Ein Mann

By Joachim Nettelbeck

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Title: Ein Mann
       Des Seefahrers und aufrechten Bürgers Joachim Nettelbeck wundersame Lebensgeschichte von ihm selbst erzählt


Author: Joachim Nettelbeck



Release Date: November 4, 2007  [eBook #23333]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN MANN***


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[Illustration: Schicksal und Abenteuer]

Lebensdokumente vergangener Jahrhunderte

2

Ein Mann

[Illustration]

Joachim Nettelbeck. 1738 bis 1824

Gneisenau über Nettelbeck: Es ist wohltuend,
in einer Zeit, wo oft Kleinmut die Herzen beschleicht,
das Bild eines Mannes aufstellen
zu können, der im alten deutschen Sinne und
Mut Millionen seiner Zeitgenossen voransteht




Ein Mann

Des Seefahrers und aufrechten Bürgers

Joachim Nettelbeck

wundersame Lebensgeschichte

von ihm selbst erzählt

[Illustration]

Wilhelm Langewiesche-Brandt
Ebenhausen bei München 1910




Neithardt von Gneisenau

der Kommandant der Festung Kolberg, deren ruhmreiche Verteidigung einen
der interessantesten Abschnitte dieses Buches bildet, 1760 geboren,
hatte schon in einem zu Erfurt garnisonierenden österreichischen und
danach in einem der Regimenter des Markgrafen von Ansbach-Bayreuth
gedient, die in englischem Solde in und gegen Amerika kämpften, als
Friedrich der Große ihn 1786 als Premierleutnant in die preußische Armee
aufnahm. In dem Jahre des preußischen Zusammenbruches 1806 hatte er an
den Schlachten bei Saalfeld und Jena teilgenommen. Nach dem die
Belagerung Kolbergs endenden Tilsiter Frieden berief ihn Friedrich
Wilhelm III. als Chef des Ingenieurkorps in die Reorganisationskommission,
wo er mit Stein und Scharnhorst unermüdlich für die Wiedergeburt des
Staates wirkte. Von der französischen Partei verdächtigt, erbat er nach
Steins Entlassung den Abschied und lebte in England, Schweden und Rußland,
sowie als einer der Führer der Kriegspartei in Berlin, bis er 1813 zum
Generalquartiermeister des Blücherschen Korps und nach Scharnhorsts Tode
zum Chef des Generalstabes der schlesischen Armee ernannt ward. Energisch,
kühn und zielbewußt, gewann Gneisenau an den großen Siegen der deutschen
Freiheitskriege entscheidenden Anteil. Er starb 1831 in Posen an der
Cholera.


Ferdinand von Schill

1776 geboren, war 1806, als preußischer Dragonerleutnant bei Auerstedt
verwundet, nach Kolberg gekommen, an dessen Verteidigung er mit einem
Freikorps tapfer teilnahm. Nach dem Tilsiter Frieden ernannte ihn der
König zum Major und Kommandeur des Leibhusarenregiments. Mit diesem
rückte er, nachdem die Österreicher den Franzosen den Krieg erklärt
hatten, am 28. April 1809 eigenmächtig ins Feld. Nach anfänglichen
Erfolgen mußte er sich nach Stralsund zurückziehen, wo er, von
Holländern und Dänen mit Übermacht angegriffen, am 31. Mai mit den
meisten der Seinen fiel.




Erster Teil


Am 20. September 1738 ward ich zu _Kolberg_ geboren und bekam dann den
Taufnamen _Joachim_. Mein Vater, Johann David Nettelbeck, war hier Brauer
und Branntweinbrenner und stand bei der Bürgerschaft in besonderer Liebe
und Anhänglichkeit. Dies Glück ist mir von ihm übererbt, und ich genieße
es noch jetzt, in meinem Alter, bei meinen lieben Mitbürgern. Meine
Mutter war aus des Schiffers Blanken Geschlecht. Auch meiner beiden
Paten -- nämlich der Kaufleute Herren Lorenz Runge und Grüneberg -- muß
ich hier dankbar erwähnen, weil so manche ihrer väterlich gemeinten
Vorstellungen und was sie mir sonst Gutes eingeprägt, bei mir einen
Eindruck gemacht, der mich durch mein ganzes Leben begleitet hat.

Seit ich kaum das Alter von dreiviertel Jahren erreicht, bin ich bei
meinen Großeltern väterlicherseits erzogen worden; aber sobald ich habe
lallen können, stand auch mein Sinn darauf, ein Schiffer zu werden. Dies
mag wohl daher kommen, daß mir dergleichen oftmals vorgeplaudert worden.
Mein Hang dazu trieb mich so gewaltig, daß ich aus jedem Holzspan, aus
jedem Stückchen Baumrinde, was mir in die Hände fiel, kleine Schiffchen
schnitzelte, sie mit Segeln von Feder oder Papier ausrüstete, und damit
auf Rinnsteinen und Teichen oder auf der Persante hantierte.

Meines Vaters Bruder war Schiffer; und keine größere Freude gab es für
mich, als wenn er mit seinem Schiffe hier im Hafen lag. Dann hatte ich
zu Hause keine Ruhe, sondern bat, man möchte mich nach der Münde lassen.
Oh, welch ein vergnügtes Leben, wenn ich auf dem Schiffe war und mit den
Schiffsleuten in ihrer Arbeit herumsprang!

Nicht viel geringer war meine Liebe und Freude am Gartenwesen, denn auch
mein Großvater war ein sonderlicher Gartenfreund, nahm mich beständig
mit in seinen Garten, gab mir sogar ein klein Fleckchen Land zum
Eigentum und ließ mich sehen und lernen, was zur Gartenarbeit gehörte.
Hier legte ich Obstkerne; ich verpflanzte, ich pfropfte und okulierte;
ich begoß und pflegte meine Gewächse. Meine Kernstämmchen wuchsen heran,
und sieben von diesen selbstgezogenen Bäumen sind noch (wie sehr es mir
auch um sie leid tat, da ich jetzt der Besitzer des nämlichen Gartens
bin) in der letzten französischen Belagerung umgehauen worden.

An dieses kleine, aber für mich unschätzbare Grundstück, dessen Pflege
noch in diesem Augenblicke die Freude meines Alters ausmacht, heften
sich ein paar meiner frühesten und lebendigsten Erinnerungen.

       *       *       *       *       *

Ich mochte wohl ein Bürschchen von fünf oder sechs Jahren sein und noch
in meinen ersten Höschen stecken (also etwa um das Jahr 1743 oder 44),
als es hier bei uns, und im Lande weit umher, eine so schrecklich knappe
und teure Zeit gab, daß viele Menschen vor Hunger starben, denn der
Scheffel Roggen kostete einen Taler acht Groschen. Es kamen, von
landeinwärts her, viele arme Leute nach Kolberg, die ihre kleinen
hungrigen Würmer auf Schiebkarren mit sich brachten, um Korn von hier zu
holen, weil man Getreideschiffe in unserem Hafen erwartete, die der
grausamen Not steuern sollten. Alle Straßen bei uns lagen voll von
diesen unglücklichen ausgehungerten Menschen. Meine Großmutter, bei der
ich, wie schon gesagt, erzogen ward, ließ täglich mehrere Körbe voll
Grünkohl in unserm Garten pflücken, kochte einen Kessel voll nach dem
andern für unsere verschmachtenden Gäste, und _mir_ ward das gern
übernommene Ehrenämtchen zuteil, ihnen diese Speise in kleinen
Schüsselchen nebst einer Brotschnitte zuzutragen. Da rissen mir denn
Alte und Junge meinen Napf begierig aus der Hand, oder auch wohl
einander vor dem Munde weg. Ich kann nicht aussprechen, welch einen
schauderhaften Eindruck diese Szene auf meine kindliche Seele machte.

Endlich langte ein Schiff mit Roggen auf der Reede an, dem sich tausend
sehnsüchtige Augen und Herzen entgegenrichteten. Aber, o Jammer! beim
Einlaufen in den Hafen stieß es gegen eine Steinküste des Hafendammes
und nahm so beträchtlichen Schaden, daß es, im Strome selbst, nur wenige
hundert Schritte weiter, der Münder Vogtei gegenüber, in den Grund sank.
Sollte die kostbare Ladung nicht ganz verloren sein, so mußten
schleunige Anstalten getroffen werden, das verunglückte Fahrzeug wieder
über Wasser zu bringen. Dazu wurden dann zwei Schiffe benutzt, die eben
auch im Hafen lagen, und wovon das eine von meines Vaters Bruder geführt
ward. So war ich denn auch bei diesem Emporwinden, an welchem ich eine
kindische Freude hatte, beständig zugegen; ward mitunter auch wohl als
unnütz und hinderlich beiseite geschoben, und habe darüber all diese
einzelnen Umstände nur um so besser im Gedächtnisse behalten.

Ging nun gleich das Wiederflottmachen des Schiffes glücklich vonstatten,
so war doch das Korn durchnäßt, zum Vermahlen untüchtig und die Hoffnung
all der darauf vertrösteten Menschen vereitelt. Die Kolberger Bürger
kauften den beschädigten Roggen um ein Viertel des geltenden
Marktpreises, und da mein Vater damals königlicher Kornmesser im Orte
war, so ging auf diese Weise die ganze geborgene Ladung durch seine
Hände. Jeder suchte mit seinem Kauf so gut als möglich zurechtzukommen
und ihn aufs schnellste zu trocknen. Alle Straßen waren auf diese Weise
mit Laken und Schürzen überdeckt, auf welchen das Getreide der Luft und
Sonne ausgesetzt wurde. Kurze Zeit darauf erschien ein zweites großes
Kornschiff; und nun ward es endlich möglich, die fremde Armut zu
befriedigen.

Im nächstfolgenden Jahre erhielt Kolberg, durch des großen Friedrichs
versorgende Güte, ein Geschenk, das damals hierzulande noch völlig
unbekannt war. Ein großer Frachtwagen nämlich voll Kartoffeln langte auf
dem Markte an; und durch Trommelschlag in der Stadt und auf den
Vorstädten erging die Bekanntmachung, daß jeder Gartenbesitzer sich zu
einer bestimmten Stunde vor dem Rathause einzufinden habe, indem des
Königs Majestät ihm eine besondere Wohltat zugedacht habe. Man ermißt
leicht, wie alles in stürmische Bewegung geriet, und das nur um so mehr,
je weniger man wußte, was es mit diesem Geschenke zu bedeuten habe.

Die Herren vom Rate zeigten nunmehr der versammelten Menge die neue
Frucht vor, die hier noch keiner gesehen hatte. Daneben ward eine
umständliche Anweisung verlesen, wie diese Kartoffeln gepflanzt und
bewirtschaftet, desgleichen wie sie gekocht und zubereitet werden
sollten. Besser freilich wäre es gewesen, wenn man eine solche
geschriebene oder gedruckte Instruktion gleich mit verteilt hätte; denn
nun achteten in dem Getümmel die wenigsten auf jene Vorlesung. Dagegen
nahmen die guten Leute die hochgepriesenen Knollen verwundert in die
Hände, rochen, schmeckten und leckten dran; kopfschüttelnd bot sie ein
Nachbar dem andern; man brach sie voneinander und warf sie den
gegenwärtigen Hunden vor, die dran herumschnupperten und sie gleichmäßig
verschmähten. Nun war ihnen das Urteil gesprochen! »Die Dinger«, hieß
es, »riechen nicht und schmecken nicht, und nicht einmal die Hunde mögen
sie fressen. Was wäre uns damit geholfen?« -- Am allgemeinsten war dabei
der Glaube, daß sie zu Bäumen heranwüchsen, von welchen man zu seiner
Zeit ähnliche Früchte herabschüttle. Alles dies ward auf dem Markte,
dicht vor meiner Eltern Türe, verhandelt; gab auch mir genug zu denken
und zu verwundern und hat sich darum auch, bis aufs Jota, in meinem
Gedächtnisse erhalten.

Inzwischen ward des Königs Wille vollzogen und seine Segensgabe unter
die anwesenden Garteneigentümer ausgeteilt, nach Verhältnis ihrer
Besitzungen, jedoch so, daß auch die Geringeren nicht unter einigen
Metzen ausgingen. Kaum irgend jemand hatte die erteilte Anweisung zu
ihrem Anbau recht begriffen. Wer sie also nicht geradezu in seiner
getäuschten Erwartung auf den Kehrichthaufen warf, ging doch bei der
Auspflanzung so verkehrt wie möglich zu Werke. Einige steckten sie hier
und da einzeln in die Erde, ohne sich weiter um sie zu kümmern; andere
(und darunter war auch meine liebe Großmutter mit ihrem ihr zugefallenen
Viert) glaubten das Ding noch klüger anzugreifen, wenn sie diese
Kartoffeln beisammen auf einen Haufen schütteten und mit etwas Erde
bedeckten. Da wuchsen sie nun zu einem dichten Filz ineinander; und ich
sehe noch oft in meinem Garten nachdenklich den Fleck drauf an, wo
solchergestalt die gute Frau hierin ihr erstes Lehrgeld gab.

Nun mochten aber wohl die Herren vom Rat gar bald in Erfahrung gebracht
haben, daß es unter den Empfängern viele lose Verächter gegeben, die
ihren Schatz gar nicht einmal der Erde anvertraut hätten. Darum ward in
den Sommermonaten durch den Ratsdiener und Feldwächter eine allgemeine
und strenge Kartoffel-Schau veranstaltet und den widerspenstig
Befundenen eine kleine Geldbuße aufgelegt. Das gab wiederum ein großes
Geschrei und diente auch eben nicht dazu, der neuen Frucht an den
Bestraften bessere Gönner und Freunde zu erwecken.

Das Jahr nachher erneuerte der König seine wohltätige Spende durch eine
ähnliche Ladung. Allein diesmal verfuhr man dabei höheren Orts auch
zweckmäßiger, indem zugleich ein Landreiter mitgeschickt wurde, der, als
ein geborner Schwabe (sein Name war Eilert, und seine Nachkommen dauern
noch in Treptow fort), des Kartoffelbaues kundig und den Leuten bei der
Auspflanzung behilflich war und ihre weitere Pflege besorgte. So kam
also diese neue Frucht zuerst ins Land und hat seitdem, durch immer
vermehrten Anbau, kräftig gewehrt, daß nie wieder eine Hungersnot so
allgemein und drückend bei uns hat um sich greifen können. Dennoch
erinnere ich mich gar wohl, daß ich erst volle vierzig Jahre später
(1785) bei Stargard, zu meiner angenehmen Verwunderung, die ersten
Kartoffeln im freien Felde ausgesetzt gefunden habe.

       *       *       *       *       *

Neben manchen anderen Kindereien war ich auch ein großer Liebhaber von
Tauben. Von meinem Frühstücksgelde sparte ich mir so viel am Munde ab,
daß ich mir ein Paar kaufen konnte. Das war nun eine Herrlichkeit! Da
aber meine Großeltern unter dem Posthause bei Herrn Frauendorf wohnten,
so gab es hier keine Gelegenheit, die Tauben ausfliegen zu lassen. Ich
machte daher mit dem sogenannten »Postjungen«, Johann Witte (nachherigem
Post- und Bankodirektor in Memel), einen Akkord, daß er meine Tauben zu
sich nehmen, ich aber täglich eine gewisse Portion Erbsen zum Füttern
hergeben sollte, die ich meinen Großeltern leider heimlich in den
Taschen wegtrug! Die Tauben vermehrten sich, hinfolglich auch die
Futtererbsen.

Bei all diesen Spielereien ward (wiederum leider!) die Schule versäumt;
ich hatte weder Lust noch Zeit dazu. Wenn meine Großmutter meinte, ich
säße fleißig auf der Schulbank, so schiffte ich in Rinnsteinen und
Teichen, oder ich verkehrte mit meinen Tauben; und das machte mir so
viel zu schaffen, daß ich weder bei Tag noch bei Nacht davor ruhen
konnte. Diese unruhige Geschäftigkeit hat mich auch nachmals bei weit
wichtigeren Dingen und selbst bis in mein Alter verfolgt. Freilich habe
ich mir wohl dabei weniger für mich als für andere meiner Mitmenschen zu
tun und zu sorgen gemacht.

Einigen Vorschub zu diesen Possen tat mir Pate Runge, der nicht Frau
noch Kinder hatte, mich sehr liebte und sich viel mit mir abgab. Endlich
aber nahm er mich einmal etwas ernsthafter ins Verhör (wie auch
zuweilen von Pate Grüneberg geschah), und gab mir zu bedenken, daß,
wenn ich Schiffer werden wollte, so müßte ich auch fleißig in die Schule
gehen, eine firme Hand schreiben und gut rechnen lernen, sonst dürft'
ich nie an so etwas denken. Mir fuhr das gewaltig aufs Herz. Ich sann
nach, was denn wohl von meinem jetzigen Tun und Treiben abgestellt
werden müßte? -- Was anders, als meine Tauben, die mir so viel Zeit
kosteten und doch so sehr am Herzen lagen! _Wie_ ich's aber auch bedenken
mochte, so war es doch nicht anders; ich mußte meine lieben Tierchen
fahren lassen, die sich indes ansehnlich vermehrt hatten! Dies geschah
denn auch mittels eines förmlichen schriftlichen Kontraktes, wodurch ich
den Johann Witte zu ihrem alleinigen Herrn und Besitzer einsetzte.

So war ich also meine Tauben los und nun kriegt' ich einen so brennenden
Trieb zur Schule, daß mich die Lernbegierde auf Schritt und Tritt
verfolgte. Ich wollte und mußte ja ein Schiffer werden! Auch alle meine
heiligen Christgeschenke, woran es meine Herren Paten nicht fehlen
ließen, hatten immer eine Beziehung auf die Schifferschaft. Bald war es
ein runder holländischer Matrosenhut, bald lange Schifferhosen, bald
Pfefferkuchen, als Schiffer geformt.

       *       *       *       *       *

So mochte es in meinem achten Jahre sein, als Pate Lorenz Runge mir
unter anderen Weihnachtsbescherungen auch eine Anweisung zur
Steuermannskunst in holländischer Sprache verehrte. Dies Buch machte
meine Phantasie so rege, daß ich Tag und Nacht für mich selbst darin
studierte, bis mein Vater ein Einsehen hatte und mir bei einem hiesigen
Schiffer, namens Neymann, zwei wöchentliche Unterrichtstage in jener
edlen Kunst ausmachte. Dagegen blieben die anderen vier Tage noch zum
Schreiben und Rechnen bei einem anderen geschickten Lehrer, namens
Schütz, bestimmt. Ein Jahr später aber ward die Steuermannskunst die
Hauptsache und alles andere in die Neben- und Privatstunden verwiesen.

Mein Eifer für diese Sache ging so weit, daß ich im Winter oftmals bei
strenger Kälte, wenn des Nachts klarer Himmel war, und wenn meine Eltern
glaubten, daß ich im warmen Bette steckte, heimlich auf den Wall und
»Die hohe Katze« ging, mit meinen Instrumenten die Entfernung der mir
bekannten Sterne vom Horizont oder vom Zenit maß und danach die Polhöhe
berechnete. Dann, wenn ich des Morgens erfroren nach Hause kam,
verwunderte sich alles über mich und erklärte mich für einen
überstudierten Narren. Schlimmer aber war es, daß man mich nun des
Abends sorgfältiger bewachte und mich nicht aus dem Hause ließ. Dennoch
suchte und fand ich oftmals Gelegenheit, bei Nacht wieder auf meine
Sternwarte zu kommen, was mir aber, wenn ich mich morgens wieder
einstellte, von meinem Vater manche schwere Ohrfeige einbrachte.

Ähnlicher Lohn ward mir auch sonst noch für ähnlichen Eifer! Zu oft
hatte ich gehört, daß ein Seemann vor allen Dingen lernen müsse, gut
klettern, um die Masten bei Tag und Nacht zu besteigen, als daß ich
nicht hätte begierig werden sollen, mich darin beizeiten zu üben. Hierzu
fand sich eine erwünschte Gelegenheit durch die nähere Bekanntschaft mit
dem Sohne des damaligen Glöckners. Er war in meinen Jahren, hieß David,
und wollte auch Schiffer werden. Mit diesem machte ich mich, außer der
Schulzeit, auf den Boden der großen Kirche in das Sparrwerk und die
Balkenverbindungen bis hoch unter das kupferne Dach hinauf. Hier stiegen
und krochen wir überall herum, daß wir uns in der gewaltigen Verzimmerung
dieses großen Gebäudes oftmals dergestalt verirrten, daß einer vom andern
nichts wußte. Kamen wir dann wieder zusammen, so konnten wir nicht genug
erzählen, _wo_ wir gewesen waren und _was_ wir gesehen hatten.

Bald ging es nun zu einem Wagestück weiter. Auch in die Spitze des
Turmes krochen wir in dem inwendigen Holzverbande hinauf -- so hoch, bis
wir uns in dem beengten Raume nicht weiter rühren konnten. Aber eben
diese Gewandtheit und Ortskenntnis kam mir in der Folge recht gut zu
statten, um hier in der äußersten Spitze, wo ein Wetterstrahl am 28.
April 1777 gezündet hatte, das Feuer löschen zu können; wie ich zu
seiner Zeit weiter unten erzählen werde.

Und nunmehr genügte es uns nicht, bloß innerhalb uns von Balken zu
Balken zu schwingen: es sollte auch außerhalb des Gebäudes geklettert
werden! So machten wir uns denn auf das kupferne Dach; stiegen bei den
Glocken aus den Luken auf das Gerüst; von da auf den First des kupfernen
Kirchendaches, und indem wir darauf wie auf einem Pferde ritten,
rutschten wir längshin vom Turme bis an den Giebel und auf gleiche Weise
wieder zurück. Ein paar Hundert Zuschauer gafften drunten, zu unserer
großen Freude, nach uns beiden jungen Waghälsen in die Höhe. Auch mein
Vater war, ohne daß ich es wußte, unter dem Haufen gewesen, und so
konnte es nicht fehlen, daß mich, bei meiner Heimkunft, für diese
Heldentat eine derbe Tracht Schläge erwartete.

Aber die Lust zu einem wiederholten Versuche war mir dennoch nicht
ausgetrieben worden! Ich lauerte es nur ab, daß mein Vater verreist war,
und an einem schönen Sommertage, nachmittags um vier Uhr, als ich der
Zucht des Herrn Schütz entlaufen war, konnte ich nicht umhin, meinen
lieben Turm wieder zu besuchen. Ein Schulkamerad, David Spärke, eines
hiesigen Schiffers Sohn, leistete mir Gesellschaft. Diesen beredete ich,
den Ritt auf dem Kirchendache mitzumachen. Zuerst stieg ich aus der Luke
auf das Gerüst und von da auf den First des Daches. David Spärke kam mir
zuversichtlich nach, da er mich so flink und sicher darauf hantieren
sah.

Allein kaum war er mir sechs oder acht Fuß nachgeritten, so überfiel ihn
plötzlich eine Angst, daß er erbärmlich zu schreien begann, sich zu
beiden Seiten an den kupfernen Reifen festklammerte und nicht vor- nicht
rückwärts kommen konnte. Ich kehrte mich nach ihm um, kam dicht zu ihm
heran; und hier saßen wir nun beide, sahen uns betrübt ins Gesicht und
wußten nicht, wo aus noch ein. _Er_ wagte es nicht, sich umzudrehen, _ich_
konnte an ihm nicht vorbeikommen. Dabei hörte er nicht auf, in seiner
Seelenangst aus vollem Halse zu schreien. Auf der Straße gab es einen
Zusammenlauf und bald auch Hilfe. Denn der alte Glöckner mit seinem
Sohne und mehreren anderen kamen auf den Turm und zogen meinen Freund
David mit umgeworfenen Leinen rücklings nach dem Gerüste und so vollends
in die Luke hinein. Ich aber folgte, wie ein armer Sünder, zitternd und
bebend nach.

Des nächsten Tages kam mein Vater wieder nach Hause, und da gab es denn,
wie zu erwarten war, rechtschaffene, aber verdiente Prügel. Damit aber
nicht genug, meinte auch Herr Schütz, mein Lehrer, es müsse hier, der
übrigen Schulkameradschaft wegen, noch ein anderweitiges Beispiel zu
Nutz und Lehre statuiert werden, und bat sich's bei meinem Vater aus,
gleichfalls noch Gericht über mich halten zu dürfen. Das ward ihm gern
bewilligt. Meine Strafe bestand in einem dreitägigen Quartiere in dem
dunklen Karzer auf dem Schulhofe. Hier ward ich nachmittags, sobald die
Schulzeit abgelaufen war, eingesperrt und immer erst morgens um acht
Uhr, wo die Schule wieder anging, herausgelassen. Nur mittags durfte ich
nach Hause gehen, um zu essen; aber schon in der nächsten Stunde auf
meiner Schulbank mich einfinden und um vier Uhr meine traurige Wanderung
in die Finsternis wieder antreten.

Nächst der Unbequemlichkeit einer einzigen täglichen Mahlzeit bei einem
(Gott weiß es) gesegneten Appetite, war's meine größte Qual, daß ich von
den andern Schulbuben über mein Abenteuer noch ausgelacht ward. Niemand
hatte Mitleid mit meinem Unstern; ausgenommen ein einziges gutherziges
Mädchen, die älteste Tochter des Kaufmanns, Herrn Seeland. Wenn ich mich
recht entsinne, nannte man sie Dörtchen. Dörtchen also steckte mir den
letzten Abend, mit Tränen in den Augen, ihre Semmel zu; konnte es aber
nicht so heimlich abtun, daß es nicht von den anderen wäre gesehen und
verraten worden. Die Semmel ward mir vom Lehrer wieder abgenommen und
konfisziert. _Ich_ weinte; _sie_ weinte; Herr Schütz selbst konnte sich
dessen nicht erwehren. Ich bekam meine Semmel zurück: aber bloß -- wie
er hinzusetzte -- um das gute Kind zu beruhigen. -- Ich habe nachher, im
Jahre 1782 (also nach Verlauf von vierunddreißig Jahren!) die Freude
gehabt, dieses nämliche Dörtchen Seeland in Memel wieder anzutreffen.
Ihre Eltern waren in ihrem Wohlstande zurückgekommen, den sie damals
durch eine Auswanderung nach Rußland zu verbessern hofften. Ich hatte
jene Semmel noch nicht vergessen; und es hat mir wohlgetan, sie
einigermaßen vergelten zu können.

       *       *       *       *       *

Endlich, da ich etwa elf Jahre alt sein mochte, sollte es, zu meiner
unsäglichen Freude, Ernst mit meiner künftigen Bestimmung werden. Meines
Vaters Bruder nahm mich auf sein Schiff, die Susanna, als
Kajüten-Wächter, und so ging meine erste Ausflucht nach Amsterdam. Hier
sah ich nun eine Menge großer Schiffe auf dem Y vor Anker liegen, die
nach Ost- und West-Indien gehen sollten. Täglich ward auf ihnen mit
Trommeln, Pauken und Trompeten musiziert, oder mit Kanonen geschossen.
Das machte mir allmählich das Herz groß! Ich dachte: Wer doch auch auf
so einem Schiffe fahren könnte! -- und das ging mir nur um so viel mehr
im Kopfe herum, als es damals unter all unsern Schiffsleuten, wie ich
oft gehört hatte, für einen Glaubensartikel galt: daß, wer nicht von
Holland aus auf dergleichen Schiffen gefahren wäre, auch für keinen
rechtschaffenen Seemann gelten könnte. Gerade _das_ aber machte ja mein
ganzes Sinnen und Denken aus! -- Wirklich findet man bei keiner Nation
eine größere Ordnung auf den Schiffen als bei den Holländern.

Wovon mir das Herz voll war, ging mir auch alle Augenblicke der Mund
über. Ich gestand meinem Oheim, wie gern ich am Bord eines solchen
ansehnlichen Ostindien-Fahrers sein und die Reise mitmachen möchte. Er
gab mir immer die einzige Antwort, die darauf paßte: Daß ich nicht klug
im Kopf sein müßte. Endlich aber ward dieser Hang in mir zu mächtig, als
daß ich ihm länger widerstehen konnte. In einer Nacht, zwei Tage vor
unserer Abreise, schlüpfte ich heimlich in unsere angehängte Jolle --
ganz wie ich ging und stand und ohne das geringste von meinen
Kleidungsstücken mit mir zu nehmen. Man sollte nämlich nicht glauben,
daß ich desertiert, sondern daß ich ertrunken sei, und wollte so
verhindern, daß mir nicht weiter auf den anderen Schiffen nachgespürt
würde. Unter diesen aber hatte ich mir eins aufs Korn gefaßt, von
welchem mir bekannt geworden war, daß es am anderen nächsten Morgen nach
Ostindien unter Segel gehen sollte. Das letztere zwar war richtig, aber
über seine Bestimmung befand ich mich im Irrtum, denn es war zum
Sklavenhandel an der Küste von Guinea bestimmt.

Still und vorsichtig kam ich mit meiner Jolle an der Seite dieses
Schiffes an, ohne von irgend jemand bemerkt zu werden. Ebenso ungesehen
stieg ich an Bord, indem ich mein kleines Fahrzeug mit dem Fuße
zurückstieß und es treibend seinem Schicksale überließ. Bald aber
sammelte sich das ganze Schiffsvolk (es waren deren vierundachtzig
Köpfe, wie ich nachmals erfuhr) verwundert um mich her. Jeder wollte
wissen, woher ich käme? wer ich wäre? was ich wollte? Statt aller
Antwort -- und was hätte ich auch sagen können? -- fing ich an,
erbärmlich zu weinen.

Der Kapitän war diese Nacht nicht an Bord. Man brachte mich also zu den
Steuerleuten, welche das Verhör ins Kreuz und in die Quere mit mir
erneuerten. Auch hier hatte ich nichts als Tränen und Schluchzen. »Aha,
Bursche!« legte sich endlich einer aufs Raten -- »ich merke schon! du
bist von einem Schiffe weggelaufen und denkst, daß _wir_ dich mitnehmen
sollen?« -- Das war ganz meine Herzensmeinung. Ich stammelte also ein Ja
darauf hervor, konnte mich aber diesmal nicht entschließen, noch weiter
herauszubeichten. Inzwischen hatte man einiges Mitleid mit mir, gab mir
ein Glas Wein samt einem Butterbrot und Käse, und wies mir eine
Schlafstelle an, mit dem Bedeuten, daß morgen früh der Kapitän an Bord
kommen werde, der mich vielleicht wohl mitnehmen möchte. -- Da lag ich
nun die ganze Nacht schlaflos und überdachte, was ich sagen und
verschweigen wollte.

Am andern Morgen mit Tagesanbruch fand sich der Lotse ein; der Anker
ward aufgewunden und man machte sich segelfertig; wobei ich treuherzig
und nach Kräften mit Hand anlegte. Unter diesen Beschäftigungen kam
endlich auch der Kapitän heran. Ich ward ihm vorgestellt, und auch seine
erste und natürlichste Frage war: Was ich auf seinem Schiffe wollte? --
Ich fühlte mich nun schon ein wenig gefaßter und gab ihm über mein Wie
und Woher so ziemlich ehrlichen Bescheid; nur setzte ich hinzu (und
diese Lüge hat mir nachmals oft bitter leid getan, denn mein Oheim war
gegen mich die Milde selbst, als ob ich sein eigen Kind wäre), dieser
habe mich auf der Reise oftmals unschuldig geschlagen, wie das denn auch
noch gestern geschehen sei. Ich könne dies nicht länger ertragen, und so
sei ich heimlich weggegangen und bäte flehentlich, der Kapitän möchte
mich annehmen. Ich wollte gerne gut tun.

Nun ich einmal so weit gegangen war, durfte ich auch die richtige
Antwort auf die weitere Frage nach meines Oheims Namen und Schiff nicht
schuldig bleiben. »Gut!« sagte der Kapitän -- »ich werde mit dem Manne
darüber sprechen.« -- Das klang nun gar nicht auf mein Ohr! Ich hub von
neuem an zu weinen, schrie, ich würde über Bord springen und mich
ersäufen, und trieb es so arg und kläglich (mir war aber auch gar nicht
wohl ums Herz!), daß nach und nach das Mitleid bei meinem Richter zu
überwiegen schien. Er ging mit seinen Steuerleuten in die Kajüte, um die
Sache ernstlicher zu überlegen; ich aber lag indes, von Furcht und
Hoffnung hin und her geworfen, wie auf der Folter, denn die Schande,
vielleicht zu meinem Oheim zurückgebracht zu werden, schien mir
unerträglich.

Endlich rief man mich in die Kajüte. »Ich habe mir's überlegt,« hub
hier der Kapitän an, »und du magst bleiben. Du sollst Steuermanns-Junge
sein und monatlich sechs Gulden Gage haben, auch will ich für deine
Kleidungsstücke sorgen. Doch höre, sobald wir mit dem Schiffe in den
Texel kommen, schreibst du selbst an deines Vaters Bruder und erklärst
ihm den ganzen Zusammenhang. Den Brief will ich selbst lesen und auch
für seine sichere Bestellung sorgen.« -- Man denke, wie freudig ich
einschlug und was für ein Stein mir vom Herzen fiel!

Jetzt gingen wir auch unter Segel. Allein ich will es auch nur gestehen,
daß, sowie ich meines Oheims Schiff so aus der Ferne darauf ansah, mir's
innerlich leid tat, es bis zu diesem törichten Schritte getrieben zu
haben. Trotz diesem Herzweh erwog ich, daß er nicht mehr zurückgetan
werden konnte, wofern ich nicht vor Beschämung vergehen sollte. Ich
machte mich also stark; und als wir im Texel ankamen, schrieb ich meinen
Abschiedsbrief, den der Kapitän las und billigte, und mein Steuermann an
die Post-Suite besorgen sollte.

Wie die Folge ergeben hat, ist jedoch dieser Brief, mit oder ohne Schuld
des Bestellers, nicht an meinen Oheim gelangt; entweder daß dieser zu
früh von Amsterdam abgegangen, oder daß das Blatt unterwegs verloren
gegangen. Mein Tod schien also ungezweifelt, denn man glaubte (wie ich
in der Folge erfuhr), ich sei in der Nacht aus der Jolle gefallen, die
man am nächsten Morgen zwischen anderen Schiffen umhertreibend gefunden
hatte.

Nachdem wir in Texel unsere Ladung, Wasser, Proviant und alle Zubehör,
welche der Sklavenhandel erfordert, an Bord genommen hatten, gingen wir
in See. Mein Kapitän hieß Gruben und das Schiff Afrika. Alle waren mir
gut und geneigt; ich selbst war vergnügt und spürte weiter kein Heimweh.
Wir hatten zwei Neger von der Küste von Guinea als Matrosen an Bord.
Diese gab mir mein Steuermann zu Lehrern in der dortigen
Verkehrssprache, einem Gemisch aus Portugiesisch, Englisch und einigen
Negersprachen; und ich darf wohl sagen, daß sie an mir einen gelehrigen
Schüler fanden. Denn mein Eifer, verbunden mit der Leichtigkeit, womit
man in meinem damaligen Alter fremde Sprachtöne sich einprägt, brachten
mich binnen kurzem zu der Fertigkeit, daß ich nachher an der Küste
meinem Steuermanne zum Dolmetscher dienen konnte. Und das war es eben,
was er gewollt hatte.

       *       *       *       *       *

Unsere Fahrt war glücklich, aber ohne besonders merkwürdige Vorfälle. In
der sechsten Woche erblickten wir St. Antonio, eine von den Inseln des
grünen Vorgebirges, und drei Wochen später hatten wir unser Reiseziel
erreicht und gingen an der Pfefferküste, bei Kap Mesurado, unter sechs
Grad nördlicher Breite, vor Anker, um uns mit frischem Wasser und
Brennholz zu versorgen. Zugleich war dies die erste Station, von wo aus
unser Handel betrieben werden sollte.

Späterhin gingen wir weiter östlich nach Kap Palmas; und hier erst
begann der Verkehr lebendiger zu werden. Die Schaluppe wurde mit
Handelsartikeln beladen, mit Lebensmitteln für zwölf Mann Besatzung auf
sechs Wochen versehen und mit sechs kleinen Drehbassen, die ein Pfund
Eisen schossen, ausgerüstet. Mein Steuermann befehligte im Boot; ich
aber, sein kleiner Dolmetscher, blieb auch nicht dahinten und ward ihm
im Handel vielfach nützlich. Wir machten in diesem Fahrzeuge drei Reisen
längs der Küste, entfernten uns bis zu fünfzig Meilen vom Schiffe und
waren gewöhnlich drei Wochen abwesend. Nach und nach kauften wir hierbei
vierundzwanzig Sklaven, Männer und Frauen (auch eine Mutter mit einem
einjährigen Kinde war dabei!), eine Anzahl Elefantenzähne und etwas
Goldstaub zusammen. Bei dem letzten Abstecher ward auch der europäische
Briefsack auf dem holländischen Hauptkastell St. George de la Mina von
uns abgegeben.

Unser Schiff fanden wir bei unserer Rückkehr etwas weiter ostwärts,
nach der Reede von Laque la How oder Kap Lagos vorgerückt. Acht unserer
Gefährten waren in der Zwischenzeit infolge des ungesunden Klimas
gestorben. Dagegen hatte der Kapitän anderthalbhundert Schwarze
beiderlei Geschlechts eingekauft und einen guten Handel mit Elfenbein
und Goldstaub gemacht. Für alle diese Artikel gilt Kap Lagos als eine
Hauptstation, weil landeinwärts ein großer See von vielen Meilen Länge
und Breite vorhanden ist, auf welchem die Sklaven von den
Menschenhändlern (Kaffizieren) aus dem Inneren in Kanots herbeigeführt
werden.

Gerade in dieser Gegend war auch Kapitän Gruben bei den hier ansässigen
reichen Sklavenhändlern von alters her wohl bekannt und gern gelitten.
Dennoch war ihm schon auf einer früheren Reise hierher ein Plan
fehlgeschlagen, den er entworfen hatte, sich zum Vorteil der
holländischen Regierung an diesem wohlgelegenen Platze unvermerkt fester
einzunisten. Er hatte mit den reichen Negern verabredet, ein zerlegtes
hölzernes Haus nach europäischer Bauart mitzubringen und dort
aufzurichten, worin zehn bis zwanzig Weiße wohnen könnten und welches
durch einige daneben aufgepflanzte Kanonen geschützt werden sollte. Als
es aber fertig dastand, kamen diese Anstalten den guten Leutchen doch
ein wenig bedenklich vor. Sie bezahlten lieber dem Kapitän sein
Häuschen, das so ziemlich einer kleinen Festung glich, reichlich mit
Goldstaub; und als ich es sah, war es von einem reichen Kaffizier
bewohnt.

Nachdem wir von hier noch eine Bootreise, gleich den vorigen und mit
ebenso gutem Erfolge, gemacht hatten, gingen wir nach vier bis fünf
Wochen mit dem Schiffe weiter nach Axim, dem ersten holländischen
Kastell an dieser Küste, wo denn auch fortan der Schaluppenhandel ein
Ende hatte. Ferner steuerten wir, Cabo tres Puntas vorbei, nach Accada,
Boutrou, Saconda, Chama, St. Georg de la Mina und Moure. Überall wurden
Einkäufe gemacht; so daß wir endlich unsere volle Ladung, bestehend in
vierhundertundzwanzig Negern jedes Geschlechtes und Alters beisammen
hatten. Alle diese Umstände sind mir noch jetzt in meinem hohen Alter
so genau und lebendig im Gedächtnisse, als wenn ich sie erst vor ein
paar Jahren erlebt hätte.

Nunmehr ging die Reise von der afrikanischen Küste nach Surinam, quer
über den Atlantischen Ozean hinüber, wo unsere Schwarzen verkauft werden
sollten. Während neun bis zehn Wochen, die wir zur See waren, sahen wir
weder Land noch Strand, erreichten aber unseren Bestimmungsort
glücklich, vertauschten unsere unglückliche Fracht gegen eine Ladung von
Kaffee und Zucker, und traten sodann den Rückweg nach Holland an. Wir
brauchten dazu wiederum acht bis neun Wochen, bis wir endlich
wohlbehalten im Angesichte von Amsterdam den Anker fallen ließen. Es war
im Juni 1751, und die ganze Reise hin und zurück hatte einundzwanzig
Monate gedauert. Elf Leute von unserer Mannschaft waren während dieser
Zeit gestorben.

       *       *       *       *       *

In Amsterdam ließ ich es mein erstes sein, nach Kolberg an meine Eltern
zu schreiben und ihnen Bericht von meiner abenteuerlichen Reise zu
erstatten. Denke man sich ihr freudiges Erstaunen beim Empfange dieser
Zeitung! Ich war tot und wieder lebendig geworden! Ich war verloren und
war wiedergefunden! Ihre Empfindungen drückten sich in den Briefen aus,
die ich unverzüglich von dort her erhielt. Segen und Fluch wurden mir
darin vorgestellt. Ich Unglückskind wäre ja noch nicht einmal
eingesegnet! Augenblicklich sollte ich mich aufmachen und nach Hause
kommen!

Es traf sich erwünscht, daß ich mich in Amsterdam mit einem Landsmanne,
dem Schiffer Christian Damitz, zusammenfand. Auf seinem Schiffe ging ich
nach Kolberg zurück. Von meinem Empfange daheim aber tue ich wohl am
besten, zu schweigen.

In meiner Vaterstadt blieb ich nun und hielt mich wieder zum
Schulunterricht, bis ich mein vierzehntes Jahr erreichte und die
Konfirmation hinter mir hatte. Dann aber war auch kein Halten mehr, ich
wollte und mußte zur See, wie der Fisch ins Wasser, und mein Vater
übergab mich (zu Ostern 1752) an Schiffer Mich. Damitz, der soeben von
Kolberg nach Memel und von da nach Liverpool abgehen wollte, und in den
er ein besonderes Vertrauen setzte. Beide Fahrten waren glücklich. Wir
gingen weiter nach Dünkirchen, wo wir eine Ladung Tabak einnahmen; dann
über Norwegen nach Danzig -- und so kam ich, kurz nach Neujahr, zu
Lande, um neunzehn Taler Löhnung reicher, nach Kolberg zurück. Ich
glaubte Wunder, was ich in diesen neun Monaten verdient hätte! Und noch
vor wenig Jahren brachten es unsere Matrosen wohl auf fünfzehn und mehr
Taler monatlich. So ändern sich die Zeiten!

In den beiden nächstfolgenden Jahren (1753 und 54) schwärmte ich auf
mehr als einem Kolbergschen Schiffe und unter verschiedenen Kapitänen
auf der Ost- und Nordsee umher, und war bald in Dänemark und Schweden,
bald in England und Schottland, in Holland und Frankreich zu finden.

       *       *       *       *       *

Aber der alte Hang zum Abenteuern erwachte, so daß ich in Amsterdam, wo
ich mit Kapitän Joach. Blank, einem alten lieben Kolbergschen Landsmann
und Verwandten, zusammentraf, der Versuchung zu einem weiteren Ausflug
länger nicht widerstehen konnte, sondern mich, ohne weitere Erlaubnis
von Hause, flugs und freudig auf sein Schiff Christina, das nach Surinam
bestimmt war, als Konstabler verdingte. Als indes auf der Hinfahrt unser
Steuermann das Unglück hatte, über Bord zu fallen und zu ertrinken, kam
ich für diese Reise zu der Ehre, den Untersteuermann vorzustellen.

Man weiß, daß die Kolonie Surinam ihren Namen von dem Flusse führt, an
welchem auch dritthalb Meilen aufwärts die Hauptstadt Paramaribo gelegen
ist. An seiner Mündung ist er wohl zwei Meilen breit und bleibt gegen
sechzig Meilen landeinwärts, auch bei der niedrigsten Ebbe, für
kleinere Fahrzeuge noch schiffbar. Nur wenig geringer ist der mit ihm
verbundene Fluß Komandewyne, welcher bis gegen fünfzig Meilen aufwärts
befahren wird. Mit beiden steht noch eine Menge toter Arme oder Kreeks
in Verbindung, und an allen Ufern hinauf drängen sich die Zucker- und
Kaffeeplantagen, während alles übrige Land eine fast undurchdringliche
Waldung ausmacht. Eben dadurch wird diese Kolonie eine der ungesundesten
in der Welt; und wenn eine Schiffsequipage von vierzig Mann binnen den
vier Monaten, welche man hier gewöhnlich verweilt, nur acht bis zehn
Tote zählt, so wird dies für ein außerordentliches Glück gehalten.

Diese große Sterblichkeit hat aber zum Teil auch wohl ihren Grund in den
anstrengenden Arbeiten, wozu die Schiffsmannschaften nach hiesigem
Gebrauche angehalten werden: denn sie müssen ebensowohl den Transport
der mitgebrachten Ladung an europäischen Gütern nach den einzelnen
Plantagen, als die Rückfracht aus denselben an Kolonialwaren, besorgen.
Man bedient sich dazu einer Art von Fahrzeugen, _Punten_ genannt, die wie
Prahme gebaut sind und ein zugespitztes, mit Schilf gedecktes Wetterdach
tragen; so daß sie das Ansehen eines auf dem Wasser schwimmenden,
deutschen Bauernhauses gewähren. Zwei solcher Punten werden jedem
Schiffe zugegeben, und mir, als Untersteuermann, kam es zu, mit Hilfe
von vier Matrosen die Fahrten auf den Strömen damit zu verrichten, wozu
denn oft vierzehn Tage und noch längere Zeit erfordert wurden.

Bei unserer Ankunft gab es auf dem Schiffe ein kleines Abenteuer, das
unseren Schiffer eine Zeitlang in nicht geringe Sorge setzte, endlich
aber dennoch einen ziemlich lustigen Ausgang gewann. Unter der Ladung
nämlich, die wir in Amsterdam eingenommen hatten, befand sich auch eine
Kiste von etwa drei Fuß ins Gevierte, worüber der Kapitän zwar das
richtige Konnossement in Händen hatte, ohne gleichwohl beim Löschen vor
Paramaribo die Kiste selbst an Bord wieder auffinden zu können. Sie war
an einen dortigen Juden adressiert, dessen wiederholte Nachfrage trotz
alles Suchens unbefriedigt bleiben mußte. Diese Verlegenheit schlau
benutzend, brachte endlich der Hebräer nicht nur seine Klage bei dem
holländischen Fiskal (Kolonie-Richter) an, sondern reichte zugleich ein
langes Verzeichnis ein von goldenen und silbernen Taschenuhren,
Geschmeiden und anderen Kostbarkeiten, zu einem Belaufe von beinahe
viertausend Gulden an Wert, die in der Kiste enthalten gewesen. Der
Prozeß ging seinen Gang, und der Jude brachte seine Beweise so bündig
vor, daß das endlich erfolgte rechtskräftige Erkenntnis meinen Kapitän
zur völligen Schadloshaltung binnen vierzehn Tagen verurteilte, dem es
übrigens überlassen blieb, sich wiederum an seine Leute zu halten.

Ganz unerwartet aber fand sich nunmehr die verwünschte Kiste im hinteren
untersten Schiffsraum wieder auf, wo sie durch irgendein Versehen hoch
mit Brennholz überstaut gewesen war. Glücklicherweise hatte ihr Siegel,
das auch auf dem Konnossement abgedruckt war, keinen Schaden gelitten.
Aber zugleich kam es uns wunderlich vor, daß die Kiste beim Heben und
Schütteln sich gar nicht so anließ, als ob Sachen von der angegebenen
Art darin enthalten sein könnten. Dieser Verdacht ward dem Fiskal unter
der Hand gesteckt. Er kam selbst an Bord, überzeugte sich von
Richtigkeit des Konnossements und der Unversehrtheit des Siegels, und da
der Jude ein armer Teufel war, dem sich mit einer Geldstrafe nichts
anhaben ließ, so sollte er, wie es in aller Welt Brauch ist, für den
versuchten Betrug mit seiner Haut bezahlen.

Zuvörderst ward ihm gemeldet, daß sein Eigentum wieder zum Vorschein
gekommen sei und von ihm alsogleich am Bord in Empfang genommen werden
könne. Sein Erschrecken über diese Nachricht war drollig genug, aber dem
Frieden nicht trauend, verlangte er, man möchte ihm die Kiste in Gottes
Namen nur an Land und in sein Haus schaffen; bis auf seine beharrliche
Weigerung der Fiskal ihn durch zwei Neger mit Gewalt und gebunden an
Bord holen ließ. Hier mußte er in dessen Beisein die Kiste als die
seinige und als vollkommen unverletzt anerkennen; dann aber auch
öffnen, und nun kam ein gar bunter Inhalt zum Vorschein. Der ganze
Trödel bestand aus Redoutenanzügen und fratzenhaften Gesichtslarven; der
unglückliche Eigentümer aber ward, auf des Richters Geheiß, über seine
Kiste hingestreckt und von ein paar Matrosen mit ihren Tauendchen so
unbarmherzig zugedeckt, daß ihm wahrscheinlich alle ähnliche
Spekulationen für eine lange Zeit vergangen sein werden.

Eher hätte man Surinam damals eine _deutsche_, als eine _holländische_
Kolonie nennen können, denn auf den Plantagen, wie in Paramaribo, traf
man unter hundert Weißen immer vielleicht neunundneunzig an, die hier
aus allen Gegenden von Deutschland zusammengeflossen waren. Unter ihnen
hatte ich während dieser Reise Gelegenheit, auch zwei Brüder, des Namens
_Kniffel_, kennen zu lernen, die aus Belgard in Pommern gebürtig und also
meine nächsten Landsleute waren. Sie hatten in früherer Zeit als gemeine
holländische Soldaten sich hierher verirrt, aber Glück, Fleiß und
Rechtlichkeit hatten sie seither zu Millionären gemacht, welche hier
eines wohlverdienten Ansehens genossen. Am Komandewyne besaßen sie zwei
Kaffeeplantagen. Die eine hieß Friedrichsburg, und eine andere dicht
daneben, welche von ihnen selbst angelegt worden, hatten sie ihrer
Vaterstadt zu Ehren _Belgard_ genannt. Zu Paramaribo war eine Reihe von
Häusern, die eine Straße von vierhundert Schritten in der Länge
bildeten, ihr Eigentum und führte nach ihnen den Namen _Kniffels-Loge_.
Ebendaselbst hatten sie eine lutherische Kirche aufgeführt und zur
Erhaltung derselben für ewige Zeiten die Einkünfte der Plantage Belgard
gewidmet.

Diese Gebrüder standen schon seit längerer Zeit mit meinem Kapitän
Blank, als einem Kolberger und Landsmann, in besonders freundschaftlichem
Verkehr. Er versorgte sie und ihre Plantagen ausschließlich mit allem,
was sie aus Europa bedurften; und hinwiederum führte er alle ihre dortigen
Erzeugnisse nach Holland zurück. So geschah es auch bei der gegenwärtigen
Reise; daß ich denn oft von ihm mit Aufträgen an sie geschickt und ihnen
auf diese Weise bekannt und lieb wurde. Schon die vielfältigen Beweise von
Güte, die ich von ihnen erfuhr, würden mich veranlaßt haben, ihrer hier
zu gedenken, wenn nicht auch der Verfolg meiner Lebensgeschichte mir
wiederholt Gelegenheit gäbe, auf ihren Namen zurückzukommen.

       *       *       *       *       *

Unsere Heimfahrt nach Amsterdam, die sechs Wochen währte, war glücklich,
aber ohne weitere Merkwürdigkeit. Wir waren vierzehn Monate abwesend
gewesen, und unser Schiff bedurfte einer völlig neuen Verzimmerung, die
sich bis in den November 1755 zu verzögern drohte. Dies dauerte mir zu
lange und gab die Veranlassung, daß ich in einen anderen Dienst, unter
Kapitän Wendorp, überging. Sein Schiff war nach Kurassao bestimmt; auf
der Rückreise ergänzten wir bei St. Eustaz unsere Ladung, und nach neun
Monaten, die ich hier kurz übergehe, warfen wir wiederum vor Amsterdam
wohlbehalten die Anker.

Hier warteten Briefe auf mich von meinen Eltern, von so drohendem Inhalt
und angefüllt mit so gerechten Vorwürfen, daß ich's wohl nicht länger
verschieben durfte, mich zum zweitenmal, als der verlorene Sohn, reuig
nach Hause auf den Weg zu machen. Doch fand ich gleich im voraus einigen
Trost in dem Vorschlage, daß meines Vaters Bruder bestimmt sei, des
Herrn Beckers Schiff, genannt die Hoffnung, mit einer Ladung Holz von
Rügenwalde nach Lissabon zu führen, und mit dem sollte ich fahren. Dies
war im Jahre 1756.

So ging ich denn als Passagier nach Danzig und traf es da eben recht,
daß zwölf junge und schmucke seefahrende Leute ausgesucht werden
sollten, um die sogenannte Herren-Borse aufs stattlichste zu bemannen.
Es war nämlich zu der Zeit der König August von Polen in der Stadt
anwesend, und auf der Reede lag eine zahlreiche Flotte von russischen
Kriegsschiffen vor Anker, der er einen Besuch abzustatten gedachte. Zu
dieser Lustfahrt, die Weichsel hinunter, sollte nun jene Staatsjacht
dienen. Zufällig kriegte man mich mit an, um die Mannschaft vollzählig
zu machen, und sowohl das Außerordentliche bei der Sache, als auch der
Dukaten, der dabei für jeden Mann abfallen sollte, machten mir Lust,
diesen Ehrendienst zu verrichten.

Das dauerte aber nur so lange, bis wir zum Schifferältesten Karsten
kamen, wo wir zu der Feierlichkeit mit einer Art von Uniform aufgeputzt
werden sollten, die mit blanken Schilden und vielen roten, grünen und
blauen Bändern verbrämt war. So ausstaffiert, hielt man mir zuletzt
einen Spiegel vor: -- aber wie erschrak ich, als ich sah, was für einen
Narren man aus mir gemacht hatte! Das war jedoch das wenigste! Allein
das Herz im Leibe wollte mir zerspringen, wenn ich dabei bedachte, daß
ich einen anderen, als meines eigenen Königs Namenszug im Schilde an
meiner Stirne tragen sollte. Die Tränen traten mir in die Augen. Mir
war's, als mutete man mir zu, meinen großen Friedrich zu verleugnen.
Gern hätte ich mir alles wieder vom Leibe gerissen und hätte den Handel
wieder aufgesagt, wenn es möglich gewesen wäre. Doch ich war einmal
unter den Wölfen und mußte mit ihnen heulen! Indes gelobte ich mir's,
diesen Makel dadurch wieder gut zu machen, daß ich den verheißenen
Dukaten dem ersten preußischen Soldaten zuwürfe, der mir begegnen würde.
Ein alter Husar wurde dies Glückskind, und der mag sich wohl nicht
schlecht verwundert haben, daß ein achtzehnjähriges Bürschchen wie ich
mit Gold um sich warf!

       *       *       *       *       *

Im Monat August traf ich in Kolberg ein, fand meines Oheims Schiff
bereits in der Ausrüstung und ging mit diesem auf die Rügenwalder Reede,
wo wir unsere Ladung Holz einnahmen. Mit mir fuhr mein jüngerer Bruder,
sechzehn Jahre alt, als Kajütenwärter. Auch hatte mein Oheim seinen
eignen vierzehnjährigen Sohn mitgenommen, und es befanden sich unserer
in allem dreizehn Menschen an Bord. Aber gleich der Anfang dieser Fahrt
versprach wenig Gutes, da wir durch Sturm und widrige Winde dergestalt
aufgehalten wurden, daß wir erst mit Ausgang Oktober im Sunde anlangten.

Hier ging mein Oheim mit mir und noch drei anderen Matrosen in der
Segelschaluppe nach Helsingör an Land, woselbst seine Geschäfte ihn so
lange verweilten, daß wir erst abends um neun Uhr auf den Rückweg kamen.
Die See ging hoch, und unser Fahrzeug, das mit Wasser- und Bierfässern
und anderen Provisionen schwer beladen war, hielt wenig Bord. Zudem
stand uns ein steifer Südwind entgegen, der uns zum Lavieren nötigte;
und eben machten wir einen Schlag dicht hinter dem dänischen
Wachtschiffe vorüber, als ein harter Stoßwind so plötzlich aufstieg und
so ungestüm in unsere Segel fiel, daß die Schaluppe Wasser schöpfte,
umschlug und im Hui den Kiel nach oben kehrte.

Ich ergriff ein Ruderholz, und war so glücklich, mich über dem Wasser zu
erhalten. Wo die anderen blieben, sah ich nicht. Indes war unser Unglück
von dem dänischen Kriegsschiffe nicht unbemerkt geblieben; und sogleich
stieß ein Fahrzeug ab, uns zu retten. Allein es war stockfinster und von
uns Verunglückten keine Seele aufzufinden. Nur die Schaluppe kam ihnen
in den Wurf und ward geborgen; freilich aber war die ganze Ladung
davongeschwommen und ging verloren.

Unter uns Umhertreibenden mochte ich wohl der erste sein, der sich
glücklich aus diesem bösen Handel zog. Ich trieb nämlich gegen ein vor
Anker liegendes Schiff und erhielt mich so lange am Ankertau, bis die
Leute mich zu sich an Bord ziehen konnten. Mein guter Oheim hingegen
ward ebensowohl durch den harten Sturm als die schnelle Strömung beinahe
eine Viertelmeile weit bis unterhalb des dänischen Kastells
davongeführt. Aber indem er sich kümmerlich an einer Segelstange
festgeklammert hielt, brauchte er wohl eine Stunde, bevor er mit
Schwimmen das Land erreichte. Zwei Matrosen wurden durch eine
Lotsenjolle gerettet; einer aber blieb leider verloren.

Erst am Morgen fanden wir vier Geborgenen uns in Helsingör wieder
zusammen. Unsere Schaluppe ward uns von dem Wachschiffe wieder
zurückgegeben; wir ersetzten unsere verunglückte Ladung durch angekaufte
neue Vorräte, versahen uns mit frischen Rudern und kehrten sodann nach
unserem Schiffe zurück. Sobald Wind und Wetter wieder günstiger geworden
waren, säumten wir nicht, unsere Fahrt, trotz der späten und bösen
Jahreszeit, fortsetzen.

Am 2. Dezember nahmen wir, nicht ohne Beunruhigung, wahr, daß ein
gewaltiger Sturm aus Norden uns auf die flämischen Bänke geworfen hatte,
deren Gefährlichkeit wir nur gar zu wohl kannten. Nur zu bald bekamen
wir mehrere heftige Grundstöße, die unser Steuerruder aussetzten und uns
seiner verlustig machten. Um nicht augenblicklich auf den Strand zu
geraten, blieb nichts übrig, als uns auf der Stelle vor zwei Anker zu
legen. Es war zehn Uhr vormittags; das Land eine kleine halbe Meile
entfernt, und unser Ankerplatz, auf vier Faden Tiefe, mitten in der
schäumenden Brandung; während unsere Segel, die wir nicht mehr
festmachen konnten, im Winde flatterten. Welle für Welle stürmte über
das Verdeck hinweg, so daß wir uns sämtlich oben im Mast festsetzen
mußten.

Unsere Lage ward noch unerfreulicher, da wir uns hier im Angesichte der
flandrischen Küste befanden. _Hier_ war also österreichisches Gebiet, _wir_
preußische Untertanen, und Preußen mit Österreich seit kurzem im _Kriege_
begriffen. Mein Oheim verbot uns demnach zu verraten, daß wir von
Rügenwalde kämen und ein preußisches Schiff hätten. Vielmehr sollten wir
in der Aussage übereinstimmen: Schiff und Ladung sei schwedisches
Eigentum, komme von Greifswalde und sei nach Lissabon bestimmt. Sobald
der Sturm es nur zulasse, setzte er hinzu -- wolle er hinabsteigen, die
preußische Flagge vernichten und ebensowohl seine Schiffspapiere
beiseite zu bringen, als der bereitgehaltenen schwedischen Dokumente
aus der Kajüte habhaft zu werden suchen.

Wirklich auch entschloß er sich zu diesem gewagten Versuche: aber beim
Niedersteigen schwankte der Mast dergestalt und ein unglücklicher Schlag
des peitschenden Segels traf ihn so gewaltsam, daß es ihm unmöglich
wurde, sich länger zu halten. Er fiel, stürzte mit dem Rücken auf den
Rand des auf dem Verdecke stehenden Bootes, von da mit dem Kopfe gegen
die scharfe Ecke eines Pöllers, und endlich auf das Deck, welches die
Sturzwellen immerfort so hoch, als die Seitenborde ragten, mit Wasser
überschwemmt hielten; und so sahen wir ihn in diesem Wasser hin und her
gespült werden. Der Anblick war so gräßlich, daß wir ihn länger nicht
ertragen konnten. Ich wagte mich mit noch zwei Matrosen hinab; wir zogen
ihn mit Mühe auf das Kajütendeck, wo doch nicht jede Woge eine
Überschwemmung verursachte, und waren nun in der Nähe Zeugen von seinem
jammervollen Geschicke. Der Schlag des Segels hatte das linke Auge
getroffen, welches weit aus dem Kopfe nur noch an einer schwachen Sehne
hervorhing. Das Blut drang zugleich aus Mund, Nase und Ohren. Aus der
hohlen Brust stöhnte ein dumpfes Röcheln, ohne Spur eines Bewußtseins.
Trost- und ratlos schob ich ihm das hängende Auge in den Kopf zurück und
band ihm mein Halstuch darüber. Um und neben ihm lagen nun ich, sein
Sohn und noch ein getreuer Matrose in fester Umklammerung, um uns gegen
die Gewalt der Sturzseen zu erhalten, und unbeweglich bis gegen fünf Uhr
abends, da endlich unsere Ankertaue brachen und wir, bei halber Flut,
unaufhaltsam gegen den Strand getrieben wurden.

Endlich stieß das Schiff auf den Grund und hielt mit heftigen Stößen an,
solange das Wasser im Wachsen blieb. Erst als die Ebbe wieder eintrat,
saß es völlig fest: aber nun brachen sich auch die rollenden Wellen mit
solcher Macht dagegen, daß jede einzelne darüber wegschlug und Schaum
und Gischt die volle Höhe des Mastes emporgewirbelt wurden. Allmählich
brach auch das Gebäude in all seinen Fugen und wir sahen die Stücke
unter unseren Füßen eins nach dem anderen davontreiben. Sowie aber die
Ebbe sich immer weiter zurückzog, ließ auch die zertrümmernde Gewalt des
Wogendranges nach, die uns sonst unausbleiblich in den Abgrund mit
fortgerissen hätte; das Verdeck ward von Wasser frei und wir konnten
wieder einen Gedanken an Rettung fassen.

Es war Mondschein, und am Lande erblickten wir eine Menge von Menschen,
die uns aber, bei unserer noch beträchtlichen Entfernung vom Ufer, nicht
helfen konnten. Zwar banden wir ledige Wasserfässer an Taue und warfen
sie über Bord, in der Meinung, daß sie dorthinwärts treiben sollten;
allein die Strömungen der Ebbe rissen sie vielmehr in der
entgegengesetzten Richtung mit sich fort. Jetzt fiel uns ein, daß wir
einen Pudel auf dem Schiffe hatten, der wohl ans Land schwimmen und die
ersehnte Gemeinschaft mit jenen Helfern bewirken könnte, wenn wir ihm
ein Tau um den Leib bänden und dieses nach und nach fahren ließen. Es
geschah: doch das arme Tier wollte dem Schiffe nicht von der Seite; und
wenn auch eine Sturzwelle es eine Strecke mit sich fortschleuderte, so
kam es doch alsobald wieder zurückgeschwommen und winselte, an Bord
aufgenommen zu werden. Vergebens schlugen wir nach ihm mit Stangen und
Tauen, bis es uns endlich erbarmte und wir das treue Geschöpf wieder an
Bord nahmen.

So schlich die Mitternacht heran, wo uns deuchte, daß nunmehr die
Ebbezeit wohl abgelaufen sein müßte. Jetzt also befanden wir uns dem
Strande am nächsten, der, unserer Schätzung nach, zwei- oder dreihundert
Schritte entfernt sein mochte; und so war es denn auch an der höchsten
Zeit, alles aufzubieten, um, wo möglich, lebendig an Land zu kommen,
bevor die Flut wieder stiege, deren Gewalt ohnehin das Schiff nicht mehr
ausdauern konnte, ohne gänzlich in Trümmer zu gehen. Es mußte gewagt
sein! Sowie demnach eine Sturzwelle nach der anderen sich zu uns
heranwälzte, so sprang auch, der Reihe nach, jemand von uns über Bord
und ward sogleich mit der Brandung gegen das Ufer hin getrieben, wo die
Menschen uns aufzufangen und aufs Trockene zu bringen bereit standen.

Ich, samt meinem Bruder und dem Sohne meines Oheims -- wir waren die
letzten, die, um den Röchelnden her, mit den Armen fest verschlungen,
dies alles vom Kajütendeck mit ansahen, aber uns nicht entschließen
konnten, dies teure Jammerbild zurückzulassen. Wir schrien, wir
wimmerten, und wußten nicht, was wir mit demselben anfangen sollten. Vom
Strande her ward uns durch ein Sprachrohr unaufhörlich zugeschrien:
»Springt über Bord! Springt über Bord! Wächst das Wasser mit der Flut
wieder an, so seid ihr verloren! -- Springt! Springt!«

Angefeuert und beängstigt zugleich durch dies Rufen, zogen wir endlich
unseren Leidenden, dessen Bewußtsein völlig geschwunden war, hart an den
Bord des Schiffes und nahmen eine besonders mächtige Sturzwelle in acht,
mit welcher wir ihn in Gottes Namen dahinfahren ließen. Zu unserer
unaussprechlichen Freude sahen wir, wie er mit derselben im Fluge dem
Lande zugeführt wurde, und wie dort die guten Leute ihn auffingen, ehe
er noch von der See wieder zurückgespült werden konnte. Jetzt trieb ich
meinen Bruder, den entscheidenden Sprung zu wagen, dann den Sohn meines
Oheims; und ein Stein nach dem andern fiel mir vom Herzen, da ich sie
alsobald gerettet und in Sicherheit erblickte. Nun warf ich mich
gleichfalls, als der letzte, wohlgemut in die rollenden Wogen, und in
der nächsten Minute umfingen mich auch bereits hilfreiche Arme, die mich
den Strand hinauf ins Trockene trugen.

Es ergab sich, daß die Mehrzahl unserer menschenfreundlichen Retter aus
österreichischen Soldaten bestand, welche hier, seitdem ihre Kaiserin,
Maria Theresia, sich auch mit England im Kriege befand, zur Deckung der
Küste postiert standen und etwa alle zweitausend Schritte ein Wachthaus
am Strande hatten. In ein solches Gebäude ward nun auch unser armer
zerschmetterter Oheim von uns, mit Hilfe der Soldaten, an Armen und
Beinen getragen, und man deckte ihn mit allem, was sich an trockenen
Kleidungsstücken vorfand, sorgfältig zu, um ihn wieder zu erwärmen.
Neben ihm, zu beiden Seiten, lagen sein Sohn und ich, hielten ihn umfaßt
und nahmen ihm von Zeit zu Zeit das geronnene Blut aus dem Munde.

So mochte er etwa eine Stunde gelegen haben, als er zum erstenmal wieder
nach seinem unglücklichen Falle den Mund zu der hervorgestöhnten Frage
öffnete: »O Gott! Ist mir noch zu helfen?« -- Das war Musik in meinen
Ohren! Mit freudiger Hast erwiderte ich ihm: »Ja, ja, lieber
Vatersbruder! Gott kann -- Gott wird Euch noch wieder helfen. Wir sind
am Lande.« -- »So bringt mich denn zu einem Doktor!« war seine kaum
verständliche Antwort, und ich konnte ihn damit trösten, daß bereits
nach einem geschickt sei.

Dem war wirklich also: denn sofort nach unserer Landung war auch an die
nächste Garnison in Veurne, welches dreiviertel Meilen entfernt lag,
eine Meldung geschehen und um ärztliche Hilfe gebeten worden. Zugleich
erfuhren wir von den Soldaten, daß wir uns hier drei Meilen von Nieuport
und zwei Meilen von Dünkirchen befänden. Der Grund und Boden unter uns
war österreichisch, aber die französische Grenze, nach letzterem Orte
hinwärts, nur eine Viertelmeile entfernt. Als man uns (wie sofort
geschah) über unser Woher und Wohin befragte, so erklärten wir uns, der
früheren Abrede eingedenk, für Schwedisch-Pommern aus Greifswalde, die
eine Ladung Balken nach Lissabon hätten bringen wollen.

Am 3. Dezember, mit dem frühen Morgen, erschien ein Fuhrwerk, mit Stroh
gefüllt und einer Leinwanddecke versehen, welches angewiesen war, unsern
armen Oheim in das Lazarett nach Nieuport zu schaffen. Dieser Ort war
mir, aus Furcht einer möglichen Entdeckung unserer wahren Herkunft,
nicht recht gemütlich; dagegen vermeinte ich unserem Elende in
Dünkirchen vielleicht besseren Rat zu schaffen, wo ich vor ein paar
Jahren bereits gewesen war und einigermaßen des Ortes Gelegenheit
kannte. Ich schlug daher unserem Führer vor, seinen Kranken lieber nach
der französischen Grenzstadt zu bringen; und hierzu ließ er sich auch um
so bereitwilliger finden, da er eine Meile am Wege ersparte.

Mit schwerer Mühe ward der Oheim auf den Wagen gehoben. Ich und sein
Sohn legten uns zu beiden Seiten neben ihn und hielten ihn möglichst
sanft in unseren Armen, während mein Bruder den Wagen begleitete,
welcher den ebenen Weg längs dem Seestrande einschlug. Gott weiß aber,
daß ich wohl nie mehr geweint und gejammert habe, als auf dieser Fahrt.
Der geringste Anstoß des Wagens verursachte dem Kranken die peinlichsten
Schmerzen, daß er kläglich winselte und zugleich an den Stücken
geronnenen Blutes im Munde und Halse zu ersticken drohte, wie sehr ich
auch bemüht war, ihm Luft zu verschaffen.

So kamen wir endlich nachmittags (es war an einem Sonntage) in
Dünkirchen an. Ich ließ den Fuhrmann vor einem Wirtshause halten,
welches das Schild »zum roten Löwen« führte, denn hier hatte ich bei
meiner früheren Anwesenheit zuweilen ein Glas Bier getrunken und
rechnete mich also in meinem Sinne zu den Bekannten des Hauses. Das
hinderte jedoch nicht, daß ich hier mit meiner unerwünschten Begleitung
geradezu ab- und nach dem Klosterhospital hingewiesen wurde, wo der
rechte Ort für fremde Kranke und Gebrechliche sei. Wirklich auch waren
wir dort kaum angelangt und mein Oheim vom Wagen gehoben, so sahen wir
ihn auch von einem Schwarm katholischer Ordensgeistlicher umzingelt, die
ihn in Empfang nahmen und zuvörderst auf einen langen und breiten Tisch
ausstreckten, wo er bis auf die nackte Haut entkleidet wurde.

Hiernächst fand sich eine Anzahl von Doktoren und Chirurgen ein, welche
nun zu einer genaueren Untersuchung seiner Verletzungen schritten. Die
erste Operation geschah durch Lösung des Tuches, welches ich dem Armen
gleich nach seinem unglücklichen Falle um das Auge gebunden. Jetzt war
dieses mit dem geronnenen Blute an dem Verbande festgetrocknet und zog
sich mit demselben weit aus dem Kopfe hervor. Da es nur noch durch einen
dünnen Nervenstrang in der Augenhöhle befestigt hing, so war es freilich
rettungslos verloren, ward kurzweg abgeschnitten und auf eine Teetasse
hingelegt.

Bei weiterer Untersuchung ergab sich's, daß das linke Bein, oberhalb dem
Knie, im dicken Fleische gebrochen war; doch am bedenklichsten blieb die
Zerschmetterung eines Rückenwirbels, dicht unterm Kreuz, und die dem
armen Manne auch wohl die empfindlichsten Schmerzen verursachen mochte;
denn während man ihn nach der Kunst behandelte und die Gliedmaßen bald
so, bald anders reckte und dehnte, hörte er nicht auf zu winseln und zu
ächzen. Uns drei Jungen, die wir Zeugen von dem allem waren, schnitt
jeder Klageton tief durchs Herz; und wir heulten und lamentierten mit
ihm in die Wette, so daß man sich genötigt sah, uns aus dem Gemache
fortzuweisen.

Nachdem der Kranke endlich geschient und verbunden worden, legte man ihn
auf ein Feldbett, welches man in die Mitte des Zimmers hingestellt
hatte. Eine Klosternonne (Beguine) saß neben ihm und flößte ihm von Zeit
zu Zeit einen Löffel roten Weines ein, den sie auf einem Kohlenbecken zu
ihrer Seite erwärmte. Am Kopfende des Bettes aber standen wir arme
Verlassene und weinten unsre bitterlichen Tränen; und so währte das bis
abends, wo ein Pater uns andeutete, daß wir die Nacht über im Kloster
nicht bleiben könnten, sondern uns nach einer anderen Herberge umsehen
müßten. Diese fanden wir denn auch zu unserer notdürftigen Erquickung in
dem vorgedachten Wirtshause; doch brachten wir eine schlaflose,
trübselige Nacht zu und wußten nicht, wo Trost und Hilfe zu finden.

Kaum graute auch nur der Morgen, so machten wir uns wieder nach dem
Kloster auf den Weg, wo wir den Oheim noch in dem nämlichen Zustande,
wie gestern, fanden. Indes hatte man uns verständigt, daß heute Posttag
sei, und so ließ ich mir im Gasthofe Papier und Schreibzeug reichen und
brachte den Rest des Tages damit zu, sowohl an unsern Schiffsreeder,
Herrn Becker, als an meine Eltern nach Kolberg zu schreiben. Die Briefe
wurden versiegelt, und am nächsten Morgen standen wir wiederum, von
Herzen betrübt, am Bette unseres Kranken, ohne daß wir eine merkliche
Veränderung an ihm spürten. Ich beugte mich indes dicht zu seinem Ohre
und versuchte die Frage: »Lieber Vatersbruder, sollen wir auch nach
Kolberg schreiben?« Er hatte mich verstanden, denn er schüttelte mit dem
Kopfe, als ob er Nein sagen wollte. So schwach auch dieser
Hoffnungsstrahl seiner wiederkehrenden Besinnung war, so erfüllte er
mich doch mit Mut, daß wohl noch alles wieder gut werden könnte. Ich
glaubte darum auch, daß ich die Briefe unbedenklich abgehen lassen
dürfte, gab den anderen beiden einen verstohlenen Wink und eilte mit
ihnen nach dem Postkontor.

Unsere Abwesenheit mochte etwa dreiviertel Stunden gedauert haben. Doch
als wir wieder in das Kloster und das Krankenzimmer eintraten, fanden
wir zu unserer höchsten Bestürzung und unbeschreiblichem Schmerze nur
unseres guten Oheims Leiche vor. Sie ward auch alsbald aus dem Bette
genommen auf den nämlichen Tisch wie vorhin ausgestreckt, abermals
völlig entkleidet und der wiederholten genauen Besichtigung der Ärzte
unterworfen, wo sich denn die zuvor bemerkten Verletzungen noch
deutlicher bestätigten. Sobald uns aber die Doktoren verlassen hatten,
traten einige Pfaffen herzu und fragten mich: »Zu welchem Glauben dieser
unser Schiffskapitän sich bekannt habe?« Ich antwortete unbedenklich:
»Ei, zum Lutherschen!«

Sowie dies unglückliche Geständnis über meine Lippen floh, war es
gleich, als ob das Gewitter ins Kloster geschlagen hätte. Alles geriet
in Bewegung; der eine sprach hitzig mit dem andern; niemand wollte den
Seligen anfassen, und doch mußten die Ketzergebeine, ehe die Sonne
unterging, aus dem geweihten Bezirke fortgeschafft werden. Man steckte
uns endlich eine beschriebene Karte in die Hand, die an einen Tischler
lautete, welcher wohl die Lieferung der Särge für das Hospital auf sich
haben mochte. Denn als wir ihn uns endlich ausgefragt hatten, fanden wir
deren bei ihm einen reichlichen Vorrat vor und wurden bedeutet, unter
denselben einen nach der Größe unserer Leiche auszusuchen. Unsere Wahl
fiel auf den längsten, weil unser Oheim von einer ansehnlichen Statur
gewesen war, und mit diesem Sarge wanderten wir nun nach dem Kloster
zurück.

Hier trieb man uns, ohne sich zu irgendeiner Handreichung zu verstehen,
mit barschem Ernste, den Leichnam unverzüglich einzusargen und ihn aus
dem Gemache hinweg auf die Straße unter einen uns dazu angewiesenen
Schuppen zu bringen. Unsere Wehmut kannte keine Grenzen. Indes taten
wir, wie uns geboten worden; man reichte uns Hammer und Nägel, um den
Deckel zuzuschlagen, und nun hoben wir an, den Sarg mit den uns so
teuren Überresten eine kurze Strecke auf den Flur fortzuziehen und zu
schieben. Hier aber übermannte und lahmte der ungeheure Schmerz
plötzlich all unsere Kräfte, und wir fühlten uns, in ein lautes und
vereintes Jammergeschrei ausbrechend, ohne Vermögen, die geliebte Last
auch nur einen Schritt weiter zu bringen. Ich fiel vor dem einen Pater
auf die Knie und bat um Gottes willen, man möchte sich unser erbarmen,
denn wir könnten hier nichts mehr tun.

Jetzt gab es ein kurzes Gespräch unter den Anwesenden; ein Aufwärter
ward fortgeschickt, und binnen einer Viertelstunde erschienen vier Kerle
mit einer Trage, und jeder mit einem Spaten versehen. Sie packten die
Leiche an; und so ging der Zug zum Tore hinaus, etwa zweitausend
Schritte weit und gerade auf eine Kirche zu. Wir, die wir den Trägern
gefolgt waren, meinten, der Leichenzug eile dem Kirchhofe zu. Das war
aber weit gefehlt: denn es ging, neben dem Gotteshause vorüber, wohl
noch tausend Schritte weiter auf ein freies Feld; und da die Träger ihre
Last wohl zwanzigmal niedergesetzt hatten, um frischen Atem zu
schöpfen, so begann es bereits dunkel zu werden, bevor wir die
Grabstätte erreichten.

Es war ein Fleck am Wege, der nichts hatte, was einem Totenacker ähnlich
sah. Hier sollten wir nun ein Grab graben; da es aber den Kerlen damit
zu lange währte, nahmen sie uns verdrießlich die Spaten aus den Händen,
schaufelten und schalten uns »Ketzer«. Wir hingegen gaben alle mögliche
gute Worte; und sobald auch nur das Grab so tief geöffnet war, daß der
obere Sargdeckel unter Erde kommen konnte, senkten wir die Leiche mit
Weinen und Wehklagen hinein, füllten die Erde drüber her, nahmen unter
tausend heißen Tränen Abschied, und wanderten bekümmert wieder auf
unseren roten Löwen zu; -- doch nur, um nach einer ängstlich
durchseufzten Nacht gleich am nächsten Morgen wieder das Grab des lieben
Oheims aufzusuchen und auf demselben zu jammern.

Fürwahr, wer eine menschliche Seele hat, wird unser Elend mit uns
fühlen! Da saßen wir drei Jungen, von achtzehn bis zu vierzehn Jahren
herab, in der größten Leibes- und Seelennot -- in einem ganz fremden
Lande, auf dem freien Felde und über dem frischen Grabhügel unseres
geliebten Vaters und Führers! -- saßen, als eine arge Ketzerbrut von
jedermann gemieden und ausgestoßen, ohne einen Pfennig im Vermögen,
nichts _in_ und wenig _auf_ dem Leibe, in dieser rauhen Jahreszeit, ohne
Trost oder Hilfe von Menschen! _Betteln_ konnten und wollten wir nicht:
lieber hätten wir hier auf dieser Grabeserde des geliebten
Hingeschiedenen gleichfalls verscheiden und verschmachten mögen! Er
allein war in diesen trostlosen Augenblicken unser Gedanke und unsere
Zuflucht. »O Vatersbruder, erbarmt Euch!« riefen wir unaufhörlich, bis
wir uns müde geschrieen hatten und das Törichte unseres Beginnens
einsahen.

       *       *       *       *       *

Jetzt erst konnten wir uns untereinander beraten, was wir in dieser
unserer gänzlichen Verlassenheit anzufangen hätten? Der Schluß fiel
dahin aus, daß wir des nächsten Morgens zu unserem Schiff und unseren
anderen Kameraden zurückkehren wollten. Wo _diese_ blieben, wollten auch
_wir_ bleiben und ihr Schicksal mit ihnen teilen. Unser einziger und
letzter Notanker aber war des verstorbenen Oheims Taschenuhr, die wir an
uns genommen hatten und, wenn uns zuletzt das Wasser an die Kehle ginge,
loszuschlagen gedachten. Ob dies schon im roten Löwen würde geschehen
müssen, wohin wir nun zunächst zurückkehrten, sollten wir alsbald
erfahren. Gesättigt und durch einigen Schlaf erquickt, kam denn auch am
Morgen darauf unsere bisherige Zeche zur Sprache. Doch der gute Wirt,
den unser trauriges Schicksal erbarmt hatte, war mit unserem Danke und
einem herzlichen Gott lohn's! zufrieden; wir aber wanderten ebenfalls in
Gottes Namen wieder den Strand entlang, um unsere zurückgelassenen
Unglücksgefährten aufzusuchen.

Noch waren wir indes keine Meile gegangen, als unser Schiffskoch, namens
Roloff, uns aufstieß und uns berichtete: die österreichischen
Strandwächter hätten unsere preußische Flagge von dem zertrümmerten
Schiffe am Ufer aufgefischt; die Mannschaft sei hierauf nochmals in ein
scharfes Verhör genommen worden und habe sich endlich zu ihrer wahren
Landsmannschaft bekennen müssen. Von Stund an habe man sie als
Kriegsgefangene und mit Härte behandelt, habe sie genötigt, die Trümmer
des Schiffes und der Ladung mit angestrengter Arbeit ans Land bergen zu
helfen, zugleich aber auch sie in so genauer Obacht gehalten, daß nicht
einer, ohne militärische Begleitung, sich nur bis zwischen die nächsten
Sanddünen habe entfernen dürfen. Dennoch sei es ihm selbst in dieser
letzten Nacht geglückt, seinen Aufsehern zu entwischen, und er gedenke
nunmehr nach Dünkirchen zu gehen, wo er in Sicherheit zu sein hoffe; --
uns aber rate er wohlmeinend, auf der Stelle wieder mit ihm umzukehren.

In der Tat war dieser Vorschlag der beste und ward unbedenklich von uns
angenommen. Indem ich aber in unserer neuen Not alles reiflich bei mir
überdachte, kam mir wieder der Kaufmann in Dünkirchen in Sinn, an
welchen Schiffer Damitz vor vier Jahren, als er mit mir von Liverpool
kam, seine Ladung Tabak abgeliefert hatte. Sein Haus war mir noch
erinnerlich: doch sein Name nicht. Indes beschloß ich, geradesweges zu
ihm zu gehen, ihm unsere Not zu klagen und ihn um Rat und Beistand zu
bitten. Daneben fiel mir bei, daß unser Schiff in Amsterdam für
Seeschaden und Türken-Gefahr versichert gewesen und daß der
Kommissionär, der dies Assekuranz-Geschäft besorgt hatte, den Namen
Emanuel de Kinder führte. Ich konnte demnach den Dünkircher Kaufmann
bitten, daß er an diesen Agenten unsers Reeders nach Amsterdam schriebe
und in unserem Namen um einen Vorschuß von einhundert Gulden für
Rechnung Herrn Beckers oder meines Vaters in Kolberg bäte. Damit ließ
sich dann schon hoffen, unsere Heimat wieder zu erreichen.

Alles dieses ging auch nach Wunsch in Erfüllung. Der Kaufmann war willig
und bereit, uns in der vorgeschlagenen Weise zu dienen. Binnen acht
Tagen ging auch eine Antwort von Emanuel de Kinder an ihn ein, mit der
Anweisung: daß, wenn wir des Nettelbecks Kinder wären, er uns die
hundert Gulden, oder falls wir es verlangten, auch das Zweifache auf
sein Konto vorschießen möge. Allerdings war das brav von dem
Amsterdamer: aber noch heute diesen Tag freut es mich, daß ich diese
Wohltat im Jahre 1783 -- also 27 Jahre nachher -- an seinem Sohne,
Florens de Kinder, habe vergelten können, indem ich mich, mit einer
reichen Ladung von Lissabon kommend, an diesen adressieren ließ; und
gewiß hat er hierbei, als Korrespondent, über 2000 Gulden gewonnen.

Ich war ein so guter Wirt, daß ich mich mit der Hälfte des angebotenen
Darlehns begnügte; und das um so lieber, da uns der Dünkircher belehrte:
Es sei auf diesem Platze der Brauch, daß Seefahrer, die an der dortigen
Küste ihr Schiff verloren, einen Sou (etwa vier Pfennige unseres Geldes)
für eine jede Meile bis nach ihrer Heimat, als Reisegeld, empfingen.
Zugleich erbot er sich, jemand von seinen Leuten mit uns nach dem
Stadthause zu schicken, um uns diesen Zehrpfennig auswirken zu helfen.
Dort war jedoch den Herren, denen wir Kolberg als unsere Vaterstadt
nannten, dieser Ort ein ganz unbekanntes Ding, denn damals hatten ihm
die wiederholten Belagerungen noch keinen Ruf in der politischen Welt
gegeben. Ich bat mir demnach eine Seekarte aus und wies in derselben die
Lage dieses Handelshafens nach; ward aber zugleich auch aufgefordert,
dessen Entfernung von Dünkirchen abzumessen. Dies trug über See gegen
190 Meilen aus; und ebensoviel Sous wurden auch jedem von uns dreien auf
der Stelle ausgezahlt.

So waren wir denn mit unserem Reisebedürfnis notdürftig ausgerüstet:
doch nun galt es die Frage, welchen Weg wir einschlagen sollten, um
wieder zu den unsrigen zu gelangen? Es war Winter und die See so gut wie
gesperrt. Zu Lande aber hätten wir uns durch die österreichischen
Niederlande wagen müssen, wo wir, als Preußen, Gefahr liefen, gleich an
der Grenze in Nieuport, Ostende, oder wo es sonst sei, angehalten zu
werden. Indes ereignete sich, über unser Erwarten, bald genug eine
Gelegenheit, die wir zu unserem Weiterkommen nicht glaubten versäumen zu
dürfen. Die Dünkircher Kaper hatten nämlich einen englischen Kutter als
Prise aufgebracht und denselben an einen Schiffer von Bremen namens
Heindrick Harmanns verkauft. Dieser belud denselben sofort mit losen
Tabaksstengeln und war willens, damit nach Hamburg zu gehen. Die gesamte
Schiffsmannschaft bestand, außer ihm selbst, nur aus zwei Matrosen; und
wir drei waren ihm als Passagiere um so lieber, da wir uns erboten,
gegen die Kost, die er uns reichen sollte, die Wache mit zu halten.

       *       *       *       *       *

Vier Tage vor Weihnachten gingen wir in See. Es begann hart zu frieren,
und das ganze Fahrzeug nahm zuletzt die Gestalt eines großen Eisklumpens
an. Da wir so wenig auf dem Leibe hatten, wurden uns unsere Wachen
herzlich sauer. Uns fror jämmerlich; daher begruben wir uns, so oft die
Wachzeit zu Ende lief, im Raume tief in die Tabaksstengel; kamen aber
gewöhnlich ebenso erfroren wieder heraus, als wir hineingekrochen waren.
Unsere Schiffsleute verfuhren auch so unbarmherzig mit uns, daß sie uns
nicht in ihre Schlafkojen aufnehmen wollten, wiewohl dies, während sie
selbst sich auf der Wache befanden, füglich hätte geschehen können.
Ebensowenig ließen sie uns, zu unserer Erwärmung, das geringste von
ihren Kleidungsstücken zukommen; und selbst die kärglichen Mundbissen,
die wir erhielten, wurden uns nur mit Widerwillen und Brummen
hingestoßen.

So kamen wir vor die Mündung der Elbe. Da wir hier aber alles mit Eis
besetzt fanden und überdem auch sich ein Ostwind erhob, wurde der
Beschluß gefaßt, wieder umzukehren und an der holländischen Küste einen
Nothafen zu suchen. Vor der Insel Schelling fand sich auch ein Lotse zu
uns an Bord, der uns, schon bei später Abendzeit, zwischen die Bänke im
Vorwasser brachte. Weil uns indes der Wind entgegenstand und wir nicht
weiter hineinkommen konnten, warfen wir Anker, und der Lotse ging wieder
an Land, mit dem Versprechen, sobald der Wind sich umsetzte, zu uns
zurückzukehren. Aus den Äußerungen unseres Schiffers ging hervor, wie
erwünscht es ihm sei, gerade an diesem Punkte an Land gekommen zu sein,
denn sein Vater fahre als Beurtschiffer von Bremen nach Haarlingen, und
eben jetzt müsse die Reihe an ihm sein, so daß er hoffen dürfe, ihn an
letzterem Orte vorzufinden, von wo wir hier nur zwei oder drei Meilen
entfernt seien.

Es war gerade der erste Januar des Jahres 1757. Abends um zehn Uhr
setzte sich der Wind in Nordwesten; und indem er zu einem fliegenden
Sturme anwuchs, wurde das Schiff vom Anker getrieben; saß auch, ehe wir
uns dessen versahen, auf einer Bank fest, wo die Sturzwogen unaufhörlich
über das Fahrzeug hinwegrollten und bis hoch an die Masten
emporschäumten. Das Schiff war scharf im Kiel gebaut; so oft daher eine
Welle sich verlief, fiel es so tief auf die Seite, daß die Masten
beinahe das Wasser berührten. Gleichwohl erhielt uns Gottes
Barmherzigkeit, daß wir nicht vom Borde hinweggespült wurden. Diese
ängstliche Lage dauerte wohl vier bis fünf Minuten, bis endlich eine
besonders hohe und mächtige Welle uns hob und mit sich über die Bank
hinüberschleuderte.

So gelangten wir zwar für den Augenblick wieder in fahrbares Wasser:
doch ehe wir noch Zeit hatten, uns unserer Rettung zu freuen, jagte der
Sturm unser Fahrzeug vollends auf den Strand, und die brandenden Wellen
zogen aufs neue im schäumenden Gebrause über das Verdeck und unsere
Köpfe hinweg. Der Schiffer mit seinen beiden Leuten befand sich zufällig
auf dem niedriger liegenden Hinterteile des Schiffes, während wir drei
Passagiere uns vorn in der Höhe befanden und den Fockmast umklammert
hielten, um nicht von den spülenden Wogen mit fortgerissen zu werden.
Die Angst, mit etwas Hoffnung vermischt, machte uns mäuschenstille: jene
aber schrien und wimmerten, daß die Luft davon erklang, ohne daß wir
ihnen helfen, oder sie zu uns emporklimmen konnten.

Die Nacht war ziemlich dunkel; auf dem Lande lag Schnee, und rings um
uns her schäumte die Brandung; folglich war alles weiß, und es ließ sich
nicht unterscheiden, wie nahe oder wie fern wir dem trockenen Ufer sein
möchten. Je länger ich indes meine Aufmerksamkeit hierauf spannte, desto
gewisser auch deuchte mir's, daß beim Rücklauf der Wellen nur ein
kleiner Zwischenraum zwischen uns und dem Lande sein könne. Ich nahm
einen Zeitpunkt wahr, wo das Verdeck nach vorne frei von Wasser war, und
kroch an dem langen Bugspriet hinan, das nach dem Strande hin gerichtet
stand; da sah ich nun deutlich, daß jedesmal, wenn die See zurücktrat,
das Ufer kaum eine Schiffslänge von uns entfernt blieb.

Jetzt schien mir unsere Rettung länger nicht unmöglich. Ich nahm
behutsam den Rückweg zu meinen Gefährten, teilte ihnen meine glückliche
Entdeckung mit und sprach ihnen Mut ein, mir nach auf das Bugspriet zu
klettern. Sobald die nächste Welle sich weit genug zurückzöge, wollte
ich's zuerst versuchen, mich schnell an einem Tau (deren dort überall
eine Menge zerrissen hing) hinabzulassen; und wenn ich festen Boden
unter mir fühlte, sollten sie, auf mein gegebenes Zeichen, beim nächsten
Ablauf einer Woge, meinem Beispiele getrost nachfolgen. Auch den übrigen
schrie ich zu, sich auf diesem Wege zu retten; allein das Sturm- und
Wellengebrause war zu mächtig, als daß ich hätte können verstanden
werden.

Unser Wagestück gelang nach Wunsch; wir kamen glücklich an Land und
fielen alle drei voll Entzücken auf unsere Kniee, um dem göttlichen
Erretter unseren Dank darzubringen. Durchnäßt bis auf die Haut und
erstarrt vor Frost, war indes hier nicht der Ort und die Zeit, lange
hinter uns zu sehen. Vielmehr wanderten wir unverzüglich auf eine
Feuerbake zu, die hier auf dem Schelling zum Besten der Seefahrenden
unterhalten wird, und deren Licht wir etwa 2000 Schritte von uns
flimmern sahen. Wohl hundertmal fielen wir in der dicken Finsternis und
auf den unebenen Sanddünen über unsere eigenen Füße; aber innig froh,
dem tosenden Meere entronnen zu sein, hätten wir auch wohl größeres Leid
nicht geachtet, und gelangten endlich auch wohlbehalten zu dem
Feuerturme. Die Türe desselben ward im Dunkeln ausgetastet; vor uns
öffnete sich eine Wendeltreppe, die wir hinanstiegen; und droben im
Wachtstübchen fanden wir einen Mann auf der Pritsche ausgestreckt, dem,
bei unserem unerwarteten Eintritte, im Todesschrecken das Pfeifchen aus
dem Munde entsank, bis wir uns beiderseits besannen und näher
miteinander verständigten.

Auf den Bericht von unserer unglücklichen Strandung erklärte er uns,
daß er verpflichtet sei, dies Ereignis sofort im nächsten Dorfe, welches
kaum einige Tausend Schritte entfernt liege, anzuzeigen. Er lud uns ein,
ihn dorthin zu begleiten; kam uns erstarrten armen Burschen aber gar
bald aus dem Gesichte und überließ es uns, ihm, so gut wir konnten,
nachzuhumpeln. Unzähligemal purzelten wir auf diesem kurzen Wege; kamen
selbst in Gefahr uns zu verirren, und fanden uns nur dann erst zu dem
Dorfe hin, als wir eine Glocke gezogen hörten, welche das Zeichen gab,
daß alles Mannsvolk auf und empor sollte, um unser gestrandetes Schiff
aufzusuchen und zu bergen.

Wir wurden indes in ein Haus geführt, wo des Fragens nach unserem
erlittenen Unglücke kein Ende war, wo aber die guten Leute zugleich auch
trockene Kleider, Speisen, Warmbier und sogar Glühwein, und was sie
sonst irgend im Vermögen hatten, herbeibrachten, um uns zu erquicken.
Sie weinten in die Wette mit uns -- _wir_ vor Freude, _sie_ vor Mitleid;
und nicht eher verließen sie uns, als bis sie uns in einem warmen Bette
zur Ruhe gebracht hatten.

       *       *       *       *       *

Am Morgen, da wir uns wieder ermuntert hatten, erfuhren wir, daß die
Dorfsmannschaft von ihrem nächtlichen Zuge wieder heimgekehrt sei. Sie
hatte das gestrandete Schiff in der Dunkelheit nicht finden können, war
aber, bei anbrechendem Tage, auf die einzelnen, längs dem Ufer
umhertreibenden Trümmer gestoßen, ohne jedoch weder einen lebendigen
Menschen, noch eine ausgeworfene Leiche anzutreffen. Wir blieben also
leider die einzigen Geborgenen! Es ward uns indes angeraten, uns zu
Mynheer de Drost, der die polizeiliche Aufsicht auf der Insel führte, zu
begeben und demselben unser Unglück vorstellig zu machen, da zudem eine
Kasse vorhanden sei, woraus armen Schiffbrüchigen Leuten, wie wir, eine
Unterstützung gereicht zu werden pflege. Auch möchten wir deren wohl um
so mehr bedürftig sein, da jetzt zwischen dem Schelling und dem festen
Lande alles mit Eis gestopft und so bald an kein Hinüberkommen zu
denken sei.

Dieser Vorschlag kam uns gar gelegen. Ohne uns also zu äußern, daß wir
noch mit Geld und mit einer Taschenuhr (beides hatte ich sorgfältig in
meinen Beinkleidern verwahrt) versehen wären, machten wir uns zu dem
Landdrosten auf den Weg, ihm unsere Lage zu schildern. Der brave Mann
hörte uns mit dem äußersten Mitleid an, ließ auch sofort einen Schneider
kommen, der uns eine tüchtige Jacke und Hosen anmessen mußte, und versah
uns mit doppelten Hemden, Halstüchern, Strümpfen, einer Filzmütze und
anderen Notwendigkeiten mehr. Hiermit auch nicht zufrieden, ließ er
einen Mann kommen, dem er uns in die Kost befahl; und so blieben wir in
dieser menschenfreundlichen Pflege bis in die Mitte des Januar, wo
endlich das Eis zwischen dem Schelling und Haarlingen aufging und wir
ein Schiff von dorther nach dem Schelling durchbrechen sahen.

Sobald dies Fahrzeug an Land gekommen war, beeilten wir uns, den
Schiffer, welcher schnell löschen und dann den Rückweg antreten wollte,
dahin zu vermögen, daß er uns einen Platz an seinem Borde gestattete.
Auf seine ausweichende Antwort, die uns wenig Hoffnung übrig ließ,
hielten wir's für das Geratenste, auf der Stelle unseren großmütigen
Gönner, den Drosten, anzutreten und ihm unser neues Anliegen
vorzutragen. Sogleich auch war er zur Vermittelung bereit, ließ den
Schiffer rufen, verdingte uns ihm als Passagiere bis Haarlingen und an
seinen eigenen Tisch, wie lang oder kurz die Überfahrt auch währen
möchte, und berichtigte die Kosten mit fünfzehn Gulden vor unsern Augen.
Es versteht sich, daß wir ihm aus Herzensgrunde und mit weinenden Augen
dankten, indem wir zugleich Abschied von ihm nahmen, um mit unserem
Schiffer zu gehen. Diesem halfen wir vergnügt löschen und eine neue
Ladung einnehmen; und so konnten wir schon nach 48 Stunden mit ihm vom
Schelling absegeln.

Wir brauchten einen Tag und beinahe die ganze folgende Nacht, um uns
durch das Eis zu arbeiten, bis wir mit dem Morgen vor Haarlingen
anlegten. Hier nahmen wir sofort unser kleines Bündel auf den Arm, und
waren im Begriff, längs dem Kai zum nächsten Tore hinauszuziehen, als
wir zufällig an einem Fahrzeuge vorüberschlenderten, welches, wie
mehrere andere, im Eise eingefroren war. Auf demselben stand ein kleiner
alter Mann, der uns anrief und dessen Neugier wir über unsere Umstände,
erst im allgemeinen und dann im besonderen, befriedigen mußten. Wir
taten es, als ehrliche Pommern, in aller Unbefangenheit, und nannten
letztlich auch den Namen »Heindrick Harmanns«, als des Schiffers, mit
dem wir unseren neuerlichen Unfall erlitten und der dabei ein Raub der
empörten Wogen geworden.

Kaum ging der unglückliche Name über meine Lippen, so schlug der alte
Mann die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie, daß es in die Lüfte
klang: »Barmherziger Gott! Mein Sohn, mein Sohn!« Zugleich sank er auf
seine Knie nieder und mit dem Angesichte auf das Verdeck, und jammerte
unablässig: »Mein Sohn! o mein Sohn!« -- Uns schnitt der klägliche
Anblick durchs Herz; wir weinten mit ihm und konnten nicht von der
Stelle. Als wir uns beiderseits ein wenig erholt hatten, drang er in
uns, ihm in seine Kajüte zu folgen. Hier mußten wir ihm den ganzen
Verlauf umständlich erzählen; auch wollte er uns (als ob ihm dies
einigen Trost gäbe) den ganzen Tag nicht von seiner Seite lassen; aber
während er uns Kaffee, Wein und alles, was er nur bei der Seele hatte,
vorsetzte, überwältigte ihn immer von neuem der Gram um sein verlorenes
Kind und preßte auch uns Tränen der Rührung und des Mitleids aus.

Gegen den Abend, wo es uns endlich die höchste Zeit deuchte, unseren
Stab weiter zu setzen, hub er an: »Liebe Jungen, heute könnt und sollt
ihr nicht mehr von dannen. Ich will euch in ein gutes Haus bringen, wo
ihr euch die Nacht über erholen könnt. Aber morgen früh hol' ich euch ab
und gehe eine Strecke Weges mit euch. Ihr seid jung und unerfahren und
braucht Anweisung und guten Rat, wie ihr eure Reise weiter anzustellen
habt. Kommt denn, in Gottes Namen!«

Unser Führer schien in der Herberge, zu welcher er uns geleitete und wo
es von Biergästen wimmelte, gar wohl bekannt. Er erzählte seines Sohnes
und unser Unglück; auch wir mußten erzählen, und so verstrich der Abend,
bis der Wirt, in Ermangelung seiner abwesenden Ehegenossin, uns in ein
recht artiges Zimmer hinaufleuchtete, uns dreien ein großes, mit Betten
hoch ausgestopftes Nachtlager anwies und uns sodann eine freundliche
Ruhe wünschte. Wirklich tat sie uns not und wir krochen wohlgemut und
behaglich unter die Decke zusammen.

Leider aber hatten wir diesmal unsere Rechnung zwar nicht ohne den Wirt,
aber doch ohne die Wirtin gemacht; denn kaum war uns so ein süßes halbes
Stündchen zwischen Schlaf und Wachen verlaufen, so kam es unter Zank und
Gepolter die Treppe heraufgestürmt; unsere Zimmertür ward ungestüm
aufgerissen und eine gellende Stimme gebot uns, sofort das warme Nest zu
räumen und ihr sauberes Bettzeug nicht zu verunreinigen. Da half kein
Widerreden; wir sprangen auf, ließen die Ohren hängen und duckten uns in
einen Winkel zusammen, bis die Betten, die der Dame so fest ans Herz
gewachsen waren, mit einem Strohsack, einer Matratze und einer Art von
Pferdedecke vertauscht worden. Das war ein böser Wechsel, und den
unfreundlich genug ausgestoßenen Wunsch einer guten Nacht, womit uns die
gestrenge Hausfrau verließ, hinderte nicht, daß wir eine sehr böse Nacht
unter Frost, Verdruß und Schlaflosigkeit zubrachten.

Unser ehrlicher Vater Harmanns, der in seiner Kajüte geschlafen hatte
und dem wir am Morgen unser nächtliches Abenteuer mitteilten, nahm sich
den Affront, welcher seinen Schützlingen widerfahren war, mehr zu
Herzen, als wir erwarteten. Trotz unserer Vorstellungen las er der
Wirtin einen derben Text, sagte ihr und ihrem Hause, wo er so viele
Jahre verkehrt hatte, alle Gemeinschaft auf und wollte jede
Christenseele warnen, keinen Fuß über diese unwirtliche Schwelle zu
setzen. Wir hatten genug zu tun, den lieben alten Mann zu
beschwichtigen, der sich's nicht nehmen ließ, uns noch zu guter Letzt
durch ein vollständiges Frühstück satt zu machen, ja auch alle unsere
Taschen mit Brot, Käse, gekochtem Fleisch und was er sonst wußte und
hatte, vollzustopfen.

Das getan, ergriff er seinen Stab und wanderte mit uns zum Tore hinaus,
wie sehr wir ihn auch bitten mochten, umzukehren und seine Kräfte zu
schonen. Vielmehr hörte er nicht auf, uns eifrig wegen unseres besseren
Fortkommens zu beraten, und während dieser Besprechungen verlief ein
Stündchen nach dem anderen, es ward Mittag, und wir befanden uns in
Franecker. Hier zog er mit uns in ein Wirtshaus, ließ auftragen, als ob
wir uns für drei Tage sattessen sollten, und konnte sich endlich nur
schwer entschließen, uns das Valet zu geben. Noch drückte er uns beim
Abschiede zwei holländische Dukaten in die Hände; wir aber schieden mit
Tränen der Dankbarkeit von diesem Ehrenmanne und gelangten abends
wohlbehalten nach Leuwaarden, wo wir übernachteten.

       *       *       *       *       *

Die nächste Tagereise brachte uns spät in der Dunkelheit nach Dockum,
aber es wollte uns nicht gelingen, hier eine Herberge zu finden.
Überall, wo wir anklopften, beleuchtete man uns sorgfältig von allen
Seiten und zog dann die Tür uns vor der Nase ins Schloß mit einem
frostigen: »Geht weiter mit Gott!« -- Es war eine kalte, stürmische
Nacht; wir irrten umher und jammerten, bis wir endlich bei einem
Hinterhause an einen Stall gerieten, wo ein Knecht noch den Dünger
auskehrte. Vergebens klagten wir auch diesem unser Leid und baten ihn,
uns die Nacht in seinen warmen Stall aufzunehmen; er fürchtete, sich
dadurch Scheltworte bei seinem Herrn zu verdienen, und uns blieb zuletzt
nichts übrig, als uns hinter einer Scheune zunächst dem Tore, wo es
etwas Überwind gab, zusammenzukauern und uns recht herzlich satt zu
weinen. Hatten wir eine Weile gesessen, so sprangen wir wieder auf und
rannten auf dem Platze hin und her, um nicht vor Frost zu erstarren. Es
ward uns aber wahrlich je länger je übler zumute.

Das währte so fort, bis nach Mitternacht, wo wir Räder rasseln und ein
Posthorn blasen hörten. Eine Kutsche hielt am Tore, und auch wir kamen
hinter unserer Scheune hervor, um zu sehen, was es gäbe? Bis die
Torflügel und Gatter sich öffneten, standen wir aus Langeweile um den
Wagen her, an welchem der Schlag von innen aufgemacht wurde und von
welchem ein lautes »Wer da?« an uns erging. Wir fanden keine Ursache,
unserer Personen, Drangsale und gegenwärtigen Not ein Hehl zu haben, und
unser unwillkürliches Zähneklappern legte genugsames Zeugnis ein, daß
wir die Wahrheit redeten.

Es fand sich nun, daß ein einzelner Mann im Wagen saß und daß ihm unser
trübseliger Zustand zu Herzen ging. Nachdem er seinem Unwillen durch
einige Verwünschungen gegen die hartherzigen Dockumer Luft gemacht, uns
um unsere Heimat befragt (freilich mochten wohl Pommern und Kolberg
böhmische Dörfer für ihn sein) und endlich noch erfahren hatte, daß
unser Weg zunächst auf Gröningen ginge, so überraschte er uns durch die
willkommene Einladung, zu ihm in die Kutsche zu steigen und ihn bis zu
dem genannten Orte zu begleiten. Es versteht sich wohl, daß wir arme,
erfrorene Schlucker uns das nicht zweimal sagen ließen. Der Wagen rollte
mit uns fort und wir mußten unserm Wohltäter die ganze Nacht hindurch
alle unsere erlebten Schicksale erzählen. Mit Tagesanbruch sahen wir uns
nach Gröningen versetzt und der Mann im Wagen fuhr seines Weges weiter,
doch nicht, ohne uns zuvor mit drei holländischen Gulden beschenkt zu
haben.

Wir sahen ihm mit herzlichem Danke nach, verfolgten aber gleichfalls
unsere Straße zum anderen Tore hinaus, nachdem wir bloß unseren
Brotbedarf erneuert hatten, und erlebten an diesem Tage kein ferneres
Abenteuer, als daß wir an einem Gittertore von einem barschen Kerle
angerufen und uns sechs Stüber Zollgeld abgefordert wurden. Unser
Protestieren, daß wir arme schiffbrüchige Leute seien, die man ja wohl
verschonen werde, half zu nichts; wir wurden in die Stube des Zollhauses
gezerrt und sollten zahlen. Nun wäre die Summe wohl zu erschwingen
gewesen und meine Kameraden winkten mir auch zu, nur in Gottes Namen den
Beutel zu ziehen; allein dieser, samt unserem ganzen kleinen Reichtum,
saß so tief und wohl verwahrt in meinen Beinkleidern, daß ich ein
billiges Bedenken trug, ihn vor diesen Zeugen zum Vorschein zu bringen.
Darüber saßen wir hier wohl eine gute halbe Stunde lang, gleichsam wie
im Arrest, und es ward mit uns um die sechs Stüber kapituliert.

Ganz wie vom Himmel kam uns jedoch ein Erlöser in der Person eines
Postboten, der zu uns eintrat, weil er hier Briefe abzugeben hatte. Er
ließ sich den Handel von beiden Parteien umständlich vortragen und
schlug sich, wie billig, auf unsere Seite, wobei es denn nicht ohne eine
nachdrückliche Gewissensrüge an den unbarmherzigen Zöllner abging.
Dieser aber blieb steif und unbeweglich auf seinem Zoll-Reglement und
seinen sechs Stübern bestehen, bis endlich unser eifriger Sachwalter den
eigenen Beutel zog, jenem das Weggeld hinwarf und nun uns triumphierend
aufforderte, in Gottes Namen unseres Weges zu gehen. Das taten wir denn
auch, ohne es an unserer Bedankung für seine Großmut mangeln zu lassen.

Nun aber gerieten wir in andere Nöte. Meine beiden Begleiter, der
angestrengten Märsche ungewohnt, hatten die Füße voller Blasen und
fanden sich auch anderweitig unbequem, so daß mir's immer schwerer fiel,
sie des Weges vorwärts zu bringen. Ging ich meinen guten Schritt vorweg
und sah dann hinter mich, so war der eine noch immer weiter als der
andere zurückgeblieben. Bat ich sie, sich zu fördern: -- sie wollten
nicht, sie konnten nicht; sie weinten. Es gedieh endlich soweit damit,
daß mein Bruder auf einem Düngerhaufen am Wege sitzen blieb und unter
heißen Tränen beteuerte: jetzt vermöchte er nicht weiter, ich möchte
nur meinen Weg vor mich hingehen; wollte ich ihm von unserem Gelde
nichts zukommen lassen, so möchte es darum sein. Es sei ihm ohnehin so
zu Sinne, als müsse er hier sitzen bleiben und Hungers sterben.

Meine Angst war unaussprechlich. Ich weinte mit ihm um die Wette; ich
tröstete, ich versprach ihm goldene Berge, wenn er nur aufstehen und es
versuchen wollte, mit mir fortzuhumpeln. Nur bis ans nächste Dorf noch
sollte er sich fortschleppen, bevor es Abend würde. Morgen wollten wir
ein Fuhrwerk nehmen und alles sollte besser werden. Unter solchem
kräftigen Zureden nahm ich ihn endlich unter die Arme, hinkte mit ihm
weiter und trug ihn mehr, als er ging, bis wir unser heutiges
abgekürztes Reiseziel erreichten. Ich hielt ihm indes Wort und wir
fuhren von Dorf zu Dorf, bis wir ins Oldenburgische kamen. Hier aber
nahmen wir die halbe Post und erreichten Lübeck; doch griff dies
schnellere und bequemere Fortkommen auch so gewaltig in unsere
Reisekasse, daß uns, wie knapp wir's auch unserem Munde abdarbten und
kaum mehr als das trockene Brot mit einem Wassertrunk genossen, endlich
doch der letzte Groschen aus den Händen zerronnen war.

Was blieb zu tun? Ich wandte mich in Lübeck an einen Kaufmann, Herrn
Sengbusch, der mir, von Kolberg her, dem Namen nach bekannt war, und
ersuchte ihn, uns auf unsere teuergehaltene Taschenuhr zwanzig Taler
vorzustrecken. Hierzu war der gute Mann auch willfährig; wir konnten
nunmehr mit der Post nach Stettin weiterfahren und fanden hier eine
Gelegenheit, die uns vollends nach Kolberg förderte, wo wir in der Mitte
des März mit einem baren Kassenbestande von sieben Groschen sechs
Pfennigen anlangten und von den Unserigen mit einer Freude, als wären
wir vom Tode auferstanden, empfangen wurden.

       *       *       *       *       *

Fünf Tage lang war ich im lieben Vaterhause gewesen und von der Not kaum
wieder ein wenig zur Besinnung gekommen, als schon wieder ein neuer
Unglücksstern über mir aufging. Denn da hieß es: die Unteroffiziere von
unserem Bataillon, welches damals seine Winter-Quartiere in Torgau
hatte, hätten sich bei uns eingefunden, um frische Rekruten in diesem
ihrem Kanton auszuheben. Eine Schreckenszeitung für alle Eltern jener
Zeit, sowie für alles junge Volk, das eine Flinte schleppen konnte und
nicht mochte!

Diese entschiedene Abneigung des Bürgers gegen den Soldatenstand hatte
aber auch ihre genugsame Rechtfertigung in der heillosen und
unmenschlichen Art, womit die jungen Leute beim Exerzieren, zumal von
den dazu angestellten Unteroffizieren, behandelt wurden. Unter den
Fenstern ihrer Eltern selbst, auf öffentlichem Markte, wurden sie von
diesen rohen Menschen bei solchen Einübungen mit Schieben, Stoßen und
Prügeln aufs grausamste mißhandelt, -- oft nur, um sie die Autorität
fühlen zu lassen, oft aber auch wohl in der eigennützigen Absicht, von
den Angehörigen Geschenke zu erpressen. Es war ein kläglicher Anblick,
wenn die Mütter bei solchen Auftritten in Haufen daneben standen,
weinten, schrien, baten und von den Barbaren rauh abgeführt wurden.
Klagen bei den Obern fanden nicht statt oder wurden verspottet, denn
diese dachten wie ihre Untergebenen und sahen mit kalter Geringschätzung
auf alles herab, was nicht den blauen Rock ihres Königs trug.

Wenn nun schon unsere Bürgersöhne sich damals so ungern unter die
militärische Fuchtel beugten, so wird es um so begreiflicher, daß die
jungen Seefahrer unter ihnen diesen Abscheu in noch verstärktem Maße
empfanden, je früher sie bereits auswärts die goldene Freiheit gekostet
hatten und je weniger ihre Hantierung mit dem gezwungenen
Soldatendienste übereinstimmte. Wer es also irgend vermochte, entzog
sich dieser Sklaverei lieber durch die Flucht ins Ausland und ging
dadurch dem Staate gewöhnlich für immer verloren. Aber auch der
Handelsstand hat es stets schmerzlich empfunden, der sich nun für die
Schiffahrt oft mit den untauglichsten Leuten behelfen mußte.

Hätte ich selbst nicht auch jenen Widerwillen gegen ein so gebundenes
Leben so lebhaft gefühlt, als irgendeiner unter meinen Seekameraden, so
durfte ich mich doch schon um meiner kleinen Statur willen nicht
tauglich zu einem regelrechten Soldaten halten und darum stand mir's
auch nie zu Sinn, meinem großen Friedrich, so sehr ich ihn auch
verehrte, in Reihe und Glied und mit dem Schießprügel auf der Schulter
zu dienen. Denke man sich also meinen Schrecken, als ein gutmeinender
Freund unter dem angekommenen Werberkorps (er hieß Lemcke) meinem Vater
insgeheim vertraute: sämtliche junge Burschen in der Stadt, von vierzehn
Jahren und darüber, wären bereits notiert, und um elf Uhr würden die
Tore geschlossen, die brauchbarsten darunter aufgegriffen und gleich mit
dem nächsten Morgen nach Sachsen auf den Transport gegeben werden.

Jetzt war es neun Uhr morgens. Hier galt es demnach kein Säumen; ich
sollte vorerst nach der Münde flüchten und mich dort verbergen. Nur zu
bald kam auch dorthin das Geschrei, daß alle Vorhersagungen meines
Warners pünktlich eingetroffen und das Ordonnanzhaus bereits voll von
neuen Rekruten stecke. Mein Vater ließ mir durch eine vertraute Frau
sagen, daß auch bei ihm genaue Haussuchung nach mir geschehen sei. Ich
möchte mich daher ungesäumt aufmachen und, zwei Meilen weiter am Strande
entlang, im Dorfe Bornhagen bei einem mir namhaft gemachten Bauern, dem
zu trauen sei, eine einstweilige Zuflucht suchen. Doch dieser gute Rat
kam leider zu spät; mein Aufenthalt war schon verraten!

Gleich am Nachmittage zeigten sich jene Werber überall auf der Münde und
umringten das Haus, worin ich steckte, von allen Seiten. Ich gewann nur
Zeit, mich auf den stockfinstern Boden zu flüchten, wo ich in der Angst
ein großes Fischernetz, das an den Sparren umherhing, über mir
zusammenzog, so daß ich meist darunter verdeckt lag. Kaum war dies
geschehen, so rührte sich auch etwas auf der Leiter, die unter das Dach
hinaufführte. Es war der Unteroffizier Schnell, der nun sein
Seitengewehr zog und mit der Spitze desselben in allen Winkeln blind
umhertastete. So ging er rund um mich und mein aufgetürmtes Netz umher,
ohne mich darunter zu vermuten, obwohl es mir nicht ganz den Kopf
verdeckte und mir dadurch Gelegenheit gab, seine Bewegungen einigermaßen
zu beobachten. Ich darf aber wohl sagen, daß mir dabei gar unheimlich
zumute war. Indes fand er mich nicht, und auch unten im Hause ward ich
standhaft verleugnet.

Nun war hier aber auch meines Bleibens nicht länger. Kaum graute der
Abend, so machte ich mich in Gottes Namen zu meinem Bauern auf den Weg,
nachdem man mir einen tüchtigen Schiffshauer zu meiner Sicherheit
mitgegeben -- weniger vor meinen Verfolgern, als um mich im Stadtholze,
welches ich passieren mußte, der Wölfe zu erwehren, die damals an
Menschen und Vieh viel Unglück anrichteten. Wirklich war es auch ein
wahres Wolfswetter mit Sturm und Schneegestöber, und Gott weiß, wie
blutsauer mir dieser Weg geworden; denn unzählige Male brach das Eis
unter mir ein, oder ich versank im Schnee, daß ich vollauf zu tun hatte,
um nur allemal wieder auf die Beine zu kommen. Endlich am Morgen
erreichte ich meine Freistatt und hielt mich dort zehn oder zwölf Tage
verborgen. Aber diese dünkten mir bald wie eine halbe Ewigkeit,
ebensowohl wegen des ganz ungewohnten Festsitzens, als wegen der
ermangelnden Nachrichten von Hause; bis mich's nicht länger ruhen ließ
und ich mich eines Abends wieder aufmachte, um in meinem alten Quartier
auf der Münde nachzufragen, ob ich mich wohl mit einiger Sicherheit
wieder zeigen dürfte.

Hier lauteten indes die Nachrichten so wenig tröstlich, daß mir nur die
sorgfältigste Verbergung übrig blieb. Doch wollte ich nicht gerne von
der Münde weichen, weil nächstens die Schiffahrt wieder aufgehen konnte
und ich dann hier bei der Hand war, um mit irgendeinem absegelnden
Schiffe zu entkommen. Mit einem ähnlichen Plane trugen sich noch mehrere
meiner jungen Kameraden; allein eben darum waren wir auch um so gewisser
bereits nach einigen Tagen verraten und eine neue Nachjagd ward auf uns
begonnen. Mitten in der Nacht erweckte mich ein leises Klopfen an den
Fensterladen des Kämmerchens, wo ich schlief, und die bekannte Stimme
einer getreuen Frauensperson rief mir zu: »Joachim, auf! auf aus den
Federn! die Soldaten sind wieder auf der Münde! Den, und den, und den
(die sie mir bei Namen nannte) haben sie schon beim Flügel gekriegt.
Mach', daß du davonkommst!«

Man glaubt mir's wohl, daß ich flugs und mit gleichen Füßen aus dem
Bette sprang. In der Bestürzung griff ich nach den ersten besten
Kleidern, die auf den Stühlen umherlagen und die ich für die meinigen
hielt. So stahl ich mich alsobald und im Hemde auf die Straße hinaus,
schüttelte meinen Fund auseinander, um mir davon etwas über den Leib zu
werfen, und bemerkte nun erst mit Schrecken, daß mir nichts als
Frauenkleider in die Hände gefallen waren. Was blieb zu tun? Ich warf
mir einen roten Friesrock über die Schultern und war im Begriff, mich
mit dem Reste noch besser auszustaffieren, als ich in meinem Anputzen
häßlich gestört wurde.

Es waren die Herren Soldaten, die kaum zehn Schritte von mir um eine
Ecke bogen. Ich suchte mein Heil in der Flucht: aber eben dadurch
verriet ich mich und hatte alsobald meinen alten Widersacher Schnell
nebst noch ein paar andern auf der Ferse hinter mir. Mein Lauf ging
geradeswegs nach einem im Hafen liegenden Schiffe zu, an dessen Bord sie
mir nicht so hurtig nachfolgen konnten. Zu meinem Glücke lag an der
anderen Seite des Schiffs ein Boot befestigt. Ich sprang hinein, fand
sogar ein Ruder darin vor, löste das Tau, stieß ab und ließ jenen in
eben dem Augenblicke das Nachsehen, als auch sie endlich das Verdeck
erreicht hatten.

Jenseits, in der Maikühle, ging ich an Land und überlegte nun etwas
ruhiger, was weiter zu tun sei. Ich befand mich so gut als nackend in
einer bitterlich kalten Märznacht und mußte vor allen Dingen meine Blöße
zu decken suchen. Also wanderte ich getrost zu der nächstgelegenen
Holzwärterei Grünhausen, klopfte den Bewohner (er hieß Krössin) hervor,
gab mich zu erkennen und bat um Aufnahme. Seine abschlägige Antwort
durfte mich nicht befremden, da es derzeiten hart verboten war,
Flüchtlinge meiner Art zu hegen, die vielmehr sofort angehalten und
ausgeliefert werden sollten. Ich beschränkte demnach meine Bitten auf
irgendeine Kopfbedeckung und ein Paar Strümpfe. Der ehrliche Kerl
reichte mir seine Schlafmütze vom Kopfe und ein Paar hölzerne Pantoffeln
von seinen Füßen und fügte den Rat hinzu, mich eiligst zu entfernen,
weil es auch bei ihm nichts weniger als sicher sei, da er gleichfalls
einen Sohn im Hause habe, dem, obwohl er krank und elend sei, von den
Soldaten nachgetrachtet werde.

So aufs abenteuerlichste ausstaffiert, begab ich mich nach der Maikühle
zurück, um eine anderweitige Zuflucht aufzusuchen. Es stand dort, wie
ich wußte, ein alter Schiffsrumpf hoch auf dem Strande, der im Sommer
als ein Bierschank benutzt zu werden pflegte. An diesem kletterte ich
hinan, stieg oben durch das Rauchfangloch und duckte mich da vor der
Kälte in einen Winkel zusammen. Darüber ging endlich die langweilige
Nacht zu Ende. Mit dem ersten Dämmerungsstrahle glosterte ich von meiner
Hochwarte herab überall umher; und da nach der Münde hinaus alles ruhig
schien, so wagte ich mich hervor, suchte mein verlassenes Boot wieder
auf und ruderte mich leise zu einem Schiffe heran, das nach Königsberg
gehörte und von Schiffer Heinrich Geertz geführt wurde. Dieser gute Mann
nahm mich willig auf und hielt mich länger als vierzehn Tage bei sich
verborgen.

Dennoch konnte hier meines Bleibens nicht ewig sein. Es war mir daher
eine erwünschte Zeitung, daß ein Kolberger Schiffer namens Martin
Albrecht, der dicht neben uns vor Anker lag, am nächsten Morgen mit
Ballast nach Danzig auszugehen gedenke. Zu diesem Schiffe führte mich um
Mitternacht mein Freund Geertz in aller Stille. Meine ganze
Reiseausrüstung bestand in einem Bündelchen mit Hemden und anderen
kleinen Notwendigkeiten, welches meine Mutter mir unter der Hand
zugeschickt hatte. Sobald ich an Bord hinübergestiegen war, dankte ich
meinem freundlichen Beschützer zum Abschied mit einem warmen Händedruck,
bat ihn, meinen besorgten Eltern meinen Gruß und Lebewohl zu bringen und
ließ nunmehr meinen guten oder bösen Stern weiter walten.

Auf dem Schiffe war alles stille. Niemand hatte mich wahrgenommen. Ich
öffnete die vordere Kabelgats-Luke, rutschte hinunter, machte die Luke
hinter mir zu und suchte mir auf den Tauen und Segeln, die hier verwahrt
lagen, ein Ruheplätzchen. Bald aber überlegte ich, daß dieses Versteck
mit Tagesanbruch auch sofort von Menschen wimmeln würde, die zu der
vorhabenden Abfahrt Segel und anderes Zubehör daraus hervorlangten, wo
es denn garstig für mich ablaufen könnte. Ich versuchte es also, mich
durch tausend Gegenstände, die sich mir hindernd in den Weg stellten,
tiefer in den Raum hinabzuminieren. Es glückte mir endlich damit: aber
zu gleicher Zeit hörte ich hinter dem Ballast etwas rascheln und
flüstern, das mir unheimlich vorkam. Gleichwohl kroch ich noch weiter
heran und unterschied bald menschliche Stimmen, die mir, je länger ich
sie behorchte, um so bekannter vorkamen. Kurz es gab hier eine ganz
unvermutete Erkennungsszene zwischen mir und elf andern jungen
Seekameraden, welche gleiche Not und gleiche Hoffnung hierher
zusammengebracht hatte.

Für den Augenblick hielten wir uns zwar geborgen: aber unter Furcht und
Zagen hatten wir nun zu erwarten, ob das Schiff vor seiner Abfahrt nicht
nach uns Flüchtlingen visitiert werden dürfte? Inzwischen brach der Tag
an und am Borde ward es über unseren Köpfen lebendig. Wir unterschieden
deutlich, wie man Anstalten machte, in See zu gehen; ja, ein wenig
später spürten wir, mit steigender Freude, das Schiff in Bewegung, dann
das Anschlagen der Brandung an die Seitenborde und endlich auch den
Abgang des Lotsen, der uns zum Hafen hinausbegleitet hatte. Da auch der
Wind gut sein mußte, so glaubten wir, nach Verlauf von noch einer
Stunde, weit genug von Kolberg, das uns ein Schreckensort geworden,
entfernt zu sein, um uns wieder ans Tageslicht hervorwagen zu dürfen.
Wir setzten also die Leiter an, schoben die große Luke auf und traten
wohlgemut auf das Verdeck hervor.

Das Erstaunen des Schiffers über unseren unerwarteten Anblick kannte
keine Grenzen; aber auch von seinem Volke mußten selbst die, welche
vielleicht um das Geheimnis wußten, sich billig verwundern, daß wir uns,
ihnen unter den Händen, in unserer Anzahl verdoppelt hatten. Eines
besonders freundlichen Empfangs hatten wir uns indes nicht zu rühmen.
Der Kapitän, der nur seine schwere Verantwortlichkeit erwog, tobte wie
besessen. »Könnt' ich nur gegen den Wind ankommen!« rief er, »ich
brächt' euch alle auf der Stelle nach Kolberg zurück und machte rein
Schiff. Aber ich weiß darum wohl, wohin ich euch abzuliefern habe.«
-- Zugleich verbot er seinen Leuten aufs strengste, sich um uns zu
kümmern und uns weder Essen noch Trinken zu reichen.

Zwar ward es mit diesem Befehle nicht so gar genau genommen und unsere
Freunde steckten uns immerfort etwas von ihren Mundportionen zu; allein
da wir volle acht Tage in See blieben, so litten wir gleichwohl
grausamen Hunger und Durst und waren darum von Herzen froh, als endlich
die Anker im Danziger Fahrwasser fielen. Hier deutete der Schiffer
seiner Mannschaft in unserer Gegenwart (und also auch wohl nicht ohne
geheime Absicht) an: »Er gehe in diesem nämlichen Augenblicke an Land
und nach Danzig zum preußischen Residenten, um ihm uns Deserteure
anzumelden und uns in seine Hände zu überliefern. Bis dahin sollten sie
uns an Bord festhalten und mit Leib und Leben für uns einstehen.«
Vergeblich wandten sie ihm ein: »Die Partei sei gar zu ungleich, da
ihrer nur fünf Mann, wir aber zwölf Köpfe stark wären.« -- »Was
kümmert's mich?« war seine Antwort, »und wenn es auch Mord und Totschlag
gibt, so laßt sie nicht laufen!«

Das hieß nun wohl deutlich genug: Immerhin, laßt sie laufen! -- Kaum
hatte er auch nur den Rücken gewandt, so machten wir uns zum Abzuge
fertig. Zum Schein gab es zwischen uns und dem Schiffsvolk ein
unbedeutendes und unblutiges Handgemenge, worauf wir unseres Wegs
gingen, uns sofort über die Weichsel setzen ließen und längs dem
Seestrande die Richtung nach Königsberg einschlugen. So mochten wir ein
paar Stunden wacker zugeschritten sein, als wir den Weg zu beschwerlich
fanden und darum gern auf den Vorschlag einiger Gefährten hörten, die
ihn früher schon mehrmals gemacht hatten und das Fortkommen an der
anderen Seite der Nehrung, längs dem frischen Haff, als angenehmer und
gemächlicher priesen. Sogleich schlugen wir uns nach dieser Seite
hinüber und entgingen dadurch, ohne es zu ahnen, einer Gefahr, die das
bisherige Spiegelfechten leicht in bitteren Ernst verwandelt haben
würde.

Denn seinerseits hatte der Kapitän in Danzig nicht umhin gekonnt, seine
Pflicht zu tun. Wir waren gesucht, vermißt und auf fernere Anzeige bei
der Ortsobrigkeit sofort verfolgt worden. Ein Kommando von einigen
Danziger Stadtdragonern setzte uns längs dem Seestrande nach und würde
uns gar bald eingeholt haben, wenn wir uns nicht bereits landeinwärts
gelenkt hätten. So verfehlten sie uns und kehrten unverrichteter Dinge
nach Danzig zurück, während wir ohne weitere Anfechtung Königsberg
erreichten und, vor weiterer Entdeckung sicher, uns im Gewühl dieses
lebendigen Handelsplatzes verloren.

       *       *       *       *       *

Es traf sich sehr gelegen, daß es hier, bei eben wieder eröffneter
Schiffahrt, Mangel an unterrichteten Seeleuten gab, die als Steuerleute
gebraucht werden konnten. Daher währte es kaum zwei oder drei Tage, bis
wir uns samt und sonders, und meist in jener Eigenschaft, mit Vorteil
angebracht hatten. Ich selbst fand einen Platz als Steuermann auf einer
kleinen Jacht von fünfzig Lasten und fünf Mann Equipage. Mein Schiffer
hieß Berend Jantzen und war mit einer Ladung Hanf nach Irwin in
West-Schottland bestimmt; sollte aber, um die französischen Kaper zu
vermeiden, oben herum durch die Nordsee und die Orkaden steuern.

Wir gingen unter Segel; aber schon im Sunde erlebten wir das Unglück,
daß das eiserne Band eines Wasserfasses beim Zerspringen dem Schiffer
von hinten gegen die Wade schlug und dadurch das Bein so heftig gegen
eine scharfe Holzecke schleuderte, daß wir ihn in die Kajüte tragen
mußten und er an dem Schaden mehrere Monate lang das Bett zu hüten
hatte. Da nun er so wenig als einer unserer Matrosen, an welchem sich
bald ein venerisches Übel offenbarte, auf dem Deck ausdauern konnte,
unser Schiffsjunge aber (eigentlich ein verdorbener Tischlergeselle) bei
dem geringsten Sturmwetter mit Seekrankheit zu tun hatte; so beruhte
nunmehr die Führung des Schiffes einzig auf mir und einem Matrosen; und
ich darf wohl gestehen, daß mir bei der Sache nicht gar zu wohl zumute
wurde.

In der Tat gehört auch die Schiffahrt in diesen Gewässern, zwischen
Schottland und der Insel Lewis und den übrigen zahlreichen Hebriden hin,
zu den gefährlichsten, die es geben kann; nicht nur des engen
Fahrwassers zwischen den Inseln und der vielen Klippen wegen, sondern
hauptsächlich weil hier so starke Strömungen gehen, daß es oft überall
brandend aufschäumt und nicht anders aussieht, als ob alles rings umher
dicht mit blinden Klippen besät wäre. Noch unglücklicher aber ist es,
daß die holländischen Seekarten, deren wir uns damals allein bedienen
konnten, hier durchaus unzuverlässig sind und jeden Augenblick
irreführen. Das begegnete denn auch mir, und so darf man sich denn nicht
wundern, daß ich hier endlich gar nicht mehr aus oder ein wußte.

In dieser Bedrängnis kam uns ein englisches Schiff zu Gesicht, welches
zwischen zwei hohen Landspitzen hervorsegelte und von welchem ich
richtigeren Bescheid zu erlangen hoffte. In dieser Absicht richtete ich
die Segel nach jener Seite hin, indem ich zugleich die preußische Flagge
aufsteckte, welche bekanntlich weiß ist und in der Mitte den schwarzen
Adler führt. Aber auch die französische Flagge ist von weißer Farbe; und
da sich bei dem mäßigen Winde die meinige zu wenig entfaltete, um den
Adler anstatt der Lilien erblicken zu lassen, so ward ich von dem
Engländer für einen französischen Kaper angesehen, und er setzte bei dem
stillen Wetter so viel Segel auf, als sein Schiff nur tragen konnte, um
mir zu entgehen. Ich tat desgleichen, um Jagd auf ihn zu machen; und so
machten wir uns beiderseits Not und Mühe, bis zuletzt nachmittags der
Wind völlig erstarb, als ich nur noch eine kleine Viertelmeile von dem
Flüchtling entfernt war.

Meinen Zweck verfolgend setzte ich nunmehr mit Hilfe meines Matrosen und
des Jungen die Jolle aus und ließ mich von ihnen an den jenseitigen Bord
hinüberrudern. Als Vorwand meines Besuches sollte mir ein mitgenommenes
leeres Wasserfaß und die kleine Notlüge dienen, daß uns unser
Trinkwasser ausgegangen. Wir kamen dem Schiffe auch glücklich zur Seite,
wo wir mit Verwunderung alles zum Gefechte in Bereitschaft fanden,
während sie selbst, beim nähern Anblick von uns drei Köpfen, über ihre
ausgestandene Furcht lachen mußten.

Meine Bitte um frisches Wasser schien unverdächtig und fand willigen
Eingang. Unter der Zeit aber, daß es gezapft und in mein Faß übergefüllt
wurde, nahm ich die Gelegenheit wahr, ganz unbefangen nach dem Namen
dieses und jenes Landes, das uns eben im Gesichte lag, zu fragen. So
erfuhr ich, daß dort hinaus Kap Cantrie, hierwärts aber die Insel
Lamlach gelegen sei. Ich war nun zu meiner großen Beruhigung wieder
orientiert, ohne mir die arge Blöße gegeben zu haben, meine Unwissenheit
einzugestehen.

Irwin, unser Bestimmungsort, liegt im Grunde einer tiefen runden Bucht,
in welche, als wir ihre Höhe erreichten, ein Sturm aus Nordwest gerade
hineinblies. Da sie mir durchaus unbekannt war, bekanntlich aber
schlechten Ankergrund hat, so wäre es verwegen gewesen, mich bei diesem
Winde und Wetter in sie hineinzuwagen. Ich steuerte also gegen die Insel
Arron, um dort vielleicht eines Lotsen habhaft zu werden; allein
vergebens kreuzte ich zwei Tage umher. Meine weiße Flagge spielte mir
abermals den Streich, daß alles auf der See vor mir floh und vom Lande
niemand sich zu mir heranwagte, weil ich für einen Franzosen gehalten
wurde. Zuletzt näherte ich mich dem Strome von Port-Glasgow, und hier
gelang es mir dann, einen Lotsen zu finden, der mich nach Irwin brachte.

Ich berührte nur kurz, daß wir, nachdem auch unser Schiffer wieder auf
die Beine gekommen, von hier mit Ballast und unter neutraler Flagge nach
der Insel Noirmoutiers an der westlichen Küste von Frankreich gingen, wo
wir eine Ladung Seesalz einnahmen und uns dann nach Königsberg auf den
Heimweg machten. Leider konnten wir's im Kanal in der Nähe von Dover
nicht vermeiden, nach und nach mit sieben englischen Kapern
zusammenzugeraten. Alle diese Schnapphähne -- Kerle mit wahren
Galgenphysiognomien -- stiegen zu uns an Bord und wußten in allem, was
ihnen anstand (und ihnen stand fast alles an!) reinen Tisch zu machen:
Kessel und Pfannen, Tauwerk und losgebundene Segel, Seekarten und Kompaß
mußten mit ihnen wandern. Was der eine uns ließ, daß nahm der andere.
Ja, endlich zogen sie uns sogar die Kleider vom Leibe.

Wir hatten eben Dover gegenüber beilegen müssen, als mir, bei dem
letzten unerwünschten Zuspruche solcher Art, einer von diesen
Taugenichtsen, zudringlicher als die übrigen alle, die langen
Schifferhosen von den Beinen streifte. Das hätte ich verschmerzen mögen;
aber bei der Gelegenheit fiel ihm auch ein Notpfennig von etwa 13 Rubeln
in die Augen, die ich ins Hemd eingenäht hatte und hier für sicher genug
hielt. Kaum aber erreichte der süße Ton des Silbergeklappers sein Ohr,
so griff er gierig zu, hieb mit seinem Hauer mir den Hemdzipfel vom
Leibe, zählte seine Beute über und trieb die britische Großmut so weit,
mir davon einen Rubel zurückzugeben. Dabei verbot er mir, diesen dem
Schiffer zurückzustellen, welchem, seiner Meinung nach, der ganze Fund
wohl eigentlich gehören möchte.

Ich war aber über diese Behandlung dermaßen erbittert, daß ich
augenblicklich das Ruder aufholte, die Segel abbraßte und, da der Wind
südlich war, nach dem Lande zuhielt. »Was soll das bedeuten? Wo hinaus?«
fragten die Kerle, die mir auf dem Verdeck am nächsten standen. -- »Wo
hinaus?« antwortete ich, von der inneren Wut übermeistert, »geradeswegs
nach Dover, wo ihr Schelmgezüchte noch heute am lichten Galgen baumeln
sollt!« -- Flugs kam auf diese Drohung das ganze Pack aus Kajüte, Roof,
Kabelgat und Raum, wohin sie sich zum Rauben verteilt hatten, im dichten
Kreise um mich her zusammen. So viel Hände, so viel Pistolen wurden mir
auch an den Kopf oder Hauer auf die Brust gesetzt; doch schoß oder stach
niemand. Dagegen rissen sie mich bei den Haaren aufs Deck nieder, einige
hielten mich an Kopf und Füßen fest, andere schlugen mit den flachen
Klingen auf mich drein, daß mir schier Hören und Sehen verging. Endlich
wollten doch die Barmherzigsten meine weitere Mißhandlung nicht
gestatten; doch ging es nicht ohne einige Fußtritte ab, und einer, der
mir nun noch die Stiefeln von den Füßen zog, schlug mir sie zum
Beschlusse um die Ohren, zog sie selbst auf der Stelle an und machte
sich darauf mit seinen feinen Gesellen, zusammen dreizehn an der Zahl,
an Bord ihres Kaperschiffes zurück.

Mein Zustand war so jämmerlich, daß unser Schiffsvolk mich für halb tot
in meine Koje trug. Nicht genug aber, daß ich, der ich mich kaum regen
konnte, der Regierung des Schiffes abging, sondern nun entstand auch in
der nächsten Nacht ein Sturm, gegen den die übrigen sich zu schwach
fühlten, die Segel einzunehmen. Dies hatte die Folge, daß bald auch der
große Mast brach und mit seiner ganzen Takelage über Bord ging. Nun
trieben wir, als ein Wrack, in der See, und hätten wahrscheinlich
unseren Untergang gefunden, wenn nicht tags darauf eine holländische
Fischer-Schuyt in unsere Nähe gekommen und bereitwillig gewesen wäre,
unser Schiff nach dem Texel und von dort nach Medemblyk zu schleppen, wo
sich die bequemste Gelegenheit fand, es wieder zu vermasten und in
segelfertigen Stand zu setzen.

       *       *       *       *       *

Als es zugerüstet war, fühlte ich mich noch zu krank und elend, um
wieder mit an Bord zu gehen. Ich mußte also in Medemblyk zurückbleiben
und begab mich dort zu einem Kompaßmacher, dem ich seine Kunst gründlich
ablernte, und diese ist mir in der Folge von großem Nutzen gewesen.
Zugleich schrieb ich in meine Heimat und erhielt auch bald eine
Aufforderung von meinem Vater, ungesäumt nach Kolberg zurückzukommen.
Die Gefahr, zum Soldaten ausgehoben zu werden, sei jetzt nicht zu
fürchten, da er als Bürgeradjutant sich den Festungskommandanten
v. Heyden besonders geneigt wisse und daß es mehr als eine Weise gebe, dem
Vaterlande rechtschaffen zu dienen. Überdem sei es sehr wahrscheinlich,
daß der Festung binnen kurzem eine Belagerung von den Russen
bevorstände. Es sei also das beste, daß ich nach Hause käme, um mit
meinen Eltern zu leben und zu sterben. Schlüge ich jedoch diese
Ermahnung in den Wind, so möchte ich auch fernerhin nimmer wagen, mich
seinen Sohn zu nennen. Kurz, neben dem glühenden Patriotismus, der sein
Herz beseelte, schimmerte immerdar noch die Besorgnis hindurch, daß ich
meiner alten Begierde nach Abenteuern hier in Holland abermals den Zügel
schießen lassen und mit leichtem Sinn in die weite Welt gehen möchte.

Was blieb mir unter diesen Umständen anders zu tun, als mich
unverzüglich auf das Schiff eines Landsmannes zu setzen, der zu
Amsterdam lag und unter Danziger Flagge fuhr, und es so einzurichten,
daß ich auf der Kolberger Reede, im Vorüberfahren, von ihm an Land
geschickt wurde. Drei oder vier Wochen darauf begann die erste, von dem
russischen General Palmbach geleitete Belagerung meiner Vaterstadt. Nun
ist es bekannt, daß schon von alten Zeiten her die Einwohner von Kolberg
durch ihren Bürgereid verpflichtet sind, zur Verteidigung der Festung
Leib und Leben, Gut und Blut daranzusetzen. Sie blieben also auch bei
dieser Gelegenheit, als brave Preußen, nicht hinter ihrer Schuldigkeit
zurück. Meines Vaters Posten insonderheit forderte, daß er in dieser
Zeit stets um die Person des Kommandanten sein mußte; und wo er war, da
war auch ich, um ihm, als ein flinker und rühriger junger Mensch, zur
Hand zu gehen. Der alte wackere Heyden sah meinen guten Willen; und das
gewann mir sein Wohlgefallen in dem Maße, daß ich beständig in seiner
Nähe sein und bleiben mußte. Ich konnte solchergestalt für seinen
zweiten Bürger-Adjutanten gelten und wurde oftermalen auf den Wällen von
ihm gebraucht, seine Befehle nach entfernten Posten zu überbringen. In
der Tat war dies eine gute Vorschule für mich, um zu lernen, was unter
solchen Umständen zum Festungsdienste gehört; und die Lektion ist mir
noch im späten Alter trefflich zugute gekommen!

Man weiß, daß diese Belagerung, obgleich ernstlich genug gemeint und mit
überlegener Kraft begonnen, dennoch durch die Entschlossenheit unseres
Anführers und seine geschickten Gegenanstalten fruchtlos blieb und daß
die Russen, nachdem sie eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten,
nach einigen Wochen wieder abziehen mußten. Sobald aber auch nur der
Platz wieder frei geworden, war dort meines Bleibens nicht länger. Ich
machte eine Fahrt nach Amsterdam, von der ich hier nichts Besonderes
anzuführen habe, und traf hier wieder mit meinem alten wertgehaltenen
Kapitän Joachim Blank zusammen, den ich vor drei Jahren ungern
verlassen hatte. Er hatte gerade eine neue Reise nach Surinam vor, wo es
denn keines langen Zuredens bei mir bedurfte, um auf seinem Schiffe
meine alte Stelle als Steuermann anzunehmen.

       *       *       *       *       *

Es war gegen Ende Dezember 1758, als wir, mit einer großen Flotte von
Kauffahrern und unter Bedeckung von drei holländischen Kriegsschiffen
aus dem Texel mit einem tüchtigen Sturm aus Nordosten in See gingen.
Allein es gibt so mancherlei Verzug und Beschwerde, sich -- zumal bei
den langen Winternächten -- im Gedränge einer solchen zahlreichen Konvoi
zu befinden, daß wir uns die erste beste finstere Nacht zunutze machten,
uns heimlich von unserer lästigen Begleitung abzudrücken und unser Heil
in uns selbst zu suchen. Der anhaltende günstige Wind ließ uns auch bald
einen weiten Vorsprung gewinnen; so daß wir binnen kurzem die östlichen
Passatwinde erreichten und die gesamte Fahrt vom Texel bis in den Fluß
von Surinam, -- eine Strecke von zweitausend Meilen -- in der
ungewöhnlich kurzen Zeit von zwanzig Tagen zurücklegten.

Meine Beschäftigungen an diesem unserem Bestimmungsorte waren die
nämlichen, die ich schon früher angeführt habe. Ich befuhr beide Ströme
in der Kolonie, versah die Plantagen mit den bedürftigen Artikeln
unserer Ladung, und brachte von dort eine neue Rückfahrt an Zucker und
Kaffee zusammen. Dies setzte mich nun mit einer Menge Plantagendirekteurs
in Verbindung, die großenteils meine näheren oder entfernteren Landsleute
waren und mir sämtlich viele Liebe und Güte erwiesen. Ihrer unbegrenzten
Gastfreundlichkeit danke ich die vergnügtesten Tage meines Lebens, die
unstreitig in diesen achtmonatigen Aufenthalt in dieser Kolonie fielen.

Auf unserer Heimfahrt nach Amsterdam hatten wir einen der vermögendsten
Plantagenbesitzer an Bord, den die Sehnsucht nach dem vaterländischen
Himmel zurück nach Europa trieb. Er hieß _Polack_, war ein geborener
Wiener und in seiner Jugend als gemeiner Soldat nach Surinam geraten.
Glück und Tätigkeit hoben ihn hier allmählich zu einer glänzenden Lage
empor. Eine der größten Kaffeeplantagen, genannt »der Maas-Strom« und am
Kommendewyne gelegen, war sein Eigentum, das er unlängst seinem aus
Europa zu sich berufenen Schwestersohne zum Geschenk übergeben hatte.
Nie sah ich einen rührenderen Anblick, als wie ich ihn von dort in
unserer Schaluppe an Bord abholte. Alle Sklaven der Pflanzung,
vierhundert Männer, Weiber und Kinder an der Zahl, hatten sich
versammelt, um ihrem alten gütigen Herrn das Lebewohl zu sagen. Sie
fielen rings um ihn nieder, weinten, umfaßten seine Füße und Hände und
umklammerten seinen Leib, als wollten und könnten sie ihn nimmer von
sich lassen.

Sobald wir unter Segel gegangen waren, ersuchte uns Herr Polack, dem
Schiffsvolke bekannt zu machen, daß er demjenigen, der ihm zuerst
ansagen könne: er sehe europäische Erde -- ein Geschenk von fünfzig
Dukaten zugedacht habe. Diese Nachricht verbreitete unter allen eine
gespannte Aufmerksamkeit; und der Wetteifer, eine so leicht zu
verdienende Belohnung vor den übrigen davonzutragen, wuchs mit jedem
Tage, der uns unserm heimatlichen Erdteile näher brachte. Selbst als
wir, in der achten Woche unserer Fahrt, unserer Schiffsrechnung nach,
dieses Ziel erreicht zu haben glauben durften, blieb dennoch eine
Ungewißheit von einem Dutzend Meilen übrig, da, wie bekannt, in jenen
Zeiten die genaue Bestimmung der zurückgelegten Längengrade mehr auf
einer mutmaßlichen Schätzung, als auf astronomischen Berechnungen oder
der Sicherheit der Seeuhren beruhte.

Jetzt wimmelte es schon seit einigen Tagen auf unsern Masten und Stangen
von Menschen, die mit angestrengten Blicken nach Europa ausschauten.
Eines Nachmittags, als ich meine Wache beendigt hatte und ehe ich mich
in meine Koje verfügte, stieg ich nach oben, um mich nach allen Seiten
umzusehen; wie dies denn nicht bloß damals, sondern zu allen Zeiten,
meine unverbrüchliche Weise war. Mein erster Blick nach dem östlichen
Horizont zeigte mir etwas, das beinahe wie eine entfernte Küste am Rande
aufblickte. Dennoch stieg mir einiger Zweifel auf, ob nicht eine ähnlich
gestaltete Wolke, oder eine Nebelbank, mich täuschte. Allein je länger
und sorgfältiger ich mir die Erscheinung überlegte, desto
zuversichtlicher ward meine Überzeugung, daß ich recht gesehen. Um mich
her und hoch über mir saßen Matrosen, denen gleichwohl von meiner
Entdeckung noch kein Schatten ahnte.

Auch ich schwieg still, begab mich aufs Verdeck hinunter und flüsterte
unserem Ober-Steuermann ins Ohr: »Gelt Freund, ich sehe die englische
Küste! Ich steige jetzt wieder nach oben; und wenn ich dann den Arm
gerade nach dem Lande hin ausstrecke, so macht danach hier unten mit dem
Kompaß die Peilung.« -- Unbefangen nahm ich meinen alten Sitz im
Mastkorbe wieder ein; überzeugte mich dann zuvor, ob unten mein Gehilfe
mit seinem Instrumente fertig stand, und deutete nun bestimmt nach der
erblickten Küste hin. Kaum nahmen meine Nachbarn umher diese Bewegung
wahr, so schrien sie auch allesamt, wie aus einer Kehle: »Land! Land!
Land!« -- aber zu spät! Ich hatte ihnen bereits vorgefischt!

Als ich mich wieder unten zeigte, forderte mich unser Kapitän auf, zu
Herrn Polack in die Kajüte zu gehen und ihm zum Anblick von Europa zu
gratulieren. Mein Ehrgefühl aber wollte es nicht zulassen, mir irgend
den Schein zu geben, als habe ich mich unter die Bewerber zu seiner
ausgesetzten Prämie gedrängt. Nicht so aber dieser Ehrenmann, der mich
selbst zu sich hinab nötigte, mir das bestimmte Päckchen Gold in die
Hand drückte und mich bat, es zu irgendeinem Andenken an ihn und diese
Reise zu verwenden. Am 1. Dezember 1759 erreichten wir Amsterdam; und
unsere Fahrt hatte diesmal ein rundes Jahr, weniger einige Tage,
gewährt. Von unserer Bemannung, die vierundvierzig Köpfe betrug, hatten
wir neun Menschen durch den Tod verloren.

       *       *       *       *       *

Untätigkeit und träge Muße waren mir unleidlich. Ich engagierte mich
daher sofort wieder, als Unter-Steuermann, auf das Schiff unter Kapitän
Siewert, welches schon im Texel lag, nach St. Eustaz bestimmt war und
kurz vor Anfang des Jahres 1760 die Anker lichtete. Die späte Jahreszeit
ließ uns eine schwere stürmische Fahrt in der Nordsee und im Kanal
erwarten. Auch traf diese Befürchtung nur zu pünktlich ein, denn wir
büßten nicht nur mehrere Segel, sondern auch Stangen und Raaen ein und
fünf Matrosen, samt dem Schiffszimmermann, hatten das Unglück, ohne
Rettung über Bord gespült zu werden. So kamen wir, in einem äußerst
beschädigten Zustande, in St. Eustaz an; bewirkten jedoch binnen vier
Wochen unsere Ausbesserung und Rückladung, und mochten kaum die Hälfte
unseres Weges nach Holland zurückgelegt haben, als wir von einem
englischen Kriegsschiffe genommen wurden. Die gesamte Mannschaft, bis
auf vier Mann, mußte an dessen Bord hinüberwandern, und so wurden wir im
Monat Mai nach Portsmouth aufgebracht. Unser Prozeß, ob recht oder
unrecht, kam zu einer kurzen Entscheidung: denn da man für gut fand, in
unserer Fracht französisches Eigentum zu wittern, so wurden Schiff und
Ladung kondemniert, die Mannschaft aber mit der ausgezahlten Gage von
einem Monat abgefunden. Noch verdrießlicher aber war uns das
Erschwernis, welches wir fanden, England zu verlassen.

Unter diesen Umständen blieb mir nichts übrig, als Dienste auf einem
englischen Schiffe, unter Kapitän Keppel, zu nehmen. So kam ich Anfang
Juli nach Danzig, von wo ich sofort an meine Eltern nach Kolberg schrieb
und ihnen meine Lage schilderte. Dies hatte die, für mich sehr
überraschende Folge, daß meine gute Mutter persönlich mit der Post nach
Danzig kam, sich hinter den preußischen Residenten steckte und durch
diesen es mit leichter Mühe dahin brachte, daß ich, als preußischer, und
also Untertan einer befreundeten Macht, von dem englischen Schiffe
entlassen wurde. Unmittelbar darauf ging ich mit meiner gütigen
Befreierin nach unserer Vaterstadt ab.

       *       *       *       *       *

Kaum fünf oder sechs Wochen hatte ich im väterlichen Hause zu meiner
Erholung zugebracht, so trat für Kolberg der Zeitpunkt jener zweiten
denkwürdigen Belagerung ein; und da die Russen diesmal, beides zu Wasser
und zu Lande, operierten, so war auch der Hafen gesperrt, und ich saß
also wieder in der Kaltschale! Indes tat ich meinen Dienst, wie ich
wußte und konnte, ebenso, wie vor zwei Jahren; nur ging es diesmal noch
um vieles wärmer her. Glücklicherweise dauerte unser Notstand nur etwa
drei Wochen, da dann die Festung durch den braven General Werner, wie
durch ein Wunder, entsetzt wurde.

Während dieser Zeit des siebenjährigen Krieges blieb den preußischen
Schiffen und Seeleuten, um ihrem Erwerbe nachzugehen, kaum etwas anderes
übrig, als unter der neutralen Danziger Flagge zu fahren. In solcher
Weise ging ich auch im Oktober von Danzig nach Königsberg, und von
Königsberg mit einem Schiffe in See, das nach Amsterdam bestimmt war und
von Karl Christian, einem in Pillau ansässigen Schiffer, geführt wurde.
Ich hatte mich als Steuermann verdungen. Es war im November 1760; und so
fehlte es in dieser vorgerückten Jahreszeit auch wiederum nicht an
häufigem Sturm und Unwetter, womit wir besonders in der Nordsee viel zu
schaffen hatten.

Wir bekamen einen Leck, mit dem es binnen kurzem sehr bedenklich wurde,
weil die Ratzen die inwendige Fütterung des Schiffsbodens durchgefressen
hatten; wo denn das Getreide, welches unsere Ladung ausmachte, in den
unteren Kielraum geraten war und unsre Pumpen verstopft hatte. Der Sturm
ward je länger je heftiger, und wir fühlten uns dem Sinken nahe. In
dieser Not blieb uns nichts übrig, als das Schiff vor dem Winde
hinlaufen zu lassen, die Luken zu öffnen und von unserer Ladung so viel
wie möglich über Bord zu schaffen. Aber noch immer konnten wir keinen
Hafen sehen oder erreichen, als wir mit Einbruch der Nacht in die
Scheren an der südlichsten Spitze von Norwegen gerieten, wo wir zwar mit
Mühe auf siebzig bis achtzig Klafter vor Anker kamen, aber doch nicht
verhindern konnten, daß das Hinterteil des Schiffes auf eine Klippe
stieß. Durch die Gewalt dieses Stoßes zerbrach das Ruder samt dem
Hintersteeven, und das Wasser im Raume stieg mit jeder Viertelstunde
höher. Wir brachten eine Nacht voll entsetzlicher Angst zu und sahen
unsern gewissen Tod vor Augen.

Endlich aber dämmerte etwas Tageslicht auf und zeigte uns eine Öffnung
zwischen den Scheren, die wir augenblicklich benutzten, indem wir unser
Ankertau kappten, zugleich aber auch eines Lotsen mächtig wurden, der
uns in den Hafen von Klewen, nahe bei Mandal, führte. Froh des
geretteten Lebens besserten wir hier unser hart beschädigtes Schiff aus;
konnten aber erst im März 1761, und mit stark verminderter Ladung,
wieder in See gehen; worauf wir denn im April unsern Bestimmungsort
erreichten, unser Getreide löschten und dann einige Wochen später mit
Ballast nach der Insel Noirmoutiers, weiter segelten, um hier eine
Ladung Seesalz als Rückfracht nach Königsberg einzunehmen.

       *       *       *       *       *

Während unserer Reise dahin und bei dem schönen Wetter, das wir im Kanal
trafen, beschäftigten wir uns nebenher damit, die Kajüte neu auszumalen.
Dem Schiffer ward bei dieser Arbeit übel, und er legte sich in seine
Koje, während ich selbst einer Verrichtung auf dem Deck nachging. Kaum
eine halbe Stunde nachher kam auch _er_ wieder hervor; sah ganz wild und
verstört aus und fragte mit Ungestüm: Was für Land dies sei, und wo ich
mit dem Schiffe hin wolle? Mit Verwunderung nahm ich seinen
ungewöhnlichen Zustand wahr, brachte ihn jedoch durch gütliches Zureden
in die Kajüte und auf sein Lager zurück; hatte aber kaum den Rücken
gewandt, als ich hinter mir ein erstaunliches Brüllen und gleich darauf
ein Gepolter hörte, welches mich bewog, der Ursache nachzugehen.

Da fand ich denn den Kapitän, der aus seinem Bette herabgetaumelt war,
auf dem Boden der Kajüte ausgestreckt lag, aus Mund und Nase stark
blutete und ein Loch in den Kopf gefallen hatte. Sein Anblick war
fürchterlich; und es schien sich kaum noch eine Spur von Leben in ihm zu
regen. Ich machte flugs Lärm; unser Volk kam mir zu Hilfe; wir flößten
ihm Wasser und Branntwein ein; rieben ihn, verbanden ihm seine Wunde und
brachten ihn wieder zu sich. Auch sein gesundes Bewußtsein schien
wiedergekehrt, so daß wir ihn mit guter Zuversicht vom Verdeck, wo wir
ihn behandelt hatten, wieder in seine Koje zur Ruhe legen konnten. Zu
noch besserer Vorsicht blieb ich bei ihm und streckte mich auf den
Kleiderkasten, der vor seinem Bette angebracht war.

Nichtsdestoweniger überfiel es ihn gleich darauf von neuem; er taumelte
über mich weg auf den Fußboden der Kajüte; war starr, besinnungslos und
einem Sterbenden ähnlich, bis wir ihn abermals aufs Deck an die frische
Luft brachten, wo er sich denn allmählich wieder erholte. Ich verfiel
darauf und bin auch noch jetzt der Meinung, daß der Grund dieser
sonderbaren Wirkung in den frischen Ölfarben zu suchen sei, womit wir
eben hantiert hatten; zumal in dem sogenannten Königsgelb, das wir zum
Anstrich einiger Leisten dicht an seiner Koje gewählt und dessen
schädliche Ausdünstungen er unmittelbar mit dem Atem in sich gezogen
haben konnte. Wir behielten ihn darum auch auf dem Verdeck und dann in
einem luftigen Raum, bis wir ihn vollkommen wieder genesen glaubten.

Einige Tage später befanden wir uns morgens unter Quessant, als ich eben
mit meiner Wache fertig war; und da der Kapitän aufs Deck kam, um mich
abzulösen, bedeutete ich ihm: »Dort haben wir Quessant. Wir dürfen
nicht südlicher steuern, als Südsüdwest, wenn wir nicht hier in die
Bucht zwischen den Klippen verfallen wollen.« -- Ich war auch zu dieser
wohlgemeinten Weisung um so befugter, weil ich ohnehin auf dem Schiffe
meist alles allein zu leiten hatte, denn mit des Mannes Steuerkunst war
es herzlich schlecht bestellt, indem er zwar einige Reisen nach
Ostindien, aber nur als Zimmermann, gemacht hatte. Seine Anstellung als
Schiffer hatte er lediglich der Gunst einiger Reeder in Königsberg, den
Verwandten seiner Frau, zu danken. Auch wurden von seinen früheren
Fahrten allerlei seltsame Dinge erzählt, die sein Ungeschick zu einem
solchen Posten sattsam bewiesen. Als Seemann konnte er es übrigens mit
dem Bravsten aufnehmen.

Während ich in meine Koje zur Ruhe ging, nahm jener sein Werkgerät und
machte sich an der Zimmerung des Bootes etwas zu schaffen. Ehe mir aber
noch die Augen recht zufielen, kam er aus demselben hervor, trat zu dem
Matrosen am Steuer und fragte: »Was steuert Ihr?« -- »Südsüdwest, Herr!«
war die Antwort. -- »Ei, warum nicht gar! Steuert Südsüdost!« befahl der
Schiffer. Ich erschrak und geriet immer mehr in Nachdenken, was ihn zu
dieser Widersinnigkeit veranlassen könne. Kaum zehn Minuten später kam
er nochmals und gebot dem Manne am Ruder, vollends gegen Südost zu
steuern. Sogleich sprang ich auf, überzeugte mich, daß dieser wirklich
den anbefohlenen Kurs hielt, und rief nun augenblicklich dem Kapitän zu:
»Um Gottes willen! Mit dem Südostkurs sind wir ja gleich im Unglück! Wir
müssen wieder südwestlich steuern.«

Der harte Kopf tat, als hörte er mich nicht, und gab keine Antwort. Ich
rannte zu dem Matrosen und donnerte auf ihn ein: »Steuert Südwest!« --
Der Schiffer, dies hörend, warf seine Zimmeraxt über Seite, kam heran
und gebot seinerseits: »Steuert Südost!« -- Was blieb mir jetzt übrig,
als dem Kerl die Ruderpinne aus der Hand zu reißen und so meinen Willen
zu erzwingen? -- bis jener sie mir wiederum mit Gewalt entriß und
wütend erklärte, daß es bei Südost verbleiben solle.

So abgewiesen, ging ich in den Roof, wo ich mein Wachtvolk herausrief
und nun auch meinerseits erklärte: »Der Schiffer wolle uns mit seinem
Eigensinn ins Unglück bringen; wir führen mit diesem Kurs dem Verderben
in den offenen Rachen. Gleich hin nach vorn und ausgeschaut nach Klippen
und Brandung!« -- In der Tat auch war kaum eine halbe Stunde verlaufen,
so schrien die Leute: »Ho da! Klippenbrandung vor uns!« -- Jetzt hielt
ich mich auch nicht länger; griff, wie ein Sturm, ins Ruder, holte es
hart an die Backbordseite, und sah mit Herzbeben rings umher ein
Labyrinth von Klippen weiß aufschäumen.

Auch der Kapitän sah, was vorging, und schlich bleich und zitternd nach
der Kajüte, während ich, mit Hilfe der übrigen, das Schiff wendete und,
da mir der Wind günstig in die Segel stand, auch das kaum verhoffte
Glück hatte, mich mit Kreuzen und Lavieren endlich wieder aus dem
Untergang drohenden Gedränge wieder herauszufinden. Von unserm Schiffer
war und blieb nichts zu sehen, bis zur Essenszeit, da er mich, wie
gewöhnlich, zu Tische rufen ließ. Kaum trat ich in die Kajüte, so fiel
er mir um den Hals, gestand, er sei ganz von Sinnen gewesen, und bat
mich, alles Geschehene zu vergessen; mit heiliger Zusicherung, daß er
mir künftig ganz meinen Willen lassen wolle. Ich schärfte ihm jedoch ein
wenig das Gewissen durch Vorstellung, wie nahe es daran gewesen, daß wir
alle durch seine Schuld Kinder des Todes geworden. Er erkannte das, gab
gute Worte, und damit war die Sache abgetan.

Auf der Heimreise hatten wir den Kanal bereits wieder passiert und bei
Nacht die Leuchtfeuer bei Dover deutlich erkannt, indem wir bei einem,
zum Sturme werdenden West-Südwest-Winde herliefen. Weiterhin in der
Nordsee, wo diese mehr Breite gewann, fanden wir gewaltig hohe Wogen,
die unsrem tief mit Salz geladenen Schiffe durch öfteres Überstürzen
sehr beschwerlich fielen. Eben war meine letzte Nachtwache von zwölf
bis vier Uhr zu Ende. Ich ging demnach zum Kapitän in die Kajüte, um ihm
zu sagen, daß seine Wache beginne, daß es gewaltig stürme und daß,
wofern der Wind nicht bald nachließe, es nötig werden möchte, die Segel
einzunehmen und gegen den Wind zu legen. Anders sei mir bange, daß uns
nicht Boot, Wasserfässer und selbst Menschen durch die Sturzwellen über
Bord gerissen würden.

Müde suchte ich meine Lagerstätte, ohne jedoch einschlafen zu können.
Ich hörte den Kapitän aufs Deck hervorkommen und wieder in die Kajüte
zurückkehren, wobei er Morgen- und Bußlieder zu singen begann. Das
deuchte mir an ihm um so verwunderlicher, da er während der ganzen
Reise, außer der Zeit des gewöhnlichen Schiffsgebetes, nie ein
geistliches Buch in die Hände genommen, noch eine Gesangnote angestimmt
hatte. »Das mag wohl gar ein Zeichen vor seinem Ende sein,« sagte ich zu
mir selbst. »Nun, so ist es doch immer das Schlimmste nicht, was er tun
kann.«

Eine Stunde später trat er an mein Bett, um mich zu fragen, ob ich
schliefe? -- »Kann man es wohl bei Eurer seltsamen Musik?« war meine
Antwort. Nun sagte er mir: es werde nicht anders sein, als daß wir die
Segel einreffen und gegen den Wind würden drehen müssen. Zugleich bat er
mich, daß ich mich etwas in die Kleider würfe und mit meinen Leuten auf
dem Platze wäre, während er selbst mit seinem Wachvolke die Kliefhack
(Besane) einnehmen wolle. -- Flugs sprang ich mit gleichen Füßen aus den
Federn, machte Lärm und brachte meine Mannschaft auf die Beine. Aber
noch steckte ich selbst erst halb in einem Stiefel, so begann der Mann
am Ruder ein helles Geschrei, ohne daß ich eine Veranlassung dazu
begriff. Ich stürzte hervor -- »Kerl, bist du toll? Was ficht dich an?«
-- »Mein Gott! mein Gott! Da vorn muß ein Unglück passiert sein. Sie
lamentieren alle ganz kläglich durcheinander.«

In drei Sprüngen war ich vorn am Bug. »Was ist's? was fehlt euch?
sprecht!« -- »Ach, daß Gott erbarme! der Schiffer ist über Bord!« --
»Nun denn, nicht lange besonnen! Frisch, daß wir ihm helfen!« --
Sogleich griff ich nach allem Tauwerk, das mir zunächst zur Hand kam,
und ließ die Enden über Bord laufen, damit sich der Unglückliche
vielleicht daran halten möchte. Das gleiche tat ich hinten auf dem
Kajütendeck, aber immer noch, ohne zu wissen, nach welcher Seite ich ihn
eigentlich zu suchen hatte, da das Schiff eine fliegende Fahrt lief.
Endlich nahm ich wahr, daß er hinten im Kielwasser in die Höhe tauchte,
sich in einer Entfernung von zehn oder zwanzig Klaftern hinter dem
Schiffe zum Schwimmen umwarf und nun mit Macht zu rudern begann. Daß er
ein fertiger Schwimmer sei, der in Ostindien wohl Strecken von mehr als
einer Viertelmeile zurückgelegt habe, hatte er selbst mir oftmals
erzählt, und auch wohl hinzugesetzt: Er glaube gar nicht, daß er
ersaufen könne.

Sobald ich seiner ansichtig wurde, holte ich das Ruder nach der
Steuerbordseite, um das Schiff bei dem Wind zu legen und dadurch
möglichst aufzuhalten. In dieser Stellung aber legte es sich (da es
ohnehin der tiefen Ladung wegen nur wenig Bord hielt) so übermäßig auf
die Seite, daß sogar die Kajütentür unter Wasser geriet und dasselbe wie
zu einer Schleuse hineinstürzte. In dieser Lage standen wir, wenn sie
noch einige Minuten anhielt, in der augenscheinlichsten Gefahr, auf der
Stelle zu sinken. Ich mußte mich entschließen, das Ruder wieder nach der
andern Seite zu holen, um das Schiff in die Höhe zu bringen, bevor es
seinen Schwerpunkt verlöre.

Wohl brach mir mein Herz, wenn ich an den armen Kapitän gedachte, den
wir noch von Zeit zu Zeit mit dem stürmenden Elemente kämpfend
erblickten, sooft die Woge ihn emporhob. Es gab kein Mittel mehr, uns in
seiner Nähe zu erhalten, da das Schiff, vom Winde gejagt, gleich einem
Pfeile durch die Fluten dahinschoß. Der Unglückliche war nicht zu
retten, selbst wenn wir unser eigenes Leben hätten preisgeben wollen!
Sogar jetzt, wo ich mich frei von der unsäglichen Bestürzung fühle, die
in jenen schrecklichen Augenblicken auf uns alle drückte, weiß ich
nicht, was noch anderes und mehr zu seinem Beistande von uns hätte
versucht werden können.

Mittlerweile hielt der Sturm noch immer an, ohne jedoch härter zu
werden. Ich wagte es daher, das Schiff vor dem Winde hinlaufen zu
lassen, bis sich mit dem nächsten Tage das Wetter allmählich wieder
besserte. Nun aber lag mir eine andere schwere Sorge auf dem Herzen, wie
ich bei übernommener Führung des Schiffes den mancherlei
Verantwortlichkeiten entgehen wollte, die über den Nachlaß unseres
unglücklichen Kapitäns entstehen konnten. Unser ganzer Vorrat an Brot,
Grütze, Erbsen und übrigen Lebensmitteln war in der Kajüte aufbewahrt,
und Koch und Kochsmaat hatten täglich und stündlich ihren Gang in
dieselbe, um das Nötige hervorzuholen. Zugleich aber lagen hier auch des
Schiffers Habseligkeiten umher, und ich wußte, daß es ihm nicht an Geld
und Geldeswert gefehlt hatte. Noch mehr: er hatte mir zuzeiten einen
bedeutenden Vorrat von Kostbarkeiten an Gold und Silber vorgewiesen, zu
deren Einkauf in Amsterdam ihm von seinen Königsberger Freunden Auftrag
gegeben worden. Auch diese mußten in der Kajüte und, wie ich vermutete,
in seinem Kasten befindlich sein.

Um mich dieserwegen auf jede Weise zu sichern, ließ ich gleich am andern
Tage das ganze Schiffsvolk, bis auf den Matrosen, der das Steuer versah,
in die Kajüte zusammenkommen. In ihrer Gegenwart nahm ich ein
schriftliches Verzeichnis von sämtlicher Habe unseres verstorbenen
Schiffers auf; wir packten dies alles in die vorhandenen Kisten, Kasten
und Säcke, und schritten dann zu einer allgemeinen Versiegelung
derselben, damit weiter keine Hand daran rühren dürfte. Das dazu
gebrauchte Petschaft aber ward von mir vor ihrer aller Augen durch das
Kajütenfenster in die See geworfen.

Da bei dieser Verhandlung alle und jede Behältnisse hatten geöffnet
werden müssen, um nachzusehen, ob sie keine Schiffspapiere enthielten,
die mir im Sunde oder sonst nötig werden konnten, so erstaunte ich nicht
wenig, daß sich hierbei nirgends weder Gelder und Barschaften, noch
seine Taschenuhr und silbernen Schuh- und Knieschnallen, noch endlich
auch jene vorerwähnten goldenen und silbernen Galanteriewaren vorfinden
ließen. Unsere Meinung fiel endlich dahin aus, daß der verunglückte
Eigentümer diese Sachen wohl hier und da versteckt haben möchte, um sie
vor den gierigen Blicken und langen Fingern der Kapermannschaften zu
sichern, die je zuweilen ungelegene Besuche an unserm Borde machten.
Allein wie sorgfältig wir auch jeden Winkel der Kajüte durchsuchten, so
ließ sich doch nicht die mindeste Spur des Verlorenen entdecken.

Des dritten Tages nachher war ich im Sunde, und zwei Tage später vor
Pillau. Der Wind stürmte gerade auf das Land zu, es ging eine hohe See;
und wie gern ich auch lieber geradeswegs auf Königsberg gegangen wäre,
so blieb hier doch nichts anderes zu tun, als in den Pillauer Hafen
einzusetzen. Allein auch dies blieb ein Wagestück, wozu Mut gehörte.
Sobald jedoch die nötigen Vorbereitungen getroffen, die Kajütenfenster
vermacht und die Leute auf ihrem Posten waren, ließ ich das Schiff vor
dem Winde laufen. Glücklich trafen wir das Fahrwasser zwischen den
Haken; zugleich aber überflutete uns in der Brandung eine Sturzwoge nach
der andern von hinten her, das Schiff stieß auf den Grund, hob sich
jedoch mit der nächsten nachfahrenden Welle wieder, und ich wäre mit dem
bloßen Schrecken davongekommen, hätte nicht diese nämliche Welle uns das
Steuerruder aus den Angeln gehoben und davongeführt. Noch aber verlor
ich die Besinnung nicht, steuerte mit den Segeln, sogut ich vermochte,
und kam endlich bei Pillau, ohnweit des Bollwerks, wohlbehalten vor
Anker.

Mein kühnes Beginnen hatte eine Menge neugieriger Menschen am Bollwerke
versammelt, und das nur um so mehr, als man bald auch unser Schiff
erkannte. Ich meinerseits bemerkte unter diesen Zuschauern mit
wehmütiger Empfindung unseres verunglückten Schiffers Frau, die ihre
Kinderchen zur Seite hatte und eifrig nach uns aussah. Kaum trat ich
ans Land und fiel ihr in die Augen, so rief sie mit sichtbarer
Beängstigung: »Gott im Himmel! wo ist mein Mann?« -- Alles, was zugegen
war, umstand mich und fragte: »Wo ist Schiffer Karl Christian?« --
»Krank! krank!« war meine zwar vorbereitete, aber durch Ton und Gebärde
nur schlecht beglaubigte Antwort. Ich suchte nur mich loszumachen und
eilte zum reformierten Prediger, dem Beichtvater der armen Frau, dem ich
den ganzen traurigen Vorfall erzählte mit der Bitte, ihr die Todespost
auf eine gute Weise beizubringen und mit seinem Troste nahe zu sein.

Das geschah denn auch auf der Stelle. Ich selbst fand mich demnächst
auch ein, um der leidige Bestätiger seiner Zeitung zu sein; und ich darf
wohl sagen, daß mir das ein schwerer und bitterer Gang geworden. Am
nächsten Morgen, wo ich hoffen konnte, daß die unglückliche Witwe sich
der Weheklage etwas begeben und zu mehr Fassung gekommen sein würde,
ging ich wiederum zu ihr und kündigte ihr an, daß, da ich mit dem
Schiffe unverweilt nach Königsberg hinaufgehen müßte, ich ihr heute noch
ihres verstorbenen Mannes Sachen und Gerätschaften vom Schiffe ins Haus
schicken würde. Zugleich aber mußte ich ihr leider auch ankündigen, daß
sowohl seine Barschaften als eine Menge anderer Sachen von Wert auf
eine, uns allen unbegreifliche Weise unter seinem Nachlasse vermißt
würden, wofern sich nicht etwa noch in seinen Papieren darüber eine
nähere Auskunft ergäbe.

       *       *       *       *       *

Nach diesem betrübenden Abschiede langte ich mit dem Schiffe bei
Königsberg an und meldete mich bei den Reedern desselben. Hier war es
sofort das erste, daß wir sämtliches Schiffsvolk zu einer eidlichen
Erklärung über alle einzelnen Umstände des dem Schiffer widerfahrenen
Unglücks aufgefordert wurden. Wir alle, und ich insonderheit, mußten uns
auf gleiche Weise von jedem Verdachte einer Veruntreuung seines
Eigentums reinigen und unsere Unkenntnis, wohin die verschwundenen
Sachen gekommen, erhärten. Hätte nur diese gerichtliche Prozedur
zugleich auch meine Unschuld vor den Augen der Welt und der giftigen
Stimme der Lästerung zu rechtfertigen vermocht! Aber leider! fiel hier
die Sache ganz anders! Ich mußte mir hinter meinem Rücken Dinge
nachsagen lassen, an die meine Seele nie gedacht hatte. Ich galt wohl
überall für den Dieb, der Witwen und Waisen verkürzt habe, und mußte es
dulden, daß oftmals auch in meinem Beisein mit spitzigen Worten auf
dergleichen gedeutelt wurde. Wie oft, aber auch wie schmerzlich bitter
habe ich's Gott geklagt und darüber im stillen meine Tränen geweint!

Die nächste Wirkung dieses unseligen Verdachtes war, daß, nachdem das
Schiff ausgeladen worden, ich, anstatt die Führung desselben zu erhalten
(wie sonst wohl geschehen wäre), es an den Schiffer Christian Kummerow
übergeben mußte. Ja, meine ganze Lebenslage schien hierüber eine andre
Richtung nehmen zu wollen. Als verlobter Bräutigam einer Tochter des
Segelmachers Johann Meller in Königsberg und mit großen Aussichten und
Plänen, war ich vormals ausgefahren: jetzt kam diese Heirat zwar
wirklich zustande; aber ich ließ die Flügel mächtig hängen und
beschränkte meinen in die weite Welt strebenden Sinn nunmehr auf den
engen Verkehr eines kleinen Bording-Reeders, und meine weitesten Reisen
begrenzten sich in dem spannenlangen Raume zwischen Königsberg, Pillau
und Elbing. Es war der leidige Gang eines Langohrs in der Mühle!

Wäre aber mein freier, immer ins Weite gestellte Sinn eines solchen
Austernlebens nicht schon an sich selbst frühzeitig müde geworden, so
waren doch Zeit und Umstände ebensowenig dazu gemacht, mir diese Unlust
durch anderweitige Vorteile zu vergüten. Mein Bordingskahn war ein altes
Fahrzeug, das meinem Schwiegervater gehörte, und worauf ich ihm die
Hälfte des taxierten Wertes von zweitausend preußischen Gulden bar
ausgezahlt hatte. Es währte auch nicht lange, so ward ich, gleich vielen
andern meinesgleichen, von den Russen, die damals in ganz Preußen den
Meister spielten, gepreßt und zum Transport von Proviant und
Militäreffekten von Pillau nach Elbing und Stuthof gebraucht. An
Bezahlung war hierbei im geringsten nicht zu denken: desto reichlicher
aber gab es hier üble Behandlung und allerlei Verdrießlichkeiten zu
verdauen, die mir die Galle ins Blut jagten. Ich entschloß mich daher
kurz und gut, der Pauke ein Loch zu machen.

Eben lag ich auf dem Frischen Haff bei Stuthoff vor Anker. Ich war ledig
und sollte nach Pillau gehen. Ein russischer Soldat war mir an Bord zur
Aufsicht gegeben, der keinen Augenblick von mir weichen sollte. Dennoch
war leicht ein Vorwand gefunden, ihn ans Land zu locken und dort bei der
Flasche so angelegentlich zu beschäftigen, daß ich mich auf mein
Fahrzeug zurückschleichen, den Anker lichten und meines Weges
davonsegeln konnte. Der arme Kerl, der mich indes nur zu bald vermißte,
lief mir wohl eine halbe Meile am Strande nach, schrie und beschwor mich
bei all seinen Heiligen, daß ich ihn wieder einnehmen möchte. Dazu hatte
ich nun freilich keine Ohren; ich spannte vielmehr noch ein Segel mehr
auf und kam ihm so bald aus dem Gesichte, bis ich auf dem Pregel bei
Fischhof anlegte. Hier wimmelte es eben von Schiffen, welche Bordings
brauchten, um ihnen einen Teil ihrer Fracht nachzuführen, und wo ich auf
eine bessere Ernte zu rechnen hatte.

Wirklich auch akkordierte ich hier sogleich eine gute Fracht nach
Pillau; doch machte ich, zu meiner Sicherheit, dem Schiffer die
Bedingung, daß ich jenem Orte nicht näher als über den Grund in der
Rinne (dem Fahrwasser) kommen dürfte, und daß er mich, sobald ich ihm
die Güter wieder an Bord gegeben, durch seine Leute sogleich aufs Haff
zurückbugsieren helfen sollte. So dachte ich denn dies Spiel noch öfter
zu wiederholen, ohne den Russen in die Scheren zu geraten und sie
obenein ins Fäustchen auszulachen. Diesmal zwar gelang es, aber dennoch
war der Handel, als ich Fischhof wieder erreichte, schon verraten, und
ein paar bekannte Lotsen, die von Pillau kamen, warnten mich, dort dem
Frieden nicht zu trauen, indem mir von meinen Widersachern bereits
aufgepaßt werde.

Das Schiff, dessen Güter ich diesmal eingenommen hatte, war indes schon
vor mir nach Pillau abgesegelt, und es blieb nichts übrig, als ihm
nachzufolgen; aber zu gleicher Zeit verließ mich mein Schiffsvolk
heimlich, dem es wohl bange werden mochte, mit mir bei den Russen in die
Patsche zu kommen. Ich sah mich also auf meinem Bording allein, ohne mir
Rat zu wissen, bis am andern Tage ein betrunkener Mensch (er war
Nachtwächter in Pillau) seines Weges von Königsberg, längs des Dammes
einhergetaumelt kam, dem ich die freie Fahrt nach Hause anbot, wenn er
an Bord kommen und mir etwas helfen wollte. Das ward gerne angenommen;
und obwohl er sich einigermaßen wunderte, daß er mich so
mutterseelenallein hantieren sah, so beruhigte ihn doch meine
Versicherung, daß sich mein Volk wohl finden werde; er half mir mein
Fahrzeug losmachen und die Segel aufziehen, sogut er's in seinem
Zustande vermochte, und suchte dann bald einen Winkel, sein Räuschchen
vollends auszuschlafen.

Der Wind war günstig und ich steuerte, sogut es gehen wollte, auf Pillau
zu. Gegen den Abend sah ich das Schiff, welches ich suchte, bereits in
der Rinne vor Anker liegen. Allein in eben dem Augenblicke, wo ich mich
ihm an Bord legte, erblickte ich auch ein Boot mit russischen Soldaten
angefüllt, die sich mir näherten und es unfehlbar auf mich gemünzt zu
haben schienen. Nun galt es denn im Ernste! Auf mein Bitten versprach
mir indes der Schiffer, nicht nur mich in seiner Jolle und durch seine
Leute alsogleich bei dem Schwalkenberge an Land bringen zu lassen,
sondern auch meinen Bording, sobald er ledig geworden, hinter den Haken
in Sicherheit zu schaffen.

Schnell warf ich mich nun in das Boot und schlüpfte in der
eingebrochenen Dunkelheit an meinen Verfolgern glücklich vorüber. Der
Wind ging heftig aus Westen, und es gab eine hohe See. Obenein kamen
wir, noch in weiter Entfernung vom Lande, auf den Grund zu sitzen, so
daß das Boot hoch voll Wasser spülte. Während die Kerle fluchten und
schöpften, bedachte ich mich nicht lange, über Bord zu springen. Ich kam
auf der Bank bis an den halben Leib ins Wasser, sowie ich aber dem Ufer
näher watete, geriet ich immer tiefer -- jetzt bis unter die Arme, dann
bis an den Hals -- hinein, und endlich mußte ich mich zum Schwimmen
bequemen. So erreichte ich triefend das Land und ging nach Lockstädt, wo
ich nicht nur Gelegenheit fand, mich am warmen Ofen zu trocknen, sondern
mir auch ein Pferd bestellte, auf welchem ich früh vor Tage mich
davonmachte und zu Mittag Königsberg mit dem Vorsatze erreichte, mich im
Hause meines Schwiegervaters zu verbergen.

Doch etliche Stunden später fand sich auch bereits ein russischer
Offizier mit vier Mann Wache und in Begleitung des Bordings-Faktors
Mager ein, um mich hier aufzusuchen und festzunehmen. Sie trafen
sogleich auf der Hausflur mit mir zusammen, und der Faktor, welcher sich
stellte, mich nicht zu kennen, fragte mich, wo der Schiffer Nettelbeck
zu finden sei? Ich stutzte einen Augenblick, ermutigte mich aber doch
alsbald zu dem Bescheide: Den würden sie wohl in Pillau suchen müssen.
»Nein! nein!« unterbrach mich der Offizier, welcher deutsch sprach, »wir
wissen, daß er hier schon wieder zu haben ist. Wir wollen ihn wohl
herausklopfen.« -- Klopft nur, dachte ich, und schritt ganz lässig zur
hinteren Hoftüre hinaus. Kaum aber hatte ich diese auch nur im Rücken,
so hätte man sehen sollen, was für lange Beine ich machte, um in den
Garten und über alle Zäune, Planken und Hecken hinweg an den neuen
Graben zu kommen, wo ich bei einem guten Freunde, Heinrich Topen, eine
neue Zuflucht zu finden wußte.

Hier blieb ich unentdeckt, während im Hause meines Schwiegervaters jeder
Winkel aufs sorgfältigste nach mir durchstöbert wurde. Dagegen ward in
Pillau mein Bordingskahn nicht so bald ledig, als ihn die Russen in
Beschlag nahmen, neu bemannten und bis spät in den Herbst hinein zu
ihrem Gebrauch verwandten, wo sie ihn endlich, rein ausgeplündert und
der Segel und des Tauwerkes beraubt, als ein Wrack liegen ließen.
Vergebens bat ich schriftlich einige Freunde in Pillau, nach meinem
Eigentum zu sehen, denn niemand wollte sich damit befassen, um sich
nicht vielleicht mit den Russen böse Händel zu machen.

Endlich verblutete sich die Geschichte, so daß ich es allmählich wagte,
aus meinem Verstecke hervorzukommen; und im Frühling 1762 durfte ich
mich selbst wieder in Pillau blicken lassen. Mein Fahrzeug stand hier am
Damm auf dem Grunde, von welchem ich es vor allen Dingen abbrachte. Dann
setzte ich es nach Möglichkeit wieder instand und führte es nach
Königsberg, um seiner nur zu jedem Preise loszuwerden und nun die Arme
ein wenig freier zu rühren. Zu diesem Ende erstand ich wieder ein zwar
nicht großes, aber tüchtiges Seeschiff, »der Postreiter« genannt, von
fünfundvierzig bis fünfzig Lasten, und fand auch sogleich eine
erwünschte Ladung von Malz, nach Wolgast bestimmt, die für
zweiundzwanzig holländische Gulden die Last bedungen wurde. Nun säumte
ich nicht, unter russischen Pässen meine erste Reise dahin anzutreten.

Als ich in Wolgast vor Anker gekommen, vertraute mir Herr Cantzler, der
Empfänger der Ladung, daß dieselbe für die Preußen in Stettin bestimmt
sei, und bat mich, so lange zu verweilen, bis er eines Fahrzeuges
habhaft geworden, das sie heimlich, bei Nacht und Nebel, dorthin
schaffen solle.

Ich ließ mir das gefallen. Als aber die Ankunft des Schmugglers sich von
einem Tage zum anderen verzog, ward mir Zeit und Weile lang; und
zugleich auch erwachte in mir der Patriotismus, meinen pommerschen
Landsleuten in Stettin etwas zuliebe zu tun. So machte ich mich denn auf
zu Herrn Cantzler und stellte ihm vor: mein Fahrzeug ginge nicht zu tief
und wäre wohl geeignet, übers Haff und dessen Untiefen zu passieren.
Wäre es ihm recht, so unternähme ich es wohl selbst, die Ladung nach
Stettin zu bringen, da ich dieser Gegend hinreichend kundig wäre.

»Mir schon recht!« erwiderte der Handelsherr erfreut. -- »Will _Er_ sein
Schiff dran wagen, Herr: die _Ladung_ muß gewagt werden! -- Wie hoch die
Fracht?« -- Wir wurden um fünfhundert Taler einig. -- »Aber sehe sich
der Herr wohl vor!« setzte jener warnend hinzu. -- »Auf dem Haff liegt
eine ganze Flotte von unseren schwedischen armierten Schiffen. Das wird
Künste kosten!« -- Was war zu machen? Der Schritt war einmal getan; und
wäre mir der Handel nun auch leid geworden, so erlaubte mein Ehrgefühl
doch nicht, jetzt noch zurückzutreten.

Vorerst ging ich mit meinem Schiffe die Peene hinauf, bis unfern an den
sogenannten Bock am Eingange des Haffs. Hier sah ich die schwedische
Armierung in einem weiten Halbzirkel vor mir liegen und in der Mitte
derselben eine Fregatte, so daß das Ding nicht wenig bedenklich aussah
und ich meinem Mute wacker zusprechen mußte. Indes peilte ich noch bei
Tage mit dem Kompaß, wo hinaus die größte Öffnung zwischen den
Fahrzeugen war. Die Nacht fiel rabendunkel ein, der Wind war frisch, mit
Regen und Donnerwetter vergesellschaftet, und alles schien mein
Unternehmen begünstigen zu wollen.

Um elf Uhr endlich hob ich den Anker und segelte glücklich und ohne
Hindernis durch die Flotte, deren eigne aufgesteckte Feuer mir sogar die
Richtung noch deutlicher angaben. Schon hatte ich sie eine Viertelmeile
im Rücken und glaubte mich geborgen, als unerwartet ein Schuß nach mir
hinfiel, der, wie ich jetzt erst bemerkte, von einer auf Vorposten
ausgestellten Galley kam. Himmel! wie sputete ich mich, jedes Segel
aufzusetzen, das mein Schiffchen nur tragen konnte, welches überdem, zu
meinem Troste und seinen Namen rechtfertigend, ein trefflicher Segler
war. Nicht lange aber, so blitzte noch ein zweiter Schuß von der Seite
nach mir auf, und dieser kam von einem anderen Vorpostenschiffe, dem ich
ebensowenig Rede zu stehen gesonnen war.

Nunmehr machten beide Galleyen die ganze Nacht hindurch Jagd auf mich
und kamen mir in der Tat nahe genug, daß unter den unzähligen Kugeln,
womit sie mich begrüßten, vier durch meine Segel gingen. Mit
Tagesanbruch war ich New-Warp gegenüber. Hier aber kamen mir bereits
drei von unseren preußischen armierten Fahrzeugen entgegen, die
gewöhnlich bei Ziegenort lagen und durch das nächtliche Schießen
alarmiert worden waren. Unter ihrem Schutze hinderte mich denn nichts,
meinen Bestimmungsort zu erreichen und meine Fracht abzuliefern.

       *       *       *       *       *

Während ich hier lag, kam der Friede mit Rußland zustande. Die
Konjunkturen benutzend, machte ich schnell hintereinander eine Reihe
glücklicher Fahrten: von Stettin nach Kolberg mit Salz, woran es dort
nach der dritten Belagerung und bei den zerstörten Salzkoten dringend
fehlte; von hier mit einer Ladung Wein nach Königsberg und wiederum
dahin zurück mit Roggen. Auf dieser letzteren Reise kreuzte ich bei
widrigem Winde unter der Halbinsel Hela vor Danzig, und hier sah ich ein
großes russisches Schiff auf dem Strande stehen, an dessen Bord es einen
gewaltigen Lärm gab. Da das Wetter gut war, kam mich die Lust an, mein
Boot auszusetzen und näher heranzufahren. Man ließ mich aber sogar das
Verdeck betreten, ohne meine Anwesenheit gewahr zu werden oder zu
beachten. Alles lief darauf verwirrt durcheinander und das nur um so
mehr, je ärger der russische Landoffizier, der hier das Kommando zu
führen schien, drauf losschlug und wetterte. Seeleute und Soldaten waren
gleichfalls Nationalrussen, und was und wie sie es angriffen, um das
Schiff wieder abzubringen, war durchaus verkehrte und törichte Arbeit.

Wenig erbaut durch dieses Schauspiel, warf ich noch einige Blicke durch
die offene Luke in den Raum und sah, daß das Schiff mit metallenen
Kanonen, Bomben, Kugeln und dergl. geladen war. Es stand mit dem
Vorderteil hoch auf dem abschüssigen Strande, während das Hinterteil
noch tief im Wasser lag. Ich stieg nun in mein Boot zurück, um die Tiefe
dicht am Schiffe noch genauer auszumessen, und ging dann abermals an
Bord, indem ich dem Gedanken nachhing: ob es nicht tunlich sein sollte,
die schwere, aber wenig Raum füllende Ladung ganz in den hintersten Raum
zu bringen, das Schiff solchergestalt vorn zu erleichtern, zugleich
einen Anker nach hinten in die See hinauszubringen und durch vereinte
Arbeit an der Ankerwinde dem Fahrzeuge einen Schuß nach hinten in die
Tiefe zu verschaffen, wo es dann leicht wieder flott werden dürfte.

Diesen Vorschlag setzte ich nunmehr einem russischen Sergeanten
auseinander, der etwas Deutsch konnte und sich an mich gewandt hatte,
nunmehr aber den Offizier in seiner Prügelei, womit derselbe noch immer
wie rasend fortfuhr, unterbrach und ihm meine Meinung mitteilte. Je mehr
der Mensch vorher den Kopf verloren hatte, um so gewisser erschien ich
ihm jetzt als ein Engel vom Himmel. Er war von meinem Vorschlage ganz
wie elektrisiert, fiel mir um den Hals und drang mir sogar seinen Stock
auf, mit der Bitte, alles zu kommandieren und anzuordnen, wie ich es für
das beste erachten würde. Mit so voller Gewalt bekleidet, griff ich auch
sofort mein Werk mit Feuer an. Der Anker ward ausgebracht, während
alles, was eine Hand rühren konnte, die Bomben, Kugeln usw. möglichst
nach hinten transportieren mußte. Dadurch senkte sich das Schiff hier
wirklich auch so tief, daß das Wasser fast bis an die Kajütenfenster
stieg, ohne daß gleichwohl der Kiel hier den Grund erreichte. Jetzt ließ
ich mit Gewalt den Anker aufwinden, und -- siehe da! nach zwei oder drei
Stunden Arbeit lief das Schiff gleichsam wie vom Stapel und war
glücklich wieder flott geworden.

Nie habe ich einen erfreuteren Menschen gesehen, als diesen Offizier,
sobald mein Stück Arbeit gelungen war. Er herzte und küßte mich, ich
mußte ihm meinen Namen sagen, den er sich in seine Schreibtafel
zeichnete, und zugleich schrieb er ein russisches Billet an den General
Romanzow, der damals in Kolberg befehligte, und das er mir zur treuen
Abgabe bei meiner Ankunft anempfahl. Als ich mich endlich wieder
entfernen wollte, ließ er mir das Boot von seinem Vorrate an Hirse, Mehl
und Grütze dergestalt voll laden, daß ich im Ernste zu sinken fürchtete,
und da kein Weigern und Verbitten etwas fruchten wollte, zuletzt nur
über Hals und Kopf auf meine Abfahrt denken mußte. So erreichte ich denn
wieder mein Schiff, welches inzwischen in einiger Entfernung Anker
geworfen hatte.

Ein paar Tage später langte ich in Kolberg an, wo ich nicht säumte, mich
dem General Romanzow vorzustellen und mein Billet zu überreichen. Es war
kein Uriasbrief gewesen: denn der edle Mann hatte es kaum gelesen, als
er mir unter herzlichem Händedrucke dankte, daß ich seinem Monarchen
Schiff und Ladung erhalten hätte. Er wollte wissen, wie er mir wieder
dienen könne, und nahm auf das erste leise Wort nicht nur meinem Vater
die damals über alle Maßen drückende Einquartierung ab, sondern erteilte
mir auch die nicht minder bedeutende Vergünstigung, bei der Maikühle und
Bleiche anlegen und dort meine Ladung löschen zu dürfen. Da in jenem
Zeitpunkte der Hafen von Schiffen vollgepfropft lag, so daß von der
Seemündung an bis hinauf zu dem Einflusse des Holzgrabens in die
Persante Bord an Bord sich drängte und die in der Mitte des Stromes
nicht ans Bollwerk kommen konnten, um ihre Fracht zu löschen, so mußten
manche wohl etliche Wochen warten, ehe sie dazu gelangten. Ich hingegen
ward, vermöge jener besonderen Erlaubnis, binnen zwei Tagen ledig.

       *       *       *       *       *

Außer der erforderlichen Portion Ballast, die ich hier einnahm, bestand
meine Rückfracht nach Königsberg in etwa sechzig Passagieren -- den
Frauen, Jungen, Mädchen und kleinen Kindern eines preußischen
Bataillons, das nach der Einnahme von Kolberg nach Preußen abgeführt
worden war, und wohin nun diese sich begaben, um ihre Gatten und Väter
wieder aufzusuchen -- eine bunte, aber nicht eben angenehme Ladung!

Als ich mich in segelfertigem Stande befand, gab es einen Sturm aus
West-Süd-West, der mich auf meinem Wege trefflich gefördert und den ich
darum auf hoher See gar nicht gescheut haben würde, nur galt es die
Kunst, mit demselben zum Hafen hinauszukommen. Der Lotse, den ich
aufforderte, mich in See zu bringen, erklärte dies für geradezu
unmöglich, falls ich nicht mein Schiff stark beschädigen oder rechts am
Hafendamme gar sitzen bleiben und in Trümmer gehen wolle. Der Mann hatte
recht; ich aber verließ mich auf mein gutes und festes Schiff, das wie
ein Fisch wohl auch unter der höchsten und wildesten Brandung
durchschlüpfen würde. Diese Versicherungen, mein erklärter Vorsatz, das
Abenteuer allenfalls auch ohne ihn auf meine eigene Gefahr zu wagen, und
vornehmlich wohl fünf Silberrubel, die ich ihm entgegenspielen ließ,
ermutigten ihn endlich, sich meinem Verlangen zu fügen.

Kaum hatte ich ihn vom westlichen Hafendamme an Bord genommen und er das
Steuer ergriffen, während ich die Segel aufzog, so warf uns auch in der
nächsten Minute, trotz unserer vereinten Bemühungen, die erste hohe
Woge, die uns traf, mit wildem Ungestüm auf die entgegengesetzte Seite
an das östliche Bollwerk. Zwar hob die nächste Welle das Schiff von
neuem, aber danach faßten die hervorragenden Pfahlköpfe unter die
gleichfalls am Steuerbord vorstehenden Barkhölzer, daß die Trümmer davon
hoch in die Luft flogen; und da zugleich auch der Sturm uns jagte, so
schoß mein Fahrzeug längs dem Damme hin, schnitt sich an dessen
äußersten Spitze haarscharf gegen die Brandung ab und kroch
solchergestalt mit fliegender Fahrt unter zwei oder drei hochgetürmten
Sturzwellen durch, daß die Verdecke schwammen und mir selbst die Haare
zu Berge standen.

Nun war ich denn freilich in See; allein noch hatte ich in dem Getümmel
nicht Zeit und Gedanken finden können, meinen erlittenen Schaden zu
beurteilen. Die Verwüstung war indes jämmerlich genug. Mehr als fünfzehn
Fuß lang fand ich die Barkhölzer am Steuerbord rein abgestoßen, so daß
die Innenhölzer bloßlagen und ich kopfschüttelnd zu mir sagen mußte:
»Ei, ei, Nettelbeck! Das war wohl ebenso ein dummer Streich, als
letzthin, wo du dich durch die schwedische Flottille schlichest!« -- Ich
will's aber auch nicht leugnen, daß ich dergleichen unüberlegte
Stückchen vor und nach dieser Zeit wohl mehrere auf dem Kerbholze habe.
Gelingen sie, so heißt man gleichwohl ein gescheiter Kerl, ob man gleich
einen ganz anderen Titel verdient hätte.

Hier war nun aber noch immer guter Rat bei mir teuer, denn jenem Schaden
mußte sogleich auf irgendeine Weise abgeholfen werden. Nach kurzem
Besinnen ergriff ich jedoch eine Bressening (geteertes Segeltuch zum
Dichten der Luken), und nachdem ich sie in lange, schmale Streifen
zerschnitten und mich mit einem guten Vorrat von kleinen Pumpnägeln
versehen hatte, hängte ich mich in einige Taue über Bord hinaus und
befestigte jene doppelt gelegten Lappen längs dem erlittenen Schaden so
dicht, daß Nagel an Nagel traf. Inzwischen ging der Lotse mit seinem
Boote nicht ohne sichtbare Lebensgefahr an Land.

Jetzt erst, da ich wieder zu etwas Ruhe und Besinnung gekommen war, und
indem ich mit vollen Segeln wieder ostwärts steuerte, traf ein
verwirrtes Getöse, das wie Heulen und Schreien klang und unten aus dem
Schiffsraume zu kommen schien, in meine Ohren. Ich ließ die Luken
aufreißen, um zu sehen, was es da gäbe -- und da fand sich denn, daß
dieses entsetzliche Konzert von all den Weibern und Kindern herrührte,
die da drunten zusammengeschichtet lagen. Und wohl hatten sie genugsamen
Grund zum Lamentieren! Denn bevor ich meinen Schaden hatte ausbessern
können, war eine Menge Wassers in den Raum gelaufen; und da das Schiff
bei der hohen See unaufhörlich auf- und niederstieg, so spielte der mit
dem Wasser vermischte Ballastsand längs dem Raume und von einer Seite
zur anderen, so daß die Menschen knietief, ja bis über den halben Leib
darin versanken. Taumelnd und wehklagend, die Hände emporhaltend und
durcheinander sich überschreiend, gab es eine Gruppe, welche ein
lebendiges Bild von der allgemeinen Auferstehung darstellte, aber bei
allem verdienten Mitleid zugleich auch den Lachreiz unwiderstehlich
weckte, wenn der Blick daneben auf die Spinnräder, Haspel, Bettgestelle
und übrigen Siebensachen dieser armen Leute traf, welche in bunter
Verwirrung zwischen ihnen umhergekollert oder in dem aufgelösten Sande
begraben waren.

Hier mußte freilich schnelle Hilfe geschehen! Ausgepumpt konnte das
Wasser nicht werden, da die Wassergänge nach den Pumpen durch den
Ballast verstopft worden. Es blieb also nur übrig, das Wasser mit
Fässern auszuschöpfen, wodurch dann Ordnung und Friede wiederhergestellt
wurde. Unsere Fahrt ging indes so pfeilschnell vorwärts, daß ich nicht
nur am anderen Tage nachmittags um zwei Uhr, und also binnen
achtundzwanzig Stunden, Pillau erreichte, sondern auch noch den
nämlichen Abend um neun oder zehn Uhr in Königsberg am holländischen
Baume anlegen konnte.

       *       *       *       *       *

Sobald ich hier mein Schiff repariert hatte, säumte ich nicht, mich nach
neuer Fracht umzusehen. Es war die Zeit, wo die russischen Truppen,
welche das Land seit mehreren Jahren besetzt gehalten, ernstliche
Anstalten trafen, Preußen wieder zu räumen, und wo eine ungeheure Menge
von Kriegseffekten nach Rußland heimgeschafft werden sollten. Für den
Seeweg fand dieser Transport ein großes Hindernis in dem Mangel an
Schiffen, da die Fahrzeuge fremder Nationen dazu nicht gezwungen werden
konnten, und die preußischen Schiffer dem Frieden nicht trauten.

Weniger bedenklich als andere, war ich unter diesen Umständen der erste,
der sich dazu entschloß, eine Fracht nach Riga anzunehmen; denn mir
wurden -- was nie zuvor erhört! -- zweiundvierzig Silberrubel für die
Last geboten, nebst völliger Befreiung von Lizent und allen Unkosten,
nicht nur in Königsberg und Pillau, sondern auch in Riga bis wieder in
offene See; und selbst freier Ballast sollte mir, wenn ich's verlangte,
im letzteren Hafen geliefert werden. Die Chartepartie darüber ward
geschlossen und sowohl von einem russischen General als von mir
unterzeichnet.

Noch am nämlichen Abend kam ich unweit des Lizents in das Weinhaus der
Witwe Otten, wo damals gewöhnlich der größte Zusammenfluß von Schiffern
aller Nationen war, und ließ im Gespräche dies und jenes von meiner
soeben übernommenen Fracht verlauten. Niemand konnte oder wollte meinen
Worten glauben, bis ich meine Chartepartie vorzeigte. Dann aber erhob
sich ein spöttisches Gelächter auf meine Unkosten. Ich wurde gefragt,
wie ich doch wohl nur glauben könnte, daß man mir meinen Akkord in Riga
erfüllen werde? Man prophezeite mir einstimmig, man werde mir dort
gerade nur soviel, als man Lust habe, oder auch wohl gar nichts geben;
und sollte inzwischen (wie es ganz danach aussähe) der Krieg zwischen
Rußland und Preußen wieder ausbrechen, so könnte mich's obendrein noch
mein Schiff kosten.

Diese Warnungen, denen ich ihren guten Grund nicht absprechen konnte,
gingen mir gewaltig im Kopfe herum. Allein ich war schon zu weit
gegangen, um mich jetzt noch zurückzuziehen; und gegen die rohe Gewalt,
die ich zu fürchten hatte und deren Opfer ich schon früher gewesen war,
ließ sich einzig nur durch eine hier wohl erlaubte List aufkommen. Mit
diesem Entschlusse begab ich mich gleich am frühen Morgen zu dem
gedachten russischen General und machte ihm glaublich, daß ich auf mein
Schiff schuldig sei und meine Kreditoren mich nicht von der Stelle
fahren lassen wollten, bis ich ihre Forderungen befriedigt hätte. So
bliebe mir denn nichts übrig, als um bare Vorausbezahlung meiner Fracht
zu bitten oder die Fracht nach Riga, wiewohl ungern, aufzugeben.

Der Mann hörte mich geduldig an, und wie sehr ihn auch mein Ansinnen zu
befremden schien, und seine Einwendungen, daß dergleichen gar nicht zu
bewilligen stände und ich mir an den schon bedungenen Vorteilen genügen
lassen könne, das Recht auf ihrer Seite hatten, so legte ich mich doch
nur um so geflissentlicher aufs Bitten, bis ich endlich mit dem
Kernschusse hervorrückte, von dem ich mir das beste versprach. -- »Nun
denn,« rief ich, »meine Chartepartie ist zwar auf zweiundvierzig Rubel
pro Last gezeichnet; aber lassen Sie mir bar Geld zahlen, und ich bin
mit vierzig zufrieden, während ich für den vollen Empfang quittiere.«

Es wirkte, wie ich gehofft hatte. Er stutzte, stand lange in Gedanken
und bestellte mich zum nächsten Morgen wieder zu sich, damit er sehen
könne, was sich tun ließe. Ich verfehlte nicht, mich auf die Minute
einzustellen. Da standen aber bereits meine Frachtgelder mit zweitausend
Rubeln aufgestapelt auf einem Tische vor mir, und ich hatte keine
weitere Mühe, als den Empfang von zweitausendeinhundert Rubeln zu
bescheinigen und mein klingendes Silber einzustreichen. -- Hat man je
dergleichen gehört? Es ist aber gewisse Wahrheit!

Noch an dem nämlichen Tage ging das Einladen vor sich. Und worin bestand
meine Fracht? In lauter Kommisstiefeln, paarweise zusammengenäht. Wohl
ein ganzes Regiment Soldaten kam damit hochbepackt aus einem
benachbarten Speicher anmarschiert und jeder einzelne warf seine Ladung
durch die Schiffsluke in den Raum wie Kraut und Rüben durcheinander, bis
endlich diese Stiefeln sich zu einem hohen Berge auftürmten. Als ich nun
dem Offiziere, welcher dabei die Aufsicht führte, Vorstellung tat, daß
hinten und vorn alles ledig bleibe und die Last durch den ganzen Raum
gleichmäßig verteilt werden müsse, so schickte er endlich einige
Mannschaft hinunter, die sich die Stiefeln wacker um die Ohren warf, bis
es hieß: »Das Schiff ist voll und es kann keine Maus mehr hinein!«

Da sah ich, daß ich trotz dieser wunderlichen Ladung immer noch nicht
ballasttief mit meinem Schiffe lag, so hielt ich bei dem General an, daß
er mir noch eine Anzahl Bomben oder Kugeln in den hinteren oder
vorderen Raum geben möchte, weil ich sonst die See nicht würde halten
können. Allein seine Antwort lautete: damit könne mir jetzt nicht
geholfen werden; auch bekäme ich noch einen Offizier, zwei Sergeanten
und zwanzig Gemeine aufs Schiff, für deren Personen und Sachen
gleichfalls noch Raum übrig bleiben müsse. Der Bescheid war nicht sehr
erbaulich, ich mußte mich jedoch damit behelfen, und so lag ich nun am
Lizent zum Auslaufen fertig.

       *       *       *       *       *

Des nächsten Tages suchte mich ein russischer Offizier -- ein Livländer
namens Resch, der gut Deutsch sprach -- in meinem Hause auf, um mir
anzuzeigen, daß er zum Kommandeur auf meinem Schiffe bestellt sei, die
Fahrt nach Riga mit mir machen und sich mit seinem Kommando gegen Abend
an Bord einstellen werde. Der Mann war dabei so ungemein höflich, daß
ich sofort merkte, er müsse etwas auf dem Herzen haben. Und so war es
denn auch wirklich, denn er habe auch eine Frau, hieß es, von der er
sich unmöglich trennen könne. -- Nun, was konnte ich, wenn ich in der
Höflichkeit gegen ihn nicht gar zu arg abstechen wollte, weniger tun,
als von Vergnügen, Ehre und Schuldigkeit sprechen und meine guten
Dienste gegen einen halben deutschen Landsmann erbieten? Dagegen
verstand sich's, daß kein scharmanterer Herzensmann unter der Sonne
lebe, als Kapitän Nettelbeck.

»Aber noch eins!« unterbrach sich der Livländer in seinen
Versicherungen, »meine Frau ist in diesem Augenblicke verreist, um von
einer guten Freundin auf dem Lande Abschied zu nehmen und wird vor Nacht
schwerlich wieder eintreffen. Da Sie nun morgen mit dem frühsten die
Anker zu lichten gedenken, wäre es ja wohl das bequemste, wenn sie
gleich am Bord übernachtete?«

»Ei, warum nicht! Und wollen Sie mich jetzt gleich dahin begleiten, so
kann ich sogleich die vorläufigen Anstalten zu ihrer Aufnahme treffen
und Ihnen die kleinen Bequemlichkeiten zeigen, auf welche die Frau
Gemahlin zu rechnen haben wird;« war meine Gegenrede. Wirklich war er
mit der Einrichtung der Kajüte und der ihr einzuräumenden Schlafstätte
ungemein zufrieden; während ich den Steuermann anwies, die Dame, sobald
sie sich zeigen würde, gebührend zu empfangen und ihr mit Kaffee, oder
was sie sonst fordern möchte, fein höflich an die Hand zu gehen. So
schieden wir, und ich ging meines Weges ruhig nach Hause.

       *       *       *       *       *

Gleich nach Mitternacht aber erlitt diese Ruhe einen gewaltigen Stoß, da
sich plötzlich auf der Gasse ein Lärm, wie von einer Menge
zusammengelaufener Menschen erhob, die an meine Haustür und Fensterladen
pochten und laut und wiederholt meinen Namen riefen. Schnell fuhr ich
aus dem Bette empor; aber nicht gesonnen, in einer so bedenklichen Zeit,
als wir damals erlebten, mein Haus dem ersten besten zu öffnen, wollte
ich zuvor, daß die Polterer sich namenkündig geben sollten. So meldete
sich denn der Lizent-Buchhalter, den ich an der Stimme kannte, mit der
rätselhaften Nachricht, daß es auf meinem Schiffe unklar sei und ich
hurtig zum Rechten sehen möchte.

Ich erschrak von Herzen. »Mein Gott!« dachte ich, »ist mein Schiff
gesunken oder steht es in Brand?« -- Ich weiß nicht wie ich in die
Kleider und auf die Gasse kam. Hier endlich eröffnete mir der Buchhalter
das Verständnis. »Sie haben die Madame W. am Borde,« sagte er, »und nach
_der_ sind wir aus, um sie wiederzuhaben. Was Sie da sehen, sind ihre
beiden Kinder und ein heller Haufe von Knechten und Mägden aus ihrem
Hause.«

Nun fielen mir auf einmal die Schuppen von den Augen! Die angebliche
Offiziersdame hatte sich in eine liederliche, ihrem Manne entlaufene
Madame verwandelt! War mir's jedoch wenig recht, daß ich mit dem
schmutzigen Handel bemengt werden sollte, so mußte ich gleichwohl
überlegen, daß ich's in meinem jetzigen Verhältnisse, auch mit dem
Livländer nicht geradezu verderben durfte, und daß ich am besten täte,
den Knoten durch einen anderen lösen oder durchhauen zu lassen. So fuhr
ich unwillig auf den allzudienstfertigen Buchhalter ein: »Herr, scheren
Sie sich zum Geier! Was stören Sie zu dieser Zeit ehrliche Leute in
Schlaf und Ruhe!« -- und zugleich warf ich die Haustür wieder hinter mir
zu und ließ sie ferner schreien und klopfen, soviel ihnen selbst
beliebte. Gleichwohl jammerten mich die beiden Kinderchen -- ein Mädchen
von neun und ein Knabe von sieben Jahren -- in der innersten Seele. Sie
riefen unaufhörlich: »Ach Gott! ach Gott! meine Mutter!« bis sie es
endlich müde wurden und meine Tür verließen, oder vielmehr der Vater sie
heimholen ließ.

Noch vor Tagesanbruch, am 1. September, sah ich nach Wind und Wetter
aus, und da beide günstig waren, so eilte ich bereits um sechs Uhr, an
Bord zu kommen. Schon stand es aber auf dem Lizentplatz und neben dem
Schiffe gedrängt voll Menschen, die mir entgegenriefen: »Sie sollen uns
die Madame W. herausgeben!« Dagegen fand ich am Borde neben der Treppe
zwei Schildwachen, und neben der Kajütentüre zwei dergleichen
aufgepflanzt, und kaum war ich durch die letztere eingetreten, so kam
mir durch die Vorhänge meiner Schlafstelle ein Gesicht zum Vorschein,
das ich um so weniger verkennen konnte, da ich zum öfteren in
Schiffsangelegenheiten auf Herrn W.s Kontor zu tun gehabt hatte.

Dies Gesicht nun rief mir ganz frei und unbefangen einen »Guten Morgen!«
entgegen, den ich mit einer derben und gesalzenen Epistel erwiderte,
worin ich ihre lose Aufführung zu Gemüte führte und sie ermahnte, zu
ihrem braven Manne stehenden Fußes zurückzukehren, bevor Schimpf und
Schande für sie noch größer würde. Sie dagegen hub eine lange Schutzrede
an, worin der Mann übel genug wegkam, und ward endlich nur von dem
Offizier, den ich gar noch nicht in der Kajüte bemerkt hatte,
unterbrochen. Dieser sprang ungeduldig auf und rief: »Unnützes Geplauder
und kein Ende! Jetzt hurtig auf und davon! Das Kommandieren ist von nun
an an _mir_.«

Da dem nicht zu widersprechen war, so mußte ich ihm überlassen zu
handeln, wie er's verantworten konnte, ging hinaus, ließ die Segel
aufziehen und schickte zwei Matrosen ans Land, um die Taue hinten und
vornen abzulösen, womit das Schiff am Bollwerk befestigt lag. Aber das
zusammengelaufene Volk war nicht willens, den Handel so kurz Knie
abzubrechen. Meine Leute wurden umringt und an der Ausrichtung ihres
Geschäftes gehindert; so daß ich, um nicht noch ärgeren Lärm zu
veranlassen, sie an Bord zurückrief. Dagegen nahm ich einem russischen
Soldaten den Säbel von der Seite und kappte die Taue an beiden Enden,
und jetzt kam das Schiff zu Gange, obwohl alles, was am Lande war und
Arme hatte, es festzuhalten bemüht war. Der Lärm und das Getümmel
hierbei sind nicht zu beschreiben.

Noch aber gab sich der Haufe nicht zufrieden, sondern da das Schiff
notwendig weiter unten am holländischen Baume anlegen mußte, damit der
Baumschreiber meinen Paß visierte, so stürzte groß und klein im vollen
Lauf dahin und war schon lange vor mir zur Stelle. Während ich aber hier
meines Geschäftes wahrnahm, ging auch der Livländer ans Land und nach
dem hier postierten russischen Wachthause. Die Verständigung mit dem
kommandierenden Offizier war die Sache eines Augenblickes, und sowie die
Wache das Gewehr aufnahm und einige Kolbenstöße links und rechts
austeilte, war der Haufe auseinandergesprengt. Eine halbe Stunde später
lag uns Königsberg bereits in weiter Ferne im Rücken.

Nun fing aber auch Madame W. an, auf ihre Weise zu wirtschaften. Es war
zum Erstaunen, was sie in der kurzen Zeit an Bord zu schaffen gewußt
hatte und wie sie davon kochen und braten ließ, als ob auf dem Schiffe
Hochzeit wäre. Wir langten in aller Lust und Herrlichkeit noch desselben
Tages bei Pillau an; worauf wir am nächsten Morgen früh, bei stillem
Wetter in See gingen. Ehe wir noch aus dem Fahrwasser kamen, segelte
dicht hinter uns eine russische Fregatte zugleich mit uns aus, und das
Wetter war so still, daß man die Schiffe fast nicht auseinanderhalten
konnte, ohne daß es gleichwohl Gefahr dabei gehabt hätte.

Mein Livländer wurde durch all diesen schönen Anschein zum Übermut
verleitet. Er wollte Preußen zu Ehren noch einige Valet- und
Freudenschüsse tun und knallte auch wirklich mit seiner Flinte drei- bis
viermal in die Luft, ohne daß ich, mit der Leitung des Schiffes
beschäftigt, mich sonderlich um sein Beginnen kümmerte. Inzwischen
bemerkte ich doch bald nachher auf der Fregatte eine lebhaftere
Bewegung; eine Schaluppe von dorther legte bei mir an Bord und aus
derselben sprang ein Offizier wütend auf mein Verdeck und verlangte den
Schiffer zu sprechen. Als ich herantrat, zeigte er mir in einem Papier
mehrere Körner Hasenschrot, die auf der Fregatte aufgesammelt worden,
nachdem sie ein großes Loch ins Segel gerissen. Ich sollte nun Rede und
Antwort geben, wer der Täter gewesen?

Der Täter aber, der geahnt haben mochte, was passieren würde, war binnen
der Zeit in die Kajüte gegangen, in der Geschwindigkeit in seine Uniform
gefahren und trat soeben wieder hervor, um über den Ankömmling mit
gezogenem Degen herzufallen. Es entstand zwischen beiden ein
Handgemenge, welches endlich zugunsten des Fregattenoffiziers dadurch
entschieden wurde, daß die Matrosen aus der Schaluppe herzusprangen,
meinen Leutnant von hinten packten, banden und über Hals und Kopf in das
Boot warfen, ohne daß zu meiner großen Verwunderung nur irgendeiner von
unserer Schiffsbesatzung Miene machte, sich in den Streit zu mischen,
oder seinem Anführer Beistand zu leisten.

Da mir nun der Livländer einmal als Kommandant zugeteilt worden war, so
glaubte ich nicht ohne ihn davonfahren zu dürfen. Allein damit ich auch
nicht ohne Not aufgehalten würde und desto bälder ihn oder einen andern
wieder an Bord bekäme, schien es mir am geratensten, ihn auch nach der
Fregatte zu begleiten. Dies Verlangen ward mir ohne Anstand bewilligt.
Doch bald ergab sich's, daß es nicht dahin ging, woher die Schaluppe
gekommen war, sondern nach dem russischen Admiralschiffe, welches nebst
noch fünf Kriegsschiffen, draußen auf der Reede ankerte. Hier kam es
auch sogleich zu einem Verhöre und protokollarischer Aufnahme; der
Unfugstifter ward bedeutet, daß ihn seine Strafe in Riga erwarten werde
und daß er für diesen Augenblick seine Reise fortsetzen möge, damit der
kaiserliche Dienst nicht leide. Mit diesem Bescheide kehrten wir nunmehr
wieder an unsern Bord zurück.

Hier wollte nun der Narr hauen und stechen und haderte mit seinen
Leuten, daß sie ihn so feigherzig im Stiche gelassen. Wiewohl er sich
endlich beruhigte, so nahm doch am nächsten Morgen an seinem Beispiele
auch Madame den Mut, mit dem Soldaten, der ihr zur Aufwartung gegeben
war, unsäuberlich zu verfahren. Bald hatte er das Bett nicht gut
gemacht, bald die Teller nicht gehörig gescheuert, bald etwas noch
Schlimmeres versehen, und endlich lief ihr die Galle dermaßen über, daß
sie dem armen ungeschickten Kerl mit eigener hoher Hand eine gewichtige
Maulschelle zuteilte. Allein diese Keckheit bekam ihr übler, als sie
wohl gedacht hatte. Der ganze Trupp fühlte sich durch diese Mißhandlung
eines Kameraden von unberufenen Fäusten an seiner militärischen Ehre
gekränkt; alles spie Feuer und Flamme, drang auf den Leutnant ein und
bestand auf der bündigsten Genugtuung. Um den furchtbaren Lärm zu
stillen und noch derbere Ausbrüche einer rohen Gewalt zu verhüten, blieb
dem edlen Ritter zuletzt nichts übrig, als die Schöne unter seine eigene
Fuchtel zu nehmen; und das tat er denn, seiner Zärtlichkeit unbeschadet,
auch so herzhaft und nachdrücklich, daß endlich die lautesten Schreier
selbst sich für befriedigt erklärten. Nur Madame W. schien von dieser
fühlbaren Liebesprobe schlecht erbaut zu sein.

Ein paar Tage darauf kamen wir ins Gesicht von Dünamünde, und da der
Wind nach Osten umging, legten wir uns auf der Reede vor Anker. Das
stand indes meinem Schiffskommandanten nicht an, der augenblicklich in
den Hafen gebracht sein wollte und, da ich ihm die Unmöglichkeit
vorstellte, aller früheren Höflichkeit vergaß und mich für einen
Pfuscher in meinem Handwerke erklärte. Eine schnöde Antwort blieb nicht
aus, und die endliche Folge war der Versuch zu einer tätlichen
Mißhandlung, der ich für den Augenblick ein ruhiges Schweigen
entgegensetzte. Aber zu gleicher Zeit steckte ich auch eine Notflagge
auf, deren Bedeutung mein Widersacher nicht ahnte. Nicht lange, so kam
der Lotsenkommandeur mit seinen Leuten mir auf die Seite. Anstatt jedoch
seine verwunderten Fragen zu beantworten, sprang ich zu ihm ins Boot und
verlangte, zu dem Militärkommandanten in Buller-Aa geführt zu werden, wo
ich dann meine Klage gegen den Livländer anbrachte und bat, entweder
diesen vom Schiffe zu entfernen oder einen andern Schiffer an Bord zu
setzen, der es nach Riga führe. Ersteres ward auch ohne Anstand
bewilligt und der unruhige Gast auf der Stelle durch einen andern
Offizier ersetzt und ans Land geführt.

Niemand war mit diesem Wechsel unzufrieden, als Madame W., die jetzt ein
zungenfertiges Geschnatter anhub und mir eine Reihe von Ehrentiteln gab,
welche ich hier nachzuschreiben nicht Lust habe. Ich bat sie, sich zu
menagieren, wenn sie nicht etwa wolle, daß ich sie durch meine Leute
beim Kopfe kriegen, ins Boot werfen, am nächsten Strande aussetzen und
in die dickste Wildnis laufen ließe. Diese unbehagliche Aussicht, an
deren augenblicklicher Erfüllung mein Ernst nicht zweifeln ließ, brach
ihren kindischen Trotz. Sie griff nunmehr nach einem Gesangbuche, das
sie schwerlich mit Absicht eingepackt hatte, begann Bußlieder zu singen
und badete ihr Antlitz in Tränen. Da ihr das nun nicht schaden konnte,
so ließ ich sie gewähren.

Des anderen Tages um Mittag kam ich die Düna hinauf nach Riga, meldete
mich beim Kommandanten und bat um baldigsten Befehl zur Ablieferung der
geladenen Effekten; mit abermaliger Vorwendung der, unter meinen
Umständen wohl verzeihlichen Notlüge, daß mein Schiff leck und ich in
Gefahr sei, hier noch am Bollwerke zu sinken. Man hatte keinen Grund,
meine Aussage zu bezweifeln, mochte sogar wohl für die Ladung fürchten,
und so erschien denn bereits in nächster Stunde ein unzählbarer Schwarm
abgeschickter Soldaten, die, nach der schon beschriebenen russischen
Manier, auch wieder bei mir aufräumten. Ihr Gedränge um die Schiffsluken
her gestattete ihnen kaum Zeit und Raum, sich ihre zehn Paar Stiefel und
darüber über die Schultern zu schlagen, und damit fort wie die Ameisen!
Abends um sieben Uhr war mein Schiff ledig, wie mit Besen gefegt.

Da mir, kaum fünfzehn oder zwanzig Schritte entfernt, am Bollwerke ein
Berg Ballast vor der Nase lag, so legte ich nun augenblicklich mein
Schiff hart daran, dung acht russische Soldaten zu einem halben Rubel,
mir diesen Sand über Bord hineinzuschaufeln, und nachdem ich an den
Vor- und Hintersteven mit Kreide bezeichnet hatte, wie tief geladen
werden sollte, ließ ich sie, unter Aufsicht meiner Leute, tapfer
fortarbeiten, während ich selbst mich ruhig aufs Ohr legte. Am Morgen
war alles getan, und ich hätte in dem nämlichen Augenblicke wieder
absegeln können, wenn nur meine Papiere schon wieder in Ordnung gewesen
wären. Zu dieser Besorgung hatte ich mir noch keine Zeit gelassen.
Jetzt aber ging ich zu den Herren Zietze und Colbert, an welche ich
mich, für alle möglichen Fälle, von Königsberg aus hatte adressieren
lassen, besorgte vormittags meine Ein- und nachmittags meine
Ausklarierung und konnte nunmehr gehen wohin ich wollte.

Indem ich nun die Anstalten zur Abreise eifrigst besorgte, weil ich
immer noch den russischen Behörden nicht recht traute und darum gerne je
eher je lieber außer ihrem Bereiche gewesen wäre, -- trat ich auch von
ungefähr in die Kajüte. Siehe da! Die Königsberger Schöne saß da und
rang die Hände und wollte vergehen in Angst und Wehmut, denn ihr
Vielgetreuer war noch nicht wieder zum Vorschein gekommen! Ich tat ihr
den wohlmeinenden Vorschlag, sie sollte mit mir in ihre Heimat
zurückkehren und es auf ihres schwer beleidigten Mannes Edelmut ankommen
lassen, ob er ihr verzeihen und sie wieder auf- und annehmen wolle, wo
denn leicht ein Schleier über ihre leichtsinnige Tat zu werfen sein
werde. Doch dies war keine Musik in ihrem Ohre. Lieber, versicherte sie,
wolle sie es auf das äußerste ankommen lassen und hinter irgendeinem
Zaune sterben und begraben werden. Schwerlich dachte das unglückliche
Geschöpf, daß in diesem Augenblicke ein prophetischer Geist aus ihr
spräche, wie die Folgezeit erwiesen hat.

So blieb ihr denn nur übrig, ihr Bündel zu schnüren. Meine Leute griffen
zu und halfen die Bagage aus dem Schiffe ans Bollwerk bringen, wo sie
sich trostlos und verlassen oben drauf setzte. Die Segel wurden
angezogen, die Taue gelöst und so ging es von dannen! Während ich ihr
noch meinen Abschied nachrief, begann sich bereits ein Kreis von
Menschen um sie her zu versammeln.

       *       *       *       *       *

Statt ihrer hatte ich einen herrenlosen Schiffer aus Pillau, der aber in
diesen Gewässern wohl bekannt war, als Passagier an Bord genommen, und
da mir noch immer der Boden unter den Füßen brannte, so ließ ich mir
seinen Vorschlag gefallen, ohne irgendeinen weiteren Aufenthalt die
offene See zu suchen, wobei er selbst mir als Lotse dienen wollte. Das
geschah und geriet glücklicher, als meine Keckheit es verdiente. Denn
niemand hielt mich an, und des dritten Tages nachher warf ich bereits
wieder in Pillau den Anker. Weil jedoch mein Schiff in der Bordingszunft
zu Königsberg eingeschrieben war, so blieb ich hier noch liegen, um eine
Bordingsfracht den Pregel hinauf zu erwarten.

Zwei Tage darauf erschien Schiffer Kummerow mit jenem nämlichen Schiffe,
worauf im vorigen Jahre der gute Christian verunglückte, auf der Reede
und steuerte, trotz einem fliegenden Sturme, mutig in den Hafen. Sobald
er vor Anker gekommen, war ich mit meinen braven Landsleuten, den
Schiffern Paul Todt und Johann Henke zu dem Neuangekommenen, der
gleichfalls ein ehrlicher Kolberger war, an Bord gefahren. Beim
Eintritte in seine Kajüte sahen wir, daß ihm die Brandung beim Einlaufen
hinten die Fenster und Porten in Stücke geschlagen hatte, und daß
drinnen alles voll Wasser stand. Er hatte nun zum Schaden auch noch den
Spott, indem wir ihn redlich auslachten. Ich erinnerte mich dabei, daß
ich mit diesem nämlichen Schiffe und in einem ähnlichen Sturmwetter hier
in den Hafen gesegelt, aber die Besonnenheit gehabt, die Hinterporten
zuvor fallen zu lassen.

Bei der fortgesetzten Neckerei hub endlich unser Wirt im halben Unwillen
an: »Basta, ihr Herren! Ihr sollt am längsten gespottet haben. -- Heda,
Junge! Den Koch herbei! -- Koch, auf dem Platze ans Land gefahren, und
holt mir den Tischler, soundso genannt. Er soll sich mit Handwerkszeug
versehen, um hier die Einschiebrahmen loszumachen, damit sie zum Glaser
in die Kur gebracht werden können.« -- Während nun sein Wille
ausgerichtet wurde, der Tischler aber, ohne daß wir uns weiter daran
kehrten, seine Arbeit begann, saßen wir daneben bei einem Glase Wein,
wobei wir vergnügt und wohlgemut alte und neue Geschichten nach
Seemannsweise auf die Bahn brachten.

Ganz von ungefähr fielen hierbei meine Blicke auf den emsig
beschäftigten Tischler und nahmen mit Verwunderung wahr, wie dieser
hinter der Verkleidung, wo die Fensterrahmen eingeschoben gewesen waren,
allerlei Sachen hervorlangte und mit dem krummen Stiele seines
Schnitzers immer noch nach mehreren angelte. Das Blut schoß mir aufs
Herz und ins Gesicht, denn ich erkannte augenblicklich, Stück für Stück,
das verschwundene Eigentum des verstorbenen Schiffers Karl Christian. Da
war seine Uhr, seine Garnitur silberner Schnallen, ein Beutel mit
einigen hundert Talern dänisch Kurant, ein Schächtelchen mit Pretiosen
an goldenen Ringen und Ohrgehängen, desgleichen silberne Schlösser zu
großen Bügeltaschen nach damaliger Mode, und was sonst noch mehr, das
der gute Mann vormals in Amsterdam eingehandelt und unterwegs, aus
Furcht vor Kaperei, hier in Sicherheit gebracht hatte. -- Hier hatte es
kein Mensch gesucht und _wir_ es eher in jedem andern Versteckwinkel
geahnt!

Guter Gott! Und ich hatte mich müssen darum gleichwohl einen Dieb heißen
lassen! Aber der Himmel ist gerecht und barmherzig. Er fügte es, daß die
Wahrheit noch nach Jahr und Tag wunderlich ans Licht kam, daß es sogar
in meiner Gegenwart und vor vieler Zeugen Augen geschehen mußte! Wären
wir nicht alle zugegen gewesen -- wer weiß, wie weit die Ehrlichkeit des
Finders Stich gehalten, ob je ein Hahn danach gekräht und ich nicht Zeit
meines Lebens Dieb geheißen hätte. -- Ja, allemal wenn ich an diese
Geschichte denke, schlage ich meine Hände in die Höhe und danke Gott.
Der Name des Herrn sei gelobt!

Nun raffte ich in der Bestürzung alles zusammen und damit ans Land zu
der Witwe meines ehemaligen Schiffers. »Hier, meine liebe Frau!« rief
ich außer Atem -- »hier bringe ich Ihnen den Schatz von Ihrem seligen
Herrn, wofür ich so lange habe Dieb heißen müssen. Soundso ist das durch
Gottes Leitung wieder aufgefunden worden; und nun danken auch Sie Gott
und seien fröhlich.«

So gab es also Freude von allen Seiten. Bald auch wurde die Geschichte
in Königsberg und in der ganzen Umgegend ruchbar. Jeder hielt es für ein
halbes Wunder; jeder wollte von mir selbst noch näheren Bericht
erfahren; und war ich vorher hier und da wohl zweideutig über die Achsel
angesehen worden, so wurde ich seitdem von Bekannten und Unbekannten mit
unverdienter Güte und Liebe behandelt.

       *       *       *       *       *

Mein gutes Glück, das ich in diesem Jahre mit meinem kleinen Schiffe
gehabt hatte, machte mich, wenn auch nicht übermütig, doch
zuversichtlich. Ich war ein junger Mensch und wollte mich noch besser in
der Welt versuchen, um es desto gewisser in der Welt zu etwas zu
bringen. Meiner Ansicht nach mußte ich ein neues und größeres Schiff
haben, womit ich mich in die Nordsee und über den Kanal hinauswagen
dürfte, anstatt bloß in der Ostsee, wie in einer Entenpfütze,
umherzuleiern. Nebenher verließ ich mich auch wohl auf mein Geschick,
womit ich mir das Glück, auch wenn es mir den Rücken kehren wollte, wohl
zu erzwingen gedachte. Leider hatte oder achtete ich damals die
Erfahrung noch nicht, daß zum Laufen kein Schnellsein hilft, und sollte
es erst noch zu meinem Schaden lernen.

Überhaupt habe ich es erst später begriffen, daß lediglich alles vom
Glücke abhängt und dieses durch Fleiß und Geschick allein sich nicht
erzwingen lassen will. Wohl aber hätte ich es an meinen eignen dummen
Streichen (woran ich es leider nie habe fehlen lassen) abnehmen können,
daß diese den Dummbart oft dem Glücke weiter in den Schoß führen, als
ein andrer mit den weisesten Überlegungen auszurichten vermag. Doch will
ich damit nicht gesagt haben, daß man den letzteren mit Vorbedacht aus
dem Wege gehen solle. Muß man in der Ausführung ja doch immer noch dem
lieben Gott die größere Halbschied überlassen. --

Kurz, ich verkaufte meinen kleinen und glücklichen Postreiter, setzte
mir's in den Kopf, ein funkelnagelneues Schiff von etwa achtzig Lasten
auf den Königsberger Stapel zu setzen, und war den größten Teil des
Jahres 1763 mit dem Ausbau desselben beschäftigt, ohne den Ort zu
verlassen. In das nämliche Jahr traf auch der unglückliche große Brand
in Königsberg, wobei der Löbenicht, Sackheim und ein Teil vom Roßgarten
im Feuer aufgingen. Als der erstgenannte Stadtteil so plötzlich und an
allen Orten zugleich in Flammen stand, befand ich mich mit wohl noch
tausend andern Menschen auf der Holzwiese, dicht am Pregel, dem Löbenich
gegenüber. Hier bemerkten wir auf der Ladebrücke, hinter dem Hospital,
arme gebrechliche Bewohner desselben, welche darauf ihre letzte
kümmerliche Zuflucht gesucht hatten. Denn hinter ihnen standen ihre
Zellen, samt der Hospitalkirche, in lichtem Brande; zur einen Seite
nicht minder der Mönchhof, und zur andern, neben der Brücke, ein großer
Stapel Brennholz; so daß den Unglücklichen nur übrig blieb, sich in den
Pregel zu stürzen oder ihr Schicksal auf jener Ladebrücke abzuwarten.

Schon aber schien die Flamme sie auch in diesem letzten Bergewinkel
ereilen zu wollen! Wir sahen deutlich von jener Seite, wie bereits
einigen Lahmen und Krüppeln die Kleider auf dem Leibe angeglommen waren,
während andere, die noch etwas rühriger waren, Wasser schöpften und
damit ihre Unglücksgefährten wiederholt übergossen, um sie vor dem
Verbrennen zu retten. Sie konnten dies auch um so füglicher, da zugleich
ein starker Orkan aus Norden wütete (der eben den Brand so unaufhaltsam
verbreitet hatte) und wodurch auch das Stromwasser so aufgestaut wurde,
daß es fast die Höhe der Brücke erreichte.

Hier sollte und mußte nun in so dringender Gefahr den armen Leuten
unverzüglich geholfen werden! Fahrzeuge waren in der ganzen Gegend
nirgends abzusehen. Ich lief indes über die Kuttelbrücke nach dem
Hunde-Gat, sprang in ein Boot, das zu einem dort liegenden Schiffe
gehörte; und da zum Glück ein Ruder drinnen lag, so war ich mit Hilfe
des starken Windes binnen fünf bis zehn Minuten wieder an der
Ladebrücke. Man denkt sich's leicht, wie ich hier von den armen Menschen
bestürmt wurde. Immer wollte einer vor dem andern aufgenommen sein, und
mir blieb endlich nichts übrig, als eilig mit dem Boote und den zuerst
Eingesprungenen abzustoßen, wenn nicht alles auf der Stelle mit und
unter mir versinken sollte. Ich brachte indes meine Ladung nach der
Holzwiese in Sicherheit, und so gelang es mir in dreimaligem Hin- und
Herfahren, sie alle glücklich aus der Klemme zu schaffen.

Als ich jedoch mich der Brücke nochmals näherte und den Platz
wohlbedächtig mit meinen Blicken musterte, während bereits die
Laufbretter hier und da die Flammen durchzüngeln ließen, nahm ich,
fünfzehn oder zwanzig Schritte von mir entfernt, etwas wahr, das sich
brennend auf dem Boden bewegte und anfangs von mir für ein glimmendes
Bett gehalten wurde, das der Sturmwind vor sich herwälzte. Als ich aber
die Brücke bestiegen hatte und es in der Nähe untersuchte, fand ich, daß
es eine alte Frau war, die, wie ich späterhin erfuhr, an einer Seite des
Leibes völlig vom Schlage gerührt worden. Ich hob sie auf, um sie nach
meinem Fahrzeuge zu tragen: allein der Qualm und Gestank der schwelenden
Kleider stieg mir so unerträglich zu Kopf und Brust, daß ich von meinem
Vornehmen abstehen mußte. Doch ergriff ich die Unglückliche an Hand und
Fuß, zerrte sie so -- wenngleich ein wenig unsanft -- nach dem Boote und
brachte sie hinüber, wo sie mir von den vielen umstehenden Menschen
abgenommen wurde.

Gleich darauf stieß ich wieder ab, um womöglich irgendeinem Bedrängten
in dieser Not retten zu helfen, und kam an das Löbenichtsche
Schlachthaus, das gleichfalls in hellem Feuer stand und wo noch, wie ich
durch die niedergebrannten Planken wahrnehmen konnte, eine Menge
ausgeschlachteten Viehes umherhing. »Mein Gott!« dachte ich -- »wie
vielen hundert Menschen könnte das noch zur Erquickung dienen, denen das
Unglück heute nichts als das liebe Leben gelassen hat!« Ein großer
fetter Ochse, der der Treppe nach dem Wasser am nächsten hing, fiel mir
besonders in die Augen. Ich schnitt ihn ab, wälzte ihn hinunter und
schleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her ans jenseitige Ufer, wo ihn
mir ein Reiter abnahm und vollends aufs Trockene brachte. Wo er weiter
geblieben und wem er zugute gekommen ist, weiß ich nicht.

Indem ich mich nun aufs neue nach der Löbenichtschen Seite
hinübermachte, stieß ich dort auf eine korpulente Frau, die ihre Hände
nach mir aufhob und rief: »O Schifferchen, erbarme Er sich, helf' Er!
rett' Er! -- Das ist mein Haus, was mit den andern im Brande steht, und
mein Mann ist ausgereist auf den Viehhandel. Alle meine Leute haben mich
verlassen, und was Er hier um mich liegen sieht, hab' ich mit meinen
eigenen Händen aus dem Feuer gerissen.« -- Dabei wies sie auf einen Berg
von Betten, Kleidungsstücken und dergleichen.

Ich ließ mich nicht zweimal bitten; wir warfen beide Hals über Kopf von
den Sachen bunt durcheinander in das Boot, soviel es nur fassen konnte,
und nun schlug ich ihr vor, diese Ladung ans jenseitige Ufer
hinüberzuschaffen, dann aber wiederzukommen und sie selbst mit dem Rest
in Sicherheit zu bringen. Das war aber keine gute Disposition, wie ich
sogleich inne ward, als ich die Holzwiese erreichte; denn hier gab es
zwar hundert geschäftige Hände, die mir die geretteten Sachen abnahmen,
als ich mich aber danach umsah, ob sie auch in gute Verwahrung kämen,
lief der eine hierhin, der andere dorthin; dieser zog mit einem Bette
ab, jener mit einem Laken oder einem Armvoll Kleider, und als ich das
letzte Stück aus den Händen gab, hatte sich bereits die ganze Ladung
verkrümelt.

»Frauchen!« sagte ich bei meiner Wiederkehr -- »das sieht betrübt mit
Ihrem Eigentum aus! -- Ich fürchte, Sie kriegt in Ihrem Leben keine
Faser wieder davon zu sehen. Soundso ist mir's damit gegangen.« -- Die
Unglückliche weinte und seufzte. Indes schleppten wir noch einen
schweren Kleiderkasten an und ins Boot und was sie noch von
Gerätschaften geborgen hatte. Sie selbst trug ich, trotz ihrer
Wohlbeleibtheit, indem ich bis an den halben Leib durchs Wasser watete,
gut oder übel ebenfalls hinein und fuhr ab. Unterwegs gewann sie wieder
etwas Mut und Redseligkeit. Sie nannte mir ihres Mannes Namen (den ich
aber wieder vergessen habe) und daß er ein Branntweinbrenner gewesen,
samt ihren andern häuslichen Umständen. Die ganze Brandgeschichte, vom
ersten Feuerlärm an, und ihren Schreck, und was sie und ihre Nachbarn
gedacht und gesagt und vermutet -- das alles bekam ich anzuhören und
wahrscheinlich noch sehr vieles mehr, wenn wir nicht schon früher bei
der Holzwiese angelangt gewesen wären.

Hier ward das unordentliche Getümmel der räuberischen Dienstfertigkeit
um die arme Frau fast noch ärger als bei meiner ersten Landung. Endlich
drängte man mich ganz von ihr ab, und ich sah sie nur noch aus der Ferne
auf ihrem Kasten sitzen, um wenigstens _diesen_ zu behaupten. Wieviel ihr
von dem übrigen geblieben oder wiedergebracht worden, weiß Gott; denn
meine Augen haben sie nachher in dem weitläufigen Orte niemals
wiedergesehen.

Für diesmal wollte ich nun sehen, was in einer andern Gegend, auf der
Sackheimerschen Seite, passierte. Nicht lange, so traf ich abermals mit
einer alten Frau zusammen, die am Wasser stand und mir entgegenschrie:
»Ach Herzens-Schifferchen, goldenes! Hierher, zu _mir_ hin! Ich will Ihm
auch gerne einen Sechser geben.« -- Ich mußte lachen, so wenig mir's bei
der allgemeinen grausamen Not auch lächerlich ums Herz war. -- »Nun, und
wo soll ich hier denn angreifen?« -- »Ach du mein Gottchen! Diesen
Kasten hier, wenn Er mir den doch nach der Holzwiese schaffen wollte.
Mein ganzes armes Hab und Gut steckt zusammen drinnen! Ich bin eine
geschlagene Frau, wenn ich den missen soll!«

Nun freilich, da mußte schon Hand zum Herzen getan werden! Sie übergab
mir eine lange schmale Kiste, die mir nun zwar bei dem flüchtigen
Blicke, den ich mir darauf zu werfen abmüßigte, keine sonderlichen
Schätze zu bergen schien, aber doch, unter gemeinschaftlicher
Daranstreckung unserer Kräfte, glücklich ins Boot geschoben und, weil
sie darin der Länge nach keinen Platz fand, mit Mühe querüber ins
Gleichgewicht gerückt wurde, wiewohl das Fahrzeug, da sie hochstand,
heftig damit schwankte. Auch ging es mit der Fahrt noch immer gut genug,
bis wir auf Stromesmitte auch in den Bereich des Sturmwindes gerieten,
welcher uns dergestalt packte, daß sich das Boot ganz auf die Seite
legte und Wasser schöpfte. Was ich immer tun mochte, dem Übel
abzuhelfen, blieb vergeblich, und unsre Gefahr zu sinken ward mit jedem
Augenblicke dringender. »Aber, liebe Frau, was _hat_ Sie denn in dem
unbeholfenen verwetterten Kasten?« fragte ich endlich mit einiger
Ungeduld. -- »Ach, mein Ein und Alles! Meine Hühner und Enten, womit
ich handle und die mir Eier legen.« -- »Ei, so hole denn der Henker
lieber den ganzen Kram!« schrie ich giftig, -- »als daß wir hier unsere
Haut darum zu Markte tragen!« -- und damit schob ich den Kasten fein
säuberlich über Bord und ließ ihn treiben, wohin er wollte. Nun aber
erhob sich über mich ein Sturmwetter von ganz anderer Art, und ich
kriegte Ehrentitel zu hören, wie ich sie mir nimmer vermutete. Aber wie
sollte ich es anders machen? Das Boot stand am Umkippen und war schon
hoch voll Wasser gelaufen.

Wir waren darüber beinahe bis an den Sackheimschen Baum getrieben. Ich
machte mich also eilig von meiner lästigen Begleiterin los, stieg ans
Land, befestigte das Fahrzeug und half anderweitig bei dem Feuer bergen
und retten, wo und wie ich immer vermochte. Darüber blieb ich nun von
meiner eigenen Schwelle entfernt vom Sonntag abends, da das Feuer
anging, bis Dienstag nachmittags, wo endlich seine zerstörende Wut sich
legte. Während dieser entsetzlichen Frist kam ich verschiedentlich mit
Bekannten aus unserem Stadtende, am Lizent und der Gegend umher,
zusammen. Da ward denn immer die erste angelegentliche Frage, wie es in
der Nachbarschaft stehe, freudig beantwortet: »Gottlob! Wir haben bis
jetzt keine Not vom Feuer, wohl aber vom Sturm hohes Wasser in Straßen
und Häusern, daß man überall darin mit Kähnen umherfahren kann.« --

Ein ähnlicher Orkan stieg einige Zeit nach jenem unvergeßlichen Unglück
so gewaltig auf, daß alle Schiffe, mit denen der Pregel, vom Grünen
Baume an, bedeckt war, sich teils einzeln von ihren Befestigungen am
Bollwerk losrissen, teils untereinander abdrängten, und selbst die
mitten im Strome geworfenen Anker dagegen nicht aushielten. Die
Verwirrung und das Gedränge ward mit jedem Augenblicke größer. Endlich
packte sich alles an der Grünen Brücke in eine dichte wüste Masse
zusammen; die Masten stürzten über Bord und die Bugspriete knickten wie
Rohrstengel. Der Schaden war unermeßlich, und als man endlich wieder zur
Besinnung kam, hatte man sich billig zu verwundern, daß nicht alles und
jedes zugrunde gegangen.

Gleichwohl betraf dieses Schicksal unter andern auch einen ledigen
Bording von fünfzig Lasten, der zwischen den andern Schiffen so
eingeklemmt ward, daß er endlich, als die geringere Masse, von ihnen
niedergedrückt und dergestalt völlig in den Grund versenkt werden mußte,
daß keine Spur von ihm zu erblicken war. Dies Gefäß gehörte einer Witwe
Roloff, meiner guten Freundin und Gevatterin, zu, die in ihrer Not und
mit weinenden Augen auch zu mir kam, ob ich ihr in ihrem Unglück nicht
helfen könne. Ich versprach mein Möglichstes, und sobald nur der Sturm
sich abgestillt hatte und die Schiffe sich wieder auseinandergewirrt,
traf ich Anstalten, den Bording mit Winden und Tauen aus dem Grunde
wieder emporzuheben, was mir denn auch mit vieler Mühe und Arbeit
gelang, so daß das Fahrzeug auf eine sichere Stelle gebracht und der
erlittene Schaden ausgebessert werden konnte.

       *       *       *       *       *

Einige Zeit nachher, während ich noch an meinem Schiffe baute, kam eines
Tages das Geschrei zu mir auf die Baustelle: auf dem Pregel am Grünen
Krahn stehe ein holländisches Schiff, mit hundertundzwanzig Lasten Hanf
geladen, in lichtem Brande. Sofort machte ich mich, samt allen meinen
Schiffszimmerleuten, deren jeder mit seiner Axt versehen war, auf den
Platz und sah, wie das Feuer klafterlang, gleich einem Pferdeschweif,
hinten durch die Kajüt-Porten emporflackerte. Alle Menschen, soviel sich
deren bereits herbeigemacht hatten, waren damit beschäftigt, Löcher in
das Verdeck zu hauen und von oben hinab Wasser in den brennenden Raum zu
gießen. Offenbar aber gewann dadurch der Brand unterm Deck nur um so
größeren Zug und war auf diese Weise mit nichten zu dämpfen.

Ein so widersinniges Verfahren konnte ich nicht lange gelassen mit
anblicken. So packte ich denn flugs den Schiffer am Arm und schrie ihm
zu: »Ihr arbeitet Euch ja damit zum Unglück, daß Ihr dem Feuer noch mehr
Luft macht. _Versenken_ müßt Ihr das Schiff! Hört Ihr? Versenken! Was da
lange Besinnens?«

Es lief aber alles verwirrt durcheinander und kein Mensch konnte oder
wollte auf mich hören. Da griff ich einen von meinen Schiffszimmerleuten
auf, sprang mit ihm in das Boot, welches zum brennenden Schiffe gehörte
und zeigte ihm eine Planke, dicht über dem Wasser, wo er in Gottes Namen
ein Loch ins Schiff hauen sollte. »Das lass' ich wohl bleiben!« war
seine Antwort -- »ich könnte schlimmen Lohn dafür haben!«

Dieser Widerstand erhitzte mich noch mehr. Ich riß ihm die Axt aus den
Händen und bedachte mich keinen Augenblick, ein ganz hübsches Loch hart
überm Wasserspiegel durchzukappen. Als ich den guten Erfolg sah, legte
ich mich auf den Bauch und hieb immer tiefer einwärts, bis endlich das
Wasser stromweise da durch und in den Schiffsraum drang. Das eben hatte
ich gewollt, und nun eilte ich spornstreichs aus dem Boote auf das
Verdeck, wo sich hundert und mehr Menschen drängten, und schrie:
»Herunter vom Schiff, was nicht versaufen will! In der Minute wird's
sinken!«

Anfangs hörte man mich nicht; da ich es aber immer und immer wiederholte
und zugleich auch das Schiff begann, sich stark auf jene Seite zu
neigen, so kam auf einmal der Schrecken unter die Leute; alles lief nach
dem Lande, in banger Erwartung, was weiter geschehen würde. In der Tat
legte sich das Schiff so gewaltig seitwärts, als ob es umfallen wollte;
aber im Sinken richtete es sich plötzlich wieder empor und fuhr so,
geraden Standes, plötzlich bis an die Gaffel-Klaue in die Tiefe, die
hier zur Stelle wohl sechsunddreißig bis vierzig Fuß betragen mochte.

Das Feuer war gedämpft. Eine stille dumme Verwunderung folgte. Aber
plötzlich auch ward jedes Gaffers Mund wieder laut: »Wer hat das getan?
Wer hat das Schiff in den Grund gehauen?« Jeder hatte aber auch gleich
die durcheinandergeschriene Antwort bei der Hand: »Nettelbeck! Ei, das
ist ein Stückchen von Nettelbeck!« -- Nettelbeck aber kehrte sich an
nichts, ging ruhig nach Hause und war in seinem Herzen überzeugt, daß er
recht getan habe.

Gleich des andern Tages, vormittags neun Uhr, trat in voller Angst mein
Schwiegervater zu mir ins Haus und fuhr auf mich ein: »Nun haben wir's!
Ein schönes Unglück habt Ihr angerichtet mit dem in Grund gehauenen
Schiffe! Da sind eben drei Kaufleute und der holländische Schiffer, samt
einem Advokaten, auf der Admiralität und klagen wider Euch auf vollen
Ersatz alles Schadens. Nun sitzt Ihr in der Brühe!« -- Und noch hatte er
seine Hiobspost kaum geendet, so war auch schon der Admiralitätsdiener
zur Stelle, der mich auf den Lizent, gleich in dieser nämlichen Stunde,
vor das Admiralitäts-Kollegium beschied. »_Die_ sind rasch dahinter her,«
dachte ich bei mir selbst, und mir ward doch nicht ganz wohl dabei
zumute.

Als ich ankam, fand ich's ganz so, wie's mein Schwiegervater verkündigt
hatte. Mir ward ein schon fertiges Protokoll vorgelesen, des Inhalts,
daß ich es sei, der unberufenerweise das Schiff zum Sinken gebracht und
dadurch einen Schaden von so vielen Tausenden angerichtet habe. Ich
sollte jetzt die Wahrheit dieser Angaben anerkennen, von der Ursache
Rede und Antwort geben und allenfalls anführen, was ich zu meiner
Verteidigung vorzubringen wüßte.

»Tausend Augen« -- sagte ich -- »haben es mit angesehen, wie das Schiff
hinten hinaus in hellem Feuer stand; und je mehr Luftlöcher die Leute
ins Verdeck hieben, desto mehr Nahrung gaben sie dem inwendigen Brande.
Hätte das nur noch eine halbe Viertelstunde so fortgedauert, so nahm die
Flamme dergestalt überhand, daß es kein Mensch mehr auf dem Schiffe
aushalten konnte und dieses mitsamt der Ladung preisgegeben werden
mußte. Allein wenn und während es nun in voller Glut stand -- wie sollte
es da fehlen, daß nicht auch die Taue mitverbrannten, an denen es am
Bollwerk befestigt lag; daß die flammende Masse stromabwärts und unter
die vielen andern dort liegenden Schiffe trieb und diese mit ins
Verderben zog? -- Ja, was leistete uns Bürgschaft, daß dieser
Schiffsbrand nicht ebensowohl auch die dicht am Bollwerk befindlichen
Speicher und die unzähligen Hanfwagen davor ergriff? und daß darüber
nicht ganz Königsberg in Rauch und Asche aufging? -- Jetzt ist großes
und gewisses Unglück mit um so geringerem Schaden abgewandt, als Schiff
und Ladung wohl noch wieder zu bergen sein werden. Ich bin daher auch
des guten Glaubens, daß ich in keiner Weise strafbar gehandelt, sondern
nur meine Bürgerpflicht geleistet habe.«

Der Direktor, Herr Schnell, diktierte diese meine Verantwortung selbst
zu Protokoll, und der Advokat ermangelte nicht, dagegen allerlei Einrede
zu tun. Darnach ward ich abermals befragt, ob ich weiter noch etwas zu
meinen Gunsten vorzubringen habe? -- »Nicht ein Wort!« erwiderte ich. --
»Meine Sache muß für sich selber sprechen.« Die Verhandlung ward zu
Papier gebracht, und dies mußten alle Parten unterzeichnen. Dann wurden
wir bedeutet, einstweilen abzutreten, weil unser Handel klar genug sei,
um noch in dieser nämlichen Sitzung zum Spruche zu kommen.

»Desto besser!« dachte ich. -- »Wenn nur die gestrengen Herren drinnen
auch Vernunft annehmen wollen!« und über diesem »Wenn« kam es denn doch
bei mir zu einem Herzpochen, das mir diese halbe Stunde Verweilens sehr
bänglich machte. Wer weiß, ob es meinen Gegenparten viel besser erging?
-- Endlich hieß es, daß wir wieder vortreten möchten; und nun gab man
uns sogleich auch die gefällte Sentenz zu vernehmen, deren Inhalt der
Hauptsache nach etwa dahin lautete:

»Die Admiralität erkenne, daß der Schiffer Nettelbeck vollkommen recht
und löblich gehandelt, indem er durch schnelle Versenkung des in Rede
stehenden brennenden Schiffes größeres Unglück von dem Handelsstande und
der Stadt abgewandt. Nächstdem aber behalte sich das Kollegium vor, ihm
dessen Zufriedenheit und Dankbarkeit durch feierlichen Handschlag zu
bezeugen. Falls auch der Gegenpart mit diesem Erkenntnisse zufrieden
sei, solle derselbe mit dargebotener Hand sich bei beregtem Nettelbeck
bedanken, daß er Schiff und Ladung vor noch größerem Schaden bewahrt
habe.«

Nach geschehener Vorlesung stand der Direktor, Herr Schnell, von seinem
Sitze auf, schüttelte mir treuherzig die Hand und sagte: »Ich tue das
als Erkenntlichkeitsbezeugung im Namen aller Schiffer, die auf dem
Pregel liegen, und im Namen der Stadt, die durch Ihren Mut und
Besonnenheit einem großen Unglücke entgangen ist. Sie sind ein wackerer
Mann!«

Kaufleute, Schiffer und Advokat sahen einander an und gaben etwas
verlegene Zuschauer bei dieser Szene ab. Endlich traten sie einer nach
dem anderen zu mir und gaben mir ihre dankbare Hand. Die Vernünftigeren
unter ihnen gaben zu gleicher Zeit zu verstehen, sie wären nur darum zur
Klage gegen mich geschritten, um sich bei ihren Assüradeurs, Reedern und
Korrespondenten hinlänglich zu decken.

Schon waren wir im Begriffe, aus der Gerichtsstube wieder abzutreten,
als der Direktor mich zurückrief und anhub: »Schiffer Nettelbeck! Wie
ist's? Haben Sie nicht im vorigen Jahre der Witwe Roloff ihren im Pregel
versunkenen Bording glücklich wieder in die Höhe gebracht? -- Ich
dächte, Sie wären ebensowohl der Mann dazu, Ihr Kunststück auch an
diesem Schiffe hier zu wiederholen? -- Meine Herren!« sich zu den
Kaufleuten wendend -- »Sie sollten sich diesen Vorschlag überlegen! Was
meinen Sie?«

Alsobald legten mir die Gefragten die Sache eindringlich vor. »Je nun,«
erwiderte ich, »vieles in der Welt läßt sich machen, wenn es mit
Vernunft und Geschick angegriffen wird. Wir beide, der Schiffsherr und
ich, wollen hingehen, untersuchen und das Ding an Ort und Stelle
reiflicher überlegen. Läßt sich was beginnen, so wollen wir in Gottes
Namen Hand ans Werk legen.« -- Sogleich auch machten wir uns auf den
Platz, aber alsbald auch ward mir's klar, daß der Schiffer eine
Schlafmütze war, von dem ich keinen erklecklichen Beistand erwarten
durfte. Lieber also ließ ich ihn ganz aus dem Spiele, ging zu meinem
guten, ehrlichen Freunde, dem Schiffszimmermeister Backer, und bat ihn,
daß er mir bei meinem Vornehmen helfen möchte. Der war auch zu allem
bereit und willig, und so schritt ich denn getrost an die Ausführung.

Nach dem Plane, den wir entworfen hatten, erbat ich mir von ein paar
guten Freunden zwei Fahrzeuge zu meiner Verfügung, wobei denn natürlich
alle Gefahr und der Ersatz des etwa zugefügten Schadens auf meine
Rechnung ging, für den Gebrauch derselben aber eine billige Vergütung
bedungen wurde. Indem ich nun diese Bordinge zu beiden Seiten des
versenkten Schiffes postierte und meine Winden und Hebezeuge darauf
anbrachte und in Bewegung setzte, ging die Arbeit rasch und glücklich
vonstatten. Wir hoben die ungeheure Last unter dem Wasser aus dem tiefen
Grunde so weit in die Höhe, daß man bereits auf das Verdeck etwas mehr
als knietief treten konnte, und ich binnen kurzem den Augenblick
erwartete, wo dieses vollends emportauchen würde.

Jetzt aber plötzlich stockten alle meine Maschinen. Ich hatte die beiden
Bordinge durch die Winden dergestalt anstrengen lassen, daß sie vorn mit
dem Bordrande dicht auf dem Wasser lagen, während die Hinterteile sich
bis zum Kiel in die Höhe kehrten. Brach jetzt irgend etwas an den Tauen,
die unter dem Schiffe durchgezogen waren, so waren Unglück und Schaden
gar nicht zu berechnen. In dieser peinlichen Lage mußten demnach vor
allen Dingen noch ein paar Ankertaue unter den Schiffskiel gebracht
werden, in denen das Schiff nunmehr mit vollerer Sicherheit hing, und
nun galt es ein Mittel, es noch um so viel zu erleichtern, damit nur die
großen Luken auf dem Verdecke nicht mehr vom Strome überflossen würden
und die anzubringenden Pumpen dann freies Spiel gewännen.

Da sich jedoch der Schiffskörper um keine Linie mehr rücken lassen
wollte, so verfiel ich darauf, ich müßte jene Luken um so viel erhöhen,
daß sie über dem Wasserspiegel emporragten. Das war zu bewerkstelligen,
wenn ich ebensoviel Kasten oder Verschläge von wenigstens zwei Fuß Höhe
und gleichem Umfange mit den Luken dergestalt wasserdicht auf denselben
und dem Verdecke befestigte, daß sie gleichsam einen Brunnenrand
vorstellten. Was nun aus diesen Kasten geschöpft wurde, war dann
ebensogut, als sei es aus dem Raume geschöpft, in welchem auf diese
Weise das Wasser endlich doch abnehmen mußte. Dann aber hob sich das
Schiff von selbst, ohne daß es ferner meiner Maschinen bedurfte.

Kaum war dieser Gedanke zur Welt geboren, so ließ ich mir einen
Zollstock geben, um unter dem Wasser das genaue Maß der Luken in Länge
und Breite zu nehmen, rief meine Leute zu mir nach der Baustelle und gab
ihnen an, was zu tun sei. In Zeit einer Stunde (während welcher alles in
Erwartung dessen stand, was werden sollte) kam ich mit den fertigen
Kasten und meinen Arbeitsleuten zurück und hatte die Freude, zu sehen,
daß jene vollkommen wohl anschlossen.

Hunderte von müßigem Pöbel standen als Zuschauer am Bollwerke. Ich
wandte mich zu ihnen und rief: »Heran mit Eimer und Gerät, wer Lust hat,
mit Wasserschöpfen jede Stunde einen halben Gulden zu verdienen!« -- Ho,
das war, als hätte ich sie zur Hochzeit gebeten! Es stürzten gleich so
viel Arbeiter herbei auf das nasse Verdeck, daß sie um die Kastenränder
nicht alle Raum zum Hantieren hatten. Ich ließ sie ihr Wesen treiben und
stieg derweilen ins Boot, um mit dem Bootshaken das Loch unter Wasser
aufzusuchen, welches meine Hände hineingehauen hatten. Dann aber sah ich
mich nach einem Sacke um (oder war es ein Stück altes Segeltuch, ich
weiß es nicht), um jenes Loch zu stopfen und dadurch neuen Zufluß zu
hindern.

Bei jedem Schöpfen, das so viele Eimer zugleich taten, wurden vielleicht
fünfzig und mehr Kubikfuß Wasser -- erst aus den Kästen, dann tiefer aus
dem Schiffsraume hervorgefördert. In eben dem Maße nun, als durch diese
Erleichterung das Schiff wieder an eigener Hebekraft gewann, erlangten
auch die beiden Fahrzeuge, zwischen denen es in der Schwebe hing, ihre
verlorene Wirksamkeit wieder. Sie hoben sich vorn wieder; und so mit
einem Rucke brachten sie nun das Schiff glücklich in die Höhe, daß es
durch sich selber flott wurde und das Verdeck über Wasser zu stehen kam.

Jetzt konnten auch die Hanfgebinde an den Lastbändern aus dem Raume
hervorgelangt werden. Mit der erleichterten Ladung aber trat auch immer
mehr und mehr Bord hervor, bis endlich auch mein gehauenes Loch über dem
Wasser zum Vorschein gelangte und sonach mein Werk für abgetan gelten
konnte. Ich schlug also ein Kreuz darüber und ging, weil ich mich
trefflich abgemattet fühlte, in des Herrn Namen nach Hause, während mein
Freund Backer und der Schiffer das übrige besorgen mochten.

Einige Tage darauf ward ich abermals vor die Admiralität gefordert. Ich
fand dort die Herren Kaufleute, die mir vorerst ihren Dank für mein
glücklich gelöstes Versprechen bezeugten, dann aber auch sich für meine
angewandte Bemühung mit mir abzufinden wünschten. Auf meiner Rechnung,
die ich ihnen des Endes einreichte, standen bloß die beiden Bordinge,
die ich gebraucht hatte, jeder mit zwanzig Talern angesetzt, samt einer
Kleinigkeit für Abnutz an Tauen, Winden und anderen Gerätschaften, die
denn auch sogleich und ohne allen Anstand bewilligt wurden. Da ich
indes, was mich selbst betraf, keine Forderung machen wollte, so boten
sie mir ein Douceur von hundert preußischen Gulden, samt zehn Pfund
Kaffee und zwanzig Pfund Zucker. Ich nahm, was mir gegeben wurde, und
schenkte davon fünfundzwanzig Gulden für die Armen, um ihnen auch einmal
einen guten Tag zu machen.

       *       *       *       *       *

Zu Ostern 1764 war ich endlich auch nach vieler Mühe und Sorge mit
meinem Schiffbaue im reinen. Das Gebäude und alles, was dazu gehörte,
war nun wohl ganz nach meinem Sinne geraten; aber Freude konnte ich
dennoch nur wenig daran haben, denn wie so ganz anders waren die Zeiten
geworden, seit ich in vorigem Jahre den Kiel dazu legte! Mit den guten
Zeiten für die Reederei hatte es ein plötzliches und betrübtes Ende
genommen. Ich will nicht sagen, daß ich auf lauter solche Frachten, wie
jene nach Riga, zu vierzig Rubel die Last, gerechnet hätte, allein noch
im Jahre zuvor standen die Frachten auf Amsterdam zu fünfundvierzig
holländischen Gulden und jetzt, wo beim Frieden in allen Verkehr eine
Totenstille eintrat, galt es Mühe, eine Fracht dahin um elf Gulden zu
finden. Erst im Oktober gelang es mir, auf den genannten Platz für
sechzehn Gulden abzuschließen.

Während nun mein Schiff in der Ladung begriffen war, kam ich eines Tages
von der Börse, um am Borde mit eigenen Augen nachzusehen. Das Schiff
hatte sich etwas vom Bollwerke abgezogen; dennoch dachte ich den Sprung
wohl hinüber zu tun, traf es aber so unglücklich, daß ich über ein
Ankertau stolperte und mir den rechten Fuß aus dem Gelenke fiel. Da lag
ich nun und mußte nach Hause getragen werden. Das Bein schwoll an und
während daran gezogen, gesalbt und gepflastert wurde, hatte ich die
grausamsten Schmerzen auszustehen. An ein Mitgehen mit meinem Schiffe,
wie ich es willens gewesen, war nun gar nicht zu denken. Aber _wen_
nunmehr in meine Stelle setzen?

Zum Steuermanne unter mir hatte ich einen gewissen Martin Steinkraus
angenommen, der zwar bereits selbst ein Schiff geführt, aber dabei eben
keine Ehre eingelegt hatte. Er war gleich mir ein geborner Kolberger und
mir von meinen übrigen Landsleuten, halb wider meinen Willen,
angebettelt worden. Jetzt, da ich im Bette lag, ward ich abermals mit
Fürbitten von allen Seiten dermaßen bestürmt, daß ich mich endlich in
einer unglücklichen Stunde betören ließ, diesem Menschen mein Fahrzeug
anzuvertrauen. An guten Ermahnungen und Instruktionen ließ ich es auf
keine Weise ermangeln. Auch gab ich ihm sofort zweihundert Gulden bar in
die Hände, um sich damit in Pillau frei in See zu bringen.

Desto verwunderlicher deuchte mir's, daß, als er kaum von Königsberg
abgegangen und drei Tage vor Pillau gelegen, das Kontor von Seif und
Kompagnie daselbst mir eine Anweisung von zweihundert Gulden
präsentieren ließ, welche mein Schiffer auf meine Rechnung bezogen
hatte. Gleich darauf war er Mitte November in See gegangen. Späterhin
kamen noch verschiedene ähnliche Assignationen, zusammen im Belaufe von
etwa dreihundert Gulden zum Vorschein, die er zum Teil bar aufgenommen,
zum Teil auf allerlei Schiffsbedürfnisse verwandt hatte, als ob er mit
lediger Tasche von mir gegangen wäre.

Alles dieses gestattete mir kaum noch einigen Zweifel, daß dieser Mensch
es auf Betrug abgesehen habe und mußten mir vollends die Augen aufgehen,
als ich, nachdem er anfangs Dezember den Sund passiert war, durch das
Haus von Dorß eine neue Assignation, lautend auf fünfundachtzig Taler,
empfing, die doch nur für Sundzoll und aufgelaufene Kosten verausgabt
worden sein konnten, ungeachtet ich aus Erfahrung wußte, daß ein Schiff
von der Tracht wie das meinige, dort nur zwölf bis fünfzehn Taler zu
zahlen haben könne.

Im Januar 1765 liefen Briefe aus Gotenburg an mich ein mit der
Hiobspost: Schiffer Steinkraus sei dort eingelaufen, habe die Einleitung
zu einer Havarie gemacht und zu dem Ende gleich anfänglich zweitausend
Gulden aufgenommen. Im Februar wiederum Briefe aus Gotenburg: Schiffer
Steinkraus habe sich genötigt gesehen, die zur Ausbesserung nötigen
Gelder bis auf sechstausend Gulden zu vermehren und sich auszahlen zu
lassen!

Jetzt ward mir der unsaubere Handel denn doch zu bunt! Wollte ich nicht
mit dem Stabe in der Hand mein Eigentum mit dem Rücken ansehen, so mußte
ich eilen, dem unverschämten Räuber durch meine persönliche Gegenwart
einen Zügel anzulegen. In dieser Absicht ging ich im März mit Schiffer
Martin Blank als Passagier nach Amsterdam ab, wo ich meinen Urian
entweder schon zu treffen, oder doch zu erwarten gedachte. Er hatte
aber gar nicht die Eile gehabt, die ich bei ihm voraussetzte, sondern
erst in den letzten Tagen des April, nachdem ich schon mehrere Wochen
nach ihm ausgesehen, ließ mir Schiffer Johann Henke von Königsberg, der
eben auch im Hafen lag, sagen: Steinkraus sei soeben angekommen und habe
mit dem Schiffe vor der Lage geankert. Jetzt verlor ich keinen
Augenblick, mich nach der Wasserseite zu begeben. Je üblere Dinge ich
ahnte, um so sorgfältiger hatte ich auch bereits im voraus meine
Maßregeln überlegt und mit meinen dortigen Korrespondenten, den Herren
Kock und van Goens, die erforderlichen Abreden genommen.

In der Ferne sah ich mein Schiff liegen, das mir durch die arglistige
Bosheit eines Taugenichts so teuer zu stehen kommen sollte. Ich ließ
mich durch einen Schuitenfahrer an den Bord desselben übersetzen, fand
aber beim Hinaufsteigen auf dem Verdecke keine lebendige Seele. Voll
Sinnens ging ich auf demselben einige Minuten lang umher, und indem ich
mir Masten, Taue, Segel, Anker -- alles die alten wohlbekannten
Gegenstände -- genauer darauf ansah, konnte ich mit steigender
Verwunderung immer weniger begreifen, was denn mit den aufgenommenen
ungeheuren Summen daran verändert oder gebessert worden.

Endlich kam der Schiffsjunge aus dem Kabelgat zum Vorschein und machte
trefflich große Augen, als er seinen Herrn und Meister so unverhofft
erblickte. Ich säumte nicht, den Burschen in ein näheres Verhör zu
nehmen; und nun erzählte er mir denn, halb aus Treuherzigkeit, halb aus
Furcht, mehr als mir lieb war und ich zu wissen verlangte. Sein Schiffer
samt den übrigen Leuten hatte sich sogleich nach der Ankunft im hellen
Haufen ans Land begeben. Der neue Steuermann (denn der von Königsberg
mitgegangene war -- ein Unglück mehr für mich! -- in Gotenburg
gestorben) befand sich nur noch allein an Bord und verzehrte in der
Kajüte sein Mittagsmahl. Dort suchte ich ihn mir auf, gab mich als
seinen Reeder zu erkennen und wechselte einige gleichgültige Worte mit
ihm, bevor ich nach dem Lande zurückfuhr. Er war auf keine Weise der
Mann dazu, mir die nähere Aufklärung, die ich brauchte, zu geben.

Da es nun aber einmal auf eine Überraschung abgesehen sein sollte, so
postierte ich mich, dem Schiffe gegenüber, am Bollwerke und beschloß,
hier geduldig zu warten, bis mein guter Freund, der dort notwendig
passieren mußte, in eigener werter Person zum Vorschein kommen würde.
Nach etwa zwei Stunden Harrens, die mir lang und sauer genug wurden,
erschien auch ein Trupp ganz wilder und besoffener Matrosen, in denen
ich unschwer mein Volk erkannte, und hinter ihnen her taumelte, in
keinem besseren Zustande, der Schiffer Steinkraus an mir vorüber.

Ich folgte ihnen und wartete bis zu dem Augenblicke, wo sie sämtlich in
die Schaluppe steigen wollten, um nach dem Schiffe überzusetzen. Hier
klopfte ich dem Schiffer unversehens auf die Schulter und rief:
»Willkommen in Amsterdam!« -- Er blickte hinter sich, ward starr wie
eine Bildsäule und auch so blaß, als er mich endlich erkannte. Ich
änderte indes nichts in meiner höflichen Gelassenheit, wie bitter mir's
auch ankam, meinen gerechten Groll zu verbeißen; denn ehe ich gegen ihn
losfuhr, wie er's verdient hatte, mußte ich mir erst seine Gotenburger
Havarierechnung haben vorlegen lassen, um zu wissen, ob und wie diese
gegen meine Assekurateurs zu rechtfertigen wäre, die in Amsterdam zur
Stelle waren und auf mein Schiff achttausend Gulden gezeichnet hatten.
Jene Havarie aber betrug, soviel mir vorläufig bewußt war, noch etwas
mehr sogar, als diese Summe.

Ich setzte mich nun, als ein schwerlich sehr willkommener Gast, mit in
das Boot und begleitete ihn an Bord. Unmittelbar darauf holten wir das
Schiff in die Lage zu den übrigen vor Anker, wo es, nach meinem Wunsche,
neben dem vorbenannten Henke zu liegen kam. Dies gab mir die
Bequemlichkeit, mich entweder an meinem eigenen Borde, oder bei diesem
meinem Freunde in der Nähe zu verweilen und gute Aufsicht zu halten,
während die Ladung gelöscht und das Schiff bis auf den untersten Grund
leer wurde. Hier vermißte ich denn nun zunächst achtzig eichene Planken,
die ich in Königsberg zum Garnieren des Schiffbodens mitgegeben hatte.
Wo konnten _die_ geblieben sein? Ich erhielt die Auskunft vom Schiffer,
daß sie in Gotenburg, zugleich mit der übrigen gelöschten Ladung, ans
Land gekommen und dort, ohne sein Wissen und Willen, vom Schiffsvolke
von Zeit zu Zeit beiseite gebracht und heimlich verkauft worden. Das
Volk hinwiederum wälzte alle Schuld von sich ab und behauptete, der
Schiffer selbst habe die Planken verkauft.

Nicht besser stand es um einen Schiffsanker von achthundert Pfund, der
mir auf meinem vorigen Schiffe und bei einer früheren Reise am Bollwerke
zu Pillau in einem Sturme zerbrochen worden. Da die beiden Stücke in
Königsberg nicht wieder zusammengeschmiedet werden konnten, so hatte ich
sie dem Steinkraus mitgegeben, um dies in Amsterdam bewerkstelligen zu
lassen. Aber auch dieser Anker war abhanden gekommen, und bei näherer
Untersuchung ergab sich's, daß er das größere Stück und die Matrosen das
kleinere an den Mann zu bringen gewußt und das Geld geteilt hatten.

Nunmehr kam die Reihe an die Gotenburger Papiere, die Havarie
betreffend, und da standen mir denn wahrlich die Haare zu Berge! Alles
befand sich in der greulichsten Unordnung, als ob es mit rechtem
Vorbedachte verwirrt worden sei, um jede klare Einsicht unmöglich zu
machen. Ich wußte nimmermehr, wie ich meinen Assekurateurs diese
Rechnungen vorlegen sollte, ohne daß sie sie von Anfang bis zu Ende für
nichtig erklärten. Selbst meinen Schuft beim Kopfe nehmen zu lassen, war
nicht ratsam, wenn ich jene Versicherer nicht selber in Alarm setzen
wollte, über gespielten Betrug bei der Havarie zu schreien und mich für
meine eigene Person in das böse Spiel zu verwickeln.

Allein desto sorgfältiger mußte ich zu verhindern suchen, daß der Bube
nicht heimlich das Weite suchte. Ich hatte ihn also bei Tag und Nacht
wie meinen Augapfel zu hüten und durfte ihn gleichwohl mein Mißtrauen
nicht merken lassen. Nichtsdestoweniger mußte sich's fügen, daß, als
ich zwei Tage später mit ihm die Börse besuchte, wo es immer ein dichtes
Gewimmel gibt, er mir unter den Händen entschlüpfte. Die Börsenzeit ging
zu Ende, aber kein Steinkraus war zu sehen! Meine schwache Hoffnung, daß
er sich an Bord begeben haben könnte, spornte mich ihm dahin nach, aber
sie schlug fehl. Er war und blieb für mich verschwunden.

War meine Lage vorhin schon kritisch, so schien sie nunmehr vollends
rettungslos. Ich hatte meinen Assekurateurs des Schiffers
Havarie-Rechnung notwendig vorlegen müssen, bei welcher sie, auch wenn
alles in bester Ordnung war, dennoch nur zu guten Grund hatten, den Kopf
zu schütteln und sich zu besinnen, ob sie zur Zahlung einer so enormen
Summe verpflichtet wären. Jetzt, da jener sich unsichtbar gemacht hatte,
wiesen sie jede Anforderung auf das bestimmteste zurück und verlangten,
daß ich ihnen vor allen Dingen den Schiffer, der die Havarie gemacht
hätte, zur Stelle schaffte, damit er selbst Rede und Antwort gäbe, denn
mit _ihm_ und nicht mit _mir_ hätten sie es zunächst zu tun. »Mein Gott!«
entgegnete ich, »wenn er nun aber ins Wasser gefallen und ertrunken
wäre?« Das könnte nur ein Kind glauben, war ihre höhnische Antwort, und
es schiene nun nicht, daß sie nötig haben würden, um dieser achttausend
Gulden willen den Beutel zu ziehen.

Dagegen war nun diese Summe auf das Schiff wirklich verbodmet, und die
gesetzliche Zeit bereits verflossen. Der Bodmerei-Geber verlangt sein
vorgeschossenes Geld, welches die Versicherer mit hinlänglichem Fug sich
zu zahlen weigerten. Ich befand mich im entsetzlichsten Gedränge, denn
was blieb mir übrig, als den Verkauf meines Schiffes geschehen zu
lassen, damit die Bodmerei gedeckt werden könne? -- Es schien unmöglich,
daß noch irgend etwas mich armen geschlagenen Mann aus diesem Unglücke
herausrisse!

So saß ich eines Tages im größten Herzenskummer in einem Wirtshause, wo
vor mir auf dem Tische ein holländisches Zeitungsblatt lag. In trübem
Sinnen nahm ich es unwillkürlich zur Hand, aber ich wußte selbst nicht
was ich las, bis meine Augen auf eine Anzeige fielen, des Inhalts: Es
sei zu Schlinger-Want (ungefähr eine Meile von Amsterdam, jenseits des
Y) ein ertrunkener Mann gefunden worden, dessen Kleidung und übrige
Kennzeichen zugleich näher angegeben wurden. Der Prediger des Ortes, von
welchem er dort begraben worden, forderte hier die etwaigen Angehörigen
dieses Verunglückten auf, der Kirche die wenigen verursachten
Begräbniskosten zu entrichten.

»Himmel!« dachte ich bei mir selbst, »wenn dieser Ertrunkene vielleicht
dein Steinkraus sei sollte!« -- Tag und Zeit und manche von den
angegebenen Merkmalen trafen mit dieser Vermutung gut genug zusammen.
Zwar konnte ich an seinem bösen Willen, mir zu entlaufen, nicht
zweifeln: allein wie wenn ihn nun sein erwachtes Gewissen zu einer
raschen Tat der Verzweiflung getrieben oder wenn Gottes rächende Hand
ihn schnell ereilt? Immer erschien mir sein Tod unter diesen Umständen
ein Glücksfall, und wie gerne glaubt man, was man wünscht? -- Es kostete
mir also auch wenig Mühe, mich zu überzeugen, daß hier von niemand
anders als von meinem entwichenen Schiffer die Rede sei; und dieses
Glaubens bin ich auch noch bis zur heutigen Stunde, da ich nie wieder in
meinem ganzen Leben auch nur die entfernteste Spur seines Daseins
aufgefunden habe.

Ließ sich nun auf die Art erweisen, daß der Mann, mit welchem meine
Assekurateurs einzig und allein ihren streitigen Handel ausmachen
konnten und wollten, nicht mehr unter den Lebendigen war, so mußten sie
seine Rechnungen annehmen, wie sie dalagen und standen, oder den klaren
Beweis über die Betrüglichkeit derselben führen, was ihnen schwer fallen
durfte. Ich als Reeder hingegen war nun befugt, mich buchstäblich an
meine Police zu halten und auf alle Entschädigung zu dringen. In der
_Form_ war dann das Recht auf meiner Seite, nur ob auch dem _Wesen_ nach --
darüber hatte ich bei mir selbst einige Bedenklichkeiten, die ich nicht
sofort loswerden konnte. Daß Steinkraus bei der Havarie mit Lug und
Trug umgegangen sein müsse, schien, wenn auch nicht klar erweislich,
doch nur zu glaublich. Meine eigne Hand und Gewissen war gleichwohl rein
und frei von jeder, auch der entferntesten Teilnahme an jeglichem
Unrechte. Hatte ich seiner Ehrlichkeit nicht selbst mein Gut und
Vermögen anvertraut? War ich nicht selbst von ihm schändlich betrogen
worden? Konnte _ich_ ausmitteln, wie groß oder klein der Betrug sein
möchte, den er in Gotenburg gespielt? Und _wem_ konnte und sollte es
dennoch zukommen, den Schaden desselben zu tragen?

Es mag vielleicht Moralisten geben, die imstande sind, Haare zu spalten
und Recht und Unrecht auf der Goldwage abzuwägen. Ich gestehe, daß ich
dies in meiner Einfalt nicht vermag und auch damals nicht vermochte; --
ja, _damals_ vielleicht noch weniger, da Glück und Fortkommen in der
Welt an meinem Entschlusse hingen und mein Gemüt ungestüm bewegt war.
Doch wollte ich keinen Schritt in dieser Sache tun, ohne mich mit meinem
wackeren und verständigen Freunde, dem Schiffer Johann Henke, beraten zu
haben. Auch er schüttelte dabei anfangs den Kopf und äußerte mancherlei
Bedenken, bis ich ihm meine Gründe und meinen Glauben näher
auseinandersetzte, wo er mir dann endlich beistimmte und seinen treuen
Beistand verhieß. Das Urteil eines so rechtlichen Mannes war bei mir von
entscheidendem Gewichte.

Wir entschlossen uns demnach, sofort in meinem Boote nach Schlinger-Want
hinüberzufahren und den Ortsprediger aufzusuchen. Indem ich diesem nun
das Zeitungsblatt vorzeigte, machte ich ihm meine Anzeige, daß jener
ertrunkene Mann, nach den angegebenen und von mir noch näher bestimmten
Kennzeichen, mein Schiffer gewesen, und wie ich in der Absicht käme, ihm
die aufgewandten Begräbniskosten dankbarlich zu vergüten. Diese
letzteren nun, welche einundzwanzig Gulden betrugen, wurden sofort
entrichtet und freundlich angenommen, wogegen ich eine Quittung in Form
eines Totenscheines erhielt und nunmehr getrost meines Weges ging.

Gleich am anderen Tage nun wandte ich mich auf der Börse an meinen
Schiffs-Makler, Herrn Schwartwant, durch dessen Vermittelung mein
Geschäft mit den Assekurateurs war betrieben worden. »Nun sehen Sie, wie
richtig meine Vermutung eingetroffen ist,« sagte ich, indem ich ihm
meinen Schein vorzeigte. -- »Der Steinkraus hat wirklich seinen Tod im
Wasser gefunden. Seien Sie nun so gütig den Herren davon Mitteilung zu
machen und anzufragen, was sie nunmehr in der Sache tun oder lassen
wollen?« -- Das ganze Gesicht des Mannes nahm sofort eine fröhliche
Miene an. »Ich gratuliere Ihnen, lieber Kapitän Nettelbeck,« rief er mit
einem Händedruck. -- »So mißlich Ihr Spiel bisher stand, so halte ich es
doch von jetzt an gewonnen.«

Nun ging er stehenden Fußes, um die beiden Herren Versicherer im
Börsengewühle auszusuchen, während ich ihm von ferne folgte. Bald auch
stieß er auf einen von ihnen, dem er mein Dokument mitteilte, indem er
es mit einem angelegentlichen Vortrage begleitete. An der ganzen
Physiognomie und Gebärdung des anderen nahm ich wahr, wie ihn diese
Nachricht überraschte, aber auch, daß er wohl geneigt sein möchte,
gelindere Saiten aufzuziehen. Dies bestätigte mir der Makler, indem er
mir den Vorschlag brachte, morgen auf der Stadt-Herberge einer Konferenz
beizuwohnen, wozu ich mir dann einen Assistenten mitbringen möchte.

Zu diesem Beistande konnte ich wohl keinen erfahreneren und geachteteren
Mann erkiesen, als meinen alten Patron, den Kapitän Joachim Blank, mit
welchem ich vormals wiederholte Reisen nach Surinam gemacht und der sich
hier jetzt zur Ruhe gesetzt hatte. Er fügte sich auch freundlich meiner
Bitte; und so erschienen wir zur bestimmten Zeit am gemeldeten Orte,
während auch meine Gegenparteien beiderseits samt einem anderen
Schiffskapitän und einem Advokaten zugegen waren. Nach einigem Hin- und
Widerreden und Streiten kam es denn auch endlich zu einem Vergleiche,
dessen Billigkeit wir samt und sonders erkannten. Ich ließ nämlich die
Hälfte meiner Forderung nach und zeichnete viertausend Gulden
Bodmeierei auf mein Schiff, wogegen meine Herren Assekurateurs die
andere Hälfte mit gleicher Summe an die Bodmerei-Geber in Gotenburg
abzuzahlen auf sich nahmen.

       *       *       *       *       *

So kam ich bei diesem schlimmen Handel noch mit einem blauen Auge davon,
behielt mein Schiff als freies Eigentum und konnte damit fahren nach
Lust und Belieben, um meine Scharte wieder auszuwetzen. Ich beschloß mit
Ballast nach Noirmoutiers abzugehen, dort eine Ladung Salz für eigene
Rechnung einzunehmen und in Königsberg loszuschlagen. Zum Ankaufe jener
Ware wollten mir meine Amsterdamer Korrespondenten, die schon genannten
Herren Kock und van Goens, gegen Bodmerei auf Schiff und Ladung die
Gelder in Frankreich formieren.

Ehe ich jedoch zum Werke schreiten konnte, hatte ich zuvor noch reine
Rechnung mit meinem Schiffsvolke zu machen, welches, außer dem neu
hinzugekommenen Steuermanne und einem Jungen, aus sechs Matrosen
bestand. Dies verwilderte Gezücht hatte nicht minder gottlos gelebt und
hausgehalten, als der nichtsnutzige Schiffer selbst; und weil auch _er_ in
keinen reinen Schuhen steckte, hatte er's ihnen nicht abschlagen dürfen,
während der Reise Vorschuß über Vorschuß zu zahlen. Dabei waren auch
hierin seine Papiere so konfus, daß ich darnach den eigentlichen Betrag
ihrer aufgenommenen Gelder auf keine Weise ausmitteln konnte. Auf jeden
Fall aber waren sie so beträchtlich, daß sie sie in Jahren und Tagen
nicht wieder abverdienen konnten.

Hier blieb mir nun nichts übrig, als bald den einen bald den anderen
besonders vorzunehmen, sie durch gute Worte treuherzig und kordat zu
machen, und dann wieder auch durch unversehene Zwischenfragen in die
Klemme zu nehmen, so daß stets ein Spitzbube den andern verriet. Allein
ebensowenig als sie gegen _mich_ reinen Mund gehalten, konnte es unter
ihnen selbst auf die Länge ein Geheimnis bleiben, wie ich es darauf
anlegte, ihnen hinter die Schliche zu kommen. Sie hielten es demnach
nach einer gemeinschaftlichen Beredung für das Geratenste, mir allesamt
auf einmal zu entlaufen, und diesen Vorsatz führten sie auch des anderen
Tages richtig aus; doch nicht, ohne daß ich es sogleich erfahren und
auch den Ort am Lande entdeckt hätte, wo sie sich aufhielten.

Dahin verfügte ich mich augenblicklich mit Gerichtsdienern und traf auch
glücklich das ganze Nest beisammen, wo sie dann mit Gewalt aufgehoben
und an Bord meines Schiffes begleitet wurden. Am besten hätte ich
freilich getan, sie laufen zu lassen; allein so wenig sie auch übrigens
taugten, so waren sie doch erfahren und tüchtige Kerle zur Arbeit, die
hier in der Geschwindigkeit nicht wohl durch andere zu ersetzen waren.
Zudem hoffte ich, daß wenn ich mich ihrer nur bis zur wirklichen Abfahrt
versichern könnte, ich sie wohl wieder zu Zucht und Ordnung herumbringen
wollte.

Mit diesem Plane beschäftigt, nahm ich also einige Matrosen von den
neben mir liegenden Schiffen für Tagelohn zu Hilfe, um sofort die Anker
zu lichten und von Amsterdam nach der Bucht bei Dirkerdam abzusegeln,
die etwa eine Meile von dort entfernt liegt. Hier warf ich aufs neue
Anker, entließ meine gemieteten Matrosen und hoffte, daß ich's nunmehr
den meinigen schwer genug machen wollte, von Bord zu kommen, um
ihretwegen auch in meiner Abwesenheit wohl sicher zu sein. Denn ich
konnte es nicht vermeiden, für meine Person des nächsten Tages noch
einmal nach dem verlassenen Hafen zurückzukehren, um neben meiner
Ausklarierung noch eine Menge anderweitiger Geschäfte zu besorgen und
einen Lotsen mitzubringen.

Vor der Abfahrt übergab ich dem Steuermann mein verdächtiges Volk in
besondere sorgfältige Aufsicht. Das Boot ließ ich aufs Deck setzen und
anschließen, damit sich dessen niemand bedienen könne, und mein
Stellvertreter sollte nicht vom Deck weichen und die Nacht kein Auge
schließen, um überall gleich bei der Hand zu sein, bis ich mit dem
frühen Morgen mich wieder an Bord zeigen würde. Dann versammelte ich
die Ausreißer und stellte ihnen Himmel und Hölle vor, und wie schändlich
sie handeln würden, Vater und Mutter und Freunde auf Nimmerwiedersehen
im Stiche und sich zu Hause nie wieder dürfen blicken zu lassen.
Zugleich versicherte ich ihnen, daß meinerseits alles Vorgegangene
vergeben und vergessen sein und selbst ihre, vom vorigen Schiffer
empfangene Vorschüsse in den Schornstein geschrieben sein sollten. Das
alles schienen sie auch zu Herzen zu nehmen und versprachen mir eine
gebührliche Aufführung.

Nunmehr rief ich eine vorbeifahrende Schuite an, die nach Amsterdam
ging, und ließ mich von derselben an Bord nehmen. Es war nachmittags um
drei Uhr, und des nächsten Morgens um acht Uhr befand ich mich, nach
beendigten Verrichtungen, bereits wieder auf dem Rückwege und im
Angesichte meines Schiffes. Es nahm mich sofort wunder, daß ich kein
Boot darauf erblickte. Ebensowenig sah ich eine menschliche Seele auf
dem Verdecke. Ich sprang endlich selbst hinauf, und mit steigender
Bestürzung fand ich die Tür der Kajüte von außen mit einem Brecheisen
gesperrt. Auf mein Rufen keine Antwort. Nun riß ich die Tür mit Gewalt
auf, da lag mein Steuermann, mehr tot als lebendig, auf dem Boden längs
ausgestreckt.

Stöhnend erzählte er mir, was während meiner Abwesenheit vorgegangen.
Gleich nach meinem Abgange hatte er an dem Zusammenstecken der Köpfe und
dem heimlichen Flüstern unter den Leuten deutlich wahrgenommen, daß sie
etwas im Schilde führten. Endlich waren sie zu ihm herangetreten, um ihm
zu erklären, daß sie mit dem Boote ans Land zu gehen verlangten; wollte
er sich's beikommen lassen, bei den Vorüberfahrenden um Hilfe zu rufen,
so gedächten sie ihn über Bord zu werfen und wie einen Hund zu ersäufen.
Gleichwohl hatte er, mit Abmahnen, Drohen und endlich mit lautem Rufen
über zugefügte Gewalt, getan, was seine Pflicht von ihm forderte; war
aber auch augenblicklich von den Bösewichten ergriffen, geknebelt,
gestoßen, geschlagen und mit verstopftem Munde trotz allem Sträuben in
die Kajüte gesperrt worden, worauf sie sich des Bootes bemächtigt und
davongemacht hatten.

In dieser ganzen Zeit nun hatte der arme zerschlagene Mann vor Schmerz
und Ermattung sich kaum zu regen vermocht. Wie mir dabei zumute war, mag
man sich leichtlich vorstellen. Das Schiff hier auf offener Reede vor
Anker, kein Volk an Bord, der Steuermann krank und keines Gliedes
mächtig, mein Boot geraubt.

Was war zu tun? Ich mußte mich entschließen, das Schiff unter der
unzulänglichen Aufsicht des kranken Mannes zu lassen, um sowohl ihm
selbst ärztliche Hilfe, als mir eine neue Mannschaft zu verschaffen.
Also ging mein Weg nochmals nach Amsterdam, wo ich andere sechs Matrosen
und einen Jungen, wie sie mir zuerst in den Wurf kamen, heuerte, dann
einen Lotsen nahm und einen Wundarzt aufsuchte, der mir den Steuermann
verbinden und bepflastern und sagen sollte, ob dieser die Reise ohne
Lebensgefahr werde mitmachen können. Nachdem ihm der Doktor die Glieder
etwas zurechtgesetzt und ihn mit Medikamenten reichlich versehen hatte,
war jener der Meinung, es solle weiter keine Gefahr haben, wenn er sich
nur schonen wolle, und nahm seinen Abschied.

Ich machte mich darauf mit meinem neuen Schiffsvolke an die Ankerwinde,
um unter Segel zu gehen. Da sah ich denn nun klar, was für schlechten
Kauf ich gemacht hatte. Nur zwei waren befahrene Matrosen, während die
übrigen kaum wußten, was auf dem Schiffe hinten oder vorn war. Wahrlich,
mir graute innerlich, die Reise anzutreten. Mein bestes Vertrauen mußte
ich in mich selbst und in die günstige Jahreszeit setzen, denn es war
jetzt zu Anfang Mai, da ich aus dem Texel lief. In der Mitte des Monats
kam ich vor Noirmoutiers glücklich vor Anker.

       *       *       *       *       *

Hier fand ich drei Schiffe vor, deren Kapitäne zu meinen guten Freunden
gehörten, nämlich Neste, mit einem Dreimaster aus Danzig, und Fries und
Jantzen, beide Königsberger. Alsbald kamen sie sämtlich zu mir an Bord,
allein so willkommen sie mir selbst waren, so unerwünscht war mir die
Zeitung, daß schon sie drei Frühergekommenen hier ihre Ladung an Salz
nicht völlig aufzubringen vermöchten, und gleichwohl das Muid mit
fünfundachtzig Livres aufwiegen sollten. Nach längerer Beratschlagung
fanden wir es für das dienlichste, uns nach den nächstgelegenen
Salzhäfen Croisic, Bernif und Olonne zu verteilen, um anderswo, wenn
möglich, besseren Markt zu finden, wobei das Los entscheiden sollte, wer
hier zu bleiben und wohin ein jeder in seinem Boote zu gehen und
vorläufig seinen Handel für alle abzuschließen hätte; letzteres jedoch
nur mündlich, damit jeder Gelegenheit behielte, an dem wohlfeilsten
Preise teilzunehmen.

Als nun die Lose gezogen wurden, traf mich die Fahrt nach Croisic,
welche nicht nur die weiteste (da die Entfernung von Noirmoutiers zehn
bis zwölf Meilen beträgt), sondern auch die gefährlichste war; denn sie
geht durch den offenen Ozean, ohne durch Vorgebirge oder Inseln
geschützt zu sein. Mein im Texel neu angeschafftes Boot stand auf Deck
und ward nun sofort über Bord gesetzt, allein sowie es das Wasser
berührte, drang dieses auch zu allen, durch die lang ausgestandene Hitze
ausgetrockneten Nähten hinein. Es schien unmöglich, mich in diesem
Zustande hineinzuwagen! Aber schon sah ich meine Freunde Neste und Fries
in ihren Fahrzeugen abstoßen, um sich auf ihre ihnen zugefallenen Posten
zu begeben. Ich zitterte vor Ehrbegierde, ihnen in Pünktlichkeit nicht
nachzustehen!

Nun hatte ich außer jenem Boote noch eine kleine fichtene, sogenannte
Berger Jölle. Flugs sah ich sie mir darauf an, ob sie mich in diesem
Falle der Not nicht ebensowohl nach Croisic sollte tragen können? --
Wozu längeres Bedenken? Es mußte gewagt sein! -- Ich ließ Mast und
Segel auf ihr einrichten und bestieg sie mit zwei Mann. Um mir jedoch
nicht offenbar ein Tollmannsstückchen zuschulden kommen zu lassen,
wollte ich es zuvor auf eine kleine Probe anlegen, segelte vom Schiffe
abwärts, legte bei, machte diese und jene Wendungen und bestärkte mich
solchergestalt in meiner Zuversicht, daß ich nichts Unmögliches wagte.

Eiligst versah ich mich nun noch an Bord mit einem durchgeschnittenen
halben Oxhoft, welches ich zum sicheren Reisebehälter für einen Kompaß,
Brot, Fleisch, einige Flaschen Wein und Branntwein und andere kleine
Bedürfnisse bestimmte. Noch nahm ich einen Bootsanker, ein Tau und drei
Regenröcke für uns ein, und so versehen trieb ich meine beiden Gefährten
zum Einsteigen, rief ein herzhaftes: »Nun, mit Gott!« und stieß ab. Zwar
ward mir's, ehe wir noch fünfzig Klafter gesegelt waren, hell und klar,
daß ich meine Jolle mit all den Siebensachen zur Ungebühr überladen und
daß ich den dümmsten Streich in meinem ganzen Leben begangen hatte, drei
Menschenleben in die augenscheinlichste Gefahr zu setzen; aber sollte
ich mir die Schande antun, noch einmal umzukehren? -- Lieber wäre ich
dem Tode in den offenen Rachen gesegelt!

Bis ich um die kleine Insel Piquonnier herumkam, ging auch alles gut.
Hier aber rollte mir die spanische See von der Seite her in langen und
hohen Wogen mächtig entgegen; der steife Wind stand von dorther gerade
aufs Land und es sah ganz danach aus, daß wir hier mit Gemächlichkeit
ersaufen könnten. Gleichwohl hätte man alles von mir fordern können, nur
nicht, daß ich hier noch umsatteln sollte. »Du willst der Gefahr
standhalten!« sagte ich zu mir selbst und faßte mein Steuer nur noch
fester in die Faust.

Nach vier oder fünf Stunden begann indes der Einbruch der Nacht, und mit
der Dunkelheit schien auch der Wind mehr Stärke zu gewinnen. Keiner von
uns sprach ein Wort, aber meine Matrosen drängten sich immer näher an
mich, der ich am Ruder saß und die Schote des Segels zugleich in der
Hand gefaßt hielt. Allmählich fingen die beiden rohen Kerle, ergriffen
vom Gefühl ihrer Lage, bitterlich an zu weinen. Ihre Todesangst ließ
mich nicht ohne Mitgefühl, denn wie konnte ich die Schuld von mir
abwälzen, ihnen samt mir durch meinen unzeitigen Ehrgeiz dieses nasse
Grab gegraben zu haben? -- Ich sagte ihnen zu ihrer Beruhigung, ich
wolle vom Winde abhalten und, da wir an der Mündung der Loire schon
vorüber wären, in die ich uns sonst geflüchtet haben würde, geradezu auf
das Land steuern. Dort würde es freilich eine hohe Brandung geben, daher
sie, sobald wir in diese hineingerieten, sogleich zu beiden Seiten der
Jölle ins Wasser springen, sich an ihren Bord hängen und, sobald sie
Grund unter den Füßen fühlten, das Fahrzeug mit der Spitze scharf gegen
den Strand halten müßten, damit es nicht in die Quere unter die See
käme. Wenn dann die letzten Sturzwellen vom Ufer zurückrollten und den
Boden trocken lassen wollten, hätten sie sich mit aller Macht
entgegenzustemmen, damit nicht auch das leichte Boot mit zurückgespült
würde. Alles das und noch mehreres band ich ihnen fest auf die Seele und
sie gelobten auch, es treu zu beobachten. Es kam aber anders.

Um ihnen nun Wort zu halten, steuerte ich gerade auf die Küste. Die
Jölle schoß wie ein Pfeil durch die Wogen und nach einer guten halben
Stunde drang uns auch schon das schreckliche Gebrüll der Brandung in die
Ohren. Nun sahen wir angestrengt vor uns hin nach dem weißen Schaume;
allein die Nacht ward so finster und unser Fahrzeug flog so schnell, daß
wir uns plötzlich mitten darin befanden. Ehe wir uns auch nur besinnen
konnten, erblickten wir kurz hinter uns den beschäumten Kamm einer Woge,
die sich bis zur Höhe unseres Mastes aufbäumte, dann brausend über uns
niederschoß und uns zu unterst zu oberst in ihren Abgrund mit sich
fortriß.

Nun trat die See für ein paar Augenblicke zurück; ich bekam den Kopf in
die Höhe und die Füße spürten Grund. Ehe die nächste brandende Welle
wiederkehrte, hatte ich meine Sinne glücklich gesammelt; ich hielt
stand, und da sie mir diesmal nur bis unter die Arme reichte, so eilte
ich guter Dinge dem Strande zu, wo ich mich in weniger als einer Minute
in voller Sicherheit befand. Meine beiden Gefährten hatten ebenso gutes
Glück. Wir fanden uns bald wieder zusammen, nur unsere Jölle war wieder
mit in die See gerissen worden, bis sie endlich mit dem Kiel nach oben
plötzlich an Land trieb. Aber alles, was darinnen gewesen war, ging uns
verloren, ohne daß wir in der Dunkelheit etwas davon aufzufischen
vermochten. Wir mußten uns also begnügen, unser Fahrzeug am Strande so
hoch hinaufzuziehen, daß es gesichert war, von den Wellen nicht mehr
erreicht zu werden.

Hierauf gingen wir landeinwärts, um zu Menschen zu kommen, sahen auch
aus der Ferne ein Licht schimmern, auf welches wir freudig zutrabten und
wo wir dann bei einem Bauern übernachteten und uns trockneten. Morgens
begaben wir uns samt unserem Wirte nochmals zum Strande zurück, um nach
unserer Jölle und dem verlorenen Gepäcke zu sehen. Jene fanden wir noch
auf ihrer alten Stelle; aber auf dieses mußten wir, zu unserm Verdrusse,
völlig verzichten. Zwar auch mit unserem Fahrzeuge gerieten wir in
Verlegenheit, da die See noch nicht wieder fahrbar geworden, bis unser
Bauer, dem ich mich durch einen meiner Matrosen verständlich machen
konnte, uns aus der Verlegenheit half. Wir hatten bereits erfahren, daß
wir uns hier anderthalb Meilen von Pollien (ebenfalls ein Salzhafen, wie
das noch zwei Meilen weiter entfernte Croisic) befänden, und dahin erbot
er sich, gegen gute Bezahlung, unser Puppenfahrzeug über Land zu
transportieren, indem er es zwischen zwei seiner Esel hinge.

Wirklich hielten er und seine Esel redlich Wort! In dem lustigsten und
niegesehenen Aufzuge zogen wir zu Pollien ein, und die ganze Stadt lief
über dem seltsamen Schauspiele zusammen. Meine erste Erkundigung war
sofort nach dem angesehensten Salzhändler des Ortes. Man nannte mir
einen Kaufmann, namens Charault, und während ich zu ihm hineinging, ward
die Jölle vor seiner Türe niedergelassen. Meine Aufnahme war freundlich;
auch brachte ich sogleich eine Unterhandlung wegen des gesuchten Salzes
in Gang, wobei es zu dem Ausschlage kam, daß ich volle Ladung für alle
vier Schiffe, das Muid zu vierundfünfzig Livres, akkordierte und zwar
dortigen Gemäßes, welches noch um fünf Prozent größer ist, als auf
Noirmoutiers. Ich durfte mir also schmeicheln, einen vorteilhaften
Handel abgeschlossen zu haben.

Nun ging meine nächste Sorge dahin, mein Boot wieder zuzutakeln und
meine Rückfahrt damit anzutreten. »Wie? In _der_ Nußschale?« fragte Herr
Charault, indem er es von allen Seiten verwundert ansah. »Lassen Sie das
Dingelchen hier in Gottes Namen stehen, bis Sie mit Ihrem Schiffe
kommen, es abzuholen. Ich gebe Ihnen meine Barke, die Sie mir dann ja
wieder mitbringen können.« -- Der Vorschlag war aller Ehren wert; allein
dann wäre ich dem Manne fester verbunden gewesen, als ich wünschte,
falls meine Freunde anderwärts vielleicht noch besser gemarktet haben
sollten. Also schlug ich diese Güte dankbar aus und setzte mich, zwei
Tage später, mit meinen Leuten guten Mutes wieder in die _Nußschale_, wie
er's genannt hatte. Dadurch gab ich nun zwar den Müßiggängern im Orte
ein neues Schauspiel, indem sie sich zu Hunderten auf den Sunddünen
sammelten, um uns abfahren zu sehen; allein das Wetter war schön, der
Wind günstig, und Noirmoutiers nach einer ruhigen Fahrt von zwölf bis
vierzehn Stunden glücklich wieder erreicht.

Hier waren die beiden andern Abgeschickten schon vor mir angelangt und
alles hatte uns so gut wie verloren gegeben. Daher mischten sich in
ihren herzlichen Willkomm zugleich auch heftige Vorwürfe über meine
Tollkühnheit, die sie sehr richtig dem wahren Grunde zuschrieben und
worauf ich freilich nur wenig zu erwidern hatte, da ich vollkommen
fühlte, wie sehr sie verdient waren. Bei alledem hatte ich doch, wie
sich's nunmehr ergab, das vorteilhafteste Geschäft gemacht; nur waren
die beiden Königsberger, da sie mich nicht mehr rechneten, kurz zuvor in
Noirmoutiers eine neue Verbindlichkeit eingegangen, wodurch sie dort
zurückgehalten wurden, wiewohl sie das Muid mit achtzig Livres zu
bezahlen genötigt waren. Und doch schlug diese Trennung wiederum zum
Glücke für mich aus, denn als ich nun mit Kapitän Neste in Pollien
anlangte, konnte Herr Charault kaum uns beide befriedigen. Ich zwar, als
der erste, ward schnell genug befrachtet, dagegen aber mußte jener noch
die nächste Springflut und das darauf folgende Salzerzeugnis abwarten,
um seine volle Ladung zu bekommen.

       *       *       *       *       *

Unterm 12. Juni schrieb ich nunmehr an meine Korrespondenten, die Herren
Kock und van Goens in Amsterdam, daß ich heute mit der Ladung meines
Schiffes begänne und ihnen auftrüge, die Assekuranz auf dasselbe zu
achttausend holländischen Gulden, für die Salzladung aber mit
zweitausend Gulden, von hier auf Königsberg zu besorgen. Sechs Tage
später wiederholte ich diese nämliche Order, mit dem Beifügen, daß ich
bereits segelfertig läge und nur auf einen günstigen Wind wartete. Zum
Überflusse aber ließ ich auch noch am 22. Juni ein drittes Avis abgehen,
worin ich mich auf meine früheren Schreiben bezog und die geschehene
Versicherung von Schiff und Ware als besorgt voraussetzte, oder auch
neuerdings dringend aufgab, indem ich in diesem Augenblicke bereits in
See sei und bloß zu größerer Sicherheit noch an mein Verlangen erinnern
wolle.

Indes überfiel mich bereits am 24. Juni ein so harter Sturm, daß ich nur
vor einem kleinen Sturmsegel unterm Winde liegen konnte. Eine besonders
schwere Sturzwelle zertrümmerte mein Steuerruder acht Fuß über dem
unteren Ende, so daß von diesem Augenblicke an alles Steuern damit ein
Ende hatte und auch in offener See an kein Ausbessern zu denken war. Um
gleichwohl das Schiff nach Möglichkeit bei einem regelmäßigen Gange zu
erhalten, suchte ich es mit den Vorder- und Hintersegeln zu zwingen.
Indem aber der Wind geradezu aufs Land stand, ward meine Lage dadurch
noch wesentlich verschlimmert; denn nun war ich genötigt, Segel über
Segel aufzusetzen, um nur das Schiff hart an den Wind zu halten und vom
Strande ferne zu bleiben. Demungeachtet liefen wir, des Schiffes nur
unvollkommen mächtig, bald in den Wind, bald wieder fielen wir vor den
Wind, und da wir eine solche Menge Segel machen mußten, so bekamen auch
Stangen und Masten schier über ihre Kräfte zu tragen.

Wirklich geschah auch gar bald, was ich gefürchtet hatte, denn mit einer
schweren Buy (Stoßwind), die sich plötzlich erhob, brach der große Mast,
acht oder zwölf Fuß überm Deck, entzwei und stürzte samt der ganzen
Takelage über Bord, und nicht nur das allein, sondern dies ganze Gewirre
von Rundhölzern -- Mast, Stangen und Raaen -- stieß nun auch
unaufhörlich und mit solcher Macht gegen die Seiten des Schiffes, daß
wir uns auf dem Verdecke kaum stehend erhalten konnten und jeden
Augenblick erwarten mußten, Planken und Fütterung zertrümmert zu sehen.
Nichts blieb übrig, als schnell alles Tauwerk, das mit dem gestürzten
Maste noch zusammenhing, zu kappen, um loszukommen.

Eigentlich aber hob unsere wahre Not jetzt erst an, da unser
schwerbeladenes Schiff gleich einem Klotze auf dem Wasser trieb -- ein
Spiel der Wellen, die sich unaufhörlich drüber hin brachen und uns
überspülten. Selbst die Kajüte schwamm beständig voll Wasser; unsere
Lebensmittel wurden naß und unsere Ladung hatte kaum ein besseres
Schicksal zu erwarten, da wir das eindringende Wasser mit beiden Pumpen
kaum zu bewältigen vermochten. Über dies alles trieben wir
augenscheinlich immer näher dem Lande zu, indem wir nachts um elf Uhr
bereits in einer Tiefe von vierzig Faden Grund fanden. Ungesäumt ward
jedoch der Anker ausgeworfen und ich ließ das Ankertau hundert Faden
nachschießen. Nun lag das Schiff bequem gegen die hohe See, wie eine
Ente, die auf ihrem Teiche schwimmt, und der Sturm ward glücklich
ausgehalten.

Des andern Tages, sobald das Wetter sich abgestillt hatte, hoben wir
unser Bugspriet aus, befestigten es, sogut es gehen wollte, an dem
Stumpf des abgebrochenen Mastes, takelten diesen Notmast nach
Möglichkeit zu und zogen daran ein paar Segel auf, die wir noch in
Vorrat besaßen. Der Wind hatte sich gedreht und blies aus Ostsüdost,
längs dem Lande hin, so daß wir hoffen durften, uns von diesem zu
entfernen. Um aber auch das mangelnde Steuerruder durch irgend etwas zu
ersetzen, ließ ich ein Ankertau, vom Hinterteil hinaus, etwa zwanzig
Klafter lang an einem großen Klotze treiben, und indem von vorne
gleichfalls an jeder Seite ein Tau mit diesem Klotze zusammenhing, ließ
sich das Schiff daran zur Notdurft links oder rechts umholen, obwohl
freilich nicht daran zu denken war, mittels eines so unzulänglichen
Behelfs einen ordentlichen Kurs zu halten. Vielmehr trieben wir bei
anhaltendem Ostwinde, auf Gottes Gnade, immer weiter in die spanische
See und auf das atlantische Meer hinaus, und erkannten es für unser
größtes Glück, daß wir noch ein dichtes Schiff behalten hatten.

In der Tat kann man sich unsere Lage nicht mißlich genug denken. Leben
und Seele war gleichsam aus unserm Schiffe gewichen. Jeder Veränderung
des Windes preisgegeben, trieben wir hierhin und dorthin auf dem
unermeßlichen Ozean. An eine Berechnung von Kurs und Distanzen war gar
nicht mehr zu denken. Zwar gaben mir meine Beobachtungen an Sonne und
Sternen zuzeiten die Breitengrade an, unter welchen wir uns befanden;
allein über unsere Länge war auch nicht einmal eine ungefähre Schätzung
anzustellen, noch weniger richtige Rechnung zu führen. Es war aber
sicher genug, daß wir uns in weiter Entfernung von allen europäischen
Küsten befinden mußten, da die Winde meist östlich und südlich waren.
Auch erblickten wir während dieses ratlosen Umhertreibens nur zweimal
ein fremdes Segel; zuerst ein englisches und demnächst ein schwedisches
Schiff, welche zwar beide uns beizukommen suchten, aber durch das
schlechte Wetter daran verhindert wurden. Sie gereichten uns also zu
keiner Hilfe, sondern mußten sich begnügen, uns durch das Sprachrohr zu
beklagen und besseres Glück zu wünschen. Doch gewährte uns dieses
Zusammentreffen den Trost, daß sie uns ihre beobachtete Länge
mitteilten, so daß wir uns doch einigermaßen belehrten, auf welchem
Punkte des Erdballes wir uns befänden.

Schon hatten wir auf diese Weise sechs Wochen lang nutz- und hilflos auf
dem Weltmeere umhergekreuzt, als uns, unter der am 2. August
beobachteten nördlichen Breite von achtundfünfzig Grad dreiunddreißig
Minuten (so hoch hinauf nach Norden waren wir verschlagen) ein
gewaltiger Sturm aus Südwesten ereilte. Am 6. August sprang der Wind
nach Westen um und das Wetter ward so furchtbar, als ich es je erlebt
habe. Alle unsere andere Not und Gefahr aber ward noch durch die
Besorgnis vermehrt, daß wir bei Nacht gegen die Lewisinseln und die dort
zahlreich umherliegenden Klippen geworfen werden könnten. Diese Furcht
schwand erst dann, als wir uns am 9. August mitten zwischen den
orkadischen Inseln und im Angesichte von Fairhill erblickten. Da auch
zugleich der Wind nach Nordwesten ging und kräftig zu blasen fortfuhr,
so wuchs uns der Mut, daß wir unser Schiff nach Ostsüdost zu treiben
zwangen, um die norwegische Küste zu erreichen und dort Hilfe zu finden.

Am 13. trat uns diese gewünschte Küste auch wirklich zu Gesicht und am
folgenden Tage abends kamen wir ihr so nahe, daß wir deutlich die
zahllosen, teils emporragenden, teils blinden Klippen vor uns erkannten,
an welchen die tobende See hoch in die Lüfte zerschäumte. Dieser Anblick
schlug unsere Freudigkeit um ein großes nieder, ja diese verwandelte
sich gar bald in eine peinliche Todesangst, da wir die Unmöglichkeit
fühlten, unser unlenksames Schiff davon abzusteuern.

Doch nicht Untergang, sondern Rettung hatte der gütige Himmel diesmal
über uns beschlossen! Mitten zwischen den grausigen steilen
Klippenwänden trieb unser Schiff, wie von unsichtbaren Händen gelenkt,
hindurch in eine Bucht, wo ich Ankergrund und stilles Wasser fand. Es
war abends um neun Uhr, als ich hier den Anker fallen ließ und nun erst
mit voller Besinnung an die schreckliche Vergangenheit zu denken
vermochte, der wir, in einem Fahrzeuge ohne Mast und Ruder, auf einem
unermeßlichen Irrwege, unter Hunger, Durst, allem nur erdenklichen
Drangsal und stetem Todeskampfe, nach sieben ewig langen Wochen endlich
glücklich entronnen waren.

Unser Nothafen hieß Bommel-Sund, wie wir noch in der nämlichen Nacht von
einigen Leuten erfuhren, die vom Lande zu uns an Bord kamen und mir
behilflich waren, das Schiff noch tiefer in die Scheren hinein in
Sicherheit zu bringen. Am Morgen fuhr ich selbst ans Land, um mir Hilfe
zu suchen, denn es fehlte mir geradezu an allem, um weiter aus der
Stelle zu kommen. Allein Mast, Ruder und Takelwerk, wie ich's brauchte,
war in dieser ganzen Gegend nicht zu erlangen, und so mußte es mir
genügen, daß ich hier Fahrzeuge und Leute annahm, die mich zwischen den
Klippen entlang täglich eine kleine Strecke weiterbugsierten. So
gelangte ich kümmerlich am 19. August in den Hafen von Fahresund.

       *       *       *       *       *

Hier wandte ich mich unverzüglich an das Handelshaus Lund und Kompagnie,
welches auch nicht ermangelte, mir schnellen und tätigen Beistand zu
leisten, damit ich mein Schiff wieder in gehörigen Stand setzte. Um
nichts zu versäumen, ließ ich vor allen Dingen mein Schiffsvolk eine
gerichtliche Erklärung über unsere Unglücksfälle ablegen, versah mich
mit allen übrigen erforderlichen Zeugnissen und übersandte dies alles an
meine Korrespondenten nach Amsterdam, mit dem Auftrage, mir auf Grund
der von ihnen bewirkten Versicherung meines Schiffes einen Kreditbrief
zur Ausbesserung meines Schiffes zu übermachen.

Demnächst ging ich nun mit Eifer an dieses Werk selbst, wo es denn
allerdings mehr zu schaffen gab, als ich vermutet hatte. Beim Ausladen
des Schiffes fand sich's, daß zehn bis zwölf Lasten Salz verschmolzen
waren. Ich ließ nun den Boden kielholen, ein neues Steuerruder
einhängen, einen neuen Mast aufrichten, besorgte alle fehlenden
Rundhölzer, Segel und Takelwerk, ersetzte, was gebrochen, verfault oder
sonst verdorben war, und setzte mich so allmählich wieder instand, die
offene See zu halten. Freilich war dies alles nicht möglich ohne den
bedeutenden Aufwand von 4400 Talern dänisch Kurant, und ich konnte mich,
um mich von meinem Schaden zu erholen, nur an die auf mein Schiff
gezeichnete Assekuranz halten.

So weit war ich, als ich von den Herren Kock und van Goens ein Schreiben
empfing, worin sie mir empfahlen, mich in meinen Ausgaben möglichst zu
menagieren, indem es ihnen nicht möglich gewesen wäre, für mein Schiff
und Ladung eine Versicherung zu bewirken. -- Als hätte der Donner vor
meinen Füßen eingeschlagen, so überraschte und erschütterte mich dieser
trockene Bericht! Zugleich aber gingen mir auch plötzlich die Augen auf
über das Schelmenstück, das man mir gespielt hatte. Wie? Auf drei,
nacheinander folgende Avisos, in der sichersten Jahreszeit und auf einem
Platze, wie Amsterdam, sollte für keine Prämie, hoch oder niedrig, eine
mäßige Assekuranz zu beschaffen gewesen sein? Oder wenn in Holland kein
Mensch sein Geld an eine so geringe Gefahr hätte setzen wollen, stand
dann meinen Beauftragten nicht Hamburg, Kopenhagen oder London, oder
jeder andere Handelsort frei und offen? -- Allein es war klar (und in
diesem Urteile hatte ich alle Sachverständigen auf meiner Seite), daß
die feinen Herren es für zuträglicher gehalten hatten, die Assekuranz
gar nicht auszubieten, sondern es immerhin im Vertrauen auf meine
Tüchtigkeit und die anderweitigen günstigen Umstände zu wagen. Lief die
Fahrt glücklich ab, wie zu hoffen war, so würden sie nicht vergessen
haben, mir die Assekuranz-Prämie gehörig anzurechnen; nun aber, da ich
Havarie hatte, entschuldigten sie sich als Schurken, wie es auch die
Folge sattsam erwiesen hatte.

Was war nun zu tun? -- Ich saß in der Klemme, und mußte abermals auf
Schiff und Ladung Bodmerei zeichnen. Indes erhielt es mich noch
einigermaßen bei gutem Mute, daß ich der gewissen Hoffnung lebte, das
saubere Paar seiner Schelmerei zu überweisen und so wieder zu dem
Meinigen zu gelangen. Ich ging also wieder in See und langte bald darauf
glücklich in Königsberg an. Kaum aber hatte ich meine Ladung Salz dort
gelöscht, so trat auch der Bodmereigeber auf und forderte sein auf das
Schiff vorgestrecktes Geld zurück, welches sich, mit allen Nebenausgaben
auf die Summe von 7000 Talern belief. Da ich nun auch noch in einigen
andern Schulden steckte, so kam ich von Tag zu Tag immer mehr ins
Gedränge, denn an ein Ende des Prozesses, den ich nun zunächst gegen
Kock und van Goens in Amsterdam angestrengt hatte, war noch nicht zu
denken.

Vielmehr ward hier nun ein Federfechten begonnen, das Jahr und Tag
dauerte und immer bunter und verwickelter wurde. Endlich ward mir der
Handel und die Rabulisterei für meinen armen schlichten Menschenverstand
zu arg. Ich packte meine dicken Prozeßakten zusammen und legte sie, in
tiefster Devotion, Sr. Majestät dem Könige vor, mit inständigster Bitte,
Sich Ihres allergetreuesten Untertanen anzunehmen und diesen Prozeß
gegen Kock und van Goens durch den Preußischen beglaubigten Minister im
Haag ausmachen zu lassen.

Während aber nun meine Sache diesen gemächlichen Gang ging, mußte ich,
um meine Gläubiger zu befriedigen, zuvörderst meine Ladung, dann aber
auch mein schönes liebes Schiff, samt allem, was ich um und an mir
hatte, soweit es langte, losschlagen. Das unschuldige Opfer eines
schändlichen Betruges, stand ich da, und konnte kaum das Hemd mein
nennen, das ich auf dem Leibe trug! Meine letzte Hoffnung beruhte auf
dem Ausgange des Prozesses; und auch hier schwand mir mein anfänglicher
Mut mehr und mehr, je tiefere Blicke ich in das Gewebe rechtlicher
Schikane tat, das hier von meinen Gegnern angezettelt wurde, um
womöglich Weiß in Schwarz zu verdrehen.

Dieser unselige Rechtshandel bedrohte aber nicht bloß mein geringes
Vermögen, sondern griff zugleich tief in meinen ganzen Lebensgang ein
und legte meinem aufstrebenden Geiste Hemmketten an, die ihm je länger
je unerträglicher fielen. Nach der Einbuße meines eigenen Schiffes hätte
ich wenigstens als Schiffer für fremde Rechnung fahren und meinen
mäßigen Erwerb suchen können: allein allaugenblicklich gab es, des
Prozesses wegen, in Königsberg gerichtliche Termine, wo ich zur Stelle
sein und Rede und Antwort geben sollte. Gleichwohl wollten Frau und
Kinder (denn auch der Ehesegen hatte sich nach und nach bei mir
eingestellt) auf eine ehrliche Weise ernährt sein. Was blieb mir demnach
übrig, als daß ich mich noch einmal unter das alte verhaßte Joch
bequemte, und, als Setzschiffer, auf einem Leichter-Fahrzeuge, zwischen
Königsberg, Pillau und Elbing hin und her tagelöhnerte, um nur mein
kümmerliches Brot zu verdienen.

Drei mühselige Jahre blieb mein Schicksal in dieser Schwebe; und Gott
weiß, wie sauer, ja bitter sie mir geworden sind! Endlich ging vom
Preußischen Gesandten im Haag ein großes Schreiben an mich ein, mit der
Verkündigung, mein Prozeß sei in letzter Instanz glücklich gewonnen. --
Gottlob! hätte ich gerne aus tiefer erleichterter Brust gerufen, wäre
nur nicht unmittelbar die Hiobspost damit verbunden gewesen: Kock, der
eine meiner Widersacher, sei gestorben, nun sei der Bankerott des Hauses
ausgebrochen, von den übrigen Gläubigern auf alle Effekten Beschlag
gelegt worden und zur Befriedigung meiner Anforderung leider nichts
übrig geblieben. -- So war ich denn ein ruinierter Mann; hatte mir die
schönsten Jahre meines Lebens gleichsam stehlen lassen, mir den Leib
unaufhörlich voll geärgert, und mochte nun in Gottes Namen anfangen, zu
meinem künftigen Glücke, wo ich wüßte und könnte, wieder den allerersten
Grundstein zu legen!

       *       *       *       *       *

Da ereignete sich's im Jahre 1769, daß der Geheime Finanzrat Delatre,
welchen König Friedrich II. an die Spitze der neuen Regie aus Frankreich
berufen hatte, und der damals alles bei ihm galt, nach Königsberg kam.
Sein neuestes und weitaussehendes Projekt, womit er dem Monarchen große
Summen fremden Geldes ins Land zu ziehen verhieß, ging da hinaus, daß
von dem Überflusse an dem schönsten Schiffsbauholz in den königlichen
Forsten in Stettin für königliche Rechnung eine Anzahl großer Fregatten
erbaut, armiert und ausgerüstet, und dann zu gutem Preise an auswärtige
Mächte abgelassen werden sollten. Friedrich war auch auf diesen
Vorschlag eingegangen; und so lag denn bereits ein Schiff von vierzig
Kanonen bei Stettin auf dem Stapel.

Ich weiß nicht, auf welche Weise ich dem Franzosen bekannt und als der
Mann empfohlen worden sein mochte, dem die Ausrüstung, Einrichtung und
Führung dieses Schiffes vor andern anzuvertrauen wäre. Kurz, er ließ
mich zu sich rufen, erklärte mir seine Meinung, und bot mir endlich
diese Kapitänsstelle unter solchen Bedingungen an, daß ich, bei
hinlänglicher Überzeugung, dem von mir geforderten Dienste gewachsen zu
sein, auch kein Bedenken fand, mich für dies Unternehmen zu
verpflichten. Der Kontrakt wurde von beiden Seiten in bester Form
abgeschlossen; und ich ging unverzüglich nach Stettin ab, um meine
Funktion anzutreten.

Während nun hier der Königliche Schiffsbaumeister, Herr Catin, die
Fregatte in ihrem Bau nach Kräften förderte, war ich meinerseits nicht
minder geschäftig, Masten, Segel, Tauwerk und jedes andere Zubehör in
fertigen Stand zu setzen. Sobald sie demnach im Mai 1770 glücklich vom
Stapel gelaufen war, tat ich mein bestes, daß sie schon in den nächsten
vier Wochen, zu Anfang des Juni, für völlig ausgerüstet gelten konnte.
Dem damaligen Gouverneur, Herzog von Bevern zu Ehren, erhielt sie den
Namen Duc de Bevre und war wirklich ein schönes und tüchtiges Gebäude.

Erfreut über den hurtigen Fortgang, hatte mir mein Gönner Delatre bei
Sr. Majestät das in seiner Art erste Patent als Königlich Preußischer
Schiffskapitän samt der Berechtigung zur Tragung der königlichen Uniform
und eines Säbels mit dem Portepee ausgewirkt, die mir vom Herzoge mit
eigenen Händen überreicht wurden.

Doch war ich nicht der einzige, der sich in diesem neuen Zweige des
königlichen Militärdienstes angestellt sah; sondern die preußische
Flagge sollte nun auch einen eigenen Admiral aufzuweisen haben. Dazu
schlug Herr Delatre seinen eigenen Bruder vor, -- einen jungen, im
Seewesen ganz unerfahrenen Menschen, der indes früher als Unterleutnant
auf einer französischen Fregatte gedient hatte, mit derselben im letzten
Kriege den Engländern in die Hände gefallen und eben erst, durch des zu
Glück und Ehren gelangten Bruders Vermittlung, aus dem Schuldgefängnisse
hervorgekrochen war. Er kam nach Stettin, und ich war gerade nicht
sonderlich erbaut, meinen neuen Herrn Admiral kennen zu lernen, und
zugleich zu erfahren, daß ihm das Kommando der nächsten zu erbauenden
Fregatte zugeteilt werden sollte. Bis dahin hatte er nun freilich wenig
oder gar nichts zu tun; und so verführte der Müßiggang den luftigen
Patron zu einer Menge alberner Streiche, die ihm wenig zur Ehre
gereichten. Unaufhörlich gab es Neckereien und blutige Händel mit den
Offizieren von der Garnison, so daß er am Ende sich kaum mehr durfte
blicken lassen, um nicht der schimpflichen Ahndung eines gerechten
Unwillens anheim zu fallen.

Gegen Ende des Juni ging ich mit meinem Schiffe die Oder hinab, und war
angewiesen, auf der Reede von Swinemünde eine Ladung Balken einzunehmen,
die ich nach Cadix bringen und dort, wo möglich, mitsamt dem Schiffe
losschlagen sollte. Es kostete jedoch nicht wenig Not und Mühe, bevor
ich das große und tiefgehende Gebäude über die Bank am Ausflusse des
Stromes zu schaffen und mich außen auf der Reede vor Anker zu legen
vermochte. Ich hatte dabei einen sehr untätigen Zuschauer an meinem
Admiral, der mir die unverlangte Ehre erzeigte, mich bis hierher zu
begleiten.

Sobald ich meinen gelegenen Ankerplatz gefunden, befahl ich, die Stangen
und Raaen niederzulassen, wie es Seemannsbrauch ist, wenn ein noch
unbeladenes Schiff auf der Reede liegt, um das übermäßige Schwanken
desselben zu vermeiden. Dieser notwendigen Anordnung widersetzte sich
aber der Patron, zur Befriedigung seiner kindischen Eitelkeit, die das
Schiff noch länger in Parade sehen wollte. Vergeblich bedeutete ich ihm,
daß es hier mehr auf Sicherheit, als auf stattliches Ansehen ankomme,
und daß ich wissen müßte, was ich zu tun hätte. Das Fäntchen erboste
sich, trotzte und pochte, und wollte durchaus seinen Willen haben.
Freilich kam es da bei mir eben an den Unrechten. Ich wich ihm keinen
Daumen breit.

Nun war vollends Feuer bei ihm im Dache! Er parlierte mir, rot um den
Kamm wie ein Puter, allerlei dummen Schnack vor, und trat endlich
drohend auf mich ein, indem er die Hand an das Gefäß seines Degens
schlug. »Oho Bürschken,« sagte ich, und besah ihn mir schmunzelnd von
unten bis oben -- »das wollen wir dir wohl anstreichen!« -- Ich ging in
die Kajüte, schnallte mir meinen Säbel um, und kam wieder aufs Verdeck,
um ihm das Weiße im Auge zu sehen. Weil sich seine Galle aber immer noch
nicht legen wollte, seine geläufige Zunge wie ein Rohrsperling
schimpfte, und bei jedem dritten Worte die Faust immer wieder nach dem
Degen fuhr, riß mir endlich auch die Geduld. Ich legte ebenfalls die
Hand, und eben nicht sanft, an meinen Säbel und forderte ihn auf, zur
Stelle mit mir ans Land zu kommen, damit ich sähe, was Vater und Mutter
aus ihm gefuttert hätten, -- wie wir Pommern zu sagen pflegen.

Ich sprang voran in die Schaluppe und bot sechs Matrosen auf, die Riemen
zur Hand zu nehmen. Mein Urian kam auf mein wiederholtes Winken mir
nachgestiegen. Ich stellte mich ans Ruder und steuerte nach dem
Packwerk; war mit einem Satze am Lande und warf, meines Gegners
gewärtig, mir Hut und Rock vom Leibe, der denn auch bald hinter mir
dreinfackelte. Wir zogen beide blank und standen verbittert einander
gegenüber. Monsieur machte mir mit seinem Degen allerlei Figuren und
Firlefanz vor der Nase, bis ich mit einem abgepaßten Hiebe von unten
herauf ihm unterhalb des Gefäßes eins quer in den Arm zog; und mit der
nämlichen Wendung gab ich ihm einen Denkzettel hinters linke Ohr, so daß
er, wenn er nicht an dem einen, doch an beiden genug haben konnte.

Nun, er _verlangte_ eben auch nicht mehr; warf flugs den Degen an die Erde
und schüttelte die verwundete Hand mit einem etwas verstörten Gesichte.
Auch ich schleuderte meinen Sarras über Seite, um aus seinem Rocke, der
im Sande lag, ein Schnupftuch hervorzusuchen, welches ich, nachdem ich
ihm das Blut vom Ohre gewischt, fein säuberlich um die lahme Hand
wickelte. Dann machte ich dem Herrn ein Kompliment, sogut ich's ohne
Tanzmeister gelernt hatte, und ließ ihn stehen, indem ich wieder in die
Schaluppe stieg und nach dem Schiffe zurückfuhr.

Zwei Tage nach diesem Abenteuer erhielt ich einen schriftlichen Befehl
des Herrn Geh. Finanzrat Delatre, angesichts dieses in Stettin zu
erscheinen. Ich erwiderte darauf: »Das Schiff, welches ich kommandierte,
läge in See, und ich wäre für dessen Sicherheit verantwortlich. Ich
würde mich einstellen, sobald man mir einen Stellvertreter schickte, der
der Mann dazu wäre, es in versicherte Aufsicht zu nehmen.« Dies Notabene
hatte denn auch die Wirkung, daß bald nachher ein gewisser Schiffer
Stöphase, einer unserer besten preußischen Seemänner, zu mir an Bord kam
und sich durch schriftliche Orders als meinen Nachfolger auswies.
Zugleich wurde aber auch der Befehl zu meiner unverzögerten Gestellung
in Stettin erneuert und geschärft; und ich tat, was man haben wollte.

Mein ungnädiger Gönner, mit dem ich es hier zu tun hatte, ließ mich gar
hart an, daß ich so gröblich gegen die Subordination im Dienste
gehandelt. Ich war aber auch kurz angebunden, schenkte ihm über seinen
Herrn Bruder, den Admiral, klaren Wein ein, und bewies dessen Ungeschick
in einem gepfefferten Texte so kräftig, daß eben nicht sonderlich viel
darauf zu antworten blieb. Aber es war einmal sein _Bruder_, dem er nicht
ganz abstehen konnte, und so ergriff er um so lieber ein leicht von mir
hingeworfenes Wort, um mir, wenn ich nicht anders wollte, meine
Dienstentlassung anzukündigen. -- »Herzlich gern!« war meine Antwort.
-- »Vorbehalt jedoch, daß meine Tätigkeit zum königlichen Dienste nicht in
Abrede gestellt werde.«

»Wer zweifelt daran, Herr? Wenn Sie sich nur fügen wollten ...«

»Gehorsamer Diener!« erwiderte ich: »Da mag es wohl liegen! Aber wenn
auch mein Kopf etwas hart ist, so erinnert er sich doch an eine Klausel
in meinem Kontrakte, daß mir, falls ich einst meines Seedienstes
entbunden würde und gegen meine Taugsamkeit nichts einzuwenden wäre,
ebensowohl eine Gratifikation von zweihundert Talern als meine
rückständige Monatsgage zugute kommen solle. -- Wohl denn, ich habe
bisher meine Schuldigkeit getan: jetzt erwarte ich ein Gleiches von der
Regierung.« -- Die Zahlung geschah auf der Stelle; und so kriegte denn
mein Königliches Seekommando ein baldiges und betrübtes Ende.

       *       *       *       *       *

Mein Vornehmen war jetzt, nach Königsberg zu meiner Familie
zurückzugehen und eine Gelegenheit zu suchen, wo mir's möglich würde,
die Arme ein wenig freier zu rühren. Auf dem Wege dahin sprach ich indes
bei meinen Eltern in Kolberg ein; und sei es nun, daß es hauptsächlich
ihr dringendes Zureden vermochte, oder daß die alte Vorliebe für meine
Vaterstadt wieder lebendig in mir erwachte, während ich gegen
Königsberg, wo mir so vieles den Krebsgang genommen hatte, einen
heimlichen Widerwillen spürte: -- genug, ich glaubte wohl daran zu tun,
wenn ich meinen dortigen Wohnsitz aufgäbe, um mich fortan hier unter
den Meinigen häuslich niederzulassen. Anstatt also meine Reise
fortzusetzen, ließ ich vielmehr Weib und Kind zu mir herüberkommen und
begann mich hier häuslich einzurichten.

Aber Kolberg war doch der Ort nicht, wo meinesgleichen auf die Länge
seine Rechnung finden konnte. Der Seehandel hatte damals hier eben auch
nicht viel zu bedeuten, und die Kolberger Schiffer waren gar zahme
Leute, die sich eben nicht weit in die Welt hinaus vertaten. Es gab
daher auch wenig Anschein, daß ich hier so bald ein braves Schiff unter
die Füße würde bekommen können; und wurden mir gleich binnen Jahr und
Tag zu wiederholten Malen kleine Jachten zur Führung angeboten, um damit
die Ostseehäfen zu besuchen, so war dies doch ein zu enger Spielraum für
mich, als daß ich mich darauf hätte einlassen mögen. Lieber errichtete
ich eine kleine Navigationsschule, worin ich junge Seefahrer für ihr
Fach tüchtig auszubilden suchte; und noch jetzt, in meinem hohen Alter,
habe ich das Vergnügen, einige brave Schiffer am Leben zu wissen, die
ich als meine Schüler betrachten darf.

Man wird sich jedoch leicht denken, daß all dies Tun und Treiben nur ein
Notwerk blieb, dessen ich gern entbunden gewesen wäre, und daß ich mich
in meiner Lage mit jedem Tage mißmutiger und unzufriedener fühlte. Auf
die Länge konnte das nicht so bleiben. Was aber dem Fasse vollends den
Boden ausschlug, war ein Schimpf, der mir von einem Manne widerfuhr, um
den ich wohl ein besseres verdient gehabt hätte. Dieser Kaufmann K.
nämlich, für den ich vormals, als eigener Schiffsreeder Güter und
Frachten mit Ehren über See gefahren hatte, glaubte ein Werk der
Barmherzigkeit an mir zu tun, wenn er mir das Glück widerfahren ließe,
unter seinem unwissenden Bauer-Schiffer als Steuermann zu dienen. Meine
ganze Seele fühlte sich über diesen erniedrigenden Vorschlag entrüstet.
Es war, als ob jeder Bube in Kolberg mit Fingern auf mich wiese; und so
ließ mir's auch länger keine Ruhe, als bis ich mich im Jahre 1771 als
Passagier nach Holland auf den Weg machte; in voller und gewisser
Zuversicht, daß dies Land mir für mein besseres Fortkommen in allen
Fällen die gewünschte Genüge leisten werde.

Mein eigentlicher Plan bei diesem rasch gefaßten und ausgeführten
Entschlusse war auf die Küste von Guinea gerichtet, wo die Art des
Handelsverkehrs mir bei meiner ersten Ausflucht bereits bekannt geworden
war; und da ich mich der damals erlernten Landessprache noch immer
mächtig fühlte, im Navigationswesen es mit manchem aufnahm und mir auch
sonst zutrauen durfte, Herz und Verstand am rechten Flecke zu haben, so
war ich darauf aus, mich auf irgendeinem dorthin bestimmten Schiffe als
Ober-Steuermann anzubringen. In Amsterdam zwar gab es hierzu, für diesen
Augenblick, keine Gelegenheit; als ich mich aber durch Freunde und
Bekannte in gleicher Angelegenheit an das Haus Rochus und Copstadt in
Rotterdam empfehlen ließ, erhielt ich auch sofort einen Ruf dahin und
ward mit den Reedern einig, auf einem ganz neuen Schiffe, namens
Christina, unter Kapitän Jan Harmel, als Ober-Steuermann die Fahrt auf
die Küste von Guinea anzutreten.

       *       *       *       *       *

Im November des nämlichen Jahres gingen wir von Goree unter Segel.
Unsere Ladung bestand in solchen Artikeln, wie die Afrikaner sie gegen
Sklaven, Goldstaub und Elefantenzähne am liebsten einzutauschen pflegen.
Die Schiffsmannschaft betrug hundertsechs Köpfe, und das Schiff führte
vierundzwanzig Sechspfünder, weil Holland damals mit dem Kaiser von
Marokko in Mißhelligkeiten geraten war; weswegen allen Schiffen, die des
Weges fuhren, aufgegeben worden, sich gegen jeden etwaigen Anfall der
Korsaren gehörig auszurüsten. Aus dem nämlichen Grunde versäumten wir
auch nicht, sobald wir in den Ozean gekommen waren, unser Schiffsvolk
täglich in der Bedienung des Geschützes und in anderen kriegerischen
Handgriffen zu üben, damit wir's mit den Marokkanern um so besser
aufzunehmen vermöchten und, falls es zum Schlagen käme, jeder am Borde
wüßte, wohin er gehöre und wie er es anzugreifen habe. Und daß es
hiermit nicht etwa von unserem Kapitän nur für die Langeweile gemeint
war, kann ich sofort durch ein Beispiel belegen.

Um mich aber hierüber noch mit einigen Worten auszulassen, sei
zuförderst bemerkt, daß ein Kapitän auf dieser Art von Schiffen sich
seinen Dienst insofern bequem genug macht, als er sich (dringende
Notfälle ausgenommen) die Nacht hindurch an nichts kehrt, sondern abends
um acht Uhr ruhig zu Bette geht und vor sechs Uhr morgens nicht wieder
zum Vorschein kommt. Er verläßt sich lediglich auf seine vier
Steuerleute, deren je zwei zusammen in ihren vierstündigen Wachen
abwechseln, und begnügt sich, morgens beim Aufstehen den Rapport über
alles, was nächtlich vorgefallen ist, anzunehmen und mittags um zwölf
Uhr bei der Beobachtung der Sonnenhöhe zugegen zu sein, um den Stand des
Schiffs nach Länge und Breite in das Schiffstagebuch einzutragen.

Solchergestalt kam ich (nachdem Kapitän Harmel mir schon früher
aufgegeben hatte, von unserem Konstabler ein Faß halbgefüllter
Kartuschen anfertigen zu lassen) einst in dieser Zeit des Morgens zu ihm
in die Kajüte, um meinen nächtlichen Rapport abzustatten, und
verwunderte mich nicht wenig, als ich ihn am Tische, den Kopf auf beiden
Händen liegend, wie im tiefen Traume sitzen sah -- übrigens nackt und
bloß, bis auf ein paar leinene Hosen und das Hemd, das an beiden Armen
bis hoch an die Achseln hinauf aufgestreift und mit roten Tüchern
festgebunden war. Das gelockte Haar hing ihm rings um den Kopf auf den
Tisch hinab, und vor ihm lag ein blanker Schiffshauer.

Wie wild und furchtbar er mir in diesem Aufzuge auch erschien, so fing
ich doch an zu lachen; und eben wollte ich fragen, was diese Maskerade
zu bedeuten habe, als er mich martialisch anblickte, den Säbel ergriff,
aufsprang, an mir vorbeieilte und, indem er aufs Verdeck stürzte, aus
vollem Halse schrie: »Ho, da der Feind! Ho, da der Feind! -- Feuer! Vom
Steuerbord Feuer!« -- In der ersten Überraschung meinte ich wirklich, er
sei toll geworden; sobald ich jedoch seine wahre Meinung ahnte, den Mut
und die Geistesgegenwart seiner Schiffsmannschaft auf die Probe zu
setzen, so schrie ich tapfer mit: »Feuer! Steuerbord Feuer!« und es gab
einen Lärm am Borde, der hinten und vorn und aus allen Winkeln gräßlich
zusammendröhnte.

Da nun auch schon seit einiger Zeit unsere Kanonen, mit Kugeln geladen,
bereitstanden, so währte es auch keine drei Minuten, daß die ganze volle
Lage gegen den eingebildeten Korsaren abgefeuert wurde. Sofort hieß es:
»Schiff gewendet!« und als dies im Nu geschehen war: »Feuer! Vom
Backbord Feuer! Am Steuerbord geladen! -- Wieder wenden! Vom Steuerbord
Feuer! Am Backbord geladen!« -- und so lustig fort, bis der Konstabler
zu mir herantrat, um zu melden, daß das Oxhoft voll Kartuschen glücklich
in die Luft geplatzt sei. Ich brachte die Meldung an den Kapitän, und
»Gut!« -- sagte dieser -- »Nun laß die Marokkaner nur kommen!«

»Aber« -- unterbrach er sich plötzlich -- »Entern -- _entern_ wollen die
Hunde! Die sollen sich bei uns die Nasen verbrennen! Hallo! Allmann auf
seinen Posten!« -- Flugs traten, angewiesenermaßen, vierzig Mann auf dem
halben Deck zusammen; jeder ergriff sein geladenes Gewehr aus der dort
in Bereitschaft stehenden Kiste. Hier war das Kommandieren an _mir_:
»Feuer über Steuerbord!« während andere, die in Reserve standen, ihnen
die frisch geladenen Büchsen zureichten und die abgeschossenen
empfingen. So folgte Lage auf Lage; und die Kerle hielten sich so wacker
dazu, daß wir unsere Lust und Freude daran hatten.

Dabei begab sich's nun, daß ein Matrose seinem Nebenmann das Gewehr zu
nahe an sein langes struppiges Haar hielt, welches vom Zündpulver
ergriffen ward und augenblicklich in lichten Flammen stand. Zur Strafe
solcher Ungebühr ward der Schmied, der in solchen Fällen den Sergeanten
vorstellt, hervorgerufen, um den Unvorsichtigen als Arrestanten
abzuführen, während noch das Manöver mit dem Handgewehr so lange
fortgesetzt wurde, bis der Tambour (der so lange aus Kräften
fortgewirbelt hatte) Befehl erhielt, Appell zu schlagen und vom
geschlagenen Feinde nichts mehr zu sehen war.

Nun sollte der Arrestant ins Verhör: aber der hatte seine Zeit so gut
abgepaßt, daß derweile, da seine Wächter dem Spektakel zugafften, er
sich glücklich über Seite machte; doch nur so lange, bis er in seinem
Versteck erwischt worden und nun seinen nachlässigen Wächtern vorn in
der Back Gesellschaft leistete, bis ihm seine Strafe diktiert worden. Er
sollte auf dem halben Deck durch sechzig Mann vierundzwanzigmal Gassen
laufen, doch kam der arme Schelm mit sechsmal ab und mochte sich, so wie
seine mit derben Fuchteln bestraften Wächter, an der reichlichen Portion
Branntwein trösten, die ihnen gegeben wurde, sich ihren wunden Buckel zu
waschen.

Dies Pröbchen von strenger Subordination mag zugleich beweisen, mit
welchem Ernst und Regelmäßigkeit der Dienst auf den holländischen
Schiffen damals versehen wurde, daher ich auch stets auf denselben die
beste Ordnung gefunden habe. Nicht so bei den Engländern, wo man
dergleichen als Kleinigkeiten ansieht, die mit Fußtritten, Faustschlägen
und Rippenstößen abgemacht werden; und von solcher barbarischen Willkür
bin ich stets ein abgesagter Feind gewesen.

       *       *       *       *       *

Wenige Tage später, etwa in der Mitte Oktobers, da wir uns unter dem
einundvierzigsten Grade nördlicher Breite und ungefähr neunzig Meilen
von der portugiesischen Küste entfernt befanden, erblickten wir in den
Vormittagsstunden ein Schiff vor uns über dem Winde, das uns, da wir den
Kopf immer voll von Seeräubern hatten, verdächtig vorkam. So wie schon
früher, teils aus Vorsicht, teils um unsere Mannschaft zu üben,
geschehen war, so oft ein Segel in unserer Nähe auftauchte, so ward auch
jetzt im Augenblicke an unserem Borde alles zum Gefechte bereit gemacht.
Allein indem unsere Blicke aufmerksam auf jenes Schiff gerichtet
blieben, wurden wir mit Verwunderung gewahr, daß es gar keinen geraden
Kurs hielt, sondern bald nördlich, bald östlich am Winde lag. Alle Segel
waren fest gemacht, bis auf das Vorder-Marssegel, das frei im Winde
flog, während dieser aus Südwesten her sich fast zum Sturm verstärkte,
so daß wir selbst unsere Marssegel hart eingerefft führen mußten.

Indem es nun solchergestalt vor uns vorüber taumelte, so daß wir ihm
bald über den Wind kamen, wußten wir immer weniger, was wir aus dieser
Erscheinung machen sollten, und da es wenigstens noch anderthalb Meilen
von uns entfernt lag, so konnten wir auch nicht entdecken, was es
eigentlich im Schilde führte. Nichtsdestoweniger schien es uns
wohlgetan, dies in der Nähe etwas genauer zu untersuchen, um unserer
Schanze desto besser wahrzunehmen. Indem wir also unsere Flagge hinten,
sowie vorne die Gisse und einen Wimpel an der Spitze des großen Mastes
aufsetzten, um unsere Bravour zu zeigen und uns den Anschein eines
Kriegsschiffes zu geben (wie denn auch unser Schiff aus der Ferne
wirklich ein ganz stattliches Ansehen hatte), so richteten wir unseren
Lauf gegen den wunderlichen Unbekannten; doch so, daß wir ihm oberhalb
Windes blieben.

Als wir dem Fremden auf die Hälfte näher gekommen waren, taten wir einen
blinden Schuß gegen ihn, als Aufforderung, unsere Flagge zu respektieren
und uns die seinige zu zeigen. Diese kam gleichwohl nicht zum Vorschein;
selbst dann nicht, da wir im Abstande von einer halben Meile jenes
Signal wiederholten. Ja, sogar der dritte Gruß dieser Art, im steten
Näherrücken, verfehlte die gehoffte Wirkung: denn keine Flagge ließ sich
blicken. Unter der Zeit war das fremde Schiff in den Bereich unseres
Geschützes gekommen; und wir bedachten uns nun nicht länger, ihm auf gut
Glück eine scharfe Kugel zuzuschicken. Diese schlug auch hart vor ihm
nieder: aber seine Flagge verzog noch immer, sich uns zu zeigen.

»Er _soll_ und _muß_ es!« rief unser Kapitän. -- »Konstabler, schießt ihm
eine Koppelkugel in den Rumpf, und seht wohl zu, daß Ihr trefft!« --
Gesagt, getan! Wir waren ihm jetzt so nahe, daß sich unmöglich fehlen
ließ; und die Kugel fuhr ihm in den Bug, daß wir die Holzsplitter
umherfliegen sahen. Dennoch keine Flagge! -- So etwas ging über all
unseren Begriff. Allein nun wurden wir immer hitziger und beschlossen,
ihm oberhalb Windes so dicht als immer möglich auf den Leib zu rücken.

Dies geschah auch, indem wir kaum im Abstande eines Flintenschusses an
ihm vorüber liefen und zugleich ihn mit dem Sprachrohr anriefen. Auf
unser drei- bis viermaliges Holla! keine Antwort. Ebensowenig erblickten
wir eine Menschenseele am Borde. Nur ein großer schwarzer Hund richtete
sich über die Borte empor, uns heiser anzubellen. Indes trieb uns der
starke Wind nach wenig Augenblicken vorüber; doch vermochten wir im
Vorbeisegeln zu erkennen, daß die Finkennetze und Schanzgitter längs der
ganzen Seite mit Weißkohlköpfen vollgepackt waren, und daß auch einige
Stücke frisches Fleisch unter der großen Mars in der Luft aufbewahrt
hingen. Ja, einige von unseren Matrosen, die sich oben im Mastkorbe
befanden, wollten zu gleicher Zeit bemerkt haben, daß auf dem Verdeck
des fremden Schiffes menschliche Leichname ausgestreckt umhergelegen.

Diese vermeintliche Entdeckung war gleichwohl zu unstatthaft, um bei uns
übrigen Glauben zu finden. Was sollte diesen Unglücklichen den Tod
gebracht haben? Das Schiff schien unversehrt und gut; kein Feind hatte
mit Feuer und Schwert darauf gehaust. An ansteckende Seuchen, an
Verhungern und Verdürsten war ebensowenig zu denken: denn die frischen
Lebensmittel, die wir wahrgenommen, bewiesen, daß das Schiff erst ganz
vor kurzem einen europäischen Hafen verlassen haben müsse. Genug indes,
daß uns hier ein Rätsel aufgegeben war, dessen Lösung uns ebenso eifrig
wie fruchtlos beschäftigte.

Inzwischen legten wir um und hielten diesmal unseren Strich noch näher
an das verödete Schiff, ohne es an unserem wiederholten und
durchdringenden Holla! Holla! fehlen zu lassen. Immer noch sahen wir
kein lebendiges Wesen und hörten keine Stimme, als das Bellen des
Hundes, der nach uns herüberwinselte. Es schien nun wohl entschieden,
daß das Schiff leer und verlassen von Menschen sein müsse: aber eben
dies weckte in mir und anderen mehr die Lust, die Schaluppe auszusetzen
und zu einer genaueren Untersuchung dieses wunderbaren Vorfalles
hinüberzufahren: denn so, wie sich die Sache anließ, kam es hier
vielleicht bloß darauf an, ein herrenloses Eigentum als gute Prise in
Besitz zu nehmen.

Meine hierauf gerichteten Vorschläge fielen jedoch bei dem Kapitän in
taube Ohren. Er meinte, der Wind bliese zu frisch und die See ginge zu
hoch, als daß er Boot und Menschen einem solchen Wagnis preisgeben
könnte; und auch im besten Falle werde es um den Rückweg, gegen den
Sturmwind an, noch mißlicher stehen. Erpicht, wie ich auf den Handel
war, stellte ich ihm vor, wie es füglich so einzurichten wäre, daß die
Schaluppe mit Wind und Wellen geradezu auf das fremde Schiff
lossteuerte, und das unserige, nach erfolgter Besichtigung, sich
jenseits unter den Wind legte, um uns mittels dieses Manövers gemächlich
wieder an Bord zu nehmen. »Nettelbeck!« rief er -- »das wird der Teufel
nicht mit Euch wagen!«

»Das käme noch drauf an!« meinte ich -- »Laßt einmal hören! -- Jungens,«
rief ich, indem ich auf das halbe Deck vortrat, unseren Leuten zu --
»wer von euch hat die Courage, mit mir in unserer Schaluppe nach jenem
Schiffe hinüberzufahren? Wenn wir das vielleicht als gute Prise in
Besitz nehmen könnten!«

»Ich -- ich -- ich!« schallte mir's von allen Seiten entgegen. -- »Und
was sagt Ihr _nun_, Kapitän?« wandte ich mich an unseren Befehlshaber.

»Fahrt meinetwegen, wenn Ihr Lust habt, zu ersaufen!« gab er mir
verdrießlich zur Antwort; und ich hielt ihn sogleich, wenigstens wegen
des ersteren, beim Worte. Die Schaluppe ward mit dem größten Feuer
angegriffen, in die Takel gehängt und über Bord gesetzt. Noch hatte sie
ihr nasses Element nicht erreicht, als ich mich bereits hineinstürzte.
Alles stürzte mir nach und wollte mich begleiten, so daß ich genug zu
steuern und abzuwehren hatte, um nicht mehr als die beschlossene Zahl
von zwölf Mann hinüber zu lassen, die ich namentlich aufrief und als
tüchtige zuverlässige Kerle kannte. Da auch, von dem neulichen
Scheingefecht her, die offene Gewehrkiste noch auf dem Verdeck vorhanden
war, so wurden uns Pistolen und Hauer in solchem Überflusse zugelegt, ja
sogar in die Schaluppe geworfen, daß ich genug mit Händen und Füßen
abzuwehren hatte.

So gingen wir nun mit unserem Fahrzeuge vor See und Wind gerade auf das
Schiff zu, welches auch kaum in der Weite eines Pistolenschusses vor uns
auf den Wellen trieb. Leichter und glücklicher, als ich selbst gehofft
hatte, legten wir uns ihm an Bord; und gehörig bewaffnet stieg ich
sofort mit elf Mann auf dasselbe hinüber, während der zwölfte im Boote
zurückblieb und dieses mit einem Schlepptau hinten angehängt wurde. Auf
dem Verdeck fanden wir, wie zu vermuten war, niemand als jenen Hund, der
uns freundlich zuwedelte und die Hände leckte, und einen Behälter mit
lebendigen Hühnern und Enten, die noch Gerste und frisches Wasser im
Troge hatten. Überall lagen Kleidungsstücke zerstreut umher. Die
Schaluppe stand, wie sich's gehört, im Boote; alles ordentlich
befestigt; kein Takel hing über Bord, woraus man hätte schließen mögen,
daß etwa ein Fahrzeug zur Flucht der Mannschaft ins Wasser gelassen
worden, weil das Schiff vielleicht leck geworden und man das Sinken
befürchtet hätte.

Dies zu ergründen, stellte ich sofort meine Leute an beide Pumpen; und
mittlerweile daß sie diese in Bewegung setzten, ging ich auf dem Schiffe
von hinten nach vorn und nach allen Seiten, besah mir's oben und unten
und nahm endlich wahr, daß die Tür zur Kajüte niedergehauen war. Sogar
das Beil, womit dies geschehen sein mochte, lag noch daneben. Ich
erschrak nicht wenig über diesen unvermuteten Anblick: denn nun schoß
mir's aufs Herz, daß hier gottlose Buben gehaust haben müßten, die den
Kapitän oder sonstigen Befehlshaber ermordet haben müßten und sich in
diesem Augenblicke vielleicht absichtlich im unteren Raume versteckt
hielten. Voll von dieser Vorstellung, hielt ich es auch nicht für
ratsam, mich dahinunter zu wagen.

Unterdes hatten meine Begleiter wacker an den Pumpen gearbeitet und
erklärten nach etwa zwölf bis fünfzehn Minuten: das Schiff sei rein und
die Pumpen zögen kein Wasser mehr. »So kommt denn alle!« rief ich --
»nehmt eure Wehren zur Hand, spannt den Hahn und folgt mir dicht
zusammengeschlossen nach.« -- In solcher Ordnung nun stiegen wir
zuvörderst in die Kajüte hinab, wo der zertrümmerte Eingang uns nichts
als einen vollen Greuel der Verwüstung erwarten ließ. Dem war jedoch
keineswegs also, sondern überall das Geräte in bester Ordnung, als ob
gar nichts vorgefallen. Ich hob den Deckel von einer Seitenbank empor
und fand den Sitz angefüllt mit Weinflaschen, die sorgsam in Stroh
gepackt waren. Zu näherer Untersuchung zog ich eine daraus hervor, hielt
sie gegen das Licht und fand sie mit rotem Clairet gefüllt. Eine
Schieblade im Tische, die ich hervorzog, enthielt allerlei Tafelgerät,
Messer, Gabeln usw. Ich nahm ein Messer, schlug jener Bouteille den Hals
ab, und wir machten ein Schlückchen nach dem andern, bis uns der Boden
entgegenleuchtete. Nun machten meine Gefährten nicht übel Miene, auch
dem Reste auf gleiche Weise zuzusprechen: allein, bange vor den
möglichen Folgen, rief ich mein »Halt! Keinen Tropfen mehr!« dazwischen
und schritt sofort zu einer weiteren Untersuchung.

In einer anderen Schieblade, die ich öffnete, fiel mir ein starkes Pack
Briefe in die Hände, deren Aufschriften sämtlich nach Port au Prince,
Martinique, Guadeloupe und andern französischen Inseln lauteten. Ich
griff einige auf gut Glück daraus hervor und steckte sie zu mir, um sie
demnächst bei besserer Muße genauer zu untersuchen. Für den Augenblick
aber ward meine volle Aufmerksamkeit von einer Luke angezogen, die sich
in der Mitte des Fußbodens der Kajüte vorfand und angelweit offen stand.
»Hier wird es doch der Mühe wert sein, hinunterzusteigen,« sagte ich zu
meinen Leuten; -- »wäre es auch nur, um zu erfahren, womit das Schiff
geladen sein mag.« -- Zu gleicher Zeit ließ ich mich an den Händen
hinab, ohne jedoch mit den Füßen Grund zu erreichen. »Nun, es wird ja so
tief nicht mehr sein!« dachte ich bei mir selbst, ließ oben fahren und
purzelte auf einen Haufen, den ich alsbald für Steinkohlen erkannte.

Indem ich über dies unbequeme Lager hinüberkroch, geriet ich, bald hier
bald dort im Dunkeln umhertappend, an Fässer, Ballen und Packen in
Bastmatten gehüllt, die mich auf eine vermischte Ladung schließen
ließen. Unwillkürlich aber stieg mir bei dieser irren Beschäftigung auch
die Befürchtung zu Kopf, daß in diesem Chaos auch wohl Menschen stecken
und mir auf den Dienst lauern könnten. Schon war mir's, als ob sie mir
überall auf dem Nacken säßen, als würde bei jedem nächsten Tritte eine
grimmige Faust mich anpacken. Vergeblich sträubte sich mein Mut und
suchte diesen feigherzigen Gedanken abzuschütteln. Mich ergriff ein
Zittern, das mich mit einer Gänsehaut überlief und wohl oder übel wieder
nach dem Tageslichte hin zurückdrängte. Erst dann ward mir wieder wohl,
als ich oben an der Luke ein paar von meinen Gefährten erblickte, die
auf den Knien lagen und in den Raum hinabsahen. An ihren dargereichten
Händen ward ich wieder emporgezogen.

Inzwischen war auch mein Kapitän bei seinem Manövrieren dem Schiffe
wieder nahe genug gekommen, um mir durchs Sprachrohr zuzurufen, wie es
an meinem Borde stände. Ich antwortete, das Schiff sei fest und dicht
und alles darauf in guter Ordnung, aber nicht Mann noch Maus darauf zu
spüren. Er befahl mir darauf, ihm die Schaluppe mit acht Mann hinüber
zu schicken, weil er selbst willens wäre, den Fund in Augenschein zu
nehmen. Das erstere geschah; als er jedoch auf dem Herwege noch etwa
achtzig Klafter von meinem Borde entfernt war, erhob sich plötzlich ein
so heftiger Wirbelwind, daß man sich auf unserem eigenen Schiffe
genötigt sah, die Segel eiligst einzuziehen. Dieser Zufall benahm meinem
Kapitän den Mut. »Kommt! kommt! Zu mir herüber!« rief er mir aus dem
Fahrzeuge zu; und indem er an meine Seite legte, hörte er nicht auf mit:
»Her zu mir, in die Schaluppe! Fort! fort!« -- bis ich ihm den Willen
tat, mit dem Rest meiner Leute zu ihm einstieg, und solchergestalt mit
ihm nach unserem Schiffe zurückruderte. Als wir dort ankamen, ward die
Schaluppe unter die Takel gebracht, emporgehoben und wieder an ihrem
Platze befestigt.

Sobald wir nun wieder in Ordnung und zur Besinnung gekommen waren, galt
es die Frage: Was mit dem herrenlosen Schiffe zu tun oder zu lassen sei.
-- Ich und mehrere mit mir stellten dem Kapitän auf das triftigste vor,
daß es doch Sünde und Schande sein würde, wenn wir diesen Fund so um
nichts und wieder nichts aufgeben wollten. Allein wie dringend wir ihm
auch anlagen, so schien doch sein Widerwille gegen jedes weitere
Vornehmen zu diesem Zwecke so gut als unbezwinglich, und, wohlerwogen,
war es ihm eigentlich auch nicht zu verdenken, wenn er üble Lust
bezeigte, sich mit einem Handel dieser Art zu schaffen zu machen. Die
Sache hing aber so zusammen:

Auf seiner vorigen Fahrt nach der Küste von Guinea hatte Kapitän Harmel
von einem englischen Sklavenschiffe Besitz genommen, das infolge einer
unter den Schwarzen ausgebrochenen Meuterei von diesen überwältigt
worden war. Sie hatten, beinahe hundert Köpfe stark, die ganze
Schiffsmannschaft bis auf einen Steuermann und zwei Matrosen ermordet,
welche unter dem Beding verschont worden waren, daß sie die Neger in
deren Heimat zurückführen sollten. Auf diesem Zuge nun fielen sie meinem
Kapitän in die Hände, und es munkelte nicht nur, daß er mit ihnen, wie
mit der Schiffsladung, nicht zum besten gewirtschaftet, sondern daß
auch das Schiff selbst von seinen daraufgesetzten Leuten verwahrlost und
bei St. Georg de la Mina gestrandet sei. Hierüber hatten die Reeder
desselben in England gegen Harmel ein gerichtliches Verfahren
eingeleitet und wollten ihn für nichts besseres als einen Seeräuber
erklärt wissen. Dieser Prozeß schwebte noch vor den holländischen
Gerichten, und je zweifelhafter es war, wie das Endurteil ausfallen
könnte, um so weniger mochte er allerdings Neigung in sich spüren, etwas
Frisches auf sein Kerbholz zu bringen.

Wir jedoch, die wir die Sache mit ganz anderen Augen ansahen, drangen so
ungestüm und unablässig in ihn, das Schiff zu besetzen, daß er endlich
einwilligte, die große Schiffsglocke läuten zu lassen und einen
allgemeinen Schiffsrat zu halten. Es ward beschlossen, daß zwölf von den
Unseren das Schiff zur Notdurft bemannen und ich die Ehre haben sollte,
es nach einem holländischen Hafen in Sicherheit zu bringen.

»Gut gemeint, aber schlecht beraten,« war meine Einrede, »und so muß ich
mich der zugedachten Ehre höflichst bedanken. Wer möchte wohl eine
solche Kommission so losen Fußes auf sich nehmen? Denn wie? wenn nun auf
dem Wege nach Europa irgendein englisches, französisches oder
anderweitiges Kriegsschiff auf mich stieße und nach meinen
Schiffspapieren fragte? Möchte ich zehnmal versichern und schwören, daß
es mit dem Funde ehrlich und christlich zugegangen, wer würde mir's
glauben und mich nicht vielmehr für einen argen Freibeuter erklären und
mir und all meinen Gefährten die hanfene Schleife zuerkennen? -- Und
steckt nicht noch dort die Kugel im Schiffsrumpfe in dem gesplitterten
Barkholze, die wir vorhin abgeschossen haben und die Zeugnis von
gebrauchter Gewalt gegen uns ablegen würde? Im besten Falle würden wir
in ein finsteres Loch gesteckt und könnten schwitzen, bis wir schwarz
würden, bevor die Mannschaft der Christina, die unterdes in den
afrikanischen Gewässern umherschweifte, vernommen werden könnte und uns
wieder aus der Patsche hülfe.«

Meinem Bedenken war nicht füglich zu widersprechen, doch fand und
ergriff man endlich den Ausweg, daß, zu meiner besseren Beglaubigung,
ein schriftliches Zeugnis über den ganzen Hergang, mit all seinen
besonderen Umständen, ausgefertigt und von der gesamten Harmelschen
Schiffsmannschaft eigenhändig unterzeichnet werden sollte. Da es nun in
Holland herkömmliche Einrichtung ist, daß vor dem Auslaufen eines jeden
Schiffes die gesamte Besatzung ihre Namenszüge bei der Admiralität in
die Schiffsregister eintragen muß, um vorkommenden Falles dadurch
bewahrheitet zu werden, so konnte die Echtheit dieser Urkunde in
Rotterdam unfehlbar ausgemittelt werden und diesem Beweise unserer
Ehrlichkeit nichts zur Gültigkeit abgehen. Auch ich erklärte mich nun
mit einem solchen Passe zufrieden.

Inzwischen nahte der Abend bereits heran, und bei dem stürmischen Wetter
schien es am ratsamsten, jene Ausfertigung bis zum nächsten Morgen zu
verschieben; damit jedoch dem fremden Schiffe bis dahin, falls es länger
sich selbst überlassen bliebe, kein Zufall zustieße, sollte der
Untersteuermann Peters dasselbe mit zehn Matrosen vorläufig sogleich in
Obhut nehmen. Seine Instruktion lautete dahin, sich mit dem Schiffe so
nahe als möglich an dem unserigen zu halten, und es wurden die Signale
verabredet, woran beide sich während der Nacht erkennen wollten. Zwar
kannten wir ihn als einen nicht sonderlich gewiegten Seemann, doch
schien der Dienst, wozu er beordert worden, um so weniger bedenklich, da
ich ihn binnen zwölf oder fünfzehn Stunden abzulösen gedachte, um sodann
das Schiff nach Holland heimzuführen.

So fuhr denn Peters mit seiner Mannschaft in unserer Schaluppe hinüber;
die Segel wurden dort den unserigen gleichgestellt, und das Schiff
gewann wieder einen festen und regelmäßigen Gang, bei welchem es, etwa
in der Entfernung eines Kanonenschusses, uns zur Seite blieb. Mit
Einbruch der Nacht steckten wir unsere Laterne aus, und dort geschah ein
Gleiches. Ich versah die erste Wache von acht bis zwölf Uhr und nahm mit
meinen Leuten wahr, daß sich das jenseitige Licht je mehr und mehr
entfernte und endlich zwischen zehn und elf Uhr gar erlosch.
Augenblicklich ward dies dem Kapitän gemeldet und hierauf beschlossen,
einen Stückschuß abzufeuern, um unserem Gefährten unsere Richtung
anzugeben.

Der Erfolg war keineswegs befriedigend. Wir wiederholten nun diese
Signalschüsse von Zeit zu Zeit die ganze Nacht hindurch, ja steckten
endlich selbst scharfe Patronen auf, um den Knall zu verstärken und in
desto weitere Ferne gehört zu werden. Unter steigender Unruhe graute
endlich der Morgen heran, alles eilte an den Masten hinauf, um sich
rings umher umzusehen. Umsonst! Freund Peters samt unserer Prise war und
blieb verschwunden!

Unsere Bestürzung war nicht gering. Wie war dies zugegangen? Was _war_
geschehen? Was _konnte_ geschehen sein? Ein unermeßliches Feld eröffnete
sich unseren Mutmaßungen und Zweifeln. Manche waren der Meinung, unsere
Leute wären samt dem Schiffe gesunken; so wie es auch zuvor schon von
seiner eigentlichen Besatzung um irgend eines nicht mehr zu stopfenden
Lecks willen verlassen worden sein möchte. Dem mußte ich aber mit Fug
entgegnen, daß ich samt allen, die mit mir an Bord gewesen, das Schiff
dicht und gut befunden, daß wir das wenige Wasser, das sich am Kiele
gesammelt, mit leichter Mühe ausgepumpt, und daß ich ja auch selbst in
den Raum hinabgestiegen gewesen, ohne etwas von eingedrungenem Wasser zu
spüren. Billig also ward diese Voraussetzung verworfen.

Möglicher aber schien es uns und stieg bald zur ängstlichen Besorgnis,
daß allerdings doch Leute im Schiffe versteckt gewesen, die bei Nacht
unversehens hervorgebrochen, die unsrigen überwältigt und ermordet und
sich, unter Begünstigung der Finsternis, davongemacht hätten.
Gewalttätigkeit und Meuterei schien, wie die zersplitterte Kajütentüre
bewies, allerdings vor der Begegnung mit uns auf dem Schiffe
stattgefunden zu haben. Wußten sich nun die Empörer schuldig, so war es
wohl natürlich, daß sie, als sie uns unter Flagge und Wimpel auf sich
zukommen und sie mit Kanonenschüssen begrüßen sahen, in der
Unmöglichkeit, uns zu entkommen, sich lieber in die geheimsten Winkel
verkrochen hatten und es auf den Zufall ankommen lassen, ob wir sie
entdecken oder ob sie vielleicht den Mantel der Nacht gewinnen würden,
um mit dem Schiffe wieder durchzugehen. Wir hatten also wohl nur zu viel
Ursache, das Schicksal unserer armen zwölf Gefährten zu bedauern.

Allein selbst wenn wir ihnen auch das bessere Los wünschen wollten, daß
sie -- sei es durch Zufall, Ungeschicklichkeit, oder gar durch
vorsätzlichen bösen Willen, -- in der Nacht von uns abgekommen, so waren
sie darum noch wenig besser beraten; und nicht nur sahen sie sich all
den Gefahren ausgesetzt, die ich gescheut und zu vermeiden gesucht
hatte, sondern es stand auch überhaupt gar sehr dahin, ob sie jemals
Holland oder irgendeine andre Küste wohlbehalten erreichen möchten. Der
Steuermann war, wie schon gesagt, ein Dummbart, welcher der Führung
eines Schiffes auf einen so weiten Weg keineswegs gewachsen war. Doch
hätte es auch besser um sein Wissen gestanden, so fehlte es ihm auch zu
einem solchen, nimmer von ihm zu erwartenden Wagestück ganz an einem
festen Punkte, welchen er bei seiner Schiffsrechnung hätte zum Grunde
legen können, denn in der Eile, womit seine Absendung betrieben wurde,
war entweder nicht daran gedacht, oder überhaupt für die kurze Zeit
seines Dienstes nicht für nötig gehalten worden, ihm unsere zuletzt
beobachtete Länge und Breite mitzugeben. Ebensowenig fand er dort
Instrumente nach holländischer Art (wie er sie allein gewohnt war), um
die Sonnenhöhe zu nehmen; und fielen ihm auch die dort geführten
Schiffsjournale und Seekarten in die Hände, so blieben sie ihm doch
ebenso unnütz zum Gebrauche, da sie in französischer Sprache verzeichnet
waren. Immer also gaben wir, nicht ohne Kummer, ihn und die Seinen
verloren.

Erst einige Tage nachher klärte sich wenigstens einiges, was uns an
diesem Schiffe rätselhaft war, um etwas auf, aber den völligen
Zusammenhang der Dinge, sowie das weitere Schicksal desselben, sollte
uns erst in späterer Zeit und auf verschiedenen Wegen zur Kenntnis
kommen. Jene ersten Entdeckungen ergaben sich uns, als ich zufällig den
Schanzloper wieder auf den Leib zog, welchen ich zu jenem Male, da ich
auf dem fremden Schiffe gewesen, getragen. Indem ich nämlich zufällig in
die Tasche griff, kamen mir die Briefe wieder in die Hände, welche ich
damals zu mir gesteckt hatte, ohne mich ihrer bis jetzt wieder zu
erinnern. Ich eilte mit meinem Funde zu dem Kapitän in die Kajüte, und
es gab kein Bedenken, die Briefe zu öffnen, damit wir einst im
entstehenden Falle um so leichter von unserm bestandenen Abenteuer Rede
und Antwort zu geben vermöchten.

Zwar waren diese Papiere, wie wir nunmehr ersahen, französisch abgefaßt
und also uns beiden unverständlich; allein wir hatten einen
französischen Matrosen namens Josephe an Bord, welcher sofort gerufen
wurde, um uns als Dolmetscher zu dienen. So bestätigte sich denn unsere
frühere Vermutung, daß das verlassene Schiff ein französisches gewesen.
Es war von Havre de Grace ausgegangen, und zwar nur vier Tage früher,
als wir von Goree in See gelaufen. Martinique hatte sein Bestimmungsort
sein sollen. Name des Schiffes sowie des Kapitäns sind mir wieder
entfallen, auf die Sache selbst aber werde ich noch weiterhin wieder
zurückkommen.

Inzwischen beförderten wir unsere Reise nach Möglichkeit, kamen ins
Gesicht von Madeira und Teneriffa, passierten die Kapverdischen Inseln
und erblickten am 24. Dezember die Küste von Guinea unter vier Grad zehn
Minuten nördlicher Breite, liefen anfangs nach der Sierra Leona hinauf
und warfen endlich am 4. Januar 1772 vor Kap Mesurado den Anker.




Zweiter Teil


Bevor ich in meinem Lebensberichte fortfahre und mich zu den kleinen
Abenteuern hinwende, die mir an der afrikanischen Küste begegnet sind,
wolle mir der geneigte Leser über die nunmehr ergriffene Lebensart
einige Entschuldigung zugute kommen lassen. »Wie?« wird er vielleicht
bei sich selbst gesagt haben, »Nettelbeck ein Sklavenhändler? Wie kommt
ein so verrufenes Handwerk mit seinem ehrlichen pommerschen Herzen
zusammen?« -- Allein das ist es ja eben, daß dies Handwerk zu damaliger
Zeit bei weitem nicht in einem solchen Verrufe stand, als seitdem man,
besonders in England, wider den Sklavenhandel (und auch wohl nicht mit
Unrecht) als einen Schandfleck der Menschheit geschrieben und im
Parlamente gesprochen hat, und wenn er durch dies nachdrückliche
Geschrei entweder ganz abgekommen ist oder doch mit heilsamer
Einschränkung betrieben wird, so ist gewiß auch der alte Nettelbeck
nicht der letzte, der seine herzliche Freude darüber hat. Aber vor
fünfzig Jahren galt dieser böse Menschenhandel als ein Gewerbe, wie
andere, ohne daß man viel über seine Recht- oder Unrechtmäßigkeit
grübelte. Wer sich dazu brauchen ließ, hatte Aussicht auf einen harten
und beschwerlichen Dienst, aber auch auf leidlichen Gewinn. Barbarische
Grausamkeit gegen die eingekaufte Menschenladung war nicht
notwendigerweise damit verbunden und fand auch wohl nur in einzelnen
Fällen statt; auch habe ich meinesteils nie dazu geraten oder geholfen.
Freilich stieß ich oft genug auf Roheit und Härte; aber _die_ waren mir
leider überall, wohin der Beruf des Seemanns mich führte, ein nur zu
gewohnter Anblick und konnten mir daher eine Lebensweise nicht
verleiden, mit der ich schon bei meinem ersten Ausfluge in die Welt
vertraut geworden war, und zu der ich also jetzt um so unbedenklicher
zurückkehrte.

Zu besserem Verständnisse des Folgenden wird es erforderlich sein,
einige Worte über die Art und Weise, wie dieser Negerhandel damals von
den Holländern betrieben wurde, beizubringen.

       *       *       *       *       *

Da hier Menschen nun einmal als Ware angesehen wurden, um gegen die
Erzeugnisse des europäischen Kunstfleißes ausgetauscht zu werden, so kam
es hauptsächlich darauf an, solche Artikel zu wählen, welche Bedürfnis
oder Luxus den Schwarzen am unentbehrlichsten gemacht hatte.
Schießgewehre aller Art und Schießpulver in kleinen Fässern von acht bis
zweiunddreißig Pfund nahmen hierunter die erste Stelle ein. Fast ebenso
begehrt war Tabak, sowohl geschnitten als in Blättern, samt irdenen
Pfeifen, und Branntwein. Kattune von allen Sorten und Farben lagen in
Stücken von einundzwanzig bis vierundzwanzig Ellen, sowie auch
dergleichen oder leinene und seidene Tücher, deren sechs bis zwölf
zusammengewirkt waren. Ebensowenig durfte ein guter Vorrat von leinenen
Lappen, drei Ellen lang und halb so breit, fehlen, die dort als
Leibschurz getragen werden. Den Rest der Ladung füllten allerlei kurze
Waren, als kleine Spiegel, Messer aller Art, bunte Korallen, Nähnadeln
und Zwirn, Fayence, Feuersteine, Fischangeln und dergleichen.

Einmal gewöhnt, diese verschiedenen Artikel von den Europäern zu
erhalten, können und wollen die Afrikaner sowohl an der Küste als tiefer
im Lande sie nicht missen und sind darum unablässig darauf bedacht, sich
_die_ Ware zu verschaffen, wogegen sie sie eintauschen können. Also ist
auch das ganze Land immerfort in kleine Parteien geteilt, die sich
feindlich in den Haaren liegen und alle Gefangenen, welche sie machen,
entweder an die schwarzen Sklavenhändler verkaufen oder sie unmittelbar
zu den europäischen Sklavenschiffen abführen. Allein oft, wenn es ihnen
an solcher Kriegsbeute fehlt und sie neue Warenvorräte bedürfen, greifen
ihre Häuptlinge, die eine despotische Gewalt über ihre Untertanen
ausüben, diejenigen auf, welche sie für die entbehrlichsten halten, oder
es geschieht wohl auch, daß der Vater sein Kind, der Mann das Weib und
der Bruder den Bruder auf den Sklavenmarkt zum Verkaufe schleppt. Man
begreift leicht, daß es bei solchen Raubzügen an Grausamkeiten jeder Art
nicht fehlen kann und daß sich alle diese Länder dabei in dem elendesten
Zustande befinden. Aber ebensowenig kann auch abgeleugnet werden, daß
die erste Veranlassung zu all diesem Elende von den Europäern herrührt,
welche durch ihre eifrige Nachfrage den Menschenraub bisher begünstigt
und unterhalten haben.

Ihre zu diesem Handel ausgerüsteten Schiffe pflegten längs der ganzen
Küste von Guinea zu kreuzen und hielten sich unter wenigen Segeln stets
etwa eine halbe Meile oder etwas mehr vom Ufer. Wurden sie dann am Lande
von Negern erblickt, welche Sklaven oder Elefantenzähne zu verhandeln
hatten, so machten diese am Lande ein Feuer an, um dem Schiffe durch den
aufsteigenden Rauch ein Zeichen zu geben, daß es vor Anker ginge; warfen
sich aber auch zu gleicher Zeit in ihre Kanots und kamen an Bord, um die
zur Schau ausgelegten Warenartikel zu mustern. Vor ihrer Entfernung
versprachen sie dann, mit einem reichen Vorrat von Sklaven und Zähnen
sich wieder einzufinden, oft jedoch ohne darin Wort halten zu können
oder zu wollen.

Gewöhnlich aber erschienen sie zu wirklichem Abschluß des Handels mit
ihrer Ware am nächsten Morgen, als der bequemsten Tageszeit für diesen
Verkehr. Denn da dort jede Nacht ein Landwind weht, so hat dies auch bis
zum nächsten Mittag eine ruhige und stille See zur Folge. Dann steigt
wieder ein Seewind auf, die Brandung wälzt sich ungestümer gegen den
Strand, und die kleinen Kanots der Schwarzen können sich nicht hinaus
wagen. Das Fahrzeug, welches die verkäuflichen Sklaven enthielt, war in
der Regel noch von einem halben Dutzend anderer, jedes mit mehreren
Menschen angefüllt, begleitet, welche alle einen Anteil an der
unglücklichen Ware hatten. Allein nur acht oder höchstens zehn aus der
Menge wurden mit an Bord gelassen, während die übrigen in ihren Kanots
das Schiff umschwärmten und ein tolles Geschrei verführten.

Nun wurden auch die Gefangenen an Bord emporgehoben, um in näheren
Augenschein genommen zu werden; die männlichen mit auf dem Rücken
dergestalt hart zusammengeschnürten Ellbogen, daß oft Blut und Eiter an
den Armen und Lenden hinunterlief. Erst auf dem Schiffe wurden sie
losgebunden, damit der Schiffsarzt sie genau untersuchen konnte, ob sie
unverkrüppelt und übrigens von fester Konstitution und bei voller
Gesundheit wären; und hierauf eröffnete sich dann die eigentliche
Unterhandlung, jedoch nicht, ohne daß zuvor sowohl den Verkäufern auf
dem Verdeck, als ihren Kameraden in den Kanots, Tabak und Pfeifen
vollauf gereicht worden wäre, damit sie lustig und guter Dinge würden --
freilich aber auch sich um so leichter betrügen ließen.

Die europäischen Tauschwaren wurden den Schwarzen stets nach dem
höchsten Einkaufspreise mit einem Zusatz von fünfundzwanzig Prozent
angerechnet, und nach diesem Tarif galt damals ein vollkommen tüchtiger
männlicher Sklave etwa hundert holländische Gulden, ein Bursche von
zwölf Jahren und darüber ward mit sechzig bis siebzig Gulden, und
ungefähr zu gleichem Preise auch eine weibliche Sklavin bezahlt. War sie
jedoch noch nicht Mutter gewesen und ihr Busen noch von jugendlicher
Fülle und Elastizität (und daran pflegt es die Natur bei den Negerinnen
nicht fehlen zu lassen), so stieg sie auch verhältnismäßig im Werte bis
auf hundertzwanzig oder hundertvierzig Gulden.

Die Verkäufer bezeichneten stückweise die Artikel, welche ihnen unter
den ausgelegten Waren anstanden, wogegen der holländische Einkäufer
seinen Preis-Kurant fleißig zu Rate zog, um nach dem angenommenen Tarif
nicht über neunzig Gulden hinauszugehen und wobei auch der gespendete
Branntwein samt Tabak und Pfeifen nicht unberücksichtigt blieben. Fing
er dann an, sich noch weitern Zulegens zu weigern, und ließ sich
höchstens noch ein Stück Kattun abdringen, so ward der Rückstand im
geforderten Menschenpreise vollends mit geringeren Waren und
Kleinigkeiten und zuletzt noch mit einem Geschenk von Messern, kleinen
Spiegeln und Korallen ausgeglichen. Wie viel es übrigens bis zum
gewünschten Abschluß des Streitens, Fluchens und Lärmens bei diesem
Handel gegeben habe, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung; denn wenn
der eigentlichen Wortführer bei den Negern auch nur zwei oder drei sein
mochten, so gab es doch immer unaufhörliche Rücksprache und
Verständigung mit ihren Gefährten in den Kanots, die bei dem Erfolge der
Unterhandlung alle gleich sehr interessiert waren. Hatten sie dann
endlich die eingetauschten Waren in Empfang genommen, so packten sie
sich wieder in ihre Fahrzeuge und eilten lustig, wohlbenebelt und unter
lautem Hallo! dem Strande zu.

Während dieser ganzen geräuschvollen Szene saß nun der arme Sklave, um
welchen es gegolten hatte, auf dem Verdeck und sah sich mit steigender
Angst in eine neue unbekannte Hand übergehen, ohne zu wissen, welchem
Schicksale er aufbehalten sei. Man konnte den Unglücklichen sozusagen
das Herz in der Brust schlagen sehen; denn ebensowenig als die meisten
von ihnen je zuvor das Weltmeer, auf dem sie nun schwammen, erblickt,
hatten sie auch früherhin die weißen und bärtigen Menschen gesehen, in
deren Gewalt sie geraten waren. Nur zu gewiß waren sie des Glaubens, wir
hätten sie nur gekauft, um uns an ihrem Fleische zu sättigen.

Die Verkäufer waren nicht so bald vom Schauplatz abgetreten, als der
Schiffsarzt Sorge trug, den erhandelten Sklaven ein Brechmittel
einzugeben, damit die seither ausgestandene Angst nicht nachteilig auf
ihre Gesundheit zurückwirkte. Aber begreiflicherweise konnten die
gewaltsamen Wirkungen dieser Prozedur jenen vorgefaßten schrecklichen
Wahn ebensowenig beseitigen, als die Anlegung eiserner Fesseln an Hand
und Fuß, wodurch man sich besonders der männlichen Sklaven noch enger zu
versichern suchte. Gewöhnlich kuppelte man sie überdem noch paarweise
zusammen, indem man durch einen in der Mitte jeder Kette befindlichen
Ring noch einen fußlangen eisernen Bolzen steckte und fest vernietete.

Verschonte man auch die Weiber und Kinder mit ähnlichem Geschmeide, so
wurden sie doch in ein festes Verhältnis vorne in der Schiffsback
eingesperrt, während die erwachsenen Männer ihren Aufenthalt dicht
daneben zwischen dem Fock- und großen Maste fanden. Beide Behälter waren
durch ein zweizölliges eichenes Plankwerk voneinander gesondert, so daß
sie sich nicht sehen konnten. Doch brachten sie in diesem engeren
Verwahrsam nur die Nächte zu; bei Tage hingegen war ihnen gestattet, in
freier Luft auf dem Verdecke zu verweilen. Auf ihre fernere Behandlung
während der Überfahrt nach Amerika werde ich in der Folge wieder
zurückkommen.

Der hiernächst bedeutendste Gegenstand des Handels an dieser Küste sind
die Elefantenzähne, von welchen auch der ganze Strich zwischen Kap
Palmas und tres Puntas den Namen der »Zahnküste« führt. Habe ich die
Erzählungen der Eingeborenen richtig verstanden, so bemächtigen sie sich
dieser stark gesuchten Ware, indem sie sich in Partien von dreißig und
mehr Personen in die landeinwärts gelegenen Wälder auf die Elefantenjagd
begeben. Ihre Waffen bestehen hauptsächlich in fußlangen zweischneidigen
Säbelklingen, die sie von den Schiffen einhandeln und zu diesen Jagden
an langen Stangen befestigen. Haben sie ein Tier aufgespürt, so suchen
sie es entweder zu beschleichen oder treiben es mit offener Gewalt auf,
und trachten einzig dahin, ihm den Rüssel, der seine vorzüglichste
Schutzwehr ausmacht, an der Wurzel abzuhauen, oder sie zerschneiden ihm
die Sehnen an den Füßen, um es so zum Fallen zu bringen. Ist der Feind
solchergestalt überwältigt, so wird er vollends getötet; man haut ihm
die Zähne aus, und der Rumpf bleibt als willkommene Beute für die
Raubtiere und das Gevögel liegen.

Noch wird an einem andern Striche dieser Negerländer, die »Goldküste«
genannt, einiger Verkehr mit Goldstaub oder vielmehr kleinen Körnern
dieses Metalls getrieben, das entweder aus dem Flußsande gewaschen oder
von der reichen Natur dieses heißen Bodens oft dicht unter dem Rasen
dargeboten wird. Doch war dies Geschäft weder beträchtlich noch
sonderlich gewinnreich und pflegte deshalb dem Obersteuermann bei seinen
kleinen Nebenfahrten für eigene Rechnung anheimgestellt zu werden, sowie
ihm zu dem Ende auch vergönnt war, den Betrag von sechshundert
holländischen Gulden in Waren mit an Bord zu nehmen. Ich selbst hatte
mich zu diesem Privathandel mit allerlei Quincaillerien, etwa
fünfhundert Gulden an Wert, versehen.

       *       *       *       *       *

Denn außer dem Verkehre, der am Bord des Schiffes selbst stattfand,
wurden in gleicher Absicht auch noch mehrere Boote ausgerüstet und
abgeschickt, welche sich oft auf mehrere Wochen lang entfernten und bis
auf fünfzig und mehr Meilen an der Küste umherkreuzten. Dieser
Bootsfahrten habe ich zwar bereits oben erwähnt, doch sei es mir
erlaubt, hier noch etwas ausführlicher darauf zurückzukommen.

Sobald die Guineafahrer sich dem wärmeren Himmelsstriche näherten,
begannen auch die Schiffszimmerleute die Schaluppen und Schiffsboote zu
ihrer künftigen neuen Bestimmung instandzusetzen, indem sie ein Verdeck
darauf anbrachten und alles so einrichteten, daß sie See zu halten
vermochten. Holz und Planken hierzu ward schon von Holland aus
mitgenommen und zwischendecks bereitgehalten. Die Besatzung eines
solchen Fahrzeugs bestand aus zehn bis zwölf Mann unter Anführung des
Obersteuermanns oder eines anderen Schiffsoffiziers. Auch war es mit
einigen Drehbassen und kleinerem Handgewehr wohl versehen.

Die Bestimmung dieser Boote erforderte, stets in einiger Entfernung vor
ihrem Schiffe vorauszugehen und die Punkte, wo ein vorteilhafter Handel
zu treiben war, zu vervielfältigen, damit die gewünschte volle Ladung
schneller zusammengebracht und der Aufenthalt an diesen ungesunden
Küsten abgekürzt würde. Sooft nun ein solches Fahrzeug seine
mitgenommenen Warenartikel oder seine Lebensvorräte erschöpft oder einen
genügenden Eintausch gemacht hatte, kehrte es zurück, um sofort für eine
neue Reise ausgerüstet zu werden. Es ergibt sich daraus, wie anstrengend
und beschwerlich dieser Dienst sein mußte.

Allein auch außerdem war er mit mancher Fährlichkeit verbunden: denn
nicht selten ging ein solches Boot durch Überrumpelung der Neger samt
dem Leben der ganzen Besatzung verloren, und so war hier die höchste
Vorsicht erforderlich. Nie wurden mehr als vier Verkäufer zugleich auf
dem Boote zugelassen, und auch die übrigen in den Kanots durfte man
nicht zu nahe herankommen lassen. Während also der Steuermann nebst
einem Gehilfen hinten im Fahrzeuge den Handel betrieb, stand der Rest
der Mannschaft vorn mit dem geladenen Gewehre in der Hand zu seinem
Schutze bereit, und wehrte zugleich den umkreisenden Kanots, sich nicht
ungebührlich zu nähern.

Noch gefährlicher wäre es gewesen, die Nacht über an dem nämlichen Orte
liegen zu bleiben, wo man sich am Abend befunden hatte. Vielmehr mußte
man die Ankerstelle sorgfältig verändern, um die verräterischen
Schwarzen, die unaufhörlich auf Überfall sannen, zu täuschen. Ebenso
gebot die Klugheit, keiner ihrer noch so freundlichen Einladungen zu
trauen, und am wenigsten sich in die Mündung ihrer Flüsse zu wagen.

Die männlichen Sklaven, die man auf diesen Fahrten erhandelte, wurden
sofort unter das Verdeck gebracht, weil sie sonst nur zu leicht
Gelegenheit gefunden haben würden, über Bord zu springen. Im Raume aber
legte man ihnen eiserne Bügel um die Füße, die mit Ringen versehen
waren, und diese streifte man hinwiederum über eine lange, mit beiden
Enden unten im Vorder- und Hinterteile des Bootes befestigte Kette, so
daß sie wenigstens einige Schritte hin und wieder gehen konnten.
Glimpflicher verfuhr man mit den Weibern, deren Zutrauen man sich auf
eine leichtere Weise erwarb.

Noch hatte wenigstens eines dieser Fahrzeuge die Nebenbestimmung, den
aus Europa mitgebrachten Briefsack schneller als sonst hätte geschehen
können nach dem holländischen Hauptfort St. George de la Mina zu
fördern. Denn da die ankommenden Schiffe ihr Handelsgeschäft gewöhnlich
bei Sierra Leone anfingen, welches gegen zweihundert Meilen westlicher
liegt, und längs der Küste nur gemachsam fortkreuzten, so würde es oft
sechs bis acht Monate gewährt haben, bevor sie selbst jenen Platz
erreichten.

       *       *       *       *       *

Diesen Auftrag erhielt auch ich, sobald wir in den ersten Tagen des
Jahres 1772 auf der Küste von Guinea angelangt waren. Zu dem Ende ward
die Barkasse mit zehn Mann unter meinen Befehlen ausgerüstet und mit
Provisionen aller Art, besonders aber solchen beladen, welche in diesem
heißen Klima einem schnellen Verderb ausgesetzt sein konnten. Das
Brief-Felleisen ward nicht vergessen, und so steuerte ich, nachdem ich
auch die Vorräte für meinen eigenen kleinen Handel eingenommen hatte,
bereits am vierten Tage nach unserer Ankunft, dem Schiffe vorangehend,
gegen Osten.

Bei dieser Küstenfahrt führte mich mein Weg zunächst nach dem
holländischen Fort Axim, wo ich einen Pack Briefe, europäische Zeitungen
und andere Kleinigkeiten abzugeben hatte. Ich fand den dortigen
Befehlshaber, einen geborenen Hanoveraner, namens Feneckol, sehr
begierig nach Neuigkeiten aus dem gemeinschaftlichen Vaterlande, sowie
ihm hinwiederum die Nachricht, daß ich ein Preuße sei, Gelegenheit gab,
mich aufmerksam darauf zu machen, daß Fort Axim früherhin eine Besitzung
unseres großen Kurfürsten gewesen, die erst im Jahre 1718 durch Kauf an
Holland übergegangen. Er zeigte mir auch die darüber verhandelten Akten
sowie sechs alte brandenburgische Kanonen, die noch auf einer Batterie
aufgepflanzt standen. -- Habe ich anders seine Erzählung recht behalten,
so hatte es hiermit folgende Bewandtnis.

Ursprünglich gehörte Axim den Spaniern zu. Als aber der Kurfürst
Friedrich Wilhelm, welcher dieser Macht in ihren Kriegen gegen
Frankreich Hilfstruppen in den Niederlanden gestellt, die bedungenen
Subsidien trotz aller gütlichen Unterhandlung nicht erhalten können,
habe er in Hamburg eine kleine Flotte ausrüsten lassen, fünfhundert Mann
darauf eingeschifft, außer andern genommenen Repressalien auch Axim
angreifen und in Besitz nehmen lassen und sich dort neun Jahre lang
behauptet. Während dieser Zeit, wo der brandenburgische Gouverneur auch
noch das zweieinhalb Meilen östlicher gelegene Fort Friedrichsburg
gegründet, sei von Hamburg und Emden aus ein lebhafter Handel dorthin
getrieben worden, bis diese Befestigungen die Unzufriedenheit der
benachbarten Negerstämme aufgeregt und diese die Besatzungen beider
Plätze, welche nicht genugsam auf ihrer Hut gewesen, überrumpelt und
niedergemacht hätten.

In diesem Unglück, lautete die fernere Erzählung, sei es dem damaligen
Gouverneur zwar geglückt, sich mit einigen wenigen Gefährten in das
Pulvermagazin zu flüchten; dort habe er vorgezogen, sich freiwillig in
die Luft zu sprengen, als unter den Händen der Neger einen martervollen
Tod zu dulden. Diese hätten darauf beide Forts spoliiert und dem
Erdboden gleich gemacht. Solchergestalt hätten nun diese Plätze gegen
dreißig Jahre lang in Schutt und Verwüstung gelegen, bis König Friedrich
Wilhelm I. seine Ansprüche auf diese Besitzungen an Holland gegen eine
Summe von zweihunderttausend Gulden überlassen habe.

Zwei Tage nach meinem Abgange von Axim stieß ein Kanot mit vier Negern
vom Lande ab und knüpfte einen kleinen Handel in Goldstaub mit mir an.
Von ihnen erfuhr ich, daß an diesem nämlichen Morgen ein portugiesisches
Schiff an dieser Küste gekreuzt und eine Rolle gepreßten brasilianischen
Tabak gegen zwei Unzen Gold an sie vertauscht habe. Diese Art Tabak ist
in Rindsleder genäht, enthält einige und siebzig Pfund und ist eine von
den Schwarzen sehr begierig gesuchte Ware. Das Preisverhältnis aber wird
sich ergeben, wenn ich bemerke, daß die Unze Goldstaub dort zu
zweiundvierzig holländischen Gulden berechnet zu werden pflegte.

Nichts hätte mir erwünschter sein können, als von diesem Schiffe für
meinen eigenen kleinen Handel einige Rollen dieses Tabaks gegen meine
Kaufwaren umzusetzen. Ich erblickte auch seine Segel in einer Entfernung
von etwa anderthalb Meilen vor mir und säumte also nicht, unter
Aufziehung der holländischen Flagge darauf zuzusteuern. Je eifriger ich
mich aber mühte, es zu erreichen, desto mehr Segel setzte es auch
seinerseits auf, um sich von mir zu entfernen. Ich schoß zu mehreren
Malen einen von meinen Böllern unter dem Winde ab, um ihm mein Verlangen
nach einer näheren Gemeinschaft zu erkennen zu geben; der Portugiese
hingegen manövrierte unaufhörlich, mir durch veränderten Kurs aus dem
Gesichte zu kommen. Es schien nicht anders, als ob er sich vor mir
fürchtete, ohne daß ich begriff, was ein Schiff von dieser Größe wohl
von einem Fahrzeuge wie meinem zu besorgen haben könne.

Ich ließ indes nicht ab bis die Nacht einbrach und die Dunkelheit mir
Einhalt gebot. Indem ich aber meinen Weg längs der Küste fortsetzte,
hielt ich mich doch mehr seewärts und unter vollen Segeln, und meine
Hoffnung, diesem verwunderlichen Gaste dicht auf der Ferse zu bleiben,
betrog mich auch so wenig, daß gleich der erste Morgenstrahl mir ihn,
kaum dreiviertel Meilen von mir, näher dem Lande zu und über dem Winde
wieder zu Gesicht führte. Zugleich erblickte ich, eine Meile von mir
entfernt, das englische Fort Descowy, wo auch zwei englische Schiffe auf
der Reede vor Anker lagen.

Erpicht auf mein Vorhaben, mit dem Portugiesen zur Sprache zu kommen,
steuerte ich von neuem auf ihn zu. Allein bevor ich ihn einholen konnte,
war er schon in den Bereich der Engländer gekommen. Einer von ihnen tat
einen Schuß auf den Flüchtling, der nun zwar seine Flagge aufzog, aber
zugleich auch bei seinem vorigen Kurs beharrte. Zwei darauffolgende
Schüsse blieben gleichfalls ohne Wirkung. Nun aber ließen beide
Engländer ihre Ankertaue fahren, verlegten dem Portugiesen den Weg und
nahmen ihn hart zwischen sich in die Mitte, worauf sie von neuem vor
Anker gingen.

Von diesem ganzen Vorgange war ich in fast unmittelbarer Nähe Zeuge
gewesen, begriff aber je länger je weniger. Da ich indes wußte, daß
England und Holland in vollkommen friedlichem Vernehmen standen, so
überwog bei mir die Neugier jede anderweitige Rücksicht. Ich legte mich
zuversichtlich neben das eine englische Schiff und stieg sogar an Bord
des Portugiesen hinüber, wo mir sofort eine Szene des höchsten Wirrwarrs
in die Augen fiel. Die Engländer hatten das Verdeck des angehaltenen
Schiffes erfüllt, die Luken geöffnet, und waren im Begriff, eine
bedeutende Partie Tabaksrollen auf das Verdeck emporzuwerfen. Der
portugiesische Kapitän knirschte mit den Zähnen und schoß wütende Blicke
auf mich; seine englischen Herren Kollegen aber, obwohl sie mir etwas
glimpflicher begegneten, waren doch mit dem guten Rate fertig, mich
augenblicklich davonzupacken.

Je mehr ich sah und hörte, je wundersamer und verdächtiger erschien mir
der ganze Handel. Ich hatte nur die Wahl, entweder zu glauben, daß es
zwischen der englischen und portugiesischen Regierung zu einem
plötzlichen Bruche gekommen, oder daß es die Absicht der Engländer sei,
ihre Übermacht hier zu einer gewaltsamen Beraubung zu mißbrauchen.
Beides aber ließ es noch immer unerklärt, warum der Portugiese auch mir
Ohnmächtigem so geflissentlich ausgewichen sei. Erst späterhin, als ich
zu St. George de la Mina angelangt war, sollte ich den Zusammenhang
erfahren.

Diese Ankunft erfolgte zwei Tage später, wo ich denn sofort meinem
Auftrage durch Überlieferung des Brief-Felleisens und der dazu gehörigen
Schlüssel an den Gouverneur genügte. Es ward von diesem in meiner
Gegenwart geöffnet und zugleich entspann sich zwischen uns eine
vertrauliche Unterhaltung, worin ich mit dem Ehrenmanne um so weniger
Umstände machte, als sein Aufzug in einem leinenen Schlafrocke und einer
schmierigen Schlafmütze eben nicht geeignet war, einen großen Respekt
einzuflößen, wie er mir denn überhaupt als eine gute grundehrliche Haut,
und was man einen alten deutschen Degenknopf nennt, erschien. Auch er
selbst schien das Zeremoniell wenig zu lieben und lud mich gutmütig ein,
ihm die Briefe sortieren zu helfen, da deren verschiedene nach den
anderen holländischen Forts auf der Küste abzuschicken waren.

Bei diesem Geschäfte gerieten wir noch tiefer ins Plaudern, und ich
erzählte ihm, was sich mit dem portugiesischen Schiffe begeben und wovon
ich an dessen Bord Augenzeuge gewesen. Plötzlich geriet mein Mann in
Feuer und ward ganz ein anderer, als er kaum ein paar Minuten zuvor
gewesen. »Das ist ein ernsthafter Kasus,« sagte er mit Gravität -- »und
dem müssen wir auf den Grund kommen!« -- Zugleich nötigte er mich, in ein
anstoßendes Zimmer zu treten und dort den ganzen Vorfall mit all seinen
besonderen Umständen zu Papier zu bringen. Nachdem dies geschehen war,
eröffnete er mir seinen Entschluß, gleich des nächsten Morgens den hohen
Rat zu versammeln, und gab mir auf, zusamt meinem Schiffsvolke vor
demselben zu erscheinen, damit wir unsere Aussage eidlich bekräftigten,
er aber seine ferneren Maßregeln danach nähme.

Dieser Vorladung gemäß erschien ich am andern Tage mit den Meinigen und
ward sofort auch in den Ratssaal eingeführt, über dessen hier kaum
erwartete Pracht ich nicht wenig erstaunte. Alles glänzte von Gold, und
Tisch und Stühle waren mit violettem Samt überzogen, mit goldenen
Tressen besetzt und mit dergleichen Fransen reich umhangen. Mein guter
Freund von gestern, der Gouverneur Peter Wortmann, strahlte mir vor
allen andern in seiner Herrlichkeit entgegen. Er saß, als Präsident der
Versammlung, an dem Sessionstische in einer gewaltigen holländischen
Ratsherrenperücke (ein wunderlicher Staat in diesem Klima) und steckte
überdem in einer holländischen, goldgestickten Gardeuniform, die dazu
noch von Tressen starrte. Auf eine ähnliche Weise, nur etwas minder
herausgeputzt, saßen der Fiskal, die Ratsherren und die Assistenten um
ihn her und machten die Feierlichkeit vollkommen.

Dennoch war der mir und meinen Leuten hier abgenommene Eid und die
wiederholte Aussage über den Vorgang mit dem portugiesischen Schiffe nur
eine Zeremonie, und das, was geschehen sollte, schon während der Nacht
völlig vorbereitet. Es standen nämlich bereits zwei Kanots fertig, in
deren jedes fünfundzwanzig Soldaten und zwanzig Ruderer eingeschifft
wurden und die unmittelbar darauf, hinten und vorn mit der holländischen
Flagge geschmückt, unter Trommel- und Trompetenklang in See stachen, um
das angefochtene portugiesische Schiff aufzusuchen und nach St. George
de la Mina zu bringen. Nichts setzte mich hierbei mehr in Erstaunen, als
diese Kanots, welche bei einer Länge, die über fünfzig Fuß
hinausreichte, und bei einer Breite von sechs bis sechseinhalb Fuß, aus
einem einzigen Baume, wiewohl von weichem und leichtem Holze, gehauen
waren. Man sagte mir, daß diese Riesenbäume mehrere Meilen landeinwärts
angetroffen würden, wohin unsereiner freilich nicht zu kommen pflegt.

Mit dem ausgezogenen Staatsrocke war der Gouverneur auch wieder mein
Freund und Gönner geworden und behielt mich unausgesetzt in seiner Nähe.
Von ihm erhielt ich nun auch näheren Aufschluß über alle jene Dinge,
die mir bisher so wunderseltsam vorgekommen waren. Er erzählte mir, daß
das Fort St. George und die andern davon abhängigen Besitzungen
ursprünglich unter portugiesischer Hoheit gestanden, von den Holländern
aber, in ihrem ersten großen Freiheitskriege, den Spaniern, welche
damals auch Portugal sich einverleibt hatten, abgewonnen worden. Im
endlich erfolgten Frieden wären sie auch in den Händen der jungen
Republik verblieben, und zwar noch mit der demütigenden Einschränkung,
daß forthin kein spanisches oder portugiesisches Schiff an der Küste von
Guinea Handel treiben solle, bevor es nicht vor St. George angelegt und
zehn Prozent von seiner gesamten Ladung für die Erlaubnis eines freien
Verkehrs entrichtet hätte. Bei der geringsten Hintansetzung dieser
Verpflichtung sollte jedesmal Schiff und Ladung verfallen sein, und auf
diesen Vertrag würde auch immerfort noch um so strenger gehalten, da
England und Frankreich ihn späterhin bestätigt hätten.

So begriff ich denn nun, worin der portugiesische Kapitän, dem ich
begegnet war, sich strafbar gemacht und warum er gegen mich ein so böses
Gewissen verraten hatte, wie aber auch jene beiden Engländer garstig
anlaufen dürften, falls er ihnen erweisen könnte, daß sie auf eine
räuberische Weise zu ihm an Bord gekommen und ihn zum Handel gezwungen
hätten. »Und diese Ausflucht zu benutzen,« setzte der Gouverneur hinzu,
»wird er auch sicherlich nicht unterlassen, wie vollkommen ich auch
überzeugt bin, daß er von Herzen gern mit den beiden englischen Schiffen
ein Geschäft gemacht haben würde, wenn es unter der Hand hätte geschehen
können und Ihr nicht, als ein ungelegener Dritter, darüber zugekommen
wäret.«

Weiter belehrte er mich, was mir eigentlich bei dieser Gelegenheit zu
tun obgelegen hätte, wenn ich mit den Gesetzen und Rechten dieser
Weltgegend bekannter gewesen wäre. Ich mußte nämlich meine holländische
Flagge an dem Schiffe des Portugiesen befestigen oder auch nur sie über
die geöffnete Schiffsluke decken, um dadurch Schiff und Ladung unter
ihren Schutz zu setzen. Hätten dann die Engländer gewagt, auch nur
irgend etwas anzurühren, so wären sie als offenbare Seeräuber in die
schwerste Verantwortung geraten; mir aber hätte dann nach unseren
Gesetzen eine Belohnung von hundert Dukaten gebührt.

Zwei Tage nachher kam die ausgeschickte Expedition mit dem ertappten
Portugiesen glücklich auf der Reede an. Zufall oder Neugierde führten
mich dem Kapitän bei seiner Landung in den Weg, und die grimmigen
Blicke, die er auf mich schoß, ließen mich nicht daran zweifeln, daß er
mich für seinen Angeber erkannte, dessen Aussagen ihn ins Verderben
stürzen würden. Indessen mußte ihn doch gleich sein erstes Verhör eines
Besseren belehrt und er gefunden haben, daß im Gegenteil meine
abgegebene Erklärung zu seinem Vorteile lautete, denn er ließ mich am
anderen Tage zu sich bitten, fiel mir dankbar um den Hals, wußte nicht,
was er mir zuliebe tun sollte und nötigte mich, eine Rolle Tabak samt
zwanzig Pfund Zucker zum Geschenk von ihm anzunehmen.

       *       *       *       *       *

Obwohl nun mein Geschäft an diesem Platze beendigt war, so hielt mich
doch Herr Peter Wortmann von einem Tage zum anderen bei sich auf; sei
es, daß er irgendein absonderliches Wohlgefallen an mir gefunden, oder
daß sonst Neugier und Langeweile ihn plagten, denn des Fragens, sowohl
nach meinen persönlichen Umständen, als überhaupt nach Neuigkeiten aus
Europa, wollte kein Ende werden. Das war freilich ebenso erklärbar als
verzeihlich. Die Ansiedler in diesen afrikanischen Niederlassungen leben
so abgeschieden von der ganzen übrigen Welt, daß sie nur in langen
Zwischenräumen erfahren, was sich daheim und anderer Orten begeben hat.
Oft bringt ihnen ein Schiff einen ganzen Jahrgang alter Zeitungen auf
einmal, die zwar den vollen Reiz der Neuheit für sie haben, aber ihrer
Wißbegier dennoch nicht in dem Maße genügen, daß ihnen nicht auch noch
manche mündliche Erläuterung zu wünschen übrig bliebe. Hierzu kommt,
daß ein großer Teil der hier Angestellten aus deutschen Landsleuten
besteht, die insonderheit auch von ihrem lieben Vaterlande hören wollen
und darin kaum zu ersättigen sind.

In diesem Falle war nun auch der Gouverneur, der sich aufs Ausfragen
verstand, wie irgend einer, dagegen aber auch ebensowenig mit
Mitteilungen aus seiner eignen Lebensgeschichte gegen mich zurückhielt.
Er war aus Grüningen gebürtig, hatte daselbst das Metzgerhandwerk
erlernt und ein Weib genommen, dessen Untreue aber ihn endlich zu dem
raschen Entschlusse gebracht, sie zu verlassen und in alle Welt zu
gehen. So war er nach Holland geraten, als gemeiner Soldat nach der
Küste von Guinea gegangen, hier allmählich zu höheren Militärgraden
emporgestiegen und endlich nicht nur Befehlshaber im Fort St. George de
la Mina, sondern auch über alle holländischen Besitzungen in dieser
Weltgegend geworden. Sein Titel lautete nämlich als General-Gouverneur
über die Westküste von Afrika.

       *       *       *       *       *

Endlich mußte ich mich doch von diesem wackeren Manne trennen, der noch
einen bedeutenden Einfluß auf meine Lebenslage gewinnen sollte. Er gab
mir ein besonderes Belobungsschreiben an meinen Kapitän mit, worin der
Wunsch ausgedrückt war, daß dieser falls neue Kommunikationen mit dem
Haupt-Fort und der Regierung notwendig würden, keinem anderen als mir
den Auftrag dazu geben möchte. Ich hatte indes den nötigen Ballast
eingenommen und machte mich auf den Rückweg nach Westen, um mein Schiff
wieder aufzusuchen. Die Reise war ohne besonderen Zufall, doch kann ich
nicht umhin, hierbei eines seltsamen Fundes zu erwähnen.

Wir befanden uns etwa vier Meilen vom Lande, und das Meer bot ringsumher
eine glatte Fläche dar, in welcher sich die Sonne spiegelte. Zugleich
sahen wir, in weiter Ferne seewärts, von Zeit zu Zeit etwas aus dem
Wasser glänzend auftauchen, was mir anfangs etwa ein toter Fisch
deuchte, dessen silberweißen Bauch die Sonne beschiene. Endlich ließ
ich, von Neugier getrieben, darauf zurudern, und da fand sich's denn,
daß eine viereckige Bouteille aus einem Flaschenfutter, den Hals nach
oben gekehrt und mit einem Korkstöpsel versehen, im Meere schwamm.
Ringsum hatte sich ein runder Haufen Seegras angesetzt. Ich ergriff die
Flasche, mich weit über Bord lehnend, an der Mündung, war aber nicht
imstande, sie von dem Kräutergeflechte zu trennen, es bedurfte erst
meines Messers, womit ich alle diese fremdartigen Anhängsel kappte und
solchergestalt mich meiner Beute bemächtigte.

Bei genauerer Besichtigung fand sich nun, daß diese Flasche etwa zu
einem Drittel (und daher ihre aufrechte Stellung) mit in Branntwein
eingemachten, aber freilich schon verdorbenen Kirschen angefüllt und
vermutlich auch, als unbrauchbar, über Bord geworfen war. Allein was sie
eigentlich in meinen Augen merkwürdig machte, war die Entdeckung, daß
sich außen umher überall Schulpen und andere Muscheln fest angesetzt
hatten, die hinwiederum den Seegewächsen zu einem Befestigungspunkte
gedient, um Wurzeln darin zu schlagen und allmählich zu einem dichten
Klumpen von ansehnlichem Umfange heranzuwachsen. Wie lange mußte indes
dieses Glas nicht bereits in den Wogen umhergetrieben sein, bevor die
Natur nach und nach all diese Erscheinungen an demselben hervorbringen
konnte! Es hätte verdient, mit all diesen Anhängseln von Muscheln und
Tang in einem Naturalien-Kabinette aufbewahrt zu werden.

Meinen Kapitän mit dem Schiffe fand ich noch bei Kap Mesurado, nachdem
ich länger als vier Wochen abwesend gewesen. Bevor ich jedoch zu einer
neuen Handelsfahrt abgehen konnte, ward es für nötig befunden, neue
Vorräte von Wasser einzunehmen und dieses Geschäft mir zur Ausführung
übertragen. Bei dem gegenseitigen Mißtrauen aber, welches zwischen den
europäischen Schiffern und den Eingeborenen herrscht und tief in der
Natur des hier betriebenen Handels liegt, ist ein solcher Auftrag mit
Beschwerde und Gefahr verknüpft und erfordert genaueste Vorsicht, um
nicht von den treulosen Afrikanern überwältigt, ausgeplündert und
ermordet zu werden.

Das Wasser muß jedesmal von ihnen am Lande erhandelt werden. Man
versieht sich hierzu an Bord mit allerlei kleinem Kram an Spiegeln,
Korallen, Messern, Fischangeln, Nähnadeln, Zwirn und erwartet dicht am
Seestrande, wohlbewaffnet das zufällige Zusammentreffen mit den
Eingeborenen, um mit ihnen den Preis für jedes Faß Wasser, welches man
eben holt oder auch künftig zu holen gedenkt, zu verabreden. Das hierzu
bestimmte Boot bleibt jedesmal bis hundertzwanzig Klafter weit vom Lande
vor Anker liegen. Die ledigen Wassertonnen werden über Bord geworfen und
die Neger stürzen sich in die Brandung, um sie schwimmend ans Land zu
bringen und nach ihren Brunnen und Wasserstellen hinaufzurollen. Sind
sie hier angefüllt und verstopft, so werden sie wieder an den Strand
zurückgewälzt, von zwei schwimmenden Negern in die Mitte genommen und an
das Boot gebracht, wo ihnen dann die dafür bedungenen Waren ausgeliefert
werden.

Als ich in solcher Expedition zum erstenmal das Ufer betrat, standen
bereits zwölf oder vierzehn Schwarze unseres Empfangs gewärtig, und
während ich mit etwa zehn meiner Begleiter vollends ins Trockene watete,
kam uns auch ihr Anführer entgegen, bot mir die Hand, schnitt eine Menge
wunderlicher Kapriolen und gab sich mir endlich mit den Worten »Amo King
Sorgo« (ich bin der König George) zu erkennen. Daß er aber auch für
irgend etwas Besonderes angesehen sein wollte, gab schon sein ganzer
Aufzug zu erkennen. Er war nämlich mit einer alten, zerrissenen,
linnenen Pumphose und einer weißen Kattunweste ohne Ärmel bekleidet,
sein noch größerer Schmuck aber bestand in einer roten und weißen
Schminke, womit er sich Gesicht und Hände scheußlich bemalt hatte. Mit
diesem Narren nun und seinen Untertanen wurden wir des Preises für das
Wasserfüllen einig und hielten uns auch des nächsten Tages wacker zu
unserer Arbeit.

Bei dieser Gelegenheit nahm ich am Strande eine Menge von Feldsteinen
wahr, deren wir als Ballast für Boot und Schaluppe vielfach benötigt
waren. Ich schloß demnach mit den Negern einen neuen Handel über eine
Bootsladung solcher Steine ab, worin zugleich die Größe derselben dahin
bestimmt wurde, daß ein Mensch sie allenfalls tragen und damit hantieren
könnte. Sie suchten ihrerseits sich den Transport zu erleichtern, indem
sie ein Kanot dicht auf den Strand zogen und es füllten, soviel es
bequem tragen konnte. Dann traten je vier von ihnen an jede Seite des
Fahrzeuges, warteten eine niedrigere Welle ab und schoben es dann
schnell in die See, während einer behende hineinhüpfte, um es vollends
an unser Boot zu geleiten und in dasselbe auszuladen.

Da geschah es, daß einmal eine Woge, stürmischer als die übrigen, über
das Kanot herstürzte und es augenblicklich versenkte. Sofort sprangen
die am Ufer zurückgebliebenen hinzu, schwammen nach der Stelle, wo sich
der Unfall ereignet hatte, bläuten den ungeschickten Fährmann zu unserer
großen Belustigung wacker durch, aber erregten auch ebensosehr unser
Erstaunen, als sie hierauf, einer nach dem andern, in eine Tiefe von
wenigstens zwölf bis vierzehn Fuß untertauchten und, nach kurzem
Verzuge, jeder mit einem Steine von beinahe Zentnersschwere, auf der
Schulter, wieder emporkamen. Noch mehr! Mit dieser nämlichen Last
schwammen sie, wenngleich mit sichtbarer Anstrengung und blasendem Atem,
noch vierzig bis fünfzig Klafter weiter an unser Boot, um ihren Fund an
uns abzuliefern.

Noch oft bin ich Zeuge von der ungeheueren Körperkraft der Neger, sowie
von ihrer ausgezeichneten Behendigkeit und Ausdauer im Schwimmen
gewesen. Wenn sie mit ihren Kanots dicht an der einen Seite des Schiffes
lagen und jemand sich einen Spaß mit ihnen machen wollte, so durfte er
ihnen nur eine tönerne Tabakspfeife zeigen und sie über den
entgegengesetzten Bord ins Meer werfen. Alsogleich auch stürzte sich
dann eine Anzahl aus dem Kanot nach in die Flut, tauchte unter dem
Schiffe weg in den Grund, und sicherlich kam irgendeiner mit der
unbeschädigten Pfeife in der Hand wieder zum Vorschein, wenngleich das
Meer auf einer solchen Stelle eine Tiefe von fünfundzwanzig bis
fünfunddreißig Klaftern hatte.

Nicht minder habe ich gesehen, wie Kinder von etwa fünf Jahren keck und
wohlgemut sich im Wasser tummelten und durcheinander schwammen; ja sogar
wie einst ein Neger einen solchen vier- oder fünfjährigen Burschen bei
beiden Beinen ergriff und ihn, soweit er mit aller Kraft vermochte, in
die See schleuderte. Das Kind kam nach wenig Augenblicken wieder ans
Land geschwommen, und seine frohe Miene bewies, wie gering der Eindruck
gewesen, den ihm diese rohe Behandlung gemacht hatte.

Noch waren wir mit unseren Stein- und Wasser-Transporten beschäftigt,
als ich eines Morgens bei guter Zeit mit dem Boote, unweit des Strandes,
zu Anker kam. Hier war indes noch kein Neger sichtbar, um uns bei
unseren Fässern Handreichung zu tun. Denn da in dieser Weltgegend die
Nächte stets zwölf Stunden währen, so kühlt sich binnen dieser Zeit die
Temperatur sehr merklich ab und es weht bis acht oder neun Uhr morgens
eine ziemlich frische Luft, die den völlig nackt einhergehenden Negern
so empfindlich fällt, daß sie sich nicht gerne früher aus ihren Hütten
hervormachen. Ihr Kommen mußte also mit Geduld erwartet werden.

Gerade dieses Warten aber verursachte uns in unserem Boote eine
Langeweile, die je länger, je drückender für uns wurde. Unter meinen
Gefährten befand sich ein englischer Matrose, der sich bereit erklärte,
ans Land zu schwimmen und die säumigen Neger herbeizuholen. Hätte ich
auch nicht andere Gründe gehabt, ihm meine Zustimmung zu versagen, so
würde mich doch schon die Furcht, daß ein Haifisch ihn packen könnte,
dazu bewogen haben. Inzwischen stieg unser Mißmut, und der Engländer
erbot sich zu wiederholten Malen, das, wie er vermeinte, ganz
unbedenkliche Abenteuer zu bestehen. Mein Kopfschütteln dämpfte seine
Begierde nicht, bis ich endlich, mehr ermüdet als billigend ihm
erlaubte, zu tun, was er nicht lassen könnte.

Alsobald warf der Mensch sein Hemd von sich, sprang über Bord und
steuerte schwimmend dem Lande zu. Allein kaum hatte er sich zwei Klafter
weit vom Boote entfernt, so sahen wir ihn auch bereits von einem solchen
gefürchteten Tiere umkreist, bis es sich, nach seiner Gewohnheit, auf
den Rücken warf, seine unglückliche Beute ergriff und mit ihr davonzog.
Bald ragte der Kopf, bald Hand oder Fuß des armen Schwimmers über die
Wellen empor, endlich aber verschwand er ganz aus unserem Gesichte, die
wir Zeugen dieses gräßlichen Schauspieles hatten sein müssen, ohne
helfen und retten zu können. Daß es, als ich wieder an Bord kam, an
einem tüchtigen, aber auch verdienten Verweise von meinem Kapitän nicht
fehlte, kann man sich wohl vorstellen. Gott wird mir jedoch meine Sünde
vergeben, da er am besten weiß, daß ich dies Unglück nicht aus
Mutwillen, sondern gänzlich wider Wunsch und Willen verschuldet.

Merkwürdig ist gleichwohl die Versicherung der Neger, die auch durch den
Augenschein bestätigt wird, daß keiner ihresgleichen von diesen Haien
etwas zu fürchten habe.

Wird das Fleisch auch nicht gegessen, so macht man doch zuzeiten zum
Vergnügen Jagd auf die Haifische, und dazu bedarf es nur eines tüchtigen
Hakens von irgend einem Kistengehänge, den man an eine starke Leine
befestigt, an der Spitze aber mit einem Stücke Speck und dergleichen
ködert. Kaum hat er das Wasser erreicht, so hat auch bereits ein
Haifisch wütend angebissen, der dann emporgezogen und auf dem Verdecke
vollends getötet wird.

       *       *       *       *       *

Noch lagen wir in dieser Küstengegend vor Anker, als sich ein
holländisches Sklavenschiff bei uns einfand und gleichfalls dicht neben
uns ankerte. Der Kapitän desselben rief uns zu, daß wir ihn doch mit
unserer Schaluppe zu uns herüberholen möchten. Kaum war dies geschehen
und er zu uns an Bord gekommen, als er uns die drückende Not klagte, in
welcher er sich augenblicklich befände. Elf Mann von seiner Besatzung
wären ihm unterwegs gestorben, und noch habe er vierzehn Kranke liegen,
so daß er kaum noch fünf gesunde Leute an die Arbeit stellen könne. Auch
habe er seither nicht mehr als achtzehn Sklaven eingehandelt, und wisse
vor Sorge und Verlegenheit nicht, was er beginnen solle. Sein
eigentlicher Wunsch aber war, daß wir ihm einige Köpfe von unserer
Mannschaft überlassen möchten. Hieran war jedoch von unserer Seite um so
weniger zu denken, als selbst kaum irgend jemand von den Unserigen sich
zu einem solchen Tausche freiwillig verstanden haben würde. Der einzige
Rat, den wir ihm geben konnten, war, daß er suchen möchte, St. George de
la Mina je eher je lieber zu erreichen, wo das Gouvernement verpflichtet
sein würde, sich seiner anzunehmen.

Während ich ihn wieder nach seinem Schiffe zurückbrachte, erzählte er
mir, daß dieses zu Middelburg in Seeland ausgerüstet worden, er selbst
aber heiße Harder, sei, gleich mir, ein Pommer und von Rügenwalde
gebürtig. Nun tat es mir doppelt leid um den armen Landsmann, als ich an
seinen Bord kam und überall ein Elend und eine Unbereitschaft wahrnahm,
wie sie mir noch niemals vorgekommen war. Fast mit Tränen in den Augen
trennten wir uns, und sowie ich mich von dem Schiffe entfernte, nahm ich
auch wahr, daß es die Anker lichtete und unter Segel ging. Doch mochte
es kaum eine Viertelmeile Weges gemacht haben, so legte es sich abermals
uns im Gesichte vor Anker.

Mitten in der Nacht aber sahen wir von dorther Gewehrfeuer aufblitzen
und hörten neben dem Schießen auch allerlei Lärm und Geräusch, ohne zu
wissen, was wir daraus machen sollten. Endlich ward alles wieder still
und ruhig; doch als der Tag anbrach, erblickten wir jenes Schiff auf den
Strand gesetzt und von unzähligen Negern umschwärmt, deren gleichwohl
keiner während der zwei Tage, die wir hier noch liegen blieben, sich vom
Lande zu uns an Bord getraute, -- zur hinreichenden Bestätigung unseres
Argwohns, daß sie den wehrlosen Middelburger überrumpelt, die Besatzung
niedergehauen und das Schiff hatten stranden lassen, um seine Ladung
desto bequemer zu plündern.

Wenn eine solche blutige Gewalttat den Leser mit Recht empört, so muß
dagegen notwendig in Anrechnung gebracht werden, daß dergleichen
eigentlich doch nur als Notwehr oder Wiedervergeltung gegen nicht minder
abscheuliche Überfälle angesehen werden müssen, welche sich auch die
Europäer gegen diese Schwarzen gestatten. Besonders sind die Engländer
dafür bekannt, daß sich von Zeit zu Zeit in ihren Häfen einige Rotten
von Bösewichtern, fünfzehn bis zwanzig Mann stark, und aus verlaufenen
Steuerleuten und Matrosen bestehend, die bereits mit dem Gange des
Sklavenhandels bekannt sind, vereinigen, die ein kleines Fahrzeug
ausrüsten, sich mit Schießbedarf und Proviant sowie mit einigen
Waren-Artikeln, wie sie zu diesem Handel gebräuchlich sind, zum Scheine
versehen und so nach der Küste von Guinea steuern. Kommen hier nun die
Neger an Bord eines solchen Korsaren, um einen friedlichen Verkehr
anzuknüpfen, so fallen diese Räuber über sie her, legen sie samt und
sonders in Ketten und Banden; und haben sie der Unglücklichen
solchergestalt dreißig bis vierzig oder wie viele sie bewachen können,
zusammengerafft, so stechen sie damit nach Südamerika hinüber, um sie an
die Spanier oder Portugiesen loszuschlagen. Dort verkaufen sie auch ihr
Fahrzeug und gehen nun einzeln als Reisende mit ihrem ungerechten
Gewinne nach England zurück, um vielleicht unmittelbar darauf ein neues
Unternehmen dieser Art zu wagen.

Es kann nicht fehlen, daß solche Raubzüge dem regelmäßigen Handel an
der afrikanischen Küste, sowie dem gegenseitigen Vertrauen, den
empfindlichsten Nachteil bringen. Besonders verderblich aber waren sie
zu jener Zeit für den Verkehr, welchen die Holländer vermittelst ihrer
Boote betrieben, da die Neger diese von jenen englischen Raubfahrzeugen
nicht hinreichend zu unterscheiden vermochten. Diese Erfahrung machte
auch ich an meinem Teile, als ich, Mitte Februar, mit der Schaluppe
unseres Schiffes und begleitet von dreizehn Mann und mit sechs kleinen
Pöllern wohl ausgerüstet, eine neue Küstenfahrt antrat. Kurz zuvor
nämlich hatte ein solcher englischer Korsar in dieser Gegend
herumgekreuzt und mancherlei Unfug verübt. Wo ich mich also irgend
blicken ließ, ward ich von den Schwarzen mit jenem verwechselt, nirgends
wollte sich ein einziger von ihnen zu mir an Bord getrauen. Kam ja hier
und da ein Kanot zum Vorschein, so hielt es sich, voll Argwohn, in einer
Entfernung von hundert und mehr Klaftern; die armen furchtsamen
Schlucker glotzten mich an, fragten, ob ich ein Engländer oder Holländer
sei, und verlangten zum Wahrzeichen des letzteren eine holländische
Pfeife zu sehen, als ob diese aus einem anderen Tone gebacken wäre. Oft
auch sollte ich ihnen eine Flasche aus meinem Flaschenfutter zeigen,
weil sie wußten, daß die englischen Handelsleute dergleichen nicht zu
führen pflegten.

Mit solcherlei kleinen Künsten und guten Worten gelang es mir endlich
doch, drei Neger, die in einem Kanot gekommen waren, zu bewegen, zu mir
an Bord zu steigen. Sie hatten einen Elefantenzahn zu verhandeln, aber
in ihren scheuen Blicken erriet ich die Angst und den Zweifel, ob sie
bei mir auch sicher sein würden. Nun wollte es der Zufall, daß ich einen
etwas närrischen Matrosen im Boote hatte, der sich den Spaß machte,
einen von unseren Gästen um den Leib zu fassen und ihn auf die schwarzen
Lenden zu klatschen. Allein dies Übermaß von guter Laune brachte einen
so plötzlichen und heftigen Schreck über sie alle, daß sie sich kopfüber
in ihr Kanot stürzten und eiligst davonmachten, ohne ihres
Elefantenzahnes zu gedenken, den sie in unseren Händen zurückließen. In
einiger Entfernung hielten sie indes an, huben die Hände in die Höhe und
baten um Auslieferung ihres Eigentums.

All mein Winken und gütliches Zureden zur Umkehr war vergeblich. Je
ernstlicher mein Unwille über das so mutwillig gestörte gute Vernehmen
war, desto weniger bedachte ich mich, nach einem tüchtigen Endchen Tau
zu greifen und den Friedensstörer im Angesichte jener nachdrücklich
abzustrafen. Diese Gerechtigkeitspflege gab ihnen wenigstens den Mut,
sich, obwohl mit Zittern und Zagen, soweit zu nähern, daß wir ihnen
ihren Zahn ins Kanot werfen konnten. Da sie es aber immer noch
weigerten, sich uns näher anzuvertrauen, so ließen wir sie endlich in
Frieden ihres Weges nach dem Lande ziehen.

       *       *       *       *       *

Wenige Tage später befand ich mich vor der Mündung eines kleinen
Flusses, genannt Rio de St. Paul, aus welchem zwei Neger in einem Kanot
zu mir herankamen, um mir den Kauf von zwei Sklaven und einer Kackebobe
(junge Sklavin, die noch nicht Mutter geworden) anzubieten, die sie
daheim bewahrten und wohlfeilen Preises loszuschlagen gedächten. Doch
war die Bedingung, daß ich mit dem Boote zu ihnen in den Strom kommen
mußte, weil sie mit ihren Nachbarn am anderen Ufer in offener Fehde
begriffen wären, die sie sonst mit ihrer Ware nicht ungehindert
passieren lassen möchten. Wie mißlich mir auch dieser Antrag deuchte, so
überwog doch endlich die Betrachtung, daß ich bereits seit mehreren
Tagen zu gar keinem Handel hatte kommen können und daß hier schon einmal
etwas gewagt sein wolle. Nachdem ich also meine kleinen Pöller geladen,
die Gewehre zur Hand genommen und mich in gehörige Verfassung gesetzt
hatte, ruderte ich getrost auf den Ausfluß zu, während die beiden
Schwarzen bei mir im Fahrzeuge verblieben.

Ein paar hundert Klafter mochte ich stromaufwärts gekommen sein, wo ich
beide Ufer dicht mit Gebüsch verwachsen fand und der Fluß selbst eine
Krümmung machte, als ich es unter solchen Umständen doch für ratsam
hielt, hier vor Anker zu gehen, wie sehr meine neuen Begleiter auch in
mich drangen, noch weiter hinauf bis an ihre Heimat zu fahren. Da ich
dies aber beharrlich weigerte, gingen sie in ihrem Kanot ab und kamen
mir aus dem Gesichte. Inzwischen verging wohl noch eine Stunde, die ich
in immer gespannterer Erwartung zubrachte, als plötzlich ein Schuß fiel
und gleich darauf ein gewaltiger Lärm sich erhob. Hierdurch mit Recht
beunruhigt, ließ ich augenblicklich das Bootsanker aus dem Grunde
reißen, das Fahrzeug seewärts umwenden, und begann das Weite zu suchen.
Gleichzeitig stürzte auch einer von jenen beiden Negern vom Ufer
herwärts in den Strom, schwamm zu uns ans Boot und verlangte aufgenommen
zu werden, indem er immerfort schrie: »Sie sind da! Sie sind da! und
meinen Bruder haben sie schon in ihrer Gewalt!«

Kaum hatte ich indes die Strommündung erreicht und die Brandung hinter
mir, so füllte sich auch das Seeufer mit einer großen Anzahl von
schwarzen Verfolgern, die mir eine Menge von Kugeln und Pfeilen
nachschickten, jedoch ohne jemand von uns zu treffen, wogegen aber
unsere Segel verschiedene Schüsse empfingen. So kam ich also noch
leidlich gut aus einem Abenteuer davon, das mir und allen im Boote den
elendesten Tod hätte bringen können, wenn ich nur noch eine einzige
Minute gezögert hätte, an meinen Rückweg zu denken. Was aber nun mit
unserem neuen Bootskameraden beginnen? -- Wäre es auch nach den
holländischen Gesetzen nicht bei Lebensstrafe verboten, öffentlichen
oder heimlichen Menschenraub zu begehen, so hätte ich mich doch
nimmermehr entschließen können, sein Zutrauen so schändlich zu
mißbrauchen und mich für den verfehlten Handel an seine schwarze Haut zu
halten. Nachdem ich also noch etwa eine halbe Meile längs dem Strande
gesegelt war, gab ich ihm seinen Freipaß und ließ ihn wieder nach dem
Lande schwimmen, wo der arme Teufel hoffentlich in Sicherheit gelangte.

Doch ehe ich noch ganz außerhalb des Bereiches unserer Widersacher kam,
bemerkte ich mit Verwunderung, daß das Boot weder gehörig steuern, noch
so rasch von der Stelle wollte, als es seiner Besegelung nach gesollt
hätte. In der Meinung, daß sich Kraut oder Strauchwerk am Kiel verfangen
und das Steuerruder behindert habe, lehnte ich mich, soweit wie möglich,
über Bord, um die Seiten und den Boden des Fahrzeugs unterhalb des
Wassers zu untersuchen. Da fand ich denn, daß sich Tausende von
Neunaugen festgesogen hatten, die sich in dem süßen Stromwasser befunden
und mit unseren Feinden gemeinschaftliche Sache gemacht zu haben
schienen, um uns dort zurückzuhalten. Da alles losreißen mit den Händen
nicht genügte, uns von diesem Ungeziefer zu befreien, so zogen wir
endlich einige Taue unter dem Boote durch, womit wir die Tiere
allmählich abstreiften.

Während ich nun meinen Verkehr bald mit mehr bald mit weniger Glück an
der Küste fortsetzte und mich dabei immer weiter vom Schiffe entfernte,
begann mir allmählich das frische Wasser zu mangeln, ohne daß ich dessen
am Lande wieder hätte habhaft werden können. Es schien mir demnach
geraten, mich wieder nach dem Schiffe hinzuwenden; gleichwohl aber fand
ich in der Zwischenzeit von dreizehn Tagen, samt meinen Gefährten und
den paar erhandelten Negern, Gelegenheit, die steigenden Schrecknisse
eines unauslöschlichen Durstes unter diesem glühenden Himmel zu
erproben. Wer es nicht selbst erfahren hat, ist durchaus unfähig, sich
dieses Elend in seiner ganzen Größe vorzustellen. Mit dem Mangel an
frischem Wasser wurden uns auch unsere trockenen Lebensvorräte an
Erbsen, Graupen usw. unbrauchbar, denn mit Seewasser gekocht, blieben
sie hart und waren zugleich von so bitterem Geschmack, daß sie stets wie
das heftigste Brechmittel wirkten. Ebensowenig konnten wir unser
Pökelfleisch ungewässert kochen und verzehren, ohne unseren grausamen
Durst noch zu steigern, und selbst unseren trockenen Zwieback vermochten
wir unaufgeweicht nicht durch den ausgedörrten Hals zu würgen.

In diesem Drangsal erinnerte ich mich, gehört zu haben, daß der sparsame
Genuß des Branntweins in solchen Fällen ein erprobtes Mittel zur
Linderung des Durstes darbiete. Allein die kleine Probe, die wir damit
anstellten, bekam uns gar übel, denn die Hitze dieses Getränkes trieb
uns so viel Galle in den Magen, daß wir selbst den Mund beständig voll
davon hatten und darüber zum Sterben erkrankten. Trotz meiner von jeher
eisernen Natur befand ich mich am elendesten unter allen und lag fast
regungslos auf dem Verdeck. Nur unsere Sklaven schienen im ganzen von
dieser Not wenig angefochten zu werden.

In der Tat aber war es bei uns aufs Höchste gestiegen, als wir in der
Ferne ein Segel erblickten und um so freudiger darauf lossteuerten, da
wir es bald für ein holländisches erkannten. Wir klagten dem Kapitän
unser Elend und baten um Abhilfe, erhielten aber den schlechten Trost,
daß es ihm selbst an frischem Wasser fehle, doch wolle er unserem
dringendsten Bedürfnisse abhelfen; und so schickte er uns wirklich ein
Fäßchen, das vielleicht ein halb Anker halten mochte, herüber.

Mit einer Begierde, die keine Beschreibung zuläßt, setzte ich sofort das
Gefäß an den Mund, und so wohl ward mir dabei, daß ich fortgetrunken
haben würde, bis ich auf der Stelle den Tod davon gehabt, wenn meine
Leute ebenso ungeduldig es mir nicht weggerissen hätten. Als nun aber
auch einer nach dem anderen sich gütlich getan, war das Wasser schier
alle geworden. Die Leute, welche es uns in ihrer Schaluppe gebracht
hatten und Zeugen von diesem Auftritte waren, konnten des Erstaunens
über unsere ausgedörrten Kehlen und unser Elend kein Ende finden. Um so
williger erfüllten sie meine Bitte, ihren Kapitän um noch einigen Vorrat
anzugehen. Ihre Verwendung war auch nicht ohne Erfolg: es ward uns ein
zweites halbes Ankerfäßchen zugestanden.

Solchergestalt versehen, gönnten wir uns eine neue Erquickung, indem wir
uns sofort nicht nur einen Kaffee bereiteten, sondern auch einen Kessel
mit Graupengrütze zum Feuer brachten, um endlich wieder einmal eine
ordentliche warme Speise zu genießen. Das gleiche wiederholten wir am
nächstfolgenden Tage, aber mit dem dritten war nun auch wieder unsere
Labequelle versiegt, und das vorige Fasten wäre wieder an die
Tagesordnung getreten, wenn wir nicht noch des nämlichen Tages ein Kanot
mit zwei Negern angetroffen hätten, mit denen ich mich über einen
kleinen Wassertransport vom Lande verständigte. Allein die Burschen
merkten, daß wir uns in Verlegenheit befanden, und forderten für die
Lieferung von zwei Fäßchen, die ich ihnen zeigte, und deren jedes etwa
dreißig Quart enthalten mochte, einen so ungeheuern Preis an Waren, daß
wir dafür in Europa den köstlichsten Wein hätten kaufen können.

Drei Tage später erreichten wir unser längst ersehntes Schiff, das bei
Kap la How kreuzte; aber unsere diesmalige Fahrt, die gleichwohl bis in
die fünfte Woche gewährt hatte, war in jedem Betracht ungünstig
ausgefallen, denn wir brachten nur drei Sklaven und fünf Elefantenzähne
mit. Glücklicher war unter der Zeit das Schiff selbst in seinem Handel
gewesen.

       *       *       *       *       *

Während der acht Tage, die ich am Borde verweilte, um mich, mit Hoffnung
besseren Erfolgs, auf eine neue Bootsreise anzuschicken, kam ein Schiff
unter französischer Flagge und als Fregatte gebaut in unseren
Gesichtskreis, welches von Norden nach Süden längs der Küste steuerte.
Sogleich auch gab mir mein Kapitän den Auftrag, mit der Schaluppe
hinüberzusegeln und nach neuen Zeitungen über Krieg und Frieden in
Europa nachzufragen, damit wir, falls unsere Nation seit unserer Abfahrt
irgend in Krieg verwickelt worden wäre, unsere Maßregeln desto sicherer
danach nehmen könnten. Den schon genannten französischen Matrosen Josef
nahm ich mit als Dolmetscher.

Dort angelangt, fand ich eine Menge von Schiffsoffizieren (oder mochten
es Passagiere in Uniform sein) vor, die meine Begrüßung mit Höflichkeit
erwiderten und ebenso auch meine Fragen über ihren Kurs und wie lange
sie bereits in See gewesen, beantworteten. Indem ich auf diese Weise
vernahm, daß sie vor etwa vier Wochen von Havre de Grace in See
gegangen, fiel mir augenblicklich jenes von seiner Mannschaft verlassene
Schiff ein, welches wir im vorigen Oktober in der spanischen See
angetroffen und besetzt hatten und welches gleichfalls von jenem Hafen
nach den Antillen bestimmt gewesen. Ich trug demnach meinem Dolmetscher
auf, die Herren zu fragen, ob und was ihnen von diesem Schiffe bewußt
sein möchte?

Schon an ihren verwunderten Gesichtern konnte ich es spüren, daß sie mit
diesem Ereignisse bereits bekannt sein müßten, und nun erfuhr ich von
ihnen folgende Umstände, die mich dem völligen Aufschlusse jener
rätselhaften Begebenheit um manches näher führten. Das Schiff war,
nachdem es uns so plötzlich von der Seite verschwunden, wider all unser
Hoffen glücklich in Rotterdam angekommen, wo man aus den vorgefundenen
Papieren sofort ersehen hatte, daß es von Havre de Grace ausgefahren
gewesen. Diesem zufolge hatten die holländischen Behörden sowohl an den
Handelsstand in jenem französischen Hafen ein Zirkulär erlassen, als
durch die Zeitungen öffentlich bekannt gemacht: Kapitän Johann Harmel
mit dem Schiffe Christina von Rotterdam habe in den spanischen Gewässern
ein französisches Schiff menschenleer umhertreibend angetroffen, mit
Mannschaft besetzt und nach Holland führen lassen. Bei näherer
Untersuchung sei befunden worden, daß hinten unterhalb Wassers zwei
Löcher durch das Schiff gebohrt gewesen, indem der dazu gebrauchte
Bohrer noch daneben gelegen. Die stumpfe Schneide desselben habe jedoch
verursacht, daß die Späne von der äußeren Plankenhaut nicht scharf
abgeschnitten worden, sich in die Öffnung zurückgelegt, voll Wasser
gesogen und dadurch verhindert hätten, daß dieses habe eindringen und
das Schiff zum Sinken bringen können. Nicht minder wunderbar habe
eingedrungene Nässe das Fortglimmen einer schon brennenden, zehn Fuß
langen Lunte gewehrt, deren entgegengesetztes Ende zu einem Pulverfasse
geleitet worden. Aus beiden frevelhaften Versuchen aber gehe deutlich
hervor, daß das Schiff mutwillig und ohne Not verlassen worden und
entweder habe sinken oder in die Luft fliegen sollen.

Während nun durch diese Kundmachungen die Reeder des Schiffes
aufgefordert worden, sich zu ihrem Eigentume zu melden, hatte auch der
französische Kapitän desselben von Lissabon aus an sie nach Havre de
Grace geschrieben: sein Schiff sei im Meerbusen von Biscaya so leck
geworden, daß er befürchtet, jeden Augenblick sinken zu müssen, als zum
Glück ein schwedischer Ostindienfahrer in seine Nähe gekommen, der sich
auf sein dringendes Bitten habe bewegen lassen, ihn und die übrige
Mannschaft zu ihrer aller Lebensrettung an seinen Bord abzuholen. Dieser
sei darauf zu Lissabon angekehrt und habe sie sämtlich dort ans Land
gesetzt. Er habe nicht unterlassen, hier mit seinen Leuten alsogleich
eine gerichtliche eidliche Erklärung abzulegen, die er zugleich mit
einsende.

Beide Nachrichten, welche zu der nämlichen Zeit in Umlauf kamen, ließen
es in ihrer Zusammenstellung keinen Augenblick zweifelhaft, daß der
französische Kapitän ein abgefeimter Betrüger gewesen, und auch die
darauf angestellte gerichtliche Untersuchung ergab, daß er mit zwei
Mit-Reedern des Schiffs unter einer Decke gesteckt, indem sie dasselbe
zu gleicher Zeit in London, Amsterdam und Hamburg für große Summen
versichern ließen. Diese sahen nun ihrer gerechten Strafe entgegen; ihr
Mitschuldiger aber (wahrscheinlich unter der Hand von ihnen selbst
gewarnt) hatte es fürs Klügste gefunden, sich in Lissabon unsichtbar zu
machen, ohne wieder nach seiner Heimat zu verlangen.

Für unser Schiffsvolk ward ich, als ich mit diesen Nachrichten von der
glücklichen Bergung unserer schon verloren gegebenen Prise wieder an
Bord kehrte, ein wahrer Freudenbote: denn nun durfte jeder auf seinen
Anteil an der Prämie hoffen. Es begann sofort ein Handel über den
anderen wegen dieser zu erwartenden Prisen-Gelder. Einige verkauften ihr
Anrecht für wenige Flaschen Branntwein, andere für etliche Pfund Tabak,
ohne sich um die wahrscheinliche Übervorteilung zu kümmern.

       *       *       *       *       *

Nach Verlauf einiger Tage rüstete ich mein Boot zu einer neuen dritten
Handelsfahrt zu; und diesmal durfte ich auch für meinen Privatverkehr,
im Einkauf von Staubgold, gewisseren Vorteil hoffen, da wir uns nunmehr
im Angesichte der sogenannten »Goldküste« befanden.

So verschwenderisch hat die Natur hier ihr edelstes Metall verbreitet,
daß selbst der Seesand dessen in hinreichender Menge mit sich führt, um
die Mühe des Einsammelns zu vergüten. Wenn daher vormittags die Sonne
hoch genug gestiegen ist, um den nackten Negern die Lufttemperatur
behaglich zu machen, finden sie sich zu Hunderten am Strande ein. Dann
setzen sie sich dicht neben dem Ablauf der Wellen ins Wasser, und jeder
hält eine tiefe hölzerne Schüssel (deren die Schiffe ihnen als
Handelsware zuführen) vor sich zwischen den Knien, nachdem er sie zuvor
voll goldhaltigen Sandes geschöpft. Sie wissen diese Gefäße so geschickt
zu drehen, daß jede anlaufende Welle darüber hinspült und etwas von dem
leichteren Sande über den Rand mit sich fortschwemmt, während das Metall
sich vermöge seiner natürlichen Schwere tiefer zu Boden senkt. Dies wird
so lange wiederholt, bis der Sand beinahe gänzlich verschwunden ist und
das reine Staubgold, kaum noch mit einigen fremden Körnern untermischt,
sichtbar geworden. Die Neger wissen es sodann gar geschickt und behende
in ihre kleinen Dosen aufzufassen, die wir ihnen gleichfalls zum
Verkaufe bringen. Auf diese Weise habe ich wohl selbst zum öftern
gesehen, daß manche binnen acht bis zehn Stunden den Wert von sechs bis
zwölf und mehr holländischen Stübern zuwege brachten.

Noch weiß ich aus den deshalb angestellten Erkundigungen, daß sie auch
weiter landeinwärts mit dem dort befindlichen goldhaltigen Kiessande auf
eine ähnliche Art verfahren, indem sie diese Erdklumpen in die Nähe
eines Gewässers tragen und Erde, Sand und Kies so lange durcheinander
rühren und ausspülen, bis sie zu dem nämlichen Erfolg gelangen. Hier
aber finden sich auch nicht selten bedeutendere Stückchen Goldes, selbst
von der Größe wie unser grober Seegries. Die Neger nennen es »heiliges
Gold«, durchbohren es, reihen es auf Fäden und schmücken mit diesen
kostbaren Schnüren Hals, Arme und Beine. In solchem stattlichen Putze
zeigen sie sich gern auf den Schiffen, und so trägt oft ein einziger
einen Wert von mehr als tausend Talern am Leibe.

Stellen sie ihr gewonnenes Gold auf den europäischen Fahrzeugen zum
Kaufe, so werden ihnen zuvor die Tauschwaren vorgelegt und über deren
Wert eine Übereinkunft getroffen. Dieser Wert wird in »Bontjes«
bestimmt, oder Stückchen Goldes, etwa eine Erbse schwer und zu sechs
Stüber Geldwert zu berechnen. Acht Bontjes betragen ein Entis oder einen
Taler holländisch, und zehn Entis ein Lot, dessen Wert zu vierundzwanzig
holländischen Gulden oder nach Unzen zu zweiundvierzig Gulden
angeschlagen wird. Die Neger ihrerseits bedienen sich ähnlicher
Gewichte, welche aber gegen die holländischen jedesmal zu kurz kommen.

Hier geht nun das Streiten und Zanken an. Immer noch fehlt etwas -- noch
etwas, und so weiter, bis man denn zuletzt unter Zanken und Streiten
doch einig wird. Betrogen aber werden die Neger endlich doch immer, wie
schlau sie es auch anfangen mögen! Mancher Weiße läßt sich sogar
absichtlich die Nägel an den Fingern lang wachsen, rührt damit in dem
Staubgolde unter dem Vorwande, als werde er noch gelben Sand unter den
Metallkörnchen gewahr, umher, und kraut sich dann unmittelbar darauf
mit den Nägeln in den Haaren, um die aufgefischte Beute dort abzusetzen.
Haben sich endlich die Verkäufer entfernt, so kämmt er sein struppiges
Haar mit einem engen Kamme wohl durch und bringt dadurch zuweilen zwei
und noch mehr Bontjes Goldstaub vom Kopfe. Niemand rechnet sich diese
Hinterlist zum Vorwurf. Es heißt dann immer: »Nun, was ist's mehr? Ist's
doch nur ein Neger, der angeführt wird!«

Nachdem ich endlich eines Morgens meine Fahrt wirklich angetreten hatte
und etwa drei Meilen vom Schiffe entfernt war, kam mir noch an dem
nämlichen Nachmittage ein kleines englisches Schiff zu Gesichte, das
ungewöhnlich nahe am Strande vor Anker lag, während ein Teil der Segel
und des Takelwerks sich in größter Unordnung befand und wild um die
Masten peitschte. Indem ich meine Begleiter auf diese in solcher Lage
unbegreifliche Nachlässigkeit aufmerksam machte, beschloß ich, mich
diesem Fahrzeuge zu nähern, ob ihm vielleicht Hilfe vonnöten sein
möchte. Bald kam ich im Heransegeln so dicht an seine Seite, daß ich ihm
zurufen konnte: »Warum er sich in diese gefährliche Nähe an einem
unsichern Strande gelegt habe?«

War ich bereits verwundert, so ward ich es noch vielmehr, als sich kein
einziger Weißer am Borde blicken ließ, dagegen aber wohl zwanzig bis
dreißig Neger auf dem Verdeck herumstanden und -gingen. Vor allem
zeichnete sich ein Kerl auf dem Hinterteile, mit einem blauen Überrocke
bekleidet, durch seine Keckheit aus, indem er ein kurzes weitmündiges
Schießgewehr (wir nennen es eine Donnerbüchse) in der Hand führte und
auf uns anlegte. Ein anderer stand vorn mit einer weißen Weste ohne
Ärmel und lag mit seinem Gewehre ebenfalls im Anschlage auf uns. Auch
die übrigen alle längs dem Borde winkten mit den Händen abwärts und
schrien aus vollem Halse: Go way! Go way (Packt euch!)

Was war natürlicher zu glauben, als daß dies Schiff soeben in die Gewalt
der Schwarzen geraten, welche die englische Mannschaft ermordet hätten
und im Begriff ständen, ihre Beute auszuplündern. Hier war es also
allerdings nicht ratsam, lange zu verweilen. Ich steuerte demnach ab
gegen den Wind: doch indem ich mich außer der Schußweite sah, fing ich
an zu überlegen, daß es nicht gar ehrenvoll für uns aussehen würde, die
schwarzen Räuber ihr Wesen so ganz ungestört treiben zu lassen. Ich
beriet mich mit meinen Leuten, ob nicht ein entschlossener Angriff auf
die Brut zu wagen sein möchte? Denn wenn wir gleich mit einem tüchtigen
Feuer auf sie anrückten, so war ich der Meinung, daß die Kerle, da sie
so dicht am Lande lagen, bald über Bord springen und uns das Schiff als
gute Prise überlassen würden.

Dieser Vorschlag mit so glänzender Aussicht auf Gewinn verbunden gewann
sich alsobald ihren ungeteilten Beifall. Um mir aber jede künftige
Verantwortung und üble Nachrede zu ersparen, fuhr ich fort: »Ihr habt
aber auch gesehen, daß wenigstens zwei von ihnen Schießgewehre führen
und es sicherlich auch gebrauchen werden, bevor sie uns das Feld räumen.
Sollte nun einer oder der andere von uns dabei zu Schaden kommen, so
sage niemand, ich hätte ihn zu dem Unternehmen gezwungen. Hier bedarf es
durchaus eines freiwilligen Entschlusses. Also: ja oder nein?« Ihr
kaltblütiges »Ja« weckte das glimmende Feuer in mir zur vollen lichten
Flamme. -- »Wir gehen drauf los und jagen die schwarzen Bestien durch
ein Knopfloch?« fragte ich noch lauter und heftiger. -- »Ja, das wollen
wir!« scholl mir zur Antwort entgegen. -- »Nun denn! Immer drauf, in
Gottes Namen!«

Sofort sprang ich nun hinten in die Luke, ergriff ein kleines Pulverfaß,
das sechzehn Pfund enthielt, trat ihm hastig mit einem Fußstoße den
Boden ein, füllte meinen Hut mit Pulver, eilte damit aufs Deck, lud
meine sechs Böller allein, setzte auf jede Ladung zwei Kugeln und ließ
ein paar angezündete Lunten in Bereitschaft halten. Den besten und
zuverlässigsten Mann setzte ich ans Ruder mit dem Befehl, daß er von
vorn auf das Schiff zusteuern und dann längs dem Borde hinwegstreifen
sollte. Das Abfeuern meines Geschützes behielt ich mir selbst vor, um
meines Zieles desto sicherer nicht zu fehlen, wogegen meine übrigen
Leute im rechten Augenblicke mit dem Handgewehre ihr Bestes tun sollten.

Wie gesagt, so geschehen! Wir steuerten so dicht auf die erhoffte Prise
los, daß wir ihren Bord im Vorüberfahren mit einem Bootshaken hätten
entern können. Währenddem gab ich zugleich aus all meinen vier Böllern
Feuer, hatte aber den Schreck, zu sehen, wie sie samt und sonders
zersprangen, weil ich sie in meinem Eifer stark überladen hatte. Was
mich jedoch auf der Stelle tröstete, indem wir nun hinter das Schiff
kamen, war die gelungene Frucht meines Knallens -- der Anblick einer
guten Anzahl schwarzer Köpfe im Wasser, die bereits eifrig dem Lande
zuschwammen.

Jetzt rief ich meinen Leuten zu: »Das Boot umgelegt! Nun dran! Nun
geentert! Handgewehr aufs Deck!« -- Ich selbst sprang wiederum hinten in
die Luke hinab, um die Gewehre, die uns früher hinderlich gewesen wären,
schnell hervorzulangen: aber da sprudelte mir von unten ein mächtiger
Wasserstrahl aus dem Boden des Fahrzeuges entgegen. Es war nicht anders
zu erklären, als daß, während der Pulverdampf alles erfüllte, im
Vorüberfahren jener Kerl mit der Donnerbüchse vom höheren Hinterteile
herab gerade in die offene Luke gehalten und den Boden so unglücklich
durchschossen haben mußte.

Ich trat augenblicklich mit dem Fuße auf das Loch und schrie nach
irgendeinem Kleidungsstücke, um davon einen Pfropfen zu drehen und
diesen in oder auf die Öffnung zu stopfen. Meine Leute aber standen alle
wie bedonnert, ohne meine Meinung zu fassen. Endlich riß ich mir selbst
das Hemd vom Leibe, wickelte es so fest zusammen als mir möglich war und
suchte dem Unheil vorläufig damit abzuhelfen. Doch wie ich nun auf das
Deck kam, nahm ich wahr, daß das Boot fast bis zum Sinken tief lag und
das eingedrungene Wasser es binnen der kurzen Zeit schier bis oben
erfüllt hatte. Noch empfindlicher aber ward mir dies Unglück in der
Betrachtung, daß ich soeben erst mein Schiff verlassen hatte und nun
mein noch vollständiger Vorrat von Handelswaren durchnäßt und nur zu
gewiß verdorben worden. An die Fortsetzung des Gefechts war unter diesen
Umständen nicht mehr zu denken, und alle unsere schon erlangten Vorteile
mußten aufgegeben werden.

Ich entfernte mich also mit großem Schaden von dem Kampfplatze.
Dreiviertel Meilen weiter von hier, unter dem Winde, nahm ich ein Schiff
vor Anker wahr, auf welches ich zusegelte, bis ich neben ihm gleichfalls
den Anker fallen ließ, um mein eingedrungenes Wasser auszupumpen. Der
Kapitän jenes Schiffes kam in seiner Schaluppe zu mir, weil er
wahrgenommen, daß ich bei jenem Fahrzeuge geschossen und zu wissen
wünschte, was dies zu bedeuten gehabt. -- Mein Bericht setzte ihn ebenso
sehr in Erstaunen, als er mir sein Beileid bezeigte, denn ich hatte
soeben die unerfreuliche Entdeckung gemacht, daß meine Waren nicht nur
sämtlich unter Wasser gelegen, sondern daß auch die Pulverfässer durch
das Schlingern des Bootes ihren Inhalt dem Wasser mitgeteilt und all
meine Zeugwaren völlig schwarz gefärbt hatten.

Der Kapitän bemerkte, daß er das englische Fahrzeug bereits seit drei
Tagen dort habe liegen sehen. Gegen den Wind habe er nicht heransteuern
können; und da auch sein Boot gerade auf einer Handelsreise abwesend
sei, so habe er bisher einen untätigen Zuschauer abgeben müssen. Er
wolle mir aber mein Boot in möglichst kurzer Zeit wieder dicht machen
helfen, sich persönlich mit mir vereinigen, noch etwa zehn oder zwanzig
Köpfe von seinen Leuten mit zu Hilfe nehmen, und das englische Schiff
mit mir gemeinschaftlich angreifen und nehmen. Allein ich hatte in dem
Augenblicke den Kopf zu voll von meinem Unglücke. Ich schlug ihm daher
meine Teilnahme an der Fortsetzung dieses Abenteuers ab; und
wahrscheinlich wäre es auch ebenso fruchtlos abgelaufen, denn schon am
nächstfolgenden Morgen sahen wir das englische Schiff völlig am Strande
liegen, wohin es die Schwarzen hatten treiben lassen.

Für mich blieb nun kein anderer Rat, als mich wieder nach unserer
Christina zu wenden und eine neue Ausrüstung zu verlangen. Indes mag
sich der Leser selbst eine Vorstellung davon machen, mit welch garstigem
Willkommen ich dort, nach Abstattung meines Berichtes, von meinem
Kapitän empfangen wurde, der das Unglück hatte, fast beständig betrunken
zu sein. Er wollte mich totstechen, totschießen, oder mir sonst auf eine
neue, noch unerhörte Manier den Garaus machen. Da ich nun meinerseits
des Glaubens war, daß ich vollkommen recht und pflichtmäßig gehandelt,
und ich den unglücklichen Zufall, der hier den Ausschlag gegeben, nicht
verantworten könnte, so mochte ich auch nicht demütig zu Kreuze
kriechen; und so gab es nun noch drei Wochen lang zwischen uns nichts
als täglichen Verdruß (denn im Ärger sprach mein Gegner nur um so
fleißiger der Flasche zu und ward dann wie ein tolles Tier), bis wir
endlich vor St. George de la Mina anlangten, um dort unsern letzten
Handel abzuschließen.

Hier fand ich den Gouverneur Peter Wortmann noch von den nämlichen
wohlwollenden Gesinnungen gegen mich erfüllt, wie ich ihn vormals
verlassen hatte. Ich klagte ihm bei Gelegenheit mein ganzes Unglück und
meine Mißhelligkeit mit dem Kapitän, der mir alle Ruhe des Lebens
verbitterte. Er dagegen hieß mich guten Mutes sein, indem er ehestens
den hohen Rat versammeln wolle, wo ich volle Freiheit finden würde, mein
Verfahren zu verteidigen. Dies geschah auch wirklich bald nachher in
einer Sitzung, wozu außer den ordentlichen Räten noch fünf holländische
Schiffskapitäne, die dort eben mit ihren Schiffen auf der Reede lagen,
mit hinzugezogen wurden. Ich erklärte vor dieser Versammlung, unter dem
Vorsitze des Gouverneurs und im Beisein Kapitän Harmels, den ganzen
Verlauf der Sache mit dem Angriffe auf das englische Fahrzeug; daß ich,
was ich getan, zugunsten unseres Schiffes und unserer Leute
unternommen, welche, wenn die Besitznahme geglückt wäre, nach den
Seerechten zwei Drittel der Ladung als Bergelohn zu fordern berechtigt
gewesen sein würden. Ob mein Angriff ungeschickt geleitet worden und ob
ich ohne den empfangenen Schuß mein Vorhaben nicht unfehlbar erreicht
haben würde, überließ ich dem Gerichte zur einsichtsvollen Beurteilung.
-- Die Folge dieser Verantwortung war, daß ich einstimmig und mit Ehren
freigesprochen wurde.

       *       *       *       *       *

Während unseres ferneren Verweilens vor diesem Platze kam eines Tages
ein holländisches Schiff auf der Reede vor Anker, welches sofort auch
die Notflagge wehen ließ und mehrere Notschüsse abfeuerte. Von allen
anwesenden Schiffen konnte indes nichts zu etwaigem Beistande geschehen,
da unsere sämtlichen Kapitäne eben mit den Schaluppen an Land gegangen
waren und wir Steuerleute kein anderes Boot zu unserer Verfügung hatten.
Doch sahen wir bald, daß vom Fort aus ein Kanot mit vier Negern abstieß,
eiligst nach dem notleidenden Schiffe hinruderte und auch nach Verlauf
einer Stunde von dort wieder zurückkehrte.

Zwei Stunden später kam dies nämliche Kanot, vom Lande aus, wieder zum
Vorschein und geradeswegs zu mir. Es brachte mir den schriftlichen
Befehl des Gouverneurs, mit diesen Negern zu ihm an Land zu fahren. Ich
befolgte diese Weisung, ohne mir's einfallen zu lassen, daß meinem
Kapitän hiervon nichts gesagt worden. Indem ich aber in den großen Saal
trat, fand ich die nämliche Versammlung, vor welcher ich unlängst zu
Gericht gestanden, und auch den Kapitän Harmel an der Tafel bei einem
fröhlichen Mittagsmahle sitzen. Kaum aber faßte mich der letztere ins
Auge, so sprang er auf und fragte mich in rauhem Tone: was ich am Lande
zu schaffen hätte? -- Statt der Antwort überreichte ich ihm das von Sr.
Edelheiten dem Gouverneur erhaltene Billett und trat währenddessen
hinter den Stuhl des letzteren, um zu fragen, was zu seinen Befehlen
stände?

»Da ist,« hub dieser an, indem er aufstand und sich zu mir wandte,
»soeben der Kapitän Santleven von Vliessingen auf der Reede angelangt
und befindet sich im äußersten Drangsal. Er selbst liegt krank im Bette;
seine Steuerleute sind tot; er hat daneben beinahe hundert Sklaven an
Bord, und seine Not und Verlegenheit ist dermaßen groß, daß er hat eilen
müssen, diese Station zu erreichen, um von den hier liegenden Schiffen
einen Steuermann zu erlangen, der die Führung des Schiffes übernehmen
möchte. Ich und die übrigen Herren Kapitäne hier wünschten ihm darin,
wie billig, zu willfahren und haben Euch, mein lieber Nettelbeck, zu
diesem Posten ersehen.«

Bevor noch der Gouverneur seinen Antrag geendigt hatte, begann schon
mein Kapitän, ihn unterbrechend, dagegen aus allen Kräften zu
protestieren, wie sehr auch die übrigen Anwesenden bemüht waren, ihn
davon zurückzuhalten. Zuletzt wandte er sich ganz wütend gegen mich und
gebot mir: »Nettelbeck, Ihr verfügt Euch stehenden Fußes auf mein Schiff
zurück und verseht den Dienst am Bord. Ich will und befehl' es!« -- Dem
mußte allerdings gehorcht werden! Ich wandte mich ruhig um und ging zum
Saale hinaus.

Kaum war ich aus der Türe, so hörte ich etwas hinter mir drein
schreiten. Es war einer von den tafelnden Kapitänen, der aufgesprungen
war, mich hastig an der Hand ergriff und mich fragte: »Ich bitte Euch um
alles -- Ihr heißt _Nettelbeck_?« -- Ich bejahte; und nun fuhr jener noch
angelegentlicher fort: »Und seid Ihr ein Kolberger? Wohnt nicht Euer
Vater dort am Markte? und habt Ihr nicht eine Schwester, die an einem
Fuße hinkt?« -- Ich bejahte wiederum, aber mit zunehmender Verwunderung,
teils über diese genaue Kenntnis meiner Familie, teils über die Absicht
all dieser Fragen. »Nun denn,« setzte er mit gleichem Feuer hinzu, »so
müßt Ihr ja auch einen Bruder in Königsberg haben, der ein Schiff für
eigene Rechnung führt?« -- »Der werde ich wohl selbst gewesen sein,«
war meine Antwort. -- »Wie? Nicht möglich! Ihr selbst? Nun denn, um so
weniger ...« unterbrach er sich selbst, hielt mich noch fester und zog
mich stürmisch wieder in das eben verlassene Zimmer zurück. Ich wußte am
allerwenigsten, was dies alles zu bedeuten haben könnte.

Sein nächstes war nun, daß er sich an den Kapitän Harmel wandte, ihn
freundlich umfing, und ihn schmeichelnd zuredete: »Nicht wahr, lieber
alter Freund, Ihr gebt meinem und unser aller Drängen eine gute Statt,
und überlaßt diesen wackeren Mann an Santleven? Denn ich will's Euch nur
sagen: Für alles, was Nettelbeck heißt, laß ich Leib und Leben; und ich
will Euch für ihn einen meiner eigenen Steuerleute und einen befahrenen
Matrosen obenein, der es auch alle Tage werden könnte, an Bord schicken.
Topp?« -- Auch die andern insgesamt umringten den zornigen Menschen und
redeten so lange auf ihn ein, bis er sich jede Ausflucht abgeschnitten
sah, und endlich mir halb über die Achsel entgegenbrummte: »So geht denn
meinetwegen zum Teufel!« -- Das war und blieb mein Abschied!

Dagegen drang nun der Mann, der mir so das Wort geredet, in mich, jetzt
auch sofort mit ihm zu Kapitän Santleven an Bord zu gehen, wohin er mich
in seiner Schaluppe bringen wolle. Dies geschah auch, und indem wir nun
vom Strande abstießen, konnte ich mich der Frage nicht enthalten, woher
er eine so genaue Kenntnis meiner Familie habe, und wie er überhaupt
dazu komme, einen so warmen und freundschaftlichen Anteil an mir zu
nehmen.

»Nun,« erwiderte er lächelnd, »das wird Euch weiter nicht wunder nehmen,
wenn Ihr hören werdet, was ich Euch zu erzählen habe. Im Jahre 1764 fuhr
ich als Steuermann auf einem holländischen Schiffe und hatte zwischen
Weihnachten und Neujahr das Mißgeschick, eine Meile von Kolberg zu
stranden und kaum das nackte Leben zu bergen. Des nächsten Tages führte
Euern Vater der Zufall in das Dorf und die armselige Bauernhütte, wohin
ich und meine übrigen Unglücksgefährten uns kümmerlich geflüchtet
hatten. Die hellen Tränen traten ihm bei unserm Anblicke ins Auge.
Insonderheit richtete er seine Aufmerksamkeit auf mich, fragte mich über
meine Umstände aus und erbot sich auf der Stelle edelmütig, mich, wenn
ich wolle, mit nach Kolberg zu nehmen und für mein weiteres Unterkommen
zu sorgen. Er habe auch zwei Söhne in der See, und Gott wisse, wo und
wie auch _sie_ die Hilfe mitleidiger Seelen bedürfen könnten. Vorderhand
könne er zwar nur mich allein mitnehmen, allein auch für die
Rückbleibenden solle baldigst Rat geschafft werden.

»So kam ich,« fuhr er fort, »nach Kolberg in Euer väterliches Haus, wo
ich an Eures Vaters, Mutter und Schwester Seite gegessen und getrunken,
alle meine Notdurft empfangen und tausendfache Liebe und Güte genossen
habe. Eure Schwester versorgte mich mit Wäsche; meine kleinsten Wünsche
wurden erfüllt, und so erhielt ich von so liebreichen Händen meine volle
Verpflegung bis über Ostern hinaus, wo sich endlich eine
Schiffsgelegenheit fand, wieder nach der Heimat zurückzukehren. Aber
auch da noch steckte mir Euer Vater einen holländischen Dukaten zum
Reisegelde in die Hand, und hinter seinem Rücken tat Euere Mutter mit
zwei preußischen harten Talern das nämliche. Oft genug erzählten mir
beide von ihrem wackeren Sohne in Königsberg; und ich hinwiederum
vertraute ihnen, daß ich kein Holländer, sondern ein preußisches
Landeskind und aus Neuwarp in Vorpommern gebürtig sei, Karl Friedrich
Mick heiße und mich aus Furcht vor dem Soldatendienste außer Landes
begeben habe. Seit jenen Zeiten habe ich nun stets darauf gesonnen, wie
ich es möglich machen wollte, so viel Liebe und Güte nach Würden zu
vergelten, und hätte wohl nicht gedacht, daß sich mir dazu hier an der
Küste von Afrika eine so erwünschte Gelegenheit auftun sollte. Wiewohl
ich noch immer nicht begreife, was für ein widriges Schicksal Euch
hierher führt und Euere blühenden Umstände so ganz verändert hat?«

Die Antwort auf diese teilnehmende Frage mußte ich dem guten Manne für
diesmal noch schuldig bleiben, da wir soeben am Bord des Kapitäns
Sandleven anlangten. Diesen fanden wir, beim Eintritte in die Kajüte,
bettlägerig und in elender Verfassung. Mein Begleiter stellte mich ihm,
mit einer nachdrücklichen Empfehlung und Verbürgung, als denjenigen vor,
der ihm in Führung seines Schiffes und seiner Geschäfte beirätig sein
solle, und auf den er sich in allen Fällen verlassen könne. Der gute
Mann streckte seine Arme nach mir aus, umfing mich inbrünstig und hieß
mich von ganzem Herzen willkommen. Demnächst übergab er mir das völlige
Kommando, ließ mich durch den Kapitän Mick dem Schiffsvolke vorstellen,
gab mir die nötige Einsicht in seine Papiere und Geschäfte und war
solchergestalt nach Möglichkeit behilflich, daß hier alles wieder mit
einem neuen Geiste und Leben beseelt wurde. Mir selbst war nicht minder
zumute, als sei ich aus der Hölle in den Himmel übergegangen.

Bevor nun mein neuer Freund mich verließ, bemerkte ich ihm, daß ich auf
der Christina noch eine sechsmonatige Gage zu fordern hätte; und er
versprach, daß sie mir unverkürzt ausgezahlt werden sollte. Wirklich
geschah dies auch gleich am nächsten Tage mittels einer Anweisung des
Kapitäns Harmel auf zweihundertsechzehn Gulden holländisch an seine
Schiffsreeder, die Herren Rochus und Kopstädt in Rotterdam. Ebenso holte
ich meine Habseligkeiten aus dem alten in das neue Schiff ab, und war
von diesem Augenblicke an in dem letzteren vollkommen einheimisch.

       *       *       *       *       *

Nach gepflogener Beratschlagung mit meinem Kapitäne wandten wir das
Schiff wiederum gegen die westlicher gelegenen Punkte, um unsere Ladung
durch fortgesetzten Handel zu vervollständigen. Das beschäftigte uns bis
in den September hinein, während welcher Zeit der gute Mann, zu meiner
nicht geringen Freude, sich merklich erholte und endlich auch wieder
auf dem Verdecke erscheinen konnte. Um so leichter ließ sich nun auch
der Beschluß ausführen, daß ich mit dem Boote nach dem sechs Meilen von
uns entfernten holländischen Forte Boutrou abgehen sollte, wohin wir mit
dem Schiffe zu kommen, durch Wind und Strömung verhindert wurden, und wo
sich gleichwohl vielleicht einiger Vorteil für unsern Verkehr beschaffen
ließ.

Auf dem Wege dahin erblickte ich ein Boot, das uns entgegensteuerte; und
aus dieser Richtung sowohl, als aus andern Umständen erkannte ich
leicht, daß es mit seinem Briefsacke nach St. George de la Mina zu
kommen gedenke und zu einem kürzlich erst auf der Küste angelangten
Schiffe gehören müsse. Dies machte mir Lust, mich ihm zu nähern und ihm
seine mitgebrachten Neuigkeiten abzufragen. Kaum aber war das Gespräch
angeknüpft, so erkannte ich in dem jenseitigen Führer, mit
absonderlicher Verwunderung, den nämlichen Steuermann Peters, der uns in
vorigem Herbste mit der besetzten französischen Prise so unerwartet und
bei Nacht und Nebel davongegangen. Auch mein Gesicht ward ihm sofort
kenntlich; er rief meinen Namen, und wir verloren keinen Augenblick,
unsere Fahrzeuge aneinander zu befestigen, damit wir die tausend Fragen
und Antworten, die uns beiderseits auf der Zunge schwebten,
gegeneinander austauschen könnten.

Daß er sich mit dem Schiffe glücklich nach Rotterdam hingefunden hatte,
war mir, wie der geneigte Leser weiß, bereits im März durch die
französische Fregatte zu Ohren gekommen. Allein wie er dies bei seinen
eingeschränkten Kenntnissen vom Seewesen und ohne einen festen Punkt von
Länge und Breite mit sich zu nehmen habe möglich machen können, wollte
mir ebensowenig, als daß sein Verschwinden ein bloßes Werk des Zufalls
gewesen sein sollte, einleuchten. Indes behauptete er doch, er habe, als
es Tag geworden, uns und die Christina weder gesehen, noch wieder
auffinden können, und sei also genötigt gewesen, seinen Kurs nach
Gutdünken, gegen den englischen Kanal zu einzurichten. In dieser
beibehaltenen Richtung sei er einige Tage später auf ein englisches
Schiff gestoßen, bei welchem er sich wegen der Lage und Entfernung von
Quessant befragt, aber von der Antwort wenig verstanden habe. Demnach
sei er getrost bei seinem anfänglichen Kurs geblieben, bis ihm des
nächstfolgenden Tages ein schwedisches Schiff die Auskunft erteilt, daß
er Kap Landsend in Ostnordost 65 Meilen vor sich liegen habe; und dieser
willkommenen Weisung nachsteuernd, habe er denn auch, bei günstigem
Winde, diese Landspitze des dritten Tages zu Gesicht bekommen, von dort
den Kanal hinaufgeleiert, ferner die flämischen Küsten möglichst in der
Nähe behalten, und so des fünften Tages auch glücklich Goree und die
Mündung der Maas erreicht.

Der Hafenmeister von Goree, als er zu ihm an Bord gekommen, habe ihn
alsbald wieder erkannt, da er erst vor wenigen Wochen von hier in See
gegangen. Er habe sich die übrigen seltsamen, dies Schiff betreffenden
Umstände berichten lassen, sich vor Verwunderung bekreuzigt und
gesegnet, aber auch um so weniger zulassen wollen, daß er seinen Weg
stromaufwärts nach Rotterdam fortsetze, bevor nicht davon Bericht
erstattet und eine nähere Untersuchung verfügt worden. Beides sei
demnächst auf Veranstaltung des Handelshauses Rochus und Kopstädt durch
eigene Kommissarien geschehen, der Befund nach dem Haag an die Staaten
von Holland abgegangen und von dorther die Anweisung zu dem
gerichtlichen Verfahren gekommen, wovon bereits oben ausführliche
Meldung geschehen. Schiff und Ladung waren in der Folge gerichtlich zu
Verkauf gestellt und aus beiden ein Wert von neunundneunzigtausend
holländischen Gulden gelöst worden.

Von dieser bedeutenden Summe kamen nun, nach den holländischen
Seerechten, zwei Drittel den französischen Eigentümern, ein Drittel aber
dem Schiffsvolke der Christina zu. Umgekehrt wäre das Verhältnis
gewesen, wenn sich jener Hund nicht mehr als Wächter auf dem Schiffe
befunden hätte, um dieses als völlig herrenlos anzunehmen, woraus denn
zu ersehen, was für eine sonderbare Gerechtigkeit die Seegesetze auf
einem Schiffe selbst einem Hunde einräumen. Denn dieser hier verdiente
seinem Herrn durch sein Bellen, womit er uns empfing, reine
zweiunddreißigtausend Gulden!

Das Drittel, welches unserm Schiffe zufiel, kam zur Hälfte wiederum den
Reedern zugute; die andere hingegen dem Schiffsvolke, nach Maßgabe der
Monatsgage, die jeder zu empfangen hatte. Ob jedoch hierbei ganz nach
den richtigsten Grundsätzen verfahren wurde, mag man daraus entnehmen,
daß, als ich in der Folge, als gewesener Obersteuermann der Christina,
meine Forderung an diese Prisengelder in Holland geltend machte, mir
zweiundvierzig Gulden ausgezahlt wurden. -- Von Peters aber habe ich nur
noch zu erzählen, daß er demnächst auf einem Schiffe des nämlichen
Handelshauses Rochus und Kopstädt als Obersteuermann, unter Kapitän
Schleuß, angestellt worden, das jetzt bei Kap Monte lag und mit dessen
Briefsack er eben auf dem Wege nach St. George de la Mina begriffen war.

Einige Tage nachher traf ich zu Boutrou ein, ohne dort für unser Negoz
etwas Tüchtiges schaffen zu können. Überall war für diesen Augenblick im
Handel bereits aufgeräumt, und die größere Anzahl der Schiffe, als ich
nach unserm Hauptfort zurückkehrte, von dort nach Amerika in See
gegangen. Es blieb uns daher nur übrig, diesem Beispiele ungesäumt zu
folgen, und zu dem Ende uns für diese Reise mit Trinkwasser und
Brennholz zu versehen.

       *       *       *       *       *

Zu Anfang Oktober endlich verließen wir die afrikanische Küste, um
unserer Bestimmung zuvörderst den Markt von Surinam zu besuchen. Zur
Beschleunigung der Fahrt wandten wir uns erst südlich und gingen unter
der Linie durch, um jenseits derselben die gewöhnlichen südöstlichen
Passatwinde zu gewinnen, vor welchen man dann westlich und nordwestlich
hinläuft, bis man von neuem die Linie passiert, um die nordöstlichen
Passatwinde zu benutzen und mit ihnen die Reise zu beendigen. Die
Krankheiten und die Sterblichkeit, welche unter den Sklaven bei jeder
verlängerten Dauer der Überfahrt einzureißen pflegen, machen es
wünschenswert, diese auf jede Weise abzukürzen. Unsere Ladung bestand aus
vierhundertfünfundzwanzig Köpfen, worunter sich zweihundertsechsunddreißig
Männer und einhundertneunundachtzig Frauen, Mädchen und Jungen befanden.

Über die Art, die Unglücklichen paarweise zusammenzufesseln, und über
das zweifache Behältnis vorn im Schiffe, wo sie, jedoch beide
Geschlechter durch ein starkes Gitterwerk voneinander geschieden, den
Tag über zubringen, ist schon oben das Nötige beigebracht worden. Vor
jener Plankenwand stehen zwei Kanonen, deren Mündung gegen das Behältnis
der Männer gerichtet ist, und die gleich anfangs in ihrem Beisein mit
Kugeln und Kartätschen geladen wurden, nachdem man ihre mörderische
Wirkung durch Abfeuern gegen einige nahe und entfernte Gegenstände
begreiflich gemacht hat. Heimlich aber werden nachher die Kugeln und
Kartätschen wieder herausgezogen und statt deren die Stücke mit Grütze
geladen, damit es im schlimmsten Falle doch nicht gleich das Leben
gelte. Denn -- die Kerle haben ja Geld gekostet!

Die Weiber und die Unmündigen haben bei Tage ihren Aufenthalt hinter der
Wand auf dem halben Deck und können ihre männlichen Unglücksgenossen
zwar nicht sehen, aber doch hören. Allen ohne Ausnahme wird des Morgens,
etwa um zehn Uhr, das Essen gereicht, indem je zehn einen hölzernen
Eimer, der ebensoviel Quart fassen mag, voll Gerstgraupen empfangen. Die
Stelle, wohin jede solche Tischgesellschaft sich setzen muß, ist durch
einen eingeschlagenen eisernen Nagel mit breitem Kopfe genau bezeichnet,
und alles sitzt ringsumher, wie es zukommen kann, um das Gefäß mit
Grütze, welche mit Salz, Pfeffer und etwas Palmöl durchgerührt ist; doch
keiner greift um einen Augenblick früher zu, als bis dazu durch den
lauten Schlag auf ein Brett das Zeichen gegeben worden. Bei jedem
Schlage wird gerufen: »Schuckla! Schuckla! Schuckla!« Den dritten Ruf
erwidern sie alle durch ein gellendes »Hurra!« und nun holt der erste
sich seine Handvoll aus dem Eimer, dem der zweite und die übrigen in
gemessener Ordnung folgen.

Anfangs geht dabei alles still und friedlich zu. Neigt sich aber der
Vorrat im Gefäße allmählich zu Ende und die letzten müssen besorgen, daß
die Reihe nicht wieder an sie kommen dürfte, so entsteht auch Hader und
Zwiespalt. Jeder sucht dem Nachbar die Kost aus den Händen und beinahe
aus dem Munde zu reißen. Da nun diese Szene jedesmal und bei jedem
Gefäße schier in dem nämlichen Moment zutrifft, so kann man sich den
Lärm und Spektakel denken, der dann auf dem Schiffe herrscht und wobei
die Peitsche den letzten und wirksamsten Friedensstifter abgeben muß.
Diese wiederhergestellte Ruhe wird dazu angewandt, ihnen den ledigen
Eimer mit Seewasser zu füllen, damit sie sich Mund, Brust und Hände
abwaschen. Zum Abtrocknen gibt man ihnen ein Ende aufgetrieseltes Tau
(Schwabber genannt), worauf sie paarweise zu der Süßwassertonne ziehen,
wo ein Matrose jedem ein Gefäß, etwa ein halb Quart enthaltend, reicht,
um ihren Durst zu stillen.

Nach solchergestalt beendigter Mahlzeit und nachdem das Verdeck mit
Seewasser angefeuchtet worden, läßt man das ganze Völkchen reihenweise
und dicht nebeneinander sich niederkauern und jeder bekommt einen
holländischen Ziegelstein (Mopstein) in die Hand, womit sie das Verdeck
nach dem Takte und von vorn nach hinten zu scheuern angewiesen werden.
Sie müssen sich dabei alle zugleich wenden, und indem sie bald vor-,
bald rückwärts arbeiten, wird ihnen unaufhörlich neues Seewasser über
die Köpfe und auf das Verdeck gegossen. Diese etwas anstrengende Übung
währt gegen zwei Stunden und hat bloß den Zweck, sie zu beschäftigen,
ihnen Bewegung zu verschaffen und sie desto gesunder zu erhalten.

Hiernächst müssen sie sich in dichte Haufen zusammenstellen, wo dann
noch dichtere Wassergüsse auf sie herabströmen, um sie zu erfrischen und
abzukühlen. Dies ist ihnen eine wahre Lust; sie jauchzen dabei vor
Freude. Noch wohltätiger aber ist für sie die folgende Operation, indem
einige Eimer, halb mit frischem Wasser angefüllt und mit etwas
Zitronensaft, Branntwein und Palmöl durchgerührt, aufs Verdeck gesetzt
werden, um sich damit den ganzen Leib zu waschen und einzureiben, weil
sonst das scharfgesalzene Seewasser die Haut zu hart angreifen würde.

Für die männlichen Sklaven sind ein paar besonders lustige und pfiffige
Matrosen ausgewählt, welche die Bestimmung haben, für ihren munteren
Zeitvertreib zu sorgen und sie durch allerlei gebrachte Spiele zu
unterhalten. Zu dem Ende werden auch Tabaksblätter unter sie ausgeteilt,
welche, nachdem sie in lauter kleine Fetzen zerrissen worden, als
Spielmarken dienen und ihre Gewinnsucht mächtig reizen. Zu gleichem
Behufe erhalten dagegen die Weiber allerlei Arten Korallen, Nadeln,
Zwirnfäden, Endchen Band und bunte Läppchen, und alles wird aufgeboten,
um sie zu zerstreuen und keine schwermütigen Gedanken in ihnen aufkommen
zu lassen.

Spiel, Possen und Gelärm währen fort bis um drei Uhr nachmittags, wo
wiederum Anstalten zu einer zweiten Mahlzeit gemacht werden, nur daß
jetzt statt der Gerstgraupen große Saubohnen gekocht, zu einem dicken
Brei gedrückt und mit Salz, Pfeffer und Palmöl gewürzt sind. Die Art der
Abspeisung, des Waschens, Trocknens, Trinkens und Abräumens bleibt dabei
die nämliche, nur wird mit allem noch mehr geeilt, weil unmittelbar
darauf die Trommel zum lustigen Tanze gerührt wird. Alles ist dann wie
elektrisiert, das Entzücken spricht aus jedem Blicke, der ganze Körper
gerät in Bewegung, und Verzuckungen, Sprünge und Posituren kommen zum
Vorschein, daß man ein losgelassenes Tollhaus vor sich zu sehen glaubt.
Die Weiber und Mädchen sind indes doch die Versessensten auf dieses
Vergnügen, und um die Lust zu vermehren, springen selbst der Kapitän,
die Steuerleute und die Matrosen mit den leidlichsten von ihnen
zuzeiten herum; -- sollte es auch nur der Eigennutz gebieten, damit die
schwarze Ware desto frischer und munterer an ihrem Bestimmungsorte
anlange.

Gegen fünf Uhr endlich geht der Ball aus, und wer sich dabei am meisten
angestrengt hat, empfängt wohl noch einen Trunk Wasser zu seiner Labung.
Wenn dann die Sonne sich zum Untergange neigt, heißt es: »Macht euch
fertig zum Schlafen unter Deck!« Dann sondert sich alles nach Geschlecht
und Alter in die ihnen unter dem Verdecke angewiesenen, aber gänzlich
getrennten Räume. Voran gehen zwei Matrosen und hinterdrein ein
Steuermann, um acht zu haben, daß die nötige Ordnung genau beobachtet
werde, denn der Raum ist dermaßen enge zugemessen, daß sie schier wie
die Heringe zusammengeschichtet liegen. Die Hitze darin würde auch bald
bis zum Ersticken steigen, wenn nicht die Luken mit Gitterwerk versehen
wären, um frische Luft zur Abkühlung zuzulassen.

Eine Leiter führt zu einer Öffnung in diesem Gitter, die gerade weit
genug ist, um zwei Menschen durchzulassen, und vor welcher die ganze
Nacht hindurch ein Matrose mit blankem Hauer die Wache hält, der immer
nur paarweise aus und ein läßt, was durch irgendein Bedürfnis
hervorgetrieben wird. Da indes die Rückkehrenden selten ihre
Schlafstelle so geräumig wiederfinden, als sie sie verlassen haben, so
nehmen Lärm und Gezänke die ganze Nacht kein Ende, und noch unruhiger
geht es begreiflicherweise bei den Weibern und Kleinen zu. Gewöhnlich
muß zuletzt die Peitsche den Frieden vermitteln.

Gewöhnlich werden sechs bis acht junge Negerinnen von hübscher Figur zur
Aufwartung in der Kajüte ausgewählt, die auch ihre Schlafstelle in deren
Nähe, sowie ihre Beköstigung von den übrigbleibenden Speisen an des
Kapitäns Tische erhalten. Begünstigt vor ihren Schwestern, sammeln sie
nicht nur allerlei kleine Geschenke an Kattunschürzchen, Bändern,
Korallen und kleinem Kram ein, womit sie sich wie die Affen ausputzen,
sondern der Matrosenwitz gibt ihnen auch den Ehrennamen von »Hofdamen«,
sowie den einzelnen diese oder jene spaßhafte Benennung. Bei Tage aber
mischen sie sich gern unter ihre Gefährtinnen auf dem Deck, wo jede
sofort einen bewundernden Kreis um sich her versammelt, in dessen Mitte
sie stolziert und sich den Hof machen läßt.

Bekanntlich kommen alle diese unglücklichen Geschöpfe beiderlei
Geschlechts ganz splitternackt an Bord, und wenn sie gleich selbst wenig
danach fragen, so hat doch der Anstand (wie sehr er auch sonst auf
diesen Sklavenschiffen verletzt werden mag) ihre notdürftige Bedeckung
geboten. Die Weiber und Mädchen empfangen daher einen baumwollenen
Schurz um den Leib, der bis an die Kniee reicht, und die Männer einen
leinwandenen Gurt, der eine Elle in der Länge und acht Zoll in der
Breite hält und den sie, nachdem er zwischen den Beinen durchgezogen
worden, hinten und vorne an einer Schnur um den Leib befestigen.

Wenn sie nun gleich auf diese Weise im eigentlichsten Sinne _nichts_ mit
sich auf das Schiff bringen, so vergehen doch kaum einige Wochen oder
Monate und sie haben allesamt, besonders die weiblichen Personen, ein
Paket von nicht geringem Umfange als Eigentum erworben, welches sie
überall unterm Arm mit sich umherschleppen. Wie man sich indes leicht
denken kann, besteht dieser ganze Reichtum in nichts als allerlei
Lappalien, die sie zufällig auf dem Verdecke gefunden und aufgehoben
haben -- abgebrochenen Pfeifenstengeln, beschriebenen und bedruckten
Papierschnitzeln, bunten Zeugflecken, Stückchen Besenreis und
dergleichen Schnurrpfeifereien. Hierzu erbitten sie sich nun von den
Schiffsleuten den Zipfel eines Hemdes oder sonst eines abgetragenen
Kleidungsstückes, um ihren Schatz hineinzubündeln.

Aber nur zu oft begnügt sich ihre Begehrlichkeit nicht an dem, was ihnen
das Glück auf diesem Wege zuwirft, sondern sie bestehlen sich
untereinander und da entsteht denn Klage über Klage, als wären ihnen
alle Kleinodien der Welt abhanden gekommen. Der wachhabende Steuermann
verwaltet sodann das strenge Richteramt, veranstaltet Untersuchungen,
wobei jeder sein Bündel vorweisen und auskramen muß und wobei es seiner
Gravität oft schwer genug wird, sich des Lachens zu enthalten, und
verfügt endlich über den ertappten Dieb einige gelinde Peitschenhiebe.
So geht es heute, so morgen und so alle übrigen Tage während der Dauer
der Reise; nicht anders, als ob man mit lauter Affen und Narren zu tun
hätte.

       *       *       *       *       *

Über unsere diesmalige Fahrt, quer durch den Atlantischen Ozean, weiß
ich nur wenig zu sagen, wenn ich nicht wiederholen soll, was hundert
Reisebeschreiber vor mir bereits erwähnt haben. Dahin gehört das
Leuchten des Meerwassers in manchen dunklen Nächten, das Emporflattern
ganzer Rudel von fliegenden Fischen, wie wir's bei uns zu Lande an den
Sperlingen zu sehen gewohnt sind, und manches mehr. Dagegen bemerke ich,
was meines Wissens andere noch nicht angezeigt haben, daß, wenn man sich
von der Küste von Guinea etwa zehn oder mehr Meilen entfernt hat, sich
das Seewasser plötzlich verändert. Es wird klarer, blauer und
durchsichtiger. Gibt es nun zugleich eine vollkommene Meerstille, wie
sie in diesem Striche nicht ungewöhnlich ist, und ebnet sich dann die
Flut zu einer Spiegelfläche, so gibt es einen unbeschreiblich
wunderbaren Anblick, in das kristallhelle Wasser, wie in einen dichteren
Himmel unter sich, zu schauen und es von unzähligen Fischen und
Seegeschöpfen in tausend verschiedenen Richtungen wimmeln zu sehen. Man
fängt ihrer auch von allen Arten, soviel man will, doch haben sie, den
fliegenden Fisch ausgenommen, alle ein hartes, unschmackhaftes Fleisch
und werden für wenig gesund gehalten.

Die Sklavenschiffe pflegen auf dieser Überfahrt das Boot, womit sie den
Nebenhandel an der afrikanischen Küste betrieben haben, nicht wieder
einzunehmen und aufs Deck zu setzen, weil es dort den Raum für die Neger
zu sehr beengen würde. Wenn es daher die Witterung nur irgend
gestattet, kreuzt es neben dem Schiffe und wird gebraucht, mit
begegnenden Schiffen nähere Gemeinschaft zu pflegen. Man besetzt es
daher fortdauernd und von acht zu acht Tagen mit sieben Mann, unter
denen wenigstens einer sich etwas auf Kurs und Steuerkunst versteht, und
diese erhalten zugleich hinreichende Provisionen, um auch im übelsten
Falle einer Trennung von ihrem Schiffe sich helfen zu können.

Ohne einigen widrigen Zufall langten wir gegen Mitte Dezember in dem
Flusse Surinam an, wo wir jedoch, in einer Entfernung von vier bis fünf
Meilen von Paramaribo, ankerten, um die Gesundheitskommission von
dorther zu erwarten, weil diese zuvor untersucht haben muß, ob nicht
etwa ansteckende Krankheiten am Borde des neuangekommenen Schiffes
herrschen, bevor die Erlaubnis zum Einlaufen gegeben werden kann. Dies
war gleichwohl unser Fall nicht, da wir (was verhältnismäßig sehr wenig
sagen will) binnen den vier Monaten, die ich mich nunmehr auf diesem
Schiffe befand, nicht mehr als vier von unseren Matrosen und sechs
Sklaven verloren hatten. Als daher jene Herren uns am nächsten Tage
besuchten, fanden sie kein Bedenken, uns in die Kolonie zuzulassen.

Ich für meinen Teil hatte indes noch einen besonderen Grund mehr, ihrer
Erscheinung mit einigem Verlangen entgegenzusehen, und um dies gehörig
zu erklären, sehe ich mich genötigt, hier etwas aus meiner früheren
Lebensgeschichte nachzuholen.

       *       *       *       *       *

Im Jahre 1764, als ich noch in Königsberg wohnte und mich in besserem
Wohlstande befand, geschah es, daß ich eines Tages einen Faden Brennholz
vor meiner Türe spalten ließ. Der ältliche Mann, der zu diesem Geschäfte
herbeigeholt worden, schien es weder mit sonderlicher Lust noch mit
großer Geschicklichkeit zu verrichten. Ich ließ mich mit ihm in ein
Gespräch ein und gab ihm wohlmeinend zu verstehen, daß es mir schiene,
als würde er mit dieser Hantierung in der Welt nicht viel vor sich
bringen. Ob er sich auf nichts anderes und Besseres verstünde? -- Seine
Antwort war, er habe es in der Welt mit viel und mancherlei versucht,
ohne dabei auf einen grünen Zweig zu kommen; aber was einmal zum Heller
ausgeprägt sei, werde nimmermehr zum Taler. -- »Nun, nun,« versetzte ich
scherzend, »das hinderte gleichwohl nicht, daß Ihr nicht noch einmal ein
großer Herr würdet und in der Kutsche führet! Aber an Eurer Mundart
vernehme ich, daß Ihr nicht von Kind auf Königsberger Brot gegessen
habt. Vielleicht sind wir gar Landsleute?« -- »Könnte wohl sein.
Irgendein Unglückswind hat mich einmal hierher nach Preußen verschlagen.
Eigentlich bin ich ein pommerisch Kind und aus Belgard.« -- »Ei, aus
Belgard? und Euer Name?« -- »Kniffel.« -- »Kniffel? Kniffel?«
wiederholte ich nachsinnend, indem mir etwas aufs Herz schoß. »Und habt
Ihr noch Brüder am Leben?« -- »Ein paar wenigstens, die aber schon vor
vielen Jahren, gleich mir, in die weite Welt gingen, ihr Glück zu
suchen, und von denen ich weiter nicht weiß, wohin sie gestoben oder
geflogen sind.«

Jetzt ließ ich mir noch die Vornamen der Verschollenen nennen und nun
war ich meiner Sache gewiß. Es waren die nämlichen Gebrüder Kniffel, die
ich vormals in Surinam kennen gelernt und die sich dort zu so
bedeutendem Wohlstande emporgearbeitet hatten, während dieser dritte
Bruder so gut als ein Bettler geblieben. Ohne ihm darüber einen Floh ins
Ohr zu setzen, ging mir doch das Ding je länger je mehr im Kopfe herum.
Ich erfuhr auf weiteres Befragen, daß er verheiratet sei und eine
einzige Tochter, ein Mädchen von sechzehn oder siebzehn Jahren, habe.
Bald auch stellte ich bei anderen Leuten Erkundigungen nach dieser
Familie an, die den Vater als einen halben Narren bezeichneten, von der
Mutter auch eben nicht sonderlich viel Gutes zu rühmen wußten, aber der
Tochter das Zeugnis eines gutartigen, lieben Geschöpfes, doch ohne
Bildung und feinere Sitten, beilegten.

Nun wußte ich, daß die reichen Brüder in Surinam ohne Kinder waren, und
ich kannte sie als so rechtliche Leute, daß ich ihnen mit Gewißheit
zutrauen durfte, sie würden gern bereit sein, etwas für ihre arme
Verwandte zu tun, sobald sie mit der bedrängten Lage derselben bekannt
wären. Kurz es ließ mir keinen Frieden, bis ich wieder der gutherzige
Tor geworden, der es nicht lassen konnte, sich in anderer Leute Händel
zu mischen, sobald er glaubte, daß es zu irgend etwas Gutem führen
könne. Ich setzte mich also hin, schrieb an jene Herren in Surinam, wie
ich zufälligerweise mit ihrem Bruder bekannt geworden, und überließ es
ihrem Ermessen, ob sie die dürftige Lage der Familie nicht in etwas
erleichtern wollten.

Der Brief ging über Holland an seinen Bestimmungsort ab. Da es jedoch
leicht Jahr und Tag dauern konnte, bevor eine Antwort darauf zu erwarten
war, so nahm ich mich denn derweile der Leutchen an, so gut ich
vermochte, um sie von drückendem Mangel zu schützen. Das Mädchen ließ
ich etwas besser kleiden und den früher versäumten Unterricht nach
Möglichkeit wieder einbringen, wobei es denn auch nicht an guten
Ermahnungen zu einem ehrbaren christlichen Wandel mangelte. So ging das
fort, bis endlich Briefe an mich einliefen, worin meine alten Gönner und
Freunde mir herzlich dankten, daß ich ihnen einen langgehegten Wunsch
erfüllt und ihnen ihren längst totgeglaubten Bruder wieder zugewiesen.
Sie hätten die Veranstaltung getroffen, diesem durch ein Königsberger
Handelshaus eine jährliche Leibrente auszahlen zu lassen, wovon sie
glaubten, daß er seine übrigen Lebenstage damit bequem und gemächlich
würde ausreichen können.

Sodann aber eröffneten sie mir ein Verlangen, worin sie wünschten und
mich aufforderten, ihnen noch näher die Hände zu bieten. Mir sei bewußt,
daß sie unbeerbt lebten, und doch möchten sie gern die Freude genießen,
einen Blutsverwandten um sich zu sehen und einst ihr Vermögen in dessen
Hände zu übergeben. Ich möchte also sehen, ob es tunlich sei, die
Tochter ihres Bruders mit Einwilligung der Eltern dahin zu vermögen, die
Reise zu ihnen nach Surinam zu unternehmen. Es sei ihre Absicht, sie an
Kindes Statt anzunehmen, und sie würden sie mit offenen Armen und Herzen
aufnehmen. Sei sie dazu nicht abgeneigt, so würde ich dahin zu sorgen
haben, sie auf eine sichere und bequeme Weise nach Amsterdam an das Haus
ihres dortigen Korrespondenten zu adressieren, von wo ihre weitere Reise
übers Meer in gleicher Art veranstaltet werden sollte. Daß diese
Aufträge zugleich mit reichlichem Ersatze für meine aufgewandte Mühe und
Auslagen verbunden waren, bedarf kaum einer Erwähnung.

Man kann leicht denken, mit welcher freudigen Überraschung die Eltern
die Zeitung von dem hellen Glückssterne empfingen, der ihnen so
unverhofft jenseits des Meeres aufgegangen; aber auch, daß die
Wohlhabenheit, in welche sie sich so auf einmal versetzt sahen, ihnen
mehr oder weniger die Köpfe verrückte. Leicht auch entschlossen sie
sich, in die Trennung von ihrem Kinde zu willigen, so wie dieses selbst
an Sinn und Neigung noch zu sehr ein Kind war, um nicht mit leichtem
Mute in den Aufruf so gütiger Verwandten einzustimmen, die es zu sich
entboten. Indes war doch auch in der Zwischenzeit in des Mädchens
äußerem Wesen eine ihr sehr vorteilhafte Änderung vorgegangen, und es
schien mir keinem Zweifel unterworfen, daß sie sich in der Zuneigung
ihrer Oheime behaupten würde. Es fand sich Gelegenheit, sie der Obhut
eines meiner Freunde, der ein Schiff nach Amsterdam führte,
anzuvertrauen. Ich wußte, daß sie dort glücklich angekommen war und
ebenso wohlbehalten die Überfahrt nach Surinam gemacht hatte. Von dort
hatte ich die schriftlichen Danksagungen meiner Freunde empfangen, aber
späterhin war unser brieflicher Verkehr unterbrochen worden, so daß ich
seit mehreren Jahren nicht wußte, wie es um sie und ihr angenommenes
Kind stehen möchte. Beides hoffte ich nunmehr von den an Bord
erschienenen Gesundheitskommissarien zu vernehmen.

Leider erfuhr ich, daß die Gebrüder Kniffel schon vor einigen Jahren mit
Tod abgegangen. -- »Aber was ist aus einem Frauenzimmer -- einer
Anverwandten aus Deutschland -- geworden, die vor nicht gar zu langer
Zeit in die Kolonie gekommen und als die mutmaßliche Erbin ihrer Oheime
angesehen wurde?« -- »Ei, das ist sie auch wirklich geworden,« war die
Antwort, »und nicht nur im vollen Besitze des ganzen ungeheuren
Kniffelschen Vermögens, sondern auch gegenwärtig die Gemahlin des
Bankdirektors Mynheer van Roose und zu Paramaribo wohnhaft.« -- Schmerz
und Freude wechselten bei diesen Nachrichten in meinem Gemüte, doch war
ich voller Begierde, mich der Frau van Roose auf eine gute Art
vorzustellen.

Dazu fand sich gleich am nächsten Tage Gelegenheit, als wir uns im
Angesichte der Stadt vor Anker gelegt hatten, indem ich meinen
Negerjungen von einer Anzahl mitgebrachter blauer Papageien, wie sie
hier unter die Seltenheiten gehören, den schönsten auf die Hand und
einen Affen auf den Kopf nehmen, dann aber vor mir hin nach dem mir noch
von alters her gar wohlbekannten Kniffelschen Hause traben ließ, wo auch
gegenwärtig die reiche Erbin noch wohnen sollte. Jetzt wimmelte es darin
von schwarzen Sklavinnen, durch deren eine ließ ich der Frau van Roose
mein Verlangen melden, ihr aufwarten zu dürfen.

Alsbald trat sie aus ihrem Zimmer hervor und mein erster Blick ließ mich
sie wieder erkennen, obwohl sie seither stattlich ausgewachsen war. Ich
darf indes wohl gestehen, daß mir, als sie so leibhaftig vor mir stand,
doch etwas wunderlich ums Herz war, und daß mir's einigermaßen den Atem
versetzte, als ich die Frage an sie richtete: ob es ihr nicht beliebe,
etwas von meinen afrikanischen Raritäten zu kaufen? -- Anstatt mir
darauf zu antworten, faßte sie mich nicht weniger scharf ins Auge, als
das meinige auf ihr haftete. »Mein Gott!« rief sie endlich, »Gesicht und
Stimme kommen mir so bekannt vor ... Es ist unmöglich, daß ich Sie nicht
schon irgendwo gesehen haben sollte -- «

»Ei freilich wohl!« gab ich zur Antwort. -- »Den alten Nettelbeck aus
Königsberg werden Sie so ganz und gar nicht vergessen haben!«

Nun entfuhr ihr ein lauter Freudenschrei; sie fiel mir mit beiden Armen
um den Hals, die hellen Tränen stürzten ihr aus den Augen (und mir war's
auch nicht weit davon), bis ihr endlich im Übermaß der Rührung in meinen
Armen beinahe die Sinne schwanden. Darüber erhob sich ein Geschrei und
Lärmen unter der schwarzen Dienerschaft, das weit umher erscholl und
endlich auch den erschrockenen Hausherrn herbeiführte. Dieser stutzte
nicht wenig, seine Gattin in halber Ohnmacht am Halse und in den Armen
eines unscheinbaren Fremden zu erblicken. Er sprang herzu, fragte, was
es gäbe, und fand sie ebensowenig imstande, ihm eine Antwort zu
stammeln, als ich selbst mich vor inniger Rührung vermögend fühlte, ihn
zu befriedigen: »Dies ist der Mann, von dem ich dir so oft erzählt habe
-- der erste Urheber meines Glückes -- der ehrliche Nettelbeck, der sich
in Königsberg meiner annahm. O Gott!« --

Mehr konnte sie nicht sagen, weil eine neue Schwäche sie anwandelte. Der
Gatte und ich nahmen sie unter beide Arme und führten sie in das
anstoßende Zimmer zu einem Kanapee, wo denn der Aufruhr in ihrer Seele
sich allmählich wieder beruhigte. Nun jagten sich tausend verwirrte
Fragen -- wie es mir gehe? was ich treibe? wie ich hierher nach Surinam
komme? -- und war nicht eher befriedigt, als bis ich ihr in der Kürze
meine neuesten Lebensschicksale erzählt hatte. Ebenso unersättlich war
sie in Erkundigungen nach dem Ergehen ihrer Eltern, von denen sie seit
zwei Jahren keine Kunde erhalten habe. Ich war zwar selbst bereits seit
vier Jahren von Königsberg abwesend, doch sagte ich, was ich wußte: daß
ihr Vater den wunderlichen Einfall gehabt, sich den Titel als Lizentrat
zu kaufen, und daß er dieses und jenes treibe, was man ihm zugute halten
müsse. Jene Standeserhöhung hatte er ihr wohlweislich verschwiegen, und
sie konnte nicht umhin, recht herzlich darüber zu lachen, bis sie denn
endlich hinzusetzte: »Ei, und warum auch nicht? Laßt doch dem alten
Manne die närrische Puppe!«

Jetzt dünkte mir's Zeit, wieder aufzubrechen, aber ich ward mit
liebreichem Ungestüm zurückgehalten. Vergebens suchte ich mich mit
meinen Verhältnissen als Obersteuermann zu entschuldigen, die keine gar
zu lange Entfernung vom Schiffe zuließen. Doch auch dem wußten sie zu
begegnen, indem sie nach meinem Kapitän aussandten und ihn gleichfalls
freundlich zur Tafel einluden. Dieser, der wußte, was für eine
Erkennungsszene mich am Lande erwartete, schlug es nicht aus, und seine
Gegenwart diente nur dazu, unser geselliges Vergnügen noch zu erhöhen.

Unter dem lebhaftesten Hin- und Herfragen bemerkte endlich Frau van
Roose, daß auf den Sklavenschiffen oftmals einige Verlegenheit wegen der
Herbeischaffung frischer Mundvorräte zu entstehen pflege. Diese für uns
zu beseitigen, würde sie Befehl geben, daß von ihren drei Plantagen
täglich so viel Lebensmittel an Bord geschafft werden sollten, als wir
irgend bedürfen möchten. Den Wert dafür könne der Kapitän mir nach einem
billigen Maßstabe zugute schreiben. Da dies nun auch während der
vierzehntägigen Dauer unseres hiesigen Aufenthaltes zur Ausführung kam,
so erwuchs mir dadurch ein kleiner Vorteil von hundertvierzig Gulden;
doch noch mehr verpflichtet fühlte ich mich durch die liebevolle
Aufnahme, deren ich mich binnen dieser Zeit in dem Roosenschen Hause
fast täglich zu erfreuen hatte.

       *       *       *       *       *

Unser Hauptgeschäft bestand hier indes im Verkaufe unserer schwarzen
Ware, worüber ich mich mit einigen Worten zu erklären habe. Gewöhnlich
erläßt der Schiffskapitän bei seiner Ankunft in der Kolonie ein Zirkular
an die Plantagenbesitzer und Aufseher, worin er ihnen seine
mitgebrachten Artikel anempfiehlt und die Käufer zu sich an Bord
einladet. Bevor jedoch diese anlangen, wird eine Auswahl von zehn bis
zwanzig Köpfen, als der erlesensten unter dem ganzen vorhandenen
Sklavenhaufen, veranstaltet; man zeichnet sie mit einem Bande um den
Hals, und so oft ein Besuch naht, müssen sie unter das Verdeck kriechen,
um unsichtbar zu bleiben. Denn die Politik des Verkäufers erfordert, daß
nicht gleich vom Anfange an das beste Kaufgut herausgesucht werde und
dann der Rest, als sei er bloßer Ausschuß, in bösen Verruf komme.

Haben sich nun kauflustige Gäste auf dem Schiffe eingefunden, so werden
die männlichen wie die weiblichen Sklaven angewiesen, sich in zwei
abgesonderten Haufen in die Runde zu stellen. Jeder sucht sich darunter
aus, was ihm gefällt, und führt es auf die Seite, und dann erst wird
darüber gehandelt, wie hoch der Kopf durch die Bank gelten soll.
Gewöhnlich kommt dieser Preis für die Männer auf vierhundert bis
vierhunderfünfzig Gulden zu stehen. Auch junge Burschen von acht oder
zehn Jahren und darüber erreichen diesen Preis so ziemlich; ein
Weibsbild wird, je nachdem ihr Ansehen besser oder geringer ausfällt,
für zweihundert bis dreihundert Gulden losgeschlagen; hat sie aber noch
auf Jugend, Fülle und Schönheit Anspruch zu machen, so steigt sie im
Werte bis auf achthundert oder tausend Gulden und wird oft von Kennern
noch bedeutend besser bezahlt.

Ist der Handel abgeschlossen, so wird der Preis entweder zur Stelle bar
berichtigt, meist aber durch Wechsel ausgeglichen, oder es findet auch
ein Austausch gegen Kolonieerzeugnisse statt, und wenn die Käufer ihre
erhandelten Sklaven nicht gleich mit sich hinwegführen, so bedingen sie
auch wohl ein, daß der Kapitän sie im Boote oder in der Schaluppe an die
bezeichnete Plantage abliefern läßt.

Zuletzt bleibt denn nun, nachdem allmählich auch die erlesene Ware zum
Vorschein gekommen ist, wirklich nur der schlechtere Bodensatz zurück,
und um sich dessen zu entäußern, muß nun der Weg des öffentlichen
Ausgebotes an den Meistbietenden beschritten werden. Zu dem Ende werden
diese Neger an dem dazu bestimmten Tage ans Land und auf einen eigenen
Platz gebracht, wo ein Arzt jeden Sklaven einzeln auf seine Tauglichkeit
untersucht. Dieser muß sodann auf einen Tisch treten; der Arzt legt
Zeugnis ab, daß er fehlerfrei sei, oder daß sich dieser oder jener
Mangel an ihm finde. Nun geschehen die Gebote der Kauflustigen, und so
wird, nach erfolgtem Zuschlage, bis zu dem letzten aufgeräumt.

Wir hatten diesmal bei unserm Handel nur wenig Glück, was auch nicht
anders sein konnte, da nur kurz zuvor zwei Sklavenschiffe hintereinander
hier gewesen waren und den Markt überfüllt hatten. Die schlechte
Erfahrung der ersten vierzehn Tage überzeugte uns daher von der
Notwendigkeit, einen vorteilhafteren Platz aufzusuchen, und unsere Wahl
fiel auf die benachbarte holländische Kolonie Berbice.

       *       *       *       *       *

Am 1. Januar 1773 stachen wir demnach wieder in See.

Doch schon am nächsten Tage verspürten wir plötzlich einen Leck von
solcher Bedeutung, daß wir im vollen Ernste das Sinken fürchteten und
uns mit der angestrengtesten Arbeit an den Pumpen kaum über Wasser
erhalten konnten. Wir befanden uns hier einem unangebauten Striche der
Küste und der Mündung des Flusses Kormantin gegenüber, die fünfzehn
Meilen nördlich von Surinam liegt und bis dahin noch von keiner
europäischen Macht in Besitz genommen war. Wollten wir nun nicht unser
Grab in den Wellen finden oder auf den Strand laufen und auch hier
vielleicht alles verlieren, so blieb uns nur der Versuch übrig, in den
gedachten Fluß einzulaufen und unseren Schaden auszubessern.

Ich ging mit der Schaluppe voraus und untersuchte die Einfahrt. Die
Mündung des Stromes war beinahe anderthalb Meilen breit und in der Mitte
vor ihr lag eine kleine Insel, niedrig und mit Rohr und Strauch
bewachsen. Das Fahrwasser fand ich bei der höchsten Flut nur dreizehn
Fuß tief -- für uns ein leidiger Umstand, da unser Schiff etwas über
vierzehn Fuß tief ging. Es galt demnach, dieses mindestens um anderthalb
Fuß zu erleichtern, und zu dem Ende bedachten wir uns ebensowenig,
unseren gesamten eingenommenen Vorrat von frischem Wasser wieder über
Bord laufen zu lassen, als unsere überzähligen Stangen und Rahen ins
Wasser zu lassen, sie zu einem Floße zu vereinigen und alles, was nur
irgend dem Verderben nicht ausgesetzt war, darauf auszuladen.

Dennoch lief uns mit der Ebbe eine so gewaltige Strömung entgegen, daß
wir uns der Mündung nicht nähern durften, sondern unter Furcht und Sorge
die nächste Flut erwarten mußten, und diese führte uns dann doch so weit
hinein, daß wir Schutz vor den Wellen fanden und das Schiff dicht am
Lande auf den Grund setzen konnten. Bei der niedrigsten Ebbe stand es
völlig trocken auf einem Sandgrunde, und das hineingedrungene Wasser
lief wieder aus. Auf diese Weise machte es uns wenig Mühe, die
eigentliche Stelle des Lecks aufzufinden und gehörig wieder zu
verstopfen. Doch hielt uns diese Ausbesserung hier fünf bis sechs Tage
auf, während welcher Zeit uns an diesem Orte, trotz unseren fleißigen
Streifereien in der ganzen Gegend umher, auch nicht ein einziges
menschliches Wesen zu Gesichte kam, so daß wir diese Ufer für durchaus
unbewohnt halten mußten.

       *       *       *       *       *

In Berbice, wo wir mit dem letzten Januar anlangten, fanden wir leider
ebenso schlechten Markt, indem bereits zwei Sklavenschiffe dort vor
Anker lagen. Wir hielten uns also auch nur drei Tage auf und steuerten
nach St. Eustaz, erreichten diese Insel in der Mitte Februars und hatten
das Glück, hier verschiedene Sklavenkäufer von den spanischen
Besitzungen auf der Terra firma anzutreffen, an welche wir unsere Ladung
samt und sonders binnen drei Tagen mit Vorteil losschlugen.

Hier war es auch, wo wir mit dem Sklavenschiffe, welches mein wackerer
Freund und Landsmann Mick führte, wieder zusammenstießen. Er war auf der
Überfahrt von Afrika gestorben und sein Steuermann traute sich nicht,
allein mit dem Schiffe nach Holland zurückzugehen. Man warf daher die
Augen auf mich, diese Führung zu übernehmen, und des Bittens und
Bestürmens war so lange kein Ende, bis ich mich dazu entschloß und auch
Kapitän Sandleven einwilligte, mich von seinem Schiffe zu entlassen. Wir
schieden als Freunde und mit einem Herzen voll gegenseitiger Liebe und
Achtung; ich ging in den letzten Tagen des Februars von St. Eustaz ab
und warf um die Mitte Aprils vor Vlissingen, wohin das Schiff gehörte,
glücklich die Anker. Die Reeder bewilligten mir außer meiner gebührenden
Gage noch ein besonderes Geschenk von hundert Gulden und würden mich
auch gern in ihrem Dienste behalten haben, wenn ich nicht geglaubt
hätte, einer anderweitig eröffneten Aussicht folgen zu müssen.

Es war nämlich gerade um diese Zeit, daß eine englische Transportflotte
mit fünfzehnhundert Seesoldaten nach der Küste von Guinea abgehen
sollte, um die Besatzungen in den dortigen englischen Forts abzulösen.
Zugleich aber suchte man auch für diese Expedition Seeleute und zumal
Steuermänner, welche jener Weltgegend kundig wären. Als mir ein solcher
Antrag geschah, bedurfte es keines langen Zuredens. Ich kam nach
Portsmouth, wo jenes Geschwader ausgerüstet wurde, und man setzte mich
als Schiffsleutnant auf den Jupiter mit vierundsechzig Kanonen, geführt
von Kapitän Cappe, welcher diesem Konvoi zur Bedeckung dienen sollte. Es
schien mir schon der Mühe wert, auch einmal den _englischen_ Seedienst zu
versuchen.

       *       *       *       *       *

Schon im halben März 1774 segelte die Flotte, außer dem Jupiter aus
sechs Transportschiffen bestehend, von Portsmouth aus, langte in den
ersten Tagen des Mai auf der Küste von Guinea an, schiffte nach und nach
ihre eingenommenen Truppen in den englischen festen Plätzen aus, nahm
die Reste der alten Garnisonen wieder an Bord und stach zuletzt, etwa
Mitte Juni, von Kap Coast quer über den Ozean nach Jamaika hinüber. Hier
langten wir nach sechs oder sieben Wochen glücklich an, verweilten auf
dieser Station noch einen Monat, ließen gleichwohl unsere bisherige
Begleitung, die ihre Frachten so schnell nicht einnehmen konnte, dort
zurück und erreichten im November England wieder, ohne daß uns irgendwo
ein denkwürdiges Ereignis aufgestoßen wäre.

Meine Lust, mich im englischen Dienste umzusehen, hatte ich mit dieser
Reise vollständig und für immer gebüßt. Diese Verhältnisse und
Lebensweise waren nicht für meinen nüchternen deutschen Sinn gemacht.
Schwerlich auch kann man sich eine Vorstellung davon machen, wie rauh
und ungefügig es auf den Schiffen dieser Nation hergeht. Da ist keine
Ehre und kein Respekt, man hört nichts anderes als »Goddam!« und brutale
Reden ohne Zahl. Alles, vom geringsten Matrosen an, ist gegen die
Offiziere im Widerspruch; wiewohl ich nicht zweifle, daß sie dennoch,
wenn es irgend zum Schlagen kommt, untereinander einig und brav sind.
Von Ordnung habe ich auf diesen Schiffen wenig verspürt. Selbst Essen
und Trinken hat keine bestimmte Zeit. Nicht selten hängt ein gekochtes
Stück Fleisch von zehn bis zwanzig Pfund am Mast, wovon sich ein jeder
abschneidet, wann und wie viel er will. Zu beiden Seiten daneben steht
das Brotfaß und das Gefäß mit Grog (Wasser mit etwas Rum vermischt), um
die offene Tafel vollständig zu machen. Dies Leben ging mir denn
freilich auf die Länge zu bitter ein. Ich bat um meine Entlassung,
erhielt sie, und begab mich nach Amsterdam.

Während ich hier den Winter über, wo es nichts für mich zu tun gab, bis
in den März 1775 verweilte, hatte ich Muße, über meine Lebenslage und
was ich ferner tun und treiben sollte, reiflich nachzudenken. Ich hatte
jetzt meine vollen siebenunddreißig Jahre auf dem Nacken, hatte unter
tausend Gefahren und Mühseligkeiten und unter allen Himmelsstrichen
meine besten Jahre und Kräfte im Dienste von Fremden verschwendet, und
sah immer deutlicher ein, wie wohl ich tun würde, mit meinen Erfahrungen
meinem Vaterlande und mir selbst zu dienen. Dies brachte mich denn auch
zu dem Entschlusse, mein ferneres Fortkommen in meiner Vaterstadt, an
der ich noch immer mit ganzer Seele hing, zu suchen; demzufolge begab
ich mich nach wieder eröffneter Schiffahrt als Passagier nach
Swinemünde, von wo ich mich nach Kolberg verfügte.

Eigentlich aber kam ich doch schon für dieses Jahr zu spät, um eine
Anstellung im Seewesen zu finden. Ich begnügte mich also, wieder eine
Navigationsschule zu eröffnen, um junge Leute für den Seedienst zu
bilden, denn an solchen Anstalten fehlte es damals noch gar sehr. Auch
darf ich mir das Zeugnis geben, daß aus meinem Unterrichte nicht wenige
Schiffskapitäne und Steuermänner hervorgegangen sind, welche sich jedes
Vertrauens überall wert erwiesen haben, und jetzt so viel ihrer noch
leben, auch schon mit Ehren graues Haar tragen. Einige von ihnen haben
in der Folge hier in Kolberg meine Stelle ersetzt und sich als Lehrer in
der Steuermannskunst verdient gemacht.

Da die Lehrlinge in solchen Schulen den Sommer hindurch den praktischen
Übungen des Erlernten obzuliegen pflegen und der Unterricht meist nur
ihre müßigen Wintermonate ausfüllt, so gab dieser auch mir nicht
hinreichende Beschäftigung. Kurz, ich fühlte hier Langeweile, fühlte
aber zugleich, daß ich an Geist und Leib noch keineswegs so flügellahm
geworden, um untätig hinter dem Ofen hocken zu müssen. Auf die Gefahr
also, für wetterwendisch gehalten zu werden, will ich nur gestehen, daß
mich nebenher doch immer wieder nach der eigenen Führung eines
tüchtigen Schiffes verlangte, und daß, da sich's damit nicht nach
meinem Sinne fügen wollte, meine Gedanken abermals auf Holland und die
jüngst verlassene Lebensweise standen.

       *       *       *       *       *

Wer weiß, was geschehen wäre, wenn einige Freunde, die es mit ansahen,
wie mich der Tätigkeitstrieb verzehrte, mich nicht aufgemuntert hätten,
daß ich mir das Verdienst um meine Vaterstadt erwerben möchte, sie den
Sommer hindurch aus der Ferne, vom Stettinschen Haff her, und
reichlicher als es bisher der Fall gewesen, mit lebendigen Fischen zu
versorgen. So ganz zwar wollte dieses Projekt mir selbst nicht gefallen,
indes ließ ich mich dazu überreden, kaufte ein Haus am Wasser, welches
die zu dieser Hantierung passende Einrichtung besaß, und war nun darauf
aus, mir auch ein zu solchem Handel eingerichtetes Fahrzeug (man nennt
es eine Quatze) anzuschaffen. Zu dem Ende begleitete ich meinen guten
Freund, den Schiffer Blank, der eben nach Swinemünde steuerte, weil ich
dort oder in der Nachbarschaft mich zu meinem neuen Gewerbe am besten zu
versehen hoffte.

Ein steifer Südwestwind wollte uns an jenen Hafen nicht sogleich
herankommen lassen, sondern trieb uns zwei oder drei Meilen weiter an
die Küsten der Insel Usedom und in die Gegend, wo einst die alte
wendische Handelsstadt Wineta im Meere versunken sein soll. Natürlich
drehte sich in solcher Nähe das Gespräch zwischen meinem Freunde und mir
um diesen Gegenstand. »Man muß,« sagte jener, »bei der Schiffahrt sich
um so vieles und so genau bekümmern, und dieser merkwürdige Fleck ist
uns überdem so nahe gelegen, daß es doch fürwahr eine Schande wäre, wenn
wir darüber nicht mit Was und Wie und Wo sollten richtige Auskunft geben
können.«

»Das könnte ich wohl,« war meine Antwort, »aber doch nur auf Treu und
Glauben des holländischen Schiffers, mit dem ich meine letzte Reise als
Passagier von Amsterdam nach Swinemünde machte. Dieser erzählte mir,
als wir diesen nämlichen Strich hier hielten, er sei vor vier Jahren bei
jener versunkenen Stadt auf den Grund geraten und habe sein Schiff
verloren. Um so sorgfältiger habe er sich mit den Merkzeichen der Küste
bekannt gemacht, um sich künftig vor Schaden zu hüten.« »Seht dort,«
sprach er, »ist ein schwarzer Berg im Westen, und weiter ostwärts liegt
ein anderer Berg von gleicher Farbe. Zwischen beiden entdeckt Ihr einen
weißen Sandhügel, und gerade vor diesem, eine halbe Meile vom Lande, ist
das verwünschte Steinriff, das mich bald zum armen Manne gemacht hätte.«
-- »Irre ich aber nicht, so stehen uns seine angegebenen Merkzeichen
dort gerade im Gesicht, und es möchte wohlgetan sein, ein wenig
aufzupassen.«

Kaum war mir das Wort über die Lippen, so stieß unser Schiff plötzlich
und so hart auf den Grund, daß uns die Füße unterm Leibe entglitten und
wir auf das Verdeck hinstürzten. Indem wir uns schnell besannen und um
uns schauten, überzeugten wir uns, daß wir auf der nämlichen Stelle
festsaßen, die den Gegenstand unseres Gespräches gegeben hatte. Denn
etwa zwanzig Klafter nördlich vom Schiffe entdeckten wir eine ebene
Platte, die fast mit dem Wasserspiegel gleichstand, und deren Dasein uns
nur darum entgangen war, weil der Wind gerade vom Lande kam und also
schlichtes Wasser machte, daß keine Brandung auf der Untiefe entstehen
konnte.

Was war indes zu tun? Der Schiffer ließ flugs das Boot aussetzen, um
einen Anker auszubringen und daran das Schiff von der Bank wieder
abzuwinden. Ich selbst stieg hinein, um dies ins Werk zu setzen, und
fuhr südlich von der Untiefe, die wir im Norden liegen sahen, abwärts.
In einer Entfernung von etwa achtzig Klaftern ließ ich den Anker fallen,
erstaunte aber nicht wenig, als er noch überm Wasser stehen blieb, indem
die See hier an dieser Stelle nicht über vier bis sechs Fuß Tiefe hatte.
Der Anker mußte wieder emporgebracht und nach dem Schiffe gezogen
werden.

Jetzt begann ich (was freilich früher hätte geschehen sollen) rings
umher zu sondieren, um ein Fahrwasser von hinreichender Tiefe zu finden.
Es gab aber überall nichts als Klippen und Steine, dicht unter dem
Wasser; nur hinter uns war es offen, und ich sah, wir würden uns des
nämlichen Weges zurückarbeiten müssen, den wir gekommen waren. Demnach
ward der Anker gerade nach hinten ausgebracht und die Schiffswinde in
Bewegung gesetzt, allein das Fahrzeug wollte weder wanken noch weichen.
Da wir nun mit Sandballast fuhren, so ward dessen eine ziemliche Menge
über Bord geschafft, um das Schiff zu erleichtern, welches noch
immerfort auf den Grund stieß, jedoch ohne Schaden zu nehmen.

Während jener Anstrengungen stieg ich abermals ins Boot, um den ganzen
Umfang dieser Bank noch weiter zu sondieren. Zuerst begab ich mich nach
der Stelle, die am höchsten und mit dem Wasser gleich lag, bestieg sie
und fand, indem ich mit den Füßen tiefer scharrte, daß der Grund aus
grobem Sande bestand, der mit einzelnen Brocken von Dachziegeln
untermischt war. Meines Vermutens mochte hier wohl früher ein Schiff,
mit solcherlei Ziegeln geladen, gestrandet sein und diese zu seiner
Erleichterung über Bord geworfen haben.

Beim weiteren Umherfahren fand sich's, daß diese Bank durchgehend aus
großen Steinblöcken bestand, die mit vier bis fünf Fuß Wasser
überflossen waren. Dazwischen gab es eine Tiefe von sechs bis sieben
Fuß, und da das Wasser ziemlich klar war, ließ sich die Lage der Steine
sehr wohl unterscheiden, aber durchaus keine absichtliche Anordnung und
Regelmäßigkeit darin entdecken. Diese ganze Steinplatte mag vielleicht
sechshundert Klafter in der Länge und Breite haben. Zugleich aber fallen
ihre Ränder so steil ab, daß, während jene Blöcke nur auf die bemerkte
geringe Tiefe unter Wasser stehen, unmittelbar daneben der Seegrund sich
auf fünfzehn und mehr Fuß vertiefte.

Es währte fast sechs Stunden, bevor es uns gelang, wieder flott zu
werden. Während dieser Zeit trieb der starke Wind ein Boot vom Lande
herbei, worin sich zwei Bauernknechte, aber ohne Ruder, befanden. Statt
solcher waren sie mit ein paar Stangen versehen, womit sie ihr Fahrzeug,
sogut es angehen wollte, zu steuern versuchten, um bei uns an Bord zu
gelangen. In der Tat stießen sie auch so unvorsichtig und heftig gegen
unser Schiff an, daß wir fürchteten, ihr Fahrzeug würde davon in Stücke
gehen.

Erst als wir sie an Bord hatten, wurden wir gewahr, daß sie sich im
besten Sonntagsstaat befanden und mit einem gewaltigen Blumenstrauße vor
der Brust im Knopfloche prangten. Auf unser neugieriges Woher? und
Wohin? nannten sie uns ihr nicht weit entlegenes Dorf und berichteten,
sie seien soeben auf dem Wege über Feld nach der Kirche begriffen
gewesen, als sie unser Schiff auf dem Grunde sitzend erblickt hätten,
und da sich zufällig in ihrer Nähe ein leeres Boot am Strande
vorgefunden, so wären sie in Gottes Namen hineingestiegen, um zu sehen,
ob sie uns damit einige Hilfe leisten könnten. Da es jedoch in dem
Fahrzeuge an Rudern gefehlt, mit denen sie ohnehin nicht umzugehen
wüßten, so hätten sie gemeint, sich mit den vorrätigen Stangen wohl
notdürftig fortzuhelfen.

War das echt pommerisch brav und gutherzig gemeint, so muß man doch
gestehen, daß es auch herzlich dumm beraten und ausgeführt war. Denn
hatten sie nicht das Glück, vom Winde gerade gegen unser Schiff
getrieben zu werden, so kamen sie immer weiter landabwärts, waren ohne
Barmherzigkeit verloren, und kein Mensch hätte auch nur einmal gewußt,
wo sie hingestoben wären. Sie sahen endlich selbst ein, daß sie einen
einfältigen Streich unternommen, und da wir inzwischen auch vom Grunde
glücklich wieder abgekommen waren, so banden wir ihr Boot an unserm
Schiffe fest und nahmen sie mit uns nach Swinemünde, wo es ihnen denn
überlassen bleiben mochte, wie sie wieder ihren Heimweg finden wollten.

Ich meinerseits ging von hier nach Caseburg, wo ich eine Quatze, wie ich
sie brauchte, für vierhundert Taler erstand und, nachdem ich zugleich
eine Ladung lebendiger Fische eingenommen, mich nach dem Swinemünder
Hafen und so über See nach Kolberg auf den Rückweg machte. Kaum aber war
ich aus der Swine und über die Reede hinaus, und es an der Zeit, daß
mein Koch Feuer anmachen sollte, so fand sich's, daß der Lotse, der uns
in See gebracht, zufällig unsre Zunderbüchse, womit er seine Pfeife in
Brand gesteckt, mit sich genommen hatte. Wir sahen uns dadurch über zwei
Tage und drei Nächte ohne Feuer und Licht.

Nun machte ich mit meiner Quatze zwar noch mehrere Ausflüge, aber diese
Fahrten und die ganze Hantierung waren, je länger je weniger nach meinem
Sinne. Überdem war der Absatz meiner Ware keineswegs so reißend, als man
mir vorgespiegelt hatte, und da zudem die Fische durch das heftige
Schlingern des Fahrzeuges in den Wellen häufig abstanden, so hatte ich
bei jeder Reise nur Verlust und Schaden. Ich gab also meinen Kram
beizeiten wieder auf, brachte meine Quatze nach Stettin und bot sie dort
zum Verkaufe aus. Das gelang mir aber erst nach Jahr und Tag, und ich
litt auch bei diesem Handel eine empfindliche Einbuße. So kam also das
Jahr 1776 heran und fand mich wieder als Lehrer in der Steuermannskunst,
wobei ich mich, da ich tüchtige und lernbegierige Schüler hatte, immer
noch in meinem angemessensten Elemente befand. Auch im Winter 1777 trieb
ich diese nützliche, wenn auch eben nicht sonderlich einträgliche
Beschäftigung.

       *       *       *       *       *

Am 28. April dieses Jahres stand ich hier in Kolberg, etwa um die
Mittagszeit, eines abzumachenden Geschäftes wegen, beim Herrn Advokat
Krohn am Fenster, als mitten in unserm Plaudern plötzlich ein ganz
erschrecklicher Donnerschlag geschah, so daß jener vor Schrecken neben
mir niederstürzte und wie ohne Leben und Besinnung schien. In der Tat
glaubte ich, daß er vom Blitzstrahle getroffen worden, bis mein Rütteln
und Schütteln ihn endlich doch wieder auf die Beine brachte. »Wo hat es
eingeschlagen?« fragte er, immer noch hochbestürzt. -- »Ich hoffe,
nirgends,« war meine Gegenrede, »oder mindestens doch nicht gezündet, da
Regen, Schnee und Hagel die Luft erfüllen und alle Dächer triefen«.

Allein im nämlichen Augenblicke auch stürzte der Kaufmann, Herr Steffen,
welcher schräg gegenüber wohnte, aus seinem Hause hervor, schlug die
Hände überm Kopf zusammen, schrie aus Leibeskräften und richtete dabei
den Blick immer nach dem Kirchturme empor, den er jenseits wahrnehmen
konnte. Ich ahnte Unheil, lief also stracks hinüber, mußte aber lange
auf ihn einreden, bevor ich's von ihm herauskriegte: »Mein Gott! Unsere
arme Stadt! -- Sehen Sie denn nicht? Der Turm brennt ja lichterloh!« --
So war es denn auch wirklich. Die helle Flamme spritzte bei der
Wetterstange, gleich einem feurigen Springbrunnen, empor, aus den
Schallöchern sprühten die Funken umher wie Schneeflocken und flogen
bereits bis in die Domstraße hinüber.

Ich, herzlich erschrocken, rannte nach der Kirche und die Turmtreppe
hinan. Im Hinaufsteigen überdachte ich, wie groß das Unglück werden
müsse, da wohl schwerlich jemand unternehmen werde, bis in die höchste
Spitze hinanzuklimmen, wo er in den finsteren Winkeln nicht so bekannt
sei wie ich, der ich sie in meiner Jugend so vielfältig und oft mit
Lebensgefahr durchkrochen hatte. »Also nur frisch drauf und dran!« rief
eine Stimme in mir, »du weißt hier ja Bescheid!«

In der Tat wußte ich auch, daß droben auf dem Glockenboden stets Wasser
und Löscheimer bereit standen, aber an einer Handspritze, die hier
hauptsächlich not tun würde, konnte es leichtlich fehlen. Dies erwägend,
machte ich auf der Stelle kehrt, drängte mich mit Mühe neben den vielen
Menschen vorüber, die alle nach oben hinauf wollten, flog gleich ins
erste nächste Haus und rief um eine Spritze, die aber hier wie auch im
zweiten Hause nicht zu finden war und meiner steigenden Ungeduld erst im
dritten gereicht wurde.

Jetzt wieder (die Angst und der Eifer gaben mir Flügel) zum Turme
hinauf! In der sogenannten Kunstpfeiferstube, die dicht unter der Spitze
ist, fand ich bereits mehrere Maurer und Zimmerleute, mit ihren
Meistern, die indes alle nicht recht zu wissen schienen, was hier zu tun
sei. »Liebe Leute,« sprach ich, indem ich unter sie trat, »_hier_ ist
freilich nichts zu beginnen. Wir müssen höher hinauf. Folgt mir!« --
»Leicht gesagt, aber schwer getan!« antwortete mir der Zimmermeister
Steffen. »Wir haben es schon versucht, aber es geht nicht. Sobald wir
die Falltüre über uns heben, fällt ein dichter Regen von Flammen und
glühenden Kohlen hernieder und setzt auch hier die Zimmerung in Brand.«

Das war freilich eine schlimme Nachricht! »Ei, es muß schon etwas drum
gewagt sein!« rief ich endlich, -- »ich will hinan! Helft mir durch die
Luke. Ich will sehen, was ich tun kann!« -- Sie öffneten mir die
Falltür; ich stieg hindurch, ließ mir einen Eimer voll Wasser und die
Handspritze reichen und -- »Nun die Luke hinter mir zu, damit das Feuer
keinen Zug bekommt!« befahl ich; und indem sie das taten, sah ich zu,
was oben passierte. Eine Menge Feuerkohlen prasselte nieder; so daß ich
mir den Kopf mit dem Wasser aus meinem Eimer anfeuchten mußte, um nicht
aus meinen Haaren ein Feuerwerk zu machen. Um zugleich die Hände frei zu
bekommen, schnitt ich ein Loch vorn in den Rock, durch welches ich die
Spritze steckte; den Bügel des Eimers nahm ich in den Mund und zwischen
die Zähne; und so ward denn die fernere Reise angetreten!

Die Turmspitze ist inwendig mit unzähligen Holzriegeln durchaus
verbunden, die mir zur Leiter dienen mußten. Allein wohin ich griff, um
mir empor zu helfen, da fand ich alles voll glühender Kohlen; nur hatte
ich nicht Zeit, an den Schmerz zu denken, oder machte mich gegen ihn
fühllos, indem ich Kopf und Hände zum öfteren wieder anfeuchtete. Mit
alledem hatte ich mich endlich so hoch verstiegen, daß mir in der engen
Verzimmerung kein Raum mehr blieb, mich noch weiter hindurch zu winden;
und hier sah ich denn den rechten Mittelpunkt des brennenden Feuers
annoch acht oder zehn Fuß über mir zischen und sprühen.

Jetzt klemmte ich den Wassereimer zwischen die Sparren fest, zog meine
Spritze daraus voll und richtete sie getrost gegen jenen Feuerkern, wo
das Löschen am notwendigsten schien. Nur beging ich die
Unvorsichtigkeit, dabei unverrückt in die Höhe zu schauen, weil ich auch
die Wirksamkeit meines Wasserstrahles beobachten wollte; darüber aber
bekam ich die ganze Bescherung von Wasser, Feuer und Kohlen so prasselnd
ins Angesicht zurück, daß mir Hören und Sehen verging, bis ich, sobald
ich mich wieder ein wenig besonnen hatte, das Ding geschickter anfing
und bei der Handhabung meiner Spritze die Augen fein abwärts kehrte.
Auch hatte ich die Freude, daß sich bei jedem Zuge das Feuer merklich
verminderte.

Nun aber war auch der Eimer geleert! Neue Verlegenheit! Denn das
leuchtete mir allerdings wohl ein, daß, wenn ich hinabstiege, weder ich,
noch sonst ein Mensch hier je wieder nach oben gelangte. Ich schrie
indes aus Leibeskräften: »Wasser! Wasser her!« -- bis der vorbenannte
Zimmermeister die Falltür aufschob und mir zurief: »Wasser ist hier,
aber wie bekommst du es hinauf?« -- »Nur bis über den Glockenstuhl
schafft mir's. Da will ich mir's selber langen,« war meine Antwort, und
so geschah es auch. Jene wagten sich höher und ich kletterte ihnen von
Zeit zu Zeit entgegen, um die vollen Wassereimer in Empfang zu nehmen,
von denen ich denn auch so fleißigen Gebrauch machte, indem ich den
Brand tapfer kanonierte, daß ich endlich das Glück hatte, ihn zu
überwältigen und völlig zu löschen. Wo es aber noch irgend zu glimmen
schien, da kratzte ich mit meinen Händen die Kohlen herunter, soweit
ich irgend reichen konnte.

Jetzt erst, da es hier nichts mehr für mich zu tun gab, gewann ich Zeit,
an mich selbst zu denken. Ich spürte, wie mir mit jeder Minute übler
zumute ward: denn das zurückspritzende Wasser hatte mich bis auf die
Haut durchnäßt, und zugleich war eine Hitze im Turme, die je länger je
unausstehlicher wurde. Zwar eilte ich nun hinunter, aber indem ich gegen
die Schallöcher kam, gab es einen so schneidenden Luftzug, daß mir
plötzlich die Sinne vergingen. Auch weiß ich nicht, ob ich auf meinen
eigenen Füßen Gottes Erdboden erreicht, oder ob mich die Leute
hinabgetragen haben.

Als ich mich wieder besann, lag ich auf dem Kirchhofe, und mir zur Seite
standen die Chirurgen Wüsthof und Kretschmer, die mir an beiden Armen
eine Ader geöffnet hatten. Außerdem gab es noch einen dichten Haufen von
Menschen um mich her, welche von Teilnahme oder Neugierde herbeigeführt
sein mochten. Mit meinem wiederkehrenden Bewußtsein begann ich nun aber
auch erst meine Schmerzen zu fühlen. Meine Hände waren überall verletzt;
die Haare auf dem Kopfe zum Teil abgesengt; der Kopf selbst wund und
voller Brandblasen, wo denn auch in der Folge nie wieder Haare gewachsen
sind. Nicht minder sind mir die beiden äußersten Finger an der rechten
Hand, die vom Feuer am meisten gelitten hatten, bis auf diese Stunde
krumm geblieben; und so werde ich sie auch wohl mit in mein Grab nehmen
müssen.

Vom Kirchhofe trug man mich nach meiner Wohnung, wo eine gute und
sorgfältige Pflege mir dann auch bald wieder auf die Beine half. Einige
Wochen später behändigte mir der Herr Kriegskommissär Donath eine
goldene Denkmünze in der Größe eines Doppel-Friedrichsdor, nebst einem
Belobungsschreiben, die ihm beide von Berlin zugeschickt worden, um sie
mir gegen meine Quittung zu überliefern. Das Gepräge dieser Denkmünze
ließ ich mir in meinem Petschaft nachstechen; sie selbst aber, nebst dem
Schreiben, übergab ich in die Hände des Magistrats, mit dem Ersuchen,
sie bis auf meine weitere Verfügung im Rathausarchiv gut verwahrt
niederzulegen. Doch als ich nach einigen Jahren danach fragte, war das
eine wie das andere verschwunden! Es hieß: das sei noch bei des
Bürgermeisters R--fs Zeiten geschehen; und daran mußte ich mir genügen
lassen!

       *       *       *       *       *

Im folgenden Jahre 1778 erhielt ich vom Kaufmann Herrn Höpner zu
Rügenwalde eine schriftliche Aufforderung, eines seiner Schiffe unter
meine Führung zu nehmen. Ich schlug ein, weil sich nicht gleich ein
besseres Engagement für mich finden wollte; und so machte ich denn, für
seine Rechnung, eine Reihe glücklicher Fahrten nach Danzig, Nantes und
Croisic, und war von hier wiederum nach Memel bestimmt; konnte aber, der
späten Jahreszeit wegen, diesen Hafen nicht mehr erreichen, sondern sah
mich genötigt, in Pillau einzulaufen und dort zu überwintern, wo ich aus
Langeweile wiederum eine Steuermannsschule eröffnete.

       *       *       *       *       *

Hier war es, wo der Kommerzienrat Herr B--r zu Kolberg mir in
wiederholten Briefen anlag, in seinem Auftrage nach England zu gehen,
für ihn ein Schiff zu kaufen und für seine Rechnung damit zu fahren.
Diese Spekulation schien nicht übel ersonnen, denn in dem damaligen
Kriege Englands mit seinen nordamerikanischen Kolonien hatte es auch mit
Frankreich und Spanien gebrochen, und seine Kaper hatten sich einer so
großen Anzahl feindlicher Schiffe bemächtigt, daß alle britische Häfen
damit angefüllt waren. Es stand zu erwarten, daß sie beim Verkauf würden
spottwohlfeil losgeschlagen werden.

Ich trug demnach kein Bedenken, mich auf den Vorschlag einzulassen, und
forderte nur, Herr B--r möge mir für dies Geschäft eine genaue
Instruktion, sowie eine Empfehlung an seinen Korrespondenten in London
geben und mir bei diesem den nötigen Kredit bis zu einer bestimmten
Summe offen machen. Demzufolge verwies er mich an das Londoner
Handelshaus Schmidt und Weinholdt, bei welchen ich auch bei meiner
Ankunft die verlangte Instruktion vorfinden würde. Mit Herrn Höpners
Bewilligung verließ ich also dessen Schiff, nachdem ich ihm einen andern
tüchtigen Schiffer an meine Stelle vorgeschlagen hatte, und schickte
mich zu meiner Reise nach England an, wobei es jedoch meine
Privatgeschäfte erforderten, zuvor noch einen kleinen Abstecher nach
Königsberg zu machen.

Indem ich hier nun eines Tages meinen Weg zur Börse nahm, fiel es mir
zufällig bei, über den Neuen-Graben zu gehen, wo das Haus stand, in
welchem ich in früherer und besserer Zeit gewohnt hatte. Nachdenklich
blieb ich stehen, und indem ich es betrachtete, fiel mir schwer aufs
Herz, wie ich hier doch fünf Jahre lang in Leid und Freude aus- und
eingegangen, mit so manchem Biedermann in Verkehr gestanden und mutig
ins Leben hineingeschaut habe. Und wie war das nun so ganz anders! Auf
diesem nämlichen Flecke stand ich nun als Fremdling; niemand hier, dem
mein Wohl oder Weh noch zu Herzen ging -- ich selbst ein wunderlicher
Spielball des Schicksals und nach allen Himmelsgegenden umhergeworfen!
Wahrlich, es war kein Wunder, daß mir in diesen Gedanken ein paar
schwere Tränen in die Augen traten.

»Herr Jemine! Sieh doch! Kapitän Nettelbeck und kein anderer!« rief
plötzlich eine weibliche Stimme aus einem geöffneten Fenster des
nämlichen Hauses. Indem ich emporschaute, bemerkte ich ein Frauenzimmer,
welches im Begriff gewesen zu sein schien, einen Teller mit Fischgräten
auf die Straße hinauszuschütten. Ich stutzte, konnte mich aber des
veralteten und verzerrten Gesichtes in keinem Winkel meines
Gedächtnisses besinnen. In eben dem Moment aber war sie auch bereits zu
mir herunter geeilt, ergriff mich an beiden Händen und beteuerte: sie
lasse mich nicht; ich müsse kommen und bei ihr und ihrem Manne
einsprechen. Jetzt erst schoß es mir mit einemmal aufs Herz, daß hier
von dem Kniffelschen Ehepaare die Rede sein möge. Und so war es auch
wirklich!

Schon in Pillau hatte ich, auf gelegentliche Erkundigung, von diesem
Paare so mancherlei vernommen, was mich nach der Erneuerung dieser alten
Bekanntschaft eben nicht lüstern machte. Sie hatten mit den ihnen
ausgesetzten Geldern übel gewirtschaftet, waren überall betrogen und
steckten tief in Schulden, weil die reiche Verwandtschaft in Surinam
immer noch diesen und jenen Wucherer lockte, ihnen Kredit zu geben.
Außer dem Hause, das er bewohnte und wovon ihm vielleicht auch kein
Ziegel mehr eigen gehörte, besaß der alte Tropf nichts mehr als seinen
gekauften Titel »Lizentrat«, den aber der Pöbelwitz allgemein in den
Spottnamen »Lizentrekel« verkehrt hatte. Kurz, bei diesen Leuten war
weder Freude noch Ehre zu holen, und es verdroß mich sogar, daß sie mein
altes liebes Eigentum durch ihre Gegenwart verschimpfierten.

Indes mußte ich mich schon mit hinaufschleppen lassen, und fand dort den
Titularrat hustend auf einem Bette sitzen. Ich sah mich nun in dem
Stübchen um, wo alles ein ärmliches, beklommenes Ansehen hatte, und
konnte mich nicht enthalten auszubrechen: »Leute, wie habt ihr
gewirtschaftet! Was habe ich gehört? und was sehe ich jetzt selbst? Seid
ihr's wohl wert, daß euch das Glück einmal so freundlich angelacht hat?«
-- Beide weinten und sagten: dann würde ich auch gehört haben, wie sie
von ihren besten Freunden betrogen worden. -- »Nun wahrlich doch nicht
ohne euere Schuld!« gab ich ihnen unmutig zur Antwort -- »Hättet ihr die
Nase nicht stets höher getragen, als euch zukam; hättet ihr Gott still
und demütig gedankt, daß er euch einen ruhigen Nothafen für eure alten
Tage eröffnet; hättet ihr fein zu Rate gehalten, was mehr als genüglich
für euer Notwendiges ausreichte« ... und wie denn die derben Leviten
weiter lauteten, die ich glaubte, ihnen lesen zu müssen.

Sie gestanden ihr Unrecht ein und gelobten Besserung, wenn ich ihnen
nur jetzt behilflich sein wollte, einen Brief an ihre Tochter zu
besorgen, worin sie derselben ihre äußerste Not vorstellen und sie um
eine letzte Unterstützung bitten wollten. Mehrmals hätten sie dies
bereits auf anderen Wegen versucht, aber niemals Antwort erhalten. Die
Papiere möchten wohl nicht in ihre Hände gelangt sein. -- »Gut, so
schreibt denn!« rief ich -- »aber sputet euch damit: denn morgen bin ich
nicht mehr in Königsberg. Ich logiere ...«

Aber aus Sorge, daß ich ihnen entschlüpfen möchte, wollten sie mich
lieber nicht von der Stelle lassen und schickten gleich zu einem alten
abgedankten Hauptmann, der in allem ihr Sekretär und Ratgeber zu sein
schien. Der setzte sich sofort an das Stück Arbeit, welches mir auch
endlich mit der Bitte überliefert wurde, daß ich es mit einigen Worten
zur besseren Empfehlung begleiten und ihrem Kinde treulich schildern
möchte, in welchem Elend ich sie angetroffen hätte. Ich versprach alles,
was sie wollten, um nur von ihnen loszukommen; habe aber fernerhin nie
Gelegenheit gefunden zu erfahren, was weiter aus ihnen geworden und ob
sie sich in der Zukunft besser gebettet.

       *       *       *       *       *

Gleich darauf ging ich, früh im Jahre 1779, von Pillau als Passagier
nach London, und meldete mich sofort bei den dortigen Korrespondenten
meines neuen Prinzipals und empfing nun aus deren Händen die
Instruktion, wie ich bei meinem Einkaufe verfahren sollte. Diese war
aber leider von der Art, daß ich, wäre sie mir früher zugekommen, keinen
Schritt vor die Türe darum gegangen sein würde. Nur die wunderlichste
Laune konnte dem Manne alle die tausend Bedingungen eingegeben haben,
von denen ich kein Haar breit abweichen sollte. Das Schiff, das ich
erstände, sollte von einhundertfünfzig Lasten sein, nicht größer und
nicht kleiner; es durfte nicht älter als zwei oder drei Jahre sein, ein
vollständiges Inventarium war vorgeschrieben, aber vor allem durfte es
nicht höher als vierhundert Pfund Sterling zu stehen kommen. --

So reiste ich denn ganz England mit der Post in die Runde, nach allen
Häfen, wo nur Prisen aufgebracht worden. Ich ging nach Hull, nach
Newcastle, nach Leeds, nach Liverpool, nach Bristol, nach Plymouth, nach
Portsmouth, nach Dover: -- aber ebensogut hätte ich zu Hause bleiben
können! Endlich stieß ich in London selbst auf ein Schiff, das ich trotz
alles dessen, was ihm etwa noch mangelte, auf meine eigene Verantwortung
zu kaufen beschloß.

Indem ich nun den Herren Schmidt und Weinholdt diese Absicht eröffnete
und meinen Kredit geltend machen wollte, erhielt ich die nimmer
erwartete Antwort: »Lieber Nettelbeck, um Ihnen klaren Wein
einzuschenken, müssen wir Ihnen geradeheraus sagen, daß wir für B--rs
Ordre auch nicht ein Pfund zu zahlen gesonnen sind. Wollen Sie aber das
Schiff für sich allein und auf _Ihren_ Namen erstehen und uns die
Korrespondenz und Assekuranz darüber überlassen, so ist hier unsere Hand
-- wir zeichnen für Sie, soviel Sie verlangen. Nur mit B--r wollen wir
nichts zu tun haben.«

»Ich bin vorzeiten,« sagte ich, »Herr eines eigenen Schiffes gewesen,
habe aber so ausgesuchtes Unglück damit gehabt, daß ich mir's heilig
angelobt, mich nie wieder mit dergleichen zu befassen. Es taugt auch für
keinen Schiffer, sein eigener Reeder zu sein, wenn er gleichwohl die
Korrespondenz, und was dazu gehört, einem Fremden überlassen muß. -- Nur
warum, meine Herren, haben Sie mir von dem Mißkredit, in welchem mein
Prinzipal bei Ihnen steht, nicht früher einen Wink gegeben? Wieviel
Zeit, Mühe und Kosten wären da zu ersparen gewesen!«

Sie gestanden mir nun, daß sie nimmer vermutet hätten, ich würde ein
solches Schiff, wie mir vorgeschrieben worden, aufzutreiben imstande
sein, und daß sie es darum mit ihrer Erklärung lieber bis aufs äußerste
hätten wollen ankommen lassen. Ich mußte mir das gefallen lassen,
eröffnete ihnen aber gleich des nächsten Tages, daß ich eine bequeme
Schiffsgelegenheit nach Stettin gefunden und von da nach Kolberg
abzugehen gedächte, um dem Kommerzienrat Bericht zu erstatten.

»Nach Stettin?« ward mir geantwortet. -- »O, schön! Das trifft sich wie
gerufen: denn wir haben ein Anliegen an Sie, lieber Nettelbeck, das Sie
uns nicht abschlagen müssen. Da ist in Stettin der Kaufmann Groß, mit
dem wir in Assekuranzangelegenheiten wegen Schiffer Lickfeld verwickelt
sind, schon seit Jahr und Tag in Briefen hin und her scharmützeln und je
länger je weniger übereinkommen können. Wir sind des Handels nachgerade
herzlich überdrüssig, und unser in Sie gesetztes Vertrauen läßt uns
wünschen, daß Sie in unserem Namen mündlich den Zwist so gut wie möglich
ausgleichen möchten. Sie sollen über den Stand der Dinge alle Auskunft
erhalten, und da wir uns alles, was nur nicht geradezu unbillig ist,
gefallen lassen wollen, so machen Sie es mit ihm ab, so gut Sie wissen
und können. Ihre Vollmacht soll Ihnen auf der Stelle ausgefertigt
werden, und unser ganzer Verlaß steht auf Ihnen.«

»Gut und aller Ehren wert, was Sie mir anvertrauen und von mir
erwarten!« erwiderte ich. -- »Aber _kennen_ Sie den Mann auch, mit dem Sie
mir zu tun geben wollen? Dieser Groß, meine Herren, ist ein ganz
absonderlicher Patron und fängt gar leicht Feuer unter der runden
Perücke. Ich entsinne mich seiner gar wohl von Anno 1764 her, wo er noch
selbst als Schiffer fuhr und einen Winter bei uns mit seinem Schiffe in
Königsberg lag. Hatte er damals doch mit allen Leuten, mit denen er zu
verkehren kriegte, Krakeel und Prozesse; und hat er sich seitdem, wie
schwerlich zu hoffen ist, nicht geändert, so möchte ich lieber ein Kreuz
vor ihm schlagen, als mir mit ihm zu schaffen machen.«

Wie ich aber auch diesen mißlichen Auftrag abzulehnen suchte, so ward
doch so anhaltend in mich gedrungen, daß ich mir endlich die bisher
geführten Verhandlungen vorlegen ließ; da jedoch die Sache festen Grund
hatte und der ganze Zwiespalt nur auf einem Mißverstande beruhte,
einigte ich mich mit meinen Herren Kommittenten, wie weit ich gehen
sollte, empfing genügende Vollmacht und machte mich in Gottes Namen nach
Stettin auf den Weg, wo ich es mein erstes sein ließ, Herrn Groß
aufzusuchen.

Dieser Mann empfing mich mit Herzlichkeit, als einen Bekannten; machte
indes große Augen, als ich ihm den Grund meines Hierseins eröffnete und
ihm meine Beglaubigung vorlegte. »Hört, Nettelbeck,« sagte er, mir auf
die Schulter klopfend: »Nun heiße ich Euch doppelt und von Herzen
willkommen! Trügt mich nicht alles, so seid Ihr mein guter Engel, der
mir endlich einmal den fatalen Sorgenstein unterm Kopfkissen
hinwegräumen wird. Topp! Morgen um die und die Stunde machen wir die
Sache ab, heute aber kein Wort mehr davon, damit wir uns dies gute Glas
Wein nicht verderben.«

So geschah es denn auch am nächsten Tage. Wie erstaunte ich, als der
Mann Vernunft annahm und Gründe gelten ließ. Eine Schwierigkeit nach der
andern verschwand, und in weniger als drei Stunden war eine Vereinigung
getroffen, wie beide Teile sie nur immer wünschen konnten, das Londoner
Haus aber sie nimmer erwartet hatte. Ich forderte nun die gerichtliche
Bestätigung, die gleich in den nächsten vierundzwanzig Stunden durch den
Herrn Notarius Bourwig ausgefertigt und mittels Brief und Siegel
bekräftigt wurde. Ebenso schnell packte ich meine Papiere zusammen,
schickte sie nach London, erhielt die unbedingteste Genehmigung und eine
Vergütung, wie sie dem Dienste angemessen sein mochte.

Noch zufriedener aber war Herr Groß, der mir von Stund an ein sichtbares
Wohlwollen zuwandte. »Aber wo nun hinaus?« fragte er mich, als ich kam,
ihm meinen Abschiedsbesuch zu machen. -- »Nach Kolberg,« gab ich zur
Antwort, »um meinem Prinzipal B--r Red' und Antwort zu stehen. Was es
dann weiter gibt, wird die Zeit lehren.« -- »Hört, lieber Nettelbeck,«
fiel er mir ein, »die Herren Kaufleute dort, die kenne ich! Das ist
nichts für Euch! Aber einen Mann von _Euerem_ Schlage -- den hätt' ich mir
schon längst auf mein bestes Schiff gewünscht. Da! Die Hand eines
ehrlichen Mannes -- schlagt ein! Nehmt das Schiff, das ich hier jetzt
auf dem Stapel stehen habe.«

Was soll ich's leugnen, daß die Art, wie mir dieser Antrag geschah,
meiner Eigenliebe schmeichelte. Dennoch hatte ich Bedenken. »Lieber Herr
Groß,« erwiderte ich demnach, »so ein Schritt will überlegt sein. Gönnen
Sie mir dazu eine Stunde; und wenn ich dann wiederkomme, bringe ich
Ihnen mein Ja oder Nein.« -- Er war es zufrieden.

Voll Sinnens suchte ich demnach einen alten Bekannten, den Schmied
Lüdtke auf, mit dem ich bereits im Jahre 1770, auf Veranlassung der
Ausrüstung der königlichen Fregatte, zu tun gehabt hatte, und der jetzt,
wie ich wußte, die Eisenarbeit für das auf dem Stapel stehende Schiff
des Herrn Groß besorgte. Er sollte mir sagen, was hier zu tun oder zu
lassen sei; und so trug ich ihm gleich warm vor, was mir auf dem Herzen
drückte. »Hm! hm!« gab er mir kopfschüttelnd zur Antwort. »Es mit _dem_ zu
wagen, könnt' ich nur meinem ärgsten Feinde raten! Ihr seid beide
Hitzköpfe. Gleich ist bei euch Feuer im Dache! Ihr werdet euch keine
vierundzwanzig Stunden miteinander vertragen. Bleibt also fein
auseinander; das ist das Gescheiteste.«

Ich konnte nicht anders, als ihm recht geben, und war schon auf dem
Wege, den Handel aufzusagen, als ich vor dem Hause eines Segelmachers,
Krunt, vorbei mußte. Auch dieses Mannes Rat und Meinung wollte ich
mitnehmen. Ich trat zu ihm ein, trug ihm Anliegen und Bedenken vor und
überließ ihm die Entscheidung. »Hört, Freund Nettelbeck,« entgegnete er,
»ich kenne Euch und kenne Groß inwendig und auswendig. Ihr seid beide
ein paar herzensgute Leute -- brav, ehrlich und erfahren. Ihr beide
werdet euch ineinander schicken und passen, oder keiner in der Welt!
Wie schlimm jener auch verschrieen sein mag, so kommt es doch nur darauf
an, daß Ihr seine erste tolle Hitze vorübertoben laßt. In der nächsten
Viertelstunde darauf könnt Ihr ihn wieder um den Finger wickeln, wie ein
Wachs. Was ist da also noch lange zu bedenken? Ihr bekommt ein schönes,
neues und großes Schiff von 320 Last unter die Füße, womit ein Mann von
Eurer Welterfahrung schon etwas Rechtschaffenes anzufangen wissen wird.«

Das klang nun freilich ganz anders, aber keineswegs unverständig. Ich
ließ es mir gesagt sein, setzte meinen Weg mit erleichtertem Herzen
fort, trat zu Herrn Groß in das Zimmer und mit drei raschen Schritten
auf ihn zu, reichte ihm die Hand und rief mit leuchtenden Augen: »Glück
gebe Gott uns beiden, mein Herr Patron!« -- »Ja! Ist's wahr? Hab' ich
Euch?« fuhr er seinerseits auf, drückte mich an die Brust und küßte mich
herzlich ab. Der Notarius Helwig, welcher bei diesem Auftritte zugegen
war, wurde aufgefordert, zur Stelle einen Kontrakt aufzusetzen, welchen
mein neuer Prinzipal selbst diktierte, und wobei meines Vorteiles
keineswegs vergessen ward.

Nunmehr ging ich auf einige Tage nach Kolberg, um mich mit B--r zu
berechnen und auseinanderzusetzen; war aber bereits in der Mitte des
Juni wieder in Stettin, wo ich den Ausbau meines neuen Schiffes eifrig
betreiben half. Dieses war eigentlich zu einem Zweidecker bestimmt und
würde als solcher in allen preußischen Häfen seinesgleichen gesucht
haben. Allein das Schiff sollte, um von den damaligen hohen Frachten zu
vorteilen, noch vor Winters in See gehen; und um keine Zeit zu
verlieren, ward beschlossen, nur ein Verdeck aufzusetzen. Dennoch konnte
es erst im Oktober vom Stapel laufen; doch war auch bereits mit dem
Kommerzienrate eine Fracht von Balken und Stabholz abgeschlossen, die
ich unverzüglich nach Bordeaux führen sollte. Den kleineren Teil
derselben nahm ich auf der Stelle ein und ging dann Mitte November auf
die Swinemünder Reede, um auch den Rest der Ladung zu empfangen.

Doch dies war in der schon so weit vorgerückten Jahreszeit ein äußerst
mühseliges und langweiliges Geschäft, weil der Hafen selbst bereits mit
Eis zugelegt war und jede Bootsladung Stabholz sich vom Weststrande her
erst einen Weg durch das Eis nach dem Schiffe bahnen mußte, so daß volle
vier Wochen über diese Arbeit verliefen. Mit dem letzten Boote ging auch
ich selbst an Bord, um nun unmittelbar darauf in See zu stechen, während
bereits um das Schiff her alles mit schwimmendem Eise flutete und mit
jedem Augenblicke ein völliges Einfrieren zu befürchten stand.

Neben mir lag auf der Reede ein Fregatteschiff, welches gleichfalls erst
in diesem Sommer in Stettin für schwedische Rechnung ganz neu gebaut
worden und nach Gotenburg bestimmt war. Ich sah, daß es sich eben fertig
machte, seinen Anker aufzuwinden und die Reede zu verlassen. Mir selbst
lag noch die letzte Bootsladung Stabholz auf dem Verdecke im Wege, die
zuvor noch beiseite gestaut werden mußte, bevor ich mich bei meiner
Ankerwinde frei rühren konnte; und doch wäre ich bis zum Sunde hin gern
in der Gesellschaft des Schweden geblieben, um desto leichter, wenn es
not tat, Hilfe zu leisten oder zu empfangen. Ich fuhr demnach hurtig in
der Schaluppe zu jenem Schiffe hinüber und forderte den Kapitän auf,
noch eine kleine Stunde zu warten. Das wollte er aber nicht, lichtete
seinen Anker vollends und ging ab.

Kaum war er eine Meile westwärts von mir entfernt und ich gleichfalls
unter Segel, so ging der Wind nach Nordosten um. Es gab einen starken
fliegenden Sturm, der zwar mächtig förderte, aber die Luft mit einem
dicken Schneegestöber erfüllte, so daß ich den vorausgeeilten Schweden
bald aus dem Gesichte verlor. Dies Wetter mit dicker Schneeluft hielt
bis zum andern Morgen um neun Uhr an, wo wir dicht an das Land von
Stevens kamen und, mit nicht geringer Verwunderung, die schwedische
Fregatte auf dem Strande stehend erblickten, wo die Sturzwellen sich
unaufhörlich darüber her brachen, die Mannschaft aber kümmerlich in den
Masten hing.

Ich selbst hatte alle Not und Mühe, einem gleichen Schicksale zu
entgehen und über die Landspitze von Stevens hinauszukommen. Endlich
zwar gelang es, und ich erreichte die Kiöger Bucht; doch sah ich mich
genötigt, vor stehenden Segeln zu ankern und nach und nach mich vor drei
Anker zu legen. So dauerte diese peinliche Lage bis zum nächsten Morgen,
wo der Wind durch Osten nach Süden lief, und ich meine Notflagge
aufsteckte, um Hilfe vom Lande zu erhalten, denn mit meinen Leuten
allein wußte ich mir länger nicht zu raten. Glücklicherweise eilten auch
auf dies Zeichen zwei Boote mit fünfzehn Mann von Dragoe herbei, mit
deren Beistand ich, nachdem ich sämtliche Ankertaue habe kappen müssen,
die Reede von Kopenhagen glücklich erreichte. Während ich mich hier nun
wieder instand setzte, langte auch das Volk von dem schwedischen Schiffe
an, welches gänzlich verloren gegangen war.

       *       *       *       *       *

Indes setzte ich meine Fahrt ohne weiteren Unfall fort, erreichte
Bordeaux am 28. Februar 1780, löschte meine Fracht und war stracks
darüber aus, einer neuen nach Amerika habhaft zu werden, wie ich's zuvor
mit meinem Reeder verabredet hatte; denn unter der neutralen preußischen
Flagge war besonders dahin ein ungeheueres Geld zu verdienen. Bald kam
ich auch mit einem Kaufmanne aus Ostende wegen einer Ladung nach der
französischen Insel St. Grenada in Westindien überein. Der Kontrakt war
bis zur Unterzeichnung fertig, und ich ersuchte den Kaufmann, welcher
die Reise in Person mitmachen wollte, zu mir an Bord zu kommen und sich
mit eigenen Augen von der Güte und Dauerhaftigkeit des Schiffes sowie
von der netten Einrichtung der ihm zugedachten Kajüte zu überzeugen.

Als er des anderen Tages in dieser Absicht bei mir erschien, bemerkte
ich freilich an seiner Miene, daß er sich in irgendeiner Erwartung
getäuscht sehen müsse, ohne jedoch erraten zu können, woran er
eigentlich Anstoß genommen. Dies sollte ich erst von meinem
Korrespondenten, Herrn Wesenberg, erfahren. Die ganze Fracht war nämlich
zurückgezogen, weil der Kaufmann gesehen hatte, daß mein Schiff nur ein
Eindecker sei, welchem er weder die gehörige Sicherheit noch genugsame
Bequemlichkeit zutrauen mochte. Hiergegen half kein Protestieren; und
ich konnte mich auch um so leichter zufrieden geben, da ich unmittelbar
darauf eine Fracht von Wein und Zucker auf Hamburg gewann und mit der
Ladung bereits vierzehn Tage nach meiner Ankunft fertig ward.

       *       *       *       *       *

Zu meiner Herzenserleichterung muß ich hier das Geständnis ablegen, daß
ich mich nirgends beklommener gefühlt habe als in den französischen
Häfen und zu Bordeaux insonderheit. Denn wie weit ich auch in der Welt
herumgekommen, so habe ich doch in keiner Nation so viel List, Betrug
und Ränke gefunden als unter den Franzosen. Jeder, mit dem ich zu tun
bekam, hätte nichts lieber gemocht als mich recht tüchtig übers Ohr zu
hauen. Jetzt vollends sollte mir noch ein Stückchen von ihrer Art
widerfahren, das einen unverwüstlichen Groll bei mir zurückgelassen hat.

In dem Augenblicke nämlich, da ich die Anker lichten wollte, ging ich,
wie es die Ordnung ist, in das Lotsenkontor und bat um einen Piloten,
der mich zur Garonne hinaus in See bringen sollte. Der Lotse kam an
Bord, aber so betrunken, daß ich Bedenken fand, ihm die Leitung des
Schiffes anzuvertrauen. Der Mensch wollte nicht gehen, ward grob, und
ich komplimentierte ihn so etwas unsanft (jedoch ohne irgend Hand an ihn
zu legen) in sein Boot und an Land zurück. Dagegen hielt ich abermals in
dem Kontor, mit Angabe der Ursachen, um einen anderen nüchternen Lotsen
an. Auch der Trunkenbold erschien dort und machte sich trefflich unnütz;
doch ward mir mein Verlangen gewährt; ich nahm den neuen Piloten mit mir
und lichtete den Anker.

Wie ich nun den Strom abwärts fuhr, so bemerkte ich bald, daß ich an
einem andern Fahrzeuge einen unzertrennlichen Begleiter bekommen hatte.
Machte ich Segel, so tat es desgleichen; ließ ich den Anker fallen, so
legte es sich mir in dem nämlichen Augenblicke zur Seite. Das Ding
machte uns, je länger, je größeren Spaß, und wir kitzelten uns daran,
daß der Franzose ohne uns den Weg gar nicht finden zu können schien. So
kamen wir endlich an das Fort am Ausflusse der Garonne, wo unsere Pässe
visiert werden mußten. Auch da war jenes Fahrzeug flink bei der Hand;
und nun wurde uns eröffnet, daß ich für die Begleitung desselben bis
hierher die Summe von eintausend Livres zu entrichten habe.

Ich war bei dieser Forderung wie aus den Wolken gefallen. »Für seine
Begleitung? -- Eintausend Livres? -- Und _wozu_ diese ganz unerbetene
Begleitung?« -- Die Antwort hieß: »Zur Beschützung des Lotsen an Bord
gegen besorgte Gewalttätigkeiten.« -- Natürlich weigerte ich mich der
Zahlung und forderte diesen Menschen auf, mir zu bezeugen, ob ihm
irgendeine Ungebühr von mir widerfahren sei. -- Er wußte nur Gutes zu
sagen. Dennoch ward ohne weiteres ein Arrest auf mein Schiff gelegt. Ich
sah das, wenngleich nicht sehr ruhig, bis zum nächsten Tage mit an. Der
Arrest blieb, und meine Einreden fanden kein Gehör. Wollte ich nun an
meiner Reise nichts versäumen und wegen Schiff und Ladung nicht in
Verantwortung kommen, so war es immer noch das Geratenste, diese
ungerechte Forderung zu bezahlen und sie mir, als eine echt französische
Geldschneiderei, zur Warnung für die Zukunft hinters Ohr zu schreiben.

       *       *       *       *       *

Zu diesem Verdrusse gesellte sich, sobald ich endlich in See gelangt
war, ein anderer und noch größerer. Mein Schiffsvolk nämlich, durchaus
dem Soff ergeben, wollte die Gelegenheit nicht versäumen, den
Weinfässern, die einen Teil unserer Ladung ausmachten, aufs fleißigste
zuzusprechen. Als ich dem zu wehren gedachte, rottierten sich die Kerle
zusammen, schlugen mit Gewalt die Luken auf, zapften die Oxhöfte an und
ließen den Wein stromweise in ihre Wassereimer und Hüte rinnen. In wenig
Stunden hatte sich alles toll und voll gesoffen. Von nun an hatte es
aber auch mit allem Kommando ein Ende. Die Vollzapfe waren wie wütend
und ich und der Steuermann unseres Lebens unter ihnen nicht mehr sicher.

Und so ging es fortan einen Tag wie den andern. Wir beide mochten
zusehen, wie wir konnten, damit das Schiff wenigstens einigermaßen
seinen Kurs hielt. War es auch nicht geradezu Rebellion zu nennen, so
blieb es doch ein wüstes Tollmannsleben, wobei weder gute noch böse
Worte anschlugen und wir paar Vernünftige die größte Gefahr und Not vor
Augen sahen, sooft Segel sollten beigesetzt oder eingenommen werden.
Endlich half Gott, wiewohl unter Angst und Schrecken, daß wir bei
Cuxhaven, vor der Mündung der Elbe, anlangten. Gerade hier aber konnte
ich mich auch mit diesen Menschen unmöglich weiter wagen, da man in den
Engen des Stromes immerfort zu lavieren hatte oder die Anker fallen
lassen mußte. Ich beschloß also, an Land zu gehen und acht oder zehn
tüchtige Leute anzunehmen, die mir nach Hamburg hinaufhelfen sollten.

Zufällig trat ich in dem Örtchen zu einem Barbier ein, um mich unter
sein Schermesser zu liefern. Ich ward aber nicht bloß geschoren, sondern
auch daneben so kunstmäßig ausgefragt, daß mir das Elend mit meinem gar
nicht mehr zu ernüchternden Schiffsvolke gar bald in lauter Klage über
die Lippen trat. Vor allem erwähnte ich zweier Kerle, die sich im
eigentlichen Sinne rasend gesoffen zu haben schienen und ganz wie von
Sinn und Verstand gekommen wären. -- »Nun, der Verstand wäre ihnen wohl
leicht wieder einzutrichtern,« versetzte der Barbier mit einer schlauen
Miene, »wenn ihnen nur zuvor der Unverstand und die tollen Affekten
hinlänglich abgezapft worden.« Er meinte nämlich (wie er sich darüber
auf mein Befragen näher erklärte), ein tüchtiger Aderlaß bis zur
Ohnmacht sollte diese bestialische Tollheit, wenn sie bloß im Soff
ihren Grund hatte, schon zur Ordnung bringen.

Zwar nahm ich von diesem medizinischen Gutachten keine weitere Notiz;
doch als ich am andern Morgen wieder an Land wollte, um die gedungenen
Leute an Bord zu nehmen, fiel mir der Barbier und sein Heilmittel wieder
ein. Mag es den Versuch gelten! dachte ich, und wandte mich in
unbefangener Vertraulichkeit an die beiden Tollhäusler, die mir eben auf
dem Verdeck in den Wurf kamen: »Hört, Kinder, ich will zum Aderlassen.
Ihr beide seht mir beständig so rot und vollblütig aus, daß es euch
gleichfalls wohl gut tun sollte. Kommt mit, dann machen wir das gleich
in Gesellschaft ab.«

Die beiden Kerle schöpften kein Arges aus dem Vorschlage, der ihnen
vielmehr ganz instinktmäßig zusagen mochte. Während sie nun nach meinem
Geheiß auf der Hausflur des Barbiers verweilten, trat ich lachend in
dessen Zimmer und verkündigte ihm die Gegenwart meiner hirnwütigen
Patienten, an denen er nunmehr seine Kunst erproben möge. Sobald auch
nur so viel Frist verlaufen war, als zur Vollendung einiger Aderlässe
erforderlich scheinen mochte, kam ich wieder zum Vorschein, indem ich
rief: »Das wäre fertig; nun, Jakob, ist die Reihe an dir! Herein!« --
Der Bursche kam.

Jetzt ging aber die Operation an seinem Arme im Ernste vor sich. Eine
große Schüssel füllte sich mit Blut, und der Jakob ward immer bleicher
um die Nase. Ich gab dem Manne mit dem Schnepper einen verstohlenen
Wink, daß es nun wohl Zeit sein dürfte, einzuhalten; allein er ließ auch
die zweite Schüssel vollrinnen, bis Jakob endlich besinnungslos umsank
und durch einen vorgehaltenen Spiritus wieder zu sich gebracht werden
mußte. Das nämliche widerfuhr hiernächst auch seinem Zechkameraden, dem
Peter; und beide schwankten dem Schiffe so matt und entkräftet wieder
zu, daß sie geführt werden mußten und auch die folgenden vierzehn Tage
hindurch auf ihren Füßen nicht stehen konnten. Zur Arbeit blieben sie
mir also binnen dieser Zeit allerdings unbrauchbar; aber auch ihre
Tollheit war gänzlich von ihnen gewichen, und des Barbiers Kunststück
hatte sich als vollkommen probat erwiesen.

Ich brauche wohl nicht hinzuzusetzen, wie sehr ich, sobald ich Hamburg
erreicht hatte, beeilt war, mir all dies widerspenstige Gesindel vom
Halse zu schaffen. Es ist wahr, ich hätte sie vor den Seegerichten
anklagen können, und Staupbesen und Brandmark würden ihrer gewartet
haben. Das wollte ich aber nicht, weil einige darunter in und um Stettin
zu Hause waren und Frau und Kinder hatten. Ich machte ihnen also nur die
Hölle tüchtig heiß, gab ihnen eine scharfe Ermahnung mit auf den Weg und
ließ sie in Gottes Namen laufen.

       *       *       *       *       *

Hier in Hamburg fand sich eine neue Ladung für mich nach Lissabon, mit
welcher ich jedoch erst am letzten August auf den Weg zu kommen
vermochte. Die Reise selbst bietet mir nichts Erhebliches für die
Erzählung; doch mag ich wohl eines Schrecks erwähnen, der mir noch ganz
für das Ende derselben vorbehalten blieb. Als ich nämlich etwa sieben
Meilen nördlich von der Mündung des Tajo gekommen war, sah ich ein
Fahrzeug mir entgegensteuern, das mit ungewöhnlich vielen Menschen
besetzt zu sein schien. Unter anderen Umständen würde mich diese
Begegnung ziemlich gleichgültig gelassen haben, allein schon während
unserer ganzen Reise spukte es mir und meinen Leuten im Kopfe herum, daß
wir gegen die Barbaresken und Marokkaner eine unfreie Flagge hatten, und
unser einziger Trost bestand darin, daß von einem Raubzuge derselben so
weit nördlich hinauf doch seit geraumer Zeit nichts verlautet habe.

Jetzt schoß mir bei jenem Anblicke das Blut in den Kopf, denn wie leicht
war es möglich, daß ein Korsar, verwegener als seine Genossen, sich
hier, an einem so vielbesuchten Punkte, auf die Lauer gelegt haben
möchte! Je genauer ich mir das Segel durch mein Fernrohr ansah, desto
mehr schöpfte ich Verdacht. Ich veränderte meinen Kurs, um mich näher am
Lande zu halten; die Barke tat desgleichen. Ich setzte Segel über Segel
auf; sie tat auch ihrerseits alles mögliche, um uns näher zu kommen.

In dieser kritischen Lage rief ich mein Schiffsvolk zusammen und sagte:
»Kinder, ihr seht -- da haben wir die Bescherung! Die türkischen Hunde
haben es offenbar auf uns gemünzt und unsere Pässe helfen uns hier nicht
durch. Was meint ihr? Sollen wir uns von ihnen so mir nichts dir nichts
entern lassen und vor dem Pack zu Kreuze kriechen? Ich meinesteils zöge
lieber den Tod vor, als mich zeitlebens in der Sklaverei unter die
Peitsche zu ducken. Oder habt _ihr_ größere Lust dazu? Sprecht!« -- Die
Kerle sahen mir das Feuer aus den Augen leuchten und wurden selber warm.
Sie meinten, es müßte wacker dreingeschlagen werden, und zugleich lief
alles, die Gewehre, soviel wir deren hatten, zur Hand zu nehmen und
instand zu setzen.

Unter diesen kriegerischen Vorbereitungen war uns aber auch das Fahrzeug
so nahe auf den Leib gekommen, daß es uns zurufen konnte: ob wir keinen
Lotsen nach Lissabon zu haben verlangten? -- Da hatten wir nun auf
einmal die Lösung des Rätsels! Es war eine portugiesische Fischerbarke,
und wir hatten uns ganz umsonst gefürchtet. Wenigstens wurde unsere
Bravour nun auf keine weitere Probe gestellt. Allein mit einem kleinen
Reste von Besorgnis und Mißtrauen wollten wir uns diese dienstfertigen
Leute lieber doch nicht gar zu nahe kommen lassen, lehnten ihr
Anerbieten höflich ab, suchten mit guter Manier von ihnen abzukommen und
warfen gleich darauf am letzten September im Tajo die Anker.

       *       *       *       *       *

In Lissabon war ich an den alten Korrespondenten des Großschen Hauses,
Herrn John Bulkeley, adressiert und eines Tages auf dem Wege, seiner
Einladung zur Mittagstafel zu folgen. Ich mußte über einen großen
Marktplatz, wo ich bereits aus der Ferne ein großes Gedränge von
Menschen bemerkte. In der Meinung, daß es dort wohl eine öffentliche
Hinrichtung geben möchte, trat ich näher, erkannte aber bald meinen
Irrtum, da ich eines großen Zeltes ansichtig ward, von dessen Spitze, zu
meiner Verwunderung, die _preußische_ Flagge lustig im Winde wehte.

Nun mußte ich natürlich genauer zusehen. Ich drängte mich mit Mühe durch
den dicksten Haufen, bis ich am Eingange des Zeltes stand, zu dessen
beiden Seiten ein paar baumhohe preußische Grenadiere in ihren hohen
blanken Spitzmützen stattlich schilderten. Fast hätte ich Lust gehabt,
die braven Landsleute hier unter fremdem Himmel treuherzig zu begrüßen,
als ich noch zu rechter Zeit inne ward, daß mich ein paar Wachspuppen
getäuscht hatten und daß ich hier wahrscheinlich am Eingange eines
Wachsfigurenkabinettes stand, dem diese martialischen Gesichter nur zu
einem Aushängeschilde dienten. Indes, meine Neugier war nun einmal
geweckt und ich beschloß, hineinzutreten; denn hinter solchen Türhütern,
dachte ich, müsse wohl noch mehr stecken, woran ein preußisches Herz
sich erlaben könne.

Und so war es auch wirklich! So getreu und natürlich, als ob er lebte,
stand mitten inne der alte König Friedrich, mit einem Richterschwert in
der Hand, und vor ihm lag ein Mann mit Weib und Kindern auf den Knien,
die um Gerechtigkeit zu flehen schienen. Ihm zur Rechten war eine große
Wage angebracht, in deren einer Schale eine Bildsäule der Gerechtigkeit
thronte und die andere, die mit Papieren und Akten angefüllt war, hoch
in die Höhe wog. Zur andern Seite eine Gruppe preußischer Generale und
Justizpersonen, und im Hintergrunde in großen leuchtenden Buchstaben die
portugiesische Inschrift: »Gerechtigkeitspflege des Königs von
Preußen«; -- darunter aber der Name »Arnold«. -- Man sieht also, daß
hier der Prozeß des Müllers Arnold gemeint war, der damals als Neuigkeit
des Tages durch ganz Europa das höchste Aufsehen erregte. Wem dennoch
das Ganze hätte unverständlich bleiben mögen, dem half ein Ausrufer
zurecht, der die Geschichte laut und pathetisch herzuerzählen wußte.

Alles horchte und schien tief ergriffen; auch mir armem Narren hämmerte
das Herz unterm dritten Knopfloch, daß ich mich vor patriotischer,
freudiger Wehmut kaum zu fassen wußte. Nein, es mußte heraus! Ich mußte
mich in den innersten Kreis hervordrängen, und so gut oder übel ich die
fremde Sprache zu radebrechen verstand, rief ich aus: »_Mein_ König! Ich
bin Preuße!« -- Diese wenigen Worte fielen wie ein elektrisches Feuer in
alle Herzen. Die ganze Schar umringte mich, sank um mich her auf die
Kniee und hob gleichsam anbetende Hände zu mir empor. »Gloria dem Könige
von Preußen!« rief der eine -- »Heil ihm!« der andere -- »Heil für die
strenge Gerechtigkeit!« -- »Leuchtendes Beispiel für alle Regenten der
Erde! Heil ihm!« -- Mit jedem Augenblicke vermehrte sich das Geschrei und
Getümmel.

Die Tränen drängten sich mir aus den Augen. Ich neigte mich rings herum;
ich legte die Hand aufs Herz; ich dankte stammelnd und suchte einen
Ausweg durch die immer gedrängter zusammenstürzende Menge. Zwar machten
sie mir willig Platz, aber sie folgten mir auch mit anhaltendem
Freudengeschrei: »Vivat der gerechte König!« Nie in meinem Leben fühlte
ich mich geehrter und glücklicher, ein Untertan des großen Friedrich zu
sein. Mein Herz ward mir zu schwer, ich schwankte, konnte nicht weiter
und mußte mich erschöpft an eine Straßenecke lehnen. Nur meine erhobenen
Hände, die ich unwillkürlich, wie zum Segnen, nach dem Volke
ausstreckte, vermochten meinen Dank auszusprechen.

Endlich wankte ich wieder die Gasse hinauf, aber mit einem Schweife von
Menschen hinter mir, der sich mit jedem Augenblicke vergrößerte und den
König von Preußen hochleben ließ. Im Hause meines Korrespondenten, in
welches ich mit Mühe flüchtete, waren alle Türen und Fenster aufgerissen
und mit verwunderten Zuschauern besetzt. Umsonst fragte man mich, was
dies zu bedeuten habe. Mein bewegtes Gemüt fand keine Worte. Draußen
aber stieg der freudige Tumult immer höher, und um das Volk zu beruhigen
und vom Platze zu bringen, blieb mir nichts übrig, als auf den Balkon zu
treten und mich noch einmal zu zeigen. Ich dankte mit Mund und Händen
und allmählich verlief sich der Menschenstrom.

Hierauf erzählte ich meinen Tischgenossen die wundersame Begebenheit,
welche ich soeben erlebt hatte, und die Arnoldsche Prozeßgeschichte, so
gut sie mir bekannt war. Einer von den anwesenden Kontoristen
versicherte jedoch, über diese noch genauere Auskunft geben zu können,
ging hin und holte eine kleine portugiesische Flugschrift, die in einer
treuen geschichtlichen Darstellung dem gerechteren der Könige auch bei
einem entfernten Volke ein verdientes Ehrenmal setzte. -- Hieran
spiegelt euch, ihr Preußen!

       *       *       *       *       *

Einige Tage später sprach ein portugiesischer Kaufmann mich auf der
Börse an und bat mich höflichst, zu Mittag sein Gast zu sein; nach
Verlauf der Börsenzeit werde er mir einen Wink geben, mit ihm zu gehen.
Ich sagte zu und hatte ihn im Gewühle kaum aus den Augen verloren, als
mehrere Schiffskapitäne von meiner Bekanntschaft, die das mit angesehen
hatten, mich mit Fragen bestürmten, ob dieser Mann mir etwa bekannter
sei, als ihnen allen, die er gleichwohl, wie mich, zu Tische geladen
habe. Ich mußte das schlechterdings verneinen und war, gleich ihnen,
über seinen Einfall einigermaßen verwundert.

Das hinderte jedoch nicht, daß wir nach geendigter Börsenstunde
zusammengerufen wurden. Es waren unser neun Schiffskapitäne, im
buntesten Gemische, wie die Männer in der Pfingstepistel -- Dänen,
Hamburger, Lübecker, Schweden, Schwedisch-Pommern und Danziger. Auch
fanden wir, als wir im Hause unseres Gastgebers anlangten, dort bereits
mehrere Kaufleute versammelt und ein schmackhaftes Mahl bereitet, wobei
zugleich tapfer getrunken wurde, denn unser Wirt verstand die Kunst des
Zunötigens aus dem Grunde, und so artete es nach aufgehobener Tafel bald
in ein Bacchanal aus, wo weder Maß noch Anstand mehr beobachtet wurde.
Bei mir, der ich genau das Maß kannte, welches ich nicht überschreiten
durfte, um bei Verstand und Ehren zu bleiben, ging jedoch bald jedes
gute wie jedes böse Wort des Gastgebers verloren. »Basta, und keinen
Tropfen mehr!« war und blieb mein letzter Trumpf, der endlich auch
gelten mußte. Weniger gut kamen die übrigen Schiffskapitäne weg, die
sich dergestalt übernahmen, daß sie zuletzt samt und sonders unter den
Tisch sanken. Ich meinesteils hatte mich inzwischen mit den anwesenden
Kaufleuten unterhalten, bis ich, des bestialischen Anblicks müde, mich
empfahl und mich an Bord meines Schiffes begab.

Gleichwohl rieb ich mir am anderen Morgen etwas verdutzt die Augen aus,
als ich unseren gestrigen Wirt in Begleitung jener Kaufleute, welche
Teilnehmer des Gelages gewesen waren, bei mir eintreten sah. Sie
schüttelten mir treuherzig die Hand und eröffneten mir lachend, das
gestrige Trinkfest sei absichtlich von ihnen angestellt worden, um sich
unter uns neunen den rechten Mann auszusuchen, dem sie, als dem
solidesten und besonnensten, eine Ladung von Wert anvertrauen könnten.
Einstimmig wäre ihre Wahl auf _mich_ gefallen und so frügen sie mich, ob
es mir anstände, eine volle Ladung Tee nach Amsterdam zu übernehmen? --

Leicht kann man denken, daß ich nicht »nein!« sagte. Tee war damals
leicht eine der reichsten Frachten, die auf Brettern schwamm, und die
nur einer neutralen Flagge, wie die meinige war, anvertraut werden
konnte, da nach und nach auch Holland in den amerikanischen
Freiheitskrieg verwickelt worden war und die Engländer alles kaperten,
was die Bestimmung nach einem holländischen Hafen hatte und nicht eines
solchen Freipasses genoß. Wir wurden zu beiderseitiger Zufriedenheit um
ein Frachtgeld von fünfunddreißigtausend Talern, fünf Prozent Havarie
und zehn Prozent Kapplakengelder einig. Sowie mein Schiff ledig war,
fing ich an, den Tee einzuladen.

       *       *       *       *       *

Während dieser Zeit suchte ein holländischer Schiffskapitän namens Klock
mich an meinem Borde auf, um mich zu ersuchen, daß ich ihn samt seinem
Schiffsvolk, aus vierzehn Köpfen bestehend, als Passagiere mit mir nach
Holland nehmen möchte. Da ich sein gutes und rechtliches Wesen erkannte,
so gestand ich ihm nicht nur sein Gesuch von Herzen gern zu, sondern
erbot mich auch, da er mir unterwegs von mannigfachem Nutzen sein
konnte, ihm und seinen Leuten von nun an bis zu unserer Ankunft in
Amsterdam die freie Kost, so gut ich sie selber hätte, zu reichen.
Freilich war das Menschen- und Christenpflicht, aber auch mein
Patriotismus kam hier auf eine wunderliche Weise mit ins Spiel, weil ich
nicht schlechter an den armen Leuten handeln wollte, als -- der Kaiser
von Marokko. Das war so gewesen:

Kapitän Klock, der in Amsterdam zu Hause und dessen Schiff nach den
kanarischen Inseln bestimmt war, fand es wegen der politischen
Konjunkturen für ratsamer unter der preußischen als unter seiner
vaterländischen Flagge zu fahren. Er ging also zuvor nach Emden, gewann
dort um eine Kleinigkeit das Bürgerrecht und genoß von dem Augenblicke
an die Rechte und den Schutz eines preußischen Untertans. So gesichert,
stach er in See, hatte aber das Unglück, sein Schiff an der
marokkanischen Küste durch einen Sturm zu verlieren. Nur kümmerlich
rettete er sich samt seinen Gefährten ans Land, wo sie freilich nur
Ketten und Banden zu erwarten hatten. Ein schreckliches Loch war ihr
Gefängnis, wo sie bei Maiskörnern und Wasser zwischen Tod und Leben in
schrecklicher Angst über ihr Schicksal hinschmachteten. Denn soviel
hatte man sie verständigt: man wisse nicht, was man aus ihnen und ihrer
ans Land getriebenen Flagge machen solle. Es sei daher die letztere an
das dreißig Meilen entfernte Hoflager des Kaisers gesandt worden und von
dorther erwarte man eine Verfügung.

Nach neun Tagen endlich erschien vor ihrem Kerkerloche ein gewaltiger
Trupp bewaffneter Mauren; ihre Banden lösten sich und sie wurden jeder
auf einen Esel gesetzt, um eine Reise anzutreten, deren Ziel sie nicht
zu erraten vermochten, wiewohl sie ahnten, daß man sie tiefer
landeinwärts zu verkaufen gedenke. Diese Furcht endigte sich aber, als
sie die Hauptstadt Marokko erreichten, wo ein deutscher Jude als
Dolmetscher sich zu ihnen gesellte und sie, laut erhaltenem Befehl,
alsbald vor den Kaiser Muley Ismael führte. Hier wurden sie
aufgefordert, sich auszuweisen, ob sie Untertanen des Königs von Preußen
wären. Sie standen nicht an, dies zu bejahen und sich auf ihre Flagge zu
berufen.

»Wohl!« lautete die durch den Dolmetscher erteilte Antwort des Fürsten
-- »von eurem Monarchen, seiner Weisheit und seinen Kriegen sind so
viele Wunderdinge zu meinen Ohren gekommen, daß es mich mit Liebe und
Bewunderung gegen ihn erfüllt hat. Die Welt hat keinen größeren Mann als
ihn, als Freund und Bruder habe ich ihn in mein Herz geschlossen. Ich
will darum auch nicht, daß ihr, die ihr ihm angehört, in meinen Staaten
als Gefangene angesehen werden sollt. Vielmehr habe ich beschlossen,
euch frank und frei in euer Vaterland heimzuschicken, auch meinen
Kreuzern anbefohlen, wo sie preußische Schiffe in See antreffen, ihre
Flagge zu respektieren und sie selbst nach Möglichkeit zu beschützen.«

Des anderen Tages wurden sie auf kaiserlichen Befehl nach maurischer
Weise (wie sie auch noch in Lissabon auftraten) neu gekleidet und ihnen
eine anständige Wohnung angewiesen. Den Kapitän aber ließ Muley Ismael
fast täglich zu sich fordern, um Fragen an ihn zu richten, die sich auf
den großen Preußenkönig bezogen; z. B. von welcher Statur er sei? wie
lange er schlafe? was er esse und trinke? wieviel Soldaten -- auch
wieviel Frauen er halte? und dergleichen mehr. Der gute Klock gestand,
er habe lügen müssen, wie er nur immer gekonnt, um der kaiserlichen
Neugierde nur einigermaßen zu genügen, da ihm von all diesen Dingen
herzlich wenig bewußt gewesen.

So hielt es bis in die dritte Woche an, da endlich der Kapitän, durch
jene Fragen immer mehr in die Enge gebracht, um seine Entlassung
anhielt, da er eilen müsse, seinem Könige Rede und Antwort zu geben, wie
gnädig der Kaiser seine schiffbrüchigen Untertanen behandelt habe und
was für freundschaftliche Gesinnungen er gegen ihn hege. Muley Ismael
entließ sie einige Tage darauf in Frieden und sandte sie unter sicherer
Begleitung auf Eseln nach dem Hafen St. Croix, wo bereits dem maurischen
Befehlshaber aufgegeben war, sie auf das erste abgehende europäische
Fahrzeug zu verdingen und die Fracht für sie zu bezahlen, woneben sie
zugleich mit Mund-Provisionen für einen Monat versehen wurden. So
gelangten sie nach Lissabon und in meine Bekanntschaft.

Wer mich kennt, ermißt leicht, wie groß das Interesse sein mußte,
welches ich an einem Ereignisse nahm, worin die Ehre meines geliebten
Monarchen so eng verflochten war. Darum drang ich dann auch späterhin,
auf der Reise nach Amsterdam, in den Kapitän Klock, sein ganzes
marokkanisches Abenteuer in einen schriftlichen Bericht zu verfassen und
nach unserer Ankunft samt seinen Gefährten auf dem Stadthause über die
Wahrheit dieses Berichtes eine eidliche Versicherung abzugeben. Dies
geschah auch wirklich und ich schickte die darüber aufgenommene
gerichtliche Verhandlung an meinen Patron, Herrn Groß in Stettin, ein,
mit dem Ersuchen, solche an Se. Majestät unmittelbar gelangen zu lassen.
Auch hatte dies den Erfolg, daß ich, etwa nach vier Wochen, aus des
Königs Kabinette ein Danksagungsschreiben erhielt, dem ein Berliner
Zeitungsblatt beilag, worin diese ganze Begebenheit dem Publikum
mitgeteilt worden.

       *       *       *       *       *

Doch ich kehre zu meinen eignen Erlebnissen zurück und bitte den
geneigten Leser, sich zu erinnern, daß ich mich mit meinem Schiffe noch
in Lissabon befinde.

Hier war es einige Tage vor meiner beschlossenen Ausreise, als der
holländische Konsul mich von der Börse mit nach seiner Wohnung nahm,
weil er mir etwas Hochwichtiges zu eröffnen habe. Nach geendigter
Mahlzeit und unter vier Augen zeigte er mir ein kleines Päckchen vor und
sagte, es sei mit rohen Diamanten angefüllt, die in Amsterdam
geschliffen werden sollten. Sein Wunsch sei, mir diesen Schatz auf mein
ehrliches Angesicht zur Überbringung dahin anzuvertrauen. Es seien
dabei, nach Usance, hundertfünfzehn holländische Gulden Fracht für mich
zu verdienen; ich müsse aber das Päckchen unablässig an meinem Leibe
tragen und mein Schiffsvolk davon durchaus nichts ahnen lassen, sowie
mir denn noch eine Menge anderer Vorsichtsmaßregeln eingeprägt wurden.

Die Sache schien mir leicht und der angebotene Gewinn wohl mitzunehmen.
Ich versprach, den Tag vor meiner Abreise jenes kostbare Päckchen in
Empfang zu nehmen. Demzufolge ward es mir denn auch angesichts des
Konsuls in meine Uhrtasche eingenäht und sodann ein Konnossement über
richtigen Empfang vorgelegt, das ich zu unterzeichnen hatte. Dies
geschah auch mit leichtem Herzen; allein in eben dem Augenblicke, da ich
über die Schwelle des Hauses meinen Rückweg nahm, ging auch meine
heimliche Angst und Sorge an, die diese ganze Reise hindurch nicht von
mir wich. Ich wähnte, jeder, der mich ansah, wisse um mein Geheimnis und
gehe mit dem Gedanken um, mich zu berauben oder gar zu ermorden. Selbst
im Schlafe griff ich, sowie oft auch unwillkürlich im Wachen, nach dem
Päckchen, um mich zu überzeugen, daß es noch an seiner Stelle ruhte, und
wohl kann ich sagen, daß ich nie ein Geld mit größerer Unruhe meines
Herzens verdient habe.

       *       *       *       *       *

Nachdem ich nun gegen Ende Oktober in See gegangen war, gab es eine zwar
langsame, doch übrigens nicht ungünstige Fahrt, die mich am 23. November
auf die Höhe des Texels führte. Hier hatten zwei englische Kreuzer ihre
Station, bei deren einem ich mit meinen Schiffspapieren an Bord kommen
mußte. Indessen konnte deren Untersuchung nicht anders als vorteilhaft
für mich ausfallen, denn das Schiff war preußisch, die Ladung für
portugiesische Rechnung, beide also neutral und frei. So ward mir also
auch gestattet, in den Texel hineinzusegeln; zugleich aber gab mir der
Kapitän des englischen Linienschiffes den Auftrag, dem holländischen
Admiral Kinsberger, der dort mit einer Kriegsflotte von elf Segeln lag,
mit seinem Gruße auch seinen Wunsch zu vermelden, sich mit ihm je eher
je lieber in offener See zu besprechen. In der Tat war es unbegreiflich,
wie dieser sonst so wackere Seemann sich von jenen beiden Schiffen im
Texel dergestalt einsperren lassen konnte!

Inzwischen war der Wind nach Osten umgesprungen, und mir blieb nichts
übrig, als mit der nächsten Flut gerade gegen ihn an in jenen Hafen
hineinzulavieren. Indem ich mich nun bei diesem Manöver dem ersten
holländischen Kriegsschiffe näherte, kam von diesem eine Schaluppe
hinter mir dreingerudert, aus der man mir gebieterisch zurief: »Braßt
auf! Braßt auf!« -- Mein holländischer Lotse, den ich an Bord genommen,
hatte Lust, dem Befehle zu gehorchen; ich hingegen bedeutete ihm, daß
wir in diesem Augenblicke dem Oststrande zu nahe wären, um dergleichen
wagen zu können; wir wollten aber das Schiff wenden, wo dann die
Schaluppe füglicher bei uns an Bord kommen würde.

Noch waren wir in der Wendung begriffen, als letzteres schon geschah und
ein Schiffsleutnant zu uns aufs Deck stieg, der mich ziemlich barsch und
patzig zur Rede stellte, warum ich auf sein Kommando nicht aufgebraßt
hätte? -- »Mynheer,« erwiderte ich, »wenn Ihr ein Seemann seid, so seht
doch da den nahen Oststrand und fragt Euch selbst, ob ich mich
mutwillig auf den Grund setzen sollte?« -- Darauf war wenig mehr zu
antworten; er änderte also seine Fragen nach meinem Woher und Wohin, und
erhielt darauf richtigen und gebührenden Bescheid, verlangte aber
demungeachtet noch nähere Auskunft, wer ich sei und wie ich heiße. --
»An meinem Namen,« versetzte ich, »kann wenig gelegen sein, und aus
meiner Flagge, die uns über den Köpfen weht, ist zu ersehen, daß ich ein
Preuße bin.« -- Ob ich englische Kreuzer in See getroffen hätte? wollte
er weiter wissen. -- »Da mögt Ihr,« war meine Antwort, »Euere eigenen
Augen brauchen. Ich bin ein neutraler Mann und mir kommt nicht zu, Euere
Feinde an Euch zu verraten.«

Nun bestand er darauf, mit mir in meine Kajüte zu gehen, um mich unter
vier Augen zu sprechen. -- »Das kann ich jetzt nicht,« versetzte ich
kurz angebunden. »Mein Schiff ist im Lavieren. Ich muß auf Deck bleiben
und es im Auge behalten. Binnen einer Stunde gehe ich zwischen Eurer
Flotte vor Anker, und dann wird es noch Zeit sein, Euch in allem, was
not tut, Rede zu stehen.« -- »Wie, Ihr wollt nicht gleich diesen
Augenblick in die Kajüte kommen?« -- »Jetzt sicherlich nicht.« -- Da
ward das Bürschchen hitzig, griff nach der Plempe, die es an der Seite
hängen hatte, zog blank und versetzte mir damit flach einen Streich über
die Schulter.

Hui! das war ein Funke in eine offene Pulvertonne! Denn in dem nämlichen
Augenblicke auch packte meine Faust das Sprachrohr, das neben mir stand,
und legte es ihm so unsanft zwischen Kopf und Schulter, daß das untere
Ende desselben über Bord flog und ich das bloße Mundstück in der Hand
behielt. Zugleich griff ich in das Gefäß seines Degens, rang ihm diesen
aus der Hand, packte ihn am Kragen und schob ihn über Bord die Treppe
hinab, so daß er schwerlich selbst gewußt hat, wie er in seine Schaluppe
gekommen sein mag. Dann langte ich ihm seine vergessene Klinge nach,
seine Leute stießen ab und die ferneren Komplimente hatten ein Ende.

Unmittelbar darauf kam ich unter die Flotte und ließ den Anker fallen.
Eine andere Schaluppe kam zu mir herangerudert; der darauf befindliche
Offizier war ein vernünftiger Mann, seine Fragen hatten Hand und Fuß und
ebenso waren auch meine Antworten ausreichend und bescheiden.

Am anderen Morgen ging ich, da mir der Wind noch immer entgegenstand,
mit der Flut abermals unter Segel, um noch weiter in den Texel
hineinzulavieren. Mein Lotse wollte, daß wir unsere Flagge wieder
aufhissen sollten; ich jedoch war anderer Meinung. Hatten wir doch den
ganzen gestrigen Tag zwischen der holländischen Flotte umhergekreuzt und
geankert und unsere Flagge wehen lassen, so daß ihnen unmöglich
unbekannt sein konnte, wes Geistes Kinder wir wären. Eigentlich aber
wollte ich meine Flagge schonen, die bei dem Wenden hin und wieder arg
zerpeitscht wurde.

Wir waren darüber noch im Ratschlagen begriffen, als ein blinder Schuß
nach meiner Seite her abgefeuert wurde -- die gewöhnliche Mahnung,
Wimpel und Flagge zu zeigen. Da ich nun sah, daß es _so_ gemeint sei,
befahl ich stracks, ihnen den Willen zu tun; allein wie sehr meine Leute
sich auch damit hasteten, erfolgte doch zu gleicher Zeit ein zweiter
scharfer Schuß, dessen Kugel dicht vor mir ins Wasser aufschlug. Dann
aber fand sich auch, ehe ich mich dessen versah, eine Schaluppe ein,
deren Offizier mir einen Dukaten für den ersten und zwei für den andern
Kugelschuß abforderte und hinzusetzte, daß dies auf Befehl des Admirals
Kinsberger geschehe.

Ich gestehe, daß meine Antwort etwas unmanierlich lautete, denn ich ließ
ihm sagen, er möchte sein Pulver und Blei auf seine Feinde und nicht auf
eine respektable neutrale Flagge, die sich ihm genugsam kundgegeben,
verschießen. Ich betrachtete seine Schüsse als einen meinem Souverän
erwiesenen Affront, über welchen ich gehörigen Ortes Beschwerde zu
führen wissen würde. Da ich jetzt nach Holland hinein- und nicht
hinausginge, so würde er mich wie ich ihn in Amsterdam zu finden wissen,
ohne daß ich um Rede und Antwort verlegen wäre. _Hier_ aber gedächte ich
auch nicht einen Stüber zu bezahlen.

Der Leutnant, der meinen entschlossenen Sinn sah, verlangte, daß ich ihm
diese Antwort schriftlich geben sollte. Ich ging mit ihm in die Kajüte
und tat ihm seinen Willen, fügte aber zugleich auch den Gruß hinzu, den
mir der Kapitän des englischen Kreuzers an den Admiral aufgetragen
hatte. Während des Schreibens musterte jener einen Berg Zitronen, die in
einem Winkel der Kajüte lagen, mit lüsternen Augen. Ich bat ihn, sich
davon auszuwählen, so viel er irgend zu lassen wüßte -- eine
Höflichkeit, die er mit Dank annahm und benutzte, und wonach wir
beiderseits freundlich voneinander schieden. Aber auch späterhin ist von
diesem Handel auf keine Weise wieder etwas zur Sprache gekommen.

Ich selbst vergaß diesen Vorgang alsbald über der Not, die ich hatte bei
dem noch immer konträren Ostwinde, in dem engen Fahrwasser mit Lavieren
in kurzen Schlägen und unter Beihilfe der jedesmaligen Flut langsam
genug fortzurücken, hinwiederum aber mit jeder Ebbe die Anker fallen zu
lassen. Hierbei fror es zu gleicher Zeit so heftig und es kam mir so
viel Treibeis auf den Hals, daß ich mich oftmals vor zwei oder auch wohl
drei Anker legen mußte, um dem Andrang gehörig zu widerstehen. So währte
es drei Tage hintereinander, ohne daß es sich zum Besseren anließ; und
ich mochte mich allein damit trösten, daß es vor und hinter mir noch
eine Menge von Schiffen gab, die ebenso angestrengt und vergeblich
trachteten, trotz dem Eise noch Amsterdam zu erreichen. Selbst aber als
diese nach und nach die näheren Nothäfen Medemblyck, Enkhuizen und
Staveren zu gewinnen suchten, beharrte ich bei meinem Vornehmen und
hoffte, daß endlich doch Wind und Wetter sich zu meinem Vorteil ändern
würden.

Als ich mich nun solchergestalt, von allen anderen verlassen, abmühte,
dem Schicksale mein Reiseziel gleichsam abzutrotzen, traten mein
Schiffsvolk und der eingenommene Lotse zu mir, um mir vorzustellen, wie
die Gefahr des Eises wegen sich stündlich mehre und wie ratsam es sein
werde, nach dem Beispiel unserer bisherigen Gefährten, in einen anderen
nahen Hafen einzulaufen. »Jungens,« entgegnete ich ihnen, »wo denkt ihr
hin? Haben wir nicht ein starkes, dichtes Schiff? Sind unsere Anker und
Taue nicht haltbar? Fehlt es uns an Essen und Trinken? Und wenn die in
den anderen Schiffen furchtsame Memmen sind, die gleich beim ersten
Frostschauer zu Loche kriechen, wollen _wir_ uns ihnen darin
gleichstellen? Ich meine, wir sehen es noch eine Weile mit an, und wenn
es dann immer noch keinen besseren Anschein gewinnt, so bleibt ja Zeit
genug, uns nach einem Nothafen umzusehen.« -- Diese Vorstellungen
wirkten, und sie versprachen, auch ferner ihr Bestes zu tun.

       *       *       *       *       *

Des nämlichen Nachmittags kam mir ein kleines Fischerfahrzeug von
Enkhuizen zur Seite. Drinnen saß ein alter Mann nebst seinem Jungen und
rief mir zu: »Wie steht's, Kapitän, wollt Ihr auch Hilfe haben?« -- Ich
gab wenig auf sein Erbieten, denn seine Flunder-Schuite sah mir nicht
danach aus, als ob sie mir sonderliches Heil bringen könnte oder das Eis
über Seite schieben würde, wovon die Zuydersee vor uns vollstand. »Fahrt
mit Gott!« rief ich ihm zu. »Mit Euerer Hilfe wird mir wenig gedient
sein!«

Doch zu gleicher Zeit zog mich der Lotse beiseite und gab mir zu
bedenken, daß es gleichwohl nicht übel getan sein würde, für den Fall,
daß wir uns dennoch zu irgendeinem Nothafen bequemen müßten, einen Mann
an Bord zu haben, der dieser Gewässer unbezweifelt noch besser als er
selbst kundig wäre, und an welchem er dann eine um so gewissere
Unterstützung finden würde. -- »Immerhin!« versetzte ich, »wenn wir von
dem alten Manne, der mir gar nicht danach aussieht, nur reellen Beistand
zu erwarten haben.« -- Dieser, der schon von uns abgestoßen hatte, ward
also zurückgerufen, kam an Bord und wurde befragt, ob ihm die
nächstgelegene nordholländische Küste hinreichend bekannt sei, um uns im
Notfall als Lotse zu dienen?

Fast schien der alte Bursche mir meine Frage übel zu deuten. Er nahm
eine pathetische Stellung an und beteuerte: von Jugend auf sei er hier
in allen Winkeln herumgekrochen, kenne jeden Grund und jeden Stein und
wolle hier wohl die ganze holländische Flotte bei stockdunkler Nacht
sicher vor Anker bringen. -- »Gut!« erwiderte ich. »So mögt Ihr an Bord
bei mir bleiben! Allein auf welchen Vergleich soll ich mich mit Euch
einigen? Dringen wir durch nach Amsterdam, wie ich's hoffe, so könnt Ihr
mir keine Dienste tun; muß ich mich aber nach einer andern Zuflucht
umsehen, so weiß ich wieder nicht, wie lange das währen kann und wie ich
Eure Hilfe anschlagen soll? Darum schlage ich Euch vor, daß wir nach
beendigter Fahrt vier Schiedsmänner, jeder zur Hälfte, erwählen und daß
wir uns dem fügen, was diese als recht und billig beschließen werden.
Seid Ihr das zufrieden?«

»Ja,« war seine Antwort, »aber gebt mir das schriftlich, Kapitän!« --
Dies geschah auch sofort, worauf er das Papier dem Jungen einhändigte,
um mit demselben und der Schuite wieder ans Land zu steuern. Er selbst
aber war von dem Augenblicke an bei uns wie zu Hause, hatte tausend
unnütze Dinge zu fragen und zu erzählen, so daß er meine Leute überall
hinderte und mir selbst überaus lästig fiel. »Satt und genug, Alter!«
fiel ich ihm endlich in die Rede. -- »Euer Geplauder bringt mir mein
Volk aus dem Texte. Da geht hinein in die Kombüse und raucht Euer
Pfeifchen in Frieden, bis ich Euch rufen lassen werde.« -- Murrend tat er
meines Gebotes, hüllte sich in eine Schmauchwolke und legte sich endlich
aufs Ohr, ohne zu wissen oder zu fragen, was weiter um ihn her vorging.

Inzwischen trieb während der Nacht und Ebbezeit, wo wir vor Anker lagen,
so ungeheuer viel Eis auf uns zu, daß wir das Schiff kaum vor drei
Kabeltauen halten konnten, indem die Schollen sich immer höher
emportürmten und auf den Bug eindrangen, daß das Schiff vorn auf eine
bedenkliche Weise niedertauchte und jeden Augenblick zu erwarten stand,
es werde von den Eismassen überwältigt werden und untergehen. Doch gab
Gott Gnade, daß wir uns in dieser gefährlichen Lage erhielten, bis
endlich die Flut eintrat und das Schiff sich wieder erholte, während
auch das Tageslicht eintrat und die Gegenstände sicherer erkennen ließ.

Nach einer solchen Erfahrung wäre es vermessen gewesen, wenn ich auf
meinem Vorsatze noch hätte bestehen wollen. Vielmehr wurden wir
schlüssig, in den nächsten besten Hafen einzulaufen, und so war es jetzt
an der Zeit, unseren alten Lotsen hervorzurufen, der sich die Augen
wischte und die Gefahr, die uns drohte, glücklich verschlafen hatte. Ich
befragte ihn, welcher Hafen nach seiner Meinung am bequemsten zu
erreichen sein möchte? Er entschied sich für Enkhuizen und stellte sich
ans Steuer, hielt aber einen so verkehrten Kurs, daß mir und dem Lotsen
aus dem Texel die Haare zu Berge standen und wir dachten, der alte Kerl
werde das Schiff binnen weniger als fünf Minuten auf die Sandbänke
setzen und uns alle ins Unglück bringen, um vielleicht seinen
Landsleuten an dem gestrandeten Wrack eine erwünschte Prise zuzuführen.

Ihm sein Konzept zu verrücken, erklärte ich also, die Gewässer von
Medemblyck wären mir einigermaßen bekannt und ich zöge es vor, meinen
Weg dorthin zu nehmen und das Nötige selbst anzuordnen. Dem ersten
Lotsen gebot ich, das Bleilot zur Hand zu nehmen, dem Alten aber, der
immer noch des Plauderns kein Ende fand, sich flugs vom Verdecke nach
der Kombüse zu scheren. Andere Segel wurden aufgesetzt, das Schiff
umgelegt, und so gelang es uns, nachmittags glücklich vor Medemblyck
anzulangen.

Kaum hatte ich hier einen Fuß ans Land gesetzt, so bat ich die
umstehenden Leute, mir den angesehensten und wohlberufensten Kaufmann im
Orte nachzuweisen. Sie nannten mir einen Herrn Schweiger, der allgemein
für einen Ehrenmann gelte und ehedem auch ein Schiff geführt habe. Ich
ließ mich auf der Stelle zu ihm führen, gewann auch flugs das Vertrauen,
daß er der Mann sein werde, wie ich ihn suchte, und trug ihm mit
Darlegung meiner Umstände den Wunsch vor, meine beiden Lotsen namens
meiner nach Recht und Gebühr zu befriedigen. Denn obwohl der Enkhuizer
meines Bedünkens nicht den mindesten Anspruch für seine unverständige
und verkehrte Dienstleistung zu machen hatte, so hatte ich ihm dennoch
aus Mitleid mit seinen grauen Haaren ein Geschenk von zehn bis fünfzehn
Gulden zugedacht.

Beide wurden sofort gerufen und es bedurfte nur, daß der Lotse vom Texel
seine Ordonnanz vorwies, um danach seine Forderung nach Fug und
Billigkeit auszumitteln. Er strich sein Geld ein, und als er dann auf
eine bescheidene Weise bemerkte, daß er während mehrerer Tage so viel
Not und Mühe an meinen Bord ausgestanden, um sich vielleicht Rechnung
auf eine außerordentliche Vergütung machen zu können, unterbrach ich ihn
durch die Erklärung: »Das ist allerdings wahr, Herr Schweiger. Geben Sie
dem Manne noch zwei Dukaten als williges Anerkenntnis seiner Treue und
angestrengten Fleißes.« -- Der Lotse bedankte sich, und das war abgetan.

Nun aber kam auch die Reihe an den alten Fischer von Enkhuizen. »Sagt
an, Vater, was habt Ihr verdient?« fragte mein Bevollmächtigter. Der
Kerl setzte sich nunmehr in Positur und ließ sich vernehmen: »Mynheer,
ich habe ein Schiff gerettet, das, wie ich weiß, eine Million wert ist
und dessen Kapitän eine Fracht von hunderttausend Gulden macht.
Derowegen verlange ich nicht mehr und nicht weniger, als _fünfzehnhundert_
Gulden an Lotsengebühr, und ich hoffe, _die_ sollen mir werden.«

Ich lachte dem alten Knaben ins Angesicht und fragte, ob er sich
vielleicht nur versprochen und fünf oder fünfzehn Gulden gemeint habe?
-- Er aber verneinte ernsthaft und meinte, daß er wohl ein Narr sein
müßte, sich damit abspeisen zu lassen. -- »Nun,« fiel ich ihm ein, »an
Eurer Narrheit hat es wohl keinen Zweifel, denn _die_ habt Ihr bei mir an
Bord durch all Eure Handlungen klar genug erwiesen. Laut unserem
schriftlichen Akkorde mag der Ausspruch auf vier Schiedsmännern beruhen,
oder Ihr mögt mich, wenn es Euch beliebt, verklagen.« -- Polternd und
scheltend verließ er auf diese Erklärung das Zimmer.

Um jedoch meine gute Sache zu wahren, säumte ich nicht, des nächsten
Tages mich und meine Schiffsmannschaft über die letzten Ereignisse
unserer Reise nach allen Einzelheiten gerichtlich und eidlich vernehmen
zu lassen, und insonderheit, wie ungeschickt und widersinnig sich der
vorgebliche Lotse angestellt und zu allem untauglich erwiesen. Dies
getan, brannte mir der Boden unter den Füßen, den Weg nach Amsterdam zu
Lande vollends zurückzulegen, daß ich mein Diamantenpäckchen los würde.
Sobald ich es dort in die rechten Hände abgeliefert hatte, war ich wie
ein neugeborener Mensch, und da ich zugleich alle Konnossements von
meiner Ladung mit mir genommen, ließ ich es meinen nächsten Gang sein,
den Kaufmann Floris de Kinder aufzusuchen, dem ich mich aus einer
früheren Lebensperiode dankbar verpflichtet hielt und mir daher auch
jetzt zum Kommissionär ersehen hatte. Ihm übergab ich meine Papiere, um
sie den Empfängern meiner Ladung vorzulegen, bei denen des anderen Tages
auf der Börse über meine glückliche Ankunft in Medemblyck große Freude
war.

Nach Verlauf einiger Tage, die ich in Amsterdam zubrachte, meldete mir
Herr Schweiger, daß der Alte aus Enkhuizen wirklich geklagt habe und daß
ein Termin zur Vernehmung angesetzt sei, wo meine Gegenwart erforderlich
werden möchte. Ich hatte diese wunderliche Geschichte schon meinem
Korrespondenten zum besten gegeben, der sie, gleich mir, als eine
Kinderei betrachtete. Indes ging ich doch nach Medemblyck ab und fand
dort eine Gerichts-Versammlung, aus fünf Personen bestehend, wobei auch
mein Widersacher nicht fehlte und seine Klage anhängig machte.
Meinerseits übergab ich die schon aufgenommene und eidlich bekräftigte
Verhandlung über den wahren Hergang der Sache, mit der Erklärung, daß,
wie wenig mir dieser Mensch auch irgend einige Dienste geleistet, ich
dennoch einer billigen Festsetzung seines Lohnes nicht entgegen sein
wolle. Man fragte mich, wie viel ich dem Manne gutwillig zu verabreichen
gedächte? -- und ich wiederholte, daß ich, bloß in Erwägung seines hohen
Alters, zehn Gulden um nichts und wieder nichts an ihn verlieren wolle.
-- Der alte durchtriebene Fuchs hingegen beharrte ursinnig auf seiner
ersten ausschweifenden Forderung.

Nach langem Hin- und Widerreden mußten wir abtreten und der
richterlichen Versammlung Zeit und Ruhe zum Deliberieren lassen. Das
dauerte länger als eine Stunde, wo endlich Kläger und Beklagter wieder
vorgefordert wurden, um das in hoher Weisheit ausgeheckte Urteil zu
vernehmen. Es lautete dahin, daß letzterer schuldig sein solle, dem
angenommenen Lotsen von Enkhuizen, sowohl für seinen dem Schiffe
geleisteten Beistand, als wegen unverzagter Daranwagung seines Leibes
und Lebens die volle Summe von eintausendfünfhundert Gulden bar
auszuzahlen, überdem aber so lange, bis diese Zahlung wirklich geleistet
worden, für jeden Tag eine Buße von zwei Gulden zu entrichten. Alles von
Rechtes wegen.

Ich berief mich auf meinen, mit dem alten Schelme ausdrücklich
getroffenen Vergleich und wollte die Sache an vier gewählte
Schiedsrichter gebracht wissen. Allein man bedeutete mir, mein Gegenpart
habe jenen Akkord nicht mit unterzeichnet, daher demselben auch alle
gesetzliche Gültigkeit ermangle. Wolle ich jedoch mich in die Sentenz
des Gerichts nicht fügen, so bleibe mir allerdings unbenommen, an den
Hof von Holland zu appellieren.

In der Tat aber kannte ich dieses Gericht, das sich so unvermutet zum
Herrn meines Beutels aufwarf, gar noch nicht einmal, und es schien mir
doch der Mühe wert, deshalb ein wenig genauer nachzufragen. So erfuhr
ich denn, daß die vier Bürgermeister von Hoorn, von Enkhuizen, von
Medemblyck, von Edam, und noch ein Prokurator sich die Mühe genommen,
diesen hochwichtigen Fall in ihrer Weisheit zu entscheiden. Je weniger
mir aber von dieser Weisheit einleuchten wollte, desto minder konnte ich
mich auch enthalten, ihnen zu erwidern: »Ihr Herren insgesamt versteht
vom Seewesen keinen Pfifferling und hättet also immer zu Hause bleiben
mögen. In Enkhuizen liegt aber, wie ich höre, ein holländisches
Kriegsschiff, warum habt ihr dessen Kapitän zu eueren Ratschlagungen
nicht mit zugezogen? In euerer Entscheidung vermisse ich alle Billigkeit
und Gerechtigkeit, und darum werde ich an erleuchtetere Richter
appellieren!« -- Das gesagt, kehrte ich ihnen den Rücken und schied von
dannen.

Allernächst aber schrieb ich an Herrn Floris de Kinder nach Amsterdam,
machte ihn mit der sauberen Sentenz bekannt und trug ihm auf, die Sache
mit den Empfängern der Ladung, welche nach Usance vornehmlich den Beutel
würden haben ziehen müssen, in genauere Überlegung zu nehmen und mir
wegen der Appellation nähere Instruktion zuzufertigen. Mochte es nun
aber sein, daß diese an ihrem Tee einen so erklecklichen Gewinn hatten,
um eintausendfünfhundert Gulden mit leichtem Sinn ans Bein zu binden,
oder daß sie Gang und Weise der holländischen Rechtspflege besser
kannten; -- genug, sie erteilten mir den Bescheid, ich sollte nur in
Gottes Namen die geforderte Summe zahlen, indem sie sich ihresteils die
Sentenz gefallen ließen. So war denn also das Lied am Ende.

Nach geleisteter Zahlung drückte mir's gleichwohl auf dem Herzen, mich
bei den gestrengen Herren zu befragen, auf welch Gesetz, rechtlichen
Grund oder Herkommen ihre gefällige Entscheidung sich denn eigentlich
stütze? -- Mir ward die Antwort: Es habe also und nicht anders
gesprochen werden müssen, damit, wenn hinfüro Schiffe in Not kämen, bei
anderen Leuten Mut und Wille erweckt werde, den Unglücklichen mit Hilfe
beizuspringen. -- »Hol' euch der Teufel mit eurer Hilfe!« dachte ich,
und schüttelte den Staub von meinen Füßen. -- Indes schlug das
Frostwetter im Dezember wieder um, so daß ich am 29. von Medemblyck
abgehen konnte, den 2. Januar 1781 vor Amsterdam anlangte und den Anfang
machte, meine Ladung zu löschen.

       *       *       *       *       *

Gegen den 24. Januar, den Geburtstag unseres großen Monarchen, trieb es
mich, diesen Tag von allen preußischen, im Hafen ankernden Schiffen
durch Aufziehung aller Flaggen und Wimpel und Abfeuerung der Geschütze
feierlich begangen zu sehen. Mein Vorschlag fand bei allen wackeren
Landsleuten freudigen Eingang. Aber einen Strauß gab es mit dem
holländischen Kurantschreiber auszufechten, der die Ankündigung dieser
Feier in seinem Zeitungsblatt, entweder aus echt holländischem Phlegma
oder aus unvernünftiger Abneigung gegen den König, auf eine so
beleidigende Weise verweigerte, daß ich mit dem Grobian schier
handgemein geworden wäre, endlich aber mit Hilfe des preußischen Konsuls
ihn zur Räson bringen und für seine Lästerungen zur Strafe ziehen ließ.

Diese widrige Stimmung, die sich damals in Holland so allgemein äußerte,
empörte mein treues Preußenherz um so mehr, als die preußische neutrale
Flagge in dem Kriege mit England der Nation die entschiedensten Vorteile
für ihren Handel darbot, und selbst die holländischen Schiffs-Kapitäne,
welche sich dieser Flagge bedienten, durch nichts zu bewegen waren,
unserem Beispiele zu folgen und ihren Beschützer nach Würden zu ehren.
Solch ein Urian lag mir unmittelbar zur Seite vor Anker, und daß er sich
preußische Zertifikate zu verschaffen gewußt hatte, lag klar am Tage, da
er zuzeiten unseren schwarzen Adler von seinem Hinterteile hatte wehen
lassen.

Am Morgen des königlichen Geburtstages war bei diesem meinem Nachbar
alles in tiefster Ruhe und weder Flagge noch Wimpel bei ihm zu
verspüren. Erst spät hatte er sich den Schlaf aus den Augen gerieben,
aber sobald er sich auf dem Verdeck zeigte, warf ich ihm die Frage in
den Bart, ob er gleich mir und so vielen anderen rings um uns her, den
König von Preußen nicht auf herkömmliche Weise wolle hochleben lassen?
-- »Das werd' ich wohl bleiben lassen!« gab er zur Antwort, »was geht
mich euer König an?« -- Meine Erwiderung fiel, wie sich leicht denken
läßt, deutsch und derb aus, allein ohne etwas darauf zu geben, wandte er
mir den Rücken und ließ sich ans Land setzen.

»Topp!« gelobte ich mir selbst, »was der Schuft zu tun nicht Lust hat,
soll dennoch von mir und in seinem Namen geschehen!« -- Ich besaß zwei
Gestelle Flaggen und Wimpel, wovon das seidene bereits seit
Sonnenaufgang in meinem Tauwerke prangte und flatterte; das andere
baumwollene nahm ich jetzt zur Hand, stieg mit ein paar Leuten an Bord
des Holländers um es an seinen Masten aufzuziehen, ohne daß das
Schiffsvolk, das sich an einfältigem Maulaufsperren begnügte, meiner
Keckheit Einhalt zu tun versuchte. Und so wehten meine Flaggen den
ganzen Tag, ohne daß jemand sich unterstanden hätte, sie herabzureißen,
oder daß der Kapitän sich hätte sehen lassen.

Indes war nicht nur meine eingebrachte Ladung in der Mitte Februars
gelöscht, sondern vier Wochen später hatte ich auch bereits wieder eine
neue Fracht nach Lissabon eingenommen, die in hundert Last Weizen,
zweihundert Tonnen schwedischen Tees und einigen tausend Edamer Käsen,
von fünf bis sechs Pfund an Gewicht, bestand. Gleich darauf machte ich
Anstalten, in See zu gehen, und war eben im Begriff, meine Anker
emporzuwinden, als ich mich gegen den Steuermann äußerte: »Nun, Gott sei
gedankt, daß wir hier los sind, denn nie habe ich nach schon vollendeter
Reise so viel Verdruß und Unannehmlichkeit erfahren, als diesmal unter
den Holländern!« -- Aber wie wenig ahnte ich, daß mir schon in der
nächsten halben Stunde eine weit größere Widerwärtigkeit begegnen
sollte, als alle früheren.

Indem ich nämlich eben meine Segel aufgezogen, die Anker aber nur soweit
emporgewunden hatte, daß sie noch vor dem Bug unter Wasser hingen, das
Schiff aber in die fließende Fahrt gelangte, kam eine ledige T'Gelke
[flaches Fahrzeug, auf der Zuider-See gebräuchlich] gegen meine Seite in
einer Richtung angesegelt, daß wir unausbleiblich zusammenstoßen mußten,
wofern sie nicht noch beizeiten absteuerte. Ich machte meine Leute
aufmerksam, ergriff aber zugleich auch das Sprachrohr, lief damit nach
vorn und rief dem Fahrzeuge zu: »Haltet ab! Holt euer Ruder nach
Steuerbord!« -- Auf dies Rufen sahen sich endlich die beiden Menschen
auf der T'Gelke, die mir bisher den Rücken gekehrt, nach meinem Schiffe
um, erkannten die Gefahr, worin sie schwebten, holten aber in der
Bestürzung das Ruder auf die Backbordseite, wodurch sie, anstatt mir
auszuweichen, gerade auf meinen Bug gerieten.

Jetzt ward das Unglück mit jedem Augenblick größer. Mein Bugspriet
verwickelte sich in das Segel und die Takelage der T'Gelke; meine Anker,
die noch unter Wasser waren, mochten wohl unter ihre Kimmung geraten,
und da mein Schiff sich bereits in ziemlichem Schusse befand, so drückte
es jenes kleinere Fahrzeug auf die Seite, übersegelte es endlich und
fuhr rumpelnd darüber hin, als ob es über eine Klippe hinweggestreift
wäre. Eine halbe Minute später kam die T'Gelke hinten in meinem
Kielwasser wieder zum Vorschein, aber gekantert und das Unterste zu
oberst schwimmend.

Ich war von Herzen erschrocken, und das um so mehr, da ich fürchten
mußte, daß mein Schiff an seinem Boden beträchtlichen Schaden gelitten
haben möchte. Sofort ließ ich zu den Pumpen greifen, doch alles war und
blieb dicht und gut, nur an meinem Bugspriet und dessen Takelage war
eine so arge Verwüstung angerichtet, daß ich auf der Stelle wieder den
Anker fallen lassen mußte, um zur Ausbesserung zu schreiten. Inzwischen
waren auch von allen herumliegenden Schiffen Boote und Fahrzeuge
abgestoßen, um die beiden Menschen zu bergen und nach der verunglückten
T'Gelke zu sehen. Ich aber konnte mich, mit meinem eigenen Schaden
beschäftigt, danach nicht aufhalten, sondern eilte, wieder unter Segel
zu kommen.

Als ich nun einige Tage nachher im Texel anlangte, fand ich einen Brief
von meinem Korrespondenten, Herrn Floris de Kinder, vor, worin mir
berichtet wurde, daß der verunglückte T'Gelken-Schiffer gegen mich
klagbar geworden und Schadenersatz von mir verlange. Er riet mir also,
vor dem Gerichte im Texel zu erscheinen und samt meiner Mannschaft eine
eidliche Erklärung über den ganzen Hergang abzulegen, diese aber an ihn
einzusenden, damit jenen Ansprüchen gehörig begegnet würde. Dies
geschah, und aus der gerichtlichen Vernehmung ging genüglich hervor, daß
jener Schiffer nicht nur sein Unglück sich selbst zugezogen, sondern
auch mir selbst Not und Schaden verursacht habe. Der endliche Erfolg
war, daß jener seine Ansprüche weiter nicht verfolgte, daß ich aber auch
meine eigene erlittene Einbuße verschmerzen mußte.

       *       *       *       *       *

Ich ging inzwischen aus dem Texel in See und hatte in den ersten drei
Wochen mit widrigen und stürmischen Winden zu schaffen, die mich in der
Nordsee umherwarfen. Als ich jedoch Dover passiert hatte, wurden sie mir
günstiger, obwohl sie bald in den stärksten anhaltenden Sturm
ausarteten. Mein Schiff lief vor demselben in fliegender Fahrt mit so
unglaublicher Schnelle einher, daß ich -- was vielleicht zuvor nie
erhört worden -- den Weg von Dover nach Lissabon binnen vier Tagen
zurücklegte und also in jeder Stunde im Durchschnitt vierthalb Meilen
zurücklegte. Ein portugiesischer Kapitän, den ich als Passagier an Bord
hatte und der wegen Unpäßlichkeit während dieser ganzen Zeit nicht aus
der Kajüte hervorgekommen war, wollte seinen Augen nicht trauen, als er
das Verdeck bestieg und die Ufer seines vaterländischen Tajo blühend vor
sich liegen sah. Nur in unserer Eigenschaft als Ketzer und unserer
daraus hergeleiteten näheren Verbindung mit dem Fürsten der Finsternis,
vermochte er sich eine Fahrt zu erklären, die nicht durch die Wellen,
sondern durch die Luft bewerkstelligt sein müsse.

Das mochte einem Manne verziehen werden, dem früh eingesogene religiöse
Vorurteile den Sinn befingen; allein was sollte ich sagen, als ich des
anderen Tages an der Tafel meines Korrespondenten, Herrn John Bulkeley,
mit mehreren englischen und amerikanischen Schiffs-Kapitänen
zusammentraf, denen ich von dieser Schnelligkeit meiner letzten Reise
erzählte und dabei deutlich an ihren verzogenen Gesichtern und
blinzelnden Blicken bemerkte, wie wenig sie zumal in Erwägung der
schweren Befrachtung meines Schiffes, Glauben in meine Versicherung
setzten? Im stillen Ärger konnte ich kaum den nächsten Tag erwarten, wo
wir wiederum beisammen waren, um diesen schnöden Zweiflern mein
mitgebrachtes Schiffsjournal vorzulegen.

Bald darauf kam ich ans Ausladen, und nachdem ich des Tees ledig
geworden, traf nunmehr die Reihe meinen bedeutenden Käsevorrat. Hierbei
aber mischte sich die Hafenpolizei von Lissabon auf eine mir
unbegreifliche Weise ein, indem sich zwei portugiesische Barken, deren
eine mit Militär besetzt war, mir zu beiden Seiten legten. Der Käse
ward, Stück für Stück, von den bestellten Aufsehern befühlt und
berochen, ob sich nicht irgendwo eine faule oder verdächtige Stelle
zeigte. Jedes derartige Stück warf man sofort in die bewaffnete Barke,
und als ich erstaunt nach der Ursache eines so wunderlichen Verfahrens
forschte, ward mir der Bescheid: Kein Käse, der auch nur einen
gedrückten Fleck an sich habe, werde, als der Gesundheit nachteilig,
zugelassen, sondern sofort ins Wasser geworfen. Vergebens erwiderte ich,
daß in aller übrigen Welt gerade der angefaulte Käse seine besonderen
und häufigen Liebhaber finde; man meinte aber, dazu gehöre auch ein
ketzerischer Magen, in Portugal hingegen müsse aus solchem Genusse
alsobald die Pest entstehen.

Allmählich hatte sich die als verdächtig ausgemerzte Ware in der
Kriegsbarke zu einem ansehnlichen Haufen angesammelt. Diese machte sich
demnach von meinem Borde los, entfernte sich einige hundert Klafter
abwärts und begann nun, den konfiszierten Käse ins Wasser zu werfen.
Überall trieben die Stücke umher, aber ebenso bald auch machten alle
Schaluppen und Fahrzeuge in der Nähe Jagd auf eine so willkommene Beute.
Die Soldaten in der Barke suchten zwar diese Kapereien zu verhindern,
schrieen, schimpften, und machten sogar Miene, Feuer zu geben; doch
demungeachtet ward ein großer Teil von diesem Pestkäse glücklich wieder
aufgefischt und hoffentlich auch ohne weiteren Nachteil für Leben und
Gesundheit verzehrt.

Aber auch mein Weizen machte den Polizei-Offizianten Besorgnis. Denn
ihrer sieben fanden sich ein, um seine Beschaffenheit zu untersuchen.
Unglücklicherweise fanden sich nun einige zwanzig Weizensäcke, die zu
äußerst an den Seiten gelegen hatten und von dem feuchten Dunst im Raume
auswendig beschimmelt waren. Sofort war auch ihnen das Todesurteil
gesprochen. Sie wurden aufgeschnitten und der Inhalt kurzweg über Bord
geschüttet. Ich bewies durch den Augenschein, daß der Weizen in diesen
Säcken nicht den mindesten Schaden gelitten, ich klopfte ihnen sogar auf
ihre Schubsäcke, die sie mit diesem nämlichen, für verpestet
ausgeschrienen Korne dick auszustopfen nicht verabsäumt hatten. Sie
schüttelten bloß die Köpfe und entgegneten, die eingesackten Pröbchen
seien nur zum Futter für ihre Hühner bestimmt, die sich ja als ein
unvernünftiges Vieh den Tod nicht daran fressen würden.

Überhaupt sollte mein diesmaliger Aufenthalt in Lissabon nicht so
geeignet als jener frühere sein, mir eine vorteilhafte Meinung von den
Portugiesen beizubringen. Als ich eines Tages mit meinem Sohne, der mich
auf dieser Fahrt begleitete, durch eine abgelegene Gasse ging,
erblickten wir unter einem Bogengewölbe ein Muttergottesbild, vor
welchem mehrere Lichter brannten. Vor dergleichen pflegt kein guter
Katholik vorüberzugehen, ohne seine Kniee zu beugen und seinen
Rosenkranz abzubeten. Zu beidem spürten wir keine Lust in uns. Ich
blickte daher sorgsam vor und hinter mich, und da ich nirgends eine
menschliche Seele gewahrte, rief ich meinem kleinen Begleiter zu, tapfer
mit mir fortzuschreiten, bevor uns jemand hier erblickte und uns
vielleicht ein böses Spiel bereitete.

Doch in dem nämlichen Augenblicke führte unser Unstern einen
liederlichen Gassenbuben herbei, der unsern Mangel an Andacht
wahrgenommen haben mochte, und sofort mit Hallo und Geschrei hinter uns
drein lief, Steine aus dem Pflaster aufriß und uns mit Würfen verfolgte.
Gleich in der nächsten Minute hatte sich ein ganzer Menschenschwarm
gesammelt, der auf uns einstürmte, uns mit Unflat bewarf und aus vollem
Halse den Ausruf »Ketzer! Ketzer!« hinter uns her ertönen ließ.
Glücklicherweise konnten wir um eine Straßenecke und dann wieder um eine
Ecke einbiegen, wodurch wir dem rasenden Pöbel aus dem Gesichte kamen.
Zu noch besserer Sicherheit traten wir in einen, uns eben aufstoßenden
Gewürzladen, wo ich eine Kleinigkeit kaufte und den aufgeregten Sturm
vollends vorüberziehen ließ.

Alles dies vermehrte meinen Wunsch, diesen Hafen je eher je lieber
wieder zu verlassen. Auch fand ich binnen kurzem eine anderweitige
Ladung, aus Zucker, Kaffee, Wein bestehend, die nach Hamburg bestimmt
war und mit deren Einnehmung ich mich sofort aufs fleißigste
beschäftigte. Hier aber traf mich alsbald ein Verdruß anderer Art, der
mich um all meine gute Laune zu bringen drohte. Es gab nämlich eine
Menge von dänischen, schwedischen und holländischen Schiffen auf dem
Platze, welche mich um diese vorteilhafte Fracht beneideten und sie
womöglich gerne rückgängig gemacht hätten. Da sie nun allesamt mit den
Barbaresken in Frieden lebten, ich aber als Preuße keine Türkenpässe
aufzuweisen hatte, so sprengten sie an der Börse die lügenhafte Zeitung
aus, daß zwei Algierer vor der Mündung des Tajo kreuzten und auf gute
Beute lauerten.

In der Tat erreichten sie insofern ihren Zweck, daß meinen Auftraggebern
unheimlich bei der Sache wurde, da sie bei mir auf keine freie Flagge
zu rechnen hatten, und einer von ihnen, der mir bereits zwei Kisten mit
spanischen Talern, als Frachtgut, in meine Kajüte gegeben hatte, ließ
sie zurückfordern, und zog es vor, sich mit mir auf Erlegung der halben
bedungenen Fracht zu einigen. Dagegen wußte ich die übrige, schon
eingenommene Ladung standhaft zu behaupten, stach mit Ausgang des Juli
in See, ohne einen Korsaren zu erblicken, und erreichte, sonder alles
weitere Abenteuer, die Elbe glücklich und wohlbehalten.

       *       *       *       *       *

Indes schien es mir gleichwohl vom Schicksal bestimmt, daß ich immer
aufs neue mit Lissabon zu schaffen haben sollte; denn gleich meine
nächste Fahrt, mit allerlei Stückgütern von Hamburg, war wieder auf
diesen Platz gerichtet. Ich ging dahin im September ab, konnte aber erst
Mitte November im Tajo Anker werfen. Desto hurtiger ging es aber mit
meiner nächsten wiederum nach Hamburg bestimmten Rückreise, wo ich
bereits nach Verlauf von vier Wochen anlangte, aber nun auch, des
inzwischen eingetretenen starken Frostes wegen, mich entschließen mußte,
zu überwintern.

Im nächsten Frühling 1782 neigte sich der amerikanische Krieg immer mehr
zum Ende. -- Ein Ereignis, welches sofort auch einen sehr bemerkbaren
ungünstigen Einfluß auf den bisher so lebhaft betriebenen Handel der
Neutralen äußerte, und wovon ich selbst unmittelbar die Folgen spürte,
indem ich beinahe den ganzen Sommer auf der Elbe liegen blieb, ohne
irgendeine mir konvenable Fracht zu finden. Diesen mir aufgedrungenen
Müßiggang benutzte ich dazu, meine Papiere in Ordnung zu bringen und
mich mit meinem Patron, Herrn Groß in Stettin, über sämtliche Reisen,
die ich bisher für ihn getan hatte, zu berechnen. Sobald dies Stück
Arbeit fertig war, schickte ich es, mit sämtlichen Belegen über Einnahme
und Ausgabe, an ihn ein, und machte ihm bemerklich, wie ich mit seinem
Schiffe, nach Abzug aller Ausrüstungs- und Unterhaltungskosten, aller
Volkslöhnungen, angeschafften und verbrauchten Provisionen,
Assekuranz-Prämien und außerordentlichen Kosten reine fünfunddreißigtausend
Taler für ihn verdient habe. Was jedoch den letzteren Artikel der
»extraordinären Ausgaben« betreffe, so beruhigte ich mich mit seiner
eigenen langen Erfahrung im Schiffswesen, daß er den Unterschied der
Zeiten nicht übersehen werde.

Diesen Rechnungen schloß ich zugleich eine Übersicht meiner eigenen
Forderungen an ihn bei, die sich auf tausendsiebenhundertundeinundsiebzig
Taler und einige Groschen beliefen, mit der Bitte, mir darüber einen
Revers zukommen zu lassen, den ich, um Lebens und Sterbens willen, bei
Johann Daniel Klefecker in Hamburg niederzulegen gedächte. Meine Papiere
aber wünschte ich, nachdem sie von ihm durchgesehen und gutgeheißen worden,
von seiner Güte zurückzuempfangen.

Herr Groß schien jedoch bei diesem allem keineswegs die Eile zu haben,
welche meine Ungeduld bei ihm voraussetzte. Seine Antwort blieb mir bald
gar zu lange aus. Alles was mir früher von seiner unverträglichen
Gemütsart gesagt worden, stieg mir wieder zu Kopf, und da ich noch
verschiedene Posttage wieder vergeblich geharrt hatte, konnte ich mich
länger nicht enthalten, ihm schriftlich mein Befremden zu äußern, daß er
mich in dieser peinigenden Ungewißheit lasse. Erregten ihm meine
Rechnungen Mißtrauen, und zweifle er an meiner Redlichkeit, so möge er
hier in Hamburg einen anderen Schiffer bestellen, damit ich mich in
Stettin persönlich ausweisen und meine Ehre sicherstellen könne.

Kaum war dies Dokument meines Unmuts auf den Weg gegeben, als mit
nächster Post ein Schreiben von Herrn Groß einlief, das mich in der
innersten Seele beschämte. Er äußerte sich darin: »Mein lieber Sohn, ich
bin mit Ihnen, wie mit Ihren Rechnungen und Handlungen, herzlich zufrieden.
Für Ihre treuen und ehrlichen Dienste übersende ich Ihnen hierneben als
Geschenk einen Wechsel von tausend Mark Hamburger Banko, den Sie sogleich
ziehen mögen, damit Sie Geld für sich in Händen haben. Demnächst erhalten
Sie den verlangten Revers über tausendachthundertundeinundsechzig
Taler, die Sie bei mir zugute haben.«

Hier gab es jedoch eine Differenz von neunzig Talern in dem letzteren
Posten, die, so sehr auch alles übrige mich freute, nur in einem
Rechnungsfehler meines Patrons ihren Grund haben konnte und also
ehebaldigst ausgeglichen werden mußte. Indem ich mein Buch zu Hilfe
nahm, konnte ich ihm sogar auch die Gelegenheit nachweisen, wo ich
diesen sich doppelt angerechneten Vorschuß von neunzig Talern in Stettin
verausgabt hatte. Ich machte ihn also schriftlich hierauf aufmerksam,
und bat, mir einen anderen, um soviel niedriger gestellten Revers zu
behändigen. Er aber antwortete mir: »Allerdings habe ich mich in meiner
Rechnung versehen, allein nicht in Ihrer Rechtschaffenheit; und so soll
es mit meinem zuerst ausgestellten Revers sein Bewenden behalten.«

       *       *       *       *       *

Inzwischen hatte ich diesem Ehrenmanne, als bereits der Juli
herangelaufen war, gemeldet, daß mir's unerträglich fiele, mit seinem
Schiffe hier noch länger untätig auf der Bärenhaut zu liegen und es im
Hafen verfaulen zu sehen. Er möchte mir demnach gestatten, Ballast
einzunehmen und nach Memel zu gehen, wo ich eine Ladung fichtener Balken
für eigene Rechnung einzunehmen und diese in Lissabon abzusetzen
gedächte, die dort, meiner Erfahrung nach, mit Vorteil abzusetzen sein
würde. Als Rückfracht ließe sich, im schlimmsten Falle, wiederum eine
Ladung Seesalz einnehmen und nach Riga verführen.

Herr Groß stand nicht an, diese Vorschläge zu genehmigen. Ich nahm, da
ich meine Leute schon im Winter entlassen, neues Hamburger Schiffsvolk
an und trat, Mitte August, die Reise nach Memel an. Als wir zur Elbe
hinaus und gegen Helgoland kamen, ging der Wind in Westnordwest, und es
war regnerisches und stürmisches Wetter. Mein Steuermann hatte, wie ich
mit Leidwesen bemerkte, etwas zu tief in die Flasche gesehen. Ich
wollte dem Ding abhelfen, ließ einen Teekessel mit Wasser und Wein
aufsetzen und reichte ihm davon einige Tassen zur Ernüchterung: allein
das schien ihn fast noch mehr zu benebeln. Um 8 Uhr abends teilte ich
die Wachen ein, demzufolge der Steuermann und das halbe Volk die erste
bis Mitternacht übernehmen sollten, und wobei ich den ersteren anwies,
auf keinen Fall östlicher als Nordost zu steuern, um nicht auf Land zu
geraten, bei dem allermindesten Vorfall aber, der sich ereignen könnte,
mich sofort zu wecken.

Zwar begab ich mich hierauf in meine Kajüte zur Ruhe, doch war mein
Gemüt zu voll von Unruhe und böser Ahnung, als daß ich hätte Schlaf
finden können. Ich warf mich hin und her im Bette; horchte nach jedem
Geräusche, das auf dem Verdeck über mir laut ward, und hörte endlich den
Mann am Ruder in die Worte ausbrechen: »Nein, es geht doch toll auf
diesem Schiffe her! Kein Licht beim Kompaß; kein Steuermann auf dem
Deck. -- Ich weiß selbst nicht mehr in der Finsternis, welchen Strich
ich halten soll.«

Es war mir bei diesen angehörten Stoßseufzern, als ob mich der Donner
rührte. Ich fuhr mit gleichen Füßen aus dem Bette und sprang aufs
Verdeck. »Was steuert Ihr auf dem Kompaß?« fragte ich den Menschen und
erhielt eine konfuse Antwort, aus welcher ich jedoch vernahm, daß ihm
der Wind das Licht, welches sonst regelmäßig neben dem Kompaß in einer
Laterne brennt, ausgeweht habe. Daneben spürte ich deutlich, daß uns der
Wind von hinten kam, anstatt er höchstens den Backbord hätte treffen
sollen. -- »Wo ist der Steuermann?« -- Der lag in seiner Koje,
schnarchte und wußte von seinen Sinnen nichts!

Fast hätte eine so rasende Unordnung mich auch um die meinigen gebracht!
Ich machte Lärm unter dem Volk; es mußte Licht gebracht werden, und als
ich damit den Kompaß beleuchtete, ersah ich mit Todesschrecken, daß das
Schiff gegen Südosten, gerade auf die Küste zu, anlag. Ohne einen
Augenblick zu verlieren, griff ich zur Ruderpinne, wandte das Schiff
durch Süden nach Westen und ließ gleich darauf das Bleilot auswerfen,
welches nicht mehr als vier Klafter Tiefe anzeigte. So lag es denn am
Tage, daß wir nur noch ein paar Minuten länger in jenem verkehrten Kurs
hätten fortsteuern dürfen, und wir wären ohne Rettung auf den Strand
gegangen, wo wir vielleicht Schiff und Leben eingebüßt hätten.

Aber auch jetzt noch blieb es für die ersten Augenblicke zweifelhaft, ob
alle unsere Anstrengungen uns aus dieser Gefahr wieder loshelfen würden.
Sobald ich endlich diese Überzeugung gewonnen hatte, schien es mir
nötig, ein Beispiel zu statuieren. Ich holte den Taugenichts von
Steuermann bei den Haaren aus seiner Kammer hervor, gab ihm ein paar
Fußtritte, wie er's verdient hatte, und hielt zugleich auch der übrigen
Mannschaft eine Strafpredigt, woran sie meinen Ernst abnehmen mochte.

Von jetzt an gab es nichts als widrige Winde, die uns volle vierzehn
Tage hindurch nötigten, in der Nordsee und bei Skagerrak umherzukreuzen.
Was aber meinen Unmut noch höher steigerte, war der widerspenstige Sinn
meines Schiffsvolks, der sich, je länger je ungescheuter, offenbarte.
Kam es zu verdienten Verweisen und Ermahnungen, so hieß es immer: »Pah!
Wir sind Hamburger und keine Preußen! Wir kennen unsere Rechte; so muß
man uns nicht kommen!« -- Was mich jedoch am meisten verschnupfte, war
eine gegen allen Seemannsbrauch streitende Gewohnheit, die sie gegen
meinen Willen in Gang zu bringen suchten. Sie lagen nämlich bei Tag und
Nacht über ihren Tee- und Kaffeekesseln, und so oft ich in die Kombüse
sah, hingen oder standen acht oder zehn solcher Maschinen bei einem
Feuer, woran man vielleicht einen Ochsen hätte braten können -- ein
Unwesen, wobei nicht nur unser Kohlenvorrat unnütz verschwendet, sondern
auch dem Schiffe beständige Gefahr durch verwahrlostes Feuer drohte.

Als mir dieser Unfug endlich zu arg ward, tat ich ihnen ernstliche
Vorhaltung, daß dies gegen alle gute Ordnung sei und fortan abgestellt
bleiben müsse. Es solle dagegen mein eigener großer Kessel fortwährend
am Feuer stehen, und was ich selbst nicht gebrauchte, möchten sie nehmen
und unter sich einteilen. Allein auch das war in den Wind geredet, und
mit dem Tee- und Kaffeegesöff blieb es beim alten. Fast gewann es den
Anschein, als ob man Lust habe, sich um meine Anordnungen gar nicht mehr
zu kümmern.

Eines Abends, nach Endigung des Gebets, hieß ich der Mannschaft noch
etwas sitzen zu bleiben, und mit ebensoviel Ernst als Güte deutete ich
ihnen meinen festen Willen an, daß das Kunkeln mit den vielen Teekesseln
von Stund an ein Ende haben müsse. Sie hingegen pochten, unter Lärm und
Geschrei, nach gewohnter Weise, daß sie Hamburger wären und keine
Preußen, und sich ihr Recht nicht nehmen lassen würden. Ich hielt jedoch
an mich und sagte mit möglichster Ruhe: »Ihr wißt nun meinen Willen, und
das ist genug!«

Am nächsten Morgen um 8 Uhr stieg ich, meiner Gewohnheit gemäß, in den
Mastkorb, mich umzusehen. Indem ich dabei meine Blicke zufällig nach
unten richtete, nahm ich wahr, daß mein ganzes Volk, den Bootsmann und
den Koch an der Spitze, wie verabredet, in einer Reihe, und jeder seinen
Teekessel in der Hand, von hinten nach der vorderen Luke zuschritten, um
sich im Raume mit frischem Wasser zu versehen. Dies sehen und mich am
nächsten besten Tau an den Händen herunterlassen, war das Werk eines
Augenblicks. Glücklich gelangte ich so aufs Verdeck, bevor sie noch die
Luke erreichten, und mit fester Stimme rief ich: »Was ist das? Was soll
das?« -- indem ich zugleich dem Bootsmann wie dem Koch die Teekessel aus
den Händen riß und weit hinaus über Bord ins Meer schleuderte.

Hui, das hieß in ein Wespennest gestochen! Die Kerle schlossen einen
dichten Kreis um mich her, und schrien wie unsinnig: »Schlagt zu!
Schlagt zu!« -- doch keiner hatte das Herz, der erste zu sein. Diese
Unschlüssigkeit gab mir Zeit, mich durch sie hindurchzuwinden und mit
starken Schritten nach meiner Kajüte zu eilen, wiewohl alsobald auch
der helle Haufe mit einem fürchterlichen »Halt auf! Schlag zu! Halt
fest!« mich auf dem Fuße dahin verfolgte. Doch gelang mir's, die
Kajütentür hinter mir zuzuschlagen und den Riegel von innen
vorzuschieben.

In der Tat war nun meine Lage bedenklich genug: mein Leben sowohl wie
die Erhaltung des Schiffes standen hier auf dem Spiele. Sinnend und in
stürmischer Bewegung ging ich auf und nieder, um über irgendeine
durchgreifende Maßregel zu meiner Rettung mit mir einig zu werden. Ich
erinnerte mich endlich, daß ich, einige Reisen früherhin, in Hamburg
einen Abdruck des dort geltenden Schiffs- und Seerechts gekauft und bei
mir an Bord hatte, sowie, daß ich dasselbe zum öftern durchblättert und
mir mehrere Punkte angestrichen hatte, worüber Volk und Schiffer am
leichtesten und gewöhnlichsten miteinander zu zerfallen pflegen, falls
ich irgend einmal in einen ähnlichen Zwist geraten sollte.

Ungesäumt holte ich dies Buch aus seinem Winkel hervor, schlug den
gesuchten Artikel nach, und fand folgendes verzeichnet:

     »Einem Schiffer steht frei, seine Leute zu züchtigen, und es darf
     keine Gegenwehr geschehen. Sollte aber ein Schiffsmann sich
     unterstehen, seinen Schiffer zu schlagen oder sonst zu mißhandeln:
     so wartet seiner der Galgen, nach Hamburger Recht. -- Ebenso nach
     englischem und holländischem Seerecht. -- Nach dänischen und
     schwedischen Gesetzen wird der Verbrecher mit der Hand an den
     Galgen genagelt, um 6 Stunden daran zu stehen, bis ihm das Messer,
     womit er angenagelt ist, wieder herausgezogen worden. -- Nach
     preußischem Seerecht wird er 6 Monat in Eisen an die Karre
     geschmiedet.«

Ich zeichnete nunmehr diese Gesetzstelle an, legte das Titelblatt mit
den großgedruckten Worten »Hamburgisches Schiffs- und See-Recht«
aufgeschlagen auf den Tisch, und meinen kurzen aber gewichtigen
Rohrstock daneben, und zog nun die Glocke, die den Kajütenjungen mit
seiner Frage: »Was zu Dienst?« herbeirief. -- »Der Bootsmann soll zu
mir kommen.« -- Eine Minute später trat der Geforderte zuversichtlich
in die Kajüte, deren Tür ich sofort hinter ihm ins Schloß warf.

»Kannst du Deutsch lesen, Bursche?« fragte ich ihn, indem ich ihm dicht
auf den Leib trat. -- »Hm, ich werde ja! Was soll's damit?« lautete die
Antwort. -- »So tritt her und lies diesen Titel. Das sind die Gesetze,
wonach deine Vaterstadt dich und deinesgleichen richtet. Und nun lies
und beherzige hier auch _diesen_ Artikel.« -- Er sah den Paragraphen
überhin an und fuhr dann heraus: »Hoho, das ist nur Wischewäsche!« --
»So, guter Kerl? Nun, so will ich dir zeigen, was Wischewäsche ist,« und
damit griff ich nach dem spanischen Rohr und walkte ihn durch aus
Leibeskräften. Das böse Gewissen erlaubte dem Buben nicht, sich tätlich
zu widersetzen, sondern er taumelte nur stöhnend aus einem Winkel in den
anderen, um meinen Streichen zu entgehen. So geschah es, daß mein
Strafgericht in dem engen Raume der Kajüte ebensowohl die umher
angebrachten Glasschränke samt den darin befindlichen Gläsern und Tassen
traf, was ich aber in meinem brennenden Eifer nicht achtete.

Endlich, da ich meinen Arm erlahmt fühlte, stieß ich den Taugenichts mit
den Füßen zur Kajüte hinaus, riegelte die Tür hinter mir zu und nahm mir
nun etwas Zeit zum Verschnaufen. Der Anfang zur Wiederherstellung meiner
Autorität war glücklich gemacht und damit zugleich ein schwerer Stein
von meinem Herzen gefallen. Die Kerle steckten in keinen reinen Schuhen
und fingen an, bei meiner Entschlossenheit perplex zu werden. Ich durfte
nun aber auch nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern sie mußten
noch gewichtiger fühlen, daß ich ihnen gewachsen war. Sobald ich mich
demnach ein wenig erholt hatte, zog ich abermals die Schelle und ließ
nunmehr auch den Koch vor mich fordern.

Der Schelm mochte nun wohl schon erfahren haben, was seiner wartete. Er
leistete also zwar Gehorsam, beobachtete aber die kluge Vorsicht, die
Tür nur gerade so weit zu öffnen, daß mir Nase und Augen sichtbar
wurden. »Näher, Schurke!« donnerte ich ihm entgegen; er hingegen suchte
mich zu begütigen und bat: »O, lieber Kapitän, laßt es doch gut sein!«
-- Ich wiederholte mein Gebot; da er aber gleichwohl die Tür in der Hand
behielt, warf ich ihm mein Rohr an den Kopf, und er sah dabei seine
Gelegenheit ab, die Tür zuzuschnappen und sich aufs Verdeck
zurückzuziehen. -- Auch der zweite Feind war nun aus dem Felde
geschlagen; jetzt kam es noch darauf an, einen entscheidenden
Hauptschlag zu vollführen und die Kerle durch plötzlichen Schreck
vollends zu unterjochen.

Ich überlegte im Auf- und Abgehen, daß, je längere Zeit ich bei dem
anhaltenden Gegenwinde bedürfen würde, um den Sund zu erreichen und mein
rebellisches Volk durch obrigkeitlichen Beistand zu Paaren zu treiben,
leicht in den nächsten Augenblicken sich etwas ereignen könnte, was
seinen gesunkenen frechen Mut wieder höbe und das Übel ärger machte. Am
gescheitesten also schien mir's, den nächsten norwegischen Nothafen
aufzusuchen und dort Recht und Gerechtigkeit zu fordern.

Hierzu entschlossen, nahm ich meinen Schiffshauer unter den Arm, kam
festen Schrittes auf das Verdeck hervor und gebot dem Manne am Ruder:
»Paß auf, Junge, und steuere Nordnordost!« -- Das gesamte Schiffsvolk
stand auf einem Haufen versammelt und steckte die Köpfe zusammen. Als
ich ihnen aber zurief, nach vorn zu gehen und die Segel nach dem Winde
zu ziehen, verrichteten sie diese Arbeit pünktlich und in sichtbarer
Gemütsbewegung. Nur der Steuermann, der sich bei dem ganzen Vorgange wie
ein Dummbart abseits gehalten, trat jetzt mit der verwunderten Frage zu
mir heran: »Ei, Kapitän, wo denn nun hin?« -- »Wie?« rief ich in Gift
und Galle, »Ihr seid Steuermann und begreift das nicht? Nach Norwegen
geht der Kurs, und dort geradezu auf den Galgen los. Will ich meines
Lebens und Schiffes sicher sein, so müssen binnen hier und drei Tagen
ein paar Rebellen hoch in der Luft baumeln!«

Das sämtliche Volk hatte diese Drohung, wie es meine Absicht war, mit
angehört. Ich hörte ihr Geflüster und sah, wie sie untereinander etwas
ernstlich zu bereden schienen. Noch konnte ich nicht erraten, was sie im
Schilde führten. Um aber auf alles gefaßt zu sein, zog ich meinen Hauer
blank, trat mitten unter sie und fragte gebieterisch: was sie wollten?
-- Der Bootsmann nahm für sie das Wort, dem sie nach und nach alle
beifielen, und gestand mit Zerknirschung, sie hätten sich übereilt und
vergangen, bäten mich um Vergebung und versprächen, sich hinfüro besser
gegen mich zu betragen.

»Ei wohl!« entgegnete ich ihnen -- »Respekt und Gehorsam gegen mich
verstehen sich wohl von selbst. Aber was ich wegen des Vergangenen über
euch beschließe, darüber werde ich mich allerdings noch besinnen müssen.
Jetzt an die Arbeit!« -- Für mich selbst aber zog ich nunmehr in
Erwägung, daß, da die Kerle dergestalt zu Kreuze gekrochen, die Fahrt
nach Norwegen nur eine unnötige Zeitversplitterung sein und es besseren
Vorteil versprechen werde, in See zu bleiben und meine Reise möglichst
zu beschleunigen. Indem ich sie also aufs neue zusammenberief, erklärte
ich ihnen, daß ihr böser Handel vorerst mit dem Liebesmantel zugedeckt,
wenngleich nicht ganz vergeben sein solle, was sich zu seiner Zeit
weiter ausweisen werde.

Demnach änderte ich meinen Kurs wieder nach Osten gegen das Kattegatt,
bis mich in der Nacht vom 2. zum 3. September ein dermaßen schrecklicher
Sturm aus Nordosten überfiel, wie ich ihn kaum jemals erlebt habe und
wie er in dieser beengten Meeresgegend verdoppelte Gefahr drohte. Am
Abend vorher zählte ich in meinem Gesichtskreise, auf etwa zwei Meilen
umher, nicht weniger als zweiundvierzig Segel, die gleich mir nach dem
Sunde steuerten. Der Sturm verstärkte sich aber von Stunde zu Stunde, so
daß ich endlich keinen einzigen Lappen Segel führen konnte und mit jeder
Woge fürchten mußte, auf eine blinde Klippe zu stoßen, welche hier
meilenweit vom Lande zu Hunderten umhergesät sind. Doch Gott erhielt uns
wunderbarlich; am nächsten Morgen aber waren von jenen zweiundvierzig
Schiffen nah und fern nicht mehr als vierzehn zu erblicken und gewiß
ging der größte Teil der fehlenden in dieser entsetzlichen Nacht
zugrunde. Für uns Gerettete hingegen stieg alsbald wieder ein
freundliches Wetter auf, das uns glücklich nach dem Sunde führte.

       *       *       *       *       *

Hier nicht länger, als unumgänglich notwendig, zu verweilen, gab es noch
einen geheimen Grund. Ich hatte meinem Vater schon von Hamburg aus nach
Kolberg geschrieben, daß ich auf dieser Reise alles daransetzen würde,
mich der Reede meiner Geburtsstadt dergestalt zu nähern, daß ich die
Freude haben könnte, ihn und die Meinigen im Vorüberfahren auf einige
Stunden bei mir am Borde zu begrüßen. Ich wollte dabei an einem roten
Stender kenntlich sein, den ich am Vordertop würde wehen lassen, und ich
bat ihn und alle guten Freunde, mir diesen gehofften Genuß nicht zu
verderben.

In der Tat wollten mir auch Wind und Wellen so wohl, daß ich, obgleich
erst zum 29. September, mich auf der Kolberger Reede zeigen konnte. Da
es gerade ein Sonntag war, so befanden sich nicht bloß meine erbetenen
Gäste, sondern auch noch anderweitige zahlreiche Bekannte auf der Münde,
welchen der Besuch an meinem Schiffe eine gelegene Lustpartie schien,
und die mir daher, vielleicht hundert Köpfe stark, gern gesehen, an
meinem Borde zusprachen. Bei dem schönen Wetter ging ich gar nicht
einmal vor Anker, sondern blieb mit Hin- und Herkreuzen unter Segel.
Kajüte und Verdeck wimmelten von bekannten Gesichtern und fröhlichen
Menschen, bis endlich abends alles wieder zu Lande fuhr, und ich darf
mit Wahrheit sagen, daß ich diesen Tag für einen der vergnügtesten
meines Lebens achte.

Nach genommenem Abschiede erhielt ich einen guten steifen Wind, der mich
schon zu Abend des anderen Tages ins Angesicht von Memel brachte. Hier
aber hatte er sich allmählich in einen Sturm verwandelt, der es den
Lotsen unmöglich machte, zu uns heranzukommen, und keck, wie ich war,
unternahm ich mir's, auf meine eigene Gefahr auf den Hafen zuzusetzen.
Das Wagestück ließ sich auch gut genug an, bis ich zwischen die beiden
Haken kam, wo sich's fand, daß das Fahrwasser viel zu westlich lief, als
daß ich mich mit diesem Winde dagegen wenden konnte. Zwar machte ich, da
hier Not an Mann ging, den verzweifelten Versuch, allein das Schiff
wollte dem Steuer nicht länger folgen und trieb augenscheinlich gerade
auf den Nordhaken zu.

Jetzt stand, mit der Entschließung des nächsten Augenblicks, unser Leben
und alles auf dem Spiele. Ich ergriff ein Beil, kappte flugs das Bogreep
und die übrigen Leinen, woran der Anker sich hielt und der nun mit
seinem ganzen vollen Gewichte in den Grund fiel. Nun hatte das Schiff
für den Moment den fehlenden festen Stützpunkt gefunden; es schwang sich
um den Anker, und kaum hatte es sich auf diese Weise nach Wunsch
gewandt, so hieb ich mit einem kräftigen Streiche auch das Ankertau
entzwei, ließ den Anker stehen und kam glücklich und ohne Schaden wieder
in See, bis des andern Tages der Wind nördlicher ging und ich in aller
Gemächlichkeit den Hafen erreichte.

Obwohl nie ein Freund tyrannischer Härte in meinem Kommando, und auch
hier nicht von einer besonderen Rachsucht getrieben, glaubte ich es doch
sowohl mir selbst als dem allgemeinen Besten schuldig, meine
Schiffsmannschaft wegen ihrer angezettelten Meuterei bei dem Seegerichte
in Memel sofort nach meiner Ankunft anzuklagen. Die Sache ward
untersucht und der Spruch fiel dahin aus, daß dem Bootsmann als
Rädelsführer hundert Stockprügel in zwei Tagen, dem Koch fünfzig und
noch einem Matrosen fünfundzwanzig zugezählt werden und sie ihrer
verdienten Gage verlustig gehen sollten, welche den seefahrenden Armen
zuerkannt wurde. Nach empfangener Strafe aber sollten sie über die
nächste preußische Grenze gebracht werden.

Laut dieses Urteils wurden sie sogleich in die Militärwache abgeführt
und an dem bestimmten Tage ein paar Unteroffiziere beordert, die Sentenz
an ihnen zu vollziehen. Ich meinesteils erachtete es für gut und
wohlgetan, mein übriges Schiffsvolk mit herbeizuführen, um Zeugen der
Exekution zu sein und sich darin zu spiegeln. Die drei Kerle traten
ziemlich keck aus dem Wachloche hervor und schienen den Korporalstock
wenig zu fürchten, bis man sie aufs Hemd entkleidete und daneben der
warmen Fütterung beraubte, wodurch sie sich zu schützen vermeint hatten.
Hoffentlich drang nun der wohlverdiente Denkzettel durch die neunte
Haut; ich aber, froh, ihrer los und ledig zu sein, nahm wieder in ihre
Stelle drei englische Matrosen an, welche von einem Schiffe in Libau
heimlich abgegangen waren.

       *       *       *       *       *

Gehörte jenes Strafgericht zu den Unannehmlichkeiten meines Aufenthaltes
in Memel, so war mir hier doch auch eine zweifache herzliche Freude
durch lebhafte Rückerinnerung an meine Jugendzeit vorbehalten. Nicht nur
fand ich ganz unvermutet in dem Post- und Bankdirektor W** meinen
einstmaligen treuen Taubenfreund wieder, dessen ich eingangs dieser
meiner Lebensgeschichte unter einem bei weitem nicht so stattlich
klingenden Titel gedacht und der mich mit voller alter Herzlichkeit
aufnahm, sondern auch mit dem ehemaligen Kolberger Kaufmann Seeland traf
ich hier zufällig zusammen, dessen Dörtchen mir einst, nach meinem
verunglückten Turmritt, eine unvergeßliche Semmel zugesteckt hatte, und
die ihn auch jetzt auf dem Wege nach der Insel Oesel begleitete, wo der
gute verarmte Mann bei seinem Sohne, einem dort wohnenden Prediger,
Zuflucht und Unterstützung suchte. Wie dauerte mich, um meiner
jugendlichen Wohltäterin willen, das Schicksal dieser Familie! Aber wie
machte mich's jetzt auch glücklich, daß ich meinem dankbaren Herzen
seinen Willen lassen konnte!

Übrigens machte ich in Memel für meinen Patron ein noch besseres
Geschäft, als ich gehofft hatte, indem ich, anstatt eine Ladung für
eigene Rechnung einzunehmen, Gelegenheit fand, mit Herrn Kaufmann
Wachsen eine leidlich gute Fracht auf Lissabon über eine Partie
Schiffsmasten, fichtene Balken und Stangeneisen abzuschließen. Zufällige
Umstände verhinderten jedoch, daß ich vor Anfang November nicht klar
werden konnte, und dann hatte ich, des früh eingetretenen Winters wegen,
Mühe, durch das Eis in See zu gelangen. Überdem noch trieben mich
widrige Winde fast drei Wochen in der Ostsee umher, bevor ich in den
Sund kam, nun aber mit günstigerer Fahrt die Nordsee erreichte.

Allein auf die Dauer eines solchen erwünschten Wetters war in dieser
vorgerückten Jahreszeit freilich nicht zu rechnen und wirklich gab es
auch schon in den ersten Tagen des Dezembers wieder konträren Wind und
Sturm, wobei wir rings um uns her mancherlei Schiffstrümmer, Masten,
Stangen, Ruder und ein umgekehrtes Boot treiben sahen. Noch auffallender
aber war uns der Anblick eines Schiffes, etwa eine Meile nördlich vor
uns, dem der große Mast fehlte und das noch mancherlei andere Spuren von
Zertrümmerung zeigte.

Abends um acht Uhr, als wir des widrigen Windes wegen uns gegen Norden
legen mußten und ich eben die Wache hatte, meldete mir der Ausgucker,
daß er nahe vor uns ein Schiff gewahr werde. Ich ließ sofort eine
Laterne aushängen und erwartete, daß auch jenes, wie es Brauch ist, ein
gleiches tun werde, damit wir nicht zu nahe aneinander gerieten und uns
beschädigten. Es geschah aber nicht; ich lief indessen so dicht vorüber,
daß ich trotz der Dunkelheit deutlich erkennen konnte, wie ihm der große
Mast fehlte und die See schäumend über Bord hinstürzte. Es war also ohne
Zweifel das nämliche Schiff, welches wir schon tags zuvor erblickt
hatten, und deuchte mir von ziemlicher Größe zu sein, aber steuerlos auf
seiner Last zu treiben.

Im Vorübersegeln rief ich es zu wiederholten Malen durch das Sprachrohr
mit Holla! Holla! an, erhielt jedoch keine Antwort und mußte daraus
schließen, daß es von seiner Besatzung verlassen worden. Dies regte nun
allmählich allerlei wunderliche Gedanken in mir auf, die sich endlich in
die Vorstellung auflösten, das herrenlose Wrack mit dem grauenden Morgen
wieder aufzusuchen, es ins Schlepptau zu nehmen und nach Norwegen zu
führen, von dessen Küsten wir nur einige und zwanzig Meilen entfernt
waren. Der Wind zur Fahrt dahin wehte günstig, und für die aufgewandte
Zeit und Mühe schien ein so bedeutender Fund, auch ohne Rücksicht auf
die etwaige Ladung, uns genügend entschädigen zu können.

Bei dem Wechsel der Wache um Mitternacht teilte ich diesen Anschlag dem
Steuermanne mit, der meiner Meinung beistimmte und mit dem ich nunmehr
für die übrige Nacht einen solchen Kurs verabredete, daß wir hoffen
konnten, uns bei Tagesanbruch wieder in der Nähe jenes Schiffes zu
befinden. In der Tat auch erblickten wir es kaum eine halbe Meile vor
uns unter dem Winde. Obwohl nun das Wetter ziemlich stürmisch war,
setzten wir doch sofort unser großes Boot aus, und indem wir uns mit
unserem eigenen Schiffe dem Wrack bis auf eine Entfernung von etwa
achtzig Klaftern näherten und mit dem Boote ein Kabeltau auslaufen
ließen, versuchte ich, nebst den mit mir genommenen sechs Matrosen,
unser möglichstes, dort an Bord zu gelangen.

Freilich ward dies Wagestück bald um so schwieriger, da wir's nicht
verhindern konnten, hinten unter dem Schiffe vorübergetrieben zu werden,
während dieses von den Wogen aufs heftigste gewälzt wurde und wir jeden
Augenblick befürchten mußten, mit unserm Boote und dem schweren Ankertau
in den Grund zu versinken. Endlich gelang es uns zu entern, das Ende des
Taues zu befestigen und uns auf unserer Prise ein wenig umzusehen. Es
war eine greuliche Zerstörung darauf vorgegangen, und sicherlich hätte
das Schiff längst sinken müssen, wenn es nicht mit Holz und Balken
geladen gewesen wäre.

Nachdem wir auf diesem Schiffe das Nötigste besorgt hatten, kehrten wir
nach unserm eigenen zurück, hingen das andere Ende des Schlepptaues in
unser Hinterteil und richteten nunmehr mit unserer neuen Last den Kurs
auf Norwegen zu. Freilich hatten wir, da der Wind von hinten kräftig in
unsere Segel blies, uns Rechnung gemacht, den Weg dahin rasch
zurückzulegen, allein unsere nachgeschleppte Prise ging so tief und
drückte so schwer, daß wir binnen einer Stunde kaum eine Viertelmeile
fortrückten. Doch beharrten wir den ganzen Tag und die darauffolgende
Nacht in unserm Beginnen.

Mit meiner Morgenwache aber, in der Stille der Dämmerung, stiegen mir
wiederum allerlei Grillen in den Kopf, die mir diesen Handel je länger
je bedenklicher machten. Ich erwog, was für eine langsame und mühselige
Schlepperei dies abzugeben drohte, wie kurz in dieser Jahreszeit die
Tage, und wie es gleichwohl, wenn wir nach Norwegen herein wollten,
unumgänglich erforderlich sein werde, schon zur frühesten Morgenzeit
nahe am Lande zu sein, um nicht unser eigenes Schiff den Klippen
preiszugeben, die sich meilenweit längs der Küste in dichter und starrer
Saat hinziehen. Überdem war auf den Bestand von Wind und Wetter keinen
Augenblick zu rechnen, und so schien es am geratensten, ein Unternehmen
lieber freiwillig aufzugeben, welches, selbst im glücklichsten Falle,
ein unangemessenes Zeitversäumnis erforderte, leicht aber auch mich
gegen meinen Reeder und Befrachter einer schweren Verantwortlichkeit
bloßstellen konnte.

Ich eröffnete beim Wechsel der Wache dem Steuermanne auch diese meine
veränderte Ansicht samt ihren Gründen und beschloß nun, mit ihm
gemeinschaftlich das Schlepptau sofort wieder abzulösen und das Wrack
seinem Schicksale zu überlassen. Noch während der Ablösung fiel es mir
indes bei, daß es doch wohl recht und billig wäre, uns für unsere
vergebliche Mühe und Zeitverlust durch irgend etwas, das uns nützen
könnte und hier doch nur den Wellen schmählich preisgegeben war,
schadlos zu halten. Mir fielen die Anker, welche noch alle unversehrt am
Buge hingen, ins Auge. Ich befahl demnach, unser Tau in den größten
derselben einzuknüpfen, die Leinen und Reepe, die es hielten, zu kappen
und es fallen zu lassen, damit es jenseits von unserem Schiffe wieder
emporgewunden werden könnte.

Dies geschah; wir stiegen in unser Boot zurück und ließen das Wrack
treiben, ohne daß es uns möglich gewesen wäre, weitere Kundschaft
einzuziehen. Nur so viel hatten wir bemerkt, daß es ein großes
holländisches Flütschiff war, hinten den Namen »Dambord« und auch ein
angemaltes Damenbrett im Spiegel führte. Einige Tage später trafen wir
auf einen Holländer, der nach dem Texel wollte und dem ich zurief, daß
ich in der und der Gegend ein Schiff seiner Nation als ein Wrack
treibend gesehen, welches den Namen Dambord führte. Er möge solches,
wenn er nach Amsterdam käme, an der Börse bekannt machen.

       *       *       *       *       *

Ohne ferneres denkwürdiges Begebnis langten wir in der Hälfte des
Januars 1783 glücklich zu Lissabon wieder an und ankerten zufällig neben
einer amerikanischen Fregatte von vierundvierzig Kanonen, deren Kapitän
mir einige Tage später gesprächsweise als ein Deutscher, namens Johann
Ollhof, genannt wurde. Wundersam fiel dieser Name mir auf, da ich mich
erinnerte, im Jahre 1764 einen Matrosen Johann Ollhof im Dienste gehabt
zu haben, der mir in Amsterdam, mit meinem guten Willen, entlief, und
von dem ich seitdem nie wieder gehört hatte. Wie sich das damals begab,
mag mir mit wenigen Worten zu erzählen erlaubt sein.

Ich war zu jener Zeit im Begriff, mit meinem Schiffe von Amsterdam
wieder nach der Heimat zurückzukehren, als der gedachte Mensch, der ein
sehr guter Junge und vom Treptower Deep gebürtig war, an einem Samstag
zu mir in die Kajüte trat und mich bei Himmel und Erde beschwor, ihn
hier freizulassen; denn wenn er wieder in seine Heimat müsse, erwarte
ihn der leidige blaue Rock und dann sei er zeitlebens eine unglückliche
und verlorene Kreatur. -- »Hört, Johann,« war meine Antwort, »ich mag
Euer Unglück nicht, will aber übrigens von dem, was Ihr tut oder nicht
tut, nichts wissen.« -- Er verstand mich und erwähnte noch seiner
Monatsgage von einundzwanzig Gulden, die er bei mir gut habe. -- »Nun,«
unterbrach ich ihn, »morgen ist ja Sonntag, wo wohl einige von unseren
Leuten werden an Land gehen und auch Geld fordern wollen. Dann läßt sich
weiter davon sprechen.«

Der Sonntagmorgen kam, mit ihm drei meiner Matrosen, denen auch Johann
sich angeschlossen hatte, um sich Urlaub zum Erlustieren und auch Geld
dazu von mir zu erbitten. Ich entließ sie mit der Ermahnung, keine
Händel anzufangen und bei guter Zeit sich wieder am Borde einzustellen.
Jeder erhielt ein paar Gulden; doch als Johann seinen vollen Lohn
forderte, stellte ich mich zum Scheine befremdet, bis er mir erklärte,
daß er seinen Geschwistern daheim allerlei Geschenke zugedacht habe, die
er dafür einzukaufen gedenke. Allein am Abend kamen zwar die übrigen
alle, nur mein Johann Ollhof nicht zum Vorschein. Natürlich gab ich mir
auch keine sonderliche Mühe, seiner wieder habhaft zu werden, und so
blieb er seinem guten oder bösen Geschicke überlassen.

Jetzt, da ich mich eben im Gewühle der Lissaboner Börse befand, hörte
ich einen Kaufmann laut nach dem »Kapitän Johann Ollhof« rufen, den ich
selbst in dem dichten Haufen nicht gewahr zu werden vermochte. Doch sah
ich gleich darauf eine Figur nach jenem sich hinwenden, in welcher ich
mit freudigem Erschrecken trotz der glänzenden Uniform, des Degens und
der Schärpe augenblicklich meinen ehemaligen Deserteur erkannte. Wie
hätte ich mich enthalten können, mit rascher Bewegung und der Frage auf
ihn zuzutreten: »Ist's möglich? Johann Ollhof, seid Ihr es?« --
Verwundert sah er mir scharf ins Gesicht, erkannte mich im nächsten
Moment nicht minder und fiel mir mit dem Freudenruf um den Hals:
»Kapitän Nettelbeck -- _Sie_ finde ich hier wieder?«

Nun gab es unzählige Fragen, die mir seine mancherlei Glückswechsel und
sein schnelles Steigen im Seedienste der jungen Republik erklärten. Er
drang in mich, am Nachmittage zu ihm an Bord zu kommen, wohin er mich
abholen lassen wolle. Dagegen bestand ich darauf, daß es ihm, dem
jüngeren, wohl geziemen würde, mir den ersten Besuch zu machen. Auch
hätte ich ein Schiff unter den Füßen, auf welchem ich mich nicht schämen
dürfte, einen so lieben Gast zu empfangen. Er gab mir recht und
versprach, bei mir zu erscheinen.

In der Tat legte seine Schaluppe, mit zwölf ausgeputzten Ruderern, zur
bestimmten Zeit an meine Seite, und er kam, von einigen seiner Offiziere
begleitet, zu mir an Bord, wo das Verdeck zum Teil mit in der Ausladung
begriffenen Eisenstangen angefüllt lag, wie denn überhaupt mein Schiff
ein wenig tief ging. Kaum angekommen, machte er hierüber seine Bemerkung
und rief: »Mein Gott, Freund, wie können Sie doch Ihr Leben auf so einem
Kasten wagen?« -- Ich will nicht leugnen, daß dieser Hochmut mich ein
wenig verdroß und daß ich mein Schiff nicht verachten lassen wollte.
Darum versetzte ich: »Johann Ollhof, mir deucht, daß Ihr, solange Ihr
noch ein Preuße hießet, wohl nie das Glück gehabt, auf einem solchen
Schiffe, wie dieses, zu fahren.«

Er nahm es hin; ich aber, obwohl ich es in der stattlichen Aufnahme
meiner Gäste an nichts ermangeln ließ, fühlte mich doch verstimmt. Ja,
selbst als er beim Abschiede freundlich bat, seinen Besuch aufs
baldigste zu erwidern, brach der innere Groll unaufhaltsam hervor in dem
Geständnisse: »Ich bin nicht gut auf Euch zu sprechen, Kapitän! denn Ihr
habt mir mein Schiff verachtet.« -- Demungeachtet wiederholte er seine
Einladung nur um so herzlicher, und bat zugleich um Verzeihung wegen
seiner unschuldigen Äußerung: allein Herz und Sinn hatten sich bei mir
von ihm abgekehrt; ich konnte mich nicht entschließen, zu ihm an Bord zu
gehen, und habe ihn auch nicht wiedergesehen.

       *       *       *       *       *

Überdem gab es bald allerlei Verdrießlichkeiten, die meinen Sinn auf
andere Dinge lenkten. Gerade damals lag eine starke englische
Kriegsflotte im Tajo; ich aber hatte drei englische Matrosen im Dienste,
welche am Lande mit ihren Landsleuten von jener Flotte häufig
zusammenkamen und sich ohne Zweifel durch deren gute und bequeme Lage
verleiten ließen. Denn eines Tages traten sie unerwartet zu mir in die
Kajüte mit der Erklärung, daß sie es vorzögen, unter ihren Landsleuten
auf der Flotte zu dienen, daher sie ihre Entlassung von meinem Schiffe,
aber auch ihre rückständige Löhnung (für jeden wohl über sechzig Taler)
forderten.

»Kinderchen,« erwiderte ich ihnen -- »ihr steht alleweile auf einem
preußischen Schiffe und in preußischem Dienste; seid also auch
vorderhand nicht Engländer, sondern Preußen. Daß ich euch eure Löhnung
auszahle, oder gar, daß ich euch frank und frei gebe, daran ist gar
nicht zu denken.« -- Freilich mochten sie sich durch diesen Bescheid
nicht sonderlich befriedigt fühlen; und so geschah es denn wohl auf
ihren Betrieb, daß wenige Tage nachher ein Offizier von der britischen
Flotte an meinem Borde erschien, mit dem Auftrage von seinem Admiral,
die augenblickliche Auslieferung von drei geborenen englischen
Untertanen von mir zu verlangen, die sich, wie er erfahren habe, auf
meinem Schiffe befänden, und deren völlige Entschädigung für den
bisherigen Dienst zugleich erfolgen müsse.

Ich beobachtete bei diesem sonderbaren Vortrage ein ruhiges Schweigen;
ließ aber in der Stille die preußische Flagge über unsern Köpfen
aufziehen, die ich meinem Gaste zeigte, indem ich hinzufügte: »Sehen
Sie, mein Herr, unter _dieser_ Flagge stehen jene drei Leute in Dienst;
und ich kenne kein Gesetz, das mich verpflichtete, sie hier in einem
fremden Hafen, daraus zu entlassen. Jede weitere Prozedur des Herrn
Admirals werde ich erwarten.«

Eine Zitation vor das portugiesische Seegericht ging bald darauf an
mich ein, um meine Sache, im Beisein des Admirals, der gleichfalls
erscheinen würde, zu verantworten. Jetzt ward also der Handel ernsthaft,
und ich hielt es für geraten, zu unserm Preußischen Gesandten, dem Herrn
von Heidecamp, zu gehen, dem ich die Lage der Dinge vortrug, und um
Verhaltungsmaßregeln bei ihm nachsuchte. Sein Ausspruch war: daß, falls
ich nicht gutwillig wollte, niemand mich zwingen könnte, die Leute
freizugeben; noch weniger, ihnen ihre Löhnung auszuzahlen, welche nach
Recht und Gesetz dann erst fällig sei, wann mein Schiff wieder einen
preußischen Hafen erreicht habe. Zugleich unterrichtete er mich genau,
wie ich mich vor Gericht zu verhalten hätte, und fügte hinzu, für alles
übrige sollte ich ihn sorgen lassen, indem er gesonnen sei, bei dem
Termine gleichfalls in Person zu erscheinen.

Dies geschah nun gleich am nächsten Tage. Wir fanden den englischen
Admiral mit zwei Flottenkapitäns bereits vor, und er eröffnete die
Verhandlung durch das bestimmte Begehren, die drei britischen Untertanen
in seinen Dienst ausgeliefert zu erhalten. Meine verweigernde Antwort
stützte sich auf die Gründe, welche ich schon angeführt habe. Ja ich war
so keck, gegen ihn zu bemerken: Ohne Zweifel befänden sich auf seiner
Flotte viele geborene preußische Untertanen, gleichwohl stände noch
dahin, ob er sich für verpflichtet halten würde, diese auf mein
Verlangen ihres Dienstes zu entlassen?

»Topp!« rief er feurig aus -- »ich gebe drei Preußen von meiner Flotte
in die Stelle der drei Engländer!« -- »Ein Erbieten,« entgegnete ich,
»das aller Ehren wert ist, wenn ich nur hoffen dürfte, anstatt der
tüchtigen Leute, die mir abgefordert werden, etwas Besseres als den
Ausschuß der ganzen Flotte zurückzuempfangen; und mit dem ist mir nicht
geholfen.« -- Sofort auch nahm der Gesandte das Wort; und da ich sah,
daß der Handel anfing, zu einer Ehrensache zwischen ihm und dem Admiral
auszuschlagen, so konnte ich den ferneren lebhaften Wortwechsel mit
Seelenruhe anhören, bis zuletzt das Gericht die Matrosen schuldig
erkannte, auf meinem Schiffe zu verbleiben, bis sie in den nächsten
preußischen Hafen abgelöhnt werden könnten.

So war nun zwar dieser Strauß glücklich und mit Ehren ausgefochten;
allein einige Tage nachher erfolgte, was ebensosehr zu erwarten, als
schwer zu verhindern war. -- Diese drei Kerle machten sich heimlich aus
dem Staube und gingen auf die Flotte zu ihren Landsleuten über, ohne auf
ihre im Stiche gelassenen Monatsgelder zu achten. Mochten sie laufen!
Ich konnte ihrer entraten!

       *       *       *       *       *

So wie ich nun meine Ladung in diesem Hafen löschte, entstand auch die
Verlegenheit, in dieser ungünstigen Jahreszeit (es war mitten im Winter)
nicht sofort wieder eine vorteilhafte Fracht zu finden. Nach Süden, ins
mittelländische Meer, durfte ich mich aus Mangel an Türkenpässen, nicht
wagen, und in der Nord- und Ostsee hatte der Frost die Schiffahrt
geschlossen. Ich mußte also, bis in den Monat März, die Hände
notgedrungen in den Schoß legen und, da mir auch dann noch keine Fracht
nach meinem Sinne angeboten wurde, mich entschließen, eine Ladung Salz
für eigene Rechnung zu kaufen und nach der Ostsee zu verführen.

Hiermit war ich noch beschäftigt, als sich ein Sturm aus Westen erhob,
der mehrere Schiffe, und unter diesen auch ein unbeladenes
portugiesisches Schiff, welches uns einige hundert Klafter weit über dem
Winde lag, von den Ankern trieb. Dies letztere rückte dem meinigen
gerade auf den Hals, und da es so gut als ganz sich selbst überlassen
war, (denn nur zwei Jungen befanden sich am Borde), so hatten wir Mühe,
es nur so weit abzulenken, daß es endlich uns zur Seite zu liegen kam.
Gleichwohl war bei dem anhaltenden Unwetter nicht zu verhindern, daß es
unaufhörlich gegen unsern Bug stieß und drängte, wodurch bei mir die
gerechte Besorgnis entstand, daß beide Schiffe davon großen Schaden
nehmen könnten, wenn jenes nicht bald seine Stellung veränderte und
unter Windes von uns gebracht würde.

Dies stellte ich meinem Schiffsvolke vor, und wir beschlossen alsogleich
Hand an ein so nötiges Werk zu legen. Indem wir aber hierzu insgesamt an
den portugiesischen Bord hinübersprangen, ergriff jene beiden Jungen,
die von unserer Absicht nichts wußten, ein Todesschrecken. Sie erhoben
ein Geschrei aus voller Kehle, welches auch nicht ermangelte, ihre
Landsleute von fünf oder sechs der nächstgelegenen Fahrzeuge im Hui! auf
ihr Verdeck herbeizulocken. Dies Gesindel nahm sich nicht die Zeit, uns
anzuhören oder sich mit uns zu verständigen, sondern augenblicklich galt
es ein wildes Zuschlagen auf uns mit Knitteln, Handspaten und
Bootshaken, so daß wir genötigt waren, auf unser Schiff
zurückzuflüchten.

Doch auch hiermit nicht zufrieden, verfolgten uns unsere übermächtigen
Gegner auf unser eigenes Verdeck und trieben uns, je länger je mehr, in
die Enge. Mein Steuermann erhielt einen Schlag, daß er zu Boden stürzte
und ich nicht anders glaubte, als daß ihm der Rest gegeben worden. Ich
selbst mußte mein Heil in der verriegelten Kajüte suchen, so wie meine
Leute genötigt waren, sich im Raume zu bergen und in ihrem Roof zu
verschließen, um nicht ferneren Gewalttätigkeiten ausgesetzt zu sein.
Endlich stieß nun zwar die wilde Rotte wieder nach ihren Schiffen ab:
aber der Portugiese blieb zu meiner Seite liegen und fuhr fort, die
ganze Nacht hindurch sich gegen mein Schiff abzuarbeiten und an der
Verkleidung desselben zu reiben.

Die Folgen zeigten sich gleich morgens an ihm selbst, indem ganze
Planken in Stücken von seiner Seite hinwegtrieben, der Fockmast aber
über Bord gefallen war, und das ganze Gebäude, wie ein zerschelltes
Wrack, sich seitwärts neigte. Allein auch ich selbst bemerkte an dem
meinigen mehrere Beschädigungen, die mir um so mehr Galle ins Blut
trieben, je leichter sich dies alles hätte vermeiden lassen, wenn das
Recht und die Vernunft nicht der verstandlosen Gewalt hätten weichen
müssen.

Höher noch stieg freilich diese Galle, als einige Stunden später der
portugiesische Kapitän des Schiffes zu mir an Bord kam. Es fand sich,
daß ich ihn einigermaßen kannte, indem er verschiedentlich mit mir im
Kontor meines Korrespondenten, Herrn Bulkeley, zusammengetroffen war und
an dessen Tische gespeist hatte. Sein Name war Sylva. Pochend fuhr er
auf mich ein, ihm für den an seinem Schiffe erlittenen Schaden gerecht
zu werden; und nur mit Mühe mäßigte ich mich zu der gelassenen Antwort:
daß, wenn er es mit der gehörigen Mannschaft besetzt gehalten, Schaden
und Unglück entweder nicht stattgefunden haben, oder doch geringer
ausgefallen sein würden. Er war aber nicht in der Verfassung, Vernunft
anzunehmen, sondern fuhr drohend und scheltend wieder an Land.

Kaum aber waren ein paar Stunden verlaufen, so ließ er sich abermals bei
mir blicken, und war diesmal von einer Art Gerichtsperson oder Notarius
begleitet, der mir einen langen schriftlichen Aufsatz von anderthalb
Bogen vorlegte, mit dem Ansinnen, daß ich meinen Namen unterzeichnen
möchte. -- »Unter eine Schrift in einer Sprache, die ich nicht
verstehe?« gab ich zur Antwort. -- »Mit nichten, meine Herren! Geht
damit, wenn es euch beliebt, zum Preußischen Konsul. Dort werde ich mich
gleichfalls finden lassen.«

In der Tat war sofort mein nächster Gang zu diesem Konsul, namens
Schuhmacher, gerichtet, um ihn von dem unangenehmen Vorfalle vollständig
zu unterrichten und mich mit ihm zu beraten. Sein Gutachten fiel dahin
aus, daß ich nachmittags mit meinem Schiffsvolke vor ihm erscheinen
sollte, um in Gegenwart eines Notarius über den wahren Verlauf der Sache
eidlich vernommen zu werden. Auf dem Rückwege stieß ich auf meinen
Korrespondenten Bulkeley, und nachdem ich in dessen Kontor getreten,
benachrichtigte er mich, daß soeben Kapitän Sylva ihm über das bewußte
Ereignis eine schriftliche Erklärung vorgelegt, die er auch
unbedenklich mit meiner Namensunterschrift versehen habe.

»Wie?« rief ich, hoch verwundert -- »unterschrieben mit _meinem_ Namen?
_Unterschrieben_ ohne mein Wissen und Einwilligung? -- Von diesem
Augenblicke an, Herr, hören Sie auf, mein Korrespondent zu sein, und
bevor ich meinen Fuß aus Ihrem Hause setze, fordere ich, daß Sie mir den
Abschluß meiner Rechnung vorlegen.« -- Er zauderte, ich aber erklärte
ihm so bestimmt, ich würde ohne Abrechnung nicht vom Platze weichen, daß
er sich endlich meinem Verlangen fügen mußte.

Es war notwendig, den Konsul augenblicklich von diesem Schurkenstreiche
in Kenntnis zu setzen. Wie vollkommen aber sein Betragen diesen Namen
verdiente, entwickelte sich erst nachher, da es an den Tag kam, daß
dieser nämliche Bulkeley Reeder des Schiffes war, welches Kapitän Sylva
führte. -- »Ruhig, mein Freund!« tröstete mich der Konsul. -- »Treffen
Sie nur schleunige Anstalt zur gerichtlichen Vernehmung Ihrer Leute, und
lassen Sie mich dann für das übrige sorgen.« -- Jenes ward auch gleich
am nächsten Morgen mit allen Förmlichkeiten bewerkstelligt; und während
ich das Original dieser Erklärung in des Konsuls Hände niederlegte,
versäumte ich nicht, durch den Notarius eine beglaubigte Abschrift
ausfertigen zu lassen, die ich für mich selbst zurückbehielt.

Noch erklärte ich meinem wackeren Beschützer meine Absicht, binnen zwei
oder drei Tagen die Anker zur Abfahrt zu lichten, daß ich aber von
meinem Widersacher jede Art von Schikane und also auch wohl eine
Beschlagnahme meines Schiffes bis zu ausgemachter Sache erwarten müßte.
»Dann«, erwiderte er, »bin _ich_ es, der Kaution für Sie leistet, und wenn
Sie abgesegelt sind, den Prozeß für Sie führt.« -- So getröstet nahm ich
nun in aller Gemächlichkeit den Rest meiner Salzladung ein, und ging des
dritten Tags darauf unter Segel, ohne daß es auch einem Menschen nur
einfiel, mir etwas in den Weg zu legen.

In die Stelle der entlaufenen drei Engländer, die mir zu meiner vollen
Bemannung fehlten, glückte mir's noch am Tage vor meiner Abreise, zwei
schwedische Matrosen ähnlichen Schlags zu erhalten, daneben aber auch
noch einen dienstlosen Engländer auszukundschaften, den ich in seiner
Schlafstelle aufsuchte und für meinen Dienst annahm. Freilich mußte ich
ihn bei seinem Wirte erst mit einem vollen Monatsgehalte auslösen; doch
gerade darauf mochte der Kerl spekuliert haben, denn kaum war er mit mir
auf der Straße, so versuchte er, mir wieder zu entlaufen, so daß ich
hinter ihm drein schreien mußte, bis er von anderen Leuten festgehalten
wurde, ich mich seiner versichern und ihn in meine naheliegende
Schaluppe bringen lassen konnte.

Es war begreiflich, daß der Mensch sich unter diesen Umständen auf
meinem Schiffe wohl nicht sonderlich gefallen mochte. Das bewies er auch
am nächsten Morgen, wo wir in See gehen wollten, indem er sich der Länge
nach aufs Verdeck streckte, nicht arbeiten mochte und krank zu sein
vorgab.

       *       *       *       *       *

Als wir zum Tajo herausgekommen waren, machten wir die unangenehme
Entdeckung, daß unser Schiff viel Wasser einließ. Anfangs meinten wir,
daß, da wir so lange ledig gelegen und hohen Bord gehabt, die Fugen
mancher Planken durch die Sonnenhitze voneinander getrocknet sein
möchten, und daß diese Nähte unter Wasser bald wieder zuquellen würden.
Allein der Leck nahm so überhand, daß wir das Schiff bald mit beiden
Pumpen kaum über Wasser halten konnten. Zudem stand der Wind vom Lande,
und es war also unmöglich, wieder in den Hafen zurückzusteuern.

In dieser Not lag uns alles daran, den schadhaften Fleck auszufinden, um
ihn zu stopfen. Man weiß, wie klar und durchsichtig die Gewässer des
atlantischen Ozeans in dieser Gegend sind, und daß man darum ziemlich
deutlich auch in eine größere Tiefe sehen kann. Da fand ich denn
endlich, daß an der Seite, und ungefähr vier bis fünf Fuß tief unter
Wasser die Späne von der äußeren Haut abstanden. -- Also wohl unstreitig
ein Andenken an unser Zusammenstoßen mit jenem portugiesischen Schiffe
und die Ursache unseres immer bedenklicher werdenden Lecks!

Je unmöglicher es war, daß wir unser Schiff mit den Pumpen so über See
tragen konnten, desto unerläßlicher mußte ein Pflaster über die wunde
Stelle befestigt werden. Ich ließ sogleich eine Zitronenkiste
zerschlagen, zerschnitt meine Bettdecke, teerte und talgte sowohl diese
als jenen Kistenboden an beiden Seiten, heftete beide mit kleinen Nägeln
aneinander, bohrte am Rande acht oder zehn Löcher, steckte in jedes
derselben einen größeren Nagel, den ich, damit er nicht herausfiele, mit
etwas Werg umwickelt hatte, und sann nun darauf, wie dies Pflaster an
die rechte Stelle zu bringen wäre.

Es gab kein anderes Mittel, als daß einer von meinen Leuten sich
entschlösse, sich rittlings auf dem vierarmigen Bootsanker zu befestigen
und unter Wasser bis zu dem Leck hinabzulassen, das präparierte Brett
auf den zerstoßenen Fleck zu passen und mit dem an die Hand gebundenen
Hammer schnell, ehe ihm der Atem entginge, festzuklopfen. Ich schlug
dies der Mannschaft vor, allein keiner hatte Lust zu dieser Wasserfahrt.
Ich bot dem, der es wagen würde, eine Monatsgage, niemand meldete sich,
sie zu verdienen. Ich stellte ihnen aufs nachdrücklichste vor, daß, wenn
sie dies kleine Wagnis so sehr scheuten, wir ja doch ohne Barmherzigkeit
alle ersaufen müßten. Ich bat, ich flehte, ich schalt und drohte, aber
die feigen Seelen sahen mich verdutzt an und blieben bei ihrem
Kopfschütteln.

»Nun denn,« sagte ich endlich, »so will ich selbst der Mann sein, der
sein Leben für euch _H...r_ in die Schanze schlägt!« -- Dieser Entschluß
entstand auch um so weniger aus Prahlerei, da ich als junger Bursche mit
meinen Spielkameraden das Schwimmen und Untertauchen fleißig geübt hatte
und oftmals unter dem Wasser geblieben war, bis die Bestehenden langsam
dreißig zählten. Hoffentlich hatte ich diese kleine Kunst in den drei
Dutzend Jahren nicht ganz wieder verlernt, und sollte ich denn _doch_
ertrinken, so konnte mir die Art und Weise wohl ziemlich gleich gelten.

So nahm ich also getrost meinen Platz auf dem Bootsanker, dessen Tau
meine Leute oben in die Hände fassen und mich daran in die bezeichnete
Tiefe hinablassen mußten. Nach meiner Anweisung sollten sie von dem
Augenblicke an, wo ich mit dem Munde unter Wasser käme, sekundenmäßig zu
zählen anfangen und mich, wenn sie bis fünfundzwanzig gekommen wären,
hurtig wieder emporziehen. Ich meinesteils hastete mich soviel ich
vermochte; zwei bis drei tüchtige Schläge auf jeden Nagelkopf, und das
Brett saß an der rechten Stelle fest; während der Zug des Wassers nach
innen das übrige tat, die Fasern der Decke in die offenen Fugen dicht
einzusaugen. Kurz, ich war fertig, aber die droben dachten noch immer an
kein Hinaufziehen. Endlich nach einigen Sekunden brachten sie mich
wieder an Gottes freie Luft, und so war das Abenteuer glücklich
bestanden!

Nun kam es darauf an, zu erfahren, was wir damit gewonnen hatten. Wir
eilten an die Pumpen, die nunmehr das eingedrungene Wasser bemeisterten
und sichtbar verminderten. Der Leck hatte wirklich so abgenommen, daß
wir uns getrauen durften, mit einer Pumpe die See zu halten. Wunderbar
aber blieb unsere Rettung nicht minder, als wenn, wie mir ein Beispiel
bekannt geworden, ein ähnlicher Leck durch eine, in die offene Fuge
eingeklemmte Flunder gestopft ward; oder wenn ein Schiffer von meiner
Bekanntschaft im Danziger Neufahrwasser den seinigen nur dadurch
unschädlich machte, daß er vorbedächtig längs den Seiten des Schiff eine
Menge Torf-Mull ins Wasser schütten ließ, welches sich durch den
unmerklichen Wasserzug in alle Ritzen und Spalten der Planken
festsetzte.

       *       *       *       *       *

Als wir in den Kanal gelangten, stießen wir auf ein englisches
Kriegsschiff, welches meine Schiffspapiere zu sehen verlangte. Ich
erwiderte, daß ich zur Vorzeigung an meinem eigenen Borde bereit wäre.
So kam denn ein Offizier zu mir herüber; doch während er in der Kajüte
die geforderte Untersuchung anstellte, machte sich mein oben erwähnter
englischer Matrose an seine Landsleute in der Schaluppe, und in welchem
Sinne er mit ihnen gesprochen, ergab sich, als ich meinen Gast aus der
Kajüte zurückbegleitete, da jene Engländer ihrem Leutnant meinen
Matrosen vorstellten, der wider seinen Willen hier zurückgehalten würde,
Lust hätte, auf jenem englischen Schiffe zu dienen.

»Den Menschen nehm' ich auf der Stelle mit,« wandte sich der Offizier an
mich, »Ihr habt kein Recht an ihn.« -- »Nun,« war meine Antwort, »so will
ich doch sehen, wer mir in offener See auch nur meinen schlechtesten
Kajütenjungen, wider meinen Willen, wegnehmen soll. Dazu fehlt es Ihnen
an Fug und Recht.« -- Doch der Matrose hatte nicht für gut gefunden, das
Ende unseres Wortwechsels abzuwarten, sondern war bereits in die
Schaluppe gesprungen. Ich bedachte mich keinen Augenblick, ihm dahin
nachzufolgen, und war darüber her, ihn, wie sehr er sich auch sträubte,
an Bord zurückzuziehen, bis auch der Leutnant herabkam und verlangte,
daß ich die Schaluppe verlassen sollte.

Natürlich weigerte ich mich, und selbst als er drohte, daß er abstoßen
und nach seinem Schiffe fahren werde, versicherte ich, daß ich gesonnen
sei, _ohne_ meinen Matrosen nicht vom Flecke zu weichen. Schleppe er mich
dann aber nach dem Kriegsschiffe hinüber, so bliebe das meinige und
alles, was demselben begegnen könne, auf _seine_ Gefahr und Verantwortung.
Indes setzten sie wirklich mit der Schaluppe ab, und ich behielt kaum
die Zeit, meinem Steuermanne zuzurufen, daß er sich, solange ich nicht
wieder an Bord käme, in der Nähe des Kriegsschiffes halten möchte.

Sobald wir auf diesem angekommen und der Handel dem Kapitän vorgetragen
war, erklärte dieser, der Kerl sei ein Brite und er werde ihn auf seinem
Schiffe behalten. »Dann, mein Herr,« entgegnete ich ihm, »mögen Sie auch
_mich_ hier behalten, denn ich bleibe, wo mein Matrose ist, und mein
Schiff dort schwimmt oder sinkt von diesem Augenblicke an auf Ihr
Risiko. Tun Sie nun, was Ihnen beliebt! Totschlagen können Sie mich
nicht vor so vielen Augen, und alles übrige werde ich erwarten.«

Diese Festigkeit schien den Kapitän doch einigermaßen stutzig zu machen.
Er ging mit einigen Offizieren abseits in die Kajüte -- wahrscheinlich,
um sich mit ihnen näher zu beraten; dann aber, als sie wieder zum
Vorschein kamen, stieß der eine und andere von ihnen meinem aufsätzigen
Matrosen in die Zähne und in die Rippen, und so wieder in die Schaluppe
hinein, worauf ich ungenötigt folgte und mit meinem Ausreißer wieder an
mein Schiff gebracht wurde. Damit jedoch diesem sein Frevel nicht ganz
ungestraft hinginge, ward ich mit meinem Steuermanne einig, ihn mit
Händen und Füßen an die große Spille festzubinden und so sein Gat durch
jeden von unseren Leuten mittels eines Endchens Tau mit einer Anzahl
wohlgemessener Hiebe heimsuchen zu lassen. Die Kur schien auch für die
fortgesetzte Reise nicht ohne gute Wirkung zu bleiben.

       *       *       *       *       *

Seitdem wir die Küsten von Dover und Calais aus dem Gesichte verloren
und abwechselnde, aber meist stürmische Winde uns elf Tage lang in der
Nordsee umhergeworfen hatten, während welcher wir weder Jütland noch
Norwegen oder sonst ein Land erblickten, wagten wir es dennoch, im guten
Glauben an unsere geführte Schiffsrechnung und einige angestellte
astronomische Beobachtungen, uns mit dem Senkblei in der Hand um die
gefährliche Spitze von Skagerrak ins Kattegat hineinzutasten. Es
glückte; aber gerade hier überfiel uns nunmehr auch ein schrecklicher
Sturm aus Norden, der so hart in unser dicht eingerefftes Fock- und
Vormarssegel blies, daß bald die Fetzen davon in den Lüften
umherflogen.

Nach diesem Verluste wollte sich unser Schiff nicht mehr vor dem Winde
steuern lassen, sondern ward unter den Wind gedreht. Es sollte eine
andere neue Focke untergeschlagen werden, allein das Schiff arbeitete
und schlenkerte in der brausenden, kochenden See voll blinder Klippen so
gewaltig, und der Sturm hielt mit soviel Ungestüm an, daß wir alle kaum
die Augen aufschlagen konnten. Das neue Focksegel ward zwar aus der
Segelkammer hervorgezogen und an die Rahe geschlagen; allein sowie diese
in die Höhe ging, peitschte auch jenes mit seinen Zipfeln dergestalt um
sich, daß es in den nächsten Augenblicken ebenfalls in Lappen
davongeführt wurde. Ich schrie, ich bat, ich fluchte meinem Volke
entgegen, das oben auf den Masten saß, die Fäuste wie brave Kerle zu
rühren und das Segel unter die Rahe zu bringen. Endlich stieg ich selbst
in die Höhe und überzeugte mich, daß es schlechterdings unmöglich sei.

In diesem Augenblicke ward geschrien: »Brandung leewärts!« Das war die
Minute der Entscheidung! Denn da das Schiff dem Ruder nicht mehr folgen
mochte, so ward hier alle Kunst des Steuerns zu schanden! Wir wurden mit
sehenden Augen in unseren Untergang hineingetrieben und standen nach
wenigen Augenblicken auf einem Steinfelsen fest. Sogleich auch stürzte
die stürmende See in furchtbaren Wogen über unser Schiff hinweg, daß der
Schaum bis hoch an die Mastkörbe emporspritzte, indes jenes durch die
gewaltigen Stöße am Boden durchlöchert wurde und voll Wasser lief. So
war denn an ein Wiederabkommen von dieser Klippe und an Rettung des
Schiffes gar nicht mehr zu denken!

Dieses Unglück traf uns am 11. Mai, abends um neun Uhr. Auf dem Verdecke
konnten wir uns, der überflutenden Brandung wegen, nicht mehr halten,
sondern waren alsogleich sämtlich auf die Masten geflüchtet. Ich selbst
und sechs Mann hingen oben am Besanmast, während die übrigen acht Mann
den großen Mast erklettert hatten. Ein Wunder wäre es wohl nicht
gewesen, wenn wir alle die Besinnung verloren hätten, indes blieb mir
doch soviel Gegenwart des Geistes, daß ich unsere Lage richtig ins Auge
fassen und den einzig möglichen Ausweg zu unserer Rettung gewahr werden
konnte. Ich stellte demnach meinen Unglücksgefährten vor, wie unser Heil
darauf beruhe, daß wir unsere Schaluppe in unsere Gewalt bekämen. Einige
von ihnen, die die rüstigsten wären, sollten sich ein Herz fassen,
herniederzusteigen und die Taue, woran dieselbe auf dem Verdecke
festgebunden stehe, zu zerhauen, nachdem sie ein oder mehrere längere
Taue daran festgeknüpft haben würden, deren Enden wir übrigen oben am
Maste sicher zu halten gedächten. Bräche dann gleich das Schiff und die
Schaluppe würde über Bord gespült, so könnte sie uns dennoch von den
Wellen nicht entführt werden; oder möchte sie sich auch voll Wasser
gefüllt, oder gar das Unterste nach oben sich gekehrt haben, so würden
wir sie gleichwohl nahe zu uns heranziehen, ausschöpfen und zu unserer
möglichen Bergung instandsetzen können.

Durch diese Vorstellungen gewonnen, kletterten auch sofort drei wackere
Kerle hinab, lösten die Schaluppe vom Verdecke ab und jeder von ihnen
versah sie hinwiederum mit seinem dazu mitgenommenen Taue, deren
entgegengesetzte Enden sie glücklich wieder zu uns in die Höhe brachten.
Nun aber dauerte es kaum noch eine Stunde, als eine ungewöhnlich hohe
Sturzwelle über das Verdeck hinschlug, das Fahrzeug weit mit sich hinaus
über Bord schleuderte, den Boden nach oben umkehrte, aber die Gegenkraft
der Angst, womit wir, koste es was es wolle, die Taue festhielten, nicht
zu überwältigen vermochte.

Um elf Uhr brach, wie wir längst gefürchtet hatten, unser Schiff in der
Mitte auseinander; der Fock- und große Mast stürzten über Bord --
letzterer jedoch in einer so glücklichen Richtung, daß er auf das
Hinterteil zufiel und dergestalt dicht neben uns hinstreifte, so daß die
an demselben klebenden acht Menschen zu uns heranklettern konnten. So
war denn die volle Mannschaft von vierzehn Köpfen hinten bei mir auf
dem Besanmaste beisammen. Durch das Bersten des Schiffsrumpfes aber
hatte sich das Hinterteil, worauf wir uns befanden, dergestalt gelöst,
daß es in eine starke Bewegung geriet und mit jeder Sturzwelle
wechselsweise bald sich seitwärts weit aufs Wasser legte, bald wieder in
die Höhe hob. Man mag daraus ermessen, wie übel uns dabei oben auf dem
schwanken Maste zumute geworden!

In dieser höchsten Not schien denn kein längeres Zaudern ratsam. Wir
zogen die Schaluppe an ihren Tauen näher zu uns heran, kehrten sie nicht
ohne große Mühe wieder um, hoben sie mit ihrem Vorderteile soweit in die
Höhe, daß ein Teil des Wassers, womit sie gefüllt war, sich daraus
verlief, und nachdem wir, sowie wir der Reihe nach hineinstiegen, den
Rest mit unseren Hüten vollends hinausgeschöpft, schnitten wir endlich
alle Taue, die uns noch am Schiffswrack festhielten, in Gottesnamen los
und kamen glücklich aus dem Labyrinthe voll brandender Klippen in
offenes Wasser zu treiben, während wir die vier in der Schaluppe
festgebundenen Ruder zur Hand genommen und uns dadurch instandgesetzt
hatten, notdürftig vor dem Winde zu steuern.

Oft zwar füllten ungestüme Schlagwellen unser Fahrzeug fast bis zum
Sinken mit Wasser an, doch waren wir unermüdet und auch zahlreich genug,
es augenblicklich mit unseren Hüten wieder hinauszuschaffen, zwar stets
unseren Tod dicht vor Augen sehend, aber auch einmütig entschlossen,
unsere letzte angestrengte Kraft zu seiner Abwehr aufzubieten. So
trieben wir demnach von ein Uhr nachts bis zum Vormittag des 12. Mai,
wohin Wind und Wellen wollten, bis wir endlich die Insel Anholt vor uns
zu Gesicht bekamen und hier an der Ostspitze, unweit des Feuerturmes,
wiewohl mit neuer Lebensgefahr, gegen ein Uhr nachmittags auf den Strand
setzten.

       *       *       *       *       *

Mein erstes war, mich in den trockenen Ufersand auf die Knie zu werfen
und dem Barmherzigen droben mit heißglühender Seele für die wunderbare
Erhaltung des Lebens zu danken. Dann aber stiegen freilich auch trübe
Gedanken bei mir auf. Mein schönes gutes Schiff war verloren! Wäre mir
ein Freund gestorben, so hätte mir sein Verlust nicht näher gehen
können.

Doch wie manches ging in dieser unglücklichen Nacht mit meinem Schiffe
verloren! Zwar mein Reeder war gedeckt. Ich hatte den Auftrag von ihm,
so oft ich aus einem Hafen abging, das Schiff durch Besorgung des Hauses
Joh. Dav. Klefecker in Hamburg, assekurieren zu lassen. Es war demnach
auch jetzt für eine Summe von zwanzigtausend Talern oder vierzigtausend
Mark Hamburger Banko versichert. Da nun dieses Schiff mit vollem Zubehör
neu nur zweiundzwanzigtausend Taler gekostet hatte, die Ladung Seesalz
aber nur einen Wert von tausendfünfhundert Talern hatte, so ließ sich
wohl absehen, daß der Verlust des Schiffes ihm keinen wesentlichen
Schaden zuführen würde.

Anders aber war die Sache für mich selbst, und ich durfte wohl gestehen,
daß dieser Schiffbruch mein eigenes, eben wieder aufkeimendes Glück
völlig vernichtete. Meinen Erwerb an festem Gehalt als Schiffer hatte
ich stets bei meinem Patron stehen lassen und dieser war mir nun
allerdings unverloren; allein ein Schiffskapitän hat, auf vollkommen
rechtmäßiger Weise, noch so mancherlei Gelegenheit zu allerlei
Nebenverdiensten; ihm kommen Kajütenfracht und Kapplacken [Gratifikation
vom Empfänger der Ladung] zugute, und nicht leicht verläßt er einen
Hafen, ohne zugleich auch auf irgendeinen kleinen Handel zu seinem
Privatvorteile spekuliert zu haben, der um so besser einschlagen kann,
da er Frachtgelder und Assekuranzprämien daran erspart. Alle diese
kleinen Ersparnisse hatte ich immer wieder aufs neue in Waren angelegt,
und so war nach und nach mein Privatverkehr zu dem Umfange gediehen, daß
ich diesmal beinahe den Wert von elftausend Gulden an Bord führte.
Alles dies ging nun mit dem Schiffe unwiederbringlich zugrunde! Ich
hatte mir's alle diese Jahre ganz vergeblich sauer werden lassen!

Als wir genauer um uns sahen, erblickten wir auf der Landspitze neben
dem Feuerturme ein einzelnes Haus, auf welches wir zuschritten und darin
den Feuerinspektor, seine Frau und zwei zur Unterhaltung des Feuers
erforderliche Knechte vorfanden. Erschöpft von soviel Anstrengungen und
niedergedrückt von Sorge und Kummer, sank ich gleich nach der ersten
Begrüßung auf ein dastehendes Bett und verfiel in ein halbwaches
Hinbrüten, aus welchem ich mich mehrere Stunden lang nicht zu ermuntern
vermochte. Gleichwohl hörte ich es während dieses fieberhaften Zustandes
wie im Traume mit an, daß die Wirtsleute sich mit meinem Volke über
unsere Umstände unterhielten, daß dabei erwähnt wurde, unser Schiff habe
nach Stettin zu Hause gehört, und daß darauf die Hausfrau sich als meine
Landsmännin bezeichnete.

Ihre dadurch geweckte nähere Teilnahme gab sie mir kund, indem sie mit
gebratenem Geflügel an mein Bett trat und mich einlud, davon zu
genießen. »Wie?« rief ich, mich ermunternd -- »Federwild auf dieser
Insel, wo kein Strauch, kein Grashalm, sondern nur der nackte Flugsand
sich zeigt? Das ist doch wunderbar!« -- Bei weitem nicht so sehr, als
ich glaubte, ward mir zur Antwort. Auf den Abend sollte mir das Rätsel
gelöst werden, wie sie imstande wären, in den Wintermonaten ganze Körbe
voll Geflügel nach Kopenhagen zu schicken.

Aber auch das Rätsel unserer Landsmannschaft bat ich die gefällige Frau,
mir zu erklären, und so erfuhr ich, daß sie in Berlin geboren, in ihrem
vierzehnten Jahre nach Kopenhagen bei der Silberdienerei auf dem
Schlosse in Dienst gekommen und dann mit dem königlichen Silberdiener
verheiratet worden sei, als dieser durch Anstellung zum Feuerinspektor
auf Anholt seine lebenslängliche Versorgung erhalten habe.

Abends, als das Feuer auf dem Leuchtturme angezündet worden, sah ich nun
freilich, wie von Zeit zu Zeit, von dem hellen Scheine angelockt,
zahlreiche Schwärme von Vögeln aller Art herbeiflogen und, von dem Feuer
geblendet, diesem so naheflatterten, daß sie, an Flügeln und Federn
versengt, zu Boden fielen und mit Händen gegriffen werden konnten.

Nachdem wir uns hier zwei Tage lang von unseren erlittenen schweren
Mühseligkeiten bei diesen freundlichen Gastgebern erholt, aber sie auch
beinahe rein ausgezehrt hatten, wofür ich ihnen eine angemessene
Anweisung nach Kopenhagen ausstellte, ward es freilich wohl hohe Zeit,
unseren Stab weiterzusetzen. Auf dem östlichen Ende der Insel, wo sie am
breitesten ist, lag noch das einzige hier vorhandene Fischerdörfchen von
etwa fünfzehn Hütten, dem ein Schulze, hier Drost genannt, vorstand. An
diesen hatte ich bereits tags zuvor geschrieben, daß wir als
Schiffbrüchige auf seinen obrigkeitlichen Beistand zu unserem weiteren
Fortkommen rechneten. Ich würde zu einer bestimmten Zeit mit einem
Gefolge von vierzehn Köpfen bei ihm erscheinen und eine bereitgehaltene
tüchtige Mahlzeit, ein Fahrzeug zur Überfahrt nach Helsingör und
ausreichenden Proviant für drei Tage -- alles gegen Bezahlung --
vorzufinden erwarten.

Statt dessen wurden wir von diesem Manne mit einer so abschreckenden
Kälte empfangen und für alle unsere Bedürfnisse war so wenig irgend
einige Sorge getragen, daß es mir sehr verzeihlich erschien, wenn wir
zuvörderst auf gut soldatisch seinen wohlgefüllten Speiseschrank in
Requisition setzten, seiner Rauch- und Brotkammer für den uns nötigen
Seeproviant zusprachen und endlich das größte unter den am Strande
liegenden Fischerbooten zu unserer Reise in Beschlag nahmen und mit den
vorgefundenen Gerätschaften zutakelten -- alles das im Beisein sowohl
des bestürzten Drosten, der seine gelieferten Lebensmittel selbst
schätzen mußte und dafür schriftliche Anweisung empfing, als des
Booteigentümers, der, gern oder ungern, mit uns an Bord ging, um uns
nach Helsingör zu führen und dort seine Bezahlung zu empfangen. Dieser
war es denn auch, der uns unterwegs gestand, uns sei das Gerücht
vorausgegangen, daß wir eine Bande Seeräuber wären, die nicht das Kind
im Mutterleibe verschonten.

Am 18. Mai erreichten wir Helsingör, wo ich, um die Zahlung der
Assekuranz zu sichern, sofort darauf bedacht war, im Gefolge meiner
geborgenen Mannschaft vor Gericht eine eidliche Erklärung über die
Umstände des Unglücks niederschreiben zu lassen. Meine Leute empfingen
ihre Löhnung, und so ging alles nach allen Himmelsgegenden auseinander,
-- freilich, wie wir gingen und standen, denn von dem Schiffe hatten wir
keine Faser gerettet. Ich selbst mußte mich, bevor ich von Helsingör
abreiste, von Haupt zu Fuß neu bekleiden, wenn ich mich vor Leuten
wollte sehen lassen können.

Ich würde mir's nicht verzeihen können, wenn ich hierbei mit
Stillschweigen überginge, was mir mit einer Jüdin begegnete, in deren
Trödelbude ich ein neues Hemd zu kaufen im Begriff stand. Den
geforderten Preis aufzählend, beantwortete ich ihr zugleich einige
Fragen, welche ihre Neugier an mich richtete, durch Hindeutung auf
meinen neulichen Schiffbruch, aus welchem ich nicht einmal meine
Kopfbedeckung gerettet hätte. Meine Erzählung lockte ihr Tränen ins
Auge, sie schlug die Hände zusammen und rief: »So soll mich doch Gott
bewahren, daß ich Geld von Ihnen für das Hemd nähme!« -- Vergebens
versicherte ich ihr, daß es, nun ich erst am Lande wäre, keine Not mit
mir habe; sie steckte mir das zusammengeraffte Geld in die Hand und das
Hemd in den Busen, und als ich jenes dennoch auf den Ladentisch legte
und mit Dank meines Weges ging, lief sie mir nach, um es mir wieder
aufzunötigen, so daß ich sie endlich bitten mußte, auf der Straße kein
Aufsehen zu erregen, und mit einem gerührten Händedrucke von ihr
schied.

       *       *       *       *       *

Nun ging ich baldmöglichst als Passagier mit einem Schiffe nach Stettin,
um meinem Patron Rede zu stehen. Wir rechneten miteinander ab; ich
empfing meine rückständigen Gelder und begab mich nach Kolberg, um über
mein weiteres Tun zu einem Entschlusse zu kommen. Es wurden mir
verschiedene Schiffe zur Führung angeboten, allein die nächsten Jahre
nach dem amerikanischen Kriege waren für Handel und Schiffahrt so
ungünstig, daß unsereiner bei seinem Handwerke ferner weder Ehre
einlegen, noch seinen Vorteil absehen konnte. So gab ich denn, in
Erwägung, daß die bessere Halbschied meines Lebens bereits hinter mir
liege, das ganze Seewesen auf und war darauf bedacht, mich in meiner
lieben Vaterstadt auf eine stille, bürgerliche Nahrung mit Bierbrauen
und Branntweinbrennen, wie es mein Vater seither getrieben hatte,
einzurichten.

Nach dreiviertel Jahren etwa, als ich allen Seegedanken längst entsagt
hatte, auch mein werter Freund und Patron Groß bereits mit Tod
abgegangen war, kam mir ein Schreiben von dessen Schwiegersohne und
Nachfolger, Herrn Boneß, zu, das mich auf einmal wieder in die alten
Sorgen zurückstürzte. Er meldete mir, es sei von Lissabon ein Wechsel
auf beinahe dreitausend Taler eingelaufen, als Ersatzsumme für das
Schiff des Kapitäns Sylva, welches ich übersegelt und zugrunde gerichtet
haben sollte, daher ich doch hierüber nähere Auskunft mitteilen möchte.

Man kann leicht denken, wie ich erstaunte, daß man jenem Vorfalle auf
dem Tajo eine solche Wendung zu geben gedachte. Das Vorgeben mit der
Übersegelung war eine offenbare grobe Erdichtung. Hatte das
portugiesische Schiff Schaden genommen oder war es endlich darüber
zugrunde gegangen, so mochte der Kapitän lediglich seine eigene
Nachlässigkeit und seinen Mangel an Aufsicht anklagen; und sollte von
einem Schadenersatze die Rede sein, so wäre ich, auf den jenes Schiff
zugetrieben kam, während ich selbst ruhig vor Anker lag, solchen zu
fordern ungleich mehr berechtigt gewesen. Dieserwegen berief ich mich
auf die gerichtliche Aussage meiner Mannschaft, wovon das Original in
den Händen des preußischen Konsuls zurückgeblieben, während meine
mitgenommene beglaubigte Abschrift mit meinem verunglückten Schiffe
leider ein Raub der Wellen geworden war.

Aber nicht zufrieden, dies mit der nötigen Ausführlichkeit
zurückberichtet zu haben, reiste ich selbst nach Stettin, um jede noch
etwa mangelnde Auskunft zu erteilen. Der Wechsel ward demnach mit
Protest zurückgesandt und wir hielten den Sturm für abgeschlagen. In der
Tat veränderte man nun auch in Lissabon die Art des Angriffes, denn nach
Verlauf eines halben Jahres lief von dort eine Aufforderung an den
Magistrat in Kolberg ein, mich, den Schiffer Nettelbeck, in dieser Sache
zu einer Entschädigung von dreitausend und einigen hundert Talern
obrigkeitlich anzuhalten. Da diese Summe nach portugiesischem Gelde in
Rees ausgedrückt war, deren dreihundert auf einen preußischen Taler
gehen, so paradierte demnach in jener Eingabe eine Forderung von beinahe
einer Million Rees, welche das Publikum meiner guten Vaterstadt
treuherzig mit ebensoviel Talern verwechselte und nun billig die Hände
über den Köpfen zusammenschlug, daß der Nettelbeck tausendmal mehr
schuldig sei, als er Haare auf dem Kopfe habe!

Es versteht sich wohl, daß ich bei meiner gerichtlichen Vernehmung die
nämlichen Gründe geltend machte, welche ich bereits Herrn Boneß an die
Hand gegeben hatte. Damit aber noch nicht befriedigt, reiste ich
abermals nach Stettin, um ihm wiederholt zu raten, daß er sich nach
Lissabon an den Preußischen Gesandten wenden und die dort niedergelegte
eidliche Erklärung einziehen lassen möchte, um den Prozeß auf diesem
festen und sicheren Grund zu führen.

Den Prozeß aber leiteten nunmehr die Lissaboner bei dem Seegerichte zu
Stettin ein; der Spruch fiel dahin aus, daß wir Beklagte zur Bezahlung
eines Schadens _nicht_ anzuhalten wären. Es ward von dieser Sentenz an die
Königliche Kriegs- und Domänenkammer appelliert, welche sie jedoch in
zweiter Instanz bestätigte. Auch hiermit begnügten sich unsere Gegner
nicht, sondern gingen an die dritte Instanz, in das Revisorium. Endlich,
nach einem halben Jahre, schickte mir Herr Boneß den Revisionsspruch zu,
der dahin lautete: Die Reeder des Stettiner Schiffes hätten den Schaden
zu vergüten, übrigens aber wiederum Regreß an ihren Schiffer zu nehmen.

Wie mich ein so unerwarteter Ausgang dieses Prozesses in Erstaunen,
Unwillen und gerechten Ärger setzen mußte, ist leicht zu begreifen.
Herrn Boneß verbarg ich meine Empfindlichkeit nicht, daß er verabsäumt
hatte, die sprechendsten Beweismittel herbeizuschaffen, und daß ich
allein nunmehr, wie es schiene, unter dieser Vernachlässigung leiden
sollte. Aus meinen Papieren könne ich dartun, daß ich seinem
Schwiegervater mit diesem Schiffe reine einundvierzigtausend Taler
verdient hätte, und so möge denn sein Billigkeitsgefühl entscheiden, ob
und welche Ansprüche er noch ferner an mich zu machen gedenke? -- zumal
da mein Gewissen mich von aller Schuld in jener Sache losspreche. Müßte
es jedoch zwischen uns zu einem Prozesse hierüber kommen, so würde ich
mich zu verantworten wissen.

Bei alledem war mir aber nicht gar wohl zumute. Ich ward endlich
schlüssig, mich nach Lissabon zu begeben und dem Dokumente, auf welchem
hier alles beruhte, an Ort und Stelle nachzuforschen. Vorläufig aber gab
ich dem Makler Brödermann in Hamburg, den ich kannte, den Auftrag, sich
bei den zuletzt von Lissabon eingekommenen Schiffern nach Leben und Tod
des dortigen Preußischen Gesandten und Konsuls genau zu erkundigen und
mir zugleich auf einem etwa binnen Monatsfrist dahin abgehenden Schiffe
einen Platz als Passagier zu bestellen.

Mein braver Patron Groß hatte außer dem Kaufmann Boneß noch drei andere
Schwiegersöhne, sämtlich Schiffer, als Erben seines bedeutenden
Vermögens hinterlassen. Diese alle kannten mich seit langen Jahren und
hatten mir stets Beweise ihrer Zuneigung und Achtung gegeben. An diese
nun wandte ich mich jetzt schriftlich und ersuchte sie um eine
bestimmte Erklärung, ob die Großschen Erben gesonnen wären, einen Prozeß
gegen mich anzustrengen? Solchenfalls aber möchten sie damit nicht
säumen, indem ich auf dem Sprunge stände, nach Lissabon zu gehen und mir
neue und hinreichende Beweismittel zu verschaffen.

Die Ehrenmänner gaben mir zur Antwort: sie kennten mich und glaubten mir
aufs Wort, daß ich eine gerechte Sache hätte und Bulkeley so gut als
Sylva ein paar Schurken wären. Ich möchte die Lissaboner Reise nur
unterlassen, indem sämtliche Großsche Erben unter sich übereingekommen
wären, jeden Prozeß und Anforderung gegen einen Mann aufzugeben, der
ihrem Hause so tätig und redlich gedient und ihm so ansehnliche Summen
erworben habe.

So mag sich denn nun hier die Geschichte meiner Seereisen und Abenteuer
schließen. Wohl aber mag ich auch sagen: »Gott hat große Dinge an mir
getan, der Name des Herrn sei gelobet!«

       *       *       *       *       *

Nun bin ich denn also aus einem Seemanne ein Landmann und ehrsamer
Kolbergischer Pfahlbürger geworden, und was einem solchen begegnen kann,
ist nicht so abwechselnd und ausgezeichnet, daß es eine ausführlichere
Erzählung verdiente. Sind in der Folge meines Lebens Verhältnisse
eingetreten, wo mein Name für einige Augenblicke aus der Dunkelheit
hervorgetreten zu sein scheint, wozu Natur und Schicksal mich wohl
eigentlich bestimmt hatten, so fühle ich doch gar wohl, wie wenig es
gerade _mir_ geziemen würde, über diese Periode und über mich selbst zu
sprechen, wo das, was mir Schuldigkeit und Bürgerpflicht zu tun geboten,
leicht als Prahlerei erscheinen könnte.

Findet sonst irgend jemand -- sei er Freund oder Feind -- Neigung und
Beruf, von mir zu schreiben, so sage er, was Wahrheit ist. Mir selbst
genügt an dem Bewußtsein, für mein Vaterland, für meinen König und für
jeden Menschen getan zu haben, was die schwachen Kräfte eines einzelnen
vermochten. Wäre ein wenigeres geschehen, so würde ich mir's zum Vorwurf
rechnen. Meinen heimlichen Feinden muß ich gestatten, im stillen über
mich zu richten und mich zu verurteilen. Öffentlich aber werden sie
schwerlich gegen mich auftreten, um meine Ehre anzutasten, die ich bis
zu meinem letzten Atemzuge darein setzen werde, ein Verehrer meines
Königs, ein getreuer Untertan, ein dankbarer Sohn meiner geliebten
Vaterstadt, ein exemplarischer Bürger, der Freund meiner Freunde und im
großen wie im kleinen ein ehrlicher Mann zu sein.




Dritter Teil


Was ich früher, als ich am Schlusse des zweiten Teiles meiner
Lebensgeschichte die Feder niederlegte, weder gedacht noch gewollt, soll
dennoch Wirklichkeit werden -- ich soll sie wieder aufnehmen, um dem
freundlichen Leser auch noch diejenigen Lebensereignisse mitzuteilen,
die mir nach meinem fünfundvierzigsten Jahre zugestoßen sind. So
wünschen und verlangen es so manche, denen ich für ihre Liebe gern
dankbar werden möchte -- dankbar aber vornehmlich auch meinem Schöpfer,
welcher mir bis hierher Leben, Kraft und Gesundheit schenkt und mich
vielleicht nur _dazu_ noch gebrauchen will, da ich doch sonst der Welt
wohl nur wenig mehr nützen kann. Mein Bedenken, von den neueren Zeiten
und von meinem eignen kleinen Anteil an den Welthändeln zu reden, ist
auch nicht mehr das nämliche wie vormals: denn einmal kennt mich nun der
Leser schon genug, um zu wissen, daß mir's nirgends um die Person,
sondern immer nur um die Sache zu tun ist, und wird mir also auch nicht
leicht Ruhmredigkeit vorwerfen, wo ich nur der Wahrheit die Ehre gebe;
und dann fürs andre könnte es hier und da doch auch wohl zutreffen, daß
etwas zu Nutz, Lehre und Warnung jetziger und künftiger Zeiten mit
unterliefe. Hauptsächlich aber drängt es mich, einem Manne, obwohl er
meiner zu seinem Lobe nicht bedarf, weil ihn die Welt, sein Herz und
seine Taten genugsam preisen, -- dem Manne, der in der Nacht der Trübsal
über meiner Vaterstadt zuerst wie ein schöner leuchtender Stern des
Heils aufgegangen ist -- die schuldige Anerkennung widerfahren zu
lassen. Nein, ich will ihn nicht loben: aber meine getreue Erzählung
selbst soll sein Lob sein!

       *       *       *       *       *

Von der See hatte ich meinen Abschied genommen; hatte mich auf ihr und
in der Fremde genugsam herumgetummelt, um mir die Hörner abzulaufen, und
hielt es nunmehr für das Gescheiteste, mich an eine stille bürgerliche
Nahrung zu halten, wie es mein Vater und meine Vorväter auch getan
hatten: denn der bisherige Hang zum Seeleben war eigentlich nur mit dem
_mütterlichen Blute_ auf mich gekommen, und es schien ganz gut und recht,
mich wieder zur _väterlichen Weise_ zu wenden. Da nun auch mein ererbtes
Häuschen ganz zum Betrieb von Bierbrauen und Branntweinbrennen
eingerichtet war und mir diese Hantierung sowohl zusagte, als auch ein
ehrliches Auskommen versprach, so bedachte ich mich nicht lange, sie
gleichfalls zu ergreifen; habe auch manche liebe Jahre hindurch mein
leidliches Auskommen dabei gefunden. Ich ward also Kolberger Bürger,
hatte meinen besonderen Verkehr mit den Landleuten umher und rührte mich
tüchtig, um das, was ich ergriffen hatte, nun auch ganz und aus einem
Stücke zu sein.

Aber es mochte doch wohl sein, daß es entweder mit dem »Hörner-Ablaufen«
noch nicht seine volle Richtigkeit hatte, oder daß sonst noch für meine
dreiviertel Schock Jahre zu viel Regsamkeit und Eifer in mir war, oder
endlich lag es und liegt noch zu tief in meiner Natur, daß ich keine
Unbilde -- treffe sie mich oder andre -- statuieren kann: -- genug, ich
lief mit dem einen wie mit dem andern oft genug an; und ohne daß ich es
wollte und wünschte, mag es auf diese Weise leicht gekommen sein, daß
meine lieben Mitbürger, die es meist gemächlicher angehen ließen, mich
mitunter für einen unruhigen Kopf verschrieen, und dem es in Guinea
unter der Linie vielleicht gar ein wenig zu warm unterm Hute geworden.
Von dem allem muß ich einige Pröbchen beibringen, die es beweisen
mögen, daß ich noch immer der alte Nettelbeck war.

Erst also von meinem Unbedacht! -- Der See mit genauer Not entronnen,
dachte ich, daß es nun mit dem Ersaufen weiter keine Not haben sollte;
und doch war ich auch als Landratte ein paarmal nahe daran, einen nassen
und elenden Tod durch eigne Schuld zu finden.

       *       *       *       *       *

Es war im Dezember 1784, als mich einst mein Gewerbe nach Henkenhagen,
einem Dorfe, dritthalb Meilen von Kolberg, führte. Ich war zu Pferd und
nahm den Weg dahin längs dem Strande, als dem ebensten und gelegensten.
Schon verdrießlich, daß mein Knecht den Gaul nicht nach meinem Sinne
gestriegelt, und da dieser bei meinem scharfen Ritt unter dem Bauche
heftig schäumte und schmutzig aussah, vermeinte ich beidem abzuhelfen,
wenn ich ein Eckchen in die See ritt, um ihn von den Wellen abspülen zu
lassen. Es war windiges Wetter und das Meer stürmisch. Sowie indes die
nächste Welle zurücktrat, ritt ich ihr trockenen Fußes nach und ließ sie
wieder heranrollen, und ritt danach wieder ein Eckchen und meinte nun
genug zu haben.

Nun aber kam unversehens eine höhere Sturzwelle, die sich dicht vor
meinem Pferde donnernd und schäumend brach. Es wurde davon scheu, bäumte
und wandte sich, so daß nun eine neue Woge nicht nur über unsern Köpfen
zusammenschlug, sondern auch, da sie uns von der Seite faßte, uns mit
Gewalt zu Boden warf. Ich hielt mich gleichwohl fest in Sattel und
Bügeln. Als jedoch die See nach wenigen Augenblicken wieder zurücktrat,
richtete sich das Pferd mit mir empor, bis abermals eine Welle uns
heimsuchte, die es dergestalt blendete, daß es, anstatt dem Zügel zu
folgen und nach dem Strande umzukehren, vielmehr seeeinwärts kollerte
und bald auch den Grund unter seinen Füßen verlor. Während wir nun
schwimmend mehr unter als über dem Wasser krabbelten, ward mir doch der
Handel endlich bedenklich. Ich suchte die Füße aus den Steigbügeln
loszubekommen, warf mich vom Pferde herab und schwamm dem Lande zu, das
ich auch glücklich erreichte. Doch Hut und Perücke waren verloren
gegangen.

Den ersteren sah ich noch in der Ferne treiben. Rasch warf ich den Rock
vom Leibe und watete und schwamm ihm nach, bis ich ihn glücklich
erreicht hatte. Abermals im Trockenen, schaute ich nun auch nach meinem
Gaule um, der es mir glücklich nachgetan, aber, wild und scheu geworden,
im vollen Sprunge landeinwärts lief. Ich eilte ihm nach und sah bald von
den hohen Sanddünen herab, daß einige Leute bereits damit beschäftigt
waren, ihn einzufangen. Als ich nun endlich herankam und sie mir mein
Tier überlieferten, stand ich da, völlig durchnäßt, den Hut auf dem
kahlen Kopfe (ein kurzgeschorener Schädel aber war damals etwas
Lächerliches) und bedachte bei mir selbst, was weiter zu tun sei? Doch
ich meinte, ich sei ja wohl öfter schon naß gewesen, warf mich aufs
Pferd und trabte, als sei nichts geschehen, nach Henkenhagen zu.

Indes muß ich doch ziemlich verstört ausgesehen haben, denn alle Leute,
die mir begegneten, sperrten die Augen auf und fragten, was mir begegnet
sei? Ich dagegen hielt mich mit keiner langen Antwort auf, bis ich das
Dorf erreichte; aber als ich nun vom Pferde steigen wollte, fühlte ich
mich von Nässe und Kälte so erstarrt, daß ich mich nicht zu regen
vermochte. Ob nun das, was ich tat, das Gescheiteste war, weiß ich
nicht; aber anstatt den nächsten warmen Ofen zu suchen, machte ich mit
meinem Gaule auf der Stelle rechtsum kehrt und sprengte im gestreckten
Galopp nach Kolberg heim, wo ich mein Abenteuer mit einer achttägigen
Unpäßlichkeit bezahlte, ohne jedoch dadurch klüger zu werden.

       *       *       *       *       *

Denn noch in dem nämlichen Winter versuchte ich es fast noch
halsbrechender, indem ich in einem zweispännigen Jagdschlitten über Land
fuhr. Es gab ein dichtes Schneegestöber, so daß man nur wenige Schritte
deutlich sehen konnte. Bei der Mühle zu Simötzel hatte ich einen stark
angeschwollenen Bach zu passieren, wo jetzt überdem in der gewöhnlichen
Furt viele zusammengetriebene Eisschollen zu erwarten waren. Dies zu
vermeiden, ließ ich meinen Knecht absteigen, um sich umzusehen, ob etwa
oberhalb der Mühle eine Brücke vorhanden sei. Er rief mir zu, daß er
eine solche gefunden, und ich hieß ihm dicht vor den Pferden
voranschreiten, um mir als Wegweiser zu dienen. So folgte ich dem
Menschen gedankenlos zu einem Übergange, der nicht eine Brücke, sondern
ein Steg ohne Geländer war, aus zwei nebeneinandergelegten Balken
bestand, die höchstens achtundzwanzig Zoll in der Breite betragen
mochten. In der Länge aber hielten sie leicht sechsunddreißig bis
vierzig Fuß, und das Gewässer rauschte ungestüm darunter hindurch.

Mitten auf dieser wunderlichen Passage, indem sich die Pferde (wie sie
nicht anders konnten) heftig drängten, stürzte das eine rechts hinab in
die Strömung. Es war ein Glück, sowohl daß der Schlitten dabei quer auf
die Balken zu stehen kam, als daß bei dem Sturz des Tieres sämtliche
Stränge rissen; noch ein größeres aber, daß gerade der Mühlbursche
zufällig neben dem Mühlwehr stand, der augenblicks die Schleuse
niederließ und dadurch das reißende Gewässer zum Stehen brachte. Nun
wurde der Schlitten samt mir und dem noch angeschirrten Pferde mit Not
und Mühe von den Balken herabgebracht, während das andre sich im Wasser
wälzende endlich auch das Ufer gewann.

Nun stand alles, was in der Mühle war, um mich her und fragte, wie ich
so unsinnig habe sein können, mich und mein Leben mit einem solchen
Zweigespann auf zwei elende Balken zu wagen? Da war nun wenig darauf zu
antworten, als daß ich durch das Schneetreiben am Sehen verhindert und,
mich auf meinen Führer verlassend, die Gefahr nicht eher inne geworden,
bevor ich mitten drinnen gesteckt. Hinterdrein bei ruhigerem Nachdenken
habe ich aber nur zuviel Grund zu dem Argwohn gefunden, daß der heillose
Bube mich wohl absichtlich dahin gelockt haben könne, um mir mit guter
Manier den Garaus zu machen; denn wenige Tage später entlief er aus
meinem Dienste, und es fand sich, daß er mich beträchtlich bestohlen
hatte.

       *       *       *       *       *

Zu einer andern Zeit saß ich in voller Gemütsruhe daheim vor meinem
Rasierspiegel mit dem Messer in der Hand, als der Kämmereidiener, ein
aufgeblasener wüster Mensch, zu mir eintrat und mit lallender Zunge
etwas daherstotterte, was ich nicht verstand, was aber wohl ein
obrigkeitlicher Auftrag an mich sein sollte. Indem ich ihn verwundert
und schweigend darauf ansah, aber sofort merkte, daß er sich einen
derben Rausch getrunken, mochte er sich durch diesen meinen prüfenden
Blick beleidigt fühlen, und stieß einige Grobheiten aus, die ich dadurch
erwiderte, daß ich die Zimmertür öffnete und meinen torkelnden Urian
bat, sich beliebigst hinauszutrollen. Dem aber schwoll der Kamm noch
mehr; es kam zu unnützen Redensarten, und da ich damals noch in meinem
Tun und Lassen ziemlich kurz angebunden zu sein pflegte, so machte ich
auch hier nicht viel Federlesens, sondern packte ihn mit derber
Seemannsfaust am Kragen und schob ihn bei seinem Sträuben etwas
unsäuberlich auf die Gasse hinaus. Mag auch wohl sein, daß er dabei,
denn mit dem Piedestal war's ohnehin unrichtig, auf die Plastersteine zu
liegen kam und sich den Mund blutig fiel, während ich mir nichts dir
nichts an mein unterbrochenes Geschäft zurückkehrte.

Nun aber war auch sofort Feuer im Dache. Ich hatte einen ganzen
wohledlen Magistrat in seinem Diener beleidigt, und eine solche
Ungebührlichkeit konnte nicht ungeahndet bleiben! Mochte ich vielleicht
ohnedem schon nicht wohl angeschrieben stehen, so war dies nun ein
neuer Frevel, wo die ganze obrigkeitliche Autorität mit ins Spiel zu
kommen schien und einmal ein Exempel statuiert werden mußte! Gleich des
andern Tages also bekam ich eine Vorladung vom Magistrat, am nächsten
Morgen im Rathause zu erscheinen.

Inzwischen hatte es der Zufall gefügt, daß bei einem Gange durch die
Stadt meine Augen auf das Mauerwerk der Kupferschmiedsbrücke fielen, wo
ich wahrnahm, daß beide Stirnmauern, auf welchen das Gebälke der Brücke
ruhte, in sehr schadhaftem Zustande und die eine derselben sogar zum
Teil niedergeschossen sei; so daß durch das nächste, etwas schwere
Fuhrwerk, das hinüberpassierte, leicht ein Unglück entstehen könnte.
Dies hatte ich auch sofort nach Bürgerpflicht dem Stadtdirigenten,
Landrat Selert, angezeigt, der sich von der vorhandenen Gefahr
überzeugte und die Brücke sperren ließ. Daneben hatte ich ihm
vorgeschlagen, daß es zur Erneuerung des Gemäuers keines kostspieligen
Gerüstes bedürfte, wenn man nur einen Bagger-Prahm von der Münde
herbeischaffte und unter die Brücke brächte. Er billigte das, und ich
hatte den Prahm auch wirklich herbeigeholt und unter der Brücke
befestigt. Die Maurer aber waren seitdem darauf mit ihrer Arbeit
beschäftigt.

Indem ich nun auf dem Wege nach dem Rathause war, um meine Strafsentenz
zu empfangen, sah ich schon aus der Ferne, daß das Wasser im
Persantestrom durch einen hartstürmenden Nordwind hoch aufgestaut war,
und als ich zur Brücke gelangte, fand ich es dort in solcher Höhe
angeschwollen, daß der Prahm bis dicht unter die Balken der Brücke
emporgehoben worden und jeden Augenblick zu befürchten war, er möchte
die ganze Brücke abtragen und davonführen, wenn er nicht ungesäumt unter
ihr weggebracht werden könnte. Im Weitergehen ging ich mit meinen
Gedanken zu Rate, auf welche Art hier wohl zu helfen sein möchte,
wiewohl doch mein stiller Groll, je näher ich dem Rathause kam, mir je
mehr und mehr zuflüsterte: »Du bist ja doch wohl ein rechter Tor, dich
mit solcherlei Anschlägen zu plagen! Hast du doch von all deinem Besttun
nichts als Ärger zum Lohn.«

Als ich in die Ratsstube eintrat, war mein Verkläger schon vorhanden,
etwas nüchterner zwar als vorgestern, aber auch nur um so fertiger mit
dem Maul; zumal da er bald wahrnahm, daß die Herren ihm den Rücken
steiften, indem sie mir mit etwas unhöflichen Vorwürfen das, was ich
getan, als eine Verachtung der Obrigkeit auslegten. Ich dagegen führte
meine Sache nach der Wahrheit; es wurde hin und her gestritten, und der
Herr Sekretarius hatte seine volle Arbeit mit Protokollieren ... Siehe!
Da flog unversehens die Tür auf, und mit Schrecknis im Angesichte kam
der Stadtzimmermeister Kannegießer hereingestürzt und rief: »Meine
Herren, es wird ein großes Unglück geschehen. -- Die Brücke wird samt
dem Prahm davongehen. Ich bin nicht mehr imstande gewesen, ihn darunter
hervorzubringen, und noch steigt das Wasser mit jeder Minute. Kommen Sie
selbst, Herr Landrat, und überzeugen sich, daß das Unglück nicht mehr
abzuwenden ist.«

Beide eilten hinaus, und mit dem Protokoll hatte es einstweilen einigen
Stillstand. Da wandte sich denn der zweite Bürgermeister, Roloff, an
mich und sagte: »Nettelbeck, Sie pflegen ja sonst wohl in manchen Dingen
guten Rat zu wissen, zumal wo es in Ihr eigentliches Element einschlägt,
wie hier. Sagen Sie doch -- was ist dabei zu tun?«

»Ich meine, dem ist bald abgeholfen,« war meine kurze Antwort. -- »Man
bohrt ein Loch in den Prahm und läßt ihn soweit voll Wasser laufen, bis
er sich hinlänglich gesenkt hat, um wieder unter der Brücke
hervorzugleiten.«

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, so riß der Bürgermeister hastig
das Fenster auf und schrie den Weggehenden drunten zu, augenblicklich
zurückzukehren. Und indem sie eintraten, hub er an: »Nettelbeck schlägt
soeben ein gutes Mittel vor, die Brücke zu retten.« -- Ich aber wandte
mich zu dem Zimmermeister: »Nehm' Er einen zweizölligen Böttcherbohrer
und bohr' Er damit ein Loch in den Boden des Prahms, dann wird so viel
Wasser hineinlaufen, daß dieser sich um einen oder ein paar Fuß senkt
und Spielraum genug gewinnt, unter der Brücke durchzugleiten. Damit er
aber bei seiner Last von Kalk, Lehm und Mauersteinen nicht gar auf den
Grund versinke, so muß das Loch auch zu rechter Zeit wieder verstopft
werden können, und dazu wird man sich im voraus mit einem langen,
hölzernen Pfropf zu versehen haben.«

Eh' ich noch geendet, rief der Zimmermeister mit flammenden Augen: »Das
geht! Wahrhaftig, das geht! -- Herr Landrat, bleiben Sie in Gottes Namen
hier, nun soll dem Dinge bald geholfen sein.«

Jetzt gab es um den Ratstisch her abermals eine Stille bevor mein
Protokoll wieder beginnen wollte; dann aber stand der Bürgermeister
Roloff von seinem Stuhle auf, sah all die Ratsherren nach der Reihe an
und sagte: »Meine Herren -- Den Mann sollten wir strafen? -- Was meinen
Sie?« -- Alles still, bis auch der Landrat aufstand und sich zu meinem
Widerpart wandte: »Ein andermal, guter Freund, wenn Magistratssachen an
Bürger zu bestellen sind, gescheh' es nüchtern, mit Vernunft und mit
Bescheidenheit. Die Sache ist hiermit abgetan, und Sie, Herr Nettelbeck,
gehen in Gottes Namen und mit unserm Dank nach Hause.«

       *       *       *       *       *

Wiederum und nicht lange danach begab sich's, daß kurz vor der
Weihnachtszeit ein Glöckner in der Stadt vermißt wurde, nachdem er
-- vielleicht etwas angetrunken -- auf die Lauenburger Vorstadt geschickt
worden, um als Kirchendiener fällige Landmiete einzufordern. Zwar hatte
er gegen die Abendzeit den Heimweg wieder angetreten, aber wo er zuletzt
geblieben, war auf keine Weise zu ermitteln. Endlich, am Nachmittag des
heiligen Abends vor Weihnachten, erscholl das Gerücht, der arme Mensch
liege unweit der zweiten kleinen Brücke, tot im Wallgraben, mitten im
Rohr, wohinab er von dem steilen, mit Glatteis überzogenen Walle
gepurzelt sein mochte.

Voll Mitleids lief ich hinzu und fand bereits die Brücke mit unzähligen
Menschen aus allen Ständen besetzt, welche alle nach dem Ertrunkenen
hingafften, ohne irgend eine hilfreiche Hand anzulegen. »Aber, liebe
Leute,« -- wandte ich mich an einige nächststehende Bürger -- »warum
wird der Leichnam nicht herausgeschafft? Wir wollen da nicht lange
säumen -- kommt und helft mir!« -- Allein sie verzogen die Mäuler,
murmelten etwas, das so klang, als wollten sie sich damit nicht
»unehrlich« machen und dem Henkersknechte vorgreifen, und einer nach dem
andern zog sich sachte von mir ab. Weil ich nun sah, daß auf einem
andern Fleck Landrat und Bürgermeister und wer sonst noch vom Rate
beisammenstanden, trat ich an sie heran und bat, daß sie's doch möglich
machten, den toten Körper aus dem Wasser zu ziehen. -- »Mein Gott!«
versetzte der Landrat, »es will's ja keiner!« -- »Gut, so will ich's,«
war meine Antwort. -- »Ich allein aber schaffe nichts. Meine Herren, gebe
Einer von Ihnen ein gutes Beispiel und helfe mir.« -- Ich sah einen nach
dem andern darauf an, aber meine Rede dünkte ihnen spöttisch und sie
kehrten mir den Rücken. -- Nun wurde ich warm und griff einen
geistlichen Herrn, den die Neugierde auch herbeigeführt hatte, am
Rockärmel: »Topp, Herr! Wenn _keiner_ will und ein fühlbares Herz hat, so
machen _wir_ beide uns getrost ans Werk!« -- »Ich? ich?« stotterte er --
»mein Gott, dazu bin ich nicht imstande« -- und somit riß er sich von mir
los und entfernte sich eiligst. Mir aber lief endlich auch die Galle
über. Ich schickte ihnen allen einen derben Seemannsfluch nach und begab
mich in grollendem Unmute nach Hause.

Kaum ein paar Stunden darauf erfuhr ich durch meinen Sohn, daß endlich
den beiden Bettelvögten von Magistrats wegen befohlen worden, den
Ertrunkenen aus dem Graben zu holen. Weil aber die Stelle bei
fortwährendem Glatteise wirklich einigermaßen gefährlich und es alte
steife Kerle waren, so fiel das Experiment so unglücklich aus, daß der
eine gleichfalls kopfüber neben dem Glöckner ins Wasser stürzte und auf
der Stelle ersoff. Das war im Angesichte von mehr als hundert Menschen
geschehen, deren keiner einen Finger rührte, das neue Unglück zu
verhüten oder wieder gut zu machen.

Nun ließ mich's noch weniger ruhen als vorher. Ich eilte dem Platze zu,
mitten in das Gedränge, das jetzt noch dichter zusammengeströmt war.
»Liebe Leute,« rief ich -- »jetzt endlich werdet ihr doch in euch
gegangen sein und euch schämen, daß solch ein Skandal vor euren Augen
hat geschehen können? -- Kommt! helft! Laßt uns wieder gut machen so
viel noch möglich ist!« -- Waren sie mir aber vorher schon, sobald sie
mich erblickten, ausgewichen, so wollte mir jetzt noch weniger jemand
standhalten. Da konnte ich mir denn freilich nicht anders helfen und las
ihnen eine Epistel, die von den derbsten war. »Wie?« rief ich, »seid ihr
Menschen? seid ihr Christen? Seid ihr wohl wert, daß Gott seine Sonne
über euch aufgehen läßt? Bei Heiden und Türken und in Ländern, die
nichts von Gott und Jesu Christo wissen, hilft und rettet doch einer den
andern, wenn es um Leib und Leben gilt!«

Darauf griff ich einen Schönfärber an, der mir eben in den Wurf kam. --
»Was meinst du? Wenn du oder ich dort lägen, wo diese Unglücklichen
liegen, wolltest du oder ich erst von unehrlichen Händen herausgezogen
sein?« -- »Dazu gebe sich ein andrer her, aber ich nicht!« antwortete er
mir trotzig und ging seines Weges. Ich schalt, ich tobte, aber damit war
nichts ausgerichtet. Ich mußte meinen Ingrimm in mich schlucken und
rannte nach Hause, um nur von der ganzen Historie nichts mehr zu sehen
und zu hören. Da kam ein Bote, der mich eiligst zum Landrat beschied.
Noch voll Ärgers ließ ich ihm zurückmelden: »Erst möge er nur sorgen,
daß er die Toten aus dem Graben schaffte. Es sei morgen hoher Festtag
und darum um so nötiger, daß der unchristliche Spektakel ein Ende
kriegte.« -- Eben diese Betrachtung aber mochte es wohl sein, was den
Herren bange machte und was auch den Bürgermeister zur nämlichen Stunde
bewog, mich zu ihm bitten zu lassen. In der Tat hatten beide, als ich
nach einigem abgekühlteren Besinnen mich zu dem Gange entschloß, ein und
das nämliche Ansinnen, und ersuchten mich mit den freundlichsten Worten,
sie aus dieser Verlegenheit zu ziehen und der Stadt die Schande zu
ersparen. Nun waren sie zwar selbst Zeugen, wie wenig ich mit meinem
gutwilligen Eifer ausgerichtet, indes verhieß ich ihnen doch, es von
neuem zu versuchen und mein Bestes zu tun.

Indem ich nun wieder zu der Brücke kam, stöberte mein bloßer Anblick,
als wäre ich der Knecht Ruprecht gewesen, alles auseinander, was da noch
stand und Maulaffen feilhatte. Sie mochten sich wohl vor einer neuen
Strafpredigt fürchten. An Ort und Stelle sann und sann ich nun, wie das
Ding am schicklichsten anzugreifen und wie vor allen Dingen ein
tüchtiger Kumpan zu finden sei, der seine Hand mit anlegte. Da kam im
glücklichsten Momente, von diesem allem noch nichts wissend, mein guter
alter Freund, der Brauer Martin Blank, ehemals mein Seekamerad, von
einem Gange auswärts dahergeschritten. Dem erzählte ich nun mit kurzen
Worten, was mich auf dem Herzen drückte, und schloß damit: »Bruderherz,
du bist ein Mann von meinem Schlage: _du_ wirst mir helfen!« -- »Ja, das
will ich!« war seine Antwort, indem er seinen Mantelrock abzog und auf
das Brückengeländer warf. Ich ging voran und er folgte.

Der Abhang des Walles war steil und schlüpfrig und unten am Rande des
Grabens ließ sich nur mit Mühe fußen. Mein Gefährte mußte mich oben am
Kragen halten, während ich mich niederbog, den nächsten Leichnam zu
erfassen; aber wenig fehlte, daß ich das Gleichgewicht verlor und der
dritte unten im Graben war. Weil denn aber an dieser bösen Stelle nichts
auszurichten war, mußte vom Torschreiber eine Leine geholt werden, die
wir um die toten Körper schlangen und womit wir sie nach einer
zugänglicheren Stelle zogen, bis sie denn endlich glücklich aufs
Trockene gebracht wurden.

Darüber war es Abend geworden und mein Freund, der nunmehr nach Hause zu
eilen hatte, überließ mir die Sorge, die Toten vollends an einen
schicklichen Ort zu schaffen. Mir fiel die Kalkkammer der St.
Georgenkirche auf der Vorstadt bei, wo sie vorerst niedergelegt werden
konnten, um nach den Feiertagen christlich beerdigt zu werden. Aber ehe
sie dahin gelangten, mußte ein Bauer, der noch spät mit seinem Fuhrwerke
aus der Stadt kam, von der Torwache angehalten und halb in Güte, halb
mit Gewalt bewogen werden, sie bis dahin aufzuladen. Selbst der Küster,
den ich herauspochte, machte eine bedenkliche Miene, ihnen das Plätzchen
zu gönnen, und griff erst nach den Kirchenschlüsseln, als ich mir's
herausnahm, mit einem Wörtchen von Absetzung zu drohen.

       *       *       *       *       *

Neben meinen Berufsgeschäften machte ich mir von Zeit zu Zeit auch noch
andre Sorgen, die ich mir wohl hätte sparen können, wenn ich sie nicht
als meine Spielpuppe betrachtet hätte. Man wird sich erinnern, daß zu
Anfang des Jahres 1773 unser Sklavenschiff, eines empfangenen Lecks
wegen, genötigt gewesen, in den Fluß Kormantin, zwischen Surinam und
Berbice, einzulaufen, und wie ich damals dort eine ungemein fruchtbare,
aber noch von keiner europäischen Macht in Besitz genommene Landschaft
vorgefunden. Flugs wirbelte mir auch dieser letztere Umstand im Kopfe
herum, der preußische Patriotismus ward in mir lebendig und ich sann und
sann, warum denn nicht _mein_ König hier ebensogut wie England und
Frankreich seine Kolonie haben und Zucker, Kaffee und andre
Kolonialwaren eben wie jene anbauen lassen sollte? Je länger ich mir das
Projekt ansah, desto mehr verliebte ich mich darein, und zugleich meinte
ich, daß ich selbst wohl der Mann sein könnte, Herz und Hand zur
Ausführung daranzugeben.

Darum ließ mir's auch, als ich nach Kolberg zurückgekehrt war, keine
Ruhe, bis ich meinen Plan umständlich zu Papier gebracht hatte. Ich
dachte, wer ihn läse und nur irgend zu Herzen nähme, müßte mir auch in
meinen Vorschlägen beipflichten, und so packte ich ihn mit einer
alleruntertänigsten Vorstellung zusammen und schickte mein Schoßkind
unmittelbar an den alten Friedrich ein, der zuletzt doch immer das Beste
bei der Sache tun mußte. Hatte ich jedoch geglaubt, da vor die rechte
Schmiede zu kommen, so war ich gleichwohl arg betrogen, denn meine
Eingabe blieb ohne Antwort und so ließ sich wohl daraus schließen, daß
der König das Ding nicht mit _meinen_ Augen angesehen und weiter auf ihn
nicht zu rechnen sein werde. Also war ich auch gescheit genug, ihm
weiter keinen Molest damit zu machen.

Nur mir selbst wollte die schöne preußische Kolonie am Kormantin noch
immer nicht aus Sinn und Gedanken weichen! Ich putzte mir das Luftschloß
noch immer vollständiger im einzelnen aus, und da ich wohl erwog, daß
der Anbau des Landes ohne Negersklaven nicht zu bewerkstelligen sein
werde, so verband ich damit zugleich die Idee einer Niederlassung an der
Küste von Guinea, wo ja schon hundert Jahre früher der große Kurfürst
und seine Brandenburger festen Fuß gefaßt gehabt und von wo die neue
Kolonie mit schwarzen Arbeitern hinreichend versorgt werden könnte. So
wurde mir mein Projekt von Tag zu Tag lieber, obgleich ich meine
Gedanken für mich behielt und auf künftige bessere Zeiten rechnete; denn
was der königliche Greis von der Hand gewiesen hatte, das konnte ja
leicht bei seinem Nachfolger einst eine günstigere Aufnahme finden.

Als daher Friedrich der Einzige die Augen geschlossen und Friedrich
Wilhelm auf seinem Wege zur Huldigung in Königsberg durch Pommern zog,
nahm ich flugs meinen alten Plan wieder vor und paßte es so ab, daß ich
dem Könige in Körlin unter die Augen kam und ihm mein Memorial
überreichte. Kaum liefen einige Wochen ins Land, so hatte ich meinen
Bescheid, des Inhalts: »Daß Se. Majestät für den entworfenen Plan zu
einer Seehandlung nach Afrika und Amerika auf Höchstdero eigne Rechnung
zwar nicht entrieren möge, inzwischen die gemachten Vorschläge der
Seehandlungs-Sozietät zugefertigt und derselben überlassen habe, ob sie
darauf sich einzulassen ratsam finde.«

Das ließ sich hören, die Herren von der Seehandlung konnten ja vielleicht
geneigt sein, Vernunft anzunehmen. Aber was geschah? -- In noch kürzerer
Frist ging, nicht von jener Sozietät, sondern von dem Königlich
Preußisch-Pommerschen Kriegs- und Domänenkammerdeputationskollegium zu
Köslin die Resolution bei mir ein: »Da Se. Königl. Majestät geruht hätten,
auf jene Vorschläge nicht zu reflektieren, so könne auch besagtes Kollegium
sich auf das weit aussehende Handelsprojekt nicht einlassen.« Späterhin
habe ich in Erfahrung gebracht, daß die Engländer am Flusse Kormantin eine
Niederlassung mit dem gedeihlichsten Erfolge gegründet haben.

       *       *       *       *       *

Ich hatte aber Gelegenheit genug in der Nähe, wo ich zum Guten raten und
mich ums allgemeine Beste einigermaßen verdient machen konnte. So war es
etwa gleich ein Jahr nachher (1787), daß die Kolberger Kaufmannschaft
mir die Ehre antat, mich zum Verwandten des Seglerhauses aufzunehmen. Es
ist dies nämlich ein städtisches Kollegium, welches aus fünf Kaufleuten
und drei der angesehensten Schiffer besteht und das Seegericht bildet,
vor welchem alle Schiffahrtssachen, sowohl nach dem Preußischen Seerecht
als nach den Usanzen, in erster Instanz entschieden werden. Diese
Auszeichnung konnte ich nicht zurückweisen, und so geschah es dann, daß
gleich in der zweiten oder dritten Session ein Schiffer, vom Kolberger
Deep gebürtig, und ein Steuermann ebendaher, aufgefordert wurden, ein
Protokoll zu unterzeichnen. Der Schiffer kratzte seinen Namen mit Not
und Mühe auf das Papier, sein Gefährte aber erklärte, daß er des
Schreibens völlig unkundig sei, und begnügte sich, seine drei Kreuze
hinzumalen, wobei ihm die große Brotschnitte, die er zu seiner
Beköstigung zu sich gesteckt, beinahe aus dem Busen entfallen wäre.

Ich kann nicht leugnen, daß ich mich hierbei tief in die Seele dieser
ehemaligen Standesgenossen schämte. Wes das Herz voll war, des ging auch
der Mund über, und so bat ich meine Herren Beisitzer, es doch reiflich
zu Herzen zu nehmen, wie schlechte Ehre wir Preußen einlegten, wenn so
oft Landsleute von diesem Schnitte vor einem auswärtigen Seegerichte
ständen, und was für Gedanken Holländer und Engländer wohl von unserm
Seewesen fassen möchten? Das Wenigste wäre, daß fremde Handelsleute sich
auf alle Weise hüten würden, solchen unwissenden Menschen Schiffe und
Ladungen anzuvertrauen, und daß darüber die ganze preußische Reederei in
Mißkredit und Verachtung geraten könnte. Andrer Orten würde kein
Steuermann oder Schiffer zugelassen, bevor er in einem Steuermannsexamen
erwiesen hätte, daß er seiner Kunst und Wissenschaft vollständig mächtig
geworden. Sie wüßten auch, daß ich noch immer fortführe, mich mit dem
Unterrichte junger Seeleute zu beschäftigen, und so läge mir denn daran,
daß sie die Güte hätten, mit nächstem einer Prüfung meiner Lehrlinge
beizuwohnen und sich von ihren Fortschritten in der Steuermannskunst zu
überzeugen.

Das geschah auch wirklich und die Herren fanden ein solches Wohlgefallen
an der Sache, daß auf der Stelle beschlossen wurde, es solle fortan auf
hiesigem Platze kein Schiffer oder Steuermann angenommen und vereidet
werden, bevor er nicht seine Tüchtigkeit durch ein wohlbestandenes
Examen nachgewiesen. Und so ist es seitdem auch fortdauernd hier
gehalten worden.

Um die nämliche Zeit etwa befand sich das hiesige Königliche Lizentamt
in einiger Verlegenheit wegen eines hinreichend tüchtigen
Schiffsvermessers, der sich auf die Berechnung der Tragkraft der
Fahrzeuge verstände und wieviel Lasten sie laden und über See führen
könnten. Denn bisher hatten ein paar subalterne Lizentbeamte dieses
Geschäft versehen, aber so unwissend und ungeschickt, daß die von ihnen
vermessenen Fahrzeuge stets zu groß oder zu klein befunden wurden,
woher es denn auch an Streitigkeiten zwischen dem Lizent und den
Schiffern nie abriß. Zufällig mochte es nun bekannt geworden sein, daß
ich mich auf dieses Geschäft verstände, und so geschah mir von der
oberen Zollbehörde der Antrag, mich solcher Verrichtung anzunehmen. Mehr
der Ehre als des kleinen Nutzens wegen ließ ich mich dazu willig finden,
legte hier im Hafen an einigen Schiffen, die bereits in Danzig und
Königsberg vermessen waren, meine Probe ab und ward demnächst von der
Königlichen Regierung zu Stettin in Pflicht genommen und bestätigt, ohne
mir träumen zu lassen, daß ich dadurch den Groll meiner beiden Vorgänger
in diesem Amte erregt haben könnte.

Das erste Schiff, das mir zur Berechnung vorkam, war ein kleines,
englisches, scharf gebautes Fahrzeug, auf zwei Decke eingerichtet,
Kajüte, Roof und Kabelgat mit im Raume versenkt, so daß in letzterem nur
wenig zur Belastung übrigblieb. Meine Berechnung ergab eine
Belastungsfähigkeit von nicht mehr als sechsunddreißig Lasten zu
fünftausendsiebenhundertundsechzig Pfund, wie damals gebräuchlich war.
Während jedoch mein Attest hierüber an die Regierung abging, hatten
meine beiden Widersacher das Schiff gleichfalls nach ihrer Weise in
aller Stille vermessen, die Trächtigkeit desselben auf fünfundfünfzig
Lasten berechnet und darüber gleichzeitig einen Bericht nach Stettin
abgesandt, worin ich ebensosehr der Unwissenheit als der Unredlichkeit
beschuldigt wurde.

So gelangte denn bald darauf ein gefährlich besiegeltes Schreiben an
mich, worin die Stettiner Herren mich zur Verantwortung zogen. Ich
begnügte mich, Riß samt Berechnung einzupacken und um eine strenge
Prüfung meines Verfahrens zu bitten, mit dem Beifügen, daß übrigens
diese Arbeit, wie sie meine erste gewesen, auch meine letzte bleiben
werde. Nun war man doch dort so vernünftig oder so billig gewesen, unsre
beiderseitigen Aufsätze in Danzig und Königsberg einer neuen Berechnung
unterwerfen zu lassen, wobei die Richtigkeit des meinigen, sowie die
Falschheit des andern ans Tageslicht kam. Meine Angeber wurden
angewiesen, sich fernerhin in mein Geschäft nicht zu mischen, mir aber
ward angetragen, dieses wiederum zu übernehmen. Solches habe ich denn
auch gern getan und dieses Amt bis zum Jahre 1821 mit Ehren verwaltet.

Ernstlicher aber war es um das Jahr 1789 und weiterhin mit einem Streite
gemeint, den die Kolberger Bürgerschaft unter sich auszufechten hatte
und wobei ich unmöglich ruhiger Zuschauer bleiben konnte. Aber freilich,
ich _wollte_ auch nicht, da es darauf ankam, himmelschreiende Mißbräuche
aufzudecken und abzustellen, die unter dem Scheine des Rechts ohne alle
Scheu ausgeübt wurden. Es gab nämlich in Kolberg nach der damaligen
städtischen Verfassung ein Kollegium, genannt die Fünfzehn-Männer, weil
es aus Fünfzehn der angesehensten Männer bestand, und welches
ursprünglich die Gerechtsame der Bürgerschaft bei dem Magistrate zu
vertreten hatte und dessen Gutachten in städtischen Angelegenheiten
gehört werden mußte. Allmählich aber hatten diese Fünfzehn-Männer
angefangen, ihr Ansehen mehr zu ihrem Privatnutzen als zum allgemeinen
Besten geltend zu machen, und wie die Menschen nun einmal zum Bösen
immer fester zusammenhalten als zum Guten, so war auch hier schon seit
lange eine enge Verbrüderung entstanden, sich einander zu allerlei
heimlichen Praktiken den Rücken zu steifen und durchzuhelfen. Da waren
denn Depositenkassen angegriffen, Scheinkäufe angestellt, Gemeindegut
liederlich verschleudert und andre Greuel mehr begangen worden.

Ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß ich der erste war, der dem Fasse
den Boden ausstieß, und als ein paar wackere Männer, der Zimmermeister
Steffen und der Gastwirt Emmrich, auf meine Seite traten, so brach ich
los und machte eine lange Reihe von Ungebührlichkeiten, Veruntreuungen
und krummen Schlichen, die in der letzten Zeit verübt worden, vor
Gericht anhängig. Es kam darüber zu einem langen und verwickelten
Prozesse, wobei die ganze Last auf uns drei zurückfiel, die wir von
gemeiner Bürgerschaft als Worthalter mit Vollmacht hierzu versehen
waren. Keine Art von Ränken und Rabulistereien blieb gegen uns
unversucht, so daß der Rechtsstreit dadurch beinahe vier Jahre hindurch
verschleppt wurde. So wie ich mir die Sache zu Herzen nahm, hatte ich
während dieser ganzen Zeit keine ruhige Stunde, und oft hätte ich gern
mit Feuer und Schwert dreinfahren mögen, wenn das heillose Gezücht immer
ein neues Mäntelchen für seine aufgedeckte Bosheit zu erhaschen suchte.
Endlich aber kam doch die unsaubere Geschichte zu einem noch leidlichen
Schlusse, demzufolge das Kollegium der Fünfzehn-Männer gänzlich
aufgelöst wurde, um neuerwählten Zehn-Männern Platz zu machen, welche
als Repräsentanten der Bürgerschaft die nämlichen Befugnisse haben
sollten, ohne die nämliche Macht zum Bösestun von ihnen zu erheben. Man
bewies mir das Vertrauen, mich in die Zahl dieser zehn Bürgerrepräsentanten
aufzunehmen, und ich habe dieses Ehrenamt auch mit Lust und Eifer bis zum
Jahre 1809 bekleidet, wo die neue Städteordnung andre und verbesserte
Einrichtungen herbeiführte.

Hier mag der Ort sein, meine häuslichen und ehelichen Verhältnisse mit
einigen Worten zu berühren, wiewohl diese Lebenserfahrungen gerade
diejenigen sind, deren ich mich nicht erinnern darf, ohne sehr
schmerzliche Empfindungen in mir zu erwecken; denn als Ehemann und als
Vater ist mir erst sehr spät mein besserer Glücksstern erschienen. Zwar
war auch der erste Anschein zu beiden günstig genug, als ich im Jahre
1762 mich, wie ich schon früher erzählt habe, in Königsberg zum Heiraten
entschloß. Ich war ein flinker und lebenslustiger Bursche von
vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahren und mein junges Weib mochte
eben nur sechzehn zählen, allein alles stand gut und glücklich um uns,
und solange wir dort lebten und ich als Schiffer ab- und anfuhr, gab es
die friedsamste Ehe von der Welt. Von drei Kindern, die sie mir gebar,
blieb indes nur ein Sohn am Leben, der nämliche, der mich in den letzten
vier Jahren meines Seelebens als unzertrennlicher Gefährte begleitete.

Nach sieben Jahren, als mir in Stettin der königliche Schiffsdienst so
schnell verleidet worden, brachte meine zufällige Anwesenheit in Kolberg
und der Wunsch meiner damals noch lebenden Eltern mich zu dem
Entschlusse, meinen Haushalt von Königsberg, wo mir's eben auch nicht
besser hatte glücken wollen, nach meiner Vaterstadt zu verlegen. Während
ich noch damit umging, meldete mir ein alter Hausfreund, daß meine Frau,
von welcher ich seit beinahe neun Monaten entfernt gelebt, glücklich
eines Knäbleins genesen; doch als sie nach vollendeten Sechswochen auf
meinen Ruf mit Kind und Kegel in Kolberg anlangte, präsentierte sie mir
ein kleines Mädchen von zwei Monaten. Man mag sich's denken, daß ich mir
mächtig die Stirn rieb und ein wenig verdutzt in die Frage ausbrach:
»Aber wie hat sich der Junge so auf einmal in ein Mädchen verwandelt?«
-- Da fiel die Sünderin mir und meinen Eltern weinend zu Füßen und
bekannte, was sich nun länger nicht verheimlichen ließ, daß der
Hausfreund mir noch etwas mehr gewesen, daß er, um mich Entfernten zu
täuschen, mir meines Weibes Niederkunft um einige Wochen früher, als sie
wirklich erfolgt war, gemeldet und es nur in der Angabe des Geschlechts
so arg versehen habe. Die büßende Magdalena bat indes mit erhobenen
Händen so flehentlich um Vergebung, daß ich sowohl wie meine Eltern
dadurch bewegt wurden und das Geschehene in Vergessenheit zu stellen
versprachen. In der Tat mochte hier Schweigen und Verzeihen auch wohl
das beste sein, was sich tun ließ, wenn ich gleich die unglückliche
Frucht dieses Fehltritts dadurch gesetzlich für mein Kind erklärte.

Nun versuchte ich mich, wie man weiß, wiederum fünf Jahre in fremden
Weltteilen, während welcher Zeit Frau und Kinder von meinen Eltern
ernährt wurden. Doch als ich nach Holland heimgekehrt war, belehrten
mich Briefe von guten Freunden, daß die Ungetreue neuerdings auf Abwege
geraten, die nicht ohne lebendigen, doch bald darauf wieder verstorbenen
Zeugen geblieben, und nun erforderte denn allerdings mein guter Name die
Scheidung, welche auch unverzüglich durch die Gerichte vollzogen wurde.
Ich behielt meinen Sohn, sie aber kehrte mit ihrer Tochter nach
Königsberg zurück, von wo an ich, unter meinen nachmaligen Irr- und
Kreuzfahrten, sie und ihr Schicksal gänzlich aus den Augen verlor.

Erst im Jahre 1787, nachdem ich bereits wieder in Kolberg zur Ruhe
gekommen, erfuhr ich, daß die Unglückliche dort im Elend gestorben und
ihre von aller Welt verlassene Tochter mich flehentlich bitte, mich
ihrer zu erbarmen. »Was kann auch das arme Geschöpf für die Sünden
seiner Mutter?« dachte ich bei mir selbst, und so machte ich auch flugs
Anstalt, ließ das Mädchen dort kleiden und sorgte für Reisegeld, um sie
nach Kolberg kommen zu lassen und in mein Haus aufzunehmen. Leider aber
mußte ich bald bemerken, daß Blut und Gemüt der Dirne sich ganz nach
mütterlicher Weise hinneigten. Allein die schärfere Zucht, zu der ich
dadurch genötigt wurde, behagte ihr nicht; sie entzog sich heimlich
meiner Aufsicht, schweifte in der Irre umher, führte ein unsittliches
Leben und bereitete mir viele Jahre hindurch ein reiches Maß von Verdruß
und Sorge.

Allein auch der bessere Sohn, der mein einziger Trost war, sollte mir
zuletzt nur Herzeleid und Tränen bereiten. Er hatte sich für den
Handelsstand bestimmt und im Jahre 1793 seine Lehrlingszeit in dem
Kontor des Herrn Kaufmann Pagenkopf zu Stralsund glücklich überstanden,
und war zu mir heimgekehrt, als eine Krankheit ihn überfiel, die sein
junges Leben dahinraffte. Meines Lebens Lust und Freude ging mit ihm zu
Grabe!

Ich stand nun einsam und verlassen in der Welt und wußte nicht, für wen
ich mir's in derselben noch sauer werden lassen sollte. Zwar hatte meine
Nahrung leidlichen Fortgang, aber doch betrog mich mein Gesinde, wo es
wußte und konnte. Ich sah, es fehlte am rechten festen Kern im inneren
Haushalt, und das führte mich endlich auf den Gedanken, es noch einmal
im Ehestande zu versuchen. So warf ich denn im Jahre 1799 meine Augen
auf eine Schifferswitwe in Stettin, die ich von früherer Zeit her als
eine ordentliche und rechtliche Frau zu kennen glaubte. Die Verbindung
kam auch zustande, aber nun erst gingen mir die Augen auf. Die fromme
Witwe hatte gern ihr Räuschchen und hielt es eifrig mit mancherlei
andern Dingen, die den Ehefrieden notwendig stören mußten. An ein
Zusammenhalten des ehrlich Erworbenen war nun länger nicht zu denken,
vielmehr sah ich den unvermeidlichen nahen Untergang meines kleinen
Wohlstands vor Augen. Es war ein saurer Schritt -- aber was blieb mir
anders übrig, als eine abermalige Scheidung?

Alle diese widrigen Erfahrungen eröffneten mir aufs neue nichts als
trübe Aussichten in die Zukunft. Kaum gehörte ich noch irgendeinem
Menschen an. Ich war nachgerade ein alter Mann geworden, und fühlte ich
gleich mein Herz noch frisch und meinen Geist lebendig, so wollten doch
die stumpf gewordenen Knochen nicht mehr gut tun. Meine eignen Geschäfte
wurden mir gleichgültig, und noch gleichgültiger der Gedanke an Erwerb,
so daß ich mich fast einen Verschwender hätte nennen mögen. Die paar
Jahre, die mir noch übrig waren, dachte ich mich wohl so hinzustümpern,
und wenn nur noch der Sarg ehrlich bezahlt worden, möchte man mich immer
auch hinstecken, wo meine Väter schliefen, -- für den übrigen kleinen
Rest würden dann schon lachende Erben sorgen. Ohnehin war mein Häuschen
mein größter und beinahe einziger Reichtum, und dieses hatte ich, um
doch noch etwas Gutes für meine Vaterstadt zu stiften, in meinem
Testamente dem Seglerhause, dessen Ältester ich seit dem Jahre 1793
geworden war, zum Eigentum vermacht, dergestalt, daß oben die
Versammlungen des Kollegiums gehalten werden, unten aber eine bedürftige
Kaufmannswitwe lebenslängliche freie Wohnung finden sollte.

Auf solche Weise, indem Jahr an Jahr sich hinzog, war auch das unselige
von 1806 herbeigekommen. Mir, als feurigem Patrioten, der die alten
Zeiten und unsres großen Friedrichs Taten noch im Kopfe hatte, blutete,
gleich so vielen, das Herz bei der Zeitung von dem entsetzlichen Tage
von Jena und Auerstädt und seinen nächsten Folgen. Ich hätte kein Preuße
und abtrünnig von König und Vaterland sein müssen, wenn mir's jetzt, wo
alle Unglückswellen über sie zusammenschlugen, nicht so zu Sinne gewesen
wäre, als müßte ich eben jetzt auch Gut und Blut und die letzte Kraft
meines Lebens für sie aufbieten. Nicht mit Reden und Schreiben, aber mit
der Tat, dachte ich, sei hier zu helfen, -- jeder auf seinem Posten,
ohne sich erst lange, feig und klug, vor- und rückwärts umzusehen! Alle
für einen, und einer für alle -- darauf war mein Sinn gestellt, und es
hätte ja keine Ehre und Treue mehr unter meinen Landsleuten sein müssen,
meinte ich, wenn nicht Tausende mir gleich gefühlt hätten, ohne es
ebensowenig als ich in lauten prahlenden Worten unter die Leute zu
bringen.

Als nun Magdeburg und Stettin, die beiden Herzen des Staates, gefallen
waren und die ungestüme französische Windsbraut sich immer näher und
drohender gegen die Weichsel heranzog, da ließ sich's freilich wohl
voraussehen, daß bald genug auch die Feste Kolberg an die Reihe kommen
würde, die dem Feinde zwar unbedeutend erscheinen mochte, aber ihm doch
zu nahe in seinem Wege lag, als daß er sie ganz hätte übersehen sollen.
Das tat er auch wirklich nicht, allein er hatte sich diese letzte Zeit
her bei unsern Festungen eine Eroberungsmanier angewöhnt, die kein
Pulver, sondern nur glatte Worte kostet; und damit war er fürwahr auch
noch früher bei der Hand, als ein Mensch es hätte erwarten sollen.

Kaum war nämlich Stettin übergegangen, so machte sich von dorther, aus
einer Entfernung von sechzehn Meilen, ein französischer Offizier als
Parlamentär auf den Weg und erschien (am 8. November) bei uns in
Kolberg, um die Festung zur Übergabe aufzufordern. Gleichzeitig ward der
königliche Domänenbeamte, der auf der Altstadt, unter den Kanonen des
Platzes, wohnte, entboten, in Stettin zu erscheinen und dem
französischen Gouvernement den Huldigungseid zu leisten. Auf beiderlei
Ansinnen (das mindestens für unsern Festungskommandanten als eine
Ehrenrührigkeit hätte gelten können), erfolgte zwar eine abschlägige
Antwort, allein es ist wohl sehr gewiß, daß der Franzose, anstatt allein
zu kommen, nur einige wenige Hunderte zur Begleitung hätte haben dürfen,
um in diesem Augenblicke unaufgehalten zu unsern Toren einzuziehen. Dies
scheint unglaublich und ist doch buchstäbliche Wahrheit! Ich, der ich
nicht Soldat bin, kann und will nur urteilen, soweit ein gesundes Paar
Augen und ein schlichter Menschenverstand ausreicht. Das übrige mag dem
Ermessen des Lesers anheimgestellt bleiben.

Dieser denke sich den Ort als ein mäßiges Städtchen von noch nicht
sechstausend Seelen, an dem rechten Ufer des kleinen Flusses Persante
gelegen, welcher nur an seinem Ausflusse in die Ostsee einige Hundert
Schritte hinauf schiffbar ist, wo er, eine halbe Viertelmeile von der
Stadt, einen Hafen für geringere Fahrzeuge bildet. Die daran belegenen
Wohnungen und Speicher heißen »die Münde«, und zwischen Stadt und Münde,
ebenfalls am östlichen Ufer, zieht sich eine Vorstadt, genannt die
»Pfannschmieden« hin. Diese dankt ihren Ursprung wie ihren Namen der
Benutzung einiger reichhaltigen Salzquellen, welche sich gegenüber nahe
an der westlichen Stromseite finden, wo auch die Salzsiedereien und ein
in westlicher Richtung sich weit durch das »Siederfeld« erstreckendes
Gradierwerk angelegt sind.

Die Stadt selbst bildet ein stumpfes Viereck und wird an den drei
Landseiten von einem Hauptwall und sechs Bastionen eingeschlossen. Nahe
Außenwerke von Wichtigkeit sind hier nicht vorhanden, aber der Platz
gewinnt nichtsdestominder eine bedeutende Stärke durch einen breiten
morastigen Wiesengrund, welcher sich ununterbrochen von Süden nach
Nordosten dicht umherzieht, keine Annäherung durch Laufgräben gestattet
und überdem durch Schleusen tief unter Wasser gesetzt werden kann. Erst
jenseits erhebt sich nach Süden die Altstadt, nach Osten der Hoheberg
und der Bollenwinkel, und nach Nordost der Wolfsberg, von wo aus die
Stadt beschossen werden kann, daher sie eigentlich die Verwandlung in
ein großes verschanztes Lager erfordern würden, um alsdann, mit einer
hinlänglichen Truppenzahl besetzt, den Platz von dieser Seite
unangreifbar zu machen. Allein nur der Wolfsberg als der gefährlichste
Punkt war mit einer Schanze versehen, auf dem Münder Kirchhofe war eine
Batterie angelegt und den Eingang des Hafens deckte an der Ostseite ein
starkes Werk, »das Münder-Fort«. Die Westseite der Stadt lehnt sich an
die Persante, zwischen welcher und dem aus ihr abgeleiteten Holzgraben
die Neustadt, und an diese noch weiter westlich sich anlehnend, die
Gelder-Vorstadt mit verschiedenen Befestigungen und Außenwerken umgeben
ist, während am unteren Einflusse des Holzgrabens die »Morastschanze«
die Verbindung mit dem Münder-Fort sichert. In weiterer Entfernung,
südwestlich, kann eine Erhöhung, »der Kauzenberg« genannt, der Festung
nachteilig werden, weshalb auch früherhin dort Verschanzungen angelegt,
aber seither wieder verfallen waren.

Noch war die entschlossene und glückliche Gegenwehr in jedermanns
Andenken, welche der tapfere Kommandant, Oberst v. Heyden, hier in drei
aufeinanderfolgenden Belagerungen der Russen und Schweden, zu Land und
Meer, in den Jahren 1758, 1760 und 1761 bestanden hatte, und wie er auch
das drittemal nicht durch Waffenmacht, sondern durch Hunger zur Übergabe
gezwungen worden. Diese Erfahrungen von der Wichtigkeit und Festigkeit
des Platzes hatten auch den König Friedrich bewogen, ihn im Jahre 1770
durch verschiedene neue Werke verstärken zu lassen; Kenner wollten
jedoch behaupten, daß diese erweiterten Anlagen ihrem Zwecke nur
ungenügend entsprächen. Man hatte immer an Kolberg getadelt, daß es zu
klein sei, um als Festung bedeutend zu werden und eine beträchtliche
Garnison zu fassen; aber es gab kasemattierte Werke; es gab 600-700
Bürgerhäuser innerhalb der Wälle, die nötigenfalls bis zu 20 und 30
Menschen fassen konnten und gefaßt haben, und so lebe ich des festen
Glaubens, daß Kolberg gegen noch so große Feindesmacht mit Ehrlichkeit,
mit genugsamem Proviant, mit gehöriger Einrichtung der Überschwemmung
und mit Sicherheit von der Seeseite sich zu halten vermöge.

Allein wie sah es doch im Herbste 1806 mit allem, was zu einer
rechtschaffenen Verteidigung gehörte, so gar trübselig aus! Seit
undenklicher Zeit war für die Unterhaltung der Festung so gut wie gar
nichts getan worden. Wall und Graben verfallen, von Palisaden keine
Spur. Nur drei Kanonen standen in der Bastion Pommern auf Lafetten und
dienten allein zu Lärmschüssen, wenn Ausreißer von der Besatzung
verfolgt werden sollten. Alles übrige Geschütz lag am Boden, hoch vom
Grase überwachsen, und die dazu gehörigen Lafetten vermoderten in den
Remisen. Rechnet man hierzu die unzureichende Zahl der Verteidiger,
sowie ihre unkriegerische Haltung (denn die tüchtigere Mannschaft war
ins Feld gezogen), die allgemeine Entmutigung, welche noch täglich durch
die herbeiströmenden Flüchtlinge und tausend sich kreuzende
Unglücksbotschaften genährt wurde, und den notorischen Mangel an den
nötigsten Bedürfnissen für den Fall einer Belagerung, so behaupte ich
sicherlich nicht zuviel, wenn ich meine, daß ein rascher kecker Anlauf
in jenen ersten Tagen mehr als hinreichend gewesen wäre, den
Kommandanten in seinen eignen Gedanken zu entschuldigen, daß er keinen
ernstlichen Widerstand gewagt habe.

Dieser Kommandant war damals der Oberst v. Loucadou, ein alter
abgestumpfter Mann, der seit dem bayrischen Erbfolge-Kriege, wo er ein
Blockhaus gegen die Österreicher mutig verteidigt hatte, zu dem Rufe
gekommen war, ein besonders tüchtiger Offizier zu sein. Späterhin hatte
er nur wenig Gelegenheit gehabt, seine Reputation zu behaupten, und
gegenwärtig war der Geist verflogen oder hing noch so blind an dem alten
Herkommen, daß er sich in der neuen Zeit und Welt gar nicht
zurechtfinden konnte. Das war nun ein großes Unglück für den Platz, der
ihm anvertraut worden, und ein Jammer für alle, welche die dringende
Gefahr im Anzuge erblickten und ihn aus seinem Seelenschlafe zu erwecken
vergebliche Versuche machten.

Natürlich konnte solch ein Mann uns kein großes Vertrauen einflößen.
Während alles, was Militär hieß, seinen trägen Schlummer mit ihm zu
teilen schien, fühlte sich die ganze Bürgerschaft von der lebhaftesten
Unruhe und Besorgnis ergriffen; man beratschlagte untereinander, und
weil ich einer der ältesten Bürger war, der den Siebenjährigen Krieg
erlebt und in den früheren Belagerungen neben meinem Vater freiwillige
Adjutantendienste beim alten braven Heyden verrichtet hatte, so wählte
man mich auch jetzt, das Wort zu führen und, als Repräsentant gesamter
Bürgerschaft, mich mit dem Kommandanten über die Maßregeln zur
Verteidigung des Platzes genauer zu verständigen.

Nach dem alten Glauben, »daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei,« und was
nicht Uniform trage, auch keinen Beruf habe, sich um militärische
Angelegenheiten zu bekümmern, könnte es freilich sonderbar und anmaßend
erscheinen, daß wir Bürger in die Verteidigung unsrer Stadt mit
dreinreden wollten, aber bei uns in Kolberg war das anders. Von ältester
Zeit her waren wir die natürlichen und gesetzlich berufenen Verteidiger
unsrer Wälle und Mauern. Vormals schwur jeder seinen Bürgereid mit
Ober- und Untergewehr, und schwur zugleich, daß diese Armatur ihm eigen
angehöre, schwur, daß er die Festung verteidigen helfen wolle mit Gut
und Blut. Die Bürgerschaft war in fünf Kompagnien verteilt, mit einem
Bürger-Major an der Spitze, und wo es dann im Ernst gegolten, hatte der
Kommandant sie nach seiner Einsicht gebraucht und wesentlichen Nutzen
von ihrem Dienste gezogen. In Abwesenheit der Garnison, wenn diese in
Friedenszeiten zur Revue ausrückte, besetzten sie die Tore und Posten;
und noch immer versammelten sie sich zuweilen mit Erlaubnis des
Kommandanten aus eignem Antriebe in der Maikuhle -- weniger freilich zu
kriegerischen Übungen, als um sich in diesem lieblich gelegenen Wäldchen
zu vergnügen.

Von diesen örtlichen Verhältnissen hatte indes der Oberst v. Loucadou
entweder nie einige Kenntnis genommen, oder sie waren ihm, als eine
vermeintliche Nachäffung des Militärs, lächerlich und zuwider. Das
erfuhr ich, als ich einige Tage nachher mich ihm vorstellte und im Namen
meiner Mitbürger ihm eröffnete: »Daß wir, mit Gott, entschlossen wären,
in diesen bedenklichen Zeitläuften mit dem Militär gleiche Last und
Gefahr zu bestehen. Wir ständen im Begriff, uns in ein Bataillon von
sieben- bis achthundert Bürgern zu organisieren, die mit vollständiger
Rüstung versehen wären, und bäten, uns vor ihm aufstellen zu dürfen,
damit er Musterung über uns halte, demnächst aber uns unsre Posten
anzuweisen, wir würden unsre Schuldigkeit tun.«

Ein Major v. Nimptsch, der daneben stand, ließ mich kaum ausreden,
sondern fuhr auf mich ein: »Aber, Herr, was geht das _Ihn_ an?« -- wogegen
der Oberst sich begnügte, den Mund zu einem satirischen Lächeln zu
verziehen und mir zu erwidern: »Immerhin möchten wir uns versammeln und
aufstellen.«

Das geschah alsobald. Wir traten mit unsern Offizieren armiert auf dem
Markte in guter Ordnung zusammen, und nun begab ich mich abermals zum
Kommandanten, um ihm anzuzeigen, daß wir bereit ständen und seine
Befehle erwarteten. Seine Miene war abermals nicht von der Art, daß sie
mir gefallen hätte. »Macht dem Spiel ein Ende, ihr guten Leutchen!«
sagte er endlich, »geht in Gottes Namen nach Hause. Was soll mir's
helfen, daß ich euch sehe?« -- So hatte ich meinen Bescheid und trollte
mich. Als ich aber kundbar machte, was mir geantwortet worden, ging
diese unverdiente Geringschätzung jedermann so tief zu Herzen, daß alles
in wilder Bewegung durcheinander murrte und sich im vollen Unmut
zerstreute.

Immer aber noch nicht ganz abgeschreckt ging ich bald darauf wieder zum
Obersten mit einem Antrage, von welchem ich glaubte, daß er seinem
militärischen Dünkel weniger anstößig sein werde. Es sei vorauszusehen,
sagte ich, daß es bei der Instandsetzung der Festung zu einer kräftigen
Gegenwehr, besonders auf den Wällen, vieles zu tun geben dürfte, um das
Geschütz aufzustellen, zu schanzen und die Palisaden herzustellen. Die
Bürgerschaft sei gern erbötig, zu dergleichen, und was sonst vorkäme,
mit Hand anzulegen, soviel in ihren Kräften stehe, und sei nur seines
Winks gewärtig. -- »Die Bürgerschaft! und immer wieder die
Bürgerschaft!« antwortete er mir mit einer häßlichen Hohnlache, »ich
will und brauche die Bürgerschaft nicht.«

Konnte es nun wohl fehlen, daß solche Äußerungen nicht nur unser Herz
von dem Manne gänzlich abkehrten, sondern daß auch sogar allerlei böser
Argwohn sich bei uns einfand, der durch die ganz frischen Exempel, wie
unsre Festungskommandanten zu Werke gegangen waren, nur noch immer mehr
genährt wurde? Wer bürgte uns vor Verräterei? vor heimlichen
Unterhandlungen? vor feindlichen Briefen und Boten? -- Man kam darin
überein, daß es die Not erfordere, vor solcherlei Praktiken möglichst
auf unsrer Hut zu sein. Zu dem Ende wählten wir in der Stille unter uns
einen Ausschuß, dessen Mitglieder sich zu zweien bei Tag und Nacht an
allen drei Stadttoren, je nach ein paar Stunden, ablösten, um dort auf
alles, was aus- und einpassierte, ein wachsames Auge zu behalten.

Inzwischen wurden nun doch von seiten der Kommandantur einige schläfrige
Anstalten getroffen, wenigstens sah man auf den Wällen die Kanonen auf
Klötze legen, da es sich fand, daß die Lafetten zu sehr verfault waren,
um sie tragen zu können. Auch an der Palisadierung ward hier und da
gearbeitet, aber es war nichts Tüchtiges und Ganzes. Als ich jedoch
wahrnehmen mußte, daß es hiermit sein Bewenden hatte und daß zur äußeren
Verteidigung gar keine Hand angelegt wurde, machte ich mich nach
Verabredung mit meinen Freunden abermals zum Obersten, um ihn aufmerksam
darauf zu machen, welche gute Dienste uns in den früheren Belagerungen
insonderheit eine Schanze auf dem Hohen Berge, etwa eine Viertelmeile
von der Stadt, geleistet hätte, um den Feind nicht in Schußweite
herankommen zu lassen. Noch wären die Überbleibsel derselben überall
erkennbar, und wenn er nichts dawider habe, seien wir bereit, diese
Verschanzung eiligst wiederherstellen.

An das alte höhnische Gesicht, das er hierzu machte, war ich nun schon
gewöhnt und ließ es mich auch nicht irren. Desto merkwürdiger aber kam
mir die Antwort vor, die ich endlich erhielt. »Was außerhalb der Stadt
geschieht,« ließ er sich vernehmen, »kümmert mich nicht. Die Festung
innerlich werde ich zu verteidigen wissen. Meinetwegen mögt ihr draußen
schanzen, wie und wo ihr wollt. Das geht mich nichts an!« -- Demnach
taten wir nun, was uns unverboten geblieben, und taten es mit
allgemeiner Lust und Freude. Nicht nur, was Bürger hieß, zog nach der
Bergschanze aus, sondern auch Gesellen, Lehrjungen und Dienstmägde waren
in ihrem Gefolge. Da ich einst noch das alte Werk gesehen hatte, so gab
ich an, wie bei der Arbeit verfahren werden sollte, verteilte und
ordnete die Schanzgräber und zog selbst mit einem Hohlkarren und der
Schaufel voraus, um ein ermunterndes Beispiel zu geben. Als mir jedoch
alles immer noch viel zu langsam ging, eilte ich zurück nach der
Lauenburger Vorstadt, um der Arbeiter noch mehrere, teils durch
gütliches Zureden, teils durch bare Bezahlung aus meiner Tasche,
herbeizuführen. So gelang es uns denn, ein Werk auszuführen, das sich
schon durfte sehen lassen und dem für diesen Augenblick nur die
Besatzung fehlte. Mangelte es uns aber dermalen auch an Truppen, so war
doch gewisse Hoffnung vorhanden, daß die Garnison verstärkt werden würde
und daß dann allstündlich ein Bataillon hier einrücken könne.

Eine andre Sorge, die den Verständigeren unter der Bürgerschaft gar sehr
am Herzen lag, war die frühzeitige und ausreichende Anschaffung von
Lebensvorräten für den Fall einer feindlichen Einschließung oder
Belagerung, denn bis jetzt waren Dreiviertel der Einwohner gewohnt, von
einem Markttage zum andern zu zehren. Und wovon wollte die Besatzung
leben? Ich hielt es also für wohlgetan, und hatte auch in meinem Amte
als Bürger-Repräsentant den Beruf dazu, Haus bei Haus in der Stadt
umzugehen und die Bestände an Korn und Viktualien, zumal bei den
Bäckern, Brauern und Branntweinbrennern, sowie auch die Vorräte der
letzteren an Branntwein aufzunehmen. Ebenso begab ich mich auf die
nächst umhergelegenen Dörfer, und unter dem Vorwande, als sei ich
gesonnen, Korn und Schlachtvieh aufzukaufen, wie beides mein Gewerbe mit
sich brachte, erfuhr ich, was jeden Orts in dieser Gattung vorhanden
war. Alles dieses brachte ich in ein Verzeichnis und überzeugte mich
solchergestalt, daß wir nur würden zugreifen dürfen, um für Mund und
Magen auf eine lange Zeit hinaus genug zu haben.

Aber dies Zugreifen konnte nicht von seiten der städtischen Behörden,
sondern mußte von der Kommandantur ausgehen und auf militärischem Fuß
betrieben werden. Ich nahm also meine Verzeichnisse in die Hand, ging zu
Loucadou, legte ihm ein Papier nach dem andern vor und bat ihn,
schleunige Anstalten zu treffen, daß diese Vorräte gegen Erteilung von
Empfangsscheinen in die Festung geschafft würden. Denn wenn der Feind
sich über kurz oder lang näherte und diese Ortschaften besetzte, so
würde ohnehin alles von ihm geraubt und sein Unterhalt dadurch
erleichtert werden. Auf diese gutgemeinte Vorstellung ward ich jedoch
von dem Herrn Obersten hart angelassen, und er erklärte mir kurzweg: »Zu
dergleichen Gewaltschritten sei er nicht autorisiert. Jeder möge für
sich selbst sorgen. Was seine Soldaten anbeträfe, so wäre Mehl zu Brot
in den Magazinen vorhanden.« -- »Aber,« wandte ich ihm ein, »der Mensch
lebt nicht vom Brot allein. Ihr Mehl liegt in Fachwerksspeichern, und
die Magazine stehen alle an einer Stelle zusammengehäuft und dem
feindlichen Geschütze ausgesetzt. Die erste Granate, die hineinfällt,
kann ihr Untergang werden. Wäre es nicht sicherer, diese Vorräte in
andre und mehrere Gebäude zu verteilen?« -- »Pah! pah!« war seine
Antwort, »die Bürgerschaft macht sich große Sorge um meinetwillen.« --
Vergebens bat ich ihn nun noch, sich wenigstens meine Papiere anzusehen
und sie in genauere Erwägung zu ziehen. Er aber, als hätte die Pest an
denselben geklebt, raffte sie eilfertig zusammen, drückte sie mir wieder
in die Hände und versicherte: Er brauche all den Plunder nicht, und
damit Gott befohlen!

Es mag hierbei nicht unerwähnt bleiben, daß bei all meinen Unterredungen
mit diesem Manne sich auch wie von ungefähr seine Köchin, Haushälterin,
oder was sie sonst sein mochte, einfand und ihren Senf mit dareingab.
Mochte ich nun dies oder jenes vortragen und mein Bedenken so oder so
äußern, -- flugs war das schnippische Maul bei der Hand: »Ei, seht doch!
Das wäre auch wohl nötig, daß sich noch sonst jemand darum bekümmerte!
Der Herr Oberst werden das wohl besser wissen.« -- Diese Unverschämtheit
wurmte mich oftmals ganz erschrecklich, und ich hatte Mühe, in meinem
Ingrimm nicht loszubrechen. Jetzt aber lief das Faß einmal über, ich
sagte dem Weibsbilde rein heraus, wie mir's ums Herz war, und zog mir
dadurch den Herrn und Beschützer auf den Hals, so daß ich, um es nicht
zum Äußersten kommen zu lassen, hurtig meine Papiere ergriff und mich
entfernte.

Um den Magistrat und seine Anstalten stand es ebenso kläglich. Es
geschah entweder gar nichts, oder es geschah auf eine verkehrte Weise,
und wer etwa noch guten und kräftigen Willen hatte, ward nicht gehört.
Mit einem Worte: man ließ es darauf ankommen, was daraus werden wollte,
und es war an den Fingern abzuzählen, daß unser Untergang das Fazit von
der heillosen Betörung sein würde.

In Kolberg -- das sah ich wohl -- war auf keine Hilfe mehr zu hoffen;
geholfen aber mußte werden! Ich entschloß mich also in Gottes Namen und
der winterlichen Jahreszeit zum Trotz, unsern guten unglücklichen, so
schlecht bedienten König unmittelbar selbst in Königsberg, Memel, oder
wo ich ihn finden würde, aufzusuchen und ihm Kolbergs Lage und Not
vorzustellen. Von dem Kaufmann Höpner mietete ich ein großes Boot, unter
dem Vorwande, damit nach der Insel Bornholm hinüberzustechen, und ebenso
überredete ich insgeheim unter guter Bezahlung einen Seefahrer, der
vormals als Matrose unter mir gedient hatte, mich auf dieser gewagten
Unternehmung zu begleiten. Das Fahrzeug ward in den erforderlichen Stand
gesetzt, notdürftiger Proviant nach der Münde hinausgeschafft und nur
noch ein günstiger Wind erwartet, um unverzüglich in See zu stechen.

Gerade in diesem Augenblicke traf der Kriegsrat Wisseling von Treptow in
Kolberg ein; ein Mann, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte,
und der sich nebst andern, die gleich ihm zur pommerschen Kriegs- und
Domänenkammer gehörten, von Stettin entfernt hatte, um sich dem Feinde
nicht zu Werkzeugen seiner landverderblichen Operationen herzuleihen,
dagegen aber in den noch unbesetzten Gegenden der Provinz die Verwaltung
für königliche Rechnung so lange als möglich im Gange zu erhalten.
Wisseling war mein Freund, und es tat mir wohl, alle meine Klagen,
Sorgen und Bedenken in sein redliches Herz auszuschütten. Er sah
zugleich selbst und mit eignen Augen, wie es hier zuging, und fühlte
sich darüber nicht weniger bekümmert. Als ich ihm das Geheimnis meiner
geplanten Reise entdeckte, mißbilligte er das Wagestück, setzte aber
sogleich auch hinzu: »Vertrauen Sie mir Ihre Papiere an, und alles, was
sonst noch zu einer vollständigen Übersicht der Verhältnisse des Platzes
fehlt, lassen Sie uns in einem gemeinschaftlichen Aufsatze bearbeiten:
Ich übernehme es, mich selbst zu Lande zum Könige zu begeben und mein
möglichstes zu tun, damit hier bessere Anstalten getroffen werden. Tun
und wirken Sie derweilen hier, was in Ihren Kräften steht. So Gott will,
wird es uns gelingen, dem Könige den Platz zu retten.« -- Ich blieb auf
sein Wort und er reiste ab.

       *       *       *       *       *

Täglich und stündlich strömten bei uns noch Versprengte von unsern
Truppen ein, die teils weiter nach Preußen zogen, teils eine Zuflucht
bei uns suchten, um sich von ihren Strapazen zu erholen oder ihre Wunden
auszuheilen. Unter den letzteren befand sich auch der Leutnant v. Schill,
vom Regiment Königin-Dragoner, der, schwer am Kopfe verwundet,
nicht weiterkommen konnte. Der Zufall machte uns bald miteinander
bekannt. Er war ein Mann nach meinem Herzen, einfach und bescheiden,
aber von echtem deutschen Schrot und Korn, und so brauchte es auch
keiner langen Zeit, daß er mir ein volles Vertrauen abgewann. Wie konnte
ich ihm aber dieses schenken, ohne zugleich ihm unsre ganze
verzweiflungsvolle Lage zu schildern, meine Klagen über Loucadou in sein
Herz auszuschütten und daneben meine Wünsche über so manches, was zur
Erhaltung der Festung zu veranstalten sei, gegen ihn laut werden zu
lassen?

Alles was ich ihm sagte, machte je mehr und mehr seine Aufmerksamkeit
rege, und es mag wohl sein, daß es auch den Entschluß in ihm erzeugt
oder befestigt hat, in Kolberg zu bleiben und sich hier nützlich zu
machen. Sobald er wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, besahen wir
uns gemeinschaftlich den Platz und seine Umgebungen. Wir trafen dabei in
dem Urteile zusammen, daß es zuletzt hauptsächlich auf den Besitz des
Hafens und die Behauptung der Schiffsverbindung mit Preußen und unsern
Verbündeten ankommen werde. Hinwiederum war die »Maikuhle« der Schlüssel
des Hafens, und dies angenehme Luftwäldchen, welches sich hart vom
Ausflusse der Persante westlich eine Viertelmeile längs den Uferdünen
der Ostsee hinstreckt, mußte um jeden Preis festgehalten werden. Dennoch
war bis diesen Augenblick zur Verschanzung dieses entscheidenden Punktes
noch keine Schaufel in Bewegung gesetzt worden. Man verließ sich auf das
Münder-Fort und die Morastschanze, die aber beide unzureichend waren,
den Feind, sobald er sich hier einmal festgesetzt hatte, aus diesem ihm
unschätzbaren Posten zu vertreiben.

Wahr ist es, es würden fünfzehnhundert Mann dazu gehört haben, ein hier
anzulegendes Außenwerk zu besetzen und vollkommen sicherzustellen; das
aber hinderte uns nicht, den Gedanken zu fassen, daß hier beizeiten
wenigstens etwas -- sei es auch nur gegen den ersten Anlauf -- geschehen
könne und müsse, und daß dann die Not wohl das übrige tun werde. Woher
aber Hände nehmen, um dort auch nur einige leichte Erdaufwürfe zustande
zu bringen? -- Noch hatte Schill nur erst einige wenige Leute um sich
gesammelt, die er zu seinen jetzt beginnenden Streifereien in die Ferne
nicht entbehren konnte; Geldmittel waren noch weniger in seinen Händen,
und von Loucadou war vollends für diesen Zweck nichts zu erwarten. Auf
sein Zureden und die Versicherung, sich für meine künftige Entschädigung
eifrigst zu verwenden, entschloß ich mich, ohne längeres Bedenken, meine
paar Pfennige, die ich im Kasten hatte, vorzustrecken.

Demzufolge trieb ich auf der Gelder-Vorstadt und allen nächstumliegenden
Dörfern Tagelöhner und Häusler, soviel ich deren habhaft werden konnte,
zusammen, versprach und zahlte guten Lohn und verwandte auf diese Weise
gegen 400 Taler aus meiner Tasche. Tag und Nacht schanzten und
arbeiteten wenigstens sechzig Menschen eine geraume Zeit hindurch an
diesen Befestigungen, nach dem von Schill dazu entworfenen Plane. Weder
der Kommandant noch sonst jemand fragte und kümmerte sich, was wir da
schafften, und so blieb es auch meinem Freunde überlassen, diese
Schanzen mit seinen Leuten in dem Maße, als sich diese aus den
Ranzionierten freiwillig um ihn sammelten, immer stärker zu besetzen.
Allein um sie dort festzuhalten, mußte auch für Löhnung und Mundvorrat
in genügender Menge gesorgt werden. Vorerst fiel diese Sorge _mir_ anheim,
solange mein Beutel dazu vorhielt, oder meine Küche und mein
Branntweinlager es vermochten.

Inzwischen war auch der Kriegsrat Wisseling aus Preußen glücklich wieder
und mit sehr ausgedehnten Vollmachten vom Könige zurückgekehrt. Sein
Eifer, verbunden mit rastlosester Tätigkeit, brachte _sofort_ neues Leben
in das ganze Administrationsgeschäft. Ganze Herden Schlachtvieh, lange
Reihen von Getreidewagen zogen zu unsern Toren ein, und Heu und Stroh in
reichem Überflusse füllte die Futtermagazine, oder ward in den Scheunen
der Vorstädter untergebracht. Für diese gezwungenen Lieferungen erhielt
der Landmann nach dem Taxwerte Lieferungsscheine, die künftig eingelöst
werden sollten und mit denen er gern zufrieden war. In der Stadt wurde
geschlachtet und eingesalzen und die Böden der Bürgerhäuser mit
Kornvorräten aller Art beschüttet. -- So konnte Kolberg allgemach für
notdürftig verproviantiert gelten, während zu hoffen stand, daß das
Fehlende im nächsten Frühling bei wieder eröffneter Schiffahrt durch
Zufuhr zur See zu ersetzen sein möchte.

       *       *       *       *       *

Neuen Trost gab es, als bald darauf, vom Könige geschickt, der Hauptmann
von Waldenfels, ein junger tätiger Mann, bei uns auftrat, um als
Vize-Kommandant dem Obersten v. Loucadou zur Seite zu stehen und dessen
Kraftlosigkeit zu unterstützen. Brav, wie sein Degen, aber noch nicht
von Erfahrung geleitet, begann dieser seine neue Laufbahn, gleich in den
ersten Tagen des Januars 1807, durch eine gewagte Unternehmung auf das
neun bis zehn Meilen weit entlegene Städtchen Wollin, um sich durch
Vertreibung der dort stehenden Franzosen eine freie Kommunikation mit
Schwedisch-Pommern zu eröffnen. Wahrscheinlich wäre der nächtliche
Überfall, wozu er einen bedeutenden Teil der Besatzung Kolbergs
brauchte, gelungen, wenn nicht an Ort und Stelle Fehler begangen worden
wären, die seinen übereilten Rückzug mit einem Verluste von mehr als
hundert Mann zur Folge hatten.

Dieser erste Fehlschlag war um so nachteiliger, da er ohne Zweifel den
Vize-Kommandanten hinderte, das geistige Übergewicht über Loucadou zu
behaupten. Denn wenn auch in unsern Verteidigungsanstalten durch ihn
unendlich viel Gutes gewirkt wurde und er mit dem alten grämlichen Manne
darüber manchen Kampf zu bestehen hatte, so mußte er doch auch ebenso
oft dessen Eigensinne nachgeben. Wir hatten also an ihm den Mann noch
nicht, den wir brauchten.

Auch Schill, der im Januar vom Könige zur Organisierung eines Freikorps
förmlich autorisiert worden war und von allen Seiten gewaltigen Zulauf
fand, war ein von Loucadou sehr ungern gesehener Gast, dem dieser daher,
wo er nur konnte, Hindernisse in den Weg legte; sei es, daß der Name,
welchen der junge Mann sich so schnell erworben, sein Ansehen zu
beeinträchtigen drohte, oder weil dessen Tätigkeit seinem eignen
Schlendrian zum stillen Vorwurf gereichte. Schlimm war es immer, daß
ihre beiderseitigen Befugnisse keine scharfe Abgrenzung gegeneinander
hatten, während sie doch von gleichem Punkte aus und gemeinschaftlich
handeln sollten. Nur ließ sich der wackere Parteigänger, bei all seiner
ihm natürlichen Bescheidenheit, nicht so leicht unterjochen, und er fand
auch noch immerdar Spielraum, wenn es ihm bei uns zu beklommen ward,
sich außerhalb der Festung zu tummeln. Zudem stand sein Ruf nun einmal
fest, und selbst als sein Überfall gegen Stargard (am 16. Februar) ihm
mißlang und er bald darauf in Naugard einen empfindlichen Unfall erlitt,
konnte er sich mit unverletzter Ehre näher gegen Kolberg zurückziehen.

Seine Absicht bei jenem Zuge war gewesen, das vom Marschall Mortier aus
Schwedisch-Pommern entsandte Korps des Divisionsgenerals Teullié,
welches zur Berennung unsres Platzes bestimmt war, auseinanderzusprengen
und uns noch einige Zeit länger Luft zu verschaffen. Da der Streich
nicht geglückt war, so drang nun jener französische Heerhaufe ungesäumt
nach und ward nur durch Schills kräftig behauptete Stellung bei
Neubrück, halben Wegs zwischen Treptow und Kolberg, acht volle Tage
aufgehalten. Jetzt war also das langerwartete Ungewitter im nahen
Anzuge, und da man endlich den Ernst spürte, besann man sich auch, daß
der Kauzenberg ein gelegener Posten sein würde, dem Feinde das nähere
Vordringen von dieser Seite zu erschweren. Eiligst ging man daran, die
im Siebenjährigen Kriege hier aufgeworfenen Befestigungen, deren sich
noch einige Spuren fanden, zu erneuern.

       *       *       *       *       *

Wohl war es hierzu an der Zeit gewesen, denn schon am 1. März
bemächtigte sich der Feind des Passes bei Neubrück und zeigte sich zwei
Tage später am Kauzenberge, während eine andre Abteilung den Weg am
Strande über Kolberger Deep einschlug und ihr Absehen augenscheinlich
auf die Maikuhle gerichtet hatte. Eben hierher aber hatte sich auch nach
der Verdrängung von jenem Passe ein Teil des Schillschen Korps geworfen,
welches nicht nur den Feind entschlossen zurückwies, sondern von jetzt
an auch fortwährend diesen Posten besetzt hielt, dessen hohe Wichtigkeit
immer besser erkannt wurde. Ernsthafter aber war, gleich am folgenden
Morgen, ein neuer feindlicher Versuch gegen die Schanze auf dem
Kauzenberge, den man mit Hilfe einiger Verstärkungen aus der Festung und
nach einem vereinzelten Gefechte in der Nähe von Pretmin glücklich
vereitelte. Eigentlich aber hatte dieser Angriff nur den Marsch der
Hauptmacht verdecken sollen, welche sich gleichzeitig von Neubrück
südöstlich gegen Groß-Jestin wandte, bei Körlin die Persante passierte
und bis zum 10. März sich bis Zernin und Tramm herumgezogen hatte, um
Kolberg auch von der Ostseite einzuschließen.

Jetzt konnte uns die früher hergestellte Schanze auf dem Hohen Berge von
Nutzen werden, daher sie auch unverzüglich noch weiter ausgebessert und
einiges Geschütz darin aufgefahren wurde. Da sich's aber berechnen ließ,
daß der Feind bei Tramm nicht stehenbleiben, sondern sich auch nach dem
Dorfe Bullenwinkel und dem großen Stadtwalde, »der Kolberger Busch«
genannt, ausbreiten würde, so war es von dringender Notwendigkeit, ihn
von der Lauenburger Vorstadt, die hierherwärts gelegen ist, in
möglichster Entfernung zu halten. Ich wußte, daß dies wie vormals durch
eine auf dem Damme nächst der Ziegelscheune zu errichtende Schanze am
zweckmäßigsten geschehen konnte, und da diejenigen, denen es eigentlich
zugekommen wäre, sich dieser Sache nicht annehmen wollten, so bewog ich
die Bürgerschaft, auch zu dieser Arbeit freiwillige Hand anzulegen,
sobald der Feind im Westen der Stadt wirklich erschienen war und nun
auch von der entgegengesetzten Seite augenblicklich erwartet werden
durfte. Am 5. März griffen wir das Werk gemeinschaftlich an, schanzten
Tag und Nacht unverdrossen und hatten auch die Freude, es schon am 9.,
noch vor Erscheinung eines Franzosen, vollendet zu sehen.

Während wir noch mit dieser Arbeit beschäftigt waren, ließ sich der
Kommandant vom Hauptmann v. Waldenfels bewegen, uns in Gesellschaft des
letzteren, des (Gott erbarme sich's!) Ingenieur-Kapitäns Düring und
einiger andern dort auf dem Platze zu besuchen. Es war seit der ganzen
Zeit das erste Mal, daß er sich außer den Toren der Stadt blicken ließ.
Anstatt uns aber in unserm Fleiße durch irgendein freundliches Wort
aufzumuntern, machte er unser Vornehmen mit spöttischem Lachen als
Kinderspiel verächtlich. Indem aber noch weiter unter den Herren von der
Haltbarkeit der Festung hin und her gesprochen wurde und die Meinungen
verschieden ausfielen, konnte ich mein Herzpochen nicht länger zähmen,
sondern nahm das Wort und rief: »Meine Herren, Kolberg _kann_ und _muß_ dem
Könige erhalten werden; es koste was es wolle! Wir haben Brot und
Waffen, und was uns noch fehlt, wird uns zur See zugeführt werden. Wir
Bürger sind alle für einen Mann entschlossen, und wenn auch all unsre
Häuser zu Schutthaufen würden, die Festung nicht übergeben zu lassen.
Und hörten es je meine Ohren, daß irgend jemand -- er sei Bürger oder
Militär -- von Übergabe spräche, bei jedes Mannes Wort! dem rennte ich
gleich auf der Stelle diesen meinen Degen durch den Leib, und sollte ich
ihn in der nächsten Minute mir selbst durch die Brust bohren müssen!« --
So gingen wir für diesmal, halb lachend, halb erzürnt, auseinander.

       *       *       *       *       *

Bis zum 13. März hatte der Feind seine Umzingelung des Platzes
vollendet, doch war die Einschließung nicht so genau, daß nicht immer
noch einige Nachrichten von außen her durch flüchtende Landleute zu uns
durchgedrungen wären, die uns das dichtere Zusammenziehen der
französischen Truppen ankündigten. Spätere Reiterpatrouillen, welche
Schill veranstaltete, betätigten diese Gerüchte. Immerhin blieb uns
längs dem Strande, zumal nach Westen hin, noch manche verstohlene
Verbindung mit der Nachbarschaft, fast die ganze Zeit der Belagerung
hindurch, übrig, und auch zu Wasser ließ sich jeder beliebige Punkt der
Küste heimlich erreichen.

Plänkeleien an der Ostseite leiteten einen Angriff gegen die Schanze auf
dem Hohen Berge ein, welche dem Feinde unbequem zu sein schien. Von
beiden Seiten rückten immer mehr Truppen ins Gefecht, bis bei dem
heftigeren Andrängen unsrer Gegner gegen Abend den Unsrigen nur übrig
blieb, sich fechtend gegen die Stadt zurückzuziehen. Die drei Kanonen in
der Schanze wurden mit abgeführt und gerettet, aber der Feind säumte
nicht, sich in dem Werke festzusetzen, welches ihm noch hartnäckiger
hätte streitig gemacht werden sollen. Ich selbst war bei dem ganzen
Gefechte zugegen gewesen und sah, daß bei dem Rückzuge mehrere von
unsern Leuten tot oder verwundet auf dem Felde liegen blieben. Es
jammerte mich besonders der letzteren, und so wagte ich mich, mit einem
weißen Tuche in der Hand, gegen die feindlichen Vorposten und bat, daß
mir erlaubt werden möchte, diese Gebliebenen nach der Stadt abholen zu
dürfen. Nach langem Hin- und Herfragen ward mir dies endlich
zugestanden. Ich eilte demnach in die Vorstadt zurück, nahm drei mit
Stroh belegte Wagen mit mir und fuhr mit ihnen, unter dem Geleite
einiger französischer Soldaten, auf dem Felde umher, wo ich neun
Verwundete und fünf Tote auflas und mit mir führte. Die letzteren wurden
sogleich auf dem nahen St. Georgen-Kirchhofe beerdigt, die ersteren aber
in ein Lazarett abgeliefert. Von da an machte ich mir's zu einem
besonderen und lieben Geschäfte, unsern Verwundeten auf diese Weise
beizustehen, und habe oft selbst Wagenführer sein müssen, wenn es in ein
etwas lebhaftes Feuer hineinging und die Knechte sich aus Angst
verliefen.

Gleichzeitig mit der Schanze auf dem Hohen Berge hatten unsre Belagerer
auch die Anhöhen der Altstadt besetzt, ohne dort einigen Widerstand zu
finden, und waren uns dadurch in eine bedenkliche Nähe gerückt. Beide
Verluste machten es nun um so dringender, die Überschwemmungen, wie
überall um die Festung her, so besonders nach diesen zunächst bedrohten
Punkten hin zu bewirken. Schon von Anfang an hatte ich mir mit den
Voranstalten hierzu viele Mühe gegeben und teils auf eigne Kosten, teils
durch Mitwirkung der Bürgerschaft wirklich auch soviel erreicht, daß ich
hoffen konnte, eine weite Fläche so unter Wasser zu setzen, daß an kein
Durchkommen zu denken wäre.

Dies ging nun nicht ohne vieles Widerstreben von seiten der Eigentümer
der Wiesen und Ländereien ab, denen das Schicksal einer solchen
Überschwemmung bevorstand. Um dieser Katzbalgereien überhoben zu sein,
wandte ich mich an Waldenfels, machte ihn an Ort und Stelle mit der
ganzen Einrichtung der Schleusen und Aufstauungen bekannt und forderte
ihn auf, von seiten der Kommandantur das Weitere zu veranlassen. So sehr
er von der Nützlichkeit der Sache überzeugt war, wagte er's doch nicht,
sie für seinen eignen Kopf auszuführen, ich aber wollte ebensowenig
etwas mit dem Obersten zu tun haben. Endlich aber überredete er mich
doch, diesem die Sache gemeinschaftlich vorzustellen.

Als wir nun vor ihn kamen, fand sich sofort auch das vorbelobte
Weibsbild ein und begann tapfer mit dareinzureden. Nun war auch meine
Geduld am Ende und ich bedeutete sie kurz und gut, daß es ihr nicht
zukäme, hier ihre unverlangte Weisheit feilzuhalten. Das Ding aber, das
sich auf seinen Herrn verließ, machte mir ein schnippisch Gesicht und
wäre mir wohl gern mit allen zehn Fingern ins Gesicht gefahren, wenn ich
es nicht fein säuberlich beim Kragen genommen und zur Stubentüre
hinausgeschoben hätte, wie es recht und billig war. Darüber geriet aber
wiederum der Herr Kommandant in Hitze. Er griff nach dem Degen und würde
ihn ohne Zweifel gegen mich gezogen haben, wäre ihm nicht mein Begleiter
in den Arm gefallen mit den Worten: »Beruhigen Sie sich! Nettelbeck hat
recht getan.« -- Er kam zur Besinnung, aber mit dem Vorschlage zur
Überschwemmung blieb es wie es war. Dagegen geschahen einige
Kanonenschüsse aus der Festung -- die ersten, welche gegen den Feind
gelöst wurden, und mit welchen also auch die Geschichte der Belagerung
anheben mag.

An dem nämlichen Tage (den 14. März) hatten die Franzosen schon früh das
Dörfchen Bullenwinkel -- ich weiß nicht, ob aus Frevelmut, oder um
irgendeinen militärischen Zweck dadurch zu erreichen -- im Rauche
aufgehen lassen. War es nun, daß unser Kommandant ihnen in dieser Kunst
nicht nachstehen wollte, oder daß er wirklich befürchtete, der Feind
möchte sich in der Lauenburger Vorstadt festsetzen, -- genug, er
beschloß, diese gänzlich abzubrennen: Niemand von den zahlreichen
Bewohnern hatte sich einer solchen gewaltsamen Maßregel versehen,
niemand war in diesem Augenblicke darauf vorbereitet -- am wenigsten,
daß dem dazu erteilten Befehle die Ausführung so unmittelbar auf dem
Fuße folgen werde. Keine halbe Stunde Zeit ward den Unglücklichen zur
Rettung ihrer Habe gestattet; viele mußten wie sie gingen und standen
ihr Eigentum verlassen. Hundert Familien wurden in wenigen Minuten zu
Bettlern und suchten nun in der ohnehin ziemlich beengten Stadt ein
kümmerliches Unterkommen.

Man fragte sich damals, und das mit gutem Rechte, warum, wenn doch
einmal gesengt und gebrannt sein sollte, diese Maßregel nicht schon
früher die Altstadt getroffen habe, die im unmittelbaren Bereiche des
Feindes lag, der sich zwischen den Gebäuden derselben einnistete und uns
durch seine hinter denselben angelegte Wurfbatterie in der Folge so
nachteilig wurde? Als der Fehler aber einmal begangen war, blieb jeder
Versuch zur Abhilfe vergeblich. Selbst alle Mühe, die wir uns gaben, die
Altstadt durch unser Geschütz zu demolieren oder in Brand zu stecken,
leistete die ganze Belagerung hindurch nicht, was wir davon erwarteten.
-- Was indes hier versäumt war, suchte der Rittmeister von Schill an
seiner Seite in der Maikuhle nach Möglichkeit wieder gut zu machen,
indem er sich in diesem wichtigen Posten immer fester setzte, Fleschen
anlegen ließ, Wolfsgruben grub und Verhacke veranstaltete. Die
Beschützung des Platzes von dieser Seite blieb nun gänzlich seiner
Sorgfalt überlassen.

       *       *       *       *       *

Der feindliche Anführer mußte indes seine am 13. März errungenen
Vorteile wohl selbst für bedeutend genug halten, um zu glauben, daß uns
der Mut zu fernerem Widerstande dadurch gebrochen worden. Es erschien
also am 15. vormittags um zehn Uhr am Mühlentore ein französischer
Parlamentär in einem mit vier Pferden bespannten, niedergelassenen
Wagen. Der Kutscher fuhr vom Sattel; den Bock nahm ein Trompeter ein,
und zwei Nobelgardisten, wie die Puppen gekleidet und mit Gewehr und
völliger Rüstung versehen, gingen zu beiden Seiten des Wagens einher. In
diesem ungewöhnlichen Aufzuge und unter einer schmetternden Fanfare
rasselte das Völkchen zur Stadt herein und hielt dann plötzlich vor dem
Hause des Kommandanten, der den Parlamentär in der Haustüre empfing, ihm
freundlich die Hand bot und dann ihn in sein Zimmer führte, welches
sofort hinter ihnen verschlossen wurde.

Nach und nach versammelten sich viele Offiziere der Garnison auf der
Flur des Hauses, unter welche auch ich mich mischte. Alle waren von
jener Erscheinung mehr oder weniger überrascht und auf den weiteren
Erfolg gespannt. Alle fragten wir uns untereinander, ob denn sonst
keiner von den Offizieren bei der gegenwärtigen Unterredung in dem
verriegelten Zimmer zugegen sei? Ich wandte mich an den Oberst v. Britzke,
der auch unter dem Haufen stand: »Herr, Sie sind der nächste an
Rang und Alter. Ihnen gebührte es am ersten, mit anzuhören, was da
unterhandelt wird. Sprengen Sie die Tür!« -- Er zuckte die Schultern und
niemand von den Anwesenden sprach ein Wort. Mich aber überfiel innerlich
eine unbeschreibliche Angst und Sorge. Die Erinnerungen an Stettin,
Küstrin und Magdeburg standen mir wie finstere Gespenster vor der Seele.
Ich lief, den Vize-Kommandanten aufzusuchen, der jetzt allein noch
Unheil verhüten konnte.

Vergebens irrte ich in der ganzen Stadt und auf den Wällen umher, den
wackeren Mann zu erfragen. Bald sagte man mir, er sei auf der Münde,
beim Hafen, und ich schickte Boten über Boten aus, ihn schleunigst
herbeizurufen; -- bald wieder hieß es, er sei bei den Verschanzungen auf
dem Wolfsberge beschäftigt. Aber während ich auch dorthin Eilboten
abfertigte, war die Zeit bis fast um zwei Uhr abgelaufen, und ohne ihn
erwarten zu können, trieb es mich wieder nach dem Kommandantenhause, wo
Unheil gebrütet wurde.

In der Zwischenzeit aber hatten Trompeter, Kutscher und Nobelgarden, die
mir sämtlich nicht so aussahen, als ob sie in diese Kleider gehörten,
sich nach Belieben und ohne Aufsicht in der Stadt zerstreut -- man
möchte denn _das_ Aufsicht nennen wollen, daß ein Unteroffizier von der
Garnison, namens Reischard, ein geborner Sachse, sich wie von ungefähr
zu ihnen gesellte und sie, wie man wissen wollte, auch auf den Wällen
herumgeführt hatte. Dieser Mensch war übrigens in den letzten Zeiten
vielfältig bei den Arbeiten an den Verschanzungen und beim
Palisadensetzen als Aufseher gebraucht worden. Er konnte also über die
Lage und Beschaffenheit der Werke wohl einige Auskunft geben.

Endlich, nach langem peinlichem Harren ward von dem Kommandanten aus dem
Fenster gerufen, des Parlamentärs Wagen vorfahren zu lassen. Beide
Herren traten Hand in Hand aus dem Zimmer hervor, verweilten aber noch
einige Zeit in der Haustüre, weil noch etwas an dem Wagen in Ordnung zu
bringen war. Unter uns Umstehenden gab es auch einen Ansbachischen
Offizier außer Diensten, der so ziemlich das Aussehen eines Abenteurers
hatte, sich seit einiger Zeit in der Stadt umhertrieb und auch jetzt
sich, man wußte nicht wie und warum, hier eingedrängt hatte. Dieser nun
trat mit einer gewissen Zuversichtlichkeit auf den französischen
Unterhändler zu und begrüßte ihn; beide ergriffen einander bei der Hand
und drängten sich durch uns alle hindurch, um auf den Hof zu gelangen,
wo sie so lange und angelegentlich miteinander sprachen.

Hier wurde ich nun warm und ereifert. Ich faßte den Kommandanten am Arm
und zog ihn nach, indem ich rief: »Herr Oberst, was die beiden dort
abzumachen haben, das müssen _Sie_ auch wissen!« -- Er folgte mir wie ein
Schaf; sowie wir aber näherkamen, verbeugten sie sich beiderseits
höflichst und gingen auseinander, worauf auch der Parlamentär in den
Wagen stieg und davonkutschierte. Erst eine halbe Stunde nachher kam der
Hauptmann v. Waldenfels fast atemlos herbeigeeilt, und ich und andre
erzählten ihm, was hier vorgegangen. Der Mann geriet ganz außer sich,
daß so etwas in seiner Abwesenheit hatte geschehen können. Man erfuhr
auch nachher, daß Loucadou und der Vizekommandant einen harten
Wortwechsel gehabt und sich förmlich miteinander überworfen hatten. In
all diesen Vorgängen war viel Unbegreifliches, zumal nach zwei Tagen
jener Unteroffizier Reischard unsichtbar geworden und zum Feinde
übergegangen war.

       *       *       *       *       *

Gleich am 16. März machte der Feind vormittags den ersten Versuch, ob
die Stadt aus der eroberten Schanze auf dem Hohenberge mit Wurfgeschütz
zu erreichen sein werde. Er schickte uns also einige Granaten zu, die
aber entweder schon in der Luft platzten oder unschädlich in den
Stadtgraben fielen. Nichtsdestoweniger ward abends um acht Uhr ganz
unvermutet Feuerlärm geschlagen, und -- das Haus des Kommandanten stand
in vollem Brande! Alles lief zum Löschen herbei; doch mancher
verständige Bürger brachte dieses Ereignis mit dem gestrigen Parlamentär
in eine sehr bedenkliche Verbindung.

Voll von beängstigenden Gedanken, entschlossen sich unser dreizehn,
sofort eine Runde rings um die Stadtwälle zu machen und die
Verteidigungsanstalten nachzusehen. Überall auf den Batterien, wo
Kanonen und Pulverwagen standen, riefen wir wiederholt und überlaut die
Schildwachen an, aber nur selten ward uns Antwort, und auf unsrer langen
Runde trafen wir nicht mehr als _sieben_ Mann unter dem Gewehre!

So etwas überstieg alle unsre Gedanken und Begriffe! Wir erachteten es
für dringende Notwendigkeit, dem Kommandanten davon schleunigste Anzeige
zu machen. _Der_ aber war längst aus seinem brennenden Hause geflüchtet
und hatte sich in das Posthaus einquartiert. Auch dort suchten wir ihn
auf und ließen ihm durch seine Ordonnanz hineinsagen: »Die
Bürgerpatrouille wolle ihn sprechen, um etwas Hochwichtiges anzumelden.«
Wir empfingen hierauf den Bescheid: »Der Herr Oberst habe sich bereits
zur Ruhe begeben und lasse sich heute nicht mehr sprechen.« -- Was für
eine unerhörte Seelenruhe bei einem Festungskommandanten, der den Feind
vor den Toren hat und dessen Haus in vollen Flammen steht! Dieser Brand
wurde übrigens gegen drei Uhr morgens gelöscht; wir Bürger setzten unsre
Umgänge die ganze Nacht fort und der Feind hielt sich ruhig.

Hier mußte Rat geschafft werden, und so bedachte ich mich nicht lange,
sondern ging noch am nämlichen Morgen ans Werk, um aus der ganzen Fülle
meines beklommenen Herzens an den König selbst aufs Papier hinzuwerfen,
was mir in diesen letzten Tagen, sowie manches Frühere, unrecht und
bedenklich vorgekommen. Ich weiß noch, daß dieses Schreiben mit den
unterstrichenen Worten endigte: »Wenn Ew. Majestät uns nicht bald einen
andern und braven Kommandanten zuschicken, sind wir unglücklich und
verloren!« -- Diese Vorstellung schloß ich in eine Adresse an den
Kaufmann Wachsen zu Memel, einen geborenen Kolberger, ein und ersuchte
ihn, die Einlage womöglich an den König persönlich zu übergeben. Es fand
sich aber zur Absendung nicht eher eine Gelegenheit, als am 22. März, da
Schiffer Kamitz mit einer Anzahl Gefangener nach Memel in See ging.
Dieser lieferte denn auch mein Paket richtig an seine Adresse ab und von
Wachsen erfuhr ich, daß der Monarch dasselbe aus seinen Händen selbst
empfangen und gnädig aufgenommen habe.

       *       *       *       *       *

Daß am 17. März abermals ein Feuer in der Kommandantur hervorbrach,
konnte eine irgendwo noch verborgen gebliebene Glut zur Ursache haben;
allein die Gemüter waren einmal zum Argwohne aufgeregt und merkten nur
an, daß heute so wenig als gestern um die Zeit, da das Feuer
aufgegangen, irgendein feindliches Geschoß in Tätigkeit gewesen sei.

Bis zum 19. März beschäftigten sich die Belagerer vornehmlich mit
Einrichtung ihrer Lager, mit Festsetzung in der Altstadt und mit
Schlagen einer Verbindungsbrücke über die Persante in der Nähe von
Rossentin; und je mehr sich Truppen hierherwärts bewegten, um so weniger
war es zu bezweifeln, daß ihre Absichten auf Gewinnung der Schanze auf
dem Kauzenberge gerichtet seien, die ihre Besatzung abwechselnd aus der
Festung erhielt. Am frühen Morgen jenes Tages fand der Angriff wirklich
statt. Es gab das erste anhaltende Feuer aus grobem Geschütz und kleinem
Gewehr. Anfall und Verteidigung waren in gleichem Maße heftig, aber nur
zu bald mußte die Besatzung der Übermacht weichen, und auch das weiter
zurückliegende Dorf Sellnow ging verloren, ohne daß die nachrückende
zahlreiche Verstärkung vermochte, dem Feinde seine Vorteile wieder zu
entreißen. Dies war für uns ein sehr empfindlicher Verlust, denn nur von
der Position von Sellnow aus war die Stadt auf dieser Seite angreifbar.

Rasch und besonnen hingegen benutzte der Feind auf der Stelle seine
erlangten Vorteile, ging in das Siederland vor, setzte sich hinter das
Gradierwerk und zeigte sich selbst vor dem Galgenberge. Rechtshin aber
griff er zugleich unsre Schanze auf dem Strickerberge, hart an dem Damme
vor dem Geldertore gelegen, mit solchem Nachdruck an und ward dabei
durch sein Flankenfeuer von der Altstadt her so gut unterstützt, daß das
Feuer aller unsrer Batterien, wie heftig es auch unterhalten wurde,
dagegen kaum ausreichte. Abends gegen sechs Uhr mußten die Grenadiere,
welche bis dahin die Schanze mit Entschlossenheit verteidigt hatten,
sich durch eine Abteilung Freiwilliger des Schillschen Korps ablösen
lassen, und diesen glückte es, sich darin noch achtundvierzig Stunden zu
behaupten -- ja noch gleich in der nächsten Nacht eine neue Schanze
nächst dem weißen Kruge (dem letzten Hause der Geldervorstadt)
aufzuwerfen, wodurch der Damm noch besser bestrichen und die Feinde an
der Annäherung verhindert wurden.

Allerdings stand nun die genannte Vorstadt in naher und dringender
Gefahr, überwältigt und dann der Festung sehr nachteilig zu werden.
Loucadou war darum auch sogleich mit dem Befehle zum Abbrennen bereit.
Diesmal aber fand seine rücksichtslose Härte einen edelmütigen
Widerstand an dem Rittmeister v. Schill, welcher die Unnützlichkeit
jeder Übereilung bei der Ausführung dieser Maßregel dartat, solange die
vorliegenden Schanzen noch von seinen Leuten verteidigt würden, für
deren Mut und Ausdauer er sich verbürgte. Der Kommandant sah sich für
den Augenblick genötigt nachzugeben, und Hunderte von Menschen fanden
dadurch Zeit, alle beweglichen Trümmer ihres Vermögens rückwärts in
Sicherheit zu flüchten. Erst als dies geschehen war, trat die
unabwendbare Zerstörung ein und die Schanzen wurden verlassen.

       *       *       *       *       *

Es fehlte jedoch viel, daß Loucadou hierdurch selbst zur Besinnung
gekommen wäre. Er sah in Schills Benehmen nur einen sträflichen Mangel
an Subordination und machte ihm harte Vorwürfe, welche einen Wortwechsel
nach sich zogen und mit einem Zimmerarrest endigten, dem der Gekränkte
sich geduldig unterzog. Aber nicht so geduldig nahmen Soldaten und
Bürger auf, was für eine Ungebührnis ihrem Liebling widerfahren sei. Es
entstand ein Gemurmel, ein Reden, ein Fragen, ein Durcheinanderlaufen,
das mit jeder Minute lauter und stürmischer wurde. Eine immer
gedrängtere Masse sammelte sich auf dem Markte und es war nicht
undeutlich die Rede davon, Schill mit Gewalt zu befreien und den
Kommandanten für das, was er getan, persönlich verantwortlich zu machen.

Ich erfuhr alsbald, was im Werke sei; allein war ich gleich nicht
weniger entrüstet, als jeder andre, so entging mir doch nicht, von
welchen unseligen Folgen hier jede Gewalttätigkeit sein würde. Vielmehr
kam alles darauf an, diese Volksbewegung zu stillen. Ich warf mich
schnell unter die Menge, bat sie, Vernunft anzunehmen und vor allen
Dingen Schills eigne Meinung zu vernehmen. Diese zu hören, sei ich jetzt
auf dem Wege begriffen. Sie möchten also ruhig meine Wiederkunft
erwarten. Das ward denn auch angenommen.

Als ich zu dem Gefangenen kam und ihm sagte, wie die Sachen ständen,
erschrak er heftig, und mich an beiden Händen ergreifend, rief er:
»Freund, ich bitte Sie um alles, stellen Sie die guten Menschen
zufrieden! Aufruhr wäre das letzte und größte Unglück, das uns begegnen
könnte. Sagen Sie ihnen, ich sei nicht arretiert, ich sei krank -- kurz,
sagen Sie, was Sie wollen, wenn die Leute sich nur zur Ruhe geben.« --
Ich gelobte ihm das, weil er es wollte und weil es das beste war, und
eilte nach dem Markte zurück. Kaum konnte ich mich durch das tosende
Gedränge schlagen. Vor dem Kuhfahlschen Hause trat ich auf eine Erhöhung
und forderte, daß man mich hören solle. »Kinder!« rief ich dann, »ich
komme von unserm Freunde. Aus seinem eignen Munde weiß ich's: er hat
nicht Arrest, wie ihr glaubt, sondern hält sich wegen Unpäßlichkeit in
seinem Zimmer. Euch insgesamt aber bittet er durch meinen Mund, wenn ihr
ihm je Liebe bewiesen habt, daß ihr jetzt ruhig auseinandergeht. Binnen
wenigen Tagen hofft er so vollkommen hergestellt zu sein, daß er selbst
unter euch erscheinen und euch für eure Anhänglichkeit danken kann. Wer
also ein guter Bürger und sein Freund ist, der geht nach Hause.«

Diese Rede war nicht zierlich, aber verständlich, und machte um so mehr
den besten Eindruck, da sie von dem Superintendenten Baarz, der neben
mir stand, wiederholt und weiter ausgeführt wurde. Die guten Leute kamen
glücklich zur Besinnung, und als die Angeseheneren sich ruhig wegbegeben
hatten, fehlte es nicht, daß auch der Pöbel sich allgemach verlief.
Loucadou verhielt sich bei diesem Vorgange ganz still, als hätte er kein
Wasser getrübt, was ihm auch gar sehr zu raten war. Schills Arrest aber
blieb ein leeres Wort, das stillschweigend zurückgenommen wurde. Denn da
Schill seine Gegenwart in der Maikuhle und bei den Vorposten notwendig
fand, tat er, was die Umstände erforderten, und Loucadou stand nicht an,
zu erklären: »Außerhalb der Festung möge er schalten, wie er's für gut
befinde.«

       *       *       *       *       *

Noch hatte die eigentliche Belagerung kaum ihren Anfang genommen, d. h.
es waren noch keine Laufgräben eröffnet, keine Batterien angelegt und
die Stadt noch kaum beschossen, und dennoch hatten wir bereits durch
Saumseligkeit und Unverstand von unsern Vorteilen so viel eingebüßt, als
nur nach einem langen und hartnäckigen Angriff und einer ebensolchen
Gegenwehr zu entschuldigen gewesen wäre. Wir hatten nur, wenn ich so
sagen mag, den Instinkt der Furcht, und dieser leitete uns ganz richtig,
indem er uns zuflüsterte, daß wir um unsers letzten Heils willen uns
nicht vom Meere abdrängen lassen dürften. Darum wandte man von jetzt an
eine stets größere Sorgfalt auf die Befestigung der Maikuhle, deren
zuvor noch immer mit einiger Schonung behandelte Bäume jetzt zum Teil
niedergehauen wurden. Aber auch ostwärts des Hafens verließ man sich
nicht mehr allein auf das Münderfort und die wohlgelegene Schanze auf
dem Münder Kirchhofe, welche noch durch eine, zwischen beiden angelegte
Redoute auf dem sogenannten »Baumgarten« verstärkt wurde, sondern
richtete auch eine ganz besondere Aufmerksamkeit auf den noch östlicher
gelegenen Wolfsberg, der dem Andringen des Feindes längs dem Strande
einen Damm entgegenstellte. Diese wichtige Anhöhe, welche auf ihrer
flachen Kuppe einen Raum von mehr als hundert Schritten im Durchmesser
darbietet, wurde nach und nach in ein geschlossenes Werk von
ausnehmender Stärke verwandelt und darum auch für die Folge der
Belagerung überaus wichtig. Von den Erhöhungen bei Bullenwinkel kann sie
zwar bestrichen werden, aber die dazwischen liegenden Radewiesen
erschweren gleichwohl jede Annäherung.

Hierherwärts schien aber jetzt noch der Blick des Feindes ungleich
weniger, als auf den Gewinn der Maikuhle geheftet zu sein. Nicht nur
hatte er neuerdings eine Floßbrücke in noch größerer Nähe bei der
Altstadt über den Strom geschlagen, um sich den Übergang zu erleichtern
und seine Truppen schnell auf jeden Punkt zu werfen, sondern vom 22. bis
24. März erfolgten auch täglich Rekognoszierungen, die selbst bis gegen
den Strand vorzudringen suchten und sich endlich in Neu-Werder oder den
sogenannten »Spinnkaten« festsetzten. Diese leichten Angriffe gegen die
Maikuhle wurden den 26. und 30. März ohne bedeutenden Erfolg wiederholt
und bereiteten einen ernsthafteren vor, zu dessen Ausführung man
vielleicht nur die Ankunft des Marschalls Mortier abwartete, welcher
endlich am 5. April bei dem Belagerungskorps eintraf und sein
Hauptquartier in Zernin nahm. Ebendaselbst hatte weiland auch der
russische General Romanzow das seinige aufgeschlagen.

Nun erkannte auch die patriotische Bürgerschaft ihre steigende
Verpflichtung, Mühe, Not und Gefahr mit der im ganzen so wackeren
Garnison noch mehr als bisher zu teilen. Sie erbot daher dem
Kommandanten nochmals ihre Mitwirkung zum inneren Festungsdienste,
Beziehung der Hauptwache und Ausstellung der nötigen Posten auf dem
inneren Walle sowie an den Toren. Diesmal ward auch, da Not beten lehrt,
ihr guter Wille besser anerkannt und gerne angenommen. Sie trat also
diesen Dienst mit dem 25. März an und hat ihn auch bis ans Ende hin mit
lobenswerter Treue und Pünktlichkeit versehen.

       *       *       *       *       *

Mancher Leser dürfte sich vielleicht wundern, daß bisher immer nur von
der Bürgerschaft die Rede ist, ohne irgend einiger Wirksamkeit des
Magistrats auch nur mit einem Worte zu gedenken. Wer aber nichts tut und
leistet, von dem ist freilich auch wenig oder nichts zu melden, und das
war hier leider von Anfang an der Fall. Auch jene Herren hätten sich
verdient machen können, wenn sie sich nur die Mühe hätten nehmen wollen,
aus ihrem gewohnten Schlendrian ein wenig herauszugehen. Und in diesem
Schlendrian ließ auch der Kommandant sie ruhig gehen, so wie er selbst
sich gehen ließ. An Energie und Kraft war nicht zu denken, was ihnen
nicht gerade vor den Füßen lag, hüteten sie sich wohl, aufzunehmen.
Dadurch fiel denn alle Last der öffentlichen Geschäfte um so mehr auf
die, denen es ihr Feuereifer nicht zuließ, in solcher Zeit der Not
stille zu sitzen. Solch ein Kernmann war der, jetzt als Senator
pensionierte Stadtsekretär Aue, der immer und überall auf dem Platze
war, wo Rat und Hilfe erfordert wurde, daher er auch das Unglück hatte,
durch eine Granate verwundet zu werden. Auch der Kriegsrat Wisseling,
der sich des ganzen Proviantierungsgeschäfts annahm, tat in diesem
Wirkungskreise, was einem redlichen Patrioten zukommt und alles Lobes
wert ist.

Ich spreche nicht gern von dieser dunklen Schattenseite in dem Gemälde
unsrer Kolberger Belagerung, habe aber auch nicht Lust, der Wahrheit
etwas zu vergeben. Um also ein für allemal darüber wegzukommen, bemerke
ich, daß späterhin, als wir's mit einem Manne zu tun hatten, der den
Umständen gewachsen war, unter Trommelschlag öffentlich bekannt gemacht
wurde: Jeder Angestellte solle sich auf seinem Posten finden lassen oder
kassiert sein. Anderseits gaben viele Kaufleute und sonst ausgezeichnete
Personen, unter denen gleichwohl Herr Dresow samt einigen andern eine
rühmliche Ausnahme machte, das böse Beispiel, sich aus der Stadt, sobald
sie beschossen wurde, nach der Münde oder wohl gar nach Bornholm zu
flüchten. Da waren sie freilich außer dem Schusse, aber auch für das
allgemeine Beste außer Wirksamkeit, und das ist's, was ich ein böses
Beispiel nenne.

Scharmützel und Plänkeleien zwischen den Vorposten, kleine Ausfälle und
Überrumpelungen waren seither mit abwechselndem Glücke an der
Tagesordnung, kosteten aber doch immer einige brave Leute, deren Abgang
uns noch fühlbarer geworden sein würde, wenn uns nicht, sowohl auf einem
dänischen Schiffe als auf mehreren Booten von Rügenwalde, kampflustige
Razionierte zu Hunderten zugeströmt wären. Aber auch der Feind
verstärkte sich von Tag zu Tag, sein Wurfgeschütz fing an zu spielen und
richtete hier und da Verheerungen an, und insonderheit empfanden wir die
nachteiligen Wirkungen seiner so nahe gelegenen Batterien auf der
Altstadt. Um uns vor diesen mehr Ruhe zu verschaffen, hatten wir den 3.
April es darauf angelegt, die vorgehenden Gebäude in Brand zu schießen.
Unsre Bomben und Granaten zündeten auch wirklich, allein da jene keine
zusammenhängende Masse bildeten, so griff das Feuer nicht um sich und
unser Pulver war vergeblich verschossen.

       *       *       *       *       *

Auch am 5. April machten uns die französischen Granaten von dort her von
Zeit zu Zeit unangenehme Besuche, als ich mich mit hundert und mehr
Menschen auf dem Markte befand, wo der Kommandant den Bürgern Befehle
austeilte, die mir sehr wenig angemessen erschienen. So hatte er
geboten, daß alle Hausdächer hoch mit Dünger belegt werden sollten, um
das Durchschlagen der Bomben zu verhüten, ebenso daß überall das
Straßenpflaster aufgerissen werden sollte, um gleichfalls jene Geschosse
unschädlicher zu machen. Nun habe ich zum Unglück eine Gattung von
schlichtem Menschenverstand, die zu keiner Absurdität gutwillig
schweigen kann. Ich war also auch hier so vorwitzig, meinen doppelten
Zweifel zu äußern; einmal, ob der anbefohlene Dünger auf unsern Dächern,
die durchgängig eine Neigung von mehr als 45 Grad hätten, wohl lange
haften dürfte, und dann, ob die Granaten auch wohl vor so bedeckten
Dächern, nach deren bekannter leichten Konstruktion, sonderlichen
Respekt beweisen möchten? Auch erinnerte ich daran, daß die Stadt ehedem
zu dreienmalen, und zwar heftig genug, mit Bomben geängstigt worden,
ohne daß man gleichwohl nötig gefunden hätte, das Pflaster zu rühren.
Dies schiene hier bei unsern engen Gassen sogar schädlich und
hinderlich, weil dann bei entstandener Feuersgefahr weder Spritzen noch
Wasserkufen einen Weg durch die Steinhaufen und den umgewühlten Boden
würden finden können. Es möchte also wohl der beste Rat sein,
dergleichen gelehrte Experimente hier beiseite zu setzen und uns nur
tapfer unsrer Haut zu wehren.

Währenddessen zogen einige feindliche Granaten ihren Bogen, schlugen
nicht weit von uns durch die Dächer der Häuser, platzten und richteten
Schaden an. Fast zu gleicher Zeit fuhr eine Bombe kaum zwanzig oder
dreißig Schritte weit von unserm Kreise nieder, zersprang, beschädigte
aber niemand. Bei dem Knall sah sich der Oberst mit etwas verwirrten
Blicken unter uns um und stotterte: »Meine Herren, wenn das so fortgeht,
so werden wir doch noch müssen zu Kreuze kriechen!« -- Mehr konnte er
nicht hervorbringen.

So etwas sehen und hören ließ mich meiner nicht länger mächtig bleiben,
und ich tat einen Schritt, den ich jetzt selber nicht gut heiße, obwohl
ich mir dabei der reinsten Absicht bewußt bin. Ich fuhr gegen ihn auf
und schrie: »Halt! Der erste, wer er auch sei, der das verdammte Wort
wieder ausspricht von 'zu Kreuze kriechen' und Übergabe der Festung, der
stirbt des Todes von meiner Hand!« -- Dabei fuhr mir der Degen, ich weiß
nicht wie, aus der Scheide, und mit der Spitze gegen den Feigling
gerichtet, setzte ich hinzu zu allen, die es hören wollten: »Laßt uns
brav und ehrlich sein oder wir verdienen wie die Memmen (eigentlich
brauchte ich wohl ein andres Wort) zu sterben!«

Der Landrat Dahlke, mein Nebenmann, faßte mich von hinten und zog mich
von Loucadou zurück, während dieser vom Kaufmann Schröder verhindert
wurde, seine Hände zu gebrauchen, die gleichfalls nach der Klinge
griffen. Seine Zornwut kannte keine Grenzen mehr. »Arretieren!« schrie
er mit schäumendem Munde, »gleich arretieren! In Ketten und Banden!« --
Da sich indes alles um ihn zusammendrängte, der Landrat aber mich aus
allen Kräften von ihm entfernte, so mußte er wohl glauben, daß man mich
ins Gefängnis davonführe, und so kamen wir einander aus dem Gesichte.
Ich aber, ein wenig zur Besinnung gekommen und mit mir altem Knaben
nicht aufs beste zufrieden, ging nach Hause, um zu erwarten, was in der
tollen Geschichte weiter erfolgen würde.

Alles dies hatte sich vormittags zugetragen. Gleich nachmittags aber
berief der Kommandant den Landrat zu sich und erklärte ihm seinen
Willen, über mich ein, aus dem Militär und Zivil zusammengesetztes
Kriegsgericht halten und mich des nächsten Tages auf dem Glacis der
Festung erschießen zu lassen. Der Landrat, der es gut mit mir meinte,
erschrak, machte Vorstellungen und gab zu bedenken, welch einen
gefährlichen Eindruck eine solche Prozedur auf die Bürgerschaft machen
könnte, so daß er für den Ausgang nicht gutsagen wolle. Loucadou
beharrte indes auf seinem Sinn, und jener entfernte sich unter der
Versicherung, daß er nicht verlange, damit zu schaffen zu haben.

Kaum hatte nun der Landrat auf dem Heimwege in seiner Konsternation
einigen ihm begegnenden Bürgern eröffnet, was der Kommandant mit mir
vorhabe, so geriet alles in die größte Bewegung; alles nahm meine
Partei, und wer mir auch sonst vielleicht nicht günstig war, wollte doch
einen Bürger und Landsmann nicht so schmählich unterdrücken lassen. Der
Haufen sammelte sich und ward mit jeder Minute größer. Er wälzte sich zu
Loucadous Wohnung, umringte ihn, und die Wortführer bestürmten ihn so
lange im Guten und im Bösen, bis sie seine Entrüstung einigermaßen
milderten oder vielleicht auch ihn ahnen ließen, daß er hier kein so
leichtes Spiel haben werde. »Gut! gut!« rief er endlich, »so mag der
alte Bursche diesmal laufen. Hüt' er sich nur, daß ich ihn nicht wieder
fasse!« -- So ging alles friedlich auseinander, während ich selbst, der
ich mich ruhig innehielt, den Tumult und das Laufen des Volkes zwar
durch mein Fenster bemerkte, aber doch weiter kein Arges daraus hatte,
daß es mich so nahe angehen könnte. Selbst die ich fragte, blieben mir
die Antwort schuldig, und erst des andern Tages erfuhr ich aus des
Landrats Munde, wie schlimm es auf mich und mein Leben gemünzt gewesen.

       *       *       *       *       *

Wie es aber auch gekommen wäre, so glaube ich doch, daß ich unter dem
Militär Freunde genug gefunden hätte, die alles, was sich verantworten
ließ, angewandt haben würden, die Sache zu meinem Vorteil ins Gleiche zu
richten. Auch meine ich wohl, es einigermaßen um sie verdient zu haben,
da ich keine Mühe scheute, ihre Lage nach Möglichkeit zu erleichtern.
Zumal die Umstände des Schillschen Korps in der Maikuhle waren
beklagenswert. Die armen Leute waren dort täglich und stündlich auf den
Beinen, weil der Feind sie unaufhörlich in Atem erhielt. Tag und Nacht
waren sie unter freiem Himmel, ohne je, wie andre doch zuweilen, von
ihrem Posten abgelöst zu werden und unter Dach und Fach zu kommen. An
regelmäßige Löhnung war gar nicht und an Lieferung von anderweitigen
Unterhaltungsmitteln nur höchst selten zu denken. Gleichwohl zeigten
sich diese Schillschen Leute, in denen der Geist ihres Anführers lebte,
äußerst willig und brav. Bei jedem Trommelschlage waren sie, oft nur mit
einem Schuh oder Strumpf an den Beinen, die ersten auf dem Sammelplatze,
und diesen tätigen Eifer kann ich von einigen andern Truppengattungen
nicht rühmen.

Um nun so brave Leute in ihrer Not zu unterstützen, so weiß Gott, daß
ich für meinen Teil getan habe, was nur möglich war. Ein Tonnenkessel
für Kartoffeln und andres Gemüse kam bei mir nie vom Feuer, und die
bereitete Speise ward ihnen hinausgefahren. Oftmals habe ich den ganzen
Fleischscharren und alle Bäckerläden auskaufen lassen, oftmals bin ich
Haus bei Haus gegangen und habe gebeten, daß für meine Schillschen
Kinder in der Maikuhle zugekocht werden möchte. In der Tat betrachteten
sie mich auch als ihren Vater und nannten mich ihren Brot- und
Trankspender, und wenn ich mich in der Nähe der Lagerposten zeigte, ward
ich gewöhnlich mit kriegerischer Musik empfangen. Nicht selten zuckelte
ich, wenn sie zu irgendeinem Angriff ins Freie hinausrückten, auf meinem
Pferdchen neben ihnen her und suchte ihnen tröstenden Mut einzusprechen;
oder ich stimmte, ob ich gleich nicht von sangreicher Natur bin, mit
meiner Rabenkehle das Liedchen an: »Haltet euch wohl, ihr preußischen
Brüder!« wobei alle lustig und guter Dinge wurden. Auch wußten sie, daß,
wenn es Verwundete oder sonst ein Unglück geben sollte, ihr alter Freund
schon in der Nähe zu finden sein werde.

Jede Art von Ermunterung war aber auch für diese braven Truppen um so
notwendiger, da sie in diesem Zeitraume der Belagerung die schwerste
Last derselben fast allein zu tragen hatten, denn schon vom 5. April an
hatten die Franzosen tägliche und immer ernstlichere Unternehmungen
gegen die Maikuhle versucht, waren aber jedesmal mit blutigen Köpfen
zurückgewiesen worden, wobei die Festungsartillerie sie in der rechten
Flanke wacker mitnahm, so oft sie sich in den Bereich derselben
verirrten. Meist aber gingen ihre Angriffe von dem Punkte von Alt- und
Neu-Werder aus, indem sie, wie z. B. am 9. und 10. April, vielleicht
tausend und mehr Menschen dazu verwandten. Hier legte ihnen jedoch das
große Torfmoor, welches sich bis zum Kolberger Deep hin erstreckt und
nur auf wenigen Dämmen zugänglich ist, so große Hindernisse entgegen,
daß es ihnen nie gelingen wollte, mit einer bedeutenden Macht
durchzudringen.

Allein der feindliche Anführer wollte keineswegs aufhören, um den Besitz
der Maikuhle zu ringen. Schon am 11. zogen starke Truppenabteilungen
über die Verbindungsbrücke bei der Altstadt nach Sellnow hinüber, und am
nächstfolgenden Tage entwickelte sich vor Neu-Werder eine Macht von
wenigstens ein paar Tausend Köpfen, die einen härteren Stand als jemals
befürchten ließ. Schill wartete jedoch diesen Angriff nicht ab, ging dem
Feinde mit ein paar Kanonen und seinem gesamten Korps entgegen,
verwickelte ihn in den Morast und benutzte die unter ihm entstandene
Unordnung so rasch und glücklich, daß auf dem verwirrten Rückzuge
Alt- und Neu-Werder für den Feind verloren gingen und er bis an seine
feste Stellung bei Sellnow zurückgetrieben wurde. Es ging dabei scharf
her, und unsre Leute bewiesen einen Mut, der nicht genug zu loben ist.

Vier Kompagnien der Besatzung rückten während des Gefechts vor das
Gelder-Tor hinaus, und es ist nicht zu leugnen, daß sie, indem sie dem
Feinde Besorgnis für seine Flanke und seinen Rücken erregten, nicht
wenig dazu beitrugen, seinen Rückzug zu beschleunigen. Hätten jedoch
eben diese Truppen, vielleicht noch durch einige Mannschaft mehr
unterstützt, sich etwas weiter hervor und einen entschlossenen Anfall
auf Sellnow selbst und die dahinterliegende Schanze gewagt, so würden
die Vorteile dieses Tages eine noch entschiedenere Gestalt angenommen,
die gänzliche Zersprengung des Feindes bewirkt und den Wiedergewinn des
Kauzenberges zur Folge gehabt haben. Das wurde auch von den Franzosen in
Sellnow selbst so lebhaft befürchtet, daß dort bereits zum Abzuge
eingepackt war. Das war es aber auch, was Schill zu wiederholten Malen
und aufs dringendste vom Kommandanten forderte, als er noch am Abende
den Entschluß faßte, den Angriff seinerseits von Werder aus
fortzusetzen. Allein Loucadou hatte keine Ohren für diesen Vorschlag,
sei es nun, daß er, seiner alten Ansicht getreu, außerhalb der Wälle
nichts aufs Spiel setzen wollte oder daß sein tief gewurzelter
Widerwille gegen Schills Person und überlegenen Geist ihm nicht
gestattete, zu irgendeiner Idee, die von diesem ausging, die Hände zu
bieten. Genug, der günstige Augenblick ward versäumt und kehrte nie
wieder!

       *       *       *       *       *

Drei Tage nachher, am 15. April, schiffte der Rittmeister v. Schill sich
auf einem Fahrzeuge ein, das nach Schwedisch-Pommern abging. Das
neuerlichste Mißverständnis mit dem engherzigen Kommandanten trug wohl
vornehmlich die Schuld, daß jener wackere Mann in einer so schwülen
Stickluft nicht länger auszudauern vermochte. Ohnehin war sein ins Große
strebender Geist nicht für die engen Verhältnisse eines belagerten
Platzes gemacht, aber dennoch würde er wie bisher seinen Platz ehrenvoll
ausgefüllt haben, wenn man seiner Kraft nicht Hemmketten angelegt hätte.
Aber indem er sich jetzt von uns entfernte, geschah es nur, um uns aus
der Ferne desto wirksamere Hilfe zu gewähren. Von Anfang an waren seine
Entwürfe dahin gerichtet gewesen, sich in Pommern ein Kriegstheater zu
errichten, von wo aus Stralsund und Kolberg sich zu wechselseitiger
Unterstützung die Hände böten. Nun waren aber in den letzten Tagen auf
allerlei Wegen die günstigsten Nachrichten bei uns eingekommen, wie
nicht nur der König von Schweden das gegen ihn operierende französische
Korps über die Peene zurückgedrängt habe, sondern auch mit einem Teil
seiner Macht auf Swinemünde vordringe und im Begriff sei, auch Wollin
von den Feinden zu säubern, also wohl gar unserm Platze wieder Luft zu
verschaffen. Nun erwiesen sich diese Nachrichten zwar in der Folge zum
Teil ganz anders, aber doch waren sie ermunternd genug, um einen Mann
von Schills feuriger Seele zu dem Entschlusse zu begeistern, den guten
Willen der Schweden an Ort und Stelle gegen den gemeinschaftlichen
Widersacher in Bewegung zu setzen. Um diese Absichten konnten und
durften indes nur wenige wissen, und je mehr also seine Entfernung als
die Folge seiner Zwistigkeiten mit Loucadou erschien, um so
schmerzlicher und unmutiger war das allgemeine Bedauern.

       *       *       *       *       *

In diesen Tagen war es, wo ich mit dem bekannten Heinrich v. Bülow einen
sonderbaren Auftritt erlebte. Man weiß, daß es beim Ausbruche des
Krieges für angemessen befunden wurde, diesen in seiner Originalität
verkommenen Mann zu uns nach Kolberg zu schaffen, wo er einige Zeit
verblieb; von vielen als ein Wundertier angestaunt, von andern mit
unbilliger Geringschätzung behandelt, aber immer noch im Genuß einer
leidlichen Freiheit, wie Staatsgefangene sie genießen können. Leider
suchte er nun in dieser letzten Zeit, und so auch bei uns, seine Grillen
in der Flasche zu ersäufen; und so war er eines Abends im trunkenen Mute
auf der Straße in Verdrießlichkeiten geraten, worüber eine
Bürgerpatrouille hinzukam und ihn wegen geleisteten Widerstandes auf der
Hauptwache in einstweiligen Verwahrsam brachte.

Man kann denken, daß er gegen eine solche Maßregel mancherlei
dreinzureden hatte. Ich kam zufällig dazu, hörte sein Toben und ermahnte
ihn, sich zu mäßigen und zu fügen. In eben dem Maße aber mehrte sich
seine Ereiferung, und plötzlich hub er an, in gutem Englisch seinem
verbitterten Herzen auf eine Weise Luft zu machen, wobei König und
alles, was preußisch war, gar übel wegkam. Hatte er sich aber vielleicht
darauf verlassen, daß seine Zuhörer ihn nicht verstehen würden, so war
er um so mehr verwundert, als ich, der ich diese Lästerung nicht länger
geduldig anhören konnte, ihm in gleicher Sprache bedeutete: daß, wenn
er jene Worte zu deutsch über seine Lippen gehen lasse, ich ihm nicht
dafür bürgen möchte, ob sie ihm nicht Kopf und Kragen kosten sollten. Er
werde also wohltun, sich Zaum und Gebiß anzulegen.

Kaum hörte der Wütende die ersten englischen Silben aus meinem Munde, so
ward er urplötzlich ein ganz andrer Mann. Er fiel mir entzückt um den
Hals, küßte mich und beteuerte, für alles was nur einen englischen Klang
habe, lasse er Leib und Leben. Sofort auch waren und blieben wir die
besten Freunde; da ihm indes sein Unmut immer wieder von neuem aufstieg,
so forderte er Feder und Papier, um an den Kommandanten zu schreiben und
Beschwerde über die ihm widerfahrene Behandlung zu führen. Beides ward
ihm gereicht, um seine Lebensgeister zu beruhigen. Die Feder tanzte auch
lustig auf dem Papiere hin, und man sah wohl, es war sein Handwerk.
Indem ich aber von Zeit zu Zeit über seine Schulter hin in das
Geschreibsel schielte, nahm ich bald wahr, daß der Inhalt, voll
Schmähungen und harter Vorwürfe, nicht dazu gemacht war, ihm an Loucadou
einen Patron und Gönner zu erwerben. Um also ferneres Unheil zu
verhüten, und da die Blattseite eben voll war, sagte ich: »Nun ist's
wohl Zeit, auch Sand darauf zu streuen,« -- nahm das volle Tintenfaß und
goß es über die Pastete her. Er stutzte; alles lachte. Endlich lachte er
mit, schüttelte mir die Hand, und sein Ärger war vergessen.

       *       *       *       *       *

Seit dem letzten mißlungenen Versuche auf die Maikuhle geschahen nur
hier und da einige Angriffe auf unsre Vorpostenkette, um unsre
Aufmerksamkeit zu beschäftigen. Dagegen wagte der Feind sich, ohne daß
wir Kunde davon erhielten, in diesen Tagen an ein Unternehmen, das kühn
und groß genug aufgefaßt war, um, wenn die Ausführung glückte, uns mit
all unsern bisherigen Verteidigungsanstalten, im eigentlichsten
Wortverstande, aufs Trockene zu bringen. Es sollte nämlich der Persante
ein andres Bett gegraben und sie in den Kampschen See abgeleitet werden.
Das Werk wurde groß und kräftig angefangen; aber bald stieß man auf
Schwierigkeiten, die man nicht erwartet hatte, und so ward die Sache
bald wieder aufgegeben, und wir sahen uns von einer Sorge befreit, ehe
sie uns noch hatte beunruhigen können: denn freilich stand hier die
Wirksamkeit unsres ganzen Überschwemmungssystems auf dem Spiele, und
selbst unser Hafen wäre, wenn auch nicht bis auf den Grund
ausgetrocknet, doch durch den nächsten Seesturm bis zur völligen
Unbrauchbarkeit versandet worden.

In der Beschießung der Festung schien es dem Feinde bis gegen Ende April
immer noch kein recht lebendiger Ernst zu sein, was ohne Zweifel seinen
Grund im Mangel von hinreichendem Schießbedarfe hatte. Sowohl Haubitzen
als Mörser waren nur von kleinem Kaliber und erreichten darum auch nicht
immer ihr Ziel, oder taten doch, nach Verhältnis, nur geringen Schaden.
Ein paarmal ward es von der Schanze des Hohen-Berges her versucht, ob
das Feldgeschütz bis in die Stadt hinein zu tragen vermöge: aber nur
vier Kanonenkugeln gelangten bis dahin und beschädigten einige Dächer.
Auch ward dies fruchtlose Feuer von dem schwereren Geschütze unsrer
Wälle bald zum Schweigen gebracht.

Hätte sich das letztere doch nur eben so wirksam gegen die feindlichen
Wurfbatterien auf der Altstadt bewiesen, deren zerstörende Wirkungen uns
mit jedem Tage empfindlicher trafen und uns nicht nur den Ruin unsrer
Häuser, sondern auch manchem Gesundheit und Leben kosteten. Zwar
vereinigte sich unsre Artillerie am 23. April, nach dieser Seite hin, zu
einer neuen lebhaften Anstrengung, die Einäscherung der dortigen
Gebäude, die uns so viel Herzeleid machten, zu vollenden: aber es war
nicht zu bewerkstelligen; und dies schlug den Mut der Menge merklich
nieder. Die Geringschätzung gegen unsern unfähigen Kommandanten ging
allmählich in wirklichen Haß und Feindseligkeit über, und das nur um so
mehr, da es so manchen würdigen Offizier unter der Besatzung gab, der
das Herz auf dem rechten Fleck und viel Einsicht und Überlegung hatte,
aber sein Licht unter den Scheffel stellen mußte. Ich nenne hier nur den
Ingenieurleutnant Wolf, der später nach Glogau versetzt wurde, den
Platzmajor Zimmermann, jetzt Kommandant von Wolgast, und den in seinem
Fache überaus geschickten und tätigen Artillerieleutnant Post, jetzigen
Major und Postmeister in Treptow. Sie alle, und nicht wenige andre mit
ihnen, taten, was in ihren Kräften stand und was Loucadous Eigensinn und
Dünkel ihnen nur irgend gestattete.

       *       *       *       *       *

Desto sehnsüchtiger waren meine Hoffnungen auf Memel gerichtet: denn in
meiner Seele lebte ein unüberwindliches Vertrauen, daß der Klageschrei,
den ich bereits vor einem Monat dahin hatte ertönen lassen, das Ohr des
Königs erreicht haben werde. Unsre Verbindung nach jenem Platze hin war
nun nach und nach immer lebendiger geworden. Der Kaufmann Schröder hatte
vier oder fünf Schiffe, groß und klein, von zweihundertachtzig bis
sechzig Last, in unserm Hafen müßig liegen, und diese waren nunmehr und
späterhin unaufhörlich zwischen Kolberg und Memel unterwegs; bald mit
Kriegsgefangenen, deren wir uns dorthin entledigten, bald auch wohl nur
mit einem einzigen Briefe, wenn es eine besonders wichtige Angelegenheit
betraf. Für eine jede solche Fahrt, die jezuweilen, bei günstigem Winde,
in fünf bis sechs Tagen hin und zurück getan wurde, ward dem Eigentümer
die Last mit acht bis neun Talern bezahlt und Proviant für drei Wochen
unentgeltlich mitgegeben. Es wurden auf solche Weise zweiundsiebzigtausend
Taler verdient.

Und nun rückten allmählich auch unsre Wünsche der Erfüllung immer näher.
Am 26. April erschienen zwei jener Schiffe auf der Reede, welche das
zweite pommersche Reservebataillon, siebenhundert Köpfe stark, in Memel
eingeschifft hatten und unsrer Besatzung als willkommene Verstärkung
zuführten. Unser war also keineswegs vergessen worden, sondern es
geschah zur Hilfe für unser Bedrängnis, was die Not des Augenblicks
zuließ. Als die Truppen des nächsten Tages ans Land gesetzt wurden,
erschien auch von der andern Seite her ein Schiff von Schwedisch-Pommern
mit einer guten Anzahl Ranzionierter, welche der dorthin abgeschickte
Hauptmann v. Bülow in Stralsund gesammelt und organisiert hatte. Und
wahrlich! solcher ermunternden Erscheinungen bedurften wir auch in
diesem Augenblicke mehr als jemals, da eben kurz zuvor (den 25. April)
die sichere Kunde bei uns eingegangen war, daß das längst erwartete
schwere Belagerungsgeschütz im feindlichen Lager eingetroffen sei. Jetzt
erst drohte also der Kampf um Kolbergs Besitz seinen vollen Ernst zu
gewinnen!

Diesen Ernst zeigten die Franzosen ihrerseits sofort am 29. April auch
dadurch, daß sie unter dem Schutze der Hohen-Bergschanze, halben Weges
von dort gegen die Stadt, eine Schanze aufwarfen, und ebenso eine
zweite, in der Richtung von Bullenwinkel her, zu errichten begannen. Sie
in dieser Nähe zu dulden, wäre hochgefährlich gewesen; allein es schien
nicht, als ob unser, nach beiden Punkten hin gerichtetes Geschütz die
Arbeiten sonderlich hinderte. Da nun zu jeder kräftigeren Maßregel
Loucadou der Mann nicht war, und ich auch mir mit ihm nichts zu schaffen
machen wollte, so eilte ich, den Vizekommandanten aufzusuchen und ihm
meine neuen Besorgnisse ans Herz zu legen.

In der Stadt fand ich meinen Mann nicht, aber es wurde mir gesagt, er
befinde sich wegen eines von Danzig angekommenen Schiffes am Hafen, und
ich war im Begriff, ihm dahin zu folgen, als er mir bereits auf der
Brücke des Münder-Tores begegnete. Neben ihm ging ein Mann, den ich
nicht kannte, und der mit dem Schiffe gekommen zu sein schien. Dieser
Fremde, ein junger rüstiger Mann von edler Haltung, gefiel mir auf den
ersten Blick, ohne daß ich wußte warum? Da indes mein Anbringen an den
Vizekommandanten eilig war, zog ich ihn bei der Hand etwas abwärts, um
es ihm, des fremden Mannes wegen, ins Ohr zu flüstern. Waldenfels aber
lächelte zu meiner Vorsicht und sagte: »Kommen Sie nur, in meinem
Quartier wird ein bequemerer Ort dazu sein.«

Als wir dort angekommen und unter sechs Augen waren, wandte sich der
Hauptmann zu mir mit den Worten: »Freuen Sie sich, alter Freund! Dieser
Herr hier -- Major von Gneisenau -- ist der neue Kommandant, den uns der
König geschickt hat«; -- und zu seinem Gaste: »Dies ist der alte
Nettelbeck!« -- Ein freudiges Erschrecken fuhr mir durch alle Glieder
und die Tränen stürzten mir aus den alten Augen. Zugleich zitterten mir
die Knie, ich fiel vor unserm neuen Schutzgeiste nieder, umklammerte ihn
und rief aus: »Ich bitte Sie um Gotteswillen, verlassen Sie uns nicht;
_wir_ wollen Sie auch nicht verlassen, solange wir noch einen warmen
Blutstropfen in uns haben, sollten auch all unsre Häuser zu Schutthaufen
werden! So denke ich nicht allein, in uns allen lebt nur ein Sinn und
Gedanke: Die Stadt darf und soll dem Feinde nicht übergeben werden!«

Der Kommandant hob mich freundlich auf und tröstete mich: »Nein, Kinder!
Ich werde euch nicht verlassen. Gott wird uns helfen!« -- Und nun wurden
sofort einige Angelegenheiten besprochen, die wesentlich zur Sache
gehörten, und wobei sich sofort der helle umfassende Blick unsres neuen
Befehlshabers zutage legte, so daß mein Herz in Freude und Jubel
schwamm. Dann wandte er sich zu mir und sagte: »Noch kennt mich hier
niemand. Sie gehen mit mir auf die Wälle, daß ich mich etwas
orientiere.« -- Das geschah. Ich führte ihn auf dem Wall und den
Bastionen herum und zeigte ihm von hier aus die feindlichen Stellungen
und Schanzen. Was auf den Wällen war und vorging, sah er selbst. Zuletzt
kamen wir auch an die Inundationsschleuse. Ich zeigte ihm den ganzen
Zusammenhang und Umfang dieser Einrichtung, und wieviel dadurch noch für
die Sicherstellung des Platzes geschehen könne: denn was bis jetzt
dadurch bewirkt worden, war meist heimlich von mir geschehen, weil der
Einspruch der Grundeigentümer bisher nicht zu besiegen gewesen war.
Jetzt aber sah ich mir freiere Hand gegeben, und ward sogar förmlich
beauftragt, mich dieses Geschäfts mit besonderer Sorgfalt anzunehmen.

Gleich des nächsten Tages stellte der neue Kommandant sich selbst, auf
der Bastion Preußen, der Garnison als ihren jetzigen Anführer vor, und
diese Feierlichkeit begleitete er mit einer Anrede, die so eindrucksvoll
und rührend war, wie wenn ein guter Vater mit seinen lieben Kindern
spräche. Alles ward auch dadurch dergestalt erschüttert, daß die alten
bärtigen Krieger wie die Kinder weinten und mit schluchzender Stimme
ausriefen: Sie wollten mit ihm für König und Vaterland leben und
sterben. Darauf machte er sie mit den Grundsätzen bekannt, nach welchen
er sie befehligen werde, wessen sie sich von ihm zu versehen hätten, und
was er von ihnen erwarte. Tausend Stimmen jauchzten ihm im freudigen
Tumult entgegen.

Am 1. Mai ließ er sich zunächst die Zivilbehörden und
Bürgerrepräsentanten vorstellen, hielt auch an uns eine nachdrucksvolle
Rede, worin er uns verschiedene zweckmäßige Anordnungen vorschlug, und
wodurch ihm aller Herzen so gewonnen wurden, daß sie begeistert und mit
Handschlag erklärten, sie wollten Leben und Vermögen willig in seine
Hände legen. -- Und fürwahr, ein neues Leben und ein neuer Geist kam
nunmehr, wie vom Himmel herab, in alles, was um und mit uns vorging.

In welcherlei Weise das erste Zusammentreffen des alten und des neuen
Kommandanten stattgefunden, davon konnte freilich im Publikum nichts
Gewisses verlauten, nur ließ sich voraussetzen, daß der edle Sinn des
Neuangekommenen seinem Vorgänger jedes unangenehme Gefühl, das in dieser
Veränderung lag, nach Möglichkeit erspart haben werde. Zwar wohnte er
die ersten paar Tage noch mit Loucadou in dem nämlichen Hause, aber ohne
weitere Gemeinschaft mit ihm zu pflegen. Auch blieb letzterer noch die
ganze Zeit der Belagerung hindurch in Kolberg; doch ohne weiter
öffentlich zum Vorschein zu kommen, und die Spötter meinten, er habe
diese Zeit benutzt, um nun ruhig auszuschlafen. Des Königs Gnade hatte
ihn übrigens seines Dienstes mit dem Charakter als Generalmajor und mit
einer hinlänglichen Pension entlassen. Er setzte sich alsdann in Köslin
zur Ruhe und ist dort einige Jahre nachher gestorben.

       *       *       *       *       *

Da der Feind fortfuhr, an der neuen Schanze am Sandwege mit
angestrengtem Eifer zu arbeiten, so hatte unser neuer Kommandant gleich
in der nächsten Nacht einen Ausfall gegen diese angeordnet, der von
einem Trupp Grenadiere und Jäger, etwa hundert Mann stark, in
möglichster Stille, von der Lauenburger Vorstadt aus, unternommen wurde.
Ich schloß mich dem Zuge mit zwei in der Vorstadt aufgegriffenen Wagen
an, um erforderlichenfalls unsre Toten und Verwundeten aufnehmen zu
können. Die Überrumpelung erfolgte mit gefälltem Bajonett im
Sturmschritt, und es lag nur daran, daß die Schanze noch nicht
geschlossen war, wenn es der darin befindlichen Besatzung gelang, bis
auf wenige Gefangene, zu entkommen. Wir selbst hatten ebensowenig
Verlust, erbeuteten aber vieles Arbeitszeug, welches, nachdem es dazu
benutzt worden, um den Aufwurf möglichst wieder zu zerstören, auf meine
Wagen geladen und in die Festung geschafft wurde.

Unter unsern Gefangenen befand sich ein Mensch, den anfänglich niemand
in seinem veränderten Rocke erkannte, bis ich mich endlich auf seine
Gesichtszüge besann. Es war der nämliche Unteroffizier Reischard, der
vor etwa sechs Wochen, als eines heimlichen Einverständnisses höchst
verdächtig, zum Feinde übergelaufen war. Ich muß gestehen, daß mir wegen
dieses ehrlosen Buben seither nicht wenig bange gewesen war. Er kannte
jeden Zugang zu unsrer Festung und verstand einiges vom
Fortifikationswesen, daher er nicht nur bei uns zu dergleichen Arbeiten
gebraucht worden war, sondern auch, als besonders ortskundig, jetzt bei
den Franzosen die Aufsicht bei Erbauung dieser Schanze am Sandwege
geführt hatte.

Der plötzliche Anblick des Verräters setzte mich in Wut. Ich schrie den
Grenadieren zu, sie sollten den Schändlichen wie einen tollen Hund
niederstoßen, und erzürnte mich noch heftiger, als sie mir dies
verweigerten, weil sie ihm einmal Pardon gegeben. Jetzt wollte ich
selbst ihm ans Leben, und griff hier und dort hin nach einem Bajonett,
das mir aber mit Glimpf vorenthalten wurde. Ich mußte es mit ansehen,
daß man ihn lebendig zur Stadt brachte. Je unwerter er mir aber
erschien, daß ihn die Erde trüge, desto eifriger waren nun auch meine
Vorstellungen bei dem Kommandanten, dem Bösewichte seinen verdienten
Lohn am Galgen auszuwirken und ihn zu einem abschreckenden Beispiele für
alle seinesgleichen zu machen. Allein auch hier überwog das menschliche
Gefühl die strenge Gerechtigkeit. Von einem mitleidigeren Gesichtspunkte
ausgehend, begnügte sich sein edler Richter, ihn zur Kettenstrafe und
Aufbewahrung im Stockhause zu verurteilen. Dort blieb er noch vier oder
fünf Jahre gefangen, worauf man ihn lausen ließ; und noch diese Stunde
bettelt er in der Gegend umher.

       *       *       *       *       *

Je enger die Stadt seither eingeschlossen worden, um so weniger blieb
auch der Kavallerie des Schillschen Korps der erforderliche Spielraum,
sich mit der sonst gewohnten Tätigkeit zu tummeln. Loucadou, dem
überhaupt das ganze Korps ein Dorn im Auge war, hatte schon früher auf
die Entfernung jener Reiterei, nach Schills Abzuge, gedrungen; und diese
hatte auch einen Versuch gemacht, sich nach Preußen durchzuschlagen. Da
jedoch alle Möglichkeit dazu verschwand, war sie aus der Gegend von
Stolpe wieder nach Kolberg zurückgekehrt und zehrte sich nun in sich
selber auf. So fand es denn Gneisenau am angemessensten, den Rest dieses
Korps, der etwa noch 130 Mann betrug, zu Schiff nach Schwedisch-Pommern
überführen zu lassen, wo es aufs neue in Wirksamkeit treten konnte. Die
nämlichen höheren Befehle, welche ihn dazu bestimmten, hatten auch den
Abzug der übrigen Schillschen Truppen angeordnet; allein der Kommandant
selbst sowohl, als die Bürgerschaft, hatten sich zu lebendig von ihrem
Nutzen überzeugt, um nicht gegen diese neue Bestimmung gemeinschaftlich
einzukommen. Sie blieben also noch und behaupteten ihren Posten nach wie
vor in der Maikuhle. Ohnehin hatten die Operationen des schwedischen
Korps in Vorpommern seither eine minder günstige Wendung genommen.
Anstatt über Swinemünde und Wollin unsern Belagerern in den Rücken zu
fallen und uns Luft zu machen, waren diese unsre Verbündeten wieder bis
unter die Kanonen von Stralsund zurückgedrängt worden, und wir sahen
nunmehr jede in sie gesetzte Hoffnung verschwunden.

       *       *       *       *       *

Als einiger Ersatz jedoch für diese schmerzlich empfundene Vereitelung
erschien in diesen Tagen eine schwedische Fregatte von sechsundvierzig
Kanonen, »der Fährmann« genannt, und legte sich auf unsrer Reede vor
Anker. Sie war angewiesen, uns in unsrer Verteidigung von der Seeseite
zu unterstützen. Dies tat sie in der Folge auch wirklich, indem sie die
Arbeiten des Feindes an der Ostseite in seiner rechten Flanke
beunruhigte und aufhielt. Sie würde dies wirksamer vermocht haben, wenn
entweder der Wind zu allen Zeiten ermöglicht hätte, sich dem Strande
genugsam zu nähern, oder wenn ihr Feuer weiter landeinwärts getragen
hätte. Überhaupt war sie zu groß und ging zu tief, um an dieser Küste
von gleichem Nutzen zu sein, wie eine ungleich kleinere englische Brigg
von achtzehn Kanonen, die sich ihr nach einiger Zeit zugesellte und mit
ihr gemeinschaftlich manövrierte.

Anderweitige dankenswerte Hilfe kam uns am 7. Mai durch ein Schiff von
Königsberg, welches uns das dritte neumärkische Reservebataillon, zur
Ergänzung der Besatzungstruppen, herbeiführte, sowie schon kurz zuvor
vierhundertsechzig Ranzionierte, die in Vorpommern wieder bewaffnet
worden, auf schwedischen Schiffen anlangten. Die Garnison wurde durch
dies alles auf eine Zahl von sechstausend dienstfähigen Köpfen gebracht,
und hat auch diesen Belauf nie überschritten; wogegen mit Sicherheit
anzunehmen ist, daß gegen das Ende der Belagerung zwanzig- bis
vierundzwanzigtausend Franzosen vor unserm Platze unter den Waffen
standen. Die Desertion unter unsern Truppen war im ganzen gering; nur im
Anfange gingen besonders mehrere Polen zum Feinde über. Dagegen fanden
sich wenigstens ebensoviele, wenn nicht noch mehr Ausreißer, zumal von
den deutschen Bundestruppen, bei unsern Vorposten ein.

       *       *       *       *       *

Zunächst beschränkten sich fortan die Feindseligkeiten auf
Vorpostengefechte und auf einzelne Granatenwürfe, besonders von der
Altstadt her. Noch am 7. Mai zündete eine der letzteren in einem Hause,
auf dessen Hofe wir eine Batterie gegen jene Vorstadt errichtet hatten.
Es ging dadurch das erste während dieser Belagerung durch feindliches
Geschütz verursachte Feuer auf, das unsre recht guten Löschanstalten
dennoch erst zu unterdrücken vermochten, nachdem es noch einige
Hintergebäude ergriffen und verzehrt hatte. Sobald der Feind die Wirkung
jenes Wurfes bemerkte, unterließ er nicht, zur Verhinderung des
Löschens, immer noch mehr Schüsse nach diesem Punkte zu richten, so daß
bis spät in die Nacht vierundachtzig geworfene und geplatzte Granaten
gezählt wurden. Unsre Artillerie beantwortete sie mit einer mehr als
doppelten Anzahl von Schüssen. Am 15. Mai gelangte die schwedische
Fregatte zum erstenmal zu einiger Tätigkeit, indem sie dem Feinde, der
sich nördlich am Stadtwalde zeigte, zweiundvierzig Kugeln zuschickte.

Daß indes die Untätigkeit der Belagerer nur scheinbar war und neue
wichtigere Entwürfe von ihnen vorbereitet wurden, ging genugsam aus den
lebhaften Bewegungen hervor, welche von Zeit zu Zeit in ihren Stellungen
bemerkt wurden. Das Hauptquartier des Generals Teullié, welcher nach dem
Abgange des Marschalls Mortier zur großen Armee den Oberbefehl wieder
übernahm, war näher von Zernin nach Tramm verlegt worden, wohin große
Züge beladener Wagen von Treptow ihre Richtung nahmen. Faschinen wurden
nach allen Seiten hin gefahren; man erblickte häufig die feindlichen
Offiziere auf Rekognoszierungen begriffen, und von Tramm aus ward
Geschütz von großem Kaliber in die Verschanzungen geführt.

Um diese Bewegungen noch genauer zu beobachten, verlangte der Kommandant
einen Bürger, der des Terrains um die Stadt vollkommen kundig wäre und
auch einige militärische Kenntnisse besäße, und hatte die Absicht,
denselben auf den großen Kirchturm zu postieren. Ich schlug hierzu den
Brauer Roland vor, welcher sich auch gern willig finden ließ und von
seinen gemachten Bemerkungen, nach Erfordernis, Bericht abstattete;
während der Schiffer Busch es übernahm, von dort aus ein gleich
wachsames Auge auf den Hafen und die See zu haben und gleichfalls
Meldungen zu machen. Zu dem Ende brachte ich an dem Turme eine Winde mit
einem Kästchen an, worin Fragen und Antworten auf und nieder befördert
wurden, und eine Schildwache unten erhielt die Maschine im Gange. Bald
blieb dieser Posten nicht ohne Gefahr, da der Feind jene Späher gewahr
geworden war und nun häufig die Turmspitze zum Zielpunkte seiner
Artillerie machte.

Endlich am 17. Mai geschahen von der Schanze auf dem Hohen-Berge die
ersten sieben Probeschüsse aus dem dort aufgeführten schweren
Wurfgeschütze. Trotz der ansehnlichen Entfernung verfehlten diese Bomben
ihres Zieles nicht, denn eine derselben tötete einen Grenadier mitten in
der Stadt vor der Hauptwache. Die Wirksamkeit des nunmehr zu erwartenden
Bombardements stand uns also klar vor Augen.

Allein Schlimmeres noch, als wir ahnten, stand uns von des Feindes
Tätigkeit bereits in der nächsten Nacht auf den 18. Mai bevor, indem er
die Schanze auf dem Wolfsberge überfiel und stürmte. Die Gegenwehr der
Unsrigen, so brav sie war, blieb dennoch der Überzahl und dem
wohlgeleiteten Angriffe nicht gewachsen. Ein Teil fiel, ein Teil ward
gefangen und das Außenwerk ging verloren! Auf jede Weise aber war
dieser Verlust zu bedeutend und der Nachteil, wenn ein so wichtiger
Punkt in Feindes Händen bleiben sollte, zu empfindlich, als daß unser
Kommandant nicht schnell und mit Anstrengung jeder Kraft darauf gesonnen
hätte, sich wiederum Meister davon zu machen. Die größere Hälfte der
Besatzung ward aufgeboten, in Kolonnen gebildet und zum Angriffe
geführt. Einem solchen Anfalle widerstanden die Franzosen ebensowenig.
Die Schanze kam wieder in unsre Hände. Gewiß war der feindliche Verlust
an Toten und Verwundeten nicht geringer als der unsrige, der sich auf
hundertsechzig Mann belief. Fortan aber ward dieser so blutig behauptete
Posten mit dreihundert Grenadieren und sechs Kanonen besetzt.

Warum die Belagerer jenen Überfall versucht hatten, offenbarte sich
gleich am nächsten Tage, wo sie anfingen, einen Damm vor dem Stadtwalde
aufzuwerfen, der sie durch die Sümpfe hindurch der Festung näher führen
sollte. Sie hatten gefürchtet, daß ihnen bei dieser Arbeit das Feuer der
Wolfsschanze in der Seite sehr lästig werden könnte, wie denn dies heute
auch wirklich geschah. Zwar versuchten sie unser Geschütz durch eine
Menge Granaten zum Schweigen zu bringen; allein die Entfernung war nicht
gut berechnet, indem diese Granaten schon halben Weges niederfielen und
zerplatzten.

       *       *       *       *       *

Am 19. Mai geleitete jene englische Brigg, deren bereits Erwähnung
geschehen, drei Schiffe ihrer Nation in unsern Hafen, deren Erscheinung
wir schon längst mit heißer Sehnsucht erwarteten. Es war stürmisches
Wetter, als ihre Segel am Horizonte sichtbar wurden. Sie kreuzten hin
und wieder und taten verschiedene Signalschüsse, ebensowohl um die
nötigen Lotsen zu erlangen, als um zu erfahren, ob sie mit Sicherheit in
den Hafen einlaufen, oder wo sie sonst vor Anker gehen könnten. Diese
Signalschüsse hörte ich in der Stadt, warf mich zu Pferde und eilte nach
der Münde, um zu erfahren, was vorginge. Dort fand ich bereits Hunderte
von Menschen, welche zusammengelaufen waren, sich an dem willkommenen
Anblicke zu ergötzen.

»Gut und schön, Kinder, daß sie endlich da sind,« erwiderte ich einigen,
die am lautesten jubelten. »Allein woran liegt's, daß die Lotsen noch
nicht in See sind, sie hier vor Anker zu bringen?« Einige Schiffer,
denen ich diese Frage zunächst wiederholte, zuckten die Schultern,
wiesen auf die hohe See und die schäumende Brandung hinaus, und
versicherten: es sei nicht möglich, daß ein Boot sich in solchem Wetter
hinauswagen könnte. »Möglich oder nicht!« rief ich mit Feuer. »Es muß
versucht werden! Allein ich sehe auch nicht einmal, daß das Ding so gar
halsbrechend wäre. Ich will selbst hinfahren.« Zugleich drang ich in
einen Kreis von Seefahrern ein, die mir zur Linken standen; ergriff die
ersten Besten an den Händen und sagte: »Ich weiß, daß ihr brave Kerls
seid -- kommt, wir wollen zu den Engländern an Bord!«

Wirklich auch schöpften einige gleich Mut. Wir eilten nach dem
Lotsenboote und stiegen ein. Indem ich mich so selbst besah, nahm ich
wahr, daß ich nur mit einer kurzen Reitjacke bekleidet war, und wünschte
etwas Tüchtigeres auf den Leib zu ziehen. Neben mir stand der
Superintendent Baarz, mit einem Überrocke angetan. Den bat ich, mir
damit auszuhelfen. Er warf ihn mir freudig zu; ich trat ans Steuer, und
wir schaukelten uns gleich darauf auf den Wellen, die es freilich etwas
unfreundlich mit uns meinten. Dennoch kamen wir wohlbehalten von einem
Schiffe zum andern; erteilten jede nötige Auskunft, brachten die Brigg
vor dem Hafen zu Anker und die Konvoi vollends hinein in Sicherheit. Das
getan, ließ ich mir von ihnen allen ein Verzeichnis ihrer mitgebrachten
Ladung behändigen und sprengte im Fluge nach der Stadt zurück, dem
Kommandanten meinen freudigen Bericht zu erstatten.

Diese Ladungen waren ein Geschenk der englischen Regierung für die
dringendsten Bedürfnisse der Festung, und eine Wirkung der unermüdlichen
Begebungen, womit der brave Schill, auch aus der Ferne, für unsre
Erhaltung sorgte. Er hatte nämlich schon in früherer Zeit einen seiner
Offiziere nach London abgeschickt, um die englische Nation um so
mancherlei, was uns zur Verteidigung fehlte, anzusprechen. Diese
Anforderungen an die britische Großmut blieben um so weniger unbeachtet,
als es die Bekämpfung des gemeinschaftlichen Feindes galt. In
schnellster Eile, wie es die Umstände erheischten, ward daher durch
Absendung jener Schiffe für uns gesorgt, indem sie uns Kriegsbedürfnisse
der mannigfaltigsten Art, Munition und Montierungen zuführten.

Während nun die Belagerer, insonderheit in der Gegend des Wolfsberges,
die Errichtung von Dämmen und Schanzen fortsetzten, benutzte sogleich am
20. Mai die angekommene englische Brigg, in Verbindung mit der
schwedischen Fregatte, eine günstige Witterung, um sich ihnen am
Oststrande gegenüberzulegen und sie dort mit Heftigkeit zu beschießen.
Ein Gleiches geschah unter ähnlichen Umständen auch am 26., und vom
Turme herab ließ sich deutlich wahrnehmen, wie mörderisch ihr Geschütz
gewirkt haben mußte, da eine Menge Toter und Verwundeter hinweggetragen
oder gefahren wurde.

       *       *       *       *       *

Des Feindes bewundernswürdige Tätigkeit hatte am Ende des Maimonats, an
der Ost- wie an der Westseite der Festung -- _dort_ bis hart an den
Strand, um sich gegen die Angriffe von der Seeseite besser zu schützen,
_hier_ bis über Sellnow hinaus -- in einem großen Halbmonde umher nicht
weniger als fünfundzwanzig große und kleine Schanzen, Batterien und
Fleschen zustande gebracht und untereinander in Verbindung gesetzt;
hatte künstliche Dämme auf mehr als einem Punkte begonnen und die
Laufgräben an verschiedenen Orten, zunächst aber gegen die
Wolfsbergschanze, eröffnet.

Unserseits bot man die größte Wachsamkeit auf, unsern Gegnern jeden
kleinen Vorteil, um den sie rangen, aufs hartnäckigste streitig zu
machen. Die Überschwemmungen wurden nach und nach in ihrem weitesten
Umfange ins Werk gerichtet, und dienten trefflich dazu, uns den Feind in
einer ehrerbietigen Ferne zu halten und die Fortführung seiner
Laufgräben, wenn er sie nicht voll Wasser haben wollte, zu zügeln.
Fragte mich der Kommandant: »Wie steht's, Nettelbeck? Können wir nicht
_noch_ einen halben Fuß höher stauen?« so fehlte es nicht an einem
bereitwilligen: »Ei nun, wir wollen sehen!« und ich sorgte und künstelte
so lange, bis ich den Wasserstand noch um so viel höher brachte. Die
meiste Not machte mir der Müller Fischer, der stets mehr Wasser
verbrauchte, als mir lieb war, bis ich mich endlich genötigt sah, ihm
vier starke eiserne Bolzen über den Aufzugsschützen in solcher Höhe
einzuschlagen, als ihm ohne Nachteil für die Inundationen eingeräumt
werden konnte.

Noch zwar konnte die fast tägliche und oft ziemlich lebhafte Beschießung
der Stadt für kein eigentliches Bombardement gelten, aber doch führte
sie den Ruin gar vieler Häuser herbei und die Beispiele von aufgehenden
Brandflammen, sowie von verunglückten oder entsetzlich verstümmelten
Menschen in Häusern und auf den Gassen wurden immer häufiger. Man durfte
sich nirgends mehr in den Wohnungen und im Freien für ganz sicher
halten; und je mehr Gebäude durch Bomben und Granaten unwohnlich gemacht
worden waren, um so höher stieg auch die Zahl der Unglücklichen, denen
es an Obdach, wie an Mitteln zum Unterhalte fehlte. Schon zu Anfang
April hatte Loucadou einige, wiewohl unzureichende Veranstaltungen
getroffen, eine Anzahl unnützer Menschen, Arme und die für ihren
Unterhalt auf keine Weise sorgen konnten, aus der Festung und auf Booten
nach Rügenwalde zu schaffen; aber noch immer waren viel zu viel Leute
dieser Art vorhanden, die dem Ganzen zur Last fielen und denen des
Kommandanten Menschenfreundlichkeit ihr unglückliches Los durch eine
gezwungene Auswanderung nicht noch mehr erschweren mochte.

Diese bedauernswerten Menschen irrten nun häufig in den Straßen umher,
während die feindlichen Kugeln immerdar über ihren Köpfen wegzogen, und
alte Männer und Frauen, Kinder, Verlassene und Kranke füllten die Luft
mit ihrem Geschrei und Wimmern. Mich jammerte dies Elend, und ich ging
zu Gneisenau, ihn aufmerksam darauf zu machen. Mein Vorschlag zu
einstweiliger Unterbringung dieses Menschenhäufleins fand auch sofort
das freundlichste Gehör. Es gab nämlich eine Kasematte unter dem Walle,
links des Stockhauses, worin zwar einige Gefangene aufbehalten wurden,
die aber leicht im Stockhause selbst untergebracht werden konnten. Froh
über die Erlaubnis, meine irrenden Schäflein in diese sichere Zuflucht
einweisen zu dürfen, mußte ich nun zunächst bemüht sein, diesen
Aufenthalt von einem mit nichts zu vergleichenden Schmutz zu säubern und
zu einem erträglich gesunden Wohnorte für Menschen wieder herzustellen.
Dies geschah, indem ich die feuerfeste Kasematte mit zwei Schock Stroh
anfüllen und dieses anzünden ließ, so daß Wände und Gewölbe rein
ausgeglüht wurden und die dumpfe Feuchtigkeit sich verzehrte. In diese
schwarze Höhle konnten nunmehr gegen zweihundert Heimlose aller Art und
Geschlechts einquartiert werden; und bis zum Ende der Belagerung
begehrte auch kein einziger von dannen zu weichen.

       *       *       *       *       *

Eine andre Not tat sich uns auf in dem Mangel klingender Scheidemünze,
wodurch der tägliche Verkehr, besonders des gemeinen Soldaten mit der
Bürgerschaft, sehr erschwert und die regelmäßige Zahlung der Löhnungen
beinahe unmöglich gemacht wurde. Das Gouvernement, nachdem es die Bürger
vergeblich zu einer baren Anleihe aufgefordert (wozu zwar die Armen ihr
Scherflein willig darbrachten, während die großen Kapitalisten dermalen
nicht zu Hause waren), dachte auf einige Abhilfe durch Einführung einer
eignen Not- und Belagerungsmünze, wozu das Metall einer zersprungenen
großen metallenen Kanone angewandt werden sollte. Allein es verstand
sich niemand in der Stadt aufs Prägen, und es war auch nicht die
geringste Vorrichtung dazu vorhanden. Da erinnerte ich mich, daß ich
vormals im holländischen Amerika eine Art von Papiergeld, zur
Erleichterung des kleinen Verkehrs unter den Pflanzern, im Gange
gefunden hatte; und ich fand es zweckmäßig, die Einführung ähnlicher,
obrigkeitlich gestempelter Münzzettel zu einem bestimmten Werte zu
empfehlen. Der Vorschlag wurde beachtet und durch eine aus
Seglerhaus-Verwandten und Bürger-Repräsentanten zusammengesetzte
Kommission wirklich ausgeführt. Die Billets, von zwei, vier und acht
Groschen im Werte, und auf der Rückseite durch den Stempel des
königlichen Gouvernementssiegels autorisiert, fanden willigen Eingang,
wurden in der Folge eingelöst und viele, als Denkzeichen der
überstandenen Drangsale, innebehalten oder, selbst über ihren Nennwert,
als Seltenheiten an zu uns hereingekommene sächsische Offiziere und
andre Fremde verkauft.

Vom 5. Juni an ward es immer unverkennbarer, daß dem Wolfsberge ein
regelmäßiger Angriff drohte, indem die feindlichen Laufgräben sich
diesem Außenwerke allnächtlich mehr zu nähern suchten. Schon mit dem
Abend dieses Tages begann diese fortgesetzte Arbeit mit einem solchen
Eifer, daß unserseits die volle Kraft aufgeboten werden mußte, dies
Vorrücken zu verhindern. Es kam daher von allen Werken und Schanzen im
Bereich jenes Postens zu einer gegenseitigen Kanonade, welche die ganze
Nacht durch anhielt, stärker war, als wir sie in aller Zeit bisher
gehört hatten, und sowohl uns als dem Feinde viele Menschen kostete.

Dennoch schien man französischerseits nur die Vollendung einer neuen,
uns ziemlich auf den Leib gerückten Batterie am sogenannten »Hasenwied«
erwartet zu haben (welche, trotz dem schrecklichsten Regenwetter, am 10.
Juni zustandekam), als auch sofort in aller Frühe des nächsten Morgens
das gefürchtete Ungewitter gegen die Wolfsschanze wirklich losbrach. In
Zeit von einer Stunde zählte man dreihunderteinundsechzig Schüsse, die
gegen diesen einzigen Punkt gerichtet waren. Dann aber begannen auch
alle übrigen Batterien der Reihe nach, bis zur Altstadt hinauf, ein
mörderisches Kanonen- und Bombenfeuer gegen die Stadt und ihre Wälle
auszusprühen. Überall regnete es Kugeln und Granaten; Schaden und
Unglück waren beträchtlich. Dreimal schlug das Feuer vormittags und
einmal nachmittags in lichten Flammen bei uns auf, die jedoch immer bald
wieder unterdrückt wurden. Bei diesem Ernste des Feindes wurden denn
auch neue Maßregeln der Vorsicht nötig, und durch Trommelschlag erging
der Befehl an die Hausbesitzer, vor den Türen und auf den Böden gefüllte
Wasserfässer zum Löschen bereit zu halten.

Indem nun die Belagerer uns auf solche Weise zu tun gaben, erreichten
sie ihre Absicht, uns, wiewohl wir unaufhörlich mit Kanonenkugeln in
ihre Kolonnen schossen, eine kräftigere Unterstützung der Wolfsschanze
zu wehren. Die Besatzung mußte ihrer eignen Tapferkeit und dem freilich
nicht zureichenden Schutze der schwedischen Fregatte, welche sich dem
Strande wieder nähergelegt hatte, überlassen bleiben. Bis um fünf Uhr
nachmittags hielt sie sich mit rühmlicher Entschlossenheit, dann aber
waren ihre Verteidigungsmittel erschöpft, und mit harter Betrübnis sahen
wir sie die weiße Fahne aufstecken, nachdem bereits eine starke Bresche
geschossen worden und der Ausgang eines Sturmes nicht mehr zweifelhaft
war. Ein fünfzehnstündiger Waffenstillstand und demnächst eine
Kapitulation für dies Werk ward abgeschlossen, vermöge deren dasselbe
dem Feinde eingeräumt werden sollte, die preußische Besatzung aber,
zusamt ihrem Geschütze, freien Abzug in die Festung erhielt.

       *       *       *       *       *

Der Verlust dieses Postens konnte von entscheidenden Folgen für unser
Schicksal werden, weshalb der Kommandant für notwendig hielt,
schleunigst Bericht an den König zu erstatten. Der Schiffer Stechow lag
eben auf der Reede zum Absegeln nach Memel fertig, und ich erhielt den
Auftrag, seine Abfahrt so lange zu verzögern, bis die neuen Depeschen
für ihn fertig geworden. Als ich mich eben auf dem Rückwege zur Stadt
befand, erhob sich mir zur Seite plötzlich ein furchtbares Kanonen- und
Bombenfeuer von unsern Wällen herab, das sämtlich gegen die kaum
verlassene Wolfsschanze gerichtet war, und wenige Minuten später ward es
auch aus den feindlichen Werken jener Gegend mit einem Ungestüm
erwidert, daß mir Hören und Sehen verging und ich mich wacker zu sputen
hatte, um nicht in die Schußlinie zu geraten. Der Erdboden unter mir
bebte und die Schüsse fielen mit einer Schnelle, daß sie kaum mehr zu
zählen waren.

Was konnte dies zu bedeuten haben? War doch bis zum nächsten Morgen ein
Waffenstillstand in Kraft! -- Doch eben _diesen_ hatte der Feind, wie ich
nun erst vom Kommandanten erfuhr, gebrochen, indem er die Ausbesserung
der eroberten Schanze begonnen und darin durch unser Geschütz hatte
gestört werden müssen. Mich selbst erwartete daheim ein unlieblicher
Anblick. Eine Bombe war in der Nähe meines Hauses niedergefahren und
beim Zerspringen derselben nicht nur meine Haustür in Trümmer gegangen,
sondern auch dicht dahinter auf der Flur eine Bauersfrau getötet worden.

Indes fuhren die Belagerer fort, sich in der Wolfsschanze immer fester
zu setzen, ja sie gänzlich umzuwandeln und Schießscharten nach unsrer
Seite hin zu eröffnen, während sie sich auch andrer Orten in ihren
Schanzarbeiten nicht minder fleißig erwiesen. Sie unterstützten diese
Operationen durch ein anhaltendes Feuer auf unsre Wälle, die denn auch
nicht säumig waren, diese Grüße nach Kräften zu erwidern.

Was wir an Kanonen und Mörsern besaßen, war reiner Ausschuß und das
Eisen von einer so spröden Gußmasse, daß gewöhnlich nach neun oder zehn
schnellen Schüssen das Springen des Stückes befürchtet werden mußte.
Wirklich traf nur zu viele derselben dies Schicksal, welches zugleich
einer größeren Menge von Artilleristen auf den Wällen das Leben kostete,
als durch feindliche Kugeln hingerafft wurden.

       *       *       *       *       *

Wenn aber der zunehmende Mangel an brauchbaren Stücken uns mit banger
Sorge erfüllte, so mag man sich unsre freudige Überraschung vorstellen,
als am 14. Juni die Meldung einging, daß ein englisches Schiff sich der
Reede nähere, welches uns eine Anzahl neuen Geschützes samt dazu
gehöriger Munition zuführe. Doch ebenso schnell ward uns diese Freude
wieder getrübt durch den Zusatz: das Schiff sei in dem stürmischen
Wetter unter den Wind geraten und habe die Reede nicht mehr gewinnen
können, sondern sich ostwärts wenden müssen, wobei es unweit Henkenhagen
der Küste sich zu sehr genähert und nun in Gefahr stehe, entweder zu
stranden und so den Franzosen in die Hände zu fallen oder doch von ihnen
auf Booten geentert zu werden.

Ich flog mehr als ich ging nach der Münde. Dort war es die alte
Geschichte. Viel Mundaufsperrens, viel Fragens, viel Beratens, und
dennoch kein Entschluß. Die Lotsen schoben es auf die stürmische See und
wollten es nicht wagen, sich näher nach dem Schiffe umzusehen; allein es
mochte ihnen, wie ich leicht spürte, wohl mehr vor den Franzosen grauen.
Nun schalt ich, und das nicht wenig! Als aber nichts bei den Memmen
anschlug, fiel mir kein besseres Mittel ein, sie zu beschämen, als mich
auf der Stelle an vier ihrer Weiber zu wenden, die nach hiesigem Brauche
des Ruderns beim Prahmen (d. h. Beladen und Entlasten der Schiffe auf
der Reede) wohlerfahren und handfest sind. »Trine und ihr andern!« rief
ich, »wollt ihr mit?« -- »Flugs und gern, Herr, wenn Er geht!« -- Dann
packte ich noch einen Lotsen am Arme, dem ich noch die meiste Courage
zutraute, zog ihn, gern oder ungern, ins Boot, und heida! ging es auf
Henkenhagen zu.

Freilich ließ es das böse Wetter, nachdem ich glücklich an Bord des
Schiffes gekommen war, noch eine Zeitlang unentschieden, ob ich es gegen
den Wind würde in den Hafen bringen können oder mich begnügen müssen, es
nur weiter in See und den Franzosen aus den Krallen zu entführen.
Endlich gelang mir das erstere dennoch, und das neue Geschütz ward nun
im Triumphe nach der Festung abgeführt. Es waren 45 Kanonen und
Haubitzen, zwar eisern, aber vom schönsten Gusse, meist kurze
Karronaden, sechs-, acht- und zwölfpfündig. Der dazu gehörigen Kugeln
und Granaten war nicht minder eine ansehnliche Menge. Nur eines hätte
uns leicht unsre ganze Freude daran verderben können! _Kanonen_ hatten
unsre Verbündeten uns zwar geschickt, aber nicht die dazu gehörigen
_Lafetten_, für welche es vielleicht an hinreichendem Raume in dem
Fahrzeuge fehlte oder die sonst in der Eile vergessen worden. Man weiß,
wie schlecht wir selbst damit versehen waren, oder was wir etwa noch
vorrätig hatten, paßte nicht zu dem Kaliber. Doch unsre Artilleristen
machten aus der Not eine Tugend und wußten sich zu helfen. Wo die
Schildzapfen für unsre Gestelle zu dünn waren, fütterten sie die Pfannen
so lange mit Lumpen und altem Hutfilze aus, bis die Rohre ein festes
Lager fanden und mit einiger Sicherheit gerichtet werden konnten.

       *       *       *       *       *

Noch hielt der Sturm tosend und unter dem heftigsten Regen an, die Nacht
auf den 15. Juni ward finsterer, als sie in dieser Jahreszeit bei uns zu
sein pflegt, und alles dies begünstigte ein Unternehmen, an welches sich
große Hoffnungen knüpften. Es galt einen Ausfall, der uns die
Wolfsschanze zurückgeben sollte. Das Grenadierbataillon v. Waldenfels,
welches sie sich hatte müssen nehmen lassen, wollte sie auch
wiedergewinnen, und der über alles brave Befehlshaber desselben, zu
diesem nächtlichen Sturme vom Kommandanten ausersehen, setzte sich mit
hohem Enthusiasmus an die Spitze seiner Leute. Ihm von ferne
nachzueifern, konnte ich wohl nicht weniger tun, als nach gewohnter
Weise dem Bataillon mit ein paar Wagen zu folgen und mir die Sorge für
die zu erwartenden zahlreichen Verwundeten angelegen sein zu lassen.

In tiefster Stille zogen wir aus und, uns den feindlichen Posten
nähernd, hatten wir das Glück, fast den Graben unbemerkt zu erreichen.
Jetzt aber ward plötzlich Lärm, das Feuern begann von beiden Seiten,
überall kam es zum Handgemenge und überall floß Blut. Unsre Leute
stürmten wie begeistert, ihnen voran flog ihr edler Führer und war im
raschen Anlaufe der erste auf der Höhe der feindlichen Brustwehr. Indem
er sich umkehrt, um seine Grenadiere aufzumuntern, ihm zu folgen, trifft
ihn eine Flintenkugel in die Schulter, die ihn entseelt zu Boden
streckt. Allein des Führers Fall, anstatt die Seinen zu entmutigen,
steigert ihre Tapferkeit zur Erbitterung; sie dringen unwiderstehlich
nach und die Schanze ist erobert. Ein Oberst, mehrere andre Offiziere
und zwischen zweihundert und dreihundert Franzosen werden zu Gefangenen
gemacht.

Ein noch empfindlicherer Verlust aber traf das Belagerungsheer, indem
sein Anführer, der Divisionsgeneral Teullié, getötet wurde, der darauf
in Tramm sein einstweiliges Begräbnis fand.

Erobert war die Schanze allerdings, hätte sie nur auch länger als wenige
Augenblicke behauptet werden können! Eine neue feindliche Kolonne,
entschlossen, ihres Heerführers Tod zu rächen und des verlorenen Postens
um jeden Preis wieder Herr zu werden, rückte unverzüglich heran. Das
Gefecht begann wiederum und ward bei der überlegenen Zahl der
Angreifenden bald so ungleich, daß keine andre Wahl übrigblieb, als uns
fechtend in die Stadt zurückzuziehen. -- Vorhin und jetzt hatten wir an
Offizieren und Gemeinen mehr als zwanzig Tode und Verwundete gehabt, und
nur mit harter Mühe war mir's gelungen, die letzteren aufzunehmen. Am
Morgen zeigte ich mich, mit einem weißen Tuche an meinen Stock
befestigt, als Parlamentär den feindlichen Vorposten nächst jener
Schanze und bat um die Vergünstigung, unsre noch umherliegenden Toten
aufsammeln zu dürfen. Das bedurfte, wie gewöhnlich, endloser
Formalitäten, doch erreichte ich zuletzt meinen Wunsch, und so brachte
ich unsre tapferen Gefallenen nach der Stadt und zu Grabe.

Wie viel uns jedoch am Besitze der Wolfsschanze gelegen sein müsse, das
stand nicht nur unserm einsichtsvollen Kommandanten und allen
Verständigeren klar vor Augen, sondern auch der große Haufe fühlte es
instinktartig, und es war selbst unter den gemeinen Soldaten von nichts
als von der Notwendigkeit die Rede, die Wolfsschanze um jeden Preis
zurückzugewinnen. Am 19. Juni erklärte das brave Bataillon v. Waldenfels
unaufgefordert und aus eignem Antriebe sich bereit zu einem solchen
Unternehmen. Es habe sich den Posten nehmen lassen und seine Ehre
gebiete ihm, diese Scharte blutig wieder auszuwetzen. Eine gleiche
Forderung ließ das Füsilierbataillon v. Möller an den Befehlshaber
ergehen, weil es bisher noch nie zu einer wichtigeren Gelegenheit ins
Feuer geführt worden. Wer hätte der tapferen Doppelschar nicht freudigen
Beifall zugewinkt? -- Der Ausfall ward beschlossen und noch des
nämlichen Tages vor Abends ins Werk gerichtet, weil man gerade in dieser
Zeit den Feind am unvorbereitetsten zu finden hoffte.

Dieser Ausfall sollte wiederum von der schwedischen Fregatte unterstützt
werden, und da sich's gezeigt hatte, daß diese aus Unkenntnis der Reede
die rechte Stellung zu einem kräftigen Feuer nicht hatte finden können,
so entschloß ich mich gern, an Bord des Schiffes zu gehen und ihm für
diesmal als Pilot zu dienen. Ich führte die Fregatte, soweit es irgend
die Tiefe erlaubte, der feindlichen Schanze nahe. Ihr Geschütz begann zu
donnern, und nicht weniger als einhundertsiebenundfünfzig Schüsse wurden
in Zeit von einer Stunde gegen diesen Punkt gerichtet, während auch die
Artillerie der Festung gegen ihn ein gleich lebhaftes Feuer unterhielt.
Unter dem Schutze beider rückten unsre Bataillone entschlossen zum
Sturme an und immer noch herrschte in der Schanze eine Totenstille. Erst
als jene fast unter die Palisaden vorgedrungen waren, wurden sie mit
einem Kartätschenfeuer empfangen, dessen Wirkungen gräßlich waren.
Dennoch verloren die Angreifenden den Mut ebensowenig, wie die
Angegriffenen die Besonnenheit zur nachdrücklichsten Gegenwehr. Man kam
auf der Brustwehr selbst zum lebhaften Handgemenge und Wunder der
Tapferkeit geschahen von beiden Seiten. Allein den Feind in seinem
vorteilhaften Posten zu überwältigen, ward trotz der beispiellosesten
Anstrengungen mit jedem Augenblicke unmöglicher befunden. Mehr als
vierhundert der Unsern lagen auf dem Platze, und von den Grenadieren,
deren Zahl bereits durch frühere Verluste ansehnlich geschmolzen war,
stand nur noch ein geringes Häuflein übrig. Mit bitterem Schmerze mußte
man sich entschließen, den Rückzug anzutreten, und das edelste Blut war
fruchtlos vergossen!

Nicht geringer war unsre Betrübnis, die wir an Bord der Fregatte waren
und unsre Leute endlich weichen sahen. Sobald sie sich indes eine kleine
Strecke unverfolgt entfernt hatten, erneuerte auf mein Zutun unser
Schiff sein Feuer, und so wurden noch fast zweihundert Kugeln auf die
Schanze geschleudert. Während dieser Kanonade verhielten sich die
Franzosen wiederum mäuschenstille. Wir empfingen nicht einen einzigen
Schuß zurück, bis ich endlich, da nichts weiter auszurichten war, die
Fregatte auf ihre alte Ankerstelle vor dem Hafen zurückbrachte.

Am andern Tage gab es ein vielfältiges Parlamentieren um die
Vergünstigung, unsre Toten abzuholen und zu begraben; allein man mute
mir nicht zu, eine Beschreibung von diesem über alles erbarmenswürdigen
Anblicke zu geben. Denke sich jeder selbst, wie es auf einem Platze von
kaum zweihundert Schritten aussehen mußte, wo zwischen vierhundert und
fünfhundert Leichname neben- und aufeinander, und zum Teil aufs
gräßlichste verstümmelt und zerrissen, umherlagen.

       *       *       *       *       *

So blieb denn der Wolfsberg fortan für uns verloren, der unter den
geschäftigen Händen der Belagerer, trotz unsrer Artillerie und ihrer
zerstörenden Wirkungen täglich eine verstärkte Festigkeit erhielt. Sie
nannten die Schanze jetzt »das Fort Loison«, zu Ehren des französischen
Divisionsgenerals, der als Oberbefehlshaber in Teulliés Stelle getreten
war, und ihre Kerntruppen rückten dort zur Besatzung ein. Wir an unsrer
Seite waren jedoch nicht minder beflissen, dem Platze und dem Hafen
gegen diese Seite eine neue Deckung zu geben, indem wir die
Ziegelschanze (dicht hinter der Vorstadt Stubbenhagen nordöstlich
gelegen) möglichst verstärkten und darin auch, obwohl in unsern Arbeiten
durch jenes feindliche Werk nicht wenig belästigt, glücklich
zustandekamen.

Von hier ab bis zum 30. Juni nahm unser Geschick eine immer ernstlichere
Wendung. Frische Truppenabteilungen verstärkten das Belagerungsheer und
errichteten neue Lager unter unsern Augen. In eben dem Maße auch wurden
die Schanzen ringsumher an Mannschaften lebendiger, neue Werke stiegen
empor, die Laufgräben näherten sich und schnürten uns auf einen immer
engeren Raum zusammen. Die Beschießung des Platzes, täglich fortgesetzt,
zeigte sich auch täglich zerstörender in ihren Wirkungen. Besonders
diente die große Marienkirche bei ihrer Lage mitten in der Stadt und als
der hervorragendste Gegenstand allen feindlichen Geschützen zum
Zielpunkte und litt außerordentlich. Loucadou hatte diese, wie andre
Kirchen, zu Stroh- und Heumagazinen ausgezeichnet, bis sein Nachfolger,
von einem besseren Geiste beseelt, das Gebäude sofort der öffentlichen
Gottesverehrung zurückgab und jene gefährlichen Brennstoffe am Glacis
vor dem Münder Tore in abgeänderte Haufen aufschichten ließ. Nunmehr
aber war eine dringendere Notwendigkeit eingetreten, diesen weiten und
luftigen Raum der täglich wachsenden Zahl der Kranken und Verwundeten
von der Garnison einzuräumen. Da nun die Kirche vollgestopft von solchen
Unglücklichen lag, so mag man sich das Elend vorstellen, welches hier
herrschte, indem die Kugeln durch alle Teile des Gebäudes
hindurchfuhren. Ein Flügel desselben bewahrte nahe an hundert
französische Kriegsgefangene auf, allein ihre Landsleute nahmen hierauf,
unsrer Hoffnung entgegen, keine Rücksicht und beharrten auf ihrem Werke
der Zerstörung.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni stand ich auf dem Walle an der
Brustwehr der Bastion Preußen und in einer Unterredung mit dem
Kommandanten begriffen, als eine feindliche Bombe kaum fünfzehn oder
zwanzig Schritte von uns niederfuhr, in der Erde wühlte und brummte.
Hastig ergriff ich meinen Nachbar bei der Hand, zog ihn etwas seitwärts
und rief: »Fort! fort! Hier ist nicht gut sein!« -- Gneisenau aber,
kaltblütig stehen bleibend, erwiderte: »Nicht doch, die tut uns nichts!«
-- In dem nämlichen Augenblicke auch platzte die Bombe, ohne uns
weiteren Schaden zuzufügen, als daß sie uns über und über mit der
aufgewühlten Erde bedeckte.

Des folgenden Tages gelang es mir abermals, mit Hilfe des Lotsen
Faßholz, ein englisches Schiff, das uns neue Vorräte von Kanonen,
Bombenkesseln und Bomben zuführte, aus dem Bereiche des feindlichen
Geschützes in den Hafen zu führen.

Am folgenden Tage war es, daß unser Kommandant mich mit einer Sendung in
das feindliche Hauptquartier nach Tramm beauftragte. Er gab mir dazu
sein Pferd und ein offenes Schreiben an den General Loison, worin nur
mit wenig Worten bemerkt war, daß mir für mein Anbringen voller Glauben
beizumessen sein werde. Als ich damit bei den französischen Vorposten
anlangte, wurden mir die Augen verbunden und das Pferd von zwei
Begleitern am Zügel geführt, während zwei andre, mit Gewehr versehen,
mir zur Seite gingen. So kam ich endlich in Tramm an und hier ward mir
auch das Tuch wieder von den Augen genommen.

Gleich darauf ward ich zum General Loison geführt und brachte meinen
Auftrag zur Sprache, der darin bestand, daß das feindliche Geschütz
fernerhin nicht mehr auf denjenigen Teil der großen Kirche gerichtet
werden möchte, wo die verwundeten und gefangenen Franzosen untergebracht
worden. Das Verlangen fand nicht nur eine willige Aufnahme, sondern ein
Offizier begleitete mich auch auf eine Anhöhe, damit ich ihm von dort
den Flügel des Gebäudes noch näher bezeichnete, wo seine Landsleute
lägen.

Nachdem noch einige Höflichkeiten gegenseitig gewechselt worden, begab
ich mich auf gleiche Weise wie ich gekommen war, nach der Stadt zurück.
Wovon ich im Hauptquartier hatte Zeuge sein dürfen, das deutete auf
Vorbereitungen, welche an dem Ernst der Belagerung nicht zweifeln
ließen. Weniger glücklich war ich indes, ein Wort zu erhaschen, welches
uns über die Lage der Dinge in Preußen einigen näheren Aufschluß hätte
geben können, während uns von den dortigen neuesten Ereignissen schon
seit längerer Zeit alle Nachrichten fehlten. Daß der Friede zu Tilsit in
dem Augenblicke schon wirklich abgeschlossen worden, ahnten wir damals
nicht. Allein unsre Belagerer waren nur zu wohl davon unterrichtet und
boten darum von jetzt an auch um so mehr alle ihre Kräfte auf, sich
Kolbergs zu bemächtigen, bevor die Friedensnachricht uns erreichte und
ihnen die Waffen aus den Händen schlüge.

       *       *       *       *       *

Alles, was von Anbeginn der Belagerung bis jetzt vom Feinde unternommen
worden, mochte nur als ein leichtes Vorspiel von demjenigen gelten, wozu
die dritte Morgenstunde des 1. Juli die Losung gab. Denn da eröffnete er
aus allen seinen zahlreichen Batterien ein Feuer gegen die Stadt, so
ununterbrochen, so von allen Seiten kreuzend und so mörderisch und
zerstörend, wie wir es noch nie erlebt hatten. Die Erde dröhnte und man
kann sagen, daß es war, als ob die Welt untergehen sollte. Sichtbarlich
legten unsre Gegner es darauf an, uns durch ihr Bombardement zwischen
dem engen Raume unsrer Wälle dergestalt zu ängstigen, daß wir, nirgends
mehr unsers Bleibens wissend, die weiße Fahne zur Ergebung aufstecken
müßten.

Ich befand mich in dieser entsetzlichen Nacht neben unserm Kommandanten
auf der Bastion Preußen, als dem höchsten Punkte, den unsre Wälle zum
Umherschauen darboten. Von hier aus konnten wir beinahe alle feindlichen
Schanzen übersehen, und ebenso lag die Stadt vor uns. Es ist nicht
auszusprechen, wie höllenmäßig das Aufblitzen und Donnern des Geschützes
Schlag auf Schlag und Zuck auf Zuck um uns her wütete, während auch das
Feuer unsrer Festung in seiner Antwort nichts schuldig blieb. In der
Luft schwärmte es lichterloh von Granaten und Bomben, wir sahen sie hier
und da und überall ihren lichten Bogen nach der Stadt hineinwälzen,
hörten das Krachen ihres Zerspringens, sowie das Einstürzen der Giebel
und Häuser, vernahmen den wüsten Lärm, der drinnen wogte und toste, und
waren Zeuge, wie bald hier bald dort, wo es gezündet hatte, eine
Feuerflamme emporloderte. Von dem allen war die Nacht so hell, als ob
tausend Fackeln brennten, und das gräßliche Schauspiel schien nicht ein
Menschenwerk zu sein, sondern als ob alle Elemente gegeneinander in
Aufruhr geraten wären, um sich zu zerstören.

Was aber drinnen in der Stadt unter dem armen wehrlosen Haufen vorging,
ist vollends so jammervoll, daß meine Feder nicht vermag, es zu
beschreiben. Dann gab es bald nirgends ein Plätzchen mehr, wo die
zagende Menge vor dem drohenden Verderben sich hätte bergen können.
Überall zerschmetterte Gewölbe, einstürzende Böden, krachende Wände und
aufwirbelnde Säulen von Dampf und Feuer. Überall die Gassen wimmelnd von
ratlos umherirrenden Flüchtlingen, die ihr Eigentum preisgegeben hatten
und die unter dem Gezisch der feindlichen umherkreisenden Feuerbälle
sich verfolgt sahen von Tod und Verstümmelung. Geschrei von
Wehklagenden, Geschrei von Säuglingen und Kindern, Geschrei von
Verirrten, die ihre Angehörigen in dem Gedränge und der allgemeinen
Verwirrung verloren hatten, Geschrei der Menschen, die mit Löschung der
Flammen beschäftigt waren, Lärm der Trommeln, Geklirr der Waffen,
Rasseln der Fuhrwerke -- nein, es ist nicht möglich, das furchtbare Bild
in seiner ganzen Lebendigkeit auch nur von ferne zu schildern!

Indem ich in diesem allgemeinen Tumult mich veranlaßt fand, einmal nach
meinem eignen Hause zu sehen, erwartete mich dort ein Anblick, der auch
nicht dazu geeignet war, mich sonderlich zu erfreuen. Eine Bombe war,
durch den Giebel einschlagend, durch zwei Böden bis in den Keller
hinabgefahren und hatte, indem sie dort platzte, sieben Oxhoft voll
Branntwein zersprengt, deren Inhalt nun gänzlich für mich verloren ging.
Außerdem waren überall im Hause die größten Verwüstungen angerichtet,
die ganze Eingangsflur aufgerissen und ebensowenig irgendeine
Fensterscheibe, als ein Ziegel auf dem Dache unbeschädigt geblieben. All
meine Leute hatten, wie leicht begreiflich, das Weite gesucht, und so
stand es nicht bloß bei mir, sondern auch links und rechts und in vielen
Nachbarhäusern.

Wie gern aber hätte man jede eigne Not verschmerzt und vergessen, gegen
die tief niederschlagende Zeitung, daß um vier Uhr morgens die Maikuhle
an den Feind verloren gegangen. Mitten unter dem heftigsten
Bombardement, wodurch unsre Aufmerksamkeit von dieser Seite hatte
abgezogen werden sollen, war auf diesen Posten von der äußersten
westlichen Spitze, sowie von der Seeseite her, ein Angriff geschehen,
der wohl für einen Überfall gelten konnte, da der dortige interimistische
Befehlshaber der Schillschen Truppen, Leutnant v. Gruben I.,
auf ein solches Ereignis durchaus nicht gefaßt gewesen zu sein
scheint, -- eine Sorglosigkeit, die um so unbegreiflicher und
tadelnswerter erscheint, da die Bewegungen des Feindes tags zuvor nur zu
deutlich die Absicht verrieten, von neuem etwas auf dieser Seite zu
unternehmen.

So war die Erstürmung der Maikuhle das Werk weniger Augenblicke gewesen,
da auch die Richtung des Angriffs weder dem Münderfort, noch der
Morastschanze gestattet hatte, die Behauptung dieses Postens durch ihr
Feuer zu unterstützen. Nur die schwedische Fregatte verfehlte nicht, dem
Feinde gegen vierhundert Kugeln zuzusenden, allein wenn dieser auch
dadurch für Augenblicke aufgehalten, so sahen die Stürmenden sich
alsobald durch ihr eigenes Feuer im Rücken und durch den Druck der
nachfolgenden Massen wieder vorwärts getrieben. Jede noch so
verzweifelte Gegenwehr ward fruchtlos, und genötigt zum übereilten
Rückzuge auf das rechte Stromufer, hatte das Schillsche Korps kaum noch
Zeit, die Verbindungsbrücke hinter sich abzuhauen.

Mit dem Verluste der Maikuhle war unsere Verteidigung gelähmt, denn nun
war auch das Münderfort zur Beschützung des Hafens nicht mehr
hinreichend, was sich zeigte, als das englische Schiff beim Vordringen
der Franzosen die Ankertaue kappte, um wieder die offene See zu
gewinnen. Es gelang ihm nur mit harter Not und unter einem dichten
feindlichen Kugelregen, wodurch ihm zwei Mann auf dem Deck erschossen
wurden. Und so waren wir denn, vom Meere und von aller von dorther zu
erwartenden Hilfe abgeschnitten, fortan einzig unseren eigenen Kräften
und Hilfsmitteln überlassen, die sich von Stunde zu Stunde immer mehr
erschöpften.

       *       *       *       *       *

Mit wenig verminderter Stärke hielt den ganzen Tag des 1. Juli das
Bombardement an und häufte Verwüstung auf Verwüstung. Dennoch waren
unsere Löschanstalten wirksam genug, um immer noch des Feuers Meister zu
bleiben. Erst am späten Abend zündete es wieder im Gouvernements-Bauhofe,
und da hier alles voll von brennbaren Materialien lag, mußte man es
geschehen lassen, daß das Gebäude bis auf den Grund niederbrannte.

Solchergestalt von Schrecken umgeben und auf noch Schrecklicheres
gefaßt, sahen wir der nächsten Nacht entgegen. Das feindliche Geschütz
vereinigte sich zu neuen, noch höheren Anstrengungen, und seine
zerstörenden Wirkungen im anhaltenden Geprassel einstürzender Häuser,
fallender Ziegel und klirrender Fensterscheiben, betäubten das Ohr. Alle
jammervollen Szenen der vorigen Nacht erneuerten sich in noch weiterem
Umfange. Aber auch mitten in der ringsum drohenden Gefahr erzeugte sich
allmählich eine Gleichgültigkeit bei vielen, die nichts mehr zu Herzen
nahm. War auch nicht der Mut, so war doch die Natur erschöpft;
Anstrengung, Schlaflosigkeit, immerwährende Anspannung des Gemüts und
Sorge für Weib und Kind und Eigentum fielen auf die meisten mit einem
solchen Gewichte, daß sie selbst in den Trümmern ihrer Wohnungen sich
ein noch irgend erhaltenes Plätzchen ersahen, um den bis in den Tod
ermatteten Gliedern einige Ruhe zu gönnen.

Da geschah es, daß eine Bombe, verderblicher als alle übrigen, in
denjenigen Teil des Rathauses niederfuhr, wo die Ratswage sich befand,
und ein hellaufflackerndes Feuer war die unmittelbare Folge ihres
Zerspringens. Als naher Nachbar sprang ich auf, um, was ohnehin mein
angewiesener Beruf war, schnelle Anstalten zur Brandlöschung zu
betreiben, denn an der Erhaltung des ansehnlichen Gebäudes, in welchem
unsere Stadtarchive und soviel andere Sachen von Wert aufbewahrt lagen,
mußte uns allen vorzüglich gelegen sein. Aber rundum in meiner
Nachbarschaft regte sich keine menschliche Seele zum Löschen und Retten.
Ich rannte hierhin und dorthin zu den nächsten Bekannten, braven und
wackeren Männern, um sie zu Hilfe aufzurufen, aber schlaftrunken und
ohne Gefühl für die drohende Gefahr, beachteten sie mein Bitten und
Ermuntern ebensowenig wie mein Toben und Schelten. Sie schlummerten fort
und ließen es brennen.

In steigender Angst lief ich auf die Brandstätte zurück. Was mir
begegnete, packte ich an, um Hand anzulegen, aber kaum einer oder der
andere schien auf mein flehentliches Ermahnen zu achten. Ein
vierschrötiger Kerl, den ich nicht kannte und dem ich auf diese Weise
einen gefüllten Löscheimer aufdrang, nahm ihn und schlug mir ihn, samt
seinem nicht gar sauberen Inhalte, geradezu um die Ohren, so daß ich
fast die Besinnung verlor und, von Schmutz und Ruß bedeckt, wohl eine
sehr jämmerliche Figur machen mochte.

Alles dies achtete ich jedoch weniger, als das Unglück, das dem Rathause
bevorstand, und da ich einsah, daß eine wirksame Hilfe allein vom
Militär ausgehen könne, so hastete ich mich, das nächste Wachhaus auf
dem Walle zu erreichen. Wild stürme ich in das halbdunkle Wachtzimmer
hinein. Ich sehe auf der hölzernen Pritsche sich eine Gestalt regen, die
ich zwar nicht erkenne, aber sie für den Mann haltend, den ich suche,
von ihrem Lager aufschreie, indem ich rufe: »Bester Mann, zu Hilfe! Das
Rathaus steht in Flammen!«

Aber weniger meinen Schrei, als mich selbst und mein Jammerbild
beachtend, erhebt sich der Offizier mir gegenüber, schlägt die Hände
zusammen und spricht: »Ach, du armer Nettelbeck!« -- Jetzt erst an der
Stimme erkenne ich ihn -- es ist Gneisenau. Er hört, er erfährt, er gibt
mir einen Adjutanten samt einem Tambour mit, die Lärmtrommel wird
gerührt, die Soldaten erscheinen, Patrouillen durchziehen die Straßen,
kräftigere Löschanstalten kommen in Bewegung, die zwar den Brand nicht
mehr zu unterdrücken vermögen, aber ihm doch dergestalt ein Ziel setzen,
daß wenigstens zwei Seiten des ein großes Viereck bildenden Gebäudes
erhalten werden, während der schon ergriffene Teil noch bis zum Abend
des folgenden Tages in sich selbst niederbrennt und fortglimmt. Zu
gleicher Zeit war in der allgemeinen Verwirrung auch eine Anzahl
Baugefangener aus dem Stockhause losgebrochen und begann hier und da in
den Häusern zu plündern, wie denn auch das meinige von diesem Schicksal
betroffen wurde, bis der tätige Eifer des Militärs die versprengte Rotte
wieder einfing und unschädlich machte.

So besonnen, wo es Handeln galt, so allgegenwärtig gleichsam, wo eine
Gefahr nahte, und so beharrlich, wo nur die unabgespannte Kraft zum
Ziele führen konnte, wie der Kommandant in _dieser_ furchtbaren Nacht sich
zeigte, hatte er immer und überall seit dem ersten Augenblick seines
Auftretens sich erwiesen. Seit Wochen schon war er so wenig in ein Bett,
als aus den Kleidern gekommen. Nur einzelne Stunden, die er ungern der
Tätigkeit auf den Wällen, unter dem heftigsten Kugelregen, abbrach,
ruhte er auf einer Pritsche in einem armseligen Gemache über dem
Lauenburger Tore, jeden Augenblick bereit, mich oder andere anzuhören,
wenn wir ihm etwas von Wichtigkeit zu melden hatten. Vater und Freund
des Soldaten wie des Bürgers hielt er beider Herzen durch den milden
Ernst seines Wesens, wie durch teilnehmende Freundlichkeit gefesselt.
Jeder seiner Anordnungen folgte das unbedingteste Zutrauen.

       *       *       *       *       *

Der Morgen des 2. Juli brach an: aber auch das feindliche Bombardement,
so wenig es die Nacht geruht hatte, schien mit dem Morgen wieder neue
Kräfte zu gewinnen. Not und Elend, Jammergeschrei und Auftritte der
blutigsten Art, einstürzende Gebäude und prasselnde Flammen: -- das war
fast das einzige, was bei jedem Schritte den entsetzten Sinnen sich
darstellte. Mut und besonnene Fassung waren mehr als jemals vonnöten,
aber nur wenigen war es gegeben, sie in diesem entscheidenden Zeitpunkte
zu behaupten, noch wenigere vielleicht erhielten die Hoffnung eines
glücklichen Ausganges in sich lebendig, aber alle ohne Ausnahme gaben
das Beispiel einer willigen Ergebung in das unvermeidliche Schicksal.
Sie hatten es in Gneisenaus Hand gelegt, mit ihm standen, mit ihm fielen
sie! Vertrauensvoll ließen sie ihn walten!

Höher aber und höher stiegen Gefahr und Not von Stunde zu Stunde. Um
neun Uhr morgens, während noch das Rathaus loderte, geriet durch eine
andere Bombe entzündet auch das Gebäude des Stadthofs in Flammen, die
sich auf drei angrenzende Häuser fortpflanzten. Man sah sich genötigt,
brennen zu lassen, was brennen wollte.

Gneisenaus scharfes Auge aber, das mitten in diesem gräßlichen Tumulte
jede Bewegung seines Gegners hütete, ließ nicht unbeachtet, daß dieser
bereits Vorbereitungen traf, sich von der Wolfsschanze aus auch über das
Münderfort herzustürzen und so auch die östliche Seite des Hafens zu
überwältigen. Gegenanstalten wurden auf der Stelle getroffen, Befehle
flogen, alles war in der lebendigsten Anspannung, und ein neuer Kampf
von blutigster Entscheidung sollte losbrechen. Es war drei Uhr
nachmittags ... Da, plötzlich schwieg das feindliche Geschütz auf allen
Batterien. Auf das Krachen eines Donners, wie am Tage des Weltgerichts,
folgte eine lange öde Stille. Jeder Atem bei uns stockte, niemand
begriff diesen schnellen Wechsel, dies schauerliche Erstarren so
gewaltiger losgelassener Kräfte.

Da nahte ein feindlicher Parlamentär, und neben ihm ein Mann, den man in
der Ferne als eine Militärperson -- dann aber, sowie die Umrisse der
Gestalt sich immer deutlicher ausbildeten, unter Zweifel und
Verwunderung, sogar als einen _preußischen_ Offizier erkannte. Schärfere
Augen versicherten sogar, sie unterschieden die Züge ihres Freundes, des
Leutnants v. Holleben, vom 3. Neumärkischen Reserve-Bataillon, der erst
vor einigen Wochen mit einer Abteilung Kriegsgefangener über See nach
Memel abgegangen war. Das schien unmöglich, und doch war dem also! Das
erste Wort, als er sich fast atemlos in den Kreis seiner Bekannten
stürzte, war der Ausruf: »Friede! Kolberg ist gerettet!«

O des Freudenboten! O der willkommenen Botschaft! der zur rechten,
_rechten_ Zeit gekommen! Er war unmittelbar aus dem Hauptquartiere des
Königs zu Pilkupönen bei Tilsit als Kurier abgefertigt und der
Überbringer der offiziellen Nachricht von einem mit Napoleon
abgeschlossenen vierwöchentlichen Waffenstillstande, welchem
unverzüglich der Friede folgen sollte. Eilend, wie es seine wichtige
Zeitung erheischte, aber schon in weiter Ferne noch mehr beflügelt durch
den dumpfen Donner des Geschützes, der ihm unseren noch ausharrenden Mut
verkündigte, war er vor wenigen Augenblicken erst in Tramm angelangt;
schwerlich gern gesehen, aber auch schwerlich wohl mit noch neuer oder
unerwarteter Botschaft. Indes -- er war da, und die Feindseligkeiten
mußten eingestellt werden!

Alsogleich auch ward die fröhliche Kunde den Bürgern durch die ganze
Stadt unter Trommelschlag bekannt gemacht, samt der hinzugefügten
Ermahnung, nunmehr mit verdoppelter Tätigkeit zur Löschung der immer
noch brennenden Gebäude zu eilen. Es geschah, und die Flammen waren nach
wenigen Stunden bezwungen.

Aber welche Feder reichte hin, den trunkenen Jubel zu schildern, der in
so überraschendem Wechsel alle Gemüter ergriff und aus sich selber
hinwegrückte! Man muß wahrlich selbst in der Lage gewesen sein, sich
und die Seinigen samt Leben und Wohlfahrt gänzlich aufgegeben zu haben,
um dies neue, kaum glaubhafte Gefühl von Ruhe und Sicherheit
nachzuempfinden, wobei sich, auf Augenblicke wenigstens, alles
verschmerzt und vergißt, was man Drangvolles gelitten hat. Es ist wie
ein böser Traum, den man endlich abgeschüttelt hat und aus dem man nun
zu vollem freudigen Bewußtsein zurückkehrt.

       *       *       *       *       *

Die Belagerung war geendigt, eine völlige Waffenruhe trat ein, und die
Bilder des Krieges verschwanden. Zunächst ward zwischen dem Kommandanten
und dem französischen General eine Übereinkunft getroffen, welcher
zufolge den Einwohnern gestattet wurde, sich über die französische
Postenlinie hinaus in die umliegende Gegend zu begeben. Nach einem
anderweitigen Vertrage blieb zwar die Maikuhle noch von den jenseitigen
Truppen besetzt, doch sollten Schiffe mit Lebensmitteln frei in den
Hafen zugelassen werden. Unsere tätige Freundin aber, die schwedische
Fregatte, verließ uns am 12. Juli, und fortan, bis zu Ende des Monats,
räumten auch nach und nach die Belagerungstruppen ihre Schanzen und
Lager, um etwas entferntere Kantonierungen in der Provinz zu beziehen.

Wenige Tage nach Einstellung der Feindseligkeiten trieb es mich hinaus
auf die Lauenburger Vorstadt, wo mein liebes Gärtchen gelegen war. Fast
erkannte ich die Stelle meines Eigentums, auf der ich so manchen süßen
Schweiß vergossen hatte, nicht wieder. Alles war aufgewühlt und verheert
(denn gerade auf diesem Fleck hatten wir eine Batterie von fünf Kanonen
errichtet), oder es war dem frei und üppig wuchernden Unkraute
preisgegeben! Meine schönen edeln Obstbäume, die Genossen meiner Jugend
-- sie starrten mich an in ihren abgehauenen Stümpfen ... Doch da gab es
nichts zu klagen, denn ich selbst hatte ja, als es not tat, die Axt an
sie gelegt! Aber es war mir doch wunderlich und weh ums Herz, und ich
mußte dem verödeten Plätzchen den Rücken wenden, um nicht noch weicher
zu werden.

Da blickte ich in die nächste Nachbarschaft und sah bald, daß ich es
nicht allein war, der Trost und Ermutigung bedurfte. Auf der ganzen
weiten Brandstätte umher schlichen die unglücklichen Bewohner zwischen
den Schutthaufen ihres Eigentums, scharrten hier und da etwas aus der
Asche hervor, das der Glut widerstanden, aber nun doch keinen Nutzen
mehr für sie hatte; jammerten und weinten schmerzliche Tränen, daß sie
nun nirgends eine bleibende Stätte fänden. Das schnitt mir durchs Herz,
und ich verfiel in Nachdenken, wie doch diesen Unglücklichen, wenn auch
nur vorderhand, zu helfen sein möchte? Indem ich aber über einige
verkohlte Balken und andere halbverbrannte Trümmer, die mir im Wege
lagen, dahinstolperte, fiel mir's plötzlich ein, daß sich eben davon
wohl einige Nothütten würden errichten lassen, um den armen Leuten,
zumal jetzt in den Sommermonaten, einstweilen ein leidliches Obdach zu
verschaffen.

Voll von diesem Gedanken machte ich mich sogleich auf den Weg zu unserm
Kommandanten, um ihm die Not der Heimlosen samt meinem Einfall
vorzutragen, und die Erlaubnis von ihm zu erbitten, daß sie sich auf den
verwüsteten Stellen notdürftig ansiedeln könnten. Ich langte an und
stieß unten im Hause auf ein großes Gewühl von Menschen, denn der
Kommandant hatte den General Loison, samt seinem ganzen Generalstab, zu
sich eingeladen, und eben saß die Gesellschaft zu Tafel. Indes stieß mir
unter den Kommenden und Gehenden alsbald unser Vizekommandant, der Major
v. S., auf, der mich wegen meines etwaigen Anliegens befragte. Obwohl
nun gerade er nicht allemal mein Mann war, so trug ich doch kein
Bedenken, mich in meinen Wünschen gegen ihn auszusprechen. Seine kurze
Antwort war: »Daraus kann nichts werden. Und wenn ich selbst der
Kommandant wäre, wurde ich es nimmermehr zugeben.« -- Nun, das war kurz
und deutlich, und so verließ er mich auch und ging die Treppe hinauf.

Aber ich folgte ihm auf der Ferse, bis er in den Gesellschaftssaal
eintrat und die Tür hart hinter sich zuzog. Deß war ich nicht gewohnt an
diesem Orte; ich bedachte mich also auch nicht, fein säuberlich
anzuklopfen und unmittelbar darauf einzutreten. Meine Augen suchten den
Kommandanten, er saß dem General Loison zur Seite an der Tafel. Kaum
ward er meiner ansichtig, so stand er auf und trat mir einige Schritte
entgegen. Mit leiser Stimme trug ich ihm kurz vor, was zur Sache gehörte
und was sichtbar seine volle Aufmerksamkeit beschäftigte. »Die armen
Leute!« rief er dann, »ja, Nettelbeck! laß sie in Gottes Namen bauen!«
-- Zugleich füllte er mir ein Glas Wein; ich dankte und nahm mir im
Davoneilen nur noch die Zeit, dem Herrn v. S., der gleichfalls zu Tische
saß, eine lächelnde Verbeugung zu machen.

Aber nicht um diesen kleinen Triumph war mir's zu tun, sondern um dem
kummervollen Häuflein dort draußen unverzüglich Trost und Freude zu
bringen. Mit Jauchzen ward ich angehört und empfangen, als ich ihnen in
Gneisenaus Namen verkündigte, daß ihnen gestattet sein solle, sich auf
ihren Brandstätten in leichten Baracken wieder anzusiedeln. Wirklich
auch verliefen nicht vier Tage, so stand dort eine neue Anlage fertig,
die mich in ihren äußeren Umrissen auf das lebhafteste an ein
indianisches Dorf erinnerte. Sicher aber war es den Bewohnern selbst
unter diesem armseligen Obdach leichter und wohler ums Herz, als damals,
da ich sie hoffnungslos unter den Trümmern ihres früheren Wohlstandes
umherkriechen sah.

Indem ich jedoch nun selbst wieder zu einiger Ruhe kam, konnte ich nicht
umhin, den Blick auch auf meine eigene Lage zu richten und mir zu
gestehen, daß diese Zeit der Belagerung mich leicht zum armen Manne
gemacht haben könne. Mein kleines bares Vermögen war gänzlich
daraufgegangen, teils an Arbeiter, die ich aus meiner Tasche bezahlte,
teils durch Spenden an unser braves Militär, das jede Art der Erquickung
so verdient hatte. Mir aber war es das süßeste Geschäft, wenn ich den
wackeren Leuten bei ihrem harten Dienst dann und wann einen warmen
Mundbissen, oder was es sonst gab, selbst auf die Wälle, vor die Tore,
in die Blockhäuser hinbringen und ihnen Trost und guten Mut einsprechen
konnte.

Es ist wahr, meine guten Freunde haben mir deshalb oftmals Vorstellungen
getan, daß mich mein guter Wille zu weit führe und zum Verschwender
mache, aber nie verließ mich der frohe Mut, ihnen zu antworten: »Ich bin
ein alter Mann ohne Kind oder Kegel: _wem_ sollte ich es sparen? Aber wäre
ich auch der jüngste unter euch, wie leicht kann man in diesen Zeiten
den Tod haben! Mir liegen König und Vaterstadt allein am Herzen, und
überlebe ich diese Zeit, -- nun, so werden ja _sie_ mich auch nicht darben
lassen.«

Fest hielt ich und halte ich noch an diesem schönen Glauben, aber
freilich war das auch um so notwendiger, wenn ich nun auf den geringen,
mir jetzt übrig gebliebenen Rest meiner Habe blickte. Mein Haus hatte
durch das Bombardement in allen seinen Teilen bedeutend gelitten, meine
Scheune vor dem Tore war niedergebrannt, mein Gartenhäuschen abgebrochen
worden, mein Garten verwüstet. Von den Vorräten meines Gewerbes war
nichts mehr übrig, um es neu wiederherzustellen, und das beschädigte
Eigentum zu bessern, hätte es Hilfsmittel bedurft, die mir jetzt kaum
mehr zu Gebote standen. Meine Lage war keineswegs erfreulich!

Aber war ich auch wohl berechtigt, über erlittene Einbuße zu klagen?
Meine Mitbürger hat all dies Unglück ja auch -- den einen mehr, den
andern weniger -- getroffen. Nein, ich habe auch nicht _klagen_, sondern
mir's nur vom Herzen wegreden wollen. Er, der mir's gab, hat's auch
genommen, sein Name sei gelobt! Aber daß Gott meine liebe Vaterstadt so
wunderbar erhalten hat, deß bin ich froh, und daß er unserm guten Könige
Gesundheit, Mut und Stärke verliehen, sich in seinem großen Unglück so
herrlich wieder aufzurichten. --

       *       *       *       *       *

Mir ward indes in diesen nämlichen Tagen von dieses gnädigen Monarchen
Hand eine Auszeichnung zuteil, die ich so wenig erwartet hatte, als vor
anderen, die mit mir auch nur ihre Pflicht getan, verdient zu haben
glaube, -- eine Auszeichnung, die mich sogar beschämen würde, wenn ich
nicht in der Meinung stände, daß diese königliche Hand in mir eigentlich
die gesamte Kolberger Bürgerschaft habe ehren und ihren bewiesenen
Pflichteifer anerkennen wollen. Ich erhielt nämlich folgendes Königliche
Kabinettsschreiben:

»Seine Königliche Majestät von Preußen haben aus dem Berichte des
Oberstleutnants v. Gneisenau, worin er Höchstdenselben diejenigen
Personen anzeigt, welche sich während der Belagerung der Festung Kolberg
ausgezeichnet haben, mit besonderem Wohlgefallen ersehen, daß der
Vorsteher der Bürgschaft, Nettelbeck, die ganze Belagerung hindurch mit
rühmlichem Eifer und rastloser Tätigkeit zur Abwehrung des Feindes und
zur Erhaltung der Stadt mitgewirkt hat. Seine Majestät wollen daher dem
Nettelbeck für den solchergestalt zutage gelegten löblichen Patriotismus
hierdurch Dero Erkenntlichkeit bezeigen und ihm als ein öffentliches
Merkmal der Anerkennung seiner sich um das Beste der Stadt erworbenen
Verdienste, die hierneben erfolgende goldene Verdienstmedaille
verleihen.

  Memel den 31. Juli 1807.              Friedrich Wilhelm.«

  »An den Vorsteher der Bürgerschaft
   zu Kolberg, Nettelbeck.«


Gleichzeitig erhielt unser verehrter Kommandant, nach dem gnädigen
Willen des Königs, seine Abberufung von dem so ehrenvoll bekleideten
Posten, um, unmittelbar unter den Augen des Monarchen, an die
Reorganisation des preußischen Heeres mit Hand anzulegen. Das war für
uns ein schmerzlicher Verlust, allein unser Liebling eilte einer höheren
Bestimmung entgegen, und unser Eigennutz mußte schweigen! Schon am 8.
August schied Gneisenau von uns, doch _wie_ er schied, möge nachgehendes
Schreiben dokumentieren, welches er im Augenblicke seiner Abreise an uns
erließ:


  »Meine Herren Repräsentanten
   der patriotischen Bürgerschaft zu Kolberg!

Da ich auf unseres Monarchen Befehl mich eine Zeitlang von dem mir so
liebgewordenen Kolberg trenne, so trage ich Ihnen, meine Herren
Repräsentanten, auf, den hiesigen Bürgern mein Lebewohl zu sagen. Sagen
Sie denselben, daß ich ihnen sehr dankbar bin für das Vertrauen, das sie
mir von meinem ersten Eintritt in die hiesige Festung an geschenkt
haben. Ich mußte manche harte Verfügung treffen, manchen hart anlassen
-- dies gehörte zu den traurigen Pflichten meines Postens. Dennoch wurde
dieses Vertrauen nicht geschwächt. Viele dieser wackeren Bürger haben
uns freiwillig ihre Ersparnisse dargebracht, und ohne diese Hilfe wären
wir in bedeutender Not gewesen. Viele haben sich durch Unterstützung
unserer Kranken und Verwundeten hochverdient gemacht. Diese schönen
Erinnerungen von Kolberger Mut, Patriotismus, Wohltätigkeit und
Aufopferung werden mich ewig begleiten. Ich scheide mit gerührtem Herzen
von hier. Meine Wünsche und Bemühungen werden immer rege für eine Stadt
sein, wo noch Tugenden wohnen, die anderwärts seltener geworden sind.
Vererben Sie dieselben auf Ihre Nachkommenschaft. Dies ist das schönste
Vermächtnis, das Sie ihnen geben können. Leben Sie wohl und erinnern
sich mit Wohlwollen

  Ihres
  treu ergebenen Kommandanten
  N. v. Gneisenau.«


Ein so herzlicher Abschied durfte nicht ohne Erwiderung bleiben. Wir
versammelten uns und machten unserm vollen Herzen in folgender
Bekanntmachung an unsere Bürgerschaft Luft:


  »Kolberg, den 16. August 1807.

Am 9. d. M. entrückten höhere Befehle unsern würdigen Herrn Kommandanten
aus unserer Mitte, und mit dem Verluste dieses mit seltenen Tugenden
geschmückten Mannes schwanden unsere stolzen Träume dahin. Gern wären
wir im Besitze des unverzagten Beschützers unserer Wälle für immer
geblieben, und gern hätten wir nach den vollbrachten verhängnisvollen
Tagen die seligen Früchte des Friedens nur mit ihm geteilt: aber nicht
bestimmt, diese in unseren sicheren Mauern zu genießen, hatte ihm unser
Monarch, ganz überzeugt von dem Werte dieses großen Mannes, einen
anderen Kreis vorgezeichnet, in welchem sein rastloser und tätiger Geist
sich ein neues Denkmal stiften sollte.

Ist jedoch dieser unseren Herzen so teuer gewordene Held nicht mehr
unter uns und hat er uns verlassen, um vielleicht nie den Art
wiederzusehen, dessen beneidenswertes Schicksal in den mißlichsten
Augenblicken seinen einsichtsvollen Befehlen untergeordnet war, so wird
gleichwohl das Andenken an ihn, der bei den Tugenden des Kriegers nie
die Pflichten des Menschen vergaß, der von der ersten Minute seines
Erscheinens an Vater eines jeden einzelnen wurde und es auch noch im
Momente des Scheidens blieb, nie in unserer von Dank gegen ihn erfüllten
Seele erlöschen. Wir alle haben ihm ja alles -- die Erhaltung unserer
Ehre und unserer Habe, die Zufriedenheit unseres Landesherrn und die
Achtung unserer ehemaligen Gegner zu verdanken.

Möge es erst nur unserer spätesten Nachkommenschaft vorbehalten sein,
die Asche unseres Verteidigers zu segnen!«

»Von seiner Abreise wurden wir tags zuvor durch das hier wörtlich
eingerückte Schreiben benachrichtigt.« (Folgt nun das oben bereits
mitgeteilte Abschiedsschreiben des Herrn v. Gneisenau.)

»Wir haben seinen Auftrag mit frohem Herzen erfüllt und zur Steuer der
Wahrheit vereinige sich die Bürgerschaft in dem öffentlichen
Geständnis:

»»Wir haben nie einen Zwang empfunden, uns haben keine harten
Verfügungen gedrückt, und das, was wir taten, geschah aus reiner
Vaterlandsliebe. Das höchste Wesen nehme ihn dafür in seine besondere
Obhut, lasse ihn nach seinem tatenvollen Leben auch bald die Früchte
des Friedens im Schoße der teuren Seinigen genießen, und wenn uns neue
Stürme und Gefahren drohen, so kehre er zurück in unsere nicht
überwundenen Mauern und finde auch in uns noch das Völkchen wieder,
von dem er so liebevoll schied!««

  »Dresow. Hentsch. Zimmermann, Höpner.
  Nettelbeck. Darckow. Ziemcke. Gibson.«

       *       *       *       *       *

Wenige Tage vor der Abreise des so allgemein verehrten Mannes führte
mich das Gespräch mit ihm auf meinen verstorbenen Vater, wie der in den
drei russischen Belagerungen dem damaligen Kommandanten, Oberst von der
Heyden, ebenso mit seinen guten und willigen Diensten habe zur Hand
gehen können, als es durch ein sonderbares Verhängnis nach so langen
Jahren nun auch mir, dem Sohne, zuteil geworden sei, dem zweiten
preiswürdigen Verteidiger meiner Vaterstadt mich in gleicher Weise
nützlich zu machen. Zum Andenken eines so ehrenden Verhältnisses habe
mein Vater Heydens Bildnis von ihm erhalten und danach unserem
Schützenhause geschenkt, wo es noch zu dieser Stunde aufgestellt sei und
der Stadt zu einer dankbaren Erinnerung diene. So bewege mich's nun auch
zu dem herzlichen Wunsche, daß unser scheidender Freund und Wohltäter
mir ein ähnliches Unterpfand seiner geneigten Gesinnung hinterlassen
möge, das sein Ehrengedächtnis für alle künftige Zeiten unter uns
bewahre. Gneisenau versprach es mit freundlichem Lächeln.

Und dieser Zusage hatte er auch nicht vergessen. Vielmehr, damit dieses
Geschenk einen neuen, noch höheren Wert erhielte, veranstaltete er es,
daß mir dasselbe mittels einer überaus gütigen Zuschrift durch seine
Frau Gemahlin ein Jahr später von Schlesien aus zugeschickt wurde.
Meine Freude kannte, wie man sich leicht denken kann, keine Grenzen. Ich
besorgte dem teuern Bildnisse einen Rahmen, so schön, als er nur immer
bei uns aufzubringen war, und auf der Rückseite ließ ich den Namen des
Gebers und die Umstände, welche dieses Geschenk begleitet hatten,
verzeichnen. Zugleich aber stand ich in Sorge, daß ein solches Denkmal
in den Händen eines Privatmannes, zumal in meinen hohen Jahren leicht
das Los einer unrühmlichen Vergessenheit treffen könne, und so hielt ich
es für wohlgetan, meinen Schatz dem Kommandanturhause als ein
Vermächtnis zuzuweisen, bei dessen Anblick einst noch unseren Urenkeln
das Herz vor Stolz und Freude höher schlagen möchte.

Aber bald wechselten unsere Kommandanten in schneller Folge, und auch
einer, dessen Name hier zur Sache nichts tut, war eben abgegangen,
während seine Gemahlin, die noch einige Zeit bei uns verweilte, bereits
ein anderes Haus bezogen hatte. Zufällig kam ich in das
Kommandanturgebäude, meine Augen suchen und -- vermissen das von mir
gestiftete Bildnis. Nach vielem Fragen erfahre ich endlich, es habe
neuerdings, samt andern Mobilien, den Umzug mitgemacht. Ich eile hin zu
der Dame und bitte höflichst um Wiedererstattung. Die Dame weiß von
keinem Bildnis und verweist mich an ihre Domestiken. Nun forsche ich
selbst in allen Winkeln des Hauses umher und -- siehe da! -- das mir so
teuere Gemälde findet sich endlich wieder -- im Hühnerstall, beschmutzt
auf eine Art, die keiner näheren Andeutung bedarf! Mein ganzes Herz war
empört. Ich mag mich auch wohl ein wenig deutsch und kräftig über diese
schmähliche Entweihung ausgelassen haben, indem ich mein wiedererobertes
Kleinod heimtrug, es von allem Makel säubern ließ und dann mit freudigem
Gefühle an die Stätte zurückbrachte, die ihm gewidmet worden. Möge es da
fortan und immer die ihm gebührende Achtung und bessere Aufsicht finden!

Allein mit dem Andenken an verdiente Männer ist es ein Ding, das einen
wohl traurig machen könnte, wenn man erlebt, wie schwer es dem
selbstsüchtigen Menschenherzen eingeht, seine Liebe und Dankbarkeit für
die Dahingeschiedenen treu zu bewahren. Das sollte ich auch noch
anderweitig mit Leidwesen erfahren! Es kam nämlich bald nach der
Belagerung der Herr Großkanzler v. Beyme auf seinem Wege aus Preußen
nach Berlin hierher zu uns und nahm während seines Verweilens bei dem
Kaufmann Schröder ein Mittagsmahl ein, wobei ich die Ehre hatte, von ihm
an seine Seite gezogen zu werden. Auch mehrere angesehene Männer vom
Handelsstande waren gegenwärtig. Daß die Unterhaltung, deren mich der
Minister würdigte, sich meist auf die nächstverlebte Zeit bezog, war
wohl sehr natürlich, sowie nicht minder, daß dabei unseres wackeren
Vizekommandanten v. Waldenfels und seines Heldentodes gedacht wurde.
»Einem so braven Manne,« äußerte dabei unser hoher Gast, »sollte der
Denkstein auf seinem Grabe nicht fehlen!«

Der Gedanke elektrisierte mich. Ich stand auf von meinem Stuhle, sah
Tafel auf und Tafel ab rings meine anwesenden Mitbürger an und sprach:
»Ein Wort zur guten Stunde! -- Ja, meine Herren, wir erfüllen es und
setzen unserm Waldenfels ein Ehrenmal, wie er's verdient!« --

Niemand antwortete mir. Ich aber erhob meine Stimme noch höher und rief:
»Wie? Kein Denkmal auf eines solchen Mannes Grab? -- Meine Herren, das
ist eine Ehrensache für jeden unter uns!« --

So herausgepreßt, erklang denn freilich hier und da ein zögerndes »Ja!«
-- aber es fiel in die Augen, daß es nicht aus freudigen Herzen
hervorging. Meine funkelnden Augen spiegelten sich nur in denen des
Großkanzlers wieder, der zu mir sagte: »Sie gestatten mir doch, daß ich
meinen Beitrag hier sofort in Ihre Hände lege?« -- Das verbat ich mir
nun und hatte Mühe, meinen Willen darin durchzusetzen. Desto leichter
ward mir's in den nächstfolgenden Tagen, mit den Jaja-Stammlern fertig
zu werden, denn da fand sich's, daß es nur in die verhallende Luft
gesprochene Worte gewesen waren!

Mochte es sein! Ich aber habe mir selber Wort gehalten und auf eigene
Kosten einen schönen achteckigen geglätteten Grabstein, sieben Fuß hoch,
besorgt, worauf der Name »Waldenfels« samt Angabe seiner Militärwürden
und des Tages, da er für König und Vaterland gefallen, verzeichnet
steht. Dies einfache Monument bezeichnet seine Grabstätte. Zu gleicher
Zeit ließ ich auch mir die meinige hart neben derselben mit Steinen
aussetzen, wo ich denn endlich auch ruhen werde. --

       *       *       *       *       *

Ehre den braven Männern, die, gleich Waldenfels, in und für Kolberg
geblutet und ihr Bestes getan haben! Wo einundzwanzig Offiziere auf dem
Bette der Ehre das Leben verhauchten und eine gleiche Anzahl schwere
Wunden aufzuweisen hatte, da bedarf es keines weiteren Zeugnisses, daß
die Besatzung in allen ihren Graden ihre volle Schuldigkeit getan. Wie
der König dies anerkannt hat, spricht sich vollgültig in der
Auszeichnung aus, die er dem zweiten pommerschen Infanterieregimente
gewährte, welches seit jenen Tagen die Ehrennamen des Regimentes
»Kolberg« und »v. Gneisenau« miteinander vereinigt.

Zwar die Ausnahmen sind es, welche die Regel bestärken, und so gab es
denn freilich auch unter Kolbergs Braven einzelne Feiglinge, aber billig
sollte ihr Andenken der Vergessenheit übergeben bleiben, wenn nicht eine
zweifache Betrachtung das Gegenteil zu gebieten schiene. Einmal
geschieht jenen Braven, die in so glänzendem Lichte dastehen, nach
meinem Gefühle eine Ungebühr, wenn hier die Schattenseite des Gemäldes
gänzlich verhüllt würde. Dann aber ist von dem unwürdigen Betragen
dieser Finsterlinge schon früher manches mit Einmischung meines Namens
zur Kunde des Publikums gekommen, was jetzt als lügenhafte Aufbürdung
des damaligen unseligen Parteigeistes ausgeschrieen werden könnte, wenn
ich es hier ganz überginge und dadurch gleichsam stillschweigend
zurücknähme. Daß ich nicht gern davon spreche, wird man mir glauben;
indes stehe hier meine treue und einfältige Erzählung!

In einer Nacht, wo es scharf über die Stadt herging (es war zwischen dem
1. und 2. Juli), befand ich mich auf dem Markte neben dem Spritzenhause,
um sofort bei der Hand zu sein, wenn irgend etwa eine Bombe zündete.
Hier eilte nun ein Mann im grauen Regenmantel und die weiße Schlafmütze
ins Angesicht gezogen mit weiten Schritten an mir vorüber und verlor
sich in einen Weinkeller, den man für bombenfest hielt und wohin sich
deswegen bereits mehrere alte Männer, Frauen und Kinder samt einigen
furchtsamen Bürgern geflüchtet hatten. Gleich nachher aber stürmte aus
eben diesem Keller der Haufe in größter Verwirrung hervor, und ich
erfahre, es sei eine Granate durch das Gewölbe gefahren. Ich steige
hinunter, um mich zu überzeugen, ob Schaden geschehen und Hilfe nötig
sei. Davon zeigt sich indes nirgends eine Spur; man faßt nun wieder Mut,
kehrt in den verlassenen Zufluchtsort zurück, und drei meiner Bekannten,
rechtliche Männer, fordern mich auf, noch einige Augenblicke zu
verweilen und ein Glas Wein mit ihnen zu trinken.

Indem ich mir nun hierbei die bunte Versammlung mit etwas besserer Muße
ansehe, bemerke ich auch seitabwärts den Mann in der Schlafmütze, der
mir bereits durch seine langen Beine merkwürdig geworden. Halb kommen
mir seine Gesichtszüge bekannt vor, aber die Dunkelheit des Winkels läßt
mich nichts mit Gewißheit erkennen. Ich greife nach einer Kerze, leuchte
ihm näher unter die Augen und -- siehe! es ist der Hauptmann *** von
unserer Garnison. Hochverwundert frage ich: »Ei tausend, Herr Hauptmann!
Wie geraten Sie hierher? Ist dies Loch ein Aufenthalt für Sie? Ein
Offizier -- und verkriecht sich unter alte Weiber und Wiegenkinder! Der
König hat Ihnen gewiß vierzig Jahre Brot gegeben, und nun es seinen
Dienst gilt, vertun Sie sich abseits?« -- Er stotterte etwas daher:
»Sehen Sie nicht, daß ich krank bin? Ich habe das Fieber.« -- »Daß Sie
eine Schlafmütze sind, sehe ich, und das Bombenfieber sehe ich auch,«
war meine Antwort. -- »Hier heraus mit Ihnen und fort, wohin Sie
gehören!« -- Ich wäre in meiner Ereiferung vielleicht noch tiefer in den
Text hineingeraten, wenn meine vorgedachten Bekannten mich nicht von ihm
abgezogen und begütigt hätten. Unterdessen ließ der Fieberpatient sich
ein gutes Gericht Essen und ein Viertel Wein auftragen und speiste mit
einem Appetit, der auch dem Gesundesten Ehre gemacht haben würde.

Aber es sollte hier gleich noch ein zweites ähnliches Abenteuer geben.
Denn indem ich mich von dem Jammerbilde nach einer anderen Seite wende,
fiel mir ein Feldbett in die Augen und darauf hingestreckt ein Mensch,
der notwendig auch eine Militärperson sein mußte, da unter der Bettdecke
hervor ein Degen mit dem Portepee niederhing. Mein Gesicht mochte bei
diesem Anblicke wohl wie ein großes Fragezeichen aussehen, denn
unaufgefordert erklärten mir meine Freunde, die hier Bescheid wußten, es
sei der Leutnant ***, der sich zu gütlich getan und in diesem, ihm
gewöhnlichen Zustande so seinen Aus- und Eingang im Weinkeller habe. Das
war mir ein Greuel mit anzuhören! Ich riß ihm die Bettdecke vom Leibe
und rief: »Herr, plagt Sie ... Was haben Sie _hier_ zu schaffen? Heraus und
auf Ihren Posten! Hören Sie den Geschützdonner nicht?«

Brummend taumelte er empor, und sich mit Mühe auf den Füßen haltend,
tobte der Jämmerliche: »Warum wird das verfluchte Loch nicht übergeben,
damit man nur einmal aus dem miserabeln Neste herauskäme!« -- Ich traute
meinen Ohren nicht und hätte mich wahrlich an dem Elenden tätlich
vergriffen, wenn meine gelasseneren Freunde mir nicht in den Arm
gefallen wären, während jener wieder auf sein Lager niedertorkelte und
prahlte, wie viel Weinflaschen er heute schon den Hals gebrochen.

Beide Auftritte waren indes zu öffentlich und vor zu vielen Zeugen
vorgefallen, als daß sie ganz mit dem Mantel der Liebe zu bedecken
gewesen wären. Der Hauptmann rechtfertigte sich mühsam durch ein
ärztliches Attest, das seine Krankheit bekräftigte, aber dahingestellt
ließ, warum sich Patient nicht lieber ruhig in seinem Quartier verhalten
und eine genauere Diät befolgt habe? Gegen den Leutnant aber sprachen
die Zeugnisse so entscheidend, daß er einem dreimonatlichen Arrest und
demnächst seiner Dienstentlassung sich nicht entziehen konnte.

Zu einer anderen Zeit standen unsere Vorposten ringsum des Abends in
einem lebhaften Feuer gegen den Feind, der allmählich immer mehr Truppen
ins Gefecht brachte. Der Kommandant, in dessen Gefolge ich war, befand
sich auf der Bastion Pommern, von wo auch das Feld zu beiden Seiten des
Platzes am bequemsten übersehen werden konnte. Um die Unserigen gegen
Sellnow hin zu unterstützen, war der Major *** mit drei Kompagnien seines
Bataillons abgeschickt worden, mit dem Auftrage, sich den Schillschen
Truppen anzuschließen und das Gefecht zum Stehen zu bringen. Aber statt
daß nun hier vor dem Geldertore eine neue Regsamkeit zu bemerken gewesen
wäre, hörte das Feuer dorthin, zu des Kommandanten nicht geringer
Verwunderung, bald gänzlich auf, und die Verwunderung stieg zur Unruhe,
da immer noch kein Rapport von der entsandten Verstärkung einging. Ich
erbot mich, Nachricht an Ort und Stelle einzuziehen, und eilte von
dannen, den Wall hinunter.

Von einem Pulverwagen, der mir in den Weg kam, strängte ich ein Zugpferd
ab, warf mich hinauf und trabte zum Geldertore hinaus. Die Nacht war
stockfinster geworden. Als ich über die sogenannte Kuhbrücke kam,
stutzte mein Gaul, hob sich und wollte trotz all meines Treibens nicht
von der Stelle. Endlich ward ich gewahr, daß er sich vor einem Soldaten
scheute, der sich quer über den Weg gelagert hatte. Der Bursche hatte
geschlafen, und mit ihm ward es auf einmal rund um mich her wach und
laut, und ein Dutzend Baßkehlen rief: »Holla! holla! Nur sachte!« -- Mit
einem Blicke übersah ich nun die saubere Schlafkompanie, die sich hier
meist ins Gras gestreckt hatte, anstatt den bedrängten Kameraden weiter
vorwärts Luft zu machen.

Im bitteren Unmute meines Herzens stürmte ich auf sie ein und rief: »Ihr
seid mir schöne Helden! Pfui euch, daß ihr hier liegen könnt und
schnarchen!« -- Beschämt wichen sie mir zu beiden Seiten aus, bis ich
weiterhin kam und nun auch auf ihren edeln Anführer stieß, der sich sein
Ruheplätzchen hart am Heckenzaune ausgesucht hatte, den Kopf nur so eben
aus dem Mantel hervorstreckte und mir einen guten Morgen bot. Drei
Schritte hinter ihm zeigte sich mir der Hauptmann *** in gleicher
Positur, der jedoch aufstand und mir seinen guten Morgen bis dicht ans
Pferd entgegenbrachte. Mich noch weniger haltend als vorhin tobte ich:
»Den T... und seinen Dank für euern guten Morgen! Ist das recht? Ist das
erhört, daß ihr hier auf der Bärenhaut liegt? Ob eure besseren Kameraden
indes ins Gras beißen, das kümmert euch nicht! -- Da! da seht!«

In dem Augenblick nämlich kamen einige Schillsche Leute daher, die zwei
Erschossene auf einer Tragbahre aus dem Gefechte trugen und mehrere
Verwundete leiteten. Ich erfuhr von ihnen noch bestimmter, daß die ganze
Zeit her von einem Unterstützungstrupp nichts zu sehen noch zu hören
gewesen. Demgemäß fiel nun auch mein Rapport an den Kommandanten aus,
der mit Achselzucken versetzte: »Nun, nun -- ich werde den Herren die
Epistel lesen!«

       *       *       *       *       *

Ich, meinesteils, hatte kein Gelübde getan, aus den mancherlei
Erlebnissen dieser Art vor meinen täglichen Bekannten ein Geheimnis zu
machen, und so hatten denn durch mehr als einen Mund jene Anekdoten auch
ihren Weg in des Herrn v. Cölln damals vielgelesene »Feuerbrände« und
einige andere politische Tagesschriften gefunden und bei manchem noch
altgläubigen Militär mitunter Anstoß erregt. Wer aber hätte es glauben
sollen, daß es irgend einst einem solchen einfallen könnte, mich, den
Unschuldigsten bei dem gesamten Handel, deshalb feierlichst in Anspruch
zu nehmen? Dennoch geschah es also, und auch hierüber gehöre ja wohl ein
kurzer Bericht in meine Lebensgeschichte.

Von einem der Kommandanten, die auf Gneisenau folgten, ward ich eines
Tages durch eine Ordonnanz auf eine bestimmte Stunde in seine
Amtswohnung geladen. Ich ging und ward in einen großen Saal geführt, den
ich von den sämtlichen Offizieren unserer Besatzung gefüllt fand. Mitten
unter ihnen saß der Garnisonauditeur L* hinter einem Tische, den viele
Schriften und Schreibmaterialien bedeckten. Alles hatte so ziemlich die
Miene eines großen gerichtlichen Aktes.

Sofort nach meinem Eintritt kam mir der Kommandant mit einem gedruckten
Buche in Quarto entgegen und bedeutete mir: er habe mir etwas
vorzulesen, auf das ich ihm sodann antworten werde. -- Ich hatte nichts
dawider, und er setzte hinzu: »Sollten die Worte und Beschuldigungen
erlogen sein, so verdiene der Schriftsteller, daß ihm der Prozeß gemacht
werde, und man werde bei Sr. Majestät des Königs höchster Person darauf
antragen, ihn exemplarisch bestrafen zu lassen.« -- Und nun zu dem
ganzen Zirkel: »Meine Herren! Ich werde lesen, Sie werden hören!« Jetzt
las er mir das Geschichtchen von der Nachtmütze im Ratskeller, und
verlangte darüber eine weitere Erklärung. »Die wird am leichtesten zu
geben sein,« versetzte ich, »wenn, wie ich glaube, der Herr Hauptmann
*** hier in der Versammlung gleichfalls zugegen ist.« -- Zu gleicher
Zeit schaute ich ein wenig umher und erblickte ein Stückchen von ihm
hinter und zwischen einer Gruppe von Kameraden, die mich jedoch nicht
verhinderten, meinen Mann hervor an das Tageslicht zu ziehen. Nun kam es
denn zu einem Katechismusexamen, wo es auch von ihm hieß: »Und er
bekannte und leugnete nicht,« -- daß sich alles so verhalte, als dort im
Buche stände, denn ich führte ihm die drei unverwerflichen Zeugen zu
Gemüte, welche damals neben uns gestanden.

»Allein,« nahm nun der Kommandant aufs neue das Wort, »wie steht es um
dies zweite Geschichtchen, das ich Ihnen vorzulesen habe, -- von einer
schlaftrunkenen Wegelagerung, wobei der Major *** in ein so nachteiliges
Licht gestellt ist?« -- Er las, und meine Gegenfrage war: »Hätte der
Herr Major in der Tat etwas dagegen?« -- Ich sah mich nach ihm um, fand
ihn und wiederholte nun Wort für Wort, was damals zwischen ihm, seinen
Begleitern und mir verhandelt worden. Der Mann, zum Leugnen zu ehrlich,
spielte hierbei eine etwas einfältige Rolle, während der Auditeur
frischweg protokollierte und sich fast die Finger lahm schrieb. -- Nun
endlich noch die Gewissensfrage: »Ob _ich_ diese Erzählungen dem Verfasser
der Feuerbrände mitgeteilt hätte?« -- Das konnte ich mit Wahrheit
verneinen; und so nahm das gestrenge Inquisitionsgericht ein Ende, ohne
daß weiter Gutes oder Böses dabei herausgekommen wäre. Auch habe ich
mich ferner nicht darum gekümmert.

       *       *       *       *       *

Überhaupt muß gesagt werden, daß seit Gneisenaus Abschied zwischen
Militär und Bürgerschaft meiner Vaterstadt sich ein Verhältnis gebildet
hatte, welches mit der jüngst verflossenen Zeit gemeinschaftlichen
Bedrängnisses in einem traurigen Gegensatze stand und mir wie jedem
patriotisch gesinnten Herzen unendlich viel Unmut, Kummer und Sorge
erweckte.

Kolbergs militärische Wichtigkeit, zumal in jener schwierigen Zeit nach
dem Frieden von Tilsit, war lebhaft anerkannt worden, aber eben dadurch
fühlte sich auch die Besatzung des Platzes in ihrer Bedeutung gehoben
und zu Ansprüchen von mancherlei Art berechtigt. Darüber, und weil dies
bald einigen Widerstand erzeugte, hatte sich in allen Berührungen mit
den bürgerlichen Behörden ein gewisser unfreundlicher Ton
eingeschlichen, der immer schmerzlicher empfunden wurde. Es sollte alles
martialisch und gewaltig bei uns zugehen, als wenn es noch mitten im
Kriege wäre, wogegen der Bürger nur durch die milden bürgerlichen
Gesetze des Friedens beherrscht sein und von außerordentlichem
Kriegszwange nichts mehr wissen wollte. Die Lasten der Einquartierung
bei einer noch immer sehr starken Garnison, die an sich schon lästig
genug waren, wurden es noch mehr dadurch, daß die Verteilung derselben
sich ungesetzlich in den Händen einer außerordentlichen Kommission
befand, die von ränkesüchtigen Köpfen nach Gunst oder Ungunst geleitet
ward. Böse Ratgeber der nämlichen Art belagerten das Ohr der Machthaber
und freuten sich des gestifteten Unheils; überall Neckerei, Reibung und
abgeneigter Wille, und -- zum Übermaß dieses Notstandes -- eine
vielleicht nicht hinlänglich beschäftigte Anzahl alter und junger
Militärs, deren Überschwang an Lebendigkeit sich in mancherlei Störungen
des friedlichen bürgerlichen Verkehrs, in Prügelszenen, in gewaltsamen
Angriffen und Verwundungen rechtlicher Männer kund tat.

Auf der anderen Seite ist ebensowenig in Abrede zu stellen, daß unseren
Einwohnern durch die Belagerung das Herz ein wenig groß geworden. Sie
hatten in ungewöhnlichen Anstrengungen auch ungewöhnliche Kräfte in sich
erwecken müssen, und so wie sie sich dadurch selbst im Werte gehoben
fühlten, wollten sie sich auch von anderen besser geachtet wissen.
Vielfach hatten sie auch in der Zeit der Not bedeutende Opfer an
Eigentum und Vermögen dargebracht; hatten gehofft, nach des Feindes
Abzuge durch mancherlei Erleichterungen sich für soviel Einbußen und
Entbehrungen entschädigt zu sehen, und fühlten sich nun doppelt
getäuscht, da statt der gehofften goldenen Zeit nur neue herbe Früchte
für sie reiften. Zwar was das allgemeine Mißgeschick damals über unser
armes bedrücktes Vaterland schwer genug verhängte, hätten sie gern und
freudig mit ertragen, aber so manche örtliche und besondere Belastung
wäre ihnen füglich zu ersparen gewesen, und konnte nicht verfehlen,
einen dumpfen Mißmut zu erregen. Dennoch blieben ihre Klagen stumm und
scheuten sich, ein Königsherz, dem das Schicksal bereits so große
Prüfungen auferlegt, noch tiefer zu bekümmern.

Wie aber mußte denn nicht jedes wackere Bürgerherz sich um so tiefer von
Dank und Freude ergriffen fühlen, als ein Königliches Kabinettsschreiben
vom 21. Oktober 1807 an die verordneten Stadtältesten Dresow und
Zimmermann den Beweis führte, daß Kolberg in seines gütigen Herrschers
Beachtung und Fürsorge unvergessen geblieben, indem uns darin unter den
huldvollsten Ausdrücken, der Erlaß unseres Anteils an der allgemeinen
französischen Kriegskontribution, im Belauf mehr als hundertachtzigtausend
Talern angekündigt wurde.

       *       *       *       *       *

Als im Jahre 1809 durch die eingeführte neue Städteordnung überall die
bisherige Magistratsverfassung abgeschafft und den Bürgerschaften ein
erweiterter Einfluß auf die Verwaltung zugestanden wurde, wußte sich die
Menge in die verbesserten Einrichtungen nicht sogleich zu finden; die
Ränkeschmiede und Selbstlinge aber waren nur um desto eifriger darauf
bedacht, ihr Schäfchen dabei zu scheren und den blinden Unverstand nach
ihren geheimen Absichten zu bearbeiten. Als es daher zur ersten Wahl der
Stadtverordneten und eines neuen Magistrats kam, ging es dabei so
stürmisch, unmoralisch und ordnungswidrig zu, daß jeder rechtschaffene
Mann sein äußerstes Mißfallen daran haben mußte.

Es kann mir also auch nicht als Lobspruch gelten, wenn ich, obwohl als
erster Stadtverordneter gewählt, mich dieser Ehre bedankte und mit einer
Versammlung nichts zu schaffen haben wollte, von deren Gesinnungen ich
nichts als Unheil für die Stadt erwarten konnte. Zwar fehlte es nicht an
dringendem Zureden meiner Freunde, welche in der Meinung standen, daß
ich durch Übernahme jenes Postens, wenn auch nicht Gutes sonderlich zu
fördern, doch manches Böse durch meinen Einfluß zu verhüten imstande
sein würde; allein das ganze Wesen, so wie es sich da gestaltet hatte,
war mir ein Greuel, und ich lehnte es standhaft ab, mich damit zu
befassen. Noch ärger ward das Ding, als nun demnächst zur Ratswahl
selbst geschritten werden sollte. Kabalen kreuzten sich mit Kabalen;
einige rechtliche Männer, welche die gesetzliche Stimmenmehrheit für
sich gehabt, wurden tumultuarisch wieder ausgestoßen, und ich hörte
sogar von tätlichem Handgemenge, worin die Anhänger der verschiedenen
Parteien sich gestritten hatten.

So wie ich mir nun in stiller Klage mit anderen Biedermännern dies
schändliche Unwesen tief zu Herzen nahm und täglich Zeuge sein mußte,
wie es immer weiter um sich griff und eine widerrechtliche Anordnung auf
die andere folgte, so setzte ich mich hin und schilderte Sr. Majestät
dem Könige unmittelbar und umständlich, mit Gewissenhaftigkeit und
Wahrheit, wie alle diese Sachen bei uns ihren Verlauf gehabt. Ich nahm
mir dabei den Mut, hinzuzufügen, daß, wenn Se. Majestät die jetzt
bestehende Stadtverordneten-Versammlung nicht gänzlich kassierte und zur
Wahl einer neuen mittels einer unparteiischen Kommission schreiten
ließe, der Wirrwarr immer größer werden und nur mit dem Untergange
unserer gesamten städtischen Wohlfahrt endigen werde.

Es geschah auch, was ich vertrauensvoll gehofft hatte. Der Monarch
beschied mich in einer gnädigen Antwort, daß, meinem Antrage gemäß, die
dermalige Stadtverordneten-Versammlung von Stund' an suspendiert und dem
Minister v. Domhardt die Ernennung einer Kommission aufgetragen sei, um
die Vorfälle untersuchen zu lassen und erforderlichenfalls neue,
rechtmäßigere Wahlen zu verfügen. Der Minister benachrichtigte mich, daß
er den Polizeidirektor Struensee zu Stargard zum Kommissarius in dieser
Sache ernannt habe, und dieser meldete mir den Zeitpunkt seines
Eintreffens in Kolberg und gab mir auf, bis dahin meine verschiedenen
Klagepunkte gehörig zu ordnen.

Von allen diesen Schritten wußte niemand, weniger zurückhaltend war ich
in meinem freimütigen -- oft wohl etwas derben Urteile über all den
Unfug, der täglich unter meinen Augen vorging. Natürlich waren nur
dergleichen Äußerungen, die zudem nicht im Winkel gesprochen worden, den
Leuten, denen es galt, fleißig zu Ohren gekommen. Die ganze Korporation
kam darüber in Harnisch und ernannte eine Deputation aus ihrer Mitte,
mit dem Kaufmann S** an der Spitze, um eine Klage wider mich wegen
ehrenrühriger Beschuldigungen beim Stadtgerichte anzubringen. Die Sache
war bereits anhängig geworden und mir ein Termin angesetzt, wo ich
erscheinen und mich verantworten sollte.

Es ist ein wunderlich Ding, daß all meine Händel vor der Obrigkeit
anfangs immer ein hochgefährliches Ansehen hatten und zuletzt doch ein
lächerliches Ende nahmen. Das begab sich auch hier. Ich trat zur
bestimmten Stunde vor die Schranken, und der Stadtgerichtsdirektor
Harder deutete mir an: ich sei in diesem und jenem durch vorlautes
Absprechen und Urteilen über eine löbliche Stadtverordneten-Versammlung,
wofern die deshalb erhobene Klage gegründet, gar sehr straffällig
geworden. Letztere solle mir jetzt vorgelesen und meine rechtliche
Verantwortung gewärtigt werden.

»Das möchte sein,« erwiderte ich, indem ich mich zugleich gegen die
anwesenden drei gegnerischen Deputierten wandte, »wenn ich nur diese
Herren noch für wahre und wirkliche Stadtverordnete anerkennen könnte,
nachdem des Königs Majestät sie sämtlich von ihren Ämtern suspendiert
hat.« -- Ohne mich auch weiter an die großen Augen zu kehren, welche
eine so frevle Rede hervorbrachte, zog ich das königliche Handschreiben
aus der Tasche und gab es stillschweigend in des Direktors Hände. Der
nahm und las, erst für sich allein, dann laut und vernehmlich vor allen
Anwesenden. Ich aber, nachdem ich mich einige Augenblicke an den
verlängerten Gesichtern geweidet, erklärte dem Gerichte weiter:
solchergestalt fände ich auch keinen Beruf in mir, jetzt auf die
erhobene Klage weiter zu antworten, wozu sich vielmehr wohl eine andere
und bessere Gelegenheit finden werde.

»Recht gut!« sagte der Direktor mit einiger Verlegenheit, indem er mir
das Schreiben zurückgab und ich mich zum Fortgehen anschickte. -- »Aber
wir haben einen Termin abgehalten und hier sind Kosten aufgelaufen. Wer
wird die bezahlen?«

»Nun, das werden die Herren, die sie verursacht haben, sich ja wohl
nicht nehmen lassen,« erwiderte ich lachend, und ich hatte recht
geraten. Denn sogleich auch erbat sich Herr S** die Erlaubnis, mit
seinen Begleitern auf wenige Augenblicke abtreten zu dürfen, und nachdem
sie sich draußen beraten, zog jener großmütig seinen Beutel und zahlte
der Justiz ihre Gebühren.

Wenige Tage später trat auch der Königliche Kommissarius Struensee in
dieser Eigenschaft bei uns auf, und meine Anklage gegen die
Stadtverordneten und den von ihnen erwählten Magistrat ward in seine
Hände übergeben. Ich hatte reichen Stoff gefunden, sie seit meiner
ersten Anzeige noch um manches himmelschreiende Faktum zu vermehren, so
daß es denn kein kleines Sündenregister gab, welches ich nach und nach
bei der Kommission zu Protokoll diktierte und worüber ich die
erforderlichen Beweise beibrachte. Anderseits wurden auch die
Angeschuldigten vorgeladen, und nach genauester Untersuchung fiel die
Entscheidung dahin aus, daß einige der Schuldigsten förmlich von ihrem
Posten entsetzt und zur Bekleidung städtischer Amts- und Ehrenstellen
auf immer für unzulässig erklärt wurden.

Nach dieser Reinigung leitete der Kommissarius eine neue, ordnungsmäßige
Wahl beider Kollegien ein, wodurch das städtische Interesse besser
beraten war, und alle Gutgesinnten bessere Hoffnungen für die Zukunft
schöpfen konnten. Ihre Stimmen erkoren mich zum ersten unbesoldeten
Ratsherrn, und zu diesem Stadtamte bin ich seitdem auch bei jeder neuen
Wahl bestätigt worden; -- ein Beweis von dem Zutrauen meiner Mitbürger,
der meinem Herzen immer sehr wohlgetan hat, wiewohl mein Alter und die
damit verbundene Schwachheit mahnt, mich nunmehr von allen öffentlichen
Geschäften vollends zurückzuziehen.

       *       *       *       *       *

Um die nämliche Zeit ward mir durch des Königs Gnade eine ganz
unerwartete Auszeichnung zuteil. Es war Sr. Majestät, ich weiß selbst
nicht auf welche Weise, zur Kenntnis gekommen, daß ich einst vor langen
Jahren in wirklichem königlichen Seedienste gestanden, und demzufolge
ward mir jetzt die förmliche Erlaubnis erteilt, die königliche
Seeuniform zu tragen. Warum sollte ich leugnen, daß gerade _diese_
Vergünstigung einen tiefen Eindruck auf den alten Seemann in mir machte,
dessen Patriotismus sich immer und unter allen Himmelsgegenden mit
einigem Stolze zur preußischen Farbe bekannt hatte? Zudem fühlte ich
mich damals noch rüstig, meinem Landesherrn auch auf meinem
eigentümlichen Elemente in Krieg und Frieden einige nutzbare Dienste
leisten zu können, und nur des leisesten Winkes hätte es bedurft, um
alles zu verlassen und unter jeder Zone für Preußens Nutzen und Ehre zu
leben und zu sterben!

Die Rückkehr unseres gefeierten Königspaares von Preußen nach Berlin im
Dezember des Jahres 1809, war ein Ereignis, das meine Seele mit hoher,
freudiger Teilnahme beschäftigte. Einem Gerüchte zufolge sollte der Weg
über Kolberg führen; aber der Anblick unserer Trümmer konnte nicht
erfreulich und uns selbst es daher kaum wünschenswert sein, das
landesväterliche Herz damit zu betrüben. Auch erfuhren wir bald, daß die
Strenge der Jahreszeit die nächste und kürzeste Richtung geboten habe
und der königliche Reisezug am 21. in Stargard eintreffen werde, um dort
einen Rasttag zu halten. Es war also auch zu erwarten, daß die
pommerschen Stände und andere Behörden der Provinz sich dort dem Könige
vorstellen würden.

Diese Nachricht traf mich am 19. abends in einer Gesellschaft, wo viele
würdige Männer unserer Stadt beisammen waren. »Wie!« rief ich aus, »so
viele unserer Landsleute sollen dort vor dem Könige stehen, ihm ihre
frohen Glückwünsche darzubringen, und nur aus unserer Vaterstadt sollte
sich niemand zu einer solchen freiwilligen Huldigung eingefunden haben?
Das hat weder der König um Kolberg, noch wir um ihn verdient! Seine
Gnade hat uns erst unlängst eine Kriegssteuer von nahe an
zweimalhunderttausend Talern erlassen, bei welcher schicklicheren
Gelegenheit könnten wir ihm dafür unseren Dank bringen, als wenn eine
Deputation der Bürgerschaft sich jetzt dazu auf den Weg machte?
-- Vollmacht? Trägt sie nicht jeder mit seinem Gefühle der Dankbarkeit im
eigenen Herzen? Wird dort nach Vollmacht gefragt werden, wo wir nichts
bitten, nichts verlangen, und wo nur allein unsere Glück- und
Segenswünsche aus einem begeisterten Herzen hervorquellen werden?«

Alles war meiner Meinung, aber alles glaubte auch, es sei nicht mehr an
der Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn um zu rechter Zeit
zur Stelle zu sein, würde man noch den nämlichen Abend sich auf den Weg
machen müssen. -- »Nun, und wenn es sein müßte,« unterbrach ich die
kühlen Zweifler, »warum nicht auch schon in der nächsten Stunde? _Ich_ bin
dazu bereit, aber ich bedarf noch eines Gefährten. Wer begleitet mich?«

Ringsherum nichts als Schweigen und Kopfschütteln, und schon wollte ich
im feurigen Unmute auflodern, als der Kaufmann, Herr Gölckel, mir die
Hand reichte, sich mir zum Gefährten erbot, in einer Stunde reisefertig
zu sein versprach und nun selber zur Eile trieb, damit wir noch vor
völligem Torschlusse die Festung im Rücken hätten. Ich selbst übernahm
es, die Postpferde für uns zu bestellen.

Glücklich auf den Weg gelangt, bemerkten wir erst draußen auf dem Felde,
daß es eine stockdunkle Nacht gab, und daß es schwer halten werde, des
rechten Weges nicht zu fehlen. Wirklich auch hatten wir noch nicht Spie
erreicht, als wir inne wurden, daß wir uns verirrt und genötigt waren,
auf einem weiten Umwege wieder auf die Poststraße zurückzukehren. Dies
machte mich so ungeduldig, daß ich dem Postillion Zügel und Peitsche aus
den Händen riß, um selbst zu kutschieren, und es könnte wohl sein, daß
ich ihm nebenher einige fühlbare Denkzettel auf den Rücken zugemessen
hätte. So ging es langsam weiter von Station zu Station, ohne daß mein
stetes Treiben sonderlich fruchtete, oder daß ich auf die Vorstellung
meines gleichmütigeren Reisegefährten viel gegeben hätte, der mir
bemerklich machte, daß wir auf diese Weise mitten in der nächstfolgenden
Nacht in Stargard anlangen und dann in dem überfüllten Orte kein
Quartier finden würden.

In der Tat war es auch, als wir an Ort und Stelle kamen, noch so früh am
Morgen, daß wir noch alles in Finsternis und Schlaf begraben fanden.
Dies hinderte jedoch nicht, daß ich gleich zunächst dem Tore mir ein
Haus drauf ansah, vor welchem ich zu halten befahl. Es wurde
abgestiegen, angeklopft und, nachdem es drinnen munter geworden, mit
lauter Stimme Herberge begehrt. Die Antwort war, wie sie zu erwarten
stand, eben nicht sehr tröstlich: alles sei dicht besetzt und kein
Unterkommen mehr möglich. -- »Aber, liebe Leute,« rief ich dagegen, »den
alten Nettelbeck werdet ihr doch nicht auf der Straße stehen lassen?« --
»Nein, wahrhaftig nicht!« scholl eine weibliche Stimme dagegen.
»Tausendmal willkommen! Da muß sich schon ein Winkelchen finden!« -- Und
es fand sich auch so bequem und wohnlich, daß wir noch in guter Ruhe
einige Stunden ausschlafen konnten. Mein Reisegefährte hatte große Lust,
sich über diesen Zauber meines bloßen Namens zu verwundern; allein ich
entzauberte ihn schnell, indem ich ihm erklärte, daß ich bloß meinen
alten freundlichen Wirt wieder aufgesucht, bei welchem ich vor nicht gar
langer Zeit gehaust hätte, als ich hier das Kind meines Freundes, des
Regierungsrates Wisseling, aus der Taufe gehoben.

Noch vormittags ward die Ankunft des königlichen Paares erwartet, dessen
Zug vor unserm Hause vorüber mußte. Wir warfen uns also in unsre
Staatskleider -- _ich_ in meine Admiralitätsuniform, mein Gefährte in die
Uniform der Bürgergarde, und erwarteten auf einer erhöhten Treppe den
für unser Herz so teuren Anblick. Wagen auf Wagen mit Königlichem
Gefolge rollten vorüber. Endlich um zehn Uhr nahte der König selbst,
neben ihm die Königin, langsam in einem offenen Wagen. Es klopfte uns
hoch in der Brust und wir verbeugten uns ehrerbietig samt allen übrigen,
ohne zu wissen, ob wir bemerkt wurden.

Jetzt forderte ich meinen Begleiter auf, dem Zuge mit möglichster Eile
zu folgen oder lieber noch zuvorzukommen, um die Gelegenheit zu unsrer
persönlichen Vorstellung nicht zu versäumen, bevor der Monarch noch
dichter umzingelt würde. Denn was für ein Eulenspiegelstreich wäre es
gewesen, uns im Namen einer ganzen Stadt auf den Weg gemacht und dennoch
unser Wort nicht angebracht zu haben! Allerdings war das Gedränge um des
Königs Quartier unbeschreiblich groß und lebendig, aber mein
treuherziges: »Kinder, maakt en betken Platz!« und auch wohl die paar
Streifen Gold auf unsern Röcken halfen uns zuletzt glücklich durch das
Gewühl, bis wir durch das Spalier des Militärs vorgedrungen waren, uns
unter die bunten Gruppen der Offiziere und diensttuenden Adjutanten
mischten und so zuletzt die Flur des Hauses erreichten.

Noch kam es darauf an, uns mit unserm Wunsche, vorgelassen zu werden, an
den rechten Mann zu wenden, als wir von des Königs Gemächern einen
Stabsoffizier die Treppe herniedersteigen sahen, der auf uns zuging und
mich freundlich fragte: »Gelt, Nettelbeck, Sie wollen den König
sprechen? Dann ist's gerade an der rechten Zeit. Kommen Sie!« -- Zugleich
faßte er mich und meinen Freund an der Hand und stieg in unsrer Mitte
die Treppe hinauf. Nicht ohne seltsame Verwunderung fragte ich ihn: »Wie
kommt mir das Glück, daß Sie mich bei Namen keinen?« -- »Und darüber
wundern Sie sich?« war die Antwort. »Bin ich nicht in Kolberg bei Ihnen
in Ihrem Hause gewesen?« -- Es war der General v. Borstell.

Indem wir oben ankamen, fanden wir zwei schwarzgekleidete Männer,
Deputierte von der Kaufmannschaft einer benachbarten Stadt, vor der
offenen Flügeltüre, die zu des Königs Audienzzimmer führte. Der General
wies sie vor uns hinein und wir folgten dann nach. Das ganze große
Zimmer war erfüllt von Generalen, Damen und Standespersonen, worunter
mir die Prinzessin Elisabeth, die von Stettin gekommen war, der General
v. Blücher und andre bemerkbar wurden. Alles blitzte von Ordenszeichen
jeder Art, und es gab eine feierliche Stille, bis der König hereintrat,
samt seiner königlichen Gemahlin, und die Anwesenden ihnen nach der
Reihe vorgestellt wurden.

Vor uns traten die genannten beiden Deputierten vor, die etwas beklommen
schienen und überaus leise sprachen, so daß uns davon sowie von des
Königs Antwort wenig oder nichts hörbar wurde. Als sie sich
zurückgezogen hatten, wandten beide hohe Personen sich zu uns, und mich
anblickend, fragte der König: »Nicht wahr, der alte Nettelbeck aus
Kolberg?« -- und dann, während wir unsre Verbeugung machten, zu meinem
Gefährten gekehrt: »Die Kolberger sind mir willkommen!«

Wir hatten im voraus verabredet, uns, wenn es dahin käme, in unsern
Vortrag zu teilen, damit wir nicht beide durcheinandersprächen. Ich hob
demnach an: »Ew. Majestät geruhen gnädigst, uns zu erlauben, daß wir im
Namen unsrer Mitbürger Ihnen fußfällig unsern Dank bringen für die große
Gnade und Wohltat, die Sie unsrer guten Vaterstadt haben angedeihen
lassen. Wir haben dafür kein andres Opfer, als die abermalige
Versicherung unsrer unerschütterlichen Treue, nicht allein für uns,
sondern auch für unsre spätesten Nachkommen, denen wir mit gutem
Beispiele vorangegangen sind. Stets soll es ihnen in Herz und Seele
geschrieben bleiben: Liebet Gott und euern König und seid getreu dem
Vaterlande!«

Hierauf wandte sich der König halb gegen uns und halb gegen die hinter
ihm stehende glänzende Versammlung und sprach in lebendiger Bewegung die
Worte: »Kolberg hat sich bereits im Siebenjährigen Kriege treu gehalten
und dadurch die Liebe meines Großoheims erworben. Auch jetzt hat es das
Seinige getan, und wenn ein jeder so seine Pflicht erfüllt hätte, so
wäre es uns nicht so unglücklich ergangen.«

Jetzt nahm mein Freund das Wort und äußerte, wie nahe es uns gehen
würde, wenn unsre Gegenwart bei Sr. Majestät eine unangenehme Erinnerung
aufregte, allein die Gefühle unsrer dankbarsten Verehrung hätten uns
nicht zurückbleiben lassen wollen, und ganz Kolberg teile unsre
Gesinnungen. Der König erwiderte darauf: »Ich weiß es; wenn früh oder
spät einmal es die Umstände gebieten, werden die Kolberger auch gerne
wieder für mich auftreten.«

Hier fing ich Feuer und brach begeistert aus, indem ich mit der Hand auf
mein Herz schlug: »Ew. Majestät, dazu lebt der freudige Mut in uns und
unsern Kindern, und verflucht sei, wer seinem Könige und Vaterlande
nicht treu ist!« -- »Das ist recht! das ist brav!« versetzte der
Monarch, und als er darauf fragte, wie wir sonst in Kolberg lebten, gab
ich zur Antwort: »Gut, Ew. Majestät! Kleinigkeiten machen wir unter uns
ab, und ist es etwas Bedeutendes und wir können nicht durchkommen, da
wenden wir uns geradezu an Ew. Majestät. Wir hoffen, Sie werden uns
nicht sinken lassen.«

»Nein, nicht sinken lassen -- nicht sinken laß ich euch!« rief der
König, wobei er mir die Hand entgegenbot. »Wendet euch nur an mich, und
was zu erfüllen möglich ist, soll geschehen.« -- Dann fragte er, ob wir
eigens dieserhalb gekommen wären, oder ob uns andre Geschäfte nach
Stargard führten? -- »Kein andres Geschäft, als der Auftrag der
Unsrigen,« entgegnete ich, »und eben dadurch wird dieser Tag der
glücklichste unsres Lebens.«

Jetzt beurlaubte uns der König mit den Worten: »Ich danke euch! Grüßt
eure guten und braven Mitbürger und sagt ihnen, auch ihnen dankte ich
für die Treue und Anhänglichkeit, die sie mir erwiesen haben. Haltet
immer auf Religion und Moralität.« -- Als wir uns darauf verbeugten und
Miene zum Abtreten machten, sagte der König: »Sie bleiben noch hier!« --
worauf auch bald hernach die Königin sich näherte, neben ihren Gemahl
trat und sich mit gütigem Lächeln und der Bemerkung zu uns wandte: »Wir
haben uns heute schon gesehen,« -- und der Monarch fiel ihr ein: »Nicht
wahr? Ich hatte doch recht geraten?« -- So ergab sich's denn, daß ich
oder meine Uniform dem königlichen Paare bereits im Vorbeifahren
aufgefallen sein mußte. Sie aber fuhr zu mir fort: »Ich bin gewiß recht
froh, Sie hier zu sehen und persönlich kennen zu lernen.« -- »Und ich,«
war meine Antwort, »ich danke Gott dafür, daß er mich den Tag hat
erleben lassen, wo meine Augen den guten König und unsre allgeliebte
Königin in solchem Wohlsein erblicken. Der Name des Herrn sei dafür
gelobt!« -- So erhielten wir nunmehr unsre gnädige Entlassung, eilten
nach unserm Gasthofe zurück und waren von Herzen froh, unser Geschäft so
wohl und mit solchen Ehren abgetan zu haben.

Indes hatte mein Freund sich entfernt, um einige Besuche in der Stadt
bei seinen Bekannten abzustatten, als etwa nach einer Stunde ein
königlicher Page, der uns lange vergeblich gesucht und erst durch den
Polizeidirektor Struensee hatte ausfindig machen können, zu mir eintrat,
um uns zur königlichen Tafel einzuladen. Es war spät; mein Gefährte war
abwesend und ich mußte mich entschließen, ohne ihn zu gehen. Im
Tafelzimmer hatte auch schon alles seine Plätze eingenommen. Als ich
dann mich dem Könige präsentierte, fragte er nach meinem
Mit-Deputierten, und als ich darauf nicht Genügendes zu erwidern wußte,
fiel ein ungnädiger Blick auf den Pagen, der noch nächst der Türe stand,
daß er seinen Auftrag so unvollständig ausgerichtet.

Ein Kammerherr führte mich zu meinem Sitze hin, wo rechts der General
v. Pirch und links der General-Chirurgus Görke meine Tischnachbarn waren.
Beide unterhielten sich mit mir während der Tafel aufs freundlichste und
ersterer erbot sich, heute abend zu dem großen Balle, der von der Stadt
veranstaltet worden, seinen Wagen zu meiner Abholung bei mir vorfahren
zu lassen, was mit herzlichem Danke angenommen wurde.

Nach aufgehobener Tafel machte ich, wie ich es die andern tun sah, dem
königlichen Paare das stumme Zeichen meiner Verehrung und war im
Begriffe, gleich jenen mich zu entfernen, als der König mich noch
bleiben hieß und dann der Königin einen Wink gab. Hierauf kam dieselbe
herbei und führte mich in ein besonderes Nebengemach, wo ich nun mit
freudiger Überraschung mich ohne Zeugen dem hohen Paare
gegenübergestellt fand. Beide taten eine Reihe von Fragen an mich, die
ich nach bestem Vermögen beantwortete, deren Inhalt aber nicht in diese
Blätter gehört. Mein Herz geriet dabei mehr und mehr in eine hohe
Bewegung. -- --

Auf dem Balle, zu dem wir, nach des Königs ausdrücklicher Bestimmung,
eingeladen worden, verweilten wir des starken Gedränges wegen nur kurze
Zeit. Des nächsten Morgens reisten wir ab, und zufolge den Wünschen
meines Freundes begleitete ich ihn nach Stettin, wohin ihn Geschäfte
führten und wo uns eine sehr freundliche Aufnahme zuteil ward, so daß
wir mehrere uns zugedachte Güte und Auszeichnung von uns ablehnen
mußten, weil ich mich noch zum Feste wieder nach Hause sehnte und ich
mich überdies ein wenig kränklich fühlte. Mein Geist war aber frei und
froh, und es mag auch wohl sein (was mein Reisegefährte behauptet und
wessen ich mich gleichwohl wenig mehr entsinne), daß ich manches
holländische Liedchen für mich gesungen habe. Das aber kommt nur an
mich, wenn meine Seele in innerem geistigen Wohlbehagen schwelgt.

       *       *       *       *       *

Das war also mein kurzes, aber erfreuliches Leben am Hofe! In ein
längeres hätte ich mich freilich schlecht zu schicken gewußt und
überdies wäre mir dadurch meine gute ehrliche Pfahlbürgerei vielleicht
verleidet worden, zu welcher ich nun mit doppeltem Behagen zurückkehrte
und wobei ich mich ohne Zweifel auch besser befand. Ich hatte meine
frühere Hantierung, soweit meine verminderten Vermögensumstände es
zuließen, klein und bescheiden wieder angefangen und fand dabei, als
ein einzelner Mann von wenigen Wünschen und Anforderungen, auch mein
notdürftiges Auskommen. Ich würde sogar sagen können, daß ich glücklich
und zufrieden lebte, wenn ich irgend bei meinen Hausgenossen, durch die
ich meine Geschäfte betreiben mußte, nur etwas von der Treue und
Anhänglichkeit gefunden hätte, auf die ich rechnete und deren ich
bedurfte. Wenn aber das Gesinde, gegen frühere Zeiten gehalten, schon
vor dem Kriege ziemlich aus der Art geschlagen schien, so hatte es
nunmehr der Krieg selbst und das Beispiel der lockeren französischen
Sitten vollends verdorben, und wenn ich auch zugeben wollte, daß ich in
meinen Forderungen an die junge Welt etwas strenger und mitunter auch
wohl wunderlicher geworden, als jene gutheißen wollte, so ist's darum
nicht minder wahr, daß die, welche mich zunächst umgaben, nur ihrem
eignen unerlaubten Nutzen nachgingen und mich in meinem Haushalte auf
jede mögliche Weise übervorteilten.

Da fiel mir's denn schwer und immer schwerer aufs Herz, daß ich so ganz
abgesondert und verlassen in der Welt dastand. Ich zählte bereits 75
Jahre und in meinen Gedanken hatte ich meine Lebensrechnung sehr viel
früher abgeschlossen. Was sollte mit mir werden, wenn Gott mich noch
nicht wollte? wenn nun die unvermeidlichen Schwachheiten des Alters
näher herzutraten? wenn Kränklichkeit und körperliche Leiden
überhandnahmen? wenn meine edleren Sinne mich verließen? wenn ich
unvernehmlich und kindisch würde? -- Mir grauste, wenn ich auf diese
Weise in die Zukunft blickte! Meine Freunde, denen ich aus diesen
Betrachtungen kein Geheimnis machte, rieten mir lachend, aber bald auch
im wohlgemeinten Ernste, zuversichtlich noch einmal in den Glückstopf
des Ehestandes zu greifen. Ich hingegen schüttelte mächtig den Kopf --
ein Bräutigam mit drei Vierteln eines Säkulums auf dem Nacken! Überdies:
wer, der, wie ich, bereits zwei so böse Nieten aus jenem Topfe gezogen,
hätte sich's wohl zugetraut, das dritte Mal mit dem großen Lose
davonzugehen?

Dennoch war der Gedanke ein Feuerfunke in meine Seele, der unablässig
darin fortglimmte und all mein Sinnen und Streben beschäftigte. Es ließ
sich nicht leugnen, daß der Ruhe und dem Wohlsein meines Lebensabends
nicht füglicher geraten werden konnte, als durch eine Gefährtin, die mir
aus Güte und Wohlwollen die Pflege, welche ich aus bezahlter Hand nur
widerwillig erhalten haben würde, mit unendlich treuerer Sorgfalt
erwiese. Allein wie konnte und durfte ich Greis irgendwo erwarten, daß
ein Frauenherz zu solchen Gesinnungen fähig, den eignen Anspruch ans
Leben dergestalt verleugnen sollte, um es mit mir zu wagen? -- Ich fing
wiederum an, den Kopf noch mächtiger zu schütteln.

Da traten nun endlich meine Freunde im Ernste zu, und ihrem Rate, wie
ihren Vorschlägen, danke ich's, daß nicht nur meine tausend
Bedenklichkeiten besiegt, sondern auch die Einleitungen zur
Verwirklichung meines Entschlusses aufs glücklichste getroffen wurden.
Ihre Bemühungen führten mir eine würdige und erwünschte Gattin zu, die
nicht nur den Pflichten einer Hausfrau im vollen Umfange zu genügen
verstand, sondern die auch durch eine gute Erziehung, Milde der
Gesinnung und reine Güte des Herzens mir in Wahrheit ein großes Los, wie
ich es nimmer gehofft hätte, geworden ist. Tochter eines würdigen
Landpredigers in der Uckermark, war sie zwar frühe Waise geworden, aber
unter der Fürsorge liebreicher Verwandten hatten sich Herz und Geist bei
ihr trefflich gebildet, und es fehlte ihr an keinem Bedingnis für die
Bestimmung zu einem stillen bürgerlichen Leben und Wirken. Was ich
damals schon mit völligster Überzeugung aussprach, das hat sich mir
jetzt, nach beinahe zehn Jahren, noch wahrhafter erwiesen: Gerade so und
nicht anders mußte mir der gnädige Gott eine Gefährtin zuweisen, wenn
sie der Trost und die Stütze meines Alters sein sollte!

So ward ich denn im Jahre 1814 der glücklichste Ehegatte und bin es
noch: allein was den Leser dieser Blätter vielleicht noch weit mehr
überraschen wird, -- ich ward gleich im nächsten Jahre auch _Vater_. Ein
liebes Töchterchen ward mir geboren, und lebt, wächst und gedeiht zu
unsrer herzinnigen Freude. Gleicht es einst der _Mutter_, wie ich mir das
verspreche, an Sinn und Gemüt, so bleibt mir kaum noch etwas zu wünschen
übrig. Was vom _Vater_ auf sie vererben kann und auch vererben soll, ist
freilich nicht viel; doch habe und hege sie nur meine Scheu vor Unrecht
und meine es gut und redlich mit allen Menschen, so wird auch dieses
geringe Erbteil ihr reichlich wuchern! -- Ich nahm mir das Herz, Se.
Majestät um die Übernahme der Patenstelle bei meinem Kinde zu ersuchen.
Des Königs Gnade bewilligte mir nicht nur diese Bitte, sondern erlaubte
dem Täufling auch, in einer teuren Erinnerung, den Namen _Luise_ zu
führen.

Noch führte ich mein Gewerbe einige Jahre mit günstigem Erfolge fort,
als aber in den Jahren 1817 und 1818 die Gewerbscheine zum freien
Betrieb aller Hantierungen im Staate immer allgemeiner verbreitet
wurden, sah ich meinen Nahrungsverkehr fast gänzlich eingehen, denn
belastet mit allen städtischen Abgaben, war es länger nicht möglich, mit
dem vom platten Lande hereingeführten Branntwein Preis zu halten. Mir
blieb auf diese Weise nichts übrig, als diese Fabrikation ganz
aufzugeben, wie wenig ich auch in meinem hohen Alter eine Aussicht
gewann, mich in eine andre Beschäftigung zu werfen und dadurch meinen
täglichen Unterhalt zu sichern. So begann denn meine häusliche Lage in
Wahrheit bedenklich zu werden.

Gleich nach geendigter Belagerung hatte der edle Gneisenau, der um meine
mancherlei Einbußen wußte, sich erboten, mir zur Schadloshaltung eine
königliche Pension zu erwirken. Mein Ehrgefühl lehnte sich dagegen auf,
und mit tränenden Augen bat ich ihn, von diesem Gedanken abzustehen,
denn damals waren meine Umstände noch immer leidlich, und ich hatte
niemand zu versorgen. Gegenwärtig aber, wo meiner Lebenslast noch zehn
Jahre mehr zugewachsen waren, standen meine Sachen um vieles anders, und
ich erkannte es mit dankbarer Rührung, als die Huld meines gnädigen
Königs mir ein jährliches Gnadengehalt von zweihundert Talern aussetzte,
wovon auch nach meinem Tode die Hälfte auf meine Witwe übergehen wird.
Nicht minder ward meiner kleinen Tochter zu ihrer Erziehung eine Stelle
in dem Luisenstifte zugesichert, oder nach meinem und der Mutter bestem
Befinden eine Novizenstelle in dem hiesigen Jungfernstifte vorbehalten.
Gottlob! Nun werden meine Lieben nicht ganz verlassen sein, und ich
werde mein Haupt ruhig niederlegen!

Solchergestalt hätte ich allem menschlichen Absehen nach nunmehr mit
Welt und Leben so ziemlich abgeschlossen, und ich dürfte hier wohl die
Feder niederlegen, wenn ich nicht noch ein paar Schwachheiten zu
beichten hätte, die mich noch in so späten Jahren versucht haben, mich
dennoch mit Welt und Leben wieder zu befassen.

       *       *       *       *       *

Was für ein sonderbares Ding es um das Projektmachen sei, das habe ich
im lebendigen Beispiel an mir selbst erfahren. Der freundliche Leser
erinnert sich ohne Zweifel noch, was für ein feines Plänchen zu einer
preußischen Kolonie am Kormantin ich schon seit den siebziger Jahren auf
dem Herzen trug, und wie ich nach unsres großen Friedrichs Tode einen
neuen herzhaften, aber vergeblichen Anlauf nahm, den Plan zur
Wirklichkeit zu bringen. Seitdem hatte ich nun noch von englischen
Seeleuten hier im Hafen wiederholt vernommen, daß ihre Landsleute längst
zugegriffen und jene Landstriche mit Glück angebaut hätten. Wer sollte
nun nicht gemeint haben, daß endlich jeder Gedanke solcher Art aus
meinem Hirne gewichen sei? Ich glaubte es selbst und schalt mich oft
einen Toren, daß ich so etwas hatte träumen können.

Allein das bunte Traumbild war nicht entwichen, sondern hatte sich nur
in den dunkelsten Hintergrund meiner Gehirnkammern bis auf gelegenere
Zeit zurückgeschoben. Wunderbare Dinge waren vom Jahre 1812 an, vor den
Augen der erstaunten Zeitgenossen, wie vor den meinigen,
vorübergegangen; die Welt war plötzlich eine andre geworden; Frankreichs
Übermacht lag zu Boden, und unser geliebtes Vaterland hatte sich von
seinem tiefen Falle glorreich wieder aufgerichtet. Mein altes Herz
schlug mir jugendlich freudig bei jeder neuen Großtat, welche die
preußischen Waffen verrichtet; ich sah den Staat auf dem Wege, eine
immer glänzendere und ehrenvollere Stelle unter den europäischen Mächten
einzunehmen. Da erwachte plötzlich auch mein alter langgenährter
Lieblingswunsch in der Seele, ich wollte Preußen auch jenseits der
Weltmeere groß, blühend und geachtet sehen, es sollte seine Kolonien
gleich andern besitzen!

Bald ließ es mir bei Tag und Nacht keinen Frieden mehr. Während die
verbündeten Heere 1814 den Kampf der Entscheidung auf französischem
Boden vollends ausfochten, (ich selbst hatte damals noch keine
Ehestandsgedanken, die mir sonst wohl den Kopf zurechtgesetzt haben
würden), mußte ich, um es nur vom Herzen loszuwerden, mich hinsetzen und
an meinen hochverehrten Gönner, dem seine glänzenden Erfolge im Felde
eine bedeutsame Stellung im Staate erworben hatten, etwa in folgenden
Worten zu schreiben:

»Bereits seit vielen Jahren hat mir in meinem Herzen ein Wunsch für
König und Vaterland gebrannt, und ich glaube, die Vorsehung hat gerade
jetzt Zeit und Umstände zu dessen möglicher Erfüllung herbeigeführt.
Dieser Gedanke drückt und drängt mich auch dermaßen, daß ich mich nicht
enthalten kann, ihn hier vor Ew. &c. auszuschütten. Mögen Sie dann auch
von mir denken, wie Sie wollen, oder mich auch gar damit auslachen! Gott
weiß, ich meine es dennoch von Grund des Herzens gut. Aber zur Sache!

»Frankreich ist an unsern preußischen Staat mehr schuldig, als es uns
jemals wird ersetzen können. Sollte aber ein solcher Ersatz nicht auf
andre Weise zu leisten sein, indem es uns in dem bevorstehenden Frieden
(der hoffentlich von Preußen und den verbundenen Mächten diktiert werden
wird), und unter Englands Genehmigung, eine bereits in Kultur stehende
französische Kolonie in Amerika abträte? -- z. B. Cayenne mit ihrem
Zubehör auf dem festen Lande, oder eine andre, in guter Kultur stehende
Insel unter den Antillen, wie Grenada mit den dazugehörigen Grenadillen
oder Dominika. So würden wir die Kolonialwaren, die uns nun einmal ein
Bedürfnis geworden sind und wofür so große Summen aus unserm Lande
gehen, für unsre selbst erzeugten einheimischen Produkte aus jenen
Kolonien unter eigner Flagge und Wimpel eintauschen können. Schweden und
Dänemark sind ungleich ärmer an inländischen Erzeugnissen und finden
dennoch ihren Vorteil dabei, ihre westindischen Besitzungen in St.
Thomas und St. Barthelemy zu unterhalten.

»Daß dieser Handel durch Aktien leicht zustande kommen könnte, leidet
wohl keinen Zweifel, da unsre Kapitalisten gerne ihre Fonds darin
anlegen würden. Nicht nur könnten die Kapitalien assekuriert werden,
sondern auch die Assekuranzprämien im Lande selbst verbleiben. -- Auch
fehlt es uns jetzt nicht an gründlich unterrichteten Seeleuten. Ich
selbst für meinen geringen Teil habe dazu wie bekannt seit dreißig
Jahren mitgewirkt, indem es mein Lieblingsgeschäft gewesen ist, eine
Steuermannsschule zu unterhalten, worin mehrere tüchtige Seemänner
gebildet worden, welche auch jene entfernteren Meere und Gewässer zu
befahren wohl imstande sein würden.

»Ich habe mich hiermit unterwunden, nur ein kleines schwaches Bild aus
meiner Gedankenwerkstatt zu entwerfen; Zeit und Umstände mögen lehren,
ob es von den Weiseren und Machthabern nicht lebendiger auszumalen sein
möchte. Meinesteils schreibe und urteile ich nur als alter Seemann, der
ich in meinen jüngeren Jahren und wiederum von 1770 ab längere Zeit in
holländischen und englischen Diensten jene amerikanischen Küsten und
Gewässer in allen Richtungen befahren habe. Jetzt bin ich 76 Jahre alt,
sollte es aber noch gelingen, daß meine Vorschläge irgend zu ihrem
Zwecke führten, so würde ich mir die Gnade erbitten, das erste
preußische Schiff selbst dorthin führen zu dürfen.«

Zweifle niemand, daß ich in diesem letzteren Erbieten nicht treulich
Wort gehalten hätte! Ich fühlte damals meine Kräfte im ganzen noch
ungeschmälert, und was hätte nichts vollends der Feuereifer vermocht,
womit die Erfüllung meines Lieblingsgedankens mich beseelt haben würde!
Allein diese Erfüllung stand nun einmal nicht im Buche des Schicksals
geschrieben, und ich gab mich endlich gern in den Gründen zufrieden,
welche mir in der wohlwollendsten Gesinnung, als gegen meinen Vorschlag
streitend, aufgestellt wurden; z. B., daß es das System unsres Staates
sei, keine Kolonien in auswärtigen Weltteilen zu haben, daß, wie
vorteilhaft es sonst auch sein möge, durch Absatz der Produkte des
Mutterlandes die Kolonialwaren einzutauschen, uns hingegen ein solcher
Besitz nur abhängig von den Seemächten machen würde usw. Das ließ sich
hören, und dem war denn auch weiter nichts zu entgegnen, wenngleich mein
schönes Projekt darüber in den Brunnen fiel.

Und doch ist es das einzige nicht, was mir in meinen alten Greisentagen
den Herzensfrieden stört und mitunter die schlaflosen Nächte wohl noch
unruhiger macht, obwohl man mich ebensogut um des einen, wie um des
andern willen tadeln möchte, daß ich mir Dinge zu Herzen nehme, die mich
nicht kümmern sollten. Und doch dürfte ich wohl fragen: _Warum_ nicht
kümmern? In jenem war mir's lediglich um die Ehre und den Vorteil meines
lieben Vaterlandes zu tun, die mir bis zum letzten Hauche meines Lebens
teuer sein werden. In dem andern, das ich noch nennen will (obzwar ich
es am Ende auch für eine Schwachheit meines von jeder Mißhandlung,
welche Menschen gegen ihresgleichen üben, tief verwundbaren Herzens
halte), sorge und bekümmere ich mich als Mensch und für die Ehre und den
Vorteil der Menschheit. _Wann will und wird bei uns der ernstliche Wille
erwachen, den afrikanischen Raubstaaten ihr schändliches Gewerbe zu
legen, damit dem friedsamen Schiffer, der die südeuropäischen Meere
unter Angst und Schrecken befährt, keine Sklavenfesseln mehr drohen?_

Wenn ich _das_ noch heute oder morgen verkündigen höre, dann will ich mit
Freuden mein lebenssattes Haupt zur Ruhe niederlegen!

       *       *       *       *       *

Nettelbeck ist 1824, sechsundachtzigjährig, gestorben, seine jüngste,
Seite 454 erwähnte Tochter hat bis 1897 gelebt.

       *       *       *       *       *

Als erster Band der neuen Sammlung »Schicksal und Abenteuer« sind unter
dem Titel »Eine preußische Königstochter« im März 1910 die
»Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Bayreuth«, der klugen und sehr
temperamentvollen Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, ausgegeben
worden. Vor genau hundert Jahren ist bei Cotta in Tübingen die erste
deutsche, bei Vieweg in Braunschweig die erste französische Ausgabe
dieses höchst merkwürdigen Buches erschienen. Was so kurz nach dem
Zusammenbruch des preußischen Staates sensationell wirkte, wird nach
einem Jahrhundert aufsteigender staatlicher Entwickelung und
geschichtlicher Forschung einem ruhigen, aber tiefgehenden menschlichen
Interesse begegnen. Entrüstet oder ergriffen oder amüsiert, niemals aber
gelangweilt, begleitet der Leser diese preußische Königstochter auf
ihrem Lebenswege, die einen wundervollen Frauentyp des achtzehnten
Jahrhunderts darstellt und deren künstlerische Gestaltungskraft stark
genug ist, um die Personen und Zustände am Berliner Hofe wie in der
kleinen fränkischen Residenz vollkommen lebendig werden zu lassen.

       *       *       *       *       *

Memoiren sind keine Geschichte. Später Geborene überblicken mehr. Der
Markgräfin ist Friedrich Wilhelm I. der gefürchtete Vater, dessen Härte
ihr Kindheit und Jugend zerstörte. _Wir_ kennen den Polterer als einen der
größten Erzieher zum Staate, der, den Künsten und Wissenschaften, aber
auch allem Schein und Prunk gründlich abhold, im Willen zur Einfachheit
den Weg zur Macht erkannte und beschritt. _Wir_ wissen, daß der über alles
geliebte Bruder der Markgräfin, Friedrich der Große, sein siegreiches
Schwert diesem Vater verdankte, daß er ohne gerade dieses Vaters Schule
und Erbe nicht der erste Diener seines Staates, der Philosoph auf dem
Throne und der menschlichste der Könige geworden wäre, als den ihn nicht
nur die deutsche Welt bis auf diesen Tag bewundert. Immer wieder
begegnen wir auf den Blättern dieses Buches, das vor nord- und
süddeutschem Hintergrunde eine bedeutende, der nationalen Kultur
vorarbeitende Epoche unserer Vergangenheit veranschaulicht, der
werdenden Größe des alten Fritz, die zu allen Zeiten auch nicht
preußisch Gesinnte mit Goethe »gut fritzisch« gesinnt sein ließ.

       *       *       *       *       *




  Eine preussische Königstochter

  [Illustration]

  Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Bayreuth
  Schwester Friedrichs des Großen
  Herausgegeben von _Johannes Armbruster_
  1,80 Mark in Pappband, mit Lederrücken Mark 3,00

       *       *       *       *       *

  Die Bücher der Rose
  Erster bis sechster Band
  In biegsamem Pappband je M. 1.80, in Ganzleinenband je M. 3.--

  Die Ernte
  aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik
  Gesammelt von _Will Vesper_
  1. bis 85. Tausend 1906 bis 1909

  Alles um Liebe
  Goethes Briefe aus der ersten Hälfte seines Lebens
  Mit biographischen Verbindungen
  und sachlichen Erläuterungen von _Ernst Hartung_
  1. bis 100. Tausend 1906 bis 1909

  Kügelgen
  Jugenderinnerungen eines alten Mannes
  Ausgabe mit großer Schrift und vielen Bildern, z. T. nach
  Gemälden des Verfassers
  1. bis 85. Tausend 1907 bis 1910

  Vom tätigen Leben
  Goethes Briefe aus der zweiten Hälfte seines Lebens
  Mit biographischen Verbindungen
  und sachlichen Erläuterungen von _Ernst Hartung_
  1. bis 65. Tausend 1907 bis 1909

  Der heilige Krieg
  Friedrich Hebbel in seinen Briefen, Tagebüchern, Gedichten
  Herausgegeben von _Hans Brandenburg_
  1. bis 32. Tausend 1907 bis 1910

  Menschen und Mächte
  Ausgewählte Erzählungen von _E. T. A. Hoffmann_
  1. bis 30. Tausend 1908 bis 1910

       *       *       *       *       *

  Die Bücher der Rose
  Siebenter bis zwölfter Band
  In biegsamem Pappband je M. 1.80, in Ganzleinenband je M. 3.--

  Über allen Gipfeln
  Goethes Gedichte im Rahmen seines Lebens
  Mit 30 Bildnissen
  Auswahl und Anmerkungen von _Ernst Hartung_
  1. bis 50. Tausend 1908 bis 1909

  Pitt und Fox
  Die Liebeswege der Brüder Sintrup
  Ein Roman von _Friedrich Huch_
  1. bis 40. Tausend 1908 bis 1910

  Die Droste
  Annette v. Droste-Hülshoff: Briefe, Gedichte, Erzählungen
  Biographisch verbunden und sachlich erläutert von _H. Amelungk_
  1. bis 30. Tausend 1909 bis 1910

  Von Wald und Welt
  Eichendorffs Gedichte und Erzählungen mit Bildern von Moritz Schwind
  Herausgegeben von _Wilhelm von Scholz_
  1. bis 40. Tausend 1909 bis 1910

  Feuertrunken
  Eine Dichterjugend. Schillers Briefe bis zur Verlobung
  Mit biographischen Verbindungen von _Hans Brandenburg_
  1. bis 40. Tausend 1909 bis 1910

  Das zweite Buch
  der Ernte aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik
  Gesammelt von _Will Vesper_
  1. bis 30. Tausend 1910

       *       *       *       *       *

Der Drache, das Zeichen der Sammlung »Schicksal und Abenteuer«, ist die
Wiedergabe des 1414 vom Kaiser Sigismund gestifteten Drachenordens, nach
dem Original im Bayerischen Nationalmuseum zu München von Dora Polster
in München-Schwabing gezeichnet. Derselben Künstlerin verdankt das Buch
die Initialen und seinen sonstigen Schmuck, ausschließlich des Bildnisses
_Nettelbecks_, für das eine alte Vorlage benutzt werden konnte.

       *       *       *       *       *

Das erste bis vierunddreißigste Tausend ist im August 1910 von der
Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig gedruckt worden.

Das Papier hat die Neue Papiermanufaktur zu Straßburg eigens
angefertigt.

Einbände von H. Fikentscher in Leipzig.



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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
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assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
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Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

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increasing the number of public domain and licensed works that can be
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States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
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approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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