und lief eines Gangs, ohne
sich umzusehen, nach Karlsruhe, und als er auf der Mühlburger
Strasse zwischen den langen Reihen der Pappelbäume die Stadt
erblickte, da dachte er: Gottlob!  und Gott wird mir helfen.

Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will
helfen lassen, und du hast es erfahren.

In Karlsruhe ist nämlich eine öffentliche Anstalt zum Unterricht in
der Tierarzneikunst.  Die Lehrstunden werden unentgeltlich erteilt.
Die sehr geschickten Lehrer geben sich Mühe, ihre Lehrjünger
gründlich zu unterrichten.  Schon mancher brave Tierarzt hat in
dieser nützlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und
gebildet.

Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen
Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft
befriedigen konnte, lernte ein krankes Tier mit andern Augen
anschauen als in Mummental und Emmental, konnte andere Sachen lernen
als Wind machen und bösen Wind vertreiben und war nicht viel im
Bierhaus zur Stadt Berlin oder im Wirtshaus zur Stadt Strassburg
oder in Klein-Karlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein
Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem
Paradeplatz oder zur Mühlburg im Rappen, sondern vom frühen Morgen
bis in die späte Nacht beschäftigte er sich zwanzig Monate lang
unerfüllte und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder
etwas Neues, Schönes und Nützliches gelernt hatte, so machte ihn das
am Abend vergnügter als der Zapfenstreich mit der schönsten
türkischen Musik; zumal wenn ihm bei derselben sein Kostgänger
einfiel bei den helvetischen Hilfstruppen.

Endlich kehrte er als ein ausgelernter Tierarzt mit den schönsten
Zeugnissen seiner Lehrer aus Karlsruhe freudig in sein Vaterland
zurück, wurde von dem Sanitätsrat in dem Kanton Aargau geprüft,
legte zu jedermann Erstaunen und Freude die weitläufigsten und
gründlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten
Lobsprüchen und Ehren das Patent auf seine Kunst--und ist nun nach
allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten am schönen
Ziel seiner lebenslänglichen Wünsche, einer der geschicktesten und
angesehensten Tierärzte in dem ganzen Schweizerlande.

Jetzt weiss ich vier, die denken: wenn solcher Mut und Ernst dazu
gehört, etwas Braves zu lernen, so ist's kein Wunder, dass aus mir
nichts hat werden wollen.

Weisst du was?  Nimm Gott zu Hilfe, und probiere es noch!



Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne


Der grosse Kaiser Napoleon brachte seine Jugend als Zögling in der
Kriegsschule zu Brienne zu, und wie?  Das lehrten in der Folge seine
Kriege, die er führte, und seine Taten.  Da er gerne Obst ass, wie
die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthändlerin daselbst manchen
schönen Batzen von ihm zu lösen.  Hatte er je einmal kein Geld, so
borgte sie.  Bekam er Geld, so bezahlte er.  Aber als er die Schule
verliess, um nun als kenntnisreicher Soldat auszuüben, was er dort
gelernt hatte, war er ihr doch einige Taler schuldig.  Und als sie
das letzte Mal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder süsser
Trauben brachte, "Fraulein", sagte er, "jetzt muss ich fort und kann
Euch nicht bezahlen.  Aber Ihr sollt nicht vergessen sein." Aber die
Obstfrau sagte: "O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler junger
Herr.  Gott erhalte Sie gesund und mache aus Ihnen einen glücklichen
Mann!"--Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war,
welche der junge Krieger jetzt betrat, kann doch auch der beste Kopf
so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemüt ihn wieder
daran erinnert.  Napoleon wird in kurzer Zeit General und erobert
Italien.  Napoleon geht nach Ägypten, wo einst die Kinder Israel das
Zieglerhandwerk trieben, und liefert ein Treffen bei Nazareth, wo
vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte.  Napoleon kehrt
mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und
Paris zurück und wird Erster Konsul.  Napoleon stellt in seinem
unglücklich gewordenen Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her
und wird französischer Kaiser, und noch hatte die gute Obstfrau in
Brienne nichts als sein Wort: "Ihr sollt nicht vergessen sein!" Aber
ein Wort, noch immer so gut als bares Geld und besser.  Denn als der
Kaiser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille
schon dort und mag wohl sehr gerührt gewesen sein, wenn er da an die
vorige Zeit gedachte und an die jetzige, und wie ihn Gott in so
kurzer Zeit und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen
Kaiserthron geführt hatte, da blieb er auf der Gasse plötzlich
stille stehen, legte den Finger an die Stirne wie einer, der sich
auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau,
erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufällig war, und
trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein.  Eine enge
Türe führte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau
mit zwei Kindern am Kamin kniete und ein sparsames Abendessen
bereitete.

"Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?" so fragte der Kaiser.--
"Ei ja!" erwiderte die Frau, "die Melonen sind reif", und holte
eine.  Während die zwei fremden Herren die Melone verzehrten und die
Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, "kennt Ihr denn den
Kaiser auch, der heute hier sein soll?" fragte der eine.  "Er ist
noch nicht da", antwortete die Frau, "er kommt erst.  Warum soll ich
ihn nicht kennen?  Manchen Teller und manches Körbchen voll Obst hat
er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war."--"Hat er
denn auch alles ordentlich bezahlt?"--"Ja freilich, er hat alles
ordentlich bezahlt." Da sagte zu ihr der fremde Herr: "Frau, Ihr
geht nicht mit der Wahrheit um, oder Ihr müsst ein schlechtes
Gedächtnis haben.  Fürs erste, so kennt Ihr den Kaiser nicht.  Denn
ich bin's.  Fürs andere hab' ich Euch nicht so ordentlich bezahlt,
als Ihr sagt, sondern ich bin Euch zwei Taler schuldig oder etwas;"
und in diesem Augenblick zählte der Begleiter auf den Tisch
eintausendundzweihundert Franken, Kapital und Zins.  Die Frau, als
sie den Kaiser erkannte und die Goldstücke auf dem Tisch klingeln
hörte, fiel ihm zu Füssen und war vor Freude und Schrecken und
Dankbarkeit ganz ausser sich, wie man ihr auf nebenstehender
Abbildung wohl ansehen kann; und die Kinder schauen auch einander an
und wissen nicht, was sie sagen sollen.  Der Kaiser aber befahl
nachher, das Haus niederzureissen und der Frau ein anderes an den
nämlichen Platz zu bauen.  "In diesem Hause", sagte er, "will ich
wohnen, so oft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen
führen." Der Frau aber versprach er, er wolle für ihre Kinder
sorgen.

Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll
versorgt, und der Sohn wird auf kaiserliche Kosten in der nämlichen
Schule erzogen, aus welcher der grosse Held selber ausgegangen ist.



Kannitverstan


Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und
Gundelfingen so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den
Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und
zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel
gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen.  Aber auf dem
seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam
durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis.  Denn als er
in diese grosse und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser,
wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm
sogleich ein grosses und schönes Haus in die Augen, wie er auf
seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch
keines erlebt hatte.  Lange betrachtete er mit Verwunderung dies
kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse
und die hohen Fenster, grösser als an des Vaters Haus daheim die
Tür.  Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden
anzureden.  "Guter Freund", redete er ihn an, "könnt Ihr mir nicht
sagen, wie der Herr heisst, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit
den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?"--Der Mann
aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück
gerade so viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende
von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig:
"Kannitverstan", und schnurrte vorüber.  Dies war nur ein
holländisches Wort oder drei, wenn man's recht betrachtet, und
heisst auf deutsch soviel als: Ich kann Euch nicht verstehn.  Aber
der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er
gefragt hatte.  Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr
Kannitverstan, dachte er und ging weiter.  Gass aus Gass ein kam er
endlich an den Meerbusen, der da heisst: Het Ei, oder auf deutsch:
das Ypsilon.  Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum,
und er wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen
Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen
und zu betrachten, bis endlich ein grosses Schiff seine
Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt
war und jetzt eben ausgeladen wurde.  Schon standen ganze Reihen von
Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande.  Noch immer wurden
mehrere herausgewälzt und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis
und Pfeffer und salveni Mausdreck darunter.  Als er aber lange
zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der
Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heisse, dem das Meer all
diese Waren an das Land bringe.  "Kannitverstan", war die Antwort.  Da
dachte er: Haha, schaut's da heraus?  Kein Wunder, wem das Meer
solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in
die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in
vergoldeten Scherben.  Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine
recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer
Teufel sei unter so viel reichen Leuten in der Welt.  Aber als er
eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie
dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke und erblickte
einen grossen Leichenzug.  Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen
ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als
ob sie wüssten, dass sie einen Toten in seine Ruhe führten.  Ein
langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach,
Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm.  In der Ferne
läutete ein einsames Glöcklein.  Jetzt ergriff unsern Fremdling ein
wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er
eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen andächtig
stehen, bis alles vorüber war.  Doch machte er sich an den letzten
vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner
Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden
aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um
Exküse.  "Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein,"
sagte er, "dem das Glöcklein läutet, dass Ihr so betrübt und
nachdenklich mitgeht." "Kannitverstan!" war die Antwort.  Da fielen
unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Tränen aus den Augen, und es
ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz.  "Armer
Kannitverstan," rief er aus, "was hast du nun von allem deinem
Reichtum?  Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein
Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen
vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit
diesem Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte,
bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in
seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von
der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen,
auf die er nicht achtgab.  Endlich ging er leichten Herzens mit den
andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch
verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es
ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der
Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn
Kannitverstan in Amsterdam, an sein grosses Haus, an sein reiches
Schiff und an sein enges Grab.



Kindesdank und Undank


Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, dass Menschen
im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie
einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben.  Es geht auch
begreiflich zu.  Die Kinder lernen's von den Eltern; sie sehen's und
hören's nicht anders und folgen dem Beispiel.  So wird es auf die
natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und
geschrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern
ruhe und sie nicht verfehle.

Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste
Nachahmung und die zweite grosse Beherzigung verdient.
Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleissigen und frohen
Landmann an dem Ackergeschäft an und liess sich mit ihm in ein
Gespräch ein.  Nach einigen Fragen erfuhr er, dass der Acker nicht
sein Eigentum sei, sondern dass er als Tagelöhner täglich um 15
Kreuzer arbeite.  Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft
freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der
Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit 15
Kreuzern auszureichen und noch so frohen Mutes dabei zu sein, und
verwunderte sich darüber.  Aber der brave Mann im Zwilchrock
erwiderte ihm: "Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte.
Mir muss ein Dritteil davon genügen; mit einem Dritteil zahle ich
meine Schulden ab, und den übrigen Dritteil lege ich auf Kapitalien
an." Das war dem guten Fürsten ein neues Rätsel.  Aber der fröhliche
Landmann fuhr fort und sagte: "Ich teile meinen Verdienst mit meinen
alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen
Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe,
die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe
ich, dass sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen
werden." War das nicht artig gesagt und noch schöner und edler
gedacht und gehandelt?  Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des
wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine
sterbenden Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren
Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.

Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und
Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, dass
dieser wünschte, in ein Armenspital gebracht zu werden, das im
nämlichen Orte war.  Dort hoffte er wenigstens bei dürftiger Pflege
von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die letzten Tage
seines Lebens verbitterten.  Das war dem undankbaren Sohn ein
willkommenes Wort.  Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war
dem armen, alten Greis sein Wunsch erfüllt.  Aber er fand im Spital
auch nicht alles, wie er wünschte.  Wenigstens liess er seinen Sohn
nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohltat zu erweisen und ihm
ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf
blossem Stroh schlafen müsste.  Der Sohn suchte die zwei
schlechtesten, die er hatte, heraus und befahl seinem zehnjährigen
Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen.  Aber mit
Verwunderung bemerkte er, dass der kleine Knabe vor der Tür eines
dieser Tücher in einen Winkel verbarg und folglich dem Grossvater
nur eines davon brachte.  "Warum hast du das getan?" fragte er den
Jungen bei seiner Zurückkunft.--"Zur Aushilfe für die Zukunft",
erwiderte dieser kalt und bösherzig, "wenn ich Euch, o Vater!  auch
einmal in das Spital schicken werde."

Was lernen wir daraus?--Ehre Vater und Mutter, auf dass es dir
wohlgehe!



König Friedrich und sein Nachbar


Der König Friedrich von Preussen hatte acht Stunden von Berlin
freilich ein schönes Lustschloss und war gerne darin, wenn nur nicht
ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre.  Denn erstlich
stehn ein königliches Schloss und eine Mühle nicht gut
nebeneinander, obgleich das Weissbrot schmeckt auch in dem Schloss
nicht übel, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl
gebacken hat.  Ausserdem aber, wenn der König in seinen besten
Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal liess der
Müller das Wasser in die Räder schiessen und dachte auch nicht an
den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs stellten das
Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder
die Gedanken des Königs.  Der geneigte Leser sagt: "Ein König hat
Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und
lässt sie niederreissen?" Der König wusste, warum.  Denn eines Tages
liess er den Müller zu sich rufen.  "Ihr begreift", sagte er zu ihm,
"dass wir zwei nicht nebeneinander bestehen können.  Einer muss
weichen.  Was gebt Ihr mir für mein Schlösslein?"--Der Müller sagte:
"Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König
erwiderte ihm: "Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht,
dass Ihr mir mein Schloss abkaufen könnt.  Wie hoch haltet Ihr Eure
Mühle?" Der Müller erwiderte: "Gnädigster Herr, so habt auch Ihr
nicht so viel Geld, dass Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt.  Sie ist
mir nicht feil." Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und
dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede.  "Sie ist mir nicht
feil.  Wie ich darin geboren bin", sagte er, "so will ich darin
sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten worden ist, so
sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen
ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der König eine ernsthaftere
Sprache an: "Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht nötig
habe, viel Worte zu machen?  Ich lasse Euere Mühle taxieren und
breche sie ab.  Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!" Da
lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem
König: "Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in
Berlin nicht wäre." Nämlich, dass er es wolle auf einen
richterlichen Ausspruch ankommen lassen.  Der König war ein gerechter
Herr und konnte überaus gnädig sein, also dass ihm die
Herzhaftigkeit und Freimütigkeit einer Rede nicht missfällig war,
sondern wohlgefiel.  Denn er liess von dieser Zeit an den Müller
unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche
Nachbarschaft.  Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt
haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen
Herrn Nachbar.



König Friedrichs Leibhusar


Der Leibhusar König Friedrichs von Preussen muss mit seinem Herrn in
gutem Vernehmen gestanden haben.  Denn einmal gab ihm der König wegen
eines Versehens eine Ohrfeige, dass ihm die Haarlocke, wie man sie
damals noch an den Seiten des Kopfes trug, aufeinanderfuhr und der
weisse Puder davonflog, also, dass man's draussen ihm wohl ansehen
konnte, wenn er hinauskam.  Der Leibhusar bat wegen seines Versehens
um Verzeihung, stellte sich aber geradewegs vor des Königs grossen
Spiegel, der im Zimmer war, richtete seine Locke wieder zurecht und
stäubte mit dem Schnupftuch den Puder vom Kleid, welches
unschicklich war.  Dem König kam's auch so vor, denn er sagte: "Was
fällt dir ein?  Willst du noch eine?" Der Leibhusar sagte: Nein, er
habe genug an einer; "aber die andern", sagte er, "brauchen nicht zu
wissen, wenn ich hinauskomme, was zwischen uns vorgefallen ist." Da
lächelte der König wieder und war nimmer böse über den Leibhusar.

Item, einmal tut so etwas gut, ein ander Mal nicht.



Lange Kriegsfuhr


Dies ist die Geschichte, die dem Hausfreund vor einem Jahr ein
unsichtbarer Freund geschenkt hat, und der Freund sagt, er kenne die
Abkömmlinge des Wirts, und die Sache sei ganz gewiss.

Im Dreissigjährigen Krieg, der Schwed zog durch ein namhaftes Dorf
im Wiesenkreis und in dem Dorf durchs Wirtshaus, und im Durchziehen
durch den Hof blieb der Knecht des Wirts mit einem Wagen und vier
Pferden an der Kolonne hängen.  Denn er musste Tornister führen und
Offizierskisten und Weibsleute.  Der Meister sagte: "Komm bald wieder
heim, Jobbi!" Der Jobbi dachte: An mir soll's nicht fehlen.  Die
Meisterin weinte und lamentierte, aber ein schwedischer Korporal
sagte: "Man wird Ross nicht fressen.  Tatar frisst Ross." Indessen
ging die erste Tagsstation nur bis nach Freiburg, die zweite nur bis
nach Kippenheim, die dritte nur bis nach Ortenberg, die vierte nur
bis nach Hornberg, die fünfte nur bis nach Villingen im Schwarzwald.
Dem armen Jobbi so hoch droben bei den Wolken war schon das Leben
feil, und die Pferde hätten auch gern ins Gras gebissen, aber noch
lieber in den Haber.  Und unter allen vieren beklagte der Jobbi am
meisten sein Lieblingsross, den Jockli, dass er schon in seinen
besten Jahren ein Kriegsheld werden musste.  Aber das half alles
nichts.  Wo man hinkam, waren keine Fuhren zu haben; so musste der
Jobbi und der Jockli mit, ungefragt und ungebeten, bis weit hinein
ins Schwabenland und hintersich und fürsich, und aus so viel Tagen
wurden so viel Monate und mehr, bis er einmal zwischen einem Montag
und Dienstag Gelegenheit fand, eine Spazierfahrt für sich zu machen
ins Freie.  Die österreichischen Vorposten riefen ihn an: "Wer da?"--
"Gut Freund."--"Wer ist gut Freund?" "Der Jobbi von da und da."
"Bassa mallergi", sagte der Korporal, "bist du Jobbi von da und da?"
Der Korporal hatte auch schon einen Schluck Branntwein oder
vierundzwanzig bei seinem Meister getrunken und kannte den Jobbi,
und der Vorpostenhauptmann war auch schon auf dem Jockli nach
Waldshut geritten und kannte den Jockli.  Also sagte der Hauptmann:
"Willst du einen Pass nach Haus oder willst du bei uns bleiben und
Geld genug verdienen?" Da dachte der Jobbi: Aufgegeben hat mich der
Meister schon lang und einen andern Zug gekauft.  Attrapiert mich
unterwegs der Schwed, so geht's zu bösen Häusern oder gar zu bösen
Bäumen, und der Mund stand ihm voll Wasser, wenn er sah, wie die
österreichischen Dukaten flogen und auf den Boden fielen, und
niemand buckte sich darnach.  Denn der österreichische Krieg hat
Geld.  Also blieb der Jobbi bei der Armee, hauderte hin und her, bis
nach Pressburg hinein im Ungarland und wieder zurück, handelte auch
ein wenig und gewann Hüte voll Geld.  Der Wagen zerbrach; er kaufte
sich einen neuen.  Ein Pferd fiel nach dem andern, die Beute hatte
andere.  Nur der Jockli hielt aus bergauf und ab, durch dick und
dünn.  Gleichwohl dachte der alte Knabe oft an den Meister und an die
Meisterin daheim, und wie er auch wieder einmal zurückwolle, wenn's
sauber sei im Reich.  Und der Meister und die Meisterin daheim
dachten auch manchmal an den Jobbi selig, und wie es ihm möge
ergangen sein bei den Schweden.  Eines Tags, als schon alle Kanonen
vom Rhein bis an die Donau und bis an die Ostsee versaust hatten,
die Meisterin schnitt die Suppe ein zum Mittagessen, und der Wirt
richtete den Zeiger an der Wanduhr, denn es schlug auf der Kirche,
da seufzte die Frau und sagte nichts.  Der Meister fragt: "Was fehlt
dir?"--"He nichts", sagte sie; "ich hab' an den Jobbi gedacht, Gott
hab' ihn selig, und an den schönen Zug; heut jährt sich's wieder."--
" Es wird sich noch vielmal jähren", sagte der Mann; "gottlob!  dass
wieder Ruhe im Lande ist." Indem tritt der Hausknecht herein und
sagt: "Meister, da draussen haltet ein obsonater Gesell, ein Ungar
mit schneeweissem Bart und 4. Rossen, der aussieht wie ein
Marketender, und hat auch so ein Brannteweinfässlein auf dem Wagen.

Kommt mir der Sapperment frangschemang in den Stall und sagt: An
diesem Platz bin ich der Meister; drauf jagt er Eure Pferde in den
Hof hinaus und bindet die seinigen an.  Ist noch Krieg oder ist's
Frieden?" Indem der Meister hinauswill, kommt der Ungar hinein und
sagt: Gemach!--Der Wirt fragt: "Woher des Landes?  Solche Gäste
haben wir auch schon gehabt." "Eine Halbe will ich", sagte der
Ungar, "von Eurem Besten und zwei Gläser."--"Das ist nicht von
Euerm Besten", sagte er nachher.  "Von dem Grenzacher will ich im
hintern Keller oder von dem Laufemer hinter der Brotbahre, wo die
Katz darauf sitzt." Der Wirt sagt: "Woher wisst Ihr, was ich für
Wein im Keller habe?" Der Ungar sagt: "Von Euerm alten Knecht, dem
Jobbi", und wollte sich noch lange verstellen.  Als er aber seinen
Namen hörte, wiewohl er ihn selber aussprach, konnte er nimmer an
sich halten, sondern ergriff die Hand des Meisters, und die Tränen
rannen ihm aus den Augen in den weissen Bart wie der köstliche
Balsam, der herabfliesst in den Bart Aarons, der herabfleusst in
sein Kleid und Lust und Freude erregt.  "Ich bin ja der alte Jobbi",
sagte der vermeinte Ungar, "wo einmal bei Euch"--aber der Wirt und
die Wirtin unterbrachen ihn mit einem lauten Freudengeschrei, "und
den Jockli hab' ich auch wieder mitgebracht", sagte der Jobbi, "die
andern sind neu." Jetzt ging's an ein Bewillkommen und an ein
Fragen, der Wirt rief die Kinder zusammen, der Jobbi sei wieder da,
und die Mutter brachte die Kleinen, eins an der Hand, eins auf dem
Arme; aber sie fürchteten sich und schrieen vor dem fremden Bart;
und der Herr Schulmeister kam im Vorbeigehen auch hinein.  Als aber
der Meister ein Glas zum Willkommen mit ihm getrunken hatte und
wollte ihm das zweite einschenken, sagte der Jobbi: "Das Fässlein!
Wir müssen zuerst das Fässlein abladen." Drauf brachte der Wirt, der
Jobbi und der Hausknecht ein Fässlein, aber nicht mit Branntwein,
nein, voll kaiserlicher Taler und Kremnitzer Dukaten, ab dem Wagen
herein, so schwer sie tragen konnten.  "Dies ist Euer Geld", sagte
der Jobbi, "das ich Euch ehrlich verdient habe.  Ich verlange nichts
als für die sechs Jahre meinen Lohn und für den Jockli den
Ruhestand." Der Meister sagte: "Du sollst keinen Lohn von mir
bekommen, sondern du sollst das Kind im Hause sein, und zwar das
älteste." Aber der Jobbi sagte: "Ihr habt unterdessen, wie ich sehe,
Kinder genug bekommen.  Lasst mich, wie ich bin" und ging mit einem
Mund voll Brot hinaus, um nach den Pferden zu sehen und seine alten
Geschäfte zu verrichten wie vorher, als wenn er nie weggegessen
wäre.

Also blieb er bis an sein Ende im Dienste seines Meisters und
vermachte ihm, weil er keinen Erben hatte, noch sein Vermögen von
520 Pfund Basler Währung, tut 416 Gulden rheinisch.  Der Meister aber
rührte das Geld nicht an, sondern stiftete es für die Armen.

Merke: der Hausfreund kann letzteres nicht für gewiss sagen.  Aber er
denkt so: War der Jobbi ein guter Knecht, so war der Meister ein
guter Mensch.  Fromme Herrschaft zieht frommes Gesinde.  Grobheit,
Fluchen und Geiz ist der falsche Weg zu gutem Gesind, hinten herum.

Ist also der Wirt ein so räsonabler Mann gewesen, hat er auch das
Geld den Armen geschenkt.



List gegen List


Einem namhaften Goldschmied hatten zwei vornehm gekleidete Personen
für 3000 Taler kostbare Kleinode abgekauft für auf die Krönung in
Ungarn.  Hernach bezahlten sie ihm tausend Taler bar, legten alles,
was sie ausgesucht hatten, in ein Schächtelein zusammen, siegelten
das Schächtelein zu und gaben es dem Goldschmied gleichsam als
Unterpfand für die noch fehlende Summe wieder in Verwahrung;
wenigstens kam es dem Goldschmied so vor, als wenn es das nämliche
wäre.  "In vierzehn Tagen", sagten sie, "bringen wir Euch die
fehlende Summe und nehmen alsdann das Schächtelein in Empfang."
Alles wurde schriftlich gemacht.  Allein es vergehen drei Wochen,
niemand meldet sich.  Der Krönungstag geht vorüber, es gehen noch
vier Wochen vorüber.  Niemand will mehr nach dem Schächtelein fragen.
Endlich dachte der Goldschmied: "Was soll ich euch euer Eigentum
hüten auf meine Gefahr und mein Kapital tot drinnen liegen haben?"
Also wollte er das Schächtelein in Beisein einer obrigkeitlichen
Person eröffnen und die bereits empfangenen 1000 Taler hinterlegen.
Als es aber geöffnet ward, "lieber, guter Goldschmied", sagte der
Aktuarius, "wie seid Ihr von den zwei Spitzbuben angeschmiert."
Nämlich in dem Schächtelein lagen statt Edelgestein Kieselstein und
Fensterblei statt Goldes.  Die zwei Kaufleute waren spitzbübische
Taschenspieler, böhmische Juden, brachten das wahre Schächtelein
unvermerkt auf die Seit und gaben dem Goldschmied ein anderes
zurück, welches ebenso aussah.  "Goldschmied", sagte der Aktuarius,
"hier ist guter Rat teuer.  Ihr seid ein unglücklicher Mann." Indem
trat wohlgekleidet und ehrbar ein Fremder zur Türe herein und wollte
dem Goldschmied allerlei krummgebogenes Silbergeschirr und
einsechtige (einzelne) Schnallen verkaufen und sah den Spektakel.
"Goldschmied", sagte er, als der Aktuarius fort war, "Euer Lebelang
müsst Ihr Euch nicht mit den Schreibern einlassen.  Haltet Euch an
praktische Männer.  Habt Ihr das Herz, eine Wurst an eine Speckseite
zu setzen, Euch ist zu helfen.  Wenn Euer Schächtelein oder der Wert
dafür noch in der Welt ist: ich schaff Euch die Spitzbuben wieder
ins Haus."--"Wer seid Ihr, um Vergebung?" fragte der Goldschmied.--
"Ich bin der Zundelfrieder", erwiderte der Fremde mit Vertrauen und
mit einem recht liebenswürdig freundlichen Spitzbubengesicht.  Wer
den Frieder nicht persönlich kennt wie der Hausfreund, der kann sich
keine Vorstellung davon machen, wie ehrlich und gutmütig er sich
anstellen und dem vorsichtigsten Menschen so unwiderstehlich das
Herz und das Vertrauen abstehlen kann wie das Geld.  Auch ist er in
der Tat so schlimm nicht, als man ihn zwischen Bühl und Achern dafür
hält.  Ob nun der Goldschmied noch überdies an das Sprichwort dachte,
dass man Spitzbuben am besten mit Spitzbuben fangen könne, oder ob
er an ein anderes Sprichwort dachte, dass, wer das Ross geholt hat,
der hole auch den Zaum (wegen einer guten Freundin will ihn der
Hausfreund nicht mit Namen nennen), kurz, der Goldschmied vertraut
sich dem Frieder an.  "Aber ich bitte Euch", sagte er, "betrügt mich
nicht." "Verlasst Euch auf mich", sagte der Frieder, "und erschreckt
nicht allzusehr, wenn Ihr morgen früh wieder um etwas klüger
geworden seid!" Vielleicht ist der Freister auf einer Spur?  Nein, er
ist noch auf keiner.  Aber wer in selbiger Nacht dem Goldschmied auch
noch vier Dutzend silberne Löffel, sechs silberne Salzbüchslein,
sechs goldene Ringe mit kostbaren Steinen holte, das war der
Frieder.  Manch geneigter Leser, der auf ihn nicht viel halten will,
wird denken: "Das geschah dir recht." Desto besser.  Denn dem
Goldschmied war es auch recht.  Nämlich auf dem Tisch fand er von dem
Zundelfrieder einen eigenhändigen Empfangschein, dass er obige
Artikel richtig erhalten habe, und ein Schreiben, wie sich der
Goldschmied nun weiter zu verhalten habe.  Nämlich er zeigt jetzt
nach des Frieders Anleitung den Diebstahl bei Amt an und bat um
einen Augenschein.  Hernach bat er den Amtmann, die verlorenen
Artikel in allen Zeitungen bekannt zu machen.  Hernach bat er, auch
das versiegelte Schächtelein mit seiner ganzen Beschreibung mit in
das Verzeichnis zu setzen, um etwas.  Der Amtmann sah ins Klare und
verwilligte ihm den Wunsch.  "Einem honetten Goldschmied", dachte er,
"kann ein Mann, der eine Haushaltung führt, etwas zum Gefallen tun."

Also verlauft es sich in alle Zeitungen, dem Goldschmied sei
gestohlen worden das und das, unter andern ein Schächtelein so und
so mit vielen kostbaren Edelgesteinen, die alle benannt wurden.  Die
Nachricht kam bis nach Augsburg.  "Löb", schmunzelte dort ein
böhmischer Jud dem andern zu, "der Goldschmied wird nie erfahren,
was in dem Schächtelein war.  Weisst du, dass es ihm gestohlen ist?"
- "Desto besser", sagte der Löb, "so muss er uns auch unser Geld
zurückgeben und hat gar nichts." Kurz, die Betrüger gehn dem Frieder
in die Falle und kommen wieder zu dem Goldschmied.  "Seid so gut und
gebt uns itzt das Schächtelein!  Nicht wahr, wir haben Euch ein wenig
lange warten lassen?"--"Liebe Herren", erwiderte der Goldschmied,
"euch ist unterdessen ein grosses Unglück geschehen, das
Schächtelein ist euch gestohlen.  Habt ihr's noch in keiner Zeitung
gelesen?" Der Löb erwiderte mit ruhiger Stimme: "Das wäre uns leid,
aber das Unglück wird wohl auf Eurer Seite sein.  Ihr liefert uns das
Schächtelein ab, wie wir's Euch in die Hände gegeben haben, oder Ihr
gebt uns unser vorausbezahltes Geld zurück.  Die Krönung ist ohnehin
vorüber."--Man sprach hin, man sprach her, "und das Unglück wird
eben doch auf Euerer Seite sein", nahm wieder der Goldschmied das
Wort.  Denn im nämlichen Augenblick traten jetzt mit seiner Frau vier
Hatschiere in die Stube, handfeste Männer, wie sie sind, und fassten
die Spitzbuben.  Das Schächtelein war nimmer aufzutreiben, aber das
Zuchthaus und so viel Geld und Geldeswert, als nötig war, den
Goldschmied zu bezahlen.  Aus Dankbarkeit zerriss der Goldschmied
hernach den Empfangschein des Frieders.  Aber der Frieder brachte ihm
alles wieder und verlangte nichts für seinen guten Rat.  "Wenn ich
einmal etwa von Euerer Ware benötiget bin", sagte er, "so weiss ich
ja jetzt den Weg in Euern Laden und zu Euerm Kästlein.  Wenn ich nur
alle Spitzbuben zu Grunde richten könnte", sagte er, "dass ich der
einzige wäre." Denn eifersüchtig ist er.



Mancherlei gute Lehren


Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf und
tragen es ungeduldiger als ein grosses Unglück, und der ist noch
nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat und alle Tage
etwas anders.  Erfahrung und Übung im Unglück lehrt schweigen.  Aber
wenn ihr einen Menschen wisst, der nicht klagt und doch nicht
fröhlich sein kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch
kurz und gut oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen
abzugewinnen, wenn ihr es wert seid, und ratet und helft ihm, wenn
ihr könnt.



Mancherlei gute Lehren 2


Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die
bösen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen und das Gute nur
durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlägt?  Euer bester
Ackerboden trägt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft,
und euer Leben lang keine Weizenernte; und ein dürres Sandfeld, das
nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern
Fleiss und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen.  Aber
wenn ihr den guten Boden ansäet zu rechter Zeit, sein wartet und
pfleget, wie sich's gebühret, so steigt im Morgentau und Abendregen
doch eine fröhliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und
mancherlei taubes Gras möchte gern, aber es kann nicht mehr
emporkommen.  Die gesunde Ähre schwankt in der Luft und füllt sich
mit kostbaren Körnern.  So ist es mit dem Menschen und mit seinem
Herzen auch.  Was lernen wir daraus?  Man muss nicht unzeitig klagen
und hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie erfüllt werden kann.
Man muss den Fleiss, die Mühe und Geduld, die man an eine Handvoll
Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kindern sich nicht
verdriessen lassen.  Man muss dem Unkraut zuvorkommen und guten
Samen, schöne Tugenden in das weiche, zarte Herz hineinpflanzen und
Gott vertrauen, so wird's besser werden.



Mancherlei gute Lehren 3


Man vergisst im menschlichen Leben nichts so leicht als das
Multiplizieren, wenn man es noch so gut in der Schule gelernt hat
und kann.  Und doch lernt man in der Schule für das Leben, und die
Weisheit besteht nicht im Wissen, sondern in der rechten Anwendung
und Ausübung davon.

Es kann jemand einen Tag in den andern nur einen Groschen
unnötigerweise ausgeben.  Mancher, der den Groschen übrig hat, tut es
und meint, es sei nicht viel.  Aber in einem Jahr sind es 365
Groschen und in dreissig Jahren 10’950 Groschen.  Facit 547 Gulden 30
Kreuzer weggeworfenes Geld, und das ist doch viel.

Ein anderer kann einen Tag in den andern zwei Stunden unnütz und im
Müssiggang zubringen und meint jedesmal, für heute lasse es sich
verantworten.  Das multipliziert sich in einem Jahr zu 730 Stunden
und in dreissig Jahren zu 21’900 Stunden.  Facit 912 verlorne Tage
des kurzen Lebens.  Das ist noch mehr als 547 Gulden, wer's bedenkt.
- Die Erde hat 5400 Deutsche Meilen oder 10’800 Stunden im Umkreis.
Das ist ein weiter Weg.  Aber wenn man in gerader Linie fortgehen
könnte, und es wollte jemand jeden Tag nur eine Stunde daran
zurücklegen, so könnte er im dreissigsten Jahr bei guter Zeit wieder
daheim sein.  Oder wenn er jeden Tag zehn Stunden auf seine Reise
verwenden wollte, so könnte er in zehn Jahren zehnmal um die ganze
grosse Erde herumkommen.  Daraus ist zu lernen, wie weit ein Mensch
in seinem Leben es nach und nach bringen kann, wenn er zu einem
nützlichen Geschäft jeden Tag nur eine Stunde anwenden will, und
wieviel weiter noch, wenn er alle Tage dazu benutzt, besser und
vollkommener zu werden und sein eigenes Wohl und das Wohl der
Seinigen zu befördern.  Aber wer nie anfängt, der hört nie auf, und
wem wenig auf einmal nicht genug ist, der erfährt nie, wie man nach
und nach zu vielem kommt.



Mancherlei gute Lehren 4


Zum Erwerben eines Glücks gehört Fleiss und Geduld und zur Erhaltung
desselben gehört Mässigung und Vorsicht.  Langsam und Schritt für
Schritt steigt man eine Treppe hinauf.  Aber in einem Augenblick
fällt man hinab und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die
Erde.



Mancherlei gute Lehren 5


Es sagt ein altes Sprichwort: Selber essen macht fett.  Ich will noch
ein paar dazusetzen: Selber Achtung geben macht verständig.  Und
selber arbeiten macht reich.  Wer nicht mit eigenen Augen sieht,
sondern sich auf andere verlässt, und wer nicht selber Hand anlegt,
wo es nötig ist, sondern andere tun lässt, was er selber tun soll,
der bringt's nicht weit, und mit dem Fettwerden hat es bald ein
Ende.



Mancherlei gute Lehren 6


Ein anderes Sprichwort heisst so: Wenn man den Teufel an die Wand
malt, so kommt er.  Das sagt mancher und versteht's nicht.  Den bösen
Geist kann man eigentlich nicht an die Wand malen, sonst wäre es
kein Geist.  Auch kann er nicht kommen.  Denn er ist mit Ketten der
Finsternis in die Hölle gebunden.  Was will denn das Sprichwort
sagen?  Wenn man viel an das Böse denkt und sich dasselbe in Gedanken
vorstellt oder lang davon spricht, so kommt zuletzt die Begierde zu
dem Bösen in das Herz, und man tut's.  Soll der böse Feind nicht
kommen, so mal' ihn nicht an die Wand!  Willst du das Böse nicht tun,
so denke nicht daran, wo du gehst und stehst, und sprich nicht
davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges wäre.



Mancherlei gute Lehren 7


Einmal ist keinmal.  Dies ist das verlogenste und schlimmste unter
allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter
Rechnungsmeister oder ein boshafter.  Einmal ist wenigstens einmal
und daran lässt sich nichts abmarkten.  Wer einmal gestohlen hat, der
kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen
sagen: "Gottlob!  ich habe mich nie an fremdem Gut vergriffen." Und
wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird, alsdann ist einmal nicht
keinmal.  Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens
mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal und hundert- und tausendmal.
Denn wer das Böse einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich
auch fort.  Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann tritt
zuletzt ein anderes Sprichwort ein, dass der Krug so lange zum
Brunnen gehe, bis er bricht.



Mancherlei gute Lehren 8


Nun kommen zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie
schon einander widersprechen.  Von zwei unbemittelten Brüdern hatte
der eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das
Geld nicht zu den Fenstern hineinregnete.  Er sagte immer: "Wo nichts
ist, kommt nichts hin." Und so war es auch.  Er blieb sein Leben lang
der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit
einem kleinen Ersparnis den Anfang zu machen, um nach und nach zu
einem grössern Vermögen zu kommen.  So dachte der jüngere Bruder
nicht.  Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er
hielt das wenige, was ihm von der Verlassenschaft der Eltern zu teil
geworden war, zu Rat und vermehrte es nach und nach durch eigenes
Ersparnis, indem er fleissig arbeitete und eingezogen lebte.

Anfänglich ging es hart und langsam.  Aber sein Sprichwort: Was nicht
ist, kann werden, gab ihm immer Mut und Hoffnung.  Mit der Zeit ging
es besser.  Er wurde durch unverdrossenen Fleiss und Gottes Segen
noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders
Wonichtsist, der selber nichts zu beissen und zu nagen hat.



Mancherlei gute Lehren 9


"Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet." Das muss
zweimal wahr sein.  Fürs erste kann gar wohl der einfältigste Mensch
eine Frage tun, worauf auch der weiseste keinen Bescheid zu geben
weiss.  Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft
leichter ist als Geben, Rufen leichter als Kommen.  Fürs andere
könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will
nicht, weil die Frage einfältig ist oder wortwitzig, oder weil sie
zur Unzeit kommt.  Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen
Menschen am Fragen und den verständigen am Schweigen.  Da heisst es
alsdann: Keine Antwort ist auch eine Antwort.  Von dem Doktor Luther
verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der
Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch getan habe.  Dem erwiderte
der fromme und witzige Mann: in einem Birkenwald sei der liebe Gott
gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze
Fragen tun, Ruten geschnitten.



Mancherlei gute Lehren 10


"Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden." Damit entschuldigen
sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht
treiben und vollenden mögen und schon müde sind, ehe sie recht
anfangen.  Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen.  Es haben
viele fleissige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum
späten Abend unverdrossen daran gearbeitet und nicht abgelassen, bis
es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand.  So ist Rom
entstanden!  Was du zu tun hast, mach's auch so!



Mancherlei gute Lehren 11


"Frisch gewagt, ist halb gewonnen." Daraus folgt: "Frisch gewagt,
ist auch halb verloren." Das kann nicht fehlen.  Deswegen sagt man
auch: "Wagen gewinnt, Wagen verliert." Was muss also den Ausschlag
geben?  Prüfung, ob man auch die Kräfte habe zu dem, was man wagen
will, Überlegung, wie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen
Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt
hat, ein besonnenes B und ein bescheidenes C.  Aber so viel muss wahr
bleiben: wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden und kann nicht
anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der
muss dich durchreissen.  Aber wenn du immer willst und fangst nie an,
oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder und willst,
wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann
ist "schlecht gewagt ganz verloren".



Mancherlei gute Lehren 12


Ende gut, alles gut.  Ist nicht so zu verstehen: wenn du ein Jahr
lang in einem Hause zu bleiben hast, so führe dich 364 Tage lang
bengelhaft auf, und am 31. Dezember werde manierlich.  Sondern es
gibt Leute, die manierlich sein können bis ans Ende, und wenn's
nimmer lang währt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: "Ich bin
froh, dass es nimmer lang währt", und die andern denken's auch.  Für
diese ist das Sprichwort.

Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder bös sind, kann erst das Ende
lehren.  Z.  B.  du bist krank, möchtest gern essen, was dir der Arzt
verbietet, gern auf die Gasse giessen, was du trinken musst, aber du
wirst gesund--oder du bist in der Lehre und meinst manchmal, der
Lehrherr sei wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit
ein geschickter Weissgerber oder Orgelmacher;--oder du bist im
Zuchthaus, der Zuchtmeister könnte dir wohl die Suppe fetter machen,
aber du wirst durch Wasser und Brot nicht nur gesättigt, sondern
auch gebessert.  Dann lehrt das gute Ende, dass alles gut war.



Merkwürdige Gespenstergeschichte


Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein
schöner, braver Ort ist.  Den Berg hinauf aber ging er zu Fuss wegen
den Rossen und erzählte einem Grenzacher folgende Geschichte, die
ihm selber begegnet ist.

Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Dänemark reiste, kommt er
auf den späten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer
Anhöhe ein sauberes Schlösslein stand, und will über Nacht bleiben.
Der Wirt sagt, er habe keinen Platz mehr für ihn, es werde morgen
einer gerichtet, und seien schon drei Scharfrichter bei ihm über
Nacht.  So erwidert der Herr: "Ich will denn dort in das Schlösslein
gehen.  Der Zwingherr, oder wem es angehört, wird mich schon
hineinlassen und ein leeres Bett für mich haben." Der Wirt sagt:
"Manch schönes Bett mit seidenen Umhängen steht aufgeschlagen in den
hohen Gemächern; und die Schlüssel hab' ich in Verwahrung.  Aber ich
will es Euch nicht raten.  Der gnädige Herr ist schon vor einem
Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise
gezogen, und seit der Zeit wüten im Schlösslein die Gespenster.  Der
Schlossvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem
in das Schlösslein gekommen ist, der geht zum zweiten Mal nimmer
hinein." Darüber lächelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter
Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: "Ich will's
probieren." Trotz aller Widerrede musste ihm der Wirt den Schlüssel
geben; und nachdem er sich mit dem Nötigen zu einem Gespensterbesuch
versehen hatte, ging er mit dem Bedienten, so er bei sich hatte, in
das Schloss.  Im Schloss kleidete er sich nicht aus, wollte auch
nicht schlafen, sondern abwarten, was geschieht.  Zu dem Ende stellte
er zwei brennende Lichter auf den Tisch, legte ein Paar geladene
Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den Rheinländischen
Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem roten, seidenen
Bändelein unter der Spiegelrahmen hing, und beschaute die schönen
Bilder.  Lange wollte sich nichts spüren lassen.  Aber als die
Mitternacht im Kirchturm sich rührte und die Glocke zwölf schlug,
eine Gewitterwolke zog über das Schloss weg, und die grossen
Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreimal stark an
die Türe, und eine fürchterliche Gestalt mit schwarzen, schielenden
Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zähnen und einem
Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach und brummte mit
fürchterlicher Stimme: "Ich bin der Grossherr Mephistopholes.
Willkomm in meinem Palast!  Und habt Ihr auch Abschied genommen von
Frau und Kind?" Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom
grossen Zehen an über den Rücken hinauf, bis unter die Schlafkappe,
und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken.  Als aber der
Mephistopholes mit fürchterlichen Grimassen und hochgehobenen Knien
gegen ihn herkam, als wenn er über lauter Flammen schreiten müsste,
dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jetzt ist's einmal so, und
stand herzhaft auf, hielt dem Ungetüm die Pistolen entgegen und
sprach: "Halt oder ich schiess'!" Mit so etwas lässt sonst nicht
jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schiessen will, so
geht's nicht los, oder die Kugel fährt zurück und trifft nicht den
Geist, sondern den Schütz.  Aber Mephistopholes hob drohend den
Zeigfinger in die Höhe, kehrte langsam um und ging mit ebensolchen
Schritten, als er gekommen war, wieder fort.  Als aber der Fremde
sah, dass dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er:
Jetzt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht und
ging dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, ebenso
langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter
ihm zum Tempel hinaus und ins Ort, dachte, er wolle lieber bei den
Scharfrichtern über Nacht sein als bei den Geistern.--Aber auf dem
Gang auf einmal verschwindet der Geist vor den Augen seines kühnen
Verfolgers, und war nicht anders, als wäre er in den Boden
geschlupft.  Als aber der Herr noch ein paar Schritte weiter gehen
wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hörte auf einmal unter
seinen Füssen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus
welchem ihm Feuerglast entgegenkam, und er glaubte selber, jetzt
geh' es an einen andern Ort.  Als er aber ungefähr zehn Fuss tief
gefallen war, lag er zwar unbeschädigt auf einem Haufen Heu in einem
unterirdischen Gewölb.  Aber sechs kuriose Gesellen standen um ein
Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da.  Allerlei
wunderbares Geräte lag umher, und zwei Tische lagen gehauft voll
funkelnder Rössleintaler, einer schöner als der andere.  Da merkte
der Fremde, wie er daran war.  Denn das war eine heimliche
Gesellschaft von Falschmünzern, so alle Fleisch und Bein hatten.
Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem
Schloss ihre verborgenen Münzstöcke an, und waren vermutlich von
seinen eigenen Leuten dabei, die im Haus Bericht und Gelegenheit
wussten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestört und unbeschrien
treiben konnten, fingen sie den Gespensterlärmen an, und wer in das
Haus kam, wurde so vergelstert, dass er zum zweiten Mal nimmer kam.
Aber jetzt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine
Unvorsichtigkeit zu bereuen, und dass er den Vorstellungen des Wirts
im Dorf kein Gehör gegeben hatte.  Denn er wurde durch ein enges Loch
hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben und hörte wohl, wie
sie Kriegsgericht über ihn hielten und sagten: "Es wird das beste
sein, wenn wir ihn umbringen und danach verlochen." Aber einer sagte
noch: "Wir müssen ihn zuerst verhören, wer er ist, und wie er
heisst, und wo er sich herschreibt." Als sie aber hörten, dass er
ein vornehmer Herr sei und nach Kopenhagen zum König reise, sahen
sie einander mit grossen Augen an, und nachdem er wieder in dem
finstern Gewölb war, sagten sie: "Jetzt steht die Sache letz.  Denn
wenn er gemangelt wird, und es kommt durch den Wirt heraus, dass er
ins Schloss gegangen ist und ist nimmer herausgekommen, so kommen
über Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dies Jahr
wohlgeraten, dass ein Strick zum Henken nicht viel kostet." Also
kündigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid
ablegte, dass er nichts verraten wolle, und drohten, dass sie in
Kopenhagen wollten auf ihn Achtung geben lassen; er musste ihnen auf
den Eid hin sagen, wo er wohne.  Er sagte: "Neben dem Wilden Mann
linker Hand in dem grossen Haus mit grünen Läden." Danach schenkten
sie ihm Burgunderwein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu,
wie sie Rössleintaler prägten bis an den Morgen.  Als aber der Tag
durch die Kellerlöcher hinabschien und auf der Strasse die Geisseln
knallten, und der Kuhhirt hürnte, nahm der Fremde Abschied von den
nächtlichen Gesellen, bedankte sich für die gute Bewirtung und ging
mit frohem Mute wieder in das Wirtshaus, ohne daran zu denken, dass
er seine Uhr und seine Tabakspfeife und die Pistolen habe liegen
lassen.  Der Wirt sagte: "Gottlob, dass ich Euch wieder sehe, ich
habe die ganze Nacht nicht schlafen können.  Wie ist es Euch
gegangen?" Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um
sein Leben zu retten, muss man den Namen Gottes nicht missbrauchen,
wenn man's nicht halten will.  Deswegen sagte er nichts, und weil
jetzt das Glöcklein läutete und der arme Sünder hinausgeführt wurde,
so lief alles fort.  Auch in Kopenhagen hielt er nachher reinen Mund
und dachte selber fast nicht mehr daran.  Aber nach einigen Wochen
kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein Paar neue,
mit Silber eingelegte Pistolen von grossem Wert, eine neue goldene
Uhr mit kostbaren Demantsteinen besetzt, eine türkische Tabakspfeife
mit einer goldenen Kette daran und eine seidene, mit Gold gestickte
Tabaksblase und ein Brieflein drin.  In dem Brieflein stand: "Dies
schicken wir Euch für den Schrecken, so Ihr bei uns ausgestanden,
und zum Dank für Euere Verschwiegenheit.  Jetzt ist alles vorbei, und
Ihr dürft es erzählen, wem Ihr wollt." Deswegen hat's der Herr dem
Grenzacher erzählt, und das war die nämliche Uhr, die er oben auf
dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute,
ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu
Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf
geboten worden.  Aber er hat sie nicht drum geben.



Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers


Eines Tages reiste ein junger Engländer auf dem Postwagen zum ersten
Mal in die grosse Stadt London, wo er von den Menschen, die daselbst
wohnen, keinen einzigen kannte als seinen Schwager, den er besuchen
wollte, und seine Schwester, so des Schwagers Frau war.  Auch auf dem
Postwagen war neben ihm niemand als der Kondukteur, das ist der
Aufseher über den Postwagen, der auf alles achthaben und an Ort und
Stelle über die Briefe und Pakete Red und Antwort geben muss; und
die zwei Reisekameraden dachten damals auch nicht daran, wo sie
einander das nächste Mal wieder sehen würden.  Der Postwagen kam erst
in der tiefen Nacht in London an.  In dem Posthause konnte der Fremde
nicht über Nacht bleiben, weil der Postmeister daselbst ein
vornehmer Herr ist und nicht wirtet, und des Schwagers Haus wusste
der arme Jüngling in der ungeheuer grossen Stadt bei stockfinsterer
Nacht so wenig zu finden als in einem Wagen voll Heu eine
Stecknadel.  Da sagte zu ihm der Kondukteur: "Junger Herr, kommt Ihr
mit mir!  Ich bin zwar auch nicht hier daheim, aber ich habe, wenn
ich nach London komme, bei einer Verwandten ein Stüblein, wo zwei
Betten stehen.  Meine Base wird Euch schon beherbergen, und morgen
könnt Ihr Euch alsdann nach Eures Schwagers Haus erkundigen, wo
Ihr's besser finden werdet." Das liess sich der junge Mensch nicht
zweimal sagen.  Sie tranken bei der Frau Base noch einen Krug
englisches Bier, das noch besser sein soll als das Donaueschinger
oder Säckinger, so doch auch nicht schlecht ist, assen eine
Knackwurst dazu und legten sich dann schlafen.  In der Nacht kam den
Fremden eine Notdurft an, und musst' hinausgehen.  Da war er übler
dran als noch nie.  Denn er wusste in seiner dermaligen
Nachtherberge, so klein sie war, so wenig Bericht, als ein paar
Stunden vorher in der grossen Stadt.  Zum Glück aber wurde der
Kondukteur auch wach und sagte ihm, wie er gehen müsse, links und
rechts und wieder links.  "Die Türe", fuhr er fort, "ist zwar
verschlossen, wenn Ihr an Ort und Stelle kommt, und wir haben den
Schlüssel verloren.  Aber nehmt in meinem Rockelorsack mein grosses
Messer mit und schiebt es zwischen dem Türlein und dem Pfosten
hinein, so springt inwendig die Falle auf.  Geht nur dem Gehör nach!
Ihr hört ja die Themse rauschen, und zieht etwas an, die Nacht ist
kalt." Der Fremde erwischte in der Geschwindigkeit und in der
Finsternis das Kamisol des Kondukteurs statt des seinen, zog es an
und kam glücklich an den Platz.  Denn er schlug es nicht hoch an,
dass er unterwegs einmal den Rang zu kurz genommen hatte, so dass er
mit der Nase an ein Eck anstiess und wegen dem hitzigen Bier, so er
getrunken hatte, entsetzlich blutete.  Allein ob dem starken
Blutverlust und der Verkältung bekam er eine Schwäche und schlief
ein.  Der nachtfertige Kondukteur wartete und wartete, wusste nicht,
wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen
Lärm vernahm; da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: "Was
gilt's, der arme Teufel ist an die Haustüre kommen, ist auf die
Gasse hinausgegangen und gepresst worden." Denn wenn die Engländer
viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte
starke Männer nachts in den gemeinen Wirtsstuben, in verdächtigen
Häusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Hände
kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange: "Landsmann, wer
bist du?" oder "Landsmann, wer seid Ihr?" sondern machen kurzen
Prozess, schleppen ihn--gern oder ungern--fort auf die Schiffe,
und Gott befohlen!  Solch eine nächtliche Menschenjagd nennt man
Pressen; und deswegen sagte der Kondukteur: "Was gilt's, der arme
Teufel ist gepresst worden?"--In dieser Angst sprang er eilig auf,
warf seinen Rockelor um sich und eilte auf die Gasse, um womöglich
den armen Schelm zu retten.  Als er aber eine Gasse und zwei Gassen
weit dem Lärmen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die
Hände, wurde auf ein Schiff geschleppt--ungern--und den andern
Morgen weiters.  Weg war er.  Nachher kam der junge Mensch im Hause
wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurück, ohne den
Schlafkameraden zu mangeln, und schlief bis in den Tag.  Unterdessen
wurde der Kondukteur um acht Uhr auf der Post erwartet, und als er
immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter
abgeschickt, ihn zu suchen.  Der fand keinen Kondukteur, aber einen
Mann mit blutigem Gewand im Bett liegen, auf dem Gang ein grosses
offenes Messer, Blut bis auf den Abtritt und unten rauschte die
Themse.  Da fiel ein böser Verdacht auf den blutigen Fremdling, er
habe den Kondukteur ermordet und in das Wasser geworfen.  Er wurde in
ein Verhör geführt, und als man ihn visitierte und in den Taschen
des Kamisols, das er noch immer anhatte, einen ledernen Geldbeutel
fand mit dem wohlbekannten silbernen Petschaftring des Kondukteurs
am Riemen befestigt, da war es um den armen Jüngling geschehn.  Er
berief sich auf seinen Schwager,--man kannte ihn nicht; auf seine
Schwester,--man wusste von ihr nichts.  Er erzählte den ganzen
Hergang der Sache, wie er selber sie wusste.  Aber die Blutrichter
sagten: "Das sind blaue Nebel, und Ihr werdet gehenkt." Und wie
gesagt, so geschehn, noch am nämlichen Nachmittag nach engländischem
Recht und Brauch.  Mit dem engländischen Brauch aber ist es so: weil
in London der Spitzbuben viele sind, so macht man mit denen, die
gehenkt werden, kurzen Prozess, und bekümmern sich nicht viele Leute
darum, weil man's oft sehen kann.  Die Missetäter, soviel man auf
einmal hat, werden auf einen breiten Wagen gesetzt und bis unter den
Galgen geführt.  Dort hängt man den Strick in den bösen Nagel ein,
fahrt alsdann mit dem Wagen unter ihnen weg, lässt die schönen
Gesellen zappeln und schaut nicht um.  Allein in England ist das
Hängen nicht so schimpflich wie bei uns, sondern nur tödlich.
Deswegen kommen nachher die nächsten Verwandten des Missetäters und
ziehn so lange unten an den Beinen, bis der Herr Vetter oben
erstickt.  Aber unserm Fremdling tat niemand diesen traurigen Dienst
der Liebe und Freundschaft an, bis abends ein junges Ehepaar Arm in
Arm auf einem Spaziergang von ungefähr über den Richtplatz wandelte
und im Vorbeigehen nach dem Galgen schaute.  Da fiel die Frau mit
einem lauten Schrei des Entsetzens in die Arme ihres Mannes:
"Barmherziger Himmel, da hängt unser Bruder!" Aber noch grösser
wurde der Schrecken, als der Gehenkte bei der bekannten Stimme
seiner Schwester die Augenlider aufschlug und die Augen fürchterlich
drehte.  Denn er lebte noch.  (Und das Ehepaar, das vorüberging, war
die Schwester und der Schwager.) Der Schwager aber, der ein
entschlossener Mann war, verlor die Besinnung nicht, sondern dachte
in der Stille auf Rettung.  Der Platz war entlegen, die Leute hatten
sich verlaufen, und um Geld und gute Worte gewann er ein paar
beherzte und vertraute Bursche, die nahmen den Gehenkten, mir
nichts, dir nichts, ab, als wenn sie das Recht dazu hätten, und
brachten ihn glücklich und unbeschrien in des Schwagers Haus.  Dort
ward er in wenig Stunden wieder zu sich gebracht, bekam ein kleines
Fieber und wurde unter der lieben Pflege seiner getrösteten
Schwester bald wieder völlig gesund.  Eines Abends aber sagte der
Schwager zu ihm: "Schwager!  Ihr könnt nun in dem Land nicht bleiben.
Wenn Ihr entdeckt werdet, so könnt Ihr noch einmal gehenkt werden,
und ich dazu.  Und wenn auch nicht, so habt Ihr ein Halsband an Eurem
Hals getragen, das für Euch und Eure Verwandten ein schlechter Staat
war.  Ihr müsst nach Amerika.  Dort will ich für Euch sorgen." Das sah
der gute Jüngling ein, ging bei der ersten Gelegenheit in ein
vertrautes Schiff und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen
von Philadelphia an.  Als er aber hier an einem landfremden Orte mit
schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg, und als er eben bei sich
selber dachte: "Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen
entgegenführte, der mich kennt", siehe, da kam in armseliger
Schiffskleidung der Kondukteur.  Aber so gross sonst die Freude des
unverhofften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war
doch hier der erste Willkomm schlecht genug.  Denn auf vorstehender
Abbildung kann man sehen: Ziffer 1 den Kondukteur, wie er mit
geballter Faust auf den Ankömmling losgeht; er sagt zu ihm: "Wo
führt Euch der Böse her, Ihr verdammter Nachtläufer?  Wisst Ihr, dass
ich wegen Euch bin gepresst worden?" Und Ziffer 2 sieht man den
jungen Engländer, der die Hand auch nicht im Sack hat, der
antwortet: "Goddam, Ihr vermaledeiter Überall und Nirgends, wisst
Ihr, dass man wegen Euch mich gehenkt hat?"

Ziffer 3 aber sieht man das Wirtshaus zu den drei Kronen in
Philadelphia.  Dort kamen sie des andern Tages wieder zusammen,
erzählten sich ihre Schicksale und wurden wieder die besten Freunde;
und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte
machte, ruhte nicht eher, als bis er seinen guten Freund loskaufen
und nach London zurückschicken konnte.  Er selbst wurde in Amerika
ein reicher Kaufmann und wohnt jetzt in der Stadt Washington, in der
verlängerten neuen Herrengasse, Nr. 46.



Merkwürdiges Rechnungsexempel 5


Zwei Schäfer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen
verzehren; der eine hatte fünf kleine Ziegenkäse, der andere drei.
Kommt zu ihnen ein dritter Mann von der Strasse herüber.  "Lasst mich
mithalten für Geld und gute Worte!" Also assen sie selbdritt fünf
und drei, sind acht Käslein, jeder gleichviel.  Hierauf dankt ihnen
der dritte Mann und schenkt ihnen acht Dublonen.

Der eine wollte nach der Anzahl seiner Käse fünf davon behalten und
dem andern geben drei.  Der andere sagte: "So?  der Herr hat uns das
Geld miteinander geschenkt, also gehören jedem vier.  Was deine fünf
Stücke mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen." Da sie nicht
einig werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter.  Der
geneigte Leser sinnt nach: welchem von beiden hat der Richter recht
gegeben?  Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt: "Demnach, und
wie ihr mir beide die Sache vorgetragen habt, gehören dem ersten
sieben Dublonen und dem andern eine, und das von Rechts wegen.
Punktum."

Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann
sich nicht fehlen.  Denn wenn man jedes Käslein in drei gleiche Teile
zerschneidet, so viel als Personen waren, so gaben dem ersten seine
5 Käslein 15 Stücke, dem andern seine 3 gaben 9 Stücke, zusammen 24;
davon bekam also ein jeder 8.  Folglich bekam der dritte Mann von den
15 Stücken des ersten 7.  Denn 8 von 15 bleibt 7.  Von den 9 Stücken
des andern aber bekam er nur noch eins. 7 und 1 tut 8.  Also gehörte
auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen u
nd dem andern nur
eine.
Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich, wie
man manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man
selber nicht weiss, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei,
einen Prozess anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste
Recht in den Händen zu haben.



Merkwürdiges Rechnungsexempel 6


Der Hausfreund will den Herrn Provisern der rheinländischen
Hausfreundschaft noch ein Rechnungsexempel aufzulösen geben.  Item--
(ein gutes rheinländisches Rechnungsexempel muss immer mit Item
anfangen und mit Fazit schliessen.) Item der Nachtwächter in
Segringen ging aus und rief die Stunde.  Als er an den Adler kam,
trat der Adlerwirt aus dem Bett an das Fenster.  "Nachtwächter, Ihr
schreit und verführt einen Lärmen, dass das halbe Dorf aus dem
Schlaf auffährt, und doch versteht man Euch nicht.  Auf der Stelle
ruft mir die Stunde noch einmal und deutlich!" Der Nachtwächter
dachte: Soll ich jedem Narren die Stunde besonders rufen?  Ich setze
voraus, dass die Leute schlafen.  Wer heisst Euch wachen?  "Wisst Ihr
was?  Ich will Euch zwei Stunden auf einmal rufen", sagte er zum
Adlerwirt, "damit wir nicht so viel Mühe miteinander haben:

Hört, Adlerwirt, und lasset Euch sagen;
Die Glocke hat--sie hat geschlagen.
Wenn Ihr die Zahl zur Hälfte brecht,
Den Drittel und den Viertel recht
Dazu addiert, habt Ihr Gewinn.
Es steckt das Ganz' und so viel drin,
Als laut mein unverdrossener Mund
Verkünden wird zur nächsten Stund'."

Nämlich das, was die Glocke geschlagen hatte, und was demnach der
Wächter ausrief, ist eine Zahl, die folgende Eigenschaften hat: Wenn
man die Hälfte der Zahl und den dritten Teil und den vierten Teil
der Zahl zusammen addiert, so kommt mehr heraus, als die Zahl selber
ausweist.  Wenn man aber die Zahl selbst, die man zwar noch nicht
weiss, von der addierten Summe abzieht, so bleibt gerade so viel
übrig, als der Wächter in der Ordnung rufen muss, wenn er zur
nächsten Stunde wieder kommt.  Diese Zahl wäre nach der Regula Falsi
zu rechnen.

Derjenige geneigte rheinländische Leser, der innerhalb acht Tagen
nach Empfang des Kalenders das Fazit zuerst liefern wird, dessen
Bildnis soll zur Ehrenauszeichnung bei der nächsten Krönungsfeier
oder Feuersbrunst unter den Zuschauern im Kalender abgebildet
werden.



Missverstand


Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von französischen
Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreissoldaten
besetzt war, rief ein Franzose zum Zeitvertreib zu der deutschen
Schildwache herüber: "Filu!  Filu!  Das heisst auf gut deutsch:
Spitzbube.  Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts so Arges,
sondern meinte, der Franzose frage: Wieviel Uhr?  und gab gutmütig
zur Antwort: "Halber viuri."



Missverstand


Von drei Schlafkameraden war der eine eben am süssen Einschlummern,
als der zweite zum dritten sprach: "Joachim, was soll das heissen,
dass du seit am Montag nichts mehr mit mir redest, so wir doch unser
Leben lang gute Freunde gewesen sind?  Hast du etwas gegen mich, so
sag's."--Der dritte erwiderte dem zweiten: "Wer mit mir nicht
redet, mit dem rede ich auch nicht, mein guter Bartenstein.  Wie man
in den Wald schreit, so schreit's wider." Darauf sagte der zweite:
"So, du nennst mich mit meinem Zunamen?  Ich kann dich auch mit
deinem Zunamen nennen, mein guter Marbacher.  Wie man in den Wald
schreit, so schreit's auch wider." Der dritte sagte wieder zum
zweiten: "So war's nicht gemeint, Bastian.  Übrigens halte ich den
Geschlechtsnamen meines seligen Vaters für keinen Schimpf.  Ich
hoffe, er hat dich als ein ehrlicher Mann zur Taufe gehoben." Darauf
entgegnete der zweite: "Ich den meinigen auch nicht.  Ich hoffe,
deine Mutter hat einen ehrlichen Mann zum Beistand.  Aber man erkennt
etwas daran." Der dritte sagt: "Dein Vater ist ein braver Mann, der
meiner Mutter mit gutem Rat redlich an die Hand geht." Der zweite
sagt: "Dein Vater war auch ein braver Mann und hat mir viel Gutes
erwiesen.  Aber sie redeten miteinander." Der dritte fuhr gegen den
zweiten fort: "Eben darum.  An einem andern hätt' es mich nicht
verdrossen, dass du mir den Montag keine Antwort gabst, als ich dich
zum zweiten Mal fragte, warum dich dein Meister fortgejagt hat."
Als endlich der erste des Zwistes müde war, weil er gern hätte
schlafen mögen und nicht dazu kommen konnte, fuhr er unwillig auf
und sagte: "Hat jetzt euer Disputat bald ein Ende, oder soll ich
aufstehen und den Wirt holen, dass er Frieden schaffe, oder soll
ich's selber tun?" Dem erwiderte der dritte, weil er am Wort war:
"Seid doch nicht wunderlich, Herr Landsmann, Ihr hört ja, wir
explizieren uns nur, warum keiner von uns mit dem andern redet."



Mittel gegen Zank und Schläge


Zwei Eheleute nicht weit von Segringen lebten miteinander in Friede
und Liebe, abgerechnet, dass sie bisweilen einen kleinen Wortwechsel
bekamen, wenn der Mann einen Stich hatte.  Alsdann gab ein Wort das
andere.  Das letzte aber gab gewöhnlich blaue Flecke.  Zum Beispiel:
"Frau", sagte der Mann, "die Suppe ist wieder nicht genug gesalzen,
und ich hab' dir's doch schon so oft gesagt." Die Frau sagt: "Mir
ist sie so eben recht." Der Mann bekommt etwas Röte im Gesicht.  "Du
unverständiges Maul, ist das eine Antwort einer Frau gegen ihren
Mann?  Soll ich mich nach dir richten?" Die Frau erwidert: "Draussen
in der Küche ist das Salzfass.  Ein ander Mal koch' dir selber, oder
sieh, wer dir kocht." Der Mann wird flammenrot und wirft der Frau
die Suppe samt dem Teller vor die Füsse.  "Da, friss die Tränke
selber!" Jetzt geht's der Frau auf, wie wenn man ein Stellbrett
aufzieht, und das Wasser fliesst in die Läufe, und alle Mühlenräder
gehn an, und sie überschüttet ihn mit Schmähungen und Schimpfnamen,
die kein Mann gern hört, am wenigsten von einer Frau, am
allerwenigsten von seiner eigenen.  Der Mann aber sagt: "Ich seh'
schon, ich muss dir den Rücken wieder ein wenig blau anstreichen mit
dem hegebuchenen Pinsel."--Solcher Liebkosungen endlich müde, ging
die Frau zu dem Pfarrherrn und klagte ihm ihre Not.  Der Herr
Pfarrer, der ein feiner und kluger junger Mann war, merkte bald,
dass die Frau durch Widersprechen und Schimpfen gegen ihren Mann
selber schuld an seinen Misshandlungen sei.  "Hat Euch mein seliger
Vorfahr nie von dem geweihten Wasser gegeben?" sagte er.  "Kommt in
einer Stunde wieder zu mir!" Unterdessen goss er reines, frisches
Brunnenwasser in ein Fläschlein, das ungefähr einen Schoppen hielt,
versüsste es mit Zucker und liess ein Tröpflein Rosenöl darein
träufeln, dass es einen lieblichen Geruch gewann.  "Dieses
Fläschlein", sagte er zu ihr, "müsst Ihr in Zukunft immer bei Euch
tragen, und so Euer Mann wieder aus dem Wirtshaus kommt und will
Euch Vorwürfe machen, so nehmt ein Schlücklein davon und behaltet's
im Munde, bis er wieder zufrieden ist.  Alsdann wird seine
Wunderlichkeit nie mehr in Zorn ausbrechen, und er wird Euch keine
Schläge mehr geben können." Die Frau befolgte den Rat; das geweihte
Wasser bewährte seine Kraft, und die Nachbarsleute sagten oft
zusammen: "Unsere Nachbarn sind ganz anders geworden.  Man hört
nichts mehr."--Merke!



Mohammed


Dem Mohammed wollten es anfänglich nicht alle von seinen Landsleuten
glauben, dass er ein Prophet sei, weil er noch kein Wunder getan
hatte wie Elias.  Dazu sagte Mohammed ganz gleichgültig, wie einer,
der eine Pfeife Tabak raucht und etwas dazu redet, "das Wunder",
sagte er, "macht den Propheten noch nicht aus.  Wenn ihr's aber
verlangt, so werden ich und jener Berg dort geschwind beieinander
sein." Nämlich, er deutete auf einen Berg, der eine Stunde weit oder
etwas entfernt war, und rief ihm mit gebietender Stimme, dass der
Berg sich soll von seiner Stätte erheben und zu ihm kommen.  Als aber
dieser keine Bewegung machen und keine Antwort geben wollte, wiewohl
keine Antwort ist auch eine, so ergriff Mohammed sanftmütig seinen
Stab und ging zum Berg, womit er ein merkwürdiges und
nachahmungswertes Beispiel gab, auch für solche Leute, die keine
Propheten zu sein verlangen, nämlich, dass man dasjenige, was man
selbst tun kann, nicht von einem wunderbaren Verhängnis oder von
Zeit und Glück oder von andern Menschen verlangen soll.  Z.B. hast
du etwas Notwendiges und Wichtiges mit jemand zu reden, so warte
nicht, bis er zu dir kommt.  Weit geschwinder und vernünftiger gehst
du zu ihm.  Ein hübscher Kirschenbaum in dem Garten wäre eine schöne
Sache.  Das Plätzchen schickte sich dazu.  Warte nicht, bis er selber
wächst, sondern setze einen.  Ferner, ein Abzugsgraben, ein guter Weg
durch das Dorf, wenigstens ein trockener Fussweg, ein Geländer am
Wasser oder an einem schmalen Steg, damit die Kinder nicht
hineinfallen, kommt viel geschwinder zustande, wenn man ihn macht,
als wenn man ihn nicht macht.  Man sollte nicht glauben, dass es
Leute gibt, denen erst ein arabischer Prophet oder ein
Kalenderschreiber so etwas muss begreiflich machen.

Selbst der Kalenderschreiber, der doch einem Propheten nicht viel
nachgibt,--es liesse sich noch ein Wort mehr sagen,--verlangt
nicht, dass das alte Jahr fortdauern soll, bis der neue Kalender
fertig ist, sondern er schreibt den neuen, wenn das alte noch
währet.

Summa Summarum:

Schick dich in die Welt hinein,
Denn dein Kopf ist viel zu klein,
Dass die Welt sich schick' in ihn hinein.



Moses Mendelssohn


Moses Mendelssohn war jüdischer Religion und Handlungsbedienter bei
einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben.  Dabei war
er aber ein sehr frommer und weiser Mann und wurde daher von den
angesehensten und gelehrtesten Männern hochgeachtet und geliebt.  Und
das ist recht.  Denn man muss um des Bartes willen den Kopf nicht
verachten, an dem er wächst.  Dieser Moses Mendelssohn gab unter
anderm von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis.
Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam und er eben an einer
schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: "Es ist doch schade,
guter Moses, und ist unverantwortlich, dass ein so verständiger
Kopf, wie Ihr seid, einem Manne ums Brot dienen muss, der Euch das
Wasser nicht bieten kann.  Seid Ihr nicht am kleinen Finger
gescheiter, als er am ganzen Körper, so gross er ist?" Einem andern
hätt' das im Kopf gewurmt, hätte Feder und Tintenfass mit ein paar
Flüchen hinter den Ofen geworfen und seinem Herrn aufgekündigt auf
der Stelle.  Aber der verständige Mendelssohn liess das Tintenfass
stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an
und sprach zu ihm also: "Das ist recht gut, wie es ist, und von der
Vorsehung weise ausgedacht.  Denn so kann mein Herr von meinen
Diensten viel Nutzen ziehen und ich habe zu leben.  Wäre ich der Herr
und er mein Schreiber, ihn könnte ich nicht brauchen."



Pieve


Jedermann kennt die Bilder- und Landkartenhändler, die im Land herum
ihre Waren, Bildnisse von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und
Königen und Kriegsschauplätzen feil tragen.  Aber für manchen kommen
sie wie die Storken ins Land, das heisst, er weiss nicht, woher sie
kommen.  Von Pieve kommen sie, im Kanton Tessino, im Welschtirol, und
dieses Pieve dient zum Beweistum, was aus einem armen Dorfe werden
kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Väter ebenso brave Söhne
und Enkel folgen.  Und deswegen ist an einem solchen Bildermann mehr
zu sehen als an seinen Bildern allen.  Pieve hat eine unfruchtbare
Gemarkung.  Der Boden nährt seine Einwohner nicht.  Lange behalfen
sich daher die armen Leute mühsam und kümmerlich mit einem Handel
von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug.  Als aber der Besitzer
der berühmten Buch- und Kupferstichhandlung Remondini in Bassano
sah, wie unverdrossen und fleissig diese Leute waren, so vertraute
er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und
Helgen an, um damit einen bessere Handel zu treiben.  Damit
durchzogen sie nun Tirol, die Schweiz und das angrenzende
Deutschland, und es ging schon besser.  Sie hatten an den gemalten
Kaisern und Königen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude als
an den plumpen Feuersteinen.  Sie trugen auch leichter daran und
hatten mehr Gewinn.  Bald brachten sie es so weit, dass sie den
Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden und mit eigenem Gelde
treiben konnten.  Und was fast unglaublich ist, sie bildeten in
kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Strassburg,
Amsterdam, in Hamburg, Lübeck, Kopenhagen, Stockholm, Warschau und
Berlin.  In allen diesen und noch mehrern Städten sind sie jahraus
jahrein mit grossen Vorräten von sehr kostbaren Kupferstichen und
Landkarten zu finden.  Ja, eine Gesellschaft kam sogar bis nach
Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber missglückte, bis nach
Philadelphia in Amerika, lauter Leute aus dem armen Dörflein Pieve.
Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele
andere von ihnen alle Länder von Europa, besonders Deutschland,
Polen, Preussen, Holland, Dänemark, Schweden, Russland, England und
Frankreich.  Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und
beschäftigen sich damit.  Vor der französischen Revolution, als ihre
Geschäfte am glücklichsten vonstatten gingen, war zur Zeit des
Sommers ausser Kindern und alten Greisen keine männliche Person
daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurück.  Die Weiber
trieben unterdessen den Feldbau.  Seit der Revolution und des Kriegs
an allen Enden und Orten hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten.
Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhörlich einen Mann auf
der Reise.  Schon in der frühen Jugend begleitet der Sohn den Vater
auf seinen Zügen, und wird dieser alt, so überlässt er dem Sohn das
Geschäft und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit
Ehren zu.

Das sind nun die Bilderhändler von Pieve.  Der Rheinische Hausfreund
kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Strassen sind und
zieht vor jedem den Hut ab.



Reise nach Frankfurt


Zu ehemaligen Reichszeiten bestand auch ein grosses
Reichskammergericht zu Wetzlar, welches noch manchem geneigtem Leser
in teuerem und wertem Andenken sein kann, wenigstens in teuerem.

Viel weltberühmte Rechtsgelehrte, Advokaten und Schreiber sassen
dort von Rechts wegen beisammen.  Wer daheim einen grossen Prozess
verloren hatte, an dem nichts mehr zu sieden und zu braten war,
konnte ihn in Wetzlar noch einmal anbrühen lassen und noch einmal
verlieren.  Mancher hessische, württembergische und badische Batzen
ist dorthin gewandelt und hat den Heimweg nimmer gefunden.

Als aber im Jahr 1806 der grosse Schlag auf das deutsche Reich
geschah, stürzte auch das Reichskammergericht zusammen, und alle
Prozesse, die darin lagen, wurden totgeschlagen, maustot, und keiner
gab mehr ein Zeichen von sich, ausgenommen im Jahr 1817 in Gera in
Sachsenland hat einer wieder gezuckt.

Ein Leinwandweber daselbst liest in der Dresdner Zeitung, dass der
Bundestag in Frankfurt sich mit dem Unterhalt der Angehörigen des
Reichskammergerichts lebhaft beschäftige.  Nämlich, dass der
Bundestag für den Unterhalt und die Schadloshaltung der Räte,
Advokaten und Schreiber sorgen wollte, welche seit 1806 keinen Sold
mehr zogen und nichts mehr zu verdienen hatten, ob sie gleich
täglich, wie die andern, Mittag läuten hörten und schöne Schilde
sahen an den Wirtshäusern.

Auf dem Speicher des Leinewebers aber fing es auf einmal an in den
Akten zu rauschen, fast wie in den Totenbeinen, von welchen der
Prophet Ezechiel schreibt.  Der Leineweber glaubte nämlich nichts
anders, als das Reichskammergericht habe nur einen neuen Rock
angezogen und heisse nun Bundestag, und der Bundestag habe nichts
Wichtigeres zu tun, als die alten Prozesse, wenigstens seinen,
wieder anzuzetteln.

Also liess er sich einen guten Pass nach Frankfurt schreiben, und
mit Akten schwer beladen trat er die lange Reise an.  Als er aber in
Frankfurt angekommen war, war sein erstes, er fragte die Schildwache
am Tor, wo der Bundestag sich angesetzt habe in Frankfurt.  Die
Schildwache erwiderte, sie stehe da so nebendraus und erfahre nicht
viel, was im Innern der Stadt geschehe.  Ihres Wissens aber, seit sie
dastehe, seie kein Bundestag einpassiert.  Da fing der Leineweber im
Fortgehen an sich zu betrüben und zu ergrimmen: "O Deutsche, sagte
er in seinem Innern, .wie tief seid ihr gesunken!  Ein Deutscher zu
sein, noch dazu eine Frankfurter Schildwache, und nichts vom
Bundestag wissen!" "Guter Freund", sagte er zu einem Vorbeigehenden,
"könnt Ihr mir auch nicht sagen, wo der Bundestag sein Wesen hat?"
Der Vorübergehende konnte es auch nicht sagen.  "O Patriotismus",
fuhr er mit sich selber fort, "wohin bist du verschwunden?" Fast
müsse man sich schämen, ein Deutscher zu heissen, wenn man nicht
unter seinesgleichen wäre.

"Guter Freund", redete er einen Dritten an, "wisst auch Ihr nicht,
wo hier der Bundestag einquartiert ist?"--"Lieber guter Mann",
entgegnete der Dritte, "hier ist kein Bundestag einquartiert.  Hier
ist Frankfurt an der Oder.  Der Bundestag ist in Frankfurt am Main."
- Der wohlerfahrene Leser weiss nämlich zum voraus schon, dass es
zwei Frankfurt gibt, die nicht weniger als 66 Meilen voneinander
entfernt sind, und der Leineweber war im unrechten.  "Ihr habt
übrigens nur noch 66 Meilen nach Frankfurt", fuhr der Dritte fort,
"und wenn Ihr da her seid, wo Ihr sagt, so seid Ihr über hier nur 63
Meilen weit umgegangen." "Das ist jetzt ein Tun", sagte der
Leineweber.  "Hab' ich A gesagt, so will ich auch B sagen.

Zwanzigtausend Taler sind Geld, ohnehin bin ich es meinem seligen
Grossvater schuldig.  Hat er den Prozess angefangen und ist ein armer
Mann daran geworden, so ist es meine Schuldigkeit, dass ich ihn
fortsetze und wieder reich werde." "Ha ha", sagte der Dritte, "was
gilt's, das sind Akten, die Ihr da aufgepackt habt und fast drunter
zusammenbrecht?"--"Es sind auch noch ein wenig Lebensmittel dabei",
versetzte der Weber in kleinmütiger Stimme, "aber nimmer viel." Der
geneigte Leser fängt an, einigen Spass an der Sache zu finden.  Von
hier an aber bis nach Frankfurt am Main geht die Reise etwas langsam
von statten.  Derselbe darf herzhaft einstweilen noch ein gutes
Pfeiflein stopfen, wiewohl er kann zum voraus sehen, wie alles gehen
und enden wird.  Denn die Chronik will wissen, dass, als einst die
Phönizier erforschen wollten, ob der grosse Weltteil Afrika zu
Wasser könne umfahren werden, rechneten sie die erforderliche Zeit
der Reise auf ungefähr zwei Jahre; gleichwohl, als sie hinter
Ägypten in dem Roten Meere sich einschifften, der bibelfeste Leser
kennt's von Moses' Zeiten her, nahmen sie nicht sonderlich viel
Lebensvorrat mit, aber etwas Ackergeräte.  Sahen sie nun, dass die
Lebensmittel bald zu Ende gehen wollten, stiegen sie an das Land,
säten von Getreide und Gemüsegattungen, was die Jahreszeit mit sich
brachte, wiewohl in Afrika ist fast immer Sommer und ein schneller,
kräftiger Trieb in allem Wachstum.  Alsdann warteten sie die Reifung
ab und brachten jedes Mal nach wenigen Wochen einen neuen Vorrat in
das Schiff und zogen wieder weiter, kamen auch richtig nach zwei
Jahren wieder zum Vorschein durch die Meerenge von Gibraltar hinein,
die der zeitungskundige Leser ebenfalls noch kennt von General
Elliots Zeiten her, dessen Andenken noch bis auf diese Stunde auf
Tabakspapieren gefeiert wird.  Also auch der Weber auf seiner langen
Reise wusste sich zu helfen, wenn Geld und Vorrat zu Ende war;
"Kunst bettelt nicht", sagte er zu sich selbst im stolzen Gefühl,
"Kunst geht nach Brot." Demnach, wenn er mittags oder abends in
einem Städtlein oder Flecken eintraf, erkundigte er sich nach einem
Zunftgenossen, und "habt Ihr nichts für mich zu weben", redet er den
Meister an, "um Atzung und um einiges Zehrgeld?" Stellte ihn nun der
Meister ein, so blieb er einige Tage bei ihm, bis er sich
ausgefüttert und wieder einige Batzen verdient hatte, und webte sich
solchergestalt glücklich an dem Main hinauf und nach Frankfurt.  In
Frankfurt pochte ihm das Herz hoch vor Freuden, dass er nun an dem
Ziele seiner Reise sei und so nahe an seiner Geldquelle, die er
jetzt nur anbohren dürfe, und als er in die Bundeskanzlei kam,
gleich in der vordersten Stube, wo die Herrn sitzen, die am
schönsten schreiben können, grüsste er sie freundlich und vertraut.
"Findet man euch endlich einmal", sagte er, "und seid ihr jetzt
hier?" Einer von den Herrn, der Vornehmste von ihnen, nimmt die
Feder aus dem Mund und legt sie auf den Tisch.  "Wir sind noch
niemand aus dem Weg gegangen", sagte er, "und was habt Ihr hier zu
schaffen?  Was bringt Ihr Neues, Viereckigtes in Eurem Hängkorb?  Eine
Bundeslade?  Es fehlt uns noch eine." "Spass", erwiderte der Weber,
"meinen Prozess von Anno eintausendsiebenhundertsiebenundsechzig."--
Es ist nunmehr nichts weiter an der Sache zu erzählen.  Natürlich
nahm sich niemand seines Prozesses an, weil der Bundestag sich mit
Prozessen nicht gemein macht, und die lange, beschwerliche Reise war
umsonst getan.  Die Erzählung nimmt daher ein kahles Ende, der
Hausfreund fühlt es.  Fast soll er noch was anschiften.  Statt dessen
aber will er hieneben eine Abbildung des Leinewebers stiften, wie er
auf der Heimreise einmal ausruht und eine Standrede hält.

"Es ist mir in diesen sechs Wochen vieles klar geworden", sagte er.
"Man muss einem deutschen Manne nicht sogleich Vorwürfe machen, wenn
er in Vaterlandssachen ein wenig unwissend und kaltsinnig ist.  Denn
man ist selber einer.  Was siehest du aber den Splitter in deines
Bruders Auge?  Lerne zuerst selber und werde warm.  Den guten Leuten
in Frankfurt an der Oder ist von mir Tort geschehen.  In Frankfurt am
Main aber mir.

Wenn ihr in der Zeitung etwas leset oder im Plakat oder im
Kräuterbuch, und versteht es nicht, lasst euch raten, achtbare
Zuhörer, und geht um verständige Belehrung aus, ehe ihr etwas
unternehmet, besonders wenn es ein Prozess ist.

Der beste Prozess ist ein schlechter, und auf dem Lager bessert er
sich nicht.  Der Habich ist besser als der Hättich.  Friede ernährt,
Unfriede zerstört.

Und nun, geliebte Akten, die ich jetzt hier ablege, gehabt euch wohl
und seid dem Mann empfohlen, der euch finden und vielleicht
glücklicher mit euch sein wird als ich."

Indem er aber die Akten absetzen wollte, klopft ihm von hinten her
ein Mann auf die Achsel, der auch desselben Wegs ging.  (Man sieht
ihn aber kaum auf der Abbildung, nichtsdestoweniger ist's der
Gewürzkrämer aus dem nächsten Städtlein--) "Guter Freund", sagte er,
"mit wem redet Ihr da so allein?" "Mit niemand", erwiderte der
Weber, "wenn Ihr mir aber meinen Prozess abkaufen wollt, mit Euch.
Lupft ihn einmal!  Was gebt Ihr mir dafür?" Der Mann sagte:

"Anderthalb Kreuzer für das Pfund, wenn das Papier daran gut ist.
Kommt mit mir." Also verkaufte er dem Gewürzhändler die Akten für
einen Gulden vierundzwanzig Kreuzer, die vollends zum Rest der Reise
hinreichten, und kam mit leerem Korb und Beutel wieder in der Heimat
an.  "An meine Frankfurter Reise", sagte er, "will ich denken.
Diesmal in Frankfurt gewesen."



Rettung einer Offiziersfrau


Es muss manchmal recht wild und blutig in der Welt hergehen, dass
die edle Denkungsart eines Menschen bekannt werde, den man nicht
drum ansieht.

In Tirol, wo es während des letzten Krieges recht wild und blutig
herging, da hatten sie eben einen bayerischen Stabsoffizier
ermordet, und mit noch blutigen Säbeln und Mistgabeln drangen sie in
das Gemach, wo seine Gattin mit ihrem Kind in dem Schoss weinte und
ihr Leid Gott klagte, und wollten sie auch ermorden.  "Ja", fuhr sie
einer von ihnen wütend an und war der allerärgste, "für Eurer Leben
gibt es kein Lösegeld, und Euer Bürschlein da hat auch bayerisch
Blut in den Adern.  In einer Stunde müsst Ihr sterben, zuerst Euer
kleiner Sadrach, hernach Ihr.--Lasst ihr eine Stunde Zeit", sagte
er zu den andern, "dass sie noch beten kann; sie ist eine
katholische Christin."

Nach einer Viertelstunde aber, als sie allein war und betete, kam er
wieder und sagte: "Gnädige Frau, Ihr kennt mich noch, so bitte ich
Euch, Ihr wollt ob mir nicht erschrecken und nicht in Bösem
aufnehmen, was ich in guter Meinung gesagt habe.  Gebt mir Euer Kind
unter den Mantel, so will ich es retten und zu meiner Mutter
bringen, und zieht unterdessen dieses Plunder an", das er unter dem
Mantel hervorzog, "so will ich's probieren, ob ich Euch mit Gottes
und unserer Frauen Hilfe auch kann retten." Als er das Kind in
Sicherheit gebracht hatte und wieder kam, stand sie schon da
angekleidet wie ein Tiroler.  Da drückte er ihr den schlappen Hut
recht ins Gesicht, richtete ihr den Hosenträger besser zurecht und
gab ihr seine Mistgabel in die Hand, als wenn sie auch ein Rebeller
wäre und zu den Leibgardisten und Hellebardieren des Sandwirt Hofers
gehörte.  "Kommt denn jetzt", sagte er, "in Gottes Namen, und tretet
herzhaft auf, wenn Ihr hinaus kommt, und macht Euch ein wenig
breit." Als sie aber miteinander die Treppe hinabgingen, kamen die
andern wieder, und: "Hast du ihr den Treff schon gegeben, Seppel?"
fragte ihn einer.  Da sagte er: "Nein, sie hat die Türe zugeschlossen
und gebetet.  Jetzt kann sie fertig sein.  Ich hab' sie durchs
Schlüsselloch gesehen, und sie stand eben auf, als ich durchsah."
Also ging er mit ihr die Treppe hinab, und die andern stürmten an
ihr vorbei, die Treppe hinauf, und während sie vor der
verschlossenen Türe lärmten und pochten und in das leere Gemach
hinein riefen: "Seid Ihr bald fertig?  Die Türe soll bald eingetreten
sein", brachte er sie auch zu seiner Mutter und gab ihr ihr Kindlein
wieder, und das Kindlein lächelte, aber sie weinte und drückte es
brünstig an ihr Gesicht und an ihren Busen.  Also hatte sie der edle
Tiroler glücklich und mit Gottes Hilfe aus den Händen ihrer Mörder
errettet und hat sie hernach die Nacht hindurch auf heimlichen Wegen
fortgeführt und bis an ein bayerisch Pikett gebracht, als eben die
Sonne aufging.  Auf nebenstehender Figur kann man sehen, wie die
Sonne eben aufgeht, indem er sie ihren Landsleuten übergibt und
nichts annehmen will für seine Wohltat und für seine Mühe, als ein
Trünklein Bier.  Nro. 1 ist der Seppel und Nro. 2 die Offiziersfrau.



Rettung vom Hochgericht


Eines Tages sagte zu sich selbst ein einfältiger Mensch: "Dumm bin
ich; wenn ich mich nun auf pfiffige Streiche lege, so wird kein
Mensch vermuten, dass ich's bin." Also legte er sich aufs Stehlen.
Aber schon nach dem ersten Diebstahl wurde er als Täter entdeckt und
überwiesen, weil er die goldene Uhr, die er gestohlen hatte, selber
trug und alle Augenblicke herauszog.  Einige Ratsherrn meinten, man
könnte wegen seiner Einfalt etwas glimpflicher mit ihm verfahren als
mit andern und ihn auf ein Jahr oder etwas ins Zuchthaus schicken.
"So?" sagten die andern, "ist's nicht genug, dass so viele
verschmitzte Halunken das saubere Handwerk treiben?  Soll man für die
dummen auch noch Prämien aussetzen, damit alles stiehlt?" und sechs
gegen fünf sagten: Er muss an den Galgen.  Auf der Leiter, als ihm
der Henker den Hals visitierte, sagte er zu ihm: "Guter Freund, Ihr
habt's ziemlich dick da herum sitzen, noch dicker als hinter den
Ohren.  Fast hätt' ich einen längern Strick nehmen sollen." Denn
wirklich war dem armen Schelm das Kinn ziemlich stark mit dem Hals
verwachsen, und als der Henker den Strick ohnehin ungeschickt
angebracht hatte und den armen Sünder von der Leiter hinabstiess,
glitschte dieser mit dem Kopf aus der Schlinge heraus und fiel
unversehrt herab auf die Erde.  Einige Zuschauer lachten, aber der
grösste Teil erschrak und tat einen lauten Schrei, als ob sie
fürchteten, es möchte dem Malefikanten, den sie doch wollten sterben
sehn, etwas am Leben schaden.  Aber der Henker stand einige
Augenblicke wie versteinert oben auf dem Seigel und sagte endlich:
"So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert." Da sagte der
Malefikant unten auf der Erde kaltblütig und mit gequetschter
Stimme: "Mir auch nicht", und alle, die es hörten, vergassen die
Ernsthaftigkeit einer Hinrichtung, und dass auf dem Weg über das
Hochgericht ein armes, verschuldetes Gewissen an seinen ewigen
Richter abgeliefert wird, und mussten lachen.  Der Blutrichter selber
hielt das Schnupftuch vor den Mund und sah auf die Seite.  Die
glimpflichern Ratsherren aber ermahnten die strengern: "Lasst jetzt
den armen Ketzer laufen.  Am Galgen ist er gewesen, und mehr habt ihr
nicht verlangt, und Todesangst hat er ausgestanden." Also liessen
sie den armen Ketzer laufen.



Schlechter Gewinn


Ein junger Kerl tat vor einem Juden gewaltig gross, was er für einen
sichern Hieb in der Hand führe, und wie er eine Stecknadel der Länge
nach spalten könne mit einem Zug.  "Ja, gewiss, Mauschel Abraham",
sagte er, "es soll einen Siebzehner gelten, ich haue dir in freier
Luft das Schwarze vom Nagel weg auf ein Haar und ohne Blut." Die
Wette galt, denn der Jude hielt so etwas nicht für möglich, und das
Geld wurde ausgesetzt auf den Tisch.  Der junge Kerl zog sein Messer
und hieb und verlor's, denn er hieb dem armen Juden in der
Ungeschicklichkeit das Schwarze vom Nagel und das Weisse vom Nagel
und das vordere Gelenk mit einem Zuge rein von dem Finger weg.  Da
tat der Jude einen lauten Schrei, nahm das Geld und sagte: "Au weih,
ich hab's gewonnen!"

An diesen Juden soll jeder denken, wenn er versucht wird, mehr auf
einen Gewinn zu wagen, als derselbe wert ist.

Wie mancher Prozesskrämer hat auch schon so sagen können!  Ein
General meldete einmal seinem Monarch den Sieg mit folgenden Worten:
"Wenn ich noch einmal so siege, so komme ich allein heim." Das
heisst mit andern Worten auch: "O weih, ich hab's gewonnen!"



Schlechter Lohn


Als im letzten Krieg der Franzos nach Berlin kam, in die
Residenzstadt des Königs von Preussen, da wurde unter anderm viel
königliches Eigentum weggenommen und fortgeführt oder verkauft.  Denn
der Krieg bringt nichts, er holt.  Was noch so gut verborgen war,
wurde entdeckt und manches davon zur Beute gemacht, doch nicht
alles.  Ein grosser Vorrat von königlichem Bauholz blieb lange
unverraten und unversehrt.  Doch kam zuletzt noch ein Spitzbube von
des Königs eigenen Untertanen, dachte: Da ist ein gutes Trinkgeld zu
verdienen und zeigte dem französischen Kommandanten mit
schmunzelnder Miene und spitzbübischen Augen an, was für ein schönes
Quantum von eichenen und tannenen Baustämmen noch da und da
beisammen liege, woraus manch Tausend Gulden zu lösen wäre.  Aber der
brave Kommandant gab schlechten Dank für die Verräterei und sagte:
"Lasst Ihr die schönen Baustämme nur liegen, wo sie sind.  Man muss
dem Feind nicht sein Notwendigstes nehmen.  Denn wenn Euer König
wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen für so
ehrliche Untertanen, wie Ihr einer seid."

Das muss der Rheinländische Hausfreund loben und wollte gern aus
seinem eigenen Wald ein paar Stammeln auch hergeben, wenn's fehlen
sollte.



Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz


[Hat jede Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides, und wer
manchmal erfährt, was an andern Orten geschieht, findet wohl
Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat.  Hat z.  B.  die Schweiz
viel herdenreiche Alpen, Käse und Butter und Freiheit, so hat sie
auch Lawinen.] Der zwölfte Dezember des vergangenen Winters brachte
für die hohen Bergtäler der Schweiz eine fürchterliche Nacht und
lehrt uns, wie ein Mensch wohl täglich Ursache hat, an das
Sprüchlein zu denken "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod
umfangen." Auf allen hohen Bergen lag ein tiefer, frisch gefallener
Schnee.  Der zwölfte Dezember brachte Tauwind und Sturm.  Da dachte
jedermann an grosses Unglück und betete.  Wer sich und seine Wohnung
für sicher hielt, schwebte in Betrübnis und Angst für die Armen, die
es treffen wird, und wer sich nicht für sicher hielt, sagte zu
seinen Kindern: "Morgen geht uns die Sonne nimmer auf", und
bereitete sich zu einem seligen Ende.  Da rissen sich auf einmal und
an allen Orten von den Firsten der höchsten Berge die Lawinen oder
Schneefälle los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen über
die langen Halden herab, wurden immer grösser und grösser, schossen
immer schneller, toseten und krachten immer fürchterlicher und
jagten die Luft vor sich her so durcheinander, dass im Sturm, noch
ehe die Lawine ankam, ganze Wälder zusammenkrachten und Ställe,
Scheuern und Waldungen wie Spreu davonflogen, und wo die Lawinen
sich in den Tälern niederstürzten, da wurden stundenlange Strecken
mit allen Wohngebäuden, die darauf standen, und mit allem
Lebendigen, was darin atmete, erdrückt und zerschmettert, wer nicht
wie durch ein göttliches Wunder gerettet wurde.

Einer von zwei Brüdern in Uri, die miteinander hauseten, war auf dem
Dach, das hinten an den Berg anstosst, und dachte: Ich will den
Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Dächlein mit Schnee ausfüllen
und alles eben machen, auf dass, wenn die Lawine kommt, so fahrt sie
über das Häuslein weg, dass wir vielleicht--und als er sagen
wollte: dass wir vielleicht mit dem Leben davonkommen--da führte
ihn der plötzliche Windbraus der vor der Lawine hergeht, vom Dach
hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel über einem
entsetzlichen Abgrund.  Und als er eben in Gefahr war, in die
unermessliche Tiefe hinabzustürzen, und wäre seines Gebeins nimmer
gefunden worden, da streifte die Lawine an ihm vorbei und warf ihn
seitwärts an eine Halde.  Er sagt, es habe ihm nicht wohlgetan, aber
in der Betäubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich
festhielt, bis alles vorüber war, und kam glücklich davon und ging
wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der
Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weggewischt war.  Da
konnte man wohl auch sagen: "Der Herr hat seinen Engeln befohlen
über dir, dass sie dich auf den Händen tragen.  Denn er macht
Sturmwinde zu seinen Booten und die Lawinen, dass sie seine Befehle
ausrichten."

Anders erging es im Sturnen, ebenfalls im Kanton Uri.  Nach dem
Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: "Wir
wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen Leute, die
in dieser Nacht in Gefahr sind." Und während sie beteten, donnerte
schon aus allen Tälern der ferne Widerhall der Lawinen, und während
sie noch beteten, stürzte plötzlich der Stall und das Haus zusammen.
Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggeführt, hinaus in die
fürchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem
nachwehenden Schnee begraben.  Noch lebte er; als er aber den andern
Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben und die
Stätte seiner Wohnung wieder erreicht hatte und sehen wollte, was
aus den Seinigen geworden sei, barmherziger Himmel!  da war nur
Schnee und Schnee und kein Zeichen einer Wohnung, keine Spur des
Lebens mehr wahrzunehmen.  Doch vernahm er nach langem, ängstlichem
Rufen, wie aus einem tiefen Grab, die Stimme seines Weibes unter dem
Schnee herauf.  Und als er sie glücklich und unbeschädiget
hervorgegraben hatte, da hörten sie plötzlich noch eine bekannte und
liebe Stimme: "Mutter, ich wäre auch noch am Leben," rief ein Kind,
"aber ich kann nicht heraus." Nun arbeitete Vater und Mutter noch
einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war ihm
gebrochen.  Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen erfüllt, und
von ihren Augen flossen Tränen des Dankes und der Wehmut.  Denn die
zwei andern Kind wurden auch noch herausgegraben, aber tot.
In Pilzeig, ebenfalls im Kanton Uri, wurde eine Mutter mit zwei
Kindern fortgerissen und unten in der Tiefe vom Schnee verschüttet.

Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lawine ebenfalls dahin geworfen
hatte, hörte ihr Wimmern und grub sie hervor.  Vergeblich war das
Lächeln der Hoffnung in ihrem Antlitz.  Als die Mutter halb nackt
umherschaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie war.  Ihr
Retter selbst war ohnmächtig niedergesunken.  Neue Hügel und Berge
von Schnee und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken füllten
die Luft.  Da sagte die Mutter: "Kinder, hier ist keine Rettung
möglich; wir wollen beten und uns dem Willen Gottes überlassen." Und
als sie beteten, sank die siebenjährige Tochter sterbend in die Arme
der Mutter, und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach
und ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verliessen sie
ihre Kräfte auch.  Sie war eine 14tägige Kindbetterin, und sie sank
mit dem teuern Leichnam ihres Kindes in dem Schoss ebenfalls leblos
darnieder.  Die andere, elfjährige Tochter hielt weinend und
händeringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie tot waren,
drückte ihnen alsdann, eh' sie auf eigene Rettung bedacht war, mit
stummem Schmerz die Augen zu und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe
und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam
gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein
aufgenommen und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde.
Kurz, in allen Bergkantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri,
Schwyz, Graubünden, sind in einer Nacht und fast in der nämlichen
Stunde durch die Lawinen ganze Familien erdrückt, ganze Viehherden
mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Gartenland bis auf
den nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt und ganze
Wälder zerstört worden, also dass sie ins Tal gestürzt sind; oder
die Bäume liegen übereinander zerschmettert und zerknickt wie die
Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag.  Sind ja in dem einzigen
kleinen Kanton Uri fast mit einem Schlag 11 Personen unter dem
Schnee begraben worden und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Häuser
und mehr als 150 Heuställe zerstört und 359 Häuptlein Vieh
umgekommen, und man weiss gar nicht, auf wie vielmal hunderttausend
Gulden soll man den Schaden berechnen ohne die verlornen Menschen.
Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder frommen Gemahls
oder Kindes ist nicht mit Gold zu schätzen.



Seinesgleichen


Ein kunstreicher Instrumentenmacher, aber ein eingebildeter und
unfeiner Mann, hielt sich schon einige Zeit in einem namhaften
Städtlein auf und genoss dann und wann im Löwen abends eine Flasche
Wein und einen halben Vierling Käs.  Eines Abends, als sich die
meisten Gäste schon früher denn gewöhnlich verlaufen hatten und der
Instrumentenmacher oben noch allein sass, rückt zu ihm der bekannte
Zirkelschmied mit seinem Schoppen Siebenzehner hinauf.  "Euer
Wohlgeboren", sagte er, "redeten da vorhin an Ihre Nachbarn über die
Quadratur des Zirkels.  Ich hatte keine Freude zur Sache.  Leute
unsersgleichen", sagte er, "können von so etwas wohl unter sich
sprechen und einander Gedanken geben.  Ich z.  B.  wäre Euerer Meinung
nicht gewesen." Der geneigte Leser kennt den Zirkelschmied, dass er
immer auf eine Schelmerei ausgeht.  Unter andern macht er sich gern
an Fremde, die etwas gleich sehen, um hernach bei andern mit ihrer
Bekanntschaft grosszutun, wie am Ende dieser Erzählung auch
geschehen wird, und die Leute breitzuschlagen, wie man sagt.  Der
Instrumentenmacher aber betrachtete ihn mit einem vornehmen,
verachtenden Blick und sagt: "Wenn Ihr bei Leuten Euresgleichen sein
wollt, so kommt nicht zu mir; oder wer seid Ihr?" Der Zirkelschmied,
des Schimpfes und der Schande gewöhnt, erwidert: "Sollte Euer
Wohlgeboren aus meiner Rede nicht erkennen, dass zwei Künstler
miteinander sprechen?" Des erboste sich der andere.  noch mehr.  "Ihr
ein Künstler?" fragte er ihn, "ein Kammacher oder ein Besenbinder?
Wollt Ihr ein Almosen von mir?" Der Zirkelschmied erwidert: "Herr
Christlieb, das beugt mich, weniger wegen meiner, als wegen der
Kunst.  Leute unsersgleichen pflegen sich sonst eben so sehr durch
feine Sitten auszuzeichnen als durch Kenntnisse und
Geschicklichkeit." Da stand der Instrumentenmacher auf: "Sprecht Ihr
mir schon wieder von Euresgleichen", sagt er.  "Hör' ich's zum
dritten Mal von Euch, so werf' ich Euch den Stuhl an den Kopf", und
lupfte ihn bereits ein wenig in die Höhe.  Der Wirt aber, der bisher
ruhig am Ofen stand, trat hervor und sagte: "Jetzt, Zirkelschmied,
reist!"

Der Zirkelschmied aber erbost sich darüber auch und geht aus dem
Löwen ins Rösslein gerad gegenüber, und "stellt euch vor", sagte er
dort zu seinen anwesenden Bekannten, "was sich der hergelaufene
Instrumentenmacher, der Brotdieb, einbildet.  Der hochmütige Gesell
nimmt's für einen Affrunt auf, dass ich zweimal zu ihm sagte: Leute
unsersgleichen, und ich sag's zum dritten Mal, wenn er's hören will,
der Flegel, der impertinente, der gemeine Kerl."

Der geneigte Leser lacht ein wenig, dass der Zirkelschmied darauf
beharrt, ein Mann, den er für einen Flegel und gemeinen Kerl
ausgibt, sei seinesgleichen.

Lerne erstens am Zirkelschmied: Man muss nie schimpfen, wenn man im
Zorn ist, sonst schimpft und verunehrt man sich selbst.

Lerne zweitens an dem Instrumentenmacher: Man muss sich, wenn man
etwas ist, mit liederlichen Leuten nie in Grobheiten gemein machen,
sonst macht man sich wirklich zu ihresgleichen.  Der Zirkelschmied
hatte insofern recht.



Seltene Liebe


Mit dem Leichnam eines jungen Mannes im Schweizerland, der
erschlagen wurde in einem Gefecht nicht weit vom Vierwaldstätter
See, mit dem Leichnam ging es wunderbar zu.  Dass er nach dem Gefecht
war begraben worden nächst der Wahlstatt, wussten mehr als zwanzig
Männer aus dem nämlichen Ort, die es taten und dabei waren und ein
Kreuz, wie man in der Geschwindigkeit eines machen kann, auf sein
Grab steckten, dass, wer vorüberginge, auch ein Vaterunser für seine
Seele beten sollte.  Item, am Dienstag darauf, als der Sigrist frühe
morgens in die Kirche gehn und das Morgengebet anläuten wollte, lag
der nämliche Leichnam daheim auf dem Kirchhof, vor der Kirchtüre.
Man begrub ihn noch einmal mit allen Gebräuchen und Gebeten der
Kirche in die geweihte Erde.  Item, als es noch einmal Dienstag
wurde, war der nämliche Leichnam wieder aus dem Grab und von dem
Kirchhof weg verschwunden.  Sonst tut der Glaube Wunder.  Diesmal aber
tat's des Glaubens fromme Schwester, die Liebe.  Er war als
Freiwilliger mitgezogen, weil ihm die Gemeinde auf den Fall das
Bürgerrecht angeboten hatte.  Denn er war nur Hintersass und seiner
Arbeit ein Maurer, was zwar nicht zur Sache, aber zur Wahrheit
gehört.  Seine junge Frau aber ängstete sich daheim und weinte und
betete, und jeder Schuss, den sie hörte, ging ihr schauerhaft durchs
Herz, denn sie fürchtete, er gehe durch das seinige.  Einer ging da
durch, und als die andern am dritten oder vierten Tag wohlbehalten
nach Hause kamen, brachten sie ihr das blutige Gewand ihres Mannes,
sein Gebetbüchlein und seinen Rosenkranz.  "Dein Mann", sagten sie,
"hat jetzt ein anderes Bürgerrecht angetreten.  Er liegt im obern
Ried.  Ein Kreuz steht auf seinem Grab.  Es hätte jeden treffen
können", sagten sie.  Die arme Frau verging fast in Tränen und
Wehklagen.  "Mein Mann erschossen", sagte sie, "mein einziges und
alles--und im Ried begraben, in ungeweihter Erde!" Da raffte sie
sich plötzlich auf, und in der Nacht, als alles schlief, ging sie
allein mit einer Schaufel und mit einem Sack in das Ried hinauf,
suchte das Grab und die geliebte Leiche und trug sie heim auf den
Kirchhof.  Solche Herzhaftigkeit und Stärke hatte ihr der Schmerz und
die Liebe gegeben.  Als sie aber hernachmals Tag und Nacht sich fast
nimmer von dem Grabe entfernen und nicht essen und trinken wollte,
sondern unaufhörlich das Grab mit ihren Tränen benetzte und mit dem
Verstorbenen redete, als ob er sie hören könnte, alle Vorstellungen
waren fruchtlos, da sagte endlich der Vorsteher des Ortes, es sei
kein anderes Mittel übrig, als man grabe den Toten heimlicherweise
noch einmal aus und bringe ihn auf einen andern Kirchhof, sonst
vergehe noch die arme Frau.  Also brachte man sie mit viel Zureden
und Mühe in ihre leere Wohnung zurück und brachte in der Nacht den
Leichnam auf einen andern Kirchhof.  Nur wenige Menschen wussten
davon, wohin er gebracht worden.  Den frommen Leser rührt diese
Geschichte, und er sagt, solcher beispiellosen ehelichen Liebe und
Treue können nur noch Schweizerherzen fähig sein.  Fehl gesprochen!
Beide, die unglückliche Frau und ihr verstorbener Gatte waren
Fremdlinge, und zwar aus Deutschland.  Doch kein Schmerz dauert ohne
Ende, der heftigste am wenigsten.  Die nämliche Frau gewann in der
Folge einen zweiten braven Gatten, ebenfalls einen Deutschen, und
die Gemeinde erteilte--diesem das Bürgerrecht, das sein Vorfahrer
mit seinem Leben erkauft hatte.

Diese Geschichte hat dem Hausfreund und seinen Reisegefährten auf
dem See zwischen Winkel und Stansstad ein Augenzeuge erzählt, und
von ferne den Ort gezeigt, wo sie vorgefallen war.



Seltsame Ehescheidung


Ein junger Schweizer aus Ballstall kam in spanische Dienste, hielt
sich gut und erwarb sich einiges Vermögen.  Als es ihm aber zu wohl
war, dachte er: will ich oder will ich nicht?--Endlich wollte er,
nahm eine hübsche, wohlhabende Spanierin zur Frau und machte damit
seinen guten Tagen ein Ende.--Denn in den spanischen Haushaltungen
ist die Frau der Herr, ein guter Freund der Mann, und der Mann ist
die Magd.

Als nun das arme Blut der Sklaverei und Drangsalierung bald müde
war, fing er an, als wenn er nichts damit meinte, und rühmte ihr das
fröhliche Leben in der Schweiz und die goldenen Berge darin, er
meinte die Schneeberge im Sonnenglast jenseits der Klus; und wie man
lustig nach Einsiedeln wallfahrten könne und schön beten in Sasseln
am Grabe des heiligen Bruders Niklas von der Flue, und was für ein
grosses Vermögen er daheim besitze, aber es werde ihm nicht
verabfolgt aus dem Land.  Da wässerte endlich der Spanierin der Mund
nach dem schönen Land und Gut, und es war ihr recht, ihr Vermögen zu
Geld zu machen und mit ihm zu ziehen in seine goldene Heimat.  Also
zogen sie miteinander über das grosse pyrenäische Gebirg bis an den
Grenzstein, der das Reich Hispania von Frankreich scheidet; sie mit
dem Geld auf einem Esel, er nebenher zu Fuss.  Als sie aber vorüber
an dem Grenzstein waren, sagte er: "Frau, wenn's dir recht ist, bis
hieher haben wir's spanisch miteinander getrieben, von jetzt an
treiben wir's deutsch.  Bist du von Madrid bis an den Markstein
geritten und ich bin dir zu Fuss nachgetrabt den langen Berg hinauf,
so reit' ich jetzt von hier weg bis gen Ballstall, Kanton Solothurn,
und das Fussgehen ist an dir." Als sie darüber sich ungebärdig
stellte und schimpfte und drohte und nicht von dem Tierlein herunter
wollte: "Frau, das verstehst du noch nicht", sagte er, "und ich
nehme dir's nicht übel", sondern hieb an dem Weg einen tüchtigen
Stecken ab und las ihr damit ein langes Kapitel aus dem Ballstaller
Ehe- und Männerrecht vor, und als sie alles wohlverstanden hatte,
fragte er sie: "Willst du jetzt mit, welsche Hexe, und guttun, oder
willst du wieder hin, wo du hergekommen bist?" Da sagte sie
schluchzend: "Wo ich hergekommen bin!" und das war ihm auch das
Liebste.  Also teilte mit ihr der ehrliche Schweizer das Vermögen und
trennten sich voneinander an diesem Grenzstein weiblicher Rechte,
wie einmal ein bekanntes Büchlein in der Welt geheissen hat, und
jedes zog wieder in seine Heimat.  "Deinen Landsmann," sagte er, "auf
dem du hergeritten bist, kannst du auch wieder mitnehmen."

Merke: Im Reich Hispania machen's die Weiber zu arg, aber in
Ballstall doch auch manchmal die Männer.  Ein Mann soll seine Frau
nie schlagen, sonst verunehrt er sich selber.  Denn ihr seid ein
Leib.



Seltsamer Spazierritt


Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und lässt seinen Buben zu
Fuss nebenher laufen.  Kommt ein Wanderer und sagt: "Das ist nicht
recht, Vater, dass Ihr reitet und lasst Euern Sohn laufen; Ihr habt
stärkere Glieder." Da stieg der Vater vom Esel herab und liess den
Sohn reiten.  Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: "Das ist nicht
recht, Bursche, dass du reitest und lässest deinen Vater zu Fuss
gehen.  Du hast jüngere Beine." Da sassen beide auf und ritten eine
Strecke.  Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: "Was ist das für
ein Unverstand: zwei Kerle auf einem schwachen Tier?  Sollte man
nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?" Da stiegen
beide ab und gingen selbdritt zu Fuss, rechts und links der Vater
und Sohn, und in der Mitte der Esel.  Kommt ein vierter Wandersmann
und sagt: "Ihr seid drei kuriose Gesellen.  Ist's nicht genug, wenn
zwei zu Fuss gehen?  Geht's nicht leichter, wenn einer von euch
reitet?" Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und
der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken
Baumpfahl durch, der an der Strasse stand, und trugen den Esel auf
der Achsel heim.

So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.



Suwarow


Der Mensch muss eine Herrschaft über sich selber ausüben können,
sonst ist er kein braver und achtungswürdiger Mensch, und was er
einmal für allemal als recht erkennt, das muss er auch tun, aber
nicht einmal für allemal, sondern immer.  Der russische General
Suwarow, den die Türken und Polacken, die Italiener und die
Schweizer wohl kennen, der hielt ein scharfes und strenges Kommando.
Aber was das Vornehmste war, er stellte sich unter sein eigenes
Kommando, als wenn er ein anderer und nicht der Suwarow selber wäre,
und sehr oft mussten ihm seine Adjutanten dies und jenes in seinem
eigenen Namen befehlen, was er alsdann pünktlich befolgte.  Einmal
war er wütend aufgebracht über einen Soldaten, der im Dienst etwas
versehen hatte, und fing schon an ihn zu prügeln.  Da fasste ein
Adjutant das Herz, dachte, er wolle dem General und dem Soldaten
einen guten Dienst erweisen, eilte herbei und sagte: "Der General
Suwarow hat befohlen, man solle sich nie vom Zorn übernehmen
lassen." Sogleich liess Suwarow nach und sagte: "Wenn's der General
befohlen hat, so muss man gehorchen."



Teure Eier


Als zu seiner Zeit ein fremder Fürst nach Frankreich reiste, wurde
ihm unterwegs öd im Magen, und liess sich in einem gemeinen
Wirtshaus, wo sonst dergleichen Gäste nicht einkehren, drei
gesottene Eier geben.  Als er damit fertig war, fordert der Wirt
dafür 300 Livres.  Der Fürst fragte, ob denn hier die Eier so rar
seien.  Der Wirt lächelte und sagte: "Nein, die Eier nicht, aber die
grossen Herren, die so etwas dafür bezahlen können." Der Fürst
lächelte auch und gab das Geld, und das war gut.  Als aber der
damalige König von Frankreich von der Sache hörte (es wurde ihm als
ein Spass erzählt), nahm er's sehr übel, dass ein Wirt in seinem
Reich sich unterstand, solche unverschämte Überforderungen zu
machen, und sagte dem Fürsten: "Wenn Sie auf ihrer Rückreise wieder
an dem Wirtshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, dass Gerechtigkeit
in meinem Lande herrscht." Als der Fürst auf seiner Rückreise wieder
an dem Wirtshaus vorbeifuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber
die Türen und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut.



Teures Spässlein


Man muss mit Wirten keinen Spass und Mutwillen treiben, sonst kommt
man unversehens an den Unrechten.  Einer in Basel will ein Glas Bier
trinken, das Bier war sauer, zog ihm den Mund zusammen, dass ihm die
Ohren bis auf die Backen hervorkamen.  Um es auf eine witzige Art an
den Tag zu legen und den Wirt vor den Gästen lächerlich zu machen,
sagte er nicht: "das Bier ist sauer", sondern "Frau Wirtin", sagte
er, "könnt' ich nicht ein wenig Salat und Öl zu meinem Bier haben?"
Die Wirtin sagte: "In Basel kann man für Geld alles haben", strickte
aber noch ein wenig fort, als wenn sie's wenig achtete, denn sie war
eben am Zwickel.  Nach einigen Minuten, als unterdessen die Gäste
miteinander diskurierten, und einer sagte: "Habt ihr gestern das
Kamel auch gesehen und den Affen?" ein anderer sagte: "Es ist kein
Kamel, es ist ein Trampeltier", sagte die Wirtin: "Mit Erlaubnis"
und deckte eine schneeweisse Serviette vom feinsten Gebilde auf den
Tisch.  Jeder glaubte, der andere habe ein Bratwürstlein bestellt
oder etwas, und "es ist doch ein Kamel", sagte ein dritter, "denn es
ist weiss, die Trampeltiere sind braun." Unterdessen kam die Wirtin
wieder mit einem Teller voll zarter Kukümmerlein aus dem
markgräfischen Garten, aus dem Treibhaus, fein geschnitten wie
Postpapier, und mit dem kostbarsten genuesischen Baumöl angemacht,
und sagte zu dem Gast mit spöttischem Lächeln: "Ist's gefällig?"
Also lachten die andern nicht mehr den Wirt aus, sondern den Gast,
und wer wohl oder übel seinen Spass mit zehn Batzen fünf Rappen
Baseler Währung bezahlen musste, war er.



Tod vor Schrecken


Als einmal der Hausfreund mit dem Doktor von Brassenheim an dem
Kirchhof vorbeiging, deutete der Doktor auf ein frisches Grab und
sagte: "Selbiger ist mir auch entwischt.  Den haben seine Kameraden
geliefert."

Im Wirtshaus, wo die Schreiber beisammen sassen bei einem lebhaften
Disputat, schlug einer von ihnen auf den Tisch.  "Und es gibt doch
keine!" sagte er,--nämlich keine Gespenster und Erscheinungen.--
"Und ein altes Weib", fuhr er fort, "ist der, der sich erschrecken
lässt." Da nahm ihn ein anderer beim Wort und sagte: "Buchhalter,
vermiss dich nicht; gilt's sechs Flaschen Burgunderwein, ich
vergelstere dich und sag dir's noch vorher." Der Buchhalter schlug
ein: "Es gilt."

Jetzt ging der andere Schreiber zum Wundarzt: "Herr Land-Chirurgus,
wenn Ihr einmal einen Leichnam zum Verschneiden bekommt, von dem Ihr
mir einen Vorderarm aus dem Ellenbogengelenk lösen könntet, so sagt
mir's." Nach einiger Zeit kam der Chirurgus: "Wir haben einen toten
Selbstmörder bekommen, einen Siebmacher.  Der Müller hat ihn
aufgefangen am Rechen", und brachte dem Schreiber den Vorderarm.
"Gibt's noch keine Erscheinungen, Buchhalter?"--"Nein, es gibt noch
keine." Jetzt schlich der Schreiber heimlich in des Buchhalters
Schlafkammer und legte sich unter das Bett, und als sich der
Buchhalter gelegt hatte und eingeschlafen war, fuhr er ihm mit
seiner eigenen warmen Hand über das Gesicht.  Der Buchhalter fuhr auf
und sagte, dann er wirklich ein besonnener und beherzter Man war:
"Was sind das für Possen?  Meinst du, ich merke nicht, dass du die
Wette gewinnen willst?" Der Schreiber war mausstille.  Als der
Buchhalter wieder eingeschlafen war, fuhr er ihm noch einmal über
das Gesicht.  Der Buchhalter sagte: "Jetzt lass es genug sein, oder
wenn ich dich erwische, so schaue zu, wie es dir geht." Zum dritten
Mal fuhr ihm der Schreiber langsam über das Gesicht; und als er
schnell nach ihm haschte, und als er sagen wollte: "Hab' ich dich?"
blieb ihm eine kalte, tote Hand und ein abgelöster Armstümmel in den
Händen, und der kalte, tötende Schrecken fuhr ihm tief in das Herz
und in das Leben hinein.  Als er sich wieder erholt hatte, sagte er
mit schwacher Stimme: "Ihr habt, Gott sei es geklagt, die Wette
gewonnen." Der Schreiber lachte und sagte: "Am Sonntag trinken wir
den Burgunder." Aber der Buchhalter erwiderte: "Ich trink ihn nimmer
mit." Kurz, den andern Morgen hatte er ein Fieber, und den siebenten
Morgen war er eine Leiche.  "Gestern früh", sagte der Doktor zum
Hausfreund, "hat man ihn auf den Kirchhof getragen; unter selbigem
Grab liegt er, das ich Euch gezeigt habe."



Unglück der Stadt Leiden


Diese Stadt heisst schon seit undenklichen Zeiten Leiden und hat
noch nie gewusst, warum, bis am 12. Jänner des Jahres 1807.  Sie
liegt am Rhein in dem Königreich Holland und hatte vor diesem Tag
elftausend Häuser, welche von 40 000 Menschen bewohnt waren, und war
nach Amsterdam wohl die grösste Stadt im ganzen Königreich.  Man
stand an diesem Morgen noch auf wie alle Tage; der eine betete sein:
"Das walt' Gott", der andere liess es sein, und niemand dachte
daran, wie es am Abend aussehen wird, obgleich ein Schiff mit
siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war.  Man ass zu Mittag,
und liess sich's schmecken wie alle Tage, obgleich das Schiff noch
immer da war.  Aber als nachmittags der Zeiger auf dem grossen Turm
auf halb fünf stand--fleissige Leute sassen daheim und arbeiteten,
fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute gingen ihren
Geschäften nach, Kinder waren beisammen in der Abendschule, müssige
Leute hatten Langeweile und sassen im Wirtshaus beim Kartenspiel und
Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen, was er
essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb
steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde
Türe--und plötzlich geschah ein Knall.  Das Schiff mit seinen
siebenzig Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in
einem Augenblick (ihr könnt's nicht so geschwind lesen, als es
geschah), in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser
mit allem, was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in einen
Steinhaufen zusammengestürzt oder entsetzlich beschädigt.  Viele
hundert Menschen wurden lebendig und tot unter diesen Trümmern
begraben oder schwer verwundet.  Drei Schulhäuser gingen mit allen
Kindern, die darin waren, zugrunde, Menschen und Tiere, welche in
der Nähe des Unglücks auf der Strasse waren, wurden von der Gewalt
des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen in einem kläglichen
Zustand wieder auf die Erde.  Zum Unglück brach auch noch eine
Feuersbrunst aus die bald an allen Orten wütete, und konnte fast
nimmer gelöscht werden, weil viele Vorratshäuser voll Öl und Tran
mit ergriffen wurden.  Achthundert der schönsten Häuser stürzten ein
oder mussten niedergerissen werden.  Da sah man denn auch, wie es am
Abend leicht anders werden kann, als es am frühen Morgen war, nicht
nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch mit einer grossen und
volkreichen Stadt.  Der König von Holland setzte sogleich ein
namhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig gerettet
werden konnte.  Auch die Toten, die aus dem Schutt hervorgegraben
wurden, wurden auf das Rathaus gebracht, damit sie von den Ihrigen
zu einem ehrlichen Begräbnis konnten abgeholt werden.  Viele Hilfe
wurde geleistet.  Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so
kamen doch von London ganze Schiffe voll Hilfsmittel und grosse
Geldsummen für die Unglücklichen, und das ist schön--denn der Krieg
soll nie ins Herz der Menschen kommen.  Es ist schlimm genug, wenn er
aussen vor allen Toren und vor allen Seehäfen donnert.



Unglück in Kopenhagen


Das sollte man nicht glauben, dass eine Granate, die in den
unglücklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde,
noch im Juli 1808 losgehen werde.  Zwei Knaben fanden sie unter der
Erde.  Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden
Grunde reinigen.  Plötzlich geriet sie in Brand, zersprang, tötete
den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg und
zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos
zusah, den Arm.  Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaten und
Bombenkugeln.



Untreue schlägt den eigenen Herrn


Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preussen ein Teil der
französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom
Rheinischen Bundesheer dabei, und ein bayerischer oder
württembergischer Offizier wurde zu einem Edelmann einquartiert und
beikam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und kostbare
Gemälde hingen.  Der Offizier schien recht grosse Freude daran zu
haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann gewesen und
freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem
Hauswirt, dass er ihm eins von diesen Gemälden zum Andenken schenken
möchte.  Der Hauswirt sagte, dass er das mit Vergnügen tun wollte,
und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber zu wählen, welches
ihm die grösste Freude machen könnte.

Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand
auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, dass man nicht
gerade das vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch
nicht gemeint.  Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er
wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste.  Aber das war
unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er hätte ihm
gern das kostbarste dafür gelassen.  "Mein Herr Obrist", so sprach er
mit sichtbarer Unruhe, "warum wollen Sie gerade das geringste
wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache wert ist?

Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort." Der Offizier
gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, dass sein
Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu
das gewählte Gemälde herunter.  Jetzt erschien an der Mauer, wo
dasselbe gewesen war, ein grosser feuchter Fleck.  "Was soll das
sein?" sprach der Offizier wie erzürnt zu seinem todblassen Wirt,
tat einen Stoss, und auf einmal fielen ein paar frisch gemauerte und
übertünchte Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold
und Silber des Edelmannes eingemauert war.  Der gute Mann hielt nun
freilich sein Eigentum für verloren, wenigstens erwartete er, dass
der feindliche Kriegsmann eine namhafte Teilung ohne Inventarium und
ohne Kommissarius vornehmen werde, ergab sich geduldig darein und
verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können, dass
hinter diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war.  Der
Offizier erwiderte: "Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen,
dem ich ohnehin Belohnung schuldig bin"; und in kurzer Zeit brachte
sein Bedienter--sollte man's glauben--den Maurermeister selber,
den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die
Bezahlung dafür erhalten hatte.

Das ist nun einer von den grössten Spitzbubenstreichen, die der
Teufel auf ein Sündenregister setzen kann.  Denn ein Handwerksmann
ist seinen Kunden die grösste Treue, und in Geheimnissen, wenn es
nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er
einen Eid darauf hätte.

Aber was tut man nicht um des Geldes willen!  Oft gerade das
nämliche, was man um der Schläge oder um des Zuchthauses willen tut
oder für den Galgen, obgleich ein grosser Unterschied dazwischen
ist.  So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub.  Denn der brave Offizier
liess ihn jetzt hinaus vor die Stube führen und ihm von frischer
Hand 100, sage hundert Prügel bar ausbezahlen, lauter gute Valuta,
und war kein einziger falsch darunter.  Dem Edelmann aber gab er
unbetastet sein Eigentum zurück.--Das wollen wir beides gutheissen
und wünschen, dass jedem, der Einquartierung haben muss, ein so
rechtschaffener Gast und jedem Verräter eine solche Belohnung zuteil
werden möge.



Unverhofftes Wiedersehen


In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein
junger Bergmann seine junge, hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf
Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet.  Dann
sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." --"Und
Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit
holdem Lächeln, "denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich
möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort." Als sie
aber vor Sankt Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche
ausgerufen hatte: "So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum
diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete
sich der Tod.  Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner
schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann
hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an
ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend
mehr.  Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte
vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für
ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg
und weinte um ihn und vergaß ihn nie.  Unterdessen wurde die Stadt
Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der
Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb,
und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die
Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet,
Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische
Macht konnte Gibraltar nicht erobern.  Die Türken schlossen den
General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser
Joseph starb auch.  Der König Gustav von Schweden eroberte
Russisch-Finnland, und die Französische Revolution und der lange
Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab.
Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten
Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten.  Der Müller
mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach
den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt.  Als aber die
Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis
zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute
dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt
und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit
Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war,
also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen
konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig
eingeschlafen wäre an der Arbeit.  Als man ihn aber zu Tag
ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren
schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen
oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des
Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und
nimmer zurückkehrte.  Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer
Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit
freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche
nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des
Gemüts erholt hatte, "es ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um
den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch
einmal sehen läßt vor meinem Ende.  Acht Tage vor der Hochzeit ist er
auf die Grube gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter
aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die
ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen
Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie
in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe
noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln
oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den
Bergleuten in ihr Stübchen tragen ließ, als die einzige, die ihm
angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf
dem Kirchhof.  Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem
Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf,
legte ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um und
begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag
und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre.  Denn als man ihn auf dem
Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen
Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht
lang werden.  Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald
wirds wieder Tag.  Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie
zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als sie fortging
und noch einmal umschaute.



Unverhofftes Wiedersehen


In Falun in Schweden küsste vor guten fünfzig Jahren und mehr ein
junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf
Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet.  Dann
sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein.--"Und
Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit
holdem Lächeln, "denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich
möchte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort.  Als sie aber
vor St.  Luciä der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen
hatte: "So nun jemand Hindernis wusste anzuzeigen, warum diese
Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete sich der
Tod.  Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen
Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbei ging, der Bergmann hat sein
Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster
und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr.  Er kam
nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen
Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum
Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte
um ihn und vergass ihn nie.  Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in
Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg
ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der
Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin
Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika
wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht
konnte Gibraltar nicht erobern.  Die Türken schlossen den General
Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph
starb auch.  Der König Gustav von Schweden eroberte russisch
Finnland, und die französische Revolution und der lange Krieg fing
an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab.  Napoleon
eroberte Preussen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und
die Ackerleute säeten und schnitten.  Der Müller mahlte, und die
Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in
ihrer unterirdischen Werkstatt.  Als aber die Bergleute in Falun im
Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine
Öffnung durchgaben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem
Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam
eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen,
sonst aber unverwest und unverändert war, also dass man seine
Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er
erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen wäre an
der Arbeit.  Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und
Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch
wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück
wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines
Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte.  Grau und
zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und
erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit
Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie
sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, "es
ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um den ich fünfzig Jahre
lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor
meinem Ende.  Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube
gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter aller
Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die
ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen
Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie
in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe
noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln
oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den
Bergleuten in ihr Stüblein tragen liess, als die einzige, die ihm
angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf
dem Kirchhof.  Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem
Kirchhof und ihn die Bergleute holten, (schloss sie ein Kästlein
auf), legte (sie) ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen
um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr
Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre.  Denn als man
ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl,
noch einen Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett, und lass dir die
Zeit nicht lang werden.  Ich habe nur noch wenig zu tun und komme
bald, und bald wird's wieder Tag.  Was die Erde einmal wiedergegeben
hat, wird sie zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als
sie fortging und noch einmal umschaute.



Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte)


Der Amtmann in Nordheim liess im Krieg in den neunziger Jahren fünf
Gauner henken, und waren's in der ersten Viertelstunde so gut
gewohnt, dass keiner mehr herabverlangte, und je nachdem der Wind
ging, exerzierten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechtsum, links
um, ohne Flügelmann.  Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben
von ihm hatte, sagte: "Wart', Amtmann, ich will dir's eintränken."
Ein paar Tage darauf reitet die österreichische Patrouille gegen das
Städtlein am Galgen vorbei; da sagt einer zu dem andern: "Es läuft
dir eine Spinne am Hut, so gross wie ein Taubenei." So zieht der
andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben
der Wind aus Westen ging, drehten sich und machten Front.  Indem
schleicht von weitem ein Büblein von der Strasse ab hinter eine
Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat.  Aber das Büblein hatte
gar keine, weder gute noch schlechte.  Denn als einer von den
Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die
Knie und sagte mit Zittern und mit Beben: "Pardon!  Ich hab' sie alle
ins Wasser geworfen." Der Dragoner sagte: "Was hast du ins Wasser
geworfen?"--"Die Briefe."--"Was für Briefe?"--"Die Briefe vom
Amtmann an die Franzosen.  Wenn Österreicher ins Land kommen," sagte
der Bursche, "muss ich dem Amtmann Boten laufen ins französische
Lager.  Diesmal hatte ich drei Briefe, einen an den Dürrmaier." Also
holten die Dragoner, mir nichts dir nichts, den Amtmann ab, wie er
ging und stand, und musste in den Pantoffeln zwischen den Pferden im
Kot mitlaufen und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn,
und der Bube musste auch mit.  Der Amtmann war so unschuldig als der
römische Kaiser selbst, hätte sich für die österreichischen Waffen
lebendig schinden lassen, hatte sechs Kinder, eins schöner als das
andere, und eine schwangere Frau.  Aber das war die Rache, die ihm
die Gaunerin zugedacht hatte, als sie sagte: "Wart', Amtmann, ich
will dir's gedenken." Im Lager, als er zu dem General geführt wurde,
und die Hohenzollerer-Kürassiere und Kaiser-Dragoner und
Erdödi-Husaren sahen ihn vorbeiführen, sagte einer von der
Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: "Es ist ein Spion." Der
Kamerad sagte: "Strick ist sein Lohn", und der Offizier, an den sie
ihn ablieferten, war auch der Meinung und bestellte spottweise schon
bei ihm einen Gruss an des Teufels Grossmutter.  Dem Hausfreund ist's
aber bei dieser Geschichte nicht halb so angst als dem geneigten
Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben;
sondern, als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der
Hauptmann Auditor mit Verwunderung und Bedauernis an und sagte:
"Seid Ihr nicht der nämliche, der mich vor einem Jahre drei Tage
lang im Keller hinter dem Sauerkrautstande vor den Franzosen
verborgen hat, und habt Schläge genug von ihnen bekommen, und als
sie Euch oben den Speck verzehrten, ass ich unten das Sauerkraut
dazu samt den Gumbistäpfeln." Der Amtmann sagte: "Gott erkennt's,
und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so
doch von Lindenholz ist und ihr Leben lang noch keinen Buchstaben
geschrieben hat." Indem kamen auch mehrere gute Freunde und
angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine
Rechtschaffenheit und Treue, und was er schon für Drangsalierung von
den Franzosen habe ausstehen müssen, und wie auf seine Anordnung der
letzte Sieg der Österreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, dass
der Kirchturm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt,
aber einen Stich.  Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran
dachte, wie er drei Tage lang in des Amtmanns Keller in der
verborgenen Garnison lag hinter dem Schanzkorb, hinter dem
Sauerkrautstande, war geneigter Ja zu glauben als Nein.  Also liess
er den Amtmann hinausführen und den Buben herein und tat ein paar
verfängliche Fragen an ihn, sagte ihm aber nicht, dass sie
verfänglich sind.  Deswegen war der Bursche, so sehr er die
Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem
Ja und Nein so unvorsichtig, dass er in wenig Minuten nimmer links,
nimmer rechts auszuweichen wusste und alles gestand.  Also bekam er
links und rechts fünfzehn Hiebe vom Profoss und begleitete
freiwillig die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg.  Der Amtmann
aber ass mit dem Hauptmann Auditor bei dem General-Feldmarschall zu
Nacht und den andern Tag bei seiner Frau und Kindern zu Mittag, und
der Hausfreund tut auch einen Freudentrunk, dass er wieder ein
Exempel der Gerechtigkeit statuiert hat.  Das Doneschinger Bier dazu
hat er geschenkt bekommen vom Herrn Kusel.



Verloren oder gefunden


An einem schönen Sommerabend fuhr der Herr Vogt von Trudenbach in
seinem Kaleschlein noch spät vom Brassenheimer Fruchtmarkt zurück,
und das Rösslein hatte zwei zu ziehen, nämlich den Herrn Vogt und
seinen Rausch.  Unterwegs am Strasswirtshaus schauten noch ein paar
lustige Köpfe zum Fenster heraus, ob der Herr Vogt nicht noch ein
wenig einkehren und eines Bescheid tun wolle; die Nacht sei
mondhell.  Der Herr Vogt scheute sich weniger vor dem Bescheid als
vor dem Ab- und Aufsteigen in das Kaleschlein, massen es ihm schon
am Morgen schwer wird, aber am Abend fast unmöglich.  Der Herr
Theodor meinte zwar: "Wir wollen das Kaleschlein auf die Seite
umlegen und ihn abladen", aber kürzer war es doch, man ging mit der
Flasche zu ihm hinaus.  Aus einer Flasche wurden vier, und die
Redensarten mankierten ihm immer mehr, bis ihm der Schlaf die Zunge
und die letzte Besinnung band.  Als er aber eingeschlafen war,
führten die lustigen Köpfe das Rösslein in den Stall und liessen ihn
auf der Strasse sitzen.  Früh aber, als ihn vor dem Fenster des Wirts
die Wachtel weckte, kam er sich kurios vor und wusste lange nicht,
wo er sei und wo er sich befinde.  Denn nachdem er sich eine Zeitlang
umgesehen und die Augen ausgerieben hatte, sagte er endlich: "Jetzt
kommt alles darauf an, ob ich der Vogt von Trudenbach bin oder
nicht.  Denn bin ich's, so hab' ich ein Rösslein verloren, bin ich's
aber nicht, so hab' ich ein Kaleschlein gefunden."



Wasserläufer


Bekanntlich will es Leute geben, die im Wasser nicht untergehen.
Einer erzählte in einem Wirtshaus, er sei in Italien von der Insel
Capri aus eine halbe Stunde weit aufrecht durch das Mittelländische
Meer gegangen, und das Wasser sei ihm nicht höher gegangen als an
die Brust.  Mit der linken Hand habe er Tabak geraucht, nämlich die
Pfeife gehalten, und mit der rechten ein wenig gerudert.

Ein anderer sagte: "Das ist eine Kleinigkeit.  Im Krieg in den
neunziger Jahren ist ein ganzes Bataillon Rotmäntler oberhalb
Mannheim aufrecht über den Rhein marschiert, und das Wasser reichte
keinem höher als bis an die Knie."

Ein Dritter sagte: "Solches war keine Kunst.  Denn sie hatten
selbigen Tag, als sie am Rhein ankamen, schon einen Marsch von 20
Stunden zurückgelegt.  So haben sie davon solche Blasen an den Füssen
bekommen, dass es ihnen nicht möglich war, tiefer als so im Wasser
zu sinken."



Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und
glücklich über die Grenzen kam


Eines Tages, als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein
gefunden hatte, und dachte: "Ich will so spät den Zuchtmeister
nimmer wecken", und als schon auf allen Strassen Steckbriefe
voranflogen, gelangte er abends noch unbeschrien an ein Städtlein an
der Grenze.  Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sei
und wie er hiesse und was er im Schilde führe: "Könnt Ihr polnisch?"
fragte herzhaft der Frieder die Schildwache.  Die Schildwache sagt:
"Ausländisch kann ich ein wenig, ja!  Aber Polnisches bin ich noch
nicht darunter gewahr worden."--"Wenn das ist," sagte der Frieder,
"so werden wir uns schlecht gegeneinander explizieren können." Ob
kein Offizier oder Wachtmeister am Tor sei?  Die Schildwache holt den
Torwächter, es sei ein Polack an dem Schlagbaum, gegen den sie sich
schlecht explizieren könne.  Der Torwächter kam zwar, entschuldigte
sich aber zum voraus, viel Polnisch verstehe er auch nicht.  "Es geht
hiezuland nicht stark ab," sagte er, "und es wird im ganzen Städtel
schwerlich jemand sein, der kapabel wäre, es zu dolmetschen."--
"Wenn ich das wüsste," sagte der Frieder und schaute auf die Uhr,
die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, "so wollte ich
ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die nächste Stadt.

Um neun Uhr kömmt der Mond." Der Torhüter sagte: " Es wäre unter
diesen Umständen fast am besten, wenn Ihr gerade durchpassiertet,
ohne Euch aufzuhalten; das Städtel ist ja nicht gross", und war
froh, dass er seiner los ward.  Also kam der Frieder glücklich durch
das Tor hinein.  Im Städtlein hielt er sich nicht länger auf, als
nötig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspätet hatte, ein
paar gute Lehren zu geben.  "In euch Gänse", sagte er, "ist keine
Zucht zu bringen.  Ihr gehört, wenn's Abend ist, ins Haus oder unter
gute Aufsicht." Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals und,
mir nichts, dir nichts, unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs
von einem Unbekannten geliehen hatte.  Als er aber an das andere Tor
gelangte und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte
von dem Schilderhaus, als sich inwendig der Söldner rührte, schrie
der Frieder mit herzhafter Stimme: "Wer da!" der Söldner antwortete
in aller Gutmütigkeit: "Gut Freund!" Also kam der Frieder glücklich
wieder zum Städtlein hinaus und über die Grenzen.



Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen
Streich spielen


Als der Zundelheiner und der Zundelfrieder wieder aus dem Turn
kamen, sprach der Heiner zum Frieder: "Bruder, wir wollen doch den
roten Dieter besuchen, sonst meint er, wir sitzen ewig in dem kalten
Hundsstall beim Herr Vater auf der Herberge."--"Wir wollen ihm
einen Streich spielen", sagte der Frieder zum Heiner, "ob er's
merkt, dass wir es sind." Also empfing der Dieter ein Brieflein ohne
Unterschrift: "Roter Dieter, seid heute nacht auf Eurer Hut, denn es
haben zwei Diebsgesellen eine Wette getan: einer will Eurer Frau das
Leintuch unter dem Leibe weg holen, und Ihr sollt es nicht hindern
können." Der Dieter sagte: "Das sind zwei rechte Spitzbuben
aneinander.  Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der
andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht
gewinnt.  Wenn ich nicht gewiss wüsste, dass der Heiner und der
Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt' ich glauben, sie seien's." In
der Nacht schlichen die Schelmen durch das Hanffeld heran.  Der
Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also, dass der rote Dieter
es wohl hören konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen
ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah wie ein Mensch.  Als
inwendig der rote Dieter die Leiter anstellen hörte, stand er leise
auf und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster,
"denn das sind die besten Pistolen", sagte er zu seiner Frau, "sie
sind immer geladen"; und als er den Kopf des Strohmanns
heraufwackeln sah, und meinte, der sei es, riss er schnell das
Fenster auf und gab ihm eins auf den Kopf aus aller Kraft, also,
dass der Heiner den Strohmann fallen liess und einen lauten Schrei
tat.  Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem
Pfosten vor der Haustüre.  Als aber der rote Dieter den Schrei hörte,
und es war alles auf einmal still, sagte er: "Frau, es ist mir, die
Sache sei nicht gut; ich will doch hinuntergehen und schauen, wie es
aussieht." Indem er zur Haustür hinausgeht, schleicht der Frieder,
der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt
wieder, wie im vormjährigen Kalender, des roten Dieters Stimme an,
und es ist wieder ebenso wahr.  "Frau", sagte er mit ängstlicher
Stimme, "der Kerl ist maustot, und denk' nur, es ist des
Schultheissen Sohn.  Jetzt gib mir geschwind das Leintuch, so will
ich ihn darin forttragen in den Wald und will ihn dort einscharren,
sonst geht's zu bösen Häusern." Die Frau erschrickt, richtet sich
auf und gibt ihm das Leintuch.  Kaum war er fort, so kommt der rechte
Dieter wieder und sagt ganz getröstet: "Frau, es ist nur ein dummer
Bubenstreich gewesen, und der Dieb ist von Stroh." Als aber die Frau
ihn fragte: "Wo hast du denn das Leintuch?" und lag auf dem blossen
Spreuersack, da gingen dem Dieter erst die Augen auf, und sagte: "O
ihr vermaledeiten Spitzbuben!  Jetzt ist's doch der Frieder gewesen
und der Heiner, und kein anderer."

Aber auf dem Heimweg sagte der Frieder zum Heiner: "Aber jetzt,
Bruder, wollen wir's bleiben lassen.  Denn im Zuchthaus ist doch auch
alles schlecht, was man bekommt, ausgenommen die Prügel, und zum
Fensterlein hinaus auf der Landstrasse hat man etwas vor den Augen,
das auch nicht aussieht, als wenn man gern dran hängen möchte." Also
wurde auch der Frieder wieder ehrlich.  Aber der Heiner sagte: "Ich
geb's noch nicht auf."



Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist


Wenn nicht in Salzwedel, doch anderswo, hat sich folgende wahrhafte
Geschichte zugetragen, und der Hausfreund hat's schriftlich.

Ein Kavallerieoffizier, ein Rittmeister, kam in ein Wirtshaus.
Einer, der schon drin war und ihn hatte vom Pferd absteigen gesehn,
ein Hebräer, sagte: "Dass das gar ein schöner Fuchs ist, wo Ihro
Gnaden drauf hergeritten sind."

"Gefällt er Euch, Sohn Jakobs?" fragte der Offizier.
"Dass ich hundert Stockprügel aushielte, wenn er mein wäre",
erwiderte der Hebräer.

Der Offizier wedelte mit der Reitpeitsche an den Stiefeln.  "Was
braucht's hundert", sagte er.  "Ihr könnt ihn um fünfzig haben."
Der Hebräer sagte: "Tun's fünfundzwanzig nicht auch?"
"Auch fünfundzwanzig", erwiderte der Rittmeister.  "Auch fünfzehn,
auch fünf, wenn Ihr daran genug habt."

Niemand wusste, ob es Spass oder Ernst ist.  Als aber der Offizier
sagte: "Meinetwegen auch fünf", dachte der Hebräer: Hab' ich nicht
schon zehn Normalprügel vor dem Amtshaus in Günzburg ausgehalten und
bin doch noch koscher?

"Herr", sagte er, "Sie sind ein Offizier.  Offiziersparole?" Der
Rittmeister sprach: "Traut Ihr meinen Worten nicht?  Wollt Ihr's
schriftlich?"

"Lieber wär's mir", sagte der Hebräer.

Also beschied der Offizier einen Notarius und liess durch ihn dem
Hebräer folgende authentische Ausfertigung zustellen: "Wenn der
Inhaber dieses von gegenwärtigem Herrn Offizier fünf Prügel mit
einem tüchtigen Stock ruhig ausgehalten und empfangen hat, so wird
ihm der Offizier seinen bei sich habenden Reitgaul, den Fuchs, ohne
weitere Lasten und Nachforderung alsogleich als Eigentum zustellen.
So geschehen da und da, den und den."

Als der Hebräer die Ausfertigung in der Tasche hatte, legte er sich
über einen Sessel, und der Offizier hieb ihm mit einem hispanischen
Rohr mitten auf das Hinterteil dergestalt, dass der Hebräer bei sich
selbst dachte: Der kann's noch besser als der Gerichtsdiener in
Günzburg, und lautauf Auweih schrie, so sehr er sich vorgenommen
hatte, es zu verbeissen.

Der Offizier aber setzte sich und trank ruhig ein Schöpplein.  "Wie
tut's, Sohn Jakobs?" Der Hebräer sagte: "Na, wie tut's, gebt mir die
andern auch, so bin ich absolviert.

"Das kann geschehen", sprach der Offizier und setzte ihm den zweiten
auf, dergestalt, dass der erste nur eine Lockspeise dagegen zu sein
schien; darauf setzte er sich wieder und trank noch ein Schöpplein.
Also tat er beim dritten Streich, also beim vierten.  Nach dem
vierten sagte der Hebräer: "Ich weiss nicht, soll ich's Euer Gnaden
Dank wissen oder nicht, dass Sie mich einen nach dem andern
geniessen lassen.  Geben Sie mir zum vierten den fünften gleich, so
bin ich des Genusses los, und der Fuchs weiss, an wen er sich zu
halten hat."

Da sagte der Offizier: "Sohn Jakobs, auf den fünften könnt Ihr lange
warten", und stellte das hispanische Rohr ganz ruhig an den Ort, wo
er es genommen hatte, und alles Bitten und Betteln um den fünften
Prügel war vergebens.

Da lachten alle Anwesende, dass man fast das Haus unterstützen
musste, der Hebräer aber wendete sich an den Notarius, er solle ihm
zum fünften Prügel verhelfen, und hielt ihm die Verschreibung vor.
Der Notarius aber sagte: "Jekeffen, was tu' ich damit?  Wenn's der
Herr Baron nicht freiwillig tut, in der Verschreibung steht nichts
davon, dass er muss." Kurz, der Hebräer wartet noch auf den fünften
und auf den Fuchs.

Der Hausfreund aber wollt' diesen Mutwillen nicht loben, wenn sich
der Hebräer nicht angeboten hätte.

Merke: Wer sich zu fünf Schlägen hergibt um Gewinns willen, der
verdient, dass er vier bekommt ohne Gewinn.  Man muss sich nie um
Gewinns willen freiwillig misshandeln lassen.



Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird


In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken,
schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brotes bittet er, der
Meister soll so gut sein und ihm den Bart abnehmen um Gottes willen,
dass er doch auch wieder aussehe wie ein Christ.  Der Meister nimmt
das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein
gutes daran stumpfhacken für nichts und wieder nichts?  Während er an
dem armen Teufel hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weil's
ihm der Schinder umsonst tut, heult der Hund auf dem Hof.  Der
Meister sagt: "Was fehlt dem Mopper, dass er so winselt und heult?"
Der Christoph sagt: "Ich weiss nicht." Der Hans Frieder sagt: "Ich
weiss auch nicht." Der arme Teufel unter dem Messer aber sagt: "Er
wird vermutlich auch um Gottes willen balbiert wie ich."



Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus


Ein Mann, der etwas gleichsah, aber nicht viel Komplimente machte,
kommt in ein Wirtshaus.  Alle Gäste, die da waren, zogen höflich den
Hut oder die Kappe vor ihm ab, bis auf einen, der ihn nicht kommen
sah, weil er gerade die Stiche zählte, die er im Mariaschen von
seinem Nachbar gewonnen hatte.  Und als er eben das Herz-Ass durch
die Finger schob und sagte: "Zweiundfünfzig und elf sind
dreiundsechzig", und bemerkte immer den Fremden noch nicht, der
etwas gleichsah, fragte ihn der Fremde: "Herr, für was sehet Ihr
mich an?" Der Gast sagte: "Für einen honetten Mann; was weiss ich
von Euch?" Der Fremde sagte: "Das dank' Euch der Teufel!" Da stand
der Gast vom Spieltisch auf und fragte: "Für was sieht denn der Herr
mich an?" Der Fremde sagte: "Für einen Flegel." Darauf sagte der
Gast: "Das danke dem Herrn auch der Teufel!  Ich merke, dass wir
einander beide für den Unrechten angesehen haben." Als aber die
andern Gäste merkten, dass doch auch in einem feinen Rock ein grober
Mensch stecken könne, setzten sie alle die Hüte wieder auf, und der
Fremde konnte nichts machen, als ein ander Mal manierlicher sein.



Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht


Als der Zundelfrieder bald alle listigen Diebsstreiche durchgemacht
und fast ein Überleid daran bekommen hatte, denn der Zundelfrieder
stiehlt nie aus Not oder aus Gewinnsucht oder aus Liederlichkeit,
sondern aus Liebe zur Kunst und zur Schärfung des Verstandes; hat er
nicht dem Brassenheimer Müller den Schimmel selber wieder an die
Türe gebunden?  Was will der geneigte Leser oder des Hausfreunds
Reisegefährte nach Lenzkirch mehr verlangen?  Eines Abends, als er,
wie gesagt, fast alles durchgemacht hatte, dachte er: "Jetzt will
ich doch auch einmal probieren, wie weit man mit der Ehrlichkeit
kommt." Also stahl er in selbiger Nacht eine Geiss, drei Schritte
von der Scharwache, und liess sich attrapieren.  Den andern Tag im
Verhör gestand er alles.  Wie er aber bald merkte, dass ihm der
Richter fünfundzwanzig oder etwas zum Andenken wollte mitgeben
lassen, dachte er: Ich bin noch nicht ehrlich genug.  Deswegen
verschnappte er sich noch ein wenig in den Redensarten und gestand
bei der weitern Untersuchung nach kurzem Widerstand, wie er von
jeher ein halber Kakerlak gewesen sei, das heisst, ein Mensch, der
bei Nacht fast besser sieht als am Tag, und als ihn der Richter aufs
Eis führen wollte, ob er nicht noch von ein paar andern Diebstählen
wisse, die kürzlich begangen worden, sagte er, allerdings wisse er
davon, und er sei derjenige.  Als ihm den andern Morgen der Spruch
publiziert wurde, er müsse ins Zuchthaus, und der Stadtsoldat, der
ihn begleiten sollte, stand schon vor der Tür, denn es war zwanzig
Stunden weit, sagte er ganz reumütig: "Recht findet seinen Knecht.
Was ich verdient habe, wird mir werden." Unterwegs erzählte er dem
Stadtsoldaten, er sei auch schon Militär gewesen.  "Bin ich nicht
sechs Jahre bei Klebeck Infanterie in Dienst gewesen?  Könnt' ich
Euch nicht sieben Wunden zeigen aus dem Scheldekrieg, den der Kaiser
Joseph mit den Holländern führen wollte?" Der treuherzige Begleiter
sagte: "Ich hab's nie weiter bringen können als zum Stadtsoldaten.
Eigentlich wär' ich ein Nagelschmied.  Aber die Zeiten sind schlimm."
--"Im Gegenteil", sagte der Frieder, "ein Stadtsoldat ist mir
respektabler als ein Feldsoldat.  Denn Stadt ist mehr als Feld,
deswegen avanciert der Feldsoldat in seinem Alter noch zum
Stadtsoldaten.  Zudem, der Stadtsoldat wacht für seiner Mitbürger
Leben und Eigentum, für eigen Weib und Kind.  Der Kriegssoldat zieht
hinaus ins Feld und kämpft, er weiss nicht für wen und nicht für
was.  Zudem", sagte er, "kann ein Stadtsoldat, wenn er nichts
Ungeschicktes begangen hat, mit Ehren sterben, wann er will.

Unsereiner muss sich schon drum totstechen lassen.  Ich versichere
Euch", fuhr er fort, "ich und meine Feinde (er meinte die
Strickreiter) wir haben wenig Ehre davon, dass ich noch lebe." Der
Nagelschmied wurde über diese ehrenvolle Vergleichung so gerührt,
dass er bei sich selbst dachte, einen so gütigen und herablassenden
Arrestanten habe er noch nicht leicht transportiert, und der Frieder
ging immer mit grossen Schritten voraus, um den Nagelschmied recht
müde und trocken zu machen in der Sonnenhitze.  "Darin unterscheiden
sich die Feldsoldaten von den Stadtsoldaten", sagte er, "dass sie an
einen weiten Schritt gewöhnt sind von dem Marsch." Abends um 4. Uhr,
als sie in ein Dörflein kamen und an ein Wirtshaus, "Kamerad", sagte
der Frieder, "wollen wir nicht einen Schoppen trinken?"--"Herr
Kamerad", erwiderte der Nagelschmied, "was Ihm recht ist, ist mir
auch recht." Also tranken sie miteinander einen Schoppen, auch eine
halbe Mass, auch eine Mass, auch zwei, und Brüderschaft ohnehin, und
der Frieder erzählte immerfort von seinen Kriegsaffären, bis der
Nagelschmied vor Schwere des Weins und Müdigkeit einschlief.  Als er
nach einigen Stunden wieder aufwachte und den Frieder nimmer sah,
war sein erster Gedanke: "Was gilt's, der Herr Bruder ist alsgemach
vorausgegangen." Nein, er stand nur ein wenig draussen vor der Türe,
denn der Frieder geht nicht leicht leer fort.  Als er wieder
hereinkam, sagte er: "Herr Bruder, der Mond will bald aufgehen.  Wenn
es dir recht ist, so bleiben wir lieber hier über Nacht." Der
Nagelschmied, schläfrig und träge, sagte: "Wie der Herr Bruder
meint." In der Nacht, als der Nagelschmied fest schlief und alle
Töne aus dem Bass in den Diskant und wieder in den Bass
durchschnarchte, der Frieder aber nicht schlafen konnte, stand der
Frieder auf, visitierte für Zeitvertreib des Herrn Bruders Taschen
und fand unter andern das Schreiben, das wegen seiner dem
Stadtsoldaten an den Zuchthausverwalter war mitgegeben worden.
Hierauf probierte er für Zeitvertreib des Herrn Bruders neue
Monturstiefeln an.  Sie waren ihm recht.  Hierauf liess er sich für
Zeitvertreib durch das Fenster auf die Gasse herab und ging des
geraden Wegs fort, so weit ihm der Mond leuchtete.  Als der
Nagelschmied früh erwachte und den Herr Bruder nimmer gewahr wurde,
dachte er: "Er wird wieder ein wenig draussen sein." Freilich war er
wieder ein wenig draussen, und als er den Tag erlaufen hatte, im
ersten Dorf, das ihm am Weg war, weckte er den Schulzen.  "Herr
Schulz, es ist mir ein Unglück passiert.  Ich bin ein Arrestant, und
der Stadtsoldat von da und da, der mich transportieren sollte, ist
mir abhanden gekommen.  Geld hab' ich keins.  Weg und Steg kenn' ich
nicht, also lasst mir auf Gemeindekosten eine Suppe kochen und
verschafft mir einen Wegweiser in die Stadt ins Zuchthaus." Der
Schulz gab ihm eine Bollete an den Gemeindswirt auf eine Mehlsuppe
und einen Schoppen Wein und schickte nach einem armen Mädchen.  "Geh
ins Wirtshaus und zeige dem Mann, der dort frühstückt, wenn er
fertig ist, den Weg und die Stadt; er will ins Zuchthaus." Als der
Frieder mit dem Mädchen aus dem Wald und über die letzten Hügel
gekommen war und in der Ebene von weitem die Türme der Stadt
erblickt hatte, sagte er zu dem Mädchen: "Geh jetzt nur nach Haus,
mein Kind, jetzt kann ich nimmer verirren." In der Stadt bei den
ersten Häusern fragte er ein Büblein auf der Gasse: "Büblein, wo ist
das Zuchthaus?" und als er es gefunden und vor den
Zuchthausverwalter gekommen war, übergab er ihm das Schreiben, das
er dem Nagelschmied aus der Tasche genommen hatte.  Der Verwalter las
und las und schaute zuletzt den Frieder mit grossen Augen an.  "Guter
Freund", sagte er, "das ist schon recht.  Aber wo habt Ihr dann den
Arrestanten?  Ihr sollt ja einen Arrestanten abliefern." Der Frieder
antwortete ganz verwundert: "Ei, der Arrestant, der bin ich selber."
Der Verwalter sagte: "Guter Freund, es scheint, Ihr wollt Spass
machen.  Hier spasst man nicht.  Gesteht's, Ihr habt den Arrestanten
entwischen lassen!  Ich seh’ es aus allem." Der Frieder sagte: "Wenn
Sie es aus allem sehen, so will ich's nicht leugnen.  Wenn mir aber
Ihro Exzellenz", sagte er zu dem Verwalter, "einen Brittenen
mitgeben wollen, so getrau' ich mir, den Vagabunden noch
einzufangen.  Denn es ist kaum eine Viertelstunde, dass.  er mir aus
den Augen gekommen ist."--"Einfältiger Tropf", sagte der Verwalter,
"was nützt dem Berittenen die Geschwindigkeit des Rosses, wenn er
mit einem Unberittenen reiten soll?  Könnt Ihr reiten?" Der Frieder
sagte: "Bin ich nicht sechs Jahre Württemberger Dragoner gewesen?"--
"Gut", erwiderte der Verwalter, "man wird für Euch ebenfalls ein
Ross satteln lassen, und zwar für Euer eigen gutes Geld; ein ander
Mal gebt Achtung", und verschaffte ihm in der Eile ein offenes
Ausschreiben an alle Ortsvorgesetzte, auf dass, wenn er Mannschaft
nötig habe zum Streif.  Also ritten der Strickreiter und der
Zundelfrieder miteinander dahin, um den Zundelfrieder aufzusuchen,
bis an einen Scheideweg.  An dem Scheideweg sagte der Frieder dem
Strickreiter, auf welchem Weg der Strickreiter reiten soll, und auf
welchem er selber reiten wolle.  "Am Rhein an der Fahrt kommen wir
wieder zusammen." Als sie aber einander aus den Augen verloren
hatten, wendete sich der Frieder wieder rechts und machte mit seinem
Ausschreiben in allen Dörfern Lärm und liess die Sturmglocken
anziehen, der Zundelfrieder sei im Revier, bis er an der Grenze war.

An der Grenze aber gab er dem Rösslein einen Fitzer und ritt
hinüber.

So etwas könnte hierzuland nicht passieren.



Willige Rechtspflege


Als ein neu angehender Beamter zuzeiten der Republik das erste Mal
zu Recht sass, trat vor die Schranken seines Richterstuhles der
untere Müller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in
Sachen der Wasserbaukosten.  Als er fertig war, erkannte der Richter:
"Die Sache ist ganz klar.  Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und
ein Räuschlein, kam der obere Müller und trug sein Recht und seine
Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere.  Als er
ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als
möglich.  Ihr habt vollkommen recht." Hierauf, als der Müller
abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener.  "Gestrenger Herr",
sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen,
solange wir Urteil und Recht erteilten.  Auch werden wir dabei nicht
bestehen.  Es können nicht beide Parteien den Prozess gewinnen, sonst
müssen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf
antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie.  Du hast auch
recht."



Willige Rechtspflege


Als ein neu angehender Beamter zu Zeiten der Republik das erste Mal
zu Recht saß, trat vor die Schranken seines Richterstuhls der untere
Müller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in Sachen der
Wasserbaukosten.  Als er fertig war, erkannte der Richter: "Die Sache
ist ganz klar.  Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und ein
Räuschlein, kam der obere Müller und trug sein Recht und seine
Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere.  Als er
ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als
möglich.  Ihr habt vollkommen redet." Hierauf, als der Müller
abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener.  "Gestrenger Herr",
sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen,
solange wir Urteil und Recht erteilten.  Auch werden wir dabei nicht
bestehen.  Es können nicht beide Parteien den Prozeß gewinnen, sonst
müssen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf
antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie.  Du hast auch
recht."



Zwei Erzählungen


Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten
ärgern und erzürnen, und wie leicht die nämlichen oft durch einen
unerwarteten spasshaften Einfall wieder zur Besinnung können
gebracht werden, das haben wir im alten Kalender an dem Herrn
gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem
witzigen Bedienten.  Das nämliche lehren folgende zwei Beispiele.
Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der
an ihm vorbeiging, um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte
kein Gehör geben wollte, versprach er ihm, um einen Kreuzer zu
zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne.
Mancher, der dies liest, wird denken, das zu lernen sei keinen
Heller, noch weniger einen Kreuzer wert, weil Schimpf und Händel
etwas Schlimmes und nichts Gutes sind.  Aber es ist mehr wert, als
man meint.  Denn wenn man weiss, wie man zu dem Schlimmen kommen
kann, so weiss man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man
davor bewahrt bleiben will.  So mag dieser Mann auch gedacht haben,
denn ergab dem Knaben den Kreuzer.  Allein dieser forderte jetzt den
zweiten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten
und endlich den sechsten.  Als er aber noch immer mit dem Kunststück
nicht herausrücken wollte, ging doch die Geduld des Mannes aus.  Er
nannte den Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen,
drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch
wirklich ein paar Streiche.  "Ihr grober Mann, der Ihr seid", schrie
jetzt der Junge, "schon so alt und noch so unverständig!  Hab' ich
Euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln
kommt?  Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer dafür gegeben?  Das sind ja
jetzt Händel, und so kommt man dazu.  Was schlagt Ihr mich denn?" So
unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein,
dass der listige Knabe recht und er selber unrecht hatte.  Er
besänftigte sich, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren,
und glaubte, die gute Lehre, die er da erhalten habe, sei wohl sechs
Kreuzer wert gewesen.

In einer andern Stadt ging ein Bürger schnell und ernsthaft die
Strasse hinab.  Man sah ihm an, dass er etwas Wichtiges an einem Ort
zu tun habe.  Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei, der
ein neugieriger und dabei ein gewalttätiger Mann muss gewesen sein,
und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein.  "Wo geht Ihr hin so
eilig?" sprach er zu dem Bürger.  Dieser erwiderte ganz gelassen:
"Gnädiger Herr, das weiss ich selber nicht."--"Aber Ihr seht doch
nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet.  Ihr
müsst etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben." "Das mag sein", fuhr
der Bürger fort, "aber wo ich hingehe, weiss ich wahrhaftig nicht."
Das verdross den Stadtrichter sehr.  Vielleicht kam er auch auf den
Verdacht, dass der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das
er nicht sagen dürfe.  Kurz, er verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu
hören, wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der
Strasse weg in das Gefängnis führen zu lassen.  Das half alles
nichts; und der Stadtrichter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich
den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen.  Jetzt aber
sprach der verständige Mann: "Da sehen Sie nun, hochgebietender
Herr, dass ich die reine, lautere Wahrheit gesagt habe.  Wie konnte
ich vor einer Minute noch wissen, dass ich in den Turm gehen werde
--, und weiss ich denn jetzt gewiss, ob ich drein gehe?" "Nein",
sprach jetzt der Richter, "das sollt Ihr nicht." Die witzige Rede
des Bürgers brachte ihn zur Besinnung.  Er machte sich stille
Vorwürfe über seine Empfindlichkeit und liess den Mann ruhig seinen
Weg gehen.

Es ist doch merkwürdig, dass manchmal ein Mensch, hinter welchem man
nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der
sich für erstaunend weise und verständig hält.



Zwei Gehilfen des Hausfreunds


Es wird in Zukunft bisweilen von einem Adjunkt die Rede sein, was
der geneigte Leser nicht verstehen könnte, wenn es ihm nicht erklärt
würde.  Als nämlich der Hausfreund den Rheinländischen Kalender noch
schrieb, er schreibt ihn noch, hat er den Bezirk seiner
Hausfreundschaft diesseits Rheins, wie die Franzosen das Land
jenseits Rheins, in zwei Provinzen geteilt, in die untere und in die
obere, und hat in die untere einen Statthalter gesetzt, einen
Präfekt, der aber nicht will genannt sein, denn er ist kein
Landskind.  Auch nennt ihn der Hausfreund selber nicht leicht
Statthalter, und niemand, sondern Adjunkt, denn selten ist jeder auf
seinem Posten, sondern sitzen beieinander un schreiben miteinander
neue, hochdeutsche Reimen oder sinnreiche Rätsel.  "Zum Exempel,
Adjunkt", sagt der Hausfreund: "Ratet hin, ratet her, was ist das?"

Der arme Tropf
Hat keinen Kopf;
Das arme Weib
Hat keinen Leib;
Die arme Kleine
Hat keine Beine.

Sie ist ein langer Darm,
Doch schlingt sie einen Arm
Bedächtig in den andern ein.
Was mag das für ein Weiblein sein?

"Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr mir einen Groschen leiht,
so will ich Euch für dieses Rätsel ein paar Bretzeln kaufen.  Den
Wein, den wir dazu trinken, bezahlt Ihr.  Ratet hin, ratet her, was
ist aber das?

Holde, die ich meine.
Niedliche und Kleine,
Ich liebe dich, und ohne dich
Wird mir der Abend weinerlich.

Auch gönnst du mir,
Nachrühm' ich's dir,
Wohl manchen lieblichen Genuss;
Doch bald bekommst du's Überdruss

Und laufst zu meiner tiefen Schmach
Ein feiles Mensch den Juden nach.
Und dennoch, Falsche aus und ein,
Hörst du nicht auf, mir lieb zu sein.

Ihr erratet's nicht", sagt der Statthalter, "wenn ich's Euch nicht
expliziere.  Es ist eine Adjunktsbesoldung, zum Exempel meine eigene,
die ich von Euch bekomme."

Allein der Adjunkt hat selber wieder eine Adjunktin, nämlich seine
Schwiegermutter, die Tochter hat er noch nicht, bekommt sie auch
nicht; und der Hausfreund hat an ihm einen ganz andern Glückszug
getan, als sein guter Freund, der Doktor, auf seiner Heimreise aus
Spanien an der Madrider Barbiergilde.  Denn als er aus der grossen
Stadt Madrid heraustritt, seinem Tierlein wuchsen in dem warmen Land
und bei der üppigen Nahrung die Haare so kräftig, dass er nach
Landesart zwei Barbiere mitnehmen musste, die auch ritten, und wenn
sie abends in die Herberge kamen, so rasierten sie sein Tierlein.
Weil sie aber selber keine gemeine Leute waren und die ganze Nacht
Arbeit genug hatten, bis das Tierlein eingeseift und rasiert und
wieder mit Lavendelöl eingerieben war, so nahm jeder wieder für sein
eigenes Tierlein zwei Barbiere mit, die ebenfalls ritten, und diese
wieder.  Als nun der Doktor oben auf dem pyrenäischen Berg zum ersten
Mal umschaute und mit dem Perspektiv sehen wollte, wo er hergekommen
war, als er mit Verwunderung und Schrecken den langen Zug seiner
Begleiter gewahr wurde, und wie noch immer neue Barbiere zum
Stadttor von Madrid herausritten und inwendig wieder aufsassen,
sagte er bei sich selbst: Was hab' ich denn nötig, länger zu reiten;
es geht nun jetzt bergunter,--und ging früh am Tag in aller Stille
zu Fuss nach Montlouis.

Also hat der Hausfreund mit seinem Adjunkte auch die Adjunktin des
Adjunkten gewonnen, ist aber nicht erschrocken und davon gelaufen.
Wer's noch nie erlebt hat, wie sie allen Leuten Red' und Antwort gab
und schöne Schweizerlieder vom Rigiberg singen und wie sie sich
verstellen kann, bald meint man, man sehe eine Heilige mitten aus
dem gelobten Land heraus, bald die heidnische Zauberin Medea, und
noch viel, wer's nicht gesehen hat, stellt sich's nicht vor.
Der freundlichen Schwiegermutter des Adjunkts soll dieses Büchlein
zum Dank und zur Freundschaft gewidmet sein.



Zwei honette Kaufleute


Zwei Besenbinder hatten nebeneinander feil in Hamburg.  Als der eine
schon fast alles verkauft hatte, der andere noch nichts, sagte der
andere zu dem einen: "Ich begreife nicht, Kamerad, wie du deine
Besen so wohlfeil geben kannst.  Ich stehle doch das Reis zu den
meinigen auch und verdiene gleichwohl den Taglohn kaum mit dem
Binden." "Das will ich dir wohl glauben, Kamerad", sagte der erste;
"ich stehle die meinigen, wenn sie schon gebunden sind."



Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk


Wer viel merkwürdige Begebenheiten aus dem russischen Feldzug wissen
will, der muss ihn entweder selbst mitgemacht haben oder aber, er
muss mit vornehmen Kriegshauptleuten bekannt sein, die dabei waren.
Der Kalendermann rühmt sich dessen, und wenn er mittags über den
Paradeplatz geht zum Hofapotheker, grüssen sie ihn.  Mitgemacht den
Feldzug hat er nicht.

Folgendes ist ein seltener Beweis von Edelmut und Leichtsinn und
noch einmal von Edelmut.  Zwei polnische Offiziere wurden als
Kriegsgefangene in einem russischen Dorf bis den andern Morgen
einquartiert.  Sonst sollen die Polen und die Russen auf den blossen
Namen hin nicht immer die besten Freunde sein.  Allein der russische
Edelmann, der in demselben Dorf wohnt, dachte daran in seinem
schönen Schloss und in seiner warmen Stube, wie er auch einmal in
seiner Jugend Kriegsgefangener gewesen war in fremdem Lande ohne
Geld, ohne Freund, ohne Trost, und wie er in dem Hause eines edlen
Menschen eine freundliche Aufnahme gefunden hatte, und wie solches
dem Herzen wohltut.  Also suchte er sogleich die Gefangenen auf, nahm
sie in sein Schloss, bewirtete sie wie Brüder oder Freunde und
suchte sie durch Trost und teilnehmende Reden zu erheitern.  Denn das
ist ein schönes und heiliges Schuld- und Wechselrecht, das in dem
Herzen aller gutgearteten Menschen aufgerichtet ist, dass, wer
einmal unter fremden Leuten in der Not und Betrübnis eine Liebe oder
Wohltat erfahren hat, sieht sie als ein empfangenes Darlehen an und
zahlt sie, wenn er daheim ist, wieder an einen andern Fremdling
heim, der in gleicher Not und Betrübnis zu ihm kommt, als eine
Schuldigkeit, ob er gleich keine Handschrift darüber ausgestellt
hat, und das nicht einmal, sondern zehnmal, wenn er kann, wie ein
ausgestreutes Saatkorn nicht allein, sondern selbzehnt oder
fünfzehnt aus der Erde zurückkehrt.

"Wisst ihr schon", fragte die Gefangenen der Edelmann, "wo der Ort
eures Aufenthaltes sein wird?" Die Gefangenen sagten, "in den
kaukasischen Gebirgen."--"Seid ihr denn auch mit etwas Reisegeld
versehen auf einen so langen Weg?" Die Gefangenen zuckten die
Achseln.  Hierauf sprach der Edelmann ihnen mit heiterer Miene zu, zu
essen und zu trinken und wohl bei ihm zu schlafen, und des andern
Morgens, als der Transport weiterging und sie nun von ihrem
Wohltäter Abschied nahmen, schenkte er ihnen fünfhundert Rubel
russischen Geldes auf die Reise.  Nein, er wollte nicht einmal den
Namen haben, dass er es ihnen schenkte.  "Ich will es euch leihen",
sagte er; "wenn euch einst Gott in euere Heimat und zu den Eurigen
zurückführt, so könnt ihr mir's wieder schicken."

Die Geschichte könnte hier aus sein.  Sie wäre schon des Erzählens
wert gewesen.  Allein sie fängt jetzt erst recht an.  Der nächste
Tagmarsch der Kriegsgefangenen ging nach einer altrussischen
Grenzfestung namens Bobruisk.  Man muss schon ein fertiges Mundwerk
haben, wenn man so einen russischen Namen mit Leichtigkeit will
aussprechen können.  Der Hausfreund kann's.  In Bobruisk aber, wo die
Gefangenen bei guter Tagszeit anlangten, gingen die zwei Polen noch
ein wenig herum, die Stadt zu besehen, und als sie an ein schönes,
grosses Wirtshaus kamen, dachten sie, "wollen wir nicht ein wenig
hineingehen und unserm Wohltäter seine Gesundheit trinken?" In dem
Wirtshaus aber sassen viele russische Herrn und Edelleute, die
redeten oder tranken miteinander oder spielten Pharao.  Pharao aber
ist ein sehr gefährliches Spiel, in welchem man viel Geld verspielen
kann, also, dass man es nicht Pharao nennen sollte, sondern das Rote
Meer, weil viele, die hineingehen, drin ertrinken, ausgenommen die
Kinder Israel.

Selbigen Tages aber kam auch der wohltätige russische Edelmann nach
Bobruisk, um bei seinen guten Freunden daselbst einen vergnügten
Abend zuzubringen, und indem er in das nämliche Wirtshaus
hineintritt, was geschieht, wen sieht er mitten unter seinen reichen
Freunden und Bekannten am Spieltische sitzen?  Wen sieht er ein
Dutzend Rubel nach dem andern setzen und verspielen?  Seine
leichtsinnigen Gäste, die zwei Polen.  Die Polen hätten auch fast
lieber einen Wolf als ihn gesehen und spielten nicht um das besser
oder glücklicher, als er sich ebenfalls an den langen Spieltisch
setzte und ein Dutzend Rubel nach dem andern gewann, wären gerne
davongeschlichen, wenn sie nicht die gute Hälfte ihres Geldes hätten
müssen im Stich lassen, das sie wieder zu gewinnen hofften.  Als sie
aber in kurzer Zeit ganz vom Samen waren und die letzte Kopeke dahin
war und jetzt trostlos und verzweifelnd zur Tür hinausschlichen,
ging ihnen der russische Edelmann nach, und mancher geneigte Leser,
dem man nicht so kommen dürfte, freut sich schon, wie er Justiz
machen und den russischen Stab wird walten lassen.  Nichts nutz!  Ein
Kriegsgefangener ist ohne Schläge geschlagen genug, und Strafe
erbittert nur, aber Grossmut kann beschämen und bessern.  alleine
Freunde", sagte er zu ihnen sanft und gütig, "ihr müsst wohl besser
bei Geld sein, als ich gestern geglaubt habe.  Nehmt mir meine
Voreiligkeit nicht übel auf.  Ich danke euch, dass ihr mein
gutgemeintes Anerbieten nicht beschämt habt." Die Gefangenen aber
waren nicht imstande, eine Silbe zu antworten, ausgenommen sie
schlugen die Augen nieder, als wenn sie sagen wollten, dass er sich
gestern nicht an ihnen versehen habe, aber jetzt.  Da sprach er zu
ihnen: "Ihr seid nunmehr gewitziget, und ich hoffe, meine Güte sei
zum zweiten Mal besser an euch angewendet als zum erstenmal"; und
als er ihnen mit einem guten Wechselbrief von fünfhundert Rubel
ihren ganzen Verlust ersetzte, konnten sie noch weniger als vorher
sprechen, sondern küssten ihm mit Tränen des Dankes und der Rührung
die Hände.  Hernach aber hat er nichts mehr von ihnen erfahren.  Diese
Erzählung ist unversehrt aus Russland herausgekommen und hat ihre
Wahrheit.



Zwei Sprichwörter


aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
Ich kenne zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr, wenn sie schon
einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte der
eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das Geld
nicht zu den Fenstern hereinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts ist,
kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der
arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit
einer kleinen Ersparnis den Anfang zu machen und nach und nach zu
einem größeren Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder
nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er
hielt das wenige, was ihm von der Hinterlassenschaft der Eltern
zuteil geworden war, zusammen und vermehrte es nach und nach durch
eigene Ersparnisse, indem er fleißig arbeitete und zurückgezogen
lebte. Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort:
"Was nicht ist, das kann werden" gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit
der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß und
Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des
armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beißen und zu nagen
hat.



Zwei Weissagungen


Die erste ist sehr merkwürdig, wenn sie wahr ist, und man
behauptet's.  Als vor Jahr und Tag viele vornehme polnische Herren
bei Spiel und Tanz sich erlusteten, trat ein leichtes, wegfertiges
Weibsbild, eine Zigeunerin, in den lustigen Saal und bot ihnen ihre
Weissagungen an.  Da kam auch ein feines junges Herrlein, der
nachmalige Fürst Poniatowsky, der nach der Leipziger Schlacht am 19.
Oktober 1813 das Leben verloren hat, und streckte ihr die zarte Hand
entgegen: "Weissage mir auch etwas Gutes, Mütterlein!  Was, meinst
du, will aus mir werden?" Da sah die Hexe den jungen Fürsten freudig
und wieder mitleidig an.  "Ei, du schmuckes Herrlein", sagte sie, "du
gelangst einst zu seltsamen Stand und Ehren!  Möchte die Freude daran
nur auch länger währen!  Nimm vor den Elstern dich wohl in Acht!  Eine
Elster dir den Garaus macht." Darob und ob andern Weissagungen
dieses Weibes lachten sie lange, und wie eine Elster daherflog,
sagten zu Poniatowsky seine Freunde: "Nehmt Euch in acht, Prinz!

Seht Ihr, was dort fliegt?" Aber Poniatowsky erwiderte: "Seltsam Amt
und Ehre ist noch nicht da." Als aber Polen von den drei Adlern
zernichtet war, richteten die Polen ihre Augen und ihre Hoffnungen
auf Frankreich, und viele nahmen französische Dienste, hoffend, dass
durch Frankreich ihre königliche Republik wieder sollte zu Leben
kommen.  Also hatte auch Poniatowsky diese Wahl ergriffen und kämpfte
in den Tagen der Leipziger Schlacht unter den Augen Napoleons, ein
achtbarer Streitgenosse, mit Tapferkeit und Glück, soviel der 16.
Oktober erleiden mochte, also dass ihn der Kaiser Napoleon selbiges
Tages zum Marschall von Frankreich ernannte.  Das war seltsam Stand
und Würde.  Aber schon am 19.  auf der Flucht, als alles drunter und
drüber ging, ertrank der neue Marschall in der Elster.  Elster heisst
der Fluss, in welchem er ertrank.  Mancher wohlbewanderte Leser wird
sie kennen.  Also ward auf eine unerwartete Weise die Prophezeiung
der Zigeunerin erfüllt.  Den Leichnam des Ertrunkenen hat nachher mit
allen seinen goldenen Ringen und Kostbarkeiten ein Fischer im Wasser
gefunden und um Geld gezeigt, aber von allen Kostbarkeiten an seinen
Fingern und in seinen Taschen hat er nichts entwendet, sondern ein
Angehöriger des Prinzen hat ihn nachher in Empfang genommen und den
Fischer mit einer ansehnlichen Geldsumme belohnt.

Die zweite Weissagung lässt sich zwar ganz natürlich erklären.  Nicht
minder aber ist sie merkwürdig.

Bekanntlich konnte man dem grossen König Friederich von Preussen
nicht nachreden, dass er leichtglaubig gewesen sei in Ansehung der
übernatürlichen Dinge.  Vielmehr hatte er manchmal gern seinen Spass
mit solchen, die es waren, aber nicht immer gelang es ihm.  Eines
Tages versicherte man ihn von einem Prediger, dass er weissagen
könnte.  Alles, was er vorhersage, treffe ein.  Der König befahl, den
neuen Propheten vor ihn zu bringen.  Unterdessen erkundigte sich der
König, ob kein Soldat im Arrest sei, der das Leben verwirkt habe.
Ja, es war einer drinnen.  Also befahl er, den Delinquenten auf die
bestimmte Stunde vor sein königliches Wohnzimmer auf die Schildwache
zu stellen.  Als aber der Prediger kam, "habt Ihr den heiligen Geist
empfangen?" fragte ihn der König.--"Ihro Majestät", sagte der
Prediger, "es wäre gut, wenn ihn alle hätten."--"Besitzt Ihr die
Gabe der Weissagung?"--"Etwas davon, wie die Leute sagen."--"Zum
Exempel",--fuhr der König fort,--"was soll ich geschwind fragen?--
Man bringe den Burschen herein, der draussen Schildwache steht!  Wie
alt wird dieser Mensch werden", fragte er den Prediger, "woran wird
er sterben?" Der Prediger erwiderte, dieser Mensch werde nach vielen
Jahren in einem hohen Alter sterben.--"Ihr seid in Eurer Probe
schlecht bestanden", versetzte hinwiederum der König.  "Wisst Ihr",
sagte er, dass ich morgenden Tages diesen Burschen henken lasse?  Er
ist ein Delinquent."--Der Prediger sagte: "Es wäre der erste, der
meiner Weissagung entliefe." Item, der Delinquent wurde den andern
Morgen zur Hinrichtung aus Potsdam hinausgeführt.  Item, die
Schwestern des Königs, die Herzogin von Braunschweig und die
Prinzessin Amalia, fuhren desselbigen Morgens nach Potsdam hinein,
dass sie dem König einen guten Morgen sagen und ihm mit ihrem Besuch
eine unvermutete Freude machen wollten.  Denn derselbige Morgen war
schön, fast zu schön zum Henken.  Als sie aber an dem Zug
vorbeifuhren und den armen Menschen auf seinem schweren Todesgang
erblickten, zuckte durch ihre fürstlichen Seelen ein zarter Schmerz.
"Was soll mit diesem armen Menschen werden?"--"Ihre Hoheit, nimmer
viel.  Er wird gehenkt."--"Was hat er begangen?"--"Das und das."--
Es war zum Henken und zum Laufenlassen, wie man wollte.  Die
Prinzessin befahl, mit der Hinrichtung noch innezuhalten, bis neue
Ordre käme.  Der König aber empfing seine Schwestern mit brüderlicher
Freude.  "Wir haben eine Bitte an Euch, geliebter Bruder", sagten
sie, "die Ihr uns wohl gewähren möget, so Ihr wollt.  Gebt uns darauf
Euer königliches Wort!" Der König war in guter Laune und tat's.
"Wenn's möglich ist", sagte er, "so soll's nicht Nein sein." Denn er
meinte, sie seien deswegen gekommen und wollten etwas verlangen für
sich.  Sie baten aber zu seinem Erstaunen um die Begnadigung des
Delinquenten.--Was war zu tun?  Das Wort war gegeben.  Also schickte
er einen Adjutanten mit einem weissen Tüchlein hinaus, dass man den
Delinquenten wieder zurückbrächte.  Der König segnete das Zeitliche
den 17. August 1786.

Der Musketier kann in diesem Augenblicke noch leben.


Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Schatzkästlein des rheinischen
Hausfreundes (Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen), von Johann
Peter Hebel.





End of the Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen
Hausfreundes, by Johann Peter Hebel

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The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.

We need your donations more than ever!

As of February, 2002, contributions are being solicited from people
and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
Virginia, Wisconsin, and Wyoming.

We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
that have responded.

As the requirements for other states are met, additions to this list
will be made and fund raising will begin in the additional states.
Please feel free to ask to check the status of your state.

In answer to various questions we have received on this:

We are constantly working on finishing the paperwork to legally
request donations in all 50 states.  If your state is not listed and
you would like to know if we have added it since the list you have,
just ask.

While we cannot solicit donations from people in states where we are
not yet registered, we know of no prohibition against accepting
donations from donors in these states who approach us with an offer to
donate.

International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
ways.

Donations by check or money order may be sent to:

Project Gutenberg Literary Archive Foundation
PMB 113
1739 University Ave.
Oxford, MS 38655-4109

Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
method other than by check or money order.

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
[Employee Identification Number] 64-622154.  Donations are
tax-deductible to the maximum extent permitted by law.  As fund-raising
requirements for other states are met, additions to this list will be
made and fund-raising will begin in the additional states.

We need your donations more than ever!

You can get up to date donation information online at:

https://www.gutenberg.org/donation.html


***

If you can't reach Project Gutenberg,
you can always email directly to:

Michael S. Hart 

Prof. Hart will answer or forward your message.

We would prefer to send you information by email.


**The Legal Small Print**


(Three Pages)

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They tell us you might sue us if there is something wrong with
your copy of this eBook, even if you got it for free from
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