Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 1

By Johann Konrad Friederich

The Project Gutenberg EBook of Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten.
Band 1, by Johann Konrad Friederich

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license


Title: Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 1
       Hinterlassene Papiere eines französisch-deutschen Offiziers

Author: Johann Konrad Friederich

Editor: Ulrich Rauscher

Release Date: November 17, 2019 [EBook #60712]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VIERZIG JAHRE AUS DEM LEBEN ***




Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net






                             Vierzig Jahre
                                aus dem
                           Leben eines Toten

                              Erster Band

                            Sechste Auflage




                             Vierzig Jahre
                                aus dem
                           Leben eines Toten


                         Hinterlassene Papiere
                eines französisch-preußischen Offiziers

                             In drei Bänden

                              Erster Band


                          Egon Fleischel & Co.
                                 Berlin
                                  1916




                                 Inhalt
                           des ersten Bandes.


                                                                   Seite

                                    I.
   Eine Taufe. -- Frau Rat Goethe. -- Voltaire in strengem          1-16
      Arrest zu Frankfurt am Main; seine Perücke. -- Der erste
      Luftschiffer in Deutschland. -- Sonderbarer
      Zwischenfall. -- Blanchard werden fürstliche
      Ehrenbezeigungen zuteil

                                    II.
   Kleinkinderjahre mit großen Episoden. -- Die letzte deutsche    17-29
      Kaiserkrönung (Franz II.). -- Die französischen
      Emigranten. -- Die Frankfurter Juden. -- Der alte
      Rothschild und sein Vater

                                   III.
   Die Neufranken in Frankfurt. -- Cüstine. -- Die                 29-39
      Kontribution. -- Die Mainzer Revolution

                                    IV.
   Wiedereinnahme Frankfurts durch die Preußen und Hessen. --      39-51
      Franzosen durch den Pöbel niedergemacht. -- Schreckliche
      Lage der Frankfurter Abgeordneten zu Paris, aus der sie
      mein Oheim befreit. -- Eindruck, den die Nachricht von
      der Hinrichtung Ludwigs XVI. macht

                                    V.
   Aufenthalt des Königs von Preußen und seiner Garde in           52-71
      Frankfurt. -- Spielwut der Offiziere. -- Ein Jude muß
      einen Wechsel fressen. -- Eine Entführung. -- Errichtung
      einer stehenden Bühne in Frankfurt. -- Die erste
      Vorstellung der Zauberflöte erregt ungeheures Aufsehen.
      -- Abermalige Belagerung Frankfurts (1796). -- Die Stadt
      wird mit glühenden Kugeln beschossen. -- Niederbrennen
      der Hälfte des Judenquartiers. -- Frankfurter Zustände
      jener Zeit. -- Meine schöne Cousine. -- Eine Scheidung.
      -- Eine Hochzeitsreise mit Unannehmlichkeiten in
      Stuttgart

                                    VI.
   Das Institut zu Homburg vor der Höhe. -- Die Flegeljahre. --    72-88
      Homburg und seine Umgebungen. -- Der Hof. -- Eine
      Schweinsjagd im Schloßgarten und eine Schildwache im
      Teich. -- Eine kaiserliche Stecknadel

                                   VII.
   Das Pensionat zu Offenbach. -- Die Gebrüder Bernard. -- Eine   89-117
      große Prellerei. -- Das Puppenspiel. -- Der
      Konfirmationsunterricht. -- Schinderhannes gefangen und
      hingerichtet. -- Allerlei Amoretten. -- Ich will mich
      schlechterdings dem Theater widmen. -- Eine Reise nach
      Weimar. -- Goethe und Schiller

                                   VIII.
   Abermaliger Aufenthalt in Homburg vor der Höhe. -- Diverse    118-139
      Amoretten. -- Ich gebe den Schauspieler auf, um Soldat
      zu werden. -- Glänzende Folgen einer Ohrfeige. -- Eine
      Hanauer Zopfparade. -- Ich trete in französische Dienste

                                    IX.
   Mainz; seine Geschichte. -- Ich werde zu dem Regiment Y.      139-154
      versetzt. Formation desselben. -- Die Familie Jung. --
      Die Mitternachtsmessen. -- Eine tödliche Krankheit. --
      Das Regiment erhält Ordre, nach Toul zu marschieren. --
      Ich gehe zu meiner Wiederherstellung auf Urlaub. --
      Chasttelers Mätresse, und eine Nacht im Bären. --
      Napoleon hält eine Revue in Mainz. -- Ich bekomme einen
      Transport Rekruten nach Toul zu führen

                                    X.
   Marsch von Mainz nach Toul. -- Abscheuliche Zusammensetzung   154-172
      des Transports. -- Oppenheim. -- Worms. -- Desertion und
      Diebereien. -- Die Pfalz. -- Dürkheim. --
      Kaiserslautern. -- Die Familie Karcher. -- Landsstuhl.
      -- Homburg. -- Saarbrücken. -- Eine getröstete
      Strohwitwe. -- St. Avold. -- Courcelle. -- Ein
      schmutziger Vorfall. -- Metz. -- Ich werde in das
      Militärgefängnis gesetzt. -- Spitzbübereien des
      Quartiermachers. -- Die Sehenswürdigkeiten von Metz. --
      Pont à Mousson. -- Ankunft in Toul

                                    XI.
   Die Garnison zu Toul. -- Ich werde Kadett-Sergeant. --        173-190
      Schlechte Administration und Organisation des Regiments.
      -- Schlimmer Ruf desselben. -- Aufstand wegen des
      Handgeldes. -- Deutsches und französisches
      Liebhabertheater. -- Nancy. -- Eine Entführung. -- Ich
      werde Vorleser beim Fürsten und erhalte Arrest. -- Ein
      Duell im Mondschein. -- Eine Klopffechterei. -- Abmarsch
      nach Avignon

                                   XII.
   Colombey. -- Neufchateau. -- Ein greulicher Vatermord. --     191-225
      Montigny. -- Komisches Mißverständnis. -- Langres. --
      Dijon. -- Chalons sur Saone. -- Wasserfahrt auf dem
      Coche d'Eau. -- Eine Nacht in Macon. -- Lyon. -- Ein
      vereitelter Gaunerstreich und beigelegtes Duell. -- Das
      Regiment wird auf der Rhone eingeschifft. -- Vienne. --
      Condrieux. -- Schiffbruch unter der Brücke St. Esprit.
      -- Orange. -- Avignon. -- Aufenthalt daselbst. -- Die
      Insel Bartelasse. -- Villeneuve. -- Madame Croizet und
      die Prozession. -- Eine Tour nach Vaucluse. -- Ewiger
      Friede. -- Eine gefährliche Überrumpelung. -- Abmarsch
      nach Montpellier. -- Tarascon. -- Böses Volk. -- Eine
      entwaffnete Wache. -- Ein Schäferturnier. -- Nimes. --
      Lünel. -- Montpellier

                                   XIII.
   Die Garnison zu Montpellier. -- Der Peyron. -- Furcht der     225-270
      Soldaten vor der medizinischen Fakultät. -- Die
      Einwohner. -- Meine Hausdamen. -- Demoiselle Verteuil.
      -- Fürst Y. mein Nebenbuhler. -- Ich falle in Ungnade.
      -- Die Fahnenweihe. -- Der souveräne Fürst in strengem
      Arrest. -- Folgenschwerer Ritt nach Cette. -- Nächtliche
      Spazierfahrt auf der See. -- Auch ich in strengem Arrest
      und verliere meinen Grad als Sergeant. -- Ich werde
      Unterleutnant. -- Abmarsch nach Toulon. -- St. Remy. --
      Orgon. -- Aix. -- Das Fronleichnamsfest daselbst. --
      Arles. -- Toulon. -- Stadt und Hafen. -- Das Arsenal. --
      Die Galeerensklaven. -- Wiedereinnahme von Toulon durch
      die Republikaner (1793). -- Bonaparte tut sich zuerst
      hervor. -- Verbrennung der französischen Flotte und des
      Arsenals. -- Verheerung der Stadt. -- Rauferei mit einem
      Marine-Offizier. -- Ein Skandal im Theater. -- La Seine.
      -- Die Familie Guige. -- Eine Hochzeit auf der Insel
      Porquerolles. -- Abmarsch nach Genua

                                   XIV.
   Marsch von Toulon nach Genua. -- Lüc. -- Frejus. -- Cannes.   271-282
      -- Die lerinischen Inseln. -- Madame Grenet. -- Nizza.
      -- Landsleute. -- Seefahrt von Nizza nach Genua. --
      Finale. -- Savona. -- Der Anblick Genuas vom Golf aus
      gesehen

                                    XV.
   Beschreibung Genuas. -- Besuch bei einem Grafen Fiesco. --    283-324
      Ein sauberer Kanonikus. -- Soiree bei Dorias. -- Ein
      italienischer Sprachlehrer. -- Die Marchesa P... und ihr
      Cicisbeo. -- Signora Peretti. -- Mozarts Don Juan wird
      zuerst durch mich in Genua bekannt. -- Die
      Militärmessen. -- Komisches Mißverständnis. -- Ein
      gefälliger Gitarre-Lehrer. -- Ein Mordanfall. --
      Maskenfest bei Dorias mit einer Episode. -- Abmarsch von
      Genua

                                   XVI.
   Marsch von Genua nach Mola di Gaëta. -- Beschwerliche         324-354
      Märsche durch das Gebirge. -- Der Anblick von Italiens
      Ebenen. -- Parma. -- Reggio. -- Modena. -- Bologna. --
      Eine liebenswürdige Advokatenfamilie. -- Faenza. --
      Forli. -- Cesena. -- Rimini. -- San-Marino. --
      Sinigaglia. -- Loretto. -- La Casa-Santa und ihre
      Schätze und Reliquien. -- Macerato. -- Foligno. --
      Spoleto. -- Terni. -- Der Wasserfall. -- Narni. --
      Civita-Castellana. -- Roms Umgebung. -- Ein Tag in Rom.
      -- Marsch nach Mola di Gaëta. -- Besitznahme des
      Königreichs Neapel durch die Franzosen

                                   XVII.
   Die Belagerung von Gaëta. -- Mola di Gaëta. -- Abmarsch nach  354-380
      Neapel. -- Sessa. -- Ein Dominikanermönch verführt zwei
      Korporale. -- Capua. -- Aversa. -- Neapel. -- Vetter
      Moritz. -- Der neue König und seine Regierung. -- Das
      Blut des heiligen Januarius wird zugunsten der Franzosen
      flüssig. -- Scheußliche Exekutionen. -- Der Vesuv speit
      Feuer. -- Die Lazzaroni. -- Die italienischen
      Benefizvorstellungen. -- Aufstand in Kalabrien. --
      Abmarsch dahin

                                  XVIII.
   Erster Feldzug in Kalabrien. -- Portici. -- Salerno. --       380-418
      Eboli. -- Cosenza. -- Die Schlacht bei Maida. --
      Scheußliche Behandlung und Martern der den Briganten in
      die Hände gefallenen Gefangenen. -- Die schrecklichsten
      Augenblicke meines Lebens. -- Gräßlicher
      Insurgentenkrieg und Verwüstungen. -- Fra Diavolo. --
      Ich nehme seinen Adjutanten gefangen. -- Seine
      Galanterie gegen zwei französische Offiziersdamen. --
      Rückkehr nach Neapel. -- Fra Diavolos Gefangennehmung
      und Hinrichtung




                              Einleitung.


Es gibt heute nichts, was höher im Kurs stände, als die Tatsache. Die
knappen Berichte des deutschen Hauptquartiers, die in wenigen, genauen
Worten den jeweiligen Stand der größten Erschütterung aufzeichnen, die
die Welt je erlebt hat, sind gepreßt voll mit Tatsachen, zwischen denen
keine Watte von Gefühl, Betrachtung, Ausmalung liegt. Die genaueste
Projizierung vom Geschehnis ist uns heute die liebste, weil sie die
reinlichste Aufzeichnung unserer Schicksalslinie darstellt. Was könnte
ein anderer hinzutun, das wir selber nicht tiefer und inniger empfänden!
Aber als Ergänzung dieser gewaltigen Nüchternheit, die das Gesamtbild
haben muß, ist uns die Darstellung des einzelnen Erlebnisses willkommen,
in dem wir die Anfänge der großen Dinge spüren und sehen. Die Tatsache
ist das Entscheidende; aber ihre Farbe und manchmal ihre Bedeutung
erhält sie dadurch, daß sie in Handlung oder im Unterlassen des
einzelnen Menschen wurzelt, ein einzelnes Menschenschicksal ist!

Hier ist ein Buch, das solch ein einzelnes Menschenschicksal erzählt, in
dem sich aber der Zusammenbruch der alten Welt in den Revolutionsjahren
und der Aufstieg der neuen in Napoleon spiegelt, bis auch das Erdbeben
und sein Sohn keine Faktoren eines weltpolitischen Lebens mehr sein
konnten, sondern ihren Platz nüchternen, aber gewaltigen Erscheinungen
abtreten mußten: der allgemeinen Wehrpflicht, dem allgemeinen
Stimmrecht, dem neuen Nationalstaat.

Aber dies Buch eines französisch-preußischen Offiziers erzählt eben
nicht von hoher Warte, sondern aus dem Gewimmel der vielen heraus, in
dem hier und da der Siebenmeilenschritt des kleinen Korporals auftaucht.
Ein Mann erzählt ein ungewöhnliches, aber auch unbekanntes Leben, Jahr
für Jahr, Woche für Woche, von seiner Kindheit in Frankfurt am Main,
über der, landsmännisch respektlos behandelt, der Name Goethe steht, von
seinem Eintritt in die glorreiche Armee, seinen Feldzügen in Italien,
Spanien, im Balkan und auf Korfu, von der preußischen Dienstzeit mit
Drill, Langerweile und letzten Erinnerungen an den Gamaschendienst, und
schließlich von einem freien Vagabondieren durch ganz Europa, das
Deutschland des Frankfurter Bundestags und das Frankreich Ludwigs
XVIII., um dessen zerbrechliche Herrlichkeit immer noch das Gespenst des
verbannten Napoleon spukt. Ja, als der Verfasser in seine Heimatstadt
zurückgekehrt ist und langsam in die Glorie des stimmberechtigten
Bürgers einrückt, taucht noch einmal die bestimmende Gestalt seines
Lebens auf: der Kaiser! Er hat ihn bewundert, aber nie geliebt; noch
weniger liebt er seine Kerkermeister, die Engländer. So wird er das
tätigste Mitglied einer bonapartistischen Konspiration, die den
Gefangenen von Sankt Helena mit einem märchenhaften, unwahrscheinlichen
und heut, hundert Jahre später, uns so geläufigen Mittel befreien will:
mit einem Unterseeboot. Aber der Kaiser stirbt, eh das Wunder
verwirklicht werden kann. Und die Welt geht, des Gigantenkampfs müde, zu
neuen, etwas muffigen und saftlosen Spielereien über. Das Leben eines
Toten kehrt in die Niederungen zurück.

Fünfundzwanzig Jahre durchstreift der Frankfurter Bürgersohn, der mit
seinem wahren Namen Friedrich hieß, Europa, und fünfundzwanzig Jahre
lang ist ihm Feldzug und Reise fast nichts anderes als der Flug von
einer Frau zu einer anderen Frau. Er wird wohl ein wenig übertreiben;
aber selbst nach dem Abzug eines mäßigen Prozentsatzes bleiben noch
soviel galante Abenteuer über, wie sich sonst nur bei Casanova finden
lassen. Und die erzählt er nun mit heller Freude und dem ausgesprochenen
Genuß des Nachkostens. Er erlebt all die Frauen noch einmal, die er in
Quartieren und im Salon errungen hat, und vergißt bei keiner, die
Beweise seiner Kraft aufzuzählen. Allerdings, mit tiefschürfender
Psychologie gibt er sich dabei nicht ab. Er ist auch hier ein
unbedingter Anhänger der Tatsache und weiß sich nichts Amüsanteres, als
den Weg zu ihr möglichst genau darzulegen. Er kennt hundert Arten der
Verführung, und die Frauen, denen er begegnet, kennen, -- das muß man
zugeben -- hundert und eine Art, sich verführen zu lassen. Von der
Fürstin bis zum Dienstmädchen kennt er die ganze weibliche Klaviatur des
damaligen Europa, und (er ist auch ein großer Musiker) seine
Lieblingsoper, die damals noch kaum über Österreich und Deutschland
hinausgedrungen war, ist natürlich der unsterbliche Don Juan. Er weiß
die Schönheit Mozartscher Musik wohl zu erfassen. Aber ganz
uneigennützig ist seine Propaganda für den Meister doch nicht, denn
seine größten Liebes-Triumphe erringt er immer wieder durch das Duett
Don Juans, das er mit geschickten Impromptus mit der Erkorenen
durchnimmt.

Aber die Abenteuer des Toten spielen sich im Rahmen napoleonischer
Heerzüge ab! Es sind Feldpostbriefe aus einer Zeit, wo die
Kriegsschauplätze so zahlreich waren wie heute. Allerdings muten uns
diese Kämpfe, neben dem eisernen, zerfleischenden Ringen von heut, wie
Scharmützel an, die mehr jugendlichem Tatendrang als weltgeschichtlicher
Notwendigkeit zu entstammen scheinen. Seltsam liest sich die bunte
Schilderung des Kleinkriegs am Ende des italienischen Stiefels, Sizilien
gegenüber, wo die Engländer in schöner Skrupellosigkeit Tag und Nacht
neapolitanische Banditen an Land setzen und mit ihrer Flotte den
Franzosen das Leben sauer machen. Die Freunde von heute benutzten damals
schon Mittel gegeneinander, die sie heut kräftig miteinander gegen uns
ins Werk zu setzen trachten, und gaben einander an Sorglosigkeit in der
Wahl der Kampfmethoden nichts nach; das beweist vor allem die
ausführliche Schilderung der Land- und Seeschlacht bei Toulon. Aber viel
interessanter ist noch der Einblick in das Napoleonische Weltgebäude,
das wir in der großen Geschichte sozusagen nur in der Verschalung kennen
lernen, während es hier bloßgelegt wird, mit dem Wurm im Gebälk und
flüchtig nur aufgenagelten Sparren. Was wissen wir von Napoleons Glück
und Ende? Daß er etwa 1805 auf dem Gipfel seiner Macht stand, 1814 Land
und Krone verlor, zurückkehrte und am 16. Oktober 1815 als Gefangener
auf Sankt Helena landete. Hier aber, aus dem Leben eines Toten, erfahren
wir von einem höchstbeteiligten Augenzeugen, wie es um das Weltreich,
auch zur Zeit der größten Blüte, bestellt war. Wir erleben mit, wie kaum
ein Quadratmeter ruhig und sicher gewesen ist, wie auch in den
unterworfensten Städten und Ländern die Empörung züngelte und
emporschlug und ständige, blutige Gewaltherrschaft nötig war, um den
Schein der Macht nach außen aufrecht zu erhalten. In Neapel, Rom,
Venedig, Wien, Madrid, an allen Enden Europas war die Unsicherheit
napoleonischer Größe dieselbe. Gewiß, unser Gewährsmann ist ein ganz
kleiner Leutnant, aber er kommt überall hin, er ist, wenn auch ein
unbedeutendes, so doch ein Glied der Herrscherkaste, er findet seinen
Weg immer im Umkreis der Fußstapfen des Titanen, und siehe da: auch
_dieser_ Koloß hat tönerne Füße. Nirgends ist seine Herrschaft
anerkannt, nirgends an der Peripherie klappen die militärischen Dinge so
richtig, nirgends kommt die Verpflegung und der Sold zur rechten Zeit,
für nichts hat Napoleon die Zeit sachgemäßer Maßregeln: er dekretiert
und sehr oft so, daß seine glühenden Anhänger zu seinen Gegnern werden
müssen, weil seine Anordnungen für das betreffende Gebiet tödlich
wirken. Tragisch geradezu und in ihrer Komik doch wieder lächerlich
wirkt die Liquidation dieses größten Weltreichs. Unser Erzähler sitzt
strafversetzt auf Korfu, von der Welt durch die englische Flotte
abgesperrt. Und während die Menschheit den Sturz Napoleons tragödienhaft
nach der Völkerschlacht bei Leipzig erlebt, nimmt er auf Korfu die
Gestalt einer ganz gewöhnlichen Geldklemme an, bis schließlich die
Engländer, Wochen nach Napoleons Ende, auch auf der kleinen Insel mit
einer längst operettenhaft gewordenen Weltherrschaft Schluß machen. Die
kleine preußische Garnison, die unsern Helden später aufnimmt, kann
natürlich nach den Abenteuern einer zehnjährigen Kriegszeit nicht gut
wegkommen. Der große Schwung der Befreiungskriege ist verflogen, die
heilige Allianz lastet auf Preußen, der Garnisondienst ist noch nicht so
recht der allgemeinen Wehrpflicht angepaßt, wenn auch die Fuchtel
verschwunden ist. Langsam erst konnte aus der Enge von Provinz und Drill
das herauswachsen, was damals in den Windeln lag und heut unser aller
Rettung und Stolz ist: das deutsche Volksheer!

Die Zeit vor hundert Jahren in einem deutschen Spiegel! Die Zeit, in der
die Wurzeln der unseren ruhen! Der Held erlebt sie, wie kaum ein
anderer, in fremder Uniform wie so viele, aber mit unverfälschtem Blick
für die Not seines Vaterlandes. Was preßt sich alles in die
fünfundzwanzig Jahre seiner Wanderfahrt! Er erlebt die erste Aufführung
der Zauberflöte in Deutschland und bringt die erste des Don Juan in
Italien zustande; er verhaftet den guten Papst Pius VII. und beinahe den
nicht minder berühmten Fra Diavolo. Er ist der Liebhaber von Napoleons
schönster Schwester Pauline und drauf und dran, der Retter und Erlöser
des Gefangenen von Sankt Helena zu werden. Er ist -- und das ist das
Beste an ihm, dem flotten Erzähler, unermüdlichen Schürzenjäger, mutigen
Soldaten -- eine der typischen Gestalten, in denen sich deutsche
Tatenlust ins Weltgedränge mischte, seit Jahrhunderten fremde Geschäfte
besorgte und heut im mächtigen Rahmen deutscher Herrschaft und deutscher
Ausdehnung sich im eigenen Haus, am eigenen Werk betätigen muß!

                                                           April 1915.
                                                      Ulrich Rauscher.




                                   I.

   Eine Taufe. -- Frau Rat Goethe. -- Voltaire in strengem Arrest zu
     Frankfurt am Main; seine Perücke. -- Der erste Luftschiffer in
     Deutschland. -- Sonderbarer Zwischenfall. -- Blanchard werden
                  fürstliche Ehrenbezeigungen zuteil.


Denselben Tag und zur selben Stunde, als die Kanonen bei der Erstürmung
der Bastille zu Paris donnerten, nämlich den 14. Juli 1789, kam in der
ehemaligen freien Reichsstadt des seligen heiligen römischen Reichs, von
dem schwer zu ermitteln, was heilig und was römisch an ihm war, zu
Frankfurt am Main, in einem in der alten Fahrgasse gelegenen Haus, zum
goldnen Schiff genannt, ein Knäblein zur Welt, dessen Vater, Johann
Nikolaus Fröhlich, ein wohlhabender Handelsmann und Bürger dieser Stadt
war.

Zehn Tage nach dieser Begebenheit gewahrte man in einer langen, grünen,
braungetäfelten Stube dieses Hauses einen dreieckigen, mit schneeweißem,
mit kostbarer Spitzenarbeit versehenem Linnen gedeckten Tisch. Auf
demselben stand ein sehr kunstreich gearbeitetes silbernes und
vergoldetes Taufbecken zwischen zwei wohlduftenden japanischen
Blumenvasen und vier schwere silberne Armleuchter von getriebener
Arbeit, das Patengeschenk für den Neugeborenen. Um diesen so
geschmückten, eine Art Altar repräsentierenden Tisch stand in einem
Halbkreis eine hochachtbare Gesellschaft ganz honetter Spießbürger aus
den angesehensten Familien der alten Reichsstadt samt ihren Frauen. Alle
waren in stattliche Galakleider von Sammet und Seide, im Geschmack jener
Zeit gestickt, gekleidet, die Herren trugen prächtige Perücken mit
stattlichen Haarbeuteln und die Frauen hochgetürmte, sehr künstliche
Haargebäude auf ihren Häuptern und waren trotz der heißen Jahreszeit in
steifen, schweren Damast gehüllt. All diese respektablen Personen hatten
sich hier eingefunden, um der Taufe des jungen Christen beizuwohnen, der
während der ganzen Dauer der heiligen Handlung gleich einem Neuntöter
schrie.

Unter denen, welche diesen feierlichen Akt mit ihrer Gegenwart beehrten,
befand sich auch ein Herr Weller mit seiner Gattin, ein
Achtundvierzigstteil der damaligen Frankfurter Souveränität, das heißt,
er war als Schöffe Mitglied des aus achtundvierzig Personen bestehenden
und Hochwohlgebornen, Gestrengen, Fest- und Hochgelahrten, Hoch- und
Wohlweisen, auch Wohlfürsichtigen, insonders Großgünstigen,
Hochgebietenden und Hochzuverehrenden betitelten Magistrats[1]. Dieser
gewichtige Mann war der Pate und Großpapa des zu taufenden Kindes.

Außer ihm waren noch zugegen: der Stadtkommandant und Generalissimus des
aus vier- bis fünfhundert Mann bestehenden freireichsstädtischen Heeres,
nämlich der Herr Oberst Schulter nebst Gattin und Schwägerin, von denen
die erste die Tante und die zweite die Mutter Goethes, die Frau Rat
Goethe, waren. Letztere war eine etwas stolze und mitunter hochfahrende
Dame, welche nicht versäumte, bei Gelegenheit anzubringen, daß der
Verfasser Werthers und Götz von Berlichingens ihr leiblicher Sohn sei.
Indessen war ihr Herz und Geist nicht abzusprechen, und ihre
vertrauteren Freunde behaupteten, daß sie auch Gemüt und Gutmütigkeit
besitze. Ferner befand sich noch ein Herr Fahrtrapp, Wellers Schwager,
ein reicher, gelehrter Buchhändler und Antiquarius, holländischen
Ursprungs, ein geniales Original, in dieser ehrenwerten Gesellschaft.
Dieser Mann hatte große Verbindungen und Gelegenheit gehabt, Voltaire
kennen zu lernen, als dieser in Frankfurt auf Befehl Friedrichs II. in
Gewahrsam gehalten und bei dieser Gelegenheit von einigen Gaunern
daselbst mißhandelt und geprellt wurde. Der Antiquar war ein
wissenschaftlich gebildeter und geistreicher Mann, wenn auch, gleich
allen Sterblichen, mit einigen Schwachheiten begabt. Er hatte die Gnade
gehabt, während Karls VII. gezwungenen Aufenthalts zu Frankfurt am Main,
als dieser unglückliche Kaiser trotz dem Beistand, den ihm Ludwig XV.
von Frankreich leistete, seine Staaten hatte verlassen müssen, denselben
unangemeldet durch eine geheime Hintertreppe in seinem Kabinett
aufsuchen zu dürfen, was er dem Umstand verdankte, daß er dem Kaiser
mehrmals hochwichtige Nachrichten hinterbracht hatte, ehe noch die
diplomatischen Spürnasen Sr. Majestät eine Ahnung von denselben gehabt
und die der Buchhändler vermittelst seiner weitverbreiteten Verbindungen
in Erfahrung gebracht. Auch wollte ihn der Kaiser zum Edelmann und Baron
stempeln, was sich Franz Fahrtrapp jedoch verbat und, für die hohe Gnade
dankend, Sr. Majestät antwortete: Ich mag ein leidlicher Antiquarius und
passabler Buchhändler sein, würde aber allem Anschein nach nur ein
mittelmäßiger Baron und ein sehr schlechter Höfling werden, deshalb
geruhen Allerhöchstdieselben mich in _statu quo_ zu lassen, -- und damit
hatte es auch sein Bewenden. Dagegen hatte Herr Fahrtrapp die
Schwachheit, daß, eine Meinung oder Tatsache behauptend, er häufig
hinzusetzte: »so dachte auch mein Freund Voltaire,« oder »ich hab' es
vom Kaiser Karl selbst!«

[Fußnote 1: Dies war der Titel, der damals dem Frankfurter Senat gegeben
werden mußte.]

Von den übrigen mehr oder minder bedeutenden Taufgästen führe ich nur
noch eine wunderschöne junge Frau an, die sich Madame Scholze nannte,
die Schwester des Herrn vom Haus und die Gattin eines Millionärs aus der
Hansestadt Bremen war, der in der Nähe von Worms ein schönes Gut,
Niedesheim genannt, besaß, wohin ihm die Ankunft des Neugebornen
vermittelst einer Stafette und blasendem Postillon gemeldet und die
Einladung zur Taufe durch einen Freund der Familie, Herrn Rasor aus
Worms, ebenfalls ein Taufgast, zugekommen war.

Als endlich der hochwürdige Pastor Stark in seinem
protestantisch-geistlichen Kostüm mit breitem Lutherkragen, wie sie zu
jener Zeit die lutherischen Pfarrherrn in Frankfurt trugen, die
Taufhandlung beendigt hatte, übergab er den kleinen Schreihals dem
Paten, und dieser überreichte ihn der Wartfrau Greifenstein mit den
Worten: »Wohlan, junger Weltbürger, suche deinen Weg in dieser Welt voll
Eitelkeit zu machen; es scheint, du bist mit einer guten Lunge begabt,
dies ist schon etwas, du kannst es einmal bis zum Stadtamtmann, wohl gar
zum einjährig wohlregierenden und gestrengen Bürgermeister in unserer
guten Republik bringen.«

Nach beendigter Zeremonie empfahl sich der Pastor, nachdem er sich noch
durch ein paar Gläser Malaga erquickt hatte. Die übrige Gesellschaft,
von seiner etwas genierenden Hochwürden befreit, überließ sich nun
ungestört den Genüssen, welche ihr die Freigebigkeit des Herrn vom Hause
und Vaters des Getauften, Herrn Fröhlich, bereitet hatte. Perlender
Niersteiner und uralter Hochheimer Dompräsenz wurden reichlich kredenzt,
sowie flüssige und kompakte Süßigkeiten für die Damen.

Man war eben im Zug, sich so recht _en_ Gevatter zu vergnügen, als die
Frau Oberstin und Stadtkommandantin plötzlich ausrief: »Ach, mein Herr
Jesus, wir sind ja zu dreizehn!«

»Hast du mich nicht erschreckt,« sagte Frau Rat Goethe etwas ärgerlich
zu ihrer Schwester.

»Und was ist's denn weiter? Wir haben ja zu essen und zu trinken für
mehr als dreißig,« sagte der Antiquarius, Goethes Tante ein Glas
hundertjährigen Hochheimer präsentierend, und setzte hinzu: »Auf Ihre
Gesundheit, Frau Gevatterin!«

»Wir wissen schon lange, daß Sie ein arger Freigeist sind, Herr
Fahrtrapp,« erwiderte die Oberstin, das dargebotene Glas ausschlagend,
»aber wer weiß, was noch aus Ihnen dereinst werden wird.«

»Was aus uns allen, Frau Gevatterin; die Substanz meines Leibes
verspeisen meine Urenkel vielleicht einmal in einem saftigen
Hammelbraten oder gar in einem Spanferkel, und meine Seele -- je nun,
ein großer Bösewicht bin ich nie gewesen, so wird sich wohl auch noch
für diese ein Plätzchen im Elysium finden.«

»Aber um Himmelswillen, Herr Bruder,« fiel nun Schöffe Weller dem
Sprecher in die Rede, »laß doch dies bei einem Tauffest so unpassende
Gesalbader.«

»Gerade bei einer Taufe möchte es am passendsten sein, denn jeder
Neugeborne ist doch nur ein Kandidat des Todes. Doch das beiseite, muß
ich selbst gestehen, daß es mir eines Tages bei einem Mahl, bei dem wir
zu dreizehn waren, gewaltig unbehaglich wurde.«

»Wieso?« fragte Herr Scholze.

»Aha, Herr Freigeist, jetzt kömmt's,« sagte die Stadtkommandantin.

»Ja, jetzt kömmt's,« fuhr der Antiquar fort, »denn es war kaum für
sieben zu essen da, und Sie werden mir allerseits eingestehen, daß dies
eine große Fatalität ist. Es war bei dem seligen Senator Brenner.«

»Aber wie zum Henker kamen Sie dazu, bei diesem Filz zu speisen?« fragte
der Oberst Schulter, »diesem wahrhaften Hieronymus Knicker, dem größten
Geizhals auf hundert Meilen in der Runde. Der hat mir nie ein Glas Wein
angeboten, so oft ich auch in Kriegszeugamtsangelegenheiten zu ihm kam
und ...«

»Aber mit all dem Gerede sind wir noch immer zu dreizehn,« unterbrach
Frau Schulter ihren Mann halb im Zorn.

»Ja, wenn du uns verlassen wolltest, wären wir gerade noch ein Dutzend,
mein Schatz,« erwiderte der Oberst seiner Ehehälfte.

»Um Himmelswillen nicht, Frau Oberstin,« rief der Antiquar, »wer zuerst
weggeht, stirbt auch zuerst.«

Die Oberstin war indessen von ihrem Stuhl aufgestanden und hatte bis zur
Hälfte den Weg zur Zimmertür zurückgelegt, unschlüssig, was sie tun
sollte; endlich wandte sie sich an Frau Scholze und bat diese, sich mit
ihr zugleich zu entfernen.

»Leiden Sie das nicht, Herr Scholze,« sagte Herr Fahrtrapp, »sonst
verlieren Sie Ihre schöne Frau, die dann in Kompagnie mit der Oberstin
stirbt.«

»Herr Rasor, Herr Fahrtrapp, ich hoffe, daß Sie so galant sind, mich zu
begleiten.«

»Oh, daß ich ein Narr wäre,« antwortete der letztere, »die Galanterie
gegen die Damen geht nicht bis zum Tod. Wenden Sie sich doch an Ihren
Herrn Gemahl, dann haben Sie auch das Vergnügen, als Ehepaar das
Himmelreich zusammen zu betreten.«

»Nun, Kaspar, so komm, wir wollen gehen.«

»Mit nichten, liebes Weib, und am allerwenigsten, wenn ich bei altem
Hochheimer sitze, möchte ich diesen im Stich lassen, um in den -- Tod zu
gehen. Sei keine Närrin und setze dich wieder zu uns.«

Frau Schulter suchte noch einige andere Personen zu bewegen, sich mit
ihr zu entfernen, aber zu ihrem großen Verdruß spielten alle die
Gefühllosen und die Tauben, namentlich auch die Frau Rat Goethe, welche
endlich zu ihrer Schwester sagte:

»Schäme dich doch, die Tante meines Wolfgangs, und so abergläubisch; du
machst der ganzen Familie Schande.«

Die Oberstin nahm endlich mit einem süßsauern Gesicht ihren Platz wieder
ein.

»Dein Wolfgang, geh mir nur mit dem, das ist mir auch der Rechte, der
glaubt an keinen Gott und an keinen Teufel mehr, an dem werden wir noch
schöne Dinge erleben.«

»Frau Schwester, das verbitte ich mir, sein Werther hat die ganze Welt
entzückt und gerührt und mehr Tränen vergießen machen, als ... als ...«

»Als Wein in allen Kellern Frankfurts ist,« fiel der Oberst ein.

»Das wollte ich gerade nicht sagen,« fuhr die Frau Rat fort, »aber
Werther, Götz von Berlichingen und Clavigo haben ihm in ganz Deutschland
einen Namen gemacht, wenn man in Frankfurt auch diese Werke nicht nach
Verdienst zu schätzen weiß[2]. Kein Prophet gilt in seinem Vaterland,
und am wenigsten in unserer freien Reichsstadt, da kennt man keinen
andern Klang als Batzengeklimper und höchstens den der Posthörner, wenn
sie Passagiere verkünden. Aber die Nachwelt, die Nachwelt wird noch
erkennen, was ich ihr für ein Geschenk mit meinem Wolfgang gemacht, und
wenn wir lange nicht mehr sind, wird Frankfurt stolz auf meinen Sohn
sein!«

[Fußnote 2: Man vergesse nicht, daß Frau Rat Goethe im Jahr 1789
spricht.]

»Mag sein,« sagte der Antiquar, »wünsche Glück dazu, aber was nützt es
mir, daß der Schornstein vom Bratendampf raucht, wenn ich nicht mehr
genießen kann.«

»Eigne Schuld, Herr Fahrtrapp, hatte Ihnen mein Sohn den Werther nicht
zu Verlag angeboten?«

»Ich befasse mich nicht mit so sentimentalen Produkten.«

»Aufrichtig, lieber Herr Fahrtrapp, wenn Sie gewußt hätten, was diese
Sentimentalität einbringt, Sie würden ihr gewiß die Ehre Ihres Verlags
erwiesen haben.«

»Um Vergebung, nein, aber wäre es sein Götz gewesen, den mir Ihr Herr
Sohn angeboten, dann würde ich sogleich mit beiden Händen zugegriffen
haben.«

»Bei seiner letzten Anwesenheit las mir der Wolfgang einige Stellen aus
einem Manuskript, Faust betitelt, vor,« sagte die Frau Rat, »da hätten
Sie hören sollen, welcher Gedankenflug des menschlichen Geistes, welche
sublimen Ideen ... und diesen Geist habe ich geboren.«

»Halt's Maul, Schwester, mit Respekt vor der ehrbaren Gesellschaft, da
hast du einen saubern Geist geboren! Er hat seinem Oheim, meinem Mann,
auch ein Stück von diesem Faust vorgelesen, das ist ein sündhaftes,
gottloses Werk, das mich aus der Stube getrieben hat; wenn er das
drucken läßt, dann soll er nicht mehr sagen, daß ich seine Tante bin,
ich müßte mich zu Tode schämen; unsern lieben Herrgott läßt er darin
eine Unterredung mit dem Teufel haben, gerade wie wenn er wie unsereins
wäre; ist das nicht himmelschreiend? Ich würde mich zu Tode grämen, wenn
ich so einen gottlosen Sohn hätte. Unsern Herrgott mit allerlei
Lumpengesindel, Komödianten, Hexen, Dichtern und andern Hanswursten in
einer Komödie auftreten zu lassen! bewahre mich unser Heiland. Aber das
ist die Folge eurer freigeisterischen Erziehung. Schon als Kind hat der
Wolfgang immer mit Puppenspielen und dem gottlosen Komödienwesen zu tun
gehabt, da haben sie den Jungen in der Messe in die Marionetten gehen
lassen, und da hat er den Faust und all das Unwesen gelernt und
abgeguckt; wie oft habe ich dir nicht gesagt, daß du dies nicht dulden
solltest, es würde nimmer etwas Gutes daraus entstehen, und nun haben
wir die Bescherung.«

»Nimm mir's nicht übel, liebe Schwester, aber allen Respekt vor der
Gesellschaft, du bist eine alberne Gans. Was kann man auch anders von
Leuten erwarten, die sich fürchten, zu dreizehn an einem Tische zu
sitzen. Übrigens begreife ich gar nicht, wie sich so fromme und gläubige
Seelen wie du vor dem Tod fürchten können, da ihnen doch das Himmelreich
mit all seinen Freuden gewiß ist; sie sollten sich im Gegenteil freuen,
dieses irdische Qualtal je eher je lieber zu verlassen, um baldmöglichst
der himmlischen Glückseligkeit teilhaftig zu werden; ihre Todesfurcht
und ihr Glaube sind schwer zu erklärende Widersprüche, der letztere muß
eben nicht sehr kapitelfest sein.«

»Ja, wenn die geheimen Sünden nicht wären,« versetzte mit einem
boshaften Seitenblick Herr Fahrtrapp. »Doch lassen wir das, die Frau
Oberstin muß sich nun schon drein geben, zu dreizehn zu bleiben, wenn
sie nicht zuerst sterben will, und wenn es ans Weggehen kömmt, will ich
ihr auch den Gefallen tun, zuerst zur Türe hinauszugehen, sollte ich
auch zuerst abfahren müssen. Einstweilen wollen wir aber noch wacker auf
die Gesundheit des neuen Christen trinken.«

»Sehr verbunden, lieber Oheim,« erwiderte Herr Fröhlich.

»Und du wirst uns mit einigen Schnurren unterhalten, damit wir die
fatalen dreizehn vergessen,« sprach Schöffe Weller zu seinem Schwager.

»Mit Vergnügen,« versetzte der Antiquarius.

Unterdessen war die Wartfrau Greifenstein wieder in das Zimmer getreten,
und Frau Schulter hatte sie gepackt und ließ sie nicht mehr weg, indem
sie sagte, sie wolle selbst von Zeit zu Zeit nach der Wöchnerin und
ihrem Kind sehen und diese versorgen. Der guten Frau war ein großer
Stein vom Herzen gefallen, denn sie waren ja nun zu vierzehn.

Nachdem Herr Fahrtrapp nochmals den großen silbernen Taufpokal mit
Hochheimer gefüllt, auf das Wohl des Hausherrn und seines Erstgebornen
getrunken, ihn dann in der Reihe hatte herumgehen lassen, sprach er mit
erhobener Stimme: »Damals, als Herr François Arouet von Voltaire in
unsern Mauern ...«

»Nichts von Voltaire, Herr Fahrtrapp, nichts von Voltaire,« riefen
mehrere Stimmen zugleich, »diese Geschichte haben wir schon zur Genüge
gehört.«

»Tut nichts, Sie können sie immer noch einmal hören,« erwiderte der
Antiquarius etwas unwillig.

»Und ich kenne sie noch gar nicht,« sagte Herr Scholze, der Bremer
Millionär, »was hat es denn für eine Bewandtnis damit?«

»Ach, es ist eben nicht viel daran,« murmelte Herr Weller.

»Was, nicht viel daran? Ei, dich soll ja ... ja, wärest du nicht mein
lieber Schwager, so ... Voltaire, und nicht viel daran! Weißt du, daß
alles, was Voltaire berührt, groß ist?«

»Dann mußt du freilich auch ein großer Mann sein,« erwiderte Herr
Weller, »da auch du in Berührung mit ihm gekommen bist.«

»Keinen unzeitigen Spaß, Herr Schöffe, ich weiß recht gut, daß euern
hochobrigkeitlichen Ohren die Geschichte nicht allzu wohl klingt, und
zwar aus sehr handgreiflichen Ursachen; aber da kehre ich mich nicht
daran, darum hören Sie, Herr Scholze, ich will Ihnen mit zwei Worten
sagen, was an der Sache ist. Als Herr von Voltaire auf Befehl des großen
Friedrich gezwungen ward, wohlbewacht in unserer kaiserlichen freien
Reichsstadt unfrei zu verweilen, hatte ich Gelegenheit, diesem damals
verfolgten großen Genie einige kleine Dienste zu erweisen. Die hiesigen
Behörden hatten sich, mit Gunst, Herr Schwager Schöffe, eben nicht zum
ehrenvollsten bei dieser Gelegenheit benommen. Es war im Monat Juni des
Jahres 1753, als der selige Buchhändler Van Düren vom Herrn von
Voltaire, der wegen einem Manuskript Friedrichs des Großen auf dessen
Verlangen in Frankfurt festgehalten und von zwölf Soldaten unserer
achtbaren Miliz bewacht wurde, hundert Dukaten in Gold für ein anderes
Manuskript von diesem König, das den Titel >Antimacchiavell< führte und
er auf Voltaires Veranlassung gedruckt hatte, forderte. Der in jenem
Jahr wohlregierende Bürgermeister Fichard ließ mich rufen, um mein
Gutachten in dieser verdrießlichen Sache zu hören. Nachdem ich mich
genau von allen Umständen unterrichtet hatte, fiel dasselbe dahin aus,
daß Van Düren höchstens zwanzig Dukaten in Anspruch nehmen könne, und
Herr von Voltaire hatte es mir zu verdanken, wenn er mit dieser geringen
Summe und einigen Plackereien, denen die Fremden häufig bei uns
ausgesetzt sind, davon kam[3]. Bei dieser Gelegenheit hatte ich öfters
Unterredungen mit diesem großen Manne und wurde dadurch instand gesetzt,
ihn gehörig zu würdigen, auch entsinne ich mich noch jedes Wortes, das
zwischen uns gewechselt wurde, und besonders, was er über unsere
Regierung äußerte, was ich mich aber wohl hüten werde zu wiederholen, um
die etwas empfindlichen Ohren unserer hohen Obrigkeit nicht zu
beleidigen.«

Bei diesen Worten warf der Sprecher einen Blick auf den Schöffen und
fuhr fort:

»Was mich anbetrifft, so zeigte sich der große Mann ungemein erkenntlich
für die geringen Dienste, die ich ihm geleistet hatte, und bei der
letzten Unterredung, die ich mit ihm gehabt, sagte er, mich vertraulich
auf die Schultern klopfend:

>Mein werter Freund, Sie haben großes Unrecht, in einer Stadt zu
bleiben, wo man Ihre Verdienste so wenig zu würdigen versteht; an Ihrer
Stelle würde ich dieses Land verlassen und mich in der Hauptstadt der
zivilisierten Welt, zu Paris, niederlassen, dort ist das Feld für Männer
Ihres Schlages, und wenn ich Ihnen daselbst nützlich sein kann, so
dürfen Sie nur über mich gebieten, mit Vergnügen würde ich für Sie tun,
was in meiner Macht steht.<

[Fußnote 3: Voltaire selbst erzählt die ihn betreffenden Frankfurter
Vorfälle ganz ähnlich, nur etwas zugespitzter.]

Ich bemerkte jedoch dem großen Geist, daß meine Geschäfte eine solche
Ortsveränderung nicht zuließen, dankte für das gütige Anerbieten und
sagte ihm, daß, wenn für den kleinen Dienst, den ich so glücklich war
ihm erweisen zu können, er mir eine andere Gunst erzeigen wolle, mich
dies überaus glücklich machen würde.

>Und was wünschen Sie, lieber Fahrtrapp, sprechen Sie, wenn es in meinen
Kräften steht, mit Vergnügen ... Was ist's?<

>Mein Begehren wird Ihnen ein wenig sonderbar vorkommen, aber Kaiser
Karl VII. hat mich auf gleiche Weise für einige ihm erwiesene Dienste
belohnt.<

>Nun, so reden Sie.<

>Ich mag es kaum.<

>Wagen Sie immerhin.<

>Sehen Sie, Herr von Voltaire, ich wünschte ein kleines Andenken von
Ihnen zu besitzen, das mich zeitlebens daran erinnerte, das Glück gehabt
zu haben, Ihre Bekanntschaft zu machen.<

>Sehr gerne, Herr Fahrtrapp, ist Ihnen vielleicht mit einer meiner
Dosen, einer Uhr, einem Ring gedient, Sie dürfen nur sprechen ...<

>Nichts von allen dem, ich bin viel bescheidener, unbescheidener wollte
ich sagen.<

>Nun, endlich heraus damit, was wünschen Sie?<

>Eine -- eine Ihrer Perücken, eine von denen, die Sie schon oft
getragen.<

>Seltsame Grille! Doch es sei Ihnen gewährt,< antwortete das Genie mit
einem etwas faunartigen Lächeln.

>Tausend Dank, wertester Herr von Voltaire, ich werde das kostbare
Geschenk höchst in Ehren zu halten wissen und mein Haupt nur bei den
allerhöchsten Feiertagen, wie bei einer kaiserlichen Krönung oder dem
Begräbnis eines wohlregierenden Bürgermeisters oder dem Leichenschmaus
eines bürgerlichen Fähnrichs damit schmücken. Außerdem wird das teure
Andenken in meinem wohlverwahrten Schrank von Ebenholz auf demselben
Perückenstock ruhen, den schon eine kaiserliche Perücke ziert, die ich
ebenfalls das Glück habe zu besitzen.<

>Wie, Sie sind im Besitz einer kaiserlichen Perücke?<

>Freilich, der Monarch verehrte sie mir noch an dem Tage vor seiner
Abreise.<

Um der Sache ein Ende zu machen, meine Herren, ich war so glücklich, das
gewünschte Andenken aus Voltaires eigenen Händen zu empfangen, es ist
eine der schönsten Perücken, die ich je gesehen, von einem der ersten
Pariser Haarkünstler verfertigt. Erst dreimal habe ich mich damit
geschmückt, einmal bei der Krönung unsers Kaisers Joseph II. im Jahr
1764, das zweitemal vor vier Jahren, als der weltberühmte Blanchard auf
unserer Bornheimer Heide die erste Luftschiffahrt in Deutschland machte,
und endlich heute zu Ehren des nun Getauften: sehen Sie, das ist sie.«

Herr Fahrtrapp nahm nun die Perücke von seinem Kopfe und ließ sie der
Reihe nach von den Anwesenden bewundern. Als sie alle gehörig und nach
allen Seiten betrachtet hatten, nahm sie der Besitzer wieder zu sich und
setzte sie sich selbst auf das platt geschorene Haupt, indem er sprach:
»Aber bei Blanchards Luftfahrt wäre ich beinahe um diese kostbare
Reliquie gekommen.«

»Wieso, Herr Fahrtrapp?« fragte Herr Scholze.

»Bei diesem noch nie gesehenen Schauspiel, das aber an dem dazu
bestimmten Tage aus besonderen Ursachen, die Sie sogleich hören werden,
nicht stattfinden konnte ...«

»Höre, Bruder,« fiel ihm Weller in die Rede, »mache keine so lange Brühe
um diese ebenfalls schon hundertmal erzählte Geschichte, oder erlaube
mir, daß ich sie den Herren in wenig Worten mitteile.«

»Nach Belieben, mein hochweiser, großgünstiger, auch wohlfürsichtiger et
cetera Herr Schöffe.«

»Gut, also hören Sie,« begann nun Weller. »Den siebenundzwanzigsten
September siebzehnhundertfünfundachtzig, an dem Blanchard Deutschland
mit dem noch nie gesehenen Schauspiel einer Luftschiffahrt erfreuen
wollte, hatte sich eine unzählige Menge Menschen aus allen Winkeln und
Enden des deutschen Reiches nebst vielen Standespersonen in und um
Frankfurt eingefunden, so daß in der ganzen Stadt in keinem Gasthof und
in keinem Privathaus ein Unterkommen mehr zu finden war. Nur mit Mühe
hatten wir uns, mein Schwager und ich nebst unsern Frauen, Plätze im
ersten Rang des mit Brettern vernagelten Rondels zu einer Karolin in
Gold den Platz verschaffen können, der zweite Rang wurde mit einem
Dukaten und der dritte mit einem halben Dukaten bezahlt. Trotz dieser
hohen Preise waren alle Plätze schon mehrere Stunden vor der zum
Aufsteigen bestimmten Zeit besetzt, und außerhalb dieses Raumes harrten
wohl über zweihunderttausend Zuschauer des nie gesehenen Schauspiels.

Endlich war alles zur Auffahrt bereit; da wollte der Erbprinz von
Hessen-Darmstadt durchaus und trotz allem Widerreden seiner hohen
Anverwandten die halsbrechende Fahrt mitmachen. Schon hatte er neben
Blanchard nebst noch einem Herrn in dem verhängnisvollen Schiffchen
Platz genommen und eben sollte der Ballon abgeschnitten werden, um sich
zu erheben, als ein pfeifenartiges Sausen dicht an dem linken Ohr meines
erschrockenen Schwagers vorbeistrich, und in demselben Augenblick
erhielt der Ballon auch ein Loch, aus welchem das Gas entströmte, er
schrumpfte allmählich zusammen und fiel endlich nieder. Blanchard selbst
war über diesen Vorfall so erschrocken, daß er die Sprache samt dem Kopf
verloren zu haben schien, und die Zuschauer, besonders die
nichtzahlenden außerhalb der Rotunde, gerieten in großen Aufruhr und
wurden fast wütend, sie glaubten, man habe sie nur foppen wollen und zum
besten gehabt. Ich sah den Augenblick kommen, wo man den armen
Luftschiffer in Stücke reißen würde. Nur durch die unerhörtesten
Anstrengungen einiger angesehenen Personen gelang es, ihn der Wut des
Pöbels zu entziehen. Der Fürst von Nassau-Weilburg nahm ihn in seinen
Wagen, der durch eine starke militärische Bedeckung geschützt wurde, und
brachte ihn so mit heiler Haut in sein Quartier im Gasthof zum goldnen
Löwen zurück.

War Blanchard durch diesen Unfall sehr ergriffen, so war es mein werter
Schwager nicht minder, denn stellen Sie sich vor, daß, als man, alle
Zucht und Ordnung beiseite setzend, die bretternen Schranken niederriß
und in das Sanktissimum einstürmte, auch er von einem panischen
Schrecken ergriffen, gleich den andern in der allgemeinen Flucht mit
fortgerissen, niedergeworfen und mit Füßen getreten wurde, und als es
ihm nach vielen vergeblichen Anstrengungen gelang, sich wieder zu
erheben, siehe, da war er hut- und perückenlos. Sie können sich nun
seinen Schmerz vorstellen, als er den nicht mehr zu ersetzenden Verlust
dieses Kleinods wahrnahm. Den kommenden Tag ließ mein Schwager durch
Trommelschlag bekannt machen, daß derjenige, der ihm seine Perücke
wiederbringen würde, eine Belohnung von fünfzig Dukaten in Gold erhalten
solle, und noch ehe sich der Tag neigte, brachte ihm ein ehrlicher
Fleischer gegen Empfang der Dukaten, die er diesem unter Freudentränen
einhändigte, den unersetzlichen Haarschatz, wenn auch etwas übel
zugerichtet. Dies, meine Herren, der Hergang dieser merkwürdigen
Begebenheit.«

»Aber wie endigte es mit Blanchard?« fragte Herr Schulze.

»Dieser kündigte die Luftfahrt für einen andern Tag an, sowie daß er
diesmal das Schiffchen allein besteigen würde. Dieselbe ging auch in der
Tat Montags den dritten Oktober über alle Erwartung gut von statten. Um
zehn Uhr morgens erhob sich der Ballon majestätisch unter dem Jubel- und
Freudengeschrei von mehr als hunderttausend Kehlen und dem
Beifallklatschen von ein paarmal hunderttausend Händen Blanchard, eine
weiße Fahne schwingend, schwebte bald hoch über uns, und in weniger als
vierzig Minuten legte er mehr denn fünfzehn Stunden zurück. Als er sich
in der Gegend von Weilburg herablassen wollte, nahmen mehrere Hirten und
Landleute die Flucht, wähnend, daß irgendein übernatürliches Wesen oder
der Gottseibeiuns selbst durch die Lüfte herabfahre. Dies kann nicht
auffallen, wenn man bedenkt, daß noch wenige Jahre früher man
denjenigen, der nur von der Möglichkeit einer Luftschiffahrt gesprochen,
für närrisch, und den, der sie wirklich vollbracht, für einen Zauberer
gehalten haben würde und ihm als einem solchen den Prozeß gemacht und
ihn wahrscheinlich verbrannt hätte. Ein Schäfer und ein Junge von
fünfzehn Jahren schnitten sogar die Stricke entzwei, mit denen Blanchard
die Anker geworfen hatte. Endlich gelang es ihm mit Hilfe einiger
vernünftiger Leute, in der Nähe von Weilburg die Erde zu erreichen.

Den folgenden Tag fuhr er in einem fürstlichen Wagen vierspännig nach
Frankfurt, wo man so außerordentliche Vorbereitungen gemacht hatte, als
gälte es ein gekröntes Haupt zu empfangen. Man führte ihn in das
Theater, wo ihm Pauken und Trompeten entgegenschmetterten und die Vivats
gar kein Ende nehmen wollten. Als der Vorhang in die Höhe gegangen war,
krönten die Schauspieler in phantastischen Feierkleidern seine Büste mit
Lorbeeren und deklamierten ihm zu Ehren ein in französischer Sprache
abgefaßtes Festgedicht mit echt deutschem Akzent. Nach dem Schauspiel
wurde ihm ein herrliches Souper gegeben, das mein werter Herr Schwager
hier angeordnet hatte und dem viele hohe Standespersonen und Gesandte
beiwohnten. Auf den folgenden Tag wurde ein noch prächtigeres
Mittagsmahl im Gasthof zum römischen Kaiser veranstaltet, dessen
Anordner ebenfalls Herr Fahrtrapp war, der, wie Sie wissen, jeden Sonn-
und Feiertag daselbst zu speisen für gut findet.«

»Herr Bruder, ich verbitte mir dergleichen Anmerkungen, die nicht zur
Sache gehören,« fiel hier der Genannte ein.

»Man unterbreche mich nicht zur Unzeit,« versetzte Herr Weller und fuhr
fort: »Der Gefeierte wurde abermals mit Trompeten empfangen, und um ihn
zu belustigen, warf man vom Balkon unter das vor dem Haus versammelte
Volk Geld herab. Bis beinahe zur einbrechenden Nacht saß man zu Tisch,
von dem man aufstand, um den kühnen Luftschiffer abermals in das Theater
zu führen; diesmal waren es jedoch nicht Pferde, sondern Menschen, die,
seinen Wagen ziehend, die Viehdienste versahen und dafür reichlich aus
unserm Stadtärarium belohnt wurden. Mit noch größerer Feierlichkeit als
das erstemal wurde er im Schauspielhaus empfangen. Der Saal war auf das
prächtigste ausgeschmückt und erleuchtet, man führte ein Stück auf, das
man ihm zu Ehren eigens in der Eile verfaßt hatte, und ein köstliches
Nachtmahl, dem mehrere fürstliche Personen und Prinzen beiwohnten und
das bis lange nach Mitternacht währte, beschloß endlich das dreitägige
Fest.

Den kommenden Tag hatte sich der ganze Großgünstige und Wohlfürsichtige
Magistrat samt den beiden einjährig wohlregierenden Bürgermeistern und
dem Herrn Stadtschultheiß in dem Kaisersaal des Römers versammelt, um
den glücklichen Luftschiffer in feierlicher Audienz zu empfangen. Man
hieß ihn sich in einen karmoisinsamtnen Lehnsessel niedersetzen, machte
ihm ein Ehrengeschenk von fünfzig doppelten Krönungsdukaten und
eröffnete ihm, daß alle Kosten seiner Luftfahrt von der Stadt, die er
damit beehrt, getragen würden.

Solange unsere gute Stadt steht, wurde noch keinem Sterblichen solche
Ehre zuteil, nicht einmal Voltaire,« schloß etwas malitiös lächelnd Herr
Weller.

»Diesem hat man, zur ewigen Schande eurer Regierung sei es gesagt,
abscheulich mitgespielt,« versetzte Herr Fahrtrapp.

»Lassen wir das jetzt beiseite,« sagte der Wirt vom Hause, »wir wollen
lustig und guter Dinge sein und lieber einen Chor zur Ehre des
neugebornen Christen anstimmen.«

»Einverstanden,« riefen mehrere Gäste, und man sang das Lied >Bekränzt
mit Laub den lieben, vollen Becher< aus voller Kehle; Scherz, Jubel und
Gesang währten bis spät in die Nacht hinein, und mehrere von den Damen
machten Chorus mit, namentlich Frau Rat Goethe und Frau Scholze, wovon
die erste durch ihre geistreichen Einfälle und die andere durch ihre
Anmut und Schönheit das Fest würzten. Endlich machten sich die Taufgäste
größtenteils mit etwas schweren Köpfen und schwachen Beinen, das heißt
die Herren, auf und verließen taumelnd und wohlgemut das Goldne Schiff.
Einigen von ihnen schienen sogar die freilich nicht sehr breiten Straßen
Frankfurts zu enge. Doch gelangten alle glücklich und selig daheim an,
wo sie den süßen Rausch bis zum hellen Tag verschliefen.




                                  II.

      Kleinkinderjahre mit großen Episoden. -- Die letzte deutsche
     Kaiserkrönung (Franz II.). -- Die französischen Emigranten. --
     Die Frankfurter Juden. -- Der alte Rothschild und sein Vater.


Der junge Schreihals, der in so heiterer Gesellschaft getauft worden war
und dem man den Namen seines Großvaters mütterlicher Seite, des Schöffen
Weller, Karl Ferdinand, gegeben hatte, war kein anderer als der, welcher
diese Denkschriften niederschrieb, das heißt, ich selbst, und die im
vorhergehenden Kapitel mitgeteilten Begebenheiten hörte ich wohl
hundertmal von meinen Verwandten als gewaltige Merkwürdigkeiten
erzählen.

In dem verhängnisvollen Jahr siebzehnhundertneunundachtzig geboren, wäre
es kein Wunder, wenn ich ein rechter Revolutionsmensch geworden wäre,
doch mein guter Stern hat mich vor so heillosen Gedanken bewahrt.

Das erste Ereignis von Wichtigkeit, das mir noch aus meiner frühen
Kindheit, wenn auch in etwas verworrenen Bildern, vorschwebt, ist die
letzte deutsche Kaiserkrönung. Obgleich ich damals noch nicht vier Jahre
zählte, sind mir doch mehrere Einzelheiten jener Begebenheit, die einen
besonders lebhaften Eindruck auf mich machten, vollkommen im Gedächtnis
geblieben.

Es gehört nicht hierher, eine ausführliche Beschreibung der damaligen
Krönungsfeierlichkeiten zu geben, wer eine solche wünscht, findet sie ja
ausführlich und langweilig genug in den Krönungs-Diarien, auch hat sie
Goethe in »Dichtung und Wahrheit« anschaulich beschrieben; hier also nur
das Hauptsächlichste und Interessanteste von der letzten deutschen
Kaiserkrönung.

Die Unruhen und die trüben Aussichten auf den bereits erklärten Krieg,
eine Folge der französischen Revolution (der Landgraf von Hessen-Kassel
hatte zum Schutz der Krönung ein Lager von zehntausend Mann bei Bergen
aufgeschlagen), waren Ursache, daß die Wahl- und Krönungszeremonien bei
weitem nicht mehr mit den bedächtigen und großen Weitläufigkeiten, wie
das bei den früheren Krönungen der Fall war, vorgenommen wurden, auch
hatten sich zum großen Leidwesen der edlen Bürgerschaft weit weniger
Fremde von Rang und Reichtum als sonsten eingefunden. Man beeilte sich,
die Sache so schnell als möglich zu beendigen, als fürchtete man, das
aufrührerische Frankreich möchte sonst den guten Deutschen den ganzen
Spaß verderben. Viele Dutzend der damaligen deutschen Souveränchen
blieben aus, und von den Kurfürsten hatten sich nur die geistlichen
Herren eingefunden. Das Leben und Treiben in den Straßen und auf den
öffentlichen Plätzen war indessen immer noch lebhaft und tumultuarisch
genug, das Zusammenströmen der Bewohner der Umgegend außerordentlich,
und dazu kamen fortdauernd starke Durchmärsche österreichischer und
preußischer Truppen, die sich nach der Grenze von Frankreich begaben. In
den Familien, Gasthöfen und Weinstuben sprach man zwar viel von der
bevorstehenden Krönung, allein die täglich von Paris kommenden
hochwichtigen Nachrichten machten, daß man sie fast nur als eine
Nebensache betrachtete. Eine gewisse Ängstlichkeit hatte sich der
aristokratischen Gemüter der Reichen der Stadt bemächtigt, welche ihnen
die bevorstehenden Feierlichkeiten und Freudenfeste sehr verbitterte.
Die Meinungen der Bewohner Frankfurts über die französische Revolution
waren zwar sehr verschieden, doch waren im allgemeinen die Patrizier und
wohlhabenden Spießbürger der guten Reichsstadt bis zu den geringern
Ständen herab gegen dieselbe eingenommen, nur einzelne Familienglieder,
unter denen viele Frauen, waren zum Teil enthusiastisch für diese
Umwälzung und für die neue Freiheit. So waren in unserer ganzen Familie
meine Mutter, deren beide Brüder Franz und Fritz und eine hübsche
Cousine, Jakobine Fahrtrapp, die einzigen, welche sich für die
Neufranken erklärten und die französischen Revolutionslieder >_Ça ira_<
und so weiter am Klavier spielten und sangen, was oft zu Neckereien
Veranlassung gab, die selten ohne Bitterkeiten abliefen. Obgleich mein
Vater die Notwendigkeit einsah, den heillosen Zustand der fast in
Sklaverei schmachtenden Völker zu verbessern, und zugab, daß es endlich
an der Zeit sei, einmal den Plunder veralteter Schnurrpfeifereien und
Vorurteile auf die Seite zu schaffen und die jedem Menschen zustehenden
Rechte geltend zu machen, so war er doch durchaus gegen jede gewaltsame
blutige Umwälzung, die meistens das Übel nur verschlimmert, und wollte
alles nur durch heilsame Reformen bewirkt wissen. In vielen Häusern
Frankfurts war es so, das Ansehen des Oberhaupts reichte nicht immer
aus, um den Hausfrieden zu erhalten, und häufig fanden unangenehme
Auftritte deshalb statt.

Indessen waren die fürtrefflichen Herren Wahlbotschafter samt ihrem
zahlreichen Gefolge nach und nach in der alten Wahl- und Krönungsstadt
eingetroffen und durch die Deputationen eines hochedlen Magistrats
untertänigst und krummrückig genug bekomplimentiert und empfangen
worden, ebenso des Reichs Erbmarschall Graf von Pappenheim Exzellenz.
Die üblichen feierlichen Auffahrten fanden statt, die Wahlkonferenzen
begannen, und nachdem die Staatswagen und Pferde des _nolens volens_ zu
wählenden Kaisers angekommen, wurde unter Trompetenschall verkündet, daß
die Wahl, bei der man keine Wahl mehr hatte, vor sich gehen würde.
Einige Tage vorher legte die ehrsame Bürgerschaft sowie der ganze
Magistrat in Gegenwart der fürtrefflichen, höchst ansehnlichen Herren
Wahlbotschafter den Schwur und Sicherheitseid mit der gebührenden Demut
ab, und die Herren Kurfürsten, von denen nur die von Mainz, Köln und
Trier in höchst eigener Person gekommen waren, hielten ihre Einzüge in
sechsspännigen Galawagen unter dem Donner der Kanonen, wie dies so
gebräuchlich, und der Paradierung der edlen Bürgerschaft. Auch sie
wurden von einer Senatsdeputation mit untertänigstem Respekt
bewillkommt. Endlich verkündeten den fünften Juli, nachdem die Glocken
schon eine Weile die Mittagsstunde angezeigt, dreihundert
Kanonenschüsse, daß das schwere Werk der Wahl vollbracht und Seine
Majestät der König von Ungarn und Böhmen unter dem Namen Franz II. zum
Schutz und Schirm und Vermehrer des Reichs erwählt sei, das er jedoch
weder zu schützen noch zu schirmen und am allerwenigsten zu vermehren
vermochte. Zwei Tage darauf trafen auch die Reichsinsignien glücklich
und wohlbehalten von Aachen und Nürnberg ein, unter denen die
Reichskrone, die angeblich noch vom großen Karl herrühren sollte, sowie
dessen Schwert, ein Kästchen, in welchem sich Erde, mit dem Blut des
heiligen Stephan getränkt, befindet und so weiter. Diese kostbaren
Reliquien wurden von einer Magistratsperson an der Spitze der
bürgerlichen Reiterei in Empfang genommen. Den elften Juli abends kam
der Erwählte selbst nebst seiner Gemahlin und hohem Gefolge in Frankfurt
an und wurde vom guten Volk wie herkömmlich mit erstaunlichem Jubel
empfangen, ungeachtet er im strengsten Inkognito angekommen sein wollte.
Den folgenden Tag verfügte sich ein hochedler Magistrat _in corpore_ zu
Seiner Majestät und bezeugte Allershöchstderselben das Entzücken, in
welches die getreue Wahlstadt ob seiner glücklichen Ankunft geraten sei.
Hierauf beschwor Franz, auch unter dem Akkompagnement von hundert
Kanonenschüssen und der Glocken, die Wahlkapitulation in der St.
Bartholomäuskirche und schenkte dem Reichserbmarschall, Grafen von
Pappenheim, eine kostbare, goldene, reich mit Brillanten besetzte Dose,
deren Wert man auf zwanzigtausend Gulden schätzte. Derselbe war Seiner
Majestät entgegengeritten, ihr die glücklich vollbrachte Wahl zu
verkünden. Diese Dose mußte später Hebräisch lernen und fiel in oder
ging vielmehr durch die Hände des Juden Mayer Amschel Rothschild, Vater
der jetzigen Häuser Rothschild, der ein ziemliches Profitchen an diesem
Kleinod machte und so in den Stand gesetzt wurde, seinen kleinen Negoz
mit Umwechseln verschiedener Geldsorten und mit alten Gold- und
Silbersorten, die er einhandelte, zu erweitern.

Während nun rasch die Vorbereitungen zur Krönung des neuen Kaisers
gemacht wurden, marschierten unaufhörlich preußische Truppen durch die
Stadt, in der Absicht, eine Promenade nach Paris zu machen, um den armen
Ludwig XVI. aus den Händen der abscheulichen Jakobiner zu befreien, was,
wie man die guten Leute versichert hatte, nur ein Kinderspiel sein
sollte.

Endlich brach der Morgen des zur Krönung bestimmten und ersehnten Tages,
der vierzehnte Juli siebzehnhundertzweiundneunzig, an, der Jahrestag, an
dem drei Jahre früher das Pariser Volk die Bastille erstürmt hatte.
Mehrere schwachköpfige Aristokraten hatten sich stark gegen die Wahl
dieses Tages erklärt und behauptet, daß er von einer schlimmen
Vorbedeutung für das heilige römische Reich sein könnte, und diesmal
hatten diese Unglückspropheten recht, dagegen hatten aber andere
starksinnige Geister eingewendet, man müsse dem Volk gerade zeigen, daß
man sich nicht fürchte, und ihm zum Trotz diesen Tag wählen, und diese
Meinung drang durch.

Kaum fing der Tag zu grauen an, als in Häusern und Straßen auch alles
lebendig wurde, und das Gedränge nahm nun von Minute zu Minute zu. Unter
dem unaufhörlichen Geläute aller Glocken versammelte sich die
buntgekleidete und bewaffnete Bürgerschaft aller vierzehn Quartiere und
verfügte sich gehorsam an die ihr zur Aufrechthaltung der Ordnung
angewiesenen Plätze, die meisten von ihren Weibern, Kindern und
Schwestern begleitet, die da hofften, durch die Protektion der Väter,
Gatten und Brüder ihre Schaulust besser befriedigen zu können.

Das Haus meiner Eltern, unser Schiff, lag glücklicherweise in einer der
Hauptstraßen, der alten Fahrgasse, durch welche sich der Krönungszug
bewegte. Um zehn Uhr kam er denn auch an unserm Haus vorüber, dessen
Fenster mit Bekannten und Verwandten bis in das fünfzehnte Glied
garniert waren, denn bei solchen Gelegenheiten entsinnen sich auch die
vergeßlichsten Vettern und Muhmen der alten Verwandtschaft, und alle
Bekannten werden zu intimen Freunden. Mein Vater hatte außerdem auch,
dem Beispiel anderer Hauseigentümer folgend, noch Brettergerüste für die
Zuschauer vor seiner Wohnung aufschlagen lassen. Unter beständigem
Läuten und Schießen nahte der Zug. Fürsten und Reichsgrafen eröffneten
ihn, diesen folgte der Wappenkönig mit den Herolden zu Pferd, sodann
kamen die Wahlbotschafter nach ihrem Rang, einer hinter dem andern
geritten. Ihnen folgten ebenfalls zu Pferde und in spanischen Mänteln
der Reichserbschatzmeister mit der Krone, der Reichskämmerer mit dem
Zepter, der Reichserbtruchseß mit dem Reichsapfel auf Kissen von rotem
Sammet, sodann der Reichserbschenk und der Reichserbmarschall mit dem
Schwert, alle zum letztenmal ihre Funktionen verrichtend. Endlich kam
der Kaiser unter einem Baldachin von gelbem Damast, auf dem der
österreichische Doppeladler gestickt war, reitend. Zehn hochweise
Magistratspersonen eines edlen Rats, sie hatten schön gepuderte Perücken
mit Haarbeuteln, trugen die Last des wandernden Baldachins mit
entblößtem Haupt. Als der Kaiser in die Nähe unserer Wohnung gekommen
war, da insinuierte mir meine schöne Tante Scholze, die ebenfalls von
Niedesheim gekommen war, der seltenen Feierlichkeit beizuwohnen, mich im
Arm haltend, jetzt müsse ich Vivat schreien, und ich schrie mit den
andern aus vollem Hals mein »Vivat Franziskus!«, und zwar so lange, als
ich den Gegenstand sah, dem es galt. Dieser Augenblick und eine Szene
auf dem Römerberg ist es, was ich mir noch am lebhaftesten von jenem
Ereignis vorstellen kann. Indessen hatte trotz allem Vivatrufen die
ganze Zeremonie einen etwas sehr düsteren Anstrich, und ein gewaltiger
Platzregen, der fiel, ehe der Kaiser noch den Dom erreicht hatte,
durchnäßte den ganzen Zug bis auf die Haut. -- Es gab Leute, die damals
prophezeiten, dies sei der Leichenzug des heiligen römischen Reichs --
und auch diese Propheten hatten wahrgesagt. Um ein Uhr war endlich die
Krönungsfeierlichkeit vorüber, und der Zug begab sich aus dem Dom in den
Römer und schritt über rotes, gelbes und weißes Tuch, womit die Straßen
belegt waren, durch die er kam. Der Gekrönte hatte jetzt die schwere
Reichskrone auf dem Haupte und war mit dem kaiserlichen Pontifikalium
bekleidet, er ging nun zu Fuß und hielt in der einen Hand das Zepter und
in der andern den Reichsapfel. Das kurfürstliche Trifolium hielt die
Zipfel seines Mantels, und kaiserliche und kurfürstliche Garden machten
den Beschluß. Kaum war der letzte Mann derselben vorüber, so fiel das
gute Volk über das ihm preisgegebene Tuch her und riß es in Stücke. Der
schließende Offizier mußte beständig rückwärts wie ein Krebs marschieren
und mit seinem Degen abwehren, wollte er nicht, daß er und vielleicht
die ganze Prozession von denen, welche das Tuch abrissen und
abschnitten, über den Haufen geworfen würde.

Während die Salbung und die andern Verrichtungen im Dom vorgingen, hatte
mich mein Vater mit auf den Römerberg genommen, und ich wurde daselbst
durch Vergünstigung eines bürgerlichen Kapitäns, der unser Haus mit
gutem Ochsenfleisch versorgte, auf eine von Trommeln errichtete Pyramide
gesetzt, von welcher Höhe herab ich das Gewühl der Menge, die bretterne
Hütte, in welcher der mit Geflügel, Hasen und Spanferkeln gespickte
Ochse gebraten wurde, und den Springbrunnen mit dem doppelten Adler, aus
dem sehr christlich getaufter roter und weißer Wein sprang, wohl
übersehen konnte. Als sich jedoch der aus der Kirche kommende Zug
näherte und die Tambours nach ihren Trommeln griffen, mußte ich meinen
hohen Standpunkt verlassen und würde schwerlich die weiteren Zeremonien
gesehen haben, wenn sich nicht wieder eine Dame, und zwar die Frau
Oberst Schulter, Goethes Tante, die wir schon bei der Taufe kennen
lernten, meiner angenommen hätte. Die gute Frau befand sich nämlich in
einem auf dem Römerberg gelegenen uralten Haus, welches wegen dem
reichen und künstlichen Schnitzwerk, mit dem seine ganze Fassade
verziert ist, eine der Merkwürdigkeiten Frankfurts ausmacht, hatte mich
bemerkt und ließ mich zu sich in den zweiten Stock dieses Hauses holen,
von wo ich nun abermals den ganzen Zug von dem gegenüberliegenden Markt
ankommen sah. Dafür mußte ich aber auch meine Lunge wieder gehörig mit
Vivats anstrengen, als sich Franz dem Römer näherte. Schon von weitem
begrüßte ihn hier die Kaiserin und der Erzherzog von einem Balkon des
Hauses Limburg. -- Ich sah nun zu meiner Freude recht gemächlich, wie
sich das gute Volk um den Hafer balgte, nachdem der Reichserbmarschall
dem Kaiser ein silbernes Maß voll davon vorgehalten und wieder
ausgeschüttet hatte, wie der Reichstruchseß ein Stück von dem gebratenen
Ochsen samt einem Spanferkel in einer vergoldeten Schüssel für die
kaiserliche Tafel empfing, worauf der Überrest des Tieres von der
kräftigen und ehrsamen Zunft der Fleischer, jedoch nicht ohne harten
Kampf erbeutet wurde; wie der Reichserbschatzmeister keinen Platz-,
sondern einen etwas dünngesäten Gold- und Silberregen um sich her
verbreitete, den zu empfangen tausend Hände sich in die Lüfte erhoben,
sodann die als Gold- und Silbermünzen auf den Boden fallenden Tropfen
aufsuchten und sich darum ebenso sehr, wie endlich noch um den leeren
Beutel rissen. Auch ein Wagen voll weißes Brot wurde unter das wilde
Volk geworfen, wonach es jedoch weniger gierig haschte als nach einem
Becher Wein von dem einzigen Brunnen, der solchen lieferte. Indessen
speisten Seine Majestät Franz II. mit echt österreichischem Appetit in
dem Kaisersaal auf dem Römer, was nach den gehabten Fatiguen sehr
natürlich war, ebenso die Herren Kurfürsten, die an besondern Tafeln
schmausten und von denen der geistliche Herr von Köln, seines
stattlichen Bauches wegen, eine wahre Kuriosität war. -- Es wurde auch
nicht vergessen, auf die Gesundheit des neuen Oberhaupts Deutschlands
gehörig zu trinken, und die Vivats und der Kanonendonner erschütterten
das glückliche Frankfurt in seinen Grundfesten. Daß bei einbrechender
Nacht große Illumination und allerlei Feuerwerk war, versteht sich von
selbst. Der Fürst Esterhazy, der in der ganzen Stadt kein Haus gefunden
hätte, dessen Fassade würdig gewesen wäre, mit der von ihm projektierten
Illumination zu prangen, ließ zu diesem Zweck ein besonderes von
Brettern und gemalter Leinwand auf dem Roßmarkt erbauen und setzte die
guten Frankfurter dadurch in Erstaunen und Verwunderung.

Den folgenden Tag schwuren Magistrat und Bürgerschaft, dem neuen
Herrscher treu, hold und gewärtig zu sein, und leisteten den
Huldigungseid, den Seine Majestät auf einem mit rotem Tuch behangenen
Balkon und einen mit Imperialfedern geschmückten Hut auf dem Haupt,
unter einem Baldachin allergnädigst anzunehmen geruhten.

Trotz dem Verbot hatten sich dennoch mehrere von den in Koblenz ein
wüstes Leben führenden französischen Emigranten bei der
Krönungsfeierlichkeit in Frankfurt eingeschmuggelt, namentlich auch die
Mätressen des Grafen Artois (nachherigem Karl X.), deren er ein halbes
Dutzend mit von Paris gebracht hatte. Er selbst fuhr in einer
illuminierten Gondel mit Musik bei Nacht auf dem Main und durch die
Bogen der Brücke mit diesen Damen. Die sauberen Herren führten in
Koblenz ein wahres Luderleben, der Kurfürst von Trier war nicht mehr
Herr in seinem Lande, und dabei benahmen sie sich auf das
unverschämteste. Der beste Wein aus den kurfürstlichen Kellern war ihnen
kaum gut genug, um sich mit ihren Mätressen darinnen -- zu baden! und
selbst die Kammerjungfern dieser Weiber besudelten die kurfürstlichen
Gerätschaften auf das frechste. Dieser französische Adel, der hier ein
Frankreich außerhalb Frankreichs bilden wollte, erlaubte sich die
größten Ungezogenheiten und sogar Mißhandlungen gegen die Einwohner des
Landes, wo er so großmütig und gastfreundlich aufgenommen worden war,
und mit Klagen gegen diese Herren war nichts auszurichten. Nichts war
ihnen gut genug, nicht selten warfen sie die Schüsseln mit den Speisen
den sie darbringenden Dienern an den Kopf, indem sie sagten, dies wäre
Kost für deutsche Schweine, aber nicht für französische Seigneurs. Sie
mißbrauchten die deutsche Gutmütigkeit auf das schändlichste, sich alles
erlaubend, und doch waren es Almosen, die man ihnen reichte, denn man
war ihnen nichts schuldig. Sie waren meistens gratis logiert und ebenso
genährt. Sie nannten sich nur den Hof, hielten ein paar Dutzend
französische Köche und gebrauchten fünftausend Livres täglich, welche
ihnen deutsche Dummheit lieferte, ohne das Fleisch, Brot, Wein und
Gemüse zu rechnen, das man ihnen schenkte. -- Ein gewisser Dominique,
damals allmächtiger Minister des sonst eben nicht freigebigen Kurfürsten
Clemens von Trier, war es, der ihnen so zu hausen gestattete und die
Mittel dazu verschaffte. Aber diese Herren waren auch lauter Dücs,
Marquis, Grafen, Vicomtes, Barone und Chevaliers d'Industrie. Besser
hatte es der Kurfürst von Köln verstanden, sie sich vom Leibe zu halten,
er warf ihnen einen Zehrpfennig hin, den sie auch gütigst anzunehmen
geruhten, und schickte sie weiter. Schnell hatte sich aber auch das
Mitleid und die Teilnahme, die man anfänglich für sie fühlte, in Abscheu
und Verachtung verwandelt. Dazu kamen noch ihre ebenso lächerlichen als
nichtigen Großsprechereien und das jämmerliche Aussehen dieser an Leib
und Seele gleich ausgemergelten Helden, welche Mühe hatten, die großen
Säbel zu schleppen, an die sie sich gebunden. Wenn man sie hörte, so war
ihre Rückkehr nach Paris nichts als eine Reihe von Triumphen, die damit
endigen würden, daß sie all die bürgerlichen Kanaillen hängen ließen,
die sich unterstanden, einer hochadeligen Tyrannei ein Ende zu machen.
»Werden wir uns diesen Winter zu Paris sehen?« fragte einer den andern
und erhielt zur Antwort: »das versteht sich,« oder: »_je ne vois point
d'inconvenient_,« und begab sich einer von ihnen in eine andere Stadt,
so nahm er mit den Worten: »Auf Wiedersehen zu Paris!« von den übrigen
Abschied. -- Sie sollten jedoch bald für ihre Missetaten und für ihren
Übermut schrecklich gezüchtigt und der Spott der deutschen Bauern
werden, und zeigten sich dann sehr dankbar, wenn man ihnen eine
Brotrinde zuwarf.

Mehrere dieser Herren, welche zu ihrer Zerstreuung oder Geschäfte halber
nach Frankfurt gekommen waren, wußten sich daselbst durch einige
Bankiers und namentlich vermittelst gewinnsüchtiger Juden nicht
unbedeutende Summen zu verschaffen, indem sie ungeheure Zinsen
verschrieben und außerdem noch große Belohnungen versprachen, sobald sie
wieder in ihre Güter und Rechte eingesetzt sein würden, woran damals
fast niemand in Frankfurt zweifelte, und was man sehr nahe glaubte, da
man so viele stattliche Truppen nach der französischen Grenze
marschieren sah. Die Wucherer ließen sich dadurch blenden und schossen
die verlangten Gelder vor. -- Außerdem hatte man in Frankfurt viele
falsche Assignaten in Umlauf gesetzt, deren Ursprung, als die Sache
entdeckt war, man jedoch nicht erforschen konnte. Dies alles sowie die
Gefälligkeit der Wucherer sollte die Stadt teuer bezahlen, wozu noch
kam, daß auch die Frankfurter Zeitungen so unklug waren, sich sehr
unvorsichtig gegen die neue Ordnung der Dinge in Frankreich und gegen
das französische Volk auszusprechen, woran der Magistrat sie nicht nur
nicht hinderte, sondern sein Wohlgefallen zu haben schien.

Auch der Judenschaft in Frankfurt wurde die hohe Gnade zuteil, dem
kaiserlichen Ehepaar Geschenke zu machen und durch eine Deputation
untertänigst huldigen zu dürfen, jedoch nahm ihnen diese Huldigung ein
kaiserlicher Hofrat im Namen seines Herrn ab und versprach ihnen in
demselben Namen Schutz und Gunst, weshalb die guten Hebräer eine große
Freude hatten und ihre Augen von Tränen glänzten.

Dies war kein Wunder, denn die armen Juden waren damals zu Frankfurt
wirklich in einer höchst bedrängten Lage und bedurften allerdings eines
mächtigen Schutzes; sie wurden fortgesetzt von den intoleranten Christen
mißhandelt, gegen die sie sich freilich auch gar manchen Betrug und
Spitzbübereien erlaubten. Jeden Augenblick war der Senat genötigt,
Verordnungen zu erlassen, in denen er bekannt machte, daß in Zukunft
diejenigen, welche sich Mißhandlungen gegen die Juden erlaubten oder sie
prügelten, auf das strengste bestraft werden sollten. Aber ungeachtet
dieser Drohungen wagte man es nicht, die Schuldigen zu bestrafen, und
die Juden wurden nach wie vor auf alle Weise mißhandelt. Sie waren
damals gezwungen, ohne Ausnahme ihr jeden Abend geschlossenes Quartier
zu bewohnen, das fast nur aus einer einzigen, ziemlich langen, aber sehr
engen Straße bestand, in welcher an achttausend Seelen hausten, die
jeden Tag bei einbrechender Nacht sowie an allen Sonntagen und sonstigen
christlichen Feiertagen eingesperrt wurden. Die Luft in diesem Stadtteil
war daher verpestet, und wehe dem armen Juden, den man nach
Sonnenuntergang noch in den übrigen Straßen Frankfurts getroffen hätte.
Zu keiner Zeit durften sich diese Unglücklichen in den öffentlichen
Spaziergängen der Stadt und auf gewissen Plätzen, wie dem Römerberg und
so weiter, blicken lassen, der Pöbel würde sie halbtot geschlagen haben.
Sah man an Sonn- oder Feiertagen durch die Ritzen der geschlossenen Tore
des Judenquartiers, so stellte sich den Blicken ein scheußliches
Schauspiel dar. Die Straße wimmelte von unsauberen, ekelhaften Menschen,
die kaum Platz genug hatten, sich von der Stelle zu bewegen, und aus
jedem Fenster bis zu den Dachluken der ziemlich hohen Häuser ragte Kopf
über Kopf heraus und schien nach verdorbener und stinkender Luft zu
schnappen. Diese braun und schwarz geräucherten Häuser gewährten einen
grausigen Anblick und waren wahre mit Schmutz angefüllte Kloaken. Die
Juden waren gezwungen, kleine Mäntel mit einem gelben Läppchen zu
tragen, damit man sie schon von weitem als solche erkennen konnte, sie
hatten sämtlich ein höchst elendes, kränkliches Aussehen, eine
braungelbliche Hautfarbe, und waren fast alle mit ekelhaften Krankheiten
und mit der Krätze behaftet, die natürlichen Folgen dieses Einsperrens
in ungesunder Luft. Auch während der Krönungsfeierlichkeiten durfte kein
Jude sein Quartier verlassen ohne eine besondere Erlaubnis des
Magistrats, und selbst mit einer solchen konnten sie sich nicht unter
die Masse des Volks wagen, das sie erdrückt haben würde. Der alte
Rothschild hatte durch Vermittlung meines Großvaters, da er durch meinen
Vater empfohlen war, eine solche Erlaubnis am Krönungstag Franz II.
erhalten, und er sah dem Krönungszug aus einem Dachfenster unseres
Hauses zu; noch andere Juden mußten sich begnügen, aus den Kellerlöchern
wenigstens die Beine der vorüberziehenden Herrschaften betrachten zu
können. Rothschild war ziemlich gut in unserm Hause angeschrieben, er
kam in der Regel jeden Montag auf das Kontor meines Vaters, wo er kleine
Geschäfte, namentlich mit Auswechseln von Münzsorten, besonders Dukaten
und anderm Gold machte. Man bot ihm einen Stuhl an und nötigte ihn zum
Sitzen, eine Ehre, die ihm nicht leicht in andern Häusern widerfuhr und
die er hoch anschlug; auch verehrte er mir eines Tages, als er gerade
durch meinen Vater ein gutes Geschäftchen gemacht, ein kleines
Goldstückchen, etwa einen Gulden an Wert. Der Vater dieses Amschel war
früher ein gewöhnlicher Schacherjude gewesen, der mit dem Zwerchsack auf
der Schulter in den Straßen Frankfurts mit dem bekannten Ausruf: »Hahnt
er was zu hahnle« (habt ihr was zu handeln) vom Morgen bis zum Abend
herumstrich, während dessen Frau ebenfalls mit einem großen Sack, aber
mit einer goldgestickten Haube, wie sie früher die Judenweiber in
Frankfurt trugen, in die Häuser der christlichen Bürger ging, mit deren
Frauen schacherte und ihnen alte Kleider, Borden und so weiter
abhandelte. Ich entsinne mich, diese Frau öfters bei meiner Großmutter
ihren Sack voll der seltenartigsten Dinge ausschütteln gesehen zu haben.
Dies waren die Großeltern der jetzigen Barone Rothschild.




                                  III.

   Die Neufranken in Frankfurt. -- Cüstine. -- Die Kontribution. -- Die
                          Mainzer Revolution.


Bald nach Franzens Krönung erschien jenes berüchtigte Manifest des
Herzogs von Braunschweig, der vom Kaiser und König von Preußen den
Oberbefehl über die vereinigten Heere erhalten hatte, in dem man der
guten Stadt Paris mit einer exemplarischen Rache und gänzlicher
Vertilgung von dem Erdboden drohte, wenn sie nicht sofort zur alten
Untertänigkeit und unbedingtem Gehorsam gegen den König zurückkehren
würde, ihr jedoch in diesem Fall versprach, eine kaiserlich königliche
Verwendung bei Ludwig XVI. zugunsten der ungezogenen Pariser eintreten
zu lassen. Dieses Manifest war mit Beihilfe einiger französischer
Emigranten fabriziert worden, denen die guten Deutschen allen Glauben
schenkten, als sie versicherten, das Ganze werde nichts als eine
militärische Promenade sein, und Braunschweig riet den Offizieren, sich
nicht mit zuviel Pferden und Gepäck zu belasten, denn der Spuk werde
nicht lange dauern! -- Auch in Frankfurt glaubte man fast allgemein an
die nahe Zerstörung von Paris, und daß man bald nur noch von dessen
Ruinen sprechen würde, niemand dachte jedoch daran, daß der Ruin des
deutschen Reiches so nahe sei, nur wenige klügere Leute schüttelten hie
und da die Köpfe beim Lesen dieses komisch heroischen Manifestes.

Indessen liefen vom Heer der Verbündeten und dem Herzog von Braunschweig
die allervortrefflichsten Siegesnachrichten ein, die Preußen und
Österreicher standen bereits auf französischem Grund und Boden, nach
ihren Berichten nahm der Feind Reißaus, sobald er eine preußische oder
österreichische Uniform erblickte, und in der Tat schienen die ersten
Waffentaten solche Großsprechereien zu rechtfertigen. Das französische
Korps, welches unter General Dillon über die Grenze gegangen war, hatte
bei der ersten Charge des Feindes unter dem Geschrei: »Wir sind
verraten, wir sind verkauft!« (dieses Geschrei hatten einige königlich
gesinnte Offiziere und bestochene Soldaten absichtlich ausgestoßen, um
die Reihen zu verwirren und mit Furcht und Schrecken zu erfüllen[4]) die
Flucht ergriffen, sodann den General Dillon getötet und zu Lille in
Stücke gerissen und bei einem großen Feuer, das sie auf dem Marktplatz
anzündeten, verbrannt, indem sie schrieen, dies müsse allen Verrätern
widerfahren. Die hintereinander folgenden Eroberungen von Longwy und
Verdun durch die Preußen bestätigten die Nachrichten von dem geringen
Widerstand der Franzosen, und man machte große Wetten zu Frankfurt, daß
binnen sechs Wochen die vereinten Heere in Paris und König Ludwig
befreit und wieder in alle seine Rechte eingesetzt sein würde.

Als man nun die vereinigten Heere im besten Zug auf Paris glaubte, da
kam mit einmal die ganz unerwartete Nachricht, daß sich eine starke
französische Heeresabteilung vor dem nur vierzehn Stunden entfernten
Speier gezeigt habe. Man hatte frühere, für die Verbündeten nachteilige
Gerüchte vom Anrücken der Franzosen und so weiter als lügenhaft
ausgesprengt und böswillig erfunden erklärt. Bald aber kamen
zuverlässige Briefe und Berichte von Mannheim, die nicht mehr bezweifeln
ließen, daß die Neufranken bereits im Besitz vieler speierischer Dörfer
seien, die gebrandschatzt würden, während sie die pfälzischen
verschonten und gegen Mainz marschierten. Mit jeder Stunde lauteten die
Nachrichten jetzt ängstlicher, wobei, wie gewöhnlich, manches
übertrieben wurde. Niemand wußte dies mit der bevorstehenden Einnahme
von Paris zusammenzureimen. Die Österreicher und Kurmainzer, die in
Speier lagen, waren nach kurzer Gegenwehr geschlagen worden, hatten
sich, mehrere tausend Mann, zu Kriegsgefangenen ergeben und waren nach
Landau transportiert worden, ebenso die beträchtlichen Vorräte, welche
die Sieger in Speier vorgefunden hatten. Es hieß zwar, daß das unter dem
Obergeneral Cüstine angekommene Heer nur ein unbedeutendes Streifkorps
sei, andere Nachrichten machten es aber zu einer furchtbaren Armee von
fünfzig- oder gar hunderttausend Mann und so weiter. Diese Ungewißheiten
und sich so oft widersprechenden Nachrichten versetzten die guten
Frankfurter in keine kleine Unruhe, indessen erzählte man sich in
Frankfurt, daß das in einem Lager bei Reims stehende französische Heer
von den Preußen eingeschlossen sei und sich an den König von Preußen
habe ergeben wollen, daß dieser aber unbedingte Streckung des Gewehrs
verlangt und nur wenige Stunden Bedenkzeit gegeben habe; das Gewehr
müsse nun schon gestreckt sein und der Kurier, der die Bestätigung
überbringe, jeden Augenblick eintreffen. Statt dessen trafen jedoch
vierundzwanzig Stunden später Hiobsposten von Mannheim ein, und auf den
Gesichtern der guten Reichsstädter, besonders denen der Reichen und
höhern Beamten, las man große Bestürzung. Besonders unheimlich wurde es
nun auch denjenigen Häusern, die sich allerlei Handel mit den
französischen Assignaten erlaubt und im Verkehr mit französischen
Emigranten gestanden hatten.

[Fußnote 4: Ich habe später zu Paris einen Invaliden gekannt, der mir
erzählte, daß er damals zwölf Livres von seinem Kapitän erhalten habe,
um zu schreien: »_Nous sommes trahis!_«]

Den elften Oktober abends neun Uhr rollte eine vierspännige
Reisekalesche vor unser Haus. Man klingelte heftig an der Haustür und
kündigte meinen Oheim Scholze an, der vor den anrückenden Franzosen die
Flucht ergriffen und mit seiner Familie Schloß Niedesheim eiligst
verlassen hatte. Er und seine junge Gattin wußten viel von ihrem
Abenteuer auf der kurzen Reise und Wunderdinge von den Franzosen bis
nach Mitternacht auszukramen.

Speier und Worms hatten große Kontributionen erlegen müssen, und
außerdem hatten die Franzosen viele ganz neue Zelte für mehrere tausend
Mann in Worms vorgefunden, welche den Emigranten gehörten, die diese
gegen bares Geld versetzt hatten. Übrigens hätte Cüstine sehr strenge
Mannszucht beobachtet und einige dreißig Soldaten erschießen lassen,
unter denen ein Offizier, weil sie sich eigenmächtige Erpressungen
erlaubt hatten, einer davon sollte sogar nur eine Traube entwendet
haben. Dies klang ziemlich beruhigend für die ängstlichen Frankfurter
Gemüter. Andere Leute, die aus jener Gegend kamen, erzählten auch, daß,
wer etwas französisch spreche und sich mit den ungebetenen Gästen
einigermaßen verständigen könne, nichts von ihnen zu befürchten habe,
nur dürfe man ihnen weder das Tanzen um einen Freiheitsbaum, noch den
Ruf: »_vive la liberté!_« versagen. Sobald sie in einem Ort einrückten,
sei ihre erste Sorge, einen solchen Freiheitsbaum aufzupflanzen, diesem
eine rote Mütze aufzusetzen und dann _Ça ira_, die Carmagnole und so
weiter singend, um denselben wie besessen herumzuspringen, und daß sie
dabei jedermann, der ihnen in den Weg komme, ohne Alter, Geschlecht oder
Stand zu berücksichtigen, mit in ihre Ronde zögen. So kam es häufig, daß
in den Reihen der Soldaten der Freiheit Kaufleute, Kapuziner, alte
Weiber, ehrbare Magistratspersonen, junge Mädchen, Geistliche in ihrem
Ornat, Nonnen und Mönche von allen Farben, wie durch Oberons Horn toll
gemacht, in bunter Mischung Hand in Hand die komischsten Bockssprünge
machend, unter wildem Geschrei um die rote Mütze rasen mußten, was einen
recht belustigenden Anblick gewährte. Mein Oheim erzählte, daß er in
einem solchen Kreis einen Domherrn, zwei Freudenmädchen, ein Paar
Hofräte, eine ehrbare sechzigjährige Matrone, ein halbes Dutzend feiste
Franziskaner, ebenso viele Karmeliterinnen samt der Äbtissin und so
weiter recht vergnügt mit den Söhnen der neuen Freiheit habe
herumspringen sehen. Mancher dieser Dämchen geschah wohl auch ein
Gefallen damit, namentlich den jungen Nonnen, so zum Tanzen gezwungen zu
werden.

Die Nachricht, daß Verdun schon wieder in französische Hände gefallen
sei, machte wegen der weit näheren Vorgänge wenig Eindruck; denn mit der
schrecklichen Nachricht, daß die Franzosen vor Mainz ständen, kam fast
zu gleicher Zeit die noch weit schrecklichere, daß sich Mainz bereits
ergeben und Cüstine sein Hauptquartier daselbst aufgeschlagen habe. Dies
war den einundzwanzigsten Oktober abends vorgegangen, und schon den
folgenden Morgen, als in Frankfurt noch jedermann mit dieser
Schreckensnachricht beschäftigt war, stand plötzlich, wie durch einen
Zauber herbeigeführt, schon ein Korps von achthundert Franzosen, von dem
General Neuwinger befehligt, vor den Toren der Reichs- und Wahlstadt und
begehrte Einlaß. Diese Truppen hatten sich einstweilen vor dem
Bockenheimer Tor auf den Rasen gelagert, ihre Toilette machend, während
die Einwohner auf die Wälle geeilt waren und ihnen erstaunt zusahen.
Einige Damen hatten Türme bestiegen, ihre Neugierde an den Fremdlingen
zu befriedigen. Als nach einigem Hin- und Herparlamentieren und nachdem
der französische General der aus der Stadt an ihn gesandten Deputation
erklärt hatte, er habe einen Brief vom Obergeneral Cüstine an den
Magistrat, mit der Order, denselben nur auf dem Rathaus selbst zu
übergeben, man noch einige Schwierigkeiten machen wollte, ihn
einzulassen, kommandierte derselbe, sich gegen seine Truppen wendend:
»Kanonen vor!«, die gegen die noch aufgezogenen Brücken gerichtet
wurden. Bei diesen Worten fielen wie durch einen Zauberschlag die
Zugbrücken nieder, die Tore öffneten sich, und die Neufranken zogen mit
klingendem Spiel und dem Geschrei: »Es lebe die Freiheit!« in die Stadt
und quartierten sich bald darauf selbst zu zwei und zwei in die Häuser
ein, die ihnen anstanden oder gerade in den Wurf kamen, denn ein
Quartieramt war erst noch zu schaffen.

Mein Vater brachte auch ein Paar dieser Gäste mit heim, die ihn
angesprochen hatten, als ihn die Neugierde geplagt, die ersten
Freiheitskämpfer zu sehen.

Den ersten Abend lief noch alles so ziemlich gut ab, und die Wirte, die
sich ihren Gästen verständlich machen konnten, fanden traktable Leute in
ihnen; als aber den folgenden Morgen bekannt wurde, daß Cüstine in
seinem Schreiben eine Kontribution von zwei Millionen Gulden von der
Stadt verlangt habe, weil, wie er in demselben sagte: »der Vorschub, den
dieselbe den französischen Aristokraten geleistet, die Nation
berechtige, Frankfurt feindlich zu behandeln. Der König von Preußen und
der Kaiser haben viele Gelder in der hiesigen Stadt. Die Nation habe
ihren Feinden Rache geschworen, und er fordere zwei Millionen Gulden in
deren Namen als Vergütung des ihr zugefügten Schadens,« -- da gab es
lange und greuliche Gesichter. -- Der Senat sandte nun in seiner
Herzensangst eine Deputation an Cüstine ab, mit dem Auftrag, um einen
Nachlaß dieser Kontribution zu bitten, der ihnen in der Tat auch eine
halbe Million erließ. Hierdurch ermutigt, wurde sogleich noch eine
zweite Deputation abgeschickt, die jedoch nichts mehr herunterzuhandeln
vermochte, der der Obergeneral sehr unfreundlich begegnete und vorhielt,
daß sie Schacherjuden seien, die erst vor ein paar Monaten das Zehnfache
bei der Krönung und an den Assignaten gewonnen, und die Brandsteuer, die
er ihnen als Strafe auferlegt, nicht nach seinem Willen verteilt hätten.
-- Cüstine erließ auch sogleich eine Erklärung, in welcher er sagte:
»Bürger, als ich mich entschloß, im Namen der fränkischen Nation
Frankfurt eine Brandschatzung aufzulegen, um diejenigen zu bestrafen,
deren Anschläge die unverjährbaren Rechte der Völker zu vernichten
zielten, glaubte ich nicht, daß eure Vorsteher ihre Ungerechtigkeit so
weit treiben würden, diese Auflagen von den Dürftigen unter euch zu
erpressen. Nach den Grundpfeilern der Gerechtigkeit, die nunmehr die
Richtschnur unserer Politik ist, befehle ich dem General, den ich in
eure Mauern beorderte, das verlangte Geld nur von den Schuldigen und den
Reichen zu erheben, die ihre Gewalt und ihre Reichtümer mißbrauchen, die
Armen zu unterdrücken, und die offenbaren Feinde aller Gerechtigkeit
sind, und so weiter.

                                       Der Bürger-General, _Cüstine_.«

Cüstine verlangte auch noch die Kanonen der Stadt Frankfurt und wollte
derselben unter dieser Bedingung noch fünfhunderttausend Gulden von der
Brandschatzung ablassen. -- Einstweilen gab die neue Garnison, die noch
verstärkt wurde, den Einwohnern hinlänglichen Stoff zur Unterhaltung;
sie betrug sich ziemlich manierlich und bestand teils aus französischen
Nationalgarden, teils aus Linientruppen. Die ersteren waren nicht alle
uniformiert, trugen Beinkleider nach eigener Wahl und Pistolen in den
Gürteln. Die Kavallerie, _chasseurs à cheval_, war ziemlich gut
beritten, auch die Artillerie hatte gute Bespannung. Die Zahl der in
Frankfurt liegenden Truppen war nach und nach bis auf viertausend Mann
herangewachsen. Die Bürger konnten sich nicht genug über den ungeheuern
Unterschied zwischen diesen und den österreichischen und preußischen
Soldaten wundern. Sie glaubten, für die stämmigen, steifen,
kaiserlichen, wohlgenährten und wie in eine Form gegossenen Grenadiere
müßte so ein Haufen unansehnlicher Franzosen allerdings nur ein
Frühstück sein, und begriffen nicht, wie es möglich war, sich vor
solcher Bagage zurückzuziehen. Die Gemeinen sprachen mit ihren
Offizieren, ohne wie gelähmte Stöcke und in hündischer Furcht und
Stellung vor ihnen zu stehen, rauchten oder pfiffen wohl auch in ihrer
Gegenwart; dies alles galt als ein Beweis von gänzlichem Mangel an
Subordination. -- Sie zogen auf die Wachen, ihre Lebensmittel auf die
Spitze der Bajonette spießend, verteilten ihre Fleischportionen auf
offener Straße auf einem Stein oder einer Bank, wenn gerade eine
vorhanden war, wuschen ihre schwarzen Hemden und Beinkleider selbst in
den gelben Fluten des Mains, das ça ira fröhlichen Mutes dabei singend
und »_vive la liberté!_« schreiend. Mit Stolz und Selbstgefühl sagten
sie: »_Nous sommes les soldats de la république française, les soldats
de la liberté._« Dies alles stach freilich gewaltig gegen die
Krönungszeremonien ab, die erst vor drei Monaten stattgefunden hatten,
und kam den guten Frankfurtern recht spanisch vor. Ein hochweiser
Senator schrieb damals in allem Ernste an einen Freund: »Oh, wie tief
kann der Mensch doch sinken! Die Franzosen, die alle Völker frei machen
wollen, rauchen und singen in den Straßen und auf den öffentlichen
Plätzen in Gegenwart ihrer Anführer und sind ihre eigenen Waschweiber!«

Indessen hatten alle Manifeste und Erklärungen Cüstines, auch bei den
unteren Klassen der Einwohner Frankfurts, wenig Anklang gefunden und
keinen Eindruck gemacht, man hatte dem Volk plausibel zu machen gewußt,
daß, wenn die Reichen kein Geld mehr hätten, die Armen nichts mehr
verdienen könnten und Hungers sterben müßten, und in Frankfurt war ein
guter Verdienst für jede Art Arbeiter. Daher das Geschrei von Freiheit
und Gleichheit nur taube Ohren fand; zudem fing Handel und Wandel zu
stocken an, und die Lage der Einwohner begann mißlicher zu werden, was
man nicht mit Unrecht den Franzosen zuschrieb. Ganz anders war es in
Mainz, hier war wenigstens ein großer Teil der Bewohner enthusiastisch
für die neue Ordnung der Dinge in Frankreich gestimmt, besonders
wissenschaftlich gebildete und tüchtige Männer verteidigten die neuen
Grundsätze und Handlungen, schlossen sich denselben an und wurden die
Koryphäen der Mainzer Revolution, freilich nicht ahnend, wie schnell die
Pariser in ein blutig scheußliches Ungetüm und Morden ausarten würden.
In Mainz hatte man, Paris nachäffend, ebenfalls Klubs gebildet, in denen
die Freiheit und Gleichheit gepredigt wurde, und die berühmtesten
Gelehrten und Professoren, wie ein Forster, Wedekind, Metternich und so
weiter hatten sich an die Spitze gestellt. Auch die schönen Mainzerinnen
hatte dieser Revolutionstaumel ergriffen, sie übten sich sogar im
Pistolenschießen, tanzten nach Herzenslust mit den Soldaten der Freiheit
um die rote Kappe, hatten dabei Gürtel, welche vorn und hinten
herabhingen; vorn las man das Wort >Freiheit<, hinten >Gleichheit<. Eine
ärgere Satire auf diese Revolution hätte wohl schwerlich der
eingefleischteste Aristokrat erfinden können. Manche Frauen hatten sogar
Säbel umgeschnallt, und man ging bald so weit, eine rheinische Republik
gründen zu wollen und so weiter. Alle Fürsten und der Adel wurden ihrer
Rechte und Besitzungen verlustig erklärt und durften sich bei
Todesstrafe nicht mehr im Gebiete dieser neuen Republik sehen lassen.

Cüstine stattete nun auch in eigener Person der Reichsstadt Frankfurt
einen Besuch ab. Den einundzwanzigsten Oktober kam er mit seinem
Generalstab und dem Doktor Böhmer in die Stadt geritten und hielt vor
der Hauptwache, vor welcher sich eine Menge Volks versammelt hatte, den
Wundermann zu sehen, vor dem sich die Tore der ersten deutschen
Festungen wie durch einen Zauberschlag öffneten. Der Feldherr fragte den
Haufen: »Habt ihr den deutschen Kaiser gesehen?« und erwiderte auf das
Ja, das ihm mehrere Stimmen zuriefen: »Wohlan, ihr werdet keinen mehr
sehen!«, und hierin hatte er recht. In Mainz hatte man ähnliche Anreden
mit donnerndem Applaus und lautem Jubel begrüßt, hier aber blieb das
Volk mäuschenstill. Dies war aus dem so verschiedenartigen Charakter der
Bewohner dieser beiden Städte leicht zu erklären. Die Mainzer haben ein
leicht aufzuregendes Blut, sind heiter und lebensfroh, während der
gewöhnliche Frankfurter ein echter bedächtiger Kalkulationsmensch ist;
der Unterschied zwischen den Einwohnern dieser beiden Nachbarstädte ist
so groß, als lägen sie mehrere hundert Meilen voneinander entfernt.
Außerdem hätten die Frankfurter gerne jedes Jahr so eine goldspendende
Kaiserkrönung gesehen, und es war ihnen schlecht damit gedient, daß sie
keinen Kaiser mehr, aber statt dessen Millionen fordernde französische
Generäle sehen sollten. Ärgerlich über diesen Stumpfsinn des Volkes für
seine Reden, wandte er sich gegen seine Begleitung und sagte: »Diese
Menschen haben nur Sinn für den Schacher und nur Liebe für Geldsäcke,
wohlan, wir müssen sie bei dem, was ihnen am teuersten ist, packen.« Er
ließ die bisherige Garnison durch andere Truppen ablösen, denen er
strenge Mannszucht anbefahl, und begab sich sofort auf den Römer, wo er
den Behörden tüchtig die Meinung sagte. Dann ließ er sich nun Geiseln
ausliefern, unter denen angesehene Kaufleute und zwei reiche Juden
waren. Bevor er wieder abreiste, stattete er auch den braven
Sachsenhäusern einen Besuch ab und ersuchte sie um einen Baum aus ihrer
Waldung, worauf ihm diese Naturkinder erwiderten: »er möge sich nur
einen holen,« was er aber unterließ und die Reichsstadt nicht würdig
fand, mit einem solchen zu schmücken. Ein Jude sagte damals, von diesem
Wahrzeichen der französischen Freiheit sprechend: »'s is ä Bämche ohne
Worzel und ä Käpple ohne Kopp.«

Der Landgraf von Hessen-Kassel hatte indessen bedeutende Streitkräfte
zusammengezogen, in der Hoffnung, vereint mit den preußischen Truppen
den Franzosen endlich ernstlichen Widerstand leisten zu können. Diese
hatten jedoch mehrere hundert Hessen bei Nauheim gefangen, die sie nach
Frankfurt brachten, und Cüstine erließ eine Proklamation gegen den
Landgrafen, in welcher er unter anderm sagte: »Denkt er denn nicht, daß
der jüngste Tag für alle ungerechten Fürsten erschienen ist! Er hofft
seinen wankenden Thron durch das Volk zu befestigen, dessen Blut er
verkaufte, um seine Schatzkammer zu füllen. Schon dieser einzige Umstand
muß das Schicksal dieses Tyrannen entscheiden. Ungeheuer! über das sich
schon längst der Fluch der deutschen Nation, die Tränen der Witwen, die
du brotlos, und das Jammergeschrei der Waisen, die du elend gemacht
hast, gleich schwarzen Gewitterwolken zusammentürmten[5], dich wird die
gerechte Rache der Franken erreichen, die Flucht wird dich derselben
nicht entziehen; wie wäre es auch nur möglich, daß ein Volk in der Welt
einem Tiger, wie du bist, Zuflucht gewähren könnte!« und so weiter.

[Fußnote 5: Cüstine spielt hier auf den Verkauf Hessen-Kasselscher
Untertanen an die Engländer an, für welche der Landgraf einen bestimmten
Preis per Kopf erhielt, und die die Engländer als Soldaten in ihren
Kolonien verwandten. Das ganze Land hatte kaum 400000 Einwohner, von
denen mehr als 20000 der kräftigsten Männer für den englischen Dienst
verhandelt wurden. Die englischen Seelenkäufer kamen nach Kassel, wo sie
Mann für Mann wie erkauftes Vieh untersuchten und betasteten, ob sie
auch tauglich seien! Eltern, die klagten oder murrten, wenn man ihnen
die Kinder mit Gewalt raubte, kamen sofort in Ketten oder ins Zuchthaus.
Daher stammte auch der reiche Privatschatz Georg Wilhelms, den er bei
seiner Flucht dem alten Rothschild in Verwahrung gab, den dieser so gut
verwaltete, daß er selbst Millionen erwarb, und daher datiert sich der
ursprüngliche Reichtum der Rothschilde.]

Frankfurt hatte nun eine Million von der Kontribution bezahlt, die
Geiseln wurden wieder freigegeben, und Cüstine erlaubte dem Magistrat,
um den Erlaß des Restes derselben in Paris nachsuchen zu dürfen, welches
derselbe auch benützte und deshalb eine Deputation nach der unruhigen
Hauptstadt Frankreichs sandte, der er noch eine zweite, die erste zu
unterstützen, nachschickte.

Indessen ergab man sich in sein Schicksal, es war so ziemlich wieder
alles in sein gewohntes Gleis gekommen, und man war darauf gefaßt, die
unwillkommenen Gäste noch lange beherbergen zu müssen, besonders da die
Franzosen infolge der Schlacht von Genappe rasch die österreichischen
Niederlande erobert hatten.




                                  IV.

   Wiedereinnahme Frankfurts durch die Preußen und Hessen. -- Franzosen
   durch den Pöbel niedergemacht. -- Schreckliche Lage der Frankfurter
       Abgeordneten zu Paris, aus der sie mein Oheim befreit. --
      Eindruck, den die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs XVI.
                                 macht.


Die anscheinende Ruhe Frankfurts war nicht von langer Dauer. Gegen Ende
November verbreitete sich die Nachricht, daß die Preußen und Hessen im
Anmarsch, schon in der Nähe der Stadt und im Besitz ansehnlicher
Streitkräfte seien. Die französische Besatzung Frankfurts war kaum
tausend Mann stark und hatte nur zwei Kanonen. Der Kommandant, General
Helden, erwartete Truppen und Artillerie, die ihm Cüstine zur
Verstärkung versprochen und ihm zugleich befohlen hatte, sich im Fall
eines Angriffs des Zeughauses zu bemächtigen und die Frankfurter
Stadtsoldaten, die bis jetzt noch ihren Dienst in Gemeinschaft mit den
Franzosen versehen hatten, zu entwaffnen und sich auf das äußerste zu
verteidigen. Dem Magistrat wurde bekannt gemacht, daß man die Stadt mit
Feuer und Schwert verheeren würde, wenn man sich beikommen ließe, etwas
gegen die Besatzung zu unternehmen. Da aber die versprochene Verstärkung
ausblieb, so hätte Helden wenigstens Moses' Wunderstab haben müssen, um
die erhaltenen Befehle zu vollziehen. Die Frankfurter Heeresmacht, etwa
sechshundert Söldner, aus aller Welt zusammengerafftes Gesindel, war
freilich nicht sehr zu fürchten, aber man traute der Stimmung der
Einwohner nicht, und zwar mit Recht. Den achtundzwanzigsten November
erschien der preußische General von Kalkreuth an der Spitze der
preußisch-hessischen Avantgarde vor dem Friedberger Tor, stellte seine
Truppen in Schlachtordnung auf, sandte sodann einen Stabsoffizier an den
französischen Kommandanten, der von dem Volk mit Jubel begrüßt wurde,
und ließ den General Helden auffordern, Frankfurt zu übergeben. Dieser
wies die Aufforderung mit der Erklärung zurück, er würde sich bis auf
den letzten Mann verteidigen, und meldete, was vorgefallen war, sogleich
nach Mainz. Cüstine nannte die Aufforderung eine preußische Impertinenz
und sagte: »ein freier Republikaner dürfe nicht mit Despotenknechten
unterhandeln.« -- Helden hatte unterdessen die den Frankfurtern
gehörenden Kanonen aus dem Zeughaus (dem Rahmhof) daselbst wollen
wegnehmen lassen, da sich das Volk jedoch schwierig zeigte und
zusammenrottete, so gab er das Vorhaben auf und erklärte die Sache für
ein Mißverständnis. Cüstine kam noch an demselben Tage nach Frankfurt
und versprach dem auf dem Römer versammelten Magistrat, daß er die Stadt
im unglücklichsten Fall keiner Belagerung aussetzen wolle; auf diese
Versicherung erließ derselbe eine Proklamation, in welcher er die Bürger
zur Ruhe und Ordnung ermahnte.

Unterdessen waren die wohlhabenderen Einwohner der Stadt in banger
Erwartung und sahen sorgenvoll den Dingen entgegen, die da kommen
sollten. Es war der zweite Dezember, ein Sonntag, die meisten Bürger
befanden sich gerade bei dem Gottesdienst in den Kirchen, als man mit
einem Mal einen starken Kanonendonner ganz in der Nähe vernahm.
Jedermann verließ schnell die Kirche und eilte erschrocken nach Haus, wo
man erfuhr, daß die Preußen und Hessen die Stadt mit Kanonen und Mörsern
beschössen und von zwei Seiten angriffen. Von allem, was in der Stadt
vorging, waren die Preußen auf das genaueste unterrichtet, da die
Einwohner bis zum letzten Augenblick die Freiheit gehabt hatten, vor den
Toren spazieren zu gehen, wo sie sich stundenlang mit den Belagerern
unterhielten, ohne daß die Franzosen Notiz davon nahmen.

Das Schießen währte ununterbrochen fort, meine Eltern saßen noch bei
Tische und sahen sich nach dem eben beendigten Mittagsmahl mit banger
Bekümmernis an, als einer der Handlungsdiener nach Hause kam und
erzählte, daß bereits mehrere Bürger verwundet worden und Kugeln und
Bomben in verschiedenen Häusern niedergefallen seien. -- »Gott bewahre
uns vor einem solchen Unglück!« rief meine Mutter aus, die mich auf ihre
Knie genommen hatte. Kaum hatte sie das Wort ausgesprochen, als ein
furchtbarer Schlag ganz in unserer Nähe fiel, dem ein längeres
Geprassel, wie von herabfallenden Schiefersteinen veranlaßt, folgte. In
demselben Augenblick stürzte das Gesinde leichenblaß in das Speisezimmer
mit dem Ausruf: »Es hat bei uns eingeschlagen!« Meine arme Mutter war
einer Ohnmacht nahe, und ich lag auf dem Boden. Schnell war das Zimmer
mit allen Hausbewohnern angefüllt, die verzweiflungsvoll untereinander
schrieen, und jeder schien Rat und Hilfe von dem andern zu erwarten, sie
fragten sich untereinander, was zu tun sei, aber keiner war imstande,
ein vernünftiges Wort hervorzubringen, alle hatten den Kopf verloren.
Einige wollten, daß man in die Kellergewölbe, andere, daß man auf die
Straße flüchten solle, und Frauen und Mägde weinten. Mein Vater, der
hinausgegangen war, um nachzusehen, was eigentlich geschehen, kam nach
einigen Minuten mit den tröstenden Worten zurück: »Beruhigt euch,
Kinder, ein Stück Bombe hat nur das Dach unsers Regenfasses im Hof
eingeschlagen, der Schaden ist nicht groß.« Nachdem man sich überzeugt
hatte, daß es wirklich so war, erholte man sich nach und nach von dem
Schreck, und da das Schießen immer schwächer wurde und bald ganz
aufhörte, so beruhigte man sich völlig, und das ganze endigte damit, daß
man sich gegenseitig foppte, jeder dem andern den größten Teil der
gehabten Furcht in die Schuhe schob und sogar Gebärde und Mienen
vormachte, die er in dem Schreckensmoment gezeigt haben sollte.

In der Stadt waren indessen ganz andere und sehr ernsthafte Szenen
vorgefallen. Die wenigen Franzosen hatten sich auf den Wällen sehr
tapfer unter beständigem Feuern verteidigt. Aber die beiden Geschütze,
welche der General Helden auf die Wälle beordert hatte, wurden von
zusammengelaufenem Pöbel und Handwerksburschen, die dazu von mehreren
Bewohnern angereizt worden, angefallen, und da ihre Bedeckung sehr
schwach war, so bemächtigten sich die Volkshaufen derselben, schlugen
die Räder und Lafetten entzwei, hieben die Stränge der Pferde ab und
drohten, den Kommandanten, dem wirklich durch den Hut geschossen wurde,
zu ermorden. Das Volk öffnete nun die Stadttore mit Gewalt, die Riegel
mit Beilen und Äxten sprengend, während sich die Franzosen auf den
Wällen, von diesen Vorgängen nichts ahnend, noch immer tapfer
verteidigten. Preußen und Hessen stürzten zu dem geöffneten Friedberger
Tor herein, machten ohne Pardon zu geben nieder, was ihnen von Franzosen
begegnete, die jedoch, namentlich auch die Nationalgarden, ihr Leben
teuer verkauften, auch oft keinen Pardon begehrten. Die Truppen der
Verbündeten waren wegen des heftigen Widerstands, den man ihnen
geleistet hatte, höchst erbittert. Zweihundert Hessen bedeckten mit
ihren Leichen das Schlachtfeld vor den Toren, über siebenhundert
Franzosen gerieten samt dem General von Helden in Gefangenschaft. Die
Körper der niedergesäbelten Franzosen, die in den Straßen lagen, waren
zum Teil schrecklich verstümmelt, einigen war der ganze Hinterkopf
abgehauen, anderen war der Schädel gespalten und so weiter. Alle wurden
schnell und ganz in der Stille beerdigt, nur ein kleiner Teil der
Garnison war entkommen und hatte sich nach Höchst flüchten können. Auch
einem Bürgerssohn hatte seine Neugierde das Leben gekostet.

Der König von Preußen, Friedrich Wilhelm II., gewöhnlich der dicke
Wilhelm genannt, hielt nun mit dem Herzog von Braunschweig an der Spitze
seiner Generalität und der Truppen seinen Einzug und wurde von den
Frankfurter Bürgern, die sich jetzt befreit glaubten, mit großem
Vivatgeschrei freudig jubelnd empfangen. Fortwährend blieb die Menge vor
dem Roten Haus, damals der erste Gasthof der Stadt, in welchem der König
abgestiegen war, versammelt, dem gnädigen König unaufhörlich ein
Lebehoch bringend, so oft derselbe geruhte, sich dem guten Volk auf dem
Balkon zu zeigen. An selbigem Tage hatte eine halbe Stunde von
Frankfurt, zwischen den Flecken Bockenheim und Rödelheim, ein scharfes
Gefecht mit einer Abteilung von Cüstines Truppen stattgefunden, bei dem
der preußische General von Eben verwundet wurde.

Der König von Preußen besuchte noch den nämlichen Abend das Theater, wo
er abermals mit großem Enthusiasmus empfangen wurde. Frankfurt erhielt
nun eine preußische und hessische Besatzung zur Einquartierung, unter
der sich besonders die preußischen Garden auszeichneten.

Nachdem jedoch der erste Sieges- und Freudenrausch verschwunden war und
die Überlegung nach und nach zurückkehrte, fing man doch zu fürchten an,
daß die Geschichte wohl noch schlimme Folgen für die gute Stadt
Frankfurt und ganz besonders für die sich noch zu Paris befindliche
Deputation derselben haben könne. Was man im ersten Augenblick als eine
Heldentat sondergleichen, die man denen eines Horatius Cocles und Mutius
Scävola zur Seite setzte, angesehen, nämlich das Zertrümmern der
Kanonenlafetten und das Zerschlagen der Torschlösser, wollte bald
niemand mehr getan oder nichts davon gewußt haben, und mit Grauen und
Schaudern dachte man an die Folgen bei einer möglichen Wiederkehr der
Franzosen. Dem Freudentaumel folgte schnell eine düstere Stimmung und
Grabesstille, und die Besorgnis der ängstlichen Gemüter wurde noch um
vieles vermehrt, als man wenige Tage darauf in der >Mainzer
Nationalzeitung< vom sechsten Dezember einen Bericht las, der die
Überschrift führte: >Frankfurter Adventsfeier, ein Gegenstück zur
Bartholomäusnacht und zu der sizilianischen Vesper< und dessen Verfasser
ein Adjutant Cüstines, Daniel Stamm, war. In demselben wurde unter
anderm gesagt:

>Der zweite Dezember, als der erste Adventssonntag, wurde zum Mordtag
ausersehen. Frankfurter! diesen Tag werdet ihr trotz euren feilen
Zeitungen nicht aus den Jahrbüchern eurer Geschichte löschen! Buben
werden euch auf den Straßen anspeien, der Name Frankfurt wird der
Nachwelt ein Abscheu sein, der Franke ist verabscheuungswert, der euch
ansehen kann, ohne euch zu würgen! Euch und euern Namen zu vertilgen,
sei der Schwur, den jeder freie Mann auf dem Vaterlandsaltar ablegen
wird! Ich tue ihn freiwillig, und ich werde ihn halten.<

Doktor Böhmer in Mainz schrieb in dieselbe Zeitung: >Plötzlich wurden
sie (die Franzosen) von einem mit Mordgewehren aller Art versehenen
Haufen von Frankfurter Banditen überfallen, mit einer Wut, deren nur ein
Frankfurter Reichsstädter fähig sein kann, gemißhandelt und in solcher
Anzahl getötet, daß von zwei Bataillonen der größte Teil ein Opfer
dieser Henkersknechte wurde. Die französischen Krieger setzten sich
mutig zur Gegenwehr, waren aber zu schwach, um acht- bis zehntausend
bewaffneten Bösewichtern Widerstand leisten zu können. Kaum hörte dies
der General Cüstine, als er morgens gegen elf Uhr mit einem großen Teil
seines Heeres und einer Menge von Belagerungsgeschütz vor die Stadt
rückte. Er hat erklärt, daß er entweder selbst vor ihren Mauern sterben,
oder die Stadt in Staub und Asche verwandeln wolle.<

Die allgemeine Administration zu Mainz, um die Wut der französischen
Armee noch zu steigern, befahl, daß für die zu Frankfurt gemordeten
Franzosen ein großes feierliches Totenamt gehalten werden solle.

Man kann sich denken, welche Angst bei dem Lesen solcher Zeitungsartikel
-- die Mainzer hatten dafür gesorgt, daß diese sogleich gehörig in
Frankfurt verbreitet wurden -- sich der armen Kaufmannsseelen daselbst
bemächtigte, die eigentlich an dem Vorgefallenen sehr unschuldig waren,
das außerdem ebenso entstellt wie übertrieben wurde. In allen Familien
war jede Lebenslust wie weggeblasen, und diejenigen, deren Angehörige
bei der fatalen Mission zu Paris waren, gaben sich der Verzweiflung hin.
Ein reicher Kaufmann, der uns denselben Abend, als die Preußen in die
Stadt eingerückt waren, einen Besuch gemacht und sich dabei gerühmt
hatte, aus seinem Haus habe man auf seinen Befehl siedendes Wasser auf
fliehende Franzosen gegossen und >die Kerls gehörig gebrühet<, wobei er
und seine Frau tätig gewesen seien, kam einem Gespenst gleich ein paar
Tage darauf zu meinen Eltern, um sie zu fragen, ob sie seine Fabel
weiter erzählt hätten, er habe dies alles nur im Scherz gesagt, es sei
nur ein dummer Spaß von ihm gewesen, er selbst könne nicht begreifen,
wie er zu einem so elenden Geschwätz gekommen sei, seine alberne Gans
von einer Frau sei an dem ganzen Eselsstreich schuld. Mein Vater suchte
den reichen armen Teufel möglichst zu beruhigen, er hatte jedoch noch
lange an seinem Angstfieber zu laborieren.

Magistrat und Bürgerschaft wetteiferten nun, diese gräßlichen
Beschuldigungen von sich zu weisen und sie für abscheuliche
Verleumdungen zu erklären, was sie denn zum größten Teil auch waren.
Eine Unwahrheit war es, daß ein förmliches Mordkomplott stattgefunden
habe, und eine große Lüge, daß man zehntausend Mordmesser zu diesem
Zweck habe verfertigen lassen, von denen Cüstine sogar eines an den
Konvent nach Paris sandte.

Um diesen furchtbaren Anklagen zu begegnen, machte der Magistrat
von Frankfurt bekannt, daß derjenige eine Belohnung von
vierundzwanzigtausend Livres erhalten solle, der beweisen könne, daß ein
Mordkomplott in Frankfurt stattgefunden und die Bürger Franzosen mit
Mordgewehren oder Messern getötet hätten. Aber niemand konnte
dergleichen dartun; das Wahre an der Sache war, daß mehrere wohlhabende
Bürger, der Hingebung des Augenblicks folgend, verschiedene Individuen
aus den niedern Ständen zur Zertrümmerung der Kanonen und zum Eröffnen
der Tore aufgemuntert hatten, sowie, daß aus einzelnen Häusern siedendes
Wasser auf die Fliehenden gegossen worden war. Aber auch schon das war
hinreichend, um unter solchen Verhältnissen und in einem solchen Krieg
den Ruin und die Zerstörung einer Stadt herbeizuführen, und dies, fühlte
man wohl, wäre auch das unvermeidliche Schicksal Frankfurts gewesen,
wenn der Feind damals schnell zurückgekehrt wäre. Aller Enthusiasmus für
die Sieger war indessen nach ein paarmal vierundzwanzig Stunden
verschwunden, und man hörte keine Vivats mehr.

Zu Paris hatten sich diese Vorfälle, greulich ausgemalt und durch
gräßliche Zusätze vermehrt, schon verbreitet, noch ehe ein offizieller
Bericht daselbst angekommen war. Als Cüstines Berichte eintrafen,
beschloß der vollziehende Staatsrat vorerst, die Frankfurter Deputierten
in ihren Wohnungen in strengem Verhaft zu halten und auf das schärfste
bewachen zu lassen. Diese sahen sich nun mit einem Mal von all ihren
dortigen Bekannten verlassen und befanden sich in der Tat in einer
schrecklichen Lage, und dies zu einer Zeit, wo man in Paris
Menschenköpfe gleich Mohnköpfen abschlug. Unter ihren Fenstern verkaufte
man Extrablätter unter dem Ruf: >Getreue Erzählung, wie durch die
Frankfurter Banditen tausend Franzosen ermordet wurden, Frankfurter
Mordgeschichten< und so weiter. Keine französische Zeitung wollte etwas
zur Verteidigung der armen Deputierten aufnehmen, welche jeden
Augenblick fürchteten, zur Guillotine geschleppt zu werden. Unter den
vielen Mitteln, die man anwendete, jene gehässigen Anklagen zu
widerlegen und als nichtig darzustellen, wurde eines ergriffen, das
guten Erfolg hatte: man ließ nämlich die französischen Gefangenen,
Offiziere und Gemeine der Nationalgarde und Linientruppen, Erklärungen
und Briefe schreiben, in welchen sie die treffliche Behandlung, welche
ihnen von der Frankfurter Bürgerschaft und dem Magistrat zuteil wurde,
hochrühmten und auf das dankbarste anpriesen. Sie bekräftigten in
denselben, daß sich der Magistrat alle mögliche Mühe gegeben habe, dem
Auflauf des Pöbels zu steuern, und daß Bürger selbst vor den
eindringenden Hessen Pardon für mehrere ihrer Landsleute erwirkt hätten.
Man schob überhaupt die ganze Schuld auf fremde Handwerksburschen, diese
armen Teufel mußten jetzt alles auf ihre Schultern nehmen. Dies
vermochte indessen nicht, die in Paris gefangenen Frankfurter
Deputierten, unter denen auch einer vom Senat war, aus ihrer
hochnotpeinlichen Lage zu befreien, was für den Augenblick das
Wichtigste war, da sie in augenscheinlicher Lebensgefahr schwebten, denn
man spielte ja in Frankreichs Hauptstadt um Köpfe wie um Dreier, und die
Familien der Abgeordneten waren in unaufhörlicher Höllenangst, sahen in
banger Verzweiflung jeden Tag der ankommenden Post entgegen,
schreckliche Nachricht befürchtend, und gingen dem hochedlen Magistrat
Tag und Nacht zu Leibe, damit er die baldigste Befreiung ihrer
Angehörigen bewirken möge. Dies war eben keine leichte Aufgabe. Mein
Großvater Weller hatte den Herren des Rats den Rat gegeben, man müsse
schleunigst suchen, jemand ohne allen offiziellen Charakter ganz
insgeheim und mit hinlänglichen Mitteln versehen nach Paris zu schicken,
um das Terrain daselbst zu rekognoszieren, die Deputierten gehörig von
allem zu unterrichten und von dem fatalen Vorfall und der Sachlage in
Kenntnis zu setzen, sodann aber deren Befreiung um jeden Preis zu
erwirken suchen. So einleuchtend es auch war, daß sich nur einzig von
diesem Mittel einiger Erfolg erwarten ließ, so waren doch mehrere
Hohlköpfe des hochgelahrten und wohlfürsichtigen Magistrats und selbst
einer der wohlregierenden Bürgermeister dagegen und meinten, man müsse
sich nicht in neue Fatalitäten verwickeln, sondern, da es doch einmal
nicht anders sei, der Sache ihren Lauf lassen, das heißt, die armen
Teufel zu Paris ihrem Schicksal überlassen. Glücklicherweise war der
bessere Teil der Herren anderer Meinung und drang, jedoch nicht ohne
einige derbe Kraftäußerungen und sogar Drohungen ausgestoßen zu haben,
durch. So weit war man nun gekommen, aber wen absenden? Von den
hochweisen Herren des Magistrats wollte sich keiner zu dieser Mission
verstehen, sie liebten alle zu sehr, was unter ihren Perücken und
Haarbeuteln vegetierte, es mochte auch noch so unnützes Unkraut sein.
Alle hatten ihre triftigen Entschuldigungsgründe, die übrigens auch wohl
vollgültig sein mochten. Die einen schützten ihr respektables Alter,
fast alle ihre Unkenntnis der französischen Sprache vor, was bei den
meisten auch der Wahrheit gemäß war, denn nur wenige der gebildeteren
Klasse der Einwohner Frankfurts sprachen damals außer ihrer
Muttersprache, dem abscheulichen Frankfurter-Deutsch, noch eine andere;
höchstens warfen einige hochgelahrte Herren mit ein paar Brocken
Küchenlatein um sich, mit dem freilich in Paris nichts anzufangen war.
Mein Großvater, der die Verlegenheit, in der sich die guten Väter des
Vaterlands befanden, sowie die traurige Lage, in der es sich selbst
befand, erwog und sich zu Herzen nahm, sprach zu ihnen: »Ich bin zwar zu
alt, kränklich und schwach« -- er hatte noch nicht lange einen
Schlaganfall gehabt -- »um die Reise nach Paris unternehmen zu können,
sonst würde ich mich der Sache gern unterziehen, aber mein Sohn Fritz,
das ist ein gewandter Bursche, spricht geläufig französisch, weiß sich
zu drehen und zu wenden, der soll es wagen, nach dem Teufelsnest zu
reisen, unsern armen Landsleuten Trost und wo möglich Rettung zu
bringen.«

Mein Oheim Fritz zählte kaum einige zwanzig Jahre, bei jeder anderen
Gelegenheit würden die hochweisen Herren (sie waren damals alle
gepudert, und die meisten trugen Perücken) einen solchen Antrag unwirsch
zurückgewiesen haben, aber hier galt es, seine Haut zu Markte zu tragen,
und auch die Vorlautesten waren mäuschenstill. Nur einer unter ihnen,
ein Schöffe, Wallacher, äußerte: »Da man doch niemand habe, der fähiger
sei, so müsse man das Anerbieten des jungen Wellers wohl annehmen.«

Die Sache wurde nun noch in geheimer Sitzung verhandelt und beschlossen,
daß mein Oheim ganz insgeheim nach Paris reisen solle. Auf sein
Verlangen wurde ihm ein Paß von der Isenburger Regierung, um nicht als
Frankfurter bezeichnet zu sein, in der Eigenschaft eines spekulierenden
Buchhändlers ausgestellt, der sich in Privatgeschäften nach Paris
begebe.

Als alles in gehöriger Ordnung und mein Oheim mit Geld, Wechseln und
Empfehlungen reichlich versehen war, denn Gold durfte nicht gespart
werden, wollte man die Kerkertüren sprengen, -- reiste er ganz in der
Stille ab, kam glücklich über die Grenze und ohne besondere Zufälle in
der stürmischen Hauptstadt Frankreichs an, wo er vorgab, gekommen zu
sein, um die merkwürdigsten Szenen der französischen Revolution an Ort
und Stelle zeichnen lassen, die dann später in Kupfer für ein deutsches
Werk gestochen werden sollten, das die Heldentaten dieser Revolution dem
deutschen Volk recht anschaulich machen und dasselbe zur Nacheiferung
aufmuntern werde. Dies war freilich nicht der Wille des Magistrats
gewesen, aber mein Oheim fand es der Klugheit gemäß, so zu handeln, um
jeden Argwohn zu entfernen. Indessen traf er auf manche große, nicht
vorhergesehene Schwierigkeiten, doch bahnten ihm seine Empfehlungen,
eigene Geschicklichkeit und vor allem der mitgebrachte goldene Talisman
den Weg. Einmal lief er jedoch Gefahr, für einen Spion gehalten, als
solcher verhaftet und folglich um einen Kopf kürzer gemacht zu werden,
aber durch seine Geistesgegenwart wußte er sich im kritischsten
Augenblicke aus der fatalen Lage zu ziehen. Er unterhielt sich nämlich
eines Abends mit einem andern Deutschen in seiner Muttersprache über die
neuesten Vorfälle der Revolution, wobei sie auch mehrmals die Worte:
Monsieur und Graf Artois hatten fallen lassen. Ein Jakobiner aus dem
Elsaß, der hinter ihnen drein gegangen war und einen Teil dieser
Unterredung gehört hatte, schrie plötzlich: »_Voila des espions
autrichiens, qu'on les arrête._« Mein Oheim dreht sich um und sieht, wie
der Kerl auf ihn losspringt, um ihn zu packen, er gibt ihm jedoch einen
gewaltigen Faustschlag auf die Brust, der Jakobiner prallt ein paar
Schritte zurück, stolpert, stürzt, und mein Oheim wirft ihm jetzt
schnell seinen Mantel über das Gesicht, aus allen Kräften »_au voleur!_«
schreiend. In einem Augenblick waren eine Menge Menschen um den
Gefallenen versammelt, unter die sich der junge Weller sogleich mit
seinem Begleiter mischte, sich gleich den anderen erkundigend, was da
vorgehe, und dann, den Mantel im Stiche lassend, unbemerkt wegeilte,
sich glücklich preisend, mit dem Verlust dieses Kleidungsstückes davon
zu kommen. Aus einiger Entfernung durch die Schatten der Nacht
begünstigt, sah er, wie der arme Teufel von Jakobiner, den die Menge
festhielt, ihn wirklich für einen Dieb haltend, große Mühe hatte, sich
zu rechtfertigen und den Leuten den wahren Hergang der Sache begreiflich
zu machen, worauf sich alle nach dem vermeintlichen Aristokraten
umsahen, den sie jedoch nicht mehr entdecken konnten.

Ein paar Tage nach seiner Ankunft zu Paris war es meinem Oheim gelungen,
sich mit den gefangenen Deputierten, die einen rettenden Gott in ihm
sahen, heimlich in Verbindung zu setzen. Man beriet sich
gemeinschaftlich über die Art und Weise, wie ihre Befreiung zu bewirken
sei, und nachdem der junge Mann das Terrain hinlänglich sondiert, gelang
es ihm, einige einflußreiche Mitglieder des Konvents für sich zu
gewinnen, das heißt, zu bestechen, indem er hier und da, wo es nötig
war, mit aller Vorsicht seine goldenen Minen springen ließ, andere
gewann er durch eine der Wahrheit gemäße einfache und einleuchtende
Darstellung der Sache. Bei dieser Gelegenheit kam er auch mit Danton,
Robespierre Camille Desmoulin, Vergniaud, Brissot und anderen berühmten
Konventsmitgliedern in nähere Berührung. Das Unternehmen gelang über
alle Erwartung, der Konvent verfügte die Freilassung der Verhafteten,
und diese kamen gegen Ende Januar siebzehnhundertdreiundneunzig wieder
glücklich und wohlbehalten mit ihren, sich jetzt wieder außer Gefahr
befindenden Köpfen in Frankfurt an, während Ludwig XVI. unter der Zeit
den seinigen durch das Beil des Henkers verlor. Die Geretteten konnten
nicht genug rühmen, was der junge Weller für sie getan, und sie und
deren Familien, unter denen auch die G...sche war, gaben ihm bei jeder
Gelegenheit Beweise ihrer Erkenntlichkeit. Nachdem der schwierige
Auftrag so glücklich vollzogen, hörte man von mehr als einer Seite, wenn
des jungen Wellers lobend erwähnt wurde von manchen superklugen,
hochweisen Lippen die Worte fallen:

»Mit solchen Mitteln versehen, gehörte eben keine große Kunst dazu!«

Mein Oheim hatte seinen Freunden und Verwandten mehrere hübsche
Geschenke von Paris mitgebracht, darunter ein kostbares
Porzellanservice, das der unglücklichen Maria Antoinette gehört und das
er verstohlen um einen hohen Preis erstanden hatte.

Die Frankfurter Vorfälle hatten für niemand ersprießlichere Erfolge als
für die französischen Gefangenen, die von jetzt an, so oft deren nach
Frankfurt kamen, von der Stadt und ihren Bewohnern reichlich beschenkt
und trefflich verköstigt wurden, was denn jedesmal in den Zeitungen
gehörig ausposaunt ward, da man im Geiste schon wieder die französischen
Heere und ihre erzürnten Krieger racheschnaubend vor den Stadttoren sah.

Die Nachricht von der Hinrichtung des unglücklichen Königs von
Frankreich hatte einen höchst peinlichen Eindruck in Frankfurt sowie in
ganz Deutschland gemacht, man wollte lange nicht an die Möglichkeit
dieser Greueltat glauben und hatte Mühe, sich von der Wahrheit dieser
Tatsache zu überreden, die man sich nur mit dem Ausdruck des Schmerzes
und des Kummers mitteilte. Diese Begebenheit wandelte mehr als einen
Demokraten zum Aristokraten um, sowie überhaupt der Gang und die
Richtung, welche die Dinge in Frankreich nahmen, viele frühere Freunde
der französischen Revolution zu deren erbitterten Feinden umschuf; von
dem Glück einer Freiheit, die nur Mord, Raub, Brand, die blutigsten
Greuel und scheußlichsten Würger hervorrief, konnte sich kein Mensch,
der noch einen Funken gesunde Vernunft besaß, einen Begriff machen,
dennoch behielt sie auch in Frankfurt manche Anhänger, und sogar in
unserer Familie.




                                   V.

   Aufenthalt des Königs von Preußen und seiner Garde in Frankfurt. --
   Spielwut der Offiziere. -- Ein Jude muß einen Wechsel fressen. --
        Eine Entführung. -- Errichtung einer stehenden Bühne in
       Frankfurt. -- Die erste Vorstellung der Zauberflöte erregt
        ungeheures Aufsehen. -- Abermalige Belagerung Frankfurts
     (1796). -- Die Stadt wird mit glühenden Kugeln beschossen. --
      Niederbrennen der Hälfte des Judenquartiers. -- Frankfurter
    Zustände jener Zeit. -- Meine schöne Cousine. -- Eine Scheidung.
      -- Eine Hochzeitsreise mit Unannehmlichkeiten in Stuttgart.


Die fortdauernde Gegenwart des Königs von Preußen, der den ganzen Winter
in Frankfurt zubrachte, und seiner Garde machte doch, daß die Furcht der
ängstlichen Gemüter der guten Reichsstädter vor den Franzosen und ihren
Drohungen sich allmählich verlor, wozu das joviale Leben und galante
Benehmen der Preußen nicht wenig beitrug, und bald machten die
Besorgnisse dem Vergnügen Platz. Den gefallenen Hessen wurde auf Befehl
Friedrich Wilhelms II. ein Denkmal vor dem Friedberger Tor errichtet, zu
dem sein Hofbaumeister Langhans das Modell lieferte, und welches trotz
der, als alles zerstörende Vandalen verrufenen, Franzosen, die es im
Laufe der Revolutionskriege unversehrt ließen und achteten, noch jetzt
steht.

Seine preußische Majestät gefiel sich sehr in Frankfurt und war den
Einwohnern ein überaus liebreicher Herr, besonders den Damen, von denen
ihn manche nur »unsern lieben, dicken Wilhelm« nannte, denn der König
verschwendete viel, sehr viel Geld, war äußerst freigebig und machte
allen denen, die sich seiner Aufmerksamkeit und seiner Huld zu erfreuen
hatten, reiche Geschenke. Diesem Beispiel folgten auch seine
Untergebenen, namentlich zeichnete sich das Offizierkorps der Garden,
das seinem Herrn keine Schande machen wollte, durch Großmut,
Freigebigkeit und galantes Benehmen aus. So kamen abermals große Summen
zur Bereicherung der Einwohner Frankfurts in Umlauf. Besonders aber
waren die Herren gewaltige Spielratzen, und in den größeren Gasthöfen
wurden die Hazardspiele, namentlich Pharao, welches die Offiziere,
meistens vermögende Edelleute, leidenschaftlich liebten, auf eine
furchtbare Höhe getrieben. Diese Leidenschaft der preußischen Marssöhne
wußten mehrere Spieler von Profession trefflich auszubeuten, unter ihnen
waren namentlich ein verabschiedeter hessischer Oberst von Willich, der
in Bockenheim wohnte, ein gewisser Kohl, ein Frankfurter Bäckerssohn,
der eine sehr hübsche Frau hatte, die bei verschiedenen Spielen
pointierte, ein anderer Gauner namens Gimpel und so weiter, die sich
alle in kurzer Zeit ein großes Vermögen erspielten, von denen jedoch die
meisten später wieder in bittere Armut gerieten, ja wohl in Spitälern
Unterkunft suchen mußten. Diese Spielsucht der preußischen Offiziere kam
nebst den sauberen Bankhaltern keinem mehr zu statten als den
Frankfurter Juden, welche den Herren oft und gerne aus augenblicklichen
Geldverlegenheiten halfen und dafür so generös belohnt wurden, daß sie
nicht selten Hundert vom Hundert in wenig Wochen erhielten. Ein
komischer Vorfall, der sich damals mit einem der berüchtigtsten
Gurgelschneider in Frankfurt zutrug, durch ein solches Darlehen
hervorgerufen wurde und die ganze Stadt außerordentlich belustigte,
verdient, daß ich ihn hier mitteile, um so mehr, da die Sache in dem
Hause meines Großvaters vorging. Derselbe hatte nämlich einen Major und
einen Leutnant von der Garde im Quartier. Beide waren sehr artige, feine
Leute, die man im Hause gerne sah; der Leutnant aber, ein Herr Baron von
D..., war ein Wüstling, der selten zu Tische kam, oft ganze Nächte
wegblieb, die er größtenteils am Pharaotisch des Herrn von Willich
zubrachte. So bedeutende Summen und Wechsel der junge Mann auch jeden
Monat von Haus erhielt, er war der Sohn eines sehr reichen pommerschen
Edelmannes, so waren seine Taschen doch in der Regel leer, und mit
größerer Sehnsucht als er selbst warteten die Frankfurter Juden auf
seine Berliner Wechsel, die selten ausreichten, die gemachten Darlehen
zu decken; da er auch nicht sehr pünktlich im Bezahlen war, so wurden
die Kinder Israels hinsichtlich seiner etwas schwieriger, und er mußte
ihnen noch höhere Zinsen bezahlen. Ein gewisser Samuel Rapp war damals
als einer der Hauptnothelfer des königlich preußischen Offizierkorps
bekannt, an diesen wandte sich nun unser Leutnant, als er einmal wieder
ganz im Trockenen saß, und ließ den Juden durch seinen Burschen rufen.
Rapp kam, stellte sich jedoch äußerst schwierig, willigte aber endlich
ein, fünfzig Friedrichsdor auf vier Wochen vorzuschießen, jedoch unter
der Bedingung, daß ihm der Offizier hundert verschreibe und einen
Wechsel ausstelle, in welchem Herr von D... sich durch sein Ehrenwort
verpflichtete, die hundert dargeliehenen Friedrichsdor an dem bestimmten
Tage zurückzuzahlen, da, wie bekannt, gegen das Militär kein
Wechselrecht gültig und ebensowenig eine Zivilklage angebracht werden
konnte. D... ging die Bedingung ein und erhielt die fünfzig
Friedrichsdor bar; der Jude hatte ihm zwar für einen Teil des Geldes
mancherlei Ware, unter anderm auch eine Partie Katzenfelle zu einem
hohen Preis aufschmusen wollen, worauf sich der Offizier aber nicht
einließ, indem er sagte: »Die hält mir kein Bankier.« Die Verfallzeit
des ausgestellten Wechsels rückte heran, und der Leutnant hatte kein
Geld; er hatte zwar während der Zeit wieder einen Wechsel von Haus
erhalten, aber die Coeur-, Treff- und andere Damen sowie Buben und so
weiter hatten es längst verschlungen, auch hatte er ein paar andere
Juden, die ihm früher geliehen und ihn gequält, bezahlt. Als nun der
unglückliche Zahlungstermin herangekommen war, erschien Samuel schon in
aller Frühe und präsentierte seinen Wechsel zum Einkassieren auf des
Leutnants Stube, der jedoch zur Antwort gab:

»Schmul, ich kann Euch nicht helfen, Ihr müßt mir Frist geben, meine
Wechsel sind ausgeblieben.«

»Gottswunder, Herr Barohn, was tu ich domit, ich brach mei Geld, ich
kann net warte, ich hab' druf gerächent, ich muß doch ach heind zahle.«

»Seid vernünftig, ich habe viel Unglück gehabt und gestern nach Haus
geschrieben, in spätestens acht Tagen erhalte ich neue Wechsel.«

»Ich kann net, Herr Barohn, ich kann net warte, ich muß mei Geld hawe,
ich muß es heind hawe, ich muß es gleich hawe, ich muß ach bezahle.«

»Wenn ich nun aber keines habe, ich kann doch keines aus der Erde
stampfen oder Dukaten aus dem Aermel schütteln, gedulde dich nur acht
Tage.«

»Nah, ich kann net, kah acht Stunne, kah acht Minute, ich muß mei Geld
hawe, 's is heind der Zahltag, un ich muß ach zahle.«

»Höre, Jude, wie viel muß ich dir zahlen, wenn du noch acht Tage Frist
gibst?«

»Nix, gar nix, denn ich kann kahn Frist gewe, und ich kann ach net
warte.«

»So scher dich zum Teufel, denn ich habe nun einmal kein Geld.«

»So, Herr Barohn, deß sin mer saubere Massematte, ich hab doch Ihrn
Wechsel mit Ihrm Ehrewort drinn; wenn Se mich net bezahle, so mach ich's
bekannt.«

»Jude!«

»Nu, Herr Barohn, ich kann mer doch net anners helfe, und wann Se mich
net zahle, so weis' ich de Wechsel vor uff der Parad, und dann sin Se de
Katze, weil Se kah Ehrewort hawe gehalte, deß wäß ich recht gut.«

»Jude, dich soll ja der Teufel, warte ...«

Der Leutnant ging an die Stubentür und schloß dieselbe ab.

»Nau, Gottswunder, Herr Barohn, was soll mer deß? Mache Se kahn Stuß,
was wolln Se mache?«

»Das wirst du sogleich sehen.«

Der Leutnant nahm nun eine ungeladene Pistole, auf der ein hölzerner
Stein war, von der Wand herab, stellte sich vor den zitternden Juden
hin, spannte den Hahn und sagte mit donnernder Stimme:

»Jude, jetzt friß den Wechsel, oder du bist des Todes.«

»Auweih geschrie, Herr Barohn, was soll mer deß, was mache Se vor än
dumme Stuß.«

»Friß, sage ich, oder ...«

Der Leutnant hält ihm die Mündung gegen den Mund.

»Aweih, aweih, wie kann ich fresse, ä Wechsel is doch ka Matzes. Aweih
geschrie, Herr Barohn, ich kreisch.«

»Wenn du noch einen Laut von dir gibst, Jude, so drücke ich ab. Friß,
sag ich, oder ich schieß.«

Der Jude, todesbleich und schlotternd, würgte nun den Wechsel nicht ohne
große Mühe hinab, während der Offizier mit der drohenden Waffe vor ihm
stand.

»So,« sagte er, nachdem der Jude zum letztenmal geschlungen hatte,
»jetzt sperre das Maul auf, damit ich auch sehe, ob dir nichts in den
Zähnen stecken geblieben ist.«

»Herr Barohn, Se wern mer doch net enei schieße wolle, ich haw en
warrlich gefresse.«

»Sei ohne Furcht und sperre das Maul auf, sag ich.«

Der Jude sperrte nun das Maul weit auf.

»Gut, nun kannst du gehen, aber das laß dir gesagt sein, wenn du nur
eine Silbe von der ganzen Begebenheit gegen jemand erwähnst, so bist du
des Todes, denn ich schieße dich nieder, wo ich dich finde. Übrigens
kannst du, wenn du schweigst, in acht Tagen dein Geld bei mir abholen,
es ist jetzt eine Ehrensache für mich, dich zu bezahlen.«

»Herr Barohn, is deß wahr, dann will ich so stumm sein aß ä Fisch.«

»Du kannst darauf zählen.«

Der Offizier legte nun die Pistole hin, schloß die Tür auf, und der Jude
huschte, einen schweren Seufzer lassend, zur Stube hinaus.

Acht Tage darauf ließ der Leutnant den Rapp wieder holen und zahlte ihm
hundert Friedrichsdor in Gold hin und noch obendrein einen doppelten
mehr, indem er sagte:

»Hier, das nimm für die ausgestandene Angst und weil du reinen Mund
gehalten, gestern erhielt ich meine Wechsel.«

»Gottswunder, Herr Barohn, Se sin doch ä wohrer Ehrenmann, wie's kahn
mehr in ganz Frankfort, in der ganze Welt mehr gibt, wann Se widder was
brauche, Se därfe nor befehle, ich mach mer ä Vergnüge draus, Ihne zu
diene ...«

»Schon gut, wir werden sehen.«

»Aber ahns mach ich zur Bedingung.«

»Und das wäre?«

»Wann Se mer widder ä Verschreibung mache, schreiwe Se's uff än
Nernberger Lebkuche oder uff än Matzen, wann ich's dann widder fresse
muß, so haw ich doch net so schwer daran zu verdaue. Der anner Wechsel
is noch net recht verdaut un hat mer vierunzwanzig Stund schrecklich zu
schaffe gemacht.«

Die Anwesenheit der Preußen und ihres Königs hatte auch viel zum Glanz
des wenige Monate früher auf Aktien gegründeten Frankfurter Theaters,
welches sich, Gott weiß mit welchem Recht, den hochtrabenden Titel
>Nationaltheater< beigelegt hatte, beigetragen. Was an demselben
national war, konnte niemand ausfindig machen. Sechzig wohlhabende
Bürger, fast lauter Kaufleute, hatten jeder fünfhundertfünfzig
Gulden, also eine Totalsumme von dreiunddreißigtausend Gulden
zusammengeschossen, um das Unternehmen zustande zu bringen; sie
erhielten Aktien für ihren Einschuß. Ein Advokat nannte dies >eine
wahrhaft nationale Handlung<, und so meinten die anderen Herren, diesem
Institut den Titel eines Nationaltheaters erteilen zu müssen, was
manchen Stoff zum Lachen und zur Satire gab. Erst im Jahre
siebzehnhundertzweiundachtzig hatte man ein Schauspielhaus in Frankfurt
erbaut, das zwei Jahre nach seiner Erbauung beinahe ein Raub der Flammen
geworden wäre, da das im Kontor des Direktors mitten in der Nacht
ausgekommene Feuer anfänglich niemand löschen wollte und das auf dem
Komödienplatz versammelte Volk schrie: »Laßt nur das Teufelshaus
brennen, wir brauchen kein Komödienhaus, das nur Unglück über die Stadt
bringt. Baut die Barfüßerkirche aus.« Nur die dringendsten Vorstellungen
einiger vernünftiger Personen, daß die ganze Stadt Gefahr laufe
niederzubrennen, wenn man nicht lösche und den Flammen Einhalt tue,
vermochten endlich die Leute, Hand an die Spritzen zu legen, und in
kurzer Zeit war man Meister des Feuers geworden, das noch wenig Schaden
angerichtet hatte.

Als der Aktienverein dieser Nationalbühne gegründet war, verschrieb man
aus allen Ecken und Enden Deutschlands und den angrenzenden Ländern
Künstler, unter denen manche sich durch Talent und nicht gewöhnliche
Darstellungsgaben auszeichneten oder doch zu großen Hoffnungen
berechtigten. Ein Schauspieler, Büchner, der jedoch seinen Namen
umgedreht und sich Rennschüb nannte, ward als Regisseur bei dieser
Truppe angestellt, aber unter der Bedingung, daß weder er noch seine
Gattin Rollen bei diesem Theater übernehmen dürften, und zwar aus dem
hochwichtigen Grunde, weil er ein Frankfurter Bürgersohn und ein Bruder
des Senators Büchner, Vaters des später wegen seines großen Scharfsinns
und glänzenden Verstands in ganz Frankfurt und eine Meile im Umkreis so
berühmt gewordenen Stadtamtmanns Büchner war; denn ein solcher Skandal,
daß der Verwandte einer Frankfurter Magistratsperson ein Komödiant
geworden, war bis jetzt in der guten Reichsstadt noch nicht erhört
worden.

Die neue stehende Bühne wurde mit Ifflands >Alte und neue Zeit<
eröffnet, letztere ist seitdem ebenfalls längst alt geworden. Noch in
demselben Theaterjahr kam Mozarts unsterbliches Meisterwerk >Die
Zauberflöte< (den sechzehnten August 1793) zur Aufführung und machte
sowohl in Frankfurt als in der ganzen Umgegend, aus der man bis auf
zwanzig Stunden Entfernung hinzuströmte, diese Oper zu sehen, ein
ungeheures Aufsehen, was jedoch mehr der Szenerie des Stückes, als der
herrlichen Musik des großen Meisters zuzuschreiben war. Von der
Schlange, dem Erscheinen der Königin der Nacht und ihren Nymphen, dem
Vogelmensch Papageno, den Affen, Bären, Elefanten, Sarastros Löwen und
Triumphwagen, dem Wasser und Feuer und so weiter erzählte man sich
Wunderdinge, während man der trefflichsten Tonstücke kaum erwähnte.
Diejenigen, die so glücklich gewesen, Plätze oder eine Loge zu erhalten,
konnten nicht genug von den Wundern erzählen, die sie gesehen, wohl auch
von den Papagenoliedchen, die sie gehört und die man bald allenthalben
nachtrillerte und sang, während die wahrhaft himmlischen Melodien und
Harmonien, wie der Chor >Isis und Osiris<, die herrlichen Stellen der
Finale, die dem Ohr fast als überirdische Klänge aus andern Sphären
ertönen, nur von wenigen Kennern beachtet wurden. Dagegen sah man bald
alle Knaben der Reichen in Papagenokleidern und die Mädchen in
Sternenkleidchen _à la_ Königin der Nacht auf den Promenaden erscheinen.
Nie hat seitdem wieder eine Oper eine ähnliche Sensation hervorgebracht.

Der König von Preußen hatte schon 1795 mit der französischen Republik
Frieden geschlossen, gegen das Ende desselben Jahres waren die
Österreicher in vollem Rückzug, die Franzosen rückten mit Macht heran,
und im Juli 1796 erschien eine französische Heeresabteilung, von dem
General Kleber befehligt, vor Frankfurt und forderte den
österreichischen Kommandanten der Stadt, einen General Wartensleben,
auf, dieselbe zu übergeben, was dieser jedoch verweigerte. Hierauf
fingen die Franzosen an, Frankfurt in der Nacht vom zwölften auf den
dreizehnten Juli bis drei Uhr nach Mitternacht zu beschießen, ohne
jedoch einen sonderlichen Schaden anzurichten, indem sie nur gewöhnliche
Kugeln warfen. Da indessen die Österreicher mit großer Ostentation alle
möglichen Anstalten zu einer hartnäckigen Verteidigung trafen, auch
verlauten ließen, sie würden sich bis auf den letzten Mann halten, und
man von der anderen Seite erfuhr, daß die Franzosen sich zu einer
nachdrücklichen Belagerung vorbereiteten, ja sogar mit Sturm drohten, so
trafen die geängstigten Einwohner alle möglichen Vorkehrungen zu ihrem
Schutz. Die meisten Dächer wurden mit feuchtem Stroh oder Mist belegt
und beständig mit Wasser begossen, um die Wirkung der Kugeln und Bomben
zu schwächen, die Feuerspritzen wurden in allen Quartieren aufgeführt;
wer konnte, versah sich noch besonders mit großen Hausspritzen, alle
Kostbarkeiten und Dinge von Wert wurden in feuerfeste Gewölbe gebracht
und so weiter. Ähnliche Vorkehrungen wurden im Hause meiner Eltern
getroffen, und die ganze Familie und viele Bekannte flüchteten ihre
kostbarsten Habseligkeiten in ein unterirdisches, bombenfestes Gewölbe,
das sich in einem zweiten Hof in dem Hause meines Großvaters Weller
befand. Mehr denn hundert Kisten, Kasten und Koffer wurden in dasselbe
hinabgelassen. In der Nacht vom dreizehnten auf den vierzehnten Juli
erneuerten die Franzosen gegen elf Uhr das Bombardement, und zwar mit
gefüllten Haubitzgranaten und glühenden Kugeln. Mehrere Einwohner hatten
sich noch beizeiten mit Weib und Kindern aus der Stadt geflüchtet, die
meisten aber verkrochen sich in die Keller und Gewölbe. Bald ertönte nun
das schreckliche Feuerjo durch die finstern Gassen der Stadt, und ehe
eine halbe Stunde verging, brannte es schon an mehreren Orten zugleich.

Im Hause meiner Eltern hatten sich sämtliche Hausbewohner auf das zu
ebener Erde befindliche Kontor meines Vaters geflüchtet. Man hatte uns
Kinder aus den Betten geholt, in Decken gewickelt, und die Mägde und
meine Mutter hielten uns auf ihren zitternden Knieen. Schrecken und
Angst malten sich auf jedem Gesicht und mehrten sich bei jedem Kanonen-
oder Bombenknall, die jetzt Schlag auf Schlag folgten; der alte
Buchhalter kniete neben der zitternden Mutter meines Vaters, beide
beteten unaufhörlich. Meine Mutter war noch die beherzteste und schien
auf alles gefaßt. Plötzlich wurde es unserer Wohnung gegenüber ganz
ungewöhnlich helle, der ganze Himmel schien in Flammen zu stehen, und
bald erfuhren wir, daß der ganze vordere Teil der Judengasse, der nur
durch eine Häuserreihe und den kleinen Platz von unserm Haus getrennt
war, in vollem Brand stehe. Hinter den uns gegenüberstehenden Häusern
sahen wir die Flammensäulen hoch emporwirbeln und sich bald zu einem
schrecklichen Feuermeer, einer wahren Flammenwand vereinigen. Das
Prasseln dieses Feuers, der ewige Kanonendonner, das Läuten der Glocken,
das Blasen der Türmer, das Anrufen der Patrouillen, der Feuerruf durch
die hohlschallenden Sprachrohre, welche Feuer an zehn Orten verkündeten,
das Rasseln der vorüberfahrenden Spritzen und Wasserwagen, dies alles
machte um Mitternacht einen so schrecklich chaotischen Tumult, daß den
Bürgern Hören und Sehen verging, und gar manche von ihnen unter Heulen
und Zähneklappern der Welt Untergang und das jüngste Gericht erwarteten.
Gegen ein Uhr ließ das Schießen jedoch nach; Kleber hatte Mitleid mit
der unglücklichen Stadt und schickte sogar drei Feuerspritzen aus den
nahen Dörfern und eine Kompagnie Franzosen ohne Waffen, denen jedoch der
Eingang verweigert wurde, um löschen zu helfen.

Nicht weniger als hundertundvierzig Häuser waren bereits in der
Judengasse niedergebrannt, und sonderbar genug hatte sich das Feuer
gerade an dem Haus des alten Rothschild, das unversehrt blieb, und an
der Judenschule gebrochen und sich in dieser Gegend nicht aus dem
Judenquartier verbreitet, was man hauptsächlich den hohen Mauern und
Brandmauern, welche die Wohnungen der Kinder Israels umgaben, zu
verdanken hatte, und wir und unsere Nachbarn kamen mit dem bloßen
Schrecken davon. Unser ganzes Haus war mit geflüchteten Habseligkeiten
der Juden angefüllt, unter denen auch viele von der Familie Rothschild.

Am frühen Morgen begab sich eine Deputation der Bürgerschaft zum
kommandierenden General der Österreicher, diesen zu bitten, doch den
völligen Ruin der Stadt durch eine Kapitulation zu verhüten.
Wartensleben, dem nichts erwünschter als ein Vorwand zur Übergabe der
Stadt war, in der er sich noch Monate lang recht gut hätte halten
können, ließ sich schnell erweichen, erhörte das Flehen der guten Leute,
kapitulierte noch denselben Morgen, und in zweimal vierundzwanzig
Stunden mußte die Festung den Franzosen übergeben werden, welche der
Stadt nun eine Kontribution von acht Millionen Franken auferlegten,
wovon sechs Millionen bar und zwei Millionen in Lieferungen von Tuch und
anderen Gegenständen binnen drei Wochen entrichtet werden mußten.

Diese Züchtigung hatte man hauptsächlich den Unbesonnenheiten, die sich
ein Teil der Einwohner Frankfurts früher, und namentlich bei der
Belagerung von 1792 hatte zuschulden kommen lassen, zu verdanken, denn
so viel war erwiesen, daß man den belagernden Hessen und Preußen, mit
denen man im Einverständnis gewesen, versprochen hatte, die Stadttore zu
öffnen. Man mußte zufrieden sein, noch so gelinde davonzukommen, und die
Einwohner konnten um so eher diesen Verlust verschmerzen, als sie trotz
aller Kriegsunruhen und oft gerade durch den Krieg große Summen
gewannen, und alles dankte Gott, eine so furchtbar drohende Belagerung
glücklich überstanden zu haben.

Die Juden waren bei diesem Ereignis am schlimmsten weggekommen, aber was
sie und mit ihnen die ganze Stadt augenblicklich für ein hartes
Mißgeschick der Kinder Israel hielten, fiel bald zu ihrem großen Heil
aus und war der Wendepunkt zu ihrer erträglicheren und besseren Zukunft.
Man mußte ihnen nun gestatten, wenigstens den Abgebrannten, ihre
stinkende, schmutzige Gasse zu verlassen, da das Niederbrennen eines
großen Teils derselben es unmöglich machte, daß alle Juden in dem ihnen
bestimmten Quartier wohnen konnten, und man war gezwungen, ihnen zu
erlauben, sich einstweilen in anderen Stadtteilen ein Unterkommen zu
suchen, was ihnen jedoch nicht so leicht wurde, da sich viele Christen
weigerten, dies >unreine Geschmeiß<, wie man sich ausdrückte,
aufzunehmen. Auch waren mehrere Mitglieder des Senats und manche Bürger,
welche durchaus wollten, daß die Unglücklichen in den unversehrt
gebliebenen Häusern ihrer Glaubensgenossen einquartiert werden sollten,
bis ihre eigenen Häuser wieder aufgebaut seien, und sie hätten diese
Abscheulichkeit vielleicht durchgesetzt, wenn nicht der französische
General erklärt hätte, daß er eine solche Unmenschlichkeit nimmermehr
zugeben würde. Von dieser Zeit an wohnten die Juden in verschiedenen
Quartieren der Stadt, und man mußte ihnen auch nach der Wiederaufbauung
ihrer Gasse, womit man sich eben nicht übereilte, durch die Finger
sehen.

Das damalige Frankfurt war ohnehin mit Ausnahme einer einzigen Straße,
der Zeil, und einiger Plätze, wie Roßmarkt, Römerberg und Komödienplatz,
eine finstere und sehr kotige Stadt, in welcher man mit jedem Schritt an
die Ungereimtheiten des Mittelalters erinnert wurde. Fast alle Häuser
hatten stockweise Überhänge, wodurch die ohnehin schon sehr engen
Straßen in eine ewige Dämmerung gehüllt wurden, und Sonnenschein und
reine Luft waren fast unbekannte Dinge. Die hohen bastionierten Wälle
und Stadtmauern und die mit faulem und übelriechendem Wasser angefüllten
Gräben, die sie umgaben, verhinderten das Eindringen der frischen Luft.
Über Brücken und Zugbrücken, durch lange, düstere, von Feuchtigkeit
triefende Torgewölbe gelangte man in die alte Festung, in die nie ein
wohltätig reinigender Wind dringen konnte und in der Fieberkrankheiten
das ganze Jahr heimisch waren; auch hatten die meisten Einwohner ein
kränkliches Aussehen. Die meisten Häuser waren übrigens von außen mit
den buntesten Freskogemälden verziert, die Begebenheiten und Wunder aus
dem alten Testament oder auch Ansichten von Landschaften, Burgen,
Städten und so weiter darstellten, so daß die ganze Stadt einer
burlesken, mitunter auch recht unterhaltenden Gemäldegalerie glich.

Mit Sonnenuntergang wurden jeden Abend die Stadttore geschlossen und die
Schlüssel zu einem der wohlregierenden Bürgermeister in Verwahrung
gebracht, ohne deren großgünstige Bewilligung niemand mehr aus- und
einpassieren durfte. Aber nicht allein die leblosen Gegenstände waren
es, die an barbarische Zeiten erinnerten, sondern die Menschheit
entehrende Züchtigungen, an Lebenden verübt, taten dies noch weit mehr.
Das Halseisenstehen am Römer, dem Versammlungshaus des Magistrats,
besonders von liederlichen Dirnen, war etwas Alltägliches, wobei die
liebe Jugend ihr wahres Gaudium hatte; die aus aller Welt
zusammengeworbenen Stadtsoldaten wurden vor der Hauptwache täglich
geprügelt oder liefen Spießruten, mußten einen vor derselben stehenden
hohen Esel besteigen und mehrere Stunden unter dem Hohn der
Vorübergehenden und des Pöbels auf dessen scharfem Rücken reiten, und
zwar wegen des geringsten Vergehens, wenn sie zum Beispiel vor einem
Senator, den sie nicht erkannt, das Gewehr nicht präsentiert hatten! Das
Ärgste war indessen, daß, wenn in dem Zuchthaus Verbrecher in den
sogenannten spanischen Bock gespannt wurden, eine Art Zwangsstuhl,
wodurch den Sträflingen Hals, Arme, Hände und Füße so eingezwängt
wurden, daß jede Bewegung unmöglich war, und sie dann in dieser Lage
eine schwere Tracht Prügel auf den Podex erhielten, jedesmal die armen
Waisenkinder herbeigeholt wurden, um diese Exekution mit anzusehen!!!

Noch einige Zeit nach dem Bombardement blieben wir Kinder in dem
großväterlichen Hause in der Buchgasse, wo wir uns wohl befanden, recht
artige Nachbarskinder zu Gespielen hatten, und bald hatte ich ein
kleines Liebhabertheater organisiert, wobei ein niedliches Mädchen,
Evchen, die Tochter eines Faktors, die Hauptrolle spielte. Die
Aufführungen selbst fanden auf dem Boden des gegenüberwohnenden Bankiers
Wanzel statt, während ich die Privatproben zwischen Eva und mir in der
stillen Puderkammer meiner Großmutter hielt. Stundenlang probierten wir
die heimliche Zusammenkunft Ludwig des Springers mit Adelheide von
Stade. Endlich mußten wir zu meinem großen Bedauern wieder in das
elterliche Haus, in das Goldene Schiff zurückkehren, das indessen doch
auch nicht ganz freudenleer war und mir bald der Freuden mancherlei
bringen sollte. Einstweilen wurde ich der kleine Geliebte eines hübschen
Nähmädchens, das mich in besondere Affektion und statt zu nähen gar zu
gerne auf seinen Schoß nahm, mich herzte und drückte und dabei meine
Hände unter seinem Busentuch wärmte, auch sonst allerlei mit mir
vornahm. Die Abende brachte ich meistens allein und ohne alle Furcht in
der Gespensterstube, die sehr abgelegen im zweiten Stock unseres Hauses
war, mit ihr zu und war ein gelehriger Schüler unter Amors Fahne.

Indessen hieß es nun bald: genug gespielt, man nahm mich aus der
Mädchenschule und gab mir einen Kandidaten Jung zum Hauslehrer. Lesen
und etwas Schreiben hatte ich schon gelernt, nun aber wurde ich mit den
Anfangsgründen der lateinischen Grammatik, der Arithmetik und andern
sehr trockenen Studien geplagt, die mir wenig zusagten, dagegen sprachen
mich Erdbeschreibung und Geschichte, die mir Jung erzählend beibrachte,
weit mehr an, auch das Französische, das mich eine Dame lehrte, fiel mir
nicht schwer. Vor allem aber war es die Musik, in der ich die meisten,
für mein Alter selbst auffallenden Fortschritte machte und bald spielte
ich alle beliebten Opernmelodien, Tänze und Märsche auf dem Klavier nach
dem Gehör.

Eines Nachmittags, als ich mich gerade bei meinen Großeltern
väterlicherseits, die dasselbe Haus mit uns bewohnten, befand, sagte mir
meine Großmutter Fröhlich, einen Brief in der Hand haltend: »Freue dich,
lieber Ferdinand, morgen kommen deine Cousinen von Kreuznach,« und
schilderte mir diese beiden älteren Töchter Scholzens, die ich nur als
ganz kleines Kind gesehen und deren ich mich durchaus nicht mehr
erinnerte, auf eine Art und Weise, die meine Neugierde und Erwartung
aufs höchste steigerte. Namentlich war es Henriette, das ältere Mädchen,
deren Liebenswürdigkeit und Schönheit sie mir nicht genug preisen
konnte. »Sie werden die Messe über bei uns bleiben,« setzte sie hinzu,
»und vielleicht für immer, denn ich werde ihrem Vater raten, sie zu den
englischen Fräulein in Pension zu schicken.« Der von mir so sehnsüchtig
erwartete andere Tag kam heran, mit ihm Oheim und Tante Scholze von
Homburg, bald darauf fuhr ein zweiter Wagen vor, dem zwei junge Mädchen
mit einer schon ältlichen Dame entstiegen, die gleich darauf in das
Wohnzimmer traten, wo ein herzliches Bewillkommnen gar kein Ende nehmen
wollte. Ich aber konnte mich nicht satt an der schönen schlanken Gestalt
des elfjährigen Mädchens sehen, auf die ich meine Augen starr und
unverwandt geheftet hatte. Henriette war für ihr Alter sehr groß und
ausgebildet, verband mit einem zierlichen Nymphenwuchs eine im hohen
Grad einnehmende Gesichtsbildung und hatte eine unaussprechliche
Lieblichkeit in ihrem Blick, wodurch jedermann hingerissen und bezaubert
wurde; und so war es auch mir, dem kaum achtjährigen Knaben, ergangen.
Endlich rief die alte Frau Fröhlich, mein Staunen bemerkend, aus:

»Seht nur den Jungen an, der ist ja ganz wie versteinert in seine
Cousine vergafft.« Ich war in der Tat zur Statue geworden.

Henriette sprang nun auf mich zu, schloß mich in ihre Arme und küßte und
drückte mich, daß mir beinahe schwindelte. Ich hatte mich fest an das
reizende Mädchen geklammert und wollte sie gar nicht lassen, bis meine
Mutter endlich sagte: »Aber nun ist's genug, du verdirbst Jettchens
ganzen Anzug.«

Vorerst wurde zu meiner großen Freude beschlossen, daß die Mädchen bei
den Großeltern zum Besuch bleiben sollten, bis das weitere über sie
bestimmt sein würde. Während der drei Wochen langen Messe wollten
diesmal meine Studien überhaupt nicht viel bedeuten, denn ich flanierte
mit den beiden Mädchen und meinem jüngeren Bruder fast täglich unter
Jungs Aufsicht in der Budenstadt herum. So eine fröhliche Messe hatte
ich noch nie erlebt, sie ist mir in ewigem Angedenken. Gleich darauf, es
war die Septembermesse, kamen die Herbstfeierlichkeiten, wo es nicht
minder lustig in den verschiedenen Gärten unserer Bekannten zuging, und
so kam der Dezember und mit ihm der Nikolaustag, auch das uns Kindern
über alles gehende Weihnachtsfest heran, das diesmal ungewöhnlich reich
und überraschend ausfiel, da Scholzens eine überaus verschwenderische
Bescherung veranstalteten. Meine Mutter erhielt unter anderm einen
Zobelpelz von mehreren Tausend Gulden im Wert von ihrem reichen
Schwager. Auch diese Zeit gab Veranlassung zu mancherlei extemporierten
Freuden, und ich besuchte mit Jettchen an der Hand fast jeden Abend den
erleuchteten und aufgeputzten Christmarkt mit seinen vielen kleinen
Gärtchen. Doch sollten gleich nach Neujahr diese vergnügten Tage ein
nicht sehr glänzendes Ende nehmen. Scholze hatte Gründe, nicht sehr
zufrieden mit dem Benehmen seiner schönen Frau zu sein, und die ganze
Familie fuhr eines Morgens ohne weiteres nach Homburg ab, das mir so
teure Cousinchen mitnehmend. Die Kinder erhielten nun eine französische
Gouvernante und andere Lehrer im elterlichen Hause. Diese Abreise ging
mir ein paar Tage sehr nahe, um so mehr, da ich für den Umgang mit
Henriette keinen Ersatz hatte.

Da wir indessen öfters nach Homburg zum Besuch fuhren, auch während des
Sommers uns häufig auf dem Gut in Berkersheim sahen und daselbst recht
romantisch ländliche Promenaden machten, uns auf dem Heuboden und den
Wiesen herumtummelten, so dauerte das Einverständnis zwischen Henrietten
und mir noch ungetrübt fort.

Eines Morgens, als wir noch behaglich beim Frühstück zusammensaßen,
rollte plötzlich ein Wagen vor, und einen Augenblick darauf stürzte
Tante Scholze mit verstörtem Antlitz und sehr nachlässiger Toilette, von
einem Kammermädchen gefolgt, mit den Worten in die Stube: »Ich bin von
meinem Mann, dem Wüterich, dem Tyrannen, fortgelaufen.« Das ganze Haus
geriet in Alarm, die Großeltern kamen herab, und Frau Scholze erzählte
unter Tränen, daß sie ihr Mann mißhandelt habe, weil er sie mit einem
französischen General in einem Gartenhaus gefunden, wo sie ganz zufällig
und in aller Unschuld mit diesem zusammengetroffen und wo durchaus
nichts Böses, sondern nur Gutes und Liebes vorgefallen sei, wie Annette,
das mitgebrachte Kammermädchen, bezeugen könne. Ihre Mutter nahm
sogleich ihre Partei gegen den Wüterich von Mann, der so etwas rügen
könne, die übrigen waren jedoch stumm oder meinten, man müsse auch den
Mann hören. Dieser kam eine Stunde später an, stieg in einem Gasthof ab
und ließ seinen Schwiegervater bitten, sich zu ihm bemühen zu wollen; er
teilte demselben mit, daß er seine schöne Frau _en flagrant délit_ mit
dem General de Rade ertappt habe, daß sie schon länger ein geheimes
Verständnis mit diesem gehabt, der sogar zur Nachtzeit durch die Fenster
ihres in den Garten gehenden Schlafzimmers gestiegen sei, wie es der
Nachtwächter und mehrere Nachbarn gesehen und ihm berichtet hätten. Das
Ende von der Geschichte war eine förmliche Scheidung. Madame Scholze
gestand selbst ihre Zuneigung zu dem de Rade, und ihr großmütiger Mann
bewilligte ihr ein Jahresgehalt von zwölfhundert Talern, so lange sie
sich nicht wieder verheiraten würde.

Hier fällt mir eine Episode aus der Hochzeitsreise des Ehepaars Scholze
ein, die, da sie den Geist jener Zeiten trefflich charakterisiert,
erwähnt zu werden verdient.

Im Herzogtum Württemberg war wie in noch anderen Ländern des seligen
deutschen Reichs die Verordnung, daß man vor jeder Schildwache
ehrerbietigst den Hut abzuziehen habe, da sie den Souverän selbst
repräsentiere, obgleich dieser Stellvertreter der allerhöchsten Person
nicht selten, vom Posten abgelöst, wegen eines fehlenden Gamaschenknopfs
Fünfundzwanzig oder gar Fünfzig, von zwei Gefreiten oder Korporalen
aufgezählt, öffentlich erhielt. Einige Stunden nach ihrer Ankunft in der
herzoglichen Residenz wollten sie die Merkwürdigkeiten derselben besehen
und gingen an der Schloßwache vorüber, ohne der Schildwache daselbst den
gehörigen Respekt zu erweisen. Kaum hatten sie ein paar Schritte weiter
getan, als ihnen ein zornentglühtes, kupferrotes Fähnrichsgesicht
nacheilte und mit einer fast heiseren Fuselstimme zurief: »Wollt ihr
gleich still stehen, ihr Flegel! Wer seid ihr, wo seid ihr her, wißt ihr
nicht, daß ihr die Schildwache salutieren sollt? Ich will euch lehren,
die Deckel von den Dickköpfen herunterzunehmen, ich werd' euch
arretieren, die Schildwache, die statt dem Herzog hier steht, hätte euch
die Kolben in die Rippen stoßen sollen. -- Gefreiter, löst gleich den
Esel ab und stellt einen andern für den Herzog hin, der Kerl muß fünfzig
auf den A... haben.« Und so ging das Gebrüll des Fähnrichs noch eine
halbe Stunde fort, während sein langer Zopf den Takt dazu an seinem
breiten Rücken schlug, was sich recht possierlich ausnahm. Bald hatte
sich eine Menge Leute um die Wache versammelt, und Scholze und seine
arme Frau befanden sich in der peinlichsten Lage, ja letztere war einer
Ohnmacht nahe. Vergeblich bemühte sich mein Vater, der das Paar
begleitete, dem furchtbaren Stock- und Zopfhelden begreiflich zu machen,
daß sie als Fremde und Reichsstädter, wo man dergleichen nicht kenne,
von dieser Verordnung nicht unterrichtet sein könnten und folglich in
aller Unschuld gesündigt hätten. Der Fähnrich aber schrie und tobte nur
um so ärger, er wollte von der Gelegenheit profitieren, seine Autorität
einmal zeigen zu können, und als sich einige Umstehende der Fremden
annahmen und sie entschuldigten, befahl er dem Korporal, >das Gesindel<
mit Kolbenstößen auseinander zu treiben, was dieser auch sogleich
vollzog.

Scholze eilte nun mit seiner zitternden Gattin und seinem Schwager nach
dem Gasthof zurück und teilte dem Wirt den Vorfall und zugleich die
Erklärung mit, daß er noch heute, sobald sich seine Frau etwas erholt
haben würde, weiterreisen und von den Stuttgarter Herrlichkeiten nichts
mehr sehen wolle, womit dem ehrlichen Gastgeber jedoch nicht gedient
war. Die Reisenden, die mit Extrapost vierspännig angekommen waren und
erklärt hatten, einige Tage in der herzoglichen Residenz verweilen zu
wollen, hatten ihm eine gute Zeche versprochen, und er bot alle seine
Beredtsamkeit auf, sie anderen Sinnes zu machen. Mein Vater hatte sich
indessen nach dem Namen des wachthabenden Fähnrichs erkundigt und
erfahren, daß sich derselbe Kreischhuhn nenne und ein durch seine
Rohheit, aufgeblasene Plumpheit und krasse Unwissenheit berüchtigtes
Subjekt sei, das er sich nun zu züchtigen vornahm.

Die Reisenden fuhren indessen noch denselben Abend nach Ulm ab zum
großen Verdruß des Wirtes, der verdrießlich seinen Abendgästen diese
Begebenheit mitteilte, so daß die Sache sogar zu den allerhöchsten Ohren
des Herzogs kam und Kreischhuhn einen Verweis erhielt. Nicht so gelinde
aber kam das Bürschchen von seiten der Beleidigten weg. Scholze wollte
zwar die Geschichte auf sich beruhen lassen und meinte, mein Vater solle
es dabei bewenden lassen; dieser jedoch, einundzwanzig Jahre alt, im
vollen Jugendfeuer, war nicht so friedlich gesinnt und schrieb ohne
Wissen seines Schwagers einen derben Brief an den Fähnrich Kreischhuhn,
in dem er es an Beleidigungen nicht fehlen ließ und der mit einer
förmlichen Herausforderung schloß. Die Antwort lautete ganz trocken: >Da
Herr Fröhlich nicht von Adel sei, so könne man sich auch nicht mit ihm
schlagen.< Diese dumme Feigheit brachte meinen Vater noch mehr auf, der
den ganzen Hergang der Sache an einer öffentlichen Wirtstafel in Ulm
erzählte und an den Herzog selbst schreiben wollte. Zufälligerweise
befand sich ein französischer Rittmeister, ein geborner Elsässer, bei
Tische, den die Sache so empörte und den vielleicht auch die schöne
Frau, der man so arg mitgespielt hatte, interessierte, daß er nach
beendigtem Mahl zu Scholze ging und zu diesem sagte, er wolle ihm, bevor
zweimal vierundzwanzig Stunden vergingen, eklatante Satisfaktion
verschaffen. Scholze wollte durchaus nichts davon hören, sein Schwager
und seine Frau unterstützten jedoch die Absichten des Rittmeisters, und
nach einigem Hin- und Herreden kam man überein, daß mein Vater in
Begleitung dieses Offiziers nach Stuttgart zurückfahren und Scholze
deren Rückkehr in Ulm abwarten solle. In Stuttgart suchte der
französische Rittmeister, ein Graf Caguenek, den Fähnrich auf der
Wachtparade auf, nahm ihn auf die Seite, teilte ihm seinen Namen und
Stand sowie die Absicht seines Hierseins mit und lud ihn ein, nach der
Parade sogleich einen Gang mit ihm zu machen, um ein paar Kugeln zu
wechseln. Held Kreischhuhn wurde bleich, stammelte etwas von
Dienstpflicht, worauf der Rittmeister jedoch nicht hörte und ihm
ziemlich laut und vernehmbar sagte: »In einer Viertelstunde erwarte ich
Sie unfehlbar in dem Bopserwäldchen, verfehlen Sie nicht, sich mit einem
Sekundanten einzufinden, wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie öffentlich
beschimpfen und also dienstunfähig machen soll.« Kreischhuhn fand sich,
jedoch ohne Sekundanten, mit etwas unsicheren Tritten und verstörter
Miene wirklich auf dem bezeichneten Platz ein, nur mit seinem Degen
bewaffnet, der jedoch noch kein Blut gesehen, sondern nur auf den Rücken
armer Soldaten herumgetanzt hatte. Er traf den Rittmeister schon in
Gesellschaft meines Vaters nebst einem Wundarzt an. »Wie, Herr Fähnrich,
ohne Sekundant?« rief ihm der erstere entgegen. -- »Die Eile hat mich
verhindert,« stotterte der zitternde Held. -- »Ohne Sekundant können Sie
sich doch nicht schlagen -- Sie dauern mich -- ich merke wohl, daß Sie
ebenso wenig ein Freund von Taten sind, als ich von viel Worten. Hier
mein Ultimatum: Bereuen Sie Ihr Benehmen, so geben Sie mir deshalb eine
schriftliche Erklärung, in welcher Sie die schwer beleidigten
hochachtbaren Personen um Vergebung bitten, wo nicht, so müssen Sie sich
mit mir schlagen.« -- Der Fähnrich stammelte nun, daß es durchaus nicht
seine Absicht gewesen, die respektabeln Fremden im mindesten zu
beleidigen, strenge Order und Mißverständnis hätten diese
Unannehmlichkeit veranlaßt, und zeigte sich bereit, die geforderte
Erklärung zu geben, die er auch sofort in den demütigsten Ausdrücken,
wie sie ihm der Rittmeister diktierte, nieder- und unterschrieb und
dabei die ihm eigene Orthographie beobachtete. Man trennte sich nun
friedlich, mein Vater und der Rittmeister eilten nach Ulm zurück, wo
Scholze und seine Frau ängstlich ihrer harrten und nach
Berichterstattung dessen, was vorgefallen, sowie über die schriftliche
Erklärung herzlich lachten.

Nachdem Frau Scholze geschieden, lebte sie mit dem General de Rade, der
die Ursache der Scheidung war und jetzt einen Gesandtschaftsposten in
Hessen-Kassel bekleidete. Unglücklicherweise war der Gesandte
verheiratet, und seine rechtmäßige Gattin hielt sich zu Paris auf. Da
sie eine kränkliche Frau war, so hatte er seiner Geliebten versprochen,
da er nicht geschieden werden konnte, sie gleich nach dem Tode jener zu
ehelichen. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt, der General starb nach
ein paar Jahren, vor seiner Gemahlin, Frau Scholze kehrte nach Frankfurt
zurück, wo sie bald darauf einen der berühmtesten Advokaten der Stadt,
einen Doktor Feierlein, der ihren Scheidungsprozeß geführt hatte,
heiratete.

Mein Hauslehrer Jung hatte durch die Verwendung meines Großvaters Weller
eine Pfarrei im Hessischen erhalten, und man schickte mich nun in das
damals in Frankfurt blühende Kemmetrische Institut zur weiteren
Ausbildung meiner Kenntnisse, die eben noch nicht weit her waren. Aber
bald fand man, daß dieses für meine Anlagen von gar mancherlei Art nicht
genüge, und auf Anraten meines Oheims Scholze kam man überein, mich zu
einem jungen Geistlichen namens Breidenstein, der soeben ein
vielversprechendes Erziehungsinstitut in Homburg vor der Höhe errichtete
und dem Scholze sehr wohl wollte, in Pension zu geben. -- Als mir dies
eröffnet wurde, war ich hoch erfreut, denn Cousinchen Henriette war ja
zu Homburg, ich hoffte sie täglich zu sehen und sprang wie besessen
herum, einmal über das anderemal ausrufend: »Ach, das ist schön, das ist
charmant!« --




                                  VI.

   Das Institut zu Homburg vor der Höhe. -- Die Flegeljahre. -- Homburg
       und seine Umgebungen. -- Der Hof. -- Eine Schweinsjagd im
    Schloßgarten und eine Schildwache im Teich. -- Eine kaiserliche
                              Stecknadel.


Als der zur Abreise bestimmte Tag herangekommen war, holte mich mein
neuer Lehrer selbst ab; ich folgte ihm willig und gern und verließ das
väterliche Haus, in dem ich doch so manche Kinderfreuden genossen, ohne
großes Leidwesen, denn Homburg hatte einen Magnet, dessen
Anziehungskraft mich alles andere vergessen machte. Pfarrer Breidenstein
war ein noch ganz junger und lebhafter Mann, der, noch unverheiratet,
bei einem alten Schullehrer wohnte, dessen Frau die Wartung der Zöglinge
übernehmen sollte. Als ich zu ihm kam, war ich der erste, der bei ihm
wohnte, die übrigen, sieben bis acht an der Zahl, waren Kinder aus
Homburger Familien, die nur am Tage teil an dem Unterricht nahmen.

Außer meinem Oheim Scholze, den ich noch den Abend nach meiner Ankunft
besuchte, hatte ich noch einen Großoheim zu Homburg, der lutherischer
Oberpfarrer daselbst war. Meine Eltern hatten lange geschwankt, ob sie
mich nicht diesem braven Mann anvertrauen sollten, doch war man in der
Familie dagegen, indem man denselben als zu ernst und zu streng für die
Erziehung eines so lebhaften Knaben wie ich schilderte, und entschied
sich für Breidenstein, obgleich derselbe der reformierten Religion
zugetan, während unsere ganze Familie lutherisch war, weshalb manche
unserer Basen einen Anstand nahmen und dies für eine gottlose und
sündhafte Handlung hielten. Die beiden Konfessionen standen sich damals,
besonders in Frankfurt, noch fast feindlich gegenüber. Ein Reformierter
konnte ebenso wenig wie ein Katholik oder ein Jude in den Senat gelangen
oder ein Amt zu Frankfurt bekleiden, und die Reformierten mußten in dem
hessischen Ort Bockenheim ihren Gottesdienst halten. Später erlaubte man
ihnen Bethäuser, aber ohne Türme, in Frankfurt. Bei diesem Lehrer nun
hatte ich mich fast unbegrenzter Freiheit zu erfreuen und war außerhalb
der Unterrichtsstunden so ziemlich ohne alle Aufsicht, denn des
Schulmeisters Frau, die eine solche über mich üben sollte, achtete ich
nicht, und sie traute sich auch nicht, mir etwas zu wehren. Ich benutzte
nun diese Freiheit in vollem Maß und zum großen Verdruß meines Oheims,
des Oberpfarrers, dem ich auf allen seinen Wegen begegnete, der sich
aber jedes Verweises enthielt, damit es nicht scheinen möge, als fände
er sich zurückgesetzt, daß man mich lieber einem Fremden als ihm
anvertraut habe. Obgleich Breidenstein ein Lebemann war, so hoffte man
doch, er würde meine überschäumende Lebhaftigkeit und frühzeitige
Entwicklung wohl zu zügeln wissen; dies war aber nicht der Fall, und ich
lernte bei ihm, was ich eben lernen wollte. Wie wir gesehen, hatten sich
bei mir allerlei Eigenschaften und Talenten besonderer Art weit früher
entwickelt, als dies bei anderen Menschenkindern gewöhnlich der Fall
ist, und so traten denn auch die sogenannten Flegeljahre viel früher als
bei anderen Jungen bei mir ein.

Es war im Frühjahr, als meine Versetzung nach Homburg stattfand, die
Wiesen prangten mit den buntesten Blumenteppichen, auf den Feldern
schossen alle Pflanzen auf das üppigste empor, Bäume und Wälder waren
mit dem frischesten Grün bedeckt, und mir war es vergönnt, jeden Abend
an Jettchens Hand durch Fluren, Auen und Wälder zu wandeln. Das
Scholzesche Haus war meine zweite Heimat, ja ich war fast mehr in diesem
als bei Breidenstein. Jeden Abend aß ich da zu Nacht, und an Sonn- und
Feiertagen war ich ohnehin ein für allemal auf den ganzen Tag geladen.

Die französische Gouvernante hatte fast zu gleicher Zeit mit ihrer
Herrin das Haus verlassen müssen, man hatte sie im Verdacht des
Einverständnisses mit den Intrigen ihrer Gebieterin. Eine gewisse Frau
Bönig hatte ihre Stelle vertreten und stand der Erziehung der vier
Mädchen vor; sie war schon in etwas gesetzteren Jahren, mehrere dreißig,
und hatte sich bei Herrn Scholze fest einzunisten gewußt, wurde aber von
den Kindern und dem Gesinde nicht mit Unrecht gehaßt.

Bald hatte ich alle Schönheiten, es hat deren wirklich nicht
gewöhnliche, und Merkwürdigkeiten Homburgs kennen gelernt, denn ich
hatte ja einen gar lieben Führer. Die Lage dieser Stadt ist in der Tat
wunderlieblich, und mit vollem Recht sagt der Dichter:

   Wie lächelt mir so freundlich und so mild,
   Wenn ich hinunter in den Osten sehe,
   Mit weißem Turm und lieblichem Gefild
   Das Badeörtchen Homburg vor der Höhe.[6]

Die Stadt, die damals ungefähr dreitausend Einwohner zählte, liegt am
Fuß des Taunus, drei kleine Stunden von Frankfurt, und ist die Residenz
des Landgrafen von Homburg, der hier ein geräumiges Schloß hat. Die
Einwohner waren gewerbsame, fleißige, brave und sehr genügsame Leute,
die bei aller Dürftigkeit doch eine glückliche Zufriedenheit besaßen und
ihrem Landesfürsten, dem damaligen Landgrafen Friedrich V., einem
Ehrenmann im vollen Sinne des Worts und trefflichem Fürsten, mit
unbegrenzter Liebe und Hochachtung ergeben waren. Die Umgebungen
Homburgs sind pittoresk und reizend, namentlich die herrlichen
Waldpartien. Der Schloßgarten, halb im altfranzösischen, halb im
englischen Geschmack angelegt, die Anlagen jenseits des großen Teiches
in demselben, der große und kleine Tannenwald, die hohe Pappelallee, die
zu beiden führt, und so weiter bieten die herrlichsten Spaziergänge ganz
in der Nähe. Namentlich war der kaum eine Viertelstunde von der Stadt
entfernte kleine Tannenwald, ein Park mit mannigfaltigen Anlagen, ein
reizender Aufenthalt, in dem sich äußerst geschmackvolle Anlagen mit
japanesischen Häusern, Grotten, dunklen Bogengängen und so weiter
befanden, nebst einem großen Teich, in dessen Mitte eine kleine
Roseninsel lag, aus deren Gebüsch eine Tempelkolonnade malerisch
hervorragte. Diese stille, von der ganzen übrigen Welt abgeschieden
scheinende Insel machte, als ich sie zum erstenmal betrat, einen
unbeschreiblichen Eindruck auf mein junges, wenn auch nicht mehr sehr
unschuldiges Gemüt; eine Brücke führte auf dieselbe zu der von einer
Kolonnade umgebenen Rotunde; es war schon in der Abenddämmerung, als ich
an Jettchens Hand diesen Ort betrat. Die tiefe feierliche Stille, die
hier herrschte, nur von dem Gezwitscher einiger Vögel unterbrochen,
erfüllte mich mit einem namenlosen, fast heiligen Schauer, noch nie
gehabte Empfindungen bemächtigten sich meines sonst eben nicht zur
Schwärmerei geneigten Gemütes, und ich glaubte mich in eines jener
Feengefilde versetzt, die man mir in lieblichen Märchen so oft
geschildert hatte. Lange hielt ich fast atemlos meine liebliche Führerin
umschlungen, und nur die sich durch Geschrei verkündende Ankunft ihrer
Schwestern weckte uns aus dem seligen Vergessen unserer selbst. Indessen
sollten diese Insel und der kleine Tannenwald mit seinen Grotten, Lauben
und so weiter noch gar manchmal Zeugen unserer eben nicht mehr ganz
kindischen Liebe sein.

[Fußnote 6: Leider ist aus diesem Badeörtchen, was es damals noch nicht
war, in neuerer Zeit eine schmachvolle Spielhölle geworden, in welchem
ehrlose Industrieritter die Gimpel zu jeder Jahreszeit rupfen dürfen.]

Friedrich V., der an der Regierung war, als ich in die Pension nach
Homburg kam, war, wie ich schon erwähnt, von seinen Untertanen angebetet
und wie ein Vater geliebt, es war ein wahrhaft patriarchalisches
Verhältnis zwischen ihm und seinem Volke, und er förderte, so sehr es
nur immer die Umstände gestatteten, das Wohl seines Landes. Achtzehn
Jahre alt, hatte er die Regierung angetreten und im einundzwanzigsten
sich mit einer Tochter Ludwigs IX., Landgrafen von Hessen-Darmstadt,
vermählt, einer liebenswürdigen und sehr geistreichen, aber stolzen
Prinzessin, die jedoch ihre großen Schwächen hatte und den kleinen Hof
auf einen sehr großen Fuß eingerichtet haben wollte. Da gab es alle
möglichen Hofchargen, ein Geheimer Rat von Saint-Clair war dirigierender
Minister, da gab es einen Oberhofmarschall von Kickebusch, einen
Oberstallmeister von Reizenstein, einen Oberforstmeister von
Brandenstein; ein französischer Abbé, Herr de Roque, war Oberhofmeister
der Prinzen, ein paar alte Hofdamen, von denen die eine schief, die
andere buckelig, von Donop und von Ziegler, waren die Schönheiten am
Hof. Ein Hauptmann von B... war so eine Art von Oberküchenmeister und
zugleich Generalissimus der Homburger Armee, die aus ungefähr siebzig
Invaliden bestand, von denen der jüngste hoch in den Fünfzigern war und
die der Hoffurier kommandierte und exerzierte, fast alle waren mit
Brüchen oder anderen Leibschäden behaftet, zwanzig davon trugen
Bärenmützen und stellten Grenadiere vor, die anderen fünfzig waren
Musketiere, sie trugen noch eine Uniform wie zur Zeit des siebenjährigen
Kriegs. Alle die Regierungs- und Hofchargen wohnten weit ärmlicher als
ein Frankfurter Handwerksmann und waren noch viel schlechter bezahlt als
der Kommis eines gewöhnlichen Kaufmanns; aber alle diese Chargen sowie
die Geistlichen hatten die Ehre, häufig und besonders Sonntags zur
landgräflichen Tafel gezogen zu werden.

Da ich alles schnell auffaßte und begriff, ja fast leidenschaftlich
betrieb, nur zum Zeichnen fehlte es mir an der nötigen Geduld, so ließ
mir Breidenstein weit mehr Freiheit als den übrigen Zöglingen.

Fast alle meine Mußestunden, und ich hatte deren ziemlich viele, brachte
ich bei Scholzens zu, die zu jener Zeit auch die einzigen waren, die in
Homburg ein Haus machten, und obgleich es nach der Scheidung meiner
Tante und unter der repräsentierenden Frau Bönig bei weitem nicht mehr
den früheren Glanz hatte, so fanden sich doch alle Honoratioren durch
eine Einladung in dasselbe geehrt und freuten sich auf die Leckerbissen,
die da gespendet wurden und eine Abwechslung in ihre gewöhnlich sehr
magere Hausmannskost brachten.

Leider gab es in dem Scholzeschen Hause einen komisch-unangenehmen
Auftritt, in den ich mit verwickelt oder vielmehr zu dem ich die
mittelbare Veranlassung war. Seit kurzem hatte sich unser Institut durch
zwei junge Engländer, Atkinson und Edwards, vermehrt, von denen der
erste siebzehn und der andere achtzehn Jahre alt war; sie sollten die
deutsche Sprache erlernen. Diese beiden jungen Leute hatten sich in zwei
von meinen Cousinen verliebt, die sie aber nur selten sahen und noch
weniger sprechen konnten, da diese kein Englisch und jene noch zu wenig
Deutsch verstanden, einstweilen aber suchten sie sich durch allerlei
Geschenke bei den Mädchen zu insinuieren und erzeigten mir die Ehre,
mich zum Überbringer derselben und so zu ihrem _Postillon d'amour_ zu
machen. Die beiden jungen Leute waren immer reichlich mit Taschengeldern
versehen, und bald waren es seidene Strümpfe mit roten Zwickeln, die sie
dutzendweise kauften, ostindische Foulards, Spitzen, kostbare Bänder und
dergleichen, welche ich den Mädchen in ihrem Namen brachte, wozu ich
mich in aller Unschuld um so lieber hergab, da diese Engländer auch
gegen mich sehr freigebig waren und mir namentlich auf den Homburger
Jahrmärkten alle möglichen Spielereien kauften. Ich teilte nun diese
Sachen nach Gutdünken heimlich an meine vier Cousinen aus, wobei ich
natürlich Jettchen immer am besten bedachte. Die jungen Gänschen nahmen
alles, jedoch mit Zittern und Zagen an, denn sie fürchteten, daß Madame
Bönig oder ihr Vater dahinter kommen könnten, und versteckten die
Geschenke, die manchmal auch mit kleinen englischen Gedichten und
Briefchen mit Goldschnitt begleitet waren, in die Strohsäcke ihrer
Betten, wo sie sie am sichersten vor den Argusaugen der Gouvernante
verwahrt glaubten, denn ihre Kommoden und Schränke wurden von Zeit zu
Zeit von derselben inspiziert und visitiert. Schon waren sie im Besitz
einer ziemlichen Quantität solcher Schätze, als Frau Bönig eines Tages
zufällig beim Bettmachen ein Paar Handschuhe aus einem Strohsack fallen
sah, die das Bettmädchen, die in dem Geheimnis war und so wie alles
Gesinde die despotische Gouvernante verabscheute, schnell wieder
hineinstopfen wollte; aber zu spät, die Dame fiel über den Strohsack her
und fand den ganzen darin verborgenen Plunder. Zornentglüht rief sie nun
Vater Scholze, welcher sich nicht weniger über den unvermuteten Fund
wunderte; man untersuchte nun auch die drei andern Strohsäcke und fand
sie mit gleicher Ware angefüllt. Auf der Stelle ward ein peinliches
Verhör und strenge Untersuchung angestellt, die erschrockenen Mädchen
bekannten und gestanden, daß ich der Überbringer dieser Dinge gewesen.
Man ließ mich sogleich holen, und als ich in das Schlafzimmer meiner
Cousinen trat und die schönen Sachen, wie in einem Laden, alle auf den
Betten ausgebreitet sah, erschrak ich nicht wenig und erblaßte. Frau
Bönig schnauzte mich an, mein Oheim zankte, und ich begriff wohl, daß
hier kein Leugnen mehr helfen würde, und sagte ebenfalls mein _pater
peccavi_. Man packte nun alle diese schönen Dinge zusammen, es gab einen
ziemlich dicken Pack, und schickte sie durch einen Bedienten mit mir zu
Breidenstein, wo mich ein neues Donnerwetter erwartete und mir verkündet
wurde, daß, wenn ich mich noch einmal unterfinge, der Überbringer
solcher Geschenke zu sein, ich das Haus meines Oheims nicht wieder
betreten dürfe.

Mein Verhältnis mit Cousine Henriette fing seit einiger Zeit an, in
gewisser Hinsicht ernstlicher, wenigstens unserem Aussehen nachteiliger
zu werden; wir waren beide um ein paar Jahre älter geworden, und eine
auffallende Blässe, hohle Augen, blaue Ringe um dieselben verrieten, daß
mir wenigstens etwas fehlen müsse. Hofrat M... behauptete, ich habe
Würmer, und verschrieb mir Wurmkuchen aus seiner Apotheke, denn er war
Doktor und Apotheker in einer Person; ich nahm sie jedoch nicht, sondern
fütterte seine Hühner und Gänse damit. Da nun seine Wurmkuchen nicht
halfen und nicht helfen konnten, so sagte er zu Breidenstein, es sei
nicht anders möglich, als ich müsse der Onanie ergeben sein, und empfahl
diesem, zu suchen, doch ja hinter die Sache zu kommen. Mit einem Sohn
des Schullehrers Köhnlein, der noch fort das Institut besuchte, stand
ich auf einem intimeren Fuß als mit den anderen Zöglingen. Dieser Junge,
der sich Konrad nannte, war so halb und halb in mein Verhältnis mit
Henrietten eingeweiht und wußte, daß ich bei den Spielen im Schloßgarten
mich häufig mit dem Mädchen in eine dunkle Laube versteckte, in der er
uns einmal zufällig überraschte, als wir uns gerade recht innig küßten.
Hierdurch sah ich mich genötigt, uns zu entschuldigen, ihn bis zu einem
gewissen Punkt in unsere Verhältnisse einzuweihen, und empfahl ihm dabei
die größte Verschwiegenheit. Als nun Breidenstein in der Absicht, durch
die übrigen Kinder irgend etwas zu entdecken, was M...s Vermutung zur
Gewißheit machen könnte, diese ausforschte, so teilte der junge Köhnlein
seinem schon erwachsenen Halbbruder Georg, der unser Schreiblehrer war,
mit, was er gesehen, und zwar mehr, als er wußte, denn er machte zur
Gewißheit, was er nur vermuten konnte. Kaum hatte Breidenstein diese
saubere Entdeckung gemacht, so eilte er zu meinem Oheim, diesen von
allem zu unterrichtet. Das war nun Wasser auf die Mühle der Madame
Bönig, mit der ich ein paar Tage zuvor einen Strauß wegen Henrietten
gehabt. Henriette wurde sogleich vorgenommen, leugnete jedoch anfänglich
hartnäckig, gestand aber, als man ihr sehr zusetzte, endlich einen
kleinen Teil der Wahrheit ein, womit man sich begnügte und für gut fand,
nicht weiter zu forschen, um uns nicht auf Dinge aufmerksam zu machen,
von denen man hoffte, daß wir noch keine Kenntnis hätten. Ich aber
leugnete standhaft alles, und Breidenstein fand für gut, nicht weiter in
mich zu dringen; die Sache hatte indessen zur Folge, daß mir der Besuch
des Scholzeschen Hauses bis auf weiteres verboten wurde. Unterdessen
ward Breidenstein glücklicherweise der Aufenthalt in dem M...schen Hause
bald ebenso sehr wie mir zuwider; als eines Tages der ziemlich beleibte
Hofrat gerade vor seiner Haustür auf den Allerwertesten, es war
Glatteis, am hellen Mittag hingefallen war und ich sowie die anderen
Kinder, selbst seine eigenen, aus voller Kehle lachten, als es dem guten
Mann, der wie gewöhnlich zuviel geladen hatte, trotz aller Anstrengung
nicht möglich war, wieder auf die Beine zu kommen, bis ihm sein Provisor
aus der Apotheke zu Hilfe sprang, geriet er darob in einen gewaltigen
Zorn, und da er es nun einmal auf mich gepackt hatte, verlangte er von
Breidenstein, daß er mich, weil ich ihn ausgelacht, in seiner Gegenwart
tüchtig mit einem Farrenschwanz, den er selbst gebracht, abstrafen
solle, was aber Breidenstein verweigerte; und nach einem kleinen
Wortwechsel kam es zu einer Aufkündigung der Wohnung, worüber ich
seelenvergnügt war. Dennoch ließ M... seine Knaben Breidensteins
Institut fortbesuchen. Wir bezogen nun ein ganzes Haus am Ende der
Neugasse, wobei sich ein hübscher Garten und gegenüber ein großes
herrschaftliches Baumstück mit einer geräumigen Scheune befand, wo wir
bei gutem und schlechtem Wetter den Tummelplatz unserer Spiele
aufschlugen.

Breidensteins Institut war in Homburg berühmt und gefürchtet, denn die
Zöglinge desselben verübten alle möglichen Teufelsstreiche, aber ein
paar derselben übertrafen alle anderen und verdienen wohl, erzählt zu
werden. Eines Tages kam das ganze Institut von einem Spaziergang, von
seinem Oberhirten geführt, zurück und begegnete ganz in der Nähe des
landgräflichen Schloßgartens einer ebenfalls heimkehrenden Herde zahmer
Schweine, die auch ihren Hirten an der Spitze oder vielmehr an der Queue
hatten. Kaum hatten die beiden uns schon bekannten Engländer Satans
dereinstige Hüllen erblickt, als sie mit einem lauten Hallo und Hussa
das ganze Institut in Alarm brachten und zu einer wilden Jagd auf die
zahmen Schweine anfeuerten, wozu es eben keiner großen Aufmunterung
bedurfte; in weniger als zwei Minuten waren die zweibeinigen Tiere
sämtlich hinter den vierbeinigen drein, die auf nichts mehr, selbst auf
das Gebell des Schweinshirten-Adjutanten, eines gewaltigen
Bullenbeißers, nicht mehr achteten, sondern _pêle-mêle_ mit den
geängstigten Sauen durch das offene Tor des Schloßgartens stürmten,
welches die daselbst postierte Schildwache zwar verhüten und das
Eindringen des wilden Haufens verweigern wollte, dabei aber so
unglücklich war, von einem der größten und fettesten Schweine umgerannt
zu werden, so daß das ganze wilde Heer über des Unglücklichen Körper
wegsetzte, der indessen mit dem bloßen Schreck davonkam, da sämtliche
Jäger zu Fuß und von leichtem Gewicht waren, er also nicht zu befürchten
hatte, von Rosseshufen zerstampft zu werden. Die Jagd hatte sich
unterdessen im ganzen Schloßgarten verbreitet, die schrecklichsten
Verwüstungen angerichtet und einen Lärm gleich dem wilden Heer im
Freischütz gemacht; der Kommandant der Schloßwache sandte nun auf
Ersuchen des Hoffuriers zwei Mann starke Patrouillen nach allen
Richtungen, um die Urheber des Skandals zu fahnden. Man war auch so
glücklich, einen der beiden Engländer und noch ein paar andere der
ungezogenen Zöglinge zu fangen und brachte sie in die Schloßwache, wo
man sie _à vue_ bewachte. Auf des Hofmarschalls Befehl mußte der
Hofgärtner sogleich einen Bericht über den Schaden aufsetzen, welchen
diese extemporierte Schweinsjagd in dem herrschaftlichen Garten
verursacht hatte. Aus diesem ersah man erst, welche ungeheuren
Verwüstungen dies Treibjagen angerichtet hatte. Da war keine Rabatte,
keine Hecke, kein Gebüsch, kaum ein Baum, der nicht beschädigt worden
wäre, alle Blumen waren zerknickt, alle Blumentöpfe umgeworfen und
zerbrochen, ja sogar durch das Treibhaus und die Orangerie war das wilde
Heer gezogen und hatte da die schrecklichsten Spuren seiner
Zerstörungswut hinterlassen. Die meisten Fenster waren zertrümmert, die
Kübel umgeworfen, und Pisangbaum, Zuckerrohr, Kaffeebaum und so weiter
waren gleich Strohhalmen zerknickt, und alle Ananas hatten entweder die
Schweine oder die Zöglinge gefressen. Der Verlust war unersetzlich und
in Jahren nicht wieder gut zu machen. Es war demnach kein Wunder, daß
das Hofmarschallamt die Sache streng untersucht und bestraft wissen
wollte und die eingefangenen Arrestanten nicht nur auszuliefern sich
weigerte, wie Breidenstein verlangte, sondern auch noch den anderen
Engländer und einige der anderen Zöglinge, unter denen auch ich war, auf
die Wache zu setzen begehrte. Man mußte ihm willfahren. Wir waren nun
sieben, welche die Schloßwache in Verwahrung hatte, und sannen darauf,
wie wir durch List unsere Selbstbefreiung erwirken könnten. Wir
konversierten dieserhalb in französischer Sprache, von der unsere
Wächter kein Wörtchen verstanden, sondern sie hielten es für Latein und
uns für sehr gelehrt. Bald waren wir einverstanden, daß wir die ganze
Wache betrunken machen müßten. Die Engländer ließen, als es Abend wurde,
durch den Tambour ein paar Dutzend Flaschen Wein und mehrere Krüge
Branntwein holen und luden die Soldaten zum Mittrinken ein, was diese
sich auch nicht zweimal sagen ließen, sondern so fleißig zusprachen, daß
sie bald alle samt dem Korporal-Wachtkommandanten nicht mehr gerade auf
den Füßen stehen konnten und, als es Nacht wurde und die drei
Schloßschildwachen abgelöst werden sollten, der Gefreite mit seinen drei
Mann kaum mehr die Posten zu erreichen vermochte. Bald lag das ganze
Wachtpersonal samt seinem Kommandanten in Morpheus Armen auf den
Pritschen, ein greuliches Schnarchkonzert aufführend. Wir hätten uns
jetzt ganz gemächlich und unbemerkt entfernen können, aber sich so ruhig
auf echt spießbürgerliche Philisterart und ohne allen Spuk
davonzuschleichen, wie die Mehrzahl von uns Lust hatte, das paßte weder
in meinen noch in der Engländer Kram, sondern wir wünschten die ganze
Begebenheit durch einen recht eklatanten Geniestreich zu krönen. Um uns
zu überzeugen, ob auch alle gehörig schliefen, zerschlugen wir zuerst
mehrere Flaschen und Krüge mit großem Getöse, aber es rührte sich auch
nicht eine Seele von den Eingeschlafenen. Wir verließen nun in aller
Stille die Wachtstube, fanden, wie wir erwartet hatten, die Schildwache
am Schloßtor fest in ihrem Schilderhaus schlafend, und legten dies ganz
sachte samt seinem Inhalte um. Mit der zweiten Schildwache, die an dem
Tor postiert war, das zu dem Teil des Schlosses führte, den das
fürstliche Ehepaar bewohnte, machten wir es ebenso; aber bei der
dritten, die an dem Gartentor stand, das in die Neugasse führte, waren
wir damit nicht zufrieden, denn dieser Soldat hatte uns bei der
Verhaftung am meisten mitgespielt und verdiente deshalb auch eine
besondere Gratifikation. Nachdem wir ihn samt dem Schilderhaus ebenfalls
recht sanft umgelegt hatten, trugen wir beide nicht ohne gewaltige
Kraftanstrengung an den großen Teich und stellten das Häuschen einige
Schritte weit in demselben wieder aufrecht, so daß die Fluten des
Wassers dem unverdrossenen Schläfer die Waden umspülten. Nach diesem
glücklich vollbrachten Streifzug kehrten wir mit schlammigen Füßen, wie
Brunnenfeger aussehend, noch einmal in die Wachtstube zurück, schnitten
der ganzen Garde in Ermangelung eines anderen Instruments mit dem
ziemlich stumpfen Säbel des Korporals sämtliche Zöpfe ab, wobei wir die
Köpfe allerlei komische Bewegungen machen lassen mußten, die aber
nichtsdestoweniger die Augen festgeschlossen behielten, und verließen
sodann unsere bisherige Residenz, die erbeuteten Trophäen mitnehmend,
kletterten über das Hoftor in die Wohnung unseres Instituts, wo man uns
den kommenden Morgen, als die Sonne schon hoch am Horizont stand, noch
in den Federn fand. Aus der über diesen die ganze Stadt in Aufruhr
bringenden Vorfall angestellten Untersuchung ging hervor, daß gegen
Morgen einer nach dem anderen der berauschten Krieger aus dem Schlummer
erwachte, und als sie mit großem Erstaunen unser Verschwinden gewahrten,
sich gegenseitig perplex anstierten. Der Gefreite hörte zu seinem
Schrecken drei Uhr nach Mitternacht schlagen, hatte also die
Schildwachen nicht zur rechten Zeit abgelöst, die schon mehrere Stunden
über ihre bestimmte Zeit gestanden, sie wurden nur alle vier Stunden
sowie die ganze Wache nur alle drei Tage abgelöst, und eilte, die
Mannschaft, an der jetzt die Reihe zum Ablösen war, völlig wach zu
rütteln. Aber welche Feder vermöchte es, die Perplexität dieser Helden
zu beschreiben, als sie inne wurden, daß sie ihrer größten Zierden,
ihrer ellenlangen Zöpfe beraubt waren! Alle brachen in ein lautes Heulen
und Wehklagen aus, das sich in eine stumme Verzweiflung auflöste, wobei
sie sich mit den geballten Fäusten so gewaltig auf die Stirne schlugen,
daß es furchtbar hohl widerhallte, und dabei stießen sie die
gräßlichsten Flüche aus. Um acht Uhr kamen der Hofmarschall von
Kickebusch mit dem Generalissimus des Homburger Heeres, Hauptmann von
B..., auf die Wachtstube und konnten kaum durch das sie umgebende Volk
dringen, das die stupende und mit hundert Varianten vermehrte Nachricht
von dem Spuk der verwichenen Nacht schon herbeigeführt hatte, um sich
von dem Vorgefallenen zu überzeugen. Aber erst nach einer mehrwöchigen
Untersuchung stellte sich der Zusammenhang der ganzen Spukgeschichte
klar heraus. Man fand die Sache indessen auch höchsten Ortes, wo man
sehr aufgeklärt dachte, so belustigend, daß trotz dem Antrag des
Generalissimus, der das ganze Institut samt dem Lehrer auf wenigstens
drei Monate bei Wasser und Brot in den Turm des alten Rathauses gesetzt
wissen wollte, man sämtliche Übeltäter großmütig pardonierte. Nur die
beiden reichen Britensöhne wurden verurteilt, die Kosten des im Garten
verursachten Schadens zu tragen und mußten für die zopflosen Soldaten
englische Patentzöpfe kommen lassen, welche diese so lange hinter den
Ohren befestigen sollten, bis die wirklichen wieder gewachsen seien,
dies war so ziemlich auf Lebenszeit.

Noch immer aus dem Scholzeschen Haus verbannt, war es mir nicht möglich,
lange ohne Mädchenbekanntschaften zu bleiben. In unserer neuen Wohnung
war eine ziemlich bejahrte Köchin Breidensteins, welche die Haushaltung
führte, das einzige weibliche Wesen, dagegen befanden sich in der
Nachbarschaft einige allerliebste Kinder, unter denen ein Julchen
Zimmer, die Tochter eines ganz in der Nähe wohnenden Müllers, ein
Lisettchen Kräh und ein Kätchen Burkhard, die schon fünfzehnjährige
Tochter eines Beamten, zugleich meine Aufmerksamkeit fesselten und mich
mein schönes Cousinchen bald, wenn auch nicht ganz vergessen, doch
weniger vermissen ließen. Alle drei waren mir gleich teuer, mit Julchen
phantasierte ich auf den Wiesen und an der Kunzbach hinter der
Untermühle, mit Kätchen warf ich mich im Heu in der Herrnscheune herum,
und mit Lisettchen schaukelte ich beim Mondschein auf dem nahen
Zimmerplatz.

Unterdessen machte Breidenstein öfters ziemlich große Touren mit seinen
Zöglingen in die umliegende Gegend und das Taunusgebirge zu Fuß und mit
dem nötigen Gepäck auf dem Rücken, was nicht nur eine sehr gesunde
Motion für uns Knaben war, sondern auch unsere Körper gegen Hitze und
Frost, Wetter und Wind, Hunger und Durst, Nässe und Kälte
außerordentlich abhärtete und für die Eindrücke der wechselnden
Witterung unempfindlich machte, da kein Wetter von diesen Partien
abhielt. So besuchten wir nacheinander Friedberg, Nauheim, Hanau,
Wilhelmsbad, Kroneburg, Königstein, Falkenstein, Selters, Eppstein,
Usingen, Wertheim, die Goldgrube und andere im Taunus liegende
Ortschaften, wobei es dann fast nie ohne allerlei oft sehr komische
Abenteuer abging.

Eine äußerst interessante und angenehme Fußreise war die Tour nach dem
durch sein mit Recht weltberühmtes herrliches Sauerwasser bekannten
Niederselters, dessen Brunnen man schon im neunten Jahrhundert kannte
und von dem man jetzt den Krug zu Paris mit drei Franken, in London mit
sechs Schillingen und in Ostindien mit einer Guinee bezahlt, ungefähr
soviel, als er nach dem dreißigjährigen Kriege, während welchem er
verschüttet war, Pachtzins abwarf. Jetzt trägt dieser Brunnen dem Herzog
von Nassau jährlich über hunderttausend Gulden ein. Er entquillt in
einer wild-romantischen Gegend.

Mit großem Vergnügen sahen wir den schmucken, flinken Fülldirnen zu, die
viele tausend Krüge in einer Stunde unter beständigen possierlichen
Bücklingen füllen. Die Krüge tauchen sie auf ein Tempo, wie auf ein
militärisches Kommando, zugleich ein, und zwar eine jede zehn Krüge
zumal; sind sie ermüdet, so werden sie durch andere Füllmädchen abgelöst
und verpichen nun die Krüge. Es sind gewisse Stunden bestimmt, an denen
es jedermann erlaubt ist, Wasser zu holen und so viel zu nehmen, als
einer tragen kann, aber mit Eseln, Pferden oder gar Fuhren darf niemand
kommen. Von Homburg sind es sieben gute Stunden nach Niederselters, ein
sehr angenehmer Weg. Der Ort an und für sich ist unbedeutend und hat
außer dem Brunnen, der nur von wenig Kurgästen besucht wird, keine
besonderen Merkwürdigkeiten aufzuweisen. Das Wasser, an der Quelle
getrunken, hat jedoch einen ganz anderen Geschmack und eine ganz andere
Kraft, als in Krügen versendet.

Die Sommersonntage aber brachte ich gewöhnlich in Berkersheim zu, wohin
ein sehr romantischer Weg über Niedereschbach und Harheim führte, wo ich
meine Eltern und immer große Gesellschaft traf; das Weihnachtsfest und
einen Teil der Messe verlebte ich jedoch in Frankfurt, was mir wegen des
Theaterbesuchs besonders viel wert war.

In Homburg selbst gestaltete sich unterdessen das Leben etwas
geselliger. Breidenstein im Verein mit mehreren anderen Honoratioren
veranstaltete kleine Konzerte, die in dem Hause eines landgräflichen
Dieners namens Zorbuch und später im Saal der herrschaftlichen Meierei,
die ein Franzose namens Hanguard gepachtet hatte, gehalten wurden. Bei
diesen Gelegenheiten war es, wo ich zum erstenmal wieder mit meinen
Cousinen zusammentraf, aber anfänglich wagten wir nur, uns verstohlen
einige Blicke zuzuwerfen, bis wir allmählich dreister wurden und uns die
Tanztouren, denn nach diesen Konzerten wurden gewöhnlich noch ein paar
Anglaisen, von den Engländern angeführt, getanzt, in nähere Berührung
brachten, als einige Zeit darauf ein erfreuliches Ereignis die alte
Vertraulichkeit wieder ganz herstellte.

Leider sollte es mit meinen Homburger Freuden jedoch bald zu Ende gehen,
was ich mir selbst und hauptsächlich durch folgende Veranlassung
zuzuschreiben hatte.

Der Konrektor der Homburger Schule namens Zink hatte ein klavierartiges
Instrument, von dem Orgelbauer Bürgy daselbst erfunden, das in drei
Klaviaturen bestand, eine ziemlich vollständige Harmonie von
Blasinstrumenten bildete und ein angenehmes Flötenwerk hatte, an sich
gebracht. Mit diesem war der Schulmonarch nach Wien auf Spekulation
gereist, um es daselbst bewundern zu lassen und bestmöglich zu
verkaufen. Bei dieser Gelegenheit war es ihm gelungen, eine Audienz bei
der Kaiserin zu erhalten, welche das Instrument für eine namhafte Summe
erstand. Als der Konrektor von seiner Reise nach Wien zurückkam, von wo
er sogar eine Equipage mitbrachte, die er jedoch bald wieder veräußern
mußte, da die Pferde nicht von Harmonien, und wären es auch himmlische
gewesen, leben konnten, erzählte er, daß bei der Unterredung, die er mit
Ihrer Majestät gehabt, allerhöchst derselben eine ganz gewöhnliche
Stecknadel vom Busentuch gefallen sei, die er sogleich aufgehoben und
sich die Gnade erbeten habe, zum ewigen Andenken an diese Stunde und
diese Ehre das Kleinod behalten zu dürfen, was ihm auch holdseligst
lächelnd und huldreichst auf der Stelle bewilligt worden sei. Der brave
Mann hatte die Nadel in einer kleinen Schachtel, an ein Sammetband
gesteckt, bestens aufbewahrt und zeigte nun die kaiserliche Reliquie
allen Homburgern, die er besuchte, der Kaiserin Worte immer
wiederholend. Zufällig befand ich mich gerade bei Silbereisens, als er
auch diesen das kostbare Kleinod zeigte, das von Hand zu Hand ging, und
während er mit dem gehörigen Pathos die Worte, welche er zu Ihrer
Majestät gesprochen, zum drittenmal nachdrucksvoll wiederholte, hatte
ich Silbereisens ältester Tochter, Riekchen, die Schachtel ab- und die
kaiserliche Stecknadel herausgenommen, an deren Stelle jedoch eine ganz
gemeine bürgerliche, die aber gerade so aussah, substituiert, ohne daß
es jemand bemerkt hätte. Als der Konrektor weg war, machte auch ich mich
mit meinem Raub davon und verehrte die Nadel noch denselben Abend
Karolinen von Brandenstein, ihr meinen Diebstahl bekennend, während der
Bestohlene fortwährend von Haus zu Haus mit der untergeschobenen Nadel
wanderte und diese vorzeigte. Aber weder Karolinchen noch ich hielten
reinen Mund, und während sie sich mit dem Besitz der Nadel brüstete,
rühmte ich mich der Entwendung derselben. Die Sache kam bald zu des
Konrektors Ohren, der nun im größten Zorn zu Brandensteins rannte und
auf die Herausgabe der echt kaiserlichen Nadel drang. Karolinchen gab
auf Befehl ihres Vaters zwar eine Stecknadel heraus, jedoch nicht die
rechte, ließ sich aber bald darauf wieder merken, daß sie noch immer im
Besitz der echten sei. Abermaliges Drängen des Konrektors, das echte
Kleinod herauszugeben, worauf Karolinchen ganz naiv gestand, daß sie
dies wenn auch sehr gerechte Begehren nicht zu erfüllen imstande wäre,
indem die Nadel unter die anderen ihres Etuis geraten sei, worauf sie
ihre ganze Nadelbüchse ausschüttete und dem Herrn Zink sagte, er möge
sich die kaiserliche Nadel nun selbst heraussuchen. Dieser geriet in
Zorn und rief aus: »Wie ist es möglich, so wenig Ambition zu haben und
eine kaiserliche Stecknadel mit ganz gemeinen zu vermischen!« -- Was
wollte aber der gute Mann machen, er konnte um so weniger die echte
Nadel herausfinden, als diese gerade nicht unter den vorgeschütteten
war. Auf mich aber, als den Urheber dieses Raubes, der ihm nach seiner
Aussage für Millionen nicht feil gewesen, ging all sein Zorn über und
sogar zum Teil auf meinen Lehrer, dem er vorwarf, einen wahren
Teufelsbraten aus mir zu ziehen. --

Unterdessen hatte diese Begebenheit, wie noch so manche andere Dinge,
meinen Großoheim Oberpfarrer doch endlich veranlaßt, meinen Eltern sehr
ernstliche Vorstellungen wegen meiner Erziehung in Breidensteins
Institut zu machen, wo ich durchaus nichts als Teufeleien lerne und
unter gar keiner Aufsicht sei, und es wurde beschlossen, mich von da weg
und zu einem Hofrat Scherer zu tun, der ein sehr besuchtes Institut zu
Offenbach am Main hatte, wo ich, wenigstens während der Sommerszeit,
unter elterlicher Aufsicht sei, da meine Eltern jetzt die Sommersaison
in Offenbach zubrachten.

Der Abschied von Homburg tat mir in mehr als einer Hinsicht weh, ob ich
gleich, außer einer fast ungezügelten Freiheit, in Breidensteins Haus
gerade nicht wie der Vogel im Hanfsamen saß, da die Frau Hofpredigerin
eine sehr strenge Ökonomie eingeführt, mich und andere auch im Sommer
und Winter in Dachkammern logiert hatte, wo Wind, Regen und Schnee durch
das Ziegeldach drang, im Winter über meiner Bettdecke oft eine andere
von Schnee war und mir vor Frost und Kälte die Zähne klapperten. Da ich
indessen schon früher im elterlichen Hause abgehärtet worden war, so
schadete mir dies nichts und bereitete mich zu den Strapazen, Fatiguen
und Entbehrungen vor, die mir später in reichem Maße werden sollten.

Bald nach meiner Abreise verließ auch mein Oheim Scholze Homburg, um
sich mit seinen Kindern nach Bremen zu begeben. Die Ursache dieser
beschleunigten Abreise war, daß sich Prinz G... sterblich in meine
schöne Cousine Henriette verliebt hatte und ihr bei den Spielen im
Schloßgarten und auch auf Spaziergängen hart zusetzte; das nun mehr als
fünfzehnjährige Mädchen schien auch für die Aufmerksamkeit des Prinzen
eben nicht unempfindlich, weshalb Herr Scholze für gut befand, schneller
als er gewollt seinen Wohnsitz zu wechseln und seine Kinder in der alten
Hansestadt in Sicherheit gegen die verschiedenen Angriffe zu bringen.

Vor ihrer Abreise sah ich meine Cousinen noch einmal in Frankfurt, wo
sie Abschied von uns nahmen; zwei, Sophia und Johanna, sollte ich
gar nicht mehr und Henriette und Mina, die letztere in dem
beklagenswertesten Zustand, erst nach vielen Jahren wiedersehen.




                                  VII.

   Das Pensionat zu Offenbach. -- Die Gebrüder Bernard. -- Eine große
   Prellerei. -- Das Puppenspiel. -- Der Konfirmationsunterricht. --
   Schinderhannes gefangen und hingerichtet. -- Allerlei Amoretten. --
   Ich will mich schlechterdings dem Theater widmen. -- Eine Reise nach
                    Weimar. -- Goethe und Schiller.


Hofrat Scherer, der Direktor des Instituts zu Offenbach, war als ein
gestrenger und despotischer Schulmonarch bekannt, der nicht selten den
Farrenschwanz schwang, aber bei dem die Kinder doch etwas Tüchtiges
lernten, soweit seine eigenen Kenntnisse zureichten, die sich aber nicht
über das Alltägliche erstreckten. Mich hatte man ihm als einen wilden,
ausgelassenen Jungen geschildert, den man unter strengem Regiment halten
müsse, und ihm dieses besonders anempfohlen; ich wurde daher sehr ernst
und mit gewaltigen Ermahnungen und Warnungen empfangen, wozu noch das
Neue und Unbekannte meiner Lage kam, was mich für die ersten Tage
ebenfalls ernst und düster stimmte. Bald ward ich es jedoch inne, daß
der Herr Hofrat auch seine schwachen Seiten habe, die ich mir vornahm
möglichst zu benutzen, und so kamen wir, einige Extrafälle abgerechnet,
ziemlich gut miteinander aus. Indessen hieß es hier anhaltend lernen von
morgens sieben bis mittag, und von nachmittags zwei Uhr bis abends
sieben. Französisch, Englisch, Arithmetik, Erdbeschreibung und was zu
dem merkantilen Wissen nötig ist, war die Hauptsache, alte Sprachen
wurden nicht gelehrt, der Herr Hofrat kannte sie selbst nur dem Namen
nach, Zeichnen und Musik waren extra und deren Erlernung willkürlich,
ebenso Tanzen, dagegen wurden wir während der Sommertage jeden Morgen,
manchmal auch noch des Abends, zur Schwemme, das heißt zum Baden und
Waschen in den Main getrieben, wo wir schwimmen lernten und ich es in
dieser Kunst nach drei Wochen so weit brachte, daß ich gemächlich von
einem Ufer des Flusses zum anderen und wieder zurückschwimmen konnte,
was mir jedoch streng untersagt wurde, nachdem ich es ein paarmal
versucht, da das Experiment wegen des starken Stroms in der Mitte des
Flusses und der vielen sehr tiefen Stellen allerdings gefährlich war.
Dies war eine gesunde und heilsame Bewegung, die uns in Homburg fehlte,
wo wir aus Mangel an fließendem Wasser uns nur in großen Pfützen oder
kleinen Bächen von Zeit zu Zeit badeten. In dem Institut fand ich einige
zwanzig Knaben und ein paar Mädchen, des Hofrats nahe Anverwandte, er
war ihr Oheim, aber alle Kinder nannten ihn nur Onkel, was sie von den
Mädchen abgehört hatten, es schien dem strengen Herrn nicht zuwider, und
so ward der Allerweltsonkel auch mein Onkel.

Damals war Offenbach in einem blühenden Zustand, viele reiche Familien
aus Frankfurt hatten hier Landhäuser oder mieteten Sommerwohnungen
daselbst, so wie viele andere Fremde. Unter den letzteren war der
sogenannte Polackenfürst Frank, der seit mehreren Jahren mit einer
zahlreichen Dienerschaft und großem Gefolge aus Wien hierher gekommen
war und einen verschwenderischen Haushalt mit großer Pracht und
ungeheurem Aufwand entfaltete; er hielt sich anfänglich sogar eine
kleine Garde mit Erlaubnis der Isenburgischen Regierung. Dieser Mann,
seine Umgebung und sein ganzes Wesen und Treiben waren in ein
mysteriöses Dunkel gehüllt; niemand wußte, wer er eigentlich war, noch
kannte man seine Herkunft, über seinen Stand schwebte ein tiefes
Geheimnis, man nannte ihn nur den Polackenfürsten, alle seine Leute
waren in russische und polnische Nationaltrachten, doch sehr reich
gekleidet, und hatten lange Bärte. Indessen raunte man sich in die
Ohren, daß er in krummer Linie von kaiserlich russischer Abkunft sei,
und als einst nach seinem Tode seine Tochter, die man das polnische
Fräulein nannte, bei einer gewissen Gelegenheit ihre Unterschrift geben
sollte und um ihren Namen gefragt wurde, nannte sie sich Romanowna.
Diese geheimnisvolle Familie starb nach und nach aus oder verlor sich
spurlos in ziemlich drückenden Verhältnissen.

Unter den Offenbacher Bürgern gab es einige außerordentlich reiche
Häuser, unter denen die Schnupftabaksfabrikanten >Gebrüder Bernard<
durch den großen Aufwand, den sie machten, hervorragten. Nicht weniger
als vier zum Teil sehr kinderreiche Familien lebten auf großem Fuß von
dem Ertrag dieses Marokko genannten Nasenfutters, hatten alle glänzende
Equipagen, zahlreiche Dienerschaft, prächtig eingerichtete Wohnungen und
gaben große Feste. Einer der Chefs dieses Etablissements, ein gewisser
Peter Bernard, tat es aber allen zuvor, hatte einen fast fürstlichen
Haushalt und hielt sich sogar eine Kapelle, die fast aus lauter
Virtuosen bestand, bei der Fränzel Kapellmeister war, und die ihm eine
jährliche Ausgabe von mehr als dreißig- bis vierzigtausend Gulden
verursachte. Er gab große Konzerte, zu denen alle angesehenen Einwohner
Offenbachs gratis Zutritt hatten, und keine berühmten Tonkünstler,
Sänger oder Sängerinnen kamen durch Frankfurt, die nicht bei Bernard
gespielt oder gesungen hätten und aufs generöseste dafür honoriert
worden wären; die Damen, wenn sie liebenswürdig genug waren, hatten sich
noch obendrein der Küsse des Fabrikherrn als Zugabe der metallreichen
Belohnung zu erfreuen. Aus dieser Kapelle rekrutierte sich später das
treffliche Orchester des Frankfurter Theaters. Aber Peters Associés, die
Herren d'Orville, waren eben nicht sehr von dieser wütenden
musikalischen Liebhaberei erbaut, die außer großem Zeitverlust auch
bedeutende Summen verschlang, namentlich war der alte Georg d'Orville
Gift und Galle, wenn das Musikantenvolk, wie er die Virtuosen zu
betiteln beliebte, in musikalischen Angelegenheiten oder auch Geld
fordernd auf das Kontor zu Herrn Bernard kam, was ihm jedesmal ein
konvulsivisches Beintrappeln verursachte. Diese Musikwut hatte fast ganz
Offenbach ergriffen, und es war beinahe kein einziges nur einigermaßen
ansehnliches Haus, aus dem man im Vorübergehen nicht zu jeder Stunde des
Tages irgendein Instrument dudeln oder einen Gesang leiern hörte, wozu
auch die berühmte musikalische Anstalt und Verlagshandlung des Herrn
Hofrat Andre das ihrige beitrug. Auch ich fand hier die beste
Gelegenheit, mein musikalisches Talent völlig auszubilden, erhielt von
den besten Meistern Unterricht und hatte es bald so weit gebracht, daß
ich so ziemlich alles _a prima vista_ auf dem Klavier abspielen und auch
singen konnte.

Der Gründer dieser berühmten Tabakfabrik war ein gewisser Nikolaus
Bernard, Vater des Peter, gewesen, der eine pikante Nasenbeize erfand,
den damit fabrizierten Tabak Marokko taufte, das Geschäft mit nichts
begonnen hatte und als steinreicher Mann starb. Er hatte Hunderte von
Arbeitern beschäftigt, denen er jede Frankfurter Messe am dritten Montag
derselben einen Feiertag gab, wo er jeden noch außerdem mit einem Taler
beschenkte. Die Leute gingen an diesem Tag scharenweise nach Frankfurt,
machten sich einen guten Tag, den sie nach ihrem Brotherrn den
Nickelchestag nannten, und kehrten beim Heimgehen in den Wirtshäusern zu
Oberrad ein, wo sie sich unter Tanzen und Trinken bis zum hellen Morgen
vergnügten. Dieser Gebrauch wurde nach und nach in der ganzen Umgegend
von Frankfurt nachgeahmt, wodurch der Frankfurter Nickelchestag
entstand, an dem das Gedränge in den Straßen fast ebenso groß als auf
den Boulevards zu Paris ist.

Bei diesen aufgeblasenen Familien bewährte sich indessen das Sprichwort:
Hochmut kommt vor dem Fall, nur allzubald. Nicht zufrieden mit dem
reichlichen Gewinn, den ihnen alljährlich der Schnupftabak abwarf, der
sich auf achtzig- bis hunderttausend Gulden belief, von dem freilich bei
dem gewohnten Aufwand wenig oder nichts übrig bleiben konnte, fiel es
den Herren Gebrüdern ein, auch in London ein Haus zu gründen, um in
Kolonialwaren ins Große zu spekulieren, ohne zu überlegen, daß ihnen,
die sich bisher nur mit der höchst einfachen Fabrikation ihrer
Schnupftabaksbeize befaßt hatten, die nötige Sachkenntnis und Einsicht
dazu völlig mangelte, wozu noch kam, daß sie ein ganz unfähiges Subjekt
an die Spitze des Londoner Hauses stellten, und so mußte das Unternehmen
natürlich fehlschlagen. Während dieses Haus in der Tat schon völlig
bankrott war, aber vor den Augen der Welt noch florierte, suchten die
Herren Gebrüder Bernard, das heißt Herr Peter Bernard und seine
Gesellschafter, die Herren George und Jakob d'Orville, um sich möglichst
aus der Schlinge zu ziehen, einen wohlhabenden Bürger namens Wailand,
der in dem nahen Frankfurter Ort Oberrad wohnte, oder vielmehr dessen
Vermögen für das bankrotte englische Haus zu gewinnen, was nichts
anderes als ein abgefeimter Beutelschneiderstreich war, der ihnen auch
vollkommen gelang, ohne jedoch die gehofften Früchte zu bringen, nämlich
das Offenbacher Haus vor allem Verlust zu bewahren. Da dieses indessen
noch in der öffentlichen Meinung sehr hoch stand und für sehr reich
galt, so war es den Herren nicht schwer, den Wailand zu übertölpeln. Um
nun über Wailands Kapitalien verfügen zu können, sandten sie einen ihrer
Bekannten, ein zu einem solchen Auftrag ganz geeignetes Subjekt, einen
gewissen Ewald, Weinhändler in Offenbach, an den Mann ab, der ihm nur so
wie von ungefähr beibringen mußte, daß die Gebrüder Bernard noch einen
Teilnehmer für ihr Londoner Haus, das einen unermeßlichen Gewinn
verspreche, suchten, der die noch nötigen Fonds einschießen würde, die
sie dem Offenbacher Geschäft nicht entziehen könnten, da sie ohnehin
schon so große Kapitalien im Londoner hätten. Da der Geldbedarf äußerst
dringend war und das Feuer dem Bernard und Konsorten unter den Sohlen
brannte, so ließen sich die Herren Peter, George und Jakob so weit
herab, dem Herrn Wailand, als ihrem künftigen Gesellschafter,
nacheinander in höchsteigener Person ihre Aufwartung zu machen, luden
ihn zu sich nach Offenbach ein, wo ihm sogar die Ehre ward, daß ihm Herr
Bernard ein Solo auf dem Violoncello vorspielte, das den Geladenen trotz
mancherlei Mißgriffen doch so bezauberte, daß er sich noch in derselben
Stunde zu einer Einzahlung von einhundertfünfzigtausend Gulden
anheischig machte, sowie zu noch hunderttausend Gulden später, was
ungefähr das ganze Vermögens des Mannes war. Der arme Teufel, dem der
vermeintliche Millionär Bernard noch mehr Solis vorspielte und der einen
Ehrenplatz in dessen Konzerten erhielt, überbrachte seinen Herren
Associés selbst die Gelder und versprach auch die strengste
Geheimhaltung dieser Beutelschneiderei, die um so niederträchtiger war,
als sie ein fast blindes Vertrauen hinterging. Die Folgen blieben nicht
lange aus, und die Komödie mit dem armen Betrogenen wurde nur noch eine
kurze Zeit fortgespielt. Die Gebrüder Bernard hatten zwar ein paar
Lücken mit dem erhaltenen Geld gestopft, dadurch neuen Kredit in England
erlangt, ließen nun ungeheure Quantitäten Waren auf längere
Zahlungstermine aufkaufen, verkauften diese sogleich wieder per comptant
in Hamburg und trieben nebenbei eine so arge Wechselreiterei, wie die
merkantilische Welt schwerlich eine zweite aufzuweisen vermag, während
sich Wailand laut Kontrakt in nichts mischen, ja kaum einmal anfragen
durfte, bis plötzlich an einem schönen Morgen ein Sohn des George
d'Orville wie toll in sein Zimmer stürzte und hin und her rennend
ausrief:

»Lieber Wailand, ich komme gestern per Kurier von London. Gott! Gott!
Alles ist verloren; was sind wir für unglückliche Menschen, wenn nicht
gleich auf der Stelle drei- bis vierhunderttausend Gulden dahin
geschafft werden, um das dortige Obligo zu decken; was ist André (der
Geschäftsführer) für ein Spitzbube, es ist alles bei ihm in der größten
Unordnung und Konfusion, nichts eingetragen, nichts eingeschrieben; ich
habe viele Papiere mitgebracht, kommen Sie doch um Himmelswillen gleich
zu Herrn Bernard, er und meines Vaters Bruder sind hier, da werden Sie
alles hören.«

Man kann sich die Wirkung denken, welche diese Anrede auf das bisher so
sorglose Gemüt des unglücklichen Wailand machte. Der große Bankrott war
in London bereits förmlich ausgebrochen und erklärt, und das Offenbacher
Haus stand auf dem Punkt, es dem Londoner nachzumachen, als einige noch
solvable Verwandte desselben auf den Einfall kamen, bei den reichsten
Frankfurter Kaufleuten eine Subskription zugunsten der Gebrüder Bernard
zu eröffnen, um vermittelst derselben ein Kapital auf eine bestimmte
Zeit zu erhalten, mit welchem man den völligen Sturz des Hauses
verhindern könne. -- Das Projekt gelang, da man vermittelst Frauengunst
den reichsten Bankier Frankfurts, von Bethmann, dafür gewann, der sich
sogleich mit einer bedeutenden Summe an die Spitze stellte und
unterzeichnete. Indessen konnten sich die Bernard doch nie wieder ganz
von diesem Stoß erholen und zu dem früheren Glanz kommen.

Der betrogene Wailand wollte sich freilich an das Offenbacher Haus
halten, aber die Bernards wußten dennoch die Sache auf die lange Bank zu
schieben, dem durch sie an den Bettelstab gebrachten Wailand fehlte es
jetzt an allen Mitteln, etwas Durchgreifendes zu unternehmen, und
kummervoll und trostlos mußte er vorerst alles gehen lassen, wie es
ging, während das Offenbacher Haus, durch die Subskription aus der Not
gezogen, sich um den schändlichen Bankrott in London nicht weiter
bekümmerte, einen ärgerlichen Aufwand in Equipagen und so weiter
fortsetzte und Bernard sogar einen Teil seiner Kapelle, und zwar den
besten, den er zum Schein verabschiedet hatte, wieder mit dem früheren
Gehalt anstellte! Dies war um so empörender, als der arme Wailand oft
nicht wußte, von was er leben sollte.

Nach langen Jahren nahm sich jedoch einer der renommiertesten Advokaten
Frankfurts, der Doktor Klaus, plötzlich des armen Wailand an, machte
dessen Sache zu seiner eigenen, griff das Ding auf dem rechten Fleck an,
indem er damit begann, die Geschichte dieser Beutelschneiderei, mit
allen nötigen Beweisen, Briefen und anderen Dokumenten versehen, im
Druck herauszugeben, um hierauf den Prozeß gegen die Gebrüder Bernard
einzuleiten. Da vorauszusehen war, daß die Sache auf jeden Fall schlimm
für das Haus Bernard ausfallen würde, so suchte dies nun den
Rechtsstreit durch einen Vergleich zu beseitigen, den die Gegner auch
eingingen, da sie wußten, daß es eben nicht zum Brillantesten mit jenem
Haus stand, und Wailand mußte sich ungefähr mit dem sechsten Teil seiner
Forderung begnügen, der ihm in Terminen ausbezahlt wurde. Die
Haupturheber dieser Prellerei waren schon längst tot, und die Nachkommen
waren es, die nun in den für sie sehr sauern Apfel beißen mußten.

In Offenbach war damals das gesellige wie das öffentliche Leben überaus
heiter und fröhlich, die Fabriken hatten einen guten Absatz, die Gewerbe
blühten, und eine Albernheit der Frankfurter Behörden war dem Städtchen
von großem Nutzen. Das Verbot, daß in Frankfurt keine Maskenbälle
gegeben werden durften, kam den Offenbachern sehr zustatten, wo während
des ganzen Winters jeden Sonnabend bei ziemlich hohen Eintrittspreisen
dieses Vergnügen im dortigen Schauspielhaus gestattet wurde, wohin die
Frankfurter karawanenweise fuhren, um desselben teilhaftig zu werden,
und wodurch viel Geld von Frankfurt nach Offenbach geleitet wurde; denn
außer dem Eintrittsgeld und was in solchen Nächten verzehrt und
verspielt wurde, bezahlte man auch die brillanten Kostüme und was zu den
Maskenanzügen gehörte, in dem damit reichlich versehenen Magazin der
Mamsell Niepold zu enormen Preisen. Als Ursache, daß man diese Bälle,
ausgenommen in Krönungszeiten, wo man nicht anders konnte, in Frankfurt
nicht dulden wollte, gab man an, daß mehrmals den regierenden
Bürgermeistern große Unannehmlichkeiten bei solchen Gelegenheiten
widerfahren, ja einer sogar einmal beinahe ermordet worden wäre.

In den Sommermonaten wohnte ich, wie gesagt, zu meiner großen Freude bei
meinen Eltern, wo ich weit mehr Freiheit als in Scherers Institut hatte.
Unser nächster Gartennachbar, ein Kaufmann O... aus Frankfurt, hatte
mehrere Kinder, mit denen ich bald eine nähere Bekanntschaft anknüpfte.
Der älteste Junge, Adam, war indessen ein stupid-trauriges Subjekt, der
zweite, Fritz, ein ausgelassener Wildfang; sie hatten eine Schwester,
Lilli geheißen, ein artiges Mädchen, der den Hof zu machen ich schon der
Mühe wert fand. In den Erholungsstunden setzte ich mit einem Sprung über
die Planken, die unsere Gärten trennten, und befand mich bei diesen
Kindern, wo ich indessen bald noch ein anderes sehr hübsches Mädchen,
ebenfalls die Tochter eines Kaufmanns aus Frankfurt, kennen lernte, der
ein naher Verwandter O.s und d'Orvilles war, die Karoline Th... hieß.
Kaum hatte ich dieses liebenswürdige Kind erblickt, so hatte ich auch
keine Augen mehr für Lilli, sondern bewarb mich eifrig um die Gunst der
ersteren, die mir auch bald in vollem Maße zuteil ward, und wir
verstanden es vortrefflich, die gute Lilli und ihren einfältigen Bruder
Adam unter allerlei Vorwand zu entfernen, namentlich wenn wir Verstecken
spielten. Aber dabei hatte es sein Bewenden nicht, sondern bei den
Abendharmonien in Bernards Boskett machte ich die Bekanntschaft noch
mancher anderen liebenswürdigen Kinder, unter denen eine Jeannette, eine
Annette und eine Arkade, die letztere die Tochter eines reichen, in
Offenbach privatisierenden Holländers namens Amerong, und reservierte
mir diese für meine Winterschönheiten, da Lilli und Karoline wieder nach
Frankfurt zurückkehrten, sobald der Herbstwind die Blätter gelb färbte
und die Schwalben abzogen. -- Um mehr Gelegenheit zu haben, mit all
diesen Mädchen zusammen und in nähere Berührung zu kommen, und auch aus
angeborener Liebhaberei, nahm ich wieder zu meinem erprobten alten
Mittel, dem Komödienspielen, meine Zuflucht, und wir spielten in
Bernards Garten, wo sich die beste Gelegenheit dazu bot und gar manch
heimliches, >stillvertrautes Örtchen< war, Komödien jeder Art, in denen
auch manchmal die Eifersucht schon eine Rolle spielte, namentlich von
seiten der Aktricen.

Mit dem Ende des Sommers hatten auch unsere Garten-Komödien aufgehört,
und ich glaubte schon, einen recht traurigen Winter in dem Institut
zubringen zu müssen, da fügte es sich, daß sich meine Eltern
entschlossen, bis Weihnachten in Offenbach zu bleiben, und zu meiner
großen Freude fand sich eine Schauspielergesellschaft, deren Direktor
ein gewisser Badewitz war, für die Wintersaison ein; meine Mutter nahm
ein Abonnement in einer Loge, das meistens mir zugute kam. Die
Gesellschaft war so übel nicht; Madame Badewitz, eine hübsche junge
Frau, spielte die Liebhaberinnen recht natürlich, eine Demoiselle
Sternfeld war leidlich, auch der erste Liebhaber, Herr Stahl, gefiel,
nur tobte und schrie er bisweilen gar zu arg.

Gar zu gerne hätte ich im elterlichen Haus jetzt ein Liebhabertheater
etabliert, aber da sich diesem Vorhaben nicht zu beseitigende
Schwierigkeiten entgegensetzten, so mußte ich mich begnügen, ein
Puppentheater bestmöglich einzurichten, auf dem ich mit Hilfe einiger
anderen Kinder gewöhnlich Sonntags Vorstellungen gab. Dies Theater
stellte ich dann dicht an die Türe, die aus der Stube, in der wir
spielten, in ein anderes Zimmer führte, so daß dasselbe samt den
Dirigenten völlig von den Zuschauern, welche meistens aus Kindern und
dem Gesinde bestanden, getrennt war und niemand hinter das Theater
konnte. Die Bühne hatte mir unser Tischler nach meiner Angabe
verfertigen müssen, mehrere Dekorationen hatte mir unser Zeichenlehrer
Herchenröder gemalt, andere hatte ich selbst nach denen des Frankfurter
Theaters, die zum Teil von dem berühmten Quaglio und Fuentes gemalt
waren, zusammengepfuscht, und meine Gehilfen bei der Aufführung waren
meistens Mädchen, namentlich Jeannette und Arkade. Indessen glaube man
nicht, daß wir uns begnügten, kleine Harlekinaden aufzuführen, im
Gegenteil, die größten Maschinenstücke, wie eine Nymphe der Donau, der
Spiegel von Arkadien, die Teufelsmühle, das Sternenmädchen, die
Zauberzitter waren uns nicht zu schwierig, und sogar an große
Ritterstücke und Opern, wie Maria von Montalban, Oberon, das
unterbrochene Opferfest, die Zauberflöte, den Titus und so weiter wagten
wir uns und leierten sie ab, so gut es gehen wollte; freilich sangen wir
nur einzelne Lieder und Gesänge aus denselben, und alle Ensemblestücke
und die meisten Chöre blieben weg. Ein Klavier, das wir abwechselnd
spielten, war das Orchester, aber gar oft waren Orchester und Sänger um
zwanzig bis dreißig Takte und mehr auseinander. Wir sangen eben so gut
wir konnten und strengten uns dabei ganz gewaltig an. Indessen muß dies
Marionettenspiel doch nicht so durchaus langweilig gewesen sein, da es
nicht selten auch von erwachsenen Personen beehrt wurde, die den
Vorstellungen bis zu Ende beiwohnten. Eine der aufmerksamsten
Zuschauerinnen war Bettina Brentano, die damals mit noch zwei anderen
Schwestern bei ihrer Großmutter, der Schriftstellerin Sophia von La
Roche, zu Offenbach wohnte und unser Haus öfters mit einem Besuch
beehrte. Dieses originelle Mädchen war ein ganz eigenes und geniales
Geschöpf, welches in ihrem Wesen viel von Goethes Mignon hatte, dabei
ein etwas wildes, sehr naives und ungeniertes Naturkind war, unser
Puppenspiel mit großer Vorliebe gegen jede hämische Kritik verteidigte
und in Schutz nahm. Sie war damals schon eine außerordentliche
Verehrerin Goethes, und in Ermangelung des großen Dichters selbst
brachte sie ihre Huldigung einstweilen dessen Mutter, der Frau Rat, die
sie jedoch so sehr mit ihren Besuchen zu fast jeder Stunde bestürmte,
daß sich dieselbe öfters verleugnen ließ. Bettina aber merkte dies und
ließ sich dann nicht abweisen, sie klopfte an der Tür des Schlafzimmers,
in welchem sie die Dame vermutete, und rief ihr ganz naiv zu: »Machen
Sie nur auf, Frau Rat, ich weiß doch, daß Sie zu Hause sind,« oder
öffnete ein Fenster des Vorzimmers und schlug von außen mit einem
Stöckchen an das Fenster der Stube, in der sie Goethes Mutter glaubte,
dieselben Worte wiederholend, bis endlich die gute Frau, durch diese
Beharrlichkeit erweicht, lächelnd öffnete, wo dann das Mädchen in die
Hände patschend freudig herumsprang und ausrief: »So muß man es machen,
Frau Rat, wenn man Sie sehen will.« --

Bald darauf kehrten meine Eltern nach Frankfurt zurück, und ich mußte zu
meinem Leidwesen wieder ganz in dem Institut wohnen, wo sich indessen
eine neue, sehr hübsche, kaum dreizehnjährige Nichte des Hofrats,
Helenchen Valentin, eingefunden hatte, mit der ich nun meine Aufgaben in
den Abendstunden zusammen in der erwähnten Garderobe machte und
auswendig lernte, und man darf es mir aufs Wort glauben, daß auch ohne
die Pestalozzische Methode, die wir nicht kannten, wir beide durch
gegenseitigen Unterricht erstaunlich schnelle Fortschritte machten.
Gegen das Frühjahr verlor ich meinen guten, schon länger kränkelnden
Großvater Weller. Der Mann hatte sich übermäßig angestrengt und fast zu
Tode gearbeitet, während die meisten Römerherren ihre Stellen als
Sinekuren betrachteten und es sich in träger Behaglichkeit wohl sein
ließen. Das edle Roß arbeitet unaufgefordert bis zum letzten Atemzug,
der Esel aber läßt sich zur Arbeit prügeln und tut sich doch nicht weh.

Der gute Mann hatte noch vor seinem Tode geäußert, daß man mich doch in
den Religionsunterricht des Pfarrers Doktor Hufnagel nach Frankfurt
schicken solle, der ein berühmter Prediger und sein intimer Freund war,
um von diesem konfirmiert zu werden. -- Dies war Wasser auf meine Mühle,
denn nun mußte mich Hofrat Scherer jede Woche ein-, auch zweimal zu
dieser Gebetstunde nach Frankfurt gehen lassen. Hier fesselte sogleich
nicht Doktor Hufnagel, sondern ein allerliebstes Mädchen, die
Wirtstochter aus dem Englischen Hof, Jungfer L..., wie sie sich nannte,
meine Aufmerksamkeit, ich hatte bald nur noch Augen und Ohren für sie
und war taub für die Lehren des wackeren Hufnagels. Bald hatten wir erst
nur durch Blicke, dann durch Zettelchen korrespondiert, die ich ihr beim
Verlassen der Gebetstunde zusteckte, worauf wir aus Mangel an
passenderen Orten uns Rendezvous hinter den einsamen Stadtmauern in der
Gegend des Eschenheimer Tors gaben; aber dies Einverständnis hatte kaum
einige Wochen gedauert, als es durch die Unvorsichtigkeit meiner Teueren
plötzlich gestört und mir der fernere Besuch der Religionsstunden in
Frankfurt untersagt wurde. Die L. ließ während des Unterrichts ein
Zettelchen, das ich ihr beim Eintreten zugesteckt, indem ich sie auf den
Wall am Eschenheimer Tor beschied, und das mit einem: >einstweilen
tausend Küsse, mein lieblicher Engel< schloß, aus ihrem Gebetbuch
fallen, ohne es sogleich wahrzunehmen, ein anderes neben ihr sitzendes
Mädchen hob es auf und übergab es dem Doktor Hufnagel, der es zu unserm
beiderseitigen Schrecken las, zu sich steckte und nach der
Konfirmandenstunde das arme Kind vornahm, das, heiße Tränen vergießend,
beichtete, ich habe sie zu all den gottlosen Dingen verführt. Meine
Eltern wurden von der gemachten Entdeckung in Kenntnis gesetzt, teilten
sie dem Hofrat Scherer mit, der ohnehin über das Nach-Frankfurt-Laufen
als viel zu zeitraubend ärgerlich war, und nun wurde beschlossen,
daß ich den Frankfurter Religionsunterricht aufgeben, die
Konfirmandenstunden in Offenbach bei dem lutherischen Oberpfarrer
Waldeck fortsetzen und daselbst auch konfirmiert werden solle. So
unangenehm mir dieser unwiderrufliche Beschluß anfangs war, so wußte ich
mich doch bald darein zu finden und fing in der neuen Gebetstunde da an,
wo ich es in Frankfurt gelassen hatte, nämlich statt auf die Lehren des
guten Herrn Oberpfarrers zu achten, suchte ich mit den hübschesten
Mädchen zu liebäugeln, deren es auch hier gab, und eine schmachtende
Sophia, ein Kind der Liebe in jedem Sinn, hatte neben Rosettchen, die
gleichfalls diese Gebetstunden besuchte, schnell mein so empfängliches
Herz zu fesseln gewußt, ich war getröstet, nahm mir aber vor, meine
Sache jetzt klüger anzufangen und vor allem keine Zettel mehr zu
schreiben, dagegen unterstrich ich die mir gerade dienlichen Worte in
meinem Katechismus mit Bleifeder, machte ein kleines Zeichen an den Rand
der Zeilen, in denen sich die unterstrichenen Worte befanden, ein Kreuz
hinter dem Wort, das eine Phrase schloß, und machte mich so vollkommen
verständlich. Beim Herausgehen tauschten wir die gleich gebundenen
Bücher gegeneinander aus, ich fand die erbetene Antwort auf dieselbe
Weise bezeichnet, denn ich hatte gar gelehrige Schülerinnen für meinen
Unterricht, und auf diese Weise wurde gar manche Zusammenkunft
verabredet und zustande gebracht.

Damals verbreitete sich in Offenbach und der Umgegend plötzlich die
Nachricht, daß der berüchtigte und allgemein gefürchtete Räuberhauptmann
Schinderhannes (Johannes Bückler) in Frankfurt im Roten Ochsen, dem
österreichischen Werbhaus, gefangen worden sei. Anfänglich wollte
niemand daran glauben, bald bestätigte sich jedoch diese große
Neuigkeit, sowie, daß man ihn an das französische Gouvernement nach
Mainz abgeliefert habe, da er hauptsächlich das linke Rheinufer zum
Schauplatz seiner Untaten und Missetaten gemacht hatte, von denen viele
höchst originell waren, namentlich die, welche er an Juden, die er
besonders haßte, verübte. Seitdem das linke Rheinufer französisch war,
hatten ihm die dortigen Gendarmen so gewaltig zugesetzt, daß er sich
schon einigemal auf das rechte Ufer geflüchtet und, um sich aus der
Klemme zu retten, bei österreichischen oder preußischen Werbern
engagiert hatte. Da er noch ein sehr junger und wohlgewachsener Mann
war, so wurde ihm jedesmal ein schönes Handgeld ausgezahlt, worauf er
sich bei der ersten Gelegenheit wieder aus dem Staube machte und sein
Räuberhandwerk von neuem begann. Als ihm einst ein österreichischer
Werbeunteroffizier vier Karolin Handgeld ausgezahlt hatte und beide
hierauf durch den Frankfurter Wald kamen, zog Schinderhannes plötzlich
zwei Terzerole unter dem Wams hervor und sagte zu dem Korporal: »Jetzt
geht jeder seinen Weg, ich bin Johannes Bückler,« und der Unteroffizier
mußte ihn gehen lassen. Diesmal war er jedoch im Werbehaus selbst
erkannt, festgenommen und wohl geknebelt nach Mainz transportiert
worden.

Ich hatte schon so viele und seltsame Dinge von diesem Schinderhannes
erzählen hören, daß ich mir ein großes Genie, einen wahren Wundermann
unter demselben dachte, den zu sehen ich weiß nicht was gegeben hätte.
Zudem war meine Phantasie soeben durch das Lesen des Rinaldo Rinaldini
aufgeregt, und obendrein studierte ich die Rolle des Karl Moor aus
Schillers Räubern ein. Ich träumte und phantasierte wachend von diesem
Helden und dem Schinderhannes, von dem man allgemein glaubte, daß er
sich selbst wieder befreien würde, und täglich eine solche Nachricht
erwartete; unter dem Volk stand sogar der Glaube fest, daß er sich
unsichtbar machen könne. Unterdessen aber wurde sein Prozeß und der
seiner Spießgesellen, von denen man die gefährlichstem wie den schwarzen
Peter, den tollen Jonas und so weiter nach dem Habhaftwerden ihres
Hauptmanns ebenfalls eingefangen hatte, bei den französischen Gerichten
zu Mainz eifrigst betrieben, und nach mehreren Monaten kam die
Nachricht, daß er samt seinen gefangenen Helfershelfern, dreiundzwanzig
an der Zahl, zum Tode verurteilt sei.

Schinderhannes sterben, ohne daß ich dieses Genie gesehen, war mir ein
unerträglicher Gedanke. Unter andern Gaben, mit denen mich die gütige
Natur beschenkt, war auch eine gute Portion Leichtsinn, die mich gar oft
in die allerbedenklichsten Lagen brachte, und mehr als hundertmal setzte
ich gleich einem verzweifelten Spieler Existenz, Leben und Vermögen auf
einen einzigen Wurf und -- gewann meistens; dies ist allerdings das wenn
auch desperate Mittel, manches gefährliche Wagnis durchsetzen zu können,
indessen muß man dabei auf alles, was kommen kann, gefaßt und resigniert
sein.

Als ich mit Bestimmtheit den Tag kannte, der zur Exekution meines Helden
festgesetzt war, erklärte ich dem Herrn Hofrat zwei Tage früher, daß ich
den kommenden Morgen zur Geburtstagsfeier meines Vaters nach Frankfurt
gehen müsse, was er mir nach einigen Einreden, die ich zu widerlegen
wußte, zugestand. Ich hatte erfahren, daß den Tag vor der Hinrichtung
außer dem jeden Morgen abgehenden Marktschiff noch eine Extrajacht von
Frankfurt nach Mainz fahren würde, ich machte mich deshalb in aller
Frühe auf die Beine, kam nach sechs Uhr in Frankfurt an, eilte sofort an
die Ufer des Mains und schiffte mich auf der Jacht ein, wo ich nicht
eher ruhig war, als bis sie die Anker gelichtet, das heißt die Seile,
die sie am Ufer hielten, losgebunden, denn ich fürchtete immer noch,
eingeholt und zurückgebracht zu werden. Endlich fuhren wir mit Musik und
unter dem Jubel der Menge ab. Jetzt erst wurde es mir leichter ums Herz,
und ich freute mich innerlich über das Gelingen meines Geniestreichs.
Das Schiff war mit Passagieren jeder Gattung bis zum Erdrücken
angefüllt. Greise und Jünglinge, alte Weiber und blühende Mädchen,
wichtigtuende Beamte und sorglose Bänkelsänger, alles war in buntem
Gemisch durcheinander und vertrug sich bestens. Daß fast nur von dem
berühmten Räuberhauptmann und seiner Bande die Rede und das dritte Wort
Schinderhannes war, von dem man sich die wunderlichsten Abenteuer und
Anekdoten, wahr oder erfunden, erzählte, kann man sich denken, sowie daß
ich jedes Wort und jede Meinung mit Begierde aufschnappte und das
Gesicht verzog, wenn sie mit meinem Ideal nicht übereinstimmten.
Indessen war die Fahrt lustig und unterhaltend genug, man sang, spielte,
schmauste und zechte, ich naschte Kuchen und Backwerk, was man zum
Verkauf ausbot, und verschenkte manch Stückchen an ein hübsches Mädchen.
Aber jedermann wunderte sich, daß ich so allein, ohne alle
Kopfbedeckung, im bloßen Hals, in dieser Jahreszeit, es war im Winter,
und ohne alle Aufsicht zu einer solchen Feierlichkeit nach Mainz reise.
Aber unbekümmert stimmte ich in das originelle Lied, das einige lustige
Brüder sangen: >So geht es in Schnutzel-Putz-Häusel, da tanzen die
Katzen und Mäusel< mit ein und fuhr heiter den Strom hinab. Erst gegen
Abend bekamen wir das alte ehrwürdige, ehemals goldene Mainz mit seinen
Türmen, Kirchen und Klöstern zu Gesicht. Nach fünf Uhr wurde gelandet,
und während sich alle Passagiere nach Gasthöfen und einem Nachtlager
umsahen, war, als ich ausgestiegen, meine erste Frage, ob ein Theater in
Mainz sei und ob man diesen Abend spiele, worauf mir eine bejahende
Antwort wurde, und zwar, daß man französische Komödie spiele. Ein
französisches Stück hatte ich noch nie aufführen sehen, und nichts hätte
mich, dessen Neugierde aufs höchste erregt war, abhalten können,
demselben beizuwohnen. Ich ließ mir sogleich den Weg zeigen, der nach
dem Theater führte, nahm ein Parkettbillett und sah den >Kalif von
Bagdad< und noch ein paar französische Lustspiele aufführen. Als gegen
zehn Uhr das Schauspiel beendigt war und ich das Haus verließ, ergoß
sich der Regen in Strömen, ich hatte noch an kein Nachtquartier gedacht,
befand mich zum erstenmal in einer mir ganz fremden und ziemlich großen
Stadt, fragte nun erst nach Gast- und Wirtshäusern, lief, in allen
abgewiesen, von einem zum andern, denn niemand wollte sich mit dem
seltsamen Gast, der ohne Mantel, Binde und Hut, schon wie ein Pudel
durchnäßt, kein großes Vertrauen einflößte, befassen, und zudem waren ja
alle Wirtshäuser vom ersten bis zum letzten überfüllt. So rannte ich nun
umher, ohne zu wissen wohin, und schon ging es auf Mitternacht zu, als,
zähneklappernd und vor Frost zitternd und schaudernd, durch die schon
längst menschenleeren Straßen irrend mich der Zufall an das
Judenplätzchen führte, wo ich eine vor dem dortigen Wachthaus stehende
französische Schildwache anredete und ihr meine Verlegenheit klagte. Sie
hieß mich in die Wache eintreten, wo ich mich bei einem guten Feuer
trocknen und erwärmen könne, und da ich diesem Rat nicht sogleich Folge
leistete, so öffnete mir der Soldat selbst die Tür, rief den
wachehabenden Sergeanten, dem er mein Abenteuer mitteilte, der mich nun
in das Wachtzimmer nötigte, wo er und seine Leute warmen Anteil an
meinem Schicksal nahmen, mich scherzend bedauerten, nach französischer
Weise Witze und Bonmots über mein Malheur machten, sonst aber sehr artig
waren. Sie halfen mir die nassen, triefenden Kleider ausziehen, mich
einstweilen in eine ihrer Kapotten hüllend, und mir, während sie meine
Effekten am Feuer trockneten, ein Nachtlager auf der Pritsche mit
Soldatenmänteln und einem Tornister, der mir statt Kopfkissen diente,
bereitend, auf dem ich auch bald nach Herzenslust schnarchte. Als ich am
anderen Morgen erwachte, waren meine Kleidungsstücke getrocknet und
sogar gereinigt und ausgebürstet, man war mir beim Ankleiden behilflich,
und ich, für die erwiesene Gastfreundschaft erkenntlich, regalierte die
ganze Wache _avec la goutte_ und eilte, nachdem ich Teil an dem
militärischen Frühstück und Abschied von meinen gefälligen
Schlafkameraden genommen, mit fast ganz leerer Tasche, denn ich hatte
nur wenige Gulden, nach dem zur Exekution bestimmten Platz, auf dem
ehedem die prächtige kurfürstliche Favorite gestanden und den jetzt
wieder schöne Gartenanlagen zieren. Die schon von allen Seiten dahin
strömenden Volksmassen zeigten mir den Weg.

Daselbst angekommen, fand ich einen großen Kreis durch ein militärisches
Spalier gebildet, in dessen Mitte die rot angestrichene Guillotine
stand. Gerne wäre ich in den Kreis gegangen, aber das Militär ließ
niemand durch, nur Offiziere und höhere Beamte hatten dieses Vorrecht.
Schon harrte die unermeßliche Zahl der Neugierigen stundenlang, als man
endlich einen dumpfen Trommelschlag und gleich darauf ein: »Sie kommen,
sie kommen!« vernahm. Es fuhren nun mehrere Kutschen mit diensttuenden
Beamten in den Zirkus, ich paßte einen günstigen Augenblick ab und stahl
mich hinter einer solchen in denselben. Jetzt kamen die armen Sünder auf
mehreren Leiterwagen, teils mit roten, teils mit weißen Hemden
bekleidet, in Begleitung katholischer und protestantischer Geistlicher
angefahren. Noch immer dachte ich, daß irgendein _Deus ex machina_
kommen müsse, um die Räuberhelden zu befreien, aber vergeblich. -- Jetzt
herrschte eine Totenstille im ganzen Umkreis. Schinderhannes sprang
zuerst vom Wagen, stieg beherzt und mit Anstand auf das Schafott, sprach
noch einige Worte, die ich nicht verstand, machte eine kurze Verbeugung
gegen die Zuschauer, legte das Haupt auf den Block, den das
zentnerschwere Messer mit einem ringsum widerhallenden Schlag vom Rumpf
trennte, wobei mir ein tiefer Seufzer entfuhr, und ich lispelte:
»Rinaldo Rinaldini ist nicht mehr!« Ich hatte den einst so gefürchteten
Schinderhannes ganz in der Nähe gesehen und dessen Züge nicht ohne einen
Ausdruck, der einen gewissen Edelmut zu verkünden schien, gefunden. Bis
zum letzten Augenblick zeigte er die größte Standhaftigkeit und
Entschlossenheit. Ihm folgten die Mitverurteilten der Reihe nach rasch
hintereinander, keiner jedoch zeigte den Mut des Anführers, einige
mußten sogar ohnmächtig auf das Schafott getragen werden. Ich hielt es
nur bis zum zehnten aus, dann wurde mir die Schlächterei und das viele
Blut zuwider; ich eilte in die Stadt zurück, wo ich am Tor hinter einem
Tisch, auf dem eine blecherne Büchse war, mehrere Männer stehend fand,
von denen einer ein einjähriges Kind auf dem Arm hatte; es war der Sohn
des guillotinierten Räuberhauptmanns, dem alle Vorübergehenden
reichliche Gaben spendeten; auch ich warf ein Sechskreuzerstück, die
Hälfte von dem, was ich noch übrig hatte, in die Büchse, als Beitrag für
den Nachkömmling des verunglückten Helden.

Indessen war die Mittagsstunde herangekommen, und mein leerer Magen
mahnte mich, daß ich gewohnt war, ihn um diese Zeit zu füllen; als ich
so überlegte, daß dies mit sechs Kreuzern eine ziemlich schwere Aufgabe
sei, begegnete mir gerade ein guter Freund unserer Familie, der in Mainz
wohnte, der Hofrat Jung, und fragte mich verwundert, wie ich nach Mainz
gekommen und ob ich allein sei. Ich teilte ihm nun mein Abenteuer mit,
ohne ihm zu sagen, daß ich heimlich und ohne Erlaubnis den Abstecher
gemacht, worauf er mich zum Mittagessen einlud, mich mit sich nahm und
schmälte, daß ich ihn nicht sogleich nach meiner Ankunft zu Mainz
aufgesucht und bei ihm logiert habe. Denselben Abend nahm er mich mit
seinen Kindern auf einen großen, im Schröderschen Kaffeehaus
veranstalteten Ball, und den anderen Morgen trat ich nach eingenommenem
Frühstück die Reise zu Fuß nach Frankfurt an, da ich kein Geld hatte,
einen Platz in einem Wagen oder Schiff zu bezahlen, und Jung nicht darum
ansprechen mochte. Je mehr ich mich aber Frankfurt näherte, wo ich mit
großem Hunger und höchst ermüdet ankam, desto mehr klopfte mir das Herz,
denn nicht ohne Grund fürchtete ich ein schweres Ungewitter. Ich faßte
aber Mut und betrat das Vaterhaus, wo ich über alle Erwartung gnädig von
meinen Eltern aufgenommen wurde, die in namenloser Angst, was aus mir
geworden, nur froh waren, mich gesund und mit heiler Haut wiederzusehen.
Scherer hatte den zweiten Tag nach meiner Abwesenheit fragen lassen,
warum ich nicht zurückkäme. -- Nachdem ich mich gehörig restauriert
hatte, wurde ich noch denselben Abend nach Offenbach spediert, wo es
aber nicht so gelinde abging, sondern ich drei Tage lang in die
Rauchkammer und zwar bei Wasser und Brot gesperrt und mir verkündet
wurde, daß ich in den ersten drei Monaten nicht mehr nach Frankfurt
dürfe. Mein Trost in dieser Einsamkeit war: Du leidest dies alles um
Schinderhannes willen, hast den unsterblichen Helden des Jahrhunderts
sterben, eine Guillotine, ein französisches Theater, einen Ball und
Mainz gesehen und eine merkwürdige Reise gemacht.

Ein Trauerfall und dann eine fröhliche Begebenheit waren Ursache, daß
ich schon in den ersten vierzehn Tagen wieder das väterliche Haus
besuchen sollte. Meine jüngste Schwester Auguste, ein überaus
liebliches, fast bei ihrem Leben schon verklärtes Wesen, starb nach
einem Krankenlager von kaum drei Tagen. Meine untröstlichen Eltern
wollten nun alle ihre Kinder um sich sehen, und auch ich wurde deshalb
nach Frankfurt geholt.

Sechs Wochen nach diesem Todesfall heiratete mein Oheim Fritz Weller
eine Tochter aus einem der angesehensten und reichsten Häuser
Frankfurts, und nun gab es wieder Feste über Feste. Um einen Begriff von
der raffinierten Gaumenschwelgerei einiger reicher Frankfurter Kaufleute
zu geben, will ich hier nur ein einziges Faktum anführen. Dem Brautpaar
zu Ehren gab ein gewisser Fingerling, einer der reichsten Handelsleute
der Stadt, der besonders wegen der Erfindung pikanter Saucen und
mehrerer Gerichte, die seinen Namen trugen, berühmt war, einen großen
Schmaus auf dem Forsthaus, zu dem die ganze Verwandtschaft eingeladen
war. Unter der Zahl der endlosen Schüsseln war eine, die er den >Kapaun
im Schlafrock< benannte, deren Erfinder zu sein er sich mit Stolz rühmte
und von deren Zubereitung er folgende schauderhafte Beschreibung machte.
Zuerst wurde der Kapaun mehrere Monate mit Markklößchen gemästet,
sodann, wenn er fett genug war, lebendig gerupft, hierauf mit Butter und
Bordeauxwein am ganzen Körper eingerieben und sodann mit einer Peitsche
in einem geheizten Zimmer so lange herumgehetzt, bis sich Butter und
Wein mit dem Schweiß des armen Tieres vermischten und in dessen Haut
gedrungen waren. Diese Operation wurde mehrmals wiederholt, bevor man
den Kapaun tötete, worauf er in die Haut eines frisch geschlachteten
Spanferkels genäht und so gebraten wurde. Mehreren Gästen wurde es bei
dieser, an der Tafel selbst mit wohlgefälliger Prahlerei mitgeteilten
Erzählung beinahe übel, und die meisten, unter denen auch das Brautpaar,
wollten nichts von dieser gerühmten Schüssel genießen, während es sich
mehrere Hoch- und Gutschmecker mit schwabbelnden Bäuchen so trefflich
schmecken ließen, daß sie den Braten allein mit Haut und Haar
aufzehrten. Auch zur üppigsten Zeit der Römer haben deren größte
Schlemmer nichts Abscheulicheres ausgeheckt, ihre Gaumen zu kitzeln.

Gleich nach der Hochzeit wurde eine Rheinreise auf einer von meinem
Oheim eigens dazu gemieteten Jacht veranstaltet, an der auch meine
Eltern und wir Kinder teilnahmen. Die Fahrt ging nach dem alten Köln;
bei dieser Gelegenheit sah ich zum erstenmal die herrlichen Gegenden,
die sich längs dem Vater Rhein auf beiden Ufern ausdehnen, und
bewunderte die alten, auf steilen Felsen hängenden Burgruinen, die
köstlichen Weinberge, die vielen freundlichen Städte und Ortschaften,
die so malerisch gelegenen Kirchen, Klöster, Villen und Meiereien, die
Gebirge, die in steter Abwechslung von Mainz bis Bonn an dem entzückten
Auge vorüberschweben.

Nach diesen Festivitäten kehrte ich wieder nach Offenbach in meine
Pension zurück, um bald darauf konfirmiert zu werden, ob ich gleich auch
nicht eine Seite vom Katechismus, gar keine Bibelsprüche, ja nicht
einmal das Vaterunser, dagegen wenigstens ein Dutzend Theaterrollen bis
auf das Tipfelchen auswendig konnte. Der Herr Oberpfarrer war aber sehr
nachsichtsvoll und so gütig, mir nur solche Fragen vorzulegen, die ich
nicht anders als mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten konnte.
Dennoch erhielt ich bei dieser Gelegenheit reiche Geschenke von meinen
Verwandten, so wie der Herr Oberpfarrer auch gut bedacht wurde.

Nach der Konfirmation widmete ich mich mehr denn je den dramatischen
Studien. Bei dem Hofrat André waren ein paar junge Leute, namens Winter
und Reinwald, welche die Harmonie und den Generalbaß studierten, diesen
sang ich meine Opernrollen vor, und sie feuerten mich nicht wenig durch
ihren unverdienten Beifall an. Sie waren auch im Haus der als
Schriftstellerin bekannten Sophia La Roche eingeführt, und durch sie und
Bettina Brentano, die ihrer Großmutter von mir gesprochen, ward ich
derselben vorgestellt, deklamierte ihr mehrere Gedichte vor, und als sie
meinen festen Vorsatz, mich dem Theater zu widmen, erfuhr, sagte sie:
»Ich wüßte nicht, was ich tun würde, wenn ich ein Kind hätte, das diese
Karriere wählte.« -- Was mich noch mehr in meinem Entschluß befestigte,
war, daß ein anderer junger Mensch namens Eduard St..., der mein Vetter
und zwei Jahre älter als ich war, durchaus eine gleiche, ja noch größere
Neigung als ich zur Schauspielkunst, dabei eine einnehmende Figur, aber
wenig Talent hatte. Wir kamen jetzt in der Regel jeden Sonntag in einem
Garten des Wasserhofs, einer in der Mitte zwischen Offenbach und
Frankfurt am Main liegenden Meierei, zusammen, wo wir uns gegenseitig
unsere Pläne und Hoffnungen für die Zukunft bei einer Schale süßer Milch
und Weck mitteilten und unsere Rollen überhörten.

Ich suchte nun auch Herrn Schmidt, den Kapellmeister des Frankfurter
Theaters, auf, dessen Bekanntschaft ich bei dem Herrn Geheimrat Willemer
gemacht, der ein großer Theaterfreund und Aktionär des Frankfurter
Theaters war und die Koryphäen desselben häufig auf sein Landgut bei
Oberrad einlud. Ich deklamierte und sang den Herren vor, und sie
meinten, daß ich allerdings nicht ohne Talent für die Bühne sei; ich sah
mich schon im Traum ein Roscius, Garrik oder Iffland, auf dem Theater zu
Weimar und Berlin, die damals für die ersten Deutschlands galten. Bei
dieser Gelegenheit in Willemers Garten lernte ich ein Fräulein von W...
kennen, deren Vater ein Gut in Bockenheim gehabt und in Frankfurt bei
einer Spielbank interessiert war; dieses hübsche Mädchen, das auch den
Namen Henriette führte, hatte meine Deklamation und mein Gesang
angesprochen, sie bezeigte mir viel Teilnahme, und wir waren bald auf
dem Fuß, daß sie mir erlaubte, sie abends nach neun Uhr in ihrem Garten
in Bockenheim besuchen zu dürfen; ich ließ mir dies nicht zweimal sagen,
sondern begab mich unter dem Vorwand, wegen Unpäßlichkeit früh zu Bette
zu gehen, gleich nach dem Abendessen in mein Schlafzimmer, das ich von
innen verriegelte; sodann stieg ich aus dem Fenster hinab, rannte nach
Bockenheim und suchte daselbst, über W.s Gartenmauer kletternd, das
Plätzchen auf, an dem mir Fräulein Henriette Rendezvous gegeben hatte.
Es war eine kleine, von dickem Gebüsch umgebene Laube. Damit ich aber in
Zukunft nicht mehr zu klettern brauchte, händigte sie mir den Schlüssel
zu einem Hinterpförtchen ein, den sie durch ihr Kammermädchen, das ihre
Vertraute war, hatte machen lassen. Die Mama dieses lieben Kindes, noch
eine schöne Frau, hatte ein Einverständnis mit dem Schauspieler Werdy,
dem ersten Liebhaber und Helden des Frankfurter Theaters, und dieser
befand sich gleichfalls im Besitz eines solchen Schlüssels. Eines
Abends, als ich nach zehn Uhr den Garten verließ und eben den Schlüssel
in das Schloß des Pförtchens stecken wollte, öffnete sich dieses, und
ich stand Werdy gegenüber, -- anfänglich waren wir beide ein wenig
frappiert, doch bald wieder gefaßt sagte Werdy zu mir: »Ich weiß,
welches Wildes Spur Sie hier verfolgen, wir gehen einander nicht in das
Gehege; ist mir die Tochter nicht beschieden, so suche ich die Mutter
auf, doch reinen Mund.« -- Das Kammermädchen Henriettens, das, wie ich
später erfuhr, Werdys Herz mit der gnädigen Frau teilte, hatte diesem
geplaudert; da die Zofe indessen auch noch ein Einverständnis mit dem
Jäger des Herrn von W... hatte und dieser ihre Intrigue mit dem
Schauspieler entdeckte, so gab es bald Lärmen und Hallo, den Herr von
W... klug genug war zu vertuschen, mit dem Mantel die Liebe zuzudecken,
und dem Jäger Wambold wie dem Kammermädchen gab er den Abschied. Aber
auch meine nächtlichen Besuche in W.s Garten hatten ein Ende, da auf
Befehl des Obersten derselbe sowie das Fräulein strenge bewacht wurden.
-- Indessen war damit noch nicht unser Verhältnis abgebrochen. Henriette
fand Mittel, mir ein Billett zuzustecken, durch welches sie mich einlud,
mich abends nach dem Theater am Weißen Schwanen einzufinden, wo sie oft
stundenlang allein im Wagen halten und auf den Papa, der oben spiele,
warten müsse. -- Diese Gelegenheit paßte ich ab, und so oft ich sah, daß
meine Angebetete allein in der Loge war, fand ich mich nach beendigtem
Schauspiel am Schwanen ein, wo ich dann Gelegenheit hatte, mich zuerst
lange am Kutschenschlag mit ihr zu unterhalten; aber der wartende
Bediente mußte mit in das Geheimnis gezogen und also bestochen werden.
Dies war eben kein schweres Stück Arbeit, und da ich außer meinem
Taschengeld noch viel von meinen Konfirmationsbatzen hatte, so ließ ich
es an Trinkgeldern nicht fehlen und zahlte generös, was zur Folge hatte,
daß der Bediente bald zu mir sagte: »Aber warum wollen Sie hier am Wagen
stehen, steigen Sie doch ein, ich will schon aufpassen, wenn Papa
kömmt.« Ich war mit einem Sprung in dem Wagen, verdoppelte das
Trinkgeld, denn er mußte mit dem Kutscher teilen, und während unser
Figaro oben auf der Treppe stand und aufpaßte, wenn sich die Tür des
Spielzimmers öffnete, in dem Oberst W... die Karten zum Pharao oder
Rouge und Noir mischte und die gewonnenen Dukaten einstrich, spielten
wir im Wagen _à l'amour_ und auch Rouge und Noir. Wir verabredeten auch
einige Morgenzusammenkünfte in Henriettens Garten, in den ich mich dann,
beinahe mit Sonnenaufgang, wenn wir noch alles in den Federn vermuteten,
wieder über die Mauer kletternd, stahl. -- Aber eines Morgens war es
Papa W..., der nicht hatte schlafen können, eingefallen, ebenfalls mit
Tagesanbruch aufzustehen, um -- seine den vorigen Abend mit
heimgebrachten Dukaten zu wiegen, ein Geschäft, das er jeden Morgen
vornahm, um die zu leicht befundenen den Abend wieder mit ins Spiel zu
nehmen; da führte ihn der Zufall gerade an das Fenster, als ich die
Retirade über die Mauer antrat; er hatte mich aber nicht erkannt,
sondern in der Meinung, es seien Diebe, das ganze Schlößchen
aufrührerisch gemacht, das Gesinde aus dem Schlaf klingelnd und
herbeirufend. Henriette war eiligst wieder in ihr Bett geschlüpft und
fand sich mit Mutter und Schwester ein, ganz erstaunt nach der Ursache
des gewaltigen Lärmens fragend. -- Von jetzt an unterblieben meine
Morgenbesuche.

Obgleich meinen Eltern und Verwandten meine Theaterliebhaberei längst
bekannt war, so hielten sie solche doch nicht für so ernsthaft und
eingefleischt, als sie es in der Tat war, und dachten noch weniger
daran, daß ich mich ganz der Bühne widmen wolle; als sie aber endlich
durch Frau von La Roche und Geheimrat Willemers erfuhren, mit welchem
Eifer und Enthusiasmus ich für die dramatische Kunst eingenommen sei, ja
daß ich bei dem Kapellmeister Schmidt sogar schon Schritte getan, um
mich nach einem Engagement umzusehen, da wurde ihnen mit einem Mal klar,
daß man diesen Hang, der zu einer wahren Leidenschaft geworden, bisher
viel zu wenig beachtet habe. -- Man hatte mich für den Handelsstand
bestimmt, wie die meisten Eltern Frankfurts, welche diesem Stand
angehören, nur einzig und allein Glück und Heil in diesem für ihre
Kinder erblicken und mit einer stupiden Verachtung auf fast alle anderen
Stände herabsehen, sie brotlose Künste nennend, die Mediziner
ausgenommen, vor denen sie aus Furcht vor den Krankheiten und dem Tod
noch einigen Respekt haben. Aber gerade der Kaufmann war es, der mir vor
allem anderen zuwider war und vor dem ich einen wahren Ekel hatte.

Man drang nun immer mehr in mich, daß ich mich für einen Stand erklären
solle, indem es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen, besonders wenn ich
mich dem Handelsstand widme, was wohl das beste für mich sei, da fast
alle meine näheren Verwandten mit geringer Ausnahme diesem angehörten
und diese Karriere mit Glück betreten hätten. Von allen Seiten gedrängt,
erklärte ich endlich rund heraus, ich würde nichts anderes als
Schauspieler werden, wozu ich den höchsten Beruf in mir fühle. -- Jetzt
aber war Feuer in allen Ecken, weniger aber hatte ich von meinen Eltern
als von der übrigen Verwandtschaft zu leiden, besonders dem weiblichen
Teil derselben: ich wolle die ganze Familie entehren und an den Pranger
stellen, hieß es, und alle Basen hielten es für ihre Pflicht und sich
berechtigt, mich deshalb herzunehmen und mir die Leviten zu lesen. Es
wurde mir unaufhörlich von allen Seiten so zugesetzt, daß ich beschloß,
der ganzen Geschichte schnell durch einen Desperationscoup ein Ende zu
machen. Erst kürzlich hatte ich Wilhelm Meisters Lehrjahre von Goethe
gelesen und wieder gelesen, mich ganz in das Buch und den Charakter
Wilhelms vernarrt und faßte nun den Entschluß, den Schöpfer desselben,
mit dessen Familie wir ohnehin liiert waren, aufzusuchen, in dem festen
Glauben, dieser, der selbst ein so großer Verehrer der dramatischen
Kunst sei, würde und müsse mich als ihren Jünger mit offenen Armen
aufnehmen. Ich steckte, was mir noch von meinen Konfirmationsgeldern
übrig, zu mir, setzte mich auf den Postwagen und fuhr, ohne jemand ein
Wort davon zu sagen, nach Weimar, dem damaligen Sitz der deutschen
Musen, dem Geburtsort Kotzebues, dem Aufenthalt Schillers, Goethes,
Wielands, Herders und so weiter. -- Zum Tage meiner Abreise hatte ich
wohlüberlegt das Fest des Bornheimer Lerchenherbstes, an dem die
Frankfurter so viel tausend Sperlinge für Lerchen verspeisen und
bezahlen, gewählt, weil da meine Abwesenheit weniger und erst spät in
der Nacht bemerkt würde. Ich fuhr unaufgehalten über Fulda, Eisenach,
Gotha und Erfurt, kam den zweiten Tag gegen Abend wohlbehalten, reich an
Hoffnungen und Erwartungen und unbekümmert über die Bekümmernis, die ich
den Meinigen verursachen mußte, in Weimar an, wo, kaum im Gasthof
abgestiegen, ich noch denselben Abend meinen berühmten Landsmann
aufsuchte, ihn jedoch nicht traf und auf den folgenden Morgen nach zehn
Uhr beschieden wurde.

Empfehlungsschreiben hatte ich zwar keine, hielt diese auch, als mit
Goethes Verwandten genau bekannt, für unnötig. Ziemlich von der Reise
ermüdet, hatte ich trefflich geschlafen, kleidete mich schon in aller
Frühe recht sorgfältig an, und da ich doch den großen Dichter nicht wohl
in den ersten Morgenstunden inkommodieren konnte, so trieb ich mich
einstweilen in den eben nicht sehr schönen und krummen Straßen Weimars
herum, besah das nicht sehr merkwürdige Schloß, den Exerzierplatz,
Thaliens Tempel, den ich mir ebenfalls weit imposanter vorgestellt
hatte, ging sodann in die schönen Anlagen des Parks, mit Sehnsucht
erwartend, daß die Glocke die Stunde anzeigen möge, zu der es
schicklich, meine Aufwartung zu machen.

Es schlug endlich zehn, und ich eilte nun nach Goethes Wohnung, wo ich
mich als einen Landsmann und guten Bekannten seiner Familie melden ließ.
Ich ward sofort vorgelassen, traf ihn jedoch nicht allein, sondern in
Gesellschaft einer ziemlich martialisch aussehenden Dame. Ich hatte ihn
nur ein paarmal und immer nur einige Augenblicke gesehen, wenn er auf
Besuch in Frankfurt war, und wußte mir ihn infolge meines schlechten
Personengedächtnisses nicht mehr recht vorzustellen. Er sah der Frau
Rat, seiner Mutter, ähnlich, war von ziemlich hoher Statur, kam mir
etwas breitschulterig vor, trug das Haupt hoch, und in seinen Minen
drückte sich ein mich abschreckender Ernst, ja sogar Strenge aus. Die
ganze Figur kam mir steif und abgemessen vor, und vergeblich suchte ich
in seinem Gesicht einen Zug, der mir den gemütlichen Verfasser von
Werthers Leiden oder Wilhelm Meisters Lehrjahren verraten hätte. -- Bei
seinem Anblick erstarrte mir das Blut fast in den Adern, und das Herz
war mir, wie die Frankfurter sagen, so ziemlich in die Schuhe gefallen.
Nur stotternd und stockend konnte ich mein Anliegen vorbringen, bei dem
sein sich verfinsternder Blick mir eiskalt durch die Adern schauerte.
Ich stammelte, daß ich, seine Werke lesend, eine unwiderstehliche
Neigung für die Bühne geschöpft, daß sein Wilhelm meine Liebe zur
Schauspielkunst aufs höchste gesteigert habe, nannte ein Dutzend Rollen,
die ich schon einstudiert, vergaß aber in meiner Bestürzung
unglücklicherweise einige aus seinen Stücken zu nennen, obgleich ich
auch den Egmont auswendig gelernt. -- Als mich der finstere Mann endlich
fragte, ob ich keine Briefe an ihn mitgebracht, und ich ihm hierauf den
Geniestreich, den ich gemacht und zu dem mich hauptsächlich sein Wilhelm
veranlaßt, eingestand, da legte sich seine Stirne noch mehr in Falten,
nur ein karges: so, so! entwischte noch seinen Lippen, und nachdem er
gefragt, wo ich wohne, verabschiedete er mich mit der Bedeutung, er
würde mich das weitere wissen lassen, ich solle mich indessen ruhig in
meinem Gasthof verhalten.

Wie mißmutig mich der gegen alle meine Erwartungen glaziale Empfang und
die unfreundliche Aufnahme gestimmt, kann man sich denken. Mehr Anteil,
so schien es mir, habe noch die neben meinem steifen Landsmann stehende
heroische Dame an mir genommen, wenigstens schienen dies ihre Blicke zu
verraten, denn sie war während der ganzen Szene stumm. Gar zu gerne
hätte ich Goethe gesagt: Was sind Sie für ein hölzerner Patron, Sie
können unmöglich Wilhelm Meisters Lehrjahre geschrieben haben,
verschluckte es aber. -- Als ich mit einer stummen Verbeugung aus dem
Zimmer war, ward es mir wieder leichter ums Herz, und ich erkundigte
mich bei einem dienstbaren Geist, wer die Dame sei, die ich gesehen,
worauf mir der Bescheid wurde: »Eine französische Frau, die sich Madame
von Staël nennt.« Es war in der Tat Neckers berühmte Tochter, die ich
gesehen, welche sich gerade damals nebst Benjamin Constant in Weimar
befand, aber beide interessierten mich zu jener Zeit noch wenig, sie
hatten ja beide nichts mit meiner, der bretternen Welt zu schaffen.

Nachdem ich mich einigermaßen von meiner moralischen Erkältung wieder
erholt hatte, dachte ich, du mußt es doch auch bei Schiller versuchen;
dieser, obgleich schon sehr leidend, nahm mich doch weit freundlicher
auf und gestattete mir, ihm Ferdinands Monolog: >Verloren, ja
Unglückselige< sowie ein Stück aus der Glocke vorzudeklamieren, worauf
er mir sagte: »Sie sind allerdings nicht ohne Talent für die Kunst, wenn
Sie sich Mühe geben, so können Sie es weit bringen, ich will mit Goethe
sprechen, der allein kann hier etwas für Sie tun.« Von diesem herrlichen
Dichter schied ich nun etwas getrösteter, brachte den übrigen Teil des
Tages zu, die nächsten Umgebungen Weimars zu besuchen, ebenso den
folgenden und noch ein paar andere Tage, besuchte einigemal das Theater,
wo ich Goethe und Frau von Staël sowie Wieland und Benjamin Constant in
Gesellschaft des Erbprinzen von Sachsen-Weimar sah. Und so hatte ich
wenigstens Deutschlands größte Genies bei Gelegenheit der Reise nach
Weimar von Ansehen kennen gelernt.

Schon war ich sechs Tage daselbst, ohne daß ich weiter etwas von Goethe
oder Schiller gehört hätte, und fing an zu glauben, daß mich ersterer
ganz vergessen habe, als sich am Morgen des siebenten plötzlich meine
Türe öffnete, und herein trat -- mein Großoheim, der Oberpfarrer von
Homburg; er grüßte mich mit den Worten: »Du heilloser Galgenstrick, was
machst du für Streiche,« worauf noch eine lange Strafpredigt und die
Erklärung folgte, ich habe mich sofort reisefertig zu machen, da er noch
denselben Tag mit mir nach Frankfurt zurückkehren wolle, und wenn ich
nicht gutwillig gehorche, sich die hochlöbliche Polizei in das Spiel
mische, wo mir es dann schlimm ergehen würde.

Ich sah mich verraten und verkauft, hatte weder von Goethe noch von
Schiller noch von allen Musensöhnen Weimars und Jenas etwas mehr zu
hoffen und trat gleich nach Mittag die Heimreise per Extrapost mit
meinem Oheim an. Schiller starb bald darauf, und Goethe habe ich auch
nie wiedergesehen, aber später erfahren, daß er mich gewissermaßen unter
polizeiliche Aufsicht in meinem Gasthof hatte stellen lassen. Gleich
nachdem ich ihn verlassen, hatte er an seine Mutter nach Frankfurt
geschrieben und dieser meine Anwesenheit in Weimar und mein Begehren an
ihn gemeldet. Frau Rat Goethe aber war nach Empfang dieses Briefes zu
meinen Eltern geeilt, ihnen dessen Inhalt mitzuteilen, worauf in einem
Familienrat bestimmt wurde, daß mich der Oheim in Homburg holen und zu
sich nehmen solle, um mir >den Komödianten aus dem Kopf zu treiben<.

Die Rückreise war so langweilig als einsilbig, die ganze Unterhaltung,
deren Kosten mein Oheim allein trug, drehte sich um das Nichtswürdige
des Komödiantenstandes und daß jeder, der sich ihm ergebe, dem Teufel
verfallen sei und so weiter, jedoch wußte der kluge Mann die Sache in
ein sehr verständiges Gewand einzukleiden; indessen fanden alle seine
trefflichen Ermahnungen und Lehren wenig Eingang bei mir; nur die
Vorstellung, daß ich dann jedem, der es sich ein paar Groschen kosten
lasse, jedem Schafskopf und Schuhputzer den Narren und Hanswurst machen
müsse und dem Urteil jedes Einfaltspinsels ausgesetzt sei, was er mir
öfters wiederholte, machte einigen Eindruck auf mich.

In Frankfurt angekommen, erklärte mir mein Vater, nach abermaliger
Strafpredigt und bitteren Vorwürfen über mein liebloses, unbesonnenes
Verfahren, wodurch ich meine Eltern in so große Unruhe versetzt und
worüber meine arme Mutter so viele Tränen vergossen und schlaflose
Nächte zugebracht, was mir bei allem Leichtsinn doch so zu Herzen ging,
daß mir bald selbst die Augen voll Wasser standen, daß ich vorerst mit
dem Oheim Oberpfarrer wieder nach Homburg gehen und bei diesem unter
seiner Aufsicht wohnen würde, bis man einen weiteren Entschluß über
meine Zukunft gefaßt, daß man aber auf keine Weise zugeben werde, daß
ich mich dem Theater widme. Wenn ich durchaus kein Kaufmann werden
wolle, so möge ich irgendeinen anderen ehrenvollen Stand wählen.

Die Gründe meines Oheims, die Tränen meiner Mutter hatten zwar meinen
Vorsatz etwas erschüttert, doch noch lange nicht wankend genug gemacht,
um ihn aufzugeben. Ich packte nun meinen Koffer mit Büchern und so
weiter und fuhr noch denselben Abend stumm und nachdenkend neben dem
guten Oheim sitzend nach meinem provisorischen Aufenthaltsort ab.




                                 VIII.

       Abermaliger Aufenthalt in Homburg vor der Höhe. -- Diverse
   Amoretten. -- Ich gebe den Schauspieler auf, um Soldat zu werden.
    -- Glänzende Folgen einer Ohrfeige. -- Eine Hanauer Zopfparade.
                 -- Ich trete in französische Dienste.


Die Pfarrwohnung meines Oheims lag klösterlich abgeschieden im
Hintergrund eines Hofes und hatte einen noch einsameren Garten, ganz
geeignet, sich in aller Ruhe und Stille allerlei Meditationen
hinzugeben. Die Fenster des mir angewiesenen Zimmers gingen in diesen
Garten und gestatteten mir die Aussicht in einen anderen benachbarten,
den des zweiten lutherischen Pfarrers, Herrn Schneider. Den Morgen nach
meiner Ankunft packte ich die mitgenommenen Bücher aus, beinahe lauter
Schauspiele, einige historische Werke und ein paar Romane. Gleich nach
dem Frühstück kam mein Oheim, musterte meine kleine Bibliothek und rief
aus: »Lauter Komödien und nicht eine Bibel, doch dafür werde ich
sorgen!« Nachdem er nach einigen Ermahnungen mein Zimmer verlassen
hatte, kam seine alte Köchin und brachte mir Merians Bibel in Folio, ich
durchblätterte die und vergnügte mich bei dem Anschauen der oft gar
sonderbaren Bilder. Auf einmal hörte ich ein paar Mädchenstimmen unter
meinen Fenstern kichern und lachen. Ich sprang auf und erblickte zwei
schöne schlanke Gestalten in des Nachbars Garten zwischen Blumenbeeten
lustwandeln. Die eine war Eleonore von Brandenstein, zur reizenden
Jungfrau emporgewachsen, und die andere Hannchen Schneider, des Pfarrers
niedliches Töchterchen, ungefähr von gleichem Alter. Hinter dem
Traubenlaub, das meine Fenster fast ganz verbarg, beobachtete ich
unbemerkt die beiden Mädchen, die sich dessen nicht vermuteten und sich
mit aller Naivität gehen ließen, sich neckten und schäkerten und endlich
zu meinem Bedauern den Garten verließen. Ich steckte nun den Don Carlos
zu mir und machte eine Morgenpromenade in den Schloßgarten. Als ich an
dem Haus vorüberkam, in welchem mein Oheim Scholze mit seinen Kindern
gewohnt und in dem ich der Freuden so manche genossen, entfuhr mir ein
unwillkürlicher Seufzer. Jetzt bewohnte Frau von Brandenstein, die
unterdessen Witwe geworden war und ihre älteste Tochter, die schöne
Karoline, ebenfalls durch den Tod verloren hatte, der die
wunderliebliche Blume gerade zur Zeit gepflückt, als die Knospe dem
Aufbrechen nahte, einen Teil desselben. Im Schloßgarten selbst erinnerte
mich jedes Plätzchen, jede Laube, jeder Gang an Henrietten und die hier
gehabten Freuden. Ich wollte die Rolle des Marquis von Posa studieren,
die mir mehr als die des Don Carlos, welche ich schon kannte, zusagte,
aber es war mir unmöglich, meine Gedanken genugsam zu sammeln, um auch
nur ein paar Zeilen mit gehöriger Aufmerksamkeit durchgehen zu können.
Ich saß auf einer Bank an einem Rasenplatz in der Nähe des
Schloßflügels, den die Landgräfin bewohnte, und hatte wohl schon zum
sechstenmal die Stelle durchgegangen, wo Posa die Königin Elisabeth im
Garten zu Aranjuez spricht, als zwei Damen die Schloßterrasse
herabstiegen, von denen die eine in ihrer ganzen Haltung etwas sehr
Edles und Majestätisches verriet, während auf ihrem Antlitz die
Lieblichkeit eines Engels thronte; es war die liebenswürdige Prinzessin
Auguste; die andere, auch recht hübsch, war ein Hoffräulein. Beide kamen
auf die Bank zu, auf welcher ich Platz genommen hatte, und als sie sich
in meiner Nähe befanden, stand ich auf und grüßte ehrerbietig. Die
Prinzessin erkannte mich und sagte:

»Ah, Herr Fröhlich, seit wann sind Sie wieder bei uns?«

»Seit gestern, Durchlaucht.«

»Werden Sie lange bleiben?«

»Das weiß ich selbst noch nicht, Prinzessin.«

»Sind Sie wieder bei B...?«

»Um Vergebung, nein, bei meinem Oheim, dem Oberpfarrer.«

»Da sind Sie gut aufgehoben. Was haben Sie da für ein Buch?«

»Es ist Don Carlos von Schiller, Durchlaucht.«

»Sie lieben Schiller?«

»Sehr, ich lerne die Rolle des Marquis von Posa auswendig.«

»Wozu?«

»Ich will mich dem Theater widmen.«

»Wie, Sie wollen doch nicht Schauspieler werden?«

»Doch, Durchlaucht.«

»Und Ihre Familie gibt es zu?«

»Sie wird am Ende wohl müssen.«

Die Prinzessin wünschte mir nun einen ziemlich frostigen guten Tag und
ließ mich stehen, während Fräulein Amand, so hieß die Kammerdame, noch
einen teilnehmenden Blick auf mich warf.

Am Hofe zu Homburg waren unterdessen manche Veränderungen vorgegangen,
die Prinzen waren bis auf den jüngsten, Leopold, alle bei den Armeen, in
denen sie dienten, die schöne Prinzessin Mariana war die Gemahlin des
Prinzen Wilhelm von Preußen geworden. Mehrere meiner älteren Bekannten
hatte der Tod weggerafft, andere hatten Homburg verlassen. Ich stattete
nun einige Besuche ab, namentlich bei meinem früheren Lehrer
Breidenstein und bei der Frau von Brandenstein, und wurde in beiden
Häusern recht freundlich aufgenommen.

Als ich gegen Mittag nach Hause kam, examinierte mich mein Oheim, wo ich
gewesen, und da ich ihm sagte, daß ich mit der Prinzessin Auguste
gesprochen, war auch er sehr freundlich. Den Inhalt des kurzen Gesprächs
hatte ich ihm freilich nicht mitgeteilt. Er machte mich jetzt mit der
Ordnung, die ich in seinem Haus einzuhalten habe, bekannt und
namentlich, daß ich mich streng an die Stunden der Essenszeit, mittags
zwölf Uhr und abends sieben Uhr, zu binden habe, sowie daß mir ein für
allemal das Ausgehen nach dem Abendtisch untersagt sei, ich habe zu
bedenken, daß ich in einem Pfarrhaus wohne. Dies letzte war mir der
fatalste Kasus von allen. Er wies mir nun auch meine Beschäftigungen und
Lehrstunden an und stellte mir dabei seine Bibliothek zur Disposition.
Diese, welche gut assortiert war und namentlich auch fast alle
klassischen Werke der französischen Literatur enthielt, benutzte ich
fleißig, las viel von Voltaire, einiges von Rousseau, namentlich die
Heloise des letzteren, aus der ich heimlich jenen berühmten Brief
übersetzte, Lafontaines Fabeln, und vor allem Racines und Corneilles
Tragödien sowie Molières Lustspiele. Aber, wer sollte es glauben, in dem
Winkel eines Schrankes von Ebenholz fand ich sogar den Ritter Faublas
und die _Liaisons dangereuses_, die ich verschlang, und diese im Verein
mit Goethes Faust und Don Juan, den ich an einem alten Klavierkasten
täglich sang und dessen Musik meinem Oheim, wenn er sie zufällig hörte,
recht wohl gefiel, er kannte das Sujet nicht, machten mich zu einem
wahren Virtuosen in der Kunst, Weiber und Mädchen zu verführen.

Frau von Brandenstein besuchte ich täglich, ihr und ihrer Tochter, mit
der ich das alte freundschaftliche Verhältnis erneuert hatte, Schillers
dramatische Werke vorlesend, die sie noch nicht kannten; bei diesen
Vorlesungen fand sich dann auch Hannchen Schneider ein. Da jedoch am
Tage diese Unterhaltungen oft unterbrochen wurden oder Zeit und Stunde
sich nicht eigneten, so kam ich mit Frau von Brandenstein überein, daß
sie künftig in den Abendstunden von acht bis zehn Uhr stattfinden
sollten; da mir aber das Ausgehen zu dieser Zeit verboten, die Haustür
ohnehin verschlossen war, so stieg ich nach acht Uhr zum Fenster hinaus,
kletterte an den nicht sehr hohen Spalieren hinab in den Garten und
gelangte dann durch des Pfarrer Schneiders Garten auf die Straße, ging
auch auf diesem Wege wieder zurück, Hannchen in ihres Vaters Wohnung
begleitend, wozu Eleonore eben nicht gut sah und uns einigemal ihren
noch viel jüngeren Bruder Karl mitgab, der sich jedoch bald weigerte,
ferner diese Aufpasserrolle zu übernehmen; ich machte dann mit dem
hübschen Pfarrerstöchterchen große Umwege durch das Boskett des
Schloßgartens, wo wir in einer Marmorgrotte nebst den Düften der Blumen
den Hauch glühender Küsse einatmeten. Aber lange währte das süße Spiel
nicht, meines Oheims alter Drache, die Köchin Justine, hatte meine
nächtlichen Ausflüge durch das Fenster erspäht und ihrem Herrn verraten.
Als ich mich eines Abends wieder auf diesem Wege in meine Schlafstube
begeben wollte, fand ich die Fenster von innen nicht nur verriegelt,
sondern mit Kordeln zugebunden und sogar versiegelt. Ebenso fest war die
Tür verschlossen, die aus dem Garten in das Haus führte. Was blieb mir
anderes übrig, wollte ich die Nacht nicht unter freiem Himmel
biwakieren, als ein paar Scheiben einzudrücken und die Fenster sodann
von innen zu öffnen, wobei natürlich auch das Siegel lädiert wurde; zum
Glück war es kein Amts- oder Gerichtssiegel, sondern nur das
Privatsiegel meines guten Oheims, der aber dennoch den kommenden Morgen
mit einer mehr als ernsten Amtsmiene in mein Zimmer trat und mir
verkündigte, daß, wenn ich es so forttreibe, ich nicht länger bei ihm
bleiben, sondern er an meine Eltern schreiben würde, damit diese andere
Anordnungen hinsichtlich meiner träfen, eine solche Aufführung sei in
einem geistlichen Haus nicht zu dulden. Auf meine Bemerkung, daß ich
doch nicht mit den Hühnern schlafen gehen könne, erwiderte er mir, es
sei besser, mit den Hühnern schlafen zu gehen, als mit den Gänsen zu
wachen. Der gute Onkel war auch witzig; doch mit meinen Abendpromenaden
und Vorlesungen war es nun aus.

Als einige Zeit darauf zu Ehren des Vermählungstages des landgräflichen
Ehepaares ein Ball auf der Meierei veranstaltet wurde, dem alle
Honoratioren Homburgs beiwohnten, und ich den Wunsch blicken ließ,
denselben besuchen zu dürfen, schlug es mir mein gestrenger Oheim mit
den Worten ab: »Es paßt sich nicht, daß der Neffe des Oberpfarrers
Tanzböden besucht.« -- Ich hatte auf der Zunge: »Ei, so wollte ich, daß
ich lieber der Neffe des Oberteufels wäre,« unterdrückte jedoch
glücklicherweise die Phrase. Aber alle meine Beredsamkeit vermochte
nicht den festen Willen des geistlichen Oberhirten zu erweichen, der
endlich mit den Worten schloß: »Ich möchte gar nicht an einen Ort gehen,
wo ich der Letzte wäre, dort findest du lauter graduierte und betitelte
Personen, und du bist gar nichts.« Ich gestehe, daß diese letzte
Bemerkung ein wenig meinen Ehrgeiz verletzte, und schwieg nun still. Als
ich diese Äußerung bei Gelegenheit meinem früheren Lehrer, dem
Hofprediger Breidenstein mitteilte, sagte dieser: »Ein Mensch, der Herz
und Kopf am rechten Fleck hat, ist nie der letzte, wenn er auch gar
keine Titel aufzuweisen hat, und am allerwenigsten hier bei uns, wo
diese Titel nur die Aushängeschilde großer Erbärmlichkeiten jeder Art
sind.« -- Nun ärgerte ich mich wieder, daß ich mich so hatte
einschüchtern lassen.

Mein Leben in Homburg fing an, so einsilbig als langweilig zu werden,
kaum daß ich mein hübsches Hannchen manchmal an der Gartenhecke
verstohlen sprechen konnte, denn die alte Justine paßte auf wie ein
Drache und hinterbrachte meinem Oheim jeden meiner Schritte.
Glücklicherweise trat bald ein Ereignis ein, das mich aus dieser Lage
befreite.

Den Herrn Oberpfarrer, obgleich schon in den Fünfzigern, aber noch
Junggeselle, wandelte plötzlich die Lust an, in den Stand der heiligen
Ehe zu treten, und er hatte sich zu seiner Ehegefährtin eine ehrsame und
wohlhabende Witwe aus dem nahen Friedrichsdorf erkoren; vor der
Vermählung war er jedoch genötigt, noch eine mehrwöchige Reise
anzutreten, um einige ihm wichtige Geschäfte in Ordnung zu bringen. Er
schrieb daher an meine Eltern, daß sie mich wieder zu sich nehmen
möchten, indem er mich unmöglich während seiner Abwesenheit allein in
seinem Hause lassen könne, da ich imstande wäre, die Mädchen bis in die
Pfarrwohnung zu bringen. Meine Eltern, die mich jedoch schlechterdings
nicht in Frankfurt haben wollten, indem sie fürchteten, daß durch die
Gelegenheit des Theaters meine Liebe zur Bühne wieder aufs neue erwachen
möge und Nahrung erhalte, zogen es vor, mich nochmals meinem früheren
Lehrer Breidenstein anzuvertrauen, mit der Bitte, er möge nur meinem
Hang zum Schauspieler entgegenarbeiten, mir aber sonst alle Freiheit
lassen. Diese benutzte ich auch in vollem Maß; nicht nur meine
Vorlesungen bei Frau von Brandenstein begannen wieder und mit ihnen die
Heimbegleitungen, sondern nun gab es auch Partien in den kleinen und
großen Tannenwald, auf das Jägerhaus und so weiter, die ich
veranstaltete und deren Kosten ich trug, wobei die Frau Hofküchenmeister
Silbereisen die Honneurs mit Schokolade und Süßigkeiten, die ich
lieferte, machen mußte, ich fuhr sogar einigemal mit den Mädchen
heimlich in das Theater nach Frankfurt. Doch blieb es dabei nicht; auf
einem anderen Ball, den ich, trotzdem ich keine Titel aufzuweisen hatte,
besuchte, machte ich die Bekanntschaft einer anderen jungen Hofdame,
eines Fräuleins von Breidenbach, aus einer angesehenen Familie aus
Mainz, die zu den kurfürstlichen Zeiten daselbst eine große Rolle
gespielt. Aber noch eine andere Bekanntschaft hatte ich auf diesem Ball
gemacht, die zu reelleren Genüssen führen sollte, nämlich die einer
jungen Frau, welche an den etwas rohen und plumpen Herrn von B.
verheiratet war, der ebenfalls eine Hofcharge bekleidete, und die häufig
zu der Frau Hofpredigerin zum Tee kam, wo mir dann das Glück zuteil
wurde, sie nach Haus führen zu dürfen. Der Weg führte uns durch den
Schloßgarten, ich war noch etwas schüchtern, denn es war das erstemal,
daß ich mit einer jungen Frau in Berührung kam, auch war es bei der
ersten Nachhausebegleitung bei einem ehrerbietigen Handkuß und sehr
leisen Händedruck geblieben; einige Tage darauf aber, als sich gleiche
Gelegenheit bot, hatte ich schon mehr Herz gefaßt und wagte, aber erst
an der Haustür ihrer Wohnung angekommen, einen Kuß auf die Wangen der
hübschen Frau, den man ruhig duldete. Als mir aber das drittemal die
Ehre zuteil wurde, Frau von B. zu begleiten, unterfing ich mich, als wir
durch das zweite Schloßtor waren, meinen Arm um ihre schlanke Taille zu
schlingen, und auf der Terrasse angekommen, drückte ich sie fester an
mich, worauf sie ihr schönes Lockenköpfchen gegen mich drehte, als
wollte sie sagen: Was soll dies?, denn so lebhaft auch unsere
Unterhaltung in der Gesellschaft war, so stumm und einsilbig ward sie,
sobald wir uns allein befanden. Jetzt begegneten sich unsere Lippen, und
ein minutenlanger glühender Kuß war die Folge. Statt nun den geraden Weg
nach dem in die Neugasse führenden Gartentor zu gehen, verirrten wir uns
in eine dunkle Kastanienallee des Bosketts auf eine Rasenbank in einer
Grottenlaube. Hier schloß ich die reizende Frau in meine Arme,
ungestümer als noch je rollte mir das Blut in den Adern, sie ließ es
geschehen, daß ich sie mit Küssen bedeckte, bald waren wir so innigst
verschlungen, daß wir das Spalten des Erdballs und alle Donner des
Himmels nicht gehört haben würden, und zum erstenmal schwelgte ich so
ganz im Vollgenuß der Liebeslust. -- Endlich aber war es hohe Zeit
aufzubrechen. Nachdem die ziemlich zerstörte Toilette wieder etwas
geordnet war, brachte ich Frau von B. nach Haus und lispelte zum
Abschied: »Morgen, auf morgen mehr!«, aber es vergingen drei Tage, bevor
ich sie wieder heimbegleiten konnte, der Schicklichkeit halber konnte
sie ihre Abendbesuche bei B.s nicht früher wiederholen. Vorlesungen
dienten auch hier zum Vorwand der Zusammenkünfte, und so fand sie sich
von jetzt an dreimal die Woche ein. Der Herr Gemahl aber brachte jeden
Abend in einem Männerkränzchen, in dem auch der Hofprediger war, mit
Tabakrauchen, Trinken und _à la bête_-Spielen zu. Eines Abends aber, wir
hatten kaum B.s verlassen, war es ihm eingefallen, sein teures Weibchen,
das schon mit mir auf dem Heimweg war, einmal abzuholen;
glücklicherweise ließ er sich von der Frau Hofpredigerin und ihrem Mann
bereden, ihnen noch einige Zeit Gesellschaft zu leisten, aber dennoch
sahen wir ihn vor uns hergehen, als wir den Schloßgarten verließen,
ahnten aber nicht, daß er bei B.s gewesen. Wir gingen nun in einiger
Entfernung hinter ihm, so daß wir fast zu gleicher Zeit an seinem Haus
ankamen. »Wo hat dich denn der Teufel gehabt?« schnaubte er seine Frau
an, und diese wollte eben mit einem »Ich komme gerade von B.s«
herausplatzen, als ich, Unrat merkend, ihr noch zu rechter Zeit ins Wort
fallend, sagte: »Herr von B..., da der Abend so schön ist, so gingen wir
noch ein paarmal auf der Schloßterrasse zwischen den Orangen, deren
Blüten so herrlich duften, auf und nieder.« -- »Zum Henker auch,«
brummte der Eheherr, »sie haben ja schon längst keine Blüten mehr.« --
»Möglich, aber sie duften dennoch.« -- »Dergleichen Promenaden verbitte
ich mir für die Zukunft,« sagte Herr von B. nun zu seiner Frau,
»überhaupt weiß ich nicht, warum du seit einiger Zeit fast jeden Abend
zu Hofpredigers läufst, was soll das?« -- »Ich wohne den Vorlesungen des
Herrn Fröhlich bei, die mich außerordentlich unterhalten.« -- »So, es
wird besser sein, du unterhältst dich mit deinem Strickstrumpf.« -- »Das
tue ich auch.« -- »Komm jetzt ins Haus.« -- Ich wünschte nun eine gute
Nacht, die mir Frau von B. freundlich, ihr Mann aber brummend zurückgab.
Noch einigemal ging ich vor dem Haus auf und nieder und glaubte ein
kleines Donnerwetter und allerlei eben nicht sehr schmeichelhafte
Epitheten, wie »Rotznase, dummer Junge« und so weiter, von denen die
einen der armen Frau, die anderen mir gelten mochten, zu hören. Die
Besuche der Dame bei B.s waren vorerst eingestellt, und ich sah sie nur
bisweilen im Flug, am Fenster vorbeireitend oder gehend.

Bald darauf war wieder ein Ball auf der Meierei, wo sie mir im
Vorübergehen zuflüsterte: »Fordern Sie mich ja nicht zum Tanze auf, denn
ich darf nicht mit Ihnen tanzen.« Um jedoch in Berührung mit ihr zu
kommen, suchte ich einen Kontretanz zu arrangieren, was nicht so leicht
war, da es Mühe kostete, vier Paar zusammenzubringen, welche diesen Tanz
nur einigermaßen kannten. Kaum waren wir aber angetreten, als Herr von
B... aus dem Rauchzimmer in den Ballsaal trat, und seine Frau mir
gegenüber stehen sehend, schnell zu dem Kandidaten ging und zu demselben
sagte: »Erlauben Sie mir, daß ich diese Tour mitmache.« Jedermann
lächelte, da von B... sonst nie und am allerwenigsten Quadrille tanzte;
ich erlaubte mir auch, dem Eingedrungenen zu bemerken, daß es ein
Kontretanz sei. -- »Schon gut, hat nichts zu sagen,« lautete die barsche
Antwort. -- Wir begannen, und Herr von B... machte einen Bock über den
andern, benahm sich auch so ungeschickt, daß jedermann lachte. Ich
wollte ihn belehrend höflichst zurechtweisen, es war gerade bei dem
_Queue de chat_, wofür mir mit einem >Naseweis< gedankt wurde, worauf
ich sogleich mit meiner Dame austrat, meinem Gegner zurufend: »Das wird
sich finden.« -- Ich begab mich in das Billardzimmer, wo ich auf ein
Stückchen weißes Papier eine Herausforderung, und zwar auf Pistolen, an
Herrn von B. schrieb, ihm diese zuschickte und mich sofort entfernte.

Die Veranlassung zu einem Duell hatte ich mir schon längst gewünscht,
ein solches schien mir so recht heroisch-romantisch, und ich freute mich
darauf, auf diese Weise Eklat und von mir reden machen zu können. Herr
von B... dachte aber nicht so, sondern gab das Billett dem Hofprediger,
indem er diesem sagte, er würde es nicht dabei bewenden lassen, ich sei
ein naseweiser Junge, der, kaum hinter den Ohren trocken, sich schon mit
bärtigen angestellten Männern messen wolle, ich müsse auf die Wache
gesetzt werden, und dahin hoffe er es auch zu bringen. Es hätte auch in
der Tat nicht viel daran gefehlt, daß man mich auf die Schloßwache
gesetzt hätte, und nur aus Rücksicht für meinen Oheim verweigerte der
Landgraf, bei dem Herr von B... klagte, seine Einwilligung. Mich ärgerte
es, daß aus dem Duell, ja nicht einmal aus dem Arrest etwas geworden
war, denn beides hätte nach meinen damaligen Begriffen von Ehre und der
Lust, Aufsehen zu erregen, in meinen Kram gepaßt. Indessen tröstete ich
mich mit dem Aufsehen, das die Sache dennoch in ganz Homburg gemacht
hatte, und ein preußischer Leutnant, der als Werbeoffizier daselbst war,
fand die Albernheit vortrefflich und hatte sich mir sogar zum
Sekundanten angeboten, wenn aus der Sache etwas geworden wäre.

Unterdessen war mein guter Oheim wieder von seiner Reise zurückgekommen,
hörte von all dem Skandal, den ich verursachte, und schlug die Hände
über dem Kopf zusammen, wozu noch kam, daß ich an einem Sonntagmittag,
als gerade seine Kirche aus war, in der ich mich nie sehen ließ, auf
meinem Mietklepper in vollem Galopp durch die Leute, welche die Kirche
verließen, sprengte und ihn fast selbst über den Haufen ritt, da ich ihn
unter der Menge nicht bemerkt hatte. Dies war denn doch ein wenig zu
toll, und er schickte noch denselben Tag einen fulminanten Brief durch
einen Expressen an meine Eltern ab, worin er diesen ans Herz legte, mich
sofort von Breidenstein und von Homburg wegzunehmen, wo ich ihm und
ihnen die größte Schande und so weiter mache.

Den folgenden Tag kam mein Vater selbst nach Homburg, die Sache zu
untersuchen, aber Breidenstein meinte, dies seien nur Jugendstreiche,
die man nicht so genau nehmen dürfe. Indessen drang mein Vater darauf,
daß ich mich erklären und irgendeinen Stand, dem ich mich widmen wolle,
wozu es hohe Zeit, wählen müsse, und setzte hinzu, daß, im Fall ich bei
dem Theater beharre, ich auf alle und jegliche Unterstützung von seiner
Seite sowie von der ganzen Familie zu verzichten habe. Er nahm nun noch
Rücksprache mit dem Hofprediger und dem Oberpfarrer, welche Mittel zu
ergreifen seien, mich von dieser Idee gänzlich abzubringen. Breidenstein
meinte, man müsse es versuchen, mich bei der Ambition anzugreifen, da
ein gewisser wenn auch falscher Ehrgeiz meine schwache Seite sei, und er
wolle sich deshalb mit dem Herrn Oberpfarrer besprechen, um
gemeinschaftlich mit diesem zu wirken, dies würde gewiß fruchten, und da
ich nun einmal einen unbeschreiblichen Widerwillen gegen den
Kaufmannsstand hege, so möge man immer zugeben, daß ich mich dem Militär
widme, weil er glaube, daß ich zu diesem am ersten nach dem Theater
inkliniere und auch am meisten dazu passe.

Mein Vater überließ es daher den beiden Hochehrwürden, diese
Angelegenheit bestens zu betreiben, und sie taten ihr Möglichstes bei
der Sache, ja mein Oheim wandte sich deshalb sogar erzählend an die
regierende Landgräfin, bei der er wie bei dem ganzen fürstlichen Haus
hoch in Gnaden stand, indem er sagte, er wisse nicht, was er machen
solle, und wäre außer sich, wenn ich zum Theater ginge. Die Fürstin,
eine sehr geistreiche Dame, tröstete den guten Mann, ihn auffordernd, zu
veranstalten, daß ich mich den nächsten Mittag auf der Terrasse vor
ihrem Pavillon einfinde, sie wolle mir den Kopf gewiß so waschen, daß
mir der Komödiant vergehen solle, ich habe ohnehin den ganzen Hof vor
ein paar Tagen in Alarm und Uneinigkeit versetzt.

Dies hatte folgende Bewandtnis. Ich hatte aus Schillers Gedichten, von
denen damals noch viele unbekannt waren, namentlich in Homburg, das
Gedicht >Laura am Klavier< auf Velinpapier mit Goldschnitt abgeschrieben
und es dem Fräulein von Brandenstein, Eleonoren, gegeben, ohne ihr zu
sagen, wer der Verfasser sei. Diese glaubte, das Gedicht sei von mir,
ich habe es ihr zu Ehren gemacht, und zeigte es auf dem Schloß, wo es
sogar bei der Tafel zirkulierte und als von mir verfaßt nach Herzenslust
kritisiert, bespöttelt und heruntergemacht wurde, namentlich ließ mein
Freund, Herr von B..., kein gutes Haar an demselben und meinte, Fräulein
von Brandenstein hätte so läppisches Zeug gleich verbrennen sollen;
indessen waren doch einige Damen, und namentlich Prinzessin Auguste,
anderer Meinung und erwiderten, es sei für einen Anfänger so übel nicht,
aber die Majorität machte sich lustig darüber. Von B... hatte den
Vorfall gleich nach der Tafel dem Hofrat M... mit Schadenfreude
hinterbracht, und dieser, dem ich hierauf begegnete, hatte mir, was auf
dem Schloß vorgefallen, mit hämischer Freude wiedererzählt und dabei
gesagt, auch er habe das Ding gelesen und könne nicht begreifen, wie ich
meine Zeit damit zubringen möge, solch abgeschmacktes Zeug
zusammenzuschmieren. Ich ließ den guten, etwas begeisterten Mann ganz
ruhig ausreden und sagte dann trocken: »Ich bedaure, mein Herr Hofrat,
daß der Verfasser des Don Carlos, der Jungfrau von Orleans und so weiter
so abgeschmacktes Zeug schmiert, denn das Gedicht ist von keinem anderen
als von Schiller.«

»Unmöglich,« rief M..., »Sie haben mich zum besten.«

»Wie würde ich mich so etwas unterstehen!«

Aus dem stupiden Gesicht des Hofrats war nun mit einem Mal alle
Schadenfreude verschwunden, und es zog sich ellenlang.

»Also wirklich von Schiller?« fragte er wieder.

»In dem soeben erschienenen zweiten Band von Schillers Gedichten Pagina
so und so können Sie es nachlesen.«

Ich ließ den Hofrat stehen, eilte nach Haus, nahm Schillers Gedichte und
schickte sie dem Fräulein von Breidenbach, der ich fortwährend Bücher
zur Unterhaltung lieh; diese ließ noch denselben Tag das Buch im Schloß
von Hand zu Hand gehen, und alle, die gegen das Gedicht so losgezogen
hatten, mußten sich nun den beißendsten Spott gefallen lassen; aber
Eleonore grollte ein paar Tage mit mir, weil ich ihr den Verfasser nicht
gesagt und sie so die unmittelbare Veranlassung war, daß sich mehr als
ein Hofgehirn gewaltig kompromittiert hatte.

Mein Oheim ließ mich rufen und teilte mir mit, ich habe mich zur
Mittagsstunde des kommenden Tages auf der bezeichneten Terrasse
einzufinden, wo ich etwas Neues erfahren würde, ich dürfe aber ja nicht
fehlen. Auf weiteres ließ er sich nicht ein. Meine Neugierde machte, daß
ich seinen Willen pünktlich befolgte. Nachdem meine Geduld schon während
einer ganzen Stunde vergeblichen Wartens auf die Probe gestellt war, sah
ich die Landgräfin in Begleitung einer Hofdame und von einem Bedienten
gefolgt, wie sie um diese Zeit regelmäßig ihre Promenade zu machen
pflegte, die Terrasse herabkommen. Als sie mich erblickte, schickte sie
den Bedienten, ich möge mich zu ihr verfügen; ich eilte, dem Befehl
ehrfurchtsvoll zu gehorchen, und als ich vor ihr stand, sagte sie:

»Was höre ich, Sie wollen Schauspieler werden, ist dies an dem?«

»Ja, Durchlaucht.«

»Der Neffe des Herrn Oberpfarrers von Homburg ein Komödiant! -- Was wird
die Welt dazu sagen?«

»Oh, der Oberpfarrer von Homburg ist auch etwas Rechtes!«

Die durchlauchtigste Frau machte nun ein Rechtsumkehrt, trotz einem
preußischen Grenadier, und ließ mich mit langer Nase und etwas verblüfft
stehen. -- Erst nach einigen Augenblicken kam ich wieder zur völligen
Besinnung und fühlte, welche Artigkeit ich der Landgräfin gesagt hatte.

Noch denselben Abend, als ich zu Brandensteins ging, erzählte mir
Leonore, daß sie die Landgräfin gefragt, ob ich noch ihre Mutter
besuche, und als sie dies bejaht, habe sich die Fürstin geäußert, sie
könne nicht begreifen, wie man einem Menschen, der ein Komödiant, das
heißt ein Hanswurst werden wolle, den Zutritt gestatten möge; Leonore
habe darauf gestammelt, ich lese ihrer Mutter sehr gut vor, worauf ihr
die Dame gesagt: »Was vorlesen, Komödianten darf man in keinem honetten
Haus dulden.« Brandensteins und Fräulein von Breidenbach drangen nun
auch in mich, doch einen anderen Stand und zwar den des Militärs zu
wählen, und letztere meinte, ich müsse ein recht schmucker Offizier
werden, als Soldat könne ich eine ganz andere Karriere machen, ja zu
hohen Würden gelangen, kur- und tafelfähig und allgemein geachtet
werden, ein solcher Entschluß würde mich auch sogleich wieder mit der
zürnenden Landgräfin sowie mit meinen Verwandten aussöhnen, und das Haus
Homburg könne mir sowohl in österreichischen wie in preußischen
Diensten, wenn ich diese wähle, sehr förderlich und zu schnellem
Avancement behilflich sein.

Aber noch konnte ich einen Plan, den auszuführen ich mir seit Jahren
alle erdenkliche Mühe gegeben, und einen Stand, für den mich auszubilden
ich bisher fast nur allein rastlos und mit großem Eifer gearbeitet
hatte, nicht so rasch aufgeben, ob ich gleich schon wankte. Da beschied
mich abermals mein guter Oheim zu sich, empfing mich ungewöhnlich ernst,
indem er mir mit einem feierlichen Tone sagte, daß es nun die höchste
Zeit für mich sei, einen Entschluß zu fassen, denn mein Vater habe
beinahe sein ganzes Vermögen verloren. -- Ich sah meinen Oheim mit
großen Augen und zweifelnd an, als wollte ich ihn fragen: Ist dies auch
wahr? -- »Du scheinst die Sache in Zweifel zu ziehen,« fuhr derselbe
nach einer Pause fort, und teilte mir sodann die näheren Umstände dieser
nur zu wahren Begebenheit mit.

Ohne sein Verschulden hatte mein Vater eine große Summe, über
zweimalhunderttausend Gulden, verloren. Er hatte einem auswärtigen Haus,
mit dem er schon lange in Geschäftsverbindung stand, auf ein Deposito
von österreichischen Staatspapieren eine sehr bedeutende Summe auf
mehrere Monate vorgeschossen und zu diesem Zweck selbst noch fremdes
Geld aufgenommen. Kaum war diese Operation gemacht, so teilte er sie dem
alten Rothschild mit, dieser aber sagte ihm ganz bestürzt: »Um
Gotteswillen, Herr Fröhlich, was haben Sie getan, bevor acht Tage
vergehen, erklärt sich Österreich bankrott.« -- Mein Vater erschrak,
wollte jedoch Rothschild keinen Glauben schenken, der ihm dagegen
versicherte, dies sei nur zu wahr, er habe es aus einer Quelle, die auch
nicht den mindesten Zweifel übrig ließe. »Oh, warum haben Sie mir nicht
vorher etwas davon gesagt,« setzte er hinzu. -- Mein Vater schrieb nun
gleich an das Haus, erhielt aber erst nach sechs Tagen zweideutige und
ausweichende Antwort, und schon den siebenten war die Finanzoperation,
welche die österreichische Regierung (Ende 1804) vorgenommen, wodurch
sie ihr Papiergeld sehr bedeutend herabsetzte, also Bankrott machte, in
Frankfurt bekannt. Das Haus, von dem das unsrige die Papiere hatte, ließ
diese im Stich und fallierte ebenfalls, so daß mein Vater den ganzen
ungeheuren Verlust allein zu tragen hatte. Er hielt die Sache indessen
sehr geheim, und mein Oheim teilte sie mir unter dem Siegel der
strengsten Verschwiegenheit mit, wenn ich meines Vaters Kredit nicht
untergraben wollte.

Mein Oheim drang nun nochmals in mich, eine Karriere, und zwar eine
andere als das Theater zu wählen und meinen armen Eltern nicht noch mehr
Kummer zu machen, als sie jetzt schon hätten. »Übrigens,« setzte er,
mich tröstend, hinzu, »bleibt ihnen noch immer so viel, daß sie dich in
dem Stand, den du wählen wirst, vorerst noch unterstützen können.
Würdest du dich der Theologie widmen, so kannst du auch noch auf meine
Hilfe zählen und vielleicht dereinst meine Stelle bekleiden.«

Ich erbat mir nun noch vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, obgleich ich
ihm hinsichtlich des theologischen Studiums -- ich wäre ein sauberer
Theolog geworden -- gleich mit einem sehr positiven >Nein< hätte
antworten können.

Noch den nämlichen Abend teilte ich der Frau von Brandenstein mit, daß
ich mich nun für den Militärstand entschlossen habe und daß allerdings
die Worte der Frau Landgräfin nicht ohne Einfluß auf diesen Entschluß
geblieben seien; am anderen Morgen eröffnete ich dasselbe meinem Oheim
und schrieb meine Sinnesänderung an meine Eltern. Obgleich man auch
diesem Stand nicht sehr hold war, so war man doch froh, daß >mir der
Komödiant aus dem Kopf war<, ergab sich darein und ließ mich vorerst
noch in Homburg, um mich zu der neugewählten Laufbahn vorzubereiten,
während man überlegen wolle, wie und wo ich am besten unterzubringen
sei.

Als die Landgräfin meinen Entschluß hörte, sowie daß ihre Worte
denselben hervorgebracht, äußerte sie sich wieder sehr gnädig über mich,
und der Herr Landgraf sagte: »Unter den Soldaten wird man ihn schon
zurechtbringen.« Indessen wurde mir die hohe Gnade, an den
Exerzierstunden des Prinzen Leopold, er lernte die Handgriffe und das
Marschieren bei einem ehemaligen preußischen Unteroffizier, teilnehmen
zu dürfen, und da der junge Brandenstein auch zugelassen wurde, so
formierten wir eine ganze Rotte und konnten nach Verlauf von wenigen
Wochen schon ordentlich im Feuer exerzieren, marschieren, alle Wendungen
und so weiter machen. Meine Eltern hatten mir einige Werke über Taktik,
Strategie und so weiter geschickt, in denen ich fleißig studierte, und
Prinz Leopold, der kleine Schanzen mit Wällen und Gräben anlegte,
machte, daß ich wenigstens einen Begriff von der Fortifikationskunst
erhielt, auch hatte er in Hölzer eingereihte Bleisoldaten, mit denen er
die Pelotonsschule übte, sowie Festungen von Pappe, die wir mit kleinen
messingenen Kanonen beschossen. War es schlechtes Wetter, so exerzierten
wir in den Schloßgängen, wobei wir bisweilen die Gewehrkolben so
gewaltig aufstießen, daß die Frau Landgräfin schickte und sich zu
menagieren gebot.

Meine Eltern beschäftigten sich jetzt, eine passende Anstellung im
Militär für mich ausfindig zu machen. Mein Vater hatte anfänglich den
Gedanken, mich nach Petersburg zu seinem Bruder Wilhelm, der Oberst in
der russischen Garde war, zu schicken. Eine Ohrfeige bewirkte, daß er
den Handelsstand mit dem Soldatenstand vertauschte, in welchem er rasch
ein glänzendes Glück gemacht. Als er von Bremen wieder in das elterliche
Haus zurückgekehrt war, mußte er auf dem Kontor seines Vaters arbeiten
und sollte sich dabei streng an die eingeführte Hausordnung halten,
namentlich sich präzis um acht Uhr zum Abendessen einfinden; da er sich
aber öfters verspätete, so zog ihm dies mehrmals Verweise zu, und als er
wieder einmal erst um halb neun Uhr kam, empfing ihn sein Vater mit
einer Ohrfeige vor dem ganzen Kontorpersonal. Wilhelm eilte zur Tür
hinaus, ließ sich von der Köchin vier Kreuzer für die Torsperre geben,
da er gar kein Geld zu sich gesteckt hatte, und eilte so zum
Allerheiligentor hinaus nach Hanau zu. Hier angekommen, wurde er nicht
eingelassen, diese Stadt war damals ebenfalls noch eine Festung, und
schlief die Nacht auf dem Glacis. Am folgenden Morgen verkaufte er seine
Uhr in Hanau und reiste weiter bis Leipzig, suchte daselbst einen
Geschäftsfreund seines Hauses auf und schrieb nun seinen Eltern, was aus
ihm geworden, sowie daß sein fester Vorsatz sei, nicht mehr nach
Frankfurt zurückzukehren, sondern sich nach St. Petersburg zu begeben,
den Kaufmann für immer an den Nagel zu hängen und in russische
Militärdienste zu treten. Durch einen Bruder seines Vaters, der schon
eine hohe Militärcharge daselbst bekleidete, die er durch Verwendung des
russischen Generals Prinzen von Anhalt erhalten, nachdem er als
Rittmeister in dem Leibkürassier-Regiment des Großfürsten Paul gedient
und bald ein Liebling Pauls I. geworden war, machte auch Wilhelm rasch
sein Glück in Rußland und heiratete obendrein ein sehr reiches Fräulein,
eine Anverwandte des Fürsten Potemkin. Er fügte seinem Brief noch hinzu,
man möge etwas Geld und Wäsche nach Leipzig schicken, womit er bis St.
Petersburg reisen könne, wo nicht, so würde er sich so durchzuhelfen
suchen; man tat, was er wünschte.

Meiner Mutter aber lag Rußland zu fern, sie fürchtete, mich nie
wiederzusehen, und so ward dieser Plan aufgegeben, ehe ich nur etwas
davon erfahren hatte. Man sprach von österreichischen Diensten, gegen
diese hatte ich aber eine Abneigung, weil man die Österreicher so oft
zum Gegenstand des Spottes und des oft schalen Witzes und sich über sie
lustig machte; sie standen mir nicht hoch genug in der öffentlichen
Meinung, eher neigte ich mich zu den Preußen hin, aber hier hatte ich
trotz aller Protektion nur wenig Aussicht auf Beförderung, da ich kein
gegerbtes und bekritzeltes Eselsfell vulgo Pergament aufzuweisen hatte,
welches bewies, daß ich schon so und so viel faule Ahnen habe, die zu
jener Zeit, bei der Artillerie ausgenommen, erforderlich waren, um des
Tragens eines Portepees in der preußischen Armee würdig zu sein. -- Also
auch hier nichts.

Mein Vater hatte einige finanzielle Relationen mit Hessen-Kasselschen
höheren Beamten und glaubte in diesem kleinen Staat mir eine Karriere
eröffnen zu können, obgleich auch hier wie in allen deutschen Staaten
und Stäätchen der Adel sehr bevorzugt war. Es wurde nun an diese Herren
geschrieben, die Antwort lautete ziemlich günstig, wir wurden an einen
in Hanau garnisonierenden Obersten empfohlen, der mich dem Erbprinzen
daselbst vorstellen und zum Kadetten oder Junker vorschlagen sollte. Ich
fuhr an einem Sonntag mit meinem Vater dahin ab, wo uns der Oberst im
Gasthof zum Riesen erwartete, um uns mit auf die Parade zu nehmen und
die Gelegenheit abzupassen, mich Seiner Durchlaucht vorzustellen. -- Als
ich die steifen abgemessenen hessischen Soldaten, die mir gleich
hölzernen Maschinen vorkamen, mit ihren langen bis an die Kniekehle
reichenden Zöpfen und weißgepuderten Locken, mit ihren ausgestopften
Puppen ähnlichen Offizieren, die aufs Haar den Nürnberger, von schwarzem
Brotteig geformten, gebackenen und lackierten Soldaten glichen, welche
die Kaufleute auf die Frankfurter Messe bringen, so bei mir
vorübermarschieren sah, da bekam ich einen Schauder, es wurde mir ganz
komisch zumute, und das Theater fiel mir wieder ein. -- Ich erklärte
auch sofort meinem Vater, daß ich nicht in hessische Dienste treten
wolle und es besser wäre, wir führen gleich wieder heim. Er meinte aber,
daß, da wir einmal hier seien, man auch das Ende abwarten müsse, und man
könne nicht weg, bevor ich wenigstens vorgestellt sei, der Oberst von
M... könne sonst glauben, man habe ihn zum besten gehabt.

Als endlich die Parade vorüber war, kam der Oberst und beorderte mich,
ihm zu folgen. Er führte mich zum Erbprinzen, der von mehreren
Stabsoffizieren mit hohen, lang bespornten Kanonenstiefeln, mit
ungeheuren Federhüten auf den Köpfen, martialische Dienstmienen, aber
recht nichtssagende Gesichter machend, umgeben war. Als wir in der Nähe
des Erbprinzen waren, sagte mein Führer: »Da bringe ich Eurer
Durchlaucht einen neuen Rekruten, den Sohn des Herrn Fröhlich aus
Frankfurt,« und gab mir ein Zeichen, vorzutreten.

Der Erbprinz und seine Offiziere musterten mich von oben bis unten und
betrachteten mich ungefähr mit der Miene wie ein Fleischer, der ein Rind
zum Schlachten kaufen will. Hierauf sagte der erste:

»Man hat Lust, Soldat zu werden?«

»Ja, Durchlaucht.«

»Das gehörige Maß scheint man zu haben, auch kann man noch wachsen. Aber
man hat die verteufelte französische Jakobinermode mitgemacht, trägt
abgeschnittene Haare, wie steht es da mit dem Zopf?«

»Oh, der kann wieder wachsen,« fiel der Oberst ein.

»Ja, das wird lange währen,« meinte der Erbprinz, »und ein hessischer
Soldat ohne Zopf ist so viel wie gar nichts.«

Hier wackelten sämtliche Offiziere mit ihren Köpfen, gleichsam um durch
die Bewegung ihrer ellenlangen Zöpfe anzudeuten, wie sehr sie mit der
Meinung Seiner Durchlaucht einverstanden seien. Dieser fuhr fort:

»Wie alt ist man?«

Ich stand wie auf Kohlen und platzte endlich heraus:

»Man ist fünfzehn Jahre vorüber.«

Der Erbprinz sprach nun einige für mich unverständliche Worte zu seiner
Umgebung und entfernte sich, ohne mich weiter eines Blickes zu würdigen.
Ich eilte zu meinem Vater zurück, der der ganzen Szene in einiger
Entfernung zugesehen hatte, und gleich darauf kam der Oberst zu uns und
sagte zu demselben, ich habe mich so sonderbar benommen, daß der
Erbprinz sehr ungnädig sei und er es nicht wage, ferner einen Schritt in
dieser Angelegenheit zu tun.

»Ist auch nicht nötig, Herr Oberst,« versetzte ich, »ich werde um keinen
Preis hessische Dienste nehmen.« -- Mein Vater hieß mich schweigen, war
verlegen und suchte mich bei dem Obersten zu entschuldigen. Wir kehrten
in den Riesen zurück, wo uns ein Bekannter aus Hanau aufsuchte, der mit
meinem Vater über die Sache sprach und diesen einigermaßen beruhigte,
indem er ihn versicherte, daß ich auf keinen Fall ein großes Glück bei
den hessischen Zopfhelden gemacht haben würde, da ich, nicht von Adel,
noch hätte von Glück sagen können, wenn ich mit dem fünfzigsten oder
sechzigsten Jahre eine Kompagnie erhalten hätte, denn bei vielen heiße
es: >Herr Leutnant, dir lebe und dir sterbe ich<, und man könne sich
nicht vorstellen, welch eine Misere es sei, einem kleinen deutschen
Souverän zu dienen. Das Elend sei nicht einmal ein glänzendes, sondern
ein ganz gewöhnliches.

Ich stimmte dem braven Mann von Herzen bei und sagte meinem Vater, als
er bei der Heimfahrt äußerte, er wisse nun gar nicht, was er mit mir
anfangen solle, es wäre wohl das beste, wenn ich es mit den
französischen Diensten versuchte, wo man wenigstens weder nach albernen
Hirngespinsten, wie verfaulten Ahnen, noch nach Schnurrpfeifereien, wie
Zöpfen, frage. Diese Sprache hatte ich Breidensteins Erziehung zu
verdanken, der uns wenigstens so viel als möglich von allen albernen
Vorurteilen frei zu machen suchte, dabei aber vergaß, uns die nötige
Klugheit anzuempfehlen, und seine Freude daran zu haben schien, wenn wir
uns recht derb deshalb ausließen, eine Freude, die ihm durch mich in
vollem Maß wurde. Diese Erklärung setzte meine werte Verwandtschaft, die
noch meistens gut kaiserlich gesinnt war und die Franzosen haßte,
neuerdings in Alarm, und es gab abermals Debatten, die jedoch durch die
Furcht, meine Theaterlust möchte wieder erwachen, und da auch meine
Mutter Neigung für den französischen Dienst zeigte, bald beseitigt
wurden; es ward nun beschlossen, daß ich in französische Dienste treten
sollte. -- Ich fuhr ein paar Tage darauf mit meinem Vater nach Mainz, wo
Latour damals ein neues Regiment für die französische Regierung
errichtete. -- Als wir ankamen, ließ General Lefevre, ein Müllerssohn,
gerade ein Armeekorps von zwanzigtausend Mann auf der großen Bleiche,
die zum Heer Napoleons stoßen sollten, die Musterung passieren. Als ich
diese wahrhaft martialischen und dabei doch gutmütigen Gesichter
defilieren sah, machte dies einen ganz anderen Eindruck als die Hanauer
Zopfparade auf mich. Das kriegerische Aussehen dieser Truppen, das
legere Marschieren, die ungezwungene und doch imponierende Haltung
derselben, das unaufhörliche Wirbeln der vielen Trommeln, mit denen eine
etwas wilde Janitscharenmusik wechselte, dies alles machte mein Herz
freudig pochen. Ich vergaß und versäumte das Mittagessen über dieser
Revue und kam erst nach drei Uhr in die drei Reichskronen zurück, in
denen wir abgestiegen waren. Noch denselben Tag besuchten wir Latour,
dem wir durch einen Mainzer Bekannten empfohlen wurden, und eine halbe
Stunde darauf war ich mit Unteroffiziersrang in dem neuen Regiment
angestellt. Am folgenden Tag kehrten wir wieder nach Frankfurt zurück,
um meine Equipierung instand zu setzen, die eben nicht sehr umständlich
sein durfte; als Abzeichen meines Dienstes hatte ich schon eine
dreifarbige Kokarde, die ich aufsteckte, mitgebracht, kündigte mich
allenthalben und mit triumphierender Miene, namentlich auch in Homburg,
als angehender französischer Krieger an, was mir manche verdrießliche
Miene zuzog und mir namentlich der alte Oberst Schulter übel nahm, der
wie viele andere eine wahre Antipathie gegen die Franzosen hatte, ebenso
die Homburger, mit Ausnahme der Landgräfin, die für die Franzosen
eingenommen war und sehr gut französisch sprach. -- Während ich so mit
meinen Abschiedsbesuchen bei allen meinen Lieben und mit meiner
Equipierung beschäftigt war, kam Frau von Waldschmidt zu uns und teilte
uns mit, daß der Fürst Y... ebenfalls im Sinn habe, ein Regiment für den
Kaiser Napoleon zu errichten, es könne sich nicht leicht bessere
Gelegenheit finden, meine Militärdienste anzutreten, ja ich könne ohne
Zweifel als Offizier in dieses Regiment treten, da der Fürst junge Leute
von Distinktion für dasselbe suche. -- Mein Vater entgegnete ihr jedoch,
daß, da ich schon definitiv bei Latour d'Auvergne angestellt sei, dies
zu spät komme, ohnehin sei es nicht sein Wille, daß ich gleich eine
Offizierscharge bekleide, die mir zu viele Freiheit lasse, was bei
meiner großen Jugend und meinem Hang zu einem wilden Leben gerade nicht
wünschenswert sei. Aber Frau von Waldschmidt meinte, ich könne gerade in
dieser Hinsicht nirgends besser aufgehoben sein als in dem Regiment des
Fürsten Y..., der unsere Familie kenne und mich gewiß unter seine
besondere Obhut nehmen würde, eine Versetzung von dem einen Regiment zu
dem anderen ließe sich ja leicht bewirken und so weiter. Mein Vater
dankte für die Aufmerksamkeit, ließ es indessen vorerst dabei bewenden,
und nach ein paar Tagen reiste ich allein nach Mainz ab, meine
militärische Laufbahn anzutreten, die wenigstens lustig genug werden
sollte.




                                  IX.

        Mainz; seine Geschichte. -- Ich werde zu dem Regiment Y.
       versetzt. Formation desselben. -- Die Familie Jung. -- Die
    Mitternachtsmessen. -- Eine tödliche Krankheit. -- Das Regiment
     erhält Ordre, nach Toul zu marschieren. -- Ich gehe zu meiner
    Wiederherstellung auf Urlaub. -- Chasttelers Mätresse, und eine
      Nacht im Bären. -- Napoleon hält eine Revue in Mainz. -- Ich
         bekomme einen Transport Rekruten nach Toul zu führen.


Mit zwar etwas beklommenem Herzen, aber leichtem Sinn, leichter Bagage
-- mein militärisches Equipement sollte ich erst beim Regiment erhalten
--, ziemlich gefüllter Börse, übrigens frohen Muts verließ ich das
Vaterhaus und setzte mich in den nach Mainz abfahrenden Postwagen. An
meinen solideren Kenntnissen trug ich auch nicht schwer: Geschichte,
Erdbeschreibung und Französisch, das ich gut sprach und schrieb, waren
die einzigen Dinge, die ich ziemlich gründlich kannte, namentlich hatte
ich Plutarch, Cäsar und Titus Livius gut inne; meine Muttersprache, das
Deutsche, sprach und schrieb ich nicht einmal sehr korrekt, ebenso
sprach ich nur schlecht Englisch, und in der Mathematik wie im Zeichnen
hatte ich es auch nicht sehr weit gebracht, eine Hand schrieb ich, daß
es zum Erbarmen war, dagegen aber hatte ich in frivoleren Künsten eine
ziemlich hohe Stufe erreicht; in der Musik, im Klavier und Singen war
ich ein Virtuose, dabei ein guter Reiter und ebenso guter Tänzer.
Von allen meinen Büchern hatte ich nur die, welche von den
Militärwissenschaften handelten, die ich erst kürzlich bekommen hatte,
und sodann noch Schillers Don Carlos und Fiesko, Kramers Adolph der
Kühne, Raugraf von Dassel, dies war mein Homer und Plutarch, und den
Klavierauszug des Don Juan eingepackt und mitgenommen.

In Mainz angekommen, stieg ich im Gasthof >Zur hohen Burg< ab, denn man
hatte mir gesagt, daß sich dort ein allerliebstes Wirtstöchterchen
befände; ich fand mich aber getäuscht, es war eine zwar jugendliche,
frische, rotwangige, aber ziemlich derbe Schönheit, für die ich in
meinem Leben nie inklinierte, blieb indessen vorerst da wohnen. Am
nächsten Morgen stellte ich mich meinem Regimentschef vor, der mich
wohlwollend empfing und einer Kompagnie zuteilte. Der Dienst des kaum
errichteten Regiments war noch nicht geregelt, und ich hatte vorderhand
nichts weiter zu tun, als mich bei den Appellen einzufinden, benutzte
deshalb die müßige Zeit, um mich in dem alten Mainz umzusehen, und nahm
bei einem Ingenieuroffizier Unterricht in der praktischen Feldmeßkunst
und Fortifikation sowie bei einem Unteroffizier-Maitre-d'Arme
(Fechtmeister) in der Fechtkunst, denn mir ahnte, daß es mir an Händeln
der besten Sorte nicht fehlen würde. Glücklicherweise war damals kein
Theater in Mainz, das mich von meinen Berufsstudien hätte abwendig
machen und zu sehr zerstreuen können.

In Mainz war es zwar sehr lebendig, denn die Festung wimmelte von
Militär jeder Waffengattung, aber die Stadt bot doch im ganzen einen
traurigen Anblick. Überall stieß man noch auf die Spuren der letzten
schweren Belagerungen, Häuser, Klöster und Paläste lagen teilweise in
Ruinen, das Dalbergsche Palais, die drei Schweinsköpfe genannt, alle
Gebäude am sogenannten Höfchen, wo die schöne tempelartige St.
Sebastianskapelle, die alte Jesuitenkirche stand, waren zum Teil halb
abgebrannt oder ganz von Kanonenkugeln zerschossen, und selbst der Dom
hatte ein melancholisches Ansehen, seine Türme waren dach- und
fensterlos. Das kurfürstliche Schloß war jetzt der Aufenthalt des
Jammers und Elends, und in den prächtigen Prunkgemächern, wo früher die
glänzendsten Feste gefeiert wurden, standen längs den kahlen Wänden
Krankenbetten, in denen oft unheilbare Kranke und Verwundete ihr Dasein
verfluchten; die Fürstenwohnung war ein Lazarett geworden. Noch stand
die alte Martinsburg, die vierzehnhunderteinundachtzig Erzbischof
Diether erbaut hatte, aber, öde und leer, fenster- und türlos, war sie
der Aufenthalt von Eulen, Uhus und Unken und wurde bald darauf (1806)
von den Franzosen abgerissen. Das merkwürdige alte Kaufhaus, unter
Kaiser Ludwig von Bayern (1314-1317) erbaut, eines der seltsamsten und
kostspieligsten Denkmäler jener Zeit, war ebenfalls noch vorhanden (das
französische Gouvernement ließ es 1812 demolieren), und im deutschen
Ordenshaus wohnte ein französischer General. Eine meiner
Lieblingspromenaden war nach der hoch und herrlich liegenden uralten
Stephanskirche, zu der man durch einsame Mauerstraßen und Weingärten, an
alten Gebäuden vorüberkommend, gelangte. Aber nirgends war ich heiterer,
als wenn ich, auf der langen Rheinbrücke stehend, nach Bieberich und dem
Rheingau hinabblickend, den kristallgrünen Wellen des majestätischen
Stromes folgte und mich in diesem Anschauen verlor. Es gibt nicht leicht
eine großartigere, das Gemüt mehr erhebende Ansicht als die, wo der alte
Vater Rhein in seiner größten Breite die schönsten Gauen Deutschlands,
zwischen lachenden Weinbergen und sich türmenden Felsgebirgen,
hinabwogt. Noch eine lange Strecke sieht man die Fluten des
schmutziggelben Mains, dem einige überpatriotische Poeten eine blonde
Farbe angedichtet, in den grünen des Rheins, die sich nur ungern und
widerstrebend endlich mit ihnen zu mischen scheinen, abgesondert
dahinströmen.

Den schönsten Anblick gewährt aber Mainz von den Hochheimer Höhen herab;
hier übersieht man die herrliche Lage der uralten, ehedem golden
genannten Stadt und ihre Türme, Kirchen, Hügel und schönen Anlagen mit
einem Blick, sie liegt gleich einem zu unseren Füßen aufgerollten
Gemälde vor den freudig bewundernden Augen.

Bis zur französischen Revolution war der kurfürstliche Hof zu Mainz
einer der glänzendsten Deutschlands, und die älteren Mainzer, die ihn
noch gekannt, wußten mir nicht genug von dessen Pracht und Herrlichkeit
zu erzählen. Man war auch sehr freigebig gegen die Armen, und auf der
schönen kurfürstlichen Favorite, einem Lustschloß mit einem großen Park
auf einer Anhöhe am Rhein, das während der Revolutionskriege zerstört
worden war, wurden fast täglich Dürftige gespeist. Auch in den
überreichen Klöstern konnte sich der Arme jeden Mittag eine warme Suppe
holen, was freilich kein großes Verdienst war, da die im Überfluß
schwelgenden feisten Pfaffen das Mark des herrlichsten Landes von Europa
verzehrten, das sie inne hatten, und die abfallenden Brosamen noch
lieber an wohlgenährte Hunde als an die bittere Armut verschenkten. Aber
nachdem die fetten Klostergüter in arbeitsame und industriöse Hände
übergingen, verschwand das ekelhafte Heer der Bettler, und das Auge
wurde bald ebensowenig mehr durch den Anblick des schmutzigsten Elends
als durch den der trägen widerlichen Schmerbäuche, der gemästeten
kupferroten Vollmondsköpfe, der Pfaffen, beleidigt.

Unter den mancherlei Bekannten, die ich in meinen freien Stunden
besuchte, das französische Exerzitium, das wir jetzt zweimal des Tages
mit großem Eifer auf dem Glacis der Zitadelle betrieben, nahm täglich
vier bis fünf Stunden in Anspruch, war es hauptsächlich das Haus des
Hofrats Jung, unseres alten Familienfreundes, bei dem ich schon bei der
Reise zu Schinderhannes Hinrichtung logiert hatte, das mich am meisten
anzog. Dies war eine höchst achtungs- und liebenswürdige Familie,
welche, in guten Vermögensumständen sich befindend, besonders den
Wissenschaften und Künsten huldigte. Der älteste Sohn Eduard
beschäftigte sich mit Malerei, die Töchter Mimi und Agnes mit Musik,
Zeichnen und auserwählter Lektüre, zwei kleinere Jungens besuchten noch
die Schule. Der Vater, ein hochwissenschaftlich gebildeter und sehr
vorurteilsfreier Mann, Witwer, widmete sich fast ausschließlich der
Erziehung seiner Kinder. Die Abende in diesem Haus wurden meistens in
einem vertrauten Familienkreis, abwechselnd mit kritisierenden
Unterhaltungen über die neuesten ausgezeichnetsten literarischen
Erzeugnisse, mit Vorlesungen, Musik, Deklamation und so weiter auf das
angenehmste hingebracht. Bisweilen verlor man sich auch in das Feld der
Politik, das damals unermeßlichen Stoff bot, jedoch nur, wenn man so
ganz unter sich war, denn es war sehr gefährlich, sich über das Treiben
des damaligen allmächtigen Gewalthabers und seine Staatskunst selbst nur
bescheiden auszulassen, und nicht ratsam, seine Meinung offen zu äußern.
Ich selbst war indessen zu jener Zeit ein blinder Verehrer des
neugebackenen Kaisers, in dem ich einen zweiten Cäsar erblickte, seine
glänzenden Siege hatten auch mich wie so viele tausend andere
verblendet, Jung aber fällte sehr richtige Urteile über den korsischen
Machthaber, die sich auch später vollkommen bewährten und die ich
beinahe als in einem prophetischen Geist gesprochen ansehen möchte. Was
aber diesen unterhaltenden Abenden den meisten Reiz verlieh, war die
älteste Tochter des Hauses, Mimi, ein Mädchen, das bei körperlicher
Schönheit unendlich geistige Reize besaß und bald der Gegenstand meiner
innigsten Verehrung ward, ohne daß ich gerade ein sinnlicheres Vergnügen
als ihre Unterhaltung gewünscht oder begehrt hätte.

Vier Wochen mochte ich ungefähr in Mainz sein, dessen heitere,
lebenslustige und muntere Bewohner mich weit mehr ansprachen als die
griesgrämigen besorglichen Prozentgesichter meiner Vaterstadt, als mich
eines Morgens mein Oberst zu sich rufen ließ und mir eröffnete, daß
meine Familie wünsche, ich möchte in das Regiment treten, welches Fürst
Y... im Begriff sei, für den Kaiser der Franzosen zu formieren, und daß
er, wenn mir dies angenehm sei, nichts dagegen habe, ob er gleich
glaube, daß ich in seinem Regiment wohl ebenso gut und vielleicht noch
besser als in dem des Fürsten mein Glück machen würde. Ich erwiderte
hierauf, daß ich dies meinen Eltern überlassen wolle. Mir war die Sache
ziemlich gleichgültig, obgleich das Regiment Latour schon einen großen
Vorsprung hatte und beinahe organisiert war; indessen versprach ich mir
doch eine angenehmere Existenz im Regiment Y., in dem ich alte Bekannte
aus Offenbach anzutreffen hoffte, auch sagte mir dessen Uniform
(hellblau mit gelbem Kragen, weißem Paspel und Silber) mehr zu, als die
dunkelgrüne mit Rot des Regiments Latour d'Auvergne. Noch denselben Tag
erhielt ich einen Brief von meinem Vater, in welchem er mir meldete, daß
er den folgenden Tag nach Mainz kommen würde, um mich dem Fürsten Y.,
bei dem schon alles eingeleitet sei, und der in den >Drei Reichskronen<
logiere, vorzustellen. Gegen Mittag des bestimmten Tages kam mein Vater
an, und wir machten sogleich unsere untertänigste Aufwartung bei Seiner
Durchlaucht. Der Fürst war außerordentlich gnädig, erbot sich sogar,
mich sogleich mit Unterleutnantsrang anstellen zu wollen, was mein Vater
sich gehorsamst verbat, indem er wünschte, daß ich von der Pike auf
dienen solle, was indessen gar nicht tunlich war, aus dem einfachen
Grunde, weil, außer einem Dutzend designierter Offiziere, das Regiment
erst auf dem Papier vorhanden war. Der Fürst erteilte mir daher den Rang
eines Furiers und verwies mich an den Kapitän Quartier-Maitre, Herrn
Viriot, einen äußerst humanen und liebenswürdigen Mann, um einstweilen
in dessen Bureau zu arbeiten und mich mit der militärischen
Komptabilität zu befreunden.

Fürst Y. setzte alles in Bewegung, das Regiment möglichst bald zu
formieren und vollzählig zu machen, was um so schwieriger war, da keine
Franzosen in demselben aufgenommen werden durften, was aber nicht so
genau genommen wurde; indessen würden doch Jahre damit hingegangen sein,
wenn nicht besondere Ereignisse die Komplettierung schnell möglich
gemacht hätten. Erst ganz kürzlich hatte der Krieg mit Österreich (1805)
begonnen, und soeben hatten dreiunddreißigtausend Mann Österreicher mit
sechzig Kanonen, vierzig Fahnen, achtzehn Generälen und so weiter bei
Ulm das Gewehr gestreckt und sich zu Gefangenen ergeben. Aus diesen
Gefangenen rekrutierte man nun so viel als möglich für das Regiment Y.,
wobei man sich mitunter der gewissenlosensten Kunstgriffe und Kniffe
bediente, indem man die Leute betrunken machte und ihnen Gott weiß was
alles vorspiegelte, um sie zu bewegen, französische Dienste zu nehmen,
ihnen großes Handgeld versprach, sechzig bis hundert Franken, das sie
nie erhielten, und so weiter. Im übrigen hatten es diese Leute weit
besser in französischer Gefangenschaft, wo sie alle mögliche Freiheit
genossen, auf Arbeit gehen durften, gut genährt waren und so weiter, als
in ihrem früheren Dienst. Noch weit schlimmer spielte man später den bei
Austerlitz gefangenen Russen und Österreichern mit, um sie zu vermögen,
Dienste bei den französischen Fremdenregimentern zu nehmen. Man zwang
sie durch den Hunger dazu, indem ihnen die vom Gouvernement zugedachten
Portionen von den mit diesen Austeilungen beauftragten Beamten, im
Einverständnis mit den Werbern, so sehr geschmälert wurden, daß sie
unmöglich dabei bestehen konnten und der ärgste Feind des Menschen, der
Hunger, sie nötigte, zu dienen, um sich zu sättigen. Fürst Y. selbst
hatte diese Schändlichkeiten zwar nicht befohlen, war aber schwach
genug, denen, die sie begingen und die von jedem angeworbenen Mann zehn
Franken erhielten, durch die Finger zu sehen; obendrein wurden die armen
Teufel noch um das ihnen versprochene Hand- oder besser Blutgeld
geprellt, das größtenteils nichtswürdige Speichellecker, die sich dem
Fürsten angenehm zu machen gewußt, unterschlugen und einsteckten. Fürst
Y. hatte den Fehler begangen, viele Offiziere ohne weitere Prüfung und
oft auf sehr verdächtige Empfehlungen hin bei dem Regiment anzustellen,
wodurch gar manche nichtswürdige Subjekte in dessen Reihen figurierten,
die wegen allerlei schlechter Streiche, Betrügereien und so weiter aus
anderen Korps fortgejagt worden waren, wodurch das Regiment in sehr
üblen Ruf kam. So war zum Beispiel ein gewisser Wable, ein ehemaliger
Douanenleutnant, den man wegen Diebstahl zum Teufel gejagt und der nur
mit genauer Not der Galeere entgangen war, als Adjutant-Major
angestellt; der Kerl hatte ein so widrig konfisziertes Gesicht und
Äußeres und stand in einem so abscheulichen Ruf, daß man ihn sogar in
öffentlichen Gast- und Kaffeehäusern nicht mehr hatte dulden wollen,
allein er hatte dem Fürsten Y. gewisse geheime, eben nicht sehr
ehrenvolle Dienste erwiesen, weshalb er sich dessen Protektion zu
erfreuen hatte. Als er später einen Teil der Löhnung der Rekruten
unterschlug, kamen bei dieser Gelegenheit seine anderen Streiche zur
Sprache, und er mußte dennoch fort, sich wo anders hängen zu lassen.
Später säuberte sich das Regiment allerdings nach und nach von seinem
Unkraut, aber der böse Ruf war einmal da und nicht so leicht
auszumerzen, besonders da auch die aus aller Welt zusammengerafften
Soldaten es nicht an Exzessen aller Art fehlen ließen.

Mein Dienst wollte immer noch wenig sagen, obgleich das erste Bataillon
von einem Bataillonschef namens Düret kommandiert, der früher Hauptmann
und Generalissimus des vierzig Mann starken Heeres des Fürsten Y. und
dessen Günstling gewesen, bereits vollständig und ich der ersten
Kompagnie desselben zugeteilt war, aber es war weder gekleidet noch
bewaffnet und konnte also nicht einexerziert werden. Auf dem Bureau des
Quartiermeisters brachte ich des Tags nur wenige Stunden zu, hatte die
übrige Zeit so ziemlich für mich, meine Studien und andere
Angelegenheiten und benutzte sie bestens. Das Jungsche Haus
frequentierte ich fortwährend, Mimis Umgang wurde mir täglich teurer,
obgleich er ganz platonischer Art war, vielleicht gerade deshalb, auch
schien ich dem liebenswürdigen Mädchen nicht zu mißfallen, und wir
brachten manche Stunde mit wissenschaftlicher Unterhaltung oder
vierhändige Sonaten spielend zu. Da mir indessen mit einer bloß
geistigen Liebe nicht gedient war, so suchte ich mich anderwärts dafür
zu entschädigen und fand auch bald, was ich suchte. Mimis älterer Bruder
hatte mich in Tanzstunden eingeführt, die im Schröderschen Kaffeehaus
wöchentlich einigemal gegeben wurden, und hier lernte ich wieder eine
Henriette, die Tochter vom Haus, und eine Luise, eine Anverwandte des
Kaufmanns Kretzinger, bei dem sie sich aufhielt, kennen. Beide Mädchen
waren katholisch, und bald war ich so weit mit ihnen, daß wir uns in den
einsamen Kreuzgängen der abgelegenen Stephanskirche sprachen und dann
auch deren Turm bestiegen, um der herrlichen Aussicht, die man von
demselben in die paradiesische Umgegend von Mainz hat, teilhaftig zu
werden.

Als das Weihnachtsfest herangekommen war, verabredete ich mit Luise, uns
bei der Mitternachtsmesse in der Quintinskirche zu treffen, während mich
Henriette in die St. Stephanskirche beschied, ich selbst jedoch dieser
Feierlichkeit gerne im Dom, wo der Bischof fungierte und sie am
glänzendsten begangen wurde, beigewohnt hätte. Es gelang mir indessen,
die den beiden Mädchen gemachten Versprechungen zu erfüllen und auch das
Ende der Feierlichkeit im Dom zu sehen, auch hatte ich im Vorübergehen
sogar noch einen Blick in die Emeranskirche geworfen. Nachdem ich in St.
Quintin einige Minuten neben Luise gekniet, ihr die Hand gedrückt und
ein paar Worte zugeflüstert hatte, verlor ich mich nach St. Stephan und
kniete hier neben Henriette, betete mit ihr ein kleines Weilchen und
ward wirklich von dieser mitternächtlichen Feier der Geburt des
Christuskindes ergriffen, daß ich den eigentlichen Zweck meines
Herkommens ganz vergaß und, von der Feier des Gottesdienstes
hingerissen, nicht mehr an die neben mir kniende Schöne dachte, die
ohnehin in Begleitung einer Tante der Feier beiwohnte. Als der größte
Teil derselben vorüber war, flüsterte ich ihr eine >Gute Nacht< zu und
eilte in den Dom; hier fand ich die weiten, düster beleuchteten Hallen
sehr öde, nur hier und da kniete eine vermummte Gestalt einsam und
verlassen, während die anderen Kirchen zum Erdrücken voll waren, und nur
der Chor war belebt und mit einem Heer von Geistlichen aller Grade
angefüllt, an deren Spitze der Bischof in seinem Ornat fungierte; ich
war kurz vor der Beendigung der Messe angekommen. In diesem Tempel war
der Eindruck auf mich ein ganz anderer als zu St. Stephan, das ganze
hatte etwas schauerlich Unheimliches; zum erstenmal in meinem Leben
hatte ich einem solchen nächtlichen Gottesdienst beigewohnt und konnte
lange die Bilder nicht aus meiner Phantasie verdrängen. Diese Feier
hatte von jetzt an immer etwas Anziehendes für mich, und ich versäumte
nie, ihr beizuwohnen, wenn sich Gelegenheit dazu bot.

Acht Tage später wurde zur Feier der Neujahrsnacht ein großer Ball in
dem Schröderschen Kaffeehaus veranstaltet, den auch der Marschall
Lefebre und sein ganzer Generalstab mit ihrer Anwesenheit beehrten und
dem ich, obgleich mich sehr unwohl fühlend, dennoch in Zivilkleidern
beiwohnte; denn ich konnte unmöglich die mit meinen liebenswürdigen
Freundinnen eingegangenen Engagements versäumen und hatte zudem eine
neue Intrigue mit einer sehr pikanten Französin, der Frau eines
Kriegskommissars, Madame Nellier, angeknüpft, von der ich mir viel
Unterhaltung versprach. Das Schicksal wollte es anders: schon nach ein
paar Quadrillen fühlte ich mich so unwohl, daß ich gezwungen war, den
Ball zu verlassen; kaum zu Hause angekommen, rüttelte mich ein starkes
Fieber, das in eine schwere, hitzige Krankheit, einen Lazarett-Typhus
ausartete, den ich mir im Dienst durch Ansteckung zugezogen hatte. Immer
noch auf dem Bureau des Quartier-Maitre arbeitend, wurde mir häufig der
Auftrag, die aus den Gefangenen angeworbenen Rekruten zur körperlichen
Visitation zu dem Regimentsarzt zu führen, wo sie sich ganz nackend
auskleiden mußten, und dann diejenigen, die krank befunden wurden, in
das Lazarett zu bringen, wo dieser Typhus herrschte und sehr viele Leute
und auch manche Einwohner von Mainz wegraffte. Hierdurch hatte ich mir
aller Wahrscheinlichkeit nach die Krankheit zugezogen, die mich in
zweimal vierundzwanzig Stunden an den Rand des Grabes brachte. Als der
Fürst Y. von meinem Zustand unterrichtet war, befahl er, daß man mich
sogleich ins Lazarett schaffen solle, wo ich durch seine Vermittlung in
den Offizierssaal gebracht wurde, in dem noch am nämlichen Tage ein
Dragonerrittmeister, mein nächster Bettnachbar, an derselben Krankheit
starb. Gerade nach dem Tag, als man mein Ende erwartet hatte, öffnete
sich gegen mittag die Tür unseres Zimmers, und mein guter Vater trat mit
bekümmerter Miene an mein Bett; er schien mir ein tröstender Retter, tat
alles, was er konnte, mir Mut einzusprechen, und brachte jeden Tag
zweimal mehrere Stunden an meinem Krankenlager zu, so lange er sich in
Mainz aufhielt; erst als ich außer aller Gefahr war, reiste er ab, mich
reichlich mit Geld und was ich bedurfte versehend. Etwas hatte für den
Augenblick denn doch diese Krankheit und der Anblick der Sterbenden um
mich herum, meinen angeborenen Leichtsinn verscheucht, der aber mit dem
allmählichen Besserwerden sich auch wieder einstellte. Auch Hofrat Jung,
der wider mein Wissen und meinen Willen meine Krankheit an meine Eltern
berichtet hatte, besuchte mich einigemal, und das Bild seiner holden
Tochter Mimi war das einzige, das mich in dieser Periode fast immer
umschwebte, während mir alle anderen ganz aus dem Sinn gekommen waren;
auch mein Kapitän, St. Jüst, ein sehr guter Mann und ein Verwandter des
Verfassers des Librettos des Kalifen von Bagdad, des Johann von Paris
und noch so mancher anderen Stücke, dem mich mein Vater noch besonders
empfohlen, kam einigemal, um nach mir zu sehen.

Während ich noch rekonvaleszent im Lazarett lag, erhielt das Regiment
Befehl, sich binnen wenig Wochen marschfertig zu machen, um seine
endliche Formation in Toul in Lothringen zu vollenden. Der Grund hiervon
war, daß viele der neuangeworbenen Rekruten ein paar Tage nach ihrem
Engagement mit den erhaltenen Effekten wieder über die Rheinbrücke
gingen und desertierten, was ihnen in Toul nicht so leicht war. Ich
erhielt jedoch, nachdem ich das Lazarett verlassen hatte, einen Urlaub
von vierzehn Tagen, den sich mein Vater vor seiner Abreise von dem
Fürsten erbeten, um meine völlige Wiederherstellung im elterlichen Hause
abzuwarten.

Noch sehr schwach verließ ich das Krankenhaus, das früher das
Schönbornsche Palais am Tiermarkt war, in welchem zu den kurfürstlichen
Zeiten so manches Prunkfest gefeiert worden, und das sich jetzt in die
Herberge des Elends umgestaltet hatte, und bezog wieder meine Wohnung in
der >Hohen Burg<. Mein erster Besuch war bei Jung, dem ich
freundschaftlich vorhielt, daß er an meine Eltern geschrieben, denen ich
keine unnötige Sorgen habe machen wollen, sie sollten meine Krankheit
erst nach überstandener Gefahr oder nach meinem Tod erfahren. Mimi
schien über meinen Anblick zu erschrecken, ich sah noch sehr leidend und
elend aus, mit einem: »Ach, mein Gott!« eilte sie auf mich zu, faßte
mich bei der Hand und sagte endlich: »Dank dem Himmel, daß Sie dem Leben
wiedergeschenkt sind, lieber Freund, wir waren recht bange um Sie.« In
diese Worte legte sie einen nicht zu beschreibenden Ausdruck. Als wir
uns bald darauf allein im Zimmer befanden, fiel sie mir um den Hals und
gestand mir mit Tränen, daß sie recht sehr besorgt um mich gewesen; ich
drückte sie innig an mich, und Brust an Brust wechselten wir
minutenlange Küsse; erst durch das Kommen ihrer Tante wurden wir aus
unserem Vergessen erweckt. -- Meine Abreise nach Frankfurt war schon auf
den nächsten Morgen festgesetzt, was das liebe Geschöpf viel zu frühe
fand und meinte, sie würde mich nicht mehr wiedersehen. Ich lächelte bei
diesen Worten der blühend schönen Jungfrau, die behauptete, eine nur zu
sichere Ahnung sage es ihr, und klagte, daß sie sich schon seit einigen
Tagen nicht ganz wohl befinde. Indessen konnte ich meine Abreise
unmöglich länger aufschieben; Mimi veranlaßte, daß man mich für diesen
Abend zum Essen einlud und ersuchte mich, doch ja beizeiten zu
erscheinen, da dies der letzte Abend sei, den wir in diesem Leben
zusammen zubringen würden. Nochmals lächelnd, versprach ich gerne, was
das liebe Mädchen wollte, kam schon mit einbrechender Nacht wieder und
brachte noch ein paar selige Stunden mit ihr am Klavier zu, wo wir
abwechselnd vierhändige Sonaten spielten und uns küßten. Um zehn Uhr
nahm ich mit bewegtem Herzen Abschied von der gastfreundlichen Familie
und fuhr am andern Morgen nach Frankfurt ab.

Meine guten Eltern hatten mich erwartet und empfingen mich wie einen vom
Tode erretteten Sohn mit unendlicher Liebe und Wohlwollen; nachdem man
mich nach den geringfügigsten Umständen meiner Krankheit und deren
Behandlung mit großer Teilnahme gefragt hatte, fiel meine Mutter
plötzlich mit den Worten ein: »Sieh, lieber Ferdinand, wärest du
Kaufmann geworden oder hättest studiert, so wäre dir dies gewiß nicht
begegnet,« und meinte, daß, wenn ich wolle, es noch Zeit sei,
umzusatteln und in das ruhige bürgerliche Leben zurückzukehren. Der
Meinung waren auch mehrere meiner Verwandten, ich aber beharrte darauf,
beim Militär zu bleiben, hoffend, unter Napoleon eine recht glänzende
Karriere zu machen, und lehnte alle Einladungen eines Heeres von
wißbegierigen Vettern und Basen ab, die mich gerne zu Tode gefüttert
hätten, um ihre löbliche Neugierde zu befriedigen.

Zehn Tage mochte ich etwa im Vaterhaus sein, als meinem Vater gerade bei
Tische ein schwarz gesiegelter Brief übergeben wurde, der, die Adresse
lesend, erschrocken ausrief: »Mein Gott, das ist ja vom Hofrat Jung!«
Auch ich entsetzte mich, und ehe wir uns recht besinnen konnten, sagte
mein Vater, nachdem er einige Zeilen durchlaufen, mit bebender Stimme:
»Mein Gott, Jungs Tochter, die Mimi, ist an derselben Krankheit
gestorben, die Ferdinand gehabt.« -- Ich ward leichenblaß, stand mit
verhülltem Gesicht vom Tisch auf und es war mir in diesem Augenblick,
als schwebe die verklärte Engelsgestalt dieses Mädchens an meinem Auge
vorüber. Nachdem ich mich ein wenig erholt, erzählte ich meinen Eltern,
ohne ihnen jedoch das nähere Verhältnis mitzuteilen, was mir das Mädchen
beim Abschied versichert hatte, worüber sie, namentlich meine Mutter,
höchst erstaunt waren. Sie meinten, ich könne die Krankheit in dieses
Haus gebracht haben, was wenigstens möglich war und uns viel Kummer
verursachte, da der gute Jung so schrecklich für sein Wohlwollen belohnt
wurde.

Die Zeit meines Urlaubs war um, und zum zweitenmal nahm ich vom
Vaterhaus und der ganzen verwandtschaftlichen Sippschaft einen
herzbrechenden Abschied; manche von ihnen glaubten, daß Toul schon außer
der Welt liege, aber Sophia von La Roche meinte, sie würde es noch
erleben, mich mit Generalsepauletts geschmückt zurückkehren zu sehen.
Nochmals reichlich mit Mutterpfennigen versehen, bestieg ich den Mainzer
Postwagen, in dem ich nur einen einzigen Passagier, und zwar ein
zierliches, niedliches junges Mädchen, antraf, mit der ich bald eine
interessante Unterhaltung anknüpfte und von der ich erfuhr, daß sie die
Geliebte des damals sich in Hanau aufhaltenden Marquis von Chastteler
sei und auf acht Tage nach Mainz gehe, um ihre daselbst wohnenden
Eltern, ganz ehrsame Bürgersleute, zu besuchen. Nichts war wohl
geeigneter, meine durch den Abschied und Mimis Tod etwas düsteren
Gedanken zu verscheuchen, als eine so hübsche Gesellschafterin
_tête-à-tête_ in dem engen Raum eines Postwagens; auch kam mir die Reise
trotz des Schneckenganges eines Postwagens jener Zeit gewaltig kurz vor.
In Hattersheim, wo umgespannt wurde, nahmen wir ein kleines, aber
fröhliches Mahl ein, nach dem wir uns wieder vergnügt in den alten
Rumpelkasten sperren ließen, und waren bald einverstanden, daß wir unter
dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit -- denn käme es an den Tag,
so wäre Susannchen, so hieß die kleine Lose, um ihre Stelle bei dem
Herrn Marquis gekommen -- beide in Kassel im >Schwarzen Bären<
übernachten wollten, wo wir uns zwar zwei Zimmer, die jedoch im Innern
miteinander kommunizierten, geben ließen. Erst gegen mittag des andern
Tages gingen wir müde und ermattet über die Rheinbrücke, wo ich Susanna
an das Haus ihrer Eltern begleitete, und beim Abschied das Geheimnis zu
wahren und sie zu besuchen versprach; ich hielt in beiden Wort, bis
Chastteler längst verfault, und die Götter mögen wissen, was aus Susanna
geworden ist. Die nächste Nacht schlief ich wieder allein in meiner
hohen Burg und zwar so vortrefflich, daß mich schwerlich eine Kanonade
aus dem Schlaf geweckt haben würde. Ich meldete nun meine Zurückkunft
dem sich noch immer in Mainz befindlichen Quartier-Maitre Viriot, der
mich recht freundlich bewillkommte und mir ankündigte, daß in einigen
Tagen ein Transport von etwa sechzig Mann Rekruten zum Regiment abgehen
müsse, den er mir zur Führung übergeben würde, da ich der einzige jetzt
noch in Mainz vorhandene Unteroffizier desselben sei. Ich fühlte mich
hierdurch nicht wenig geehrt und besuchte einstweilen meine Mainzer
Bekannten; aber mit beklommenem Herzen und nicht ohne ein peinliches
Gefühl von Wehmut betrat ich das Haus des Hofrats Jung, denn ich hielt
es für ziemlich gewiß, die Ursache des Todes dieses hoffnungsvollen
Mädchens zu sein, deren Schwester Agnes ich ebenfalls leidend, sowie
Vater und Brüder sehr angegriffen fand. Jetzt glaube ich es aber nicht
mehr, denn ich bin bis zu einem gewissen Grad Fatalist geworden. Nur
zweimal wiederholte ich diesen Besuch vor meiner Abreise, dagegen fand
ich mich desto häufiger bei Susanna ein, die aber auf Befehl ihres
hochgebietenden Herrn Marquis noch früher als ich Mainz verlassen und
nach Hanau zurückkehren mußte.

In Mainz hatten sich unterdessen immer mehr Truppen von allen
Waffengattungen gesammelt, deren Bestimmung jedermann noch ein Rätsel,
da der Friede mit dem fast vernichteten Österreich so gut wie
geschlossen war. Wenige Tage vor meinem Abmarsch kam der allgemein
bewunderte Sieger, Kaiser Napoleon, nach Mainz und ließ die hier und in
der Umgegend liegenden Truppen die Musterung passieren. Hier sah ich den
Helden des Jahrhunderts zum erstenmal, und zwar ganz bequem in der Nähe,
indem ich ihm Schritt vor Schritt folgte, als er die lange Front der auf
der großen Bleiche und dem Schloßplatz aufgestellten Truppen hinabritt
und deren Reihen musterte. Ich hörte, wie er hie und da einem Inspekteur
oder Stabsoffizier eine mißfällige Bemerkung ziemlich schonungslos
machte, sah, wie er bei manchem alten Soldaten, der das Zeichen seiner
Tapferkeit im Angesicht trug, ein paar Augenblicke verweilte, sich
erkundigend, wo und bei welcher Gelegenheit er die Schmarren und Wunden
davongetragen. Er versicherte die Truppen, daß sie bald Gelegenheit
erhalten sollten, sich neue Lorbeeren zu erwerben, worauf ein ungestümes
»_Vive l'Empereur_« wie ein Lauffeuer durch die Reihen donnerte.

Ich muß gestehen, daß mich Napoleons Äußeres nicht befriedigte,
namentlich verriet seine Gestalt und seine Haltung eben nicht, was man
sich gewöhnlich unter einem Helden vorstellt, sie hatte nichts
Majestätisches, ja nicht einmal etwas Edles, dagegen war sein Blick so
finster imponierend, daß er mehr erschreckte als anzog, hatte aber für
die Soldaten dennoch etwas Aufmunterndes, so daß derselbe auf den, der
ihn einmal gesehen, auch noch in seiner Abwesenheit einen magischen
Einfluß ausübte und ihm gleich einem leitenden Genius bei den ernsten
Waffentaten und Kämpfen vorschwebte und begeisterte.

Zwei Tage nach dieser interessanten Musterung erhielt ich die Feuille de
Route für mich und meinen Transport und trat mit demselben den Marsch
nach Toul an, nachdem ich die Nacht vorher noch einen brillanten
Maskenball in spanischem Kostüme beigewohnt und mit Louise und Henriette
die Abschiedswalzer getanzt hatte.




                                   X.

      Marsch von Mainz nach Toul. -- Abscheuliche Zusammensetzung
        des Transports. -- Oppenheim. -- Worms. -- Desertion und
    Diebereien. -- Die Pfalz. -- Dürkheim. -- Kaiserslautern. -- Die
     Familie Karcher. -- Landsstuhl. -- Homburg. -- Saarbrücken. --
        Eine getröstete Strohwitwe. -- St. Avold. -- Courcelle.
        -- Ein schmutziger Vorfall. -- Metz. -- Ich werde in das
    Militärgefängnis gesetzt. -- Spitzbübereien des Quartiermachers.
   -- Die Sehenswürdigkeiten von Metz. -- Pont à Mousson. -- Ankunft
                                in Toul.


Ungeachtet ich die vorhergehende Nacht fast ganz durchschwärmt hatte,
stand ich doch am andern Morgen um sechs Uhr marsch- und reisefertig vor
der Wohnung des Quartier-Maitres, der mir noch einige Instruktionen
erteilte, an der Spitze meines, einige siebenzig Mann starken
Transports. Dieser bestand in aus allen Ecken und Enden
zusammengerafftem Gesindel, noch ungekleidet und unbewaffnet; da waren
preußische, österreichische, bayerische, hessische Deserteure, Polen,
Russen, Böhmen und Ungarn, alles durcheinander, zum Teil noch die
abgenutzten Uniformen ihres frühern Dienstes tragend, zum Teil in Lumpen
gehüllt. Das Ganze hatte ein recht abenteuerliches Aussehen und glich
eher einer Räuberbande oder einem zusammengelaufenen Vagabundenkorps als
einem militärischen Detachement; in der Tat waren auch ein paar Kerls
dabei, die früher unter der Bande des Schinderhannes gestanden und sich
dessen sogar gegen ihre Kameraden rühmten. Außerdem ward mir noch eine
ganz besondere Zugabe, nämlich die Frau und die vier Töchter des
Wagenmeisters des Regiments, die noch zurückgeblieben waren und die
nebst einigen Weibern verheirateter Rekruten den weiblichen und
wahrhaftig nicht am leichtesten zu dirigierenden Teil des Transports
ausmachten und mir überdies angelegentlich vom Kapitän Viriot empfohlen
worden waren. Von diesem war es jedoch eine leichtsinnige
Unvorsichtigkeit, einem noch so jungen, ganz dienstunerfahrenen, kaum
sechzehn Jahre zählenden Menschen ein solches Detachement zur Führung zu
übergeben, bei dem sich die abgefeimtesten und verschmitztesten, mit
allen Hunden gehetzten Galgenstricke, die selbst einem unter den Waffen
ergrauten Krieger noch zu schaffen gemacht haben würden, befanden; auch
machten sich die Folgen dieser Unüberlegtheit nur zu bald fühlbar.

Um acht Uhr marschierten wir ab und zum neuen Tor hinaus. Noch manchen,
nicht ganz wehmutslosen Rückblick warf ich auf das alte Mainz, wo ich,
nur kurze Zeit dort, doch so manche vergnügte Stunde hatte. Nach der
Marschroute war mir ein vierspänniger Wagen für die Bagage und
allenfallsige Marode gut getan, diesen nahmen, kaum vor dem Tor,
Deßwarts -- so nannte sich die Familie des Wagenmeisters -- in Besitz,
behauptend, daß sie der Herr Quartier-Maitre darauf angewiesen habe; auf
dessen Empfehlung hatte ich auch einem gewissen Lamertz, einem
preußischen Deserteur, welcher vorgab Feldwebel in jener Armee gewesen
zu sein und wegen Händeln mit seinem Hauptmann, der ihn zu ungerechten
Dingen habe nötigen wollen, dieselbe Verlassen zu haben, die Marschroute
übergeben, um die Quartiere machen zu können; Viriot hatte ihm außerdem
versprochen, daß er bei seiner Ankunft bei dem Regiment wieder eine
Unteroffiziersstelle erhalten solle. Dieser Mensch war jedoch ein
Ausbund von Verschmitztheit und in allem, was man damals preußische
Pfiffe und Kniffe nannte, trefflich bewandert. Der erste Marsch, nach
Oppenheim, ging glücklich und munter von statten, wir hatten heiteres
Wetter, einige Rekruten sangen lustige Schelmen- und Soldatenlieder; wir
kamen durch die ihrer Weine wegen berühmten Orte Laubenheim, Bodenheim
und Nierstein, und in letzterm Ort, der sehr alt ist und ehemals eine
königliche Burg hatte, ließ ich halten und, um mir die Burschen
anhänglicher zu machen, jedem Mann einen Schoppen Niersteiner, der
freilich nicht von der ersten Qualität sein mochte, verabreichen. Dieses
versetzte die Leute in die beste Stimmung, sie ließen mich hochleben,
aber auch zum Dank ein paar Gläser verschwinden, die ich samt dem Wein
bezahlen mußte. Vor Oppenheim kam uns Lamertz mit geschäftiger Miene
entgegen, mir ein Quartierbillet mit den Worten: »Ein fürstliches
Quartier, Herr Fourrier,« überreichend. Es war bei einem Apotheker, wo
ich aber nichts weniger als etwas Fürstliches, ja nicht einmal etwas
Anständiges fand, denn trotz meiner Ermüdung vom Tanz und Marsch konnte
ich fast die ganze Nacht kein Auge vor Ungeziefer schließen. Das
Detachement wurde aber in dem eine halbe Stunde von Oppenheim entfernt
liegenden Dorf Dienheim einquartiert, wohin auch ich eigentlich gehört
hätte, aber mein dienstfertiger Lamertz meinte, daß dort gar kein
passendes Unterkommen für mich sei, der Transportkommandant müsse doch
etwas extra haben, dies gehöre sich, und er wolle sorgen, daß alles in
bester Ordnung abliefe. Ich führte die Leute nach Dienheim, und nachdem
ich den Sold, den ich ihnen nach Viriots Vorschrift Tag für Tag selbst
auszahlen sollte, verabreicht und die Appelle gehalten, begab ich mich
nach Oppenheim zurück und sah mich in demselben und dessen Nähe um.
Oppenheim war ehemals eine freie Reichsstadt, ist aber ein
unansehnlicher und schlecht gebauter Ort, der jedoch eine der schönsten
gotischen Kirchen Deutschlands besitzt, deren eine Hälfte beinahe in
Ruinen zerfällt. So wenig ich mich damals noch um Gemälde, namentlich
wenn sie religiöse oder heilige Gegenstände darstellten, bekümmerte, so
fiel mir doch eines in dieser Kirche auf, nämlich eine Darstellung der
Empfängnis Marias, wo Gott der Vater derselben den heiligen Geist ins
Ohr hineinbläst. -- Hier sind auch an fünftausend spanische Totenköpfe,
welche die Schweden gemäht, aufeinandergeschichtet, und auf dem
sogenannten spanischen Kirchhof liegen deren Körper begraben. Oppenheims
Lage soll Ähnlichkeit mit der von Jerusalem haben, um sich dies zu
denken, mag doch eine gute Portion Phantasie nötig sein.

Ich hatte zwar meinem Wirt empfohlen, mich ja mit Tagesanbruch wecken zu
lassen, weil ich, so müde wie ich war, zu verschlafen fürchtete, aber
mein unseliges Quallager machte, daß ich früher aufstand als einer der
übrigen Hausbewohner, und ich diese wecken mußte, wenn ich das Haus
nicht nüchtern verlassen wollte. Nach schnell eingenommenem Frühstück,
das in einem Eierkuchen bestand, eilte ich nach Dienheim, wo beim Appell
zwei Mann fehlten, die auch nicht wieder zum Vorschein kamen; statt
ihrer aber fand sich ein Bauer ein, welcher klagte, daß ihm seine
Einquartierung, die sich schon vor Tage davongemacht, zwei Gänse
mitgenommen. Dies waren meine beiden Deserteurs; ich gab dem Mann zwei
Taler für seine geraubten Vögel, um seinem Jammer ein Ende zu machen,
und nahm mir vor, den Transport nicht mehr allein zu lassen, um
möglichst solchen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, was ich indessen nicht
zu bewirken vermochte. Vor dem Abmarsch stellte sich auch noch Frau
Deßwart mit ihren Töchtern ein, mir die Ohren vollschreiend über das
schlechte Quartier, das sie gehabt, die Schuld auf Lamertz schiebend,
der sich selbst bei dem Herrn Pfarrer des Orts einquartiert hatte, wo
er, wie sie behaupteten, trefflich versorgt gewesen. Ich empfahl dem
Schlingel, doch in Zukunft galanter gegen diese Damen zu sein, was er
auch versprach, und lachend trollte er sich.

Nachdem diese Dinge beseitigt waren, brach ich doch ziemlich munter nach
Worms auf, wo wir ohne besondere Zufälle glücklich ankamen. Hier
kündigte mir unser Quartiermacher an, daß wir abermals auf ein nahes
Dorf, Forchheim, an dem die Reihe sei Einquartierung aufzunehmen,
verlegt würden, ich könne aber ein gutes Quartier in der Stadt haben,
was ich mir verbat, das Billett zurückwies und mit meinen Leuten nach
Forchheim marschierte, wo ich mich bei einem wohlhabenden Bauern
einquartierte, und nachdem ich alles gehörig angeordnet zu haben
glaubte, nach Worms zurückging, um die einst so berühmte und wohlhabende
Stadt, die jetzt kaum mehr ein Schatten ihrer ehemaligen Herrlichkeit
war, in Augenschein zu nehmen. Hier ist bekanntlich der Schauplatz der
Nibelungensage. Früher bis zum vierzehnten Jahrhundert führten viele
Wormser Familien den Namen Niebelung, und die hier wohnende Familie der
Dalberge war, wenn auch nicht ganz so alt wie die Montmorency, die schon
bei der Sündflut unsern Herrgott baten, ihrer zu schonen, wie ein
Gemälde ihres Hotels bis zur Revolution von 1789 bewies, doch immer noch
alt genug, da ein Dalberg in römischen Diensten bei der Kreuzigung
Christi als Hauptmann zugegen war und die Jungfrau Maria demselben
zugerufen: »Bedeckt Euch doch, Herr Vetter!« Ein Sohn oder Enkel
desselben befand sich unter dem Heer des Titus bei der Zerstörung von
Jerusalem, kaufte eine Menge gefangene Juden, die er nach Worms
versetzte und Stück für Stück mit einem Silberling bezahlte, daher die
vielen Juden in dieser Stadt, für die ihm die übrigen Einwohner wenig
Dank wissen.

Worms hatte in seiner Blütezeit und bis zum Dreißigjährigen Krieg über
vierzigtausend Einwohner, seine Mauern prangten mit mehr denn hundert
Türmen, und ein Dutzend wohlbefestigter Tore führten in die feste Stadt;
damals (1805) konnte es kaum fünftausend Bewohner aufweisen, unter denen
beinahe ein Fünftel Nachkommen der von Dalberg hierher geschafften
Kinder Israels waren. 1689 wurde die Stadt von den Franzosen fast
gänzlich zerstört und an tausend Wohngebäude lagen in wenig Stunden in
Asche; das Feuer hatten die Mordbrenner des jämmerlich großen Königs
Ludwig XIV. angelegt und geschürt, während sie die Liebfrauenmilch und
andere köstliche Weine aus den zerschlagenen Fässern, nachdem sie sich
satt und dumm gesoffen, in die Straßen rinnen ließen, Frauen und Mädchen
notzüchtigten und raubten und stahlen. Fast nur der Dom war stehen, aber
nicht unversehrt geblieben, denn auch diesen hatten die Räuber
geplündert. Diese merkwürdige Kirche rührt aus dem achten Jahrhundert;
noch ist ein Bildhauerwerk vorhanden, welches den Teufel und seine
Großmutter darstellt.

Bevor ich wieder nach Forchheim zurückkehrte, nahm ich ein paar Flaschen
von der echten Milch der Wormser Lieben Frauen mit; angekommen, kündigte
mir mein Wirt an, daß, da seine Frau in den Wochen, er also deshalb
geniert sei und mir keine Stube geben könne, er mich in die Schenke
ausquartiert habe, ich mußte mich fügen, denn er hatte das Recht dazu.
In der Schenke aber, die einer wahren Rauchhöhle glich, waren schon die
Deßwarts einquartiert, denen man die Wirtsstube eingeräumt, wo man ihnen
eine Streu bereitet hatte; der Wirt erklärte mir nun, er habe kein
anderes Lokal und müsse mir ein Lager in derselben Stube aufschlagen. Es
war schon spät, kein anderes Quartier aufzufinden, zudem waren zwei der
Mädchen nicht häßlich, eine, die jüngste, sogar recht hübsch, und ich
ließ mir eine Streu in eine andere Ecke des Zimmers machen, bestellte
für uns alle ein Abendbrot so gut man es haben konnte, dessen
Hauptsubstanz Speck und Eier war, und gab meine Liebfrauenmilch zum
besten. Dies machte die Damen fröhlich und munter, sie sangen,
schäkerten, ich erlaubte mir manche Freiheiten, küßte abwechselnd die
beiden liebenswürdigsten, und erst gegen Mitternacht begaben wir uns
sämtlich und ziemlich ent- oder vielmehr nur zur Hälfte bekleidet zur
Ruhe. Am andern Morgen war es schon hell am Tag, als der Bursche, den
ich auf Lamertz Rat zu meiner Bedienung auserwählt hatte, klopfte und
mir zurief: »Herr Fourrier, die Leute stehen schon vor der Türe und
erwarten Sie.« -- Ich sprang schnell von der Streu auf, zog meinen Rock
an, hing den Säbel um, und als ich in den Hof trat, stürmten ein halbes
Dutzend Bauern mit Klagen über ihre Einquartierung auf mich ein, die
teils bestohlen, teils mißhandelt worden zu sein vorgaben. Dem einen
waren ein paar Schinken, dem andern eine Speckseite und dem dritten gar
sein Sonntagsrock abhanden gekommen; einem vierten hatte man die Kuh mit
Gewalt gemolken und einem fünften die Frau geschlagen, und als ich über
die Täter die Appelle zu machen suchte, waren die Kerls zum Teufel
gegangen und mein Faktotum Lamertz schon über alle Berge. Dies war mir
ein sauberes Kommando, ich wußte mir nicht anders zu helfen, als die
klagenden Bauern wieder mit Geld zu beschwichtigen, um Ruhe zu haben,
und dachte bei mir selbst: >Wenn so ein Transport solche
Unannehmlichkeiten verursacht, was mag es erst sein, wenn man eine Armee
zu kommandieren hat.< Ich befahl den Abmarsch, und das auserwählte
Korps, mit dem ich auf der Stelle die trefflichste Räuberbande hätte
bilden können, marschierte singend und jubelnd zum Dorfe hinaus und
freute sich, einen so nachsichtsvollen und humanen Führer zu haben.
Nachdem ich etwa eine gute Stunde marschiert und ziemlich müde war, denn
es war schon die dritte Nacht, die ich mehr wachend als schlafend
zubrachte, setzte ich mich zu den Mädchen auf den Leiterwagen, an Mimis
Seite, so hieß die jüngste von des Wagenmeisters Töchtern, und
unterhielt mich recht artig mit ihr. Bei dem schönsten Wetter fuhren wir
durch die Gauen der herrlichen Pfalz, ein schönes Land, dessen üppig
bebaute Fluren und Weinberge Herz und Gemüt freudig erregen, und das
besonders zur Zeit eines guten Weinjahrs und im Herbst in großer Pracht
strahlt.

Unsere heutige Etappe war Dürkheim, und diesmal wurden wir nicht
ausgewiesen, sondern blieben in der Stadt, welche der Mittelpunkt einer
der fruchtbarsten und schönsten Gegenden am Rhein ist. Auch hier kamen
wieder Klagen wegen Diebstählen an mich, und diesmal nahm sich der Maire
selbst der bestohlenen Bürger an, rief mich beiseite und riet mir, das
Gepäck der Rekruten durchsuchen zu lassen; ich willigte sogleich ein und
ließ diese Prozedur durch zwei Gendarmen vornehmen, die der Maire zu
meiner Verfügung stellte. Der Erfolg war, daß man bei einem Ungarn drei
silberne Löffel, bei einem Polen mehrere feine Hemden und über ein
Dutzend weiße Tücher, bei einem Böhmen eine silberne Uhr und ein paar
Ringe, bei einem Russen einige zwanzig Talglichter und bei ein paar
Deutschen eine Menge Linnen fand; die letztern waren die Subjekte, die
sich gerühmt hatten, bei der Bande des Schinderhannes gestanden zu
haben. Mehrere dieser Gegenstände gehörten Dürkheimer Einwohnern, andere
hatten die Kerls wahrscheinlich schon früher gestohlen. Die Burschen
ließ ich nun sofort ins Gefängnis abführen, um durch die Gendarmerie von
Brigade zu Brigade zum Regiment gebracht zu werden.

Nachdem diese unangenehme Operation beendigt war, trat ich den Marsch
nach Kaiserslautern an. Mein dienstwilliger Quartiermacher hatte mir,
weil ich über Ermüdung geklagt, von jetzt an ein Reitpferd unentgeltlich
zu verschaffen angeboten, was er schon zu machen wissen werde, ich
lehnte dies jedoch ab, bat ihn dagegen mir eines gegen bare Bezahlung
für jede Etappe zu mieten, was er auch tat, und ich trat nun den Marsch
beritten an. Der Weg führte zum Teil durch Wald und zwischen Felsgestein
an Abgründen vorüber, gleich hinter Dürkheim hatten wir die Ruinen der
malerischen Hartenburg vor Augen, von der noch mehrere Türme hinter
dunkeln Tannen hervorragten. Beim Ausmarsch war das Wetter ziemlich gut,
die Leute sangen abwechselnd russische, böhmische und deutsche Lieder,
aber bald verdüsterte sich der Himmel und es trat Regenwetter ein. Ich
hatte mehrere kranke Russen, die ich auf den hintern Teil des Wagens
plazierte, während den vordern die Frauenzimmer einnahmen, aber alle
wurden bald durch und durch naß. Der Marsch war lang und erst gegen
abend trafen wir in Kaiserslautern ein, wo uns die Marschroute einen
allen willkommenen Rasttag gewährte. Hier hatte mich Lamertz in ein eben
nicht sehr anständiges Wirtshaus einquartiert, wo es mir nicht behagte,
und als ich mich nach guten Quartieren in der Stadt erkundigte, wurde
mir das Haus des reichen Kaufmanns Karcher als eines der besten
empfohlen, der noch obendrein eine hübsche Tochter habe. Ich ging nun
auf die Mairie, ein Billett auf dieses Haus verlangend, indem ich
vorgab, daß Herr Karcher ein alter Geschäftsfreund meines Vaters in
Frankfurt sei und es demselben gewiß sehr willkommen wäre, wenn ich bei
ihm einquartiert würde. Man war auch so gefällig, meinem Ansuchen zu
willfahren, schrieb jedoch auf die Rückseite des Billetts, welche Gründe
ich angegeben, um es zu erhalten. Dies hatte ich nicht bemerkt, sondern
steckte das Billett, ohne es weiter zu besehen, in die Tasche. Als ich
zu Karcher kam, empfing mich dessen Frau, da der Mann verreist war, und
wunderte sich, daß man ihr Einquartierung schicke, da sie schon einen
Offizier habe, indem sie aber das Billett umwandte, las sie, was auf der
Rückseite geschrieben stand, und sagte dann zu mir: »Ach, Ihr Herr Vater
ist ein Geschäftsfreund von meinem Mann, ja so, das ist etwas anderes,
darf ich um Ihren Namen bitten?« »Mein Name ist Fröhlich, mein Vater
Kaufmann zu Frankfurt, und hat mir viele Empfehlungen an Herrn Karcher
aufgetragen.« -- »So so, das ist recht schön, zwar entsinne ich mich
nicht, den Namen Ihres Hauses gehört zu haben, doch er wird wohl in
unsern Büchern stehen.« -- Diese Antwort machte mich verlegen, und um
mich aus der Affäre zu ziehen, erwiderte ich: »Vermutlich,« und setzte
hinzu: »Aber es würde sehr unbescheiden sein, wenn ich Ihnen noch zur
Last fallen wollte, da Sie schon Einquartierung haben, ich erbitte mir
also das Billett zurück und werde mich in das Gasthaus verfügen, in
welches man mich zuerst gewiesen, ich glaube es ist der >Schwan<.« --
»Ei, behüte Gott,« fiel jetzt Madame Karcher ein, »das kann ich
nimmermehr zugeben, was würde mein Mann dazu sagen, wenn ich den Sohn
eines Geschäftsfreundes abgewiesen hätte, und zudem genieren Sie uns
nicht im mindesten, wir haben noch zwei Gastzimmer frei.« -- Diese
freundliche Einladung wäre mir schon recht gewesen ohne die verdammten
Bücher, ich stellte mich jedoch, als nähme ich sie an und entfernte mich
unter dem Vorwand, mein Gepäck bringen zu lassen, begab mich aber in
mein Wirtshaus, mich mit diesem Quartier begnügend. -- Ich mochte etwa
eine gute Stunde daselbst sein, als ein junger Mensch eintrat, nach mir
fragte und mir sagte, daß ihn Madame Karcher schicke, in deren Haus er
Handlungsdiener sei, und daß mich die Dame bitten ließ, doch ja in ihrem
Haus vorlieb zu nehmen, man hätte in den Büchern nachgesehen und die
Firma unseres Hauses gefunden. Diesmal hatte mir der Zufall treffliche
Dienste geleistet, ich nahm die gütige Einladung vergnügt an, folgte
sogleich meinem Führer und wurde von der Dame mit vielen
Entschuldigungen, daß sie mich nicht sogleich mit offenen Armen
aufgenommen habe, empfangen. -- Bei Tische mußte ich ihnen viel von
Frankfurt erzählen, wo sie schon einigemal während der Messen waren, und
ich befand mich so wohl bei der Familie, daß ich mich königlich freute,
daß mein etwas unbesonnener Kniff eine so glückliche Wendung genommen
hatte.

Den übrigen Teil des Nachmittags brachte ich damit zu, mich in
Kaiserslautern, das an der Lauter liegt und etwa dreitausend Einwohner
zählen mochte, umzusehen, wo das französische Gouvernement gerade die
alte Kaiserburg Friedrich des Ersten sprengen ließ und die Steine davon
verkaufte! -- Doch waren die Hauptmauern dieser ehemaligen Residenz der
Hohenstaufen so fest und solid, daß sie selbst dem Pulver noch
widerstanden; es tat mir wehe, daß dieses Monument Barbarossas so
vertilgt wurde. Hier war auch früher ein großer Fischteich, den man den
Kaiserwog nannte, in welchem man 1497 einen beinahe zwanzig Fuß langen
und über viereinhalb Zentner wiegenden Hecht fing, den Kaiser Friedrich
der Zweite im Jahre 1230 in diesen Teich setzte, nachdem er ihm einen
goldenen Ring hatte umschmieden lassen, auf welchem in griechischer
Schrift die Worte zu lesen waren, daß ihn der Kaiser den fünften Oktober
zwölfhundertunddreißig in das Wasser getan; er war demnach
zweihundertundsiebenundsechzig Jahre alt, als man ihn fing, billig hätte
man ihn sollen leben lassen, aber Kurfürst Philipp verspeiste ihn an
seiner Tafel. Ich brachte den Abend recht angenehm im Familienkreis der
Damen Karcher zu, denen ich nach dem Abendbrot auf dem Klavier
vorspielte und sang, worüber sie sich entzückt stellten, und wünschte
endlich meinen charmanten Wirtinnen eine freundliche gute Nacht, die mir
zurückgegeben wurde. Ich bedauerte recht sehr die Abwesenheit des Herrn
Karcher, über die ich mich im Innern ebenso sehr freute, nahm herzlichen
Abschied und gab am andern Morgen beim Weggehen den Dienstmädchen ein so
gutes Trinkgeld, daß mein erschlichenes Quartier damit reichlich bezahlt
war, wofür mir nebst dem Dank eine glückliche Reise von freundlichen
Gesichtern gewünscht wurde.

Mein Faktotum Lamertz hatte mir wieder eine Rosinante besorgt und
kündigte mir an, daß sich nicht weniger als sieben Marode bei dem
Detachement befänden, die man auf dem Wagen fortschaffen müsse, dagegen
gab es keine Deserteure und es kamen auch zum erstenmal keine Klagen
wegen Diebereien oder Exzessen vor, obgleich wir einen Rasttag gehabt.
-- Der kurze Marsch nach Landsstuhl war in drei Stunden zurückgelegt,
und da wir so früh daselbst ankamen und ich vollkommen ausgeruht war, so
besuchte ich noch vor Tisch die interessanten Ruinen von Sickingens
Burg, die gleich vor dem Flecken auf einem Berg liegen. Hier hatte einst
Götzens treuer Waffenbruder gehaust und Ulrich Hutten und andern eine
sichere Freistätte gewährt. -- Noch erzählen sich die Landleute der
Umgegend gar manche seltsame Geschichten und Sagen von dem wackern
Haudegen, der Worms, Metz und Trier zittern gemacht, religiöse
Gewissensfreiheit wollte, sich wenig um Kaiser und Reich scherte und als
bloßer Reichsritter Heere von zwanzigtausend Mann befehligte. Hutten
nannte seine Burg »Die Herberg der Gerechtigkeit«. Sein Grabmal wurde
erst 1792 von den Franzosen zerstört. -- In Landsstuhl war ich in der
Post einquartiert, wo diesen Abend gerade ein kleiner Ball von den
Honoratioren des Orts veranstaltet wurde, an dem ich teilnahm und mit
den Töchtern des Hauses tanzte, von denen war die älteste wieder eine
Mimi und ein rotwangiges, hochbusiges Kind, das recht wild walzte und
mir nicht undeutlich zu erkennen gab, daß sie mir nicht gerade abgeneigt
sei; ich hatte große Lust, die Sache weiter zu poussieren, als mir eine
Dame, mit der ich Ecossaise tanzte, zuflüsterte: »Sie haben da an der
Tochter des Posthalters eine Eroberung gemacht, auf die Sie eben nicht
stolz sein dürfen, die Jungfer hat schon ein Hufeisen verloren, Sie
werden leichtes Spiel haben.« Dies kühlte mich zwar etwas ab, indessen
konnte ich mich nicht enthalten, meiner gefälligen Tänzerin, des Maires
Frau, zu erwidern: »Ei, was Sie mir da sagen, wer weiß, wie manche in
denselben Fall gekommen wäre, wenn man es der Mühe wert gefunden hätte,
sie zu versuchen.« -- Nach Mitternacht verließ ich den Tanzsaal, warf
mich angekleidet auf mein Lager und marschierte um sechs Uhr nach
Homburg ab, das mich nur seines Namens wegen interessierte. Hier war ich
zum erstenmal bei einem Juden einquartiert, der mir aber ein so
schmutziges Zimmer und Bett anwies, daß ich mich auf meine Kosten
ausquartierte. -- Auf dem nahen Karlsberg sieht man die Trümmer des
prächtigen Schlosses, das die Herzöge von Zweibrücken mit ungeheuren
Kosten erbaut hatten, und welches erst 1784 vollendet wurde; an fünfzehn
Millionen wurden auf die Anlagen desselben Berges verwendet! Hauchard
hatte es in den Revolutionskriegen in Brand stecken und zerstören
lassen. Auf der linken Seite dieses Berges liegen die malerischen Ruinen
des schon im Dreißigjährigen Kriege zerstörten Schlosses Kirki.

Von Homburg führte uns die Marschroute nach der freundlichen Stadt
Saarbrücken, ehemals die Hauptstadt einer Grafschaft dieses Namens.

Mein Glücksstern führte mich diesmal zu einer wohlhabenden Witwe, deren
Tochter noch nicht lange an einen französischen Employé verheiratet war,
der sich in diesem Augenblick in Dienstgeschäften auf mehrere Tage nach
Zweibrücken begeben hatte, so daß das junge Weibchen Strohwitwe war und
bei der Mama im Haus wohnte. Ich knüpfte eine Unterhaltung mit den
gesprächigen Damen an und hatte bald heraus, daß beide eben nicht
sonderlich von der Heirat mit einem Stockfranzosen eingenommen waren,
der kein Wort deutsch verstand und sich beständig über alles, was
deutsch, mokierte; auch scherzte die Mama über die Strohwitwenschaft des
hübschen Töchterchens. Ich meinte, diesem Übel sei doch wohl noch
abzuhelfen, und bedauerte von Herzen, daß eine so schmucke junge Frau
schon die Erfahrung nächtlicher Langeweile machen müsse. In der Stube
stand ein Klavier, und ich bat die Dame, mich doch etwas von ihrer Kunst
hören zu lassen, sie spielte und sang ein paar kleine Schmachtlieder mit
zwar reiner, aber schwacher Stimme. Während Mama ab- und zuging und sich
mit dem Hauswesen beschäftigte, drückte ich der jungen freundlichen
Strohwitwe die Hand, wagte bald einen Kuß auf die Wangen, dann auf den
Mund und endlich eine Umarmung, bei der ich sie so fest an mich drückte,
daß ich mich vollkommen von der straffen Elastizität zwei schön
geformter Halbkugeln überzeugen konnte. -- Man sträubte sich zwar ein
wenig, machte Miene zum Schreien, aber ich lispelte: »Wo ist Ihr
Schlafzimmer? Darf ich kommen? Es ist ja nur eine einzige, schnell
vorübergehende Nacht, die morgen um diese Zeit, so wie mich selbst, der
Wind verweht hat, und niemand ahnt etwas davon.«

»Mein Zimmer ist eine Stiege hoch, die erste Türe links, aber Sie dürfen
sich nicht unterstehen zu kommen,« stammelte mit hochpochendem Busen und
kaum hörbarer Stimme die junge Frau.

»Aber ich komme doch, schließen Sie nicht ab,« erwiderte ich, sie
abermals umarmend.

»Ich schließe niemals ab, aber Sie dürfen doch nicht kommen.«

Jetzt trat die Mutter wieder ins Zimmer, und ich wiederholte nur noch:
»Doch.« Ich speiste mit den Damen zu Nacht und wünschte ihnen dann wohl
zu ruhen; als aber die Glocke elf schlug und im Hause alles still und
stumm war, da schlich ich mich auf den Zehen und in den Strümpfen an das
bezeichnete Zimmer. Leise, leise drückte ich an die nachgebende Klinke,
öffnete die Tür und hüstelte ein wenig, um meine Gegenwart zu verraten.

»Bist du's, Louise,« hörte ich mit Schrecken die Stimme der Mama und
machte möglichst leise die Türe wieder zu, vor der ich aber stehen blieb
und lauschte, was es weiter gebe.

»Was war denn das? Was soll das heißen? -- Ist jemand da?« hörte ich die
Mutter wiederholen, blieb aber stumm wie eine Statue. -- Als ich endlich
nichts mehr hörte und sich die Alte auch nicht mehr regte, schlich ich
mich fort, überzeugt, daß ich die rechte Tür verfehlt hatte, ich war an
die erste Tür rechts gekommen, von meinem Zimmer aus, das auf dem
nämlichen Gang, also links lag; ich suchte nun die erste Türe rechts von
der Treppe aus, öffnete auch diese so sachte als möglich, und ließ ein
»Bst, Bst!« vernehmen, worauf ein kaum hörbares Stimmchen sagte:

»Mein Gott, wer ist denn da?«

»Ich bin es, holder Engel.«

»Wie?« sagte die Stimme noch leiser, »und Sie sind doch gekommen?«

»Alle Pferde der Welt hätten mich nicht zurückgehalten,« sagte ich
ebenso leise, eilte auf den Ort zu, wo das Stimmchen ertönte, und
verhinderte dessen Lautwerden durch einen Strom der feurigsten Küsse und
eine lange, lange -- Umarmung. -- Erst gegen Morgen verließ ich das
gastfreundliche Zimmer und Ehebett, nachdem ich dem guten Weibchen mit
tausend Küssen ein herzliches Lebewohl gesagt und versprochen hatte,
daß, wenn der Zufall mich wieder in diese Gegend führe, ich gewiß nicht
unterlassen würde, sie zu besuchen. -- Ich sah sie nie wieder. -- Ich
hatte ihr gesagt, daß ich mich zuerst in das Zimmer ihrer Mutter
verirrt, und fürchtete, daß diese etwas gemerkt habe, worüber sie lachte
und ganz naiv sagte: »Ach, wenn Mutter auch etwas gemerkt hat, so tut
sie doch, als hätte sie nichts gemerkt.«

Von Saarbrücken ging der Marsch nach St. Avold, die erste Stadt des
älteren Frankreichs. In dieser Gegend ist das Erdreich so hart und
steinig, daß man, um es umzuackern, acht bis zehn Ochsen oder Pferde vor
einen Pflug spannen muß, auch sah ich hier zum erstenmal auf gut
gesattelten Ochsen reiten. -- Man baut meistens Wein. -- In dem
Städtchen, das etwa 2500 Einwohner zählen mochte, wird nur französisch
gesprochen, und man erlaubt sich hier, so wie überhaupt an der Grenze
von Deutschland, sich über den ehrlichen Deutschen lustiger zu machen,
als im Innern von Frankreich. Sonderbar kam es mir anfänglich vor,
jedermann und auch die untersten Klassen nur französisch reden zu hören.
-- Der nächste Tag führte uns nach Courcelles, ein großes, schön
gelegenes und von Hügeln umgebenes Dorf, wo ich abermals mein Quartier
in einer Schenke mit den Deßwarts teilen mußte. -- Noch ruhte ich auf
der Streu, als der Bursche, den ich dem Lamertz zum Quartiermachen
während der Route mitgegeben hatte, vor mich trat und mir eröffnete, daß
er seinen Kollegen schon seit dem gestrigen Abend vermisse, der samt
seinen Effekten verschwunden, also aller Wahrscheinlichkeit nach
desertiert sei; er habe nichts als die Marschroute zurückgelassen, die
er mir bei diesen Worten zustellte. Daß der Kerl desertiert war,
bezweifelte ich nicht, aber noch ahnte ich nichts von den andern
Streichen, die er gemacht hatte, und die mich schon in unserm heutigen
Etappenort, Metz, in eine arge Patsche bringen sollten. Ich gab dem
andern Burschen, einem ehrlichen Bayer, der ein paar Worte französisch
stottern gelernt, die Marschroute zurück und trug ihm auf, damit nach
Metz vorauszugehen und unsere Ankunft auf der Mairie anzukündigen. --
Eine Stunde darauf setzte sich der Transport in Marsch, von dem außer
Lamertz noch vier andere Burschen desertiert und mehrere marode waren.

Auf einem Halt dieses Marsches kamen die Damen Deßwarts mit den beiden
andern Weibern dieses Transports und deren Männern in einen schlimmen
Konflikt, der für die erstern sehr schmutzig endigte. Seitdem wir auf
altfranzösischem Boden waren, hatten wir statt eines vierrädrigen
Leiterwagens nur zweirädrige Karren für die Bagage und Kranken bekommen,
auf denen natürlich der Raum weit beengter war. Deßwarts, als des
Wagenmeisters Töchter, vom Kapitän-Quartier-Maitre empfohlen und
obendrein von mir protegiert, machten Ansprüche nicht nur auf die besten
Plätze, sondern wenn der Raum zu eng war, wollten sie, um nicht geniert
zu sein, den andern Weibern nicht erlauben, den Karren zu besteigen;
diese, ohnehin schon wegen der Vorrechte, die jene hatten, neidisch,
wurden nun wütend, da sie bei allem Wetter hintendrein zu Fuß laufen
mußten. Als ich auf dem halben Wege nach Metz Halt machen ließ und eines
dieser Weiber etwas von ihren Effekten von den Karren nehmen wollte,
wodurch die Mutter Deßwart, die eben ihr Frühstück, Wurst und Brot,
einnahm, derangiert wurde, ließ diese ein flamändisches Schimpfwort
fallen (Deßwarts waren Flamänder, sprachen jedoch französisch), was die
Deutsche verstand und noch derber zurückgab, worauf sich ein sehr
heftiger Wortwechsel in flamändischer, französischer und deutscher
Sprache entspann, bei dem es an Kraftwörtern der drei Sprachen nicht
fehlte; das andere deutsche Weib und deren Mann hatten sich ebenfalls
darein gemischt und letzterer endlich geschrien: »Was macht man viel
Umstände mit den wälschen H...,« er hob den Vorderteil des Karrens, ihn
bei der Schere fassend, so hoch, daß das Hinterteil, auf dem die fünf
Frauen saßen -- die Pferde waren ausgespannt --, das Übergewicht bekam,
der ganze Kasten das Oberste nach unten kehrte, und alles, was er
enthielt, in eine sehr kotige Pfütze ausleerte, aus der die Mädchen
unter dem Gelächter und Gespötte der Rekruten ganz beschmutzt
hervorkrochen und samt der Mama heulend und fluchend und ihre bittern
Klagen vorbringend zu mir in die Wirtsstube liefen, wo ich mein
Frühstück einnahm. Ich suchte sie möglichst zu besänftigen und zu
beruhigen, was mir hauptsächlich durch ein kopiöses Frühstück gelang,
das ich ihnen auf meine Kosten servieren ließ, ging hinaus, um den Kerl
zur Rede zu stellen, der sich diese Ungezogenheit erlaubt hatte, und
sich damit ausredete, daß er es nicht so gemeint habe, die Schere sei
ihm aus den Händen gerutscht und das Ganze nur Zufall. Ich versprach ihm
jedoch, daß ich ihn zu Metz, wo wir den zweiten Rasttag hatten, für
diesen Zufall würde einstecken lassen, nicht ahnend, daß mir dieses
Schicksal so nahe bevorstehe. -- Nachdem sich die Mädchen gereinigt und
durch reichliches Essen und Trinken gehörig gestärkt hatten, setzten wir
guter Dinge unsern Marsch fort und erblickten gegen Mittag die Türme der
ehemaligen alten Reichs-, jetzt Hauptstadt des Mosel-Departements; bald
marschierten wir zwischen den berühmten Obstgärten dieser Stadt, welche
köstliche Mirabellen, Reineklauden, Aprikosen usw., die treffliche
Konfitüren geben, enthalten, den Toren zu. Aber schon vor einem
derselben erwartete mich der vorausgesandte Quartiermacher und meldete
mir, daß man auf der Mairie beim Durchlesen der Feuille de Route
gewaltig die Köpfe zusammengesteckt und geschüttelt und eine Menge Dinge
gekauderwelscht habe, von denen er kein Wort verstanden, aber es sei ihm
vorgekommen, als wären die Herren sehr bös geworden. Als ich kaum auf
dem Place d'Armes angekommen war und die Appelle gemacht hatte, erschien
ein Adjutant des Platzkommandanten, der mir andeutete, ich habe mich
sogleich zu seinem Chef zu verfügen. Er führte mich auf die
Kommandantur, wo mich der Platzkommandant mit den Worten: »_Ah, Monsieur
le fourrier, vous avez fait des jolies choses_« anfuhr, »_Monsieur le
Sous-Inspecteur va passer la revue de votre detachement, et gare a vous
si vous ne pouvez vous justifier_.« Ich war über diese Anrede sehr
erstaunt und erwiderte: »_que je ne comprenais rien a çela_« usw. Der
Kommandant fiel mir aber ins Wort und sagte: »_Eh bien je veux vous le
faire compendre, vous allez commencer par vous rendre en prison._« Ich
mußte ihm meinen Säbel abgeben und wurde sofort durch den Adjutanten in
das Militär-Stadtgefängnis abgeführt, ohne zu wissen warum und weswegen.
Hier traf ich in einem ziemlich geräumigen Lokal mehrere Unteroffiziere
wegen Dienstvergehen verhaftet, diese kamen bei meinem Eintritt auf mich
zu, hießen mich willkommen und verlangten, daß ich die »_bien venu_«
bezahlen solle. Da ich nicht verstand, was sie eigentlich damit wollten,
so erläuterte mir einer derselben, daß es sich darum handle, sie zu
regalieren, wie dies Brauch und Sitte bei jedem neuen Ankömmling in den
französischen Militärgefängnissen sei, wenn er gut gehalten und
angesehen sein wolle. Ich gab an einen derselben, den man mir als den
Herrn Präsidenten des Prison bezeichnete, weil er schon am längsten in
demselben saß, zwölf Franken, wofür er sogleich Wein, Brot, Wurst und
Käse holen ließ, was den Herren trefflich schmeckte; dann, nachdem ich
ihnen mitgeteilt, wie ich zu der Ehre ihrer Gesellschaft gekommen,
sprachen sie mir Trost und Mut ein und meinten, die Suche müsse sich
bald aufklären. Noch redeten wir darüber, als der Platzadjutant wieder
eintrat und mir befahl, ihm zu folgen. Er führte mich vor den
_Inspecteur aux revues_, der die Rekruten musterte, die in einem Glied
aufgestellt waren, und an die er, die Marschroute in der Hand,
verschiedene Fragen tat, welche alle unbeantwortet blieben, da ihn
keiner der Leute verstand. Als er mich ansichtig wurde, sagte er zu mir:
»_C'est donc vous qui commandez ce detachement?_« »_Oui Monsieur._« »_Eh
bien, vous n'êtez pas blanc._« Er hielt mir nun zornig vor, warum ich
auf jeder Etappe vier Wagen unter dem Vorwand von Kranken und Maroden
requiriert habe, daß ich über sechzig Paar Schuhe in Kaiserslautern
empfangen und keiner der Leute ein Paar ganze Schuhe an den Füßen habe,
daß ich Brot und Quartiere für einige siebzig Mann genommen und doch nur
sechsundfünfzig vorhanden seien, daß sogar die Feuille de Route
verfälscht sei, und er mich von hier weg ins _Cachot_ bringen lassen
wolle, um mich durch ein _Conseil de guerre_ verurteilen zu lassen. Über
alle diese Anschuldigungen war ich wie aus dem Himmel gefallen und wußte
nicht, auf welche ich zuerst antworten sollte; erst als der mich scharf
ansehende Inspekteur hinzufügte: »_Comment à votre àge tant de
perversité, c'est, terrible, cela vous menera droit aux galères!_« bekam
ich die Sprache wieder und erklärte in einem Strom von Worten, daß ich
von allem, was er mir da gesagt, gar nichts verstünde und nicht wisse,
was dies heißen solle, daß ich nie weder Schuhe noch Wagen noch sonst
etwas requiriert und seit dem Abmarsch von Mainz die Feuille de Route
nicht eher als diesen Morgen, wo derjenige, der die Quartiere gemacht,
desertiert sei, wieder zu Gesicht bekommen habe. Der Inspekteur und der
Platzadjutant sahen einander und dann wieder mich an, und ersterer sagte
darauf zum andern: »_Allez chercher un interprête._« -- Dies war in Metz
nicht schwer, und in ein paar Minuten war der Offizier mit einem
Dolmetscher, der ein Jude war, zurück. Durch diesen ließ nun der
Inspekteur die Mannschaft befragen, konnte aber nur von den Deutschen
Auskunft erhalten, da ihn die Polen, Russen, Böhmen und Ungarn natürlich
nicht verstanden. Ich mußte ergänzen, was die Leute gegen Lamertz
aussagten, und der Inspekteur sah bald ein, daß dieser durchtriebene
Spitzbube, der alle Kniffe und Ränke des Soldatenwesens genau kannte,
meine Jugend und Unerfahrenheit benutzt und schändlich mißbraucht hatte,
um sich zum Quartiermacher aufzudrängen und sich Geld zu machen, wo und
wie er konnte. Solange wir durch kleine Städte kamen, war dies eben
nicht schwer, und die Herren Maires ließen sich leicht hinters Licht
führen, statt der requirierten Wagen hatte er sich von den Bürgern oder
Bauern, welche die Fuhren liefern sollten, etwas Geld geben lassen und
so weiter, aber wohl wußte er, daß sich in Metz eine militärische
Inspektion befinde, wo alles genau untersucht würde, und nahm daher im
vorletzten Nachtquartier, gut mit Geld versehen, Reißaus. Wie ich später
erfuhr, hatte man ihn eingefangen, aber er gab sich für einen
entwischten Kriegsgefangenen aus und man ließ ihn wieder laufen; dennoch
entging er seiner Strafe nicht, denn ich traf ihn bald darauf zu Toulon,
wo er wegen noch anderer Verbrechen auf zehn Jahre _aux travaux forcés_
verurteilt war.

Der Inspekteur, den Zusammenhang der sauberen Geschichte wohl einsehend,
tadelte es scharf, daß man einem so jungen und unerfahrenen Menschen,
wie ich sei, einen solchen Transport von aus aller Welt
zusammengerafftem Gesindel zur Führung übergeben habe, und erteilte
Befehl, daß mir von Metz bis Toul, es waren nur noch zwei Etappen, drei
Gendarmen beigegeben wurden, die Burschen, von denen ein halbes Dutzend
im Lazarett zu Metz zurückblieb, in gehörigem Respekt zu halten.

Am andern Morgen traten wir zu meiner großen Zufriedenheit den letzten
Marsch dieses für mich ziemlich beschwerlichen Kommandos an und kamen
ohne weitere Un- oder Zufälle glücklich an dem Ziel unserer Bestimmung,
zu Toul, an, wo ich meinen Transport an den Kommandanten des bereits
formierten ersten Bataillons des Regiments Y. übergab. -- Ich hatte ein
gutes Lehrgeld für meine Unerfahrenheit bezahlt, das mir aber später
zustatten kam.




                                  XI.

    Die Garnison zu Toul. -- Ich werde Kadett-Sergeant. -- Schlechte
    Administration und Organisation des Regiments. -- Schlimmer Ruf
     desselben. -- Aufstand wegen des Handgeldes. -- Deutsches und
    französisches Liebhabertheater. -- Nancy. -- Eine Entführung. --
    Ich werde Vorleser beim Fürsten und erhalte Arrest. -- Ein Duell
    im Mondschein. -- Eine Klopffechterei. -- Abmarsch nach Avignon.


Den Tag nach meiner Ankunft zu Toul meldete ich mich bei dem
Regimentschef, dem Fürsten Y., der seine Residenz in dem ehemaligen
bischöflichen Palast aufgeschlagen hatte und mich äußerst gnädig
empfing. Ich mußte ihm alle Details über die Führung meines Transports
wiederholen, und Seine Durchlaucht geruhten sich über den Vorfall zu
Metz beinahe halb totlachen zu wollen und meinten, der Inspekteur
daselbst habe gut sagen, daß der Quartier-Maitre denselben einem
gedienten und erfahrenen Unteroffizier hätte übergeben sollen, da in
Mainz kein solcher dem Regiment angehöriger mehr vorhanden gewesen. Der
Fürst teilte mir nun noch mit, daß er Kadetten kreieren und bei jeder
Kompagnie zwei einstellen werde, wobei er so gnädig war, mich sogleich
zu einem solchen zu ernennen, sowie mir den Grad als Sergeant zu
erteilen, da sich der eines Fouriers wegen der Komptabilität nicht gut
für mich schicke, ich möge mich nur jetzt mit dem Dienst recht
befreunden, dann werde mein Avancement zum Offizier nicht lange auf sich
warten lassen, und damit war ich allergnädigst verabschiedet. Ich
befolgte den mir gegebenen Rat, studierte fleißig das französische
Dienstreglement sowie die Soldaten-, Peloton- und Bataillonsschule und
tat bald meine erste Wache an der Porte-Royal.

Toul, das alte _Tullum Leucorum_, zur Zeit der Römer die Hauptstadt der
_Leuci_, ist eine Festung vierten Ranges, deren schlecht unterhaltene
Werke einem Feind, der es ernstlich meint, nicht lange widerstehen
würden. Die Wälle sind so niedrig, daß viele Rekruten des Regiments, das
in der Stadt konsigniert war, von denselben herab und in die trockenen
Gräben sprangen, um zu desertieren, weshalb die Unteroffiziere während
der Nacht mit scharfgeladenen Gewehren um dieselben von außen
patrouillieren mußten.

Es wurde nun den ganzen Tag auf den Plätzen vor den Kasernen exerziert,
den Leuten die Handgriffe der französischen Waffen beigebracht und
sodann marschiert. Dies ewige geisttötende Einerlei war mir bald in
hohem Grad zuwider: Gewehr auf, Gewehr ab, rechts und links in die
Flanken, rechtsum kehrt euch, Ladung in zwölf Tempi und achtzehn
Bewegungen, die Stellung, der Gänsemarsch usw. usw. waren drei bis vier
Stunden vor- und ebenso viel nachmittags die geistreiche Beschäftigung,
die mir und allen andern zuteil ward. Der Fürst hatte deutsches
Kommando, aus dem Französischen übersetzt, eingeführt, weil er
behauptete, es sei ein deutsches Regiment, obgleich fast mehr Russen,
Polen, Ungarn, Böhmen als Deutsche bei demselben waren und ich hier alle
Gelegenheit hatte, eine göttliche Geduld auf die Probe zu stellen, um
mich bei dem Einexerzieren dieser Burschen mehr durch Mienen und Gesten,
als durch Worte verständlich zu machen. Was aber noch schlimmer als das
deutsche Kommando, war, daß man auch deutsche Prügelei bei dem Regiment
einführte, und zwar auf den Rat mehrerer Offiziere, die früher in
österreichischen, preußischen und andern deutschen Diensten gestanden
hatten und behaupteten, die Disziplin bei dem Regiment sei durchaus nur
vermittelst deutscher Prügel zu erhalten, und diese wurden auch bald
häufig genug zu Portionen à fünfundzwanzig, fünfzig und hundert, je
nachdem die Vergehen waren, mit großer Freigebigkeit durch ehemalige
österreichische Korporale, die am besten damit umzugehen verstanden,
erteilt. Dieses Verfahren hatte zwei wesentliche Nachteile für das
Regiment: zum ersten wurde dadurch alles Ehrgefühl bei den Soldaten
erstickt, und zum andern wurde das Regiment von den französischen
Truppen, mit denen es im Feld oder in Garnison zusammenkam, deshalb mit
großer Verachtung angesehen und den Offizieren desselben nicht selten
von den Offizieren französischer und sogar italienischer Regimenter
diese Prügelei vorgeworfen, wodurch es dann natürlich zu Händeln kommen
mußte. Sicher ist es, daß _salle de police_ und _salle de discipline_,
wie es die französischen Reglements vorschreiben, dieselbe und wohl noch
weit bessere Wirkung gehabt hätten, denn der rohe Russe, Böhme und Ungar
fürchten weit mehr Einsperrung, wenn auch nur auf wenige Tage, als eine
Tracht Prügel, die sie bald verschmerzen. Aber alle Vorstellungen
einiger vernünftigerer Offiziere halfen nichts und konnten bei dem
Fürsten nicht durchdringen, es blieb halt bei den Prügeln. Freilich
bestand jetzt das Regiment schon aus beinahe dreitausend Mann
zusammengerafftem Gesindel aus allen Weltgegenden, und Diebstähle und
Exzesse aller Art wurden täglich in Masse begangen, aber durch das
Prügeln wurde es um kein Haar besser, eher schlimmer. Leider war auch
ein Teil des Offizierkorps nicht viel besser als die Soldaten. Da waren
bankerotte Kaufleute, gescheiterte Gastwirte, die mit dem, was sie aus
dem Schiffbruch gerettet, den sehr einflußreichen Kammerdiener des
Fürsten und einige andere seiner Umgebung durch Präsente bestochen und
sogar den Grad eines Kapitäns erhalten hatten; auch verunglückte
Advokaten, Professoren, abgesetzte Richter, Bürgermeister, französische
Schauspieler und Gott weiß was alles für Schiffbrüchige aus allen
Ständen, hatten da einen Anker der Rettung, zum Teil auch als Feldwebel
und Fouriere, gesucht und gefunden, bis sich nach und nach das
Offizierkorps wieder reinigte und durch den Gärungsprozeß von dem
Untauglichen befreite. Auf dem Exerzierplatz hörte man in allen Sprachen
reden, radebrechen und fluchen, und es war gewiß nicht eine Nation
Europas, mit Ausnahme der türkischen, die nicht ihre Repräsentanten bei
diesem Regiment gehabt hätte. Raufereien, Desertionen, Diebstähle und
andere Exzesse waren so sehr an der Tagesordnung, daß die Rückseite der
täglichen Kompagnie-Rapporte ganz damit, sowie die Gefängnisse und
Arresthäuser mit Delinquenten vom Regiment angefüllt waren. Besonders
waren es auch die Unteroffiziere, zu denen man trotz des Verbots viele
Franzosen, und zwar solche Subjekte genommen hatte, die aus
französischen Regimentern wegen schlechter Streiche fortgejagt oder
desertiert waren, die nächtlichen Unfug in den Wirtshäusern und auf den
Straßen begingen. Die Folgen von all diesem waren, daß das Regiment bald
eine sehr traurige Berühmtheit erlangte, auf Märschen und in Garnisonen,
wo ihm ein schrecklicher Ruf voranging, gefürchtet, von den
französischen Truppen verachtet wurde, und vor dem Feind wenig
zuverlässig war. Aber an all diesen Dingen war nicht sowohl die
schlechte Zusammensetzung, als vielmehr die noch schlechtere oder doch
ebenso schlechte Führung desselben schuld. In keiner Beziehung hatte man
den Angeworbenen Wort gehalten, namentlich wurde ihnen das versprochene
Handgeld nie ausgezahlt, und dies gaben die meisten der
wiedereingefangenen Deserteure, sowie viel derer, die einen Diebstahl
begangen, als den Grund ihres Vergehens an; viele hatten nur gewartet,
bis sie mit Schuhen, Hemden und Kapotten versehen waren, um sich wieder
davonzumachen. Hierzu kam noch der Kontrast der Behandlung im Vergleich
mit den französischen Truppen; in Toul lag das Depot eines
Linienregiments, das sich einer äußerst humanen Begegnung von seiten der
Vorgesetzten zu erfreuen hatte. In dem französischen Heer war damals ein
sehr menschenfreundliches Benehmen der Höhern gegen die Niedern
vorherrschend, wodurch die Untergebenen eine aufrichtige Zuneigung zu
ihren Vorgesetzten faßten, und dies ging durch alle Grade durch. Dies
bildete einen grellen Kontrast mit der sklavischen und zum Teil
barbarischen Behandlung, die noch bei den deutschen Truppen beliebt war.
Ein Lieblingsausdruck der deutschen Offiziere und Unteroffiziere gegen
den Untergebenen, der eine, wenn auch noch so bescheidene Einwendung
vorbrachte, war in der Regel: »Was will der Kerl noch räsonieren, ich
lasse ihn hauen, daß ihm die Schwarte kracht, oder krummschließen, daß
er die Schwerenot kriegt« usw. Freilich hätte es sehr schlimm um jene
Heere gestanden, wenn sich Räson hätte dürfen geltend machen. Wie ganz
anders war dies jetzt im französischen Heer, wo selbst der Gemeine
seinem Obersten oder General ohne Bedenken alle möglichen Vorstellungen
machen durfte und gewiß war, daß sie nicht nur mit Güte und Wohlwollen
angehört wurden, sondern auch Eingang fanden, wenn sie sich als bewährt
oder begründet zeigten, während unsere deutschen Stockhelden alles, was
nur nach Vernunft schmeckte, mit stieren Augen anglotzten, und nur
Meister im gemeinsten Schimpfen und Fluchen waren; fast nie hörte man
ein erniedrigendes Schimpfwort aus dem Munde eines französischen
Offiziers gegen seine Untergebenen.

Mit den Prügeln wurde es bald so arg, daß ein jeder Kapitän deren nach
Belieben austeilen ließ, ja sogar die Sergeant-Majors (Feldwebel) ließen
auf ihre eigene Faust prügeln, und bei jedem Rapport wurden Tausende von
Prügeln verordnet; der Fürst, der früher ebenfalls in österreichischen
Diensten gestanden, fand dies ganz in der Ordnung. Die Folgen waren
Vermehrung der Desertion, aber dies war gerade, was die Kompagniechefs
und Sergeant-Majors wollten, denn jedem Deserteur wurden sogleich
Schuhe, Hemden, Gamaschen, Polizeimütze und sogar Uniform aufgebürdet,
die er noch gar nicht erhalten und mitgenommen haben sollte, auch wurde
der Mann noch mehrere Wochen als präsent fortgeführt, und so Brot, Sold
und andere Dinge für ihn empfangen; das Geld teilte der Hauptmann mit
seinem Feldwebel, versteht sich so, daß der erstere den Löwenanteil
erhielt, auch die Fouriere hatten ihren Anteil. Die Sache war um so
leichter tunlich, als die wieder eingebrachten Deserteure nicht in
Untersuchung kamen, sondern den Kompagnien zur willkürlichen Bestrafung
übergeben wurden, die dann in einer gehörigen Tracht Prügel und
Gefängnis bei Wasser und Brot bestand. -- Der Fürst, der sich wenig oder
nicht um den Dienst bekümmerte, ihn auch nicht verstand, ließ die
Bataillons- und Kompagniechefs nach Gefallen schalten und walten. Auf
der andern Seite durfte auch er nicht viel sagen, denn wie sah es mit
den versprochenen Handgeldern aus, da ihm das französische Gouvernement
doch sechzig Franken für den Kopf gutgetan hatte? -- Fürst Y. war kein
böser, aber was oft weit schlimmer, ein äußerst schwacher Mensch, und
hatte dabei sehr kostspielige Liebhabereien, unter denen die für gewisse
Damen nicht die am wenigsten kostende war, dazu war seine Suite fast
immer ein kleiner Hofstaat, und er führte viele Pferde, Bereiter,
Dienerschaft und so weiter mit sich. Wer seine Schwächen zu benutzen
verstand und Gelegenheit hatte, konnte von ihm verlangen, was er wollte,
vielen Offizieren hatte er Bons für nicht unbedeutende Summen auf den
Quartier-Maitre-Tresorier abgegeben, sowie noch andere Bons, so daß er
in einem Monat oft zwanzigmal mehr auf die Regimentskasse anwies, als
sein Gehalt als Oberst betrug. So war das den Rekruten zukommende
Handgeld, an zweihunderttausend Franken, bald erschöpft, und was der
Fürst aus seinem ohnehin schon mit Schulden belasteten Ländchen in
Person bezog, denn seine Gemahlin, die Prinzen, der Hof mußten doch auch
standesmäßig unterhalten werden, reichte bei weitem nicht aus, seinen
Aufwand in Frankreich zu bestreiten. Da also das Übel von oben kam, war
ihm schwer abzuhelfen, erst nachdem der Inspekteur mehrmals von Metz zur
Musterung des Regiments gekommen war und dabei empfindliche, harte und
drohende Worte hatte fallen lassen, kam etwas mehr Ordnung in die
Organisation, Administration und Führung desselben, doch fand immer noch
Unterschleif genug, nur mit mehr Vorsicht und Behutsamkeit statt.

Das nicht ausgezahlte Handgeld führte indessen eines Tages einen sehr
bedenklichen Vorfall bei der Wachtparade herbei. Kaum waren die Wachen
nach ihren verschiedenen Posten abmarschiert, als über 300 Mann, von
einigen Unteroffizieren geführt, auf dem Paradeplatz erschienen und
deren Sprecher, ein Sergeant-Major, von dem Fürsten verlangte, daß er
ihnen sogleich das versprochene Handgeld auszahlen lasse. Der Fürst Y.
und ein paar Stabsoffiziere wollten nun die Leute mit kurzen Worten und
Drohungen abspeisen, aber diese erklärten durch ihren Dolmetscher, daß
sie nicht eher von der Stelle gehen würden, bis man sie befriedigt habe.
Nach mehrerem Hin- und Herreden wußte sich Fürst Y. nicht anders zu
helfen, als ein paar tausend Franken bei dem Quartier-Maitre holen und
einem jeden dieser Leute sogleich einen Sechs-Livretaler auf Abschlag
auszahlen zu lassen, versprechend, das übrige sowie das Handgeld für das
ganze Regiment solle unfehlbar in den nächsten vierzehn Tagen ausgezahlt
werden. Die Leute begnügten sich damit und gingen in die Kasernen
zurück, das _à conto_ Empfangene zu verjubeln und ihren Kameraden die
gute Nachricht zu hinterbringen. Aber kaum hatten sie den Paradeplatz
verlassen, als die Unteroffiziere, die sie angeführt hatten, arretiert
und in das Militärgefängnis geworfen wurden. Man machte kurzen Prozeß
mit ihnen, und schon am andern Tage wurden sie bei der Wachtparade
angeblich wegen Meuterei degradiert. Der Sergeant-Major hatte jedoch
dabei furchtbar getobt und gedroht, er würde alle seine Beschwerden und
Klagen wegen der Unterschleife und Betrügereien so vieler Kapitäne an
gehörigem Ort vorzubringen wissen. Nachdem man ihn wieder ins Gefängnis
zurückgebracht, war er nach einigen Tagen verschwunden, niemand wußte,
was aus ihm geworden war; später habe ich in Erfahrung gebracht, daß man
ihm den Mund mit Geld gestopft und einen Paß nach Deutschland gegeben
habe.

Nach diesem Ereignis war keine Rede mehr von der weitern Auszahlung des
Handgeldes, obschon die Leute nicht aufhörten deshalb zu murren.

Jetzt waren bereits die drei Bataillone des Regiments vollzählig und das
erste ganz uniformiert, bewaffnet und ziemlich gut einexerziert. So
gerne aber auch die Einwohner von Toul, und insbesondere die Wirte, Geld
verdienen mochten, so war es den Inhabern der Speiseanstalten, Wein- und
Branntweinschenken doch jedesmal nicht wohl zumute, wenn Gäste vom
Regiment Y. bei ihnen einsprachen, da sich diese in der Regel betranken
und dann, namentlich die Russen und Polen, Händel anfingen, oft alles
zerschlugen und nicht selten Reißaus nahmen, ohne die Zeche zu
berichtigen. Auch wegen der Unmäßigkeit dieser Leute, von denen oft ein
einziger mehr Trank und Speise zu sich nahm als drei Franzosen, von
welchen manche Familie von vier bis sechs Personen mit anderthalb Pfund
zu einer Suppe konsumiertem Fleisch einen ganzen Tag lebt, mit Wein
rotgefärbtes Wasser trinkend, kamen wir in den besten Ruf als
Vielfresser und Trunkenbolde. Da ich indessen in der Pension, in welcher
ich mit noch einem Dutzend anderer Kadetten, meistens Söhne aus guten
Familien aus Nancy und Metz, speiste, sehr wenig aß, auch nur Wasser mit
äußerst wenig Wein vermischt und gar keine Spirituosa trank, sehr
geläufig französisch mit wenig oder gar keinem Akzent sprach, so wollte
man mir durchaus die Ehre erzeigen, mich für einen Franzosen zu halten,
wenn ich auch noch so sehr dagegen protestierte.

Der Fürst hatte den Kadetten, sobald sie nicht im Dienst waren ganz
dieselben Uniformen wie den Offizieren gestattet, nur mit dem
Unterschied, daß sie zwei silberne Kontre-Epaulettes statt eines
Epauletts mit Fransen auf der linken Schulter trugen, und diese selbst
im Dienst mit der Abzeichnung ihres Grades beibehielten, denn es
gab Gemeine-, Korporal-, Fourier-, Sergeant- und selbst
Sergeant-Majors-Kadetten.

Bald nach mir war auch der Quartier-Maitre Viriot in Toul angekommen und
brachte mir Briefe von meinen Eltern nebst der Nachricht mit, daß er von
meinem Vater beauftragt sei, mir jeden Monat hundert Franken, also
Oberleutnantsgage, als Zulage auszuzahlen; dies machte mich
gewissermaßen zum Mylord unter den Kadetten, von denen keiner so viel
hatte, und ich galt für reich im Regiment. Daß ich, wenn meine Dienste
vorüber, kein alltägliches Philisterleben führte, wird man mir gerne
glauben. Ich suchte, kaum in Toul angekommen, mein altes Steckenpferd
wieder auf, und gab mir alle erdenkliche Mühe, ein Liebhabertheater
zustandezubringen, was mir auch gelang. Ein Herr Bertrand, Kaffeewirt,
hatte ein sehr niedlich eingerichtetes Theater mit zwei Reihen Logen,
das er gewöhnlich an herumziehende Truppen vermietete, die sich
bisweilen nach Toul verloren, welches ich in Beschlag nahm, und unter
den deutschen Offiziersfrauen fanden sich auch einige recht willige,
sich zu Aktricen gut qualifizierende Damen, namentlich die
siebzehnjährige Tochter des Adjutant-Majors Kramer. Bald waren wir so
weit, daß wir Kotzebues >Wirrwarr< aufführen konnten; ich machte den
Fritz Hurlebusch, Mademoiselle Kramer war meine Babette, und deren Mama
die Frau v. Langsam. Der Fürst hatte mit seiner ganzen Suite der
Vorstellung beigewohnt, sowie alle Offiziere und mehrere Einwohner, die
deutsch verstanden, auch viele Franzosen, die jedoch nicht aushielten,
und Seine Durchlaucht hatten sich sehr ergötzt. Wir verstiegen uns nun
höher und studierten >Kabale und Liebe< ein. Mademoiselle Kramer machte
die Louise, und ich bestieg mein theatralisches Paradepferd, den Major;
wir spielten auf jeden Fall unsere Rollen recht natürlich, denn die
Liebe hatte sich unserer bereits bemächtigt, und die Kabalen fehlten
nicht, sie wurden bald gesponnen, um meine Louise Sr. Durchlaucht
zuzuführen, die großen Gefallen an der jungen Aktrice zu finden schien.
Da indessen das deutsche Theater zu wenig Teilnahme fand und finden
konnte, so meinte Fürst Y., man solle ein französisches zu organisieren
suchen und übertrug mir auch dieses Geschäft, wogegen er mich zu meiner
großen Freude von dem Exerzierplatz bis auf weitere Ordre freisprach. Es
war weniger schwierig instand zu bringen, als das deutsche, und eine
Mad. Alphonse, die hübsche Gattin eines Kapitäns, und die Tochter des
Eigentümers des Theaters, Mademoiselle Bertrand, waren bei diesem die
ersten Liebhaberinnen, während andere die Soubretten und so weiter
übernahmen. Madame Alphonse hatte ein eminentes Talent für das
französische Lustspiel und Vaudeville, sie spielte und deklamierte in
der Tat bezaubernd, sang nicht schlecht, hatte eine allerliebste
niedliche Figur, viel Grazie und schien auf der Bühne in ihrem Element.
Wir führten zuerst Molieres >Geizigen< auf, in welchem sie Harpagons
Tochter und ich den Valère machte, worauf noch mehrere Vaudevilles
gegeben wurden; auch Boieldieus >Kalif von Bagdad< kam an die Reihe.
Madame Alphonse war auch bald meine französische Geliebte, doch konnte
ich mir auf diese Eroberung eben nicht sehr viel zugut tun, da die Dame
nichts weniger als geizig mit ihren Gunstbezeigungen war. Auch sie fand
bald Gnade vor Sr. Durchlaucht, die hier schnellere Erhörung fanden, als
bei Mademoiselle Kramer; ich hielt mich dagegen an Demoiselle Bertrand,
bei der ich es jedoch nie weiter als bis zu einem verstohlenen Kuß,
höchstens zu einer flüchtigen Umarmung bringen konnte, und kein Zureden,
keine Bitten, keine Geschenke wollten helfen, der ewige Refrain lautete:
»_Mais finissez donc! Mais vous me feriez un enfant_,« und wenn ich den
Aal zu packen vermeinte, husch war er mir wieder durch eine schnelle
Wendung entschlüpft. Indessen waren dennoch die Proben dieser Stücke
äußerst unterhaltend. Die deutschen Vorstellungen unterblieben nicht
ganz und wechselten manchmal mit den französischen ab. Dieses
Liebhabertheater hatte schnell einen gewissen Ruf erlangt, der sich
sogar bis nach dem nachbarlichen Nancy verbreitete, wohin Fürst Y. sehr
oft mit seinem Bruder, dem Prinzen Wolf, fuhr, und wir hatten jedesmal
bei den französischen Vorstellungen Zuschauer und Zuschauerinnen aus
dieser Stadt. Auch ich begab mich öfters nach dem schönen Nancy, wohl
einer der schönsten Städte Frankreichs, und brachte in der Regel die
Sonntage daselbst zu, wenn ich nicht besondere Abhaltungen hatte. Dort
fand ich bald durch die Empfehlungen Viriots, der ein echter Gentilhomme
war und daselbst viele Bekannte und Verwandte hatte, in mehreren der
angesehensten Häuser eine gute Aufnahme, obgleich die Hautevolee, aus
Adeligen bestehend, sehr aristokratisch und hochmütig ist. Aber man
glaubte, daß alle deutsche Kadetten des Regiments mindestens Söhne
deutscher Barone sein müßten, und ich ließ die guten Leute bei dem
Glauben, da es hier in meinen Kram paßte. Man hatte mich schon auf dem
Theater gesehen und war >_charmé de faire la connaissance du jeune
acteur_<, der zu gleicher Zeit deutsche und französische Komödie
spielte.

Unter den Schönen, die ich in Nancy hatte kennen lernen, war eine sehr
liebenswürdige junge Dame, deren Bekanntschaft ich in dem Hause eines
Herrn von St. Ange machte, in das mich ein junger Viriot, Neffe des
Quartier-Maitres und ebenfalls Kadett beim Regiment, eingeführt hatte.
Diese hübsche Frau war die Witwe eines erst kürzlich in dem Feldzuge von
1805 gebliebenen Bataillonschefs; noch war sie in tiefe Trauer gehüllt,
obgleich eben nicht mehr sehr traurig, sondern an allen sich ihr
darbietenden Vergnügungen lebhaften Anteil nehmend. Über ihrer Abkunft
lag ein mysteriöser Schleier, und man sagte sich deshalb allerlei ins
Ohr. Frau v. St. Ange vertraute mir, daß sie die natürliche Tochter
eines ebenfalls natürlichen Sohns des unglücklichen Stanislaus sei, den
dieser mit einer Marquise L... gezeugt habe; doch lagen für diese
Behauptung keine Beweise vor, nur soviel war gewiß, daß sie mit einer
nicht unansehnlichen Leibrente dotiert war. An all diesem war mir wenig
gelegen, wer wird auch eine hübsche einundzwanzigjährige Witwe viel nach
deren Abkunft fragen. Ich machte ihr eifrig den Hof, begleitete sie
manchmal in das Theater zu Nancy, das ich jetzt öfters besuchte, und
wieder heim, und stand bald bei der schönen Adelaïde in Gunst, wußte es
aber so anzufangen, daß die Dame, die beinahe sechs Jahre älter als ich
war, glauben mußte, sie habe einen in der Liebe ganz unerfahrenen
Neuling vor sich, der zuvorkommender Aufmunterung bedürfe, um ihn zu
verführen. Ich ließ sie gerne bei dem sie beglückenden Glauben, spielte
den unerfahrenen Menschen so gut, stellte mich so unschuldig naiv, daß
ihr gewiß nichts zu wünschen übrig blieb, und ließ mich von ihr in die
Geheimnisse der praktischen Liebe einweihen. Als sie aber später
einigemal nach Toul kam, auch einer Vorstellung unsers französischen
Liebhabertheaters beiwohnte und vielleicht allerlei erfuhr, merkte sie
doch, daß ich auch mit ihr eine Art Komödie gespielt hatte, und sagte
mir eines Tages, mit dem Finger drohend: »_Vous êtes un roué jeune._«

Auch der junge Viriot, der aber schon zwanzig Jahre zählte, hatte eine
Intrige, und zwar ernsthafterer Art, in Nancy mit einem der hübschesten
und reichsten Mädchen dieser Stadt angesponnen. Er war bis über die
Ohren verliebt und beabsichtigte das Mädchen, das freilich in jeder
Hinsicht eine sehr gute Partie war, zu heiraten. Seine beiden Oheime,
der Kapitän d'Habillement und der Quartier-Maitre-Tresorier des
Regiments, wußten davon und wünschten die Heirat, von der aber die
Familie und die Eltern des Mädchens nichts wissen wollten, da der junge
Mann ohne Vermögen und seine nächste Aussicht eine Unterleutnantsstelle
war, der Papa aber einen reichen oder doch wenigstens einen
hochgestellten Mann, wie einen Obersten oder General, zum Schwiegersohn
wollte. Aber das Mädchen liebte den Kadetten von ganzer Seele, und seine
Oheime, auch ein paar lockere Zeisige, rieten ihm zu einer Entführung,
das Übrige würde sich dann schon finden. Der Neffe ließ sich das nicht
zweimal sagen, folgte dem guten Rat, überredete Mademoiselle, sich
entführen zu lassen, und kam eines Abends gegen Mitternacht mit der
entführten Schönen, die er aus dem Theater zu Nancy abgeholt, mit mir,
der ich die Postpferde und Relais besorgt hatte, in Toul an, wo er die
Geraubte in der Wohnung seines Oheims versteckte. Am andern Morgen eilte
er, mit einem sechswöchigen Urlaub in der Tasche, mit der Geliebten nach
Paris. Adelaïde hatte nicht nur um die Sache gewußt, sondern war auch
mit Rat und Tat behilflich gewesen. Die Familie und besonders der Vater
waren anfänglich entsetzlich erbost, man sprach nur von Totschießen,
Enterben usw., aber die Zeit besänftigte die Leute mehr und mehr, die
Oheime knüpften Unterhandlungen an, die Sache war geschehen und, wie
alle geschehene Dinge, nicht zu ändern. Der junge Viriot erhielt seinen
Abschied, eine Zivilanstellung, den Konsens der Eltern, und das junge
Paar kam später nach Nancy zurück.

Fürst Y. litt seit einiger Zeit heftig an Podagra, so daß er das Zimmer
und oft das Bett nicht verlassen konnte; diese schmerzhafte Krankheit
suchte Se. Durchlaucht sehr oft heim, wozu wohl das Leben, das der Fürst
führte, viel beitragen mochte, und da ihn jetzt noch obendrein die
Langeweile gewaltig plagte, so ließ er mich eines Nachmittags holen und
fragte mich, ob ich ihm nicht jeden Tag ein paar Stunden vorlesen wolle,
wozu er mich sehr fähig halte, weil ich so gut Komödie spielen könne.
Ich fand mich gleich hierzu bereit und las dem hohen Patienten mehrere
Tage hintereinander jeden Nachmittag und Abend ein paar Stunden aus den
vorzüglichsten deutschen und französischen Autoren, hauptsächlich aber
Tragödien von Schiller, Lessing, Goethe, Shakespeare, Racine, Corneille
und Voltaire vor, was den Fürsten außerordentlich zu amüsieren schien,
besonders da ich meine Stimme bei jeder Rolle veränderte, damit die
Vorlesung soviel als möglich einer Aufführung nahekam. -- Eines
Nachmittags, als ich gerade den berühmten Monolog aus Racines >Phädra<:
»_A peine nous sortions des portes de Trézène_« und so weiter im vollen
Feuer der Begeisterung rezitierte, schlich sich jemand hinter mich und
zupfte mich beim Ohrläppchen. Ohne mich nur umzusehen, wer derjenige
war, der mich so unzeitig unterbrach, stach ich ihm mit all der Kraft,
in die mich das Feuer versetzt hatte, eine so derbe Ohrfeige im
fürstlichen Schlafzimmer, daß dasselbe laut davon widerhallte. Erst
nachdem es geschehen und der Fürst schrie: »Was soll das heißen, welche
Impertinenz, gleich aus meinen Augen!« sah ich, daß es der über und über
rot gewordene Sekretär des Fürsten war, den ich in dessen Gegenwart
geohrfeigt hatte. Es hätte ebenso gut der Bruder des Fürsten, Prinz
Wolf, sein können, der sich damals bei ihm in Toul zu Besuch befand, der
die Ohrfeige bekommen, die ihm kein Gott wieder abgenommen hätte. Was
aber dann aus mir geworden wäre, mögen die Götter wissen.
Glücklicherweise aber war er es nicht, und ich kam mit zweimal
vierundzwanzigstündigem Arrest davon, durfte aber dem Fürsten vorerst
nicht weiter vorlesen, der unterdessen wieder besser geworden war und
ausfuhr. Auf den Rat meines Kapitäns, St. Jüste, der die Sache vom
Fürsten selbst erfahren hatte, schrieb ich an letztern noch ein
Entschuldigungsschreiben, was aber nicht hinderte, daß er mir die in
seiner Gegenwart ausgeteilte Ohrfeige noch lange nachtrug und mich
empfindlich genug bestrafte, wie wir bald sehen werden. Etwa vierzehn
Tage nach diesem Vorfall reiste der Fürst nach Paris ab, um, wie er
sagte, >die heiligsten Interessen des Regiments zu wahren<, und sich zu
zerstreuen und besser zu amüsieren, als dies in dem stillen,
geräuschlosen Toul möglich war.

Um diese Zeit wurde auf einer Anhöhe bei Toul ein Volksfest gefeiert,
dessen Ursprung ich mich nicht mehr entsinne. Man spielte und tanzte bei
dem Gekratze einer schrecklichen Geige im Freien, meistens wurden
Kontretänze aufgeführt. Der junge Deßwart, der Sergeant-Major bei dem
Regiment war, hatte sich hier ebenfalls mit seinen vier Schwestern, die
in Toul ein so unanständiges Leben führten, daß ihr Haus in nicht viel
besserem Ruf als ein Freudenhaus stand, eingefunden, und während ich
mich mit einem Paar hübschen jungen Mädchen, der jungen Bertrand und
einer ihrer Freundinnen, unterhielt, schielten Deßwarts und namentlich
Mimi beständig auf uns herüber, sich dabei in die Ohren zischelnd, so
daß mich die Bertrand fragte, wer denn diese Frauenzimmer seien, und ich
erwiderte: »_N'y faites pas attention, ce sont des coquines._« Diese
Worte hatte ein anderer Kadett namens Larbalestier aus Nuit, der
ebenfalls der jungen Bertrand den Hof machte und eifersüchtig auf mich
war, gehört und hinterbrachte sie sogleich dem Bruder und seinen
Schwestern, welche erstern aufforderten, mich sofort wegen dieser
Äußerung zur Rechenschaft zu ziehen, was er vorerst ablehnte, unter dem
Vorwand, daß hier nicht der Ort dazu sei. Das Fest ging auch ungestört
vorüber, aber noch den nämlichen Abend traf ich mit dem Bruder, der sich
einen kleinen Rausch getrunken, zufällig in einem Kaffeehaus zusammen,
wo er mich nun zur Rede stellte. Larbalestier, der auch gegenwärtig war,
und noch ein paar andere schürten das Feuer, ich leugnete nicht, was ich
gesagt und was die ganze Stadt sagte, und erbot mich zu jeglicher
Satisfaktion. Man nahm mich beim Wort und, die Köpfe durch Glühwein
erhitzt, wollte man, daß die Sache gleich abgemacht werde. Ich war es
zufrieden, aber Deßwart meinte, es sei Nacht, die Tore bereits
geschlossen, und man könne sich doch im Finstern nicht schlagen, sondern
müsse es auf den kommenden Morgen verschieben. »Bah, es ist ja heller
Mondschein,« fiel Larbalestier ein, »und ein passender Platz wird sich
auch wohl in der Stadt finden lassen, was meinen Sie, Fröhlich?« -- »Sie
haben Recht, besser man macht so etwas gleich ab, als den andern Tag,
man schläft dann viel ruhiger, und auf den Wällen und nach zehn Uhr ist
es allenthalben öde und stille genug.« -- Wir kamen nun überein, daß das
Duell nach zehn Uhr in der Stadt vor sich gehen solle, und zwar auf dem
Platz hinter der gotischen Kirche in der Nähe der Kasernen. Als die
Stunde gekommen war, eilten wir auf das Terrain, nicht weniger als neun
an der Zahl, und da Deßwart, der nicht Kadett war, keinen Degen trug,
kam man überein, daß wir uns mit Briquets -- so nannte man die
gewöhnlichen Infanteriesäbel -- schlagen sollten. Wir zogen die
Uniformen aus, streiften die Hemdärmel hinauf und legten aus. Trotz dem
Mondschein war es nicht sehr hell, denn der Himmel war zum Teil bewölkt;
indessen führten wir mörderische Hiebe gegeneinander, so daß das Klirren
der Klingen an den hohen Mauern der alten gotischen Kirche, unserer
stummen Zuschauerin, laut widerhallte, und hauten wie besessen in die
Nacht hinein. Plötzlich rief mein Gegner: »_Ah je suis blessé!_« und wir
ruhten. Er hatte in der Tat eine leichte Wunde an der Stirne erhalten,
die jedoch das ganze Gesicht mit Blut übergoß, so daß man sie im ersten
Augenblick für sehr gefährlich hielt, während es sich bei näherer
Untersuchung und nachdem man das Blut abgewaschen, fand, daß wenig mehr
als die Haut geritzt war. Dies war allein die Tat des Zufalls und weder
mein Wille noch meine Geschicklichkeit, denn man konnte die Gegenstände
nicht klar unterscheiden. Die Umstehenden erklärten nun, daß der Ehre
genug geschehen sei, und nachdem Deßwart gehörig abgewaschen und
verbunden war, begaben wir uns sämtlich in das _Café de la Comedie_ zu
Bertrands, wo auf Kosten der Duellanten die wiederhergestellte Eintracht
mit Champagner, Punsch und _vin chaud_ gefeiert wurde, aber mehr als
einmal auf dem Punkt war, wieder gestört zu werden, wozu ein _mauvais
sujet_, ein gewisser Poireau, auch Sergeant-Major im Regiment, dabei ein
guter Fechtmeister und Raufbold von Profession, der aus einem
französischen Regiment wegen Betrügereien fortgejagt worden war, allen
möglichen Vorschub leistete. Dieser machte sich besonders an junge
Leute, von denen er wußte, daß sie bei Geld waren, um sie aus Furcht vor
seiner Klinge zu bewegen, ihn in Gast- und Kaffeehäusern freizuhalten
und ihm auch Darlehen _à fonds perdu_ zu bewilligen. Ich kannte den
Patron, und es kam mir nicht unerwartet, daß sich derselbe an mich und
noch ein paar andere Kadetten machte, die Deßwartsche Sache immer wieder
aufwärmend und bemerkend, ihm hätte so etwas nicht passieren dürfen und
so weiter. Die Sticheleien wurden endlich so arg, daß ich unmöglich
länger schweigen konnte und ihm sagte, ich wisse recht gut, daß er ein
vollkommener Fechtmeister, ich aber wenig mehr als Anfänger in der edlen
Fechtkunst sei, aber wisse auch, wie ich mich gegen eine gewisse Gattung
von Kopffechtern zu verhalten habe, und wenn ich noch nicht deren
Fertigkeit im Spiel der Rappiere erlangt, so fehle ich doch auf zwanzig
Schritte meinen Mann nie mit Pistolen, wodurch die Gleichheit der Kräfte
immer hergestellt würde. Und dies war keine Lüge, denn ich hatte mich
längst im Pistolenschießen geübt und gut eingeschossen. Monsieur Poireau
ließ sich dies nicht wiederholen, sondern zog von diesem Augenblick
andere Saiten auf und wurde sogar hündisch kriechend, denn der Bursche
war so feig, als es in der Regel alle seines Gelichters sind, sobald sie
glauben ihren Mann vor sich zu haben, und wagen sich immer nur an
unerfahrene Massetten; geht es gegen den Feind, so befällt sie nicht
selten das Lazarettfieber. -- Wenige Wochen nach diesem Vorfall wurde
auch er wegen schlechter Streiche vom Regiment gejagt, und ich sah ihn
später in den Straßen von Toulon die Galeerenketten schleifen.

Fürst Y. kam um diese Zeit von Paris zurück, wo er allerdings die
Interessen des Regiments trefflich gewahrt hatte, denn in seinem Gefolge
kamen ganze Kisten grüner, roter, gelber Epauletten, Federbüsche,
Pompons, Dragoner, Fangschnüre und so weiter an, von denen die für die
Unteroffiziere sogar reich mit Silber besetzt waren. Die Staatsuniform
des Tambour-Majors, die er zu Paris hatte machen lassen, war von gelbem
Tuch mit hellblauen Aufschlägen, aber so reich mit Gold und Silber
besetzt, daß man von dem Tuch gar nichts sah; seinem ebenfalls reich
bordierten Hut entquoll ein mächtiger Straußenfederbusch in allen Farben
aus einer goldnen Tulipane, und die Fransen der massiv goldenen
Epauletten hingen fast bis auf den Ellenbogen herab, sogar die Stiefel
waren reich mit Silber besetzt. Der Tambour-Major war ein großer
vierschrötiger Böhme, der mindestens sechs Schuh drei Zoll maß und sein
Rohr mit dem silbernen Riesenknopf gut zu schwingen verstand. Die
Paradeuniform des Musikkorps stand im Verhältnis damit und war von
derselben Farbe, ebenso die der Tambour-Maitres der andern Bataillone.
Diese Equipierung hatte über achtzigtausend Franken gekostet, machte
aber dafür auch gewaltiges Aufsehen in den Städten, durch die wir in
Parade defilierten. Das Musikkorps war jedoch auch durch seine
Virtuosität ausgezeichnet, man hatte aus den gefangenen österreichischen
Regimentern die besten Hoboisten, meistens Böhmen, ausgesucht und ihnen
sehr hohe Gage bewilligt: die ersten Klarinettisten erhielten
hundertdreißig Franken monatlich, also beinahe die Gage eines Kapitäns
dritter Klasse. Die außerordentlichen Ausgaben hieß natürlich das
Gouvernement nicht gut, auch wollte sie Fürst Y. aus eigenen Mitteln
bestreiten, und die Regimentskasse sollte nur einstweilen die Vorlage
machen, was später zu schlimmen Händeln Veranlassung gab und das Conseil
d'Administration des Regiments, oder vielmehr die Offiziere, aus denen
es bestand, und die aus Gefälligkeit für den prachtliebenden Oberst zu
solchen Ausgaben ihre Unterschrift gegeben, in eine fatale Lage
versetzte. So hatte ich später, als ich Unterleutnant war und ein
krankes Mitglied dieses Conseils für nur eine Sitzung supplierte, für
eine einzige Unterschrift, die ich gab, weil auch alle andern dieselbe
ohne Bedenken gegeben, solange ich bei dem Regiment Y. war, einen
monatlichen Gagenabzug, da das Ministerium die durch diese
Unterschriften bewilligten Ausgaben für >_Objets d'agréments_< nicht
anerkannte. Diese Unterschrift, in aller Unschuld und Unwissenheit
gegeben, kostete mich mehrere hundert Franken.

Der Fürst hatte auch acht Offizierspatente für Kadetten von Paris
mitgebracht, aber leider keines für mich. Mein Bataillonschef, Herr
Düret, bei dem ich mich deshalb beklagte, sagte mir im Vertrauen, daran
sei die Ohrfeige schuld, die ich dem Sekretär des Fürsten gegeben, ich
solle mich indessen trösten und ruhig verhalten, dann würde ich bei der
nächsten, in ein paar Monaten stattfindenden Promotion unfehlbar zum
Offizier ernannt werden. Ich konnte indessen diese Zurücksetzung doch
nicht so leicht verschmerzen, zog mich von öffentlichen Vergnügungen
zurück, und hing sogar das Theater an den Nagel, obgleich ich wußte, daß
der Fürst noch ein paar Vorstellungen zu sehen wünschte, ja ohne das
Zureden Dürets und meines Kapitäns hätte ich sogar um meinen Abschied
gebeten.

Wir waren noch nicht volle zwei Monate in Toul, als das Regiment Ordre
bekam, nach Avignon zu marschieren, alle drei Bataillone waren jetzt
vollzählig und fähig ins Feld zu rücken. Die Nacht vor dem Abmarsch des
ersten Bataillons, bei dem ich stand, gab der Fürst noch einen
glänzenden Ball im Namen des Offizierkorps, zu dem auch die notabelsten
Schönheiten Nancys und mehrere Damen von Metz eingeladen waren; das
Souper konnte aber, außer den Damen, niemand als Seine Durchlaucht
sitzend einnehmen, die andern Herren standen als dienende Kavaliere
hinter den Stühlen der Damen und genossen, was ihnen deren Güte reichte.
Wir nahmen gegen Morgen einen rührenden Abschied von den Schönen Touls
und Nancys, warfen uns in das Marschkostüm, und um sechs Uhr früh ließ
der Bataillonschef durch den herkulischen Tambour-Major das Roulement
zum Abmarsch schlagen. Somit waren alle etwa noch unbezahlten Schulden
quittiert[7], und wir marschierten mit klingendem Spiel mit rechts in
die Flanken ab und frohen Mutes zum Tor hinaus, von den Tränen mancher
zurückbleibenden Geliebten, den guten Wünschen eines Teils der Einwohner
und den Verwünschungen verschiedener Ehemänner begleitet.

[Fußnote 7: Wenn einmal das Roulement (Wirbel) vor dem Abmarsch
geschlagen war, wurden keine Reklamationen wegen unbezahlter Schulden
von den Chefs mehr angenommen.]




                                  XII.

   Colombey. -- Neufchateau. -- Ein greulicher Vatermord. -- Montigny.
   -- Komisches Mißverständnis. -- Langres. -- Dijon. -- Chalons sur
      Saone. -- Wasserfahrt auf dem Coche d'Eau. -- Eine Nacht in
    Macon. -- Lyon. -- Ein vereitelter Gaunerstreich und beigelegtes
       Duell. -- Das Regiment wird auf der Rhone eingeschifft. --
   Vienne. -- Condrieux. -- Schiffbruch unter der Brücke St. Esprit.
      -- Orange. -- Avignon. -- Aufenthalt daselbst. -- Die Insel
    Bartelasse. -- Villeneuve. -- Madame Croizet und die Prozession.
   -- Eine Tour nach Vaucluse. -- Ewiger Friede. -- Eine gefährliche
      Überrumpelung. -- Abmarsch nach Montpellier. -- Tarascon. --
    Böses Volk. -- Eine entwaffnete Wache. -- Ein Schäferturnier. --
                    Nimes. -- Lünel. -- Montpellier.


Es war damals ein sehr lustiges, unbekümmertes und sorgloses Leben, das
französische Soldatenleben, und wenn man so mit klingendem Spiel,
Sappeurs, Tambours, Musik an der Spitze, in eine neue Garnison einrückte
und die vielen hübschen Frauen und Mädchen in den Fenstern erblickte,
wie sie mit verlangender Neugierde die braungebrannten martialischen
Gesichter vorüberdefilieren sahen, da waren alle ausgestandenen
Strapazen und Entbehrungen verschwunden und man freute sich der
bevorstehenden Abenteuer.

Ich hatte die Nachricht, daß wir Toul in kurzem verlassen würden, sowie
unsre Marschroute sogleich meinen Eltern mitgeteilt und noch vor unserm
Abmarsch Antwort und Empfehlungsschreiben an verschiedene Häuser in
Dijon, in Chalons für Saone, Macon und Lyon empfangen, nebst einem
Wechsel von vierhundert Franken auf Chalons als besondere Marschzulage,
den ich jedoch noch in Toul versilberte, um mehrere Rückstände zu
berichtigen. Unser erstes Nachtquartier war Colombey, ein erbärmliches
Nest; zwei Dritteile des Bataillons mußten in umliegenden Dörfern
untergebracht werden. Da der Fourier der Kompagnie kein Französisch
konnte, so mußte ich auf des Kapitäns Geheiß das Geschäft desselben
hinsichtlich des Quartiermachens für die Kompagnie versehen, womit mir
wohl gedient war, da sämtliche Fouriere mit dem Adjutant-Unteroffizier
ein paar Stunden vorausmarschieren, daher viel freier sind und die
Unbequemlichkeiten des Marsches bei weitem nicht so empfinden, sich's
bequem machen, auch oft fahren oder auf Eseln reiten, wenn sie deren
haben können, und dabei sich nichts abgehen lassen, indem es ihnen auf
dem Marsch nie an Geld mangelt, das sie sich auf folgende Weise zu
verschaffen wissen: sie lassen sich nämlich immer für den kompletten
Stand der Mannschaft Quartierbilletts geben, während sich doch niemals
eine Kompagnie ganz vollzählig auf dem Marsch befindet, da es immer
Kranke, Detachierte und so weiter gibt, auch selten eine Kompagnie,
besonders nach langen Märschen, Gefechten und so weiter komplett ist.
Die Billette, die ihnen übrig bleiben, verkaufen sie an die Wirte, auf
die sie lauten, die gerne einen, auch wohl einige Franken bezahlen, um
der Last von ein paar Mann Einquartierung überhoben zu sein, so daß in
größern Städten und wo Rasttage sind, der Fourier sich nicht selten
fünfzig Franken und mehr auf diese Weise verschafft, von denen er aber
einen Teil an den ihm beigegebenen Korporal abgibt, der sich dafür
ebenfalls mit dem Billettverkauf, der natürlich viel Laufereien
veranlaßt, da die Quartiere alle aufgesucht werden müssen, befaßt.
Dieser Unterschleif mit den Billetten ist den Chefs bekannt, allein man
sieht durch die Finger, da dem Gouvernement und den Truppen kein Schaden
dadurch verursacht wird; viele Soldaten verkaufen ebenfalls ihre
Billetts und bringen dann die Nacht auf den Straßen oder unter einer
Kirchenhalle zu, besonders in dem mittäglichen Frankreich, wo es das
Klima gestattet. -- Der zweite Tag führte uns in das Städtchen
Neufchateau an der Mouzon, die sich hier in die Maas ergießt, es zählt
über dreitausend Einwohner. Hier war den Tag vor unserer Ankunft ein
empörender Mord begangen worden. Ein Ungeheuer von einem Sohn hatte
seinen achtzigjährigen Vater, den er unter irgendeinem Vorwand in den
Keller gelockt hatte, daselbst mit einem Beil erschlagen; der Alte lebte
dem Wüterich und namentlich dessen Konkubine zu lange. Die scheußliche
Tat war den Abend um acht Uhr begangen, aber gleich darauf von einer
alten Magd des Hauses, die sie entdeckte, verraten und angezeigt worden,
so daß der Mörder noch in derselben Nacht verhaftet wurde. Auf der
nächsten Etappe, dem Flecken Bourmont, hatte ich ein Quartier bei einer
alten Marquise, die, noch ein lebendiges Monument aus den Zeiten Ludwigs
XV., eine achtundachtzigjährige hochgeschminkte Schöne war und das
damalige Hofkostüm trug, eine sehr ehrwürdige, andächtige Dame, welche
den alles zertrümmernden Revolutionsstürmen glücklich entging. Das
Quartiermachen brachte mir den Vorteil, daß ich gute Quartiere für mich
selbst aussuchen und auf dem Quartieramt immer nach solchen, in denen
sich liebenswürdige Schöne befanden, erkundigen konnte; diesmal hatte
mich aber der die Billette austeilende Adjoint zum besten gehabt,
indessen war das Quartier sonst gut. -- Der folgende Tag brachte uns in
den Flecken Montigny-le-Roi in der Champagne, wo man noch Überbleibsel
von ehemaligen Befestigungen sieht. Hier hatte ich einen komischen
Streit zwischen einem Leutnant, der kein Französisch verstand, und
seinem Wirt zu schlichten. Letzterer hatte dem Offizier gesagt, als ihm
dieser sein Billett präsentierte: »_Qu'il ne pouvait lui donner qu'une
paillasse pour coucher._«[8] In dem Ort spielten gerade Seiltänzer, als
das Bataillon einmarschierte, und der Offizier, glaubend, daß der Mann
ihm von diesen spräche, erwiderte: »_Oui, oui, monsieur, joli Bajazzo._«
Als er aber bald darauf sah, daß sein Bett nur in einem Strohsack
bestand, fing er Händel mit dem Wirt an, der sich ein über das andre Mal
entschuldigte, daß er ihn präveniert und ihm gesagt habe: »_Qu'il
n'aurait qu'une paillasse._« »Ach was Bajazz, Bajazz,« schrie der
Leutnant, »ich hätt' den Henker von seinem Bajazz, er soll mir ein
ordentliches Bett geben.« Ich kam gerade dazu, als diese mit vielen
Gestikulationen begleitete Diskussion stattfand, und klärte die Sache
auf, worüber nun beide Teile herzlich lachten, und der Leutnant auf mein
Zureden sich mit dem Strohsack begnügte, da der Bauer keine Matratze
hatte.

Den kommenden Tag marschierten wir nach Langres, das alte _Audomatunum_
und spätere _Lingones_, dessen schon Cäsar erwähnt. Es ist fast die am
höchsten gelegene Stadt in Frankreich, nur Briançon liegt noch höher;
dem Berg, auf dem sie liegt, entquellen nicht weniger als drei Flüsse,
nämlich die Marne, die Maas und die Vingeanne. Die Stadt gehört zu dem
Departement der Haute-Marne und ist hauptsächlich wegen ihrer
vortrefflichen Messerklingen und Stahlwaren in ganz Europa berühmt. Hat
man mühsam den Berg erstiegen, so wird man durch eine herrliche Aussicht
belohnt, die sich über die Vogesen, in weiter Ferne über die Alpen
verbreitet; ist der Himmel ganz heiter, so erblickt man sogar den
Montblanc. Den Rasttag, den wir hier hatten, brachte ich mit
Spaziergängen in die nächste Umgebung zu. Wir kamen nun nach dem nicht
unbedeutenden Flecken Selongey, und von hier in die alte Hauptstadt der
einst so mächtigen Herzöge von Burgund, nach Dijon; jetzt ist sie die
Hauptstadt des Departements der Goldküste und liegt mitten zwischen
Weinbergen, in einer fruchtbaren Ebene an dem Flüßchen Ouche. Sie hat
zum Teil schöne und reinliche Straßen, große Plätze und herrliche
Gebäude, unter denen der Palast der alten Herzöge von Burgund, in
welchem sich ehemals die Stände dieses Landes berieten, das
interessanteste ist. Die Kirche Notre-Dame ist ein herrliches Monument
gotischer Baukunst, das Schiff derselben und die Halle mit ihren von
schlanken Säulen umgebenen Pfeilern gewähren einen erhabenen Anblick.
Auf einem Turm derselben war jenes berühmte Uhrwerk, welches Philipp der
Kühne nach der Schlacht von Rosebecque der Stadt Courtray weggenommen
hatte, um diese zu bestrafen, weil sie sich geweigert hatte, die
goldenen Sporen Karls VI., der 1312 unter ihren Mauern getötet worden
war, herauszugeben.

[Fußnote 8: Daß er ihm nur einen Strohsack zum Schlafen geben könne.]

Wir marschierten jetzt, beständig die goldene Hügelreihe vor Augen,
welche das Land mit den gepriesensten Weinen beschenkt, nach Beaune. Als
wir durch Nuit kamen, hatte uns sowie dem ganzen Offizierkorps, ein
dortiger Weinhändler, der Vater des Kadetten Larbalestier, ein
treffliches Gabelfrühstück bereitet, wobei er reichlich Clos de Dougeot,
Volney, Chevalier-Monrachet, Chambertin und andere Sorten des
vorzüglichsten Gewächses, die ihrer Seltenheit und Güte halber fast nie
in den Handel kommen, im Überfluß reichte; aber das klare Wasser mundete
mir auch hier besser als alle die burgundischen Nektare. Durch das gute
Dejeuner gestärkt und auf Wagen das Versäumte wieder einholend, denn das
Bataillon war uns auf den Fersen, kamen wir bald in Beaune an. Diese
alte Stadt, die schon unter Cäsar belagert wurde, hatte noch Wälle und
liegt in einer lachenden Gegend, an dem Flüßchen Bouzeoise. Auch sie ist
eine Hauptniederlage der besten Burgunderweine.

Von hier brachen wir nach Chalons an der Saone auf, beim Ausmarsch
zeigte man uns Volney, Meursault, Chambertin, Pommard und andere Orte,
welche die berühmten Weine dieser Namen liefern. Als wir in Chalons
angekommen waren, fand ich auf dem Quartieramt ein Einladungs- und
Einquartierungsbillett von dem Haus Bouillé, an das ich empfohlen war,
für mich vor, in dem ich vortrefflich aufgenommen wurde, da ein Sohn
desselben als Volontär in Frankfurt war; auch wirkte mir Herr Bouillé,
sobald das Bataillon angekommen war, die Erlaubnis aus, einige Tage bei
ihm auf Besuch bleiben zu dürfen, mit dem Versprechen, daß er dafür
sorgen wolle, daß ich in Lyon wieder bei demselben eintreffe. Ich
brachte nun ein paar Tage recht vergnügt in dem heiteren Chalons zu, das
in einer schönen Ebene an dem rechten Ufer der Saone liegt, über welche
eine Brücke von Quadersteinen zu der gegenüberliegenden Vorstadt führt,
die auf einer Insel erbaut ist und anmutige Promenaden hat. Die Stadt
ist sehr freundlich und hat besonders am Kai geschmackvolle Gebäude und
an fünfzehntausend Einwohner, sie ist gewissermaßen der Stapelplatz
zwischen Süd- und Nordfrankreich, hauptsächlich eine Niederlage für
Marseille und Paris, auch verbindet sich hier der Zentralkanal mit der
Saone.

Die Familie Bouillé tat ihr Möglichstes, mir den Aufenthalt in Chalons
angenehm zu machen, und ein anderer Sohn des Hauses war mein treuer
Begleiter auf allen Wegen, was mir aber gerade nicht sehr angenehm war
und mich genierte, denn ohne diesen jungen Hüter, der mir nicht von der
Seite wich, hätte ich gewiß ein kleines Abenteuer in Chalons gehabt;
auch verschwor ich es, solche Einladungen wieder anzunehmen. Der junge
Mensch gab sich indessen viel Mühe, mich zu unterhalten, zeigte mir die
Kirchen, das Stadthaus, die Bibliothek, das Lorenzo-Hospital auf der
Insel dieses Namens, das Theater und so weiter, aber damit war mir nicht
gedient, und ich wäre lieber mancher Schönen gefolgt, die mir auf
unseren Streifereien und Promenaden begegnete. Nach einem viertägigen
Aufenthalt reiste ich, herzlich für die gute Aufnahme dankend, ohne
irgendein Abenteuer, mit dem Coche d'Eau, einer eleganten
Wasserdiligence, nach Lyon. Auf diesem Schiff traf ich auch den Offizier
_payeur_ unseres zweiten Bataillons, Herrn Madinier, und mehrere junge
Offiziersfrauen an, deren Männer beim Heer waren, und die sich zu
Verwandten nach Lyon begaben und recht liebenswürdig waren. Zu jener
Zeit war überhaupt ganz Frankreich mit solchen jungen Strohwitwen
angefüllt, deren Männer sich im Feld oder als Employés, Kommissäre und
so weiter bei den Armeen befanden, und auch mit wirklichen Witwen,
welche sich gerne über die allenfallsige und vermutliche Untreue ihrer
verstorbenen Herren zu trösten und dieselbe bestens wettzumachen
suchten. Bald hatte ich eine interessante Unterhaltung mit der jungen
Gattin eines Groß-Majors[9], der bei den französischen Truppen in
Österreich stand, angeknüpft; es war eine artige Pariserin und die
Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns. Die hübsche Frau hatte die feinste
Taille, die man sich denken kann, einen eleganten Wuchs, ein Paar fast
chinesische Füßchen, frivol-schelmische Augen, ein prächtiges
kastanienbraunes Seidenhaar, Perlenzähne und eine Munterkeit, die
mutwillig, ja bisweilen ausgelassen war. Während ich mit ihr scherzte
und lachte, hatte Madinier mit einer anderen dieser Damen Bekanntschaft
gemacht. Ohne zu wissen wie, erreichten wir Macon, wo wir ausstiegen und
übereinkamen, daß man hier bis zur Ankunft des nächsten Coche d'Eau, das
den folgenden Tag erwartet wurde, da eins täglich von Chalons abgeht,
bleiben wollten. Daß ich weder das Haus, dem ich empfohlen, aufsuchte,
noch mich viel mit den Sehenswürdigkeiten Macons beschäftigte, sondern
einzig und allein dem Dienst der liebenswürdigen Dame lebte, darf man
mir aufs Wort glauben. Ich hatte das Vergnügen, Madame O... am Arm, auf
den schönen Kais an der Saone zu promenieren; wir ließen uns auch zu den
noch vorhandenen Trümmern eines Triumphbogens und eines Janustempels,
des alten Matiscos, führen und kehrten dann in unser Hotel zurück, wo
wir uns nach einem deliziösen Souper zu einer ziemlich unruhigen Ruhe
begaben.

[Fußnote 9: Groß-Major hieß damals der erste Stabsoffizier eines
Regiments, der im Rang nach dem Oberst folgte.]

Den andern Tag fuhren wir mit dem ankommenden Schiff nach Lyon ab und
legten den Rest der Wasserreise vergnügt zurück. Je näher wir unserer
Bestimmung kamen, desto pittoresker wurde der Anblick der Ufer der
Saone, die freundlichsten Ortschaften, die reizendsten Landhäuser und
Landschaften wechselten unaufhörlich ab, bis wir endlich im Hafen zu
Lyon einliefen. Hier stiegen wir im Hotel d'Europe ab, wo wir wieder
einen recht vergnügten Abend und eine noch vergnügtere Nacht zubrachten.
Erst den kommenden Morgen meldete ich mich bei dem Bataillon, das diesen
Tag Rasttag hatte. Mein Kapitän teilte mir die angenehme Nachricht mit,
daß wir den Rest des Marsches auf der Rhone eingeschifft zurücklegen und
deshalb noch einen Tag länger hier verweilen würden. Dies war mir zwar
erwünscht, aber doch suchte ich mich wieder frei von Madame O... los zu
machen, von deren Ketten ich schon genug hatte; ich kaufte bei einem
Goldarbeiter eine zierliche Allianz, die ich ihr, ins Hotel
zurückgekehrt, zum Geschenk machte, dabei mit schweren erzwungenen
Stoßseufzern ankündigte, daß die Stunde der Trennung geschlagen habe,
indem ich zur Kompagnie, bei der ich als Kadett stehe, -- sie wußte sich
nicht zu erklären, was dies für eine Charge sei, da die französischen
Regimenter dergleichen nicht hatten, und hielt mich für einen Offizier,
-- einrücken müsse und wir wahrscheinlich noch diesen Abend
abmarschieren würden. Nach einer letzten feurigen Umarmung, herzlichem
Lebewohl und Versicherungen ewiger Liebe und Treue schieden wir für
immer. Ich suchte jetzt das Quartier meines Sergeant-Majors auf, das ich
erst nach langem Umherirren durch die engen und finsteren Gassen Lyons
fand, und ließ mir von demselben ein Einquartierungsbillett geben, das
auch in ein Hotel lautete. Da meine Börse anfing an der Auszehrung zu
leiden, obgleich ich mir von Bouillé zu Chalons noch etwas Geld hatte
geben lassen, so suchte ich das Bankierhaus J. Boutoux auf, an das ich
empfohlen war, und ließ mir fünfundzwanzig Louisd'ors auszahlen, lehnte
aber jede weitere Einladung und sogenannte Ehrenbezeigungen ab, und das
Haus Paul Pages _et neveux_, an das ich ebenfalls empfohlen war und das
mit dem unsrigen in Verbindung stand, besuchte ich gar nicht, sondern
streifte nun auf eigene Faust und planlos in den langen labyrinthischen
Straßen Lyons herum; besonders gefielen mir die lebendigen und schönen
Kais der Rhone und der Saone, namentlich der Kai St. Clair. Auch die
prächtigen Plätze Bellecour und das Terraux, auf dem das Hotel de Ville
und andere schöne Gebäude stehen, sowie die Kathedrale St. Jean und so
weiter besuchte ich.

Den zweiten Abend nach meiner Ankunft besuchte ich das große Theater, in
dem »_Le tyran corrigé_« nebst einem hübschen Ballett aufgeführt wurde.
Hier traf ich mehrere Kadetten und auch ein paar Fouriere des Regiments,
die letzteren zwei Franzosen, von denen sich der eine Jean Roi nannte
und eines Pächters Sohn bei Nancy war, der andere Latouche, dessen
Herkunft unbekannt, der aber schon durch ein halbes Dutzend Regimenter
gegangen, waren _deux mauvais sujets dans toute la force du terme_.
Diese beiden Individuen hatten es namentlich auf die jungen Leute beim
Regiment abgesehen, von denen sie wußten, daß sie mit Mutterpfennigen
versehen waren, und suchten diesen die Beutel auf alle mögliche Weise zu
fegen. Sie hatten sich auch schon einigemal an mich gewagt, aber die
Erfahrung gemacht, daß sie mich trotz meiner Jugend nicht leicht zu
ihrem Düpe machen konnten, da ich weder zum Trunk noch zum Besuch
liederlicher Häuser zu bewegen war. Diesen Abend hatten sie zwei ganz
junge und noch unerfahrene Leute aus guten Familien auf dem Korn, die
beide, der eine Dantrace aus Paris, der andere Roger aus Metz, Kadetten
ohne Grad waren. Ich war im Parterre hinter ihnen, merkte bald, wo es
hinaus wollte, und nahm mir vor, die jungen Leute nicht außer Augen zu
lassen. Man hatte sich zu einem Souper bei einem Restaurateur nach
beendigtem Theater verabredet, wo die beiden Fouriere, wie es schien,
schon bekannt waren. Ich folgte der Gesellschaft, die in einer engen
Straße in der Nähe des Platzes »_des terraux_« in ein Haus von ziemlich
verdächtigem Aussehen ging, und trat fast zu gleicher Zeit mit den
Herren in das Speisezimmer, wo mich die Fouriere mit nicht sehr
günstigen Augen ansahen. Sie ließen starke Weine auftragen und tranken
den jungen Leuten, die, obgleich älter als ich, doch noch Kinder waren,
tüchtig zu, so daß es bald schwere und schwindelnde Köpfe gab. Ich hatte
mich an denselben Tisch zu ihnen gesellt, aber nur ein paar Gläser
Champagner mit Wasser vermischt getrunken. Als man die Köpfe nach dem
Dessert erhitzt genug glaubte, sagte Latouche: »_Ah ça, il faut que nous
allions voir les filles!_« Ich wollte die beiden Kadetten davon
zurückhalten; da mir dies jedoch nicht gelang, so beschloß ich, sie zu
begleiten, und wir brachen, nachdem die Zeche berichtigt war, auf. Die
Fouriere führten uns durch einen langen Korridor, dann eine Treppe hinab
über einen Hof in ein Hinterhaus, wo wir wieder zwei Stiegen steigen
mußten und in ein ziemlich geräumiges Gemach traten, in dem sich etwa
ein halbes Dutzend keuscher Priesterinnen der Venus _vul_ befinden
mochte, die uns entgegensprangen und auf das zuvorkommendste
bewillkommneten. Ich stieß jedoch die, die sich an mich machen wollte,
so unsanft zurück, daß sie ausrief: »_Tiens qu'est ce que ce drôle_«,
worauf sich Latouche zu mir wandte und sagte: »_Mais ce n'est point
ainsi qu'on traite les filles_«; ich erwiderte lächelnd: »_Mais bien les
g...s._« Nun aber nahm sich auch Jean Roi der Dirnen an und zeigte eine
drohende Miene. Ich gab mir jedoch gleich ein so imponierendes Ansehen,
daß die beiden Herren es für gut fanden, sich von ihren Freundinnen
besänftigen zu lassen, was ich spöttisch lächelnd geschehen ließ. Um den
Frieden herzustellen, wurde wieder Wein und Punsch gebracht, den die
Dirnen kredenzten, wobei ich aber das Angebotene ausschlug, und auch den
Kadetten, die ohnehin schon genug hatten, zuredete, nichts anzunehmen.
Eine der Dirnen machte sich an Dantrace, die andere an Roger, und
wollten beide mit sich fortziehen; ich aber protestierte dagegen, indem
ich sagte: ich gebe es nicht zu, daß sich die jungen Leute ohne mich
entfernten. Roger bezeigte auch wenig Lust, aber Dantrace, den
diejenige, welche sich an ihn gewandt hatte, festhielt, indem sie zu ihm
sagte: »_Mais ce Monsieur est il donc votre Mentor?_«, wurde dadurch
gereizt, sagte mir: ich habe ihm nichts zu befehlen, und er wollte mit
dem Mädchen fort; ich versetzte: »Gut, aber geben Sie mir erst Ihre
Börse.« Ich wußte, daß er an hundert Napoleons in Gold bei sich hatte.
Er war im Begriff, es zu tun, als ihm Jean Roi lachend zurief: »_Mais
vous êtes donc un enfant?_«, worauf er mein Begehren abschlug. Ich sagte
ihm aber, daß er in diesem Fall nicht ohne mich das Zimmer verlassen
werde. Jetzt ließ auch er einen _drôle_ fallen, ich aber, an mich
haltend, erwiderte nur: »_Vous m'en rendez raison demain_,« und kündigte
ihm sogleich, sowie den beiden Fouriers, kraft meines Sergeantengrades,
Arrest an. Während dieses vorging, hatte sich ein anderes der Mädchen an
Roger gemacht, diesen auf einen Stuhl gezerrt, und während sie eine
ihrer Hände sonstwo hatte, verlor sich die andere in dessen
Hosentaschen. Ich bemerkte dieses Manöver und sah, wie ihm die Dirne den
wohlgefüllten Beutel ganz sachte aus der Tasche zog. Jetzt tat ich einen
Seitensprung und faßte das Mädchen bei dem Arm, mit dem sie den Beutel
hielt, den sie fallen ließ. Ihn aufhebend, sagte ich mit lauter Stimme
zu dem Kadetten: »Merken Sie denn noch nicht, wohin man Sie geführt
hat?« und packte die Diebin so fest bei der Gurgel, daß sie überlaut
aufschrie. Jetzt war endlich dem Dantrace ein Licht aufgegangen, und er
rief aus: »_Nous sommes donc dans un répaire de voleurs!_«; er legte nun
so starke Hand an die Demoiselles, daß ich genötigt war, ihn abzuwehren.
Es gab jetzt einen gewaltigen Lärm, so daß die _mère abesse_ des Hauses
herbeieilte und sich eifrig nach der Ursache desselben erkundigte. Ich
sagte ihr ganz trocken, es handle sich um einen ertappten Dieb, worauf
sie ein: »_Impossible_« erwiderte, ich aber ganz trocken erklärte, die
Possibilität beweisen zu können, und mich hierauf mit den beiden
Kadetten, die mir nun gerne folgten, entfernte, den zurückbleibenden
Fourieren ein: »_à demain_« verächtlich zuwerfend. Ich begab mich mit
meinen Begleitern in ein Kaffeehaus auf dem Terrauxplatz, wo wir mehrere
Offiziere vom Regiment antrafen, denen ich die saubere Geschichte
mitteilte, und die auf der Stelle in das verdächtige Haus gehen, die
Sache untersuchen und daselbst tolle Wirtschaft machen wollten.
Vergeblich suchte ich sie von diesem Vorhaben abzuhalten, fürchtend, daß
es zu argen Exzessen kommen könnte. Glücklicherweise war es uns, trotz
stundenlangem Suchen, unmöglich, das Haus, von dem wir nicht einmal den
Namen der Straße wußten, in der es lag, wieder aufzufinden; wir trennten
uns um Mitternacht, indem ich zu Dantrace sagte, daß ich ihn wegen des
_drôle_ morgen besuchen würde. Das schändliche Benehmen der beiden
Fouriere aber nahm ich mir vor, dem Bataillonschef, Herrn Düret,
anzuzeigen. Bei Tagesanbruch suchte ich einen Kadetten auf, dem ich das
Vorgefallene mitteilte, und den ich sodann zu Dantrace sandte, mit dem
Auftrag, diesen zu einem Dejeuner _à la broche_ einzuladen. Er fand sich
auch bald darauf in dem ihm bezeichneten Kaffeehaus ein, von wo wir alle
vier uns ins Freie jenseits der Rhone begaben. Auf dem Terrain
angekommen, hielt ich ihm sein Benehmen gegen mich vom vorigen Abend
vor; gerne gestand er sein Unrecht ein, sowie daß er mir noch obendrein
großen Dank schuldig sei, und deshalb aus freien Stücken den _drôle_
zurücknehme, mich um meine Freundschaft bitte, versichernd, daß er sie
auf jede Weise zu verdienen suchen wolle, und ich in allen Fällen auf
ihn zählen könne. Damit war die Sache abgemacht, und statt dem Dejeuner
_à la broche_ nahmen wir vergnügt eins _à la fourchette_ ein, worauf ich
mich mit meinen Kameraden zum Bataillonschef begab und diesem, was in
der verwichenen Nacht vorgegangen, bis auf den kleinsten Umstand
mitteilte. Düret ließ sogleich die Fouriere Latouche und Jean Roi holen
und stellte sie in den härtesten Ausdrücken zur Rede, ihnen mit strenger
Untersuchung und Strafe drohend. Diese redeten sich aber damit aus, daß
auch sie ganz fremd in dem verdächtigen Haus seien, das sie jetzt nicht
einmal mehr aufzufinden wüßten, da sie halb im Rausch und ebenso
unwissend wie wir in dasselbe geraten seien. Ob nun gleich auch Herr
Düret moralisch von der nichtswürdigen Absicht der beiden Individuen
überzeugt war, so ließ er sie doch mit der Warnung gehen, sich nicht
wieder auf ähnlichen Wegen erwischen zu lassen, schärfte den beiden
andern jungen Leuten ein, künftig vorsichtiger zu sein, und somit war
die Sache vorerst abgetan. Als wir das Quartier des Chefs verließen,
sagte jedoch Latouche zu mir: dies würde er mir gedenken, worauf ich
erwiderte: »_Quand il vous plaira._« Ich schwärmte den Rest des Tages
noch in Lyon herum, besuchte den Abend das Theater Cölestin, wo ich mich
mit einer schneeweiß gepuderten Schönheit, damals schon eine Seltenheit,
die wahrscheinlich die grau werdenden Haare durch den Puder verbergen
wollte, sonst aber gar nicht so übel war, recht angenehm in einer Loge
unterhielt. Man gab »Agnes Sorel« und noch einige kleine Piecen. Der
Vorhang dieses Theaters stellte eine sehr täuschend gemalte Ansicht
Lyons, von dem Kai der Rhone aus gesehen, dar.

Den kommenden Morgen schiffte sich das Bataillon auf fünf gebrechlichen
Fahrzeugen auf der Rhone ein; da diese Art Schiffe nie den Weg
zurückmachen, sondern, mit dünnen Brettern zusammengenagelt, an ihrer
Bestimmung angekommen, auseinandergeschlagen werden und das Holz
verkauft wird, so sind sie nicht von großer Solidität. Unsere Kompagnie,
die erste, war mit der der Karabiniers, der Musik und dem Etatmajor des
Bataillons zusammen eingeschifft. Kapitän Alphons, der die
Karabiniers[10] kommandierte, hatte seine hübsche Frau bei sich, beide
aber schnitten verdrießliche Gesichter, saßen stumm und traurig in einer
Ecke des Schiffes und maulten miteinander. Ich erfuhr bald von meinem
Kapitän den Grund dieses Umstandes: beide hatten eine galante Krankheit,
und jeder warf dem andern vor, sie von ihm bekommen zu haben; das Wahre
an der Sache mochte sein, daß keines seiner Sache gewiß war oder sein
konnte, denn beide waren eben keine Felsen ehelicher Treue. Wir stießen
nach acht Uhr unter dem Schall der Musik und dem Wirbeln der Trommeln
vom Ufer und flogen pfeilschnell auf dem reißenden Strom dahin; rechts
und links schwanden Villen, Gärten, Dörfer, Hügel und Auen, während die
Soldaten jauchzten und zufrieden waren, so mühelos die Märsche
zurückzulegen.

[Fußnote 10: Bei jedem Bataillon der leichten Infanterie befanden sich
damals eine Kompagnie Karabiniers und eine Kompagnie Voltigeurs, die
Kompagnien dü Centre hießen Chasseurs. Die beiden erstern hatten eine
_haute paye_ von 5 Centimes per Mann und per Tag.]

Bald bekamen wir das uralte Vienne mit seinen gotischen Türmen, Mauern
und Zinnen zu Gesicht, eine der ältesten Städte Frankreichs, die schon
fünfhundert Jahre vor Christi Geburt erbaut worden sein soll und die
Hauptstadt der Allobroger (_Vienna Allobrogum_) war. Keine Stadt am
Rhein, Köln ausgenommen, sieht so ehrwürdig grau, so imponierend alt
aus, wie Vienne an der Rhone; nur zu schnell entschwand sie unsern Augen
und wir kamen bald an jene hochberühmte Côte dü Rhone, deren Feuerweine
mit dem besten Ungar rivalisieren können, namentlich der, den die Côte
rotie, dem Barometerberg Pila gegenüber, erzeugt. So sahen wir
Rousillon, und endlich Condrieux, wo wir landeten, um zu übernachten;
ein Teil der Truppen schlief jedoch in den Schiffen. Das Städtchen liegt
zwar nicht dicht am Fluß, hat jedoch einen Hafen an demselben, und ist
meistens von Schiffern bewohnt, weshalb auch nur die Offiziere und ein
Teil der Unteroffiziere in demselben einquartiert werden konnten und der
Rest der Truppen auf den Schiffen blieb. Hier trug sich eine Begebenheit
zu, die dem Fourier Jean Roi den Hals brach. Alle Fouriere waren nämlich
samt dem Adjutant-Unteroffizier Geßner in einer großen Stube
einquartiert, wo Jean Roi erwischt wurde, wie er in der Nacht einem
Kameraden achtzig Franken aus der Tasche der abgelegten Beinkleider
stahl; er wurde _cum infamia_ vom Regiment gejagt, da man es nicht der
Mühe wert erachtete, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen.

Mit Tagesanbruch schifften wir uns wieder ein und setzten die Reise gut
gelaunt und fröhlich fort. St. Jüste hatte eine gute Portion süßen
Condrieux mit an Bord genommen, womit er seine ganze Kompagnie
regalierte, so daß jedermann ein großes Glas voll davon zum Frühstück
erhielt, wodurch die Leute gewaltig munter wurden, während die
Karabiniers des Kapitän Alphons, die nichts erhielten, scheel dazu
sahen. Saint Vallier mit seinem alten Schloß, der platte Königsfelsen,
der Berg Ventoux und so weiter glitten an unsern Blicken vorüber, und
bald waren wir in der Nähe der berühmten Eremitage, welche den
köstlichsten der Rhoneweine, den perlenden weißen Eremitage liefert, den
viele Weinkenner noch dem Tokaier vorziehen. Jetzt windet sich der
gewaltige Strom bald zwischen wandsteilen, ungeheuer hohen Felsen durch,
bald wogt er durch die herrlichsten Weinhügel dahin. In dieser Gegend
zeigt alles an, daß einst zahlreiche Vulkane hier gewesen sein müssen,
die längst ausgewühlt haben, und noch stößt man auf ausgebrannte Krater.
Immer reißender wird nun die rauschende Rhone, je näher man der Pont St.
Esprit kommt. Bald zeigt sich diese majestätische, fünfundzwanzig schöne
Bogen lange Brücke, ein Meisterstück der Architektur, dem erstaunten
Auge, man darf sie kühn den größten Werken des Altertums der Art zur
Seite stellen. Im Jahr 1265 wurde ihr Bau begonnen und erst 1309
vollendet, aber sie wurde fortwährend so gut unterhalten, daß sie noch
so völlig unversehrt dasteht, als ob sie erst vor kurzem aufgeführt
worden sei. Sie geht nicht in gerader Linie durch den Strom, sondern
biegt in der Mitte gegen denselben aus, dies macht, daß sie besser den
tobenden Wellen widersteht und an Festigkeit gewinnt. Ihre Bogen sind
zirkelrund und sie ist bei aller Dauerhaftigkeit doch noch zierlich;
ihren Namen soll sie erhalten haben, weil der heilige Geist selbst den
Plan der Brücke dem Baumeister eingegeben hat. Die Beiträge, um das Werk
vollenden zu können, wurden weit umher gesammelt, bis auf zwanzig Lieues
in der Umgebung, man gab gerne, da die Überfahrt hier, wo der Strom so
reißend ist, so gefährlich war, und kein Jahr ohne bedauerliches Unglück
vorüberging.

Wild wogen die Fluten an der Brücke und unter ihren Bogen, und es
erfordert eine große Geschicklichkeit der Schiffer, um pfeilschnell
mitten durch einen derselben unversehrt durchzukommen; im Fall eines
Anstoßes geht das Schiff unvermeidlich in Trümmer, wie es einem der
unsrigen erging. Als wir uns der Brücke näherten, auf der viele Menschen
standen, die Durchfahrt der kleinen Flottille anzusehen, schlugen die
Tambours Sturmschritt, die Musik spielte einen Pas de charge, und man
ließ die Guides wehen, während die Schiffer Gebete hersagten. Die beiden
ersten Schiffe, worunter das unsrige, waren schon glücklich, unter dem
Beifallrufen der auf der Brücke stehenden Leute, _tambour battant_
durchgefahren, als das dritte, welches der Strom ein wenig zu weit
rechts getrieben hatte, mit großer Gewalt gegen einen Pfeiler anfuhr und
sich krachend spaltete, worauf sich sogleich ein furchtbares Geschrei
auf und unter der Brücke und an den Ufern erhob, aber auch in demselben
Augenblick stießen mehr denn zwanzig Nachen vom Ufer ab, die
Verunglückten aufzunehmen. Das so leicht gebaute Fahrzeug war wenige
Sekunden nach dem Anstoß auseinandergegangen und die Oberfläche des
Wassers war alsbald mit Menschen, Tschakos und Effekten bedeckt. Alle
ins Wasser Gefallenen, unter denen auch einige Frauen, wurden indessen
bis auf zwei Mann gerettet oder retteten sich mittelst der Seile, die
man ihnen zuwarf, und die für einen allenfallsigen Unfall schon in
Bereitschaft waren. Die beiden andern Schiffe kamen, mitten durch die
Leute und Trümmer im Wasser fahrend, glücklich jenseits der Brücke an.
Vom Gepäck ging manches, und namentlich viele Gewehre, verloren. Die so
wider Willen ausgeschifften zwei Kompagnien legten nun, nachdem sie sich
erholt und getrocknet hatten, den Weg bis Orange zu Fuß zurück, wo auch
der Rest des Bataillons ausschiffte, und Düret beschloß, daß wir die
letzte Etappe -- es war nur noch ein Marsch bis zur neuen Garnison -- zu
Land zurücklegen sollten.

Mit dem frühesten Morgen marschierten wir, von der aromatischen Luft der
provenzaler Sonne erquickt, nach dem Ort unserer einstweiligen
Bestimmung, nach Avignon, ab. -- Hier wird das Himmelsblau schon
lebhafter, Nebel bei Sonnenauf- und -untergang kennt man nicht,
freundlich heiter sind die Fluren, und die klimatische Veränderung fühlt
man durch den ganzen Körper.

Eine Viertelstunde vor Avignon wurde Halt und Toilette gemacht, man warf
sich in grande tenue, die Karabiniers setzten ihre Bärenmützen mit den
roten Federbüschen auf und schmückten ihre Schultern mit den Epaulettes
von derselben Farbe, sowie die Voltigeurs mit gelben und die Chasseurs
mit grünen Epaulettes und Federn; da das Regiment ganz neu und schön
uniformiert war, so nahm es sich stattlich und imponierend aus und
marschierte gehörig geschniegelt und gestriegelt in schönster Ordnung in
die neue Garnison und alte Residenz so vieler Päpste ein, wo wir durch
sehr enge, winklige Straßen mit altertümlichen Häusern, aus denen aber
doch sehr moderne Damen auf uns herabsahen, auf den Waffenplatz kamen.
Das Bataillon wurde gleich in die geräumigen gewölbten Säle der alten
päpstlichen, auf hohen Felsen liegenden Burg kaserniert. Ich mietete mir
aber eine _Chambre garnie_, die recht schön möbliert war, für den
äußerst billigen Preis von acht Franken per Monat in der Nähe des großen
Platzes. -- Als ich in Gesellschaft mehrerer Kameraden nach Wohnungen
suchte, gerieten wir auch an ein Haus, an dessen Mauern mit großen
Lettern geschrieben stand: »_Ici on loue des chambres garnies pour
hommes et non pas pour femmes_«; bald wußten wir, was es damit für eine
Bewandtnis hatte, eine solche Unverschämtheit kann man sich nur in
Frankreich erlauben. Eine andere Sache, nach der man sich eifrigst in
jedem Haus, wo wir Wohnungen suchten, erkundigte, war: ob wir keine
Kosacken, Tataren, Kalmücken oder Russen seien, und man wollte uns in
der Regel nicht eher Zimmer zeigen, bis wir zur Genüge dargetan, daß wir
Franzosen oder doch wenigstens _des bons allemands_ und Christen seien.
Den Grund dieser ängstlichen Erkundigungen erfuhren wir bald; man hatte
nämlich von unserm Regiment das Gerücht, das uns vorausging, verbreitet,
daß es fast aus lauter wilden und barbarischen Völkern bestünde, die
nicht nur raubten und plünderten, sondern sogar die kleinen Kinder
wegfingen, wo sie deren habhaft werden könnten, um diese nach Umständen
roh, gebraten oder auch in einem Fricot zusammengehackt zu verzehren.
Solche Dinge glaubten die Einwohner in allem Ernst und fluchten dem
Napoleon, daß er solches Volk in Dienst nehme und ihnen zuschicke. Erst
nachdem ich hinlänglich beteuert hatte, daß ich kein Kinderfresser sei,
willigte man ein, mir die erwähnte Wohnung bei einem Herrn Croizet,
einem kleinen Rentier, der eine hübsche Frau hatte, zu vermieten.

Die alte Stadt liegt in einer reizenden, fast immer grünenden, etwas
abhängigen Ebene, an dem linken Ufer der Rhone, und ist von gelbbraunen
Mauern und Türmen, nach der alten Befestigungsart, umgeben. Hier findet
man sich schon ganz unter dem südlichen Himmelsstrich, wo Oliven und
andere Südpflanzen gedeihen, die meistens der tropischen Zone angehören;
der Himmel hat schon den italienischen Anstrich, und die immergrünen
Fluren sind mit Limonen-, Orangen- und Feigenbäumen bedeckt; die
herrliche Natur gibt in üppiger Fülle, was den Lebensgenuß versüßt, und
die bläulichen Wasser der Rhone strömen majestätisch wild dem nahen
Meere zu. Unvergleichlich und entzückend ist die Aussicht von dem hohen
Felsen, auf dem die alte Residenz der dreikronigen Priester steht, von
wo man die blühenden Gefilde der Rhone auf eine unabsehbare Weite
überschaut, die der Fluß zwischen romantischen Ufern durchströmt.
Besonders reizend ist die Aussicht gegen das malerische Tal von
Vauclüse, und nicht mit Unrecht wird diese Gegend als die schönste in
ganz Frankreich und als eine der anmutigsten Europas gepriesen.

Der alte päpstliche Palast ist eine auf hohen Felsen erbaute ungeheure
Steinmasse, einer Feste ähnlich, ein ungeheures Gebäude mit öden
Gemächern und Zimmern, fast alle hochgewölbt. In dem weitläufigen
Schloßhof stieß man allenthalben auf Schutt und Trümmer, und die
imposanten Ruinen ließen noch die Herrlichkeit längst vergangener Größe
bewundern. In den am besten erhaltenen Sälen, Kirchen, Kapellen und
Gewölben lagen jetzt unsere Soldaten, und an der Stelle, wo einst, dem
Donnergott gleich, die Oberpriester der Christenheit ihre Blitze über
das zu ihren Füßen liegende Avignon, gegen Venedig und Mailand,
Deutschland und Italien, gegen Kaiser und Könige schleuderten, an dieser
Stelle putzten jetzt Russen und Österreicher, Ungarn und Böhmen, in
französische Uniformen gesteckt, ihre Gewehre und Patronentaschen und
aßen mit hölzernen oder eisernen Löffeln ihre Menagesuppen. In den
Gemächern und Höfen, wo die Päpste die prächtigsten und glänzendsten
Feste mit üppiger Verschwendung gaben, wo einst die schöne Johanna von
Neapel als Gebieterin von Avignon mit einem zahlreichen Gefolge von
Kardinälen und Bischöfen, Rittern und Edelfrauen, in die kostbarsten und
reichsten Gewänder gekleidet, an der Seite ihres Gatten unter einem
Prachthimmel einzog und vom heiligen Vater in seiner ganzen Glorie
empfangen und bewillkommnet wurde, da ertönte jetzt das eintönige
Verlesen der barocksten russischen, deutschen, polnischen und böhmischen
Soldatennamen, und das düstere »_Qui vive!_« (»Wer da!«) der
Schildwachen des in Kasernen verwandelten Prunkpalastes, in dessen
weiten Räumen und Höfen das einsilbige Kommando der Unteroffiziere
widerhallte, die den exerzierenden Rekruten die Soldatenschule und
Handgriffe einbläuten.

Von einer uralten Brücke, die hier über die Rhone führte und von dem
wilden Strom zerstört wurde, sind nur noch einige Bogen mit einer
kleinen Kapelle übrig, sie hatte deren neunzehn. Im Mund des Volkes der
Umgegend ist folgende, sie betreffende Sage: Ein sehr frommer Schäfer
mit Namen Benedikt (Benezet in der dortigen Volkssprache) weidete eines
Tages seine Herden auf den Auen der Insel Bartelasse, wo ihm der heilige
Petrus erschien und ihm im Namen des Himmels befahl, die Bewohner
Avignons und der Umgegend aufzufordern, zum Besten der Pilger, die nach
Rom und Jerusalem wallfahrten, hier eine Brücke über den Strom zu bauen.
Er fand jedoch die Leute nicht sehr willfährig für sein Ansuchen,
obgleich er im Namen des Petrus sprach, das Unternehmen war zu schwierig
und zu kostspielig; Benedikt aber war beharrlich und hörte nicht auf,
das Volk aufzufordern, den Willen des Himmels zu erfüllen. Zuletzt
verlangte der Bischof, er solle seine Sendung durch irgendein Wunder
beweisen, und der Schäfer hob ein ungeheures Felsenstück, das wohl viele
Tausend Pfund wog, so leicht auf seinen Rücken, als sei es eine Feder,
trug es auf seinen Schultern eine große Strecke weit bis an den Fluß,
auf dessen Oberfläche er bis zur Mitte mit seiner schweren Bürde
schritt, ohne sich nur die Knöchel zu benetzen, und warf es dann mitten
in den Strom, sprechend: »Dies sei der erste Grundstein zu der neuen
Brücke.« Jetzt schrie alles Volk: »Mirakel!« und warf sich vor dem zum
Ufer zurückkehrenden Schäfer auf die Knie. Der Bau der Brücke ging jetzt
schnell vor sich und war in wenigen Jahren vollendet, Benezet aber ward
nach seinem Tode unter die Heiligen versetzt und ihm zu Ehren in der
Nähe der Brücke ein Kloster erbaut, dessen Mönche verpflichtet waren,
die ankommenden Pilger zu verpflegen, die Brücke zu unterhalten. Man
nannte sie deshalb _fratres pontifices_ (Brückenbrüder). -- Der Insel
gegenüber liegt Villeneuve, wo noch die Ruinen eines ehemals wegen
seiner Pracht und Größe berühmten Karthäuserklosters zu sehen sind,
sowie das alte Schloß St. André mit seinen ungeheuren Mauern und dicken
runden Türmen. Ludwig VIII. ließ diese starke Feste im dreizehnten
Jahrhundert auf dem Hügel erbauen, der die Stadt beherrscht. Im Innern
des Schlosses sind noch die Gebäude des ehemals so reichen
Benediktinerklosters vorhanden. Villeneuve war der Geburtsort unseres
Bataillonschefs Düret, der aus einer nicht sehr wohlhabenden Familie
stammte, die während der Schreckenszeit aus dieser Stadt ausgewandert
war. Nach mancherlei Schicksalen hatte er endlich zu Offenbach ein
Ruheplätzchen bei dem Fürsten Y. gefunden, der ihn zum Kommandanten
seines fünfzig Mann starken Heeres ernannte und bei der Formation des
Regiments Y. zum Bataillonschef beförderte. Düret galt viel beim Fürsten
und hatte ihn vermocht, beim Kriegsminister zu erbitten, daß das
Regiment, um sich völlig einzuexerzieren, eine kurze Zeit in Avignon
garnisonieren dürfe, was der Minister um so eher bewilligte, als er
dasselbe ohnehin schon zu diesem Zweck nach Montpellier auf einige
Monate bestimmt hatte. Also hatten wir es Dürets Eitelkeit zu verdanken,
der sich seinen Verwandten und Landsleuten, die er seit vierzehn Jahren
nicht gesehen, gerne an der Spitze seines Bataillons in glänzender
Uniform zu Pferde zeigen wollte, daß wir auf kurze Zeit in Avignon in
Garnison lagen, denn Montpellier war deswegen nicht aufgegeben. Ohne
diesen Umstand hätte das Regiment wahrscheinlich Avignon nicht oder doch
nur im Durchmarsch gesehen. Dafür mußten wir auch oft genug eine
militärische Promenade durch Villeneuve machen. Das Offizierkorps des
Regiments bestand, namentlich das des ersten Bataillons, meistens aus
zum Teil sehr hübschen jungen Männern, an denen die holden
Avignoneserinnen ihr Wohlgefallen zu haben schienen. Ich erinnere mich,
daß nach der ersten Militärmesse, die wir hatten, eine junge hübsche
Dame ganz außer sich zu meiner liebenswürdigen Wirtin ins Zimmer trat
und mehrmals ausrief: »_Oh le beau corps d'officiers, le beau corps
d'officiers!_« Schönheit war die beste Empfehlung bei dem Fürsten Y.,
und er hatte die meisten Offiziere aus diesem Beweggrund angestellt.

Bei Croizets, meinen Wirtsleuten, lebte ich unterdessen wie der Vogel im
Hanfsamen, und Madame Croizet war eine der liebenswürdigsten und
muntersten Damen der Stadt, die mich gleich Rousseaus Mama in ihren
besonderen Schutz nahm und in allem wahrhaft mütterlich für mich sorgen
wollte, aber kein sehr gehorsames Kind an mir fand. Da sie mit den
angesehensten Familien der Stadt bekannt und zum Teil verwandt war, so
bekam sie täglich Besuch von jungen hübschen Damen, denen sie mich
vorstellte und deren Bekanntschaft ich hierdurch machte. Da kein
Instrument im Haus war, so mietete ich ein Fortepiano, welches mir
Madame Croizet erlaubte, in ihren Salon zu stellen. Ich war somit
befugt, denselben zu jeder Stunde zu betreten. Herr Croizet, obgleich in
Avignon geboren, hatte eine gute Portion Phlegma, bei einer ziemlichen
Zahl von Jahren; er war Kaufmann gewesen, hatte sein Schäfchen ins
Trockene gebracht und ruhte, wenn auch nicht gerade im Überfluß und auf
Lorbeeren, so doch gemächlich auf seinem Errungenen aus. Ich schien ihm
noch viel zu jung und unerfahren, als daß er mich für gefährlich
gehalten hätte, und da er alle Nachmittage und die Abende bis elf Uhr in
den Kaffeehäusern meistens mit Dominospielen zubrachte, so hatten wir
völlig freies Spiel zu Hause. Der Dienst war nicht sehr beschwerlich;
außer dem Exerzieren und den militärischen Promenaden hatten wir fast
alle Zeit frei, und die Wachen kamen nur selten an mich.

Ein paar Tage nach unserer Ankunft hatte ich Briefe von meinen Eltern
mit Empfehlungsschreiben an das Haus Blavet _et frères_, von dem mein
Vater öfters französische Südweine bezogen, erhalten. Ich präsentierte
mich bei demselben und wurde mit der zuvorkommendsten Artigkeit
aufgenommen, erhielt häufige Einladungen zu Dejeuneurs, Diners und
_parties de Campagne_, lernte in diesem Haus die ganze _beau monde_ von
Avignon in ihrem Glanze kennen, und hatte auch bald, nach echt
französischer Art, ein halbes Dutzend Amouretten von mehr oder weniger
Bedeutung, mit mehr oder weniger Begünstigung. Madame Croizet war und
blieb mir jedoch lieb und wert, besonders solange ich noch nichts wie
einige Küsse im Vorübergehen von ihr erlangt hatte; um aber bald weiter
zu kommen, suchte ich die Eifersucht zu rechter Zeit in Bewegung zu
setzen, wozu mir ein besonderer Umstand günstig war, der mich zu dem
Ziele brachte, das ich durch Bitten und Stürmen noch nicht hatte
erreichen können. Eines Tages fand eine prächtige Prozession, ich weiß
nicht mehr zu Ehren welches Heiligen, statt, die an dem Haus Croizets
vorbeikam. Hier fanden sich viele Zuschauerinnen ein, um die
Feierlichkeit bequem mit ansehen zu können. Unter ihnen war auch eine
Cousine des Präfekten des Departements, ein charmantes Mädchen; dieser
hatte ich zwar schon einigemal den Hof gemacht, aber heute stellte ich
mich, als hätte ich nur Augen für sie, und dies setzte Madame Croizet in
üble, mir aber günstige Laune. Als die Vorläufer der Prozession ankamen,
wies Madame Croizet schnell jedem das Fenster an, durch welches er
schauen sollte; sie entführte mir meine Schöne, und zwar in den zweiten
Stock, und ich war somit von ihr getrennt. Sie selbst aber begab sich
mit noch mehreren älteren Damen in mein Zimmer, das ebenfalls drei auf
die Straße gehende Fenster hatte, da alle andern schon in Beschlag
genommen waren, stellte sich mit mir unter eine der Fensterhallen,
während die übrigen Damen die beiden andern zierten. -- Wohl, dachte
ich, diesmal wirst du mir nicht so ganz ungerupft davonkommen, denn
Aufsehen kannst du in dieser Lage nicht machen, Küsse und Umarmungen
hast du mir ja schon gewährt, und kannst keinen Eklat machen, also
frisch gewagt. -- Nachdem ich mich nun umgesehen und überzeugt hatte,
daß uns die andern, ebenfalls in den Fensterhallen stehend, nicht sahen
und alle ihre Aufmerksamkeit auf die sich nähernde Prozession gerichtet
hatten, schlang ich meinen linken Arm um ihre schlanke Taille, sie
fester und fester an mich drückend, und die Wangen der Dame glühten. --
Dies war mir für jetzt genug und ich flüsterte: »_A ce soir?_« -- Keine
Antwort. -- »_A quelle heure?_« -- Noch immer stumm. -- »_A onze heures
ou a minuit?_« -- Noch immer kein Laut. -- »_Mais pour l'amour de dieu
quand donc?_« -- Endlich ein: »_Laissez moi tranquille pour l'amour de
dieu!_« -- »Nicht eher bis ich weiß, wann?« -- »_Eh bien à minuit, mais
finissez donc!_« Jetzt nahm ich ihre Hand, drückte sie fest an meinen
Busen, und sagte, ich hoffe, daß sie Wort halten würde. Daß uns Herr
Croizet nicht im Wege stehe, wußte ich, denn er hatte sein besonderes
Schlafzimmer in einer höhern Etage. Aber der Zufall wollte, daß ich
nicht einmal so lange mehr auf die versprochene Schäferstunde warten
sollte, sondern diese mir denselben Nachmittag noch wurde. Als das ganze
Haus, bis auf Madame Croizet und ich, die wir allein zurückgeblieben
waren, von allen Bewohnern verlassen war, um der Kirchenfeierlichkeit
beizuwohnen, erlangte ich auf der Ottomane des Salons, was ich wünschte,
und erschöpft ruhten wir Arm in Arm, als uns das Klingeln der Haustüre
aufjagte und trennte, und die Zofen heimkamen. Denselben Abend brachte
ich bei Blavets zu, wo ich wieder die hübsche Cousine des Präfekten,
Amelie, traf, und fortsetzte, wo ich es am Morgen gelassen hatte. Daß
hier nicht viel zu erreichen war, wenn ich nicht ernstliche Absichten
blicken ließ, wozu ich ebensowenig Lust hatte, als Aussicht dazu
vorhanden gewesen, denn die nächste zu einer Heirat war wohl ein
Kapitänspatent in noch unabsehbarer Ferne, war mir bald klar, und ob ich
gleich ewige Liebe und Treue versicherte, wurde mir außer einem
verstohlenen Händedruck und einem Kuß zum Abschied nichts gereicht.
Dagegen war ich weit glücklicher bei einer allerliebsten Grisette, die
_vis-à-vis_ von mir wohnte, aber schon einen Liebhaber hatte. Wir
wechselten erst Blicke, dann Kußhände und endlich kleine Zettelchen, die
ich um einen kleinen Stein gewickelt in das offene Fenster gegenüber
warf. Es kam bald zu einem Rendezvous und zwar zuerst in der stillen
Franziskanerkirche, wo wir uns verständigten und spätere Zusammenkünfte
in der Wohnung einer ihrer Freundinnen verabredeten, die ich aber bald
wieder zu vermeiden für gut fand; nicht so das Mädchen, das diese
Intrige durchaus fortsetzen wollte, und es so auffallend machte, daß
nicht nur die Nachbarschaft und Madame Croizet das Verhältnis merkten,
sondern auch ihr Liebhaber Lunte roch und eifersüchtig ward. Ich war
dann abends mehr als einmal Ohrenzeuge von heftigen Szenen, die zwischen
beiden vorfielen, konnte aber wenig verstehen, da sie sich in dem Patois
Avignons, das schon ziemlich dem Provenzalischen gleicht, zankten; doch
merkte ich wohl, daß Madame Croizet das Feuer geschürt haben mußte;
jeder Streit endigte aber immer mit einer zärtlichen Versöhnung, nachdem
Annette, so hieß das Mädchen, ihrem Geliebten unerschütterliche Treue
und ewige Liebe geschworen hatte. Ich machte der Sache ein Ende, indem
ich Annetten ein kleines silbernes Körbchen, mit Orangenblüten gefüllt,
unter denen ein Billettchen verborgen war, zuschickte, in welchem ich
ihr den guten Rat erteilte, sich in Zukunft allein an ihren Liebhaber zu
halten, der sie auch ehelichen wolle. Mit Madame Croizet hatte ich aber
manchen Strauß deshalb zu bestehen, bis wir bald darauf an der Quelle zu
Vauclüse einen ewigen Frieden auf kurze Zeit schlossen.

Schon seit einiger Zeit hatte ich eine Partie nach Vauclüse
beabsichtigt, die jetzt zustande kam. Ich wußte es auch zu veranstalten,
daß Amelie an derselben teilnehmen konnte, damit wenigstens doch auch
eine Laura dabei war, denn meine Haustyrannin, das war Madame Croizet
wirklich geworden, konnte mir keine solche mehr sein; freilich war auch
ich nichts weniger als ein Petrarka. --

An einem Sonnabend fuhren wir fast mit Sonnenaufgang von Avignon ab. Von
der Partie war auch noch eine jüngere Schwester der Madame Croizet, eine
hübsche Witwe, die sonst nur selten in das Haus kam, und, wie ich später
erfuhr, die Geliebte des Präfekten war. Auf dem Wege durch die reizende
Gegend bis zum Städtchen l'Ile war Amelie mein Visavis im engen Wagen,
deren Knie zwischen die meinigen eingeengt, so daß ich sie bei jedem
Stoß über eine holprige Stelle zusammendrücken mußte und auch oft ohne
eine solche Veranlassung zusammendrückte, wobei die Blicke des holden
Mädchens jedesmal verlegen, sowie die der Dame Croizet, wenn sie etwas
bemerkte, finster und gewitterschwanger wurden. In l'Ile stiegen wir aus
und legten, nachdem wir vor dem Ort in dem Hotel, welches das
Aushängeschild >Petrarka und Laura< führt, ein gutes Diner für den Abend
bestellt hatten, den übrigen Teil des Weges durch das schöne und wilde
Felsental Valla Clausa zu Fuß zurück. Ungefähr eine Stunde von l'Ile
liegt das Dörfchen Vauclüse, das kaum ein Viertelhundert Häuser zählt.
Auf einem steil hervorstehenden überhängenden Felsen sieht man die
Ruinen eines alten Schlosses, das vor Zeiten der Familie von Sade
gehörte. Der Volksglaube hält es für Petrarkas Wohnung und nennt es mit
seinem Namen. Unter diesem Felsen liegt das Dörfchen Vauclüse, zu dem
man über eine hölzerne Brücke durch ein düsteres Felsengewölbe gelangt.
Eine Papiermühle, welche fast sämtliche Einwohner des Orts, kaum mehr
als hundert Seelen, ernährt, steht alten Nachforschungen zufolge an der
Stelle, wo Petrarkas kleines Wohnhaus war, sein zweiter Garten aber, den
er den transalpinischen Parnaß nannte, lag unfern der Quelle. Es war im
Jahre 1357, als sich der treffliche Dichter hier niederließ; seine
Wohnung erbaute er ungefähr 250 Schritte von dem Felsental entfernt;
hier war er mit seinen Büchern, den Musen, einem treuen Hund und zwei
Personen zu seiner Bedienung und Gesellschaft, allein, lebte seinen
Träumen, seiner Sehnsucht, seinen Phantasien, und nannte sich selbst
>den Eremiten von der Sorgue<. Als Schäfer gekleidet ging er auf den
Fischfang, pflückte Mandeln und Feigen, verschaffte sich so sein
Mittagsbrot und schrieb seine Lobrede auf die Einsamkeit, seine
Ansichten über das Mönchsleben, sein Gedicht über Scipio, seine _fastes
de Romae_ und so weiter, führte dabei ein beschauliches Leben und
schilderte in seinen Briefen die reizende Einsamkeit desselben mit den
verführerischsten Farben. Seine Laura sah er hier nie, sondern klagte
nur den Felsen der Valchiusa, in deren Echo seine Seufzer widerhallten,
sein Sehnen und seine Leiden; doch hatte er eine Gesellschafterin bei
sich.

Gerne hätte ich mit Laura-Amelie diese wilden und manchmal gefährlichen
Partien, wo der Dichter so sinnig schwärmte und dichtete, allein
besucht, aber meine gefällige Hauswirtin ließ mich nicht außer Augen,
sondern wußte es so einzurichten, daß wir uns nicht allein sprechen
konnten. Unter dem Vorwand, mir noch eine ganz besondere Schönheit
zeigen zu wollen, führte sie mich den jähen Felsenpfad hinauf, der zu
der schauerlichsten Einsamkeit führt, und wollte mir hier eine strenge
Strafpredigt über meine Unbeständigkeit, Treulosigkeit und Gott weiß was
noch alles halten, aber ich hielt es für das beste, den obgleich
zürnenden doch liebenswürdigen Mund mit Küssen zu schließen und den
Friedenstraktat, wenn auch nicht mit der Feder, zu unterzeichnen,
versprach was man begehrte, und hielt was ich versprochen bis zur --
Heimfahrt, wo schützende Finsternis wieder eine kleine Untreue
begünstigte. Nachdem die Gesellschaft lange genug geschwärmt, gekost und
mitunter auch geküßt hatte, kehrten wir nach Vauclüse und von da nach
l'Ile zurück, um das beorderte Mahl einzunehmen, dessen
Hauptbestandteile köstliche Forellen und noch trefflichere Aale
ausmachten, würzten dasselbe mit Eremitagewein, Scherzen und Lachen, und
besuchten noch die Kirche zu l'Ile, in welcher Petrarka zum erstenmal
seine Laura gesehen und das ihn verzehrende Feuer gefangen hatte, das er
nicht zu löschen verstand. -- Die Heimfahrt war nicht minder angenehm
als die Hinfahrt, und trotzdem es Madame Croizet so einzurichten wußte,
daß Amelie nicht mehr mein Visavis, sondern in der andern Ecke des
Wagens war, während sie selbst mir gegenüber saß, so hatte sie ihre
eigne, mir nicht minder gefährliche Schwester, der ich ohnehin schon
Fleuretten genug erzählt hatte, neben mich placiert. -- Mit
stockfinsterer Nacht kamen wir zu Hause an, uns alle nach Ruhe sehnend.
Am andern Morgen wurde ich durch eine unangenehme Geschichte aus dem
besten Schlaf in aller Frühe geweckt. Ich hatte einen ältern Soldaten
von der Kompagnie, namens Roß, zu meiner Bedienung genommen, eine
ehrliche Haut, die sich aber von Zeit zu Zeit dem Trunke ergab, wie die
große Mehrzahl des Regiments, eine Leidenschaft, welche die Leute in
Avignon um so leichter befriedigen konnten, als eine Flasche starker
dicker roter Wein nur zwei Sous kostete. An den Zahlungstagen wurde dann
auch das Regiment immer in den Kasernen konsigniert, denn die Russen,
Polen, Böhmen und so weiter tranken sich toll und voll, begingen Exzesse
aller Art und wälzten sich zum Skandal der Einwohner in den Gossen
herum. Roß hatte sich den Tag, da ich zu Vauclüse war, mit einigen
Kameraden einen tüchtigen Zopf getrunken, und sie wußten dann nichts
Besseres zu tun, als in einer Schenke mehr denn dreißig große
umflochtene Korbflaschen, wie man sie in jener Gegend hat, und von denen
eine jede über fünfzig gewöhnliche Flaschen hält, in toller Vollwut mit
ihren Säbeln zusammenzuhauen, so daß man bald bis an die Knöchel in der
Schenke im Wein watete. Dabei schrien und schimpften die Kerls wie
besessen über die _f..._ Franzosky, wie sie sie nannten. Der Wirt aber,
der den Skandal nicht hatte verhindern können, war zum Platzkommandanten
gelaufen, um Hilfe zu suchen, die er auch sogleich erhielt, indem starke
Wachtpatrouillen abgesandt wurden, die Trunkenbolde zu verhaften und in
das militärische Gefängnis abzuführen. Der Schaden wurde auf über
hundertfünfzig Franken angeschlagen, und die Burschen, die ihn nicht
ersetzen konnten, sollten auf das strengste bestraft werden. Roß hatte
seinen Helfershelfern, nachdem er wieder nüchtern geworden war, erzählt,
daß ich ihn öfters an die Ecke der Gasse, wo ich wohne, als Lauerposten
aufgestellt habe, um mich beizeiten zu benachrichtigen, wenn der
Hausherr käme, mit dessen Frau ich mich einstweilen amüsiere. Nun
meinten seine Sauf- und jetzt Leidensbrüder: wenn dem so ist, so muß
dein Kadett auch die Zeche bezahlen, sonst soll ihn der Teufel holen.
Sie schickten hierauf einen Boten mit der Bitte an mich ab, ich möge
doch den Wirt befriedigen, das hätte Roß durch sein Schildwachestehen
wohl an mir verdient. Der Abgesandte stieß unglücklicherweise zuerst auf
Herrn Croizet, den er nicht kannte, ließ sich mit ihm, da er etwas
Französisch verstand, in ein Gespräch ein, und letzterer lockte so von
dem dummen Teufel halb und halb den Grund heraus, warum die saubern
Patrone diese Forderung an mich machten. Er führte ihn nun zu mir, der
ich noch in den Federn lag. Ich ließ den Burschen sagen, daß ich die
Sache zu arrangieren suchen würde, begab mich auch vor der Parade zum
Wirt, wo der Skandal vorgefallen war, und fand mich mit diesem für eine
runde Summe ab, die ich zu bezahlen versprach, wenn der Mann dagegen die
Sache bei dem Platzkommandanten so abmachen würde, daß die Delinquenten
wenigstens mit einem blauen Auge, das heißt mit einigen Tagen Arrest
davonkämen. Der Wirt brachte es in der Tat dahin, daß die Leute dem
Regiment zu einer Disziplinarstrafe überlassen wurden, und ich zahlte
ihm dann neunzig Franken aus, mit denen er zufrieden war, da er sonst
gar nichts erhalten haben würde; somit war von der einen Seite die Sache
abgemacht, aber nicht so von der andern. Croizet war jetzt argwöhnisch
geworden und wollte sich von dem Grund der Aussagen des Soldaten und
seines Verdachts überzeugen. Ich hatte mit Madame Croizet, ihrer
Schwester und dem Kadetten Roger, der mich öfters besuchte und mit von
der Vauclüse-Partie gewesen war, abgemacht, daß wir uns den kommenden
Abend alle vier verkleiden, die beiden Damen nämlich Uniformen von uns
und wir Kleider von den Damen anziehen, und so eine Abendpromenade in
den Straßen der Stadt machen wollten. Croizet hatte das Haus wie
gewöhnlich verlassen, wir waren mit der Toilette der Damen, die uns
schon in Weiberkleider gesteckt, beschäftigt, zogen ihnen die Uniformen
unter Lachen und Schäkern an, und eben machte ich der Madame Croizet die
Brusthaken zu, als sich plötzlich die Türe ihres Schlafzimmers, denn
dieses hatten wir zu unserm Ankleidezimmer gewählt, öffnete und Herr
Croizet mit grimmiger Gebärde hereinstürzte. Er war durch ein
Hinterpförtchen des Hauses, zu dem er allein die Schlüssel hatte,
heimlich zurückgekehrt, während das Kammermädchen der Madame Croizet im
Salon am offenen Fenster aufpaßte, daß uns niemand überrasche. Zum Glück
lag mein Degen in der Nähe, den ich bei des Mannes unvermutetem
Erscheinen schnell ergriff, und setzte mich in eine defensive Positur.
Herr Croizet aber wandte sich nur an seine uniformierte Gattin, die er
eben nicht mit den feinsten Epitheten anredete und bedrohte; aber die
Schwester, die, wie es schien, viel Gewalt über ihn hatte, warf sich
sogleich zwischen beide, indem sie dem aufgebrachten Ehemann
versicherte, daß ja das Ganze nur ein durchaus unschuldiger Scherz sei,
und er sich doch nicht durch eine wirklich unbegründete Eifersucht
lächerlich machen solle, es sei in ihrer Gegenwart auch nicht das
mindeste Unanständige vorgefallen und so weiter; wir alle machten Chorus
mit der jungen Witwe und überschrien den Mann so sehr, daß er gar nicht
mehr zu Wort kommen konnte; er wendete jedoch dagegen ein, was er von
dem Soldaten herausgebracht, es war mir aber ein Leichtes, ihm glauben
zu machen, er habe den Burschen ganz mißverstanden, der zu allem, was
man ihn frage, sein »_Oui_« sage, und es gelang unsern vereinten
Kräften, nicht nur den ehrlichen Ehemann völlig zu besänftigen, sondern
sogar zu bereden, mit von der Partie und des jungen Rogers, der ein sehr
hübsches unbärtiges Gesicht hatte, Ehrenkavalier zu sein, während ich
mich von den beiden weiblichen Kadetten, die mich in die Mitte nahmen,
führen ließ; so traten wir munter unsere Promenade an, kehrten in einem
eleganten Kaffeehaus auf dem großen Platz ein, wo wir uns Eis geben
ließen, und alles lief auf das beste ab.

Zwei Tage nach dieser Begebenheit erhielt das Regiment Ordre, nach
Montpellier zu marschieren; ich nahm Abschied von allen meinen Lieben,
ließ mir noch eine Summe bei Blavet _et frères_ auszahlen, denn ich
hatte ziemlich große Depensen in Avignon gemacht, und marschierte in
aller Frühe um sechs Uhr mit dem Bataillon ab, da ich keine Quartiere
mehr machte, seit wir einen französischen Fourier bei der Kompagnie
hatten. Manche jetzt verlassene Schöne sah hinter ihren Gardinen wohl
mit Tränen in den Augen das Regiment dahinziehen, das sie anfangs
gefürchtet und später gerne gesehen hatte.

Nur vier Etappen waren es von Avignon nach Montpellier, wovon die erste
nach Tarascon lautete. Tarascon mag ungefähr zehntausend Einwohner
zählen, die jedoch ein bitterböses und händelsüchtiges Volk sind, wie
alle niederen Klassen in der Provence und Languedoc, und uns während
unserm vierundzwanzigstündigen Aufenthalt einen Beweis lieferten, wie
sehr sie ihren guten Ruf verdienen, indem sie beinahe unsere Wache
steinigten, wozu aber das einfältige Benehmen des dieselbe
kommandierenden Offiziers Veranlassung gab. Als die Avantgarde des
Bataillons ankam, welche jedesmal die Wache in der Etappenstadt bildete,
in die man einmarschiert, versammelte sich sogleich ein Haufen Volk vor
dem Wachthaus und musterte die Angekommenen mit neugierigen Blicken;
auch sie hatten schon viel von den Wundertieren, aus denen das Regiment
bestehen solle, gehört, und besahen sich die ungewöhnlichen Uniformen
mit ziemlicher Zudringlichkeit. Den kommandierenden Unterleutnant, einen
gewissen Buchwald, ein kleines, unansehnliches Männchen, das früher ich
weiß nicht bei welchem deutschen Duodezfürsten in Diensten gestanden,
verdroß dieses Begaffen, und noch von dem deutschen Zopfdünkel
besessen, befahl er der Schildwache vor dem Gewehr, die Leute
auseinanderzutreiben. Der Posten, ein Österreicher, und von seinem
frühern Dienst ebenfalls gewöhnt, alles, was nicht Uniform trage, müsse
man als Bauer verachten, sich noch in Prag oder Olmütz in Garnison
glaubend, war nicht faul und wollte die Haufen mit dem Kolben
auseinanderjagen, dabei auf gut böhmisch fluchend; das Volk jedoch,
statt sich zu entfernen, fing an zu lachen, der Leutnant wurde erbost
und rief dem Soldaten zu: »Stoß zu auf das Lumpenpack!« Aber noch ehe
der Mann einen Stoß hatte anbringen können, war er auch schon beim
Kragen gepackt und ihm das Gewehr abgenommen. Der Leutnant zog jetzt den
Degen und rief der übrigen Mannschaft, einigen zwanzig, zu, unter das
Gewehr zu treten, aber auch dazu ließen es die wütend gewordenen
Tarasconer nicht kommen, sondern hatten in einem Nu die Wache erstürmt,
und ein starker stämmiger Provenzale faßte den kleinen Buchwald, der
wenig mehr französisch als die Worte _b... f..._ hervorzubringen
vermochte, um den Leib und hob ihn samt seinem Degen hoch in die Luft,
so daß die kleine Figur mit Armen und Beinen, den Degen hoch in der Hand
haltend, in der Luft zappelte, was so possierlich anzusehen war, daß die
ganze Menge und namentlich die Weiber in ein schallendes Gelächter und
lautes Applaudieren ausbrachen, wodurch gewiß größeres Unheil verhindert
wurde. Der provenzale Herkules setzte endlich das Männlein wieder auf
den Boden und ließ ihn laufen. Glücklicherweise rückte jetzt gerade das
Bataillon ein, und als Düret von dem unglücklichen Wachtkommandanten
erfahren hatte, was vorgefallen, geriet er so sehr in Zorn, daß er ihn
sogleich in strengen Arrest schickte, nachdem er ihn abwechselnd bald
deutsch, bald französisch vor der Front heruntergeputzt. Es wurde nun
eine andere Wache dahin kommandiert, und da sich die Haufen Volks noch
immer mehrten, so kam der Maire mit seiner dreifarbigen Schärpe und
forderte sie auf, auseinanderzugehen was sie auch befolgten. Aber Düret
war hiermit nicht zufrieden, ließ durch alle Straßen patrouillieren,
verdoppelte die Wache und verlangte vom Maire, daß er die Schuldigen
bestrafen und dem Bataillon Satisfaktion geben solle. Dieser machte
jedoch Schwierigkeiten und erklärte, daß, wenn sich die Truppen an den
Einwohnern vergreifen würden, er für nichts stehen könne, und diese
gewiß sogleich das Tocsin (die Sturmglocke) läuten und die Landleute
herbeiziehen würden. Man ließ jetzt die fatale Sache, welche auch den
beiden uns folgenden Bataillonen keinen sehr angenehmen Empfang zu
Tarascon bereitete, auf sich beruhen. Ich führte eine der Streifwachen
an, und wenn ich an einen dichten Haufen kam, wo nicht gut durchzukommen
war, so sagte ich laut: »_Messieurs, de la place s'il vous plait!_«,
worauf man mir höflich die Gassen öffnete und mich ungehindert und
ungeneckt mit meinen Leuten durchließ. Buchwald aber machte die Sache so
viel Verdrießlichkeiten, daß er bald darauf das Regiment quittierte, um
anderwärts ein Unterkommen zu suchen.

Tarascon hat ein schönes altes Schloß, das die Einwohner die Burg des
Königs René nennen, der sich öfters in dieser Stadt aufhielt. Es war
aber die Residenz der alten Grafen der Provence; es ist von gotischer
Bauart und dient jetzt zum Gefängnis; von seinen Mauern hat man eine
herrliche Aussicht in die unabsehbaren Ebenen von Languedoc. Unter dem
König René fand hier ein sehr sonderbares Tournier statt, welches man
das Schäfertournier nannte, weil die demselben beiwohnenden Ritter auf
ihren herrlichen Tournierhengsten, ganz geharnischt und die Helme mit
purpurroten Federn geschmückt, nebst ihren Waffen auch einen
Schäferrock, eine Schäferschippe, eine Sackpfeife oder Flöte und ein
Brotkörbchen nebst einer Wasserflasche bei sich führten. Die Preise
wurden dem Sieger von einer als Schäferin gekleideten Dame, die auf
einem von zwei Edelknaben geführten und mit Goldstoff bedeckten Zelter
ritt, und der voran eine ganze Herde Schafe ging, ausgeteilt. Ihr grünes
Schäferhütchen war mit Wiesenblumen geschmückt und ihr Schäferstab war
von Silber, auch sie hatte ein Brotkörbchen und ein Wasserfläschchen am
Gürtel hängen. Während man tournierte, saß sie in einer Blumenlaube auf
erhöhtem Sitz. Der Preis, den sie auszuteilen hatte, bestand in einem
Kuß und Blumenstrauß an goldenen Stengeln. Rechts von ihr saß der König
René und seine Gattin auf einer rot ausgeschlagenen Tribüne, hinter
ihnen deren Gefolge, und links von ihr saßen die Kampfrichter. Einer der
Ritter-Schäfer, der den Preis erhielt, um den er lange verzweifelt
gekämpft, begnügte sich mit dem Kuß und zierte unter dem donnernden
Beifall der ganzen Versammlung die hübsche Schäferin mit den Blumen an
goldenen Stengeln.

Zu Tarascon war auch der Hauptsitz der provenzalischen Galanterie und
Minne, hier wurden manche Liebeshöfe abgehalten und prächtige Feste
gefeiert, und fast alle Troubadoure und Dichter der Provence haben die
Schlösser von Tarascon und Beaucaire, denn auch diese Stadt hatte eine
berühmte Burg, durch ihre Gesänge verherrlicht. Das Schloß von Tarascon
hat noch große unterirdische Gewölbe und ungeheure Hallen und Säle; von
seinen Zinnen und Türmen sprangen einst über fünfzig Gefangene in die
unten vorbeifließende Rhone hinab, lauter Engländer, von denen die
meisten in den Wellen ertranken, während sich mehrere durch Schwimmen
retteten. Der Gouverneur ließ nun auf allen Mauern zweischneidige
Schwerter, Sensen und Spieße befestigen, damit man nicht mehr versuchen
möge, sich auf diese Weise in Freiheit zu setzen.

Den zweiten Pfingstfeiertag wird hier ein seltsames Fest gefeiert; man
führt nämlich ein großes Ungeheuer, von Holz verfertigt, das man _la
Tarasque_ nennt, in den Straßen der Stadt umher und läßt es die Leute
niederwerfen und nicht selten beschädigen. Diese Art von Prozession
geschieht zum Andenken an einen Wasserdrachen, der in uralten Zeiten die
Schiffe in der Rhone umwarf, die Schiffer verschlang oder zerriß, selbst
in die Straßen von Tarascon drang, und was ihm an Menschen begegnete,
raubte und auffraß. -- Unter Nero, so erzählt die Sage, zogen bewaffnete
Kohorten gegen das Ungetüm aus, aber dieses verschlang alles samt Schild
und Speer, die Ufer des Stromes waren mit Menschenknochen besät, und es
war nahe daran, daß alle Einwohner die Stadt auf immer verlassen
wollten, um sich ein anderes Vaterland, wo sie vor dem Drachen in
Sicherheit wären, zu suchen; da kam plötzlich eine schön geschmückte
Barke den Strom herabgefahren, in der ein wunderschönes Frauenbild saß,
das eine ehrwürdige männliche Gestalt begleitete. Die Jungfrau landete
in der Nähe der Höhle, in welcher sich der Drache aufhielt, der, als er
sie erblickte, sich winselnd zu ihren Füßen wand und geduldig litt, daß
sie ein Band um seinen schuppigen Hals befestigte. Dann aber folgte er
ihr zitternd. Sie führte das Ungetüm mitten auf den Markt der Stadt
Tarascon und befahl den staunenden Einwohnern, es zu erschlagen, was sie
auch sogleich taten. Jetzt hielt der Begleiter der Jungfrau eine Predigt
an das Volk, um es zum Christentum zu bekehren, denn es waren noch eitel
Heiden, und brachte eine solche Wirkung hervor, daß sich sogleich alle
und ohne Ausnahme taufen ließen. Die Retterin war niemand anders als die
heilige Martha selbst gewesen, und ihr Begleiter war ihr Bruder Lazarus,
der erste christliche Bischof in jenem Land. Der hölzerne Drachen, den
man jetzt noch alljährlich am Pfingstfest und auch am Festtag der
heiligen Martha herumführt und den Tarasque nennt, hat ungefähr die
Gestalt einer Riesenschildkröte, die langgeschwänzt ist, und ist ein von
hellgrüner, mit goldenen Schuppen bemalter Wachsleinewand überzogenes
hölzernes Gerippe, unter dem acht junge Burschen stecken, die es
sechzehnfüßig machen, leiten und lenken, und mit ihm sich gewandt
drehend, unter die dichtesten Haufen der Zuschauer rennen, sie zu
Dutzenden niederwerfen, und mit dem Drachenschwanz so derb schlagen, daß
alle schreiend davonlaufen. Zugleich speit das Ungetüm aus dem Rachen
und den Nasenlöchern Feuer und schleudert Schwärmer unter die Menge. Am
Festtag der heiligen Martha wird das Ungeheuer von einem jungen
weißgekleideten Mädchen an einem langen Bande geführt, wo es sehr
friedfertig ist, und wird zuletzt in die Kirche der heiligen Martha
gebracht, in der sich auch deren schönes Grabmal von Marmor befindet,
auf dem sie liegend dargestellt ist; hier leitet man es in das Chor, wo
es ein Priester mit Weihwasser besprengt, worauf es leblos niederstürzt,
und in dieser Kirche wieder bis zur nächsten Prozession aufbewahrt wird.
In der Revolution hatte man es zerschlagen, aber nach der
Wiedereinführung der christlichen Religion wurde auch ein neuer Tarasque
verfertigt, und das Volk begrüßte mit Jubel und Freudengeschrei die
Wiederauflebung seines alten Drachens.

Von dem uns so unfreundlichen Tarascon marschierten wir nach dem durch
seine berühmten römischen Denkmäler berühmten Nimes.

Da hier die Einwohner in einem gewissen Wohlstand waren, so fanden sie
sich meistens mit den Soldaten, die Quartierbillette auf sie hatten,
durch Geld ab und zahlten drei bis sechs Franken per Mann für das
Billett; so kam es, daß beinahe die Hälfte des Bataillons während der
Nacht auf den Straßen kampierte. Nachdem die Leute das erhaltene Geld in
den Wirtshäusern verzehrt, sich größtenteils betrunken hatten,
schlenderten sie lärmend in der Stadt umher, machten auch hie und da
einige Exzesse, bis sie endlich unter freiem Himmel, den Tornister statt
Kissen unter dem Kopf, einschliefen. Der Bataillonschef gab den andern
Tag eine strenge Ordre, durch welche er bei namhafter Strafe den
Soldaten das Verkaufen ihrer Quartierbilletts untersagte, um künftig
ähnlichen Unordnungen zu steuern, was den Leuten eben nicht behagte.
Denn in den Quartieren im Innern von Frankreich hatten sie außer der
Schlafstelle auf nichts als Kochsalz und Licht Anspruch zu machen, und
das geringste, was man ihnen dafür gab, waren doch immer dreißig Sous,
wofür sie viel essen und noch weit mehr trinken konnten. -- Ich hatte
wieder das Glück, zu einer hübschen jungen Frau ins Quartier zu kommen,
deren Ehemann ihr jedoch, solange ich da war, nicht von der Seite wich,
ergo war jeder Versuch unmöglich.

Den vierten Tag nach unserm Ausmarsch von Avignon rückten wir in unserer
neuen Garnison Montpellier ein. Je näher wir dieser Stadt kamen, desto
angenehmer wurde die hier im allgemeinem sehr kahle Gegend mit fast
kreideweißem Erdreich, welcher die vielen graugrünen Olivenbäume zwar
ein sehr friedliches, aber auch totes Ansehen geben; auch um Montpellier
sieht man außer Granat-, Pomeranzen-, Maulbeer-, Feigen-, Mandel-,
Cypressenbäumen und Weinstöcken wenig andere Bäume und Gebüsch. Die
Stadt liegt in einer der fruchtbarsten Ebenen von Südfrankreich, ist von
hübschen Landhäusern umgeben und an einem Hügel amphitheatralisch
erbaut, was ihr ein großartiges Ansehen gibt. Aber im Innern ist sie
schlecht gebaut und hat meistens sehr enge und winklige Straßen und
wenig freie Plätze; demungeachtet hat sie eine sehr gesunde Lage und
Luft. Sie ist die Hauptstadt des Departements Herault, Sitz einer
Präfektur, und zählt vierzigtausend Einwohner; ihre Entstehung ist
neuerer Zeit; im elften Jahrhundert stand hier noch ein Flecken, den man
_Mons puellarum_ (junger Mädchenberg) nannte, weil er, wie die Sage
will, an der Stelle lag, wo sich früher eine Einsiedelei befand, in
welcher zwei sehr junge und wunderschöne Jungfrauen, die sich Gott
geweiht, als Eremitinnen lebten.

Wir marschierten gleich auf die Esplanade, einen schönen, großen, mit
Bäumen besetzten Platz, der zwischen der Stadt und der von Ludwig XIII.
als Zwinger für die Protestanten erbauten Zitadelle liegt. Das Bataillon
wurde in den prächtigen und sehr geräumigen Kasernen untergebracht, in
denen die drei Bataillone des Regiments, die sich in wenig Tagen hier
wieder vereint fanden, hinlänglich Raum hatten.




                                 XIII.

   Die Garnison zu Montpellier. -- Der Peyron. -- Furcht der Soldaten
       vor der medizinischen Fakultät. -- Die Einwohner. -- Meine
    Hausdamen. -- Demoiselle Verteuil. -- Fürst Y. mein Nebenbuhler.
     -- Ich falle in Ungnade. -- Die Fahnenweihe. -- Der souveräne
    Fürst in strengem Arrest. -- Folgenschwerer Ritt nach Cette. --
      Nächtliche Spazierfahrt auf der See. -- Auch ich in strengem
       Arrest und verliere meinen Grad als Sergeant. -- Ich werde
   Unterleutnant. -- Abmarsch nach Toulon. -- St. Remy. -- Orgon. --
    Aix. -- Das Fronleichnamsfest daselbst. -- Arles. -- Toulon. --
      Stadt und Hafen. -- Das Arsenal. -- Die Galeerensklaven. --
        Wiedereinnahme von Toulon durch die Republikaner (1793).
        -- Bonaparte tut sich zuerst hervor. -- Verbrennung der
   französischen Flotte und des Arsenals. -- Verheerung der Stadt. --
   Rauferei mit einem Marine-Offizier. -- Ein Skandal im Theater. --
     La Seine. -- Die Familie Guige. -- Eine Hochzeit auf der Insel
                 Porquerolles. -- Abmarsch nach Genua.


Die beiden ersten Tage hatte ich mich in ein Hotel logiert, suchte mir
aber schon am zweiten eine passende Privatwohnung, die ich auch bald in
der Nähe des Theaters und der Esplanade bei ein paar liebenswürdigen
Frauen fand, von denen die eine an einen bei den Armeen in Deutschland
angestellten Kommissär verheiratet, und die andere, ihre Schwester, noch
unverheiratet war; bei dieser Wohnung befand sich ein hübscher Garten
mit einem sehr eleganten Pavillon, der in dessen Mitte, von Zypressen
umgeben, lag. -- Ich erhielt ein elegant möbliertes Wohnzimmer und
ebensolches Schlafkabinett, das in den Garten ging, für vierzig Franken
monatlich. Auch für Montpellier hatte ich Empfehlungsschreiben an das
Haus Michel und Gayral bald nach unserer Ankunft daselbst von meinem
Vater erhalten und wurde von demselben mit zuvorkommender Artigkeit
empfangen. -- Ich besuchte schon den zweiten Abend das Theater, ein
Vergnügen, das ich seit Lyon zu meinem Leidwesen entbehrte, da in
Avignon während unseres Aufenthaltes nicht gespielt wurde, und fand die
Oper wenigstens leidlich, das Lust- und Schauspiel aber ziemlich gut
besetzt; besonders war es eine Aktrice, Demoiselle Verteuil, die zum
Entzücken spielte, und deren Äußeres ganz mit dem Spiel harmonierte. Es
war Molières >Tartüffe<, den ich zuerst hier sah und der sehr gut
gegeben wurde. Die Vorstellung hatte ein glänzendes Publikum, das ganze
Offizierskorps samt dem Fürsten Y., der erst hier wieder zu dem Regiment
gestoßen war, da er, als wir von Toul abmarschierten, abermals einen
Abstecher nach Paris gemacht hatte, wohnte derselben bei. Die Offiziere
mußten sich nun für ein Lumpengeld, einen Tag der monatlichen Gage, per
Monat abonnieren, die Kadetten bezahlten für Unterleutnantsgage. -- Auch
die Damen von Montpellier hatten sich diesen Abend in der glänzendsten
Toilette eingefunden und schmückte die Logenreihen auf das eleganteste.
Ich war von dieser Vorstellung in jeder Hinsicht so enchantiert, daß ich
mir vornahm, mich möglichst schnell in der hiesigen schönen Welt zu
orientieren, und um dies zu können, auf folgendes Mittel fiel, das sich
als vollkommen bewährt erfand. Ich ließ nämlich gleich den andern Morgen
den Friseur der Stadt holen, der in derselben an der Tagesordnung, das
heißt in der Mode war, empfing ihn sehr artig, ihn bittend, mir doch die
Haare nach dem neuen Pariser Schnitt zuzuschneiden, mich nebenbei _au
fait_ der städtischen Angelegenheiten, das heißt der schönen Damenwelt,
zu setzen, und mit dem Treiben der eleganten Welt und der _Chronique
scandaleuse_ bekannt zu machen. Dabei spielte ich mit einem
Sechs-Livretaler zwischen den Fingern, was dem Haarkünstler, der, wie
alle seines Handwerks in Frankreich, zugleich auch Barbier war, die
Zunge so trefflich löste, daß ich in weniger als einer Stunde mehr
wußte, als hätte ich jahrelang in Montpellier gelebt und mich selbst um
diese Angelegenheiten bemüht. Ich fand das Mittel so probat, daß ich von
jetzt an beschloß, sogleich nach der Ankunft in jeder Stadt, in der wir
länger verweilen würden, dasselbe anzuwenden; der Erfolg war immer der
erwünschteste, und meine Kameraden, denen ich die Sache geheim hielt,
konnten gar nicht begreifen, wie ich nach den ersten vierundzwanzig
Stunden in einer Garnison schon alle in einigem Rufe stehenden
Schönheiten, deren Verhältnisse, Intrigen und so weiter wußte und an den
Fingern herzählen konnte.

Nachdem ich erfahren, was ich zu wissen begehrte, entließ ich meinen
Figaro, ihm den Sechs-Livretaler einhändigend, für den er sich
tausendmal bedankte, machte Toilette und dann meinen liebenswürdigsten
Wirtinnen meine gehorsamste Aufwartung. Sie nahmen mich recht artig auf
und luden mich sogar zum zweiten Frühstück ein, was ich aber ausschlug,
die Parade vorschützend. In dem Salon stand ein Piano, die Damen waren
beide ein wenig musikalisch, die eine spielte, die andere sang
französische Romanzen zwar etwas falsch, aber doch mit ziemlich
klangreicher Stimme und vielem Ausdruck, und die liebe Kunst wurde bald
wieder die gefällige Kupplerin. Madame Amiot war eine charmante
Brünette, die ein kleines, etwas verzogenes Mäulchen hatte, das ihr
allerliebst ließ, besonders wenn sie lächelte; ihre Schwester aber war
eine dunkle Blondine, eine geistreiche und sehr muntere Französin. Noch
an demselben Abend besuchte ich in Gesellschaft meiner Wirtinnen den
hochberühmten Peyron oder _lieu pierreux_, wie er im dortigen Patois
genannt wird, ein großer Lustgarten, zu dem drei steinerne Treppen durch
drei schöne Gittertore führen. Es ist ein großes längliches Viereck, von
prächtigen Balustraden eingefaßt, an dessen einem Ende zwischen zwei
Reihen Bäumen sich eine Terrasse mit einem sehr schönen achteckigen
Wassertempel befindet, zu dem zwei Prachtstiegen führen. Dieser
Lustplatz ist ohne Widerrede eine der schönsten Promenaden Europas, mit
der großartigsten Aussicht, von ihm aus sieht man rechts die Pyrenäen,
links die Gipfel der Alpen; das Amphitheater der Stadt liegt zu den
Füßen, und über demselben hinweg ragen zwischen Baumgruppen und
Zypressen schöne Villen und andere Gebäude hervor. Gegen Süden hat man
in geringer Ferne die schöne, oft spiegelglatte, mit Schiffen belebte
Fläche des mittelländischen Meeres vor Augen, das ich hier zum erstenmal
sah, und gegen Norden die lange Kette der Cevennen.

Ganz nahe bei dem Peyron liegt der erste botanische Garten, der in
Frankreich von Belleval im Jahre 1598, und zwar aus dessen eigenen
Mitteln, angelegt wurde; er verwandte die für jene Zeit ungeheure Summe
von hunderttausend Livres darauf, da die ihm von der Regierung
bewilligten Gelder nicht hinreichten. Zweimal mußte der Mann erleben,
daß seine Schöpfung in den Religionskriegen unter Heinrich IV. und
Ludwig XIII. wieder gänzlich verwüstet wurde, und dreimal hatte er den
Mut, sie von neuem zu schaffen. Er wurde hier der erste Professor der
Botanik und Akademie. In einem entlegenen Winkel dieses Gartens befindet
sich das Grabmal der Adoptivtochter des berühmten Verfassers der
Nachtgedanken, Youngs, der reizenden Narcissa, die der Vater auf seinen
Schultern selbst hierher getragen und begraben, weil ihm die
katholischen Priester ein Grab auf dem Kirchhof für das Mädchen
verweigerten. Meine beiden liebenswürdigen Führerinnen teilten mir diese
Begebenheit zwar gerührt mit, meinten aber doch, es sei ja eine Ketzerin
gewesen, diese Narcissa, also das Unglück nicht so groß, nicht ahnend,
daß sie mit einem sogar lutherischen Ketzer in Gesellschaft seien. Ich
brachte indessen den Nachmittag recht vergnügt mit den Damen zu, die für
das verschmähte Frühstück sich meine Teilnahme bei ihrem Souper
ausbaten, was ich jetzt nicht refüsierte, und beide zur guten Nacht
küßte.

Weltberühmt ist die Hochschule zu Montpellier, besonders hinsichtlich
der Arzneiwissenschaft, der Chirurgie und Anatomie. Unter dem Volk ging
aber die Sage, daß die Herren Mediziner hier ein so gewissenloses Volk
seien, daß sie nicht selten in stiller Nacht an einsamen Orten gesunde
Menschen wegfingen, um ihre Kunst an ihnen zu probieren, indem sie sie
töteten und dann im anatomischen Theater sezierten, namentlich seien sie
auch den abgelegen stehenden Schildwachen sehr gefährlich, von denen
schon gar manche auf diese Weise schlafen gegangen. Diese letztere
Albernheit hatte sich bald im Regiment unter den Soldaten verbreitet,
die lange Zeit daran glaubten und gewisse Posten nicht ohne Widerwillen
bezogen, auch dann sehr auf ihrer Hut waren. Da nun der Zufall wollte,
daß mehrere Schildwachen von ihren Posten desertierten, so ließen es
sich die Leute nicht ausreden, die Herren Doktoren hätten sie
weggefangen und tranchiert, bis endlich einmal ein solcher Deserteur
wieder eingebracht und vor der Front des Regiments zur Schau auf- und
niedergeführt wurde, um die Soldaten zu überzeugen, daß ihn die Doktoren
nicht verschnitten hatten. Dies rottete aber dennoch den Köhlerglauben
der Leute nicht ganz aus, besonders da der Bursche, diesen Umstand
benutzend, in seinem Verhör aussagte, er habe in der Tat seinen Posten
nur verlassen, weil mehr als ein Dutzend in schwarze Mäntel und Kappen
verhüllte Kerls auf ihn zugekommen seien und ihn hätten fangen wollen,
weshalb er in der Angst sein Gewehr weggeworfen und zum Teufel gelaufen
sei. Dies hinderte nicht, daß er hundertfünfzig Prügel in drei Portionen
in drei Tagen bekam und bei erster Gelegenheit wieder davonging.
Indessen ist es in früherer Zeit wirklich geschehen, daß solcher
Menschenraub von der hiesigen medizinischen Fakultät verübt wurde.

Ich hatte gleich in den ersten Tagen dem Fürsten Y. meine untertänigste
Aufwartung gemacht und wurde nicht nur sehr gnädig von demselben
empfangen, sondern er geruhte mich auch zu versichern, daß er jeden Tag
mein Offizierspatent mit denen von noch einigen andern Kadetten von
Paris erwarte, wo er uns bei dem Kriegsminister zu Unterleutnants
vorgeschlagen und auch dessen Zusage erhalten habe; ich dankte
gehorsamst für diese Mitteilung und überließ mich der frohen Hoffnung,
nun bald der mir oft lästigen Sergeantendienste los zu werden. In meiner
Wohnung war ich unterdessen völlig der Hahn im Korb geworden und schon
nach einem zweiten Souper ruhte die verheiratete Schwester auf meinen
Knien und tändelte in meinen Armen, so daß uns die ledige scherzend
zurief: »_Modérez vous_!« -- »_Mais il ne me laisse pas, que veux -- tu
que je fasse_?«, antwortete die Schwester, und ich setzte hinzu: »_Me
laisser faire_,« und: «_Elle se laissa faire._« Von jetzt an war ich der
Herr vom Hause.

Froh, wieder in einer Stadt zu sein, wo sich ein Theater befand,
versäumte ich nicht leicht eine Vorstellung, und besuchte diese oft in
Gesellschaft meiner beiden Hausdamen; aber bald interessierte mich die
hübsche Verteuil weit mehr als diese, so daß ich noch lieber den Proben,
als den Vorstellungen, und diesen jetzt fast immer nur hinter den
Kulissen beiwohnte. Vermittelst einiger kleiner Geschenke und artiger
Galanterien, vielleicht auch weil man mich für reich hielt, stand ich
bald auf einem sehr vertrauten Fuß mit der liebenswürdigen Aktrice, und
brachte manche Stunde in ihrer und der andern Theaterprinzessinnen
Gesellschaft zu. Aufrichtig gestanden, habe ich in meinem ganzen Leben
die Erfahrung gemacht, daß der Umgang und die Gesellschaft von
Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen, die in der Regel nicht
ohne Geist, Witz und Verstand und mit der muntersten Laune begabt sind,
das Unterhaltendste von der Welt, während die vornehme Welt und
sogenannte gute Gesellschaft zugleich auch die zum Einschlafen
langweiligste ist, weshalb ich den Umgang mit hübschen Aktricen, wo
deren waren, allem andern vorzog; doch hat er auch seine unangenehme und
etwas kostspielige Seite und kann nach Umständen gefährlich werden und
viel Unheil anrichten, wie ich mehrmals die Erfahrung machte und wir
sogleich sehen werden. -- Madame Verteuil hatte zu meinem Unstern auch
wieder Gnade bei Seiner Durchlaucht unserm Regimentschef gefunden, den
sie ebenfalls nicht verschmähte, wovon ich aber ebensowenig wußte, als
der Fürst mein Verhältnis mit ihr ahnte. Eines Abends, nachdem ich mich
nach dem Theater noch eine gute Weile mit einem alten pensionierten
General aus der Zeit Ludwigs XVI. in dem Zelt der Esplanade unterhalten
und die Erzählung von dessen Abenteuern, die er in seiner Jugend in
Deutschland, namentlich am Hof des Vaters unsers Fürsten Y. mit einer
Prinzessin, dessen Tante, gehabt, geduldig zugehört hatte, fiel es mir
nach zehn Uhr ein, der Verteuil noch einen Besuch _en passant_ zu
machen; sie wohnte ebenfalls in der Nähe des Theaters. Ich wurde aber
nicht von ihr erwartet, da wir in dem Theater davon gesprochen hatten,
daß ich heute nicht kommen würde, weil sie über Kopfweh und Unwohlsein
klagte, was öfters der Fall war. Ich fand die Haustüre offen, schlich
mich leise die Treppe hinauf, öffnete ebenso leise die Zimmertüre meiner
Prinzessin und fand Seine Durchlaucht den Fürsten Y. halb entkleidet auf
einer Ottomane ausgestreckt liegen; die Verteuil, mich sogleich
erblickend, schrie: »_Ah mon dieu qui vient si tard?_« Mit den Worten:
»_Mille pardon je me suis trompé_,« schlug ich die Türe wieder zu und
eilte von dannen und zur Kloster, der ich lachend mein Abenteuer
erzählte, worauf mir diese versetzte: »_Mais comment, vous ne saviez
donc pas qu'elle est entretenue par son Altesse?_« »_Ma foi non._« Ich
tröstete mich, ein Glas Punsch mit der Kloster trinkend, die, wie auch
ihr Name andeutete, deutschen Ursprungs war, jedoch kein Wort deutsch
verstand, und nahm mir vor, die Verteuil nicht wieder zu besuchen, denn
ich dankte für die Ehre, auch >da mit dem Fürsten zu teilen, wo er noch
unter den Menschen hinunterkriecht<, wie Schiller sagt. Indessen war mir
doch nicht so ganz wohl bei der Sache, und die Folge zeigte nur zu sehr,
daß meine Furcht nicht unbegründet war, denn Fürst Y. warf jetzt einen
unverdienten Haß auf mich und sah mich schon den andern Tag auf der
Parade, der die Kadetten jedesmal, auf dem linken Flügel der Offiziere
stehend, beiwohnen mußten, einigemal von der Seite mit einem zürnenden
Blick an, während er sonst selten an mir vorüberging ohne ein paar
freundliche Worte an mich zu richten. Er sprach diesmal mit dem neben
mir stehenden jungen Prinzen Santa-Croce, der seit kurzem als Kadett in
das Regiment getreten war, ohne mich nur eines Blickes zu würdigen. --
Noch denselben Tag erließ er eine Ordre _du jour_, welche den Kadetten
auf das strengste befahl, sich zu allen Appellen in den Kasernen
einzufinden, und daß bei Kontreappellen deren Anwesenheit in den
Quartieren verifiziert werden solle; zugleich fügte er noch hinzu, daß
sich die Herren Offiziere, sowie die Kadetten, nicht mehr unterfangen
sollten, die Bühne während der Vorstellungen zu besuchen, wie er sehr
mißfällig wahrgenommen, daß dieses stattgefunden. Außer mir und Seiner
Durchlaucht wußte schwerlich jemand, wodurch dieser Tagesbefehl
hervorgerufen worden war, und wir schwiegen beide weislich. Der Prinz
Santa-Croce, den man trotz dieser Befehle eines Abends hinter den
Kulissen erblickte, erhielt sogleich acht Tage strengen Arrest. Fürst Y.
hätte dies alles nicht nötig gehabt, denn ich kam ihm nicht mehr ins
Gehege, ob mir gleich die Verteuil ein halbes Dutzend parfümierter
Entschuldigungs- und Einladungsschreiben auf Rosapapier zusandte. Ich
hielt mich an die Kloster.

Auf dem Landhaus des Herrn Gayral, wohin ich sehr oft eingeladen wurde,
hatte ich unterdessen auch die Bekanntschaft einer sehr artigen
Kaufmannsfrau, der Madame Cauchin, gemacht, die mich, so wie ihr Mann,
einlud, sie doch bisweilen zu besuchen, und mir sogar ihre Loge im
Theater zur Disposition stellte. In diesem Haus brachte ich von jetzt an
manche hochvergnügte Stunde zu. Überhaupt war bis dahin das Leben in
Montpellier ein wahres Götterleben für uns gewesen, und es fehlte uns an
Vergnügungen und Zerstreuungen nicht. Barras, der auf Befehl Napoleons
hundert Lieues von Paris entfernt leben mußte und sich damals hier
aufhielt, gab mehrmals große Soireen, zu denen er das ganze
Offizierkorps des Regiments einlud, und die sehr glänzend waren, da sich
die Hautevolee und die ersten Schönheiten der Stadt hier vereinigt
einfanden. Ein großes Fest aber war die Fahnenweihe unsers Regiments,
dessen Bataillone hier ihre Fahnen erhielten, deren reich mit Gold
gestickte Krawatten ein Geschenk der Kaiserin Josephine waren, wie die
Inschrift mit goldenen Buchstaben besagte. Nach der großen Parade, bei
welcher die Fahnen den Bataillonen und den dazu bestimmten Trägern,
nachdem sie in der Peterskirche von dem Bischof unter Gewehrsalven
eingeweiht worden waren, eingehändigt wurden, fand ein großes Diner und
am Abend ein Ball auf Kosten des Offizierkorps statt, zu dem alle
Notabilitäten von Montpellier eingeladen waren, und der bis zum Grauen
des Tages währte. -- Wir hatten nun unsere Vereinigungszeichen, aber es
waren bunte seidene Lappen, statt Adlern, wie sie die französischen
Linienregimenter hatten; wahrscheinlich hielt uns Napoleon seiner Adler
nicht wert, und wir mußten uns mit Latour d'Auvergne und andern
sogenannten Fremdenregimentern trösten, denen es nicht besser erging.

Im Theater hatte man seit einiger Zeit bei jeder Vorstellung drei sehr
hübsche Mädchen in einer Loge des ersten Ranges bemerkt, welche immer in
der elegantesten Toilette nach der neuesten Pariser Mode gekleidet
erschienen und aller Augen, namentlich auch die unsers Großmajors
Omeara, eines Irländers, auf sich zogen. Diese Damen gaben sich für
Pariserinnen aus, welchen das herrliche Klima Montpelliers von den
Ärzten verordnet worden, ihre etwas angegriffene Gesundheit wieder
völlig herzustellen; sie spielten übrigens die Spröden, waren sehr
zurückhaltend und gaben namentlich Subalternoffizieren und andern
Herren, die sich bemühten, ihre Bekanntschaft zu machen, kein Gehör. Man
sprach viel von der strengen Tugend dieser Demoiselles, die einer der
ersten Familien der Hauptstadt angehören sollten, prächtig, aber
eingezogen mit einer älteren Gouvernante in einem eleganten Gartenhaus
wohnten, keine Gesellschaft frequentierten, auch eine Einladung auf
unsern Fahnenball zurückgewiesen hatten. Bald jedoch flüsterte man sich
in die Ohren, daß sie unser Großmajor mit nächtlichen Besuchen beehre,
andere sagten, es sei der Fürst selbst, der sich um die elfte Stunde
nachts zu ihnen schleiche, und nun liefen allerlei mysteriöse Gerüchte
auf Rechnung dieser Damen um, die das Gespräch der ganzen Stadt waren,
bis endlich der Zufall das geheimnisvolle Wesen derselben an den Tag
brachte. -- Ein Schauspieler vom französischen Theater zu Paris, der
nach Montpellier gekommen war, um hier Gastrollen zu geben, erkannte
gleich zwei derselben als zwar sehr schöne, aber auch sehr kommune
Nymphen des Palais-Royal in Paris. Jetzt war ihre Rolle ausgespielt, und
als sie wieder in ihre Loge traten, zischte und pfiff man solange, bis
sie sich entfernt hatten, was sie erst dann taten, als der Tumult aufs
höchste gestiegen war. Schon am andern Tage waren sie aus Montpellier
verschwunden. Es war nun gewiß, daß sie den Fürsten Y., den Großmajor
Omeara und einige reiche Gimpel in ihr Netz zu ziehen gewußt und ihnen
tüchtig die Federn gerupft hatten. Man lachte viel über diese Aventüre,
denn wer den Schaden hat, darf ja für den Spott nicht sorgen. Dies war
nicht die einzige Unannehmlichkeit, die dem Fürsten hier widerfuhr, eine
weit größere stand ihm noch bevor. Der General, Kommandant zu
Montpellier, namens Quesnel, der die neunte Division befehligte, war ein
alter Soldat, der von der Pike auf gedient hatte und seinen hohen Grad
einzig seinem Mut und seinen Verdiensten verdankte, war sehr unzufrieden
mit der Art, wie im Regiment Y. der Dienst versehen wurde, sowie auch
mit den Manövern bei dem Exerzieren, weshalb er uns jeden Tag ausrücken
ließ und den Übungen selbst beiwohnte. Eines Tages kam, als das Regiment
manövrierte, Fürst Y. in einer mit vier Pferden bespannten Kalesche in
Begleitung zweier Damen auf dem Exerzierplatz angefahren, wo er aus
seinem Wagen den Übungen bequem mit zusah; dies wurmte den alten
General, der einen Adjutanten an ihn abschickte mit dem Befehl, der Herr
Oberst möge die Güte haben, ihm sein Regiment vorzuführen und dasselbe
selbst zu kommandieren. Fürst Y. mußte nun wohl oder übel aussteigen,
und da er kein Reitpferd bei der Hand hatte, das Regiment zu Fuß
anführen. Er hatte von Natur eine unangenehme und gellende Stimme ohne
Kraft und Ausdruck beim Kommando, so daß man ihn bisweilen nicht recht
verstand, wodurch dann Irrtümer entstanden; auch war er nichts weniger
als kapitelfest in den Evolutionen. Ärgerlich, sozusagen jetzt _par
ordre du_ Mufti kommandieren zu müssen, verlor er ganz die
Geistesgegenwart und machte einige arge Verstöße, die der General aber
nicht sogleich inneward, weil er das deutsche Kommando nicht verstand;
bald aber sah er doch ein, daß die Fehler vom kommandierenden Oberst
ausgehen müßten und stellte diesen deshalb zur Rede. Fürst Y.
replizierte etwas unbesonnen, worauf Quesnel ein französisches
Donnerwetter losließ, ihm zu schweigen gebot, und da er dies nicht
sogleich befolgte, ihm befahl, sich auf der Stelle in Arrest zu
verfügen. Seine Durchlaucht wurden nun blaß, wollten mehrmals etwas
entgegnen, aber der General drohte ihm, glühend rot, daß, wenn er nicht
sogleich ginge, er ihn _par la force armée_, das heißt mit der Wache
abführen lassen werde. Hier blieb nun nichts anderes übrig, als Ordre zu
parieren, wollte man sich nicht noch größeren Fatalitäten aussetzen und
wohl gar ein Kriegsgericht passieren sehen. Mit dem Ausruf: »Dies einem
souveränen Fürsten!« entfernte sich Y. zu Fuß, um acht Tage strengen
Zimmerarrest anzutreten, und die in dem Wagen sitzenden Damen, die dem
ganzen Skandal beigewohnt hatten, fuhren ganz verstimmt und unter dem
Hohnlachen der Soldaten in dem vierspännigen fürstlichen Wappenwagen vom
Exerzierplatz heim. Als die Zeit des Arrests um war, stellte sich Y.
noch mehrere Tage krank, mußte aber endlich dennoch in den sauern Apfel
beißen, dem bösen General aufzuwarten, um sich zu melden, den er zu
seiner großen Freude seinerseits an einem Halsgeschwür wirklich krank
darniederliegend fand.

Der Fürst erschien nun wieder bei der Parade, wo er aber gleich das
erstemal noch eine Fatalität anderer Art hatte. Es fanden sich bei
derselben jedesmal eine Menge Zuschauer, meistens aus den unteren
Klassen des Volks, ein, hauptsächlich, um der Musik zuzuhören; diese
Leute drängten sich aber oft so unverschämt dicht an die aufziehende
Wachtmannschaft heran, daß dieser kaum mehr Raum zum Abschwenken mit
Pelotons übrigblieb. Der die Wachtparade kommandierende Bataillonschef,
ein gewisser Brüge, ein Elsässer, wollte das Volk mit Schreien und
Schimpfen zurückgehen machen, man lachte ihm aber ins Gesicht und drang
noch frecher vor. Brüge ließ nun mit Sektionen abschwenken, so daß die
Soldaten rasch in die Haufen drangen, die nicht schnell genug
zurückweichen konnten, und Brüge rief ihnen dabei noch auf deutsch zu:
»Tretet die Hundsfötter, die nicht weichen, nieder!«, so daß es beinahe
zu einem Handgemenge zwischen den Soldaten und dem hier so bösartigen
Volk gekommen wäre, aus dem mehrere der Kecksten vortraten und den
kommandierenden Offizier förmlich herausforderten. Glücklicherweise trat
Düret hinzu, der so ziemlich das Patois dieser Menschen sprach, und dem
es gelang, die fatale Sache friedlich beizulegen. Aber der General, dem
der Vorfall rapportiert wurde, ließ dem Fürsten abermals einen Verweis
zukommen und schickte den Bataillonschef Brüge vier Tage in Arrest.

In meiner Wohnung lebte ich indessen ganz behaglich, ich hatte auch die
Kost bei den Damen, und wir führten mit noch einigen andern Bekannten
derselben bisweilen kleine französische Lustspiele und Vaudevilles im
Gartensalon, aber möglichst geheim, auf, wobei nur wenige Eingeweihte
als Zuschauer zugelassen wurden. Ich fand dies um so nötiger, als Fürst
Y. früher einmal bei der Parade zu mir gesagt hatte: »Nun, wie steht's
mit unserm Theater, werden Sie bald wieder etwas zum besten geben? Sie
können auch nächstens wieder Ihre Vorlesungen bei mir beginnen.« Worauf
ich erwidert hatte: »Durchlaucht, ich stehe zu Befehl!« Nach dem Vorfall
mit der Verteuil war aber von dem allem keine Rede mehr, ob ich gleich
überzeugt war, daß mich Fürst Y. während seinem Arrest und seiner
wirklichen oder fingierten Krankheit gerne wieder zum Vorlesen gehabt
hätte.

So lebte ich denn noch einige Zeit so ziemlich sorglos und unbekümmert,
obgleich in Ungnade gefallen, in den Tag hinein, versah meinen Dienst,
bezahlte aber meine meisten Wachen, ausgenommen die, welche mich an den
Justizpalast kommandierten, wo ich mich amüsierte, weil ich dann immer
den öffentlichen Verhandlungen der Tribunale beiwohnte, die oft im
höchsten Grad unterhaltend und komisch waren, besonders wenn sie
Ehestandszwistigkeiten, Liebesintrigen und so weiter betrafen, wo dann
jedesmal die Frauen die große Mehrzahl des Auditoriums ausmachten und
sich desto besser unterhielten, je größer der Skandal war, auch ihre
Gesichter eine ungeheure Heiterkeit überzog. Aber bald wurde ich durch
ein Ungewitter, das sich über meinem Haupt zusammenzog und plötzlich
losbrach, an dem ich freilich zum Teil selbst große Schuld trug, aus
meinem Schlaraffenleben aufgeschreckt. Ein berühmter Sänger von der
_Academie imperiale_ in Paris gastierte hier, und solange er weilte,
wurden nur Opern aufgeführt, während das Schauspiel unterdessen
Vorstellungen zu Cette gab. Seine Durchlaucht war noch immer mit der
Verteuil liiert, während ich jetzt einer jungen, aber recht hübschen
Novize, die sich erst seit kurzem Thaliens Dienst gewidmet, den Hof
machte. Demoiselle Angely hatte ein allerliebstes Stumpfnäschen _à la
Roxellane_, war dabei ein sehr ausgelassenes, wildes und naseweises
Ding, das seine Launen hatte, die Spröde spielte, aber für die
Soubretten im Lustspiel ganz geschaffen war. Wenn ich glaubte, sie
endlich ganz gewiß festzuhalten, war sie mir wieder entschlüpft, und
schon öfters hatte ich bis Mitternacht bei ihr zugebracht, ohne etwas
mehr als einige Küsse, und diese nur sparsam, erlangen zu können.
Jedesmal ging ich verdrießlich mit leeren Versprechungen, die sie mir
nebst einem Kuß beim Abschied für den folgenden Abend gab, und nie
hielt, von ihr weg, mir vornehmend, das eigensinnige Mädchen ganz
aufzugeben; diesen Vorsatz führte ich auch immer mit großer Festigkeit
bis zum nächsten Abend aus, wo ich dann wieder das alte Spiel von neuem
mit ebenso geringem Erfolg begann, mich über mich selbst ärgernd, eine
solche Schmachtfahne geworden zu sein, und mich obendrein noch so an der
Nase herumführen zu lassen. Endlich versprach mir Brigitte Angely, im
Begriff auf mehrere Tage mit dem Schauspiel nach Cette zu fahren, daß,
wenn ich sie dort besuchen wolle, sie mich gewiß erhören würde. Da ich
ihr nicht traute, so sagte ich sehr ernst: »Ich will nicht hoffen, daß
Sie mich wieder zum besten haben und mich vergeblich nach Cette sprengen
wollen, was böses Blut setzen könnte.« Mit einem, durch einen feurigen
Kuß besiegelten: »Nein, gewiß nicht!« beteuerte sie dieses, und ich
dachte, es ist eine von den närrischen Launen des Mädchens, daß sie mich
nur in Cette und nicht in Montpellier beglücken wolle, warum, das mögen
die Götter wissen, und versprach ihr, schon den kommenden Tag zu folgen.
Nach der Parade bat ich meinen Kapitän um zwei Tage Urlaub, die er mir
auch gewährte, doch dabei bemerkte, daß es auch der Einwilligung des
Fürsten bedürfe, wie ich wohl wisse, die er aber selbst einholen wolle.
Seine Durchlaucht lagen aber gerade diesen Tag wieder an ihrem alten
Übel, dem Podagra, darnieder, Saint Jüste wurde nicht vorgelassen, hatte
mein Anliegen dem Kammerdiener mitgeteilt, der ihm die Antwort brachte,
der Fürst könne sich in diesem Augenblick nicht mit Dienstsachen
befassen, er würde später darüber Bescheid geben. Am folgenden Tage, an
dem ich Brigitten nach Cette zu kommen versprochen, war noch nichts
entschieden, der Fürst kam nicht zur Parade, ich hatte mir schon ein
Pferd gemietet, bat meinen Sergeant-Major, daß, wenn ich bei den
Appellen fehlen würde, er sagen möge, daß ich mich krank gemeldet habe,
was er mir versprach. Ich ritt nun in gestrecktem Trabe nach Cette, wo
ich jetzt das Meer in seiner unendlich scheinenden Unermeßlichkeit zum
erstenmal ganz in der Nähe bewunderte und dann die Angely aufsuchte, die
zu meinem Erstaunen sich mit der Verteuil in derselben Wohnung, und zwar
so eingemietet hatte, daß beide in demselben Zimmer schliefen, worüber
ich ihr während der Vorstellung Vorwürfe hinter den Kulissen machte, die
sie aber mit einem: »Was tut das, lassen Sie mich nur machen«
beantwortete. Wir soupierten nun _à trois_, die Verteuil schien von der
besten Laune beseelt, welche spanische Feuerweine noch vermehrten, und
machte Witze auf Kosten des Fürsten Y. Nach dem Souper schlug sie vor,
die herrliche stille Mondnacht zu einer kleinen Spazierfahrt auf der See
zu benutzen, was mir, der ich noch nie auf dem Meere gefahren, ganz
willkommen war. Wir suchten einen Schiffer an dem Hafen auf, der uns mit
einem Gehilfen in die gerade ganz spiegelglatte See, wie sie nur am
Mittelländischen Meer zu finden ist, und in welcher die silbernen
Mondstrahlen sich herrlich spiegelten, eine ziemliche Strecke fuhr. Die
ganze Natur war so still und ruhig, daß es uns schien, als seien wir die
einzigen lebenden Wesen in derselben, man hörte kein anderes Geräusch
als das Niederschlagen der beiden Ruder unserer Barke. Brigitte wurde
ganz gegen ihre Gewohnheit ernst und stille, sprach wenig, seufzte sogar
bisweilen, und schmiegte sich fest an mich, während ich sie mit dem
linken Arm umschlang. Die Verteuil lächelte etwas ironisch und fragte
die Ruderer, ob sie kein languedozisches Lied zu singen wüßten, was
diese bejahten und gleich das in dieser Gegend so beliebte >_La Nisada
d'amour_<, das mit den Worten: >_Connonyssés la bella Liseta_< beginnt,
anstimmten. Nach einer guten halben Stunde fuhren wir wieder ans Land
und begaben uns in unsere Wohnung zurück, wo sich die Verteuil in das
eine Bett und die Angely in das andere, in einem Alkoven stehende
verfügte, während ich mich angekleidet auf eine Ottomane warf, als aber
die Lichter gelöscht waren, in den Alkoven schlich, wo man mich mit
offenen Armen, jedoch ganz leise ein »Pst, Pst!« lispelnd, empfing. Erst
als es zu spät war, erkannte ich, daß es die Verteuil war, die ich
umschlungen hatte, ließ aber nicht merken, daß ich den Betrug entdeckt,
und schlich mich nach Mitternacht, als ich sie eingeschlafen glaubte,
davon und an das andere Bett, dessen Inhalt gleichfalls schlief, und den
ich mit Küssen bedeckte, auch schlaftrunken wieder geküßt ward und
endlich wahrnahm, daß es -- wieder die Verteuil war, die ich umarmte. Es
war, wie ich nun wohl einsah, eine abgekartete Sache zwischen den Damen,
mich so zu foppen, aber ich nahm mir fest vor, die schelmische Brigitte
dafür _à tout prix_ zu bestrafen, ging gegen Morgen auf mein Zimmer, das
Gemach der Aktricen verschließend und den Schlüssel zu mir steckend.
Angekleidet warf ich mich nun auf mein Bett, schlief bald ein und --
verschlief den halben Morgen, denn ich bedurfte der Ruhe. Als ich
erwachte und nach der Uhr sah, die schon zehn zeigte, fiel es mir heiß
ein, daß ich eigentlich ohne Urlaub von Montpellier fort sei und mir
dies einen schlimmen Handel bei der ungnädigen Stimmung des Fürsten
gegen mich zuziehen könne, wenn es an den Tag käme, daß ich die Nacht in
Cette zugebracht. Ich ließ also eilig mein Pferd satteln und jagte, ohne
Abschied von den noch Eingesperrten zu nehmen und den Schlüssel ihres
Gemachs bei mir behaltend, _ventre à terre_ nach Montpellier, um
womöglich noch zu rechter Zeit zur Parade einzutreffen; aber ich hatte
mich verrechnet, der elende Mietgaul hielt das tolle Rennen nicht aus
und stürzte, als ich noch nicht den halben Weg zurückgelegt hatte,
keuchend unter mir zusammen. Ich raffte mich und dann die Mähre nicht
ohne große Mühe auf, führte sie im langsamen Schritt, jeden Augenblick
fürchtend, daß sie auf der Stelle liegen bleiben würde, bis zum nächsten
Dorf, wo ich mir so schnell als möglich einen Karren verschaffte und auf
diesem den Rest des Wegs, wenn auch _à forçe des pourboires_, ziemlich
rasch, doch immer noch viel zu langsam, zurücklegte, denn als ich zu
Montpellier ankam, war die Parade längst vorüber und alle Donner gegen
mich losgelassen; der erboste Fürst wähnte nicht anders, als ich sei der
Verteuil zu Gefallen nach Cette, weshalb er auch Saint Jüste so
abfertigen ließ, als dieser Urlaub für mich begehrte. Fürst Y. hatte
wenigstens insofern recht, als sie ganz gegen meinen Willen und mein
Wissen in meinen Armen eine Untreue gegen ihn beging. Als ich in meiner
Wohnung ankam, erfuhr ich von meinen Wirtinnen, daß schon dreimal ein
Unteroffizier nach mir gefragt und zuletzt mein Kapitän selbst gekommen
sei, sich nach mir zu erkundigen, und daß er, als man ihm gesagt, daß
man mich seit dem gestrigen Mittag nicht gesehen, geäußert habe: »Das
wird eine saubere Geschichte werden.« Dies waren böse Omen; ich ging nun
sogleich in die Kaserne zu meinem Sergeant-Major, von dem ich erfuhr,
daß er Ordre habe, mich sofort nach meiner Ankunft in den _Salle de
police_ der Unteroffiziere zu bringen, was er auch vollzog, und wohin
ich ihm, meinen Degen abschnallend, ganz geduldig folgte. Ich traf dort
ein halbes Dutzend Kameraden, unter denen noch zwei Kadetten für
Disziplinarvergehen verhaftet waren, welchen ich sogleich die _bien
venue_ spenden mußte. Bald darauf erschien auch mein Kapitän, der mich
beiseite nahm und mir verkündete, der Fürst sei im höchsten Grad
aufgebracht gegen mich, denn er wisse, daß ich ohne Urlaub mit der
Verteuil nach Cette gefahren, daß ich bei den Appellen und der Parade
gefehlt und mich habe krank melden lassen, während ich _des parties de
plaisir_ mit Aktricen ausgeführt, und ich müsse mich auf seinen ganzen
Zorn gefaßt machen, was ich in der Erwartung der Dinge, die da kommen
würden, tat. Am andern Morgen brachte mir der Fourier der Kompagnie das
Ordrebuch, in welchem ich las: >Der Kadett Fröhlich ist seines
Grades als Sergeant verlustig und bis auf weitere Ordre wegen
vierundzwanzigstündiger unerlaubter Entfernung aus der Garnison und
Dienstvernachlässigung in strengem Arrest zu behalten.< Wäre ich noch
zur Parade eingetroffen, so hätte der Fürst von meiner Abwesenheit
nichts erfahren, aber als ich da fehlte, schickte er ein- über das
anderemal in mein Quartier. Ist der Teufel einmal los, so ist er es auch
gewöhnlich in allen Ecken. Jetzt meldete sich auch der Eigentümer des
Pferdes, das ich gemietet hatte, und das ihm der Bauer zugeführt, dem
ich diesen Auftrag nebst sechs Livres gegeben, und verlangte nicht
weniger als sechshundert Franken für den Gaul, den man ihm ganz
unbrauchbar und halb tot zurückgebracht habe. Er war zu meinem Kapitän
gegangen, der mir riet, die Sache gütlich mit ihm abzumachen, damit das
Feuer nicht noch mehr geschürt würde; ich schrieb nun an die Herren
Michel und Gayral, an die ich empfohlen war, dieselben bittend, diese
Sache aufs beste zu arrangieren, und sie fanden sich mit der Hälfte der
Summe, die er gefordert hatte, mit dreihundert Franken, mit dem
Spitzbuben ab. Das Pferd war keine hundert wert. Aber, was noch das
ärgste war: der Fürst schrieb oder ließ an meine Eltern schreiben und
malte diesen ein schreckliches Bild von meiner Aufführung aus, machte
ihnen Vorwürfe, daß sie mir so viel Geld zukommen ließen, denn ich
vertue dreimal mehr, als die Gage eines Kapitäns erster Klasse betrage,
meine Konduite sei dabei abscheulich (nicht abscheulicher war sie als
die Seiner Durchlaucht selbst, oder noch viel weniger abscheulich), ich
versäume den Dienst und so weiter. Hieran erhielt ich sehr bald ein
nicht minder fulminantes Schreiben von Haus, in dem man mir mein
Betragen vorwarf und mir ankündigte, ich habe mich in Zukunft mit der
mir bewilligten Zulage von hundert Franken monatlich zu begnügen und man
werde Ordres an die Bankiers geben, daß mir keiner etwas darüber
auszahlen dürfe, ich solle mein ausschweifendes Leben einstellen, sonst
würde man ganz seine Hand von mir abziehen und so weiter. In Frankfurt
hatte man die Sache noch weit mehr ausgeschmückt und vergrößert, da war
ich kassiert und Gott weiß was alles worden, während das Abnehmen eines
Unteroffiziergrades, oder Zurücksetzung um einen Grad, oder Suspension
eine sehr gewöhnliche Disziplinarstrafe bei den Franzosen und besonders
in unserm Regiment war, wo dies oft sogar von den Kapitäns, oder doch
auf deren Antrag geschah. Ich beantwortete den Brief meines Vaters so
gut ich vermochte, ihm die Sache mit Auslassung gewisser Punkte
auseinandersetzend. Vierzehn Tage waren schon beinahe verflossen und ich
noch immer im Arrest, ohne zu wissen, was am Ende daraus werden solle.
Fürst Y. war bereits wieder nach Paris und von da mit Urlaub nach
Deutschland gereist, und das Regiment sollte ihn nicht wieder zu sehen
bekommen, als eines Morgens mein Bataillonschef Düret in das
Arrestzimmer trat und mich mit lachender Miene fragte: »_Eh bien en avez
-- vous assez?_« Ein Seufzer war meine Antwort. Er nahm nun ein Papier
aus einem Portefeuille und übergab es mir mit den Worten: »_Tenez lisez,
cela vous consolera._« Ich öffnete es, es war meine Ernennung zum
Unterleutnant, die ich mit Staunen las. »Sie können von Glück sagen,«
fuhr Düret fort, »denn wären Sie nicht schon vor einigen Monaten vom
Fürsten vorgeschlagen worden, jetzt würde es sicher nicht so bald
geschehen.« Diese Nachricht erfüllte mich auf einmal wieder mit Freude
und frohen Hoffnungen, ich verließ mit Düret den _Salle de police_, war
frei und Offizier nach wenig Monaten Dienst, und eilte in meine Wohnung,
wo mich meine hübschen Wirtinnen recht freundlich mahnend empfingen,
indem sie sagten: »Dies sind die Folgen, wenn man das _mauvais sujet_
mit Aktricen macht.« Ich schrieb jetzt schnell die gute Nachricht nach
Haus, ließ mir ein paar Epauletten von dem Kapitän d'Habillement geben,
und den andern Tag rückte das Regiment aus, dem ich mit noch vier andern
Kadetten, unter denen auch Prinz Santa-Croce, die ebenfalls zu
Offizieren avanciert waren, >_au nom de S. M. l'Empereur et roi Napoleon
I._< unter dem Wirbeln der Tambours und dem klingenden Spiel der Musik
als Offizier vorgestellt, von dem Bataillonschef und meinen Kameraden
umarmt wurde; ich wähnte nun einen Riesenschritt zum Marschallsstab
getan zu haben. Omeara, der nach der Abreise des Fürsten die Funktionen
des Obersten versah, lud uns zu einem Diner ein, ebenso General Quesnel,
an den ich mir schon vorgenommen hatte zu schreiben, um ihn um Befreiung
aus meinem Arrest zu bitten, aber so war es besser. Auch die beiden
Damen, die an der ganzen Geschichte schuld waren, suchte ich gleich auf,
um mich ihnen als Offizier zu präsentieren, wurde aber von diesen mit
Vorwürfen empfangen, weil ich sie eingesperrt, ohne Abschied verlassen
und sogar den Zimmerschlüssel mitgenommen habe, weshalb sie die Probe
versäumt und einen Schlosser hätten müssen kommen lassen, sie zu
befreien; es sei mir daher ganz recht geschehen, daß ich gestraft
worden, denn auch sie hätten wegen der Versäumnis Strafe zahlen müssen.
Ich aber stopfte Brigitten den Mund mit Küssen, sagte ihr, daß sie wohl
wissen müsse, daß sie noch in großer Schuld bei mir stünde, und ich auf
Berichtigung dränge. Alle ausgestandenen Leiden waren jetzt rein
vergessen, aber das lange Einsetzen ohne Bewegung hatte doch meine
Gesundheit angegriffen, und ich machte eine nicht ganz unbedeutende
Krankheit durch, während welcher mich meine gutmütigen Wirtinnen recht
sorgsam pflegten.

Kaum war ich genesen, erhielt das Regiment Marschordre, und zwar so, daß
das erste und zweite Bataillon nach Toulon und die beiden andern nach
Marseille gewiesen wurden. Den Tag vor unserm Abmarsch erreichte ich
noch meinen Zweck bei der Angely, halb durch Überrumpelung, halb durch
Überredung, auch sagte sie mir, daß sie bereits mit dem Direktor des
Theaters zu Toulon in Unterhandlung stehe, dort ein vorteilhaftes
Engagement zu erhalten hoffe, und gab mir deshalb ein Schreiben an
denselben mit, mich bittend, mich in Toulon für ihre Angelegenheiten zu
interessieren, was ich versprach. Es war vielleicht mit ein Grund ihrer
endlichen Ergebung. Den andern Morgen marschierte ich mit dem Bataillon
nach Toulon ab.

Wir kamen wieder über Lünel, Nimes, bis Tarascon zurück und den vierten
Tag in Saint Remy an. An römischen Altertümern fehlte es hier so wenig,
wie in der ganzen Gegend. Ein halb in Ruinen vor der Stadt liegender
Triumphbogen, ein noch gut erhaltenes Mausoleum, fünfzig Fuß hoch,
dessen Basreliefs meisterhaft dargestellte Schlachtstücke bilden, sind
die bemerkenswertesten, auch viele römische Münzen, Urnen und so weiter
werden fortwährend hier gefunden. Saint Remy ist die Vaterstadt des
berühmten Astrologen und Leibarztes Karl IV., Nostradamus, dessen
Prophezeiungen noch in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei
Galeerenstrafe und Bann verboten waren, weil er den Untergang des
Papstes geweissagt hatte; aber gerade das vom Heiligen Stuhl neuerdings
ausgegangene Verbot machte die Leute wieder auf dieses Werk aufmerksam,
von dem ein Exemplar sogar für zweitausend Livres verkauft wurde. Von
Saint Remy marschierten wir in das kleine Städtchen Orgon; die nächste
Etappe nach dem Städtchen Lambeß war nicht von Bedeutung, auf diese aber
folgte Aix, das alte _Aquae Sextiae_. Aix war die erste Kolonie in dem
römischen Gallien. Zur Zeit Karl Martels von den Arabern verwüstet, aber
von den Grafen der Provence wieder hergestellt, war sie im Mittelalter
deren Hauptstadt. Diese hielten hier einen glänzenden Hof, an dem sich
die berühmtesten Troubadours befanden. Unter René, der den Titel eines
Königs von Jerusalem und Sizilien führte, und 1480 als Graf von Provence
starb, blühten Wissenschaften und Künste aufs höchste in Aix; er
war es auch, der die hiesige so berühmte und berüchtigte
Fronleichnamsprozession einführte, die eine der seltsamsten
Merkwürdigkeiten dieser Stadt ist. Die Teufel und heidnischen Gottheiten
spielen dabei eine große Rolle. Das ganze soll den Sieg des Christentums
über das Heidentum darstellen, dessen letzter Tag gekommen ist, und das
vor der aufgehenden Sonne gleich der Finsternis der Nacht verschwindet.
Das Fest beginnt schon mit dem Sonntag Trinitatis und dauert mehrere
Tage. Der ganze Olymp und die halbe Hölle figurieren bei diesem
religiösen Mummenspiel. Ein alter Küster übernimmt gewöhnlich die Rolle
des Zeus und hat ein Bündel Blitze von Goldpapier in den Händen; seine
Gattin, die Frau Juno, ist ein derber Bäckergeselle; die Venus stellt
meistens ein klapperdürres Schneiderlein und den Vulkan ein rußiger
Fleischer dar; ein dicker Fleischersjunge macht den Schalk Amor und
führt statt der Pfeile ein blankes Schlachtmesser; die keusche Diana ist
nicht selten ein rauhbärtiger Matrose und Mars ein invalider Krieger und
so weiter. Abends gegen zehn Uhr verlassen sämtliche Götter ihren Olymp,
das heißt, das Rathaus, auf dem sie sich versammelten, und ziehen nun
beim Fackelschein mit Pauken und Trompeten, Zimbeln und Trommeln durch
alle Hauptstraßen der Stadt. Diesen Götterzug verkündigt eine zu Pferde
vorausreitende Fama, der Merkur, Pluto, Proserpina, Momus, Charon und
drei Höllenrichter, sämtlich beritten, folgen; nach ihnen kommt der
christliche Fürst der Finsternis mit ein paar Dutzend christlicher
Teufel, dann kommen Furien, Hexen, Faunen, Nymphen und so weiter, alles
durcheinander, die beim Klang der Schalmeien, Sackpfeifen und Basquen
tanzen. Bacchus sitzt auf einem ungeheuern Faß, Mars und Minerva, Apoll
und Diana, Vesta und Cybele und so weiter reiten phantastisch
geschmückte Rosse, während Ihre Majestäten Jupiter und Juno, von der
Frau Venus und ihrem Söhnchen begleitet, in einem vergoldeten, mit
vielen bunten Laternen erleuchteten Wagen fahren. Die unseligen Parzen
auf rabenschwarzen Tieren, und Tambourin spielende und dabei tanzende
Höllengeister schließen den Zug.

Am Morgen des Fronleichnamsfestes versammeln sich in aller Frühe die zum
biblischen Zuge gehörigen Personen. Ein König, im Kostüm des Kreuzkönigs
der Spielkarten, erscheint an der Spitze von einem Dutzend großer,
hochgehörnter und langgeschwänzter Teufel. Vier Teufelchen folgen,
Bocksprünge machend, einem Engel, der eine gerettete Seele an der Hand
führt, dann kommt das goldene Kalb, durch eine mit Goldpapier
geschmückte große Katze vorgestellt, ihm folgt ein zweigehörnter Moses
mit den Gesetztafeln, Aaron, die Königin Saba und Herodes mit einem
Trupp von mehr als hundert weißgekleideten Kindern, welche von Zeit zu
Zeit durch mit Keulen von Pappendeckeln oder Beilen von Blech
bewaffnete, blutrot gekleidete Henker niedergeworfen werden und sich
dann im Kot oder Staub, je nachdem das Wetter ist, heulend und winselnd
wälzen; auch wird sogar auf sie geschossen. Petrus, Judas, Johannes der
Täufer im Schafspelz und Christus unter dem Kreuz keuchend, die Schächer
und Pharisäer und Pontius Pilatus fehlen nicht. Diesen Zug, der sich
nach beendigter Messe aus der Hauptkirche durch die Stadt bewegt,
schließt ein lebendig Toter, in ein Leichengewand gehüllt, eine Sanduhr
auf dem Haupt und eine Riesensense von blankem Blech in der Hand. Die
Teufel werden beständig mit Weihwasser besprengt, damit sich der
wirkliche Teufel, Satanas selbst, nicht unter sie mischen kann, wie sich
dies einmal zugetragen haben soll; auch einige Teufelinnen befinden sich
bei der Prozession, und alle sind mit Schellen behangen. Wenn der vom
Teufel verfolgte König aus der Kirche tritt, fallen sie über ihn her,
stoßen und stechen ihn mit Mistgabeln oder Spießen, Seine Majestät
schlägt aber mit einem großen Szepter wütend um sich und versetzt den
Gehörnten eins, wo und wie er kann. Auch die arme Seele hat viel von den
kleinen Teufelchen zu leiden, die sie fortwährend zu haschen suchen,
aber der mit einem gelbblechernen Heiligenschein und goldenen Flügeln
geschmückte Engel nimmt sie in Schutz, wobei er doch manchen derben
Schlag von den Teufeln erwischt. Das ganze Fest endigte mit Spiel und
Tanz; ein Teufelstanz, ein Tanz der Aussätzigen, einer von gräßlichen
Ungeheuern, halb Menschen, halb Pferde von Pappe, vermutlich Zentauren
vorstellend, wurde dabei aufgeführt. Während der Revolution und der
Republik (von 1790 bis 1803) unterblieben diese grotesken
Feierlichkeiten, aber als die christliche Religion wieder Mode in
Frankreich ward, wurden auch sie wieder mit erneuertem Glanz und großem
Aufwand fortgesetzt, wie ich später zu sehen Gelegenheit hatte.

In Toulon galt mein erster Weg dem Zeughaus. Dies ist wieder ein für
sich bestehendes Ganzes, das in vielen Abteilungen und Magazinen alle
ganz fertigen Gegenstände aufbewahrt, die zur Armierung eines
Kriegsschiffes jeder Größe nötig sind. Da sieht man einen Artilleriepark
von tausend Schiffskanonen zwischen kolossalen Pyramiden aus den
vertilgendsten Materialien erbaut, nämlich Kugeln, Kettenkugeln, Bomben
und Granaten von jedem Kaliber, zwischen Reihen von Kanonen,
Feldschlangen, Karthaunen, Mörsern und Haubitzen, die in unabsehbaren
Linien aufgeschichtet sind. In den Waffen- und Rüstsälen sind unzählige
Flinten, Musketen, Karabiner, Säbel, Spieße, Pistolen, Dolche und so
weiter, welche oft die zierlichsten und seltsamsten Figuren, wie große
Blumenvasen, Weinstöcke, deren Trauben Kartätschen sind, und so weiter
bilden, aufgestellt. Im Modellsaal ist eine vollständige Sammlung von
Modellen aller möglichen Schiffe, von den ältesten bis auf die neuesten
Zeiten, von dem aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestehenden Kahn des
Wilden an, bis zu dem mit allem Luxus und aller Kunst ausgerüsteten
Admiralschiff von hundertundzwanzig Kanonen, ebenso Flöße,
Maschinenwerke und so weiter.

Eine andere Sehenswürdigkeit dieses einzigen Arsenals ist das von dem
berühmten Ingenieur Grognard erbaute Bassin, welches am Ende des großen
Zimmerplatzes, ganz nahe an der See, liegt, in welchem sowohl neue
Schiffe erbaut, als alte ausgebessert werden. Sobald sie fertig, holt
sie das nun eingelassene Meerwasser ab und führt sie in den Hafen.
Grognard hatte mit unendlichen Schwierigkeiten und Hindernissen, die ihm
sowohl Natur als Neid, Mißgunst und Eigennutz von allen Seiten in den
Weg legten, zu kämpfen, bevor er dieses bewundernswürdige Werk zustande
brachte. So oft man ein Schiff aus diesem großen Bassin holen oder in
dasselbe führen will, wird letzteres mit Seewasser angefüllt, das, wenn
man dessen nicht mehr bedarf, durch, von einem halben Hundert
Galeerensklaven in Bewegung gesetzte, Pumpen in einer Zeit von sechs bis
acht Stunden wieder fortgeschafft wird. In den Häfen des Atlantischen
Meeres und der Nordsee ist dies unnötig, weil dort die Natur mit Hilfe
der Ebbe und Flut die Schiffe von selbst holt und bringt.

Während unsers Aufenthalts in Toulon sah ich einen Dreidecker von
hundertzwanzig Kanonen, den >Commerce de Paris<, eine neue Fregatte und
eine Brigg vom Stapel laufen, was immer die Veranlassung zu einer großen
Feierlichkeit gibt; das Schiff ist auf das bunteste beflaggt und
bewimpelt, viele Personen und geladene Gäste befinden sich auf
demselben, nebst einer rauschenden Musik, die, während es losgelassen
wird, Kriegsmärsche spielt. Wenn es glücklich im Meer angekommen ist,
endigt das Ganze mit Tafelfreuden und Tanz auf dem Schiff, wobei auch
Matrosen und sonstige Arbeiter, selbst die Galeerensträflinge, mit
doppelten Portionen bedacht werden.

Bevor dieses Bassin vorhanden, war es eine sehr gefährliche Operation,
ein so ungeheures Schiff vom Stapel laufen zu lassen, besonders für
diejenigen, die die vordersten Stützen desselben wegschlagen mußten, da
alsdann das Schiff sogleich pfeilschnell abrutscht. Zu dieser
lebensgefährlichen Operation nahm man gewöhnlich einen lebenslänglich
verurteilten Galeerensklaven, der, unter der Bedingung, daß, wenn er sie
glücklich vollbrachte, seine Freiheit erlangte, sich freiwillig dazu
verstand. War er nicht rasch und gewandt genug, um mit einem großen
Sprung außer dem Bereich des furchtbar schnell dahinschießenden Schiffes
zu kommen, so konnte leicht der Kiel desselben über seinen Körper gehen
und ihn so zermalmen, daß kaum noch eine Spur von seinem Dasein zu
finden war.

Diese Galeerensklaven, deren Zahl in Toulon in der Regel über
viertausend beträgt, von denen wenigstens ein Dritteil auf Lebenszeit
verurteilt ist, haben zwar ein hartes Geschick, das jedem Menschen, in
dem noch ein Funken Gefühl vorhanden ist, furchtbar, ja unerträglich
sein würde; aber die hierher verurteilten Verbrecher sind meistens
völlig gefühllos und durch und durch verhärtet, wie es die oft stupid
greulichen Physiognomien der Mehrzahl andeuten, und ist erst ein Mensch
ein paar Monate auf dieser Hochschule aller Laster und Verbrechen, dann
ist gewiß auch der letzte Funken von Ehre und Gefühl für immer in seiner
Brust erstickt. -- Aus dieser ebenso unsinnigen als scheußlichen
Strafanstalt rekrutieren sich fortwährend die Raub-, Mord- und
Diebesbanden durch die wieder frei gewordenen oder entwischten
Sträflinge, die Paris und ganz Frankreich zu vielen Tausenden
investieren, die empörendsten Verbrechen begehen, da ihnen Raub und Mord
Kleinigkeiten und sie gewöhnt sind, immer alles an alles zu setzen, und
die den Aufenthalt in der Hauptstadt so gefährlich machen. Sie sind
teils in alten Galeeren und Schiffen eingesperrt, teils in den Bagnos
(besondere zu diesem Zweck erbaute schmale und lange Säle), wo sie auf
zwei Reihen Pritschen oder langen Bänken, zwischen denen ein schmaler
Gang hinführt, je zwei und zwei aneinandergekettet, liegen. Jeder hat
gerade so viel Raum, als er zur höchsten Notdurft bedarf, um liegen zu
können; des abends werden sie noch mit besondern Ketten angeschlossen,
die gerade so lang sind, daß sich der Sträfling bis zu dem
nächststehenden Nachtkübel, wohin ihn dann sein Kettenkamerad begleiten
muß, begeben kann, seine Notdurft zu verrichten. Das Licht dringt
sparsam durch kleine in der Höhe angebrachte, stark vergitterte
Fensterchen in die Bagnos, diese faulen und pestartigen Menschenställe,
denn so oft auch diese Kübel geleert werden, so sind sie dennoch
beständig mit Unrat angefüllt. Auf diesen Pritschen nehmen die
Unglücklichen auch ihre elende Nahrung zu sich, die ihnen, gleich dem
Vieh, in hölzernen Trögen gereicht wird, und aus den gröbsten Speisen,
schwarzem Brot und in Wasser gekochten dicken Saubohnen besteht. Zu
ihrer Bedeckung haben sie des nachts einige Fetzen, Rudera von Decken,
in denen es von Ungeziefer wimmelt; nicht viel besser ist ihre Kleidung
beschaffen.

Die neuen Ankömmlinge, die hierher verdammt sind, werden sogleich in
eine Schreibstube des Marinekommissärs gebracht, wo man die sie
betreffenden Papiere untersucht, um sich von der Identität ihrer Person
zu überzeugen, worauf sie in das Register, aber mit keinem Namen,
sondern mit einer Nummer bezeichnet, eingetragen werden. Von hier werden
sie zum Baden in ein dazu bestimmtes Gemach gebracht, wo sie andere
Forçats völlig entkleiden, in eine hölzerne mit Seewasser angefüllte
Bütte legen, mit groben Schwämmen reiben und reinigen und das Wasser
mehrmals erneuern, dann werden sie noch von einem Chirurgen visitiert,
und sind sie krank befunden oder haben sonst etwas an sich, in das
Galeerenlazarett gebracht, um geheilt zu werden. Die Gesunden erhalten
nach der Besichtigung des Wundarztes nun ihre Galeerenkleidung, aus
einer ganz groben Jacke von rotem Tuch, sackleinwandenen Beinkleidern,
nicht viel besseren Hemden, ein paar mit Hufnägeln beschlagenen Schuhen
und einer grobwollenen Mütze bestehend, die mit der Nummer des Inhabers
bezeichnet und für die auf eine bestimmte Zeit Verurteilten rot, aber
für die auf Lebenszeit grün ist, wahrscheinlich eine Satire auf die
Farbe der Hoffnung. Auch das Haupt wird ihnen jetzt glatt geschoren.

Diejenigen unter ihnen, welche imstande sind, sich etwas nebenher zu
verdienen, irgendein Handwerk, eine Kunst verstehen, oder andere
Kenntnisse besitzen, sowie die, welche von ihren Familien eine
Unterstützung erhalten, können sich manches Bene tun und ihr Schicksal
um vieles erleichtern, namentlich auch ihre Nahrung verbessern. In
diesen Bagnos erblickt man die Menschheit in ihrer tiefsten Entwürdigung
und Verworfenheit. Die leiseste Bewegung eines solchen Sträflings
verursacht ein widerliches Kettengeklirre, man glaubt sich in einer
Menagerie wilder Bestien oder angeketteter Raubtiere. Wenn sie zur
Arbeit abgeführt werden, sind sie von der Pritsche losgeschlossen, aber
bleiben an der Kette, an der sie mit einem Kameraden zusammengeschmiedet
sind, die mit einem schweren dicken eisernen Ring an dem einen Fuß
befestigt ist und über einen Viertelzentner wiegt. Durch ihre Aufseher
und Wächter, Argousins genannt, die mit dicken, knotigen, mit Eisen
schwer beschlagenen Stöcken versehen sind, werden sie hinausgeführt und
draußen noch von Wachen mit scharf geladenen Gewehren empfangen und
begleitet. Das geringste Vergehen oder auch nur eine Miene des
Ungehorsams oder Murren wird auf der Stelle durch die Argousins mit
ihren Eisenstöcken auf das fühlbarste und ganz nach Willkür bestraft.
Für größere Vergehen folgen weit härtere Strafen, vierfache Ketten,
doppelte Ringe, enges Schließen, mit den Eisenstöcken wohl aufgemessene
Prügel sind die gewöhnlichsten.

Ohne Unterschied ihres frühern Standes und Verbrechens, sind hier alle
Stände vermischt aneinandergekettet und repräsentiert. Während meines
Aufenthaltes zu Toulon, wo ich oft die Wache am Arsenal hatte, waren
Geistliche, sogar ein ehemaliger Bischof, hohe Militärchargen, zwei
Generäle, Richter, Notare, Kriegskommissare, Advokaten, Adlige,
Kaufleute, Ärzte, Huissiers, Fabrikanten, Künstler, Handwerker, Bauern,
Tagelöhner und so weiter alle durch- und aneinander geschmiedet, die
freilich Verbrechen der gröbsten Art begangen hatten.

Trotz der strengsten Aufsicht und trotzdem sie, so oft man sie in die
Säle zurückführt, bis auf das Hemd durchsucht werden, gelingt es ihnen
doch häufig, in den Werkstätten allerlei Dinge zu entwenden und durch
ihre Verbindungen mit außen heimlich zu verkaufen. Nägel, Hämmer,
Kupfer, Handwerkszeug, Segeltuch und so weiter sind die Gegenstände, die
sie vorzugsweise zum Diebstahl reizen; sie hüten sich aber, die
gestohlenen Sachen mitzunehmen, sondern verstecken solche in den
entlegensten Winkeln der Schiffe oder in der Nähe der Werkstätten, in
denen sie arbeiten, und lassen sie dann durch freie Arbeiter, die im
Arsenale zu tun haben, mit denen sie im Einverständnis sind und denen
sie durch Winke begreiflich machen, wo sie den Raub zu suchen haben,
verkaufen. -- Gelegentlich stecken ihnen dann die letztern einige Sous
dafür zu. Nicht selten wird durch diesen Handel der freie Arbeiter am
Ende selbst auf die Galeere geschmiedet. Durch diese Arbeiter
unterhalten die Sträflinge auch fortwährend Einverständnisse mit
Personen in der Stadt, besonders mit feilen Dirnen, die sie schon früher
kannten, und deren es in Toulon wegen der Marine und der Matrosen
unzählige der allerverworfensten Gattung gibt, wie in jedem großen
Seehafen. Vermittelst solcher Einverständnisse gelingt es nicht selten
einem Galeerensklaven zu entwischen; in diesem Falle verbirgt er sich
gewöhnlich mehrere Tage bei einer solchen liederlichen Dirne oder in
einem andern Schlupfwinkel der Stadt, während, durch Kanonenschüsse in
Alarm gebracht, ihn die Gendarmerie und die Patrouillen in der Umgebung
suchen, vertauscht seine Sklavenkleidung, in welcher in jedem Stück die
Buchstaben _Gal_ groß eingebrannt sind, mit einer andern, welche die
Dirne längst für ihn in Bereitschaft gehalten, eilt nach Marseille, Lyon
oder Paris, um daselbst seine Laufbahn von neuem, nur mit größerer
Virtuosität, mehr Vorsicht und Erfahrung, wieder zu beginnen, denn der
Aufenthalt in den Bagnos, wo nicht selten falsches Geld, falsche
Abschiede, falsche Pässe, falsche Bankbilletts und so weiter mit
erstaunenswerter Kunst und fast nicht zu entdeckender Täuschung
verfertigt werden, hat sie ja zu Meistern in den scheußlichsten Lastern
und Verbrechen gemacht, und so treten sie als vollendete Schurken wieder
mitten unter die menschliche Gesellschaft, der sie ewigen Haß, Rache und
Verderben geschworen haben.

Wenn die Sträflinge von der Arbeit zurück in ihre Säle geführt werden,
dann ist es ihnen erlaubt, für sich zu arbeiten. Der eine schnitzt
allerlei Dinge aus Kokosnußschalen, der andere kopiert Schreibereien,
wohl auch Noten, ein dritter verfertigt Dosen, ein vierter macht
Tischler- oder Dreherarbeiten, ein fünfter schneidert oder flickt Schuhe
und so weiter. Geringere Vergehen werden mit dem Verbot dieser Arbeiten
bestraft, was den Sträflingen sehr empfindlich ist, weil sie dadurch die
Mittel verlieren, sich ihre Lage zu erleichtern und manches Bedürfnis,
als Tabak, ein Glas Branntwein und so weiter befriedigen zu können.

Auf das Signal, das einer der Aufseher mit einer Pfeife gibt, müssen
diese Arbeiten augenblicklich aufhören, das Abendgebet wird verrichtet,
und jeder legt sich auf das ihm angewiesene Bretterbett nieder, wo ihm
ein etwas erhöhter Holzblock zum Kopfkissen dient. -- Sobald sie liegen,
werden sie durch eine eiserne Stange, die man durch die Fußringe zieht,
aneinandergekettet, und Wachen marschieren die ganze Nacht zwischen
diesen Pritschen auf und nieder.

Diejenigen Forçats, die zu Prügeln förmlich verurteilt worden sind,
erleiden diese auf der sogenannten Bank der Gerechtigkeit, auf die man
sie, mit einem Strick umwunden und angebunden, legt, worauf sie die
bestimmte Zahl Prügel mit einem gedrehten, in Seewasser eingeweichten
Strick erhalten, der die Hiebe weit empfindlicher macht, weil er sich um
die Glieder schlingt.

Die zu hoffende Belohnung für ein gutes und gehorsames Betragen macht,
daß der Forçat sich mehr deshalb als aus Furcht vor Strafe bemüht, ein
solches zu haben. Bei einer guten Aufführung von mehreren Monaten oder
nach Jahresfrist verordnet der Chef dieser Strafanstalt, daß man ihn _en
chaîne brisée_ tue, das heißt, daß man ihn von seinem Kettenkameraden
trenne, er behält dann nur noch die Hälfte der Kette und den Fußring,
kann jetzt wieder allein gehen und ist nicht mehr gezwungen, bei allen
Verrichtungen auf seinen Kameraden zu warten, was eine außerordentliche
Erleichterung ist. Er gehört nun gewissermaßen zu den vertrauten
Sträflingen, aus denen man Köche, Barbiere, Krankenwärter in den
Lazaretten und sogar Schreiber in den Bureaus macht, man erlaubt ihm,
sich eine kleine Matratze anzuschaffen; später bleibt ihnen nur noch der
Ring am Fuß, und selbst diesen erlaubt man ihnen mit einem langen
Pantalon zu bedecken, sowie das geschorene Haupt mit einer Perücke. Ein
entwichener und wieder eingefangener Galeerensklave wird mit einer
tüchtigen Bastonade bewillkommt, eine Zeitlang in ein Loch gesperrt, wo
kein Tag hineindringt, und seine Strafzeit auf der Galeere verdoppelt.
Stirbt ein Sträfling, so wird er von vier seiner Kameraden ohne Ketten,
die nur noch einen Ring am Fuß haben, in einem Sarg in das Lazarett der
Marine getragen, wo die Wundärzte an seinem Körper ihre Studien machen;
wird aber einer wegen neuer, auf der Galeere begangener Verbrechen
hingerichtet, was in Gegenwart aller übrigen, die in bloßem Haupte sind
und auf den Knieen der Exekution beiwohnen müssen, geschieht, so
begraben ihn die grauen Brüder der Büßenden in Toulon, ein Werk der
Barmherzigkeit übend. Die kranken Sträflinge werden in dem für sie
bestimmten Lazarett gut verpflegt und gewartet. Doch genug über diesen
Gegenstand, einen der traurigsten, der die Menschheit berührt.

In Toulon bei der Belagerung durch das Heer der Republikaner zeichnete
sich Buonaparte zuerst als geschickter Artillerieoffizier aus. Nach den
Begebenheiten vom 31. Mai zu Paris hatte Toulon an dem Aufstand der
Marseiller teilgenommen, und mit diesen einverstanden, riefen die
Einwohner von Toulon die Engländer herbei und übergaben ihnen Stadt und
Hafen. In letzterem lagen damals fünfundzwanzig der schönsten
Linienschiffe, mit tausend Kanonen bewaffnet, und im Arsenal war ein
unermeßlicher Vorrat von Material jeder Art. Die Verbündeten, Engländer,
Spanier, Piemonteser und so weiter, besetzten auch noch die Zugänge und
Engpässe, die nach Toulon führen, auf mehrere Stunden in der Umgegend,
und namentlich die französischen Thermopylen, das Felsental von
Olioulles. Der französische General Cartaux hatte aber bereits dasselbe
wieder genommen, und seine Vorposten standen im Angesicht der Stadt, als
Buonaparte, Bataillonschef bei der Artillerie, im Hauptquartier zu
Beausset ankam, wo man mit dem Projekt umging, die feindlichen Flotten
in der Reede zu verbrennen. Den Tag nach seiner Ankunft besuchte er, den
Obergeneral begleitend, die zu dem Zweck errichteten Batterien und war
nicht wenig erstaunt, als er eine derselben eine Viertelstunde von dem
Engpaß von Olioulles mit sechs Einundzwanzigpfündern besetzt fand, die
nicht weniger als drei Kanonenschußweiten von den feindlichen Schiffen
und zwei von den Ufern entfernt lag. Dabei waren die Soldaten in den
umliegenden Bastiden (Landhäusern) rastlos beschäftigt, die Kugeln,
welche die Schiffe in Brand stecken sollten, glühend zu machen. Der
Kommandant der Batterie entschuldigte diesen Unsinn, vorgebend, daß er
auf höheren Befehl handle. -- Buonaparte suchte nun einen Park von
zweihundert passenden Feuerschlünden und geschickte Leute zu deren
Bedienung herbeizuschaffen, und nach Verlauf von wenig Wochen waren
sämtliche Batterien so nahe an dem Ufer der Reede aufgeworfen, daß sie
die größten feindlichen Schiffe entmasteten und die kleineren zum Teil
in den Grund bohrten, daher der Feind genötigt wurde, diesen Teil der
Reede zu verlassen. Täglich vermehrte sich nun das republikanische
Belagerungsheer, und bald war man imstande, die Belagerung mit allem
Nachdruck zu betreiben. Buonaparte, der sich unterdessen genau mit dem
Terrain bekanntgemacht hatte, schlug den Angriffsplan vor, dem man die
Wiedereinnahme Toulons verdankt und der mit großer Sachkenntnis
entworfen war. -- Gleich anfangs hatte er erklärt, daß, wenn man nur
drei Bataillone auf die Spitze der Vorgebirge Balaguier und Eguillette,
wo zwei Forts lagen, brächte, sich die Stadt in vier Tagen ergeben
müsse. Dieser Plan wurde aber den Engländern verraten, die sich schnell
entschlossen, die hohe Wichtigkeit dieser Position begreifend, sie zu
besetzen und eiligst zu befestigen, sogar die Galeerensklaven bei dieser
Arbeit verwendend. Durch viertausend Mann ließen sie diese Posten nun
besetzen, alles Gehölz in der Umgegend umhauen, und nannten diese
Verschanzungen Klein-Gibraltar, weil sie sehr fest und schwer zu nehmen
waren. General Cartaux, früher ein Maler, der glücklich gegen die
Marseiller gewesen, weshalb ihn die Deputierten des Bergs an demselben
Tage zum Brigade- und Divisions-General ernannt hatten, der aber sonst
gar kein militärisches Talent besaß, verlor jetzt das Kommando wieder,
das man einem General Doppet, einem armen Savoyarden, der früher Advokat
und jämmerlicher Rabulist gewesen, übertrug. Dieses Subjekt hatte noch
weit weniger Kenntnisse, war dabei ein Feind jedes fremden Talentes und
ein gewaltiger Hasenfuß, so feig wie boshaft. Ohne seine Feigheit würde
er durch einen sonderbaren Zufall Toulon in zweimal vierundzwanzig
Stunden nach seiner Ankunft genommen haben. Die Spanier hatten nämlich
einen Mann von den in den Laufgräben vor Klein-Gibraltar liegenden
Truppen gefangen genommen und mißhandelten ihn im Angesicht der
Franzosen. Diese, darüber wütend, griffen zu den Waffen und liefen im
Sturm gegen die feindlichen Schanzen. Als dies Buonaparte sah, eilte er
zum General und beredete ihn, diesen zufälligen Angriff und Enthusiasmus
seiner Leute zu benutzen, der auch auf seinen Rat alle Reserven in
Bewegung setzte, an deren Spitze Buonaparte marschierte. Die Sache
schien den besten Erfolg zu haben, als unglücklicherweise an Doppets
Seite ein Adjutant, durch eine Kugel getroffen, niedersinkt; da ergreift
den Advokat-General ein panischer Schrecken, in seiner Herzensangst läßt
er eiligst, und zwar in dem Augenblicke, als die Grenadiere im Begriff
sind, in den Eingang der Redouten zu dringen, von allen Seiten zum
Rückzug blasen. Die Soldaten, wütend, riefen laut, daß man ihnen
Advokaten und Hundsfötter statt Generälen gebe. Doppet wurde zwar
abgerufen und zum Henker gejagt, und ein alter, schon mit Wunden
bedeckter Soldat, General Dügommier, an dessen Stelle ernannt, aber der
beste Moment war verpaßt. Jetzt nahm die Sache jedoch bald eine andere
Wendung, und mit großem Eifer bereitete man alles vor, um sich zum Herrn
jener Position zu machen. -- Der unverständige Haufen, welcher die
Wichtigkeit derselben nicht einzusehen vermochte und nicht begreifen
konnte, warum man alle Streitkräfte konzentrierte, um ein abgesondertes
Fort zu nehmen und nichts gegen die Stadt selbst unternahm, murrte. Alle
Schreier in den Klubs beschuldigten die Kommandierenden des Verrats oder
doch der Unfähigkeit, man klagte über die lange Dauer der Belagerung,
Mangel und Not fing an, sich in der Provence fühlbar zu machen, und die
Konvents-Deputierten Freron und Barras schrieben an den Konvent, es sei
besser, die Belagerung aufzuheben und das Beispiel Franz I. zu befolgen,
der sich bei dem Einfall Karl V. hinter die Dürançe zurückgezogen,
worauf die Hungersnot den Feind genötigt habe, die von ihm verwüstete
Provence zu verlassen, und der dann mit desto größerem Erfolg
angegriffen und geschlagen wurde. Aber kurz nachdem dieses Schreiben,
welches die Deputierten später für unterschoben erklärten, nach Paris
abgegangen war, befahl Dügommier einen allgemeinen Angriff auf
Klein-Gibraltar, in welches Buonaparte nicht weniger als fünftausend
Bomben werfen ließ, während dreißig Vierundzwanzigpfünder dessen
Brustwehr demolierten. Von dem Flecken La Seine, der in der Reede liegt,
läßt Dügommier, ohnerachtet man es ihm mißrät, um Mitternacht bei dem
schrecklichsten Sturm und Regenwetter die Truppen in zwei Kolonnen gegen
die Verschanzungen marschieren, die aber durch die vor den Redouten
placierten Plänkler mit einem sehr gut unterhaltenen Feuer empfangen
werden, so daß die erste Kolonne zu wanken beginnt, und Dügommier an
ihrer Spitze ruft aus: »Vorwärts! in's Teufelsnamen, oder ich bin
verloren!«; denn das Schafott, das damals jeden geschlagenen General
erwartete, schwebte ihm vor Augen. -- In diesem Augenblick erklimmt ein
junger Artilleriehauptmann namens Muiron, der Buonaparte zugeteilt war
und den man mit einem Bataillon Chasseurs absandte, den Berg an der
Spitze seiner Truppen und kommt, von der zweiten Kolonne gefolgt und
unterstützt, glücklich an dem Fuß des Forts an, springt durch eine
Schießscharte desselben, aus der man soeben eine Kanone abgefeuert hat,
und während man mit der Wiederladung derselben beschäftigt ist, folgen
ihm seine Leute auf dem Fuß und dringen mit ihm in die Schanze. Muiron
wird jedoch durch den Bajonettstich eines Engländers schwer verwundet,
während die Feinde bei den Geschützen niedergemacht werden, welche die
Franzosen sogleich gegen dieselben wenden. Balaguier und Eguillette,
jetzt von den Engländern schnell geräumt, werden genommen, worauf eine
Batterie und eine Redoute nach der andern in die Hände der Republikaner
fällt. Den kommenden Morgen spielte schon mit Anbruch des Tages all das
Geschütz der genommenen Redouten auf die Schiffe in der Reede; als aber
der englische General Hood von seinem Erstaunen zurückgekommen war und
sah, daß die Franzosen Meister dieser Plätze waren, gab er das Zeichen
zum Lichten der Anker und zum Verlassen der Reede. Er begab sich sodann
noch nach Toulon, um den Einwohnern anzukündigen, daß man die Stadt
verlassen müsse, und nach reiflicher Überlegung war der Kriegsrat
einstimmig der Meinung, daß man unter diesen Umständen die Festung nicht
länger behaupten könne. Man nahm nun in größter Eile Maßregeln, um sich
einzuschiffen, und die französischen Schiffe, die man nicht mitnehmen
konnte, wurden angezündet und verbrannt, auch das Arsenal, alle Magazine
und was zur Marine gehörte, wurden zerstört, vernichtet oder unbrauchbar
gemacht. Zu gleicher Zeit machte man den Einwohnern bekannt, daß alle
diejenigen, welche nicht in der Stadt bleiben könnten oder wollten, auf
den Schiffen der Engländer und Spanier aufgenommen würden. Als dieser
Beschluß veröffentlicht wurde, stieg die Bestürzung der Bürger, die eben
noch mit ganz Frankreich so etwas für unmöglich gehalten, ja jeden
Augenblick die Aufhebung der Belagerung erwartet hatten, auf das
Höchste. Noch in derselben Nacht sprengten die Engländer das Fort Poné
in die Luft, und eine Stunde darauf steckten sie die französische
Flotte, was sie davon nicht fortbringen konnten, in Brand; nicht weniger
als zwölf Linienschiffe, viele Fregatten, Korvetten, Briggs und andere
Kriegsschiffe wurden ein Raub der Flammen, die in hundert Feuersäulen
zumal gen Himmel wirbelten. Ein Augenzeuge hat mir versichert, daß der
Anblick dieser vielen brennenden Schiffe mitten in der Reede ein so
furchtbar schönes Schauspiel war, daß der, der es nicht gesehen, sich
unmöglich eine richtige Vorstellung machen könne. Man glaubte eine im
Meer brennende ungeheure Stadt zu erblicken, die Maste mit ihren Tauen
schienen eben so viele brennende Türme, zugleich loderten auch die
Flammen und Feuersäulen aus dem in Brand gesteckten Arsenale empor, wo
die Magazine so viel brennbare Materiale enthielten, daß sie bald ein
Feuermeer bildeten, und der ganze Horizont war nur noch eine Rauchwolke,
mit Milliarden glühender Funken geschmückt. In der Stadt herrschte
unterdessen eine unbeschreiblich grauenvolle, grenzenlose Unordnung,
jeder suchte seine teuerste Habe zusammenzupacken, um sich damit auf die
englischen und spanischen Kriegsschiffe zu flüchten. Alles lief, schrie,
heulte und rannte durcheinander, am Hafen standen Tausende, das
furchtbar schöne Schauspiel in der Reede mit verzweiflungsvollen Blicken
anstarrend. Die Galeerensklaven suchten diesen Augenblick zu benutzen,
sich ihrer Ketten zu entledigen, und die, denen es gelungen war, sich zu
befreien, die große Mehrzahl, rannten durch die Straßen Toulons, um in
der allgemeinen Verwirrung zu rauben und zu stehlen. Die Franzosen
selbst, welche den Feind herbeigerufen, schmerzte es in der Seele, zu
sehen, wie so viele teure Gegenstände, viele hundert Millionen an Wert,
in wenig Stunden ein Raub der Flammen und vernichtet wurden. Dabei
feuerten die Batterien der Republikaner unaufhörlich auf die Reede und
schossen viele Boote, die mit den sich zu den Engländern flüchtenden
Einwohnern überfüllt waren, in den Grund. -- Als endlich die Morgenröte
anbrach, sah man die englische und spanische Flotte schon außerhalb der
Reede nach den hyerischen Inseln segeln. -- Mehrere tausend Familien aus
Toulon, welche die Revolutionstribunale zu fürchten hatten und ohne
Zweifel, wenn sie geblieben, dem Henkersbeil anheimgefallen wären, waren
mit dem Wenigen, das sie in der Eile hatten retten können, den
Engländern gefolgt, und doch wurden in den ersten Tagen der
Wiedereinnahme der Stadt durch die Republikaner viele hundert Menschen,
angeblich als Royalisten, ermordet; auch kam ein Befehl vom Konvent,
alle Häuser der schuldigen Geflüchteten niederzureißen, womit man sofort
begann. Was von den dreißigtausend Einwohnern, die damals Toulon zählte,
zurückgeblieben, etwa zwei Dritteile, war größtenteils die Hefe des
Volks und der raub- und mordlustige Abschaum der Stadt, alle besseren
Leute waren fortgezogen. -- Den anderen Morgen und noch mehrere Tage
nach jener grauenvollen Schreckensnacht sah man, wie mir derselbe Bürger
erzählte, mehr als tausend Leichname, Engländer, Franzosen und Spanier,
Männer, Weiber, Kinder und Säuglinge, zum Teil schrecklich verstümmelt,
auch viele abgerissene Gliedmaßen, in der Reede und dem Hafen schwimmen.
Man fischte sie nach und nach auf und begrub sie in ungeweihter Erde.

Die Nachricht von der Wiedereinnahme Toulons durch die Republikaner, die
sich kein Mensch hatte träumen lassen, machte in ganz Frankreich und dem
übrigen Europa eine große Sensation. Buonaparte hatte hier den
Grundstein zu seiner künftigen Erhebung gelegt und seinen Ruf begründet.
Kaum einen Monat später wurde er schon zum Brigadegeneral der Artillerie
ernannt.

Ich besuchte nun mehrere Tage lang alle die Punkte und Orte, welche bei
dieser Belagerung von Wichtigkeit gewesen und wo der jetzige Kaiser und
seine Artillerie gestanden und gewirkt hatten; es wurde mir dadurch
klar, welchen scharfen und richtigen Überblick Napoleon hier gehabt. Mit
mehr Ernst als bisher legte ich mich nun auf das Studium der höheren
Kriegskunst und deren Hilfswissenschaften, namentlich die, welche die
Artillerie erfordert, und hoffte wohl auch noch einmal eine Armee zu
kommandieren, wofür mich der gütige Himmel bewahrte, was ich ihm jetzt,
wo mir die lächerliche Nichtigkeit all dieser menschlichen, wenn auch
oft so blutigen Puppenspielerei beißend klar geworden, herzlich danke.
--

Die ersten Tage meines Aufenthalts in Toulon brachte ich in einem
Gasthofe zu, wohin mich mein Einquartierungsbillett gewiesen hatte, dann
aber suchte ich mir eine Privatwohnung, die ich recht angenehm am Kai
fand, wo ich zu jeder Stunde die unterhaltendste Aussicht auf das Gewühl
und Getriebe der Schiffe und Menschen in dem Hafen hatte. Indessen fing
mir der Aufenthalt in Toulon bald an langweilig zu werden, da das
Theater spottschlecht war und ich, nachdem vierzehn Tage verflossen, in
denen ich alles, was zu sehen war, zum Überdruß gesehen, noch keine
Bekanntschaft, die mich interessierte, gemacht hatte, was in Toulon
nicht so leicht war, da die besseren Häuser sich vom Militär und von der
Marine fern zu halten suchen.

Glücklicherweise erhielt ich jetzt Briefe von Hause und mit diesen ein
Empfehlungsschreiben an einen der reichsten Kaufleute der Stadt namens
Kohn, der ein Elsässer von Geburt war und mich in mehrere Familien
einführte. Zugleich meldete mir mein Vater mit großem Bedauern, daß man
fürchte, der Kaiser der Franzosen wolle der republikanischen
Herrlichkeit Frankfurts ein Ende und die Stadt zur Hauptstadt eines
Großherzogtums machen, nachdem ihr Augereau noch einige Millionen
Kriegskontribution abgenommen.

Unter den Bekannten, die ich durch die Familie Kohn erhielt, war eine
sehr artige Dame, eine Madame Guinet, deren Gatte Kaufmann und meistens
auf Reisen war und die im Ruf stand, galanten Aventüren eben nicht
abhold zu sein. Es dauerte auch nicht lange, so stand ich auf einem
ziemlich vertrauten Fuß mit ihr, merkte aber bald, daß ich in einem
Marineoffizier einen Nebenbuhler und zwar einen recht eifersüchtigen
habe, der wahrscheinlich schon vor mir bei der Dame in Gunst gestanden.
Wir trafen uns einigemal nach der Parade daselbst, und Madame Guinet
hatte mich ihm als einen Bekannten des reichen Herrn Kohn, der mich ihr
empfohlen, vorgestellt. Der Offizier brummte dabei mit einem nicht sehr
freundlichen Gesicht einige Gewohnheitshöflichkeiten in den Bart. Als er
mich zum zweitenmal daselbst traf, ließ er schon einige anzügliche Reden
fallen, jedoch so verblümt, daß ich, ohne mir große Blößen zu geben,
keine Notiz von denselben nehmen konnte. Aber das drittemal, wir
speisten beide bei der Dame zu Abend, erlaubte er sich, mir im Laufe der
Konversation beim Dessert die Bemerkung zu machen: »_Mais moi je ne
servirais jamais dans un régiment qu'on mêne, a coups de baton_,« worauf
ich schnell versetzte: »_Mais comment, Monsieur, toute la marine est
menée a coup coups de triques, c'est bien pis._« Hierauf wurde die
Unterhaltung pikanter, jeder verteidigte seine Sache nachdrücklich,
obgleich ich gegen meine Überzeugung, und wir wurden dabei so heftig,
daß Madame Guinet sich alle Mühe gab, uns zu besänftigen, aber mein
Gegner ließ noch ein _tête quarrée d'Allemand_ fallen, worauf ich ihm
schnell erwiderte, daß es so ein deutscher Querkopf wohl noch mit einem
französischen Seehund wie er aufnehmen könne. Launey, dies war der Name
des Offiziers, geriet nun in eine solche Wut, daß er sich nicht mehr
kannte, seinen Dolch, wie deren die Marine an einem Gehänge an der
linken Seite trägt, zog und mir ihn in die Brust stoßen wollte; ich aber
fiel ihm in die Arme, noch ehe er seinen Vorsatz ausführen konnte, rang
ihm den Dolch aus der Hand, wobei ich mir aber die meinige so verletzte,
daß mehrere Finger stark bluteten, worauf ich den Dolch zur Erde warf,
darauf trat und ihm sagte, was er nun weiter begehre, meine Hand an den
Degen legend. Launey sah mich knirschend und grimmig an, konnte aber vor
Wut kein Wort hervorbringen. Madame Guinet, welche das Blut sah, mit dem
wir beide schon befleckt waren, schrie laut auf und weinte so heftig,
daß ihre Dienstmädchen in das Zimmer stürzten. Ich faßte mich jedoch
schnell und sagte zu ihnen: »_Ce n'est qu'une plaisanterie, mes enfants,
apportez nous seulement de l'eau pour nous laver les mains._« Ich suchte
auch in der Tat jetzt der ganzen Sache eine scherzhafte Wendung zu
geben, wir wuschen uns die Hände, wobei mir das nette Kammermädchen der
Dame das Becken hielt, und als uns die Zofen wieder verlassen hatten,
bot ich dem Launey Satisfaktion für den nächsten Morgen an; dieser aber
schien jetzt ganz beschämt, steckte seinen Dolch friedfertig in die
Scheide und entfernte sich dann bald unter dem Vorwand, wegen
Dienstangelegenheiten früh an Bord seines Schiffes sein zu müssen. Als
er weg war, gestand mir Madame Guinet, daß ihr der Mensch recht fatal
geworden sei, da er mit allen Herren, die sie besuchten, Händel anfinge;
ich suchte sie bestens zu trösten und verließ sie erst nach Mitternacht.
Seit dieser Zeit begegnete ich dem Offizier nicht mehr bei ihr. Dies war
nicht das einzigemal, daß ich und andere Offiziere wegen der bei dem
Regiment eingeführten Prügel Unannehmlichkeiten auszufechten hatten,
wenn wir in einer Garnison mit anderen französischen Truppen standen.
Aus derselben Ursache verlor ein Kapitän von unserm zweiten Bataillon,
ein Hesse, der ein gewaltiger Prügelverehrer war, bald darauf das Leben
in einem Duell mit einem französischen Offizier von der Linie. Der gute
Mann wußte freilich den Stock weit besser als den Degen zu führen. Unter
den Kameraden im Regiment ließ ich mich derb genug über diese uns
infamierenden Prügeleien aus, während ich in Gesellschaft von Offizieren
französischer Regimenter sie, der Ehre des Regiments halber, bis auf
einen gewissen Punkt verteidigen mußte.

Bald darauf brachte mir ein Vorfall im Theater wieder
Unannehmlichkeiten. Man führte nämlich ein Gelegenheitsstück, >Die
Übergabe von Ulm< betitelt, auf, an und für sich ein jämmerliches
Machwerk, das aber, weil es der französischen Gloire Weihrauch streute
und voll wenn auch oft fader Anspielungen auf die Deutschen und
besonders die Österreicher war, dennoch großen Beifall erhielt. Ich
befand mich unter den Zuschauern, neben einem Hauptmann von Caguenec aus
Hagenau, der früher in österreichischen Diensten gestanden hatte, einem
sehr tapferen Offizier, der auch ein vortrefflicher Pianist war, aber
den abscheulichen Fehler hatte, sich von Zeit zu Zeit dem Trunk auf eine
fast viehische Weise zu ergeben. Neben uns saßen drei französische
Offiziere, die wie das ganze Publikum bei jedem Bonmot über die
Österreicher, die man mit dem Brutum fast in eine Kategorie stellte,
laut und beifällig lachten. Caguenec, der eben erst vom Diner mit
ziemlich erhitztem Kopf kam und ein tüchtiger Haudegen war, fing die
Sache zu wurmen an, er wurde unruhig auf seinem Platz, den er einigemal
verließ, um einige Gläser Likör oder Rum am Büfett hinabzustürzen, immer
erhitzter zurückkehrte und endlich dem neben ihm sitzenden Offizier ein
befehlendes: »_Taisez vous!_« in barschem Tone zurief, indem er
hinzufügte, daß sie eben keine Ursache hätten, sich zu mokieren, denn
das Stück sei ein so erbärmliches Machwerk, daß es eine Schande sei,
dessen Aufführung zu dulden. Einer der Offiziere fiel ihm mit den
Worten: »_Mais vous êtez donc fou, Monsieur_,« in die Rede. Caguenec
sprang nun auf, bedeckte seinen Kopf mit dem Hut, zog sogleich seinen
Degen, den er in der Luft schwang, und schrie dabei laut, jeder, der
etwas von ihm wolle, möge kommen. Und mit der Klinge um sich
herumfahrend, schuf er schnell einen leeren Kreis um sich. Dies
verursachte sogleich einen allgemeinen Aufstand im Theater, von allen
Seiten schrie man: »_A bas le chapeau, à bas l'épée._« Der Tumult wuchs
mit jedem Augenblick, und der kommandierende General, der in einer Loge
saß, befahl, den Vorhang fallen zu lassen, sandte seinen Aide de Camp
ins Parkett und ließ dem Caguenec befehlen, sich sofort in Arrest zu
begeben. Dieser aber nahm keine Räson an, sondern fuhr fort, mit seinem
Degen zu manövrieren, so daß der leere Raum um ihn her immer größer
wurde. Jetzt ließ der General die Wache mit einem Offizier an der Spitze
eintreten, dem es nicht ohne große Mühe gelang, den Kapitän zu
entwaffnen und zu verhaften, der von Glück sagen konnte, daß er mit
vierwöchentlichem Arrest auf dem Fort davonkam und nicht ein
Kriegsgericht passieren mußte. Ich wurde, als mit ihm gekommen und neben
ihm sitzend, verhört und erhielt sogar auf Befehl des kommandierenden
Generals achtundvierzigstündigen Untersuchungsarrest, von dem ich noch
heute nicht weiß, aus welchem Grund, da ich bei der ganzen Geschichte
nichts getan hatte, als den Caguenec in deutscher Sprache zu
beschwichtigen, was man mir wahrscheinlich im schlimmen Sinne ausgelegt,
weil ich mich über die Ausfälle in dem Stück gegen die französischen
Offiziere ebenfalls mißbilligend geäußert hatte.

Trotz der Bekanntschaft der Madame Guinet, die ich übrigens bald wieder
aufgab, wollte mir der Aufenthalt in Toulon nicht gefallen; ich hatte
mich zwar bemüht, wenigstens ein französisches Liebhabertheater zu
organisieren, aber es gelang mir nicht; unsere beiden anderen
Bataillone, bei denen sich die Damen befanden, welche die vorzüglichsten
Aktricen gewesen, standen in Marseille und Genua; in der Garnison von
Toulon, wo viele Frauen und Töchter der Marine waren, hatte ich zu wenig
Bekanntschaft, und von den Damen der Einwohner, die ich kannte, war
keine dazu zu bewegen, Komödie zu spielen. Ich nahm einigemal Urlaub
nach Marseille, wo das Leben weit angenehmer und geselliger als in dem
düsteren Toulon, auch das Theater im Vergleich mit dem von Toulon
vorzüglich war. Man sah daselbst überall Wohlhabenheit und Reichtum, im
dortigen Hafen schwang Gott Merkur seinen Stab, obgleich wegen dem Krieg
mit England nur mit großer Vorsicht und Bescheidenheit, während in dem
von Toulon der Kriegsgott sein Panier aufgepflanzt hatte, aber sich aus
der erwähnten Ursache ebenfalls nicht sehr mausig machen durfte.

Nachdem wir etwa sechs Wochen in Toulon waren, wurde die
Voltigeurkompagnie des ersten Bataillons, der ich seit meiner Ernennung
zum Offizier zugeteilt war und die ein Hauptmann Grenet befehligte, nach
dem an dem Ufer der großen Reede liegenden bedeutenden Flecken La Seine
detachiert, wo es mir weit mehr als in dem düsteren Toulon gefiel.
Dieser über zweitausend Einwohner zählende Ort hat eine sehr schöne
Lage, und man erhält daselbst die besten Seefische, Austern und
Muscheltiere aus der ersten Hand, namentlich die _moules noirs_, die
einen noch feineren Geschmack als die Austern haben und die man mit dem
köstlichen Wein de la Malgue hinunterspült, womit man sich zur Not auf
einen ganzen Tag begnügen kann, da sie sehr nahrhaft sind, ein äußerst
billiges Mahl, das wenige Sous kostet. Übrigens kann man in der Provence
und Languedoc sehr gut und dabei sehr billig leben, nur muß man sich vor
Unmäßigkeit hüten und des Guten nicht zu viel tun wollen, was nur auf
Kosten der Gesundheit geschehen kann und bittere Reue im Gefolge hat;
alle Nahrungsmittel und Getränke sind hier vorzüglich kräftig und
wohlschmeckend. Fleisch, Fische, Geflügel, Gemüse, Obst, Wein und
Liköre, namentlich die letzteren aus den Fabriken von Montpellier, der
Ratafia und Crême de Mokka genannt, verführen den Gaumen gar zu leicht.

In La Seine war ich bald mit den wenigen Honoratioren daselbst bekannt,
namentlich in der Familie Guige, deren Haupt eine gute Anstellung und
eine sehr liebenswürdige Tochter hatte, die mit einem Stabsoffizier, der
bei dem Heer in Deutschland stand, versprochen und also Braut war; die
Vermählung sollte gleich vor sich gehen, wenn die Truppen nach
Frankreich zurückgekehrt sein würden, wozu aber damals noch wenig
Aussicht war. Dieses Mädchen zählte ungefähr zweiundzwanzig Jahre und
war über ihren langen Brautstand, von dem sie das Ende noch nicht absah,
ziemlich ungeduldig; sie sang nicht übel und spielte zur Not etwas
Klavier. Die Musik bahnte mir auch hier wieder den Weg zu einer
intimeren Bekanntschaft, und manche Morgenstunde brachte ich musizierend
mit der hübschen Marie zu, mit der ich die neuesten Gesänge und Romanzen
durchging. Zwar war die Mama fast immer bei diesen musikalischen
Morgenstunden zugegen, doch konnte sie nicht umhin, uns manchmal allein
zu lassen, wo ich dann diese Augenblicke auf das beste benutzte, um in
näheren Rapport mit der Braut zu kommen, und wir verstanden uns schnell.
Eine Braut hatte immer etwas besonders Anziehendes für mich und war mir
ein _morceau friand_, und gar zu gerne mochte ich den Bräutigams Nasen
drehen, wenn ich es dahin bringen konnte. Mit dieser Familie machte ich
auch mitunter Promenaden in der Nähe des Orts, wo wir mehr als einmal
Gelegenheit fanden, uns, wenn es das Terrain erlaubte, auf einige
Augenblicke unsichtbar zu machen, die wir dann gut zu benutzen wußten.
Öfters fuhren wir auch in einem Boot nach Toulon, wo wir das Theater
besuchten und nach demselben beim Mondschein oder auch in dichter
Finsternis, wie es der Himmel eben wollte, heimkehrten. Einigemal traf
es sich, daß sich während der Vorstellung Winde und Stürme erhoben
hatten, so daß die Wellen in der Reede bei der Rückfahrt hoch gingen und
wir ziemlich geschaukelt wurden. Dies war aber gerade das Angenehmste
bei diesen Lustfahrten, denn je wilder die See ging und je finsterer die
Nacht, desto höher wallte Mariechens Busen, die sich dann fester und
fester an mich schmiegte und das Köpfchen auf meine Schulter legte,
während ich sie mit dem einen Arm innig umschlang und die Hand des
andern bald da, bald dort ruhte, oder je nach Umständen auch nicht
ruhte; dabei trillerte ich die Melodie des Liedes: >Das waren mir selige
Stunden.< Ich hatte Marien einigemal deutsche Lieder vorgesungen, und
sie bekam Lust, diese _langue barbare_, wie sie sagte, zu lernen. Gerne
verstand ich mich dazu, ihr Unterricht in derselben zu erteilen, aber
sie konnte es nie weiter als zu Ja und Nein bringen; in anderen Dingen
war sie weit gelehriger.

Als eines Tages eine Fregatte vom Stapel gelassen werden sollte, erhielt
die Familie Guige eine Einladung zu dieser Feierlichkeit und lud mich
ein, sie zu begleiten; der Schiffsbaumeister war ein naher Verwandter
der Madame Guige. Wir fuhren am Morgen nach Toulon und bestiegen das
Gerüst, auf dem sich die ganze beau monde der Stadt sowie das
Offizierkorps der Marine und Landtruppen befand, die Festivität mit
anzusehen. Die Admiralität, die Generalität, der See- und der
Landpräfekt, der Hafenkommandant hatten für sich und ihre Angehörigen
besondere schön ausgeschmückte Plätze. -- Als alle Arbeiter sowie die
künftige Bemannung desselben auf dem Schiff und auf ihren Posten um
dasselbe herum waren und das Zeichen zum Loslassen gegeben war,
herrschte eine ängstliche Stille. Jetzt gab der Erbauer das Signal zum
Abstoßen, und in einem Augenblick waren alle Seile und Taue, die es noch
zurückhielten, zerhauen. Das Schiff setzte sich unter dem Schall der
Musik, unter Jubel und Jauchzen der auf demselben befindlichen
Mannschaft und vieler tausend Zuschauer in Bewegung, die mit jeder
Sekunde rascher wurde, so daß bald Rauch und sogar Flammen unter
demselben hervorbrachen, die aber, sobald das Fahrzeug das Wasser
erreicht hatte, schnell gelöscht waren. Ein splendides Dejeuner
_dansant_ beschloß die Feier, und die Fregatte war nun dem wilden
Element, das es aus dem Bassin abgeholt, überliefert, um seine
gefährliche und verhängnisvolle Laufbahn anzutreten, die so oft mit
einer schrecklichen Katastrophe endigt.

Ein paar Tage später machten wir auch einen Besuch auf der Fregatte
Müron, derselben, welche den General Bonaparte aus Ägypten
zurückgebracht hatte und deren Kommandant ein Freund des Herrn Guige
war, der uns viele Details über Napoleon während seiner Überfahrt
mitteilte und uns so recht angenehm unterhielt.

Der Aufenthalt in La Seine, wo der Dienst, das Exerzieren ausgenommen,
gar nichts heißen wollte, wurde mir durch die Freundlichkeit der Familie
Guige sehr angenehm gemacht, und da Marie nicht nur sehr hübsch, sondern
auch sehr geistreich und witzig war, so wurde mir ihr Umgang von Tag zu
Tag lieber. Wir besuchten die Bastiden ihrer Bekannten in der Umgegend,
wo ich in einer ein Bild fand, das einen fatalen Eindruck auf mich
machte, den ich lange nicht loswerden konnte. Das Gemälde stellte
nämlich gräßliche Schreckensszenen der furchtbaren Pest vor, die im
Jahre 1721 hier und in Marseille wütete und die ein Matrose, der einen
Ballen Seide aus der Quarantäne entwendet und heimlich nach Toulon
eingeschmuggelt, in diese Stadt gebracht hatte. In weniger als sechs
Monaten waren drei Vierteile der Einwohner von Toulon gestorben, so daß
die meisten Häuser leer standen und lange unbewohnt blieben. Das Bild
stellte Haufen verpesteter und schon in Fäulnis übergegangener Leichen
dar, an denen die Pestbäulen mit ekelhafter Täuschung nachgemacht waren,
so daß man sich die Nase zuhalten zu müssen glaubte, um den Gestank
nicht zu riechen.

Ein andermal fuhren wir auf die naheliegende Insel Porquerolles, wo auch
eine Kompagnie von unserem Bataillon detachiert war, um die auf der
Insel liegenden Forts zu bewachen. Nachdem wir an das Ufer getreten,
kamen wir durch ein kleines Lustwäldchen; als wir ungefähr in der Mitte
desselben waren, hörten wir plötzlich ein freudiges Jauchzen und
Vivatrufen, und bald darauf erblickten wir einen Haufen fröhlicher
Menschen, die größtenteils in die Uniform unseres Regiments gekleidet
waren, an deren Spitze der schon ziemlich bejahrte Hauptmann Gasqui, ein
äußerst liebliches, höchstens siebzehn Jahre altes weibliches Wesen am
Arm, marschierte. Es war seine junge Frau, mit der er soeben von der
Trauung kam, die Tochter eines reformierten Stabsoffiziers, Luise von
Argout. Mit der bezauberndsten Anmut schritt die junge Ehefrau an der
Seite ihres beinahe fünfzigjährigen Gatten einher und wiegte ihr
reizendes Lockenköpfchen auf einem blendend weißen Schwanenhals; Wuchs,
Haltung und Gang schien den Grazien entlehnt, und es war ein Jammer,
anzusehen, daß der alte Sünder einen solchen Engel heimführte und dabei
eine dreifache Dummheit beging, denn erstens ist es allemal eine
Dummheit, wenn ein Offizier heiratet, besonders in Kriegszeiten; doppelt
ist sie, wenn er schon bei Jahren noch heiratet; und dreifach, wenn die
Frau jung und schön ist, was hier alles der Fall war. Auch hatte Gasqui
bald Gelegenheit, die begangene Torheit zu bereuen, wie wir später sehen
werden und wozu auch ich mein Scherflein beitrug. -- Das Gefolge des zu
der Hochzeitsfeier eilenden jungen Paares bestand aus mehreren
Offizieren, Einwohnern, und einem Dutzend weißgekleideter Frauen und
Mädchen, denen die halbe Kompagnie, ihrem Hauptmann beständig Vivats
bringend, folgte. Wir bewillkommneten uns gegenseitig, ich brachte meine
herzlichsten Glückwünsche dar und wurde mit meinen Begleitern von dem
zur Hälfte alten, zur Hälfte jungen Ehepaare so dringend gebeten, die
Hochzeit mit zu feiern, daß wir, ohne unhöflich zu sein, die Einladung
unmöglich ausschlagen konnten. Tänze, Spiele und Schmausereien auf einem
schönen grünen Platze der Insel, unter freiem Himmel, verherrlichten die
eben geschlossene Verbindung, und wir hatten es nicht zu bereuen, die
Einladung angenommen zu haben, da wir uns trefflich unterhielten,
besonders bei den Kontretänzen, die bei dem Klange einer Violine und
einer Klarinette aufgeführt wurden und bei denen ich bald die schöne
junge Frau, bald Mariechen und andere hübsche Mädchen balancierte. Erst
spät in der Nacht verließen wir die romantische Insel, nachdem wir,
herzlich dankend, freundlichen Abschied von dem jungen Ehepaar genommen,
und fuhren bei hellem Mondschein über die ganz ruhige Seefläche nach
Hyères zurück; obgleich an Mariens Seite traulich sitzend, schwebte mir
doch das Bild der jungen Frau beständig vor Augen. Was hätte ich hier
nicht um das _droit du seigneur_ gegeben! Auch ich konnte die lebhafte
Vorstellung, daß jetzt der alte Gasqui in all diesen Reizen schwelge,
nicht aus meiner Einbildungskraft entfernen. Da ich während der
Heimfahrt so ganz gegen meine Gewohnheit stille und einsilbig war,
fragte mich Marie einigemal, was mir fehle. Ich schützte Müdigkeit und
Kopfweh vor und ließ die Bilder auf der schönen Insel noch einmal vor
meinen geschlossenen Augen in der Phantasie vorüberziehen. Am anderen
Tag erhielten wir Marschorder und Befehl, Toulon zu verlassen, um es mit
Genua zu vertauschen. Also nach Italien, dem Zauberland der Poesie und
Romantik, das ich schon in frühester Kindheit zu sehen gewünscht und
wohin die Sehnsucht durch Goethes und anderer Autoren Werke noch weit
mehr in mir gesteigert wurde; denn Genua war mir vor allem durch
Schillers Fiesko, eine meiner Lieblingsrollen, wert geworden. Obgleich
es nur noch ein paar Tage bis zum Abmarsch waren, so konnte ich doch
kaum diesen erwarten und brachte sie mit Abschiedsbesuchen in der Stadt
und auf den Schiffen in der Reede, auf denen ich Bekannte und Freunde
zählte, den letzten aber noch im Schoß der mir teuren Familie Guige zu,
der ich so manche frohe Stunde zu verdanken hatte. Marie konnte ihre
Tränen nicht unterdrücken, ich suchte sie zu trösten, versicherte ihr,
daß, wenn ich eher Kapitän würde, als der Oberst, ihr bestimmter
Bräutigam, zurückkäme, sie meine Frau werden müsse, versprach, sie nicht
zu vergessen, und habe Wort gehalten, wie man sieht. Den Abend vor dem
Abmarsch nahm ich mit einem langen Kuß Abschied von ihr; um vier Uhr des
Morgens rappelierten die Tambours, wir marschierten an ihrem Hause
vorüber, wo sie schon hinter dem Fenster stand und ich ihr noch einen
letzten Kuß, den sie, so lange sie mich noch sehen konnte, erwiderte,
zuwarf, auf das Marsfeld nach Toulon, wo wir uns mit dem Bataillon
vereinigten und dann frohen Mutes den Marsch nach Italien antraten. --




                                  XIV.

   Marsch von Toulon nach Genua. -- Lüc. -- Frejus. -- Cannes. -- Die
   lerinischen Inseln. -- Madame Grenet. -- Nizza. -- Landsleute. --
   Seefahrt von Nizza nach Genua. -- Finale. -- Savona. -- Der Anblick
                      Genuas vom Golf aus gesehen.


Unser erstes Nachtquartier war das Städtchen Cüers, das etwa drei- bis
viertausend Einwohner zählen mag. Den zweiten Tag kamen wir nach dem
Flecken Pignans und den dritten nach Lüc, einer kleinen Stadt mit einem
alten Schloß, die durch ihre herrlichen Maronenwälder bekannt ist, deren
schöne Frucht hauptsächlich von den Pariser Konditoren gesucht wird und
die Prunktafeln der Reichen daselbst schmückt. Von Lüc ging der Marsch
nach Le Muy, einem großen Flecken, und von da nach Frejus, bekannt durch
Napoleons Landung, als er von Ägypten zurückkam. Diese Stadt, die unter
der Römerherrschaft sehr bedeutend war und ein Seearsenal hatte,
vergrößerte und verschönerte Cäsar außerordentlich und nannte sie Forum
Julii. Ihr Hafen war in gutem Stand; sie hatte ein Tor, welches man das
goldene nannte, weil es mit Nägeln beschlagen war, deren Köpfe vergoldet
waren und von dem noch Reste vorhanden sind. Der Hafen ist jetzt
versandet und das Meer, welches früher die Stadtmauern bespülte, eine
gute halbe Stunde davon entfernt. Hier schiffte sich 1814 der abgedankte
Kaiser nach seinem bescheidenen Reich, der Insel Elba, ein. Der
Hintergrund des Golfs von Frejus bietet einen schönen Anblick und ist
mit Pomeranzen-, Limonen- und Granatbäumen übersät. Man findet hier
sogar mehrere Edelsteine, namentlich Amethyste und weißen und roten
Jaspis im Überfluß. Von Frejus marschierten wir nach dem Seestädtchen
Cannes, das an einem steilen Abhang, auf dessen Höhe ein altes Schloß
liegt, gelegen ist und herrliche Umgebungen hat. Neben Oliven sind seine
Sardellen als vorzüglich bekannt und machen einen wichtigen
Handelsgegenstand der Stadt aus, da von diesen in günstigen Jahren bis
zweitausend Zentner versandt werden. Ihr Fang wird auf folgende Art
bewerkstelligt. Sobald es Nacht geworden, zünden die Schiffer auf ihren
Barken ein helloderndes Feuer mitten auf der See an, das die kleinen
Silberfische herbeilockt, die man dann zu Tausenden in den Netzen fängt.

Cannes gegenüber liegen die lerinischen Inseln, ganz nahe an der Küste;
die größte derselben, St. Marguerite, ist keine zweitausend Fuß entfernt
und hat ein Fort, in welchem unter Ludwig XIV. der Mann mit der eisernen
Maske gefangen saß, der für jeden, der Richelieus Memoiren mit
Aufmerksamkeit gelesen hat, kein Geheimnis mehr ist. Auf der zweiten
dieser Inseln, St. Honorat, war ein sehr berühmtes Kloster, das der
heilige Honorat im Jahr 410 stiftete. Andreas Doria nahm diese Inseln im
Jahr 1536 weg, und die Spanier bemächtigten sich 1635 derselben. In
Gesellschaft einiger Kameraden und eines Einwohners von Cannes fuhr ich
gegen Abend in einer Barke diesen Inseln zu, wo wir die sich zu einem
Staatsgefängnisse allerdings vortrefflich eignende Zitadelle in
Augenschein nahmen. Man zeigte uns das stark vergitterte Fenster, hinter
welchem der unglückliche Bruder Ludwig XIV. saß. Zu Cannes landete
Napoleon den 1. März 1815, von Elba zurückkehrend, um noch einmal Europa
auf kurze Zeit in Alarm und Unruhe zu setzen, den Wiener Kongreß zu
beendigen und dann zu St. Helena jämmerlich klein zu enden.

Von Cannes nach Nizza, wohin wir den nächsten Tag marschierten, bietet
der Weg nichts Bemerkenswertes; zur Linken meistens Berge, zur Rechten
das Meer, an dessen Ufern viele große, wildwachsende Aloestauden stehen.
Gleich nach unserem Ausmarsch begegneten wir etwa einem Dutzend ganz
schwarzer Schweine, die von mehreren Treibern begleitet waren, welche
ihnen Säcke mit Eicheln nachtrugen und sie auf die Felder jagten. Zu
meinem größten Erstaunen hörte ich, daß dieses abgerichtete
Trüffelschweine seien, die man hier wie bei uns die Hunde abrichtet,
diesen Leckerbissen schnüffelnd mit ihren Rüsseln unter dem Boden
hervorzuwühlen; da aber die gefräßigen Tiere diese köstlichen Knollen,
des Sprichworts eingedenk: >Jeder ist sich selbst der Nächste<, sobald
sie dieselben gewahren, verzehren würden, so wirft man ihnen schnell
einen Haufen Eicheln hin, über den sie nun herfallen, die Trüffeln im
Stiche lassend, welche die Treiber dann vollends ausgraben.

Auf diesem Marsch hatte ich die Arrieregarde des Bataillons kommandiert,
mit welcher Madame Grenet, die Gattin meines Kapitäns, eine allerliebste
junge Frau, erst zwei Jahre verheiratet, in ihrer Reisekalesche fuhr.
Neben dem Wagen hergehend, unterhielt ich mich recht angenehm mit ihr,
so daß mir der Marsch fast zu kurz vorkam. Bei dem Halten frühstückte
ich mit der Dame köstlichen Thunfisch, den sie mitgebracht hatte und den
man in dieser Gegend ganz vortrefflich findet, dafür braute ich ihr ein
Getränk aus süßen Pomeranzen und Muskatwein, eine Art Orangeade, die
sehr erfrischend und stärkend ist. Madame Grenet hatte die Güte, mir nun
einen Platz in ihrem Wagen anzubieten, den ich auf ein paar Stunden
annahm und so hinter meiner Arrieregarde herfuhr. Sie teilte mir mit,
daß sie sich zu Nizza, von wo der Weg über sehr steile Gebirge, die
Meeralpen, gehe, samt ihrem Wagen einschiffen und von da aus den Weg bis
Genua zur See machen werde. Da ich wußte, daß auch die Armatur und das
Gepäck des Bataillons daselbst unter dem Kommando eines Offiziers und
einiger Mannschaft ebenfalls eingeschifft werden sollte, so sagte ich
der freundlichen Dame, daß ich den Bataillonschef um dieses Kommando
bitten wolle, was mir Düret wohl zugestehen würde. Sie lächelte und
meinte: »Dann bleibe ich unter Ihrem Schutz.«

»Den ich Ihnen gewiß auf das kräftigste angedeihen lassen werde,«
erwiderte ich, ihre Hand küssend.

Vor der Etappenstadt stieg ich aus dem Wagen, Madame Grenet für die
gehabte Güte dankend, und führte mein Kommando unter Trommelschlag auf
den großen, mit Arkaden umgebenen Napoleonsplatz zu Nizza, dessen
sämtliche Gebäude von ganz gleicher Bauart, Farbe und Höhe waren, so daß
man sich eher in einem ungeheuren Schloßhof, als auf einem öffentlichen
Platz glaubte. Nachdem ich die Bagagewagen der neuen Wache übergeben und
die Leute entlassen hatte, suchte ich mein Quartier auf, das mir der
Zufall wieder bei der jungen Strohwitwe eines sich in Mailand
befindenden Armeebeamten, einer Piemonteserin aus Turin, bescherte, die
aber leider kein Wort Französisch, während ich noch kein italienisches
konnte. Ich bekam sie auch erst später zu sehen, da mir in Abwesenheit
der Gebieterin eine Zofe das Billett abnahm.

Ob ich gleich mehrere Tage in Nizza verweilte, so wurde ich doch wenig
mit den Schönheiten und Reizen der Umgegend bekannt, von denen so manche
Reisenden mit Entzücken phantasieren, ich war vielleicht auch noch ein
gar zu prosaisches Menschenkind, und zudem waren meine Gedanken mit
meiner hübschen Hauptmannsfrau zu sehr beschäftigt, als daß ich den
Naturschönheiten so viel Aufmerksamkeit hätte schenken können; nur die
sich gegen Norden erhebenden Gebirgsterrassen, aus vier übereinander
ragenden Bergen bestehend, machten durch ihr imposantes Ansehen einigen
Eindruck auf mich.

Es befanden sich wie gewöhnlich viele Fremde hier, welche hofften, daß
ihnen die Luft von Nizza die durch Ausschweifungen oder andere Umstände
verlorene Gesundheit wiedergeben sollte, betrogen sich aber meistens.
Nur die englischen Goldfische, Lords genannt, wenn auch oft nur
Bierlords, fehlten, da sich zu jener Zeit kein Engländer auf dem
Kontinent blicken lassen durfte, ohne als Kriegsgefangener behandelt zu
werden. Unter diesen Kranken waren auch ein paar schwindsüchtige
Landsleute von mir, Frankfurter, die, da sie gehört, daß sich junge
Leute aus ihrer Vaterstadt bei diesem Regiment befänden, mich
aufsuchten; es war ein gewisser Parrot aus der Antoniusgasse, der meine
Familie kennen wollte, von dem ich aber nie etwas gehört hatte, und der
mir durchaus »ä Ähr antu wollte«, wie er sagte, was ich mir aber verbat.
Noch andere meiner werten Landsleute erkannte ich an dem Akzent, den
sie, auf dem Korso spazieren gehend, hören ließen, wodurch man den
Frankfurter allenthalben errät. Ich hütete mich wohl, den ein Duett
hustenden und räuspernden Kompatrioten meine Landsmannschaft zu
verraten, und eilte von ihnen weg, um in einem Kaffeehaus unter den
Arkaden einige Erfrischungen einzunehmen, wo ich in einiger Entfernung
ein Paar muntere Damen bemerkte, die sich, wie es schien, recht vergnügt
miteinander unterhielten und auch manchmal zu mir herüberschielten, so
daß ich, aufmerksam auf sie geworden, sie besser ins Auge faßte und
recht hübsch fand. Bald darauf brachen sie auf; ich wollte schnell meine
Zeche berichtigen und ihnen nachgehen, um zu sehen, wohin sie ihre
Schritte lenkten; eben hatte ich bezahlt und wollte fort, da führte der
Henker wieder meinen hektischen Landsmann herbei, der mich mit Gewalt
mit Kaffee oder Gott weiß was regalieren und Frankfurter Neuigkeiten von
mir hören wollte, wodurch einige Augenblicke verloren gingen; und
obgleich ich mich unter dem Vorwand, daß mich der Dienst rufe, möglichst
schnell von ihm losmachte, war es doch zu spät, ich hatte die beiden
Schönen schon aus den Augen verloren und konnte trotz allem Suchen keine
Spur mehr von ihnen auffinden. Verdrießlich schlenderte ich endlich nach
Haus, der Abend brach herein, und ich legte mich ans offene Fenster, die
flimmernden Sterne und den azurnen Himmel des Südens anstaunend. Kaum
hatte ich angefangen, einige beschauliche Betrachtungen über das endlose
Firmament, das so schnell endende Leben und dessen so rätselhaften Zweck
anzustellen, als sich dicht neben meinem Fenster ein paar weibliche
Stimmen hören ließen, die mit Guitarrebegleitung eine zweistimmige
italienische Notturna in dem Nebenzimmer am offnen Fenster sangen. Es
war meine Hauswirtin mit noch einer anderen Dame, wie ich durch meinen
Burschen erfuhr, und ich beschloß, sogleich der ersteren, die ich bis
jetzt vernachlässigt hatte, meine Aufwartung zu machen. Ich ließ mich
melden und ward angenommen. Aber wie sehr war ich überrascht, als ich in
den beiden Frauen meine Unbekannten unter den Arkaden erkannte, die ich
so lange vergeblich gesucht. Ich machte mein Antrittskompliment und
meine Entschuldigungen in französischer Sprache, wogegen mir aber ein:
»_Non capisco, signor Uffiziale, non parliamo francese!_« erwidert
wurde. Dies war ein fataler Kasus, da ich noch nicht italienisch konnte,
wenngleich ich in dieser Sprache sang und die Worte gut aussprach. In
dieser Verlegenheit mußte ich die Mimik zu Hilfe nehmen und gab, so gut
es gehen wollte, durch Zeichen und Gestikulationen zu verstehen, man
möge sich doch ja nicht stören lassen und fortsingen, wozu man sich auch
herbeiließ, was unter solchen Umständen, wo keine Unterhaltung durch das
Organ der Sprache möglich, wohl das Beste war. Die Damen sangen noch ein
paar Kavatinen, und zwar gut, denn sie hatten beide schöne und reine
Stimmen, und von dem >_Solitario bosco ombroso_<, das die jüngere mit
sehnsüchtigen Blicken vortrug, ward ich ganz bezaubert. Diese war die
Frau eines Schiffskapitäns, der erst vor ein paar Tagen nach Marseille
abgefahren war. Als sie gesungen und mein Bravissimo bescheiden
hingenommen, gaben sie mir durch Zeichen zu verstehen, ob ich nicht auch
musikalisch sei. Ich bedeutete, daß ich zwar sänge und Klavier, aber
nicht Guitarre spiele. Man führte mich in ein Nebenzimmer, in welchem
sich ein Spinett befand, das ich probierte, jedoch schrecklich verstimmt
fand. Ich sang indes doch die Romanze des Pagen aus Mozarts Figaro im
italienischen Idiom. Die Damen hörten mir mit Verwunderung zu, und als
ich geendigt hatte, begriff ich von ihrem Gewälsche und aus ihren
Gestikulationen soviel, daß sie glaubten, ich müsse auch italienisch
reden; sie schienen nicht zu begreifen, daß man in einer Sprache singen
kann, die man nicht verstehe und nicht spreche, und ich war nicht
imstande, ihnen dies klar machen zu können, wodurch ein komisches
französisches und italienisches Charivari, von drolligem Gebärden- und
Mienenspiel begleitet, entstand, das damit endigte, daß ich ihnen noch
Figaros brillantes >_Non piu andrai_< vortrug, das sie nicht kannten und
das sie in Ekstase versetzte. Aber dabei blieb es, denn antworten auf
ihre Fragen konnte ich nun einmal nicht, wenn sie auch noch so ungläubig
die Köpfe schüttelten, mir nicht zu trauen schienen und mich mit
zweifelhaften Blicken ansahen. Dies war mir recht fatal, denn ich war
fest überzeugt, daß, wenn ich mit der Sprache fortgekonnt hätte, ich
hier wieder ein scharmantes Marschabenteuer gehabt haben würde, so mußte
es bei einem >_felicissima notte_< bleiben, mit dem ich mich unter
Bücklingen und Handkuß entfernte.

Den nächsten Morgen suchte ich Düret auf, ihn um das Kommando der sich
mit dem Gepäck nach Genua einschiffenden Mannschaft zu bitten, wie ich
mit Madame Grenet übereingekommen war. Er gestand mir dies auch zu ohne
andere Einwendung als: »Wahrscheinlich steigen Sie nicht gerne Berge,«
und fuhr fort: »Geben Sie nur auf die Armatur acht und lassen Sie sich
nicht von den Engländern erwischen.« Ich versprach, daß ich mein
Möglichstes tun wolle, beides zu befolgen, und eilte nun an den Hafen,
wo ich die Felukke aufsuchte, die zu diesem Zwecke in Beschlag genommen
war und den Namen >Proserpina< führte. Ich erkundigte mich bei dem
Patron derselben nach der Abfahrt, der mir sagte, er müsse einen
günstigeren Wind abwarten, man könne aber einstweilen immer die Gewehre
und Bagage einschiffen.[11] Ich beorderte den Adjutant-Unteroffizier,
dies zu besorgen, ging sodann zum Kapitän Grenet, ihn zu
benachrichtigen, daß mir das Militärkommando der Felukke erteilt worden,
der sich darüber freute und mir seine Frau und absonderlich seinen Wagen
dringend empfahl; ich versprach auch, daß ich für beide bestens sorgen
wolle, und bat Madame Grenet, ihre Effekten bereitzuhalten, damit ich
sie einschiffen lassen könne. Am anderen Morgen marschierte das
Bataillon, das in Nizza einen Rasttag gehabt, in aller Frühe ab. Den
Abend vorher hatte ich noch mit meinen italienischen Signoras
zugebracht, wo uns, wenn auch in unverständlicher, doch sehr lebhafter
Unterhaltung, mit Musik untermischt, die Zeit schnell verflog. Ich hatte
sie gebeten, eine Promenade mit mir zu machen, wozu sie sich aber
durchaus nicht verstehen wollten; sie bedeuteten mir, daß, wenn man sie
mit mir ausgehen sehe, die bösen Mäuler, die man hier sehr zu scheuen
habe, etwas zu reden bekämen und die Sache zehnmal verschlimmert ihren
Männern hinterbracht würde. Wir blieben also zu Hause, ich soupierte mit
den Frauen und ließ durch meinen Burschen Eis und Rosolio holen. Man
wurde nun lebendiger, und es kam dann noch zu allerlei Schäkereien und
Küssen, versteht sich, alles in Ehren, und nicht weiter. Wir trennten
uns endlich vergnügt, aber dennoch legte ich mich nieder, verdrießlich,
es nicht weiter gebracht zu haben, und nahm mir fest vor, in Genua
sogleich italienisch zu lernen. Am anderen Morgen begleitete ich das
abmarschierende Bataillon noch eine Strecke, Düret und Grenet empfahlen
mir nochmals Bagage und Damen, denn es schifften sich noch mehrere
andere Offiziersfrauen mit ein; ich kehrte sodann um und begab mich zu
Madame Grenet, die ich noch in einem reizenden Morgenanzuge in ihrem
Bette fand, was sie aber nicht hinderte, mich zu empfangen. Sie schien
kaum erwacht zu sein, denn noch glühten ihre Wangen schlaftrunken, und
sie blühte wie eine eben aufbrechende Rose, die ich mir zu pflücken
vornahm. Nachdem ich ihr mit geringem Widerstreben einige Küsse geraubt,
schlich ich an die Tür und verschloß sie von innen. -- »_Mais que faitez
-- vous donc_,« lispelte sie. »_Rien_,« antwortete ich ebenso leise und
erstickte alle weiteren Fragen unter einem Strom von Küssen, nachdem ich
ihr versichert, daß ich ihr gewiß nichts Böses tun werde. Als ich sie
fest umschlungen, sanft mit dem linken Arm auf das Bett zurückgedrückt
und mit der rechten Hand die mir, obgleich recht feinen, doch lästigen
Morgengewänder zu entfernen suchte, da sträubte sich zwar noch die Taube
ein wenig, aber schon fühlte ich das Schlagen und Pochen ihres Herzens
heftiger, purpurner wurden ihre Wangen, glühender ihr Hauch, aber trotz
Sträuben und Ach ließ ich nicht nach, und bald drückte auch sie mich
fester und fester an sich, und alles Bewußtsein schien ihr zu schwinden.
Etwas ermattet verließen wir endlich das Lager, ich half ihr die
Toilette in Ordnung bringen, und nachdem sie die Verschämte genug
gespielt und der letzte Kuß gegeben war, verließen wir das Gemach und
nahmen Schokolade unter den Arkaden ein. Hierauf begaben wir uns zum
Hafen, um uns zu erkundigen, wann man wohl abfahren könne. Der Patron
der Felukke meinte, noch an demselben Tage die Anker lichten zu können;
ich ließ nun schnell alle Bagage auf das Schiff bringen, befahl dem
Unteroffizier, die Leute einzuschiffen und die anderen Damen zu
avertieren, damit sie sich bereit halten möchten, und eilte sodann,
Abschied von meiner hübschen Wirtin zu nehmen, die mir erlaubte, sie
jetzt recht zärtlich zu umarmen. Bei einem Abschied sieht man manchem
durch die Finger, und man darf sich wohl etwas mehr herausnehmen und
zärtlicher sein, so auch ich, und wer weiß, was noch geschehen wäre,
wenn nicht gerade die Freundin zur rechten Zeit oder Unzeit dazugekommen
wäre. Da ich aber jemand kommen hörte, verließ ich schnell meine Schöne,
und als ich sah, daß es ihre Freundin war, die in die Türe trat, so flog
ich auch dieser rasch an den Hals, um der anderen Zeit zu geben, ihre
etwas zerstörte Toilette wieder zu ordnen, und erdrückte die erstaunt
Eintretende fast mit Küssen, damit sie die Unordnung der anderen nicht
wahrnahm. Die List gelang vollkommen, und dann bald die eine, bald die
andere unter hundert Addios und >_Grazie tante_< umarmend, schlüpfte ich
endlich zur Türe hinaus, eilte die Treppe hinunter und zu der mich
erwartenden Madame Grenet. Wir nahmen noch ein gutes Frühstück _à la
fourchette_ ein, begaben uns dann an den Hafen, wo schon Mannschaft,
Waffen und Gepäck und noch fünf andere Offiziersfrauen eingeschifft
waren. Madame Grenet nahm Platz in ihrem Wagen und lud noch drei andere
Damen, die keinen hatten, ein, sich zu ihr zu setzen, während ich mich
auf den Bock placierte.[12] >Proserpina< lichtete die Anker, und wir
segelten mit gutem Wind davon. Auf dem Schiffe befanden sich auch zwei
marode Hautboisten vom Regiment, die aber doch nicht so müde waren, daß
sie sich nicht ihrer Instrumente hätten bedienen können; ich ersuchte
sie, ein paar muntere Melodien zum Besten zu geben, wozu sie sich willig
fanden, und so fuhren wir, die hohen Alpen beständig vor Augen, immer
längs der Küste dahin. Der uns günstige Landwind wurde stärker und blies
so kräftig in die Segel, daß wir bald an Monaco, St. Remo, Oneglia und
Albenga vorüberflogen und mit der Dämmerung zu Finale ankamen, wo die
Damen, wie die meisten Passagiere, seekrank geworden, nachdem der Patron
Anker geworfen hatte, ans Land gehen wollten, was aber niemand gestattet
wurde, bevor der Syndikus des Orts unseren Schiffer eidlich verhört
hatte, daß er weder einen pestkranken Ort berührt, noch einen derartigen
Kranken an Bord habe. Wir fuhren indes bald wieder weiter, denn der
Patron hoffte noch vor Nacht Savona, wo der Hafen weit sicherer als zu
Finale, und die Nachtquartiere weit bequemer seien, zu erreichen. Auf
der Fahrt dahin erzählte er mir, daß er aus Nizza sei, daß diese Stadt
durch das Wegbleiben der Engländer seit mehreren Jahren außerordentlich
verloren und der Verdienst nicht mehr der vierte Teil wie früher sei,
gab mir auch nicht undeutlich zu verstehen, daß man daselbst eben nicht
sehr vergnügt über das Glück sei, jetzt einen Teil des französischen
Kaiserreichs auszumachen, doch wollte er sich nicht weiter einlassen und
mit der Sprache nicht heraus, denn er traute mir wohl nicht.

[Fußnote 11: Je weiter ein Regiment marschiert, desto mehr häufen sich
die Gewehre, Säbel, Patrontaschen und so weiter desselben, weil die von
allen zurückbleibenden Kranken mitgeführt werden.]

[Fußnote 12: Eine Felukke ist ein offenes Küstenschiffchen, mit einem
Mastbaum, aber ohne Vordeck, das auch durch Rudern in Bewegung gesetzt
wird.]

Die Fahrt bis Finale war äußerst angenehm gewesen, und die Aussicht auf
die Küste bot viel Abwechslung dar, die Ufer waren mit Südpflanzen jeder
Gattung bedeckt, und es ging an Buchten und Baien, Dörfern, Flecken und
Städten vorüber, oft unermeßliche Felsmassen und immer himmelhohe
Gebirge bildeten den Hintergrund. Auf der anderen Seite sah man nicht
selten große Schiffe in der Ferne vorübersegeln, lange Silberstreifen
hinter sich lassend, und in den Wellen spiegelten sich die Feuerstrahlen
der Abendsonne. Von Finale aus begann es schon dunkel zu werden, und
erst mit der einbrechenden Nacht fuhren wir in den Hafen von Savona ein.
Sämtliche Damen baten mich, ein Nachtquartier für sie zu besorgen, das
ich dann in der besten Locanda bestellte, was freilich nicht viel sagen
wollte, aber darauf bedacht war, daß ich ein Zimmer neben dem der Madame
Grenet erhielt, das mit diesem kommunizierte; die anderen Damen logierte
ich je zwei auf einem anderen Gang. Nach eingenommenem Abendbrot, das in
Fischen, Feigen und gutem Wein bestand, begaben wir uns sämtlich zur
Ruhe. Nachdem ich meine Tür von innen abgeschlossen, öffnete ich leise
die mit dem Zimmer der Madame Grenet kommunizierende und bat sie, diese
Nacht in meinem Gemach zubringen zu wollen, weil die Stube auf der
anderen Seite besetzt war, deren Inhaber leicht das mindeste Geräusch
durch eine ebenfalls in dasselbe gehende Tür vernehmen konnten; sie ging
darauf ein, und wir brachten eine herrliche Nacht zu, die sich wohl
denken, aber nicht beschreiben läßt. Gegen Morgen, das heißt um zwei Uhr
nach Mitternacht, verließ mich meine reizende Alcine, um Ruhe in dem
eigenen Bett zu suchen, was uns beiden not tat; aber als wir gerade im
erquickendsten Schlaf waren, gegen vier Uhr, weckte mich mein Bursche
mit den Worten, daß der Patron in einer Stunde abfahren wolle, um den
günstigen Wind zu benutzen und diesen Morgen bei Zeit in Genua
einzutreffen. Hier blieb nichts anderes übrig, als sich, so schwer es
auch fallen mochte, den Armen des so wohltuenden Schlafes zu
entreißen. Ich ließ nun auch die anderen Damen aufwecken, versah
Kammerjungferdienste bei Madame Grenet, damit sie schneller mit ihrer
Toilette fertig wurde, und gegen fünf Uhr waren wir wieder eingeschifft.
Die Damen endigten sämtlich ihren unterbrochenen Schlaf in dem Wagen,
während ich auf dem Bock nickte. Gegen zehn Uhr vormittags wurden wir
alle durch das Geschrei: »_Ecco Genova!_«, das der Patron und seine
Leute erhoben, aus unserem Schlummer erweckt. Als ich die Augen
aufschlug, erblickte ich die prächtige Stadt, die von der Seeseite
angesehen in der Tat einen großartig imponierenden Anblick darbietet. Da
lag sie in ihrer ganzen Herrlichkeit, _Genova la superba_, die
Vaterstadt der Columbus, Andreas Doria und Fiesko, von den Strahlen der
goldenen Morgensonne prächtig beleuchtet, vor unseren staunenden
Blicken, und Schiller läßt den Fiesko nicht zuviel sagen, wenn er
ausruft: »Diese majestätische Stadt!«, denn wahrhaft majestätisch lehnt
sie sich amphitheatralisch an den Fuß der Apenninen, während ihr
Piedestal von dem schönen Golf benetzt wird, der ihren Namen trägt. Auf
ihren Marmorpalästen und herrlichen Gebäuden sind Terrassen mit
Pomeranzen, Limonen, Gesträuchen und Blumen in Prachtvasen angebracht,
so daß, da sich die Häuser stufenartig hintereinander erheben, man die
schwebenden Gärten der Semiramis zu sehen wähnt; und dann im Hintergrund
die Berge, die bis zur Mitte ihrer Höhe mit prächtigen Villen,
Schlössern, Meierhöfen und so weiter bedeckt sind, die von der See aus
gesehen mit der Stadt ein Ganzes zu bilden scheinen, wodurch diese
unermeßlich groß wird. Sie bildet einen weiten Halbkreis, von dem zwei
Molos die äußersten, mit Türmen versehenen Enden machen. Bis jetzt hatte
noch keine Stadt einen solchen Eindruck auf mich gemacht. Nach zehn Uhr
fuhren wir im Hafen ein und landeten am Ponte di Mercanti: einem kleinen
in denselben gehenden Damm, wie deren mehrere vorhanden, an denen die
kleineren Schiffe anlegen. Wir stiegen aus, und das erste, was mir
auffiel, waren die vielen Mönche von allen möglichen Orden und Farben,
die sich unter den gaffenden Zuschauern befanden, etwas ganz Neues für
mich, denn in Deutschland und Frankreich sah man deren schon lange nicht
mehr. Ich ließ nun alles ausschiffen und die Damen und mich in ein gutes
Gasthaus in der Nähe der Post führen, wo wir sogleich sehr freundlich
aufgenommen wurden; als ich aber später die Quartierbillets für unser
Logis brachte, die ich mir auf der Mairie hatte geben lassen, da machte
der Wirt ein verdrießliches Gesicht, denn er hatte uns seine besten
Zimmer eingeräumt, aus denen wir uns nicht mehr ausquartieren ließen.

Die Vorstellung, die ich mir auf dem Meer von dem prächtigen Genua
gemacht hatte, wurde gewaltig geschmälert und alle Illusion verschwand,
als wir durch die vielen engen dunkeln Straßen wandern mußten, wo nicht
einmal ein Fuhrwerk gehen konnte, die jedoch reinlich und alle mit roten
Backsteinen gepflastert waren und in denen oft die schönsten Gebäude von
Marmor aufgeführt standen.




                                  XV.

     Beschreibung Genuas. -- Besuch bei einem Grafen Fiesco. -- Ein
     sauberer Kanonikus. -- Soiree bei Dorias. -- Ein italienischer
    Sprachlehrer. -- Die Marchesa P... und ihr Cicisbeo. -- Signora
      Peretti. -- Mozarts Don Juan wird zuerst durch mich in Genua
     bekannt. -- Die Militärmessen. -- Komisches Mißverständnis. --
    Ein gefälliger Gitarre-Lehrer. -- Ein Mordanfall. -- Maskenfest
          bei Dorias mit einer Episode. -- Abmarsch von Genua.


Es war in den ersten Tagen des Monats Februar, als wir zu Genua ankamen,
dabei hatten wir von Toulon aus das schönste Frühlingswetter, alles war
grün, und viele Bäume und Pflanzen standen in üppigster Blüte. Fünf Tage
hatten wir noch vor dem uns folgenden Bataillon voraus, die ich in dolce
giubilo mit Madame Grenet verlebte, und suchte auch meistens in deren
Gesellschaft die Sehenswürdigkeiten Genuas auf, die nicht zu den
alltäglichen gehören. Die prächtigen Straßen Balbi und Strada nuova mit
ihren Marmorpalästen, wie sie keine Stadt in Europa mehr aufzuweisen hat
und unter denen besonders die der Durazzo, der Doria, der Spinola, der
Pallavicini und so weiter durch ihre außerordentliche Pracht und
Schönheit hervorragen. In all diesen Palästen sind treffliche Gemälde
und ganze Galerien derselben, welche die Meisterstücke eines Rubens,
Tizian, Van Dyk und so weiter enthalten. Leider fand ich damals an
leblosen Gemälden, wenn sie auch noch so trefflich waren, wenig
Geschmack, besonders wenn sie sogenannte heilige Gegenstände
darstellten; dagegen waren mir die lebenden desto teurer, und die
genuesischen Frauen mit ihren langen Schleiern, die sie so graziös
überzuwerfen, und ihren durchbohrenden Feueraugen, die sie so schelmisch
zu gebrauchen wissen, sprachen mich weit mehr an als das herrlichste
Gemälde im Palazzo Durazzo; und das lebendige Bild an meiner Seite,
Madame Grenet, fing bald an, mich so zu ermüden, daß ich nach ein paar
Tagen, soviel als es sich tun ließ, Genuas Schönheiten allein zu sehen
suchte. Einige der schönen Bilder blieben jedoch nicht ganz ohne
Eindruck auf mich, namentlich entsinne ich mich, daß ich das berühmte
Gemälde Solimenos, Hektors Leiche durch Achilles um Troja geschleift,
mit Wohlgefallen betrachtete.

Wir besuchten den zweiten Abend die Oper im _Teatro Augustino_, wo >_Gli
amanti in scompiglio_< recht brav gegeben wurden. In einem zweiten
Theater sahen wir Goldonis Bugiardo, das wir aber bald wieder verließen,
da wir uns, kein Wort verstehend, langweilten, und nahmen in einem nahen
Kaffeehaus, dessen Saal eine Grotte, mit Moos und Seemuscheln tapeziert,
vorstellte, Sorbetti.

Schon in den nächsten vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft hatte
ich mich erkundigt, ob noch Nachkommen von der Familie der Fieschi
vorhanden seien und mit großem Vergnügen erfahren, daß noch Zweige
derselben existierten, die jedoch nicht mehr zu dem reichsten und
angesehensten Adel gezählt würden. Ich nahm mir vor, einen Grafen
Fiesco, den ich ausgekundschaftet hatte, zu besuchen. -- Nicht ohne Mühe
machte ich seine Wohnung, einen etwas alten, nicht im besten Zustand
befindlichen Palazzo, in einer schmalen, düsteren Gasse ausfindig und
wurde von einem Bedienten gemeldet und angenommen. Ich stand nun vor
einer langen, hageren, einige fünfzig Jahre alten, sehr trocken und
etwas grämlich aussehenden Figur, der ich auf französisch auf die
artigste Weise möglichst begreiflich zu machen suchte, warum ich mir die
Freiheit herausgenommen, den Abkömmling eines so hochberühmten Hauses
mit einem Besuch zu belästigen, und sprach dabei von Schillers
trefflicher Tragödie, die seinen Namen führe. Der Herr Graf sah mich
starr und fast stupid an, erwiderte mir endlich mit ein paar gebrochenen
französischen Worten: »_Je ne comprenner pas Monsju ke vous voulez._« Da
ich mich noch verständlicher zu machen suchte, ihm von Schiller, unserem
größten Dichter, der sein Haus in Deutschland verewigt habe, und von der
Verschwörung sprach, fiel er mir mit einem: »_Ma Signor Uffiziale non
capisco niente, cosa é questo Skiller!_« ins Wort. Da ich sah, daß es
mir so ziemlich unmöglich war, dieser gräflichen Figur, die anfing, sich
ängstlich um- und mich mit mißtrauischen Blicken anzusehen, begreiflich
zu machen, warum ich sie besuche, so stand auch ich, wie einst bei
Goethe, ziemlich verblüfft da, entschuldigte mich noch mit einer
Verbeugung und war froh, als ich wieder zur Tür hinaus war. Ich nahm mir
nun vor, so bald weder berühmte Männer noch berühmte Namen mehr
aufzusuchen.

Denselben Abend sollte mir noch ein ganz anderes Abenteuer begegnen: Ich
hatte mich unter allerlei Vorwand von Madame Grenet freigemacht, in
Zivilkleider gesteckt und wandelte durch die engen Gassen Genuas, die
schön gewachsenen Gestalten seiner weiblichen Kinder bewundernd; nachdem
ich ziemlich müde war -- ich hatte den Nachmittag auch die Kaserne
besucht, welche unser Bataillon aufnehmen sollte, die sehr hoch über dem
Platz _dell' acqua verte_ lag und eine herrliche Aussicht über Stadt und
Hafen hatte --, setzte ich mich in der Loggia, einem weitläufigen
Gebäude auf dem Platz de banchi, das ein großes, kühn gebautes, von
Marmorsäulen getragenes Gewölbe hat und zu jeder Stunde von Personen
besucht wird, die auf den ringsherum stehenden Bänken ausruhen, auch auf
eine solche nieder. Kaum hatte ich mich niedergelassen, als ein feister
Pfaffe, ein Kanonikus, mit einem Vollmondsgesicht, mich freundlich
begrüßend neben mir Platz nahm und eine Konversation mit mir anzuspinnen
suchte, von der ich aber wenig oder nichts verstand, da er kaum drei
Worte Französisch und ich nicht mehr Italienisch konnte. Von den in der
Halle vor uns auf- und niederspazierenden Personen -- das Gebäude ist
hauptsächlich ein Versammlungsort für Kaufleute, für die es früher
ausschließlich bestimmt war, jetzt aber zur Bequemlichkeit für jedermann
und zu Geschäfts-Rendezvous eingerichtet, Frauenzimmer kommen nicht
dahin -- sahen uns mehrere mit seltsam neugierigen Blicken an, so daß es
mir auffiel. Der feiste Kanonikus schien dies nicht zu bemerken und lud
mich auf das dringendste ein, ihm doch das Vergnügen zu machen, eine
Sorbette mit ihm zu nehmen; ich ließ mich nach einigem Weigern dazu
bereden, er führte mich durch viele enge und winklige Straßen in ein
abgelegenes und wenig besuchtes Kaffeehaus, wo er mich mit Schnee-Eis
regalierte und mich dann einlud, einen _paseggio_ mit ihm zu machen,
wobei er sich keuchend an meinem Arm hielt und sich so sehr an mich
drückte, daß er mir lästig wurde. Er führte mich zur Porta dell' Arco
hinaus, über das Glacis, durch ganz einsame und isolierte Wege. Ich
wollte ihn mehrmals zum Umkehren bewegen, da ich nicht wußte, was ein
solcher Spaziergang um diese Zeit, es war schon längst Nacht, und in
dieser Jahreszeit für Annehmlichkeiten haben sollte, mir auch endlich
der Gedanke kam, der Pfaffe könne wohl ein Erzfeind der Franzosen sein
und mich in ein _guet-à-pens_ locken. Eben waren wir an dem Eingang
eines kleinen Vorwerks angekommen, und ich war im Begriff, übel oder
wohl, mit oder ohne den _Signor canonico_ umzukehren, als ein barsches:
_Halte là_ -- hinter uns ertönte, ein Offizier mit einem Korporal und
drei Mann Wache den Pfaffen sogleich festhielt und ersterer mich mit
einem »_Qui êtez -- vous?_« anredete. Mit wenig Worten sagte ich ihm,
wer ich sei, und auf seine Frage, wie ich in diese Gesellschaft käme,
erzählte ich ihm, wie dies zugegangen sei. Der Platzadjutant, denn dies
war der Offizier, ließ nun den Kanonikus mit der Wache abführen, und
mich beim Arm nehmend, eröffnete er mir, daß der saubere Pfaffe ein
sogenannter warmer Bruder sei, den er schon lange auf dem Korn habe, da
er sich besonders an junge Soldaten mache und diese zu verführen suche;
als er mich zufällig mit ihm durch das Tor habe gehen sehen, wo ihn der
Dienst gerade hingeführt, sei er mit der Wache nachgeeilt, in der
Hoffnung, den Patron, dem er schon lange aufpasse, einmal zu erwischen.
Ich war über diese Aufklärung so beschämt als entrüstet, und hätte ich
nur die entfernteste Ahnung von den Absichten dieses Subjekts gehabt, so
würde ich den Kerl schon heimgeführt und in die Falle gelockt haben. Ich
bat den Platzadjutanten, den scharmanten Kanonikus, der keuchend und
schweißtriefend zwischen den drei Lichtern, die ihm die Bajonette
anzündeten, neben uns hertrabte, ein über das andere Mal um seine
Loslassung flehte, sich endlich sogar auf die Kniee warf, hundert Luigi
d'oro anbietend, wenn man ihn frei lassen wolle, und die Madonna und
alle Heiligen anrufend, daß er sich in seinem ganzen Leben dergleichen
nicht mehr zuschulden kommen lassen wolle, der Polizei zur strengen
Bestrafung zu überliefern. Der Platzadjutant blieb auch unerbittlich und
taub und wurde durch dieses Anerbieten nur um so aufgebrachter. Die
Soldaten zerrten den Pfaffen bei seinem Rock in die Höhe und schleppten
ihn bis zur Torwache, ihm mit den Kolben drohend, wenn er nicht
gutwillig gehen würde. Hier angekommen, ging das Gejammer von neuem an,
und wir beratschlagten, was wir tun sollten. Einen Eklat zu machen und
folglich eine Untersuchung zu veranlassen, in die ich natürlich mit
verwickelt worden wäre, konnte mir nicht angenehm sein, hierin stimmte
mir der Adjutant bei; wir kamen nun überein, den Burschen bis gegen
Morgen, ihm die Hölle noch recht heiß machend, in der Wache schwitzen zu
lassen und ihn dann gegen eine Vergütung von fünfzig Lire an die Wache
mit einem derben Wischer und der Warnung, sich ja nicht wieder erwischen
zu lassen, fortzuschicken, was der Platzadjutant auf sich nahm. Ich
eilte nun halb verdrießlich, halb lachend über dieses Abenteuer heim, wo
mich Madame Grenet über mein langes Ausbleiben maulend und mit Vorwürfen
empfing. Ich teilte ihr den Vorfall etwas verblümt mit, sie schien aber
gar nicht begreifen zu können, was der Pfaffe eigentlich gewollt, und
ich konnte es ihr auch nicht ganz deutlich machen, weshalb sie die ganze
Sache bezweifelte, für eine Finte hielt und meinte, es sei wohl ein
Kanonikus ohne Bart und im langen Kleid gewesen. Das letzte war an dem.
Noch lange vor dem Einschlafen wurde ich mit Explikationen gequält, die
ich geben sollte und nicht geben konnte; selbst mir war das Ding noch
nicht recht klar und nie vorgekommen, schon der Gedanke an eine so
ekelhafte und unnatürliche Wollust erfüllte mich mit Abscheu, und doch
ist sie in Italien und noch mehr in Griechenland etwas sehr
Gewöhnliches, man macht gar kein Aufsehen davon, nicht selten bieten
Männer ihre Ehefrauen zur Kompensation für einen solchen Liebesdienst
demjenigen an, der ihnen denselben erweisen will.

Am anderen Morgen sollte das Bataillon einrücken, dem ich eine Stunde
weit entgegenging. Auch die Damen, mit ihnen Madame Grenet, fuhren ihm
eine Strecke entgegen und bewillkommneten ihre Männer auf das
zärtlichste. Ich war froh, meines Dienstes bei Madame Grenet jetzt
überhoben zu sein, der mir anfing beschwerlich zu werden, denn die
schönen Genueserinnen steckten mir im Kopf.

Nachdem der Dienst geregelt war, den wir gemeinschaftlich mit den
anderen französischen Truppen versahen, machte das Offizierkorps, Düret
an der Spitze, seine Besuche bei der Generalität und mehreren der
angesehensten Häuser, wie bei Dorias, Pallavicinis und einigen anderen,
in denen auch die Offiziere des schon länger hier stehenden dritten
Bataillons eingeführt waren. Glänzend waren die Soireen bei dem Chef des
Hauses Doria, wo wir nach ein paar Tagen, nachdem wir unsere Aufwartung
gemacht, eingeladen wurden, bei dem schon alles so ziemlich französiert,
das heißt auf französische Art eingerichtet war. Hier lernte ich die
ersten Schönheiten Genuas kennen, und wirklich waren welche von den
seltensten Exemplaren unter ihnen, namentlich eine Marchesa P..., die
mit den regelmäßigsten, feinsten und dabei ausdrucksvollsten
Gesichtszügen eine Körperbildung verband, die selbst Praxiteles für ein
Meisterstück der Schöpfung erklärt und sich zum Muster erbeten haben
würde und die, nachdem ich sie zum erstenmal gesehen, mich die übrige
Nacht kein Auge schließen ließ, ein _caso rarissimo_. Sie war aus dem
Hause der Durazzi und an den Marchese P... verheiratet, hatte aber neben
ihrem Mann einen Cicisbeo, der nicht von ihrer Seite wich und schon in
reiferen Jahren war. Zu jener Zeit war das Cicisbeat in Genua noch
allgemein bei den Vornehmen eingeführt. Außer ihr waren noch eine Gerai,
eine Tursi, eine Doria und eine Marchesa Costa wegen ihrer Schönheit zu
bewundern, und die hochtrabenden Namen Spinola, Centurione, Imperiali,
Somellini und so weiter ertönten fortwährend in den Conversazioni bei
Dorias. Ich tanzte mit mehreren dieser Damen, namentlich auch mit der
ausgezeichnetsten derselben, der Marchesa P..., konnte aber mit keiner
derselben eine nur einigermaßen zusammenhängende Unterhaltung anknüpfen,
da die meisten fast gar kein Französisch oder es doch nur sehr gebrochen
sprachen und dann immer drei Vierteile italienischer Worte einmischten.
Dies brachte mich zur Verzweiflung, und schon den anderen Morgen nach
der ersten Soiree kaufte ich mir einen Veneroni und machte mich mit dem
größten Eifer an die Erlernung der italienischen Sprache, nahm meine
Grammatik mit zu Bett und auf die Wache, lernte vor allem die zur
Unterhaltung notwendigsten Phrasen auswendig und nahm zugleich einen
italienischen Sprachlehrer, einen gewissen Tommolo, an, der mich nicht
nur mit dieser Sprache, sondern auch mit den Familienverhältnissen der
vornehmen Welt ziemlich bekannt machte, was mir um so willkommener war,
als ich hier ein probates Mittel, das mir in Frankreich so behilflich
war, die Friseure, nicht benützen konnte, weil ich sie nicht verstand,
da sie kein Französisch, ja nur ein sehr schlechtes Italienisch, das
kauderwelsche Genuesisch sprachen. Mein exzellenter Lehrer wußte mir
auch Mittel und Wege anzugeben, um leicht Bekanntschaften mit den
Schönen von Genua anzuknüpfen, ja er erbot sich sogar zur Besorgung von
Biglietti, wenn ich deren abzugeben hätte, bemerkend, die genuesischen
Damen seien große Liebhaberinnen der französischen Offiziere. Ich nahm
dieses Anerbieten dankbar an und versprach, seine Güte bei vorkommender
Gelegenheit in Anspruch zu nehmen. In vierzehn Tagen war ich schon
imstande, den Damen die gewöhnlichen Schmeicheleien auf italienisch zu
sagen, und machte bald Riesenfortschritte in dieser so leichten als
schönen Sprache.

Bald nach unserer Ankunft erhielt ich Empfehlungsschreiben und einen
Wechsel auf ein deutsches, in Genua etabliertes Haus, und zwar das eines
Frankfurters namens Bansa. Der Brief und noch mehr der Wechsel kam mir
erwünscht, denn meine Kasse war ziemlich erschöpft, und ohne Geld,
diesen _nervus rerum gerendarum_, kann man selbst in dem schönen Italien
nicht viel anfangen. Ich eilte auf das Kontor meines Landsmannes, wo ich
auf echt Frankfurter kaufmännische Art empfangen wurde; man zahlte mir
den Wechsel, sechshundert Franken, und bat mich für den nächsten Sonntag
zu einer langweiligen Abfütterungsmahlzeit, die ich nicht ausschlug, da
ich nicht wissen konnte, ob ich das Haus später nicht brauchen würde;
damit war es aber auch abgemacht, und Herr Bansa war nicht imstande, mir
die mindeste Auskunft über genuesische gesellige Verhältnisse zu geben
oder eine wissenschaftliche Unterhaltung zu führen, ebensowenig war er
in der italienischen wie überhaupt in jeder anderen Literatur bewandert.
Er war eine der gewöhnlichen merkantilischen Rechenmaschinen, die,
sobald von etwas anderem als ihren Handlungsbüchern oder den in ihren
Kram schlagenden Spekulationen die Rede ist, verstummen, da alles andere
über ihren Horizont geht. So war denn auch dieses Diner, dem außer der
Familie und mir noch ein paar andere Deutsche, gleichfalls
Merkursdiener, beiwohnten, eines der langweiligsten, denen ich je
beigewohnt; wo ich anklopfte, fand ich alle Pforten verschlossen, und
als ich gar die Politik und Tagesgeschichte aufs Tapet bringen wollte
und von Napoleons mutmaßlichen Absichten und so weiter sprach, da wurden
alle Gesichter ellenlang und verlegen. Ich war herzlich froh, als man
endlich vom Tisch aufstand, beurlaubte mich baldmöglichst, dem Bedienten
eine reichliche _buona mano_, zu deutsch Trinkgeld, gebend, und erst im
Freien ward es mir wieder wohl. Ich betrat auch das Haus nur noch
einmal, um einen Hauptmann von Fürth, der in Geldverlegenheiten war, zu
empfehlen, dessen Anliegen Herr Bansa jedoch abwies, der aber kurz
darauf einen Wechsel von hundert Louisdor von seinen in Frankfurt
etablierten Verwandten gerade auf dieses Haus erhielt.

Bei einer bald folgenden zweiten Soiree in der schönen Villa Doria vor
dem Thomastor, wo Musik und Tanz war, konnte ich mich schon zur Not den
Damen verständlich machen, tanzte auch wieder mit der schönen P..., ließ
es bei ihr an Occhiaten nicht fehlen und brachte von meiner reizenden
Tänzerin heraus, daß in der Regel die Kirche Santa-Maria della Passione
diejenige sei, in welcher sie ihre Andacht verrichte, daß sie aber auch
manchmal Sonntags die Militärmesse besuche. Ich war auf dem besten Weg,
noch mehr zu erfahren, als sich plötzlich ein Lärm und heftiger
Wortwechsel in dem angrenzenden Spielzimmer erhob, der bald so laut
wurde, daß er die Aufmerksamkeit aller Tanzenden auf sich zog, von denen
die meisten ihre Quadrillen verließen und den Türen zueilten, die in
jenes Gemach führten, wo sich der Tumult vernehmen ließ. Ich benutzte
diesen Augenblick, meiner Tänzerin ein »_Mia carissima Signora!_«, von
einem leisen Händedruck begleitet, zuzuflüstern, was sie mit einem »_Ma
che volete?_« erwiderte und dann ebenfalls nach jener Tür eilte, wohin
ich ihr folgte. -- Man strömte schon wieder aus derselben zurück, und
ich erfuhr von einem Kameraden, daß sich ein Kapitän von unserem
Regiment namens Roy beim Spiel sehr undelikat benommen, obgleich er
vielleicht Veranlassung dazu haben mochte. -- Einer der Nobili hielt
eine Pharaobank, bei der viele Offiziere pointierten, fast alle spielten
fortwährend unglücklich, und Roy hatte schon eine bedeutende Summe
verloren, wollte durchaus eine Coeurdame forcieren und behauptete, als
er sie mit zehn Louisdor besetzt hatte und wieder verlor, sie sei jetzt
schon zum fünftenmal in derselben Taille herausgekommen, zerriß sein
ganzes Buch und warf die Kartenstücke mit großer Heftigkeit auf den
Tisch, den Bankhalter einen Betrüger heißend. Der Nobile konnte sich
dies nicht gefallen lassen, geriet, sich rechtfertigend, in Zorn, auch
Roy wurde noch heftiger, wollte auf der Stelle Räson geben, weil es hier
nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, und wer weiß, wie die Sache
abgelaufen wäre, wenn sich nicht der gerade anwesende kommandierende
General ins Mittel gelegt und auch der Wirt des Hauses um Ruhe und
Frieden gebeten hätte. Den Offizieren wurde das fernere Pointieren von
ihren Chefs untersagt und so die Ordnung unter den Gästen wieder
hergestellt, aber eine Mißstimmung dauerte doch den ganzen Abend,
namentlich unter den Offizieren, fort. Ich eilte nun wieder, meine
Tänzerin am Arme, um die Quadrille zu beendigen, konnte aber nicht mehr
in dasselbe _tempo animato_ kommen; nach einigen Touren traten wir ab,
und es war mir nicht weiter möglich, mich meiner Angebeteten zu nähern,
die jetzt beständig von ihrem _Cavaliere servente_, einem Ritter
Negroni, umschwebt und unter strenger Obhut gehalten wurde. Diese
Cicisbei sind hundertmal ärger als die Ehemänner, die sich in Italien,
einmal vermählt, wenig mehr um ihre Frauen bekümmern, während die
ersteren dieselben gleich ihrem Schatten verfolgen, begleiten und ihnen
nicht von der Seite weichen, und zwar vom Augenblick ihres Aufstehens
bis zu ihrem Schlafengehen. Diesmal galt es allen meinen Witz
aufzubieten, sollte mir diese Eroberung gelingen, und sie wurde mir in
der Tat schwer und sauer genug gemacht. Diesen Abend konnte ich nichts
mehr als noch einen flüchtigen Blick im Vorübergehen erhaschen.

Vorerst hatte ich wenigstens erfahren, in welcher Kirche die Signora
betete, und das war mir schon etwas, auch fand ich mich jeden Tag, wenn
mich der Dienst nicht abhielt, in den Morgen- und Abendstunden, wo ich
die Schöne erwarten konnte, in derselben fast immer in Zivilkleidern
ein; aber das Weihwasser konnte ich ihr nicht reichen, da sie Negroni
immer begleitete und diesen Dienst versah; erfahren hatte ich aber schon
durch meinen Maestro Tommolo, daß, wenn man die nähere Bekanntschaft
einer Dame in Genua wie überhaupt in ganz Italien machen wolle, man
damit beginnen müsse, ihr am Eingang der Kirche das Weihwasser
darzubieten; die Art und Weise, wie sie dasselbe empfängt, zeigt an,
welche Hoffnung man sich machen darf; schlägt sie es ganz aus oder tut,
als bemerke sie diese Artigkeit nicht und geht selbst zum Weihkessel, so
heißt dies soviel als: >Ich will nichts mit dir zu schaffen haben.< --
Um die Aufmerksamkeit des Cicisbeo, der Argusaugen zu haben schien,
nicht rege zu machen, mußte ich mich immer möglichst zu verbergen
suchen, und selbst wenn die Marchesa wegen schlechtem Wetter oder aus
anderen Ursachen in der Portantina (eine Art eleganter Sänften, deren
sich in Genua, wo man wenig Gebrauch von Kutschen machen kann,
namentlich die Damen aus den höheren Ständen bedienen) ankam, trabte er
hinter ihr her. Dieser Cicisbeo war eigentlich kein Liebhaber der
Marchese P..., sondern vielmehr ein von ihrem Manne zur Hütung
aufgestellter Cerberus. Ließ sich die Dame bei schönem Wetter, wie alle
vornehmen Frauen Genuas, die Portantina nachtragen, so wich er ihr nicht
von der Seite. Fensterparaden brachten mich auch nicht weiter, denn die
Marchesa war fast nie allein und immer in Gesellschaft an einem Balkon
ihres Palazzos, außerdem aber durfte ich die Sache nicht auffallend
machen. Da war denn guter Rat teuer; mein Faktotum Tommolo selbst wußte
mir für den Moment kein Mittel anzugeben, in nähere Berührung mit der
Donna zu kommen, da er keine Seele in ihrer Wohnung kannte, versprach
mir aber, Tag und Nacht darauf zu sinnen, irgendeinen Verbindungskanal
ausfindig zu machen.

Unterdessen machte ich bei einer Abendgesellschaft im Palast Spinola die
nähere Bekanntschaft einer Signora Peretti, die, ohne gerade schön zu
sein, doch ein wirklich angenehmes Äußere mit einem sehr gefälligen
Benehmen verband, dabei mit einer klangreichen Stimme begabt war,
vortrefflich sang, sich mit der Mandoline oder Guitarre dazu begleitend,
und ziemlich fertig französisch sprach. Da sie ein recht munteres,
aufgewecktes Wesen hatte, ein sonst allerliebstes Schwarzköpfchen war,
so wurde ich bald mit Hilfe der Musik bekannter mit ihr, obgleich auch
sie ein Cicisbeo umgab, der ihr jedoch sehr ergeben war und demütig
ihren Befehlen gehorchte. Ich sang bei Spinola Mozarts herrliches
Duettino: >_La ci darem la mano_< mit ihr, nachdem sie es kaum einmal
durchlaufen hatte, denn sie war sehr fest in der Musik. Der Don Juan,
das heißt der Mozartsche, war damals noch völlig unbekannt in Genua
sowie im übrigen Italien, und ich brachte zuerst diese herrliche Musik
des unsterblichen Meisters dahin, namentlich nach Genua, Rom, Neapel,
Florenz, Venedig und so weiter, wo er noch nicht einmal dem Namen nach
bekannt war und von den wenigen, die ihn kannten, als eine viel zu
schwierige, ja unausführbare Musik verschrien wurde. Das Duett gefiel so
sehr, daß wir es auf allgemeines Verlangen _da capo_ singen mußten, ja
man wollte es sogar zum drittenmal hören, erkundigte sich emsig nach dem
Komponisten dieses Tonstücks, und als ich ihnen sagte, daß es aus
Mozarts Don Giovanni sei, war man allgemein verwundert, viele kannten
den Namen noch gar nicht, andere aber nur seinen Figaro. Man wollte noch
mehr aus dieser Oper hören, und ich sang nun das rauschende Prestissimo:
>_fin ch'an del vino, calda la testa_<, das nicht minder Beifall
erhielt, ja die Gesellschaft in Enthusiasmus versetzte. Ich wurde jetzt
umringt, von Herren und Damen um Kopien dieser Tonstücke gebeten, und
mußte wenigstens einigen zwanzig Personen versprechen, ihnen dieselben
abschreiben zu lassen, denn meinen Klavierauszug, der jede Nacht unter
meinem Kopfkissen lag, wollte ich nicht aus der Hand geben. Ich trug nun
auch etwas aus der Introduktion und den Finalen auf dem Flügel vor,
wodurch die allgemeine Begeisterung noch stieg. Mit der Signora Peretti
kam ich überein, daß wir mehrere Duette zusammen einstudieren wollten,
und versprach, mich den anderen Morgen nach der Parade bei ihr
einzufinden. Daß ich Wort hielt, kann man sich denken; ich ließ schon am
anderen Morgen mit dem Frühesten einen unserer Regimentsmusiker rufen
und gab ihm den Auftrag, sogleich mehrere Musikstücke zu kopieren und
sie mir bei der Parade mitzubringen. Ich fand mich zur bestimmten Stunde
bei der Signora ein, und wir probierten diese nebst noch einigen anderen
Gesangstücken. Sie verbat sich auch schon in der ersten Stunde die
Gegenwart ihres Cicisbeo, eines Signor Gentili, sowie sonstiger
Besucher, weil man dadurch am Einstudieren verhindert und gestört würde,
man gehorchte ihr auch ohne Widerspruch. Unterdessen war bei der beau
monde in Genua von nichts als dem Don Giovanni die Rede, und ich ging
mit der mutwilligen Peretti das >_La ci darem la mano_< durch, nachdem
uns keine eifersüchtige Donna Elvira durch ihr Dazwischenkommen hindern
konnte, noch ein >_dolce giubilo_< anzustimmen, dem wir uns bald genug
überließen. Dies war einstweilen ein unterhaltender _passe-temps_, bis
ich mit der schönen Marchesa in nähere Berührung kommen würde, auch
hatte ich bei Spinolas noch die andere in Genua hochberühmte Schönheit,
die Marchesa Costa, näher kennen lernen, deren Eroberung weniger
schwierig war und die immer einen ganzen Schwarm von erhörten und
unerhörten Anbetern um sich hatte, mich daher eben nicht sehr rührte.
Sie fand aber bei hohen Personen Gnade, und namentlich bei Mürat, der
sie auf einem Ball kennen lernte. Lange zu schmachten, ohne mich
wenigstens auf einer anderen Seite zu entschädigen, war nicht meine
Sache, und ohne den Zeitvertreib mit der Peretti würde ich vielleicht
durch meine Ungeduld und den Ungestüm alles bei der Marchesa P...
verdorben haben, so aber hatte ich Zeit, um recht systematisch, mit der
nötigen Strategie auf die Eroberung derselben auszugehen, und konnte die
Ergebung und Kapitulation der Festung in aller Ruhe und bequem abwarten.

Die Häuser, in welchen Konversazioni gehalten wurden, und namentlich
Doria und Spinola, veranstalteten der Musik des Don Juan zuliebe
häufiger Soireen, in denen man das bereits Einstudierte vortrug, ja es
kam sogar ein Verein zustande, in welchem wir Ensemblestücke aus dieser
Oper, wie die Introduktion, das schöne Quartett aus dem ersten, das
Sextett aus dem zweiten Akt einstudierten, uns endlich sogar an das
erste Finale wagten, und diese Stücke dann in den Abendgesellschaften
zum besten gaben. In ganz Genua sprach man nur, wie bemerkt, von dem Don
Juan und mitunter auch von dem _Uffiziale francese_ oder _tedesco_, der
ihn mitgebracht. Dies gab Veranlassung, daß ich auch meine schöne P...
häufiger zu sehen und zu sprechen bekam und, was die Hauptsache war,
auch mehr von ihr, wie überhaupt von den Damen, bemerkt und
ausgezeichnet wurde.

Damals vertauschte ich meine Charge bei der Voltigeurkompagnie mit einer
gleichen bei den Karabiniers, von welchen der Unterleutnant als
Oberleutnant in ein anderes Bataillon versetzt wurde; ich selbst hatte
bei Düret darum nachgesucht, und zwar aus folgendem Grunde. Es war immer
ein Grenadier- oder Karabinieroffizier, der das aus Grenadieren oder
Karabiniers bestehende Detachement in die Militärmesse kommandierte,
welche jeden Sonntag mittag zu Genua in der San-Lorenzo-Kirche sowie in
allen von französischem Militär besetzten Städten in den von den
Platzkommandanten dazu ausersehenen Kirchen gehalten wurde. Mit
klingendem Spiel, mit den Sappeurs, dem Tambourmajor und allen Tambours
des Regiments marschierte man in großer Parade, mit der Bärenmütze
geschmückt, die ich gerne trug, weil sie mir gut zu Gesicht stand, in
den mit der schönen Welt und den eleganten Damen, welche die Tribünen
und Galerien zierten und diesen Messen vorzugsweise gerne beiwohnten,
angefüllten Tempel, durch das Schiff bis an das Chor. Daselbst
angekommen, wurde ein donnerndes >Halt!< und >Gewehr in Arm!<
kommandiert, bis die Generalität mit ihrem Stab und die höchsten
Zivilbeamten, wie der Präfekt und so weiter erschienen, die ihre Plätze
auf karmoisinenen Sesseln in der Nähe des Hochaltars nahmen. Sobald die
Messe beginnt, schultern die in zwei langen, sich gegenüberstehenden
Reihen aufgestellten Truppen das Gewehr, und wenn der Priester das
Sanctissimum zeigt, präsentieren dieselben, fallen auf das Kommando wie
niedergedonnert auf die Knie, wobei sie die Gewehrkolben, die Gewölbe
erschütternd, auf einen Schlag aufstoßen, die Tambours schlagen _aux
champs_, die Musik fällt in eigens dazu komponierten Melodien ein, sowie
das aus den Opernsängern und Sängerinnen bestehende Personal auf dem
Chor, wo man oft die herrlichsten Stimmen hört, und es ist nicht zu
leugnen, daß diese Feierlichkeit im höchsten Grad ergreifend und
imponierend ist und auf die Andächtigen einen großen Eindruck macht. Der
kommandierende Offizier muß aber eine starke, sonore und durchdringende
Stimme haben, an der es mir nicht fehlte, denn wenn ich im Freien
kommandierte und drei Bataillone in einer Linie aufgestellt waren, so
konnte man doch jedes meiner Kommandoworte auf das deutlichste von einem
Flügel zum andern vernehmen. War es an unserem Regiment, das Kommando in
die Messe zu geben, so ersuchte ich jedesmal den Offizier, an dem die
Reihe war, dasselbe mir zu überlassen, so daß alle vierzehn Tage meine
Tour kam, und mehr als einmal hörte ich beim Abmarsch die sich
Entfernenden flüstern: »Das ist der Offizier, der den Don Juan singt.«

Meine musikalischen Kenntnisse brachten mir auch noch den Vorteil, daß
das Musikkorps des Regiments jetzt unter meine spezielle Aufsicht
gestellt wurde, so daß es mir nun nicht schwer fiel, dasselbe bisweilen
für meine Privatinteressen zu verwenden, denn der Musikmeister mußte es
mit mir halten, da ich ihm manchen Vorteil verschaffen und gewähren
konnte; auch überhob mich dies manches Dienstes, der gerade nicht zu den
angenehmsten gehörte. Ich ließ nun öfters Schönen Serenaden und Aubaden,
wie es sich am besten paßte, von Blasinstrumenten trefflich ausgeführt,
bringen, wozu sich die Herren Musici willig fanden, da ich sie jedesmal
nach denselben mit Wein und Erfrischungen regalierte. -- Um aber den
Ensemblestücken des Don Juan, die wir aufführten, noch einen höheren
Reiz zu verleihen, instrumentierte ich, so gut es gehen wollte, den
Klavierauszug für Violinen, Bässe, Klarinetten, Trompeten, Pauken und so
weiter, was keine Kleinigkeit war, da ich von dem Generalbaß und dem
Kontrapunkt wenig oder gar keine Kenntnis hatte; ich half mir aber,
indem ich mich mit dem Umfang und Schlüssel eines jeden Instruments
bekannt machte und dann nach Gutdünken, nachdem ich auf einem Klavier
probiert hatte, welche Partie sich wohl für die Violinen, welche für die
Hautbois, welche für die Hörner am besten eignen würde, dieselbe den
Instrumenten zuteilte. Freilich möchte sich Mozart wohl im Grabe
herumgedreht haben, wenn er sein Meisterwerk so verstümmelt gehört
hätte, denn welche Verstöße gegen die Regeln der Harmonie mögen dabei
mit untergelaufen sein! Einige berichtigte mir der Musikmeister. Auf
diese Art komponierte ich auch Geschwind- und Parademärsche, von denen
viele in allen Regimentern der großen Armee aufgenommen wurden,
namentlich ein Sturmmarsch (_pas de charge_), den sogar die Musik der
kaiserlichen und der neapolitanischen Garden adoptierte und der diese
mehr als einmal ins Feuer führte. Auch viele Tänze, französische
Romanzen und italienische Kavatinen komponierte ich und verlegte manche
davon bei italienischen und französischen Musikalienhändlern. Eine
Aubade, die ich in Genua einer Schönen bringen ließ, war jedoch Ursache,
daß ich folgendes Billett von deren Ehemann erhielt: >Signore, ich bin
kein Freund von Musik, die meine Morgenruhe und meine Ruhe überhaupt
stört, am allerwenigsten aber von Hörnern, die bei Ihrer Musik
vorzuherrschen scheinen; verschonen Sie mich also in Zukunft damit. Ihr
und so weiter.< Ich schluckte die witzige Pille und ließ mir nichts
merken, das Beste, was ich bei der Sache tun konnte.

Indessen ging alles vortrefflich in Genua, und ich hatte die beste
Hoffnung, auch mit der P... zum Ziel zu kommen, als mir einige
Fatalitäten begegneten, die mich beinahe in große Kalamitäten gestürzt
und verwickelt hätten, aus denen ich mich jedoch noch so ziemlich gut zu
ziehen verstand.

Eines Tages, als ich von dem Abendappell aus der Kaserne kam, sah ich
den Kapitän Caguenec, denselben, der den Skandal im Theater zu Toulon
veranlaßt hatte, in der Straße Balbi etwas schwankenden Trittes auf mich
zukommen und merkte bald, daß er nach seiner löblichen Gewohnheit wieder
einmal des Guten viel zu viel getan hatte. Gerne wäre ich ihm
ausgewichen, allein es war nicht mehr möglich, denn schon hatte er mich
gesehen, eilte auf mich zu und lud mich ein, ein Glas Rosolio im
nächsten Kaffeehaus mit ihm zu nehmen. Ihm in diesem Zustand etwas
abzuschlagen, daran war nicht zu denken, wenn man nicht sofort arge
Händel mit ihm selbst haben wollte; ich mußte also _nolens volens_
einwilligen, und noch ehe ich Ja gesagt, hatte er mich unter den Arm
gefaßt, zog mich mit sich in das nächste Kaffeehaus und ließ
Vanille-Rosolio bringen. Nachdem er ein paar Gläschen zu sich genommen,
fiel es ihm ein, eine Partie Billard mit mir spielen zu wollen, und als
ich ihm bemerkte, daß das Billard bereits von jungen Leuten in Beschlag
genommen wäre, schrie er: »Ach, was tut das, wir werden doch mehr sein
als dieses Bürgerpack, ich will sogleich rein fegen.« Hierauf sprang er
auf, zog, ohne daß ich es verhindern konnte, seinen Degen, fuchtelte mit
der flachen Klinge auf die jungen Leute los, es waren deren über ein
halbes Dutzend, indem er ausrief: »_Allez vous en tas de canaille!_« Sie
ergriffen eiligst die Flucht, und in einem Nu war das ganze Kaffeehaus
geleert, bis auf einen ältlichen Mann, der nicht schnell genug zur Türe
hinaus konnte und dem er noch ein paar Hiebe aufzählte; hierauf stürzte
er wieder einige Gläser Rosolio hinunter, schimpfte auf den Wirt und die
Aufwärter, die sich zitternd in die Winkel und unter das Billard
verkrochen, auf das er nun mit scharfer Klinge ein- und das Tuch
desselben in Stücke zerhieb, und zwar mit einer solchen Gewalt, daß er
den Säbel oft nur mit der größten Mühe aus dem Holz, in das er tief
eingedrungen war, herausziehen konnte. Sodann ging es hinter die
Flaschen und Gläser des Kaffeezimmers, die er ebenfalls zertrümmerte, so
daß der Rosolio und alle Liquide in Strömen flossen, dabei forderte er
mich beständig auf, ihm bei dieser Arbeit zu helfen und tapfer mit
einzuhauen. Ohne gerade seinen Willen zu erfüllen, zog ich doch auch vom
Leder, suchte aber seine vernichtenden Hiebe soviel als möglich zu
parieren, während ich tat, als hieb ich zu, und mußte mehr als einmal
ein »_maladroit_« von ihm hören. Nun machte er sich noch an Fenster und
Spiegel, und schon hatte der Skandal einen Haufen Leute herbeigezogen,
die mit Erstaunen diesen Heldentaten zusahen. Als er endlich des
Einhauens müde und außer den bloßen Wänden nicht viel mehr zu vernichten
war, stellte er sich vor den zitternden Wirt und sagte ihm mit drohender
Stimme: »Kerl, jetzt mache mir die Rechnung; aber unterstehst du dich,
einen Soldo zuviel anzurechnen, so haue ich dich in Stücke.« Der Wirt,
blaß wie eine Leiche und in Todesangst, stammelte: »_Niente
illustrissimo, niente affatto eccellenza._«

»Kerl, das war dir geraten, sonst wäre es dir schlecht gegangen,«
versetzte Caguenec, nahm mich beim Arm und wollte mich fortziehen, als
gerade eine Patrouille, welche ein Aufwärter bei der nächsten Wache
requiriert hatte, in das Kaffeehaus trat, uns jedoch ehrerbietig
durchließ; ich sagte dem Wirt noch im Abgehen, er möge sich beruhigen,
ich wolle dafür sorgen, daß ihm alles vergütet werde. -- Caguenec wollte
nun in diesem Zustand in das Theater, zu Dorias und Gott weiß wo sonst
hin, aber ihm allerlei vorspiegelnd, brachte ich es durch List, indem
ich ihm immer nachzugeben schien, dahin, daß er sich in seine Wohnung
begab, um vorerst ein wenig auszuruhen, wo er aber, nachdem er sich auf
das Bett geworfen, bald glücklich einschlief. Ich entfernte mich nun
schnell, eilte in das Kaffeehaus zurück, um wo möglich den Wirt zu
beschwichtigen; dieser war aber schon zu dem Platzkommandanten gelaufen,
hatte dort seine Klage angebracht und kehrte jetzt mit einem Adjutanten
desselben zurück, der beauftragt war, die Sache zu untersuchen. Das Haus
und der Platz waren so voll mit Menschen, daß ich Mühe hatte, zu dem
Adjutanten zu dringen, dem ich den Hergang der sauberen Geschichte ganz
der Wahrheit gemäß mitteilte, mich dabei auf das Zeugnis des Wirtes
berufend, der mir aber nicht alle, sondern nur eine zweideutige
Gerechtigkeit widerfahren ließ und gerne gewünscht hätte, daß es hieße:
mit gefangen, mit gehangen. Ich begleitete den Adjutanten zum
Kommandanten, der mir aber, nachdem er ihn angehört, bis auf weitere
Order Zimmerarrest ankündigte, weil ich geschehen ließ, was ich nicht
hatte hindern können, ohne daß entweder ich oder der Kapitän auf dem
Platz geblieben wäre, denn ich kannte meinen Mann, den jede Einsprache
und Abhaltung nur noch wütender gemacht haben würde, obgleich ich, da
ich nüchtern und jener betrunken, in großem Vorteil bei einem
Klingengefecht gewesen wäre. Die Sache wurde sofort an den
kommandierenden General Montchoisy berichtet, der im ersten Zorn von
Kriegsgericht und sogar von Füsilieren sprach, sich aber durch Dürets
und anderer Fürsprache bewegen ließ, den Caguenec auf sechs Wochen ins
Fort zu setzen und mir acht Tage Stubenarrest zu geben, obgleich ich
mich damit entschuldigt hatte, daß Caguenec Kapitän, mein Vorgesetzter
und ein weit älterer Offizier sei als ich, der noch keine siebzehn Jahre
zähle und wenig Erfahrung habe. Daß wir solidarisch zu allem
Schadenersatz verurteilt wurden, den der Wirt über mehrere hundert Lire
ansetzte, offenbar das Doppelte des wirklichen Betrags, versteht sich
von selbst. Ich kam am schlechtesten dabei weg und mußte fast die ganze
Summe zahlen, da Caguenec ein _panier percé_ war, dem fortwährend zwei
Dritteile seiner Gage wegen früherer Exzesse schon einbehalten wurden.

Diese Geschichte, mit allen möglichen Zusätzen und Vergrößerungen
ausgeschmückt, machte in Genua großes Aufsehen, und ich hatte viel zu
tun, mich bei den Familien, in denen ich bekannt war, wieder rein zu
waschen. Während meinem Arrest lernte ich den ganzen Tag italienisch,
das ich nun anfing, ziemlich geläufig zu sprechen; doch machte ich noch
manchen und oft sehr komischen Bock. So fragte ich einst nach dem
italienischen Namen ich weiß nicht mehr welches Medikaments, worauf man
mir sagte, es sei in der _Spezeria Galetti_ zu haben; ich aber hatte
verstanden, das Medikament hieße _spezeria Galetti_, und wurde von einer
Apotheke in die andere gewiesen, bis ich in die genannte kam, wo ich
durchaus _spezeria galetti_ haben wollte, während man mir bedeutete:
»_Ma é qui, Signore._« -- »_Eh bene datemi._« -- »_Ma che cosa,
Signor?_« -- »_Spezeria Galetti_,« und man lachte, bis sich das komische
Mißverständnis aufklärte. Ich hatte die Apotheke statt dem Medikament
gefordert.

Mein erster Besuch nach meinem Arrest und nachdem ich mich gemeldet
hatte, war bei der Signora Peretti, die mich zwar freudig empfing, mir
aber mitteilte, daß ihr die Geschichte großen Kummer gemacht, da man
sogar von Erschießen gesprochen habe; ich lachte und tröstete sie, wir
musizierten und probierten zweierlei Gattungen von Duetten. Da ich ihr
den Hergang der fatalen Sache ganz zu meinem Vorteil erzählt, so nahm
sie es auf sich, mich allenthalben zu rechtfertigen, und ich wurde nach
wie vor in den guten Häusern Genuas gerne gesehen. Ja, die Marchese P...
fragte mich teilnehmend in einer Abendgesellschaft, wie es mir ergangen,
und sagte, sie wünsche wohl ein kleines zweistimmiges Lied, >_Nice so
piu non m'ami_<, mit mir durchzugehen, bei welcher Gelegenheit ich
erfuhr, daß ein alter Musiklehrer namens Guercino, der gerade gegenüber
wohne, ihr manchmal neue Kompositionen bringe. Mir schien es, als habe
sie mir dieses nicht ganz ohne Absicht mitgeteilt, besonders da sie den
Namen des Mannes einigemal nachdrücklich wiederholt hatte. Gleich den
andern Tag suchte ich diesen Guercino auf, der schon ein Sechziger war,
sich sehr freute, als ich ihm ankündigte, daß ich Unterricht auf der
Gitarre bei ihm zu nehmen wünsche, und zwar in seiner eigenen Wohnung,
um ihm die Mühe zu ersparen, in meine etwas entfernt liegende gehen zu
müssen. Ich hatte schon längst im Sinne gehabt, dieses Instrument, das
zum Akkompagnieren so bequem, nicht schwer und in Italien und Spanien so
allgemein im Gebrauch ist, zu erlernen. Der gute Mann meinte, es sei
zuviel verlangt, daß ich zu ihm gehen solle, und glaubte vermutlich, daß
ich dies um zu sparen tun wolle, weil er dann einen billigeren
Preis eingehen müsse; ich nahm ihm den Wahn und gab ihm ein
Zwanzigfrankenstück, den Preis für acht Lektionen, die man in Italien
gewöhnlich antizipando bezahlt, nahm auf der Stelle die erste Stunde und
gab ihm den Auftrag, mir eine gute Gitarre zu kaufen. Er fand einen
gelehrigen Schüler an mir, der ihm schon bei der ersten Lektion
mitteilte, daß er es der Marchesa P... zu verdanken habe, daß ich ein
Schüler von ihm geworden sei, die ihn sehr gerühmt. »_Oh é una
eccelentissima signora, la Signora Marchesa!_« rief er aus, »sie war
auch meine Schülerin und hat eine hübsche Stimme, _é un vero angelo_.«

Ich schielte fortwährend über die Gitarre weg, deren Tonleiter er mir
zeigte, nach dem Balkon jenseits der Straße, aber alle Fenster waren
verschlossen und verhängt; ich sah ein, daß ich viel zu früh gekommen
sei, um meine Schöne sehen zu können, und zeigte meinem Lehrer an, daß
ich künftig meine Stunde nach der Parade um achtzehn oder neunzehn Uhr
(zwölf oder ein Uhr nach unseren Uhren) nehmen wolle, und zwar drei-
oder viermal die Woche. Wir trennten uns, einer mit dem anderen sehr
zufrieden. Den nächsten Tag kam ich zur festgesetzten Zeit und bemerkte,
als ich in das Haus trat, daß die Marchesa hinter den Samtgardinen eines
Balkons stand und mich wahrgenommen hatte. Sie zeigte sich auch während
der Stunde mehrmals am Fenster, und zwar allein, ohne daß sie mich
jedoch sehen konnte, da wir etwas weit zurück in der Stube saßen, ich
ging aber einigemal unter allerlei Vorwand an das Fenster und grüßte die
Signora verstohlen; auch wurde der Gruß durch eine leichte Verbeugung
erwidert.

Nachdem ich ungefähr zehn bis zwölf Lektionen genommen hatte, bei denen
ich die Marchesa fast jedesmal, wenigstens auf ein paar Augenblicke zu
sehen bekam, war ich schon so weit, mich mit einigen Arpeggis und
Akkorden begleiten zu können, da ich mich auch zu Haus fleißig übte und
die Gitarre ein leicht zu lernendes Instrument ist, besonders wenn man
schon Musik kennt. Eines Tages bat ich meinen Lehrer, doch ein leichtes
Tonstück für zwei Gitarren mit mir durchgehen zu wollen, und hoffte ihn
dadurch in die Notwendigkeit zu versetzen, vielleicht eine zweite
Gitarre bei der P... entlehnen zu müssen; er holte aber ein anderes
Instrument dieser Gattung aus einem alten Schrank hervor und stimmte es.
Ich dachte: warte, der Gang ist dir doch nicht geschenkt, und da ich
wußte, daß er keine umsponnenen Saiten, sondern nur Cantinen (Quinten)
und G- und H-Corden im Hause hatte, so stimmte ich so lange an der
D-Saite, bis diese glücklich sprang.

»_Ma che facciam Signore, non ho altre corde in casa._«

»Maestro,« erwiderte ich, »dem ist leicht abzuhelfen, leihen Sie
einstweilen ein anderes Instrument in der Nachbarschaft, vielleicht bei
Ihrer ehemaligen Schülerin?«

»Sie haben recht,« versetzte der alte gute Narr, machte sich auf die
Beine und kam bald mit einer sehr eleganten Chitarra-Lira zurück, auf
der gewöhnlich die schönen Finger der reizenden P... spielten. Wir
probierten nun ein paar leichte Stücke, und als sich die holde Marchesa
wieder am Balkon blicken ließ, machte ich eine Pause, ging mit dem
Instrument an das Fenster, schlug einige Akkorde an, und da ich sah, daß
ihre Blicke auf mich gerichtet waren, zog ich ein längst in Bereitschaft
habendes Billettchen, auf Rosapapier geschrieben, aus dem Busen, hob es
in die Höhe, damit es Madonna wahrnehmen konnte, küßte es und warf es
sodann in den Resonanzboden der Lyra. Dies alles hatte die Signora ganz
gut, mein lieber Lehrer, dem ich den Rücken zudrehte, aber gar nicht
bemerkt, da es das Werk eines Augenblicks war. Sie verließ errötend das
Fenster, ich aber, ganz vergnügt, bat den gefälligen Guercino, das
Instrument, verbindlichst dankend, doch gleich wieder seiner
Eigentümerin zurückbringen zu wollen, wozu er sich verstand und bald mit
der Nachricht zurückkam, daß ihm die Marchesa selbst dasselbe schon oben
an der Treppe abgenommen habe. Ich verweilte nun noch eine kurze Zeit an
dem Fenster, aber der Gegenstand meiner Verehrung ließ sich nicht mehr
blicken. Der alte Guercino war sehr gesprächig und suchte alles Mögliche
hervor, um mich zu unterhalten, indem er mir öfters den Grad seiner
Verwandtschaft mit dem Maler Guercino, von dem mehrere Kirchen Genuas
gute Gemälde besitzen, recht ausführlich langweilig auseinandersetzte.
Endlich begab ich mich weg, indem ich ihm versprach, selbst neue
Silbersaiten mitbringen zu wollen, was ich wohlweislich vergaß; ja um
meiner Sache noch gewisser zu sein, ließ ich durch meinen Burschen Louis
die eine Gitarre unter dem Vorwand, daß an meiner etwas zerbrochen sei
und ich mich üben wolle, bei ihm holen, schickte sie nicht zurück und
erklärte meinem Maestro den anderen Tag beim Unterricht, daß ich sie
behalten und ihm abkaufen wolle, bezahlte ihm sechzig Lire dafür,
obgleich sie keine dreißig wert war, worüber besonders seine alte
Ehehälfte entzückt schien, die mich seitdem in besondere Affektion nahm
und ihren Mann ermunterte, die Gitarre hin- und herschleppend, den
_Postillon d'amour_ in aller Unschuld fortwährend zu machen. Er holte
das Instrument wieder, das ich um und um drehte und schüttelte; es
konnte aber nichts herausfallen, denn es war leider leer; auch sah ich
die Marchesa erst gegen das Ende der Stunde am Fenster, wo ich ihr nun
ein zweites Billett zeigte und sie durch die Zeichensprache, die man in
Italien zur höchsten Stufe der Vollkommenheit gebracht, welche ich neben
der des Mundes fleißig studierte und bald begriffen hatte, dringend bat,
mich doch mit einer Antwort zu beglücken. Sie schien mich nicht
verstehen zu wollen, indessen sandte ich das zweite Billett, in dem
dieselbe Bitte wiederholt war, auf dem Wege wie das erstemal ab.

Den andern Abend war große Gesellschaft bei dem kommandierenden General,
wohin auch der Marchese P..., seine Gattin und deren Schatten, der
Ritter Negroni, eingeladen waren. Hier sollten zum erstenmal mehrere
Stücke aus dem ersten Finale des Don Juan mit der von mir arrangierten
Orchesterbegleitung, die unser Verein einstudiert hatte, vorgetragen
werden, worauf Souper und Tanz folgten. Alle geladenen Nobili trafen mit
ihren Frauen und Cicisbeen zur bestimmten Stunde im höchsten Glanz und
reich geschmückt zu dem Feste ein, unter ihnen ragte die Marchesa P...
in den ersten Reihen gleich einer Sonne unter Sternen hervor; bei dem
Vortrag der Musik saß sie mir gerade gegenüber. Außer den Gesängen aus
dem Don Juan trug ich diesen Abend noch die bekannte italienische Arie:
>_Tu non sai da quanti moti_< vor, die ich wegen des vielsagenden Textes
gewählt, hauptsächlich an meine Herzensdame richtete, und bei jeder
bezeichnenden Stelle warf ich die Blicke auf sie, wo sie dann die
ihrigen niederschlug, doch, wie ich wohl bemerkte, bisweilen verstohlen
nach mir schielte. Es lief alles ziemlich nach Wunsch ab. Als der Tanz
begann, verfehlte aber der mir so fatale Negroni nicht, diesen Abend
aufmerksamer als je sein Amt zu versehen; dennoch aber konnte er nicht
verhindern, daß ich zwei Quadrillen mit der unter seiner Aufsicht
stehenden Dame tanzte, ihr einigemal die Hand drückte und sie leise
fragte, warum sie mir keine Antwort auf meine Briefchen gebe, ob sie
denn wolle, daß ich vor Kummer und Gram und aus Verzweiflung sterben
solle? und so weiter.

Nachdem sie sich allenthalben umgesehen, ob man uns nicht beobachte,
sagte sie mir auf französisch, >_Je n'ose._< --

Dies war mir hinreichend, ich arrangierte nun die zweite Quadrille, für
die ich mit ihr engagiert war, so, daß nur Offiziere in derselben
mittanzten, und bat einen Kameraden, mit dem ich genauer bekannt war,
den Negroni doch in einer anderen Quadrille während dieses Tanzes zu
placieren, was ihm auch gelang; ich hatte nun freieres Spiel, und die
Marchesa benahm sich weit ungezwungener und weniger ängstlich. Ich
wiederholte mündlich, was ich geschrieben, sprach von meiner feurigen,
innigen Liebe und erhielt das Versprechen, daß sie mich mit ein paar
Zeilen Antwort beglücken würde. Auf meine Frage, warum sie bisher so
streng und zurückhaltend gewesen, erwiderte sie: »Sehen Sie denn nicht,
wie man mich bewacht und beobachtet? Der fatale Negroni, den mir mein
Mann zum Begleiter aufgedrungen, verfolgt mich bei Tag und bei Nacht,
deswegen hoffen Sie nicht viel.«

»Diesem wird doch auch noch eine Nase zu drehen sein,« erwiderte ich.

»Vielleicht, daß der bevorstehende Karneval Gelegenheit dazu bietet,«
versetzte sie, »sonst wüßte ich nicht, wie es zu machen wäre. Indessen
werde ich Ihnen schreiben, da Sie mich versichern, daß dieses schon Sie
glücklich macht.«

»Tausend Dank, schönste Signora, oh, wenn nur erst wir beide uns
verstehen, dann ist es mir wegen dem übrigen nicht bange.«

Die Musik verhallte, der letzte Pas war gemacht, und ich führte die
Signora an ihren Platz zurück, wo sie Negroni in Empfang nahm. Bei
dieser Soiree befand sich auch Madame Grenet sowie viele andere
Offiziersdamen der Garnison, welche die Konversazioni der genuesischen
Familien in der Regel nicht besuchten, hauptsächlich weil sie den
Aufwand der Toiletten scheuten, sich auch durch die mit Brillanten reich
geschmückten Genueserinnen zu sehr in den Schatten gestellt sahen. Wer
sieht schärfer als die Eifersucht? -- Madame Grenet, die ich bis jetzt
fast ganz vernachlässigt und nur einigemal besucht hatte, mit der ich
des Anstandes halber aber doch ein paarmal tanzte, hatte recht wohl
bemerkt, wie sehr ich der schönen Marchesa den Hof gemacht, und sich bei
einigen anderen Damen, die sie nicht kannten, nach dem Namen und den
Verhältnissen derselben genau erkundigt. Ich hatte ihr einige
Galanterien gesagt, die sie kalt genug aufnahm, und als der Tanz mit ihr
zu Ende war, ignorierte ich sie für den Rest des Abends. Am nächsten
Tage eilte ich wieder zur bestimmten Zeit in meine Musikstunde, ließ die
Gitarre holen und fand zwei Zeilen darin, die mich warnten: >ich möge
ums Himmelswillen vorsichtig und behutsam sein und mich nicht verraten,
sonst könne großes Unglück entstehen<. -- Ein Billettchen, das ich
morgens schon geschrieben und mit Schwüren und Versicherungen ewiger
Liebe und Treue vollgeschmiert hatte, ließ ich auf demselben Wege wieder
zurückgehen. Dieser Briefwechsel fand noch ein paarmal statt, und die
Billette der Marchesa wurden etwas länger, zärtlicher und weniger
ängstlich. In dem letzten derselben, etwa vier Tage nach dem Fest beim
General, schrieb sie mir, ich solle mich diesen Abend ja _a due ore di
notte_ (zwei Stunden nach Sonnenuntergang) an der Kirche der Karmeliter
einfinden, wo ich mich der so sehr gewünschten Zusammenkunft endlich
erfreuen und sie verkleidet finden würde. Auffallend war es mir aber,
daß ich die Marchesa während der ganzen Stunde sowie beim Weggehen nicht
einen Augenblick am Fenster gesehen hatte, da sie mich doch bei Guercino
wußte. Ich schrieb dies indessen ihrer Verschämtheit wegen des
zugesagten Rendezvous zu, erkundigte mich nach der benannten Kirche und
erfuhr, daß dieselbe in dem entlegensten und einsamsten Winkel der
Stadt, an deren Mauern liege. Auch dies schien mir natürlich, da ihr
alles daran gelegen sein mußte, von niemand gesehen oder erkannt zu
werden. Indessen waren wir in Italien, und ich wußte, wessen man sich
hier zu versehen habe, wenn man Intrigen mit Frauen anknüpfte; noch vor
wenigen Tagen war ein Artillerieoffizier bei der Heimkehr aus dem
Theater von mehreren Banditen angefallen und lebensgefährlich verwundet,
ein anderer sogar von einer Frau, mit der er ein Verhältnis gehabt und
die er nachher vernachlässigte, in seinem Zimmer erdolcht worden. Ich
fand deshalb für nötig, nachdem ich noch bei Tage den Ort des Rendezvous
rekognosziert hatte und zur Ausführung eines Banditenstreiches
vollkommen gut gelegen fand, meinen Burschen Louis gehörig bewaffnet
mitzunehmen. Als die dennoch von mir mit großer Sehnsucht
herbeigewünschte Stunde schlug, denn irgendein Abenteuer mußte es ja
absetzen, sei es ein verliebtes oder blutiges, beide mir recht, eilte
ich in Begleitung meines Bedienten an den bezeichneten Ort, hieß diesen
sich ruhig in einen Winkel postieren und nur erst, wenn ich ihn beim
Namen rufen würde, herbeizuspringen. Ich begab mich in die Kirche, in
der ich keine Seele sah und nur hin und wieder düster brennende ewige
Lampen erblickte. Ich setzte mich in einen Stuhl, die Ankunft meiner
Madonna mit Ungeduld erwartend. Es mochte beinahe eine Stunde sein, daß
ich da saß, und noch immer zeigte sich keine Marchesa, und auch sonst
kein Mensch ließ sich sehen. Ich verlor die Geduld, ging vor die Kirche
und wollte die Runde um dieselbe machen; aber noch hatte ich keine
dreißig Schritte getan, als drei Kerls hinter einem hervorspringenden
Mauerpfeiler auf mich stürzten, und einer von ihnen sagte: >_Eccolo, è
costui!_< Schneller als der Blitz hatte ich jedoch meinen Degen aus der
Scheide gezogen und mich _en garde_ gestellt; dies hinderte die Banditen
nicht, mit ihren langen Stiletten bewaffnet auf mich einzudringen, und
zwei derselben suchten mich im Rücken zu fassen, ich aber machte schnell
eine Wendung, so daß ich mich mit dem Rücken an eine Mauer lehnen
konnte, und hieb nun nach allen Seiten wie ein Rasender um mich, so daß
keiner mir auf den Leib kam, zugleich rief ich: »_A moi Louis!_«, der
nun auch mit gezücktem Säbel zusprang, und die drei vermummten Wichte
ergriffen jetzt das Hasenpanier. Wir verfolgten sie zwar eine Strecke,
verloren sie aber, nachdem sie um eine Straßenecke gebogen, aus dem
Gesicht. Wahrscheinlich hatten sie sich in einen ihnen bekannten
Schlupfwinkel oder in ein offenes Haus geflüchtet.

Dieser Streich brachte mich so sehr auf, daß ich auf der Stelle in die
Wohnung des Marchese P... wollte, um dort Aufklärung über diesen Vorfall
zu erhalten und Rechenschaft zu begehren; doch kühlte sich mein Blut
mehr und mehr ab, während ich durch die engen Straßen der Stadt meinem
Quartier zueilte, ich gab jetzt dies Vorhaben auf, faßte aber den festen
Vorsatz, der Sache _à tout prix_ auf die Spur zu kommen, da ich die
Stimme und Figur Negronis erkannt zu haben glaubte. Die ganze Nacht
konnte ich kein Auge zutun und rannte fast mit Tagesanbruch in Guercinos
Wohnung, um ihm den Vorfall mitzuteilen. Dieser aber empfing mich mit
den Worten: »_Oh Signor mio che avete fatto, m'avete rese infelice son
un uomo perduto._«

»Wieso, was ist Ihnen?« rief ich ganz erstaunt.

»Sie haben mich wider mein Wissen zum _Ruffiano_ gemacht, und der
Marchese P... wird mich verderben.«

Ich suchte nun den alten Mann, dem die Tränen in den Augen standen, zu
beruhigen, als auch seine Frau aus dem Nebenzimmer, und zwar nicht im
reizendsten Negligé, heulend in die Klagen ihres Eheherrn einstimmend,
trat und ihre Worte immer mit dem Refrain schloß: »Wir müssen so
unschuldig leiden und haben gar nichts davon; ja, wenn wir noch etwas
davon gehabt hätten!«

Ich gab mir alle Mühe, die beiden Alten möglichst zu beruhigen, indem
ich ihnen versprach, daß ich alles wieder zu applanieren und gut zu
machen wissen werde, und drückte der Frau einstweilen zwei Goldstücke in
die Hand, ohne daß ich noch wußte, was hier eigentlich vorgefallen war.
Der Zauber des Goldes hatte denn auch die Wirkung, daß beide Eheleute
sogleich ruhiger wurden, ohne ein niederschlagendes Pulver zu nehmen,
und jetzt imstande waren, meine Fragen vernünftig zu beantworten; ich
erfuhr nach und nach den Zusammenhang der ganzen Geschichte, soweit sie
solche betraf, woraus ich mir das übrige schon erklären konnte.

Nachdem ich den Maestro den Tag vorher verlassen, trug er wie immer die
geliehene Gitarre zurück, die ihm aber diesmal nicht wie bisher die
Marchesa, die er gar nicht zu sehen bekam, sondern der Cavaliere
servente Negroni abgenommen hatte, worauf er sich empfahl. Bald darauf
hatte ihn aber der Marchese P... wieder rufen lassen, und als er in
dessen Zimmer trat, mit den Worten angeschnauzt: »Alter Kuppler, habe
ich dich, dies soll dir nicht so hingehen!« worauf ihn der sich
gegenwärtig befindende Negroni noch weit ärger heruntergemacht,
geschimpft und beinahe tätlich mißhandelt habe. Er, von gar nichts
wissend und nichts ahnend, habe lange vergeblich gefragt, um was es sich
denn handle, und noch vergeblicher seine völlige Unschuld beteuert. Nach
langem Hin- und Herreden und beständigem Drohen und Schimpfen habe ihm
sodann Negroni das Billett gezeigt, das ich an die Marchesa geschrieben
und das die Herren schon das vorletzte Mal in der Gitarre gefunden
hatten, in dem ich die Signora P... auf das dringendste um ein
Rendezvous gebeten. Sodann habe man ihn in ein entlegenes Zimmer des
Palastes geführt, daselbst eingeschlossen und seiner Frau sagen lassen,
sie möge diesen Abend nicht auf ihn warten, da er bis spät in die Nacht
Musikstücke mit der Marchesa durchgehen müsse. Endlich aber habe man ihn
nach fünf Uhr (elf nach unserer Uhr) in der Nacht wieder freigelassen
mit der Deutung, daß, wenn er im mindesten schuldig befunden würde, er
sich auf das Schlimmste gefaßt machen könne.

Ich tröstete den armen Teufel, so gut ich konnte, versprach ihm meine
Hilfe in jeder Hinsicht, um ihm die ausgestandene Angst und den Arrest
reichlich zu vergüten, ging vorerst wieder heim und kehrte zur
gewöhnlichen Unterrichtsstunde zu Guercino zurück, dessen Frau ich
einstweilen eine genuesische Quadruppia auf Abschlag des versprochenen
Schmerzensgeldes gab, was machte, daß die guten Leute, alle
ausgestandene und noch bevorstehende Gefahr vergessend, von der besten
Laune beseelt wurden und die Frau zu mir sagte: »Aber warum haben Sie
sich nicht an mich gewendet, ich hätte Ihnen die sichersten Mittel und
Wege gezeigt, wie Sie die Signora hätten sprechen und ihr schreiben
können, ohne daß man dahinter gekommen wäre; einem so großmütigen Herrn
diene ich gern. Ich habe Bekanntschaft in dem Palazzo, die alte Wärterin
der Marchesa ist meine intime Freundin und gilt alles bei der Signora,
hätten Sie sich nur mir anvertraut ... jetzt ist die Sache wohl ziemlich
verpfuscht, wenigstens weit schwieriger einzuleiten, doch wir wollen
sehen, was noch zu tun ist ...«

Da ich die Alte so sprechen hörte, dachte ich: >Holla, du bist, was ich
brauche<, und bat sie, vorerst nur zu erforschen zu suchen, wie die
Sachen drüben ständen und wie man die Marchesa behandle. Sie versprach
mir, womöglich schon den andern Morgen Nachricht deshalb zu geben, indem
sie noch diesen Abend ihre Freundin zu sprechen suchen würde.

Daß ich in der Abendstunde meuchlerisch war angefallen worden, war
schnell publik, und schon den andern Tag fragten mich die Generale,
Chefs und andere Offiziere wegen den näheren Umständen, die ich ihnen
mitteilte, dabei aber weislich die mir nun wohl einleuchtende Ursache
des Anfalls verschweigend, und schob ihn dem allgemein bekannten Haß des
Volkes gegen die Franzosen oder auch der Raubsucht zu; Düret aber, der
mich kannte, setzte, mit dem Finger drohend, hinzu: »Und dem Haß gegen
die Verführer ihrer Frauen.« Indessen mehrte sich durch diesen und
einige ähnliche Mordanfälle die schon bestehende Erbitterung zwischen
der Garnison und den Einwohnern noch bedeutend und wurde bald zu einem
unversöhnlichen Haß.

Meine Musikstunden setzte ich nach wie vor fort, als sei nichts
vorgefallen, was wohl das Klügste unter so bewandten Umständen ist, war
aber, besonders des Abends, auf meiner Hut, wenn ich allein aus dem
Theater oder von andern Orten nach Hause ging und ließ mir niemand zu
nahe auf den Leib rücken.

Die Alte hielt Wort und konnte mir schon den nächsten Tag das Nähere
mitteilen; sie hatte, um allen Verdacht ferne zu halten, durch eine
dritte Person die alte Wärterin wissen lassen, daß sie sie zu sprechen
wünsche, und diese sagte ihr noch denselben Abend ein Stelldichein in
einer Kirche zu. Hier erzählte sie nun, daß der Gatte Toninas, der
Taufname der Marchesa, ein Billett erhalten, in welchem man ihn vor mir
gewarnt und mitgeteilt habe, daß ich seiner Frau nachstelle; dies habe
er dem Negroni gezeigt, der, ohnedies schon durch das ofte Leihen der
Gitarre aufmerksam geworden, beschlossen hätte, die Gitarre das nächste
Mal zu untersuchen, in der er auch ein Billett von mir gefunden, worauf
ihre Gebieterin in strenges Verhör genommen worden sei; da aber in
meinem Briefchen glücklicherweise durchaus nichts gestanden, wodurch man
auf ein Einverständnis zwischen uns beiden hätte schließen können,
sondern ich mich im Gegenteil beschwert habe, daß sie grausam sei und
mich so lange um eine einzige Zusammenkunft betteln lasse, so sei es der
Signora nicht schwer geworden, sich, ihre Unschuld beteuernd, auf meine
Kosten von dem Verdacht der Teilnahme frei zu machen, indem sie nichts
dazu könne, wenn man ihr gegen ihren Willen Briefe auf diese Art
heimlich zukommen zu lassen suche, die sie weder gelesen noch gesehen
habe. Um aber ihre Unschuld zu beweisen, habe sie jenes Billett, wodurch
ich in die Kirche gelockt wurde und das man ihr in die Feder diktiert,
schreiben müssen. Im übrigen stünde jetzt alles so ziemlich im Hause
wieder wie früher, nur dürfe sie sich nicht am Fenster blicken lassen,
solange man mich bei Guercinos wisse, worauf man genau acht gebe; die
Marchesa sei aber über das Verfahren ihres Mannes und Cicisbeos so
aufgebracht, daß sie jetzt ihr Köpfchen aufgesetzt und geschworen habe,
den beiden Herren eine Nase zu drehen, es entstehe auch daraus, was da
wolle, sie müsse nun die nähere Bekanntschaft des jungen Offiziers
machen. -- Echt italienisch. -- Für diese Nachricht bekam die Alte
wieder ein Goldstück, und außerdem kam ich jetzt nie in das Haus, ohne
ihr einige Kleinigkeiten für sie und ihre Freundin mitzubringen, um
beide in guter Laune und mir geneigt zu erhalten, und war so immer _au
fait_ von dem, was in der Wohnung des Marchese P... vorging. Signora
Guercino gab mir die beste Hoffnung, meine Madonna bald allein und
ungestört sprechen zu können: »Denn der Karneval ist vor der Tür,«
setzte sie hinzu, »darum _allegro Signor Uffiziale_!«

Indessen war jetzt, gerade wo ich es am nötigsten bedurfte, meine Kasse
schlecht bestellt, und ich sah den leeren Boden derselben; denn außer
diesen Extraausgaben hatte ich auch ziemlich viel Geld im Spiel, wo ich
meistens unglücklich war, verloren. Bansa zahlte mir meine bestimmte
Zulage aus, aber mehr wollte ich von ihm nicht fordern, eine
abschlägige, mir sehr empfindliche Antwort befürchtend. Aus dieser
Geldverlegenheit riß mich Dantrace, der unterdessen auch Offizier
geworden war und immer eine wohlgefüllte Börse besaß, die er mir schon
einigemal angeboten hatte; er war sehr vergnügt, mir fünfzig Louisdor
leihen zu können.

Mit Hilfe der Guercino und ihrer alten Freundin war jetzt eine
regelmäßige Korrespondenz zwischen der Marchesa und mir in Gang
gekommen, der Karneval hatte begonnen und die Masken ließen sich bereits
in den Straßen und auf den Promenaden blicken. Eines Morgens, nachdem
ich den Abend vorher die P... in einer Gesellschaft gesehen, aber weder
mit ihr gesprochen noch getanzt hatte, indem wir nur verstohlen Blicke
wechselten, um den Argwohn der Männer nicht neuerdings rege zu machen,
empfing mich meine Alte mit triumphierender Miene und reichte mir zwei
Billettchen mit den Worten: »Nun, Signor, blüht Ihr Glück; morgen
sprechen Sie die Geliebte, und hier das anonyme Briefchen, das Ihnen
bald den Hals gebrochen hätte.« Hastig durchlas ich beide, das erste
enthielt die Bestätigung dessen, was mir die Guercino gesagt, und das
andere, in sehr fehlerhaftem und gebrochenem Italienisch geschrieben,
warnte den Marchese vor mir. Trotz aller Mühe, die man sich gegeben,
seine Handschrift zu verstellen, erkannte ich dennoch die Hand der
Madame Grenet in derselben. »Warte, das sollst du mir büßen, kleiner
Satan,« rief ich im ersten Zorn aus, der sich jedoch bald wieder legte,
indem ich mir sagte, daß ich doch manches Unrecht gegen sie begangen,
und bald dachte ich an nichts mehr als an den kommenden Tag, der mich
beglücken sollte. In dem Billett der P... stand, daß mir die Alte
mündlich sagen würde, wie endlich unsere beiderseitigen Wünsche in
Erfüllung gehen sollten, und diese teilte mir jetzt mit, daß sich die
Signora am nächsten Tage in den Nachmittagsstunden, als eine alte
Sybilla maskiert, in einer Portantina zu einer vertrauten Freundin würde
bringen lassen, die bereits in unser Geheimnis eingeweiht sei und gerne
die Hand biete, die beiden Männer zu prellen. Sie selbst aber, die
Guercino, würde sich schon früher zu der nämlichen Signora verfügen, um
dort einen ganz gleichen Anzug wie den der Marchesa anzulegen, in
welchem sie mit jener Freundin maskiert durch die Straßen und Promenaden
Genuas bis zur Abenddämmerung wandern würde. Negroni, welcher der Dame
in der Portantina bis zum Haus der Signora Maretti, so nannte sich die
Freundin, folgen möchte, aber dasselbe nicht betreten dürfe, was bei
solchen Gelegenheiten gegen die Sitte sei, würde dann wahrscheinlich
auch sie beide, seine Marchesa unter der Verkleidung der Guercino
wähnend, auf allen Gängen verfolgen, während ich nun mehrere Stunden mit
der wirklichen P... ungestört zubringen könne, jedoch nicht in dem Haus
der Signora Maretti, wo die Marchesa nicht bleiben werde, da ich ohne
Aufsehen zu erregen nicht in dasselbe gehen könne, weshalb sie sich
abermals umkleiden und einen Mesero (ein Schleier von Baumwollenzeug,
mit dem sich die Frauen aus geringerem Stande Kopf und Brust bis beinahe
an die Knie bedecken, so daß fast nur die Augen frei bleiben, man weder
Taille noch Arme sieht und ziemlich unkennbar ist) umhängen, und sich
dann so verkleidet in die Wohnung der Guercino begeben werde, wo ich sie
erwarten solle; ich dürfe aber, um allen Verdacht fern zu halten, erst
dann in dasselbe gehen, wenn ich, in einem nahen Kaffeehaus aufpassend,
gesehen, daß die Portantina und Negroni den Palazzo P... verlassen haben
würden. Dieser Plan schien mir gut und mit großer Schlauheit ersonnen,
und es bewährte sich wieder, daß nichts über Pfaffentrug und Weiberlist
geht, doch nicht ganz gefahrlos, da ich fürchtete, Negronis Scharfblick
möchte dennoch die Metamorphosen am Ende entdecken; aber die Alte
beruhigte mich deshalb, indem sie mich versicherte, daß der gewählte
Anzug einer betagten Wahrsagerin die Umrisse des Körpers vollkommen
verberge, da man krumm und gebückt gehen und sich obendrein noch einen
Höcker machen werde, so vermummt und eingehüllt daher ein Erkennen
unmöglich sei. Anreden dürfe er sie auch nicht, wenigstens keine andere
Antwort als durch Zeichen und Kopfnicken erwarten, und so stehe sie für
den Erfolg ein. -- Sie sprach dies mit solcher Zuversicht, daß ich alles
Vertrauen in die Schlauheit dieser Weiber setzte und nun jeden
Pulsschlag bis zur Stunde, die mich beglücken sollte, zwischen der noch
eine lange Nacht lag, in welcher ich beinahe kein Auge schloß, zählte.
Endlich brach der heißersehnte Tag an, an dem das Abenteuer bestanden
werden sollte, das mich seiner Sonderbarkeit halber schon mehr wie jedes
andere reizte, weil es mit so viel Schwierigkeiten und Gefahr verbunden
war und ich schon oft gezweifelt hatte, diesmal zum ersehnten Ziel zu
kommen. Gleich nach der Parade warf ich mich in Zivilkleider, begab mich
sodann in das bestimmte Kaffeehaus, keinen Blick von der Porta des
Palazzo P... verwendend, und harrte mit ängstlicher Erwartung, ein
Sorbetto nach dem andern verschlingend, dem Erscheinen des ersehnten
Gegenstandes; es waren sicher schon drei Stunden verflossen, als sich
endlich die Tore öffneten und die Portantina, die alle meine Wünsche in
sich faßte, so wohl verwahrt, daß kein Blick den Inhalt derselben
gewahren konnte, herausgetragen wurde, der Negroni unmittelbar folgte.

Als ich beide aus dem Gesicht verloren, begab ich mich in Guercinos
Wohnung, von der er mir den Schlüssel übergeben, sich selbst entfernend,
damit ich ganz ungestört sein sollte. Hier harrte ich nun abermals über
eine gute Stunde, hinter einer Gardine lauernd, und sah manche
Frauengestalt, in einen Mesero gehüllt, dicht an dem Haus
vorübergleiten, jedesmal die Heißersehnte darunter wähnend. Wer je in
dem Fall war, auf ein solches Rendezvous zu warten, wird wissen, was
dies heißt und in welcher Aufregung, Spannung und in welchen
Befürchtungen der Vereitlung man sich dann befindet. Jedesmal stampfte
ich mit dem Fuß, wenn ich durch das Vorbeigehen einer solchen Gestalt
enttäuscht war. Endlich aber schwebte mit leichtem Elfentritt ein Wesen
heran, das mir das Herz ungestümer pochen machte, und wenn gleich tief
verhüllt, doch einen ätherischen Wuchs und unnennbare Grazie zu verraten
schien. Wenn es diese nicht ist, so ist es keine, dachte ich bei mir
selbst; aber sie war es, denn kaum hatte ich ausgedacht, so schlüpfte
sie auch schon zur Pforte herein, leisen Trittes die Treppe hinauf, ich
machte die Stubentüre auf, öffnete beide Arme, sie fest zu umschlingen,
aber man sträubte sich, und als ich recht zusah, war es -- die alte
Guercino, die ich so feurig umfaßt hielt. Dies war zu toll: »Was soll
das heißen!« rief ich zornig aus. »Hat man mich zum besten?« Aber die
Alte lachte und sprach: »Nur nicht so bös, mein ungestümer Herr, es ist
freilich arg, wenn man einen jungen Engel zu umarmen wähnt und dafür ein
altes Weib umschlingt, aber nur ein klein wenig Geduld, der Engel folgt
mir auf dem Fuß nach, und ich bin nur der Sicherheit wegen, um eine
Überrumpelung zu verhüten, gekommen; wir haben es überlegt, daß es
besser sei, wenn ich Wache halte, und eine andere Freundin der Signora
Maretti spielt einstweilen statt meiner die Rolle der Marchesa-Sybilla.«
Sie sprach wahr, denn kaum hatte sie ausgeredet, so trat eine zweite, in
einen Mesero gehüllte Gestalt ein, und diesmal war es die rechte.
Endlich lag Tonina in meinen Armen, und in endlosen Küssen sog ich ihren
Atem in vollen Zügen ein. Die Alte verließ uns, ihren Lauerposten
antretend, ich entschleierte die reizende Nymphengestalt vollends und
trug sie küssend in das anstoßende Schlafzimmer Guercinos, wo ich ein
paar unvergeßliche Stunden im höchsten Entzücken zubrachte. So war denn
meine Ausdauer und Beharrlichkeit endlich gekrönt und Negroni an der
Nase herumgeführt: denn während wir im Hochgenusse schwelgten und ich
die rechte Sybilla im Arm hatte, lief der Cicisbeo der untergeschobenen
mehrere Stunden durch alle Gassen nach, sie auch nicht eine Minute aus
den Augen lassend; die beiden Damen führten ihn absichtlich in die
ödesten und entlegensten Orte der Stadt und kehrten erst mit
einbrechender Nacht wieder heim. Negroni hatte deren tolles, planloses
Rennen verflucht, das ihn, der eben nicht besonders gut auf den Beinen
war, sehr ermüdete.

Als sich Tonina endlich aus meinen Armen wand, nachdem wir uns über
alles, was wir bisher gelitten und ausgestanden, unterhalten und
ausgesprochen hatten und sie sich zum Weggehen anschickte, hatte es
schon zu dämmern begonnen; sie warf den Mesero über und schlüpfte nach
hundert Abschiedsküssen zur Türe hinaus, während ich ihr so weit als
möglich mit den Augen folgte, sowie die Guercino in einiger Entfernung
zu ihrer Sicherheit; ich warf mich dann erschöpft auf das Bett, auf
welchem noch vor wenig Augenblicken die Engelsgestalt geruht hatte. Vor
Ermüdung war ich in dem immer finsterer werdenden Zimmer
eingeschlummert, als die Guercino zurückkam, mich weckte und auf mein
schlaftrunkenes >_Chi è?_< erwiderte: »Nun, sind Sie zufrieden, nicht
wahr, dies waren Götterstunden?« Ich beantwortete die naseweise Frage,
indem ich ihr meine ganze Börse, etwa fünfzig Lire enthaltend, in die
Hand drückte. Sie berichtete mir, daß die Marchesa wieder glücklich in
das Haus der Maretti gekommen sei, nun bald in ihr eigenes zurückkehren
und dann die Oper mit ihrem Cicisbeo besuchen werde. Ich beschloß,
ebendahin zu gehen, nahm einen Platz in einer Gitterloge dicht an der
Bühne, von der aus ich sie ziemlich unbemerkt beobachten konnte und ihr
bisweilen eine verstohlene Occhiata zuwarf.

Da wir nun einmal so weit waren, so wiederholten wir dasselbe Manöver
mit einigen Variationen, so oft es sich tun ließ, ohne Verdacht zu
erregen. Die Marchesa wählte dann jedesmal ein solches Kostüm zu ihrer
Verkleidung, das die Formen jeden Wuchses unkenntlich machte und für
alle Gestalten paßte. Da indessen dieser wunderliche Geschmack ihrem
Eheherrn und dem Cicisbeo bald aufgefallen sein würde, so zeigte sie
sich in der Zwischenzeit und an den Tagen, an denen wir nicht
zusammenkamen, in andern und sehr eleganten Maskenanzügen, in Begleitung
ihrer Freundin und immer von Negroni verfolgt, in den Straßen, wo ich
ihr dann häufig begegnete, öfters aber auch andere, mich intrigierende
Masken verfolgte, von denen mir einmal ein paar Dinge sagten, welche
mich in Erstaunen und Unruhe versetzten, da sie mein Verhältnis zu der
P... betrafen.

Eines Abends, nachdem ich wieder eine Zusammenkunft mit der Marchesa in
Guercinos Wohnung gehabt, traten, kurz nachdem sie weggegangen, zwei
andere weibliche Masken in das Zimmer, in dem ich noch verweilte. Es
waren zwei Zingarellen (Zigeunerinnen), die einen niedlichen Wuchs, ein
stolzes Einherschreiten hatten und noch junge, wahrscheinlich auch
hübsche Frauen zu sein schienen. Sie machten mir eine stumme Verbeugung,
ließen sich nieder und ich fing eine Konversation mit ihnen an, die von
ihrer Seite fast drohend geführt wurde. Bekannt schien mir die, wenn
auch schon verstellte Stimme der einen, und ich begrüßte sie bald mit
einem: »_Buonissima sera Signora Peretti._« Sie nahm nun die Larve ab
und sagte: »_Ah Birbone_, was machen Sie fast jeden Nachmittag hier?«

»Musik, Signora, ich lerne die Gitarre und studiere Partien ein.«

»So, und die Dame im Mesero, die Sie besucht?«

»Je nun, die studiert wahrscheinlich auch Partien ein,« sagte ich
lachend, doch etwas verdutzt.

»Allerliebst! Wahrscheinlich Don Juan und Zerline? Ich habe aber die
Partie der Verlassenen Donna Elvira noch nicht gelernt, _Signor mio_.«

»Die sollen Sie auch nicht lernen, mein schönes Kind, dazu sind Sie viel
zu liebenswürdig. Aber wer ist denn Ihre stumme Begleiterin?«

»Oh, die sollen Sie auch noch kennen lernen. Leider sind wir etwas zu
spät gekommen, um Sie ganz zu entlarven.«

Diese Unterhaltung wurde halb im Scherz, halb in bösartigem Ernst
geführt. Ich wollte der Sache ein Ende machen, sprang auf, nahm die sich
sträubende Peretti in den Arm, küßte sie trotz allem Sträuben, indem ich
lachend sagte:

»Seien Sie doch kein Kind, Sie sind meine einzige, meine ewige Liebe,
die Angebetete meines Herzens, ich schwöre Ihnen, daß ...«

»Sie ein Lügner sind,« fiel mir der kleine Teufel ins Wort, »dem ich
nicht nur die Augen auskratzen möchte, sondern ...«

Hier zeigte sie mir ein kleines Stilet, das an einem silbernen Kettchen
an ihrer linken Seite herabhing und sie drohend aus der Scheide zog. Ich
suchte ihr das gefährliche Instrument halb im Scherz zu entwinden;
während ich so mit ihr rang, nahm auch die andere Maske ihre Larve ab,
und ich erkannte die Marchesa Costa, der ich schon einigemal, aber es
nie ernstlich meinend, eine Liebeserklärung so _en passant_ gemacht und
ob ihrer Schönheit große Schmeicheleien gesagt hatte. Beide schrien nun:
»_Traditore_, bilden Sie sich nicht ein, daß Sie in Frankreich oder
Deutschland seien, wir sind Italienerinnen, und zwar Genueserinnen, die
man nicht ungestraft zum besten haben darf und die solche Beleidigungen
zu rächen wissen. Wir wissen recht gut, welche Rendezvous Sie hier
haben, und wenn Sie die Sache nicht lassen, so wird es ein schlimmes
Ende nehmen. Gestehen Sie, wer die Schöne ist, die Sie mit ihren
Besuchen beglückt.« Ich nahm indessen alles auf die scherzhafte Seite,
fortwährend meine Unschuld beteuernd und sie zu beruhigen suchend, und
war damit im besten Zug, als wir Tritte auf der Stiege hörten. Die Damen
nahmen schnell wieder ihre Larven vors Gesicht, empfahlen sich der
eintretenden Guercino und entfernten sich, uns beiden drohend.

Auf die Frage der Alten, wer dies gewesen, erwiderte ich: »Ein
maskierter Besuch, der Gott weiß wie erfahren hat, daß ich hier eine
Zusammenkunft habe, aber nicht weiß, mit wem, da man dies von mir zu
wissen verlangte. Wir müssen suchen, einen andern Ort ausfindig zu
machen.«

»Dies sei meine Sorge,« versetzte die Alte, »ich werde ein Haus wählen,
das niemand entdecken soll. Denn hier, dem Palazzo P... gegenüber, ist
es allerdings zu gefährlich.«

Unsere Zusammenkünfte wurden jetzt auf mehrere Tage ausgesetzt, und
diese Unterbrechung war mir aus manchen Ursachen nicht unangenehm; die
Sache hatte nun auch schon den Reiz der Neuheit für mich verloren, und
dann war soeben Madame Gasqui von Toulon angekommen, jene hübsche
Kapitänsfrau, deren Hochzeit ich auf der Insel Porquerolles mit gefeiert
hatte, und da Madame Alphonse und noch einige andere Offiziersdamen der
Garnison wünschten, daß wir wieder ein französisches Liebhabertheater
arrangieren möchten, so arbeitete ich mit allen Kräften, dies
baldmöglichst in Gang zu bringen; aber das Schicksal hatte es anders
beschlossen, und wenige Tage nach dem Abenteuer mit den beiden Masken
bei Guercino erhielt eines Morgens Düret eine Depesche auf dem
Exerzierplatz, die er sogleich öffnete, durchlas. Dann berief er die
Offiziere zu sich und teilte ihnen mit: soeben habe er die Order vom
Kriegsminister erhalten, daß in drei Tagen das Bataillon Genua verlassen
und zu der in dem Königreich Neapel bereits eingerückten Armee, und zwar
zu dem vor Gaëta stehenden Belagerungskorps stoßen solle.

Wir ließen alle ein freudiges Vivat erschallen und riefen: Gottlob, nun
geht's endlich ins Feld, der Henker hole den Garnisondienst, womit ich
vollkommen einverstanden war. Im Heimkehren trillerte ich mein >_Non piu
andrai farfallon amoroso_< und ging zu Guercinos, diesen die große
Neuigkeit mitzuteilen; die ließen mich aber kaum zu Worte kommen, indem
die Frau mir mit großer Freude verkündete, daß sie ein vortreffliches
Gelegenheitshaus ausfindig gemacht habe. -- »Zu spät, _mia cara_,«
versetzte ich, »in drei Tagen sind wir nicht mehr in Genua,« und machte
sie mit der erhaltenen Order bekannt, die Bitte hinzufügend, sie möge
einstweilen die Neuigkeit der Marchesa P... beibringen und machen, daß
ich wenigstens noch ein Abschieds-Rendezvous mit derselben haben könne,
was sie mir mit traurig-langem Gesicht versprach. Sie konnte sich nicht
genug wundern, daß nicht auch ich der Verzweiflung nahe war.

Napoleon hatte ausgesprochen, daß der König von Neapel zu regieren
aufgehört habe, und den 24 Februar 1806 im Theater zu Paris durch Talma
dem Publikum verkünden lassen, daß die Franzosen in das Königreich
beider Sizilien eingerückt seien. So viel Truppen, als man in
Oberitalien entbehren zu können glaubte, wurden ihnen nachgesandt und so
auch unser erstes Bataillon, dem bald die anderen folgen sollten.

Es war uns allen erwünscht, endlich vor den Feind geführt zu werden und
so Gelegenheit zu haben, unsere Sporen, das heißt Epaulettes zu
verdienen; nur hätten wir gewünscht, daß es nicht gerade die
Neapolitaner gewesen, von deren Tapferkeit man eine gar zu schlechte,
vielleicht unverdiente Meinung hatte, obgleich es Tatsache war, daß
wenigstens ihre Generäle und Anführer keinen Schuß Pulver taugten; aber
war es in dieser Hinsicht in anderen Armeen, die französische
ausgenommen, zu jener Zeit viel besser bestellt? Höchstens hatten die
Engländer und Russen ein paar gute und Österreich nur seinen Erzherzog
Karl aufzuweisen.

Schon wußte man, daß der Thron von Neapel Napoleons älterem Bruder, dem
kaum gebackenen Prinzen Joseph, bestimmt war, auf den ihn Massena
festsetzen sollte.

Denselben Tag, als uns diese Neuigkeit wurde, erhielten wir noch eine
Einladung zu einem Maskenfest in die Villa Doria vor dem Thomastor; ich
eilte zu Guercino, um dessen Frau zu bitten, auch dieses die Marchesa
wissen zu lassen und sie zu fragen, ob sie es nicht veranstalten könne,
diesem Fest beizuwohnen, und ob ich sie nicht wenigstens noch einmal
ungestört sprechen könne. Ich erhielt noch den nämlichen Abend die
Antwort, daß sie eingeladen sei und als Pilgerin verkleidet demselben
beizuwohnen gedenke, hoffe daher, sich so mit einer Freundin auf einige
Zeit entfernen zu können, das Wohin aber müsse mir überlassen bleiben.

Ich verabredete nun mit der Alten, daß sie in einiger Entfernung von der
Villa eine Portantina bereit halten solle, in welcher ich die Marchesa
weg, und zwar diesmal in mein Quartier, das nicht so weit vom Thomastor
in der Nähe der Piazza dell aqua verte war, bringen lassen wollte.
Tonina war alles zufrieden und hoffte, daß das große Gewühl und die
Menge der Masken es möglich machen würde, sich in dem Gedränge auf
einige Zeit absentieren zu können, ohne daß es ihre Aufpasser bemerkten,
wenn sie sie auch suchen würden; außerdem würde man noch andere
Vorkehrungen treffen, dies zu bewerkstelligen.

Ich begab mich zeitig, als Eremit verkleidet, unter welcher Verkleidung
ich jedoch meine Uniform und meinen Degen trug, in die Villa, um alle
Masken und mit ihnen meine Pilgerin ankommen zu sehen, die mit einer
weißen Rose in der Hand, das verabredete Zeichen, einer Portantina
entstieg, während aus der folgenden noch eine ebenso gekleidete
Wallfahrerin, aber mit einer roten Rose versehen, schlüpfte. Mich
erkannten die beiden Masken an einem kleinen, fast unbemerkbaren weißen
Kreuz, das ich mir auf der linken Schulter hatte anheften lassen; denn
der Eremiten und Pilgrime waren viele zugegen. Im Vorübergleiten
flüsterte sie mir das einzige Wort »_vengo_« zu.

Das Fest war brillant, die Gäste sehr zahlreich und das Gewirre
ungeheuer; doch begegneten wir uns öfters, ohne uns anzureden. Wir
hatten durch die Guercino verabredet, daß ich sie fünfzig Schritte links
von der großen Türe um sechs Uhr nachts (elf nach unserer Uhr) erwarten
wollte. Ich warf auf eine Zeit den Eremiten ab und einen weißen Domino
über meine Uniform und pointierte im Spielsaal neben dem Marchese P...
an der Pharobank nicht ohne Glück, eine Seltenheit; denn ich gewann über
dreitausend Lire an diesem Abend, eine Summe, die mir gut zu statten
kam, da ich schon so ziemlich wieder auf dem Trocknen saß und noch
obendrein Schulden hatte. Als endlich die Stunde des Rendezvous nahte,
entfernte ich mich, wahrscheinlich zu meinem Glück, denn ich würde das
Gewonnene gewiß wieder verloren haben, hätte ich fortgespielt, und
suchte den Eremiten wieder hervor.

Nicht lange wartete ich an dem bestimmten Orte nebst der von mir
bestellten Portantina, als die beiden Pilgerinnen in geflügelten
Schritten herbeieilten und Tonina mir erklärte, daß ihre Freundin, die
sie nicht habe allein auf dem Balle lassen können, was auch bei Negroni
Verdacht erregt haben würde, wenn er sie getrennt von ihr wahrgenommen,
uns begleiten würde. Dies machte mich erst ein wenig verlegen, denn ich
wußte nicht, was ich mit der Gegenwart der anderen in meinem Zimmer
machen sollte, und dann hatte ich auch nur für eine Portantina gesorgt.
Wir waren aber bald einig, uns alle drei zu Fuß in meine Wohnung zu
begeben, ich nahm einen sehr großen weißen Schleier, den die vorsichtige
Guercino in die Portantina gelegt hatte, aus derselben, bezahlte die
Träger reichlich und entließ sie. Beide Frauen hüllten sich in den einen
Schleier, und wir eilten in meine Wohnung, wo wir glücklich und ohne
bemerkt zu werden ankamen, denn auch meinen Bedienten hatte ich bei den
übrigen Domestiken in Dorias Villa gelassen. Ich zündete nun Lichter an
und fand mich allein mit den Schönen, die beide wirklich diese Benennung
verdienten. Tonina war untröstlich, daß wir abmarschierten und dies
wahrscheinlich das letztemal sei, daß wir uns sähen. Ich suchte alles
Mögliche hervor, sie zu trösten, und bemerkte ihr, wir dürften das
bißchen Zeit, das uns jetzt noch bliebe, nicht mit unnützen Klagen
hinbringen, was auch ihre Freundin, eine Komtesse Spinola, sehr richtig
fand. Ich küßte nun beide, umarmte Tonina und stopfte Mund und Tränen
mit Küssen; die Spinola, der bei diesem Spiel nicht ganz wohl zu werden
schien, sagte: »Ich sehe nicht ab, zu was wir Lichter brauchen,« löschte
sie aus und stellte sich an ein Fenster, den Himmel und die Sterne zu
bewundern, während die Marchesa P... einen langen, seligen Abschied in
meinen Armen nahm. Als es endlich Zeit zum Aufbruch war, befahl sie mir,
auch ihre Freundin zu umarmen, was, da sie sehr hübsch war, ich mir
nicht zweimal sagen ließ, sondern auch diesen Engel mit aller Inbrunst
trotz ihrem nicht sehr gewaltigen Sträuben an den Busen drückte und
länger in dieser Stellung blieb, als es Tonina gewiß lieb war; doch sie
spielte die Großmütige und ließ mich im Finstern gewähren, bis sie das
Stöhnen der Freundin zu der Bemerkung veranlaßte, nun sei es genug. --
»Genug,« wiederholte ich stammelnd und schloß beide in meine Arme, bald
die eine, bald die andere küssend. Es war ja nur zum Abschied.

Jetzt war es aber hohe Zeit, aufzubrechen, denn wir waren schon über
anderthalb Stunden von dem Ball abwesend, die mir freilich kaum eine
Viertelstunde dünkten. Wir eilten nun zurück, ich trat wieder mit meinem
weißen Domino und Federhut in den Saal, mich in allen Gemächern und
besonders dem Negroni, den ich aufsuchte, zeigend, während sich die
Pilgerinnen ganz ruhig in einen Winkel des Tanzsaales niederließen.
Negroni schien ängstlich nach ihnen zu suchen, aber ruhiger zu werden,
als er mich gewahrte, fand auch endlich die Gesuchte in ihrem Winkel
sitzend, die er, wie es mir vorkam, scharf zu examinieren schien.
Indessen lief alles gut ab, und ich sprach sogar die Marchesa noch
einmal vor dem Tage unseres Abmarsches bei Guercino, wo sie mich mit
einem in Rosetten gefaßten Rubin und auf mein Verlangen mit einer
Haarlocke beschenkte, die ich zu den anderen, schon von mehreren meiner
Teuren erhaltenen legte, und nochmals einen seligen Abschied von ihr
nahm. Sehr gerne hätte ich auch noch einmal die reizende Spinola
gesprochen, aber die Kürze der Zeit machte es unmöglich.

Den anderen Morgen um sechs Uhr wirbelten die Tambours das
Marschroulement, eine halbe Stunde darauf marschierten wir mit
klingendem Spiel durch die noch öden Straßen Genuas, vielleicht die Ruhe
mancher schlafenden Schönen störend, zur Porta del arco hinaus. Nicht
ohne ein wenig Bedauernis sah ich die Marmorstadt im Rücken; aber der
Gedanke, nun das schöne, berühmte und berüchtigte Italien fast der
ganzen Länge nach zu durchstreichen und wahrscheinlich bald die ersten
feindlichen Kugeln pfeifen zu hören, machte, daß ich mir Genua mit all
den darin gehabten Abenteuern aus dem Sinne schlug und leichten Herzens
davonmarschierte.




                                  XVI.

   Marsch von Genua nach Mola di Gaëta. -- Beschwerliche Märsche durch
       das Gebirge. -- Der Anblick von Italiens Ebenen. -- Parma.
        -- Reggio. -- Modena. -- Bologna. -- Eine liebenswürdige
    Advokatenfamilie. -- Faenza. -- Forli. -- Cesena. -- Rimini. --
    San-Marino. -- Sinigaglia. -- Loretto. -- La Casa-Santa und ihre
     Schätze und Reliquien. -- Macerato. -- Foligno. -- Spoleto. --
   Terni. -- Der Wasserfall. -- Narni. -- Civita-Castellana. -- Roms
     Umgebung. -- Ein Tag in Rom. -- Marsch nach Mola di Gaëta. --
        Besitznahme des Königreichs Neapel durch die Franzosen.


Es war Anfang April 1806, als wir Genua la superba verließen, über
Recco, unser erstes Nachtquartier, und dann durch die ödesten und
gebirgigsten Wildnisse, in den erbärmlichsten und elendesten Ortschaften
übernachtend, über Borgo di Taro und Fornovo in sieben oder acht Tagen
nach Parma marschierten. Von Genua an wurden die Truppen nicht mehr bei
den Einwohnern einquartiert, sondern das ganze Bataillon jedesmal in
eine Kirche oder ein Kloster auf vierundzwanzig Stunden kaserniert, in
denen man den Soldaten Strohlager bereitete. Dies geschah aus zweierlei
Ursachen, erstens wollte man die ewigen Reibereien und Händel zwischen
dem französischen Militär und den italienischen Bürgern und Bauern
vermeiden, die zu beständigen Klagen und Strafen Veranlassung gaben und
hauptsächlich dadurch entstanden, daß sich die Leute nicht miteinander
verständigen konnten; sodann traute man dem Volk, dessen Stimmung den
Franzosen höchst ungünstig war, nicht und fürchtete, daß bei dem
Vereinzeln der Leute wohl einmal eine Metzelei, eine zweite
sizilianische Vesper veranstaltet werden könnte. Die Kirchen und
Klöster, wovon jedoch die Nonnenklöster dispensiert waren, mußten das
Schiff, die Kreuz- und anderen Gänge gehörig mit Stroh belegen, und
sobald die Soldaten abmarschiert waren, wurden sie wieder gereinigt und
erstere als verunheiligt durch die Geistlichkeit jedesmal wieder von
neuem eingeweiht und heilig gemacht, was allerdings notwendig war; denn
man hatte an den heiligen Orten nicht nur gegessen, getrunken, gekocht,
sondern auch gespielt, gesungen, geflucht und Gott weiß was sonst noch
für Unfug getrieben. Es war aber nicht selten der Fall, daß die Pfaffen
soeben die Einweihungszeremonien und das Räuchern beendigt hatten, als
schon wieder neue Truppen ankamen und die kaum gereinigten Orte abermals
verunreinigten, ja bisweilen mußte in einer Woche das heilige Werk drei-
bis viermal vorgenommen werden. Die Offiziere wurden zwar meistens in
den zunächstliegenden Privathäusern einquartiert, aber diese Quartiere
waren in den armseligen Dörfern im Gebirge so elend, daß auch viele von
ihnen das Stroh in den Kirchen vorzogen und sich ein Nachtlager auf
erhöhten Orten oder in Tribünen, wenn deren da waren, bereiten ließen,
denn die Stuben der Bauern oder Schenken in diesen Nestern waren ärger
als deutsche Viehställe. Ich schlug in diesem Fall in der Regel mein
Lager bei der Orgel auf, wenn sich eine in der Kirche befand, und
spielte dann des Abends zur Belustigung des ganzen Bataillons allerlei
deutsche und französische Soldatenlieder, Märsche und Tänze, wozu mir
die Karabiniers mit Vergnügen die Balgen traten, die Leute unten oft
sangen und tanzten und bei dem Klang der Orgeltöne dann einschliefen.
Ebenso spielte ich beim Erwachen einige erheiternde Melodien, weckte sie
so trotz des Tambours aus dem Schlaf, und sie machten sich fröhlich
marschfertig. Indessen waren die Märsche in diesen Gebirgen und
Wildnissen beschwerlich und nicht selten abscheulich. So kamen wir, die
letzte Etappe vor Parma, an einen fast senkrecht zu erklimmenden
Felsenberg, was für die mit Gepäck, Waffen und Patronen beladenen
Soldaten sehr mühsam war. Düret ließ zuerst die Tambours und die Musik
hinaufklettern, und als sie oben waren, den von mir komponierten
Sturmmarsch spielen, die Truppen zu ermuntern. Unten, auf der linken
Seite des Felsens, wand sich ein reißender Waldstrom; durch diesen
wurden die Reitpferde der Offiziere sowie die, welche mit dem
Bataillonsgepäck beladen waren, denn an Wagen war auf diesen Märschen
nicht zu denken, geführt. Dieser steile Berg lag gerade an dem Ende
einer wilden Waldgegend, aus der wir traten; er überraschte uns seltsam,
da er gleich einer mächtigen Mauerwand sich unserem weiteren Vordringen
entgegenzustemmen schien, und es war für die noch Zurückgebliebenen ein
komischer Anblick, ihre Kameraden so auf allen Vieren diese Wand
hinanklettern zu sehen. Aber oben angekommen, welche Aussicht! Man
erblickte nun mit einem Male die unabsehbaren Ebenen dieser Gegend
Italiens, endlos scheinend wie das Meer und aus den lachendsten Fluren
und den fruchtbarsten Gefilden bestehend.

Als wir diese reichen Ebenen hinabstiegen, da fielen mir Hannibal und
Napoleon ein, die beide durch diesen herrlichen Anblick ihre müden
Truppen neu belebten und sie in eroberungslustigen Enthusiasmus
versetzten. Nichts ist auch überraschender, als mit einem Male, aus fast
grauenvollen Wildnissen hervortretend, wie durch einen Zauberschlag vor
einem solchen Paradies zu stehen, das reichen Lohn für die überstandenen
Mühseligkeiten verspricht, ihn aber nur selten gewährt.

>Ihr habt nichts, und dort ist alles, was ihr bedürft!< lauteten
Napoleons Worte, zu denen er aber noch hätte hinzufügen können: >das ihr
aber nicht erhaltet<; denn was kam von all diesen Eroberungen an den
gemeinen Mann und die untergeordneten Chargen? Nur einige Anführer
raubten sich reich.

Den Umweg über Parma, Reggio, Modena und so weiter mußten wir machen,
weil Toscana noch nicht französisch war und laut Konvention keine
französischen Truppen durch dasselbe marschieren durften, obgleich es
unter dem Namen des Königs von Etrurien, von der Königin Marie Louise,
jedoch gänzlich unter französischem Einfluß, beherrscht wurde, und es
tat uns leid, das schöne Land so auf der Seite liegen lassen zu müssen.
In Parma hatten wir der vielen Maroden wegen zwei Rasttage, die ich
benutzte, die Merkwürdigkeiten der Stadt in Augenschein zu nehmen.

Den vierten Tag nach unserer Ankunft zu Parma, wo ich in einem
Franziskanerkloster einquartiert war, marschierten wir nach Reggio, das
_Regium Lepidi_ der Römer.

Hier besuchte ich das Theater, in welchem die Oper >Ludovica< und ein
großes fünfaktiges Ballett, >Alexander der Große< betitelt, aufgeführt
wurde. Die Vorstellung dauerte bis nach drei Uhr morgens, so daß, als
ich das Theater verließ, das Bataillon schon über eine Stunde
abmarschiert war (wir marschierten nämlich von Parma aus, der schon
eingetretenen großen Hitze wegen, immer bald nach Mitternacht ab, und
später sogar zwei Stunden vor Mitternacht, um mit Tagesanbruch in den
Quartieren anzukommen, wo man dann über die Mittagszeit schlief) und ich
demselben über Hals und Kopf nacheilte, es jedoch erst auf dem halben
Wege nach Modena, wo es Halt machte, wieder einholte, aber unterwegs gar
manchen Nachzüglern begegnete. Dieses frühe und nächtliche Abmarschieren
hatte den Nachteil, daß das Bataillon immer kaum mit einem Dritteil
seiner Mannschaft in dem Etappenort ankam, da sich die Leute unterwegs
rechts und links in die Felder schlafen legten, weil sie in dem zum
Nachtquartier bestimmten Orte zu wenig Zeit zum Ruhen hatten. Denn kaum
angekommen, mußten sie die Lebensmittel empfangen, oft lange auf
dieselben warten, dann selbst in den Klöstern und Kirchen kochen; sie
konnten erst spät essen, mußten sich dann wieder zum Appell einfinden,
so daß die Momente der Ruhe gar knapp zugemessen waren. Die Soldaten
marschierten ohnehin viel lieber einzeln als in der Kolonne, weil dies
weit weniger ermüdend und bequemer ist, obgleich, wie sich von selbst
versteht, die Kolonnen während dem Marsch nie geschlossen sind, sondern
die Glieder und Rotten in gehöriger Distanz Mann vom Mann gehen.

Mehrere der Hauptleute und auch einige andere Offiziere, die bemittelt,
waren beritten, ich aber mietete mir von Zeit zu Zeit ein Cavallo samt
seinem Patron und schickte beide, an dem Etappenort angekommen, wieder
zurück, mir jedoch vornehmend, bei erster Gelegenheit ein Pferd
anzuschaffen, da dessen Unterhalt auf dem Marsch wenig oder nichts
kostete, indem man den berittenen Offizieren immer solche Quartiere
zuteilte, bei denen sich Ställe befanden, wo dann dem Pferd in der Regel
Gastfreundschaft erwiesen und dasselbe freigehalten wurde. Aber erst in
Neapel konnte ich zu einem eigenen Satteltier kommen.

Nach acht Uhr des Morgens kamen wir in Modena an; auch diese alte Stadt
liegt in einer schönen Fläche zwischen der Secchia und dem Panaro. Sie
ist wohlgebaut, freundlich und auch reinlich gehalten; die meisten
Häuser haben hier sowie zum Teil schon in Parma und Reggio und in fast
allen größeren Städten Arkaden oder auf Säulen ruhende Bogengänge,
welche sowohl gegen die Sonnenhitze als gegen den Regen schützen, so daß
man auch bei dem schlimmsten Wetter, ohne naß zu werden, von einem Ende
der Stadt zum anderen gehen kann, wie dies namentlich in Bologna der
Fall ist, wo ich mich nicht entsinne, ein einziges Haus ohne
Säulenhallen gesehen zu haben. Häufig sind diese jedoch sehr niedrig und
haben dann ein düsteres Aussehen.

Bei unserem Abmarsch von Modena fiel eine ergötzliche Szene vor. Das
Bataillon war teils in einer Kirche, teils in dem Kreuzgang des zu
derselben gehörigen Klosters einquartiert gewesen. Die Soldaten hatten
sich auch hier allerlei Unfug erlaubt und namentlich allerhand Fratzen
und unanständige Dinge mit Kohlen an die Wände des Kreuzganges
geschmiert, wie sie dies schon öfters getan. Als nun das Bataillon unter
dem Gewehr und zum Abmarschieren bereitstand, kamen plötzlich drei bis
vier feiste Mönche fast atemlos angerannt und verlangten den Chef zu
sprechen. Düret saß schon zu Pferd und fragte, was das Begehren der
Kutten sei. Die Patres baten seine _illustrissima eccelenza_ inständig,
sich doch mit ihnen ins Kloster begeben zu wollen, um die _Sporcherie_
(Schweinereien) zu sehen, welche die Signori Soldati an die Wände
geschmiert hatten. Düret schickte den Adjutant-Major, Leutnant von
Hülsen, einen Preußen, mit zweien der heiligen Männer ab, die Malereien
zu besichtigen. Er kam bald mit seiner geistlichen Eskorte zurück und
rapportierte, daß die Soldaten nebst allerlei Unflätigkeiten unter
anderem auch einen Teufel mit Hörnern, Bocksfüßen, Krallen, und hinten
und vorn geschwänzt, gezeichnet, wie er einen dicken Pfaffen hole, ein
anderer Satan habe den Papst selbst beim Ohr und so weiter. Düret konnte
sich sowie alle, die es hörten, des Lachens nicht erwehren, sagte
indessen zu den Mönchen, sie möchten ihm die Täter bezeichnen, dann
wolle er sie bestrafen. Dies war aber den guten Fratres nicht möglich.
(Es waren ein paar Unteroffiziere, die ziemlich gut zeichnen konnten und
die man im Bataillon wohl kannte.) Der Bataillonschef bedauerte daher,
ihnen keine Satisfaktion geben zu können. Die Offiziere trösteten die
Herren von der Kutte und setzten ihnen unter dem Vorwand, daß ihre
Glatzen zu kühl haben müßten, Polizeimützen und einem einen Tschako auf
den Kopf, was sich so possierlich ausnahm, daß das ganze Bataillon in
lautes Gelächter ausbrach. Düret gab nun das Zeichen zum Abmarsch, der
Tambour-Major ließ das Roulement schlagen, und wir marschierten mit
rechts in die Flanken _pas acceleré_ ab. Ich aber und noch ein paar
Kameraden nahmen jeder einen der Pfaffen unter den Arm und ersuchten
sie, uns doch wenigstens das Geleit bis an das nach Bologna führende Tor
zu geben, wozu sie auch ohne Widerstand einwilligten, und so mußten die
wohlgenährten Herren unter dem Gelächter der Soldaten im
Geschwindschritt nach dem Takt der Kalbsfelle in ihrem burlesken Kostüm,
und zwar noch eine Strecke bis vor das Tor mittrollen, wo wir sie wieder
in Gnaden entließen. Sie mögen schwerlich wieder ähnliche Klagen bei
einem Kommandierenden geführt haben.

Der Marsch von Modena nach Bologna führte uns über mehrere Flüsse und
Brücken. Links von dem Flecken Forcelli kamen wir an der vom Lawino und
der Girando gebildeten Halbinsel vorüber, welche durch den Bund der
Triumvirn, Octavius, Antonius und Lepidus so berühmt geworden, die sich
hier gegenseitig verpflichteten, rücksichtslos alle zu opfern, die einem
von ihnen dreien schaden könnten. Cicero und Lepidus' Bruder selbst
wurden ein Opfer dieses Versprechens.

Mit dem frühen Morgen standen wir vor den Toren von Bologna, auf
ehemaligem päpstlichen Gebiet, und bekamen das erste päpstliche Geld,
die Bajocchis zu sehen, die hier noch kursierten. Überhaupt war es auf
dem Marsch von Genua bis hierher gerade wie in dem weiland heiligen
deutschen Reich, fast in jeder Stadt traf man andere Geldsorten, anderes
Maß und Gewicht an.

Bologna, das Bononia der Alten, ist nach Rom die bedeutendste Stadt des
Kirchenstaates und zählt über sechzigtausend Einwohner, sie ist
befestigt, und gerade ein Dutzend Tore führen in das Innere der Stadt zu
den meistens schönen breiten Straßen derselben. Sie liegt an zwei
Wassern, dem Fluß Reno und dem Flüßchen Savena; über den ersteren führt
eine schöne, zweiundzwanzig Bogen lange Brücke; sie hat über sechzig
Kirchen und wenigstens ebensoviele Klöster, die alle mehr oder weniger
bedeutende Kunstschätze aufzuweisen haben. Fast alle Häuser dieser Stadt
sind von Quadersteinen aufgeführt und haben Bogengänge. Auf einem Platz
in der Mitte der Stadt stehen die beiden berühmten, aber eben nicht
schönen schiefen Türme, welche die Namen Asinella und Garisanda führen,
über deren Entstehen folgende Sage im Munde des Volkes geht.

Zwei junge Architekten verliebten sich in das wunderschöne
fünfzehnjährige Töchterchen eines reichen Goldschmieds, der demjenigen
von ihnen, welcher das künstlichste Bauwerk aufführen würde, die
liebenswürdige Signorina zur Gattin zu geben versprach. Da baute der
eine einen schiefen Turm, aber der andere setzte einen noch weit
schieferen daneben, und dem letzteren wurde die Tochter samt dem reichen
Brautschatz; so weit die Sage. Die Wahrheit von der Entstehung dieser
Türme ist aber wo möglich noch alberner als die Fabel; denn daß
Verliebte dumme Streiche machen, ist ganz in der Ordnung und liegt in
der Natur der Sache, daß aber zwei sehr reiche Edelleute vor
siebenhundert Jahren ihren Reichtum nicht besser zu verwenden wußten,
als ein paar ganz unnütze und das Auge beleidigende Baukunststücke
aufführen zu lassen, war ein alberner Streich; sie haben jedoch dadurch
wenigstens ihre Namen auf die Nachwelt gebracht, denn noch jetzt werden
diese Türme nach ihnen Asinella und Garisanda genannt, und Dante hat
ihnen sogar die Ehre erzeigt, ihrer in seinen Gedichten zu erwähnen. Der
eine ist so schief und überhängend, daß er einen angsterregenden Anblick
gewährt, wenn man ihn zum erstenmal sieht, dies verliert sich aber bald,
und den anderen Tag, wir hatten Ruhetag in Bologna, bestieg ich ihn
keck.

Bologna hat mehrere Theater, sie waren aber während unseres kurzen
Aufenthaltes daselbst geschlossen. Diese Stadt ist fortwährend der
Sammelplatz aller sich außer Engagement befindlichen italienischen
Schauspieler, Schauspielerinnen, Sänger, Sängerinnen, Tänzer und
Tänzerinnen, und die mimische Vorratskammer, aus der sich alle
Theaterdirektionen Italiens rekrutieren. Oft sind nicht weniger als ein
halbes Tausend dieser dramatischen Künstler hier, auf Engagement
wartend.

Ich war hier, zum erstenmal seit Genua, weder in einer Lokanda noch in
einem Kloster einquartiert, sondern wieder in einem Privathaus, bei
einem Signor Magnani, einem Advokaten, der zwei hübsche Töchter und eine
nachsichtige Frau hatte. Die Mädchen klimperten recht artig Gitarre, wie
fast alle Mädchen und Frauen in Italien bis zu den untersten Ständen
herab. Ich machte der Familie einen Höflichkeitsbesuch, und da ich mich
nun schon ziemlich geläufig italienisch auszudrücken wußte, so war die
Unterhaltung bald animiert. Das Hauptthema war wie gewöhnlich die Musik,
und die Damen erzählten mir, daß erst vor kurzem einige _tedeschi_ bei
der hiesigen Oper Furore gemacht hätten, auch der eine in Mailand, der
andere für die Bühne zu Neapel engagiert worden sei. Ich bat die
Mädchen, die ich schon vorher hatte musizieren hören, mich doch durch
ihr Talent erfreuen zu wollen, und die Jüngste trug sogleich das damals
in Italien sehr beliebte Schalksliedchen >_Una povera ragazza, se
n'andie una mattina_< und so weiter _per confessarsi_ -- mit viel Feuer
und Ausdruck vor, worauf beide ein paar komische Duette von Guglielmi
und Cimarosa in echt italienischer Manier, das heißt _parlando_ sangen.
Ich holte nun auch meinen Klavierauszug aus dem Don Juan hervor und
studierte mit beiden das Duettino: >_La ci darem la mano_<, das sie nach
einer halben Stunde, mehr dem Gehör als der Musik nach, denn sie waren
nicht sehr taktfest im Ablesen der Noten, so ziemlich sangen, welches
ihnen so viel Vergnügen machte, daß sie mich um die Erlaubnis baten, es
sogleich abschreiben zu dürfen. Wir kamen hierauf auf die Stadt und ihre
Umgebungen zu sprechen, und ich äußerte den Wunsch, daß, da wir hier
einen Ruhetag hätten, ich auch gerne etwas von der letzteren sehen
möchte. Das jüngste Mädchen, Giuglietta, erwiderte mir, daß sie den
nächsten Morgen mit ihrer Mutter die Madonna di San Luca besuchen würde,
deren schöne Kirche ein paar Miglien (eine kleine Stunde) vor der Stadt
liege und zu der ein Säulengang führe, unter dem man vor Hitze und
schlechtem Wetter vollkommen geschützt sei. Ich bat um Erlaubnis, die
Damen dahin begleiten zu dürfen, aber die Signora _madre_ meinte, es
ginge schlechterdings nicht an, daß Damen allein in Begleitung eines
Fremden, und gar eines Signor _Uffiziale francese_, über die Straßen
gingen, namentlich da sie ihr Mann wegen Mangel an Zeit nicht begleiten
könne. Ich wußte indessen diesen Einwand zu beseitigen, sie bittend, in
Zivilkleidern vor der Stadt sie erwarten zu dürfen, was mir dann auch
die Mama nicht nur zugestand, sondern meinte, ich könne ihnen in einiger
Entfernung, da ich doch den Weg nicht wisse, durch die Stadt folgen. Ihr
und den Töchtern dankend die Hände küssend, empfahl ich mich, um meine
Streifereien durch Bologna zu beginnen, brachte aber den Abend wieder in
ihrer Gesellschaft plaudernd und musizierend zu. Den anderen Tag wurde
in der Morgenkühle die Wallfahrt zu dieser Madonna angetreten. Ich
folgte den Damen, so wie wir übereingekommen waren, in einiger
Entfernung durch die Stadt, und gesellte mich unter den ersten Bogen vor
derselben zu ihnen. Dieser Säulengang war unabsehbar und schien gar kein
Ende zu nehmen; es sind weit über sechshundert Arkaden, und jeder dieser
Bogen ist von einer frommen Seele oder Familie, auch oft von einer
ganzen Körperschaft oder Zunft, wie Tischler, Schlosser, Bäcker,
Schneider, sogar auch von Soldaten und Bedienten erbaut, jeder hat
andere Verzierungen, Malereien, Arabesken von sehr verschiedenem Wert,
was diesen Spaziergang recht unterhaltend macht; mehrmals sind die Bogen
auch durch durchbrochene Felsen geführt. Einige fromme Personen haben
auch mehrere, manche ein ganzes Dutzend dieser Bogen auf ihre Kosten
errichten lassen und dafür einen großen Extra-Ablaß auf Gott weiß
wieviel Jahre erhalten; dagegen müssen ihre Erben oder ihre Familien
diese Bogen, von denen wohl manche einzelne über tausend Taler kosteten,
gehörig unterhalten, sonst würden die armen Seelen der Stifter um viele
Jahre länger im Fegfeuer schmachten. Alle diese Bogen sind Heiligen, die
meisten aber der Jungfrau selbst und namentlich der Jungfrau vor und
nach den Kindesnöten geweiht. Endlich waren wir in der Kirche und bei
der Madonna angekommen, deren Wunderkraft mir die Signora Magnani mit
vielem Eifer und großer Beredtsamkeit erklärte und mir dabei ganz
ernsthaft versicherte, das Bild habe der heilige Lukas selbst gemalt.
Wir hielten uns ziemlich lange dabei auf, denn die Damen wurden mit
Beten und Andachtsübungen nicht fertig, ich aber hatte diesen lebenden
Madonnentöchtern schon längst auf der Promenade hierher zu verstehen
gegeben, wie sehr ich sie anbete, und bedauerte nur, so wenig Zeit übrig
zu haben, ihnen Proben von der Wahrhaftigkeit dieser Versicherung
liefern zu können, da uns das grausame Schicksal schon den nächsten Tag
trennen sollte. Doch hoffe ich bald wieder und auf längere Zeit nach
Bologna zu kommen, und dann ...

»Ach,« sagte die Signore _madre_, »den Herren Soldaten und besonders den
_Signori francese_ ist nicht weiter zu trauen, als man sie sieht.«

Die Dame sprach wahrscheinlich aus früherer Erfahrung, denn ihre
Blütenzeit war längst vorüber.

»Ja,« setzte Lucilla, die ältere Tochter, hinzu, »man hat uns sehr
ernstlich vor diesen Herren gewarnt, sie sollen den Mädchen nur die
Köpfe verrücken und, sich dann den Mund abwischend, lachend davongehen.«

»Lügen, lauter Lügen, das können Sie mir glauben, Illustrissima, und
zudem bin ich ja kein Franzose, sondern ein ehrlicher _tedesco_.«

Die Damen sahen mich nun mit großen Augen an, und Giuglietta sagte
endlich: »Ja, das habe ich immer sagen hören, daß die _Signori tedeschi_
treu wie Gold und die besten Ehemänner seien.«

»Da hat man Ihnen vollkommen die Wahrheit gesagt, Signorina.« -- Auf dem
Rückweg wurden wir nun schon weit vertraulicher, trennten uns aber
wieder vor den Toren der Stadt, und den Abend brachte ich bis zum
Abmarsch des Bataillons, der um zehn Uhr in der Nacht festgesetzt war,
bei der liebenswürdigen Familie zu; bei dem Abschied wurde mir
gestattet, die Damen, versteht sich Mama zuerst, zu küssen, und ich
wurde auch eingeladen, wenn mich der Zufall wieder nach Bologna führe,
nicht vergessen zu wollen, sie zu besuchen, was ich feierlich versprach,
und schied, ärgerlich, nicht ein paar Tage länger hier weilen zu können.
Aber das ist ja das Los des Soldaten und war es besonders zu jener Zeit.
Ich eilte nun auf den Sammelplatz, mein >_Non piu andrai_< wieder
trillernd, und kam gerade noch zur rechten Zeit an, denn man hatte schon
lange rappeliert, als ich noch immer mit meinen Schönen plauderte.

Es war halb elf, als wir den nächtlichen Marsch durch die finsteren
Straßen Bolognas zu dem nach Imola führenden Tor hinaus mit klingendem
Spiel antraten, welches manche Schöne im Nachtkleid noch ans Fenster
lockte.

Da ich in Bologna wenig geruht und also ziemlich müde war, so blieb ich
gleich anfangs hinter dem Bataillon zurück, um bequemer marschieren und
von Zeit zu Zeit ruhen zu können. Bald hörte ich einen Wagen kommen und
erkannte ihn für den der Madame Grenet; dieses Renkontre war mir gerade
nicht angenehm, und ich hätte es gerne vermieden, aber die Dame hatte
mich trotz der Finsternis bereits erkannt und mir zugerufen: »Herr
Leutnant Fröhlich, gehören Sie auch zu den Maroden?«

»Um Vergebung, ich habe mich nur ein wenig verspätet.«

»Nun, was machen Sie denn, Sie lassen sich ja gar nicht blicken.« (Ich
hatte die Dame auf dem ganzen Marsch bisher möglichst gemieden.) »Nicht
wahr,« fuhr sie fort, »Ihre Streiche in Genua, ja, da muß man sich
freilich verstecken.«

»Das gerade nicht, Madame, und ich glaube, daß gewisse Damen, deren
Anschläge ich genau kennen gelernt, noch mehr Ursache hätten, sich vor
mir zu verbergen, als ich mich vor ihnen. Ich bin noch im Besitz eines
Billetts, das ...«

»Wozu diese Zänkereien?« fiel mir Madame Grenet ins Wort. »Ich bin nicht
so rachsüchtig, machen wir Frieden; es ist ziemlich kühl, ich biete
Ihnen einen Platz in meinem Wagen an, es fährt sich doch besser, als man
geht, und Sie kommen dann weniger ermüdet auf der Station an.«

Ich nahm das Anerbieten an, das mir gerade nicht so unwillkommen war,
und saß bald an der Seite der Dame. Noch hatte ich zwar die
liebenswürdigen Advokatentöchter im Kopf, aber doch bereits Madame
Grenet im Arm. Ein ewiger Friede wurde förmlich geschlossen und durch
glühende Küsse besiegelt. Madame Grenet war ja hübsch und jung, ich
hatte heißes Blut, dabei die Finsternis der Nacht, die Gelegenheit mit
einer liebenswürdigen Frau im engen Raume eines Wagens, da mag der
Henker kalt bleiben; alle Unbill war von beiden Seiten schnell in dem
Taumel des Genusses vergessen, und nach einer guten Stunde verließ ich
den Wagen, um mich dem nicht mehr sehr entfernt marschierenden Bataillon
wieder anzuschließen.

Schon mit dem Grauen des Tages rückten wir in Imola ein, einer Stadt von
ungefähr achttausend Einwohnern, die ein festes Schloß, aber außer einem
schönen Spital wenig Merkwürdiges enthält. Der damalige Papst (Pius
VII.) war hier längere Zeit Bischof. Sie war auch der Schauplatz der
verruchten Schandtaten Cäsar Borgias. Julius II. brachte sie an den
heiligen Stuhl. Sie hat wenigstens ein paar Dutzend Kirchen und Klöster.
Eine Stunde nach Sonnenuntergang wirbelten die Tambours abermals zum
Abmarsch; diese Nacht führte uns leider um Mitternacht durch das schöne
Faenza, dessen Einwohner unser durch Trommeln und Musik geräuschvoller
Durchmarsch aus dem Schlaf aufgeschreckt haben mag, nach Forli. --
Faenza ist ziemlich groß, soll bei sechzehntausend Einwohner, nicht
weniger als zwanzig Klöster und dreißig Kirchen haben und ist eine der
hübschesten Städte der ganzen Romagna. Von ihr hat das Töpfergeschirr
Fayence, das noch jetzt in vorzüglicher Güte daselbst verfertigt wird,
seinen Namen.

Forli liegt am Fuße der Apenninen, in einem fruchtbaren Tale, an der
alten _Via Aemilia_. Die Stadt ist nicht übel gebaut, hat einen sehr
schönen Marktplatz, und der Versammlungssaal ihres Stadthauses ist von
Raphael gemalt. Auch sie hat bei zehn- bis elftausend Einwohnern
Dutzende von Klöstern und Kirchen. Manche ihrer Kirchen und Paläste
sollen interessante Kunstschätze enthalten, um die ich mich aber immer
weniger auf diesem Marsch bekümmerte, da wir, von den Nachtmärschen
ermüdet, einen großen Teil des Tages mit Schlafen zubringen mußten, auch
war damals das Beste und Schönste im Louvre zu Paris.

Von Forli kamen wir über Forlimpopoli, welches Gregor XI., weil alle
seine Einwohner Räuber geworden waren, 1370 gänzlich zerstörte, nach
Cesena, der Vaterstadt Pius' VI., dem man hier eine Bildsäule errichtet
hat, sowie der Pius' VII., der aber damals noch keine hatte. Unter den
unzähligen Klöstern dieser Stadt ist das der Benediktiner, welches auf
einem Berg vor dem Tor liegt, wegen seiner großen Pracht merkwürdig.

Ohne Cäsar zu sein, ging auch ich über den Rubikon, ein kleines
Flüßchen, das jetzt Pisatello heißt und kaum eine Stunde von Cesena
entfernt, auf dem Wege nach Rimini, unserem nächsten Nacht-, vielmehr
jetzt Tagquartier, vorbeifließt. Ein Papst hatte feierlich zu
entscheiden geruht, daß der Luso der alte Rubikon sei, aber Seine
Unfehlbarkeit hatte hier, wie so oft schon, einen Fehlschuß getan, der
längst zur Satire geworden ist.

Auch wir gingen also über den Rubikon, und auch nicht so ganz
bedeutungslos; denn es galt ja die schon begonnene Eroberung des
Königreichs Neapel vollenden zu helfen und dessen Regenten zum Teufel zu
jagen.

Rimini erreichten wir wieder mit Tagesanbruch. Es liegt an der Mündung
des Marechia, nahe am Adriatischen Meer, das vor Zeiten dessen Mauern
bespülte. Sein ehemaliger Hafen war jetzt in einen großen Garten
umgeschaffen, und der kleine, jetzt noch bestehende kann nur von
geringen Fahrzeugen und Fischerbarken besucht werden. Von römischen
Altertümern ist noch die Brücke vorhanden, die unter der Regierung des
Tiberius vollendet wurde, Augustus hatte sie begonnen; ein diesem Kaiser
zu Ehren erbauter Triumphbogen ist auch noch vollkommen erhalten und
gleich der Brücke aus weißen Sandsteinen erbaut. Außerdem sind noch
viele andere römische Altertümer daselbst, und auf dem Marktplatz wird
eine Art Fußgestell gezeigt, von dem herab Cäsar seine Truppen angeredet
haben soll, nachdem er über den Rubikon gegangen war. Überhaupt konnten
wir jetzt keinen Schritt mehr vorwärts tun, ohne jeden Augenblick durch
Monumente und historische Begebenheiten an das welterobernde Volk der
Römer erinnert zu werden, dessen klassischen Boden wir betreten hatten.

Da wir hier wieder einen Ruhetag hatten, so benutzte ich denselben, um
einen Ritt nach der von Rimini wenige Stunden entfernten, wegen ihrer
Unbedeutendheit berühmten und deshalb unangefochtenen Republik
San-Marino zu machen, deren Haupt- und einziges Städtchen und Gebiet
wenig mehr als fünftausend Bewohner zeigt. Ein Maurer aus Dalmatien
namens Marin soll sie im sechsten Jahrhundert gegründet haben, und zwar,
wie die Sage will, auf folgende Veranlassung.

Dieser Mensch hatte sein halbes Leben damit zugebracht, an den Werken
von Rimini zu arbeiten, hierauf fiel es ihm ein, sich dem beschaulichen
und erbaulichen Leben zu widmen und ein Einsiedler zu werden. Jetzt
lebte er ebenso keusch und fromm, als er früher ausschweifend und
sündhaft gelebt hatte, er legte sich selbst die schwersten Bußen und
strengsten Strafen auf. Längere Zeit wußte man nicht, was aus ihm
geworden war, er trieb die Sache sehr geheim, endlich aber hatte ihn ein
ebenfalls reuiger Sünder bei diesen Kasteiungen belauscht und bat den
frommen Mann, auch ihn in Gnaden aufnehmen zu wollen, worauf sich der
Geruch seiner Heiligkeit bald weiter verbreitete und er viele Jünger
oder Schüler erhielt. Der Berg, auf dem er seine Einsiedelei angelegt,
gehörte damals einer Fürstin der Umgegend, die ihm denselben zum
Geschenk machte, auf welchem er nun die kleine Republik, aus lauter
Frommen bestehend, gründete und die noch jetzt, wenn auch nicht mehr aus
Einsiedlern, doch aus sehr friedlich gesinnten Menschen besteht, denen,
um Krieg zu führen, alles fehlt.

Das Städtchen San-Marino liegt auf einem etwas steilen Berg, zu dem ein
ziemlich bequemer Fußweg führt, es hat sogar ein kleines Kastell mit
mehreren Türmen; in seinem Gebiet wächst ein guter Wein auf den Höhen
des Berges, der aber den Klöstern der Republik gehört und von deren
trägen Bewohnern fast ausschließlich in behaglicher Ruhe getrunken wird;
so klein dieser Staat auch ist, so muß er doch ein halbes Dutzend dieser
Faulnester nähren.

Ich war in Begleitung von mehreren Kameraden auf Mietpferden nach
San-Marino geritten, unter diesen befand sich ein erst kürzlich vor dem
Abmarsch von Genua zum Regiment gekommener Offizier, der in
österreichischen Diensten gestanden und sich kurz vor der Schlacht von
Austerlitz hatte fangen lassen. Er war Hauptmann gewesen und bei unserem
Regiment als Leutnant eingetreten, wozu ihm die Gnade des Fürsten Y.,
dem er sich empfohlen, verholfen hatte. Dieser Mensch, der sich Baron
von Neumann nannte, dessen Bauch jedoch weit besser in eine Pfaffenkutte
als in eine Uniform gepaßt hätte, war nur in der Hoffnung mit nach
Marino geritten, daß es daselbst etwas Tüchtiges für seinen Schnabel,
das heißt brav zu essen und zu trinken absetze, fing aber schon zu
fluchen an, als der Weg etwas steil und unbequemer zu werden begann; als
er aber erst das kleine Städtchen sah und in demselben nichts als etwas
Käse und Brot zu essen fand, da sagte er ganz aufgebracht zu mir: »Dos
is holter auch der Müh' wert g'wesen, uns in so än Nest z'führen, wo's
halt nix z'nagen und nix z'beißen gibt, ich dank für d'Ehr.« -- Als ich
ihm von der Seltenheit und Sonderbarkeit, die diesen Staat merkwürdig
machen, erzählen wollte, ließ er mich nicht endigen, sondern fiel mir
mit den Worten in die Rede: »I' hob den Henker von so 'ner
Merkwürdigkeit, die größte Merkwürdigkeit für mi is holt ä gut's
Schweinsbrates und ä gut's Glaserl Wein.« -- Das letztere verschaffte
ich ihm auch, wodurch er bald zum Schweigen gebracht wurde, er fand das
Gewächs vortrefflich und war bald so selig, daß er bei der Heimkehr sein
Roß nicht mehr ohne Hilfe zu besteigen vermochte; war es uns gelungen,
ihn auf der einen Seite mit aller Mühe hinaufzuheben, so fiel er auf der
anderen wieder herab. Glücklicherweise hatten wir sehr geduldige und
kraftlose Mähren, die sich alles gefallen ließen. Ich machte den
Vorschlag, den Kameraden auf seiner Rosinante festzubinden, aber es
fehlte uns an Stricken, und es war nicht so leicht, deren in San-Marino
aufzutreiben. Als wir uns endlich im Besitz der nötigen Bindemittel
befanden, legten wir den vollen Sack, der wenigstens ein halbes Dutzend
Pokale geleert hatte, quer über das Tier, wie jeden anderen Sack, und
banden den schnarchenden aber ganz bewußtlosen Leichnam auf demselben
fest. Wir waren noch keine fünf Minuten geritten, als die Bande durch
das Rütteln schon locker wurden und unser Freund Neumann unter sein Roß
rutschte; wir hoben ihn wieder auf, banden ihn nochmals fest, aber jetzt
kam er allmählich wieder etwas zur Besinnung und wollte gleich den
anderen wieder zu Pferd sitzen. Man tat ihm den Willen; es ging nun in
kurzem Trabe den jähen Berg hinab, aber nach wenig hundert Schritten
stürzte Neumann, der ohnehin nicht reiten konnte und das Pferd nicht in
der Hand hatte, sondern ihm die Zügel schießen ließ, samt demselben und
fiel so unglücklich, daß er ein Bein brach. Jetzt war die Not groß, und
nur mit schwerer Mühe und glänzenden Versprechungen brachten wir ein
halbes Dutzend Landleute, die wir aus Marino holten, zusammen, um den
Verunglückten auf einer Tragbahre nach Rimini zu bringen, wo er erst bei
sinkender Nacht ankam, über sein hartes Geschick und über mich, als die
erste Veranlassung zu demselben, fluchend und wimmernd. Den Trägern
gaben wir jedem einen Scudo romano; dies war ein teurer Lustritt. --
Neumann mußte zurück- und im Lazarett bleiben, bis er geheilt war, wo er
so gut verpflegt wurde, daß er sich bald von dem einen zum andern trug
und ein wahrer Spitalbruder ward. Die französischen Offiziere wurden
allerdings in den Lazaretten der Städte, namentlich in dem Kirchenstaat,
wie die Herren gepflegt und behandelt. Ich sah den guten Neumann nie
wieder, denn er wurde zum Depot des Regiments geschickt, und habe später
nur soviel erfahren, daß nach dem Frieden von 1814 die österreichische
Armee so glücklich war, den Helden wieder in ihren Reihen zu sehen.

Den folgenden Tag kamen wir nach Sinigaglia, das Beaucaire oder Leipzig
Italiens hinsichtlich seiner sehr besuchten hochberühmten Messen.

Sinigaglia ist an und für sich keine sehr bedeutende Stadt, hat kaum
zehntausend Einwohner, treibt aber viel Handel und ist ziemlich gut
befestigt. Zu ihren Messen strömen die Fremden aus ganz Italien,
Griechenland, Dalmatien und der Schweiz herbei; ihr nicht sehr großer
Hafen ist für Kauffahrteischiffe bequem und sicher. Die Häuser dieser
Stadt sind alle gut gebaut, auch hat sie einige ausgezeichnet schöne
Kirchen. In der fruchtbaren Gegend nach Urbino zu zeigt man noch
Hasdrubals Grab, das die Einwohner den Monte Asdrubale nennen.

Unsere folgende Etappe war Loretto, ein beschwerlicher und ermüdender
Marsch; aber dafür sollten wir auch durch den Anblick des heiligen
Hauses der Jungfrau Maria und sogar durch das Betreten desselben mit
unseren unheiligen Füßen belohnt werden. Die Stadt ist klein, zählt kaum
sechstausend Einwohner, die fast alle von dem Schacher mit heiligem
Firlefanz leben; sie liegt auf einer Anhöhe, von der man eine herrliche
Aussicht auf das Adriatische Meer und dessen Küsten hat. In der Haupt-
und einzigen bedeutenden Straße der Stadt sieht man Bude an Bude
gereiht, in denen nichts als Kruzifixe, Madonnenbilder mit dem
Jesuskind, Kreuzchen, Rosenkränze, allerlei Reliquien, künstliche
Blumen, Medaillen zur Ehre der Jungfrau und anderer Heiligen geprägt,
Wachskerzen, Borden, Bänder und ähnlicher Kram verkauft werden. Mitten
in der prachtvollen, großen und schönen Kirche der Madonna von Loretto
befindet sich das heiligste Haus der ganzen Christenheit, dasjenige, in
welchem die Jungfrau geboren und erzogen wurde. Es ist ein sehr
bescheidenes, von Backsteinen und Holz erbautes Häuschen, das _la
santissima casa di Nazaretto_ genannt wird und welches die lieben
Engelein im Jahre 1291 aus Galiläa, aber ohne das Fundament, das ihnen
wahrscheinlich zu schwer war oder zu viel Mühe auszugraben kostete,
durch die Lüfte nach Dalmatien entführten, um es vor den wilden Horden
der Ungläubigen in Sicherheit zu bringen und zu schützen, wozu
wahrscheinlich der allmächtige Gott nicht Macht genug im gelobten Lande
hatte; da es aber auch hier noch nicht sicher genug schien, so trugen
sie es drei Jahre später in einen Wald unfern Racamati; aber auch dieser
Ort schien ihnen nach abermals drei Jahren nicht ganz passend, und nun
flogen sie Anno 1295 mit ihm nach Loretto und stellten es da nieder, wo
es noch steht. Diese erbauliche Geschichte mit allen dazu gehörigen
Umständen, treu und ganz der Wahrheit gemäß ausführlich beschrieben,
verkauft man zu Loretto in allen Sprachen gedruckt. Das Haus ist nur
achtzehn Fuß hoch, fünfundzwanzig lang und etwa zwölf breit und würde in
unseren Tagen auch einem nur mittelmäßigen Bauern zu klein und zu eng
erscheinen; dagegen ist aber die Kirche, die es beschirmt, um so größer
und geräumiger, fast ganz in morgenländischem Stil erbaut, mit kostbaren
Türen von Erz versehen und hat unzählige Beichtstühle, für alle Nationen
und Sprachen bestimmt, über denen zu lesen ist: >Für Polen, für
Franzosen, für Spanier, für Deutsche, für Engländer< und so weiter.
Hunderttausende von Pilgrimen aus allen Ländern Europas und der
Christenheit, jedes Ranges, Alters und Standes wallfahrteten früher zu
dieser Kirche, ihre Zahl hatte aber so sehr abgenommen, daß sich kaum
der fünfzigste Teil von ehedem mehr einfand, und was das Schlimmste war,
meistens arme Teufel, die statt zu bringen, empfangen mußten, welchen
man hier Wohnung und magere Kost, eine schlechte Suppe, so lange ihr
kurzer Aufenthalt währte, verabreichte.

So klein das Häuschen war, vielleicht eines der kleinsten Europas, so
wurde es doch bald eines der reichsten, wo nicht das reichste. Die
Schätze, die es noch vor der französischen Revolution aufzuweisen hatte
und die es größtenteils frommen Monarchen, Fürsten und anderen reichen,
zum Teil auch armen Seelen verdankte, waren unermeßlich, ihr Verzeichnis
füllte ein ganzes Buch. Kolossale Engel von gediegenem Gold, ungeheure
Lampen von demselben Metall, noch weit größere von vergoldetem Silber,
Kronen mit Edelsteinen reich geschmückt, von ungeheurem Wert, für die
Mutter Gottes und ihren Sohn, unter denen eine von Ludwig XIII., die er,
um das Gelübde, das er getan, wenn er einen Sohn erhielte (Ludwig XIV.,
dessen Vater er indessen nicht war), zu erfüllen, der Madonna von
Loretto schenkte, mit mehr als dreitausend Diamanten verziert war;
unzählige Reliquienkästchen von Gold, Perlen und Edelsteinen, in denen
man Gott weiß was für Knochen aufbewahrte, Pokale, Ketten und
dergleichen waren ohne Zahl vorhanden und die Mauern, Wände und Nischen
mit Gold- und Silberplatten bekleidet. Pius VI. mußte das Heiligtum
schon eines Teils seiner Schätze berauben, um den Franzosen die durch
den Frieden von Tolentino (1797) schuldig gewordene Summe bezahlen zu
können. Aber bald darauf nahmen diese ungebetenen Gäste den noch übrigen
Teil und plünderten Haus und Kirche, ihnen alles von Wert raubend, sogar
die Statuetten der Madonna mitnehmend, mit Ausnahme der von Zedernholz,
die der heilige Lukas selbst, obgleich ebensowenig Bildhauer als ich ein
Verschnittener, verfertigt haben soll, und die sie respektierten, ob aus
Achtung für den Heiligen oder wegen des geringen Kunst- und materiellen
Wertes, den sie hat, will ich dahingestellt sein lassen. Indessen wurde
behauptet, daß die Geistlichkeit, die von der bevorstehenden Plünderung
einigen Wind gehabt, denn man weiß, daß die Herren in der Regel gute
Nasen haben, doch einen großen Teil der Schätze, namentlich die
kostbarsten Edelsteine und Perlen, die sie durch falsche ersetzte, auf
die Seite geschafft habe. Dem sei, wie ihm wolle, wir fanden, als wir
nach Loretto kamen, wenig von den echten Schätzen mehr vor, die so
prächtig gewesen sein sollen, daß das Auge ihren Glanz nicht zu ertragen
und der erfahrenste Juwelier sie nicht zu schätzen vermochte. Die
Jungfrau samt dem Jesuskind trugen nun Kronen mit falschen Steinen, doch
hingen schon wieder viele silberne und reich vergoldete, fortwährend
brennende Lampen in der Kirche und dem Haus, das gerade unter der Kuppel
des Doms steht und von dem ewigen Lampenrauch ganz schwarz gefärbt ist.
Der Fußboden gleicht einem Damenbrett, und besteht aus weißen und roten
viereckigen Platten. Die braune, zedernhölzerne Madonna steht in einer
Nische des Häuschens, gerade unter dem Schornstein, das Jesuskind im Arm
und mit einem langen schwarzen Schleier behängt. Von diesem Schleier
erhalten alle frommen Gläubigen ein kleines Stückchen, das auf einem
gedruckten Zeugnis aufgeklebt ist und ihnen zur schützenden Reliquie
dienen soll; und -- o Wunder! -- soviel auch jahrein jahraus von diesem
Schleier abgeschnitten wird, so wird er doch nie kleiner, sondern das am
Tage Abgeschnittene wächst bei Nacht wieder nach. Auch die
Suppenschüssel Marias wird gezeigt, in welcher man Rosenkränze, Kreuze,
Medaillen und so weiter herumrührt und einweiht. Man erhält ferner
daselbst eine kleine viereckige Tüte von Papier, auf welcher das heilige
Haus abgebildet ist, wie es die guten Engel durch die Lüfte
transportieren, und die etwas von dem von der Mauer desselben
abgeschabten Staub enthält, wofür man einige Paoli bezahlt. Auch diese
Reliquie gilt für ein sicheres Amulett gegen alles Böse, gegen
Widerwärtigkeiten, Krankheiten, Zauberei und so weiter, man trägt sie an
einem Bändchen oder Kettchen um den Hals, auf die Brust herabhängend.
Auch ich versah mich mit einer solchen, zum Andenken an meine
Anwesenheit in Loretto, und hatte es wahrlich nicht zu bereuen, denn sie
bewirkte in der Tat kein geringes Wunder an mir, mich von einem grausam
schmählichen Tod errettend, wie wir bald sehen werden. Außerdem kaufte
ich ein Dutzend kleiner Rosenkränze von allen Farben, grün, rot, gelb
und so weiter, ließ sie in der heiligen Suppenschüssel umrühren und
schickte sie dann per Post meinem Vater, um sie an die übrige
Verwandtschaft auszuteilen, die, obgleich es Ketzer waren, diese
Aufmerksamkeit doch gut aufnahmen. Auch die Küche der Jungfrau und das
Fenster, durch welches der Engel der Verkündigung zu ihr einflog, ließ
ich mir zeigen.

Loretto verlassend, entfernten wir uns wieder von den Küsten des
Adriatischen Meeres und marschierten landeinwärts nach Macerata, einer
ansehnlichen, auf einem Berge liegenden Stadt, von der man das Meer noch
einmal erblickt, die fünfzehntausend Einwohner, mehrere sehr schöne
Kirchen und ein merkwürdiges Tor, Porta Pia, eine Art Triumphbogen mit
drei Durchgängen hat. Sie steht auf der Stelle des alten _Helvia
Ricina_, das die Goten zerstörten, und hatte früher eine Universität. --
Von hier kamen wir nach Tolentino, einem an sich sehr unbedeutenden
kleinen Städtchen, das keine fünfzehnhundert Einwohner zählt, aber
dennoch fünfzehn Kirchen hat und den Leichnam des heiligen Nikolaus
aufbewahrt, was dem sonst sehr toten Ort an dessen Festtag einiges Leben
verleiht. Hier wurde 1796 der Friede zwischen dem Papst und der
französischen Republik geschlossen, der dem erstern große Opfer kostete
und wenig oder keinen Nutzen brachte. Durch das ebenso berüchtigte
Col-Fiorilo, wohin der Weg eine ziemliche Strecke zwischen durchhauenen
Felsen führt und das so enge ist, daß kein Wagen dem anderen ausweichen
kann, sondern derjenige, der am nächsten beim Ausgang ist, rücklings
zurückfahren muß, marschierten wir bei Nacht. Der Weg von hier bis
Foligno, besonders bei den sogenannten Steinbrüchen, ist fortwährend
sehr schmal und für das Fuhrwerk äußerst gefährlich, da er längs
schauerlichen Abgründen hinführt, in die schon sehr viele Wagen samt
Pferden und Reisenden hinabstürzten, und doch wird nicht dafür gesorgt,
diese Gefahr durch tüchtige Schranken zu beseitigen! --

Spoleto, unsere nächste Etappe, ist eine alte, an einem Berge liegende,
aber schlecht gebaute und befestigte Stadt, die im Altertum durch den
mutigen Widerstand, den sie dem Hannibal leistete, berühmt wurde, jetzt
aber kaum sechstausend Einwohner, nicht weniger als zwei Dutzend
Faulenzernester, vulgo Klöster genannt, noch mehr Kirchen hatte; zwanzig
Einsiedeleien liegen obendrein auf einem nahen Berg, zu dem ein
anmutiges Tal führt. Hier ist die Faulenzerei und mit ihr die Bettelei
zu Hause, denn das träge Vieh in den Klöstern speist das zerlumpte und
ebenso faule in den Straßen mit den übriggebliebenen Brocken. Jeder sich
meldende Bettler bekommt eine Klostersuppe.

Der Marsch von hier nach Terni ging über die Somma, den höchsten Gipfel
der Apenninen in dieser Gegend, auf dem zur Heidenzeit ein Tempel des
Jupiter Summanus stand. Terni ist die Vaterstadt des berühmten
Geschichtsschreibers Tacitus und des Kaisers, der denselben Namen
führte. Es liegt zwischen zwei Armen des Flusses Nera, der hier eine
Insel bildet, und hat ebenfalls noch viele römische Altertümer, unter
denen die Ruinen eines Amphitheaters und eines Sonnentempels. Diese
Stadt rühmt sich eines gleichen Alters mit Rom.

Da wir hier wieder einen Ruhetag hatten, so schlug ich mehreren
Kameraden vor, eine Partie nach dem berühmten Wasserfall von Terni, der
fünf Miglien (etwa anderthalb Stunden) von der Stadt entfernt liegt, zu
machen. Hauptmann Grenet und seine Frau waren mit von derselben. Der Weg
dahin führt durch einen Olivenwald und durch ein Dorf, von dem er sich
furchtbar steil, oft an schwindelnden Abgründen vorüber, auf dem Berg
hinzieht. Wir waren fast alle auf Eseln, nur einige, unter denen auch
ich, zu Pferde. In einiger Entfernung von der Kaskade stiegen wir ab und
legten den Rest des Weges zu Fuß zurück, wurden aber bald von dem
Wasserstaub benetzt. Über hundertsechzig Meter stürzt sich hier der
Velino von den Felsen in den jähen Abgrund herab und gibt dem erstaunten
Wanderer ein großartiges, ergreifendes Schauspiel, welches der Anblick
der Milliarden, in allen Farben spielenden Wasserperlen, die das wieder
emporspringende Wasser bildet, beim Sonnenschein so prächtig macht, daß
das Blitzen aller Diamanten dagegen als fahl und matt erscheinen muß.
Das Geräusch, welches die fallenden Wassermassen verursachen, ist
donnerähnlich, und die sich wie Nebel wieder erhebenden Wasser formieren
einen großen Staubwirbel, der wie ein Tau abermals niederfällt und den
erstaunten Zuschauer durch und durch naß macht. Dieser Wasserstaub
bildet unaufhörlich auf- und niedersteigende Brillantbogen, die man mit
Entzücken bewundert; es ist eines der schönsten Naturschauspiele der
Welt. Auf dem Rückweg nahmen wir in dem Dorf an dem Olivenwäldchen eine
echt italienische Kollation, aus Brot, Käse, Orangen und Feigen
bestehend, so ziemlich alles, was man nebst einem Glas Wein in einem
solchen Ort in Italien haben kann.

Von Terni kamen wir wieder an unabsehbaren Abgründen vorüber nach Narni,
das auf einem Berg an der Nera liegt, kaum viertausend Einwohner zählt
und von tausendjährigen Olivenbäumen umgeben ist. Das heitere Tal, durch
welches man zwischen Terni und Narni kommt, ist dasselbe, welches
Plinius als so außerordentlich fruchtbar schildert, daß man hier viermal
des Jahres Heu erntet. Es wird von der Nera bewässert.

Von hier aus marschierten wir über Otricoli und mehrere andere
unbedeutende Orte, kamen bald an die Ufer der Tiber, die wir zum
erstenmal erblickten, und längs derselben nach Civita-Castellana, dem
alten berühmten Veja, das Camill bezwang und wo die dreihundert Fabier
fielen. Diese Stadt ist jetzt sehr klein, zählt kaum ein paar tausend
Seelen und liegt auf einem steilen, die Umgegend beherrschenden Berg.
Die Hauptkirche derselben steht auf einem isolierten Felsen wie auf
einer Insel und ist vermittelst einer Brücke mit der übrigen Stadt
verbunden.

Jetzt verspürten wir schon die Nähe der alten Welthauptstadt. Ruinen,
Wasserleitungen, Tempelreste, Monumente jeder Art und hie und da eine
Villa verkündeten uns die hochberühmte Campagna, in welcher die
Hauptstadt der christlichen Welt liegt.

Monterosi, in dessen Umgegend sich noch etrurische Ruinen und Altertümer
befinden, sollte unser letztes Quartier vor Rom sein; da uns aber die
Marschroute keinen Rasttag in Rom selbst gestattete, so gab Düret dem
Wunsch der meisten Offiziere, unter denen auch ich war, nach, ließ das
Bataillon nur wenige Stunden in Monterosi ruhen und dann nach Rom
aufbrechen, damit wir wenigstens einen Tag vollständig und mit Ruhe
daselbst zubringen konnten, denn niemand war imstande, uns zu
garantieren, daß wir jemals die berühmte Stadt wieder betreten würden.

Indessen wurde uns dieser Doppelmarsch, der zum Teil über die alte Via
Cassia ging, beschwerlich genug, es schien, als wolle er gar kein Ende
nehmen. Jeder Landmann, dem wir begegneten, wurde mit: »_Quante miglie
ancora?_« von den Soldaten angeredet, und antwortete gewöhnlich mit:
»_Poche signore, strada romana, strada buona!_«, und murrend und
fluchend, sich durch das Wenig immer getäuscht zu sehen, ging der Marsch
weiter.

Öder und wüster wurde aber jetzt die Gegend, wir waren in der verrufenen
Campagna di Roma und kamen häufig an Galgen und Pfählen vorüber, an
denen Köpfe gespießt und halb verfaulte Schenkel, Arme und Körper
hingen, von Legionen Raubvögeln umflattert und angenagt, lauter
Überreste greulicher Raubmörder und Banditen. Wir waren die ganze Nacht
und fast den ganzen Tag marschiert, wenige Stunden Ruhe in der
Mittagszeit ausgenommen, und erblickten endlich gegen Abend die schon
lange und heißersehnte Siebenhügelstadt mit ihren Kuppeln, Domen und
Türmen, aus deren Häusermeer vor allem Sankt Petri Dom wie ein Berg
hervorragte. -- Der Anblick dieser sogenannten ewigen Stadt, deren
Geschichte ich genau kannte, und in der seit Jahrtausenden so viel
Großes, Wunderbares und Außerordentliches vorgefallen, von der aus so
viel Unheil über die ganze Erde, in alter und neuer Zeit, unter den
heidnischen Kaisern wie den christlichen Päpsten ergangen, erschütterte
mich tief und machte einen großen Eindruck auf mich. Lange staunte ich
diese toten Massen, Zeugen von so viel Untaten, wenig Helden- und noch
weniger guten Taten an. Es ging nun etwas bergab; bald kamen wir an dem
Grab Neros vorüber, wo er aber schwerlich begraben liegt, und an die
Pontemolle, die alte _Pons Aemilius_, an der Cicero die Verschworenen
verhaften ließ, als sie sich in das Lager Catilinas begeben wollten;
hier überwand auch Konstantin den Tyrannen Maxcenz. Erst wenige Monate
vor unserer Ankunft (1805) hatte Pius VII. diese Brücke wieder
herstellen lassen. Noch immer war die Gegend öde und fast wie
ausgestorben. Von hier marschierten wir auf der _Via Flaminia_, erst
zwischen einsamen Gartenmauern, und dann an einer langen Häuserreihe
vorüber, bis vor die Porta Popolo, wo wir noch vor Sonnenuntergang, aber
durch den forcierten Marsch zum Umfallen müde, ankamen. Glücklicherweise
war das Gebäude, eine Art Kaserne, in welcher das Bataillon einlogiert
wurde, gerade das letzte Haus rechts vor dem Tor, und alle Säle in
demselben fanden wir schon dick mit Stroh belegt, denn Betten gab der
heilige Vater den französischen Soldaten noch nicht. Die Leute waren so
müde, daß sie sich kaum die Mühe nahmen, ihre Tornister, Patronen,
Gewehre und Patronentaschen abzulegen und sich angekleidet auf die
einladende Streu fallen ließen, den Henker nach Rom, seinen Denkmälern
und dem Papst fragend, worauf sie bald um die Wette schnarchten. Ich
nahm zwar das mir zukommende Quartierbillett an, das auf eine
Privatwohnung in der Stadt selbst lautete, verspürte aber keine Lust,
dieselbe noch diesen Abend in deren vielleicht entferntesten Vierteln
aufzusuchen, sondern warf mich, es zu mir steckend und noch einen Blick
durch das Tor auf die Piazza Popolo werfend, wo ich den Obelisk und die
Eingänge zu drei unabsehbaren Straßen gewahrte, ebenfalls unter die
Karabinier-Kompagnie auf die Streu. Mein Kapitän, ein Hauptmann Leclerc,
machte es ebenso, und die meisten Offiziere, die keine Pferde hatten,
folgten unserm Beispiel; wir schliefen fest und ungestört, bis den
kommenden Morgen die Sonne schon hoch über der ewigen Stadt stand,
hatten besser als auf den schwellendsten Polstern geruht, und machten
uns endlich aus dem Stroh und unsere Toiletten, uns in _grande tenue_
steckend, um uns durch die Porta Popolo, die alte _Porta Flaminia_, in
das Innere der merkwürdigen Weltstadt zu begeben und deren
hauptsächlichste Sehenswürdigkeiten aufzusuchen.

Man wird hier keine ausführliche Beschreibung Roms und seiner
Merkwürdigkeiten erwarten, die allein dicke Bände füllen würde, und die
schon so oft beschrieben und wieder beschrieben worden sind, außerdem
brachte ich diesmal nur einen einzigen Tag daselbst zu, der kaum
hinreicht, das Interessanteste im Flug zu übersehen.

An das Tor dell Popolo stellten wir Schildwachen von zwei Karabiniers
auf, welche den Befehl hatten, nur die ganz reinlich und ordonnanzmäßig
gekleideten Soldaten unsers Bataillons in die Stadt zu lassen, auch
durften nicht mehr als zwanzig Mann der Kompagnie auf einmal in dieselbe
gehen.

Als ich den Korso entlangging, begegnete ich dem Kapitän Gasqui mit noch
einigen Offizieren, die mich einluden, sie zu begleiten und ihnen als
Dolmetscher zu dienen, da noch keiner von denselben zehn Wörter
italienisch konnte, sie auch wußten, daß ich in der römischen Geschichte
bewandert war und eine ziemlich genaue theoretische Kenntnis von Rom
hatte. Gerne schloß ich mich dieser Gesellschaft an, wir schlugen zuerst
den Weg nach der Sankt Peterskirche ein, wo uns der ungeheure
zirkelrunde, von vierfachen Säulenreihen umgebene Platz mit seinen
prächtigen zwei Springbrunnen und dem höchsten Obelisk Roms in der
Mitte, die Fassade des berühmtesten Tempels der Christenheit, neben dem
sich rechts der stolze Vatikan zu den Wolken erhebt, allerdings in
Staunen und Bewunderung versetzte. Nicht so das Innere der Kirche, das
diesmal, besonders auch hinsichtlich der Größe, hinter meiner Erwartung
zurückblieb, deren ungeheure Dimension man aber nach und nach, die
einzelnen Teile betrachtend und näher untersuchend, gewahr wird, weil
das Ganze eben durch das Kolossale derselben zu sehr gedrückt wird und
überladen scheint. Ich machte, soviel ich es imstande war, Vasis
Beschreibung von Rom, die ich mir schon in Bologna angeschafft hatte, in
der Hand, den erklärenden Ciceroni, und gab mir vorzüglich viel Mühe,
die reizende Madame Gasqui auf die hauptsächlichsten Schönheiten
derselben aufmerksam zu machen. Wir hatten uns hier schon eine ganze
Stunde verweilt, als ich die Gesellschaft erinnerte, daß, wenn wir noch
mehr in Rom sehen wollten, es Zeit sei, weiterzugehen. Einige wünschten
noch den Vatikan zu besuchen, worauf sie aber auf meine Bemerkung, daß,
um ihn nur flüchtig zu durcheilen, was uns noch vom Tage übrigbleibe
nicht hinreichen möchte, verzichteten, und wir verständigten uns dahin,
für diesmal nur noch das Pantheon, das Kapitol, das Kolosseum, das alte
Forum, jetzt Campo Vaccino, die Triumphbogen des Titus, Konstantins und
Monte-Cavallo zu besuchen, die alle in großer Entfernung von der
Peterskirche liegen, so daß wir vollauf zu tun hatten, dies möglich zu
machen. Wir gingen nun wieder an dem nahen Castel St. Angelo vorbei, zum
zweitenmal über die Engelsbrücke und nahmen, auf der großen Piazza
Navona angekommen, zwei Mietkutschen, wo ich es so einzurichten wußte,
daß ich mit Herrn und Madame Gasqui in der einen, die übrigen Offiziere
aber in der andern fuhren; wir begaben uns zuerst in das Pantheon,
ehemals allen Göttern Roms und Griechenlands geweiht, und jetzt die
Kirche San Maria Rotonda, die mit Recht allen Architekten, die ähnliche
Meisterwerke, denn sie ist ein solches, aufführen wollen, zum Modell
dient. Von hier fuhren wir zum Kapitol, das wir zwar bestiegen, aber
dessen Inneres wir nicht sahen, weil uns die Zeit dazu mangelte. Vom
Kapitol begaben wir uns auf das Campo Vaccino und zu dem Kolosseum,
dessen Größe allerdings kolossal genug ist, um überraschend zu
imponieren; es faßte über hunderttausend Zuschauer, und hier wurden die
größten Schauspiele der Welt aufgeführt; in Europa kenne ich kein
zweites Gebäude, das so in Erstaunen setzt, obgleich ein Teil desselben
mutwillig niedergerissen wurde, um dessen Steine zu andern Bauten zu
benutzen. Die schöne Madame Gasqui am Arm, in Gesellschaft der übrigen,
wanderte ich im Innern desselben von Station zu Station (es sind hier
die vierzehn Leidensstationen Christi in der Runde aufgestellt). Hierauf
sahen wir noch die beiden erwähnten Triumphbogen, fuhren nach
Monte-Cavallo, den von Seiner Heiligkeit bewohnten Palast zu sehen, und
von da auf die Piazza Colonna, wo ich die Gesellschaft beredete, noch
die Antoniussäule zu besteigen, was aber Kapitän Gasqui wenigstens für
seine Person ablehnte, weil ihm das Steigen zu beschwerlich war. Auf der
sehr engen Treppe, welche im Innern derselben zu ihrem Gipfel führte,
reichte ich der Madame Gasqui die Hand, um ihr das Steigen zu
erleichtern und den übrigen den Weg zu zeigen; wir waren aber bald durch
ein Dutzend Stufen von den uns Folgenden getrennt, die uns aus den Augen
verloren, und um der Dame die Mühe noch weniger beschwerlich zu machen,
faßte ich sie um ihre schlanke Taille, sie von einer Stufe zur andern
hebend, was sie auch lächelnd geschehen ließ, sowie daß ich sie bei
jedem Schritt aufwärts fester an mich drückte, was sie zu ignorieren
schien. Der Weg zu einem intimeren Verhältnis war dadurch gebahnt, das
sich auch später zwischen uns entspann. Schon auf der Insel
Porquerolles, als ich die liebenswürdige junge Frau durch das Gebüsch
kommen sah, hatte sie mein Herz stärker schlagen gemacht, in Genua aber
sah ich sie nur wenig und war so sehr mit den dortigen Schönen
beschäftigt, daß mir keine Zeit übrigblieb, noch an andere zu denken.
Erst auf dem Marsch von da bis hierher bekam ich sie öfters, meistens
ritt sie im Gefolge des Bataillons, zu Gesicht, und hatte manchmal ein
paar Worte und Blicke mit ihr gewechselt. Den heiligen Paulus, der jetzt
statt des Kaisers Antonius Pius auf der Säule steht und diese
verunstaltet, bat ich heimlich, meine neue Inklination in Schutz zu
nehmen. Nachdem wir uns gehörig umgesehen und den Umfang der ungeheuern
Stadt bewundert hatten, verließen wir die Säule, ohne daß es mir möglich
gewesen wäre, uns bei dem Herabsteigen von den Übrigen zu trennen, die
uns dicht auf den Fersen folgten. >Oh, wären wir doch allein gewesen!<
seufzte ich bei mir selbst. Kapitän Gasqui nahm uns unten in Empfang und
meinte, wir seien etwas lange geblieben.

Wir nahmen nun noch ein fröhliches Mahl bei einem Restaurateur auf dem
Spanischen Platz ein und begaben uns jeder in sein Quartier, uns zum
nahen Abmarsch vorzubereiten. Die Sonne war bereits hinunter, und der
Abmarsch war für die zehnte Stunde beordert; ich aber hatte mein
Quartier nicht einmal aufgesucht, begab mich wieder in meine Kaserne
zurück und ruhte noch ein paar Stunden bis zur ersten Rappelle des
Tambours. Bald stand das Bataillon unter dem Gewehr, aber bevor wir
abmarschierten, setzte es noch ein kleines Donnerwetter. Von mehreren
Orten, wo wir einquartiert gewesen, und namentlich auch von Loretto,
waren bei dem päpstlichen Gouvernement Klagen wegen des von den Soldaten
in Klöstern und Kirchen verübten Unfugs eingelaufen, die das unflätige
Anschmieren der Wände mit Kohlen, meistens Zerrbilder auf die Pfaffen,
und auch andere, die Keuschheit derselben beleidigende Dinge betreffend,
nicht unterlassen konnten, wegen deren man unsern Bataillonschef Düret
in Rom zur Rede gestellt hatte. Dieser erließ jetzt einen strengen
Tagesbefehl und verbot bei schweren Disziplinarstrafen, sich ferner
dergleichen zu unterfangen, er hielt auch noch einen Sermon vor der
Front an das Bataillon dieserhalb, sowie wegen der ziemlich zahlreichen
Deserteure, von denen man gerade ein halbes Dutzend wieder eingebracht
hatte, welchen man mit Erschießen drohte, wozu es indessen nicht kam.
Hierauf wurde mit rechts in die Flanken, und zwar in aller Stille, ab-
und durch die heilige Stadt ohne Trommelschlag und klingendes Spiel
marschiert, denn es durften laut Konvention damals keine französischen
Truppen bewaffnet durch die Residenz des Papstes marschieren, sondern
sie mußten den großen Umweg um die Mauern derselben machen. Es war also
eigentlich eine Infraktion, die wir begingen, von der jedoch keine Notiz
genommen wurde. Heller Mondschein leuchtete durch die Straßen der Stadt,
deren Gebäude und Schatten uns wahrhaft riesig erschienen. Von Zeit zu
Zeit ließen die Blasinstrumente unsers Musikkorps eine sanfte Melodie
oder einen _pas redoublé_ ohne türkische Musik ertönen, was diesen
Marsch noch romantischer machte. Endlich kamen wir durch die Porta San
Giovanni, die nach Albano, unserem nächsten Quartier, führt, wo ich,
ermüdet, den ganzen Tag verschlief. Von hier marschierten wir über
Veletri durch die pontinischen Sümpfe nach Terracina, wo wir einen
Ruhetag hatten. Von da nach Fondi, dem ersten neapolitanischen
Städtchen, und durch üppige Gegenden nach Mola di Gaëta, wo wir uns
endlich auf dem Schauplatz der kriegerischen Ereignisse befanden, und
den neunten oder zehnten Tag nach unserm Abmarsch von Rom ohne besondere
Abenteuer, meist spottschlechte Quartiere habend, eintrafen.

Noch in einer ziemlichen Entfernung von Mola di Gaëta, das auf den
Ruinen des alten Formio erbaut ist, hörten wir schon den Kanonendonner
des Geschützes der die Festung beschießenden Artillerie. Gegen neun Uhr
des Morgens kamen wir zu Mola an, wo unser erster Blick auf Verwundete
fiel, die man ins Feldlazarett transportierte, welche soeben bei den
Belagerungsarbeiten durch das Geschütz der Belagerten übel genug
zugerichtet worden waren, und von denen einige mit dem Tode rangen.

Bevor ich mit dem Bericht der Blockade und Belagerung von Gaëta während
unsers Aufenthaltes vor dieser Festung fortfahre, muß ich ein paar Worte
über die damalige Besitznahme von Neapel durch die Franzosen
vorausschicken.

Napoleon hatte in den Feldern von Austerlitz beschlossen, der Herrschaft
der Bourbonen in Neapel ein Ende zu machen, weil der König Ferdinand
IV., gegen den Vertrag vom 21. Juli 1805, den Russen und Engländern die
Häfen seines Reiches geöffnet hatte. Im Februar 1806 war das
französische Heer in drei Kolonnen unter dem Oberbefehl von Napoleons
Bruder, dem Prinzen Joseph, und dem Marschall Massena, der das Zentrum
befehligte, im Königreich Neapel eingerückt. General Regnier, der den
rechten Flügel kommandierte, war vor Gaëta gerückt, während Massena
Capua fast ohne Widerstand nahm und die Franzosen schon den 14. Februar
in die Hauptstadt eindrangen; einen Tag später hielt Joseph seinen
feierlichen Einzug in dieselbe. Einstweilen war der linke Flügel des
Heeres, meistens aus italienischen Truppen bestehend, unter dem General
Lecchi über Itri vorgedrungen, und als wir im Mai nach Mola di Gaëta
kamen, war, Gaëta und einige andere, im Absatz und an der Sohle des
italienischen Stiefels liegende Gegenden ausgenommen, schon der größte
Teil des Königreiches von den französischen Truppen besetzt, aber noch
weit entfernt, beruhigt zu sein. Der Tanz sollte im Gegenteil erst recht
angehen und lange und blutig genug werden. Unterdessen war durch ein
kaiserliches Dekret der Prinz Joseph zum König von Neapel ernannt
worden.




                                 XVII.

   Die Belagerung von Gaëta. -- Mola di Gaëta. -- Abmarsch nach Neapel.
   -- Sessa. -- Ein Dominikanermönch verführt zwei Korporale. -- Capua.
   -- Aversa. -- Neapel. -- Vetter Moritz. -- Der neue König und seine
      Regierung. -- Das Blut des heiligen Januarius wird zugunsten
       der Franzosen flüssig. -- Scheußliche Exekutionen. -- Der
       Vesuv speit Feuer. -- Die Lazzaroni. -- Die italienischen
      Benefizvorstellungen. -- Aufstand in Kalabrien. -- Abmarsch
                                 dahin.


Der General Regnier hatte den Versuch gemacht, die starke Festung Gaëta
durch eine Überrumpelung zu nehmen, der jedoch verunglückt war; denn der
Prinz von Hessen-Philippsthal, der in derselben kommandierte,
verteidigte sich auf das tapferste und hatte geäußert: »Gaëta ist nicht
Ulm und ich bin nicht Mack.« Der General Grigny und mehrere Offiziere
und Soldaten hatten bei diesem Versuch das Leben verloren; doch war eine
Redoute weggenommen worden. Regnier hatte nun eine Abteilung seines
Armeekorps vor der Festung gelassen, um diese einstweilen im
Blockadezustand zu halten, und war mit dem Überrest seiner Truppen
weiter in das Königreich Neapel vorgerückt. Im Monat März wurden die
Belagerungsarbeiten begonnen. Unterdessen hatten die Franzosen das
neapolitanische Heer, durch Insurgenten verstärkt, in den Engpässen von
San Martino überflügelt und auf das Haupt geschlagen, so daß sich
dasselbe in zügelloser Flucht auflöste; ein Bataillon von der
königlichen Garde, mehrere tausend Gefangene, Geschütz, Pferde und
Bagage waren den Siegern in die Hände gefallen. Der Rest flüchtete sich
in die Gebirge von Kalabrien.

Schon lange vor unserer Ankunft hatte man angefangen, die Festung zu
beschießen, und fand für nötig, das von Regnier zurückgelassene
Belagerungskorps, das anfänglich nur aus zweitausendfünfhundert Mann
bestand, bis auf fünfzehntausend Mann zu verstärken, sowie das nötige
Belagerungsgeschütz nicht ohne große Beschwerlichkeiten, zum Teil sogar
von Mantua, kommen zu lassen. Die meisten Lafetten dazu wurden erst im
Lager selbst verfertigt.

Wir biwakierten größtenteils in Baracken oder Erdhütten und waren bei
den Schanzarbeiten dem feindlichen Feuer sehr ausgesetzt. Man hatte mir
oft gesagt, daß selbst der unerschrockenste Mensch, der zum erstenmal in
das Feuer der Schlachten komme, sich des sogenannten Kanonenfiebers und
eines Herzklopfens nicht erwehren konnte, indessen habe ich bei dieser
Belagerung, wo ich zum erstenmal feindliche Kugeln zischen hörte, von
diesem Fieber nichts verspürt, obgleich unsere Kompagnie an einem der
gefährlichsten und dem Geschütz der Festung am meisten ausgesetzten Ort
arbeiten mußte; dagegen verursachte mir der Anblick der oft schwer
Verwundeten und Verstümmelten eine schmerzliche Empfindung. Gewiß ist
es, daß ein passives Verhalten vor dem Feinde oder bei dessen Angriffen
am ersten geeignet ist, Herzklopfen zu verursachen, besonders wenn man
in einem hintern Treffen müßig, das Gewehr im Arm, stehen muß, während
die vordern schon handgemein sind und man die armen Teufel mit
zerschmetterten Gliedern, Armen und Beinen, jammernd, stöhnend, ächzend
und Schmerzensgeschrei ausstoßend, vorübertragen sieht; da gebe ich gern
zu, daß auch der Mutigste nicht gleichgültig bleibt, er hat wenigstens
ein banges Vorgefühl, weshalb man immer die nicht gleich ins Feuer
kommenden Truppen womöglich so zu placieren suchen sollte, daß ihnen
dieser eine nachteilige Wirkung habende Anblick erspart würde. Wenn
aber, kaum in Schlachtordnung gestellt, der Angriff sogleich beginnt, so
ist das Wirbeln der Trommeln, das Schmettern der Trompeten, das Wiehern
der Rosse, der Donner des Geschützes und das Abfeuern der Gewehre, sowie
das betäubende Schlachtgetöse überhaupt, ganz dazu gemacht, den
Soldaten, wenn er auch nicht gerade zu den Tapfersten gehört, zu
begeistern und zu ermutigen. Wenigstens erging es mir so, und wenn das
Getümmel des Gefechts am ärgsten war, hatte ich am wenigsten Sinn für
Gefahr, in die ich mich mit Enthusiasmus, ja mit einer Art von Wut
stürzte, und nur der ausgemachteste Feigling kann dann noch Sinn für
Flucht oder Angst haben.

Es waren besonders zwei Anhöhen, von denen der Hauptangriff auf die
Festung gemacht werden mußte. Beide waren durch eine Schlucht getrennt.
Auf dem einen Hügel stand ein altes Gemäuer, _Terra attratina_ genannt,
in welchem man Pulver aufbewahrte, der andere Hügel hieß _Monte secco_;
auf beiden wurden Batterien aufgepflanzt, nachdem man mit den Laufgräben
fertig war, die man anlegen mußte, um die Leute dem feindlichen
Geschütz, das ein ununterbrochenes, furchtbares Feuer unterhielt, ohne
es erwidern oder sich verteidigen zu können, nicht zu sehr bloß zu
geben, denn es setzte täglich eine bedeutende Zahl Toter und
Verwundeter. An der Küste hatte man ebenfalls mehrere Batterien
errichten müssen, um sich vor den Angriffen der feindlichen, namentlich
der englischen Schiffe zu sichern, da die Kanonierschaluppen und
Bombardierschiffe oft sehr nahe an das Ufer kamen. Die Arbeiten waren
überhaupt sehr mühsam, und es bedurfte einer großen Menge Sandsäcke,
Schanzkörbe, Faschinen und so weiter, wozu die Materialien und das Holz
sehr weit im Lande, bis bei Fondi, geholt werden mußten; auch traf man
bei dem Graben der Laufgräben nicht selten auf alte Mauern und
Fundamente, die so fest und stark waren, daß sie mit Pulver gesprengt
werden mußten, selbst die zu den Parapets nötige Erde mußte eine
ziemliche Strecke weit herbeigeführt werden.

Gaëta selbst ist eine außerordentlich starke Festung, vielleicht mit die
stärkste auf dem ganzen europäischen Kontinent, und von der Natur
außerordentlich begünstigt, ein zweites Gibraltar. Sie liegt auf einer
Erd- oder vielmehr Felsenzunge, ist von drei Seiten vom Meer umströmt,
durch steile Felsen geschützt und hat einen trefflichen Hafen. Der
Strich Landes, durch den sie mit dem Festland zusammenhängt, ist kaum
zweitausend Schritte breit.

Die Stadt mochte etwa achttausend Einwohner zählen, von denen jedoch
viele geflüchtet waren.

Die Garnison der Festung bestand aus zirka siebentausend Mann, sie wurde
von der See aus durch die englischen, von dem tapfern Admiral Sidney
Schmidt befehligten Schiffe mit allem, was ihr Not tat, reichlich
versehen und ihr Verstärkungen zugesichert, auch schlug Philippsthal
jeden Antrag einer Kapitulation auf das entschiedenste aus. Es war keine
kleine Aufgabe für eine Macht, die nicht Herr zur See war, unter diesen
Umständen Gaëta zu bemeistern. Ein großer Fehler, den der dort
kommandierende Prinz begangen, war, daß er die Vorstädte nicht hatte
abbrennen lassen, die uns einen bedeutenden Schutz und die Mittel,
manches Bedürfnis zu befriedigen, gewährten, überhaupt von großem Nutzen
waren. Das Feuer aus der Festung war manchmal so heftig und anhaltend,
daß es einem unaufhörlich rollenden Donner glich, aber die Munition
wurde meistens vergeblich verschossen, nachdem die Belagerungsarbeiten
weit vorgerückt waren; doch die Belagerten wurden ja damit auf das
freigebigste von den Engländern versorgt, es kam ihnen also nicht darauf
an, ein paar tausend Pfund Pulver und Kugeln in den Wind zu jagen.

Unser Bataillon blieb nicht länger als siebzehn Tage vor der Festung,
während welcher es siebzehn Mann verlor. Diese ganze Zeit hatte ich mich
nur dreimal entkleiden und auf einer Matratze in Mola schlafen können,
so anstrengend war der Dienst; die übrige Zeit schliefen wir auf harter
Erde, in Mäntel gehüllt, Tornister als Kopfkissen benutzend. Auch mit
den Nahrungsmitteln war es schlecht bestellt, oft bestand mein ganzes
Mittagsmahl in etwas Reis und Mais, in Wasser abgekocht und mit Öl
geschmolzen; nur Wein war immer im Überfluß vorhanden, an Fleisch
mangelte es. Man wird mir zugestehen, daß mein Debüt auf dem
Kriegsschauplatz nicht das angenehmste war. Unsere Damen, die in Mola
blieben, verließen uns schon in den ersten Tagen, um es in Neapel
bequemer zu haben.

Die Gegend um Mola di Gaëta selbst ist sehr einladend, mit Lorbeeren,
Myrten, Orangen und so weiter bedeckt und sieht einem großen Garten
ähnlich. Die Frauen und Mädchen sind hier zierlich gewachsen, verstehen
sich vorteilhaft zu kleiden, waren aber gewaltig franzosenscheu und
verbargen sich so viel als möglich unsern Blicken. Der Wein ist von so
guter Qualität, daß die meisten Soldaten und viele Offiziere sich
denselben weit mehr schmecken ließen, als es der Gesundheit zuträglich
war, wie die Folgen bewiesen; ich trank ihn immer nur mit Wasser
vermischt, wie es die Einwohner machen, und blieb gesund dabei. Nichts
ist dem Körper zuträglicher, als Mäßigkeit im Essen und Trinken, er
verträgt dann auch weit leichter alle Strapazen und Entbehrungen, und
selbst Exzesse anderer Art schaden ihm weniger, dabei ist es gut, sich
in jedem Lande möglichst bald die Gewohnheiten der Bewohner hinsichtlich
der Nahrung anzueignen; denn diese wissen längst aus Erfahrung, was am
besten taugt.

Da ein paar Wochen nach unserer Ankunft wieder mehrere Bataillone aus
Oberitalien zu dem Belagerungskorps gestoßen waren, so wurden andere,
unter denen auch das unsrige, zum Abmarsch nach Neapel beordert, was uns
sehr willkommen war; denn nichts ist unleidlicher als das lange
Biwakieren vor einer Festung, es ist ein wahrer Tantaluszustand, man hat
fortwährend das Ziel vor Augen und kann es nicht erreichen.

Wir brachen nach Sessa auf, unser erstes Quartier, nachdem wir das
Lager, oder besser Biwak, denn Zelte hatte niemand gehabt, vor Gaëta
verlassen hatten. Hinter Mola kommt man bald über den Fluß Garigliano,
den alten Liris, der Latium von Campanien trennt. Das Städtchen ist ein
elendes Nest von kaum dreitausend Einwohnern, in dem nichts zu haben war
und wir sehr schlechte Quartiere hatten, die uns jedoch köstlich dünkten
im Vergleich mit unsern Lagerstätten vor Gaëta. Die Soldaten lagen auf
Welschkornstroh, wieder in einem Kloster, deren es nicht weniger als
sechzehn hier gab. Die Einwohner entschuldigten sich mit den
fortwährenden Durchmärschen und dem Belagerungskorps, das alles in der
Umgegend aufzehre, so daß sie uns selbst für Geld nichts geben könnten.
Ein Ei bezahlte ich mit zehn Grani (acht Kreuzer).

In einem großen Stalle spielte diesen Abend eine wandernde Truppe eine
neapolitanische Farce, der ich bis zehn Uhr zuzusehen die Geduld hatte.
Als ich dieses prächtige Theater verließ, begegnete mir ein Sergeant,
der mir sagte, daß mich der Bataillonschef schon allenthalben habe
suchen lassen. Ich eilte sogleich zu Herrn Düret, der mich mit den
Worten: »Aber zum Henker, wo stecken Sie denn immer?« empfing.

»Ich komme aus dem Theater.«

»Das weiß der Teufel, ich glaube, wenn man nur den blanken Hintern
zeigte, so müßten Sie auch noch ins Theater laufen. Das mag mir eine
saubere Komödie gewesen sein.«

»_Mon Commandant_ da können Sie recht haben. Aber was steht zu Ihrem
Befehl?«

»Jetzt ist es für heute zu spät: zwei junge Korporäle, Deutschböhmen,
haben eine Szene mit einem Dominikanermönch des Klosters, in dem sie
einquartiert sind, gehabt, und wurden von einem Sergeanten, _les
culottes bas_, hinter dem Chor mit dem Pfaffen erwischt. Die ganze
Schweinerei wurde mir hierher gebracht, und da ich das Gewälsche des
Pfaffen nicht verstehe, so ließ ich Sie suchen, um den Dolmetscher zu
machen; Sie sind aber nie zu finden, wenn man Sie braucht und somit für
heute abend entlassen.«

Der Pfaffe und die beiden Korporäle waren arretiert und in verschiedenen
Behältern festgesetzt. Den andern Morgen, wir blieben diese Nacht in
Sessa, wurde der Dominikaner seinem Prior zur Bestrafung übergeben, die
beiden Korporäle aber zu Gemeinen degradiert, mit einer Zugabe von
fünfzig Prügeln für einen jeden. Mehrmals kam es vor, daß die Mönche in
den Klöstern sich junge Soldaten aussuchten, diese mit gutem Essen und
Trinken reichlich traktierten, auch wohl berauschten, und dann zu ihren
unnatürlichen Lüsten zu verführen suchten. Ich entledigte mich des mir
gewordenen Auftrags, dem Prior tüchtig die Meinung zu sagen, mit so
großer Energie, daß es diesem ganz schwül dabei wurde, indem ich ihm
versicherte, es könne leicht dazu kommen, daß man sein ganzes Kloster
rasieren und die Mönche auf die Galeeren nach Frankreich schicken würde.
-- Nachdem diese schmutzige Geschichte beendigt war, schickten wir uns
zum Abmarsch nach Capua an.

Das moderne Capua liegt wie das alte in der üppigsten Gegend der
heutigen _Terra di lavoro_, die man deshalb auch _il Paradiso del
Paradiso_ nennt, denn die Neapolitaner heißen bekanntlich ihr Land _il
Paradiso_, das doch in mehr als einer Hinsicht auch ein _Inferno_ ist.
Die Stadt, welche etwa sechstausend Einwohner zählen mag, ist eine
Festung, im ganzen schlecht und aus den Trümmern des alten Capua gebaut,
hat aber einige schöne Kirchen, von denen eine, ich glaube die
Hauptkirche, eine große, von goldgelb lackierten Ziegeln bedeckte Kuppel
hat, so daß, wenn sie von der Sonne beleuchtet wird, sie ein goldenes
Dach zu haben scheint. Die Granitsäulen, welche diese Kirche in großer
Zahl stützen, sind verschiedenen heidnischen Tempeln entnommen und daher
sehr ungleich an Form und Dicke.

Die Festungswerke dieser Stadt sind von dem berühmten Vauban angelegt,
aber nichtsdestoweniger fiel sie den Franzosen fast ohne Widerstand in
die Hände. Am Tage unserer Ankunft wurde in einem großen geschlossenen
Raume, einer Art Hof, ein Stiergefecht nach spanischer Manier, aber sehr
_en miniature_, aufgeführt, das aber doch die Schönen Capuas
außerordentlich anzusprechen schien. Ein einziger Stier, der gerade
nicht zu den unbändigsten gehörte, wurde von einem halben Dutzend
wohlbewaffneter Kämpen gereizt, gehetzt, leicht verwundet und dann, ohne
getötet zu werden, nachdem er viele, mehr possierliche als zu fürchtende
Sprünge gemacht, wieder abgeführt, und zwar unter dem Jauchzen und
Beifall des Volks!

Von Capua brachen wir nach Aversa auf, das auf der Hälfte des Wegs nach
Neapel liegt. Was dieser Stadt einige Berühmtheit gibt, ist ihr
vortrefflich eingerichtetes Narrenhaus, in welches die angesehensten
Narren Neapels, freilich bei weitem nicht alle, eingesperrt werden. In
dem hiesigen Schloß hielten die alten Könige von Neapel öfter ihren Hof,
und Johanna I. ließ 1345 den König Andreas von Ungarn, ihren Gatten,
hier erwürgen.

Von hier marschierten wir endlich in die Hauptstadt des uns so gelobten
Landes, wo wir ein recht angenehmes Leben in Hülle und Fülle, in Saus
und Braus führen zu können hofften, denn von dem Ausmarsch aus Genua an
war fast nur die Rede von den Annehmlichkeiten, die uns zu Neapel
erwarteten. Ich hatte außerdem noch einen ganz besonderen Magnet, der
mich dahin zog, nämlich einen nahen Anverwandten namens Moritz aus
Frankfurt, der schon seit einer Reihe von Jahren hier etabliert war, als
Bankier ein großes und glänzendes Haus führte, und von dem ich die
Überzeugung hatte, daß er nichts weniger als eine jener gewöhnlichen
Geldsackseelen war, wie man sie leider in der körperlichen Hülle der
großen Mehrzahl dieser Mammonsknechte findet, die keinen andern Sinn als
für Batzenklang haben, und die deshalb in der Regel die unwissendsten
und langweiligsten Personnagen sind. Herr Moritz machte eine ehrenvolle
Ausnahme, er lebte den Künsten und Wissenschaften, ohne deshalb seine
Geschäfte zu vernachlässigen, sein Haus war der Sammelplatz der
ausgezeichnetsten Männer, mitunter auch der lustigsten Brüder und
geistreicher Frauen, die aber nicht zu den angesehensten gehörten, aus
Ursachen, die wir sogleich anführen werden, vielleicht eben darum um so
angenehmer waren, und folglich das unterhaltendste Haus von der Welt, in
dem keine Langeweile aufkommen konnte. Auch wußte ich, daß ich daselbst
einen freundlichen Jugendgespielen, einen Neffen meines Vetters, den
jungen Fritz Stock, der mit mir die Mädchenschule in Frankfurt besucht
hatte, treffen würde, Aussichten, die machten, daß ich mich Neapel
freudig näherte.

Seit mehr als einem Vierteljahr waren die Franzosen im Besitz dieser
Stadt, als wir daselbst ankamen; den 31. März 1806 war Joseph zum
Herrscher des Königreichs proklamiert worden. -- Die alte Königin
Karoline, Gattin Ferdinands IV., ein bitterböses Stück von einem Weib,
hatte zwar, nachdem alle Versuche, den Marsch der Franzosen aufzuhalten,
vergeblich gewesen, dem Heerführer derselben wissen lassen: sie würde
ihm, dem Reich den Rücken kehrend, nur dampfende Ruinen und Leichname
hinterlassen; da aber diese verruchte Äußerung sehr bald in Neapel
bekannt wurde, so hatten die bessern Bürger schnell zu den Waffen
gegriffen, sich in hundert Kompagnien organisiert, um das von ihrer
wohlwollenden Königin gedungene, besoldete Raubgesindel und die Banditen
im Zaum zu halten. Ihre Majestät überfiel nun selbst eine so gewaltige
Furcht, daß sie alle Zugänge zum Palast eiligst vermauern ließ und
zugleich bekanntmachte, es sei auch ihr Wille, daß Neapels brave Bürger
für die Sicherheit der guten Stadt wachten. Sie ließ aber zugleich in
aller Eile so viel Schätze wie möglich, und wo sie solche erwischen
konnte (sogar aus der Bank hatte sie zehn Millionen, die Privaten
gehörten, genommen), zusammenraffen, und entfloh samt ihrem Hofgesinde
damit nach Sizilien, von wo aus sie den Aufstand in Kalabrien schürte
und das glimmende Feuer zu hellen und blutigen Flammen anblies. Dieses
Weib war auch mit die Hauptanstifterin des Gesandtenmords zu Rastatt
gewesen.

Unser Bataillon wurde samt den Offizieren in die Fortezza nuova
kaserniert. Den Tag nach meiner Ankunft suchte ich sogleich meinen Herrn
Vetter auf, der in der Straße San Giacomo di Spagna wohnte, von dem ich
auf das herzlichste, ebenso von seinem Schwestersohn, dem jungen Stock,
mit offenen Armen aufgenommen wurde; man hatte mich schon seit einiger
Zeit nach Briefen von meinem Vater erwartet, von dem ich auch zwei
Schreiben an mich vorfand. Ich mußte gleich zu Tische bleiben und wurde
gebeten, so lange unser Aufenthalt in Neapel währte, mit demselben
vorlieb zu nehmen, was ich aber, den Dienst vorschützend, ablehnte, weil
es mich jedenfalls geniert haben würde; auch Maultiere und Pferde wurden
mir zu Exkursionen, sowie Plätze in Logen in San Carlo und der
Fiorentini, die beiden ersten Theater der Stadt, zur Disposition
gestellt. In Italien ist es nämlich der Brauch, nur noch ein kleines
Entreegeld an der Kasse zu bezahlen, wenn man Eintritt in die Privatloge
eines Freundes oder Bekannten hat, aus der man aber dann auf keinen
andern Platz gehen kann.

Moritz' gastfreies, splendides Haus wurde von der hohen Noblesse Neapels
sowie von der französischen Generalität und den Stabsoffizieren
frequentiert, und in demselben lernte ich den Seeminister Pignatelli,
den Polizeiminister Salicetti, den Oberst Franceschi, den Duca del Campo
chiaro und eine Menge Ducas, Principi, Marchesen und so weiter kennen,
von denen freilich gar manche nicht viel mehr sagen wollten als unsere
armen deutschen Edelleute, die sich aber die köstlichen Ortolanen,
Trüffelpasteten, den Lacrimä Christi und Champagner meines freigebigen
Vetters trefflich schmecken ließen, und nicht selten noch obendrein
dessen Kasse in Anspruch nahmen. Dafür ließen sie sich aber auch vieles
gefallen, einige waren die Souffre-Douleurs und die Zielscheiben des
Witzes der Offiziere; der junge Stock, der dieser neapolitanischen
Schmarotzer-Clique, die seinen guten Oheim auszog, nicht sehr hold war,
ging oft auf das unbarmherzigste mit ihr um, was jedoch die Herren nicht
vom Wiederkommen abhielt und sie das Essen und Trinken nicht minder
wohlschmecken ließ, ja sie fanden sich nicht selten ungeladen ein; als
eines Tages Herr Moritz ein _Diner fin_ auf seinem Kasino gab, aus den
ausgesuchtesten Leckerbissen bestehend und nur für einen kleinen,
auserwählten Kreis berechnet, sich aber dennoch drei dieser ungeladenen
neapolitanischen Schmeißfliegen, deren vortreffliche Schnüffelnasen den
Braten gerochen hatten, einfanden, sagte ihnen der junge Stock
geradeheraus, daß für sie kein Kuvert gedeckt sei, worauf sie mit
dreistlächelnder Miene erwidertem »_Oh vi piace di scherzare, Signore!_«
Stock wollte nochmals replizieren, aber sein zu guter Oheim fiel ihm ins
Wort und sagte: »Mein Neffe ist ein Spaßmacher, das wissen Sie,
allerdings sind Sie geladen.« Man kann sich keinen Begriff von der
Unverschämtheit dieser armen neapolitanischen Schlucker machen, die mit
der unverschämtesten Zudringlichkeit zugleich die größte
Niederträchtigkeit verbinden; ich war Zeuge, wie einer dieser Herren,
dem Stock soeben auf das empfindlichste mitgespielt hatte, demselben
gleich darauf mit seinem Taschentuch den Staub von den Stiefeln wischte.
Da Moritz nicht verheiratet war, sondern eine Opernsängerin, Signora
Brunni, zur Geliebten hatte, die er jedoch von der Bühne weggenommen,
und die also nicht mehr auftrat, so konnte man in seinem Haus auch keine
neapolitanischen Damen vom ersten Rang kennen lernen, dagegen aber
brachten viele der geladenen Herren auch die von ihnen unterhaltenen
Geliebten mit, meistens Prinzessinnen der verschiedenen Bühnen Neapels,
was dann die Gesellschaft und Unterhaltung außerordentlich heiter und
belebt machte und alle Langeweile verbannte. -- Unter den Gästen war
auch in der Regel ein Maestro di Musika (Kapellmeister), ein
wohlgenährter Dickwanst und Gutschmecker, der aber sein Essen durch das
Dirigieren der Musik, welche bei solchen Gelegenheiten meistens den
Schluß des Festes machte, wohl verdiente, aber den andern Gästen ganz
ungeniert, im Bewußtsein seines hohen Verdienstes um die Gesellschaft,
die besten Bissen vor dem Mund wegschnappte, wohl dreißig Ortolanen zu
verschlucken und mit ein paar Flaschen Cyprier oder Lacrimä
hinabzuspülen wußte. Unter den fast täglichen Tischgenossen befand sich
auch ein gewisser Metzler aus Frankfurt, der Bruder eines der reichsten
Bankiers daselbst, der den Titel Geheimerrat führte, er selbst aber war
blutarm und lebte ganz von der Großmut des Herrn Moritz, da ihm seine
reichen Verwandten auch nicht die mindeste Unterstützung zukommen
ließen.

Noch war den Franzosen in Neapel alles neu, und kein Mensch wußte sich
recht in die Neuheit dieser Dinge zu finden, am allerwenigsten der
neugebackene König, der zwar ein ziemlich unterrichteter Mann, von
gefälligen Sitten und Manieren war, aber wenig oder gar keine
Regententugenden besaß, und dem die einem Herrscher durchaus nötigen
Eigenschaften mangelten, die hier, wo es galt, ein soeben erobertes und
sich noch in Gärung und großen Unruhen befindendes Königreich zu
beruhigen, neu zu organisieren und sozusagen umzugestalten, hundertmal
erforderlicher waren, als bei der Besteigung eines angeerbten Thrones.
Dabei besaß Joseph, dieser ältere Bruder Napoleons, eine ziemliche Dosis
Eitelkeit bei wenig Charakterfestigkeit, und suchte seine unbedeutende
Herkunft durch einen übermäßigen Aufwand an Pracht und Pomp zu
bemänteln. Seine Tafel ließ er mit lukullischer Schwelgerei servieren,
er affektierte, Künste und Wissenschaften zu beschützen, war auch in der
französischen, italienischen Literatur ziemlich bewandert und hatte eine
oberflächliche Kenntnis von der englischen. Daß auch die Deutschen eine
solche hätten, schien er gar nicht zu ahnen oder glaubte wenigstens, daß
es eine ganz barbarische sein müsse, ein Vorurteil, das er mit der
großen Mehrzahl der gebildetsten Franzosen jener Zeit teilte. Er hatte
zwar zuerst seinem kaiserlichen Bruder gesagt, er möge ihn lieber im
Schoß seiner Familie leben, als über Völker herrschen lassen; aber der
Glanz einer Krone und eines Thrones machten ihn schnell andern Sinnes.
Da er ohne seine Gemahlin, ein seltenes Muster der Tugend und
Weiblichkeit, eine ganz vortreffliche Gattin und Mutter, die noch in
Paris zurückgeblieben, nach Neapel gekommen war, so führte er daselbst
ein ziemlich ausschweifendes, manches öffentliche Ärgernis gebendes
Leben. Die Weiber mußten ihm sogar bis auf die Jagd folgen, und man
nannte diese Damen nur seine Cacciatricen (Jägerinnen), wobei es weit
mehr auf eine ganz andere Jagd als das gewöhnliche Wild abgesehen war.

Ein anderer, sehr schlimmer Umstand war, daß kaum, nachdem sich die
Franzosen im Besitz von Neapel befanden, ganze Schwärme der
nichtsnutzigsten Subjekte von Paris kamen, gleich Heuschrecken sich über
die Hauptstadt und das Land ergossen, alle um hier ihr Glück zu machen,
oder wenigstens doch einträgliche Stellen zu erhalten, was auch den
meisten gelang. Diese Individuen, die los zu sein Frankreich froh, und
deren Moralität und Verdorbenheit grenzenlos war, saugten nun, jeder so
viel es in seiner Gewalt stand, das neu eroberte Reich aus, und waren so
die Ursache, daß die Franzosen, die anfänglich der bessere Teil der
Neapolitaner, welcher die liederliche Wirtschaft und Verwaltung des
frühern Hofs verwünscht hatte, schätzte, bald der Gegenstand des
allgemeinsten und bittersten Hasses wurden. Ein tüchtiger und weiser
Regent, Männer wie der Vizekönig oder Bernadotte, würden in Neapel viel
Gutes ausgerichtet und ihre Regierung bald sehr beliebt gemacht haben,
denn die Umstände konnten, wegen des Benehmens des entflohenen Hofes und
seiner verachteten und gehaßten Königin, nicht leicht besser sein, als
sie es bei Josephs Ankunft waren, dessen wenig einsichtsvolle Handlungen
aber alles verdarben. Besonders war es auch die so ganz widersinnige
Besetzung der höhern Zivilämter, die nur einzig mit Gunst und Protektion
stattfand, ohne daß man die vorgeschlagenen oder sich meldenden Subjekte
im geringsten hinsichtlich ihrer Fähigkeit und Moralität prüfte, welche
den schädlichsten Einfluß hatte. Der neue Monarch sah und hörte nichts
selbst, sondern verließ sich ganz auf seine Minister und nächsten
Umgebungen, so daß der Intrige voller Spielraum gelassen war. Einen der
gröbsten Fehler hat der sogenannte große Napoleon begangen, indem er
seine, sämtlich zu Regenten ganz untauglichen, Brüder auf Throne setzte,
wo es nicht fehlen konnte, daß es ihren eben nicht sehr starken Geistern
auf solchen Höhen schwindeln mußte.

Das in Neapel vom Thron ausgehende böse Beispiel wirkte bis auf die
unbedeutendsten Chargen und steckte sogar die gemeinen Soldaten an,
alles wollte nur vollauf genießen und den günstigen Augenblick benutzen,
als erwarte man das Ende der Herrlichkeit den kommenden Tag. An
vielversprechenden Proklamationen ließ man es zwar nicht fehlen, in
denselben wurde unter anderm gesagt, daß mit der notwendigen Verjagung
der alten Königsfamilie Napoleons gerechte Rache vollkommen gesättigt
sei, daß man alles Eigentum und die Kirche in besondern Schutz nehmen
werde, daß alle wohlerworbenen Pensionen fortbezahlt würden und alle
Spitäler und wohltätigen Anstalten für die Zukunft von allen Abgaben
befreit bleiben sollten; auch gab man die Fischereien am Posilippo und
sogar die Jagden im ganzen Reich dem Volk frei, etwas bis jetzt
Unerhörtes. Aber zu gleicher Zeit errichtete man eine sehr zahlreiche
Gendarmerie, die in Kompagnien eingeteilt, die öffentliche Sicherheit
befördern sollte, jedoch sich oft unerträgliche Plackereien erlaubte,
die nicht nur straflos blieben, sondern sogar von oben herab
aufgemuntert und nach Umständen belohnt wurden. Starke und zahlreiche
Patrouillen durchstreiften Tag und Nacht die Hauptstadt, zu deren
Gouverneur der Marschall Jourdan ernannt worden war, nach allen
Richtungen. Um das Volk zu beruhigen und dasselbe glauben zu machen, der
Himmel selbst habe den neuen Herrscher begünstigt, suchte man es durch
das Blendwerk einer großen Prozession, mit den Reliquien des heiligen
Januarius veranstaltet, zu gewinnen. Diese Feierlichkeit wurde mit der
größten Ostentation begangen. Mönche von allen Orden, eine unzählige
Menge von Weltgeistlichen, das Kapitel mit dem Kardinal-Erzbischof an
der Spitze, Jourdan mit der ganzen Generalität und dem Stab und große
Abteilungen aller Regimenter der Garnison, die sämtlich unter dem Gewehr
stand, folgten ihr. Es wurde dabei inbrünstig gebetet, alles fiel auf
die Knie nieder, als man das Blut des heiligen Januarius zeigte, das
jedoch erst nach einer guten Viertelstunde, als bereits die Knie zu
schmerzen anfingen und das Volk ängstlich zu murmeln begann, flüssig
wurde. Aber jetzt erscholl auch aus tausend und abermal tausend Kehlen
der gleich dem Donner fortrollende Ruf: »_Miracolo! Miracolo!_« und das
ganze Volk schien jetzt überzeugt, daß der heilige Januarius ein Freund
der Franzosen sei und sie beschütze. Indessen sagte man sich im
Vertrauen, daß die hohe Geistlichkeit nur durch die ernstlichsten
Maßregeln und Drohungen zu dem Gaukelspiel der Flüssigmacherei des
heiligen -- Ochsenblutes hatte bewogen werden können. Jourdan hatte
nämlich dem Kardinal-Erzbischof nur die Wahl gelassen, ob das Blut des
Heiligen oder sein eigenes fließen solle. Die Eminenz zog daher vor, das
erstere fließend zu machen.

Joseph hatte auch eine flüchtige Reise bis nach Reggio gemacht, um sich
dem Volk als sein neuer Herrscher zu präsentieren und es für sich zu
gewinnen, die Reise blieb jedoch in dieser Hinsicht erfolglos, aber der
König hatte doch wenigstens die lockenden Küsten Siziliens gesehen.

Unterdessen machte man fortwährend die größten Mißgriffe bei der neuen
Organisation, kein Mensch stand am Ruder, der nur einige Ordnung in
dieses verwirrte Chaos zu bringen imstande gewesen wäre, und Seine
Majestät war ein Spielball talentloser Intriganten. -- Miot von Melito,
den man zum Minister des Innern ernannt hatte, war zwar nicht ohne
Kenntnisse und einiges Verdiensts, aber diesem Posten durchaus nicht
gewachsen. General Dümas hatte man zum Kriegsminister gemacht, dieser
war zwar mehr an seinem Platz, wurde aber beständig in seinem Wirken
durch Hofkabalen gehemmt. Die übrigen Minister, teils Franzosen, teils
Neapolitaner, waren völlig bedeutungslos oder schlimmer. In die
Provinzen, man hatte das Reich in dreizehn solche geteilt, wurden
Militärkommandanten mit fast prokonsularischer Macht gesandt, die nach
Gutdünken und mit tyrannischer Willkür in denselben hausten. Ein
Staatsrat, aus zwanzig Gliedern bestehend, beschäftigte sich fast
nur mit der Organisation des neuen Hofstaates, den man mit
Zeremonienmeistern, einem Heer von Kammerherren, Hofdamen und all dem
Trödel der alten Monarchien auf das überflüssigste versah. Man wollte
zwar auch etwas für die Verbesserung der sich in einem gräßlichen
Zustand befindlichen Schulen, für die Kultur des Landes und so weiter
tun, aber griff die Sache so verkehrt an, daß man nur verschlimmerte und
erbitterte, und auch die wohlmeinendsten Absichten unausführbar wurden.
Am allerschlimmsten aber war es mit dem Finanzdepartement beschaffen, wo
eine solche Verschleuderung der ohnehin geringen Mittel stattfand, daß
alle Kassen ebensoviele Danaidenfässer wurden.

Ein Dekret, welches den Klöstern untersagte, künftig Einkleidungen von
Novizen vorzunehmen, ohne vorher die Einwilligung der Regierung dazu
erhalten zu haben, wurde mit Strenge vollzogen, ebenso wurden alle
fremden Jesuiten, die sich im Königreich befanden, des Landes verwiesen
und über die Grenze gebracht. Die Gendarmerie wurde bis zur Unzahl
vermehrt und in alle Provinzen verteilt. Das Beste bei der ganzen Sache
war, daß man in der Hauptstadt eine Art Nationalgarde errichtete, die in
vier Regimenter eingeteilt wurde und das meiste zur Ruhe und Handhabung
der Ordnung sowie viel zur Erleichterung des außerordentlich
beschwerlichen Dienstes der Garnison beitrug. In allen Forts und
Kasernen standen Tag und Nacht starke Piketts unter dem Gewehr, um auf
den ersten Wink zum Ausmarsch bereit zu sein, außerdem waren alle
Truppen beständig konsigniert, und die Soldaten und Unteroffiziere
durften dieselben nur in geringer Zahl und mit Erlaubnis der
Kommandanten verlassen. -- Mehr als einmal passierte es mir und anderen
Offizieren, daß bei der Nachhausekunft aus dem Theater oder von sonstwo
die Kompagnie oder das Bataillon schon seit Stunden ausmarschiert war,
und zwar in die nächste Umgegend, wie nach Nola, Aversa, Avelino und so
weiter, wo sich bewaffnete Insurgentenhaufen und Banditen gezeigt
hatten; die zurückgebliebenen Offiziere mußten einzeln nachlaufen,
trafen nicht selten auch die Leute schon wieder auf dem Rückmarsch, da
die Sache nur ein blinder Lärm gewesen oder die Briganten, wie wir diese
Leute nannten, schon bei der Annäherung der Truppen, von der sie durch
ihre Spione, die sie trefflich bedienten, unterrichtet wurden, die
Flucht ergriffen hatten. Durch einen Tagesbefehl wurde nun verordnet,
daß jeder Offizier hinterlassen müsse, wo er zu finden sei, damit er
durch einen Unteroffizier benachrichtigt werden könne, wenn seine
Kompagnie plötzlich Marschorder erhielte. Mit den eingefangenen
Briganten wurde kurzer Prozeß gemacht, sie wurden gewöhnlich gleich oder
doch in den nächsten vierundzwanzig Stunden erschossen oder gehängt. In
der Regel waren jede Woche ein oder zwei Exekutionstage, an denen
wenigstens ein halbes Dutzend Briganten oder andere Verbrecher durch den
Strang hingerichtet wurden, und zwar auf eine höchst ekelhafte und das
Gefühl empörende Weise. Diese Exekutionen fanden nämlich auf einem
großen Platz (Largo del Mercato), zu dem alle Zugänge mit Kanonen, bei
denen brennende Lunten, besetzt waren, in der Nähe des Castello del
Carmine (Karmeliterfort) statt. Die Galgen waren von einem großen
Karree, drei Teile aus Infanterie und ein Teil aus Kavallerie bestehend,
umgeben. Die zu hängenden armen Sünder wurden auf Karren, von Pfaffen
begleitet und Gendarmen eskortiert, herbeigefahren; man hing ihnen, an
den Leitern angekommen, die Stricke um den Hals, ließ sie die Sprossen
zu dem ihrer harrenden Henker hinansteigen, der sie, sobald sie hoch
genug waren, mit einem kräftigen Stoß hinabschleuderte, aber sich in
demselben Augenblick auch auf ihren Nacken schwang, so daß sich seine
beiden Beine auf der Brust des Delinquenten kreuzten; er ritt nun so
lange auf dessen Schultern, sich beständig auf- und niederschwingend,
bis dem Gehängten die Zunge handlang aus dem Halse hing und er blau und
schwarz war, ein scheußliches Schauspiel! Hierauf schnitt er ihn, der
sogleich auf einen Schinderkarren geworfen wurde, ab, und ein anderer
kam an die Reihe, mit dem er dasselbe Manöver wiederholte, und so fort,
bis alle auf diese Weise stranguliert waren, was manchmal mehrere
Stunden, ja bis zur Abenddämmerung währte, worauf sich die Bataillone in
starke Patrouillen auflösten oder sämtliche Waffen mit einbrechender
Nacht dreifach verstärkten.

Um sich das Volk geneigt zu machen, erließ der König plötzlich ein
Dekret, durch welches mit einem Male das ganze Feudalsystem über den
Haufen geworfen und aufgehoben wurde; aller Gerichtsbarkeit der großen
Gutsbesitzer und Vasallen war somit ein Ende gemacht, ebenso wurde auf
den königlichen Domänen auch das Heimfallrecht zugunsten des Fiskus
abgeschafft. Aber alle diese Maßregeln, die zugunsten des Volkes
ergriffen wurden, waren weit entfernt, die gewünschte Wirkung zu haben,
sie brachten vielmehr das Gegenteil von dem, was damit beabsichtigt
wurde, hervor; das Volk, noch in der krassesten Unwissenheit, begriff
gar nicht, was man damit wollte, und es war dem dabei sehr
interessierten Adel und den Pfaffen, deren Privatinteressen dadurch
gewaltig litten, ein Leichtes, es glauben zu machen, dies alles geschehe
nur, um es völlig zu Sklaven des fremden Herrschers zu machen. Die
Aufhebung der Patrimonial-Justiz, die bis jetzt nur eine feile, sich dem
Meistbietenden preisgebende Hure und den sauberen Baronen eine
gutmelkende Kuh war, denen sie bedeutende Renten verschaffte, machte die
Einkünfte dieser Herren plötzlich viel schmäler und sie selbst zu großen
und gefährlichen Feinden der neuen Regierung. Sonderbar, daß das Wort
barone im Neapolitanischen auch einen Schurken oder Schuft bedeutet, was
viele veranlaßt, dessen Etymologie von der Nichtswürdigkeit dieser
Herren Barone abzuleiten.

Auch was die jetzige Regierung für das Vergnügen und die Annehmlichkeit
der Bewohner Neapels tat, wurde von diesen, statt anerkannt zu werden,
oft bitter getadelt; so fand man es unpassend, daß man den Spaziergang
vor der Villa Reale bis zu dem Posilippo verlängerte, auch war ihnen das
Ausbessern und Anlegen bequemerer Landstraßen ein Greuel, ebenso die mit
den Schulen vorgenommenen Verbesserungen, und als man aus einem
Mönchskloster zu Nola eine Kunstschule machte, kam es daselbst beinahe
zu einem Aufstand. Nach und nach hob man auch die reichsten Klöster auf,
deren Bewohner ziemlich karg pensioniert wurden, so ging es den sehr
reichen Bernhardinern, Kamaldulensern und so weiter. Dies und ein
erzwungenes Darlehen von 1200000 Ducati sowie der Verkauf der
eingezogenen Klostergüter an den Meistbietenden steigerten die schon
bestehende große Unzufriedenheit in einem hohen Grade, und die Ankunft
einer Deputation des Pariser Senats, die Napoleon an seinen Bruder
abgesandt hatte, um ihn zu seiner Thronbesteigung zu bekomplimentieren,
die feierlich empfangen und der zu Ehren große Festlichkeiten
veranstaltet wurden, bei denen besonders die Frauen und Töchter der
Neuangestellten sich in großem Glanz einfinden mußten, da man auf die
neapolitanischen Edeldamen nicht zählen durfte, war eben nicht geeignet,
die vorhandene Stimmung zu bessern.

Bis jetzt hatte ich noch wenig oder gar keine Zeit gehabt, mich auch nur
oberflächlich mit Neapels Sehenswürdigkeiten zu beschäftigen und konnte
nur sehr selten von den Einladungen meines Vetters Moritz Gebrauch
machen; das einzige, was ich frequentierte, waren die Theater. Aber
unser guter Stern wollte, daß wir während unseres diesmaligen
Aufenthaltes in Neapel ein ganz anderes, sehr seltenes und großartiges
Schauspiel, wie sie nur die Natur gibt und keine menschliche Kunst
nachzuahmen imstande ist, sehen sollten: der Vesuv hatte nämlich schon
seit längerer Zeit alle Vorzeichen gegeben, daß es demnächst zu einem
Ausbruche kommen würde, und in der Tat konnten wir auch bald dieses
außerordentliche Naturschauspiel in seiner ganzen furchtbar-schönen
Pracht bewundern. Zuerst waren die Rauchsäulen, die unaufhörlich dem
Krater dieses Berges entsteigen, mit jedem Tag dichter, stärker und
dunkler geworden, und an einem Abend, ich glaube, es war anfangs Juni,
fing der Berg an, das erste Feuer auszuwerfen, das mit jedem Augenblick
zunahm, und mit der eingebrochenen Nacht sah man die Feuersäulen in
ihrer ganzen Größe und Majestät; der Horizont über dem Vesuv sowie die
spiegelnde See schienen glühend und ein Feuermeer zu bilden. Das
Feuerspeien währte die ganze Nacht fort, und ich sah in derselben, einer
Juninacht in Neapel, dem prachtvollen Schauspiel von einem Balkon der
Fortezza nuova zu, die wir nicht verlassen durften, weil auch der
Volkshorizont mit Feuer schwanger zu gehen schien. Bald sah man die
Feuerströme der glühenden Lava sich nach verschiedenen Richtungen hin
eine Bahn brechen, und einer derselben hatte diese so gut oder so
schlimm gewählt, daß er an hundert Landhäuser und viele hundert Acker
bebautes Feld gänzlich verwüstete und verbrannte; dabei war im Innern
des Berges ein so schreckliches Getöse, ein so gewaltig fort und fort
rollender Donner, daß viele Leute den Einsturz desselben erwarteten,
andere gar glaubten, das jüngste Gericht sei im Anzug. Auf unsere
Soldaten, die nie von so etwas gehört, machte dieses Phänomen einen ganz
besonderen Eindruck; sie hielten es für eine sehr schlimme Vorbedeutung,
und es kostete große Mühe, sie eines Besseren zu belehren. Das Wüten und
Toben im Innern des Berges dauerte noch vierzehn Tage fort.

Das zweite Bataillon unseres Regiments war unterdessen auch angekommen,
während das dritte noch in Genua verblieb, und wurde zum Teil nach
Castellamare detachiert. Viele Offiziere, namentlich die verheirateten,
für die zu wenig Raum in den Forts war, wurden aus denselben in das
schöne, geräumige Kloster Giesu nuovo, aus dem die Jesuiten vertrieben
worden waren und aus dem man eine Offizierskaserne gemacht, einquartiert
und lebten daselbst recht gesellig zusammen. Madame Grenet, Madame
Alphonse, Madame Gasqui hatten nebst noch anderen Damen samt ihren
Männern ziemlich geräumige Wohnungen, und aus dem ehemaligen Betsaal der
guten Väter war ein Speise-, ein Spiel- und ein Tanzsaal geworden, in
den ich bisweilen die Regimentsmusik kommen ließ, um ihre Proben
daselbst zu halten. Außerdem stellte ich ein Piano, das ich mietete, in
denselben, und fast alle Abende fanden oft bis nach den Theatern große
Reunionen hier statt, man spielte ziemlich hohe Hazardspiele,
musizierte, tanzte und so weiter. Madame Gasqui sang, wie gewöhnlich die
Französinnen singen, das heißt, sie trug französische Romanzen mit viel
Grazie und einem ausdrucksvollen Parlando vor, hatte aber eine etwas
schneidende Stimme und distonierte bisweilen. Dies darf man bei einer
jungen, hübschen Frau nicht so genau nehmen, sondern muß im Gegenteil
alles ausgezeichnet finden. Ich war dann gewöhnlich ihr Akkompagnateur,
wurde es aber auch bald auf Promenaden, in die Theater und an anderen
Orten. Herr von Gasqui war ein äußerst gefälliger Ehemann, der nicht
wußte, was Eifersucht heißt. -- Als alles gerade im besten Zug und ich
auch mit Madame Gasqui nahe am Ziel war -- verstanden hatten wir uns
schon seit der Säulenbesteigung in Rom --, mußten wir über Hals und Kopf
nach Kalabrien abmarschieren, wo unsere Angelegenheiten eine sehr
schlimme Wendung genommen hatten.

Nach Paris und London ist Neapel die größte Stadt Europas, hat über
zwanzig Milgien im Umfang und zählt nahe an eine halbe Million
Einwohner, unter denen über vierzigtausend Lazzaroni sind, das heißt
Menschen, die fast keine Bedürfnisse haben und kennen; wenn sie hungern,
sich mit der frugalsten Kost von der Welt sättigen; wenn sie dürften,
den Durst mit reinem Wasser, manchmal mit ein paar Tropfen Wein
vermischt, löschen, und wenn sie Schlaf haben, sich da auf einer Straße
oder unter Säulenhallen auf das Pflaster oder die Platten niederfallen
lassen, wo sie sich gerade befinden, und in ihren kurzen leinenen
Beinkleidern und einem Hemd, das ihre ganze Garderobe und Habseligkeit
ausmacht, zu der im Winter noch eine Art wollener Jacke kommt, so lange
ganz sorgenlos schlafen, bis sie genug haben oder durch einen Zufall
geweckt werden. Schuhe und Strümpfe sind dem Lazzarone unbekannte Dinge.
Immer heiter, unbekümmert und lustig, lebt er in den Tag hinein, sich
wegen der nächsten oder entfernten Zukunft nie die geringste Sorge
machend. Mitten unter der zivilisierten Welt lebend, bleibt er dieser
doch ewig fremd und sieht mit der größten Gleichgültigkeit besternte
Herren und aufgedonnerte Damen in vergoldeten Staatskarossen an sich
vorüberrollen, ohne daß er sich etwas mehr oder vielmehr weit weniger
dabei denkt, als wenn er die Pulcinelli ihre Possen machen sieht. In der
größten Sonnenhitze läßt er sich durch deren brennende Strahlen die Haut
kupferig färben, und Wind, Wetter und Regen scheinen ihn ebensowenig zu
berühren, veranlassen ihn höchstens, sich auf eine halbe Stunde einmal
in eine der vielen hundert immer offen stehenden Kirchen zu begeben. Die
Straße ist sein Speisesaal, sein Wohnzimmer und sein Schlafgemach, die
Steine seine Matratzen und Kopfkissen, der Himmel seine Bettdecke. Von
Sonnenaufgang an erfüllt er die Lüfte mit seinem oft melodiereichen
Gesang und dünkt sich dabei Herr der Schöpfung, glücklicher als ein
König.

Eine der größten Sehenswürdigkeiten Neapels ist das Theater San Carlo,
nach dem zu Parma das größte der Welt und wohl auch das schönste, mit so
vortrefflich gemalten Dekorationen, daß man kaum Täuschung von
Wirklichkeit zu unterscheiden vermag. Der Reichtum und die Pracht der
Kostüme grenzt an das Unglaubliche, sowie die Maschinerie an das
Wunderbare; seinen höchsten Glanz erreichte es wohl unter Mürat, und ich
werde später, wo ich gewissermaßen demselben vorstand, Gelegenheit
haben, mehr davon zu sagen. Das Innere hatte sechs Galerien oder
Logenreihen, ein sehr geräumiges Parterre, in dem alle Sitze
ebensovielen Armstühlen glichen und sehr bequem waren. Jede Galerie
enthielt dreißig geräumige Palchi oder Logen, in einer jeden derselben,
die ein kleines abgesondertes Zimmer, meist mit einem Vorzimmer bildete,
war bequem für zwölf Personen Raum; sie waren auf das geschmackvollste
möbliert, nach dem Belieben des Inhabers mehr oder weniger reich
ausgeschmückt und mit allem Komfort versehen, sogar Damentoiletten und
Spieltische fehlten nicht. In dem Vorzimmer harrten Bediente, man
wartete in den Zwischenakten mit allen erdenklichen Erfrischungen den
geladenen Gästen auf und soupierte nicht selten auch während der
Vorstellungen. Jeder dieser Palchi hatte zwei, auch vier Spiegel mit
Wandleuchtern, ebenso waren außerhalb und zwischen denselben Spiegel mit
drei- oder fünfarmigen vergoldeten Armleuchtern angebracht, was bei
einer vollständigen Illumination, wo so viel tausend Kerzen durch den
Widerschein der vielen Spiegel millionenmal vervielfältigt wurden, eine
unbeschreibliche, feenhafte Wirkung hervorrief. Die Draperien dieser
Logen waren meistens von karmoisinfarbigem, genuesischen Thronsammet,
mit reichen Goldstickereien und Fransen von demselben Metall versehen.
Später ließ Mürat noch das Portal dieses Prachthauses durch ein aus fünf
Bogen bestehendes, herrliches Peristil verschönern; 1816 brannte es
jedoch ab, wurde aber ebenso prächtig wiederhergestellt. Hier wurden nur
die ganz großen Opern (_Opera seria_), Meisterwerke der Tonkunst und
Prachtballette gegeben.

In den übrigen Theatern sah man die _Opera buffa_ und italienische
Lustspiele in hoher Vollendung aufführen. Das vorzüglichste unter
denselben war Fiorentino, dessen Direktion damals eine Deutsche, Madame
Müller, hatte. Ich sah öfter Kotzebuesche Lustspiele, recht gut
übersetzt, in demselben geben. Im Theater nuovo wurde später französisch
gespielt.

Der Gebrauch, der in ganz Italien zu Hause ist, daß mehrere Monate
hintereinander jeden Abend ein und dieselbe Oper und ein und dasselbe
Ballett aufgeführt werden, scheint dem Ausländer anfangs unausstehlich,
und er begreift nicht, wie ein und dasselbe Publikum (in den Logen sind
fast immer dieselben Personen) das sich stets wiederholende Theater fast
jeden Abend besuchen mag. Aber auch diese Gewohnheit hat, wie alles,
ihre zwei Seiten; mir wollte ebenfalls dieser Gebrauch anfänglich nicht
zusagen, ich fand ihn fast unerträglich, aber fügte mich dennoch bald
darein, und zuletzt mußte ich eingestehen, daß er seine sehr angenehme
Seite hat und sogar das Vergnügen der Unterhaltung vermehrt. Ist die
Musik der Oper gut, gediegen und gehaltvoll, so entdeckt man bei jeder
Wiederholung derselben neue Schönheiten, die man während den ersten
Vorstellungen überhörte und nicht auffaßte, mit denen man nun immer
vertrauter wird und sich im voraus darauf freut, diese lieblichen
Melodien, diese herrlichen Harmonien wieder, wenn auch zum
fünfzigstenmal zu hören; während der Rezitative oder wenig ansprechenden
Morceaus aber plaudert man mit seinen Nachbarn und unterhält sich auf
das angenehmste, sobald man einmal den Inhalt und die Intrige des Sujets
kennt. So sah ich zum Beispiel Meyers vortreffliche Oper >_Ginevra di
Seozia_< mehr als sechzigmal hintereinander und mit immer steigendem
Interesse, und so erging es dem ganzen Publikum, ja als endlich eine
neue Oper in Szene gesetzt wurde und diese nach mehreren Vorstellungen
nicht sonderlich gefiel, mußte _Ginevra_ wieder hervorgeholt und
abwechselnd mit jener gegeben werden. Außerdem muß das Theater in
Italien, wo die Gesellschaften und Soireen nicht in der Art wie in
Deutschland oder Frankreich florieren, diese und die gemütlichere
Geselligkeit ersetzen, und im Opern- oder Schauspielhaus wird
geplaudert, gespielt, soupiert und so weiter. Man besucht sich
gegenseitig in den Palchi, teilt sich daselbst die Neuigkeiten des Tages
und die Stadtklatschereien mit, schwatzt sich aus, und dies alles, indem
man von Zeit zu Zeit den herrlichsten Ohrenschmaus hat, wo alsdann eine
Totenstille im ganzen Haus eintritt.

Eine ganz eigene Bewandtnis hat es auch mit den italienischen
Benefizvorstellungen, und es ist wohl der Mühe wert, die bei demselben
stattfindenden sehr sonderbaren Gebräuche näher kennen zu lernen.

Der Künstler, Sänger, Schauspieler oder Tänzer, gleichviel, dem eine
Benefizvorstellung, hier _una serata_ genannt, zukommt, macht ebenso wie
eine Sängerin, Tänzerin, die sich in diesem Fall befindet, schon vier
bis sechs Wochen vor derselben in allen angesehenen Häusern seine
Aufwartung und gibt dabei eine auf feinem, weißen oder bunten Papier,
für die Autoritäten und vornehmsten Häuser wohl auch auf Atlas gedruckte
Einladung ab, welche zu gleicher Zeit das Programm der Stücke enthält,
die an jenem Abend aufgeführt werden. Ist nun der feierliche Tag dieser
Aufführung herangekommen, so setzt sich der Benefiziant oder die
Benefiziantin in ihrem brillantesten Kostüm hinter einen schön
gedeckten, sich an dem Haupteingang des Theaters befindlichen Tisch, auf
dem zwischen vier silbernen Armleuchtern und Blumenvasen eine große
silberne Schüssel steht und der von zwei, manchmal auch vier
Grenadieren, welche Wache dabei halten, umgeben ist. Jeder Eintretende
wirft nun, je nachdem er mehr oder weniger großmütig oder wohlhabend
ist, ganz nach Belieben ein oder mehrere Stücke Geld in das Becken,
wofür ihm der Benefiziant oder die hübsche Benefiziantin mehr oder
minder graziös und verbindlich, je nachdem das hingeworfene Geld
bedeutend ist, dankt und dem Geber sehr freundliche Blicke zuwirft. Ist
die Benefiziantin eine berühmte oder schöne Sängerin oder Tänzerin _en
vogue_, so regnet es Goldstücke und sogar Goldrollen in das Bassin und
wohl auch noch andere Geschenke, als Brillantnadeln, Ringe, Ohrgehänge
und dergleichen. So habe ich einmal in Florenz gesehen, daß einer
solchen Prinzessin von einem schon bejahrten, aber sehr reichen
Lieferanten ein einfacher Blumenstrauß dargereicht wurde, bei näherer
Untersuchung fand es sich aber, daß dessen Kern, das heißt Stengel, eine
Rolle von zweihundert Rusponi (Goldstücke von vierzig Franken an Wert)
enthielt. Aus anderen Buketts blitzen Sternblumen und Rosetten von
Diamanten, Rubinen oder Smaragden hervor, bei kleinen Sträußchen waren
die Blumen ganz von Edelsteinen, Stengel und Blätter aber von Gold und
letztere grün emailliert. So waren gewöhnlich die Buketts beschaffen,
welche Mürat den Theaterprinzessinnen verehrte. Man kann bei solchen
Gelegenheiten zwar auch Billette an der Kasse lösen und das silberne
Becken ignorieren, was jedoch nicht leicht jemand tut, da der Tisch
immer von einer Menge kontrollierender Neugieriger umgeben ist. Die
Benefize des untergeordneten Personals werden aber wenig besucht, und
dieses ist zufrieden, wenn sich ein paar Hände voll Silber in dem Bassin
befinden. Auch während der Vorstellung regnet es oft noch Gold, aber
besonders viel Blumen und Gedichte, welche das Lob der Benefizianten in
überschwenglichen Ausdrücken besingen, Kränze fallen von den Palchi und
aus den Ventilatoren herab, manchmal läßt man auch weiße, mit
Rosabändern geschmückte Tauben auf die Bühne fliegen, denen Billetts
oder Reime an den Hals gehängt sind; daß eine solche Glückliche mit
einem endlosen Hallo und donnernden Bravos empfangen, wenigstens ein
halbes Hundert mal hervorgerufen und endlich harangiert und gekrönt
wird, versteht sich von selbst.

Sobald das Kommen der Zuschauer aufgehört hat, verläßt der Benefiziant
seinen Platz hinter dem Tisch, packt seine Einnahme zusammen, die bei
gefeierten Schönen bisweilen fünfzigtausend Franken und mehr beträgt,
und begibt sich auf die Bühne, wo für diesen Abend jedenfalls einige
Extrastücke wenn nicht ganz neue Vorstellungen zum besten gegeben
werden. Nicht selten ist es auch der Fall, daß sich bei solchen
Gelegenheiten Dilettanten und Dilettantinnen aus den angesehensten
Familien der Stadt zugunsten des Benefizianten, wenn dieser ein nicht
gewöhnliches Talent hat, hören lassen und eine Partie in einer Oper
singen; ich selbst habe dies später mehrmals, teils aus Liebhaberei für
das Theater, teils der schönen Benefiziantin zuliebe in verschiedenen
Städten Italiens getan, ohne daß man bei den militärischen Behörden
irgendeinen Anstoß daran gefunden hätte, und ich war nicht der einzige
Offizier, der dies tat, im Gegenteil fanden es die französischen
Offiziere beneidenswert und genial, denn über alle Gamaschen- und
Zopfpossen war man längst hinaus.

Aus Unteritalien und namentlich aus Kalabrien kamen jetzt mit jedem Tag
schlimmere Nachrichten, fast stündlich trafen Kuriere und Stafetten von
den Kommandanten der Provinzen ein, welche die Lage derselben als
äußerst schwierig schilderten, und alle Anzeichen schienen den Ausbruch
eines nahen und schweren Sturmes zu verkünden. Überall rotteten sich
Banden unter waghalsigen und unternehmenden Häuptern, die nicht selten
Geistliche waren, zusammen; unter den letzteren war besonders ein
Pfarrer Petroli, der dem flüchtenden Hof nach Sizilien gefolgt und
insgeheim wieder zurückgekehrt war, sehr wirksam, überhaupt spie
Sizilien, was es vom Abschaum der Banditen, Räuber und Mörder besaß,
unaufhörlich an den Küsten von Kalabrien und Apulien aus; die
Geistlichkeit und Pfaffen schürten den Haß des Volkes und fachten ihn
zur verzehrenden Flamme an. Die Bandenanführer, die schon 1799 unter dem
Kardinal Ruffo die Unzufriedenen gegen die Franzosen geführt hatten und
sich noch in Sizilien befanden, wohin sie der Königin Caroline, die sie
beschieden hatte, gefolgt waren, schickten fortwährend ihre Emissäre ab,
korrespondierten unausgesetzt mit ihren Anhängern im ganzen Reich und in
der Hauptstadt selbst, und man wußte, daß man in Sizilien die Landung
eines starken englisch-sizilianischen Heeres, durch alle Briganten und
Banditen Kalabriens und Apuliens verstärkt, die seiner Ankunft harrten,
vorbereitete. Die Franzosen hatten zwar einigen Anhang unter den
Gutsbesitzern und den sogenannten Patrioten, welche die verjagte
königliche Familie tödlich haßten und auf der anderen Seite den Ausbruch
der Volkswut zu befürchten hatten, aber diese, welche in einem solchen
Fall alles für ihr Leben und Eigentum zu fürchten hatten, waren um so
weniger imstande, den durch die Pfaffen wütend gemachten Pöbel im Zaum
zu halten, da man von französischer Seite den unverzeihlichen Fehler
beging, diese der neuen Regierung günstigen Personen nicht zu einer Art
Bürger- oder Nationalgarde zu organisieren und zu bewaffnen, und
diejenigen Barone und Gutsbesitzer, von denen man wußte, daß sie dem
entflohenen Hof feind waren und dessen Rückkehr zu fürchten hatten, an
ihre Spitze zu stellen, wodurch man sich einen festen Anhaltspunkt und
eine starke Stütze geschaffen haben würde. General Regnier befehligte
jetzt in Kalabrien und hielt sich zu Reggio auf, um Sizilien daselbst
besser zu überwachen, konnte aber nicht verhindern, daß fast jede Nacht
Hunderte der ehemaligen Streiter des Kardinals Ruffa übergesetzt wurden.
Es wurden nun beständig Verstärkungen von Neapel nach Kalabrien
abgesandt, und so oft neue Truppen von Oberitalien in dieser Hauptstadt
eintrafen, sandte man eine gleiche Zahl weiter; so kam auch bald die
Reihe an unser Bataillon. Eines Tages erhielten wir bei der Wachtparade
in der Fortezza nuova den Befehl, binnen vier Stunden marschfertig zu
sein, um zu den Truppen zu stoßen, welche der General Verdier in
Cosenza, der Hauptstadt Kalabriens, kommandierte, und die eingebrochene
Nacht traf uns schon auf dem Marsch dahin.




                                 XVIII.

   Erster Feldzug in Kalabrien. -- Portici. -- Salerno. -- Eboli. --
   Cosenza. -- Die Schlacht bei Maida. -- Scheußliche Behandlung und
    Martern der den Briganten in die Hände gefallenen Gefangenen. --
      Die schrecklichsten Augenblicke meines Lebens. -- Gräßlicher
    Insurgentenkrieg und Verwüstungen. -- Fra Diavolo. -- Ich nehme
       seinen Adjutanten gefangen. -- Seine Galanterie gegen zwei
      französische Offiziersdamen. -- Rückkehr nach Neapel. -- Fra
               Diavolos Gefangennehmung und Hinrichtung.


Über die Brücke della Maddelena, welche am entgegengesetzten Ende des
Posilippo über das unbedeutende Flüßchen Sebeto führt, marschierten wir
nach dem wenige Miglien entfernten Portici, das unfern des Vesuv am Ufer
des Meeres liegt, ein königliches Schloß hat, in welchem man eine
interessante Sammlung der zu Pompeji und Herkulanum ausgegrabenen
Altertümer aufbewahrte. Hier wurde ein halbstündiger Halt gemacht, und
die Soldaten und Offiziere freuten sich, das herrliche Neapel im Rücken
zu haben; denn der Dienst war über alle Maßen beschwerlich und ermüdend
gewesen, man war fast nie aus den Kleidern gekommen, und auch ich konnte
mit vollem Recht >Keine Ruh bei Tag und Nacht< singen, hatte noch wenig
von Neapels Herrlichkeiten gekostet, und es war mir unmöglich gewesen,
mich einen einzigen Tag ganz frei machen zu können, um nur den Vesuv zu
besteigen, ein Wunsch, der mir sehr am Herzen lag und jetzt in Portici,
so nahe an dem merkwürdigen Berg, von neuem erwachte und mich mit
Bedauern erfüllte, ihn nicht befriedigen zu können, nicht wissend, ob
ich den wild-tobenden Gesellen je wieder erblicken würde. Wir brachen
nun über Torre del Annunciata nach Nocera auf, einem kleinen Städtchen,
das unsere erste Etappe war. Hier ruhten wir den Tag über, denn wir
marschierten gerade in der heißesten Jahreszeit, in der zweiten Hälfte
des Monats Juni, wo die Luft hier kochend ist. Die folgende Nacht
brachte uns nach Salerno; von Neapel bis hierher ist der Weg angenehm,
man kommt fortwährend durch schön gelegene Ortschaften, so daß man
selten eine halbe Stunde marschiert, ohne ein Dorf oder einen Flecken zu
passieren. Hier ist aber auch die Gegend und das Feld durch die Asche
des Vesuvs so außerordentlich fruchtbar geworden, daß sie sechsmal
soviel Bewohner als die anderen Provinzen des Reichs ernähren kann und
auch ernährt.

Salerno ist eine angenehme Stadt, die, von lachenden Fluren und Hügeln
umgeben, an dem Ufer des Meeres liegt und an achttausend Einwohner und
dreißig Klöster hatte. Auch hier sind die Straßen mit Lava gepflastert,
sonst aber schlecht gebaut.

Hier stießen wir auf einen kleinen Transport verwundeter französischer
Soldaten nebst zwei Offizieren. Diese teilten uns mit, daß es in ganz
Kalabrien greulich aussehe, daß man sich vor allem hüten müsse, den
Briganten (so wurden alle Insurgenten genannt) lebendig in die Hände zu
fallen, da sie an den gefangenen Franzosen die entsetzlichsten und
unerhörtesten Grausamkeiten begingen, bevor sie solche töteten. Die
Königin Caroline habe das ganze Land mit unzähligen Emissären
überschwemmt, welche das rohe und abergläubische Volk gegen uns
aufwiegelten, und selbst bis an die Tore von Cosenza habe sich der
Aufstand schon verbreitet. Die Geistlichkeit und die Mönche seien aber
unsere größten Feinde, sie versprächen dem Volk für jedes Glied eines
Franzosen fünfzig Jahre weniger in dem Fegfeuer zu schmachten und für
einen getöteten Feind Absolution aller Sünden, wer aber deren drei töte,
dessen Seele fahre schnurstracks in den Himmel, ohne die Hölle nur zu
berühren; dies alles glaubte das Volk wie an die Wunder der Madonna oder
an das Dasein der Sonne, auch machten uns diese Kameraden eine gräßliche
Schilderung von der Verpflegung und dem Mangel an guten und nährenden
Lebensmitteln, dem wir entgegen gingen, da man selbst für Geld nichts
erhalten könne und die Quartiere ärger wie Viehställe seien. Dies waren
saubere Aspekten, und nur zu bald sollten wir uns überzeugen, daß diese
Berichte weder unwahr noch übertrieben waren.

Von Salerno kamen wir in das Städtchen Eboli, in dessen Nähe bei dem
Dorf Buccino eine noch ganz gut erhaltene altrömische Brücke über den
Fluß Botta führt. Von hier wandten wir uns den Apenninen zu und
marschierten unaufhaltsam durch die Gebirge über Lago negro, wo die
Neapolitaner erst vor wenigen Monaten von den Franzosen geschlagen
worden waren, und das mitten in Sümpfen liegende Tarsia nach Cosenza, wo
wir gegen Ende Juni eintrafen. Der Weg ging fast ununterbrochen bis
Castrovillari über Gebirge auf- und abwärts und war sehr lästig und
beschwerlich, namentlich der Übergang über den hohen Berg Gualda. Bis
hierher hatten wir indessen noch an nichts Mangel gelitten, im Gegenteil
alles im Überfluß gehabt. Von Tarsia aber ging der Marsch bis Cosenza,
noch zehn gute Stunden, durch Reisfelder, große Moräste und im Sommer
fast ganz ausgetrocknete Bäche, die aber in der Regenzeit zu wilden,
reißenden Waldströmen werden, und war sehr unangenehm. Wir waren die
ganze Nacht durchmarschiert, ohne einen frischen Trunk Wasser, viel
weniger sonst etwas erhalten zu können, an einigen elenden Baracken
machten wir zwar öfters Halt, aber da war für alles Geld auch nicht das
mindeste zu haben. Erst gegen Mittag des kommenden Tages, bei der
unausstehlichsten Hitze, erblickten wir endlich, matt und müde, das
ersehnte Cosenza, das uns wie das gelobte Land erschien. Auf dem
Marktplatz daselbst angekommen, ließen sich die Leute auf das Pflaster
niederfallen und schliefen bald vor Müdigkeit auf ihren Tornistern ein,
bis sie, von den Fourieren und Sergeantmajors aufgeweckt, in ihr
Quartier, wieder ein paar Klöster, geführt wurden.

In Cosenza schien sich übrigens wider Erwarten alles ganz gut zu
gestalten, die Garnison war mit den Einwohnern ziemlich zufrieden,
besonders mit dem weiblichen Teil derselben; alle jetzt einlaufenden
Nachrichten schienen günstig, nur in den unzugänglichen Bergschluchten
trieben die Brigantenhaufen noch ihr Wesen und verließen ihre
Schlupfwinkel nur selten und mit der äußersten Vorsicht, wo sie dann
kleine Detachements und vereinzelte Soldaten überfielen. Wir versprachen
uns in Cosenza ein weit angenehmeres, wenigstens nicht so fatiguantes
Leben wie in Neapel und bedauerten nur, keinen Feind zu sehen; aber
diese anscheinende Ruhe sollte schnell ein Ende nehmen, denn schon den
dritten Tag nach unserer Ankunft kam ein Kurier, von dem in Kalabrien
kommandierenden General Regnier abgesandt, der die Order überbrachte,
daß alle in und um Cosenza stehenden Truppen bis auf tausend Mann, die
in der Stadt selbst bleiben sollten, sofort, hinlänglich mit Munition
versehen, sich über Rogliano und Scigliano in Eilmärschen nach Nicastro
begeben sollten. Die englische Flotte war in dem Golf von Eufemia
angekommen und machte Miene, Truppen ans Land zu setzen. Noch vor
Sonnenuntergang waren wir auf dem Marsch, den wir trotz der großen
Hitze, aber teilweise auf Wagen und Karren, rastlos bis Nicastro
fortsetzten, wo wir gegen den folgenden Abend ankamen und uns auf dem
schönen Marktplatz dieser Stadt, die schon mit Truppen aller
Waffengattungen, welche Regnier eiligst an sich gezogen hatte, angefüllt
war, aufstellten. Hier erfuhren wir, daß der englische General Stuart
mit einer bedeutenden Heeresmacht, aus englischen und sizilianischen
Regimentern bestehend, die etwa sieben- bis achttausend Mann betrage,
schon seit sechsunddreißig Stunden in dem Golf von Eufemia gelandet sei
und sich stündlich durch den Zulauf der Kalabresen und Briganten
verstärke, deren man schon drei- bis viertausend zähle.

Noch in derselben Nacht, wir hatten kaum sechs Stunden geruht, erhielten
wir nebst den übrigen Truppen Befehl zum Aufbruch und wurden sämtlich
gegen die Höhen des Dorfes Maida dirigiert, wo wir zwei Stunden nach
Mitternacht ankamen und bis Sonnenaufgang biwakierten. Hier erblickten
wir das in der Ebene längs der Küste in der Nähe der englischen Schiffe
kampierende feindliche Heer. Regnier erteilte an alle Korpskommandanten
Befehl, sich schlagfertig zu halten. Dies war am 4. Juli 1806. Die
ersten Strahlen der Morgensonne beleuchteten die Truppenmassen, Fahnen,
Schiffe und Flaggen der Feinde, und Düret, vor der Front unseres
Bataillons hersprengend, rief uns zu: »Heute wird das Regiment die
Feuertaufe in offener Schlacht erhalten!« Wir antworteten durch
freudiges Zujauchzen. Ich muß gestehen, daß mir in diesem Augenblick
auch die Möglichkeit, hier mein Leben zu enden und Eltern und Heimat in
diesem Leben nie mehr wieder zu sehen, ins Gedächtnis kam, aber lange
hatte ich keine Zeit, solchen Gedanken Raum zu geben; das ungefähr
siebentausend Mann starke Heer wurde in Schlachtordnung gestellt, die
Position, die wir genommen hatten, war sehr günstig, denn wir lehnten
uns an eine waldige Anhöhe, hatten aber nur vier Kanonen und ungefähr
vierhundert Mann Reiterei. Die Engländer und Sizilianer dagegen waren
wenigstens zwölftausend Mann stark, hatten eine furchtbare Artillerie
ausgeschifft und konnten noch obendrein durch das Feuer ihrer kleineren
Schiffe, die auf Kartätschenschußweite von dem Ufer vor Anker lagen,
unterstützt werden. Regnier hoffte, daß der Feind durch seine Übermacht
und seine Artillerie sich würde verleiten lassen, uns in unserer
vorteilhaften Stellung anzugreifen, dieser hielt es aber vorerst für
ratsam, sich nicht zu weit von seinen Schiffen zu entfernen, würde es
jedoch vielleicht später gewagt haben, aber Regnier verlor die Geduld,
er wußte, daß die Engländer schon im Besitz des Kastells St. Amantea
waren, fürchtete auch, wegen der von allen Seiten einlaufenden drohenden
Nachrichten, daß eine allgemeine Insurrektion ausbrechen und sich
schnell über ganz Kalabrien und hinter unserem Rücken verbreiten könne;
er sah, wie jeden Augenblick neue Haufen Kalabresen, die alle rote
Kokarden aufgesteckt hatten, zu dem Heer des Generals Stuart stießen,
und hoffte durch einen raschen Angriff und Sieg diesem allem
vorzukommen, entschloß sich deshalb, nach acht Uhr des Morgens seine
vortreffliche defensive Stellung zu verlassen, um den Feind anzugreifen.

Ich zählte damals noch keine siebzehn Jahre und hatte noch sehr wenig,
fast keine Kriegserfahrungen gemacht, als uns aber die Order zum
Herabmarschieren in die Ebene zukam, sagte ich zu meinem Kapitän, dem
Hauptmann Leclerc: »Wir sind verloren!« Dieser antwortete mir: »Ich bin
Ihrer Meinung, aber was können wir machen!« und setzten uns in
geschlossenen Reihen in Marsch. Dazu kam noch, daß unsere Leute durch
die gehabten harten Strapazen noch sehr ermüdet waren, ja Regnier war so
eilig, daß er mehreren, soeben erst zu uns gestoßenen Bataillonen nicht
einen Augenblick Ruhe gönnte, sich durch etwas Speise und Trank zu
stärken. Wir rückten jetzt in zwei Treffen vor, wobei er die Truppen
sich wie auf einem Exerzierplatz durch Fahnen und Hauptführer richten
und so das Gewehr im Arm in Geschwindschritt vorwärts marschieren ließ
und nicht einmal abwartete, bis die Reiterei den linken Flügel des
Feindes, gegen den sie beordert war, angegriffen hatte; die Voltigeurs
hatten kaum mit den feindlichen Schützen geplänkelt, als ihnen das
Signal zum Rückzug gegeben wurde, und nachdem die Infanterie mehrmals
abgefeuert hatte, erhielt sie Order, im Sturmschritt mit gefälltem
Bajonett gegen den Feind vorzurücken und denselben anzugreifen; dieser
aber, ein gut gerichtetes Feuer unterhaltend, streckte viele der
Unsrigen zu Boden. Bald hatte sich der Kampf mit blanker Waffe auf dem
linken Flügel entsponnen, die Engländer und Sizilianer umgingen ihn,
nahmen uns in die Flanken und brachten einen Teil des Heeres zum
Weichen, namentlich die Polen, von denen ein Bataillon, etwa
sechshundert Mann stark, dabei war, während das Bataillon der Schweizer
noch lange wie eine Mauer stand. Der rechte Flügel, von dem auch unser
Bataillon einen Teil ausmachte, leistete langen und tapferen Widerstand,
gegen eine große Übermacht kämpfend, obgleich ihn das zahlreiche
englische Geschütz verhinderte, vollständig deployieren zu können.
Unsere Reiterei war unterdessen in vollem Galopp dem linken Flügel zu
Hilfe geeilt und hieb in die sizilianischen Bataillone wacker ein; aber
jetzt rückte ein soeben noch gelandetes englisches Regiment aus einem
Hinterhalt hervor und wurde so trefflich von dem Geschütz souteniert,
daß bald darauf unsere Kavallerie geworfen wurde. Jetzt machten die
englischen Batterien ein so mörderisches Feuer von allen Seiten, daß
bald das Schlachtfeld mit unseren Toten bedeckt war und wir den Rückzug
antreten mußten, der sich in wenigen Augenblicken in eine vollständig
unordentliche Flucht auflöste. Unser Bataillon, das auf dem rechten
Flügel gestanden, war eines der letzten, welche die Retirade antraten,
die die plänkelnden Voltigeurs noch eine kurze Zeit zu decken suchten,
bis endlich auch hier die allgemeine Unordnung einriß und sich die
Massen teilten. Nahe an zweitausend Tote und Verwundete mußten wir auf
dem Schlachtfeld zurücklassen, unter den letzteren war auch der General
Compère und viele Stabs- und andere Offiziere, die in englische
Gefangenschaft gerieten.

Sicher hatte Regnier einen großen Fehler begangen, seine günstige
Stellung aufzugeben und sich dem Feinde gewissermaßen ohne Not in die
Arme zu werfen; denn wir waren durch Waldung, den Fluß Amato und dessen
morastige Ufer geschützt, hatten auch an Lebensmitteln keinen Mangel,
und vierundzwanzig Stunden später würden noch einige tausend Mann mehr
zu uns gestoßen sein, die noch nicht eingetroffen waren, wie Stuart
fälschlich in seinem Schlachtbericht angibt, auch wären die Engländer,
in der Ebene unter der Julisonne Kalabriens nur erst einige Tage
kampierend, schon allein durch die schlechte Luft, die in dieser
Jahreszeit in dem Tal von Eufemia herrscht und die bösartigsten Fieber
erzeugt, zum Wiedereinschiffen gezwungen worden, wollten sie nicht
dezimiert werden; und griffen sie uns in unserer guten Stellung an, wo
ihr Geschütz wenig oder gar nicht wirken konnte, so waren sie verloren.
Auch eine persönliche Rücksicht bewog den sonst behutsamen und
erfahrenen General Regnier zu diesem fast tollkühnen Angriff; derselbe
Stuart hatte nämlich schon in dem ägyptischen Feldzug diesem
französischen General eine Schlappe beigebracht; er wollte sich deshalb
an ihm rächen und hoffte die Engländer gefangen zu nehmen. -- Als
Napoleon diese Niederlage erfuhr, rief er aus: »Regnier ist immer
unglücklich!« Diese verlorene Schlacht in dem kaum eroberten Reich hatte
äußerst nachteilige Folgen für uns und gab dem Nimbus der französischen
Unüberwindlichkeit eine arge Blöße. Auf der anderen Seite ist in
Erwägung zu ziehen, daß jeden Augenblick ein allgemeiner Aufstand in
unserem Rücken zu befürchten war, wo wir dann zwischen zwei Feuern
standen. Der Rückzug wurde gegen Catanzano zu genommen und wäre sicher
völlig mißglückt, wenn die Engländer ihren Sieg gehörig zu benutzen
verstanden und die Flüchtigen sogleich verfolgt hätten; aber sie blieben
in bequemer Untätigkeit nach der Schlacht und überließen die Verfolgung
den ganz undisziplinierten Insurgentenkorps, die sich ihrerseits wieder
mit der Plünderung der Toten und so weiter verweilten. Regnier gelang
es, mit einigen Trümmern des Heeres die Küsten des Golfs von Tarent zu
erreichen, er wurde aber auf diesem Rückzug beständig beunruhigt, verlor
fortwährend viele Leute, welche, sowie mehrere von dem Gros getrennte
kleine Abteilungen, meistens den Insurgenten in die Hände fielen und
denen dann ein schreckliches Los ward. Die durch die Briganten verübten
Grausamkeiten gingen so weit, daß sich Stuart selbst veranlaßt fand, die
Kalabresen in einer Proklamation zu mehr Menschlichkeit zu ermahnen;
dies half aber wenig; weit mehr nützte es, daß er für jeden ihm lebendig
abgelieferten gemeinen französischen Soldaten fünf und für jeden
Offizier fünfzig Ducati versprach. Diese Insurgenten nagelten gewöhnlich
die ihnen in die Hände fallenden Franzosen lebendig an Bäume oder
Pfähle, durchstachen ihnen die Augen mit glühenden Eisen, rissen ihnen
die Zunge aus dem Halse, schnitten ihnen Nase und Ohren, ja die
Schamteile ab, die sie ihnen sodann unter den rohesten Scherzen in den
Mund steckten, brachen ihnen auch öfters alle Zähne, einen nach dem
anderen aus, gossen siedendes Pech oder geschmolzenes Blei in die Wunden
der ganz entkleideten Körper und verübten noch namenlose andere Greuel
an den unglücklichen, oft schon ganz verstümmelten Schlachtopfern ihrer
Wut, die sie selbst dann noch fortsetzten, wenn der schrecklich
Gemarterte schon längst seinen Geist aufgegeben hatte. Und nicht nur
Männer waren es, die solche Untaten verübten und sich mit Lust an dem
gräßlichen Schauspiel weideten, sondern auch Frauen hatten fast noch
mehr ihre satanische Freude daran und halfen mit Rat und Tat neue Qualen
erfinden und vollziehen. Ein gleiches Schicksal hatten selbst diejenigen
ihrer Landsleute, welche als Anhänger der Franzosen bekannt waren.
Prinzen und Bischöfen, Weibern und Mädchen, Greisen und Kindern, auch
wenn nur deren Verwandte für Freunde der Franzosen galten, wurde
gleiche, den Mädchen und Frauen noch schrecklichere Schmach und
Behandlung, wenn sie ihnen in die Hände fielen. Ganze Dörfer und Städte,
die man für französisch gesinnt hielt, wurden unter dem Ruf: »_Viva
Ferdinando quarto, la morte ai Francesi!_« niedergebrannt und der Erde
gleichgemacht. Diese fanatische Wut war durch die Mönche erzeugt worden,
die kein Mittel verabscheuten, das Volk dazu zu bringen.

Sehr gefährlich waren die Retiraden durch die Dörfer und Städte, wo
Weiber und Kinder an der Ehre teilnahmen, dem fliehenden Feinde zu
schaden; Abteilungen von zwei- bis dreihundert Mann wurden nach der
Schlacht bei Maida in den Orten, durch die sie kamen, angefallen, und
unter den heftigsten Verwünschungen und Flüchen goß man auf die
durcheilenden Truppen siedendes Wasser oder warf Steine von den Dächern
und aus den Fenstern auf sie herab, und von den Insurgenten verfolgt,
wurde man jenseits des Ortes oft von einem anderen Haufen, durch den man
sich schlagen mußte, erwartet, konnte also nicht daran denken, sich in
den Straßen der Dörfer gegen die Unbilden wehren zu wollen. Die
Briganten, die jeden Weg, jeden Schlupfwinkel kannten, verloren die
Fliehenden nie aus den Augen, umgaben sie beständig unsichtbar von allen
Seiten, kamen ihnen oft zuvor und mehrten sich mit jedem Schritt
vorwärts, unendlichen Schaden zufügend. In den meisten Orten war man von
der Ankunft der fliehenden Franzosen und ihrer Niederlage schon
unterrichtet und empfing sie mit dem Wutgeschrei: »_Ah cani francesi!_«
Dabei hatten die Fliehenden nicht selten noch mit dem äußersten Mangel
und Hunger zu kämpfen.

Auch mich hätte um ein Haar breit beinahe das Schrecklichste getroffen,
und nur durch ein halbes Wunder entging ich dem martervollsten Tod. Ich
war einer mit von den letzten, die das Schlachtfeld verließen, und hatte
versucht, wenigstens die Bagage unseres Bataillons zu retten, aber
vergeblich. Alles fiel in der Feinde Hände, also auch mein Gepäck,
dessen Verlust ich indessen gerne verschmerzt hätte, wenn sich nicht
mein Klavierauszug des Don Juan, Schillers Fiesko, Don Carlos und
Cramers Adolph der Kühne, Raugraf von Dassel, dabei befunden hätten, ein
für jetzt nicht zu ersetzender Verlust; Haarlocken und einige Billette
mehrerer meiner Schönen aber trug ich bei mir in einem Portefeuille in
meiner Brusttasche. Da ich mich endlich auch auf die Flucht begeben
mußte, wenn ich den Engländern nicht in die Hände fallen wollte, so
raffte ich noch einige sechzig Mann von unserem Regiment, größtenteils
Voltigeure, zusammen, die sich noch vorfanden, und warf mich mit diesen
in die nahe Waldung und die Gebirge, kam glücklich zu Nicastro an, brach
aber, da es hier mit jeder Minute unsicherer zu werden begann, noch in
der Nacht weiter auf und wieder in die Gebirge, denn in diesen
Wildnissen glaubte ich mich weit sicherer als auf den Landstraßen und in
den Ebenen, wo mein kleines Detachement jeden Augenblick aufgehoben
werden konnte. Ich irrte mit meinen Leuten auf das Geratewohl, ohne
Munition und Lebensmittel, ohne Wegweiser, ohne Karten, ohne die
geringste Kenntnis des Landes in dem Waldgebirge umher, jeden Augenblick
fürchtend, dem Feinde in die Hände zu fallen. Wir begegneten endlich
einem Bauer, der aus dem Städtchen Taverna kam, das in der Nähe lag, den
ich sogleich festhielt und durch Drohung des augenblicklichen
Niederstechens, wenn er mir die geringste Unwahrheit sage, von ihm
herausbrachte, daß vor ein paar Stunden eine Abteilung Insurgenten aus
demselben abgezogen sei, um zu den Sizilianern zu stoßen, daß man aber
zu Taverna noch nichts von unserer Niederlage wisse. Ich traute dem
Bauer dennoch nicht, da wir aber beinahe vor Hunger umfielen und auch
keine uns so notwendige Munition mehr hatten, so beschloß ich nach
kurzer Überlegung, einen gewagten Streich auszuführen, der, wenn er
glückte, uns aus der Not helfen und mich für den Augenblick aus dieser
fatalen Lage ziehen mußte; mißglückte er, so waren wir nicht viel
schlimmer daran wie jetzt auch. Ich marschierte nun, von dem Bauer
geführt, gerade nach Taverna, ließ aber den Führer unter strenger
Bewachung zweier Korporale vor demselben zurück, mit dem Befehl, ihn
niederzumachen, wenn sie Unrat merkten und er uns hintergangen habe. In
das etwa fünfzehnhundert Seelen zählende Städtchen eingerückt, ließ ich
mich durch den ersten Einwohner, dem ich begegnete, zu dem Sindico
führen und kündigte diesem an, daß ich die Avantgarde eines mir
folgenden Regiments kommandiere, das noch heute von Neapel eintreffe,
befahl ihm, mir sofort die Krämer anzuzeigen, die mit Pulver und Blei
handelten, vorgebend, die strengste Order zu haben, mir dieses abliefern
zu lassen, bei Strafe des Erschießens desjenigen, der dessen Besitz
verheimliche. Dies hatte die gewünschte Wirkung, und in weniger als
einer halben Stunde erhielt ich über achtzig Pfund Pulver und noch
dreimal soviel Blei und Schrot, hierauf requirierte ich Brot und Wein
und mehrere Pferde, die erhaltenen Lebensmittel zu transportieren, gab
über alles gehörig Empfangscheine und verließ hierauf das Städtchen, dem
gefälligen Herrn Sindico anbefehlend, ja bestens für die Quartiere der
demnächst ankommenden Truppen zu sorgen, damit er keine
Unannehmlichkeiten zu gewärtigen habe, was mir der gute Mann versprach;
ich entfernte mich nun, vorgebend, dem Regiment entgegenmarschieren zu
müssen, um dem Oberst desselben über alles gehörig Rapport zu erstatten,
nahm vor dem Städtchen den noch verhafteten Bauer wieder mit, der mir
den nach Cosenza einzuschlagenden Weg zeigen mußte, worauf ich ihn mit
einigen Carlini für seine gehabte Mühe und ausgestandene Angst entließ.
-- Es war hohe Zeit, daß ich Taverna verlassen hatte, denn eine Stunde
darauf rückte ein Streifkorps von fünfhundert Insurgenten daselbst ein,
die sich jedoch wieder zurückzogen, als sie hörten, daß man ein
französisches Regiment erwarte, das bereits angesagt und im Anmarsch
sei. Zur rechten Zeit hatten wir auch den Vorrat von Munition erhalten,
denn nachdem wir einen großen Teil der Nacht im Wald biwakiert hatten,
wurden wir den anderen Morgen von einem an hundertfünfzig Mann starken
Insurgentenhaufen angegriffen, durch den ich mich mit einem Verlust von
drei Mann schlagen mußte, ihn aber in die Flucht trieb und dann weiter
retirierte, da sich der Haufen durch herbeieilende Bauern vermehrte. So
schlug ich mich, ohne einen anderen Wegweiser zu haben als bisweilen
einen aufgefangenen Kalabresen, noch mehrmals von Insurgenten
angegriffen, alle Ortschaften meidend, ohne andere Lebensmittel als hier
und da weggenommene Ziegen und Pferde, die schnell getötet und am Feuer
gebraten wurden, unter tausend Gefahren bis nach Palenza durch, wo ich
nach sieben Tagen, noch sechsundfünfzig Mann stark, in einem
bejammernswerten Zustand ankam und die erste Unterstützung und das erste
Brot wieder erhielt, da bis hierher noch keine Insurgenten gekommen
waren. Während dieser Zeit hatten wir unter keinem Dach geschlafen,
sondern biwakierten, wo wir ruhten. Die eine Hälfte der Mannschaft
bewachte die andere, wenn sie schlief, und wurde dann von dieser
abgelöst. Aber noch einmal gerieten wir, und ich ganz besonders, in die
furchtbarste Lage.

Nur noch wenige Meilen von Cosenza entfernt, ohne es jedoch genau zu
wissen, hatten wir uns in einer Vertiefung des Waldgebirges Sila
gelagert, um neue Kräfte zum Weitermarschieren zu sammeln und endlich in
der Hauptstadt des diesseitigen Kalabriens das Ziel unserer unsäglichen
Leiden zu finden. Noch unentschlossen, welchen Weg ich einschlagen
solle, um dieses Ziel baldmöglichst zu erreichen, ritt ich ganz allein
(ich hatte mich durch ein requiriertes Pferd beritten gemacht) auf eine
mit niedrigem Gesträuch bewachsene Anhöhe, um von dieser aus die
Umgegend überschauen und rekognoszieren zu können. Jenseits des Hügels
aber, den ich eine Strecke hinabreiten wollte, um noch eine andere
Anhöhe zu erreichen, fing der Boden an sumpfig zu werden, worauf ich
anfänglich nicht achtete, aber mit jedem Schritt vorwärts wurde er
seichter, und plötzlich sank zwischen dichtem Gesträuch das Pferd bis
beinahe an den Bauch in die Brüche; ich stieg nun ab und geriet selbst
bis an die Knie in den Sumpf, und da ich weder mir noch dem Pferd helfen
konnte, so schoß ich eine Pistole ab, in der Hoffnung, daß es vielleicht
meine Leute hören und mir zu Hilfe kommen würden. Aber in demselben
Augenblick fielen zwei Schüsse, von denen mir der eine am linken Ohr
vorüberpfiff, der andere aber mitten durch meinen Tschako fuhr. Gleich
darauf sprangen sieben bewaffnete Banditen aus dem Gebüsch, packten mich
von hinten beim Kragen, rissen mir die Epauletten von den Schultern, die
Uniform vom Leibe und entwaffneten mich, ehe es mir möglich gewesen, in
meiner Lage nur die Hand an den Degen zu legen, um mich zu verteidigen.
Sie schickten sich an, mich auf kannibalische Art zu schlachten, indem
sie schrien: »_Ah cane francese, sei fritto!_« Da ich wußte, wie diese
Unmenschen mit den Gefangenen umzugehen pflegten, so schwebten mir in
diesem Augenblick alle diese gräßlichen Martern vor Augen; man kann sich
denken, in welchem Gemütszustand ich mich befand. Als die Briganten im
Begriff waren, mir auch das Hemd vom Leibe zu reißen, da machte
plötzlich der, welcher gerade vor mir stand, das Zeichen des Kreuzes und
rief: »_Santissima Madonna!_« Auch die anderen bekreuzigten sich, und
einige unter ihnen sprachen: »_Ah é buon Christiano é di buona fede,
lasciamolo._« Dies hatte die Reliquie bewirkt, die ich zu Loretto
mitgenommen und noch immer auf der bloßen Brust trug, ohne daran zu
denken, und welche die Räuber erblickt hatten und sehr gut erkannten.
Einige wollten sie mir abnehmen, die anderen aber stritten dagegen, und
es entspann sich ein ziemlich heftiger Wortwechsel zwischen ihnen, von
dem ich nur soviel verstand, daß die einen meinten, der Himmel würde sie
sogleich strafen, wenn sie jetzt noch Hand an mich legten, andere aber
meinten, das habe nichts zu sagen. Während sie noch so um mich und mein
Leben stritten, fielen mehrere Schüsse, durch welche einer der Briganten
in den Arm getroffen wurde, und gleich darauf sprangen Karabiniers und
Voltigeurs von meinen Leuten aus dem Gebüsch und befreiten mich aus den
Händen meiner Henker, die mit Hinterlassung eines Teils ihrer Waffen die
Flucht ergriffen. Die Soldaten halfen mir und meinem Pferd aus dem
Morast, und ich dankte der Vorsehung und der Madonna von Loretto für
meine wunderbare Rettung, nahm mir aber vor, nie mehr allein in
Kalabrien auf Rekognoszierung in die Büsche zu reiten. Ich war zwar
gerettet, allein wir waren noch lange nicht über die Berge, obgleich wir
mit Hilfe eines aufgefangenen Bauern ohne weiteren Unfall glücklich
Cosenza erreichten, wo sich der General Verdier mit ein paar tausend
Mann befand.

Ich erstattete diesem General einen treuen Bericht über das Vorgefallene
und auf welche Art es mir gelungen war, mich mit meinen Leuten bis nach
Cosenza durchzuschlagen; mit Verwunderung hörte er mich an, staunte
namentlich über meine wunderbare Rettung aus den Klauen der Briganten
und lud mich mehrmals zu Tische ein, wo ich einige interessante
Bekanntschaften mit kalabresischen Edelleuten, Anhängern der Franzosen,
machte. Aber die Lage von Cosenza wurde mit jedem Tag schwieriger, die
Insurrektion immer drohender, der Aufstand wurde allgemein, die Flammen
des Aufruhrs loderten um uns her, und bald waren wir von Briganten und
Insurgenten umringt, die Bewohner der nächsten Umgegend und selbst die
mißvergnügten Einwohner der Stadt fingen an, ihre Häupter drohend zu
erheben, der Ruf: >_maladetti cani francesi_< wurde immer lauter, und
von den einlaufenden Nachrichten war immer eine schlimmer als die
andere. Von Sizilien aus wurde das ganze Land mit Proklamationen
überschwemmt, in denen man die getreuen Kalabresen zur Bekämpfung und
zum Morden der Franzosen aufforderte, ihnen alle möglichen
Versprechungen machte und Unterstützungen zusagte, sowie daß Ferdinand
IV. sich bald selbst an ihre Spitze stellen würde, auch sandte man
fortwährend alles Raubgesindel, Mörder und Diebe Siziliens in Masse nach
Kalabrien. -- Reggio und das Kastell Scylla waren wieder in Feindes
Hände gefallen, und die Schiffe Sidney Schmidts führten Munition und was
zum Kriegsbedarf gehörte, in großem Überfluß allen Orten der Küste zu.

Verdier entschloß sich nun, um nicht völlig eingeschlossen zu werden, so
lange noch eine Möglichkeit vorhanden war, die Hauptstadt Kalabriens zu
räumen. Wir verließen Cosenza in ziemlich guter Ordnung, doch nicht ohne
allen Verlust, und zogen uns in der Richtung von Neapel in das Gebirge
zurück, wo wir einige Kanonen einbüßten. Lebensmittel wurden in den
Dörfern und Ortschaften, in deren Nähe wir kamen, gewaltsam requiriert,
wobei es nicht selten zwischen den dahin gesandten Abteilungen und den
Bauern zu Tätlichkeiten und zum Blutvergießen kam. Wir biwakierten, wenn
wir ruhten, was jedoch nicht häufig der Fall war, unter freiem Himmel,
und jeden Tag kam es zu Neckereien mit den Insurgenten. Eine Abteilung
von fünfhundert Mann, bei der auch ich mich mit meinem Detachement
befand und die nach Ritorto, einem großen Flecken, beordert war, fand
sich plötzlich von drei Seiten von zahlreichen bewaffneten
Brigantenhaufen, unter denen sich mehrere Kompagnien sizilianischer
Infanterie, ein paar Schwadronen Reiterei und sogar einige englische
Dragoneroffiziere befanden, umringt. Von allen Seiten gedrängt, blieb
uns kein anderer Weg als der nach Cosenza führende offen, wir warfen uns
wieder in diese Stadt, wo man uns aber mit einem Hagel von Steinen und
dem Ausruf: »_Maladetti cani!_« empfing und siedendes Wasser und Öl auf
uns goß. Auch die Feinde waren fast zu gleicher Zeit mit eingedrungen,
und es entspann sich ein hartnäckiger Kampf in den Straßen selbst, bei
dem ich einen tiefen Säbelhieb in den rechten Arm von einem feindlichen
Dragoner erhielt, der aber fast in demselben Augenblick von einem
französischen Grenadier vom Pferde gestochen wurde. Die Wunde blutete
zwar stark, ich ließ mir sie aber durch einen unserer Leute mit dem von
dem Hemde eines Toten abgerissenen Ärmel verbinden und schlug mich mit
den übrigen durch die Straßen wieder zum Tor hinaus, wo wir retirierend
uns fortwährend auf das eifrigste unserer Haut wehren mußten;
wahrscheinlich würden wir dem uns verfolgenden, bald mehrere tausend
Mann starken Feind unterlegen sein, wenn wir nicht glücklicherweise
jenseits der Stadt, gegen Montalto zu, auf die Avantgarde eines
französischen Linienregiments gestoßen wären, das von Salerno her im
Marsch war und die Garnison von Cosenza verstärken sollte. Ein Bataillon
dieses Regiments folgte bald seiner Avantgarde, dessen Chef sich nun uns
anschloß, und so waren wir instand gesetzt, nicht nur den verfolgenden
Feind wieder Face zu machen, sondern auch der angreifende Teil zu
werden und ihn zurückzuschlagen. Jetzt ließ ich mir durch den
Bataillons-Chirurgus meine Wunde, die zwar nicht gefährlich war, aber
doch bis auf den Knochen ging, kunstgerecht verbinden und hatte nahe an
drei Wochen zu tun, bevor ich den Arm wieder gehörig brauchen konnte.
Noch denselben Abend gelang es, uns wieder mit Verdiers Division zu
vereinigen, der sein Hauptquartier in einem großen Flecken, etwa zehn
Miglien von Cosenza, das nun mit Insurgenten und feindlichen Truppen
überfüllt war, aufgeschlagen hatte. Unsere Lage war indessen immer noch
sehr kritisch, besonders da der so gefürchtete Brigantenchef oder
eigentlich Räuberhauptmann Fra Diavolo mit seinen zahlreichen Banden
rund um uns herum sein Wesen trieb. Wir mußten uns die folgenden Tage
mit ansehnlichem Verlust durch Tarsio und Cassano, die sich in vollem
Aufstand befanden, schlagen und kamen endlich zu Matera, der Hauptstadt
der Basilicata, an, wo uns der daselbst kommandierende General, der noch
nicht beunruhigt worden war, alle nötige Hilfe zukommen ließ. Hier
erfuhren wir, daß die wichtige Festung Gaëta endlich übergegangen und
deren starkes Belagerungsheer bereits unter dem Oberbefehl des Marschall
Massena auf dem Marsch nach Kalabrien begriffen sei. Diese Neuigkeit gab
uns frischen Mut und Zutrauen und machte zugleich bei den Insurgenten
einen für uns so vorteilhaften Eindruck, daß diese es wenigstens nicht
mehr wagten, uns in offener Fehde anzugreifen; Gaëtas Fall paralysierte
so ziemlich die Wirkung der Niederlage von Maida. Durch frisch
angekommene Truppen verstärkt, rückten wir nun wieder vor, bald waren
die Insurgenten aus Cosenza und der Umgegend verschwunden, wir besetzten
die Stadt neuerdings, in der Verdier abermals sein Hauptquartier
aufschlug; die unter seinem Befehl stehenden Truppen waren wieder bis
auf sechstausend Mann angewachsen. Cosenza mußte eine sehr bedeutende
Kontribution erlegen, und wir ergriffen allenthalben die Offensive.

Bald nach unserer Wiederbesetzung Cosenzas verließ ein Korps von
ungefähr dreitausend Mann, bei dem auch mein Detachement, diese Stadt,
die Insurgenten zu verfolgen; den dritten Tag nach unserem Ausmarsch
trafen wir in der Ebene von Cocozza auf ein bedeutendes
Insurgentenkorps, das zu umstellen uns so gelang, daß es nach einer
kurzen, aber heftigen Gegenwehr fast gänzlich niedergemacht wurde, nur
etwa dreihundert Mann davon entkamen, die nach Amantea flüchteten, wo
sie sich in ein Kloster warfen. Als wir aber schnell nach dem
erfochtenen Sieg in Amantea einrückten, ergaben sie sich, Pardon
erflehend, unter der Bedingung, ihnen das Leben zu schenken, was auch
zugestanden wurde, aber auch nichts weiter. Sie wurden sämtlich
geschlossen unter guter Eskorte nach Neapel abgeführt, wo man die
meisten zur Galeere verurteilte. Das Kastell von Amantea hielt sich aber
noch länger und fiel erst nach einer fünfundzwanzigtägigen Belagerung.

Massena rückte jetzt in Eilmärschen heran; dies und der Fall von Gaëta,
dessen moralische Wirkung außerordentlich war, gab schnell den Dingen im
ganzen Königreich eine andere Wendung. In Neapel selbst hatte man zu
gleicher Zeit eine große Verschwörung entdeckt, die genau mit der
Landung der Engländer und Sizilianer und dem Aufstand in Kalabrien
zusammenhing. Man ging jetzt daselbst mit einer vielleicht zu raschen
Energie zu Werk, und täglich wurden nach sehr kurzen summarischen
Verhören eine große Zahl der Verschworenen hingerichtet, welche durch
aufgefangene Briefe, geheime Korrespondenz und Polizeispione
ausgemittelt und entdeckt worden waren, aber gewiß verlor auch mancher
ganz unschuldig sein Leben. Bald war nun keine englische Uniform mehr
auf dem ganzen festen Land des Königreichs zu erblicken, die Engländer
überließen die Kalabresen ihrem Schicksal, das traurig und furchtbar
genug war. Teuer mußten sie die von den Pfaffen versprochene Befreiung
vom Fegfeuer und aus der Hölle bezahlen und erhielten statt der ihnen
ebenfalls versprochenen zeitlichen Güter einen oft sehr grausamen Tod.
Freilich waren die von ihnen besonders auch an den eigenen Landsleuten
begangenen Grausamkeiten scheußlich genug gewesen, sie hatten vom
Säugling bis zum neunzigjährigen Greis, von dem zartesten Mädchen bis
zur ehrwürdigsten Matrone alles, was sie den Franzosen geneigt glaubten,
unter teuflisch ausgesonnenen Qualen gemordet und die Mädchen und
Jungfrauen vom siebten Jahre bis zum blühendsten Alter aus den besten
und edelsten bürgerlichen und adeligen Familien, bevor sie sie töteten,
geschändet und genotzüchtigt, ja noch nach deren Tod ihre viehischen
Lüste an den blutigen Leichnamen gesättigt. Besonders waren es die
Räuberbanden vom Handwerk, die sich diesen Teufeleien mit aller Lust
überließen, und ein halbes Hundert befriedigte nicht selten der Reihe
nach seine Geilheit an ein und demselben unglücklichen Schlachtopfer,
das ihnen in die Hände gefallen war, wobei diese Ungeheuer das
Hohngelächter der Hölle erschallen ließen.

Daß jetzt fast ebenso scheußliche Repressalien angewandt wurden, war
zwar nicht zu verantworten, aber natürlich und nicht gut zu verhindern.
Wir verfuhren indessen bei weitem nicht so raffiniert, sondern mehr
summarisch, übergaben dem verzehrenden Feuer ganze Städte und Dörfer, in
welchen die Unsrigen ermordet worden waren, und alles, was sich lebendig
und tot in denselben befand, wurde ein Raub der Flammen. So gingen
hintereinander Lauria, San Pietro, Latronico, Raparo, Fondico, Scigliano
und so weiter mit allem, was sie enthielten, im Rauch auf. Entwaffnet
wurden alle Ortschaften, wo wir hinkamen, ohne Ausnahme, und jeder
Einwohner, bei dem man nach vierundzwanzig Stunden noch eine Waffe oder
ein Stilet vorfand, wurde auf der Stelle erschossen. Ganze Transporte
von Verdächtigen wurden in Ketten nach der Hauptstadt geschafft, wo sie
meistens ein schreckliches Los erwartete, und allenthalben hatten wir
Militärgerichte niedergesetzt, die mit den Angeklagten kurzen Prozeß
machten und diese zu Dutzenden erschießen ließen. Jeder Ort, der nur den
geringsten Anschein hatte, als wollte er es versuchen, Widerstand zu
leisten, wurde sofort geplündert und dann niedergebrannt. Daß unsere
Soldaten dabei mit den jungen Mädchen und Weibern nicht viel besser
umgingen, als es die Insurgenten gemacht hatten, ist leider nur zu wahr,
doch badeten sie sich nicht in deren Blut nach gebüßter Lust und
schändeten auch keine zu Tod, auch bewies das Benehmen mancher dieser
Weiber, daß ihr eine so abgezwungene Gunst gerade nicht ganz
unwillkommen war, und mehrere folgten sogar ihren gewaltsamen Verführern
nach dem Tod ihrer Männer oder Väter.

Der strengste militärische Despotismus wurde überall eingeführt, wo wir
die Herren waren, aber wir waren es noch bei weitem nicht allenthalben,
noch hatten die Insurgenten die stärksten Positionen und die
bedeutendsten Engpässe in ihrer Gewalt, die nicht ohne große Verluste
und immer mit der blanken Waffe genommen werden mußten. Indessen hatten
wir es doch bald nur noch mit einzelnen Banden zu tun, auf die wir Jagd
machten und die sich meist in die unzugänglichsten Schlupfwinkel der
ödesten Wildnisse, in verborgene Felsenklüfte und Täler zurückgezogen
hatten, namentlich in die Basilicata, mit die wildeste und unbekannteste
Provinz im ganzen Reich, in deren Schluchten und Wälder einzudringen
fast unmöglich ist. Aus diesen Verstecken machten die Briganten
fortwährend Ausfälle auf kleine Militärabteilungen und in die nächsten
Ortschaften, vortrefflich durch ihre Spione unterrichtet, wenn sie es
gefahrlos tun konnten. Diese Banden trieben auch das Handwerk des
Straßenraubs und verübten Raubmorde ohne Unterschied gegen alle
Parteien.

Noch immer stand ich mit meiner Abteilung, die jetzt bis auf einige
vierzig Mann zusammengeschmolzen war, bei der Division Verdiers, mit der
wir die meisten Strapazen und Gefechte teilten, wobei wir oft in acht
Tagen nicht unter Dach und Fach kamen, unser Bett die rauhe Erde, unsere
Decke das Himmelszelt war, und froh sein konnten, wenn wir etwas
Maisstroh zum Lager erhielten. Bei dieser Gelegenheit konnte ich recht
den Charakter der verschiedenen Nationen, denen meine Leute angehörten,
beobachten. Die Russen waren alles zufrieden, beschwerten sich über
nichts, wenn ihnen nur der Aquavit nicht ausging, und sie etwas Fett,
Talg, Öl, gleichviel, zu ihrem Brot erhielten; daß sie auch Braten nicht
verschmähten, wenn sie ihn haben konnten, versteht sich von selbst; den
Wein ließen sie wie Wasser die Gurgel hinabgleiten, und stahlen mit den
Ungarn um die Wette, was ihnen anstand, standen aber im Feuer wie Mauern
und Felsen. Die Österreicher und Böhmen waren besonders dem Mehl und dem
Tabak gefährlich, hatten sie Knödel und überhaupt Mehlspeisen vollauf,
dann war alles gut, aber satt mußten sie sein, wenn etwas mit ihnen
anzufangen sein sollte, ihr größter Greuel war, mit leerem Bauch
marschieren zu müssen, dem Wein waren sie hold, und war der Wanst voll,
so standen auch sie gut im Feuer, dabei gehorchten sie, ohne auch nur
eine Miene zu verziehen; werden sie gut angeführt, so ist mit diesen
Truppen etwas anzufangen, der gemeine Mann und Unteroffizier ist dann
eine vortreffliche Maschine; weniger sind sie bei dem leichten Dienst im
Feld brauchbar, wozu ihnen in der Regel die nötige Gewandtheit abgeht,
namentlich den Böhmen. Die Preußen, von denen ich auch einige bei mir
hatte, waren in vielen Stücken ganz das Gegenteil, besonders gut zu
allen Kriegslisten zu gebrauchen, und bei vieler Windbeutelei besaßen
sie doch viele persönliche Tapferkeit und waren Waghälse. Die Polen
kamen ihren Todfeinden, den Russen, am nächsten, waren aber womöglich
noch schweinischer, namentlich immer voll Ungeziefer. Die Ungarn, sehr
tapfer, spürten hauptsächlich den Speckseiten nach, mit deren Schwarten
sie sich den ganzen Körper und die Haare einschmierten und sich den Rest
vortrefflich schmecken ließen. Es gibt aber auch nichts Zarteres und
Köstlicheres, als so ein schwarzes italienisches Schwein, das mit
ausgepreßten Oliven gemästet ist und ein äußerst delikates Fleisch hat.
Am unverdrossensten waren jedoch die Franzosen, wenn sie vierundzwanzig
Stunden marschierten, nichts zu nagen noch zu beißen hatten, waren sie
nichtsdestoweniger heiter und guter Dinge; schlugen sich, wenn es nötig
war, ebenso mutig, als kämen sie von einem sybaritischen Mahl, selbst
mit dem Teufel herum, und machten ihre Privathändel immer unter sich mit
der Klinge aus. Die Italiener waren Duckmäuser, mürrisch, ewig
unzufrieden, im Dienst nicht zuverlässig, und zeigten den wenigsten Mut
in offener Schlacht; sich in sichern Hinterhalt legen war ihre Sache.

Eines Morgens, nachdem wir den Abend vorher in Squillaci eingerückt
waren, trafen die Rudera unsers ersten Bataillons, von Düret angeführt,
ganz unerwartet daselbst ein. Der brave Mann schien ordentlich gerührt,
als er mich sah, und bezeigte eine große Freude; er hatte mich längst
unter den Toten geglaubt, nahm großen Teil an dem Schicksal, das mich
seit unserer Trennung betroffen hatte, und hörte meinen Berichten mit
der größten Aufmerksamkeit zu. Mehr als einmal rief er aus: »_Mais c'est
inoui!_« Am meisten wunderte er sich, daß ich mich nach der Schlacht von
Maida so durchzuschlagen gewußt, und meinte, ich würde einst noch ein
tüchtiger General werden. Indessen erfuhr ich von ihm und einigen andern
Offizieren des Bataillons, daß sie während der Zeit ebenfalls nicht auf
Rosen gebettet waren, furchtbare Märsche und Kontremärsche unter
beständigen Gefechten mit den Feinden hatten machen und sich fortwährend
durch zahlreiche Haufen von Insurgenten schlagen müssen, wobei sie viel
Leute und fast die Hälfte der Offiziere, unter denen auch mein Kapitän,
Herr von Leclerc, war, verloren. Zu Strongoli und Conigliano hatte man
ihnen das Durchmarschieren und die Lebensmittel verweigert, beides
mußten sie durch blutigen Kampf erzwingen, und erst in Cassano hatten
sie einigen festen Fuß fassen und sich etwas erholen können. Das
Bataillon, nun auch ein Teil von Verdiers Division, machte Jagd auf die
Briganten, was, wenn auch fast immer sehr beschwerlich war, doch
mitunter auch nicht ohne lustige Abenteuer ablief; gar manche
schwarzäugige und schwarzhaarige Kalabresendirne, die uns in die Hände
fiel, war uns doch nicht so abhold bei näherer Bekanntschaft, und ich
entsinne mich immer mit Vergnügen eines allerliebsten blutjungen
Mädchens, Tochters eines Sindico, die zuerst gezwungen und dann
freiwillig und vergnügt eine längere Zeit Berge und Wälder mit mir
durchzog, auch uns manchmal von großem Nutzen in diesen unwirtlichen
Gegenden war. Als ich sie endlich in ihre Heimat, ein Dorf in dem jetzt
größtenteils niedergebrannten Silawald, entlassen wollte, hatte ich alle
Mühe, sie loszuwerden, trotzdem ihr ihr Beichtvater eingeprägt, daß die
geringste, einem _francese_ zugestandene Gunst unfehlbar die ewige
Verdammnis nach sich ziehe; aber ich war ja ein _tedesco_, schade nur,
daß dem Mädchen nicht begreiflich zu machen war, was das für ein Wesen,
und welcher Unterschied zwischen diesem und einem Franzosen ist. Ich
versprach ihr beim Abschied, sie später wieder aufzusuchen.

Noch manche Woche ging so unter Entbehrungen, mannigfaltigen Gefahren,
Strapazen und kleinen Scharmützeln hin und man wußte nie, wo man den
nächsten Tag zubringen würde, gewöhnlich unter freiem Himmel. Diese
Brigantenjagd war so ermüdend als in der Regel undankbar, da die
Insurgenten nicht nur die Örtlichkeiten genau kannten, sondern auch
immer im Einverständnis mit den Einwohnern waren, die ihnen jeden
unserer Schritte verrieten und uns dagegen immer irrezuführen suchten.
Nur nach unerhörten Anstrengungen und Kreuz- und Quermärschen gelang es
uns bisweilen, diese wahren Überall und Nirgends zu erreichen; aber
hatten wir sie auf einer Seite verjagt und versprengt, so spukten sie
schon wieder auf der andern oder hinter unserm Rücken um so frecher, und
hatte man sie endlich doch erwischt und ihnen viele Leute getötet, so
zeigten sie sich wenige Tage darauf wieder mit größeren Streitkräften
und in doppelter Zahl. Dieses immerwährend von Sizilien aus verstärkte
Volk ließ sich natürlich auf einen offenen Kampf oder gar eine Schlacht
nicht ein, sondern führte den kleinen Krieg, den man bei dieser
Gelegenheit vollkommen gut lernte, wohl an fünfzig verschiedenen Orten
zumal, weshalb auch unsere Streitkräfte so sehr zersplittert werden
mußten, daß wir nirgends mit gehörigem Nachdruck operieren konnten,
wodurch sie bisweilen in großem Vorteil waren. Kanonen und Reiterei
waren ohnehin hier nicht anwendbar, sondern eher ein Hindernis; die
Briganten fügten uns durch das Abschneiden oder Wegnehmen von
Lebensmitteln, die nicht gehörig eskortiert waren, unendlichen Schaden
zu. So durchzogen wir fortwährend die beiden Kalabrien und die
Basilicata von einem Ende zum andern, überall Verheerung und Verwüstung
hinbringend oder findend.

Eines abends, wir hatten kaum ein paar Stunden in dem in einem
Waldgebirge liegenden Dörfchen Stigliano, unweit Tricarico, geruht, kam
uns die Nachricht zu, daß der furchtbare Fra Diavolo neuerdings, mit
einem großen Insurgentenhaufen aus Sizilien kommend, gelandet sei, sogar
Kanonen bei sich führe und sich nach seiner Vaterstadt Itri begeben
habe, um daselbst abermals die Insurrektion zu organisieren. Aber gleich
nach seiner Ankunft vom General Hügo versprengt, habe er sich mit seiner
Bande in die Gegend von Tricarico und Potenza gezogen und schon mehrere
Ortschaften überfallen. In der Tat streiften Abteilungen seiner Bande im
nahen Wald in der Nähe von Stigliano.

Das Gerücht hatte das Korps dieses gefürchteten Brigantenchefs zu einem
bedeutenden Heerhaufen gemacht, unser Bataillon war bis auf vierhundert
Mann zusammengeschmolzen und wußte nicht, daß, von Hügos Truppen
verscheucht, sich Fra Diavolo selbst gewissermaßen auf der Flucht
befand. Düret ließ jetzt alle Zugänge des Orts besetzen, in dessen Mitte
wir ein Biwak aufschlugen, stellte Lauerposten aus, um uns gegen einen
etwaigen Überfall zu sichern, und so brachten wir die ganze Nacht in
Alarm zu.

Von diesem Fra Diavolo wurde so viel Fabelhaftes und Unglaubliches
erzählt, daß ich ihn für einen wahren Rinaldo Rinaldini hielt und ihm
meine Bewunderung, wie einst dem Schinderhannes ruhmwürdigen Andenkens,
nicht versagen konnte, was mich jedoch nicht hinderte, bald darauf einen
seiner Adjutanten gefangenzunehmen und ihn selbst später hinrichten zu
sehen. Sein eigentlicher Name war Michaeli Pezza oder Pozza, er war aus
der kleinen Stadt Itri in der Terra di Lavora gebürtig. Aus einem
gemeinen Straßenräuber hatte ihn Ferdinand IV. oder vielmehr dessen
Gemahlin, die Königin Karolina, auf Veranlassung des Generals Ruffo, zum
Oberst der neapolitanischen Armee gemacht und ihm sogar den Titel eines
Herzogs von Cassano erteilt, nachdem dieselbe Regierung früher einen
Preis auf den Kopf des Räuberhauptmanns gesetzt. Während der Belagerung
von Gaëta leistete er dem Prinzen von Hessen-Philippsthal wichtige
Dienste, indem er die Franzosen zwischen dem Kirchenstaat und dem
Volturno beunruhigte, ja, beinahe hätte er Lucian Bonaparte auf seinem
Landsitz bei Rom aufgehoben; der aber wurde noch zu rechter Zeit
gewarnt. Er warf sich sodann nach Kalabrien, wo er uns allen möglichen
Schaden zufügte. Seine Bande war weit über zweitausend Mann stark und
der Ruf seiner Taten so außerordentlich, daß die Kalabresen steif und
fest glaubten: er könne zaubern und hexen und daß ihm nichts unmöglich
sei. Philippsthal hatte ihn indessen wegen seiner Schandtaten, die er
nicht unterließ, endlich aus Gaëta gewiesen, von wo er nach Palermo
gegangen war, jedoch im September wieder mit seiner hauptsächlich durch
freigelassene Galeerensklaven verstärkten Bande in Unteritalien landete,
alle Banditen und Mißvergnügte abermals an sich zog und sodann nach Itri
marschierte, um sich seiner Vaterstadt in seiner ganzen Herrlichkeit zu
zeigen. Joseph beauftragte den General Hügo, mobile Kolonnen gegen den
gefürchteten Brigantenchef zu bilden, wozu jener hauptsächlich die
rabenschwarzen Soldaten des Regiments Royal africain, eine Abteilung der
Chasseurs von der korsischen Legion und einige andere leichte Truppen
verwandte, denen er auch etwas Reiterei zugesellte.

Fra Diavolos Haufen mochte jetzt etwas über dreitausend Mann stark sein
und war voller Zuversicht; reich von der Königin Karoline beschenkt, die
dem Brigantenchef unter anderm ein kostbares Armband mit ihrem Bildnis
und eine Fahne mit von ihr höchst eigenhändig gearbeiteten
Goldstickereien verehrt hatte, und außerdem noch mit einem englischen
Majorspatent versehen, hatte er sich eine kurze Zeit auf der Insel Capri
bei dem dortigen Kommandanten Hudson Lowe aufgehalten und seine
Operationen gegen die Franzosen mit kecker Verwegenheit begonnen. Bei
dem Überfall eines Städtchens waren ihm zwei französische Damen, die
Frauen zweier Stabsoffiziere, in die Hände gefallen, die er längere Zeit
mit seiner Bande auf seinen Streifzügen in den Gebirgen und Wäldern
herumschleppte, deren Tugend aber nicht mehr sehr jung war und die er
endlich, wie sie und er behaupteten, unangetastet wieder nach Neapel
zurückschickte, nachdem er sich ein Zertifikat von denselben hatte geben
lassen, daß er sie mit zuvorkommender Aufmerksamkeit behandelt habe und
ihrer Schamhaftigkeit und Keuschheit nicht zu nahegetreten sei. Von
diesem Zertifikat hatten die Damen eine Abschrift, die: >Michel Pezzo,
Herzog von Cassano, _per copia conforma_< unterzeichnet war, und die sie
in Neapel allenthalben vorzeigten. Was es damit eigentlich für eine
Bewandtnis hatte, daraus konnte man nicht recht klug werden, die böse
Welt wollte wissen, daß die Damen, obschon nicht mehr in der ersten
Jugendblüte, dennoch der Bande oder deren Anführer manche vergnügte
Stunde hätten machen müssen.

Soviel ist gewiß, daß, als sie in Neapel ankamen, sie äußerst übel
aussahen, was man ebensogut den überstandenen Strapazen als andern
Dingen zuschreiben konnte, sie mußten sich bei all dem viel Neckereien
wegen ihres Aufenthalts unter den Banditen gefallen lassen. Wer den
Schaden hat, darf ja für den Spott nicht sorgen.

Die mobilen Kolonnen des General Hügo setzten indessen bald dem Fra
Diavolo so gewaltig zu, daß er sehr in die Enge getrieben wurde und sich
endlich gezwungen sah, seine Bande in mehrere Abteilungen zu zerstreuen,
von denen eine jede vorgab, von ihm in Person befehligt zu sein, eine
Kriegslist, um die Verfolger irrezuführen. Die Generäle Dühesme und
Goulü hatten den Auftrag, dafür zu sorgen, daß ihm die Wege in den
Kirchenstaat versperrt würden, während der jetzt in Gaëta kommandierende
General Valentin seine Wiedereinschiffung verhindern sollte und Hügo ihn
rastlos verfolgte, eine mühsame und gefährliche Aufgabe, da er sich
immer, nachdem er einen Handstreich vollbracht hatte, in die
unwegsamsten und unzugänglichsten Wildnisse zurückzog. So oft die
Voltigeurs oder Jäger mit Leuten seiner Bande plänkelten, zogen sie
immer den kürzern, zum standhalten und zur Annahme eines ordentlichen
Gefechtes war er nicht zu bringen.

Damals war es, als wir zu Stigliano durch das angebliche Herannahen des
Fra Diavolo in Alarm gesetzt wurden, indessen verlief doch die Nacht
ohne daß wir weiter beunruhigt worden wären. Nachdem jedoch der Tag
angebrochen, ward uns die Gewißheit, daß sich eine Bande bewaffneter
Briganten, etwa vier Miglien von unserm Dorf, in einer wildbewachsenen
Schlucht aufhalte. Auf diese zuverlässige Nachricht setzten wir uns in
Marsch, und Düret gab mir das Kommando unserer kaum sechzig Mann starken
Avantgarde, indem er zu mir sagte: »Ich kann dieses gefährliche Kommando
niemand besser als Ihnen übertragen, da Sie sich nach der Niederlage von
Maida so gut durchzuschlagen gewußt, überhaupt schon viele Erfahrung in
diesem gefährlichen Krieg gemacht haben und den Gefahren zu begegnen
wissen, auch der einzige sind, der mit der italienischen Sprache
fortkommen kann. Seien Sie indessen vorsichtig, sorgen Sie besonders,
daß man Sie nicht unvermutet überfallen kann und sichern Sie Ihre
Flanken durch Seitenpatrouillen.«

Diese Vorschriftsmaßregeln waren allerdings sehr notwendig, denn mehr
als ein halbes Hundert solcher kleiner Detachements französischer,
italienischer, korsischer, schweizer und politischer Truppen waren schon
von den Insurgenten überfallen, umringt und niedergemacht worden.
Allenthalben lagen die Briganten im sichern Hinterhalt und Versteck,
waren von allen Bewegungen der Truppen genau unterrichtet und durch ihre
Spione vortrefflich bedient. -- Nach der Schlacht bei Maida hatten sie
an zweihundert Mann, die sich in einen großen Maierhof retiriert und
denselben in der Eile möglichst verschanzt, ihn sogar mit Pallisaden
versehen hatten, von den Bauern unterstützt, förmlich belagert. Nachdem
die Truppen den Rest ihrer Patronen verschossen, stürmten die Briganten
am dritten Tag, wo die Belagerten aus Mangel an Lebensmitteln schon halb
verhungert und folglich ganz kraftlos und matt, sich fast nicht mehr zu
verteidigen imstande waren, den Hof und machten die ohnmächtigen Leute
unter unsäglichen Martern bis auf den letzten Mann nieder.

Nicht immer stand es in meiner Gewalt, Dürets Instruktionen zu befolgen,
denn gar oft kamen wir durch so schmale und enge Wege, durch so wild
verwachsenes Gehölz und dichtes Gesträuch, hinter denen sich Felsen
türmten, daß nicht daran zu denken war, Seitenpatrouillen zu
detachieren, ja, nicht selten konnte man nur Mann vor Mann auf den
schmalen, kaum betretenen Fußsteigen marschieren. Gegen die
Mittagsstunden kamen wir an einen kleinen Weiler, in dem wir zwar einige
Menschen, aber sonst auch nichts antrafen; hier erfuhr ich auf meine
Erkundigungen, daß Fra Diavolo mit einem kleinen Teil seiner Bande in
der vergangenen Nacht dagewesen, erst diesen Morgen den Ort wieder
verlassen und den Weg nach Tricarico eingeschlagen habe. Ich wollte das
Bataillon hier erwarten, um neue Verhaltungsbefehle zu empfangen, es
traf auch nach einer guten Stunde ein. -- Düret befahl mir jetzt, einen
Führer aus Ferrandina, so hieß das Örtchen, mitzunehmen und mit meiner
Avantgarde gleichfalls nach Tricarico zu marschieren. Wir mußten durch
das noch sehr seichte Flüßchen Basiento passieren, dessen Wasser uns
kaum bis an die Knie reichte. Aber am jenseitigen Ufer zeigten sich
plötzlich Insurgenten auf den felsigen Anhöhen, welche ihre Gewehre auf
uns abfeuerten, mir einen Mann töteten und dann verschwanden, ohne daß
ich daran denken konnte, sie zu verfolgen, da mein Führer mir
versicherte, in dieser Wildnis wisse er sich, einmal von dem Weg
abgekommen, nicht mehr zurechtzufinden. Erst mit einbrechender Nacht
erreichten wir das Dorf Grottola, wo aber kein Mensch etwas von dem Fra
Diavolo wissen wollte. Ich machte hier abermals halt, die Ankunft des
Bataillons zu erwarten, das aber nicht eintraf. Mein Führer gab vor, daß
sich seine Kenntnis der Gegend nicht weiter erstrecke und bat mich, ihm
zu erlauben, nach Ferrandina zurückkehren zu dürfen. Ich fand aber für
gut, ihn die Nacht über noch bei mir zu behalten, und versprach ihm,
daß, wenn bis zum nächsten Morgen nichts Besonderes vorfiel, ich ihn
dann entlassen würde. --

Meine Lage fing an bedenklich zu werden, ich glaubte mich umringt oder
doch wenigstens vom Bataillon abgeschnitten und biwakierte diese Nacht
auf einem freien Platz vor dem Dorfe, ringsum Posten auf Schußweite
aufstellend, um uns vor jedem Überfall zu sichern. Auf mein Verlangen
brachten mir die Einwohner von Grottola etwas Reis, Welschkornmehl und
ein Körbchen mit Eiern, nebst Wein, so daß wir uns ziemlich restaurieren
konnten und sogar so munter und guter Dinge wurden, daß wir den Fra
Diavolo samt seiner Bande zitierten und sich zu zeigen aufforderten,
wenn er Mut habe. -- Die Nacht verging ohne irgendeine Beunruhigung, die
meisten Leute schliefen gegen Mitternacht ein. Als aber der Tag kaum zu
grauen begann, befahl ich aufzubrechen, teilte ein paar Flaschen Aquavit
unter das Detachement aus, die ich noch requiriert hatte, aber dem
Bauer, der sie brachte, bezahlte. Ich ließ mich nun mit diesem, der
einige Worte, die ich nicht verstand, mit meinem Führer gewechselt
hatte, in ein Gespräch ein; auf meine Fragen, ob er nichts von Fra
Diavolo wisse, und nachdem ich ihm deshalb ziemlich drohend zugesetzt,
antwortete er endlich, wenn ich ihm zusichern könne, daß er den Preis
von sechstausend Dukati, der auf den Kopf dieses Brigantenhaupts gesetzt
sei, wenigstens zur Hälfte erhalte, da mir die andere Hälfte gebühre, er
mir denselben in die Hände liefern wolle. -- Erstaunend erwiderte ich
freudig, daß er nicht nur die Hälfte, sondern die ganze Summe, die die
Regierung ausgesetzt habe, erhalten werde. Er blieb aber dabei, mit mir
teilen zu wollen, meiner Großmut, die er nicht begriff, mißtrauend, was
ich dann auch zusagte, um ihm nicht das Vertrauen zu benehmen. -- Er
teilte mir nun mit, daß sich Fra Diavolo, kaum zwei Miglien entfernt,
mit höchstens dreißig Mann seit gestern abend in einer Waldschlucht
gelagert befinde, indem er in der Gegend von Salerno durch die
französischen Chasseurs total versprengt worden sei, wir müßten aber
eilen, wenn wir ihn noch treffen wollten, da er wahrscheinlich mit
frühem Morgen aufbrechen und sich dann noch tiefer in die Waldgebirge
flüchten werde. Ich marschierte schnell ab, den Bauer samt meinem Führer
aus Ferrandina in die Mitte nehmend, ihnen beiden erklärend, daß bei der
mindesten verdächtigen Anzeige sie zuerst niedergemacht würden. -- In
aller Stille zog ich durch Grottola, kam jenseits des Ortes in einen
dicht verwachsenen Wald und stand, von dem Bauer geführt, bald an dem
Eingang einer in der Tiefe zwischen Felsen und Gesträuch befindlichen
Schlucht; hier sah ich durch das Gebüsch hinab in einem kleinen
Kesseltal einige zwanzig Mann um ein fast abgebranntes Feuer meistens
schlafend lagern; der Bauer sagte: »_Eccoli!_« So geräuschlos als
möglich besetzte ich den einzigen Ausgang dieser Schlucht. Unbemerkt
drang ich dann so weit vor, daß ich die Briganten zählen konnte, es
waren ihrer dreiundzwanzig. Ich wünschte, sie womöglich alle lebendig zu
fangen, aber jeder Schritt vorwärts machte es wahrscheinlicher, daß ich
von ihnen entdeckt würde, sie dann noch Zeit hätten, sich aufzuraffen
und eine verzweifelte Gegenwehr vorzubereiten. Ich beschloß nun, sie mit
einem Hurra und möglichstem Lärm zu überfallen, damit sie in dem ersten
Schrecken den Kopf verlieren sollten. An den Eingang des Kesseltals
postierte ich zehn Mann mit einem Korporal, stieg sodann mit den andern
mit gespannten Hahnen den schmalen Pfad hinab, die Briganten immer im
Auge habend; als ich endlich sah, daß sich ein paar zu regen begannen,
gab ich dem Tambour das Zeichen pas de charge zu schlagen, und mit dem
Ruf: »Vorwärts!« die Gewehre auf sie abfeuernd, stürmten wir hinab. Das
Manöver gelang vollkommen. Die Briganten sprangen auf, griffen nach
ihren Waffen, eilten dem Ausgang zu, machten zum Teil kehrt, während
andere, den Kopf verlierend, uns in die Hände liefen, dann auch wieder
umkehrten; wir folgten, ihnen die Bajonette in die Rippen setzend.
Mehrere, schon verwundet, warfen ihre Gewehre weg, während andere an dem
entgegengesetzten Ende der Schlucht auf Bäume kletterten. Einigen gelang
das fast Unglaubliche, indem sie die beinahe senkrechten Felsenwände mit
Hilfe der Gesträuche, die sie erfaßten, hinankletterten. Zwei davon
stürzten jedoch, nachdem sie schon eine bedeutende Höhe erreicht hatten,
herab, wovon der eine das Genick brach und auf der Stelle tot war, der
andere aber das Bein verletzte und nicht mehr von der Stelle konnte.
Noch andere schossen meine Leute herab, während drei auf diese Art
wirklich entkommen waren, sich auch vielleicht in den Gipfeln hoher
Bäume verborgen hatten, wo wir sie nicht entdecken konnten. -- Die
übrigen, unter denen der Anführer, der aber nicht Fra Diavolo selbst,
sondern nur einer seiner sogenannten Adjutanten, namens Belardi, war,
nahmen wir gefangen und banden sie mit Gewehrriemen zusammen. -- Dieser
Belardi hatte sich allenthalben, wo er hinkam, für Fra Diavolo selbst
ausgegeben, so wie dies noch andere Chefs der Bande taten, die in
Kalabrien umherirrten, wozu sie vom wahren Bruder Teufel ermächtigt
waren, damit man, wie oben bemerkt, irregeleitet, nicht auf dessen Spur
kommen sollte. -- Was aus ihm geworden, konnte ich von den Gefangenen
nicht erfahren, die, wie sie mich versicherten, ihr Oberhaupt schon seit
zwölf Tagen oberhalb Salerno verlassen hatten, ohne zu wissen, wo er
jetzt sei. So leid es auch mir und dem Bauer, der mich hierhergeführt,
tat, nicht den rechten Mann erwischt zu haben, so war ich dennoch über
den gemachten Fund froh und überzeugt, jetzt nicht mehr viel zu fürchten
zu haben, da die Bande gesprengt und die Einwohner dadurch so mutlos
gemacht waren, daß sie sich nicht trauten, etwas offen gegen uns zu
unternehmen.

Ich marschierte nun mit meinen Gefangenen nach Grottola zurück, den
Führer von Ferrandina entlassend, den Bauer nahm ich mit nach Tricarico,
wo ich das Bataillon vermutete, und wohin ich nach kurzem Halt aufbrach.
-- Unterwegs unterhielt ich mich mit dem gefangenen Belardi und fragte
ihn über manches, was seinen Chef betraf, konnte aber nur ausweichende
Antworten oder sehr ungenügende Auskunft von ihm erhalten; auf meine
Frage, warum er den Eingang zur Schlucht nicht besetzt und keine Wachen
ausgestellt habe, erwiderte er mit Ingrimm: »Ich hatte es ja getan, aber
als der Morgen herankam, krochen die Schurken alle zum Feuer und
schliefen, auch dachten wir nicht, Verräter unter den Einwohnern zu
finden.«

In Tricarico angekommen, war das Bataillon zu meinem Leidwesen schon
seit mehreren Stunden nach Potenza abmarschiert; ich folgte ihm und traf
es noch auf einem Halt, ehe es diese Stadt erreicht hatte. Ich zeigte
sogleich dem Kommandanten Düret meinen Fang an, der, darüber
hocherfreut, mir sagte, daß er abermals in nicht geringer Unruhe
meinetwegen gewesen, da er Order erhalten, sofort nach Potenza zu
marschieren, was man mir nicht habe mitteilen können. -- Der Bauer wurde
mit einer Belohnung von hundert Dukati heimgeschickt, deren er sich aber
wenig erfreuen konnte, da er ein paar Tage darauf ermordet war.

Schon war die Regenzeit eingetreten und unsere Märsche und die
Brigantenjagd, die wir von hier aus in die Umgegend machen mußten,
wurden immer beschwerlicher, wenn auch weniger gefährlich, da wir nur
selten auf einen Feind trafen. Bäche und Flüßchen, die man vor wenig
Tagen noch fast trockenen Fußes passierte, waren zu reißenden
Waldströmen geworden, durch die man nur mit Lebensgefahr kommen konnte,
oft gingen uns die Fluten bis beinahe an den Hals. Eines Tages mußten
wir bei der Verfolgung eines Insurgententrupps in der Gegend von
Duchessa und Auletta den sonst ganz unbedeutenden Sele passieren, der
aber nun zu einem wilden, reißenden Strom angeschwollen und so mächtig
war, daß wir mit enggeschlossenen Gliedern, pelotonweise
durchmarschierten, wobei die Soldaten Tornister und Patronentaschen auf
den Köpfen befestigt hatten, die Gewehre quer über dem Wasser hielten,
und so in Masse durch das Wasser gingen, dennoch ertranken drei Mann,
die im letzten Glied eines Pelotons sich nicht eng genug angeschlossen
hatten und von den Fluten fortgerissen worden waren. Auf dem jenseitigen
Ufer angekommen, mußten wir einen tiefen und engen Hohlweg passieren,
von dessen felsigen, mit Gebüsch bewachsenen Höhen uns die Briganten mit
Flintenschüssen empfingen und schon, als wir noch im Wasser waren, auf
uns herabschossen, mit sicherer Hand ihre Beute aussuchend, meistens
Offiziere. Nachdem sie abgefeuert hatten, verschwanden sie spurlos, so
daß an ein Verfolgen nicht zu denken war.

Glücklicherweise war diese gefährliche Passage nicht von langer Dauer
und die Abdachung der Berge bald sehr flach. Solche Märsche und
Kontermärsche nahmen kein Ende, und selten hatten wir einen oder auch
nur einen halben Tag Ruhe. Die Regen und Gewitter wurden immer häufiger
und heftiger, die Nahrung immer schlechter und spärlicher, einmal mußten
wir sogar elf Tage in der Gegend von Chiaromonte unter beständigen
Regengüssen biwakieren, wo, im Schlamm und Morast lagernd, oft nur noch
die auf Steinen und Tornistern ruhenden Köpfe frei vom Wasser blieben,
so sehr waren die Gewässer angeschwollen. Als wir endlich diese Stelle
verließen, um uns in das ganz verwüstete Dorf Rotonda zu begeben, brach
ein so furchtbares Gewitter gerade über unsern Häuptern los, daß es zwei
Soldaten, deren Gewehre ganz schwarz angelaufen waren, mitten in den
Reihen des Bataillons erschlug; nur auf der Spitze des Gebirges ließ der
Regen etwas nach, in den Tälern aber hörte er oft in vierundzwanzig
Stunden keine halbe Stunde auf. In fast jedem Ort, durch den wir kamen,
mußten wir Kranke zurücklassen, deren Weitertransportieren unmöglich
geworden war, mit dem Bedeuten an die Einwohner, daß, wenn sie nicht die
äußerste Sorgfalt für diese Leute trügen, ihr Ort den Flammen
preisgegeben würde, und sie selbst dem Tod verfallen seien. Dennoch
sahen wir nur sehr wenige von den Zurückgelassenen wieder. Immer mehr
schmolz unser Bataillon zusammen; Soldaten, die aus Müdigkeit
zurückblieben, sich dann oft verirrten, fielen den Bauern und Briganten
in die Hände, die sich immer in der Gegend, die wir soeben verlassen,
hinter unserm Rücken zeigten. Oft mußten wir auch mit Lebensgefahr auf
den schmalen und schlüpfrigen Fußpfaden marschieren, die längs
schauerlichen Abgründen hinliefen, auf denen ein Fehltritt das
Hinabstürzen unvermeidlich machte. So verloren wir einen Sergeanten der
Karabiniers, und einen stürzenden Tambour rettete nur seine auf dem
Rücken hängende Trommel, bei der ihn zwei Chasseurs packten. Selbst die
sonst so sichern Maultiere mußten mit großer Vorsicht geführt werden.

Das schlimmste war, daß bei all diesen Entbehrungen und Gefahren auch
noch unsere Kleider und Schuhe sich allmählich in Lumpen auflösten und
wir bald einem abgerissenen Banditenkorps ähnlicher sahen als Soldaten;
längst war an den Gamaschen kein Strupfen mehr, und die Hälfte der
Soldaten ging auf bloßen Füßen, hatte wenigstens keinen Schein mehr von
einer Sohle unter den zerrissenen Schuhen, die bei jedem Schritt
steckenblieben und mit den Händen wieder ausgegraben werden mußten. Den
Offizieren, die meistens Suwarowsstiefeln trugen, ging es nicht viel
besser, auch sie waren sohlen- und absatzlos. Daher war es immer das
beste, wenn wir in einen Ort kamen, Schuhmacher, Schuhe und Leder zu
requirieren, und die Kompagnieschuster und Soldaten flickten, so oft
halt gemacht wurde; an Wäsche war nicht zu denken, ich hatte seit zwei
Monaten dasselbe Hemd auf dem Leibe und verfluchte doch jetzt auch
manchmal die gloire militaire und den Soldatenstand, obgleich ich dank
meiner mäßigen Lebensweise, wenn auch von Fleisch sehr abgefallen und
dürr wie ein Hering, doch noch immer so ziemlich gesund war. Ich trank
aber fast nie puren Wein oder Aquavit, sondern beides immer reichlich
mit Wasser vermischt, aß, wenn ich deren haben konnte, in Öl gebackene
Eier oder Kuchen, deren Teig meistens aus Mais- oder Welschkornmehl
geknetet war.

Endlich, nachdem Düret wenigstens schon zehn Berichte nacheinander
abgesandt und darin gemeldet hatte, daß sich das bis auf ein Dritteil
zusammengeschmolzene Bataillon unmöglich länger in Kalabrien halten
könne, ohne gänzlich aufgerieben zu werden, kam die Order zum Rückmarsch
nach Neapel, die mich, sowie uns alle, hoch erfreute und neu belebte.
Aber bevor wir diesen Hafen, in dem wir das Ende unseres Elends
erwarteten, erreichten, sollten wir noch einmal, und zwar indem wir
einen Waldbach, der sich unweit Muro in die Sele ergießt und jetzt auch
zu einem reißenden Strom angeschwollen war, passierten, arg heimgesucht
werden. Das Wasser ging uns wieder bis über die Brust; als sich das
erste Peloton mitten im Strom befand, erschien plötzlich auf den
Felsenhöhen des Ufers ein Haufen von mehr als hundert Briganten, die von
ihrer sichern Stellung aus ein gut unterhaltenes Feuer auf uns gaben,
aber durch dasselbe keinen großen Schaden anrichteten, da ihre meisten
Kugeln in den schützenden Tornistern, welche die Leute auf den Köpfen
hatten, steckenblieben; doch riß Unordnung in den Reihen ein, wodurch
mehr als zwanzig Mann in den Wellen umkamen und von dem Strom mit
fortgerissen wurden.

Dies war indessen das letzte Ungemach, das wir auf diesem Feldzug
erlitten, und wir marschierten nun ungestört über Muro, La Valva, Eboli,
Salerno und Nocera nach Neapel, wo unser Bataillon in der Fortezza del
Carmine kaserniert wurde; gleich nach unserer Ankunft gaben wir noch
einige sechzig Mann in das Lazarett ab.

Unterdessen war aber auch der Haupturheber unserer meisten
Mühseligkeiten, der berüchtigte Fra Diavolo selbst, gefangen worden und
wurde ein paar Tage nach unserer Ankunft zu Neapel (im November 1806)
gehangen. Ich bin imstande, aus den zuverlässigsten Quellen von
Offizieren, die ihn bis zu seiner Gefangennehmung verfolgten, diese und
das Ende des berüchtigten Brigantenchefs mitzuteilen.

Von Hügos mobilen Kolonnen allenthalben verfolgt, hatte Michel Pezzo
seine ganze Bande in zwölf Abteilungen unter zwölf Anführer verteilt und
jedem eine Provinz angewiesen, in welcher er auf seine eigene Faust
operieren sollte, während er den Kern seiner Leute und die verwegensten
Banditen, etwa sieben- bis achthundert Mann, bei sich behalten hatte.
Alle Anführer waren, wie ich schon erwähnte, angewiesen, sich für den
Fra Diavolo auszugeben, dabei war ihnen gesagt, daß, wenn sie zu sehr
ins Gedränge kämen, sie einen kleinen Hafen zu erreichen suchen sollten,
um nach Sizilien überschiffen zu können, wo er ihnen Palermo als den
allgemeinen Sammelplatz bezeichnete. Hierdurch war es ihm gelungen, noch
eine Zeitlang den verschiedenen Kolonnen, die scharf hinter ihm waren,
zu entgehen, da diese, durch die von allen Seiten, wo man den Fra
Diavolo in der Nähe glaubte, einlaufenden Berichte irregeführt wurden.
Endlich aber setzte ihm selbst eine Abteilung des schwarzen Regiments
Royal Africain und eine andere von Latour d'Auvergne so zu, daß es in
der Gegend von Bojano, der alten Hauptstadt des Samniterlandes, zu einem
hitzigen Gefecht mit Fra Diavolos Haufen kam, wobei man wegen der Nässe
der Gewehre nicht feuern konnte, sondern sich mit den Kolben und der
blanken Waffe schlug. Der Sieg war längere Zeit zweifelhaft, als noch
zum rechten Moment zwei Kompagnien eines französischen Linienregiments
den kaum vierhundert Mann starken Abteilungen zu Hilfe kamen und rasch
den Ausschlag gaben. Das Gemetzel war fürchterlich, und Fra Diavolo
entkam mit noch etwa zweihundert Mann nur durch schleunige Flucht. Die
übrigen blieben teils auf dem Wahlplatz tot und schwer verwundet, oder
wurden zu Gefangenen gemacht und erschossen; von den Fliehenden
ertranken außerdem noch viele in dem Biferno, den sie passieren mußten.
Bei dieser Flucht wurde Fra Diavolo noch einmal von einer Abteilung der
korsischen Jäger erreicht, die noch mehrere Gefangene machte und den
Rest seiner Bande vollends sprengte; als er eine kurze Strecke die nach
Apuglia führende Straße passieren mußte, sah er einige Eskadronen
französischer leichter Reiterei dahergesprengt kommen, die ihn zwar
nicht erkannt, aber doch jedenfalls als verdächtig angehalten haben
würden, außerdem waren seine Verfolger höchstens auf Kanonenschußweite
von ihm entfernt. Hier war weder zum Entfliehen noch zum Verbergen mehr
Gelegenheit, und ängstlich richteten seine wenigen Begleiter fragende
Blicke auf ihren Chef, der, gewöhnt, sich auch aus den verzweifeltsten
Lagen zu ziehen, jetzt den Kopf nicht verlor und sich durch List und
Verschlagenheit auch diesmal, jedoch nur auf kurze Zeit, aus seiner
mißlichen Lage half. Er befahl seinen Spießgesellen, ihm und einem
seiner Offiziere die Hände auf den Rücken zu binden, beide sodann in
ihre Mitte zu nehmen, dann auf der Landstraße fort an der Reiterei
vorüberzumarschieren. Ihre Einwendungen schlug er schnell mit drohenden
Blicken nieder, indem er ihnen befahl, auf allenfallsiges Befragen zu
erwidern, sie gehörten der Bürgergarde des nächsten Städtchens an und
hätten die beiden Gefangenen, die man im Verdacht habe, zur Bande des
Fra Diavolo zu gehören, nach Neapel zu transportieren. Die List gelang
vollkommen, der die Reiterei kommandierende Offizier ließ den Fra
Diavolo nach kurzem Befragen samt seiner Eskorte vorüber, und die
angebliche Bürgergarde marschierte mit erhobenem Haupt durch die Reihen
der Kavallerie. Kaum waren sie ein paar hundert Schritte entfernt, so
schlugen sie einen Seitenweg ein, erklommen eine steile und gesträuchige
Anhöhe und gaben sogar eine Decharge gegen die langsam dahinreitende
Kavallerie, welcher der Brigantenchef nun hohnlachend und mit lauter
Stimme zurief: »Ich bin Fra Diavolo!« -- Der kommandierende Offizier
ärgerte sich, und seine Leute lachten über den Streich, den man ihnen
gespielt hatte. Ersterer wollte einen Teil derselben absitzen lassen, um
die Räuber zu verfolgen, diese hatten sich jedoch schnell, nachdem sie
abgefeuert, ins unzugängliche Dickicht geflüchtet. Auch seinen andern
Verfolgern, die seine Spur verloren hatten, entging er und würde sich
vielleicht gerettet haben, hätte er nicht die Unvorsichtigkeit begangen,
in der Nacht ein Feuer anzuzünden, was die Truppen aufmerksam machte und
ihnen seinen Aufenthalt verriet. Die korsischen Jäger rückten nun
möglichst unbemerkt heran und suchten ihn zu umringen, aber ehe dies
noch vollständig geschehen, wurden sie von den Briganten bemerkt, die
aufsprangen; die Jäger gaben nun eine Decharge, welche mehrere derselben
und den Fra Diavolo selbst verwundeten, dem es dennoch gelang, sich
durch eine abermalige Flucht zu retten; ganz allein eilte er jetzt auf
dem Weg nach Salerno davon, in der Hoffnung, an der Küste eine Barke zu
finden und mit deren Hilfe auf der See zu entkommen; auch jetzt noch von
den Bürgergarden verfolgt, entging er diesen nur mit genauer Not.

Die Nächte waren schon kalt und die Spitzen der Berge mit Schnee
bedeckt; der zweimal verwundete arme Bruder Teufel, seit zwei Monaten
rastlos herumgejagt, hatte den ganzen Tag nichts zu sich nehmen können
und war durch Müdigkeit und Blutverlust völlig erschöpft, als er an die
einsam stehende Hütte eines Hirten kam. Nachdem er sich überzeugt hatte,
daß dieser allein war, bat er ihn um ein Nachtquartier. Er brachte von
demselben heraus, daß sich in der Gegend weder Truppen noch Insurgenten
befanden und erstere sich niemals bis hierher verirrten; er legte nun
seine Waffen ab, wärmte sich bei einem Kohlenfeuer und aß, während er
ruhte, einige am Feuer gebratene Maronen und Bataten (ein sehr
nahrhaftes, kartoffelähnliches Knollengewächs, das in jener Gegend
häufig wächst) und schlief darauf ruhig auf dem Boden an dem Feuer ein.
Sein Unstern aber wollte, daß gerade in dieser Nacht vier wohlbewaffnete
Räuber mit Gewalt in die Hütte des Hirten drangen, und diesem wie dem
von ihnen nicht gekannten Fra Diavolo befahlen, sich mit dem Gesicht auf
die Erde zu werfen, ihnen beiden bei Todesstrafe geboten, nicht
aufzublicken, sich dann in Besitz alles dessen setzend, was sich vorfand
und ihnen anstand. Fra Diavolo wagte es nicht, sich zu erkennen zu
geben, und die Räuber nahmen seine Waffen mit sich fort.

Bald darauf, nachdem sie weg waren, verließ auch er die Hütte, in der er
sich nicht mehr sicher glaubte, und irrte wieder in dem waldigen Gebirge
umher, bis ihn seine Wunden so sehr schmerzten, daß er kaum mehr
fortkonnte und froh war, als er in einiger Entfernung ein Licht
erblickte, zu dem er sich hinschleppte. Es war das Städtchen San
Severino, in dem der Apotheker soeben seine Bude öffnete, als Fra
Diavolo ankam und sich auf einen Stein vor dessen Haus setzte. Er war
erstaunt, bei dieser Kälte und um diese Zeit einen Menschen auf offener
Straße sitzend zu finden. Auf sein Befragen sagte der Brigantenchef, er
komme eben aus Kalabrien und erwarte noch Landsleute, mit denen er
zusammen nach Neapel gehen wolle. Der Apotheker schöpfte jedoch
Verdacht, da der Unbekannte einen andern Akzent als die gewöhnlichen
Kalabresen hatte, lud ihn ein, in seine Bude zu treten, wo er ihm, um
ihn treuherzig zu machen, ein Glas Branntwein einschenkte. Aber während
dies der Räuber trank, schickte er sein Mädchen heimlich fort, einen
Gendarmen zu holen. Bald darauf trat einer dieser Packfesten ein und
begehrte die Papiere des Fremden zu sehen, da er sich aber über seine
Person nicht gehörig ausweisen konnte, sagte ihm der Gendarm, daß er ihm
nach Salerno zu seinem Eskadronschef folgen müsse. Hier wurde er zu
demselben, der zugleich Platzkommandant von Salerno war und Farrino
hieß, geführt und wußte sich so gut auszureden, daß er auf dem Punkt
war, wieder auf freien Fuß gestellt zu werden, als unglücklicherweise
für ihn ein neapolitanischer Sappeur, der ihn sogleich erkannte, mit dem
Ausruf: »Ah, der Fra Diavolo!« in das Zimmer trat. Dieser will zwar
seine Person verleugnen, aber der Sappeur gibt solche Kennzeichen an,
die alles Leugnen unnütz machen, und endigt mit den Worten: »Ich muß
Euch doch wohl kennen, ich habe ja so oft das Gewehr vor Euch
präsentieren müssen.« Nun wurde er auf der Stelle mit Ketten geschlossen
und unter einer starken Bedeckung nach Neapel abgeführt. Hier bemühten
sich mehrere Personen, sogar französische Generäle, seine Begnadigung
auszuwirken. Sie wollten, daß er als Kriegsgefangener behandelt werden
sollte, aber vergeblich, und zwar mit Recht, denn wenn man seine
Feindseligkeiten gegen die neue Regierung auch ganz und gar als
rechtmäßig betrachten will, so verdienten doch seine Mord- und
Greueltaten als Räuber längst den Tod. Er war schon unter der vorigen
Regierung als Mordbrenner und Straßenräuber von den Gerichten zum Strang
verurteilt, und es war ein Preis auf seinen Kopf gesetzt worden. Das
ärgste bei der Sache war, daß die Engländer, die fortwährend im Golf von
Neapel kreuzten und von allem unterrichtet waren, ihn, als sie seine
Gefangenschaft erfuhren, durch einen Parlamentär als englischen Major
reklamierten. Eine große Ehre für die englische Armee! -- Salicetti, der
damals Polizeiminister in Neapel war, ließ auf dieses Ansinnen erwidern,
>es tue ihm unendlich leid, allein man wisse von gar keinem Major in
englischen Diensten, der in Gefangenschaft geraten sei, habe auch keinen
solchen ausfindig machen können; verstehe man aber einen gewissen
Banditen darunter, der weder eine militärische noch politische Charge
bekleide und unter dem Namen Fra Diavolo bekannt sei, so sei dieser
vermöge eines noch unter dem König Ferdinand von den Gerichten gefällten
Urteils, das ihn als Mordbrenner, Räuber, Schmuggler und Dieb bezeichne,
zum Tode verurteile, schon Tags vorher hingerichtet worden<. --
Salicetti hatte sich beeilt, ihn vermöge dieses Urteils hängen zu
lassen, und ich sah ihn zum ersten- und letztenmal auf der Galgenleiter,
die er entschlossen bestieg. Er wurde gleich den andern vom Henker zu
Tode geritten, war von kleiner, untersetzter Statur, hatte aber einen
starken und nervigen Knochenbau, ein scharfes, durchdringendes Auge und
dabei etwas Wildes und Grausames in seinen Zügen. Sein von mir
gefangener Adjutant wurde gleichfalls gehenkt, und viele Exekutionen
fanden jetzt überhaupt täglich vor dem Castel nuovo statt.




                             Namenregister.
                              Erster Band.


   Artois, Graf 25
   Barras 233, 257
   Bernard, Gebrüder 90 f.
   Bettina, Brentano 98 f.
   Blanchard, Luftschiffer 12 f.
   Böhmer, Doktor 44
   Braunschweig, Herzog von 29 f., 43
   Breidenstein, Pfarrer 72 f.
   Cartaux, General 255 f.
   Chastteler, Marquis von 152
   Cüstine, General 31 f.
   Dillon, General 30
   Doppet, General 256
   Dügommier, General 256
   Esterhazy, Fürst 24
   Fahrtrapp 2 f.
   Fiesco, Graf 284 f.
   Fra Diavolo 395, 402 f., 413 f.
   Franz II. 19 f.
   Friedrich Wilhelm II. 42 f., 52
   Goethe 114
   Goethe, Frau Rat 2, 6 f., 99
   Helden, General 39 f.
   Hessen-Kassel, Erbprinz von 135 f.
   Hessen-Kassel, Landgraf von 38
   Hessen-Philippsthal, Prinz von 354, 357 f., 403
   Homburg, Friedrich V. von 74, 75
   Hood, General 258
   Hügo, General 402 f.
   Joseph Bonaparte 353, 362, 365, 368 f., 404
   Jourdan, Marschall 367
   Jung, Hofrat 106, 142 f., 146 f.
   Kalkreuth, General 40
   Kleber, General 59
   La Roche, Sophia 98, 109
   Latour d'Auvergne 137-138, 414
   Lefevre, General 137
   Massena, Marschall 396 f.
   Moritz, Bankier 361 f.
   Mürat 294, 375, 378
   Napoleon 153, 254 f., 353, 387
   Neapel, Ferdinand IV. von 353, 362, 394
   Neapel, Karoline von 362, 382, 403, 404
   Neuwinger, General 33
   Pappenheim, Graf von 19
   Petroli 379
   Pius VII. 336, 348
   Quesnel 234 f.
   Regnier, General 353 f., 380, 383
   Rothschild, Mayer Amschel 20
   Salicetti 418
   Scherer, Hofrat 89
   Schiller 115
   Schinderhannes (Joh. Bückler) 101 f.
   Scholze 3 f., 65 f., 72 f.
   Scholze, Henriette 65 f., 73 f.
   Schulter, Oberst 2 f.
   Sidney Schmidt, Admiral 357, 394
   Staël, Frau von 115 f.
   Stark, Pastor 3
   Stuart, General 384, 387
   Verdier, General 393 f.
   Voltaire 9 f.
   Wartensleben, General 59
   Weller 2 f., 99
   Weller, Fritz 48 f., 107
   Willemer 109
   Zink, Konrektor 86


                     Anmerkungen zur Transkription

Diese Ausgabe von 1916 wurde gegenüber der Erstausgabe von 1948/49 »um
Weitschweifigkeiten und Wiederholungen verkürzt«, wie der Herausgeber im
Nachwort konstatiert (Band 3). Die Kürzungen im Text wurden in
der 1916'er Ausgabe folgerichtig in den Rubriken sowohl im
Inhaltsverzeichnis am Anfang des Buches als auch am Beginn der
jeweiligen Kapitel reflektiert. Wo dies versehentlich zu Diskrepanzen
zwischen den beiden jeweiligen Rubriken geführt hatte, wurden in dieser
eBook-Ausgabe nach eingehendem Vergleich mit der Erstausgabe die jeweils
überzähligen Rubriken entfernt. Darüber hinaus wurde jedoch kein
weitergehender Versuch unternommen, die generelle Übereinstimmung von
Kürzungen im Text und im Inhaltsverzeichnis zu überprüfen.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 1]:
   ... versehenen Linnen gedeckten Tisch. Auf demselben ...
   ... versehenem Linnen gedeckten Tisch. Auf demselben ...

   [S. 193]:
   ... in denen sich liebenswürdige Schönen befanden, erkundigen ...
   ... in denen sich liebenswürdige Schöne befanden, erkundigen ...

   [S. 195]:
   ... beim Ausmarsch zeigte man uns Volney, Meursauth, Chambertin, ...
   ... beim Ausmarsch zeigte man uns Volney, Meursault, Chambertin, ...

   [S. 231]:
   ... die Treppe hinauf, öffnete ebenso leise die Zimmertüre meines ...
   ... die Treppe hinauf, öffnete ebenso leise die Zimmertüre meiner ...

   [S. 241]:
   ... für den Gaul, dem man ihm ganz unbrauchbar und halb tot ...
   ... für den Gaul, den man ihm ganz unbrauchbar und halb tot ...

   [S. 253]:
   ... verordnet der Chef dieser Strafanstalt, daß man ihm ...
   ... verordnet der Chef dieser Strafanstalt, daß man ihn ...

   [S. 309]:
   ... diesmal nie wie bisher die Marchesa, die er gar nicht zu ...
   ... diesmal nicht wie bisher die Marchesa, die er gar nicht zu ...






End of the Project Gutenberg EBook of Vierzig Jahre aus dem Leben eines
Toten. Band 1, by Johann Konrad Friederich

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VIERZIG JAHRE AUS DEM LEBEN ***

***** This file should be named 60712-8.txt or 60712-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/6/0/7/1/60712/

Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.