Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 3

By Johann Konrad Friederich

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Band 3, by Johann Konrad Friederich

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Title: Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 3
       Hinterlassene Papiere eines französisch-deutschen Offiziers

Author: Johann Konrad Friederich

Editor: Ulrich Rauscher

Release Date: November 23, 2019 [EBook #60769]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VIERZIG JAHRE AUS DEM LEBEN ***




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                             Vierzig Jahre
                                aus dem
                           Leben eines Toten

                              Dritter Band

                            Sechste Auflage




                             Vierzig Jahre
                                aus dem
                           Leben eines Toten


                         Hinterlassene Papiere
                eines französisch-preußischen Offiziers

                             In drei Bänden

                              Dritter Band


                          Egon Fleischel & Co.
                                 Berlin
                                  1916




                                 Inhalt
                          des dritten Bandes.


                                                                   Seite

                                    I.
   Ankunft der jungen Kaiserin. -- Zivil- und religiöse             1-45
      Vermählungsfeierlichkeiten Napoleons und Marie Luisens.
      -- Großes Volksfest. -- Demoiselle Mars. -- Pauline. --
      Die Mitglieder der Familie Bonaparte. -- Feste dem
      kaiserlichen Ehepaar zu Ehren. -- Unglückliches Fest von
      dem österreichischen Gesandten gegeben. -- Lannes
      Leichenfeier. -- Die Errichtung der Siegessäule auf dem
      Platz Vendome. -- Exzesse der holländischen Garden zu
      Paris. -- Gerüchte über Marie Luisens Schwangerschaft.
      -- Ich werde zu Murats Garde zu Pferd versetzt. --
      Abreise nach Neapel

                                    II.
   Reise von Paris nach Neapel. -- Turin. -- Ankunft zu Neapel.    46-87
      -- Murats Garden und Hofstaat. -- Fehlgeschlagene
      Expedition gegen Sizilien. -- Grausame Maßregeln zur
      endlichen Vertilgung der Briganten in Kalabrien. --
      Entstehung der Carbonari. -- Murat. -- Die Königin
      Karoline. -- Der Karneval zu Neapel. -- Ein
      italienisches Liebhabertheater. -- Die Festini in San
      Carlo. -- Die Marchesa im Schilderhaus. -- Fastenzeit
      und Osterfeier. -- Ein Pistolenduell. -- Don Juan zum
      erstenmal in Neapel aufgeführt. -- Ein Schiff mit
      englischen Nachtgeschirren von der Douane weggenommen.
      -- Ein Abenteuer in den Gärten zu Caserta. -- Ein
      _Souper suspendu_. -- Ein silbernes Ei. -- Ein
      dreifacher Mord. -- Weihnachtsfeier. -- Verbrennung der
      englischen Waren. -- Ich falle in die allerhöchste
      Ungnade und werde nach Tarent beordert

                                   III.
   Marsch von Neapel nach Tarent. -- Eine Zusammenkunft zu        87-138
      Caserta. -- Die caudinischen Engpässe. -- Avelino. --
      Dentekane. -- Tarent. -- Einschiffung nach Korfu. --
      Seegefecht auf der Höhe von Tunis. -- Ankunft zu Korfu.
      -- Beschreibung der Jonischen Inseln. -- Der heilige
      Spiridion und seine Feste. -- Das Theater und
      Liebhabertheater. -- Seltsame Zusammensetzung der
      Garnison. -- Pallea Castrizza. -- Ein Exorzismus. --
      Erdbeben. -- Türkische Tabaksbeutel. -- Ein giftiger
      Schlangenbiß. -- Capo d'Istria. -- Die Entführung einer
      Braut. -- Ein Seeturnier. -- Paxo. -- Parga. -- Prevesa.
      -- Thiaki. -- Santa Maura. -- Der leukadische Felsen. --
      Fano

                                    IV.
   Eine Mission nach Albanien. -- Janina. -- Ali Pascha, seine   138-188
      furchtbaren Grausamkeiten. -- Ein lebendig Begrabener.
      -- Govino. -- Die Entführung einer jungen Griechin. --
      Rocca Timono. -- Diversi. -- Ein Soldat erschießt einen
      Fregattenkapitän. -- Ein Rattenmahl. -- Die Prima
      Ballerina Giuseppina Panzieri. -- Großer Theaterskandal.
      -- Ludwig der Springer. -- Die Feuerprobe. -- Ein Duell.
      -- Ein Schiffbruch. -- Ein großer Brand. -- Die Räuber
      in Korfu. -- Parga geht an die Engländer über. --
      Schlimme Neuigkeiten. -- Murats Abfall. -- Napoleons
      Abdankung. -- Rückkehr der Bourbons. -- Ankunft der
      englischen und französischen Flotten. -- Übergabe Korfus
      an die Engländer. -- Unanständiges Benehmen englischer
      Offiziere. -- Einschiffung der französischen Garnison

                                    V.
   Überfahrt von Korfu nach Marseille. -- Das Schiffsleben. --   189-210
      Die Meerenge von Messina. -- Die Fata Morgana. --
      Haifische. -- Napoleon auf der Insel Elba. -- Das
      Pestlazarett und die Quarantäne zu Marseille. --
      Stimmung der Einwohner. -- Abmarsch nach Avignon. --
      Meuterei in Aix. -- Die Familie Giraud. -- Die rasenden
      Weiber in Avignon attackieren uns. -- Ankunft Ludwig
      Philipps zu Avignon. -- Lyon. -- Einzug des Grafen
      Artois (Karl X.). -- Fontainebleau. -- Paris. --
      Preußische Vergeltung. -- Die zurückgekehrten
      Emigranten. -- Ich lasse mich auf halben Sold setzen. --
      Abreise über Reims nach Straßburg. -- Der Herzog von
      Berry. -- Abreise nach Frankfurt. -- Ankunft daselbst

                                    VI.
   Feier des 18. Oktobers zu Frankfurt am Main. --               210-223
      Verfassungswehen dieser Stadt. -- Franzosenhaß daselbst.
      -- Diversi. -- Ein Fest auf dem Sandhof. -- Napoleons
      Rückkehr von der Insel Elba. -- Ich entschließe mich in
      preußische Dienste zu treten. -- Abreise nach Berlin

                                   VII.
   Reise von Frankfurt nach Berlin. -- Leipzig. -- Die Messe.    223-242
      -- Ein Paar Harfenmädchen. -- Eine Partie nach
      Giebichenstein. -- Wittenberg. -- Berlin. -- Prinzessin
      Wilhelm. -- Die Theater. -- Iffland und Devrient. --
      Potsdam. -- Graf Lusi und Friedrich der Große. --
      Sanssouci. -- Ein bübischer Studentenstreich. -- Urania.
      -- Meine Anstellung. -- Die Familie Pogwisch. --
      Anekdoten vom Kronprinz. -- Ich soupiere mit sechs
      Damen. -- Eine Künstlerhaushaltung. -- Das Institut
      Bernhard. -- Die Tabagien. -- Eindruck der Schlacht bei
      Waterloo. -- Das Opernhaus. -- Abreise nach Kolberg

                                   VIII.
   Reise von Berlin nach Kolberg. -- Eine Amazone. -- Ankunft    243-276
      in Kolberg. -- Die neuen Dienstverhältnisse. -- Kolberg
      und seine Umgebungen. -- Einfachheit und Wohlhabenheit
      der Einwohner. -- Die Marienkirche. -- Gesellschaftliche
      Verhältnisse. -- Nettelbeck. -- Die letzte Belagerung.
      -- Feier des Geburtstags des Königs. -- Madame G... und
      ihre Cousine. -- Das Versteckenspiel im Bullenwinkel. --
      Eine Reise nach Köslin. -- Eine Lustfahrt auf einen
      pommerschen Edelhof. -- Die Kolberger Freuden. -- Ich
      gehe auf Urlaub nach Berlin. -- Ein polnischer
      Reiseschatz. -- Die verräterischen Austernschalen. --
      Fürst Blücher. -- Die Berliner Weihnachtsfreuden. -- Die
      Redouten und Porzellanfuhren. -- Die schöne Luise. --
      Spandau. -- Eine glänzende Schlittenfahrt. -- Rückreise
      nach Kolberg

                                    IX.
   Frau v. Schätzel. -- Madame Schröder, der Kolberger Krösus.   277-303
      -- Ihre Feste und Landpartien. -- Eine Schlittenfahrt
      mit Folgen. -- Ein Duell. -- Eine gefährliche
      Fensterpassage. -- Ich belausche wider Willen eine
      Kaffeegesellschaft. -- Ein Kaffeebad. -- Ich führe einen
      Transport zu dem Okkupationsheer nach Frankreich. --
      Stettin. -- Ein Konzert rettet aus Not und Tod. -- Ich
      werde vom Dienst suspendiert. -- Rombergs
      Schauspieler-Gesellschaft zu Kolberg. --
      Sechsmonatlicher Festungsarrest in Weichselmünde. --
      Neufahrwasser. -- Danzig und seine Vergnügungen. --
      Abreise nach Marienburg

                                    X.
   Marienburg. -- Elbing. -- Königsberg. -- Posen. -- Rückkehr   303-324
      nach Kolberg. -- Eine furchtbare Mordgeschichte. -- Eine
      Vexierreise. -- Diverse Kampagnen unter Amors Fahnen. --
      Der Esel von Osten. -- Noch ein Damensouper. -- Arge
      Skandalosa. -- Eine pommersche Hochzeit. -- Abermaliger
      Festungsarrest. -- Meine Entlassung

                                    XI.
   Ein Polterabend. -- Ich gebe ein paar Gastrollen. -- Reise    324-354
      von Köslin nach Berlin. -- Eine Reise nach Paris ohne
      Paris zu sehen. -- Schicksale meiner Cousinen. --
      Abreise nach Magdeburg. -- Carnot. -- Er fordert mich
      auf, ein Geschichtswerk herauszugeben. -- Aventuren. --
      Ich gerate in große Feuersgefahr. -- Abreise nach
      Bremen. -- Angenehme Reisegesellschaft. -- Braunschweig.
      -- Vetter K... und Cousine Henriette. -- Ein Hausfreund.
      -- Gesinchen. -- Die Giftmischerin Gottfried. -- Signora
      Catalani in Bremen. -- Abreise nach Frankfurt. --
      Hannover. -- Hildesheim. -- Goslar. -- Eine Partie auf
      den Blocksberg. -- Kassel. -- Wilhelmshöhe. -- Zopfwut
      des Kurfürsten. -- Ankunft zu Frankfurt

                                   XII.
   Frankfurter Zustände. -- Schwierigkeiten bei einer            355-405
      Verheiratung. -- Ich soll mich um eine Anstellung in
      Frankfurt bewerben, gebe es aber schnell wieder auf. --
      Senatorenstreiche. -- Ich beabsichtige eine Zeitschrift
      herauszugeben. -- Die Gräfin Sürvilier und ihre Töchter.
      -- Napoleons beabsichtigte Befreiung. -- Hausen. -- Frau
      von Busch. -- Homburg. -- Ich schwinge etwas derb die
      Geißel der Satire in meiner Zeitschrift; diverse
      Histörchen und Widerwärtigkeiten. -- Signora Catalani in
      Frankfurt. -- Napoleons Tod. -- Fürst Y...s trauriges
      Ende. -- Müller-Broli. -- Der Jude Dobrusky. -- Ein
      Besuch von sieben Schauspielern. -- Die Sängerin Canzi.
      -- Verbot meiner Zeitschrift. -- Eine lustig-romantische
      Rheinreise. -- Die Schlangenmädchen. -- Therese Peche.
      -- Ich bilde sie für das Theater

                                   XIII.
   Die Schlangenmädchen zuerst bei der Mainzer, dann bei der     405-436
      Kölner Bühne engagiert. -- Der Bruder von ungefähr. --
      Aufenthalt in Aachen. -- Ich spiele den Don Juan in der
      Wirklichkeit statt auf der Bühne. -- Ringelhards
      Gesellschaft. -- Aufenthalt in Köln. -- Polizeidirektor
      Struensee. -- Trennung von Peches. -- Der Schauspieler
      Wolthers wird im Duell erschossen. -- Agnes F...ch. --
      Noch ein Rousseau. -- Ich werde demagogischer Umtriebe
      verdächtig gemacht. -- Ich gehe nach Mainz. --
      Aufenthalt daselbst. -- Ich redigiere eine Mannheimer
      Zeitschrift. -- Die schwarze Kommission. -- Ich werde
      aus Mainz verbannt und gehe nach Mannheim. -- Eine Reise
      nach Stuttgart. -- Die schöne Unbekannte auf der Insel.
      -- Eine Saison in Baden-Baden. -- Ich nehme meinen
      Aufenthalt in Stuttgart. -- Buchhändler Frankh. -- Das
      Theater. -- Eine sehr geheime Intrige. -- Die Stadtpost
      und ihr Redakteur. -- Ich gebe mein erstes historisches
      Werk heraus. -- Ich werde Spießbürger in Frankfurt am
      Main




                                   I.

          Ankunft der jungen Kaiserin. -- Zivil- und religiöse
   Vermählungsfeierlichkeiten Napoleons und Marie Luisens. -- Großes
    Volksfest. -- Demoiselle Mars. -- Pauline. -- Die Mitglieder der
   Familie Bonaparte. -- Feste dem kaiserlichen Ehepaar zu Ehren. --
   Unglückliches Fest von dem österreichischen Gesandten gegeben. --
     Lannes Leichenfeier. -- Die Errichtung der Siegessäule auf dem
    Platz Vendome. -- Exzesse der holländischen Garden zu Paris. --
      Gerüchte über Marie Luisens Schwangerschaft. -- Ich werde zu
        Murats Garde zu Pferd versetzt. -- Abreise nach Neapel.


Die immer näher heranrückende Zeit der Vermählung Napoleons mit Marie
Louise, zu der man alle möglichen Vorbereitungen machte, ließ schnell
die Geschichte unseres Totenmahles sowie alle anderen Dinge ins Meer der
Vergessenheit sinken; die erwartete neue Kaiserin nahm wenigstens auf
einige Zeit alle Aufmerksamkeit der guten Pariser in Anspruch. Man hörte
an allen öffentlichen Orten sowie in den Familien nur noch von dieser
reden und erzählte sich die seltsamsten Dinge und Märchen, ihre Person,
ihre Erziehung, ihre Talente, ihren Geist und so weiter betreffend, und
es gibt fast keine Abgeschmacktheit, die man nicht zugunsten der jungen
Erzherzogin erfunden und in Umlauf gebracht hätte. Bald sollte sie keine
drei zählen, bald für sechse essen können, sich nur in Milch baden, nur
Mehlspeise und Gebackenes zu sich nehmen; auch wollte man durchaus nicht
gestatten, daß Kaiser Franz ihr wirklicher Vater sei, und war so
freigebig, ihr wenigstens ein halbes Hundert verschiedener Väter
anzudichten: der eine machte einen Baron Braun, der andere gar einen
Daun dazu! Auch über ihre Gestalt, ihren Wuchs, ihre Züge, ihren Anzug,
ihre Toilette, ihre Haltung setzte man die lächerlichsten Dinge in
Umlauf, erfand Hunderte von Anekdoten, die sich an Unwahrscheinlichkeit
und Absurditäten überboten, und stellte Vergleiche zwischen ihr und
Josephinen an, die natürlich immer zum Vorteil der letzteren ausfielen.
Endlich kamen die bei alldem von den Parisern herbeigewünschten Tage, an
welchen die neue Kaiserin durch ihr Erscheinen die Neugierde des
ungeduldigen Volkes befriedigen sollte. Napoleon war ihr in Murats
Begleitung, der sich auch schon eingefunden hatte, bis Compiègne
entgegengegangen. Nach dem bekannt gemachten Programm sollte die erste
Zusammenkunft in dem mittelsten der drei Zelte, die zu diesem Zweck auf
dem Weg nach Compiègne aufgeschlagen waren, stattfinden. Das Programm
schrieb vor, daß beide Majestäten zu gleicher Zeit von zwei
entgegengesetzten Seiten in das mittlere Zelt treten, Marie Louise aber
vor ihrem Gatten niederknien, der sie jedoch sogleich aufheben und
umarmen würde, worauf sich beide niedersetzen sollten. Aber Napoleons
Ungeduld machte alle von ihm selbst vorgeschriebenen Zeremonien und
Etikette überflüssig, indem er ganz inkognito in seinem grauen Überrock
das Schloß von Compiègne durch eine kleine Pforte verließ, sich in eine
unansehnliche Kalesche warf und in dem Augenblick zu Courcelles ankam,
als die Kuriere der jungen Kaiserin die Pferde bestellten. Hier stellte
er sich, da es heftig regnete, unter die Halle einer Kirche, und als die
Wagen der Ersehnten ankamen und man die Pferde wechselte, lief er an den
Schlag der Kutsche, in der Marie Louise saß, öffnete denselben, stieg
schnell ein, fiel seiner jungen, höchst erstaunten Gattin um den Hals
und fuhr mit ihr zusammen nach Compiègne zurück, wo er, wie man
allgemein versicherte, die Nacht als Ehemann mit ihr zubrachte. Am
anderen Tag ließ er um Mittag das Frühstück vor dem Bett der sehr müden
Kaiserin servieren. Als dies zu Paris bekannt wurde, fand man es sehr
genial. Viele Personen waren dem hohen Paar entgegengefahren, auch ich
war bis an die Grenze des Departements der Seine geritten, wo dasselbe
von dem Präfekten und den Autoritäten des Departements empfangen und
bekomplimentiert wurde. Den Fürsten Y. hatte das Podagra wieder an das
Bett gefesselt.

Den ersten April fand die Zivilvermählung des kaiserlichen Paars zu St.
Cloud statt, der über zwanzig Könige, Königinnen und fürstliche Personen
beiwohnten. Ich hatte mich ebenfalls dahin begeben, aber mit tausend
anderen der feierlichen Handlung nicht beiwohnen können. Der ganze Hof,
alle Minister, Gesandte, Kardinäle, Großoffiziere, Senatoren und so
weiter hatten sich in größter Gala in den Galerien von St. Cloud
versammelt, wo die Armsessel für beide kaiserliche Majestäten auf einer
Erhöhung unter einem prachtvollen Thronhimmel angebracht waren. Das
Gefolge des kaiserlichen Paares bestand aus Königen und Königinnen,
Prinzen und Prinzessinnen, Großwürdenträgern der Kronen Frankreichs und
Italiens, Palastdamen und so weiter. Man hat berechnet, daß die Hofdamen
beider Kronen, unter denen auch eine Visconti, eine Montecuculi, eine
Mocenigo, eine Pallavicini und andere waren, mehr als für zwanzig
Millionen Schmuck an sich hatten. Der Fürst Erzkanzler des Reichs sprach
die Vermählung nach den von dem _Code Napoléon_ vorgeschriebenen
Gesetzen aus. Nachdem die Zeremonie vorüber war und sich das ganze
Kortege entfernt hatte, gelang es mir, in die Galerie zu kommen, wo die
Vermählung stattgefunden hatte und ich noch die getroffenen
Vorrichtungen sehen konnte. Am Abend war der Park von St. Cloud auf das
prächtigste erleuchtet, was besonders bei den Kaskaden, die in
Brillantstrahlen herabfielen, eine unbeschreibliche Wirkung machte. Vor
allem war es die große Kaskade, die sich feenhaft ausnahm; man wähnte
sich in einem der Zaubergärten der orientalischen Märchen der
Tausendundeine Nacht. Der illuminierte Park, in dem mancherlei Spiele
stattfanden, war so mit Menschen überfüllt, daß es schien, als sei ganz
Paris nach St. Cloud gewandert.

Den folgenden Tag, am zweiten April, hielt das kaiserliche Ehepaar
seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt, zur religiösen Trauung. Mit
Tagesanbruch wimmelte der dick mit Sand bestreute Weg, auf dem sich der
Zug bewegen sollte, mit Menschen jeden Alters und Standes, auf beiden
Seiten waren Spaliere von Truppen aufgestellt. Das Wetter war sehr
trübe, es hatte einen großen Teil der Nacht und besonders gegen Morgen
viel geregnet, man fürchtete sogar, daß die Feier wegen des schlechten
Weges verschoben werden müsse; als aber gegen Mittag die Sonnenstrahlen
begannen, sich Bahn durch die Wolken zu brechen, da fingen die Kanonen
zu donnern an, die die Abfahrt des kaiserlichen Ehepaars und seines
Gefolges verkündeten. Die Behörden der Stadt Paris verfügten sich eilig
unter den großen Triumphbogen, den die Stadt zu Ehren der Neuvermählten
im Stern der Elysäischen Felder hatte errichten lassen. Dieser
Triumphbogen, der später in Marmor aufgeführt werden sollte, war in
aller Eile zusammengezimmert und mit grober, bunt bemalter Leinwand wie
eine Theaterdekoration ausgeschlagen worden. Seine vier Fassaden waren
mit acht ebenso vergänglichen Trophäen geschmückt, sein Durchgang war
ungefähr fünfzig Fuß und das Ganze einhundertvierzig Fuß breit. Die
Symbole der Kraft und der Klugheit waren an demselben angebracht; auf
dem Kranz oben las man die Worte: >_A Napoléon et à Marie Louise, la
ville de Paris._< Außerdem waren unter der Wölbung und sonst noch
verschiedene Basreliefs, Allegorien und Medaillen angebracht. So las man
zum Beispiel unter Napoleons Porträt: >_Le bonheur du monde est dans ses
mains_<; man muß gestehen, daß es sich in keinen schlechteren Händen
befinden konnte. Unter einem frische Zweige treibenden Lorbeer stand:
>_Il a fait notre gloire, il la rendra eternelle_<, unter einem
britischen Leoparden: >_Il riait de notre discorde il pleure de notre
union_< und so weiter. Auf den vier Fassaden waren die Gesetzgebung, die
National-Industrie, die Verschönerungen von Paris, die Ankunft der Marie
Louise und so weiter und viele ekelerregende Schmeicheleien gepinselt.
Dieser ebenso fragile Triumphbogen hatte gleiches Schicksal mit dem zu
jener Zeit dekretierten Riesenelefanten, von dem auch nur das Modell
verfertigt wurde. Ersterer wurde bald in Stücke zerschlagen und
verbrannt, der andere, ein kolossaler Springbrunnen -- der Elefant hatte
wenigstens zehnmal die Größe eines natürlichen --, welcher auf dem
Bastillenplatz errichtet werden sollte, ward der behagliche Aufenthalt
von Millionen -- Ratten. Der fortwährende Kanonendonner verkündigte die
Annäherung des Kaiserlich Königlichen Hochzeitszuges, der sich nur sehr
langsam durch die unermeßlichen Menschenmassen, die den ganzen Weg von
St. Cloud bis Paris besetzt hatten und aus fünfzig und mehr Lieues in
der Runde herbeigeströmt waren, fortbewegte. Das Volk von Paris hatte
sich von den Tuilerien über den Concordienplatz nach den Elysäischen
Feldern in Bewegung gesetzt. Alle Fenster bis unter die Dächer der
Häuser, an denen der Zug vorüber kommen sollte, waren mit eleganten
Damen besetzt, und auf den Dächern und Bäumen wimmelte es von alten und
jungen Knaben; wo es nur möglich war, hatte man Gerüste zum Schauen
angebracht, wo man horrende Preise für die Plätze bezahlte. Für die von
dem Präfekten von Paris eingeladenen Personen waren amphitheatralische
Sitze zu beiden Seiten des hölzernen Triumphbogens errichtet. Hier hatte
auch ich durch Clarkes Verwendung einen Platz erhalten. Fürst Y. war in
der Galerie des Louvre. Gegen Mittag war der ungeheure Raum von den
Tuilerien bis vor die Porte Maillot auf beiden Seiten hinter den
Spalieren der Truppen bis zum Erdrücken angefüllt, und trotzdem sich die
Bevölkerung der Hauptstadt für diesen Tag wenigstens um die Hälfte
vermehrt hatte, hörte man doch nichts von einem Unfall. Die
polizeilichen Anstalten waren vortrefflich. In dem Garten der Tuilerien
waren die napoleonischen Garden aufgestellt und auf den anderen Plätzen
Linieninfanterie. In einer gewissen Entfernung standen immer wieder
Kavallerie- und Infanterie-Piketts, bereit, sich augenblicklich an jeden
Ort zu begeben, wo eine Störung entstehen würde. Gegen ein Uhr wurde das
Gedränge, der Lärm und endlich das Vivatgeschrei immer lauter, die
Kanonen donnerten fort und fort, Tausende von Trommeln wirbelten, die an
verschiedenen Orten aufgestellten Orchester, wohl ein paar Dutzend,
spielten, und das >_Vive l'Empereur_< artete in rasendes Geschrei und
Toben aus. Jetzt erblickte man von dem Triumphbogen den sich
gravitätisch nähernden Zug, den die neuerrichteten Lanciers der Garde
eröffneten, deren glänzende Uniform, Bewaffnung und schöne Haltung
zuerst aller Augen auf sich zogen. Ihnen folgten die Gardedragoner und
Chasseurs, an deren Spitze Musikchöre ritten; dann kamen die
Wappenherolde zu Pferd, diesen folgten die Hofwagen, einige dreißig an
der Zahl, alle reich vergoldet, von gleicher Form und jeder mit sechs
Pferden bespannt. In den ersten saßen die Großoffiziere des kaiserlichen
Hauses und die Großwürdenträger des Reichs, hinter ihnen kamen die
Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen vom kaiserlich
napoleonischen Geblüt, dann Marie Louisens Oheim, der Großherzog von
Würzburg, sodann der Wagen der Kaiserin, mit acht Pferden bespannt,
endlich der ebenfalls mit acht Pferden bespannte Krönungswagen
Napoleons, in welchem die Neuvermählten, Marie Louise zur Linken ihres
Gatten, saßen. Dieser Wagen war mit schönen Malereien und anderen
kostbaren und künstlichen Verzierungen überladen. Auf beiden Wagen
standen hinten und vorn reich gekleidete Pagen, um sie herum ritten die
Marschälle des Reichs, die Chefs der Garden, die Oberstallmeister und so
weiter im Prachtkostüm, die Pferde mit Gold behangen. Ihnen folgten die
Wagen, in denen das kaiserliche Gefolge saß, den Zug schlossen endlich
die Gardegrenadiere zu Pferde und die Gendarmerie _d'Elite_. Überall
boten junge, weißgekleidete Mädchen der Kaiserin Körbe mit Blumen dar.
Als der Krönungswagen in die Nähe des Triumphbogens kam, war es heller
Sonnenschein, und während er durch denselben zog, spielte die treffliche
Musik des Konservatoriums Kantaten, Fanfaren und andere analoge
Musikstücke und Lieder. Als aber die allgemeinen Kanonensalven aus
hundert Feuerschlünden, das Geläute aller Glocken der ungeheuren Stadt,
das in wildes Toben ausgeartete Geschrei des Volks die Ankunft des
kaiserlichen Paares unter dem Triumphbogen verkündete, wo angehalten
wurde, da ward es plötzlich stille, und der Seine-Präfekt an der Spitze
der Munizipalität von Paris beglückwünschte Napoleon und seine Gattin im
Namen der Hauptstadt. Seine Rede war ein Galimathias der
übertriebensten, ja lächerlichsten Schmeicheleien, und am Ende derselben
richtete er auch einige Worte an Marie Louise, die sehr geistreich
antwortete: »daß sie die Stadt Paris liebe, weil sie wisse, daß diese
auch den Kaiser liebe!« Als dieser Akt der brillanten Komödie vorüber
war, setzte sich der Zug unter dem erneuten Vivatgebrüll, Kanonaden,
Geläute, Trommeln, Trompeten und so weiter wieder in Bewegung. Am
Eingang des Tuileriengartens war wieder ein kleiner Triumphbogen
errichtet, dessen Material nicht dauerhafter als das des großen war. Auf
diesem sah man die Namenszüge Napoleons und Franzens und die Wappen von
Frankreich und Österreich schimmern sowie die allegorischen Figuren des
Friedens und Überflusses, beides war aber nicht vorhanden. Auf einem
dritten Triumphbogen vor dem Eingang des Palastes der Tuilerien war eine
Tribüne in Form eines Zeltes angebracht, an dessen beiden Seiten wieder
zwei Orchester placiert waren. Bald nach seinem Eintritt in den Palast
zeigte sich das hohe Paar abermals dem guten Pariser Volk auf einem
Balkon, nahm nochmals dessen Jubelgeschrei in Empfang und zog sich dann
in die inneren Gemächer zurück, um sich mit dem schweren Kaisermantel
behängen zu lassen, worauf es sich mit dem ganzen Zug in der Ordnung, in
der man gekommen war, in die Kapelle des Louvre begab, die zu dieser
religiösen Feierlichkeit besonders hergerichtet worden war. Der Weg ging
durch die lange Galerie, welche die Tuilerien mit dem Louvre verbindet
und in der die besten Meisterstücke der größten Maler, die je gelebt,
aufgestellt waren. Ein kostbarer Teppich, über eine halbe Million an
Wert, deckte den Fußboden des über eine halbe Viertelstunde langen
Ganges. Zu beiden Seiten bildeten über viertausend elegante und
reichgeschmückte, zum Teil sehr schöne Damen in prächtigen Toiletten das
Spalier, hinter ihnen standen ebensoviele Herren _en grand costume_,
unter denen ich mir auch vermittelst einer Eintrittskarte ein Plätzchen
verschafft, aber nur mit großer Mühe von dem Triumphbogen aus hierher
hatte gelangen können. Das Kleid der Kaiserin war mit Diamanten übersät,
und ihr Diadem, aus den größten Diamanten bestehend, blendete alle
Augen. Die Damen vom höchsten Rang trugen die Schleppe ihres Mantels,
und die Schleppen der Mäntel dieser wurden wieder von hochgestellten
Beamten getragen. Es war eine wahre Schleppenträgerei, über die einige
graziöse Pariserinnen, hinter denen ich Posto gefaßt hatte, sich
mokierten. Während dieses Zuges spielte die Musik von Paer, dem Direktor
der kaiserlichen Kapelle, eigens dazu komponierte Melodien, auch wurden
während des langen Harrens Erfrischungen präsentiert. Der Anblick
dieser, mit so schön geputzten Damen und Gemälden geschmückten
unabsehbaren Galerie war unbeschreiblich und außerordentlich prächtig.
Drei Uhr war es schon, als sich die Pforten an der Seite der Tuilerien
auftaten und die Wappenherolde den nahenden Hochzeitszug eröffneten.
Alle Zuschauer standen auf und unbeweglich auf ihren Plätzen, bis er
vorüber war; er bewegte sich langsam und feierlich unter dem Spielen der
Musik und dem Vivatgeschrei in die prächtig dekorierte Kapelle. Der
Hochaltar derselben war gerade der Galerie gegenüber errichtet, über
demselben hing ein Thronhimmel, und auf demselben standen viele große
Leuchter von Vermeuil, in der Mitte ein großes goldenes Kruzifix. Ein
Basrelief von vergoldetem Silber stellte die Anbetung der Hirten vor; es
war von dem berühmten Sarazin unter Ludwig XIV. verfertigt worden und an
der Vorderseite des Altars angebracht. Ein Teppich von karmoisinrotem
Thronsammet bedeckte den Fußboden, zwei Reihen Sitze von gleichem Stoff
umgaben den Raum, in dessen Mitte die beiden Armstühle und Betaltäre
standen, die für das kaiserliche Ehepaar bestimmt und mit goldenen
Bienen auf Purpur übersät waren. In der Kapelle selbst waren zwei Reihen
Tribünen ringsherum errichtet, mit scharlachrotem Atlas und himmelblauen
Wolken drapiert und mit goldenen Fransen und Galons versehen. Die Wände
waren mit herrlichen Gobelin-Tapeten behangen, und wo es sich nur tun
ließ, waren die Namenszüge Napoleons und Marie Louisens, mit Kränzen
umgeben, angebracht. Dem Altar gegenüber war das Orchester der
Kirchenmusik. Die Könige, Prinzen und Prinzessinnen nahmen auf den
Sitzen um denselben Platz, die Großoffiziere, Minister, Gesandten,
Palastdamen und so weiter an den Tribünen. Der Kardinal Fesch, Napoleons
Oheim, verrichtete in seiner Eigenschaft als Großalmosenier die Trauung,
wobei noch andere Kardinäle und Bischöfe hilfreiche Hand leisteten; er
las eine Messe, und dann wurde das Tedeum von der Hofkapelle gesungen.
Die ganze Zeremonie währte ungefähr eine gute halbe Stunde. Nach ihrer
Beendigung trat der Zug wieder in derselben Ordnung den Rückweg an, und
die jetzt auch kirchlich Vermählten zeigten sich nochmals dem Volk,
worauf alle Garden und sämtliche Truppen unter fortwährendem Vivatrufen
unter ihren Augen vorüberdefilierten. Hierauf wurde ein Bankett in den
Tuilerien gehalten, wo Kaiser und Kaiserin mitten unter Königen und
Königinnen, kaiserlichen und königlichen Prinzen und Prinzessinnen saßen
und um sie herum die Prinzen, Großwürdenträger, Reichsmarschälle,
Palastdamen und so weiter standen. Nach beendigtem Bankett zeigten sich
die Kaiserlich Königlichen Majestäten noch einmal der noch immer vor dem
Schloß stehenden unzählbaren Volksmenge von dem Balkon des
Marschallsaals. Nun begann ein Monsterkonzert, in dem lauter auf die
Feier des Tages anspielende Musikstücke vorgetragen wurden, unter denen
der Chor aus Glucks Iphigenia >_Que d'attraits, que de majesté!_<
besonders hervorgehoben und beklatscht wurde. Alle Theater der
Hauptstadt und in ganz Frankreich waren zwei Tage gratis dem Publikum
geöffnet, und in jedem gab man auf diese Feier bezügliche Vorstellungen.
Nach dem Konzert gab ein losgelassener Feuerdrache das Signal zum
Beginnen der Feuerwerke, und in einem Nu schien das ganze unermeßliche
Paris in Flammen zu stehen. Dies war wirklich ein grandioses Schauspiel,
wie ich noch kein ähnliches gesehen. Wohl an fünfzigtausend Raketen
stiegen jetzt zugleich in verschiedenen Stadtteilen empor, und >taghell
war die Nacht gelichtet<; dies war aber nur das Vorspiel des feurigen
Schauspiels, das die wunderbarsten Gegenstände, Zauberpaläste, Tempel
und so weiter in der Luft erscheinen ließ; fast ebenso schnell waren
jetzt alle Paläste, Gebäude und Häuser der ungeheuren Stadt illuminiert
und prangten mitunter mit recht sinnigen Transparenten. Die Feuermassen
auf den höchsten Türmen, Kuppeln, Kirchendächern und Glockentürmen
schienen in der Luft zu schweben, die Illumination in dem großen
Tuileriengarten, auf dem Concordienplatz, in den Elysäischen Feldern, wo
jeder Baum feurige Früchte trug, am Corps legislativ, dem Palast der
_legion d'honneur_, dem Invaliden-Hotel, dem Senatspalast, dem Pantheon,
der Bank von Frankreich, der Hotels der Minister und Gesandten, der
Türme von Notre-Dame, der Samariterin auf dem Pont Neuf und so weiter
boten einen Glanz und eine so flammende Mannigfaltigkeit, daß sie
augenblendend und sinnverwirrend war. Eine besonders gute Wirkung hatten
die sich in der Seine spiegelnden Feuer. Man hat berechnet, daß mehr
denn tausend Millionen Lampen an diesem Abend in Paris brannten, und
Millionen Franken gingen in Dampf und Rauch auf. Sehr brillant war die
Concordienbrücke erleuchtet. Am Museum der _histoire naturelle_ sah man
illuminierte kolossale Elefanten, Löwen, Rhinozerosse, Kamele und so
weiter. Eine großartigere Komödie, wie diese fast vierundzwanzig Stunden
währende, habe ich nie gesehen, -- und was war nur fünf Jahre später aus
all diesen Herrlichkeiten und Majestäten geworden?! --

Für das Volk waren überall, namentlich in den Elysäischen Feldern,
Spiele, Belustigungen und Unterhaltungen gratis angestellt. Da gab es
unzählige _mats de cocague_, mit allen möglichen zu erkletternden
Kostbarkeiten beladen, Seiltänzer und Springer, ein paar hundert
Schaubuden, zu denen der Eingang gratis war. Franconi mußte mit all
seinen Roßkünstlern seine _Tours de force_ produzieren, wobei er über
fünfhundert Menschen, über hundert Pferde, Hirsche und so weiter
verwendete. Tanzböden waren alle paar hundert Schritte aufgeschlagen,
ebenso Karussells, Schaukeln, Saltimbanci, kleine Theater,
Marionettenbuden, Polichinells und Harlequins, Taschenspieler und
Optiker, illuminierte Luftballons, Lotterien, wozu man die Lose
unentgeltlich erhielt und alle Arten Lebensmittel, vom bescheidenen
Stück Ochsenfleisch bis zum gebratenen Kapaunen und Pasteten, gewann;
dies alles erhielt das gute Volk gratis, das Gouvernement und die Stadt
zahlten alles, und bis zum anbrechenden Tag währte der allgemeine
Taumel.

So endete ohne besondere Unfälle die Feier des zweiten April. Außerdem
waren alle rückständigen Steuern erlassen worden, die Polizei hatte alle
wegen Vergehungen Inhaftierte frei gelassen und ihre Kerker geöffnet,
alle Arreste beim Militär der ganzen Armee waren aufgehoben worden, und
sechstausend Mädchen wurden mit ebensoviel Soldaten verheiratet und auf
kaiserliche Unkosten ausgesteuert.

Den dritten April empfing das kaiserliche Ehepaar die Glückwünsche und
Huldigungen des Senats, des gesetzgebenden Körpers, des Staatsrats, der
Gesandten und so weiter, worauf es sich dann, von den vielen Strapazen
und Solennitäten etwas ermüdet und abgespannt, auszuruhen geruhte, um zu
den noch bevorstehenden großen Festivitäten, die ihm zu Ehren die Stadt
Paris, die Garden, Gesandtschaften und so weiter veranstalten wollten,
neue Kräfte zu sammeln. In der _Academie impériale_ hatte man eine große
Prachtoper, der Triumph Trajans betitelt, bei dieser Gelegenheit in
Szene gesetzt und häufig wiederholt; an der Musik war aber nicht viel.
Gegen Ende April trat Napoleon mit seiner jungen Frau eine Reise in die
Norddepartements an. Während seiner Abwesenheit wurden mit großem Eifer
die Vorbereitungen zu den großen Festen betrieben, die ihm bei seiner
Zurückkunft gegeben werden sollten und wozu man die Anstalten auf dem
Marsfeld, in dem Stadthaus, in den Elysäischen Feldern und so weiter
machte.

Einstweilen lebte ich so recht sorgenlos und in _dolce giubilo_ in Paris
in den Tag hinein, frequentierte die Theater und ihre liebenswürdigsten
Prinzessinnen, hie und da die Spielsäle, den Tisch des Fürsten Y., wenn
es mir gerade gelegen war, und machte mit dem Beginnen der schönen
Jahreszeit häufig Exkursionen in die Umgegend von Paris, besuchte das
Boulogner Wäldchen, Vincennes, St. Denis, Auteuil, St. Germain, St.
Cloud, Sèvres und andere Orte meistens in lustiger Gesellschaft.
Einigemal machte ich auch einsame Landpartien mit Angelika, aber die
unterhaltendsten waren die mit der Mars vom französischen Theater nach
Montmorency, Versailles, Fontainebleau, Chantilly und Compiègne.
Montmorency hatte besonders viel Anziehendes für uns beide, und wir
besuchten es öfters.

In diesem anmutigen Tal verlebte ich mit der höchst liebenswürdigen Mars
manchen seligen Tag. Die Mars war zwar um zehn Jahre älter als ich, aber
ihrem Ansehen nach schien sie fast noch jünger zu sein. Unter allen
Schauspielerinnen, die ich gekannt, habe ich keine gefunden, die in
einem so hohen Grad geistige mit körperlicher Liebenswürdigkeit
verbunden hätte, und auch ohne ihr eminentes, nicht wieder erreichtes
dramatisches Talent war sie ein Weib von der größten Auszeichnung,
sowohl hinsichtlich des Verstandes als der Anmut ihres ganzen Wesens;
der Wohllaut ihres Organs, das Graziöse jeder ihrer Bewegungen, ihre
Sprache und die Art, wie sie sich auszudrücken wußte, dies alles vereint
hätte auch den indolentesten Phlegmatikus noch in Feuer versetzen
können, auch war sie die allgemein Angebetete. Wer sie nur einmal im
Lustspiel gesehen, weiß, wie unvergleichlich, wie unerreichbar ihre
Leistungen als Künstlerin waren, welchen Ausdruck ihr Mienenspiel hatte,
wie sie durch ihre graziöse Koketterie und Schalkhaftigkeit alles
hinzureißen, alles zu bezaubern wußte.

Von Rom erhielt ich unterdessen häufig Briefe von Miollis, dessen Geduld
zu ermüden begann, da seine Sache nicht vorangehen wollte und ich bis
jetzt noch wenig in derselben hatte tun können, indem die Festivitäten
und andere wichtige Dinge alle hochgestellten Personen, bei denen ich
operieren sollte, zu sehr in Anspruch nahmen. Ich schrieb ihm, daß die
Verzögerung nicht meine Schuld sei, ich würde, sobald der rechte
Zeitpunkt gekommen, alle Tätigkeit anwenden und keine Bemühungen
scheuen. Erst gegen die Mitte des Monats Mai gelang es mir, in dem Hotel
der Prinzessin Pauline Borghese Eingang zu erhalten und dieser schönen
Schwester Napoleons vorgestellt und empfohlen zu werden. Sie war gerade
im Begriff, ihren Aufenthalt zu Paris mit dem im nahen Neuilly zu
vertauschen, wohin sie mich beschied und verbindlichst einlud, sie dort
zu besuchen. Dies meldete ich Miollis nach Rom, hinzusetzend, daß ich
hierauf große Hoffnungen für seine Angelegenheit baue. In Neuilly ließ
ich nicht lange auf mich warten, sondern fand mich bald in diesem
anmutigen, eine kleine Stunde von Paris entfernten Ort ein. Hier besaß
Prinzessin Pauline ein sehr schönes Landhaus mit äußerst geschmackvoll
angelegten Gärten. Ich ließ mich gegen Mittag anmelden, wurde sogleich
vorgelassen und fand die schöne Frau in einem eleganten Morgenanzug in
der reizendsten Attitüde; nur eine einzige ihrer Damen, Madame
Farigliano, war in ihrer Gesellschaft. Nachdem sie mich mit großer
Naivität über manche Dinge, mich selbst betreffend, befragt hatte,
brachte ich ihr Miollis Anliegen etwas verblümt bei, sowie daß er ganz
besonders auf ihren mächtigen Schutz zähle und sich demselben gehorsamst
empfehle. Die Fürstin platzte jedoch gleich ohne Schminke heraus und
sprach: »Aber mein Gott, Miollis muß doch wissen, wie wenig Einfluß ich
in diesen Dingen auf meinen eigensinnigen Bruder, den Kaiser, habe.«
Dabei fixierte sie mich stark und fuhr nach einer Pause fort: »Doch ich
will überlegen, wie sich die Sache etwa machen ließe und durch welchen
Kanal wir operieren können.« -- Ich wollte mich nun wieder empfehlen,
aber sie geruhte noch verschiedene Fragen an mich zu tun, meistens Rom
und Italien betreffend, und endigte mit der, ob ich ihre Gärten schon
gesehen hätte; da ich dies mit Nein beantwortete, forderte sie mich dazu
auf, und ich machte dankbar von dieser Erlaubnis Gebrauch. Als ich im
Begriff war, den Garten zu verlassen, begegnete ich der Prinzessin mit
ihrer vorigen Gesellschafterin in einer Allee desselben, wo sie mich
nochmals anredete und mir befahl, sie einige Gänge zu begleiten; sie
fragte mich nun nach meinem Vaterland, nach meinem Alter und so weiter,
und nachdem ich genügende Antwort gegeben, sagte sie: »_Mais vous êtes
encore bien jeune._« Hierauf wandte sie sich zu ihrer Begleiterin und
flüsterte dieser zu: »_Mais pour un Allemand il a très bonne tournure,
qu'en ditez-vous?_« -- »_Altesse c'est ce que je trouve aussi_,«
erwiderte diese. Hierauf fuhr sie, sich wieder an mich wendend, fort und
sagte: »Wenn Ihnen mein Garten gefällt, so steht es Ihnen frei,
denselben so oft zu besuchen, als es ihnen Vergnügen macht. Wie lange
werden Sie in Paris bleiben?« -- »Hoheit, vermutlich so lange, bis ich
irgendein Resultat zugunsten des Generals Miollis erlangt habe.« --
»Mein Gott, ich wollte Ihnen sehr gerne behilflich sein, aber seitdem
der Kaiser diese Österreicherin geheiratet hat, ist gar nichts mehr mit
ihm anzufangen.« Sie setzte sich nun wieder in Bewegung und gebot mir,
ihr zu folgen. Durch ihre naive Leutseligkeit ermuntert, ließ ich es sie
nun auch merken, daß mein höchster Wunsch wäre, zu der Garde versetzt zu
werden. -- »_Ah la Garde_,« sagte sie lachend, »diese eblouiert euch
Herren alle. Nun, ich werde sehen, was sich später tun läßt, wenn mein
Bruder von der Reise zurück und der Taumel der Honigmonate vorüber sein
wird. Haben Sie meinen Bruder schon einmal gesprochen?« -- »Vor ungefähr
einem Jahr zu Schönbrunn, als ich ihm die Depeschen von Rom
überbrachte.« -- »Nun, und was sagte er zu Ihnen?« -- »Er entließ mich
mit einem: >_nous verrons_<.« Die Prinzessin lachte und wiederholte:
»_Nous verrons_; doch sagen Sie mir, wie gefällt Ihnen die neue
Kaiserin?« -- »Hoheit, ich erlaube mir kein Urteil über eine so erhabene
Person.« -- »Oh, bei mir brauchen Sie sich nicht genieren, sagen Sie
ohne Fasson, was Sie von ihr halten.« -- »Ich sah Ihre Majestät nur erst
einigemal im Vorübergehen am Vermählungstag.« -- »Aber was spricht man
von ihr zu Paris, was sagen die Leute von ihr? Nicht wahr, sie hat gar
nicht gefallen?« -- Ich brachte nur ein >_mais_<, von einer zweideutigen
Bewegung begleitet, hervor. -- »Ja, wen könnte auch dieses frostige,
ausdruckslose Marmorgesicht ansprechen? Niemand kann meinen Bruder
begreifen; auch nicht ein Mensch, der diese Österreicherin liebenswürdig
fände.« -- Pauline sprach wahr, die Persönlichkeit Marie Louisens
vermochte das vorgefaßte Vorurteil gegen sie nicht zu verwischen. Weder
ihr Äußeres noch ihr Benehmen war im mindesten geeignet, ihr die Herzen
zu gewinnen. Sie war damals ungefähr neunzehn Jahre alt, schien aber
einige zwanzig zu haben, hatte blondes Haar und mattblaue Augen, die ihr
ein fades Aussehen verliehen, ihr Gesicht hatte zwar jugendliche
Frische, aber war ohne allen Ausdruck. In ihrem Benehmen bewies sie
gegen jedermann eine hochmütige Zurückhaltung, was vielleicht mehr von
einer Art Schüchternheit und Furcht als übelangebrachtem Stolz herrühren
mochte, vielleicht hielt sie dies auch für ein unentbehrliches Requisit
der Majestät; im übrigen hatte sie keinen anderen Willen als den
Napoleons. Bei jedem Vergleich mit Josephine mußte sie unendlich
verlieren, statt der Anmut, Lieblichkeit und Milde, wodurch jene
bezauberte, entzauberte diese durch ihre frostige, zurückstoßende Kälte,
war höchst einsilbig, geschmacklos selbst in ihrer Toilette und würde
sich ohne den besseren Geschmack ihrer Kammerfrauen oft wunderlich
gekleidet haben. Ihre deutschen Umgebungen hatte sie sämtlich, als sie
den französischen Boden betrat, entlassen müssen und schien gegen ihre
französischen einen unüberwindlichen Widerwillen zu hegen, indem sie nie
einen freundlichen Blick, ein ermunterndes Lächeln, ein wohlwollendes
Wort an diese richtete. Ebenso war sie gegen die Hof- und Palastdamen,
die sie bald unausstehlich fanden, sowie Napoleons Schwestern und
Anverwandte, welche glaubten, die junge Kaiserin verachte sie wegen
ihrer niederen Herkunft, als Parvenües; sie machten sich deshalb hinter
ihrem Rücken über sie lustig, verschrien sie als unbeholfen, ja stupid,
und das Benehmen und die nichtssagende Physiognomie Marie Louisens
unterstützte diese Aussagen nur zu sehr. So sprach denn auch Pauline
ohne allen Rückhalt mit mir von ihrer kaiserlichen Schwägerin und
verbarg nicht im mindesten ihre Abneigung gegen dieselbe, obgleich sie
mich zum erstenmal sah und sprach. -- »Doch von was anderem,« fiel sie
endlich plötzlich ein, »werden Sie heute in Neuilly zubringen?« --
»Nein, Hoheit, ich gehe nach Paris zurück, denn ich wüßte nicht, wie ich
meine Zeit herumbringen sollte.« -- »Gut, kommen Sie morgen um diese
Stunde wieder, vielleicht kann ich Sie durch Madame Farigliano,« sie
warf einen Blick auf diese, »schon etwas Näheres wissen lassen. Finden
Sie sich wieder an dieser Stelle ein, hören Sie?« -- Wir standen gerade
vor einem ziemlich hohen gewölbten Felsen, ich versprach, dem Befehl
genau Folge zu leisten, und empfahl mich mit drei ehrerbietigen
Verbeugungen. Ich wußte, in welchem Ruf Pauline stand, und war nicht
Neuling genug, um nicht bemerkt zu haben, daß ihre Blicke mehrmals mit
Lüsternheit auf mir geruht hatten. >Wohlan,< dachte ich bei mir selbst,
>mußt du auf diesem Weg zum Ziel gelangen, so ist es noch nicht der
schlimmste.< Ich fuhr nach Paris zurück und dachte über die gehabte
Unterredung, und was die Folgen wohl sein könnten, nach, indem ich mir
allerlei prächtige Luftschlösser baute und ausmalte. Es ist hier wohl am
rechten Ort, mit einigen Worten die damals lebenden Mitglieder der
bonapartischen Familie zu schildern, die ich größtenteils persönlich
gekannt oder doch öfters gesehen hatte und mit ihren Umgebungen oft
verkehrte; manches davon habe ich durch Pauline und einige andere
Glieder der Familie erfahren.

Zur Zeit, als die Familie Bonaparte, aus Korsika vertrieben, sich zu
Marseille aufhielt, lebte sie in äußerst dürftigen Umständen und fast
nur von den Unterstützungen, welche ihr mitleidige oder teilnehmende
Menschen, oft auch nicht ohne Interesse zukommen ließen, denn die
Mädchen waren sehr hübsch, ja wohl Schönheiten, namentlich Karoline und
Pauline. Beide hatten damals viele Anbeter, von denen es jedoch keiner
ernstlich meinte, auch waren es meistens arme Offiziere, die selbst
nicht viel übrig hatten. Die Mädchen gingen selbst auf den Markt, die
nötigen Einkäufe möglichst billig zu machen, und wurden häufig zu den
Reunionen des Platzkommandanten Lingard eingeladen, bei denen sie in
sehr einfachen weißen Kleidern, ohne allen Schmuck erschienen, aber
dennoch von den Tänzern am meisten gesucht und vorgezogen waren. Der
Platzkommandant und mehrere Stabsoffiziere und Kapitäne machten zu jener
Zeit bisweilen kleine Kollekten unter sich zugunsten der Frau Lätitia
und ihrer Kinder, doch nicht ohne alles Interesse, und von Pauline wurde
behauptet, daß sie ein Oberst förmlich unterhalte, was sie aber nicht
gestand, sondern sagte, daß sie nur eine gewöhnliche Intrige mit ihm
gehabt. Nachdem es Joseph Bonaparte gelungen war, die Tochter des
reichen Kaufmanns Clary zu heiraten, hatten seine Mutter und Schwestern
eine Stütze an ihm, und er unterstützte sogar von Zeit zu Zeit mit
kleinen Geldsummen seinen Bruder Napoleon, der sich damals ebenfalls
ganz mittellos zu Paris befand, wo ihm gute Freunde und Bekannte, unter
denen auch Talma, öfters ein Mittagessen bezahlten, er seine silberne
Uhr in der größten Not hatte verkaufen müssen, und ein Paar Handschuhe
für einen sehr überflüssigen Luxusartikel erklärte. Als Madame Bonaparte
den Wunsch äußerte, noch einen ihrer Söhne an eine Clary zu verheiraten,
antwortete deren Vater: »Oh, ich habe genug an einem Bonaparte in meiner
Familie.« Von Joseph habe ich schon geredet, es war ein Mensch von sehr
mittelmäßigen Fähigkeiten, der wenig Verstand und desto mehr Geistes-
und andere Schwächen besaß, einen Engel zur Frau hatte, den er nicht
verdiente und nicht nach Verdienst zu schätzen wußte; es ist
unbegreiflich, wie ihn sein Bruder mit so großen Bürden, wie die Kronen
von Neapel und Spanien waren, belasten mochte, und später, als
Generalleutnant des Kaiserreichs, das Schicksal von Paris, seiner
Gemahlin und seines Sohnes gewissermaßen in dessen Hände legen konnte;
auch verdarb sein Kleinmut, seine Unentschlossenheit alles. -- Der
zweite Bruder war der Kaiser Napoleon, über diesen hier viel zu sagen,
wäre überflüssig. Als Feldherr ausgezeichnet, doch noch lange kein Cäsar
oder Friedrich, als Politiker ein erbärmlicher Stümper, als Mensch ein
herz- und gemütloser Egoist, hatte auch er seine gewaltigen Schwächen,
die zum Teil nichts weniger als einen großen, sondern oft einen sehr
kleinlichen Geist bewiesen, der von Leidenschaft und Rachsucht
verleitet, besonders wenn sich seine kleine Eitelkeit gekränkt fühlte,
in die unsinnigste und abgeschmackteste Tyrannei verfiel; arme aber ihm
an Geist überlegene Frauen, wie eine Staël, Chevreuse, Smith-Spencer,
Recamier und so weiter auf das empörendste verfolgte, des
niederträchtigen Benehmens gegen die treffliche Königin Luise von
Preußen gar nicht zu gedenken; einen Enghien, einen Palm, die Offiziere
des Schillschen Korps und hundert andere so niederträchtig als feige
ermorden, die armen Soldaten und Unteroffiziere dieses Korps, die nur
den Befehlen ihrer Vorgesetzten folgten, auf die Galeeren unter Mörder,
Räuber und Diebsgesindel schmieden ließ, alle Zungen und Pressen zu
fesseln vermeinte, seine Umgebungen oft auf das abscheulichste und
gemeinste mißhandelte, wenn ihn ein englischer Zeitungsartikel oder
sonst ein Querstrich in üble Laune versetzt oder gar in Konvulsionen
gebracht, in Ägypten und Rußland Reißaus nahm und die ihm anvertrauten
Heere im Stich ließ, sobald es schief ging, um nur seine werte Person in
Sicherheit zu bringen und so weiter. Dies nannte er Staatsklugheit und
waren seine Heldentaten! Selbst in der sinnlichen Liebe wußte er nur den
Despoten zu spielen, aber nie die Gunst des ersehnten Gegenstandes durch
liebenswürdiges oder gefälliges Betragen oder auch nur durch Geschenke
zu erringen. Ein Befehl an seinen Kammerdiener oder seine privilegierten
Kuppler mußte den gewünschten Gegenstand seiner Sinnenlust
herbeischaffen, und zwar mit Gewalt, wo es von nöten und der kaiserliche
Name allein nicht ausreichte, die Schöne zu vermögen, sich dem
Tagesgötzen preiszugeben; dergleichen Gelüste wandelten Seine Majestät
oft an. -- Der dritte Bruder, Lucian, war ohne Widerrede der tüchtigste
und fähigste Kopf der ganzen Familie, dabei ein Mann von starkem und
festem Charakter, der es vorzog, lieber unabhängig von den Launen seines
kaiserlichen Bruders zu leben, als sich, durch ihn gekrönt, von ihm als
Schuhputzer behandeln zu lassen. So hatte er, dessen Ungnade trotzend,
die Witwe eines Wechselmaklers geheiratet, nachdem er schon als Minister
des Innern dessen Zorn auf sich geladen, es verweigernd, zu unsinnigen
Maßregeln seinen Namen herzugeben, und es ist an dem, daß er seinem
Bruder, als ihn dieser, um ihn wieder zu gewinnen, fragen ließ, welche
Krone er zu besitzen wünsche, geantwortet: nun, so möge er ihn doch zum
König von England machen! -- Dieser Hohn war zu beißend, einen Napoleon
nicht tief zu verwunden, auch schiffte sich Lucian, um ferner jede
Berührung mit seinem Bruder zu vermeiden, noch in diesem Jahr (1810)
nach den Vereinigten Staaten ein, wurde aber von den Engländern gefangen
und bis 1814 festgehalten. Was wäre den 18. Brümaire ohne Lucian aus
Napoleon geworden, der, als er die Dolche im Rat der Fünfhundert blinken
sah, bleich, wankend und zitternd, einer Ohnmacht nahe war, als ihn
seine Grenadiere aus dem Saal zerrten! Hier hatte, das Leben seines
Bruders zu retten, Lucian allerdings schlecht gegen das Vaterland
gehandelt. -- Elisa, die älteste der Schwestern Napoleons, war nicht die
schönste, doch die geistreichste der Damen Bonaparte, aber
unglücklicherweise wollte auch sie die Gelehrte spielen, suchte deshalb
besonders die Unterhaltung ausgezeichneter Schriftsteller, gab sich
aber, wie dies bei den meisten gelehrten Frauen der Fall ist, manche
arge Blöße. Sie hatte den Prinzen Bacciochi geheiratet, den Napoleon zum
Fürsten von Piombino und Lucca dekretierte, der aber eigentlich eine
Null in seinem Staat war, denn Elise handhabte nicht nur den Pantoffel,
sondern auch das Szepter, und war die eigentliche Regentin. 1809
ernannte sie Napoleon zur Großherzogin von Toskana. Auf sie folgte
Ludwig, damals noch König von Holland, unstreitig der beste und
redlichste dieser Korsen, ein gutmütiger Mensch, der den Willen hatte,
das von seinem Bruder ihm zugeteilte Land glücklich zu machen, und da
dies nicht die Meinung und der Wille seines Bruders war, dessen
Eigensinn und Tyrannei er nur Sanftmut entgegenzusetzen hatte, so legte
er nach mehreren sehr heftigen Szenen, die er wegen der
Kontinentalsperre, bei deren strengen Beobachtung Holland zugrunde gehen
mußte, gehabt, noch im Juli dieses Jahres die Krone nieder. Auch mit
seiner ehrgeizigen und herrschsüchtigen Gattin, Napoleons Stieftochter
und zeitweiligen Geliebten, die ihm derselbe ganz gegen seinen Willen,
und, wie es den Anschein hatte, als sie sich in anderen Umständen
befand, aufgehängt hatte, lebte er sehr unglücklich. Ihm folgte die
schöne Pauline oder Paulette, wie sie ihr Bruder, der Kaiser, und noch
andere nannten. Als fünfzehnjähriges Mädchen und noch später soll sie
die vollendetste Schönheit gewesen sein, die man sich denken kann. Aber
auch jetzt war sie, wenngleich beinahe dreißig Jahre alt, noch immer
eine Schönheit zu nennen. Mit ihren Zügen hatte Canova die Statue der
Venus des Praxiteles nachgeahmt. Schon mit dem zwölften Jahre hatte sie
Liebhaber gehabt, und die böse Welt behauptete, wie es scheint, nicht
ganz mit Unrecht, daß Napoleon selbst einer derselben gewesen sei. Nach
dem Tode ihres ersten Mannes, des Generals Leclerc, hatte sie den
Fürsten Camillo Borghese geheiratet, eine Art Hampelmann, von dem sie
sehr bald getrennt lebte; ihr Bruder hatte ihr das Fürstentum Guastalla
gegeben, sie aber wohnte meistens zu Neuilly, wo sie eine Art Hof hielt.
Von ihren galanten Abenteuern wußte man sich viel zu erzählen; während
der kurzen Zeit, als sie Witwe und in Trauer war, ließ sie Napoleon wohl
bewachen, fürchtend, daß sie tolle Streiche machen möchte, aber wieder
verheiratet, ließ sie rücksichtslos ihren Leidenschaften die Zügel
schießen. Bekannt sind die Abenteuer, die sie unter dem Namen Amélie mit
einem jungen Manne hatte, dem sie häufig Rendezvous in dem Hause einer
Lingère in der Straße du Bac Nr. 188 gab, wohin sie ihn beschied. Dieser
war eines Tages über alle Maßen erstaunt, als er seine Amélie mit
Brillanten bedeckt in einer kaiserlichen Hofloge erblickt und erfährt,
daß es die Fürstin Borghese, Napoleons Schwester sei. Auch die
Prinzessin, die schon einige Zeit die Liaison mit ihm abgebrochen, hatte
ihn bemerkt. Am andern Morgen wurde er in das Ministerium des Innern
beschieden, wo ihm eine sehr einträgliche Stelle, fünfzig Lieues von
Paris entfernt, erteilt wurde, mit dem strengen Befehl, sich in den
nächsten achtundvierzig Stunden auf seinen Posten zu begeben. Jedermann
kennt ihre Amouretten mit den Schauspielern Lafont, Forbin und dem
Obersten Canouville, dessen Pferd samt seinem Reiter Napoleon bei einer
Musterung viel zu wild und ungezähmt gefunden und Herr und Roß deshalb
hundert Meilen weit von Paris entfernt hatte, damit beide besser
dressiert würden. Aber bei weitem blieb eine große Zahl der Abenteuer
Paulinens und ihrer Schwestern dem kaiserlichen Bruder unbekannt, da ihm
niemand gerne die Augen deshalb öffnen mochte, und selbst der
Generalspion und Polizeimeister Fouché wagte es nicht, seinen Herrn, oft
sein Instrument, dadurch in üble Laune zu versetzen, und so trieben es
die Damen ungestört fort, bis der Sturz des kaiserlichen Thrones auch
sie mitriß und das Alter diese Vergnügungen ohnehin verbot. Nur
einigemal, wenn es so toll wurde, daß er selbst etwas merkte oder ihm
durch eine seiner passageren Mätressen etwas gesteckt wurde, machte er
seiner Mutter, der Madame _Mère_, Vorwürfe und meinte, seine Schwestern
sollten ehrbar mit den Offizieren seiner Garde tanzen, die, wenn auch
nicht gerade schöne, doch sehr brave Männer seien, mit denen ihr Ruf
nicht so gefährdet würde, als mit solchen Muscadins. Die jüngste
Schwester, die Königin Karoline von Neapel, war nicht weniger schön und
hatte weit mehr Verstand als Pauline, die in dieser Hinsicht von der
Vorsehung etwas stiefmütterlich behandelt worden war, nur hatte sie
einen kurzen Hals, so daß ihr Kopf zu sehr zwischen den Schultern saß.
Wir werden bei meinem letzten Aufenthalt in Neapel sie samt ihrem
Gatten, dem König Murat noch näher kennen lernen. Der jüngste der
Brüder, Jérôme (Hieronymus), war auch der unbedeutendste unter allen,
eigentlich eine physische, geistige und moralische Jämmerlichkeit. Seine
ganz unansehnliche Gestalt hatte den Kopf noch weit mehr als Karoline
zwischen den hohen Schultern stecken, und sein Gesicht hatte sogar etwas
widerlich Unangenehmes. Dennoch hatte er als König von Westfalen
unzählige Amouretten zu Kassel, wo ihm der Königstitel gefällige Damen
in großer Zahl verschaffte; seine Ärzte waren nur damit beschäftigt, die
vergeudeten Kräfte, an denen Hieronymus eben keinen Überfluß hatte,
möglichst zu ersetzen und ließen ihn täglich unter andern die stärksten
Weinbäder nehmen; der so gebrauchte Wein wurde nachher in Flaschen
gefüllt, und das Hofgesinde verkaufte ihn unter der Hand an Wirte und
andere Einwohner in Kassel!! Dabei hatte dieser affenartige Sardanapal
sehr unnatürliche, oft neronische Gelüste, selbst bei den Frauen, die
ihn zum Ekel widerlich machen mußten. Sein ganzes Aussehen hatte so
wenig Königliches, daß er eher einem erzliederlichen Schneidergesellen
ähnlich sah. Eine Jammergestalt _in optima forma_, die aber dem armen
Land, das so glücklich war, sie auf eine kurze Zeit zu besitzen,
unzählige Tränen und das Mark seiner ausgesogenen Bürger kostete. Dieser
Prinz von der traurigen Gestalt hatte dennoch in Amerika das Glück
gehabt, die Tochter eines reichen Bankiers von Baltimore, eine Miß
Patterson, ein hübsches Mädchen zur Frau zu bekommen, die, als sie ihm
hochschwanger nach Europa gefolgt war, auf dem ganzen festen Land auf
Befehl ihres Schwagers Napoleon keinen Hafen fand, in dem man ihr zu
landen vergönnte. In Frankreich, Holland, Belgien, Italien, Spanien und
Portugal war sie zurückgewiesen worden; die arme, verlassene, treffliche
Frau mußte nun allein über England wieder nach Amerika zurückkehren,
denn dem früher in seiner hilflosen Lage oft von Schauspielern
gefütterten Napoleon war die Familie Patterson jetzt nicht mehr gut
genug, um sich verwandt mit ihr zu wissen. Schon hatte er die Marotte,
aus allen seinen Brüdern Könige stempeln zu wollen, die er teuer genug
büßen mußte, denn als Könige waren sie ihm alle zum größten Verderb.
Madame _Mère_, Frau Lätitia, war als kaiserliche Mutter eine sehr fromme
Dame geworden und bewährte so das bekannte Sprichwort: Aus jungen ...
werden alte Betschwestern. Ich habe Personen gekannt, die sehr vertraut
mit ihren früheren Verhältnissen in Korsika gewesen und mich
versicherten, daß, etwa Joseph ausgenommen, sie von keinem anderen ihrer
Kinder mit Gewißheit den Vater zu nennen wüßte. Übrigens war sie eine
sehr mitleidige Seele, die den Armen und anderen viel Gutes erwies, als
sie die Mittel dazu erhielt; doch war sie auch sehr kapriziös, und ihr
Eigensinn artete bisweilen in Starrsinn aus; sie soll sehr schön gewesen
sein. Von den übrigen Mitgliedern der Familie Bonaparte will ich nur
Napoleons Stiefsohn, den Prinzen Eugen, Vizekönig von Italien, erwähnen,
einen in jeder Hinsicht vortrefflichen und edlen Charakter, dessen
größter Fehler der war, seinem Stiefvater zu sehr nachgegeben zu haben
und zu gehorsam gewesen zu sein. Er hatte sich 1806 mit der schönsten
deutschen Prinzessin, mit der ältesten Tochter des Königs Maximilian von
Bayern, Auguste Amalia, vermählt. Seine Schwester Hortensia war so
ziemlich das Gegenteil des Bruders und Herrschsucht die Triebfeder fast
all ihrer Handlungen, der sie kein Opfer zu bringen scheute. Ich hätte
diese Skizzen der napoleonischen Charaktere weit mehr und mit den besten
Grundfarben ausmalen, sowie die noch vieler anderer Personen des
napoleonischen Hofes und Reiches, wie der listigen Füchse und
Ränkeschmiede Talleyrand und Fouché, des Oheims des Kaisers, des
geistlichen Komödianten Fesch, vieler Marschälle, Minister und so weiter
mitteilen können. Dies gehört aber nicht hierher und würde ein
ausgedehntes Buch für sich füllen, auch sind viele derselben längst,
wenn auch oft mit falschen Zügen und Farben, geschildert.

Als ich den andern Morgen nach der Unterredung, die ich mit Paulinen
gehabt, erwachte, kam mir die ganze Sache fast traumartig vor, indessen
machte ich mich zur festgesetzten Stunde wieder auf den Weg nach
Neuilly, begab mich an die mir angegebene Stelle des Gartens und
erwartete unter einem Säulengang vor dem gewölbten Felsen die Dinge, die
da kommen würden. Ich wartete nicht lange, als eine Dame, eine andere
als die, welche ich den Tag vorher in Paulinens Gesellschaft gesehen,
erschien, mich freundlich willkommen hieß und mich durch eine Seitentür
in das Innere des Felsens führte, in dem sich mehrere Gemächer und
Galerien, unter anderen auch ein sehr schönes Bad in einem prächtigen
Salon, befanden. Das Abenteuer kam mir sehr romantisch, beinahe
märchenhaft vor, und ich dachte eben über den Ausgang, den es wohl haben
könnte, nach, als eine in den feinsten Battist gehüllte Frauengestalt
durch eine Seitentür in den Badesaal, in dem man mich warten geheißen,
trat, auf mich zuging und mich lächelnd fragte, wie es mir hier gefalle.
Ich erkannte sogleich Napoleons schöne Schwester, deren üppige und
vollkommen plastische Formen sich bei jeder Bewegung durch die Falten
ihres Gewandes ausdrückten. Sie reichte mir die Hand zum Kusse dar, hieß
mich hier willkommen und auf einem schwellenden Ruhebett neben sich
niederlassen. Hier war ich sicher nicht der Verführer, sondern der
Verführte, denn Pauline ließ alle ihre durch das _Chiaroscuro_ noch
erhöhten Reize spielen, mein Blut in Wallung und meine Sinne in
Aufregung zu bringen, was ihr denn auch vollkommen gelang, und bald
waren die samtnen Polster Zeugen, wie wir unsere gegenseitige Glut in
namenlosen Ergießungen löschten, wobei sie sich als eine sehr erfahrene
Lehrerin zeigte, denn sie wußte mehr als ich. Nachdem wir das Feuer
hinlänglich gekühlt, zog Pauline die Glocke und befahl ihren
eintretenden Frauen, ein Bad zu bereiten, zu dem sie mich ebenfalls
einlud. In Bademäntel von den feinsten Linnen gehüllt, blieben wir
beinahe eine Stunde in dem kristallhellen bläulichen Wasser, worauf sie
ein köstlich erquickendes und restaurierendes Mahl in einem Seitengemach
servieren ließ, bei dem wir bis zur Abenddämmerung noch miteinander
zubrachten. Beim Abschied mußte ich das baldige Wiederkommen versprechen
und verlebte nun manchen Nachmittag auf ähnliche Weise in Neuilly.
Indessen hatte ich eben nicht Ursache, sehr stolz auf diese Eroberung zu
sein, denn viele andere hatte sie schon vor mir beglückt, und noch
manchem anderen schenkte sie nach mir ihre höchste Gunst, auch war mir
die Dame fast zu routiniert, und es dauerte nicht lange, so empfand ich
trotz all ihrer Schönheit Widerwillen statt Genuß in ihrem Umgang, da
auch an eine nur einigermaßen geistreiche Unterhaltung mit Paulinen
nicht zu denken war, und wenn einmal der Sinnentaumel vorüber, die
tödlichste Langeweile und Gähnen dessen Stelle vertrat, dabei artete sie
oft ins Gemeine aus. Wie anders war es mit einer Mars, deren
Persönlichkeit immer neue Reize zu entfalten wußte, selbst Madame
Bonnier war trotz ihrer Klostererziehung weit unterhaltender. Hierzu kam
noch, daß ich zu jener Zeit die Bekanntschaft zweier anderer sehr
liebenswürdiger junger Damen, die eine die Frau eines Generals, die
andere die eines Rittmeisters, deren Männer sich beide bei der Armee in
Spanien befanden, machte, und die ich bei einer Vorstellung der
Iphigenia in Tauris _aux Français_, wo Talma den Orestes in der höchsten
Vollendung gegeben, kennen lernte, da ich mich in derselben Loge mit
ihnen befand. Auf die Iphigenia waren die Plaideurs gefolgt und gaben
mir die beste Gelegenheit bei den Damen zu plaidieren, deren
Ehrenkavalier ich jetzt auf eine Zeitlang wurde. Sie waren sehr muntere
und liebenswürdige Geschöpfe; die Generalin zählte dreiundzwanzig, die
andere erst neunzehn Jahre, beide kaum zwei Jahre verheiratet und
Schwestern. -- Noch hatte ich Versailles erst im Flug gesehen, an einem
Nachmittag hatte ich mit Paulinen in dem großen Park daselbst
zugebracht, von einem Gebüsch in das andere wandernd.

Nun besuchte ich Versailles mehrmals in Gesellschaft meiner neuen
Bekanntschaft, der beiden Offiziersdamen, namentlich auch die beiden
Trianons, wovon das kleine nebst seinen Gärten Zeugen der stillen
Freuden Maria Antoinettens in ihren glücklicheren Zeiten war. Sie hatte
es zu einem bezaubernden Aufenthalt umgeschaffen. Ludwig XVI. hatte es
ihr beim Antritt seiner Regierung geschenkt. Auch wir genossen der
stillen und heimlichen Freuden im Park von Versailles gar mancherlei und
besuchten das Labyrinth, das Venusboskett und andere abgelegene Orte
vorzüglich gerne. Die jüngere Emilie hatte ich Alcine und die ältere,
Marguerite, Armide getauft. Eine ganze Woche brachte ich einmal mit den
beiden Damen in Versailles zu, während welcher wir jeden Tag vom Morgen
bis in die späte Nacht in den unermeßlichen Räumen dieser Gärten
umherirrten, deren Besitzer wir uns dünkten und für diese Zeit auch
waren, denn niemand machte sie uns streitig, und alles stand uns offen.
Wir spielten und tändelten bald an dem Bassin des Neptuns, bald in dem
romantischen Boskett der Kaskaden, bald im Sternensalon, an den drei
Fontänen oder Apollosbädern. Die acht Tage vergingen wie acht Stunden,
wir hatten anfangs nur vierundzwanzig Stunden bleiben wollen. Wir
kehrten endlich etwas gesättigt nach Paris zurück, wo uns jedoch neue
Freuden und Vergnügungen erwarteten. Hier fand ich mehrere Billette von
Madame Farigliano vor, die mich nach Neuilly zitierten, wo ich mich mit
gehabter Unpäßlichkeit wegen meines Ausbleibens entschuldigte, was auch
mein etwas angegriffenes Aussehen bestätigte, und wo ich deshalb
bemitleidet ward. Das, was noch einiges Interesse für mich bei Paulinens
Umgang hatte, war, daß ich über verschiedene Dinge, ihre Familie
betreffend, um die ich sie öfters fragte, Auskunft von ihr erhielt. Sie
sagte mir unter anderm einmal, als ich sie gefragt, wie es komme, daß
der Kaiser noch nicht Rom gesehen, da diese merkwürdigste aller Städte
doch ein ganz besonderes Interesse für ihn haben müsse: »Oh, mein Bruder
meidet Rom, weil ihm einmal prophezeit wurde, daß er in dieser Stadt
seinen Tod finden werde; und da eine ähnliche Weissagung, die man
Alexander dem Großen hinsichtlich Babylons machte, eintraf, so will er
einem solchen Schicksal entgehen. -- Sie sehen, große Männer haben auch
ihre Schwächen; wer weiß, wo er noch stirbt, wenn er sich gleich
unsterblich glaubt,« fuhr sie lächelnd fort. »Und es auch ist,« fiel ich
ihr ins Wort. -- »Aber dem Tod entgeht er dennoch nicht,« versetzte sie,
»und ist ihm bestimmt, in Rom zu sterben, so wird es geschehen, er mag
sich stellen wie er will.« -- Wir kamen nach und nach auf andere, aber
immer Napoleon betreffende Dinge zu sprechen, und Pauline meinte, ihr
großer Bruder habe nicht nur sehr große Schwachheiten, sondern beginge
auch ganz unverzeihliche Torheiten, die ihn noch ins Verderben stürzen
würden und von denen eine der größten seine Mariage mit der
Österreicherin sei. »Hundertmal besser,« fuhr sie fort, »wäre es
gewesen, er hätte die Hortensia geheiratet, statt sie an seinen Bruder
Louis zu verkuppeln, sein Verhältnis mit ihr war ja doch kein Geheimnis
mehr, sowie daß sie von ihm in der Hoffnung war, als er diese Heirat
stiftete. Daß Duroc diese Partie ausgeschlagen, ist nicht an dem, es war
nie Napoleons Plan, diesem ihre Hand zu geben. Wäre Hortensias erstes
Kind, für dessen Vater der Kaiser allgemein gehalten wurde, für welches
er eine große Zärtlichkeit bewies und das er aus der Taufe gehoben, am
Leben geblieben, so würde er es gewiß adoptiert und wahrscheinlich zu
seinem Nachfolger ernannt haben; wir hätten dann keine zweite Vermählung
erlebt. Was die Liebe zu den Frauen anbelangt, so ist mein Bruder so
wunderlich und veränderlich wie nur einer, und wo er nur immer war, in
Paris und Madrid, Wien und Berlin, Mailand und Venedig und so weiter,
allenthalben mußten ihm seine Vertrauten behilflich zur Befriedigung
seiner augenblicklichen Kaprizen sein, und was er auch von ehelicher
Treue, häuslichem Glück, Moralität schwatzen mag, wir wissen, was wir
davon zu halten haben, es ist ihm nur um den äußern Schein, er hat sich
einmal in den Kopf gesetzt, der Welt diese Schwachheiten verbergen zu
wollen, und doch spricht man in allen Salons davon, und Josephine kennt
sie wohl, hat ihm aber nichts vorzuwerfen, beide haben sich einander
gehörig gehörnt; dabei handelt mein Bruder immer nur nach der
augenblicklichen Eingebung seiner Laune, bald ist er freigebig bis zur
Verschwendung, bald wieder filzig geizig, freundlich oder mürrisch,
anscheinend teilnehmend oder kalt abstoßend.« -- Noch einige Zeit fuhr
Pauline mit der Schilderung Napoleons fort, ging dann auch auf mehrere
ihrer Geschwister über und pflichtete dem Kaiser bei, >daß Joseph ein
Weib unter seinen Brüdern und Karoline ein Mann unter seinen Schwestern
sei<; »denn,« fuhr sie lachend fort, »mein Bruder Joseph wäre eine gute
sanfte Hausfrau und meine Schwester Karoline ein tüchtiger Dragoner
geworden. Lucian ist aber ein eigensinniger Starrkopf, Ludwig zu gut für
die Welt, Jérôme ein Manequin, Elise aber ist zur Fürstin geboren und
Bacciochi eine Null; daß man mich die Etourdie nennt, weiß ich recht
gut, aber es ist nicht meine Schuld. Was wollen Sie, mein Temperament
ist einmal so, und dann hat uns die Mutter alle verzogen.« Als einmal
die Rede auf die unglückliche Maria Antoinette kam, erzählte sie mir,
daß das plötzliche Grauwerden der Königin, von dem man so viel
gesprochen, eine Fabel sei, indem sie schon längst graue Haare gehabt,
die täglich mit schwarzfärbender Pomade eingerieben worden seien, die
sie sich aber, einmal in der Conciergerie, nicht mehr verschaffen
konnte, worauf natürlich sogleich die Haare ihre natürliche graue Farbe
angenommen; dies Geheimnis habe eine ihrer Kammerfrauen ausgeplaudert.
-- Ich wurde endlich in Gnaden und mit dem Wunsch einer guten Besserung
und baldigen Wiederherstellung entlassen.

Als sich Napoleon nach seiner Reise zum erstenmal wieder in der großen
Oper mit seiner Gemahlin sehen ließ, wurde das neue prächtige Ballett
>Perseus und Andromeda< gegeben. Das Schmettern der Trompeten, das Toben
der Pauken und Fanfaren, das Geschrei: »_Vive l'Empereur!_« und »_Vive
l'Impératrice!_«, letzteres aber sparsamer, wollte gar kein Ende nehmen.
Im Théàtre français hatte aber bald darauf das kaiserliche Ehepaar an
zwei Stunden auf sich warten lassen und das Publikum deshalb seine
Unzufriedenheit ziemlich laut zu erkennen gegeben. Den andern Tag
enthielt das »Journal de l'Empire« einen Verweis für die Schauspieler,
weil sie nicht zur gehörigen Zeit angefangen hatten; hätten sie es aber
getan, würde ihnen ein ganz anderes Donnerwetter über den Kopf gekommen
sein. Um diese Zeit fuhr Napoleon mit Marie Louise zum erstenmal nach
Versailles, wo er ihr das Schloß, den Park, die beiden Trianons zeigte
und äußerte, er wolle dies alles in seiner früheren Pracht und
Herrlichkeit wiederherstellen lassen und noch neue Anlagen hinzufügen.
-- Es blieb bei der Äußerung.

Der Kriegsminister gab den Neuvermählten ein großes Fest in seinem Hotel
in der Straße Lille, wobei auch ein Gelegenheitsstück und ein Ball
gegeben wurde. Eines der merkwürdigsten Feste war jedoch das, welches
die Garden ihrem Herrn und Gebieter gaben, zu dem jeder Gardist sechs,
ein Korporal zwölf, jeder Sergeant vierundzwanzig, jeder Sergeant-Major
sechzig, ein Leutnant sechshundert, ein Kapitän fünfzehnhundert und die
Stabsoffiziere drei- bis sechstausend Franken beitrugen. Der Marschall
Bessières war, als Kommandant der Gardekavallerie, Anordner, das
ungeheure Marsfeld der Hauptschauplatz desselben und zu diesem Behuf
besonders hergerichtet worden. Was für Schauspiele wurden nicht seit dem
Beginn der Revolution schon auf diesem einzigen Platz aufgeführt, und
wer waren die Hauptakteurs? -- Auch dieses Fest begann an einem Sonntag,
den 24. Juni. Wenigstens drei Vierteile der Bevölkerung von Paris
wohnten demselben bei. Monate hatte man an den Zurichtungen gearbeitet.
Um Mittag wurde die ganze übrige Garnison der Stadt Paris, nahe an
dreißigtausend Mann, von den Garden unter Zelten bewirtet, und jetzt
erschien das Marsfeld ein endloses fröhliches Lager. Um drei Uhr
verschwand das Lager, und nun begannen Spiele und Tänze aller Art. In
den Alleen, welche den Platz umgaben, waren Zelte mit Büfetts, die alle
möglichen Erfrischungen enthielten, Marionettenbuden und so weiter
aufgeschlagen. Nach sieben Uhr, nachdem bereits der Kaiser mit seiner
Gemahlin eingetroffen war und nebst ihrem höchsten und hohen Gefolge in
einem zu diesem Zweck errichteten Pavillon Platz genommen hatten,
begannen die Wettrennen der Pferde und Wagen, welche dreimal die innere
Bahn des Marsfeldes in Gegenwart von nahe an vierhunderttausend
Zuschauern zurücklegten. Mehrere Wagen vollendeten in weniger als sieben
Minuten ihren Kreislauf, die Pferde in noch kürzerer Frist, und die
Sieger erhielten schöne Preise. -- Als es Nacht wurde, zündete Marie
Louise den Dragon (ein zur Entzündung des Feuerwerks bestimmter Drachen)
vermittelst einer Feuerlanze an, und augenblicklich stand ein ungeheurer
Wald, den das Feuerwerk in einem weiten Halbkreis vorstellte, in
Flammen, in der Tat ein wunderartiger Anblick. Zwei schöne
Seiltänzerinnen, als Genien gekleidet, bestiegen nun ein auf hohen
Masten gespanntes Seil und schienen so zwischen Feuer, Rauch und Wolken
in den Lüften zu schweben, während Tausende von Raketen und Leuchtkugeln
sie umgaben, was eine höchst magische Wirkung hervorbrachte. An einem
Feuerpalast las man die Worte: »_A Napoléon et Marie Louise._« Eine
große Girandole, von der Artillerie der Garde, die überhaupt das ganze
Feuerwerk besorgt hatte, ausgeführt, beendigte das feurige Zauberspiel,
und nun begann der Ball. Zwei unermeßliche Säle hatte die Garde zu
diesem Zweck in den zwei Höfen der Militärschule aufbauen lassen; der
auf der linken Seite war zum Tanz und der auf der rechten zum Bankett
bestimmt, beide auf das zierlichste ausgeschmückt. In dem Tanzsaal war
ein Thron für die kaiserlichen Majestäten errichtet, die königlichen
mußten sich mit Fauteuils begnügen. Ringsherum waren amphitheatralische
Sitze für nicht weniger als viertausend Damen auf sieben Stufen
angebracht, hoch hinter diesen war wieder eine Galerie für Herren.
Sechsunddreißig reich drapierte, mit Festons von Lorbeeren und Myrten
umwundene _faisceaux_, die in schimmernden Stahlhelmen mit weißen Federn
endigten und jede ein Wappenschild hatte, trugen des Saales Decke. Die
Draperien waren von weißem Mousselin mit goldenen Bienen; an der Decke
sah man die zwölf Himmelszeichen und andere allegorische Figuren. Sechs
große Gemälde stellten Napoleons Vermählung, dessen Triumph, die
Triumphe Trajans, Augusts, Cäsars und Alexanders Einzug in Babylon vor.
Die vier letzten kontrastierten seltsam mit den beiden ersten und gaben
zu manchen noch seltsameren Bemerkungen Anlaß. Schon der Kostüme wegen
chokierte diese Zusammenstellung; sie waren sämtlich vom
Dekorationsmaler der Großen Oper gemalt. Zweihundert kristallne
Kronleuchter, an Blumengirlanden hängend, an einem jeden über fünfzig
Kerzen brennend, dienten zur Beleuchtung dieses Lokals, und die
zehntausend Lichter spiegelten sich millionenmal in zahllosen Spiegeln
wieder.

Unter den Festen, die Napoleon selbst in St. Cloud oder den Tuilerien
gab, bei denen prächtige Quadrillen aufgeführt wurden und seine
Schwestern eine Hauptrolle spielten, war besonders eines durch das
Kostüm berühmt, welches Pauline, Italien repräsentierend, trug und wobei
sie einen leichten goldenen Helm mit schneeweißen Straußfedern, mit
Agraffen von Diamanten, an deren Kiele die kostbarsten Perlen gereiht
waren, auf dem Haupt hatte, dabei deckte ein kleiner Panzer von
Goldschuppen mit einem brillantenen Gürtelschloß ihren Busen, eine
weiße, goldgestreifte Tunika von indischem Mousseline fiel über die Knie
herab, purpurne goldgestickte Halbstiefelchen deckten die Füße, und die
Arme waren bloß. Man wußte nicht, sollte man eine Minerva, eine Venus
oder eine Johanna d'Arc aus ihr machen, auf jeden Fall war es aber eine
ideal schöne Erscheinung, besonders für die, welche sie nicht genauer
kannten.

Die Reihe dieser Feste beschloß das höchst tragische, welches der
österreichische Gesandte, Fürst Schwarzenberg, den 1. Juli der Tochter
seines Souveräns und deren Gatten gab. Auch zu diesem hatte ich mir
durch hohe Protektion eine Einladung verschafft, und Fürst Y., den das
Zipperlein von den meisten Feierlichkeiten zurückgehalten hatte, wollte
durchaus dieser letzten beiwohnen. Den ganzen Tag fesselten ihn jedoch
unausstehliche Schmerzen an sein Ruhebett, und es wollten weder
Einreibungen noch sonstige Mittel helfen, die fortwährend angewandt
wurden, um ihn wenigstens für diesen Abend noch gangfähig zu machen.
Einigemal versuchte er aufzustehen und zu gehen, aber die Schmerzen
ließen es nicht zu, erst abends nach acht Uhr gab er alle Hoffnung auf,
das Fest durch seine Gegenwart verherrlichen zu können; es tat's halt
nicht, und mit Wimmern und Fluchen kroch er, nachdem er den letzten
Versuch gewagt, wieder zu seinem Lager. Ich war bis zum letzten
Augenblick vor dem Beginn des Festes noch bei ihm, versprach ihm einen
getreuen Bericht von demselben abzustatten und suchte ihn zu trösten. --
»Sie haben gut reden,« sagte er, »Sie lassen kein Vergnügen ungenossen
vorübergehen, während ich hier Jammer und Trübsal blasen muß und es vor
Schmerzen kaum auszuhalten vermag.« -- »Aber was ist dabei zu machen,
Durchlaucht? Sie können, sobald Sie wieder besser sind, alles nachholen
und selbst die schönsten Feste geben, zu deren Verherrlichung ich nach
Kräften beitragen will.« -- Ich war froh, als ich endlich zur Türe
hinaus war und fuhr in die Straße Montblanc (_Chausée d'Antin_), in
welcher Fürst Schwarzenberg das alte Hotel Montesson bewohnte, ein
geräumiges Gebäude mit einem großen Garten und Hof. Da sich aber in
demselben kein Saal befand, der die zahlreichen Gäste alle hätte
aufnehmen können, hatte der Fürst einen großen Ballsaal nebst einer
Galerie von Holz eigens zu diesem Fest erbauen lassen; der Saal war sehr
reich mit Stoffen, Blumen und andern Verzierungen dekoriert und
drapiert. Alle in Paris anwesenden königlichen und fürstlichen Personen,
sowie die übrigen Gäste, weit über tausend, unter denen namentlich viele
Österreicher in zwar sehr reichen, aber ziemlich geschmacklosen
Kostümen, waren bereits versammelt, als die Gardegrenadiere, die für
diesen Abend hier eine starke Wache lieferten, unter das Gewehr traten,
_aux champs_ schlugen und dadurch die Ankunft des kaiserlichen Paares
verkündeten, das von Schwarzenberg und Metternich am Eingang empfangen
wurde. Man führte sie in den schön erleuchteten Garten, wo Gesänge und
österreichische Nationaltänze unter Begleitung rauschender Musik von den
Künstlern der Großen Oper aufgeführt wurden. Auch sah man wieder eine
Nachahmung des Schlosses Laxenburg, und das Feuerwerk spielte auch hier
eine Hauptrolle, zündete aber, gleichsam als wollte es ein Vorspiel zu
dem furchtbaren Drama, das bald darauf folgen sollte, geben, schon ein
Gerüst an, das bald anfing, in Flammen aufzulodern, die jedoch mit Hilfe
der Pompiers schnell wieder gelöscht wurden. Nun begaben sich sämtliche
Gäste in den Ballsaal zurück, über dessen Eingang eine Aufschrift in
deutscher Sprache angebracht war, über deren Inhalt sich die Franzosen
die Köpfe zerbrachen und ihre Glossen machten, selbst Napoleon schien
das Deutsche nicht zu behagen, und er zuckte bei dem Anblick der ihm
unverständlichen Worte die Achseln.

Der Ball wurde mit Kontertänzen, welche der Vizekönig von Italien, König
Hieronymus, Fürst Esterhazy, die Königin von Neapel, die Fürstin Pauline
von Schwarzenberg und so weiter aufführten, eröffnet, worauf eine
Ekossaise folgte, während welcher das kaiserliche Paar in dem Saal
herumspazierte. Ich stand so ziemlich in der Mitte der Kolonne, mit
einer Hofdame der Königin von Neapel tanzend, als plötzlich eine Flamme
an einer Draperie aufloderte, und kaum sah man sich darnach um, so
brannte auch schon ein Teil der Decke, noch wurden einige Pas gemacht,
als die Musikanten bereits die Flucht ergriffen, und ehe man es sich
versah, brannte es hier, da und dort, vor und hinter einem, links und
rechts und in allen Ecken, überall schlugen die Flammen hoch empor, und
es entstand eine Verwirrung, ein Tumult, ein Geschrei, ein Drängen und
Drücken, das unbeschreiblich war. Viele Offiziere umgaben schnell
Napoleon und zogen ihre Degen, indem sie fürchteten, daß dies das Signal
zum Ausbruch einer großen Verschwörung sei, wie es das Ansehen hatte.
Was man auch sagen mag, so habe ich die Überzeugung, daß dieses Feuer
geflissentlich angezündet wurde, denn nur zu deutlich nahm ich wahr, daß
die Flammen an drei bis vier Orten zugleich emporschlugen, und zwar an
ganz entgegengesetzten Winkeln, und es war sehr leicht, die Draperien an
einer oder der anderen Stelle unbemerkt anzuzünden, während jedermann
seine Augen auf die zuerst auflodernde Flamme gerichtet hatte. Eine
Verschwörung war es nicht, aber ich habe die moralische Überzeugung und
wollte darauf schwören, daß der Vorfall dem Haß gegen Marie Louise und
gegen diese Heirat seinen Ursprung zu verdanken hatte. Diese Meinung,
welche viele mit mir teilten, ließ man natürlich nicht aufkommen,
sondern von seiten der Regierung wurde alles aufgewandt, einen solchen
Verdacht zu unterdrücken, sowie überhaupt die Meinung, daß das Feuer
absichtlich angezündet worden, was bei den Fesseln, in denen damals die
Presse und die freie Rede lag, leicht war; weshalb auch keine andere
Untersuchung als die gegen die armen Spritzenleute veranstaltet werden
durfte, die denn doch getan, was nur immer in menschlichen Kräften
stand. Marie Louise hatte ihren Sitz schon wieder eingenommen, als der
Brand ausbrach, Napoleon war schnell zu ihr geeilt und führte sie durch
die Gartentür fort. Kaum hatte er den Saal verlassen, so stieg die
Unordnung auf das höchste, alle und jede Rücksichten verschwanden,
jedermann war nur noch auf seine Rettung bedacht, und Könige und
Königinnen mußten Rippenstöße hinnehmen, wurden zurückgedrängt oder auf
die Seite geschoben, und ehe noch die Hälfte der Anwesenden den Saal
verlassen hatte, stand dieser schon in hellen Flammen, die Kronleuchter
stürzten einer nach dem andern herab, denen schnell Dielen und Balken
folgten. Zwar wurden große Wassermassen auf den Brand gegossen, diese
lösten sich aber augenblicklich in Dampf und Dunst auf, und es war an
keine Rettung des Baues mehr zu denken. Auch ich hatte mich
rücksichtslos hinaus und in den Garten gedrängt, von wo aus sich das
gräßliche Feuerwerk furchtbar schön ausnahm, hier aber waren Verwirrung
und Tumult womöglich noch größer als im Saal selbst, aus dem brennende
Damen flüchteten oder herausgeschleift und dann mit kotigem Wasser
begossen wurden. Alles lief und rannte durcheinander, seine Angehörigen
suchend, sie nicht findend, und von niemand eine tröstliche Antwort
erhaltend. Dabei drängten sich die Hilfe leistenden Diener und Pompiers,
alles, was ihnen in den Weg kam, weder Krone noch Sterne achtend,
rücksichtslos auf die Seite stoßend, durch die wehklagenden Massen, und
die Damen rannten mit ihren Flittern, Flor- und Blondenkleidern, viele
mit Brandflecken oder halbverbrannter Kleidung umher, ihre Männer oder
Väter suchend. Das Flammen- und Rauchmeer wütete fort, und in kaum einer
kleinen halben Stunde war die ganze, prächtig zusammengezimmerte und
ausgeschmückte Herrlichkeit ein Raub des Feuers, das trotz aller Hilfe
der Spritzen schon das Hotel des Gesandten selbst ergriffen hatte.
Napoleon war unterdessen, nachdem er seine junge Gattin in Sicherheit
gebracht, auf den Schauplatz des Unglücks zurückgekehrt, und nur der
äußersten Anstrengung der Spritzenleute und der jetzt auf zwei
Bataillone verstärkten Garden gelang es, das Hotel vor der gänzlichen
Zerstörung zu retten. Der Kaiser leitete nun selbst die Löschanstalten,
befahl die Entfernung aller müßigen Zuschauer und ging mit dem vor
Todesangst schwitzenden Polizeipräfekten, dem Grafen Dubois, eben nicht
zum glimpflichsten um. Der durch den Mordkriegsrat, den er präsidierte
und der den Herzog von Enghien erschießen ließ, bekannte General Hülin
mißhandelte in Gegenwart Napoleons, wahrscheinlich um dessen Zorn von
sich abzuleiten, den armen Spritzenmeister, der ein Gott hätte sein
müssen, wenn er die Flammen nach des grimmigen Kaisers Willen hätte
bezwingen können, tätlich auf das empörendste und nichtswürdigste, so
daß mir, der nur in geringer Entfernung davon stand, das Blut in den
Adern kochte. Noch im Kerker mußte der Unglückliche der Ableiter der
kaiserlichen Zornausbrüche sein. Das Schrecklichste aber waren die
verbrannten, zum Teil tödlich verwundeten Personen, die hier verunglückt
waren. Die Fürstin Pauline von Schwarzenberg hatte, wahrscheinlich ihre
Tochter suchend, in den Flammen den Feuertod gefunden und wurde lange
vergeblich von ihrem trostlosen Gatten und den Dienern gesucht, die
Königin von Neapel hätte um ein Haar ein gleiches Schicksal gehabt, der
Großherzog von Würzburg war ihr Retter; die schöne Vizekönigin von
Italien, Prinzessin Auguste von Bayern, rettete sich auch glücklich mit
ihrem Gemahl durch eine kleine Tür, als schon die halbe Decke des
brennenden Saales eingestürzt war. Die Fürstin von der Laien und die
Generalin Toussaint starben kurze Zeit nach dem Unglück unter den
fürchterlichsten Schmerzen an ihren Brandwunden. Ein gleiches Schicksal
hatte die Gemahlin eines russischen Konsuls, und der russische Gesandte
selbst, Fürst Kurakin, dankte seine Rettung nur dem damals schon durch
seine außerordentlichen Kuren berühmten Doktor Koreff, der ihn auch
völlig wiederherstellte, denn er war so beschädigt, daß man lange an
seinem Aufkommen zweifelte. In allem waren mehr denn sechzig Personen,
besonders Damen, mehr oder minder schwer verwundet und verbrannt. Dieses
gräßliche Trauerspiel endigte würdig mit einer entsetzlichen
Naturerscheinung, nämlich mit einem so furchtbaren Gewitter, wie ich
mich nicht entsinne, ein ähnliches erlebt zu haben; Blitz auf Blitz und
Schlag auf Schlag folgten so allgewaltig, daß der unaufhörlich rollende
Donner die Welt zu erschüttern schien. Endlich entlud sich dasselbe in
einem Wolkenbruch ähnlichen Platzregen, der nach und nach den Rest der
Feuerglut löschte, als bereits der Tag anbrach. Napoleon war, sobald dem
Feuer Einhalt getan und die weitere Gefahr beseitigt war, zu seiner
besorgten Gattin nach St. Cloud zurückgekehrt, wo er äußerst
niedergeschlagen angekommen und ausgerufen haben soll: »_Quel terrible
fête!_« Die Garden hatten unterdessen auf der Brandstätte ihr Biwak
aufgeschlagen und verzehrten mit gutem Appetit die köstlichen Speisen
und Schüsseln, die den Gästen zugedacht gewesen und die sie ohne dies
Unglück nimmer gekostet haben würden. Den anderen Morgen fand man unter
den Brandtrümmern eine Menge Schmuck, Degen, Armbänder, Halsgeschmeide,
Diademe, Brillantschnallen, Knöpfe und so weiter, aber der gräßlichste
Fund war die ganz verbrannte, halbverkohlte Leiche der Fürstin
Schwarzenberg, die der Doktor Gall in des Platzkommandanten Gegenwart
auffand und die man nur an einem Halsband erkannte, das die Namen ihrer
Kinder trug.

Welches Aufsehen diese schreckliche Begebenheit in Paris machte, ist
unbeschreiblich. Da haben wir's, hieß es, dies sind die ersten Folgen
der Verbindung mit Österreich, es wird noch besser kommen. Und jedermann
glaubte an eine tiefangelegte Verschwörung, welche dieses Fest hätte
benutzen wollen, um die ganze bonapartistische Familie auf einen Schlag
zu vernichten; dies war nicht der Fall, wohl aber war das Feuer
böswillig angezündet worden, sei es nun von Anhängern der Bourbonen, von
der republikanischen Partei oder auch nur aus Haß gegen Österreich. In
Paris und ganz Frankreich zweifelte niemand daran als die Regierung, in
deren politischen Kram es taugte, eine solche Meinung durchaus nicht
aufkommen zu lassen. Ich war bis zum hellen Tag auf der Brandstätte
geblieben, hatte löschen helfen und ermüdet teil an dem Biwak der Garden
genommen. Welch ein Fest! Der Aberglaube sah es wenigstens als eine sehr
schlimme Vorbedeutung an, und das große Unglück, das bei den
Vermählungsfeierlichkeiten Ludwigs XIV. und Maria Antoinettes
stattgefunden, kam jedermann ins Gedächtnis. Die feierlichen Begräbnisse
der Verunglückten, beinahe ein paar Dutzend, diejenigen inbegriffen, die
noch später unter unsäglichen Schmerzen an ihren Brandwunden starben,
erfüllten die Gemüter aufs neue mit Trauer. Napoleon selbst war durch
diese Begebenheit sehr angegriffen und gab sich düsteren Ahnungen hin.
Als ich den anderen Tag zu dem Fürsten Y. kam, empfing er mich mit den
Worten: »Nun, und Sie sind unversehrt davongekommen? -- Unkraut vergeht
nicht!«

»Eure Durchlaucht können von Glück sagen und sich bei dem Podagra
bedanken, denn Sie wären wahrhaftig bei lebendigem Leibe verbrannt.«

»Hu! mich schaudert, wenn ich daran denke.«

»Was Sie gestern noch als Tücke des Schicksals verfluchten, zeigt sich
heute als wohlwollendes Geschick des Himmels. So ist's in diesem
sublunarischen Leben: was wir oft für das größte Unheil halten, ist
nicht selten der Anker unseres Heils.«

Ich mußte dem Fürsten alle Details der schauerlichen Begebenheit
ausmalen; gewiß ist es, daß er, der kaum mit Hilfe einer Krücke in der
Stube herumhinken konnte, unfehlbar verbrannt wäre, wenn er dem Fest
beigewohnt hätte. Fürst Kurakin hatte seine Rettung hauptsächlich seinem
goldenen Rock mit Diamantknöpfen zu danken, der ihn wie ein Harnisch
gegen Flammen und Kohlen schützte, und es wurde so dem Doktor Koreff mit
noch anderer Hilfe möglich, ihn aus der Masse zu schleifen, nachdem er
schon gestürzt und mit Füßen getreten worden war.

Dies war das Ende der Vermählungsfeste, man hatte genug daran. Außer dem
Fest, das die Stadt Paris dem Kaiser gegeben, hatte sie ihm auch noch
sehr kostbare Hochzeitsgeschenke gemacht, nämlich ein Tafelservice von
Vermeuil von ungeheurem Wert, das später Ludwig XVIII. als dem
Kronschatz zugehörig erklärte. Marie Louise erhielt eine
Toilettegarnitur von erstaunenswerter kunstreicher Arbeit.

Kurze Zeit nach der unglücklichen Begebenheit verbreitete sich plötzlich
das Gerücht zu Paris von der Abdankung des Königs Ludwig von Holland,
das eben nicht geeignet war, die etwas getrübte Stimmung der Franzosen
zu erheitern, denn dieser Bruder Napoleons war auch in Frankreich
geachtet und geliebt. Nach und nach gewann aber der Pariser Leichtsinn
wieder die Oberhand, man vergaß die traurigen Begebenheiten und
unterhielt sich mit Anekdoten und Erzählungen von der neuen Kaiserin,
zum Teil Erfindungen müßiger Salonköpfe, die von Mund zu Mund die Runde
durch ganz Frankreich machten. Sie war übrigens fast nur das Echo ihres
Gatten, den sie, so sehr es sich tun ließ, in allen Stücken nachahmte.
So fragte sie, dessen Beispiel befolgend, die Personen, die ihr
vorgestellt wurden, jedesmal: »Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?«
Diese Fragen hatte sie sich so angewöhnt, daß sie den nämlichen
Personen, so oft diese Audienz bei ihr hatten, dieselben wiederholte.
Ein Gesandter äußerte deshalb einmal: »Die Kaiserin sollte doch endlich
wissen, daß ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe, denn sie
hat mich heute zum zehntenmal darnach gefragt.« Marie Louise hatte eine
sehr frische, fast hochrote Gesichtsfarbe und die Fähigkeit, ihre Ohren
nach Gefallen bewegen zu können; beides gab zu mancherlei Spöttereien
Anlaß, wozu auch die Unerfahrenheit und Unbekanntschaft der jungen
Kaiserin mit den französischen Sitten manchen Stoff liefern mußte. Von
ihren französischen Umgebungen wurde Marie Louise nicht geliebt, sie war
ihnen zu wenig mitteilend, zu kalt, frostig und zeremoniell, unterhielt
sich nie vertraulich mit ihren Damen, weshalb man sie für steif,
unbeholfen und selbst stupid verschrie. Ihre Hauptbeschäftigungen waren:
etwas Klavierspielen, weibliche Tapisseriearbeiten, Reiten, wenn es das
Wetter gestattete, fast immer im Galopp. Dabei sagte man ihr nach, daß
sie sechs Mahlzeiten des Tages zu sich nehme, namentlich sehr viel Creme
esse, überhaupt einen Appetit für drei französische Grenadiere habe und
nicht imstande sei, eine nur einigermaßen geistreiche oder
wissenschaftliche Unterhaltung zu führen oder ihr nur zu folgen, sondern
statt zu antworten mit dem Kopf nicke und höchstens von den
unbedeutendsten Vorgängen im Palast spreche. Hierbei mag nun viel
übertrieben gewesen sein, auch war ihr das Französische nicht so ganz
geläufig. So viel ist aber gewiß, daß das Äußere der jungen Kaiserin
sowie ihr Benehmen besonders für Franzosen viel Abschreckendes hatte.
Ich habe sie nur gesehen, aber fast nie sprechen gehört, freilich kam
ich nie auch nur in die entfernteste Berührung mit ihr.

Unterdessen hatte ich noch einige neue Intrigen mit mehreren anmutigen
Pariserinnen angeknüpft, wie man sie bei einiger Gewandtheit und savoir
faire zu Dutzenden daselbst mit verheirateten Frauen haben kann, nicht
so mit Mädchen aus den höheren Ständen, die hier selbst strenger als in
Italien gehütet werden und gehütet werden müssen. Dafür revanchieren sie
sich auf das reichlichste einmal unter der Haube und lassen ihren
Leidenschaften und Kapricen freien Lauf. Einer dieser Damen konnte ich
nur durch den Kamin meine Aufwartung machen, da sie ihr Mann, so oft er
sie allein lassen mußte, einschloß; ein Grund mehr, alles daran zu
setzen, ihn zu hintergehen. Glücklicherweise war der Kamin sehr geräumig
und eine Öffnung in einem oberen Stock in demselben angebracht, durch
die ich mich hinabließ; da es im Sommer war, so wurde ich auch nicht vom
Rauch inkommodiert, doch gab ich diese Kaminbesuche bald wieder auf. --
Noch immer bombardierte mich Miollis mit Briefen und wollte endlich
durchaus wissen, woran er sei; auf seine Veranlassung und Briefe hatte
ich noch eine ziemlich lange Unterredung mit dem Herzog von Feltre, den
ich endlich fragte, ob er nicht glaube, daß durch die Prinzessin
Borghese, mit der ich bekannt sei, der Kaiser für das Gesuch des
Gouverneurs von Rom zu stimmen sei. Clarke erwiderte mir lächelnd: »Ich
und alle Minister haben strenge Befehle, kein Gesuch seiner schönen
Schwester zu berücksichtigen; und was Ihren persönlichen Wunsch, zu den
Garden versetzt zu werden, anbelangt, so würden Sie, wenn ich es
durchsetzte, dennoch einen sehr schwierigen Stand haben. Sie müßten sich
mindestens durch das ganze Korps der Leutnants des Regiments, dem sie
zugeteilt würden, schlagen und würden, so gut sie auch den Degen führen
mögen, endlich doch Ihren Mann finden und noch andere Unannehmlichkeiten
treffen; ich rate Ihnen deshalb als Freund, von diesem Gesuch
abzustehen.« Bei der ersten Gelegenheit teilte ich Paulinen mit, was mir
der Minister hinsichtlich ihrer gesagt hatte. Lachend erwiderte sie:
»Aber das wußte ich schon längst; müssen es denn gerade die Garden des
Kaisers sein?« fuhr sie fort. »Suchen Sie doch lieber zu denen meines
Schwagers Murat zu kommen, die sind ja weit schöner und prächtiger, und
die Offiziere meistens Franzosen; wenn Sie dies wollen, das kostet mich
nur ein paar Worte an Murat, und die Sache ist im reinen.« -- Anfänglich
wollte mir zwar dieser Tausch nicht sehr zusagen, bald betrachtete ich
aber die Sache in einem anderen Licht. Schön war die Garde des Königs
von Neapel, und der Aufenthalt daselbst in mancher Hinsicht dem zu Paris
vorzuziehen. Ich bequemte mich, die französischen Dienste zu verlassen,
und bat die Prinzessin, die nötigen Demarchen zu machen, wozu sie sich
sogleich bereitwillig fand. Sie selbst war indessen wegen einer kleinen
Unart, die sie sich gegen Marie Louise erlaubt hatte, bei ihrem
kaiserlichen Bruder in Ungnade gefallen, so daß sie noch weit weniger
für mich bei ihm hätte wirken können. Sie hatte nämlich eines Tages der
Kaiserin hinter ihrem Rücken allerlei Grimassen gemacht und unter anderm
zwei Finger ihrer rechten Hand, den Zeigefinger und den kleinen,
hörnerartig in die Höhe gestreckt, um so anzudeuten, daß sie Hörner
tragen werde. Marie Louise hatte dies in einem großen Spiegel sowie auch
ihr Gatte bemerkt, der nun voll Zorn seiner Schwester das Erscheinen in
den kaiserlichen Gemächern untersagte.

In der Erwartung meiner baldigen Versetzung besuchte ich die noch nicht
gesehenen Umgebungen von Paris, Bondy, St. Denis, wo ich die Überreste
der in der Revolution verwüsteten königlichen Gräber in der Abtei
daselbst heimsuchte und so weiter.

Eines Abends bemerkte ich in der Oper in einer benachbarten Loge ein
recht freundliches Frauengesicht, das mir sehr bekannt vorkam, ich wußte
aber nicht gleich, wo ich es schon gesehen hatte. Ich lorgnettierte die
Dame, wurde endlich auch von ihr bemerkt, und sie nickte mir lächelnd
zu. Ich begab mich nun während eines Zwischenakts in jene Loge und fand
-- Madame Viriot, dieselbe, die ihr Gemahl vor ungefähr fünf Jahren in
Nancy entführt hatte. Schnell war die alte Bekanntschaft erneuert; ihr
Gatte war wieder in den Militärstand getreten, stand jetzt als Kapitän
bei der Armee in Spanien, und sie lebte bei einer reichen Tante zu Paris
und hatte ein niedliches vierjähriges Mädchen. Ich begleitete sie noch
denselben Abend nach Haus, wurde auf den anderen Tag zum Besuch
eingeladen, wobei sie mich der Tante als einen alten Freund ihres Mannes
vorstellte. Ich suchte mich bei der alten Dame durch Artigkeiten zu
insinuieren und war bald im Haus gern gesehen und Hahn im Korb, solange
ich noch zu Paris verweilte.

Ende Juli hatte Napoleon für gut befunden, den Parisern zur Abwechslung
auf seine Vermählungsfeierlichkeiten ein höchst pomphaftes und
prunkendes Trauerfest zu geben, nämlich die Leichenfeier des bei
Eßlingen gebliebenen Marschalls Lannes, dessen irdische Reste im
Pantheon beigesetzt wurden. Das Gepränge dieser Zeremonie war
außerordentlich. Mehrere Tage wehte eine schwarze, weiß eingefaßte Fahne
von der Kuppel des Pantheons, in dem Tempel selbst war ein Katafalk in
Form einer hohen Pyramide errichtet, an deren vier Ecken die Bildsäulen
der Mäßigkeit, der Klugheit, der Gerechtigkeit und der Stärke angebracht
waren, ihre Spitze krönte eine Urne mit einer eisernen Krone. Medaillen,
die ausgezeichnetsten Taten des Marschalls darstellend, wurden von
Genien gehalten, unter der Pyramide stand der Sarkophag, bereit, die
Leiche des Verblichenen aufzunehmen. Auf den Stufen ringsherum brannten
unzählige Kerzen auf silbernen Kandelabern. An den beiden Seiten des
Altars sah man die Bildsäulen des heiligen Ludwig und des heiligen
Napoleon, die ganze Kirche war mit schwarzen Teppichen belegt und
behängt, auf der schwarz drapierten Kanzel saß ein kolossaler Adler, für
den Erzkanzler hatte man einen Sitz von Ebenholz, mit silbernen Sternen
und Fransen verziert, errichtet. Alle Sitze der Kardinäle, Bischöfe, der
Behörden und so weiter waren auf ähnliche Weise geschmückt; auch alle
Fenster waren schwarz behangen, mit weißem Saum. Von dem endlosen Zug
aller Zivil- und Militärbehörden gefolgt, wurde die Leiche des
Marschalls vom Hotel der Invaliden in das Pantheon mit großer
Feierlichkeit und mit imponierender Trauermusik gebracht; auf dem Sarg
lag der Marschallsstab, das Wappen und Lorbeerkronen. Achtzehn silberne
Grabeslampen hingen an gleichen Ketten an dem Feinde abgenommenen Lanzen
herab; überall waren Trophäen von eroberten Waffen und Fahnen
angebracht. Die Waffen des Toten nebst Siegespalmen hielten zwei über
dem Altar schwebende Renomeen in der Hand. Über ihnen las man die Worte:
_Napoléon à la memoire du Duc de Montebello, mort glorieusement aux
champs d'Essling, le 22. Mai 1809._

Das Konservatorium führte eine großartige Trauermusik auf, die von Zeit
zu Zeit durch die Töne der schwarz verhüllten Orgel unterbrochen wurde;
hierzu hatte man die herrlichsten Kompositionen Mozarts gewählt. Der
Trauerwagen, auf dem die Leiche gebracht wurde, war mit vier Faszes, aus
Fahnen bestehend, welche das von Lannes befehligte Armeekorps erobert
hatte, geschmückt. Der ganze Zug bestand aus vier Abteilungen, einer
geistlichen, einer militärischen, einem Trauerzug und einem Ehrenzug.
Bei dem militärischen waren die Truppen aller Waffengattungen, Kanonen
und Pulverkarren, die Tambours, Trompeter und Musikchöre der ganzen
Garnison, die Lüfte mit lugubern Klagetönen erfüllend. Der ganze
Generalstab mit den Fürsten von Neufchatel und Wagram, denen die
Generalität, alle Stabsoffiziere und andere Offiziere folgten, waren an
der Spitze des militärischen Zuges. Bei dem religiösen Zug, der sich vor
dem militärischen bewegte, befand sich die ganze hohe und niedere
Geistlichkeit von Notre-Dame und aller Kirchsprengel von Paris, mit
unzähligen Kirchenfahnen, Kreuzen und so weiter, auch viele Greise und
Kinder aus mildtätigen Anstalten und Pflegehäusern. Vier Marschälle,
unter denen Moncey und Davoust, hielten die Zipfel des Bahrtuchs, auf
beiden Seiten des Wagens trugen Lannes Adjutanten Standarten. Der
Ehrenzug bestand aus des Marschalls leerem Wagen, zu dessen beiden
Seiten wieder zwei seiner Adjutanten ritten; diesem folgten vier
Trauerwagen für die Familie des Verblichenen, diesen die Wagen der
Prinzen, Großwürdenträger, Marschälle, Generalobersten, Minister und
höchsten Behörden. Sämtliche Züge schloß eine starke Abteilung der
Gardekavallerie mit Trauermusik zu Pferde. So lange die Zeremonie
währte, läuteten alle Glocken von Paris, und in kleinen Zwischenräumen
fielen jedesmal dreizehn Kanonenschüsse. Als der Sarg in die Gruft
gesenkt wurde, gab sämtliches Militär Gewehrsalven, und die Legionäre
übergaben ihre Ehrenkreuze dem Großalmosenier, der sie durch den
Erzpriester mit hinabsenken ließ. Davoust hielt eine kurze Rede, in
welcher er die tiefe Trauer des Heeres über diesen Verlust aussprach,
und nachdem der Erzkanzler eine zum Andenken an diese Totenfeier
geschlagene Medaille dem Sarge folgen ließ, war sie beendigt, und die
Truppen zogen mit lustig klingendem Spiel wieder ab. In ganz Frankreich,
Italien und wo französische Truppen standen, wiederholte sich diese
Totenfeier, durch welche Napoleon der Welt beweisen wollte, wie sehr er
seine Helfershelfer zu ehren wisse, hauptsächlich um dadurch auf das
Militär zu wirken.

Wenige Tage später gab die am Napoleonsfest, den 15. August 1810,
erfolgte Vollendung der Siegessäule auf dem Platz Vendome, die man zum
Ruhm der französischen Armee im Jahre 1806 begonnen hatte und die eine
Nachahmung der Trajanssäule zu Rom ist, den Parisern abermals Stoff zur
Unterhaltung und zu Festivitäten. Die zweihundertundzwanzig Fuß hohe
Säule wurde aus eintausendzweihundert, den Österreichern und Russen 1805
abgenommenen Kanonen errichtet und stellte nach Art der römischen die
hauptsächlichsten Taten der Franzosen aus dem Feldzug von 1805 dar; sie
steht auf der Stelle, wo die während der Revolution zertrümmerte
Bildsäule Ludwig XIV. stand. An zwei Millionen Pfund Erz sind zu dieser
Säule verwendet worden. Auf einer in ihrem Innern angebrachten
Schneckentreppe gelangt man zu ihrer Spitze, auf die Napoleons zehn Fuß
hohe Statue gestellt wurde.

Am 25. August, denselben Tag an dem man früher das Fest des heiligen
Ludwigs feierte, fand jetzt das der Marie Louise statt und wurde zum
erstenmal mit außerordentlicher Pracht und großer Ostentation begangen.
Einige Tage darauf hielt Napoleon im Bois de Boulogne Musterung über die
holländischen Garden, die er nach Paris beordert hatte, und die hierauf
in dem Gehölz so gut bewirtet und namentlich mit Wein so reichlich
versehen wurden, als sie nur Lust zu trinken hatten, was für die Pariser
abermals ein neues Schauspiel war, das aber wieder ein sehr schmutziges
Ende nahm. Die holländischen Plexums betranken sich _en canaille_,
fingen dann zuerst Stänkereien und Streit unter sich selbst und dann mit
den Zuschauern an, und als ein Gewitter und starker Regen die letzteren
schnell verscheuchte, hielten die Soldaten alle Frauen und Mädchen an,
während sie die sie begleitenden Männer mißhandelten und zum
Zeitvertreib die Bäume des Gehölzes umhieben, wodurch sich einige
hundert kleine Gefechte, die zum Teil blutig ausfielen, entspannen.
Einige der Zuschauer hatten sich nach St. Cloud geflüchtet und daselbst
die fatale Mär hinterbracht. Napoleon geriet in Zorn über die Brutalität
der Holländer und gab Order, sogleich viele und starke Patrouillen
abzusenden, welche die Betrunkenen zur Räson bringen sollten, deren
Anführern er selbst Verhaltungsbefehle gab, um die Ruhe wieder
herzustellen. Ich hatte mich ebenfalls zu Pferd in das Boulogner
Wäldchen begeben, die holländischen Garden tafeln zu sehen, und es
gelang mir, einige Mädchen aus den Klauen dieser Trunkenbolde zu
befreien. Diese Burschen waren nur Bier und Schnaps gewöhnt, der Wein
war ihnen eine gar zu verführerische Neuigkeit. Als die Patrouillen
ankamen, war es schon fast Nacht, und sie würden vielleicht wenig
ausgerichtet haben, wenn sich nicht plötzlich das Gerücht unter den
Soldaten verbreitet hätte, Napoleon selbst sei soeben angekommen, was
die Burschen etwas nüchterner und gelassener machte, dieser hatte jedoch
St. Cloud nicht verlassen. Die unmittelbaren Folgen dieses Gerüchts
waren aber, daß sich die Holländer Hals über Kopf aus dem Staub machten
und eiligst in ihre Kaserne zu kommen suchten, indessen wurden einige
fünfzig verhaftet, und mehrere, die man _en flagrant délit_ ertappt
hatte, wurden streng bestraft.

Um diese Zeit oder bald darauf verbreitete sich auch das Gerücht von der
Schwangerschaft Marie Louisens, und da schon beinahe sechs Monate
verflossen waren, ehe man etwas davon hörte, so glaubte man allgemein
den Hauptzweck von Napoleons Ehescheidung und Wiedervermählung verfehlt
und war um so mehr über diese Trennung und Ehe ungehalten. Ein Teil des
Publikums hielt Napoleon für impotent, während der andere seiner Gattin
Unfruchtbarkeit zur Last legte; ja viele Personen wollten durchaus nicht
an diese Schwangerschaft glauben oder hielten sie für fingiert und
supponierten, daß der Kaiser damit umginge, ein fremdes Kind
unterzuschieben und zu seinem Thronerben zu machen; selbst nach der
Geburt des Königs von Rom gab es noch viele Personen, die denselben für
untergeschoben halten wollten und diese Meinung unter dem Volk zu
verbreiten suchten. Die Ursache, warum Marie Louise nicht früher guter
Hoffnung geworden, soll der zu häufige Gebrauch von Bädern gewesen sein,
die ihr nun untersagt wurden.

Es war Anfangs September, als ich meine Entlassung aus den französischen
Diensten und mein Patent als Kapitän bei der neapolitanischen Garde zu
Pferd, _Cavalli leggieri_, erhielt. Ich hatte besonders darum gebeten,
bei der Reiterei angestellt zu werden, mich deshalb während der letzten
Zeit meines Aufenthaltes zu Paris noch mehr mit den Manövern dieser
Waffengattung vertraut gemacht, und allen Kavallerie-Übungen zu Pferde
beigewohnt. Da jetzt mein Schicksal entschieden war, so eilte ich nun,
Paris zu verlassen, wo es zwar alle Tage etwas Neues, aber auch manche
eben nicht angenehme Neuigkeiten gab. Ich machte meine Abschiedsvisiten,
empfahl mich besonders dem noch immer leidenden Fürsten Y., durch den
ich doch manche vergnügte Stunde gehabt, und ging meiner neuen
Bestimmung entgegen, den Weg über Orleans einschlagend, das ich noch
nicht gesehen und doch gerne besuchen wollte. An Miollis hatte ich schon
geschrieben, ihm die Äußerung hinsichtlich der Prinzessin Pauline
gemeldet, und daß durch diesen Kanal nichts zu machen sei. Von Madame
Bonnier nahm ich ebenfalls Abschied und Briefe an ihre Verwandten zu
Pesaro mit, die ich persönlich zu übergeben versprach, sowie zu
versuchen, daß sie die Dame bis zur Zurückkunft ihres Mannes in ihrem
Schoß aufnehmen möchten, da sie sich so isoliert in dem gefährlichen
Paris befinde. Dem Fürsten Y. tat meine Abreise wirklich leid, auch er
fand sich verlassen in der großen Stadt und hatte sich an meinen Umgang
gewöhnt.




                                  II.

    Reise von Paris nach Neapel. -- Turin. -- Ankunft zu Neapel. --
    Murats Garden und Hofstaat. -- Fehlgeschlagene Expedition gegen
      Sizilien. -- Grausame Maßregeln zur endlichen Vertilgung der
   Briganten in Kalabrien. -- Entstehung der Carbonari. -- Murat. --
        Die Königin Karoline. -- Der Karneval zu Neapel. -- Ein
    italienisches Liebhabertheater. -- Die Festini in San Carlo. --
      Die Marchesa im Schilderhaus. -- Fastenzeit und Osterfeier.
       -- Ein Pistolenduell. -- Don Juan zum erstenmal in Neapel
    aufgeführt. -- Ein Schiff mit englischen Nachtgeschirren von der
   Douane weggenommen. -- Ein Abenteuer in den Gärten zu Caserta. --
     Ein _Souper suspendu_. -- Ein silbernes Ei. -- Ein dreifacher
   Mord. -- Weihnachtsfeier. -- Verbrennung der englischen Waren. --
      Ich falle in die allerhöchste Ungnade und werde nach Tarent
                               beordert.


Ein wenig sonderbar war es mir doch zumute, als ich Frankreichs
Hauptstadt, in der ich so manches Abenteuer bestanden, so manches
Vergnügen genossen, verließ und im Rücken hatte.

Erst in Turin beschloß ich Rasttag zu halten, um meinen etwas
zusammengerüttelten und steif gewordenen Knochen einige Ruhe zu gönnen.
Ich fuhr durch die schnurgeraden Straßen in ein Albergho, wo ich mich
sogleich niederlegte und erst erwachte, als Mittag längst vorüber war.
Ich machte meine Toilette und schickte mich an, die Sehenswürdigkeiten
der schönen Stadt zu besuchen. Die Neustadt ist vielleicht die schönste
Stadt Europas. Von allen Städten, die ich kenne, kann sich nur ein Teil
von Berlin und Nancy mit ihr messen. Zur Nachtzeit werden Schleusen
losgelassen, welche die Straßen reinigen, die dann wie abgewaschen sind.
Die Festungswerke sind bedeutend; die Zitadelle, ein regelmäßiges
Fünfeck, ist eine der stärksten Festen, die es gibt; auch schöne
Promenaden sind in der Nähe der Stadt. Übergroße Müdigkeit und Bedürfnis
nach Ruhe machte, daß ich Turins Herrlichkeiten nur sehr oberflächlich
sah und die meiste Zeit in meinem Zimmer auf einem Ruhebett zubrachte.
Den dritten Tag nach meiner Ankunft setzte ich meine Reise fort. In
Pesaro suchte ich die Eltern der Madame Bonnier auf, denen ich die
Briefe, welche mir ihre Tochter an sie mitgegeben, überlieferte. Sie
wollten anfänglich wenig von ihr wissen und sagten, die Sünde ihrer
Tochter, das Kloster verlassen und geheiratet zu haben, sei ein ewiger
Schimpf für die ganze Familie, eine unvertilgbare Schande, denn so etwas
sei noch nicht erhört worden, so lange es Christen gebe. Ich suchte die
Leute deshalb zu beruhigen und eines Bessern zu belehren, aber meine
Bemühungen halfen wenig, obgleich ich ihnen sagte, daß ich, als
Helfershelfer bei der Geschichte, gerne die ganze Sünde auf mich nehmen
wolle. Indessen brachte ich es endlich doch dahin, daß mir der Vater
versprach, wenn sich eine passende Gelegenheit fände, er in Gottesnamen
sein ungeratenes Kind kommen lassen wolle. Dies war freilich wenig
Zuverlässiges, und ich erwiderte, daß es gewiß besser sei, wenn jemand
von der Familie nach Paris reise, die Dame abzuholen, worauf mir aber
ganz trocken geantwortet wurde, daß dies die Umstände nicht gestatteten.
Ich empfahl mich nun ziemlich frostig, schrieb sogleich an Angelika das
Resultat meiner Bemühungen und gab ihr den Rat, nicht weiter zu ihren
Anverwandten zu verlangen, da dies herzlose Menschen seien, die ihr das
Leben zur Hölle machen würden. Sie befolgte diesen Rat, wurde bald
darauf Witwe, ihr Gatte, den sie nicht wieder gesehen, blieb in der
Schlacht bei Salamanka; 1814 fand ich sie in Lyon als die Geliebte des
Generals Albert, der früher als Augereaus Adjutant eine Anverwandte der
Familie d'Orville, eine Mademoiselle Fuchs, in Offenbach geheiratet
hatte.

In Rom angekommen, stattete ich dem General Miollis mündlich Bericht
über alle in seinen Interessen getanen Schritte ab und setzte ihm die
Unmöglichkeit auseinander, durch die mir eröffneten Kanäle und
Instruktionen die gewünschte Absicht zu erreichen. Andere Demarchen, die
er zu demselben Zweck durch einen Bataillonschef in Paris machen ließ,
hatten noch schlimmeren Erfolg, denn vom Generalstatthalter in Rom wurde
er nun erster Leutnant des Gouverneur _général de Rome_. Ich fuhr, ohne
mich weiter in Rom umzusehen, nach Neapel ab, wo ich gegen Ende
September glücklich ankam.

Mein erstes war, mich bei dem Baron Cäsar Dery, Generalleutnant und
Kommandant der Garde-Kavallerie, zu melden und dann bei dem Baron
Livron, Oberst des Regiments. Bei beiden wurde ich wohl aufgenommen,
worauf ich bei alten Bekannten meine Privatvisiten machte. Helene befand
sich mit ihrem Mann jetzt auf der Insel Capri, wo ich sie einigemal
besuchte, auch kam sie fast jede Woche nach Neapel zu einer Freundin, wo
wir dann intime Zusammenkünfte hatten. Bei dem Regiment waren die
meisten Offiziere Franzosen, namentlich in den höheren Graden, nur
wenige Neapolitaner waren in demselben sowie bei der Garde überhaupt
angestellt. Diese, die _Casa militare del Re_ genannt, bestand damals
aus dem Stab, einem Generalkommandanten der Infanterie, einem der
Reiterei, einem Gardegrenadierregiment, einem Regiment Veliten zu Fuß,
einem Bataillon Voltigeurs, der Ehrengarde (_Guardia d'onore_), den
Veliten zu Pferde, den _Cavalli leggieri_, bei denen ich stand; der
_Gensdarmeria scelta_, der reitenden Garde-Artillerie, dem Train
_d'Artillerie_, dem Genie und der Garde-Marine; auch waren noch
Garde-Veteranen und Hellebarden vorhanden. Der Dienst dieser Truppen war
im ganzen angenehm und nicht sehr beschwerlich, die Garden selbst
standen im guten Ansehen, da sie meistens aus Fremden, hauptsächlich
Franzosen zusammengesetzt waren, auch sehr reiche und kostspielige
Uniformen, drei verschiedene Kostüme hatten. Die Equipierung kostete
viel Geld, und denjenigen Offizieren, die nicht hinlängliche Mittel
hatten, half Murats Großmut; er machte ihnen reiche Geschenke an Pferden
und Geld. Auch der Hofstaat des Königs von Neapel war jetzt überaus
prächtig und glänzend eingerichtet, er bestand aus einem Großmarschall
des Palastes mit vier Palastpräfekten, unter denen der Herzog von
Circella war, einem Gouverneur der königlichen Paläste,
Palastadjutanten, _Marescalli degli alloggi_; Großkammerherr war der
Fürst Colonna mit einem halben Hundert Kammerherren, meistens Principi,
Herzoge, Marquis, Grafen und Barone; ein Großstallmeister mit zwanzig
Unterstallmeistern, gleichfalls Principi und so weiter. Ein
Pagengouverneur mit einem Untergouverneur, ein Dutzend Professoren,
unter denen sogar ein Lehrer der deutschen Sprache, ein gewisser Moser,
war, einige dreißig Pagen, ein Großjägermeister mit einem halben Dutzend
Oberjägermeistern, ein Großzeremonienmeister nebst Zugehör, ein
Kardinal-Großalmosenier, ein Bischof von Nola, Oberalmosenier, dreißig
Almoseniere und Kapläne, aber noch bei weitem nicht genug, um all die
vielen und großen Sünden des Hofes zu absolvieren. Die Königin Karoline
hatte außerdem ihren eigenen Almosenier, den Erzbischof von Tarent; ihr
Ehrenkavalier war Fürst d'Angri, eine besondere Ehrendame eine Dame
d'Atour und ein Viertelhundert Palastdamen, unter denen die berühmtesten
Namen Italiens, wie die Doria, Colonna, Imperiali, Spinelli, Carignani
und so weiter figurierten, die wunderschöne Herzogin von Atri
(Giuglietta Colonna) und die nicht minder schöne Marchesa Cavalcanti,
auch eine Catharina von Medicis waren. Die königlichen Kinder hatten
ihre Gouverneure, Gouvernanten und so weiter, und in diesem Verhältnis
war das zahlreiche Unterpersonal des Hofes organisiert. Zu den größten
Hoffesten und Bällen wurde außerdem der zahlreiche neapolitanische Adel,
die angesehensten Bürger der ganzen Stadt, alle Garde- und andere
anwesende Offiziere gezogen. Außerdem hatte Murat einige dreißig
Adjutanten und Ordonnanzoffiziere, unter den letzteren viele Italiener.
Das Hofleben war in hohem Grad rauschend, üppig, pompös, und die
Toiletten der Damen zeigten eine orientalische Pracht und Verschwendung,
wobei die Königin den Ton angab und in mehr als einer Hinsicht das
Muster war, nach dem sich ihre Damen und die vornehmen Frauen der
Residenz richteten.

Meine Equipierung kostete mich nahe an zehntausend Franken, drei Pferde
inbegriffen. Glücklicherweise hatte ich einen ziemlich vollen Beutel mit
von Paris gebracht, und wenn es fehlte, half Vetter Moritz aus; übrigens
war das Gehalt ansehnlich.

Murat selbst war, als ich in Neapel ankam, noch mit einem Teil der Garde
in Kalabrien; er hatte geraume Zeit vor mir Paris verlassen,
projektierte eine Landung in Sizilien und hatte deshalb bedeutende
Streitkräfte in der Sohle des italienischen Stiefels und der Gegend von
Reggio versammelt. Drei französische Divisionen, eine neapolitanische,
ein großer Teil der Garden, in allem einige zwanzigtausend Mann, waren
bestimmt, das Wagstück zu unternehmen. Lamarque und Partonnaux, welche
unter dem König kommandierten, waren mit ihren Divisionen zur
Einschiffung bereit, nachdem vorher einige teils glückliche, teils
unglückliche Gefechte zur See mit den Engländern stattgefunden hatten.
Am Phar von Kalabrien lagen eine große Anzahl Transportschiffe und
mehrere Kanonierschaluppen vor Anker. Das Heer kampierte an der Küste
der Meerenge von Messina, die Garden und die Reservedivision im Zentrum,
Partonnaux befehligte rechts und Lamarque links von Szilla. Eine
bedeutende englische Seemacht von fünf Linienschiffen, sechs Fregatten,
mehreren Briggs und Kanonierschaluppen hatte sich zwischen dem Phar und
Messina aufgestellt, verursachte der neapolitanischen Marine großen
Schaden und hatte schon manches Konvoie derselben weggenommen oder
versprengt, auch in Amalthea viel Unheil angerichtet. Endlich, nachdem
es, den Engländern zum Trotz, gelungen war, eine hinlängliche Anzahl
Schiffe in der Nähe des Lagers zu vereinigen und die Äquinoktialstürme
den Feind genötigt hatten, sich in die Häfen von Sizilien
zurückzuziehen, bestimmte Murat die Nacht vom 17. auf den 18. September
zur Landung in Sizilien. Drei Regimenter leichter Infanterie, ein
Regiment neapolitanischer Jäger nebst einem Bataillon Korsen wurden
gegen Mitternacht eingeschifft und landeten gegen zwei Uhr Morgens zu
San Stefano in Sizilien. General Cavaignac, der diese Division
befehligte, glaubte, daß ihm der Rest der Armee unmittelbar folgen
würde, griff sogleich alle ihm im Wege stehenden Posten an, von denen
viele aus Engländern bestanden, die mehrere Regimenter in Sizilien
hatten, und marschierte dann mit seiner Kolonne bis Duchessa vor; allein
während er sich mit dem Feind herumschlug, war eine gänzliche Windstille
eingetreten, wodurch sowie durch die Strömungen im Kanal die übrigen
Truppen am Abfahren verhindert wurden. Murat selbst hatte sich
eingeschifft und blieb bis zum Tag in seiner Schaluppe. Vergeblich auf
günstigen Wind hoffend, ließ er endlich den schon übergesetzten Truppen
das Zeichen geben, wieder zurückzukehren. Als der englische General
Stuart, der diese Landung für einen fingierten Angriff hielt, überzeugt
war, daß die anderen Truppen unmöglich nachkommen konnten, ging er auf
San Stefano los, um die ausgeschiffte Division abzuschneiden. Diese
Truppen wurden nun handgemein, und Cavaignac mußte sich vor der großen
Übermacht Hals über Kopf an das Ufer des Meeres zurückziehen, wo man
sich in der größten Unordnung unter dem feindlichen Feuer einschiffte.
Zum Unglück war ein großer Teil der Transportschiffe schon wieder an die
Küsten von Kalabrien zurückgekehrt, und ein Teil der Division, von
Oberst Ambrosia befehligt, mußte die Waffen strecken und sich gefangen
geben. Mit einem Verlust von wenigstens eintausendfünfhundert Mann und
vielen Verwundeten kamen die Übrigen wieder auf dem festen Land an.
Dieser schlimme Ausgang des ersten Landungsversuchs auf Sizilien
entmutigte Murat und die Truppen. Kurz darauf machte ein Tagesbefehl dem
Heer bekannt, daß Napoleons Verlangen bereits ein Genüge geschehen,
indem dessen Absicht nur gewesen sei, die Streitkräfte der Engländer auf
diesen Punkt zu ziehen, um die nötigen Verstärkungen unangefochten nach
der Insel Korfu schicken zu können, und daß vorerst die Expedition nach
Sizilien verschoben werde. Wenige Tage darauf wurde das Lager
abgebrochen, die Schiffe und die Garden kehrten nach Neapel zurück, wo
auch Murat etwas verstimmt und ungehalten ankam. Über die Ursache der so
schnellen Aufgabe dieses Unternehmens wurden mancherlei Vermutungen
ausgesprochen, viele wollten sie einem geheimen Befehl Napoleons
zuschreiben, der nicht gerne sehe, daß sein Schwager allzumächtig würde
und den er schon mit mißtrauischen und neidischen Augen betrachte.
Soviel ist sicher, daß seit jener Zeit ein Mißverständnis zwischen den
beiden Schwägern bestand, das immer mehr Wurzel faßte.

Um dem noch immer in Kalabrien wenigstens teilweise bestehenden
Brigantenunfug zu steuern und ihn endlich auszurotten, nahm die
Regierung Murats ein System an, welches hauptsächlich darin bestand, daß
man die Einwohner Kalabriens selbst für die in dem Gebiet ihrer Kantone
von den Briganten begangenen Untaten verantwortlich machte. Die
regulären Truppen wurden jetzt nur noch dazu verwendet, die Einwohner zu
zwingen, die Insurgenten selbst zu bekämpfen, zu fangen und
auszuliefern, widrigenfalls man sie als deren Helfershelfer ansehen und
bestrafen würde. Diese Maßregeln in Ausführung zu bringen, wurden zehn-
bis zwölftausend Mann in alle Teile Kalabriens verlegt. Das Dekret,
welches deshalb erschien, war sehr streng und grausam, und ließ auch
Spielraum zu ungestrafter Befriedigung der Privatrache. Es wurden Listen
mit Namen von Familien, als des Einverständnisses mit den Briganten
verdächtig, angefertigt, und ein jeder, der ein solches Individuum
tötete oder gefangen ablieferte, erhielt eine Belohnung von zwanzig bis
fünfundzwanzig Dukati, war es aber ein Brigantenchef, so empfing er
fünfhundert Dukati. Wer den Insurgenten oder ihren Helfershelfern irgend
etwas, sei es an Nahrung, Kleidung, Munition, Geld und so weiter
zukommen oder sie entwischen ließ, wurde augenblicklich erschossen. Der
General Manches, ein sehr harter und heftiger Mann, wurde mit der
Vollziehung dieses Dekrets beauftragt und vollzog es ohne alle Schonung.
Die Folgen waren, daß viele Tausende der Einwohner, sich nicht mehr
sicher wähnend oder Privatfeinde habend, nach Sizilien entflohen. Aber
diese harte Maßregel hatte so ziemlich den erwünschten Erfolg; das
Brigantenwesen hörte bald fast gänzlich auf, und man konnte endlich
ziemlich sicher in ganz Kalabrien umherreisen. Freilich waren zahlreiche
Familien das Opfer für ein einziges ihrer Mitglieder geworden, das sich
etwas hatte zuschulden kommen lassen; denn Eltern, Geschwister und
andere Anverwandte mußten das Vergehen des einen büßen. Aber das Land
war doch endlich nach fünf Jahren ziemlich beruhigt; so lange hatte der
grausame Brigantenkrieg gewährt, eine sich ewig erneuernde Hyder, die
unaufhörlich von Sizilien aus alimentiert wurde.

Eines der gefährlichsten Brigantenhäupter war zuletzt der sogenannte
Brigantenfürst Baron Bittiglioni gewesen, der mit großer Verwegenheit in
Salerno sein Wesen trieb, ohne daß jemand geahnt hatte, daß er einer der
Haupturheber der Brigantenstreiche war. Endlich kam man diesem schlauen
Fuchs, der alle Gestalten annahm, doch auf die Spur. Er wurde nebst
mehreren seiner Offiziere aufgehoben und samt seinem ganzen Anhang zum
Tode verurteilt. Viele Individuen aus den ersten Familien zu Neapel
waren mit in diese Geschichte verwickelt, und ihre Häupter traf dasselbe
Urteil. Murat verwandelte jedoch die Todesstrafe in lebenslängliches
Gefängnis oder Kettenschleifen, zehnmal schrecklicher als der Tod. Mit
der Rückkehr des alten Königshauses (1815) wurden aber die noch Lebenden
wieder frei und sogar belohnt.

Ungefähr zu dieser Zeit war es, daß sich in Kalabrien die berüchtigte
Sekte der Karbonari bildete, hauptsächlich durch die erwähnten strengen
Maßregeln sowie durch die abscheulichen Grausamkeiten des General
Manches hervorgerufen, welche die Einwohner zwangen, sich so geheim als
möglich zu verbinden, um dieser Tyrannei das Gleichgewicht zu halten und
ihr wo möglich die Spitze zu bieten. Bald hatte sich dieser geheime Bund
im ganzen südlichen Italien verbreitet und wurde sogar von dem
Polizeiminister Maghella, einem gebornen Genueser, der früher an der
Spitze der Polizei der ligurischen Republik gestanden, unter der Hand
wenn nicht gerade begünstigt, doch geduldet, wenigstens wollte er
durchaus das Bestehen des Bundes ignorieren oder die Sache mindestens
als eine unbedeutende Kinderei dargestellt wissen. Irrig ist es aber,
daß er der Stifter des Karbonarismus gewesen, wie mehrfach behauptet
wurde; ein sizilianischer Edelmann aus Palermo namens Caravante war,
wenn vielleicht auch nicht der erste Gründer, doch zuverlässig der
Stifter und Verbreiter der Sekte in Kalabrien. Noch immer gab es viele
zersprengte Reste der früheren Brigantenbanden, die sich in die
unzugänglichsten Wald- und Bergschluchten, von denen sie allein eine
genaue Kenntnis besaßen, geflüchtet hatten. Diese wurden nun förmliche
Raubmörder und die Plage der Gegenden, in deren Nähe sie sich
aufhielten. Die schon bestehenden Karbonari, deren Zweck jetzt war, das
Land von der fremden Herrschaft zu befreien und ihm eine möglichst
demokratische Verfassung zu geben, wurden vonseiten der Engländer in
Sizilien und der dortigen Regierung möglichst unterstützt und ihnen an
die Hand gegeben, sich der noch in den Wildnissen vorhandenen Briganten
zu ihren Zwecken zu bedienen. Den Namen Karbonari (Kohlenbrenner)
erhielten sie, weil sich die ersten Männer dieser Sekte als solche
verkleidet in Wäldern verbargen und ihrer Sicherheit wegen und dem
Anschein nach dieses Gewerbe trieben; deshalb hatten sie auch ihre
Embleme, Benennungen und geheimen Erkennungszeichen von dem Gewerbe der
Kohlenbrennerei entnommen, nannten ihre Versammlungsorte _Baracca
vendita_ und so weiter, teilten sich nach Art der Freimaurer in
verschiedene Grade, anfangs nur in zwei, später in vier ein, und machten
den heiligen Theo zu ihrem Schutzpatron. Dies war das erste Entstehen
des Karbonarismus, von dem man soviel gefabelt und soviel Albernheiten
erzählt hat, und dessen Ursprung man bald in den Hochgebirgen
Schottlands vor Jahrhunderten finden, bald von deutschen Köhlern,
vielleicht gar von denen, welche den sächsischen Prinzenraub
verhinderten, und ähnlichen Dingen ableiten wollte.

Eine Verordnung, welche Murat zu jener Zeit erließ, um sich durch
dieselbe unabhängiger von Napoleon und selbstständiger zu machen,
besagte, daß in Zukunft alle Ausländer, die in neapolitanische Dienste
treten oder in diesen bleiben wollten, das neapolitanische Bürgerrecht
erwerben müßten. Als dies der Kaiser der Franzosen erfuhr, wurde er
wütend, und dekretierte sogleich, daß allen Franzosen, als Murats
Landsleuten, dieses Bürgerrecht von selbst zustände und sie es nicht
erst zu erwerben hätten, um Zivil- und militärische Anstellungen im
Königreich Neapel bekleiden zu können.

Da ich während meines nun beinahe zweijährigen ununterbrochenen
Aufenthaltes in Neapel Murat und seinen Hof sehr genau kennen zu lernen
Gelegenheit hatte, so will ich hier in Kürze das Wichtigste und
Interessanteste, den König, seine Gattin und die Hofhaltung betreffend,
mitteilen.

Murat wurde im Jahr 1767 zu La Bastide Frontonnière bei Cahors geboren,
einem Dorf im ehemaligen Perigord und dem jetzigen Departement du Lot,
wo sein Vater Gastwirt war und in einigen Geschäftsverbindungen mit der
Familie Talleyrand stand. Kaum konnte der Knabe laufen, so saß er auch
schon auf den wildesten Bauernpferden ohne Sattel und setzte bald mit
diesen über Stock und Stein, Gräben und Hecken. Sein Vater hatte ihn
erst zum geistlichen Stand bestimmt und durch Talleyrands Fürsprache
eine Stelle im Kolleg zu Cahors für ihn erlangt. Hier machte er aber
schon sehr tolle Streiche, und als er von dort nach Toulouse kam, um
daselbst den Priesterrock zu erhalten, verliebte er sich, kaum neunzehn
Jahre alt, in ein hübsches Mädchen, schlug sich, obgleich er schon ein
Abbé-Mäntelchen hatte, um und für seine Schöne, entführte und versteckte
sie und sagte hierauf dem geistlichen Stand Valet. Hierauf half er
seinem Vater eine kurze Zeit in der Wirtschaft, wo er dessen und die
Pferde fremder Fuhrleute in die Schwemme ritt, viel spielte, und zwar so
unglücklich, daß er bald genötigt war, La Bastide zu verlassen. Er nahm
nun als gemeiner Reiter Dienst in dem zwölften Chasseurregiment. Der
Ex-Abbé war einer der schmucksten Kavalleristen im Regiment und wußte
sein Roß so trefflich zu tummeln, daß er bald zum _Maréchal de Logis_
(Sergeant) avancierte. Wegen einer Insubordination gegen einen im ganzen
Korps verhaßten Offizier, einen Gamaschen- und Zopfheld der alten Zeit,
wurde er aber kassiert und mußte das Korps verlassen, brachte wieder
eine Zeitlang bei seinen Eltern zu, deren Gäste bedienend, eilte aber,
nachdem die Revolution ausgebrochen war, nach Paris, wo er Dienste in
der konstitutionellen Garde des Königs nahm, die Partei der
Revolutionären mit allem Feuer ergriff und jeden Tag Händel und
Raufereien deshalb hatte. Kurz vor der Auflösung dieses Korps wurde er
als Unterleutnant zu dem dreizehnten Chasseurregiment versetzt und
zeichnete sich bei demselben fortwährend höchst exaltiert für die neue
Freiheit aus, so daß man ihm den Namen Marat beilegte, den er einige
Zeit führte. Während der Schreckenszeit avancierte er bis zum
Rittmeister, und 1794 wurde er Oberstleutnant. Gleich Bonaparte nach dem
9. Thermidor abgesetzt, wurde er mit diesem bekannt, und mit ihm wieder
angestellt, unterstützte er ihn den 13. Vendemiaire in der Verteidigung
des Konvents. Als Bonaparte Obergeneral der Armee in Italien wurde, nahm
er Murat als seinen Adjutanten mit. Durch ihn überschickte er dem
Direktorium einige zwanzig den Österreichern abgenommene Fahnen, und da
er sich in verschiedenen Gefechten durch seine persönliche Tapferkeit
sehr ausgezeichnet hatte, so ward er nun zum Brigadegeneral ernannt und
auch bei diplomatischen Verhandlungen, wie am Hof zu Turin wegen des
Friedens, zu Genua, wo er es bei dem Dogen durchsetzte, daß dieser den
österreichischen Gesandten auswies und so weiter, verwendet. Noch tat er
sich durch verschiedene glänzende Waffentaten an der Spitze der Reiterei
hervor, war mit Bonaparte auf dem Rastatter Kongreß, wollte durchaus den
dort von den österreichischen Husaren auf höhere Anstiftung an dem
französischen Gesandten schändlich begangenen Meuchelmord auf das
blutigste gerächt wissen, und ging dann nach dem Kirchenstaat ab, dort
ausgebrochene Empörungen zu dämpfen. Bald darauf begleitete er Bonaparte
nach Ägypten, wo er sich abermals sehr auszeichnete, namentlich bei der
Verfolgung der Mamelucken. Bei dem Sturm von Sankt Jean d'Acre verlor er
seinen prächtigen Federbusch, den ihm ein Türke abgeschossen hatte und
den er lange nicht verschmerzen konnte; besonders da ihn die Türken, in
deren Hände er gefallen war, als eine Siegestrophäe betrachteten. Er
rächte sich aber glänzend, indem er Laffel entsetzte, die Schlacht am
Tabor mitgewann und bei den Pyramiden und in der Nähe von Gizeh über
zwölftausend Türken mit seiner Reiterei niedermetzelte von denen einige
Tausend in das Meer gesprengt wurden und in dessen Fluten ertranken,
wobei aber Murat mehrere Wunden erhielt. Mit Bonaparte nach Frankreich
zurückgekehrt, rettete er diesen am 18. Brumaire, indem er mit einer
Grenadierkompagnie in den Rat der Fünfhundert drang und diesen
auseinander jagte. Zur Belohnung all dieser Dienste gab ihm 1808
Napoleon seine jüngste Schwester, die schöne Karoline, zur Frau, und
machte ihn zum Kommandanten der Konsulargarden. Nach der Schlacht von
Marengo, wo er die Reiterei befehligte und viel zum Gewinn derselben
beitrug, wurde er Gouverneur der zisalpinischen Republik und dann 1804
Gouverneur von Paris, wo er sein möglichstes zur Thronbesteigung seines
Schwagers als Kaiser der Franzosen beitrug. Nun wurde er Marschall,
kaiserlicher Prinz und Großadmiral von Frankreich. Im Krieg mit
Österreich 1805 befehligte er abermals die sämtliche Reiterei, schlug
zwölftausend österreichische Grenadiere und nahm sie bei Werdingen
gefangen; den Erzherzog Ferdinand verfolgend, drang er nach Böhmen vor,
ließ abermals zwölftausend Österreicher die Waffen strecken, und hatte
allein zwischen Ulm und Nürnberg ein Dutzend österreichischer Generäle,
ein halbes Hundert Kanonen, anderthalbtausend Wagen und an
zwanzigtausend Mann gefangen. Er war es, der zuerst in Wien einrückte
und dann sehr tätig bei der Schlacht von Austerlitz war. Nun wurde er
(1806) Großherzog von Berg, zeichnete sich abermals im Krieg gegen
Preußen (1807) aus und wurde (1808) zum General _en chef_ über das in
Spanien einrückende Heer ernannt, wo wir ihn bereits kennen lernten. Um
ihn für die spanische Krone, die Murat zu erhalten gehofft, zu trösten,
machte ihn Napoleon zum König von Neapel und dadurch bald zu seinem erst
geheimen, dann offenen Feind. Murat hatte sich in den Kopf gesetzt, daß
Napoleon dem zur Expedition gegen Sizilien bestimmten Anführer der
französischen Truppen geheimen Befehl gegeben habe, diese zu
hintertreiben, und daß deshalb die andern Truppen dem Oberst Cavaignac
nicht gefolgt seien, weshalb er die Entfernung der französischen
Regimenter aus seinem Reich auf das bestimmteste von dem französischen
Kriegsminister begehrte, was ihm aber ebenso bestimmt abgeschlagen
wurde. Er sah jetzt in den in französischen Diensten stehenden Generälen
und Truppen nur noch Aufpasser, Spione und Vormünder, bestimmt, seine
Handlungen zu überwachen und eine Art Obervormundschaft auszuüben; sein
Mißtrauen verleitete ihn deshalb oft zu einem kleinlichen Benehmen, das
ihm in der öffentlichen Meinung außerordentlich schadete. In diesem
Unmut war es, daß er das Gesetz erließ, daß jeder in seinem Reich
Angestellte sich naturalisieren lassen müsse, und worauf sein Schwager
mit dem erwähnten Dekret geantwortet und noch hinzugesetzt hatte, daß --
in Betracht, daß das Königreich Neapel einen Teil des großen Reichs
ausmache, der Fürst, der daselbst regiere, aus den Reihen der
französischen Armee hervorgegangen und durch französisches Blut auf
diesen Thron erhoben worden sei, -- Napoleon dekretiere, daß alle
französischen Bürger von Rechts wegen auch Bürger von Neapel seien. Der
Schlag war geschehen und der Grund zur Feindschaft und zum Haß zwischen
den beiden Schwägern gelegt. Murat legte jetzt sein französisches
Ehrenkreuz und das große Band desselben ab, und zwischen ihm und seiner
Gemahlin, welche leidenschaftlich die Partei ihres Bruders ergriff, gab
es häufig sehr heftige und ärgerliche Auftritte; auch wurde sogar das
Fest zu Ehren des neugeborenen Königs von Rom bis auf weitere Order in
Neapel vertagt. Die Kluft wurde immer größer. Murat wußte, daß ihn sein
Schwager in seinem Zorn, wegen der oft phantastischen Pracht seines
Kostüms, einen Theaterkönig genannt hatte, sowie daß man ihm wegen
seiner Reiterkünste den Namen des Franconi[1] der Armee beigelegt;
selbst zu Neapel hörte man ihn öfters Torniero, der Name eines berühmten
Stallmeisters, nennen. Als sich der Hof mit dem Beginnen des Sommers
(1811) nach Caserta begab, zog sich Murat maulend nach Capo di monte
zurück, um sich dem Anblick der ihm jetzt verhaßten Franzosen, die er
nicht hatte wegbringen können, zu entziehen. Täglich ließ er sich
Polizeiberichte über das Treiben der Fremden einreichen, die er sehr
sorgfältig prüfte und wodurch sich sein Mißmut noch steigerte. In der
Tat war er freilich nur ein Vasall oder Präfekt des großen Reichs. Von
der Königin glaubte er, daß sie geheime Instruktionen von ihrem Bruder
habe, nach denen sie handle.

[Fußnote 1: Ein damals berühmter Kunstreiter.]

Murats Kleidung war allerdings phantastisch genug, ja bisweilen
karikaturenartig. Bald war er als Araber, bald _à la_ Henri IV.
gekleidet. Bald trug er ein reiches polnisches Kostüm, bald war sein
Anzug aus allen möglichen Ländertrachten, aus den verschiedensten Zeiten
zusammengesetzt und so weiter, aber nie durften diamantene Agraffen und
die prächtigsten und kostbarsten Federn fehlen, nie hat man ähnliches
auf irgendeinem Theater gesehen. Sein Säbel oder Schwert hing in
goldenen, mit Brillanten besetzten Ceinturen herab, sein großes stolzes
Streitroß hatte meistens einen türkischen Sattel und eine
reichgestickte, mit Edelsteinen bedeckte Schabracke von der kostbarsten
Arbeit, ebensolches Zaumzeug, Gebiß und Steigbügel von Gold. Seine
Federn und Federbüsche kosteten oft über fünfzigtausend Franken in einem
Jahr. Da er eine schöne Gestalt hatte, vortrefflich ritt und seine
persönliche, an Tollkühnheit grenzende große Tapferkeit allgemein
bekannt war, so verglichen ihn seine Schmeichler oft mit dem Achilles,
ja nicht selten mit dem Kriegsgott Ares selbst, und seine Gegenwart
brachte vor dem Feind immer eine ungewöhnliche Wirkung hervor, so auch
bei vielen Damen, die ihn wie einen Halbgott verehrten; doch gab es auch
andere, selbst an seinem Hof, die ihn als eine großartige Karikatur
betrachteten. Wenn, wie es zur Herbst- und Winterszeit fast täglich der
Fall war, in den Nachmittagsstunden die Königin mit ihrem Hofstaat aus
den Schloßtoren zur Promenade ausfuhr und diesem Wagen dann Murat zu
Pferde mit einer zahlreichen Suite und einer Abteilung der Garde zu
Pferde folgte, so war es, als wenn das wilde Heer den Palast verließ,
denn wie ein Sturmwind jagte der ganze Zug aus den Pforten über den
Schloßplatz, sauste meistens durch Toledo oder nach der Villa Reale zu,
und selten, daß nicht ein oder ein paar Reiter stürzten, über welche
dann die anderen hinaussetzten. Um die Stunde, in welcher diese
höllischen Abfahrten stattfanden, war jedesmal eine große Menge Volk auf
dem Platz vor dem Palast versammelt, das grausig-prächtige Schauspiel
anzustaunen. Ein einziges Mal war auch mir ein Pferd, jedoch nur auf die
Knie gestürzt, erhob sich aber sogleich wieder, und ich raste dem wilden
Zug nach.

Die Königin Karoline, damals achtundzwanzig Jahre alt, war noch sehr
hübsch, obgleich sie schon vier Kinder gehabt, außerordentlich
ehrgeizig, dabei sehr lebenslustig, spann aber ebenso gerne politische
wie verliebte Intrigen, hatte viel Verstand, aber wenig Kenntnisse,
große Charakterstärke und Energie, aber ihre Unwissenheit in
wissenschaftlicher Hinsicht war ebenso groß. Ihr Wuchs war nichts
weniger als majestätisch; sie hatte etwas hohe Schultern, zu kurze Beine
bei zu langem Leibe, auch war sie eben nicht sehr graziös und spöttelte
gerne, wodurch sie sich besonders unter den Hofdamen manche geheime
Feindin machte. Bei den ersten Szenen zwischen ihr und ihrem Gatten ging
es eben nicht sehr königlich zu, beide warfen sich dann gegenseitig ihre
gehabten Abenteuer vor, Murat schimpfte auf seinen Schwager Napoleon,
und Karoline nahm ihren Bruder in Schutz und verteidigte ihn mit großer
Heftigkeit, die nicht selten ins Gemeine ausartete. Dieses Benehmen
hatte auf den ganzen Hof, dem es wohl bekannt war, einen verderblichen
Einfluß, die meisten Herren nahmen Partei für die Königin und die Damen
für ihren Gatten, und es gab Anlaß zu tausend Unannehmlichkeiten und
Intrigen. Murat sagte, daß er nicht unter dem Pantoffel stehen wolle,
und Karoline schrie, daß sie, eine Schwester Napoleons, sich nicht
mißhandeln und unterdrücken lassen werde. Da viele hohe Staats- und
Hofchargen von Franzosen bekleidet wurden, welche die Königin an sich zu
ziehen gewußt, so hatte dies zur Folge, daß Murat sie zu entfernen und
durch ihm ganz ergebene Individuen zu ersetzen suchte, was aber seine
Frau, mit ihrem allmächtigen Bruder drohend, schlechterdings nicht
zugeben wollte; dagegen waren manche der Hof- und Palastdamen der
Königin ein Dorn im Auge, namentlich die schöne Herzogin von Atri und
einige andere, die sie entfernt wissen wollte, was wieder Murat nicht
zugab. Dies machte, daß das Hofleben einen fortwährenden sehr bissigen
Krieg darstellte und oft ein wahres Höllenleben wurde. Napoleon
charakterisierte seinen Schwager in einem Brief, den er an Karoline
schrieb, ziemlich treffend, indem er sagte: »Dein Mann ist auf dem
Schlachtfeld der Tapferste, aber wenn er den Feind nicht vor Augen hat,
schwächer als ein Weib oder ein Mönch, er hat durchaus keinen
moralischen Mut.«

Kurz nachdem Murat von der verunglückten Expedition gegen Sizilien aus
Kalabrien zurückgekommen war, bedankte ich mich in einer erhaltenen
Audienz bei ihm für die mir gewordene Anstellung; es fand sich dabei
Gelegenheit, ihm in Erinnerung zu bringen, daß ich ihn schon zu Madrid
und bei der Einnahme von Capri gesprochen habe, und er entließ mich mit
den Worten: »_Eh bien j'espère que vous ferez votre chemin chez nous._«
Da mir jetzt der Dienst in der Residenz ziemlich viel Muße ließ, so
widmete ich mich wieder mehr der Musik und den schönen Wissenschaften,
las und studierte den Machiavelli und so weiter.

Es existierte auch wieder ein französisches Liebhabertheater, bei dem
mehrere Herren vom Hofe und einige Offiziere und Offiziersdamen, auch
eine der Palastdamen, eine junge Französin, Madame d'Arlincourt,
mitwirkende Teilnehmer waren und das besonders von der Königin
protegiert und besucht wurde. Einigemal übernahm ich Liebhaberrollen bei
demselben und hatte das Glück, auch dem anwesenden Murat zu gefallen. Da
aber die Führung, Zusammensetzung und Austeilung der Rollen mir nicht
zusagte, zog ich mich wieder zurück und war bloß noch Zuschauer;
indessen war ich dadurch in einige nähere Berührung mit den Hofleuten
und Madame d'Arlincourt gekommen, was bald mich weiter führen sollte.

Der Karneval von 1811 war äußerst belebt und glänzend, das Volk überließ
sich dem Taumel dieses Vergnügens in vollem Maß. Toledo wurde von
Masken, maskierten Carri (Wagen) und Reitern nicht leer, ebenso die
anderen Plätze und Hauptstraßen. Es ist Tatsache, daß zu Neapel der
Karneval im ganzen weit lebendiger, tumultuöser und lärmender ist wie
der zu Rom, wenigstens so, wie ich beide sah.

Murat versäumte nichts, der Vergnügungssucht der Neapolitaner zu frönen.
Sämtliche Theater empfingen während seiner Regierung Unterstützungen,
und San Carlo wurde ganz besonders gehegt und gepflegt, die besten
Sänger und Sängerinnen Italiens für die Stagione mit ungeheurem Gehalt
engagiert und Unsummen Geldes auf Kostüme, Dekorationen, Maschinerie und
so weiter verwendet; lange hatten die hiesigen Bühnen keine solche
Glanzepoche gehabt wie jetzt. -- Bei Besuch des französischen
Liebhabertheaters hatte ich Gelegenheit gehabt, den Herrn von
Longchamps, der Kammerherr des Königs und Oberintendant sämtlicher
Theater und Schauspieler war, kennen zu lernen und mich auf einen guten
Fuß mit ihm zu stellen, so daß ich allen Proben beiwohnen und auch
während der Vorstellungen die Bühnen besuchen durfte; auch machte ich
den Vorschlag, einige Ballette in Szene zu setzen, den er mit Dank
annahm. Woran mir aber am meisten gelegen, war endlich, Mozarts
Meisterwerk, den Don Juan, auf die italienische Bühne zu bringen. In
Florenz hatte man auf meine Veranlassung sich dazu entschlossen, aber
nach sechswöchigen Proben die Sache als unausführbar wieder aufgegeben.
Die dortigen Musiker und Sänger hatten übereinstimmend geäußert, diese
Musik sei nicht zum Aufführen geschaffen! -- Als ich dies gehört,
schrieb ich dem dortigen Impressario, dem ich die Sache empfohlen hatte:
»Ihr seid Esel, in Deutschland wird der Don Juan schon seit beinahe
zwanzig Jahren auf allen bedeutenden Bühnen gegeben.« Die Herren wollten
aber alle nach ihrer löblichen Gewohnheit auch diese Musik _ad libitum_
singen und vortragen, italienische Schnörkeleien hineinflechten, das
Orchester sollte ihnen, wie sie es gewohnt, nachgeben, was bei einer
solchen Instrumentation, die mit der größten Präzision ausgeführt werden
muß, unmöglich ist, und so erklärte man die Sache für untunlich und gab
sie auf; dies war mit Ursache, daß ich in Neapel anfänglich mit großen
Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um den Don Juan auf die Bühne
zubringen, was endlich nur ein königliches Machtgebot vermochte, wie wir
bald sehen werden. Longchamps teilte mir eines Tages mit, daß die
Königin gerne ein italienisches Liebhabertheater sich organisieren sähe,
da sie eine besondere Vorliebe für diese, eigentlich ihre Muttersprache
hege, und ihn beauftragt habe, womöglich ein solches zustande zu
bringen. Da ich jetzt das Italienische schon ganz geläufig und
vollkommen gut sprach, so erbot ich mich sogleich, tätigen Anteil an
demselben zu nehmen, was dem Kammerherrn und Intendanten willkommen war,
da er noch niemand wußte, mit dem er das Fach der ersten Liebhaberrollen
besetzen solle. Er übersandte mir ein paar Tage darauf die Titelrolle in
Goldonis Lustspiel >_l'Avventurie_<, mit welchem das neue Theater, das
die Königin auf ihre Kosten sehr elegant im Palast hatte einrichten
lassen, eröffnet werden sollte. Die Sache fiel ganz zur Zufriedenheit
der hohen Beschützerin aus, die sich lobend über unsere Leistungen
aussprach und auf deren Wunsch jetzt mehrere von ihren Damen tätigen
Anteil an diesen Vorstellungen nahmen, unter anderen auch die schöne
Herzogin von Atri und die Marchesa Cavalcanti. Wir studierten nun noch
mehrere Lustspiele von Goldoni und auch einige Dramen ein, wodurch ich
mit den mitwirkenden Hofdamen in vielseitige nähere Berührung kam, und
namentlich mit der Herzogin von Atri, welche die erste Liebhaberin
machte. Eines Tages sprach Longchamps mit mir von unserem Repertoir und
ließ dabei vernehmen, daß die Königin den Wunsch geäußert habe, einige
neue und pikante Sachen, die noch nicht allgemein bekannt seien,
aufführen zu sehen. Ich erbot mich, einige Stücke aus dem Deutschen zu
übersetzen, die sehr interessant und in Italien noch gänzlich unbekannt
seien; mein Antrag wurde mit Dank angenommen, und ich machte mich
sogleich an Schillers Fiesco, eines meiner Lieblingsstücke; da ich
indessen fürchtete, die Feinheiten und Subtilitäten der italienischen
Sprache nicht hinlänglich zu kennen, so suchte ich mir einen Mitarbeiter
oder eine Mitarbeiterin, um das Stück noch zu feilen, und fand sie in
der schönen Marchesa Cavalcanti, die aber auch die Rolle der Eleonore
sogleich für sich in Anspruch nahm und die der Imperiali der Herzogin
von Atri zuteilte, während eine Doria, deren nicht weniger als drei
unter den Palast- oder Hofdamen waren, die Berta machte, die der
Cameriere Rosa und Arabella wurden zwei Offiziersdamen zugeteilt; daß
ich mir die Titelrolle vorbehielt, war sehr natürlich, sowie daß ich sie
auch recht natürlich spielte, den beiden schönen Damen recht _con amore_
meine Liebe versichernd. Nichts war unterhaltender, als die Proben
dieser Vorstellungen, deren wir unzählige veranstalteten, bis das Stück
endlich vollkommen und zu meiner Zufriedenheit einstudiert war, und
während deren ich alle Muße und Gelegenheit hatte, mich mit meinen Damen
zu verständigen, wobei ich es so zu machen wußte, daß eine jede von der
anderen glaubte, diese spiele in Wirklichkeit die Rolle der Imperiali.
Endlich waren wir nach einem Monat des Probierens so weit, daß das Stück
in Szene gesetzt werden konnte. Dies war ein wahrer Festtag für mich,
und noch nie hatte ich die Bretter mit einem so freudigen Gefühl
betreten; die Vorstellung, der der ganze Hof, die Minister, alle
Offiziere und höheren Beamten beiwohnten, fiel über alle Erwartung gut
aus und war auch hinsichtlich des Arrangements und der Kostüme auf das
prächtigste ausgestattet. Der Beifall war fortwährend fast stürmisch,
aber vor allem wurde die Szene des vierten Aktes donnernd applaudiert,
und der Augenblick, wo Fiesco, nachdem ihm die Imperiali mit den Worten:
»_Fiesco t'adoro_« gestanden, wie sehr sie ihn liebe, die Draperien
wegziehend, seine Gemahlin vorführend sagt: »_Mi spiace, signora! Ecco
mia moglie una donna celeste!_« erschütterte das ganze hohe Publikum so
gewaltig, daß es seinem Gefühl mit einem anhaltenden und donnernden
_bravissimo_ Luft machte, was freilich mehr auf Rechnung des
unsterblichen Schiller als der Darsteller zu setzen war. Auch der Mohr
Hassan, dessen Rolle ein neapolitanischer Offizier machte, erntete
großen Beifall. Murat war so entzückt von dem Stück, daß er es dreimal
wiederholen ließ und mich selbst aufforderte, noch mehrere dergleichen
zu übersetzen. Ich machte mich nun an den Don Carlos, aber in Prosa,
wodurch er natürlich verlieren mußte; dennoch gefiel er ungemein.
Freilich war die schöne Cavalcanti eine unvergleichliche Elisabeth sowie
die Herzogin von Atri eine nichts zu wünschen übrig lassende Eboli; den
Posa hatte ich mir vorbehalten. Da auch dieses Stück gefiel, so munterte
mich Murat noch mehr zu ähnlichen Unternehmungen auf, machte mir einen
kostbaren Brillantring zum Geschenk und teilte mich provisorisch seinen
Ordonnanzoffizieren zu, wodurch ich alles anderen Dienstes jetzt
enthoben war und mich ganz der Kunst widmen konnte. Ich übersetzte nun
noch Zschokkes Abällino, Kotzebues Don Ranudo de Colibrados, die
Indianer in England, Pagenstreiche, den Wirrwarr, die Kreuzfahrer, die
mit Hilfe der Feile meiner Mitarbeiterin alle gefielen und wiederholt
werden mußten, und Murat äußerte einmal: »Nimmermehr hätte ich geglaubt,
daß die Deutschen so reich an solchen dramatischen Produkten seien, die
es mit den besten Werken Racines, Corneilles und Molières aufnehmen
können.« Don Ranudo de Colibrados gefiel ihm ganz besonders, er konnte
sich nicht satt daran sehen. Aber damit nicht zufrieden, setzten wir
bald auch Opern in Szene und debütierten auf meine Veranlassung mit
Figaros Hochzeit von Mozart, in welcher ich den Figaro sang und eine
ganz allerliebste Susanna in einer Doria hatte. Bei den Opern waren
jedoch weit größere Schwierigkeiten zu überwinden, und sie kamen daher
nur selten zur Aufführung, dagegen hatte ich mehrere große Ballette
geschrieben und die Musik dazu, meistens deutschen Opernmelodien
entnommen, arrangiert. Murat hatte sich geäußert, daß, sobald sich eine
passendere Stelle für den Oberintendanten Longchamps finden würde, er im
Sinne habe, mir die Direktion der Theater zu übergeben. Auch für die
königlichen Kinder, zwei Prinzen und zwei Prinzessinnen, ließ ich nun
nach meinen Angaben ein kleines Puppentheater anfertigen, das mit einer
bewundernswürdigen, auf Kupferrädern und Stahlfedern laufenden
Maschinerie versehen war, die ein vorzüglicher Mechaniker verfertigt
hatte und wodurch ganze Heere kleiner Soldaten und Reiterei sehr
natürlich in Bewegung gesetzt wurden, alle möglichen Evolutionen und
Schwenkungen machten, auch ein Seesturm mit Schiffbrüchen vortrefflich
dargestellt werden konnte. Die Dekorationen waren alle von dem berühmten
Gioja gemalt. Dieses Theater, das ein paar tausend Dukati kostete,
machte den königlichen Kindern unendlich viel Spaß, und 1815 und 1816
ließ man es sogar für Geld in Paris sehen.

Über alle Beschreibung prächtig waren die großen Maskenbälle, welche
Murat damals in dem schönen Theater San Carlo gab und zu welchen er an
viertausend Einladungskarten austeilen ließ. Bei diesen Ballfesten
durfte man nur in Charaktermasken oder mindestens bunten Dominos --
schwarze waren gleich Zivilkleidern ganz verpönt -- erscheinen. Man
denke sich das schönste und herrlichste Theater der Welt, in dem jeder
Palcho einen kleinen, höchst elegant möblierten Salon, mit Trumeaus,
Diwans, Armleuchtern, kleinen Lüstern und kostbaren Draperien versehen,
bildet, in dem mehr als viertausend Kerzen sind, alle an Armleuchtern
vor Spiegeln an den festonnierten Pilastern oder Karyatiden, welche die
Logen trennen, brennend, und diese Lichter durch den tausendfachen
Widerschein der Spiegel millionenmal vermehrt, dazu die reichen,
geschmackvollen Vergoldungen und Verzierungen des Saales, die ungeheure
Bühne in einen transparenten Feengarten, Tempel oder Saal verwandelt, in
sämtlichen Logen die reichsten, prächtigsten und elegantesten Masken,
die Damen mit Diamanten und Rubinen, Smaragden und anderen Edelsteinen
übersät, so daß das Blitzen und Flimmern der Agraffen und des Kopfputzes
die Augen blendete; Murat selbst mit seiner imponierendem phantastisch
gekleideten Figur, sowie die Königin mit ihrem zahlreichen Hofgefolge im
höchsten Putz und Schmuck, dann das Wogen eines Federn- und Blumenwaldes
der sich drängenden und tanzenden Masken unten im Saal, alles von einer
unaufhörlich rauschenden, wohl an zweihundert Instrumente starken Musik
begleitet, und man wird es natürlich finden, daß die meisten Personen,
die zum erstenmal dieses Schauspiel sahen, kaum in einer halben Stunde
von ihrer Betäubung und Verblendung wieder zu sich kommen konnten, denn
man war verblendet und betäubt zu gleicher Zeit. Was war dagegen ein
Pariser Ball in der Großen Oper und das Haus selbst! -- Gleich nach
Mitternacht wurde in allen Logen ein schwelgerisches Souper, alles auf
königliche Kosten, serviert, und in den illuminierten Lauben auf der
Bühne wurden fortwährend alle möglichen Erfrischungen und jedem
gereicht, was er begehrte. Bei einem dieser wirklich magischen Feste
hatte ich einen Zug und eine Quadrille, Masettos Hochzeit aus dem Don
Juan darstellend, arrangiert und dabei, so wie wir eintraten, das
Champagnerlied von den rauschenden Orchestern spielen lassen, was eine
nicht zu beschreibende Wirkung auf alle Anwesenden hatte und mit daran
schuld war, daß ich bald darauf die Aufführung von Mozarts Meisterwerk
durchsetzte. Ich hatte ein allerliebstes Zerlinchen, die Marchesa
Cavalcanti am Arm; Donna Octavia, Donna Elvira, Donna Anna, Don Gußmann
und selbst der Geist fehlten nicht; Leporello trug mein fast mannsdickes
Register unter dem Arm, und mehr als dreißig reich gekleidete Lakaien
umgaben uns mit beinahe drei Schuh hohen Champagnergläsern, in deren
jedes der Inhalt einer Flasche ging, andere trugen die zierlichen
lackierten Flaschenkörbe, und unaufhörlich wurde der Champagner, Rosé
und Ai, den Ballgästen in diesen Gläsern kredenzt, bis sich der Zug in
eine Quadrille auflöste. Auf diesem Ball hatte ich noch ein ganz eigenes
Abenteuer zu bestehen. Ich hatte mein hübsches Zerlinchen, die Marchesa
Cavalcanti, deren Gatte einer der königlichen Stallmeister war, beredet,
das Fest auf eine halbe Stunde mit mir zu verlassen, um in einem nahen
Kaffeehaus in einem Kabinett ein Glas Eis _tête-à-tête_ mit mir zu
nehmen. Wir entfernten uns, nachdem wir ein paar Dominos übergeworfen,
heimlich zu Fuß, glaubten uns aber, nachdem wir San Carlo verlassen
hatten, verfolgt, und zwar von einer Maske, die wir für den Marchese
hielten. Ihr zu entgehen, bog ich schnell um eine Ecke, wo eine einzelne
Schildwache stand, der ich mich als einen Offizier von der Garde zu
erkennen gab und sie bat, zu gestatten, daß ich die bei mir habende
Maske nur auf zwei Minuten in dem Schilderhaus verbergen dürfe, und ohne
des Soldaten Antwort abzuwarten, ließ ich die Dame ins Schilderhaus
treten und folgte ihr. Kaum waren wir darin, als die uns verfolgende
Maske vorüberrannte. Nachdem wir sie entfernt genug glaubten, wollte ich
das Schilderhaus wieder verlassen, aber in demselben Augenblick kam eine
Offiziersronde, die, nachdem sie die Schildwache angerufen, erkannt und
dann herangekommen war, auf einmal sagte: »Kerl, da regt sich ja was im
Schilderhaus!« -- Die Marchesa hatte niesen müssen. -- Der Soldat
versetzte ganz verlegen: »Ich glaube, Sie irren sich.« -- »Das wollen
wir doch sehen,« erwiderte der Offizier und trat an das Schilderhaus,
aus dem ich aber sogleich heraustrat, den Offizier beiseite nahm, mich
ihm zu erkennen gab, ihm, natürlich ohne einen Namen zu nennen,
mitteilte, was vorgegangen, worauf er sich lachend entfernte. Wir fanden
jedoch für gut, auf den Ball zurückzukehren und uns daselbst recht
bemerkbar zu machen, so daß der zurückgekehrte Marchese, denn er war es
allerdings gewesen, seine Frau ganz erstaunt anblickte und ein: »Das
geht nicht mit rechten Dingen zu!« ausstieß. -- »Ei was denn, _mio caro
marito_?« fragte ihn die Marchesa. -- »Nun, ich werde schon noch
dahinter kommen,« erwiderte der Herr Gemahl, und dabei blieb es denn, er
kam nicht dahinter, indem wir, gewarnt, spätere Zusammenkünfte weit
vorsichtiger veranstalteten. Auch die Hoffeste, zu denen ich jetzt immer
eingeladen wurde, waren überaus prächtig. Eines Tages, als ich zum
erstenmal zur Tafel gezogen wurde und in einem offenen Wagen in großer
Uniform, weißen Kaschmir-Beinkleidern und gelben Stiefeln längs den Kais
nach dem Palast fuhr und das Meer sehr aufgeregt und stürmisch war,
schlug der Schaum einer Welle in den Wagen und machte mich von oben bis
unten naß. Jetzt war guter Rat teuer, ich hatte die Zeit sehr präzis
abgemessen, konnte aber doch unmöglich in diesem Zustand im Schloß
erscheinen, ließ also auf der Stelle umwenden, fuhr nach Giesù nuovo, wo
mehrere Offiziere von meinem Regiment wohnten, lieh von einem und dem
anderen, was ich bedurfte, kleidete mich Hals über Kopf um, jagte in
voller Karriere nach dem Palast, wo ich noch zu rechter Zeit ankam, und
konnte nun triumphierend mit einem Hofmarschall Kalb wenn auch nicht
»und bin noch der erste in der Antichambre«, doch »und kam gerade noch
zur Suppe« ausrufen. Ich erzählte meine Aventüre einigen Hofdamen, die
mich bedauerten, und Murat, der sie auch erfuhr, lachte dazu.

Um gerecht zu sein, muß ich jedoch eingestehen, daß Murat trotz seiner
Vergnügungs- und Prunksucht vieles Gute und selbst Treffliches während
seiner kurzen Regierung in Neapel veranlaßte. Er ließ der Universität
eine neue und weit bessere Organisation geben, führte das Dezimalsystem
in Maß und Gewicht ein, unterstützte den Ackerbau und namentlich den
Tabaksbau, hob die Industrie, gründete mehrere Wohltätigkeitsanstalten
und brachte in das sonst so träge neapolitanische Volk mehr Leben. Das
Heer brachte er bis auf fünfzigtausend Mann unter den Waffen, die gut
eingeübt wurden, und obgleich er ein großer Freund der Damen war, so
konnte sich doch keine rühmen, eine ausschließliche Herrschaft auf
ihn auszuüben oder auch nur politischen Einfluß auf die
Staatsangelegenheiten zu haben, obgleich er ihnen sonst nicht leicht
etwas abschlug und jede Privatbitte gewährte, wenn es in seiner Macht
stand. Indessen fielen doch öfters ziemlich eklatante Skandalosa bei Hof
vor, und auch Karoline hatte fortwährend Intrigen, namentlich waren ihr
die Stallmeister und Kammerherren nicht gleichgültig. Ihr Hofleben zu
Caserta war eben nicht das musterhafteste und hatte großen Einfluß auf
das ohnehin schon sehr sittenlose neapolitanische bürgerliche Leben. Die
geheimen und galanten Hofgeschichten zu Caserta würden allein dicke
Bände füllen. Murat hatte sehr viel für die Verschönerung dieses
herrlichen Schlosses getan. Auch die Königin liebte sehr den Putz und
die Moden, von denen sie die neuesten immer per Kurier aus Paris kommen
ließ; ihre Damen mußten immer in der elegantesten Toilette erscheinen,
und wenn diese den oft gleich einem Orlando furioso in seinen
wunderlichen Kostümen zu Pferde dahinrasenden König _un bel uomo_
nannten oder gar im Enthusiasmus ausriefen: »_Oh quant' é bello il
nostro Re!_«, so flüsterten viele Herren: »_Oh quant' é bellina la
nostra Carolina!_« Der Hofintrigen waren unzählige, auch nicht eine der
jüngeren Damen, von der ersten Palastdame bis zur Cameriera, die nicht
ihren Liebhaber gehabt hätte. Einigemal hatte ich auch während der
Karnevalszeit frühere Bekanntschaften, namentlich Isaura und die hübsche
Apothekerin auf Festinis getroffen, doch erneuerte ich sie nicht, und es
blieb bei nichtssagenden Höflichkeiten und leeren Artigkeiten. Die dem
Karneval folgende Fastenzeit war nicht ohne Unterhaltung; bei Hofe gab
es Konzerte und musikalische Soireen, in welchen Dilettanten sich hören
ließen, und ich brachte es bald dahin, daß einzelne Morceaus aus dem Don
Juan, der Zauberflöte, dem Titus und dem Opferfest vorgetragen wurden,
die sämtlich gut einstudiert waren und daher großen Beifall erhielten.
Da meine Stimme einen großen Umfang hatte, so konnte ich auch ziemlich
hohe Tenorpartien, ohne daß sie transponiert zu werden brauchten,
singen, unter anderen die Aria des Tamino: >Dies Bildnis ist bezaubernd
schön< und so weiter. Während der Fastenzeit machte ich täglich Besuche
in den Kirchen Neapels, um die Schönen zu bewundern, die nun durch
Knien, Beten und Fasten ihre Karnevalssünden abzubüßen und Vergebung
derselben zu erhalten hofften, um -- aufs neue zu sündigen. Nach den
Fasten begab sich der Hof nach Caserta, aber Murat, der mit seiner
Gattin und seinem Schwager fortwährend schmollte, ging, wie ich schon
erwähnte, nach Capo di Monte. Zu Caserta merkte man jedoch wenig von den
Mißhelligkeiten des königlichen Ehepaars. In dem herrlichen Garten
dieses Schlosses hatte ich nun öfters geheime Zusammenkünfte mit der
schönen Marchesa Cavalcanti. Eines Morgens früh traf ich sie daselbst in
einer Allee in einem ziemlich lauten Wortwechsel mit einer anderen
Hofdame, ihrer Vertrauten, begriffen und hörte sie noch die Worte sagen:
»Nein, diese Unverschämtheit ist zu groß, so etwas würde sich kein
Franzose erlaubt haben.« Als sie mich erblickte, eilte sie auf mich zu
und empfing mich mit den Worten: »Stellen Sie sich vor, welche
Impertinenz mir soeben der Duca de Laviani (ebenfalls ein Stallmeister
des Königs und Eskadronschef) gemacht. Unter dem Vorwand, mir eine
wichtige, die Königin betreffende Sache mitteilen zu müssen, hatte er
mich hierher beschieden, und während ich nun ganz Ohr bin, um zu hören,
was es sei, das Ihro Majestät betrifft, nimmt er mich plötzlich beim
Kopf und will mich mit Gewalt küssen, der unausstehliche häßliche alte
Pavian. Ich springe zurück, verteidige mich, so gut ich es vermag, und
schreie um Hilfe; glücklicherweise kommen ein paar Kammerfrauen
herbeigesprungen, die sich in der Nähe befanden, und der Signor Duca
läuft brummend und fluchend davon. -- Ist das wohl ein Betragen für
einen Offizier und Edelmann? -- Was sagen Sie dazu?«

»Daß es die empfindlichste Strafe und Genugtuung fordert, und wenn Sie
es mir gestatten, so übernehme ich die Ausführung für beides.«

»Ja, Sie sind ein Franzose oder Tedesco, gleichviel, sagen Sie ihm
tüchtig die Meinung, Sie sind ein _galant' uomo, ein uomo d'onore_.« --
»Mit der Meinung allein, Illustrissima, ist es nicht genug, ich werde
noch ein anderes Wort mit ihm sprechen.« -- Während ich, mit der
Marchesa redend, die Allee hinab gehe, wird diese plötzlich ganz bleich,
zittert und ruft aus: »_Eccolo!_« Ich erblickte nun ebenfalls den
Laviani am Ende des Baumganges, eiligst um eine Ecke biegend, setzte ihm
auf der Stelle nach, donnerte ihm ein »Halt!« zu und brachte ihn so zum
Stehen. Ich ersuchte ihn nun, mir zur Marchesa zu folgen, und da er sich
nicht gleich gutwillig dazu verstehen wollte, so zwang ich ihn dazu,
indem ich ihm sagte: »wohlan, so werden Sie mir sogleich an einen
anderen Ort folgen.« Bei der Dame angekommen, hielt ich ihm in deren
Gegenwart sein Benehmen gegen sie in ziemlich derben Worten vor und
ersuchte ihn, dieselbe in meiner Gegenwart um Verzeihung zu bitten; da
er Ausflüchte suchte, so erklärte ich ihm in dürren Worten, er habe nur
die Wahl, die Signora um Vergebung zu bitten, oder mir Satisfaktion zu
geben, da ich mich einmal der Sache angenommen und er sich zu hüten
habe, daß sie vor den König komme, der, wie er wohl wisse, am
allerwenigsten Poltronerie verzeihe. Dies wirkte, Laviani wurde sehr
geschmeidig und bat die Dame mit den Worten um Verzeihung, die ich ihm
vorsagte, worauf er sich, noch etwas in den Bart brummend, entfernte.
Als er weg war, sagte die Marchesa zu mir: »Seien Sie jetzt auf Ihrer
Hut, Laviani ist ein ebenso rachsüchtiger und heimtückischer als feiger
Mensch.« Wir spazierten noch einige Zeit in den Gärten von Caserta
herum, und ich empfahl mich endlich mit einem: »_A rivederci!_« Einige
Tage darauf erfuhr ich durch den Kapitän d'Arlincourt, der ebenfalls
Ordonnanzoffizier und Stallmeister war, daß Laviani den Vorfall zu
Caserta ganz zu seinen Gunsten herumgedreht erzähle und unter die
Offiziere und Hofbeamten zu bringen suche. Ich schrieb ihm nun sogleich
ein Billett, in welchem ich ihn mit einigen derben Epitheten beehrte,
und ließ es, bevor ich es absandte, von einigen Offizieren lesen.
d'Arlincourt, der ihm die Herausforderung hinterbrachte, sagte ihm
zugleich, daß er sich am nächsten Morgen in dem Wald hinter Capo di
Monte mit einem Sekundanten einzufinden habe; er selbst war der meinige.
Um fünf Uhr des Morgens befanden wir uns schon an dem unfern vom
Jägerhaus liegenden Weiher, dem für das Duell bestimmten Ort, etwa
zwanzig Minuten später traf mein Gegner mit dem Kapitän Duca della
Regina Capece, auch Ordonnanzoffizier, ein. Wir begaben uns tiefer in
den Wald, und es wurden fünfzehn Schritte abgemessen, da Pistolen zur
Waffe beliebt worden waren, weil Laviani geäußert hatte, daß ich ihm mit
der Klinge zu überlegen sei. Da ich den ersten Schuß hatte, so drückte
ich ab und streifte, wie es meine Absicht gewesen, meinem Gegner die
linke Schulter, denn ich wollte ihn weder töten noch _hors du combat_
setzen. Er zielte nun ziemlich lange, aber, wie ich bemerkte, zitternd,
auch war er, als ich meine Pistole angeschlagen, leichenblaß geworden,
endlich drückte er ab, und die Kugel flog über mich hinaus. Ich ergriff
nun eine zweite Pistole, zielte absichtlich etwas länger ihm gerade auf
die Brust, weidete mich so einen Augenblick an seiner Todesangst und
schoß dann in die Luft. Laviani stotterte nun, er wolle mir seinen Schuß
schenken, ich aber rief ihm zu: »Dergleichen Geschenke akzeptiere ich
nicht, Sie werden schießen.« Jetzt legten sich jedoch die Sekundanten
ins Mittel, behauptend, es sei der Ehre genug geschehen, ich habe volle
Satisfaktion und so weiter; ich begnügte mich endlich damit, jedoch
mußte Laviani noch vorher das: >Ich schenke Ihnen den Schuß,<
zurücknehmen und eingestehen, daß er die Unwahrheit gesagt. So war die
Sache für jetzt beigelegt. Eine Einladung zu einem Frühstück von Laviani
schlug ich aus und eilte nach Caserta, wo ich diesen Morgen aber nicht
fand, was ich suchte, dagegen der schönen Herzogin von Atri mit der
Marchesa di Misiraca in dem Garten begegnete, diese Damen um die
Erlaubnis bat, sie auf der Promenade begleiten zu dürfen, was mir
freundlichst zugestanden wurde. Die Unterhaltung wurde bald recht
animiert, die Herzogin machte mir Komplimente über mein
Schauspielertalent, indem sie mir sagte, daß sie mich immer mit großem
Vergnügen auf der Bühne sehe. Eine gute Stunde hatte ich mich angenehm
mit den Damen unterhalten, als diese fanden, daß es Zeit sei, sich zu
entfernen, sich empfahlen und im Schloß, bis wohin ich sie begleitet
hatte, verschwanden, mir aber beim Abschied erlaubten, diese Promenaden
von Zeit zu Zeit mit ihnen wiederholen zu dürfen, was ich schon den
nächsten Morgen, aber vergeblich, versuchte und niemand in den Alleen
begegnete. Einige Tage darauf war ich jedoch glücklicher und traf die
Damen wieder. Diesmal war die Unterhaltung schon vertraulicher; wir
kamen auch auf den Don Juan zu sprechen, der, wie ich hoffte, jetzt bald
in der großen Oper in Szene gesetzt werden sollte, wobei mir die
Herzogin, auf jene Quadrille anspielend sagte: »_Ah siete un briccone,
Signor Capitano_; Neapel ist nicht so groß, daß man nicht erführe, was
gewisse Leute treiben, besonders bei Hofe ...« Dabei drohte sie mit dem
Finger. Ich stellte mich jedoch, als verstünde ich nicht, was sie damit
meine, küßte ihr die Hand und wandelte noch eine geraume Zeit an ihrer
Seite, als wir die Marchesa Cavalcanti mit ihrer Vertrauten in einer
Allee auf uns zukommen sahen. »Ah, jetzt kommt die Rechte,« meinte die
Herzogin, »werden Sie nur nicht rot.« -- »Illustrissima, ich wüßte nicht
...« -- »Schon gut.« Wir gingen auf die Damen zu, und als wir in ihrer
Nähe waren, sagte die Atri zur Marchesa: »Hier führe ich Ihnen einen
Kavalier zu, der Sie schon lange sucht.« -- »Das bezweifle ich,«
versetzte diese etwas ironisch, »er war in zu guter Gesellschaft.« --
Die Unterhaltung wurde nun allgemein, bis sich sämtliche Damen wieder in
den Palast entfernten, worauf ich nicht sehr befriedigt nach Neapel
zurückritt.

Damals erlangte ich endlich durch Murat, daß Don Juan in Szene gesetzt
werden sollte, obgleich selbst Longchamps, der anfing, mich mit
neidischen Blicken zu betrachten, heimlich dagegen wirkte. Als die
Proben begannen, denen allen ich beiwohnte, suchte man gleich bei der
ersten dem Unternehmen allerlei Schwierigkeiten in den Weg zu legen,
denen ich jedoch zu begegnen wußte, die man aber mit jeder Probe zu
vermehren suchte. Es kam endlich so weit, daß auch hier mehrere der
ersten Sänger die Sache für unausführbar erklärten, sich auf das
berufend, was zu Florenz vorgegangen war. Ich sah wohl ein, daß hier
andere Intrigen im Spiel waren, was mir auch von der niedlichen
Sängerin, welche die Partie der Zerline übernommen hatte, an der dieser
viel gelegen war und mit der ich auf einem vertrauten Fuß stand,
bestätigt wurde. Ich teilte dies dem König freimütig und ohne allen
Rückhalt mit, da man mit Murat ganz ungeniert und wie es einem um das
Herz war, reden konnte. Dieser gab mir nun _plein pouvoir_ in dieser
Sache, was er auch den Intendanten wissen ließ, sowie daß er darauf
bestehe, Mozarts Don Juan vollständig und wie er geschrieben hören zu
wollen. Als nun die nächste Probe begann, sagte ich zu dem
Sängerpersonale, daß es der unwiderrufliche Wille Seiner Majestät sei,
daß der Don Juan, so wie ihn der Meister komponiert, in Szene gesetzt
werde, und daß diejenigen Künstler, welche sich nicht fähig hielten, die
ihnen zugeteilten Partien so wie sie seien, zu singen, sofort als
unfähig, bei der königlichen Oper mitzuwirken, entlassen würden. Dies
wirkte, man zeigte sich nun sehr geschmeidig und gab sich alle Mühe,
auch erlaubte ich nicht die geringste Abänderung, Schnörkelei oder
unpassende Verzierung, und das Werk des unsterblichen Meisters wurde
jetzt in so hoher Vollkommenheit aufgeführt, daß es allgemeinen Beifall
erhielt und über hundertmal hintereinander mit immer steigendem
Wohlgefallen aufgeführt wurde.

Damals trug sich ein komisch-politischer Vorfall zu: die Douaniers an
der Küste von Kalabrien hatten eine von Sizilien kommende Barke mit
Nachtgeschirren, lauter englische Ware, gekapert, als man nach
Mitternacht landete, um seine verbotene und doppelt gefährliche Ware
einzuschmuggeln. Es waren dies nämlich keine gewöhnlichen, sondern
bemalte Nachtgeschirre, in deren Grund Napoleons Porträt mit
weitaufgesperrtem Mund sich befand, gleichsam zum Empfang dessen, was in
dasselbe gegossen wurde. Dergleichen Geschirre bedienten sich schon
länger in England die eingefleischten Feinde des französischen Kaisers
und hatten sie auch nach Spanien und Sizilien versendet und zum Teil
daselbst verschenkt. Als die Sache vor Murat kam, befahl er, die
Geschirre sämtlich zu zerschlagen und die Trümmer ins Meer zu werfen,
die Schiffer aber, die sie gebracht, sollten vor ein Kriegsgericht
gestellt und erschossen werden; glücklicherweise waren sie entwischt.
Bald aber kam die Polizei der Tatsache auf die Spur, daß schon mehrere
solcher Geschirre im Reiche eingeschmuggelt worden seien und es selbst
in Neapel Personen gäbe, die sich solcher bedienten. Das
Polizeiministerium wollte nun die Sache näher untersuchen und
Haussuchungen bei Verdächtigen anstellen, Murat war aber so klug, dies
zu untersagen und die Sache niederzuschlagen, obgleich behauptet wurde,
daß auch dergleichen Geschirre mit seinem Bild vorhanden seien; eines
mit dem Napoleons habe ich selbst als eine Kuriosität bei Moritz
gesehen, auch versicherte man, daß sich die alte Königin von Neapel
sowie der ganze Hof in Sizilien ihrer bediene. Als aber die Sache auf
dem Festland ruchbar wurde, fanden die Besitzer derselben für geraten,
dieses gefährliche Eigentum zu zertrümmern. Hätte Murat die Sache nicht
niedergeschlagen, so hätte es einen großen Skandal gegeben, der
hundertmal mehr geschadet als genützt haben würde.

Ich brachte den Sommer so ziemlich in einem _dolce far niente_, was in
dieser Jahreszeit in Neapel am zuträglichsten ist, und einen großen Teil
meiner Zeit abwechselnd in Caserta und Capo di Monte zu. Im ersteren Ort
hatte ich nun öfters Gelegenheit, die hübsche Herzogin von Atri zu sehen
und zu sprechen und kam endlich so weit mit ihr, daß ich auch nächtliche
Promenaden in den reizenden Gärten Casertas mit ihr machte, wobei sie
jedoch immer ihre vertraute Freundin, die Marchesa Misuraca, begleitete,
die oft den Lauerposten übernahm. Eines Abends, es war beinahe
Mitternacht, als wir eben recht vertraulich in einer Laube saßen und die
Marchesa Schildwache stand, damit wir vor Überraschung sicher seien,
stürzte sie plötzlich mit den Worten: »_Ecco la regina!_« herein. Ich
war mit einem Satz aus und hinter der Laube herum und eilte der
entgegengesetzten Seite zu, von der ich die Königin kommen wähnte, aber
kaum hatte ich einige dreißig Schritte gemacht, so befand ich mich
derselben, die von einigen Damen und Kavalieren begleitet war, _en
face_. Ich konnte ihr nicht mehr unbemerkt entwischen, und sie stellte
mich mit den Worten: »Ei, was machen Sie denn noch so spät zu Caserta?«
zur Rede. -- »Majestät, die herrlichen Nächte haben mich in diesem
entzückenden Aufenthaltsort zurückgehalten.« -- »Und vielleicht noch
etwas anderes,« versetzte die Königin. -- »Oh, nicht doch, Majestät,«
sagte ich nun sehr laut, damit es meine beiden Damen hören sollten, um
der Königin entgehen zu können; »nur das Paradiesische dieses Ortes,
dessen Zaubergärten ich auch einmal des Nachts durchwandern wollte,
haben mich hierhergezogen.« -- »Lassen Sie das künftig bleiben,« sagte
die Königin etwas scharf betonend, »hören Sie?« -- »Wie Ihre Majestät
befehlen,« erwiderte ich mit einer tiefen Verbeugung und entfernte mich
nach erhaltener Erlaubnis. Ich wollte nun meine Damen noch aufsuchen,
konnte sie aber nicht mehr finden und machte mich nach Neapel auf,
überlegend, was diese Begebenheit wohl für Folgen haben könne. Karoline
sah es nicht gern, daß man sich zur Nachtzeit in den Gärten von Caserta
umhertrieb, denn diese waren auch der Tummelplatz ihrer verliebten
Intrigen und galanten Abenteuer, deren sie nicht wenig hatte, wie
hinlänglich bekannt war. Den anderen Morgen schrieb ich sogleich ein
Billett an die Marchesa Misuraca, um dieser meine kurze Unterredung mit
der Königin mitzuteilen, damit sich die Herzogin Atri und sie darnach
richten konnten. Eben war ich im Begriff, das Billett meinem Reitknecht,
einem pfiffigen Burschen, zu übergeben, als sich ein Kammermädchen der
Misuraca bei mir einfand und mir mündlich im Namen ihrer Herrschaft zu
wissen tat, ich möchte mich diesen Abend nach Sonnenuntergang in der
Villa Reale einfinden, wo man mich zu sprechen wünsche. Hier traf ich,
nachdem ich einigemal auf und ab gegangen war, zwei verschleierte Damen
an, die mir ein Zeichen gaben; es war die Marchesa mit einer Cameriera.
Erstere teilte mir mit, daß die Königin wisse, daß ich in jener Nacht
mit Damen im Garten zu Caserta ein Rendezvous gehabt und sie andere
Damen beauftragt habe, sich alle Mühe zu geben, um zu erforschen, wer
jene gewesen seien; dies habe aber nichts zu sagen, und ich würde
dennoch ihre Freundin am sichersten und unbemerktesten in Caserta
sprechen können, nur müsse dies nicht mehr in dem Garten selbst, sondern
in dem angrenzenden dichten Ulmen- und Eichenwald geschehen, und auf
diese Weise setzten wir auch unsere Zusammenkünfte den ganzen Sommer
ungestört fort. In Caserta fanden ebenfalls öfters französische und
italienische theatralische Dilettantenvorstellungen statt, bei denen ich
tätig mitwirkte, während ich jetzt faktisch eigentlich der Intendant der
königlichen Schauspiele, namentlich von San Carlo war und Longchamps
wenig mehr als den Namen hatte. Ich wohnte fortwährend allen Proben bei
und regalierte nicht selten das ganze probierende Personal mit heißem
Polentakuchen, Rosolio und so weiter, wogegen die Cantatrice und
Ballerine sich äußerst artig und gefällig gegen mich zeigten, und ich
war nun so ganz in meinem Element, namentlich wiegte mich die Musik
dieser in dem _chiaroscuro_ gehaltenen Morgenproben in süße Träumereien
ein und brachte, wie jede schöne Morgenmusik, ein seltsames, wohltuendes
Gefühl in mir hervor, mich in eine nicht zu beschreibende, fast
übernatürliche Stimmung versetzend. Auch verlebte ich manche Nacht in
der lustigen Gesellschaft dieser oft ausgelassenen aber liebenswürdigen
Theaterprinzessinnen. Murat selbst war ein so großer Theaterfreund, daß
er sich öfters morgens von den besten Schauspielern und
Schauspielerinnen des französischen Theaters zu Neapel aus den
vorzüglichsten Trauerspielen vordeklamieren ließ, und so laut, daß die
Personen, mit denen die Vorzimmer angefüllt waren, glaubten, man habe
sich im Kabinett bei den Köpfen, oder es sei sonst ein Unglück
vorgefallen. Eine wegen ihres ausgezeichneten Talents und ihrer großen
Galanterie berühmte Aktrice, die eines Morgens eine Audienz bei Murat
hatte, glaubte, als sie, bevor sie eingeführt wurde, ein solches Getöse
im Kabinett vernahm, man habe den König ermordet, bis sie ein
diensttuender Kammerherr eines Besseren belehrte. Einer dieser Vorsäle
war gewöhnlich mit den diensttuenden und anderen Offizieren angefüllt,
welche sämtlich in sehr reichen, mit Gold- und Silberstickereien
bedeckten Uniformen prangten, so daß alle Fremde, welche in diesen Salon
kamen, davon geblendet waren und namentlich die Damen sie nicht genug
bewundern konnten. Alle, die irgendein Gesuch bei dem König hatten,
verließen ihn, nachdem sie ihn gesprochen, mit sehr heiterem Gesicht,
denn der in der Schlacht furchtbar wilde Krieger war der gutmütigste
Mensch im Privatleben, aber nicht zum Regieren geschaffen.

Damals wurde auch unter den Offizieren und überhaupt den höheren Ständen
zu Neapel ganz außerordentlich hoch und viel gespielt, namentlich war
das Haus des Prinzen Pignatelli eines der berüchtigtsten Spielhäuser,
und ich hatte einen Abend über tausend Dukati bei demselben gewonnen,
von denen ich aber bald sagen konnte: wie gewonnen, so zerronnen. In
manchen dieser Häuser ging es auch eben nicht zum ehrlichsten her, und
die neapolitanischen Adeligen rupften die Offiziere und Angestellten
nicht übel, sich allerlei Spielkunstgriffe und Kniffe erlaubend. Eines
Abends, es war nicht lange vor meinem plötzlichen Abmarsch von Neapel,
pointierte ich stark im Pharo. Ein gewisser Martin, ein Franzose, hielt
die Bank. Ich verlor ansehnliche Summen, aber der König, der hinter mir
stand, encouragierte mich fortwährend, zu dublieren, und als ich schon
über dreitausend Franken verloren und kein Geld mehr bei mir hatte,
sagte er mir: »Nur zu, ich repondiere für alles.« Ich verspielte nun
noch sechstausend Franken auf Parole. Murat versprach mir, sie an Martin
zu bezahlen, was er diesem auch zurief und dem ich einstweilen einen
Schein darüber zustellte. Murat vergaß es, und ich fiel bald darauf in
Ungnade, wurde nach Korfu geschickt, und die Schuld blieb hängen. Anfang
des Winters dieses Jahres veranstaltete Murat ein seltsames Fest, zu dem
die Gäste Einladungskarten für ein Festino und _Souper suspendu_ im Saal
von San Carlo erhielten. Jedermann zerbrach sich den Kopf, was dies wohl
für ein Souper sein möge, und die meisten meinten, daß man dabei wohl
hungrig nach Hause gehen würde. Dem war aber nicht so. Als um
Mitternacht der Tanz suspendiert wurde, lud man sämtliche Damen ein,
sich auf die den Olymp vorstellende Bühne zu begeben, auf welcher eine
große Tafel in Hufeisenform gedeckt war, auf der sich aber auch nicht
eine Idee von einer Speise vorfand. Man sah verwundert einander an, die
Damen fragten die hinter ihnen stehenden Herren, was denn dies zu
bedeuten habe, als sich plötzlich der Himmel, nämlich der Theaterhimmel,
dicht und stark bewölkte, dann aber verteilten sich die Wolken wieder,
und zwischen Himmel und Erde schwebten unzählige silberne Schüsseln, aus
denen der Geruch der köstlichsten Speisen dampfte. Die Schüsseln wurden
nun bis beinahe vor die Nasen und Mäuler der harrenden Gäste
herabgelassen, als aber einige darnach greifen wollten, da entschlüpften
sie ihnen schnell, sich wieder in die Höhe erhebend, dann ließen sie
sich wieder herab, um abermals den hungrigen Mäulern durch das
Hinauffahren zu entgehen. Dies Manöver wurde so lange wiederholt, bis es
schien, als wollten die Gäste endlich die Geduld verlieren. Jetzt wurden
alle Speisen und mit ihnen die köstlichsten Weine, Liköre und andere
Getränke herab und auf die Tafel niedergelassen, wo sie unwandelbar
stehen blieben und mit dem heitersten Humor von der Welt verzehrt
wurden, worauf man wieder bis gegen Morgen tanzte. Das Stückchen war
eigentlich meine Erfindung, ich ließ aber gerne Seiner Majestät die
Ehre.

Ende Oktober kehrte der Hof nach Neapel zurück und installierte sich
wieder im Palazzo Reale. Ich setzte mein Verhältnis mit der Marchesa
Cavalcanti und der Herzogin von Atri fort. Meine Zusammenkünfte mit der
Herzogin waren jetzt sehr romantisch, denn sie fanden meistens um
Mitternacht auf der in einen Garten verwandelten Terrasse eines Hauses
statt, zu der ich nur durch ein anderes, drei Häuser davon entferntes
Gebäude, von dem ich über die dazwischen liegenden Terrassen, alle von
gleicher Höhe, nicht gefahrlos kommen konnte, wo wir uns dann in einer
zwischen duftenden Blumenbeeten stehenden Laube trafen. Dieses
Verhältnis mußte aus mehreren Gründen äußerst geheim gehalten werden,
besonders aber, weil ich seit kurzem einen sehr mächtigen Nebenbuhler
hatte und der kein anderer als Seine Majestät selbst war, aber, wie mir
die Herzogin feierlichst versicherte und beschwor, von ihr nicht erhört
würde; ich zweifelte, denn ich wußte längst, was es mit diesen
feierlichen Versicherungen und Schwüren der Damen auf sich hat. Sie aber
meinte: »Wir müssen unser Einverständnis um so geheimer halten, weil der
König sonst leicht auf den Gedanken kommen könnte, ich schöpfe die ganze
Kraft meines Widerstandes in den Armen eines anderen Geliebten.« Eines
Abends stellte sie mir ein ziemlich schweres Päckchen, in ein Papier
gewickelt, zu, mit der Bitte, es zu öffnen. Ich tat es und fand ein sehr
zierlich gearbeitetes silbernes Ei von der Größe eines Enteneis an einer
venetianischen Kette befestigt, das sich durch einen leichten Druck in
der Mitte öffnete, wo sich dann ein goldener Dotter zeigte; auch dieser
öffnete sich, und man erblickte nun ein Herz von Rubinen, das durch eine
blitzende Flamme von Diamanten entzündet und von einem Smaragdband
umgürtet war. Das Kleinod war von bewundernswürdiger Arbeit, das Innere
des Eis hatte weiße, mit Perlen und Edelsteinen besetzte Emaille,
Blumenbukette bildend, ebenso das Innere des Dotters, nur waren sie noch
weit kostbarer. Mariana, der Taufname der Atri, sagte mir, sie habe das
prächtige Geschenk diesen Morgen auf ihrer Toilette gefunden, ohne den
Geber zu kennen, der aber wohl kein anderer als der König selbst sein
könne. Ich entdeckte jetzt, daß sich auch das Rubinenherz noch öffnete,
was die Herzogin bisher nicht gewußt, und fand ein mit Rosen
verschlungenes brillantenes und gekröntes _M_ in demselben. -- »Was soll
ich nun damit anfangen?« fragte sie mich. »An ein Zurückgeben ist wohl
nicht zu denken, da ich nicht einmal weiß, wer es überbracht und niemand
von meinen Leuten etwas davon wissen will; meinem Manne mag ich auch
nichts davon sagen, dies wäre ganz unnütz.« -- Ich riet ihr, mit etwas
mißtrauischen Blicken, es zu behalten, bis sie Gewißheit über den Geber
habe. Dies Geschenk war jedoch Ursache, daß es einiges Schmollen
zwischen uns setzte.

Eine sehr tragische Begebenheit, die um Weihnachten vorfiel, machte
damals großes Aufsehen und setzte ganz Neapel und besonders die
Geistlichkeit in Alarm. Ein Neapolitaner, der seine Gattin und deren
Beichtvater _en flagrant délit_ ertappte, hatte beide ermordet. Das in
große Unruhe versetzte Heer der Pfaffen wollte, daß der Mann eine
exemplarische Strafe, wenigstens den Feuertod erhalten oder gevierteilt
werden sollte; das gewöhnliche Hängen, Erschießen oder Guillotinieren
war ihnen viel zu gelinde, denn einem solchen Bösewicht, der es wagte,
seine verruchte Hand an die geheiligte Person eines Beichtvaters zu
legen, der, wenn er auch ein sehr menschliches Verbrechen beging, doch
immer eine gottgeweihte und geheiligte Person sei, müsse die ärgste
Strafe, die zu erdenken, werden. Aber siehe da, nachdem die Sache
gehörig untersucht war, begnadigte Murat den Mörder dahin, daß er ihn
mehrere Monate in einen Kerker der Festung Gaëta setzen, dann aber
wieder frei ließ. Bald nachher fand man ihn ermordet in seiner Wohnung
zu Neapel, ohne daß es möglich war, den Mörder ausfindig zu machen. Bei
der Untersuchung hatte sich herausgestellt, daß der Pfaffe schon vor der
Verheiratung der Gattin des nun auch Getöteten einen vertrauten Umgang
mit derselben gehabt und der Stifter dieser Ehe, die ein so furchtbares
Ende genommen und allen dreien so übel bekam, gewesen war.

Die Proben meines Balletts, bei denen ich das Personal immer mit
köstlichen Erfrischungen bewirtete und ein ordentliches Büfett errichtet
hatte, nahmen ungestört ihren Fortgang, und dasselbe sollte im Monat
Januar (1812) zugleich mit einer neuen großen Oper zur Aufführung
kommen. Die Weihnachten gingen auch dieses Jahr recht vergnügt für mich
vorüber, die Buden der Toledostraße waren auf das eleganteste
herausgeputzt und mit künstlichen und natürlichen Kostbarkeiten, die
letzteren in den ausgesuchtesten Obstsorten, Gemüsen, Früchten,
gemästetem Federvieh, Raritäten aus dem Reich der Vierfüßler, der Fische
und der Vögel bestehend, überladen. Riesenhummern und Ortolanen,
Mandaringas und Ananas, Eiertrauben und frische Korinthen ragten
einladend zwischen Blumen, Lorbeeren und Myrten hervor; aber weit
anständiger wurde die Weihnachtsfeier und besonders die
Mitternachtsmesse hier als in Rom begangen, wo die Römer meist einen
bacchantischen Tumult in den Kirchen machen und alle möglichen
Profanationen begehen. Auch die Neujahrsgratulationen wurden mit der
gehörigen Feierlichkeit ausgeführt und dargebracht und waren besonders
bei Hof außerordentlich glänzend. Nur bei meinem Vetter Moritz war es
diesmal anders; er hatte durch eine unglückliche Baumwollspekulation,
und zwar durch die Schuld der französischen Regierung, welche in Livorno
Beschlag auf seine Schiffe, als verdächtig, mit England kommerziert zu
haben, gelegt hatte, bedeutend verloren. Der Verdacht erwies sich zwar
als völlig unbegründet, aber bis dies ausgemittelt war, worüber mehrere
Monate vergingen, war die Baumwolle um vierzig Prozent gefallen. Moritz
verlor über eine halbe Million und hatte nicht die mindeste Vergütung zu
hoffen. Dergleichen unverzeihliche Gewaltstreiche machte sich damals die
französische Regierung oder vielmehr der an der Spitze derselben als
unumschränkter Tyrann stehende Napoleon schuldig. Einer der tollsten und
unsinnigsten der Art war ohne Zweifel die Verbrennung aller englischen
Waren auf dem Kontinent, eine Maßregel ebenso lächerlich als fruchtlos,
die alle Gemüter, selbst die der ergebensten Satelliten des Kaisers,
erboste; auch wurde sie an vielen Orten, namentlich in Neapel, mehr zum
Schein als in der Wirklichkeit vollzogen, da man die größten Vorräte
verbarg und die Behörden selbst gerne durch die Finger sahen; doch
hatte, was hier wirklich verbrannt wurde, immer noch einen Wert von mehr
als zehn Millionen und in ganz Europa weit über mehrere hundert
Millionen. Überall knirschte trotz Polizei und Spionen das Volk mit den
Zähnen, murrte und fluchte, als die Flammen die kostbaren Waren
verzehrten und diese in Rauch aufgingen. Wie viel Armen und
Unglücklichen hätte man damit nicht aus größter Not helfen können, wenn
man denn durchaus einmal einen solchen unnützen und albernen
Gewaltstreich begehen wollte; die Sache hätte dann wenigstens noch eine
Art Entschuldigung, wenn auch absurd genug, gefunden; aber so war das
gelindeste Urteil, das man aus dem Mund des Volkes hörte, welches sich
die Sache gar nicht zu erklären wußte: »Der Napoleon muß ein Narr
geworden sein!« -- Doch die furchtbare Nemesis war bereits im Anzug.

Das erste Festino in San Carlo, welches der Hof dieses Jahr gab,
besuchte ich wieder in einem prächtigen Don Juankostüm, einer meiner
Kameraden machte den Leporello. Den Anzug hatte ich von dem
Theaterschneider dazu machen lassen. Der Mantel von purpurfarbigem
Thronsammet, war überaus reich und künstlich mit Gold und Perlen
gestickt, hatte Bouillonfransen und war mit weißem Atlas, mit goldenen
Bienen besät, gefüttert. Auf dem Hut waren fünf tadellose prächtige
weiße Schwungfedern, durch eine brillantene Agraffe zusammengehalten,
und die Kiele derselben mit Zahlperlen bis an die Spitze besetzt; der
übrige Anzug harmonierte vollkommen mit dieser Pracht. Auf den Schuhen
blitzten brillantene Rosetten, und die Halskette war von kostbaren
Edelsteinen. Alle diese Kleinodien hatte ich bei verschiedenen Damen
geliehen. Den Saal mit meinem Leporello durchstreichend, fragte mich
dieser bei jeder schönen weiblichen Maske: »Signor Don Giovanni, soll
diese auf das Register?« Und wenn ich bejahend zunickte, schrieb er sie
sogleich in das mitgeführte Buch ein. Dieser Scherz zog mir aber schon
auf dem Ball einige Verdrießlichkeiten zu, sollte aber noch ernstere
Folgen haben, auch schien Murat die Sache sowie meinen ganzen zu
brillanten Anzug eben nicht sehr zu goutieren, und er war, als ich ihn
einigemal anredete, ganz gegen seine Gewohnheit kalt und kurz
angebunden; auch merkte ich, daß meine Feinde zu meinem Nachteil sehr
tätig waren. Indessen lief auf dem Ball noch alles ganz gut ab, und ich
verließ ihn, zufrieden mit der Rolle, die ich gespielt hatte, gegen
Morgen. Als ich aber, nachdem ich ein paar Stunden geruht, erwachte,
empfing ich ein Billett von einem Bataillonschef der Garde-Grenadiere
namens Colard, der sich beleidigt fand, daß ich auch seine hübsche junge
Frau auf mein Don Juan-Register hatte setzen lassen, mich deshalb zur
Rede stellte und Auskunft verlangte. Ich begab mich auf der Stelle
selbst zu ihm, erteilte ihm mein Ehrenwort, daß die ganze Sache durchaus
nichts als ein erlaubter Maskenscherz gewesen sei, erklärte mich aber zu
gleicher Zeit bereit, ihm jede Satisfaktion, die er nur wünschen könne,
zu geben. Der Mann war aber mit meiner Erklärung zufrieden, lud mich
ein, mit ihm zu dejeunieren, was ich annahm, seine liebenswürdige Frau
erschien bei dem Frühstück, wo wir über den ganzen Vorfall scherzten,
und wer weiß, ob Madame Colard nicht wirklich auf mein Register gekommen
wäre, wenn mich nicht ein schon im Anzug befindliches Ungewitter im
Sturm aus Neapel entfernt und weit über das Meer geschleudert hätte.

Damals begann man schon von einem neuen bevorstehenden Krieg, an dem das
neapolitanische Heer und sein Herrscher tätigen Anteil nehmen sollte, zu
murmeln, und da man wohl wußte, daß sich das Ungewitter im Nordosten
zusammenziehe, so freute ich mich schon darauf, endlich einmal
Deutschland wiederzusehen und mich in meiner Heimat und bei meinen
Verwandten in meiner militärischen Glorie präsentieren zu können. Ich
beeilte nun, soviel es an mir lag, die Aufführung des neuen Balletts,
die Donaunymphe, da mir viel daran lag, dasselbe noch in Szene gesetzt
zu sehen, bevor wir ausmarschierten. Schon war der Tag bestimmt und die
Generalprobe mit vollem Orchester, Kostümen, Dekorationen und
Maschinerie angesagt, der Murat selbst beiwohnen wollte. Sie lief
glücklich und zur Zufriedenheit aller Anwesenden ab. Zwei Tage darauf
sollte die Vorstellung sein; aber den Morgen nach dieser Probe erhielt
ich in aller Frühe eine Order von dem Kriegsminister, mich bereit zu
halten, binnen vierundzwanzig Stunden mit einem Detachement
neapolitanischer und französischer Truppen nach Tarent abzumarschieren,
wo mich weitere Verhaltungsbefehle erwarteten. Beim Durchlesen dieses
Befehls war ich wie vom Himmel gefallen, hielt das Ganze anfänglich für
einen Irrtum, eilte in das Kriegsministerium, wo ich durch einen der
Bureauchefs erfuhr, daß kein Irrtum möglich, der Befehl vom König selbst
gekommen sei, und zwar mit dem ausdrücklichen Beisatz, ihn
augenblicklich zu vollziehen. Nun war ich wie vom Donner gerührt und
wußte mir die Sache nicht zu erklären; noch vor wenigen Tagen hatte ich
aus guter Hand erfahren, daß der König die Absicht habe, mich nächstens
zum Stabsoffizier zu befördern und unter die Zahl seiner Adjutanten
aufzunehmen, und nun diese plötzliche allerhöchste Ungnade! Ich eilte in
den Palast, konnte aber nicht vor Murat kommen, sondern nur soviel von
dem diensttuenden Kammerherrn herausbringen, daß wenn der Kriegsminister
eine solche Order bekomme, es auch seine Richtigkeit damit und sein
Bewenden dabei haben müsse, und dies teilte er mir mit sehr trockenen
Worten mit, nachdem er wieder aus dem königlichen Kabinett gekommen war.
Ich sprach noch die Cavalcanti, die aber von allem nichts wußte, und
einige andere Bekannte, die mich mit ein paar bedauernden Worten und
Achselzucken entließen, und empfand so, was es heißt, in eine königliche
Ungnade zu fallen. Ich sah nun wohl ein, daß mir hier nichts anderes
übrig bleibe, als Order zu parieren, ließ packen und machte mich zum
Abmarsch bereit. Noch aber wollte ich die Herzogin von Atri sprechen und
begab mich deshalb zu ihrer intimen Freundin, diese zu bitten, eine
letzte Zusammenkunft zu veranstalten. Die Marchesa Misuraca fuhr
sogleich zur Atri, kam jedoch sehr schnell wieder zurück und entdeckte
mir, daß diese seit vierundzwanzig Stunden äußerst streng von ihrem
Gatten bewacht würde, so daß sie keinen Schritt ohne denselben zu tun
vermöge, und daß dies durch den Einfluß einer allerhöchsten Person
geschehe; der König sei jedenfalls dabei im Spiel. Durch ein späteres
Schreiben von dieser Dame erfuhr ich, daß ich mir Murats Ungnade sowohl
durch meine Bekanntschaft mit der Herzogin von Atri, wie durch meine zu
große Vertraulichkeit mit der ersten Tänzerin, auf welche Seine Majestät
ebenfalls ein Auge geworfen hatte, zugezogen. Ich meldete mich nun bei
dem Bataillonschef, der die nach Tarent bestimmten Truppen befehligte
und mir eine Kompagnie zur Führung übergab. Nach einer fast schlaflosen
Nacht marschierte ich in aller Frühe mit diesen Truppen aus Neapel in
einer höchst düsteren und melancholischen Stimmung ab, so traurig hatte
ich bis jetzt noch keine Garnison verlassen. Noch vierundzwanzig Stunden
vorher sah ich mich auf dem Gipfel des Glücks, hoffte bald ein
Oberstpatent in meinem Portefeuille zu haben, sah mich als Murats
Adjutant, ein Generalspatent konnte dann auch nicht lange mehr
ausbleiben, dem der Marschallsstab bald folgen mußte, mit dem jetzt
immer ein Herzogstitel, vielleicht auch ein Herzogtum verbunden war,
wenn mir das Glück in einem Feldzug günstig sein würde, vielleicht gar
einmal das Großherzogtum Frankfurt, und während ich so _à la_
Milchmädchen träumte und Pläne machte, brach auch mein Topf, und eine
einzige Order vernichtete alle. -- Aber wie bald sollte es nicht hundert
anderen und selbst Murat und Napoleon ebenso ergehen. -- Erst in Tarent
sollte ich völlige Gewißheit über mein Schicksal erhalten, und bis dahin
plagte mich obendrein eine peinliche Unruhe, das Schlimmste von allem.
-- Indessen wer weiß, wozu es gut war; wäre es nicht so gekommen, so
hätte ich mit nach Rußland gemußt, vielleicht in dessen Eisfeldern mein
noch junges Leben ausgehaucht, und dann wäre die Welt nie mit diesen
Memoiren beschenkt worden. Wollte Gott, es wäre so geworden, höre ich
manchen gestrengen Moralisten und gelehrten Zopfkritiker ausrufen. --
Der Himmel hat es aber einmal nicht so gewollt, meine gestrengen Herren
von der Halleschen, Jenaer und anderer Literaturbasen. -- Bald darauf
brachen Murat, seine Garden und seine Armee nach Deutschland auf, um
sich dem großen, sich daselbst versammelnden Heer anzuschließen, das
Rußland -- nicht eroberte.




                                  III.

   Marsch von Neapel nach Tarent. -- Eine Zusammenkunft zu Caserta. --
   Die caudinischen Engpässe. -- Avelino. -- Dentekane. -- Tarent. --
   Einschiffung nach Korfu. -- Seegefecht auf der Höhe von Tunis. --
       Ankunft zu Korfu. -- Beschreibung der Jonischen Inseln. --
       Der heilige Spiridion und seine Feste. -- Das Theater und
     Liebhabertheater. -- Seltsame Zusammensetzung der Garnison. --
     Pallea Castrizza. -- Ein Exorzismus. -- Erdbeben. -- Türkische
    Tabaksbeutel. -- Ein giftiger Schlangenbiß. -- Capo d'Istria. --
   Die Entführung einer Braut. -- Ein Seeturnier. -- Paxo. -- Parga.
   -- Prevesa. -- Thiaki. -- Santa Maura. -- Der leukadische Felsen.
                                -- Fano.


Kaum hatte ich noch soviel Zeit übrig gehabt, vor meinem Abmarsch meinen
besten Freunden und Bekannten in Neapel ein Lebewohl im Vorübergehen zu
sagen. Über fünf Vierteljahre hatte ich in dem schönen Parthenope ein
äußerst angenehmes Leben _in dolce giubilo_ und _la fare l'amore_
zugebracht und sah die Stadt, in der es mir so wohl ergangen war, der
ich jetzt den Rücken wenden mußte und noch manchen Blick schenkte,
vielleicht für immer aus den Augen schwinden. Was mich mit am meisten
schmerzte, war, daß ich mein Ballett, mit dem ich mir so viel Mühe
gegeben, nicht einmal aufführen sehen sollte. Dies wollte mir anfänglich
gar nicht aus dem Sinn. Bei ziemlich trübem Wetter, das mit meiner
Stimmung harmonierte, marschierten wir ab. Unsere erste Etappe sollte
Nola sein. Als wir auf dem halben Wege dahin Halt machten, kam ein
zweirädriges Kabriolett in großer Hast gefahren und hielt, als es die
Truppen erreicht hatte, still. Ein Mensch in Zivilkleidern sprang
heraus, erkundigte sich nach mir und übergab mir ein Billett, das ich
schnell erbrach und in welchem ich im Namen der Duchessa d'Atri dringend
aufgefordert wurde, mich, sobald ich diese Zeilen gelesen, doch sogleich
nach Caserta zu begeben, wo mich erstere noch einmal zu sprechen
wünschte; sie habe jetzt nach meiner Abreise ihre Freiheit wieder
erhalten. Dem Überbringer möge ich Antwort mitgeben. Ich ging zum
Bataillonschef, um von diesem die Erlaubnis zu erhalten, mich auf sechs
bis acht Stunden entfernen zu dürfen, indem ich jedenfalls mit der Nacht
in Nola eintreffen wolle. Dieser wagte es jedoch nicht, die
Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, und verstand sich nur dazu, meine
Abwesenheit ignorieren zu wollen, so lange dieselbe unbemerkt bleiben
und keinen Eklat machen würde. Ich schrieb nun mit Bleifeder auf ein
Blättchen, daß ich in einigen Stunden zu Caserta an dem mir angegebenen
Ort eintreffen würde. Das Detachement marschierte weiter, ich blieb mit
einem Bedienten zurück, ritt in gestrecktem Trabe über Marigliano und
Acerra nach Caserta und legte den sechs Stunden langen Weg in weniger
denn zwei zurück. Die schweißtriefenden Pferde ließ ich einstellen und
eilte in den Garten, wo ich niemand fand. Bereits wartete ich an dem von
Neapel kommenden Weg beinahe eine Stunde, als ich endlich ein
Mietsfuhrwerk von daher antraben sah. Ich stellte mich hinter ein
Gemäuer, um den Wagen ungesehen vorüberfahren zu lassen, und erblickte
in demselben zwei hübsche und sehr nett gekleidete Landmädchen, die ich
aber bald für die Duchessa und ihre Freundin erkannte. Ich eilte ihnen
nach und half den schmucken Contadinen aus dem Wagen, als er an der
Lokanda hielt, wo ich mir schon ein Zimmer hatte geben lassen. Jetzt
schloß ich die heftig weinende und mir um den Hals fallende Atri in die
Arme, die mir schluchzend sagte, wie sehr ihr diese ganz unerwartete
Trennung zu Herzen gehe, daß sie untröstlich und überzeugt sei, daß der
Schlag vom König selbst käme, ihn aber unsere gemeinschaftlichen Feinde
herbeigeführt hätten. Ich suchte nun alle möglichen Trostgründe hervor,
wie daß Tarent nicht aus der Welt liege, ich später gewiß wieder nach
Neapel zurückkommen würde und Ähnliches. Aber dies alles fruchtete
wenig, sie behauptete, daß wir uns jetzt zum letztenmal sähen, und hatte
recht. Die beiden Damen waren, um ganz unbemerkt nach Caserta zu kommen,
aus einem Kasino in der Nähe von Neapel abgefahren, in welchem sie sich
als Landmädchen verkleidet und wohin sie den Mietswagen hatten kommen
lassen. Wir brachten noch ein paar selige Stunden hier zu und
versicherten uns beim Abschied mit tränenden Augen ewige Liebe,
Nimmervergessen und was dergleichen Larifari mehr sind; meine teure
Geliebte gab mir beim Abschied eine in Gold gefaßte Locke nebst einem
Ring, wogegen ich ihr ein Büschelchen von meinen Haaren abschneiden
mußte. Nach einem reichlichen Tränenbad von seiten der Damen stiegen
diese in ihren Wagen, um nach Neapel zurückzukehren, während ich im
Galopp auf dem entgegengesetzten Weg davonjagte, aber, über Maddaloni
und Arienza reitend, mich verirrte und statt nach Nola in die Valla
Caudina, jene berühmten Engpässe geriet, in welchen vor mehr als ein
paar tausend Jahren (430 nach Erbauung der Stadt Rom) das römische Heer
samt seinen Konsuln von den Samnitern so gänzlich eingeschlossen wurde,
daß es schimpflicherweise die Waffen strecken mußte.

Ich ritt, in diesen Engpässen irrend, hin und her und fand sie durchaus
nicht so unübersteigbar, daß sich ein Heer, besonders nach Benevento zu,
wo sich das Tal sehr erweitert, nicht hätte einen Ausgang bahnen können;
auch sind die Berge auf beiden Seiten an vielen Orten nicht so steil,
daß sie nicht zu erklettern wären, indessen ist es wohl möglich, daß auf
einem so vulkanischen Boden, wie dieser Teil von Italien, sich seit
langer Zeit das Terrain verändert hat, namentlich durch die häufigen
Erdbeben. Während ich mich vergeblich nach einem nach Nola führenden Weg
umsah, brach die Nacht herein; nach langem Umherirren kam ich endlich in
ein elendes Dorf in der Nähe von Benevento, wo ich mich entschloß, einen
Teil der Nacht zuzubringen, da sowohl die Pferde wie ich zum Umfallen
ermüdet waren. Zwei Stunden nach Mitternacht stand ich jedoch auf und
machte mich, ohne viel geruht zu haben, wieder auf den Weg, denn ich
fürchtete, daß, weil ich mich nicht in Nola eingefunden, der
Bataillonschef meine Abwesenheit melden möchte, was mir bei der Stimmung
Murats hinsichtlich meiner höchst nachteilig werden und die schlimmsten
Folgen haben konnte. Da ich wußte, daß, da das zweite Nachtquartier in
Avelino bestimmt und sicher war, das Detachement bereits von Nola
abmarschiert sein müsse, so beschloß ich, gerade nach Avelino zu reiten
und meine lange Abwesenheit mit meiner Verirrung zu entschuldigen. In
Benevento nahm ich einen berittenen Führer mit, den ich gut bezahlte,
und traf noch vor unseren Quartiermachern in Avelino ein, wo ich das
Bataillon mit Sehnsucht erwartete. Es kam erst den Nachmittag an; ich
meldete mich sogleich bei seinem Kommandanten, dem ich die Fatalität
meiner Verirrung mitteilte. -- »Es ist die höchste Zeit, daß Sie sich
einfanden,« versetzte er, »denn sonst hätte ich Sie melden müssen.« --
»Also noch nicht gemeldet!« rief ich aus, und ein schwerer Stein fiel
mir vom Herzen. Ich erzählte nun dem braven Mann, wie es mir ergangen,
und bemerkte ihm lächelnd, daß, wenn ich gewußt, daß ich in die _forche
caudine_ geraten, ich mich gar nicht entfernt haben würde, indessen sei
es mir als Soldat doch lieb, diese geschichtlich so merkwürdige Position
kennen gelernt zu haben. Der gute Mann wußte aber gar nicht, was ich
damit sagen wollte, denn die Geschichte war ihm so fremd als das Innere
der Erde; er ließ sich den Unfall der Römer von mir erzählen, hörte mir
mit großem Vergnügen zu und hielt mich von jetzt an für einen
grundgelehrten Mann und tüchtigen Militär, so daß er mich bei allen
Kleinigkeiten auf dem ganzen Marsch um Rat fragte und ich auf dem besten
Fuß mit ihm stand. Den nächsten Tag marschierten wir nach Dentecane und
zwar bei einer für diese Gegend grimmigen Kälte, -- ein ganz
abscheuliches Nest, das seinem Namen (Hundezahn) alle Ehre macht. Die
Quartiere der Offiziere waren abschreckend, selbst für bares Geld nichts
zu haben, und die Soldaten lagen wieder in den Kirchen. Den vierten Tag
kamen wir nach Ariano bei fortwährend steigender Kälte und starkem
Schneegestöber. Diese Stadt liegt sehr hoch, hat an zehntausend
Einwohner und über zwanzig Klöster. Wir kamen halb erfroren und halb
verhungert daselbst an, hatten einen Rasttag, um uns zu restaurieren,
aber die Quartiere waren nicht viel besser als in Dentecane. Da ich
meistens ritt, hatte ich mir beinahe die Füße erfroren und konnte nur
mit aller Mühe einige Paare wollene Halbstrümpfe auftreiben, mich vor
der Kälte zu schützen; solches Wetter hatte ich im südlichen Italien
noch nicht erlebt, ich trug in der Regel gar keine Strümpfe in den
Stiefeln. Ariano liegt auf einem dreifachen sehr hohen Hügel, der die
ganze Umgegend beherrscht; man übersieht von hier aus nicht nur die
großen Ebenen der Puglia, sondern man erblickt auch das Tyrrhenische und
Adriatische Meer sowie eine lange Kette der Apenninen. In einem der
Klöster einquartiert, machte ich die Bekanntschaft einiger nicht ganz
unwissender Mönche, die aus ihrem ziemlich leichtfertigen Klosterleben
kein Hehl gegen mich machten. Nach zwei Tagen brachen wir bei
fortwährend sehr ungünstigem Wetter über Bovino, Ordona, Cerignola,
kleinen und schmutzigen Orten, nach Barletta auf, einer nicht
unbedeutenden Stadt von mehr als fünfzehntausend Einwohnern, die am
Adriatischen Meer im Golf von Manfredonia liegt. Sie hat einen guten und
befestigten Hafen, eine schöne Lage und ist nicht schlecht von den
Ruinen des alten Cannä erbaut, das durch den Sieg Hannibals über die
Römer so berühmt ward. Hier hatten wir wieder einen Rasttag. In Bovino
angekommen, waren wir auf das Gebiet des alten Apulia getreten, welches
jetzt die Provinzen Bari, Otranto und die Capitanata in sich begreift.
Das Land ist im ganzen eben und sandig, aber dabei doch sehr fruchtbar,
seine Weine sind vorzüglich und sehr beliebt, ebenso das Öl, das
Schlachtvieh und die Angurien (eine Art köstlicher roter Wassermelonen).
Auf dem Platz zu Barletta steht die Bildsäule des Kaisers Heraclius, den
man für den mutmaßlichen Gründer dieser Stadt hält. Das Schloß derselben
galt ehedem für eines der drei bedeutendsten in ganz Italien. Das alte
Cannä, von dem nur noch wenig Überbleibsel vorhanden, lag mehrere
Miglien seitwärts gen Westen, zwei nebeneinander liegende Hügel
bezeichnen seine Stätte. Barletta ist durch ein besonderes historisches
Ereignis merkwürdig geworden. Als nämlich im Jahre 1503 der tapfere
spanische General Gonzalvo von Cordua hier sein Hauptquartier hatte,
fand während eines kurzen Waffenstillstandes ein berühmt gewordenes
seltsames Gefecht zwischen dreizehn Franzosen und dreizehn Italienern,
die sich gegenseitig herausgefordert und von ihren Feldherren die
Erlaubnis dazu erhalten hatten, bei dem nahegelegenen Flecken Quarato
statt. Der Sieg soll nach einigen Geschichtschreibern den Italienern,
nach anderen den Franzosen geblieben sein. Dieses Ereignis hat Stoff zu
mehreren Gedichten gegeben, von denen eines von Vida, einem Zeitgenossen
Gonzalvos, in lateinischen Versen verfaßt ist; auch in einem
italienischen historischen Roman hat man diese Begebenheit eingewebt.
Ich war über die vielen hier an der Küste des Adriatischen Meeres
liegenden, ziemlich gut gebauten Städte, die meistens wohlhabend sind
und Handel mit Landesprodukten treiben, erstaunt. Die Bewohner dieser
Gegend sind ein heiteres, lebenslustiges Volk, ganz verschieden von den
wilddüsteren Kalabresen. Von hier marschierten wir über Trani (das alte
von Trajan restaurierte Trajanopolis), Biscaglia, das auf einem wegen
seines vortrefflichen Weins berühmten Felsen liegt, Molfetta, durch
seine Fabriken und seinen Schiffsbau bekannt, Giovenazzo mit einem
festen Schloß, lauter bedeutenden, an dem Meeresufer liegenden Städten,
nach Bari, wo wir abermals einen Tag rasteten, das die Hauptstadt der
Provinz gleichen Namens ist und über zwanzigtausend Einwohner zählt.
Sein guter Hafen, seine Fabriken, sein bedeutender Handel machen die
eine treffliche Lage habende Stadt sehr wohlhabend. Hier wurden auch
ehedem die Könige von Neapel gekrönt, und im Jahre 1098 hielt Urban II.
ein Konzilium in der Kirche des heiligen Nicolas, wodurch er bezweckte,
die griechische mit der lateinischen Kirche zu vereinigen, aber seinen
Zweck verfehlte, wie männiglich bekannt. Es war gerade Karneval, als wir
hier waren, und eine Menge Masken zogen zu Fuß und in Wagen durch die
Straßen der Stadt. Von hier aus verließen wir wieder die Küste und
marschierten nun durch eine fast ganz wüste Gegend und abscheuliche
Nester und Wege nach Tarent. Es war Tauwetter eingetreten, der Boden
beinahe grundlos, so daß man bei jedem Schritt stecken blieb und die
Leute die Schuhe oft wieder mit den Händen aus der Erde graben mußten.
Die erste Nacht brachten wir in einzeln stehenden Gebäuden und Höfen zu.
Die Märsche wurden jetzt immer beschwerlicher, der Boden seichter, und
die Entfernungen schienen endlos. Um sieben Uhr des Morgens hatten wir
jenes Gehöft verlassen, und erst abends nach sechs Uhr, bei schon
dunkler Nacht, kam kaum ein Dritteil der Mannschaft in Gioja, einem
ärmlichen Städtchen, an. Der Rest des Bataillons hatte sich in Marode
und Nachzügler aufgelöst und kam einzeln bis nach Mitternacht, viele
schuhlos, angehinkt; selbst in Kalabrien entsinne ich mich keines so
abscheulichen Marsches, die Pferde sanken oft bis über die Knie ein, und
ich hatte fast den ganzen Weg zu Fuß gemacht. Schon war Mitternacht
vorüber, und noch immer fehlte die Arrieregarde nebst dem Bagagewagen,
auf dem sich auch mehrere Offiziersfrauen befanden, deren Männer jetzt
in großer Angst waren, nicht wissend, was aus ihren treuen
Lebensgefährtinnen geworden. Höchst besorgt rafften sie einige Leute
zusammen, sie aufzusuchen. Sie fanden endlich den Wagen am Saum eines
Gehölzes bis an die Achsen im Kot steckend, die Damen aber einige
hundert Schritte davon entfernt, tiefer im Wald um ein lustig brennendes
Feuer, welches die Fuhrknechte angezündet hatten, sehr trübselig und
zähneklappernd sitzen. Von der ganzen Arrieregarde war nur noch der
Offizier, ein Sergeant und ein Tambour vorhanden, die abwechselnd bei
dem Wagen und dem Feuer wachten, die übrige Mannschaft hatte sich
zerstreut oder verirrt und kam erst den anderen Tag vereinzelt in Gioja
an. Die Damen wurden nun auf Pferde gesetzt und kamen so gegen Morgen in
das Quartier. Vier oder fünf Tage mußten wir in dem erbärmlichen Gioja
bleiben, das mir deshalb merkwürdig war, weil die Erstgeborenen des
Hauses Atri den Titel Grafen von Giojo führten. Die Götter mögen wissen,
wer einen solchen Namen (Gioja, Freude) diesem elenden Ort gegeben, der
indessen doch nicht ganz ohne Freuden für mich war, da ich ein Quartier
bei einer sehr hübschen jungen schwarzäugigen Bürgersfrau hatte, deren
Mann eine gute Haut war, sich gerne zu Kommissionen gebrauchen und
verschicken ließ, wo ich dann seine Abwesenheit gut zu benutzen
verstand. Während unseres Aufenthaltes daselbst kamen sämtliche
Offiziere in einer Art Kaffeehaus jeden Morgen zusammen, wo dann bei
einem Eierkaffee -- Milch gab es keine -- Konseil gehalten wurde, ob
wohl an das Weitermarschieren zu denken sei. Ich widerriet es soviel als
möglich, meiner liebenswürdigen Wirtin zu Gefallen, endlich mußte aber
doch der Sache ein Ende gemacht werden, und den fünften Tag unseres
Sejours daselbst bestimmte das Konseil und der Kommandant, daß wir den
kommenden Morgen nach Tarent aufbrechen würden, wo wir nach zweimal
vierundzwanzig Stunden ziemlich wohlbehalten eintrafen und zu unserem
nicht geringen Erstaunen ein französisches Geschwader in der Reede vor
Anker liegen sahen, das schon etwa vor acht Tagen von Toulon gekommen
war. Hier fand sich auch ein Befehl zu unserer Einschiffung vor, sowie
daß unsere Bestimmung, und namentlich auch die meinige, die Insel Korfu
und ich dem zweiten daselbst in Garnison stehenden _Régiment étranger_
zugeteilt sei. Einen Brief von meiner geliebten Atri, in einem anderen
der Marchesa eingeschlossen, fand ich _poste restante_ vor, wie wir es
verabredet hatten. Derselbe enthielt nebst zärtlichen Beteuerungen
ewiger Liebe die ausführliche Geschichte der Intrige, die mich so
plötzlich und unerwartet aus Neapel gebracht und die niemand anders
gesponnen hatte, als mein Busenfreund Laviani im Verein mit Longchamps
und dem Sekretär Montfort. Er war nämlich meinem Verhältnis mit der Atri
auf die Spur gekommen, und da er wußte, daß auch Murat ein Auge auf die
Dame hatte, so bestach er eine Kammerfrau der Herzogin, die ihm Briefe
und Billetts von mir auslieferte, welche dem König in die Hände gespielt
worden waren, dem auch Longchamps steckte, daß sich meine ganze
Theaterliebhaberei in der ebenfalls von Seiner Majestät gerne gesehenen
_prima ballerina seria_ konzentriere. Daher die plötzliche allerhöchste
Ungnade, die mich aus allen meinen Himmeln in die bodenlosen Gründe
Apuliens gestürzt hatte. Jetzt war mir alles klar. »O Leviathan Laviani,
hätte ich dich doch noch einmal vor der Klinge!« rief ich vergeblich zu
Tarent aus. Und die Aufführung der Donaunymphe, deren in Szenesetzen
über hunderttausend Franken gekostet hatte, unterblieb definitiv. Die
Geschichte gab indessen der neapolitanischen schönen Welt hinlänglichen
Stoff zu sehr unterhaltenden Klatschereien.

Da der Wind nicht günstig war, so konnten wir auch nicht sogleich
abfahren, sondern verweilten noch ungefähr acht Tage im Golf von Tarent.

Endlich war uns der Wind günstig, und den achten Tag nach unserer
Ankunft verließen wir mit angeschwollenen Segeln den Golf von Tarent.
Ich war mit der Kompagnie, die ich befehligte, auf dem >Boreas<, einem
Linienschiff von achtzig Kanonen, mitsamt meinen drei Pferden, in deren
Besitz ich noch war, denn ich hatte keine Zeit und Gelegenheit mehr
gehabt, mich auch nur eines derselben zu entledigen, eingeschifft. Das
Einschiffen dieser Tiere war komisch genug; nachdem man ihnen Gurte um
den Bauch gebunden, wurden sie von einer Barke in die Höhe gewunden, so
daß sie bald mit allen Vieren zwischen Himmel und Wasser schwebten,
wobei es ihnen sonderbar zumute gewesen sein mag und sie mit allen
Vieren festen Fuß zu fassen suchten, daß es recht jämmerlich-ergötzlich
anzusehen war. Als die Anker gelichtet waren, fuhren wir mit frischem
Maestro in aller Frühe davon, aber gegen Abend erhob sich ein gewaltiger
Sturm, der die Nacht durch wütete und die ganze Flotte, aus vier
Linienschiffen und mehreren Fregatten bestehend, trennte und zerstreute,
so daß wir mit dem anbrechenden Tag nur noch eine unserer Fregatten in
weiter Ferne sahen. Da der Sturm noch immer währte, so waren längst alle
Segel eingezogen und das Schiff dem Spiel der hochgetürmten Wellen und
den tobenden Winden preisgegeben. Zweimal vierundzwanzig Stunden hielt
dieses Wetter an, und wir befanden uns, als es nachließ, im Angesicht
der afrikanischen Küste auf der Höhe von Tunis. Gegen Mittag zeigten die
Wachen auf den Masten an, daß sie am Horizont gegen Norden mehrere
Schiffe wahrnähmen. Bald sahen wir diese auch vom Verdeck. Man hielt sie
für feindlich und hatte in kurzer Zeit die Gewißheit, daß es drei
englische Fregatten waren, die mit vollen Segeln auf uns zufuhren. Der
Kapitän des >Boreas< war ein sehr tapferer und erfahrener Seemann, von
großer Entschlossenheit. Er ließ das Schiff sogleich in den besten
Angriffs- und Verteidigungszustand setzen, alle Kanonen wurden
angezogen, sämtliche Mannschaft an ihren Posten aufgestellt, und die
Landtruppen, welche, soweit sie befähigt waren, den Dienst mit der
Marine zusammen zu versehen, wurden, was nicht seekrank (ein Dritteil
der Kompagnie), gleich als schlagfertig aufgestellt. Ich stand an der
Spitze derselben auf dem Verdeck. Die englischen Schiffe kamen jetzt
heran, fuhren pfeilschnell an uns vorüber, eine volle Ladung gebend, die
wir sogleich erwiderten. Mehrere Kugeln hatten das Schiff von
verschiedenen Seiten durchbohrt und die herumfliegenden Splitter des
Holzes viele Soldaten und Matrosen verwundet. Als die dritte englische
Fregatte vorüberfuhr, hatte eine Kettenkugel einen Artillerie-Sergeanten
nebst drei Mann, kaum vier Schritte von mir entfernt, niedergerissen und
mit fortgeschleudert. Ich gestehe, daß mir bei diesem Gefecht, wo wir
nur eine durchaus passive Rolle spielten, eben nicht sonderlich zumute
war. Die Unbekanntschaft mit der Größe der Gefahr, die Löcher, die das
Schiff erhielt, das wir glaubten entweder untergehen oder in die Luft
springen zu sehen, das Getöse, Gepfeife, Gebrüll durch die Sprachrohre,
der Lärm der Matrosen war uns alles ganz neu. Die Engländer wiederholten
noch einigemal ihre Manöver, ohne daß wir ihnen einen bedeutenden
Schaden hätten zufügen können, denn die abfeuernden Fregatten waren
jedesmal wieder weiter, bevor wir unsere Ladung gaben, die dann in Dampf
und Rauch ging, hinter denen wir die Schiffe noch vermuteten, auch
wendeten sie sich wohl viermal, bevor wir uns einmal wenden konnten, und
feuerten dann wieder von der anderen Seite ab. Ihre Manöver waren den
unseren in allen Dingen weit überlegen. Schon hatte das Gefecht beinahe
eine Stunde gedauert, ohne daß noch etwas Entscheidendes geschehen wäre,
jedoch hatte es allen Anschein, daß wir unterliegen würden, als mehrere
größere Schiffe mit vollen Segeln auf uns zukamen und Signale machten,
in denen wir die Linienschiffe der zu uns gehörenden Flotte erkannten,
welche der Sturm verschlagen hatte. Nun fanden die Engländer für gut,
das Weite zu suchen, und fuhren in aller Eile davon, uns noch ein paar
tüchtige Ladungen zurücklassend. Die Ankunft dieses Sukkurses war ein
großes Glück für uns, denn wir würden sicher am Ende den kürzeren
gezogen haben; an ein Ergeben wäre nicht zu denken gewesen, unser
Kapitän hatte geschworen, das Schiff eher in die Luft zu sprengen, und
er war der Mann, der imstande war, sein Wort zu halten. Schon jahrelang
hatte er sich die Nägel an der linken Hand, an der er immer einen
Handschuh trug, nicht abgeschnitten, da er ein Gelübde getan, dies nicht
eher zu tun, als bis er ein englisches Schiff genommen oder in den Grund
gebohrt haben würde. Wahrscheinlich ist er mit seinen langen Nägeln zu
Grabe gegangen. Aber dies mag ein Beweis von dem Haß sein, welcher zu
jener Zeit zwischen den beiden Nationen bestand. So befreit, segelten
wir nun mit den bei uns angekommenen Schiffen, es waren zwei
Linienschiffe und eine Fregatte, weiter, verließen die afrikanische
Küste, kamen an der südlichen Spitze von Sizilien vorüber und suchten
baldmöglichst unsere Bestimmung zu erreichen, was den zehnten Tag nach
unserer Abfahrt von Tarent der Fall war, wo wir gegen Mittag die Festen
und Türme der Stadt Korfu zu Gesicht bekamen, in deren Reede wir noch
den nämlichen Abend die Anker warfen und den folgenden ausgeschifft
wurden.

Was mir gleich beim Landen auffiel, war, daß ich außer dem Militär nur
sehr wenige europäische und fast nur griechische, albanesische,
türkische und andere orientalische Trachten zu Gesicht bekam. Besonders
frappierten mich die albanesischen Soldaten, von denen ein ganzes
Regiment, meistens Überläufer von der Miliz des furchtbaren Ali Pascha
in Janina, in französischem Sold stand, mit ihrem Nationalkostüm, ihren
kostbaren Waffen und ihren ungeheuren großen silbernen oder goldenen
Schnallen in Tellerform, mit silbernen Ketten belastet, welche bei jedem
Tritt klirrten und rasselten.

Die neuangekommenen Truppen wurden sogleich in die Fortezza Vecchia
kaserniert; die Offiziere erhielten Quartiere in der Stadt, die aber nur
aus einem fast ganz kahlen Zimmer bestanden, in welchem ein paar Blöcke
mit einigen Dielen, eine dünne Matratze, zwei Bettücher von Baumwolle,
eine Decke von gleichem Stoff, das Bett und zwei Holzstühle mit einem
kleinen Tisch das ganze Ameublement bildeten. Dies alles wurde durch das
Quartieramt geliefert. Auch die Stabsoffiziere waren nicht viel besser
logiert, nur daß sie ein paar Zimmer und Stühle mehr hatten. Die
Soldaten schliefen auf den kahlen hölzernen Pritschen und hatten nicht
einmal Strohsäcke, noch weniger Decken. Nur im Lazarett erhielten sie
eine dünne Matratze. Diese Art zu kasernieren hatte wenigstens das Gute,
daß die Leute von dem Ungeziefer, namentlich den Flöhen weniger zu
leiden hatten.

Ich war zu dem zweiten _régiment étranger_ versetzt worden, von dem zwei
Bataillone in Garnison in Korfu lagen, und bei dem ich viele alte
Bekannte traf, denn es war zum Teil aus dem ehemaligen Regiment Y.
gebildet, das, wie das Regiment Latour d'Auvergne und andere Regimenter
der Art, in mehrere _régiments étrangers_, die numeriert wurden,
verschmolzen worden war. Ich wurde dem zweiten Bataillon zugeteilt, das
erste stand noch in Italien, welches der Bataillonschef von Brüge,
derselbe, mit dem ich schon in Genua in sehr freundschaftlichen
Verhältnissen gestanden hatte und dessen Tochter Josephine jetzt zu
einem blühend schönen vierzehnjährigen Mädchen herangereift war,
kommandierte. Außer dieser Familie fand ich noch Madame Gasqui, die
unter der Zeit Witwe und die Geliebte des Gouverneurs der Jonischen
Inseln, des Generals Donzelot, geworden war, und mehrere andere bekannte
Offiziere und Damen vor.

Die Jonischen Inseln waren durch den Frieden von Tilsit (1807) an
Frankreich gekommen, dem sie aber die Engländer alle bis auf das feste,
mit Gewalt fast uneinnehmbare Korfu und das kleine Paxo wieder
abgenommen hatten. Reizend sind die Umgebungen von Hyères; einladend
liegt das milde Nizza, herrlich das prächtige Genua da, nicht minder
anziehend Kataloniens Hauptstadt Barcelona und paradiesisch sind
allerdings die Umgebungen von Neapel und die Insel Capri. Aber
unvergleichlich und wahrhaft himmlisch ist das Klima der Jonischen
Inseln, unter denen sich besonders Zante, »_il Paradiso del Levante_«,
durch seine Lage und die innere Beschaffenheit seines Landes
auszeichnet.

Nichts läßt sich mit dem Zauber der jonischen Sommernächte vergleichen,
und hier währt der Sommer fast volle neun Monate. Unter Oliven und
Lorbeeren liegen die Einwohner, den Blick zu den hier dreimal glänzenden
Sternen gewandt, in behaglicher wollüstiger Ruhe die ganze Nacht und
bringen sie mit Singen, Erzählen und Betrachtungen hin, die Nähe des
allmächtigen, des unbegreiflichen, des schöpferischen Weltgeistes
ahnend. In keinem anderen Lande Europas, weder in Italien noch in
Spanien, noch im südlichen Frankreich sind die Sommernächte so reizend
und erwecken so hohe Empfindungen und Gefühle als auf den Jonischen
Inseln, unter dem jonischen Himmel. Nirgends wirkt die Natur so
beseligend als in den Tälern von Korfu oder auf den Olivenhügeln von
Zante. Ewig unvergeßlich sind mir die paar Jahre, die ich hier
zubrachte, und sie gewähren mir die süßesten Rückerinnerungen.

Die Insel Korfu, welche zur Zeit der französischen Okkupation
(1807-1814) etwas über sechzigtausend Einwohner, die zehn- bis
zwölftausend Mann starke Garnison nicht inbegriffen, zählen mochte, hat
einen Umfang von beinahe dreißig deutschen Meilen.

Auf der ganzen Insel ist jetzt nur noch eine Stadt, die Hauptstadt
Korfu, die außerordentlich gut befestigt und von zwei durch Gewalt
uneinnehmbaren Zitadellen oder Forts beschützt wird. Die Straßen der
Stadt sind größtenteils sehr eng, krumm, hügelig und uneben. Nur zwei
derselben sind ziemlich breit; da man aber nie einem Fuhrwerk hier
begegnet, so hat dies nichts zu sagen. Kein Haus hat mehr als zwei
Stockwerke; keines hat einen Hof oder gar einen Garten, fast alle haben
aber Vorhallen und Arkaden, unter denen die Kaufleute ihre Buden haben
und ihre Waren feilhalten. Die Stadt zählt zwölf- bis fünfzehntausend
Einwohner, die übrigen Bewohner der Insel leben teils in hundertdreißig
Flecken und Dörfern, teils in einzelnen Häusern und Hütten, die auf der
ganzen Insel zerstreut liegen.

Die Venezianer hatten die ganze Insel in sieben Kantone eingeteilt, und
diese Einteilung wurde unter der französischen Herrschaft auch
beibehalten. Eigentlichen Ackerbau kennt man so wenig wie Gemüsegärten.
Der Weinstock wächst längs anderen Baumstämmen wild hinan oder auf den
zu diesem Zweck amphitheatralisch angelegten Terassen der Berge. Die
Natur tut hier fast alles, der Mensch wenig mehr, als das, was sie ihm
bringt, zu sammeln und zusammenzuraffen. Die Oliven werden nicht einmal
von den Bäumen gepflückt, sondern man wartet, bis sie abfallen, recht
sie dann zusammen und läßt sie durch ein Pferd oder ein Maultier
zwischen zwei großen Mahlsteinen zermalmen. Mühlen kennt man so wenig
als Keltern. Nur einige alte Windmühlen, die aber längst nicht mehr im
Gange waren, entsinne ich mich vor dem Flecken Castrades an dem Ufer der
See gesehen zu haben. Der Korfiote schläft in der Regel von der zehnten
Stunde des Morgens bis zur fünften oder sechsten des Abends, vom Monat
März bis Ende Oktober, und ruht dann des Nachts meistens unter freiem
Himmel von den Strapazen, das heißt vom Schlafen des Tages und dem Essen
aus. Letzteres ist freilich sehr mäßig, und ich glaube nicht, daß sich
ein Österreicher von mittelmäßigem Appetit mit dem begnügen würde, was
zehn Griechen verzehren. Vor dem Schlafengehen, das heißt um neun Uhr
morgens, ist ein Stückchen Brot, etwas Knoblauch oder Zwiebel oder ein
Stückchen weißer Ziegenkäse das Mahl, mit dem er zu Bette oder vielmehr
zu Boden geht, denn Bettstellen sind auf dem Land ganz unbekannte Dinge,
und der Korfiote schläft mit seiner Familie auf einer groben wollenen
Decke auf dem ungedielten Boden seiner Hütte, der aus der kühlen Erde,
wie sie die Natur geschaffen hat, besteht. Beim Wiedererwachen wird das
Mittagmahl eingenommen, dessen Zubereitung in der Regel keiner
Brennmaterialien bedarf. Etwas Kräuter mit Seesalz, Öl und Zitronensaft
angemacht, ein Stückchen Brot, ein gesalzenes Fischchen, nicht viel
größer wie eine genuesische Sardelle, und ein Schluck Mischwein reichen
hin, jedes Glied der Familie zu sättigen. Hierzu kommt noch, daß der
Grieche fast ein Dritteil des Jahres Fasten hat, welche er auf das
genaueste und strengste beobachtet und während deren er sich nicht nur
aller Fleischspeisen, Eier und dergleichen enthalten muß, sondern sich
auch keiner Art von Fett bedienen darf, folglich auch des Öles nicht; ja
nicht einmal Milch oder Käse darf er genießen. Es bleibt ihm nun nichts
übrig, seinen Hunger zu stillen, als Kräuter, Gemüse, die er roh oder
abgesotten mit Salz und Zitronensaft verspeist, und Brot oder Zwieback.
Dabei sind die Leute kerngesund, kräftig, wissen nicht viel von
Krankheiten und ebensowenig von Nahrungssorgen. Anders ist es freilich
in der Stadt, deren Einwohner wenigstens zu einem Fünftel aus
Italienern, meistens Venezianern, bestehen, die Abkömmlinge
venezianischer Familien sind, welche Spekulation oder auch Verbannung
nach Korfu führte. Unter ihnen sind manche berühmte und bekannte Namen
venezianischer Nobili, wie die Grafen Monzenigo, Dandolo, Contarini und
so weiter.

Die reichen Einwohner der Stadt Korfu werden nach der Quantität Öl
geschätzt, die sie alljährlich machen; und wie man zu Paris sagt, er hat
so und so viel tausend Franken Revenuen, sagt man zu Korfu, er hat so
und so viel hundert Krüge Öl zu verzehren. Ebenso bekommt eine Braut
eine gewisse Zahl Olivenbäume zur Aussteuer mit. Diese Bäume sind hier
von einer ungewöhnlichen Größe und Schönheit, so wie man sie in keinem
anderen Lande Europas, weder in Spanien noch in Italien sieht, und
machen den Reichtum der Insel aus. Das Öl, besonders das von Paxo, ist
vortrefflich, kristallhell und hat oft die Farbe des reinsten
Quellwassers. Dieses Öl ist so wohlschmeckend und man gewöhnt sich so
sehr daran, daß, als ich wieder nach Deutschland zurückkam, ich auch die
beste Butter unangenehm schmeckend fand und mich erst wieder daran
gewöhnen mußte. Die Besitzer der Olivenwälder sind große Herren und
verzehrten früher einen Teil ihrer Einkünfte in Venedig, wo sie meistens
den Winter zubrachten. Während der französischen Herrschaft schmolzen
ihre Revenuen jedoch fast auf nichts zusammen, da man das Öl nicht
ausführen konnte, indem Korfu beständig von den englischen Schiffen
blockiert wurde, so daß alle Schiffahrt und Versendungen aufhörten, und
nur mit großer Mühe und Gefahr die Kanonierschaluppen der Regierung in
finsteren Nächten es wagten, nach Otranto zu segeln, um die Verbindung
mit dem festen Land einigermaßen zu unterhalten, und dennoch fielen auch
diese nicht selten in die Hände der Engländer. So kam es denn, daß der
Wert des Öles, für das man keinen Absatz mehr finden konnte -- das
meiste ging früher nach Venedig und Triest -- fast auf Null herabsank,
und der Adel und die Wohlhabenden in Korfu, deren Reichtum fast
ausschließlich in diesem Produkt bestand, sich in der größten Not und
Geldverlegenheit befanden, so daß viele von ihnen ihre Olivenbäume
umhauen, Kohlen daraus brennen ließen und diese verkauften, um leben zu
können; ein ungeheurer Nachteil und Verlust, da, wie bekannt, der
Olivenbaum einer langen Reihe von Jahren bedarf, bevor er so weit ist,
daß er Früchte bringt.

Alles Getreide der Insel, worunter der Calambochio und Mais das meiste
liefert, reicht bei aller Mäßigkeit der Korfioten kaum für den Bedarf
von vier bis fünf Monaten für die Bewohner der Insel hin, welche seit
Jahrhunderten gewohnt sind, das mangelnde gegen Öl einzutauschen. Da
dieses aber ebenfalls während der französischen Herrschaft nicht möglich
war, so war bisweilen das Brot so teuer, daß die Bewohner der Stadt das
Kommißbrot des Soldaten mit fünf bis sechs Piaster bezahlten und
verhältnismäßig teurer den Schiffszwieback, wenn kein Brot zu haben war.

Der Wein, den man auf der Insel Korfu zieht, ist sehr stark, meistens
schwarz und dick, und ungesund unvermischt zu trinken. Die weißen Weine
sind süß, feurig und dem Zypernwein sehr ähnlich; doch gibt es auch
herbe und rauhe. Würden die Weinberge sorgfältiger bebaut und wäre die
Behandlung des Weines anders, so müßte hier ein ganz vorzügliches
Getränk gezogen werden. Es lag aber in der Politik der venezianischen
Regierung, daß die Insel Korfu kein Weinland werden sollte, weil sie
einen ungeheueren Gewinn am Öl machte, das fast alles durch ihre Hände
ging und von dem sie wenigstens zwanzig bis dreißig Prozent zog. Deshalb
hatte sie auch das Anpflanzen korinthischer Weinstöcke auf Korfu bei
schwerer Strafe untersagt und nötigte so die Korfioten, sich auf den
Ölbaum zu beschränken.

In der ganzen Stadt Korfu ist auch kein einziges Gebäude, das als
besonders merkwürdig erwähnt zu werden verdient, und selbst der
Gouvernementspalast ist sehr mittelmäßig. An geräumigen Kasernen und
Magazinen ist zwar kein Mangel, aber sie sind weder bequem noch mit
Sorgfalt eingerichtet. Das Theater ist ein altes seltsames Gebäude, das
früher eine ganz andere Bestimmung hatte. Unter den vierzig griechischen
Kirchen und Kapellen ist keine einzige in architektonischer Hinsicht von
Bedeutung und nur zwei haben Türme, von denen der eine, der des Sankt
Spiridion, ein Glockenturm ist. Die Glocken aller anderen Kirchen sind
an einigen Seitenportalen angebracht oder hängen auch frei auf dem Dach.
Die Kirche des heiligen Spiridion ist ziemlich groß und geräumig und
wegen ihres hochverehrten Heiligen nicht nur in Korfu, sondern in ganz
Griechenland und wo man sich zur griechisch-christlichen Religion
bekennt, berühmt. Die Verehrung für diesen Heiligen ist so groß, daß
Gott, Christus, der heilige Geist und die Jungfrau ihm weit nachstehen
müssen, und während der Grieche gleichgültig zuhören würde, wenn man
jene lästerte, würde er sich mit Wut auf denjenigen stürzen, der sich
auch nur die leiseste unziemliche Bemerkung gegen diesen Heiligen
erlaubte.

Die venezianischen Adeligen, welche in Korfu wohnen, haben mehrere
Kasinos, in der Art, wie man sie in Venedig kennt, eingerichtet. Sie
waren es auch, welche die meisten Logen in dem Theater innehatten, in
welchem italienische Opern, Schauspiele und Ballette gegeben und während
der Franzosenzeit gar nicht übel und sogar mit Pracht aufgeführt wurden.
Das Orchester, wenigstens die blasenden Instrumente, bestand jedoch fast
ausschließlich aus französischer Militärmusik.

Bald nach meiner Ankunft zu Korfu wurde das Bataillon, bei dem ich
stand, und welches in der Zitadelle der alten Festung kaserniert
gewesen, nach Sankt Theodor, einem ehemaligen griechischen Mönchskloster
beordert, das auf der Stelle steht, wo sich früher die Gärten des
Alcinous befunden haben sollen, und wo nach Homer Odysseus die holde
Prinzessin Nausikaa und eine so freundliche Aufnahme fand. Dieses
Kloster lag eine kleine halbe Stunde von der Stadt entfernt, in einem
Olivenwald hinter dem großen Flecken Castrades. Meinen Tisch hatte ich
auf Einladung der Madame Brüge wieder bei dieser Familie genommen und es
auch übernommen, bei deren hübschen Tochter den Unterricht im Klavier
und Gesang fortzusetzen, den ich vor vier Jahren in Genua mit ihr
anfing. Indessen war sie weit vorangeschritten, da sie seitdem in
Italien bei guten Lehrern ihr musikalisches Talent ausgebildet hatte;
aber in Korfu war an solchen gänzlicher Mangel, und mein Erscheinen
daher der Familie Brüge sehr willkommen. Die Stimme meiner jungen
Schülerin war stark und wohlklingend geworden, es war ein hoher
lieblicher Silbersopran, und so machten mir diese Unterrichtsstunden
großes Vergnügen. Auch mit dem Tisch hatte ich große Ursache zufrieden
zu sein, da in Korfu auch nicht eine einzige gute Speiseanstalt war und
die unverheirateten Offiziere Menage zusammenmachten, wozu ein Soldat
als Koch diente. Man kann denken, wie da gekocht wurde. Doch machten
einige dieser Menagen eine Ausnahme, indem sie zufällig auf ein
Küchengenie gestoßen waren.

Außer dem Stadttheater, das nicht sehr groß ist, etwa sechs- bis
siebenhundert Zuschauer fassen konnte, und in dem Gebäude der ehemaligen
Börse, die längst unnütz geworden, eingerichtet war, fand ich auch ein
französisches Liebhabertheater vor, dessen (weibliche) Seele Madame
Gasqui war, und die Vorstellungen fanden -- _horribile dictu_ -- auf der
Hauptwache statt, das heißt in einem kleinen Saal dieses Gebäudes, in
dem früher Waffen aufbewahrt wurden. Ich war bald ein tätiges Mitglied
dieser Bühne, wodurch mir der Vorteil erwuchs, daß ich die Bekanntschaft
des Gouverneurs und anderer Autoritäten auf der Insel, wie die des
Generals Cardenneau, des Chefs des Generalstabs Baudouy, des
Kommissär-Imperial Lesseps und so weiter machte, und es nun an
Einladungen zu Diners und kleinen musikalischen Soireen nicht fehlte.

In dem großen Theater, dessen Impresario ein gewisser Delungo,
Ballettmeister und Grotesktänzer war, wurden _Opera seria_, _Opera
buffa_ und große Ballette aufgeführt. Das Personal desselben war nicht
wie in Italien auf eine Stagione, sondern immer auf ein ganzes Jahr
engagiert, weil das öftere Wechseln hier mit zu großen Schwierigkeiten
verknüpft gewesen wäre. Die _Prima donna seria_ war eine Signora Mariana
Recupido, die liebenswürdige Gattin eines schon an der Schwindsucht
laborierenden Tenors. _Prima Ballerina seria_ war Signora Giuseppina
Panzieri, ein allerliebstes blondgelocktes Mädchen, eine wahre
Graziengestalt. Nicht minder artig war die _seconda Ballerina_,
Chiaretta Gaspari, die ein recht naseweises Roxelanennäschen hatte. Als
ich in Korfu ankam, waren Guglielmis >_Amanti in scompiglio_<, Meyers
>_Ginevra di scozia_< und das Ballett >_Didone abbadonniata_< auf dem
Repertoire. Oper und Ballett waren gut besetzt, besonders war der
Kastrat, ein gewisser Matuccio, der den Ariodante sang, vortrefflich,
sowie die Recupido als Ginevra. Deren Gatte mußte aber bald darauf die
Bühne verlassen und wurde durch den Tenor Spiegoli, der eine sehr
frische und schöne Stimme hatte und den Polinesso ausgezeichnet gut gab,
ersetzt. -- Auch das Ballett war nicht übel; den ersten Tänzer machte
eine Dame, die sehr schön gebaut war. Die Panzieri war vortrefflich und
der Grotesktänzer machte furchtbare _Salti mortale_.

Das Leben der Garnison in Korfu war übrigens ein rechtes
Schlaraffenleben. Sie war mit Inbegriff der Albaneser wohl über
zwölftausend Mann stark und aus allen möglichen Nationen
zusammengesetzt. Sie bestand aus dem sechsten französischen Linien- und
dem vierzehnten leichten Infanterieregiment, jedes über dreitausend Mann
stark, zwei Bataillonen von dem zweiten Fremdenregiment, einem Bataillon
königlich italienischer und ein anderes neapolitanischer Truppen, den
Ruderas des Regiments _Chasseurs de l'orient_, das mit der französischen
Armee aus Ägypten zurückgekommen war, einem Bataillon Septinsulaner, so
genannt, weil sie unter den Venezianern einen Teil der Garnison der
sieben Jonischen Inseln ausmachten und aus Dalmatinern, Slavoniern,
Venezianern und einigen Griechen zusammengesetzt, einer Eskadron
_Chasseurs à cheval_, an hundert Mann stark, die aber kaum sechzig
Pferde hatten, dem Regiment oder vielmehr der Horde undisziplinierter
Albaneser, die nie in Reih und Glied zu bringen waren, und endlich einer
sehr zahlreichen französischen und neapolitanischen Artillerie nebst
mehreren Pionierkompagnien, dem Ingenieurkorps, Sappeurs und Mineurs.
Die ganze Marine bestand aus zwei in dem Hafen stationierenden
Fregatten, einigen Briggs und etlichen zwanzig Kanonierschaluppen.
Dieses gewiß seltsame Quodlibet, bei dem sogar Afrikaner und Asiaten
waren, bildete die Garnison von Korfu. -- Sämtliche Infanterie war
zugleich für den Artillerie-Festungsdienst eingeübt worden, um sie im
Fall einer Belagerung die Geschütze bedienen zu lassen, da die
vorhandene wirkliche Artillerie kaum für den sechsten Teil derselben
ausgereicht haben würde. Der Dienst im allgemeinen wurde aber,
wenigstens von den Offizieren, ziemlich nachlässig versehen, und zwar
so, daß sich dieselben erlaubten, zur Nachtzeit die Wachen zu verlassen
und erst gegen Morgen wieder sich auf denselben einfanden. Viele
derselben, sowie auch Unteroffiziere und Soldaten, waren hier förmliche
Handelsleute, Krämer, Handwerker und so weiter geworden, trieben alle
möglichen Geschäfte und erschienen fast nur bei den Revuen unter den
Waffen und in Uniform. Viele Offiziere machten allerlei kleine
Handelsspekulationen, namentlich die der Septinsulaner, welche sich
besonders auf den Schmuggel legten. Andere hatten Bäckereien angelegt,
noch andere sich mit dem Wasserhandel eingelassen, ließen die
Wasserfäßchen durch Soldaten hereinbringen und billiger als die Griechen
und Albaneser verkaufen und so weiter. Die Garnison hatte in der Regel
anderthalb bis zwei Jahre Sold zu gut, und man sah ihr deshalb von oben
herab manches durch die Finger. Ein anderes Übel, das einriß, war, daß
von den Generälen bis zum Tambour herab sich viele Militärs Mätressen
beilegten, meistens arme Griechinnen, die sie mit Bewilligung ihrer
Eltern zu sich nahmen, sie unterhielten, und die oft sehr schön waren.
Die Griechen der niederen Klassen verhandelten nicht selten ihre oft
kaum zwölfjährigen Töchter für wenige türkische Piaster, -- das
türkische Geld war das, was nebst dem venezianischen am meisten
kursierte -- an Offiziere oder Soldaten und beschworen dabei, daß sie
ihnen eine Jungfrauschaft überlieferten. War nun einer seiner Geliebten
überdrüssig oder konnte er sie nicht länger unterhalten, so verhandelte
er sie an einen anderen. Öfters unterhielten auch zwei bis drei
Kameraden ein solches Mädchen. Andere tauschten ihre Mätressen
gegenseitig aus, worauf der eine oder der andere noch einige Pokale Wein
zum besten geben mußte. Dies alles mußten sich die armen Geschöpfe wohl
gefallen lassen, waren manchmal auch mit dem Tausch ganz zufrieden.
Diese Mädchen sprachen außer dem Korfiotischen neugriechisch, gewöhnlich
etwas gebrochen venezianisch, lernten aber bald einige französische
Worte plappern. Sie hatten in der Regel einen natürlichen scharfen
Verstand, waren aber in allen Dingen, die praktische Liebe ausgenommen,
im höchsten Grade unwissend. Keine konnte schreiben oder lesen, selbst
nicht die, welche wohlhabenden Familien angehörten. Ebensowenig konnten
sie nähen oder stricken oder auch nur eine Suppe kochen. Den ganzen Tag
lagen sie auf den Strohsäcken oder Matratzen, wenn sie deren hatten. Ihr
Unterhalt kostete freilich wenig, da sie fast nichts aßen als Kräuter
mit Öl und Zitronensaft und etwas Brot und Mischwein, und eine kleine
Kammer bewohnten, für welche der jährliche Mietzins wenige Piaster
betrug. Die Offiziere und Sergeantmajors, die eigene Zimmer hatten,
nahmen sie meistens zu sich. Trotzdem der Sold so lange rückständig war
und ausblieb, lebten die Soldaten doch nicht schlecht, ja manche viel
besser als ihre Offiziere, da sie mit allerlei Arbeiten, die hier sehr
gut bezahlt werden, viel Geld verdienten. Außerdem stand die ganze
Garnison fortwährend auf dem Feldetat und erhielt folglich täglich außer
dem Brot ihre Portionen Fleisch, Wein, trockene Zugemüse, Salz, Holz,
Essig und so weiter, das freilich oft schlecht genug von den
Fournisseurs geliefert wurde. Oft fehlte es auch gänzlich an frischem
Fleisch und man teilte dann gesalzenes oder Speck aus den Magazinen aus.
Die Soldaten wurden von den Korfioten nicht selten auf das
gewissenloseste geprellt, wenn sie etwas verzehrten oder kauften. Man
kann sich kaum einen Begriff von der Verschlagenheit, List und
Schlauheit der Griechen im Betrügen machen, worin sie Meister sind. Man
mag sich stellen, wie man will und noch so sehr in Obacht nehmen, immer
wird man von ihnen übervorteilt. Wollte man in Korfu nicht oder
wenigstens nicht so sehr hintergangen werden, so ging man zu den Juden,
um etwas einzukaufen. Die Sittenverderbnis war unter den Einwohnern
Korfus, namentlich den Griechen, in einem furchtbaren Grade eingerissen.
Sodomiterei war nicht nur etwas ganz alltägliches, sondern auch ein
gewöhnlicher Gegenstand der Unterhaltung unter ihnen. Sie suchten diese
schmutzigen ekelhaften Gelüste auf alle Weise zu befriedigen, junge
Soldaten zu verführen, und wurden öfters en flagrant délit in Kasematten
und so weiter ertappt. Ja Kinder im zartesten Alter suchten sie zu ihren
unnatürlichen Lüsten zu bekommen und fanden dabei gar nichts
außerordentliches. Während meines Aufenthaltes zu Korfu fiel es vor, daß
ein Grieche seine abscheuliche Wollust an einem Jungen unter drei Jahren
zu befriedigen suchte, und als ihn der Kommissär-Imperial, die höchste
Justizbehörde der Insel, deshalb auf die Galeere schickte, erregte dies
eine allgemeine Teilnahme der Einwohner für ihn. »_Poveretto; ma che
gran cosa ha fatto?_« sagten sie mitleidig, und der Mensch wurde
allgemein bedauert. Auch ihre Frauen waren vielen feil, und selbst nicht
ganz arme Männer erlaubten für einige Piaster, daß man ihren Ehehälften
einen Besuch abstatten durfte.

Die griechischen Kirchen und der griechische Gottesdienst haben ein
eigenes, nicht sowohl feierliches als mehr mysteriöses Wesen, wozu auch
das Verlegen des Hochaltars hinter den meistens vergoldeten Türen, die
Gitterlogen der Frauen, die in den Kirchen gestreuten aromatischen
Blätter und Blumen, das ewige Räuchern und Beräuchern eines jeden sich
in denselben befindenden Individuums, er sei Grieche, Katholik,
Protestant, Türke, Jude oder Heide, die oft so sonderbaren Gemälde auf
Goldgrund, das ewige düstere Halbdunkel und Kerzenlicht, das näselnde
Singen der Chormänner, die seltsamen Trachten der Priester und Laien das
ihrige beitragen mögen. Es war mir anfänglich, als ich diese Tempel
besuchte, immer, als wäre ich in dem Oratorium eines orientalischen
Zauberers.

Die in Korfu lebenden venetianischen Familien hatten so ziemlich die
Sitten und Gebräuche des Mutterstaates beibehalten und brachten die Tage
und Nächte meistens in ihren Kasinos und Kaffeehäusern zu, wo sie wie
auf dem Markusplatz zu Venedig kannegießerten und politisierten. Auch
gestatteten sie ausnahmsweise Fremden Zutritt in ihren Häusern. Ich
hatte bald die Bekanntschaft eines Grafen Mocenigo, eines äußerst
interessanten, höchst wissenschaftlich gebildeten Mannes gemacht, dessen
Familie aus Venedig stammte und der mich bat, sein Haus wie das meinige
zu betrachten, mir auch seine auserwählte Bibliothek zur Verfügung
stellte und mir über alles, was ich von der Insel Korfu zu wissen
wünschte, die beste Auskunft gab. Der Mann hatte einen großen Teil
Europas, die asiatische Türkei und auch einen Teil von Deutschland
bereist, nämlich Österreich. Er führte mich in ein venezianisches Kasino
ein, wogegen ich ihm Zutritt in dem französischen Liebhabertheater
verschaffte, das ihm viel Unterhaltung gewährte.

Das behagliche Leben in Korfu war mir zwar nicht unangenehm, aber ich
fand es viel zu ruhig und zwecklos, als daß es mich hätte befriedigen
können. Auch mußte ich gar manches, und namentlich Journale, Zeitungen
und die Neuigkeiten der Literatur überhaupt entbehren, da die
Kommunikation mit dem Festland äußerst schwierig war und immer seltener
Schiffe aus Italien ankamen; aus Frankreich aber fast gar keine. Ich
entsinne mich nur einer einzigen Fregatte aus Toulon, die die ersten
Kartoffeln, eine auf der Insel noch gänzlich unbekannte Pflanze, für die
Garnison, aber nicht zum verspeisen, sondern zum Anbauen brachte, da
jedes Regiment und jede Kompagnie brach liegende Ländereien in der Nähe
der Stadt angewiesen bekommen hatte, um sie zu ihrem Nutzen mit Gemüse
zu bepflanzen. Alles, was Kleidungsstücke, Stiefel, Schuhe, Hüte und so
weiter betraf, war ungeheuer teuer. Ein Paar Suwarowstiefel bezahlte man
mit sechzig bis siebzig Piastern, für einen Hut ebensoviel. Andere
Luxusgegenstände waren kaum zu erschwingen. Dies rührte daher, daß die
Engländer Korfu fast beständig und namentlich in den letzten Jahren
(1812 bis 1814) in immerwährendem Blockadezustand hielten und die Insel
umschwärmten. Mehrere englische Linienschiffe, Fregatten, Briggs,
Schaluppen und so weiter kreuzten fortwährend zwischen Korfu und Italien
und paßten mit der äußersten Wachsamkeit allen von dort abgehenden
Schiffen und namentlich den französischen und italienischen
Kanonierschaluppen auf, die den Dienst zwischen Otranto und Korfu
regelmäßig versahen und Depeschen, Briefe, Gelder, Angestellte,
Montierungsstücke für die Besatzung an Bord hatten und überbringen
sollten. Die Kommandanten dieser Schaluppen hatten scharfen Befehl,
sobald sie sich in Gefahr befänden, in Gefangenschaft zu geraten, den
Briefsack an dessen beiden Enden Kanonenkugeln befestigt waren, sogleich
in das Meer zu versenken; ebenso das Geldkistchen, in welchem sich in
der Regel eine halbe Million Franken in Gold und mehr, zur Bezahlung des
Soldes der Garnison und der Festungsarbeiten befand. Auf diese Art
fanden, während Korfu von den Franzosen besetzt war, wohl fünfzehn bis
zwanzig Millionen ihr Grab im Grunde des Meeres. Die immerwährende
Blockade hatte außerdem noch das Unangenehme, daß man nur selten
Nachrichten von dem Festland und den Seinigen erhalten konnte, und daß
das einzige Produkt, welches die Insel ausführt, nämlich Öl, endlich
ganz wertlos wurde, während alle anderen Waren viermal teurer als
gewöhnlich waren. Dies verursachte, daß auch die reichsten Familien in
große Not gerieten und weniger Bemittelte sich gar nicht zu helfen
wußten. Die Überfahrt von Otranto hatte große Schwierigkeiten und man
mußte die äußerste Vorsicht anwenden, sollten die Schaluppen nicht in
englische Gefangenschaft geraten. Zur Abfahrt wurde eine finstere
mondlose Nacht gewählt, in welcher der Maestro, ein stark wehender
Nordwind, aus vollen Backen blies. Mit diesem Wind fuhr man, sobald es
völlig Nacht geworden, mit vollen Segeln von Otranto ab und kam dann den
anderen Morgen, wenn alles glücklich abgelaufen war, in Korfu an. Bei
der Ankunft eines solchen Seekuriers gab es allemal große Freude und
Jubel in der Garnison und ein paar fröhliche Tage, denn er brachte Geld,
Neuigkeiten und Nachrichten aus der lieben Heimat und auch Avancements
mit. Öfters währte es auch wohl drei Monate und länger, bis ein solches
Schiff durchwischen konnte. In der letzten Zeit blieben sie fast ganz
aus.

Unterdessen hatte ich die Bekanntschaft der Signora Mariana Recupido,
Primadonna der Opera Seria, gemacht, einer sehr geistreichen, munteren
und reizenden jungen Frau aus einer guten florentinischen Familie. Ihr
Vater war ein Conte Luciano, aber in Dürftigkeit geraten, daher die
Tochter von ihrem nicht alltäglichen Talent und ihrer schönen Stimme den
besten Nutzen zu ziehen suchte und, einmal beim Theater, einen der
besten Tenore Italiens in Bologna geheiratet hatte. Bald stand ich in
einem sehr vertrauten Verhältnis mit dieser Primadonna, ging ihre
Partien mit ihr durch und führte sie auch bei der Familie Brüge ein, wo
ich das Vergnügen hatte, sie Duette mit meiner liebenswürdigen Schülerin
Josephine singen zu lassen und wir dann Terzette miteinander
einstudierten. Während ich mit Mariana Recupido, die ihrem Zunamen alle
Ehre machte, im Vollgenuß der Liebe schwelgte, vergnügte ich mich noch
bei den Präliminarien mit der _giovin principante_ Josephine.

Herr von Brüge brachte, seitdem er in Korfu war, die heißeste Jahreszeit
in der Regel auf dem Lande, und zwar an einem von der Stadt ziemlich
entfernten Punkte zu. Für diesen Sommer hatte er Pallea Castrizza, ein
altes griechisches Kloster, wie es deren noch viele auf der Insel gab,
gewählt. Dieser Ort hatte eine wunderschöne, äußerst romantische Lage
auf einer kleinen Erdzunge an der Westseite der Insel, war befestigt,
und eine hohe Zypressenallee führte zu der Höhe, auf welcher das Kloster
lag, zu dem man nur über eine Zugbrücke gelangen konnte. Am Fuß des
Berges befand sich ein kleiner, zum Landen sehr bequemer Hafen, Sankt
Nicola genannt. Um diesen zu schützen und Landungsversuche der Engländer
zu verhindern, hatte man eine Batterie auf dem Berg im Garten des
Klosters angelegt und eine Abteilung Infanterie von etwa achtzig Mann
hierher beordert. Herr von Brüge wünschte, daß ich den Sommer daselbst
mit seiner Familie zubringen möchte, und veranstaltete deshalb, daß mir
das Kommando dieses Postens auf die Dauer seines Aufenthaltes übergeben
und durch meine Kompagnie besetzt wurde. Mir war dies ganz willkommen,
denn ich befand mich nicht wohler als in Gesellschaft meiner jungen
Schülerin und vermißte die in der heißen Jahreszeit ohnehin nicht sehr
angenehme Stadt gerne. Pallea Castrizza liegt ungefähr vier starke
Stunden entfernt von derselben. Der Weg dahin führt durch sehr
malerische, bald felsige, bald waldige und immer sehr gebirgige Gegenden
und ist, wie die ganze Insel, sehr uneben. Für Frau von Brüge, Josephine
und das Kammermädchen wurden Maultiere herbeigeschafft. Herr von Brüge,
ich und noch ein Offizier ritten den Damen zu beiden Seiten. Vier
Soldaten trugen mit vier anderen abwechselnd das Pianoforte meiner
Schülerin, andere Maultiere deren Effekten und Matratzen. So bildeten
wir mit den Truppen einen abenteuerlichen, halb militärischen, halb
patriarchalischen Zug, und die Landleute, durch deren Orte wir kamen,
oder die uns begegneten, konnten sich keine Vorstellung von dem machen,
was das für ein vierbeiniges Ding sei, das die vier Soldaten trugen. Auf
dem halben Weg, bei dem Flecken Liapades, machten wir einen Halt, und da
die Hitze schon sehr groß war, so wurde erst gegen Abend wieder
aufgebrochen und mit der Dämmerung rückten wir in das burgähnliche
Kloster ein, dessen bisherige Besatzung in der Nacht abmarschierte. Das
große Gebäude war nur noch von zwei griechischen Mönchen bewohnt, von
denen der eine, ein oberster Papa, eine Art Abt, und der andere sein
dienender Bruder war. Die Kirche, die mitten im Klosterhof frei stand,
war nach griechischem Gebrauch reich ausgeschmückt und gut erhalten. Wir
teilten uns in die Zimmer ein, die keine Glasfenster, sondern nur
hölzerne Fensterläden und äußerst schlecht schließende Türen hatten und
nur mit einigen hölzernen Bänken und ein paar Tischen möbliert waren.
Herr von Brüge nahm deren ein halbes Dutzend in Beschlag, die in einer
Reihe lagen, und mir wurden zwei daran anstoßende zuteil.

Außer den Linientruppen und den Artilleristen befand sich auch noch ein
Detachement von ungefähr hundert Albanesen mit zwei Offizieren dieser
Truppen in Pallea Castrizza. Diese hatten sämtlich ihr Quartier in einer
großen offenen Halle aufgeschlagen, welche am Abhang eines steilen
Felsens am Meer lag und auf beiden Seiten durch Palmen beschattet wurde.
Alle diese Truppen standen direkt unter meinem Kommando. Nachdem wir uns
gehörig installiert hatten, nahmen wir ein Abendessen, dessen
Hauptbestandteile frische Seefische und Langusten (eine Art große
Seekrebse) ausmachten. Den Wein dazu mußte der alte Klosterpapa liefern.
Da in der Bucht von Pallea Castrizza eine bedeutende Fischerei war, so
ließ sich Frau von Brüge jeden Morgen die frisch gefangenen Fische
präsentieren und wählte die delikatesten derselben aus, die dann zum
zweiten Frühstück zubereitet wurden. Nie habe ich köstlichere Fische
gegessen wie hier. Auch hatte Frau von Brüge einen trefflichen Koch
mitgenommen. Der Fischfang war so ergiebig, daß jeden Tag für viele
hunderte Piaster nach Korfu getragen und daselbst verkauft wurden. Die
Hummern und Langusten hatten ein sehr wohlschmeckendes und zartes
Fleisch, so auch das Muschelwerk. Frisches Fleisch, aber nur
Ziegenfleisch, Wein, Hülsenfrüchte, Salz, Essig, Brot und so weiter für
das Detachement lieferte ein Bauer aus dem nahe gelegenen Dorf Spagus
auf Kosten der Lieferanten in Korfu. Wir erhielten aber Ochsen- oder
Kuhfleisch, weißes Brot und andere Viktualien aus der Stadt. Wein, Öl
und andere Ingredienzien für die Offiziere mußte das Kloster in
hinreichender Quantität und guter Qualität geben, weshalb auch dessen
Papa, sowie weil ihm die Besatzung auch in manch anderer Hinsicht ein
Dorn im Auge sein mochte, dieselbe sehr ungern sah und nicht aufhörte,
jeden Kommandanten derselben zu versichern, daß es die _maledetti
Inglesi_ niemals wagen würden, hier an dem vom heiligen Nikolaus
beschützten Kloster eine Landung zu versuchen. Da mir der alte Pfaffe,
fast so oft er mich erblickte, dieselbe Litanei wiederholte, so sagte
ich ihm ernstlich, er möge sich deshalb nur an Seine Exzellenz den
Gouverneur General Donzelet wenden, der seiner Versicherung gewiß
Glauben schenken würde. Der gute Papa war außerdem ein gewaltiger alter
Sünder, der trotz seiner siebzig Jahre jede Woche mehrere Weiber aus den
umliegenden Dörfern empfing, die sich von ihm exorzisieren ließen, wobei
er dann, wie die zusehenden Soldaten bemerkt haben wollten, allerlei
Manöver und Handgriffe machte, um den Teufel aus dem Leib derselben zu
treiben. Ein griechisches, nicht mehr sehr junges Weib kam regelmäßig
alle vierzehn Tage mit einem Korb voll ausgesuchter Viktualien, um sich
den Teufel, von dem sie besessen war, austreiben zu lassen. Der Papa,
der weder schreiben noch lesen konnte, machte nun seine Faxen mit einem
griechischen Kruzifix und murmelte allerlei griechische Gebete und
Formeln. Das Weib geriet nach und nach in die furchtbarsten
Konvulsionen, brüllte unverständliche Worte, heulte, warf sich auf die
Erde nieder, und nun sagte der Pfaffe in gebrochenem Venezianisch:
»Sehet, gute Christen, welche Mühe es mich kostet, diesen Teufel zu
bekämpfen, und wie er sich sträubt und zur Wehr setzt; auch gelingt es
mir nie, ihn ganz aus dem Körper der armen Frau zu treiben. Bis in die
große Zehe bringe ich ihn wohl, aber auch nicht weiter, und so wie sich,
sobald die Frau weg ist, die Kraft meines Gebetes und des Kruzifixes
nach und nach wieder verliert, so steigt auch der Böse allmählich in die
Höhe, bis er ihr endlich wieder im Kopfe sitzt.« -- Das Weib fiel
zuletzt höchst ermattet in einen bewußtlosen Zustand, in dem sie über
eine halbe Stunde blieb. Mehrmals habe ich mit der Familie Brüge diesem
Schauspiel beigewohnt, und je mehr der Pfaffe den Körper der Frau mit
dem Kruzifix bestrich, desto wütender gebärdete sich dieselbe. »Sehet,
sehet,« rief der Papa dann aus, »was der Teufel für Sprünge in ihrem
Leibe macht.« Öfters exorzisierte er aber auch _tête-à-tête_ insgeheim;
was dann der Teufel für Sprünge gemacht, mögen die Götter wissen.

Unser Tagewerk in Pallea Castrizza war so ziemlich jeden Tag dasselbe.
Morgens früh vor fünf Uhr stand ich auf. Um sechs Uhr machte ich eine
Promenade mit den Damen den Berg hinab, längs dem Meeresufer oder auf
eine der ringsumliegenden Höhen, öfters zu den Ruinen eines alten
Schlosses, Castello San Angelo genannt, das auf einem hohen Felsenberg
unserem Kloster gegenüber lag, und wo ein Telegraph, der mit der Stadt
korrespondierte angebracht war, um alle von dieser Seite sich nähernden
feindlichen Schiffe sogleich signalisieren zu können. Besuchten wir nahe
liegende Dörfer, so waren wir bald von deren Bewohnern umringt, die uns
als Wilde oder Wundertiere anstaunten, mit denen wir uns nicht
verständigen konnten, da niemand von uns das Neugriechische sprach, von
dem ich kaum ein paar Worte aufgefangen hatte. Gegen neun Uhr kamen wir
in der Regel zurück, denn es fing dann schon an, glühend heiß zu werden,
und setzten uns zu einem delikat zubereiteten Frühstück, bei dem frische
Fracazanifeigen, Wassermelonen und andere Südfrüchte nie fehlten. Nach
dem Frühstück erteilte ich Josephinen ein paar Stunden Unterricht in der
Musik, aber jetzt nicht ohne Unterbrechungen, wenn sich die Gelegenheit
darbot, denn ich gab ihr nun auch Unterricht in der Liebe, und zwar in
der praktischen, während sich Papa und Mama bald nach dem Frühstück zur
Siesta niederlegten und die große Hitze in ihrem Schlafgemach
verschliefen. Wir begaben uns dann erst gegen Mittag jedes in sein
Zimmer zur Ruhe. Während wir Akkorde auf dem Piano anschlagen,
harmonierten wir oft Mund auf Mund, mit minutenlangen Glutküssen,
endlich verstummte Klavier und Gesang ganz und wir lagen einander
wonnetrunken in den Armen, während die Eltern einer süßen Ruhe pflegten.
Das Mädchen, eine Sylphidengestalt, war wegen der großen Hitze äußerst
leicht in ein Gewand von Cambridge oder Musselin gekleidet, unter dem
sie höchstens, und das nicht immer, noch ein linnenes Unterröckchen über
dem Hemd trug, so daß sich ihre schönen Formen sehr deutlich zeichneten
und das Kleid einen antiken Faltenwurf annahm. Indessen wagten wir viel,
denn wie leicht hätte uns Papa oder Mama in einem so Gott und die Welt
vergessenden Zustand überraschen können. Später schlichen wir uns öfters
in die vergitterten Frauenstühle der Klosterkirche und frönten in diesem
heiligen Dunkel der cytherischen Göttin. Gegen Abend, wenn alles wieder
aufgestanden war und Toilette gemacht hatte, fanden wir uns wieder
zusammen, musizierten bis zum Mittagessen, das um sechs Uhr eingenommen
wurde, worauf wieder Promenaden folgten, nach denen man bis lange nach
Mitternacht im Klosterhof weilte, dem Gesang der Albaneser zuhörend, die
recht schöne Melodien und mehrstimmige Lieder in ihrer Sprache sangen
und mit Zithern und Lauten begleiteten. Bisweilen las ich den Damen
etwas vor.

Öfters ritt ich nach Korfu, um daselbst allerlei Kleinigkeiten für die
Damen zu besorgen und einzukaufen. Da Josephine auch recht artig
zeichnete, so kamen wir auf den Gedanken, ein kleines Puppentheater zu
malen, um mehr Abwechslung in unsere Unterhaltung zu bringen. Als ich,
um Farben zu diesem Zwecke zu kaufen, nach Korfu geritten war und mich
in die _Calle verte_ zu einem Farbenverkäufer begeben wollte, hörte ich
plötzlich ein starkes Getöse, ein Geräusch, dem gleich, wenn ein Paar
Pferde mit einem Wagen auf dem Straßenpflaster durchgegangen sind. Da es
aber in Korfu, den Artillerietrain ausgenommen, der nur bei Revuen tätig
war, gar kein Fuhrwerk gab, so war dies wohl nicht annehmbar. Zugleich
sah ich alle Leute mit angstvollen Gesichtern vorüberspringen, trat
deshalb in eine offen stehende Kantine, um zu fragen, was dies bedeute,
wo ich aber Pokale und Gläser auf den Tischen wankend und klirrend fand.
Die Leute schrien: »_Terramuoto, terramuoto!_«, stürzten, mich über den
Haufen stoßend, nach der Türe, um nach der nächsten Kirche zu rennen.
Ich aber, der jetzt begriff, was es war, lief eiligst nach der nahen
Esplanade. Aber bevor ich dieselbe noch erreichte, hatte das Geprassel
und die Erschütterung schon aufgehört, denn das Ganze währte nur wenige
Sekunden. Noch lange nachher waren aber Straßen und Kirchen, und
namentlich die des heiligen Spiridion, voll Menschen, die, auf dem Boden
liegend, inbrünstig zu dem Schutzheiligen beteten. Bei dieser
Gelegenheit bekam ich auch viele der vornehmen griechischen Frauen und
Mädchen zu sehen, die entschleiert in die Kirchen rannten, und unter
denen sich manche echt antik-griechische Schönheit befand. An das
Farbenkaufen war für diesen Tag nicht mehr zu denken, da alle Buden
schnell geschlossen wurden und es den ganzen Tag blieben. Die Garnison
hatte schnell ausrücken müssen und biwakierte zweimal vierundzwanzig
Stunden auf der Esplanada, da sich solche Erdstöße auf den Jonischen
Inseln nicht selten in den nächsten vierundzwanzig Stunden drei- bis
viermal wiederholen. Das Erdbeben war sehr stark und bedeutend gewesen.
Mehrere Häuser waren eingestürzt und ihre Bewohner, die sich nicht
schnell genug hatten retten können, waren erschlagen worden. Auch
mehrere noch von der letzten türkischen Belagerung in Ruinen stehende
Gebäude waren nun völlig zusammengefallen. Viele Personen hatten sich
auf die Schiffe in der Reede geflüchtet, auf denen man die nämliche
erschütternde Bewegung wie auf dem Lande verspürte. Noch denselben
Nachmittag jagte ich nach Pallea Castrizza, wo ich alles in größter
Bestürzung und die Besatzung vor dem Kloster kampierend fand; so auch
Herrn von Brüge und seine Damen. Nur die beiden Mönche und einige
Griechen lagen noch betend in der Kirche auf den Knien. Ich mußte nun
Bericht über das, was in der Stadt vorgefallen war, erstatten, und nicht
ohne Angst, was da kommen könne, begab man sich gegen Morgen zur Ruhe.
Nach ein paar Tagen war alles wieder im gehörigen Gleis. Ich ritt
abermals nach Korfu, die Farben zu holen, die ich diesmal glücklich
mitbrachte, und wir begannen nun Dekorationen zu malen. Den anderen
Morgen sagte mir Josephine bei der Musikstunde, sie habe in Papas Stube
ein Papier voll langer Dinger von ganz feiner Blasenhaut gefunden, und
als sie sie ihrem Vater gezeigt und gefragt, was denn dies sei, so habe
er ihr sehr unwillig geantwortet: »Einfältiges Ding, das sind türkische
Tabaksbeutel; du mußt deine Nase aber auch in alles stecken.« »Ich
glaube es aber nicht,« fuhr sie fort, »und möchte wohl wissen, was dies
eigentlich für Dinger sind.« -- Auch ich konnte mir nicht gleich denken,
was es wohl sein könne, und sagte zu dem Mädchen, sie möge mir nur eines
davon zeigen. -- »Ja, wenn ich sie wieder erwischen kann, denn Papa hat
sie schnell und aufgebracht wieder weggetan.« -- Einige Tage darauf
brachte sie mir ein solches Ding, indem sie sagte: »Aber die hat Vater
gut versteckt; sie waren in seinem Portefeuille verschlossen. Ich fand
sie in einem Bataillonsrapport eingewickelt und habe ihm eins genommen.«
-- Ich erkannte nun sogleich, was es für Beutel waren, hatte mir dies
schon halb und halb eingebildet, und da ich von Josephinen selbst wußte,
daß Papa mit dem Kammermädchen auf einem intimen Fuß stehen müsse, da
sie gesehen, wie er es heimlich geküßt, so konnte ich mir denken, wozu
Herr von Brüge diese türkischen Beutel gebrauchte, da er einen Skandal
fürchtete und vermeiden wollte, und ich fand bald Gelegenheit, seiner
Tochter die Nützlichkeit derselben darzutun.

Als wir uns eines Morgens nach der Musikstunde der großen Hitze wegen in
ein altes halbzerfallenes Kellergewölbe flüchteten, in das ich
vorantrat, da wand sich, kaum eingetreten, eine dicke eiskalte Schlange,
die sich von der Türwölbung herabließ, um meinen nackten Hals, und
Josephine tat einen lauten Schrei. Ich aber packte das eisige Tier mit
beiden Händen um den Leib, wobei es mich in die Hand biß. Ich riß es mit
aller Gewalt herab und trat ihm mit beiden Füßen auf den Kopf, so daß
ich denselben zerquetschte. Weder ich noch Josephine, noch die Leute,
denen ich das Reptil zeigte, wußten, zu welcher Schlangengattung es
gehörte. Aber einer der hinzukommenden Albanesen wollte es für eine der
giftigsten Nattern erkennen, setzte jedoch sogleich hinzu, daß ich
nichts zu fürchten habe, da er ein untrügliches Mittel besitze, den Biß
unschädlich zu machen und die Wunde zu heilen. Er preßte das Blut
heraus, sog es mit seinen Lippen ein, brannte dann mit einem
Schwefelfaden die blutige Stelle, legte hierauf etwas von der geschabten
frischen Wurzel eines Krautes darauf und verordnete mir, recht viel
Zitronenwasser und ja keinen Wein zu trinken, was ich befolgte. Frau von
Brüge hatte ohnehin jeden Tag eine große Bowle Limonade in dem
Speisezimmer stehen, aus der wir _ad libitum_ tranken, und die, so oft
sie leer war, wieder gefüllt wurde. Zitronen und Limonen kosteten ja
nichts, ebenso die bitteren Pomeranzen, welche die Soldaten hier zu
Schuh- und Stiefelwichse benutzten, und das damit frottierte Leder bekam
völlig den Glanz des blanken Stahls. Das angewandte Mittel war probat,
denn der Biß hatte nicht die geringsten unangenehmen Folgen für mich. Ob
aber die Schlange wirklich so giftig war, als der albanesische Äskulap
vorgab, muß ich dahingestellt sein lassen.

Was noch einige Abwechslung in unser sonst ziemlich einförmiges Leben zu
Pallea Castrizza brachte, wo wir jetzt viele Zeit mit der
Dekorationsmalerei für das Puppentheater hinbrachten -- ich zeichnete
die Hintergründe und Kulissen und Josephine malte sie aus -- waren die
Feste in den umliegenden Dörfern, zu denen wir von den _Capi di
cinquante_ und _dieci_ immer feierlich eingeladen wurden, bei denen wir
uns einstellten und wo es recht fröhlich zuging. Dies ist fast der
einzige Tag, wo der Grieche etwas Warmes und gebratenes Fleisch zu sich
nimmt. Jeder schneidet sich von einem am Spieß gebratenen ganzen Hammel
oder Schwein nach Belieben ab. Das Schweinefleisch und namentlich der
Schinken von den mit ausgepreßten Oliven gemästeten Schweinen hat einen
ganz vorzüglichen Wohlgeschmack und ein transparentes hornartiges
Ansehen. Wir vergüteten die Einladung und das Genossene reichlich, indem
wir gar manchen Para, wohl auch Piaster an den klebrigen Mauern hängen
ließen. Am abergläubischsten zeigten sich hierbei die Albanesen, die oft
einen ganzen Monat ihres Soldes an diesen Mauern hängen ließen. Eines
dieser wilden Bergkinder, das schon hundertdreizehn Jahre alt, dennoch
bei jeder Musterung wohl bewaffnet erschien und gleich den anderen im
Trabe defilierte und seine Pistolen und Gewehre abfeuerte, hatte über
fünfzig Piaster angeklebt oder fallen lassen. Hundertjährige Albanesen
sind keine große Seltenheit, woran wohl die große Abhärtung, ein
Schafsmantel ist ihr Bett, ihr Obdach, ihre Bekleidung und Regenschirm,
sowie die außerordentlich mäßige Lebensweise schuld sein mag.

Da während unseres Aufenthaltes zu Pallea Castrazzi das Sankt
Spiridionsfest in Korfu gefeiert wurde, so redete mir Herr von Brüge zu,
da ich dasselbe noch nicht gesehen hatte, mich während dieser Zeit in
die Stadt zu begeben, um demselben beizuwohnen, was mir ganz recht war,
da ich bei diesem den Aberglauben und die Pracht der Korfioten und ihrer
Frauen in ihrem ganzen Glanze erblicken sollte. Ich nahm Urlaub auf
sechs Tage, während welchen ich die feierliche Narrheit mit aller
Bequemlichkeit zu beobachten Gelegenheit fand, und schloß mich sogar
eine ganze Stunde lang der Prozession an, worauf ich aber genug hatte,
mich weg und in das nahe venezianische Kasino schlich, in welchem ich
eingeführt war, und wo ich die Bekanntschaft eines jungen Capo d'Istria,
eines Neffen des in russischem Staatsdienste stehenden Ministers dieses
Namens machte, der ebensowenig als ich an die Heiligkeit der Mumie
glaubte und sich manche beißende und geistreiche Ironie über die
Prozession und das Gefolge erlaubte. Er bot mir eine Tasse Schokolade an
und lud mich ein, ihn öfters zu besuchen. Ich begab mich nun mit ihm in
die reich und prächtig ausgeschmückte Sankt Spiridionskirche, wo wir die
Rückkehr des Heiligen abwarteten, während griechischer Gottesdienst
gehalten wurde und die Musik der verschiedenen Regimenter abwechselnd
spielte. Dem Eingang zur Vorhalle der Kirche, in welcher die Musik des
vierzehnten Regiments spielte, gegenüber, hörte und sah ein
allerliebstes Madonnenköpfchen mit großem Vergnügen dem militärischen
Spektakel zu. Capo d'Istria, den ich darum fragte, sagte mir: »Ach, dies
ist die schöne Signora Enrichetta Viletta, die Braut des Advokaten
Prosalenti, sie hat dreißigtausend Talari Aussteuer. Sie hatte viele
Freier, unter anderen auch den jungen reichen Dandolo, aber ihr
erzliederlicher Bruder, der alles verspielt, hat sie dem widerlichen
Prosalenti verhandelt.« -- Hinter einem Fenster des Vestibüls der Kirche
hatte ich Gelegenheit, die Reize des jungen Mädchens unbemerkt mit aller
Muße bewundern und sie selbst beobachten zu können. Capo d'Istrias
Mitteilungen hatten mir die schöne Braut doppelt interessant gemacht,
und wie ich aus seinen Reden entnehmen konnte, schien sie ihm auch nicht
gleichgültig zu sein. Er war ein junger interessanter Mann, mit
einnehmenden Gesichtszügen, Mitglied der _Società filodramatica_, welche
italienische Lustspiele und Dramen aus Liebhaberei aufführte, bei der er
den jugendlichen Liebhaber nicht ohne Talent spielte, und von der auch
ich den kommenden Winter ein tätiges Mitglied wurde und wo ich die in
Neapel übersetzten deutschen Stücke, namentlich >Fiesko<, >Menschenhaß
und Reue<, >Die Indianer in England< und so weiter zur Aufführung
brachte. Die Recupido machte aus Gefälligkeit die erste Liebhaberin und
gab die Elisabeth im >Don Carlos< und die Gurli ganz vortrefflich. »Ein
Meisterstreich wäre es,« sagte ich zu Capo d'Istria, »wenn man dem
Prosalenti die schmucke und reiche Braut wegfischen könnte.« -- »Ach
ja,« erwiderte er seufzend, »aber es ist unmöglich.« -- »Unmöglich?«
versetzte ich, »solange die Hochzeit noch nicht vollzogen, ist immer
noch die Möglichkeit vorhanden. Ich gebe nichts auf als die Toten. Sie
sehen das Mädchen gerne?« -- »Freilich.« -- »Und Sie wissen, daß sie den
Prosalenti nicht leiden mag?« -- »Allerdings.« -- »Nun, dann müßte es
mit dem Teufel zugehen, wenn wir sie ihm nicht aus den Klauen reißen
sollten. Wann soll die Hochzeit sein?« -- »In sechs Wochen.« -- »Noch
überflüssige Zeit, die Sache rückgängig zu machen und das Opfer dem
Rachen der Bestie zu entziehen.« -- Wir verließen nun Arm in Arm die
Sankt Spiridionskirche, grüßten im Vorübergehen die holde Enrichetta
ehrerbietig und erhielten einen freundlichen Dank, gingen aber nur um
die Kirche herum und auf der entgegengesetzten Seite wieder in dieselbe,
uns abermals hinter das bewußte Fenster der Vorhalle placierend. Zeigten
uns aber von Zeit zu Zeit wieder an der Türe der Schönen gegenüber, so
daß diese bald unsere Gegenwart bemerkte und lächelte; und nun wurden
Blicke gewechselt. Ich sagte jetzt meinem neuen Freunde, er möge ein
Briefchen schreiben, in welchem er Enrichetten seiner Liebe versichern
und ihr erklären solle, daß er sie heiraten wolle. Es kostete mich aber
große Mühe, ihn dazu zu bewegen. Auch fürchtete er die Rache des Bruders
und Bräutigams, wenn diese unglücklicherweise dahinterkämen. -- »Pah,
wenn man einem Mädchen nachstellt, muß man nichts in der Welt fürchten,«
sprach ich und fuhr fort: »wenn Sie mir die Leitung der Intrige
überlassen wollen, so stehe ich für alles. Schreiben Sie nur das Billett
und dann sorgen Sie für eine alte Hexe, die für ein paar Zechinen selbst
an den Teufel verkuppeln würde.« -- Capo d'Istria, durch mich ermutigt,
verstand sich endlich zum Schreiben und an solchen alten Weibern vom
Mestiero war auch in Korfu kein Mangel. Ehe vierundzwanzig Stunden
vergingen, war das Geschriebene in den Händen der Braut. Die
Überbringerin, eine alte Griechin, die auch das Venezianische gut
sprach, brachte wenigstens eine mündliche Antwort und erzählte etwas
umständlich, welche Mühe sie gehabt, die Signora allein zu sprechen, sie
zur Annahme des Briefchens zu bewegen, daß es ihr aber endlich sogar
gelungen sei, sie zu überreden, den Antrag des jungen Herrn anzunehmen,
wenn er ihn ausführen könne, denn sie gestehe, daß ihr der bestimmte
Bräutigam unausstehlich sei. -- »Was nun anfangen?« meinte Capo
d'Istria. -- »Hier bleibt nichts übrig als eine Entführung,« erwiderte
ich schnell. -- Vor dieser aber scheute er wieder und willigte erst ein,
als ich ihm erklärte, ich wolle auch die Ausführung und die Gefahr
derselben übernehmen; die Hauptsache sei vorerst, sich der Einwilligung
des Mädchens zu versichern. Die alte griechische Hexe, die bereits zwei
Zechinen zum Geschenk für ihre Bemühungen erhalten hatte, war auch
bereit, ihr möglichstes zu tun, die Signora Enrichetta dazu zu vermögen.

Das Sankt Spiridionsfest war vorüber und ich sollte nun nach meinem
einsamen Pallea Castrizza zurückkehren. Aber ein anderes, weit
wichtigeres Fest war vor der Türe, das Napoleons (der 15. August) und
sollte recht prächtig gefeiert werden. Namentlich durch ein Seeturnier,
welches die Offiziere der Marine in der Reede von Korfu zu geben
beabsichtigten. Sodann war Souper und Ball bei dem Gouverneur nebst
Feuerwerk und was dazu gehört. Ich erbat mir noch einen vierzehntägigen
Urlaub, mehr wegen der beabsichtigten Entführung als um dem
Napoleonsfest beizuwohnen, ritt aber noch vorher nach Pallea Castrizza,
wo ich mit Sehnsucht erwartet wurde. Da ich aber auch an dem Seeturnier
gleich mehreren Offizieren von den Landtruppen tätigen Anteil nehmen
wollte, so teilte ich dies Herrn von Brüge mit dem Bemerken mit, daß ich
schon den nächsten Tag wieder in die Stadt müsse, um mich zu der
bevorstehenden Feierlichkeit gehörig einzuüben, wozu aber die Damen und
besonders Josephine nicht das freundlichste Gesicht machten. Von der
projektierten Entführung ließ ich kein Wörtchen fallen; beides wurde
indessen auf das emsigste betrieben. Ich war zwar ein guter Schwimmer;
dies war aber nicht hinreichend, um Ehre bei dem Turnier einlegen zu
können. Die stechenden, ganz in buntes Papier gekleideten Ritter mußten
auf einem kleinen, sehr schmalen runden Brett, das an dem Hinterteile
einer Barke, wenigstens einige dreißig Fuß hoch angebracht war und durch
zwei schmale Balken gehalten wurde, Posto fassen, während das Schiffchen
durch vierundzwanzig Ruderer pfeilschnell getrieben wurde, mit einer
langen hölzernen Lanze auf den Schild des anfahrenden Gegners einen
kräftigen Stoß tun und so suchen, ihn hinab in das Meer zu stürzen. Wir
probierten nun mehrere Tage dieses Manöver, aber auf gewöhnlichen
Barken, wo man nicht viel höher, als das Hinterteil des Schiffes war,
stand, dabei waren wir ganz nackend, hatten vier Schuh hohe Schilder und
zehn Schuh lange Lanzen. Bei diesen Proben lief alles ziemlich gut ab.
Ich fiel nur selten einmal in das Wasser und stieß meine Gegner mehrmals
hinab. Aber dies war nur eine Finte von den Marineoffizieren. Diese
Seeratten hatten sich verschworen, die Landratten -- so titulierten sich
gegenseitig die Marine- und Landtruppen --, die es wagten, mit ihnen in
die Schranken treten zu wollen, tüchtig heimzuschicken.

Während der Zwischenzeit ritt ich indessen oft am Abend nach Pallea
Castrizza und kehrte am Morgen nach Korfu zurück, wo ich mich dann mit
Capo d'Istria in die Vorhalle der Sankt Spiridionskirche begab und wir
uns an der Tür derselben blicken ließen, sobald wir sicher waren, daß
der _Sposo in spe_ nicht anwesend war. Wir korrespondierten nun
vermittelst der Finger- und Zeichensprache mit der mit uns
einverstandenen holden Enrichetta, und die Entführung, zu der sie
endlich, durch Briefe und Zureden der Alten bestürmt, eingewilligt,
wurde auf den 15. August, den Napoleonstag selbst festgesetzt; und zwar
sollte sie auf dem Ball, den der Gouverneur an diesem Tage jedesmal gab,
vollführt werden, da man daselbst die Abwesenheit der Signora nicht
sogleich bemerken würde. Um jedoch sicher zu sein, daß sie dem Ball
beiwohnte, begab ich mich zum Chef _de l'état major_ Bauduy, um zu
erfahren, ob die Vilettas mit den anderen venezianischen Familien, die
man gewöhnlich zu diesem Feste heranzog, eingeladen seien, und wenn dies
nicht der Fall wäre, dies zu veranlassen. Zu meiner Freude fand ich sie
auf der Liste der Geladenen stehen, und daß sie kommen würden, war die
Sache der Signora.

Der 15. August war endlich herangekommen und alles sowohl zu dem Turnier
wie zur Entführung gehörig vorbereitet. Herr von Brüge kam nebst den
Seinigen gleichfalls am frühen Morgen in die Stadt, der Parade und der
Feier beizuwohnen. Nachdem alles militärische Gepränge, mit
Kanonendonner und so weiter begleitet, vorüber war, schickte man sich zu
dem Seeturnier an, das um vier Uhr nachmittags beginnen sollte. Der
Senat von Korfu hatte auf Kosten der Stadt mehrere Preise für die Sieger
ausgesetzt, von denen der erste eine Brillantnadel von ungefähr
viertausend Franken an Wert war. In der Reede zwischen Korfu und Vido
bildeten eine bedeutende Zahl Schiffe jeder Gattung und verschiedener
Größe, alle beflaggt und bewimpelt, einen großen Halbkreis, der sich an
seinen beiden Enden an das Ufer anschloß, auf dem ein bretternes
Amphitheater errichtet war, auf welchem die Zuschauer Platz nahmen. Für
die Generalität, Stabsoffiziere, Damen der Garnison und vornehme
Korfiotinnen war eine eigene, mit Teppichen behangene Loge eingerichtet.
Zwei Fregatten schlossen die Mitte des Halbkreises. Auf diesen hatten
die Kampfrichter sowie die Musikchöre, die Admiralität und nichttätigen
Seeoffiziere Platz genommen. Auf den anderen Schiffen waren ebenfalls
viele Zuschauer placiert. Die vierundzwanzig Kampfbarken waren je zwölf
auf beiden Seiten in Schlachtordnung aufgestellt. Aber es waren ganz
andere, als auf denen wir die Proben gehalten hatten, und die runden
Brettchen, auf welchen kaum ein Mann Platz zum Stehen hatte, waren so
hoch, daß sie bei der geringsten Bewegung schwankten und man auch ohne
einen Stoß schon Mühe hatte, sich auf denselben zu erhalten, wenn man
nicht wie die Marine an ein solches Schwanken durch das Klettern auf den
Segelstangen und Mastbäumen gewöhnt war. Die Barken rechts waren rot und
weiß, und die links blau und weiß angestrichen. Auf einer jeden befanden
sich ein Paar Tambours. Die turnierenden Ritter waren meistens in
spanischem Kostüm und hatten goldene oder silberne Helme mit hohen
Federbüschen auf dem Kopf. Alles war aber, sowie die ganze Kleidung und
sogar die Stiefeln von Papier; aber so gut und täuschend nachgemacht,
daß man schon in einer Entfernung von wenigen Schritten dies nicht
bemerken konnte. Es war nötig, daß die Kleider aus diesem fragilen Stoff
bestanden, damit sich derselbe sogleich auflöste, wenn man ins Meer
fiel, und dessen entledigt, ungehindert schwimmen konnte. Als ich auf
meinem Brettchen Posto gefaßt hatte und sich die Barke in Bewegung
setzte, da war es ein ganz anderes als bei den Proben, wo wir kaum drei
Schuh über dem Wasser gestanden, und ich hatte die größte Mühe, nicht
von dem in der Luft schwebenden Brettchen, das nicht viel mehr Raum als
eine große runde Schüssel hatte, hinabzustürzen. Jetzt donnerte die
Kanone los, die das Signal zum Abfahren gab, alle Tambours und die Musik
fielen mit dem von mir komponierten Sturmschritt ein, alle Ruder auf
einen Schlag in das Wasser, und die vierundzwanzig Barken fuhren
pfeilschnell gegeneinander. Nur mit der größten Mühe gelang es mir noch,
meine Lanze gehörig einzulegen. Aber bald schwindelte mir, es wurde mir
ganz schwarz vor meinen Augen, Hören und Sehen verging mir, und kaum von
meinem Gegner berührt, stürzte ich fast bewußtlos in die See hinab, wo
mich ein zu diesem Zweck bereitstehender Nachen auffischte und in das
Garderobeschiff, wo wir uns angekleidet hatten, brachte.
Glücklicherweise war ich nicht der einzige, dem es so ergangen war. Alle
Landoffiziere, acht an der Zahl, hatten das gleiche Schicksal gehabt,
und keiner verspürte Lust, sich nochmals anzukleiden, wie es die
herabgestoßenen Seeoffiziere machten, um das Spiel von vorne zu
beginnen, sondern wir versteckten uns hinter den übrigen Zuschauern,
nachdem wir unsere gewöhnliche Kleidung wieder angelegt, und sahen dem
noch über zwei Stunden dauernden Kampf nun recht behaglich zu, bis
endlich ein auf dem Admiralitätsbureau angestellter Beamter, der zuerst
zwölf Gegner hinabstürzte, den ersten Preis errungen hatte. Die beiden
anderen Preise erhielten zwei Marineoffiziere, welche nach ihm die
meisten Ritter in das Meer warfen. Als dies Turnier beendigt und die
Preise unter Vivatgeschrei und dem Schmettern der Trompeten und Pauken
verteilt waren, begannen die Matrosen noch ein Wettspiel, welches darin
bestand, auf einem langen Mastbaum, der horizontal von dem Hinterteil
eines Schiffes etwa zwanzig Fuß lang in das Meer ging und mit Seife sehr
glatt gemacht war, mit bloßen Füßen und nackt dessen äußerste Spitze zu
erreichen und den daran hängenden Hut wegzunehmen, worauf eine Belohnung
von fünfhundert Franken gesetzt war. Vier solcher Maste und Hüte waren
ausgesteckt, aber viele hundert Matrosen purzelten ins Meer, bevor es
einem gelang, den Hut zu erhaschen. Bis in die sinkende Nacht amüsierte
die Soldaten, Seemänner und den Janhagel von Korfu dieser letzte Teil
des Schauspiels, bei dessen Beginn sich die meisten anderen Zuschauer
und Damen entfernten.

Ich war ebenfalls vor dessen Beendigung weggegangen und hatte mich in
meine Wohnung begeben, um mich zum Ball und zu der Entführung bereit zu
machen. Da mit der Retraite alle Wasser- und Landtore geschlossen
wurden, so war ich mit Capo d'Istria übereingekommen, die Entführte bis
Tagesanbruch in meinem Quartier, wo man sie sicher nicht suchen würde,
zu beherbergen, und wo sie griechische Mannskleidung anlegen und dann
mit dem Öffnen der Tore auf einem Maultier die Stadt verlassen sollte,
um sich, von Capo d'Istria und mir begleitet, nach dem Dorfe Spagus zu
begeben, wo ich ein Häuschen für sie in Bereitschaft hatte setzen
lassen. Wir hatten Mitternacht zur Stunde der Entführung bestimmt, damit
unsere Abwesenheit nicht zu früh bemerkt werden konnte. Auf dem Ball
tanzte ich mehrere Kontertänze mit ihr, und die Montfarinen tanzte sie
abwechselnd mit ihren beiden Bräutigams. Als der entscheidende Moment
nahte, wurde ihr doch nicht ganz wohl bei der Sache, und ich hatte alle
Mühe, ihr während des Tanzes Mut einzusprechen. Gleich nach dem letzten
Kontertanze, nach dem Prosalenti eine Montfarine mit einer französischen
Offiziersdame tanzte und also seine Braut nicht in den Augen haben
konnte, mußte der Schritt getan werden. Halb gutwillig, halb mit Gewalt
zog ich Enrichetta durch einige Seitenzimmer an eine Hintertreppe des
Gouvernementspalastes. Capo d'Istria folgte uns auf dem Fuße nach, und
so liefen wir in meine, sich nahe bei der Porta Reale befindliche
Wohnung, in der die Signora Viletta beinahe ohnmächtig auf einen Stuhl
niederfiel und wir alle Mühe hatten, sie zu beruhigen. Capo d'Istria
mußte jedoch schleunigst wieder auf den Ball zurückkehren, damit er
selbst gesehen wurde und so kein Verdacht auf ihn fallen konnte, sobald
man das Mädchen vermißte, bei der ich nun allein blieb und mein
möglichstes tat, sie zu trösten und zu beruhigen, wobei ich es an den
hierzu notwendigen Liebkosungen nicht fehlen ließ, die sich aber nur auf
ein mitleidiges In-Arm-nehmen, ein An-mich-drücken und einige Küsse auf
die Stirn und die von Tränen benetzten Wangen beschränkten, was die
holde Enrichetta in ihrer Angst ruhig geschehen ließ. Die griechischen
Mannskleider lagen bereit. Sie mußte sich bequemen, sie anzulegen, wobei
ich ihr bestens behilflich war und dabei mußte ich natürlich in allerlei
Berührungen mit ihr kommen, die mir das ohnehin schon heiße Blut noch
vollends in Wallung brachten. Minutenlang fühlte ich ihr Herz an meiner
Brust klopfen, und wer weiß, was weiter geschehen wäre, wenn man nicht
gerade gewaltig an der Haustüre geklopft hätte. Es war Capo d'Istria,
der, nachdem ich selbst geöffnet hatte, fast atemlos hereinstürzte und
uns ankündigte, daß das Verschwinden der Braut bereits wahrgenommen
worden sei und man allenthalben nach ihr suche. Er selbst habe noch mit
Prosalenti gesprochen, um allen Verdacht von sich zu wenden. »Wenn wir
nur jetzt schon glücklich zur Stadt hinaus wären,« meinte er und war
dabei in einer solchen Aufregung, daß er, das Mädchen küssend, kaum
bemerkte, daß es sich bereits in einen holden griechischen Knaben
verwandelt hatte. Mein Bursche, den ich auf die Lauer gestellt hatte, um
mir Rapport zu machen, sobald das Stadttor geöffnet würde, kam endlich
gesprungen, dies zu melden. Wir verließen nun alle drei meine Wohnung,
kamen unangehalten durch die Porta Reale, eilten nach Castrades, wo wir
ein Maultier gesattelt fanden, auf dem sich Capo d'Istria samt seiner
schönen Beute davon und auf den Weg nach Spagus machte. Ich blieb noch
bis gegen Abend in der Stadt und hörte, daß diese Entführung, deren
Urheber man noch nicht kannte, und bei der man den einen oder anderen
Offizier von der Garnison im Verdacht hatte, da es so häufig vorkam, daß
diese Mädchen und Frauen entführten, ein gewaltiges Aufsehen machte, da
die Entführte eine reiche Braut war. -- In Pallea Castrizza angekommen,
erzählte ich die Sache der Familie Brüge, die nicht zum Ball geblieben
war, als eine große Neuigkeit, ohne zu erwähnen, welchen Anteil ich an
derselben gehabt. Längere Zeit wußte niemand, was aus der Entführten
geworden war, mit der sich Capo d'Istria ein paar Tage nach der
Entführung in aller Stille hatte trauen lassen, und seine junge Gattin,
die fortfuhr, heimlich in Spagus zu wohnen, jeden Abend heimsuchte. Nach
mehreren Wochen wurde das Geheimnis jedoch entdeckt und man wußte
allgemein, daß Capo d'Istria der Entführer gewesen. Dieser fand nun für
gut, sich auf das feste Land nach Albanien zu flüchten, um vorerst den
Dolchen der Viletta und Prosalenti zu entgehen. Als man herausgebracht,
daß ich bei der Geschichte sein Helfershelfer gewesen, erhielt ich von
Seiner Exzellenz dem Gouverneur General Donzelot einen Wischer. Bevor
Capo d'Istria die Insel verließ, gab er seine junge Frau auf meinen Rat
der Frau von Brüge zur Obhut, welche sich auf meine Verwendung dazu
bequemte, die Hütung der hübschen Signora zu übernehmen. Josephine hatte
nun eine angenehme Gesellschafterin und ich eine Unterhaltung mehr, denn
es gelang mir bald, es da fortzusetzen, wo ich am Abend der Entführung
unterbrochen worden war. Aber Josephine merkte Unrat und brachte es bei
ihrer Mutter dahin, daß die junge Frau wieder aus dem Haus und zu einer
nahen Anverwandten ihres Mannes gebracht wurde, wo ich indessen öfters
Gelegenheit fand, sie zu besuchen.

Längst hatte ich gewünscht, von den übrigen Jonischen Inseln doch
wenigstens das Vaterland des Odysseus, die Insel Thiaki, kennen zu
lernen. Aber dieses schien unausführbar, da unsere Erzfeinde, die
Engländer, schon längst im Besitz derselben, sowie aller anderen Inseln,
Korfu und das kleine Paxo ausgenommen, waren. Der Graf Mocenigo meinte
aber, daß das Projekt dennoch ausführbar sei, wenn ich die Insel
inkognito und als Grieche oder Albanese verkleidet besuche. Ich teilte
Herrn von Brüge mein Vorhaben mit, der meinte, es sei ein sehr gewagtes
Unternehmen, indem ich leicht den Engländern in die Hände fallen könnte.
Ich ließ mich dadurch jedoch nicht abhalten, erbat mir einen
vierzehntägigen Urlaub vom Gouverneur, angeblich, um Paxo und Parga zu
besuchen, da mir nach Thiaki natürlich keiner bewilligt werden konnte.
Doch wußte der General Donzelot um mein Vorhaben, das er aber
ignorierte, und meinte, die Folgen, die es haben könnte, hätte ich mir
selbst zuzuschreiben. Ich fuhr nun, als ein ziemlich armer Grieche
gekleidet, auf einer Barke nach Paxo, das nur wenige Miglien südlich von
Korfu liegt, und brachte daselbst eine Nacht und einen halben Tag zu.
Diese kleine Insel ist sehr bergig, lieferte aber das beste Öl aller
Inseln und viel sogenanntes Johannisbrot. Sie zählt etwa sechstausend
Einwohner, die sich erst kürzlich, von englischen Agenten verführt,
gegen das französische Gouvernement empört und eine kleine englische
Besatzung aufgenommen hatten. Wir eroberten aber die kaum sechs Stunden
im Umfang habende Insel mit drei Kompagnien wieder, das englische
Detachement, etwa achtzig Mann, gefangen nehmend. Zwölf Paxioten, welche
die Rädelsführer bei der Sache gewesen, wurden vor ein Kriegsgericht
gestellt und auf der Esplanada von Korfu erschossen, nachdem sie die
Nacht vorher noch in einer der Kirchen auf diesem Platz zugebracht
hatten. Die Paxioten behaupten, der Apostel Paulus habe sich längere
Zeit auf ihrer Insel aufgehalten, deren er in einem seiner Briefe
erwähnt. Eine kleine halbe Stunde unter Paxo liegt Antipaxo, ein
Inselchen, das keine Stunde im Umfang hat und nur von einigen Schweine-
und Ziegenhirten samt deren Herden bewohnt oder vielmehr besucht wird.

Von Paxo fuhr ich nach Parga, das an der albanesischen Küste, auf einem
hohen Felsen, Paxo gegenüber liegt, eine Garnison von einigen hundert
Mann und einige Artillerie hatte und etwa fünftausend Einwohner zählte.
Der Kommandant, dem ich mein Vorhaben mitteilte, riet mir, einen
zuverlässigen landeskundigen Albanesen von der Garnison mitzunehmen, der
außer dem Neugriechischen auch etwas Venezianisch sprach und den er mir
mitgeben wolle. Mit Dank nahm ich dieses Anerbieten an und fuhr den
folgenden Tag auf einer Fischerbarke längs der Küste bis nach Prevesa,
einer Stadt mit einem Fort, die etwa sechstausend Einwohner zählt. Von
da schifften wir nach Vonitza über, einer auf einem steilen Felsen
liegenden Festung, von der wir unsere Reise zu Fuß, immer längs der
Küste hin, fortsetzten, durch verschiedene türkische Flecken kommend, wo
mir mein Albanese treffliche Dienste leistete. Denn ich wüßte nicht, wie
es mir ohne ihn ergangen wäre. Endlich kamen wir an einen, Thiaki
gegenüber liegenden Ort, von dem wir in einer Barke nach dem ehemaligen
Reich des Odysseus, das kaum fünfzehn Stunden im Umfang hat,
übersetzten. Jetzt mochten etwa neun- bis zehntausend Menschen auf der
mit vielen Oliven-, Zypressen-, Orangen- und Granatbäumen besetzten
Insel wohnen, deren vorzüglichstes Produkt Korinthen sind, die hier von
außerordentlicher Güte reifen und von denen jährlich über hundert
Zentner ausgeführt werden. Ich durchstrich die Insel mit meinem
Begleiter, dem ich täglich zwei türkische Piaster gab, nach allen
Richtungen, bei jedem Tritt denkend: hier mögen wohl auch Odysseus und
Telemach gewandelt und gehandelt haben. Nachts brachten wir gewöhnlich
im freien Feld, manchmal auch in einem griechischen Kloster zu. Der
größte Ort auf der Insel heißt Vathi. Er liegt an einem Meerbusen und
hat nicht übel gebaute zweistöckige Häuser, die ziemlich gut unterhalten
sind. Die Frauen und Mädchen hier haben ein blühendes Aussehen, sind
meist gut gewachsen und werden auch nicht so eingesperrt gehalten wie
auf den übrigen Inseln. Um den Ort herum liegen Weinberge,
Olivenbaumstücke und auf den Anhöhen mehrere achtflügelige Windmühlen.
Vathi hat auch einen Hafen. Mitten in demselben steht ein Kloster nebst
einer Kirche auf einer kleinen Insel, San Salvator genannt. Auf der
rechten Seite von Vathi, der kleinen Insel gegenüber, liegen Ruinen
eines alten Gebäudes, das man den Palazzo nennt und von dem noch Mauern
und Gewölbe übrig sind. Auch fand man mehrere große viereckige
Marmorsteine in dessen Nähe, zum Teil mit altgriechischen Inschriften.
Diese Überbleibsel werden für die Trümmer von Odysseus Palast
ausgegeben, sowie andere, nicht weit davon liegende Ruinen man für die
Reste der ehemaligen Hauptstadt von Ithaka hält. Beides ist indessen
sehr ungewiß. Homer sagt, diese Stadt liege auf einem Berg, Oneion
genannt; Cicero spricht von ihr als von einem hochliegenden Vogelnest,
und Plinius sagt ebenfalls, daß sie auf einem sehr steilen Felsen liege.
Die Hauptstadt, die aber später, als Odysseus hier herrschte, erbaut
wurde, führte den gleichen Namen wie die Insel.

Nachdem ich des Helden Odysseus Heimat gehörig untersucht, ohne daß es
mir gelungen wäre, mich mit meinem Homer in der Hand gehörig orientieren
zu können oder auch nur Wahrscheinlichkeiten ausfindig machen zu können,
schickte ich mich den dritten Tag nach meiner Ankunft nicht sehr
befriedigt -- die Insel ist sehr bergig und im allgemeinen ziemlich
kahl, hat aber viele zerstreut liegende Klöster und Kirchen -- an, sie
wieder zu verlassen. In einiger Entfernung von Vathi füllten wir unsere
mitgebrachten Gurden mit frischem Trinkwasser, das aus dem Felsen
entspringt, welchen die Gelehrten der Jonischen Inseln für den von Homer
erwähnten Felsen Korax, die Quelle selbst aber für die Quelle Arthusa
halten, und beides nicht ohne große Wahrscheinlichkeit.

Wir fuhren in einer gemieteten Barke ab, und da ich meinem Begleiter den
Wunsch geäußert hatte, womöglich auch noch Santa Maura, das alte
Leukadien, zu besuchen, so redete mir dieser zu, das Wagestück zu
unternehmen. Dies war es allerdings wegen der englischen Besatzung. Nach
einigen Stunden landeten wir etwas oberhalb dem Kap Ducato auf Santa
Maura, von wo wir uns in das Innere der Insel begaben, die etwa
fünfundzwanzig Stunden im Umfang haben mag. Sie war mit ziemlich viel
Gehölz bedeckt und leidlich angebaut; besonders mit Baumwolle-, Oliven-,
Korinthen-, Mandel- und Feigenbäumen. Eine Nacht brachten wir in einem
sehr elenden Dorf zu, wo unser ganzes Mahl aus einem halben Dutzend
wilder Artischocken mit Zitronensaft bestand. Den folgenden Morgen
begaben wir uns in die Hauptstadt, welche die Maurioten Amaxchi, auch
Amakuki nennen, und die in einem tiefen, mehrere Stunden langen Sandfeld
liegt. Als ich hier so vielen englischen Uniformen begegnete, ward mir
doch etwas unheimlich. Ich wagte mich nicht in die Festung Santa Maura,
die nicht unbedeutend ist. Aber weder Stadt noch Festung enthalten
irgendeine Merkwürdigkeit. Woran mir mehr gelegen, war, den berühmten
Felsen aufzusuchen, von dem sich die verliebten altgriechischen Narren
und die Sappho herabstürzten. Aber mein Albanese wußte so wenig davon,
wie alle Maurioten, die er darnach fragte. Ich wandte mich nun selbst an
einen halb italienisch gekleideten Einwohner, der venezianisch sprach
und von dem ich erfuhr, daß der von mir gesuchte Ort das Kap Ducato
wäre, in dessen Nähe wir gelandet hatten. Wir hatten vier starke Stunden
zurückzulegen, bis wir wieder dahinkamen. Dies versetzte meinen
Begleiter, der gar nicht begreifen konnte, was ich an dem einsamen
Felsen suchte, in ziemlich üble Laune. Ein paar Extrapiaster gaben ihm
aber schnell seinen guten Humor wieder. Ich bestieg das hohe und steile
Vorgebirge und den Gipfel des Felsens, von dem herab die von Phaon
verlassene närrisch gewordene Dichterin in die Meeresfluten gesprungen
war. Daß dies wirklich der so bekannte leukadische Felsen ist, auf dem
der Tempel Apollos gestanden, dessen noch Virgil erwähnt, scheinen viele
altgriechische Kritzeleien, die in demselben eingegraben sind, zu
bestätigen. Beinahe wäre mir ein gleiches Los, wenn auch nicht aus
verliebter Raserei, wie jenen unglücklichen Narren, sondern aus Tücke
des Schicksals zuteil geworden. Mein Begleiter und ich sahen plötzlich
aus noch ziemlicher Ferne vier wohlbewaffnete Männer, von einem
englischen Offizier angeführt, mehr laufend als gehend gegen unseren
Felsen zueilen, von denen wir nicht ohne Grund vermuteten, daß sie nicht
in der besten Absicht kämen. Und so war es in der Tat. Ihnen zu
entrinnen, daran war nicht mehr zu denken. Wir hätten denn den
halsbrechenden leukadischen Sprung machen müssen, wozu wir beide aber
keine große Lust verspürten. Uns lebendig fangen zu lassen, schien mir
ebensowenig ratsam, denn wir riskierten, als ein Paar Spione ohne
weiteres gehängt zu werden.

Nach einer kurzen Besinnung sah ich ein, daß uns nichts anderes übrig
bleibe, als, da wir gut bewaffnet waren -- jeder hatte zwei Pistolen und
einen langen Dolch bei sich, der Albanese außerdem noch seine Flinte --
uns unserer Haut bestens zu wehren. Ich teilte diese Ansicht meinem
Begleiter mit, ihm versichernd, daß ein Strick sein unvermeidliches Los
sein würde, wenn man ihn lebendig finge, und machte ihm begreiflich,
daß, wenn wir auch nur zwei gegen fünf seien, wir doch den ungeheuren
Vorteil der Position für uns hätten und folglich auch den des Ausgangs
des Kampfes. Dies begriff mein Reisegefährte sehr wohl, versetzte aber
unwillig: »Das Unheil habt ihr mit eurem verfluchten Narrenfelsen über
uns gebracht. Daß wir uns so sehr darnach erkundigten, hat die Engländer
aufmerksam auf uns gemacht, die uns jetzt verfolgen, und zuletzt müssen
wir doch noch unterliegen, denn ewig können wir hier nicht bleiben.«
Diese Logik war für einen halbwilden Albanesen so übel nicht. »Ja, wenn
noch Schätze hier zu holen gewesen wären,« fuhr er fort, »dann ließe es
sich noch begreifen; aber so ein kahler Stein.« -- »All dies Räsonnieren
hilft jetzt zu nichts, die feindliche Patrouille ist keine fünfzig
Schritte mehr entfernt und schickt sich an, heranzuklimmen,« fiel ich
ihm ins Wort und rief dem sich bereits am Fuß des Felsens befindlichen
Feind ein donnerndes >Halt!< zu, während mein Albanese sein Gewehr
anlegte. Ehe er aber losdrückte, rief ich dem Leutnant auf englisch zu,
daß, wenn er es auf uns abgesehen habe, er uns wenigstens nicht lebendig
fangen würde und sein und seiner Leute Leben auf dem Spiele stehe, denn
wir seien trefflich bewaffnete Schützen ... -- »Und ein Paar Spione,«
antwortete der Offizier, uns noch ein »Ergebt euch!« zurufend. -- »Das
sind wir nicht,« erwiderte ich, »sondern Ehrenmänner.« -- Wir
parlamentierten weiter, und ich gestand ihm zwar, daß ich ein Franzose
sei, sagte jedoch nicht, daß ich in Militärdiensten stehe, sondern daß
ich einzig und allein gekommen sei, um dem berühmten leukadischen Felsen
einen Besuch abzustatten, was ihm als einem gebildeten Englishman gewiß
sehr natürlich erscheinen müsse, da er ohne Zweifel von der Geschichte
desselben und namentlich der der Sappho unterrichtet wäre. Ich suchte
ihn noch bei der Ehre anzugreifen, mich auf die allgemein bekannte
englische Loyalität berufend, und gab ihm zu gleicher Zeit mein
Ehrenwort, daß ich nicht gekommen sei, das verächtliche Handwerk eines
Spions zu treiben. Nach noch einigem Hin- und Herreden gelang es mir
denn auch, ihn in seiner Muttersprache, was gewiß nicht wenig dazu
beitrug, von seinem ungerechten Verdacht und meiner Unschuld zu
überzeugen. Er gab mir nun seinerseits das Ehrenwort, daß, wenn ich
herabsteigen wolle, weder mir noch meinem Begleiter das mindeste Leid
geschehen solle, und wenn wir beweisen würden, daß wir keine Spione
seien, man uns ungehindert ziehen lassen werde. Ich traute dem
Engländer, der gegen seine Leute äußerte, daß er uns für keine Spione
halte, und stieg den Felsen hinab. Er lud mich jetzt ein, ihm zum
Kommandanten zu folgen, was ich jedoch ablehnte, ihn beiseite nahm und
ihm die Wahrheit und die Ursache, die mich nach Santa Maura geführt,
offen gestand. Er war nun seinerseits zuvorkommend artig und
teilnehmend, und als ich äußerte, ich wünschte möglichst bald wieder das
feste Land zu erreichen, hatte er die Gefälligkeit, uns bis an das
Lukadien gegenüber liegende Ufer zu geleiten, wo wir eine Fischerbarke
in Beschlag nahmen, in der wir übersetzten, nachdem ich mich bei meinem
edlen Führer bedankt und wir gegenseitig unsere Adressen ausgetauscht
und Abschied genommen hatten, worauf er sich eiligst entfernte. Kaum
waren wir aber zwanzig Schritte vom Ufer abgestoßen, als sich mehrere
bewaffnete Insulaner an demselben zeigten und den zwei uns rudernden
Schiffern in griechischer Sprache befahlen, umzukehren. Wir fanden aber
für gut, denselben zu befehlen, nicht zu gehorchen, sondern schnell das
Weite zu gewinnen. Als dies die auf dem Land stehenden Griechen sahen,
feuerten einige auf uns, während die anderen längs dem Ufer hinabliefen,
ein Fahrzeug zu suchen, das sie aber glücklicherweise nicht fanden. Bald
waren wir aus dem Bereich der Schußweite und kamen nach anderthalb
Stunden, nicht ohne große Anstrengung, an der jenseitigen Küste an. Wir
fuhren nun weiter nach Prevesa. Von da legten wir den Weg bis Butrinto
zu Land zurück, wo ich dann ein Schiffchen mietete, das uns glücklich
wieder nach Korfu brachte. Ich entließ meinen getreuen Begleiter, indem
ich ihm noch ein kleines Geschenk machte, meldete meine Ankunft und
begab mich dann wieder nach Pallea Castrizza, wo ich Herrn von Brüge und
seinen Damen die gehabten Abenteuern mit allen Details erzählen mußte.
Ich fand auch Neuigkeiten von Haus vor, nämlich einen Trauerbrief, der
mir das Ableben meines Großvaters väterlicherseits meldete, und eine
Anweisung von fünfzig Louisdors, welche mir das Haus Heinzelmann in
Venedig auf einen Juden in Korfu namens Mesulam auf Veranlassung meines
Vaters übermachte. Die Kanonierschaluppe, die während meiner Abwesenheit
glücklich von Otranto angekommen war, hatte unserem Regiment auch einen
Colonel _en second_ zugeführt, und zwar den Bruder des bekannten
Schriftstellers und Verfassers des >Goldenen Kalbes<, Benzel-Sternau,
der jetzt Finanzminister in Diensten des Großherzogs von Frankfurt war,
und dessen Bruder bisher in russischen Diensten gestanden hatte, welcher
nun das Kommando der beiden in Korfu stehenden Bataillone des zweiten
Fremdenregiments, das bisher Herr von Brüge gehabt, übernehmen sollte.
Aber der neue Oberst war ein äußerst gutmütiger und ziemlich indolenter
Mensch, der sich hier auf einem ihm ganz fremden Terrain befand, und
Herrn von Brüge, ohne dessen Rat er nichts tat, nach wie vor ganz
gewähren ließ. So lange wir noch in Pallea Castrizza waren, kam er jede
Woche einige Male, uns zu besuchen und sich Rat zu holen, da er den
französischen Dienst ganz und gar nicht kannte. Überhaupt hatten wir in
der letzten Zeit fast täglich Gäste aus der Stadt, die sich unsere
köstlichen Seefische, Langusten, den guten Wein des Klosters und so
weiter trefflich schmecken ließen. Nach der Tafel wurde musiziert.
Josephine sang italienische Duette mit mir, unter denen besonders das
>_Per pietà deh non lasciarmi_< aus der >_Ginevra di scozia_< Furore
machte. Es wurde auch manchmal getanzt, wenn mehrere Damen unter den
Gästen waren, und so ging der Rest der heißen Jahreszeit munter und
vergnügt zu Ende. Bevor wir das gastfreundliche Kloster verließen,
machten wir noch einen Ausflug oder besser eine Ausfahrt nach der
kleinen Insel Fano, die am nördlichen Kap von Korfu liegt und, wie die
Sage will, dieselbe Insel ist, welche die Göttin Kalypso bewohnte, deren
Grotte man den Fremden noch zeigt, die aber weder göttliche noch selbst
irdische Pracht aufweist, sondern eine gewöhnliche geräumige und feuchte
Höhle mit mehreren Abteilungen ist. Diese Insel hat ungefähr fünfhundert
Einwohner, Fanioten genannt, die halbwild sind. Auch wir hatten eine
Besatzung von ungefähr hundert Mann auf Fano. Hier, wie zu Korfu, zu
Praxo und Santa Maura, war noch allenthalben das in Stein gehauene
venezianische Wappen, der geflügelte Löwe des Sankt Markus angebracht,
sein aufgeschlagenes Buch in der Tatze, grimmig, aber ohnmächtig
umherblickend. Ende September verließen wir endlich unseren pittoresken
Sommeraufenthalt, um uns wieder unter den Schutz der Mauern der Stadt
Korfu zu begeben, wo mir bald darauf eine interessante Mission nach
Janina zuteil ward.




                                  IV.

      Eine Mission nach Albanien. -- Janina. -- Ali Pascha, seine
   furchtbaren Grausamkeiten. -- Ein lebendig Begrabener. -- Govino.
      -- Die Entführung einer jungen Griechin. -- Rocca Timono. --
    Diversi. -- Ein Soldat erschießt einen Fregattenkapitän. -- Ein
   Rattenmahl. -- Die Prima Ballerina Giuseppina Panzieri. -- Großer
     Theaterskandal. -- Ludwig der Springer. -- Die Feuerprobe. --
       Ein Duell. -- Ein Schiffbruch. -- Ein großer Brand. -- Die
        Räuber in Korfu. -- Parga geht an die Engländer über. --
    Schlimme Neuigkeiten. -- Murats Abfall. -- Napoleons Abdankung.
        -- Rückkehr der Bourbons. -- Ankunft der englischen und
     französischen Flotten. -- Übergabe Korfus an die Engländer. --
    Unanständiges Benehmen englischer Offiziere. -- Einschiffung der
                        französischen Garnison.


Da die Kommunikation mit Italien jetzt immer schwieriger und auch die
Fahrt nach Otranto durch die englischen Lanzen fast ganz unterbrochen
wurde, so sandte man öfters kleine Detachements nach Albanien ab, wohin
wir ohnehin häufig auf die Jagd gingen, um Transporte von Lebensmitteln,
in Reis, Mais, Ochsen, Ziegen und so weiter bestehend, die für die
Garnison von Korfu gegen gute Bezahlung ziemlich schlecht von Ali Pascha
von Janina geliefert wurden, zu eskortieren. Mir wurde nach meiner
Rückkehr von Pallea Castrizza zuerst ein solches Kommando zuteil. -- Als
ich bei Butrinto mit meinen Leuten ans Land stieg, empfing mich ein
Abgeordneter Alis, der uns bis vor Janina begleitete. In allen Orten,
durch welche das Kommando passierte, wurde es von der staunenden Menge,
die zum erstenmal europäische Soldaten sah, angegafft, und Greise,
Weiber und Kinder drängten sich um meine Leute, befühlten und betasteten
sie; und alles, was sie an sich hatten, bis auf die bleiernen Knöpfe,
die sie für silberne hielten, war ein Gegenstand ihrer Bewunderung. Als
wir vor Janina angekommen waren, mußte ich Halt machen, und der
Albaneser, der uns bis hierher begleitet hatte, begab sich in die Stadt,
um unsere Ankunft zu melden. Kaum war es daselbst ruchbar geworden, daß
französische Soldaten von Korfu angekommen seien, als eine unzählige
Menge Volks beiderlei Geschlechts, Griechen, Türken und Albaneser
herbeiströmten, die Wundertiere zu sehen. Beim Besehen blieb es aber
nicht, sondern sie mischten sich unter die Soldaten, betasteten deren
Säbel, Gewehre, Patrontaschenschilder und so weiter, alles was blinkte
und das sie für edles Metall hielten, da es bei ihnen Gebrauch ist, alle
ihre Waffen, aus denen oft ihr ganzes Vermögen besteht, mit Silber oder
Gold beschlagen und verzieren zu lassen. Manche öffneten sogar die
Patrontaschen und befühlten die Kartuschen und Tornister auf eine Weise,
daß ich zu tun hatte, meine Leute, die sich dies nicht gefallen lassen
wollten, ruhig zu erhalten. Am neugierigsten und dreistesten waren die
Frauen und Kinder. Glücklicherweise kam der Albaneser, einer von Alis
Garden, mit einem Offizier des Paschas zurück, der mit einem: »_Oxo,
oxo, Morée!_« das vor seinem Tyrannen zitternde Volk in einem Nu
auseinander jagte. Er kündigte mir an, daß wir kein Quartier in der
Stadt erhalten würden, sondern bis nach Ablieferung der Lebensmittel vor
derselben unter Zelten, die man in Zeit von einer Stunde für uns
aufschlagen würde, lagern müßten; es sei indessen den Leuten erlaubt,
einzeln und ohne Bajonette in die Stadt zu gehen, übrigens würde man für
unsere Bedürfnisse in jeder Hinsicht reichlich Sorge tragen und der
Pascha uns in ein paar Stunden selbst mit seinem Besuch beehren. Dies
alles wurde vermittelst eines Dolmetschers in italienischer Sprache
verhandelt. Bald darauf kündigte ein unordentlich im Galopp
dahersprengender, sehr reich gekleideter Trupp albanesischer und
türkischer Reiter Alis Ankunft an, dem er mit einer sehr zahlreichen und
glänzenden Suite bald folgte. Ich ließ die Mannschaft ins Gewehr treten,
präsentieren und die Tambours _aux champs_ schlagen; sogleich ließ Ali
durch den Dolmetscher fragen, was dies zu bedeuten habe, und als er
vernommen, daß dies die höchste militärische Ehrenbezeigung sei, gab er
sein Wohlgefallen durch beifälliges Lächeln zu erkennen. Ich ließ
hierauf, nachdem ich seine Zustimmung erhalten, noch einige Handgriffe
und Wendungen vornehmen, mehrmals abfeuern, Peloton-, Glieder- und
Rottenfeuer machen, was sowohl vom Pascha als seiner Umgebung mit
Beifallsbezeigungen aufgenommen wurde. Was ihn am meisten ansprach, ließ
er mich durch den Dolmetscher ersuchen, zu wiederholen, erkundigte sich
bis zu den kleinsten Details nach der Garnison von Korfu, und nachdem er
mich seiner Zufriedenheit und seines Wohlwollens hatte versichern lassen
sowie daß noch vor Abend für alle unsere Bedürfnisse gesorgt werden
würde, verließ er uns nach einer Anwesenheit von beinahe zwei Stunden.
In der Tat war er kaum weg, als Lebensmittel aller Art, Wein nebst
mehreren türkischen Zelten, auch einige Diwans und Polster
herbeigebracht wurden, denen vier Sänften, von Sklaven getragen und
albanesischen Wachen umgeben, folgten; vier türkische Frauen oder
Sklavinnen befanden sich in denselben, die ihre besonderen Zelte
erhielten und die der besorgte Pascha zu meiner Privatunterhaltung
bestimmt hatte, indem die Türken die Weiber wie ein jedes andere zu
befriedigende notwendige Bedürfnis betrachten. Ich machte ihnen, nachdem
ihre Zelte aufgeschlagen waren, was zuerst geschah, einen Besuch, um
meine Neugierde zu befriedigen und fand vier ziemlich robuste,
wohlgenährte, korpulente Schönheiten, die gerade nicht mehr in der
ersten Blütezeit standen, hochrot geschminkt, schwarz bemalt waren,
angestrichene Nägel und ziemlich grobe Züge hatten; genug, es waren
weder zirkassische noch griechische Schönheiten. Ich verließ sie bald
wieder und gestattete den Unteroffizieren und Soldaten, sie zu besuchen,
denn sie zurückzuschicken würde der Pascha für eine große Beleidigung
angesehen haben. Als ich aber erfuhr, daß mir Ali ein Geschenk mit
diesen Schönheiten machen wolle, die ich mit nach Korfu nehmen solle,
ließ ich ihn am Tage unseres Abmarsches wissen, daß ich sehr bedaure,
dies nicht annehmen zu dürfen, indem es mir die französischen Gesetze
verböten und ich bei meiner Rückkehr großen Unannehmlichkeiten
ausgesetzt sein würde, wenn ich vier Weiber mitbrächte. Diese Räson nahm
er auch an. Den anderen Morgen schickte er wieder Geflügel, eine große
Quantität türkischen Tabak nebst türkischen Pfeifen von roter Erde und
vergoldet für das ganze Kommando; den Nachmittag kam er abermals selbst
und ließ sich wieder einige Manöver vormachen. Diese Besuche wiederholte
er noch einigemal und beschenkte die Leute reichlich mit Tabak. Des
Morgens durchstrich ich die ungepflasterten Straßen Janinas und besah
deren bunte Häuser, Moscheen und so weiter; auch hatte ich zweimal
Audienz beim Pascha in dessen Palast, wo er mich mit einem Kistchen von
Sandelholz, welches zwei Dutzend Fläschchen köstlichen Rosenöls
enthielt, einem Päckchen von den im Serail verfertigten Pastillen und
mehreren ausgezeichnet schönen türkischen Pfeifen, deren Rohre mit
Kaschmir überzogen waren, und zwei kaschmirnen Schals von Wert
beschenkte. Meine von Zeit zu Zeit später abgeschickten Nachfolger waren
nicht so glücklich, die Sache war nichts Neues mehr, und als erst das
Mißgeschick des französischen Heeres in Rußland bekannt wurde, da zog
der Pascha von Janina ganz andere Saiten auf, und bald nachher traten
zwischen ihm und dem Gouverneur von Korfu Mißhelligkeiten ein. -- Einige
Notizen über Janina und seinen merkwürdigen und grausamen Tyrannen
dürften hier wohl an ihrem Platz sein. -- Der Anblick der Hauptstadt
Albaniens ist ganz orientalisch und über alle Beschreibung schön. In den
See zieht sich eine Halbinsel mit schroffen Felsen, auf der das alte
Serail des Paschas oder sogenannte Fort und ebenfalls eine von Zypressen
umgebene Moschee liegen. Eine hohe Mauer trennt sie von der Landseite.
Von dieser Halbinsel kann man die ganze Stadt gut übersehen; ihr
gegenüber liegt eine kleine Insel, auf der sich noch ein dem Pascha
zugehöriger Palast befand. Janina hat einen sehr großen Umfang, viel
offene Plätze und Moscheen. Die Basars sind mitten in der Stadt und
nehmen zwölf Straßen ein; ein jeder ist für ein besonderes Gewerbe
bestimmt, der eine für Juweliere, der andere für Waffenschmiede und so
weiter. Hier hängen die Gebäude auch ziemlich zusammen, die Häuser der
Reichen sind sehr geräumig und haben alle Galerien. Der Judenkirchhof
befindet sich mitten in der Stadt, die damals an vierzigtausend
Einwohner zählen mochte und außer sechzehn Moscheen auch acht
griechische Kirchen hatte; sogar sah ich einige Buchläden, in denen
neugriechische Bücher verkauft wurden. In den Straßen begegnete man
bewaffneten Arnauten, Mohren, Tartaren, Türken und Griechen, alle zu des
Paschas Scharen gehörend, dessen Palast, der große Serail genannt, um
ihn von dem seiner Söhne Muktar und Veli zu unterscheiden, im südlichen
Teil der Stadt auf einer Anhöhe, die dieselbe beherrscht und eine
Zitadelle aus hohen Steinmassen bildet, liegt. Der obere Bau ist jedoch
von Holz und ganz türkisch mit vorspringenden Dächern, langen
Fensterscheiben und bemalten Außenwänden. Er ist von finsteren Straßen
umgeben, die sehr enge Zugänge bilden. Durch ein hölzernes Tor kommt man
auf einen breiten unregelmäßigen Platz, der von zwei Seiten durch den
Serail eingeschlossen ist. Dieser Platz wimmelte von den Soldaten von
Alis Leibwache, die sehr reich gekleidet war. Von da kommt man in die
Galerie, die mit einer Menge Volk, als Türken, Albaneser, Mohren,
Griechen, schwarzen Verschnittenen, Juden und so weiter angefüllt ist,
dann gelangte man in einen langen, reich verzierten Saal, in dem ein
großer seidener Vorhang herabhing, welcher, wenn Ali Audienz gab, in die
Höhe gezogen wurde, wo alsdann ein prächtiges, mit vielen Säulen
prangendes großes Gemach sichtbar ward, von dessen Fenstern man die
Aussicht auf den Landsee und das Pindus-Gebirge hatte. Der Fußboden war
kostbar ausgelegt und mit reichen Vergoldungen geschmückt, an den Säulen
hingen Dolche und alle möglichen Waffen von großem Wert, dem Pascha
gehörend, ringsum waren karmoisinrote Diwans, vor denen die kostbarsten
Teppiche lagen. Ali selbst saß mit übers Kreuz geschlagenen Füßen unter
einem karmoisin mit Gold gestickten prächtigen Thronhimmel. Er war von
ziemlich hohem Wuchs, hatte ein dickes rundes Gesicht, eine offene
Stirn, schlaue Züge und einen wilden, grimmigen Blick. Er trug ein
blaues, rotes oder gelbes, reich mit kostbaren Pelzen besetztes
Oberkleid und bisweilen statt des Turbans eine Sammetmütze. Seine Stimme
war sehr rauh und hohl und sein brüllartiges Lachen hatte etwas
Fürchterliches und Erschreckendes an sich. Ali war 1750 zu Tepeleni in
Albanien geboren, wo sein Vater, Veli, Pascha war. Bei dessen Tod mochte
er ungefähr sechzehn bis siebzehn Jahre zählen. Als einige Zeit darauf
ein Albaneser namens Ghalil eine Empörung veranlaßte, mußte Ali mit
vierzig Paras (ein halber Gulden) in der Tasche von Tepeleni entfliehen,
und seine Mutter und Schwester gerieten in Gefangenschaft der Einwohner
von Gardihi, die ihn selbst in die Luft hatten sprengen wollen; vierzig
Tage blieben sie in dieser Gefangenschaft. Später hat sich Ali Pascha
durch ein schreckliches Gemetzel und abscheuliche Grausamkeiten an
dieser Stadt und deren Bewohnern gerächt. In seinem zwanzigsten Jahre
trat er in die Dienste des Coul Pascha zu Berrat, wo er aber bald in den
Verdacht kam, eine Verschwörung angezettelt zu haben und dieserhalb
entfliehen mußte; doch erlangte er eine schnelle Aussöhnung mit Coul,
heiratete eine von dessen Töchtern, die ihm zwei Söhne, den Muktar und
Veli, gebar. Jetzt machte er einen Versuch, sich Janinas zu bemächtigen,
der ihm vollkommen gelang; er verjagte den dortigen Pascha, und nun
erkannte ihn die Pforte als Pascha von Janina und dessen Bezirk an.
Hiermit war aber sein Ehrgeiz noch lange nicht befriedigt, sondern er
bemächtigte sich nach und nach teils mit Gewalt, teils mit List fast
aller Distrikte Albaniens, verstärkte sein Korps von kriegerischen
Schypetaren (Albaneser oder Arnauten, die von den alten Mazedoniern
abzustammen vorgeben) immer mehr, drang mit denselben durch die engen
Pässe des Pindus nach Thessalien, das er sich unterwarf, und ließ sich
von der Pforte zum Deveny Pascha von Rumelien ernennen. 1798 leistete er
derselben gute Dienste gegen den furchtbaren Paßwan Oglu und wurde dafür
zum Pascha von drei Roßschweifen ernannt. Während dieser Zeit war sein
Schwiegervater Coul Pascha gestorben und Ibrahim dessen Nachfolger
geworden. Ali konnte sich aber mit diesem nicht vertragen und hatte
fortwährend Fehden mit demselben, denen endlich durch die Verheiratung
seiner Söhne mit Ibrahims Töchtern ein Ziel gesetzt wurde. Dennoch
überfiel er ihn 1811 wieder, nahm ihn gefangen, ließ ihm den Kopf
abschlagen und vereinigte dessen Paschalik mit dem seinigen. Ibrahims
Töchter aber, die beiden Frauen seiner Söhne, die er jetzt fürchtete,
ließ der Unhold nebst noch sechs anderen Frauen aus dem Harem in Säcke
nähen und in dem See bei Janina ersäufen. Gleich darauf kam die Reihe an
Mahomed, Pascha von Delvino, welcher Ibrahims Verbündeter gewesen. Er
nahm auch dessen Paschalik und die adriatischen Küsten in Besitz und
machte der Pforte außerordentliche Geschenke, damit diese sein Tun und
Treiben billigte. Mahomeds Söhne flohen nach Korfu, wo sie Schutz
suchten und ihn bei dem General Donzelot fanden. Schon weit früher,
1798, hatte Ali Prevesa, Vonitza, Arkanien und Paramithia mit seinen
Ebenen weggenommen. Nach fünfzehnjährigem Kampf hatte er die Sullioten,
sehr tapfere Krieger, die zwischen Bergen und Felsen hausen, unterjocht,
beinahe vertilgt, sich dann eines großen Teils von Mazedonien bemächtigt
und war bis an die Grenzen von Attika vorgerückt. Sein Gebiet bestand
nun in dem ganzen Epirus, dem südlichen Teil von Illyrien, einem großen
Teil Mazedoniens, fast dem ganzen alten Thessalonien, Ätolien, Phocis
und einem Teil Böotiens. Er besoldete ein Korps von mehr als
dreißigtausend Albanesern oder Arnauten, das, wenn es nötig war, er mit
leichter Mühe verdoppeln konnte, und dies waren die besten Truppen des
osmanischen Reiches und so treffliche Schützen, daß sie selten einen
Vogel im Flug fehlten, dabei die mäßigsten Männer, die keine andere
Leidenschaft als das Spiel und Rauchen kannten und keine andere
Liebhaberei als schöne Waffen, ihren Stolz, hatten. Alis Finanzen waren
in dem blühendsten Zustand, sein Schatz an Silber, Gold, Juwelen,
Perlen, Schals, Rosenöl, Kaschmir und kostbaren Vasen, seltenen Uhren
und Kunstwerken war unermeßlich, jede Fehde bereicherte ihn um
Millionen. Die Zahl der ihm untergebenen Seelen betrug über drei
Millionen und seine jährlichen Einkünfte über zwanzig Millionen Piaster.
Seine Soldaten, die gut und pünktlich bezahlt wurden, waren ihm sehr
zugetan, ebenso seine griechischen Untertanen, die ihn trotz seiner
abscheulichen Grausamkeiten dennoch schätzten, denn in der ganzen Türkei
war keine bessere Verwaltung, und es wurde keine strengere Gerechtigkeit
ausgeübt, als in den Provinzen, die unter seiner Herrschaft standen; mit
einem Paß von ihm oder von einem seiner Garden begleitet, konnte man
sicher und ohne alle Gefahr durch sein ganzes Land und die wildesten
Gebirgsgegenden reisen, so sehr hatte er seinen Namen zu fürchten und
respektieren zu machen gewußt. Er war der gerechteste Mann, sobald sein
eigenes Interesse nicht mit im Spiel, und der verabscheuungswürdigste
Wüterich, wenn dieses der Fall war. Er durchreiste häufig seine
Provinzen, untersuchte und richtete alles selbst und schlug dem
Schuldigen gewöhnlich mit eigener hoher Hand den Kopf ab; er war
Richter, Vollstrecker und Henker in einer Person und schlichtete
Prozesse, mit denen man in Deutschland ein halbes Jahrhundert
hingebracht hätte, in einer halben Stunde. -- Die Hauptzüge des
Charakters dieses außerordentlichen Menschen waren schlaue List und
unerhörte Grausamkeit, mit einem starken Aberglauben verbunden. Die
größte Furcht und Ehrfurcht flößten ihm Derwische ein, hierzu gesellte
sich noch eine unersättliche Habgierde, die eine Treulosigkeit und
Wortbrüchigkeit erzeugte, von der man in der Geschichte wenige Beispiele
findet. Eine wahrhaft schauderhafte Rachsucht machte diesen wilden
Charakter noch gräßlicher. Nie vergaß er die geringste Beleidigung oder
den kleinsten Ungehorsam gegen seinen Willen, wobei ihm sein
außerordentliches Gedächtnis sehr zustatten kam. Hier einige Beispiele,
die ihn am besten charakterisieren werden. Ein Albaneser hatte einen
Vetter von ihm in zufälligem Streit getötet; nachdem er dessen Weib und
Kinder vor seinen Augen durch seine Tiger, deren er immer mehrere sowie
Löwen und andere Raubtiere in Käfigen unterhielt, hatte zerfleischen und
auffressen lassen, ließ er ihn selbst langsam an einem Feuer braten. Der
Bruder dieses Unglücklichen hatte sich noch beizeiten geflüchtet. Einige
dreißig Jahre später erfuhr Ali Pascha, daß sich derselbe auf der
nahegelegenen Insel Santa Maura aufhalte. Er schickte alsobald
Abgeordnete mit sehr reichen Geschenken an ihn, die zu gleicher Zeit den
Auftrag hatten, ihm die heiligsten Versicherungen zu geben, daß Ali
längst alles vergessen und vergeben habe und er seine ehemalige Strenge
sogar bereue; er ließ ihm dabei die glänzendsten Versprechungen und
lockendsten Anerbietungen machen, wenn er nach Albanien zurückkehren
wolle. Der Unglückliche war schwach und leichtgläubig genug, sich
betören zu lassen, und reiste mit den Abgesandten zurück. Kaum war er in
Janina angekommen, als ihn der Wüterich in Stücke hauen und seine
Glieder in alle Straßen werfen ließ.

Um sich einen Begriff von seinem außerordentlichen Gedächtnis machen zu
können, stelle man sich vor, daß er alle seine Offiziere, Soldaten und
Angestellte bei ihrem Namen kannte. Seine Truppen waren nicht wie in
anderen Staaten gleichmäßig besoldet, sondern jeder Soldat bekam
monatlich etwas Gewisses, wie es Ali seinen Verdiensten angemessen
bestimmt hatte, so daß fast keiner mit dem anderen gleichgestellt war,
und er wußte genau im Kopf, was jeder monatlich empfing.

In Janina gab es sehr reiche griechische Kaufleute, die, ohne je die
Handlung gelernt zu haben, nach Italien, Triest, Rußland und Kleinasien
handelten, oft weder lesen noch schreiben konnten und dennoch die
einträglichsten Spekulationen machten. Sobald nun der Pascha durch seine
Spione, deren er unzählige hatte, in Erfahrung gebracht, wieviel dieser
oder jener bei einer solchen Spekulation gewonnen, wovon er sich vorher
auf das genaueste unterrichtet und die zuverlässigste Gewißheit
verschafft hatte, schickte er einen von seinen Leuten an den Kaufmann
mit der Bitte ab, er möge dem Pascha doch eine Summe von hundert bis
tausend Zechinen oder mehr leihen, je nachdem der Gewinst ausgefallen
war, von dem er in der Regel die Hälfte in Anspruch nahm, denn er fand
es billig, gerade zu teilen. Wollte sich nun der Kaufmann mit Unvermögen
und dergleichen entschuldigen, so fiel ihm der Abgesandte sogleich in
die Rede und erklärte ganz lakonisch: »Mein Befehl lautet: das Geld oder
den Kopf.« Da blieb wohl keine Wahl übrig, auch wäre es keinem zu raten
gewesen, den hohen Schuldner an das Geliehene zu mahnen.

Der französische Brigadegeneral Detry bekam einst vom Gouverneur eine
besondere Mission nach Janina und wurde vom alten Ali sehr freundlich
aufgenommen, der ihm in einem Anfall von besonderer Laune sogar seinen
Harem aufschließen und seine zahlreichen Weiber vorführen ließ, ebenso
seine hübschen Knaben, die ihm dazu dienen mußten, seine ekelhaften
unnatürlichen Lüste zu befriedigen, wenn ihn diese anwandelten. Als der
General den Harem wieder verlassen hatte, fragte ihn der Pascha, welche
von den Frauen ihm am besten gefallen habe. Dieser bezeichnete ihm
diejenige, die am meisten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Ali bat seinen
Gast, eine Mahlzeit mit ihm einzunehmen, und ehe sich nach deren
Beendigung Detry entfernte, fragte ihn der Pascha, ob er seine Geliebte
noch einmal zu sehen wünsche. Der General bejahte es lächelnd, Ali gab
ein Zeichen, ein Vorhang rauschte in die Höhe, und ein schwarzer
Verschnittener hielt das noch blutende Haupt der Unglücklichen an den
Haaren! Der Wüterich lachte grimmig, Detry, über eine solche Untat
erbittert, entfernte sich schnell. Dies war zur Zeit geschehen, als es
schon mit der napoleonischen Herrschaft auf die Neige ging, wovon er
weit besser wie wir in Korfu unterrichtet war; früher würde er so etwas
nicht gewagt haben. Auch der französische Konsul in Janina, Pouqueville,
ging eben nicht sehr gelinde mit dem Unmenschen um, drohte ihm mit des
Kaisers Zorn, wenn er etwas bei ihm durchsetzen wollte, und betrat
dessen Palast oft mit ganz beschmutzten und kotigen Stiefeln, die er an
Teppichen in den Gemächern abputzte, welche viele tausend Piaster
gekostet hatten, indem er zu ihm sagte: »Warum laßt Ihr Eure Straßen
nicht pflastern und reinigen?« Der alte Ali, der damals große Furcht vor
den Franzosen hatte, verbiß seinen Ingrimm unter hohlem Lachen. In
Verlegenheit setzte es ihn, wenn der englische oder der französische
Konsul zugleich bei ihm eintraten, da er beide gleich fürchtete, auch
suchte er dies möglichst zu verhindern, damit keiner sich eines Vorzugs
rühmen könne.

Öfters ließ sich Ali bei den angesehensten Einwohnern Janinas zu Tische
ansagen, wo er dann seine ersten Beamten, Diener und ein ganzes Gefolge
von Garden und Sklaven mitbrachte. Er speiste ganz allein an einem
Tisch, den Wirt des Hauses lud er gewöhnlich ein, sich in seiner Nähe
niederzulassen, und es wurde dabei türkische Musik gemacht. Beim
Abschied sah er es gerne, wenn man ihn und sein Gefolge beschenkte, was
aus guten Gründen nie unterlassen wurde; es geschah auch wohl, daß seine
Diener dem gastfreien Wirt einige nicht zu verkennende Winke gaben,
welche Geschenke ihrem Herrn und ihnen selbst die willkommensten sein
würden. Alis Schlauheit war im ganzen Land zum Sprichwort geworden, und
ohne die Diplomatie auch nur dem Namen nach zu kennen, überlistete er
nicht selten die gewandtesten Diplomaten. Bekannt ist, welch ein
wohlverdientes Ende es noch im hohen Alter mit ihm nahm.

Gleich nach meiner Zurückkunft von Janina trug sich ein Vorfall
in Korfu zu, der gewaltiges Aufsehen machte. Ein Kapitän,
_Quartier-maître-trésorier_ vom sechsten Linienregiment, ein Elsässer
und guter Bekannter von mir, war von einer schweren Nervenkrankheit
heimgesucht und verfiel in eine so hartnäckige Asphyxie, daß ihn
jedermann für tot hielt und die Ärzte ihn dafür erklärten. Alle
Anstalten zu seinem Begräbnis (wegen der großen Hitze wurden die Leichen
hier schon in den nächsten vierundzwanzig, oft zwölf Stunden nach dem
Tod beerdigt) und zu den ihm zukommenden militärischen Ehrenbezeugungen
waren getroffen. Obgleich Protestant, wonach niemand fragte, wurde er
doch in die zu Korfu befindliche einzige katholische Kirche gebracht.
Der Sarg, welcher der Kirche gehörte,[2] wurde in der Mitte derselben
aufgestellt, mit allerlei Symbolen und sich auf den Tod beziehenden
allegorischen Bildern, unter denen auch das Skelett der von der Natter
gebissenen Kleopatra, behangen. Musik und Tambours zogen mit klingendem
Spiel in die Kirche, vor deren Tür die gebräuchlichen Salven gegeben
wurden, worauf zuletzt noch Mann vor Mann einzeln sein Gewehr in der
Kirche abfeuerte. All dieser Lärm vermochte nicht, den Scheintoten aus
seinem Starrkrampf zu erwecken, der aber -- man denke sich den
entsetzlichen Zustand -- sein völliges Bewußtsein hatte und jedes leise
gesprochene Wort auf das deutlichste vernahm. Doch ich will seine
eigenen Worte hier anführen, mit denen er mir das schreckliche Ereignis,
das ihn betroffen, mitteilte.[3] »Von dem Augenblick, als ich in den
Starrkrampf verfallen war, war es mir schlechterdings unmöglich, trotz
starkem Willen und aller Anstrengung, die ich deshalb machte, auch nur
die geringste Bewegung an irgendeinem Teil meines Körpers
hervorzubringen; es war, als wären alle meine Gliedmaßen in eiserne
Bande und Fesseln geschlagen und gänzlich gelähmt; dabei vernahm ich das
leiseste Wort, das in meiner Gegenwart gesprochen wurde, auf das
deutlichste, konnte meine Zunge nicht rühren und hatte doch das
heftigste und glühendste Verlangen, die Leute, die mich alle tot
glaubten, zu enttäuschen; nun stelle man sich meinen entsetzlichen
Zustand vor, als ich alle Anstalten zu meiner nahen Beerdigung
wahrnehmen mußte, wie man mich wusch, dann in das Leichengewand
kleidete, mich in den Sarg legte, in die Kirche trug, und nachdem alle
Zeremonien und das Abfeuern der Soldaten beendigt war, in die
schauerliche Gruft hinabsenkte. Alle meine Sünden fielen mir in diesem
Augenblick ein und der Hölle fürchterliches Bild drängte sich mir mit
Gewalt vor die Augen. Ich kam, nachdem man mich hinabgelassen, auf einen
Haufen halb und ganz verwester Kadaver zu liegen und blieb noch etwa
fünf bis sechs Stunden in dem starren Zustand. Dann aber erhielt ich
allmählich meine Bewegungskraft wieder, wozu wohl auch der
pestilenzartige Geruch, der mich umgab, das Seinige beitragen mochte.
Ich richtete mich nun auf und tappte in der dichtesten Finsternis auf
Haufen von Leichen und Knochen herum, kam endlich an eiskalte, von
Feuchtigkeit triefende Mauern, an denen ich vergeblich einen Ausweg
suchte, der mich aus diesem schrecklichsten aller Kerker befreien
sollte. Um die Decke des Gewölbes zu erreichen, wozu aber meine Arme
nicht auslangten, bemühte ich mich, die zum Teil halbverfaulten Körper
zusammenzuschleppen und aufzutürmen, um so einen Hügel zu bilden, auf
dem ich oben ankommen und mich so vielleicht hörbar machen könnte. Die
Verzweiflung gab mir Kraft, und es gelang. Ich gab mir nun die
unsäglichste Mühe und strengte mich über die Maßen an, einen Gewölbstein
zu lüften, der in die Kirche führte, aber alle meine Bemühungen waren
vergeblich, da selbst mehrere Männer mit eisernen Hebeln dazu
erforderlich waren. Ganz entkräftet sank ich wieder nieder, dumpfe
Verzweiflung und namenlose Trostlosigkeit bemächtigte sich meiner. Noch
einmal raffte ich mich zusammen, ergriff einen der dicksten
Totenknochen, mit dem ich nun, so stark ich es vermochte, wider das
Gewölbe schlug, aber mehrere Stunden vergingen, ohne daß ich irgendein
Resultat wahrnahm. Schon wollte ich mich hoffnungslos der Verzweiflung
preisgeben, als ich plötzlich ein dumpfes Gemurmel von mehreren
Männerstimmen über mir vernahm, Tritte hörte, bemerkte, daß man bemüht
war, einen Stein zu heben, und endlich den Schimmer des Tageslichts
gewahrte, woran die Öffnung bald völlig frei wurde. Nie hatten meine
Ohren eine lieblicher klingende Harmonie vernommen, als das hierdurch
verursachte Getöse, und als der erste Strahl des Lichtes in den
Schreckensort drang, da war es mir, als würde ich neu geboren und träte
in das Paradies ein. Als der Stein ganz gelüftet war, schwang ich mich
mit Hilfe eines Strickes, den man mir reichte, in die Kirche hinauf und
stand mitten unter einem Haufen Menschen, die nicht wenig über meine
Erscheinung erstaunt waren.« -- Die Kirchendiener hatten, als sie des
Morgens die Vorbereitungen zur Frühmesse machten, den unterirdischen
Lärm vernommen, aber zuerst samt dem Geistlichen, der die Messe lesen
sollte, die Flucht ergriffen, in der Meinung, die Toten seien zum
jüngsten Gericht auferstanden oder der Teufel selbst habe seinen Sitz im
Gewölbe aufgeschlagen. Man hatte die Sache gleich dem Platzkommandanten
gemeldet, der Befehl zur Eröffnung des Gewölbes erteilte und zu diesem
Behuf einen Adjutanten nebst einigen Sappeurs abschickte. Der Gerettete
wurde wieder völlig hergestellt und wohnte später selbst noch mancher
Leichenfeierlichkeit bei.

[Fußnote 2: In Korfu wurden alle Leichen von einiger Destinktion ohne
Sarg in die unterirdischen Kirchengewölbe gesenkt, wo sie durcheinander
verwesten, daher die Kirche einen allgemeinen Sarg hatte, in dem sie
alle Toten abholen ließ und in welchem jeder während den Zeremonien in
der Kirche ausgestellt wurde. Diese Leichen wurden nach beendigtem
Gottesdienst und wenn die Kirche geschlossen war, aller Kleider beraubt
und nackt in die Gruft geworfen. Nur bei Personen, die sich ein
besonderes, wegen des geringen Raums der Kirche sehr teures Begräbnis
erkauften, wurde eine Ausnahme gemacht. Die Soldaten wurden ohne
Unterschied auf einem dazu bestimmten Platz vor der Stadt in die Erde
verscharrt.]

[Fußnote 3: Wir haben allen Grund zu glauben, daß der tote Verfasser
dieser Denkwürdigkeiten selbst der Lebendigbegrabene war, wie aus
einigen von ihm geschriebenen Briefen ziemlich klar hervorgeht, was er
aber, wenigstens bei seinen Lebzeiten, nicht gerne Wort haben wollte.]

Ende Oktober wurde ich mit meiner Kompagnie nach Govino oder Gouin
detachiert oder vielmehr nach einer diesem Ort gegenüber errichteten
Batterie, ebenfalls angelegt, um hier eine mögliche Landung der
Engländer zu verhindern. Diese Gegend war im Sommer so ungesund, daß die
daselbst liegenden Truppen wenigstens alle vier Tage abgelöst werden
mußten, und dennoch erkrankten viele Leute. Ehe man aber diese Erfahrung
gemacht, hat man sie teuer bezahlen müssen, denn von einer ganzen
Kompagnie, die des Hauptmanns Gasqui, die man zuerst im Sommer einen
ganzen Monat hatte daselbst liegen lassen, waren samt dem Kapitän,
wodurch Madame Gasqui, die nicht mitgegangen, sondern in der Stadt
geblieben, Witwe geworden war, alle bis auf siebzehn Mann und den
Oberleutnant, hundertneunzehn Mann im ganzen gestorben. Auch die am
Leben gebliebenen waren noch jahrelang kränklich. Der Kapitän Roy, den
ich ablöste, hatte, wie so viele Offiziere, eine hübsche junge Griechin
als Mätresse bei sich, sollte sich aber in kurzem mit der Tochter eines
reichen Griechen verheiraten, nachdem ihm eine hübsche junge Französin,
die Tochter des Kommandanten der Gendarmerie zu Korfu, Mademoiselle
Fournier, der er den Hof gemacht und um die er geworben, einen Korb
gegeben, weil er seine Mätresse nicht abgeschafft hatte. Die Griechin
war nicht so empfindlich oder ignorierte die Sache und erhielt eine
Aussteuer von vierundzwanzigtausend Talari, was jene nicht hatte. Als er
mir den Posten übergab, bat er mich, doch auch zugleich seine Geliebte,
Tonina, mit übernehmen zu wollen, da er in ein paar Tagen Hochzeit
machen müsse und sie folglich nicht länger bei sich behalten könne. Ich
tat ihm den Gefallen unter der Bedingung, das Mädchen nicht länger als
vier Wochen zu behalten, was man einging. Tonina war hübsch, nicht ohne
Geist und hatte viel Scharfsinn. Schon über ein Jahr hatte sie mit Roy
gelebt, der sie dreizehnjährig von ihren Eltern weggenommen hatte. Als
sie zuerst vernommen, daß sich Roy verheiraten und sie verlassen werde,
war sie so wütend geworden, daß sie nach ihm biß und kratzte, sich auf
die Erde warf, »_Xaphnico ogni sorte, Diavolo smesso su, gamotti bisti
su!_«, abscheuliche neugriechische Flüche, ausstieß und sich dabei
konvulsivisch auf dem Boden wälzte. Ich machte sie aber gleich damit
bekannt, daß sie nur eine provisorische Stelle bei mir habe. Sie fügte
sich zwar darein, machte aber doch Umstände, als die vier Wochen um
waren, und ich bedurfte alles Ernstes, sie mir wieder vom Halse zu
schaffen. »Du heiratest ja nicht,« meinte sie. Glücklicherweise fand
sich nach sechs Wochen ein Bataillonschef, der sie übernahm.

Eines Tages besuchte mich der _Chef d'état major_ der Garnison von
Korfu, Oberst Bauduy, auf meinem Landhaus in Begleitung einer hübschen
jungen Dame; beide kamen nebst einem Bedienten geritten. Die junge Dame
war eine Pariserin, Bauduys Geliebte, und sehr geistreich. Sie war die
Gattin eines Pariser Bankiers, die er entführt hatte und die nun mit ihm
lebte. Ich begleitete gegen Abend beide in die Stadt zurück und wurde
eingeladen, sie manchmal zu besuchen. Der Oberst bewohnte ein zwischen
Ruinen aus der letzten Türkenbelagerung ziemlich einsam liegendes Haus
hinter dem Gouvernementspalast in der alten Festung. Ich machte bald von
dieser Einladung Gebrauch, und zwar mehr, als dem Herrn Oberst lieb war.
Nicht sehr weit davon hatte ein Offizier von unserem Regiment, der
Kapitän Stahl, sein Quartier. Diesen besuchte ich jetzt öfters und nahm
so die Zeit wahr, wenn Bauduy ausging, um der hübschen Madame Guidon --
so nannte sie sich -- einen Besuch abzustatten. Sie sang recht artige
Romanzen, und wir sangen und spielten öfter zusammen und mit der besten
Harmonie, die aber dem _Chef d'état major_ eben nicht sehr lieblich zu
klingen schien. Stahl hatte sich in eine junge, kaum vierzehnjährige
Griechin aus einer wohlhabenden Familie verliebt, Gegenliebe gefunden
und mir sein Geheimnis vertraut; der Hinterteil des Hauses, in dem seine
Geliebte wohnte, ging in ein enges, schmales Gäßchen, wo er dieselbe nur
durch ein ziemlich hohes Fensterchen sehen und sprechen konnte, aber
keine andere Gelegenheit hatte, in nähere Berührung mit ihr zu kommen.
Das Mädchen sprach das Venetianische geläufig, Stahl aber nur ein paar
Worte schlecht italienisch, beide hatten sich bisher mehr durch Zeichen
verständlich gemacht und schienen vor Liebe fast zu vergehen. -- »Da
bleibt nichts anderes übrig als eine Entführung,« sagte ich zu Stahl, da
er nicht aufhörte, mir seine Sehnsucht zu klagen. Dazu war er auch bald
entschlossen, und es kostete uns keine große Mühe, die junge Griechin
zur Einwilligung zu bringen. Wir kamen überein, sie in der nächsten
Nacht, wo sie versuchen wollte, das Haus ihrer Eltern nach elf Uhr zu
verlassen, zu entführen, und gingen verabredetermaßen zur bestimmten
Stunde in das kleine Gäßchen, wo wir zuerst noch ein Pourparler mit dem
Mädchen hatten, das uns mitteilte, daß es unmöglich zur Haustüre
hinauskommen könne, die verschlossen und verriegelt und von der der
Schlüssel abgezogen sei. -- »Nun, dann müssen Sie die Promenade durch
das Fenster machen,« rief ich ihr zu. -- »Unmöglich, es ist zu hoch.« --
»Ich will schon Mittel finden, daß es gefahrlos geschehen kann.« Ich
hieß Stahl dableiben, während ich mich nach einer Leiter umtun wolle,
und eilte in die nächste Kaserne, eine solche zu suchen, aber
vergeblich, es war nirgends eine aufzutreiben. Ich requirierte daher
vier Grenadiere von unserem Bataillon und lieh mir eine große
baumwollene Decke bei einem Sergeant-Major. Mit diesen kam ich zu Stahl
zurück, dem ich sagte, daß, da ich keine Leiter gefunden, sich seine
Geliebte schon zu einem kleinen Sprung bequemen müsse; es sei ja kaum
zwanzig Schuh hoch, und sie könne sich unmöglich einen Schaden tun, da
sie auf die von vier starken Männern gehaltene Decke falle. -- »_Ma ho
troppo paura_,« lispelte die junge Griechin. -- »_Ma che paura, santa
mattiamo, sakapaupoli_,« erwiderte ich halb italienisch, halb
griechisch, »_saltate pure, sarete ben ricevuta_.« Nach noch einigem
Zureden entschloß sie sich zum Sprung und lag im Nu auf der Decke, von
der ich sie mit meinen Armen aufhob und denen Stahls überlieferte, der
mit seiner holden Beute nach dem Fort vieux zu in seine Wohnung eilte,
während ich die Grenadiere, die das Mädchen aufgefangen hatten, belohnt
heimschickte. Den anderen Tag kam gegen Mittag Herr von Brüge in
aller Eile nach Govino geritten und verkündigte mir, daß ich
höchstwahrscheinlich noch denselben Tag abgelöst werden würde, weil ich
tätige Hilfe bei der Entführung der jungen Caloyera geleistet habe; der
Gouverneur sei bereits von der ganzen Geschichte unterrichtet, höchst
aufgebracht, der Vater des jungen Mädchens sei bei ihm gewesen, habe
Stahl, zu dem er mit Dolchen bewaffnet gelaufen, zu ermorden gedroht,
und man habe den Mann nur durch das Versprechen, die Schuldigen zu
bestrafen und daß der Kapitän seine Tochter heiraten solle, beruhigen
können. Brüge befragte mich nun nach den näheren Umständen dieses
Vorganges, und ich teilte ihm dieselben mit. Stahl hatte selbst
angegeben, daß ich der Helfershelfer bei der Geschichte gewesen. Herr
von Brüge verließ mich mit den Worten: »Nun, ich will wünschen, daß es
gut für Sie abläuft.« Aber den anderen Morgen erhielt ich Order, mit
einem Detachement von siebzig Mann nebst dreißig Albanesern nach Rocca
Timono aufzubrechen, einem wüsten Felsen an der Westseite der Insel, in
der Gegend von Pallea Castrizza, an dessen Fuß der Hafen Affiona lag,
eine kleine Bucht, die ebenfalls bequem zu einer Landung war. Denselben
Tag erschien auch noch ein Tagesbefehl des Gouverneurs, in welchem er
diese Begebenheit streng rügte. Stahl erhielt scharfen Arrest, und der
Oberst Benzel-Sternau drückte noch in einem besonderen Annex der Order
aus, daß es sehr bedauerlich sei, daß Offiziere von unserem Regiment die
Veranlassung zu einem solchen Befehl gegeben hätten, und daß, wenn sich
dergleichen wiederhole, er es an den Kriegsminister berichten müsse. --
Höchst mißmutig brach ich nach Rocca Timono auf, vielleicht dem ödesten
Ort der ganzen Insel. Auf einem hohen Felsen, zu dem man nur zu Fuß mit
Lebensgefahr an dem steilen Rand eines tiefen Abgrundes, Mann vor Mann
kletternd, gelangen konnte, war eine kleine Reiserhütte, mit Laub
bedeckt, von den Soldaten erbaut, die zwei Abteilungen, eine für den
Offizier, die andere für die Soldaten, hatte und in die Wind und Regen
von oben und allen Seiten drang; da es gerade in der Regenzeit war, so
schwamm man beständig im Wasser und hatte weder bei Tag noch bei Nacht
einen trockenen Fleck am ganzen Leibe; dabei hatte ich die strengste
Order erhalten, mich unter keinem Vorwand, welcher er auch immer sei,
von diesem Posten zu entfernen. Dies Kommando hatte ich der Protektion
meines Gönners, des _Chef d'état major_ Bauduy, zu verdanken gehabt, wie
ich später erfuhr, der mich gern aus seinem Bereich und Gehege vertrieb.
Stahl, der zwar im Fort vieux blieb, mußte die Caloyera heiraten, mit
der er einige tausend Talari Aussteuer bekam. Einen ganzen Monat mußte
ich auf dem rattenkahlen Felsennest, wo man kein Grashälmchen sieht,
zubringen und buchstäblich im Wasser liegen. Aus Langeweile ließ ich die
Soldaten gymnastische Übungen machen, Purzelbäume und Rad schlagen und
um Paras spielen und balgen. Dies war mir der verdrießlichste Monat
meines ganzen Lebens. Endlich, nachdem ich wohl ein Dutzend Briefe an
Benzel-Sternau und Herrn von Brüge geschrieben, wurde ich erlöst und
nahm mir nun fest vor, mich nicht mehr mit den Entführungen anderer zu
befassen. Ich kam gerade noch zur Trauung Stahls, die, obgleich er
Protestant war, doch in einer griechischen Kirche stattfand. Stahls
junge Frau hatte unterdessen Bekanntschaft mit der Geliebten Bauduys
gemacht, und nachdem ich erfahren, welchen Anteil dieser an meiner
Versetzung genommen, beschloß ich, mich mit Hilfe von Stahls Gattin
desto mehr an ihm zu rächen. Dies war um so leichter, da Amelie -- dies
war ihr Taufname -- jetzt sehr oft zu Stahls kam, wo ich dann oft mit
den beiden Damen allein war und die eine die Aufpasserin machte, während
ich mit der anderen tändelte. Eines Tages aber hatte ich es gewagt, als
Bauduy, der anfing, die Besuche seiner Geliebten bei Madame Stahl sehr
ungern zu sehen, gerade zum Gouverneur gegangen war, Amelie in seiner
Wohnung zu besuchen, in die ich in der Abenddämmerung durch ein
Hinterfenster stieg, um von keinem Bedienten bemerkt zu werden. Aber
kaum hatten wir uns herzlich bewillkommt, als der Oberst, der etwas
vergessen hatte, zurückkehrte, so daß ich gerade noch Zeit hatte, mich
in einen Schrank, den Degen in der Hand, eiligst zu verbergen, sowie
Amelie, das Zimmer zu verlassen, welches sie abschloß. Als ich aber
unten rumoren hörte und fürchtete, man möchte hinter mein Versteck
kommen, verließ ich dasselbe eiligst und sprang aus einem Fenster
wenigstens fünfzehn Fuß hoch in einen kleinen, noch von einer Mauer
umgebenen Raum hinab, aus dem ich hinauskletterte und mich in den Ruinen
alter Häuser verbarg. Aber Freund Stahl begann nun auch eifersüchtig zu
werden und meine häufigen Besuche ungern zu sehen; um ihm keinen
weiteren Anlaß zum Mißvergnügen zu geben, setzte ich sie vorerst aus und
machte unterdessen der Madame Roy den Hof, deren Mann die erhaltene
Aussteuer zum großen Mißvergnügen der Familie seiner Frau verkohlt
hatte, und da ihm dieses Verkohlen nicht den fünften Teil der erwarteten
Fonds einbrachte, so war auch er mißvergnügt, mit der Familie gespannt
und ließ sehr unklugerweise seinen Unmut seine junge Gattin empfinden,
die ich nun zu trösten unternahm. Madame Stahl sollte mir doch später
werden, wenn auch erst auf französischem Boden. -- Doch ich muß die
Sache deutlicher erzählen, wenn man mich verstehen soll. Die Aussteuer,
welche die Töchter der wohlhabenden Familien in Korfu erhalten und von
der es heißt, sie sei zehn-, zwanzig-, dreißig-, fünfzig- und mehr
tausend Talari, besteht nur in sehr wenig barem Geld, einigen sehr hoch
angerechneten Pretiosen und dem Rest in Land mit soundso viel
Olivenbäumen, die in gewöhnlichen Zeiten eine bestimmte Rente abgeben.
Jetzt aber, wo der Preis des Öls bis auf den fünften Teil seines
früheren Wertes herabgesunken war, hatten natürlich auch diese
Baumstücke einen weit geringeren Wert. Roy, der aber gerne bares Geld
gehabt hätte und solches brauchte, ließ alle ihm gehörigen Olivenbäume,
unter denen Tausende viele hundert Jahre alte Stämme waren, umhauen und
zu Kohlen brennen, die er nach dem Gewicht auf dem Markt verkaufen ließ
und so kaum zwei- bis dreitausend Talari daraus löste, die bald
ausgegeben waren. Daher der Unwille seiner Schwiegereltern, der auf die
Tochter überging, die sich nun fast mehr im Haus ihrer Mutter, wo ich
sie täglich sah, aufhielt, als in der Wohnung ihres Gatten, und der mein
Trost ganz willkommen war. Hier lernte ich auch eine andere, noch sehr
junge Griechin, Marietta Vonda, ihre Jugendfreundin, kennen, die alle
hellenischen Schönheiten in sich vereinigte. Mit dieser knüpfte ich bald
ein Verhältnis an, und da ihre Eltern ganz ohne Vermögen waren, so
willigten sie unter gewissen Bedingungen ein, daß ich das Mädchen auf
eine bestimmte Zeit, drei Monate, zu mir nahm, während welchen ich,
alles andere vergessend, recht vergnügt mit ihr lebte und sie dann einem
Rittmeister der _Chasseurs à cheval_ abtrat, der sie ganz behielt und
später auch mit sich nach Frankreich nahm und sogar heiratete. Nach ihr
zerstreute ich mich auf kurze Zeit mit zwei recht artigen Israelitinnen,
die in der Nähe meines Quartiers wohnten und sich Nina und Berna
nannten, und dann wieder mit einer jungen Griechin, Anetta genannt. So
brachte ich immer einige Abwechslung in das sonst ziemlich einförmige
Leben zu Korfu. Manche meiner Kameraden machten es nicht viel besser,
nur waren sie etwas beständiger. Noch immer hatte ich den Tisch bei
Herrn von Brüge und gab dabei Josephinen Unterricht, jetzt auch im
Deutschen und der Geschichte; einmal wurde ich jedoch in einer ziemlich
zweideutigen Situation mit ihr von der Frau Mama ertappt, von der wir
nun einen fast stundenlangen Sermon anhören mußten. -- »Ach, die Mama
hat es auch nicht besser gemacht, wie der Papa sagt,« sprach Josephine,
als wir endlich wieder einen Augenblick allein waren. Um die Frau Mutter
wieder zu besänftigen, schickte ich ihr einen prächtigen, mit Oliven
gemästeten Indianer in die Küche nebst einigen Pfunden Mandelkonfekt,
von dem sie eine große Liebhaberin war; es war gerade um Weihnachten,
welche die Griechen besonders mit diesen Leckerbissen feiern. -- Gleich
nach Neujahr 1813 fiel eine tragische Begebenheit vor, die ungemeines
Aufsehen in der Garnison erregte. Der Kapitän einer der im Hafen zu
Korfu stationierten Fregatten hatte einen auf derselben eingeschifften
Marinesoldaten wegen eines unbedeutenden Vergehens mit Stricken, eine
bei den französischen Matrosen damals gebräuchliche Strafe, hauen
lassen. Dieser hatte sich aber verzweifelt gewehrt und geschimpft, indem
er sagte, eine solche entehrende Züchtigung gehöre keinem französischen
Soldaten, und der sie verordne, sei ein infamer Büttel und so weiter, er
mußte sich aber zuletzt natürlich der Gewalt ergeben und die Strafe
erdulden. -- Einige Tage darauf, als er wieder eine Wache auf dem Schiff
bezog, tauschte er mit einem Kameraden, dem der Posten vor des Kapitäns
Kajüte geworden, um daselbst Schildwache zu stehen, und als der Offizier
am Abend aus dem Theater kam und sich in sein Gemach begeben wollte,
schoß ihn der Soldat mit den Worten: »_Canaille, voila pour toi!_«
nieder, hierauf ausrufend: »_Me voila content, qu'on me fasse fusiller à
mon tour._« -- Dies fand auch kurze Zeit darauf, nachdem er durch
kriegsgerichtliches Erkenntnis zum Tode verurteilt worden war, statt,
und er wurde auf einem eigens dazu errichteten Floß mitten in der Reede,
im Angesicht der ganzen Marine und der Landtruppen erschossen. Ein
seltsamer Zufall hat mich bei dieser Gelegenheit eine Delikatesse kennen
lernen, von der ich mir niemals etwas hätte träumen lassen. Um die
Exekution besser mit ansehen zu können, war ich mit einigen Kameraden
nach der Insel Vido hinübergefahren; kaum war der Soldat erschossen, als
sich ein so gewaltiger Sturm erhob, daß es schlechterdings unmöglich
war, wieder nach Korfu zurückzufahren, und zu gleicher Zeit ließ sich
auch ein Erdstoß verspüren, der jedoch nicht sehr bedeutend war. Desto
heftiger aber stürmten die entfesselten Winde, und der Sturm wütete so
arg, daß für diesen Tag an die Überfahrt nicht mehr zu denken war; auch
die Barken, welche alle zwei Tage die Lebensmittel für die etwa
achthundert Mann starke Besatzung nach Vido brachten und um Mittag
kommen sollten -- die Exekution hatte um zehn Uhr morgens stattgefunden
--, blieben aus. Mit Sehnsucht warteten alle, daß sich der Sturm legen
würde, denn der geringe Vorrat einiger Marketender an Brot und sonstigen
Viktualien war schnell aufgezehrt und bald kein Stückchen mehr für Geld
zu haben. Die Nacht kam heran, der Sturm tobte fort, und die Wellen
türmten sich mehr und mehr. Lachend soupierten wir noch bei einigen
Hühnern, die der auf der Insel Vido befehligende Bataillonschef, bei dem
wir uns zu Gast baten und der auch das noch aufzutreibende Kommißbrot
aufgekauft hatte, zum besten gab. Aber auch die ganze Nacht, die wir in
Erdhütten zubrachten, denn andere Wohnungen gab es in Vido noch nicht,
währte der Sturm und wurde womöglich den kommenden Morgen noch toller,
so daß man an keine Kommunikation mit der Stadt denken konnte. Jetzt
ging es an ein Schlachten aller vorhandenen Katzen und Hunde, die man
mit schwerem Geld bezahlte, und da auch diese bei weitem nicht
ausreichten, die hungrigen leeren Mägen zu füllen, so machte man sich
auf die Rattenjagd, deren es unzählige, und namentlich sehr fette
Wasserratten hier gab. Bald hatten die Soldaten mehrere hundert
derselben gefangen und boten sie zu drei bis fünf Franken per Stück
feil. Öl fand sich auch noch etwas vor, und die getöteten Tiere wurden
nun an Ladestöcken gebraten oder zu einem Ragout zugerichtet, und ich
gestehe, daß ich einen solchen Rattenbraten ganz vortrefflich fand und
mit dem größten Appetit verspeiste, sei es _faute de mieux_ und weil ich
großen Hunger hatte, oder weil die Ratte ein wirklich sehr delikates
Fleisch hatte. Hätten wir nur Brot dazu gehabt! Der Sturm und die
Rattenjagd dauerten noch bis gegen Abend, wo sich beides legte und die
heißersehnten Lebensmittel ankamen. Von jetzt an wurde ein kleines
Magazin, auf acht Tage berechnet, von Vivres in Vido angelegt, damit man
nicht wieder ähnlichem Fasten ausgesetzt war, wir aber wurden bei
unserer Rückkehr in Korfu noch brav ausgelacht und geneckt, indem man
uns versicherte, daß, da wir uns ohne Urlaub entfernt und auch niemand
gewußt, was aus uns geworden, man im Begriff gewesen, uns als Deserteure
_par contumace_ durch ein Kriegsgericht verurteilen zu lassen.

Um diese Zeit fing man zu Korfu an, ganz insgeheim von dem unglücklichen
russischen Feldzug und der schrecklichen Retirade der großen Armee zu
munkeln; auch wurden wir durch die Engländer immer enger blockiert. Die
Lebensmittel wurden seltener und stiegen sehr im Preis. Doch waren wir
noch weit entfernt, das Mißgeschick Napoleons und seines Heeres in
seinem ganzen Umfang zu kennen und dessen ungeheuren Verlust zu ahnen.
Man wußte nicht, wie die Sachen eigentlich standen, und erfuhr nur, was
eine in Korfu gedruckte Zeitung, welche einmal wöchentlich erschien und
den Titel >_Moniteur jonien_< führte, für gut fand, uns wissen zu
lassen; zudem war sie immer um einige Monate zurück und druckte meistens
nur das, was der Commissair-Imperial aus den Pariser Zeitungen, die
ebenfalls zwei bis drei Monate nach ihrem Erscheinen erst nach Korfu
kamen, rot anstrich. -- Im Frühjahr 1813, das heißt im Januar, halfen
schon die im vorigen Jahre zuerst gepflanzten Kartoffeln, welche die
Griechen als nach Erde schmeckend noch verschmähten, etwas aus; man
bezahlte aber das Pfund noch mit einem Piaster oder mehr, wofür man sie
den Soldaten abkaufte. Da die Lebensmittel immer seltener und teurer
wurden, namentlich frisches Fleisch fast gar nicht mehr aufzutreiben
war, so erließ der Gouverneur eine Order, durch welche er den Offizieren
und Soldaten streng verbot, sich ferner noch mit der Unterhaltung von
Frauen und Mädchen zu befassen, denn dies hatte zuletzt so überhand
genommen, daß fast jeder Soldat ein solches Liebchen hatte. Die
Griechinnen liefen ihren Männern und Vätern, die sie beständig unter
strengem Gewahrsam einsperrten, gar zu gerne davon, um mit den
Franzosen, die sie überall mit herumführten, spazieren zu gehen,
Schauspiele, Tanz und Weinschenken zu besuchen. Man brauchte fast nur zu
winken, so hatte man schon eine solche, oft sehr schöne, aber immer sehr
unwissende und lästige Plage am Hals. Diese Order und der eingetretene
Mangel verhinderten zwar weitere Entführungen, aber es war schon gar zu
viel altes Übel vorhanden.

Die Frechheit der Engländer ging jetzt so weit, daß sich ihre
Linienschiffe und Fregatten bis auf Schußweite den Festungswerken
näherten. Eines Tages kamen zwei dieser Schiffe bis fast unter die
Batterien des Meerschlosses, so daß sie von den auf sie geworfenen
Riesenbomben beinahe in den Grund geschossen worden wären. Sie suchten
schnell das Weite. Ein anderes Mal wagte sich eine englische Brigg sogar
bis in den Hafen von Govino und zündete daselbst mehrere kleine Schiffe
an; unsere Kanonierschaluppen suchten ihr zwar den Rückweg
abzuschneiden, aber ehe diese noch segelfertig waren und die Anker
gelichtet hatten, war die Brigg schon wieder in der weiten See. Die
französische Marine hatte wenigstens eine Stunde mit Pfeifen und
Vorbereitungen zugebracht, so daß wir alle, die wir dem Skandal von den
Wällen zusahen, höchst entrüstet über dieses lendenlahme Verfahren
waren, fluchten und schimpften. Es war wirklich unverantwortlich; mehr
denn zwanzig Kanonierschaluppen lagen in dem Hafen von Mandrachio, und
keine brachte es dahin, flott zu werden, während die Brigg ihr Unwesen
im Hafen von Govino trieb, was wir von Korfu genau beobachten konnten.
Die Marineoffiziere mußten sich deshalb herben Spott von den
Landoffizieren gefallen lassen, es gab Reibereien und in deren Folge
Duelle. Das Duellieren hatte überhaupt zuletzt unter der Garnison von
Korfu und zwar unter den Unteroffizieren und Soldaten so sehr überhand
genommen, daß fast keine Woche verging, wo es nicht einen Toten, der im
Zweikampf gefallen war, gab, so daß endlich der Gouverneur eine sehr
strenge Order an die Korpschefs erließ, um diesem Unfug Einhalt zu tun,
und die Regimenter deshalb öfters konsigniert wurden.

Trotz der immer steigenden Teuerung, die bei den ärmeren Einwohnern bald
Mangel verursachte, und der schlimmen Nachrichten vom Festland, mit
denen man sich herumtrug, wurde dennoch der Karneval 1813 noch sehr
fröhlich nach venetianischer Weise begangen. Die große Esplanade war von
drei Uhr nachmittags an mit Masken jeder Art angefüllt, die sich bis in
die Nacht hinein mehrten, doch außer dem stummen Auf- und Abgehen und
einigen Neckereien wenig Unfug trieben, sondern meistens, besonders die
Griechen, die daran teilnahmen, sehr ernst waren. -- Oft exerzierte ein
oder das andere Regiment zu gleicher Zeit auf diesem Platz und kam durch
seine Schwenkungen mitten unter die Maskenhaufen, die es dann jubelnd
auseinander jagte. Den Abend war das Theater sehr besucht und nach
demselben zweimal in der Woche Cavalchini oder maskierte Festini.

Damals machte die Prima-Ballerina Giuseppina Panzieri allgemein Furore;
sie war eine gebotene Mailänderin, noch nicht lange von Venedig
gekommen, wo sie der Impressario Delungo selbst geholt, und eine von
jenen Schönheiten, die da sagen können: >_Veni, vidi, vici._< Sie hatte,
was in Italien selten ist, blonde Haare und blaue Augen, aber keine von
jenen schmelzenden, schmachtenden, wie man sie so häufig im Norden
antrifft, sondern feurig-blaue, ein niedliches Gesichtchen mit
schelmischen Zügen und einen Wuchs, wie man ihn nur von einer Tänzerin
verlangen kann; genug, geschaffen, um auch ein felsenhartes Herz noch zu
rühren. Unter den mancherlei Köpfen, die durch ihre Kreiswendungen und
Trillersprünge verwirrt wurden, war auch der eines fünfzigjährigen, sehr
reichen Lieferanten namens Mastracha und der des Kommissär-Imperial
Lesseps, mit dem ich gut bekannt, öfters bei ihm zu Tische war und
häufig auf die Jagd an die albanesische Küste mit ihm ging; letzterer
mochte einige vierzig Winter zählen. Beide Nebenbuhler pochten auf ihre
außerordentlichen Verdienste, die bei dem ersten in dem Besitz von
vielleicht anderthalb Millionen Piaster bestehen mochten und bei dem
anderen darin, daß er die erste Zivilautorität und letzte entscheidende
Instanz in allen bürgerlichen Angelegenheiten zu Korfu war und Napoleon
gewissermaßen repräsentierte. Daß es dem gewichtigen Mann unter solchen
Umständen auch nicht an Geld mangelte, kann man sich denken. Beide boten
alles auf, um die Gunst der schönen Tänzerin zu erlangen. Mastracha
scheute keine Kosten; er sandte der Angebeteten an ihrem Namenstag einen
prächtigen Blumenstrauß _à la_ Murat, dessen Stengel aus einer Rolle von
hundert Zechinen fabriziert war und zwischen dessen natürlichen Blumen
siebzehn diamantene Sternblümchen hervorblitzten. Demungeachtet trug der
Kommissär-Imperial den Sieg davon, sei es nun, daß seine hohe Würde oder
sein noch kräftigeres Alter Peppina verführten. Nach wenigen Wochen
bezog sie eine Wohnung, die ihr Geliebter dicht neben seinem Palazzo
gemietet und auf das prächtigste für sie und ihre Mutter eingerichtet
hatte. Um aber die Sache bequemer zu haben, hatte er eine Tür durch die
Mauer brechen lassen, welche beide Häuser trennte. Ich hatte das schöne
Mädchen früher einigemal bei dem Impressario gesehen, aber damals nicht
so sehr auf sie geachtet, als ihre Reize es wohl verdient hätten, und es
ging mir erst ein Licht auf, als ich sie zum erstenmal auf der Bühne
tanzend bewunderte. Aber jetzt war es zu spät, und sie war bereits in
Lesseps' Händen. Was ich früher mit leichter Mühe erhalten hätte, sollte
mir jetzt nur durch die raffinierteste List und Anstrengung zuteil
werden.

Bisher hatten die Offiziere die täglich von neun Uhr morgens bis zwei
Uhr nachmittags dauernden Theaterproben nach Belieben besucht, ohne daß
jemand etwas Arges dabei gefunden hätte. Man frühstückte _à la
fourchette_ oder mit Gebackenem und dem hier sehr wohlfeilen Cyperwein,
sang und sprang oft mit, und diese Proben waren keine kleine
Unterhaltung für uns auf der an sonstigen Zerstreuungen ziemlich armen
Insel; ja wir hatten weit mehr Genuß dabei, als an den Vorstellungen
selbst. Bald hatte ich mich Peppina bemerkbar gemacht, und ihr Benehmen
verriet mir, daß ihr meine Aufmerksamkeit gerade nicht mißfiel. Ihr aber
meine heiße Liebe zu gestehen, zu ihren Füßen um die Erhörung meiner
Wünsche zu flehen, dazu fehlte es durchaus an Gelegenheit, denn Lesseps
ließ sie durch seinen vertrauten Kammerdiener auf jedem Schritt mit
Argusaugen bewachen; dennoch war es mir gelungen, Peppina zwei
Billettchen unbemerkt bei den Proben zuzustellen, und ich erhielt sogar
eine Antwort, die sie in die Latte einer Kulisse, von niemand als mir
bemerkt, steckte. Aus derselben ersah ich mit Vergnügen, daß sie recht
gerne in die von mir verlangte Zusammenkunft willige, wenn ich nur
Mittel ausfindig machen könne, eine solche zu bewerkstelligen. Indessen
mußte der Intimus des Kommissärs doch Lunte riechen, oder vielleicht war
ihm auch sein Bewachungsamt bei den Proben zu beschwerlich, da er
wirklich hundert Augen hätte haben müssen, um alles, was bei diesem
Gewirre vorging, zu sehen. Genug, er berichtete eines Morgens seinem
Herrn, daß er für nichts mehr stehen könne, denn es seien immer ein paar
Dutzend Offiziere und noch andere Herren zugegen, die ein Charivari und
ein Durcheinander veranlaßten, daß, wenn er auch fünfzig Augen und Ohren
hätte, diese dennoch nicht ausreichen würden, um zu bemerken, was sich
dabei zutrage. Diese Worte waren dem ebenso eifersüchtigen als
verliebten kaiserlichen Kommissarius ebenso viele Nadel- und
Dolchstiche. -- »Oh, dem Unfug will ich bald ein Ende machen!« rief er
aus. »Man hole mir sogleich den Impressario.« -- Dieser erschien nach
wenigen Minuten mit hochgekrümmtem Rücken, hundert Bücklingen,
schneidend und untertänigst fragend, was die Illustrissima Eccellenza zu
befehlen habe. -- »Ich bin äußerst unzufrieden mit Ihnen, mein Herr
Impressario. Was ist das für eine Unordnung, die bei Ihren Proben
herrscht? Ich höre den Lärm nicht selten sogar in meinem Kabinett«
(seine Wohnung war in der Nähe des Theaters). »Man sollte glauben, der
Teufel selbst habe seine Residenz da aufgeschlagen und das wilde Heer
hause im Theater. Wenn dies nicht anders wird, so sehe ich mich
gezwungen, Sie von der Direktion zu suspendieren und sie jemand zu
übergeben, der es besser versteht, Ordnung und Zucht unter dem
leichtfertigen Volk zu erhalten.« -- »Eccellenza halten zu Gnaden,«
stotterte der außer aller Fassung gebrachte und wie Espenlaub zitternde
Impressario _in angustie_. »Nicht meine Leute, Illustrissimo, Gott
bewahre, das sind lauter Lämmer, die Herren Offiziere machen diesen
Skandal.«

»Was Offiziere,« donnerte der sich recht ergrimmt und unwissend
stellende Kommissarius. »Offiziere! Wie kommen diese in die Proben? Wo
in aller Welt hat man so etwas gehört? Wie können Sie solchen Mißbrauch
zugeben? Wir sind nicht in Venedig, Mailand oder Neapel, sondern in
Korfu, und hier bin ich Herr und befehle Ihnen, von heute an das Theater
während der Proben zu schließen und niemand, wer es auch sei, der nicht
zum Theater gehört, weder bei den Proben noch während der Vorstellung
auf die Bühne zu lassen. Ich werde Ihnen eine Polizeiwache geben, und
Sie werden die Tür nur für die Mitwirkenden öffnen lassen.«

Es war bald Zeit zur Probe, die versprochene Polizeiwache stellte sich
ein, und alles, was sich der Gewohnheit gemäß einfand und nicht im Sold
Apolls oder unter dem direkten Schutz der neun Musen stand, wurde auf
das unbarmherzigste abgewiesen. Welche Bestürzung diese Trauernachricht
unter dem weiblichen Kunstpersonal hervorbrachte, ist unbeschreibbar.
Selbst das männliche Personal äußerte, wenn auch mit mehr Mäßigung,
seine Unzufriedenheit. Denn ach! -- die herrlichen wohlschmeckenden
Frühstücke, an denen jedermann teilnehmen durfte, fielen nun weg. Doch
was half alles Lärmen und Lamentieren, die Sache war einmal nicht zu
ändern, und -- Probe mußte gehalten werden. Auch Peppinen ließ man den
allgemeinen Unmut fühlen, obgleich das arme Kind im Innern über die
abscheuliche Verordnung so gut wie die anderen entrüstet war. Man wußte
wohl, daß, wenn auch unschuldig, niemand als sie die Ursache dieser
verdrießlichen Neuerung war. Die Proben waren heute zwei Stunden früher
als gewöhnlich beendigt, und als die verstimmten Leutchen den ihnen
jetzt sehr öde und freudenlos scheinenden Tempel der Kunst verlassen
wollten, fanden sie in dessen Vorhallen an hundert harrende Abgewiesene.
Auch ich befand mich unter diesen Unglücklichen und war keiner von den
minder Traurigen. Als sich endlich die Türen erschlossen und unsere
Lieben herausströmten, mischte sich sogleich alles untereinander. Das
war ein Durcheinanderschreien, Rufen, Fragen, bis man sich verständigt
und alles Wissenswerte mitgeteilt hatte, als handle es sich um der Welt
Untergang. Nur Peppina, die Arme, durfte keinen Teil an den allgemeinen
Ergießungen nehmen und ging, von ihren Trabanten begleitet, stumm wie
ein Fisch durch die rebellischen Reihen; im Vorübergehen warf sie mir
einen verstohlenen Blick zu und seufzte kaum vernehmbar. Als aber
endlich die Ideen gegenseitig ausgetauscht und alle gehörig unterrichtet
waren, da hallten Drohungen und Verwünschungen der aufgebrachten
Abgewiesenen gräßlich in den Hallen wider. Die Abgewiesenen gaben den
Priesterinnen der Kunst Hand und Wort darauf, daß noch denselben Abend
eine Vorstellung im Theater stattfinden solle, dergleichen in Korfu noch
nie gesehen worden, wobei das Bühnenpersonal Zuschauer, die Zuschauer
selbst aber Schauspieler sein würden.

Um halb acht Uhr war das Parterre diesen Abend gegen die Gewohnheit
schon zum Erdrücken voll, auch die Logen füllten sich früher, als es
sonst der Fall war. Die Ouvertüre begann, alles war mäuschenstill. Die
Oper >_Ginevra di Scozia_< und das Ballett >_Astrea_< waren an der
Tagesordnung. Als aber die Introduktion begann, ertönte von allen Seiten
ein so fürchterliches und durchdringendes Pfeifen, Zischen und Stampfen,
mit dem Rufe: »_A bas, à bas, à bas!_« begleitet, daß einem Hören und
Sehen verging; die Damen hielten sich die Ohren zu, viele waren einer
Ohnmacht nahe, und einige verfielen wirklich in diesen Zustand, andere
lachten, und von Musik und Gesang hörte man keinen Laut. Der Lärm ging
immer _crescendo_, bis endlich der Vorhang fiel und mit seinem Fallen
die vorige Stille wieder eintrat. Nach einer Viertelstunde rollte die
leinene Scheidewand abermals in die Höhe, man versuchte wieder
anzufangen, aber derselbe Tumult stellte sich wieder ein, und zwar mit
verdoppelter Kraft, und hörte nicht auf, bis die Gardine zum zweitenmal
fiel. -- Aller guten Dinge sind aber drei. Man zog sie also zum
drittenmal auf, und diesmal trat der Impressario vor und wollte das
Publikum anreden, konnte aber ebensowenig zu Worte, als das Personal zum
Gesang kommen. Zum drittenmal senkte sich der Vorhang, um zum viertenmal
aufgezogen zu werden, und nun zeigte sich ein wohlkonditionierter
Polizeibeamter, der mit einem hellgellenden Hohngelächter empfangen und
so lange ausgelacht wurde, bis er sich, etwas konfus gemacht, wieder
zurückgezogen hatte. Jetzt ließ man die Gardine zum letztenmal für heute
abend herab. Das Publikum unterhielt sich noch eine Zeitlang sehr laut
und lebendig, denn der größte Teil war noch nicht von der Ursache des
extraordinären Tumults unterrichtet, bis nach einer Stunde sich fast
alle Zuschauer verlaufen hatten und das leere Haus geschlossen wurde.
Lesseps war wütend und schwur hoch und teuer, der Sache morgen ein Ende
zu machen. Er hatte so gut wie die anderen Zuschauer bemerkt, daß es
fast nur Militär war, welches den höllischen Lärm gemacht, und
namentlich Marineoffiziere und Maitres Cannotiers, die ihre langen,
gellenden silbernen Schiffsdienstpfeifen mitgebracht hatten, womit sie
die Matrosen bei den Manövern avertieren. Noch denselben Abend begab
sich Lesseps zum Gouverneur Donzelot, diesen aufzufordern, dem
abscheulichen Unfug zu steuern und durch eine _Ordre du jour_ dem
Militär das Pfeifen, Zischen und Lärmen im Theater zu untersagen, wozu
dieser sich aber nicht verstehen wollte, sondern meinte, ein solcher
Tagesbefehl würde lächerlich sein, da er ja keine Dienstsachen betreffe,
indessen wolle er die gehörigen Maßregeln ergreifen, fernere Unruhen im
Theater möglichst zu verhüten, und zur nächsten Vorstellung vier
Stabsoffiziere kommandieren, die, mit dem Ringkragen dekoriert, die
Aufsicht und Inspektion im Parterre haben sollten. Damit mußte sich der
Herr Kommissar begnügen und empfahl sich, nachdem er noch vom Gouverneur
erlangt hatte, daß die Chefs de Corps ihren Untergebenen wenigstens
mündlich Ordnung und Ruhe im Theater anbefehlen sollten. Von da begab
sich der Mann zum Konteradmiral, um auch diesen für seine Sache zu
gewinnen und den Seemännern, Seelöwen, Seebären und Seehunden und
sonstigen Seeungeheuern, wie er sie in seinem Zorne nannte, die Rachen
zu stopfen. Zuletzt ließ er noch den Polizeidirektor und Delungo zu sich
rufen, um auch von der Zivilseite jedem Unfug zu begegnen. So hoffte der
gute Mann aller ferneren Störung vorgebeugt zu haben und legte sich, von
den vielen Strapazen ermüdet, etwas beruhigter zu Bette. Der zum Teil
gefürchtete, zum Teil erwünschte Abend kam heran, jeder der beorderten
Stabsoffiziere übernahm eines der vier Karrees, in das das Parterre
abgeteilt worden, zur besonderen Aufsicht, außerdem hatte man jedem
Viertel noch Polizeibeamte zugeteilt, um die bürgerlichen Lärmmacher im
Zaum zu halten. Aber alles war umsonst, sobald der Vorhang in die Höhe
rauschte, fing der infernalische Lärm des vorigen Abends wieder an und
ward noch dreimal ärger, aber seltsamerweise sah man niemand weder mit
dem Mund noch mit Instrumenten pfeifen, und doch waren die Pfiffe weit
schneidender und gellender. -- Was vermag der menschliche
Erfindungsgeist nicht? -- Ein Maitre Cannotier hatte in der Eile ein
paar hundert Pfeifen mit kleinen Blasbälgen verfertigen lassen, die
unter das Militär verteilt wurden und die ein Teil der Verschwörer unter
dem Arm, ein anderer unter den Füßen angebracht hatte. Mit kaum
bemerkbarer Bewegung brachten sie so die gellendsten Töne hervor; das
Lächerlichste bei der Sache war, daß der Lärm immer im Rücken der
kommandierten Aufpasser geschah, denn sobald einer den Kopf nach dem
Ort, wo man gepfiffen, richtete, erschollen gleich wieder ein paar
Dutzend Pfeifen von hinten her, so daß sich die Herren unaufhörlich wie
Wetterhähne nach dem Wind drehten, ohne etwas entdecken zu können, woran
ihnen wohl auch wenig gelegen sein mochte, denn sie lachten selbst mit.
Es war, als trieb eine Legion Dämone ihr neckisches Spiel. Die Sache
nahm dasselbe Ende wie bei der letzten Vorstellung und wurde die
folgenden zwei bis drei Tage mit gleichem Kraftaufwand wiederholt. Man
hatte sich geschmeichelt, die Lärmmacher würden das Ding endlich von
selbst satt werden, aber vergeblich, sie trieben den Rumor so lange
fort, bis eines Morgens plötzlich auf den nach italienischer Sitte quer
über die Straßen an Stricken hängenden Theaterschildern mit deutlicher
Schrift in französischer, italienischer und sogar neugriechischer
Sprache mit großen Lettern zu lesen war: >Von heute an ist der Besuch
bei den Proben wieder erlaubt.< -- Diese durch die Gewalt der Pfeifen
ertrotzte Erlaubnis wurde auch sogleich bestmöglichst benutzt. Zu
Hunderten strömte man noch denselben Morgen auf die Bühne, wo durch ein
köstliches Bankett, das sich bis beinahe gegen Abend verlängerte, der
errungene Triumph jubelnd gefeiert wurde. Die Vorstellung selbst wurde
jetzt nur noch von Zeit zu Zeit durch stürmischen Applaus unterbrochen,
und so kam alles wieder ins vorige Geleise. Aber der eifersüchtige und
nun auch gedemütigte, racheschnaubende Kommissär-Imperial hatte seine
mittelbare Aufsicht unter diesen bedenklichen Umständen nicht nur
verdoppelt, sondern vervierfacht. Er gesellte nämlich seinem Kammertier
noch drei andere dienstbare Geister zu, die unter dessen Befehlen
standen, hinter und zwischen den Kulissen um die gefeierte
Prima-Ballerina herumschlichen und auf alle ihre Blicke, Mienen und
Bewegungen spähten. Dennoch wußte ich durch eine von mir bestochene
Figurantin mich mit ihr in Rapport zu setzen; längst waren wir
einverstanden und hofften mit Sehnsucht endlich auf einen günstigen
Augenblick, uns ohne Zeugen sprechen zu können. Der Zufall zeigte mir
endlich den Weg, auf dem meine heißen Wünsche -- denn je größer die
Schwierigkeiten, desto größer die Lüsternheit und die Begierde, sie
durchzusetzen -- in Erfüllung gehen sollten. Eines Morgens sagte mir
Delungo im Vorübergehen, er sei wegen eines Sujets für ein Ballett
verlegen, das er zum Beschluß des Karnevals in Szene setzen wolle. Diese
Worte des Impressarios fuhren mir wie ein Wetterstrahl durch den Kopf,
entzündeten mein Gehirn, daß es augenblicklich Licht in demselben ward,
und ich erwiderte: »Wenn Ihnen weiter nichts mangelt, dann seien Sie
unbesorgt, ich habe ein vortreffliches Sujet, das Sie in wenigen Tagen
ausgearbeitet erhalten sollen. Sie wissen, daß ich schon mehrere
Ballette mit Erfolg auf die Bühne gebracht, und es wird dies auch in
Korfu der Fall sein.« -- Delungo nahm das Anerbieten mit Dank an, und
Peppina ließ ich noch denselben Tag durch die dienstfertige Chortänzerin
wissen, daß ich das Mittel zu einer Zusammenkunft gefunden zu haben
glaube. Zu Hause angekommen, überlegte ich, welches Sujet wohl am besten
zu meiner Absicht passe. Die Donaunymphe war für das Theater in Korfu zu
kostspielig, ebenso das Sternenmädchen, ich dachte an das Opferfest, die
Zauberflöte, den Abällino, die Kreuzfahrer und andere Stücke aus der
romantischen Theaterwelt, keines wollte mir genügen. Ein eigenes Sujet
zu erfinden war teils die Zeit zu kurz, teils hatte ich auch meine
Gedanken nicht genug beisammen. Endlich verfiel ich auf Hagemanns
Schauspiel >Ludwig der Springer< und erkannte es, wenngleich sich
dasselbe nicht sonderlich zu einem Ballett zu eignen schien, dennoch für
das beste, mein Vorhaben auszuführen. Um es dem Geschmack des Publikums
anzupassen, ließ ich es an glänzenden und effektvollen Festen,
Gruppierungen und Aufzügen nicht fehlen. Ich ließ die Handlung mit einem
prächtigen Turnier und Ballfest beginnen, wobei Adelheide von Stade dem
Grafen von Thüringen ein heimliches Rendezvous in einer abgelegenen
Laube des Burggartens gibt. Die Sache wird dem Pfalzgrafen Friedrich
verraten, er überrascht beide in der Laube, läßt sie, wie in Hagemanns
Schauspiel, durch seine Leute gefangen nehmen, mit Ketten belasten,
Ludwig nach Giebichenstein ins Gefängnis und Adelheide in sein
Burgverließ bringen. Ersterer entspringt wie bekannt aus dem Felsennest
in die Saale, und über die Pfalzgräfin wird ein Gottesgericht gehalten,
wobei sie ihre Unschuld durch das Festhalten eines glühenden Eisens
beweisen soll und -- beweist! -- Diese Szene war es, durch die ich
endlich glücklich zu werden hoffte. Adelheid mußte als arme Sünderin auf
einer unterirdischen Treppe und durch eine Falltür in das Zimmer
gelangen, in dem das schreckliche Gericht gehalten wurde. Ich hatte die
Handlung so eingerichtet, daß die Pfalzgräfin Zeit hatte, sich ein
halbes Stündchen, ehe sie vor ihren Richtern erschien, in ihr
unterirdisches Gemach oder vielmehr in die finsteren Gänge unter der
Bühne zu begeben, währenddem der Herr Landgraf sein Testament diktierte,
seinen Luftsprung machte, durch die Saale ans Ufer schwamm und nach
gehöriger Verwandlung das Gericht zusammen kam, wo dann endlich auf des
Pfalzgrafen Befehl der Kerkermeister die Falltür aufschloß und die
reizende Verbrecherin, mit silbernen Ketten geschlossen,
heraufschleppte. Nachdem das Unschuldig einstimmig von den Richtern
ausgesprochen, steigt Adelheide auf Befehl ihres Gatten wieder in den
Kerker, die Nachricht von Ludwigs Befreiung trifft durch einen Herold
ein, der zugleich auch die Herausforderung an den Pfalzgrafen ergehen
läßt, ein Zweikampf findet statt, Ludwig tötet seinen Gegner, befreit
seine Geliebte, und Evolutionen der Knappen, Gruppierungen und Tänze
beschlossen das Ganze. Mein Plan erhielt zwar Peppinens Beifall, doch
schien ihr unsere Zusammenkunft, die während des Laufs der Handlung in
dem unterirdischen Labyrinth der Bühne vor der Szene des Gottesgerichts
stattfinden sollte, etwas gewagt, ich beruhigte sie aber deshalb, indem
ich sie wissen ließ, daß ich die Theatergewölbe gehörig untersuchen und
mich eine gute halbe Stunde früher durch eine geheime Tür an den
bewußten Ort begeben würde, zu der ich mir den Schlüssel verschafft. Sie
dürfe jedoch nur ganz allein herunterkommen und dann die Tür hinter sich
sogleich verriegeln; um allen Verdacht zu beseitigen, würde ich mich
während der Vorstellung nur selten auf der Bühne, desto mehr aber im
Parterre sehen lassen, so daß niemand meine Abwesenheit bemerken werde.
Das Manuskript war in drei Tagen fertig, die Proben sollten beginnen,
als eines Morgens Delungo ganz bestürzt mit den Worten: »Da haben wir
die Bescherung, die Zensur läßt ihr Ballett nicht passieren,« in das
Zimmer trat. Auch ich fragte ganz erschrocken: »Warum?« -- »Es sei gegen
die gute Sitte, daß eine Ehegattin und ihr Geliebter über den Gatten so
den Sieg davontrügen.« -- »Ist es weiter nichts,« versetzte ich, »dem
können wir schon abhelfen.« Ich setzte mich nieder, strich das hinter
Adelaide stehende Wort _Sposa_ aus, ersetzte es durch _Nipote_ und
machte sie so wieder zur Markgräfin von Stade, den Pfalzgrafen aber zu
ihrem Oheim, Vormund und Tyrannen. Nun erhielt das Ballett die
Approbation der Zensurbehörde, und die Proben begannen.

Alles ging in gehöriger Ruhe und Ordnung vor sich, jede Probe wurde mit
einem fröhlichen Bankett geschlossen, der heißersehnte Tag, an dem wir
glücklich werden sollten, denn während der Proben durfte Peppina nicht
durch die unterirdischen Gemächer, sondern nur aus den Kulissen kommen,
rückte heran. Nur in der Generalprobe, die den Abend zuvor mit allen
Dekorationen, Kostümen und so weiter stattfand, kam sie von unten
herauf; da ich mich aber auf der Bühne befand und fast niemand im
Parterre war, so durfte ich es dennoch nicht wagen, mich schon diesen
Abend an den bestimmten Ort zu begeben, da meine Abwesenheit sogleich
bemerkt worden und dann alles verscherzt gewesen wäre. Es waren ja auch
nur noch vierundzwanzig Stunden bis zur Aufführung, und diese mußte man
sich noch gedulden, so groß auch die Ungeduld sein mochte.

Endlich kam der ersehnte Abend. Schon um sieben Uhr war das Haus zum
Ersticken voll, und mehrere hundert Personen mußten abgewiesen werden.
Der erste Akt einer neuen _Opera seria_, >Arminio<, eröffnete die
Vorstellung. Nach neun Uhr begann das Ballett, um halb zehn schlich ich
mich an den bestimmten Ort, und um zehn Uhr lag die schöne Markgräfin in
meinen Armen! Alles war nach Wunsch gegangen, die Spione Lesseps'
befanden sich fast alle unter den Zuschauern, und keinem fiel es ein,
daß während der Vorstellung des Balletts wohl eine Zusammenkunft
stattfinden könne. Noch versicherten wir uns ewige Liebe, hatten
Theater, Ballett und die Welt vergessen, als drei starke Hammerschläge
ertönten, das Zeichen zur Eröffnung des Gottesgerichts, und wir so aus
unserem Taumel erwachten. Bald darauf wurde die Falltür geöffnet, ich
geleitete die Geliebte bis an die Stufen der Treppe, entfernte mich
schnell durch die geheime Tür und sah durch eine Gitterloge die eben
meinen Armen entschlüpfte Adelheid recht heldenmütig die Feuerprobe der
Unschuld bestehen und wie sie, nachdem man das wirklich glühende Eisen
gelöscht, das hölzerne rot angestrichene mit beiden Händen ergriff und
unversehrt festhielt. Ich freute mich innig über das vollkommene
Gelingen meines Planes. Kein anderes Stück hätte mir gleiche Dienste
geleistet; bei einer gewöhnlichen Versenkung wären Leute nötig gewesen,
so aber hatte nur der Kerkermeister die Falltür auf der Bühne zu öffnen,
und unten befand sich niemand außer uns beiden.

Das Ballett war beendigt und hatte außerordentlichen Beifall gefunden.
Nachdem der Vorhang gefallen, wurde der Autor mit großem Hallo verlangt,
der sich aber in der Gitterloge verbarg, bis endlich einige Kameraden zu
mir kamen und mich aufforderten, dem Publikum zu willfahren, um dem
immer ärger werdenden Spektakel ein Ende zu machen. Ich mußte endlich
nachgeben und wurde mit einem Donner von Applaus empfangen, Kränze
flogen mir um den Kopf. Doppelt glücklich zog ich mich nach einer
dreifachen Verbeugung zurück und hatte nun das Vergnügen, daß auch meine
reizende Geliebte gerufen und mit einem Hagel von Blumen, Bändern,
Sträußen, Gedichten und so weiter empfangen wurde. Nach beendigter
Vorstellung schlich ich mich solo nach Haus, aber kein Schlaf kam diese
Nacht in meine Augen. -- Das Ballett wurde den nächsten Abend und noch
einige dreißig darauf mit gleichem Glück gegeben, nur nahm Peppina zur
größeren Fürsorge eine Figurantin, unsere Vertraute, mit in die
unterirdischen Gänge hinab, um jeden Verdacht zu vermeiden. Zwei
unangenehme Episoden, die aber außer einem kleinen Schrecken wenig zu
bedeuten hatten, störten auf Augenblicke unser Glück. Einmal warf der
Fronknecht das mit glühenden Kohlen gefüllte Becken um, welches dazu
diente, das Eisen glühend zu machen, und einige feurige Kohlen fielen
durch die Kulissenrinnen in die Unterwelt hinab und beinahe auf unsere
Häupter, was Peppina für eine sehr schlimme Vorbedeutung hielt, die
leider auch, wie wir bald sehen werden, auf eine schreckliche Weise in
Erfüllung ging. Ein andermal war die hölzerne Treppe, auf welcher
Adelheide in die Oberwelt steigen sollte, so knapp an das Podium
angelehnt, daß, als sich kaum Peppinens Köpfchen den Zuschauern zeigte,
die Treppe abglitt und samt ihrer holden Bürde hinabstürzte. Doch --
>der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.< So ging es leider
auch hier. Ein Kapitän vom zweiten italienischen Linienregiment namens
Vilgano war wie noch mancher andere in diese anmutige Priesterin
Terpsichorens sterblich verliebt, ohne sich jedoch der mindesten
Begünstigung, ja nur eines Blickes erfreuen zu können. Dieser hatte
schon seit einiger Zeit bemerkt, daß ich vor der Feuerprobe jedesmal
unsichtbar wurde, war mir endlich nachgeschlichen und hatte entdeckt,
daß ich durch eine kleine, unter die Bühne führende Tür verschwand. Aber
auch ich hatte wahrgenommen, daß man mir gefolgt war, und Vilgano
erkannt, doch achtete ich nicht darauf und hielt die Sache für einen
bloßen Zufall; den folgenden Abend aber, als ich unter die Bühne kam,
schien es mir, als hörte ich zuweilen in einiger Entfernung leise atmen,
doch glaubte ich mich zu täuschen. Bald darauf kam Peppina mit ihrer
Begleiterin, und ich empfing sie wie gewöhnlich mit einem Kuß, aber kaum
war dies geschehen, als auf einmal ein heller Lichtstrahl durch die uns
umgebende Finsternis -- nur ein mattes Lämpchen brannte jeden Abend in
einer Ecke des Ganges -- drang und uns beleuchtete. Ich sah mich nach
der Ursache dieser unerwarteten Erscheinung um und erblickte zwei
Männer, von denen der eine eine Blendlaterne in der Hand hielt. Mit
bloßem Degen stürzte ich auf ihn zu und schlug ihm die Laterne aus der
Hand, worauf alles wieder in das vorige Dunkel gehüllt war; die beiden
Männer erhoben aber ein großes Geschrei, Peppina verlor den Kopf, und
mit dem Ausruf: »_Assassini, birbanti!_« eilte sie mit dem anderen
Mädchen der Türe zu, die sie aufriegelte, und dann die Korridors
entlang, wo die Ankleidezimmer waren. Als ich in die Loge trat,
verwandelte sich die Szene in das Gerichtszimmer, und nachdem die
Ritter, Richter und Fronen mit ihren Vorbereitungen fertig waren,
öffnete der Kerkermeister die Falltür, um Adelheide zu zitieren, die
aber -- nicht erschien. Das Publikum begann unruhig zu werden, bis,
nachdem man die Verschwundene allenthalben gesucht, Delungo vortrat und
das lärmende Auditorium durch die Notlüge beruhigte, der Prima-Ballerina
sei eine plötzliche Unpäßlichkeit zugestoßen. Hierauf fiel der Vorhang,
und der zweite Akt der Oper begann. Jetzt eilte ich auf die Bühne, wo
mir Delungo mit ganz verstörter Miene entgegenkam und zurief: »Um
Gotteswillen, was haben Sie gemacht? Es ist alles entdeckt, alles
verraten; man hat Sie mit Peppinen gesehen, soeben war der
Kommissär-Imperial hier und wütete schrecklich; alle meine Beteuerungen
und Versicherungen, daß ich unschuldig sei und von nichts wisse, fanden
kein Gehör, er drohte mir mit augenblicklichem Fortjagen und verließ das
Theater im heftigsten Zorn.« Ich suchte den Unglücklichen bestens zu
trösten und eilte nach der Wohnung Peppinas, fand sie aber verschlossen
und sah nirgends Licht, dagegen hörte ich Lärm und erblickte viele
wandelnde Lichter im Palazzo des Kommissärs, der bald darauf in
Begleitung mehrerer Bedienten aus dem Haus trat und zu einem
zurückbleibenden sagte: »Sucht noch einmal alles durch, ich muß sie
finden, und wenn sie sich in den Mittelpunkt der Erde versteckt hätte!«
-- Also ist ihr Aufenthalt noch nicht entdeckt, dachte ich, etwas
beruhigter, denn ich hatte gefürchtet, daß ihr eifersüchtiger Kommissär
sie in der ersten Hitze mindestens arg mißhandeln würde. Aber alles
Suchen war vergeblich, obgleich ich die ganze Nacht umherirrte,
Kundschafter aussandte und nachforschte, ich konnte keine Spur von ihr
entdecken. Nur in meinem Quartier wurde mir berichtet, daß nach elf Uhr
zwei Damen ängstlich nach mir gefragt, und als sie gehört, daß ich nicht
zu Hause sei, sich gleich wieder entfernt hätten. Als es Tag wurde,
eilte ich, ohne nur eine Sekunde geruht zu haben, zu Delungo, den aber
Lesseps schon wieder hatte kommen lassen, wartete jedoch seine
Zurückkunft ab. Nach einer Viertelstunde trat Peppinas Mutter herein und
rief aus, als sie mich erblickte: »_Ah, Dio sia benedetto, che
finalmente vi trovo_!« -- »Und wo ist Ihre Tochter?« -- »In der Locanda
di Venezia habe ich sie versteckt,« antwortete sie mir. -- Die Mutter
wußte um unser Geheimnis. -- »Ach, wie unglücklich haben Sie uns
gemacht!« fuhr sie fort. »Nun ist alles aus, wir sind unglückliche
Leute, wie wird es uns noch ergehen!« -- »Dafür lassen Sie mich sorgen,
Signora, ich werde alles wieder gut machen. Sagen Sie mir nur, wo
Peppina gestern abend so schnell hinkam.« -- »Meine Tochter kam
bewußtlos zu mir in ihr Ankleidekämmerchen, riß mich mit sich fort, und
nachdem wir eine Zeitlang zwecklos in den Straßen umhergeirrt, suchten
wir Sie in Ihrer Wohnung, aber Sie daselbst nicht findend, führte mich
mein trostloses armes Kind in die Locanda di Venezia, denn nach Hause zu
gehen, wo wir der ganzen Wut Lesseps' ausgesetzt waren, hielten wir
nicht für ratsam.« -- Jetzt trat Delungo in das Zimmer, dessen Gesicht
beim Anblick von Peppinens Mutter plötzlich erfreut strahlte. Seine
erste Frage war: »Wo ist Ihre Tochter?« Und als er von allem
unterrichtet war, rief auch er ein: »_Oh dio sia benedetto!_« aus und
erzählte uns, daß sich alles viel besser gestalte, als er je zu hoffen
gewagt. Lesseps sei zwar über das Durchgehen seiner Geliebten noch sehr
aufgebracht, aber zugleich untröstlich und habe schon geäußert, er wolle
gerne verzeihen, wenn er nur wisse, was aus ihr geworden sei. Bald waren
wir einig über das, was geschehen müsse. Die Mutter sollte ihre Tochter
noch an diesem Morgen in ihre Wohnung zurückbringen, nachdem der Wirt
der Locanda dem Kommissär-Imperial angezeigt hätte, daß sich beide seit
gestern abend bei ihm befänden. Peppina sollte ihrem Argus erzählen, daß
zwei Männer sie unter der Bühne überfallen hätten, glücklicherweise sei
ich durch den Lärm herbeigelockt, dazu gekommen und habe sie mit dem
Degen in der Hand befreit, sie aber sei, aus Furcht, ermordet zu werden,
mit ihrer Mutter davongelaufen, und da sie sich nicht nach Hause
getraut, indem sie geglaubt, man passe ihr dort auf, so habe sie sich in
das Gasthaus geflüchtet, woselbst sie die Nacht zugebracht. Dies war ein
_ben trovato_, das manches Wahrscheinliche für sich hatte, und Lesseps
begnügte sich damit. Er war überglücklich, seine teure Geliebte
wiedergefunden zu haben, der Friede wurde geschlossen, und alles kam
wieder in den gewohnten Gang.

Bald nach den erwähnten Vorfällen war Peppinas Serata, zu der man ein
neues kleines Ballett einstudiert, das am Schluß desselben und dann
nicht wieder gegeben wurde. Der Erfolg war so glänzend als möglich, die
Einnahme weit über tausend Zechinen, das silberne Becken war voll
Goldstücke und andere Geschenke von kostbaren Bijouterien. Bei ihrem
Erscheinen auf der Bühne wurde sie mit Blumen und Gedichten
überschüttet. Auch ich hatte ein kleines italienisches Gedicht auf sie
verfertigt und mehrere hundert Abdrücke davon auf Atlas machen lassen,
die ich, mit Velinpapier kuvertiert, durch die Ventilatoren in das
Parterre und die Logen werfen ließ.

Den Morgen nach dieser Vorstellung erhielt Lesseps einen Besuch vom
Gouverneur, der ihm ein von Paris vom Ministerium erhaltenes Schreiben
mitteilte, das sehr ungünstige Äußerungen, ja sogar Drohungen gegen
Lesseps wegen der üblen Geschäftsführung seines hohen Postens enthielt.
Einige dienstfertige Freunde hatten nämlich nach Paris berichtet, daß
vermittelst eines kleinen Geschenkes von zwanzig bis dreißig Napoleon,
welches man der schönen Tänzerin durch deren Mutter übergeben lasse, man
nicht nur sehr vieles bei der Zivilverwaltung von Korfu durchsetze,
sondern auch schon gesprochene Urteile der Gerichte wieder umstoßen
könne. -- An dieser Sache war allerdings etwas Wahres, obgleich die
Berichte sehr übertrieben gewesen sein mögen. Peppina selbst war
unschuldig, ihre Mutter aber die Urheberin solcher Intrigen. Der
Gouverneur wurde in jenen Briefen gefragt, was an der Sache sei, und im
Falle es sich so verhalte, müsse der Kommissär augenblicklich abberufen
werden. Die beiden Herren standen aber auf einem sehr freundschaftlichen
Fuß miteinander und hielten Rat, was zu machen sei. Donzelot war der
Meinung, das beste Mittel, die Beschuldigung zu entkräften, sei, die
Tänzerin unverzüglich nach Italien zurückzuschicken, wodurch jeder Grund
zu einer weiteren Klage gehoben würde. Hiervon wollte aber der verliebte
Kommissär nichts hören, bis ihm der Gouverneur kategorisch erklärte:
»_Eh bien, ça sera vous qu'on renverra_,« und er endlich nach großem
Kampf in Peppinens Abreise willigte. -- Dem armen Mädchen kam die
Eröffnung dieses Beschlusses, den ihr der Kommissär mit aller möglichen
Schonung mitteilte, wie ein Donnerschlag; aber es war nun einmal nicht
zu ändern, man mußte sich allerseits in den Willen des eisernen
Schicksals fügen. Der Tag der Abreise war mit dem ersten günstigen Wind
festgesetzt, sie schiffte sich mit ihren Verwandten und ungefähr
fünfzigtausend Franken in Gold und Juwelen, die sie während der kurzen
Zeit ihres Aufenthaltes zu Korfu erworben hatte, auf einem für sie
eigens eingerichteten kleinen Schiff ein. Nur noch einmal sprach ich
sie, und zwar, als sie schon eingeschifft war, bevor sie abfuhr. Ich
hatte zu dem Ende die Bekanntschaft des Schiffskapitäns gemacht, diesen
durch einige Artigkeiten gewonnen, und brachte so noch ein paar selige
Stunden mit ihr an Bord in ihrer Kabine zu, verließ sie endlich mit den
Worten: »_Ci rivedremo in Italia!_« und sprang in das kleine Boot, das
mich wieder ans Land brachte. -- »_Ci rivedremo in Italia!_« hatte auch
sie wiederholt, und so schieden wir mit einem langen Abschiedskuß.

Nach Peppinas Abreise war Lesseps untröstlich, er schloß sich in sein
Zimmer ein, wollte niemand Gehör geben und überließ sich einer schwarzen
Melancholie. Dieser Zustand wurde mit jedem Tag ärger, so daß man
anfing, für seinen Verstand zu fürchten. -- »Ich muß sie wieder haben,
oder ich sterbe,« rief er ein Mal über das andere aus. Unterdessen war
von Otranto Nachricht gekommen, daß das Schiff mit seinen Passagieren
daselbst glücklich angekommen sei und eine neunzehntägige Quarantäne
halten müsse. Der Gouverneur bot alles auf, seinen Freund zu trösten,
als er aber sah, daß alle seine Bemühungen fruchtlos waren, sagte er
endlich: »Wohlan, lassen Sie das Mädchen zurückkommen; Delungo mag sie
abermals engagieren, aber machen Sie das Verhältnis nicht zu auffallend,
und lassen Sie es nicht den mindesten Einfluß auf Ihre Dienstgeschäfte
haben, meiden Sie alles Zusammentreffen mit der Mutter.« -- »Sie sind
mein Retter, mein Engel!« rief der entzückte Lesseps aus, seinem Freund
um den Hals fallend. -- »Alles, was Sie wollen, gehe ich unbedingt ein,
wenn ich nur das Mädchen wieder habe.« -- Noch denselben Abend wurde
eine Kanonierschaluppe abgefertigt, Peppina zur Rückfahrt zu beordern.
Auch diese gelangte glücklich an ihre Bestimmung, und die Rückkehr
sollte mit dem ersten Maestro stattfinden. Peppina schiffte sich mit den
Ihrigen und ihren Schätzen ein, und als die zur Abfahrt günstigen
Umstände, mondlose Nacht und starker Nordwind, eingetreten und sich das
Gestirn des Tages in die Fluten des Mittelländischen Meeres gesenkt
hatte, ging dieselbe mit vollen Segeln vor sich. Der Wind war sehr stark
und die Nacht so finster, daß man keinen Schritt weit sehen konnte. Um
ein Uhr nach Mitternacht ertönte auf einmal der Ruf: »Wir sind
verloren!« und die Schaluppe befand sich unter den Batterien eines
englischen Linienschiffes, von dem man schon die hohlen Töne der
Sprachrohre vernahm, mit denen sie die Schiffe anrufen. Der Steuermann
wollte durch eine schnelle Wendung der Gefahr des Gefangenwerdens
entgehen, aber der so heftig wehende Wind, der mit aller Kraft in die
Segel blies, schlug die Kanonierschaluppe um, und die ganze Mannschaft
samt allen Passagieren, unter denen auch ein Familienvater von sieben
Kindern und seine Gattin waren, ertranken. Den anderen Tag erhielt der
Gouverneur die Nachricht dieses Unfalls durch einen englischen
Parlamentär. Lesseps, der sich als die alleinige Ursache dieses
traurigen Unfalls betrachtete, wollte verzweifeln, sperrte sich abermals
acht Tage lang in sein Zimmer ein und -- ließ sich am neunten durch eine
niedliche Grotesktänzerin trösten. Auch mir ging der schauderhafte
Vorfall zu Herzen, lange konnte ich mich nicht mit dem Gedanken vertraut
machen, daß die schönen und zarten Glieder der liebenswürdigen Peppina,
die ich samt dem Publikum so oft mit dem größten Entzücken auf der Bühne
bewundert hatte, die Beute der Hai- und anderer Raubfische geworden
seien.

Herr von Brüge wäre mit dem Beginn des Sommers (1813) gerne wieder nach
dem durch fortwährende Seewinde fast immer kühl erhaltenen, herrlich
gelegenen Pallea Castrizza gezogen, aber die immer bedenklicher
werdenden Umstände ließen es nicht zu, und er bezog ein kleines
Landhäuschen, das sich in dem kaum eine Stunde von Korfu liegenden Dorf
Viro befand, wohin ich nun einigemal in der Woche ritt, um meinen
Musikunterricht bei der immer schöner und blühender werdenden Josephine
fortzusetzen.

Auch diesen Sommer wurde, trotz der schlimmen aber überzuckerten
Nachrichten, die von dem Kontinent und der großen Armee einliefen, aber
nie die Vorfälle der Wahrheit gemäß enthielten, der 15. August nochmals
mit großem Pomp gefeiert.

Den Abend war wieder ein großer Ball bei dem Gouverneur, und gegen
Mitternacht wurde das Feuerwerk abgebrannt, zu dem diesmal eine
griechische Dame den Drachen anzündete und losließ, wobei sie sich aber
ein Loch in das Kleid brannte. Einige tausend Raketen flogen in die
Luft, und alles ging glücklich ab; aber ein paar Stunden darauf, als wir
noch recht vergnügt tanzten, ertönte auf einmal der Ruf: »_Au feu, al
fuoco, au feu!_« Wir sprangen an die Fenster und sahen längs der
Esplanade ungeheure Rauchwolken und Feuersäulen gen Himmel lodern, der
uns selbst bald ganz glutrot erschien. Es war jetzt, als trennte eine
ungeheure hohe, an fünfhundert Schritte lange Feuerwand die alte Festung
von der Stadt. Im ersten Augenblick wußte sich niemand zu erklären, was
dies für ein Feuer sein könne, alles lief in Bestürzung durcheinander
und die Offiziere den Palast hinab. Jetzt fand man, daß es das seit fünf
bis sechs Jahren längs der Esplanade am Kanal, der sie von der Festung
trennte, aufgetürmte Reserveholz der Garnison sei, wohl über tausend
Klafter, welches in Brand geraten war. Durch das lange Lagern in der
großen Hitze war es so ausgedörrt, daß es wie Stroh flackerte. Ob
vielleicht brennende Raketenstöcke oder Bosheit dasselbe angezündet
hatten, war schwer auszumitteln, doch das letzte am wahrscheinlichsten,
da die Flammen in dieser großen Ausdehnung fast zu gleicher Zeit, wie
auf Schwarzenbergs Ball, emporloderten. Fest und Ball waren nun
natürlich schnell beendigt. Wir rannten in seidenen Strümpfen und
Eskarpins zu dem Feuer, aber die Hitze war so stark, daß man sich
demselben auf eine große Strecke nicht nähern konnte, und an ein Löschen
mit Wasser war ohnehin nicht zu denken, da Spritzen und Feuereimer in
Korfu, wo es nie brannte, ganz unbekannte Dinge und für Millionen nicht
zu haben waren. Es blieb jetzt nichts anderes übrig, als so nahe wie
möglich Erde und Sand aufzuwerfen, damit einen Wall gegen das Feuer zu
bilden und dessen Glut allmählich zu ersticken. Gefahr für die Stadt und
Festung war keine vorhanden, da das Feuer von beiden zu sehr entfernt,
von der ersten durch die breite Esplanade, von der andern durch einen
Kanal und hohe Wälle getrennt war; der Schaden war aber unermeßlich,
weil das Holz hier ein sehr teurer Artikel ist und nach dem Gewicht zum
Kochen verkauft wurde. Indessen war es gleich, indem es zehn Monate
später doch in die Hände der Engländer, unserer Erzfeinde, gefallen
wäre.

Immer trüber wurde jetzt der politische Horizont, das Geld immer
seltener, die frischen Lebensmittel desgleichen, man schränkte sich von
allen Seiten auf das äußerste ein, selbst das Theater wurde nur wenig
besucht, und das Liebhabertheater ging ganz ein. Noch einige Zeit vorher
hatte ich die Aufführung eines deutschen Stückes, und zwar die Räuber
von Schiller, veranstaltet, wozu mich die anmutige Gattin des bei
unserem Regiment stehenden Hauptmanns von Gemmingen veranlaßte, welche
die einzige Frauenrolle im Stück, die Amalie, gerne spielen wollte. Das
Komische dabei war, daß kein Exemplar dieses Stückes vorhanden, sondern
daß ich es, so gut es sich tun ließ, aus dem Kopf niederschrieb, was mir
nicht so schwer ward, da ich die Rolle des Karl Moor mit ihren
Stichwörtern noch völlig auswendig wußte.

Die Nachrichten, die uns jetzt von dem Krieg in Deutschland zukamen,
waren oft so widersprechend, daß man nicht wußte, was man davon denken
und glauben sollte; die Wahrheit aber wurde uns absichtlich verhehlt,
auch waren sie immer schon sehr alt. Zeitungen kamen gar keine mehr, und
nur über Janina und Albanien erfuhr man zuweilen etwas Neues, was die
von daher kommenden Griechen, nur sehr geheim und vorsichtig,
mitzuteilen wagten. Immer enger wurden wir von den Engländern
eingeschlossen, deren Lanzen (lange schmale Boote mit einer Kanone und
vierundzwanzig Ruderern, welche zu den Linienschiffen gehören und bei
Windstille den Feind angreifen) auch selbst im Kanal von Albanien auf
alle Barken Jagd machten. Das frische Brot wurde so selten und teuer,
daß mich Moncenigo, Capodistria und Mesulam ersuchten, ihnen doch
manchmal einen Laib Offiziersbrot für drei Piaster zukommen zu lassen.
Was ich an Brot ersparen konnte, gab ich ihnen umsonst; aber bald
bekamen auch wir fast nur noch Zwieback aus den Magazinen, sowie
abwechselnd gesalzenen Speck oder Käse. Eines Tages, es war schon gegen
das Ende des Jahres 1813, als wir aber noch nichts von der Schlacht bei
Leipzig wußten, kam plötzlich die Nachricht nach Korfu, daß Ali Pascha
an der Spitze von dreißigtausend Mann vor Parga stehe, dasselbe zur
Übergabe auffordernd und mit gänzlicher Vertilgung drohend, wenn diese
nicht in kürzester Frist stattfände; die Parganioten aber seien fest
entschlossen, sich eher unter den Trümmern der Stadt zu begraben, als
sich an diesen Wüterich zu ergeben. Sie ließen den Gouverneur bitten,
ihnen zu erlauben, ihre Weiber, Kinder und Greise nach Korfu schicken zu
dürfen, um sich dann desto besser verteidigen zu können. Dies wurde
ihnen nicht nur gestattet, sondern der Gouverneur ließ in der ganzen
Stadt Wohnungen in Privathäusern für die Flüchtlinge in Bereitschaft
setzen, die er selbst in Begleitung des _Chef de l'état major_
besichtigte und möglichst bequem einzurichten befahl. Ein paar Tage
darauf kamen über zweitausend dieser Unglücklichen auf vielen kleinen
Schiffen im Hafen von Korfu an und wurden sogleich untergebracht. Unter
ihnen waren auch die Frauen vieler Türken, die so wenig wie ihre Männer
in Alis Hände fallen wollten; aber während die Parganioten ihr Teuerstes
in Korfu wußten, und einsehend, daß sich Parga in die Länge nicht gegen
die Übermacht des Pascha würde halten können, unterhandelten sie
heimlich mit den Engländern, die ihnen Anträge gemacht und versichert
hatten, daß es ohnehin mit der französischen Herrschaft in Korfu wie
allenthalben zu Ende ginge und sie dieses nicht länger zu schützen
imstande seien. Sie waren bald über die Bedingungen mit diesen einig
geworden, und in einer Nacht ließen sie durch Verrat und Gewalt die
Engländer in die Stadt und den Hafen, deren Kommandant samt drei- bis
vierhundert Mann französischer Garnison, die aber fast nur aus
Italienern bestand, nun englische Kriegsgefangene wurden. Als Ali den
anderen Morgen die englische Flagge auf den Wällen der Festung wehen
sah, zog er, seinen Ingrimm verbeißend oder an den Seinigen auslassend,
wutentbrannt und unverrichteter Sache ab, denn mit den Engländern wagte
er nicht anzubinden, während er die Franzosen nach dem russischen
Feldzug und besonders nach der Schlacht bei Leipzig zu fürchten
aufgehört hatte. Es kamen nun englische Parlamentäre nach Korfu, um
wegen der Zurückgabe der sich hier befindenden Individuen aus Parga zu
unterhandeln, die ihnen vermittelst einer bedeutenden Zahl Ochsen,
Ziegen, Schafe und anderer Lebensmittel bewilligt wurde. So erhielten
wir wieder auf eine Zeitlang frisches Fleisch. -- Man hatte auch den
Versuch gemacht, das in französischen Diensten stehende Regiment
Albaneser nach Italien einzuschiffen, um es dann als Plänkler bei der
französischen Armee zu verwenden; diese aber erklärten, sie hätten sich
nur für den Dienst auf der Insel verpflichtet, und als man Anstalten
machte, sie zum Einschiffen zu zwingen, nahmen sie eine so drohende
Stellung an, daß man eiligst alle Wachen verdoppeln mußte, ihre
offenbare Empörung fürchtend, und für gut fand, sie in Korfu zu lassen;
man hätte sie zwar leicht überwältigen und am Ende mit Kartätschen
niederschießen können, was man eben nicht tun mochte. Der Winter ging
sehr still und trübselig herum, und erst geraume Zeit nach dem Neujahr
1814 erfuhren wir das Nähere über die Leipziger Schlacht; auch der
Karneval ging still genug vorüber, obgleich ein neuer Impressario namens
Concetta keine üble Schauspielergesellschaft aus Italien mitgebracht
hatte, bei der sich eine allerliebste _prima amorosa_ befand, mit der
ich mir die jetzt so traurige Zeit bestmöglichst zu verkürzen suchte. Um
diese Zeit kam uns auch die unglaublich scheinende Nachricht von Murats
Abfall zu, und die zu Korfu befindlichen neapolitanischen Truppen wurden
nun entwaffnet und kriegsgefangen erklärt. Jetzt erfuhren wir fast gar
nichts mehr vom festen Land, da auch Otranto feindlich geworden war.

Eines Morgens, es war am Pfingstfest, wurden wir zu San Theodor
plötzlich durch ein anhaltendes Knallen gleich dem, wenn Bomben platzen,
geweckt und erblickten zugleich auf dem Fort Neuf einen starken
Pulverdampf. Das Knallen wollte gar kein Ende nehmen, ich eilte nach
Castrades, wo mir die Einwohner Korfus in Scharen entgegen kamen,
namentlich die Juden mit ihren Weibern und Kindern. Alle waren verstört,
mit todesbleichen Gesichtern, zitternd und händeringend, und sagten aus,
man erwarte mit jedem Augenblick, daß die ganze Fortezza nuova und mit
ihr die ganze Stadt in die Luft springe, denn das Pulvermagazin sei
angegangen. Dies konnte natürlich nicht sein, weil sonst das Fort samt
dem in seiner Nähe liegenden Judenquartier längst in die Luft gesprengt
wäre, aber ich konnte mir nicht wohl erklären, was es eigentlich sei.
Das Knallen und der Rauch ließen endlich nach, und ich erfuhr, noch ehe
ich die Stadt erreicht hatte, durch einen Artillerieoffizier, daß ein
Kanonier, der im Laboratorium, das dicht am Pulvermagazin war, nebst
anderen gearbeitet, bei dem Füllen von Bomben so unvorsichtig gewesen
sei, mit einem Stein an eine derselben zu klopfen, wodurch die eben
gefüllte Bombe Feuer gefangen und zerplatzt sei und sich dadurch nach
und nach über fünfhundert daliegende und bereits gefüllte Bomben
entzündet hätten, ohne weiteren Schaden zu verursachen, als einige
Arbeiter, die sich geflüchtet, zu verletzen. Glücklicherweise war das
Laboratorium durch eine sehr dicke Mauer von dem Pulvermagazin
geschieden, denn wäre dieses gesprungen, so wäre sicher die halbe Stadt
mit in die Luft gegangen, da es bis oben mit Pulverfässern gefüllt war.
Die geängstigten Einwohner und Juden kehrten erst gegen Abend, als alles
längst vorüber war, in ihre Quartiere zurück.

Allmählich fing man in Korfu an, obgleich man alle Augenblicke große
Siegesnachrichten, die Vertilgung der Alliierten und so weiter
verkündend, verbreitete, sich mit allerlei sonderbaren Gerüchten ganz
geheim herumzutragen; man munkelte sogar von einer Einnahme von Paris
und dergleichen, aber niemand von der Garnison wollte solchen
Nachrichten Glauben schenken, als eines Mittags ein Schiff mit zwei
weißen Flaggen -- die eine als das Zeichen eines Parlamentärs, die
andere konnte man sich nicht erklären -- einlief und mehrere englische
und französische hohe Offiziere landeten und sich zum Gouverneur
begaben. Noch denselben Tag klärte ein Tagesbefehl zum ebenso großen
Erstaunen als zur Bestürzung der Garnison die Sache auf. Er verkündigte
nicht nur Napoleons Abdankung, die Einnahme von Paris durch die
Alliierten, sondern auch zu gleicher Zeit die Wiedereinsetzung der
Bourbonen auf den französischen Thron und befahl für den folgenden Tag
die Annahme der weißen Kokarde und die Abnahme der dreifarbigen, ferner
die nahe bevorstehende Übergabe Korfus an die Engländer und so weiter.
Wir waren fast alle wie aus den Wolken gefallen, denn so etwas hätte
sich niemand auch nur im Traum einfallen lassen; noch zwei Tage vorher
hatte man einen großen Sieg Napoleons über die Heere der verbündeten
Mächte, die alle in völliger Auflösung begriffen seien, bekannt gemacht,
und nun eine solche Gewißheit! Man fragte sich, ob es auch wahr, ob es
möglich sei, ob man nicht träume? -- Die Sache kam mir um so
ungelegener, als ich erst vor ein paar Wochen von dem Gouverneur zum
Bataillonschef bei dem Kriegsminister vorgeschlagen worden war; die
erwartete Ernennung ging nun in die Brüche sowie alle Träume von
künftigen Generalepauletten, Marschallsstab und so weiter.

Zwei Tage nach der Ankunft dieses Parlamentärs legte sich die englische
Flotte, aus einigen dreißig Segeln bestehend, unter denen mehrere
Linienschiffe, Fregatten, Korvetten, Briggs und so weiter, in der Reede
von Korfu vor Anker. Einige Tage später kam auch die französische
Flotte, fünf Linienschiffe stark, unter denen zwei Dreidecker, mehrere
Fregatten, Korvetten und so weiter, von Toulon an, endlich erschienen
mehrere italienische und neapolitanische Kriegsschiffe, von Genua,
Neapel und Venedig kommend, um die diesen Ländern angehörigen Truppen
abzuholen. Die französische Flotte hatte links von der englischen und
die Italiener rechts von derselben Anker geworfen. Alle diese Schiffe
waren in zwei Linien der Stadt gegenüber aufgestellt und gewährten einen
sehr imposanten Anblick. Jeden Morgen, nachdem die Reveilleschüsse
gefallen waren, spielte die Musik der Linienschiffe der Reihe nach, und
den ganzen Tag wimmelten Hafen und Reede von unzähligen kleinen Booten,
die von einem Bord zum anderen fuhren.

Weit über zehn Millionen hatten die neuen Festungswerke und die
Wiederherstellung der alten die französische Regierung gekostet, und
fast eine ebenso große Summe hatte sie zu anderen nützlichen Zwecken für
die Stadt und Insel verwendet, von der sie während ihres siebenjährigen
Besitzes auch keine Obole zog, nur in den letzten Monaten, als die Not
am dringendsten geworden, verordnete der Gouverneur eine gezwungene
Anleihe von ein paarmal hunderttausend Piastern. Mit der Übergabe der
Stadt und Festungswerke beeilte man sich nicht sehr, sie fand nur
allmählich statt. Von der Aufsteckung der weißen Kokarden, welche der
königlich französische Kommissär von Toulon in hinlänglicher Quantität
mitgebracht hatte, wollten die französischen Truppen zuerst gar nichts
wissen und traten sie mit Füßen, auch ging es nicht ohne Reibereien
zwischen den französischen und englischen Offizieren ab, wozu das sehr
arrogante Benehmen der letzteren meistens Veranlassung gab, und die
manchmal blutig endigten. Zwei französische und drei englische Offiziere
fanden den Tod im Zweikampfe. Das Betragen dieser Rotröcke war in der
Tat oft von der Art, daß es die Franzosen nicht wohl ungerügt lassen
konnten. Wir waren, da man uns über fünfzehn Monate Sold schuldete,
natürlich sehr geldarm, während Albions Söhne goldgefüllte Taschen
hatten und uns dies bei jeder Gelegenheit durch Prahlsucht und
lächerliche Verschwendung fühlen lassen wollten, indem sie geringe
Gegenstände, wenn Franzosen in der Nähe waren, weit über ihren Wert
bezahlten, das Gekaufte dann verschenkten oder auch wegwarfen. Eines
Tages trat ein englischer Marineoffizier in das Militärkaffeehaus auf
der Esplanade, ließ sich ein Glas Rosolio reichen und gab dem Aufwärter
einen Markustaler, um zu bezahlen. Als ihm derselbe den ihm zukommenden
Rest, meistens in venetianischen Gazettis und türkischen Paras
bestehend, brachte, nahm er das Geld und warf es zu Boden, indem er
sagte: »Mit solchem Quark darf ein englischer Offizier seine Taschen
nicht beschmutzen.« Einige Gazettis fielen unglücklicherweise auf die
Füße eines französischen Kapitäns von den Chasseurs de l'Orient, der den
ägyptischen Feldzug unter Bonaparte mitgemacht hatte. Dieser sprang
sogleich auf und gab dem Engländer eine derbe Ohrfeige, der nun rasch
seinen Dolch zog, um den Franzosen niederzustechen, welcher aber
zurückweichend ebenso schnell seinen Degen gezogen. Die übrigen
anwesenden Offiziere sprangen hinzu, verhinderten, daß es zu weiteren
Tätlichkeiten kam. Es folgte eine unmittelbare Herausforderung, und das
Duell fand noch in der nämlichen Stunde in dem Olivenwäldchen hinter
Castrades statt. Der Engländer kam schlecht weg, der Franzose brachte
ihm eine gefährliche Wunde in den Unterleib bei. Auch geschah es
mehrmals, daß berauschte und sich unanständig aufführende Engländer an
öffentlichen Orten zur Tür hinausgeworfen wurden.

Endlich mußte man jedoch, nachdem man lange genug gezögert hatte, in den
sauren Apfel beißen, und ein Posten nach dem anderen wurde von den
Engländern besetzt. Zuerst die Außenwerke, dann die Stadttore, das neue
Fort und zuletzt die alte Festung samt der Zitadelle. Noch eine bittere
Unannehmlichkeit entstand für die Franzosen, welche die besten Kanonen
und Mörser von Erz bei Nachtzeit heimlich eingeschifft hatten; da dies
nun gegen den Vertrag und den Engländern verraten worden war, so mußten
die bei Nacht eingeschifften Geschütze bei Tage wieder ausgeschifft
werden, wobei sich die französischen Artilleristen absichtlich so
ungeschickt benahmen, daß mehrere Stücke in die Tiefe des Meeres fielen.
Der Gouverneur Donzelot und der Kommissär-Imperial Lesseps, der
sich jetzt _Commissaire général_ nannte, erließen rührende
Abschiedsproklamationen an die Einwohner, von denen die des letzteren
durch ihren Lakonismus merkwürdig war. Sie bestand aus drei Zeilen und
lautete:

_Habitants de Corfou! Je vous quitte comblé des marques de votre estime
et de votre attachement (Sic!) c'est la plus douce récompense de mes
travaux. Soyez heureux. Corfou, 20. Juin 1814. Le Commissaire général,
L._ -- Der englische Generalleutnant James Campbell, der nun Besitz von
Korfu im Namen des Prinz-Regenten von England, als Protektors der
Jonischen Inseln, nahm, erließ ebenfalls eine Proklamation, in der er
den Korfioten gewaltig viel Gutes versprach, das nie erfüllt wurde.

Als nun endlich alles in Ordnung, der letzte Posten abgelöst und der
letzte Mann der französischen Garnison eingeschifft war, sank die
französische Fahne von der höchsten Spitze der alten Feste, wurde
sogleich durch die sich rasch erhebende englische ersetzt und letztere
mit allen Kanonen der englischen Flotte salutiert. Endlich lichtete die
französische Flotte die Anker und steuerte der albanesischen Küste zu.
Nicht ohne Wehmut sahen wir die sich unseren Augen immer mehr
entziehende Insel schwinden, auf der wir manche Freuden genossen hatten
und die uns manche angenehme Erinnerungen ließ. Auch die Korfioten sahen
uns nicht gleichgültig ziehen, sie hatten jedoch gewünscht, unter
russische Protektion zu kommen.




                                   V.

    Überfahrt von Korfu nach Marseille. -- Das Schiffsleben. -- Die
      Meerenge von Messina. -- Die Fata Morgana. -- Haifische. --
        Napoleon auf der Insel Elba. -- Das Pestlazarett und die
    Quarantäne zu Marseille. -- Stimmung der Einwohner. -- Abmarsch
    nach Avignon. -- Meuterei in Aix. -- Die Familie Giraud. -- Die
     rasenden Weiber in Avignon attackieren uns. -- Ankunft Ludwig
    Philipps zu Avignon. -- Lyon. -- Einzug des Grafen Artois (Karl
   X.). -- Fontainebleau. -- Paris. -- Preußische Vergeltung. -- Die
     zurückgekehrten Emigranten. -- Ich lasse mich auf halben Sold
    setzen. -- Abreise über Reims nach Straßburg. -- Der Herzog von
         Berry. -- Abreise nach Frankfurt. -- Ankunft daselbst.


Die Schiffe der französischen Flotte waren, um mehr Raum zu gewinnen,
alle desarmiert, das heißt, man hatte die Geschütze, bis auf wenige
Alarmkanonen, in Toulon zurückgelassen. Das Einschiffen war keine
Kleinigkeit, denn es befanden sich sehr viele Beamtenfrauen und Kinder
unter den Abfahrenden, die manche Habseligkeiten, die sie nicht hatten
veräußern können oder notwendig bedurften, mitnahmen. Der Zudrang von
nicht verheirateten, unterhaltenen Frauen und Mädchen war
außerordentlich; viele derselben wurden unbarmherzig zurückgewiesen und
schrien dann, sich die Brust zerschlagend, jämmerlich am Ufer. Das
Regiment der Albaneser war zurückgeblieben und in englischen Sold
getreten. Ihr rückständiges Gehalt hatte man ihnen in Lebensmitteln aus
den Magazinen bezahlt, wir aber hatten für unser Guthaben Anweisungen
auf die französische Regierung erhalten, die manche Offiziere noch in
Korfu mit einigem Verlust versilberten. Die von den Truppen urbar
gemachten Ländereien hatte man um einen Spottpreis an die Einwohner
verkauft, die anfingen, sich allmählich an den Erdgeschmack der
Kartoffeln, den, wie sie sagten, dieselben hätten, zu gewöhnen. Obgleich
auch viele Transportschiffe mit von Toulon gekommen waren, so fehlte es
dennoch sehr an Raum; alle Kranken aus dem Lazarett hatten wir ebenfalls
eingeschifft, so daß kein lebendiger französischer Soldat zurückblieb.
Noch zwei Tage hatten wir in der Reede von Korfu, schon eingeschifft,
verweilt, bevor wir abfuhren, während welchen ich einige Besuche auf
englischen Linienschiffen machte und die außerordentliche Reinlichkeit
und Bequemlichkeit derselben zu bewundern Gelegenheit fand. Man hätte
von den Fußböden der Verdecke essen können, so spiegelglatt und sauber
waren sie gehalten, während auf den französischen Schmutz und
Unreinlichkeit zu Hause war. Ich war zuerst auf dem >Romulus<, einem
Zweidecker von vierundsiebzig Kanonen, eingeschifft, den ich aber wieder
verlassen mußte, um mich an Bord der >Danube<, ebenfalls mit
vierundsiebzig Kanonen, zu begeben, auf der auch Herr von Brüge mit
seiner Familie, der _Payeur général_, der die niedliche _seconda
Ballerina_ Chiaretta Gaspari, mit der er mehrere Kinder gezeugt, bei
sich hatte, der Kapitän Stahl mit seiner jungen Frau und andere
embarkiert waren. Trotzdem die Schiffe desarmiert, waren wir doch
furchtbar zusammengedrängt, denn es befanden sich auf einem Zweidecker
wenigstens achtzehnhundert Menschen. An Hängematten für die Soldaten war
nicht zu denken, sie mußten auf dem platten Boden liegen. Wir waren an
hundert Menschen, von denen ein Dritteil Frauen und Kinder, die hier
untereinander hausten und zum Teil in Hängematten, zum Teil auf einer
Art ganz niedriger Bettstellen, mit grober Leinwand überzogen,
schliefen. Die Verheirateten hatten eine solche dreifache Schlafstätte
für sich inne, um die sie ein Tuch spannten und so wenigstens nicht
gesehen werden konnten. Nun denke man sich die Ausdünstungen so vieler
Menschen bei der Nacht, wo alle Sabords oder Stückpforten und
Schiffsläden fast hermetisch geschlossen werden; das Geschrei der Kinder
und Frauen, deren Bedürfnisse, wozu sich auch schnell die Seekrankheit
und mit ihr unaufhörliches Erbrechen gesellte, dies alles von dem
immerwährenden Knarren des Balkens des großen Steuerruders begleitet,
der sich auch in diesem engen Raum bewegte, und man wird mir
eingestehen, daß dies einen Vorschmack von der Hölle geben konnte; auch
hielt ich es die erste Nacht kaum eine halbe Stunde in diesem Behälter
aus und begab mich auf das Verdeck, wo ich mich in ein Boot legte und
diese und alle folgenden Nächte, die wir eingeschifft waren, unter
freiem Himmel -- es war der Juni- und Julihimmel des Mittelländischen
Meeres -- zubrachte. Waren die Lagerstätten schlecht, so war der Tisch
dagegen vortrefflich, für jeden eingeschifften Offizier bewilligte die
Regierung fünfundsechzig Franken Tafelgelder, und wir wurden dafür sehr
gut genährt. Es gab fast alle Tage frisches Fleisch, Braten, oft
Geflügel, man schlachtete die eingeschifften Ochsen, Hammel und so
weiter an Bord, buk jeden Tag Weißbrot, nur das frische Wasser ging uns
ab; das noch einmal an der Küste von Albanien eingenommene wurde jeden
Tag schlechter, zuletzt gar nicht mehr trinkbar, schwarz, übelriechend
und voll Gewürm; man filtrierte es zwar durch Löschpapier, aber dies
nahm ihm doch den schlechten Geschmack nicht; dabei hatte man immer
großen Durst, da auch viel gesalzene Speisen genossen wurden, der Wein
aber, der _à discretion_ gegeben wurde, den Durst nicht löschte. Fünf-
bis sechsmal setzte man an, schüttelte sich, besonders die Damen, und
mußte doch endlich den bitteren Kelch mit zugedrückten Augen leeren. Wir
speisten wohl an hundert Personen an der im Assembleesaal servierten
Tafel, die in Form eines Hufeisens aufgestellt wurde; die Sitze und
Tische waren auf dem Boden amarriert, das heißt mit Tauen befestigt.
Komisch war es anzusehen, wenn, das Schiff auf einer Seite liegend, man
bei Tische saß, die einen hoch über den anderen, die tief unten saßen,
schwebten, und durch eine Wendung des Schiffes kamen dann die, welche
oben saßen, plötzlich zu den Füßen der anderen, die sich erhoben; es war
das Bild des gewöhnlichen Weltlaufes: der ist heute oben, der morgen
unten liegt; anfänglich machte uns dies viel Spaß. -- Den 24. Juni
hatten wir die Anker gelichtet, und die ersten Tage gingen bei der sehr
langsamen Fahrt noch ziemlich fröhlich vorüber; gegen Abend spielte die
Musik auf dem Hinterteil des Verdecks, man tanzte mit den sich an Bord
befindenden jungen Damen, der _Capitaine du vaisseau_ war so galant,
Erfrischungen in Orgeade, Limonade und so weiter reichen zu lassen,
dabei ging es recht munter zu, und ich walzte mit Josephinen, Madame
Stahl und anderen. Diese Unterhaltungen nahmen jedoch bald ein Ende, da
die meisten Tänzer und Tänzerinnen schnell auf der Nase lagen, obgleich
wir meistens große Windstille hatten und nur lavierend sehr langsam
vorwärts kamen. Den 26. Juni hatten wir noch einmal vor den Küsten
Albaniens Anker geworfen, den 30. erblickten wir die wilden pittoresken
Küsten Kalabriens, die mit alten Türmen, welche sie gegen die Überfälle
der Barbaresken schützen sollten, in Zwischenräumen von je tausend
Schritten versehen sind. Um nur ein wenig vorwärts zu kommen, mußte man
die Landwinde benutzen, welche in der heißen Jahreszeit in der Regel
hier morgens und abends an den Küsten wehen. Den 2. Juli sahen wir erst
den Rauch des dampfenden Ätna und erblickten bald darauf die reizenden
Küsten Siziliens, in der Gegend des Kap Grosso; wir segelten nun durch
die Meerenge von Messina, dessen Umgebungen sehr schön sind.
Amphitheatralisch liegen prächtige Villen, Klöster, Kirchen, Gärten,
Ortschaften zwischen Pomeranzen- und Zitronenhainen, Weinbergen und
Gebüschen an dem Ufer. Vor Messina machte die ganze Flotte Halt, und wir
warfen so nahe bei der Stadt Anker, daß wir deutlich die am Meer
spazieren gehenden Menschen, unter denen besonders viele Pfaffen und
Mönche waren, erkennen und uns sogar mit ihnen unterhalten konnten. Fast
einen ganzen Tag brachten wir vor Messina zu, wo wir Piloten nahmen, die
uns sicher durch die Meerenge und zwischen der Charybdis und Scylla
durchbringen sollten. Jedes Schiff erhielt seinen eigenen in einer Barke
von vier bis sechs Ruderern, in der sich auch noch ein Sanitätsbeamter
befand, um zu beobachten, daß niemand in Berührung mit der
Schiffsmannschaft käme.

Den folgenden Tag waren wir noch im Angesicht von Sizilien auf der einen
und Reggios auf der anderen Seite und hatten das seltsame Schauspiel
einer Fata Morgana vor Augen, eine eigene, zauberartige Erscheinung, die
sich nicht nur im Wasser, sondern auch wie in der Luft schwebend zeigt
und die sonderbarsten, wunderlichsten und mannigfaltigsten Gebilde
hervorbringt. Wir erblickten unabsehbar Kolonnaden, Bogenhallen, Alleen,
seltsame Bäume und Gesträuche, Herden weiden und so weiter. Dies alles
in der Luft schwebend, während unter dem Wasser nicht minder seltsame
Gegenstände zu sehen waren. Als sich aber der Landwind mehr und mehr
erhob, verloren sich diese Nebelgebilde. Wir segelten jetzt längs den
mir bekannten Küsten Kalabriens hinauf, noch lange den rauchenden Ätna
im Auge. In der nächsten Nacht erreichten wir die Liparischen Inseln.
Stromboli warf fortwährend Feuer aus. Den 7. Juli erblickten wir den
Vesuv, Capri, Ischia und Neapel. Den 8. war fast gänzlich Windstille,
den 9. waren wir Gaëta und den 10. Terracina gegenüber. -- Diese
Seereise wurde täglich langweiliger und wegen der großen Hitze
unausstehlich. Alles, was nicht zur Marine gehörte, war sehr abgespannt
und durch die Seekrankheit ermattet, namentlich die Frauen, und die Qual
des Durstes unausstehlich. Ich las oder schrieb fast den ganzen Tag.
Bisweilen unterbrachen die Matrosen das ewige Einerlei durch einen
Schiffstanz. Der Fang eines Haifisches brachte auch einiges Leben an
Bord und die Mannschaft ließ sich das Seeungeheuer, das alle Toten, die
man über Bord wirft, verzehrt, trefflich schmecken. Wir hatten schon
vier bis fünf Leichen gehabt, weshalb eine ganze Herde dieser Fische
jedem Schiff folgte. Fiel jemand lebendig in das Wasser, wie dies auf
einem Schiff der Fall war, so war er verloren. Ein solches Ungeheuer
schnappte ihn sogleich auf und begrub ihn in seinem Bauch. Eines Tages
fiel einem von unseren Soldaten ein großer Schiffsnagel von einem
Mastkorb auf den Kopf und tötete ihn auf der Stelle. Auch er fand eine
Stunde nachher ausgekleidet sein Grab in den Wellen oder in dem Rachen
eines Haies.

Den 12. Juli befanden wir uns auf den Höhen von Civita-Vecchia und Rom,
den 13. kamen wir an den Inseln Giglia, Monteargento, Rossa und Gianuta
vorüber und begegneten einem französischen Linienschiff, >_La ville de
Marseille_<, das den Herzog von Orleans, Louis Philipp, nach Palermo
bringen sollte, der daselbst seine Gemahlin abholte. Durch dieses Schiff
erhielten wir auch zuerst die Nachricht von dem zu Paris definitiv
abgeschlossenen Frieden. Den 14. kamen wir an den Küsten von Toskana und
der Insel Elba vorüber, von welcher bereits der abgedankte Kaiser Besitz
genommen hatte. Wir segelten an Porto Ferrajo vorbei, und hätte Napoleon
geahnt, welch günstige Stimmung für ihn auf der vorüberfahrenden Flotte
herrschte, so hätte er vielleicht damals schon mit derselben nach
Frankreich zurückkehren können. Denn als wir nach Porto Ferrajo mit
trefflichen Fernrohren hinübersahen, erblickten wir ihn auf den Mauern.
Jetzt wurden auf den Schiffen Offiziere, Soldaten und Matrosen, alles
unruhig, und plötzlich ertönte der Ruf: »_Vive l'Empereur!_« Man konnte
nicht verhindern, daß die ganze Mannschaft auf das Verdeck strömte, Hüte
und Tücher schwenkte, wie ausgelassen tobte und schrie und verlangte,
daß die Musik spielen solle. Der Kapitän und die Kommandanten befanden
sich in keiner geringen Verlegenheit und dankten dem Himmel, als wir
endlich über die Insel Elba hinaus waren. Hätte Napoleon nur einige
Winke gegeben, so würde sich ganz gewiß die ganze Mannschaft empört und
zu seinen Gunsten revoltiert haben. Wir segelten nun bald am Kap Bianco
der Insel Korsika vorüber und hatten nach und nach die meisten Schiffe
der Flotte aus dem Gesicht verloren. Am Golf von Genua vorüber kamen wir
den 17. Juli in der Reede von Toulon an, wo wir einen _garde de santé_
an Bord nahmen, da von diesem Augenblick an unsere Quarantäne begann.
Ein stürmischer Nordwind, der sich plötzlich erhoben, hatte uns
gezwungen, in dieser Reede einzulaufen, die wir den 20. wieder
verließen, um den 22. zu Marseille, unserer vorläufigen Bestimmung
auszuschiffen und vorerst die Quarantäne in dem Pestlazarett zu
beziehen, das für sich eine Stadt mit verschiedenen Quartieren bildet.

Diese Anstalt ist sehr groß und bewunderungswürdig. Man findet in
derselben Wohnungen für hohe Herrschaften und Privatleute, Kasernen,
Gasthäuser, in denen man alles, freilich sehr teuer, haben kann,
Krankenhäuser und so weiter. Das ganze Lazarett ist in sieben
Abteilungen oder Quartiere eingeteilt, die sämtlich durch hohe Mauern
voneinander getrennt sind, deren Tore bei Nacht wie in Festungen
geschlossen werden. Drei dieser Abteilungen sind allein für Waren
bestimmt und haben geräumige Hallen zu diesem Zweck. Für wirkliche
Pestkranke sind ganz besondere Räume vorhanden. Die Polizei im Lazarett
wird mit großer Strenge gehandhabt, um jede Annäherung eines
Quarantänärs mit dem aus einer anderen Abteilung zu verhindern; und wer
etwas in dem Wirtshaus der Quarantäne kaufen will, wird von einem _garde
de santé_, der mit einem zehn Schuh langen Stab oder Spieß bewaffnet
ist, begleitet, so daß, wenn man einem anderen Quarantänär mit seinen
Wächtern begegnet, man vermittelst dieser Stäbe immer zwanzig Schuh weit
auseinandergehalten wird. Alles Geld, das man bezahlt, wirft man in eine
mit Weinessig gefüllte Schüssel, welche vor dem Gitter steht, das das
ebenfalls abgeschlossene Wirtshaus, eine kleine Feste, umgibt. Alle
diese Einrichtungen bestehen erst seit dem Jahre 1720, wo durch
Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit ein Schiff, das aus der Levante kam
und auf dem unterwegs schon ein halbes Dutzend Menschen an der Pest
gestorben waren, und das man dennoch nur eine Quarantäne von acht Tagen
halten ließ, diese schreckliche Geißel nach Marseille und dem ganzen
südlichen Frankreich brachte. Die große Stadt war in Zeit von sechs
Wochen wie ausgestorben. Über achtzigtausend Menschen hatte die Pest
hinweggerafft. Fast alle Häuser standen leer, und in den Straßen
begegnete man keiner Seele mehr. Im ganzen Lande aber wurden viele
Hunderttausende das Opfer dieser Plage. Ein gräßlich-schönes Gemälde im
Hotel de Ville von Marseille stellt furchtbare Schauerszenen aus jener
Unglückszeit dar.

Wir hatten je zwei Offiziere ein Zimmer oder vielmehr Kämmerchen, nur
die Verheirateten hatten ein besonderes. Mein nächster Nachbar war der
Kapitän Stahl, der seine junge Frau mit einer fast wütenden Eifersucht
hütete, weshalb es schon auf dem Schiff manche Neckereien und
Unannehmlichkeiten abgesetzt hatte, so daß er oft gar nicht zu Tische
mit ihr kam. Die Frau aber, die, gleich allen Griechinnen, ein feuriges
heftiges Temperament hatte, verdroß dies so sehr, daß sie mehr als
einmal zu mir äußerte: »Gerade weil er es so macht, muß er Hörner
tragen, die ich ihm bei der ersten Gelegenheit aufsetzen werde.« Diese
fand sich dann auch, trotz allem Bewachen, bald genug, und zwei Tage,
nachdem wir die Quarantäne verlassen hatten, wußte die verschmitzte Frau
schon ihr löbliches Vorhaben auszuführen, wozu ich ihr denn auch bestens
an die Hand ging. Während sie Stahl mit Madame Roy in der Kirche
glaubte, wohin er beide Frauen begleitet und sich dann nach dem Hafen in
Dienstangelegenheiten begab, brachte sie eine süße Stunde in meinen
Armen im Hotel der Ambassadeurs zu, wo ich mich einquartiert hatte.

Alle Griechen und griechischen Frauen, die mit von Korfu gekommen waren,
konnten sich nicht genug über die Größe, Pracht und schönen Gebäude von
Marseille wundern und riefen einmal über das andere aus: »_O che
palazzi!_« -- Marseille ist aber auch eine der schönsten Städte
Frankreichs und ihr Hafen der prächtigste und sicherste im
mittelländischen Meer. Seine Kais sind fast durchaus mit prachtvollen
Häusern geziert. Linienschiffe können jedoch nicht in denselben
einlaufen, weil er nicht tief genug ist. Wir hatten bei der Insel If
Anker geworfen, von wo wir in Booten an das Lazarett gefahren wurden.
Ihre Kathedrale ist die älteste Kirche Galliens und auf den Ruinen eines
Dianentempels erbaut, von dem noch schöne Granitsäulen in der Kirche
selbst angebracht sind. Das Arsenal, das große Theater, die Börse, den
Gouvernementspalast, den Cours, eine der schönsten Straßen, die ich
gesehen, die Straße Beauveau, den Platz Canabière als Paradeplatz der
schönen Welt, darf man nicht versäumen, aufzusuchen. Es machte mir
großes Vergnügen, den mitgekommenen Damen von Korfu alle
Merkwürdigkeiten Marseilles zu zeigen und mich an ihrem Staunen zu
ergötzen. Namentlich waren es Madame Conge und Coste, deren beständiger
Begleiter ich war. Auch das Leben und Treiben in Frankreich, die
Freiheit, welche alle französischen Frauen genießen, die Sitten und
Gebräuche, dies alles war eine neue Welt für sie. -- Da ich das daselbst
etablierte deutsche Haus Ellenberger und Imer kannte, an das ich schon
früher, als wir in Toulon lagen, empfohlen war, und durch welches ich
mir noch in der Quarantäne allerlei Lebensmittel und Weine hatte
schicken lassen, die sie mir in bester Qualität und ganz vorzüglich
besorgt hatten, so ließ ich mir von demselben ein paar hundert Franken
gegen Anweisung auf Frankfurt geben und hatte so einige Mittel in
Händen. Auch wurden uns, ehe wir die Quarantäne verließen, zwei Monate
rückständiger Sold ausbezahlt, den die Kaufleute von Marseille
vorgeschossen, um den von Korfu ankommenden Truppen Mut zu machen und
sie für die Bourbonen günstig zu stimmen. Denn Marseille sowie die ganze
Provence und Languedoc waren auf das äußerste gegen Napoleon erbost, da
hier aller Handel und die Gewerbe während seiner Herrschaft stockten und
fast auf Null herabgesunken waren. Ihre Anhänglichkeit zur
zurückgekehrten Dynastie sprach sich enthusiastisch aus. Das Volk zu
Marseille hatte sogar kurz vor unserer Ankunft ein Artilleriebataillon
unter dem Gewehr auf dem Paradeplatz umstellt und dasselbe gezwungen,
seine Adler von den Tschakos herabzunehmen. Einige Offiziere waren
mißhandelt worden. Einem Obersten, der noch kaiserliche Abzeichen an
sich hatte und diese auf das Geheiß des Pöbels nicht sogleich abnehmen
wollte, rissen sie die Epauletten von den Schultern.

Wir blieben nur kurze Zeit in Marseille. Schon in der dritten Woche nach
unserer Ankunft daselbst erhielt unser Regiment Order, nach Avignon
abzumarschieren. In Aix aber brach eine förmliche Meuterei unter unseren
Leuten aus, die erklärten, nicht weiter marschieren zu wollen, bis man
ihnen den sämtlichen, noch rückständigen Sold ausgezahlt habe. Die Sache
drohte in eine förmliche Empörung auszuarten. Die Soldaten wollten sich
an ihre Offiziere und Chefs halten, stießen unzweideutige Drohungen
gegen dieselben aus, von ihnen den rückständigen Sold fordernd. Um sie
im Zaum zu halten, ließ man die Nationalgarde von Aix unter die Waffen
treten und in starken Abteilungen durch alle Straßen patrouillieren.
Dies und die Auszahlung von noch einem Monat Sold, den die Stadt Aix
vorschoß, beschwichtigte die Murrenden. Den vierten Tag marschierten wir
nach Avignon ab, wo sich aber schon ein Befehl des Kriegsministers
vorfand, welcher das Regiment nach Avesnes im Departement du Nord
beorderte, wo die Leute ihr ganzes Guthaben, und diejenigen, die nicht
länger in Frankreich dienen wollten, ihren Abschied und eine Marschroute
bis an die Grenze erhalten sollten. Die meisten Leute nahmen dies an und
wurden, nachdem sie ihren Abschied erhalten und ihre Waffen abgeliefert
hatten, in Transporten von fünfzig bis hundert Mann bis zur deutschen
Grenze geführt. Die dabei bleibenden Offiziere wurden auf halben Sold
gesetzt. Man zählte damals an dreißigtausend Offiziere, die auf halben
Sold gesetzt wurden, worunter alle die, welche aus russischer,
preußischer, spanischer, englischer und so weiter Gefangenschaft
zurückgekehrt waren. Ich hatte wegen eines Fiebers, das mich überfiel,
in Avignon zurückbleiben müssen. Die lange Seereise, auf der ich nie die
eigentliche Seekrankheit gehabt, dagegen aber immer eine Unbehaglichkeit
und Übelkeit verspürte, und sehr an hartnäckigen Obstruktionen litt,
hatte mir wohl diese Krankheit zugezogen. Ich wollte nun meine Genesung,
die auch bald erfolgte, in Avignon abwarten und mietete mir eine
angenehme Wohnung auf dem großen Platz mitten in der Stadt bei einem
ziemlich wohlhabenden Bürger namens Giraud, der sich in Ruhestand
gesetzt und ein liebenswürdiges sechzehnjähriges Töchterchen, das
einzige Kind, hatte. Von hier aus schrieb ich an meine Eltern und
erhielt neue Empfehlungen an das Haus Aymard, das einen Sohn als
Volontär in Frankfurt hatte und sich daher meiner annahm. In kurzer Zeit
war ich, wie gesagt, wieder von meiner Krankheit genesen, brachte aber
noch ein paar Wochen in Avignon zu, wo mich die hübsche Tochter meines
Hauswirtes, Marguerite Giraud, fesselte. Die Einwohner von Avignon waren
ebenso erbitterte Feinde Napoleons wie die zu Marseille und in den
anderen Städten der Provence. Sie nannten den abgesetzten Kaiser nur
>_le vieux Nicola_<, hatten ihn im Bilde verbrannt und einen Napoleon
vorstellenden Strohmann lange in dem Straßenkot herumgeschleift. Hier
würde ihm sowie in Orgon und anderen Orten übel mitgespielt worden sein,
hätte man ihn bei seiner Durchreise erwischt. Auch hatte er sich schnell
Hals über Kopf weiter gemacht, als er die entstandene Gärung wahrnahm.
Die Weiber der niederen Klassen tanzten noch täglich die Farandole beim
Schall einer Baskotrommel, sich an Taschentüchern aneinanderhaltend, wie
besessen in allen Straßen und auf öffentlichen Plätzen, sangen dabei
Spottlieder auf den >_père Nicola_<, wie sie ihn nannten, und waren
berauscht. Eines Abends ritt ich mit dem Chirurgien-Major Colombe vom
sechsten Linienregiment, das mit uns in Korfu gewesen und jetzt in
Avignon garnisonierte, zum Rhonetor hinaus spazieren, in dessen Nähe am
Kai ein Bataillon dieses Regiments exerzierte. Kaum waren wir vor dem
Tor, als ein Troß solcher toller tanzender Weiber uns umringte und im
dortigen Patois zurief, wir sollten >_Vive Louis XVIII., vive les
Bourbons_< schreien. Ich erklärte ernst und kurz, daß ich auf kein
Kommando schreie, aber Colombe wollte Bravaden zeigen und schrie aus
vollem Halse: »_Vive Napoléon!_« Nun fielen ihm die wilden Weiber gleich
in die Zügel, rissen ihn vom Pferd herab, während ich mich frei machte
und den Degen zog, mein Pferd sich bäumen ließ und mich so in
Verteidigungsstand setzte. Sicher würde es Colombe ergangen sein wie dem
armen Sänger Orpheus, diese modernen Bacchantinnen würden auch ihn in
Stücke gerissen haben, wenn nicht glücklicherweise das ganz in der Nähe
exerzierende Bataillon sogleich eine Patrouille abgesandt hätte, den
unglücklichen Chirurgien-Major zu befreien. Das Spazierenreiten war ihm
nun vergangen, und er begab sich heim, sein Roß demütig am Zügel
führend. Schlimmere Folgen hätte beinahe meine Bekanntschaft mit
Marguerite Giraud gehabt; ich hatte jetzt auch den Tisch bei den guten
Leuten, und eine alte Tante, die so ziemlich das Hausregiment führte,
hatte es auf eine Heirat zwischen mir und der sechzehnjährigen
Marguerite abgesehen. Eines Morgens nahm ich mir vor, die guten Leute
mit einem deutschen oder vielmehr Frankfurter Frühstück zu regalieren,
das man in Frankfurt in der Regel nur in der Fastnacht genießt und das
aus in Rahm und Milch zerlassener Butter und ganz heißem Weiß- oder
Milchbrot besteht, warme Wecken genannt, und so heiß als möglich
genossen wird; allein es gehört ein sehr guter Magen dazu, um es ohne
Beschwerden verdauen zu können. Dem alten Herrn Giraud mundeten diese
warmen Wecken außerordentlich, er aß deren beinahe ein halbes Dutzend
hintereinander, aber gleich darauf wurde es ihm so übel, daß er glaubte,
er müsse den Geist aufgeben. Dem Geistlichen des Hauses, der auch von
der Partie gewesen und tüchtig mitgegessen hatte, wurde ebenfalls übel,
dann kam die Reihe an die alte Tante, und selbst Marguerite befand sich
nicht ganz wohl darnach. Die Tante fing nun auf einmal an, wie besessen
zu schreien: »Ach, wir sind vergiftet, wir sind alle vergiftet!« Ich
vermochte sie nicht zu beruhigen, obgleich ich ihr vorstellte, daß ich
am meisten von dieser Speise genossen hätte; sie schickte nach einem
Arzt, der auch schnell ankam und die noch übrige Butter, Milch und Brote
untersuchte, während sich die Patienten bald auf dem Wege der Besserung
befanden. Als ich ihm die Sache auseinandersetzte, meinte er lächelnd:
»Ja, zu deutscher Kost gehört auch ein deutscher Magen.« -- Einige
Gläser Likör brachten die verdorbenen Mägen wieder so ziemlich in
Ordnung, doch hatten Herr Giraud und die Tante ein paar Tage zu tun, bis
sie völlig wieder hergestellt waren, aber niemand spürte mehr Lust, sich
noch ferner _à l'allemande_ von mir regalieren zu lassen, und man
gestand, daß man nicht ganz von dem Verdacht einer absichtlichen
Vergiftung frei gewesen sei. Als ich bei Aymards die Geschichte
erzählte, wollte man sich halbtot lachen, doch hatte niemand Lust, die
Speise zu versuchen, wie ich es auch ihnen vorgeschlagen hatte. Aber ein
ganz anderes Donnerwetter zog sich über meinem Haupt zusammen, als ich
eines Tages bei Tische zufällig erwähnte, daß ich ein Protestant und
zwar ein Lutheraner sei. Man lachte anfänglich dazu und meinte, ich
scherze, denn auch diese Leute stellten sich unter einem Lutheraner noch
eine Art Ungeheuer vor, bis ich ihnen ganz ernstlich versicherte, daß
ich die Wahrheit gesagt und sie auch durch Erkundigungen herausgebracht
hatten, daß ich wahr gesprochen. -- Marguerite, mit der ich auf einem
sehr vertrauten Fuß gestanden hatte, doch so, daß kein Unglück daraus
entstehen konnte, wie ich es mit allen Mädchen hielt, kam eines Morgens
auf mein Zimmer und bat mich, in Tränen gebadet, fußfällig, ich möge
doch katholisch werden, weil ich sonst dem Teufel mit Haut und Haar
verfallen sei und sie mit, da sie das Unglück gehabt, einen Lutheraner
zu lieben. Ich konnte das arme Kind nicht zu einer vernünftigen Ansicht
bringen, und trostlos verließ sie das Zimmer; sie hatte mir gestanden,
daß ihr der Beichtvater gesagt, daß ihr ihre Bekanntschaft mit mir die
ewige Verdammnis zuziehen könne, wenn sie mich nicht bekehre. Das ganze
Haus war in größten Alarm geraten, und die Frauen weinten unaufhörlich.
Ich ging zu den Leuten und suchte sie zu beruhigen, aber ich glaube, der
Teufel selbst hätte ihnen jetzt keine größere Furcht einflößen können
als mein Anblick; alle bekreuzigten sich und gaben mir zu verstehen,
indem sie die Gesichter abwendeten, ich möge doch das Zimmer verlassen.
Es kam mir vor, als sei ich unter Wahnsinnige geraten, und da ich sah,
daß nicht daran zu denken war, auch nur ein vernünftiges Wort mit diesen
Menschen zu reden, nahm ich mir vor, auf die wenigen Tage noch ein
anderes Logis zu mieten und sah mich sogleich darnach um; als ich aber
nach Hause kam, trat mir ein Dienstmädchen mit einem offenen Papier
entgegen, das sie mir übergab und auf welchem geschrieben stand, daß die
Familie, aus guten Christen bestehend, auch keine Stunde länger mit
einem in alle Ewigkeit verdammten Ketzer unter einem Dach zubringen
könne und sich daher so lange auf das Land begeben habe, bis ich
ausgezogen sei; die Miete möge ich nur an das Dienstmädchen entrichten,
welches Befehl habe, den Betrag dem Beichtvater einzuhändigen, der ihn
zum Frommen der Kirche verwenden werde, um die Sünde, mich so lange im
Hause geduldet zu haben, einigermaßen wieder zu sühnen. -- Ich bezog nun
auf die wenigen Tage, die ich noch in Avignon verweilte, ein Zimmer in
einem Gasthof und habe nie wieder jemand von Girauds gesehen. Hier mußte
ich gleich den ersten Tag, als ich an der Table d'hôte speiste, einen
heftigen Streit zwischen einem Offizier und einem Bürger von Tarascon
mit anhören. Letzterer schimpfte so wütend über Napoleon, nannte ihn ein
Mal über das andere einen hergelaufenen Vagabunden, einen Spitzbuben,
Schurken, infamen Betrüger, dem sein eigener Oheim, als er noch Leutnant
und krank gewesen, täglich eine Armensuppe geschickt, und der später
einen Wagen von einem seiner Bekannten entliehen, den er sowie gar
manche andere Dinge zurückzugeben vergessen habe, wie er beweisen könne,
und so weiter, so daß es allerdings kaum zum Anhören war. Aber der
Offizier, der seinen ehemaligen Souverän verteidigen wollte, wurde
überschrien und stand endlich vom Tisch auf, das Zimmer unwillig
verlassend. Ich war in Zivilkleidern, hatte mich in die ganze Sache
nicht gemischt und mußte noch eine geraume Zeit das Schimpfen und die
schlechten Streiche, die sie dem Exkaiser vorwarfen, den sie einen
Menschenschinder und ein nichtswürdiges Subjekt nannten, mit anhören. Am
anderen Tage ließ ich mir auf dem Zimmer servieren, um solchen Dingen
nicht mehr ausgesetzt zu sein. Damals war es im ganzen südlichen
Frankreich höchst gefährlich, sich günstig über Napoleon zu äußern; was
den Provençalen aber mit einen so großen Haß eingeflößt, war besonders
die Konskription; allerdings wurden ihre Kinder sowie die aller
Franzosen zu Hunderttausenden zur Schlachtbank geführt, um der
Herrschsucht eines einzigen Menschen, der noch obendrein ein Korse war,
zu frönen.

Kurz vor meiner Abreise war noch der Herzog von Orleans, Ludwig Philipp,
von Sizilien zurückkommend, mit seiner Gattin in Avignon, wohin beide
eine Jacht gebracht, an das Ufer gestiegen, wo ich der erste Offizier
war, der ihn bei seiner Ankunft begrüßte. Er wurde sehr freundlich von
den Einwohnern empfangen, und ich hatte die Ehre, ihn bis an das Hotel
zu begleiten. Damals fiel es wohl niemand ein, daß er dereinst Herrscher
von Frankreich werden würde. Er hielt sich in Avignon nicht lange auf,
sondern fuhr nach ein paar Stunden schon weiter.

Auch ich machte jetzt Anstalt zu meiner baldigen Abreise, und da ich
keine Lust hatte, zu dem ohnehin bis fast auf die Offiziere und einige
Unteroffiziere zusammengeschmolzenen Regiment zu gehen, so ließ ich mir
eine Marschroute nach Paris geben, um daselbst bei dem Kriegsminister zu
versuchen, eine für mich passende Anstellung zu erhalten. Ich reiste mit
noch einigen Offizieren, -- auch einem Spanier namens Andeja, der seine
Mätresse von Korfu mitgebracht, -- nachdem ich meine Pferde in Avignon
verkauft hatte, in einer Patache (eine Art Landkutsche) nach Lyon ab, wo
ich ungefähr acht bis zehn Tage verweilte und wo gerade der Graf Artois
(später Karl X.) einzog, weshalb große Feierlichkeiten in der Stadt
veranstaltet wurden, denen ich beiwohnte. Viele Knaben, _à la_ Henri IV.
kostümiert, und weißgekleidete Mädchen mit Blumenkränzen und Girlanden,
Nationalgarden zu Pferd und eine große Menge Volk ging Monsieur entgegen
und begleitete ihn bei seinem Einzug in die Stadt mit Vivatgeschrei, das
jedoch nicht sehr allgemein war. Es wurden Anreden gehalten, in denen
vom Glück, die Bourbons endlich wieder auf dem französischen Thron zu
sehen, gesprochen wurde. Der Graf Artois war sehr gnädig und
herablassend und teilte eine Unzahl silberner Lilien mit einem weißen
Bändchen, besonders an das Militär aus, von denen mir auch eine zuteil
ward; später wurden sie für die Offiziere in Lilienkreuze umgewandelt.
Monsieur sah indessen aus wie eine Vogelscheuche mit einem Perückenstock
und machte auf das Militär, das ihn mit ziemlicher Geringschätzung
behandelte, keinen guten Eindruck; selbst die bourbonisch gesinnten
Bürger wußten nicht viel zu seinem Lob zu sagen. Die Stadt gab ihm zu
Ehren einen großen Ball, auf dem Artois, wie ein abgelebter Schneider
aussehend, von seinem Fauteuil dem Tanz mit zusah; auch ein großes
Feuerwerk wurde abgebrannt, doch hatte die ganze Festlichkeit etwas
Düsteres und war ohne Leben.

Einige Tage nach dem Ball reiste ich mit noch ein paar Offizieren, von
denen der eine, ein Bataillonschef, zu der Garnison von Korfu gehört
hatte, mit Extrapost nach Paris ab. Wir fuhren, ohne uns irgendwo
aufzuhalten, Tag und Nacht bis Fontainebleau, wo wir einen halben Tag
verweilten, um das dortige Schloß und die Gärten zu besehen. Ersteres
ist ein weitläufiges, irreguläres Gebäude, dessen Architektur die Arbeit
verschiedener Jahrhunderte nachweist. Es liegt in einem Tal und formiert
fünf _Corps de Logis_, die durch Höfe und Galerien getrennt sind. Es war
uns doppelt merkwürdig, weil hier erst vor wenigen Monaten Napoleons
Abdankung stattgefunden hatte.

Wir sahen die Gemächer, die Marie Louise bewohnt hatte, sowie die,
welche Pius VII. während seines gezwungenen Aufenthalts zum Kerker
gedient, endlich das Gemach, in dem Napoleon seine Abdankung
unterzeichnet hatte. Nach einem ziemlich splendiden Diner setzten wir
unsere Reise fort und kamen gegen Morgen in Paris an, wo wir in einem
_Hôtel garni_ abstiegen und uns ermüdet niederlegten. Gegen Mittag
erwachte ich, eilte zum Frühstück in das Palais Royal, ins _Café des
mille colonnes_, wo ich sehr heftige politische Debatten über Napoleon,
die Alliierten, die zurückgekehrten Bourbons, Ludwig XVIII. und so
weiter anhörte, und man stritt, als wollte man sich eben bei den Köpfen
nehmen; dann war von den Russen, den Kosaken, den Preußen, Engländern
und Österreichern die Rede, man lobte den Kaiser Alexander als einen gar
großmütigen Monarchen und äußerte: es gibt nur einen braven Russen, und
der ist der Kaiser, alle anderen taugen nichts; auf Wellington und die
Engländer schimpfte man und war gewaltig erbost; sie hatten allerdings
etwas wild in der Umgegend von Paris gehaust. Nicht minder aufgebracht
war man auf den braven Blücher und seine Preußen, die indessen nicht den
hundertsten Teil dessen getan, was sich die Franzosen in Preußen hatten
zuschulden kommen lassen; sie übten nur ein geringes Vergeltungsrecht
und dies oft sehr großmütig, wie folgende Anekdote beweist. Ein Oberst
der preußischen Garden war bei einer vornehmen reichen Dame im Faubourg
Sankt Honoré einquartiert. Nachdem er sein Billett abgegeben, fand er
die ihm eingeräumten, obgleich sehr schön und gut möblierten Zimmer viel
zu schlecht, befahl, daß man ihm bessere Gemächer einräumen solle, und
zwar in einem höchst arroganten und barschen Tone. Man gehorchte und gab
ihm die besten im Hause, aber auch die waren ihm nicht gut genug, er
warf sich mit Stiefeln und Sporen auf die kostbaren Sofas, und als man
ihm das Frühstück und Mittagessen brachte, fand er alles abscheulich,
kaum für Schweine gut genug, und warf mehrere Schüsseln den auftragenden
Dienern vor die Füße. Seine Bedienten machten es nicht viel besser und
hausten im Hotel, daß es zum Erbarmen war. Die arme Dame wußte sich gar
nicht zu raten und zu helfen, faßte sich endlich ein Herz und begab sich
selbst zu dem Obersten, um diesen zu bitten, er möge ihr doch nur sagen,
was er wünsche und verlange, es solle ja alles geschehen, was in ihren
Kräften stehe, um ihn soviel als möglich zufrieden zu stellen. Der
Oberst hörte die Dame ganz ruhig an, bat sie auf das höflichste, doch
Platz nehmen zu wollen, und sagte dann im besten Französisch auf das
artigste: »Madame, ich habe Ihnen nur eine kleine Probe davon geben
wollen, wie es Ihr Herr Sohn während drei Wochen, die er bei meinen
Eltern in Berlin einquartiert war, gemacht hat, doch seien Sie ruhig,
von jetzt an werden Sie sich nicht im mindesten mehr über mich oder
meine Leute zu beklagen haben, und ich bitte, mir die zuerst zugedachten
Zimmer wieder einräumen zu lassen, sie genügen mir vollkommen.« -- Von
den Österreichern war wenig oder keine Sprache, sie hatten sich im
ganzen sehr passiv verhalten. Es waren noch manche deutsche, russische
und englische Offiziere in Paris zurück, die aber alle in Zivilkleidung
einhergingen; dennoch fielen noch öfters Duelle vor. Die Russen zogen,
wenigstens im Zweikampf mit der Klinge, meistens den kürzeren und wurden
niedergestochen, während die Preußen manchen französischen Offizier ins
Gras beißen ließen; die Engländer schossen sich fast nur auf Pistolen.
Es verging fast kein Tag ohne solche Händel. Ich fand diesmal den
Aufenthalt zu Paris himmelweit verschieden von dem im Jahre 1810, auch
hatte sich in diesen vier Jahren sehr viel verändert. Das Ziel zu
erreichen, um dessentwillen ich eigentlich hierher gereist, war
unmöglich, man wußte noch gar nicht recht, wer eigentlich Koch oder
Kellner war. Der Kriegsminister war nicht zu sprechen und sein
Ministerium und dessen Vorzimmer den ganzen Tag von dem Troß der mit den
Bourbonen zurückgekehrten Adeligen belagert, die alle ihre
Anhänglichkeit an den König und dessen Familie und ihre wurmstichigen
gegerbten Eselsfelle statt anderer Verdienste in Anschlag brachten und
Anstellungen und Ehrenstellen verlangten. Wahr ist es, daß diese Herren
nichts vergessen und nichts gelernt, es schien, als hätten sie von 1789
bis 1814 geschlafen, sie waren mit denselben Vorurteilen und Anmaßungen
nach dem Frankreich von 1814 zurückgekehrt und reihten dieses Jahr ohne
weiteres an die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts an; auch
waren sie die lächerliche Zielscheibe des beißenden Spottes und Witzes
und trugen die meiste Schuld an der fatalen Stimmung des Volkes gegen
die zurückgekehrten Bourbonen und Ludwig XVIII. -- Von meinen früheren
Bekannten suchte ich nur wenige auf und fand auch diese sehr verändert.
Die einzige interessante neue Bekanntschaft, die ich machte, war
Angelika Catalani, deren Donnerstimme damals in ihrer höchsten Kraft und
Fülle war und mit der ich öfter Duette sang; ich sollte sie später in
Deutschland wieder treffen, wo ich Gelegenheit fand, ihr manchen Dienst
zu erweisen. -- Auch der schönen Madame Recamier, die so lange Paris
hatte meiden müssen, weil es den kleinlichen Launen des korsischen
Weltgebieters so gefiel, begegnete ich in einigen Salons und bewunderte
zwar ihre allerdings außerordentliche Schönheit, aber ohne daß sie einen
besonderen Eindruck auf mich gemacht hätte, ob sie gleich durch ihre
Einfachheit und Liebenswürdigkeit jedermann bezauberte; wahr ist es, daß
ich in gar keine nähere Berührung mit ihr kam und kaum einige Worte
gewechselt habe.

Da ich nach einem kurzen Aufenthalt von wenigen Wochen wohl einsah, daß
unter den dermaligen Umständen, wo auch fast niemand an den Bestand des
Bestehenden glauben wollte, nichts für mich in Paris zu machen war und
ich keine Lust hatte, wieder zu dem _régiment étranger_, dessen Reste
noch in Avesnes lagen, zurückzukehren, ließ ich mich auf halben Sold
setzen und wählte vorerst Straßburg zu meinem provisorischen Aufenthalt,
um von da nach beinahe neun Jahren meine Eltern wieder einmal besuchen
und sehen zu können. Ich ging über Meaux, Chateau-Thierry und Epernay
nach Reims, wo ich einen Tag verweilte, um die alte Krönungsstadt und
ihre berühmte Kathedrale, eines der schönsten gotischen Denkmäler, zu
sehen. Von hier reiste ich über Chalons sur Marne, Barleduc, Toul und
Nancy nach Straßburg, wo ich ein Quartierbillett auf drei Tage bei einem
Kaufmann Hecht im Kupferhof erhielt und sehr gut aufgenommen wurde, auch
gestattete man mir, noch länger in diesem Quartier zu verbleiben, so daß
ich bis zu meiner Abreise nach Frankfurt in demselben wohnte. Madame
Hecht war eine hübsche junge Frau, auch musikalisch, und ihr zuliebe
verschob ich meine Abreise um einige Wochen. In ihrer Gesellschaft
besuchte ich Straßburgs Sehenswürdigkeiten, an ihrer Hand bestieg ich
den Riesenturm des Münsters und besah mit ihr das schöne Monument des
Marschalls von Sachsen in der protestantischen Sankt Thomaskirche. Auch
die Ruprechtsau und andere Promenaden sowie das Theater, wo damals
deutsche und französische Komödie gespielt wurde, besuchten wir
miteinander. In Straßburg traf ich einige alte Bekannte. Talma gab
gerade Gastrollen samt seinem Schüler David, der jedoch dem Meister
keine große Ehre machte; sodann traf ich einen alten Schulkameraden, der
zu gleicher Zeit mit mir in Breitensteins Pension zu Homburg gewesen und
sich dem Kaufmannsstand gewidmet hatte. Durch diesen lernte ich den
nicht verdienstlosen Schauspieler Vogel und dessen Gattin, eine hübsche
und gute Sängerin, kennen, mit denen ich manchen vergnügten Abend
zubrachte. Während meiner Anwesenheit fand sich auch der Herzog von
Berry, auf seiner Rundreise durch Frankreich, daselbst ein, wußte sich
aber wenig beliebt zu machen, und man fand seine affektierten
martialischen Manieren etwas lächerlich und karikaturartig, zudem waren
die Straßburger sowie das ganze Elsaß wütende Napoleonisten und haßten
die Bourbonen, also gerade das Gegenteil von den Bewohnern des südlichen
Frankreichs. Zu seinem Unglück war der Herzog von Berry noch obendrein
die unschuldige Ursache des Todes des sehr beliebten Präfekten von
Straßburg. Dieser war ihm nämlich eine große Strecke entgegengefahren,
wurde mit seinem Wagen umgeworfen, wobei das Gefäß seines Degens ihm
tief in die linke Seite eindrang und ihn so schwer verletzte, daß er
schon vierundzwanzig Stunden darauf seinen Geist aufgab. Diesen
unglücklichen Zufall schob man dem unbeliebten Herzog in die Schuhe, den
man um so mehr verwünschte. Nichtsdestoweniger fanden die vorbereiteten
Empfangsfeierlichkeiten statt, aber kaum daß man hier und da bei seinem
Einzug zu Pferde ein halblautes schüchternes >_Vive le roi!_< hörte;
doch war der Ball, der ihm zu Ehren gegeben wurde, sowie das Feuerwerk
recht brillant. Was mich aber von all den Feierlichkeiten am meisten
ansprach, war die imposante Illumination des Münsters, bis in die
höchste Spitze seines Riesenturmes, der sich in den Sternen zu verlieren
schien, ein majestätisches Nachtgemälde.

Endlich fand ich doch, daß es Zeit sei, das Vaterhaus einmal wieder zu
sehen und erbat mir von dem Kommandanten, General Baron Deburaux, Urlaub
zu einer Reise nach Frankfurt, der mir auch ohne Umstände bewilligt
wurde. Ich nahm Abschied von der Familie Hecht und Vogel, versprach
ersterer, spätestens binnen drei Monaten wieder zurückzukommen und fuhr
den 12. Oktober 1814 über die Rheinbrücke nach Kehl und von da über
Rastatt nach Karlsruhe und von da mit der Diligence nach Frankfurt. In
dem Wagen befand sich ein allerliebstes junges Mädchen, die Tochter
eines badischen Beamten aus Rastatt, das zu seinen Verwandten zum Besuch
nach Frankfurt reiste und neben mir saß. Nachdem die Dämmerung
eingetreten war, wurden wir bald so vertraut, daß wir die ganze Nacht
Arm in Arm miteinander zubrachten. In Heidelberg kamen wir gegen
Mitternacht an und ließen uns, während man umspannte und auspackte, ein
Zimmer und etwas zu essen geben, worauf wir im Taumel des Vergnügens
beinahe das Abfahren des Postwagens verpaßt hätten, wenn uns nicht der
Hausknecht mit rauher Stimme und Klopfen daran erinnert hätte. Wir
setzten nun die Reise in der Art, wie wir sie begonnen, weiter fort und
trieben das süße Spiel, während die anderen Passagiere, unter denen noch
zwei Damen, schliefen, _con amore_ fort. Längs der Bergstraße sahen wir
auf allen Höhen große Feuer emporlodern, und als ich fragte, was dies zu
bedeuten habe, ward mir die Antwort, es sei zum Andenken an den 18.
Oktober von den Alliierten bei Leipzig errungenen großen Sieg über
Napoleon (18. Oktober 1813). Als es zu grauen begann, schliefen wir
etwas ermüdet ein und wachten erst bei dem Anhalten in Darmstadt wieder
auf. Nachdem wir endlich Neu-Isenburg passiert hatten, durch den
Frankfurter Wald kamen und ich die Sachsenhäuser Warte und nun jeden
Augenblick neue, mir wohlbekannte Gegenstände und Orte erblickte, welche
in meiner frühen Kindheit oft das Ziel unserer Spaziergänge und der
Tummelplatz unserer Spiele und Freuden gewesen, da wurde es mir doch
ganz wunderlich ums Herz, das allmählich stärker zu pochen begann. Ich
sah nun Frankfurt mit dem mir so wohlbekannten Taunusgebirge im
Hintergrunde, das sich von der Sachsenhäuser Warte ganz besonders
malerisch ausnimmt, sich vor mir ausbreiten, staunte den ehrwürdigen
alten bemoosten Pfarrturm an, der mich etwas mürrisch zu bewillkommnen
schien, fuhr durch das Affentor, über die Mainbrücke, am goldenen Gickel
vorbei, in den Rahmhof, sprang aus dem Wagen, alles im Stich lassend,
meiner hübschen Reisegefährtin kaum ein >Lebewohl, auf Wiedersehen<
zurufend, rannte nach dem väterlichen Haus und lag in den Armen meiner
mich erwartenden Eltern und Geschwister, nach neun langen Jahren, in
denen ich so viel erlebt und mitgemacht und sich so manches verändert
hatte. Staunend ward ich von meinen Lieben und sogar dem Gesinde, gleich
einem halben Wundertier, umringt.




                                  VI.

    Feier des 18. Oktobers zu Frankfurt am Main. -- Verfassungswehen
    dieser Stadt. -- Franzosenhaß daselbst. -- Diversi. -- Ein Fest
   auf dem Sandhof. -- Napoleons Rückkehr von der Insel Elba. -- Ich
   entschließe mich in preußische Dienste zu treten. -- Abreise nach
                                Berlin.


Es war der erste Jahrestag der Schlacht von Leipzig, als ich in den
Nachmittagsstunden in meiner Vaterstadt eintraf, wo es fast schien, als
wäre die ganze Stadt von der Tarantel gestochen; auf den Straßen,
Plätzen und aus vielen Häusern wurde fortwährend geschossen, sogar
Frauen und Mädchen drückten Pistolen ab, man schimpfte und verwünschte
auf gut frankfurterisch die Franzosen, und die guten Frankfurter waren
sämtlich gewaltige Franzosenfresser geworden, sobald jene weg waren. Auf
dem Römerberg und dem Roßmarkt waren Altäre errichtet, an welchen die
liebe Schuljugend, von ihren Monarchen angeführt, Dank- und Lobgesänge
für die glückliche Befreiung von der Regierung des Fürsten Primas
plärrte. Den Abend war die Stadt erleuchtet, und allenthalben waren
Transparente angebracht, die zum Teil wunderliche Dinge darstellten und
sehr komische Sprüche enthielten. -- So hatte unter anderen ein reicher
Bäcker namens Binding einen ungeheuren Kuchen auf seinem Transparent
dargestellt, den die Franzosen auf der einen Seite attackierten, während
er und seine Gesellen dieselben mit Schaufeln auffingen und in den
Backofen schoben. Unter diesem Transparent las man die Worte:

   Ich bin ein lustiger Bäcker;
   Für die französischen Lecker
   Aber back ich keine Kuchen mehr,
   Sie müssen all' in meinen Backofen her.

Und doch hatte der Mann sein Geld hauptsächlich durch die Franzosen
gewonnen. Auch die Bürgermiliz paradierte diesen Tag unterm Gewehr neu
uniformiert, aber mit dem Marschieren wollte es noch nicht recht gehen,
und von der Reiterei, einigen dreißig Mann, die meistens auf
erbärmlichen Lehnkleppern ritten -- mit dem Reiten sah es noch schlimmer
als mit dem Marschieren aus --, fiel mehr als einer sogar von seiner
Rosinante herab oder stürzte mit derselben. Dieses Militär hatte ein
wahrhaft grimmig gutmütiges Ansehen, indessen las man in Frankfurter
Blättern oder Korrespondenzartikeln doch viel von dem martialischen
Aussehen und der militärischen Haltung und dito Geist dieser Miliz. Die
Frankfurter hatten aber auch ein Bataillon Freiwillige errichtet, um den
Feldzug von 1814 in Frankreich mitzumachen; sie bekamen zwar den Feind
nicht zu sehen, dies war jedoch nicht ihre Schuld. Ein starker und
anhaltender Regen, der sich am Abend des 18. Oktober zeitig einstellte,
machte der Illumination ein schnelles Ende; Lichter und Transparente
erloschen, nachdem sie kaum angezündet waren.

Als in der verwandtschaftlichen Sippschaft meine Ankunft bekannt wurde,
warteten die meisten Vettern und Muhmen nicht ab, bis ich ihnen meine
gehorsamste Aufwartung machte, sondern sie fanden sich beizeiten selbst
ein, um das zurückgekommene Wundertier, das als noch unbärtiges Kind
ausgezogen und nun als bärtiger, sonnverbrannter Mann nach so manchen
überstandenen Gefahren wiedergekehrt war, in Augenschein zu nehmen, zu
bewillkommnen und anzustaunen. Nicht Teilnahme, sondern Neugierde war
die Triebfeder dieser überartigen Zuvorkommenheit, und des lästigen
Fragens und Geschwätzes war kein Ende, sowie ich mit Einladungen zu
Mittag- und Abendessen wahrhaft überschüttet wurde. Viele der älteren
Bekannten waren in die ewige Heimat gegangen, unter ihnen auch meine
Großeltern väterlicherseits, der alte Oberst Schulter, Goethes Oheim,
und meine Tante Feierlein, die ehemalige Scholz, samt ihrem zweiten
Mann, dem Doktor Feierlein. Dieser hatte sich seinen Tod bei einer
Audienz, die er als guter Redner an der Spitze einer Deputation von
Frankfurter Bürgern bei Kaiser Franz II. hatte, um denselben für die
Wiederherstellung der freireichsstädtischen Freiheit Frankfurts zu
gewinnen, geholt. Die Herren mußten nämlich in einem eiskalten Vorzimmer
des Thurn- und Taxisschen Palais, in welchem der Kaiser wohnte, in
dünnem Frack, kurzen Beinkleidern, seidenen Strümpfen und Schuhen ein
paar Stunden antichambrieren, bevor man die Gnade hatte, sie
vorzulassen, wodurch sich mein Oheim Feierlein eine so starke Erkältung
zuzog, daß er kurze Zeit darauf starb und so das Opfer seines
Patriotismus und Rednertalents wurde.

Die Einwohner Frankfurts hatten sich trotz der mehr als siebenjährigen
Regierung des Fürsten Primas wenig oder nicht verändert, desto mehr aber
die Stadt selbst, deren Festungswerke, Wälle, Bastionen und Mauern
während der Zeit demoliert, die Gräben ausgefüllt und in sehr anmutige
und geschmackvolle Promenaden verwandelt worden waren.

Vierzehn Tage nach meiner Ankunft war ich endlich gottlob von allen
Basen und Neugierigen der Reihe nach abgefüttert. Das Unangenehmste bei
diesen, der Familienverhältnisse wegen nicht gut abzuschlagenden
Einladungen war, daß ich die ewigen Schimpfereien auf die Franzosen und
den menschenfreundlichen Fürsten Primas wiederkäuen hören mußte; auch
war man einfältig genug, fast alles, was unter dessen Regierung
Löbliches und Nützliches geschehen und verordnet worden,
wieder abzuschaffen und statt dessen die alten Albernheiten,
Spießbürgerlichkeiten und Erbärmlichkeiten wieder aus der
reichsstädtischen Rumpelkammer hervorzuholen, um sie soviel als möglich
dem neuen freistädtischen Kram anzupassen. Die ganze Stadt lag in den
Verfassungswehen, unter deren Geburtsschmerzen sie sich krümmte und
gebärdete, daß es zum Erbarmen war; es dauerte jahrelang, bis dieses
Monstrum, diese Mißgeburt einer republikanischen Konstitution, endlich
durch eine Art Kaiserschnitt zu Tage gefördert wurde. Gleich beim Beginn
der großherzoglichen Regierung waren alle Privilegien einzelner Personen
und Familien daselbst aufgehoben worden, sowie daß die sogenannten
Patrizier oder adeligen Familien kein ausschließliches Recht zu Ämtern
noch zu Diensten und Würden mehr haben sollten, wogegen man mehrere
unter ihnen mit dem Kammerherrnschlüssel, Hoffähigkeit und ähnlichen
Dingen tröstete. Diese wollten aber nun, da sie Schlüssel und
Fähigkeiten eingebüßt, wieder in ihre alten Rechte oder vielmehr
Vorrechte eingesetzt sein und auf eine gewisse Zahl Stellen im Rat oder
Senat Anspruch machen, wozu sie jedoch eher ihre größere
wissenschaftliche Bildung, Kenntnisse und Fähigkeiten, als ein
angemaßtes Vorrecht berechtigt hätte; namentlich war es das Haus
Limpurg, das sich gewaltig und oft burlesk genug um dieses Vorrecht
stritt, und es regnete Broschüren in diesen Angelegenheiten, die es
hinsichtlich des Stils, der Anmaßung, der Unbeholfenheit, Plumpheit und
lächerlichen Impertinenz noch mit den Behörden, Urteilen und Verfügungen
der Frankfurter Gerichte aufnehmen konnten, bei denen man eine stupide
Grobheit durchaus für unzertrennlich von der amtlichen Würde hält.

Man suchte damals auch in Frankfurt seinen Patriotismus und Franzosenhaß
durch altdeutsche Tracht der Welt kund zu tun, dies hielt aber nicht
lange an, auch wurde diese Tracht nie allgemein, da sie zu kostspielig
und also nur für Reiche war, die damit in Gesellschaften und auf Bällen
prangten, namentlich die Damen mit altdeutschen Häubchen, Ketten und
dergleichen. Der Franzosenhaß ging so weit, daß man jetzt jedes
französische Wort oder das man dafür hielt -- denn auch lateinische und
italienische Ausdrücke wurden oft dafür genommen --, aus der
Unterhaltung verbannt wissen wollte und dennoch deren in aller Unschuld
unzählige einmischte, sie für echt deutsch haltend. Mit französischen
reisenden Kaufmannsdienern wollte man sich nicht in geschäftliche
Unterredungen mehr einlassen, wenn sie nicht deutsch sprechen konnten,
doch besann man sich eines Besseren, sobald man sich merkantilische
Vorteile davon versprach. Einen armen französischen Tanzmeister namens
Lepitre, der schon lange Jahre den Beinen und Füßen der Frankfurter
Schönen Gelenkigkeit beigebracht hatte, wollte man schlechterdings aus
der Stadt geschafft wissen; glücklicherweise nahmen ihn einige
angesehene Familien, worunter die Bethmannsche und ihr großer Anhang,
die nicht von der allgemeinen Raserei befallen waren und bei denen er
Tanzunterricht gab, in Schutz, aber viele Franzosen und Französinnen,
unter denen auch Gouvernanten und Bonnen, die man hatte kommen lassen,
wurden fortgeschickt. Glücklicherweise verflog der Frankfurter
patriotische Rausch bald wieder, die Wehen der zu schaffenden Verfassung
beschäftigten allmählich die Gemüter immer mehr, und als bald darauf
Napoleon von der Insel Elba landete, ging es wie 1792 nach der Ermordung
der französischen Soldaten, niemand wollte mehr so berauscht gewesen
sein. Ich hatte mich indessen wenig an diesen Unsinn gekehrt, doch wurde
ich im Innern erbittert, als ich nach und nach die Unbilden erfuhr,
welche sich die Franzosen in Deutschland und namentlich in Preußen,
aller Rechtlichkeit und Menschenwürde Hohn sprechend, erlaubt hatten;
auch hatte Napoleon schon durch seine Abdankung in Fontainebleau
unendlich in meinen Augen verloren. Er hätte sich gleich Friedrich dem
Großen bis auf den letzten Mann seiner Haut wehren müssen, denn er hatte
noch weit mehr Hilfsmittel als jener zu seinen Diensten, aber freilich
nicht dessen Genie. Was mich am meisten empörte, war die feige Ermordung
des Buchhändlers Palm und das niederträchtige Erschießen der Offiziere
von dem Korps des braven Schill, sowie daß er dessen Soldaten, die doch
nur wie jeder Soldat ihrem Vorgesetzten gehorchen mußten, unter das
Raub- und Mordgesindel auf die Galeeren von Toulon schickte.

In der Regel ging ich in Frankfurt in Zivilkleidern aus und steckte mich
nur dann und wann bei besonderen Gelegenheiten in meine französische
Uniform, was selbst die Meinigen sehr ungern sahen, weil sie fürchteten,
es könne mir böse Händel zuziehen. Da ich aber die königlich
französische weiße Kokarde trug, also in Diensten des von den
Verbündeten selbst eingesetzten Königs stand, so glaubte ich keinen
Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, auch widerfuhr mir, obgleich ich
öfters preußischen Offizieren und Soldaten begegnete, wie zu erwarten
war, nicht das mindeste. Eines Tages aber, als ich in Uniform an dem
Haus vorüberging, in welchem ein österreichischer Major namens Schröer
als Etappenkommandant sein Bureau hatte, kam mir ein österreichischer
Korporal nachgesprungen und sagte mir, der Herr Major verlange mich zu
sprechen. Ich hieß ihn einen Augenblick warten, zog meine Schreibtafel
heraus und schrieb mit Bleifeder die Adresse meiner Wohnung auf ein
Stückchen Papier, das ich dem Korporal zustellte und ihm sagte, er möge
dies nur seinem Herrn Major bringen und ihm sagen, daß ich in der Regel
jeden Morgen bis zehn Uhr zu Haus zu treffen sei. Da der Korporal, das
Blättchen in der Hand haltend, noch immer zauderte, so wiederholte ich
ihm nochmals, daß er dies nur seinem Major zuzustellen habe und nun
gehen könne. Somit glaubte ich die Sache abgemacht, den anderen Tag
erhielt ich aber ein Schreiben von dem österreichischen Vizegouverneur,
dem General Grafen von Hardegg, der sich noch in Frankfurt aufhielt und
in einem uns befreundeten Haus einquartiert war, mit der Aufforderung,
mich zu ihm zu verfügen. Ich war unschlüssig, was ich tun sollte,
indessen begab ich mich auf Zureden meiner Familie zu dem Herrn
Vizegouverneur, dessen erste Frage nach den gebräuchlichen
Bewillkommnungen war, ob ich den Dienst nicht kenne?

»Den französischen vollkommen, um den österreichischen habe ich mich
niemals bekümmert, Herr General.«

»Warum haben Sie sich nicht bei dem Major Schröer gemeldet?«

»Ich wußte nicht einmal, daß noch ein österreichisches Kommando hier
sei, und würde es dann noch für überflüssig gehalten haben, ich bin ein
geborener Frankfurter.«

»Sie haben sehr gegen den Dienst gefehlt, bei uns würde so etwas streng
bestraft werden.«

»Unglücklicherweise oder glücklicherweise habe ich nicht die Ehre, in
österreichischen Diensten zu stehen.«

»Sie haben sich über Ihren Urlaub auszuweisen.«

»Nichts leichter als dies.«

Ich überreichte dem General meinen Urlaubsschein, den mir der Kommandant
von Straßburg, Divisionsgeneral Desbureaux, in französischer Sprache
ausgestellt hatte.

Hardegg tat, als lese er denselben, indem er ihn brummend mit den Augen
durchlief und ihn mir dann mit einem: »Das ist ganz gut!« zurückstellte.
Ich hatte Mühe, dem guten General nicht ins Gesicht zu lachen, da ich
wußte, daß er ebensowenig Französisch als Chinesisch verstand und nur
österreichisches Deutsch sprach. Er erlaubte sich indessen noch einige
Äußerungen über das französische Militärwesen und sagte unter anderem,
er begreife gar nicht, wie man noch einige Anhänglichkeit an einen
solchen Sauschwanz und Spitzbuben, wie der Napoleon sei, haben könne,
worauf ich erwiderte: »Was das französische Militärwesen anbetrifft, so
glaube ich allerdings, daß es niemand besser aus Erfahrung zu schätzen
wissen wird, als die Österreicher. Was aber den Napoleon anbelangt, so
ist es mir unbegreiflich, wie Ihr Kaiser einem solchen Spitzbuben seine
Tochter zur Frau geben konnte.«

»Jo, 's hat halt ämol so sein müsse,« versetzte der General, dem ich
mich nun lächelnd empfahl, nachdem ich ihn noch gefragt, ob er
hinsichtlich meiner Person genügend befriedigt sei und er sein: »'s is
halt so gut!« erwidert hatte.

Einige Tage darauf traf ich im Roten Haus auf einem Kasinoball mit dem
Herrn General, der in roten Hosen steckte, und dem Major Schröer
zusammen; auch befanden sich mehrere preußische Offiziere daselbst. Ich
war in meiner französischen Uniform, obgleich mir meine ebenfalls wütend
deutsche Schwester versichert hatte, ich würde in derselben kein
einziges Mädchen finden, das mit mir tanze, und Händel bekommen.
Glücklicherweise ging keine dieser Prophezeihungen in Erfüllung. Der
Major Schröer schien mich zu meiden, General Hardegg sprach sogar ein
paar freundliche Worte mit mir, die preußischen Offiziere benahmen sich
wie Ehrenmänner, und ich unterhielt mich lange mit ihnen, auch
Tänzerinnen fand ich mehr, als ich hätte befriedigen können, und unter
ihnen manche Bekannte aus meiner Kindheit, wie Karoline Th... und so
weiter. Man wollte durchaus die französischen graziösen Kontertänze von
diesen Bällen verbannt wissen, dennoch gelang es mir mit Hilfe einiger
hübschen Frauen, trotz dem Widerstreben wütender Deutschtümler, sie
zustande zu bringen. Besonders war es die schöne Frau des Bankiers von
Bethmann, eine Holländerin, die mit ihrem Anhang und ihren Damen die
französischen Tänze in Schutz nahm, und obgleich in einer sogenannten
altdeutschen Tracht, deren Stoff weißer Sammet mit Goldstickerei war,
fast nur französische Quadrillen tanzte, was ihr um so leichter wurde,
als sie viele Anbeter hatte. Kurz darauf gab Herr von Bethmann ein
großes Fest auf einem seiner Güter in Frankfurts Nähe, das der Sandhof
genannt wurde und früher eine öffentliche Wirtschaft war. Die Fête war
äußerst glänzend und mit einem ungeheuren Aufwand, sowohl bei der
Dekorierung der Gemächer als an Speisen und Getränken, veranstaltet.
Mehr als tausend Personen waren eingeladen worden, und zwar aus allen
Ständen, so auch sämtliche Handwerksleute, die für das Bethmannsche Haus
arbeiteten, mit ihren Frauen, was dem Fest freilich einen eigenen
Anstrich verlieh. Frau von Bethmann und ihre beiden Hofdamen, Fräulein
von Idstein und Frau von St. George, empfingen alle Gäste in einem im
Garten des Sandhofs aufgeschlagenen Zelt; sie waren alle drei in große,
schwarzsamtne Mäntel gehüllt -- die Jahreszeit war schon ziemlich
vorgerückt -- und sahen so den drei Masken im Don Juan ähnlich. Herr von
Bethmann, der kurz vorher einen kleinen Strauß mit dem wieder
bestehenden Frankfurter Senat gehabt, hatte über das Haupttor des
Eingangs am Sandhof ein Transparent mit den Worten: >Tue recht und
scheue niemand!< setzen lassen, was zu allerlei Bemerkungen Anlaß gab.
Nicht weniger als vier Büfetts waren in verschiedenen Gemächern
errichtet, wo man sich Eis und alle möglichen Getränke und die
köstlichsten Weine sowie Süßigkeiten nach Belieben fortwährend konnte
reichen lassen, was sich manche der Geladenen so sehr zunutze machten,
daß ihre Köpfe schwer wurden und sie das Gleichgewicht verloren. Um
Mitternacht setzte man sich zu Tisch, nachdem vorher noch ein Feuerwerk
abgebrannt worden war. Auch hier fand ich wieder alte Jugendfreundinnen,
teils verheiratet, teils noch ledig, und mit einigen, wie Lilli O...,
knüpfte ich die frühere Bekanntschaft wieder an und verlor mich ein
halbes Stündchen mit ihr in dem Garten _et l'un contemplait la terre,
l'autre le firmement_ und so weiter. Das Fest dauerte bis zum hellen
Tag, wo ich mit den letzten Gästen in einem Nachen auf dem Main nach
Frankfurt zurückfuhr.

Damals kamen zahlreiche Transporte von Franzosen, die aus der russischen
oder preußischen Gefangenschaft heimkehrten, durch Frankfurt. Eines
Tages hatte einer derselben auf ein Bild des Kaisers Franz, das an einem
Bilderladen auf der Zeil ausgehängt war, gespieen und dabei einige
Schimpfworte ausgestoßen; dies hatte ein österreichischer Korporal
gesehen, der den Frevler gleich zu dem Major Schröer brachte, diesem das
Vergehen rapportierte, worauf derselbe dem Franzosen fünfzig
gutgemessene Stockprügel aufzuzählen befahl. Der arme Teufel machte
gewaltige Anstrengungen und Faxen, um sich der Prügelsuppe zu entziehen,
aber der Korporal, ein Ungar, sagte zu ihm: »Lek di nur hin, Kamerad,
helf all nix, ein klan Viertelstund, und alles is vorbei,« und der
Franzose bekam die fünfzig auf echt österreichisch aufgezählt.

Nachdem ich ungefähr sechs Wochen in Frankfurt verweilt hatte, machte
ich einen Besuch in Homburg bei meinem guten alten Oheim Oberpfarrer,
bei dem ich vierzehn Tage recht angenehm zubrachte und dem es ein großes
Vergnügen gewährte, wenn ich ihm von meinen Feldzügen und Abenteuern,
wobei ich freilich die galanten sub silentio überging, erzählte. Hier
suchte ich die mir teuern Tummelplätze meiner Kindheit und alte Bekannte
wieder auf und wurde von allen freundlich aufgenommen. Mein alter Lehrer
Breitenstein war mit einem halben Dutzend Kinder gesegnet und hatte eben
ein dickes Buch gegen Frankreich und das französische Volk geschrieben,
dessen Titel mir entfallen ist, aus dem er mir aber zu meinem Leidwesen
ganze Kapitel vorlas, die ich mit der größten Langeweile anhörte.
Deutschland war damals mit einer Sündflut solcher Broschüren und Bücher
überschwemmt, die alle einen glühenden Franzosenhaß, aber auch viel
baren Unsinn atmeten. Das des Oberhofpredigers Breitenstein war nicht
ohne Geist, aber viel zu ausgedehnt und voluminös.

Mein guter Oheim meinte, es sei denn doch besser, daß ich Offizier
geworden sei, als Komödiant; ich erwiderte ihm: »Lieber Herr Onkel, am
Ende sind wir doch alle nur Schauspieler unseres Herrgottes, ob in
schwarzer, bunter oder farbiger Jacke.« Und er lächelte mir Beifall zu,
ohne etwas zu entgegnen.

Auch bei Hof stellte er mich dem Landgrafen und der Frau Landgräfin vor,
von denen ich sehr freundlich aufgenommen und während meines Aufenthalts
in Homburg häufig zur Tafel geladen wurde. Eine meiner ehemaligen
Geliebten, Eleonore von Brandenstein, war jetzt Hofdame der Landgräfin,
aber schon ziemlich verblüht, ebenso Frau von B., die viele Kinder
gehabt; was tun neun Jahre nicht!

Unterdessen kam die Weihnachtszeit, das liebe Fest aus meiner Kindheit,
heran. Ich freute mich, dasselbe wieder einmal im Schoße meiner Familie
feiern zu können und brachte es mit seinen Bescherungen recht vergnügt
zu. Die Meinigen drangen unterdessen in mich, meinen Abschied aus
französischen Diensten zu nehmen und in die einer deutschen Macht zu
treten, wozu man schon Mittel finden würde, mir den Weg zu bahnen; ich
verspürte keine große Lust, einen solchen Schritt zu tun, bat aber,
bevor mein Urlaub um war, um dreimonatliche Verlängerung desselben, die
ich auch ohne Umstände erlangte.

Der Winter ging mir in Frankfurt, Homburg und Offenbach auf eine
ziemlich angenehme Weise herum, ich besuchte fleißig die Bälle, machte
manchmal eine Jagdpartie mit und führte sozusagen ein wahres
Schlaraffenleben, während der Kongreß in Wien brütete und die
Nachrichten von daher keinerlei Erwartungen entsprachen, zu langweilen
begannen und Frankfurt noch immer in seinen Verfassungswehen lag.

Eines Vormittags, als ich eben ein Pferd bestiegen hatte, um nach
Homburg zu reiten, fand ich die Straßen Frankfurts äußerst bewegt und
mit ungewöhnlich viel Menschen angefüllt, die alle einen rennenden
Schritt führten; besonders nahm ich dies über die Zeil reitend wahr.
Hier begegnete ich einem Bekannten, den ich fragte, was dieser Tumult
bedeute? -- »Wie, Sie wissen nicht,« erwiderte derselbe, »Napoleon ist
wieder in Frankreich gelandet!« -- »Ist's möglich?« -- »Ganz gewiß, die
offizielle Nachricht davon ist vor einer Stunde per Estafette
eingetroffen.« -- »Sind Sie dessen gewiß?« -- »Kein Zweifel mehr, ich
habe es aus der ersten Hand.« -- Ich machte schnell rechtsum kehrt, und
statt nach Homburg, ritt ich wieder heim und brachte den Meinigen, die
noch beim Frühstück saßen, brühheiß die große Neuigkeit, worüber sie
nicht wenig staunten und die sie zu glauben Mühe hatten; bald stellte
sich jedoch die Wahrheit derselben über allen Zweifel heraus, und die
noch denselben Tag ankommenden Pariser Journale meldeten die Landung des
>tollen Abenteurers Bonaparte<, der zur Stunde indessen wohl schon in
einem Gefängnis der Provence sitzen werde. Den anderen Tag las man
jedoch in denselben Blättern, daß der General Bonaparte, zu dem einige
Haufen gewissenloses Militär und Gesindel übergegangen seien, gegen Lyon
marschiere, wo er nicht ermangeln könne, das Ziel seines abenteuerlichen
Unternehmens zu finden. Die nächsten Zeitungen berichteten die Ankunft
des Exkaisers zu Lyon und daß er gegen Grenoble ziehe, und wenige Tage
später hieß es in obigen Journalen: >Seine Majestät der Kaiser Napoleon
sind unter dem Jubel des beglückten Volkes in Frankreichs Hauptstadt
eingerückt.< -- Ich war unter diesen Umständen, da mein Urlaub ohnehin
bald zu Ende war, entschlossen, nach Straßburg zurückzukehren. In
Frankfurt herrschte jetzt große Bestürzung; man glaubte die Franzosen
schon wieder vor den Toren, und die ängstlichen Gemüter machten es wie
vor einigen zwanzig Jahren, keiner wollte über Napoleon geschimpft,
keiner einen Freudenschuß getan haben. Ich traf Anstalten, um baldigst
nach Frankreich abzureisen, obgleich meine Verwandten alles mögliche
taten, mich davon abzuhalten. Als ich reisefertig war, mietete ich mir
einen Wagen nach Karlsruhe, nahm Abschied von den Meinigen und fuhr
gegen acht Uhr morgens von Haus ab. Als ich aber zu Sachsenhausen an das
Affentor kam, welches ich passieren mußte, hieß man den Kutscher
stillhalten, und ein österreichischer Unteroffizier trat an den Schlag
und fragte mich nach meinem von dem Etappenkommandanten unterzeichneten
Passierschein, und da ich ihm sagte, daß ich ein solches Ding nicht
kenne, so erklärte er mir, daß ich nicht passieren könne; in diesem
Augenblick trat auch der Platzadjutant aus der Wachtstube und kündigte
mir an, daß ich Stadtarrest habe und, wenn ich nicht mein Ehrenwort
gebe, die Stadt nicht ohne Erlaubnis der Militärbehörden verlassen zu
wollen, dieser sich sofort in strengen Arrest verwandeln könne. Hierüber
aufgebracht, sagte ich, dies seien Gewaltstreiche, die man sich gegen
mich erlaube, gegen die ich protestiere und so weiter. Dies half aber
alles nichts, und man machte Miene, mich zu verhaften; ich ließ den
Kutscher umwenden und wollte es versuchen, zu einem anderen Tor
hinauszukommen, aber eine Ordonnanz setzte sich auf den Bock, und ich
mußte auf die Kommandantur fahren. Hier stellte ich den Major Schröer
wegen dieses Verfahrens zur Rede, dieser zuckte aber die Achseln,
sprechend, daß er auf höheren Befehl handle. »Sie sind in französischen
Diensten,« setzte er hinzu, »und ich habe Befehl vom General Hardegg,
kein französisches Militär unter den jetzigen Umständen mehr nach
Frankreich zurückgehen zu lassen; eine Kolonne französischer Gefangener,
die gestern hier ankam und heute weiter sollte, muß gleichfalls
zurückbleiben.« -- »Aber mein Gott, ich bin ja kein Kriegsgefangener,
sondern auf Urlaub.« -- »Das macht halt nix, Sie sind's ämal in
französischen Diensten und müssen's da bleiben; wenn Sie mir aber Ihr
Ehrenwort geben wollen, die Stadt nicht zu verlassen, so können's frei
in derselben umhergehen, wohin Sie wollen.« -- Ich wollte ihm eben etwas
derb antworten, als sich die Tür des Bureaus öffnete und General Hardegg
hereintrat, der mir das nämliche wiederholte; ich mußte mich fügen,
wollte ich nicht Arrest auf der Hauptwache erhalten. Als ich nun wieder
zu Hause ankam, empfingen mich meine Geschwister lachend, und es wurde
mir bald klar, was mein jüngster Bruder, der mir beim Weggehen lächelnd
zugerufen hatte: »Ich nehme keinen Abschied, wir sehen uns doch bald
wieder,« damit hatte sagen wollen. Meine Familie war nicht ohne
Mitschuld an dem, was mir soeben begegnet war. Zwei Tage darauf kam mein
Oheim von Homburg und drang in mich, ich solle suchen, in preußische
Dienste zu kommen, er nehme es auf sich, mir eine Anstellung in
denselben zu verschaffen; das Hirngespinst des Erbadels oder wenigstens
dessen Vorrechte seien aus den Reihen des preußischen Heeres
verschwunden, ich würde von der Landgräfin und ihm die besten
Empfehlungen an die Prinzessin Wilhelm erhalten, eine glänzende Karriere
in Preußen könne mir nicht fehlen. Dies seien die Truppen, die sich im
letzten Feldzug am tapfersten geschlagen, in der öffentlichen Meinung am
höchsten stünden und allgemein geehrt würden. Ich erwiderte, daß ich
vorerst unmöglich darauf eingehen könne und wenigstens einige Tage
Bedenkzeit haben müsse. Er lud mich jetzt ein, mit ihm nach Homburg
zurückzufahren und wieder ein paar Tage bei ihm zuzubringen, während
denen ich mich hinlänglich besinnen könne. Als ich ihm bemerkte, daß ich
die Stadt nicht verlassen könne ohne die Erlaubnis der Militärbehörde,
zog er eine solche nebst einem gedruckten Passierschein für mich aus der
Tasche. Ich nahm nun die Einladung an und fuhr mit dem guten Onkel nach
Homburg, wo ich diesmal von der landgräflichen Familie mit der
ausgezeichnetsten Freundlichkeit aufgenommen wurde und wo ich den Herrn
von Balthazar, den Sohn dessen, der früher als Emigrant mit seiner
Familie in Homburg gelebt, ebenfalls jetzt zum Besuch an dem
gastfreundlichen Hof antraf und der eines Tages an der Tafel erzählte,
daß er es gewesen, der 1810 _aux français_ die Orange auf die Bühne
geworfen, in welcher ein Louisdor in Papier eingewickelt war, auf dem
die Worte: _Gardez le Louis et jettez l'ecorce_ (_le corse_) gestanden.

Als ich wieder eines Tages an der Tafel speiste und man beim Dessert
echten Tokaier-Ausbruch, den der Erbprinz von Homburg seinen Eltern von
Wien geschickt, der einzige, den ich wohl je echt getrunken, servierte,
sagte die Prinzessin Auguste zu mir: »Nicht wahr, Herr Hauptmann, Sie
werden dem Korsen nicht wieder dienen?« -- Diese Frage setzte mich in
keine geringe Verlegenheit und war mit so unendlicher Liebenswürdigkeit
ausgesprochen, daß es mir nicht möglich war, sie anders als mit einem:
»Nein, Durchlaucht!« beantworten zu können. Jetzt war es ausgesprochen,
mein Oheim triumphierte, wir fuhren zusammen nach Frankfurt zurück, wo
der gute Mann meine Eltern mit den Worten anredete: »Einen Franzosen
habe ich mitgenommen, und einen Preußen bringe ich zurück.« Nun war der
Jubel in der ganzen Familie groß, es regnete Gratulationen, man gab mir
abermals Fêten, und bald darauf befand ich mich, mit den besten
Empfehlungsschreiben von dem Landgrafen, der Prinzessin Auguste und
meinem Oheim an die Prinzessin Wilhelm und guten Wechseln versehen, auf
dem Weg nach Berlin.

So war denn die erste Hauptabteilung des Lust- und Trauerspiels meines
Lebens beendigt; die zweite, wenn auch weniger tatenreich, doch toll und
unterhaltend genug, sollte beginnen.




                                  VII.

   Reise von Frankfurt nach Berlin. -- Leipzig. -- Die Messe. -- Ein
       Paar Harfenmädchen. -- Eine Partie nach Giebichenstein. --
    Wittenberg. -- Berlin. -- Prinzessin Wilhelm. -- Die Theater. --
    Iffland und Devrient. -- Potsdam. -- Graf Lusi und Friedrich der
       Große. -- Sanssouci. -- Ein bübischer Studentenstreich. --
        Urania. -- Meine Anstellung. -- Die Familie Pogwisch. --
   Anekdoten vom Kronprinz. -- Ich soupiere mit sechs Damen. -- Eine
    Künstlerhaushaltung. -- Das Institut Bernhard. -- Die Tabagien.
      -- Eindruck der Schlacht bei Waterloo. -- Das Opernhaus. --
                         Abreise nach Kolberg.


Ich trat im April 1815 die Reise nach Leipzig per Extrapost mit einem
Kaufmann aus Elberfeld namens Rittershausen, einem Bekannten unseres
Hauses, an. Wir aßen in Fulda bei einer sehr niedlichen Wirtin, die sich
Frau Knips nannte, zu Abend und versprachen ihr das baldige
Wiederkommen, worauf ich einen Abschiedskuß _à compte_ von ihr erhielt.
-- In Eisenach zeigte man uns die von dem Springen eines Pulverwagens
der retirierenden Franzosen sehr beschädigten Häuser. Über fünfzig
Personen hatten bei dieser Gelegenheit das Leben eingebüßt; die
zerrissene Brust eines schönen jungen Mädchens, das durch diese
Explosion zerschmettert worden, war an einem Fenster hängen geblieben.

In Leipzig kamen wir gerade zur Messezeit an. Da dies das Ziel meines
bisherigen Reisegefährten war, so trennte ich mich jetzt von diesem und
legte den Rest der Reise mit einem jungen Mann aus Darmstadt zurück, der
in Berlin seine medizinischen Studien vollends beendigen wollte und mit
unserer Familie befreundet war. Wir beschlossen jedoch, uns ein paar
Tage in Leipzig zu verweilen. Das Messegewühl daselbst war
außerordentlich, und weder Frankfurt noch Beaucaire oder Sinigaglia
können in Vergleich damit kommen. Es war ein Gewirre, eine
Geschäftigkeit, ein Wühlen und eine Masse von Menschen aus allen
Gegenden Europas, die nicht zu beschreiben. Namentlich bemerkte ich auch
viel Griechen, Türken und Armenier, sogar Asiaten hier. Die Frankfurter
Messe ist in der Tat nur ein Jahrmarkt dagegen, besonders ist der Handel
und Umtausch _en gros_ von der größten Bedeutung. Daß das Schlachtfeld
vom 18. Oktober, auf dem Deutschlands Befreiung von fremdem Joch
erkämpft wurde, mich mehr als alles andere anzog, war natürlich, auch
irrte ich einen ganzen Tag mit einem Führer auf demselben umher, konnte
aber keine genügende Auskunft auf meine Fragen von diesem erhalten. Die
durch einen armen Mineur-Korporal, nach den napoleonischen Bulletins so
sehr zur Unzeit, gesprengte Brücke über die Pleiße betrachtete ich
längere Zeit, bedenkend, an welche Zufälle sich oft das Ungeheuerste,
das Schicksal der Reiche und Nationen knüpft. Mit Wehmut erfüllte mich
aber die Stelle, wo Poniatowsky seinen Tod in der Elster fand.

Wir besahen alle Messeraritäten und besuchten einige öffentliche Gärten,
in denen es recht lustig zuging; in einem derselben waren ein paar
blutjunge, recht hübsche böhmische Harfenmädchen, von denen die jüngere
sang und eine silberhelle Glockenstimme hatte, auch trug sie mit viel
Feuer und Ausdruck vor. Ich lud sie ein, den Abend in den Gasthof, wo
ich logierte, zu kommen, wo sie reichlich beschenkt wurden, da ich für
sie sammelte und selbst einige Achtgroschenstücke auf den Teller warf.
Ich hatte mir vorgenommen, einen Abstecher nach Halle oder vielmehr nach
dem mir historisch und theatralisch so merkwürdigen Giebichenstein zu
machen, und lud die beiden Mädchen ein, mit von der Partie zu sein, um
auf der alten Bergfeste den Klang ihrer Harfen und ihre Stimme ertönen
zu lassen.

Die Aussicht von dem hohen Giebichenstein ist wunderschön. Auf den
Ruinen der Feste sitzend, nahm ich ein kleines Mahl mit meinen hübschen
Harfenistinnen ein, wobei wir ein paar Flaschen von Leipzig
mitgenommenen Champagner leerten, unter dem freien Himmel sangen und
überaus fröhlich waren. Bis zur Dämmerung brachten wir hier zu und kamen
erst gegen Mitternacht wieder in Leipzig an, wo ich die Mädchen, denen
ich eine Stube in meinem Gasthof geben ließ, bei mir behielt und wir
noch ein leckeres Souper unter Schäkereien einnahmen und dann bis zum
Grauen des Morgens jubelten und uns vergnügten. Ich entließ jetzt die
Mädchen, die mir mitteilten, daß sie die Absicht hätten, nach der Messe
nach Berlin zu gehen, um dort ihr Glück zu versuchen und wo sie hofften,
mich wiederzufinden. Ich reiste den sechsten Tag nach meiner Ankunft in
Leipzig mit einer Retourgelegenheit dahin ab. Der Weg ging meistens
durch Sand, so daß man fast immer Schritt fahren mußte, was mich zwar
ungeduldig machte, aber mir dennoch keine Langeweile verursachte, da ich
alle möglichen Bilder der Vergangenheit und einer wahrscheinlichen
Zukunft an meiner Einbildungskraft vorübergehen ließ.

Auf der preußischen Grenze wurde Koffer und Paß sorgfältig geprüft,
jedoch alles mit großer Artigkeit und Delikatesse von seiten der
königlich preußischen Zollbeamten und ohne die mindeste Schikane,
obgleich ich noch als französischer Offizier auf meinem Paß angeführt
war. In Wittenberg, das die Preußen vor kaum achtzehn Monaten im Sturm
von den Franzosen erobert hatten, wobei der französische Kommandant,
General Lapoipe, mit dem Degen in der Hand im Schloß gefangen worden
war, besuchte ich die Schloßkirche, in welcher Luther und Melanchthon
und Friedrich der Weise begraben liegen. Von hier aus hielt ich mich
nirgends mehr als ein paar Stunden in Potsdam auf und traf den zweiten
Tag nach meiner Abfahrt von Leipzig in Berlin ein, wo wir durch das
schöne Brandenburger Tor fuhren, auf welchem jetzt die berühmte Quadriga
wieder thronte, die Napoleon nach Paris hatte schleppen lassen, die aber
die Preußen bei ihrem ersten Gegenbesuch daselbst wieder heim schickten
und auf den ihr gebührenden Standpunkt stellten. So viel schöne Städte
und Gebäude ich auch schon gesehen hatte, so war ich dennoch bei dem
Anblick des Brandenburger Tores, der Ansicht der Linden und des schönen
Platzes zwischen diesen und dem Tor überrascht. Ich fuhr nach dem mir
empfohlenen Gasthof, der >Stadt Rom<, der auf der linken Seite der
Linden liegt.

Von Leipzig bis hierher hatte ich sehr unangenehmes, rauhwindiges Wetter
gehabt, das mir einen starken Schnupfen und Katarrh verursachte; dennoch
ließ ich mich schon am anderen Morgen bei Ihrer königlichen Hoheit der
Prinzessin Wilhelm von Preußen, gebotene Prinzessin Marianna von
Hessen-Homburg, anmelden und wurde noch den nämlichen Tag auf das Schloß
beschieden, wo ich mich _en grande tenue_ in französischer Uniform
einfand, der hohen Dame meine Empfehlungsschreiben, von ihren Verwandten
ausgestellt, überreichte und sehr gnädig aufgenommen wurde. Ich habe
wenig Frauen gesehen, die ein würdevolleres, edleres, ja
majestätischeres Ansehen gehabt hätten, als diese Prinzessin, dabei
hatte sie dennoch etwas überaus Wohlwollendes und Freundliches in ihren
edlen Zügen und eine große aber erhabene Einfachheit in ihrem Benehmen;
welch ein Unterschied zwischen dieser Dame sowie überhaupt den meisten
deutschen Fürstinnen und den neugebackenen Prinzessinnen der Familie
Bonaparte, die auch nicht die mindeste Achtung einzuflößen imstande
waren, während man bei dem Anblick der Prinzessin Wilhelm von Ehrfurcht
und Hochachtung durchdrungen war, so daß trotz ihrer großen Schönheit
kein unlauterer Gedanke aufkommen mochte. Sie erkundigte sich bis auf
die kleinsten Details nach allem, was ihre Familie in Homburg betraf,
sowie nach meinem guten Oheim daselbst, auch hatte sie die Gnade, mir
mitzuteilen, daß sie bereits in meiner Angelegenheit auf Veranlassung
meines Oheims an den mit dem König bei dem Kongreß zu Wien befindlichen
Kriegsminister von Boyen geschrieben und befriedigende Antwort
hinsichtlich meiner Anstellung erhalten habe, die wohl nicht lange
ausbleiben werde. Sie hoffe, daß ich eine glänzende Karriere in der
preußischen Armee machen werde, ich müsse aber jetzt auch echt deutsche
und preußische Gesinnungen zeigen. Sie erinnerte sich der jugendlichen
Spiele im Schloßgarten zu Homburg, sowie daß ich als Knabe manchen
tollen Streich verübt, erzählte mir, daß sie fortwährend in vertrautem
Briefwechsel mit meiner Cousine Henriette in Bremen stehe und daß diese
sie öfters in Berlin besuche und dann bei ihr im Schloß wohne. Sie
entließ mich endlich mit der Versicherung, daß sie für mich tun werde,
was ihr möglich sei. Über diesen Empfang vergnügt, empfahl ich mich,
mußte aber, da sich mein Katarrh sehr verschlimmerte, mehrere Tage das
Zimmer hüten, während welchen ich Muße hatte, das Treiben und Wogen
unter den Linden gehörig zu beobachten, meine Bemerkungen anzustellen
und mich einstweilen theoretisch, das heißt durch Bücher, mit Berlin
bekannt zu machen. Lange hielt ich aber diesen Zimmerarrest nicht aus,
sondern folgte den nächsten Sonntag Nachmittag der zahllosen Menge der
schönen und nicht schönen Welt, die an meinem Fenster vorüber dem
Brandenburger Tor zuströmte und sich in dem Tiergarten und unter den
Zelten verlor. Die Berlinerinnen, bei denen Schönheit und zierlicher
Wuchs keine Seltenheit, sind meistens sehr elegant und mit Geschmack
gekleidet, und wenn sie auch gerade nicht die zierliche Grazie der
Pariserinnen besitzen, so sind sie doch durch ihre weit größeren
körperlichen Reize um so anmutiger, und ich fand seltene Schönheiten
unter ihnen.

Als ich mich auf der Polizei meldete und der Inspektor in meinem Paß das
Wort >französischer Kapitän< las, machte er große Augen, examinierte
mich umständlich über meine Verhältnisse, wo mein letzter Aufenthalt
gewesen und so weiter, namentlich kam es ihm unglaublich vor, daß ich
zuletzt in Korfu gestanden und nun preußische Dienste suche. Er verließ
mich, um, wie es mir schien, höhere Instruktionen einzuholen; nach einer
guten halben Stunde kam er zurück und erteilte mir eine Aufenthaltskarte
auf vierzehn Tage mit der Weisung, dieselbe, wenn sie abgelaufen,
erneuern zu lassen. Indessen merkte ich doch soviel, daß man mich unter
geheime polizeiliche Aufsicht stellte und deshalb Verordnungen gab. Mit
einem Wort hätte ich allerdings das polizeiliche Mißtrauen beseitigen
können, allein ich konnte und durfte meine hohe Beschützerin unmöglich
auf der Polizei namhaft machen.

Acht Tage nach meiner Ankunft kam auch mein Bedienter, den ich in
Frankfurt zurückgelassen, mit zwei Reitpferden an, welche ich noch vor
meiner Abreise daselbst gekauft, weil mir in Homburg insinuiert worden
war, daß ich in Berlin mit einigem Glanz auftreten müsse, wenn ich
einigermaßen reüssieren wolle. Ich machte nun Besuche und gab die
mitgebrachten Empfehlungsschreiben ab, unter denen solche an Hufeland
und von Uhden, welche mir aber außer Einladungen zu Diners und Tees
wenig nützten. Eines Vormittags, als ich mit dem Wirt des Hotels eine
Konversation anknüpfte, erzählte mir derselbe lächelnd, daß sich
anfänglich die Polizei außerordentlich um mein Tun und Treiben bemüht
habe, aber es jetzt gewiß unterlassen werde, da er den Herren
mitgeteilt, daß ich schon einigemal in das Schloß zur Prinzessin
Wilhelm, königliche Hoheit, zitiert worden. Ich sagte ihm nun den Grund,
warum wohllöbliche Polizei so sehr um mich besorgt sei, nämlich daß man
mich wahrscheinlich für einen französischen oder vielmehr napoleonischen
Spion gehalten habe. Übrigens aber wurde ich so wenig wie jeder andere
Fremde in Berlin im mindesten von der Polizei mit Lächerlichkeiten und
Erbärmlichkeiten molestiert, wie dies im Österreichischen und besonders
in Wien der Fall ist, wo jeder Fremde eine Art peinliches Verhör
durchzumachen hat, um seine Privatverhältnisse bis in die kleinsten und
kleinlichsten Details befragt wird, sich darüber auszuweisen hat, ob er
auch hinlängliche Mittel besitzt, die Kosten der wenigen Tage seines
Aufenthaltes in der Kaiserstadt zu bestreiten, und was dergleichen
Absurditäten mehr sind.

In Erwartung meiner Anstellung besichtigte ich Berlins Merkwürdigkeiten,
vor allem Schauspiel und Oper, die damals vortrefflich besetzt waren;
zwar war Iffland schon tot, aber durch Devrient, den viele Personen
jenem noch vorzogen, vollkommen ersetzt. Bei Iffland war alles hohe
Kunst, vollendetes Studium, auch spielte er jede Rolle einmal wie das
andere, alle seine Bewegungen, seine Schritte und Mienen waren fast mit
mathematischer Genauigkeit abgemessen; in dieser Szene dieser Rolle trat
er sicher um keine Linie mehr vor- oder rückwärts, als das erstemal, da
er sie spielte. Jede Gebärde war vor dem Spiegel eingeprägt, während
Devrient, ganz Genie, so spielte, wie es ihm das Gefühl des Moments
eingab, daher er auch durch sein Feuer weit mehr das Publikum hinriß,
als es Iffland vermocht hatte. Ferner waren Mattausch, Blume, Beschort,
Fischer, Wurm, die Damen Milderhauptmann, Schulze, Devrient und vor
allem die liebenswürdige Demoiselle Düring, spätere Stich, in der vollen
Blüte ihrer Kunst und ihrer Jugend. -- Ich machte nun einen Ausflug nach
Potsdam, das mir wegen seiner Erinnerungen an Friedrich den Großen so
sehr interessant war; außerdem hatte ich das Empfehlungsschreiben an den
ehemaligen Gesandten Friedrichs, den Grafen Lusi, abzugeben, welches mir
der Graf Mocenigo in Korfu mitgegeben hatte und von dem jemals Gebrauch
zu machen ich nicht geglaubt hatte. Lusi nahm mich mit außerordentlicher
Freundlichkeit auf, ließ sogleich meine Effekten und Pferde in seine
Behausung bringen und bestand darauf, daß ich während meines
Aufenthaltes in Potsdam, der wenigstens vierzehn Tage dauern, bei ihm
wohnen und mit seinem Tisch vorlieb nehmen müsse. Ein sonderbarer Zufall
wollte, daß, während ich bei ihm in Potsdam wohnte, sein Sohn, der
damals als Premierleutnant bei der königlich preußischen Garde stand,
als diese durch Frankfurt kam, bei meinen Eltern einquartiert war. --
Der alte Lusi war ein Grieche von Geburt und konnte sich nicht genug
nach seinem Vaterland, das er in langer Zeit nicht mehr gesehen, bei mir
erkundigen. Leider war ich außerstande, ihm die gewünschte Auskunft
geben zu können, da ich, die Insel Korfu und die Küsten Albaniens
ausgenommen, von Griechenland keine anderen Gegenden kannte; dennoch
sprach der alte Graf gerne und viel von seinem Vaterland, und ich konnte
ihm nicht genug von Korfu erzählen. Die Weise, auf welche Graf Lusi des
großen Friedrichs Bekanntschaft machte und in dessen Dienste kam, ist
seltsam genug und ein Beweis sowohl von Lusis Scharfsinn als wie sehr
der große Monarch es verstand, die Leute zu wählen, die für seine
Dienste und Absichten am passendsten waren, eine schwere Aufgabe, die
nur ausgezeichnete Männer zu lösen verstehen. Hier, was mir der alte
Lusi selbst davon mitteilte. Friedrich der Einzige hatte in einer
Berliner Zeitung, ich entsinne mich nicht mehr, welche Verfügung
einrücken lassen, zu gleicher Zeit aber noch einige andere diplomatische
und politische Maßregeln ergriffen; hieraus kombinierte und erriet der
Graf äußerst scharfsinnig des Königs geheime Zwecke und Absichten und
machte sie in der Zeitung von Venedig bekannt. Friedrich, dem dieser
Artikel von seinem Gesandten zugeschickt wurde, gab diesem Befehl, alles
anzuwenden, um dessen Verfasser herauszubekommen, was demselben auch _à
force d'or_ gelang. Er war erstaunt, daß ein ihm ganz unbekannter Graf
derselbe gewesen, denn er hatte geglaubt, der Artikel sei durch Verrat
von Personen aus seinem Kabinett in die Hände des Zeitungsredakteurs
gekommen. Friedrich wandte sich jetzt mittelbar an den Grafen selbst und
vermochte diesen zu einer Reise nach Berlin. Als er Lusi persönlich
kennen gelernt, fragte er ihn eines Tages, durch welche Mittel er seine
Absichten erraten. -- Lusi erwiderte ihm: »Eure Majestät haben dies und
jenes in Ihren Zeitungen abdrucken und dabei diese und jene Demarchen
machen lassen, wodurch es mir möglich wurde, was Sie damit
beabsichtigten, zu erraten.« -- Friedrich war über Lusis Scharfsinn
verwundert, bat ihn, in seine Dienste zu treten, was der Graf annahm,
und er machte eine glänzende Karriere.

Obgleich schon sehr bejahrt und auch kränkelnd, war Lusi doch so gütig,
selbst den Cicerone zu machen und mir Potsdams Merkwürdigkeiten zu
zeigen und zu erklären. Er führte mich in den Schlössern umher, und bei
jeder Stelle, an welcher Friedrich der Große geweilt, irgend etwas
verrichtet, mit ihm einige gewichtige Worte gesprochen, erinnerte er
sich dessen und erzählte mir mit großer Selbstzufriedenheit, wie ihn der
große Mann häufig um seine Meinung befragt. Auch in Sanssouci und dessen
weitläufigen Gärten führte mich mein vornehmer Cicerone umher, und hier
wiederholte er wohl hundertmal mit selbstgefälliger aber verzeihlicher
Eitelkeit: »Auch auf dieser Stelle hatte ich eine Unterredung mit
Friedrich.«

In Potsdam machte ich die Bekanntschaft mancher jungen schönen
Offiziersdamen, deren Männer mit dem Heer ausmarschiert waren und die
eben nicht zu den unerbittlichsten gehörten und sich nach kurzer
Belagerung bald ergaben. Es war besonders eine sehr liebenswürdige
Majorin von H..., die mich vor allen anzog. Indessen war es Zeit, an
meine Rückkehr nach Berlin zu denken, um daselbst meine
Anstellungsangelegenheit zu betreiben, aber die hübsche Majorin war an
manchem Parforceritt schuld, den ich von Zeit zu Zeit noch von Berlin
nach Potsdam machte, wo ich außerdem noch eine uralte Bekanntschaft
erneuert hatte. Hier wohnte nämlich die Gattin des Plankammerinspektors
Holzwarth, derselbe, der die Tochter des Advokaten Dietz zu Frankfurt,
eine Freundin meiner Mutter, während der Anwesenheit der preußischen
Garden daselbst entführt hatte, die deshalb so ganz mit ihrem Vater
zerfallen war, jetzt wenigstens acht Kinder hatte und sich eben nicht in
den glänzendsten Umständen befand. Diese Familie besuchte ich einigemale
und fand in der ältesten Tochter Amalie ein allerliebstes
siebzehnjähriges Kind. Meinem gastfreien freundlichen Wirt, bei dem ich
über drei Wochen zugebracht, sagte ich nun ein dankbares Lebewohl. Er
wollte durchaus, daß ich bis zur Entscheidung meiner Angelegenheit bei
ihm ausharren solle, indem er mir vorstellte, daß ich ja jeden Tag nach
Berlin fahren könne und mir sogar seine Equipage zu diesem Zweck zur
Verfügung stellte; ich lehnte das gütige Anerbieten ab, denn noch wenig
hatte ich Preußens schöne und lebenslustige Hauptstadt kennen gelernt;
von Potsdam aus hatte ich mich nur zweimal dahin begeben, um der
Prinzessin Wilhelm meine Aufwartung zu machen, und trotz aller
Annehmlichkeiten Potsdams zogen mich doch die Linden, die Theater, der
Tiergarten und Berlins andere Schönheiten dahin zurück. Ich versprach
dem Grafen Lusi, ihn öfters zu besuchen, und hielt wenigstens anfänglich
Wort.

Noch immer war keine Antwort und kein Resultat auf meine Gesuche erfolgt
und ich trotz der hohen Protektion in Ungewißheit, ob und wann ich
angestellt werden würde. Prinzessin Wilhelm schrieb dies dem Drang der
überhäuften Geschäfte und den kriegerischen Umständen zu. Der Aufenthalt
in der >Stadt Rom< unter den Linden fing an, mir kostspielig zu werden,
und mein Geldbeutel wurde täglich dünner, weshalb ich den teuren Gasthof
mit einem billigeren, nämlich dem >Goldenen Engel< in der
Heiligengeist-Straße vertauschte, wo ich jedoch auch nicht viel besser
wegkam; was mich am meisten kostete, war der Unterhalt meiner Pferde,
weswegen ich auch schon nach zehn Tagen dies Hotel wieder verließ und
eine Privatwohnung von zwei Zimmern in der Mittelstraße, gleich hinter
den Linden bezog, was ich gleich anfangs hätte tun sollen, da ich dann
wenigstens tausend Taler gespart haben würde. Den Tag oder vielmehr die
Nacht, bevor ich den heiligen Geist quittierte, verübten ein paar
Studenten, welche bis beinahe Mitternacht sich mit Trinken vergnügt
hatten, noch einen tollen, eigentlich bübischen Streich. Sie zündeten
nämlich die Fenstervorhänge ihres Zimmers an und schrien dann durch alle
Gänge: »Feuer! Feuer!«, so daß alle Fremde, unter denen viele
Frauenzimmer, in dem tiefsten oder vielmehr gar keinem Negligé, sondern
in den Hemden aus ihren Zimmern in die Gänge stürzten, wo sie von den
Brüdern Studiosen mit schallendem Gelächter empfangen wurden, die sich
noch ihrer Heldentat rühmten und sagten, sie hätten ihre Vorhänge nur
deshalb angezündet, um die Gäste des Heiligen Geistes in ihren Blößen
bewundern zu können. Daß die sauberen Burschen noch in derselben Nacht
eingesteckt wurden, bedarf wohl kaum der Erwähnung, doch kamen sie noch
mit ziemlich geringer Kerkerstrafe davon.

Ich lebte indessen, trotz der Ungewißheit meines Schicksals, wegen der
Zukunft ganz unbesorgt und so ziemlich in den Tag hinein. Da ich
fortwährend die trefflichen Theatervorstellungen fleißig besuchte, so
erwachte allmählich meine frühere Leidenschaft zur Bühnenkunst wieder,
und ich dachte schon: >Wenn alle Stricke reißen, so machst du Gebrauch
von deinem Schauspielertalent, wozu hier die allerbeste Gelegenheit ist,
da die ersten dramatischen Künstler Deutschlands in Berlin vereint
sind.< Schon fing ich heimlich zu wünschen an, daß aus meiner
militärischen Anstellung in preußischen Diensten nichts werden möge, um
so einen Grund zu haben, auf die Bühne zu gehen. Ich besuchte nun das
Theater jeden Abend, wenn mich nicht eine besondere Veranlassung davon
abhielt. Durch Uhdens Vermittlung erhielt ich jetzt auch Eintrittskarten
in das Liebhabertheater, >Urania< genannt, wo in der Tat oft ganz
vorzügliche Vorstellungen stattfanden und sich mitunter ungewöhnliche
Talente zeigten und ausbildeten; noch war ein anderes Liebhabertheater,
die >Concordia<, vorhanden, das jedoch bei weitem weniger gut als das
erste war. Ich wurde mit mehreren Mitgliedern der >Urania< bekannt und
erbot mich, einige Rollen daselbst zu spielen. Der Antrag wurde mit
Vergnügen angenommen, und ich gab nacheinander den Ferdinand in Kabale
und Liebe, den Fritz Hurlebusch in Wirrwarr, Karl Ruf in der
Schachmaschine und so weiter, und aus meinen Geliebten auf der Bühne
wurden nicht selten auch meine Geliebten in der Wirklichkeit, wenigstens
auf kurze Zeit; ich spielte dann mit einem Feuer, das alle Zuschauer
hinriß. Aber vor allem war es eine Künstlerin der königlichen
Schauspiele, Fräulein D., deren wahrhaft göttliches Spiel, verbunden mit
ihren himmlischen körperlichen Reizen, mich entzückte, deren feurigster
Anbeter ich wurde und die den Wunsch, keine militärische Anstellung zu
erhalten, noch mehr in mir rege machte, um mich dann mit aller Liebe der
Kunst und ihrer schönen Priesterin widmen zu können, nicht bedenkend,
welchen Aufruhr dies in meiner Familie machen könne, und daß sich
wahrscheinlich auch Prinzessin Wilhelm, der ich so sehr empfohlen war,
wenigstens einer Anstellung bei der königlichen Bühne zu Berlin
widersetzt haben würde. -- Endlich aber kam der König nebst dem
Kriegsminister von Boyen von Wien zurück, und ich erhielt sogleich die
Weisung von der Prinzessin, mich unverzüglich bei letzterem zu melden.
Dieser schickte mich zu dem General Grafen von Tauentzien, auf dessen
Bureau ich erfuhr, daß man mich schon seit länger als vier Wochen
gesucht und meine Wohnung nicht habe ausfindig machen können, da schon
längst die Anstellungssorder von dem Kriegsministerium für mich gekommen
sei, die man mir übergab und durch welche ich zum Premierleutnant in der
Armee ernannt wurde, ohne daß jedoch noch das Regiment bestimmt war, dem
ich zugeteilt werden sollte. Dieses Zurücksetzen um einen Grad war mir
sehr empfindlich, ich protestierte auch dagegen, aber der General
Tauentzien verwies mich an den Kriegsminister, und dieser vertröstete
mich auf baldiges Avancement. Ich war deshalb sehr mißmutig, und gerne
würde ich die Uniform für immer an den Nagel gehängt haben, auch äußerte
ich mich unverhohlen darüber bei der Prinzessin Wilhelm, die mich wie
Herr von Boyen mit baldigem Avancement tröstete. Jetzt erhielt ich auch
eine Anweisung an das Billettamt, um einstweilen einquartiert zu werden,
und ein Quartier bei einem Bankier in der Breitenstraße, der, wenn ich
nicht irre, Lahr hieß, das ich jedoch, da es mir nicht sehr zusagte,
nach wenigen Tagen mit einem anderen vertauschte. Ich bekam ein Billett,
das mich zu einem Herrn von Pogwisch in der Jerusalemerstraße führte,
der Hauptmann außer Diensten und jetzt bei der Seehandlung angestellt
war; sein Bruder war Flügeladjutant des Königs gewesen, aber, wenn ich
nicht irre, bei Leipzig geblieben. Herr von Pogwisch hatte eine zwar
nicht schöne, aber sehr gute und liebenswürdige Frau, und ich fand eine
ausgezeichnet gute Aufnahme in dieser Familie. Obgleich man der
Einquartierung durchaus nichts als die Wohnung zu geben schuldig war, so
bat mich Herr von Pogwisch doch, mit seinem Tisch vorlieb nehmen zu
wollen. Ich nahm dies mit großem Dank unter der Bedingung an, daß, wenn
ich nicht zur bestimmten Stunde da sei, man auch keinen Augenblick auf
mich warten möge, denn ich wollte ebensowenig genieren als geniert sein.
Herr von Pogwisch, dessen Frau sehr vermögend war, hatte seine Mutter
bei sich, eine zwar alte, aber liebenswürdige und sehr geistreiche Dame,
deren Unterhaltung nicht nur sehr angenehm, sondern auch pikant war. Ein
geborenes Fräulein von Pfündöl und ehemalige Hofdame, war sie noch jetzt
mit den Verhältnissen des Hofs und der eleganten Berliner Welt genau
bekannt und vertraut und hatte einen unerschöpflichen Schatz von
interessanten, zum Teil sehr komischen Hofanekdoten, die sie gerne zum
besten gab. Sie lebte in der größten Einigkeit mit ihrer
Schwiegertochter, und diese drei Personen -- Pogwischs hatten keine
Kinder -- bildeten eine gemütliche Dreieinigkeit. Durch diese Familie
erhielt ich nun Zutritt in vielen anderen angesehenen Familien und wurde
wegen meines musikalischen Talents überall wohl aufgenommen, was
Veranlassung zu manchen galanten Abenteuern gab. Die Unterhaltung in den
Berliner Salons der eleganten Welt ist im allgemeinen sehr geistreich
und witzig, die Berliner haben in der Regel einen sehr aufgeweckten
Verstand, viel Humor, sind zur Satire aufgelegt, sarkastisch und
kaustisch, dagegen lebt man mäßig, ohne sich zu überfüllen, aber auch
ohne sich gerade etwas abgehen zu lassen, während in manchen Städten
Süddeutschlands das Essen und Trinken die Hauptsache ist, man daselbst
nur für dieses sowie überhaupt nur für die sinnlichen Vergnügungen zu
leben scheint, wodurch dann allerdings der Geist, wenn auch einer
vorhanden, niedergedrückt und verdummt wird. Damals kursierten in Berlin
einige artige Anekdoten, den noch sehr jungen Kronprinzen betreffend;
eine derselben berührte den Staatskanzler, Fürsten Hardenberg, dem man
vorwarf, die Juden in ganz besonderen Schutz zu nehmen. -- Als
Hardenbergs Geburtstag war, sandte der König den Kronprinzen zu
demselben, ihm in seinem Namen Glück zu wünschen und zu sagen, er möge
sich irgendeine Gnade ausbitten. Der Kronprinz fuhr zu dem Fürst-Kanzler
und richtete den ihm von seinem Vater gewordenen Auftrag aus, worauf
Hardenberg erwiderte: »Mein Gott, Ihro Majestät haben mich schon so mit
Gnaden überhäuft, daß ich in der Tat nichts mehr zu erbitten wüßte.« --
»Doch, mein Fürst, es fehlt Ihnen noch eines.« -- »Das ich nicht wüßte,
Hoheit.« -- »Ja, ja, ganz gewiß.« -- »Und was meinen Eure Hoheit?« --
»Bitten Sie meinen Vater, daß er Sie zum König der Juden machen solle,
da Sie doch eine so große Vorliebe für dieses Volk haben.« -- Hardenberg
fand sich beleidigt und bat sich zurückziehen zu dürfen. Er teilte den
Vorfall dem König mit, und der Kronprinz erhielt vierundzwanzig Stunden
Arrest. Eine andere Anekdote betraf den Staatsrat von Kleewitz, den der
Kronprinz ebenfalls nicht leiden mochte, weil er die Juden, wie man
sagte, aus besonderen Gründen begünstigte. -- Eines Abends sagte er zu
demselben in einer Assemblee: »Herr Staatsrat, ich will Ihnen eine
zweisilbige Charade zu erraten geben: das Erste frißt das Vieh, das
Zweite besaßen Sie nie, und das Ganze sind Sie« (Kleewitz). Es ist
jedoch möglich, daß auch diese Anekdote auf den wenig beliebten
Staatsrat ein müßiger Kopf erfand und dem Kronprinzen in den Mund legte.

Aus Italien hatte ich mehrere Hefte der ausgezeichnetsten und
lieblichsten Melodien, Kanzonette, Kavatinen und Ensemblestücke
mitgebracht, die ich in den Salons vortrug. Die Duette gaben
Gelegenheit, sie mit verschiedenen liebenswürdigen Damen in den
Morgenstunden _tête-à-tête_ einzustudieren, wobei ich dann nicht
unterließ, mich möglichst in deren Gunst festzusetzen. In dem Haus des
Herrn von Pogwisch wohnte im zweiten Stock ein Beamter namens Pfeifer
mit seiner Familie, der eine sehr hübsche Tochter, Minchen genannt,
hatte, die ganz artig Klavier spielte und eine sonore, glockenreine
Sopranstimme besaß; diese Nachtigall war eine schlanke neunzehnjährige
Blondine, welche die beliebtesten Opernarien mit viel Geschmack und
Ausdruck vortrug. Sehr bald hatte ich Zutritt bei der mit Pogwischs sehr
befreundeten Familie und musizierte und -- küßte nach Herzenslust. Noch
ein anderes sehr niedliches Minchen (Ott) und eine hübsche Luise hatte
ich unter den Zelten und bei Hofjägers kennen gelernt und fuhr nun bald
die eine, bald die andere in einer Guige nach Charlottenburg, Potsdam
und so weiter spazieren. Noch war ich im Besitz der Wohnung in der
Mittelstraße, die, auf mehrere Monate gemietet, mir jetzt trefflich als
Absteigequartier zustatten kam und wohin ich manche meiner Schönen zu
einer geheimen Zusammenkunft zu persuadieren wußte. Hier war ich so ganz
ungestört und veranstaltete manches _Souper fin_, namentlich mit
Demoiselle D... Man konnte in dieser Hinsicht in Berlin ebenso ungestört
und unbeobachtet wie in Paris leben, da sich die Leute nicht um das
Treiben der anderen bekümmerten. Eines Abends aber lud ich in meinem
Übermut ein halbes Dutzend meiner Freundinnen, von denen jedoch keine
die andere kannte, zu einem Abendessen in diese Wohnung ein. Unter ihnen
waren die beiden Minchen, eine Bertha, eine Karoline, eine Luise und
Demoiselle D..., mit deren Genehmigung ich das Fest veranstaltete und
die die Königin desselben sein sollte. -- Sie fand sich zuerst ein und
empfing die nacheinander erscheinenden und sehr erstaunten Schönen auf
das artigste und zuvorkommendste, so daß sie deren Verlegenheit bald zu
beseitigen wußte. Alle waren so klug, vorerst die beste Miene zu dem
bösen Spiel zu machen, keine hatte ja der anderen etwas vorzuwerfen, und
ein splendides, schwelgerisches Souper mit Champagner und einem
Kaiserpunsch zum Dessert tat das seinige, so daß zuletzt alle
überfröhlich wurden, über die Sache scherzten und meinten, so müsse es
wohl in einem Serail zugehen, und des Tändelns und Küssens war kein
Ende, wir sangen fröhliche Lieder und stimmten >Es kann ja nicht immer
so bleiben< und >Wenn's immer, wenn's immer so wär< an. Ich brachte
endlich eine jede im Wagen nach Hause und blieb zuletzt mit Demoiselle
D..., welche den Geniestreich allerliebst fand, bis gegen Morgen allein.

In der Weinwirtschaft von Luther und Wegner, wo ich bisweilen ein
Frühstück mit gutem Rheinwein einnahm, hatte ich auch die Bekanntschaft
des Schauspielers Devrient gemacht, der, da diese Wirtschaft ganz in der
Nähe des Theaters war, oft während der Proben und sogar in den
Zwischenakten der Vorstellung einen Sprung hierher machte, um sich durch
ein paar Gläser alten Rheinwein zur Fortsetzung seiner Rolle zu stärken
und noch mehr zu begeistern, denn der Wein war ihm eine unentbehrliche
Requisite. -- Die Darstellung seines Franz Moor, seines Rudolfs in
Körners Banditenbraut, seine Drillinge, sein Nachtwächter und so weiter
werden mir ewig unvergeßlich sein. Ich besuchte ihn jetzt öfters in
seiner Wohnung und fand an Madame Devrient eine äußerst liebenswürdige
Frau, wenn auch keine so große Künstlerin wie Demoiselle D... Da
Devrient den Bacchus zu seinem Abgott gemacht, so vernachlässigte er
über diesem Dienst gerne den Hymens und folglich seine liebe Frau, die
sich aber zu entschädigen wußte und mit der ich, wenn sie im Theater
nichts zu tun hatte, manchen schönen Abend entzückt hinbrachte. Einige
ihrer Darstellungen, wie die der Johanna d'Arc in Schillers Jungfrau,
die ihr der Gemahl noch in den Flitterwochen einstudiert hatte, waren
dennoch ausgezeichnete Leistungen. Eine seltsame Wirtschaft war in
dieser Haushaltung eingeführt. Wenn die Gagen für Herrn und Madame
Devrient gebracht wurden, so warf Madame Devrient das Geld, nachdem sie
die Rollen aufgebrochen hatte, in ein auf einem Konsoltisch stehendes
Körbchen, es untereinander rüttelnd, und aus diesem Korb nahm nun
jedermann, der zu ihrem Haus gehörte, nach Belieben und Bedarf heraus.
Herr Devrient steckte Händevoll davon ungezählt in seine Taschen, Madama
zahlte alle ihre Phantasien davon, das Kammermädchen, die Köchin, der
Bediente, alle holten ohne zu fragen, was sie bedurften, _ad libitum_.
Die gewöhnliche Folge war, daß der Korb schon mehrere Tage leer, bevor
neue Gagengelder einliefen. Wurden nun Rechnungen zum Bezahlen
präsentiert, so hieß es: »Es ist kein Geld mehr im Korb, Sie müssen
wiederkommen, wenn er voll ist.« -- Ein wahres Künstlerleben.

Eines Tages fuhr ich mit Frau von Pogwisch und noch einigen Damen, das
Denkmal der Königin Luise zu besuchen, nach Charlottenburg, wo wir
einige zwanzig außerordentlich aufgeputzte und aufgedonnerte Mädchen auf
der Terrasse an einer Gartenmauer sitzen sahen. Ich fragte Madame
Pogwisch, ob sie nicht wisse, wer diese Damen seien, sie schlug aber
verlegen und errötend die Augen nieder, und die anderen Damen lachten,
keine konnte oder wollte mir Auskunft geben. Dies reizte meine Neugierde
um so mehr, und als ich kaum in Charlottenburg ausgestiegen war, fragte
ich einen Mann, der mir zuerst in den Wurf kam, darnach. -- »Ei, das
sind ja die Fräuleins der Madame Bernhard,« erwiderte er lachend. --
»Der Madame Bernhard? Wer ist diese Madame Bernhard?« -- »Wie, Sie
kennen deren berühmtes Hotel und Institut in der Friedrichstraße nicht?«
-- »Nein.« -- »Das größte und schönste Bordell in ganz Berlin.« -- »Ach
so.« -- »Nun, diese hat ein Landhaus hier in Charlottenburg; wo sie
jeden Nachmittag mit einem Teil ihrer Nymphen zubringt.« -- Auch die
verstorbene Königin hatte einst, an diesem Landhaus vorbeifahrend und
die vielen geputzten Mädchen sehend, dieselbe Frage getan, auf welche
ihr ein Hofherr geantwortet: »Ein Pensionat für vermögenslose Mädchen.«
-- »Ach, die armen Kinder,« versetzte die Königin, »ich werde ihnen ein
Geschenk zukommen lassen; sie sind aber doch alle schon sehr
herangewachsen.« -- »Sie erhalten hier ihre letzte Ausbildung,« sagte
der Hofmann. -- Das beabsichtigte Geschenk wußte man jedoch der Königin
auszureden.

Auch die merkwürdigsten Tabagien Berlins, in denen jeden Abend getanzt
wird, besuchte ich, versteht sich inkognito, und lernte in ihnen das
ziemlich wilde Leben des Berliner Volks kennen; besonders war eine, die
mit fast orientalischer Pracht ausgeschmückt und unterhalten war,
berühmt. Der Saal bildete eine große Rotunde, aus welcher ringsherum
Türen in Nebenzimmer führten; oben waren Logen auf einer Galerie
angebracht. Der Haupttüre gegenüber war das Orchester auf einer erhöhten
Tribüne; Türen, Fenster, Logen und Tribünen waren mit rotem Sammet
drapiert. Hier fanden sich, sobald die Dämmerung eingetreten, die
Berliner Grisetten und Studenten in Masse ein, sowie auch andere
leichtgeschürzte Nymphen, und manches hübsche Bürgermädchen besuchte
heimlich diesen Ort der Freude, nachdem sie mit einer Freundin oder
Gespielin bis zur eintretenden Nacht die Linden auf und ab spaziert war.
Venus, Bacchus und Ceres hatten hier zugleich ihren Thron aufgeschlagen,
boten ihre Freuden zu ziemlich hohen Preisen feil und rupften die Federn
der fremden Gimpel und Landjunker, welche so gemütlich in die oft
plumpen Fallen gingen, die man ihnen stellte. Diese Nymphen, wenigstens
die vom Handwerk, waren fast alle im Futter des Eigentümers der Tabagie,
und ihr Hauptzweck ging dahin, die Gäste zu möglichst großen Depensen zu
verleiten, in einen exaltierten Zustand zu versetzen und trunken zu
machen, wobei sich dann auch gute Freunde einfanden, die, höchst erfreut
ob der neuen Bekanntschaft, kostenfrei an den Gelagen teilnahmen und
Brüderschaft bis zum Umfallen tranken, indem sie den neuen Freund
hochleben, dabei vom Orchester Tusch mit Pauken und Trompeten machen
ließen und »Vivat, Herr Bruder Fritz!« oder Paul und so weiter brüllten,
was diesen ob der großen Ehre in Entzücken versetzte, und mit Vergnügen
zahlte er den Taler Kurant, den das Orchester für einen jeden solchen
Tusch erhielt und mit dem Veranlasser und dem Wirt brüderlich teilte.
Man tuschierte, solange noch Taler in der Tasche der Gefeierten waren,
bis sie endlich bewußtlos auf das Ruhebett eines Seitenkabinetts
gebracht werden mußten, wo sie schwerlich der Knall einer Bombe wieder
erweckt haben würde; daß die Dirnen dabei nach Kräften mitwirkten,
versteht sich von selbst. Eines Abends machte ich mir mit noch einigen
Bekannten den Spaß, ein paar Dutzend solcher Tabagien hintereinander zu
besuchen, um die verschiedenen Physiognomien derselben sowie das
Volksleben in allen seinen Abstufungen bis zur letzten und schmutzigsten
kennen zu lernen. Für den Philosophen wie für den Psychologen ist so
eine Wanderung immer von großem Interesse, sowie für den, der die
menschliche Misere in ihrer ganzen Sublimität kennen lernen will.

Während wir so sorglos in Berlin in den Tag hineinlebten -- es waren
damals noch sehr viele Offiziere aus dem Westfälischen und den
Rheinprovinzen hier, welche Preußen übernommen hatte und die ebenfalls
ihre definitive Anstellung abwarteten --, ging der Waffentanz in den
Niederlanden los, und die Nachricht von der Schlacht bei Ligny am 16.
Juni 1815 brachte in Berlin eine peinliche Niedergeschlagenheit hervor,
so daß die Kleinmütigsten schon wieder an die Rückkehr der Franzosen
glaubten, die aber niemand außer den öffentlichen Dirnen wünschte,
welche ihre besten und freigebigsten Kunden mit deren Abmarsch verloren
hatten. Glücklicherweise dauerte dieser Zustand kaum vierundzwanzig
Stunden; die Nachricht von dem glänzenden, den 18. Juni bei Waterloo
erfochtenen Sieg erfüllte ganz Berlin mit unglaublichem Jubel. -- Der
Kurier, der die Nachricht von dem großen Sieg brachte, wurde mit
vierundzwanzig blasenden Postillons eingeholt und durch alle
Hauptstraßen Berlins unter Vivatgeschrei geführt. An demselben Tag war
auch die hochverehrte Prinzessin Wilhelm mit einer Tochter
niedergekommen, die zum Andenken an diesen Sieg unter vielen anderen
auch den Namen >Viktoria< erhielt. Nun war Freude und Fröhlichkeit an
allen Ecken und Enden, und die Liebe und Anhänglichkeit an das
königliche Haus zeigte sich mitten im Taumel im schönsten Licht;
besonders war es auch Blücher, den man hochleben ließ. In dem großen
Opernhaus, das Friedrich der Große im Jahre 1740 hatte erbauen lassen
und welches geräumiger als die damaligen Opernhäuser zu Paris und London
war, wurde eine Vorstellung bei festlich erleuchtetem und geschmücktem
Theater gegeben.

Mitten in diesem vergnügten Leben traf mich plötzlich die Order, mich
sofort nach Kolberg zum siebzehnten Garnisonbataillon zu verfügen, bei
dem ich vorerst angestellt sei, und zwar eine Kompagnie befehligend,
ohne jedoch die Kompagnieführer-Zulage zu erhalten. Bei einem
Garnisonbataillon angestellt zu sein, wollte mir wieder nicht in den
Kopf, und ich verfügte mich deshalb zum Obersten Inspekteur von
Witzleben, um Einsprache zu tun; dieser entgegnete mir jedoch, daß dies
nur provisorisch sei und er nichts in der Sache ändern könne. Ich mußte
also wohl Order parieren, dem freundlichen Berlin und meinen Wirten und
Schönen Lebewohl sagen. Prinzessin Wilhelm konnte ich mich nicht
persönlich empfehlen, sie war noch Wöchnerin und empfing niemand, ich
schrieb ihr daher einen gehorsamsten Abschieds- und Danksagungsbrief.
Noch ehe ich abreiste, war die Nachricht von Napoleons Einschiffung nach
Sankt Helena angekommen. So war denn seine Rolle auf dieser Welt
ausgespielt, Murat war schon früher in Pizzo erschossen und alle Brüder
Napoleons von ihren Thronen herabgeworfen und fortgejagt worden. Das
große Drama des ephemeren französischen Kaiserreichs war vorbei, und
alle seine Akteure traten wie andere Schauspieler nach dem letzten
Herabfallen des Vorhangs nach einer gewöhnlichen theatralischen
Vorstellung wieder von der Bühne ab und in die Misere des bürgerlichen
Alltagslebens zurück.

Ich erhielt einen freien Postpaß von Berlin nach Kolberg nebst zwei
Monate rückständigen Gehalts und setzte mich, nachdem ich noch
freundlichen Abschied von Demoiselle D..., meinen beiden hübschen
Minchen und anderen genommen, in den federlosen Rumpelkasten, Postwagen
genannt, der nach Stargard fuhr.




                                 VIII.

     Reise von Berlin nach Kolberg. -- Eine Amazone. -- Ankunft in
     Kolberg. -- Die neuen Dienstverhältnisse. -- Kolberg und seine
     Umgebungen. -- Einfachheit und Wohlhabenheit der Einwohner. --
        Die Marienkirche. -- Gesellschaftliche Verhältnisse. --
     Nettelbeck. -- Die letzte Belagerung. -- Feier des Geburtstags
          des Königs. -- Madame G... und ihre Cousine. -- Das
     Versteckenspiel im Bullenwinkel. -- Eine Reise nach Köslin. --
     Eine Lustfahrt auf einen pommerschen Edelhof. -- Die Kolberger
     Freuden. -- Ich gehe auf Urlaub nach Berlin. -- Ein polnischer
      Reiseschatz. -- Die verräterischen Austernschalen. -- Fürst
    Blücher. -- Die Berliner Weihnachtsfreuden. -- Die Redouten und
       Porzellanfuhren. -- Die schöne Luise. -- Spandau. -- Eine
          glänzende Schlittenfahrt. -- Rückreise nach Kolberg.


Wer sich noch der damaligen Beschaffenheit der preußischen und
sächsischen Postwagen erinnert, wird mir eingestehen, daß es keine
geringe Marter war, mehrere Tage und Nächte fast ununterbrochen in einem
solchen Behälter transportiert zu werden. Diese schlecht gebauten, auf
der Achse gehenden Wagen rüttelten den Körper auf eine schmähliche Weise
zusammen und machten die Knochen so mürbe, daß man sie zu brechen
fürchtete, besonders wenn es in den Dörfern über die Knüppeldämme ging,
denn Chausseen gab es ebenfalls nur sehr wenige und die Wege waren
abscheulich, zudem hatte ich einen Seitensitz. Indessen sollte mich eine
liebenswürdige Reisegefährtin für all dies Ungemach entschädigen. In der
einen Ecke des Wagens saß ein wunderschönes Mädchen, ein Mädchen, wie
sie der Himmel nur selten erschafft. In ihrem ganzen Wesen war etwas
Heroisch-Liebliches, auf ihren Feuerwangen, in ihren blitzenden Augen,
in ihren Zügen lag etwas so Edles, etwas so Mark und Bein bis ins
Innerste Durchbohrendes, daß man davon durch und durch erschüttert
wurde; ihr Wuchs, ihr Anstand, ihre ganze Figur war das schönste Ideal
einer Amazone oder Bellonas selbst. Bald knüpfte ich ein Gespräch mit
dieser Huldgöttin an, von der ich jedoch anfangs nur sehr kurze und
einsilbige Antworten erhielt. Die übrige Reisegesellschaft hatte wenig
Interesse für mich und schien es auch, bis auf eine ältliche Frau, deren
Züge eine tiefe Schwermut ausdrückten, nicht zu verdienen. In
Werneuchen, der ersten, drei Meilen von Berlin entfernten Station, wo
der Postwagen nach der damaligen löblichen Gewohnheit wie auf allen
Stationen mehrere Stunden, wohl auch wie in Stargard, Naugarten und so
weiter halbe Tage liegen blieb, um alle Pakete, Passagiere, Koffer und
so weiter gehörig zu sortieren und einzuschreiben, gelang es mir, meiner
schönen Unbekannten ein paar Worte mehr zu entlocken. Gesprächiger aber
wurde sie erst in Freienwalde, dem bekannten, sechs Meilen von Berlin
entfernten Badeort, wo wir, während der Postwagen rastete, die artigen
Anlagen und den Gesundbrunnen des Orts besuchten, der in einem
anmutigen, von einer waldigen Höhe umgebenen Tal liegt und besonders von
gichtbrüchigen und am Gehör leidenden Kranken besucht wird. Hier erfuhr
ich, daß sich die gleich der Kriegsgöttin einherschreitende Schöne
Johanna mit Vornamen nenne; den Familiennamen verschwieg sie mir aber
noch. Ihr ganzes Benehmen hatte etwas Seltsames und Rätselhaftes. Beim
Abfahren von Freienwalde war ich nicht weiter wie vorher, doch führte
ich jetzt eine fortwährende, zusammenhängende Unterhaltung mit ihr. In
Königsberg in der Neumark, wo wir des Nachts ankamen, gingen wir
zusammen auf den Straßen spazieren, bis der Wagen wieder weiterfuhr, da
es ihr unangenehm war, in der Gaststube unter den anderen Passagieren
mehrere Stunden zu verweilen. Als ich ihr den Ort meiner Bestimmung,
Kolberg, nannte, schien sie dies zu frappieren, und es entfuhren ihr die
Worte: »Da will ich auch hin, meine Verwandten zu besuchen.« Ich drang
nun mehr und mehr in sie und brachte bald von ihr heraus, daß sie die
Tochter eines in Danzig angestellten Kriegsrats sei, der sich L...
nenne. Das Mädchen war wissenschaftlich gebildet, in der Geschichte wohl
bewandert, zeigte dabei einen so glühenden Franzosenhaß und namentlich
gegen Napoleon, daß, so oft die Rede auf diesen kam, ihre Wangen glutrot
wurden und ihre Augen Feuer sprühten. Vor allem waren es aber die
neuesten politischen Zustände und französischen Kriege, von denen sie
mit großer Teilnahme und mit einem bei einem Mädchen ganz ungewöhnlichen
Enthusiasmus sprach, und als ich im Laufe des Gesprächs ihr von dem
fanatischen Eifer der Kalabresen und Spanier erzählte, da war sie ganz
Ohr und hörte mir mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu; sie wurde nun
immer zutraulicher, freundlicher und sagte endlich mit Wärme zu mir:
»Aber gegen die Deutschen, gegen die Preußen haben Sie doch nie
gefochten, nicht wahr?« -- Dies konnte ich mit dem besten Gewissen mit
nein beantworten. -- »Wohlan, dann gebe ich Ihnen gerne die Hand.« --
Sie reichte sie mir hin, ich ergriff sie schnell, drückte und küßte sie.
In Stargard, wo der Wagen wieder vier Stunden hielt, ließen wir uns ein
Zimmer geben und ein Mittagessen in demselben servieren. Hier fing des
Mädchens Neugierde hinsichtlich meiner an, rege zu werden, und sie gab
sich viel Mühe, meine früheren Verhältnisse zu erforschen. Ich teilte
ihr manches, was ich für gut fand, mit, und sie schien ganz Auge und
Ohr, endlich aber ließ auch ich den Wunsch blicken, näher über ihre
Verhältnisse unterrichtet zu werden. Des Mädchens Wangen überzog nun
eine leichte Röte, die jedoch immer stärker und zuletzt fast hochrot
wurde, dabei funkelten ihre Augen wie Feuer, sie nahm endlich meine
Hand, faßte sie krampfhaft und sprach: »Sie flößen mir volles Vertrauen
ein, und ich will mich Ihnen ohne Rückhalt entdecken. Ich war die
Verlobte eines der Offiziere von Schills Korps, die Napoleon so
feigerweise erschießen ließ. Wir liebten uns beide auf das innigste und
wollten bessere Zeiten abwarten, unsere Vermählung zu feiern. Der
grausame unverdiente Tod meines Geliebten machte mich beinahe rasend und
fast zur Menschenfeindin, wenigstens zur eingefleischtesten
Franzosenfeindin. Als nun unser edler König den Aufruf zur Befreiung und
Rettung des Vaterlandes an sein treues Volk erließ, da schwoll auch mir
die Brust, und das Herz bebte mir vor Ungestüm und Rachedurst im Busen.
Ich legte Mannskleider an, verließ, ohne ein Wort von meinem Vorhaben zu
sagen, das elterliche Haus, trat bei dem Bülowschen Korps als
Freiwilliger ein und habe als solcher die Feldzüge von 1813 und 1814
mitgemacht.« -- Als ich sie verwundert und etwas zweifelhaft anblickte,
da streifte sie den rechten Ärmel ihres Kleides in die Höhe und zeigte
mir eine erst kurz vernarbte breite Wunde, die sie von einem
französischen _Chasseur à cheval_ bei Brienne erhielt und durch die sie
längere Zeit im Lazarett zurückgehalten wurde, bei welcher Gelegenheit
man auch zuerst ihr Geschlecht entdeckte. Erst jetzt hatte sie an ihre
bekümmerten Eltern geschrieben, was aus ihr geworden. Sie kam nun ganz
genesen von Berlin, wo sie sich in der letzten Zeit aufgehalten, wollte
ihren Oheim in Kolberg, der daselbst verheiratet war und eine
Zivil-Anstellung bekleidete, besuchen, bevor sie in das Vaterhaus
zurückkehrte, wovor sie einige Scheu hatte, und das Vergangene durch den
Oheim erst zu vermitteln wünschte. Daß dies alles ganz der Wahrheit
gemäß war, davon hatte ich später Gelegenheit, mich vollkommen zu
überzeugen. Wir erzählten uns nun gegenseitig Begebenheiten aus unseren
Feldzügen und wurden dadurch so vertraut, daß wir bald nur noch ein Herz
und eine Seele waren.

Da von Naugarten eine Seitenpost nach Kolberg besonders abging, so
mußten wir abermals einen halben Tag auf die Weiterbeförderung warten.
Wir brachten diese Zeit recht vergnügt zu, und ich bewog Johanna,
nachdem wir uns ein Zimmer hatten geben lassen, ihre Jägeruniform einmal
anzulegen, die sie in einem Mantelsack bei sich führte. Sie willigte
lächelnd in meinen Wunsch, und ich war ihr beim Anlegen derselben
möglichst behilflich. Die Uniform kleidete sie allerliebst. Wir machten
nun förmlich Kameradschaft miteinander, tranken Brüderschaft auf du und
du und ruhten endlich Arm in Arm erschöpft und matt aus. Ich half
zuletzt meinem liebenswürdigen Kameraden seine weiblichen Kleider wieder
anlegen, da die Zeit der Abfahrt herannahte. Von hier bis Kolberg aber
ging nicht einmal ein bedeckter Wagen mehr, sondern wie auf allen
Seitenstationen nur ein offener Korbwagen, das heißt ein gewöhnlicher
Bauernwagen, in den man ein Korbgeflechte gelegt und einige Strohsitze
angebracht hatte. Dies waren die Postwagen zu den Orten, die nicht an
der großen Heerstraße lagen. Meine Kriegsgefährtin und ich waren die
einzigen Passagiere von hier bis Kolberg; wir ruhten recht traulich Arm
in Arm und fuhren die ganze Nacht durch über Greifenberg und Treptow an
der Rega. Es war zwar eine Julinacht, die wir durchfuhren, und ich hatte
deshalb auch nur sehr leichte Sommerbeinkleider auf dem offenen Wagen
angelegt, nicht bedenkend, daß ich nicht mehr am Mittelländischen,
sondern in der Nähe des Baltischen Meeres war. Wir schliefen beide,
Johanna an meiner Brust, ein, je näher wir aber der Küste kamen, desto
fühlbarer wurde ein sehr rauher und unfreundlicher Wind, und gegen
Morgen überfiel mich ein kalter Schauer und Frost, ich fühlte mich
unwohl und war froh, als wir endlich über die Zugbrücken und durch die
Tore der Festung Kolberg einfuhren. Ich eilte mit meinem Kameraden, der
mehr an dieses Klima gewöhnt und nicht so erfroren war, in das erste
beste Gasthaus, die >Stadt London< auf dem Markt, wo ich uns jedoch
anstandshalber zwei Zimmer geben ließ. Es war erst vier Uhr des Morgens,
als wir ankamen, und Johanna konnte ihren Oheim so früh nicht aufsuchen,
auch kannte sie dessen Wohnung nicht. Ich hatte mir eine furchtbare
Erkältung zugezogen und warf mich unter den heftigsten Leibschmerzen auf
das Bett. Erst gegen Mittag, nachdem ich mich ein wenig erwärmt hatte,
war ich imstande, das Bett zu verlassen; ich steckte mich rasch in die
Uniform und eilte nach der Kommandantur, um mich zu melden. Oberst
Streit aber empfing mich mit einem Wischer, weil ich mich nicht früher
gemeldet und doch mit der Morgenpost angekommen sei. Es war gerade zur
Parade; er beschied mich nach derselben wieder zu sich. Ich meldete mich
nun auch bei meinem Bataillons-Kommandanten, dem Major von Hackwitz, der
aber das Bataillon nur interimistisch kommandierte. Dieser empfing mich
sehr artig, und auf der Parade umringten mich meine neuen Kameraden,
unter denen viele Westfalen und einige ältere Offiziere waren. Als ich
mich nach der Parade der erhaltenen Order gemäß wieder auf die
Kommandantur begab und anklopfte, da empfing mich der barsch:
»Eintreten!« rufende Oberst mit den Worten: »Bettelleute klopfen an,
aber nicht die Herren Offiziere.« Dieser abermalige unfreundliche
Empfang machte einen äußerst unangenehmen Eindruck auf mich, und ich
konnte mich nicht enthalten, zu erwidern: »Aber, Herr Oberst, ich trete
eben erst in preußische Dienste und kann unmöglich schon alle Details
derselben kennen.« -- »Wohl, Sie müssen sich aber bemühen, sie so
schnell wie möglich kennen zu lernen.« -- »Dies wird mein Bestreben
sein.« -- Nun frug mich der Kommandant Verschiedenes, was auf meine
früheren Dienstverhältnisse Bezug hatte, und war dann weniger mürrisch,
so daß wir zuletzt ziemlich gut voneinander schieden. Ich übernahm jetzt
das interimistische Kommando der ersten Kompagnie des Bataillons, deren
Hauptmann, ein Herr von Pfündöl, in Bälde von Gumbinnen hierher
versetzt, eintreffen sollte. Der Feldwebel brachte mir nebst dem
Kompagnierapport ein Quartierbillett, vermittelst dessen ich zu einem
Kaufmann namens Hackstock, unweit dem Markt in der Börsenstraße,
einquartiert wurde. Johanna hatte sich indessen zu ihrem Oheim begeben,
der an ihre Eltern nach Danzig geschrieben, und deren Antwort sie bei
demselben abwarten wollte. Wir brachten einstweilen jeden Abend vergnügt
und traulich miteinander zu. Ich trat meinen neuen Dienst an, bestrebte
mich, die mir obliegenden Verrichtungen möglichst bald kennen zu lernen,
was auch schnell der Fall war. Doch zog sich gleich in den ersten acht
Tagen ein artiges Donnerwetter aus folgender Veranlassung über meinem
Haupt zusammen. In französischen Diensten hatten wir fast nie die
Degenquasten, die man im Deutschen ganz fälschlich Portepee nennt,
angemacht, namentlich trug sie fast kein Offizier im Feld, und sie
galten für eine sehr unwesentliche Verzierung. Ich hatte mir zwar in
Berlin eine solche von Silber und schwarz, wie sie im preußischen Heer
sein muß, angeschafft und an meinen Säbel gemacht, jetzt mußte ich
jedoch einen preußischen Degen tragen, kaufte mir einen solchen, vergaß
aber die Quaste an denselben anzulegen, und so kam ich ohne Portepee auf
die Parade. Bald bemerkten dies mehrere ältere Offiziere, man zischelte
sich einander zu, auf mich sehend, der Major und der Kommandant wurden
endlich auch aufmerksam, und Oberst Streit fuhr mich nun mit einem
schweren Donnerwetter an, so daß es ein allgemeines Aufsehen erregte und
sich alle älteren Offiziere nicht genug verwundern konnten, wie ein
Offizier ohne Portepee erscheinen könne, sich zum Teil auch etwas
hämisch deshalb ausließen; dies alles machte mir zuletzt den Kopf so
warm, daß ich ganz pikiert und laut, daß es jedermann verstehen konnte,
sagte: »Der Offizier steckt doch wahrlich nicht in der Degenquaste; wenn
der Mann nichts taugt, so läuft gewiß kein Feind vor dem Portepee davon,
und ich habe mich lange genug ohne ein solches tüchtig geschlagen.«
Diese Worte machten einen furchtbaren Rumor, der damit endigte, daß mir
der Kommandant sofort einen vierundzwanzigstündigen Arrest ankündigte
und noch obendrein einen Verweis gab. Diese Vorfälle machten mir gleich
anfänglich den Dienst sehr zuwider und setzten böses Blut, hierzu kam
noch mein langes Unwohlsein infolge der Erkältung. Die sehr öde und
traurige Lage Kolbergs an der Persante, unweit der Mündung dieses
Flusses in die Ostsee, wo sich nur ein einziger, kaum leidlicher
Spaziergang nach der sogenannten Maikuhle, einem kleinen Gehölz, befand,
war nicht geeignet, diese Mißstimmung zu mindern. Ich hatte anfangs auch
nicht einen einzigen Bekannten, und den neunten Tag nach unserer Ankunft
verließ auch Johanna die Stadt wieder, um sich zu ihren Eltern, die sie
mit großer Sehnsucht erwarteten, zu begeben. Ich fühlte mich jetzt recht
einsam und verlassen, um so mehr, da die Festung vorerst auch nicht die
mindeste Zerstreuung bot; die Offiziere standen sich alle noch sehr
fremd gegenüber, der Garnisondienst war sehr streng und mußte recht
pedantisch kleinlich versehen werden. Nachdem ich ungefähr vierzehn Tage
hier verweilt, erhielt ich plötzlich eine Einladung zur Tafel bei dem
Kommandanten, der nun zuvorkommend freundlich war, allerlei Scherze
machte und eine sehr liebenswürdige feingebildete Dame zur Frau hatte,
die früher Hoffräulein am Dessauer Hof war und die er als Witwer
heiratete; von jetzt an wurde mir der Aufenthalt etwas erträglicher. Es
kamen auch immer mehr Offiziere an, von denen mehrere verheiratet waren
und eine liebenswürdige Familie mitbrachten, unter ihnen auch unser
wirklicher Bataillonschef, der Oberstleutnant von Witke, ein
verdienstvoller Militär, der drei sehr liebenswürdige, eben aufblühende
Töchter hatte.

Die Stadt Kolberg selbst liegt einsam und öde in einem Winkel an der
Ostsee, hat nur wenige und eben nicht sonderlich anmutige Gärten; keine
Baumstücke, keine Gemüsefelder, keine bunten Blumenwiesen umgeben die
ernste Festung. Ein Spaziergang um das Glacis derselben oder nach
Kuhphals Wirtsgarten war die ganze Rekreation in der Nähe der Stadt,
etwas weiter war die schon genannte Maikuhle, ein mit Bäumen bepflanzter
und mit Blockhäusern und Schanzen versehener Sandhügel; eine gute Stunde
von der Stadt befand sich ein Wald, der Busch genannt, in dem ein
Jägerhaus lag, nach dem im Sommer bisweilen Partien zu dem Förster Ott
gemacht wurden; der Weg dahin war aber kahl und zog sich zwischen lauter
Kartoffelfeldern hin. Das Innere der Stadt war womöglich noch
unfreundlicher, die Straßen hatten fast lauter uralte Giebelhäuser,
andere sah man nur ausnahmsweise. In einem solchen Haus befand sich in
der Regel nur eine lange schmale Stube mit einem sehr großen Fenster und
einem Alkoven im Hintergrund, in welchem die Familie schlief. Diese
Gebäude waren meist von Stein, aber schlecht und ohne alle Symmetrie
gebaut, sehr hoch, mit einem ungeheuern Vorplatz und großen Türen; der
einzigen Stube gegenüber und durch einen Gang getrennt befand sich in
der Regel ein Laden, Magazin oder die Werkstätte; der übrige Raum bis
zum Giebel bestand in vier bis fünf ungeheuren Böden für Frucht, Gerste,
Malz und dergleichen, nebst ein paar Kammern. Diese Einrichtung schreibt
sich noch aus den Zeiten her, wo in Kolberg die Niederlage des großen
Kornhandels an dem Baltischen Meer war, der sich aber schon länger als
ein Jahrhundert weg und meist nach Danzig gezogen hatte. Obgleich die
meisten Einwohner, etwa achttausend, wohlhabende und mehrere enorm
reiche Leute waren, so dachten doch nur wenige daran, sich bequemere
Wohnhäuser zu bauen; sie waren einmal an diese größtenteils
höhlenartigen Wohnungen von Eltern und Ureltern her gewöhnt, wußten es
nicht besser und befanden sich ganz behaglich in denselben. Obgleich
Mauern und Wände feucht, besonders in den Alkoven salpeterartig waren,
sind ihre Bewohner dennoch gewöhnlich ein starker und gesunder
Menschenschlag. Der wenige Luxus, der hier herrschte, und die geringe
Gelegenheit, Geld auszugeben, während doch immer noch ansehnlich
verdient wurde, machte, daß es sehr viel reiche Leute gab, die von
Urgroßeltern und noch länger her schon die alten Taler in Kisten und
Kasten aufgespeichert. Mädchen mit einer baren Aussteuer von fünfzig-,
achtzig- und hunderttausend Talern waren gerade keine so große
Seltenheit. Unter den Merkwürdigkeiten der in vieler Hinsicht
sonderbaren Stadt steht die große Marienkirche oben an; es ist ein
hohes, weitläufiges Gebäude, dessen ungeheurer, fast ganz leerer Raum
ihm ein schauerliches Ansehen verleiht, um so mehr, da die Kirche in
einem so schlechten Zustand war, daß überall Wind und Luft Zugang fanden
und Eulen und andere Nachtvögel ihre Residenz in derselben aufgeschlagen
hatten, ja die Sperlinge waren so unverschämt, während des
Gottesdienstes die Nase des Predigers auf der Kanzel zu umschwirren. Die
Kirche hat viele Seitengebäude und Anhängsel, ist uralt und von dem
Ertrag der Pfennige erbaut worden, die zwei Mönche von den frommen
Seelen in ganz Deutschland erbettelten. Sie war ursprünglich dem
katholischen Glauben gewidmet. Eigentlich war es nur noch eine
guterhaltene Ruine mit sehr dürftiger Ausschmückung; mehr als tausend
Scheiben der großen Fenster waren zerbrochen; sie machte die Wirkung
eines unermeßlichen Grabgewölbes auf mich. Wer sich so plötzlich aus
einem Klima wie das von Korfu, wo ich noch einen Teil des vorjährigen
Sommers zubrachte, hierher versetzt findet, dem scheint dies Land ein
wahres Sibirien. Dabei ist die Stadt das wahrhafte und wirkliche
Krähwinkel, jedoch nicht in Bezug auf ihre braven Bewohner, denn in
dieser Beziehung sind es viel größere Städte, wie zum Beispiel
Frankfurt, weit mehr, sondern weil sich die geflügelten wirklichen
Krähen zu Hunderttausenden die Giebeldächer der alten Stadt seit
undenklichen Zeiten zu ihren Sitzen ausersehen haben, deren Geschrei und
graues Aussehen das Düstere noch vermehrt. Übrigens sind die Einwohner
sehr biedere, wackere und brave Leute, noch von altem Schrot und Korn,
und stehen ihren Mann auch vor dem grimmigsten Feind, wie sie es schon
öfters zur Genüge bewiesen haben; sie sind dabei gesellig, zuvorkommend
gegen Fremde und freundlich gegen die Garnison; sie selbst scheinen sich
ihrer Verdienste unbewußt und erwähnten nur mit der äußersten
Bescheidenheit der letzten heldenmütigen Verteidigung Kolbergs, zu der
sie doch das meiste beigetragen. Der gesellschaftliche Verein der
hiesigen gebildeten Welt führte den Namen >Harmonie<, und zwar mit
Recht, denn diese herrschte damals ungestört in demselben.

Der alte Nettelbeck war gewiß Kolbergs bester Bürger. Er war damals
schon sechsundsiebzig Jahre alt, aber immer noch ein sehr rüstiger Mann,
von dem lebhaftesten Geist. In seiner Jugend war er ein Seemann, hatte
mehrere Reisen nach Ost- und Westindien gemacht, und in seinem hohen
Alter bildete er noch junge Leute zu Matrosen und Steuermännern aus. Bei
seinen großen Verdiensten war er der einfachste und anspruchsloseste
Mann, dessen große Rechtschaffenheit und Redlichkeit zum Sprichwort
geworden war, und Friedrich der Große, den er noch gekannt, stand in
hohem Ansehen bei ihm; sein Mut war über alles Lob erhaben. Eines Tages
hatte der Blitz in den hohen Turm der Marienkirche geschlagen und dessen
Spitze schon gezündet, da eilte der alte Nettelbeck ganz allein mit
einer Handspritze hinauf und löschte das Feuer. Als bald nach der
Schlacht bei Eylau Napoleon ein beträchtliches Korps gegen Kolberg
sandte, welches, nachdem es die Verschanzungen bei Naugard genommen,
sich zur Belagerung der Festung anschickte, da stellte sich der edle
Greis Nettelbeck an die Spitze der wackeren Bürgerschaft und war überall
bei der Hand, wo die Gefahr am größten war. Die Franzosen hatten sich
bereits der Schanze auf dem hohen Berg bemächtigt, aber die Kolberger
befestigten nun die Mündung der Persante und die Maikuhle und brannten
die Lauenburger Vorstadt ab. Schill, der sich in die Festung geworfen
hatte, machte fast jeden Tag Ausfälle und vertrieb die Belagerer wieder
aus den Schanzen. Nun wurde auch noch die Geldern-Vorstadt abgebrannt,
und Schill schlug mit seiner Reiterei, die eine große Tapferkeit bewies,
einen Teil der Belagerer in die Flucht. Aber der Kommandant Kolbergs,
ein Oberst Loucadou, von französischer Abkunft, war eine Schlafhaube,
sprach von Übergabe, bis ihm Nettelbeck mit einigen Bürgern auf die
Stube rückte und ihm erklärte, daß sie den, der von Übergabe spräche,
für einen Hochverräter ansehen und als solchen bestrafen würden.
Loucadou wurde auch bald abberufen und durch den braven Gneisenau
ersetzt, der sogleich dem Feind die Schanzen am Bullenwinkel wieder
abnahm. Die Franzosen beschossen jetzt die Stadt heftig und fast
ununterbrochen, aber Nettelbeck und seine Bürger, die mit der Besatzung
in der Verteidigung der Stadt wetteiferten, waren überall bei der Hand,
wo es eine Gefahr gab; sie hatten sich in mobile Kompagnien eingeteilt,
bedienten einen Teil des Geschützes, und Gneisenau tat fast nichts, ohne
den Rat oder die Meinung Nettelbecks zu hören, der sein bester Adjutant
und überall war. Zündete eine Haubitzgranate irgendwo, so stand gewiß
Nettelbeck mit seinem Schlauch an der gefährlichsten Stelle, die er
nicht verließ, bis das Feuer wieder gelöscht war, und gab es außerhalb
der Stadt ein Gefecht mit dem Feind, so saß er hoch zu Pferde, die
Truppen anfeuernd, versorgte sie mit Munition und brachte dem
Kommandanten unter einem Kugelregen die Berichte. Er besorgte die
Überschwemmungen mit einer Umsicht, welche Scharfsinn und den
richtigsten Überblick verriet. Durch seinen Mut und Patriotismus
versetzte er die Bürger in Enthusiasmus, und all diese Dienste tat er,
ohne die mindeste Vergütung oder Besoldung zu erhalten, obgleich er
durchaus ohne Vermögen war und von seinem bürgerlichen Verdienst lebte.
Viermal hatten die Bomben und Granaten ein gefährliches Feuer angefacht,
und viermal hatte es Nettelbeck gelöscht. Diese tapfere Verteidigung
Kolbergs ist ein Lichtpunkt in dem sonst so düster-unglücklichen
preußisch-französischen Krieg von 1807. Hätte sich das mächtige
Magdeburg und die anderen Festungen so gehalten, niemals wäre Preußen
von den Franzosen unterjocht worden. Der König erkannte Kolbergs und
Nettelbecks Verdienste wohl an, sprach das erste von aller
Kriegskontribution, nahe an zweihunderttausend Taler, frei, und dem
braven Nettelbeck wurde die Ehre zuteil, an die königliche Tafel gezogen
zu werden, wo er den Ehrenplatz zwischen dem König und der Königin
einnehmen mußte; seine Tochter, noch ein Kind, wurde auf königliche
Kosten erzogen, erhielt eine bedeutende Aussteuer, und aus Kolbergs
Besatzung wurde ein Regiment gebildet, das auf alle Zeiten den Namen
Kolberg führen sollte.

Ich begann nun mich nach und nach heimischer zu finden, obgleich meine
Dienstverhältnisse gerade nicht immer die angenehmsten waren, woran ich
indessen zum Teil selbst große Schuld trug, da ich mich über manche
Dinge, die mir ungewohnt waren oder ungereimt schienen, ganz unverhohlen
und oft sehr schonungslos ausließ, was mir dann sowohl bei meinen
Vorgesetzten als älteren Kameraden Unannehmlichkeiten und
Verdrießlichkeiten verursachte, die oft nur durch die Klinge beigelegt
werden konnten und mich in den Ruf eines händelsüchtigen Menschen
brachten. Ich konnte zu wenig den französischen Felddienst und das
französische Leben vergessen und mokierte mich gern über manches, was
wohl nach Pedantismus roch, doch war damals schon der preußische Dienst
fast von allen kleinlichen Erbärmlichkeiten gereinigt und in hohem Grad
human, besonders auch gegen den gemeinen Mann. Das große
Rechtlichkeitsgefühl und Wohlwollen des Königs war von den höchsten bis
zu den untersten Klassen der militärischen Hierarchie gedrungen.

Die ersten Bekanntschaften unter den Einwohnern machte ich bei der Feier
des Geburtstags des Königs, die mit großem Jubel begangen wurde. Nach
der großen Parade war ein Diner und abends Ball in der Harmonie, den der
Kommandant mit einer Polonäse eröffnete. Unter den anwesenden Damen
bemerkte ich sogleich eine sehr zierlich und fein gebaute junge Frau,
die sich mit außerordentlicher Anmut im Tanz bewegte. Auf meine
Erkundigung erfuhr ich, daß es die Gattin eines Kaufmanns namens G...
war, und engagierte sie zum ersten Walzer. Auf diesem Ball waren so
ziemlich alle Schönheiten der Honoratioren Kolbergs beisammen und
wunderschöne und liebliche Mädchen unter denselben, wie die Fräulein von
Gundenreich, drei sehr reiche Erbinnen, ein Fräulein Justke, von
Bajinsky, eine Frau Doktor M. und so weiter, eine wahre Flora von
Schönheiten und Liebenswürdigkeiten, daß einem die Wahl hätte schwer
werden können. Doch fand ich in Madame G... ein so anmutiges,
aufgewecktes und zierliches Weibchen, daß ich, von soviel
Liebenswürdigkeit hingerissen, mich von diesem Tag ihrem Dienste
vorzüglich zu widmen beschloß. Ein tragikomischer Vorfall machte, daß
dieses Fest auf eine kurze Zeit unterbrochen würde. Der Chef der
Artillerie hatte nämlich mit dem Kommandanten von Kolberg, Oberst
Streit, als die Herren schon ziemlich _allegro_ bei einer Bowle Punsch
saßen, um ein Dutzend Flaschen Ungarwein gewettet, daß letzterer auch
nicht einen Kanonenschuß in der Festung tun lassen könne ohne sein
Wissen und seine Genehmigung (die Order dazu mußte erst an den
Artilleriechef gelangen und ihm gemeldet werden, da kein
Artillerieoffizier ohne diese abfeuern lassen konnte). Oberst Streit
aber gab dem Platzadjutanten insgeheim Befehl, ein paar Reserve-Kanonen
aus dem Zeughaus, wozu die Schlüssel bei der Kommandantur waren, holen,
sie so geräuschlos wie möglich in der Börsenstraße gegen die Harmonie zu
auffahren und richten sowie durch Artilleristen aus dem
Invaliden-Bataillon bedienen zu lassen und dann auf ein von ihm mit
einem weißen Schnupftuch am Fenster gegebenes Zeichen abzufeuern. Als
man dem Kommandanten berichtet hatte, daß alles nach seiner Order bereit
wäre, sagte er zum Major von Gaeti, Chef der Artillerie: »Nun, Herr
Major, lassen Sie uns die Gesundheit Seiner Majestät unseres
hochverehrten Königs ausbringen und mit Kanonendonner akkompagnieren.«
Der Major erwiderte lächelnd: »Ich bin es zufrieden,« und stieß mit dem
Oberst an, der ausrief: »Hoch lebe unser edler König!« Zugleich winkte
er mit dem Schnupftuch am Fenster, und in demselben Augenblick, es war
gegen Mitternacht, donnerten die Kanonen zum Schrecken und Erstaunen der
ganzen Harmoniegesellschaft, aber auch alle Fensterscheiben fielen
klirrend in den Saal, so daß die Damen schreiend die Flucht ergreifen
wollten; man sah sich betroffen gegenseitig an und wußte nicht, was man
von dem Vorfall denken sollte, zumal da sich die Kanonenschüsse
erneuerten und deren einige zwanzig fielen; doch klärte sich die Sache
bald auf, und das unterbrochene Fest nahm wieder seinen nicht ferner
gestörten Fortgang. Der Herr Oberst hatte zwar den Ungarwein gewonnen,
mußte aber ein paar hundert Taler für die zerbrochenen Scheiben zahlen,
denn nicht allein alle Fenster der Harmonie waren zerschmettert, sondern
auch links und rechts die der Häuser in der Börsenstraße, von dem Platz,
wo die Kanonen standen, bis zum Harmoniegebäude, welches Face machte. Es
war demnach eine sehr teuer gewonnene Wette. -- Erst um drei Uhr endigte
das Fest, auf dem ich mit Madame G... schon so weit gekommen war, daß
sie mir mit vielsagendem Blick eine beste Nacht wünschte. Wenige Tage
darauf sah ich sie nebst noch anderen Damen wieder in dem
Harmoniegarten, wo die neue Bekanntschaft freundlichst fortgesetzt
wurde. Kurz vorher war der Hauptmann von Pfündöl angekommen, dem ich nun
die Kompagnie hatte übergeben müssen. Er befand sich auch bei der
Gesellschaft im Garten, und als die Sprache auf Berlin kam, erzählte
ich, daß ich daselbst bei meinem Wirt, einem Herrn von Pogwisch, eine so
überaus freundliche Aufnahme gefunden und überhaupt die Berliner nur zu
rühmen hätte. Pfündöl fragte mich hierauf mehr und sehr genau nach den
näheren Umständen der Familie von Pogwisch, so daß es mir auffallen
mußte. Ich konnte ihm indessen nur Gutes und Lobenswertes von jedem
Mitglied derselben mitteilen. Endlich fiel er mir lächelnd mit den
Worten in die Rede: »Herr Kamerad, das war Ihnen geraten; wissen Sie,
daß die alte Frau von Pogwisch meine Schwester und deren Sohn folglich
mein Neffe ist; die junge Frau habe ich aber noch nicht gesehen.« Von
diesem Augenblick an waren wir die besten Freunde und Kameraden.

Noch denselben Tag schritt ich in der Gunst der Madame G... so weit
voran, daß sie mir das Haus einer ihrer Bekannten, einer gewissen Madame
Sparschuh, empfahl und zu verstehen gab, daß ich sie in demselben oft
antreffen könne; ich fand auch schnell Mittel, mich bei dieser schon
etwas älteren Dame, deren Gatte die meiste Zeit abwesend war, zu
introduzieren, und bald brachte ich ganze Nachmittage in Gesellschaft
der Madame G... daselbst zu, während Madame Sparschuh so gütig war, sich
mit Haushaltungsangelegenheiten zu beschäftigen und uns manches
Stündchen ganz allein zu lassen, wohl auch dafür zu sorgen, daß wir
nicht unangenehm überrascht werden konnten, was wir dann bestens zu
benutzen verstanden.

Außer Madame G... machte ich bald noch die Bekanntschaft ihrer hübschen
Cousine, der Frau Doktor M., bei einer Kaffeegesellschaft im
Bullenwinkel. Die Kolberger Damen veranstalteten nämlich sehr häufig
solche Kaffeeklatsche, im Winter in ihren Häusern, im Sommer aber auf
einem nahegelegenen ländlichen Ort, wobei außer Kaffee und Kuchen noch
reichlich süße Weine, Spickgans und andere Leckerbissen serviert wurden.
Diejenigen Damen, welche intimere Bekanntschaft mit Offizieren hatten,
ließen diese wissen, wenn eine solche Zusammenkunft auf dem Land, wozu
man fast immer den Bullenwinkel wählte, stattfinden sollte, und sie
stellten sich bei denselben wie auf einem zufälligen Spaziergang ein;
man lud sie dann höflichst, eine Tasse Kaffee anzunehmen, und brachte so
den Nachmittag recht vergnügt mit ländlichen Spielen: Schaut euch nicht
um, der Fuchs geht herum; Gut Bier feil, und besonders Versteckens und
so weiter zu. Der romantische Bullenwinkel bestand aus einigen
Wirtschafts- und Ökonomiegebäuden, die an den Ufern eines mit Erlen,
Eschen und Weiden besetzten Baches lagen. Die Gesellschaften waren immer
einige zwanzig bis dreißig Personen und mehr stark, und die Blüte der
Kolberger Frauen und Mädchen kam da zusammen, um Kaffee oder auch
Buttermilch zu schlürfen und neue Bekanntschaften zu machen, während die
Männer und Väter dieser Damen ganz ruhig auf ihren düsteren
Schreibstuben bis zum Untergang der Sonne arbeiteten und in Kaffee,
Zucker, Weinen und so weiter spekulierten. Mit einem anderen jungen
Offizier, dem Leutnant Willmann, hatte ich nähere Freundschaft
geschlossen, so daß wir uns unsere Abenteuer und Verbindungen
gegenseitig mitteilten und einander behilflich waren. Seine Auserkorene
war eine junge Witwe, die Kriegsrätin W., eine ziemlich türkische, das
heißt korpulente Schönheit, denen ich nie einen Geschmack abgewinnen
konnte; dagegen hatten Madame G... und ihre Cousine beide
Sylphidengestalten, erstere war aber von einem so zarten Nervenbau, daß
sie vor lauter Entzücken oder auch aus Ärger und Gemütsbewegung leicht
in einen völlig bewußtlosen Zustand versank und bis zur Beängstigung in
demselben verblieb. Bald merkte sie, daß ich mit der Frau Doktor M. auf
einem freundschaftlicheren Fuß stand, als ihr lieb war, was zu
Neckereien und unangenehmen Szenen Veranlassung gab. Als eines
Nachmittags im Bullenwinkel wieder Verstecken gespielt wurde, hatte mir
ihre Cousine leise zugeflüstert: »Ich verstecke mich in das hohe
Federbett der Wirtin, dort findet mich gewiß niemand.« -- »Außer mir,«
erwiderte ich. -- »Das dürfen Sie nicht, weil ich es Ihnen gesagt habe.«
-- »Nun, wir werden sehen.« -- Als alle versteckt waren, schlich auch
ich mich in die Schlafkammer der Wirtin, wo ich richtig die Frau
Doktorin fand, die ihr allerliebstes Köpfchen aus den berghohen
Federbetten der Wirtin streckte. -- »Beste Frau Doktorin,« ließ ich mich
vernehmen, »ich kann Ihnen nicht helfen, aber ich weiß keinen anderen
Platz zum Verstecken zu finden, als bei Ihnen im Bett.« -- »Ja
unterstehen Sie sich!« -- »Und warum nicht?« Ich unterstand mich und war
mit einem Hui in den Federmassen, unter der Decke und mit der
liebenswürdigen Frau vereint. -- »Aber mein Gott, wenn man uns hier
zusammen findet!« -- »Man wird uns nicht finden, ich habe es mit der
Wirtin abgemacht, lassen Sie uns also den günstigen Augenblick
benützen.« -- Sophie wollte protestieren, mich wieder hinaus haben, aber
ich war nicht der Mann, der, einmal in einer Festung, diese so leicht
wieder aufgab, da half kein Sträuben und Ach; aber plötzlich knarrte die
Tür, und ich schlüpfte tief unter die schwere und breite Bettdecke, bis
zum Ersticken zugedeckt. Es war Madame G..., die mich überall gesucht
hatte und endlich auf den Einfall gekommen war, zu sehen, ob ich mich
nicht in der Wirtin ihr und mir schon wohlbekanntem Schlafzimmer
befände. Sie trat an das Bett, und ihre Cousine mit sehr erhitztem
Aussehen in demselben liegen findend, sagte sie: »So, du hast dich hier
verborgen, das ist so übel nicht, ich will mich mit dir zusammen
verstecken.« -- »Bewahre der Himmel, das geht nicht, wo denkst du hin.«
-- »Ich sehe nicht ein, warum ...« -- »Nein, das leide ich ein für
allemal nicht, du gehst deiner Wege.« -- Aber Madame G... war nicht die
Frau, die sich so leicht abschrecken ließ, und zog und zerrte schon an
der Bettdecke, welche die Doktorin um so fester an sich hielt, wobei ich
ihr unterbettischerweise so behilflich war, daß es der Madame G... nicht
gelang, die Decke herabzureißen, und so entstand ein gewaltiges Hin- und
Herzerren. Da beide Cousinen sehr laut wurden, so daß ich fürchtete,
noch andere Personen möchten dazu kommen, entschloß ich mich, der Sache
rasch ein Ende zu machen, warf die Decke von mir, sprang zum Bette
heraus und stellte mich zwischen beide, fast gleich verblüffte Damen,
suchte sie zu besänftigen, indem ich ihnen vorstellte, daß sie beide
gleiches Interesse hätten, daß die Sache verschwiegen bliebe und der
türkische Sultan ja ein paar hundert Frauen zumal habe, ich also wohl
auch zwei Geliebte auf einmal besitzen dürfe, besonders da ich beide
gleich heftig liebe, wie sie versichert sein könnten. Um dieser
Versicherung mehr Nachdruck zu geben, küßte ich beide abwechselnd, wenn
schon Madame G... sich gewaltig sträubte; die Doktorin aber, die sich
besser in das Geschehene zu finden wußte, rief ihr zu: »So ziere dich
doch nicht so, Minchen, es ist jetzt einmal nicht anders, und dann
bleibt's ja unter der Verwandtschaft.« -- Es wurde endlich, wenigstens
scheinbar, der Frieden geschlossen und besiegelt, wir begaben uns alle
drei wieder zur Gesellschaft, nahmen kühlende Buttermilch zu uns und
spielten dann wieder: Schaut euch nicht um, der Fuchs geht herum, bis
mit der Dämmerung ich beide Cousinen am Arm heim führte. Madame G...
konnte aber diesen Vorfall nicht so leicht verschmerzen, sondern spielte
die Eifersüchtige fort, ließ soviel wie möglich alle meine Schritte
beobachten und durch eine ihrer Mägde sogar meinen Burschen bestechen,
der mir jedoch alles wieder rapportierte und, von mir gehörig
instruiert, nur sagte, was ich für gut fand, ihn sagen zu lassen.
Indessen ließ sie dennoch ihre Cousine so genau bewachen, daß es dieser
fast unmöglich wurde, einen Schritt zu tun, ohne daß es Madame G...
erfahren hätte, die es so einzurichten verstand, daß wir uns fast nie
allein sprechen konnten. Um dies bewerkstelligen zu können, kam ich mit
der Frau Doktorin überein, daß sie eine kleine Reise zu einer nahen
Anverwandten nach dem fünf Meilen von Kolberg entfernten Köslin machen
und ich für einige Tage Urlaub dahin nehmen solle, das Vorhaben aber so
geheim zu halten, daß Madame G... vor unserer Abreise nichts erfahre.
Dies glückte, und um sie irre zu führen, hatten wir hinterlassen, daß
Sophie nach Treptow und ich nach Köslin gegangen sei, fanden uns aber
schon eine halbe Meile hinter Kolberg zusammen und setzten nun den Weg
nach Köslin in einem offenen Wagen fort.

Nachdem ich mit Sophie den dreitägigen Aufenthalt in Köslin auf das
beste benutzt hatte und bei ihren Verwandten sehr gut aufgenommen worden
war, fuhr ich einen Tag früher ab, damit man in Kolberg, namentlich
Madame G..., weniger argwöhnisch sein und uns nicht auf die Spur kommen
möge. Aber die Dame hatte bereits Verdacht geschöpft, da ihre Cousine
ihr kein Wörtchen von der Reise mitgeteilt. Bald kam sie auch durch ihre
Spione hinter die Wahrheit, und es setzte Szenen in der Doktorin
Wohnung, wobei die nervöse Madame G... furchtbare Krämpfe bekam und in
gänzliche Bewußtlosigkeit fiel. Um der Doktorin den Streich wett zu
machen, veranstaltete sie nun gleichfalls eine kleine Lustreise, wobei
ich ihr schwören mußte, das Vorhaben ihrer Cousine nicht zu verraten,
ein Schwur, den ich aber nicht hielt, und da ich wußte, daß Sophie weit
vernünftiger als Minchen war, ihr die Sache mitteilte, worauf wir beide
herzlich darüber lachten. -- Diesmal sollte die Fahrt auf das Gut eines
pommerschen Landedelmannes gehen, mit dem der Mann der Madame G...
einige nicht sehr bedeutende merkantilische Geschäfte machte und der der
Dame einst _en passant_ hingeworfen hatte, sie möge ihn doch einmal auf
seinem Gut besuchen. Madame G... arrangierte nun eine Partie dahin, wozu
sie auch noch außer mir Herrn und Madame Sparschuh und ein Fräulein von
Bajinsky einlud, um die Sache nicht zu auffallend zu machen. Wir fuhren
eines Sonnabends nachmittags ab und langten erst gegen neun Uhr abends
in dem Dorf des Edelmannes an. Je näher wir kamen, desto ängstlicher
wurde Madame G..., die anfing, einzusehen, daß sie auf eine so
oberflächliche Einladung hin wenigstens nicht noch vier fremde Personen
hätte mitbringen sollen, und erst nahe bei dem Dorf entdeckte sie mir
und den anderen ihre Bedenklichkeiten. Ich war sogleich dafür, daß wir
anderen in der Schenke des Dorfes übernachten müßten, während Madame
G... allein von der Einladung des Edelmannes Gebrauch machen solle, aber
dies wollte sie ebensowenig, namentlich nicht, daß ich mit dem Fräulein
von Bajinsky, einem niedlichen jungen Mädchen, der Tochter eines
pensionierten Majors, ohne sie unter einem Dache schlafen sollte. Auch
war der Krug in dem Dorf so beschaffen, daß wir alle in einer Kammer auf
einer Streu hätten liegen müssen. Wir hielten indessen am Krug an, von
wo sich Madame G... allein nach dem Schloß des Edelmannes begab und
diesem, indem sie ihm ihren Besuch ankündigte, zu gleicher Zeit auf eine
Weise mitteilte, daß sie in Gesellschaft von noch vier Personen
gekommen, die im Krug geblieben, daß der gute Mann wohl nicht anders
konnte, als ihr den Vorschlag zu machen, sie zu ihm zu bringen; sie kam
nun triumphierend zurück, uns einladend, ihr zu folgen. Wir wurden
indessen ziemlich frostig empfangen, besonders von der gnädigen Frau,
die, Unwohlsein vorschützend, sich bald, nachdem sie uns gemustert,
wieder entfernte, uns dann durch einen Bedienten unsere Zimmer anweisen
-- zum großen Verdruß der Madame G... eines für die Damen mit drei
Betten und ein anderes für die Herren -- und uns auch ein ziemlich
frugales Abendessen auf denselben servieren ließ, nach welchem wir alle
etwas verstimmt und kleinlaut uns zur Ruhe verfügten, da wir niemand von
dem Haus mehr zu sehen bekamen. Den anderen Morgen wurde uns um acht Uhr
der Kaffee gebracht, und der aufwartende Bediente teilte uns mit, daß
sich seine Herrschaft bestens entschuldigen lasse und bedaure, uns nicht
mehr sehen zu können, sie habe aber mit Tagesanbruch auf ein
benachbartes Gut fahren müssen, dessen Eigentümer sie diesen Besuch
schon vor vierzehn Tagen versprochen. -- Dies war denn doch ein wenig zu
arg, ich dankte für das Frühstück, befahl sogleich anzuspannen, die
übrigen waren vollkommen meiner Meinung, und den Domestiken fünf Taler
in Gold als Trinkgeld hinwerfend, verließen wir den gastfreien Edelhof
und waren zu Mittag wieder in Kolberg zurück, samt und sonders von
dieser Pläsierreise wenig erbaut und Madame G... ein wenig beschämt. --
»Der soll mir aber nach Kolberg und zu uns kommen,« sagte sie wohl
hundertmal unterwegs, »ich will ihm wieder mit Ungarwein aufwarten, dem
Flegel!« Niemand war über dies Resultat erfreuter als Frau Doktor M.,
der ich alles nebst den kleinsten Nebenumständen mitteilte und die sich
darüber kindisch freute und halbtot lachen wollte. Ich hatte indessen
bei dieser Gelegenheit nähere Bekanntschaft mit dem liebenswürdigen
Fräulein Bajinsky gemacht, die ich nun auch bald auf mein Register
setzen zu können hoffte. Ich gefiel mir immer mehr in Kolberg und hatte
eben einen Wechsel von vierhundert Talern von Haus erhalten, die mir der
Bankier Mendelsohn in Berlin bei dem Haus Plüddemann in Kolberg, einem
der reichsten Kaufleute, anwies, und da dies schnell in der Stadt
herumkam, so galt ich für sehr reich, und alle Leute waren jetzt noch
dreimal so artig wie früher gegen mich. Den hübschen Töchtern meines
Bataillonschefs sowie der elfjährigen Tochter des Kommandanten gab ich
Unterricht in der französischen Sprache und im Singen. So war ich sehr
gern gesehen und erhielt mehr Einladungen, als mir lieb war; eine junge
Majorin von G... bat mich ebenfalls, ihr doch einige Stunden auf der
Gitarre geben zu wollen, was ich unmöglich ausschlagen konnte, da es
nicht nur eine hübsche, sondern auch sehr geistreiche Frau war. Nach
vielen Bemühungen brachte ich auch ein kleines Liebhabertheater zustande
und wurde sogar in der Harmonie zum _Maître des plaisirs et des
cérémonies_ ernannt. Ich arrangierte nun Extrabälle, kleine Konzerte,
gab alle Gesellschaftsspiele an und war in der Tat _l'enfant chéri des
dames_, und auch hier mußte mir die zum Turm der Marienkirche führende
Treppe bei den gefährlichsten und geheimsten Rendezvous zum
verschwiegensten Gelegenheitsmacher dienen. Eine dieser Damen, die von
ihrem Gatten, einer hohen Militärperson, sehr überwacht wurde und deren
Gängen man nachspürte, machte den Abend, wenn wir ein Stelldichein in
dem Turm verabredet hatten, drei bis vier Besuche in verschiedenen
Häusern, bevor sie sich im Turm einfand, um im Notfall eine gute Ausrede
zu haben und besser ein Alibi beweisen zu können. -- Auch an
Heiratsanträgen, die mir so unter der Hand angegeben wurden, fehlte es
nicht; es waren meist hübsche und reiche Mädchen, mit denen mich
gefällige Basen und Tauten, trotzdem meine galanten Aventüren so
ziemlich bekannt waren und Aufsehen erregten, beglücken wollten. Schöne
und reiche Mädchen waren die Fräulein von Gundenreich, von denen man mir
die älteste durchaus freien wollte. Aber kaum sechsundzwanzig Jahre
zählend, hatte ich noch wenig Sinn für Hymens Freuden in der Ehe, und
ebensowenig Wert hatte der Mammon für mich.

So kam allmählich der Winter heran. Hauptmann von Pfündöl und ich
erhielten sehr freundliche Einladungen von Pogwischs in Berlin, einen
sechswöchentlichen Urlaub zu nehmen und sie zu besuchen. Trotz aller
Freuden, die mir jetzt in Kolberg blühten, ließ ich mich doch bereden,
die gutgemeinte Einladung anzunehmen, auch hatte ich so halb und halb
die Absicht, die Versetzung an den Rhein auszuwirken. Ich erbat und
erhielt Urlaub und machte mich vierzehn Tage vor Weihnachten mit Pfündöl
auf den Weg nach Berlin. Bis Naugarten hatten wir Extrapost genommen und
uns dann in den von Danzig kommenden Postwagen gesetzt, in dem wir eine
liebenswürdige Polin, die Gattin eines polnischen Ulanen-Rittmeisters,
der bei der Armee in Frankreich stand, trafen, die ebenfalls nach Berlin
und von da weiter nach Frankreich zu ihrem Mann reiste und gut
französisch sprach, das Pfündöl, der außerdem schon ein Sechziger war,
so wenig verstand wie die anderen Passagiere. Ich fand die junge Frau,
die aus Königsberg kam, allerliebst und konnte mich um so ungestörter
mit ihr unterhalten, als niemand verstand, was wir sprachen. Es war
schon neun Uhr abends, als wir in Berlin ankamen, was ich zum Vorwand
nahm, um nicht sogleich zu Pogwischs zu gehen, sondern im >Goldnen
Engel<, wo ich schon früher logierte, mit der Frau Rittmeisterin
abzusteigen, worauf auch Pfündöl einging, da er seine Verwandten nicht
noch so spät inkommodieren wollte. Ich schlich mich nach elf Uhr auf
Kathinkas nicht verschlossenes Zimmer, in dem noch Licht brannte, sie
lag aber schon mit hochwallendem, zur Hälfte entblößtem Busen im Bette
und schlief, oder wenigstens tat sie so. Ich weckte die Scheintote mit
Küssen, die sich nun stellte, als erwache sie aus tiefem Schlaf. Es war
aber schon zu spät, ihre Unschuld zu retten, aber immer noch früh genug,
um im Hochgenuß mitfühlend zu schwelgen. Ihre bald weitgeöffneten
schwarzen Feueraugen verrieten alle Glut hoher Lust, die Frau war so
üppig und reizend gebaut, daß ich selbst in Spanien nie einen schöneren
Frauenkörper kennen gelernt; erst gegen Morgen verließ ich das Zimmer
der schönen Polin wieder, kleidete mich an und begab mich dann in das
Pfündöls, um mit diesem zu frühstücken und hierauf zu Pogwischs zu
fahren, wo wir mit großem Jubel empfangen und freudig aufgenommen
wurden. Die Frau Rittmeisterin verweilte mir zu Gefallen noch acht Tage
in Berlin, das sie noch nicht kannte und das sie kennen zu lehren, ich
mich der Mühe unterzog. Wir führten sie bei Pogwischs ein, wo sie
während ihres kurzen Aufenthaltes täglich in dem gastfreien Haus zu
Tische geladen wurde. -- Minchen Pfeifer, bei der wir den anderen Tag
die Aufwartung machten, war unterdessen förmlich die Braut des bei dem
Armeekorps in Frankreich stehenden Regimentschirurgus geworden; dies
hinderte nicht, daß wir das frühere Verhältnis wieder anknüpften,
obgleich sie, als sie von Pogwischs erfuhr, daß ich wiederkommen würde,
diesen gesagt hatte: »Wenn Herr Fröhlich kommt, so suchen Sie doch ja zu
verhindern, daß er mich unter den jetzigen Umständen besucht.« Als sie
mir bei der ersten Visite, die ich mit Pfündöl machte, zuflüsterte:
»Nun, werde ich Sie recht oft bei uns sehen?« erwiderte ich ihr: »Sie
haben es sich ja verbeten.« -- »Ach, das war nicht so gemeint,«
versetzte sie, »aber man muß den Leuten ein wenig Sand in die Augen
streuen, damit man nicht für so leichtsinnig gehalten wird; wir können
indessen immer zusammen musizieren, wenn ich auch Braut bin, das tut
nichts, aber versteht sich alles in Ehren.« -- »Ja, mein Fräulein, in
Ehren kann man alles tun, und so wollen auch wir es machen.« -- Wir
sangen nun wieder öfters miteinander und trugen die Duette, wenn wir
allein waren, mit so großem Ausdruck und so handgreiflicher Aktion vor,
daß auch der strengste Kritiker und Rezensent hätte bezeugen müssen, daß
die vollkommenste Natur dabei herrschte. -- Auch auf dem Schloß machte
ich meine untertänigste Aufwartung bei der Prinzessin Wilhelm, die mich
wieder sehr freundlich empfing und mich unter anderem fragte, wie es mir
in den preußischen Diensten gefalle, worauf ich ein: »Vortrefflich,
Hoheit!« erwiderte. Während meines Aufenthaltes in Berlin wiederholte
ich noch einige Male meine Aufwartung. -- Nachdem acht Tage verflossen,
setzte die schöne Polin ihre Reise nach Frankreich fort, und ich wurde
dadurch freier in meinem Tun und Treiben. Der diesmalige Aufenthalt in
Berlin war noch unterhaltender für mich als der frühere, denn wir
machten viele neue Bekanntschaften, da wir Empfehlungsbriefe von in
Kolberg garnisonierenden Offizieren an deren Verwandte mitgebracht
hatten, wodurch wir viele Einladungen erhielten, die uns manche
angenehme Stunde hinbringen halfen. Unter anderen lernte ich auch die
liebenswürdige Gattin des Herrn von L..., eines Abgeordneten aus
Stralsund, das eben erst preußisch geworden war und deshalb Deputierte
nach Berlin gesandt hatte, kennen, sowie eine Justizrätin von M... und
eine Oberstin von M... Jede dieser Damen war gleich anziehend für mich,
und lange schwankte ich, welcher ich den Vorzug geben solle; die
Munterkeit und das heitere Wesen der Justizrätin machte bald, daß ich
mich vorzugsweise für diese entschied. Sie war eine Schwägerin der Frau
von L..., und ich hatte nun freien Zutritt in all diesen Häusern, wo ich
manche höchst vergnügte Stunde zubrachte. Dabei hatte ich auch einige
der älteren Bekanntschaften wieder erneuert, namentlich die der
reizenden Schauspielerin Demoiselle D..., die aber, wie sie mir selbst
gestand, jetzt Besuche von einer hohen Person erhielt und mich deshalb
nur verstohlen empfangen konnte. Mein Verhältnis mit der Justizrätin
wurde indessen durch einen unangenehmen Zufall bald unterbrochen. Ich
hatte eines Morgens einen Korb mit schönen Austern an dieselbe durch
meinen Bedienten geschickt und ihr in einem Billettchen dazu
geschrieben, daß ich mich um elf Uhr -- die Zeit, wo ich wußte, daß ihr
Mann in Amtsgeschäften sei -- bei ihr einfinden würde, um die delikaten
Schaltiere mit ihr zu frühstücken. Das in unser Geheimnis eingeweihte
Stubenmädchen empfing den Korb, etwas später mich, und wir aßen die
Austern fröhlich zusammen und ließen sie in süßem Ungarwein schwimmen.
Alles ging nach Wunsch und lief ungestört ab. Vor ein Uhr entfernte ich
mich, weil nach dieser Stunde der Herr Gemahl sich zum Mittagessen
einzufinden pflegte. Nun hatte aber das unbesonnene Mädchen die
Austernschalen auf einem Wasserstein in der Küche stehen lassen, und als
Herr von M... gegen zwei Uhr kam und zufällig gegen seine Gewohnheit
einen Blick in die Küche warf, um zu fragen, ob das Essen fertig sei,
sah er die Austernschalen. -- »Was ist denn das?« fragte er das
erschrockene Mädchen, das nach einigem Zögern stotterte: »Madame hatte
plötzlich ein so großes Gelüst nach Austern, daß ich deren holen mußte.«
-- »So, und wie mir scheint, eine ziemliche Quantität; da sind ja mehr
als hundert Schalen.« -- Der Justizrat eilte nun in das Wohnzimmer und
sagte zu seiner Frau: »Du hast heute morgen Austern gegessen?«, worauf
sie erschrocken versetzte: »Ich glaube, es träumt dir, mein lieber
Mann.« -- »Wie, die ganze Küche liegt voller Schalen, und das Mädchen
sagte mir, du habest plötzlich eine so große Lust nach diesem
Leckerbissen gehabt, daß sie deren habe holen müssen. Ich hätte nichts
dagegen, wenn es ein Dutzend gewesen wäre, aber über ein Hundert, das
kostet ja an zwei Friedrichsdor.« -- Die Frau sah jetzt wohl ein, daß
sie die Sache auf Rechnung ihrer Genäschigkeit schieben müsse, und
dankte Gott, auf diese Weise, doch mit einem wenn auch etwas derben
Verweis davonzukommen, indem der Mann sagte: »Du bist ja doch nicht in
der Hoffnung, soviel ich weiß, und wäre es, gleich ein Hundert zu
verzehren, dergleichen Sprünge verbitte ich mir, sonst werde ich dir
einen Riegel vorschieben, der dich verhindern soll, künftig so
extravagante Ausgaben zu machen; ein Hundert Austern, solche Depense
macht der König nicht!« -- So wäre die Sache abgemacht gewesen, wenn der
Justizrat nicht zwei Tage darauf ein anonymes Billettchen erhalten
hätte, in dem man ihm schrieb: »Sie sind sehr schwachköpfig, zu glauben,
daß Ihre Frau die Austern -- es waren ihrer anderthalb Hundert -- allein
verspeist habe. Sie hat sie bei einem _tête-à-tête_ mit einem Offizier
gegessen, und beide haben Ungarwein dazu getrunken.« -- Jetzt war der
Teufel los, der Mann rannte heim, stellte seine Frau zur Rede,
examinierte als geübter Jurist wie in einem peinlichen Verhör die Mägde,
aber alle leugneten beharrlich, schrien über schändliche Verleumdung,
und seine Frau sagte: »Mein Gott, siehst du denn gar nicht ein, lieber
Mann, daß dich irgendein Spaßvogel zum besten hat und den Austernschmaus
zum Vorwand nimmt, um dich zu hetzen, Zwietracht unter uns zu stiften
und sich dann ins Fäustchen zu lachen? Besinne dich nur, mit wem du von
der Sache gesprochen, und es muß dir klar werden, wer den Wisch
geschrieben.« Die Zofen stimmten so kräftig mit den Worten ihrer Herrin
überein, daß es dem armen Mann ganz schwül wurde und er endlich den
Gläubigen spielte; in der Tat hatte er mit einigen Freunden von der
Nascherei seiner Frau gesprochen, aber dennoch traf er solche Anstalten,
daß dergleichen Frühstücke oder Soupers wenigstens in seinem Hause
künftig unmöglich wurden. Dagegen fand sich Gelegenheit, uns außerhalb
desselben zu entschädigen. Wer den anonymen Brief geschrieben, konnten
wir nicht herausbringen, aber wahrscheinlich hatte eines der Mädchen,
das einen Liebhaber gehabt, geplaudert, und so war die Sache weiter
gekommen und wurde dann in den Berliner Salons, mit allerlei Zusätzen
ausgeschmückt, erzählt. Meine alte Liebhaberei, zu einer Garde zu
kommen, erwachte auch hier wieder, als ich der Musterung der königlich
preußischen Garden, die von Paris zurückgekommen waren, beiwohnte, und
die nicht nur eine vortreffliche militärische Haltung, ein martialisches
Aussehen hatten, sondern auch fast ausgesucht schöne und noch junge
Leute und sehr elegant und geschmackvoll uniformiert waren, namentlich
die Kavallerie, besonders die Ulanen und Husaren. Da ich nun in den
Soireen und bei Diners mehrere Generäle, unter anderen auch den
Geheimrat Schmalz kennen gelernt und außerdem an der Prinzessin Wilhelm
eine einflußreiche Beschützerin hatte, so hoffte ich wohl mein Vorhaben
durchsetzen zu können, aber vergeblich; man machte mir wenig Hoffnung.
Es hieß, daß nicht nur alle Garderegimenter vollzählig seien, sondern
auch überdies eine große Zahl aggregierte Offiziere hätten; das
Haupthindernis mochte indessen wohl sein, daß ich nicht zu der Klasse
derer gehörte, die man von Adel nennt, gewiß eines der albernsten und
stupidesten Vorurteile, welche menschliche Dummheit je geschaffen! Ich
hatte indessen Gelegenheit gehabt, bei einem großen Diner, das im
Börsensaal gegeben wurde und wozu Pfündöl und ich von einem Oberst
Scholten von der Artillerie, von dessen Sohn wir an ihn empfohlen worden
waren, eingeladen worden, den so tapferen als hochehrwürdigen
Feldmarschall Fürsten Blücher kennen zu lernen, ohne den schwerlich
Deutschland von dem napoleonischen Sklavenjoch jemals befreit worden
wäre, ohne den die Verbündeten noch weniger Paris erblickt haben würden
und ohne den die Schlacht bei Waterloo, wo Wellington mit seinen
Engländern schon vollkommen geschlagen war, -- und mit ihr die deutsche
Sache, -- wieder verloren gewesen wäre. Nie hat mich ein Mann in so
hohem Grade angesprochen wie Blücher. Ich hatte nur Gelegenheit, wenige
Worte mit ihm zu wechseln, aber was er sagte, war voll Kraft und
Wahrheit. Biederkeit leuchtete aus seinen Augen und ging aus jedem
seiner Worte hervor; vor diesem greisen Helden fühlte ich mich von
Ehrfurcht und Hochachtung durchdrungen, während ein Napoleon nur ein
unheimliches und unangenehmes Gefühl in mir erregt hatte und ich keine
Spur von Achtung empfand.

Die Weihnachten waren herangekommen. Mit ihnen wurde es auch in Berlin
recht lebendig, der ganze Weihnachtsmarkt war mit grünen Pyramiden,
Spiel- und anderen Waren und den schönen und eleganten Kindern Berlins,
zum Teil in kostbare Pelze gehüllt, von morgens bis abends angefüllt,
was mir Gelegenheit gab, diese lebendigen Christpuppen die Musterung
passieren zu lassen, manchen von ihnen auch in den nahegelegenen
Konditorladen Josty oder den entfernteren eleganten des Konditors Fuchs
unter den Linden zu folgen, wo sich die schöne Welt versammelte, unter
grünen Laubdächern flüssige und kompakte Süßigkeiten einnahm und der
Harmonie einer hinter Gebüsch und Teppichen verborgenen Musik zuhörte.
Fast alle Konditorläden, welche von den Berlinern und besonders den
schönen Berlinerinnen fleißig besucht werden, haben um diese Zeit
sogenannte Ausstellungen, das heißt, es werden ganze Szenen aus Opern
oder Schauspielen, ganze Volksfeste, wie der Stralauer Fischzug und so
weiter, aus Figuren und Dekorationen von Kraftmehl in einem solchen
Laden ausgestellt, die manchmal so meisterhaft ausgeführt sind, daß sich
selbst ein Canova ihrer nicht zu schämen hätte. So entsinne ich mich,
unter anderen eine Szene aus Wallensteins Lager von Schiller, die ein
vollendetes Meisterstück genannt werden konnte, in einem Konditorladen
unter den Linden gesehen zu haben; nicht allein, daß die Gruppierungen
und der Ausdruck in den Gesichtern und den Stellungen ganz vortrefflich
waren, sondern alle Figuren und Gesichter sahen den Schauspielern,
welche die verschiedenen Rollen gaben, so sprechend ähnlich, daß man sie
auf den ersten Blick erkannte, namentlich war dies mit dem Komiker Wurm
und mit Devrient, der den Kapuziner machte, der Fall.

Bei meinen freundlichen Wirten veranstaltete ich eine kleine Bescherung,
zu der auch Minchen Pfeifer und noch einige andere Damen eingeladen
wurden. Ich bestellte einen ungeheuren Baumkuchen, ein in Berlin sehr
beliebtes Gebäck, bei Josty und besteckte ihn mit allerlei kleinen
Gaben, deren Bestimmung durch Zettelchen angedeutet war und die meist
aus kleinen Bijouterien bestanden. Der Hauswirtin aber verehrte ich noch
besonders ein Teeservice von Porzellan, von dem sie eine große Freundin
war und das ich in der königlichen Porzellanfabrik erstanden hatte. Auch
das Neujahr ging recht vergnügt herum. Herr von Pogwisch arrangierte
einen kleinen Ball, auf dem wir bis gegen Morgen tanzten. Die
Karnevalszeit brachten wir ebenfalls recht fröhlich zu. Ich besuchte die
prächtigen Redouten im Opernhaus, die freilich mit denen in San Carlo in
Neapel unter Murat nicht verglichen werden konnten, aber trotzdem sehr
glänzend waren und Freuden die Fülle gewährten, namentlich durch die
Porzellanfuhren, die ich mit meinen Bekanntinnen machte und deren ich
oft zwei bis drei in einer Nacht mit verschiedenen Damen veranstaltete.
Für diejenigen, die Berlin nicht kennen, muß ich mit ein paar Worten
erklären, was es mit diesen Fuhren für eine Bewandtnis hat. Während der
Redouten halten beständig eine ziemliche Anzahl großer und bequemer
Wagen vor dem Opernhaus, bereit, diejenigen aufzunehmen, die sich
paarweise von dem Ball schleichen, um sich in einer solchen Karosse
recht bequem längs der Linden auf- und niederfahren zu lassen.
Diejenigen, die sonst keine Gelegenheiten oder nur sehr schwer zu
Zusammenkünften haben können, finden sie hier am besten, denn wie leicht
kann man sich nicht in einem solchen Gewühl unbemerkt auf ein halbes
Stündchen entfernen und von lästigen Bewachern trennen.

Etwas, das mir großes Vergnügen machte, war, daß man während meiner
diesmaligen Anwesenheit die >Zauberflöte<, die seit vielen Jahren in
Berlin nicht mehr gegeben worden war, neu einstudiert, neu dekoriert --
die herrlichen Dekorationen waren von Schinkel -- und neu kostümiert,
wieder in Szene setzte. Bei einer Vorstellung dieser Oper, der ich in
einer Loge des ersten Ranges beiwohnte, führte mich der Zufall in die
Nähe von ein paar Damen, die in der Nebenloge saßen, von denen die eine,
kaum siebzehn Jahre alt, das schönste blondgelockte Engelsköpfchen
hatte, das ich in meinem Leben sah. Die andere redete sie immer mit
Luise an. Sie war wirklich so auffallend schön, daß während der ganzen
Darstellung die Operngläser nicht aufhörten, sie zu lorgnettieren und
sie der Gegenstand einer allgemeinen Bewunderung war, denn man sah fast
mehr nach ihr als auf die Bühne. Da die Damen ganz vorn saßen, ich aber
in meiner Loge etwas zurück, so war es mir unmöglich, eine Unterredung
mit ihnen anzuknüpfen. Mit Ungeduld erwartete ich das Ende der Oper, um
womöglich ihre Wohnung ausfindig zu machen. Auch folgte ich ihnen nach
Schluß an den Wagen, der aber so rasch davonfuhr, daß ich trotz allem
Rennen denselben bald aus den Augen verlor; gerne wäre ich hinten
aufgesprungen, wenn mich nicht der da befindliche Bediente abgehalten
hätte. Ein paar Tage trug ich mich mit dem Bild dieser Luise herum; die
Logenschließerin konnte mir keine Auskunft geben, und obgleich ich alle
Hunde losließ, so blieb doch jede Erkundigung fruchtlos. Schon hatte ich
es aufgegeben, das Mädchen je wiederzusehen, und sie mir also aus dem
Sinn geschlagen, als ich eines Sonntags gerade bei Beendigung der
deutschen Kirche auf dem Gendarmenmarkt über diesen Platz ritt und
plötzlich unter der herausströmenden Menge die so lange gesuchte Schöne
wiedererblickte, als sie aus der Tür trat. Diesmal sollst du mir nicht
mehr entwischen, sagte ich zu mir selbst, indem ich mir vornahm, ihr in
einiger Entfernung zu folgen und es dabei verwünschte, daß ich gerade zu
Pferde sein mußte. Das Roß gehörte Herrn von Pogwisch und war ein sehr
schönes aber etwas wildes Tier. Um mich meiner Schönen bemerkbar zu
machen, setzte ich die Schenkel an, ließ es kurbettieren, sich
hochbäumen; aber unglücklicherweise war etwas Glatteis auf dieser
Stelle, die Eisen waren nicht geschärft, es glitt aus und stürzte mit
mir, so daß ich unter das Tier zu liegen kam und lange brauchte, ehe ich
mich hervorarbeiten konnte. Glücklicherweise war es auf die Seite
gefallen, so daß ich mit einigen Quetschungen davonkam, denn hätte es
sich überschlagen, so hätte ich sicher den Hals gebrochen. Ich war
sogleich von einem Haufen Neugieriger umringt, von denen einige
behilflich waren, mir aufzuhelfen. Meine Uniform, Beinkleider, die
silberne Schärpe waren ganz beschmutzt und mein Federhut zerdrückt. Der
Vorfall machte weit mehr Aufsehen, als mir lieb war, und ich hinkte,
mein Pferd an der Hand führend und mich verschämt durch die Kirchenleute
drängend, möglichst schnell in eine Seitengasse. Was mir bei der
Geschichte das unangenehmste, war, daß ich die langgesuchte Schöne zum
zweitenmal und wahrscheinlich für immer aus dem Gesicht verloren hatte,
und sie mir, wie ich glaubte, nun auch für immer aus den Gedanken
schlagen mußte.

Der Kommandant von Spandau war ein alter Kriegskamerad von Pfündöl, den
er zu besuchen sich vornahm. Er lud mich ein, ihn zu ihm zu begleiten.
Ich kannte das berüchtigte Spandau noch nicht und willigte daher mit
Vergnügen in den Vorschlag; auch Pogwisch war mit von der Partie, und
wir ritten eines Morgens früh nach Spandau ab. Als wir in das alte Nest
kamen, hatte ich beinahe einen Schauder, und es war mir ganz unheimlich
zumute; besonders machte die feste Zitadelle einen schlimmen Eindruck,
und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren: Wie, wenn du hier
einmal als Staatsgefangener dein Leben beschließen müßtest? -- Beim
Kommandanten wurden wir aber so wohl aufgenommen und so gut bewirtet,
daß ich schnell wieder andere Gedanken bekam. Als wir nach Tisch alle
Spandauer Herrlichkeiten und Traurigkeiten besehen hatten und uns zur
Heimkehr nach Berlin anschicken wollte, da fiel es Pogwisch ein, noch
einen alten Major, einen Freund seines verstorbenen Vaters, aufzusuchen,
wohin wir ihn begleiteten. Als wir bei dem braven Mann eintraten, saßen
zwei Damen auf dem Sofa, die, uns bewillkommnend, sich sogleich erhoben.
Aber kaum traute ich meinen Augen: in der einen derselben erkannte ich
sogleich meine so lange gesuchte Luise! -- Vor freudigem Erstaunen war
ich fast starr und sprachlos. Das holde Mädchen, in einem sehr einfachen
weißen Kleid, sah lieblicher aus wie ein Seraph und so frischblühend,
als sei es die eben den Meereswogen entstiegene Aphrodite, die unmöglich
reizender gewesen sein kann als dieses sozusagen in Lieblichkeit und
Anmut schwimmende Kind, ein Engel scheinend, wie sie vor Gottes Thron
schweben müssen. Der invalide Major hieß uns freundlich willkommen und
stellte uns den Damen vor, wovon die älteste seine Schwester, die
Oberstleutnant von D..., und die jüngere deren Tochter, seine Nichte
war. Nie in meinem Leben habe ich das banale: »Es freut mich
außerordentlich, Ihre werte Bekanntschaft zu machen,« mit mehr Wahrheit
als diesmal ausgesprochen, und noch glücklicher fühlte ich mich, als ich
erfuhr, daß die Damen sich nur zur Geburtstagsgratulation ihres Bruders
und Oheims hier eingefunden und diesen Abend ebenfalls nach Berlin
zurückzufahren gesonnen seien, wo sie in der Kronenstraße wohnten; daß
wir sie eskortieren würden, nahm ich nun als ausgemacht an. Wir
verweilten noch anderthalb Stunden in ihrer Gesellschaft, während
welchen ich Luisens Mutter um die Erlaubnis bat und sie erhielt, ihr in
Berlin meine Aufwartung machen zu dürfen. Bei der Rückreise wich ich
nicht vom Schlag der Kutsche und unterhielt mich auf das anziehendste
mit dem ebenso geistreichen als schönen Mädchen, während Mama bald in
Morpheus Armen ruhte. Tief in der Nacht oder vielmehr nach Mitternacht
kamen wir bei der Wohnung der Damen an, die in geringer Entfernung von
der unsrigen war, und erst jetzt bemerkte ich, daß ich längst meine
beiden Reisegefährten verloren hatte. Was so nahe war, hatte ich so
lange und so weit gesucht; so geht es aber in der Regel. Noch eine ganze
Stunde mußte ich zu Hause auf die Rückkunft meiner beiden Begleiter
warten, die ganz gemächlich angeritten kamen und mit dem viel rascher
fahrenden Wagen nicht gleichen Schritt hatten halten wollen; als ich sie
deshalb zur Rede stellte, erwiderten sie mir: »Uns spornt auch kein Gott
Cupido!« -- Ich hatte jetzt fast für nichts mehr Sinn, als dem schönen
Fräulein von D... emsig den Hof zu machen, wozu mir wieder die Musik den
Weg bahnte und Gelegenheit gab, da Luise eine schöne Stimme hatte und
gut sang. Die neue Bekanntschaft machte mich glut- und feuersprühend wie
noch wenige, aber vergeblich, denn Mama ließ das schöne Töchterchen, das
selbst noch ein gar schüchternes Täubchen war, auch keine Sekunde
allein; ein verstohlenes Händedrücken machte sie schon am ganzen Leibe
zittern. Sollte mich die innere Glut nicht verzehren, so mußte ich sie
wohl von Zeit zu Zeit bei anderen Schönen löschen, was ich denn auch
nicht unterließ. -- Daß ich alles mögliche versuchte, auch Luise zu
verführen, gestehe ich ein, ebenso, daß ich es trotz der unsäglichsten
Mühe nicht dahin bringen konnte, dank der Mama und den Grundsätzen, die
sie dem Mädchen eingeprägt, das durchaus nicht einmal ein Briefchen von
mir annahm. Unter den vielen Manövern und Umtrieben, die ich
veranstaltete, Luise zu Fall zu bringen, war auch eine glänzende
Schlittenfahrt _en Costume_, die ich mit Hilfe Pogwischs veranstaltete.
Der erste, für die Musik bestimmte Schlitten stellte ein altgriechisches
Schiff vor, dessen Mast bunt bewimpelt war und an dessen Vorderseite
eine goldene geflügelte Viktoria, die Siegesfahne in der Hand
schwingend, schwebte. Vier prächtig geschmückte Rappen zogen dasselbe.
Wir hatten über achtzig schöne Rennschlitten, fast alle vergoldete Tier-
oder allegorische Figuren vorstellend, zusammengebracht, jeder hatte
zwei Vorreiter, mehrere auch noch Nachreiter. Nun ging es, nachdem man
sich rangiert hatte, mit rauschender Musik, Peitschengeknall und
Schellengerassel die Linden auf und nieder, dann über den
Schloßplatz durch die Königsstraße, die neue Friedrichsstraße, die
Heiligegeist-Straße, wieder über den Schloßplatz, am Hausvogteiplatz
vorbei, dann durch die Jerusalemerstraße, die Leipzigerstraße hinab,
durch die Wilhelmsstraße und am Wilhelmsplatz vorbei, die Mohrenstraße
wieder hinauf, durch die Markgrafenstraße über den Gendarmenmarkt, die
Charlottenstraße entlang, dann durch die lange Friedrichstraße bis unter
die Linden, diese hinab und über den Pariserplatz zum Brandenburger Tor
hinaus nach Charlottenburg, wo ein splendides Mittagessen bestellt war
und eingenommen wurde. Wir fuhren fast durch alle Straßen, in denen
Teilnehmer an dieser Schlittenfahrt wohnten, und ich hatte es zu
veranstalten gewußt, daß beinahe alle Berliner Damen, mit denen ich
näher bekannt, von der Partie waren. Die Kostüme waren zum Teil sehr
geschmackvoll, reich und prächtig, meistens der romantischen Theater-
und Dichterwelt entnommen, so zum Beispiel die Hauptpersonen aus Ariosts
Orlando, Wielands Oberon und Tassos befreitem Jerusalem. Luise, die zu
fahren mir gelungen war, saß in einem einen goldenen Schwan
vorstellenden Rennschlitten und war als Diana kostümiert. Nach Tisch,
der bis zur sinkenden Nacht währte, wurde getanzt, und erst gegen zehn
Uhr fuhren wir bei dem Schein von einigen hundert Fackeln wieder nach
Berlin zurück und durch dessen Hauptstraßen jede Dame heim.

Ich war jetzt so enchantiert von Berlin, seinen Vergnügungen und der
spröden Luise, die mir denn doch, wenn auch in Gegenwart der Mama das
Schlittenrecht hatte gewähren müssen, daß ich mir vornahm, alles
aufzubieten, den nächsten Winter ganz in Preußens Hauptstadt zubringen
zu können; zu diesem Ende meldete ich mich bei dem Oberst von Witzleben
mit der Bitte, mich doch für das nächste Jahr in der Kriegsschule
verwenden zu wollen, wo ich Vorlesungen über Fortifikation und den
Felddienst überhaupt sowie über Strategie zu halten beabsichtige. Da ich
von mehreren Generälen und von der Prinzessin Wilhelm, der ich dieses
Vorhaben, das sie vortrefflich fand, mitgeteilt, gute Empfehlungen
hatte, so wurde mir auch eine solche Anstellung für den nächsten Winter
zugesagt, wenn ich das hierzu erforderliche Examen bestünde, wofür mir
nicht bange war, da ich den Felddienst und was dazu gehörte sehr
praktisch kennen gelernt und außerdem noch acht Monate hatte, mich auch
theoretisch mehr vorzubereiten. Aber die Vorsehung hatte mir eine andere
Schule als die Kriegsschule zu Berlin reserviert, auch eine Art
Prüfungsschule; doch ich will den Ereignissen nicht vorgreifen. Noch
wohnte ich dem Ordensfest, das diesmal äußerst glänzend gefeiert wurde,
sowie einem dieserhalb zu Ehren gegebenen großen Diner bei, an dem fast
die ganze in Berlin anwesende Generalität und die meisten Stabsoffiziere
teilnahmen. Bei dieser Gelegenheit sah ich den König, einen Monarchen,
der vollkommen die seltene Liebe und Hochachtung, die man ihm zollte,
verdiente, in der Domkirche über eine Stunde ganz in der Nähe und konnte
bemerken, daß seine Andacht bei der religiösen Feier gewiß keine
erheuchelte war, sondern ihm von Herzen ging.

Über zwei Monate waren wir nun schon in Berlin und hatten um vierzehn
Tage Verlängerung unseres Urlaubs gebeten und erhalten. Meine Kasse,
obgleich ich für den gewöhnlichen Unterhalt nicht zu sorgen hatte und
trotzdem ich die des Bankiers Mendelsohn auf Rechnung meines Vaters
einigemal angesprochen, war durch die vielen außerordentlichen Ausgaben,
wozu auch noch die Geburtsfeste der beiden Frauen von Pogwisch gekommen
waren, denen ich nicht umhin konnte, elegante Präsente zu machen, so
ziemlich erschöpft, und es war daher hohe Zeit, wieder nach unserer
Garnison Kolberg abzureisen, was wir auch nach gehörigem Abschied von
dem schönen Berlin und seinen anmutigen Bewohnern und besonders
Bewohnerinnen taten. Wir traten die Reise im Königsberger Postwagen an,
gelangten Mitte Februar ohne alle Abenteuer wieder in die treffliche
Festung und wurden freundlich und fröhlich empfangen.




                                  IX.

   Frau v. Schätzel. -- Madame Schröder, der Kolberger Krösus. -- Ihre
    Feste und Landpartien. -- Eine Schlittenfahrt mit Folgen. -- Ein
   Duell. -- Eine gefährliche Fensterpassage. -- Ich belausche wider
     Willen eine Kaffeegesellschaft. -- Ein Kaffeebad. -- Ich führe
       einen Transport zu dem Okkupationsheer nach Frankreich. --
    Stettin. -- Ein Konzert rettet aus Not und Tod. -- Ich werde vom
      Dienst suspendiert. -- Rombergs Schauspieler-Gesellschaft zu
    Kolberg. -- Sechsmonatlicher Festungsarrest in Weichselmünde. --
    Neufahrwasser. -- Danzig und seine Vergnügungen. -- Abreise nach
                              Marienburg.


Auch in Kolberg waren bei unserer Ankunft die Winterfreuden, wenn auch
im Vergleich mit Berlin in sehr verjüngtem Maßstab, in vollem Gang. Ich
knüpfte die alten Bekanntschaften wieder an, machte dazu neue, unter
denen die liebenswürdige Frau von Schätzel, eine geborene Schick, die
früher in der Oper zu Berlin als treffliche Sängerin glänzte und den
Landrat von Schätzel, der sich sterblich in sie verliebte, geheiratet
hatte. Aber kaum ein Jahr dauerte das Glück dieser Ehe ungetrübt fort,
als der Landrat plötzlich verhaftet und in strengen Arrest gebracht
wurde. Er hatte sich einen Unterschleif von mehr als zehntausend Talern
zu schulden kommen lassen, wurde kassiert und auf zehn Jahre auf die
Festung Kolberg gesetzt. Seine Frau war ihm dahin gefolgt und gab in den
ersten Häusern daselbst Unterricht im Klavier und Gesang, wodurch sie
sich anständig ernährte. Ihrem Mann gestattete der Kommandant, in der
Stadt wohnen zu dürfen, und mit Hilfe seiner Frau gelang es ihm, einen
Journalzirkel zu errichten, der ihm ein paar hundert Taler jährlich
einbrachte; somit war die Familie wenigstens in leidlichen Umständen. Da
Frau von Schätzel eine sehr liebenswürdige, geistreiche und talentvolle
Dame war, so wurde sie zu allen Gesellschaften und Partien _de plaisir_
eingeladen. Ich hatte zuerst ihre Bekanntschaft bei einem Fest gemacht,
das der Kolberger Krösus, eine Madame Schröder, gab und nicht weniger
als drei Tage hintereinander währte. Den ersten Tag war großes Diner und
Ball in ihrem neuerbauten Haus auf dem Markt in der Stadt, an den beiden
folgenden wurden Landpartien auf die Rittergüter der Dame gemacht, die
deren nicht weniger als ein halbes Dutzend der ergiebigsten in der
Umgegend von Kolberg besaß, ein Einkommen von mehr als vierzigtausend
Talern jährlich hatte und dabei eine Witwe von etwa achtunddreißig
Jahren sein mochte. Wie sie oder vielmehr ihr seliger Mann, der bis zum
Jahre 1807 nur ein ganz unbedeutender armer Krämer gewesen, der Tee,
Kaffee, Zucker und so weiter lotweise verkaufte, zu diesem Reichtum
kamen, verdient wohl angeführt zu werden. Als Napoleon die
Kontinentalsperre gegen England in beinahe ganz Europa angeordnet hatte,
ernannte er auch einen französischen Konsul in Kolberg, das, wie wir
bereits wissen, keine Franzosen -- Gefangene ausgenommen, unter denen
sogar der Marschall Victor war, den man dahin gebracht -- gesehen hatte.
Das Haupt- oder alleinige Geschäft dieses Konsuls war hauptsächlich,
streng darauf zu sehen, daß keine englischen Waren und von England
kommende Kolonialwaren hier eingeschmuggelt würden. Der Kaffee kostete
damals über einen Taler das Pfund, der Zucker ebensoviel in ganz Preußen
und Deutschland; Schröder und noch ein anderes Haus namens Plüddemann
verständigten sich mit dem Herrn Konsul und erhielten ungeheure
Quantitäten Kolonialwaren von England, die als von Dänemark kommend
eingeführt wurden. Der außerordentliche Gewinn, den dieses gewagte
Unternehmen abwarf, wurde mit dem Konsul geteilt, und über vier Jahre,
bis 1813 Preußen gegen Frankreich aufstand, währte dieser lukrative
Schmuggelhandel, bei dem die Beteiligten so klug waren, ihre gewonnenen
Reichtümer so geheim zu halten, daß niemand etwas davon ahnte. Erst als
Schröder zu Anfang des Jahres 1814 starb und sein Testament eröffnet
wurde, fand es sich, daß er bereits Besitzer von vier fetten pommerschen
Rittergütern war, wenigstens ein halbes Dutzend Kauffahrteischiffe auf
der See gehen hatte, die von den Engländern nichts zu riskieren gehabt,
und an barem Geld und pommerschen Pfandbriefen fanden sich mehrere
hunderttausend Taler vor. In seinem Testament hatte er unter anderem
verordnet, daß seine Witwe -- er hinterließ vier Kinder --, so lange sie
lebe und sich nicht wieder verheirate, über den Nießbrauch des Vermögens
verfügen, ihr aber im letzteren Fall nur ein Jahresgehalt von
fünfzehnhundert Talern verbleiben solle; zu Testamentsvollstreckern und
Vormündern der Kinder hatte er den Kaufmann Dresow und den Apotheker
Julius ernannt, und Madame Julius ward nun die Gesellschaftsdame der
Madame Schröder, wobei sie und ihr Mann sich trefflich standen, da die
Dame ebenso schlau und listig als ihr Gatte stupid und Madame Schröder
borniert war. Letztere, die sich nun plötzlich von einer armen
Krämersfrau, denn sie selbst hatte den Reichtum ihres Mannes nicht
geahnt, in eine reiche Guts- und Kapitalienbesitzerin verwandelt sah,
wußte sich gar nicht in ihr großes Glück zu finden und beging eine
Albernheit nach der anderen, zu der sie durch ihre gute Freundin
verleitet wurde, da diese ihren Vorteil bei den dummen Streichen fand.
Das alte kleine Häuschen, in welchem der selige Mann so viel Geld
erworben, war natürlich jetzt keine passende Wohnung mehr für die Frau
Rittergutsbesitzerin. Sie mußte einen Palast auf dem Markt haben; da
sich aber kein solcher auf demselben befand, so mußten einige alte
Häuser erstanden und niedergerissen werden, damit er gebaut werden
konnte. Madame Julius wollte ihre beste Freundin zur nächsten Nachbarin
haben. Ein neben der Apotheke stehendes Haus war zu verkaufen, hatte
aber nur eine sehr schmale Fassade auf dem Markt, jedoch einen langen
Hof, dessen Mauer in ein enges Seitengäßchen ging. Madame Julius
beredete nun ihre Freundin, dieses zu einem sehr hohen Preis -- sie
erhielt von dem Eigentümer das Dritteil als Maklergeld -- zu kaufen. Das
Haus wurde niedergerissen und der Palast an dessen Stelle erbaut, der
nur drei Fenster in der Front auf den Markt, aber eine lange Fassade in
das Gäßchen erhielt, und da doch ein Stück vom Hof bleiben sollte, so
waren die Gänge, welche zu den Zimmern führten, so schmal, daß kaum zwei
schmächtige Personen nebeneinander gehen konnten, Madame Schröder und
ihre Freundin am wenigsten, da beide sehr korpulent waren. Nicht einmal
die vier Pferde, prächtige Mecklenburger, die Madame Schröder gekauft,
konnten einen Stall in diesem Palast erhalten und mußten auswärts
einlogiert werden. Die Ameublierung dieses Hauses war so barock wie
dessen Bauart. Die Decken der Gemächer waren alle mit wunderlichen
Figuren bemalt, an allen Ecken waren Amors angebracht, die ihre Pfeile
abdrückten, und ein vergoldeter Cupido schwebte über dem Betthimmel der
Dame und schoß seinen Pfeil gerade auf die Mitte des Bettes ab. In dem
größten Salon war der ganze Olymp abkonterfeit, und zwar bei einem
Göttermahl, bei dem pommersche Gänsebrüste, Hamburger Pökelfleisch,
Kolberger Neunaugen, Lachs, Pasteten dampfend vor Jupiter und Frau Juno
standen, und Apoll und Frau Diana tranken Gesundheiten aus
Champagnergläsern; Minerva trank Schokolade, Mars Ale, und Venus hatte
eine Tasse Kaffee vor sich. Dies alles hatte Madame Julius so angegeben.
In den nicht sehr großen Zimmern waren so viel Mobilien, Sofas,
Kommoden, Kanapees, Sessel und Quincaillerien aufgestellt, daß sie wie
bei vielen Pariser Parvenües eher Warenmagazinen als Wohnzimmern
glichen. Madame Schröder und ihre Freundin fuhren nicht mehr anders als
in einer Staatskarosse mit den vier Mecklenburgern lang bespannt aus,
und wenn sie sich nur zu einer Kaffeegesellschaft in das Nebenhaus
begaben, so daß oft die Kutsche noch an der Haustür der Madame Schröder
hielt und die beiden Vorderpferde schon mit ihren Köpfen fast an das
Haus, wo man sich hinbegab, reichten. Zu dem Einweihungsfest dieses
Hauses waren alle Honoratioren und das ganze Offizierkorps der Garnison
geladen; von Mittag bis zur Nacht währte die Mahlzeit. Ich hatte schon
gar mancherlei Essen in so verschiedenen Ländern beigewohnt, aber noch
nie war mir eine solche An- und Aufhäufung von allen möglichen Speisen
durcheinander vorgekommen. Unmittelbar nach dem Essen, von dem manche
der Gäste mit beschwerten Köpfen und zum Zerplatzen gefüllten Mägen den
Tisch verließen, folgte der Tanz. Während der Pausen sang ich einigemal
Duette mit Frau von Schätzel aus verschiedenen Opern und tanzte dann mit
der hübschen Sängerin mehr als ich sollte, wodurch ich Madame G..., die
Frau Doktor M... und noch andere Damen in üble Laune versetzte. Die
ganze Nacht durch wurde getanzt, gebechert und geschmaust, und mit
Tagesanbruch wurden Anstalten gemacht, die Landpartie auf die Güter der
Dame anzutreten. Jedermann begab sich ein paar Stunden nach Haus, um
seine Landtoilette zu machen, und gegen zehn Uhr morgens fuhr die ganze
Gesellschaft, über hundert Personen, in einigen zwanzig Wagen,
größtenteils Korbwagen mit Bauernpferden bespannt, welche alle die
freigebige Wirtin besorgt hatte, nach dem nächsten Rittergut derselben
ab, wo man wieder mit Schmausen und Zechen begann, musizierte, tanzte
und spielte und dann weiter nach einem anderen Gut fuhr. Am Tag sang und
beschäftigte ich mich viel mit der äußerst liebenswürdigen Frau von
Schätzel, und wenn die Nacht herankam, machten wir _tête-à-tête_
romantische Promenaden in die Gärten und Felder _au clair de lune_, von
denen wir immer etwas ermüdet heimkehrten. Drei Tage währte dies
seltsame Nomadenleben, von dem alle, die es mitgemacht, fatiguiert und
abgespannt nach Kolberg zurückkamen und froh waren, wieder in das
Geleise des Alltagslebens einzutreten.

Auch mehrere Schlittenfahrten hatte ich kurz nach meiner Rückkehr von
Berlin arrangiert, die, wenn auch nicht so glänzend wie die in der
Hauptstadt, deshalb nicht minder amüsant waren, auch war immer ein
Musikschlitten dabei. Nettelbeck war einigemal bei dieser Partie oder
lieh mir seinen Schlitten samt Pferdegeschirr. Ich fuhr abwechselnd
meine intimsten Bekanntinnen. Bei einer dieser Partien, bei der sich ein
sehr schönes Mädchen aus Köslin, ein Fräulein Conrad, die Tochter eines
dortigen Beamten, befand, suchte ich bei Tisch mich neben diese zu
placieren; dasselbe tat auch ein Ingenieur-Leutnant namens Poselger, und
es entspann sich zwischen diesem und mir ein kleiner Wortwechsel wegen
der Placierung der Damen. Poselger, der vielleicht ernstliche Absichten
auf das Mädchen hatte, verwechselte die von mir auf die Kuverte gelegten
Zettel; ich hatte es bemerkt, stellte ihn deshalb zur Rede und bestand
darauf, daß die Zettel wieder auf ihre alten Plätze gelegt würden,
wogegen er sich weigerte und mir ein trotziges: »Es beliebt mir einmal
so!« entgegnete. Ich nahm aber die Zettel, verwechselte sie abermals und
erwiderte: »Und mir beliebt es so, und dabei bleibt es, da ich
Zeremonienmeister und Anordner des Festes bin.« -- »Schon gut, Herr
Kamerad,« versetzte jetzt mein Gegner, »das wird sich morgen früh
finden, ich erwarte Sie in der Wolfsschanze.« -- »Sie sollen nicht
vergeblich warten, und so ist die Sache für jetzt abgemacht, da hier
nicht der Ort zu weiteren Erörterungen ist.« -- Ich saß nun neben dem
Fräulein Conrad, mit der ich mich, meinem Nebenbuhler zum Trotz, der
jetzt etwas schief uns gegenüber saß und wütende Blicke schoß, auf das
angenehmste unterhielt und sogar von ihr erlangte, daß sie bei der
Heimfahrt in meinem Schlitten neben der Frau Doktor M..., die ich
gefahren, Platz nehmen würde. Ich ließ mich indessen durch nichts mehr
in den Freuden der Tafel und des darauf folgenden Tanzes stören, sondern
unterhielt mich vortrefflich, ja Fräulein Conrad war mir nun um so
interessanter, und ich bat um die Erlaubnis, sie in Köslin besuchen zu
dürfen. Bei Tisch brachte ich einen Toast auf das Wohl der Kolberger
Damen aus, der von diesen eine Erwiderung zur Folge hatte; so endigte
alles gut, und mein Schlittenrecht übte ich in vollem Maß. Kaum aber war
ich in meiner Wohnung angekommen, so erschien auch schon ein
Artillerieoffizier, Hauptmann Müller, der mich im Namen Poselgers
aufforderte, mich um sechs Uhr den anderen Morgen mit einem Sekundanten
in der Wolfsschanze einzufinden, was ich zusagte, meinen Freund Willmann
aufsuchte und diesen bat, mein Sekundant zu sein, wozu er gleich bereit
war. Wir stellten uns zur bestimmten Stunde nebst einem Chirurgen an dem
bezeichneten Ort ein, und es fand jetzt ein kurzes Pourparler wegen der
Art des Fechtens statt. Poselger wollte sich schlechterdings nur auf den
Hieb einlassen, was ich nicht gewohnt war und deshalb auf dem Stich
bestand oder daß jeder in seiner Weise fechten würde. Der auf den Stich
Fechtende hat, besonders im Parieren, einen bedeutenden Vorteil; man
machte Schwierigkeiten, und ich sagte: »So bleibt uns nichts übrig, als
zu den Pistolen zu greifen.« Endlich kamen wir überein, daß ich zwar _à
la pointe_ parieren, aber nur hauend attackieren dürfe. Nach einigen
Gängen hatte ich dennoch meinem Gegner eines ausgewischt, freilich mehr
stechend als hauend, weshalb mich dessen Sekundant zur Rede stellte, ich
erwiderte aber: »Ich bin es einmal nicht anders gewohnt, deshalb greifen
wir zu Pistolen, wenn Sie nicht zufrieden sind.« -- Man fand jedoch für
gut, da Poselger eine tüchtige, aber nicht gefährliche Fleischwunde
hatte, es dabei bewenden zu lassen und die Sache als abgemacht zu
betrachten. Nachdem Poselger verbunden war, ritten wir alle fünf (wir
waren sämtlich zu Pferde gekommen) in die Stadt zurück. -- Denselben
Abend, als ich kaum zu Hause angekommen war, es mochte zehn Uhr vorüber
sein, klopfte es leise an meine Stubentür. Auf das laute »Herein!« trat
eine dichtverschleierte Frauengestalt ein und fiel mir mit den Worten:
»Du häßliches Ungeheuer, was hast du gemacht!« in die Arme. An der
Stimme und Gestalt erkannte ich Madame G..., deren Mann in Geschäften
nach Kopenhagen gereist war und die mir nun eine lange, vorwurfsreiche
Predigt hielt, die mit einem Friedensschluß und vollkommener Versöhnung
endigte. Erst nach Mitternacht brachte ich sie nach Haus. So lange die
Abwesenheit ihres Mannes dauerte, wiederholte sie diese Besuche jeden
Abend in Begleitung eines vertrauten und artigen Stubenmädchens. Aber
ein anonymer Brief verriet dem wiederheimgekehrten Gatten das täglich
bis tief in die Nacht hinein währende Ausbleiben seiner Frau. Der Mann
examinierte, Madame leugnete und meinte, man wolle sich einen Scherz mit
Herrn G... machen. Er mochte dies nun glauben oder nicht, auf jeden Fall
hatte er Verdacht geschöpft, denn als er bald darauf eine zweite
Geschäftsreise unternehmen mußte, traf er solche Vorkehrungen, daß es
seiner Frau ganz unmöglich wurde, abends unbemerkt das Haus zu
verlassen. Wir korrespondierten mit Hilfe einer alten Tante, welche die
Zwischenträgerin machte und bei der wir uns auch von Zeit zu Zeit am
Tage sahen. Da Madame G... nun nicht mehr zu mir kommen konnte, so
wollte sie, daß ich ihr nächtliche Besuche abstatten solle, was indessen
nicht so leicht war, da auf Befehl ihres Mannes jeden Abend die Haustür
sowie die unteren Fensterläden von einem der Ladendiener mit
Vorhängeschlössern und vorgelegten eisernen Stangen gut verwahrt wurden.
Aber die Liebe macht erfinderisch, und Schwierigkeiten zu überwinden war
von jeher eine Passion für mich. Vor dem Haus des Herrn G... standen,
wie vor vielen Häusern Kolbergs, namentlich auf dem Markt, ein paar
Lindenbäume, jedoch noch in einer ziemlichen Entfernung von den
Fenstern. Ich kam nun auf den Einfall, mit Hilfe eines Brettes, das man
des Nachts von einem oberen Fenster auf einen Baumast legen müsse, in
das Haus einzusteigen. Die Sache ging auch ganz gut, indem das mit ins
Vertrauen gezogene Stubenmädchen diese Art Zugbrücke nach zehn Uhr des
Abends herabließ. Sie und ihre Herrin hielten das Brett an dem einen
Ende fest, während ich, wenn alles >still und stumm war und nur noch die
Verliebten und Gespenster umherwandelten<, auf den Baum kletterte und
dann die gefährliche Passage von ein paar Schritten über das Brett zum
Fenster machte, wo ich mit offenen Armen empfangen wurde und in die Burg
stieg. Dieses Manöver war wohl schon ein halbes dutzendmal geglückt, als
sich eines Abends die Frauenzimmer so ungeschickt benahmen, daß das
Brett, als ich eben den Fuß darauf setzte, mit großem Gepolter auf die
Straße hinabfiel. Glücklicherweise hatte ich mich noch mit der rechten
Hand an einem ziemlich dicken Ast festgehalten, und so kam auch ich mit
einem kleinen Schrecken davon, die Frauenzimmer schrien aber beide laut
auf und glaubten mich verloren. Dies und das Gepolter des fallenden
Brettes hatte die nicht sehr entfernte Schildwache von der Hauptwache
gehört und Lärm gemacht, so daß der wachthabende Offizier mit einem
Unteroffizier die Ronde um das Rat- und Blockhaus machten, da sie aber
alles still und ruhig fanden und nichts Verdächtiges entdeckten, sich
wieder in die Wachtstuben begaben. Nachdem ich nun die hinter dem
Fenster ängstlich harrenden Frauengemüter hinsichtlich meiner gehörig
beruhigt hatte und wir nach längerem Überlegen kein Mittel fanden, wie
ich den Übergang ins Haus jetzt bewerkstelligen könne, denn sie hatten
kein zweites passendes Brett bei der Hand, und das unten liegende konnte
ich zu ihrem großen Verdruß nicht auf den Baum bringen, da Hände und
Füße vollauf zu tun hatten, allein hinaufzuklettern, so mußten wir uns
damit begnügen, uns für diesen Abend gegenseitig eine angenehme Ruhe zu
wünschen, und das Mädchen sollte mit Tagesanbruch die Diele möglichst
unbemerkt ins Haus schaffen. Als ich aber den Baum hinabkletterte,
führte das Unglück den Nachtwächter herbei, der mich bemerkte, da ich
zur Hälfte herab war, mich für einen Dieb hielt, schon »Diebe!« zu
schreien begann und eben zu rasseln anfangen wollte, als ich mit einem
Sprung auf dem Boden war, auf ihn zueilte, in der einen Hand ein
Terzerol, das ich bei solchen Abenteuern immer bei mir zu tragen
pflegte, in der anderen zwei Taler Kurant haltend, ihm den Mund stopfend
und mich als Offizier zu erkennen gebend; aber es war zu spät, denn
schon eilte eine Patrouille von der nahen Wache herbei, wo man das
Geschrei gehört hatte. Ich ging ihr jedoch entgegen und sagte ihr, daß
auch ich den Ruf des Nachtwächters gehört habe und auf denselben
hergekommen sei, daß aber die Diebe, als sie mich erblickten,
davongelaufen wären; dies bestätigte auch der bestochene Nachtwächter,
und so lief alles glücklich ab. -- Dies hinderte indessen nicht, daß,
Gott weiß wie, die Kunde von diesem nächtlichen Ereignis, mit allen
möglichen Zutaten ausgeschmückt, bald in allen Mäulern Kolbergs war, und
ich fand für gut, diese gefährlichen Besuche einige Zeit auszusetzen.

Wenige Tage darauf hatte ich wieder ein, wenn auch nicht so
gefährliches, doch bei weitem unbequemeres Abenteuer zu bestehen. Ich
hatte jetzt eine Wohnung bei einem Schornsteinfeger namens Neugebauer
gemietet, der zwei artige Töchter besaß, die nichts weniger als schwarz
waren. Das Haus war neben dem des Dr. M..., dessen Frau ich auf seine
eigene Einladung fast täglich besuchte und dessen Hausfreund ich war.
Madame G..., die immer noch nicht wegen ihrer Cousine beruhigt war,
besuchte dieselbe häufig und oft zu den unpassendsten Stunden, um zu
entdecken, ob ich mich nicht bei ihr befinde. Eines Nachmittags war ich
kaum ein paar Minuten bei der Doktorin, welche später eine
Kaffeegesellschaft bei sich erwartete, als Madame G... wenigstens um
anderthalb Stunden zu früh erschien. Da wir sie hatten kommen hören, so
sprang ich rasch in das Nebenzimmer. Kaum war ich daselbst, als sie in
das vordere Zimmer trat und sagte: »Du wirst dich wundern, daß ich so
früh komme, aber ich wollte dir nur sagen, daß ich nicht lange bleiben
kann, weil ich mit meinem Mann nach Treptow fahren muß. Indessen will
ich doch sehen, wie du alles arrangiert hast.« -- Da ich dies hörte und
fürchtete, sie möchte auch in das Seitenzimmer kommen, in dem das
Kaffeegeschirr schon aufgestellt war, so kroch ich schnell unter das
daselbst befindliche Sofa. Madame G... machte nun wirklich Anstalt, auch
in dieses Zimmer zu kommen, wogegen sich die Doktorin wehrte. Sie schob
aber dieselbe mit den Worten: »Mein Gott, so sei doch kein Kind,«
beiseite, trat ins Zimmer, sich allenthalben umsehend, und sagte: »Nun,
das ist ja scharmant.« Die Doktorin M..., die etwas verlegen war, schien
erstaunt, mich nirgends zu sehen, konnte sich indessen wohl denken, wo
ich sein müsse, da das Zimmer keinen weiteren Ausgang hatte. Madame G...
warf sich nun auf das Sofa, das sie, trotzdem daß sie ihre Cousine
persuadieren wollte, wieder in das andere Zimmer zurückzukehren, nicht
eher verließ, als bis die ersten Damen, unter denen Frau von Schätzel
und die Kriegsrätin Wißling waren, erschienen. Dann empfahl sie sich.
Nun war an kein Fortkommen für mich mehr zu denken und ich war
verurteilt, wenigstens noch drei gute Stunden bewegungslos in der
fatalen Lage zu bleiben, in die ich mich selbst versetzt hatte, das
Geschnatter all dieser Kaffeegänse, unter denen manche überbejahrte war,
zu vernehmen, und ein halbes Dutzend ihrer Füße, derjenigen, die den
Ehrenplatz auf dem Sofa einnahmen, beständig vor mir zu sehen. Es waren
die Fußgestelle der Damen Schröder, Julius und Wißling, die ich in
diesen untersofaischen Räumen zu beobachten Gelegenheit hatte, die alle
ziemlich groß waren und mich mit einer fast ägyptischen Finsternis
umgaben. Mehr als einmal kam mir die fast nicht zu überwindende Lust an,
eine oder die andere dieser Schönen in die Beine zu zwicken, und nur mit
großer Selbstüberwindung vermochte ich sie zu bekämpfen. Die
Unterhaltung, die mir in meinem engen Versteck die Gespräche der einige
dreißig Frauen starken Versammlung, die sich von keinen Männerohren
belauscht glaubten, gewährten, verkürzten mir indessen meine unbequeme
Lage sehr, denn es kamen Dinge zur Sprache, Dinge, über die ich fast
noch hätte erröten können, und alle nicht Anwesenden wurden unter die
Hechel dieser Weiberzungen genommen. Auch das sämtliche Offizierkorps
und meine Wenigkeit mußte die Musterung passieren, und uns wurden oft
nicht die schönsten Epitheten. Oft war es nahe daran, daß ich vor Lachen
hätte bersten mögen, und konnte dies nur verhindern, indem ich mir die
Lippen fast blutig biß, während die Doktorin M... immer wie auf Nadeln
saß, fast alles verkehrt anordnete und beantwortete. Indessen nahm sie
doch meine Partei, wenn die große Mehrzahl der älteren Frauen auf das
unbarmherzigste über mich herfielen, ebenso über Madame G... Wir waren
dank dieser schon längst das Stadtgespräch. Die Häßlichen schimpften am
meisten. Sogar die nicht anwesende Kommandantin mußte herhalten und ihre
Haushaltung wurde eine schlampige und liederliche genannt. Was mit am
drolligsten, war die Erzählung von einem Kaffeebad, das die Frau eines
Tuchhändlers namens Darkow genommen, von der man wußte, daß die volle
Kaffeekanne den ganzen Tag nicht aus ihrer Stube kam und daß sie wohl
mehr denn dreißig Tassen dieses edlen Getränkes täglich zu sich nehme.
Ihr Mann, dem diese Liebhaberei sehr mißfiel, besonders da sie außerdem
sehr wenig und bei Tische fast gar nichts aß, wurde erzählt, sei nun auf
den Einfall gekommen, um seiner Frau den unmenschlichen Kaffeegelust zu
vertreiben, dieselbe ein Kaffeebad nehmen zu lassen, unter dem Vorwand,
die hysterischen Zufälle, an denen sie von Zeit zu Zeit litt und die
wahrscheinlich von diesem Kaffeetrinken herrührten, dadurch zu heilen.
Ein Spaßvogel von seinen guten Freunden hatte ihm zu diesem Mittel
geraten. Er hatte zu diesem Zweck zwölf Pfund Kaffee rösten, mahlen und
in dem großen Waschkessel kochen, zwanzig Maß Milch dazutun und mit
diesem Gebräu die Badewanne seiner Frau füllen lassen, die er dann mit
der Versicherung, der berühmteste Berliner Arzt habe es angeraten und
schon Wunderkuren damit verrichtet, zu dem Bade persuadierte. Die Dame,
die schon den Geruch des Kaffeedampfes wohltuend fand, fand das Bad
selbst köstlich und hätte sich zugleich dabei satt getrunken, wenn ein
halbes Dutzend Zuckerhüte darin verschmolzen gewesen wären. Aber der
Mann, der gegenwärtig war, sagte seiner Gattin, daß, wenn das Bad die
gehörige Wirkung haben solle, so müsse sie wenigstens ein dutzendmal in
demselben untertauchen. Er nahm sie dann beim Schopf und hielt ihr den
Kopf mit Gewalt einige Sekunden unter dem Kaffee. Trotz dem Sträuben der
Dame wiederholte er das Manöver einige Male schnell hintereinander,
wobei ihr der Kaffee in die Nase, in die Ohren, den Mund und alle
Öffnungen ihres Leibes drang, worüber die Frau in großen Zorn geriet und
wie wütend in dem Kaffee umherplätscherte. Jetzt fand der Herr Gemahl
für geraten, sich aus dem Staub zu machen, die Zofe als den
Wetterableiter für die Wut der Madame zurücklassend, die auch die ganze
Fülle ihres Unwillens an dem unglücklichen, aber dennoch fortwährend
lachenden Geschöpfe ausließ. Diese Pferdekur soll in der Tat der Dame
den Kaffee, wenigstens für eine Zeitlang, gänzlich verleidet haben. --
Diese Erzählung machte mich unter meinem Sofa beinahe ersticken. --
Nachdem auch diese Damen reichlich Kaffee, Kuchen und süße Weine
geschluckt, bequemten sie sich zum Aufbruch, und ich wurde endlich aus
meinem Versteck erlöst, nachdem sich auch die letzte unter mir endlos
scheinenden Komplimenten empfohlen hatte. -- Mit einem minutenlangen
»Uff!« kroch ich unter dem Sofa hervor, nachdem die Doktorin das Zimmer
inwendig abgeschlossen. Sie war wegen der Gespräche, die ich mit
angehört hatte, nicht wenig verlegen und überrot. Ich redete ihr die
Sache lachend aus, indem ich zu ihr sagte: sie möge sich deshalb keinen
Kummer machen, es sei nicht das erstemal, daß ich dergleichen und noch
weit tollere Frauenunterhaltungen mit angehört. -- Wir amüsierten uns
nun noch eine Stunde auf das angenehmste; sie lachte mit mir über mein
Verstecken und was ich gehört, und wir trennten uns zuletzt beide
seelenvergnügt.

Am anderen Morgen wurde ich schon um sieben Uhr durch eine Ordonnanz zum
Bataillonskommandeur Oberstleutnant von Witke gerufen, der mir
ankündigte, daß ich mich sogleich marschfertig zu machen habe, um einen
Transport Rekruten, der in einer Stunde abgehen müsse, zum preußischen
Okkupationsheer nach Frankreich zu führen. Ich wußte zwar, daß dieser
Transport abgehen solle, wußte aber auch, daß Premierleutnant R... zu
dessen Führung kommandiert gewesen, was ich dem Kommandeur bemerkte,
worauf er mir erwiderte: »Allerdings, aber der wurde mir ja soeben krank
gemeldet. Indessen weiß ich schon, was ich von dieser Krankheit zu
halten habe, doch ich will niemand unglücklich machen.« -- Herr von R...
hatte die unglückliche Leidenschaft, sich von Zeit zu Zeit dem Trunke zu
ergeben, und diesen Morgen in aller Frühe, wahrscheinlich, um sich zu
dem bevorstehenden Marsch zu stärken, schon so tief ins Glas gesehen,
daß er kaum auf den Beinen hatte stehen können, und also außerstande
war, abzumarschieren, noch viel weniger, zu kommandieren. Ich mußte
daher in aller Eile meine Vorbereitungen treffen, und ehe eine Stunde
verging, stand ich marschfertig an der Spitze meines, über hundert Mann
starken Detachements, zu dem noch eine Abteilung in Stettin stoßen
sollte. In Stettin hatte ich drei Ruhetage, weil die Leute, die ich noch
mitzunehmen hatte, erst den anderen Tag eintreffen sollten.

Nachdem ich mich in der Stadt umgesehen und die nötigen Gelder zur
weiteren Verpflegung des Detachements in Empfang genommen hatte, kehrte
ich in mein Quartier, den englischen Hof, zurück. Gegen Abend fanden
sich daselbst allerlei Leute ein, unter denen auch ein verabschiedeter
Rittmeister, eine wahre Samielsphysiognomie, die durch zwei tüchtige
Schmarren noch mehr entstellt war. In seinem verzerrten Gesicht lag
etwas hämisch-diabolisches, welches sich besonders, wenn er sprach, und
noch mehr, wenn er lachte, ausdrückte. Seine Züge schienen alsdann aus
Schadenfreude und Hohn zusammengesetzt zu sein. Nachdem die meisten
Gäste ihr Abendbrot eingenommen hatten, näherte sich mir der
Rittmeister, indem er mich mit einem: »Herr Kamerad!« ansprach,
erkundigte sich nach meiner Bestimmung, erzählte mir von seinen
Feldzügen und endigte damit, mir mit einer affreusen, geheimnisvollen
Miene zu vertrauen, daß jeden Abend in einem oberen Zimmer des Gasthofes
ein honettes Pharospielchen gemacht werde, wobei sich verschiedene
Kaufleute, Offiziere, Beamte und so weiter einfänden und etwas zu
gewinnen sei. Er endigte damit, auch mich einzuladen, mein Glück zu
probieren.

Noch jetzt ist es mir ein Rätsel, wie ich mich von dem vor mir
stehenden, ganz unverkennbaren Mephistopheles, dessen betrügerische
Tendenz aus seinen Blicken leuchtete, zu einem heimlichen Spiel konnte
überreden lassen. Genug, es ging mir wie dem Vogel bei der
Klapperschlange, und ich nahm die Einladung an. Er bezeichnete mir das
Zimmer und ich folgte ihm bald. Ein Aufwärter leuchtete mir zwei Stiegen
hinauf und führte mich in ein im hinteren Teil des Hauses gelegenes
Gemach. Noch an der Schwelle desselben schien mich mein guter Engel
warnen zu wollen, denn ich machte eine unwillkürliche Bewegung zum
Umkehren und zog die Hand von der schon ergriffenen Türklinke wieder ab,
als sich dieselbe von innen öffnete und mich die daselbst versammelte
Gesellschaft wahrnahm, so daß ich mich des Rücktrittes schämte und in
das verhängnisvolle etwas spärlich erleuchtete Zimmer trat.

Der Rittmeister in Satansgestalt, oder besser, der Satan in
Rittmeistergestalt hielt Bank, und es wurde schon frisch darauf los
pointiert. Ich fing mit Viergroschenstücken, dem niedrigsten Satz, zu
pointieren an. Anfänglich wollte mir das Glück wohl. Ich gewann
bedeutend, was mich immer mehr anfeuerte. Doch nur zu bald wandte mir
die launige Göttin den Rücken. Ich fing zu verlieren an und in weniger
als einer halben Stunde war der letzte mir gehörige Taler fort. Jetzt
nahm ich, durch meinen Verlust und das Spiel in die Hitze getrieben, ein
paar Taler von dem zur Bezahlung der Truppen bestimmten Gelde. Auch sie
waren bald fort. Ich nahm vier, sechs, zwölf, zwanzig, und in wenigen
Minuten war das Geld, von dem meine Leute zehn Tage leben sollten,
verspielt. In dieser schrecklichen Lage nahm ich den Wirt beiseite und
versetzte ihm meine Uhr, dann meine silberne Schärpe und die silbernen
Fangschnüre für einige vierzig Taler, die, da ich das Spiel forcieren
wollte, bald genug ebenfalls in des Satans Krallen waren, und stürzte,
nachdem der letzte Taler verschwunden, in einem fast bewußtlosen Zustand
aus dem Spielzimmer, warf mich verzweiflungsvoll auf einen Stuhl des
meinigen. -- Jetzt erst traten mir die schrecklichen Folgen meines
unbegreiflichen Leichtsinns klar und deutlich mit den grellsten Farben
vor die Augen. Hier war weder Ausweg noch Rettung. In einer mir
weltfremden Stadt, wo ich auch nicht eine Seele kannte, war an keine
Hilfe zu denken. Kassation, Entehrung, zehnjährige Festungsstrafe
schwebten mir als unvermeidlich vor. Die gräßlichste Verzweiflung
bemächtigte sich meiner. Nachdem ich meine Pistolen scharf geladen
hatte, klingelte ich, ließ mir Briefpapier und eine Flasche Champagner
kommen, schloß dann die Türe ab, setzte mich, die Mordgewehre zu meiner
Rechten legend, nieder, um noch einige Briefe an meine Verwandten und
mir teure Personen zu schreiben, mit dem festen Vorsatz, mir nach deren
Beendigung eine Kugel durch den Mund in das Gehirn zu jagen. Die
Batterien rieb ich mit wollenem Tuch, schärfte die Steine, um ja das
Versagen zu verhindern, stürzte dann ein paar Gläser hinunter und machte
mich zum Schreiben fertig. Zur Unterlage nahm ich ein deutsches
Liederbuch, aus dem ich öfters in Kolberg gesungen hatte, das gerade mit
Beckers Romanze, »Der Sänger« betitelt, begann. Ich hatte sie schon so
manchmal in fröhlichen Zirkeln in Berlin und Kolberg gesungen, und
gerade der letzte Vers, der da heißt:

   »Doch jetzt mach' ich eine Pause,
   Nehmt die Lehre mit nach Hause
      Und beherzigt sie.
   Sing und Sang ist eine Gabe,
   Wer sie hat -- o der vergrabe
      Sie im Leben nie.«

fiel mir in die Augen. Wie ein Blitzstrahl fuhr es mir durch den Kopf
und erleuchtete mich, so daß ich zu mir selbst sagte: »Wie, sollte dir
denn dein Talent nicht aus dieser schrecklichen Lage helfen können? --
Stargard, durch das du schon ein paarmal gekommen bist, ist nur drei
Meilen von hier. Dort kennt dich keine lebende Seele. Man liebt die
Musik, hat wenig Gelegenheit, etwas zu hören. Wie wäre es, wenn du da
hinüberführest und unter einem fremden Namen ein Konzert gäbest? --
Stargard ist eine nicht unbedeutende Stadt. Es gilt nur einen Versuch.
Schlägt der fehl, je nun, so läuft dir das Totschießen auf keinen Fall
davon.« Dieser Gedanke faßte immer mehr Wurzel bei mir. Ich suchte, was
ich an Musikalien bei mir hatte, hervor, fand auch ein italienisches
Cahier darunter, rief meinem Burschen, ließ mir einen Wagen für den
anderen Morgen um vier Uhr bestellen, vorgebend, daß ich einen Bekannten
in der Umgebung besuchen wolle. Ich ließ meine Zivilkleider auspacken,
versetzte einen Rubinring, den ich noch hatte, für zehn Taler bei dem
Wirt, und fuhr um die bestimmte Stunde ganz allein nach Stargard ab,
nachdem ich dem ältesten Unteroffizier des Detachements anempfohlen, es
sich recht angelegen sein zu lassen, den Dienst während meiner kurzen
Abwesenheit bestens zu versehen. Um sieben Uhr morgens kam ich in
Stargard an. Um acht Uhr machte ich dem Herrn Bürgermeister meine
Aufwartung, gab mich bei ihm für einen Sänger der italienischen Oper von
Wien aus, der sich Matuccio nenne, von Berlin komme und über Königsberg
nach Sankt Petersburg reise, um daselbst zu gastieren. -- Ich fand an
dem Bürgermeister nicht nur einen sehr artigen und zuvorkommenden Mann,
sondern auch einen großen Musikliebhaber, dem mein Antrag, noch diesen
Abend ein Konzert in Stargard zu geben, sehr willkommen war, und der mir
versprach, alles dazu beitragen zu wollen, was in seinen Kräften stünde.
Er übernahm es sogar selbst, sogleich ein Einladungszirkular herumgehen
zu lassen, auf dem er sich mit seiner Familie zuerst mit fünf Billetten
zu einem Taler Kurant unterzeichnet hatte. Er übernahm es auch, ein
passables Orchester, meist aus Dilettanten bestehend, zusammenzubringen,
schickte den Ratsdiener mit der Subskriptionsliste herum, der noch
denselben Morgen über zweihundert Billette absetzte. Jetzt war ich
gerettet. Kosten hatte ich außer der Beleuchtung fast gar keine, da mir
der gefällige Bürgermeister einen ziemlich großen Saal gratis überließ.
Auch führte er mich noch denselben Abend bei mehreren Dilettanten ein,
unter denen die junge liebenswürdige Frau von F... und das sehr schöne
Fräulein von Z...tz, mit dem schalkhaftesten Kupidogesichtchen von der
Welt, sich befanden. Beide Damen hatten die Gefälligkeit, in meinem
Konzert mitzusingen, jede trug eine Arie und ein Duett mit mir vor, und
zum Schluß sangen wir noch ein Terzett. Die meisten Stücke wurden _da
capo_ verlangt. An der Kasse waren auch noch über hundert Taler
eingegangen, denn man hatte ausgesprengt, der erste Sänger der
italienischen Oper von Wien gebe auf seiner schleunigen Durchreise nach
Sankt Petersburg dies Konzert aus Gefälligkeit für den Herrn
Bürgermeister. Wer war froher als ich. Nach dem Souper, zu dem mich der
Herr Bürgermeister eingeladen, und an dem mehrere Stargarder Familien
teilnahmen, empfahl ich mich und fuhr noch in derselben Nacht mit meinem
ersungenen Geld, das vollkommen ausreichte, mein Defizit zu decken,
wieder nach Stettin ab. Auch meine Effekten konnte ich, wie ich dem Wirt
versprochen hatte, wieder auslösen. Nur mein eigenes Geld war beim
Teufel; doch daran war mir wenig gelegen. Ich kam anderthalb Stunden
nach Mitternacht wieder in Stettin an, mit dem festen Vorsatz, mich nie
mehr zum Spiel, wenigstens mit fremdem Geld, verlocken zu lassen. Ich
zahlte nun vor dem Abmarsch den Leuten den Sold aus und machte mich mit
ganz leeren Taschen auf den Weg. Erst in Magdeburg fand ich ein Haus,
das mit dem unsrigen in Verbindung stand, und von dem ich mir fünfzig
Taler geben ließ. Dieses Ereignis hatte indessen einen so schlimmen und
tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß mich ein höchst unangenehmes
Gefühl auf diesem ganzen Marsch nicht verließ und ich gegen meine
Gewohnheit weder für Natur-, Kunst-, noch andere Schönheiten Sinn mehr
hatte. Ja, ich unterließ es sogar, während dieser Zeit mein Tagebuch zu
führen, was ich sonst sehr regelmäßig jeden Abend tat. Ich war über
Magdeburg, Kassel, Aachen und so weiter, ohne mich um etwas anderes als
meinen Dienst zu bekümmern, nach Frankreich marschiert, wo ich meine
Leute an die pommerschen Regimenter abgab, denen sie zugeteilt waren,
und dann sogleich die Rückreise per Post nach Kolberg antrat, ohne nur
meine Verwandten in Frankfurt zu besuchen, wie ich es mir bei dem
Abmarsch vorgenommen hatte. Als ich wieder durch Stargard kam, hielt ich
mich möglichst verborgen, so lange umgespannt wurde, da ich fürchtete,
man möchte den italienischen Sänger wieder in mir erkennen. Auch in
Kolberg währte diese Mißstimmung noch, erhielt mich fortwährend bei
übler Laune und machte mich fast menschenscheu. Ich setzte den
französischen und musikalischen Unterricht, den ich den Töchtern meines
Kommandeurs und der Nichte meines Kommandanten erteilt hatte, nicht mehr
fort, zog mich meist von der Gesellschaft zurück, fand mich oft ohne
irgend einen erheblichen Grund beleidigt, nahm Scherze übel auf und
bekam so alle Augenblicke mehr oder minder ernstlichere Händel. Ein
Offizier namens Rosenthal, ein äußerst gutmütiger Mensch, nannte mich
scherzweise »Franzos«, ein Beiname, den man mir längst in Kolberg
ziemlich allgemein gegeben hatte, weil ich noch viel französische
Manieren an mir hatte, wohl auch das, was an den Franzosen zu rühmen
war, rühmte und mir deshalb viele heimliche Feinde machte. Ich warf ihm
dagegen einige beleidigende Worte hin, die eine Herausforderung nach
sich ziehen mußten und ein Duell auf die Klinge zur Folge hatten, das in
der Maikuhle abgemacht wurde, und wo ich fast wider Willen, denn ich
focht mit der größten Gleichgültigkeit, mir alle Blößen gebend, meinem
Gegner eine unbedeutende Armwunde beibrachte. Hätte Rosenthal besser
gefochten, so hätte er mir leicht einen tüchtigen Denkzettel anhängen
oder gar das Lebenslicht ausblasen können. Wenige Tage nachher hatte ich
ein anderes, durch meine üble Laune herbeigeführtes Renkontre, das weit
schlimmere Folgen hatte. Ich besuchte den wachthabenden Offizier auf der
Hauptwache, Leutnant Campmann, und tadelte gesprächsweise manche
Anordnung im preußischen Dienste. Lange nahm der Offizier die Sache im
Scherz auf. Als ich aber immer mokanter wurde, machte er mir in einem
ernsten Ton die sehr richtige Bemerkung: »Wenn Ihnen die preußischen
Dienste so mißfallen, warum bleiben Sie denn? Man wird Sie nicht mit
Gewalt halten, wenn Sie gehen wollen.« -- Es gab nun ein Wort das
andere, und ich nötigte zuletzt den wachthabenden Offizier, Degen gegen
mich zu ziehen, indem ich auf ihn eindrang. Unglücklicher- oder
glücklicherweise, denn wer weiß, wie es abgelaufen wäre, trat in diesem
Augenblick der Wachtschreiber und ein Unteroffizier, der eine Meldung zu
machen hatte, in die Stube, als wir schon mit den Klingen handgemein
waren, und diesen folgte der Platzadjutant auf dem Fuße. Jetzt hörte
zwar das Gefecht augenblicklich auf, aber die Sache war eklatant
geworden und wurde dem Kommandanten gemeldet. Die Folge war eine
Untersuchung, während welcher wir beide, und zwar bis zur Bestätigung
des von einem Kriegsgericht zu fällenden Urteils, von unseren Funktionen
suspendiert wurden. Da sich die Sache sehr in die Länge zog und ich
während dieser Suspension keine Gesellschaft, in der sich der Kommandant
und die Stabsoffiziere befanden, besuchen konnte, so hatte ich tödliche
Langeweile, die mich immer mehr verstimmte und nur hier und da durch die
intimere Bekanntschaft, welche ich mit mehreren Damen hatte,
unterbrochen wurde. Glücklicherweise kam während dieser Zeit eine
wandernde Schauspieler-Gesellschaft nach Kolberg, deren Direktor ein
gewisser Romberg war und bei welcher sich ein paar hübsche Aktricen
befanden, von denen eine, Madame Vetterlein, nicht ohne Talent und sonst
auch recht liebenswürdig war. Ich beschäftigte mich nun viel mit diesem
Theater, ordnete das Repertoire an, verschaffte den Schauspielern manche
notwendigen Requisiten und lieh ihnen auch manches von meinen kleinen
Uniformstücken, und namentlich einem derselben einmal meine Schärpe.
Mehrere Offiziere hatten dies bemerkt. Den andern Tag kam es auf der
Parade zur Sprache, daß eine preußische Offiziersschärpe auf dem Theater
paradiert habe, worüber sich die älteren Offiziere sehr mißbilligend und
als über etwas >Unerhörtes< aussprachen. Der Kommandant ließ durch den
Bürgermeister dem Direktor verbieten, künftig wieder eine Schärpe oder
ein sonstiges Abzeichen der königlich preußischen Armee auf seinem
Theater zu verwenden. Man forschte auch nach, woher der Schauspieler die
Schärpe hatte, und bald wußte man, daß ich sie ihm geliehen. Neues
Donnerwetter. Der Bataillonskommandeur mußte mir einen Verweis geben und
mir verbieten, irgendein Uniformstück den >Komödianten< zu leihen. Ich
hatte mich gut entschuldigen, daß dies in der französischen Armee etwas
ganz gewöhnliches sei, ja, daß ich sogar in Berlin, in des >Epemenides
Erwachen< von Goethe, eine ganze preußische Schwadron in Uniform und
Schärpen auf der Bühne gesehen. Dies half alles nichts. Ich mokierte
mich wieder, so daß es zu den Ohren meiner Vorgesetzten kam, und meine
ohnehin schon verdrießliche Lage wurde eben nicht verbessert.

Endlich kam das in meiner Sache mit dem Leutnant Campmann gefällte
kriegsrechtliche Urteil bestätigt von Berlin, und lautete für mich auf
sechsmonatlichen Festungsarrest, in Weichselmünde bei Danzig zu
bestehen, und drei Monate für meinen Gegner in Kolberg. Ich mußte jetzt,
von einem höheren Offizier begleitet, mit dem Postwagen nach Danzig
abfahren, wohin wir über Köslin, Stolpe, Neustadt und so weiter reisten,
wozu wir beinahe drei Tage gebrauchten.

Mit einbrechender Nacht kamen wir in dieser Stadt an und stiegen in dem
eben nicht sehr reinlichen Hotel d'Oliva ab, meldeten uns den anderen
Morgen beim Kommandanten, der uns artig empfing und eine
Empfehlungsorder an den Kommandanten der Feste Weichselmünde gab, wohin
wir uns sogleich verfügten. Dieses Fort liegt in einer geringen
Entfernung von der Stadt an der Weichsel. Ich bekam ein ziemlich
bequemes, aber sehr vielwinkeliges Zimmer angewiesen. Der Kommandant
dieses Forts war der Oberstleutnant von Brockhusen, ein artiger Mann,
der mich freundlich aufnahm, mir ankündigte, daß ich alle Freiheit habe,
in Zivilkleidern hinzugehen, wohin ich immer wolle. Nur müsse ich mich
zum Schlafen wieder einfinden. Ich könne aber nach Danzig, nach dem
gegenüberliegenden Neufahrwasser, nach Oliva und so weiter gehen und
mich nach Belieben amüsieren. Gesellschaft hatte ich große und zum Teil
scharmante in Neufahrwasser. Das ganze Offizierskorps eines
Landwehrkavallerie-Regiments hatte, samt seinem Kommandeur und Obersten
von Himmel, die Offiziere auf achtzehn Monate und der Oberst für drei
Jahre, hier Festungsarrest mit derselben Freiheit wie ich. Die
Verheirateten hatten sogar ihre Frauen und Kinder bei sich, und alle
führten ein ziemlich lustiges Leben. Die Ursache ihres Arrestes war
folgende: Das Regiment hatte einmal, als es der Graf Henckel von
Donnersmarck zum Manövrieren ausrücken ließ, nicht zu dessen
Zufriedenheit exerziert und ein paar Böcke gemacht; der General, darüber
erbost, hatte sich gegen das Offizierskorps, welches meistens aus
gedienten und wackeren Leuten bestand, sehr beleidigend ausgedrückt und
geschrien: »Meine Herren, Sie manövrieren wie die S...« Die Offiziere
hatten sich darauf verabredet, den folgenden Tag, wo das Regiment wieder
zum Exerzieren ausrücken sollte, samt und sonders wegzubleiben und
dasselbe durch einen Rittmeister dem General vorzuführen, der es ihm mit
den Worten: »Ich habe die Ehre, Eurer Exzellenz das Regiment
vorzuführen,« übergab, dann seinen Säbel wieder einsteckte, davonritt,
den ganz verblüfften General, der eben angeritten war, stehen lassend.
Dem Grafen Henckel von Donnersmarck blieb nun nichts anderes übrig, als
die Truppen, vom ältesten Wachtmeister geführt, wieder einrücken zu
lassen, und den Vorfall dem Kriegsminister anzuzeigen, was eine
umständliche Untersuchung veranlaßte, die das oben erwähnte Resultat
hatte, aber auch dem General einen sechswöchentlichen Arrest zuzog. Das
ganze, im Festungsarrest befindliche Offizierskorps hatte den
Mittagstisch in dem Gasthaus >Zum englischen Hof< in dem auf dem
jenseitigen Ufer der Weichsel liegenden Neufahrwasser, wo auch ich, von
meinen Arrestkameraden eingeladen, mich engagierte und man sehr gut
bedient war. Die Wirtin namens Wex hatte ein Paar junge Töchter, von
denen die jüngere, Jettchen, recht hübsch war. Ein Piano stand im
Gastzimmer, die Mädchen sangen leidlich, und so war die Unterhaltung in
den Nachmittagsstunden oft recht animiert.

Sobald ich in meiner neuen Residenz, die ich statt der Kriegsschule in
Berlin, wie ich das Projekt gehabt, diesen Winter besuchen mußte,
installiert war, und mit meinen zum Teil sehr lustigen Arrestkameraden
genauer bekannt wurde, verlor sich auch bald mein bisheriger Mißmut. Im
englischen Haus gehörte ich bald zur Familie und machte beiden
Schwestern zugleich den Hof, aber der älteren, Hannchen, mehr zum
Schein, während ich es mit der jüngeren, Jettchen, ernstlicher meinte,
und Mama äußerte, ich würde mit keiner übel fahren, welche ich auch
wählen möchte. Ich aber vertröstete sie auf ein späteres Avancement, da
eine Frau Leutnant doch eine gar traurige Rolle spiele. Es war noch ein
anderer guter Gasthof in Neufahrwasser, >Zur Stadt Berlin<, dessen
Besitzer zwar keine Kinder, dafür aber zwei allerliebste Nichten hatte,
wo ich ebenfalls bald wie zu Hause war, so daß ich in der Regel die
Vormittage in dem englischen Hof und die Nachmittage in der Stadt Berlin
plaudernd, scherzend, musizierend, küssend und so weiter zubrachte. Auch
lernte ich bald noch einige andere Familien daselbst kennen, unter denen
die sehr liebenswürdige eines Kriegsrats Schütz, der wieder artige
Töchter hatte, und wo noch ein anderes fünfzehnjähriges, ausgezeichnet
schönes Mädchen, die Tochter eines grimmigen Seebären, eines
Schiffskapitäns, der meist abwesend auf Seereisen war, sich einfand. In
diesem Haus wurde auch viel Musik gemacht und die Mädchen sangen recht
schöne polnische Lieder, die ich leider nicht verstand. Selbst in dem
Fort Weichselmünde fanden sich weibliche, durchaus nicht zu verachtende
Reize. Außer der hübschen Tochter des Kommandanten war auch die junge
Frau eines Rittmeisters, eine blonde Königsbergerin, die seelenvolle
himmelblaue Augen hatte, bei Kuhns, so hieß der Wirt in der Stadt
Berlin, wo wir öfters zu Nacht speisten, meine Tischnachbarin, der zu
Gefallen ich manchen Abend im Fort zubrachte, wo kleine Kommerzspiele
die Hauptunterhaltung ausmachten, bei denen sich die meisten
Offiziersdamen einfanden.

Frau Wex, welche mit Kuhns rivalisierte, veranstaltete bald einen Ball
_paré_, an dem alle Honoratioren des Ortes und mehrere Familien aus
Danzig teilnahmen. Hier lernte ich unter anderen die Frau eines reichen
Kaufmanns, der mehrere Schiffe in der See gehen hatte, kennen, und nach
einigen Raschwalzern, die ich mit ihr getanzt, verständigten wir uns
schnell in einer Polonäse, begegneten uns zufällig auf einem Korridor,
und lagen uns ebenso zufällig in den Armen. Dieser sonderbare Zufall
wiederholte sich drei- bis viermal, während der Herr Gemahl in einem
Seitenzimmer mit aller Ruhe eine Partie Whist machte. Die Dame vertraute
mir, daß sie jeden Abend bis zehn Uhr allein zu Hause zu treffen sei,
indem ihr Mann nie verfehle, seine Spielpartie um diese Zeit in Danzig
oder in Neufahrwasser zu machen. Dies merkte ich mir wohl und fand mich
schon den folgenden Abend in dem mir bezeichneten Hause ein, in das ich
in der Dämmerung, in meinen Mantel gehüllt, schlich, wo ich freudig mit
offenen Armen empfangen wurde. Diese Besuche wiederholte ich öfters,
besonders, wenn ich Herrn G...ch, so hieß der Mann, in der Stadt Berlin
wußte, wo eine kleine Pharobank gehalten wurde, und ich ihm gegenüber
pointierte, mich auf eine halbe Stunde entfernte, dann zurückkam und
ganz ruhig weiterspielte. Bei meinem Arrest in Weichselmünde hing mir
der Himmel voll weiblicher Baßgeigen. Aber der Krug geht so lange zu
Wasser, bis er bricht. G...ch mußte von meinen verstohlenen Besuchen
durch irgendeinen gefälligen Freund Wind bekommen haben, und als ich
mich eines Abends wieder in seine Wohnung begab, begegnete ich in deren
Nähe ein paar wildaussehenden Seegesichtern, vulgo Matrosen genannt.
Kaum hatte ich die Haustüre hinter mir zugemacht und wollte eben die
Treppe hinaufspringen, als ein paar andere Exemplare dieser Bären aus
einem Winkel hervorsprangen, während die, welchen ich begegnet war, in
die Haustüre traten, und einer derselben mich mit rauher Stimme fragte:
was ich hier suche? -- »Dies geht euch Schubiaks nichts an,« erwiderte
ich, indem ich eine Terzerole unter dem Mantel hervornahm und den Hahn
spannte. Das Knacken desselben machte die Burschen doch stutzend, und
ich sagte mit starker Stimme: »Dem ersten, der eine verdächtige Bewegung
macht, jage ich eine Kugel durch den Kopf.« Die Kerls dadurch verblüfft,
ließen mich nun ruhig wieder zum Haus hinausgehen. Ich begab mich nun in
die Stadt Berlin, wo wie gewöhnlich gespielt wurde, setzte mich an den
Spieltisch und pointierte ganz ruhig mit Viergroschenstücken, als sei
nicht das mindeste vorgefallen. Etwa zwanzig Minuten später trat auch
G...ch herein, dem ich einen sehr freundlichen guten Abend wünschte.
Statt ihn aber zu erwidern, warf er einen grimmigen Seitenblick auf
mich, was ich nicht zu bemerken für gut fand, sondern ganz gleichgültig
zu ihm sagte: »Warum heute so spät, Herr G...ch, ich bin schon lange
hier und spiele wieder einmal glücklich.« -- »Das Glück scheint Ihnen
gewogen,« gab er mir, seinen Zorn verbeißend, zur Antwort, »und das ist
Ihr Glück.« -- Den anderen Morgen wurde ich durch ein Briefchen von
Madame G...ch unterrichtet, daß sie eine arge Szene mit ihrem Mann
gehabt, dem man unsere Zusammenkünfte verraten habe, und sie auf einige
Zeit zu ihren Eltern nach Elbing verreise, wo ich sie, wenn ich es
möglich machen könne, doch besuchen möge. Dieser Vorfall war mir sehr
unangenehm, da es in Neufahrwasser bekannt wurde, daß ich die Ursache
einer Trennung der G...schen Eheleute sei, die sich später jedoch wieder
vereinigten. Ich suchte von jetzt an mich mehr in Danzig zu zerstreuen.
Ich begab mich jetzt jeden Morgen mit dem Frühesten nach Danzig, von wo
ich in der Regel erst gegen Mitternacht in meine, wenigstens
dreißigwinkelige Arreststube, die eine gar seltsame Bauart hatte,
zurückkehrte. Auch im Danziger Kasino, wo jede Woche Tanz und Musik
stattfand, wurde ich eingeführt und machte neue Bekanntschaften
daselbst, unter denen eine sehr üppig gebaute schöne polnische Gräfin
von M...ka aus Posen war, deren schlanker Wuchs, ein fast
verschlingendes Auge, rabenschwarzes Glanzhaar, eine äußerst feine und
weiße Haut, eine entzückende Anmut mich wie fast alle Männer, die sie
sahen, bezauberte. Auf den Maskenbällen, die nun gegeben wurden, und oft
glänzend und reich an prächtigen Kostümen waren, gelang es mir, die
schöne Gräfin genauer kennen zu lernen. Auf einem derselben hatte ich
mich zuerst als Zigeuner, dann als Spanier verkleidet, und setzte der
Dame in der Maske des ersteren, durch meine Prophezeiungen ihr die gute
Wahrheit sagend, so gewaltig zu, daß ich ihre Neugierde in hohem Grade
rege machte. Namentlich, indem ich ihr mitteilte: sie würde, ehe
vierzehn Tage vergingen, einen Anbeter haben, dem sie nichts versagen
könne. Als der Zigeuner verschwunden war, forderte der Spanier die als
kassubisches Landmädchen verkleidete Gräfin zu einer Polonäse auf, und
erzählte ihr während der Promenade, daß ihm ein Zigeuner prophezeit
habe, er werde in Danzig noch sehr glücklich werden und die Gunst der
schönsten Dame dieser Stadt erhalten. -- »O, dann ist es gewiß nicht die
meinige,« meinte die Gräfin. -- »Und wer sollte sich an Schönheit,
Grazie und Liebenswürdigkeit mit Euer Gnaden in Danzig messen können?«
-- »Sie sind ein gefährlicher Schmeichler.« -- »Es ist keine
Schmeichelei, wenn man die Wahrheit spricht.« -- Die Gräfin erzählte nun
auch ihrerseits, was ihr der Zigeuner gesagt. -- »Sonderbar, dies hat
was zu bedeuten,« erwiderte ich, dem hübschen Landmädchen die Hand
drückend. Die Polonäse löste sich endlich in einen Raschwalzer auf, wir
flogen sinnenberauscht dahin und setzten uns endlich etwas ermüdet unter
eine entlegene Fensterhalle. Die Gräfin M...ka nahm ihre Larve ab und
sagte: »Die Hitze ist unausstehlich, länger halte ich's nicht aus,
machen Sie es ebenso.« Ich befolgte den Befehl, worauf sie mich
erkennend sagte: »Dacht' ich's doch, Sie sind der Offizier, mit dem ich
schon öfters im Kasino tanzte.« -- Wir engagierten uns dann noch auf
eine Tempête, eine Quadrille und ein paar Walzer, und ich erhielt von
der Dame das Versprechen, daß ich bei der ersten Schlittenfahrt der sie
fahrende Kavalier sein solle. Der bald darauf gefallene Schnee machte
auch eine solche möglich, und ich hatte das Vergnügen, das Versprechen
in Erfüllung gehen zu sehen, und übte das Schlittenrecht in seiner
weitesten Ausdehnung. Kurze Zeit darauf hatte ich das noch weit größere
Vergnügen, auch diese Dame in meinem Zimmer zu Danzig zu empfangen und
zu bewirten, ohne daß meine niedliche Wirtin, die mich öfters mit
Morgenbesuchen beehrte, etwas davon merkte, so wenig wie von anderen
Damenbesuchen, die ich natürlich alle nur nach eingetretener Nacht
empfing. Mein Zimmer war _au rez de chaussée_. So schwanden mir denn die
sechs Monate Festungsarrest in Weichselmünde wie sechs Wochen hin. Bevor
sie um waren, erbat ich mir unter dem Vorwand, meine etwas zerrüttete
Gesundheit wieder herzustellen, denn sie war es wirklich, wenn auch
nicht durch die Kerkerluft, doch durch Strapazen mancherlei Art, noch
einen sechswöchentlichen Urlaub, der mir bewilligt wurde, und den ich zu
einer kleinen Reise nach Marienburg und Posen zu verwenden beschloß. Die
Gräfin M...ka ging mit dem Frühjahr ebenfalls dahin zurück und gab mir
die Erlaubnis, ihr daselbst meine Aufwartung machen zu dürfen, jedoch in
allen Ehren, denn dort herrsche der Herr Gemahl, der nicht mit in Danzig
gewesen, wo die Dame bei einer Freundin zu Besuch war, etwas streng.

Als ich meine Freiheit und meinen Degen zurückerhalten und die Urfehde
geschworen hatte, nahm ich Abschied von Weichselmünde, Neufahrwasser und
Danzig und trat die Reise nach Marienburg an.




                                   X.

    Marienburg. -- Elbing. -- Königsberg. -- Posen. -- Rückkehr nach
    Kolberg. -- Eine furchtbare Mordgeschichte. -- Eine Vexierreise.
    -- Diverse Kampagnen unter Amors Fahnen. -- Der Esel von Osten.
    -- Noch ein Damensouper. -- Arge Skandalosa. -- Eine pommersche
     Hochzeit. -- Abermaliger Festungsarrest. -- Meine Entlassung.


Was mich hauptsächlich zu einer Reise nach Marienburg bestimmte, war,
das weltberühmte Schloß der alten Hochmeister des deutschen Ordens, von
dessen Merkwürdigkeiten man mir so viel und erst wieder in Danzig
erzählt hatte, daß ich den Wunsch, diese prächtigen Überreste der einst
so mächtigen Ordensritter kennen zu lernen, nicht unterdrücken konnte.
Ich verweilte nur drei Tage in Marienburg, wo ich, nachdem ich das
Schloß von außen und innen sattsam gesehen, bald tödliche Langeweile
verspürte.

Von Marienburg fuhr ich nach der nur wenige Meilen entfernten Stadt
Elbing, die samt einer Burg im Jahre 1237 auch von den Ordensrittern
erbaut wurde, und von hier nach Königsberg. Eine starke Erkältung zwang
mich, ein paar Tage das Bett zu hüten. Mein erster Ausgang, als ich
wieder hergestellt, war nach der ehemaligen Zitadelle, der alten
Friedrichsburg, in der man mir den Moskowitersaal und die
Bernsteinkammer zeigte. Hierauf begab ich mich in den vom Großmeister
Lothar von Braunschweig vierzehnten Jahrhundert erbauten Dom. In dem
Schauspielhaus, das gerade nicht vorzüglich ist, sah ich einige nicht
sehr gut exekutierte Opern und Schauspiele aufführen. Mehr erfreuten
mich die zum Teil sehr schön angelegten Promenaden, besonders die am
Schloßteich, dem Königsgarten und dem von Hippel angelegten
Philosophendamm. Von Königsberg eilte ich nach Posen und fuhr über
Elbing, Marienwerder, Graudenz, Kulm, Bromberg, Gnesen und so weiter
dahin ab, ohne mich an einem dieser Orte umzusehen.

Erst mit der einbrechenden Nacht kam ich in Posen an und schlief in
einem herzlich schlechten und eben nicht sehr reinen Bett doch
trefflich. So wie der Hunger der beste Koch ist, so ist Ermüdung der
beste Schlafbereiter. Auch erwachte ich erst spät am Vormittag. Nachdem
ich meine Toilette gehörig gemacht, schickte ich mich an, die Stadt zu
besichtigen. Bei der Parade sah ich mehrere Offiziere, die ich schon in
Berlin kennen gelernt hatte und die mich zur Offizierstafel einluden,
was ich mit Dank annahm. Denselben Tag zog ich noch Erkundigungen nach
der schönen Gräfin M...ka ein und erfuhr, daß kein Offizier Zutritt in
dem Haus des Grafen habe. Indessen ließ ich mich doch, wie ich es mit
der Dame in Danzig verabredet, bei ihr melden, wurde auch angenommen,
jedoch von dem Herrn Gemahl ziemlich frostig empfangen, der mich auch
nicht ersuchte, meinen sehr kurzen Besuch zu wiederholen, mir indessen
eine kurze Gegenvisite machte. Noch den nämlichen Abend kam ein sehr
niedliches Mädchen in polnischem Kostüm, das kein Deutsch, aber so
ziemlich französisch sprach und mir ein Billettchen brachte, in dem man
mich ersuchte, dem hübschen Kammerzöfchen zu folgen, das mir ein Haus
zeigen würde, wohin ich mich den folgenden Abend zu begeben habe, um
eine gewisse Dame sprechen zu können. Das Mädchen war so gesprächig und
lud mich so zutraulich ein, mich ihrer Führung zu überlassen, daß ich
nicht umhin konnte, ihr auf die Wangen zu klopfen, ihr etwas tief in die
schwarzen Augen zu blicken und mit einem Kuß auf den runden Nacken und
einen Taler in die Hand drückend, zu danken. -- Oh, ihr galanten Damen,
wenn ihr euch auch nur auf eine kurze Zeit der Treue eurer Anbeter
versichern wollt, so nehmt um Himmelswillen kein hübsches Kammerkätzchen
zu eurer Unterhändlerin und Liebesbotin. Der Teufel mag solchen
verführerischen Dingern widerstehen, aber kein junger Mann von Fleisch
und Blut. Alte Weiber, Hexen mit triefenden Augen, die man kaum mit der
Feuerzange berühren möchte, dies sind die zuverlässigsten Diplomaten bei
solchen Unterhandlungen. -- Auch ich widerstand nicht, wohl aber tat das
Mädchen so und lispelte: »_Mais Madame la contesse! Mais Monsieur
finissez donc, vous aimez ma maîtresse!« -- »Sans doute, mais cela ne
m'empêche point d'aimer aussi la confidente._« Die weiteren Antworten
des allerliebsten Rosenmundes erstickte ich mit Küssen, und ließ mich
nach einer halben Stunde von der Donetta nach dem erwähnten Haus führen,
das in einer ziemlich engen Straße lag, klein und schmal war und nur
zwei Fenster Front hatte. Ich trat mit meinem _ange polonais_ ein, der
mich der parterre wohnenden Frau vorstellte, welche früher in Diensten
der Mutter der Gräfin gestanden hatte und aus alter Anhänglichkeit für
die Tochter sich derselben möglichst gefällig zeigte. Von hier begab ich
mich zu der Soiree eines verheirateten Majors, der mich bei der Parade
eingeladen hatte, und wo ich mehrere hübsche polnische Damen traf, von
denen aber die wenigsten deutsch, einige ziemlich französisch sprachen.
Die Polinnen sind recht sinnlich liebenswürdig, meist sehr üppig gebaut,
haben mit den Spanierinnen die größte Ähnlichkeit, nicht die mindeste
mit den Französinnen. Hätte ich die polnische Sprache gekannt, so würde
ich gewiß auch mehrere recht artige polnische Abenteuer erlebt haben. Es
wurde viel Musik gemacht, einige der polnischen Damen hatten herrliche
Stimmen, sangen aber nur polnische Lieder, die, wie man mir sagte, meist
politischen Inhalts waren und sich auf Polens Schicksale bezogen.

Als den nächsten Tag das Gestirn des Tages untergegangen war, fand ich
mich zur bestimmten Zeit in dem bewußten Haus ein, wo mich die Frau
willkommen hieß, aber nur wenig schlechtes Deutsch sprach, so daß wir
uns mehr durch Pantomimen verständlich machen mußten. Ich hatte beinahe
schon eine gute Stunde gewartet, als endlich die Gräfin, im Kostüm eines
polnischen Dienstmädchens und in Begleitung des ihrigen erschien. Beide
sahen so reizend aus, daß mir fast die Wahl wehe tat. Aber hier war
keine Wahl mehr möglich. An drei Stunden brachte ich in einem
Hinterstübchen mit der verkleideten Gräfin zu, während die beiden
anderen in der vorderen Wache hielten. Beim Weggehen sagte sie mir, sie
würde mich es jedesmal durch ihr Mädchen wissen lassen, wenn sie
abkommen könne. Dies ließ ich mir gern gefallen, und die hübsche
Abgesandte war mir so lieb, daß in ihren Armen ermüdet, ich mehr als
einmal die Einladung zum Stelldichein unter dem Vorwand, schon bei einem
General oder Stabsoffizier zugesagt zu haben, ausschlug, wobei ich auf
die Mithilfe des mich entschuldigenden Mädchens sicher zählen konnte. --
So hatte ich ungefähr drei Wochen in Posen zugebracht. Es war Zeit, an
die endliche Rückreise nach Kolberg zu denken, die ich nach gehörigem
Abschiednehmen bei sehr schlechtem Wetter und auf abscheulichen Wegen
antrat, und zwar in einem offenen Wagen, über Czarnikau, Schneidemühl
und Neustettin, wo Weg und Wetter erst wieder etwas leidlicher zu werden
begannen. In meinem Leben habe ich keine unangenehmere und langweiligere
Reise gemacht. Übernachten in ekelhaften Wirtshäusern, elenden Krügen,
schmutzige und so unreinliche Betten, daß ich das ganze Bettzeug
hinauswarf und auf frischem Stroh, das ich mir bringen ließ, schlief,
jämmerliche Kost, auch nicht ein interessanter Gegenstand auf dem ganzen
Weg. Dies alles gehörte zu meinen Reiseannehmlichkeiten.

Als ich endlich zu Kolberg durch das Lauenburger Tor wieder einfuhr, da
war mir ganz sonderbar zumute und so unheimlich, daß ich mich gerne
wieder hundert Meilen weit weggewünscht hätte. Ich machte meine
schuldigen militärischen Meldungen und hatte einige Flaschen Danziger
Goldwasser und einen ziemlichen Vorrat Königsberger Marzipan
mitgebracht, die ich an die Töchter meines Kommandeurs und andere
verschenkte, um mir eine gute Aufnahme zu bereiten. Ich trat nun meine
Dienste, sowohl bei der Garnison wie bei den mir befreundeten Damen
wieder an, und allenthalben hieß es: »Fröhlich ist wieder da; wir werden
bald wieder Neues hören.« Ich ließ es indessen vorerst beim Alten,
scherzte mit Madame G..., besuchte fleißig die Frau Doktor M..., sang
mit Frau von Schätzel, brachte mit Hilfe der letzteren einige kleine
theatralische Vorstellungen zustande, die im Haus der Madame Schröder
und bei Kuhpfahls aufgeführt wurden, und so weiter.

Ein höchst greulich-tragischer Vorfall, der sich um dieselbe Zeit in
meiner Vaterstadt Frankfurt am Main zutrug, machte auch in Kolberg
großes Aufsehen, da das Individuum, welches denselben veranlaßt hatte,
aus dieser letzteren Stadt gebürtig war, in der sein Vater, ein
ehrenwerter alter Zimmermann namens Moog, noch lebte, und so
unglücklicherweise die in Frankfurt von seinem Sohn begangene furchtbare
Tat erfahren mußte. Der junge Moog, ein Tischler, hatte sich in
Frankfurt mit einer Bürgerstochter verheiratet und war so Bürger und
Meister daselbst geworden. Obgleich fleißig, arbeitsam und sehr mäßig
lebend, konnte er daselbst doch nicht vorankommen, woran hauptsächlich
schuld war, daß er unbarmherzigen Menschenschindern, vulgo Wucherern in
die Hände gefallen war. Er wurde trübsinnig, sah das Elend seiner
Familie, er hatte bereits fünf Kinder, von denen das älteste noch nicht
sieben und das jüngste anderthalb Jahre alt war, unabwendbar, und wurde
namentlich von einem gewissen Konrad R...s, dem er einige Gulden
schuldete, bis aufs Blut gemartert. Er faßte nun einen verzweifelten
Entschluß, und nachdem er eines Morgens früh, er sollte an diesem Tag
gepfändet werden, das Dienstmädchen in einen von seiner Wohnung im
Löwengäßchen weit abgelegenen Stadtteil unter dem Vorwand, daß bei einem
Bäcker daselbst ganz vorzüglich gute Milchbrote zu haben seien,
weggeschickt, schnitt er seiner Frau, seinen fünf Kindern und zuletzt
sich selbst den Hals ab, so daß das rückkehrende Mädchen sieben in einem
Blutbad liegende Leichen antraf und ohnmächtig niederfiel. Diese
schreckliche Tat hatte die ganze Stadt in Alarm gebracht. Der
unglückliche Moog, den besonders die Ambition, daß niemand von den
Seinigen der Stadt zur Last fallen solle, zu der schrecklichen Tat
vermocht hatte, wurde von der unsinnigen Frankfurter Kriminaljustiz noch
verurteilt, nach dem er auf einem Schinderkarren zum Rabenstein
geschleift worden, daselbst, obgleich schon tot, enthauptet zu werden,
worauf man seinen Kopf auf eine Stange steckte und den Körper auf das
Rad flocht. Dies geschah im Ihre 1817 zu Frankfurt!

Auf diese Veranlassung hin erließ der Frankfurter Senat ein Schreiben an
den Magistrat zu Kolberg, worin er demselben Bericht über den gräßlichen
Vorfall erstattete und dabei bemerkte: daß es ihm (dem Senat) zum Troste
gereiche, daß der schreckliche Mörder kein geborener Frankfurter,
sondern ein Kolberger sei. -- Der Kolberger Magistrat, zehnmal
vernünftiger, zuckte die Achseln über diese unpassende Bemerkung und
meinte, eine Regierung, deren Behörden solche absurde Mitteilungen zu
machen imstande seien, müsse eben nicht zu den vernünftigsten gehören,
und er hatte vollkommen recht. -- Mehrere Jahre nachher wiederholte sich
ganz dasselbe furchtbare Schauspiel, das diesmal ein geborener
Frankfurter namens Lichtwerk aufführte, ebenfalls durch Wucherer dazu
veranlaßt, wozu denn auch die den Armen so ungünstige als den Reichen
günstige Frankfurter Ziviljustiz das ihrige beitrug. Der Reiche,
besonders wenn er recht vollbesetzte Mittagessen zur rechten Zeit zu
geben versteht und sich gewisser Rabulisten versichert, vermag bei der
Frankfurter Themis alles.

Als der arme alte Moog in Kolberg, den ich persönlich gekannt, die Untat
seines Sohnes erfuhr, sagte er, wie von stillem Wahnsinn überwältigt:
»Dies war ja nicht mein Sohn,« und wiederholte diese Worte, so oft die
Sprache von dieser Tat war. Er starb ein halbes Jahr darauf.

Ich führte nun mein früheres Leben in Kolberg wieder fort, ging noch
einige Male auf Urlaub nach Berlin, wo ich mich immer sehr vergnügte,
und mehrere kleine komische Vorgänge, die ich in Gesellschaften oder
auch auf Promenaden beobachtet hatte, dem dortigen, damals sehr
beliebten Volksblatt >Der Beobachter an der Spree< mitteilte, dessen
Redaktion sie auch sehr willig und gerne aufnahm. Damals ahnte ich noch
nicht, daß diese von meiner Feder dem Druck übergebenen Erstlinge den
Anfang einer, einige Jahre später zu beginnenden literarischen Karriere
sein würden. -- Man fand sie, ohne daß man den Verfasser kannte,
geißelnd und satirisch genug, namentlich gefielen sie der alten Frau von
Pogwisch außerordentlich.

Ein Streich, den ein paar Studenten der reichen Madame Schröder gespielt
hatten, gab der ganzen Stadt Kolberg viel zu lachen. Die Dame machte
jetzt jedes Jahr eine Pläsierreise in Gesellschaft ihrer Freundin
Julius. Schon einige Male waren sie bis nach Berlin gekommen, hatten
sich aber noch nicht weiter gewagt, diesmal hatten sie sich jedoch
Dresden zu sehen vorgenommen. Sie reisten ohne andere männliche
Begleitung als einen pommerschen Kammerdiener, der nicht mehr Erfahrung
und Weltkenntnis hatte als seine Herrinnen. In Dresden führte sie der
Zufall an der Table d'hôte des Gasthofes, in dem sie logierten, in die
Nachbarschaft von ein paar Studenten, lustigen Zeisigen, welche die
große Naivität der reisenden Damen schnell lehrte, wes Geistes Kind
dieselben waren. Sie redeten ihnen zu, da sie so nahe bei Prag seien,
doch auch diese merkwürdige Böhmenstadt, von deren Raritäten sie ihnen
Wunderdinge erzählten, zu besuchen und kennen zu lernen. Madame Schröder
meinte, das sei allerdings der Mühe wert, aber auf der Reiseroute, die
ihnen Herr Julius in Kolberg ausgefertigt, stünde nichts davon
geschrieben, und sie wüßten also nicht, wie sie es anzufangen hätten,
den Weg dahin zu finden. -- »Oh, wenn es weiter nichts ist, meine
Damen,« sagte der eine Studiosus, »die will ich Ihnen schon angeben.« --
»Wollen Sie die Gefälligkeit haben?« -- »Mein Gott, warum denn nicht?
Sie müssen Ihre Pferde nur genau von einer Station zur anderen so
bestellen, wie ich es Ihnen hier aufzeichnen werde.« -- Er nahm nun ein
Papier zur Hand und schrieb eine Reiseroute von etwa zehn bis zwölf
Stationen auf, die bis wenige Meilen vor Prag führte, dann aber wieder
auf einem anderen Weg bis auf eine Station vor Dresden zurück. Prag
selbst schrieb er nicht auf, indem er zu den Damen sagte: »Das ist
unnötig, auf dieser letzten Station bestellen Sie die Pferde nur nach
Prag.« -- Die Damen bedankten sich recht höflich für die ihnen erwiesene
Gefälligkeit und befolgten die erteilten Instruktionen auf das
genaueste. Frau Julius, welche sich die klügste dünkte, bestellte die
Pferde von Station zu Station, wie es auf dem Zettel stand. Als sie
aber, auf der letzten angekommen, dieselben nach Prag requirierte,
glaubte der Posthalter, die Dame habe sich versprochen, und sagte: »Sie
werden meinen, nach Dresden.« -- »Oh, bewahre der Himmel, nach Prag,
nach Prag.« -- »Ja, da kann ich Sie nur für die nächste Station
bedienen, dann müssen Sie weiter bestellen, bis zur letzten vor Prag.«
-- Die Damen wußten nicht, was das zu bedeuten habe, und glaubten, der
Herr Posthalter sei nicht recht bei Sinnen. Endlich, nach vielem Hin-
und Herreden, und nachdem die Damen ihre, vom Studenten erhaltene
Reiseroute vorzeigten, klärte sich die Sache auf. Der Posthalter konnte
das Lachen kaum verbergen und die Damen waren im höchsten Grade erbost,
als sie inne wurden, welchen Streich man ihnen gespielt. Sie fanden nun
für gut, die Reise nach Prag ganz aufzugeben, kehrten wieder nach
Dresden, und zwar in denselben Gasthof zurück, wo sie sogleich dem Wirt
die Geschichte erzählten und nach dem boshaften Studenten fragten, der
aber nach der Versicherung des Wirtes mit seinen Kameraden gleich,
nachdem die Damen weg waren, nach Leipzig abgereist sei, sich aber
vorher noch des Geniestreichs, den er gemacht, rühmte, so daß der Wirt
und andere Gäste vor der Rückkehr der Damen schon davon unterrichtet
gewesen, die nun Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit in dem
Gasthof waren, und verschönert kam die Geschichte in ganz Dresden herum.
Sie selbst, sowie ihr Kammerdiener erzählten, nach Kolberg
zurückgekommen, ebenfalls das gehabte Abenteuer, über den Studenten
schimpfend, während die ganze Stadt lachte und man sich allenthalben
zurief: »Nun, machen wir bald wieder eine Reise nach Prag?«

Herz und Zeit teilte ich jetzt zwischen literarischen Studien und der
Unterhaltung mit einem halben Dutzend Damen. Unter den letzteren war
auch eine neue Amourette mit einem hübschen Klosterfräulein, die sich
von B... nannte. Doch war sie in keinem Kloster, sondern in einer
Stiftung, die aus einem früheren Kloster, das, wie so viele nach der
Reformation, einging, dotiert war und von der junge Mädchen aus guten,
aber zurückgekommenen Familien einen Jahrgehalt erhielten, der wegfiel,
so bald sie sich verheirateten. Diese wohnte bei einem Kaufmanne G...l,
mit dem sie verwandt war, der mehrere Kinder hatte und die hübsche
Klostercousine ebenfalls gerne sah, was indessen seine Frau, Vertraute
des Fräuleins, wußte, und deshalb deren Bekanntschaft mit mir
begünstigte, während mich der Mann ungern in seinem Haus vorfand. Ich
sah indessen Fräulein von B... oft in einem dritten Haus, bei einer Frau
Witt auf dem Markt, die so gefällig war, uns ganze Stunden in eine obere
Kammer einzusperren und daselbst mit allerlei Erfrischungen zu versehen.
Auch sie ließ ihren Herrn Gemahl gerne blinde Kuh spielen. Da indessen
Herr G...l der Cousine immer mehr zusetzte, so entschloß sich dieselbe,
aus diesen und noch anderen Ursachen sein Haus und sogar Kolberg zu
verlassen und in dem nahen Belgard zu wohnen, wo ich sie dann öfters
heimsuchte. Eine andere Dame, mit der ich ein Verhältnis angeknüpft
hatte, konnte ich nur, da sie zu sehr bewacht war, mit Hilfe der
gefälligen Frau Witt, auf der Dachrinne zwischen dem Giebel ihres Hauses
und dem der Dame sprechen, indem wir jedes aus einem Gaubloch
(Dachfenster) stiegen. So oft es ihr zu kommen möglich wurde, gab sie
mir das Zeichen dazu durch ein Stückchen weißes Papier, welches sie an
das Fenster klebte, und zwar zu einer bestimmten Nachmittagsstunde, die
ich in einer nahen Weinwirtschaft, die man >Zur Mutter Blaurock<, ein
Spottname, den man der etwas korpulenten und gutmütigen Wirtin gegeben,
abpaßte. Eines Abends, als wir nach eingebrochener Nacht uns wieder in
der Rinne zwischen den zwei Giebeldächern recht angenehm unterhielten,
hörten wir plötzlich Tritte auf dem Boden, die sich dem offen stehenden
Gaubloch näherten. Wir flüchteten uns schnell durch das Dachfenster des
Wittschen Hauses auf den Boden. Madame L... glaubte ihren Mann zu
erkennen, eilte die Stiegen hinab, über die Straße in ihr Haus und in
ein hinteres Gemach. Als der Herr Gemahl, denn er war es richtig
gewesen, langsamen Schrittes vom Boden herabkam, fand er seine teure
Ehehälfte ganz ruhig in demselben etwas räumen. Er schüttelte zwar
bedenklich den Kopf, sagte aber nichts. Den andern Tag war jedoch das
auf die Rinne führende Dachfenster mit einem Vorlegeschloß verwahrt, was
aber nicht hinderte, daß wir andere Mittel und Wege fanden, uns zu
sehen, und dies mit Hilfe kleiner Papierchen und gewisser Zeichen am
Fenster. Ein paar alte Türkenjungfern halfen gerne aus; der Mann
begleitete die Frau zu ihnen und holte sie auch später wieder ab, nicht
ahnend, daß ich schon vorher im Haus verborgen war. Die Dame erhielt
bald darauf einen Besuch von einer jungen Anverwandten, einem Fräulein
von Campke aus Berlin, das sie nun zu ihrer Liebesbotin machte. Das
Mädchen war sehr schön, hatte besonders einen ätherischen Wuchs und
einen Sylphidengang, eine wahre Hebegestalt. War es ein Wunder, daß mich
eine solche verführerische Abgesandte, deren Stimme noch obendrein den
harmonischsten Klang hatte, zur Untreue und zum Verrat an der Schönen,
die sie sandte, verleitete? Auch war es fast immer auf dem alten
Marienkirchhof, zwischen Gräbern und Gespenstern, wo sie mir zu sagen
hatte, ich möchte mich bei Türks einfinden, und ich sie dann
persuadierte, sich vorher bei mir einzustellen. Leider blieb das hübsche
Mädchen eine viel zu kurze Zeit in Kolberg, sie gab mir aber die Adresse
ihrer Wohnung in Berlin, in der Hamburger Straße, wo sie sich bei ihrer
Tante, der Frau von Osten aufhielt, die eine Verwandte eines Majors von
Osten war, der in Berlin bekannt, weil ihn ein Feldprediger, den er
gerne aufzog und zum besten hatte, einst auf eine arge Weise
heimgeschickt, ohne daß er deshalb etwas hätte erwidern können, so sehr
er sich auch getroffen fühlen mußte. Die Sache war folgende: Bei dem
Dessert eines splendiden Mittagmahles, das ein Oberst seinen Offizieren
gab, neckte sich der Major wieder mit dem Feldprediger, und zog ihn
namentlich wegen der Wunder der Bibel arg auf. Der Pastor, in die Enge
getrieben, wußte sich nicht anders zu helfen, als indem er zu seinem
Gegner sprach: »Oh, die Wunder, die Sie da erwähnen, sind noch gar
nichts gegen die bei der Sündflut, wo unser Herrgott dem Vieh jeder Art
befahl, sich in die Arche zu verfügen, und dann unter anderem zu den
verschiedenen Tieren sprach: >Du, Löwe von Süden, geh' in den Kasten
hinein; du, Kamel aus Westen, geh' in den Kasten hinein; du, Bär von
Norden, geh' in den Kasten hinein, und du, Esel von Osten, geh' in den
Kasten hinein<, und sämtliches Vieh gehorchte ohne Murren.« -- »Bravo,
Herr Pastor,« erschallte es von allen Seiten des Tisches. Der Major biß
sich in die Lippen, war stumm und ließ den Feldprediger fortan
ungehudelt.

Aus Mangel an anderen Feldzügen und aus Langeweile, die in
Friedensgarnisonen das Militär immer plagt, denn man kann auch mit dem
besten Willen nicht ewig hinter den Büchern hocken, und der Dienst will
nicht viel sagen, machte ich fortwährend Pläne, neue Kampagnen unter
Amors Banner zu eröffnen. So kam ich auf die Idee, die Szene, die ich
schon einmal in Berlin gespielt, auch in Kolberg zu wiederholen, nämlich
alle meine Teuren, jedoch nur die Verheirateten, bei einem Abendmahl zu
vereinigen. Ich wohnte damals bei einem Brauer namens Paul, der ein Paar
scharmante junge Töchter, Minchen und Karolinchen, besaß, mit denen ich
mich schnell auf einen vertrauten Fuß gesetzt hatte. Meine Wohnung war
Parterre und hatte einen eigenen Eingang im Torweg. Nachdem ich nun
sieben Frauen zu diesem Abendessen, versteht sich, ohne daß eine etwas
von der anderen wußte, eingeladen, bat ich die beiden Mädchen, mir doch
ein Essen zu bereiten, indem ich einige Kameraden bewirten wollte. Es
solle aber nur aus kalter Küche bestehen. Sie machten ihre Sache
vortrefflich und bereiteten besonders einige sehr gute Gelees und
Blancmangers. Pasteten hatte ich in der Stadt London machen lassen. Als
die festgesetzte Stunde gekommen und der Tisch vollständig serviert war,
daß keine Bedienung mehr nötig, kamen nacheinander: Madame G..., Frau
Doktor M..., Frau von Sch...l, Frau von St..., Madame Z...ke und Madame
W..., die ich alle auf das freundlichste empfing und, sowie eine zweite
leise anklopfte, jedesmal erstere teils in meine Schlafkammer, teils in
eine andere Nebenkammer eiligst verbarg, ihr tiefstes Schweigen
empfehlend. Als endlich alle da waren, die siebente blieb aus, trat ich
mit einem Licht in die Kammern und bat die ebenso überraschten als
verschämten Schönen, mir zu erlauben, sie an den Tisch führen zu dürfen.
Hier war die Szene eine ganz andere wie zu Berlin, da sich die
sämtlichen Damen sehr genau kannten; auch blieben alle stumm und
bewegungslos. Bei einigen verriet sich aber Zorn und Scham im Angesicht.
Keine wollte meiner Einladung Folge leisten. Dies wäre eine Gruppe für
einen Hogarth gewesen; in allen seinen Zeichnungen findet sich nichts
ähnliches. Auch ich gaudierte mich nicht wenig an dem Anblick derselben.
Die einen waren blutrot, die anderen leichenblaß, und keine getraute
sich umzusehen. Ich nahm endlich das Wort und sagte: »Wohlan, meine
Damen, das Souper erwartet Sie; es ist zwar ein kaltes, wird Ihnen aber
doch schmecken. Verderben Sie sich den Appetit nicht, wir sind ja lauter
Bekannte. Unter solchen Umständen bleibt nichts anderes übrig und es ist
immer das Beste, gute Miene zu bösem Spiele zu machen. Seien wir einig,
Sie haben ja alle gleiches Interesse, daß dies Spiel nicht verraten
werde, also keine etwas von der anderen zu fürchten. Ein wenig Scham ist
schnell vorüber.« Noch immer gab keine einen Laut von sich. Ich nahm nun
Frau von Sch...l und die Doktor M... am Arm, führte sie halb mit Gewalt
an den Tisch, placierte sie und machte es dann mit den anderen ebenso.
Ich servierte, aber keine wollte zugreifen. Endlich machte Madame G...
zuerst den Mund auf und löste ihre geläufige Zunge, indem sie sprach:

»Meine Damen, der Streich ist zwar unerhört, nein, so etwas lebt nicht
mehr und ist gewiß noch nicht vorgekommen, so lange die Welt steht.
(Hier ließ ich ein leises: »Doch, doch,« hören.) Fröhlich ist ein
Ausbund von Verrat und Falschheit, aber was wollen wir armen verratenen
Geschöpfe machen. Kommt die Geschichte an den Tag, so sind wir alle
verloren. Es bleibt nichts anderes übrig, als reinen Mund zu halten oder
unserem abscheulichen Wirt die Augen auszukratzen, ihn bis in den Tod zu
hassen, oder noch besser, zu erwürgen.« -- Dies war eine schöne Aussicht
für mich. Glücklicherweise machte keine der Damen Anstalt, einen so
abscheulichen Rat zu befolgen, und ich, mich ermannend, versetzte: »Mein
Tod, meine Damen, würde das Übel, wenn es eines ist, in dem Sie sich
befinden, nur noch zehnmal ärger machen, denn Sie könnten in den Fall
kommen, alle gehängt zu werden. Deswegen ist mein Rat, statt den der
Madame G... zu befolgen, sich sofort an die auf Sie schon längst
harrenden, gut zubereiteten Speisen zu machen, sich es wohl schmecken zu
lassen.« Dabei küßte ich eine nach der anderen, trotz ihrem Sträuben,
und nötigte sie zum Essen. Sie fanden sich nach und nach in das
Unvermeidliche, wurden gesprächiger, und nachdem erst einige Gläser
Champagner geleert waren, fand sich das Übrige. Ich spielte lustige
Tänze am Klavier, man wurde zuletzt heiter und fröhlich, und gegen zehn
Uhr verließen sie sämtlich meine Wohnung, mir beim Umarmen eine
angenehme Nacht wünschend. Der Spaß war nicht mit Gold zu bezahlen,
wurde aber doch verraten, denn Pauls Töchter hatten uns belauscht und
die Damen fortschleichen gesehen, ohne sie jedoch alle und genau erkannt
zu haben, sondern mehr vermutet, wer sie waren. Als sie noch denselben
Abend zu mir kamen, den Tisch wieder abzuräumen, lächelten sie malitiös,
und die jüngere, Karolinchen, eine frische, kaum sechzehnjährige
Blondine, sagte: »Ihre bewirteten Kameraden waren ja alle ohne Bart.« --
Ich küßte sie und erwiderte: »So wie du, mein Kind,« und da ich wohl
merkte, daß sie gelauscht haben mußten, nahm ich ihnen das feierliche
Versprechen ab, gegen niemand etwas von diesem Souper zu erwähnen, und
behielt sie zum Dessert bei mir. Sie hatten noch eine dritte Schwester,
eine junge, an einen Salinenbeamten verheiratete Frau, die öfters ihre
Eltern besuchte, mit der ich etwas später auch noch ein kleines
Abenteuer hatte. Dieser erzählten sie im tiefsten Vertrauen, was bei mir
vorgegangen war, und so machte die Historie mit vielen Varianten der
Namen der Beteiligten dennoch bald die Runde in der Stadt, wurde aber
glücklicherweise von den meisten Personen für ein Märchen oder doch
wenigstens als sehr ausgeschmückt und übertrieben gehalten, besonders,
da man sich hinsichtlich der Namen der beteiligten Personen durchaus
nicht verständigen konnte. Auch wurde diese Geschichte schnell wieder
durch eine andere verdrängt.

Mein Freund Willmann, der in der Liebe weit beständiger war als ich,
hatte noch immer großes Wohlgefallen an seiner korpulenten Kriegsrätin.
Eines Nachmittags wurde im Garten bei Kuhpfahls die _Chronique
scandaleuse_ der damaligen Zeit von Kolberg verhandelt, wo denn auch das
Verhältnis Willmanns mit der Wißling zur Sprache kam, und ein Kaufmann
namens Hackstock, bei dem Willmann wohnte, erzählte ganz ohne Hehl in
dem Harmoniegarten, daß die Kriegsrätin gewisse Futterale von den
feinsten Blasen für den Offizier per Dutzend nähe. Dies wurde dem Vater
der Kriegsrätin, einem Beamten namens Juske, der noch andere hübsche
unverheiratete Töchter hatte, hinterbracht, und der Mann war einfältig
genug, die Sache anhängig zu machen und den Erzähler als Verleumder zu
verklagen, der sich nun zu beweisen erbot, was er gesagt, indem er
selbst ein ganzes Paket solcher Dinger, von der Wißling geschickt, einem
Mädchen abgenommen hätte, und so weiter. Man kann sich denken, welch ein
ungeheures Aufsehen diese Skandalosa in ganz Kolberg machte, so daß die
Kriegsrätin für gut fand, die Stadt zu verlassen und sich nach Bromberg
zurückzuziehen. Doch auch hierher drang diese Historie, und sie zog
nochmals weiter gen Norden, und zwar bis Königsberg. Dies und noch ein
anderer Vorfall, durch einen Grafen Schulenburg, einen verabschiedeten
Gardeleutnant und Festungarrestanten, bei der Mutter Blaurock veranlaßt,
machte mein Souper und alle anderen Dinge auf vierzehn Tage vergessen.

Ich hielt mich nun mehr an meine Hausdamen Pauls und deren verheiratete
Schwester, zu denen außerdem noch eine ganze Menge artiger Bürgermädchen
kamen, unter denen eine Louise Zielken, ein Louischen Platzer, ein
Hannchen Sinel, eine Sophie Reisinger, eine Madame Igel und eine
wunderschöne Schornsteinfegersfrau mit einer feinen schneeweißen Haut,
ganz allerliebst waren, denen zuliebe ich allerlei Spiele, namentlich
auch Versteckens und Waldpartien veranstaltete, und mich bald mit der
einen, bald mit der anderen in der Malzdarre des Hauses oder einem
undurchdringlichen Gebüsch des Hains verbarg.

Eine recht unterhaltende Partie war eine Hochzeitsfeier, die ein
wohlhabender Pächter der Madame Schröder im Bullenwinkel zu Ehren seiner
Tochter, die einen Krämer in Kolberg heiratete, veranstaltete, zu der er
alle Honoratioren Kolbergs durch reitende, mit Bändern und Blumen
geschmückte Boten, wie es dort zu Lande Sitte ist, eingeladen hatte.
Diese Feier währte nicht weniger als drei volle Tage und Nächte, während
welchen unaufhörlich gegessen, getrunken, getanzt, gespielt und geküßt
wurde. Die ersten vierundzwanzig Stunden hatte ich das etwas wilde
Hochzeitsfest ununterbrochen mitgemacht, den zweiten und dritten Tag
aber fand ich mich immer erst gegen Abend ein, um ein nächtliches
Abenteuer zu bestehen. Ein recht hübsches Landmädchen, das ich zu einer
kurzen Mondscheinpromenade beredete, sagte mir ganz naiv: »Aber Sie
wollen mich doch nicht verführen?« -- »Bewahre, nur liebhaben, mein
schönes Kind.« -- Bei diesem Verführen fiel mir ein gar nicht lange
vorher vorgefallenes Histörchen ein. Bei einer Paternitätsklage hatte
der Richter der Klagenden gesagt: »Mein Kind, was Ihr da vorbringt, ist
nicht hinlänglich, Ihr müßt mir gültigere Beweise bringen, daß Euch der
Mensch verführt hat.« -- Einige Tage darauf erschien das Mädchen wieder
vor dem Richter und sprach: »Jetzt habe ich die besten Beweise, Herr
Richter!« -- »So laßt hören.« -- »Ja, er hat mich gestern Abend schon
wieder verführt!« -- Am vierten Morgen kehrte ich, sowie alle Gäste,
etwas stark ermüdet mit einem kleinen Fieber heim.

Mein Fieber nahm indessen zu, sowie ein arger Husten, der mir die Brust
stark angriff. Das etwas wilde Leben, das ich führte, mochte freilich
viel schuld sein, indessen trug das frühe Exerzieren am Strand der
Ostsee, wo man sich oft bei kaltem nebligem Wetter bei dem beständigen
Kommandieren heiser schrie und sehr erhitzte, wohl auch das Seinige dazu
bei, wozu noch kam, daß ich öfters, noch lange nicht abgekühlt genug,
durch ein Bad in den Fluten des Baltischen Meeres mich von der Erhitzung
und Ermüdung zu befreien suchte. Verdruß und mancher Ärger, die ich mir
allerdings meist selbst zuzog, setzten mir auch zu.

Eines Tages war Feuer in der Stadt ausgebrochen. Ich wurde an das
Geldertor kommandiert, wo ein Leutnant Göricke die Wache hatte. Die
Instruktion lautete, daß bei einem Brand niemand aus der Stadt gelassen
werden dürfe, so lange er währte. Nun kam eine Menge Mädchen, welche in
der Vorstadt Milch für ihre Herrschaften holen wollten. Es war noch früh
am Morgen, und da sie der wachehabende Leutnant nicht hinausließ, so
wuchs ihre Zahl bald auf ein halbes Hundert, mit denen sich dann die
Soldaten neckten und schäkerten. Das Feuer währte an drei Stunden, bevor
es gelöscht war. Die Mädchen, denen wohl auch dies Spiel gefiel,
harrten, bis die Passage wieder frei sei, und ihre Damen, vergeblich auf
die Milch wartend, mußten diesen Morgen ohne den gewohnten, nicht zu
entbehrenden Kaffee bleiben oder ihn ohne Milch genießen, und wurden
noch obendrein über das Ausbleiben ihrer dienstbaren Geister, wodurch
der ganze Morgen verloren ging und das Mittagessen nicht zur rechten
Zeit bestellt werden konnte, erbost. Auch dies kam wieder zu Ohren des
Kommandanten, der mich bei der Parade deshalb zur Rede stellte und dabei
sagte: »Der Befehl, niemand aus der Stadt zu lassen, erstreckt sich
nicht bis auf die Milchmädchen, aber es unterhielt die Herren, diese
Possen mit den Soldaten treiben zu sehen.« -- Ich erwiderte dem
Kommandanten, daß ich nicht der wachehabende Offizier gewesen, sondern
nur das Kommando der auf diesen Alarmplatz beorderten Truppen gehabt,
folglich mich diese Konsigne gar nichts angegangen habe. -- Hierauf
versetzte er: »Das ist keine Entschuldigung, Sie waren der ältere
Offizier im Grad und hätten also auf Ordnung sehen müssen.« -- Dabei
hatte es sein Bewenden und er konnte mir wegen dieser Sache nicht wohl
etwas anhaben. Dagegen gelang es ihm den Sonntag darauf, wenn auch mit
noch weit geringerem Grund, mich so zu reizen, daß ich nach den
Kriegsgesetzen allerdings sehr straffällig wurde.

Es war große Parade auf dem Markt. Nach gehöriger Inspektion schwenkten
die Bataillone rechts ab, um zuerst im Paradeschritt vor dem
Kommandanten zu defilieren. Der Offizier, der den dem meinigen folgenden
Zug kommandierte, hatte die gehörige Distanz beim Schwenken nicht
behalten, sondern war meinem Zug viel zu nahe gerückt. Daß sich dies so
verhielt, konnte niemand besser als der außerhalb der Kolonnen stehende
Kommandant bemerken. Dennoch wandte er sich laut schreiend mit den
Worten: »Herr Leutnant Fröhlich, Sie halten ja gar keine Distanz, Ihr
Zug marschiert wie Rekruten!« an mich. Der ganze Markt und die Fenster
waren voll Zuschauer, welche alle diese Apostrophe gehört haben mußten.
Dies versetzte mich in einen solchen Zorn, daß ich nicht mehr Meister
über mich selbst war und dem Kommandanten noch lauter erwiderte: »Herr
Oberst, wenn Sie nicht sehen wollen, daß mein Hintermann und nicht ich
die Distanz verloren hat, so lassen Sie auf der Stelle einschwenken, und
Sie werden sich zur Genüge davon überzeugen.« -- Statt aller Antwort
wurde die Kolonne durch ein donnerndes »Halt!« zum Stehen gebracht, mir
sogleich der Degen abgenommen, ich vom Platzmajor in Arrest geführt und
dann meine abermalige Suspension vom Dienst bis nach abgemachter
Untersuchung verordnet. Gleich den andern Tag kam ich bei meinem
Kommandeur mit einem Gesuch um meinen Abschied ein, worauf mir aber
erwidert wurde, daß erst nach beendigter Untersuchung mein Gesuch
berücksichtigt werden könne. -- Ich hatte schon längere Zeit im Sinn,
meine Entlassung zu nehmen, da ich einsah, daß unter den bewandten
Umständen eben kein großes Glück mehr für mich in preußischen Diensten
zu hoffen sei, und ich auf kein baldiges Avancement rechnen könne.
Mehrere Gesuche um eine Versetzung zu einem Regiment in den
Rheinprovinzen waren mir abgeschlagen worden, und ich hatte durch einen
Zufall in Erfahrung gebracht, daß ich in den Konduitenlisten, welche die
Chefs alljährlich von den Offizieren einreichen, ziemlich schwarz
angeschrieben stand. Wenn ich gerecht sein will, muß ich gestehen, daß
ich durch mein oft sehr unpolitisches Benehmen dies mit veranlaßt hatte.
Nach vierundzwanzig Stunden wurde ich vom Arrest wieder befreit, blieb
jedoch suspendiert, und die Untersuchung begann. Während dieser Zeit, es
dauerte über fünf Monate, bevor das bestätigte Urteil von Berlin
zurückkam, lebte ich ziemlich eingezogen in meiner Wohnung, wo ich mich
mit den liebenswürdigen Töchtern meines Wirtes und deren zahlreichen
Freundinnen recht angenehm unterhielt, viel las und studierte und den
Nachmittag ein paar Stunden in dem Harmoniegarten mit Lesen der
Zeitungen und belletristischen Blätter zubrachte. Eines Tages befanden
sich die Töchter meines Obersten, die des pensionierten Generals von
Fiebig und noch andere, zum Teil noch ganz junge Mädchen in dem an das
Lesezimmer stoßenden Gartensaal und machten nicht nur einen so
gewaltigen Lärm, daß es unmöglich war, einen Gedanken zu fassen, sondern
sie rannten wohl dreißigmal in einer Viertelstunde, Türen auf- und
zuschlagend, durch das Lesezimmer, so daß sich auch einige Bürger in
demselben laut beschwerten. Ich schloß endlich die Türe des Gartensalons
ab, so daß die Mädchen nicht mehr herauskonnten, da er keinen anderen
Ausgang hatte, und ließ sie eine geraume Zeit an der Türe pochen und
rufen, bevor ich ihnen aufmachte, was ich endlich lachend tat, worauf
mir das jüngste Fräulein von Witke, ein kaum elf Jahre altes, naseweises
Ding, sagte: »Ich werde es dem Papa sagen, der soll Sie wieder in Arrest
schicken.« -- Ich erwiderte ihr darauf: »Mein artiges Fräulein, bei mir
zu Lande ist es Gebrauch, daß man die Gänschen jeden Abend einsperrt.«
-- Aber nun fielen alle auf einmal über mich her und schnatterten so
gewaltig, daß ich auch kein Wort verstand, sondern mich lachend
entfernte. Durch Frau von Sch...l aber, die ich noch denselben Tag
sprach, erfuhr ich, daß sich das ältere Fräulein von Witke gegen die
anderen Mädchen geäußert habe: »Laßt es nur gut sein, der kommt schön
an, der Vater hat ohnehin schon in die Konduitenliste gesetzt, daß er
unanständige Liebesintrigen habe, sich ungebührlich gegen seine
Vorgesetzten benehme und Schulden mache.« -- Ich mochte ungefähr ein
paar hundert Taler Schulden haben, die jedoch meist auf laufende
Rechnung waren, und die ich am Ende wohl noch bezahlen konnte und
bezahlte. Dies und die Intrigen hätte man mindestens von einem Dritteil
der Offiziere in die Konduitenliste setzen können. Aber die Hauptsache
waren die Vorgesetzten. Mein Urteil kam endlich von Berlin und war
abermals sechsmonatlicher Festungsarrest, den ich diesmal in Kolberg
selbst absitzen sollte. Der Kommandant wies mir eine Stube auf dem
Geldertor an, mit dem Verbot, mein Arrestzimmer nicht verlassen und noch
weniger in die Stadt gehen zu dürfen. Ja, er trieb es so weit, daß die
wachthabenden Offiziere Order erhielten, daß ich ohne seine Erlaubnis
keine Besuche annehmen dürfe und alle an mich gerichteten Briefe durch
die Hände der Kommandantur gehen sollten. Nur zwei Stunden vor- und zwei
nachmittags war mir ein sehr kurzer Spaziergang auf dem Wall unter den
Augen der Schildwache erlaubt. Was die Briefe anbelangte, so wußte ich
es schon zu machen, daß ich sie auf anderem Wege erhielt. Ich ließ
meinen Burschen eine Bürste mit einem verborgenen Schieber machen, in
welche er jeden Morgen, wenn er kam, um meine Kleider zu reinigen und
das Frühstück zu bringen, die an mich in meiner Wohnung eingegangenen
Briefe und Billetts aus der Stadt hineinlegte, und so auch meine
Antworten wieder mit fortnahm. Hatten Offiziere, mit denen ich auf einem
vertrauteren Fuße stand, wie Willmann, Bocksfeld, Melzer, Sanft und so
weiter, die Wache, so empfing ich auch abends Besuche, und sogar
weibliche. Indessen wurde die Sache mit der Briefbürste doch verraten.
Ein Unteroffizier, der den Burschen fragte und visitierte, ob er keine
Papiere für mich bei sich habe, nahm zufällig die Bürste in die Hand,
entdeckte den Schieber, schob ihn zurück und fand zwei Zettelchen von
Pauls Töchtern und einen Brief von einer gewissen Frau Geib, welche die
Unterhändlerin für eine andere Dame machte, die sie glücklicherweise
nicht in dem Schreiben genannt hatte. Diese drei Personen ließ der
Kommandant nun durch die bürgerlichen Behörden, den Oberbürgermeister
und den Polizeidirektor, vernehmen und verwarnen, künftig sich in keine
Korrespondenz mehr mit Festungsarrestanten einzulassen. Dies gab
abermals einen heillosen Stadtskandal, die Mädchen konnten sich gar
nicht mehr sehen lassen, und ich war außer mir. Übrigens wurde mir die
Zeit eben nicht lang auf meinem Tor. Ich hatte Kameraden und
Unterhaltung genug. Ein alter, sehr lustiger Rittmeister, drei andere
Offiziere, ein Bürgermeister, der einen Landrat geprügelt, ein
Forstmeister, der aus Versehen einen Wilddieb erschossen hatte, saßen
alle auf demselben Tor in verschiedenen Arreststuben. Wir kamen morgens
und abends zusammen und jeder wußte eine Schnurre oder unterhaltende
Begebenheit aus seinem Leben zu erzählen, besonders der Leutnant von
Stolzenbach, der außerdem die niedlichsten Papparbeiten, ganze Burgen,
Festungen, Tempel, Kirchen und andere Gegenstände aus Pappe zu seiner
und unserer Unterhaltung verfertigte. Die Offiziere saßen meistens wegen
gehabter Duelle. Auch ich hatte mein Klavier heraufbringen lassen und
vertrieb mir und den anderen manche Stunde mit Musik. -- Was mich aber
quälte, waren mein Husten und meine Brustbeschwerden, die immer
bedenklicher zu werden begannen, so daß sich schon schleichendes Fieber,
starke Nachtschweiße und sogar einiges Blutspeien einstellte. Der
Stabsarzt Clebsch ließ mich nun eine Kur von isländischem Moosgelee,
Roggensuppen und Honigtee während vier Monate ununterbrochen nehmen,
durch welche ich so ziemlich wieder hergestellt wurde. Kurz vor
Beendigung meines Festungsarrestes erhielt ich die Anzeige vom Tode
meiner Großmutter mütterlicherseits, die mir ein besonderes Vermächtnis
von zweitausend Talern zugedacht hatte, und zwar aus dem Grund: >weil
ich kein Komödiant geworden sei.< Diese Worte standen im Testament.
Dieses Geld kam mir gerade trefflich zustatten, denn ich konnte nun die
paar hundert Taler Schulden, die ich hatte, gleich tilgen und behielt
ein kleines Kapital in der Hand, wodurch ich vorerst gedeckt war und den
kommenden Ereignissen mit Ruhe entgegensehen konnte. Meines Arrestes
entlassen, bestand ich um so mehr auf meinem Abschied, der mir dann auch
sechs Wochen später ward. Ich hielt mich jetzt nur noch wenige Tage in
Kolberg auf, wo sich zufälligerweise ein Frankfurter Weinhändler namens
G..., ein guter Bekannter meiner Familie, eingefunden hatte, um
Geschäfte zu machen. Während dieser Zeit wohnte ich bei dem Speisewirt
Sack, der auch Kastellan der Freimaurerloge, von der der Kommandant ein
Mitglied war. Eines Abends schlich ich mich in die sogenannte
Probekammer und malte daselbst einen gehörnten und langgeöhrten Kopf mit
Kohle an die Wand und schrieb darunter: der Kommandant. -- Als dieser es
erfuhr und sich augenscheinlich davon überzeugt hatte, -- ich machte
keinen Hehl daraus, daß ich es getan, -- ließ er mich deshalb wieder
vernehmen. Ich gab aber auf alle an mich gerichteten Fragen keine andere
Antwort, als: »Ich habe damit den Kommandanten von Kalkutta gemeint,
findet sich der von Kolberg dadurch getroffen, desto schlimmer für ihn.«
-- Dabei blieb es, und nachdem ich gehörig Abschied von allen Bekannten
und auch von dem braven Nettelbeck genommen hatte, der bei allen
Gelegenheiten immer so sehr bescheiden war, daß man hätte glauben
sollen, er schäme sich, so viele Verdienste zu haben, fuhr ich, von
Kolberg abreisend, wo ich über vier Jahre zugebracht, dem Freund G...
zuliebe über Köslin, wo ich mich noch ein paar Wochen aufhielt, nach
Berlin.




                                  XI.

     Ein Polterabend. -- Ich gebe ein paar Gastrollen. -- Reise von
   Köslin nach Berlin. -- Eine Reise nach Paris ohne Paris zu sehen.
      -- Schicksale meiner Cousinen. -- Abreise nach Magdeburg. --
   Carnot. -- Er fordert mich auf, ein Geschichtswerk herauszugeben.
     -- Aventuren. -- Ich gerate in große Feuersgefahr. -- Abreise
    nach Bremen. -- Angenehme Reisegesellschaft. -- Braunschweig. --
        Vetter K... und Cousine Henriette. -- Ein Hausfreund. --
   Gesinchen. -- Die Giftmischerin Gottfried. -- Signora Catalani in
   Bremen. -- Abreise nach Frankfurt. -- Hannover. -- Hildesheim. --
        Goslar. -- Eine Partie auf den Blocksberg. -- Kassel. --
   Wilhelmshöhe. -- Zopfwut des Kurfürsten. -- Ankunft zu Frankfurt.


In Köslin wohnte ich mit Freund G... bei Homanns auf dem Markt, wo
zufällig den anderen Tag die Hochzeit der Tochter aus dem Haus
stattfinden und gefeiert werden sollte. Als ich mich den Abend nach
meiner Ankunft, nach zehn Uhr, ziemlich ermüdet zu Bette gelegt hatte
und eben eingeschlafen war, hörte ich plötzlich unter meinem Fenster
einen gewaltigen Lärm, der durch das Zusammenschlagen von Töpfen,
Flaschen, Krügen, Gläsern und anderem Geschirr entstand, und kein Ende
nehmen wollte. Wohl an zwei Stunden hatte der Skandal gewährt und mich
am Einschlafen verhindert. Ich konnte gar nicht begreifen, was dies zu
bedeuten habe. Als ich das Fenster öffnete, um zu erforschen, was es
sei, sah ich mehrere Mädchen nacheinander ankommen, die einen Topf, eine
große Schüssel oder sonst ein leicht zerbrechliches Gefäß mit aller
Kraft auf die Steine vor der Haustüre warfen. Nachdem ich ihnen
zugerufen, sie sollten mit dem Unfug aufhören, erwiderten sie mir
lachend: »Es ist Polterabend!« Als ich mich, nebst anderen Reisenden, am
Morgen wegen der unruhigen Nacht beschwerte, wurden wir sämtlich zur
Hochzeit geladen, die uns eine Entschädigung gewähren sollte. Die Braut
war so übel nicht, unter den Brautjungfern waren einige recht hübsch;
man konnte sich schon mit der Entschädigung begnügen und so eine zweite
Nacht schlaflos hinbringen. In Köslin traf ich wieder Romberg mit seiner
Gesellschaft an, bei der noch Madame Vetterlein war, mit der ich die
alte Bekanntschaft wieder erneuerte. Die Gesellschaft hatte gerade ihren
ersten Liebhaber durch Durchgehen verloren. Madame Vetterlein meinte,
ich könne ihr zu Gefallen wohl ein paar Liebhaberrollen übernehmen, und
wenn ich mich nicht bei Romberg engagieren wolle, doch gastieren. Ich
lachte über den Einfall der hübschen Aktrice, die sich noch hinter den
Direktor steckte, den ich einige Male in meinen Gasthof zum Mittagessen
eingeladen hatte, ließ mich der liebenswürdigen Frau zu Gefallen
wirklich verleiten, ein paar Rollen, nämlich die des Karl Moor in
Schillers Räubern und die des Ferdinand in Kabale und Liebe, zu geben,
und fand bei dem Kösliner Publikum so große Gnade, daß alle Welt in
Romberg drang, mich doch zu engagieren, was aber nicht in des guten
Mannes Willen stand, da ich den Antrag ablehnte. Ich reiste nach
vierzehntägigem Aufenthalt zu Köslin, wo man sich mit allen möglichen
Märchen über meine werte Person herumtrug, mit einer jungen Französin,
welche 1815 zu Paris einen preußischen Armeebeamten geheiratet hatte,
und nun _à tout prix_ dieses >_pays du diable_< verlassen wollte, um in
ihr geliebtes Frankreich heimzukehren, nach Berlin ab. Sie hoffte, daß
ich sie wenigstens bis an den Rhein begleiten würde, obgleich ich ihr
gesagt, daß ich vorerst nach Bremen gehen müsse. Sie traute aber ihrer
französischen Liebenswürdigkeit zu, mich noch anderen Sinnes zu machen.
Daß sie sich zu viel zugetraut, wurde ihr schon den ersten Tag nach
unserer Abreise aus Köslin klar, denn eine sehr niedliche Frau, die
Gattin eines Regierungsrates zu Köslin, die zu ihren in Magdeburg
wohnenden Eltern zum Besuch reiste, nahm meine Aufmerksamkeit weit mehr
in Anspruch, als die unglückliche Französin, die, wenn auch nicht
häßlich, doch etwas so Verzerrtes und Fratzenartiges an sich hatte, daß
sie mir bald zuwider werden mußte. Frau Regierungsrätin von M..., die
sogleich den Künstler in mir wieder erkannte, der als Major Walter ihren
vollsten Beifall zu erhalten das Glück gehabt, wunderte sich sehr, im
Postwagen mit mir zusammenzutreffen, und war äußerst neugierig, von mir
selbst etwas Näheres über meine Verhältnisse zu erfahren, indem man in
Köslin die allerextravagantesten Dinge über meine Person ausgesagt habe.
Lachend teilte ich ihr davon mit, was ich für gut hielt. -- »Aber wie
mochten Sie sich nur unter solches Komödiantenpack mischen?« rief
zuletzt die schöne Frau aus. -- »Dies ist nun einmal meine Passion,
gnädige Frau, und ich stehe nicht dafür, daß, nachdem sich die Umstände
gestalten, ich nicht heute oder morgen noch einmal ein wirklicher
Komödiant werde, wenn ich bei einer guten stehenden Bühne eine passende
Anstellung finde.« -- Die Dame schüttelte etwas unwillig das Köpfchen.
Unterdessen wurde mir die Reise bis nach Berlin sehr kurzweilig, da ich
mich mit den beiden Frauen, der Französin und der Magdeburgerin, recht
angenehm unterhielt, obgleich erstere, die nur wenig Deutsch verstand
und sprach, gar oft böser Laune wurde, wenn ich mit der anderen zu lange
und ihr unverständlich sprach. In Berlin begaben sich die beiden Damen
auf meinen Rat in den Gasthof >Zum Engel< in der Heiligengeist-Straße,
wo sie noch ein paar Tage mit mir zusammen wohnten, hierauf die Frau
Regierungsrätin zuerst nach Magdeburg abfuhr, wo ich sie in ein paar
Wochen zu besuchen versprach, und ich dann die Französin nach Frankreich
abzureisen veranlaßte, indem ich ihr sagte, daß mich meine Geschäfte
wohl noch jahrelang in Berlin zurückhalten könnten. Ich machte nun meine
Besuche bei Pogwischs, Pfeifers und anderen alten Bekannten, hütete mich
aber, der Prinzessin Wilhelm unter den jetzigen Umständen meine
Aufwartung zu machen, und ließ mir bei dem Bankier Mendelssohn
fünfhundert Taler auf Rechnung meines großmütterlichen Legats geben, von
dem ich erst fünfhundert Taler in Kolberg durch Freund G... empfangen
hatte. Wen ich aber zuerst in Berlin aufsuchte, das war Frau von Osten
in der Hamburger Straße, bei der ich das schöne Fräulein von Campke
wußte, mit welcher ich das in Kolberg angeknüpfte Verhältnis fortspann.
Ich blieb diesmal in meinem Gasthof wohnen, obgleich mich Pogwischs
einluden, wieder bei ihnen zu logieren. Aber ich wollte ganz ungeniert
sein, wußte ohnehin nicht, wie lange ich in Berlin bleiben würde, und
widmete mich ganz dem Dienst des Fräulein von Campke, mit dem ich recht
romantische Partien nach Potsdam, Charlottenburg und so weiter
veranstaltete. Daneben lieferte ich dem >Beobachter an der Spree< wieder
manche ziemlich pikante Beiträge von Geschichtchen, die mir zu Ohren
kamen und von denen ich hier nur >Die Reise nach Paris< erwähne. Sie
hatte folgenden Vorfall zum Grund: Ein preußischer Offizier wurde als
Kurier in Staatsangelegenheiten nach Paris geschickt. Dieser hatte einen
guten Freund, dessen sehnlichster Wunsch schon längst gewesen, einmal
Frankreichs Hauptstadt zu sehen, wozu ihm aber die nötigen Geldmittel
fehlten. Der Offizier machte ihm nun das Anerbieten, ihn frei
mitzunehmen und auch wieder zurückzubringen, da ihm dies selbst keinen
Pfennig Kosten verursache. Er brauche nur soviel Geld, als er während
eines acht- bis vierzehntägigen Aufenthaltes in Paris zu seinem
Vergnügen auszugeben gedenke. -- Wer war froher als unser Freund, auf
eine so wohlfeile Art nach Paris kommen zu können. Beide Freunde fuhren
nun mit Extrapost rastlos Tag und Nacht, ohne sich irgendwo aufzuhalten,
bis Paris, wo sie gegen acht Uhr abends ankamen, in einem Hotel
abstiegen, worauf sich der Offizier ankleidete, um seine Depeschen in
dem preußischen Gesandtschaftshotel abzugeben und seinem Reisegefährten,
der außerordentlich ermüdet war, empfahl, einstweilen der Ruhe zu
pflegen, um den folgenden Tag die Sehens- und Merkwürdigkeiten von
Frankreichs Hauptstadt neugestärkt in Augenschein nehmen zu können. Der
Freund befolgte den Rat, begab sich zur Ruhe und schlief auch gleich
ein. Es mochte beinahe Mitternacht sein, als der andere zurückkam und
den vortrefflich schnarchenden Schläfer nicht ohne große Mühe aus seinem
großen Schlafe weckte und mit den Worten anredete: »Du, stehe rasch auf
und kleide dich an, wir müssen auf der Stelle wieder fort.« -- Der
andere rieb sich die Augen, ließ sich die Worte zwei- und dreimal
wiederholen und sagte endlich gähnend: »Bist du toll? Ich glaube, du
träumst.« -- »Nichts weniger als dies, ich habe hier schon meine
Depeschen,« -- hier zeigte er ihm einen Pack Briefe -- »und in einer
Stunde muß ich schon wieder auf dem Weg nach Berlin sein. Dies ist mir
von dem Gesandten auf das strengste anempfohlen worden. Also, spute
dich, sonst mußt du hierbleiben. Wenn dir dies recht ist, so ist es
etwas anderes.« -- »Wie kannst du so einfältig reden. Du weißt doch, daß
ich nur fünfundzwanzig Taler mitgebracht, wie kann ich bleiben, und mit
was zurückreisen?« -- »Darum rasch, kleide dich an, wir haben keine
Minute zu versäumen, die Pferde sind bereits bestellt und werden bald
angespannt sein.« -- Fluchend und wetternd erhob sich nun der andere mit
noch ganz zerschlagenen Gliedern aus dem Bett und kleidete sich,
fortwährend brummend und murrend, an: »Der Teufel soll die Reise nach
Paris holen. Ich wollte lieber, ich hätte das Miserere gekriegt, als daß
ich mit dir gereist wäre,« und so weiter. Aber das half alles nichts.
Schon hörte man das Trappeln der Pferde vor der Haustüre. Man trank noch
ein paar Tassen schwarzen Kaffee, den der Offizier in der Eile hatte
kommen lassen, mußte sich dann, in die Mäntel gehüllt, in den harrenden
Wagen werfen, und bei ebenso finsterer Nacht, als man angekommen, fuhr
man wieder aus Paris hinaus, und mit derselben Eile, wie man hergereist,
nach Berlin zurück, wo der Freund wahrhaft gerädert ankam und über acht
Tage im Bette zubringen mußte, bevor er sich von den ausgestandenen
Strapazen wieder ganz erholt hatte. Daß der gute Freund für den Spott
wegen dieser unglücklichen Reise nicht zu sorgen hatte, kann man sich
denken. Auch konnte man ihn nie daran erinnern, ohne daß ihm der Zorn
das Blut ins Gesicht jagte.

Dieses Histörchen machte ziemliches Aufsehen in Berlin, so daß für ein
paar tausend Groschen mehr als gewöhnlich vom >Beobachter an der Spree<
verkauft wurden und mich die Redaktion um mehr solcher Beiträge
ersuchte.

Außer dem Fräulein von Campke hatte ich auch noch einer hübschen
Tänzerin, an die mir Graf Schulenburg eine Empfehlung gegeben hatte, den
Hof gemacht. Alte Bekannte, wie Minchen Pfeifer, die noch immer eine
unglückliche Braut, Demoiselle D..., die seit einigen Jahren an einen
der bedeutendsten Künstler des Berliner Theaters verheiratet war, und so
weiter, suchte ich auch auf, und so schwanden mir die wenigen Wochen,
die ich ziemlich planlos in Berlin verlebte, schnell dahin.

Schon längst hatte ich das Projekt im Sinn, Bremen und meine daselbst
verheirateten Cousinen zu besuchen, unter denen eine meiner ersten
Jugendfreundinnen, die liebe Henriette, war, an die mich von Frankfurt
und Homburg so manche angenehme Erinnerung gemahnte und die an einen der
angesehensten Kaufleute Bremens verheiratet war. Die vier Töchter meines
Oheims Scholze hatten sich in Bremen, nachdem sie daselbst ein paar
Jahre gelebt, da es schöne und reiche Mädchen waren, kurz nacheinander
an angesehene Kaufleute verheiratet. Die zweite, Sophie, hatte den
Senator H..., die dritte, Minna, den für sehr reich geltenden Kaufmann
G..., und die vierte, Hannchen, einen in Hamburg etablierten Kaufmann
namens P... gefreit. Henriette hatte aber eine sehr zarte Gesundheit und
kränkelte fast immer. Sophie kam nach ihrem ersten Wochenbett zehn Jahre
lang nicht mehr aus dem Bett und mußte in Betten jedes Jahr in die Bäder
gefahren werden; als Mädchen war sie ein wahrer Dragoner gewesen. Minna,
die wie die Mama allerlei Liebesabenteuer gehabt, war närrisch geworden
und in einem Haus in Berlin zur Genesung, wo sich die Prinzessin Wilhelm
ihrer auf das freundlichste annahm, sie in lichten Stunden zu sich auf
das Schloß holen ließ, bis sie endlich einmal in ihrer Gegenwart die
tollsten Streiche machte, daß das fernere Kommen unterbleiben mußte. Ihr
Mann aber fallierte später und wurde ganz arm, so daß die Schwestern die
Unglückliche unterhalten mußten. Hannchen war neun Monate nach ihrer
Verheiratung im ersten Wochenbett gestorben. Mein Oheim Scholze war noch
nicht lange, nachdem er noch die Hälfte seines Vermögens durch
unvorsichtige Güterkäufe verloren hatte, ebenfalls gestorben. Dennoch
sollten die Töchter noch sehr reich werden, da sie einen alten
kinderlosen, noch lebenden Bruder ihres Vaters, den man in Bremen nur
den reichen Scholze nannte, zu beerben hatten. Aber auch diese Erbschaft
ging später durch allerlei Spekulationen der Männer meist wieder
verloren. -- Dies war das Ende der Früchte einer Ehe, die unter den
glücklichsten Auspizien in Frankfurt vollzogen worden war, und wegen der
man unsere ganze Familie so sehr beneidet hatte.

Von Berlin reiste ich über Potsdam, wo ich noch einmal dessen
Herrlichkeiten besuchte und zwei Tage verweilte, und Brandenburg, nach
Magdeburg, wo ich wieder in einem >Goldnen Engel< auf dem breiten Weg,
dessen Eigentümer, Neuschäfer, früher Kellner in Frankfurt war, abstieg,
mir aber, da ich einige Zeit in Magdeburg zu bleiben beabsichtigte, ein
paar Tage darauf eine Privatwohnung mietete. Zuerst suchte ich meine
liebenswürdige Reisegefährtin von Köslin nach Berlin, die
Regierungsrätin von M... auf, bei deren Eltern ich sehr gut aufgenommen
wurde, und die mich noch denselben Tag zu einer Promenade auf dem
Fürstenwall, vom Fürsten von Anhalt-Dessau angelegt, einlud, was ich mit
Vergnügen annahm. Hier zeigte man mir den alten Republikaner Carnot, der
einer der Direktoren der französischen Republik gewesen und jetzt von
den Bourbons als Königsmörder verbannt war. Er hatte im Konvent für den
Tod Ludwigs XVI. gestimmt. Mit Genehmigung des Königs von Preußen lebte
er in Magdeburg. Obgleich ich mir schon längst vorgenommen, keine
Zelebritäten mehr aufzusuchen, da meine Besuche bei Goethe und Fiesco so
schlimm ausgefallen waren, so glaubte ich hier doch als ehemaliger
französischer Offizier eine Ausnahme machen zu müssen, und tat wohl
daran, denn ich wurde sehr gut aufgenommen. Der alte Republikaner, ein
zweiter Cato, der eigentlich die Pläne zu den glänzenden italienischen
Feldzügen Napoleons entworfen hatte, war äußerst angenehm und sehr
mitteilend im geselligen Umgang. Ich war öfters bei ihm zu Tisch und
machte dann eine mehrstündige Promenade auf dem Fürstenwall mit ihm, wo
er sich durch sein einfaches Kostüm, einen grauen Oberrock und einen
sehr breitrandigen runden Hut, auszeichnete. Der Umgang und die
Unterhaltung mit diesem berühmten Mann war in hohem Grad lehrreich für
mich. Er erzählte mir vieles von den Begebenheiten der französischen
Revolution, der Republik, des Kaiserreiches, wodurch ich über manche
Dinge, die mir bisher dunkel und rätselhaft waren, vollkommenen
Aufschluß erhielt. Obgleich strenger Republikaner, gestand er mir doch
zu, daß die Welt zu sehr im Argen liege, daß es der Schurken, Betrüger,
Selbstsüchtigen, Schwachen und Herrschsüchtigen viel zu viele gebe, als
daß man hoffen könne, eine die Völker beglückende Republik dauerhaft zu
gründen. Eines Tages kam auch die Rede auf die Werke und Schriften,
welche über die französische Revolution schon erschienen seien, und daß
er keine einzige Geschichte derselben kenne, welche vom Standpunkte der
Unparteilichkeit, mit Wahrheit, vollkommener Sachkenntnis und ohne
Leidenschaft geschrieben sei. Ein solches Werk fehle gänzlich, denn alle
herausgekommenen atmeten mehr oder weniger gehässigen Parteigeist, seien
voller Vorurteile und bewiesen oft die krasseste Ignoranz bei den
wichtigsten Begebenheiten. Endlich sagte er mir: »Sie sollten es
versuchen, ein solches, wahrhaft verdienstliches Werk zutage zu fördern.
Ich halte Sie für fähig dazu und auch unparteiisch und vorurteilsfrei
genug, wie ich aus Ihren Reden entnommen habe.« -- »Ja, mein General,«
versetzte ich lächelnd, »wo denken Sie hin, hierzu gehören ganz andere
Fähigkeiten, Talente und Kenntnisse, als ich besitze.« -- »Das glaube
ich nicht. Wenn Ihre Darstellungsgabe in deutscher Sprache, denn in
dieser müßten Sie es schreiben, ebenso klar und faßlich ist, wie Sie
sich in der französischen ausdrücken, dann haben Sie schon den Vorteil
eines sehr anziehenden Vortrags. In der Geschichte sind Sie hinlänglich
bewandert, Hilfsquellen will ich Ihnen die zuverlässigsten und besten
geben. Ich werde Ihnen einige Notizen aufsetzen, sowie, welche
französischen Schriften und Werke Sie hauptsächlich als Hilfsquellen
benutzen können.« -- Ich schüttelte sehr unschlüssig und ungläubig den
Kopf und lächelte. Carnot, der es bemerkte, versetzte: »Nur Mut und
Selbstvertrauen. Die Sache ist nicht so schwer, wie Sie glauben, und man
kann leider von vielen Geschichtschreibern das sagen, was Oxenstierna
von den Staatsmännern gesagt: >Wenn die Welt wüßte, mit wie wenig
Sachkenntnis sie schreiben.<« -- Etwa acht Tage darauf händigte mir der
General ein Cahier von zwanzig beschriebenen Blättern ein, welche Daten
und Anmerkungen zu den hauptsächlichsten Begebenheiten der französischen
Revolution und des Kaiserreiches enthielt. Zugleich übergab er mir auch
eine Liste, auf welcher die Titel von einigen hundert historischen
Werken und politischen Broschüren, die seit 1789 in Frankreich
erschienen, verzeichnet waren, und die ich teilweise und mit Umsicht
benützen müsse. Ich nahm alles dankbar an, aber an die Herausgabe eines
solchen Riesenwerkes dachte ich im Ernste nicht; doch teilte ich in
müßigen Stunden das Ganze oberflächlich in Abteilungen und Kapitel ein
und entwarf so nach und nach einen Plan, dessen Ausführung mir sehr
problematisch erschien.

Gleich nach meiner Ankunft zu Magdeburg hatte ich, wie gesagt, die
Regierungsrätin von M... bei ihren Eltern aufgesucht und besuchte nun in
ihrer Gesellschaft die zum Teil recht angenehmen Umgebungen Magdeburgs,
den Vogelgesang, den Herrnkrug, das rote Horn und so weiter. Nirgends
sah ich in Deutschland und Frankreich niedlichere Landmädchen als in der
Gegend um Magdeburg. Nur die Strohhutflechterinnen im Arnotal
übertreffen sie noch. Dabei das kokette Kostüm, die allerliebsten
Häubchen, die ihnen so bezaubernd zu Gesichte stehen. Es war kein
Wunder, wenn ich einer solchen Vilanella zu Gefallen mehr als einmal
meine Frau Regierungsrätin im Stich ließ. Außerdem sind diese Mädchen
äußerst graziös und selbst fein in ihrem Benehmen, die meisten sehr
wohlhabend, ja mitunter reich. In einem solchen Bauernhaus findet man
nicht selten einen großen Luxus, in manchen Stuben sogar ein Klavier.
Die Wohnungen dieser Landleute sind durchgehends sehr reinlich,
zierlich, mitunter elegant. Kommen sie an Markttagen in die Stadt, so
haben sie oft Pferde vorgespannt, die einem Staatswagen keine Unehre
machen würden.

Das nicht schlechte Theater stand damals unter der Direktion der Herren
Fabricius und Hostovsky. Ich sah hier gerade den Sturm von Magdeburg
durch Tilly, ein Schauspiel von F. L. Schmidt, aufführen, dessen _mise
en scène_ meisterhaft war und mit einem großen Aufwand von Dekorationen,
Komparsen, Kostümen und so weiter gegeben wurde. Obgleich es keinen
hohen dichterischen Wert hat, so ist es doch eine getreue historische
Darstellung der furchtbaren Zerstörung Magdeburgs und hat ergreifende
Szenen, namentlich am Schluß, wo die Stadt im Schutt liegt und nur noch
der Dom und die in ihm Geretteten vorhanden sind.

Durch die Familie der Regierungsrätin wurde ich auch noch bald mit
anderen Häusern bekannt, in denen ich unter anderen die hübsche und sehr
lebenslustige Frau eines Postsekretärs kennen lernte, ein junges
schalkhaftes Weibchen, das sich gern allerlei drollige Streiche
erlaubte, auch eine ebenso joviale Schwester hatte, die an einen nahen
Gutsbesitzer verheiratet war und fast jede Woche ein paarmal
selbstkutschierend in die Stadt kam. Beide Schwestern waren besonders
gut gewachsen, hatten viel Verstand und waren sehr beliebt in der ganzen
Stadt. Die Gutsbesitzerin lud mich ein, sie mit ihrer Schwester zu
besuchen, und ich machte mit der Frau Postsekretärin mehr als eine
lustige Fahrt nach dem Gut des Schwagers.

Mein Aufenthalt in Magdeburg hatte nun schon über die Gebühr gedauert,
aber die Zeit war mir schnell und angenehm verflogen. Die Stunden, die
ich nicht bei Carnot zubrachte, vertändelte ich mit Damen und machte
Landpartien. Auch lieferte ich dem hier erscheinenden >Beobachter an der
Elbe< einige komische Anekdoten. Endlich mußte ich doch an die Abreise,
denn mein Leben in Magdeburg hatte keinen Zweck, an ein weiteres
Fortkommen und eine mir anständige Zukunft denken. Aber, wie ich beides
bewerkstelligen wollte, war mir noch ziemlich dunkel. Ernstlich hatte
ich noch nicht darüber nachgedacht; auch zog es mich nach Bremen.
Indessen sollte ein sehr unglücklicher Zufall meinen Aufenthalt hier
noch verlängern.

Ich hatte auf der breiten Straße ein paar möblierte Zimmer in dem
zweiten Stock eines Hinterhauses gemietet. Die Fenster meines
Schlafzimmers gingen in den Hof. Zwei Tage früher, als ich meine Abreise
festgesetzt hatte, wurde ich gleich nach Mitternacht, ich war noch nicht
lange eingeschlafen, durch das Geschrei: »Feuer, Feuer!« geweckt und
sah, die Augen öffnend, eine außerordentliche Helle vor meinen Fenstern
im Hof. Zugleich hörte ich das ganz nahe Knistern einer großen Flamme.
Mit einem Satz war ich aus dem Bett, zog ein Paar Beinkleider an,
öffnete meine Stubentüre, durch welche sogleich ein gewaltiger Qualm
drang, hinter dem die Flammen auf der Treppe schon hoch emporloderten.
Zugleich vernahm ich das Angst- und Hilfegeschrei einer Frau, die mit
ein paar kleinen Kindern neben mir auf demselben Gang wohnte. Ich eilte
zu ihr hinüber und fand sie in Verzweiflung, ihre Kinder in den Armen.
Auch sie hatte schon gesehen, daß es eine Unmöglichkeit war, sich auf
den schon in vollem Brand befindenden Treppen zu retten. Das Feuer
näherte sich mit jedem Augenblick mehr unseren Zimmern. Ich faßte jetzt
schnell einen Entschluß, warf alles, was sich von Betten, Kissen und
Strohsäcken in den Zimmern vorfand, durch das Fenster hinab, band
schnell sechs Bettücher zusammen und hieß die Frau, sich zuerst
hinablassen. Sie ließ aber noch, bevor sie ganz unten war, los, tat sich
jedoch, auf die Betten fallend, keinen Schaden. Ich rief ihr nun zu, daß
ich die Kinder wolle folgen lassen; sie möge nur unten das Bettzeug so
ordnen, daß keines daneben fallen könne, worauf ich die beiden Kleinen,
eines nach dem anderen hinabwarf, dann in mein Zimmer lief, das Kistchen
mit meinen Tagebüchern und anderen Schriften, meinen Koffer, sowie, was
ich von Kleidern, Wäsche und so weiter geschwind zusammenraffen konnte,
hinabwarf, und dann selbst, an den Bettüchern hinabgleitend, mich folgen
ließ. Schon war ich vor dem Fenster, da fiel mir ein, daß ich meine
Brieftasche, in der noch für ungefähr hundertfünfzig Taler Tresorscheine
waren, vergessen hatte. Noch einmal schwang ich mich zum Fenster hinein,
und es gelang mir, auch diese zu retten. Doch war es die höchste Zeit,
denn schon ergriffen die Flammen mein Schlafzimmer und wenig Augenblicke
darnach stürzte der Boden desselben brennend und krachend ein. Ich aber
kam mit einem Sprung vom ersten Stock wohlbehalten unten an, wo ich auch
die Frau mit ihren Kindern unbeschädigt antraf. Das Bettzeug lag vier
Schuh hoch aufgetürmt. Der Hof fing an, sich nun allmählich mit Menschen
zu füllen; da aber das Vorderhaus keinen Torweg, sondern nur einen
schmalen Durchgang hatte, so kostete es große Mühe, bis man die Spritzen
in die gehörige Tätigkeit setzen konnte. Doch ward man noch vor Tag
Meister des Feuers, aber das Hinterhaus und die Seitengebäude waren
gänzlich niedergebrannt. Die arme Frau, die man mehr tot wie lebendig
samt ihren Kindern in ein benachbartes Haus gebracht hatte, wurde sehr
krank und lag mehrere Tage in einem beständigen Delirium, Feuer und
Hilfe schreiend. Auch auf mich hatte diese unglückliche Begebenheit
einen so gewaltigen Eindruck gemacht, daß ich mehrere Tage brauchte,
bevor ich mich wieder ganz erholen konnte.

Endlich saß ich in dem nach Braunschweig fahrenden Postwagen, wo ich
eine gut unterhaltende Gesellschaft traf, nämlich einen sächsischen
Rittmeister mit seiner jungen Frau, die er zu ihren Eltern nach Celle
brachte. Da ich der hübschen Dame gerade gegenüber saß, so verursachte
das Rütteln des Wagens beständig ein unwillkürliches Berühren der
beiderseitigen Knie, das bald in ein willkürliches, aber doch zufälliges
Drücken von meiner Seite überging und mein _vis-à-vis_ zu einem
allerliebsten Lächeln brachte, dem bedeutungsvolle Occhiaten folgten.
Unglücklicherweise konnte die Dame das Fahren nicht vertragen; es wurde
ihr auf einmal übel und schwach, woran die große Hitze schuld sein
mochte. Man mußte ihr das Busentuch lüften, sie aufschnüren und ihr
kölnisches Wasser vorhalten und die Schläfen damit reiben, worauf es ihr
bald besser wurde. Wir fuhren über Helmstädt, Königslutter und so
weiter, die ganze Nacht durch und kamen morgens gegen acht Uhr in
Braunschweig an, wo wir in demselben Gasthof abstiegen und verweilten,
obgleich der Rittmeister von M... schon den anderen Morgen wieder weiter
wollte. Aber hier hieß es: >Der Mann denkt und die Frau lenkt.< Die Frau
Gemahlin war nicht dieser Meinung, klagte über Unwohlsein, und so mußte
man bleiben. Da sich der Offizier bei der unpäßlichen Frau langweilte,
so machte er Spaziergänge in der Stadt. Ich hatte zwar das Haus mit ihm
zusammen verlassen, trennte mich aber nach wenig Minuten unter einem
Vorwand von ihm und kehrte in den Gasthof zurück, wo ich mich sogleich
bei der Dame auf das angelegentlichste nach ihrer teuren Gesundheit
erkundigte und ihr Befinden ganz leidlich fand. Nach einigen Weigerungen
pro forma wurde mir schnell ein Schäferstündchen, halb erzwungen,
bewilligt, worauf wir übereinkamen, daß das Unwohlsein der Frau
Rittmeisterin noch ein paar Tage dauern müsse. Ich entfernte mich
endlich wieder, um die Stadt Braunschweig näher kennen zu lernen.

Den zweiten Tag fand Frau von M... für gut, sich etwas besser zu
befinden, und zwar so, daß sie imstande war, mit ihrem Gemahl und mir
ebenfalls die Schönheiten der Stadt zu besichtigen. Wir begaben uns
indessen bei Zeit nach Haus, weil ich von einem argen Schnupfen befallen
war. Frau von M..., die großen Anteil an meinem Unwohlsein nahm, lud
mich zu einem köstlichen Tee ein, der mich nach ihrer Meinung über Nacht
von meinem Katarrh befreien sollte. Wir blieben bis Mitternacht
beisammen. Den anderen Morgen hielt ich es für passend, das Zimmer zu
hüten. Aber während der Herr Rittmeister wieder eine Frühpromenade
machte, stahl ich mich zur Dame, mit der ich eine recht goldene
Morgenstunde zubrachte. Der zurückkehrende Herr Gemahl fand mich aber
noch in meinem Bette liegend, als er die Güte hatte, sich nach meinem
Befinden zu erkundigen, mir aber zugleich verkündete, daß er heute noch
weiterreisen wolle, da sich seine Frau nun wieder in einem vollkommen
reisefähigen Zustand befinde und die kleine Tour nach Celle bequem
machen könne. Auch ich sehnte mich, weiter und nach Bremen zu kommen,
und mußte geschehen lassen, was ich nicht verhindern konnte. Wir
speisten noch miteinander zu Mittag, und mit Erlaubnis des Rittmeisters
küßte ich seine Frau zum Abschied in seiner Gegenwart, half beiden in
den Wagen und nahm mir vor, am anderen Morgen mit dem frühesten ihrem
Beispiele zu folgen. Leider ließ ich mich aber an dem Abend wieder zu
einer Spielpartie in dem Gasthof verführen und verlor abermals all mein
Geld bis auf den letzten Groschen. Den anderen Morgen überlegte ich, was
zu machen sei und erkundigte mich dann nach den ersten Bankierhäusern
Braunschweigs bei meinem Wirt. Er nannte mir Herrn Johann Degener. Ich
ging nun zu diesem, wies mich mit meinen Papieren aus, sagte ihm,
welches Geschick mich in Braunschweig plötzlich ganz aufs Trockene
gesetzt habe, und bat ihn, mir gegen eine Anweisung auf Frankfurt so
viel Geld geben zu wollen, als ich noch zur Reise bis Bremen bedürfe.
Nach einigem Bedenken fragte er mich, wieviel ich zu gebrauchen gedenke?
-- »Fünfundzwanzig bis dreißig Taler.« -- »Wohlan, ich will sie Ihnen
geben, mit der Bedingung, daß Sie sie meinem, sich in einem Bremer Haus
befindlichen Sohn daselbst gegen Ihren Schein wiedererstatten.« -- Mit
Vergnügen ging ich diese Bedingung ein, dankte für das gütige Zutrauen,
empfing dreißig Taler und reiste noch denselben Tag, mich nirgends mehr
aufhaltend, über Hannover, Nienburg, Verden und so weiter nach Bremen,
wo ich wohlbehalten und wohlgemut mit einbrechender Nacht ankam, aber
nicht bei meinen Verwandten, sondern im Gasthof >Zum deutschen Haus<
abstieg, auch mich diesen Abend nicht mehr meldete, sondern noch den
letzten Akten von Grillparzers Sappho im Theater beiwohnte und mich in
allen Logen umsah, ob ich vielleicht Cousine Henriette erkennen würde,
aber vergeblich.

Den anderen Morgen konnte ich kaum die schickliche Stunde erwarten, um
meinem Vetter K... die Aufwartung zu machen. Es war gegen elf Uhr, als
ich mich dahin auf den Weg begab. Man war von meiner Anwesenheit
präveniert. Herr K... empfing mich auf das freundlichste, sagte mir, ich
möge sein Haus während meines Aufenthaltes wie das meinige ansehen,
entschuldigte aber seine Frau, daß sie mich noch nicht empfangen könne,
da sie noch im Negligé sei, und bat mich, den Nachmittag um zwei Uhr
wiederzukommen, wo sie mich erwarte. Dies lähmte meine gehoffte Freude
des Wiedersehens ein wenig. Ich empfahl mich, nachdem ich eine halbe
Stunde mit K... verplaudert, um auch meinen anderen Herrn Cousins und
dem noch lebenden reichen Bruder meines Oheims Scholze die Visite zu
machen. Senator H..., ein schlichter Mann, nahm mich recht gutmütig auf,
auch Kaufmann G..., sonst ziemlich hochmütig, bewies sich doch sehr
freundlich gegen mich. Ihre Frauen bekam ich aus den schon erwähnten
Ursachen nicht zu sehen; Hannchen war bereits längst tot. Beim reichen
Scholze wurde ich mit Danziger Goldwasser regaliert, hörte dann nichts
weiter von ihm, als bis ich Abschied nahm. Endlich war die ersehnte
zweite Nachmittagsstunde herangekommen, in der ich Henriette wiedersehen
sollte, deren Anblick mich in der Tat überraschte, denn statt der
lieblichen Engelsgestalt mit dem überaus feinen Amorettengesichtchen sah
ich eine ziemlich lange, sehr hagere Frau, deren Gesicht zwar noch immer
schön war, aber sehr markierte Züge hatte, welche die erfahrene Ehefrau
nur zu sehr verrieten. Was tun fünfzehn Jahre nicht! Sie war jetzt
einige dreißig alt. In ihrer Haltung lag indessen etwas majestätisch
Imponierendes und ihre Unterhaltung war nicht nur geistreich und pikant,
sondern verriet auch eine nicht gewöhnliche wissenschaftliche Bildung.
Ihre Musik hatte sie so ziemlich vernachlässigt, dagegen malte sie nicht
schlecht in Öl, aber sie spielte und affektierte dabei etwas stark die
sentimentale Mondscheinprinzessin, etwas, das mir in den Tod verhaßt war
und mich meilenweit jagen konnte. Ihre Toilette war ausgesucht, nicht
ohne Geschmack, aber mit großer Kunst fast zu jugendlich angelegt, und
es war mir bald klar, warum sie mich nicht im Morgenanzug hatte
empfangen mögen. Indessen war der Empfang bei diesem Wiedersehen ein
sehr herzlicher, und sie bat mich, den Rest des Nachmittags mit ihr
zubringen zu wollen, da wir uns nach so langer Trennung doch gewiß
manches zu sagen hätten und manche Rückerinnerungen aus den
glücklichsten Zeiten der Kindheit wieder ins Gedächtnis rufen könnten.
Ihr Mann, sich wegen seiner Geschäfte entschuldigend, hatte sich
sogleich, nachdem er mich eingeführt, wieder entfernt. Ich brachte einen
äußerst angenehmen Nachmittag mit der immer noch sehr liebenswürdigen
Frau zu, indem wir uns gegenseitig im Umriß mitteilten, was wir seit
unserer Trennung erlebt und was uns widerfahren war. Daß von beiden
Seiten die Aufrichtigkeit dieser Mitteilungen nicht vollkommen sein
konnte, ist natürlich. Doch erfuhr ich durch andere, was meine Cousine,
welche, die Reisen zur Prinzeß Wilhelm nach Berlin, nach Homburg und
einige andere abgerechnet, ununterbrochen in Bremen gelebt hatte, für
mancherlei Abenteuer gehabt. Ich blieb nicht nur den ganzen Nachmittag,
sondern auch zum Abendessen bei K...s. Mit innigem Vergnügen hatten wir
uns an die Kinderspiele, Partien und in Homburg genossenen Freuden
erinnert, und erst spät in der Nacht trennten wir uns, nachdem ich das
Versprechen, den anderen Tag zum Mittagessen zu kommen, hatte geben
müssen. Vetter K... hatte die Güte, mich mit allem, was die alte
Hansastadt Merkwürdiges enthielt, selbst bekannt zu machen, wozu er als
Sohn eines Bürgermeisters und mit den Senatoren verwandt oder
befreundet, allerdings sehr geeignet war. Auf den Nachmittag lud mich
K... in seinen Garten vor dem Tor ein, in welchem seine Frau jetzt
gerade einen hübschen Pavillon bauen ließ. Als ich daselbst ankam,
öffnete mir, nachdem ich geklingelt, meine Cousine. In ihrer Begleitung
befand sich ein Mann von etwa vierzig Jahren, den sie mir als den
Kaufmann K...p und einen intimen Hausfreund ihres Gemahls vorstellte.
Dieser maß mich mit großen Augen vom Kopf bis zu den Füßen und schien
eben kein großes Behagen an meinem Kommen zu finden. Auch war die
Unterhaltung recht reichsstädtisch-steif und folglich hochlangweilig.
Henriette schien verlegen und ich befand mich unbehaglich.
Glücklicherweise kam bald der Senator H... hinzu, was die Unterhaltung
weniger gezwungen machte, und als er den Hausfreund K...p endlich in
Geschäftsangelegenheiten mit sich fortnahm, bekam sie eine andere und
traulichere Wendung. Henriette wies mir das nach ihren Angaben
neuerbaute und noch nicht ganz vollendete Gartenhaus, welches von ihrem
guten Geschmack zeigte, aber eine sehr kostbare Liebhaberei war, denn es
war für ihre Verhältnisse fast zu prächtig. Wir verweilten eine gute
Stunde in demselben, frühere, sehr glückliche Momente durch sehr
handgreifliche Erinnerungen wieder ins Gedächtnis rufend, wobei ich aber
nicht das selige Entzücken wie früher, sondern bald eine Art Überdruß
empfand, den jedoch die hierauf folgende geistreichere Unterhaltung
wieder verscheuchte. Der Hauptinhalt unseres Gespräches war die
Prinzessin Wilhelm, von der sie mir mich sehr interessierende Dinge
erzählte; ebenso vom Prinzen Gustav, dessen Namen sie nicht ohne einen
unterdrückten Seufzer aussprach. Wir waren noch recht eifrig im Gespräch
begriffen, als sich auf einmal eine rauhe Baßstimme mit den Worten:
»Frau K..., sind Sie hier, wo, zum Henker, stecken Sie denn?« vernehmen
ließ. Es war die des Hausfreundes K...p, der zurückgekommen war, die
Dame vom Hause aufsuchte, und als er sie _tête-à-tête_ mit mir fand, ihr
einen vielbedeutenden, Zorn verratenden Blick zuwarf. Ich tat, als
bemerkte ich es nicht, und sagte etwas malitiös: »Mein Herr, wir haben
uns einstweilen trefflich unterhalten,« worauf er ein trockenes: »So,«
von sich gab, und jetzt die vorige Verlegenheit und das gezwungene
steife Wesen wieder zurückgekehrt war. Wir gingen höchst einsilbig in
den Gängen des Gartens spazieren, bis auch Henriettens Mann dazukam, der
durch einige Neuigkeiten, die er mitbrachte, der Sache wieder eine
andere Wendung gab, und uns bald darauf zu dem unserer harrenden
Vespermahl einlud, wodurch wieder mehr Leben in Henriette und auch in
den Hausfreund kam.

Noch den nämlichen Abend, als ich K...s verließ, begegnete ich auf dem
Markt einem Kaufmann namens Kreibig, der die Reise von Hannover hierher
im Postwagen mit mir gemacht, und mich einlud, ein Glas Punsch mit ihm
in einer nahen Weinstube zu nehmen, in der sich ein allerliebstes
blutjunges Mädchen, das Töchterchen vom Haus, Gesina geheißen, befände.
Mit Vergnügen nahm ich das Anerbieten an und fand, daß der Mann nicht
zuviel gesagt. Mit einer unendlich freundlichen Grazie kredenzte uns das
hübsche Kind den verlangten Punsch, antwortete auf unsere Fragen mit der
liebenswürdigsten Naivität, und wir verplauderten ein paar Stunden auf
das angenehmste daselbst, so daß ich mir vornahm, der mir beim Weggehen
gewordenen Einladung, recht bald wiederzukommen, Folge zu leisten. Den
anderen Morgen um elf Uhr war ich schon wieder daselbst, um ein kleines
Frühstück einzunehmen, und wurde von dem allerliebsten Gesinchen recht
herzlich empfangen. Bald war ich mit dem schönen Kind so vertraulich,
daß, obgleich ich ihr gesagt, daß ich ein naher Verwandter von K... sei,
sie mir dennoch alles, was die Verhältnisse Henriettens betraf,
mitteilte und meine Vermutung, daß Hausfreund K...p ihr erklärter
Liebhaber sei, vollkommen bestätigte, was übrigens ein stadtkundiges
Geheimnis war. In dem Haus Langenaus, wo ich nun täglich meine meisten
müßigen Stunden zubrachte, ich arbeitete jeden Morgen an dem Plan des
mir von Carnot angegebenen Werkes, ohne jedoch noch ernstlich an die
mögliche Herausgabe desselben zu glauben, machte ich noch eine andere
weibliche Bekanntschaft, die mir aber, ohne daß ich es mir zu erklären
vermochte, ein unheimliches Gefühl und eine Art Scheu einflößte. Die
obgleich junge und nicht häßliche Frau hatte doch für mich etwas sehr
Unangenehmes, ja fast Abstoßendes in ihren Gesichtszügen, und war
außerdem schon deshalb unausstehlich, weil sie sich immer zwischen
Gesina und mich drängte, unser Verhältnis zu erforschen suchte und eine
widerliche Freundlichkeit gegen uns beide affektierte. Gesina war ganz
einverstanden mit mir hinsichtlich dieser sehr zudringlichen Person, die
sie aber fürchtete, sich zur Feindin zu machen und deren viel zu häufige
Besuche sie deshalb duldete. Wie sehr meine Abneigung gegen dieselbe,
wenn auch nur instinktartig, gegründet war, bewies sich später auf eine
schreckliche Weise, denn dieses weibliche Wesen war keine andere als die
berüchtigte Giftmischerin Gottfried, welche, nachdem ihre schrecklichen
Greueltaten, -- sie hatte damals schon ihre Mutter, ihren Vater, ihre
drei Kinder, ihren ersten Gatten, ihren Bruder und ihren Liebhaber
Gottfried, den sie aber noch auf dem Sterbebette zur Trauung mit ihr
beredete, nacheinander vergiftet, -- endlich an den Tag gekommen, auf
dem Schafott ihr abscheuliches Leben endete. Ich besuchte jetzt meine
Verwandten weit seltener und suchte bei jeder sich darbietenden
Gelegenheit den wütend eifersüchtigen Hausfreund K...p wild zu machen,
was mir auch zum großen Verdruß Henriettens so wohl gelang, daß er
einmal den Garten, in dem er mich wieder mit ihr getroffen, höchst
aufgebracht verließ und schwur, er würde nie mehr wiederkommen, wenn ich
nicht wegbliebe. Meine arme Cousine, welche das Verhältnis mit Herrn
K...p, wie es schien, aus mehreren Gründen, wohl nicht aufgeben konnte
und mochte, kam dadurch in eine große Verlegenheit und wußte sich nicht
zu raten. Da ich ihre mißliche Lage sah, so war ich ganz offen mit ihr
und bat sie, sich wegen mir keinen Unannehmlichkeiten mit ihrem Freund
mehr auszusetzen, ich wollte durchaus kein Störenfried sein und habe
ohnehin vor, dieser Tage nach Frankfurt abzureisen. Erst war die arme
Frau verlegen, dann wußte sie mir Dank, daß ich so handelte, meinte
aber, ich brauchte deshalb nicht abzureisen, und sie könnte es wohl
veranstalten, daß wir uns von Zeit zu Zeit ohne Wissen des Herrn K...p
sehen könnten, wofür ich aber dankte. -- Trotz der Liebenswürdigkeit der
hübschen Gesina hatte ich dennoch beschlossen, Bremen zu verlassen, als
ein zufälliges Ereignis mich noch drei Wochen länger daselbst
zurückhielt. Signora Catalani hatte ihre Ankunft den Bremern ankündigen
lassen und sollte in wenigen Tagen dieselben mit ihrem bezaubernden
Gesang beglücken. Man kann sich keine Vorstellung machen, welches
Aufsehen diese Neuigkeit in der guten Stadt erregte. Ich glaube, wenn
Napoleon von Sankt Helena entwischt und in Vegesack gelandet wäre, so
hätte dies keine größere Sensation unter den Bremern hervorbringen
können. In allen Häusern, im Museum, sogar in den Kirchen hörte man nur
von der Catalani sprechen. Wem ich erzählte, daß ich die berühmte
Sängerin nicht nur schon gehört, sondern persönlich kenne, der gaffte
mich wie einen Wundermann mit offenen Augen an. Henriette und ihr Mann,
sowie Gräwe und Senator H... baten mich, sie doch bei ihnen einzuführen.
-- Wo, wann, was wird sie singen? fragte man sich auf allen Straßen, und
der Schauspieldirektor Ringelhard, dessen Haus in der Regel ziemlich
leer stand, wurde mit Logenbestellungen bestürmt, bevor man nur wußte,
ob sie auch im Theater singen würde. Als es endlich hieß, die in ganz
Europa gefeierte Sängerin sei angekommen, war der Gasthof in dem sie
abgestiegen, von einer unermeßlichen Menge Volkes belagert, und ganz
Bremen auf den Straßen und wie von einer Tarantel gestochen. -- »Sie ist
da,« hieß es, »sie ist da, die berühmteste Frau des Jahrhunderts, die
alles erwärmende Sonne des musikalischen Horizonts, die Gefeierte
Europas!« Um zu ihr zu gelangen, mußte man sich mit Rippenstößen Bahn
bis an die Türe des Gasthofes brechen, der vom frühen Morgen bis zur
sinkenden Nacht von Tausenden umringt war. Die gefeierte Primadonna
empfing mich wie einen alten Bekannten mit großer Herzlichkeit und sagte
mir: »Ich bin sehr froh, Sie hier zu treffen, Sie werden sich bequemen,
so lange, bis mein Mann kommt, mein _Cavaliere servente_ zu sein, denn
ich bin ganz verlassen und habe auch keine Empfehlungen für hier
mitgebracht.« -- »Die bedürfen Sie nicht,« versetzte ich, »übrigens wird
es mir eine große Ehre sein, Signora, den dienenden Ritter einer Dame zu
machen, welche sich die größten Monarchen zur Ehre rechnen, am Arm zu
führen.« Während des Aachener Kongresses hatten sie der Kaiser
Alexander, der König von Preußen und der Kaiser von Österreich auf den
Bällen umhergeführt, und von diesen hatte sie die kostbarsten
Geschenke in Schmuck erhalten. Ihre Begleitung bestand aus ihrem
Reisekapellmeister Burgmüller aus Düsseldorf und dessen Gattin, nebst
dem dienenden Personal. Burgmüller, dessen Bauch einen nicht viel
geringeren Umfang hatte als der des alten Königs von Württemberg, machte
durch seine außerordentliche Eßlust fast ebensoviel Aufsehen wie die
Signora, deren Konzerte er dirigierte, durch ihre Kehle. Sein
Vorfrühstück in Bremen bestand oft in einem Kapaun, ein paar Hummern,
einer Schüssel geräucherten Lachs, einer Gänsebrust, ein paar Dutzend
Eiern und ein paar Flaschen Portwein! was er alles mit einer Gier
verschlang, die mich in Erstaunen versetzte. Ich schlug nun der Catalani
vor, sie bei meinen Verwandten einzuführen, was sie mit Freude annahm,
worauf ich ein paar Zeilen an meine Cousine schrieb und ihr meldete, daß
ihr den anderen Morgen um elf Uhr die Ehre des Besuches der Signora
Catalani bevorstehe, die ich ihr präsentieren würde. Als wir zu diesem
Zweck in einen Wagen steigen wollten, war es kaum möglich, durch das
Gedränge zu kommen, und die polizeiliche Hilfe mußte uns Platz machen.
Signora rief aus: »Sollte man nicht glauben, ich sei irgendein wildes
Wundertier! _Una bestia curiosissima!_« -- Daß des Gesanges Königin
einen Besuch bei K... gemacht hatte, erregte Staunen und Neid bei der
steifen Bremer Handelswelt, besonders bei den Damen, die zum Singverein
gehörten. Da meine Cousine ohnehin sehr wenig mit der Bremer Welt
umging, sondern mehr in einem sehr kleinen Kreis für sich lebte, auch
immer noch schön genug und reich war, so fehlte es ihr an Feinden und
besonders Feindinnen nicht, welche alle möglichen Lügen auf ihre Kosten
verbreiteten, wozu ihr Verhältnis mit K...p freilich Stoff genug gab.
Den anderen Morgen machte sie schon ihren Gegenbesuch bei der Catalani,
und zwar in einem von Kopf bis zu Fuß ziemlich phantastischen
Rosa-Anzug, sogar Strümpfe, Schuhe und Handschuhe waren Rosa. Manchmal
kleidete sie sich auch ebenso in Himmelblau. Dies paßte wenigstens nicht
mehr ganz zu ihren Jahren, sie war in der Mitte der Dreißiger, und
hatte, wie gesagt, schon sehr markierte Züge. Die Catalani konnte sich
auch des Lächelns nicht erwehren, als sie diese Rosagestalt erblickte.
Als sechzehnjähriges Mädchen würde ihr ein solcher Anzug auf einem Ball
ganz vortrefflich gestanden haben. Sie lud die Catalani zu einem
Frühstück ein, was diese auf mein Zureden annahm, und was wieder
Veranlassung zu Neid und Mißgunst gab. Bei diesem Frühstück, wo die
größten Leckerbissen, die aufzutreiben waren, und sogar Schiraswein
serviert wurden, fand sich auch Burgmüller ein und tat sich gütlich.
Doch mußte er schon durch ein solides Vorfrühstück einen guten Grund
gelegt haben, sonst hätte er für sich allein alles, was aufgetragen,
verzehrt.

Ich hatte es übernommen, die Arrangements der Konzerte, Madame Catalani
wollte deren drei geben, zu besorgen, und mich zu dem Direktor
Ringelhard verfügt, um das Theater zu diesem Zwecke zu mieten. Dieser
aber stellte die Bedingung sine qua non, eine Tantieme von der Einnahme
für die Überlassung des Schauspielhauses zu erhalten, zu welcher sich
die berühmte Sängerin durchaus nicht verstehen wollte, sondern, als ich
ihr sagte, daß in ganz Bremen kein anderes, für ihre Konzerte passendes
Lokal zu finden sei, äußerst aufgebracht ausrief: »Wohlan, so bestelle
man sogleich Postpferde, ich werde in Bremen nicht singen.« -- Nur mit
der größten Mühe gelang es mir, die Signora zu besänftigen. Ich
überlegte hin und her. Endlich sagte ich zu den Bremer Herren: »Wäre es
denn nicht möglich, die Konzerte in einer der Kirchen zu geben?« --
Dieser Plan wurde, wenn auch nicht ohne tüchtige Kämpfe, besonders mit
einigen geistlichen Herren und Behörden, durchgesetzt; so hatte ich auch
nicht ohne Mühe die Signora beredet, sich dazu zu verstehen, in einer
protestantischen Kirche zu singen. Man hatte die Erlaubnis erwirkt, ein
_Concert spirituel_ in der Domkirche geben zu dürfen, wobei die Armen
reichlich bedacht werden sollten, da keine Saalmiete bezahlt werden
durfte. Wegen der Kirche aber waren die Stimmen sehr geteilt und die
Frömmler schimpften gewaltig über diese Entheiligung, wie sie es
nannten. Man kehrte sich indessen nicht daran und der große Dom war
trotz des Eintrittspreises von einem Dukaten dennoch zum Ersticken voll.
Das Orchester und die Chöre des Singvereines trugen nur geistliche
Tonstücke vor, während Madame Catalani ihre Variationen von Rhode und
ein paar ernstere Arien mit Rezitativen sang. Der Erfolg war, wie
allenthalben, unermeßlich und der Beifall rasend, Ringelhard aber in
Verzweiflung, denn jetzt stand ihm sein Theater gänzlich leer; selbst
die Abonnenten wollten es nicht mehr besuchen. Seinen Ruin vor Augen
sehend, suchte er mich auf, erbot sich, der Signora Catalani das Theater
um jeden Preis, ja umsonst zu überlassen, und bat mich, die Sache doch
vermitteln zu wollen. Da mich der Impresario _in angustie_ wirklich
dauerte, so versprach ich ihm, mein Möglichstes zu tun, machte aber zur
Bedingung, daß ich der großen Sängerin einen Empfang auf der Bühne ganz
nach meinen Anordnungen bereiten dürfe, wozu er sich nicht nur sogleich
verstand, sondern mir auch sein ganzes Theaterpersonal zur Verfügung
stellte, und die Miete für das Haus ganz der Großmut der Dame überließ,
worauf ich ihm erwiderte, daß ich dafür sorgen wolle, daß er sich in
derselben nicht täusche. Er erhielt die Einnahme eines überfüllten
Hauses bei gewöhnlichen Preisen. Ich ließ sie nun bei ihrem Erscheinen
durch das als Genien gekleidete weibliche Chorpersonal auf der Bühne
empfangen, und die junge Schauspielerin Demoiselle Hauff überreichte ihr
auf einem Samtkissen ein italienisches Gedicht, das ich zu dieser Feier
verfaßt hatte und welches: >_Al alto merito della Signora Angelicà
Catalani, l'unica_< überschrieben war.

Von diesem Gedicht ließ ich mehrere tausend Exemplare durch die
Ventilatoren auf das Publikum herabwerfen, sowie Blumenbukette und
Kränze ohne Zahl auf die Bühne, während ein dreimaliger Tusch von Pauken
und Trompeten und das donnernde Vivatgeschrei das Haus bis in seine
Grundfesten erschütterte.

Nachdem sie eine Arie von Lafond gesungen, die mit dem ungestümsten
Beifall applaudiert worden, fiel sie mir mit tränenden Augen hinter den
Kulissen um den Hals, ohne sich vor dem umstehenden Theaterpersonal zu
scheuen, das erstaunt aufschaute. Das Konzert hatte nun seinen
ungestörten Fortgang; Angelika sang noch die schöne Polonäse
Portogallos: _La placida Campagna_, eine Arie von Pucitta, und die
Variationen von Pär über das Thema: _La Biondina_. Von Entzücken trunken
und taumelnd, verließen die Bremer das Haus.

Die gefeierte Primadonna gab, um ihren Dank für so viel erwiesene Ehre
zu bezeigen, auch noch ein geistliches Konzert zum Besten der Armen in
der Ansgarikirche und machte außerdem der Demoiselle Hauff, welche ihr
das Gedicht überreicht hatte, ein wertvolles Geschenk.

Während des Aufenthaltes der Catalani ging mir die Zeit in Bremen auf
das angenehmste hin und zur Arbeit blieb mir wenig Muße übrig. Jeden
Morgen fand ich mich um elf Uhr bei ihr ein und verließ sie in der Regel
erst nach Mitternacht wieder. Den ganzen Tag über ging es bei ihr ab und
zu wie in einem Bienenkorb. Nicht nur die Bremer Herren, sondern auch
die angesehensten Damen ließen sich der berühmtesten aller Sängerinnen
vorstellen. Am unterhaltendsten aber waren die Abende, wo man teils
musizierte, teils Kommerzspiele machte, die aber so hoch gespielt wurden
(Whist zu einem Dukaten der Point), daß sie wahre Hasardspiele genannt
werden konnten, während welchen en attendant der dicke Burgmüller das
aus kalter Küche bestehende Souper unter der Hand zur Hälfte zu sich
nahm, und dann, wenn man sich zu Tisch setzte und fand, daß es nicht
hinreichend sei, sagte: »Ja, mein Gott, ich habe doch kaum eine
Brotrinde und ein Stückchen Wurst gekostet!« -- Kurz vor ihrer Abreise
kam auch ihr Mann, der ehemalige Rittmeister Vallabregue, der Adjutant
des Generals Moreau gewesen war, und jetzt einen großen Teil der Schätze
seiner Frau durchs Spiel wieder unter die Leute, namentlich die Pariser,
brachte, in Bremen an. Als sie abreiste, begleitete ich sie noch eine
Station zu Pferde. Wir hatten uns beiderseitig das Versprechen gegeben,
uns bald wieder in Frankfurt zu sehen. Ihre Einnahmen in Bremen hatten
über sechstausend Taler betragen. Bevor ich die Stadt verließ, machte
ich noch einen Abstecher in das nahe Hamburg, wo mich aber das durch und
durch merkantilische Gewühl und Treiben nur ein paar Tage rasten ließ,
und kehrte ohne viel mehr als den Jungfernsteig, das Alsterbassin, den
Hafen, die Michaeliskirche mit ihrem hohen Turm, die Börse und das
Theater gesehen zu haben, wieder nach Bremen zurück, ließ mir durch K...
noch das nötige Reisegeld geben, und trat dann nach gebräuchlichem
Abschied die Reise nach meiner Vaterstadt an.

Ich fuhr erst nach Hannover und von hier im Eilwagen weiter bis
Hildesheim, und hatte diesmal ein allerliebstes Kammerzöfchen einer
vierspännig reisenden Herrschaft zur Nachbarin, welche in dem Reisewagen
des Herrn Barons und seiner Begleitung keinen Platz mehr fand und daher
die Reise in dem Eilwagen mitmachen mußte. -- »Sophiechen, hab' acht auf
dich,« hatte ihr die Frau Baronin noch beim Einsteigen zugerufen, und so
hatte ich den Namen des holden Kindes erfahren. Es war eine
holsteinische freiherrliche Familie, welche eine Rheinreise zu machen
beabsichtigte und daher auch nach Frankfurt fuhr. In Hildesheim trafen
wir wieder zusammen und ich besuchte in Gesellschaft des Herrn Baron
G..., seiner Frau und seiner neunzehnjährigen Tochter samt Sophiechen
die uralte Domkirche daselbst, in der man die Fremden besonders auf die
in derselben befindliche Irmensäule, aus einem siebzehn Fuß hohen grünen
Stein bestehend, die Karl der Große 772 umgestürzt, aufmerksam macht.
Die Familie wollte von hier nach Goslar, von da nach Göttingen und so
weiter, und auch den Brocken vulgo Blocksberg besteigen. Die
Attraktionskraft dieser Damen, oder vielmehr der zierlichen Zofe, war so
groß, daß auch ich sogleich von meinem ursprünglichen Reiseplan abwich,
um auch nach Goslar zu gehen. Ich nahm eine offene Postkalesche, in der
ich Sophien einen Platz anbot, den anzunehmen ihr aber die Baronin
untersagte, und das Mädchen lieber in ihrem Wagen sitzen ließ. In Goslar
stieg ich in demselben Gasthof wie die Herrschaften, dem
Schleßlerischen, ab. Wir waren die ganze Nacht durchgefahren und erst
gegen Morgen angekommen. Um Mittag hatte ich Gelegenheit, das
Kammermädchen zu sprechen, die mir mitteilte, daß sich ihre Damen sehr
angelegentlich nach meinem Stand und Charakter erkundigt, und als sie
ihnen gesagt, daß ich ein Offizier sei, sie diese Mitteilung
wohlgefällig aufgenommen hätten. Das Mädchen war die Herzensvertraute
des jungen Fräuleins, die sie mir als den Männern gar nicht abgeneigt
schilderte. Für diese Nachrichten dankte ich Sophien mit ein paar
Küssen. Sie entzog sich jedoch durch eilige Entfernung meinen weiteren
Gunstbezeigungen, indem sie davonlaufend rief: »Ach, die Herrschaft hat
mich gerufen.«

Die hochadelige Familie geruhte an der bürgerlichen Table d'hôte des
Gasthofes zu speisen und mir mitzuteilen, daß sie nach derselben die
Stadt zu besehen beabsichtige. Die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen,
wurde mir freundlichst gewährt, und die Partie nach dem Harzgebirge und
dem Blocksberg für den kommenden Tag festgesetzt.

Den Abend brachte ich mit der Familie traulich beim Tee zu; auch wollten
wir die berühmte Gose, so wird das hier gebraute Bier genannt, kosten,
aber niemand fand sie nach seinem Geschmack. Nachdem wir die Partie auf
den Blocksberg für den anderen Morgen noch ausführlich besprochen,
trennten wir uns, alle ermüdet, ziemlich früh. Ich begab mich aber
dennoch nicht zur Ruhe, sondern paßte Sophien ab, als sie zum letztenmal
das Zimmer ihrer Herrschaften verlassen, und empfing sie auf der Stiege.
Nicht ohne Mühen und Sträuben beredete ich sie, noch ein Stündchen auf
meinem Zimmer verplaudern zu wollen, und wir trennten uns erst in der
Geisterstunde. Um vier Uhr des Morgens weckte mich aber der Hausknecht,
wie ihm anbefohlen war, schon wieder, und ich schickte mich zur
Besteigung des Blocksberges an. Gegen sechs Uhr waren wir alle
reisefertig, ausgenommen die Frau Baronin, welche, Migräne vorgebend,
bedauerte, nicht mit auf den Hexenberg zu können. Wir fuhren über
Neustadt, stiegen aber sehr oft aus, da der Weg schlecht und oft
gefährlich war, wobei ich dann der jungen Baronesse meinen Arm zur
Stütze bot, was auch freundlich angenommen wurde. Die letzte Strecke
legten wir, auf Rossen reitend, die der mitgenommene Führer besorgte,
zurück. Das Fräulein, an dessen Rechter ich ritt, machte eine stattliche
Figur zu Pferde, doch mußte ich ihr manchmal, wo die Stellen zu holprig
waren, zu Hilfe kommen und sie in meinem Arm auffangen, wenn sie durch
das Stolpern des Pferdes das Übergewicht zu verlieren schien. Der Baron
ritt mit Sophien vor uns her, und ein Bedienter hintendrein. So
erreichten wir endlich den berüchtigten Riesen des Harzgebirges, der
alle anderen Bergspitzen desselben weit überragt. Der Boden ist sehr
steril und öde, große Granitblöcke liegen ringsumher, und man glaubt
sich wirklich mitten auf einem Hexenfeld, auf dem die Großsatanatische
Majestät samt dem Hexen- und Teufelspack mit Steinblöcken gekriegt und
geworfen. Das im Jahre 1800 hier aus Stein erbaute Brockenhaus bietet
Schutz, Bequemlichkeit und stärkende Erfrischungen dem müden Wanderer.
In der Mitte desselben ist ein kleiner Turm. Man kann nötigenfalls hier
übernachten, und zwar in besseren Betten als in manchem Gasthaus kleiner
Städte. Das Fräulein hatte auch große Lust, ein nächtliches Abenteuer
auf dem nicht geheuern Berg zu bestehen. Ich hatte nichts dawider, aber
der alte Baron legte sein Veto ein, und so wurde nichts daraus.

Wir nahmen vor dem gastfreundlichen Brockenhaus ein frugales, aber doch
sehr wohlschmeckendes Mahl ein, wobei dem Baron der Wein so mundete, daß
er nach der Beendigung desselben durchaus eine Siesta zu machen
begehrte, wozu man ihm ein Stübchen mit einem Lager anwies, und mir die
Aufgabe, das Fräulein unterdessen zu unterhalten, überließ, was ich denn
auch nach besten Kräften zu tun versuchte, indem ich sie, von der
Walpurgisnacht erzählend, zwischen dem wilden Gestein umherführte, und
während ich ihr den Spuk recht fürchterlich ausmalte, sie, um ihr bei
holprigen Stellen über die Steine zu helfen, fest in dem Arm hielt und
die schlanke Gestalt innig an mich drückte, wobei sogar unsere Wangen in
Berührung kamen, sich röteten, glühten, und unversehens sich unsere
Lippen zu minutenlangen Küssen zusammenfanden. Wir verirrten uns nun
immer weiter von dem Gasthaus. Ich lud Wallfriede, so hieß das Fräulein,
ein, sich niederzusetzen, während ich fortfuhr, sie mit schauerlichen
Hexengeschichten zu unterhalten, ruhte ihr Köpfchen an meiner klopfenden
Brust, und bald fühlte meine Rechte das hochpochende Schlagen ihres
Herzens unter ihrem wallenden elastischen Busen. Beinahe zwei Stunden
hatten wir so vertändelt, als uns die sich immer mehr sinkende Sonne und
auch Sophiens, nach dem Fräulein rufende Stimme zur Rückkehr und zum
Aufbruch mahnte. -- »Ist Papa wach?« fragte sie die sich nun lächelnd
zeigende Zofe. -- »Noch nicht, aber man wird den gnädigen Herrn wohl
wecken müssen, sonst wird es zur Heimkehr zu spät.« -- Wir eilten jetzt,
nachdem Fräulein Wallfriede ihre Toilette mit Hilfe des malitiös
lächelnden Mädchens ein wenig adjustiert hatte, in das Haus zurück, wo
der Papa noch vortrefflich schlief. Die Tochter übernahm es, ihn aus dem
erquickenden Schlummer zu wecken. Über Kopfschmerzen klagend, richtete
er sich, die Augen reibend, auf, und schnell wurden die Anstalten zur
Heimkehr gemacht. Als wir Ilsenburg erreichten, fing es schon an, sehr
dunkel zu werden. Nachdem wir in Neustadt soupiert, fuhren wir die halbe
Nacht durch. Papa schlummerte auch in dem Wagen bald ein. Das mir
gegenüber sitzende Fräulein aber verhinderte ich am Einschlummern, indem
ich auch eine Art Hexenspiel mit ihr trieb, bei dem sie sich recht wohl
zu gefallen schien, während Sophie, die neben mir saß, ihr Köpfchen auf
meine rechte Schulter legend, gleichfalls schlummerte oder doch
wenigstens so tat. Wir witterten schon Morgenluft, als wir in Goslar
ankamen, wo wir trotz der Einsprache der alten Baronesse noch einen Tag
verweilten, weil der Baron behauptete, durchaus einen Tag von den
Strapazen der Blocksbergsreise ausruhen zu müssen. Dies war uns allen
recht, obgleich sich keine Gelegenheit mehr zeigte, mit dem Fräulein
allein zu sein, wogegen mir aber wieder der nächtliche Besuch der Zofe
ward.

Von Goslar fuhren wir bis Kassel, wo die Herrschaft mehrere Tage
ausruhte und ich dasselbe tat, wie es die Umstände eben gestatteten, dem
Fräulein und der Kammerjungfer abwechselnd Beweise von meiner Zuneigung
gebend, wobei aber die letztere die Vertraute der ersten war, ohne daß
Wallfriede ahnte, wie sehr mich auch diese begünstigte; sie glaubte, die
kleinen Geschenke, die ich ihr machte, seien die Belohnung für die
Gefälligkeiten, die sie ihrer jungen Herrin erzeigte. Die freiherrliche
Familie fuhr den zweiten Tag nach Wilhelmshöhe, wohin ich sie zu Pferde
begleitete, und dann in ihrer Gesellschaft den Park, die Löwenburg, die
Danaidengruppe, das chinesische Dörfchen, die Teufelsbrücke und so
weiter, im Grunde nur kostbare Spielereien, besah. Da der Baron und ich
ein paar Dukaten springen ließen, so sprangen auch die Wasser. Wir
gingen längs der Kaskade hinauf bis zum Oktogon und zur Riesenbildsäule
des Herkules, in dessen Keule ich mit den beiden Mädchen stieg, die
Alten blieben unten. Auch hier gab ich Wallfrieden die untrüglichsten
Beweise meines Wohlwollens, während Sophie durch die Öffnung der Keule
nach oben zu die mächtige Mannbarkeit des Kolosses bewunderte, und dann
lachend auch ihr errötendes Fräulein darauf aufmerksam machte. Das
schöne Schloß zu Wilhelmshöhe konnten wir nicht betreten, da Seine
königliche Hoheit der Zopfheld Kurfürst Wilhelm III. gerade dasselbe
bewohnte. Als wir um das prächtige Bowlingreen an demselben herumgingen,
hatten wir das Glück, seine widerliche Mißgestalt hinter einem Fenster
neben der famosen Gräfin Schlotheim stehen zu sehen, worauf uns unser
Cicerone aufmerksam gemacht. Ein paar Tage zuvor hatte ein Engländer
sich erlaubt, dem Kurfürsten zum Trotz mitten über diesen prächtigen
Rasen zu reiten, und zwar im Galopp. Der freche Insulaner hatte
geäußert, er wolle dem fürstlichen Seelenverkäufer, der seine Untertanen
für schnödes Geld an seine Regierung verkauft und von diesem Blutgeld
solche Gelüste befriedigt habe, einen kleinen Ärger verursachen.
Jedermann erwartete eine exemplarische Strafe des kühnen Briten. Der
alte Kurfürst war aber so klug, als man bei ihm anfragte, was da zu tun
sei, es bei einer polizeilichen Strafe von einem Taler bewenden zu
lassen. Er fürchtete die Engländer und wußte, wie sehr sie durch ihre
Regierung allenthalben in Schutz genommen werden. Hätte sich aber ein
Deutscher so etwas einfallen lassen, wie möchte es diesem wohl ergangen
sein? -- Der Brite bezahlte zwar die Strafe, ließ es aber dabei noch
nicht bewenden, sondern spazierte erst mit einem fast schenkeldicken
Zopf, der bis an die Kniekehle hinabreichte, und dann sogar mit vier,
fünf, bis beinahe zur Erde herabhängenden Zöpfen vor dem Schloß auf und
nieder. Seine Hoheit war aber so klug, auch hiervon keine weitere Notiz
zu nehmen.

Die Zopfwut dieses Fürsten war eine krankhafte Manie. Gleich nach seiner
Rückkunft aus England, wohin er sich vor den Franzosen geflüchtet,
mußten alle seine Soldaten und Offiziere sich falsche Zöpfe anbinden, da
ihre Haare längst abgeschnitten waren, gepuderte Locken tragen und so
weiter. Einige banden die Zöpfe an ihre Haare, andere, welche dieselben
nicht lang genug hatten, befestigten sie an die Hüte. Als einst der
Kurfürst aus dem Schloß kam und die Wache schnell ins Gewehr treten
mußte, sah er, daß ein Offizier derselben zwei Zöpfe hatte. -- »Was, der
Teufel, soll das heißen?« kreischte Seine Hoheit. »Will man mich zum
besten haben?« -- Der Offizier konnte sich nicht erklären, was der
Kurfürst damit sagen wolle. -- »Warum hat man zwei Zöpfe?« donnerte die
alte Hoheit. -- Der Offizier griff mit der linken Hand an seinen Schopf
und fühlte mit Entsetzen, daß da zwei Zöpfe herabhingen. Die Sache
klärte sich dadurch auf, daß er den Hut eines Kameraden, der ihn gerade
besuchte und der seinen Zopf an demselben angebracht, während er den
seinigen an seinen Haaren befestigt hatte, in der Eile genommen.
Nichtsdestoweniger erhielt er Arrest und es kam ein Befehl heraus, daß
niemand die Zöpfe mehr an den Hüten befestigen dürfe, sondern alle an
die Haare gebunden sein müßten, bis diese groß genug seien, um selbst
ein für die Kriegskunst so hochwichtiges Ding formieren zu können. Diese
Zopfwut des Kurfürsten wurde in ganz Europa bespöttelt. Das half aber
nichts, sondern machte Seine Hoheit nur um so obstinater, und er setzte
sogar eine Prämie auf eine den Haarwuchs schnell fördernde Salbe oder
Pomade, um noch das Vergnügen zu haben, zu erleben, seine Soldaten keine
falschen Zöpfe mehr, sondern echte tragen zu sehen. Dies Vergnügen
sollte ihm indessen nicht mehr zuteil werden. Einige Offiziere jedoch,
die das Glück hatten, daß ihre Haare schneller, als es gewöhnlich ist,
wuchsen, und dem Fürsten daher mit echten Zöpfen aufwarten konnten, was
sie wohlweislich anzubringen wußten, hatten sich dessen
außerordentlicher Gnade, einer Zopfgratifikation und des Versprechens
eines schnellen Avancements zu erfreuen.

Den dritten Tag fuhren wir nach Marburg ab, wo wir die Elisabethkirche
besuchten, und dann die Reise über Gießen und Friedberg nach Frankfurt
fortsetzten, wo wir spät in der Nacht ankamen und auf meine Veranlassung
sämtlich im Englischen Hof abstiegen, da auch ich die Meinigen so spät
nicht mehr beunruhigen mochte.




                                  XII.

   Frankfurter Zustände. -- Schwierigkeiten bei einer Verheiratung. --
      Ich soll mich um eine Anstellung in Frankfurt bewerben, gebe
        es aber schnell wieder auf. -- Senatorenstreiche. -- Ich
       beabsichtige eine Zeitschrift herauszugeben. -- Die Gräfin
   Sürvilier und ihre Töchter. -- Napoleons beabsichtigte Befreiung.
    -- Hausen. -- Frau von Busch. -- Homburg. -- Ich schwinge etwas
       derb die Geißel der Satire in meiner Zeitschrift; diverse
        Histörchen und Widerwärtigkeiten. -- Signora Catalani in
     Frankfurt. -- Napoleons Tod. -- Fürst Y...s trauriges Ende. --
      Müller-Broli. -- Der Jude Dobrusky. -- Ein Besuch von sieben
   Schauspielern. -- Die Sängerin Canzi. -- Verbot meiner Zeitschrift.
    -- Eine lustig-romantische Rheinreise. -- Die Schlangenmädchen.
          -- Therese Peche. -- Ich bilde sie für das Theater.


Den anderen Morgen eilte ich um acht Uhr in das elterliche Haus, wo ich
schon seit mehreren Tagen erwartet und wieder recht freudig aufgenommen
wurde. Eine nicht unbedeutende Erbschaft hatte die Vermögensverhältnisse
meiner Eltern, die nicht mehr die glänzendsten gewesen, wieder gehoben,
und man hieß mich herzlich willkommen. -- Ich machte abermals meine
Rundbesuche bei der werten Verwandtschaft, bei der ich zum Teil süße,
zum Teil saure Gesichter zu sehen bekam, indem mehrere der guten Vettern
und Basen sich große Sorgen um mein künftiges Fortkommen und was wohl
noch aus mir werden solle, machten, während dies mein geringster Kummer,
obgleich ich darüber noch mit mir selbst nicht im Reinen war. In den
ersten Tagen nach meiner Ankunft machte ich noch den Führer der
freiherrlichen Familie und zeigte ihr die Sehenswürdigkeiten meiner
Vaterstadt, wobei ich auch nicht unterließ, mit Wallfrieden und Sophien
den alten verschwiegenen Pfarrturm zu besteigen, um ihnen die herrliche
Aussicht, die man von diesem genießt, und die Umgebung Frankfurts zu
zeigen. Einige Tage nach ihrer Abreise unternahm auch ich eine Reise,
und zwar nach Paris, denn es zogen mich die Erinnerungen meines ersten
Dienstes wieder nach Frankreich, wo ich nach Umständen und wenn es
anginge, eine Anstellung nehmen wollte. Hier fand ich aber alles ganz
verändert und sehr verschieden von den früheren Verhältnissen. Die mit
Ludwig XVIII. zurückgekehrten Emigranten saßen am Ruder und regierten
so, daß jedem Unbefangenen einleuchten mußte, dies könne nicht von Dauer
sein, und ich bekam gar keine Lust, nur den mindesten Versuch zu machen,
um eine Anstellung zu erhalten. Ich blieb deshalb kaum acht Tage in
Paris, während denen ich mich fast ausschließlich damit beschäftigte,
mir die Werke, Broschüren und sonstigen Hilfsquellen anzuschaffen, die
mir Carnot zu der Herausgabe meines historischen Werkes über die
französische Revolution als notwendig empfohlen hatte. Es gelang mir,
wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten und Mühe, die meisten aufzutreiben.
Auch kaufte ich noch viele nicht bezeichnete Bücher, die mir bei dieser
Gelegenheit in die Hände fielen, und die ich zu meinem Zweck dienlich
glaubte. Ich kehrte nun mit einer großen Kiste Bücher beladen nach
Frankfurt zurück und machte mich ernstlich ans Werk, obgleich die
wenigen Personen von meinen Verwandten, denen ich das Vorhaben
mitteilte, und unter ihnen auch mein Oheim Weller und Franz Fahrtrapp,
ein Nachkomme des alten Franz, den wir am Anfang dieser Memoiren kennen
gelernt, und der eine Kunst- und Buchhandlung, große Druckereien und so
weiter hatte, sehr ernstlich von einem so schwierigen Unternehmen
abrieten, wozu ich schwerlich einen Verleger finden würde, da schon
Hunderte von Büchern über diesen Gegenstand auch in deutscher Sprache,
zum Teil von sehr tiefgelehrten Leuten erschienen seien, und keines ein
großes Glück gemacht habe. Der Hauptgrund ihres Abratens aber mochte
wohl der sein, daß sie mir als einem, der nicht auf Universitäten
gewesen, also nicht systematisch studiert habe, die Fähigkeit, ein Buch
zu schreiben, nicht zutrauten. Gar viele Deutsche, und besonders
grundlos tiefe Gelehrte und solche Buchhändler, von denen schon Voltaire
sagt: »Sie glauben Verstand zu haben, weil sie den anderer Leute in
ihren Buden verkaufen,« sind in diesem Köhlerglauben befangen; bei
ersteren ist es jedoch meistens nur schlecht versteckter Brotneid.

Ein erfreuliches Ereignis hielt mich indessen für den Augenblick ab,
mich dieser historischen Arbeit, die anfing, mir Vergnügen zu machen,
anhaltend zu widmen. -- Meine Schwester wurde die Braut eines
angesehenen Beamten eines Nachbarstaates, und mir ward jetzt der
Auftrag, alle die bei solchen Umständen in Frankfurt stattfindenden
Schwierigkeiten, die mit viel Laufereien, allerlei Eingaben und
Schreibereien, zum Teil unangenehmen Gängen und Mahnungen verknüpft
sind, wobei man mehrere Monate hingehalten wird und es hauptsächlich auf
Prellereien und Gelderpressungen abgesehen ist, zu beseitigen. Ich
konnte mit den Herren vom Amte gar nicht fertig werden, da immer wieder
neue Anfragen gemacht, allerlei Papiere und Atteste herbeigeschafft
werden sollten und auf dem jüngeren Bürgermeisteramt, dem die
Heiratsangelegenheiten obliegen, dennoch nichts gefördert wurde. -- »Ja,
haben Sie sich denn schon mit dem Aktuar Bingel verständigt?« fragte
mich einer der hochweisen Senatoren. -- »Wieso,« erwiderte ich, »was
habe ich denn mit diesem abzumachen?« -- »Mein Gott, das wissen Sie
nicht? Das ist ja der rechte Arm auf dem Bürgermeisteramt, der
eigentliche Bürgermeister, denn der wird nicht gewechselt. Werfen Sie
diesem ein paar Dukaten in die Rippen, dann wird Ihre Sache weit
schneller gehen. Wenn man gut fahren will, so muß man auch gut
schmieren.« Und dies war einer der Senatoren, ein Zweiundvierzigstel der
Frankfurter Souveränität, der mir diesen freundschaftlichen Rat
erteilte! -- Auf ein paar Dukaten kam es hier natürlich nicht an, und
ich warf ihm sechs Brabänter in die Rippen. Als ich aber hörte, daß die
Sache dennoch über sechs Wochen dauern könne, und dies meinem
zukünftigen Schwager mitteilte, der ohnehin von dem Frankfurter
Bürgerrecht, das jene Herren so hoch anschlagen, als könne es schon
allein glücklich machen, und das man mit der Verheiratung einer
Frankfurter Bürgerstochter in Anspruch nehmen kann, gar nichts wissen
wollte, so beschlossen wir, den hochweisen Herren ein Schnippchen zu
schlagen. Der Bräutigam ließ sich von seinem Souverän die Erlaubnis zur
Trauung geben, und sodann, in Offenbach vom Oberpfarrer Waldeck,
demselben, bei dem ich konfirmiert worden war, trauen, und führte dann
seine junge Frau vergnügt heim. -- Unterdessen kamen noch fortwährend
Schriften und Anordnungen vom Bürgermeisteramt, die da besagten, jetzt
müsse noch dieses und jenes herbeigeschafft werden und so weiter, bis
ich mir die Mühe gab, noch einmal selbst auf den Römer zu gehen und die
Herren zu bitten, sie möchten sich doch keine vergebliche Mühe und
Arbeit mehr machen, meine Schwester sei bereits schon seit länger als
einer Woche verheiratet und mit ihrem Mann auf und davon. -- Ich glaube,
wenn ich den Leuten den Untergang der Stadt Frankfurt prophezeit hätte,
so hätten sie keine längeren, verdutzteren und einfältigeren Gesichter
machen können. Sie stierten mich mit großen Kalbsaugen und sperrweit
geöffneten Mäulern an. Besonders aber schien der Herr Bürgermeister ganz
verblüfft, und als er endlich etwas von seiner Perplexität
zurückgekommen war, geruhte er zu stottern: »Wa--wa--was haben Sie
gesagt?«

»Daß meine Schwester schon über acht Tage verheiratet ist, und mit ihrem
Gatten die Stadt und deren Gebiet verlassen hat.«

»Wie--wie--wie ist das möglich?«

»Der Herr Pfarrer hat sie getraut.«

»Wer hat sich das unterstanden?«

»Der Herr Oberpfarrer in Offenbach, mit Ihrer gütigen Erlaubnis.«

»Das muß sogleich an die großherzogliche Regierung berichtet werden.
Diese Trauung darf nicht gelten.«

»Geben sich der Herr Bürgermeister keine vergebliche Mühe. Die Trauung
ist mit der eigenhändigen schriftlichen Einwilligung Seiner königlichen
Hoheit geschehen, folglich vollkommen gültig.«

»Wir sind ebenso souverän als der Großherzog, und der darf nicht in
unsere Rechte greifen.«

»Das machen Sie gefälligst mit ihm ab.«

»Auf jeden Fall verliert Ihr Schwager das Frankfurter Bürgerrecht.«

»Darauf hat er schon im voraus verzichtet.«

»Der Unglückliche, er weiß nicht, was er verliert!«

»Wohl möglich.«

Die Herren sahen sich gegenseitig wieder ebenso perplex an; denn wie man
das Frankfurter Bürgerrecht so aufgeben konnte, ging über ihr
Fassungsvermögen. »Nein, so etwas ist mir noch nicht vorgekommen, da
steht einem der Verstand still,« ließ sich einer und der andere
vernehmen, und ich fand für gut, lächelnd mich gehorsamst zu empfehlen,
damit der Verstand wieder in Gang kommen möge. Aber ...

Indessen drangen meine Eltern in mich, doch irgendeinen Entschluß zu
fassen, und besonders meine Mutter wünschte, daß ich nach so vielen
Jahren mich endlich in meiner Vaterstadt fixieren möchte, mir zugleich
versichernd, es würde mir gewiß an einer für mich passenden Anstellung
nicht fehlen, wenn ich mich nur im Geringsten darum bemühen wolle. Ein
mit unserer Familie befreundeter Schöffe, der schon zweimal einjähriger
wohlregierender Bürgermeister gewesen, habe ihr im Vertrauen mitgeteilt,
daß man eine Polizeidirektorstelle zu kreieren beabsichtige, und dem zu
ernennenden Direktor zu gleicher Zeit der Auftrag würde, in den
Angelegenheiten der Stadt mit dem Bundestag zu verkehren, wozu sich
keiner der dermaligen Senatoren wohl eigne; es müsse ein Mann sein, der
mehrere Sprachen, besonders auch das Französische geläufig spreche,
mancherlei Kenntnisse und namentlich viel Welterfahrung habe und so
weiter, und damit geendigt, daß er glaube, eine solche Stelle sei ganz
für mich gemacht, ich möge mich nur einstweilen bei den
Senatsmitgliedern präsentieren und empfehlen. Ob mir gleich ein solches
Amt, das mich wieder von hunderterlei Dingen und Leuten abhängig machen
mußte, durchaus nicht konvenierte, so bequemte ich mich dennoch, meinen
Eltern zuliebe, die es überaus wünschten und meinten, es würde ihnen ein
wahrer Trost im Alter sein, mich durch eine solche Anstellung gesichert
bei sich zu sehen, sogenannte Empfehlungsbesuche bei mehreren der
hochweisen Herren und auch den beiden einjährig Wohlregierenden zu
machen. Die Fragen, die man dabei an mich richtete, bezweckten durchaus
nicht, zu erforschen, ob ich wohl auch die nötigen Fähigkeiten, Talente,
Kenntnisse, die ein solches Amt erfordert, besäße. Von dem allem war gar
keine Sprache, wie denn überhaupt bei der Besetzung irgendeiner Stelle
die Kapazität zu derselben in Frankfurt niemals in Anschlag gebracht
oder auch nur darnach gefragt wird, sondern Protektion und Konnexionen
allein erwogen werden. Man erkundigte sich, ob ich auch schon diesem
oder jenem meine Aufwartung gemacht habe, ob ich mich auch recht
erkenntlich zeigen würde, wenn man mir die Stelle gebe. Einige
Senatoren, an die ich besonders empfohlen war, gaben mir den guten Rat,
mich bei dieser und jener Dame hauptsächlich beliebt zu machen, ja recht
höflich gegen Senatorsfrauen und -Töchter und alle Anverwandte bis ins
zehnte Glied zu sein, denn schon gar mancher habe eine gute Stelle
erhalten, weil die Frau Schöffin so und so zu ihrem Mann gesagt: »Dem
mußt du derzu helfe, dann es is doch gar ä höflicher Mensch, er grüßt
mich allemal, wann er mich sieht, schon fünfzig Schritt weit, und nimmt
den Hut tief herunner.« Auch einige Köchinnen, welche großen Einfluß auf
gewisse Senatoren hätten, da sie vortrefflich kochten, wurde mir
geraten, mit kleinen Geschenken zu bedenken. Eine Freundin meiner Mutter
brachte dieser sogar eine Liste, auf welcher an zweihundert Personen
figurierten, fast alle Verwandte, Vetter, Basen, Schwäger,
Schwiegermütter, Tanten und so weiter von Senatoren, denen ich ja nicht
vergessen dürfe, sämtlich meine Aufwartung zu machen, denn man habe
schon öfters das Beispiel gehabt, daß eine einzige Hintansetzung einer
solchen wichtigen Person das Nichterhalten der Stelle des Aspiranten zur
Folge gehabt, wie noch neulich mit dem Herrn S..., der es vergessen, der
Großtante des Senators B... seine Aufwartung zu machen, und deshalb bei
aller Tüchtigkeit das Amt, als ein Mensch, der nicht zu leben wisse,
nicht erhalten habe. -- Dies war mir denn doch ein wenig zu toll --
»Nein, lieber Vater, und wenn man mir Millionen anböte, so würde ich
eine solche Stelle nicht annehmen, nachdem ich die hiesigen Verhältnisse
näher kennen gelernt und ziemlich durchschaut habe,« sagte ich zu meinen
Eltern, als wieder die Rede darauf kam, »auch würde ich sie keine drei
Wochen behalten; denn wer in dem faulen und stinkenden Sumpfpfuhl der
Frankfurter Behördenwelt leben kann, der muß eine Lunge und ein Gewissen
haben, weiter und durchlöcherter als das Danaidenfaß. Ich werde aber
dennoch in Frankfurt bleiben und mir eine unabhängige Existenz zu
gründen suchen.« -- Darauf gingen nun meine Gedanken und meine
Bemühungen vorerst aus, während ich unter der Hand täglich an meinem
historischen Werk arbeitete und viel las. -- Aber was beginnen? Darüber
konnte ich eine Zeit lang nicht ins Reine kommen. -- Eines Tages fielen
mir unter meinen Papieren einige Nummern des >Beobachters an der Spree<
in die Hand, die ich von Berlin mitgenommen, weil meine Aufsätze in
denselben standen, und plötzlich sagte ich zu mir selbst: Wie wäre es,
wenn ich hier ein ähnliches Volksblatt herausgebe. An Stoff dazu fehlt
es wahrlich nicht. Ich habe durch das Projekt einer Anstellung den
hiesigen Augiasstall zur Genüge kennen gelernt, und es wäre wohl noch
ein Verdienst, zu versuchen, etwas zu seiner Reinigung beizutragen,
obgleich man keinen Mohren weiß wäscht. Diese Idee bildete sich immer
mehr in meinem Kopf aus, und ich hatte damals wirklich noch den
einfältigen Glauben, wenn ich auf die gräßlichen Übelstände der
Verwaltung und Regierung Frankfurts aufmerksam machte und den Leuten
über gewisse Dinge die Augen öffnete, dies wohl etwas bessern könnte.

Aber ein Umstand machte mich zweifelhaft: Börne, der geistreichste,
witzigste Kopf, der in ganz Deutschland lebte, gab damals >Die
Zeitschwingen< heraus und schwang in denselben eine Geißel, die kein
anderer so zu handhaben vermochte. Dieser, fürchtete ich, würde meinem
Vorhaben im Wege stehen. Ich machte ihm deshalb einen Besuch, teilte ihm
mein Projekt mit, zu dem er mich nicht nur ermunterte, sondern mir
versprach, was zu dessen Förderung an ihm liege, würde er gerne tun,
darauf könne ich mich verlassen. Auch teilte er mir manche Dinge mit,
die er, als früher bei der Polizei angestellt, in Erfahrung gebracht,
und die zu benutzen er mir freistellte. Daß ich unter den erbärmlichen
Frankfurter Zensurverhältnissen[4] kein solches Blatt herausgeben
konnte, war mir auch klar, ohne daß mich Börne darauf aufmerksam gemacht
hätte, und ich kam deshalb bei der großherzoglich-hessischen Regierung
um die Erlaubnis ein, eine Zeitschrift in Offenbach herausgeben zu
dürfen, die mir auch bald gewährt wurde. Mehrere Umstände veranlaßten
mich indessen, von der erhaltenen Bewilligung nicht sogleich Gebrauch zu
machen und die Herausgabe der Zeitschrift vorerst noch zu verschieben.

Damals lebte nämlich die ehemalige Königin von Spanien, früher Königin
von Neapel, wo ich sie schon kennen gelernt hatte, unter dem Namen einer
Gräfin Survilier mit ihren beiden Töchtern zu Frankfurt in dem
Gartenpavillon des roten Hauses, sehr eingezogen. Sie war, wie bekannt,
die Gattin Joseph Bonapartes, der sich in Amerika aufhielt. Diese Dame
war eine der trefflichsten weiblichen Charaktere, die ich jemals kennen
gelernt. Die Tochter eines Marseiller Kaufmanns, hatte sie der Besitz
von Thron und Krone nicht im mindesten hochmütig, ja noch bescheidener
gemacht. Ein unendliches Wohlwollen gegen alle Menschen, die sie so
gerne glücklich gewußt und gemacht, wenn es in ihrer Macht gelegen
hätte, war ein Hauptzug im Charakter dieser würdigen Frau, ein Engel an
Sanftmut, Güte, Tugend und Seelenreinheit, ihre Wohltaten hatten keine
Grenzen. Obgleich keine ausgezeichnete Schönheit, war sie doch selbst im
vorgerückten Alter noch höchst liebenswürdig. Sie beschäftigte sich in
Frankfurt, sowie schon früher, fast einzig mit der Erziehung und
Ausbildung ihrer beiden Töchter, von denen die älteste, Zenaïde, damals
neunzehn, und die jüngere, Charlotte, etwa siebzehn Jahre alt sein
mochte. Beide Mädchen waren durch ihren hohen Geist, ihre Talente, ihre
treffliche Erziehung und ihre körperliche Bildung ausgezeichnet.
Charlotte hatte besonders in der Malerei kein gewöhnliches Talent, und
in der Musik waren beide ziemlich vorangeschritten. Piano, Harfe und
Gesang dienten zu ihrer Erholung, während sie die meisten Stunden den
höheren wissenschaftlichen Kenntnissen widmeten.

[Fußnote 4: Man kann sich einen Begriff davon machen, wie die Zensur der
freien Stadt Frankfurt gehandhabt wurde, wenn man erfährt, daß der
Zensor vom Bürgermeisteramt die Instruktion hatte, alles zu streichen
was er nicht verstünde. Dies kam daher, daß der gute Mann manche
Artikel, die einen etwas verblümten Sinn gehabt, in aller Unschuld hatte
stehen lassen, wodurch er dem hohen Senat mehr als einen Wischer vom
Bundestag zuzog, wo er sich dann mit Unwissenheit über dessen Bedeutung
entschuldigt hatte. -- »So streichen Sie in Teufels Namen was Sie nicht
verstehen,« hatte ihm der jüngere Bürgermeister anbefohlen; da nun der
gute Mann fast gar nichts verstand, so kann man denken, wie er strich.
-- Über Frankfurter Verhältnisse durfte ein für allemal in den
Frankfurter Blättern gar nichts gedruckt werden, nicht einmal die
gehorsamste Anfrage wegen irgend eines Übelstandes, denn -- im Dunkeln
ist am besten munkeln.]

Ich ließ mich bei den Damen als ehemaligen französischen Offizier
melden, wurde an- und freundlich aufgenommen und gebeten, meine Besuche
recht oft zu wiederholen. Wie ungemein anziehend mir die Unterhaltung
dieser Damen war, die sich meistens um Ereignisse und Begebenheiten
Napoleons und seiner Angehörigen drehte, kann ich nicht sagen. Ich
erhielt über manche Verhältnisse, namentlich über die Napoleons zu
seinem Bruder Joseph und anderer, Aufschlüsse, die von hohem Wert für
das Werk waren, das ich herauszugeben beabsichtigte. Indessen waren
nicht immer die Politik und Staatsangelegenheiten das Thema der
Konversation, sondern es wurde auch musiziert, vorgelesen und so weiter.
Die einzige Person in Frankfurt, die außer mir noch Zutritt bei der
Familie hatte, war die Tochter aus einem der ersten Bankierhäuser
daselbst, Fräulein M..., deren Haus die Geldangelegenheiten der Gräfin
Survilier besorgte. Dieses Mädchen hatte einen aufgeweckten, sehr
munteren und heiteren Humor, liebte gern kleine Abenteuer und machte den
Damen manche kleine Zerstreuung durch die Stadthistörchen, die sie ihnen
auf die launigste Weise und mit oft sehr witzigen Bemerkungen erzählte.
Es wurden von Zeit zu Zeit auch kleine Komödien aufgeführt, bei denen
die Gräfinmutter und ein paar Kammerfrauen die einzigen Zuschauer
abgaben, und ich der einzige männliche Akteur war. Dennoch aber machten
sie uns allen vielen Spaß. Fräulein M..., die bisweilen eine kleine
Rolle übernahm, machte die erste Liebhaberin so natürlich, obgleich mit
einem etwas sehr germanischen Akzent, daß sie mich bezauberte, und sich
bald auch außer der Bühne ein kleines Liebesverhältnis unter uns
entspann, von dem die Familie Survilier aber nichts ahnte, da wir uns
Rendezvous außer dem roten Haus und meist im alten verschwiegenen
Pfarrturm gaben. Da wir fast nie Gelegenheit hatten, uns im roten Haus
nur ein paar Worte allein zu sagen, und deutsch zu sprechen in Gegenwart
der anderen Damen unschicklich gewesen wäre, so tauschten wir
gegenseitig unbemerkt kleine Briefchen aus, in denen das weitere
verabredet war. Eines Tages hatte Madame M..., die Mutter, das
Töchterchen bei dem Lesen eines solchen überrascht und wollte es ihr, da
sie sich weigerte, dasselbe herauszugeben, mit Gewalt entreißen. Aber
das Mädchen lief ihr davon, die Mutter ihr nach und verfolgte sie alle
Treppen hinauf bis auf den obersten Boden, wo erstere, da sie sich nicht
mehr zu helfen wußte, das Billett zerriß und es verschluckte, ehe Mama
noch bei ihr war, und beinahe daran erstickt wäre. Es gab nun ein arges
Donnerwetter zwischen Mutter und Tochter, und Madame M... war einfältig
genug, die Sache publik und also zum Stadtskandal zu machen, so daß vier
Wochen lang in allen Teeklatschen die Begebenheit, reichlich verziert,
Stoff zur Unterhaltung gab.

Zu jener Zeit kam auch der General Gourgaud von Sankt Helena zurück, wo
er Napoleon, seinen Herrn, schon kränklich verlassen hatte, und hielt
sich eine Zeitlang in Frankfurt auf, nachdem er in Hamburg vom dortigen
Senat wegen einer Damenintrige, in deren Folge er sich eine
Herausforderung hatte zu Schulden kommen lassen, ausgewiesen worden war.
Auch in Frankfurt gestattete man ihm nicht, eine Privatwohnung zu
beziehen, sondern er mußte in einem Gasthaus, dem Pariser Hof, während
der Dauer seines Aufenthaltes wohnen bleiben. Diesen lernte ich zuerst
bei der Gräfin Survilier kennen, die er oft besuchte, und wo er äußerst
interessante Mitteilungen über das Leben des Exkaisers auf Sankt Helena
machte. Da er hörte, daß ich an einem großen Werke der Geschichte
unserer Zeit arbeite, zu dem mir der General Carnot die erste Anleitung
gegeben, so erbot auch er sich, mir wichtige Notizen mitzuteilen, die
ich aber wenig benutzte, da sie offenbar der Wahrheit nicht getreue
Entstellungen enthielten und höchst parteiisch waren.

Übrigens kam jetzt ein sehr ernstes Thema bei den Abendunterhaltungen
der Gräfin Survilier zur Sprache, dessen Gegenstand kein geringerer als
ein Projekt zur Befreiung Napoleons aus der englischen Gefangenschaft zu
Sankt Helena war, das aber die Krankheit und das bald darauf erfolgende
Ableben des Gefangenen nicht zur Ausführung kommen ließ. Nachdem mancher
abenteuerliche Vorschlag gemacht, mancher Luftpalast erbaut und wieder
niedergerissen oder als unausführbar verworfen worden war, blieb man bei
folgendem, gewiß sehr gut kombinierten Plan stehen: Ich sollte nach
London reisen und dort den Chef eines Handelshauses, der als großer
Verehrer Napoleons bekannt war, in das Geheimnis ziehen, um durch ihn
und in seinem Namen ein Schiff nach Ostindien ausrüsten zu lassen, auf
welchem ich mich als Privatspekulant und mit guten Empfehlungsschreiben
an das dortige Gouvernement versehen, dahin begeben sollte. Nachdem ich
mich daselbst einige Zeit aufgehalten, sollte ich den Verlust meines
ganzen Vermögens angeben und möglichst veröffentlichen, und mich dann
auf einem anderen, nach England zurückkehrenden Ostindienfahrer, der in
Sankt Helena anhielt, einschiffen, bei dem dortigen Gouverneur Hudson
Lowe melden und ihm vom Ostindischen Gouvernement mitgebrachte
Empfehlungsschreiben vorzeigen, die ich durch die aus England
mitgebrachten Empfehlungen leicht erhalten könnte, und in denen von
meinem angeblichen Verlust die Rede sei. Alle diese großen
Weitläufigkeiten waren nötig, um auch den leisesten Verdacht zu
entfernen. Auch noch andere Empfehlungen an einen in Sankt Jamestown
etablierten Mann sollte ich durch das Londoner Haus erhalten, dem ich
jedoch nicht eher etwas von der beabsichtigten Unternehmung mitteilen
dürfe, bevor ich mich von seiner Zuverlässigkeit vollkommen überzeugt
habe. In Sankt Helena sollte ich krank werden und allerlei Mittel
anwenden, damit mein Aussehen die angebliche Krankheit bestätigte,
namentlich Brustbeschwerden und Husten fingieren, unter diesem Vorwande
auf der Insel zurückbleiben, und nachdem ich allmählich etwas besser
geworden, um die Erlaubnis einkommen, eine Taverne in Sankt Jamestown
errichten zu dürfen, die mir vermittelst der von Ostindien mitgebrachten
Schreiben und unter der Ägide eines Bürgers der Stadt wohl gewährt
werden würde. Durch vorzüglich gute Qualität der Getränke und billige
Preise, jedoch nicht auffallend, sollte ich mir namentlich unter dem
Militär, bald eine große Kundschaft verschaffen, mit gehöriger Vorsicht
viel Kredit geben, diejenigen Personen, von denen ich glaube, daß nichts
mit ihnen anzufangen sei, hauptsächlich Soldaten, gehörig ans Bezahlen
mahnen, ohne sie jedoch gerade zu brüskieren; bei denen aber, wo ich das
Gegenteil merke, das Anschreiben von Zeit zu Zeit vergessen. Durch
dieses Mittel sollte ich meine Leute kennen, die Brauchbaren
unterscheiden lernen, und womöglich auch einige Offiziere zu gewinnen
suchen, namentlich solche, die Mißvergnügen mit ihrer Lage bezeigten.
Nachdem ich mich auf diese Art nach und nach dem Ziele näher gerückt,
sollte ich bei den bereits Erprobten es weder an großen Versprechungen,
Geschenken, noch Versicherungen auf reichliche Versorgung für die
Lebenszeit fehlen lassen. Wenn ich mir auf diese Weise nun einen kleinen
Anhang verschafft, so sollte ich suchen, jemand von Napoleons Umgebung
mit dem Plan bekanntzumachen und am Tage der Ausführung durch die
gewonnenen Offiziere alle Posten um Longwood von den ebenfalls
gewonnenen Soldaten besetzen lassen, auch eine Fischerbarke an dem
steilsten Ufer von Sankt Helena in der zur Ausführung des Planes
bestimmten Nacht bereithalten, welche den Gefangenen, nachdem man ihn
mit Stricken hinabgelassen, entführen und auf ein zu diesem Behuf so
nahe als möglich kreuzendes amerikanisches Kauffahrteischiff bringen
müßte. Sollte ich indessen dies für untunlich oder zu gewagt halten, so
bliebe es meiner Einsicht überlassen, durch eine förmliche Revolte der
Verschworenen diese Befreiung zu bewerkstelligen, wobei man viel auf die
wegen der mancherlei Beschränkungen höchst unzufriedenen Einwohner von
Sankt Helena, sowie auf einen großen Teil der Garnison und der Neger
zählen zu können glaubte, da diese über mancherlei Vexationen und
schlechte Behandlung, die ihnen zuteil geworden, seitdem man ihre Insel
zu Napoleons Kerker gemacht, sehr aufgebracht waren. Auch dieses sollte
in der Stille der Nacht vor sich gehen, damit die nicht bestochenen
Signalposten verhindert würden, zu früh Lärm zu schlagen, und so die
Kreuzer aufmerksam gemacht würden, bevor die Barke glücklich
durchgekommen. In diesem Fall sollte auch versucht werden, sich der
Person des Gouverneurs zu bemächtigen, aber womöglich alles
Blutvergießen vermieden werden. Unterdessen sollte man auch dafür Sorge
tragen, so viel wie möglich Leute, die man als große Verehrer Napoleons
kenne, als Bediente, Handwerker, Köche und so weiter, in Sankt Helena
unterzubringen, um sich ihrer im Fall des Aufstandes bedienen zu können,
ohne sie vorher in irgendetwas einzuweihen. Amerikanische
Kauffahrteischiffe sollten sich beständig in gehöriger Distanz von der
Insel aufhalten, aber keines länger als ein paar Tage, um keinen
Verdacht zu erregen und damit sie als nur vorübersegelnd betrachtet
würden. Auch sollten sie nur in Zwischenräumen von acht bis vierzehn
Tagen sichtbar werden, verschiedene Flaggen aushängen und nie so nahe
herankommen, daß man sie anrufen oder ihnen nur signalisieren könne. Im
übrigen sollte es mir überlassen bleiben, einmal auf der Insel, noch
diejenigen Mittel anzuwenden und Vorkehrungen zu treffen, die ich für
dienlich halten würde, den großen Zweck zu erreichen.

General Gourgaud hatte der Gräfin Survilier manche Details über die
Bewachung Napoleons und das Innere der Insel von Sankt Helena
mitgeteilt, welche die großen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens
dartaten, die man jedoch nicht für unüberwindlich hielt. Es sollte nun
vorerst die Sache mit dem Londoner Haus eingeleitet werden und wurde
auch mit einem, als Napoleons außerordentlich großen Verehrer bekannten
englischen Lord C... deshalb verhandelt. Dieser schenkte zwar dem
entworfenen Plan seinen Beifall, aber das Fortschaffen Napoleons
vermittelst einer Barke schien ihm zu gefährlich. Ich selbst hatte
mehrere Konferenzen mit diesem Engländer zu Paris, wohin ich auf wenige
Tage reiste, wobei er mir sagte, daß, wenn man auch die Befreiung des
Exkaisers, es sei durch List und Bestechung oder durch offene Gewalt,
errungen habe, dennoch die Kreuzer, selbst wenn die nächsten
Signalposten gewonnen, zu wachsam und gefährlich seien, als daß man
hoffen könne, unangefochten durchzukommen. Er riet mir übrigens von
offener Gewalt ganz ab, nur durch List und Bestechung sei etwas zu
hoffen. Jede Gewalttätigkeit würde sogleich auf den Schiffen bekannt,
und ein Aufstand sogleich eine förmliche Belagerung der Insel
herbeiführen. Am sichersten wäre es freilich, wenn man einen oder ein
paar der die Kreuzer befehligenden Kommandanten gewinnen könne; doch
daran sei nicht zu denken. Außerdem war seine Meinung, man dürfe hier
durchaus nichts übereilen, es müsse alles auf das reiflichste überlegt
und geprüft werden, er hoffe noch ein Mittel zu finden, das unfehlbar
zum Ziele führe. Mit diesen Vertröstungen kam ich nach Frankfurt zurück,
und man kam überein, die ferneren Berichte des Lords abzuwarten, bevor
man in der Sache weitere Schritte tue.

Einstweilen arbeitete ich an meinem Werk fort, machte öfters Exkursionen
in das Taunusgebirge und die mir zum Teil noch sehr unbekannte Umgegend
Frankfurts und hatte allerlei kleine, mehr oder minder unterhaltende
Abenteuer, mitunter auch mit einigen Gespielinnen aus meiner Kindheit,
wie die an einen reichen Kaufmann verheiratete Karoline Th..., Lili O...
und Tinchen L..., die sich alle noch gut konserviert hatten. Pikantere
Bekanntschaften waren mir aber die einer jungen angehenden
Schauspielerin, Betty U..., und eines allerliebsten und sehr
geistreichen jungen Mädchens, Jeannette G..., beide sehr schön und
letztere die Tochter einer Witwe, die eine Kaffeewirtschaft hatte.

Ein Vorfall anderer Art, bei dem ich beteiligt war, machte Lärm und
Aufsehen in Frankfurt. Es war nämlich Feuer in der kleinen Eschenheimer
Gasse ausgekommen, und da man in der engen Straße dem brennenden Haus
nicht wohl mit den Spritzen beikommen konnte, so wollten die Führer
derselben in den Hof des Thurn und Taxisschen Palais, dem Sitz des
Bundestages, in den man von der großen Eschenheimer Gasse einfährt, um
von da aus, wo man die Schläuche durch einige Fenster leiten konnte, dem
Feuer Einhalt zu tun. Dagegen stellte sich aber ein Mensch, der,
obgleich es noch ziemlich früh in den Vormittagsstunden war, sich doch
schon ein artiges Räuschchen angetrunken hatte und zu den Spritzenleuten
in echt österreichischem Dialekt sagte: »Un' Se dürfens halt nit rein,
wir hobens hier alle Bundestagsakten und Papier', und dürfen kane
Spritzen rein, dos könnt' a saubere Geschicht' werden.« -- Ich kam
gerade zu dieser Diskussion und stellte dem Mann vor, daß, wenn das
Feuer mehr um sich griffe, die Papiere des durchlauchtigen Bundestages
weit mehr gefährdet würden, als durch die Spritzen. -- »Un' 's geht halt
ämol nit, un' es kann halt nit sein,« lallte der Trunkene und befahl dem
Portier, das Tor zuzumachen. Als ich nochmals Vorstellungen dagegen
machte, sagte er zu mir: »Und Sie, wem sein's? Sie sinn jetzt hier im
Arrest im Palais.« -- Ich lachte dem Menschen ins Gesicht, der aber nun
in höchsten Zorn geriet und laut schrie: »Korporal von der Wacht, doß
er's weiß, der Mensch hier is im Arrest, und lassen's en net raus!« --
Dieser erwiderte: »Ganz wohl, Herr Kassierer.« -- Ich erfuhr nun, daß
der Trunkenbold der österreichische Kassier beim Bundestag sei und sich
Horrak nenne. Ich begab mich jetzt zum österreichischen
Präsidialgesandten, Buol-Schauenstein, selbst und teilte ihm den Vorfall
mit. Dieser gab natürlich gleich Order zu meiner Freilassung, indem er
sagte: »Es ist doch kein Auskommen mit dem Trunkenbold, er macht einen
Eselsstreich nach dem anderen.« Als ich durch den Hof kam, in welchem
ich den Horrak noch traf, sagte ich im Vorübergehen: »Sie sollen zu
Ihrem Herrn kommen, der sich Ihre Eselsstreiche verbittet.« -- »Wos
sagen's da, i mach' halt kane Eselsstreich', das will i mir verbeten
haben.« -- Mit einem: »Schlafen Sie Ihren Rausch aus, Sie werden das
Weitere von mir hören,« ließ ich den Kerl stehen und entfernte mich nun
ungehindert. Ich schrieb ihm aber noch denselben Tag ein paar Zeilen,
durch welche ich Genugtuung von ihm wegen des verübten Gewaltstreichs
und so unbefugten als lächerlich angebotenen Arrests begehrte. Horrak
aber lief mit dem Brief auf das Frankfurter Polizeiamt, dem er mit der
Ungnade des österreichischen Gesandten drohte, wenn es mich wegen dieser
Herausforderung nicht vornehme. -- »Schauen's, meine Herren,« sagte er,
»was soll i mi dann mit dem Menschen schlagen? I bin ja gar nit ämol
Soldat, und z'dem habe ans unser gnädigster Kaiser an- für allmol
verboten, daß wir uns duellieren dürfen, das is ä Narretei.« -- Ich
wurde nun auf das Polizeiamt, das, gleich allen Frankfurter Behörden,
gewaltig Respekt und Furcht vor den Bundestagsgesandten hatte, und
besonders, wenn der österreichische, russische oder preußische Gesandte
nur gnädig hustete, schon ein Angstfieber bekam und nicht schnell genug
ein Loch finden konnte, sich zu verkriechen, gefordert, wo mir der
damals demselben vorstehende Senator Wüstefeld ankündigte: daß ich mich
nicht unterstehen dürfe, in Frankfurt an irgend jemand eine
Herausforderung ergehen zu lassen, und am allerwenigsten an Personen von
dem durchlauchtigsten Gesandtschaftspersonal, sonst könne es mir schlimm
ergehen, und es sei nicht schön von mir, daß ich die Frankfurter
Behörden mit dem Bundestag, der ihnen ohnehin so viel zu schaffen mache,
in solche Konflikte bringe, und so weiter. Meine ganze Antwort war:
»Herr Senator, wir werden uns doch am Ende nicht noch von den
Schuhputzern des Bundestages auf der Nase herumtanzen, oder von
Trunkenbolden, wie dieser Horrak, insultieren lassen sollen?« -- »Das
nicht, aber Duelle können hier nicht gestattet werden, das ist gegen
unsere Gesetze, und Sie würden sich großen Unannehmlichkeiten aussetzen,
wenn Sie wieder jemand herausforderten.«

Außer den Besuchen bei der Gräfin Survilier war es das Theater und in
dessen Folge das von dem Personal desselben sehr besuchte Dörfchen
Hausen, was mir die angenehmste Unterhaltung und meiste Zerstreuung in
Frankfurt gewährte. In Hausen, im Garten Braumanns, fanden sich
namentlich alle Freitage die Frankfurter Theaterprinzessinnen, einige
Literaten, Familien von dem Gesandtschaftspersonal des Bundestags,
Offiziere von der Militärkommission und andere joviale Leute ein, und
diese Versammlung nannte man das Hauser Kasino. Das Theater war damals,
wenigstens was das Schauspiel anbetrifft, gut besetzt, besonders
hinsichtlich der Frauen. Unter allen war es Frau von Busch, welche das
meiste Aufsehen erregte, und eine Unzahl erhörter und nicht erhörter
Liebhaber hatte, unter denen sogar einige der reichsten, eben nicht mehr
sehr jugendlichen Kaufleute waren, deren Frauen darob verzweifeln
wollten. Frau von Busch war eine geborene Großmann und hatte, nachdem
sie schon einmal verheiratet gewesen, ihren jetzigen Gatten, einen
hannoverschen, nicht unbemittelten Edelmann, die Spröde spielend,
vermocht, sie zu ehelichen. Als sie in kurzer Zeit dessen Vermögen
verschwendet hatte, ward ihr der Mann bald zur Last, und sie überließ
sich, wie früher, ihrem ausschweifenden Leben wieder, sammelte ein Heer
von Liebhabern um sich, mit denen sie Orgien in der eigenen Wohnung
feierte. Herr von Busch, ein Schwachkopf, statt den Herrn im Hause zu
spielen oder sich wenigstens von ihr zu trennen, nahm sich die Sache so
zu Herzen, daß er ganz tiefsinnig wurde, sich absonderte und meist in
einem düsteren Zimmer, auf einem Lehnstuhl sitzend, Tag und Nacht vor
sich hinstarrend, zubrachte. Seine Frau, wenn sie überlustig bei den
Abendgelagen geworden, machte sich manchmal das Vergnügen, zu ihrer
Gesellschaft zu sagen: »Nun wollen wir auch meinem einfältigen Mann
einen Besuch abstatten,« öffnete sodann die Türe des Gemaches, in
welchem der Unglückliche brütete, und sprach: »da seht den Simpel, wie
er da sitzt!« -- Ihr erklärter Liebhaber war damals ein Baron von A...,
früher Offizier in holländischen Diensten und sehr reich. Dieser fuhr
jeden Tag mit der heillosen Armida, zum großen Ärger der ehrbaren
Frankfurter Frauen, in einer vierspännigen offenen Kalesche spazieren.
Eines Morgens aber verbreitete sich plötzlich das Gerücht in der ganzen
Stadt, Herr von Busch habe sich den Hals abgeschnitten. Doch war dies
nicht der Fall, sondern der arme Mann hatte sich nur mit einem
Rasiermesser die Adern an der Hand geöffnet, allerdings in der Absicht,
sich um das Leben zu bringen. Sein Aufwärter hatte es aber gleich
wahrgenommen, um Hilfe geschrien, und ein Chirurg kam noch zeitig genug,
um ihn vom Verbluten zu retten. Die Sache machte außerordentliches
Aufsehen in der Stadt, und als den folgenden Abend Frau von Busch im
Theater, wenn ich nicht irre, als Lady Milford auftrat, wurde sie mit
einem so furchtbaren Gezische, Pfeifen, Stampfen und Geschrei empfangen,
daß sie durchaus nicht zu Wort kommen konnte. Sie ließ sich aber nicht
schrecken, sondern stellte sich mit der schamlosesten Frechheit mit
übereinander gekreuzten Armen vor das Parterre, ihre Blicke ringsumher
werfend, als wollte sie sagen: »Nun, was wollt ihr von mir?« -- Als der
Lärm nachließ, wollte sie wieder zu sprechen anfangen, aber der Sturm
erhob sich von neuem und weit ärger als vorher, das Schreien artete in
ein wahres Gebrüll aus, und man hörte deutlich die Worte: »Fort, hinaus
mit der unverschämten H...« Nachdem sie noch ein paarmal vergeblich zu
sprechen versucht hatte, war man gezwungen, den Vorhang fallen zu
lassen, und die Vorstellung war für diesen Abend beendigt. Den anderen
Tag fuhr Frau von Busch vierspännig mit ihrem _primo amoroso_, dem Baron
von A... in einem offenen Wagen und mit lächelnder Miene durch die
Straßen der Stadt und um die Promenaden. Nun legte sich die Polizei
darein und ließ es ihr verbieten, ferner eine >ehrsame Bürgerschaft
durch solchen Skandal zu indignieren.< -- Ein paar Tage darauf fuhr sie
mit ihrem Baron zum Stadttor hinaus nach Mannheim, wo sie ihre Residenz
aufschlug, ein Engagement erhielt und das Publikum durch ihre Kunst
entzückte.

Damals machte ich in der Befreiungsangelegenheit Napoleons wieder eine
Reise nach Paris, von der ich jedoch wenig befriedigt zurückkam, da ich
die Personen, an welche ich von der Gräfin Survilier empfohlen war, eben
nicht sehr empfänglich für unser Projekt fand. Dagegen hatte ich die
Gelegenheit benutzt, um mit den bedeutendsten Pariser Zeitungen
Verbindungen anzuknüpfen, denen ich Artikel in französischer Sprache
über die damaligen Zustände Deutschlands lieferte, und welche mir so gut
honoriert wurden, daß ich oft hundert Franken und mehr für die Seite
erhielt. Da ich nun in Frankfurt fortwährend einen ziemlichen Aufwand
machte, wenigstens keine Ausgaben scheute, und meine Eltern nicht mehr
in den brillantesten Vermögensumständen waren, mein Vater hatte sich
seit dem österreichischen Bankrott nie mehr recht erholen können, so
sagte die Frankfurter Welt: ich erhalte das Geld zu meinen Ausgaben von
verschiedenen Damen. Da mir daran gelegen war, daß niemand erfuhr, daß
ich für die französischen Journale arbeite, ließ ich die Einfaltspinsel
bei ihrem Glauben und galoppierte, sie auslachend, durch die Straßen.

Zu jener Zeit machte ich auch häufige Exkursionen nach meinem lieben
Homburg und dessen Umgegend, die mich immer mit einer gewissen Wehmut an
die Zeiten der daselbst so fröhlich verlebten Kinderjahre erinnerten.
Mein guter Oheim Oberpfarrer war schon seit Jahren gestorben,
Breitenstein und seine Familie aber waren wohlauf. Von meinen früheren
Amouretten daselbst waren die meisten verheiratet, Eleonore von
Brandenstein aber war immer noch Hofdame, und zwar nicht nur verblüht,
sondern sehr brustleidend. Auch starb sie bald darauf im Bad Ems.
Heimliche Sünden mochten dem Mädchen das frühe Grab bereitet haben. Ihre
Mutter war ihr nur ein paar Jahre vorangegangen. Der alte brave Landgraf
Friedrich war erst kürzlich gestorben und sein Sohn Friedrich Joseph ihm
in der Regierung gefolgt. Dieser hatte sich noch als Erbprinz (1818) mit
einer Tochter des Königs Georg III. von Großbritannien, der Prinzessin
Elisabeth, vermählt. Diese Heirat hatte man in Homburg als ein großes
Glück für das kleine, sehr arme Land gehalten, da die Prinzessin eine
bedeutende Mitgift und ansehnliche Apanage hatte. Aber wie ich schon so
oft erlebte, war auch hier, was man für ein Glück hielt, eher ein
Unglück für das Land. Der neue Herr wollte nun _à tout prix_ ein kleines
London aus seiner kleinen Residenz machen. Damit die Hauptstraßen
breiter scheinen sollten, mußten alle Wirte ihre Schilder, welche die
Arme in die Gasse ausstreckten, einziehen und platt an den Häusern
anmachen. Das alte Rathaus wurde abgerissen; es sollte später ein neues
erbaut werden, was aber aus guten Gründen unterblieb. Allerlei
kostspielige Anlagen wurden in den herrschaftlichen Gärten gemacht. Über
einen Bach, der die nach dem großen Tannenwald führende Allee
durchschnitt, und den man zur Not mit einem Bein überschreiten konnte,
wurde eine Brücke aus Quaderstein erbaut, die über dreißigtausend Gulden
kostete. Die Gärten und Lustwäldchen wurden gewaltig gelichtet, obgleich
ihr Herr eben kein großer Freund vom Licht war. Bei jeder Gelegenheit
wollte der neue Landgraf den großen, großmütigen und freigebigen
Souverän spielen, allenthalben russische Trinkgelder spendend. Ward er
zu irgendeiner Taufe gebeten, so durfte das Patengeschenk nicht unter
fünfhundert Dukaten sein. Die Hofküche, aus der eine Unzahl Homburger
Angestellter aller Art und andere gespeist wurden, kostete eine Unsumme
Geld, und so ging es durch alle Branchen, wobei sich gewisse Leute ganz
vortrefflich standen und bereicherten, hauptsächlich diejenigen, welche
die Einkäufe für den Hof in Frankfurt zu machen hatten und sich mit den
dortigen Juden zu verständigen wußten. So kam es, daß nicht nur die
englischen Gelder nicht ausreichten, sondern, da diese Heirat Ursache
war, daß der Landgraf großen Kredit erhielt, so stürzte er sich bald in
ein Schuldenmeer, das in gar keinen Verhältnissen zu seinen Einkünften
stand, und dem Land bald eine schwere Last werden mußte. Mehr als Gold
aber regnete es mit Titeln auf die Homburger, von Geheimräten bis ich
weiß nicht auf was alles für Räte und so weiter herab. Ein alter
Kammerdiener seines Vaters namens Walther, der zugleich Barbier war und
eine Barbierstube gehabt hatte, in welcher die Soldaten barbiert wurden,
ward zum Medizinalrat gestempelt, und so weiter. -- Meine Anhänglichkeit
an Homburg machte, daß ich alles mögliche tat, um mehr Leben in die
kleine Stadt zu bringen. Wurden kleine Konzerte veranstaltet, so brachte
ich Dilettanten und Künstler mit, dieselben zu verherrlichen, und sang
öfters selbst mit einigen Homburger jungen Damen, die hübsche Stimmen
hatten. War ein Ball, so engagierte ich wenigstens ein Dutzend Tänzer,
an denen in Homburg gänzlicher Mangel war, und nahm sie auf meine Kosten
mit, ebenso ganze Kisten mit Orangen, Konfekt und Körbe mit Champagner,
womit ich die guten Leute in Homburg reichlich regalierte. Außerdem war
außer Breitenstein noch ein Haus da, welches mich anzog, und dieses war
das des Homburger Generalissimus, Oberst F..., der das sechzig bis
achtzig Mann starke Heer, jedoch jetzt lauter junge Leute, kommandierte,
und ein Paar liebenswürdige Töchter hatte, von denen die eine Bertha und
die andere Emma hieß. Eines Tages, bevor ich noch die Namen der beiden
Fräuleins gekannt, sang ich in einem Konzert ein komisches Lied, in
welchem eine Stelle vorkam, in der es heißt:

   Verschmähet Bertha meine Liebe,
   Schenk ich Emma gleich mein Herz usw.

Nun gab es ein Gezische und Geflüster in dem Saal, man sah auf die
beiden Mädchen, die überrot wurden, und behauptete, ich habe es auf
diese abgesehen, und so weiter.

Da sich das Projekt der Befreiung Napoleons sehr in die Länge zog,
auch immer beunruhigendere Nachrichten hinsichtlich seines
Gesundheitszustandes von Sankt Helena eintrafen, so entschloß ich mich
nun, einstweilen das Wochenblatt, für welches ich schon längst die
Konzession in der Tasche hatte, in Offenbach erscheinen zu lassen. Ich
hatte mir vorgenommen, besonders die erbärmlichen und jämmerlichen
Zustände Frankfurts in demselben tüchtig mitzunehmen und zu geißeln, und
hatte zu dem Ende öfters Rücksprache mit dem genialen Börne gepflogen.
Ich ließ eine Vignette mit einem Januskopf und ein paar Steckenpferde
geißelnde Satyre in Holz stechen, um sie an die Spitze des Blattes zu
setzen. Börne lieferte mir ein kleines einleitendes Gedicht dazu, und in
der Probenummer, von der ich zwanzigtausend abziehen und in Frankfurt
und der Umgegend verteilen ließ, waren schon einige artige Histörchen,
die in der guten Stadt kein geringes Aufsehen machten. Ich hatte nicht
überlegt, daß Frankfurt nicht Berlin ist, daß in meiner guten
Vaterstadt, wo Klatschsucht und Kleinstädterei eine so große Rolle
spielen, daß sich jedermann um das bekümmert, was der andere zu Mittag
speist, und wo, wenn man am Bockenheimer Tor niest, man am
Allerheiligentor Prosit sagt, daß ein solches Blatt die ganze Stadt, in
welcher alte eingerostete Vorurteile die Herrschaft hatten, in Aufruhr
bringen müsse, während die ohnehin witzigen und meist geistreichen
Berliner, wie die Pariser, sich an solchen Dingen ergötzten, wenn sie
auch noch so arg, sobald es nur mit Geist und Witz geschah, mitgenommen
wurden. Freilich verloren sich in der Größe jener Städte persiflierende
Anspielungen in der Volksmenge, während in Frankfurt, wenn etwas
dergleichen in dem Blatt auch noch so verblümt enthalten war, doch
jedermann gleich mit Fingern auf die Personen deutete, denen es galt,
oder von denen man auch nur vermutete, daß es ihnen gelten könnte, denn
auch für solche Dinge, welche die Stadt durchaus nicht anfochten, ruhte
man nicht bis man den Gegenstand, den sie betrafen, in Frankfurt
aufgefunden haben wollte. Auch machte die Wochenschrift gleich nachdem
ein paar Nummern derselben erschienen waren, fast die halbe Stadt
rebellisch, und die Geld- und Familienaristokratie, die ich arg
mitgenommen, verschwor sich, nicht zu abonnieren. Dagegen erhielt das
Blatt um so mehr Abonnenten unter dem Mittelstand in Frankfurt und in
der ganzen Umgegend, und die sogenannten Vornehmen Frankfurts brachten
heimlich die Nummern einzeln an sich, welche ich durch die Buchhandlung,
die die Expedition übernommen hatte, à vierundzwanzig Kreuzer per Nummer
verkaufen ließ, während das Abonnement nur wenige Gulden für das ganze
Jahr betrug, und fand sich irgendein Klatschgeschichtchen in einer
Nummer, was fast jedesmal der Fall war, so wurden oft für ein paar
Hundert Gulden von dieser an einem Tag geholt, und das Blatt trug mir
bald sechs- bis siebentausend Gulden jährlich reinen Gewinn ein. Doch
ging es auch nicht ohne alle Unannehmlichkeiten ab, von denen mir die
meisten die Theaterkritiken verursachten, da diese oft beißend waren,
und besonders die hohe, aus Kaufleuten bestehende Oberdirektion in
gewaltigen Harnisch brachten. Nun hatte mir ein Frankfurter Bürger und
Zahnarzt namens R..., bei dem die erste Liebhaberin und sehr beliebte
Schauspielerin Demoiselle L... zur Miete wohnte, mit der er sich
überworfen hatte und vor dem Polizeigericht lag, einen Aufsatz mit der
Überschrift: »Nicht mehr als sieben Hausschlüssel,« zugesandt, der nicht
ohne Witz die Geschichte einer keuschen Jungfrau erzählte, welche sieben
Liebhaber gehabt und jedem derselben einen Hausschlüssel zu ihrer
Wohnung und eine Nacht in der Woche zugestanden habe. Namen waren keine
oder doch nur ganz fremde genannt, und ich selbst ahnte den Zusammenhang
der Sache nicht. Aber kaum war die Nummer, welche diesen Aufsatz
enthielt, erschienen, so wußte die ganze Stadt auch schon, daß es der
Demoiselle L... gelte; der Einsender, der die ganze Geschichte, die nur
Verleumdung war, um sich zu rächen, erfunden, hatte gehörig dafür
gesorgt, es unter die Leute zu bringen, wer damit gemeint sei.
Unglücklicherweise hatte sich Demoiselle L... so übel beraten lassen,
daß sie die Sache auf sich bezog, und die Herren vom Theater
veranstalteten eine Komödie in der Komödie. Es wurden nämlich einige
achtzig Freibillete auf die Galerien ausgeteilt, unter der Bedingung,
daß die Inhaber derselben den Abend, für den sie gültig waren,
Demoiselle L... herausrufen sollten. Diese sollte alsdann unter Tränen
dem Publikum mitteilen, daß, so sehr sie auch dasselbe zu achten und zu
schätzen wisse und so äußerst lieb und teuer ihr der Aufenthalt in
Frankfurt sei, sie doch unter solchen Umständen, da ihre Ehre so
empfindlich in der Offenbacher Zeitung gekränkt sei, unmöglich länger
bei dieser Bühne bleiben könne. Diese Worte sprach sie wirklich in einem
weinerlichen Ton, schluchzend, und begleitete sie mit einem Strom von
Tränen. Kaum hatte sie geendigt, als sich auf den Galerien ein
furchtbarer Tumult erhob, die achtzig Freibillette taten, wie ihnen
empfohlen worden, brüllten: »Hier bleiben, hinaus mit dem Rezensenten!«
und andere machten Chorus, ohne zu wissen, was dies zu bedeuten habe.
Ich befand mich mit ein paar Bekannten mitten im Parterre, und da ich
vorher schon durch einige Mitglieder vom Theater mündlich und durch
Briefe unterrichtet worden war, so hatte ich mich auf den Fall eines
etwaigen Angriffs gut vorgesehen. Um mich herum blieb indessen alles
sehr ruhig, ich ließ die gedungenen Lärmmacher sich ausschreien, verließ
dann das Parterre, dessen Reihen sich vor uns öffneten, mit meinen
Freunden, und man ließ uns unangetastet, ja sogar ehrfurchtsvoll durch.
Damit war indessen die Sache noch nicht abgemacht, sondern zwei Tage
darauf wurde ich vor das hochlöbliche Polizeigericht gefordert, wo ich
die untertänige Unterdirektion Ihleh und seinen Adjunktus M... vorfand,
die mich im Namen der Oberdirektion als einen Ruhestörer des Theaters
verklagt hatten und Genugtuung und sogar Entschädigung für den großen
Nachteil, welchen die Rezensionen meines Blattes dem Theater schon
gebracht hätten, begehrten. Herr Senator Wüstefeld, Vorstand der
Polizei, teilte mir mit polizeilicher Wichtigkeit diese Klagen der
Direktion mit und meinte, wenn ich dies Rezensieren nicht unterließe, so
könne mich dies noch teuer zu stehen kommen, ja der hohe Senat der Stadt
Frankfurt könne sich wohl veranlaßt finden, mein Blatt in der Stadt und
deren Distrikt zu verbieten, und forderte mich auf, mich gegen die
angebrachte Klage zu verteidigen. Ich erwiderte ihm mit wenig Worten,
daß, da die Zeitschrift im Großherzogtum Hessen und mit Großherzoglicher
Zensur erscheine, ich mich in Frankfurt auf solche Klagen gar nicht
einlassen könne, die Herren müßten sich an die Großherzoglich-hessischen
Behörden deshalb wenden. »Gut, dann wird man das Blatt verbieten,« sagte
der Polizeisenator. »Das kann ich nicht verhindern, aber dann könnte es
der Großherzoglichen Regierung leicht einfallen, die in Frankfurt
erscheinenden Blätter ebenfalls zu verbieten, und dann,« fügte ich
lächelnd hinzu: »ich kenne meine Frankfurter, verbieten Sie das Blatt,
so mache ich bekannt, daß es im kurhessischen Städtchen Bockenheim zu
haben, das, wie Sie, als in der Geographie gut bewundert, wissen, nur
zehn Minuten von den Toren Frankfurts entfernt ist, und ich bin
überzeugt, es wird noch zweimal soviel davon abgesetzt.« Nun fing man
an, mit mir zu unterhandeln, und die Theaterherren gaben den Wunsch zu
erkennen, ich möchte doch wenigstens erklären, daß mit den sieben
Hausschlüsseln die Demoiselle L... nicht gemeint sei, damit diese
beruhigt, und die Frankfurter Bühne nicht eines so eminenten Talentes
beraubt würde. Zu was die Erfüllung dieses mehr als einfältigen
Begehrens führen würde, sah ich im Augenblick ein und versprach
lächelnd, diesem, als bescheidene Bitte vorgetragenen Wunsch
nachzukommen. In der nächsten Nummer des Blattes las man: »Mit dem
größten Erstaunen haben wir vernommen, daß eine so tugendhafte Person
und ausgezeichnete Künstlerin, wie Demoiselle L..., die Geschichte mit
den sieben Hausschlüsseln auf sich bezogen hat. Wir erklären hiermit,
daß es uns auch im Traum nicht einfallen konnte, Demoiselle L... damit
zu meinen, übrigens wurde uns das Histörchen eingesendet.« War vorher
der Lärm nur unter dem Theaterpersonal groß, so machte jetzt die
Geschichte in der Stadt und den benachbarten Orten, wo fast niemand
wußte, was es mit den sieben Hausschlüsseln eigentlich für eine
Bedeutung habe, ein ungeheures Aufsehen. Demoiselle L... hatte viele
Feinde und besonders Neiderinnen, welche jetzt alle triumphierten, und
zu spät sah die Ober- und Unterdirektion des Stadttheaters ein, welche
Dummheit sie gemacht, diese Komödie aufführen zu lassen und mich noch
obendrein zu einer solchen Erklärung aufzufordern.

Eine andere Sache, durch welche ich mir viele Feinde machte, unter denen
auch die Mehrzahl meiner Anverwandten, die ich freilich nicht sehr
schonend behandelte, war die Kasinofähigkeit. Nach den Gesetzen des
Frankfurter Kasinos durften nämlich keine Kommis oder Buchhalter, keine
Künstler, die Schauspieler oder Musiker waren, keine Juden und so weiter
dasselbe betreten und noch weniger dessen Mitglieder werden. Kasinofähig
waren nur Kaufleute ersten Ranges, Senatoren, höhere Angestellte in
Frankfurt und dergleichen. Wollte man jemand als was Rechtes
herausstreichen, so sagte man von ihm, statt es ist ein Ehrenmann: »er
ist kasinofähig,« und manche Personen, die sich anmeldeten, fielen
durch, weil man sie für nicht reich oder vornehm genug hielt; dies war
auch kürzlich einem Ehrenmann geschehen, den mehrere Kasinomitglieder
vorgeschlagen hatten. Diese Gelegenheit hatte ich ergriffen, den
kasinofähigen Herren ihre Albernheiten recht derb unter die Nase zu
reiben, indem ich erzählte, wie jüngst ein Kaufmann seine Aufnahme
durchgesetzt, weil er durch die Akten eines Prozesses dargetan, daß sein
Großvater wirklich schon mit Schwefelhölzern gehandelt habe. -- Als
Iffland das letztemal in Frankfurt Gastrollen gab, war der
Kasinoausschuß in großer Verlegenheit, was er zu tun habe, ob er dem
großen Künstler eine Gastkarte schicken dürfe oder nicht, da die
Kasinogesetze jedem Komödianten den Zutritt verweigerten. Endlich fiel
einer der beratenden Herren auf folgenden Ausweg und schrie: »Wissen Sie
was, meine teuren Kollegen, in Ifflands Person finden sich zwei
verschiedene Naturen vereinigt, nämlich der Komödiant und dann der
Generaldirektor der Königlichen Schauspiele zu Berlin; den ersten lassen
wir weg, dem Generaldirektor aber schicken wir eine Gastkarte.« »Bravo!«
rief man einstimmig, »das war ein kluger Gedanke, der uns aus aller
Verlegenheit zieht.« Man fertigte die Gastkarte aus und übersandte sie
dem Herrn Generaldirektor, nachdem derselbe schon mehrere Tage in
Frankfurt gewesen und schon einigemal aufgetreten war. Iffland, der die
Frankfurter Kasinogesetze kannte und von der Sache unterrichtet war,
schickte den Herren die Karte mit dem Bemerken zurück: »Er bedauere,
keinen Gebrauch von derselben machen zu können, indem er keine Orte
besuche, die seine Kameraden nicht betreten dürften, er sei auch
Schauspieler; zwar habe er schon die Ehre gehabt, von fürstlichen
Personen und selbst von seinem König zum Frühstück eingeladen worden zu
sein, aber er gebe gern zu, daß ihn dies alles nicht berechtige, sich in
Frankfurt für kasinofähig zu halten.« Was machten die kasinofähigen
Herren für Augen, als sie dies mit der zurückgeschickten Karte zu
Gesicht bekamen, und welche, als sie die Geschichte in meiner
Zeitschrift abgedruckt fanden! -- Mit dem hohen Senat und der nicht
minder hohen Polizei hatte ich es ohnehin schon längst verdorben, die
Albernheiten, Gewalttätigkeiten und dummen Streiche derselben geißelnd.
-- Eines Tages war ich mit ein paar Damen nach Wiesbaden gefahren, und
hörte, mit denselben hinter dem Kursaal auf- und abspazierend, wie ein
daselbst sich zur Kur befindender Senator namens Lucius, den andere
Kurgäste gefragt hatten, wer wir seien, denselben antwortete: »Wer
werd's sein, es sin anige von unsern Unertane, der än schreibt ä
Zeitung.« Natürlich gab dies wieder Stoff für mein Blatt und zum Lachen
für meine Leser.

Es fehlte mir auch nicht an Mitteilungen der naiven Urteile, die über
die verschiedenen Aufsätze in meiner Zeitschrift gefällt wurden. Da der
Kastengeist oft herhalten mußte, so fragte einst ein junges Mädchen eine
ihrer Bekannten, eine gewisse Jungfrau Jacobine B..., die sich in
Bockenheim aufhielt und gern die Gelehrte spielte: »Mei, sag mer doch,
Jacobinche, was is dann des ä Kastegeist?« »Dumm Os,« erwiderte die
Gefragte, »was werd's sei, ä Gespenst in ere Kist!« Dieselbe Jacobine
hatte einst im Theater einer Vorstellung von Schillers Kabale und Liebe
beigewohnt, und bei der Stelle, wo Ferdinand, von der Milford sprechend,
sagt: »Ich will hin zu ihr, will ihr einen Spiegel vorhalten,« gefragt:
»Ei, war se denn so garstig?« Und als ihr jemand das Lied: »Hebe, sieh,
in sanfter Feier,« gebracht (sie miaute ein wenig, was sie singen
nannte, und klimperte falsche Akkorde auf der Gitarre dazu), sagte sie:
»Aber das Lied fängt doch dumm an, da steht: Hebe sie, aber nit, wen mer
hebe soll.«

Unterdessen vermehrte sich die Zahl meiner Abnehmer so, daß mein
Einkommen immer bedeutender wurde, denn die Zeitschrift wurde auch sehr
viel in den umliegenden Städten wie Darmstadt, Mainz, Hanau, Wiesbaden,
Heidelberg, Mannheim, Koblenz, Wetzlar und so weiter gelesen, wohin ich
von Zeit zu Zeit kleine Reisen machte, um Stoff von dortigen Lokalitäten
zu sammeln.

Meine Zeitschrift hatte damals eine solche Furcht in Frankfurt und auch
bei der vornehmen Frauenwelt erregt, daß manche derselben, wenn sie mich
auf den Promenaden von ferne kommen oder reiten sahen, schnell einen
Seitenweg einschlugen oder sich hinter ein Gebüsch versteckten, und wenn
man sie fragte, woher diese übertriebene Furcht? erwiderten sie: »Ja,
wann mer ebbes Dummes schwätzt oder ebbes Albernes mächt, dann setzt
der's gleich in sein Blatt.« -- Da mir dies mehrmals wieder zu Ohren
gekommen war, so ließ ich in einer Nummer abdrucken: »Diese Furcht sei
durchaus unbegründet, denn, wenn ich all das dumme Zeug, das in
Frankfurt geschwatzt oder gemacht wird, in meiner Zeitschrift abdrucken
lassen wollte, so könnten mir alle Papiermühlen in ganz Deutschland
nicht Papier genug liefern.«

Zu jener Zeit erhielt ich ein Schreiben von der Signora Catalani, worin
diese mir meldete, daß sie zu der bevorstehenden Herbstmesse nach
Frankfurt kommen und daselbst ein paar Konzerte geben wolle, ich möchte
einstweilen Zimmer in einem Hotel für sie bestellen. Dies tat ich im
Englischen Hof, und bald darauf kam die Signora mit ihren Kindern, aber
ohne ihren Mann, auch ohne den dicken Burgmüller, nur ein alter adliger
französischer Ehrenkavalier, Monsieur le Baron de Weber, begleitete sie.
Da sie schon früher in Frankfurt gewesen und daselbst gesungen hatte, so
gab ich ihr den Rat, jetzt die Eintrittskarten zu ihrem Konzert von
einem Dukaten auf vier Gulden herabzusetzen, den sie auch befolgte, doch
wollte sie deshalb auch nicht mehr als vier Gulden für jedes mitwirkende
Glied des Frankfurter Orchesters bezahlen, die früher ebenfalls einen
Dukaten erhalten hatten. Dies wollten sich aber die Herren durchaus
nicht gefallen lassen, sie bestanden auf ihrem Dukaten, und der
Kapellmeister der Frankfurter Oper, Guhr, riet ihnen, fest darauf zu
beharren. Signora Catalani, die ihrerseits, wie wir wissen, ihr Köpfchen
hatte, bestand auf den vier Gulden, und wollte lieber kein Konzert mehr
in Frankfurt veranstalten als nachgeben. Ich dachte einen Augenblick
über die Sache nach, und sagte dann zu der aufgebrachten Primadonna:
»Beruhigen Sie sich, ich schaffe Ihnen ein treffliches Orchester.« »Wie
das?« »Ich fahre nach Mainz und hole dort die für Ihr Konzert nötigen
Virtuosen.« »Glauben Sie, daß sie kommen werden?« »Gewiß, nur muß man
sich es etwas kosten lassen.« »Gleichviel, es mag kosten, was es will,
das Doppelte, das Dreifache, wenn wir nur den Frankfurter Musikern
zeigen, daß wir auch ohne sie ein Konzert geben können, und ihrer nicht
bedürfen.« Ich ritt nun sogleich in vollem Trabe nach Mainz, nachdem ich
der Catalani noch eingeschärft, durchaus niemand etwas von unserem
Vorhaben merken zu lassen. In Mainz begab ich mich zu dem
Kapellmeister des dortigen Theaters, engagierte ihn nebst fünfzehn
Orchestermitgliedern für das bestimmte Konzert, und versprach, die
Herren selbst am festgesetzten Tag früh genug abzuholen, um vorher noch
die nötige Probe mit Madame Catalani halten zu können. Das Konzert war
angekündigt, der Tag bestimmt, und die Frankfurter Orchesterherren
glaubten ihre Dukaten schon in der Hand zu haben, denn ohne sie war nach
ihrer Meinung das Konzert schlechterdings unmöglich; sie erwarteten jede
Stunde die Einladung zur Probe, die -- nicht kam. Als der Tag
herangekommen, ritt ich in aller Frühe wieder nach Mainz, mietete
daselbst vier Wagen und fuhr um zwei Uhr nachmittags mit meinen
Virtuosen und ihrem Kapellmeister in den Englischen Hof ein, wo ihrer
ein köstliches Mittagsmahl harrte, worauf probiert wurde. Zu dem Konzert
hatte ich den Dickischen Saal im Roten Haus gemietet, und ehe es sechs
Uhr war, die bestimmte Stunde zum Anfang, fuhr ich mit meinen Mainzern
in den Hof des Roten Hauses und führte sie in ein Nebenzimmer des
Saales, ohne daß sie jemand bemerkte. Den Kapellmeister Guhr hatte die
Neugierde, um zu erfahren, wie sich dies Rätsel lösen werde, mit noch
ein paar Virtuosen von seinem Orchester in den bereits überfüllten Saal
getrieben, und statt die gehofften Dukaten zu erhalten, mußten auch sie
den Eintrittspreis von vier Gulden bezahlen. Jetzt schlug es sechs Uhr,
auftaten sich die Flügeltüren, welche in das Nebenzimmer führten, und
aus demselben traten zwanzig Mann hoch der Mainzer Kapellmeister mit
seinen Musici, ihre Instrumente in der Hand, und stellten sich an ihre
Notenpulte. Wie rissen Guhr und seine Begleiter die Augen auf! »Den
Streich hat uns wieder der verdammte Fröhlich gespielt,« rief ersterer
aus. »Ja, wäre es nur nicht gerade Messe, wir ließen die Herren sämtlich
durch die hochlöbliche Polizei abführen,« sagte ein anderer, »aber so
ist Meßfreiheit, da darf jeder Landstreicher mit seiner Fiedel frei in
unserer freien Stadt einziehen und den Leuten die Ohren voll geigen.«
Madame Catalani verweilte noch einige Tage in Frankfurt, und ich
geleitete sie bei ihrer Abreise bis Mainz.

Unterdessen war das Projekt, Napoleons Befreiung zu bewirken, ziemlich
vorgeschritten. Lord C... hatte zwei Mittel vorgeschlagen, den Exkaiser
von St. Helena zu entführen. Das erste war vermittels eines Luftballons,
an den man ein Schiffchen befestigen müsse, das zu gleicher Zeit im
Wasser zu gebrauchen sei und eine Last von zwei Menschen tragen könne.
Doch gab er diese Idee bald selbst wieder als unausführbar auf, da, wenn
man auch die Unmöglichkeit, den Ballon zu leiten, nicht berücksichtigen
wollte und das Steigen desselben auch nur bei Nacht tunlich war, wo man
dann in der Höhe Laternen angezündet, so hätte der Ballon, vom Wind
getrieben, ja leicht nach der entgegengesetzten Seite des zu seinem
Empfang bereiten amerikanischen Schiffes steuern können, oder sich
vielleicht gar wieder auf die Insel selbst niederlassen müssen. Das
zweite Mittel bot keine dieser Schwierigkeiten. Es bestand darin, ein
Boot konstruieren zu lassen, das mehrere Schuh tief unter dem Wasser
gehe, und Raum für acht bis zehn Menschen habe. Dieses war auch schon in
Amerika bei einem geschickten Mechanikus, der zugleich Kenntnisse von
der Schiffsbaukunst besaß, bestellt und in Arbeit, das Modell dazu aber
schon in London angekommen, und man hatte damit vollkommen genügende
Versuche gemacht. Vermittels eines angebrachten Räderwerkes konnte man
die Maschine nach Belieben tiefer oder höher unter die Oberfläche des
Wassers bringen und durch Einhaken das fernere Sinken oder Steigen des
Bootes verhindern, so daß es in der Tiefe, in der es sich befand,
vermittels anderer ruderartiger Räder ohne große Anstrengung mit einer
ziemlichen Schnelligkeit horizontal fortbewegt werden konnte. Die Sache
war nun schon so weit gediehen, daß ich mich zur baldigen Abreise nach
London anschicken konnte, wo ein Schiff mit solchen Waren beladen werden
sollte, die England nach Ostindien exportiert, wie Eisen, Zinn, Woll-
und Manufakturwaren und so weiter. Lord C... hatte selbst eine Reise
nach den Vereinigten Staaten gemacht, um daselbst einstweilen die
nötigen Vorkehrungen zu treffen und Schiffe von verschiedener Größe auf
längere Zeit zu mieten, die dann später in einer gewissen Entfernung von
Sankt Helena kreuzen, sich einander ablösen und eine beständige
Kommunikation mit Amerika unterhalten sollten. Ehemalige französische
Marineoffiziere, die sich in den Vereinigten Staaten oder in dem
sogenannten Champ d'Asyle befanden, sollten sie befehligen. Schon war
alles so weit bereit, daß meine Abreise nach England und von da nach
Ostindien festgesetzt war, als einige Wochen früher die offizielle
Nachricht von Napoleons erfolgtem Tode eintraf. Mit ihr waren alle
unsere Projekte, Pläne und Vorkehrungen zu Wasser geworden, und schon
sehr bedeutende Summen vergebens verschwendet.

Mit dem Frühling dieses Jahres hatte ich mein Hauptquartier in Offenbach
aufgeschlagen, wo noch immer ein heiteres und geselliges Leben
herrschte, wenn auch mehrere Häuser, wie Bernhards und d'Orvilles, sehr
zurückgekommen waren. Diese hatten gerade damals noch an dem
Weinlandschen Prozeß zu laborieren, der endlich durch einen Vergleich,
bei welchem diese Tabaksfabrikanten für ihre jetzigen Verhältnisse
schwere Opfer bringen mußten, beseitigt wurde. Auch die Maskenbälle
waren bei weitem nicht mehr das, was sie früher, sondern sehr ins
Gemeine ausgeartet, dagegen wurden mehrere geschlossene auf Subskription
veranstaltet, die schön und glänzend waren. Auf einem derselben
wechselte ich siebenmal das Kostüm, um meine guten Frankfurter desto
besser intrigieren zu können. Aus einem Zuckerhut schlüpfte ich als
Figaro, aus einem Eremiten verwandelte ich mich in Ritter Roland und so
weiter. -- Noch früher, als ich nach Offenbach gezogen war, hatte ich
Seiner Durchlaucht dem Fürsten Y..., der sich damals in Birstein
aufhielt, einen Besuch daselbst gemacht, aber Höchstdieselbe in den
allerpitoyabelsten Umständen gefunden, krank und schachmatt an Leib und
Seele, und die Krankheit von so böser Art, daß es unmöglich war, länger
als ein paar Minuten in der verpesteten Stubenluft auszuhalten. Der
Fürst war durch den Wiener Friedenskongreß mediatisiert worden; seine
zahlreichen Gläubiger hatten sich jetzt alle gemeldet und hörten nicht
auf, ihn zu bestürmen. Mit einem jämmerlichen Armensünder-Gesicht
geruhten Seine Durchlaucht, mich von ihren schrecklich fatalen Umständen
zu unterhalten, und endigten damit, daß ihm hoffentlich seine
unbarmherzigen Gläubiger noch so viel lassen müßten, daß er wenigstens
eine Suppe und ein Stückchen Rindfleisch essen könne. -- »Auch noch
etwas mehr,« tröstete ich den armen Mann, der mir in der Tat Mitleid
einflößte, war aber doch froh, als ich mich beurlaubend wieder entfernt
hatte und frische Luft atmete. Wenig Monate darauf starb er, erst 55
Jahre alt.

In Offenbach wohnte damals ein Mensch, der sich Broli nannte und eine
Art Cagliostro im Kleinen war. Er besaß wie jener die Gabe und das
Talent, alle Einfaltspinsel, Schwach- und Dummköpfe, besonders
weibliche, so von sich einzunehmen, daß sie einen von Gott gesandten
Propheten in ihm sahen, ihn als einen solchen verehrten und ihm den
letzten Groschen, das letzte Hemd vom Leibe gaben, wenn er es verlangte.
Dieser Mensch, dessen eigentlicher Name Bernhard Müller war, hatte sich
in äußerst dürftigen Umständen und in Gesellschaft zweier feilen Dirnen
in Offenbach niedergelassen, wo alle drei die Rollen frommer Schwärmer
spielten. Müller hatte sich früher in Aschaffenburg, Regensburg und eine
Zeitlang in England herumgetrieben, durch seine Heuchelei fromme
Pietisten und Pietistinnen gehörig zu prellen verstanden und sich den
Namen Broli beigelegt. Plötzlich aber hatte er das gastfreie England
wegen seiner an den Tag gekommenen Betrügereien verlassen müssen, sich
dann nach Stuttgart und Würzburg geflüchtet, von wo er wegen daselbst
verübter Gaunereien wieder flüchtig werden mußte, sich nach Offenbach
begab und arm wie Hiob daselbst ankam. Bald aber gelang es ihm, die
Bekanntschaft einiger sehr reichen Pietistenfamilien in Frankfurt,
namentlich Häusers und Zickwolfs, zu machen, welche den überfrommen Mann
so reichlich mit Geld bedachten, daß derselbe bald instand gesetzt
wurde, ein wahrhaft sardanapalisches Leben in Offenbach zu führen. Wie
es derselbe verstand, sich bei dummen Frömmlingen einzuführen und als
Prophet geltend zu machen, mag folgendes Pröbchen beweisen. Als er der
Madame Häuser in deren Wohnung vorgestellt wurde und die Frau zum
erstenmal erblickte, kreuzte er die Arme über die Brust, verdrehte die
Augen, gen Himmel blickend, und rief aus: »Großer Gott, was sehe ich,
dies ist das leibhaftige Gesicht, das du mir so oft als reine Jungfrau,
als himmlischen Engel bei meinen mitternächtlichen Gebeten hast
erscheinen lassen.« Jetzt warf sich der Mann Gottes vor der Dame auf die
Knie und sagte: »Reiner Engel Gottes, ich bete dich an, du bist eine der
Gebenedeiten des Herrn, Heil und Segen ist mit dir.« Jede vernünftige
Frau würde den Menschen für einen Tollen gehalten und zur Türe haben
hinauswerfen lassen. Dies tat aber Madame Häuser nicht, deren schwache
Seite Müller längst erforscht hatte, sondern sie hob den Mann liebreich
auf, war entzückt von ihm, händigte ihm noch in derselben Stunde mehrere
tausend Gulden zu frommen Zwecken ein, und vermochte alle ihre
Verwandten und Bekannten, die Pietisten waren, sowie die Familie
Zickwolf, dem groben Betrüger ungeheure Summen, immer zu frommen
Zwecken, zu geben, die derselbe in Offenbach auf einem prächtigen
Landgut, das er daselbst erstanden, in den schamlosesten Orgien
verpraßte, bei denen seine eingeweihten Helfershelfer und liederliche
Dirnen nackend allerlei Tänze und so weiter aufführten. Aber mit großer
Ostentation spendete er viel Almosen an die Offenbacher Armen, um sich
bei den Einwohnern beliebt zu machen und von den Behörden geduldet zu
werden. Nichts vermochte, den Betrogenen die Augen zu öffnen, nichts
half es, ihnen die klarsten Beweise der Betrügereien des Gauners zu
liefern, sie waren und blieben so verblendet, daß sie alles nur für
Verleumdung gegen den von Gott zur Rettung der Menschheit gesandten Mann
hielten, und ihm, nachdem er es zu bunt gemacht und von der Darmstädter
Regierung gezwungen wurde, auch Offenbach wieder zu verlassen, mit den
Rudera ihres Vermögens nach Amerika folgten, wobei er ihnen verkündigt
hatte, daß eines der mitreisenden Mädchen, das bereits in der Hoffnung
war, unterwegs einen neuen Sohn Gottes gebären würde! -- Daß alle und er
selbst in Amerika ins größte Elend und Unglück kamen und Broli auf dem
Mississippi sein Leben endete, ist bekannt.

Noch hielten sich mehrere Polacken in Offenbach auf, die mit dem
sogenannten Polackenfürsten gekommen waren und nun ein sehr eingezogenes
Leben daselbst führten. Das Mysteriöse dieser Fremdlinge hatte sich
jetzt auch so ziemlich aufgeklärt und viel Ähnlichkeit mit Müllers
Treiben gehabt. Der sogenannte Polackenfürst, der im Jahre 1788 schon
nach Offenbach mit einem großen Gefolge prächtig gekleideter und
bewaffneter Leute gekommen, er hatte sogar eine Leibwache von mehr als
siebzig Mann, in kostbare Uniformen gekleidet, mitgebracht, von denen
immer zwei an seiner Wohnung Schildwache standen, und den zwölf in Rot,
Grün und Gold gekleidete Ulanen mit langen Piken begleiteten, wenn er in
seiner reichen Karosse, mit vier schönen Schecken bespannt, ausfuhr, war
nichts als ein polnischer Jude namens Dobrusky, der sich zuerst hatte
taufen lassen, dann eine eigene Sekte stiftete, die da glaubte, daß Gott
bald als Mensch verkörpert erscheinen würde, und ihn endlich selbst für
den auf Erden verkörperten Gott hielt. Er hatte zuerst mit gleichem
Prachtaufwand in Brünn und Wien gelebt, von wo er endlich ausgewiesen
worden war, und sich nach Offenbach begab, wohin ihm seine Gläubigen aus
Polen, Böhmen, Mähren, der Lausitz und so weiter fortwährend ungeheure
Geldsummen übermachten. In schweren Fässern kam das Gold und Silber an.
Alle seine Umgebungen verehrten den Betrüger wie einen Gott und hielten
ihn für unsterblich. Auch er gab ungeheure Almosen an die Armen. Als er
aber endlich doch starb, da war die Betrübnis groß unter seinen
Zurückgebliebenen. Dennoch wurde ihm ein fast königliches
Leichenbegängnis zuteil, und nahe an tausend Personen, alle prächtig
geschmückt, folgten seiner Leiche, heulten und jammerten, daß es hätte
Steine erbarmen mögen. Diese Betrübnis mag sehr aufrichtig gewesen sein,
denn mit dem Aufhören seiner Unsterblichkeit hörten auch bald die
Geldsendungen auf und die Not begann. -- Offenbach war von jeher und bis
auf die neueste Zeit ein von Schwärmern, Frömmlingen und ihren dummen
Kreaturen gesuchter Aufenthalt. Das Warum ist mir nie recht klar
geworden, da im allgemeinen die Einwohner ein ziemlich nüchterner und
vernünftiger Menschenschlag sind. Das nahe geldreiche Frankfurt aber mag
wohl der Hauptmagnet sein.

Da ich damals das Frankfurter Theater seltener besuchte und die Abende
lieber im Freien, nach Bergen, Wilhelmsbad, Berkersheim, Seligenstadt
und so weiter reitend, zubrachte, als mich in dem immer mit einer
verpesteten Luft geschwängerten Haus drei Stunden aufzuhalten, so hatte
ich mit dem das Orchester dirigierenden Kapellmeister abgemacht, daß er
mir hauptsächlich die Opernkritiken für meine Zeitschrift liefern möge.
Da diese nun mit außerordentlicher Sachkenntnis geschrieben waren und
bis in die kleinsten Details der Exekution gingen, auch nicht ganz
unparteiisch waren und man mich oft nicht im Theater sah, so hatte das
Theaterpersonal bald Verdacht hinsichtlich des wahren Verfassers, und
fand es abscheulich, daß ein Mitglied des Institutes dasselbe so
kritisiere. Eines Morgens, nachdem sich wieder ein ausführlicher Artikel
über die letzten Operndarstellungen in der Zeitschrift befunden hatte,
vereinigte sich ein Teil der Sänger und Schauspieler während der Probe,
um nach Beendigung derselben sogleich zu mir nach Offenbach zu fahren,
um über den Namen des Verfassers dieser Kritiken von mir Gewißheit zu
erlangen, und versicherten, ehe sie abfuhren, ihren Kameraden auf ihr
Wort, sie würden nicht zurückkommen, ohne den Namen schwarz auf weiß
mitzubringen. -- Es war kurz vor Essenszeit, als es an meinem Zimmer im
Isenburger Hof klopfte, und auf mein »Herein!« trat der Schauspieler
Henkel ein. Kaum hatte ich diesen gefragt, was mir das Vergnügen seines
Besuches zuziehe, so trat auch der Sänger Dobler, nach diesem der
Tenorist Kastner, und so weiter, in allem sieben Mann, in das Zimmer,
deren Sprecher mir nun rund heraus erklärte: sie seien gekommen, um von
mir den Namen des Verfassers der Opernrezensionen zu erfahren, und als
ich ihnen darauf erwiderte, ich könne hierauf keine andere Antwort
geben, als daß ich die ganze Verantwortlichkeit derselben auf mich
nehme, sagte Herr Henkel: »Damit können wir uns nicht begnügen. Wir
müssen durchaus wissen, wer sie schreibt, und werden nicht eher
Offenbach verlassen, als bis wir dies schriftlich von Ihnen haben, denn
wir gaben unseren Kameraden in Frankfurt das Wort, es schwarz auf weiß
mitzubringen.« »Das bedauere ich sehr, meine Herren, denn ich gebe Ihnen
mein feierliches Ehrenwort, daß Sie ohne dieses Offenbach verlassen oder
meinetwegen ewig hier bleiben werden.« »Das wollten wir doch sehen,«
meinten die Herren, »da gibt es noch Mittel,« und so weiter, und nahmen
nun eine drohende Haltung und Miene an. Ich aber griff nach meinem neben
mir hängenden Jagdgewehr und sagte mit starker Stimme: »Dies ist also
auf einen meuchlerischen Überfall abgesehen, wo Notwehr zur Pflicht
wird. Wer von Ihnen noch einen Schritt weiter tut, dem jage ich die
Posten ins Gehirn!« (Notabene, das Gewehr war nicht geladen), und meine
beiden Hunde schlugen an. Die Herren sahen sich jetzt bestürzt an, in
demselben Augenblick ging meine Stubentüre auf und mein Reitknecht und
der Wirt, Herr Ziegler, traten ein und fragten, was es da gebe.
»Nichts,« erwiderte ich lachend, »die Herren sind Schauspieler und haben
hier nur so eine Art Probe halten wollen.« Alle standen nun ganz
beschämt, wie ausgezischte Schauspieler, da. Ich aber sagte zu Herrn
Ziegler: »Belegen Sie noch sieben Kuverte an der Tafel, die Herren sind
sämtlich meine Gäste. Nicht wahr, meine Herren, Sie nehmen doch die
Einladung an? Damit Sie sich nicht ganz umsonst nach Offenbach bemüht
haben, erzeigen Sie mir die Ehre?« Sie murmelten nun ein allerlei
unverständliches Durcheinander, von zuviel Ehre, nicht annehmen können
und so weiter, dem ich ein Ende machte, indem ich sagte: »Zu Tisch,
meine Herren, man hat bereits serviert, nicht wahr, Herr Ziegler?«
»Freilich, die Suppe steht schon auf dem Tisch.« »Wohlan, so lassen Sie
uns gehen.« Ich öffnete nun die Türe und bat sie, mich in den Speisesaal
zu begleiten, wo wir noch einige Fremde fanden. Anfänglich war die
Unterhaltung, so sehr ich sie auch zu animieren suchte, ziemlich
einsilbig. Nachdem jedoch einige Flaschen geleert waren und auch noch
Champagner geperlt hatte, wurden die Herren gesprächiger und endlich
sehr munter. Nach Tisch bequemten sie sich bald zur Heimfahrt, baten
mich aber dabei dringend und mit Armensündergesichtern, ich möchte doch
ja nichts von diesem Vorfall in meiner Zeitschrift erwähnen, was ich
ihnen auch versprach. Als sie nach Frankfurt zurückkamen und von allen
Kameraden gefragt wurden: »Nun, habt Ihr's, wer ist's? Heraus damit!«
standen sie wieder wie ausgezischte Komödianten da, und mußten noch oft
bei den Proben hören: »Nun, wann fahren wir wieder nach Offenbach, den
Namen des Opernrezensenten zu holen?«

Ungefähr um dieselbe Zeit gastierte die Sängerin Canzi in Frankfurt, die
bei einer silberreinen, glockenhellen Sopranstimme eine außerordentliche
Kehlenfertigkeit hatte, und mit ihrem Ziehvater, einem pensionierten
österreichischen Major und dessen Frau Kunstreisen machte, wo sie
überall außerordentlich gefiel. Der Major, welcher frühzeitig das Talent
des jungen Mädchens wahrgenommen, hatte ihr ein paar Jahre
Gesangunterricht erteilen lassen und sich dann mit ihr auf Reisen
gemacht, um zu ernten, was er gesät. Die Ernte fiel auch so reichlich
aus, daß sich der gute Mann nach einem Jahrzehnt vollkommen mit dem
Erworbenen in den Ruhestand setzen konnte, und dann sein Pflegekind, das
bei dem Stuttgarter Hoftheater eine gute Anstellung erhielt, seinem
weiteren Schicksal überließ. Damals war gerade ein großer Teil des
Hessen-Darmstädtischen Städtchens Bentheim abgebrannt. Ich veranstaltete
eine musikalische Abendunterhaltung zum Vorteil der armen Abgebrannten
im Offenbacher Theater, welches der Wirt Schlosser, der es in Pacht
hatte, gratis dazu hergab, und bat Demoiselle Canzi, dabei mitwirken zu
wollen, was sie mir auch sogleich mit der größten Bereitwilligkeit
zusagte. Sodann hatte ich mehrere Dilettanten vermocht, ein zweiaktiges
Vaudeville, >Der moderne Don Juan< betitelt, das ich geschrieben, zu
diesem Zweck einzustudieren. Das Ganze hatte den besten Erfolg und
brachte eine sehr ergiebige Einnahme. Viele Frankfurter waren zu der
Vorstellung gekommen, von denen mehrere in der Absicht, um sich zu
rächen, dieselbe störend unterbrechen wollten. Als nun das Vaudeville
begann, in dem ich die Titelrolle übernommen hatte, fingen sie im
Parterre an, zu stampfen, zu treten und Lärm zu machen. Mehrere
Offenbacher aber verstanden den Spaß übel und warfen die ungeschliffenen
Herren zur Türe hinaus, worauf die Vorstellung ihren ungestörten
Fortgang hatte und mit großem Beifall endigte. Ein fröhliches Bankett im
Isenburger Hof machte den Beschluß.

Schon seit längerer Zeit war mir Metternichs kurzsichtige Politik und
sein ganzes widersinniges System, das nimmermehr ein gutes Ende nehmen
konnte, in hohem Grad zuwider. Weit entfernt, ein unsinniger Demagoge zu
sein, mochte ich ebensowenig ein solches Stockregiment, wie das
österreichische war, leiden, während man in Preußen längst in hohem Grad
liberal und human war. -- Die Bedingung, unter welcher mir die
Konzession zu meiner Zeitschrift gegeben worden, war, daß ich mich
durchaus aller Politik enthalten müsse. Ich durfte also nichts, was
einen politischen Anstrich haben konnte, in derselben aufnehmen. Dagegen
gab ich öfters lithographierte Beilagen, meistens Karikaturen, die wohl
an das Politische streiften. So hatte ich das unselige Papierwesen und
die Anleihen, die Börsenspiele und so weiter, schon scharf genug auf
diese Weise bezeichnet. Jetzt aber fiel es mir ein, den staatsklugen
Metternich samt seinen Helfershelfern mit unverkennbaren Attributen zu
zeichnen und alle auf einem großen Krebs reiten zu lassen, der rückwärts
gehend, sich an dem Rand eines tiefen Morastes befand. -- Dies war denn
doch zu toll. Es kamen Reklamationen von Wien, der Bundestag mischte
sich darein, und eines Morgens ward ich plötzlich auf das Amt in
Offenbach beschieden, wo mir eröffnet wurde, daß meine Zeitschrift auf
höheren Befehl verboten sei. Noch hatte ich von Glück zu sagen und es
einer besonderen Fürsprache zu verdanken, daß ich nicht wenigstens auf
sechs Wochen die hessische Festung Rokenburg besuchen durfte. -- Groß
war der Jubel und die Freude, als dies Verbot in Frankfurt bekannt
wurde. Meine zahlreichen Feinde wünschten sich gegenseitig Glück, man
begrüßte sich auf den Straßen, sich die große Neuigkeit zurufend, und
wenig fehlte, daß nicht ein hoher Senat ein Festessen diesem Ereignis
zuliebe veranstaltet hätte. Aber die Freude sollte nicht von sehr langer
Dauer sein, wie wir bald sehen werden. Ich machte gleich nach dem Verbot
eine Rheinreise bis Köln mit einer sehr lustigen Gesellschaft von
Offenbachern und mehreren Damen. Wir hatten zu diesem Zweck in Mainz
eine eigene Jacht gemietet, einen Flügel und mehrere andere Instrumente,
Feuerwerk und Fackeln, nebst allerlei Mundvorrat eingeschifft, so daß
die Fahrt eine äußerst unterhaltende werden sollte. Ich hatte dafür
gesorgt, daß sich unter den Damen meine intimsten Bekannten in
Offenbach, wie die Hofrätin M..., Annchen F..., Delphine A..., sowie
Fanny M... aus Frankfurt und so weiter befanden. Am Fahrtor zu Frankfurt
bestiegen wir die Jacht und brachten die erste Nacht in den >Drei
Reichskronen< in Mainz zu. Den anderen Morgen fuhren wir weiter,
landeten aber allenthalben, wo es etwas zu sehen gab, eine Ruine zu
besteigen, ein Ort oder ein Schloß zu besuchen war, bei welcher
Gelegenheit immer romantische Spaziergänge gemacht wurden, und sich
manches Pärchen, unter denen auch ich, über die Gebühr in den Felsen,
Ruinen oder Gebüschen verirrte. So kamen wir den ersten Tag, wo wir im
Garten zu Bibrich und auf Schloß Johannisberg lange verweilt hatten,
nicht weiter als bis Bingen, den zweiten bis Sankt Goar, den dritten
noch nach Boppart, den vierten nach Koblenz, wo wir drei Tage
verweilten, einen Abstecher nach Ems machten, dann nach Neuwied,
Andernach, Bonn und so weiter, und erst den zwölften Tag in Köln an. Wir
waren meistens vom schönsten Wetter begünstigt, bestiegen die Bergruinen
abends beim Mondenschein, ließen Sang und Hörnerklang bei Fackelschein
in denselben erschallen, die Geister ihrer modernden Bewohner zu
erfreuen, und Raketen steigen. Unterwegs, in Koblenz, Bonn und Köln,
schrieb ich in den frühesten Morgenstunden mehrere pikante und
satirische Artikel über Frankfurter Zustände, die ich: >Aus dem Nachlaß
der verblichenen Offenbacher Zeitung< überschrieb, welche vollkommen
geeignet waren, die übermäßige Freude der guten Frankfurter über das
Verbot derselben zu mäßigen, da ich sie in den am Rhein erscheinenden
Blättern abdrucken ließ und zu vielen Hunderten zur Verteilung nach
Frankfurt schickte. Nachdem wir uns auch in Köln und seinen Kirchen,
besonders dem Dom, gehörig umgesehen, auch den elftausend Jungfrauen in
Sankt Ursula einen Besuch gemacht hatten, traten wir vergnügt die
Rückreise über die Taunusbäder an und kamen nach einer Abwesenheit von
ungefähr drei Wochen wieder glücklich nach Frankfurt und Offenbach. Hier
war während derselben zu meiner Verwunderung ein neues Blatt entstanden,
das den Titel >Offenbacher Unterhaltungsblätter< führte, welches mein
Buchdrucker, ein gewisser Hauch, auf seine eigene Faust herauszugeben
sich unterfangen und an alle Abonnenten meiner Zeitschrift gesandt
hatte, diese zu vertreten. Dieser Hauch, der höchstens ein mittelmäßiger
Setzer war und in seiner Jugend in Offenbach Gänse hütete, hatte den
bekannten Doktor Pfeilschifter gebeten, ihm bei der Redaktion des
Blattes zur Hand zugehen. Aber das ganze Unternehmen ging um so
schneller den Krebsgang, meine Abonnenten wollten nichts davon wissen,
und als ich mich mit dem Eigentümer einer Frankfurter politischen
Zeitung verband und diesen vermochte, derselben eine belletristische
Beilage beizugeben, da fiel das Hauchsche Unternehmen zusammen. Um diese
Zeitung und ihr Beiblatt schnell zu heben, machte ich eine Reise auf
vierzig bis fünfzig Stunden im Umkreis, bis Karlsruhe auf der einen und
Köln auf der anderen Seite, und als ich meine Tour geendet und nach
Frankfurt zurückkam, fand ich zu meiner großen Satisfaktion, daß sich
die Zahl der Abonnenten dieser Zeitung während meiner Reise schon um
zwölfhundert vermehrt hatte. Von allen Orten, wo ich hinkam, sandte ich
sogleich möglichst pikante Artikel über die neuesten Vorfälle in
denselben nach Frankfurt ein, die auf der Stelle abgedruckt werden
mußten, und dann von der Nummer, in welcher sie standen, nach der Größe
des Ortes, aus welchem sie datiert waren, viele hundert Exemplare per
Post dahingeschickt wurden, die ich selbst allda verteilen ließ. Dieses
Manöver war über alle Erwartung geglückt, und die Zeitung nahm
fortwährend außerordentlich an Abonnenten zu, deren sie bald an
fünftausend zählte, was mir sehr wohl zu statten kam, da ich
verhältnismäßig dafür honoriert wurde, und als das Verbot meiner
Zeitschrift erschien, meine Finanzen sich eben nicht im besten Zustand
befanden, ich auch wenigstens ein paar tausend Gulden laufende Schulden
hatte. Dies war bei der Lebensart, die ich geführt, und den Geschenken,
die ich an viele Damen gemacht, kein Wunder, obgleich ich noch
bedeutende Honorare durch meine Arbeiten in französischen Journalen
nebenher erhielt. Ein guter Rechenmeister war ich nie gewesen,
glücklicherweise wußte ich aber die Defizits durch gut berechnete
Unternehmungen immer wieder zu decken. Ein ganz besonderes Ereignis
machte, daß sich damals meine Ausgaben noch gewaltig mehrten.

Es war in der Frankfurter Herbstmesse, als ich die Buden auf dem
Paradeplatz mit ihren Sehenswürdigkeiten besuchte, um Bericht über
dieselben abstatten zu können. Unter diesen befand sich die Menagerie
eines gewissen Tourniaire, Bruders des bekannten Kunstreiters dieses
Namens, der auf seinem Anschlagezettel angekündigt hatte: Zwei ganz
junge, sehr schöne Zirkassierinnen von siebzehn und achtzehn Jahren
würden die Riesenschlangen seiner Menagerie dem Publikum vorzeigen. Die
beiden jungen Mädchen, die auf beiden Seiten eines bärtigen,
wildaussehenden Mannes standen, waren wirklich schön und in der ersten
Jugendblüte. Besonders aber war die eine, welche die ältere schien, eine
vollendete Schönheit, mit einem unvergleichlichen seelenvollen Ausdruck
im Auge und Angesicht; dabei fiel ihr ein rabenschwarzes Seidenhaar auf
die nackten Schultern bis zu den Knien herab. Ihr Körperbau war äußerst
zart und zierlich. Die andere hingegen hatte, was die Franzosen _la
beauté du diable_ nennen, Jugendfrische, hochrote Wangen und ziemlich
derbe Glieder, war dunkelblond und manipulierte die Schlangen ganz
ungeniert, während die ältere, so lange diese Tiere gezeigt wurden,
sichtbar zitterte und eine Art Fieberschauer hatte, bis sie abtrat. Da
mich die Mädchen, besonders die ältere, sehr angesprochen und
interessiert, so erkundigte ich mich, wo die Leute wohnten, und nachdem
ich erfahren hatte, daß sie bei Günther im Pariser Hof logierten, traf
ich sie nach mehreren vergeblichen Gängen endlich eines Abends sehr spät
in dem allgemeinen Gastsaal, wo die Mutter mit ihren beiden Töchtern
ganz europäisch ein sehr bescheidenes Abendbrot einnahm. Ich ließ mich
mit den Leuten in ein Gespräch ein; sie schienen mir aber verlegen und
ängstlich. Die Kinder sprachen ganz geläufig österreichisches Deutsch,
die Mutter französisch mit dem normännischen Akzent. Während ich mich so
mit ihnen unterhielt und sie schon anfingen, zutraulicher zu werden,
trat plötzlich der Menageriebesitzer Tourniaire in den Saal, worüber sie
gewaltig zu erschrecken schienen und zusammenfuhren. Er ging sogleich
auf den Tisch zu, an dem wir saßen, und sagte zu der Frau: »_Madame, il
est temps d'aller se coucher._« Sie machten auch sofort Anstalt, diesem
Befehl zu gehorchen, und als sie aufbrachen, begleitete sie Tourniaire
bis an die Türe, im Vorübergehen flüsterte mir jedoch das älteste
Mädchen halbleise und mit einem fast flehenden Blick zu: »Mein Herr,
werden wir Sie nicht wiedersehen?« worauf ich, ihr eine gute Nacht
wünschend, ein bejahendes Zeichen zunickte. Den anderen Tag ging ich
gegen Mittag wieder in die Menagerie, wo ich indessen nur das jüngste
Mädchen mit dem bärtigen Mann die Schlangen zeigen sah, und auf mein
Befragen bei der Mutter, die wieder am Eingang saß, erfuhr, daß die
ältere unwohl im Bette hätte bleiben müssen. Ich ließ mich mit der Frau
tiefer in ein Gespräch ein, die mir jetzt mitteilte, daß sie die Witwe
eines österreichischen Hauptmanns namens Peche, sie selbst aber aus der
Gegend von Rouen sei, wo ihr Vater Gutsbesitzer gewesen, aber in der
Revolution alles verloren hätte. Ihr Mann habe kurz vor seinem Tod seine
Stelle verkauft, worauf sie mit den Kindern nach Prag gezogen und
während den Sommermonaten einen Laden mit Modewaren in Karlsbad gehabt,
wo sie aber keine Fortune gemacht. Wie sie mit ihren Kindern an
Tourniaire gekommen, wolle sie mir ein anderes Mal erzählen, da dies zu
umständlich sei. Nur so viel könne sie mir noch mitteilen, daß sie und
die Kinder sich sehr unglücklich fühlten und in einer peinlichen Lage
befänden. Ich bezeigte Teilnahme an ihrem Schicksal und versprach der
Madame Peche, mich ihrer anzunehmen, worauf die Frau freundlich dankend
einging und was sie zu trösten schien.

Noch einige Male besuchte ich die Menagerie, in welcher die hübschen
Schlangenmädchen figurierten, bekam aber die ältere nicht mehr zu sehen,
die, wie mir Madame Peche sagte, jetzt einen solchen Abscheu vor den
Tieren habe, daß, als man ihr die ungeheure Boa das letztemal um den
Hals hängen wollte, sie Konvulsionen bekommen hätte. »Morgen reisen wir
nach Köln ab,« sagte Madame Peche, »wollen Sie Therese« (so hieß das
schöne Mädchen) »noch einmal sehen, so besuchen Sie sie auf ihrem
Zimmer.« Ich ließ mir dies nicht zweimal sagen, eilte zu ihr und fand
sie sehr niedergeschlagen und angegriffen. Ich unterhielt mich ziemlich
lange mit ihr, und sie ergänzte die mir von der Mutter schon gemachten
Mitteilungen, indem sie sagte, daß, nachdem das Karlsbader Geschäft
verunglückte, sie und ihre Schwester ein paar Monate als Choristinnen
bei der Bühne zu Prag gestanden, wo sie Tourniaire auf dem Theater
gesehen, sich nach ihnen erkundigt, und als er erfahren, daß die Mutter
eine Französin sei, derselben unter dem Vorwand der Landsmannschaft
einen Besuch gemacht und, ihre dürftigen Umstände kennen lernend, ihr
endlich den Vorschlag getan habe, daß sie samt den beiden Mädchen ihr
reichliches Brot bei ihm finden sollten, wenn sie sich bequemen würden,
mit ihm zu reisen. Sie habe dann nur die Kontrolle an der Kasse seiner
Menagerie zu führen und die Billette abzunehmen; für die Mädchen werde
er auch sorgen und ihnen eine passende Beschäftigung geben. Madame Peche
hatte diesen Vorschlag sogleich mit Vergnügen angenommen und verkaufte,
was sie noch an Mobilien hatte. Tourniaire gab ihr einiges Geld; sie
folgte ihm wenige Tage nach seiner Abreise von Prag mit ihren Töchtern
und wurde anfänglich sehr gut aufgenommen. Als aber der schon ziemlich
bejahrte grauköpfige Führer der wilden Bestien allzu zärtliche Absichten
auf Therese blicken ließ, die einen wahren Abscheu gegen ihn empfand,
und von ihr verächtlich zurückgewiesen worden war, da zog er andere
Saiten auf. Die Familie, die jetzt ganz in seinen Händen, ohne Schutz
und Hilfe war, Madame Peche hatte zwar noch einen älteren Sohn von
ungefähr achtundzwanzig Jahren, der jedoch ein völliger Taugenichts und
gemeiner österreichischer Soldat war, mußte tun, was er wollte. Madame
Peche wurde Billetteinnehmerin und ihre Töchter mußten als
Pseudo-Zirkassierinnen die Schlangen zeigen. »O Gott, wenn uns nur
jemand aus dieser schrecklichen Lage befreien wollte, auf den Knien
würden wir es ihm danken,« schloß Therese ihren traurigen Bericht.

»Leider hörte ich von Ihrer Mutter, daß Sie morgen schon abreisen
werden,« versetzte ich, »die Zeit ist zu kurz, um bis dahin noch etwas
Entscheidendes unternehmen zu können, aber seien Sie ruhig, liebes Kind,
ich werde Ihnen in wenig Tagen nach Köln folgen und Sie dann aus dieser
Lage befreien.« Mit halb zweifelhaften, halb erkenntlichen Blicken sah
mich das schöne Mädchen an, der ich nochmals versicherte, daß es keine
leeren Worte seien, was ich sage, sie bat, sich vertrauensvoll auf mich
zu verlassen, und ihr versprach, daß sie mich in möglichst kurzer Zeit
wiedersehen werde. Hierdurch getröstet, nahm sie mit Tränen in den Augen
Abschied von mir und nach einem langen Kusse entfernte ich mich.

Da ich im Interesse der von mir redigierten Zeitschrift abermals eine
Rundreise zu machen vorhatte, um Stoff für dieselbe zu sammeln und
einige Korrespondenten zu gewinnen, da die erbärmliche Frankfurter
Zensur alles strich, was auch nur die entfernteste Beziehung auf
Frankfurter Behörden, Verwaltung und die städtischen Zustände überhaupt
haben konnte, so mußte ich wohl das Blatt ganz mit auswärtigen Berichten
zu füllen suchen. Sogar an den Rezensionen über die Frankfurter Bühne
vergriff sich der erbärmliche Rotstift, und erst, nachdem ich dem Zensor
gedroht, daß ich die von ihm gestrichenen Stellen in auswärtigen
Blättern als von ihm gestrichen abdrucken lassen würde, unterließ es der
Jammermann.

Die beabsichtigte Reise konnte ich nicht so schnell, als ich es
gewünscht, unternehmen, da ich als Zeuge in eine polizeiliche Sache
verwickelt war, die meine Gegenwart in Frankfurt erheischte. Bei dem
Hepp-Hepp-Krawall gegen die Juden, der vor mehr als einem Jahr früher
stattgefunden, waren ein paar dieser Kinder Israels, als sie, nach
Offenbach flüchtend, nahe dem Frankfurter Wald vorüberkamen, durch
einige Frankfurter Hauderersknechte derb abgeprügelt worden, und wären
vielleicht auf dem Platz liegen geblieben, wäre ich nicht zufällig
dazugekommen und hätte die Unglücklichen durch Bitten, Drohungen und
Versprechungen aus den Händen der Barbaren befreit. Die Sache wurde erst
jetzt verhandelt und untersucht. Sobald ich aber abgehört war, machte
ich mich auf die Reise und ging zuerst nach Mannheim und Speier.

Als ich ein paar Tage darauf in Bonn ankam, erblickte ich sogleich an
den Straßenecken die Anschlagezettel von Tourniairs Menagerie. Ich eilte
auf der Stelle dahin und fand Therese allein an der Kasse sitzend. Als
sie mich erblickte, sprang sie, freudig in die Hände schlagend, auf und
rief aus: »Ach, so haben Sie doch Wort gehalten, das ist schön von
Ihnen.« Sie erzählte mir nun, daß ihre Mutter krank in Köln sei, wo sich
auch ihre Schwester Toni und Tourniaire in diesem Augenblick befänden,
indem sie alle drei mit dem Wagen umgeworfen worden seien, wobei ihre
Mutter durch die auf sie fallende Geldkiste stark an dem Schienbein
verletzt wurde, in Köln aber die kaum erbaute Menageriehütte
zusammengebrochen wäre, weshalb Tourniaire, bis dort eine neue
gezimmert, die Menagerie einstweilen nach Bonn geschickt. Er selbst sei
den vorhergehenden Tag, ihr die Kasseneinnahme empfehlend, wieder nach
Köln zurückgereist. Dabei klagte sie mir aufs neue bitter ihren Kummer.
»Wohlan,« sagte ich, »wir müssen der Sache schnell ein Ende machen.
Lassen Sie die Kasse Kasse sein und kommen Sie mit mir, eine Promenade
machen. Wo wohnen Sie?« »Im Klotz.« »Gut, so werde ich mich auch
daselbst installieren. Warten Sie noch einen Augenblick, in einer
Viertelstunde bin ich wieder bei Ihnen.« Ich ging nun in den >Goldenen
Klotz<, wo ich zwei Zimmer in Beschlag nahm, und kehrte dann zu Theresen
zurück, mit der ich eine Promenade in den Schloßgarten von Bonn machte,
wo ich das Mädchen überredete, noch heute Tourniaire und seine Menagerie
zu verlassen, ich habe bereits ein anderes Zimmer für sie im Klotz neben
dem meinigen genommen. Sie war es zufrieden, und als wir gegen Abend
heimkehrten, ließ ich ihre Sachen auf das für sie bestimmte Zimmer
bringen. Wir soupierten recht vergnügt und brachten ebenso die halbe
Nacht wachend miteinander zu. Den anderen Morgen machten wir in aller
Frühe eine Partie nach den Ruinen des alten, eine gute Stunde von Bonn
entfernten Godesberg. Als wir in unseren Gasthof zurückkamen, erfuhren
wir, daß Tourniaire schon diesen Morgen von Köln gekommen sei, sogleich
nach seiner Nichte, er gab sich überall für den Oheim der Mädchen aus,
gefragt und in gewaltigen Zorn und große Wut geraten sei, als er gehört,
daß sie schon in aller Frühe mit einem Fremden ausgefahren sei, und dann
auch erfahren, daß sie den Abend vorher mit mir spazieren gegangen und
die Nacht in einem anderen Zimmer als dem ihrigen zugebracht habe. In
diesem Augenblick klopfte es an die Türe und auf mein: »Wer ist's?«
erfolgte ein barsches und rauhes: »_C'est moi._« »_Mais qui êtes-vous?_«
»_Tourniaire._« »_Ah Monsieur Tourniaire, un moment._« Ich steckte meine
Terzerolen auf jeden Fall zu mir, öffnete die Türe, die ich auch
verriegelt hatte, durch welche Tourniaire rasch mit zweien seiner
Bestienwärter eintrat. Auf meine Frage: »_Que désirez-vous, Monsieur?_«
erwiderte er: »_Je veux ma nièce._« »Ihre Nichte? Die kenne ich nicht.
Wer ist diese?« »Mademoiselle Peche.« »Pardon, diese ist nicht Ihre
Nichte.« »_Comment?_« »Ich bin von allem auf das genaueste unterrichtet
und weiß, wie Sie den Peches mitgespielt haben. Mademoiselle Therese hat
sich jetzt unter meinen Schutz begeben, und ich werde sie zu schützen
wissen. Wenn Sie sonst nichts bei mir suchen, so können Sie wieder
gehen.« »Nicht ohne das Mädchen!« »Doch, mein Herr.« »Wo ist sie?«
»Darüber habe ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben.« Tourniaire sah
sich nun allenthalben um und wollte endlich auf die Seitentüre zugehen.
»Zurück!« donnerte ich ihm entgegen, stellte mich vor die Türe und
sagte: »Noch einen Schritt weiter, so knalle ich Ihnen eine Kugel vor
den Kopf!« Hier zeigte ich ihm ein Terzerol. Er prallte jetzt zurück
samt seinen beiden Gehilfen, die sich übrigens sehr passiv verhalten
hatten, rief aber im Abgehen: »Wohlan, ich werde die Polizei zu Hilfe
nehmen.« »Sehr wohl,« schrie ich ihm nach, »Sie sind ihr ohnehin schon
verfallen.« Schimpfend und tobend ging er die Treppe hinab. Ich
verriegelte wieder meine Türe, eilte zu Theresen, die ich halb
ohnmächtig auf dem Bette liegend fand, und suchte sie möglichst zu
beruhigen. Hierauf klingelte ich einem Aufwärter und fragte diesen, was
mit Tourniaire geworden. Er berichtete mir, daß derselbe auf sein Zimmer
gegangen sei und dort gewaltig mit seinen Leuten gewelscht und geflucht
habe. Jetzt sei er wieder ruhiger und wolle das Weitere auf den
kommenden Tag verschieben. Ich begehrte nun meine Rechnung, ließ
Theresens und meine Effekten packen, und bat den Kellner, dem ich zwei
Taler Trinkgeld versprach, mir sogleich eine Extrapost zu bestellen,
diese aber, um Aufsehen und Skandal zu vermeiden, ein paar hundert
Schritte vom Gasthof entfernt zu halten, und so auch die Effekten
fortbringen zu lassen. Dies alles war um so leichter zu bewerkstelligen,
da die Nacht bereits angebrochen war. Als ich Nachricht hatte, daß der
Wagen vorgefahren, eilte ich, die zitternde Therese im Arm, die Treppe
hinab, gab dem Kellner das versprochene Trinkgeld und mehr, und fuhr
nach Köln ab, wo wir noch vor Mitternacht eintrafen und ich mit meiner
schönen Beute bei Merzenich im >Wiener Hof<, den ich schon von früher
kannte, abstieg. Den anderen Morgen brachte ich Therese zu ihrer Mutter,
die mit ihrer Tochter bei Lamberts auf dem Domplatz wohnte. Wir teilten
der Mama, die sehr erfreut war, mich wiederzusehen, alles mit, was
vorgefallen, bis auf einige Nebenumstände, die man besser verschweigt,
und ich sagte ihr, daß sie sich nun völlig als von Tourniaire befreit
ansehen könne und ich für ihre fernere Existenz Sorge tragen wolle. Es
wurde mir großer Dank und die jüngere Schwester, Toni, sagte: »Nicht
wahr, Mama, nun dürfen wir auch nicht mehr das Fleisch mit den wilden
Tieren teilen, die oft die besten Stücke bekamen.«

Ich erkundigte mich nun nach einem tüchtigen Sachwalter. Als ein solcher
wurde mir der Advokat B... empfohlen, den ich von allem gehörig in
Kenntnis setzte, und der mir nicht nur versprach, sich dieser
Angelegenheit mit aller Tätigkeit anzunehmen, sondern meinte, daß
Tourniaire auch noch der Familie eine Entschädigung schuldig sei und
nicht so ungerupft davonkommen dürfe. Er wolle die Klage gegen
Tourniaire damit beginnen, sogleich Arrest auf die ganze Menagerie,
Pferde und Wagen und so weiter desselben legen zu lassen, welches das
beste Mittel sei, ihn zu einem wenigstens leidlichen Vergleich und zur
Losgebung der Peches zu bringen. Tourniaire sperrte sich anfänglich zwar
ganz gewaltig und meinte, er würde sich auf nichts einlassen, und sollte
es ihm seine Löwen, Panther, Tiger, Bären, Affen und Pferde kosten. Ein
paar Tage darauf spannte er jedoch gelindere Saiten auf, denn die Wache
bei der Menagerie und den Pferden genierte ihn gewaltig. Es kam endlich
zu einem Vergleich; er gab Mutter und Töchter frei, und bezahlte die
geringe Summe von hundert Talern als Entschädigung. Als er dieses Geld
an mich auszahlte, sagte er: »Die ganze Rache, die ich an Ihnen nehme,
ist, daß ich Ihnen die Mutter Peche überlasse. Die wird hinlänglich
dafür sorgen, daß Sie für das, was Sie an mir getan, bestraft werden.«
»Dies sei meine Sorge, Herr Tourniaire,« erwiderte ich, strich das Geld
ein und brachte es der Madame Peche, die die Summe sehr klein fand, sich
aber damit beruhigte, daß ich ihr meine noch ziemlich gefüllte Kasse zur
Disposition stellte. Nun hatte ich die ganze Familie auf dem Hals und
mußte darauf denken, was mit ihr anzufangen sei. Therese besaß eine sehr
angenehme und reine, aber etwas schwache Stimme, sang indessen mit
Gefühl und hatte viel Ausdruck im Vortrag. Auch erkannte ich bald, daß
das Mädchen eine nicht unbedeutende Anlage zur Schauspielkunst habe.
Ihre Schwester Toni hingegen hatte fast für nichts anderes Sinn als für
Essen und Trinken; sie schlug in diesem Stück ganz der Mutter nach.
Damals hielt sich in Köln ein junger Breidenstein auf, ein Neffe meines
ehemaligen Lehrers, den ich schon früher in Homburg kennen gelernt,
welcher die Musik zu seinem Brotstudium gemacht und schon mehrere
gediegene Kompositionen geliefert hatte. Diesen bat ich, öfters mit mir
zu Peches zu gehen, wo er uns am Klavier akkompagnierte, und wir des
Abends in dem sehr düster beleuchteten Saal Lamberts kleine Proben von
einzelnen Opernszenen hielten, nach denen wir dann noch nach dem Klavier
tanzten, auch die Polonäse aus Spohrs Faust mit Gesang und Aktion
aufführten. Diese Abendunterhaltungen, zu denen noch ein paar Mädchen
und Freunde Breidensteins kamen, hatten einen ganz besonderen Reiz,
welchen das _Chiaroscuro_ des düsteren Saales noch vermehrte, und auf
Theresens Phantasie und ganzes Wesen eine eigene Wirkung hervorbrachte,
so daß sie die Susanna, Zerline und Kunigunde mit einer mich
entzückenden Vollendung und Hingabe spielte und sang. Daß das reizende
Geschöpf ein eminentes Talent für die Bühne habe, davon war ich jetzt
überzeugt, sowie Breidenstein und andere, welche sie bei diesen
Abendunterhaltungen gesehen hatten. Ebenso waren wir darüber einig, daß
ihre so liebliche Stimme wohl schwerlich je die nötige Kraft erlangen
würde, um in der Oper großes Glück zu machen, daß sie hingegen im
Schauspiel glänzen müsse. Breidenstein schlug mir vor, an Ringelhard,
den er kenne, und der damals mit seiner Gesellschaft im Sommer in Aachen
und im Winter in Köln spielte, schreiben zu wollen, was ich aber
ablehnte, und vorzog, Peches mit nach Mainz zu nehmen, in der Hoffnung,
die Mädchen bei der Frankfurter, Darmstädter oder Mainzer Bühne, also
möglichst in meiner Nähe, placieren zu können. Auch stand ich, wegen der
Geschichte mit der Catalani in Bremen, nicht zum besten mit Ringelhard.
Da ich ohnedies Briefe über Briefe von Frankfurt erhielt, die meine
schleunigste Zurückkunft wegen der Redaktion des belletristischen
Blattes heischten, so traf ich sofort Anstalten zur Abreise und fuhr
über Koblenz nach Mainz. Unterdessen hatte ich schon in Köln, noch mehr
aber auf der Reise Ursache genug gehabt, an Tourniaires Worte zu denken.
Madame Peche benahm sich selbst an den Table d'hôtes fast wie ein
Dragoner, oder doch wie eine Marketenderin, und ließ die stärksten
Weine, gleich einem Cramerschen Ritter, wie Wasser die Gurgel
hinabgleiten. Dabei hatte sie einen so guten Appetit, daß sie ganze
Schüsseln, besonders beim Dessert, auf ihren Teller leerte, und wenn ich
mit Theresen, wie in Koblenz, Ems, Schwalbach und so weiter, romantische
Spaziergänge machte, sie zog es vor, daheim zu bleiben, und entschädigte
sie sich mit Toni einstweilen bei einer guten Flasche Bordeaux und
allerlei Zuspeisen. Dabei blieb es indessen nicht; während unserer
Abwesenheit ließ die Mama Schuhmacher, Modistinnen, Juden und so weiter
durch die Kellner rufen, denen sie allerlei Gegenstände abkaufte.
Hierauf ersuchte sie den Wirt, das Geld bis zu meiner Rückkunft
auszulegen, und ich fand schon in Koblenz auf meiner Rechnung nahe an
fünfzig Taler als bar ausgelegt.




                                 XIII.

    Die Schlangenmädchen zuerst bei der Mainzer, dann bei der Kölner
     Bühne engagiert. -- Der Bruder von ungefähr. -- Aufenthalt in
    Aachen. -- Ich spiele den Don Juan in der Wirklichkeit statt auf
   der Bühne. -- Ringelhards Gesellschaft. -- Aufenthalt in Köln. --
       Polizeidirektor Struensee. -- Trennung von Peches. -- Der
    Schauspieler Wolthers wird im Duell erschossen. -- Agnes F...ch.
       -- Noch ein Rousseau. -- Ich werde demagogischer Umtriebe
       verdächtig gemacht. -- Ich gehe nach Mainz. -- Aufenthalt
     daselbst. -- Ich redigiere eine Mannheimer Zeitschrift. -- Die
     schwarze Kommission. -- Ich werde aus Mainz verbannt und gehe
       nach Mannheim. -- Eine Reise nach Stuttgart. -- Die schöne
    Unbekannte auf der Insel. -- Eine Saison in Baden-Baden. -- Ich
    nehme meinen Aufenthalt in Stuttgart. -- Buchhändler Frankh. --
   Das Theater. -- Eine sehr geheime Intrige. -- Die Stadtpost und ihr
   Redakteur. -- Ich gebe mein erstes historisches Werk heraus. -- Ich
                werde Spießbürger in Frankfurt am Main.


Den Tag nach unserer Ankunft in Kassel fuhr ich allein nach Frankfurt
und versuchte es, durch den Kapellmeister Guhr meinen Schützlingen bei
dem dortigen Theater ein Engagement zu verschaffen. Dies war indessen
unmöglich, da die hohe Oberdirektion samt der untertänigsten
Unterdirektion viel zu feindselig gegen mich gesinnt waren. Einen
ähnlichen Versuch machte ich in Darmstadt, wo sich Grüner zwar sehr
willfährig zeigte, aber Bedingungen vorschlug, in die nicht wohl
einzugehen war. Ich kehrte schon den dritten Tag nach Mainz zurück, wo
mich Peches ängstlich erwarteten. Bald darauf waren beide Mädchen bei
der hiesigen Bühne, welche Cramer und Diehl dirigierten, engagiert,
sollten aber erst ihr Engagement antreten, sobald die Gesellschaft von
Wiesbaden zurückkehrte, wo sie während der Sommermonate spielte. Ich
drang auf sofortige Ausfertigung der Kontrakte, womit mich jedoch Diehl,
ich weiß nicht aus welchem Grunde, hinhielt. Ungefähr sechs Wochen
mochten wir schon in Mainz sein, als eines Morgens der Direktor
Ringelhard mit dem Schauspieler Freund, der mit mir bekannt und damals
in Mainz engagiert war, in mein Zimmer trat. Ringelhard begrüßte mich
freundlich, und nachdem wir von einigen gleichgültigen Dingen
gesprochen, brachte er das Gespräch auf die Peches, indem er sagte, er
habe gehört, daß die ein paar schöne und talentvolle Mädchen seien, die
er wohl einmal sehen möchte. »Wenn Ihnen damit ein Gefallen geschieht,
so kann ich Ihnen dienen,« erwiderte ich, holte beide und stellte sie
ihm vor. Er fand sie allerliebst, ich sang ein Duett mit Theresen, und
er empfahl sich, ganz entzückt von meiner Schülerin. Eine halbe Stunde
darauf kam er allein wieder und sagte eintretend: »Verzeihen Sie, wenn
ich Sie abermals störe, aber sagen Sie mir, ob es nicht möglich ist, daß
ich die Mädchen für meine Bühne engagiere.« »Es ist zu spät, denn sie
sind schon bei dem hiesigen Theater engagiert.« »Ist der Kontrakt
unterzeichnet?« »Das nicht; Herr Diehl zögerte mit der Ausfertigung bis
jetzt, ich weiß nicht warum, aber mündlich ist alles abgemacht.« »Oh, so
lange noch kein Kontrakt unterschrieben ist, hat das nichts zu sagen.
Was hat Diehl Gage versprochen?« »Siebzig Gulden für Therese und dreißig
für Toni monatlich.« »Wohlan, ich gebe das Doppelte.« »Das geht nicht,
Herr Direktor, Therese wird mich nicht verlassen wollen, und ich habe
auch keine Lust, mich von ihr zu trennen.« »So kommen Sie mit, seien Sie
Dramaturg meines Theaters.« »Ich kann nicht, ich bin Redakteur einer
Zeitschrift in Frankfurt.« »Sie können eine andere in Köln redigieren;
die >Colonia< sucht schon längst einen tüchtigen Mann; ich werde die
Sache vermitteln. Wissen Sie was, schenken Sie mir das Vergnügen, heute
Abend bei mir in den >Drei Reichskronen<, wo ich logiere, zu soupieren,
und bringen Sie Peches mit; da wollen wir die Sache weiter besprechen.«
Ich schlug die Einladung aus, bat aber Ringelhard, wenn es ihm Vergnügen
mache, am Abend bei uns zu soupieren, obgleich ich ihm keine Hoffnung
machen könne, daß sein Wunsch erfüllt werde. Als er weg war, erzählte
ich Peches, was er mir mitgeteilt, und als die Mama von der doppelten
Gage hörte, war sie entzückt und gleich für die Sache, indem sie sagte:
»Warum haben die Mainzer Herren die Kontrakte nicht gemacht.«

Der Abend kam heran, Ringelhard mit ihm; wir soupierten, und als wir
alle in der heitersten Laune waren und auch wohl ein Gläschen über den
Durst getrunken hatten, nahm er plötzlich zwei Kontrakte aus der Tasche,
mit den Worten: »Soweit ist alles fertig, ich muß Sie alle bei meiner
Bühne haben, unterschreiben Sie!« Madame Peche und die Mädchen sahen
mich staunend und fragend an, Ringelhard versprach Himmel und Hölle,
tauchte eine Feder in Tinte, reichte sie der Mama hin, indem er zu ihr
sagte: »Frisch unterschrieben, es soll Sie nicht gereuen!« Madame Peche
unterschrieb und Ringelhard warf hundert Taler in Gold auf den Tisch,
indem er sagte: »Hier ist das Reisegeld!«, das Madame Peche auch
sogleich einsteckte. Am anderen Tag begab ich mich zu Cramer und Diehl,
denen ich reinen Wein einschenkte, indem ich damit schloß: »Dies, meine
Herren, haben Sie sich selbst zuzuschreiben.« Beide wurden nun
aufgebracht und meinten, die Mädchen seien dennoch bei ihnen engagiert,
mündlich oder schriftlich, das sei gleichviel, und sie würden schon
Mittel finden, sie an der Abreise zu hindern. »Wenn Sie glauben, dies
imstande zu sein, woran ich aber sehr zweifle, so versuchen Sie es,«
sagte ich, mich entfernend. Wirklich wurde der Madame Peche, als ich den
anderen Morgen in deren Namen auf die Polizei schickte, um ihren
daselbst hinterlegten Paß zu verlangen, derselbe verweigert, und zwar
auf Antrag der Theaterdirektion. Ich ging nun selbst auf die Polizei, wo
ich, dem Polizeikommissar Mela die Sache gehörig auseinandersetzend,
abermals den Paß verlangte. Da er mir denselben nicht geben wollte, so
verließ ich ihn mit den Worten: »Wohlan, wenn wir den Paß, gehörig
visiert, bis heute Abend nicht erhalten, so reise ich mit Peches morgen
früh ohne Paß ab, und werde dann dafür Sorge tragen, daß diese
Geschichte in öffentlichen Blättern zur Kenntnis des Publikums kommt.«
Damit empfahl ich mich, und um vier Uhr nachmittags war der wohlvisierte
Paß in unseren Händen. Den anderen Morgen befanden wir uns in einer
offenen Kalesche, mit vier Postpferden bespannt, auf dem Wege nach
Aachen.

Auf der zweiten Station dahin kam plötzlich ein Mensch, der völlig das
Ansehen eines zerlumpten Vagabunden, aufgerissene Stiefel, ein
Bündelchen auf dem Rücken, eine schäbige Mütze und offene Ellenbogen
hatte, an den Wagen gerannt und schrie: »Mama! Mama!« Ich glaubte, der
Kerl sei ein Narr, aber Madame Peche rief aus: »_Ah mon Dieu, mon
fils!_« und Toni: »Der Bruder!« und Therese erschrocken: »Aber wie kommt
der hierher?« Ich war wie aus den Wolken gefallen, diesen Herrn Sohn und
Bruder zu erblicken, der ebenfalls wie aus den Wolken herabgeschneit
schien. Aber was war da zu machen? Wir mußten stillhalten und der
achtundzwanzigjährige Knabe setzte sich neben den Postillon auf den Bock
und erzählte, daß er schon über vier Wochen am ganzen Rhein die Kreuz
und die Quere umherirre, seine teuren Verwandten aufzusuchen, aber bis
jetzt, wo ihm der Zufall dieselben auf der Landstraße begegnen lasse,
sei seine Mühe vergeblich gewesen. Wir fuhren nun mit dieser höchst
unwillkommenen Zugabe, der ich von meiner Garderobe mehreres mitteilte,
um sie wenigstens etwas reputierlicher aussehen zu machen, weiter, in
Koblenz und Köln übernachtend, nach Aachen, wo wir wohlbehalten
eintrafen und Ringelhard schon für Wohnungen für uns gesorgt hatte. Auch
ihm schien die brüderliche Zugabe, die außerdem so hölzern war, daß sie
kaum zu einem Statisten zu gebrauchen, höchst unerwünscht. Der Mensch
war ein echter böhmischer Stocksoldat, steif wie ein ausgestopfter
Strohmann, und dem Kalbfell entlaufen, die Mama aufzusuchen. Indessen
war er nun einmal da, und wollte doch auch leben, das heißt essen und
trinken.

In Aachen war es noch sehr lebhaft durch die zahlreichen Badegäste, und
wir machten häufige Spaziergänge nach Burtscheid und anderen Umgebungen.
Ringelhard hatte Theresen mit mir das Duettino: >Reich' mir die Hand,
mein Leben,< singen hören und ihr die Partie der Zerline zum
Einstudieren geschickt. Da aber für den Augenblick kein Sänger bei
seiner Gesellschaft war, der den Don Juan geben konnte, so fragte er
mich, ob ich nicht aus Gefälligkeit für ihn und Therese diese Partie
übernehmen wolle, und da mich auch Therese auf das inständigste bat, so
willigte ich ein. Schon war der Tag der Aufführung bestimmt, und es
sollte eine der letzten Vorstellungen auf der Aachener Bühne sein, da
trat eines Morgens der Schauspieler Wolthers in mein Zimmer und sagte
nach den gewöhnlichen Begrüßungen: »Wenn Sie es nicht übelnehmen, so
will ich Ihnen einen guten Rat erteilen. Treten Sie in Aachen nicht auf
die Bühne.« »Und warum?« »Weil Sie, wenn Sie auch wie ein Gott spielten,
dennoch ausgezischt würden. Es hat sich eine furchtbare Kabale unter den
hiesigen Einwohnern gegen Sie gebildet. Man weiß, daß Sie einen ominösen
Artikel in eine Frankfurter Zeitung gegen die Aachener eingeschickt
haben, und das will man Ihnen wettmachen.« »Gut, wenn dem so ist, so
werden die Aachener den Don Juan nicht auf der Bühne sehen und die Sache
ist abgemacht.« Ich ging nun zu Ringelhard, teilte ihm mit, was mir
Wolthers gesagt, und er war jetzt auch meiner Meinung, um so mehr, da
auch er schon etwas von diesen Intrigen vernommen hatte. Dagegen machte
ich, solange wir noch in Aachen verweilten, einigen hübschen Aachener
Damen recht emsig und nicht ohne glücklichen Erfolg den Hof, und bewies
deren Männern, daß man besser daran getan hätte, mich den Don Juan auf
der Bühne als außerhalb derselben spielen zu lassen. Bald darauf wurde
das Theater zu Aachen geschlossen, und wir reisten samt und sonders nach
Köln ab, eine recht lustige, wenn auch ein wenig zigeunerartige Fahrt,
jedoch in sehr bequemen Kutschen. Ich hatte indessen einen besonderen
Wagen für Peches und mich bestellt, und der Herr Bruder mußte wieder
seinen Platz auf dem Bock einnehmen.

In Köln bezog ich wieder eine Wohnung mit Peches, bei einer Madame
F...ch, der Witwe eines verstorbenen Beamten, die zwei recht artige
Töchter, Agnes und Mimi geheißen, besaß. Ich hatte indessen mein eigenes
Schlaf- und Arbeitszimmer, auf welchem ich Theresen fortwährend
Unterricht erteilte und Rollen einstudierte. Zum erstenmal trat sie in
Köln in der Rolle des Benjamin in Mehüls >Joseph in Egypten< auf, die
ich ihr einstudiert hatte, und in der sie durch ihr kindlich-gemütvolles
Spiel wie durch ihre liebliche Stimme außerordentlich gefiel. Doch mußte
sie sich von der Oper bald ganz zurückziehen und allein nur dem
Schauspiel widmen, da es ihr an hinlänglicher Kraft im Gesang gebrach,
besonders, um in Ensemblestücken durchgreifen zu können. Ich hatte
unterdessen wirklich die Redaktion einer Kölner Zeitschrift übernommen,
welche den Titel >Der Verkündiger< führte. Da ich mich aber mit dem
Eigentümer derselben nicht gehörig verständigen konnte, so trat ich bald
darauf wieder von derselben ab, um eine andere, und zwar bedeutendere,
die >Colonia<, zu redigieren. Auch hier hatte ich manchen Strauß mit der
Zensur zu bestehen, die unter dem Einfluß eines gewissen Struensee, der
damals Polizeidirektor in Köln war, stand. Dieser Mensch war eine höchst
auffallende polizeiliche Karikatur und von sehr beschränktem Verstand.
Die Kölner, die sich fortwährend über ihn lustig machten, hatten ihm den
Spottnamen >Spornsee< gegeben, weil er stets fingerlange Kürassiersporen
trug, ohne je ein Pferd zu besteigen. Dadurch, daß ich auch hier der
Zensur zu verstehen gab, wenn sie ihren Rotstift nicht in gehörigen
Schranken halte, ich die gestrichenen Artikel in auswärtigen Blättern
und namentlich auch in Parisern wiederbringen würde, ließ man mir vieles
durchgehen. Aber Struensee hatte mir deshalb heimliche Rache geschworen
und suchte, diese, wie wir bald sehen werden, auf eine sehr
nichtswürdige Weise zu befriedigen.

Unterdessen war ich näher mit der Familie meiner Hauswirtin bekannt
geworden und brachte manchen Nachmittag und Abend in ihrer Gesellschaft
zu, was Peches nicht sehr angenehm war. Aber der Umgang mit diesen,
namentlich der Mama und dem Bruder, wurde mir täglich mehr zuwider, so
daß ich, ich hatte den Tisch bei ihnen genommen, fast immer auswärts
speiste, um den unangenehmen Szenen, die meistens bei dem Essen
stattfanden, zu entgehen. Die Anforderungen der Madame Peche an mich,
besonders das Muttersöhnchen betreffend, nahmen kein Ende, und ich
befand mich damals nicht in so glänzenden finanziellen Verhältnissen,
diese nach dem Wunsch der alten Dame befriedigen zu können. Eines Tages
kam Madame Peche mit ihrem Herrn Sohn, der stark nach Branntwein roch,
auf mein Zimmer und verlangten wieder fünfzig Taler unter allerlei
Vorwand von mir, die ich diesmal verweigerte und verweigern mußte,
wollte ich mich nicht fast ganz entblößen. Jetzt wurden Mutter und Sohn
impertinent und endlich so grob, daß ich gezwungen war, beide zur Tür
hinauszuwerfen, wobei ich dem letzteren noch ein paar Fuchtelhiebe mit
auf den Weg gab. Nun war der schon lange drohende Bruch eingetreten und
eine Trennung unvermeidlich. Therese kam zwar auf mein Zimmer, weinte
und bat, ich blieb jedoch standhaft und unerbittlich, obgleich es mir
leid tat, mich von dem lieblichen und talentvollen Mädchen zu trennen,
das schlechterdings bei mir bleiben wollte. Vielleicht würde ich dies
auch eingegangen sein, wenn ich nicht gefürchtet hätte, dann dennoch
immer die Mama und das Söhnchen auf dem Hals zu haben. Anderseits muß
ich gestehen, daß ich auch die nötige Kraft zu dieser Trennung in einem
sich eben entspinnenden Verhältnis mit der sehr feingebildeten Tochter
des Hauses, der hübschen Agnes F...ch, fand. Genug, ich brachte es
dahin, daß Madame F...ch die Wohnung aufkündigte. Einige Tage darauf
zogen Peches aus, und statt ihrer die sehr achtbare Künstlerfamilie
Lortzing in ihre Wohnung. Therese sah ich jetzt nur noch bei den
Theaterproben, wo ich indessen nicht aufhörte, ihr mit Rat und Tat bei
ihrer künstlerischen Ausbildung beizustehen.

Etwa sechs Wochen, nachdem ich mich von Peches getrennt hatte, wurde
Therese die Veranlassung zu einer sehr tragischen Begebenheit. Der
Schauspieler Kunst hatte eine Abendgesellschaft gegeben, zu welcher er
das ganze Personal der Ringelhardschen Gesellschaft und mehrere andere
Personen, auch vom Militär, eingeladen hatte. Nach der Beendigung
derselben kam es zu einem Wortwechsel zwischen dem Schauspieler Wolthers
und einem Portepeefähnrich des in Deutz liegenden Dragonerregiments.
Beide machten Anspruch, Therese nach Hause begleiten zu dürfen,
behauptend, zuerst den Antrag gemacht zu haben. Der dieserhalb
stattfindende Wortwechsel hatte eine förmliche Herausforderung zur
Folge, und den anderen Morgen fand ein Pistolenduell statt, in welchem
der Fähnrich den Schauspieler Wolthers erschoß. Dieser, ein hübscher
junger Mann, war in der Blüte seines Alters, kaum zählte er
sechsundzwanzig Jahre, und gehörte einer sehr guten schlesischen adligen
Familie an. Sein wirklicher Name war Julius von Dobrowolsky. Auch der
Fähnrich war aus einer der besten Familien Aachens und mußte flüchtig
werden. Er schiffte sich nach Amerika ein. Diese unangenehme Geschichte
machte Theresen, obgleich sie nur die sehr unschuldige Ursache derselben
war, doch viele Feinde in Köln und namentlich unter dem weiblichen
Theaterpersonal, wo der Neid sich schon zu regen begann.

Mein Verhältnis mit der schönen Agnes wurde unterdessen immer inniger,
aber auch bald getrübt. Die Mutter, gegen deren Reize, trotz manchen
indirekten Anlockungen, ich völlig gleichgültig geblieben war, ahnte
bald etwas von unserem Einverständnis und bewachte das Mädchen gleich
einem Zauberdrachen, so daß es mir ganz unmöglich war, sie auch nur
einen Augenblick allein in dem Haus zu sprechen. Wir korrespondierten
durch die Vermittlung einer von mir bestochenen Magd und gaben uns nun
Rendezvous in dem nahen Dom, bis ich ein Haus ausfindig gemacht hatte,
das in einem sehr entlegenen Teil der Stadt, zwischen öden Mauern und
Krautfeldern lag, wo wir uns ungestört sprechen konnten.

Madame F...ch, die indessen des ewigen Aufpassens müde war und einmal
gesehen, wie ich ihre Tochter, ihr auf der Treppe begegnend, geküßt
hatte, kündigte mir nicht nur den Tisch, sondern auch die Wohnung auf,
und drohte mir, als ich erklärte, nicht ausziehen zu wollen, mit dem
Polizeikommissar. Da mir nun daran gelegen war, das Haus nicht zu
verlassen, so stellte ich mich, mit Agnes einverstanden, als suche ich
eine andere Wohnung, ließ aber die meinige, damit sie Madame F...ch
nicht vermieten möge, durch den Theaterdiener Blum[5] angeblich für
einen Schauspieler, der in vier Wochen ankomme, mieten. Als der zum
Ausziehen bestimmte Termin bis auf wenige Tage herangekommen war, kam
Blum mit einer verdrießlichen Miene zu Madame F...ch und kündigte
derselben an, daß der erwartete Schauspieler krank geworden sei und
schwerlich vor sechs Wochen eintreffen würde. Die Dame war sehr
ärgerlich deshalb, und ich ging jetzt zu ihr und sagte: da ich
vernommen, daß der neue Mieter vorerst noch nicht kommen werde, so bäte
ich sie, mich noch so lange zu behalten, da ich ohnehin noch kein
passendes Quartier für mich habe ausfindig machen können. Da Madame
F...ch immer mit ihren Finanzen brouilliert war und mit ihrer Pension
nicht auskam, so verstand sie sich auch gerne dazu, und ich bezahlte
sogleich sechs Wochen antizipando. Ja noch mehr, da ich ihr fast zu
allen Vorstellungen Logenbillette schickte, die mich nichts kosteten, so
war sie wieder recht artig und bot mir von selbst wieder ihren Tisch an,
den ich auch sogleich akzeptierte.

Damals gab ein gewisser Rousseau eine Zeitschrift unter dem Titel
>Colonia-Agrippina< heraus, und da er ein großer Verteidiger und
Verehrer der Jesuitenpartei war, durch die er eine Karriere und sein
Glück zu machen hoffte, so wurde er durch diese sehr unterstützt und in
Schutz genommen. Da er auch Theaterkritiken über die Kölner Bühne
schrieb und sich in denselben arge Blößen gab, so nahm ich ihn in meinen
Antikritiken öfters stark mit. Seine Schützlinge machten sich dieserhalb
an Struensee und muteten diesem zu, meine Antikritiken streichen zu
lassen. Dieser aber gab ihnen in seiner Einfalt zur Antwort: »Das lasse
ich wohl bleiben, dann wäre Fröhlich imstande, gegen mich selbst zu
schreiben. Lieber soll er den Rousseau heruntermachen.« Dieser ergriff
endlich das Mittel, mir in Gesellschaft des Dichters Schier einen Besuch
zu machen, um mich zu fragen, was er mir denn getan habe, daß ich ihn so
vor dem Publikum hinstelle. »Mein Gott, ich habe gar nichts gegen Ihre
Person; es sind nur allein Ihre mehr als lächerlichen Kritiken, die ich
beleuchte. Sie können mir nicht eine Stelle aufweisen, in der ich
persönlich geworden wäre.« Er fuhr noch fort, sich in einem sehr
weinerlichen Ton gegen mich auszulassen, worauf ich, um ihn loszuwerden,
endlich zu ihm sagte: »Mein Gott, wenden Sie sich an die Zensur, die
kann ja streichen, was ihr beliebt.« »Das haben wir schon getan,«
platzte er heraus, indem er mir die oben angeführten Worte Struensees
rapportierte. Kaum konnte ich es verhüten, nicht in ein lautes Lachen
auszubrechen.

[Fußnote 5: Robert Blum! -- Der Setzer.]

Struensee, der mich fürchtete und dem ich deshalb ein Dorn im Auge war,
hatte mir Rache geschworen und suchte sie auf folgende Weise auszuüben.
Damals war die Demagogenriecherei in Deutschland in vollem Gang. Er
berichtete nun an das preußische Ministerium, daß ich mich in Köln
befände und er mich stark im Verdacht habe, mit den Häuptern der
Umwälzungspartei in geheimen Verbindungen zu stehen. In der Tat waren
mir schon einige Male Anträge gemacht worden, mich an solche mysteriöse
Gesellschaften anzuschließen, die ich aber jedesmal sehr bestimmt
zurückgewiesen hatte, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich
mich nicht zum Instrument mir unbekannter Personen hergeben und zur
Maschine herabwürdigen lassen wollte.

Indessen wurde ich von dem sauberen Bericht, den der Polizeidirektor
Struensee hinsichtlich meiner an das preußische Ministerium eingesandt
hatte, bei Zeiten durch einen bei der Polizei zu Köln angestellten
Beamten, der früher in französischen Militärdiensten gestanden, gehörig
unterrichtet. Dieser brave Mann hatte mir auch versichert, daß er mich
sogleich, wenn die Antwort von Berlin käme, von deren Inhalt, und zwar
ehe ihn noch Struensee erfahre, da er die Depeschen zuerst durchgehe, in
Kenntnis setzen wolle; ich könne also deshalb ganz ruhig sein. In der
Tat berichtete er mir zehn bis zwölf Tage später, daß das Ministerium
den Präsidenten beauftragt habe, sich einige schriftliche Beweise, die
seinen Verdacht besser begründeten, zu verschaffen, und wenn er diese
habe, meine Papiere in Beschlag zu nehmen, mich dann, wenn solche
gegründete Veranlassung dazu gäben, verhaften und nach Umständen wohl
eskortiert nach Berlin bringen zu lassen. Als ich dies erfahren, packte
ich alle meine Schriften, obgleich unter ihnen auch keine Zeile war, die
einen solchen Verdacht im mindesten hätte rechtfertigen können,
zusammen, da ich nicht wußte, wie weit Struensee gehen würde, und ich
nicht gerne haben mochte, daß eine hohe Polizei die Nase in meine Briefe
und Papiere stecken sollte, wodurch sehr viel Personen, namentlich
Damen, und unter ihnen auch manche schöne Kölnerin und Berlinerin,
hätten kompromittiert werden können. Den ganzen großen Pack gab ich wohl
verwahrt einstweilen Agnesen in sichere Verwahrung, die ihn ihrerseits
wieder an eine Freundin gab, weil wir uns nicht sicher vor einer
Haussuchung hielten und mein Verhältnis mit dem Mädchen dank der Mutter
ziemlich bekannt geworden war.

Unterdessen hatte Ringelhard beschlossen, während der Fastenzeit mit
seiner Gesellschaft nach Bonn zu gehen und, da mir die Redaktion der
>Colonia< viel zu wenig abwarf, ich auch durch noch andere literarische
Arbeiten in Köln (ich war Mitarbeiter des von Spitz herausgegebenen
rheinischen Konversationslexikons) nicht hinreichenden Verdienst hatte,
und mich die Struenseeschen Intrigen doch auch beunruhigten, so beschloß
ich, Köln zu verlassen und vorerst nach Mainz zu gehen. Diesen Entschluß
führte ich aus, bevor noch eine ministerielle Antwort auf einen zweiten
Bericht Struensees von Berlin gekommen war.

Die Unternehmer des rheinischen Konversationslexikons, unter denen ein
sehr vermögender Kaufmann war, baten mich vor meiner Abreise, das Werk
so viel als möglich in deutschen Zeitungen günstig zu rezensieren und zu
empfehlen, und versprachen mir für meine Mühe ein gutes Honorar. Ich
verließ nun das alte Köln, in dem ich manche angenehme Erinnerung
zurückließ, und fuhr ziemlich leichten Herzens nach Mainz, wo ich
diesmal im >Pariser Hof< bei Arnold abstieg, der ein allerliebstes
Töchterchen hatte. Bald darauf machte ich eine kleine Reise, um, wie ich
es versprochen, in verschiedenen Zeitschriften für das rheinische
Konversationslexikon günstige Artikel einrücken zu lassen, und hierdurch
wurde ich in Mannheim mit dem Eigentümer der dortigen Zeitung, einem
Herrn C..., der früher Kaufmann gewesen, aber als solcher verunglückt
war, bekannt. Dieser bot mir die Redaktion eines belletristischen
Blattes an, welches er, um seiner politischen Zeitung mehr Aufnahme zu
verschaffen, herauszugeben willens war. Ich wurde bald einig mit ihm,
blieb aber vorerst noch in Mainz wohnen, wo mich einige, erst kürzlich
gemachte interessante Bekanntschaften von Damen fesselten, unter denen
namentlich die Frau eines Hauptmanns, ein sehr lebhaftes, schönes, erst
siebzehnjähriges Weibchen, das diesen Mann fast wider ihren Willen und
nur auf Zureden ihrer Verwandten geheiratet hatte. Außerdem war mir
Mainz von jeher ein gar lieber Aufenthalt gewesen, da seine freisinnigen
und liebenswürdigen Bewohner ein heiteres, munteres und gastfreies
Völkchen sind. An der Table d'hôte im >Pariser Hof<, an der ich speiste,
und wohin selten einige Fremde kamen, war eine tägliche
Tischgesellschaft, die, so seltsam sie auch zusammengesetzt, doch
äußerst unterhaltend war. Sie bestand aus dem Präsidenten der
Untersuchungskommission der demagogischen Umtriebe (der sogenannten
schwarzen Kommission), Herrn von Keisenberg, einem sehr wissenschaftlich
gebildeten, humanen und unterrichteten Mann, der in seiner äußerst
schwierigen Stellung viel Gutes wirkte, manches Böse verhütete, und
durchaus unparteiisch war; einem preußischen Auditor, gleichfalls einem
vorzüglichen Kopf und trefflichem Charakter; Eikmeier, einem Sohn des
bekannten Generals dieses Namens, eigentlich des letzten Kurfürsten von
Mainz, dem er auch frappant ähnlich sah, einem sehr jovialen
Gesellschafter und hellen vorurteilsfreien Kopf; einem Hofrat Krieger,
altem Hagestolz, sehr reich und ebenso filzig; einem gewissen Amtmann,
_mauvais sujet_; zwei österreichischen Offizieren, Oberst B... und
Oberstleutnant P..., von dem damals in Mainz garnisonierenden Regiment
Langenau, einem Paar höchst bornierter Köpfe und großer Ignoranten,
dabei aber so furchtbaren Fressern, daß jeder Gastwirt erschrak, an
dessen Table d'hôte sie sich einfanden.

Ich redigierte den Mannheimer >Phönix< fortwährend von Mainz aus und
ließ ihm so reichliches und gewürztes Futter zukommen, daß der seltene
Vogel bald in Frankfurt, Mainz, Darmstadt, Köln und am ganzen Rhein
heimisch wurde, und, da er sehr oft sehr satirisch war, nicht wenig
Aufsehen machte; manchmal aber auch ganz falsch verstanden wurde und ihm
dann großes Unrecht geschah. Folgendes war eines der komischsten
Mißverständnisse, das viel zu lachen gab. In Mannheim hatte der
Stadtdirektor die Wegnahme der Laternenpfähle befohlen, da künftig die
Laternen an quer über die Straße laufende Eisenketten gehängt werden
sollten. Nun hatte ein Mannheimer Einwohner der Redaktion einen Aufsatz
eingesandt, der überschrieben war: >Die verabschiedeten
Laternenpfosten.< Dieser Aufsatz, behaupteten viele österreichische
Offiziere, sei eine malitöse, auf sie gemünzte Satire, und blieben
dabei, was ihnen auch die Preußen und andere vernünftige Leute dagegen
sagen mochten. Sie beruhigten sich nicht eher, als bis sie von Mannheim
aus erfahren hatten, daß man daselbst wirklich die Laternenpfosten
weggenommen und durch Ketten ersetzt habe!

An unserem Tisch unterhielt ich mich hauptsächlich viel mit dem
Präsidenten von Keisenberg, dem es Vergnügen machte, mich über Italien,
Frankreich, Spanien und die Jonischen Inseln auszufragen. Dagegen erfuhr
ich manches von ihm, das zu meinem Kram paßte, und ich zu Artikeln in
Pariser Journalen benutzte, für die ich noch immer ununterbrochen
arbeitete. Herr von Keisenberg las diese und äußerte mehrmals bei
Tische, er möchte wohl den Einsender derselben kennen, wobei er einen
forschenden Seitenblick auf mich warf. Da sie indessen nichts weniger
als revolutionär geschrieben waren, sondern nur eine leidenschaftslose
Beurteilung der damaligen deutschen Zustände enthielten, sogar die
Umtriebe der im Finstern schleichenden Hetzer und die Einfalt der guten
Studenten, die sich zu deren Werkzeugen hergaben, öfters gegeißelt
wurden, so las sie auch Herr von Keisenberg mit Befriedigung, und daß er
mich für den Verfasser hielt, ging aus mancher seiner Äußerungen hervor.
Dies kam mir sehr zustatten, denn nach einem Aufenthalt von mehreren
Monaten in Mainz hatte Struensee in Köln herausgebracht, wo ich mich
befand, und daher nichts Eiligeres zu tun, als einen Bericht
hinsichtlich meiner, in welchem er mich abermals als der demagogischen
Umtriebe verdächtig bezeichnete, an die Mainzer Untersuchungskommission,
nebst den Verfügungen des preußischen Ministeriums einzuschicken. Herr
von Keisenberg, der Struensee schon kannte, hatte dessen Albernheit
hinsichtlich meiner gehörig zurechtgewiesen und dem Ministerium die
völlig unbegründete Anklage Struensees dargetan.

Zu meinem großen Leidwesen mußte ich indessen Mainz plötzlich verlassen,
woran folgender Vorfall Ursache war. Im Theater besuchte ich gewöhnlich
eine Loge, die dicht neben der war, welche die österreichischen
Stabsoffiziere gemietet hatten und mit ihren Frauen einnahmen. Ein Major
W... hatte eine noch sehr junge Frau geheiratet, die Tochter eines
österreichischen Artilleriehauptmanns, mit der ich bisweilen ein paar
Worte in der Loge wechselte, aber auch nicht die mindeste Absicht auf
die Dame hatte, da sie durchaus nichts besaß, was mich hätte anziehen
können, und unsere Unterhaltung beschränkte sich auf ganz gleichgültige
Dinge; sie war auch, dank der geistigen Beschränktheit der Madame W...,
sehr einsilbig. Dennoch sah es der Major ungern, wenn ich mit seiner
Frau sprach, was meistens in seiner Abwesenheit geschah, da er öfters
durch den Dienst abgehalten, viel später als dieselbe kam. Eines Abends,
als dies wieder der Fall war, trat er gerade in die Loge, als mich seine
Frau um Erklärung einer Szene fragte, die sie nicht begriffen hatte.
W...s Gesicht schwoll hochrot an, und zornglühend sagte er so laut, daß
es das ganze Publikum hörte, zu seiner Ehehälfte: »Du setzt dich gleich
hier herüber!« (auf die andere Seite der Loge), worauf mehrere Stimmen
von den Galerien ein »Bravo, Herr Major!« erschallen ließen und das
ganze Publikum lachte. Als ich nun im Zwischenakt die Loge verließ,
begegnete mir W... auf dem Korridor und sagte: »Herr Fröhlich, wenn Sie
noch einmal in Ihrer Loge ausspeien, so schicke ich Ihnen sechs
Korporale auf das Zimmer!« »Sie haben wohl ein Glas über den Durst
getrunken?« antwortete ich ihm, »schlafen Sie Ihren Rausch aus, morgen
sollen Sie mehr von mir hören!« Hierauf drehte ich dem Major den Rücken
und ließ ihn ganz verblüfft stehen. Den anderen Morgen schickte ich ihm
ein Schreiben, worin ich ihn um Erklärung der an mich gerichteten Worte
bat; da ich aber keine Antwort erhielt, sandte ich ihm eine förmliche
Herausforderung zu, und als auch diese ebenso erfolglos war, ließ ich in
dem >Phönix< abdrucken, daß ich den gewaltigen Helden W... samt seinen
sechs Korporalen in meiner Wohnung erwarte, und sie nach Verdienst zu
empfangen bereit sei. Die Sache hatte bereits viel Aufsehen gemacht und
war in der Stadt herum. Die preußischen Offiziere äußerten sich
öffentlich, daß ein solches Benehmen eines Stabsoffiziers unter ihnen
nie geduldet würde, und so weiter. Dagegen hatte sich ein
österreichischer Artillerieleutnant namens Schneider geäußert: »W...
solle nicht so viel Umstände machen und mich bei der nächsten besten
österreichischen Wache, an der ich vorüberginge, festnehmen, in die
Wachtstube schleppen und gehörig durchhauen lassen.« Alles dies gab nun
zu Reibereien unter der Garnison Veranlassung, und eines Morgens wurde
ich auf das Polizeiamt zitiert, wo man mir sehr artig und mit sichtbarer
und schonender Teilnahme eröffnete, daß ich auf Befehl des hohen
Festungsgouvernements die Stadt und Festung Mainz binnen vierundzwanzig
Stunden verlassen müsse. Ich wollte zwar dagegen Einwendungen machen,
ging auch deshalb zu dem Herrn Regierungspräsidenten von Lichtenberg,
der mich mit der äußersten Artigkeit aufnahm und mir sein Bedauern
ausdrückte, in dieser Sache nichts für mich tun zu können, da das
Festungsgouvernement das Recht habe, jeden Fremden aus der Stadt zu
weisen, ohne irgendeine Rechenschaft deshalb geben zu müssen.
Ebensowenig half es mir, daß ich mich an den Gouverneur, den preußischen
General von Carlowitz, selbst wandte, der mir antwortete, er habe die
Ausweisung mehr in meinem eigenen Interesse anordnen müssen, da bei
meinem längeren Weilen dahier meine persönliche Sicherheit leicht
gefährdet werden könne, denn die österreichischen Offiziere der Garnison
seien zum Teil sehr rohe Subjekte, und so weiter. Genug, es blieb bei
der Verbannung und ich mußte mich darein fügen, bat mir jedoch dreimal
vierundzwanzig Stunden aus, um meine Sachen zu ordnen, die mir auch
bewilligt wurden, und fuhr dann, von allen meinen Bekannten, die mir das
Geleite gaben, in sechs Wagen begleitet, nach Mannheim, wo man mich
schon längst erwartete.

Als ich mit meinen Freunden in Oppenheim ankam, wo man ein Mittagessen
im >Wilden Mann< für uns bestellt hatte, fanden wir daselbst meinen
jämmerlichen Gegner, den Major W..., der nebst seiner Frau, seinen
Schwiegervater, der in eine andere Garnison versetzt worden war, bis
hierher begleitet hatte. Als uns diese guten Leute ankommen und
aussteigen sahen, ließen sie sich schnell ein Zimmer im oberen Stock des
Hauses geben, und niemand von ihnen verließ mehr die Stube oder ließ
sich nur am Fenster blicken, bis wir weg waren. Indessen hatte der
Artikel im >Phönix< über meine Verbannung in Mainz großes Aufsehen
erregt, und acht Tage nach meiner Ankunft wurde C... zum Stadtdirektor
in Mannheim gerufen und diesem eröffnet, daß er Befehl erhalten habe,
mich unter polizeiliche Aufsicht zu stellen, damit, im Fall es für nötig
erachtet würde, man meiner sogleich habhaft werden könne. Den Grund
dieses Befehls, der ihm von Karlsruhe zugekommen, wußte er nicht. C...,
der von allem unterrichtet war, teilte ihm denselben mit, und der
Stadtdirektor sagte zu ihm: »So raten Sie dem Herrn Fröhlich, in der
Rheinschanze in einem Wirtshaus zu logieren; diese ist bayrisch, und
dann geht mich die Sache nichts weiter an.« Ich befolgte diesen Rat; da
ich indessen daselbst kein ordentliches und reinliches Zimmer erhalten
konnte, so mietete ich mir ein solches in dem nahen Frankenthal, von wo
ich alle Morgen nach Mannheim ging und den Tag über daselbst zubrachte.
Indessen sollte ich bald darauf über alle Erwartung glänzend, wenigstens
an dem Urheber meiner Verbannung, gerächt werden, dessen Position nach
all dem Vorgefallenen in Mainz durchaus nicht mehr haltbar war; selbst
die Gassenjungen spotteten seiner. General Menzdorf trug nun in Wien auf
seine Versetzung an und begründete diesen Antrag gehörig. W... wurde
eines Morgens mit der Order, daß er in eine kleine polnische Stadt
versetzt sei, sehr unangenehm überrascht und mußte bald nach mir Mainz
verlassen, schwur aber, daß er sich wegen dieser himmelschreienden
Ungerechtigkeit an den Kaiser selbst wenden würde. Indessen hatte er auf
der Reise nach seiner neuen Garnison das Unglück, umgeworfen zu werden
und sogar ein Bein zu brechen, und wenige Tage nach seiner Ankunft brach
ein Feuer in dem von ihm bewohnten Häuschen aus, so daß er nur mit
genauer Not dem Verbrennen entging und fast all sein bißchen Habe
verlor. Es schien, als habe das Schicksal selbst es übernommen, mich
recht eklatant zu rächen.

In Mannheim wurde indessen auf Verwendung des königlich preußischen
Gesandten, Herrn von Otterstädt, der mit mehreren meiner Verwandten
bekannt war, der Befehl der polizeilichen Aufsicht nach ein paar Wochen
wieder aufgehoben und ich wohnte nun ungestört bei C... Hier setzte ich
mein Leben fort, wie ich es in Mainz und allenthalben verlassen hatte.
Bald hatte ich viele Bekannte und fast noch mehr gute Freundinnen unter
den schönen Mannheimerinnen, denen zuliebe ich die Mainzerinnen bald
vergaß. Die verwitwete Großherzogin Stephanie, Napoleons adoptierte und
die wirkliche Tochter des Senators Beauharnais, einem Verwandten der
Kaiserin Josephine, eine sehr schöne und liebenswürdige Frau, von der
man behauptete, daß sie Napoleon noch etwas mehr als bloße
Adoptivtochter gewesen sei, lebte in Mannheim sehr eingezogen in dem
großen Schloß. Noch eine andere hübsche Frau, die man wegen ihrer
geringen Geistesfähigkeiten nur die Schloßgans nannte, bewohnte dies
Gebäude. Sie war die Gattin des Schloßverwalters und hatte fortwährend
viele Liebesintrigen. Ihren Liebhabern, die sie in den Schloßgarten
bestellt hatte, gab sie durch ein weißes Fähnchen, welches sie an ihrem
Fenster heraushing, wenn der Mann nicht daheim war, das Zeichen, daß sie
zu ihr kommen könnten. Auch Stephanie hatte ähnliche Intrigen zu
Mannheim.

Nachdem das Frühjahr herangekommen war, machte ich häufige Ausflüge nach
Heidelberg, wo ich ganze Tage in dem Schloßgarten und dessen Umgebungen
zubrachte, auch den Wolfsbrunnen, den Königsstuhl, den Heiligenberg,
Stift Neuburg, den Riesenstein und so weiter besuchte. Das burschikose
Studentenwesen und der Pedantismus der Herren Gelehrten und Professoren
machten den Aufenthalt in dieser Stadt den Fremden unangenehm, deren
sich sonst weit mehr hier niederlassen würden. Öfters ging ich auch auf
ein paar Tage nach Worms, wo ich bei Freund Eikmeier, der daselbst eine
Besitzung hatte, wohnte, und von da nach Niedesheim spazierte, wo einst
mein Oheim Scholze residierte. Von Worms machte ich ein paarmal einen
Abstecher nach Mainz, wo ich mich heimlich in dem Quartier, das ich
zuletzt bewohnte, bei der Witwe Kronebach an der Ecke der großen Bleiche
aufhielt, was dennoch die Polizei ausspürte, aber so klug war, zu
ignorieren.

Da ich einsah, daß mein Aufenthalt in Mannheim nicht von langer Dauer
sein konnte, indem C... sich nicht in sehr glänzenden Verhältnissen
befand, so wandte ich mein Augenmerk nach Stuttgart, um so mehr, da ich
auch in Mannheim keinen Verleger für mein großes historisches Werk hatte
finden können, wozu C... wohl den Willen, aber nicht die Mittel hatte,
und an dessen Herausgabe ich jetzt ernstlich dachte. Ich machte deshalb
im Juni eine Reise nach Stuttgart, und daselbst die Bekanntschaft des
Herrn von Cotta und des erst kürzlich daselbst etablierten Buchhändlers
Frankh. Ersterem trug ich mein Werk, das schon ziemlich weit gediehen
war, an, und er war geneigt, auf dessen Verlag einzugehen, verschob
jedoch einen definitiven Abschluß auf später, da er in demselben
Augenblick mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt war und auch mehrere
Reisen vorhatte. Frankh war noch nicht in den Verhältnissen, auf ein
solches Unternehmen eingehen zu können, ersuchte mich aber, die Memoiren
der Miß Henriette Wilson für ihn zu übersetzen, was ich auch übernahm.
In Stuttgart und besonders in dessen Umgebung hatte es mir sehr
gefallen, namentlich auch in Ludwigsburg. Auf der kleinen Insel zu
Monrepos begegneten mir an der Kapelle daselbst zwei Damen, von denen
die jüngere, die kaum fünfzehn Jahre zählen mochte, einen hohen Anstand
und unendliche Anmut verriet, einen herrlichen Wuchs hatte und einen
Elfentritt zu haben schien, dabei das schönste lieblichste Gesichtchen,
das man sich denken kann. Die ältere, eine Frau bei Jahren, die ich für
die Mutter hielt, zeigte ebenfalls durch ihre Haltung und Manieren, daß
sie einem Stande angehören müsse, der sich gewöhnlich durch die feinste
Bildung, eine edle Unbefangenheit und ungezwungenes Wesen verrät.
Ehrerbietig grüßend ging ich an den Damen vorüber, die mir artig
dankten, und in die Einsiedelei. Als ich von derselben zurückkam, saßen
beide auf einer Ruhebank am Weg. Gar zu gern hätte ich sie angesprochen,
wagte es indessen nicht, da mich eine, mir nicht zu erklärende Scheu
zurückhielt. Ich bemerkte jedoch, daß mir die Jüngere lange mit
unverwandten Augen nachgesehen, und als ich im Gebüsch verschwand, hörte
ich sie einige mir unverständliche Worte zu ihrer Begleiterin sprechen.
In meinen Kahn gestiegen, der mich wieder an das Schlößchen Monrepos
bringen sollte, fragte ich den Schiffer, ob er nicht wisse, wer die
beiden Damen seien, die sich jetzt auf der Insel befänden. Er wußte es
aber nicht zu sagen, da er sie nicht gesehen, auch keine übergefahren
haben wollte.

Den Rest des ganzen Tages brachte ich fast ganz in dem Park zu
Ludwigsburg zu, auf einer Ruhebank unter der Emmrichsburg sitzend und
fortwährend über die zu Monrepos gehabte Erscheinung nachsinnend. Ich
fuhr endlich den Abend nach Stuttgart zurück, wo ich dem Grafen Lusi,
dem Sohne des Gesandten Lusi zu Potsdam, der damals königlich
preußischer Geschäftsträger am württembergischen Hof war, und dem ich
einen Besuch gemacht hatte, davon erzählte, der mir aber ebensowenig
Auskunft geben konnte, wer die Damen wohl gewesen sein mochten. Zwei
Tage darauf reiste ich über Pforzheim und Karlsruhe nach Mannheim
zurück, immer noch das Bild der schönen Unbekannten von der Insel im
Gedächtnis habend, und obgleich ich in Mannheim nicht weniger als einem
halben Dutzend Schönen den Hof machte, so hinderte mich dies doch nicht,
von Zeit zu Zeit voll Sehnsucht an die Unbekannte auf der Insel zu
denken. Im Juli reiste ich nach Baden-Baden, um daselbst einen Teil der
Sommersaison zuzubringen. Bevor ich dahin abging, hatte ich mit C...
eine Martingale für das Roulettespiel berechnet, durch welche man einen
Taler oder Napoleon, gleichviel nachdem man setzte, bei jedem Coup
gewinnen mußte, solange man nicht gesprengt wurde. Das Verhältnis war
eins, drei, sieben, fünfzehn, sechsunddreißig, achtzig und zweihundert,
wobei vom dritten Coup an die Zeros jedesmal verhältnismäßig gedeckt
werden mußten. Wir hielten beide die Sache für unfehlbar und glaubten,
daß man nicht öfter gesprengt werden könne, als bis man das Doppelte
gewonnen. Ich reiste mit ungefähr hundertfünfzig Napoleons ab, alles,
was ich noch hatte zusammenscharren können, in der Hoffnung, mit
wenigstens fünfzigtausend Gulden zurückzukommen. In Baden angelangt,
stieg ich in der >Goldnen Sonne< ab und nahm mir kaum die Zeit, mich
umzukleiden, um in den Spielsaal zu eilen und meine Operationen zu
beginnen. Im Anfang ging die Sache auch vortrefflich. Ich begann mit
kleinen Talern und zog für jeden Coup, oft nachdem vier bis sechs
verloren waren, meinen kleinen Taler. Nun setzte ich Brabänter und
endlich Dukaten. Bereits hatte ich deren schon über vierzig gewonnen,
als ich das erstemal mit zweihundert gesprengt wurde. Ich begann nun mit
dem wenigen Geld, das mir noch übrig blieb, wieder mit kleinen Talern zu
spielen, ward aber bald wieder gesprengt und verlor endlich, Vierziger
setzend, noch den Rest meines Geldes bis auf ein paar Gulden. So war ich
denn auf einmal von allen meinen Himmeln herabgefallen, verließ die
Spielsäle mit gewaltig hängenden Flügeln, um in den Anlagen frische Luft
zu schöpfen. Auf einer etwas abgelegenen Bank wurde mir erst das
Schreckliche meiner ganzen Lage recht klar. Nicht mehr so viel Geld in
der Tasche, daß ich an eine Rückreise hätte denken können, auch dem Wirt
schon eine Zeche schuldig, wo ich mir zwei Zimmer auf einen Monat
gemietet hatte, war es mir doch nicht so ganz einerlei, und ich wußte
nicht, wie ich mich noch aus dieser Klemme ziehen würde. An meine Eltern
konnte ich, deren pekuniäre Lage kennend, unmöglich mehr Ansprüche
machen. Ich schrieb an C..., von dem ich aber die trostlose Antwort
erhielt, daß er sich selbst in der hochnotpeinlichsten Geldverlegenheit
befinde. Einstweilen machte ich mich mit dem Grauen des Tages an die
Übersetzungen für Frankh, so daß ich binnen acht Tagen eine sehr
bedeutende Partie Manuskript nach Stuttgart abzuschicken imstande war,
mit der ich zugleich bat, eine Anweisung von ein paar hundert Gulden von
mir honorieren zu wollen, was Frankh auch tat, und so war ich wenigstens
aus der dringendsten Verlegenheit. Aber während der acht bis zehn Tage,
wo ich fast gar keinen Heller Geld mehr in der Tasche hatte, war es mir
denn doch manchmal nicht ganz wohl. Nun ging ich wieder in die
Spielsäle, aber jetzt nur mit äußerster Vorsicht spielend, und gewann
wirklich ein paar hundert Taler, mit denen ich mich freudig wegbegab.
Noch ein paarmal war mir das Glück so günstig, daß ich bald über tausend
Gulden hatte, und nun nie mehr als ein paar Dukaten wagte. Herr von
Cotta, der sich auch in Baden eingefunden, wo er ein eigenes Hotel
besaß, trug mir auf, einige Artikel ins Morgenblatt über die hiesige
Saison zu schreiben. Da ich in denselben den Spielpächter Chabert, der
damals die dortige Spielhölle in Pacht hatte, und noch einige andere
Dinge ein wenig stark mitnahm, so gab dies in der Badewelt zu Baden
gewaltigen Rumor. Man glaubte, Robert, der als Korrespondent des
Morgenblattes bekannt war, habe die Artikel geschrieben, und wollte
diesem deshalb zu Leibe; nur mit genauer Not entging er einer Prügelei.
Was die Saison sehr glänzend machte, war der Aufenthalt des Königs
Maximilian von Bayern und seines Hofes. Es gab Feste über Feste, Partien
in das herrliche Murgtal, Beleuchtung des alten Schlosses, Bälle, bei
denen bayrische Prinzessinnen die Hauptrolle spielten, und so weiter.
Dritthalb Monate hatte ich in Baden, die ersten vierzehn Tage
abgerechnet, wo ich mich in Finanznöten befand, recht vergnügt
zugebracht, und reiste von hier nach Frankfurt, wo ich einige Tage bei
den Meinigen verweilte, über Mainz und Worms nach Mannheim zurück, wo
ich C... mit seiner Familie in großer Traurigkeit fand und mir derselbe
erklärte, daß seine Position in Mannheim nicht mehr lange haltbar sei.
Unter solchen Umständen fand ich es für passend, da er ohnehin eine sehr
starke Familie, sechs Kinder, hatte, eine andere Wohnung zu beziehen.
Ich mietete nun bei der Schauspielerin Rüppel ein, einer Schwester der
berühmten Lindner, wo ich auch den Tisch und eine recht unterhaltende
Tischgesellschaft hatte, unter der ein Dragoneroffizier, Herr von
Schweizer, und ein junger Artaria war. Einen Hauptgegenstand der
Unterhaltung bildete das Theater und dessen Direktion, die damals ein
Graf Luxemburg leitete, der eine Mätresse Napoleons geheiratet, die
einen Sohn, Graf Leo genannt, der in Heidelberg studierte, von diesem
hatte.

Indessen ließ es mich nicht mehr lange in Mannheim weilen. Hier hatte
ich, wie gesagt, keine Hoffnung, endlich mein großes historisches Werk,
an dem ich, so oft ich Muße hatte, arbeitete, an das Tageslicht treten
zu sehen. Stuttgart, wohin mich die daselbst durch die Einsicht des sehr
rechtlichen und vernünftigen Königs sehr freie Presse, und noch ein
gewisses Etwas, das ich mir selbst nicht zu erklären vermochte, zog, war
der Ort, den ich am passendsten für meinen Zweck hielt. C... hatte mir
beim Abschied gesagt, daß er mir bald nachfolgen würde, indem für ihn in
Mannheim nichts mehr zu tun sei.

Es ist unglaublich, mit welchen unbedeutenden Dingen man so eine
deutsche Residenzstadt wenn nicht in Aufruhr, so doch in Bewegung setzen
kann. Ich trug damals einen hier noch nicht gesehenen sogenannten
Carbonarimantel, schwarz, mit rotem Samt ausgeschlagen, und goldenen
Quasten, den ich mir kurz vorher in Paris hatte machen lassen. Dieses
Kleidungsstück, unter dem ich gewöhnlich einen polnischen Rock trug,
machte, daß sich die ganze Stadt von meiner werten Person unterhielt und
die albernsten Märchen über dieselbe erfand. Bald sollte ich der
natürliche Sohn, ich weiß nicht, welches großen Herrn, bald gar ein
englischer Reiter, wahrscheinlich, weil ich viel ritt, und die Götter
mögen wissen, was alles, sein. Ritt oder ging ich an einem Haus vorüber,
husch, waren Gesichter an allen Fenstern, das fremdartige Wundertier zu
begaffen, und dies dauerte eine geraume Zeit, bis man endlich dahinter
kam, wer ich denn eigentlich sei, nämlich ein literarischer Vagabund,
gebürtig aus Frankfurt am Main, den man in Mainz wegen demagogischer
Umtriebe, so hieß es, ausgewiesen, und so weiter. Ich hatte mir schon
viel von den guten Schwaben erzählen lassen, aber so arg es mir denn
doch nicht gedacht. Die Stuttgarter Kleinstädterei übertraf fast noch
die meiner Vaterstadt, und wahrhaftig, das will viel sagen.

Herrn von Cotta hatte ich wieder aufgesucht und ihm von dem Verlag
meines historischen Werkes gesprochen. Er war noch immer ganz dafür,
machte aber fortwährend Geschäftsreisen, bald nach Paris, London,
Berlin, und schob die Sache hinaus. Die Metzlersche Buchhandlung lehnte
den Verlag ab, nur Frankh zeigte sich sofort zur Unternehmung desselben
bereit, schien mir aber nicht zuverlässig genug, nahm auch zu große
Vorteile für sich in Anspruch. Ich hatte nach Beendigung der Übersetzung
der Memoiren der Miß Wilson, die der Denkschriften Riccis für Frankh
übernommen, die in französischer Sprache, mit sehr vielen langen
Anmerkungen und Dokumenten in der italienischen, herausgekommen waren.
Frankh, der jetzt schon, nachdem ihm einige Verlagsartikel geglückt
waren, die Rolle eines Cotta spielen zu wollen anfing, der er bei seinen
sehr beschränkten Geistesfähigkeiten so wenig gewachsen war, so daß ich
ihn mit dem sich zum Ochsen aufblasen wollenden Frosch der Fabel
verglich, und vornehm gelehrt tat, wünschte, daß ich die gedruckten
Korrekturbogen der Übersetzung mit ihm durchgehen möchte. Er empfing
mich mit einem bunten großbeblümten Schlafrock, aus einer langen
türkischen Pfeife rauchend, und wir lasen zusammen, oft in Gegenwart
eines anderen Schriftstellers, unter anderen auch Hauffs, den ich häufig
bei ihm traf, da er ebenfalls die Korrekturen seiner Werke, die er bei
ihm verlegte, mit ihm las. Frankh, um sich ein gelehrtes Ansehen zu
geben, hatte sich angewöhnt, von Zeit zu Zeit mechanisch zu sagen:
»Meinen Sie nicht, daß man dies doch anders hätte geben können?« »Ich
glaube nicht,« war meine Antwort. Das Komischste dabei war, daß er fast
kein Wort Französisch verstand, aber doch behauptete, obgleich ihm das
Sprechen nicht geläufig sei, französische Werke mit derselben
Leichtigkeit wie deutsche zu lesen. Da ich nun von dem Gegenteil längst
überzeugt war, so sagte ich eines Tages zu Hauff, als Frankh einen
Augenblick das Zimmer verlassen hatte: »Geben Sie acht, jetzt will ich
einmal unsern Herrn Verleger tüchtig aufs Eis führen.« Als Frankh nun
wieder seine stereotype Phrase: »Meinen Sie nicht, daß man dies anders
hätte geben können?« anbrachte, reichte ich ihm das Original hin, auf
eine ganz andere Stelle deutend, als die, von der gerade die Rede war,
und sagte ihm: »Da sehen Sie selbst, wie wäre dies anders zu geben
gewesen.« Frankh murmelte ein paar unverständliche Worte in den Bart,
gab mir das Buch zurück und sagte: »Nein, Sie haben recht, man kann es
nicht wohl anders geben.« Jetzt konnte sich Hauff, der wußte, daß die
fragliche Stelle auf einer ganz anderen Seite stand, kaum mehr des
Lachens enthalten, und ebenso erging es auch mir. Frankh fragte, was wir
hätten, ohne jedoch den Streich noch zu ahnen, den ich ihm gespielt. Er
erfuhr es aber bald darauf durch die dritte Hand, da Hauff den Vorfall
seinen Bekannten mitgeteilt hatte. Wir waren nun brouilliert, und ich
sandte ihm Riccis Werk, von dem ich erst den ersten Band übersetzt
hatte, zurück. Ich gab jetzt einstweilen ein belletristisches Blatt in
Stuttgart heraus, welches manche der dortigen Zustände, namentlich auch
die Vorurteile des Erbadels etwas stark mitnahm, sowie die Vorstellungen
der dortigen Bühne kritisierte, die damals, Oper wie Schauspiel, ganz
vorzüglich besetzt war. Nicht sehr lange nach meiner Ankunft in
Stuttgart glaubte ich eines Abends in einer Loge im ersten Rang zu
meiner größten Verwunderung die junge schöne Dame zu erkennen, die ich
auf der Insel zu Monrepos den vergangenen Sommer zuerst gesehen und die
einen so großen Eindruck auf mich gemacht hatte. Um Gewißheit zu
erlangen, daß es dieselbe sei, verfügte ich mich in eine Loge, die so
nahe, als ich sie haben konnte, bei der war, in welcher sich meine
Unbekannte befand. Auch sie hatte mich gleich bei meinem Eintritt in die
Loge wieder erkannt, wie ich deutlich aus der zusammenschaudernden
Bewegung wahrnehmen konnte, die sie machte, als sie mich erblickte. Ich
begab mich aber bald darauf wieder ins Parterre, nachdem ich zu meinem
Mißvergnügen den Rang erfahren, den die Dame einnahm, und der mich an
keine Annäherung derselben denken ließ, denn ich war ja nicht mehr in
Italien oder Frankreich, sondern in Deutschland, und zwar in Schwaben.
Doch hatte sich das schöne Bild von neuem mir eingeprägt und wich nicht
von meinen Augen, trotzdem ich mich mit mehreren anderen weiblichen
Wesen recht sinnlich zu zerstreuen suchte. Den dritten Tag nach jenem
Theaterabend kam eines Vormittags ein schon etwas ältliches
wohlgekleidetes Frauenzimmer zu mir, welches, nachdem es fast verlegen
allerlei Umschweife gemacht, damit herausrückte, daß sie mir
geheimnisvoll mitteilte, sie komme im Auftrag einer Dame, die mir
unendlich wohlwolle und mich zu sprechen wünsche. Sie rückte nun immer
mehr mit der Sprache heraus, nannte mir endlich die Dame, nachdem ich
ihr zuerst auf das feierlichste die tiefste Verschwiegenheit und
Diskretion hatte versprechen müssen, und bestellte mich auf den nächsten
Nachmittag gegen vier Uhr in den Park zu Ludwigsburg, wo ich sie wieder
sprechen und das Weitere von ihr hören würde. Lange glaubte ich zu
träumen. Nachdem sie wieder weg war, war ich nicht imstande,
fortzuarbeiten und konnte die kommende Nacht fast kein Auge schließen,
so sehr beschäftigte mich die Sache. Den andern Tag ritt ich gleich nach
Tisch nach Ludwigsburg, begab mich, mein Pferd im >Waldhorn< lassend, in
den Park, den nicht mehr sehr jugendlichen _Postillon d'amour_
erwartend. Er fand sich noch vor der bestimmten Zeit an dem bezeichneten
Platz ein und ich folgte nun meiner vorangehenden Führerin, die mich
endlich an einen sehr entlegenen Ort des Parkes führte und mir
eröffnete, daß ich mich noch diesen Abend nach Mitternacht wieder
daselbst einzufinden hätte, wo sie mich dann an einen Ort führen wolle,
wo ich Glücklichster der Sterblichen, wie sie meinte, die seligsten
Stunden meines Lebens zubringen würde. Versprechend, daß ich nicht
verfehlen würde, mich einzustellen, entfernte ich mich, dankend Abschied
nehmend, und ritt nach Stuttgart zurück. Als zehn Uhr vorüber und in
meinem Haus schon jedermann in den Federn war, schlich ich mich leise
die kleine, zu meinem Zimmer führende Hintertreppe hinab in den Stall,
sattelte mein Pferd selbst, führte es hinaus und trabte, ohne mich
aufzuhalten, nach Ludwigsburg. Daselbst angekommen, band ich das Pferd
an einen Baum und eilte an den Ort, wo ich die Führerin treffen sollte.
Kaum hatte die Turmuhr Mitternacht verkündet, so erschien sie auch und
führte mich an einen besonders abgeschlossenen Raum des Parkes, dessen
Türe nur angelehnt war, zu einem kleinen Häuschen, in welchem eine
weißgekleidete, in einen großen Schal gehüllte Nymphengestalt auf einer
Bank saß. Es war die junge Dame der Insel, die, als ich eintrat,
aufsprang und die, in meinen Armen liegend, mich glühend umfing. Zwei
Uhr nach Mitternacht war vorüber, als ich mich wieder auf dem Heimweg
nach Stuttgart befand, wo ich mein Pferd ebenso unbemerkt wieder in den
Stall führte, absattelte und mich dann ebenso in meine Wohnung schlich.
Niemand hatte diese Abwesenheit wahrgenommen. Nach Übereinkommen
wiederholte ich den folgenden Abend denselben Besuch ganz auf dieselbe
Weise und ebenso unbemerkt, und hatte so eine Reihe von seligen,
glücklichen Nächten, mich immer mit einem: »Auf morgen mehr!«
verabschiedend. Doch auch dies sollte mit der Zeit ein Ende nehmen. Man
hatte mir zwar eine Entführung nach Frankreich und England öfters und
sehr dringend vorgeschlagen, aber das höchst Gefährliche des
Unternehmens und den Weltskandal, welchen ein solches Ereignis notwendig
hätte machen müssen, abgerechnet, so sah ich auch ein, daß eine Ehe
unter solchen Verhältnissen später, wenn sich erst die Übersättigung
eingestellt haben würde, nimmermehr eine glückliche hätte sein können.
Ich wohnte später den glänzenden Hochzeitsfeierlichkeiten meiner
Geliebten bei, der ich selbst zu der für sie sonst ganz passenden
Vermählung recht sehr geraten hatte.

Das Ballett war damals in Stuttgart auf einem so hohen Glanzpunkt, daß
es mit dem der großen Opern zu Paris hätte rivalisieren können. Die
Familie Taglioni war dabei angestellt, und die junge Taglioni, gerade im
Aufblühen begriffen, doch schon eine vollendete Künstlerin, schien auf
der Bühne eine wahrhaft ätherische Gestalt. Der Abend eines Rajah, Joko,
Aglaë, Zemire und Azor und so weiter waren Ballette, wie ich sie nicht
schöner und glänzender auf einer anderen Bühne gesehen hatte. Taglioni
Vater wußte sie sehr geschmackvoll in Szene zu setzen, und die eigens
dazu vom Kapellmeister Lindpaintner komponierte treffliche Musik verlieh
ihnen noch einen eigenen Reiz. Auch Opern dieses ausgezeichneten
Komponisten, namentlich sein >Vampyr< und so weiter waren herrliche,
sehr genußreiche Darstellungen. Frankh hatte damals ein Wochenblatt
unter dem Titel >Die Stadtpost< unternommen, zu dessen Redakteur er
einen verunglückten Studenten, den Sohn des Rektors Z..., engagiert
hatte. Dieses Blatt enthielt fast nur die allergemeinsten
Stadtklatschereien, war in dem Stil der Hökerweiber geschrieben und
unterfing sich sogar, die Leistungen der Künstler der Stuttgarter Bühne
in Afterkritiken beurteilen zu wollen, die natürlich nicht anders als
höchst burlesk ausfallen konnten und von der krassesten Ignoranz
zeigten. Ich hatte eines Tages auf einem Maskenball im Redoutensaal
einen unbedeutenden Wortwechsel mit einem Schauspieler D... Nun kam der
Redakteur der >Stadtpost< auf den unglücklichen Einfall, die Sache ganz
entstellt in sein Blatt zu bringen und dazu noch einige andere, mich
betreffende Klatschereien, die auf Wachtstuben oder in Kneipen erfunden
worden, aufzunehmen. Ich nahm mir die Mühe nicht, diese Albernheiten zu
widerlegen, sondern das Getriebe des Redakteurs in einigen Artikeln zu
beleuchten, namentlich auch die seinsollenden Theaterkritiken dieses
Blattes, und schloß mit den Worten: »Eines Morgens werden wir hören, daß
der Redakteur der >Stadtpost< sein Bündel geschnürt habe und, den
Wanderstab in der Hand, zum Tor hinausmarschiert ist.« Ich hatte gut
prophezeit; schon den nächsten Tag hatte Frankh dem unglücklichen
Redakteur die Redaktion des Blattes abgenommen, und zwei Tage darauf war
derselbe, mit dem Ränzchen auf dem Rücken, auf dem Wege nach Augsburg.
-- Ein komischer Vorfall gab den guten Stuttgartern abermals Stoff zu
mehrwöchentlicher Unterhaltung. Ich hatte nämlich ein Reitpferd, das
anfing, auf den Vorderfüßen etwas schwach zu werden, an einen Juden
namens W... gegen Battist zu Hemden vertauscht und noch eine Summe
daraufbezahlt. Als der Handel geschlossen war, nahm der Jude das Pferd
aus dem Stall und setzte sich darauf, um heimzureiten. Auf dem
Charlottenplatz angekommen, wo ich an einem gewissen Haus das Pferd fast
immer einige Kapriolen hatte machen und traversieren lassen, war
dasselbe dies so gewöhnt, daß es, ohne dazu angefeuert zu werden,
allerlei Sprünge machte, und da der Jude nicht reiten konnte, so hielt
er sich an den Zügeln und klemmte sich mit den Beinen fest, so daß das
Tier nun noch weit größere Sätze machte, endlich seinen ungeschickten
Reiter abwarf und in gestrecktem Galopp wieder in seinen alten Stall
rannte. Der Jude kam hinterdrein gehinkt, behauptete, der Handel sei
nicht gültig, das Tier könne niemand reiten, er müsse sich im Innern des
Leibes einen Schaden getan haben, und ich müsse ihm wenigstens noch ein
Schmerzensgeld von einigen Dukaten nachzahlen. Lachend erwiderte ich,
daß ich ihm mit dem Pferd nicht auch die Kunst des Reitens verkauft
habe, mich habe es noch nie abgeworfen. Er drohte, mich verklagen zu
wollen, worauf ich ihm sagte, daß ich dies nicht hindern könne, und
lächelnd hinzufügte, daß ich ihm noch zwei Dukaten zahlen würde, wenn er
sie durch seine Tochter, eine ausgezeichnete orientalische Schönheit,
abholen lassen wolle. »Ä Mann, ä Wort,« rief der Jude vergnügt aus, »ich
schicke se Ihne morge früh.« Ich war es zufrieden, und W... holte
abermals das Roß aus dem Stall, führte es aber diesmal hübsch am Zaum,
statt sich daraufzusetzen, und hinkte mit ihm fort. Den anderen Morgen
kam das schöne Rebekkchen wirklich auf mein Zimmer, um die zwei Dukaten
in Empfang zu nehmen, aber -- in Begleitung ihrer Mutter, die ich
indessen unter dem Vorwand, mir doch Zeug zu Beinkleidern holen zu
wollen, zu entfernen suchte, wozu sie in der Hoffnung eines nochmaligen
kleinen Gewinstes sich auch gleich bereitwillig fand. Unterdessen mußte
mir Rebekkchen für jeden Dukaten wenigstens ein Dutzend Küsse geben und
noch obendrein einen Empfangschein schreiben, wogegen ich ihre Küsse
ebenfalls schriftlich und mündlich quittierte, und der nach einer guten
Viertelstunde zurückkehrenden Mama wirklich ein Paar Hosen, und zwar
ohne zu handeln, abkaufte. Beide verließen mich, indem die Mutter sagte:
»Es ist doch ein generöser Herr,« und die Tochter: »Ja, er hat mer auch
noch än Quittung geschrieben.« Das einfältige Mädchen zeigte sie sogar
ihren Bekannten und wurde natürlich ausgelacht. Auch diese Geschichte
kam mit allen möglichen Zusätzen unter das nach Neuigkeiten begierige
Publikum.

Mein Hauswirt, Herr Sch..., besuchte mich regelmäßig jeden Morgen und
blieb oft ein bis zwei Stunden bei mir, mich mit allerlei Stadt- und
politischen Neuigkeiten unterhaltend, was mir, besonders später, als ich
von meinen nächtlichen Ritten sehr ermüdet war, lästig genug wurde.
Eines Tages teilte ich ihm gesprächsweise mit, daß ich schon längst an
einem historischen Werk arbeite, wozu ich bis jetzt noch keinen Verleger
hätte finden können; Herr von Cotta sei zwar entschlossen, schiebe aber
die Sache solange hinaus; Frankh wolle es auch herausgeben, aber mit
diesem könne ich mich nicht vereinigen, er sei mir zu unzuverlässig, und
Herr Ehrhardt, der Inhaber der Metzlerschen Buchhandlung, habe es ganz
abgelehnt; ich wolle daher einen Versuch in München machen. »Aber können
Sie es denn nicht selbst herausgeben?« fragte mich jetzt Sch... »Nicht
wohl, denn erstens bin ich kein Buchhändler, und dann, wenn ich mir auch
wohl den Selbstverlag und die Expedition zutraute, so habe ich die
Mittel nicht dazu.« »Bedarf es denn so viel Geld?« »Immer eine Summe von
vier- bis fünftausend Gulden, um es in Gang zu bringen.« »Nun, das wäre
ja die Welt noch nicht und das Geld wohl noch aufzutreiben; und Sie
glauben, daß damit etwas zu verdienen wäre?« »Ich müßte mich sehr
täuschen, wenn nicht wenigstens einige tausend Gulden dabei
herauskämen.« »Nun, wissen Sie was, wir wollen es zusammen anfangen, ich
schieße das Geld vor.« »Sie scherzen.« »Nein, in allem Ernst.« Sch...
verließ mich nun und kam ein paar Minuten darauf mit einem Sack Geld
wieder zurück, indem er sagte: »Hier sind einstweilen fünfhundert
Gulden, fangen Sie an.« Ich lachte und widerte: »Wohlan, wenn es Ihnen
ernst ist, so sehen wir uns vor allem nach einem guten Drucker um.« Ich
schlug den alten Wolters vor, der meine Zeitschrift druckte, mit dem ich
auch noch den nämlichen Tag die Bedingungen abmachte. Ich ließ nun
sogleich den Druck des Werkes beginnen und beeilte ihn, damit so bald
als möglich die erste Lieferung verschickt werden konnte, schrieb auch
eine sehr einladende Anzeige dazu, die ich in einigen vierzig
Zeitschriften abdrucken ließ. Nachdem zwei bis drei Lieferungen
erschienen waren, zeigte sich schon der Erfolg, der über alle Erwartung
war. Die Bestellungen kamen in solcher Menge, daß schon bei der vierten
Lieferung eine zweite Auflage der drei ersten, die auch zweitausend
stark war, gemacht werden mußte, und ich ließ nun viertausend drucken.
Aber in weniger als sechs Monaten reichte auch diese nicht mehr hin. Es
mußte eine dritte Auflage veranstaltet werden, und nun wurden
sechstausend aufgelegt, die in wenig Monaten auf das Doppelte erhöht
werden mußten, so daß das ganze Werk einen ganz ungewöhnlichen Ertrag
versprach und auch wirklich abwarf. Als dasselbe einen so ungeheuren
Erfolg hatte, gab sich Frankh alle mögliche, aber, wie man wohl denken
kann, vergebliche Mühe, es an sich zu bringen. Später zog ich mich mit
einer Aversionalsumme von vierzigtausend Gulden, das Unternehmen hatte
weit über hunderttausend Gulden eingetragen, von dem Geschäft zurück.

Da ich eigentlich noch nirgends Bürger war, denn in Frankfurt ist man
als Sohn eines Bürgers noch nicht Bürger, sondern wird es erst, nachdem
man sich förmlich dazu gemeldet, unzählige, zum Teil sehr lächerliche,
aber auch sehr kostspielige Formalitäten erfüllt hat, und doch eine
Heimat als Bürger haben mußte, wie mir bei mehreren Vorfällen in
Stuttgart und anderswo klar geworden, so kam ich nun in Frankfurt, wie
es die dortigen Gesetze wollen, bei dem hohen Senat vermittels eines
Sachwalters um das Bürgerrecht daselbst ein. Aber sollte man es wohl
glauben, die Dummheit dieser Väter des Vaterlandes ging so weit, daß es
mir rund abgeschlagen wurde. Man hatte in der Senatssitzung, in welcher
die Sache vorkam, geäußert: »Ich sei ein zu gefährlicher Mensch!« Als
ich aber dennoch auf meiner Annahme beharrte, auch all die erbärmliche,
lächerliche und kostspielige Umstandskrämerei, bei der es hauptsächlich
auf Prellereien abgesehen ist, endlich geordnet und ich hierauf in
Frankfurt erschienen war, begab ich mich an dem festgesetzten Tag, zur
bestimmten Zeit, elf Uhr vormittags, zur Eidesleistung auf den Römer.
Ich mußte über eine halbe Stunde auf die Ankunft des Bürgermeisters
warten. Endlich ungeduldig, fragte ich nach demselben, worauf man mir
erwiderte, daß der Herr Bürgermeister im Begriff sei, ein paar fremden
Herren den Kaisersaal und andere Merkwürdigkeiten des Römers zu zeigen.
Da riß mir der Faden der Geduld und ich sagte zu einer der Ordonnanzen:
»Gehen Sie und sagen Sie dem Herrn Bürgermeister, daß ich schon über
eine halbe Stunde auf ihn warte, um den Eid zu leisten, und wenn er
nicht gleich komme, ich unbeeidigt wieder weggehe. Die Bürgermeister
werden nicht dafür bezahlt, um den Lohnlakai zu machen, und die Bürger,
die sie bezahlen, so ungebührlich warten zu lassen.« Das letztere hatte
zwar die Ordonnanz nicht ausrichten sollen, tat es aber dennoch
ungeheißen. Wenige Minuten darauf trat der Bürgermeister, mit einem
Gesicht so rot wie der Kamm eines Hahnes, in das Kanzleizimmer und
redete mich zornentbrannt mit den Worten an: »Wissen Sie, daß ich Sie
kann arretieren lassen?« »Wenn Sie das Recht dazu zu haben glauben, so
probieren Sie es, Herr Bürgermeister!« »Den Eid!« rief nun die
bürgermeisterliche Herrlichkeit wutentbrannt, stotterte mir denselben
vor, ich sprach ihn ruhig nach und empfahl mich dann. So war ich nun mit
allem Fug und Recht ein Frankforter Borjer, also eine sehr respektable,
und wie die Frankfurter glauben, auch höchst wichtige Person geworden.
»Ja, wenn ich nur was davon hätt'!« sagt, glaub' ich, Staberl. Ich eilte
jetzt nach Stuttgart zurück, wohin mich meine literarischen und andere
Beschäftigungen riefen, und blieb bis zur Beendigung meines historischen
Werkes (1830) daselbst.


                                 Ende.




                               Nachwort.


Das Buch, das hier, um Weitschweifigkeiten und Wiederholungen verkürzt,
seit ungefähr 65 Jahren zum ersten Male wieder erscheint, hat wie der
Verfasser mehrere Uniformen getragen. Unter dem Titel »Vierzig Jahre aus
dem Leben eines Toten« erschien es Ende der vierziger Jahre bei Osiander
in Tübingen, im Jahre 1853 gefolgt von einem sehr interessanten
Schlußband »Noch fünfzehn Jahre aus dem Leben eines Toten«, der in
einiger Zeit auch unsre Neuausgabe ergänzen soll. Unter dieser Marke war
es ein Lieblingsbuch der jungen Frankfurter, wie mir seit dem Erscheinen
des Werks von manchen berichtet wurde, die heute recht alte Frankfurter
sind. Aber der Titel scheint dem Absatzbedürfnis des Herrn Friedrich --
dieser sein wahrer Name wurde durch eine Stelle des Buches selbst
bekannt, wo er ihn aus Flüchtigkeit einmal gebraucht -- nicht genügt zu
haben. Fedor von Zobeltitz hat in seiner Bibliothek das verschollene
Buch wieder aufgestöbert, aber unter dem verlockenden Titel »Casanovas
Nachfolger oder Abenteuer, Liebschaften und Erlebnisse eines galanten
Offiziers«, der eine gute Spekulation in der Zeit war, wo Casanovas
Memoiren zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen und
verschlungen wurden. Zu allemhin erschien das Buch in Paris, im Verlag
von Heideloff und Campe. Noch zweimal rasch hintereinander erschienen
die »Vierzig Jahre«, einmal unter diesem ursprünglichen Titel, aber mit
dem Pseudonym C. Strahlheim, das anderemal aufs neue in dem Pariser
Verlag, aber als »Neuer Casanova«. Dann wird es still um Verfasser und
Buch, sie verstauben in Familienbücherschränken, kaum die Bibliographen
kennen den nun wirklich Toten.

Das Meiste, wenn auch es nur wenig ist, was über Friedrichs Lebensgang
bekannt ist, steht in Andreas Gottfried Schmidts »Galerie deutscher
pseudonymer Schriftsteller vorzüglich des letzten Jahrzehnts« (Grimma
1840), also vor der Drucklegung unsres Werks erschienen, was
dokumentarisch wichtig ist, da Schmidt den Gang der Handlung in den
»Vierzig Jahren« bestätigt. Dort wird gesagt, C. Strahlheim heiße C.
Friederich, privatisierend in Rödelheim bei Frankfurt, geboren in
Frankfurt 1790 von angesehenen Kaufmannseltern, wollte Schauspieler
werden, durfte es aber nicht, trat in französischen Militärdienst,
machte die Feldzüge in Italien und Spanien bis zur Abdankung Napoleons
mit, wurde hierauf preußischer Offizier, nahm den Abschied und widmete
sich literarischen Arbeiten; er begründete in Offenbach eine satirische
Zeitschrift, die aber nach zwei Jahren einer beigegebenen politischen
Karikatur halber verboten wurde, und lebte dann abwechselnd in Mainz,
Köln, Aachen und Mannheim. 1825 war er in Stuttgart, um dort seine
»Geschichte unserer Zeit« herauszugeben; 1830 finden wir ihn wieder in
Frankfurt. Schmidt führt zugleich eine Anzahl seiner Schriften an, meist
kompilatorische Arbeiten, eine »Universal-Chronik der Zeit«, eine
»Allgemeine Weltgeschichte«, die schon erwähnte »Geschichte unserer Zeit
oder Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 1789 bis 1830«, die in
120 Heften erschien und von Ernst Freymund (dem Bibliothekar A. Fr.
Gfrörer in Stuttgart) fortgesetzt wurde; schließlich machte Friedrich
den Versuch eines Konversations-Lexikons: »General-Lexikon oder
vollständiges Wörterbuch alles menschlichen Wissens« (Frankfurt 1836 bis
1839), von dem 85 Hefte (A--Bartrania) auf den Markt kamen.

                                                                 U. R.




                             Namenregister.
                             Dritter Band.


   Ali Pascha 140 f.
   Artois, Graf 203
   Atri, Herzogin von (Giuglietta Colonna) 49, 63 f., 73, 76 f., 80 f., 85
   Bacciochi, Prinz 19, 27
   Baudouy, General 105
   Berry, Herzog von 208
   Bessières, Marschall 28
   Bethmann, von 217
   Bittiglioni, Fürst 53
   Blücher 268 f.
   Bonaparte, Elisa 19, 27
   Bonaparte, Jérôme 21 f., 27
   Bonaparte, Joseph 17, 27
   Bonaparte, Karoline 16, 21, 27, 49, 58, 60 f., 69, 76
   Bonaparte, Lätitia 16, 22
   Bonaparte, Lucian 18 f., 27
   Bonaparte, Ludwig 19, 26, 37
   Bonaparte, Pauline 12 f., 19, 23 f., 30, 39 f.
   Borghese, Fürst Camillo 20
   Börne 361 f., 375 f.
   Canouville, Oberst 20
   Canova 20
   Canzi, Sängerin 391
   Caravante 53
   Cardenneau, General 105
   Carnot 330 f.
   Catalani, Angelika 206, 343 f., 382 f.
   Cavaignac, General 50 f., 57
   Cavalcanti, Marchesa 49, 63, 65, 67 f., 70 f., 80, 85
   Circella, Herzog von 48
   Clarke 39
   Colonna, Fürst 48
   Cotta 423, 426 f., 434
   d'Angri, Fürst 49
   Deburaux, Baron, General 208
   Dery, Cäsar, Baron 48
   Detry, General 147
   Devrient 229, 238, 270
   Dobrusky 388 f.
   Donzelot, General 114, 130
   Dubois, Polizeipräfekt 34
   Eugen, Prinz, Vizekönig von Italien 22
   Farigliano, Madame 13, 25
   Fesch, Kardinal 9
   Forbin, Schauspieler 20
   Fouché, Polizeimeister 21
   Franconi 10
   Frankh 423, 425, 427 f., 431 f., 435
   Gneisenau 253
   Gourgaud, General 364 f.
   Hardegg, Graf, General 215 f., 221
   Hardenberg 236
   Hauff 428 f.
   Homburg, Friedrich Josef von 373 f.
   Hulin, General 34
   Iffland 229, 380
   Josephine 2, 15
   Keisenberg, von 416 f.
   Kleewitz, von 236
   Kurakin, Fürst 35, 37
   Lafont, Schauspieler 20
   Lamarque, General 50
   Lannes, Marschall 41
   Leclerc, General 20
   Lesseps, Kommissär-Imperial 105
   Lingard, Platzkommandant in Marseille 16
   Longchamps 62 f., 65, 74, 94 f.
   Ludwig XVIII. 204, 206
   Lusi, Graf 279 f.
   Maghella, Polizeiminister 53
   Manches, General 52 f.
   Marie Louise 1 f., 14 f., 28 f., 33, 37 f.
   Mars, Schauspielerin 12, 24
   Metternich 32, 392 f.
   Miollis, General 12 f., 39, 45, 47
   Murat 2, 48, 49 f., 54, 55 f., 61 f., 64 f., 69 f., 74, 75, 78 f., 87,
      184, 242
   Napoleon 1 f., 17 f., 26 f., 41 f., 54, 75, 194, 214, 220, 242, 364 f.,
      372 f., 375, 384
   Nettelbeck 252, 323
   Orleans, Louis Philipp von 193, 202
   Partonnaux, General 50
   Patterson, Miß 22
   Recamier, Madame 206
   Scholze, Henriette 227, 329 f., 338 f.
   Schwarzenberg, Fürst 31
   Schwarzenberg, Fürstin Pauline von 35, 36
   Struensee, Polizeidirektor 410, 414 f.
   Stuart, General 51
   Survilier, Gräfin 362 f., 373
   Taglioni 431
   Talma 17, 207
   Wilhelm III., Kurfürst 352 f.
   Wilhelm von Preußen, Prinzessin 226 f., 228, 232, 234, 241, 265, 268,
      275


                  Druck von _F. E. Haag_, Melle i. H.


                     Anmerkungen zur Transkription

Diese Ausgabe von 1916 wurde gegenüber der Erstausgabe von 1848/49 »um
Weitschweifigkeiten und Wiederholungen verkürzt«, wie der Herausgeber im
Nachwort konstatiert (Band 3). Die Kürzungen im Text wurden in
der 1916'er Ausgabe folgerichtig in den Rubriken sowohl im
Inhaltsverzeichnis am Anfang des Buches als auch am Beginn der
jeweiligen Kapitel reflektiert. Wo dies versehentlich zu Diskrepanzen
zwischen den beiden jeweiligen Rubriken geführt hatte, wurden in dieser
eBook-Ausgabe nach eingehendem Vergleich mit der Erstausgabe die jeweils
überzähligen Rubriken entfernt. Darüber hinaus wurde jedoch kein
weitergehender Versuch unternommen, die generelle Übereinstimmung von
Kürzungen im Text und im Inhaltsverzeichnis zu überprüfen.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 20]:
   ... rücksichtslos ihren Leidenschaften die Zügel schließen.
       Bekannt ...
   ... rücksichtslos ihren Leidenschaften die Zügel schießen.
       Bekannt ...

   [S. 37]:
   ... das Echo ihres Gatten, dem sie, so sehr es sich tun ließ, in ...
   ... das Echo ihres Gatten, den sie, so sehr es sich tun ließ, in ...

   [S. 58]:
   ... Caserta begab, zog sich Murat maulend nach Capo die monte ...
   ... Caserta begab, zog sich Murat maulend nach Capo di monte ...

   [S. 91]:
   ... Einwohnern, die am Adriatischen Meer im Golf von Manfredona ...
   ... Einwohnern, die am Adriatischen Meer im Golf von Manfredonia ...

   [S. 116]:
   ... liegende Dörfer, so waren wir bald von dessen Bewohnern ...
   ... liegende Dörfer, so waren wir bald von deren Bewohnern ...

   [S. 135]:
   ... >Halt!< zu, während meine Albanese sein Gewehr anlegte. ...
   ... >Halt!< zu, während mein Albanese sein Gewehr anlegte. ...

   [S. 141]:
   ... ihm am Tage unseres Abmarsches wissen, daß ich sehr bedaure, ...
   ... ihn am Tage unseres Abmarsches wissen, daß ich sehr bedaure, ...

   [S. 153]:
   ... hatte, das uns mitteilte, daß es unmöglich zur Haustüre ...
   ... hatten, das uns mitteilte, daß es unmöglich zur Haustüre ...

   [S. 279]:
   ... konnte. Madame Julius wollte ihr beste Freundin zur ...
   ... konnte. Madame Julius wollte ihre beste Freundin zur ...

   [S. 318]:
   ... suchte. Verdruß und manchen Ärger, die ich mir allerdings ...
   ... suchte. Verdruß und mancher Ärger, die ich mir allerdings ...

   [S. 344]:
   ... Kongresses hatte sie der Kaiser Alexander, der König von ...
   ... Kongresses hatten sie der Kaiser Alexander, der König von ...

   [S. 361]:
   ... Wege stehe. Ich machte ihm deshalb einen Besuch, teilte ...
   ... Wege stehen. Ich machte ihm deshalb einen Besuch, teilte ...

   [S. 411]:
   ... Hals haben. Anderseits muß ich gestehen, daß ich auch ...
   ... Hals zu haben. Anderseits muß ich gestehen, daß ich auch ...






End of the Project Gutenberg EBook of Vierzig Jahre aus dem Leben eines
Toten. Band 3, by Johann Konrad Friederich

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VIERZIG JAHRE AUS DEM LEBEN ***

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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
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[email protected].  Email contact links and up to date contact
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page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

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