Geschwister Plüddekamp : Roman

By Jesco von Puttkamer

The Project Gutenberg eBook of Geschwister Plüddekamp
    
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Title: Geschwister Plüddekamp
        Roman

Author: Jesco von Puttkamer

Release date: April 9, 2025 [eBook #75824]

Language: German

Original publication: Reutlingen: Enßlin & Leiblins Verlagsbuchhandlung, 1910

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHWISTER PLÜDDEKAMP ***





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                     Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
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                       Geschwister Plüddekamp.


                                Roman

                                 von

                         Jesco von Puttkamer.


                            [Illustration]


                             Reutlingen.
                Enßlin & Laiblins Verlagsbuchhandlung.




                         Nachdruck verboten.
                       Alle Rechte vorbehalten.
                    Übersetzungsrecht vorbehalten.
       Vorgeschriebener Aufdruck für die Ausfuhr nach Amerika:
                        +Printed in Germany.
             Copyright 1910 by Carl Duncker, Berlin.+




                                  I.


»Unser jahrelanges stilles Zusammenleben erfährt durch dein Vorhaben
eine wesentliche Veränderung, Herta. Hast du es dir reiflich
überlegt?« fragte Jürgen Plüddekamp und gab seiner Schwester die
Photographie eines jungen Mädchens zurück, die er lange betrachtet
hatte.

»Ich kann meiner Freundin die Bitte nicht abschlagen,« erwiderte Herta
Plüddekamp. »Warum soll ihre Tochter nicht bei mir die Hauswirtschaft
erlernen? Es schadet nicht, wenn ein junges Mädchen mehr Leben bei uns
hineinbringt.«

»Du hast vollkommen recht, Herta,« fiel Wolf Plüddekamp, ihr jüngerer
Bruder, eifrig ein. »Ich bin sehr dafür, Ilse Hergenbach aufzunehmen.
Nach dem Bilde muß sie eine interessante Erscheinung sein.«

»Ilse war bereits in einem Dresdner Pensionat. Sie malt, spielt
Klavier und hat überhaupt künstlerischen Sinn,« erklärte Herta weiter.

»Famos! So wird in unserer Unterhaltung über das ewige
Kaufmannseinerlei endlich eine angenehme Abwechslung entstehen!« rief
Wolf erfreut aus.

Jürgen Plüddekamp, ein großer, breitschultriger Mann von etwa vierzig
Jahren, dessen Haar und Vollbart einen rötlichblonden Schimmer zeigte,
schüttelte unwillig den Kopf, ehe er begann:

»Die völlige Ruhe im Hause ist für mich eine Hauptbedingung. Darin
erstarkt die Schaffenskraft. Natürlich wird dies sofort anders sein,
wenn ein junges Mädchen hier herumtollt und unser tägliches Geleise
stört.«

»Herumtollt? -- Du drückst dich stark aus, Jürgen! Sei nicht so
selbstsüchtig,« hielt ihm Herta vor. »Ich schlug um deinetwillen die
Hand unseres Freundes Martens aus. Du weißt, welchen inneren Kampf
es mich gekostet hat und wie ich frühzeitig zu ernst geworden bin.
Verhindere jetzt, bitte, nicht, daß durch Ilse eine fröhlichere
Lebensauffassung in unsern engen Kreis gelangen kann!«

»Wieso? Ist unser Wölfchen mit seinen sechsundzwanzig Jahren
nicht genug junges Blut im Hause, Herta? Ich sollte meinen, deine
schwesterliche Liebe hat sehr zu tun, um ihn etwas im Zaume zu halten.«

Jürgen stand von dem Mittagessen auf und brannte sich eine kräftig
ausschauende Zigarre an. Beide großen, starken Hände in die
Hosentaschen steckend, stellte er sich vor Herta hin, die den
Nachmittagskaffee einschenkte. Die Geschwister tranken diesen sofort
nach der Mahlzeit. Jürgen und Wolf zogen sich dann bis zum Abend
in die im Parterre des alten Kaufherrnhauses gelegenen Kontorräume
zurück, während Herta meistens eine energische Tätigkeit für
Frauenvereine und deren Veranstaltungen entfaltete.

Alle drei liebten sich zärtlich, obwohl Jürgen nur ein Halbbruder war.
Der verstorbene Geheime Kommerzienrat Plüddekamp hatte zwei Frauen
gehabt. Die Mutter von Herta und Wolf ruhte ebenfalls seit Jahren in
dem großen mit schwedischem Granit ausgelegten Erbbegräbnis der alten
Kaufmannsfamilie.

»Laß doch Wolf seinen Jugendmut!« trat die Schwester jetzt für diesen
ein. »Es gibt noch andere Lebensaufgaben, als nur Weizen, Roggen und
Gerste zu prüfen und neue Grassorten aufzustöbern. Wir sollen nicht
vergessen, die idealen Güter der Menschheit zu pflegen.«

Jürgen ließ als Antwort ein kurzes kräftiges Lachen ertönen.

»Das Korn hat uns groß und reich werden lassen, Herta. Haus Plüddekamp
ist seit hundert Jahren das erste Getreidegeschäft in Stettin. Die
vornehmen Standesherren rechnen es sich zur Ehre an, nach Abschluß
des Geschäftes das Frühstück an unserem Tische einzunehmen. Wir
unterstützen die Landwirtschaft mit beträchtlichen Summen. Mancher
Großgrundbesitzer hätte ohne uns Haus und Hof verlassen müssen,
wenn wir in schlechten Jahren nicht eingesprungen wären. Wolf kann
eines Tages ruhig um eine Gräfin anhalten und wird im Ansehen nicht
zurückstehen.«

»Ich gönne dir dein starkes Selbstbewußtsein, lieber Jürgen! Du
erzogst auch mich dazu. -- Unser Wölfchen aber soll bei der strengen
Pflichterfüllung an deiner Seite nicht versauern und das Leben
genießen.«

»Wahr gesprochen, Goldschwester! Du hast mich nicht für Kornkammern
und kleine Komtessen bestimmt, und ich werde sicherlich einem
ganz bürgerlichen Menschenkinde die Hand reichen. Es muß nur
einen flotten Morgengalopp im Freien lieben, sich mit mir über
die ›Dollarprinzessin‹ freuen, danach einer kalten Veuve Cliquot
huldigen und mich über den neuesten Roman unterhalten können.
Beileibe aber darf sie kein Wort über Ernteerträgnisse, Kornzölle
und Grassamenbedarf fallen lassen! Dafür ist tagsüber Jürgen allein
maßgebend.«

»Spotte nur, Wölfchen!« erwiderte Jürgen, und seine Augen ruhten
dabei wohlwollend auf der schlanken, biegsamen Gestalt des jüngeren
Bruders. »Wirst du erst mein Alter erreicht haben, so pfeifst du dein
Lied etwas anders.«

»Nun, und -- Ilse?« wandte sich Wolf hastig zu Herta, als er sah,
daß diese die Photographie in den Umschlag des erhaltenen Briefes
zurücksteckte.

»Sie wird in etwa acht Tagen eintreffen, wie mir Frau Hergenbach
schreibt, und will nur ihren Geburtstag noch daheim verleben,«
erwiderte die Schwester.

»Hm,« machte Jürgen gedehnt. »Sie ist also erst knapp achtzehn Jahre
alt?« Er trank seine Tasse Kaffee stehend aus und wollte fortgehen,
gab sich jedoch noch selbst vorher die Antwort auf seine Frage, indem
er weitersprach: »Eine neue Generation -- ein Kind der Jetztzeit! Das
vorige Jahrhundert klebt ihm nicht mehr an. Es weiß nichts mehr von
ihm, als daß damals rückständige Menschen lebten. Liebe Schwester
Herta, wäre nicht Hergenbachs Brennerei in Nordhausen ein guter Kunde
von uns, ich würde die Annahme dieser Gegenlieferung gern verweigern.«

Er schloß bei den letzten Worten die hohe dunkle Tür hinter sich, und
seine starken Schritte hallten durch den großen Treppenflur des alten
Hauses.

Wolf blieb noch einen Augenblick bei der Schwester zurück.

»Jürgen ist nun einmal allen Neuerungen feind. Die Vaterstelle,
die er an uns beiden vertreten, läßt ihn auch jetzt seine Fürsorge
übertreiben.«

»Leider,« seufzte Herta leicht auf. »Ich habe mit ihm deshalb manchen
hartnäckigen Streit durchfechten müssen. Er will keine andere Ansicht
als die seine hören. Schließlich aber gibt er mir doch nach.«

»Zeig mir noch einmal das Bild von Ilse Hergenbach, Herta,« bat Wolf.

Die Schwester sah ihn einen Augenblick etwas erstaunt an. Sie zog
alsdann die Photographie aus dem Briefumschlag hervor und reichte sie
ihm.

Die lebhaften blauen Augen des jungen Mannes blieben eine Zeitlang
darauf haften.

»Die Züge sind nicht regelmäßig, aber die Augen -- -- in ihnen liegt
außerordentlich viel, Herta! Sie verlangen, daß man hineinschaut, und
je länger man es tut, desto vertiefter wird ihr Ausdruck.«

»Ei, ei!« drohte die Schwester mit dem Finger, »gib schnell das Bild
her, es verhext dich sonst.« Sie ließ es rasch wieder verschwinden
und fuhr dann in ernstem Tone fort: »Du fängst wirklich etwas schnell
Feuer, Wölfchen.«

»Ich denke nicht daran, Herta! Das flüchtige Interesse für eine
Photographie will doch nichts bedeuten! Man kann wohl in manchen
Augen Romane lesen, aber diese dort, die du schleunigst hast wieder
verschwinden lassen, -- sind noch ohne Geschichte --«

»Vielleicht liegt aber die Erwartung einer solchen in ihnen -- und
das darf nicht sein, Wolf. Ich trage die Verantwortung dafür, und du
willst sie mir doch nicht erschweren? -- Wir verplaudern uns aber --
geh hinunter! Du weißt, Jürgen liebt es nicht, wenn du bei der Öffnung
der eingegangenen Nachmittagspost fehlst.«

»Dieser ewige Zwang, Herta! Genau auf die Minute anfangen und --
aufhören, wenn der letzte Laufbursche das Kontor verläßt. Ich dürste
geradezu nach Erlösung von diesem Büroleben -- nach der Freiheit im
Fühlen, Denken und Handeln! Jürgen hätte mich nicht zwingen sollen,
in dem alten Geleise mitzutraben. Ich bin kein Paßpferd für ihn. Nun
ist es zu spät, etwas anderes zu ergreifen. -- Heute nachmittag kommen
Lieferungen für den Export, die erst in den Trieuren gereinigt werden
müssen. Den Staub dabei zu schlucken -- einfach schauderhaft! Der
Lagerhausinspektor kann aber nicht überall zugegen sein -- so heißt
es: ›Wölfchen -- du siehst natürlich nach -- wir müssen absolut reine
Ware haben.‹ -- Adieu, Schwester --« endete der junge Mann die ernst
begonnene Rede mit lautem Lachen und rief noch von der Tür zurück:
»Für den Abend, an dem Ilse eintrifft, halte ich mich frei und gehe
nicht ins Theater.«

Herta war allein. Sie ließ die elektrische Klingel ertönen, und sofort
erschien ein sauber gekleidetes junges Mädchen mit einem weißen
Häubchen auf dem Haar, das den Eßtisch abräumte.

Das letzte Stäubchen mußte entfernt sein, ehe Herta das Speisezimmer
verließ. Sie waltete mit einer Sorgfalt ihres Amts, die von den
Brüdern bewundert wurde.

Im Plüddekampschen Hause ging es musterhaft zu, und Frau Hergenbach,
eine ältere Freundin Hertas, wollte darum, daß ihre Tochter gerade
dort die Pflichten der Hausfrau erlernen sollte.

Dies Kapitel war nicht einfach. Heute verstehen die jungen Mädchen
alles eher, als die Führung eines Haushaltes, -- ›unmoderne Arbeit‹
lautet die Bezeichnung dafür. Wozu gibt es geschulte Stützen der
Hausfrau, die alle Fächer erlernt haben? Es ist immer noch Zeit,
sich diese Kenntnisse nebenbei anzueignen, inzwischen muß aber die
Jugend genossen werden. Das überschäumende, prickelnde Dasein in der
Werdezeit hat für ernste Dinge so wenig Raum.

Herta sann nach. Ob Ilse Hergenbach sich ihren Wünschen und
Anforderungen unterziehen würde? Das junge Mädchen kam aus dem
hochpulsierenden Leben Dresdens; würde es sich in den großen, dunklen
Räumen des altertümlichen Hauses wohl fühlen?

Die vorgefaßte Meinung des älteren Bruders gegen Ilse Hergenbach, --
und wiederum die lebhafte Art Wolfs, dessen Herz sogleich unruhig
wurde, wenn ihn ein schönes Frauengesicht fesselte! Der arme Bursch,
er fühlte alles stark und tief, immer sprach das innere Leben bei ihm
mit, so viel er auch scherzte und sich harmlos in seiner Bahn bewegen
wollte. Jürgen, der klare, einfache Verstandesmensch, war besser daran.

Herta befand sich plötzlich in ihrem Zimmer dem großen Wandspiegel
gegenüber und warf einen Blick hinein. Sie war eine stolze, vornehme
Erscheinung. Mit dem einfach gescheitelten Haar, den frischen Farben
auf den Wangen und den klaren Augen konnte sie wohl noch gefallen
und jene Sympathie dabei hervorrufen, die Frauenwürde beanspruchen
darf. Nur um den feingeschnittenen Mund lag ein Hauch von Herbheit,
etwas Fremdes, das zerstörend in die Gesichtslinien eingriff. -- Der
Verzicht auf eigenes Glück sprach daraus, -- die Beendigung eines
langen Seelenkampfes.

Sie kleidete sich jetzt rasch zum Ausgehen an, um ihre Pflichten im
Frauenverein zu erfüllen. Ehe sie aber das Haus verließ, gab sie
ihren Mädchen noch bestimmte Anweisungen.

Die hohen Wohnräume lagen in völliger Stille da. Von den
holzgeschnitzten Decken herab, aus den heimlichen Winkeln und Ecken
hervor ertönte ein kaum hörbares Flüstern und Raunen. Die kleinen
Hausgeister hielten ihre Zwiesprache ab. Jahrhunderte stand Haus
Plüddekamp fest in seinen Mauern und hatte allen Stürmen getrotzt.
Es zeigte die altfränkische Einfachheit der Vorfahren, den ruhigen,
lauterdenkenden Geist früherer Kaufherren. Die spöttelnden Blicke
moderner Menschenkinder prallten von dieser Kraftfülle ab, oder
sie flatterten scheu darüber hinweg, weil sie ein Verstehen alter,
vornehmer Zeit nicht mehr in sich vorfanden.

Das stolze Haus mit seinem hohen Giebel nach der Straße, dem malerisch
vorspringenden Erker, der mächtigen Toreinfahrt sprach deutlich
zu jedem, der es vernehmen wollte. Der Erker gehörte zu Jürgens
Schreibzimmer, dessen ganze innere Einrichtung schwer massiv und
altertümlich war. Nur das elektrische Licht und das Telephon hatte
sich den Eingang erzwungen. Schon Urahne, Großvater und Vater gaben
sich hier nach den täglichen Geschäftssorgen der Muße hin. Die
Hausgeister waren in diesem Zimmer am lautesten. Sie begannen in dem
entstandenen tiefen Dunkel ein ungezogenes Lärmen.

»Jürgen! Jürgen! Jürgen!« summte es hin und her. Jürgen Großvater,
Jürgen Vater, Jürgen Sohn -- alle groß, stark, von festem,
unbezwingbarem Willen getragen. Sie hingen in goldumrahmten Bildnissen
an der Wand, und die Lichtwellen der Straßenbeleuchtung huschten
zuweilen darüber hinweg.

Scharf umrissene Charakterköpfe, die nicht im Eisenpanzer gekämpft,
aber mit rastloser Tatkraft gearbeitet hatten, um den Namen und
Glanz der alten Firma zu begründen. Jürgen Plüddekamp, der Enkel,
hing bereits dort, sich den Vorfahren in allen Eigenschaften des
gediegenen, ehrenhaften Kaufmanns anreihend. Nur Wolf Plüddekamp
fehlte noch, und als sein älterer Bruder ihn eines Tages bewegen
wollte, einem Porträtmaler zu sitzen, sträubte er sich heftig dagegen.

»Ich bin noch zu jung, um abkonterfeit zu werden! Die Ölfarben für
mich sind noch nicht gemischt!« erwiderte er lachend.

Jürgen schaute ihn nach diesen Worten lange an. Wolf hatte recht;
seine sonnig-lächelnden, jugendlichen Züge paßten nicht in die Reihe
der ernstblickenden Gesichter der Vorfahren hinein. Er aber, Jürgen,
-- warum hing er schon zehn Jahre dort? Die mächtige weiße Stirn, der
kräftige Nasenrücken hatten ihm schon mit dreißig Jahren das Äußere
eines vollgereiften Mannes gegeben. Seit jener Zeit veränderte er sich
wenig. Der Geheime Kommerzienrat Jürgen Plüddekamp stellte seinen
ältesten Sohn mit achtzehn Jahren in dem Geschäft an. Drei Jahre
später wurde dieser bereits Teilhaber. Jürgen war also von Jugend auf
mit der Firma verwachsen -- und hatte für nichts anderes Gedanken
gehabt. Diese zu hüten, zu fördern, wachte er am Morgen auf, legte er
sich abends nieder.

»Jürgen! Jürgen! Jürgen!« summte es weiter an den Wänden. »Habt ihr
nicht über Arbeit und Geldaufhäufen -- das Leben vergessen? Nun ist
ein Sproß des alten Hauses gekommen, der nach dem Sonnenlicht der
Daseinsfreude Verlangen empfindet. Was kann daraus entstehen?«

Ein Lichtstrahl erhellte die alten Jürgengesichter -- ihre Augen
schauten streng in das sie umgebende Dunkel hinein. »Nicht die
vorgezeichnete Bahn verlassen,« war in ihnen zu lesen.

Langsam verschwand das Licht. Leise erstarb das summende Geräusch.
Totenstille ringsum. -- --




                                 II.


»Jochen, -- Jochen!« erscholl es aus der großen Toreinfahrt über
den Hof hinweg. »Teufel, wo steckt der Jochen wieder!« setzte Wolf
Plüddekamp halblaut hinzu.

Die große vierschrötige Gestalt des Aufsehers und Hausfaktotums
stapfte jetzt über das Pflaster des Hofes heran. Der Mann mußte schon
an sechzig Jahre zählen. Sein Rücken zeigte eine leichte Krümmung;
das kam von der gehabten schweren Arbeit. Der mächtige Oberkörper des
Riesen stak in einer dicken Flauschjacke, und an den Füßen trug er
halbhohe Schaftstiefel, die einem Steindenkmal zur Ehre gereicht haben
würden.

Er stand nun vor dem jungen Kaufherrn, der bei seinem Anblick ein
schalkhaftes Lächeln nicht unterdrücken konnte. Jochen Hindorf war
eine biedere, ehrliche Seele, die, seit mehr als einem Menschenalter
im Hause Plüddekamp erprobt, deshalb eine Sonderstellung einnahm. --

»Jochen! Wo bleibst du denn? Du glaubst wohl, daß ich meine Lunge
gestohlen habe?« fuhr Wolf ihn an.

Jochen Hindorf wußte, daß die Worte nicht ernst gemeint waren.

»Jäh -- Herr Wolf! Ich bin ja schon da!«

»Das sehe ich, Jochen! Du hast mich aber lange genug warten lassen.
Ist das Transportauto von der Lastadie gekommen?«

»Jäh woll -- Herr Wolf!«

»Wird abgeladen?«

»Jäh woll -- Herr Wolf!«

»Jochen -- du riechst mörderlich nach Schnabes -- -- du hast dich wohl
schon vorzeitig gestärkt!«

»Näh -- Herr Wolf! Nur 'nen kleinen Schnaps genommen.«

»Jochen, der wird drei Daumen breit an der Flasche zu messen gewesen
sein -- --«

»Hö, hö, hö!« lachte Jochen Hindor wohlgefällig. »Meine Daumen sind
eklig breit, damit kann ich nicht beim Schluck hantieren. Ich mach's
nach Gutdünken.«

»Dann bist du jeder Verantwortung in bezug auf das Quantum ledig,
Jochen! Weiß schon --«

»Jäh, Herr Wolf! So 'ne alte Haut -- hält keine Wärme mehr, -- da muß
ich gründlich einheizen.«

Wolf Plüddekamp lachte hell auf.

»Hast recht, alter Knabe! Wer lang trinkt, der lebt lang! Ich glaube,
du hast dies zur Richtschnur genommen. -- Muß ich noch auf den
Speicher oder --?«

»Hat der Chef es gesagt?« warf Jochen bedächtig ein. Er sprach
manchmal Platt, dann aber wieder etwas Hochdeutsch dazwischen, je
nachdem seine Stimmung war und der Pegel des Alkohols stand.

Jürgen Plüddekamp galt den Leuten gegenüber immer als der Hauptchef
der Firma, obwohl Wolf Plüddekamp ebenfalls an dieser beteiligt war.

Herta und Wolf besaßen nicht das gleiche Vermögen wie Jürgen. Das
mütterliche Erbe des ältesten Bruders war sehr bedeutend gewesen,
während die zweite Frau des Geheimen Kommerzienrat Plüddekamp nur
große Schönheit besaß, -- um derentwillen der reiche Mann sie
heiratete.

»Du kannst es dir doch denken, Jochen!« antwortete Wolf jetzt. »Aber
hör mal, alte Schnapsseele! Wenn Jürgen fragt -- bin ich oben. Rauf
steigt er ja nicht. -- Also verstanden! Ich habe etwas vor und da will
ich -- --«

»Ist auch gar nicht nötig -- Herr Wolf! Ich besorge alles prompt,
amüsieren Sie sich man gut. Und dann wollt ich nur man noch sagen --
die Flasche mit dem alten Dänen ist rein zu Ende, an der muß aber
gründlich gemaust sein.«

»Oder deine Daumen haben nicht ausgereicht, Jochen! Ich werde dir den
Stoff wieder mitbringen!«

»Bei der Winterzeit -- Herr Wolf! Kalte Füße.«

»In deine Elefantenstiefel und die dicken Wollnen von Muttern dringt
doch die Kälte nicht hinein, Jochen.«

»Das sagen Sie so, Herr Wolf. Aber stundenlang beim Aufladen zu stehen
-- nächstens --«

»Ich glaube dir alles, Jochen!«

»Jäh woll -- Herr Wolf.«

Der Alte machte etwas schwerfällig kehrt und verschwand über den von
hohen elektrischen Bogenlampen erleuchteten Hof nach den Speichern zu,
denen sich ein tiefer Garten bis zur nächsten Straße anschloß.

Das alte Haus mit seinem Hinterland war für neue Verhältnisse von sehr
großer Ausdehnung und hatte darum einen hohen Wert. In der Bilanz
standen Gebäude und Areal noch ebenso zu Buch wie vor hundert Jahren.
Es war nie ein Wertzuwachs hinzugefügt worden. Diese stille Reserve
des Familienvermögens betrug viele Hunderttausende.

Jürgen Plüddekamp konnte alljährlich mit wohlberechtigtem Stolz
auf die Zahlen hinschauen, die er Wolf nur flüchtig zeigte, um das
Bilanzbuch sofort wieder in einem Sonderfach des Geldschrankes zu
verschließen.

Im großen Speicher begann das geräuschvolle Rollen und Schütteln
des Korns in den Trieuren. Eine dichte graue Staubwolke umzog die
Maschinen, durchhellt von dem Schein des elektrischen Lichtes.

Der Roggen wurde in breite Haufen aufgeschüttet. Die Ware stieg durch
das Reinigen bedeutend im Werte und sollte exportiert werden.

Als das leere Transportauto durch die große Toreinfahrt wieder auf
die Straße hinausrollte, sah Jürgen Plüddekamp im Kontor auf die
Uhr. Er konnte nach der seit der Ankunft verflossenen Zeit genau
kontrollieren, ob die Sackträger ihre Schuldigkeit getan hatten.
Einen Augenblick schaute er auf den leeren Platz ihm gegenüber, den
sonst sein Bruder Wolf einnahm, und nickte mit dem Kopfe, als ob er
sich selbst eine Zustimmung gebe. -- Dann langte er nach einer blauen
Kapitänsmütze, die zu seinem täglichen Gebrauch in Haus und Hof an der
Wand hing, setzte sie auf und ging durch das anstoßende große Kontor
zur Torflur hinaus.

Die Buchhalter standen vor den mächtigen, stark gebundenen Büchern und
machten ihre Eintragungen. In der Korrespondenzabteilung klapperten
die Schreibmaschinen, sie wurden von jungen Leuten bedient. Jürgen
Plüddekamp liebte keine Maschinenschreiberinnen.

»Junge Mädchen lassen ihre Augen zuviel spazieren gehen, Herta! Es
beeinträchtigt die Arbeit meiner Angestellten. Vor mir fallen die
Augenklappen ernst herunter, hinter mir blitzt es gleich wieder los.
Eine Schwerenöterin ist stets darunter, und der Ärger bleibt nicht
aus. -- Danke dafür.« So lehnte er es seiner Schwester ab, einige
ihrer Schützlinge unterzubringen.

Im Kontor des Hauses Plüddekamp mußte ohne Unterbrechung gearbeitet
werden, dafür gab es eine pünktliche Arbeitseinteilung.

Jürgen war in der großen Toreinfahrt verschwunden, die jungen Leute im
Kontor reckten ihre Köpfe in die Höhe. Die Schreibmaschinen standen
einen Augenblick still und leises Gespräch wurde hörbar. Sowie es aber
einen etwas lauteren Charakter annahm, ertönte die helle Stimme des
Prokuristen Armin:

»Bitte, meine Herren, äußerste Ruhe! Sie wissen, der Chef liebt keine
Unterhaltung.«

Einige hastig hingeworfene Worte ließen sich noch von den einzelnen
Schreibtischen vernehmen, dann klapperten die Maschinen wieder mit dem
raschen Aufschlag der Tasten.

»In einer halben Stunde muß sämtliche Korrespondenz von heute dem
Chef vorgelegt werden!« Der Prokurist Armin sprach kurz und bündig,
seine Anordnungen klangen darum wie militärische Befehle. Er hatte
mit Jürgen zusammen bei einem Stettiner Regiment gedient. Von dort
datierte bereits ihre Freundschaft, aus der ein gegenseitiges hohes
geschäftliches Vertrauen entstanden war. Wolf selbst konnte es bei
seinem Bruder in dem Maße nicht erreichen.

Jürgen tauchte aus der Dunkelheit auf und stand plötzlich vor dem
alten Hindorf.

»Jochen, warum bringst du die Ladeliste nicht ins Kontor?«

Der Alte schrak zusammen und verbarg hastig etwas im Innern seiner
dicken Flauschjacke. Jürgen hatte es aber bereits bemerkt.

»Du bist unverbesserlich, Jochen! Nächstens setze ich dich ganz zur
Ruhe. Ich brauche Leute, die pünktlich auf die Minute ihren Dienst
versehen. Gib mir jetzt die Liste.«

Der Alte holte diese aus einer vorderen Tasche der Jacke hervor und
reichte sie Jürgen schweigend hin.

»Hat sich beim Abladen nichts herausgestellt?«

»Nä--h, Herr Plüddekamp!« Der Alte brachte es mit bitterer Betonung
hervor.

»Desto besser! Ist mein Bruder auf dem Speicher -- beim Kornreinigen?«

»Nä--h, Herr Plüddekamp!«

Jochen Hindorf hatte diese Antwort ohne Absicht in einem Anflug von
verschlucktem Ärger und Bitterkeit hervorgestoßen. Er besann sich
jedoch sofort und begann zu stottern: »Jäh -- woll, Herr Plüddekamp!
Er -- ist oben!«

»Du redest Unsinn, Jochen, und hast wieder zu tief in die Flasche
gesehen! Es geht auf keinen Fall mit dir so weiter! Ich werde einmal
selbst nachschauen!«

Ganz bestürzt, daß nun das Fehlen Wolfs herauskommen mußte, stellte
sich Jochen Hindorf rasch in die Treppentür des Speichers. Sein
mächtiger Körper füllte den großen Türrahmen beinahe aus, so daß
niemand an ihm vorüber konnte.

»Es staubt ganz gewaltig, Herr Plüddekamp, und das ist der Lunge nicht
gut!«

»Was fällt dir ein, Jochen! Mach sofort Platz! Ich will hinauf!« stieß
Jürgen barsch hervor.

Jochen zögerte noch einen Augenblick, sein Liebling Wolf war in
Gefahr. Lieber wollte er jetzt für den geschehenen Fehler alles auf
sich nehmen.

»Ich will Herrn Wolf doch runter rufen, Herr Plüddekamp. Sie haben
keinen Staubkittel an.«

»Es geht auch ohne diesen,« erwiderte Jürgen scharf, schob Jochen
Hindorf trotz seiner Schwere schnell beiseite und sprang wuchtig die
Stufen zu den Speicherräumen empor.

Als er einige Zeit darauf wieder herunterkam, schritt er an dem alten
Aufseher vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

»Dunnerlüchting!« fluchte dieser. »Wie haben die franzö'schen
Gefangenen bei uns im Barackenlager immer gesagt: ›Grand malhör!‹ Hm
-- -- -- das ist nun da! Mein Herr Wolf ist reingefallen und der alte
Däne ist für mich futsch.«

Jürgen Plüddekamp hing in seinem Privatkontor die Mütze an die Wand
und ging einige Male stark auf und ab. Die Dielen knarrten unter
seinen schweren Schritten.

»Wolf hat es doch nicht nötig, mir etwas vorzuflausen! Warum tut er
es?« dachte er. »Er besitzt die völlige Freiheit, zu kommen und zu
gehen, wie es ihm gefällt. Ist sein jetziges Verhalten eines echten
Kaufmanns würdig? -- Auf das einfache Wort eines Mannes soll man
Häuser bauen können. Und Wolf! -- Um sich zwei Stunden Aufsicht zu
ersparen, zieht er selbst den alten Hindorf mit in Unwahrheiten
hinein. -- Ich habe es dir in die Hand gelobt, Vater, über ihn zu
wachen. Je älter er aber wird, desto schwerer ist es für mich.«

Es klopfte. Ein Angestellter brachte die fertige Korrespondenz und sah
sich erstaunt um, weil der Chef nicht den gewohnten Platz einnahm. --
Jürgen atmete schwer auf. Er machte sich an die Arbeit, die Briefe zu
unterzeichnen. Aus der breiten Goldfeder, deren er sich dazu bediente,
floß es in markigen Buchstaben: »Jürgen Plüddekamp.«




                                 III.


Am nächsten Morgen hatten die Brüder eine längere Aussprache. Wolf
hielt auf die Anschuldigungen Jürgens diesem sofort entgegen:

»Du zwingst mich durch dein fortgesetztes Überwachen zu törichten
Ausreden, die mir selbst zuwider sind. Zieh aber keine krause Miene,
wenn ich zuweilen den Tagesdienst für ein paar Stunden satt habe.«

»Wolf! Es ist doch unser Geschäft! Das deine -- wie das meine. --
Haben wir nicht die verdammte Pflicht, jeder unser Bestes dafür
einzusetzen? Sollen deine Nachkommen einst sagen: ›Die Firma
Plüddekamp hat früher besser dagestanden!‹ Wird der Konkurrenzkampf
nicht täglich, ja sogar stündlich gewaltiger? Können doch bereits
in Stunden Gewinne verloren gehen, sogar Verluste entstehen. Die
Nichtbeachtung eines späten Telegramms kostet unter Umständen
Tausende. Man muß daher in einem derartigen Geschäftsbetriebe
fortgesetzt auf dem Posten sein! Nur durch energische Arbeit,
gepaart mit scharfem kaufmännischem Verstande, ist heute noch ein
Vorwärtskommen möglich -- und vorwärts wollen wir!«

Wolf hatte die Worte des Bruders ruhig über sich ergehen lassen.
Seine lebhaften blauen Augen irrten ein paar Sekunden an der
gegenüberliegenden Wand ziellos umher.

»Du hast mir dies schon häufiger gesagt und bist in deinem Recht,
Jürgen!« erwiderte er dann, und der Ton seiner Stimme vibrierte leise.
»Ich besitze aber auch das meine, und es lautet etwas anders: das
Leben ist nicht nur -- Arbeit, nicht nur -- Drang nach Kapitalbesitz!
Das Leben verlangt auch gebieterisch, einer inneren Stimme zu genügen.
Der eine Mensch drückt seinen Wert nur in Zahlen als Guthaben auf
dem Bankkonto aus, er ist nach amerikanischem Muster bei seinen
Mitmenschen -- fein-fein. Den andern aber, dem nicht nach weiterem
Vermögen verlangt, treibt es -- das Schöne auf der Erde zu suchen und
es an sich zu reißen, wo er es auch finden mag. Er ist ein Mensch, der
sich noch ein Stück Idealismus bewahrt hat und Zahlen nicht schätzt,
er ist in euren Augen ein -- Abtrünniger --«

»Wolf -- kein Wort weiter!« Jürgen hatte es heftig ausgerufen. Auf
seiner Stirn schwoll die Zornesader der Plüddekamp dunkelblau an.
»Unser Vater hat es gewünscht, daß ich dich ins Geschäft aufnehmen
sollte. Er kannte meine Abneigung, eine Ehe einzugehen! Meine Familie
waret ihr, -- Herta und du! Habe ich je etwas in der Sorge für euer
Wohl verabsäumt? Nun wuchern deine Vorwürfe wie schwarzes Mutterkorn
in vollreifen Ähren. Das darf nicht sein, Wolf. Sonst --«

»Nun, sonst?« fragte Wolf gereizt.

Jürgen Plüddekamp richtete seine strengblickenden Augen fest auf den
jungen Mann, aber sein Mund blieb geschlossen. Er sprach ein hartes
Wort, das er gedacht hatte, nicht aus. Erst nach einer geraumen
Weile, als die Frühpost hereingebracht wurde und Prokurist Armin die
Anordnungen entgegennehmen wollte, sagte er plötzlich:

»Es ist heute ein schöner Herbsttag. Graf Thadden-Bützenbrück verlangt
einige tausend Zentner bestgereinigten Roggen zur Aussaat! Willst du
mit ihm verhandeln, Wolf? Er ist einer unserer guten Kunden. Bleibe
nur zu Tisch dort, du erhältst sicher eine Einladung.«

Wolf schaute zur Straße hinaus. Die goldenen Sonnenstrahlen tummelten
sich dort auf den Pflastersteinen umher, blitzten auch zuweilen auf
den starken Stahlbändern des Lastautos auf, das soeben nach den
Speichern auf der Lastadie abfahren sollte. Es zog ihn mächtig
hinaus, -- nur fort aus der dumpfen, ihn bedrückenden Kontorstube! --

»Gut! Ich werde hinausreiten!« erwiderte er dann, und auf seinem
Gesicht begann ein freundliches Lächeln zu entstehen. »Ich habe also
Urlaub für den ganzen Tag -- sollte jedoch Graf Thadden nicht anwesend
sein oder mich nicht einladen --«

»Ausgeschlossen, Wolf! Übrigens reite dann weiter zum Oberamtmann
Wichers. Sage ihm einen Gruß von mir und -- horche einmal, wie hoch
die Lieferung ausfallen wird. Von seinem Boden kommt immer das vollste
Korn. Wichers ist einer unserer besten Landwirte. -- Wir können ihm
ruhig etwas mehr zahlen. Wichers Roggen -- schüttet Gold.«

»Ja, Jürgen! Zu Wichers reite ich noch auf alle Fälle. Wenn ich auch
erst in der Nacht zurückkehren kann. Die Landstraße hat einen guten
Sommerweg. -- Herr Armin,« wandte er sich an den Prokuristen, »ich
möchte die Proben für Graf Thadden mit der heutigen Preisnotierung
haben.«

Der Prokurist verließ sofort das Privatkontor, um das Gewünschte zu
holen.

»Jürgen -- du bist doch ein guter Kerl,« fuhr Wolf fort, »und meine
Worte von vorhin tun mir eigentlich leid. Du hast mich mit edler Waffe
geschlagen. Ich bringe heute todsicher ein gutes Geschäft zustande.
Am Abend spiele ich mit Lieschen Wichers vierhändig Klavier. -- Du
sagst es Herta bei Tisch, damit sie nicht mit dem Abendbrot auf mich
wartet. Und dann -- laß meine Flunkerei Jochen nicht entgelten. Ich
hatte ihn gestempelt, -- der brave Alte konnte nicht anders.«

Jürgen lachte aus vollem Halse.

»So will ich dich haben, mein Wölfchen! Nun gefällst du mir wieder,
und ich werde von heute ab den bösen Mentor einengen, wo und wie ich
es nur kann.« --

Eine halbe Stunde darauf schwang sich Wolf Plüddekamp in elegantem
Reitanzug aufs Pferd. Man sah ihm dabei sofort den flotten Reiter an.

Jürgen ging zu Wolf hinaus und klopfte den schlanken Hals des
prächtigen Fuchses mit seiner kräftigen Hand. Das Blutpferd wurde
unruhig und trat hin und her.

»Verliere die Proben nicht, Wölfchen! Du hast sie nur lose in die
Seitentasche gesteckt.« Der Fuchs wollte anspringen und kaute heftig
auf dem Gebiß. -- »Warte noch einen Augenblick, -- ich knöpfe dir die
Tasche zu,« und als dies geschehen, fuhr er fort: »Nun bist du sicher
-- und kannst so stark traben, wie du willst! Vergiß nicht, Wichers zu
grüßen.«

Der feurige Fuchs ließ sich nicht länger zurückhalten und machte
einige kräftige Sprünge. Wolf saß fest im Sattel und hatte ihn sofort
wieder am Zügel. Er grüßte mit der Reitpeitsche und trabte die Straße
hinunter, um bald auf dem weichen Reitweg der nahen Anlagen zu
verschwinden.

Jürgen schaute ihm eine Zeitlang nach.

»Allzu scharf macht schartig! Ich will ihm die Zügel etwas länger
lassen. Er kommt schon allein wieder auf das Richtige zurück,« dachte
er bei sich, als er in das Kontor ging, um noch einige Anordnungen zu
erteilen.

       *       *       *       *       *

Wolf ließ den Fuchs dahintraben. Das Gefühl von Jugend und Kraft,
das ihn beseelte, brachte die glücklichste Stimmung in ihm hervor.
Lieschen Wichers war ein liebes Mädchen, ein echtes zukünftiges
Hausmütterchen, -- gut erzogen, ein wenig musikalisch, und hatte
oft lustige, schalkhafte Einfälle. Sobald sie vierhändig Klavier
spielten, schaute sie ihn neckisch an. Der Oberamtmann konnte sich
natürlich keinen besseren Schwiegersohn wünschen, seine Tochter keinen
hübscheren Mann. Wolf Plüddekamp entflammte die Herzen aller jungen
Mädchen in der Umgegend, mit deren Vätern seine Firma geschäftliche
Beziehungen pflegen mußte.

Sein Bruder sandte ihn deshalb gern zu neuen Abschlüssen. Jeder
töchterreiche Vater hoffte im stillen auf Absichten dabei, und Kauf
wie Verkauf wickelte sich schneller ab als sonst. Lieschen Wichers
war Wolf bisher ganz sympathisch gewesen, er hatte sogar manchmal
weiter gedacht und sich geprüft, ob sein Puls in ihrer Nähe schneller
schlage. -- Leider geschah es nicht, trotz der frischen Farben auf
ihren Wangen. Wie dies nur zuging? Es fehlte etwas, das er sofort in
den Augen auf Ilse Hergenbachs Bild erkannte. Ein unbewußt Anziehendes
-- ein tolles Aufjauchzen vor Lust, und doch dabei ein tiefes
Insichgekehrtsein und Zurückbeben -- miteinander streitende Gefühle,
die jede Fiber des Körpers erregten. Wie kam dies alles nur in die
Augen hinein? Es mußte sich ihm bald zeigen. Er wollte es ergründen,
es kennen lernen. Würden Körper und Seele bei ihr schon soweit
entwickelt sein, um alle Fragen beantworten zu können? -- Er erwartete
den Tag der Ankunft Ilse Hergenbachs mit größter Spannung -- alles
andere war ihm gleichgültig geworden. Klavierspiel, -- wie alltäglich!
Jetzt kam etwas Aufrüttelndes, er sehnte die Stunde herbei, in der er
endlich anfangen würde, es zu erleben. -- --

Jürgen und Herta saßen noch bei einer Partie Schach, als er spät in
der Nacht heimkehrte.

»Tee und Sandwiches stehen für dich bereit, Wölfchen,« sagte Herta
freundlich. »Du wirst sicher noch einen verborgenen Hunger haben,
trotz der kräftigen Hausmannskost bei Oberamtmann Wichers. Hat nicht
Fräulein Lieschen ihre Gänsesülze besonders gelobt?«

»Erraten, Herta! Aufs Tüpfelchen erraten! -- Spielt nur eure Partie zu
Ende, -- ich stärke mich einstweilen. Nach dem zweistundenlangen Trabe
revoltiert der Magen wirklich noch einmal!«

»Nun -- Wölfchen?« schaute Jürgen ihn fragend an, »Gutes erreicht?«

»Du wirst mit mir zufrieden sein, Jürgen. Ich bin genau deinem Rate
gefolgt. Graf Thadden hat Sorte B gekauft, -- längeres Ziel als sonst.
Hm, darüber müssen wir noch reden. Sein Sohn hat etwas zu kräftig
verbraucht. Komtesse Marie verriet es mir.«

Jürgen lächelte.

»Ein längeres Ziel macht nichts aus. Bützenbrück hat vortrefflichen
Boden, der eine Scharte rasch wieder auswetzt. Der junge Graf schlägt
über die Stränge. In Berlin verpulvert sich ein brauner Schein sehr
schnell, wenn man Graf ist und den alten Namen glänzend vorstellen
will.

Manchmal reicht kein Vermögen hin. Der alte Graf legte als
vorsichtiger Mann die Mitgift für Komtesse Marie auf der Reichsbank
fest; -- der junge Graf sorgte dafür, daß sie wieder abgehoben wurde.«

»Bei Wichers war es gemütlich wie immer,« erzählte Wolf mit
Unterbrechung, indem er einige Sandwiches verzehrte. »Er kann
zehntausend Zentner mehr liefern, als er gedacht hat. Die Proben
habe ich mit. Als die Preisfrage besprochen wurde, kam Lieschen
Wichers dreimal ins Zimmer hinein, und dabei gelang es mir richtig,
einige Prozent Skonto abzuhandeln. Es ist über tausend Mark, und der
Oberamtmann zog ein Gesicht, als wir die Abschlußnotizen in unseren
Büchern vornahmen. -- -- ›Sie sind schlimmer als Ihr Bruder,‹ meinte
er. Beim Abendessen fuhr er aber ein paar alte Flaschen Rheinwein auf
und lud mich ein, bald wieder herauszukommen.«

»Wirst du es tun, Wölfchen?« fragte Herta, vom Spiel aufsehend. Sie
hatte soeben einen Springer günstig aufgestellt und hoffte Jürgen mit
ein paar weiteren Zügen matt zu setzen.

»Vielleicht!« antwortete Wolf gleichgültig. »Wie's Wetter wird. Es ist
immer ein starker Ritt für den Fuchs nach Wershagen. Der Gaul spürt
es ein paar Tage in den Knochen.« -- Der junge Mann ließ sich den
Nachtimbiß weiter munden.

Herta und Jürgen vertieften sich in ihre Partie, die anscheinend dem
Ende zuging. Der Sieg schien sich, auf Hertas Seite zu neigen.

»Wölfchen -- komm her! Jetzt kann Jürgens König nicht mehr entweichen
-- seit langer Zeit gewinne ich einmal --«

»Noch -- nicht,« warf Jürgen gedehnt ein.

Er sann einige Minuten nach. Man sah förmlich, wie die Pläne in seinem
Kopfe entstanden, so ausdrucksvoll gestalteten sich seine Züge. Dann
ging das Spiel fort. Herta wurde in kurzem vollständig matt gesetzt.

»Bravo Jürgen! Es waren Meisterzüge! Der blinde Neid muß dir dies
lassen!« rief Wolf ihm zu.

»Gräm dich nicht darum, liebe Herta,« lächelte Jürgen freundlich. »Wir
sind nun einmal das stärkere Geschlecht.« --




                                 IV.


Die folgenden Tage brachten unfreundliches Wetter. Trübe, schwere
Wolken zogen über die Stadt hinweg. Die kleinen Dampfer blieben im
Hafen. Dieser war lange Zeit nicht mit so vielen Schiffen angefüllt
gewesen. Die Steuerbeamten konnten kaum ihren Revisionen nachkommen.
Zahlreiche nordische Dampfer warteten auf neue Ladung.

Die Möwen flatterten von der Odermündung bis in die Hafenanlagen
hinein. Draußen auf der See und im Pommerschen Haff traten Böen auf;
es gab kurze, heftige Stoßwellen, die alle Fischerboote zur Heimkehr
zwangen. Sturm war in Sicht.

Es brauste auch bald aus Nordwest jäh und ungestüm heran. Die Wellen
im Haff stürzten wild durcheinander, und selbst die größten Dampfer
hatten schwere Fahrt. In der Stadt rüttelte der Sturm an den Dächern
und Zäunen, entwurzelte in den Alleen große Bäume und trieb sein
wildes, zügelloses Gebaren zum Verdruß der Einwohner.

Schwarzgraues Gewölk jagte tief über die Häuser hinweg. Es wurde am
Nachmittag so dunkel, daß die Laternen eine Stunde früher angezündet
werden mußten. Der Regen fuhr sturmgepeitscht hernieder, und auf den
Gassen floß das Wasser stromweise zu den Abzugskanälen hin.

»Also heute abend,« sagte Wolf zu Herta. »Hast du den Wagen bestellt,
oder kann ich Ilse Hergenbach von der Bahn abholen?«

»Nein, Wölfchen! Zügle deine Neugierde. Ich bin selbst zur Ankunft des
Zuges auf dem Bahnhof! Laß deinen Abonnementsplatz im Theater nicht
leer. Du siehst Ilse noch früh genug.«

»Sie ist doch die Tochter einer befreundeten Familie! Ich werde mir
keine Unhöflichkeit zuschulden kommen lassen,« warf er hastig ein.

Herta schaute ihn darauf prüfend an, sie erwiderte aber nichts.

Zum Abendbrot war Ilse Hergenbach bereits eingetroffen. Wolf hatte
sich sorgfältig umgekleidet, Jürgen erschien jedoch in seinem
täglichen Kontoranzug.

Das erste Sehen gestaltet sich meist eigenartig. Herta saß mit dem
jungen Mädchen in einer Sofanische. Als die Brüder eintraten, erhoben
sie sich, und Ilse wurde erst Jürgen, dann Wolf vorgestellt. Der
Ältere machte die erste Begegnung kurz ab.

»Seien Sie willkommen im Haus Plüddekamp, Fräulein Hergenbach. Lassen
Sie es sich darin wohl sein.« Er dankte dann für die Grüße, die Ilse
von ihren Eltern überbrachte. Die Augen des großen Mannes musterten
kaum die schlanke Gestalt in dem einfachen grauen Reisekleide.

Wie anders Wolf! Er trat dicht an sie heran und gab ihr die Hand mit
kräftigem Druck.

»Darf ich Fräulein Ilse sagen?« bat er sofort. »Wir beide sind jetzt
die Jüngsten im Hause und werden hoffentlich gute Kameradschaft
halten. Spielen Sie Lawn-Tennis? Wir haben im Garten einen Spielplatz.
Morgen wird er allerdings durchweicht sein!«

»Nun frage Ilse auch gleich noch, ob sie Galopp reitet, ob sie an der
Dollarprinzessin Geschmack findet und gern Sekt trinkt. So lautet doch
dein Programm, Wölfchen?« neckte ihn Herta.

Wolf schien dies nicht ganz angenehm zu sein.

»Glauben Sie es nicht, Fräulein Ilse!« warf er hastig ein. »Meine
Schwester versucht unsere notwendige Kameradschaft von vornherein zu
untergraben. Ich bin wahrhaftig besser als mein Ruf.«

Ilse Hergenbach sah die leuchtenden blauen Augen dicht vor sich.
Unwillkürlich weitete sich auch ihr Blick. Sie schaute ihn einen
Augenblick hindurch etwas scheu an, dann flog ein leises Lächeln
über die feinen, bleichen Züge. Wie seltsam ist solch ein erstes
Begegnen! Impulsives Fragen und scheue, versteckte Antwort. Ilse und
Wolf standen sich so gegenüber. Er mit freiem offenem Herzen, das
sagte: »Ich freue mich, daß du zu uns gekommen bist! Ich finde dich
interessant und will dich näher kennen lernen!« -- Sie dagegen mit dem
klugen Instinkt des Weibes ihre Gedanken zurückhaltend und darum nur
mehr anreizend, diese zu ergründen.

»Tante Herta schrieb bereits, daß ich in Ihnen einen Freund der
schönsten Künste finden würde. Ich soll freilich die Hauswirtschaft
studieren, wie Mama es will. Nun, ein Stündchen am Tage werde ich doch
musizieren oder malen dürfen, damit ich nicht alles verlerne.«

»Gewiß, Ilse!« sagte Herta bereitwillig. »Du kannst dich auch an
meiner Arbeit für notleidende arme Geschöpfe beteiligen. Überhaupt
solltest du an allem in unserem einfachen Leben teilnehmen.«

»Ich scheide dabei aus, Fräulein Hergenbach,« fiel Jürgen mit seiner
starken Stimme ein. »Meine Domäne ist das Kontor, -- das große
Geschäftsgetriebe einer alten Firma, darin gibt es keinen Raum für ein
junges Mädchen.«

»Warum nicht, Herr Plüddekamp? Ich habe bei meinem Vater oft aushelfen
müssen. Ich stenographiere und bin auf der Schreibmaschine eingeübt.
Ich habe kalkuliert und korrespondiert.«

»Dabei widmeten Sie sich der Musik und Malerei und trieben
Kunststudien. Nun wollen Sie die Haushaltung erlernen. Ein wenig
viel, um eins davon gründlich zu verstehen,« gab ihr Jürgen zur
Antwort.

»Das moderne Mädchen soll doch in allen Sätteln gerecht sein, -- die
Welt verlangt es, um uns für vollwertig zu halten!« vertrat Ilse ihren
Standpunkt.

»Entsetzlich!« fiel Wolf mit lächelndem Munde ein. »Welche Stunden
bleiben dann für die Pflege der Schönheit übrig, -- die Hauptaufgabe
der Frau -- dem Manne zu gefallen?«

»Muß es denn unser Lebenszweck sein, Herr Plüddekamp, den Männern
zu gefallen? Vielleicht war es früher so, heute -- wollen wir
gleichberechtigt auftreten,« entgegnete Ilse. Keine Miene ihres
Gesichtes verriet, ob ihre Gedanken und die ausgesprochenen Worte
übereinstimmten.

»Sagen Sie bitte -- Wolf, zum Unterschied von meinem Bruder, Fräulein
Ilse,« ließ sich dieser nicht beirren. »Übrigens soll meine Ansicht
nicht als allgemeine Regel gelten. Es gibt Ausnahmen -- meine
Schwester Herta gehört dazu. Und doch besitzt die Schönheit der Frau
ein unbestrittenes Recht, zu gefallen, das sie sich nicht verkümmern
lassen darf.«

»Wölfchen -- du windest dich in der Schlinge, -- du bist gefangen --«
fiel Herta lachend ein. »Ilse hat ihre Sache tapfer verteidigt.«

Der junge Mann versuchte wiederholt, Ilse Hergenbach in die Augen
zu sehen. Sein Wunsch, darin zu lesen, war zu mächtig, um ihm
widerstehen zu können. Sie mußte dies unwillkürlich fühlen, denn
plötzlich traf ihr Blick voll den seinen. Er hatte dabei ein neues,
ganz eigenartiges Empfinden, das seine Nerven heftig erregte. Das Blut
quoll ihm heiß vom Herzen bis zu den Schläfen empor. Einen Augenblick
war er wie berauscht, -- das also konnten diese Augen, diese grauen,
unergründlich tiefen Augen hervorrufen!

Welch eine wundersame Kraft strömte von ihr aus! Sie kam zu ihm, wohin
würde sie ihn führen?

Herta mußte diesen Augenblick des Selbstvergessens bemerkt haben.
Sie sah Ilse schärfer an und forderte sogleich auf, das Abendbrot
einzunehmen. Jürgen ging an den Speisetisch, und während seine hohe,
kräftige Gestalt fest auftrat, folgten ihm Ilses Blicke. -- Sie
zeigten Neugierde, aber auch eine Bewunderung der echt männlichen
Erscheinung des ältesten Plüddekamp.

Während der Mahlzeit wurde wenig gesprochen, und Herta hob früh
die Tafel auf, damit sich Ilse nach der anstrengenden Reise bald
zurückziehen konnte. Wolf war dies nicht recht.

»Was soll ich heute abend beginnen, Herta?« klagte er.

»Jürgen spielt Skat mit uns, du mußt dabei aufpassen, Wölfchen,«
erwiderte die Schwester.

Er war aber derart zerstreut, nachdem Ilse das Zimmer verlassen hatte,
daß er die einfachsten Spiele umwarf.

»Es geht heute wirklich nicht --« damit legte er unmutig die Karten
hin. »Ihr müßt mich entschuldigen. Ich fahre nach dem ›Luftdichten‹,
um mir die nötige Schlafschwere zu holen.«

Jürgen und Herta sahen sich schweigend an und begannen dann ihre
allabendliche Partie Schach.

       *       *       *       *       *

Seit Ilses Ankunft war Wolf wie ausgewechselt. Er verließ selten das
Haus und schob das eingetretene schlechte Wetter vor. Jede freie
Stunde des Tages brachte er bei Herta und ihrem Zögling zu, während
Jürgen mehr denn je im Kontor arbeitete. Der Schimmer des elektrischen
Lichtes fiel oft noch bis gegen Mitternacht auf die Straße hinaus.
Spät begab er sich zur Ruhe.

Er hatte recht gehabt, wenn auch in anderer Weise. Ilse Hergenbach
tollte nicht laut umher, -- im Gegenteil, sie war äußerst ruhig,
sprach wenig, glitt geräuschlos mit ihrer überschlanken Gestalt durch
Zimmer und Gänge, aber sie zog dabei magnetisch an sich.

Wolf folgte ihr, wo er es nur konnte; er mußte einen Blick, einige
Worte von ihr erhaschen.

Jürgen dagegen, sobald er sich dabei ertappte, daß er ihr
unwillkürlich ein paar Schritte nachgegangen war, reckte sich
plötzlich stolz empor und wandte sich kurz der Haupttreppe zu, um in
sein Kontor zu eilen. Es ärgerte ihn, daß sein Auge auf den schlanken
Linien ihres Körpers geruht hatte, und er ballte fest die Faust
zusammen, -- es sollte nicht wieder vorkommen. Seine Brust hob sich
schwer dabei. Er hatte nicht gesehen, wie Ilse bei seiner schroffen
Wendung sofort stehen blieb und die großen Augen ihm scheu und
unwillig nachschauten.

Die Ruhe war aus dem alten Kaufherrnhause geschwunden. Das bisherige
harmlose Zusammensein der Geschwister litt darunter, und Herta bereute
schon, dem Wunsche ihrer Freundin nachgegeben zu haben.

Ilse Hergenbach, obwohl keine Schönheit im Sinne des Wortes, besaß
etwas unheilvoll Bestrickendes für die Männer, dem nur eine große
Willensstärke widerstehen konnte. Selbst Konsul Martens, der einstige
Verehrer Hertas und Freund der Familie, kam jetzt häufiger und blieb
einsilbig, wenn Ilse nicht erschien.

Herta sann darüber nach; ihr reiner, starker Sinn konnte sich lange
keine Erklärung geben. Der Verkehr junger Männer wurde immer reger
in ihrem Hause, und doch war Ilse nicht im mindesten kokett. Sie
tat ruhig ihre Pflicht und plauderte nur zuweilen an den langen
Winterabenden etwas angeregter mit Wolf. Auch Jürgen und Herta hörten
gern zu, wenn sie von den erlebten Kunstgenüssen sprach und ihre
tiefe, wohllautende Stimme die kleine Tafel beherrschte.

Sobald aber Ilse dies bemerkte, schwieg sie plötzlich still und war
nicht wieder zum Reden zu bringen. Nur ihr Auge glitt von einem zum
anderen, als wenn es sagen wollte: »Ich habe als Jüngste nicht das
Recht, die Unterhaltung zu führen.«

Wolf konnte bitten, so viel er wollte, Ilse blieb stumm, -- es prallte
jedes Wort bei ihr ab, selbst Herta erhielt auf ihre Fragen nur einige
rasch hervorgestoßene Silben zur Antwort. Das junge Mädchen konnte
durch sein Schweigen geradezu ungezogen erscheinen und gab sich auch
keine Mühe, es zu verdecken.

Herta ärgerte sich darüber; sie hielt dies Benehmen für einen Mangel
an Erziehung. Einige Male sagte sie auch zu ihrem jüngeren Bruder:

»Gib dir keine unnütze Mühe, Wölfchen! Wenn Ilse in ihre Stummheit
versinkt, mag sie mit sich selbst fertig werden.«

Jürgen hatte nur sein kräftiges Lachen dafür, aber auch dies stockte
manchmal; dann verließ er mit irgendeinem kurzen Wort den kleinen
Kreis und ging in sein Schreibzimmer.

Nun kam das Seltsamste. Ilse fand plötzlich ihre Sprache wieder und
war die Liebenswürdigkeit selbst zu den anderen.

»Ilse ist ein merkwürdiges Geschöpf -- ich werde aus ihr nicht klug,«
sagte Herta eines Tages zu Jürgen, »sie kommt mir zuweilen wie eine
Sphinx vor -- --«

»Nein, -- wie eine Hexe --« erwiderte er kurz.

»Aber Jürgen! Wie kommst du darauf?« fragte Herta erschrocken.

»Durch den starken Einfluß, den sie ausübt, liebe Schwester! Wölfchen
hat sie ganz umstrickt, und seine Freunde rennen uns jetzt das Haus
ein --«

»Ilse ist aber peinlich in ihrer Arbeit und versäumt keine Pflicht.
Sie erfüllt sofort jeden meiner Wünsche und kann eine tüchtige
Hausfrau werden.«

»Niemals!« stieß Jürgen barsch aus.

»Sollte sich dies deiner Beurteilung nicht entziehen?« erwiderte Herta
leicht gekränkt.

Jürgen pfiff laut.

»Ihre Zerstreuungen in der freien Zeit sind allerdings sonderbar,«
fuhr Herta fort. »Sie geben mir zu Bedenken Veranlassung. Gestern war
sie zwei Stunden ausgegangen. -- Bei ihrer Rückkehr antwortete sie
auf meine Frage, daß sie sich die Schaufenster in der Breitenstraße
angesehen habe. Später sprach ich zufällig Jochen Hindorf, und er
erzählte mir, wie er Ilse bei den Kornträgern am Bollwerk fand.
Sie sah dort den Männern zu, die schwere Säcke aufhoben und zum
Transportauto trugen. Warum nun diese Unwahrheit von ihr, -- die mir
sehr mißfällt! -- Wie kann überhaupt ein junges Mädchen an so grober
Arbeit Gefallen finden, namentlich bei ihrem Kunstsinn --«

Jürgen hatte die Hände in beiden Hosentaschen stecken und zuckte mit
den Achseln.

»Hm, -- weibliche Neugierde, -- es will weiter nichts sagen. Sie war
noch in keiner Hafenstadt. Vielleicht erinnert es sie auch, an das
väterliche Geschäft. Das ist wohl die einfachste Erklärung.« -- --

Herta nahm sich vor, scharf aufzupassen. Sie war um Wolf besorgt.

Dieser spielte täglich, stündlich mit dem Feuer. Er erzwang es, daß
Ilse ihm oft in die Augen sah. Trotzdem es den harmlosesten Anschein
haben sollte, wurde sie sich bald ihrer Gewalt bewußt. Anfangs war
sie selbst darüber erstaunt gewesen, nun legte sie langsam ihre Scheu
dabei ab. Herta durfte es nur nicht bemerken.

Was lag in ihrem Blick? Jürgen hatte es rasch erkannt, aber er äußerte
sich nicht darüber.

Wolf spielte an sonnig-kalten Tagen mit Ilse im Garten Ball, und sein
Auge hing an den schnellen Bewegungen ihres Körpers, wie sie diesen
aufhielt und zurückschlug.

Gewöhnlich gewann sie die Partie. Sobald sie zusammenstanden und er
ihre Augen suchte, lachte sie ungezwungen auf, ein tiefes, melodisches
Lachen, das er so gern von ihr hörte.

Nach der gemeinsamen Abendmahlzeit spielten sie vierhändig Klavier.
Sie schaute ihn nicht an, wie Lieschen Wichers, sobald er aber ihre
schlanken Hände zufällig berührte, schoß eine fliegende Hitze in ihm
empor. Sein ganzes Nervensystem war fortwährend in Erregung.

Im Geschäft ließ seine Tätigkeit mehr und mehr nach. Seine Gedanken
wanderten zu Ilse.

»Eine tolle Staupe,« dachte Jürgen, »aber er muß sie durchmachen, um
frei zu werden.« --




                                  V.


Jürgen saß bereits kurz nach acht Uhr morgens vor seinem Schreibtisch
im Privatkontor und sah die Korrespondenz, sowie die eingegangenen
Aufträge durch. Prokurist Armin stand neben ihm und gab auf seine
Fragen kurze Erläuterungen ab. Der gegenübersitzende Wolf hörte kaum
zu und langweilte sich sterblich. Ein paarmal griff er nach den
neuesten Zeitungen, las die Berichte von der Getreidebörse, hastete
über die Theaterkritiken hinweg und legte das Blatt wieder aus der
Hand.

Nun war die Post durchgesprochen. Jürgen hatte disponiert, und Wolf
atmete schon freier auf, als Prokurist Armin von neuem begann:

»Wir haben noch die Angelegenheit mit Smider & Sohn zu besprechen,
Plüddekamp. Sie wollten sich heute entscheiden.«

»Er kriegt keinen Pfennig mehr, als wir abgeschlossen haben,«
erwiderte Jürgen ärgerlich. »Wie kommt der Mann überhaupt dazu, uns um
eine Tariferhöhung anzugehen? Der Vertrag mit ihm ist klipp und klar.«

»Die Frachtsätze sind im Steigen begriffen. Der Export verstärkt sich
für das Frühjahr. Kein Wunder, wenn Smiders es probiert -- er glaubt,
mehr herausschlagen zu können, und zieht nun an der Strippe, um --«

»Einfach ausgeschlossen, Armin,« fiel ihm Jürgen ins Wort.

»Ich kann es nicht behaupten, Plüddekamp. Der Dampfer liegt noch im
Schwimmdock.«

»Die Verlängerung ist aber gut vonstatten gegangen. Bei der Höhe
unserer heutigen Technik im Schiffsbau bringen sie alles mit Eleganz
fertig. Wie war's damals mit der ›Hohenzollern‹! Durchgeschnitten --
ein ganzes Stück eingesetzt -- und wieder Volldampf voraus.« Jürgen
ließ sein breites Lachen hören.

»An Tonnengehalt wurde sie größer, an Geschwindigkeit und ruhigem
Gang hat sie sich gerade nicht verbessert,« meinte Wolf, der jetzt
aufhorchte, weil ihn diese Angelegenheit interessierte.

»Beim Frachtdampfer fragt man auch nicht danach,« brummte Jürgen. »Du
willst immer auf den Sport hinaus.«

»Der ›Friedrich Barbarossa‹ war doch mit Eisenerzen überladen worden
und blieb in der Kaiserfahrt stecken?« wandte sich Wolf an den
Prokuristen.

»Ja, -- er hatte sich beim Aufrennen den Boden eingedrückt, darum
wurde er umgebaut und gleich vergrößert, Herr Plüddekamp,« gab Armin
zur Antwort.

»Die Eisenerze kamen wohl aus Vivero in Spanien?« frischte Wolf
seine Erinnerungen auf. »Es konnte einen endlosen Prozeß geben
-- die Versicherungsgesellschaft einigte sich aber mit der
Henckel-Donnersmarck-Hütte. Es mußte alles in Leichter umgeladen
werden, und die Kaiserfahrt war eine Zeitlang schlecht zu passieren --«

»Stimmt,« unterbrach Jürgen seinen Bruder kurz. »Du bringst uns aber
von der Sache ab -- oder willst du auf einen Vorschlag hinaus?«

»Du hast mich damals den Vertrag mit Smider & Sohn lesen lassen -- er
ist nicht ohne Häkchen. Ein wenig Jus klebt mir von den Semestern in
Greifswald und Berlin noch an, darum glaube ich -- --«

»Nun und -- --« forschte Jürgen.

»-- -- -- daß der Passus ›bei rechtzeitiger Fertigstellung‹ uns
auffliegen läßt, wenn Smider & Sohn den Vertrag nicht einhalten
wollen.«

»Es wäre eine dumme Sache -- unser Justizrat ist doch sonst immer
vorsichtig gewesen! Holen Sie den Vertrag, Armin -- ich will ihn
daraufhin durchsehen,« wandte sich Jürgen an diesen. -- »Kannst du
nicht auf den jungen Smiders einwirken, Wolf?« fragte er seinen Bruder.

Dieser schüttelte mit dem Kopfe.

»Ich war wohl während der Schulzeit öfters mit ihm zusammen, -- jetzt
zählt er nicht mehr zu meinen Freunden.«

»Mir ist er höchst unsympathisch,« meinte Jürgen. »Eine zynische
Natur, die am liebsten über Treu und Glauben hinwegschreitet. Hätte
nicht sein Vater mit uns jahrzehntelang in Verbindung gestanden -- ich
würde den geschäftlichen Verkehr mit der Firma abbrechen.«

Der Prokurist brachte den Vertrag, und der ältere Plüddekamp vertiefte
sich einige Minuten in diesen. Als er wieder aufsah, zeigte sein
Gesicht eine unwillige Miene.

»Es ist so, -- Wolf hat zwischen den Zeilen gelesen! Ich bin jetzt
der Ansicht -- Smiders kann unter gewissen Umständen aus seinen
Abmachungen entschlüpfen. Er sucht darum seinen Vorteil wahrzunehmen.
Zahlen wir die höheren Frachtsätze, fällt es ihm natürlich nicht ein,
den Vertrag zu beanstanden. Unser Gewinn aber wird dann Null sein, nur
das Risiko bleibt.«

»Wir müssen bestimmt in der vorgesehenen Frist liefern,« betonte
Armin. »Die spanischen Brennereien sind darauf angewiesen und warten
nicht. Es wird uns sonst ein großes Geschäft für die Zukunft verloren
gehen.«

»Gut -- das ist feststehend! Also was tun? Sie haben selbst dazu
geraten, den ›Friedrich Barbarossa‹ zu chartern, Armin!« sagte Jürgen.

»Weil er nach dem Umbau einen hohen Tonnengehalt aufweist und wir
die Lieferung glatt fortbringen wollen. Die Tarife waren zudem sehr
günstig,« erwiderte dieser.

»Alles eine schlaue Kalkulation von dem jungen Smiders. Wir legten
uns lange vorher fest und mußten ihm in die Hände fallen, sobald
die Lieferung drängt.« Jürgen schlug mit der Faust auf die Platte
des Schreibtisches, daß es dröhnte. »Am liebsten möchte ich ihm mit
gleicher Münze dienen. Ich habe bisher bei unseren Verträgen mit
Smiders & Sohn nie an eine Übervorteilung von der anderen Seite
gedacht. -- Es muß auch so gehen,« fuhr er ruhiger fort. »Wir wollen
rechtzeitig Maßnahmen treffen, Armin, und uns einige kleinere Dampfer
sichern, die wir für andere Zwecke verwenden können, wenn die Frage
nicht brennend wird.«

»Die Stettiner Frachtdampfer sind für die Hauptfahrzeit belegt. Wir
müssen in Hamburg, Bremen und Lübeck Umfrage halten. -- Auf den
Zufall, daß spanische Dampfer Rückfracht nehmen, können wir uns nicht
verlassen,« hielt Armin entgegen.

»Teufel -- eine unangenehme Klemme,« brummte Jürgen. »Smiders soll
an mich denken. Es ist wirklich notwendig, daß du ihm beikommst,
Wolf! Natürlich mit der größten Liebenswürdigkeit -- lade ihn auch
gelegentlich ein. -- Wenn ich ihn aufsuche, wittert er sofort
Morgenluft.« --

»Gern tue ich es nicht, Jürgen! Alfred Smiders verkehrt in keinem
Kreise meiner Bekannten. Man trifft ihn höchstens in kleinen
Weinstuben mit zweifelhafter Bedienung an. Ich muß mich ihm also
nähern. In unser Haus möchte ich ihn lieber nicht einführen --« Wolf
stockte plötzlich und dachte an Ilse. Sie brauchte diesen Menschen
nicht kennen zu lernen.

»Richte es nur ein, Wölfchen! Es hängt zuviel davon ab,« wurde Jürgen
freundlich. Der geschäftliche Nutzen war bei ihm hoch angeschrieben,
solange er in regulären Bahnen ging. Hier stand Großes auf dem Spiel.
Der Vertrag mußte aufrecht erhalten bleiben. Später durfte solche Lage
nicht wieder vorkommen, er wollte im stillen mit einer auswärtigen
Reederei sofort Vereinbarungen anbahnen.

»Ich werde ihn aufsuchen und -- lavieren,« sagte Wolf. »Schließlich
kommt es darauf an, wer die besten Karten in der Hand hält, -- ich
fürchte --«

»Rufen Sie Smiders & Sohn telephonisch an, Armin. Mein Bruder würde
die Angelegenheit mit Herrn Alfred Smiders in Kürze besprechen.«

Für Jürgen war damit die Unterredung beendet. Er nahm die neuen
Aufträge zur Hand, ließ sich das Lagerbuch geben und begann zu
rechnen. Der Prokurist ging in die Korrespondenzabteilung, und Wolf
blieb eine Weile seinen Gedanken überlassen.

Im Grunde war ihm Alfred Smiders ein verhaßter Geselle. Dieser
hatte sich während der Schulzeit in den oberen Klassen immer an ihn
herangedrängt.

»Reeder und Exporteur müssen schlau zusammenhalten,« sagte Smiders
zu ihm, »und das sind wir beide doch eines Tages. -- Die Abnehmer --
das konsumierende Volk muß mächtig berappen, damit wir schnell reich
werden. Am besten schafft es sich bei einer Hungersnot -- oder im
Kriegsfall -- da kann man Gold mit Scheffeln messen.«

»Solche Vorsätze hat mein Bruder nicht,« erwiderte Wolf darauf, »er
läßt nichts auf die Ehre des alten Kaufmannsstandes kommen.«

»Nette Torheit,« suchte Alfred Smiders ihm zu beweisen. »Ich nehme mir
die amerikanischen Grundsätze zur Richtschnur. Der beste Kaufmann
ist, wer den höchsten Gewinn erzielt! Auf welche Weise, bleibt ganz
gleichgültig.«

»Bei Jürgen Plüddekamp aber nicht,« trumpfte ihn Wolf ab.

»Du wirst sehen -- das moderne Geschäft verlangt es -- eines Tages
bist du bekehrt! Wir wollen dann weiter darüber sprechen,« zog sich
der andere zurück.

Alfred Smiders gab schon als Primaner viel Geld aus, trotzdem sein
Vater in jener Zeit geschäftlich zu kämpfen hatte und große Verluste
erlitt. Er verkehrte mit Steuerleuten und Matrosen in den dunkelsten
Kneipen am Hafen. Dort lernte er das Grogtrinken und konnte bald
unglaubliche Mengen Alkohol vertragen. Es erschien ihm dies für seine
Laufbahn notwendig. Er wollte sich später von keinem Kapitän unter den
Tisch trinken lassen.

Wolf hatte er ein paarmal mit verschleppt. Sie gerieten in eine
wüste Gesellschaft von Matrosen hinein, die in den Hafenkneipen
herumlungerten und mit einem Aushub von Mädchen das letzte Heuergeld
vertaten. Während Smiders wie ein Fisch durch moderiges Wasser
schlüpfte und Rede wie Antwort anzupassen wußte, konnte sich der
junge Plüddekamp des Ekels über das wilde Gebaren nicht erwehren.

Er schlich spät nach Hause und verdankte es nur der Freundschaft
des alten Jochen Hindorf, daß er durch den Garten und über den Hof
unbemerkt ins Haus hineingelangte. Dieser hatte den Schlüssel zu
der kleinen Torpforte in Verwahrung und drückte bei seinem jungen
Herrn gern ein Auge zu. Am nächsten Morgen hielt er einen kräftig
eingelegten sauren Hering mit einer knusprigen trockenen Semmel
bereit, damit konnte Wolf seinen Katzenjammer dämpfen Ein kleines
Glas Porter mit Ale jagte ihm das Blut wohltuend durch die Adern. Zur
Mittagszeit war alles überwunden und die blauen Augen lachten wieder
die Welt an. --

Wolf war eine gesunde, reine Natur, der nichts anhing, und in späteren
Jahren mied er Smiders, wo er es nur konnte. Jetzt spielte dieser
scheinbar eine große Rolle in der Stadt. Er hatte mehrere neue Dampfer
bauen lassen und weite Fahrten eingerichtet. Die alten Schiffe liefen
noch daneben und trugen hohe Versicherungen. Man munkelte allerlei,
durfte sich aber nicht laut äußern. In den Kneipen einer Hafenstadt
wird viel gesprochen.

Der junge Reeder war seinem Äußeren nach eine große, elegante
Erscheinung. Dunkles Haar und ein schwarzer, wohlgepflegter
Schnurrbart hoben seine an und für sich matten Züge stärker hervor.
Die Augen flackerten etwas unstät umher, besaßen aber zuweilen
einen tiefergehenden Ausdruck, den er im geeigneten Falle geschickt
anzuwenden wußte.

Als Jürgen seinen Bruder aufforderte, die frühere Bekanntschaft
mit Alfred Smiders zu erneuern, hatte er wichtige Gründe im Auge,
diese überwogen bei ihm die persönliche Abneigung. Das spanische
Geschäft mußte gepflegt werden, es bot sehr lohnende Aussicht und
paßte stets mit den Rückfrachten. -- Wolf war zur Abwicklung solcher
Sachen recht geeignet. Seine anscheinende Gutmütigkeit verdeckte den
eigentlichen Kern, den er zur passenden Zeit scharf herauszuschälen
verstand. Jürgen hatte eine zu derbe Geradeausnatur, er liebte kein
Wortgeplänkel.

»Ich gehe jetzt nach dem Speicher auf der Lastadie,« sagte Wolf zu
seinem Bruder. »Die Stichproben von den neuen Roggenlieferungen sollen
doch in meinem Beisein genommen werden.«

Jürgen sah von seinen Kalkulationen auf.

»Recht so, Wölfchen! Denk auch daran, daß die verschiedenen Grassamen
bald umgestochen werden müssen. Es entsteht leicht ein dumpfiger
Geruch, und bis zur Versandzeit sind noch einige Monate hin.«

»Wird besorgt, Jürgen! Übrigens noch immer schauderhaftes Wetter,«
sagte er, hinausschauend. »Ich laß mir einen Taxameter holen. Von
nassen Füßen kriegt man bloß Katarrh. Davon bin ich kein Freund!«

Er sprang dann in wenigen Sätzen die Treppe zur Wohnung hinauf. Ein
Glas Portwein konnte an dem naßkalten Tage nicht schaden. Vielleicht,
daß Ilse -- sie huschte gerade über den Korridor, als er die oberste
Treppenstufe erreichte.

»Fräulein Ilse -- nur einen Augenblick!«

Sie blieb zögernd stehen und sah den hellen Schimmer in seinen blauen
Augen, als er auf sie zukam. Er griff nach ihrer Hand, die sie ihm
schnell wieder entzog.

»Herr Wolf! Was haben Sie nur immer vor, wenn Tante Herta --«

Er lachte hell auf.

»Nichts -- rein gar nichts will ich -- als ein Stückchen Semmel mit
Gänsebrust. Eine recht große saftige Scheibe -- Fräulein Ilse! Sie
verstehen es, diese so appetitlich herzurichten. Aber bringen Sie mir
den Happen selbst, bitte! -- Machen Sie sich nicht wieder unsichtbar
--«

»Das kommt nur auf Sie an, Herr Wolf,« entgegnete sie lächelnd und sah
sich hastig um.

»Auf mich, Fräulein Ilse? Dann würden Sie mich den ganzen Tag nicht
los,« rief er belustigt. »Nun noch eine kleine Bitte -- schlagen Sie
einmal schnell Ihre schönen Augen zu mir auf --«

»Nein, -- Herr Wolf, -- das gehört nicht zur Erlernung der
Hauswirtschaft,« -- ihr Blick aber traf ihn doch, ehe sie forteilte.

Warum er nur so oft danach verlangte? Die anderen Herren, die sie
hier kennen lernte, sahen sie ebenfalls so seltsam an. Sie empfand
nichts dabei, nur wurde es ihr peinlich. Wolf war wirklich ein
hübscher junger Mann, aber auch nicht mehr für sie. Als sie zu den
Wirtschaftsräumen eilte, wußte sie unwillkürlich, daß seine Augen ihr
folgten.

»Schade, daß ich mich so in acht nehmen muß. Es verdirbt mir manchmal
ganz die Laune,« dachte sie bei sich.

Die Semmel mit Gänsebrust ließ sie durch das Mädchen ins Eßzimmer
tragen, weil Herta dazukam. Diese ging sofort zu ihrem Bruder und
schenkte ihm ein Glas Portwein ein. Sie kannte seine kleinen Wünsche.

»Du willst auf die Lastadie, Wölfchen? Stärke dich nur zuvor.« Er
hatte ihr sein Vorhaben rasch mitgeteilt.

Sie bot ihm noch ein zweites Glas an, während er ihr von Alfred
Smiders erzählte.

»Wenn es geschäftlich notwendig ist, soll er das feinste Frühstück
Stettins haben,« sagte sie dann.

»Besser, es läßt sich vermeiden, Herta!« Damit ging Wolf fort. Ilse
kam ja nicht wieder.

       *       *       *       *       *

Die Lastadie hängt mit dem Freihafengebiet zusammen. Dort hatte die
Firma Jürgen Plüddekamp erst in den letzten Jahren neue Speicher
erbaut. Als Wolf vorfuhr und eilig in das Tor hinein wollte, stieß er
auf Jochen Hindorf. --

»Hast du deine Kerle in Schuß, Jochen?«

»Jäh woll -- Herr Wolf!«

»Das ist man gut, Jochen! Sonst steig ich dir auch aufs Dach!«

»Hm --« räusperte sich dieser.

»Bei dem Wetter wär's kein Wunder, wenn sie davonliefen. Ich wollt
gerade nach Haus. Haben Sie noch was, Herr Wolf? Mit'm Chef ist in
der letzten Zeit nicht zu spaßen. Er gibt mir den Laufpaß, wenn ich
nochmal für Sie flunkere.«

»Kommt nicht wieder vor, alter Knabe --«

»Hm -- hm -- damals war auch Fräulein Ilse noch nicht hier -- nu aber
--«

»Was nun aber! Denk keinen Unsinn, Jochen. Fräulein Ilse hat damit gar
nichts zu tun.«

»Näh -- näh, Herr Wolf, das weiß ich wohl! Sie ist aber ein verteufelt
schlankes Ding, wie so'n Aal glitscht sie aus der Hand. Ich hab's
gesehen!«

»Du bist ein alter Drönbartel, Jochen -- mit dem, was du willst!
Behalte man deine Speckschwarten für dich. Jetzt komm mal beiseite!
Ich will dich etwas fragen.«

»Jäh woll -- Herr Wolf!« Die Hünenfigur des Alten schob sich dicht an
seinen jungen Herrn heran.

»Du kennst doch den alten Aufseher von Smider & Sohn?«

»Jäh woll -- Herr Wolf!«

»Gut! -- Pürsch dich mal gleich an ihn heran. Kann auch 'n paar
Schnäpse kosten. Frag ihn genau aus, wo Alfred Smiders seinen Wechsel
hat. Du weißt schon! -- Ich muß nach ihm auf den Anstand raus.«

»Aber -- Herr Wolf! Sie werden doch nich, 'ne kleine Auflage von
damals --«

»Unsinn! -- Ich muß ihn in einer günstigen Stunde antreffen, damit ich
ihm geschäftlich langsam beikommen kann.«

»Hm -- das weiß ich schon! Er hat etwas in der ›Grünen Schanze‹, wo
die gelben Gardinen vor sind. Ein paar leere Champagnerflaschen stehen
im Fenster.«

»In der alten Weinspelunke sitzt er?« rief Wolf etwas betroffen aus.
»Da kann ein anständiger Mann wahrhaftig nicht hineingehen.«

»I was! Da gehen feine Leut' hinein. Bei Tag woll nicht -- aber abends
sind alle Katers grau.«

»Es ist also ganz sicher?«

»Ich frag nach. In einer halben Stund bin ich wieder da. Wieviel
Schnäpse -- kann ich ihm geben?«

Wolf lachte und nahm Geld aus der Westentasche, das er Jochen Hindorf
in die schwielige Hand drückte.

»Was nicht draufgeht, ist für dich -- Alter!«

»Jäh woll -- Herr Wolf!«

Jochen Hindorf zog die Flauschjacke fest zusammen und trottete ab. --

»Gibt's wohl eine ehrlichere alte Haut als diese dort?« dachte Wolf,
ihm nachschauend. »Wenn's darauf ankäme, würde Jochen für mich das
Tollste ausführen, aber eine Stärkung des inneren Menschen muß dabei
sein.«




                                 VI.


Nach altem Brauch sah man im Plüddekampschen Hause Sonntags gern
Tischgäste. Nähere Freunde sagten sich einfach an, zuweilen ergingen
auch Einladungen. Konsul Martens kam jetzt häufiger als in den letzten
Jahren.

»Alte Liebe rostet nicht,« scherzte Wolf mit seiner Schwester.

Herta entgegnete ihm darauf mit ernstem Blick:

»Ich habe Martens stets als lieben Freund betrachtet, seitdem ich
meine einstige Neigung zu ihm unterdrückte. Er war mir wert. Ich
achtete ihn hoch und hielt ihn für einen jener Männer, die nach dem
Herzen der Frau schauen und sich nicht durch Äußerlichkeiten blenden
lassen. Wie bitter bin ich enttäuscht worden! -- Martens ist nicht
viel mehr oder weniger, als es auch andere Dutzendmenschen sind.«

»Es freut mich, daß dir endlich diese Erkenntnis kommt, Herta,« warf
Wolf lachend ein. »Nun wirst du mich doch gleichwertig einschätzen.«

»Dich, Wölfchen? Ich bedaure dich höchstens! Du hast mir zuviel --
Herz!« entgegnete sie ihm.

»Dafür empfinde ich auch mehr, als Jürgen und -- du --«

»S--o--o--! -- Weißt du dies ganz genau? Was Ilse dir und anderen
einflößt, die ihr nachrennen, ist -- keine Liebe. Höchstens der
moderne Zug zum Weibe --«

»Herta!« stieß Wolf heftig aus. »Du urteilst mit Bitterkeit.«

»Ist es denn nicht wahr? Du, Martens, deine Freunde, -- ihr sucht in
Ilse etwas, das ich verabscheue! Sie tut mir wahrhaftig leid und gibt
keinen Anlaß für euer Verhalten.«

»Ich sehe Ilse gern, leidenschaftlich gern! Es ist mir ein
Lebensbedürfnis, in ihrer Nähe zu weilen. Ich habe ein tiefes
Glücksgefühl dabei.«

»Unterdrücke mit aller Kraft diese Regung, ehe sie sich in dein
Herz hineinfrißt, sonst erleidest du mein Schicksal. Ilse ist nicht
für dich geschaffen, auch würde Jürgen nie eine Verbindung mit ihr
zugeben. Oder willst du eine Frau besitzen, Wolf, der andere Männer
fortwährend nachstellen?«

»Herta, du bist heute geradezu grausam. Du kränkst mich mit Absicht!«
sagte dieser vorwurfsvoll.

»Gewiß nicht, Wolf! Aber ich muß dich vor einer Torheit behüten.«

»Nein, Herta! Sag es lieber rund heraus: Du bist eifersüchtig auf
Ilse, weil Martens sie interessant findet, wie dies alle meine Freunde
zugeben, die sie kennen lernten.«

»Wolf! Das waren häßliche Worte! Ich bin sie von dir nicht gewohnt.
Seit Ilse ins Haus gekommen, verstehen wir Geschwister uns nicht mehr.«

Sie ging an das reichgeschnitzte Büfett und legte Früchte auf den
großen Silberaufsatz, der die Mittagstafel zieren sollte. Ilse trat in
diesem Augenblick ins Zimmer und wollte Herta behilflich sein, wurde
aber von ihr kurz abgewiesen.

»Bei Herta droht heute ein Wintergewitter, Fräulein Ilse! Kommen Sie
schleunigst aus der gefahrdrohenden Nähe. Ich zeige Ihnen das neue
Prachtwerk über die britische Nationalgalerie. Es ist noch Zeit, bis
unsere Gäste eintreffen,« suchte Wolf ihre Aufmerksamkeit auf sich zu
lenken.

»Wie? -- Sie haben das schöne Werk gekauft, von dem ich sprach!« rief
das junge Mädchen freudig aus.

»Ja, Fräulein Ilse. Es liegt im kleinen Salon,« entgegnete er schnell
und wartete, daß sie etwas darauf erwidern würde.

Sie sah Herta fragend an. Diese nahm aber keine Notiz von ihr, sondern
ordnete weiter an den Früchten und legte goldgelbe, mit grünen
Blättern abgepflückte Mandarinen obenauf.

Wolf schritt jetzt in den anschließenden Salon hinein. Ilse folgte
ihm zögernd. Sie blieben vor einem Ebenholztisch stehen, auf dem
die große Prachtmappe lag. Er schlug diese auf und zog einzelne der
hervorragendsten Blätter in die richtige Beleuchtung zum Fenster hin.

Sie stieß einen Ruf des Entzückens aus. Ihre Augen leuchteten hell;
ihre Mienen nahmen einen lebhaften Ausdruck an. Sie ging vollständig
in der Betrachtung der Kunstwerke auf.

»Welcher Genuß, die alten berühmten englischen Meister Gainsborough,
Reynolds, Lawrence mit Muße betrachten zu können! Wie dankbar bin
ich Ihnen dafür, Herr Wolf. Ich werde meine freie Zeit oft damit
verbringen.«

»Ich darf doch dabei sein, Fräulein Ilse? Die beste Gelegenheit ist in
den Nachmittagsstunden, sobald Herta in ihre Frauenvereine geht. Dann
können wir uns gemeinsam an dem Schönen in der alten Kunst erfreuen.«

»Sie müssen aber nachmittags im Kontor sein, Herr Wolf,« warf Ilse ein.

»Wer kann mich dazu zwingen! Das Kontor wird mir rein zum Ekel. Ich
habe keine Ruhe, über Korrespondenzen und Büchern zu sitzen oder in
den Speichern Kontrolle zu üben, wenn ich Sie hier oben allein weiß.
Wie oft sagte ich Ihnen dies schon.«

»Ich darf Sie aber davon nicht abziehen! Herr Plüddekamp schaut mich
schon streng genug an. Er ist wenig freundlich zu mir und wird es auch
Sie fühlen lassen.«

»Jürgen -- pah! Ich bin kein Kontorbeamter, sondern Teilhaber der
Firma, und der ewigen Bevormundung längst überdrüssig. -- Sehen
Sie diese herrlichen Bilder von Tizian, Tintoretto. Ich liebe die
italienischen Schulen.«

Er zog einige schöne Frauenbildnisse hervor.

Ilse beugte sich tief darüber und war ganz im Anschauen versunken.
Wolf stand ein wenig zurück und sah auf die feinen Linien ihres
schlanken Halses hin. Bei dem tiefen Ausschnitt des Kleides bot er
sich blendend weiß und verlockend seinen Blicken dar. Es reizte ihn,
sie dort zu küssen. Je mehr er hinschaute, desto unwiderstehlicher zog
es ihn an. Plötzlich ergriff ihn ein Taumel, er wußte nicht mehr, was
er tat.

Nun war es geschehen. --

Seine heißen Lippen hatten eine Sekunde lang auf ihrem kühlen weißen
Nacken geruht.

Sie kehrte sich blitzschnell um. Ihr Gesicht war wie in Blut getaucht,
und die großen Augen flammten empört auf.

»Herr Plüddekamp! Was unterstehen Sie sich!« stieß sie beleidigt aus.
»Bin ich ein Mädchen, dem gegenüber Sie es wagen dürfen --«

»Um Gottes willen -- Ilse, sprechen Sie nicht so laut! Herta hört es
sonst. Zürnen Sie mir nicht! Ich konnte wahrhaftig nicht widerstehen,
-- ich wurde einfach fortgerissen. Es war nur ein Tribut, den ich der
Schönheit zollte, der herrlichen Form Ihres Nackens!« Er hielt ihr, um
Versöhnung bittend, die Hand hin. Sie nahm diese nicht an, trotzdem er
fortfuhr: »Ilse, bei Tag und Nacht erfüllen Sie mein ganzes Denken.«

»Ich weiß es, Herr Wolf!« unterbrach sie ihn, und ihre tiefe Stimme
sank zum Flüsterton herab. »Sie zeigen es ja so deutlich, daß alle es
sehen müssen! Sie werden mir dadurch den liebgewonnenen Aufenthalt
hier sehr bald unmöglich machen.«

»Sagen Sie mir doch, was ich tun soll, Ilse,« sprach er hastig auf sie
ein. »Ich will mich sehr in acht nehmen. Nur schenken Sie mir täglich
einige Minuten der Aussprache, solange wir nicht Lawn-Tennis spielen
können, dann --«

»Nein, nein!« ließ sie ihn nicht ausreden. »Es ist unmöglich! Ihre
Geschwister denken darüber sehr streng, und ich möchte nicht falsch
beurteilt werden.«

»Ilse!« tönte es jetzt schroff vom Speisezimmer herüber.

Sie erschrak leicht und eilte sofort zu Herta. Wolf blieb allein
zurück.

»Ich halte es nicht länger aus,« sagte er zu sich, »es muß zu einer
Entscheidung kommen und Jürgen,« -- er dachte nicht weiter. Ein
Glockenton zeigte an, daß die Gäste kamen. --

Konsul Martens führte Herta zu Tisch. Er richtete aber seine Worte, so
oft es ging, an Ilse. Der ältere Plüddekamp unterhielt sich mit Baron
Berleburg, den er aus geschäftlichen Rücksichten zur Tafel zog. Das
Konto des Schloßherrn im Hauptbuch zeigte eine ansehnliche Belastung.
Berleburg war einmal früher Dragoneroffizier gewesen und hatte das von
seinem Vater ererbte Gut ziemlich heruntergewirtschaftet. Er brauchte
vielmal die Unterstützung des reichen Kaufmannes.

»Die Aussichten der Wintersaat sind ganz prächtig, Herr
Plüddekamp. Sie ist kräftig in den Winter gekommen, und die starke
Bodenfeuchtigkeit kann frühzeitig den Wuchs fördern. Berleburg wird
lange Jahre keine solche Ernte gesehen haben,« sagte der Schloßherr.

Jürgen lächelte höflich.

»Ich wünsche es Ihnen aufrichtig, Herr Baron. Es vergehen aber
noch Monate bis zur Ernte, und der Landwirt ist leider von vielen
Zufällen abhängig.« Er ahnte bereits, daß ein neuer Angriff auf
seinen Kassenschrank bevorstand. Baron Berleburg wußte diesen stets
mit großem Geschick einzuleiten. Seine geschäftliche Taktik ging gern
durch gesellschaftliche Beziehungen auf das versteckte Ziel los.

»Ah -- Herr Plüddekamp! Sie sind der vorsichtige Geschäftsmann!
Bedenken Sie aber das Berleburgsche Glück, das mich noch nie verlassen
hat,« fiel der Baron ein.

»Damit meint er meine Vorschüsse,« dachte Jürgen bei sich, und Wolf
sah ihn von der anderen Seite der Tafel her verständnisvoll an.

»Sonnenschein und Regen kommen bestimmt zur rechten Zeit. Hagelwetter
kennt Berleburg seit fünfzig Jahren nicht. Kraft ist im Boden --
ganz richtig -- --« fuhr Berleburg fort, »wie sollte es dabei an
etwas fehlen!« Er sah triumphierend im Kreise umher. Sein hagerer
Oberkörper und das lange Gesicht mit dem scharfkantigen Kopf deuteten
auf ein reichlich genossenes Leben hin. Er blinzelte behaglich einen
Augenblick, als er den guten alten Rotwein aus dem feingeschliffenen
Kristallglas schlürfte. -- »Ein Jahrgang, Herr Plüddekamp, -- ganz
riesig, -- lagert sicher lange,« -- wandte er sich an Jürgen.

»Mein verstorbener Vater kaufte das Oxhoft direkt in Bordeaux. Der
Wein hat sich auf der Flasche gut entwickelt,« erwiderte dieser.

»Sie sind heute so nachdenklich, Fräulein Hergenbach,« redete Konsul
Martens seine Nachbarin zur Linken an. »Unsere alte Pommernstadt
läßt Sie das schöne Dresden nicht vergessen, und wir schwerblütigen
Nordländer können nicht so gut unterhalten --«

»Sie offenbaren eine viel zu große Bescheidenheit, Konsul Martens,«
fiel Wolf Plüddekamp ein. »Wollen Sie von Fräulein Ilse hören, daß Sie
ein äußerst amüsanter Plauderer sind?«

»Danke verbindlichst, mein junger Freund,« suchte Martens seine
joviale Seite hervorzukehren, »danach gelüstet mich nicht. Fräulein
Hergenbach hat aber einen müden, verschleierten Ausdruck in ihren
Mienen, den ich mit Bedauern sehe.«

»Ist das Leben nicht ernst genug, Herr Konsul?« erwiderte Ilse darauf.

»Die Jugend muß stets froh sein, Fräulein Hergenbach. Ein Lächeln auf
den Zügen ist wie heller Sonnenschein am klaren Wintertag.«

»Heute regnet und schneit es aber durcheinander, Herr Konsul,«
spottete Ilse leicht.

»Um so mehr muß die Sonne jugendlicher Schönheit unter uns strahlen,«
antwortete er galant.

»Herr Konsul --« stieß das junge Mädchen peinlich berührt hervor, denn
Hertas hohe Stirn hatte sich plötzlich verdüstert.

»Von einem Manne in den Jahren unseres lieben Freundes kannst du dir
eine solche Schmeichelei ruhig gefallen lassen, Ilse. Da ist sie
aufrichtig gedacht,« betonte diese.

Martens fühlte, daß er etwas versehen hatte, und wollte dies wieder
gutmachen.

»Schönheit ist nur sieghaft, wenn Gedankenreichtum sie begleitet,«
wandte er sich an Herta.

»Nicht immer,« entgegnete sie, »die meisten Männer legen heute bei der
Frau weniger Wert auf Gedanken, desto mehr aber auf äußere Vorzüge. Es
ist ihnen leider ganz gleich, worin sie bestehen.«

Martens senkte den Blick, während er entgegnete:

»Sie urteilen zu scharf! So tief steht unser innerer Wert doch nicht.
Ich könnte dagegenhalten: viele Frauen lenken absichtlich unsere
Blicke nur auf ihr Äußeres hin.«

»Schalten Sie ein: viele schöne Frauen! Der größere Teil von uns
strebt jetzt danach, sich mit gleichem Geisteswert und starker
Tatkraft neben den Mann zu stellen.«

»O armes drittes Geschlecht, das seine Lebensaufgabe vergißt!« rief
Wolf dazwischen.

»Ich folge lieber der reinen Vernunft, als daß ich ohne Überlegung mit
dem Gefühl davonstürme, Wölfchen,« erwiderte ihm Herta ruhig.

Baron Berleburg war auf die Unterhaltung aufmerksam geworden, kniff
das linke Auge leicht zusammen und sah scharf zu Herta hinüber.

»Muß Ihnen beipflichten, gnädiges Fräulein. Habe es in meinem Regiment
immer erlebt, daß Kameraden bei Attacke mehr Besonnenheit zeigten, als
bei Eingehen der Ehe. Es gibt Beispiele, -- ganz riesig! Bin darum bis
jetzt ledig geblieben.« Er erhob das Glas gegen Herta und trank ihr zu.

Wolf ballte Brotkrumen mit den Fingern zusammen und versuchte, ernst
zu bleiben, auch um Jürgens' Mund zog sich ein kräftiges Lachen
zusammen, das er kaum zurückhalten konnte. Baron Berleburg besaß etwas
von dem Ritter Don Quichote.

Es entstand plötzlich eine Stille, und Wolfs Blick streifte zu Ilse
hinüber; er sah, wie ihre großen Augen erwartungsvoll an Jürgen
hingen. Sie schien lachen zu wollen, wenn dieser lachen würde. Wolf
wußte im ersten Augenblick nicht, wie es kam; ein häßliches Gefühl
stieg heiß in ihm empor. War es Neid, der in ihm aufkeimte? Er gönnte
Jürgen den Blick nicht und trank hastig ein Glas des schweren
Bordeauxweines, um sich zu beruhigen.

Rechte, -- er besaß keine und handelte immer auf Grund seines
leidenschaftlichen Empfindens. Er war sich in keiner Hinsicht klar,
was er eigentlich vorhatte. Nur eins sprach in ihm: der mächtige
Drang, fortwährend Ilse nahe zu sein. Er faßte Jürgen, der oben an
der Tafel saß, mehrmals länger ins Auge. Es quälte ihn beinahe,
daß er keinen Blick von ihm bemerkte, der sie traf. Dann hätte er
doch erkannt, -- nein, er mochte nicht weiterdenken, -- es war ja
ausgeschlossen.

Martens sprach jetzt eifrig auf Herta ein, er hatte den leisen Vorwurf
wohl verstanden. Baron Berleburg versuchte ebenfalls, bei ihr den
Liebenswürdigen zu spielen. Es entstand ein belustigendes Rennen
zwischen den beiden Herren.

Ilse hörte den Worten des Prokuristen Armin nur mit halbem Ohr zu. Das
dunkelblonde, von einem Scheitel nach beiden Seiten liegende, reich
gewellte Haar hob ihr Gesicht wirkungsvoll hervor. Der alte Rotwein
hatte ihre Wangen leicht gefärbt; die Augen glänzten und verlangten
nach Lebenslust.

Wolf, der still geworden und sie unausgesetzt betrachtete, wurde von
einer nervösen Unruhe ergriffen. Er wünschte sehnlichst das Ende der
Tafel herbei, um sich ihr nähern zu können. Warum hatte er Ilse nicht
zur Tischnachbarin erhalten? Herta bestimmte für sie stets einen
anderen Herrn. Für das nächstemal wollte er es unbedingt sein. Bruder
und Schwester führten ihn noch am Gängelband. Er dankte für diese
ewige Bevormundung, die ein- für allemal ihr Ende finden sollte.

Die große Kristallkrone über dem Eßtisch und die Deckenbeleuchtung
flammten jetzt auf. Der durch die mattgeschliffenen Glasbirnen und
opalfarbenen Deckengläser gedämpfte Schein des elektrischen Lichtes
breitete sich geheimnisvoll über die Gesellschaft aus.

Martens schwieg und überließ Berleburg das Feld. Seine Blicke
streiften Ilse, während er sich aus dem Silberaufsatz eine Mandarine
nahm. Er mußte zu ihr hinsehen, es zwang ihn dazu. Wolf bemerkte
es sofort. -- Also auch Martens, der stets glattlächelnde vornehme
Bankier, fing Feuer. Nur Jürgen sah nicht zu ihr hin. Keine Miene des
starkknochigen Gesichts deutete an, daß er das geringste Interesse für
das junge Mädchen hege. --




                                 VII.


Herta erhob sich, -- ihre Brüder zogen sich mit den Gästen in das
Rauchzimmer zurück, in dem der Kaffee gereicht wurde.

»Tante Herta,« bat Ilse herantretend, »laß mich das Silber in die
Kästen einreihen. Ich habe darauf geachtet, wie du es fortlegst.«

Fräulein Plüddekamp war in der Behandlung des wertvollen alten, aus
mehreren Generationen stammenden Familiensilbers sehr peinlich. Sie
besorgte das Fortlegen in die hohen, mit dunklem Samt ausgeschlagenen
Eichenkästen stets selbst. -- Als sich Ilse nun mit der Bitte an sie
wandte, ihr das Amt abzunehmen, war sie davon anfangs unangenehm
berührt. Es schien ihr ein Eingriff in ihre Rechte zu sein. Sie sah
deshalb das junge Mädchen einen Augenblick unfreundlich an. Dann
besann sie sich aber rasch. Ilse sollte doch die Hausfrauenpflichten
bei ihr erlernen. Dazu gehörte auch die Ordnung und Aufbewahrung des
Silbers. Herta dachte und handelte in allen Dingen gerecht.

»Ich will es dir überlassen, liebe Ilse. Ich erwarte aber die nötige
Sorgfalt dabei,« erwiderte sie nach kurzer Überlegung.

Das junge Mädchen sagte einfach: »Ich danke dir, Tante Herta,« und
machte sich sofort an die Arbeit.

»Wir können die große Kristallkrone ausdrehen, Ilse,« bemerkte
Fräulein Plüddekamp, »die Deckenbeleuchtung genügt vollständig.«

Ilse ging sofort an den Ausschalter, der sich am Eingang in das
Speisezimmer befand, und durch einen raschen Griff wurde die Krone
dunkel gestellt. Jetzt fiel das elektrische Licht nur noch matt aus
den milchichten Gläsern an der Decke herab und hüllte die schlanke
Mädchengestalt in eigenartige Beleuchtung ein. Herta hatte sich in der
Sofanische niedergelassen und ruhte dort aus. Sie hörte leise Schritte
im anstoßenden Salon. Ihre blauen, scharfblickenden Augen sahen
sofort dorthin, und sie erkannte Wolf, der Ilse bei ihrer Tätigkeit
zuschaute, ohne sich bemerkt zu glauben.

»Er ist ihr ganz verfallen,« dachte Herta. »Was soll nur daraus
werden? Schicke ich sie nach Nordhausen zurück, so muß ich einen Grund
dafür angeben, und sie hat mir diesen bisher in keiner Weise geboten.
Ich werde mit Jürgen reden; Wolf braucht eine Luftveränderung, um auf
andere Gedanken zu kommen. Er liebt den Süden, mag er auf einige Zeit
dorthin gehen.«

Martens war Wolf Plüddekamp gefolgt und stand plötzlich neben ihm.

»Als Nichtraucher ist es mir hier bei Ihnen angenehmer als dort
drinnen, lieber Wolf,« sagte er plötzlich.

Dieser fuhr wie aus Träumen auf. Er hatte den Konsul auf dem weichen
Smyrnateppich nicht kommen hören.

»Sie haben einen interessanten Ausblick hier!« fuhr Martens fort.
»Fräulein Hergenbach waltet als Hausfrau. Eine brillante Erscheinung.
Schlank wie eine Tanne und abgerundete Bewegungen. Sie treibt viel
Sport -- nicht wahr?«

»Wir spielen zuweilen Lawn-Tennis, -- wenn die Witterung es erlaubt,«
entgegnete Wolf kurz.

»Die junge Dame muß eine gute Figur zu Pferde haben. Sind Sie schon
zusammen ausgeritten?« fragte Martens weiter.

»Nein,« stieß Wolf förmlich abwehrend hervor. »Mein Fuchs ist zu
unruhig und Jürgens Brauner -- ist ein grobknochiger Geselle, der
unter dem Damensattel wie ein Elefant aussehen würde. Herta hat, wie
Sie wohl wissen, ihr Reitpferd seit dem letzten Jahre abgeschafft.
Sie hegt die Ansicht, bei ihrer Vereinstätigkeit keine Zeit mehr dafür
erübrigen zu können.«

»Schade, sehr schade,« fiel der Konsul ein. »Wenn Fräulein Hergenbach
ausreiten will, -- ich habe eine ausgezeichnete lichtbraune Stute,
die sehr gut zugeritten ist, und stelle sie gern der jungen Dame zur
Verfügung.«

Wolf mochte nicht darauf eingehen.

»Ich glaube kaum, daß es Herta willkommen wäre, wenn Fräulein Ilse der
Wirtschaft viel entführt wird.«

»O, ich werde bei meiner lieben Freundin ein gutes Wort einlegen.
Was bietet Stettin sonst Fräulein Hergenbach?« Er wollte in das
Speisezimmer gehen, in dem Herta noch in der Sofanische saß.

»Unterlassen Sie es, Konsul Martens,« sagte Wolf hastig und legte
seine Hand fest auf den Arm des älteren Mannes. »Aus Ihrem Munde
könnte es Herta leicht kränken.«

Der halb getane Schritt des Konsuls wurde sofort gehemmt. Er seufzte
leicht auf. »Sie haben recht, lieber Wolf! Der freieste Mensch hat
Rücksichten zu nehmen, die uns gute Sitte auferlegt. Kommen Sie, wir
kehren in den Rauch der Exporten zurück.«

Jürgen, Baron Berleburg und der Prokurist Armin hatten sich in das
beliebte Geschäftsgespräch über die Kornkonjunktur verwickelt. Dies
floß bei den drei Herren am leichtesten.

»Wäre Rußland nicht eine große Kornkammer,« betonte Armin, als Wolf
Plüddekamp mit Konsul Martens eintrat, »es wäre um Europa schlecht
bestellt.«

»Sie sind unser Gegner, Herr Armin,« ließ sich Baron Berleburg
hören. »Schutzzölle, immer höhere Schutzzölle brauchen wir, um die
einheimische Landwirtschaft zu kräftigen. Nur darin liegt die Quelle
dauernden Wohlstandes, -- die Industrie nimmt uns die Arbeiter fort,
-- schadet uns -- ganz riesig.«

»Seit dem Aufschwung der Industrie ist Deutschland erst ein Weltstaat
geworden. Seine jetzige Wohlhabenheit kommt von dem Gold, das uns
aus anderen Ländern für die versandten Waren zufließt. Auch unser
Getreideexport spricht mit,« erwiderte Armin fest.

Baron Berleburg wollte sich mit diesem nicht verfeinden, er brauchte
ihn als Fürsprecher bei Jürgen Plüddekamp. Er versuchte darum,
einzulenken.

»Sie müssen auf der Seite der Landwirte sein, Herr Armin. Wir machen
Ihnen doch die Geschäfte! Durch uns verdienen Sie die Goldbarren, die
Haus Plüddekamp birgt --«

»Es war mal,« meinte Jürgen darauf, »heute fällt der Gewinn verteufelt
mager aus. Ein paar Prozente nur -- dafür riskiert man ein großes
Kapital, das stets in der Schwebe hängt.«

»Aber von sicherer Hand gehalten wird, Freund Jürgen,« sprach
Martens dazwischen. »Bisher bist du von größeren Verlusten stets
verschont geblieben. In unserer Industrie geht es nicht so sicher
zu. Ich besitze als Bankier manche Kenntnis davon. -- Der Eisenmarkt
zeigt zuweilen ein höhnisches Gesicht; wer konnte es ahnen, daß
die Engländer und ihre Vettern über dem Wasser einen solchen bösen
Fischfang vorhatten. Wunden, die ein ungeheurer Weltkrieg schlägt,
bedürfen einer langen Heilung.«

»Erst langer Friede schafft neue Werte. Korn ist Volksnahrung,
-- Eisen dient zur Herstellung von Gebrauchsartikeln, wenn die
Kriegsfurie es nicht fortsaugt, lieber Martens. Korn und Eisen hängt
innig zusammen. Die eiserne Pflugschar schält den Boden und regt
ihn an, neues Wachstum für die Einsaat hervorzubringen. Die eiserne
Walze ebnet, und die eisernen Zinken der Egge lockern die harte
Erdrinde auf, daß die Keime besser sprießen. So tut das Eisen seine
Schuldigkeit. Ich meine, Industrie und Landwirtschaft ergänzen sich,
wie zwei Schwestern, die gemeinsam den Haushalt führen, dabei sparsam
und rationell wirtschaften.«

»Gefällt mir -- ganz riesig,« rief Baron Berleburg begeistert aus.
»Die Gelder müssen in einen Topp hinein und jeder den Vorteil davon
haben.«

Wolf verbiß sich ein Lachen. Der reine Egoismus, der nur nach
leichtem Gewinn trachtete, stand auf der Fahne Berleburgs zu deutlich
geschrieben. --

Die Stunden verstrichen. Armin war ins Theater gegangen. Konsul
Martens wollte ihm folgen.

Ehe er sich verabschiedete, gab er Jürgen einen Wink. Sie traten vor
eine große japanische Bronze hin, die ein gewaltiges sagenhaftes
Drachentier darstellte. Indem sie dies anscheinend betrachteten,
flüsterte Martens Jürgen zu:

»Alfred Smiders war neulich bei mir. Er will schon wieder einen großen
Dampfer bauen lassen, und der ›Friedrich Barbarossa‹ ist noch nicht
einmal aus dem Dock heraus. Er gab an, daß seine Verbindung mit dir es
dringend notwendig mache. Wie steht es damit, Jürgen?«

Dieser hatte aufgehorcht. Er erkannte sofort, daß Smiders ihn nur für
seine Zwecke ausspielen wollte, und antwortete:

»Der ›Friedrich Barbarossa‹ genügt mir vollständig, Charles. Ich
glaube kaum, daß der Export nach Spanien mehr verlangen wird.
Hoffentlich wird er rechtzeitig fertig. Weißt du etwas davon?«

»Nichts Genaues,« klang es leise zurück, »ich werde mich aber
informieren. Du kennst doch Alfred Smiders!«

»Stimmt, Charles! Er versucht bereits, uns zu schnellen. Wolf soll ihn
in die Schere nehmen.«

»Wolf?« fragte der Konsul zurück. »Ich kann mir's denken. Du bist für
solche Nebensprünge in lichtscheue Lokale nicht geeicht. Smiders ist
aber sonst nicht zu packen. Ich beneide deinen Bruder nicht um die
erhaltene Aufgabe.«

»Geht nicht anders!« fiel Jürgen ein. »Aber Charles, ich bitte dich,
-- du schwebst doch über den Wassern, -- warne mich rechtzeitig, falls
es dir notwendig erscheint.«

»Natürlich, lieber Jürgen! Alfred Smiders segelt bei allen Banken
umher. Ich bin nur insoweit für ihn interessiert, als er unsere
Gesellschaft prompt bezahlen muß.«

Sie schüttelten sich die Hände, und Martens ging zu Herta in den
Salon. Berleburg hielt noch stand, er wollte einen günstigen
Augenblick für seinen Angriff auf Jürgen abpassen. Dieser hatte Wolf
ein Zeichen gegeben, daß er bei ihm bleiben sollte. Der junge Mann
begann aber bald zu gähnen. Die Unterhaltung der beiden wurde ihm
langweilig. Berleburg tat sich wichtig mit alten Garnisongeschichten,
die er schon oft genug gehört hatte.

»Martens ist fort und Herta allein im Salon,« sagte Wolf plötzlich.
»Wollen wir ihr nicht Gesellschaft leisten?«

Er erhob sich und ging voran. Jürgen war dies recht, darum forderte er
den Baron zur Übersiedelung auf. Kaum hatten sie sich aber bei Herta
niedergelassen, als Wolf rasch hinauseilte. Ilse war nicht dort; er
hoffte, diese irgendwo allein anzutreffen.

Berleburg saß wie auf Kohlen, die Umstände vereitelten sein Vorhaben,
und er mußte dabei den Liebenswürdigen spielen. Fräulein Hergenbach
erschien plötzlich im Speisezimmer und richtete den Teetisch vor. Das
Stubenmädchen brachte auf silberner Platte ein Telegramm herein. Ilse
nahm es ab und trat an die Salontür.

»Herr Plüddekamp, einen Augenblick!«

Jürgen erhob sich langsam und kam auf sie zu.

»Sie wünschen, Fräulein Hergenbach?« fragte er mit seiner metallen
klingenden Stimme.

»Es ist ein Telegramm für Sie eingegangen.«

Jürgen entzündete eine tief angebrachte elektrische Birne, riß das
Telegramm auf und überflog es.

»Entschuldigen Sie mich bitte bei meiner Schwester, und Baron
Berleburg, Fräulein Hergenbach. Ich muß sofort ins Kontor, um ein
eiliges Schreiben zu erledigen.«

Schon war er hinaus und eilte die Treppe hinab. Ilse stand Minuten
regungslos da. Die grauen Augen starrten auf die Tür, die Jürgen
soeben rasch hinter sich geschlossen. Es war, als ob sie ein Traum
umfing. Die Augenlider sanken ein wenig herab. Sie strich dann mit
ihrer schmalen Hand langsam über die Stirn, als wolle sie dahinter
eine Flut von Gedanken ordnen.

Dann ging sie zu Herta in den Salon und teilte ihr mit, daß Herr
Plüddekamp geschäftlich verhindert sei und erst in einiger Zeit
zurückkehren würde. Sie setzte noch hinzu:

»Der Tee wird gleich bereit sein, Tante Herta.« Darauf verschwand sie
wieder.

Baron Berleburg streckte sich ein wenig in dem bequemen Polstersessel
aus und wurde immer liebenswürdiger. Es schien ein Gedanke in ihm
aufgetaucht zu sein, der ihm noch ersprießlicher vorkam, als eine
Anbohrung neuen Kredites bei Jürgen Plüddekamp. Glückte es ihm, so war
er für immer geborgen. Herta, diese stattliche, vornehme Erscheinung
dabei in den Kauf zu nehmen, hielt er für keine üble Aussicht. Ihre
erste Jugend mußte vorüber sein. Es schadete auch nichts, um so
verständiger würde sie als Frau auftreten und eine Baronin Berleburg
auf Schloß Berleburg tadellos darstellen. Teufel -- es galt, nicht zu
zögern! Er ging ans Werk.

Herta kam aus dem Erstaunen gar nicht heraus, als jetzt der einstige
Dragoneroffizier den Gefühlvollen zeigte und von ganz riesig tiefer
Leidenschaft sprach, die er schon jahrelang gehegt und nur verborgen
gehalten habe.

»Wo bleibt nur Ilse?« dachte Herta. »Wolf kommt auch nicht wieder!«
Sie glaubte anfangs, die lange Rede des Barons wäre eine seiner
beliebten Tiraden, bis sie doch schließlich die direkte Absicht merkte
und eine törichte Erklärung verhindern wollte.

Er wurde immer deutlicher, und sie stand plötzlich auf.

»Das Teewasser kocht bereits, Herr Baron! Verzeihen Sie -- ich will
nur Fräulein Hergenbach rufen! -- Ilse -- Ilse!« rief sie laut auf den
Korridor hinaus.

Berleburg zog verdrießlich an seiner Krawatte. Er war so schön im Zuge
gewesen, und die ältliche Patriziertochter mußte sich doch höchst
geehrt fühlen, wenn er ihre Hand und die große Mitgift begehrte. Sein
Konto im Hauptbuch Jürgen Plüddekamps würde dann ein sehr ansehnliches
Guthaben aufweisen. Die Hypotheken von Rittergut Berleburg
verminderten sich bis auf die Eintragungen der General-Landschaft. War
das nicht eine sehr aussichtsvolle Lage? Herta machte sich aber recht
lange am Teetisch zu schaffen und überließ den hageren Herrn seiner
weiteren Gedankenmalerei. -- -- --

Im Kontor leuchtete das elektrische Licht auf. Jürgen setzte sich an
seinen Schreibtisch. Vor ihm lag das offene Telegramm; er schaute
darauf hin und begann bereits in Gedanken zu disponieren. Ärgerlich,
daß niemand zugegen war, dem er einen Brief diktieren konnte! Das
Selbstschreiben war ihm unbequem. Er hatte auch keinen Kopierapparat
zur Hand, da alle Briefe auf den Schreibmaschinen durchgeschlagen
wurden. Es betraf aber eine Sache von größter Wichtigkeit, und Eile
war geboten.

Es klopfte leise an der Tür.

»Herein!« rief er mit starker Stimme.

Ilse Hergenbach trat ein und schlug die großen Augen bescheiden zu ihm
auf.

»Sie brauchen eine Stenogrammaufnahme, Herr Plüddekamp, und haben
niemand zur Verfügung. Darf ich es ausführen? Ich stelle den Brief auf
der Schreibmaschine schnell her. Die letzte Post wird erst in einer
Stunde aus dem Briefkasten abgeholt.«

Ihre Blicke trafen sich. Nur ein leises Zucken der harten Mundwinkel
verriet, daß in dem überlegenen Geschäftsmann etwas vorging. Er
zögerte noch.

»Ich werde meinem Worte untreu, Fräulein Hergenbach --«

»Warum nicht, Herr Plüddekamp! Es ist nur ein Ausnahmefall, und ich
tue es gewiß gern für Sie.«

Wie die grauen Augen gefährlich aufleuchteten und nicht weichen
wollten! Ein bescheidenes Bitten und doch trotziges Verlangen lag in
ihnen. Warum widerstehst du so lange? Die anderen sind glücklich, wenn
ich ihnen einen Blick schenke. Du bist so hartnäckig, abwehrend -- ich
will aber meine Kraft erproben, ich will wissen -- jetzt zeigte sich
die volle gefährliche Glut in dem Blicke.

Jürgen stand schweratmend von seinem Schreibsessel auf.

»Nehmen Sie bitte Wolfs Platz ein, Fräulein Hergenbach. Ich bin
gewohnt, schnell zu diktieren. Werden Sie mir folgen können?«

»Ich werde es --«

Er ließ sich wieder nieder; schon saß sie ihm gegenüber und hatte
Papier und Bleistift zur Hand genommen.

Jetzt konnte er ruhig aufsehen; während er sprach, mußte sie den Blick
auf den weißen Bogen vor sich heften.

Bei den ersten Worten zitterte seine Stimme ein wenig, dann gewann sie
bald ihren festen Klang zurück. Das Diktat näherte sich bereits seinem
Ende, als die Tür hastig geöffnet wurde und Wolf erschien.

»Hier finde ich Sie endlich, Fräulein Ilse!« rief er erregt aus.
»Meine Schwester läßt Sie im ganzen Hause suchen. Der Tee hat zu lange
gezogen --«

Ilse sah nicht auf, sie erwiderte auch nichts. Sie wußte, daß Jürgen
antworten würde.

»Entschuldige Fräulein Hergenbach bei Herta. Sie hat ein eiliges
Stenogramm von mir aufgenommen und muß es noch mit der Schreibmaschine
übertragen. Wir sind in kurzer Zeit fertig und kommen dann nach oben
--«

»Ausgezeichnet -- wirklich ausgezeichnet! Die Erlernung des Haushaltes
ist bis zum Kontor hinuntergedrungen. Sie sind in allem eine Meisterin
-- Fräulein Ilse! -- Und du -- Jürgen?« Es flammte etwas Unheilvolles
in den blauen Augen auf, die sich fest auf den Bruder richteten.

»Kein Zeitverlust, Wolf!« erwiderte Jürgen kalt. -- »Das Diktat ist
noch nicht zu Ende -- du störst uns -- bitte --«

Wolf pfiff zwischen den Zähnen hindurch, schloß aber die Tür wieder
und stürmte, ohne ein weiteres Wort gesagt zu haben, die Treppe hinauf.

»Ilse macht bei Jürgen -- dem Hasser alles Weiblichen im Kontor --
das Tippfräulein! Was sagst du dazu, Herta?« rief er atemlos ins
Speisezimmer hinein, in dem diese noch am Teetisch beschäftigt war.

Sie sah den jüngeren Bruder erstaunt an.

»Warum solche Scherze, Wolf!«

»Scherze? -- -- Teure Herta, vollkommener Ernst -- eine unbestreitbare
Tatsache. Geh hinunter und überzeuge dich. Die Männertollheit wird
größer, immer größer, Herta -- wundere dich über nichts mehr!«

Diese legte die Hand auf den Mund und deutete auf das Nebenzimmer; er
sollte sich an die Gegenwart des Gastes erinnern. Sie trat dann dicht
an ihn heran und flüsterte:

»Du bleibst bei mir, Wolf! Berleburg ist unausstehlich, er war nahe
daran, mir in aller Form einen Antrag zu machen!«

Der junge Mann verzog das Gesicht zu einer tragikomischen Miene.

»Um Gottes willen -- wenn es so fortgeht, ist Haus Plüddekamp eine
offene Bühne für Irrungen und Wirrungen. -- Ilse kommandiert den
strengen Jürgen, und ich spiele den Anstands-Wauwau bei meinem
geliebten Mütterlein --«

»Du bist ungezogen, Wolf; so alt bin ich noch nicht! Meine mütterliche
Sorgfalt aber hat dir manchen Dienst erwiesen.«

»Nicht zürnen, Herta,« bat er lächelnd ab. »Kommen Sie, Herr von
Berleburg,« rief er darauf in den Salon hinein. -- »Eine Tasse
Karawanentee von meiner lieben Schwester Hand ist tipp topp! Ich
schenke Ihnen dazu einen Meukow ein, den Sie nirgends so alt getrunken
haben. Mein Urahne hat ihn vermutlich 1812 aus der zurückgelassenen
Bagage des großen Napoleon erstanden.«

Der hagere Herr schaute verständnislos um sich. Er war aus seinen
Gedankenverbindungen und der Nachwirkung des alten Bordeaux jäh
erwacht. Die Wirklichkeit trat wieder vor ihn her. Schwerfällig erhob
er sich und ging steif nach dem Speisezimmer.

Als Jürgen und Ilse später an den Teetisch traten, sagte Fräulein
Plüddekamp zwar kein Wort, aber ihre Blicke gaben deutlich ein
Mißbehagen kund.

»Verzeih, Tante Herta, daß ich den Tee im Stich ließ,« bat Ilse, »aber
dein Bruder mußte die Angelegenheit sofort brieflich erledigen. Ich
kenne die Wichtigkeit der dringenden Telegramme von Papas Geschäft
her.«

»Bekümmere dich in erster Linie um deine Obliegenheiten,« erwiderte
Herta kurz. Es ärgerte sie, daß Ilse bei Jürgen mehr durchsetzte, als
sie es je vermocht hatte. Die Kontorräume wurden nie von ihr betreten.

Berleburg war kein Freund von Tee, wenn ihn auch der alte Meukow etwas
entschädigte. Er fühlte, daß sein Plan verunglückt war, und ließ den
Wagen anspannen, der bald mit ihm davonrollte.

Als die Geschwister am späten Abend voneinander schieden, sagten sie
sich kühl gute Nacht. Eins hegte gegen das andere Mißtrauen; Ilse
stand dazwischen mit der siegreichen Macht, die von ihr auf die Brüder
ausging. --

Wolf versuchte es auf alle erdenkliche Weise, sie in der nächsten Zeit
allein zu sprechen, sie wich ihm aber geflissentlich aus. Er bemerkte
deutlich, daß sie sich Jürgen durch kleine harmlose Dienstleistungen
fortgesetzt zu nähern versuchte. Dieser wollte Junggeselle bleiben, er
hatte es oft genug mit Bestimmtheit ausgesprochen und bereits seine
Geschwister in einem Testament als Erben eingesetzt. -- Welche Absicht
verfolgte Ilse also? -- --




                                VIII.


Wolf ging durch die großen Räume des alten Speichers und kontrollierte
die Arbeiter, ob sie das Umstechen des Getreides gut ausführten.
Auf die Roggensorten, die bis zur Zeit der Sommersaat lagerten, war
besondere Sorgfalt zu verwenden. Die Sackträger standen in einer Reihe
und so weit voneinander entfernt, daß sie die große Wurfschaufel
bequem handhaben konnten. Die Leute waren derartig eingearbeitet, daß
das Schaufeln des Getreides fast im Takte vor sich ging.

Hell aufschimmernd flog der Roggen durch den Raum, sank schwer auf der
anderen Seite nieder und türmte sich hoch auf. Der Luftzutritt, den er
dadurch erhielt, gab ihm neue Frische.

Als sich Wolf den Leuten näherte, tönte es aus dem Munde der einzelnen
Männer, kurz, wie es ihre Art war:

»Guten Tag, Herr Wolf.«

Keiner sagte Herr Plüddekamp. Es war nun einmal gang und gäbe unter
den Leuten, nur Jürgen hieß ›Herr Plüddekamp‹. Die meisten hatten
Wolf noch als Knaben gekannt, unter ihnen groß geworden, blieb er
darum ›Herr Wolf‹.

Dieser trat zu dem Roggenhaufen, griff mit der Hand tief hinein und
roch über die Probe hinweg. Er warf sie zurück und schritt zu dem
umgeschaufelten Roggen. Hier nahm er die gleiche Probe vor und nickte
dann befriedigt.

»Der Roggen ist recht trocken. Er scheint sich gut zu halten,« wandte
er sich an einen der breitschultrigen Männer.

»Das will ich meinen, Herr Wolf,« erwiderte der angeredete Mann. »Der
ist auch vom Oberamtmann Wichers aus Wershagen.«

»Ja,« nickte Wolf, »ich weiß wohl. Wershagener Roggen ist immer der
beste!«

Seine Gedanken glitten in diesem Augenblicke unwillkürlich nach dem
schön gelegenen Gute, auf dem er oft und gern geweilt. Das Bild von
Lieschen Wichers, dem hübschen, rotwangigen Mädchen, trat vor ihn hin.
Ob sie sich wohl wunderte, daß er so lange nicht dort gewesen? Warum
darüber nachdenken! Er hatte kein Interesse mehr daran. Mit seinem
Spazierstocke schrieb er den Namen Ilse in die glatten Seitenflächen
des Roggenhaufens ein. Kaum hatte er aber die Buchstaben gezogen, so
fiel das Korn langsam nach und füllte den Raum aus. Rasch, wie der
Name geschrieben wurde, verschwand er auch wieder.

»Soll es ein Zeichen für dich sein?« sagte Wolf zu sich. »Entstehen
und vergehen Leidenschaften so schnell? Warum müssen wir sie dann erst
fühlen? Es wird mir förmlich zur Pein, überall an Ilse zu denken. Die
stete Unruhe, das Verlangen nach ihr ist eine Folter.«

Ein polternder Schritt wurde hörbar. Jochen Hindorf keuchte mit der
ganzen Schwere seines Körpers die Treppe hinauf. Der mächtige Kopf mit
dem struppigen Bart schaute jetzt aus der Luke hervor, die den oberen
Treppenraum abschloß, und gleich darauf kam die dicke Flauschjacke zum
Vorschein.

»Willst du was von mir, Jochen?« rief ihm Wolf zu.

»Jäh -- woll!« tönte es zurück, und der Alte machte mit der Hand eine
Bewegung, daß er seinen jungen Herrn gern allein sprechen möchte.

»Was ist denn los, alter Knabe?« fragte Wolf, auf ihn zugehend.

Der Alte versuchte seinen tiefen Baß möglichst zu dämpfen.

»Smiders ist in der Weinstube. Er sitzt -- fest. Als ich vorbeikam,
rief mich die Mamsell heran --«

»Na, ich will nur gleich hingehen,« erwiderte Wolf. »Nette Aussichten
für den Abend. Es hilft aber einmal nichts.«

»Die Mamsell muß drei Mark kriegen, Herr Wolf. Ich hab ihr's
versprochen.«

»Wie heißt sie denn?« fragte Wolf lächelnd.

»Das weiß ich nicht, Herr Wolf.«

»Ja, den Teufel auch, Jochen! Woher soll ich es denn wissen?«

»I, das macht sich von selbst, wenn Sie man erst dort sind.«

Wolf stieß einen leisen Seufzer aus. Ein unangenehmer Gang lag vor
ihm. Er hatte es aber Jürgen versprochen und noch mehr -- das Geschäft
verlangte es.

»Du hast deine Sache brav gemacht, Jochen! Hoffentlich treffe ich
Smiders in der richtigen Stimmung an.« Mit den Worten ging er zur
Treppe.

Jochen Hindorf sah ihm zufrieden nach.

»Heut steht er seinen Mann, das weiß ich!« murmelte er vor sich hin.

Kurz darauf verließ Wolf durch den großen Torweg das Haus. Er sah sich
noch einmal um, und sein Blick streifte die Fensterreihen. Wenn Ilse
jetzt wüßte, wohin er ging! Würde sie darüber in Erregung geraten?
Gleichgültig konnte es ihr doch nicht sein. Er hatte bisher noch
keinen tieferen Einblick in ihren Charakter tun können, und doch besaß
sie sicher ein starkes inneres Leben. --

Er eilte rasch durch die Große Wollweberstraße, durchquerte die
Breitenstraße und kam an die ›Grüne Schanze‹. Die kleine Weinstube lag
vor ihm. Sein Fuß zögerte, ehe er die Schwelle zu dieser überschritt.
Er hatte die Tür noch nicht geöffnet, als ein junges Mädchen aus dem
daneben befindlichen Hausflur hervortrat und ihn anredete:

»Ich habe Sie schon erwartet, Herr Plüddekamp. Ich bin die ›blonde
Rieke‹. Der alte Hindorf wird es Ihnen wohl gesagt haben.«

»Ach so,« meinte Wolf, griff in die Tasche und zog ein Dreimarkstück
hervor.

»Stimmt,« lachte sie auf. »Ich bringe Sie direkt in die Hinterstube,
wo Herr Smiders sitzt. Er hält es mit der ›schwarzen Karli‹. Ich bin
erst seit acht Tagen hier und -- noch frei.«

In ihren Zügen zeigte sich ein entgegenkommendes Lächeln, das Wolf nur
zu gut kannte. Ein offenes Angebot, das die Annahme erwartete.

»Ich werde mich Ihnen weiter erkenntlich zeigen, Fräulein Rieke,«
erwiderte er darauf, »wenn Sie im geeigneten Zeitpunkte Ihre Kollegin
Karli mit fortnehmen, damit ich Smiders allein sprechen kann.«

Die blonde Rieke ging jetzt voran und führte Wolf über den dunklen
Hof. Dort gab es einen versteckt liegenden Eingang in die sogenannte
Kavalierstube.

Als sich die Tür öffnete, sah Wolf über das Mädchen hinweg in den
nur wenig erhellten Raum, aus dem der Dunst geleerter Weinflaschen
hervordrang. Eine alte verräucherte rotgoldene Tapete bedeckte die
Wände. Von der Decke herab hing eine einst vergoldete Gaskrone, die
wohl auf einer Auktion erstanden wurde. In dem ganzen Raum befand sich
nur ein länglicher Tisch vor einem zerschlissenen Polstersofa, dann
einige hochlehnige Stühle, die mit starkem Leder überzogen waren.

Auf dem Sofa saß Alfred Smiders, der elegante junge Reeder, und hielt
den Arm um ein derbes Mädchen geschlungen. Das tiefschwarze Haar und
die stechend schwarzen Augen hatten ihr den Namen ›die schwarze Karli‹
eingetragen. Vor ihnen auf dem Tisch stand ein altmodischer Weinkühler
mit einer Flasche Sekt.

»Du wirst den Hamburger ausfragen, Karli, sobald er da ist,« ertönte
die scharfe Stimme von Smiders. »Sei entgegenkommend und geschickt, er
darf nichts merken. Du bringst ihm dann bei --«

Jetzt fiel sein Blick auf den eintretenden Wolf.

»Zum Teufel, Wolf! Wo kommst du her?« rief er lachend. »Ah, ich sehe
schon, die blonde Rieke hat dich am Wickel! Ist auch erst seit acht
Tagen hier. Frisch aus Danzig importiert. Hast keinen schlechten
Geschmack.«

Der junge Plüddekamp trat näher an den Tisch und reichte Alfred
Smiders mit anscheinender Vertraulichkeit die Hand. Es war ihm ganz
erwünscht, daß die blonde Rieke als Grund seines Kommens galt. So
konnte Smiders keinen Argwohn hegen.

»Setz dich, Wölfchen,« sagte er dann, »wir haben lange keinen Sekt
zusammen getrunken. Die erste Flasche ist schon angefahren, du gibst
die nächste!«

Er schenkte zwei neue Spitzgläser ein, die er Wolf und der blonden
Weinkellnerin zuschob.

»Prost, mein Junge, es lebe das Leben! Nämlich, wie wir es haben
wollen.« Er stieß mit ihm an. »Keine Duckmäuserei!« Dabei gab er der
schwarzen Karli einen starken Schlag auf die Schultern. »Sieh mal,
das ist ein prächtiges Mädchen, Wolf! Mit der kann man reden, wie man
will, und braucht nicht erst jedes Wort auf die Goldwage zu legen. Du
weißt, das war mir immer eklig.«

Wolf hatte seinen Stuhl neben Smiders gezogen, und die blonde Rieke
setzte sich dicht neben ihn. Sie betrachtete ein paarmal den jungen
Mann. Kein Wunder, daß er ihr gefiel. Wolf Plüddekamp bestach jedes
Mädchen, dem er freundlich begegnete. Die blonde Rieke war noch kein
Jahr von den Eltern fort und wußte vielleicht selbst nicht, wie sie
dazu kam, Weinkellnerin in einer Animierstube zu sein. Nun hatte sie
sich hineingefunden und wollte alle Minen springen lassen, um den
jungen, reichen Mann in ihrer Weise zu erobern.

Wolf nahm sich vor, wenig zu trinken und scharf aufzupassen. Alles
ging nach Wunsch. Es wurde eine Flasche Sekt nach der anderen geleert
und Smiders immer redseliger. Plötzlich sprang die blonde Rieke auf
und flüsterte der schwarzen Karli etwas zu. Dann wollten sie beide
hinausgehen.

»Du, Karli!« rief Alfred Smiders, »bleib nicht lange fort. Hast wohl
einen alten Freund im Vorderzimmer sitzen? Der wird abgeschüttelt!«

Die beiden jungen Männer befanden sich allein. Wolf begann vorsichtig
einige Fragen zu stellen und kam dabei auf die Reederei von Smiders zu
sprechen, als dieser schon einwarf:

»Wolf, ich habe ein feines Geschäft vor! Machst du mit?«

»Warum nicht, Alfred! Wenn es etwas einbringt!«

»Läßt sich hören! Du redest heute anders wie früher. Brauchst wohl
auch ab und zu einen braunen Lappen extra? Die blonde Rieke wird
dir nicht teuer werden, ist noch nicht ausgetragen. Teufel, wenn
ich die schwarze Karli nicht hätte! -- Ich sage dir, Wolf, sie ist
ein Staatsweib! Keine zweite gibt es so in Stettin. Ich habe lange
gesucht, bis ich das richtige für mich fand. Man muß aber wie das
Wetter dahinter sein. Alle laufen ihr nach, mir darf keiner in den
Kram kommen, dafür bin ich Alfred Smiders.«

Der viele Alkohol begann bei dem Reeder zu wirken. Wolf ließ den
Redeschwall ruhig über sich ergehen und wartete auf den richtigen
Zeitpunkt zum Eingreifen.

»Also wie war es mit dem Geschäft?« brachte er ihn wieder aufs Thema
zurück.

»Verdammt einfach, Wölfchen! Du schreibst mir einen Brief, daß ihr
regelmäßig größere Ladungen ins Ausland vorhabt. Kannst ja vollgültig
Jürgen Plüddekamp unterzeichnen. Ich kriege dann einen neuen Dampfer
gebaut. Die Gesellschaft zögert noch, sie denkt, ich habe die Guinees
nicht in Haufen liegen, wie ihr das Korn. Sobald Jürgen Plüddekamp
aber mitmacht, sticht's Martens und den anderen Bonzen gleich in die
Nase. Topp, mein Junge! Trinken wir darauf --«

»Wie stellst du mich, Alfred?« fragte Wolf, darauf scheinbar eingehend.

»Na, zehn Mille fallen sicher für dich ab. -- Ich habe einen reichen
Hamburger geangelt, der will bei mir mitmachen. Meine alten Kasten
aber genieren ihn noch. Die müssen weg, alle weg! Dann kann ich erst
antreten und bin der erste Reeder Stettins.«

Er hatte sich in solche Erregung hineingeredet, daß Wolf gespannt
aufhorchte.

»Wir wollen sehen, ob es sich machen läßt, Alfred,« erwiderte er.
»Hast du noch den ›Friedrich Barbarossa‹ im Dock liegen?«

»Jotte ja! Der alte Kasten wird nur aufgemöbelt. -- Wo bleibt aber
Karli? Ob sie sich bei meinem Hamburger vor Anker gelegt hat? Er ist
ganz verschossen in sie! Das kann mir nur nützen.«

Smiders erhob sich etwas schwer und ging auf die Verbindungstür zu,
welche den allgemeinen Gastraum von der Kavalierstube trennte. Er
schlug die vor dem Glasfenster angebrachte Gardine zurück und sah
hindurch.

»Nee,« sagte er vor sich hin. »Einfach verduftet! Die Sache stimmt
nicht!« Als er sich jedoch umdrehte, traten die beiden Mädchen von der
Hofseite in die Stube ein. »Donnerwetter, da seid ihr ja endlich! Hat
das lange mit euch gedauert! Wolf, du gibst noch 'ne Flasche! Ich
habe einen Durst, sage ich dir, vollkommen göttlich.«

Wolf wurde der Aufenthalt in der kleinen, von Dunst und Rauch
erfüllten Stube im hohen Maße lästig. Die fortgesetzten
Annäherungsversuche des blonden Mädchens, die er aus Klugheit nicht
zurückweisen durfte, behagten ihm ebenfalls nicht. »Ilse!« rief es in
ihm, »Ilse! Was müßte sie von mir denken, wenn sie ahnte, wie ich hier
--«

Die blonde Rieke schmiegte sich an ihn, und er flüsterte dem drallen
Mädchen zu: »Trinken Sie Smiders tüchtig zu, damit ich verschont
bleibe.«

»Für Sie alles, Herr Plüddekamp,« klang es leise zurück. Sie zupfte
ihn leicht am Rockärmel, daß er den Kopf zu ihr niederbeugen sollte.
»Darf ich Wolf sagen? Was habe ich nur für ein großes Glück, daß ich
Sie kennen lernte. Wie Sie mir gut gefallen! Ich Ihnen auch? Ich
möcht's gern hören.«

»Na, Kinder, ihr seid ja ganz einig,« sagte Smiders mit
schwerwerdender Zunge. Der viele genossene Sekt begann bei ihm zu
wirken. »By Jim! Es freut mich, daß wir wieder mal zusammen sind,
Wölfchen! Geschäft und Liebe, das macht einem Freude im Leben! Davon
kann man nie genug haben.«

Wolf hielt jetzt den geeigneten Augenblick für gekommen. Er neigte
sich zu Smiders hinüber und fragte halblaut:

»Mit dem ›Friedrich Barbarossa‹ machst du doch ein gutes Geschäft?«

»Na und ob!« erwiderte Smiders. »Bringt jede Woche zehntausend Emmchen
Entschädigung, wenn er nicht fertig wird, und dafür ist gesorgt. Mein
Kapitän ist ein verteufelter Kerl! Dreht alles, wie ich will. Eher
fährt er nicht ab, als bis jeder vereinbarte Nagel eingeklopft ist.« --

Wolf wußte nun genug. Der Export nach Spanien war nach der langen
Unterbrechung im höchsten Grade gefährdet. Der Dampfer ›Friedrich
Barbarossa‹ fuhr nicht zur rechten Zeit ab, seine Indienststellung
wurde hingehalten.

»Ich muß jetzt gehen, Alfred,« sagte er nach einer Weile, als dessen
Augen einen glasigen Ausdruck zu zeigen begannen und die schwarze
Karli schon die vollen Gläser in die Weinkühler entleerte, um neu
einschenken zu können.

»Bist doch morgen pünktlich da, Wolf? Halt ihn nur fest am Bündel,
Riekchen.« Die Worte kamen schwer über Smiders' Lippen.

Wolf war aufgestanden und legte ein paar Goldstücke für seinen Anteil
an dem Sekt auf den Tisch.

»Adieu!«

Er mußte Smiders und der schwarzen Karli noch die Hand geben. Dann war
er glücklich dem üblen Dunst entronnen und trat auf den Hof hinaus.
Die blonde Rieke kam ihm sofort nach.

»Seien Sie doch ein wenig gut zu mir!« bat sie, sich an ihn drängend.
»Ich mag die anderen nicht und will für Sie tun, was Sie wollen.«

»Ich muß Smiders noch ein paarmal hier sprechen,« erwiderte er
halblaut. »Geben Sie dem alten Hindorf Nachricht, wenn ein günstiger
Augenblick dafür da ist. Ich komme dann sofort. Vor allen Dingen
müssen Sie reinen Mund halten, es soll ihr Schade nicht sein.«

Er eilte durch den Hausflur nach dem Bürgersteig der ›Grünen Schanze‹.
Wie angenehm die kühle Luft seine Stirn umwehte! Er winkte der
nächsten herankommenden Droschke und rief dem Kutscher zu: »Haus
Plüddekamp!« Es trieb ihn, so rasch wie möglich dorthin zu gelangen.
Er wollte Jürgen berichten und die verflossenen Stunden in der reinen
Luft seines väterlichen Hauses vergessen.




                                 IX.


Nach einem heftigen Sturm trat starke Kälte ein. Die Oder und das
Haff froren fest zu, und die größten Eisbrecher hatten Mühe, eine
Fahrtrinne herzustellen. Konsul Martens war Aufsichtsrat bei einer
Schiffswerft. Er lud die Geschwister und Fräulein Hergenbach ein, eine
Fahrt über das Haff nach Swinemünde auf dem Eisbrecher mitzumachen.
Ein tiefgehender Amerikadampfer sollte danach auslaufen.

»Er will nur, daß Ilse bei der Partie ist,« sagte sich Wolf sofort. Es
war ihm deshalb nicht viel daran gelegen. »Ich habe keine besondere
Lust, man holt sich höchstens einen Katarrh bei dem kalten Wind,«
erwiderte er Jürgen, als dieser ihm die telephonische Einladung
mitteilte.

Herta mußte eine Sitzung im Frauenverein aufgeben und zögerte
deshalb mit der Antwort. Ilse bat, ihr die Fahrt durch die prächtige
Winterlandschaft zu gestatten. Nun war Wolf sofort dabei, und Herta
ließ sich ebenfalls bestimmen.

»Ich werde dich mit einem Pelzmantel versorgen, Ilse,« sagte sie. »Die
Luft auf dem freien Haff ist eisig und du bist sie nicht gewohnt.«

»Sonst hätte ich Ihnen meinen Stadtpelz angeboten, Fräulein Ilse, der
ist leicht und mollig,« scherzte Wolf.

»Das sieht dir wieder einmal ähnlich, Wölfchen,« rief Herta darauf.
»Du willst Ilse nur in Verlegenheit bringen!«

»I wo,« erwiderte dieser, »was du immer von mir denkst. Ich bin wie
ein Lamm --«

»-- im Wolfskleide,« ergänzte Ilse plötzlich.

Herta sah sie erstaunt an. In dem jungen Mädchen ging eine Entwicklung
vor sich. -- --

Zur festgesetzten Stunde fanden sie sich beim Dampfer ›Odin‹ ein.
Konsul Martens kam in seinem Dogcart an, er hatte sich etwas verspätet.

»Ein prächtiger Wintertag! Wir haben auf der Oder Schutz. Dann wird
uns freilich der Wind aus Nord-Nord-Ost stark entgegenpfeifen,« rief
er, nähertretend. »Es gibt rote Wangen, Fräulein Hergenbach,« wandte
er sich an diese. »Hat Ihnen meine Idee gefallen?«

»Er hat sich richtig den langen Eisrutsch ihretwegen ausgeklügelt,«
murmelte Wolf.

»Ich freue mich sehr, die Winterlandschaft des Haffs kennen zu lernen.
Der Frost ist ja ein großer Meister in der Kunst,« erwiderte Ilse.

»Gewiß! -- Sie werden heute einen malerischen Anblick haben, Fräulein
Hergenbach.«

»Und ich bin Ihnen dankbar dafür, Herr Konsul.«

Dieser betrat schon mit Herta die ausgelegte Schiffsbrücke. Jürgen
ergriff Ilses Hand, um sie bei der Glätte der Planken zu führen.
Sie sah mit einem raschen Blick zu ihm auf. Was für eine kraftvolle
Erscheinung dieser Mann doch besaß! Ein echt germanischer Recke der
Vorzeit, wie sie ihn liebte. --

Nun kamen sie an Deck. Auf der Kommandobrücke standen unter dem Schutz
des Windfanges einige Sitze. Von dort war die beste Umschau.

Der Kapitän des ›Odin‹, ein älterer, wetterfester Mann, begrüßte die
Gäste und sprach dann mit Konsul Martens.

»Wir werden mehr als die doppelte Fahrtzeit brauchen, Herr Konsul! Das
Eis hat sich sehr verdickt und wir müssen stark dagegen anlaufen.«

Ilse hörte diese Worte. Es wurde also nacht, bevor sie Swinemünde
erreichten. Etwas Ungewisses, Nervenerregendes lag vor ihr. Das gefiel
ihr. Nur nicht immer das Alltägliche. Sie nahm sich so sehr zusammen,
um Herta zu genügen. Zuweilen aber kam stürmisch das Verlangen, etwas
zu erleben. Jetzt kannte sie ihren Wert, weil die Männer um ihre
Gunst warben. Sie brauchte eigentlich nur die Hand auszustrecken.
Nur war sie sich nicht klar, ob es Liebelei, ein Erhaschen von
leidenschaftlichen Augenblicken oder rechtschaffene Bewerbung
bedeutete.

»Du wirst mit deinen Blicken noch einmal Unheil anrichten,« warnte
ihre Mutter schon, als sie noch jünger war.

Warum nur? Es sagte ihr's keiner! Woher sollte sie es also wissen?

Im Plüddekampschen Hause, in dem sie nun nach der Pensionszeit eine
gewisse Stellung einnahm, begann sie viel selbstbewußter zu werden.
Wolf Plüddekamp lag in ihrer Macht, sie fühlte es unwillkürlich. -- Er
war ein schöner junger Mann, liebenswürdig, feurig, aber er hing zu
sehr an ihren Augen. Sie vermißte den Kampf, nach dem sie sich im Sinn
der Gleichberechtigung der Geschlechter sehnte.

Kein Sichgehenlassen, -- ein wildes Aufwallen, -- ein gewaltsames
Ringen und dann -- ein rascher Sieg. Konsul Martens war ein älterer,
vornehmer Mann -- gewiß eine glänzende Partie -- doch fehlte ihm
alles, wonach sie unbewußt verlangte. Er besaß nicht die Kraftfülle,
der sie unterliegen mußte.

Aber Jürgen -- dieser ernste Gewaltmensch, -- mit den Fäusten wie ein
Sackträger, dem unbeugsamen Willen, -- der keine Frau an seiner Seite
haben wollte, -- das Weib nur als ein notwendiges Übel betrachtete,
ihn zu erringen, war eine Aufgabe.

Sie hätte laut aufjauchzen mögen, als sich der Dampfer jetzt in
Bewegung setzte, die Pleuelstangen im Maschinenraum dumpf anhoben,
die Schraube schlug, die Dampfpfeife weithin heulte und das Eis
am Bugspriet krachend brach. Die Schollen glitten knirschend und
schlürfend an den Stahlplatten der Schiffswände entlang. Das Wasser
rauschte über die Besiegten hinweg.

Der Hafen mit den vielen eingefrorenen Dreimastern, Schonern, Briggs
und Fischerschaluppen lag hinter ihnen, sie kamen auf das breite
Stromeis hinaus. Es ging vorüber an den verschiedenen Schiffswerften,
am Vulkan, auf dessen Hellingen mächtige Dampfer der Vollendung
harrten, den gewaltigen Hochöfen der Henckel-Donnersmarkwerke,
den Brikett- und Sandsteinfabriken, den chemischen Werken, kurz
der gesamten Großindustrie an der Odermündung. Noch sah man den
tiefverschneiten Höhenrücken, der sich am linken Oderufer bis in
die weite Ferne hinzog. Hie und da schaute ein Dorf mit seinem
Kirchturm in der klaren Winterluft fast greifbar herüber. Das Bellen
eines Hundes, laute menschliche Stimmen drangen zuweilen durch das
stampfende Geräusch des Schiffes, das Bersten des Eises.

Die Wiesen zur Rechten waren eine große weißsamtne Fläche, die weiten
Kiefernwaldungen dahinter von Schneemassen überlastet. Tief bogen sich
die Äste herab und drohten abzubrechen. Die Kronen einzelner Tannen
hingen schwer zur Seite.

Ilse stand neben dem Kapitän, während sich die anderen unter dem
Schutz des Windfanges niedergelassen hatten und die Füße auf
wollumwickelte Wärmflaschen setzten. Jürgen und Wolf staken in langen
Bärenpelzen, die sie sonst für weite Schlittenfahrten brauchten.
Konsul Martens hatte eine große Pelzdecke mitgenommen. Gut versorgt
waren alle. -- Nur Ilse trug weiter nichts als den von Herta
erhaltenen Pelzmantel und Tuchstiefeletten.

Bis hierher war das Eis noch mürbe gewesen, die starke Schiffsmaschine
brachte den Dampfer schnell vorwärts. Nun wurden die Ufer an beiden
Seiten eintöniger. Zur Linken tauchte in der Ferne die kleine
Stadt Pölitz auf, deren Schornsteine bläuliche Rauchwolken hoch
emporsandten. Hier begann das breitere Papenwasser.

»Auf dem ›Friedrich Barbarossa‹ war heute alles still, Martens,«
wandte sich Jürgen an den Freund.

»Es ist für die meisten Arbeiten zu kalt, Jürgen. Die tragbaren
kleinen Kohlenöfen reichen in den größeren inneren Räumen nicht aus.«

»Smiders ist auf keiner guten Bahn --«

»Na,« meinte Martens, »seine Lage wird anders, wenn er den reichen
Hamburger in die Firma hineinbekommt, den er neuerdings an der Hand
hat.«

»Wolf sagte mir schon davon. Er faßte Smiders in der ›Grünen Schanze‹
ab und horchte ihn aus.« Jürgen neigte sich zu dem Freund und
flüsterte ihm etwas zu.

»Ah,« machte dieser, »und Smiders hat nichts gemerkt?«

»Nicht die Bohne! Wir lassen alle Minen springen. Du mußt mithelfen,
daß der ›Friedrich Barbarossa‹ zur rechten Zeit fertig wird.«

»Wir haben Sichtwechsel -- damit sitze ich ihm auf dem Nacken, wenn er
falsches Spiel treibt.«

Sie verloren sich noch eine Zeitlang in dem Gespräch.

Wolf war mehrmals an Ilse herangetreten, die immer noch schweigsam mit
großen glänzenden Augen in die Ferne schaute.

»Sie müssen sich erkälten, Fräulein Ilse,« bat er wiederholt, »setzen
Sie sich doch zu uns unter den Schutz des Windfanges und machen Sie
von den Fußwärmern Gebrauch.«

»Ich friere nicht, Herr Wolf!«

Sie wollte nicht. Herta rief ihr zu: »Es ist deine Schuld nachher,
Ilse, wenn du nicht hörst!«

»Ich sehe nur einmal diese Winterpracht, Tante Herta, sie ist zu
schön!« war ihre Antwort.

Der Steward brachte jetzt heiße Bouillon und belegte Brötchen herauf.
Er reichte das Tablett herum und trat auch zu Ilse heran. Nun mußte
sie schon Platz nehmen, damit sie bequemer zugreifen konnte.

»Endlich gesellen Sie sich zu uns, Fräulein Hergenbach,« sagte
Martens. »Sie waren ziemlich lange in eine stumme Bewunderung
versunken.«

»Welcher Künstler vermöchte den Eindruck wiederzugeben, wie ich ihn
in dieser Stunde gewonnen habe! Das Eisige, Starre der winterlichen
Landschaft ist überwältigend schön, und da hinein dringt die
Kraftfülle, mit der unser Dampfer spielend den Widerstand zerbricht,«
antwortete sie nachdenklich.

»Sie haben etwas von der Schwermut der Norwegerin, Fräulein
Hergenbach,« bemerkte Konsul Martens auf ihre Worte hin.

»Fräulein Ilse -- Schwermut! Sie sind auf dem Holzwege, lieber
Konsul!« lachte Wolf. »Ich behaupte das Gegenteil.«

»Jürgen mag zwischen uns entscheiden,« meinte Martens.

Ilse hatte durch die kalte Luft leicht gerötete Wangen, die den sonst
blassen Gesichtszügen eine anmutige Frische verliehen. Sie richtete
jetzt ihre Augen erwartungsvoll auf Jürgen, was er sagen würde. Er sah
sie einen flüchtigen Augenblick hindurch freundlicher als sonst an.

»Ich kann mir nicht denken, daß es Fräulein Hergenbach angenehm ist,
von euch beiden umstritten und von mir begutachtet zu werden. Sie
kennt jedenfalls ihren Charakter am besten selbst und bedarf keines
salomonischen Urteils.«

»Ich danke Ihnen, Herr Plüddekamp,« fiel Ilse ein. »Anstatt mich
geistig zu zerlegen, sprechen Sie mir das eigene Recht dafür zu.«

»Wir Frauen bedürfen es dringend,« begann Herta, »um den Launen der
Männerwelt gegenüber gewachsen zu sein.«

»Um Gotteswillen, Schwester! Jetzt kommt dein Steckenpferdchen!« rief
Wolf mit gutgespieltem Entsetzen aus. »Ich blase schleunigst Frieden.«

»Wie immer, Wölfchen,« scherzte Herta. »Du bist keine Kampfesnatur.«

»Nein!« Es klang ganz leise, kaum verständlich. Ilse mußte es vor sich
hingesprochen haben.

Die Sonne war inzwischen emporgestiegen, und ihre Strahlen erwärmten
etwas die Luft. Die Kälte ließ bis auf wenige Grade nach. Eine
Strecke vor ihnen lag auf dem Eise ein Schwarm Graugänse. Als der
Dampfer näher kam, flogen sie mit lautem Geschnatter auf. Sofort
sprang Jürgen in die Höhe, legte die Hand über die Augen, um diese
gegen das Sonnenlicht zu schützen, und schaute ihnen nach.

»Hätte ich nur meine Büchse mitgenommen, Charles!« rief er Martens zu.

»Auf hundertfünfzig Meter, Jürgen?«

»Ich habe wilde Schwäne noch in größerer Entfernung auf dem Eis
getroffen, wenn der schlanke Hals und Kopf unter den Flügeln stak.«

Ilse schaute begeistert zu ihm auf und rief:

»Solch einen Schuß möchte ich sehen, Herr Plüddekamp. -- Einen
Wildschwan zu schießen --«

»Ich tue es nicht,« unterbrach sie Wolf. »Der Wildschwan ist ein
herrlicher Vogel. Sein schneeweißes Gefieder, der wundervolle Hals,
den er beim Fluge geradehin streckt, der weit hörbare hellklingende
Ton, den er ausstößt! Warum ihn töten --?«

»Eine interessante Jagdtrophäe -- lieber Wolf,« warf Martens ein. »Sie
sind kein rechter Jäger, wie Ihr Bruder.«

»Das kommt darauf an,« erwiderte dieser. »Ich halte auf ein Raubtier,
Reh, Karnickel oder Rebhuhn hin, -- schädliche und schmackhafte
Geschöpfe, -- aber auf einen Schwan, -- das schöne Geschöpf der
sagenhaften Nordlandswelt -- nein! Mir fällt dabei immer das Märchen
von den drei Schwanenjungfrauen ein, das mir Herta in der Kinderzeit
erzählte.«

»Auch für mich hat der Wildschwan etwas Sympathisches,« sagte diese.
»Zu genießen ist er nicht, -- nur die Schwanendaunen geben ein weiches
Schlummerkissen ab.«

»Es herrscht ein alter Aberglaube,« begann Wolf und sah, wie Ilse
aufhorchte, »daß ein toter Wildschwan Unglück ins Haus bringt. Jochen
Hindorf sprach davon, daß unsere schöne Mutter kurz darauf gestorben
sei, als mein Vater einen Schwan schoß und ihn heimsandte!«

»Unsinn!« brummte Jürgen. »Der alte Jochen will nur mit solchen
Flausen bewirken, daß dir grault. Ich selbst war damals mit dem Vater
auf der Jagd, dort vor uns über Stepenitz hinaus, am rechten Haffufer.
Wir schlichen durch hohes Rohr, damit uns die Schwäne nicht bemerken
konnten. Es gibt sonst keinen scheueren Vogel. Er läßt selten an sich
herankommen. Damals glückte es. Als wir am Rande des Rohres anlangten,
lagen die Schwäne in Büchsenschußweite vor uns auf dem blanken Eis.
Mein Vater stand vorn, er hob rasch das Gewehr, der Schuß krachte und
saß. Sechs Schwäne flogen mit schrillen Tönen auf, -- der siebente
blieb tot liegen. Ich selbst holte ihn heran und brachte ihn zum
Schlitten. Deine Mutter aber, Wolf, war zu der Zeit schon ein Jahr
vorher gestorben.«

»Sie werden bald einen Wildschwan schießen, Herr Plüddekamp,«
unterbrach Ilse plötzlich die entstandene Stille. Ihre tiefe Altstimme
klang dabei fast feierlich.

»Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung über meine Treffsicherheit,
Fräulein Hergenbach. Aber so bestimmt ist es wirklich nicht. Vielen
Jägern hier im Umkreis ist es während ihres ganzen Lebens nicht
gelungen.«

»Vielleicht gerade deshalb, -- sogar noch in diesem Winter, -- ich
möchte einmal das schöne weiße Gefieder streicheln.«

»Ilse!« Herta hatte es ausgerufen. »Was hast du für seltsame Wünsche!«

Das junge Mädchen schrak zusammen, stand dann auf, streifte Jürgen mit
einem hellen Aufleuchten ihrer Augen und trat zum Kapitän. Sie schaute
wieder auf die starre Fläche des Haffes, die sich jetzt weithin
öffnete.

Das Eis wurde stärker, der Dampfer arbeitete keuchend dagegen an.
Er hob sich vorn hoch empor, traf die hellglitzernde Masse und
brach krachend hindurch. Ein paarmal mußte er auch zurückgehen
und mit voller Wucht wieder anrennen, bis er eine starke Eiswand
durchschnitten hatte. Sie kamen jetzt nur langsam vorwärts. --




                                  X.


In der Kajüte wurde eine wohlvorbereitete Mahlzeit aufgetragen.
Konsul Martens war ein Feinschmecker, es gab die ersten Delikatessen
der Jahreszeit und edle, feurige Weine. Er brachte nach dem zweiten
Gericht einen Trinkspruch auf die Geschwister Plüddekamp aus, der
in der seltenen, sie verbindenden Liebe und Treue gipfelte. Als er
das Glas zuerst gegen Herta erhob, zeigten ihre blauen Augen einen
wärmeren Ausdruck. Jürgen schüttelte ihm derb die Hand und sagte:

»Meine Erwiderung, Charles, nimm als geschehen an -- ich bin kein
Redner.«

»Ich trinke auf Ihr Wohl, Fräulein Ilse,« flüsterte Wolf.

Er saß an ihrer Seite und hob das Glas. Sie nickte nur leicht zum
Dank, und die grauen leuchtenden Augen irrten über ihn hinweg, um
einen flüchtigen Augenblick voll auf den markigen Zügen Jürgens haften
zu bleiben. Dieser zuckte mit der Hand, als wolle er nach seinem Glas
greifen. Martens kam ihm aber zuvor und stieß mit Ilse an.

Der Aufenthalt in dem stark geheizten Raum und die reichliche Mahlzeit
brachten eine gewisse Müdigkeit hervor. Herta setzte sich in eine
Diwanecke, um zu schlafen. Jürgen und der Konsul Martens hatten
die gleiche Absicht, wollten aber vorher noch eine Flasche Pontak
ausproben.

Der Dampfer stöhnte und keuchte, um die Eismassen zu bewältigen. Ilse
eilte plötzlich die Treppe zum Deck hinauf, und Wolf folgte ihr sofort
nach. Sie gingen ganz nach vorn ans Bugspriet. Dort hielt sich Ilse am
Geländer an, weil der starke Anlauf des Dampfers gegen das Eis keinen
festen Halt aufkommen ließ. Der Wind wehte schneidend aus Hoch-Nord.
Nach der warmen Luft in der Kajüte traf er doppelt scharf das Gesicht
und stach wie mit Nadeln in die Haut ein.

Die Sonne stand glutrot im Westen dicht über den fernen
tiefverschneiten Forsten und war am Untergehen.

»Stellen Sie sich hinter mich, Fräulein Ilse,« bat Wolf, an sie
herantretend. »Der eisige Wind trifft Sie alsdann nicht direkt.«

»Ich finde ihn manchmal wohltuend, Herr Wolf,« erwiderte sie kurz.
»Die heiße Kajüte und der starke Wein, -- ich kann Alkohol nicht
vertragen, -- das Blut jagt mir durch die Adern.«

Er sah sie an. Ihre Wangen zeigten rote Stellen, nicht eine
gleichmäßige Röte. In den Augen, die sich einen flüchtigen Augenblick
in die seinen tauchten, lag ein übernatürliches Glänzen.

»Sie dürfen hier nicht bleiben, Ilse,« sagte er mit aller
Bestimmtheit. »Sie können sich den Tod in diesem Eiswind holen.
Entweder Sie folgen mir nach dem Windfang, -- dort können wir die
Pelzdecke des Konsuls benutzen -- oder wir gehen hinunter und setzen
uns in eine weniger durchwärmte Kabine.«

»Nein ich will nicht!« rief sie aus. »Hier sehe ich unmittelbar, wie
das Eis unter der Gewalt des Dampfers bricht.«

»Ilse!« stieß er heftig aus. »Warum verlangt Sie nach roher
Kraftentfaltung? Ist das Ihrer würdig?«

»Ich kann mich nicht ändern! Lassen Sie mich, wie ich bin, Wolf!«
entgegnete sie schroff.

»Warum fügen Sie sich stets bei Herta? Wenn ich Sie um etwas bitte,
Sie warne, sind Sie gänzlich abwehrend! Sie zeigen zwei Gesichter, --
geben Sie mir eine Erklärung dafür.«

»Nein!« Von nun an schwieg sie beharrlich.

Die Sonne sank hinab. Die Kälte nahm zu. Trotz seines Pelzes begann
Wolf nach einiger Zeit zu frieren, er konnte selbst seine Füße durch
Hin- und Hertreten nicht warm erhalten. Ilse, die leichter gekleidet
war, mußte sich eine schwere Erkrankung zuziehen. Sie gab auf seine
wiederholten Fragen keine Antwort. -- Er faßte plötzlich einen raschen
Entschluß, umschlang sie mit seinen Armen, fühlte, daß sie halb
erstarrt war, und trug sie in eine Kabine hinunter. Dort legte er sie
auf den Seitendiwan.

Er zog seinen Pelz aus und deckte sie damit zu. Sie ließ alles
willenlos geschehen. Die Kälte hatte ihr die Kraft des Widerstandes
geraubt. Als der Steward zufällig vorüberging, bestellte Wolf heißen
Tee.

Schon nach einigen Minuten erholte sie sich wieder und wollte den
schweren Reisepelz abstreifen.

»Noch nicht,« befahl er. »Sie müssen erst Tee trinken und tüchtig heiß
werden, damit das Blut im Körper stärker kreist, sonst sind Sie morgen
krank.«

Diesmal folgte sie. Er ließ ihren Gegenwillen nicht aufkommen.

Der Steward brachte den Tee, den er ihr erst löffelweise einflößte,
dann mußte sie den Rest auf einmal austrinken.

»Mir ist wirklich ganz wohl, Herr Wolf!« bat sie, »nehmen Sie mir doch
das Ungetüm von Pelz fort. Ich ersticke fast darunter.«

Er fühlte mit der Hand an ihre Stirn. Es perlten helle Tropfen darauf.

»So ist es gut! Nur noch zehn Minuten, dann haben Sie es überwunden,
Ilse. Herta darf nichts erfahren, sonst wird sie bitterböse über Ihre
Hartnäckigkeit.«

»Sie sind eigentlich ein guter Mensch, Herr Wolf, und geben einen
vortrefflichen Ehemann ab,« sagte sie mit dem tiefen Wohllaut, den
ihre Stimme zuweilen besaß.

»Finden Sie es wirklich, Ilse? Seien Sie endlich offen zu mir! Sie
haben oft ein so seltsames Wesen. Nie weiß ich, woran ich bei Ihnen
bin.« Er sah in ihre fieberhaft glänzenden Augen und war plötzlich wie
verwandelt. Er neigte sich tief zu ihr herab.

»Nein -- nein, Wolf! Ich liege hier wehrlos,« hielt sie sein Gesicht
mit beiden Händen zurück. »Erst pflegen Sie mich -- und nun -- ich
dulde es nicht, -- wie Sie mich wieder behandeln.«

»Ilse!« brachte er schweratmend hervor. »Ich finde nicht den richtigen
Weg zu Ihnen -- daran sind Sie aber schuld, nur Sie selbst. Wenn Ihre
Augen mir so leidenschaftlich entgegenschauen, dann vergesse ich
alles, -- ein blindes Verlangen kommt über mich, Sie wild an mich zu
reißen. Ich leide qualvoll durch Sie, -- Ilse, und ich ertrage es
nicht länger!«

Sie zog den rechten Arm unter dem Pelz hervor und reichte ihm die Hand.

»Sie sollen es auch nicht, Wolf! -- Wahrhaftig nicht! -- Nehmen Sie
mir doch den schweren Pelz ab, wir wollen ruhig miteinander sprechen.«

Er warf diesen in eine Ecke, und sie richtete sich schnell auf.

»Endlich zeigen Sie ein wenig Herzensgüte, Ilse. Lassen Sie mich einen
Einblick in Ihr Inneres tun.«

»Es schreckt Sie nur ab, Wolf. Fragen Sie meine Geschwister, sie
nannten mich ›Ilse -- die Hexe‹!«

»Ohne Grund, Sie haben nur noch nicht Ihr eigenes Herz gefunden. Es
irrt umher, schenken Sie es mir, ich werde es treu bewahren.«

Bei dem matten Licht der Deckenlampe sah sie ihn lange schmerzlich an.

»Jetzt liegt in Ihren Augen das Klagen des Rehes, wenn es schwer
verwundet ist,« flüsterte er, »es gibt mir die Ruhe zurück, -- so
liebe ich -- dich -- Ilse!«

»Nein, nein, es geht nicht!« fuhr sie plötzlich auf, als er sie innig
an sich ziehen wollte. »Wissen Sie, Wolf, woher die Ilse stammt? Hoch
am Brocken -- in der rauhen Schlucht des Schneelochs fangen sich die
Wasser aus dem Hexenbrunnen auf -- dann stürzen sie gewaltsam über
Rollsteine und Felsblöcke abwärts, bis sie tief unten branden und
schäumen. -- Wollen Sie das durchkosten? -- Nein, -- es geht nicht! --
Ich weiß nicht -- wen ich liebe. Sie alle stehen vor mir und krallen
mich mit Blicken an, als ob ich mein Blut hergeben sollte. Was habe
ich nur an mir, daß man mich so verlangt?« -- Ihr Körper zitterte
heftig, sie schluchzte krampfhaft auf. »Ich will nicht mehr mit Ihnen
allein sein, Wolf, -- ich komme in Verdacht. Ihre Schwester sucht mich
gewiß.« --

»Ilse, ich lasse dich noch nicht gehen, -- erst ein Wort, -- nur ein
einziges liebes Wort --«

Sie sprang auf, drängte ihn zurück und hatte plötzlich ihre Ruhe
wiedergefunden, -- der innere Sturm war vorübergebraust.

Er ließ sie aber nicht von der Stelle. Der Dampfer hob und senkte
sich gewaltig. Die Maschine trieb ihn mit voller Dampfkraft gegen die
mächtigen Blöcke. -- Ein Krachen und Bersten der Eiswand erfolgte --
dann kam ein erneuter starker Stoß -- Ilse sank, den Halt verlierend,
in Wolfs Arme.

Sie lag an seiner Brust, er küßte sie heiß, verlangend. Ein wildes
Stöhnen entrang sich ihr -- sie war widerstandslos, -- hingebend. --

Auf Deck ertönte lautes Gepolter, dazwischen drang ein starkes Zischen
des Dampfers hervor, dem hastige Kommandorufe des Kapitäns folgten.
Noch schlugen die Pleuelstangen, -- auf einmal ließen sie nach, -- der
Dampfer stand still. Die Eisschollen rieben sich knirschend an den
stählernen Seitenwänden. Unter dem Kiel gurgelte dumpf das Wasser des
Haffes. --

Herta, die fest geschlafen, erwachte und sah Ilse ganz verstört vor
sich stehen. Jürgen und Konsul Martens sprangen die Treppe hinauf an
Deck. Der Kapitän kam sofort auf sie zu.

»Ein scheußliches Pech, Herr Konsul. Wir haben durch die starken
Eiswände vor uns schweren Maschinendefekt und Rohrbrüche erlitten.
Die Reparatur wird längere Zeit in Anspruch nehmen. Wir sind noch gut
zwei Stunden von Swinemünde entfernt. In der Nähe ist kein Dorf oder
Flecken. Das Eis hält wohl bis zum Ufer, aber in der Dunkelheit sind
die eingehauenen Fischwaken nicht zu sehen. Am besten bleiben Sie mit
Ihren Gästen an Bord, bis der Morgen anbricht. -- Vielleicht können
Sie dann bis zu der allerdings entfernten Bahnstation gelangen.«

»Fatal, -- höchst fatal!« stieß Martens aus. »Ich muß morgen vormittag
zu einer wichtigen Besprechung in meiner Bank sein.« --

»Ich kann unmöglich im Kontor fehlen,« setzte Jürgen nachdrücklich
hinzu.

Nur Wolf, der ihnen gefolgt war, frohlockte, -- er hoffte auf ein
Wiederaufflammen des kurzen Rausches, auf ein Glücksgefühl, das er
in seiner Größe kaum erfaßte. -- Er sann über die Möglichkeit nach,
wie er mit Ilse allein sein konnte, ohne daß es den anderen auffallen
würde.

                  *       *       *       *       *

Eine Nacht an Bord. -- Die Maschine des Dampfers stand. Dieser lag
still in der Fahrtrinne des Haffs und fror ein. Die Kälte drang durch
alle Fugen. Das Eis hob und preßte die stählernen Platten, daß ein
Stöhnen durch den ganzen Schiffsraum ging. Die sternenklare Nacht
wurde bitterkalt. Der dichte Reif setzte sich überall fest und wob
seine kristallnen Fäden um Maste, Schornstein, Planken und alle
Gegenstände an Deck. Das Schlickwasser gefror, es bildeten sich lange
Eiszapfen -- langsam entstand ein Märchenbild.

Gegen zehn Uhr kam die bleiche Sichel des zunehmenden Mondes
hervor. Nun lag das Eis des Haffes in dem mildfunkelnden Licht hell
aufglitzernd da.

Eine wunderbare Stimmung breitete sich über die weite, öde Fläche aus.
Kein Laut wurde hörbar, als das Schieben und Pressen der Eisschollen
an den Schiffswänden.

Die kleine Gesellschaft ging trotz der Kälte eine Zeitlang auf dem
Deck umher, um die unendliche Schönheit der Natur zu genießen. Der
Wind hatte sich gelegt, die Kälte war trotz der zehn bis zwölf Grad
nicht empfindlich.

Ilse war an Hertas Seite, als sich aber Wolf zu ihnen gesellte, kam
sie plötzlich bei einer Wendung neben Jürgen zu stehen und sprach ihn
an, dann ging sie mit diesem und Konsul Martens weiter.

Wolf stampfte mit dem Fuße auf.

»Was ist dir, Wölfchen?« fragte Herta und schob ihren Arm unter den
seinen.

»Nichts besonderes, Herta! Ich wünschte nur manchmal, daß man nicht
so töricht wäre, ein Herz unter den Rippen zu besitzen. Wenn es sich
fühlbar macht --«

»Du bist in deinen Gedanken bei Ilse, armer Kerl!« sagte diese
tröstend. »Weise sie von dir --«

»Wenn ich es nur könnte, Herta! Es zerreißt mir bald Leib und Seele.
-- Sie ist nicht zu verstehen, -- glaub es mir, Schwester. -- Ich bin
schon einfach verrückt und sie -- sie wurde von ihren Geschwistern
›Ilse -- die Hexe‹ genannt!«

»Ilse -- die Hexe!« wiederholte Herta langsam. »Merkwürdig, -- Jürgen
sagte mir das gleiche.«

»Und jetzt geht sie wieder neben ihm, -- wie sie ihn anschaut, -- ich
kann es nicht ertragen, -- Herta, es reizt mich maßlos!«

»Wölfchen -- sei gut,« bat Herta. »Denk an mich und Martens, -- so
viel Leidenschaft, wie bei dir, war wohl bei uns nicht dabei, -- aber
es saß tief genug! -- Heute bin ich sehr froh, daß es so gekommen ist!
-- Du wirst Ilse auch erst erkennen, wenn du deinen Rausch überwunden
hast.«

»Ich kann mich nicht zur Ruhe zwingen, wie du es fertig brachtest,
Herta! Willst du nicht einmal mit Ilse sprechen?«

»Nein!« Herta stieß es kurz aus. »Es würde nur zu deinem Elend
gereichen. Denke daran, sie ist -- die Hexe Ilse! Dafür bist du
mir zu lieb, Wölfchen! Du mußt uns Geschwistern erhalten bleiben.
Ihr Charakter ist unergründlich, -- sie kann dich vernichten, --
vielleicht ohne daß sie es will.« --




                                 XI.


Nach Mitternacht, als alle in tiefem Schlafe lagen, Herta hatte Ilse
mit in ihre Kabine genommen, überwölkte sich der Himmel, und mächtige
Schneeflocken fielen langsam rieselnd nieder. Gegen Morgen wurde das
Schneetreiben so dicht, daß man vom Dampfer aus keine zehn Schritt
weit sehen konnte.

Jürgen kam sehr früh an Deck. Als er die Lage überschaute und mit
dem Kapitän in dessen Kajüte Rücksprache genommen hatte, grollte es
gewaltig in ihm. Nirgends zeigte sich ein Ausweg aus der mißlichen
Lage. Der Maschinendefekt ließ sich im besten Falle erst bis gegen
Abend einigermaßen beheben. Ein weiteres Durchbrechen des Eises war
unmöglich, der Dampfer mußte nach Stettin zurück. Die Rückfahrt würde
schon schwierig genug sein und nur langsam vonstatten gehen.

Bei dem dichten Schneetreiben konnte es niemand wagen, über das Eis
ans Land zu gelangen. Also ausharren! Während Jürgen und der Kapitän
noch sprachen, kam Konsul Martens hinzu, dem die Unruhe den Schlaf
verkürzt hatte. Anstatt des Morgenkaffees wurde gleich ein heißer Tee
mit Arrak gebraut. Die Schiffsräume waren stark durchkältet, denn die
Dampfheizung war nicht in Ordnung. -- Als die Schiffsmaschine bei dem
gewaltigen Anlauf gegen die starken Eiswände versagte, strömte der
Dampf zurück. Durch die entstandene hohe Spannung wurden die Rohre
undicht und erlitten mehrere Brüche. Die Feuerung mußte aufhören, weil
der Dampf an vielen Stellen der Leitung gefahrdrohend herauszischte.
Die Maschinisten hatten die ganze Nacht durchgearbeitet, um die
Schäden auszubessern, und ermüdeten sichtlich.

»Wann können wir bestimmt darauf rechnen, Fahrt zu haben?« fragte
Martens den Kapitän.

»Es kommt darauf an, wie lange die Kraft der Leute aushält, Herr
Konsul.«

»Gehen wir in den Maschinenraum hinunter, Charles,« warf Jürgen ein.
»Vielleicht lassen sich die Leute durch eine Prämie anfeuern.«

»Die Maschinisten geben ihr Bestes von selbst her,« erwiderte der
Kapitän, »es bedarf keiner besonderen Belohnung. Sie können sich davon
überzeugen, meine Herren!«

In den unteren Schiffsräumen brannten Lampen, weil die elektrische
Leitung durch den Stillstand der Dynamos versagte. Eine Anzahl Männer
arbeiteten mit größtem Eifer bei spärlichem Lichte in der kleinen
Werkstätte. Es wurde Eisen auf offenem Kohlenfeuer geglüht, das ein
Blasebalg anfachte, und dann mit Hämmern bearbeitet. Andere waren
dabei, auf einer Drehbank Gewinde zu ziehen und auf Schraubstöcken
Eisenstangen passend zu feilen.

Der Schiffsingenieur und der Obermaschinist griffen zu und besserten
die Schäden an den Rohren aus. Die gesamte Leitung mußte untersucht
werden. Die Männer im unteren Schiffsraum erstarrten fast vor Kälte
und mußten fortgesetzt heiße Getränke erhalten.

Die Tatsache lag klar -- unter weiteren zehn bis zwölf Stunden
konnte an ein neues Arbeiten der Maschinen nicht gedacht werden,
vorausgesetzt, daß die Mannschaften diese Überanstrengung aushielten.
--

»Unser Mißgeschick ist mir höchst unangenehm, lieber Jürgen,« sagte
Konsul Martens zu dem Freunde. »Namentlich der Damen wegen. Auf dem
›Odin‹, unserem stärksten Eisbrecher, kam noch nie etwas derartiges
vor und lag außer der Berechnung. Nun heißt es aushalten.«

An Deck begann jetzt die Schiffsglocke unausgesetzt zu läuten. Der
Steuermann trat zum Kapitän und sagte: »Ich habe drei Mann ausgesucht,
die sich halbstündlich ablösen!«

»Es können Dampfer ausgelaufen sein. In den Zeitungen stand, daß der
›Odin‹ nach Swinemünde ging. Die Fahrtrinne wird für offen gehalten.
Die Dampfsignale gehen nicht, daher muß die Glocke in Bewegung
bleiben,« erklärte der Kapitän den Herren die erhaltene Meldung.

Jürgen sah darauf seinen Freund fragend an:

»Ist das Aufrennen eines anderen Dampfers möglich?« fragte er langsam,
jedes Wort abwägend.

Martens wechselte mit dem Kapitän einen Blick.

»Ausgeschlossen ist es nicht,« erwiderte dieser zögernd.

Mit einem Ruck straffte sich Jürgens Gestalt.

»Es muß ausgeschlossen sein, Charles! Meine Geschwister sind an Bord.«

»Wir wollen überlegen, was zu tun ist, Jürgen.« Konsul Martens wurde
jetzt die große Verantwortung fühlbar, die ihn traf.

Sie kehrten in die obere Kajüte zurück. Herta, Wolf und Ilse hatten
sich ebenfalls dort eingefunden. Das junge Mädchen sah bleich und
übernächtig aus, sie mußte wenig geschlafen haben. Die gestrige gute
Stimmung war verschwunden. Es fröstelte alle trotz der Pelzkleidung.

Konsul Martens versuchte, den Damen die Lage im besten Lichte zu
schildern, und machte Aussicht auf ein recht langes Frühstück und bald
darauffolgendes Mittagessen.

»Essen und Trinken erhält uns warm, und darin tritt in den nächsten
vierundzwanzig Stunden kein Mangel ein,« schloß er.

»Aber die Langeweile, lieber Freund,« sagte Herta, leicht gähnend.
»Die Kälte macht uns müde und ungemütlich.«

»Ich weiß eine Abwechslung, Ilse,« flüsterte Wolf dieser zu, als sie
in der Kajüte auf und ab ging. »Der einzig warme Raum im Schiff ist
die kleine Kambüse. Wir beide wollen uns dorthin flüchten und helfen
dem Küchenchef bei der Zubereitung der Speisen, -- für die anderen
gehen wir auf Deck.«

Sie gab ihm kein Zeichen des Einverständnisses, sondern stellte sofort
ihre Wanderung ein und blieb in Hertas Nähe stehen. Wolf trat heftig
mit dem Fuße auf. Was war nun wieder in sie gefahren? Sie wollte
anscheinend nichts von ihm wissen, und Herta unterstützte sie dabei.

Konsul Martens ließ seine Pelzdecke holen und hüllte die Damen darin
ein, obwohl sich Ilse anfangs gegen das Stillsitzen sträuben wollte.
Auf Hertas Wunsch folgte sie jedoch sofort. --

Draußen wurde es etwas heller, nur das Schneegestöber ließ nicht nach.
Jürgen, Martens und der Kapitän standen an dem einen Kajütenfenster
und beratschlagten.

»In zwei bis drei Stunden kann der Amerikadampfer hier sein,« hörten
die anderen des Kapitäns Stimme, »er ist sicher zur festgesetzten Zeit
ausgelaufen. Bei langsamer Fahrt wird er unsere Glocke hoffentlich
hören. Er versperrt aber die Fahrtrinne -- die Schwierigkeit,
fortzukommen, wird bedeutend größer.«

Wolf und Herta sahen sich bei diesen Worten an. Es gab also Gefahren;
davon war ihnen bisher noch nichts bewußt gewesen.

Jürgen Plüddekamp zog seine Uhr hervor.

»Ich gehe ans Land, Charles,« sagte er dann kurz.

»Du -- Jürgen?« stieß Martens erschrocken aus.

»Die Gegend kenne ich, und mein Taschenkompaß gibt mir die Richtung
an,« antwortete er.

»Bedenke die offenen oder mit Schnee bedeckten Waken. Die Gefahr ist
zu groß, Jürgen,« versuchte der Konsul ihm sein Vorhaben auszureden.

»Ich nehme eine Stange mit, Charles! Weiteres Reden hat keinen Zweck
-- ich gehe!« Man sah es der mächtigen Mannesgestalt an, daß sie von
dem einmal gefaßten Entschluß nicht mehr abwich.

»So laß wenigstens einen Matrosen folgen und dich anseilen, Jürgen,«
bat der Konsul.

»Warum? Dadurch kann höchstens Gefahr entstehen, die ich allein
vermeide!« erwiderte dieser. »Steward!« rief er diesem zu, der soeben
einen neuen Aufguß heißen Tees brachte. »Füllen Sie mir sofort eine
Feldflasche mit Rum und Ingwer!«

»Mir auch, Steward!« ertönte es aus Wolfs Munde. »Ich begleite dich,
Jürgen!«

»Auf keinen Fall -- mein Junge! Ausgeschlossen. -- Du mußt mit Charles
bei Herta und Fräulein Hergenbach bleiben.« Das Gebot Jürgens klang
fast schroff, er duldete in solcher Lage keinen Widerspruch.

Kurz darauf verabschiedete er sich und reichte den Geschwistern, sowie
Martens die Hand. Herta bat ihn noch: »Jürgen -- denk an uns -- sei
vorsichtig!«

»Ich bin es immer, liebe Herta! Soweit es allerdings möglich ist,«
setzte er scherzend hinzu.

Er zögerte einen Augenblick, ehe er Ilse die Hand gab. Sie mußte
darauf gewartet haben; nun schlossen sich ihre schlanken Finger mit
festem Druck um die seinen, als wollten sie ihn nicht fortlassen.

Es war eine heftige Bewegung, mit der sich Jürgen alsdann abwandte
und auf Deck eilte, wohin ihm Konsul Martens und Wolf folgten.
Nach weiteren zwei Minuten hatte er sich eine kräftige Stange mit
Eisenspitze ausgesucht und schwang sich über Bord.

»Achtung!« rief Martens ihm nach. »Es ist noch junges Eis in der
Fahrtrinne!«

Die starken Schollen hatten sich aber am Dampfer dicht
übereinandergeschoben und waren während der Nacht zusammengefroren,
so daß Jürgen auf festem Eisboden dahinschritt. Er sah sich noch
einmal um, winkte Bruder und Freund zu und verschwand dann in dem
dichten Schneegestöber. Es kam ihm dabei im letzten Augenblick noch so
vor, als wenn eine schlanke Frauengestalt auf Deck erschiene. Es mußte
wohl Herta sein, die ihm besorgt nachschaute.

Als jedoch Wolf und Konsul Martens in die Kajüte zurückkehrten, saß
Herta auf ihrem alten Platz. Ilse war fortgegangen und kam erst nach
einer geraumen Zeit wieder.

»War es nicht angenehm in der Kambüse, Ilse?«

»Nein, Tante Herta! Ich habe mich genug erwärmt.«

Dabei strömte ihre Kleidung die frische Kälte vom Deck aus. -- -- --

Jürgen schritt trotz seines schweren Pelzes rasch vorwärts. Er
hatte seine Pelzkappe tief über die Ohren herabgezogen, so daß nur
sein Gesicht hervorsah. An seinem Bart bildeten sich durch den
ausgestoßenen Atem Eiszapfen, doch achtete er nicht darauf. Von
Zeit zu Zeit holte er den kleinen Kompaß hervor, um die Richtung zu
kontrollieren, in der er ging.

Vom Dampfer mußte er schon ein ganzes Stück fort sein. Das Läuten
der Schiffsglocke tönte nur noch schwach zu ihm herüber. In der
zurückgelegten Strecke waren keine Waken zu erwarten gewesen. Jetzt
aber näherte er sich mehr und mehr dem Ufer, und die Gefahr, in
ein Loch zu geraten, das zum Fischen ins Eis geschlagen wurde, trat
unmittelbar auf.

Er schob seinen Stock vor sich hin; stieß dieser an eine kranzartige
Erhöhung, so blieb er stehen und untersuchte den Umkreis. Mehrmals
entdeckte er noch im letzten Augenblick eine Wake. Die Zeit verrann,
er strengte sich stärker an. Der Amerikadampfer mußte auf jeden Fall
aufgehalten werden, bevor er das Papenwasser verließ und durch Signale
schwer erreichbar wurde. Mit Mühe zog er seine Uhr hervor. Über eine
halbe Stunde befand er sich unterwegs, und noch spürte er nichts von
den Eisschollen, die sich gegen das Ufer zu auftürmten.

Er wollte immer schneller vorwärts kommen, aber der tiefe Schnee, der
unaufhörlich weiter fiel, hemmte den Fuß. Schweißperlen traten auf
seine Stirn; es war eine außerordentliche Leistung, selbst für den
besten Fußgänger.

Wo blieb nur das Ufer? Er mußte es der Zeit nach schon lange erreicht
haben. Er stand jetzt still und versuchte, um sich zu schauen. Nichts
war zu sehen.

Jürgen lief es kalt über den Rücken. -- Wo befand er sich? War er irre
gegangen? Er hatte doch genau auf seinen Kompaß geachtet. Wenn er an
anderer Stelle in die Nähe der Fahrtrinne zurückkam und einbrach? Bei
dem starken Schneetreiben konnte alles möglich sein.

Warum setzte er sich diesen Gefahren aus? Es gab nur eine Richtschnur
in seinem Leben -- Sorge für seine Familie, die aus den Geschwistern
bestand. Von dem Tode seines Vaters an hatte er diese Pflicht
übernommen und treu erfüllt. Wenn er sich die Abrechnung vorlegte,
befand sich kein Fehler darin. Er handelte stets nach Ehre und
Gewissen. Einmal ließ er in der Härte seiner Bestimmungen nach, als
Ilse Hergenbach vor Monaten aufgenommen wurde.

Ihre Gegenwart wirkte störend auf die Harmonie im alten
Plüddekampschen Hause ein. Wolf war gänzlich verändert -- er selbst
mußte dagegen ankämpfen, um ihr nicht ein größeres Interesse zu
zeigen. Er sah deutlich, wie sie ihm entgegenkam, sich ihm immer mehr
nähern wollte. So kalt war seine Natur nicht, aber seine Rauheit half
ihm, und seine Charakterstärke schüttelte jede aufflammende Regung ab.

Einige Augenblicke hatte er auf den Kompaß gestarrt, dabei flogen ihm
diese Gedanken rasch durch den Kopf. Nun trieb es ihn wieder vorwärts,
der Amerikadampfer mußte um jeden Preis ein Signal erhalten. Plötzlich
hörte er zur Linken Laute; waren es menschliche Stimmen oder lag dort
ein Schwarm Taucherenten? Er horchte aufmerksam hin. Jetzt klang es
wie der dumpfe Hufschlag eines Pferdes. Es mußten also Leute aus einem
naheliegenden Dorf sein, bei denen er sich Auskunft holen konnte.

Eilig schritt er auf sie zu, und schon nach wenigen Minuten tauchte
dicht vor ihm ein Kufenschlitten mit zwei Männern auf.

»Holla!« rief er ihnen entgegen. »Wo seid ihr her? Ich komme von der
Swinemünder Fahrt und will rasch ans Ufer.«

Die Leute hielten das Pferd an. Auf dem Schlitten lag ein mächtiges
Schleppnetz, wie es unter dem Eis von einer Wake zur anderen gezogen
wird. Ein großer mit Fischen angefüllter Kasten stand daneben.

»Wir sind aus Swantewitz,« sagte der eine, »und fahren nach Haus!«

»Aus Swantewitz!« rief Jürgen erstaunt. »Das liegt ja am östlichen
Ufer! So weit seid ihr fort.«

»Nein, Herr! Das liegt ja dicht dabei. Wir sind gleich da!«

»Es ist rein unmöglich! Ich habe vor etwa einer Stunde den Eisbrecher
›Odin‹ verlassen und ging in der Richtung auf Neuwarp zu.«

Die Fischer sahen sich verdutzt an.

»Neuwarp? Das liegt ja zwei Meilen von hier, Herr!«

Jürgen faßte sich an die Stirn.

»Sollte ich -- rein unerklärlich! Alle Teufel -- ich werde doch in der
Eile nicht steuerbords anstatt Backbord abgesprungen sein! -- Aber der
Kompaß?«

Er hatte doch Norden rechts und nicht an der linken Seite gehabt.
Freilich war es nur ein kleiner Taschenkompaß, der sonst an seiner
Uhrkette hing. Er schaute schnell noch einmal darauf -- die Nadel
spielte richtig ein.

»Das ist ja, um verrückt zu werden,« fluchte er ingrimmig. »Der Kompaß
lügt nicht -- die Leute lügen nicht! Wer hat nun recht?«

Er hielt den Kompaß mit dem linken Arm vor sich. Plötzlich fiel sein
Auge auf das Magnetarmband, das er noch zufällig um das Handgelenk
trug. Es diente zur Prüfung von Grassamen, der mit Eisenfeile
beschwert schien.

Nun wurde ihm der Vorgang sofort klar. Die Nadel spielte auf den
starken Magnet ein und zeigte darum entgegengesetzt. Aus der Richtung
des Papenwassers heulte jetzt dumpf ein Signal herüber. Jürgen
erschrak.

»Der Dampfer!« rief er aus. »Es ist zu spät, ihn aufzuhalten! Was wird
daraus entstehen?«

Die Sorge um die Seinen erfaßte ihn. --




                                 XII.


Alfred Smiders verfolgte einen bestimmten Plan. Nachdem sich sein
gelähmter Vater jeder Verfügung begeben hatte, ergriff ihn die
Großmannssucht. Er wollte um jeden Preis rasch vorwärtskommen. Das
der Firma Smiders & Sohn gehörende Kapital reichte jedoch nicht im
entferntesten aus, die sofort in Angriff genommenen Dampferbauten
auszugleichen. So blieb er eine große Summe schuldig. Um wieder freie
Bewegung zu bekommen, suchte er nach einem Großkapitalisten, der sein
Geld zu mäßigem Zinsfuß bei ihm anlegen sollte.

Durch seine Agenten war er auf den reichen Kaufmann Kneis in Hamburg
aufmerksam geworden, dem er sich sofort vorstellte. Der Hamburger
hatte sein überseeisches Geschäft günstig verkauft und befand sich im
Besitz großer flüssiger Mittel, mit denen er sich wieder beteiligen
wollte. Das also war sein Mann. Er bewog ihn, mit nach Stettin zu
reisen.

Nach Vorlage der letzten Bilanzen verlangte dieser in erster Linie die
Dampfer der Reederei Smiders & Sohn zu besichtigen. Die alten Kasten
waren glücklicherweise unterwegs, er konnte dafür nur die Angaben, aus
dem Schiffsregister erhalten. Dagegen lag einer der neuen Dampfer im
Eis des Swinemünder Hafens fest. Die beiden Herren fuhren von Stettin
mit dem Schnellzug dorthin und waren eben im Begriff, den ›Triton‹ in
Augenschein zu nehmen.

Das starke Schneegestöber hatte aufgehört; die klare, helle
Wintersonne schien leuchtend über Stadt und Hafen, sowie die vereisten
Schiffe. Überall funkelte und glitzerte es in farbenprächtigem
Schimmer.

»Sehen Sie, mir lacht stets die Sonne, Herr Kneis,« sagte Alfred
Smiders, als sie über das Deck des Dampfers ›Triton‹ gingen. »Nun kann
es Sie nicht gereuen, trotz des Schneefalles von heute morgen, die
Fahrt nach Swinemünde angetreten zu haben.«

Der lange bedächtige Hamburger lächelte verbindlich.

»Ich bin sehr zufrieden, Herr Smiders! Wenn es weiterschneien würde,
wäre ich auch zufrieden. Wir blieben dann in Swinemünde. Es gibt hier
gute Hotels.«

»Gewiß, Herr Kneis! Aber Sie müssen heute abend wieder in Stettin
sein« -- der Reeder machte eine bezeichnende Geste. »Sie haben doch
fest versprochen --«

Der Überseer lachte gemütlich auf.

»Hm! Eine ganz lustige Bude. Wir gehen zusammen --«

»Aber natürlich, Herr Kneis! Ich möchte nur nicht im Wege sein.«

»Macht mir nichts aus, Herr Smiders. War jahrelang in Buenos Aires mit
meinen Freunden stets einig, wenn's eine kleine Sache gab. Denke, es
wird hier in Deutschland auch so sein.«

Hätte er den Blick gesehen, der in Smiders' dunklen Augen aufflammte,
so würde er wohl eine andere Meinung gehabt haben. Es lag darin so
viel Hohn und Gehässigkeit, wie sie nur das Innere des jungen Reeders
erfüllte.

Nun ging es auf treppauf und treppab bis in die untersten
Schiffsräume, und überall ließ der vorsichtige Hamburger seine Blicke
hinschweifen. In aller Ruhe sah er sich um, nichts blieb seinem
scharfen Auge verborgen.

»Sehr gutes Schiff, Herr Smiders, sehr gutes Schiff,« wiederholte er
alsdann, »wenn die anderen ebenso sind, bin ich bereit, den Vertrag
mit Ihnen einzugehen.«

Smiders streckte ihm sofort seine Hand entgegen:

»Topp! Sie schlagen also ein?«

»Noch nicht!« bewahrte der Hamburger eine gewisse Zurückhaltung, »es
wäre verfrüht. Ich lasse mich nie vom Augenblick überrumpeln. Eine
gute Portion Überlegung ist im Geschäftsleben alles. Dann handle ich
aber rasch.«

Alfred Smiders zog seine Hand ärgerlich zurück, als er die gemessene
Miene des Hamburgers sah, der in diesem Augenblick zu einem
Weitergehen nicht geneigt schien. Sie stiegen jetzt die Schiffstreppe
wieder hinauf und wollten ans Land gehen, um in dem nahegelegenen
Hotel ›Drei Kronen‹ ein bestelltes Essen einzunehmen. Smiders hatte
wohlweislich alles vorbereitet.

Plötzlich erscholl der dumpfe Ton einer Dampfpfeife über die weite
Eisfläche des Haffes hinweg.

»Holla, Kapitän! Was gibt's?« rief der Reeder diesem zu.

»Die Eisbrecher kommen herein, Herr Smiders,« tönte es zurück. »Der
›Fritjof‹ ist voran und schleppt den ›Odin‹ an der Stahltrosse.«

»Dann muß dem ›Odin‹ etwas passiert sein,« meinte Smiders. »Er hat
doch die stärksten Maschinen.«

Anstatt, daß sich die Herren direkt aufs Bollwerk begaben, stiegen
sie zur Kommandobrücke hinauf und wollten warten, bis die Eisbrecher
landen würden. Das Eis krachte und barst in langen Spalten vor der
Gewalt, mit der der ›Fritjof‹ vorwärtsdrang. Es dauerte nicht lange,
so waren die Dampfer mit dem ›Triton‹ in gleicher Höhe, doch ließen
sich die Gestalten auf Deck nicht genau erkennen.

»Der ›Odin‹ schwankt wie eine lahme Ente! Er ist nicht unter Dampf,
und der›Fritjof‹ bugsiert ihn zur Anlegestelle,« rief Smiders. »Wir
sehen es besser vom Lande aus.«

Er schritt, gefolgt von dem Hamburger, zum Bollwerk hinüber und ging
auf diesem entlang. Es dauerte noch einige Zeit, bis der ›Fritjof‹ den
›Odin‹ herangebracht hatte und die Stahltrosse löste. Allem Anschein
nach wollte er sofort die Rückkehr nach Stettin antreten.

Zwei Herren und zwei Damen kamen über die Schiffsbrücke, die der
›Odin‹ auswarf, ans Land.

Alfred Smiders schaute genauer hin, aber die Sonne blendete ihn. Er
hielt deshalb die Hand über die Augen und sagte halblaut:

»Den Teufel auch! Wenn ich recht sehe, ist es Konsul Martens, Wolf
und Herta Plüddekamp und noch eine Dame, die ich nicht kenne. Eine
vorzügliche Gelegenheit für mich, anzuschwirren!« Er entschuldigte
sich rasch bei Kneis und eilte voran, um die Ankommenden zu
begrüßen. »Direkt von Stettin, Herr Konsul?« rief er ihm schon von
weitem zu. »Nette Spazierfahrt! Wie? Hat der ›Odin‹ Pech gehabt?«
Als sie zusammentrafen, schüttelte er den beiden Herren die Hand
und verbeugte sich, seinen Hut tief ziehend, vor den Damen. Er
blickte erstaunt auf Ilse. Dann sagte er zu Herta: »Wollen Sie mich
vorstellen, Fräulein Plüddekamp?«

»Herr Smiders, von Smiders & Sohn -- Fräulein Hergenbach aus
Nordhausen,« erledigte diese den Wunsch des Reeders.

Abermals lüftete Smiders seinen Hut, und als sich Ilse leicht
verneigte, begegneten sich ihre Blicke. Die dunklen Augen Smiders'
ruhten mit einem prüfenden Ausdruck auf den Gesichtszügen des jungen
Mädchens. Er warf dann einige nebensächliche Fragen hin, wie die Damen
die Fahrt überstanden hätten, und hörte von Konsul Martens, welches
Mißgeschick ihnen am verflossenen Tage mitten auf dem Haff begegnete.

»In Gesellschaft so reizender Damen, -- riesig nett,« meinte er mit
einem vielsagenden Blick zu Wolf hinüber. »Da aber die Dampfheizung
nicht in Ordnung war -- zum mindesten unangenehm kalt.«

»Es war noch ein Glück, daß der amerikanische Dampfer die Vorsicht
brauchte, den ›Fritjof‹ vorauszuschicken. Rückte er selbst uns aufs
Fell, so war die Durchfahrt versperrt und wir lägen noch im Eise,«
flocht Konsul Martens ein.

»Wenn wir nur erst wüßten, was aus Jürgen geworden ist,« sagte Herta
mit besorgter Miene. »Sie waren wohl schon im Hotel, Herr Smiders!
Haben Sie vielleicht dort etwas gehört?«

»Keinen Ton, Fräulein Plüddekamp,« erwiderte dieser.

Wolf erzählte darauf, wie Jürgen am Morgen in dem tollsten
Schneetreiben über Bord aufs Eis gesprungen sei, um nach dem Ufer
vorzudringen.

»Na -- ein solcher Bär! -- Verzeihen Sie den Ausdruck, Fräulein
Plüddekamp,« unterbrach sich Smiders. »Ihr Herr Bruder hat aber
wirklich eine Bärennatur und sitzt jedenfalls in einem Dorfgasthause
beim Glase Grog. Wir können ja von den ›Drei Kronen‹ aus -- Sie gehen
doch gewiß mit dorthin -- nach allen Richtungen telephonieren.« --

Der Ofen in dem großen Speisezimmer der ›Drei Kronen‹ strahlte eine
gemütliche Wärme aus. Man legte Pelze und Mäntel ab und freute
sich, wieder in einem behaglichen Raume zu sein. Der Überseer, der
vorausgegangen war, wurde von Smiders vorgestellt. Er befand sich
alsbald in regem Gespräch mit Konsul Martens, der die Gelegenheit
benutzte, den Großkapitalisten näher kennen zu lernen.

»Sie sind überzeugt, Herr Konsul, daß der ›Friedrich Barbarossa‹ zur
Frühjahrszeit rechtzeitig ausläuft?«

Wolf, der etwas entfernter stand, horchte bei diesen Worten auf. Es
war naheliegend, daß ihn das Gespräch interessierte.

»Ich werde den Dampfer besichtigen,« fuhr Herr Kneis fort, »es liegt
mir außerdem viel daran, zu erfahren, ob sich die älteren Dampfer der
Reederei in gleicher Weise umbauen lassen.«

»Selbstverständlich,« fiel Smiders jetzt ein. »Sie eignen sich ebenso
gut dazu wie der ›Friedrich Barbarossa‹. Herr Konsul Martens kennt
ja unsere Dampfer. Er wird es Ihnen sicher bestätigen.« Dabei sah er
Martens scharf an.

Dieser war vor eine sehr peinliche Frage gestellt. Natürlich lag es in
seinem Interesse, dem Geldmann gegenüber die Reederei Smiders & Sohn
so hoch als möglich zu bewerten. Auf der anderen Seite kannte er das
Alter der laufenden Schiffe und mußte daraus folgern, daß ein Umbau
weggeworfenes Geld bedeuten würde. Er zögerte deshalb mit der Antwort,
während ihn der Überseer anscheinend gleichgültig ansah.

Aus den kleinen, scharfen Augen des Herrn Kneis sprach bei aller Ruhe
eine hohe Intelligenz, und er schloß aus dem Zögern des Konsuls sofort
auf dessen zurückgehaltene Ansicht.

»Ich glaube wohl, Herr Kneis,« antwortete Martens jetzt, »aber
bedenken Sie dabei, daß ich Bankier und nicht Schiffsbauer bin.«

Smiders war von der Antwort des Konsuls Martens wenig befriedigt; er
hatte sie bestimmter erhofft und fiel darum ein:

»Wir werden morgen den ›Friedrich Barbarossa‹ anlaufen, Herr Kneis.
Sie treffen dort seinen Kapitän an. Dieser hat bereits zwei meiner
anderen Dampfer gefahren und ist ein anerkannter Fachmann.«

»Es scheint Smiders auf den Nägeln zu brennen,« dachte Wolf bei sich.
»Ich werde den Weg nach der ›Grünen Schanze‹ bald wieder einschlagen
müssen, um auf dem Laufenden zu bleiben.«

Der Oberkellner kam und forderte die beiden Herren auf, an dem
bestellten Tisch Platz zu nehmen. Martens hatte für seine Gäste an der
großen Tafel, die mitten im Speisezimmer stand, eine genügende Anzahl
Gedecke auflegen lassen. Die Speisen wurden gebracht.

Ilse Hergenbach saß in schräger Richtung von Smiders und bemerkte
sehr bald, wie sie von ihm anhaltend beobachtet wurde. Sie wollte
nicht hinübersehen. Trotzdem trat aber das Verlangen in ihr auf, die
siegreiche Kraft ihres Blickes zu erproben.

Sie hatte keine besondere Absicht dabei. Es war nur ein leichtes
Spiel, das ihr Unterhaltung bieten sollte. Was aber alsdann vorging,
wußte sie selbst kaum. Nicht ihr Blick siegte, sondern der, der sie
jetzt traf. Sie erzitterte darunter, und rasch senkten sich ihre
Lider. -- Dabei zwang sie eine unerklärliche Kraft, noch einmal
hinüberzuschauen. Es wiederholte sich der gleiche Vorgang.

Smiders trat kurze Zeit darauf, ein volles Weinglas in der Hand
haltend, an die große Tafel heran. Er trank auf das angenehme
Zusammentreffen in Swinemünde. Sich zu Ilse wendend, sagte er
leichthin:

»Ich muß Sie schon einmal gesehen haben. Helfen Sie meiner Erinnerung
nach, Fräulein Hergenbach!«

Er wollte nur, daß sie die Augen zu ihm aufschlug. Sie tat es aber
nicht und gab kurz zur Antwort:

»Ich wüßte nicht, Herr Smiders!«

»Doch, doch, mein Fräulein,« wiederholte er. »Hoffentlich habe ich
bald Gelegenheit, mit Ihnen darüber weiter plaudern zu können.«

Wolf, der vor einiger Zeit ans Telephon gegangen war, kam jetzt
zurück. Seine Züge verrieten großen Ernst.

»Jürgen ist noch nirgends aufgetaucht, weder in den Ortschaften an
der linken Haffseite, noch zu Hause. Ich habe Armin beauftragt,
unausgesetzt nachzuforschen.«

Herta legte sofort Messer und Gabel beiseite.

»Um Gottes willen, Wolf,« sagte sie, »wenn Jürgen ein Unglück
zugestoßen wäre! Wie schrecklich! Ich mag es nicht ausdenken.«

»Aber verehrte Freundin,« fiel Martens ein, »unserem Riesen Jürgen
geschieht so leicht nichts. Er wird sich in irgendeinem kleinen Dorf
aufhalten und kein Telephon zur Verfügung haben. -- Mein Gott, wie
bleich Sie plötzlich aussehen, Fräulein Hergenbach,« fuhr er, zu
dieser gewandt, fort. »Ist Ihnen etwas?«

Ilse schüttelte mit dem Kopf, brachte aber kein Wort heraus. Es
schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Wenn Jürgen in eine Fischwake
geraten und tot wäre! Sie malte sich in diesem Augenblick das
Entsetzlichste aus. Eine fieberhafte Unruhe bemächtigte sich ihrer. Es
drängte sie, überall selbst nachzufragen. Nur nicht die Ungewißheit
länger ertragen, was mit ihm geschehen sein konnte. Sie kam zu einem
Entschluß.

»Tante Herta, der Anruf von Stettin kann jeden Augenblick erfolgen!
Dein Bruder hat noch nicht gegessen. Ich gehe ans Telephon!« Sie
sprang auf und eilte hinaus, ohne eine Antwort von Fräulein Plüddekamp
abzuwarten.

Konsul Martens sah ihr erstaunt nach, während Wolf eine hastige
Bewegung machte, als ob er ihr folgen wollte.

»Es ist höchst unnötig, daß sich Fräulein Ilse in dem kalten
Telephonraum aufhält,« stieß er dann ärgerlich aus. »Sowie der Anruf
kommt, holt mich doch der Kellner.«

Konsul Martens lächelte fein.

»Fräulein Hergenbach tritt in letzter Zeit viel selbständiger auf,«
sagte er zu dem Geschwisterpaar. »Es scheint, als ob ihr Charakter ein
ganz anderer ist, als sie anfangs zeigte.«

»Sie hat bald mehr Interesse für Jürgen, als wir selbst,« murmelte
Wolf vor sich hin. Der Braten, den er sich bestellt hatte, war durch
seine Abwesenheit kalt geworden und schmeckte ihm nicht mehr. Er stand
plötzlich auf, in der Absicht, Ilse Gesellschaft zu leisten.

»Bleib, Wölfchen,« sagte Herta, »es hat doch wirklich keinen Zweck,
wenn ihr zu zweit dort draußen aufpaßt. Laß Ilse ihren Willen und
unterhalte dich lieber mit uns.«

»Hast wohl noch keine Nachricht von deinem Bruder, Wolf?« rief Smiders
auf einmal herüber.

»Nein!« klang es zurück. »Unser Prokurist telephoniert überallhin.«

»Ich will meinem Büro auch den Auftrag geben,« bemerkte Smiders darauf
und erhob sich lässig. »Entschuldigen Sie, Herr Kneis, ich komme
sofort wieder.«

Wolf trat ihm aber in den Weg und sagte: »Laß dies, bitte! Es hat
wirklich keinen Zweck, wenn du deine Leute noch bemühst. Unser
Prokurist traf bereits die umfassendsten Maßnahmen.«

»Aber es geht doch schneller, wenn von zwei Seiten angefragt wird,«
wehrte Smiders ihn ruhig ab und schritt weiter der Tür zu.

In Wolfs Gesicht kämpfte jetzt Ärger und Unwille. Er kannte die
Zudringlichkeit von Smiders und wollte nicht dulden, daß dieser mit
Ilse allein war.

Konsul Martens sah der kleinen Szene interessiert zu.

»Merkwürdig,« sagte er, sich zu Herta wendend, »das Telephon muß heute
eine besondere Anziehungskraft haben. Jetzt wollen sie sich schon
zu dritt dort aufhalten. Unser braver Jürgen wird sich sicher bald
melden, denn er steht gewiß mehr Sorge um uns aus, als wir seinetwegen
zu haben brauchen.«

Diese Worte sollten sich bewahrheiten, noch ehe die beiden Herren das
Speisezimmer verlassen hatten, öffnete sich die Tür, und Ilse kam mit
freudestrahlender Miene herein. Sie rief schon von weitem:

»Welch ein Glück, Tante Herta! Dein Bruder ist wieder zu Hause! Ich
habe soeben mit ihm selbst telephonisch gesprochen.« Ihr ganzes Wesen
atmete eine Leidenschaftlichkeit aus, die allen auffallen mußte. Sie
schien wie von einem Rausch erfaßt zu sein.

»Erzähle nur ruhig, Ilse, wie es ihm ergangen ist,« erwiderte Herta.

Diese nahm sich sofort zusammen. »Dein Bruder hat unterwegs ein paar
Fischer angetroffen und sich nach Stepenitz bringen lassen. Von dort
ist er mit dem nächsten Zuge direkt nach Stettin gefahren, weil er
hörte, daß der Amerikadampfer nicht ausgelaufen wäre.«

Wolf und Smiders traten ebenfalls an den Tisch heran, als Ilse weiter
fortfuhr:

»Herr Plüddekamp fragte mich sofort über alles aus, und ich habe kurz
berichtet, daß uns der ›Fritjof‹ hierherschleppte. Wir werden mit dem
Abendzug von ihm erwartet.«

»Ich bin recht froh,« sagte Herta in herzlichem Tone, »daß wir nun
beruhigt sein können!«

»Du glaubst nicht, Tante Herta, wie mir zumute wurde, als ich deines
Bruders Stimme durch das Telephon vernahm. Er war doch wieder da und
ihm nichts zugestoßen.«

Sie brachte diese Worte mit einer solchen Wärme des Ausdrucks hervor,
daß Konsul Martens leicht den Kopf schüttelte und vor sich hinsprach:

»Sonderbar, ich hätte doch gedacht --! Aber man lernt im Leben nie
aus.« --

Während der gemeinsamen Fahrt nach Stettin sagte Smiders zu Wolf:

»Hätte nicht geglaubt, daß ich in Swinemünde so famose Stunden
verleben würde. Gefällt mir riesig, mit euch zusammen zu sein. Du hast
doch nichts dagegen, wenn ich euch in den nächsten Tagen meinen Besuch
mache?«

Wolf hatte schon auf der Zunge, zu antworten: »Es ist mir viel
angenehmer, wenn du wegbleibst,« war aber gezwungen, ihm gerade das
Gegenteil auszudrücken.

Als der Zug in den Bahnhof einlief, stand die mächtige Gestalt Jürgens
auf dem Perron. Er erwartete seine Geschwister. Herta stieg zuerst
aus; er schloß sie in seine Arme und küßte sie auf die Stirn. Hierin
lag der Ausdruck einer hohen Freude, sie wieder glücklich bei sich
zu haben. Wolf und Martens schüttelte er derb die Hand. Dann stand
plötzlich Ilse vor ihm, und er mußte ihr ebenfalls ein paar Worte
sagen. Ihre Blicke strahlten ihm derartig entgegen, daß er davon
peinlich berührt wurde.

»Ich sandte Ihnen einen Wunsch nach, als Sie den gefahrvollen Weg
über das Eis antraten, Herr Plüddekamp,« sagte sie mit ihrer tiefen
Altstimme, »und er ist mir in Erfüllung gegangen.«

Jürgen wurde seiner Antwort enthoben, da Martens, Smiders und der
lange Hamburger dazwischen kamen.




                                XIII.


Die Unruhe kehrte im Plüddekampschen Hause ein. Nach einer kurzen
Nachtmahlzeit waren die Geschwister und Ilse auf ihre Zimmer gegangen.
Wolf lief in dem seinen aufgeregt hin und her.

Er verstand Ilses Verhalten nicht. Es war kein leichter Flirt, den
sie trieb, oder ein unbewußter Drang erwachender Leidenschaft.
Einen Augenblick hindurch fühlte er Liebe und Hingebung bei ihr,
blitzschnell ging es vorüber. Martens lächelte sie verheißungsvoll an,
dem fatalen Smiders schenkte sie Aufmerksamkeit, und Jürgen -- sie
sorgte sich um ihn, als ob er ihr nahestände. Sie fesselte jeden, der
ihr in den Weg trat, und wehrte dann durch plötzliche Stummheit von
sich ab. Was ging in ihr vor? Hatte sie überhaupt kein Herz -- die
Hexe Ilse? Eine wirkliche Hexennatur will niemand beglücken, -- es
gelüstet sie nach Vernichtung, wie Herta sagte.

Die Gedanken marterten ihn. Er versuchte zu schlafen und fand keinen
Schlaf.

Sollte er sie zu seiner Frau machen? Wie kam es, daß er erst jetzt
daran dachte! Jürgen und Herta würden sich dagegen stellen. Aber Ilse,
-- bei einem solchen Entschluß mußte sie ihm Rede stehen. -- --

Ilses Zimmer lag im zweiten Stockwerk. Sie war langsam die Treppe
hinaufgestiegen und hatte sich flüchtig umgesehen, da die zwei Brüder
noch einen Augenblick auf dem Korridor stehen blieben. Jürgen, der
große, kräftige Mann, -- daneben die schlanke, biegsame Gestalt des
jüngeren Wolf, -- beide konnten wohl einem jungen Mädchen gefallen.

In ihrem Zimmer angekommen, entkleidete sie sich langsam, und ihr
Blick streifte dabei ein paarmal den hohen Pfeilerspiegel. Ein
bleiches Gesicht sah ihr entgegen, aus dem die Augen mit stark
leidenschaftlichem Ausdruck hervortraten. -- War sie das selbst
-- Ilse Hergenbach? Sie mußte es wohl sein! Und doch kam ihr das
Spiegelbild vollständig fremd vor. Hatte sie sich so verändert? Das
Blut rollte ihr heiß durch die Adern -- in ihrem ganzen Wesen ging
eine seltsame Wandlung vor. -- Sie wollte die Arme ausbreiten, um
ein Schemen an sich zu ziehen. Ihr ganzer Körper dehnte und streckte
sich, und sie empfand ein Verlangen, über das sie sich selbst keine
Rechenschaft geben mochte. Wolfs Neigung erwiderte sie nicht. Sie
fühlte, daß die von Jürgen ausströmende Kraft ihr Fühlen immer stärker
beherrschte. Wie lange hatte sie das Leidenschaftliche ihres Wesen
schon zurückdämmen müssen! Würde es jetzt jede Schranke hinwegreißen?

»Jürgen! Jürgen!« stieß sie laut aus.

Was konnte sie ihm sein? Würde er sie verstehen? Ein Mann, der für
die Liebe zur Frau keine Zeit fand, mußte doch beglückt sein, wenn
sie sich ihm rückhaltslos darbot. Aber -- kannte sie sich selbst?
Jener Augenblick in Swinemünde trat plötzlich mit erschreckender
Deutlichkeit vor sie hin. Sie zuckte darunter wie unter einem
Peitschenhiebe zusammen. Ein heißer Blick -- ein überlegenes Lächeln
tauchte vor ihr auf. Wer war dieser Mann, der es wagte, ihr so zu
begegnen? Das Blut floß ihr wild durch die Adern, es prickelte in
allen Nerven ihres Körpers. Sie mußte daran denken, ob sie es auch von
sich abschütteln wollte.

»Jürgen! Jürgen!« stöhnte sie leidenschaftlich auf.

Welche widerstreitenden Gefühle regen sich im Menschen! Was ist Liebe?
Was ist Leidenschaft? Wie wirr geht beides durcheinander, und keins
vermag die Oberhand zu erringen!

Es dauerte eine geraume Zeit, ehe das Licht in Ilses Zimmer erlosch.
Über dem alten Kaufherrnhause ging in der klaren Winternacht der
Mond mit hellem Schimmer auf. Sein milder Schein glitzerte auf den
Fensterscheiben, er drang aber nicht durch die dichten Vorhänge, um
ruhelose Seelen friedvoll zu stimmen. -- -- --

In den Straßen der Stadt war durch den starken Schneefall eine gute
Schlittenbahn entstanden. Die in der Wintersonne aufleuchtende weiße
Decke warf ihren Glanz in die Kontorstube, in der jetzt Jürgen und
Wolf die Lagerbücher einer Prüfung unterzogen.

»Es fehlen noch eine Anzahl Lieferungen,« bemerkte der erstere,
»sobald das Eis taut und die Schiffahrt beginnt, müssen wir für den
Export gerüstet sein.«

»Wie steht es mit Oberamtmann Wichers?« fragte alsdann Wolf. »Er
wollte doch über zehntausend Zentner mehr liefern.«

Jürgen nahm das Haustelephon zur Hand, drückte auf den Knopf und
sprach zum Prokuristen Armin hinüber.

»Wieviel Zentner Roggen haben wir aus Wershagen herein? Hm, hm,«
machte er gedehnt. »Es hat in der letzten Zeit gestockt,« wandte er
sich an seinen Bruder. »Armin gibt an, daß erst die ungefähre Hälfte
gesandt ist.« Er legte das Hörrohr wieder fort. »Du wirst nachhelfen
müssen, Wolf, -- bist auch recht lange nicht in Wershagen gewesen.«

»Wie soll ich jetzt hinauskommen, Jürgen?« erwiderte dieser. »Zum
Reiten ist es mir zu kalt. Auch liegt der Schnee sehr hoch.«

»Bist du auf einmal schwerfällig!« meinte Jürgen. »Es ist doch die
schönste Schlittenbahn von der Welt! Du wirst warm eingepackt und
landest in zwei bis zweieinhalb Stunden in Wershagen.«

Wolf zog ein gelangweiltes Gesicht. »Eine endlose Fahrt, Jürgen! In
Gesellschaft lasse ich sie mir gefallen, aber stundenlang allein im
Schlitten zu sitzen, kannst du mir wirklich nicht zumuten.«

»Du hast es doch früher getan!« entgegnete Jürgen erstaunt. »Ich
wundere mich überhaupt, daß du nicht mehr nach Wershagen hinausfährst.
Was soll Oberamtmann Wichers von uns denken? Dir fiel es immer zu, den
gesellschaftlichen Verkehr aufrechtzuerhalten.«

»Fahr du doch hinaus, Jürgen!«

»Ich bin hier nicht abkömmlich! Dann machst du auch deine Sache in
Wershagen besser als ich.«

»Ich will aber in Lieschen Wichers keine Hoffnung erwecken,« brummte
der junge Mann, »was soll schließlich daraus werden?«

»Soooo,« dehnte Jürgen das Wort aus, »Mieze Thadden siegt also im
Rennen --«

»Ich denke nicht daran, Jürgen!« sagte Wolf.

»Holla, mein Junge! Was ist auf einmal mit dir los? Du pendelst doch
schon lange zwischen den beiden hin und her.«

»Ich höre damit auf, Jürgen!«

»Du bist heute recht ungemütlich, Wolf,« lachte Jürgen auf. »Das kommt
von deinem Junggesellentum. Du darfst es mir nicht nachmachen. Es wird
Zeit, daß du dich entscheidest. Haus Plüddekamp braucht einen Erben.
Das ist doch klar!«

»Gewiß, Jürgen! Aber ich habe keine Lust, mir eine Frau zu nehmen, die
nicht zu mir paßt. Vielleicht stellt sich über Nacht ein guter Gedanke
ein, dann bin ich sofort dabei.«

»Vorsicht, Wölfchen! Doppelte Vorsicht! Ein kluger Geschäftsmann wägt
erst und dann wagt er. Hast du es getan?«

»Ich denke noch nicht daran,« brachte Wolf unwillig hervor. »Warum
fragst du mich so aus? Du willst mir meine Freiheit lassen und legst
jetzt Daumenschrauben an.«

»Kalt Blut,« sagte Jürgen begütigend, »es ist nicht so einfach damit.
Die Herrin für Haus Plüddekamp muß vollwertig sein, sonst gibt Herta
das Zepter nicht ab. Schaffe uns keine schwierige Lage. Von vornherein
soll volle Klarheit herrschen.«

»Du bist ein schrecklicher Mentor, Jürgen, und wirst es noch dahin
bringen, daß ich aus dem alten Nest flügge werde.«

»Auf keinen Fall, Wolf!«

»Wieso, Jürgen? Du und Herta seid hier genug! Du versorgst
vortrefflich das Geschäft, Herta ebenso das Haus. Außerdem hast du
noch Armin zur Seite. Wenn ich die Zinsen von meinem Vermögen nehme,
kann ich überall bequem auskommen. Ich halte es Herta gegenüber für
ausgeschlossen, bei einer Verheiratung hier zu bleiben.«

»Junge! Wolf! Das geht ja über die Hutschnur und Pappelbäume! Du, mein
Bruder, ein Plüddekamp, und aus dem Plüddekampschen Hause fort -- das
leide ich einfach nicht! -- Deine Söhne brauchen mich doch! Ich muß
sie zu tüchtigen Kaufleuten erziehen, die unserer Firma einst Ehre
machen!«

»Du bist wirklich großartig, Jürgen! Deine Sorge um mich -- in allen
Ehren. Daß du aber schon so weit gehst, meine Söhne, die noch gar
nicht auf der Welt sind, unter deine Fuchtel nehmen zu wollen --«

»Na, ja,« unterbrach ihn Jürgen lachend, »hör nur auf! Ich will dir
wirklich dein Recht nicht rauben, Wölfchen! -- Jetzt bestelle ich den
Schlitten, damit du noch zur Tischzeit in Wershagen eintriffst.«

»Nein!« Wolf hatte es kurz ausgestoßen. »Ich kann heute nicht. Ich
habe auch keine Laune dazu.«

»Ja, zum Teufel, was ist eigentlich mit dir los!« wurde Jürgen
aufgebracht.

»Vorläufig noch gar nichts, aber es kann noch werden.«

»Du sprichst in Rätseln, Wolf.«

»Die Lösung sollst du bald erfahren!«

Jürgen ahnte bereits, wohin dies zielte. Er wollte aber nicht
gewaltsam auf seinen Bruder einwirken und überlegte einen Augenblick,
wie er die Angelegenheit mit Wershagen am besten regeln konnte.

Inzwischen ertönte auf der Straße helles Schellengeläut. Ein großer
Jagdschlitten mit prächtigen Rappen, die von der schnellen Fahrt
dampften, hielt vor dem Toreingang.

»Das klappt geradezu wunderbar!« rief Jürgen aus. »Sieh nur hinaus,
Wölfchen! Die Wershagener sind da! Was für ein rosiges Gesicht dort
aus der Pelzkappe hervorschaut und neugierig zu unseren Fenstern
herüberlugt, ob nicht ein gewisser junger Herr zugegen ist! Erkennst
du Lieschen Wichers nicht?«

»Ja, ich sehe wohl,« murrte Wolf, »nun haben wir sie auf dem Halse.«

»Das war kein schönes Wort von dir, Wolf! Wichers sind prächtige
Menschen, und ich freue mich, wenn sie zu uns kommen. Ein Beweis, na
-- ich schweige --«

Er griff hastig nach seiner blauen Mütze und eilte zum Toreingang,
um den Oberamtmann und seine Tochter zu begrüßen. Ehe er an den
Schlitten trat, drückte er auf den Kopf der elektrischen Leitung,
die nach dem Stall führte. Die Pferde vor dem Wershagener Schlitten
sollten ausgespannt werden.

Oberamtmann Wichers war ein untersetzter rundlicher Herr mit roten
Backen und einem starken blonden Vollbart. Er stieg aus dem Schlitten
und reichte seinem Kutscher die Zügel hin. Dann half er seinem
Töchterchen, die dem großen Pelzfußsack entrinnen wollte. Er wurde
dabei sofort von Jürgen unterstützt, nachdem sie sich mit biederem
Handschlag begrüßt hatten.

»Muß doch selbst einmal hersehen, lieber Herr Plüddekamp,« meinte der
Oberamtmann. »Wir haben Ihren Herrn Bruder fast täglich erwartet. Er
ist hoffentlich nicht krank! Mein Lieschen verlangt nach ihrem Partner
im Klavierspiel. Ich habe sie darum gleich mitgebracht.«

Lieschen Wichers, die in dem gesunden, frischen Aussehen ganz ihrem
Vater glich, legte jetzt ihre kleine Hand in die mächtige Rechte
Jürgens hinein.

»Guten Tag, Herr Plüddekamp! Ich will wirklich nicht stören und habe
vieles in der Stadt zu besorgen. Der Schlitten soll mich weiterfahren.
Vater hat ja mit Ihnen geschäftlich zu sprechen.«

»I wo,« sagte Wichers, »du wolltest doch --«

»Aber Papa! Das war nur so nebenbei --«

Jürgen lächelte verständnisvoll. Er sah dem kleinen Landfräulein
ganz deutlich an, daß ihr Herz nach dem hübschen Wolf Sehnsucht
empfand. Dieser war inzwischen langsam nachgekommen. Er schüttelte dem
Oberamtmann kräftig die Hand und begrüßte dann Lieschen Wichers, die
ihn mit ihren blauen Augen freundlich anlächelte.

»Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muß der Berg wohl zum
Propheten kommen,« meinte der Oberamtmann mit wohlgefälligem Lachen,
»da sind wir nun! Immer eine kleine Weltreise nach Stettin herein,
aber bei der prächtigen Schlittenfahrt ganz wunderbar. Sie hätten nur
sehen sollen, wie meine Rappen auf der Landstraße dahinstoben! Solche
glatte Bahn gab es lange nicht.«

»Wir wollen aber nicht in der Kälte stehen bleiben!« sagte Jürgen.
»Wolf, du begleitest wohl Fräulein Wichers zu Herta. -- Lieber
Oberamtmann,« wandte er sich an diesen, »wir haben das Geschäftliche
mit zwei Worten abgemacht und setzen uns dann an den Frühstückstisch.«

»Ist mir nur angenehm,« erwiderte Wichers. »Ich habe zwar heute
morgen tüchtig vorgelegt, aber nach der Fahrt bekomme ich immer einen
Mordshunger.«

»Um so besser,« fiel Jürgen ein, »es geht nichts über eine gemütlich
lange Frühstückssitzung, die liebt jeder gute Pommer.«

Die beiden Herren gingen in das Kontor, während Lieschen Wichers und
Wolf die große Treppe emporstiegen. Als dieser ihr dann behilflich
war, die äußeren warmen Hüllen abzunehmen, eilte Ilse sofort herbei.
Wolf stellte kurz vor: »Fräulein Ilse Hergenbach, die Tochter einer
Freundin Hertas -- Fräulein Lieschen Wichers aus Wershagen.«

Die schlanke Figur Ilses überragte das junge Mädchen bedeutend. Sie
standen jetzt nebeneinander, und Wolfs Augen konnten über beide
prüfend hinweggleiten. Ein Blick sagte ihm, daß das einfache Äußere
von Lieschen Wichers niemals Ilse die Wage halten konnte. Was
verkörperte sich alles in diesem seltsamen Geschöpf!

Herta, die jetzt gekommen war, drückte Lieschen freundlich die Hand
und zog sie mit sich in den kleinen Damensalon hinein. Ilse und Wolf
blieben einen Augenblick allein zurück.

»Ilse,« flüsterte er, und ein Zittern lief dabei durch seinen Körper,
»seitdem ich dich im Arm gehalten, bin ich vollständig ruhelos. Ich
habe mich die Nacht zu einem Entschluß durchgerungen und ich muß dich
unbedingt sprechen.«

Sie gab ihm keine Antwort darauf.

»So rede doch!« wurde er aufgeregter. »In einem Augenblick sind wir
wieder mit den anderen zusammen.«

Sie schwieg jedoch beharrlich, und als sein Auge leidenschaftlich
das ihre suchte, sah sie über ihn hinweg in das Dunkel des langen
Korridors hinein.

»Ilse, du bringst mich noch zur Verzweiflung! Sprich endlich! Du hast
doch an meiner Brust gelegen! Dein Mund duldete meine Küsse, und nun
--«

Sie trat schnell in das Speisezimmer. Wolf stampfte mit dem Fuße auf,
und ihr hastig nacheilend, flüsterte er im Vorbeigehen: »Es muß anders
werden, Ilse, sonst hast du mich auf dem Gewissen!«

Lieschen Wichers schaute sich schon ein paarmal um, wo Wolf blieb.
Als er jetzt, kaum Herr seiner Erregung, in den Salon trat, sah sie
erstaunt zu ihm auf. Das war Wolf Plüddekamp nicht mehr, er schien ein
ganz anderer geworden zu sein. Seine Blicke irrten unruhig umher, als
er sie fragte:

»Wie schaut es in Wershagen aus! Wohl alles verschneit?«

»Ach -- reizend!« erwiderte sie. »Sie sollten es nur sehen, Herr
Plüddekamp! Auf den Dächern und Bäumen die großen Schneelasten, neben
den Fahrwegen hohe weiße Mauern, und auf dem Futterplatz die lieben
Tauben, Hühner und viele kleine, arme Wintervögel. Ich verschaffe
ihnen reichliches Futter. Papa muß es schon herausrücken.«

Herta nickte ihr freundlich zu.

»So ist es recht, Fräulein Wichers! Nur für die armen Tierchen sorgen,
wenn der Winter hart und kalt ist. Hier in der Stadt liest man immer
in den Zeitungen: Sorgt für die Vögel! Sorgt für die Zughunde! und
wie die schönen Aufrufe alle heißen. Ich bin im Tierschutzverein und
suche namentlich die kleinen Hundewagen auf, die Milch, Gemüse und
Kartoffeln von draußen hereinschaffen. Bauersleute und Händler haben
nicht immer ein warmes Herz für die armen Tiere.«

Wolf nahm einen Platz, von dem aus er in das Speisezimmer sehen
konnte. Lieschen Wichers plauderte in ihrer harmlosen Weise weiter.
Er hörte es kaum. Seine Blicke bohrten sich förmlich in das andere
Zimmer, ob sich Ilse nicht zeigen würde. Er bemerkte dann, wie sie mit
den großen grauen Augen vorsichtig herüberlugte. Sie suchte ihn nicht,
sie sah Lieschen Wichers an. War dies Neugierde, oder war es mehr?
Zeigte sie Eifersucht -- dann stand ja alles gut für ihn.




                                 XIV.


Rittergut Wershagen war Jahrhunderte im Besitz einer alten adligen
Familie gewesen. Der letzte Herr von Wershagen verlor beide Söhne
kurz nacheinander, und er selbst wurde bei seinem hohen Alter
müde, den großen Gutsbetrieb weiter zu leiten. Ohne Nachkommen,
beschloß er endlich schweren Herzens, das Rittergut zu verkaufen.
Oberamtmann Wichers, der lange Jahre Domänenpächter gewesen war,
hatte Wershagen preiswert erstanden. Als hochbegabter Landwirt
brachte er den schönen Besitz zu außerordentlicher Ertragsfähigkeit.
Wershagen wurde ein Mustergut, das seiner Kornerträgnisse wegen in
den landwirtschaftlichen Jahrbüchern die größte Anerkennung fand.
Wichers hatte keinen Sohn, der Wershagen einst übernehmen konnte. Die
ganze Zärtlichkeit richtete sich deshalb auf seine Tochter Lieschen.
Mehrere Freier aus der Nachbarschaft pochten an, die das hübsche
Oberamtmannstöchterlein mit der Aussicht auf die wertvolle Besitzung
Wershagen gern heimführen wollten. Aber Lieschen Wichers schaute nur
nach einem aus, den ihr Herz ersehnte -- Wolf Plüddekamp.

Schon im verflossenen Jahre hoffte sie, daß er um sie anhalten würde.
Er blieb aber stets gleichmäßig vertraulich, obwohl ihr Auge zuweilen
recht offen zu ihm sprach. Sie standen wie ein Paar gute Freunde
zueinander.

Bei Lieschen Wichers ging in der letzten Zeit eine bedeutende
Veränderung vor sich. Durch die lange Abwesenheit von Wolf empfand sie
eine derartige Sehnsucht nach ihm, daß sie ihren Vater zu Plüddekamps
begleitete. Oberamtmann Wichers wußte recht gut, wie es mit seinem
Töchterchen bestellt war, und wollte sie gern glücklich sehen. --

Nach dem Frühstück im Plüddekampschen Hause machten sie noch einige
Besorgungen und fuhren dann heimwärts. Das kleine Landfräulein
verhielt sich an der Seite ihres Vaters recht einsilbig.

»Was hast du nur, Mädel?« fragte der Oberamtmann. »Du sitzt da wie
eine verirrte Hoftaube.«

»Mir ist nichts, Vater,« erwiderte sie ernst.

»Du freutest dich doch so sehr auf die Fahrt, Lieschen!«

»Gewiß, Vater! Es war aber alles anders, wie ich es mir dachte.«

»Hm,« machte dieser und zog die Zügel der Rappen fester an, daß sie
in scharfen Trab fielen. »Es ist mir bei Plüddekamps aufgefallen, daß
sich Wolf völlig verändert hat. Er kommt mir hochgradig nervös vor. In
seinem Alter müssen die Nerven wie Schiffstaue sein. Mir scheint, daß
das Fräulein aus Nordhausen keinen guten Einfluß auf die Geschwister
ausübt.«

»Ich denke es auch, Vater,« erwiderte Lieschen. »Es trat leider sehr
deutlich für mich hervor.«

»Ja, ja,« knurrte der Alte vor sich hin, während der Schlitten auf der
glatten Bahn und bei der raschen Fahrt leicht zu schlenkern begann.

»Du wolltest schon lange Plüddekamps zu uns einladen,« setzte Lieschen
das Gespräch nach einer Weile fort; »jetzt ist die beste Gelegenheit
dazu.«

»Hast recht, Kind,« sagte der Oberamtmann. »Die Wildgänse und
Wildenten fallen seit Tagen scharenweise ein. Jürgen ist unser
bester Jäger. Wir bitten seine Geschwister, mit nach Wershagen
herauszukommen, und geben ein Jagdessen -- natürlich tipp-topp.«

»Das ist reizend, Vater! Wie gern bin ich damit einverstanden! Unsere
Wildkammer ist noch reichlich gefüllt. Aber Fräulein Hergenbach ladest
du doch nicht mit ein?«

»Kind!« Wichers wandte sich um und sah sie erstaunt an. »Es geht kaum
anders! Sie ist in der Familie Plüddekamp aufgenommen. Wir begingen
einen Verstoß, wenn wir sie bei der Einladung ausschließen würden.«

Lieschen Wichers senkte den Kopf.

»Sie gefällt mir aber ganz und gar nicht, Vater,« stieß sie plötzlich
aus.

»Mir auch nicht,« brummte der Oberamtmann. »Hat ein Paar Augen im
Kopfe wie eine Katze, die auf Raub lüstern ist. Läßt sich aber nichts
dran ändern, Lieschen, muß mit in den Kauf genommen werden.«

       *       *       *       *       *

Die Schlittenbahn blieb gut. An Plüddekamps ging eine Einladung zur
Jagd mit anschließendem Jagddiner in Wershagen sofort ab. Der Tag kam
heran.

Lieschen Wichers hatte ein pelzbesetztes grünes Jagdkostüm angelegt,
das sie allerliebst kleidete. Herta gab ihrem jüngeren Bruder einen
leichten Rippenstoß.

»Wölfchen,« flüsterte sie, »sieh einmal Lieschen an! Was ist sie doch
für ein prächtiges, frisches Mädchen.«

Wolf ließ den Blick flüchtig über sie hinweggleiten.

»Ja, ja,« erwiderte er eintönig. Gleichzeitig schaute er schon nach
Ilse aus, die soeben zu Lieschen Wichers trat und sich bei ihrer
großen, schlanken Figur leicht vornüberneigte, um mit ihr zu sprechen.

Nach einem kurzen Imbiß wurden die Schlittensitze eingeteilt. Es ging
nach den Seen hinaus, auf denen die wilden Gänse in großer Anzahl
einfielen. Oberamtmann Wichers trug für seine Frühjahrssaat Sorge. Es
sollte deshalb unter den Eindringlingen tüchtig aufgeräumt werden.

Eine ganze Reihe tadellos bespannter Schlitten hielt vor dem
Wohnhause. Die Gäste stiegen ein. Voran fuhr Oberamtmann Wichers mit
Herta Plüddekamp, dann folgte Jürgen mit Ilse Hergenbach und Wolf
mit Lieschen Wichers. Ein leerer Schlitten für die bereits draußen
befindlichen Jäger beschloß den Zug.

Wolfs Schlitten wurde von ein paar flotten, jungen Pferden gezogen,
die das schönste Schellengeläute trugen. Nun ging es hinaus in die
prächtige Winterlandschaft nach den zusammenhängenden kleinen Seen.
Förster und Inspektor von Wershagen sollten dort die Jagdgäste
empfangen und ihnen den besten Stand anweisen.

Lieschen Wichers plauderte munter drauflos. Wolf hatte vorläufig
genügend mit seinem jungen Gespann zu schaffen. Die beiden
Lichtbraunen tänzelten vor dem Schlitten hin und her und waren nicht
gewillt, in der Reihe zu bleiben. Ihrem Lenker, der sehr viel Sinn
für allen Sport besaß, machte dies viel Vergnügen.

»Ein Paar tolle Racker,« sagte er zu Lieschen Wichers. »Ihr Papa
scheint ein großes Vertrauen in meine Fahrkunst zu setzen.«

»Gewiß,« erwiderte Lieschen Wichers stolz, »sonst hätte er Ihnen nicht
die beiden jüngsten und besten Pferde aus dem Stall gegeben.«

»Alle Hochachtung über die mir zugedachte Ehre, Fräulein Wichers! Sie
kommen aber schlecht dabei weg.«

»Wieso?« fragte Lieschen erstaunt.

»Ich muß auf die Pferde aufpassen und kann mich nicht Ihnen widmen,
wie ich es möchte.«

»O, dann lassen Sie mich fahren! Sie wissen doch, ich bin ein
geschulter Kutscher. Papa hat mir von klein auf die Fahrleine in die
Hand gegeben.«

Wolf mußte sie lachend abwehren, da sie bereits Anstalten traf, um
seinen Platz einzunehmen.

»Ich darf doch die Zügel nicht aus der Hand geben! Was würden die
anderen dazu sagen,« meinte er scheinbar vorwurfsvoll. »Es kommt dem
Manne zu --«

»Zuweilen ist es ganz angebracht, Herr Plüddekamp, wenn die Frau den
Mann ablöst,« fiel sie ein, und in ihren blauen Augen glänzte es wie
klarer Wintersonnenschein.

Wolfs Schlitten war dicht an den seines Bruders herangekommen. Die
Pferde begannen zu galoppieren und wollten vorbei.

»Kein Rennfahren, Wolf!« ließ Jürgen seine starke Stimme erschallen.

Die Lichtbraunen ließen sich aber nicht halten, und Lieschen Wichers
griff plötzlich in die Zügel hinein.

»Das Sattelpferd kürzer fassen, den Hals links abbiegen, Herr
Plüddekamp, dann stoppt das Handpferd von selbst,« und wirklich -- der
Ratschlag war gut. Der Schlitten kam wieder in die Reihe hinein.

»Sehen Sie,« lachte das junge Mädchen. »Ein wenig verstehe ich von der
Fahrkunst meines Vaters.«

                  *       *       *       *       *

Auf den Wershagener Seen war das Rohr bereits geschnitten. Von
niedrigem Erlengebüsch umgeben, lag die weite weiße Fläche anscheinend
still und eintönig da. Eine ganze Strecke vorher blieben die Schlitten
halten und ihre Insassen stiegen aus. Die vorausgeschickten Stalleute
hüllten die dampfenden Pferde in wollene Decken ein. Nun stapften
alle tüchtig durch den Schnee, die Flinten im Arm. Der Förster und
Inspektor kamen ihnen entgegen.

»Auf dem oberen See liegt ein ganzer Schwarm wilder Gänse, Herr
Oberamtmann,« meldete der Förster. »Wir müssen aber vorsichtig
heranschleichen, sonst fliegen sie auf. Es sind ein paar große
Schneewehen davor, die uns einigermaßen decken.«

Jürgen richtete sich auf. Seine ganze Gestalt schien zu wachsen.
Die Pelzmütze etwas von der Stirn zurückschiebend, schauten seine
scharfen Augen zu den Seen hinüber. Die Jagdlust erwachte in ihm. Es
war die einzige Leidenschaft, die er außer seinem Geschäft besaß. Ilse
betrachtete ihn mit leuchtenden Blicken. Sie hätte laut aufjauchzen
mögen, so schlug ihr plötzlich das Herz.

Er hatte während der Fahrt mit ihr freundlich geplaudert. Der sonst so
schweigsame und ernste Geschäftsmann konnte zuweilen dem Leben auch
frohe Seiten abgewinnen. Jürgen kannte Nordhausen und ihr Elternhaus.
Er war in früheren Jahren mehrmals dort gewesen, um die geschäftlichen
Beziehungen fester zu gestalten.

»Was macht ihr zwei nun?« fragte Jürgen, sich an Herta und Ilse
wendend, die nicht jagdmäßig ausgerüstet waren.

»Wir tragen die Beute heim,« erwiderte Ilse.

»So,« stieß Jürgen gedehnt aus, »sind Sie ihrer schon gewiß?«

»Ich hoffe es bestimmt.« Dabei schaute sie ihn bedeutungsvoll an.

Die Jagd begann. Vorsichtig schlichen alle hinter den mächtigen
Schneewehen auf den oberen See zu. Jürgen und der Oberamtmann kamen
schneller vorwärts. Wolf und Lieschen Wichers bogen etwas nach
links ab, während der Förster und der Inspektor weit voraus mit
hochgehaltener Hand die Richtung angaben.

»Wir stehen im zweiten Treffen,« sagte Lieschen zu ihrem Begleiter.
»Der Schwarm steigt also in die Höhe, ehe wir zum Schuß kommen. Wir
wollen aber den anderen ein Schnippchen schlagen und gehen jetzt ganz
nach links auf das Erlengebüsch zu. Es bietet uns gute Deckung. Die
Wildgänse müssen, nach dem Stand der anderen Schützen zu schließen,
bei uns vorüberfliegen. Wir haben die besten Aussichten, ein paar
herunterzuholen.«

»Ganz mein Fall!« meinte Wolf, der jetzt Lust bekam, das Jagdglück zu
erproben. »Sie sind wirklich eine gute Beraterin, Fräulein Lieschen!«

Eine breite Schneewehe lag vor ihnen, sie mußten diese durchschreiten.

»Oho,« lachte Lieschen Wichers laut auf und war tief in den Schnee
eingesunken. Es schien ihr das größte Vergnügen zu bereiten.

Sofort sprang Wolf an ihre Seite, faßte sie leicht um die Taille und
hob sie heraus. Er trug hohe Jagdstiefel, es machte ihm nichts aus,
weit hinein zu geraten.

»Sie haben ja staunenswerte Kräfte, Herr Plüddekamp!« rief Lieschen
belustigt. »Sie heben mich wie eine Daunenfeder hoch.«

Wolf erwiderte in der gleichen Tonart:

»So leicht sind Sie wirklich nicht, Fräulein Lieschen. Ich habe mich
ganz gehörig plagen müssen,« und er schaute dabei auf ihre rundlichen
Formen hin.

Sie sah schelmisch zurück.

»Ich habe neue vierhändige Stücke in Stettin gekauft. Kommen Sie bald
wieder heraus, Herr Plüddekamp. Heute wird doch nichts aus unserem
Spiel.«

»Warum nicht, Fräulein Lieschen? Nach dem Essen!«

»Ach, das wird endlos bei Papas Flaschenbatterien! Dann fahren Sie
bald zurück. Ich erwarte Sie also bestimmt in den nächsten Tagen, aber
als Solokrebs.«

Ihr Auge ruhte mit voller Innigkeit auf ihm, als sie seine zusagende
Antwort erwartete.

»Ich kann jetzt schwer abkommen, Fräulein Lieschen,« erwiderte er
zögernd. »Das Frühjahrsgeschäft muß vorbereitet werden. Jürgen läßt
mich nicht aus dem Kontor fort.«

»Ich sage es ihm selbst, dann tut er es,« fiel sie energisch
ein. »Seine Anwesenheit reicht aus. Sie kommen mir gar nicht wie
ein Kaufmann vor, Herr Plüddekamp, und eignen sich viel mehr
zum Rittergutsbesitzer! Warum haben Sie überhaupt nicht die
Landwirtschaft erlernt?«

»Daran dachte ich früher nicht,« zuckte Wolf mit den Achseln. »Ich
wäre am liebsten Offizier geworden. Freilich -- der Kaufmannsstand
paßt mir sehr wenig.«

»Machen Sie es wie die Raupen im Frühjahr, die entpuppen sich.«

»Nein,« schüttelte er mit dem Kopf. »Das Plüddekampsche Hausgesetz
schreibt mir vor, in den Bahnen meiner Väter zu wandeln.«

»Dann durchbrechen Sie die Regel,« lachte Lieschen hell auf, »wenn
auch die alten Herren auf ihren Bildern die Köpfe verwundert schütteln
werden.«

In diesem Augenblick fielen am oberen See eine Anzahl Schüsse schnell
hintereinander.

»Jetzt wird's die höchste Zeit,« rief Lieschen aus. »Wir müssen an die
Erlen heran. Laufen wir, Herr Plüddekamp!« Flink wie ein Wiesel rannte
sie vorwärts.

Sie sah so zierlich und nett dabei aus, daß Wolf seine helle Freude
hatte und mit langen Sätzen neben ihr hereilte.

»Wir machen es wie unsere Lichtbraunen!« rief Lieschen weiter, »aber
nicht durchgehen, Herr Plüddekamp!«

Von weitem ertönte schon das starke Geschnatter der Wildgänse.

»Sie steigen auf! Achtung!« stieß sie hastig aus.

Sie blieben mitten im tiefen Schnee stehen, die Flinte im Anschlag.
Ein Schwarm wilder Gänse kam verwirrt heran. Man sah, wie sie bestrebt
waren, sich zu ordnen.

»Halten Sie auf die Spitze des Zuges,« rief Lieschen im Jagdeifer,
»noch ist er nicht hoch und zu erreichen! -- Jetzt -- Schuß!«

Ein Doppelknall erfolgte. Oben in der Luft schlug eine Wildgans
gewaltig mit den Flügeln. Der ganze Schwarm stieg rasch höher, während
die Getroffene immer noch flatternd zurückblieb, langsam niedersank
und, sich plötzlich überschlagend, tief in die weiche Schneedecke
herabschoß.

»Was sagen Sie nun, Herr Plüddekamp? Wir zwei haben eine Gans
geschossen!«

»Ich nicht,« meinte Wolf bedächtig, »ich glaube -- ich habe das blaue
Himmelszelt getroffen.«

»Merken Sie sich die Stelle, an der die Wildgans heruntergegangen ist.
Es wird nicht lange dauern, dann kommt die zweite Auflage.« Sie schob
neue Patronen in den Doppellauf des Gewehres hinein.

Wolf setzte seine Büchse ab.

»Ich habe heute kein Jagdglück,« sagte er.

»Doch, Herr Plüddekamp,« fiel Lieschen ein. »Ein Mann wie Sie hat
immer Glück.«

Es kam dies so offen und ehrlich heraus und ihre Augen richteten sich
so verheißungsvoll auf Wolf, daß er darin hätte leicht lesen können:
das größte Glück steht an deiner Seite.

Trotz der warmen Strahlen der Sonne flog Wolf ein kalter Schauer über
den Rücken. Auf einem weiter unterhalb der Seen gelegenen Hügel waren
Herta und Ilse plötzlich aufgetaucht. Unwillkürlich wandte sich sein
Blick dorthin. Er seufzte tief auf.

»Was haben Sie?« fragte Lieschen Wichers erstaunt.

»Nichts,« erwiderte er kurz. Er wußte aber wohl, was in ihm vorging.

Ein zweiter Schwarm wilder Gänse und vereinzelte Wildenten zogen
vorüber, aber in solcher Höhe, daß ein Treffen unmöglich wurde.

»Holen Sie unsere Beute,« bat Lieschen, zu Wolf gewandt. »Ich gehe
inzwischen zu Ihrer Schwester, und Sie kommen mir dorthin nach.«

Wolf mußte über das Eis des Sees schreiten, die Wildgans war in
schräger Richtung am jenseitigen Ufer niedergegangen. Lieschen winkte
ihm noch von weitem mit der Hand. Er kam in dem tiefen Schnee nur
langsam vorwärts, dabei fröstelte ihn. --

Nach einiger Zeit versammelten sich alle bei den Schlitten. Die jungen
Lichtbraunen waren recht unruhig, und Jürgen rief seinem Bruder zu:

»Gib gut acht, Wölfchen!«

»Seien Sie ohne Sorge, Herr Plüddekamp!« lachte Lieschen hell auf.
»Ich bin doch da, um aufzupassen.«

Der erste Schlitten ging im schnellen Trabe voran. Die anderen drei
folgten. Die Pferde griffen nach dem langen Stehen mutig aus, zumal
es nach dem Stall ging. Namentlich die Lichtbraunen gallopierten
fortgesetzt und waren kaum zu bändigen.

»Fahr zu, Wolf!« rief Jürgen laut, »wenn die Braunen voran sind,
werden sie ruhiger gehen!«

Dieser hatte in dem kurzen Augenblick, während er im Schlitten
vorbeisauste, einen Blick auf Ilse geworfen. Jürgen hielt seine Pferde
fest in den Zügeln, sie sah mit den großen Augen stolz zu ihm auf.
Wolf vergaß vor Ärger die Führung seiner Pferde; der Schlitten ging
über eine Schneewehe und kam vollständig schräg zu stehen.

»Oho, Wolf!« rief Jürgen ihm nach. »Beinahe hättest du eine Kippe
gemacht!«

Die Lichtbraunen aber jagten schon eine ganze Strecke voraus, und
Jürgen wurde besorgt.

»Sein Temperament reißt ihn wieder einmal fort,« brummte er vor sich
hin. »Hätte Wolf nur mehr Ruhe in sich,« sagte er dann halblaut.

Ilse hatte es gehört und erwiderte:

»Herr Wolf ist manchmal recht ungestüm.«

»Sooo,« meinte Jürgen gedehnt, »haben auch Sie dies an ihm bemerkt?«

»Ja,« brachte sie ganz leise hervor, sah ihn aber durchdringend dabei
an. »Ich habe es über mich ergehen lassen müssen.«

»Müssen!« wiederholte Jürgen scharf. »Nein, Fräulein Hergenbach, Sie
haben es nicht nötig! Wolf ist noch eine stürmische, nicht abgeklärte
Natur. Weisen Sie ihn in seine Schranken zurück.«

»Ich werde es tun, Herr Plüddekamp! Aber --« sie stockte.

»Nun und?« fragte Jürgen.

»Wenn Sie, Herr Plüddekamp --«

»Ja, was soll ich dabei,« entgegnete er barsch, »ich stehe doch nicht
immer neben Ihnen!«

»Sie können viel tun, Herr Plüddekamp. Ihre Worte fallen schwer in
die Wagschale. Herr Wolf ist manchmal ganz eigenartig zu mir -- ich
weiß selbst nicht, was ich davon halten soll. Ich fühle mich glücklich
in Ihrem Hause, und doch wird es mir zuweilen schwer, das richtige
Verhalten in allen Dingen zu finden. Darum bitte ich Sie -- Herr
Plüddekamp -- mir beizustehen.«

Er sah sie an. Ihre Augen strahlten in voller Leidenschaft. Es wurde
einen Augenblick hindurch siedendheiß in ihm. Was für eine Frau saß
an seiner Seite? Welche Gewalt übte dieses Geschöpf selbst über ihn,
den ruhigen Mann, aus! Es lag eine große Gefahr in ihr. -- Sollte er?
-- Nein, nein, und dreimal nein! -- Sein Lebensweg war vorgezeichnet.
Zurück mit solchen Gedanken! -- Er hob die Peitsche und hieb auf
die Pferde ein, daß sie zum Galopp ansprangen und der Schlitten
vorwärtsflog. -- Er hatte überwunden, und seine eiserne Ruhe kehrte
zurück.

»Es wäre besser gewesen, Sie kamen nie zu uns,« erwiderte er kalt.
»Ich habe es auch nicht gewollt. Hätte ich gewußt, welchen Einfluß Sie
auf Wolf ausüben würden, so wäre ich Herta schärfer gegenübergetreten.«

»Herr Plüddekamp!« schrie sie gequält auf. »Sie nehmen mir durch Ihre
Worte das Recht, länger in Ihrem Hause zu bleiben.«

»Gewiß nicht, Fräulein Hergenbach! Ich habe meinen ersten
Standpunkt aufgegeben. Herta sagte mir, daß Sie sehr tüchtig in der
Hauswirtschaft sind. Ich bitte Sie nur um eins, lassen Sie Wolf ganz
aus dem Spiele!«

»Ich tue ja alles, daß er mir nicht nahe kommt, Herr Plüddekamp!«
stieß sie erregt aus. »Ich beeinflusse sein Wesen in keiner Weise.
Aber wie soll ich mich schützen, wenn er auf mich einstürmt --«

»Kalt bleiben,« sagte Jürgen kurz, »das genügt!«

In diesem Augenblick sah er, wie ein Schwarm Krähen, der eine Strecke
voraus auf der Schneedecke lagerte, plötzlich mit lautem Gekrächze
aufflog.

Die Pferde Wolfs scheuten vor dieser schwarzen aufsteigenden Wolke
und jagten in starkem Galopp davon. Lieschen Wichers griff mit beiden
Händen in die Zügel. Dabei mußte sie zu sehr nach rechts gezogen
haben, die Pferde bogen vom Wege ab, durchquerten eine Schneewehe und
kamen aufs freie Feld hinaus. Dort rasten sie im weiten Bogen umher.
Wolf strengte seine ganze Kraft an, um sie wieder an die Zügel zu
bringen.

Sie sausten jetzt in vollem Galopp auf den Weg zu. Der Schlitten von
Jürgen befand sich in gleicher Höhe.

»Weiter rechts, Wolf!« rief Jürgen.

Es war bereits zu spät. Krachend stießen sie zusammen.

Jürgens Schlitten wurde zur Seite geschleudert. Ilse flog heraus
und schlug mit dem Kopf gegen einen am Wege stehenden Weidenstamm.
Die Lichtbraunen rannten weiter. Nur mit Mühe konnte Jürgen seine
ebenfalls aufgeregten Pferde zum Stehen bringen. Die Leine in der
rechten Hand haltend, stieg er aus und beugte sich zu Ilse hernieder,
um sie mit seinem freien linken Arm aufzuheben.

Sie mußte einige Minuten bewußtlos gewesen sein. Als aber Jürgen
ihren Körper berührte, schlug sie, wie aus einem Traum erwachend, die
Augen groß zu ihm auf, ihre Arme umschlangen plötzlich seinen Hals,
sie preßte sich fest an ihn, und »Jürgen, Jürgen!« klang es von ihren
Lippen.

»Sie vergessen sich, Fräulein Hergenbach,« sagte er ernst und löste
seinen Arm von ihr. »Für Sie bin ich auch in einem solchen Augenblick
-- Herr Plüddekamp.«

Sie ließ von ihm ab, taumelte zurück und sank in sich zusammen.

»Was ist mit mir geschehen?«

»Haben Sie sich verletzt?« fragte Jürgen kalt.

»Nein!« Sie stöhnte auf, als ob sie eine schwere Wunde empfangen
hätte. »Es wird vorübergehen.« Dabei versuchte sie, sich aufzurichten.

Mit gewaltiger Kraftanstrengung brachte Jürgen den Schlitten aus dem
tiefen Schnee wieder auf die Bahn zurück.

»Steigen Sie ein, Fräulein Hergenbach! Herta und Oberamtmann Wichers
kommen schon heran.«

Ohne ein Wort weiter zu wechseln, fuhren sie nach dem Gutshofe.




                                 XV.


Über dem Jagdessen hatte eine düstere Stimmung gelegen, die selbst
Oberamtmann Wichers in seiner jovialen Weise nicht bannen konnte.
Ilse saß bei Tisch wie eine leblose Statue an Jürgens Seite. Es
wirkte dies lähmend auf die übrigen Gäste. Selbst Lieschen Wichers,
das frohsinnige Geschöpf, wurde davon angesteckt. Wolfs Augen waren
fortwährend auf Ilse gerichtet. Nach Aufhebung der Tafel fuhren
Plüddekamps sofort nach Stettin zurück.

»Nun brat mir einer eine Gans, aber recht knusprig,« sagte Oberamtmann
Wichers, als die Geschwister fort waren. »Die Sache hat keinen guten
Anstrich.«

Lieschen Wichers war auf ihr Zimmer gegangen und weinte bitterlich.

                  *       *       *       *       *

Jürgen und Wolf befanden sich am anderen Tage im Kontor stumm
gegenüber. Keiner von beiden mochte das Gespräch anfangen. Es lag wie
eine gefüllte Mine zwischen ihnen, die nicht entzündet werden sollte.
Prokurist Armin kam wie täglich herein, um von Jürgen die Anordnungen
entgegenzunehmen. Wolf erhob sich.

»Du mußt mich heute entschuldigen, Jürgen! Ich habe starke
Kopfschmerzen und will einen Spaziergang machen.« Er stand auf und
ging hinaus.

Jürgen stützte seinen Kopf schwer auf die Hand. Er besprach dann
langsam die schwebenden Angelegenheiten.

»Gestern war Herr Konsul Martens hier,« sagte Armin, »er wollte Herrn
Wolf Plüddekamp fragen, ob Smiders & Sohn den Hamburger Herrn als
stillen Teilhaber aufgenommen haben.«

Jürgen zuckte mit den Achseln.

»So viel ich weiß, ist es noch nicht so weit. Mein Bruder hat
wenigstens nichts davon erwähnt.«

                  *       *       *       *       *

Es war Tauwetter eingetreten. Die Straßen waren naß und schlüpfrig,
von den Dächern tropfte der schmelzende Schnee herab.

Wolf Plüddekamp ging durch die Anlagen, und der sonst so lebenslustige
junge Mann schien ganz in Gedanken versunken zu sein. Er achtete kaum
darauf, wer ihm begegnete.

»Holla, junger Freund,« weckte ihn plötzlich die Stimme des Konsul
Martens, der seinem Geschäft zueilte, aus dem tiefen Sinnen auf.
»Wohin wollen Sie?«

»Ziellos in die Welt!« erwiderte Wolf.

»Das darf man nie, Freundchen,« erwiderte der Bankier. »Man muß stets
ein Ziel vor Augen haben.« Er sah darauf den jungen Mann schärfer an.
»Haben Sie gestern eine starke Sitzung gehabt?« fragte er weiter.

»Nein, Herr Konsul! Wir waren in Wershagen zur Jagd.«

»Natürlich hat Jürgen wieder die größte Strecke gehabt.«

»Stimmt auffällig! Er erlegte eine stattliche Reihe Wildgänse.«

»Und Sie?«

»Eine -- dabei nur gemeinschaftlich mit Fräulein Lieschen Wichers. Wer
sie eigentlich getroffen, wußten wir selbst nicht.«

»Macht nichts, lieber Freund! Mit Lieschen Wichers können Sie sich
ruhig in das Jagdglück teilen. Überhaupt -- das Fräulein ist eine
Partie für Sie! Ich habe schon immer etwas munkeln hören. Greifen
Sie doch zu! Neulich war der Oberamtmann mit seinem Töchterlein bei
mir. Ich darf zwar nicht ausplaudern, aber das kann ich Ihnen doch
sagen, die Staatspapiere, die er auf der Bank liegen hat, werden außer
Wershagen eine stattliche Mitgift für die einzige Tochter sein. Sie
können sich dann später den Roggen gleich selbst bauen, den Sie im
Geschäft brauchen.«

Wolf hatte den alten Freund der Familie ruhig sprechen lassen. Er
seufzte jetzt tief auf.

»Es ist richtig, was Sie sagen, Konsul Martens! Ich würde mich
vielleicht auch eines Tages dazu entschließen, wenn nicht --«

»Nanu,« meinte Martens verdutzt, »haben Sie noch mehr Ernsthaftes im
Sinne?«

»Ja!« fuhr es Wolf heraus. »Sind Sie eilig, in Ihre Bank zu kommen,
oder können Sie noch mit mir ein wenig spazieren gehen?«

»Gern,« erwiderte der Konsul. Sie schritten langsam auf den nassen
Wegen dahin. Hie und da war der Schnee zu einer großen Wasserlache
geworden, die sie in weitem Bogen umschreiten mußten.

»Sie waren als junger Mann in Berlin?« begann Wolf plötzlich zu fragen.

»Allerdings,« nickte der Konsul.

»Sie erlebten dort manches?«

»Natürlich,« erwiderte der Konsul lächelnd, »man muß sich doch in
seiner Jugend die Hörner abstoßen, wie man so zu sagen pflegt --«

»Und sind dann Junggeselle geblieben!«

»Leider!« stieß Martens aus. »Sie wissen ja auch, warum.«

»Gut! Sagen Sie mir jetzt, Konsul Martens: gibt es Frauen, die einen
Mann so fesseln können, daß die Leidenschaft, die man für sie fühlt,
ein Leben hindurch aushält?«

Der Bankier schaute erstaunt auf.

»Ei, ei, lieber Freund Wolf, das ist eine heikle Frage! Wie soll
ich Ihnen diese beantworten! -- Es kommt ganz auf Charakter und
Temperament an. Zum Guten führt es wohl selten. Für eine Ehe
braucht man mehr. Dazu gehört vor allen Dingen eine beiderseitige
Herzensbildung, gleiche Neigungen und ein alles umfassendes
Wohlwollen, das man sich täglich und stündlich angedeihen lassen muß.
Eine Ehe soll nicht Sturm auf dem Meere bedeuten, sondern Frieden und
Ruhe im Hafen an einem sicheren Anker.«

»Und wenn man dies nun nicht kann!« fuhr Wolf plötzlich auf. »Wenn
es nicht möglich ist, daß man sich in ein solches Los hineinfindet?
Wenn man sich mit allen Gedanken an ein Geschöpf kettet, das jeden
Nerv in einem erregt! Dieses Geschöpf aber herumflattert, wie eine
angeschossene Weihe, die noch im letzten Augenblick mit ihren Fängen
zuschlagen will, -- was soll man dann tun?«

»Brr!« schüttelte sich Konsul Martens, »was malen Sie für Bilder,
lieber Wolf! Mit Raubvögeln mag ich nichts zu schaffen haben. Die
läßt man hübsch beiseite. Das Interesse ist höchstens für einige
flüchtige Minuten, -- aber nicht für das Leben. Ich weiß wohl, wen
Sie meinen! Übrigens, Sie stehen damit nicht allein da. Es ging mir
gerade so. Ilse Hergenbach, diese meinen Sie doch, hat auf uns alle
eine merkwürdige Anziehungskraft ausgeübt. Wissen Sie, Freundchen, --
sie ist ein Weib, das uns eine Zeitlang berauschen, aber nie beglücken
wird.« Er setzte dann ernst hinzu: »Lassen Sie die Hand davon, Wolf
Plüddekamp!«

»Ich kann es nicht mehr! Ich kann es wirklich nicht mehr,« sagte der
junge Mann mit ganz verstörtem Gesichtsausdruck. »Ich erliege fast
unter den seelischen Qualen, die ich in den letzten Monaten erduldet
habe. Wenn Sie wüßten, was alles unter uns vorgefallen ist, und dabei
bin ich heute noch keinen Schritt weiter wie am ersten Tage! Es packt
mich zuweilen eine Eifersucht, wenn sie andere Männer ansieht, daß
ich rein toll werden könnte. Mit dem ersten Blick aus ihren grauen,
rätselhaften Augen hat sie meinen ganzen Gemütszustand in eine wilde
Erregung gebracht. Sie muß mein werden!«

»Pah, pah! Lieber junger Freund,« erwiderte Konsul Martens. »Verstehe,
verstehe! Ich bin gut zwei Dutzend Jahre älter als Sie, da denkt
man ruhiger über solche Leidenschaft. Ich habe Fräulein Hergenbach
mehrfach beobachtet! Ich glaube, wir erleben noch etwas an ihr --«

»Dann bin ich dabei,« sagte Wolf kurz. »Ich ändere nichts mehr daran.«

»Holla, mein Herr Wolf! Ehe Sie einen törichten Schritt vornehmen,
vertrauen Sie sich erst vor allen Dingen Ihrem Bruder Jürgen an.«

»Das kann ich nicht, Konsul Martens! Jürgen versteht mich nun einmal
nicht!«

Sie waren bis zu der Straße gekommen, bei der Konsul Martens abbiegen
mußte, um in sein Geschäft zu gelangen.

»Na, Gott befohlen! Wenn Sie eine Aussprache brauchen, so stehe ich
gern zur Verfügung, schon um meiner Freundin Herta willen, die tief
betrübt sein würde, wenn sich das Leben ihres Lieblingsbruders nicht
glücklich gestaltete.« --

Wolf trieb es noch eine Zeitlang ruhelos umher. Als er dann endlich
den Schritt heimwärts wandte und die große Haustreppe emporstieg,
vernahm er plötzlich die Stimme von Alfred Smiders. Er kannte diesen
nachlässigen, halb vornehm sein sollenden, halb vertraulichen Ton.

»Fragte schon Fräulein Plüddekamp nach Ihnen, Schönste. Ich freue
mich, unter den breiten wohlbehäbigen pommerschen Gesichtern so
interessante Züge zu sehen, wie die Ihrigen. Zum Teufel! Ich war ganz
entzückt, als ich mich Ihnen in Swinemünde nähern konnte. Hatte
Sie schon früher beobachtet. Sie waren auf der Lastadie. Solche
Prachtaugen vergißt man nicht leicht.«

Wolf war mit ein paar hastigen Sprüngen oben. Er sah, wie Ilse stumm,
mit gesenkten Blicken vor Smiders stand.

»Morgen, Alfred!« rief er so laut, daß sich dieser rasch umdrehte.

»Ah -- Wölfchen!« Der anfangs überraschte Reeder faßte sich sofort
wieder. »Freut mich, daß ich dich noch antreffe, habe deiner Schwester
die schuldige Ehrfurcht bezeigt.« Er reichte Wolf die Hand hin, die
dieser nur widerstrebend nahm.

Ilse war wie vom Erdboden verschwunden.

»Wie steht es mit dem Brief?« fragte Smiders darauf hastig. »Warum
bist du nicht nach der ›Grünen Schanze‹ gekommen? Riekchen weint sich
bald die Augen aus. Wir wollen uns doch heute nachmittag dort treffen.
Komm um sechs Uhr, und jetzt -- Leb wohl! Ich habe noch einen eiligen
Gang vor.«

Die ganze Szene ging so blitzschnell an Wolf vorüber, daß er Smiders
verwundert nachschaute, als dieser bereits die Treppe hinunterstieg.

»Ein miserabler Bursche!« Er trat heftig mit dem Fuß auf. »Mit welchen
faden Schmeicheleien er sich an Ilse herandrängen wollte! Er glaubt in
ihren Augen zu lesen, wonach sein Wunsch steht. Ich dulde es nicht
länger, daß sie derart umflattert wird.« --

Jürgen Plüddekamp war sehr ernst gestimmt. Beim Mittagessen sprach er
kein Wort, und es fiel Herta auf, daß er Ilse Hergenbach gar nicht
beachtete. Auch diese zeigte ihm gegenüber eine große Zurückhaltung.
Ihr Antlitz war bleicher als sonst. Sobald sie die Augenlider
aufhob, schoß ein düsterer Blick hervor, der von gewaltigen inneren
Kämpfen sprach. Jürgen hatte Ilse Hergenbach, wie er es bei seinen
Geschwistern tat, nach der Mahlzeit stets die Hand gereicht. Dies fiel
heute fort. Beide wandten sich stumm von einander ab.

Wolf hatte die Speisen kaum angerührt. Auf Hertas Frage gab er zur
Antwort, daß er sich nicht wohl befinde.

»Ich habe ein gutes Mittel in der Hausapotheke, Wölfchen. Soll ich es
dir holen?«

»Danke, nein!« entgegnete Wolf kurz, »mir helfen jetzt keine Pulver.«

»Was ist nur mit euch Männern los? Es ist kaum auszuhalten! Jürgen
beträgt sich wie ein alter Brummbär, du machst eine jämmerliche Miene.
Wohin soll dies führen?«

»Ich hoffe, es wird bald anders sein, Schwester,« erwiderte Wolf
ernst; damit ging er nach seinem Zimmer hinauf.

Am Nachmittag arbeitete Jürgen wie immer im Kontor. Herta war
ausgegangen, und die oberen Räume des Hauses lagen in tiefster Ruhe.
Wolf befand sich auf seinem Zimmer. Er stand lauschend an der Tür und
hoffte jeden Augenblick, den flüchtigen Tritt von Ilse zu vernehmen.
Er wollte und mußte sie heute allein sprechen. Plötzlich kam es ihm
vor, als ob jemand leise nach dem kleinen Salon zuschritte. Dies
konnte nur Ilse sein. Sofort war er hinaus und schlich sich auf den
Zehenspitzen bis zum Speisezimmer hin. Hier trat er ein und ging
lautlos über den dicken Teppich bis zum Nebenzimmer.

Ilse hatte sich vor dem kleinen Ebenholztisch auf einen Polstersessel
niedergelassen und war im Begriff, die Mappe mit den großen
Kunstblättern zu öffnen. Ehe sie dies ausführen konnte, stand Wolf
schon hinter ihr.

Sie sah sich scheinbar erschrocken um, und doch hatte sie ihn
erwartet. Sie wußte, daß er jede Gelegenheit aufspürte, um ihrer
habhaft zu werden, und erinnerte sich dabei an seine früheren Worte.

Seit dem gestrigen Tage war in ihr ein Haß aufgestiegen, wie er nur
aus einer abgewiesenen heißen Liebe entstehen kann. In Jürgen hatte
sich alles für sie verkörpert, was sie ersehnte. Nun wollte sie sich
an ihm durch den Bruder rächen.

»Ilse! Endlich treffe ich dich allein!« Wolf legte seine Hand auf
ihre Schulter und fühlte, wie ihr ganzer Körper unter diesem Druck zu
zittern begann. »Warum gingst du mir aus dem Wege? Hast du keine Liebe
für mich?«

Sie wandte ihm das Gesicht zu. Ein heißer Blick aus ihren Augen traf
ihn.

»Was kann ich Ihnen sein!« erwiderte sie mit zuckenden Lippen. »Ich --
das arme Brennermädel -- die Hexe Ilse!«

»Was du mir sein kannst!« jubelte er laut. »Alles! Alles! Meine
innig Geliebte -- mein Weib! Ich kann mir nichts Schöneres denken,
als an deiner Seite zu leben! Ich will nur dich -- dich -- Ilse und
weiter nichts! -- Mögen Herta und Jürgen mir gram sein, ich bin fest
entschlossen, dich zu heiraten.«

Sie senkte den Kopf und schluchzte krampfhaft auf.

»Nein, nein, Wolf! Ihre Geschwister wollen es nicht! Sie behandeln
mich nicht danach! Ich muß fort! Sie werden nur unglücklich durch
mich.«

»Ich unglücklich?« jauchzte er auf. »Toll vor Glück werde ich!« Er riß
sie empor und preßte sie gewaltsam an sich. »Sieh mich an -- deine
Augen haben so Wunderbares für mich.«

Sie schaute zu ihm auf. Ihre Blicke ruhten in den seinen.

»Ilse!« schrie er dann, »das Blut tobt in mir! Ich weiß kaum, wie ich
es ertragen soll; du mußt mein sein -- mein für immer!«

»Sie wollen meinetwegen den Kampf mit Ihren Geschwistern aufnehmen,
Wolf?«

»Sage du, du!« rief er glückstrahlend aus.

Da bebte es von ihren Lippen:

»Wolf -- du -- ich will dir ja -- folgen --« Ilse war wie verwandelt.
Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn wild an sich. Ein
Rausch umfing beide, aus dem sie sich kaum wiederzufinden vermochten.

»Ich werde noch heute Jürgen und Herta sagen, daß wir uns verlobt
haben,« suchte sich Wolf zu fassen.

»Nein, nein,« bat sie, »laß uns noch die Heimlichkeit. Ich fliehe dich
jetzt nicht mehr, -- ich gehöre dir an! Wir wollen recht oft zusammen
sein. Ach, -- die Stunden, -- die nun kommen werden --«. Wieder und
immer wieder schlang sie die Arme um ihn. Sie atmete eine glühende
Leidenschaft aus. Das Feuer, das in ihren Augen aufflammte, sprach
mehr, als Worte zu sagen vermögen ...

»Ich werde es doch lieber meinen Geschwistern mitteilen, Ilse!«
wiederholte er hastig.

»Dann kann ich nicht länger hier bleiben und muß nach Nordhausen zu
meinen Eltern zurück. Es geht nicht anders, ich bitte dich darum, Wolf
--«

Seine Gedanken ordneten sich.

»Ja, ja! Du hast recht, Ilse! Leider hat die Welt so sonderbare
Ansichten. Wenn wir uns offen als Verlobte bekennen, müssen wir uns
sofort trennen. Ich kann dich aber nicht fortlassen --«

»So bleibt uns nur die Heimlichkeit, Wolf!«

Er preßte ihre Hand.

»Ich verspreche es dir, Ilse --«

Nach einer geraumen Weile fragte er sie:

»Was hast du nur mit Jürgen? Die schroffe Art, mit der ihr euch
seit gestern gegenübersteht, ist doch nicht allein durch den Unfall
hervorgerufen! Er konnte doch nichts dafür! Meine schlechte Fahrerei
war daran schuld. Du würdest sonst nicht aus dem Schlitten gestürzt
sein. -- Vertrau es mir an, Ilse.«

Eine Weile blieb es stumm, dann kam es zögernd heraus:

»Jürgen verlangte von mir, daß ich mich kalt und abwehrend gegen dich
verhalten solle. Er will keine Annäherung zwischen uns dulden.«

Wolf brauste heftig auf.

»Nun sehe ich endlich klar, wohin der Chef des Hauses Plüddekamp
zielt! Mein Wille steht aber aufrecht neben dem seinen! Wir werden
dies alte Heim verlassen und uns ein neues gründen.«




                                 XVI.


Die ersten Frühlingsboten kamen ins Land. Oder und Haff waren schon
längere Zeit eisfrei. Die Schiffahrt hatte begonnen. Die meisten
Dampfer befanden sich auf ihren regelmäßigen Fahrten. Nur der
verflossene harte Winter rief eine sonst selten eintretende Pause im
Dampferdienst hervor.

Das Leben im Plüddekampschen Hause lief wie früher eintönig dahin.
Wolf war merkwürdig ruhig geworden, es stand sogar öfters ein
glückliches Lächeln in seinem Gesicht. Herta und Jürgen konnten sich
nicht vorstellen, woher diese Veränderung in seinem Wesen stammte.
Weder Ilse noch Wolf verrieten das Geringste, aus dem die Geschwister
auf irgendeine Annäherung der beiden zu schließen vermochten.

Wolf war eifrig im Geschäft tätig, so daß Jürgen zuweilen ganz
verwundert zu seinem Bruder hinüberschaute, wenn er für verwickelte
Geschäftssachen bereits alles vorgearbeitet fand. Nur mit Smiders
mochte Wolf nicht mehr zusammentreffen, um mit dessen Maßnahmen
vertraut zu bleiben.

»Ich wünschte, Jürgen, ich brauchte es nicht,« sagte er zu diesem,
und es zuckte dabei eigenartig über die Züge des jungen Mannes.
Schließlich mußte er sich doch der Angelegenheit unterziehen. Es war
ihm höchst unangenehm, daß er dabei mit der blonden Rieke in einem
gewissen Einvernehmen stand. Je öfter er gezwungenermaßen dorthin
ging, desto vertraulicher wurde sie zu ihm. Sie sandte ihm sogar
Briefe und machte darin auf manches aufmerksam. Zum Schluß kamen auch
persönliche sehnsüchtige Wünsche hervor. Wolf verbrannte jedes dieser
Schreiben.

Der Hamburger Kapitalist, Herr Kneis, zögerte immer noch, Smiders
seine Zusage zu erteilen. Er wartete auf das Einlaufen der anderen
Dampfer.

»Unsere spanische Lieferung wird außerordentlich dringend,« hatte
Armin zu Jürgen gesagt. »Die Briefe von den Brennereien lassen keinen
Zweifel aufkommen, daß die ganze Ladung zur abgeschlossenen Zeit
verfrachtet sein muß. Es könnten uns große Verluste entstehen.«

Jürgen, der sonst so ruhige und überlegene Kaufmann, kam in eine
gewisse Erregung hinein. Ganz gegen seine Gewohnheit ging er bereits
am Vormittag fort und suchte seinen Freund, Konsul Martens, in dessen
Bankgeschäft auf.

»Tue mir den Gefallen, Charles, und rufe die Direktion der Werft
an, wie es mit dem ›Friedrich Barbarossa‹ steht. Ich habe trotz
aller Bemühungen keinen genügenden Ersatz finden können und bin also
unbedingt auf den Dampfer angewiesen.«

»Lieber Freund,« zögerte Martens etwas, »ganz einfach ist die Sache
nicht. Ich muß dir bereits im voraus sagen, daß Smiders die fälligen
Raten nicht abgeführt hat und unsere Direktion sehr vorsichtig
geworden ist. Sie wartet jetzt ab, ob die Reederei neues Kapital
erhält. Der Überseer scheint ein sehr genau abwägender Kaufmann zu
sein und es ist deshalb augenblicklich eine unangenehme Stockung
eingetreten. Du kannst dich selbst davon überzeugen, -- ich komme
deinem Wunsch jetzt nach.«

Er nahm den Hörer vom Tischtelephon und ließ sich mit der Werft in
Verbindung bringen. Nachdem er das Gespräch einige Zeit geführt, rief
er Jürgen heran.

»Du kannst jetzt mit dem Direktor sprechen, er wird dir bestätigen,
was ich schon sagte.«

Jürgen Plüddekamp machte eine sehr ernste Miene, als er die Auskunft
von der Werft erhielt.

»Die Mitteilung deiner Direktion heißt auf Deutsch: wir stellen die
Arbeit an dem ›Friedrich Barbarossa‹ ein, wenn Smiders nicht zahlt!
Ist dies auch richtig gehandelt?«

»Sein Vertrag mit uns ist hinfällig geworden, Jürgen. Wir sind von
der Konventionalstrafe befreit. Nun wird er wohl bald andere Saiten
aufziehen müssen und sich beeilen, seine Sachen zu ordnen, wenn er
nicht in große Schwierigkeiten geraten will.«

Jürgen schüttelte mit dem Kopf.

»Ich muß immer wieder betonen, Charles: bleibt ihr dabei stehen, so
fällt die Firma um. Ich weiß aus anderer Quelle, welche hohen Summen
auf sie laufen.«

»Stimmt,« meinte der Bankier ruhig. »Smiders gibt sich alle Mühe,
seine Papiere von der Reichsbank fernzuhalten, damit die Höhe seiner
Verbindlichkeiten nicht genau beurteilt werden kann. Er sucht deshalb
in Berlin fragwürdige Diskontstellen auf.«

»Also Akzeptaustausch,« fiel Jürgen ein.

»Mag sein,« erwiderte Martens. »Ich kann es nicht bestimmt behaupten.«

»Smiders senior hat sein ganzes Vermögen im Geschäft stecken,« fuhr
Jürgen fort. »Ein braver alter Herr, mit dem mein Vater und ich lange
Zeit hindurch in angenehmer Verbindung standen. Wohin hat der Sohn die
Reederei nun gebracht!«

Martens zuckte mit den Achseln.

»Wer von alten bewährten Geschäftsgrundsätzen abgeht und schnell
groß werden will, begibt sich auf eine gefahrvolle Bahn. Glückt die
Spekulation, dann preist man den Unternehmer. Im anderen Fall ist er
abgetan.«

»Das hilft mir aber nicht, Charles! Ich muß wirklich sagen, ich komme
jetzt durch euch in eine häßliche Lage hinein.«

»Ich bin dir gern in allen Dingen gefällig, hier hat meine Macht ein
Ende. Ich will dir aber einen anderen Vorschlag machen. Du bist ein
reicher Mann: wie wäre es, wenn du Smiders unter die Arme griffest?
Ich würde mich dann ebenfalls dazu bereit erklären.«

»Alle Wetter!« fuhr Jürgen auf, »du bist ein weißer Rabe, Charles, der
bekanntlich als der Klügste unter den Klugen gilt. Nimm es mir nicht
übel, ich denke nicht daran, diesem Manne mein Geld zu geben.«

»Dann wirst du dich wohl gedulden müssen, was aus der Sache wird,«
bemerkte der Bankier.

»Wolf trifft heute mit Smiders zusammen, um zu erfahren, was dieser
zu tun gedenkt. Er beehrte uns in letzter Zeit schon ein paarmal
in unserer Häuslichkeit. Ich habe mich wegen Arbeit und Jagd
entschuldigen lassen und bin ferngeblieben.«

»Aha!« machte Martens. »Er ist ein lockerer Vogel und interessiert
sich wohl für Fräulein Hergenbach?«

In Jürgens Gesicht zog sich eine drohende Falte zusammen.

»Charles, sage mir kein Wort davon! Ich bin froh, daß Wolf in der
letzten Zeit ein anderes Gesicht zeigt. Er scheint die Krankheit
hinter sich zu haben. Übrigens wird Herta Sorge tragen, daß Ilse
Hergenbach mit Smiders nicht weiter in Berührung kommt.«

Konsul Martens machte eine ziemlich überlegene Miene.

»Du bist zwar das Oberhaupt der Familie, Jürgen, ob du aber in allem
unterrichtet sein kannst, erscheint mir fraglich.«

»Wieso, Charles?«

»Hast du die volle Überzeugung von deinem Bruder, daß er sich nicht
mehr um Ilse Hergenbach bekümmert?«

»Ja,« antwortete Jürgen mit Nachdruck. »Es steckt kein Falsch in Wolf.
Er ist ein offener, aufrichtiger Mensch.«

»Soll mich freuen, wenn du recht hast, Jürgen! Die Leidenschaft spielt
aber Männern manchmal arg mit, und namentlich bei einem so frischen
jungen Menschen, wie deinem Bruder. -- Doch dies nur nebenbei. -- Wie
steht es nun mit Smiders, bist du nicht bereit dazu?«

»Nein,« antwortete Jürgen kurz. »Für Alfred Smiders habe ich keinen
Groschen übrig. Ich muß mir auf andere Weise helfen.«

Jürgen ging. Konsul Martens schüttelte den Kopf.

»Wie sich doch zuweilen der tüchtigste Geschäftsmann verleiten läßt,
durch Antipathien einen falschen Entschluß zu fassen. Wir würden
zusammen das beste Geschäft machen, und Plüddekamp wäre aller Sorge
ledig. Der ›Friedrich Barbarossa‹ wird so gut wie ein neues Schiff,
darin liegt viel Aussicht.« --

»Es wäre das erstemal, daß unsere Firma eine Ladung nicht prompt
absenden würde,« sagte Jürgen mürrisch, als er in das Kontor
zurückkehrte. »Ich mußte aber das Vertrauen in die Reederei setzen.
Nun ist zum Überfluß noch durch den langandauernden Winter keine
Schaluppe zu bekommen.«

»Wir wollen uns doch mit den spanischen Brennereien einigen, Jürgen,«
warf Wolf ein. »Etwas anderes wird kaum übrig bleiben.«

»Du hast gut reden, Wolf!« erwiderte dieser. »Lies die letzten
Antworten. Sie bestehen unbedingt auf den festen Abmachungen.« Er
nahm auf seinem Schreibsessel Platz und legte die breite Hand auf die
hohe Stirn. Sein ganzes Denken drängte auf die eine Sache hin. »Ich
hab's!« rief er plötzlich aus. »Unser Vater stand vor langen Jahren
mit einigen spanischen Getreidefirmen in Verbindung. Es muß einer von
uns sofort dorthin fahren, die erste Lieferung Roggen aufkaufen und
mit der Bahn verfrachten. Alsdann werden die Brennereien wohl mit sich
reden lassen und wir gewinnen Zeit.«

Wolf sah seinen Bruder erstaunt an. War diese Lösung das Ergebnis
kurzen Nachdenkens, oder hatte sich Jürgen mit dem Gedanken schon
länger vertraut gemacht?

»So einfach ist es nicht,« erwiderte er dann. »Der Roggenbau Spaniens
ist nicht bedeutend. Die mit den dortigen Getreidefirmen gepflogenen
früheren Beziehungen sind eingeschlafen. Es wird schwer halten, deinen
Gedanken auszuführen, wenn es überhaupt möglich ist!«

»Möglich!« lachte Jürgen in seiner beliebten breiten Art. »Es ist
alles möglich, sobald man mit einer Brieftasche voller Banknoten
kommt, -- jedenfalls der einzige gescheite Gedanke. Ich bin überzeugt,
daß du die Sache glatt erledigen wirst.«

»Ich soll nach Spanien reisen!« sprang Wolf von seinem Sitz auf. »Ich
denke nicht daran, Jürgen.«

»Wieso?« fragte dieser verblüfft. »Du bist nun einmal der Minister des
Auswärtigen. Übrigens ist es nicht allein eine interessante Aufgabe,
sondern auch eine schöne Reise. Hierbei kannst du dein ganzes Können
zeigen. Es muß dir eine Freude sein, unserer Firma einen solchen
Dienst zu erweisen. Du hast Gewandtheit im Verkehr und sprichst gut
französisch, die Spanier werden es sicherlich ebenfalls verstehen.
Neben dem Geschäftlichen wirst du Vergnügen in Hülle und Fülle finden.
Also woran hapert es noch, Wölfchen?«

Dieser trat unruhig hin und her.

»Ich kann mich nicht dazu verstehen, Jürgen. Die Reise nimmt mehrere
Wochen in Anspruch. Die Sache ist von heute auf morgen nicht zu
erledigen.«

»Es schadet auch nichts! Wenn sie wirklich länger dauert! Ich gebe dir
volle Freiheit des Handelns, und nun sage -- ja!«

»Ich muß es dir leider abschlagen, Jürgen! Ich habe keine Lust dazu.«

»Keine Lust!« fuhr Jürgen auf. »Einen solchen Grund darf ein ernster
Geschäftsmann überhaupt nicht äußern.«

»Ich bitte dich, Jürgen, wir wollen das Thema fallen lassen! Es hat
keinen Zweck. Ich wiederhole dir nochmals, die Reise liegt mir nicht.
Ich kann sie also nicht unternehmen. Es ist richtiger, wir treiben
Smiders in die Enge und drohen ihm die Entziehung aller Frachten an,
wenn er nicht für den ›Friedrich Barbarossa‹ Ersatz schafft.«

»Donner und Doria!« fluchte Jürgen, »das hat doch gar keinen Zweck.
Smiders sitzt schon fest genug. Packen wir auch zu, dann fällt er
noch schneller als es so bereits kommen wird. Du willst heute mit ihm
in der ›Grünen Schanze‹ verhandeln. Glaubst du, daß noch etwas dabei
herauskommt? Er hält dich hin. Du mußt also fahren, Wolf! Es bleibt
gar keine andere Wahl.«

Wolf antwortete nicht, sondern zuckte mit den Achseln und schritt im
Kontor unruhig auf und ab.

»Herta sagte mir übrigens vor längerer Zeit, daß du eine Reise nach
dem Süden machen wollest,« begann Jürgen wieder.

»Ich habe kein Wort davon erwähnt,« erwiderte Wolf, »und weiß nicht,
wie Herta darauf kommt.«

Jürgen rief durchs Haustelephon Prokurist Armin herein und erklärte
ihm seine Absichten.

»In diesem Falle unbedingt das einzig Richtige,« bestätigte Armin,
»ich rate dringend dazu.«

»Du hörst es, Wölfchen,« sagte Jürgen, »Armin ist der gleichen Meinung
wie ich. Sehen Sie doch einmal nach, mit welchen Firmen wir seinerzeit
in Verbindung standen. Es mögen allerdings fünfzehn bis zwanzig Jahre
her sein,« wandte er sich an diesen.

Nachdem der Prokurist das Privatkontor verlassen hatte, stand Jürgen
auf und trat an seinen Bruder heran. Ihm die schwere Hand auf die
Schulter legend, bat er: »Sei gut, Wölfchen, und stimme zu. Du kannst
dabei Lieschen Wichers einen Herzenswunsch erfüllen, indem du ihr die
schönsten Ansichtskarten schickst.«

»Es geht auf keinen Fall, Jürgen,« lehnte dieser kurz ab.

»Dahinter steckt etwas,« wurde Jürgen nun ärgerlich, »gib mir
wenigstens rundheraus an, warum du nicht fahren willst.«

Wolf trat heftig mit dem Fuß auf.

»Ich bin dir darüber keine Rechenschaft schuldig! Meine Ablehnung ist
doch genug.«

»In diesem Falle nicht,« entgegnete Jürgen sehr ernsten Tones. »Es
handelt sich um derart wichtige Geschäftsinteressen, daß alle anderen
Sachen, die dir vielleicht vorschweben, dahinter zurücktreten müssen.«

»So -- -- müssen? Nein!« Es zuckte in Wolfs Zügen unruhig hin und her.
Er wollte etwas sagen und hielt es wieder zurück.

»Sprich dich endlich aus, Wolf,« wiederholte Jürgen, »wir sind doch
Brüder und werden wohl keine Geheimnisse voreinander haben.«

Wolf richtete sich auf und brachte abgerissen hervor:

»Natürlich mußt du es erfahren! Es war auch meine Absicht, aber Ilse
wollte nicht!«

»Wie -- was!« rief Jürgen heftig aus, »Fräulein Hergenbach hat doch
mit unserer Angelegenheit nichts zu tun?«

»Doch -- in diesem Falle wohl, Jürgen! Ich habe mich mit Ilse
Hergenbach verlobt --!«

Es war, als ob ein plötzlicher Blitz über Jürgens Gesicht fuhr. In
seinen Worten wetterleuchtete es weiter.

»Ich glaube -- ich höre nicht recht! Du hast dich mit Fräulein
Hergenbach verlobt -- und kein Wort mit Herta und mir vorher
gesprochen! Das ist doch unerhört! Bei der wichtigsten Frage des
Lebens geht man doch mit sich zu Rate, ehe man so töricht handelt!
Ilse Hergenbach? -- Nie und nimmer können wir das zugeben! Sie muß
sofort aus dem Hause.« Die Zornesader der Plüddekamps schwoll auf
seiner Stirn drohend an. Er hatte in letzter Zeit geglaubt, daß Wolf
zur Vernunft zurückgekehrt war, und nun sah er sich vor eine noch
schlimmere Tatsache gestellt. Es empörte ihn aufs äußerste.

Dieser war bei den Worten seines Bruders vor Aufregung bleich
geworden. Seine sonst so freundlich dreinblickenden Augen funkelten
zornig.

»Ihr wollt mir also das Recht nehmen, mein Glück zu suchen, wo es
mir gefällt! Ich soll nun einmal keinen eigenen Willen haben! Aber
ihr sollt sehen, Jürgen, daß ich ihn habe! -- Ich will gar nicht im
Plüddekampschen Hause bleiben. Ich gründe mir mein eigenes Heim und
lasse mir keine Vorschriften mehr machen.«

»Wolf! Wolf!« rief Jürgen warnend, »ist das der Dank, den du für mich
übrig hast? Kein Vater kann mehr gesorgt haben, wie ich es als Bruder
für dich tat, und nun kommst du mir mit einer solchen Torheit, mit
einem solchen kindischen Trotz! Ilse Hergenbach, -- ich könnte dir
etwas sagen, -- aber ich will es nicht! Verstehst du, -- ich will
es nicht und ich werde es nicht tun! Bei deiner Auffassung würdest
du mir sonst noch selbstsüchtige Gründe unterschieben. Ich sehe das
Unheil über dich hereinbrechen, wenn du an ihr festhältst! Sie ist
keine Mutter für unsere nächste Generation! Dazu gehört Biederkeit und
lautere Gesinnung, aber nicht verstecktes Wesen.«

»Genug, Jürgen!« trat ihm Wolf in voller Aufregung entgegen, »sage
kein Wort weiter! Ilse Hergenbach -- ist meine Braut und ich trenne
mich von euch, wenn ihr sie schmäht!«

Die beiden Brüder sahen sich lange und durchdringend an, dann ließ
Jürgen unwillig den hochgehobenen Arm sinken.

»Ich will dich wegen einer Frau nicht verlieren, und ich sehe, du bist
schon zu weit von uns abgeirrt, -- so magst du denn selbst über dein
Los entscheiden! Ich will es dir nicht verwehren!«

Man sah Jürgen an, wie schwer es ihm wurde, sich diese Worte
abzuringen.

»Ich werde dir nichts in den Weg legen, wenn du jetzt für unsere
Firma die Reise ausführst, die auch für dich von größter Tragweite
ist,« fuhr er fort. »Sie mag der Prüfstein für dich selbst sein. Bist
du nach deiner Rückkehr noch derselben Anschauung wie heute, dann
werde ich dich an deinem Vorhaben nicht mehr hindern. -- Natürlich
kann Fräulein Hergenbach unter diesen Umständen hier im Hause nicht
bleiben, sondern muß zu ihren Eltern nach Nordhausen zurückkehren.«

Wolf schaute prüfend seinen älteren Bruder an.

»Du willst wirklich nachgeben, Jürgen? Wirst du auch Herta dazu
bestimmen?«

»Zweifelst du an meinem Wort, Wolf?«

»Nein, Jürgen! Was du einmal gesagt hast, hältst du. Ich bin damit
einverstanden und will die Reise nach Spanien antreten. Du mußt mir
aber noch einen Gefallen erweisen. Ilse soll bis zu meiner Rückkehr
unter der Obhut von Herta bleiben, dann mag sie nach Nordhausen gehen,
und ich werde mir von ihren Eltern das Jawort holen.«

Die beiden Brüder sahen sich noch einmal ernst an. Dann streckte der
ältere dem jüngeren die Hand entgegen.

»Ich verspreche es dir, Wolf! Welche Folgen auch aus allem entstehen
mögen, wir wollen sie gemeinsam tragen, wie es einem Paar echter
Brüder geziemt!«




                                XVII.


Wolf traf seine Vorbereitungen zur Abreise. Die Geschwister hatten
vorher noch eine lange Unterredung. Herta wollte sich durchaus nicht
mit der Nachgiebigkeit Jürgens einverstanden erklären und blieb auch
taub gegen alle Vorstellungen des jüngeren Bruders.

»Es scheint mir, als ob ich Ilse nur hierhergeholt habe, um euch
Brüder zu verlieren, dich und Wolf!« sagte sie zu Jürgen.

Als sie dann das Unabänderliche vor sich sah, mußte sie unter dem
Zwang der Verhältnisse einlenken.

»Ich habe es ihr versprochen,« bat Wolf seine Schwester, »euch erst
später Kenntnis zu geben. Ich möchte nun nicht wortbrüchig erscheinen.
Darum bitte ich euch herzlich, schweigt davon und wacht über sie. Ich
werde der Firma gegenüber meine Pflicht redlich erfüllen.«

Ilse sollte also bleiben, ohne daß man sie merken ließ, ihre Verlobung
mit Wolf zu kennen.

Der Abschied von ihr wurde Wolf sehr schwer. Sie sprachen sich noch
einmal allein, und er schloß sie immer wieder in seine Arme.

»Die Zeit wird rasch verstreichen,« tröstete er sich selbst mit. Seine
Hand glitt über ihre Wangen und strich die üppig dunkelblonden Haare
von ihrer Stirn zurück, die leicht darüber hinwegfielen. »Ich werde
dir meiner Geschwister wegen nicht schreiben. Du erhältst aber meine
Grüße durch sie. Noch einen langen Blick von dir, Ilse --«

Sie legte ihre Arme auf seine Schulter, und ihre großen grauen Augen
weiteten sich übernatürlich auf, als sie ihn dann anschaute.

»Ich kann dich nicht von mir lassen, Wolf!« klagte sie. »Ein
unbestimmtes Angstgefühl ist in mir. Ich möchte lieber mit dir gehen!
Heute -- morgen -- kann es auf mich hereinstürmen, -- wie soll ich
dann allein Widerstand leisten! Es wäre viel besser, wenn wir gleich
zusammenreisten. Du willst mich doch zur Frau nehmen, Wolf! Was frage
ich viel nach der Welt, -- ich bleibe bei dir, -- wir kehren nicht
hierher zurück --«

»Nein, Ilse!« erwiderte er fest, »solche Gedanken dürfen wir nicht
fassen! Wenn ich meine Geschwister für dich gewinnen will, so muß
es auf dem Wege sein, den uns Sitten und Gebräuche vorschreiben.
Herta ist gütig, Jürgen -- ihr sprecht ja selten miteinander -- ist
ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle. Andere Menschen kannst du
meiden, was sollte dir also im Plüddekampschen Hause begegnen?«

Trotzdem vermochte sie nicht, sich von ihm zu trennen. Immer wieder
klammerte sie sich an ihn und bat:

»Laß doch alle denken, was sie wollen, und trenne uns nicht, Wolf! Es
ringt in den letzten Tagen und Wochen so unendlich viel in mir, das
mir jede ruhige Überlegung raubt. -- Wenn ich aus deinen Armen gleite,
so sehne ich mich in demselben Augenblick wieder hinein. Ein wildes
Verlangen tobt in mir, das ich kaum zu bezwingen vermag. -- Denke an
das Bild vom Ilsefluß, das ich dir beschrieb! So bin ich auch. -- Du
mußt mich festhalten -- damit ich mich nicht selbst fortreiße.«

Wolf versuchte sie zu beruhigen. Alles was sie sagte, erschien ihm
dunkel und verwirrt. Er verstand sie nicht und sagte sich immer nur
das eine, daß sie im Plüddekampschen Hause gut aufgehoben sei. Er
konnte sie unter keinem besseren Schutz als bei seinen Geschwistern
zurücklassen.

»Es muß sein, Ilse,« blieb er fest. »Sogleich nach meiner Rückkehr
gebe ich unsere Verlobung bekannt.« --

Als Wolf abreisen wollte, hielt schon in aller Frühe der Wagen des
Barons von Berleburg vor dem Plüddekampschen Hause. Dieser stieg
herunter, warf dem hinter ihm sitzenden Kutscher die Zügel zu und
hatte dann mit dem Prokuristen Armin ein kurzes, aber inhaltvolles
Gespräch.

»Besuchen Sie mich, Herr Armin, Sie werden selbst sehen --«
bekräftigte er seine Vorstellungen.

Der Prokurist unterbrach ihn mit feinem Lächeln:

»Gedulden Sie sich nur einen Augenblick, Herr Baron! Ich werde mit
Herrn Plüddekamp sprechen.«

Baron Berleburg hatte den günstigsten Tag erwischt, um sein Anliegen
erfüllt zu sehen.

Jürgen Plüddekamp befand sich noch mit seinem Bruder in einer
Unterredung und war über dessen klares Vorhaben sichtlich erfreut.

»Sobald es darauf ankommt, bist du der Mann auf dem richtigen Posten,
Wölfchen! Viel Glück auf die Reise und kehre frohen Sinnes wieder.«

Armin hatte noch einen Augenblick gewartet, nun trug er Berleburgs
Anliegen Jürgen vor. Dieser bestimmte kurz:

»Zahlen Sie Berleburg das Gewünschte aus!«

So kam es, daß der Baron von Berleburg wieder flott gemacht wurde. --
-- --

Eine eigene Stimmung zeigte sich im Plüddekampschen Hause. Jürgen
blieb schweigsam, kalt. Herta übte eine gewisse Zurückhaltung gegen
Ilse und beobachtete sie unwillkürlich mehr als vorher.

»Seitdem Wolf fort ist, zeigt Ilse stark wechselnde Stimmungen,« sagte
Herta eines Tages zu Jürgen. »Zuweilen stürzt sie sich auf die Arbeit,
und ich muß sie davon zurückhalten, daß sie sich nicht überanstrengt.
Dann wieder sitzt sie stundenlang im kleinen Salon und starrt die
Kunstblätter an. Sie erkennt aber nicht das Bild, sondern schaut nur
in das Leere hinein. -- Sollte sie Wolf so sehr lieben, daß sie die
Trennung nicht zu ertragen vermag?«

Jürgen schüttelte den Kopf.

»Nein, Herta! Du verstehst sie nicht, weil du ganz anders geartet bist
als die meisten deines Geschlechts. Bei dir weiß man sofort, woran man
ist. Aber Ilse Hergenbach, -- in der steckt etwas Vulkanisches! Es
wäre schlimm, käme es jetzt zum Ausbruch. Jedem Geschäftsbriefe Wolfs
liegt ein einfacher Zettel bei: ›Schreibt mir, wie es Ilse geht,‹ und
wohl oder übel muß ich ihm die Antwort darauf geben.«

»Der arme Junge, er ist blind wie die Motte ins Licht gerannt,« fiel
Herta ein. »Und doch, sobald ich Ilse seine Grüße bestelle, zeigt sich
etwas in ihren Zügen, das meine Ansicht wankend machen könnte. Es
zieht ein glücklicher Schimmer über sie hin, wie er nur bei tieferen
Naturen in Erscheinung tritt.«

»Ich sagte es dir bereits vor Monaten, Herta, -- Ilse ist ein echtes
Kind der Neuzeit, sie fühlt, denkt und handelt in anderer Weise als
wir.«

Ilse war von einer fortgesetzten Unruhe erfüllt. Befand sie sich
allein in ihrem Zimmer, so streckte sie die Arme weit aus und suchte
sich vorzustellen, daß Wolf jetzt hereintreten müßte und sie ihm
jubelnd an die Brust flog. Sie krankte an dieser Sehnsucht, und doch
kamen Augenblicke, in denen sie sich fragte, ob sie ihn wirklich
liebe. Dann hielt sie sich vor, daß Jürgen sie von sich gewiesen. Ein
glühender Haß gegen diesen Mann beseelte sie, und sie flog aus einer
Übertreibung in die andere. Bei jeder Begegnung mit ihm nahm sie sich
zusammen, um die äußere Form einzuhalten und ihn nicht sichtlich zu
verletzen. Sie wünschte aber nur, daß Wolf heimkehrte und sie an
seinem Arm dem Bruder gegenübertreten könnte. An diesem Schlag, den
sie zurückgab, wollte sie gesunden.

»Wolf, Wolf!« flüsterte sie vor sich hin.

Warum konnte sie ihn nicht so lieben, wie es das starke Gefühl in ihr
verlangte? -- Nun hatte er sie in Stunden gewaltiger Seelenqualen
allein gelassen, wo sie sonst zu ihm geflüchtet wäre. -- Es war eine
Leidenschaftlichkeit in ihrem Wesen entstanden, die sich nicht mehr
zügeln ließ, die allen Überlegungen Trotz bot.

Sie hielt es nicht länger in ihrem Zimmer aus, es trieb sie in eine
andere Umgebung, die durch neue Eindrücke ablenken und ihr Ruhe
gewähren sollte. --

In dem großen Garten hinter dem Speicher zeigten sich die ersten
Frühlingsblumen. Unter den heißen Strahlen der höherstehenden Sonne
kamen Krokusse, blaue Lederblumen und frühzeitige Hyazinthen hervor.
Ilse liebte den Duft der Hyazinthen und beugte sich tief herab, um ihn
voll einzusaugen. Als sie wieder aufsah, fiel ihr Blick auf Alfred
Smiders, der sie von der Straße her grüßte.

Sie neigte leicht den Kopf und wollte weiter in den Garten
hineinschreiten, er rief sie aber an.

»Fräulein Hergenbach! Nur auf ein Wort!«

Sie blieb stehen.

»Darf ich in den Garten eintreten? Die Pforte ist verschlossen. Oder
kommen Sie lieber einen Augenblick näher zu mir.«

Ein widerstrebendes Gefühl hielt sie noch zurück. Er ging aber nicht
fort, und schließlich überwand sie sich und schritt an den niedrigen
Zaun heran. Smiders streckte ihr die Hand entgegen, die sie nur leicht
berührte.

»Schade, daß ich Sie so selten sehen kann, Fräulein Hergenbach,« sagte
er und suchte sie dabei fest ins Auge zu fassen. »Ich möchte gern mit
Ihnen plaudern. Wenn ich aber Plüddekamps aufsuche, wie neulich, so
erscheinen Sie nicht.«

»Ich bin immer beschäftigt, Herr Smiders.«

»Die dumme Hauswirtschaft! Für ein schönes junges Mädchen wie Sie gibt
es doch interessantere Dinge, um sich das Leben reizvoll zu machen.«

Sein auf ihr ruhender Blick wurde immer dreister, und plötzlich trat
ein glühendes Rot in ihre Wangen.

»Wahrhaftig, ich bin ganz bezaubert von Ihnen, Fräulein Hergenbach!
Wie entzückend Sie mit den geröteten Wangen ausschauen.« Ilse wurde
immer unruhiger. »Ich möchte gern einmal mit Ihnen allein plaudern,«
flüsterte er, »gehen Sie gar nicht spazieren? Ich versuche schon
einige Zeit, Sie irgendwo zu treffen.«

Sie schwieg immer noch.

»Ich wollte meinen Freund Wolf danach ausfragen, aber ich hörte, er
ist auf längere Zeit verreist.«

Sie nickte nur mit dem Kopfe.

»Es stimmt also,« sprach er weiter. »Dann muß es doch schrecklich
langweilig für Sie im Plüddekampschen Hause sein. Jürgen und Herta
sind altbackene Menschen. Ich habe es Ihnen sofort angemerkt, daß
Sie sich nach einer anderen Unterhaltung sehnen. Sie wollen etwas
von dem lustigen Treiben in der Welt sehen und hören. Hier sitzen
Sie wie hinter Klostermauern. Springen Sie flott darüber hinweg!
Ich helfe Ihnen dabei. Geben Sie mir nur bald Gelegenheit, daß wir
zusammenkommen.«

Ilse schüttelte den Kopf.

»Ich bedaure, Herr Smiders. Wenn ich wohl nichts dabei finde,
Plüddekamps denken anders darüber. Ich bin auch mit Wolf nicht allein
ausgegangen.«

»Mit Wolf?« Ein zynisches Lächeln flog über seine scharfen Züge.
»Ah -- das Wölfchen ist nicht so dumm und hat bemerkt, welch
leidenschaftlich schöne Augen hier die beste Zeit vertrauern.«

»Herr Smiders, ich bitte! -- Brechen wir die Unterhaltung ab!« Sie
schickte sich an, fortzugehen.

»Auf Wiedersehen!« rief er ihr noch nach. »Ich treffe Sie bald wieder
und erzähle Ihnen dann recht Interessantes von Ihrem Freund Wolf!« Er
lüftete den Hut und ging weiter.

Unwillkürlich war Ilse Hergenbach einen Augenblick stehen geblieben
und sah Smiders verstohlen nach.

»Von Wolf?« wiederholte sie leise, »was will er damit sagen!« Sie
erregte sich über diese hingeworfenen Worte. Wenn Smiders sie jetzt
noch einmal gefragt hätte, ob er sie wiedersehen könne, würde sie
zugestimmt haben, nur um zu erfahren, was er von Wolf wußte. Sollte
dieser --? Nein! Es war unmöglich, -- Wolfs blaue Augen konnten nicht
lügen. Trotzdem saß der Stachel der gefallenen Worte in ihr fest. --

Von Wolf war in den letzten Tagen keine Nachricht eingetroffen.
Er reiste im Norden Spaniens umher. Jürgen erzählte, daß es
außerordentlich schwer hielt, die verlangten Lieferungen Roggen
aufzukaufen. --

Wie die Tage langweilig und öde dahinschlichen! Ilse überwand sich
nur mit aller Kraft, ihren Verpflichtungen im Haushalte nachzukommen.
Diese ewige Unruhe, dieses fortwährende Sehnen -- nichts konnte sie
befriedigen! Selbst die Briefe an ihre jüngere Schwester Helene, an
der sie am meisten hing, flossen ihr nicht aus der Feder, und sie
zerriß mit ihren schlanken Fingern das Papier in kleine Stücke.

»Ich vermag nichts zu erreichen und habe so viele Wünsche! Ich will
so vieles und darf nicht handeln!« rief es in ihr. »Es ist nicht mehr
auszuhalten! Immer nur in diesen düsteren hohen Räumen sein, in denen
alle Lebenslust erstirbt! Das altjüngferliche Wesen von Herta, der
überlegene Blick Jürgens, der mich streift, als wenn ich nichts wert
wäre. Ich kann es nicht länger ertragen! Ich bedarf einer Abwechslung!
Etwas, was mich aus diesem tötenden Einerlei herausreißt und mir
irgendeine Befriedigung gewährt. Wenn nur Wolf zurückkäme! Wie lange
läßt er mich allein, -- ich möchte ihm nachreisen! Könnte ich ihn
nur auffinden und mit ihm in die Welt hineintollen. Alles wäre mir
dann recht. -- Ich mag nicht hier bleiben, auch nicht nach Nordhausen
zurück, und weiß selbst nicht -- wonach ich mich sehne!«

Sie schrie laut vor sich hin: »Wolf! Wolf!« Dann glaubte sie das
höhnische Lächeln in den Zügen von Alfred Smiders zu sehen. Was tat
Wolf? Warum sagte es jener ihr nicht gleich? Es entstand ein heißer
Drang in ihr, dies unbedingt zu erkunden. --

Alfred Smiders war direkt nach seinem Kontor gegangen. Er fand dort
den Hamburger vor und staunte nicht wenig, diesen in den Schiffslisten
studieren zu sehen. »Mor'n Herr Kneis!« streckte er ihm die Hand
entgegen. »Ich glaubte Sie in Berlin. Sie wollten doch geschäftliche
Sachen dort erledigen.«

»Kam mir was anderes in den Sinn,« erwiderte der lange Hamburger. »Bin
heute morgen mit dem ersten Dampfer zum ›Friedrich Barbarossa‹ hinaus.
Das Schwimmdock steht noch hoch, müßte aber mit Wasserfüllung gesenkt
sein. Auf dem Dampfer selbst Totenstille, kein einziger Hammerschlag
zu hören. Auf dem Deck waren ein paar Männer. Der eine rief etwas
herunter, konnte es aber nicht verstehen.«

Die Züge des Reeders drückten in dem Augenblick eine unverkennbare
Verlegenheit aus. Er hatte nicht erwartet, daß Kneis gerade in diesen
Tagen zum ›Friedrich Barbarossa‹, den er schon vor längerer Zeit
besichtigt hatte, wieder hinausfahren würde. Sonst hätte er alles
getan, um dies zu verhindern. Der Hamburger durfte nicht dahinter
kommen, daß die Werft die Arbeit einstellte, weil die fälligen Raten
nicht abgeführt worden waren.

»Ich werde nachher die Direktion anrufen, Herr Kneis,« erwiderte er
dann. »Vielleicht streiken die Arbeiter und wollen Lohnerhöhung haben.
Wer kann immer wissen, was vorliegt. Übrigens -- mir kann's recht
sein! Die Konventionalstrafe entschädigt mich doppelt und dreifach.
Ich lasse mir keine grauen Haare darum wachsen!«

»So, so,« meinte Kneis. »Sie haben aber doch Ladeverpflichtungen! Der
Dampfer kann nicht rechtzeitig für Jürgen Plüddekamp auslaufen! Ich
bin vollständig unterrichtet, Herr Smiders.«

»Nun ja,« erwiderte dieser lässig, »mit dem Getreidehaus Jürgen
Plüddekamp werde ich schon fertig. Solche uralten Kunden nehmen
Rücksicht bei Zwischenfällen, wie sie alle Tage vorkommen können. --
Sie wollten doch heute in Berlin den Betrag für die vorläufige erste
Einzahlung erheben? Wir hatten es so besprochen.«

»Nein, nein,« wehrte der Hamburger ab, »wir waren noch nicht so weit.
Habe darum die Schiffslisten durchgesehen, ob Dampfer von Ihnen
eingelaufen sind. Kann mir keiner verdenken, wenn ich die Katze nicht
im Sack kaufen will.«

Unter den starken schwarzen Augenbrauen von Smiders schoß ein giftiger
Blick hervor. Von Tag zu Tag wurde er bereits hingehalten. Er hatte
eine vorläufige Einzahlung verlangt, um die Werft zu befriedigen.
Dies war in seiner Lage das Dringendste. -- Dann kam noch hinzu, daß
in einiger Zeit große Wechselsummen fällig wurden. Dazu brauchte er
auf jeden Fall weitere Beträge. -- Er mußte also, trotzdem der Ingrimm
in ihm saß, gute Miene zum bösen Spiel machen.

»Es war doch ein schöner Abend neulich,« klopfte er Kneis auf die
Schulter. »Hm -- was sagen Sie dazu? Kann man sich in Stettin nicht
gut amüsieren? Wir gehen bald wieder nach der ›Grünen Schanze‹.«

Der Überseer schmunzelte über das ganze Gesicht.

»Warum nicht! Denke aber, daß Sie jetzt genug Arbeit im Kontor haben.
Der Grundsatz aller Überseer ist das Richtige: dreimal Arbeit --
einmal Vergnügen! Man kommt dann vorwärts! Rate Ihnen auch zu dem
Muster, Herr Smiders.«

»Ich opferte manche Nachtruhe, Herr Kneis, wenn es darauf ankam, eilig
zu verfrachten. Ihr Grundsatz ist mir daher nicht neu. Übrigens, wenn
ich zu tun habe, können Sie doch allein nach der ›Grünen Schanze‹
gehen. Mit Karli und Riekchen unterhalten Sie sich famos.«

»Wie mir's gerade einfällt,« erwiderte dieser. »Wünschte, ich hätte
mehr zu tun, als nur Kurszettel zu studieren. Ist gar nicht angenehm,
auf der Bärenhaut zu liegen. Bin nicht abgeneigt, mitzuarbeiten.«

Smiders horchte auf. Diese Idee war das Schlimmste, was kommen
konnte. Er wollte nur das Geld von Kneis, dann konnte dieser ruhig
nach Hamburg abdampfen. Bei einem tätigen Teilhaber geriet er in
eine peinliche Lage. Es ging manches in seinem Geschäft vor, was er
zu verbergen hatte. Der Wechselaustausch, die Schulden bei der Werft
und vieles andere lief nicht durch die Bücher. Er hatte zu lauter
Verschleierungen gegriffen.

»Sie sagen nichts dazu, Herr Smiders,« stellte Kneis erneut seine
Anfrage. »Sollte meinen, Sie könnten einen tätigen Kompagnon
gebrauchen. Spielt sich alles dann viel rascher ab!«

Es brannte hinter Smiders Stirn, als wenn ihm glühendes Eisen
darangehalten würde. Er befand sich in einer derart zugespitzten Lage,
daß er sich kaum noch länger halten konnte, wenn nicht bares Geld in
die Reederei hineinkam. -- Auf der anderen Seite konnte er keinen
Teilhaber aufnehmen, der Einsicht in den Betrieb erhielt. Jedenfalls
jetzt noch nicht. Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf.

»Ich bin nicht abgeneigt, Herr Kneis, aber erst später! Sagen wir in
einem Jahre, -- nach Abschluß der nächsten Bilanz.«

»O, nein,« meinte der Hamburger, »wenn ich eintrete, dann gleich! Ich
brenne auf Arbeit. Es ist mir das Leben sonst zu langweilig. Habe auch
bereits mit Ihrem Vater gesprochen, der doch Mitinhaber ist, und sein
ganzes Geld bei Ihnen stehen hat. Ist sofort dazu bereit, hält's sogar
für außerordentlich notwendig. Fahre dann nach Berlin und hole Geld!«

Smiders war nahe daran, vor Wut laut zu fluchen. Jetzt hatte sich
Kneis hinter seinen Vater gesteckt. Der alte Mann lag im Lehnstuhl
und konnte sich kaum rühren. Er war aber immer noch geistig rege und
stellte zuweilen Fragen, deren Beantwortung in hohem Maße peinlich
wurde.

Dem Vater gegenüber hatte Smiders die schwere Lage der Reederei
fortgesetzt verhüllt, und doch mußte der alte Herr davon Wind bekommen
haben. Vor allen Dingen hieß es nun, den Hamburger noch hinzuhalten.
Erst mußten die Wechsel eingelöst sein, ehe dieser in das Geheimbuch
der Firma Einsicht nehmen konnte.

»Würde nicht zögern,« meinte der Hamburger und hielt ihm die Hand hin,
»ist dann gleich alles bis auf Einzelheiten im Vertrage abgemacht.«

Smiders kämpfte schwer mit sich. Sollte er? Sollte er nicht? Da er
doch nicht sofort einschlug, zog der Hamburger seine Hand zurück. Der
einzige Augenblick, der ihn noch retten konnte, war verpaßt.

»Sie haben Zeit zur Überlegung, Herr Smiders. Sprechen Sie mit Ihrem
Vater und folgen Sie seinem Rat. Ich kann warten!« Kneis nahm seinen
Hut, wünschte guten Morgen und ging hinaus.

Smiders sank auf seinen Schreibstuhl zurück. Seine Stirn zog sich in
tiefe Falten.

»Himmel und Hölle,« fluchte er vor sich hin, »als ob jetzt alles
versessen ist, mich in den Dreck hineinzurennen! Es gelingt mir nichts
mehr! Alles schlägt fehl -- so gut ich's auch eingefädelt hatte!
Dieser Protz von Überseer! Dieser ekelhafte Kerl! Seine Fratze täglich
vor mir sehen zu sollen! Das kann ich schon lange nicht. Es widert
mich an. Überhaupt -- alle meine Maßnahmen kritisieren zu lassen
-- alle meine feinen Mittelchen, mit denen ich so manches nebenbei
verdiene, fortzulassen -- fällt mir gar nicht ein. Das Geld mag er
einzahlen und dann weg mit ihm, so rasch als möglich! Ich habe es
gründlich satt, mit dem Kerl alle Tage schön zu tun.«

Er hatte sich in eine helle Wut hineingeredet. Aus einem Fach seines
Schreibtisches zog er ein langes schmales Buch hervor, in dem er seine
Privatnotizen zu machen pflegte. Er blätterte eine Weile darin herum
und schlug dann gewaltsam auf den Tisch.

»Bald kann ich nicht mehr! Was diese Werft von mir schluckt, ist
geradezu hundemiserabel! Das ganze Betriebskapital hat sie mir
weggeholt. Es läuft nun auf Wechsel. Ich kann hinkommen, wo ich
will, überall sieht man die Dinger mit Mißtrauen an. Ob ich Jürgen
Plüddekamp anpumpe? -- Das wäre noch ein Gedanke! Er könnte mir mit
einem Federstrich helfen. Teufel, wenn ich es nun dem Alten sage, der
holt das Geld leichter heraus! Sie hielten immer dicke Freundschaft
miteinander. Aber der drüben weiß ja von allem nichts. Ich muß bei ihm
zu Kreuze kriechen.«

Er nahm das Buch und warf es wieder ins Fach zurück, das er verschloß.
Dann stieß er zwischen den Zähnen einen langen Pfiff hervor, und auf
sein Gesicht trat plötzlich ein zynisches Lächeln.

»Bei den Frauen glückt es mir immer! Ich weiß nicht, was sie an mir
haben? Wenn es nur so im Geschäft ginge! Jetzt die Ilse Hergenbach, --
das ist mein Geschmack. Es schlummert noch viel in ihr, aber ich will
es wecken. Ja, mein Wölfchen, bis du zurückkommst, dauert es noch ein
Weilchen! Ich habe mich genau erkundigt. Ilse Hergenbach soll mir den
miserablen Ärger versüßen.« --




                                XVIII.


Die Verhältnisse bei Smiders & Sohn spitzten sich immer mehr zu.
Trotzdem fand der junge Reeder noch Zeit, auf Ilse Obacht zu geben.
Schon nach einigen Tagen sah er sie ausgehen. Sie wollte noch gegen
Abend einige Besorgungen erledigen und war auf dem Wege nach der
Breitenstraße, als Alfred Smiders aus einem Nebengäßchen auftauchte
und ihr plötzlich entgegentrat. Er führte diese Begegnung mit Absicht
herbei.

»Endlich habe ich das Glück, Sie zu treffen, Fräulein Hergenbach!« zog
er den Hut.

Sie verneigte sich nur wenig.

»Ich wartete jeden Tag auf Sie,« sagte er dann.

»Warum, Herr Smiders? Es ist doch zwecklos --« entgegnete sie hastig.

Als er sie aber nach diesen Worten scharf ansah, begann sie stark zu
erröten. Sie bemerkte es und war darüber auf sich selbst ärgerlich.
Warum geschah es gerade unter seinen Blicken? Ihre Pulse klopften
fühlbar, als er jetzt neben ihr herging, und doch vermochte sie seine
Begleitung nicht abzulehnen.

»Sie wollten von Wolf hören, Fräulein Hergenbach! Es hat Sie aus dem
alten Haus getrieben. Habe ich nicht recht?« fragte er überlegen.
»Ich weiß es auch ohne Ihre Antwort. Wolf genügt Ihnen nicht. Er lebt
in so törichter Abhängigkeit von seinen Geschwistern. Bei mir ist
es anders. Einer solchen Partnerin wie Sie böte ich jeden Reiz des
Lebens.«

Warum erzitterte nur Ilse Hergenbach unter diesen Worten? Das war es,
was in ihr gärte. Eingeengt in den alten Brauch des Plüddekampschen
Hauses, drängte alles in ihr gewaltsam nach Lebensgenuß. Alfred
Smiders durchschaute sie sofort, und sie fühlte dies Erkennen vom
ersten Augenblick an. Obwohl sie kein Interesse für ihn hatte, zwang
er sie doch in seinen Bann hinein. Und nun dieses direkte Hindeuten
auf Wolf! Was konnte er von ihm sagen! Wußte er um alles? Es quälte
sie seit Tagen, und sie wollte es heute bestimmt ergründen.

»Ich habe in diesem Laden etwas zu besorgen, Herr Smiders,« blieb sie
plötzlich stehen.

»Ich warte gern draußen, Fräulein Hergenbach,« erwiderte er
zuvorkommend, »denn mit hineinnehmen wollen Sie mich wohl nicht.«

»Nein,« erwiderte sie mit eigentümlichem Lächeln, »man denkt hier zu
kleinstädtisch!«

Sie trat in das Geschäft ein und kam nach kurzer Zeit mit den
eingekauften Sachen wieder heraus. »Ich gehe jetzt heim, Herr
Smiders,« sagte sie leichthin.

Er bemerkte sogleich, daß es ihr damit nicht ernst war, und faßte sie
scharf ins Auge.

»Ich möchte gern mit Ihnen eine Stunde zusammen sein, so viel Zeit
haben Sie, Fräulein Hergenbach.«

Sie suchte hastig nach Worten, durch die sie dies ablehnen konnte,
aber die Neugierde, über Wolf etwas zu erfahren, hielt sie davon
zurück.

»Sie müssen mir aber erzählen, was Sie von Wolf wissen, Herr Smiders,«
gab sie nun zur Antwort.

Dieser, der sie dabei beobachtete, frohlockte. Der abgesandte
Pfeil hatte getroffen. Ilse mußte an Wolf stark interessiert sein,
wahrscheinlich noch mehr -- die beiden hatten ein Liebesverhältnis
miteinander! Es war nach seiner Meinung leicht zu durchbrechen.

»Ich kann Ihnen viel von meinem Freunde Wolf erzählen. Wenn Sie
mir auf ein halbes Stündchen folgen, -- sollen Sie sogar -- seine
Liebesirrung kennen lernen --«

»Seine Liebesirrung, Herr Smiders? --« Ilses Herz zog sich krampfhaft
zusammen.

»Na und ob,« meinte Smiders höhnisch. »Ist ein hübsches junges
Mädchen. Natürlich nichts Besonderes! Aber Herr Jürgen und Fräulein
Herta würden sich wundern, wenn sie wüßten, in wessen Armen Wölfchen
seine freien Stunden verbringt.«

Ilse zitterte am ganzen Körper vor Wut. Wolf Plüddekamp hatte ein
Verhältnis. Die Frau in ihr war tief beleidigt.

»Aha!« dachte Smiders, der den Seelenzustand in ihrem Gesicht las,
»Wölfchen scheint recht weit mit ihr zu sein. Die Sache ist nicht so
schwierig, wie sie aussah. -- Kommen Sie, Fräulein Ilse,« er nahm
einfach ihren Arm, »das blonde Riekchen haust ganz in der Nähe. Wir
trinken dort eine Flasche Wein zusammen.«

Ilse zog den Arm rasch zurück. Einen Augenblick wollte es in ihr
über diese Zumutung zornig aufwallen. Noch stärker wirkte aber die
angetane Kränkung. Jürgen Plüddekamp hatte ihre Liebe verschmäht. Wolf
Plüddekamp, der sie zur Frau verlangte -- betrog sie mit einer andern!
Der Ingrimm packte sie mit voller Gewalt.

»Nun?« fragte der Reeder, »ist die Kenntnis nicht wertvoll für Sie?«
Er zog abermals ihren Arm unter den seinen, und jetzt ging sie mit.

Es waren nur wenige Schritte bis zur ›Grünen Schanze.‹ Es schauderte
ihr kalt über den Rücken, als sie mit Alfred Smiders den dunklen
Hausflur durchschritt und in den Hof kam. Wohin führte er sie? -- Eine
innere Stimme rief: »Zurück! Zurück!« Ihr Fuß ging aber vorwärts.
Smiders riß die Tür auf, und sie traten in das alte räucherige Zimmer
ein. Von dem Sofa erhob sich gähnend eine weibliche Person.

»Ach -- Sie sind's, Herr Smiders!« sagte diese. Es war das blonde
Riekchen. »Karli hat heute ihren Ausgehtag -- der Hamburger sitzt
vorn. Ist der schöne Wolf noch nicht zurück?« Sie brachte alles in
einem Atem vor.

Smiders ließ Ilse stehen und flüsterte Riekchen rasch einige Worte zu.

»Ah -- so,« meinte die dralle Person darauf, »wird bestens besorgt.«
Sie sah dann neugierig auf die junge Dame, die unbeweglich inmitten
des Raumes stand.

»Der Hamburger braucht nicht zu wissen, daß ich hier bin, Rieke!« Der
Reeder wiederholte dies anscheinend laut.

»Schon gut, Herr Smiders.«

Riekchen drehte das Gas mehr auf, es wurde heller. Smiders schritt auf
Ilse zu, nahm ihren Mantel ab und führte sie mit überlegenem Lächeln
zum Sofa.

»Dort setze ich mich nicht, Herr Smiders,« ihre tiefe Stimme hatte
einen unsicheren Klang, »ich werde diesen Stuhl nehmen.«

Die blonde Rieke ging hinaus, um Sekt zu holen.

»Also das ist das Mädchen, mit dem Wolf Plüddekamp ein Verhältnis
hat?« brachte Ilse mühsam hervor.

»Ja, -- meine schöne Ilse, -- das ist das Mädchen! Eine nette
Weinkellnerin, wie?«

Ilse war leichenblaß geworden.

»Was halten Sie nun von Wölfchen? Lockrer Zeisig -- he? Und Sie,
schöne Ilse? Sie haben doch geglaubt, ihn ganz allein zu besitzen!«

»Herr Smiders,« rang es sich von ihren Lippen, »Sie sind brutal mit
mir, -- Wolf ist mein Verlobter.«

»Na, -- so im geheimen, -- damit meint er's nicht so genau! Sie
gehören doch zu den Modernen! Hab es gleich gewußt. Die kennen keine
Engherzigkeit. Ärgern -- Unsinn, schöne Ilse! Wir trinken jetzt ein
Glas Champagner zusammen.«

Die blonde Rieke trat ein und brachte Sekt. Smiders schenkte einige
Gläser ein, dann reichte er Ilse und der Kellnerin davon hin.

»Auf Schönheit und Leidenschaft -- Prost!«

Ilse hielt krampfhaft das Glas in der Hand. Ihre Augen hatten einen
wilden Ausdruck angenommen, -- die Wangen brannten ihr wie Feuer, --
seine Blicke ließen nicht von ihr ab. Zwar noch widerstrebend, dann
aber von einem plötzlichen Entschluß erfaßt, stieß sie mit ihm an. Die
blonde Rieke hob ebenfalls das Sektglas gegen Ilse. Sofort setzte
diese das ihre nieder.

»Sie kennen Wolf Plüddekamp?« rief sie aus.

»Ja,« meinte Rieke ganz verwundert. »Natürlich kenne ich ihn. Ein
bildschöner Herr! Er ist schon oft hier gewesen.«

»Und Sie, -- Sie lieben Wolf Plüddekamp?«

»Lieben?« meinte die blonde Rieke ironisch. »Bei unserem Handwerk muß
man ein weites Herz haben. Freilich, -- ihn kann man schon lieben.«

Ilse Hergenbach war innerlich wütend. Sie goß das volle Glas
Champagner auf einmal hinunter, und Smiders schenkte ihr rasch wieder
ein. Es war rein zum Tollwerden! Wolf -- und diese Person, die für
jeden Gast das gleiche Entgegenkommen übrig hatte. Alle Leidenschaft
wallte auf einmal in ihr empor. Sie hätte rasen können vor Zorn. War
sie so wenig wert, galt sie nur etwas für männliche Launen? Woran
sollte sie noch glauben, sich anklammern? Der feste Boden schwand
unter ihr. Die Liebe war in ihr niedergerungen, der Haß entstanden --
Manneswort -- leerer Schall. Ihre ganze Natur bäumte sich wild auf,
-- dann lieber toll genießen, -- alles in die Schanze schlagen! Kein
Heute -- kein Morgen! Mehr war das Leben nicht wert. Sie goß ein Glas
Champagner nach dem anderen hinunter. Schon begannen sich ihre Sinne
vollständig zu verwirren. Alfred Smiders schaute immer begehrlicher
auf sie hin. Jetzt konnte sie ihm nicht mehr entrinnen.

Ilse sah den Kopf der blonden Rieke nur noch wie im Nebel, sie hörte
nicht, wie Smiders dieser sagte, sie allein zu lassen.

»Halt Karli zurück, wenn sie kommen sollte,« flüsterte er. »Steck sie
zu Kneis -- das ist notwendig. -- Diese da,« er deutete rückwärts
auf Ilse, »spioniert bloß! Sie lernt bei Plüddekamps die Wirtschaft,
-- will dir meinen Freund Wolf wegkapern. Ich leid's aber nicht --
deinetwegen, Riekchen!«

»Wolf laß ich mir nicht nehmen,« ereiferte sich diese. »Nach einem
Reichen angeln sie alle, -- aber daraus wird nichts!«

Smiders gab ihr einen Wink, vorsichtig zu sein.

»Ich gehe schon --«

Er schenkte Ilse Hergenbach immer von neuem ein. Sie konnte schon
keinen klaren Gedanken mehr fassen. Plötzlich fuhr sie aus ihrer
wilden Träumerei auf. »Ich muß nach Hause, -- Tante Herta --«

»Sie haben Zeit,« beruhigte er sie, »es ist noch lange keine Stunde
um.«

»Wolf! Wolf!« schrie sie plötzlich auf.

»Lassen Sie ihn laufen,« flüsterte Smiders, sich Ilse mehr und mehr
nähernd. »Ich will Ihnen ein glänzendes Leben bieten. Ich liebe Sie
verzehrend -- Ilse.«

»Nein, nein,« wehrte sie ihn mechanisch ab.

Die großen grauen Augen starrten wie geistesabwesend vor sich hin.
Ihre Lippen zuckten, -- ihre Züge nahmen einen verzerrten Ausdruck an.
Sie suchte nach Worten:

»Leben -- ist alles, was bleibt -- leben -- nicht tot sein --«

Die ungeheure seelische Erregung -- der hastig genossene Champagner
ließen sie wie betäubt zurücksinken. --

Die Tür von der vorderen Weinstube wurde aufgerissen. Karli stand
plötzlich mitten im Zimmer.

»Du bist hier!« schrie sie Smiders an, »wen hast du da mitgebracht!
Das ist arg! Du willst mir vorreden, -- na warte, -- das sollst du mir
büßen!« -- Sie warf die Verbindungstür schmetternd zu.

Ilse erhob sich taumelnd. Sie war leichenblaß. Wo war sie hingeraten?
Der Gedankengang setzte wieder bei ihr ein.

»Ich will fort -- fort!« rief sie aus.

In diesem Augenblick stand sie schon an der Tür.

»Ilse!« Er wollte sie zurückhalten. Sie war aber hinausgeeilt. Die
blonde Rieke kam jetzt, und Smiders bezahlte.

»Rede Karli ins Gewissen,« raunte er ihr hastig zu, »daß sie bei
dem Hamburger keine Dummheiten macht. Warum hast du sie auch
hereingelassen?«

»Ich konnte sie nicht zurückhalten, Herr Smiders. Sie hatte Wind
bekommen, daß Sie da sind. Sie durften das Fräulein nicht hierher
mitnehmen! Das war nicht schön von Ihnen.«

»Ach was, dummes Mädel! Kümmere dich nicht um meine Sachen! Ich setze
keinen Schritt mehr in die Bude, wenn Karli nicht vernünftig ist. Sage
ihr das!« Es drängte Smiders hinaus, um Ilse Hergenbach nachzueilen.
-- -- --

Diese stürmte durch die Straßen vorwärts. In wilder Hast bog sie in
Nebengassen ab, um den Weg nach dem Plüddekampschen Hause abzukürzen.
Ein kalter Regen, der niederging, schlug ihr ins Gesicht, durchnäßte
ihre Kleider und Haare und kühlte die brennende Stirn. Wenn ihr nur
niemand im Hause begegnete, ehe sie das Zimmer erreichte! Es wäre ihr
unmöglich gewesen, Worte zu wechseln oder einen forschenden Blick zu
ertragen.

Sie flog die Stufen der großen Treppe hinauf und wollte sofort weiter
zum zweiten Stockwerk, als Herta auf den Korridor trat.

Ilse erschrak heftig. Ihr Fuß zögerte, ihr Atem stockte.

»Ich wartete auf dich, Ilse! Du bist lange fortgeblieben.«

»Entschuldige, Tante Herta! Ich bin vollständig durchnäßt!«

Bei diesen Worten eilte sie bereits weiter. Trotz des Halbdunkels, das
im Korridor herrschte, hatte Herta mit einem Blick die verstörten Züge
Ilses gesehen.

»Sie ist doch ein merkwürdiges Geschöpf,« schoß es ihr durch den Sinn.
»Von einem Regenschauer sieht man doch nicht so verstört aus.«

Ilse war inzwischen auf dem Zimmer angelangt. Sie riß den Hut vom
Kopfe und warf sich schluchzend auf ihr Lager hin. Die Gedanken rasten
noch in ihr. Unaufhaltsam erschienen wirre Bilder vor ihren Augen.
Das ganze Nervensystem schien aufs äußerste erschüttert zu sein. Sie
vermochte sich keine klare Rechenschaft über die letzten Stunden zu
geben. Ein unbeschreibliches Angstgefühl trieb sie wieder empor und
ließ sie das elektrische Licht aufdrehen.

Nur erst wieder einen einzigen vernünftigen Gedanken fassen, --
richtig überlegen können, was sie tun mußte, um aus den Irrungen
herauszukommen.

Wolf hatte sie betrogen, -- ein neuer Tränenstrom brach aus ihren
Augen hervor.

»Alles in der Welt ist Lüge, erbärmliche Lüge!« rief es verzweifelt
in ihr. »Ich selbst -- bin die Lüge und Alfred Smiders verfallen. Ich
kann hier nicht bleiben, bis Wolf zurückkehrt! Ich kann auch nicht
nach Nordhausen zurück!« --

Die Kleidung wurde ihr über der Brust zu eng. Sie riß mit beiden
Händen das Mieder auf, um leichter zu atmen.

Wenn nur diese entsetzlich quälenden Gedanken erst nachließen! Zum
ersten Male sah sie in das Leben hinein. Wie hatte sie sich nach
seinen Freuden gesehnt! Und nun empfand sie anstatt des erhofften
Glücksgefühls -- eine gänzliche Vernichtung ihrer selbst.

Ein paarmal raste sie durch das Zimmer. Dann warf sie sich wieder hin
und schluchzte wild auf.

Fort von hier, fort! Damit sie die prüfenden Blicke im Hause nicht
zu ertragen brauchte! Ihr Kopf schmerzte entsetzlich. Ein Schwindel
ergriff sie. --

Es klopfte an der Tür. Das Mädchen öffnete und fragte, ob Fräulein
Hergenbach nicht zum Abendbrot kommen wolle. Sie antwortete hastig:

»Ich leide an starkem Kopfweh. Entschuldigen Sie mich bitte!«

Die Tür schloß sich wieder, und Ilse Hergenbach war mit sich und ihren
wilden Gedanken allein.




                                 XIX.


Es waren unangenehme Nachrichten eingegangen. Die Reederei befand
sich in einer gefahrdrohenden Lage. Trotz der klugen Machenschaften
von Alfred Smiders war eine Anzahl Papiere, die er in Akzeptaustausch
nach Berlin gegeben hatte, auf der Reichsbank zusammengekommen. Ein
Bankhaus, mit dem er noch nicht lange verkehrte, ersuchte plötzlich
um genaue Auskunft über die hereingegebenen Wechsel und wollte sofort
jeden weiteren Verkehr abbrechen, wenn kein genügender Ausweis
vorhanden war. Was sollte er tun? Gestern abend kehrte er noch in der
rosigsten Laune heim. Er fühlte etwas von einem verteufelten Kerl in
sich, dem alles gelingen mußte. Und nun?

»Verdammt! Immer nur die Frauen!« zischte er zwischen den Zähnen
hervor, als er den Brief von der Bank wütend auf den Schreibtisch
warf. »Im Geschäft wird es täglich toller! Es darf aber nicht
zusammenbrechen. Ich bin gezwungen, heute mit dem Hamburger fertig zu
werden. Nur eine große Barsumme, mit der ich alles glatt machen kann,
bringt mich wieder in das richtige Fahrwasser hinein.«

Er stützte sein Haupt schwer auf und sann einige Augenblicke nach.

»Es bleibt mir kein anderer Weg, ich muß zu dem Alten hinüberlaufen
und ihm die Sache langsam beibringen.«

Trotz der frühen Stunde ging er sofort zu seinem Vater. Smiders senior
bewohnte einen Teil des Parterres. Der alte, vollständig gelähmte
Herr lag auf dem Krankenstuhl und ließ sich vom Diener das Frühstück
reichen. Alfred Smiders trat mit lächelnder Miene an ihn heran.

»Guten Morgen, Papa! Schon auf? Es geht dir heute wohl gut?«

»Nicht besser und schlechter als jeden anderen Tag, mein Sohn. Nur die
Untätigkeit, zu der ich verdammt bin, ist mir schrecklich.« Der Diener
verließ inzwischen das Zimmer. »Ich sehe dich wenig, -- du bist mit
Arbeit überhäuft. Könnte ich dir doch helfen!«

»Leider läßt sich daran nichts ändern, Papa. Ich komme wegen Herrn
Kneis. Er war bei dir und hat mit dir gesprochen.«

»Ja, ja,« nickte der alte Smiders mit dem Kopfe. »Ein tüchtiger Mann!
Du kannst keinen besseren Teilhaber erlangen, als diesen gewiegten
Überseer. Er besitzt bedeutende geschäftliche Kenntnisse und großes
Vermögen. Ich bin dafür, wir nehmen ihn als tätigen Kompagnon auf. Du
wirst dann entlastet, und wir erhalten noch viele neue Verbindungen.«

»Das ist alles gut und schön, Papa! Ich bin der Sache auch nicht
abgeneigt, obwohl es wenig angenehm ist, bei jeder größeren
geschäftlichen Verfügung erst eine Rücksprache nehmen zu müssen. Das
Ding hat aber noch einen Haken.«

»Wieso?« fragte der alte Herr.

»Na, -- du weißt doch, Papa! Die alten Kasten wollten nicht mehr
ziehen. Wir sind immerhin ziemliche Verbindlichkeiten bei der
Schiffswerft eingegangen, um unseren Dampferbestand zu erneuern.
Die Rechnungen laufen noch ein, und die Ratenzahlungen folgen dicht
aufeinander. Ich möchte nicht, daß Kneis darin Einblick bekommt. Er
gewinnt dann sofort Oberwasser bei uns.«

Der alte Smiders sah mit den matten Augen erschrocken zu seinem Sohne
auf.

»In dieser Form hast du es mir noch nie gesagt, Alfred. Bisher war
deine Ansicht stets, mit unseren Mitteln alles glatt bestreiten zu
können. Nun geht es auf einmal nicht mehr! -- Ich habe dir doch
deswegen mein ganzes Barvermögen gegeben, das ich noch besaß. Wir
stehen jetzt also vor neuem Bedarf, den du nicht decken kannst. Sage
es nur gerade heraus! Wir müssen dann Kredit bei unserer Bank nehmen.
Bei dem langen Verkehr mit uns wird sie ihn sicherlich einräumen.«

Alfred Smiders kam bei diesen Worten in eine höchst unangenehme Lage.
Er überlegte schnell, wie weit er seinen Vater über den schlechten
Geldstand der Firma einweihen sollte.

»Ich möchte es nicht, Papa! Sobald man erst bei den Banken Kredit
braucht, ziehen sie gleich die Bedingungen an. Bei unseren großen
Umsätzen kostet dies viel Zinsen und Provisionen. Offen gestanden, --
ich will nicht in diese Abhängigkeit geraten.«

»Es ist schon richtig,« fiel sein Vater ein. »Aber was dann? Der
›Friedrich Barbarossa‹ muß bald aus dem Dock heraus sein. Geh doch zu
Jürgen Plüddekamp. Er wird dir gewiß helfen und eine größere Summe
über das Konto vorweg geben.«

Alfred Smiders pfiff leise durch die Zähne.

»Ich stehe mit Jürgen nicht sehr gut, und Wolf ist auf längere Zeit
verreist. Am besten wäre es, du sprächst selbst mit ihm, Papa.
Dir schlägt er es sicherlich nicht ab, und zwar muß es noch heute
geschehen. Wir nehmen dann Kneis sofort herein, und alles ist wieder
in bester Ordnung.«

»Alfred! Wie soll ich zu Jürgen Plüddekamp hinkommen? Ich fühle mich
viel zu schwach dazu.«

»Nein, nein, Papa! Es ist unbedingt notwendig, daß du es tust. Ich
werde dich gleich telephonisch anmelden, und du läßt dich in deinem
Wagen hinfahren.«

»Ja, wenn es sein muß!« stöhnte der alte Smiders leise auf. »Ich mache
es deinetwegen, mein Sohn. Meine Lebenstage sind doch gezählt.«

Der junge Smiders reichte seinem Vater mit freundlichem Drucke die
Hand.

»Gut, Papa! Wir sind jetzt vollkommen einig. Ich rufe dir deinen
Diener und gehe gleich nach dem Kontor hinüber.«

Er befand sich wieder in bester Laune. Ein Stein war ihm vom Herzen
gefallen. So mußte es gehen. Nun schwamm er wieder oben. --

Jürgen Plüddekamp erstaunte nicht wenig, als ihm telephonisch gemeldet
wurde, daß der alte gelähmte Herr Smiders ihn aufsuchen würde. Eine
Stunde darauf brachte der Diener diesen bereits angefahren. Mit
einigen Umständen wurde der Wagen bis an das Privatkontor von Jürgen
Plüddekamp gebracht. Der alte Mann kam schon in einem ziemlich
erschöpften Zustande an, und Jürgen suchte ihm die Aussprache in jeder
Weise zu erleichtern.

Er ließ sofort ein stärkendes Glas Wein für ihn holen und fragte dann
teilnehmend, wie sein Befinden wäre. Da er ihn lange nicht gesehen
habe, freue er sich, daß es ihm anscheinend gut ginge.

»-- und nun -- was führt Sie zu mir, Herr Smiders?«

»Lieber Herr Plüddekamp,« begann dieser. »Ich komme heute als alter
Freund Ihrer Firma zu Ihnen, dem schon Ihr Herr Vater volles Vertrauen
schenkte. Es handelt sich um einen Vorschlag. Die Erweiterung unserer
Dampferlinien, um der wachsenden Konkurrenz zu begegnen, stellte große
Anforderungen an die Reederei. Wir haben uns deshalb entschlossen,
einen tätigen Teilhaber mit größerem Kapital hereinzunehmen. Es ist
Herr Kneis aus Hamburg. Vorher aber möchte Alfred vollständig reinen
Tisch haben. Wir wollen uns nicht der Bank in die Hand geben, und ich
bitte Sie, uns dabei entgegenzukommen. Die Summe für den gecharterten
›Friedrich Barbarossa‹ ist allerdings erst später zu zahlen. Es wird
Ihnen nichts ausmachen, uns diese -- natürlich mit Abzug eines Skontos
-- schon jetzt zu überweisen. Sie werden uns zu gleichen Diensten
stets bereit finden.«

Jürgen war dieses Ansinnen sehr peinlich. Der alte gebrechliche Herr
tat ihm außerordentlich leid. Sollte er ihm die bittere Wahrheit ins
Gesicht sagen?

Herr Smiders senior sah ihn fragend an. Warum erfolgte nicht gleich
die Antwort? Es war doch nur eine kleine Gefälligkeit, um die er die
reiche Firma anging.

»So leid es mir tut, Herr Smiders, und so gern ich Ihnen gefällig sein
möchte, -- in diesem Falle geht es nicht,« brachte Jürgen leicht
stockend hervor. »Die Fracht für den ›Friedrich Barbarossa‹ hängt
vollständig in der Luft, und unser Vertrag ist hinfällig. Der Dampfer
liegt noch im Dock, und es ist nicht abzusehen, wann er auslaufen
kann. Ich hörte, die Werft hat die Arbeit eingestellt!«

»Die Werft hat die Arbeit eingestellt, Herr Plüddekamp! Großer Gott,
davon weiß ich gar nichts!« erwiderte der alte Smiders zitternd. »Ich
glaubte, der Dampfer sei zum Auslaufen bereit. Darauf begründete sich
mein Plan. Nun tut es mir leid, daß ich Sie behelligt habe. -- Ich muß
sofort mit Alfred sprechen. Ich verstehe alles nicht mehr -- ich bin
-- ganz verstört darüber.«

Jürgen Plüddekamp sah ihn mit bedauernden Blicken an. Er hätte ihm
wohl noch manches sagen können, wovon er nichts wußte. Aber dazu
lag kein Grund vor, und er wollte dem alten Herrn nicht die letzten
Lebenstage verbittern. --

Smiders senior fuhr unverrichteter Sache ab. Gleich darauf rief Jürgen
den Prokuristen Armin herein und teilte ihm alles mit.

»Was sagen Sie dazu, Armin? Ich habe das Gefühl, daß Smiders & Sohn
vor dem gänzlichen Zusammenbruch stehen. Ein wahres Glück, daß wir
Wolf nach Spanien sandten. Hoffentlich erhalten wir recht bald gute
Nachrichten von ihm. Unsere sonstigen Beziehungen zu der Reederei sind
doch vollständig geregelt, so daß wir mit ihr in gar keiner Berührung
mehr stehen.«

»Es liegen noch ein paar kleinere Frachten vor, Plüddekamp,« erwiderte
Armin, »aber diese machen uns keine Umstände. Ich kann sie auch einer
anderen Reederei überschreiben.«

»Tun Sie das, Armin! Es ist besser, wir brechen alle Verbindungen mit
der Firma ab.« -- -- --

Alfred Smiders saß an seinem Schreibtisch. Er hatte einen weißen
Bogen vor sich hingelegt und rechnete. Nach einer Weile nickte er
befriedigt. So mußte es gehen! Ein Angestellter brachte ihm die
Mittagspost herein. Bei flüchtigem Durchsehen erkannte er auf einem
Kuvert die Handschrift von Kneis. Sofort riß er dies zuerst auf und
überflog hastig die darin enthaltenen Zeilen. Ein wilder Ausruf
entfuhr seinem Munde. Er schlug mit beiden Händen auf den Tisch und
wurde dann fahlbleich.

»Es ist ja nicht möglich!« rief er laut aus. »Was ist in den Mann
gefahren! So lasse ich mich nicht abspeisen! -- Bis zum Abgang des
Schnellzuges nach Hamburg ist noch eine Stunde. -- Er darf nicht
fahren!« Und schon hatte er seinen Hut ergriffen und eilte fort. --

Inzwischen kehrte der Wagen mit dem gelähmten alten Smiders zurück. Er
ließ seinen Sohn sofort zu sich bitten und erhielt zur Antwort, daß
dieser ausgegangen sei. Nach einer halben Stunde kam Alfred Smiders
jedoch zurück. Sein sonst elastischer Gang war unsicher, seine Züge
gefurcht, als ob er um Jahre gealtert sei. Er suchte sofort seinen
Vater auf und war völlig niedergeschmettert, als er die Ablehnung von
Jürgen Plüddekamp erfuhr.

»Was nun?« rief es in ihm.

»Sprich sofort mit Herrn Kneis!« sagte ihm der Vater. »Du mußt mit
ihm einig werden! Es ist der einzige Ausweg! Geh, mein Sohn, versäume
keine Zeit.«

Alfred Smiders wankte nach seinem Kontor hinaus. Er konnte seinem
Vater nicht sagen, daß bei dem Hamburger alles verloren sei. Mit der
gewohnten Ruhe hatte ihm der Überseer ins Gesicht gesagt, daß er
dafür danke, mit der Firma Smiders & Sohn in irgendeine Verbindung
zu treten. Als Alfred Smiders nach der Ursache seines plötzlichen
Verhaltens forschte, erwiderte er kaltlächelnd:

»Fragen Sie die schwarze Karli in der ›Grünen Schanze‹, die Sie mir
so warm empfohlen haben, warum ich mit Ihnen nichts mehr zu tun
haben will.« Damit verbeugte er sich kurz, und Alfred Smiders war
abgewiesen.

Die letzte Hoffnung hatte er noch auf die Unterredung seines Vaters
mit Jürgen Plüddekamp gesetzt. Auch diese schlug fehl.

Wohin er auch blickte, kein Ausweg mehr. Alle Fäden, die er gehalten,
waren abgeschnitten. Schon in den nächsten Tagen mußte die Firma
zusammenbrechen. Einen Konkurs konnte er nicht machen. Seine Bücher
waren nicht in Ordnung. Er hatte eine Anzahl Posten nicht buchen
lassen. Der ganze Akzeptaustausch, durch den er sich Geld verschaffte,
stand nur auf einem Blatt Papier verzeichnet. Er wußte genau, der
Staatsanwalt würde sich mit ihm befassen. Das verzweifelte Spiel, das
er aus wilder Sucht nach Reichtum begonnen, war verloren! Er wollte
noch so viel als möglich zusammenraffen und damit fliehen. Weiter
blieb ihm nichts übrig. -- Einen Augenblick dachte er an seinen alten
Vater, er schüttelte aber den Gedanken mit aller Kraft wieder von
sich ab. Mochten sich andere seiner annehmen, er wollte den Sturz
nicht erleben. Es war nicht hohe -- nein, es war die höchste Zeit, daß
er fortging. -- Es ergriff ihn eine Wut auf die schwarze Karli, die
ihn an den Hamburger verriet. Warum vertraute er sich ihr auch an!
Er suchte bei diesen Gedanken nach dem Grunde, und die Gestalt Ilse
Hergenbachs trat plötzlich vor ihn hin. Durch diese Torheit entstand
jetzt sein ganzes Unglück. Sie hatte ihm gefallen, wie ihm jedes
andere Mädchen gefiel, nach dem er siegesgewiß seine Hand ausstreckte.
Aber der Einsatz kam ihm teuer zu stehen. Nun galt es, keine Sekunde
mehr zu zögern.

Er rief seinen vertrauten Buchhalter herein und ließ sich das
Kontokorrentbuch vorlegen. Mit fiebernden Pulsen blätterte er darin
herum, machte sich Notizen und bestellte dann einen Wagen. Die Leute
konnten ihm nachreden, was sie wollten, er würde drüben in der Neuen
Welt untertauchen. Gewaltsam zwang er sich zur Ruhe, und es gelang
ihm, einen geeigneten Plan zu schmieden. Inzwischen fuhr der Wagen
vor. Er war schon im Begriff, hinauszueilen, als einer der Kommis ihm
meldete, daß ihn eine junge Dame zu sprechen wünsche.

»Ich habe keine Zeit!« schrie er diesen an, »sagen Sie ihr dies.«

Der Kommis kehrte aber nochmals zurück. »Sie läßt sich nicht abweisen,
Herr Smiders, und hat ihren Namen genannt -- Fräulein Ilse Hergenbach!«

Smiders warf das Hauptbuch dröhnend auf die Schreibtischplatte.

»Es ist rein wie verhext! Gut,« rief er dem Kommis zu, »das Fräulein
soll eintreten.«




                                 XX.


Herta Plüddekamp sah Ilse fragend an, als sie am nächsten Morgen ihre
Tätigkeit im Haushalt wieder aufnahm.

»Dein Gesicht kommt mir so verändert vor, Ilse. Hast du eine schlechte
Nachricht erhalten?«

»Nein!« erwiderte diese zögernd. »Ich fühle mich nicht ganz wohl und
muß mir eine starke Kopferkältung zugezogen haben. Eine Schwere liegt
mir in allen Gliedern, daß ich mich kaum aufrecht erhalte.«

»So bleibe doch in deinem Zimmer! Ich sende dir die Mahlzeiten
hinauf,« sagte Herta in gütigem Tone.

»Ich danke dir, Tante Herta.«

Ilse war recht froh, dem Wirtschaftsgetriebe fernbleiben zu können,
und zog sich sofort auf ihr Zimmer zurück. Nach einer schlaflos
verbrachten Nacht fühlte sie eine starke Ermattung in ihren Gliedern.
Aus dem Gewirr der Gedanken hatte sie sich zu einem Entschluß
durchgerungen. Sie wollte das Plüddekampsche Haus verlassen, um Wolf
nie wiederzusehen. Alfred Smiders mußte ihr dazu die Hand bieten. Sie
würde ihn schon zu zwingen wissen. -- Es konnte ihr niemand verdenken,
wenn sie eine Stunde ausging, um frische Luft zu schöpfen. Der Weg
aber, sollte sie zu Alfred Smiders führen. --

Jochen Hindorf war an dem Vormittag zufällig fortgeschickt worden. Als
er bei der ›Grünen Schanze‹ vorbeikam, stand die blonde Rieke vor der
Tür.

»Morjen, Mamsell!« rief er ihr zu.

»Guten Tag, Herr Hindorf! Kommen Sie ein bißchen herein. Ich will
Ihnen ein Glas Wein geben.«

Damit erklärte sich Jochen sofort einverstanden. Er setzte sich in die
Vorderstube und trank mit Behagen einen Schnitt ›Weißen‹ vom Faß, den
ihm das junge Mädchen hinstellte.

»Wann kommt Herr Wolf Plüddekamp zurück?« fragte sie ihn aus.

»Jäh -- das weiß ich nicht! So was ist Geschäftsgeheimnis,« meinte der
Alte ernst.

»Ich habe ihm aber sehr Wichtiges zu erzählen,« fuhr Riekchen fort.

»So, was Wichtiges! Das können Sie mir auch gleich sagen.«

»Nein, nein!« schüttelte Rieke den Kopf, »es geht nicht ohne
weiteres.«

Jochen Hindorf war aber ein alter Pfiffikus. Wenn er etwas erfahren
wollte, so ließ er nicht nach, und in seiner gemütlichen, halb
dummdreisten Art brachte er schließlich alles heraus.

»Dunnerlüchting!« rief er plötzlich aus, »das ist keine andere, als
Fräulein Ilse gewesen. Herrgott und die Welt -- nun möcht' ich bloß
wissen, wie das zugegangen ist. Ich hab keine Zeit mehr, mein kleines
Fräulein, sonst krieg ich was ab.«

»Sobald Herr Plüddekamp wieder hier ist, geben Sie mir sofort
Nachricht,« bat Rieke, »und sagen Sie keinem Menschen ein Wort davon,
was ich Ihnen anvertraute.«

»I Gott du bewahre! Ich bin doch keine Plapperlott!« gab der Alte zur
Antwort.

Jochen Hindorf ging trotz der Schwere seiner Beine viel schneller,
als es ihn sonst zur Arbeit trieb. Er machte ein finsteres Gesicht.
Es würgte etwas in ihm herum, und er mußte doch zu einem Entschlusse
kommen, bevor er Haus Plüddekamp erreichte. Wie sollte er es aber nur
andrehen? Eine ganz tolle Sache, die er da erfahren hatte, und sein
junger Herr stak dazwischen.

Er befand sich schon dicht vor dem Hause, als Ilse aus dem Torweg
scheu hervorhuschte und ihm entgegenkam. Sie wollte schnell an ihm
vorüber.

»Guten Morgen, Fräulein! Sie haben aber Eil!« sagte er mit seiner
tiefen Brummstimme und machte dabei ein listiges Gesicht. Er glaubte,
daß Ilse stehen bleiben und ihm antworten würde. Er hatte sich aber
getäuscht. Sie gab kaum den Gruß zurück und ging hastig weiter.

»I, sieh einmal,« meinte der Alte, »sie beachtet mich gar nicht, na
man zu, ich bin ihr nichts schuldig.«

Er schritt in den Torweg hinein und gab seine Besorgungen im Kontor
ab. Als er dann nach dem Hof ging, stand Herta an der Gartenpforte und
winkte ihn heran.

»Jochen, du sollst mir etwas helfen!« rief sie. »Es fehlen ein paar
Bretter auf den Warmbeeten, du könntest sie mir wohl aussuchen und
zurechtschneiden.«

»Jäh woll, gnädiges Fräulein, das werde ich tun,« Er wollte sich
gleich auf den Weg machen.

»Jochen, warte noch einen Augenblick,« sagte Herta, »hast du noch
immer starkes Kopfreißen?«

»Jäh woll, gnädiges Fräulein,« erwiderte Jochen, und sein breites
Gesicht verzog sich zu einem versteckten Lächeln. Er hatte sich mit
seinem angeblichen Kopfreißen manche alkoholische Vorteile verschafft.

»Du hast doch ein gutes Mittel dafür und kannst es mir besorgen.
Fräulein Ilse leidet gleichfalls daran.«

»I was!« rief der Alte aus, »sie ist doch eben ausgegangen!«

»Ilse ist ausgegangen?« wiederholte Herta fragend. »Hast du sie
angetroffen?«

»Jäh woll, gnädiges Fräulein.«

»Dann möchte ich nur noch sagen --«

»Ja, was denn, Jochen?«

Der Alte stand plötzlich eine Weile stumm da; die Worte wollten nicht
über seine Lippen. Herta kannte ihn aber zu gut, als daß sie nicht
weiter nachgeforscht hätte. Sie ließ ihm erst einen Augenblick Zeit,
dann fragte sie:

»Du willst mir etwas anvertrauen, Jochen? Ich sehe es dir an. Du
kannst es ruhig tun. Es ist wohl wegen meines Bruders Wolf?«

»Näh, gnädiges Fräulein, es ist nicht wegen Herrn Wolf! Aber wegen
der da --« er zeigte auf den Torweg hin, durch den Ilse vorher
hinausgegangen war -- »und wegen Herrn Smiders.«

»Wie, Jochen?« Herta wurde jetzt gespannt. »Komm -- wir gehen einen
Augenblick in den Garten, da hört uns niemand.« Sie schritt voran, und
der Alte stapfte ihr nach.

Als Herta einige Zeit darauf in das Haus zurückkehrte, lag ein
düsterer Ernst auf ihrem Gesicht. Das Erfahrene war geradezu unerhört.
Sie fühlte sich gewissermaßen verantwortlich, weil sie Ilse
Hergenbach in ihrem Hause aufgenommen hatte. -- Wie sollte sie nun
Jürgen mit diesen Tatsachen unter die Augen treten, -- wie würde der
arme Wolf unter der Wucht der Ereignisse leiden? Sie suchte nach einem
Ausweg in diesem Wirrnis und mußte erst mit sich zu Rate gehen, um das
drohende Unheil abzuwenden. -- Was sie gefürchtet, war zum Ereignis
geworden.

Wolf durfte Ilse bei seiner Rückkehr nicht mehr vorfinden; noch wußte
niemand etwas von der Verlobung -- die Ehre konnte gewahrt bleiben.
Sie schritt zum Haustelephon und rief Jürgen in seinem Privatkontor an.

»Hallo!« sagte dieser, »du wünschst, liebe Herta?«

»Ich bitte dich, sogleich zu mir heraufzukommen.«

»Es muß etwas ganz Außergewöhnliches sein,« tönte es zurück, »wenn du
mich von der Arbeit wegholst.«

»Sogar sehr Dringendes!«

»Gut! Ich bin sogleich bei dir.«

Wenige Minuten später saßen die beiden Geschwister in Hertas Zimmer
zusammen. Jürgen hörte alles mit an, ehe er ruhig erwiderte:

»Wir waren auf falschem Wege, Herta, als wir Ilse in unsern engen
Familienkreis aufnahmen. Wohin wir gekommen sind, liegt heute klar
vor uns. Ich glaube vorläufig noch nicht alles, was Jochen Hindorf dir
erzählte. Er kann in seinem ewigen Tran manches durcheinandergebracht
haben. Es bleibt mir daher nichts anderes übrig, als mich an Ort und
Stelle selbst zu erkundigen. Es gibt natürlich nur einen Entschluß:
Ilse Hergenbach packt sofort ihre Koffer und fährt nach Nordhausen
zurück. Wir brechen jede Beziehung mit ihr für immer ab. Gut, daß Wolf
dadurch von ihr lassen wird. Ich sehe jetzt noch viel klarer. Vorhin
war der alte Smiders bei mir. Ein erbarmungsvoller Anblick -- der alte
gelähmte Mann bittend für den auf Abwege geratenen Sohn. Dann Smiders
und Ilse -- es ist wahrhaftig nicht zu glauben!«

»Sie hat erst Krankheit vorgeschützt, darauf ist sie ausgegangen.
Wahrscheinlich wird sie bei ihm sein. Die Ereignisse überstürzen sich.
Zürne mir nicht, Jürgen, daß ich dir so viel Unangenehmes bereitet
habe.«

»Nicht doch -- liebe Herta! Wir Geschwister tragen alles
gemeinschaftlich -- Freude und Leid! Ich gehe jetzt, um mich zu
vergewissern.«

Jürgen kam alles so ungeheuerlich vor, daß er es kaum zu glauben
vermochte. Es kostete ihm einen starken Entschluß, sich in die
Weinstube auf der ›Grünen Schanze‹ zu begeben -- jedoch es mußte
sein. Er wollte niemand Unrecht tun.

Als er eine halbe Stunde darauf sein Haus wieder betrat, hielt der
starke Mann den Kopf gebeugt. Das Erfahrene überstieg alles, was er
für möglich gehalten hatte. Wie konnte sich ein Mädchen, das bei
ihnen lebte, so weit vergessen! Smiders war ein gewöhnlicher Schurke,
er hatte dies schon lange erkannt. Der Zusammenbruch von Smiders &
Sohn erschien unvermeidlich. Aber Ilse Hergenbach! -- Wie konnte sich
dieser Bursche ihrer nur so bemeistern?

Herta wartete auf ihrem Zimmer mit Bangen die Rückkehr von Jürgen
ab. Als er die Tür öffnete, stand die Antwort auf seinen Zügen
geschrieben. Er brauchte ihr nichts zu sagen. Es lag noch schlimmer,
als Jochen bereits mitgeteilt hatte.

»Ist das -- modernes Menschentum?« endete Jürgen seine Rede mit
Bitterkeit. »Sind das die Früchte unserer jetzigen Erziehung? Besteht
darin die Gleichberechtigung der Frau, daß alle vornehme Gesinnung und
gute Sitte bei ihr schwindet? Es gibt nur noch den Drang, zu leben --
ohne Rücksicht auf andere. Ich fürchte für Wolf! Sein reiches Gemüt
wird diesen Schlag kaum verwinden. Besser, er bleibt noch lange fort,
damit die Spuren des Vorganges sich verwischen. Es ist keine heilsame
Lehre für ihn, sondern das Bild einer Vernichtung von Treu und
Glauben.«

Die Geschwister schwiegen darauf eine ganze Zeit, bis plötzlich Herta
die Stille unterbrach:

»Sobald Ilse heimkehrt, werde ich mit ihr sprechen. Es ist ein
schweres Amt für mich. Darf ich ihren Eltern das Geschehene
verschweigen? Wenn sie alsdann von ihnen verstoßen wird? Ich kann
nur handeln, wie es mir Frauengesetz und Recht vorschreibt. Welch
schwere Augenblicke gibt es doch, in denen von wenigen Worten ein
Lebensschicksal abhängt!«

Jürgen mußte seiner Tätigkeit weiter nachgehen. Herta aber versank in
tiefes Nachdenken. Wie sollte sie es nur anfangen, Ilse Hergenbach
wieder auf den rechten Weg zu bringen? Die Schuld traf diese nicht
allein. Sie war von allen -- außer Jürgen -- mit schönen Worten und
Schmeicheleien genug umgarnt worden.

»Das ist der Fluch, der auf uns Frauen lastet! Woher sollen diese
stets den starken Charakter haben, wenn sie nicht dazu erzogen werden!
Ist Ilse Hergenbach wirklich so schlecht, wie wir glauben?«

Je mehr sie alles durchdachte, desto mehr suchte sie nach Gründen,
die ihr Verhalten entschuldigen konnten. Es drang immer wieder ein:
»Nein -- nein!« hervor. »Niemand ist gezwungen, die abschüssige Bahn
zu betreten. Die Frau muß den Halt in der Reinheit der Seele und der
Gedanken finden -- in dem Stolz, gleichberechtigt neben dem Manne zu
stehen. Sie darf nicht zu Handlungen schreiten, die ihrer unwürdig
sind.«

Wie war es nur möglich, daß Ilse mit einem Mann, den sie kaum
kannte, in ein solch verrufenes Lokal ging? Dachte sie nicht an die
Folgerungen? Sie wurde doch genug von ihr behütet. -- Was gibt es doch
für Rätsel der Menschenseele, die unauflöslich sind! --

Die Mittagszeit kam heran, ohne daß Ilse wieder eintraf. In Herta
stieg der Gedanke auf, daß sie zu verzweifelten Schritten gelangt sein
könne.

Die sonst so ruhige, abgeklärte Herta befand sich in großer Aufregung.
Sie berührte kaum die zum Mittagessen aufgetragenen Speisen, und sagte
zu Jürgen:

»Wenn Ilse bis zum Abend nicht wieder hier ist, bleibt uns nichts
anderes übrig, als sie suchen zu lassen.«

»Dann haben wir den öffentlichen Skandal, Herta!« erwiderte dieser.
»Bedenke -- ein solcher Fall im Hause Plüddekamp!«

»Es kann aber nichts helfen! Wir wollen nur hoffen, daß er vermieden
bleibt.«

Am späten Nachmittag stand Ilse jedoch vor Herta. Ihre Wangen waren
bleich, eine hektische Röte erschien auf ihnen und schwand wieder;
die Augen zeigten ein fieberhaftes Glänzen.

»Ich habe eine Bitte an dich, Tante Herta,« sagte sie mit zu Boden
gesenkten Blicken. »Ich fürchte, krank zu werden, und möchte euch
nicht zur Last fallen. Ich will mit dem Abendschnellzug über Berlin
nach Nordhausen fahren.«

»Es steht dir vollständig frei,« erwiderte Herta in kaltem Ton. »Du
denkst wohl nicht an eine Rückkehr?«

»Nein, Tante Herta!«

»So ordne deine Sachen. Unser Wagen wird dich mit dem Gepäck an die
Bahn bringen. Bestelle deiner Mutter Grüße von mir.«

Einen Augenblick war Herta der Ansicht, jede Auseinandersetzung
mit Ilse zu vermeiden. Sie wollte auch den Eltern keine Mitteilung
zugehen lassen, um nicht die Zukunft des jungen Mädchens dadurch zu
untergraben. Dann fragte sie sich aber in ihrem Innern: Ist es recht,
sie ohne Aussprache von mir gehen zu lassen? Sie mußte sich doch von
ihrem Seelenzustand überzeugen.

»Du siehst krank aus, Ilse,« begann sie. »Es erscheint mir aber nicht,
als ob ein körperliches Leiden die Ursache davon ist. Hast du mir
nicht noch etwas zu sagen?«

Das junge Mädchen starrte vor sich hin. Sie konnte den Blick zu der
Freundin ihrer Mutter nicht erheben. Ihr Mund blieb geschlossen. Sie
zeigte wieder die alte trotzige Stummheit.

»Dein Schweigen deutet mir viel,« fuhr Herta fort. »Du willst deine
Seele nicht entlasten. Was richtiger wäre, mußt du dir selbst sagen.
Ich könnte dir noch einen Rat auf deinen späteren Lebensweg mitgeben,
wie du ihn wohl so uneigennützig nicht wieder erhalten wirst. Das
Wohl jeder meiner Mitschwestern liegt mir am Herzen. Ich will mich
aber nicht gewaltsam in dein Gemüt eindrängen, -- du selbst mußt das
Bedürfnis haben, mir anzuvertrauen, was vielleicht andere Zungen
geschwätzig herumtragen werden. Ich habe den Zorn, der über dein
Verhalten in mir entstand, bekämpft. An seine Stelle ist aufrichtiges
Mitleid getreten, und dies erfüllt mich jedem weiblichen Wesen
gegenüber, das vom richtigen Weg abweicht. Such das rechte Wort zu
mir, Ilse!«

Herta sah, wie die blassen Lippen der Gegenüberstehenden zuckten. Sie
schien in diesen Stunden um Jahre älter geworden zu sein. Ihr Mund
blieb aber stumm.

»So geh, Ilse, wenn du kein Vertrauen finden kannst,« sagte Herta
kalt. »Nun haben wir nichts mehr miteinander zu sprechen. Jürgen
entbindet dich des Abschiednehmens.« Sie reichte ihr nicht mehr die
Hand. Ilse verließ das Zimmer.




                                 XXI.


Der Wagen war vorgefahren. Ilse stieg ein. Die Sachen wurden
aufgeladen. Niemand begleitete sie -- niemand bot ihr den
Abschiedsgruß. Nur der alte Jochen Hindorf kam und machte den
Wagenschlag zu. Ein breites Lächeln glitt über sein Gesicht, als die
Pferde anzogen.

»Sie hat nicht einmal schön Dank gesagt, und das Portemonnaie saß ihr
verteufelt fest in der Tasche. Na -- es ist gut, daß sie weg ist. Nun
wird mein lieber Wolf wohl wieder vernünftig sein,« brummte er und
ging an seine Arbeit. --

Auf dem Bahnhof angelangt, übergab Ilse ihre Koffer einem Gepäckträger
und trat an den Billettschalter. Sie sah sich scheu um. Vielleicht
fürchtete sie, beobachtet zu werden. Sie nahm ein Billett bis zur
nächsten Station und begab sich dann nach dem großen Wartesaal. Hier
hielt sie sich eine Zeitlang auf, um anscheinend den Schnellzug
abzuwarten.

Als er donnernd in die Halle fuhr, hatte sie einen Augenblick das
Gefühl, daß es für sie besser wäre, mit einzusteigen. Dann kam aber
der Gedanke wieder: »Es ist unmöglich! Ich darf Smiders nicht
freigeben! Für mich ist kein Raum mehr daheim, -- ich will in die Welt
hinaus. Der Kampf mit ihm war nicht leicht. Nur gut, daß er gerade
auf längere Zeit nach London gehen muß, dort ist eine Verbindung ohne
Schwierigkeit zu bewerkstelligen.« --

In später Nachtstunde löste sich ein kleiner Dampfkutter von der
Landungsstelle in Bredow ab und fuhr die Oder hinunter. Sowie sich
gegen Morgen der Landwind stärker erhob, schaukelte das kleine
Fahrzeug heftig auf den kurzen Stoßwellen des Haffes. Außer dem
Maschinisten und dem Heizer waren nur noch ein Herr in langem dunklem
Mantel und eine dichtverschleierte junge Dame an Bord.

»Ich tue es um deinetwillen, Ilse,« sagte Alfred Smiders, »es braucht
niemand zu wissen, daß du mit mir fortgegangen bist. Am Bollwerk gibt
es beim Einsteigen hundert neugierige Menschen, die jedes Vorkommnis
beobachten und weitertragen.«

»Was mache ich mir jetzt daraus,« antwortete Ilse, »für mich ist alles
vorbei! Du hast mich doch besitzen wollen, -- nun bin ich bei dir, und
du mußt für mich sorgen.«

Das Gesicht von Alfred Smiders zeigte bei ihren Worten ein höhnisches
Lächeln.

»Ich werde es auch tun,« erwiderte er. »Du verstehst es ja
meisterhaft, deinen Willen durchzusetzen.«

Die Wellen im Haff wurden immer höher, und ihr weißer Gischt schlug
zuweilen über die Spitze des kleinen Kutters hinweg. Er lag hart an
der Swinemünder Fahrt. Alfred Smiders hatte den Auftrag gegeben, den
dänischen Dampfer ›Klampenborg‹, der am frühen Morgen von Stettin
abging, anzulaufen.

Ilse, die das Seefahren nicht gewohnt war, befand sich in schlechter
Stimmung. Das fortgesetzte Schaukeln des kleinen Kutters verursachte
ihr das größte Unbehagen.

»Wenn nur erst der Dampfer kommen möchte,« sagte sie, »ich fühle mich
grenzenlos elend!«

Smiders erwiderte nichts darauf. Er starrte in die Wellenberge
hinein, die sich gegen das kleine Fahrzeug auftürmten. Würde nicht
jetzt das Leben ebenso auf ihn hereinbrausen? Viel hatte er aus dem
Zusammenbruch, der ihm nachfolgen mußte, nicht retten können, und nun
hängte sich dieses Geschöpf noch an ihn. --

Es war bereits heller Tag, als endlich die Signalmasten und das
Bugspriet des großen dänischen Schiffes sichtbar wurden.

»Geschickt anfahren!« befahl Smiders.

Der Dampfer kam rasch näher. Der Maschinist des Kutters gab mit
der Dampfpfeife ein Zeichen, daß er Passagiere abgeben wollte. Der
Kapitän des Dänen, der oben auf der Kommandobrücke stand, winkte ab.
Die Wellen gingen zu hoch, so daß ein sicheres Anlaufen während der
Fahrt nicht möglich war. Der kleine Kutter legte sich aber beharrlich
in den Weg, und trotz der Warnungszeichen vom Schiff schoß er im
nächsten Augenblick hart an dieses heran. Der Heizer griff nach einem
vom Steuerbord herabhängenden Tau, und nun flog das kleine Fahrzeug
äußerst gefährdet neben dem großen Dampfer hin.

Die Weilen schlugen darüber hinweg. Die Mannschaft des Dampfers kam
auf Deck zusammen und schaute hinunter.

»Laßt ab!« donnerte der Kapitän oben. Der Kutter hielt aber stand.
Seine Insassen schwebten in größter Lebensgefahr. Schlugen die Wellen
in die Maschine hinein, so war eine Explosion des Kessels sehr leicht
möglich.

Die Aufnahme wurde gewaltsam erzwungen. Es öffnete sich die
tiefgelegene Schiffsluke, eine Strickleiter wurde hinuntergeworfen.
Alfred Smiders brachte im nächsten Augenblick die vor Aufregung und
Angst halb bewußtlose Ilse hinauf. Der Heizer gab rasch das Gepäck
nach, dann löste sich der Kutter ab und blieb mit den starken Wellen
kämpfend zurück.

Ilse Hergenbach stand gänzlich durchnäßt und fröstelnd auf dem Deck.
Der Kapitän, der herangekommen war, geriet mit Alfred Smiders in
heftigen Wortwechsel. Sie sprachen dänisch miteinander. Dann mußten
sie sich aber geeinigt haben. Es wurde kurz darauf den beiden
Passagieren eine Kabine zur Überfahrt nach Kopenhagen eingeräumt. Der
Dampfer ›Klampenborg‹, der des Kutters wegen leicht gestoppt hatte,
nahm jetzt wieder volle Fahrt auf und ging mit nördlichem Kurs in die
See hinaus.

       *       *       *       *       *

Wochen waren verstrichen. Herta hatte es vermieden, an Frau Hergenbach
zu schreiben. Sie erwartete deshalb auch keine Nachricht aus
Nordhausen. Die beiden Geschwister hatten sich beraten, was sie Wolfs
wegen tun wollten.

»Ich kann ihn bloß noch mit vieler Mühe fernhalten,« meinte Jürgen.
»Wenn er nur mit anderer Anschauung zurückkäme, als er fortgegangen
ist!«

»Nein, Jürgen,« erwiderte seine Schwester, »du hältst Wolf für
oberflächlicher, als er es in der Tat ist. Ich fürchte nach den
Briefen an mich, daß sich die starke Neigung zu Ilse nicht vermindert,
sondern durch seine Abwesenheit sogar noch vertieft hat. Der Schlag
wird so gewaltig für ihn sein, daß wir das Schlimmste dabei befürchten
können. Was sollen wir ihm nur bei seiner Rückkehr sagen?«

»Weiß nicht,« brummte Jürgen, »Wolf ist nun einmal aus anderem Holz,
als wir Plüddekamps sonst geschnitzt wurden. Wir rütteln und schütteln
uns Gutes und Böses ab. Einen Augenblick mag es uns im Innern stark
erfassen, dann aber sind wir wieder gefestigt und lassen uns nicht
mehr beirren.«

»Wolf ist das Bild meiner lieben Mutter, dieser schönen, gütigen
und lebenslustigen Frau. Auf ihn haben sich alle ihre herrlichen
Eigenschaften vererbt,« erwiderte Herta.

Jürgen nickte mit dem Kopf.

»Es wäre besser, er gliche unserem Vater, wie du, Herta. Sein Weg in
der Welt würde ihm leichter werden.«

Beide Geschwister waren schwer bedrückt. Sie liebten Wolf zärtlich
und empfanden, welcher Schmerz ihn bei der bevorstehenden Eröffnung
treffen mußte. Jürgen versuchte Wolfs Aufenthalt in Spanien durch
Depeschen zu verlängern. Er bat ihn in einem Schreiben, sich durch die
Schönheiten und den Reiz der alten Städte Südspaniens festhalten zu
lassen. Es sei doch zweifelhaft, ob er noch einmal dorthin käme. Wolfs
Briefe lauteten aber entgegengesetzt.

So eifrig er alles Geschäftliche erledigte, die Sehnsucht nach Ilse
sprach aus den Schlußzeilen im erhöhten Maße hervor. In Spanien trat
bereits die wärmere Jahreszeit ein, und Wolf liebte als guter Pommer
die starke kühle Seebrise seiner Heimat.

»Du meinst es gut mit mir, Jürgen,« schrieb er in seiner Antwort. »Es
nutzt dir aber nichts, lieber Bruder, die Sehnsucht nach Hause ist
stärker in mir, als der Drang, alte arabische Kunst und spanische
Schönheit näher kennen zu lernen. Es wird mir im Leben schon noch
einmal vergönnt sein, diese mit Ilse zusammen anschauen zu können.«

Jürgen sandte wieder Depesche auf Depesche. Er fürchtete geradezu die
Stunde der Heimkehr Wolfs. In einem folgenden Briefe schien es sogar,
als wenn sich dieser noch zur Reise nach Südspanien entschließen
wolle. --

Eines Tages jedoch gegen Mittag hielt plötzlich eine Droschke vor dem
Plüddekampschen Hause an. Wolf sprang heraus und eilte ins Kontor.

Als Jürgen ihn so frisch und lebenslustig, voll glücklicher Erwartung
in den Zügen kommen sah, breitete er unwillkürlich seine Arme aus und
drückte den Bruder an seine breite Brust.

»Wölfchen, du bist ein Prachtkerl!« rief er aus. »Wie dunkelgebräunt
du von Spaniens Sonne ausschaust! Hast deine Sache wacker gemacht,
mein Junge. Komm, setz dich auf deinen alten Platz und erzähle uns.«

Der Prokurist war ebenfalls hinzugetreten und hatte seinem zweiten
Chef kräftig die Hand geschüttelt. Wolf war so erregt von dem
augenblicklichen Gefühl des Glückes, wieder in der Heimat zu sein,
daß er seine Erlebnisse fast übersprudelnd hervorbrachte. Er hatte
vorzüglich abgeschnitten. Die spanischen Firmen waren ihm in der
liebenswürdigsten Weise entgegengekommen und verhalfen ihm trotz
der Schwierigkeiten zum Ankauf von Korn. Ebenso fand er die größte
Bereitwilligkeit bei den Leitern der spanischen Brennereien, ihre
Anforderungen zu ermäßigen. Er brachte sogar noch bedeutende Aufträge
mit. Die Verbindungen waren durch sein persönliches Eingreifen stark
gefestigt worden.

»Du bist ein famoser Minister des Auswärtigen,« lobte ihn Jürgen, »nur
schade, daß du so wenig an dich selbst gedacht hast. Du konntest dir
viel mehr Zeit gönnen und brauchtest dich nicht abzuhetzen. Hier ist
es geschäftlich glatt gegangen.«

Der Prokurist lächelte fein. Unter Jürgen Plüddekamps Leitung war
stets ein ruhiger, sicherer Betrieb.

»Was sagst du zu Alfred Smiders?« fuhr Jürgen jetzt fort. »Ein netter
Bursche! Er hat sich stark hineingebuddelt und auf alle mögliche Weise
Geld verschafft. Der Sturz mußte endlich kommen. Er war schon vorher
verschwunden.«

»Es ist ein betrügerischer Bankrott,« setzte Armin hinzu. »Alfred
Smiders wird steckbrieflich verfolgt.«

»So weit ist es mit ihm gekommen?« rief Wolf erstaunt aus und sah zu
seinem Bruder fragend hinüber.

Jürgen vermied den Blick und schaute zur Seite. Die Hand des sonst so
ruhigen Mannes zuckte nervös.

»Ich bedaure den alten Herrn Smiders. Er wird aus dem Zusammenbruch
kaum etwas retten. Die Werft hat die Dampfer mit Beschlag belegt und
baut den ›Friedrich Barbarossa‹ auf eigene Rechnung fertig. Es sind
eine ganze Anzahl Banken stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
Alfred Smiders hat in unglaublicher Höhe Wechselreiterei getrieben.
Er muß im Auslande sein. Bis jetzt hat man ihn noch nicht erwischen
können.«

»Der Hamburger Großkapitalist, den Smiders hereinhaben wollte, sprang
im letzten Augenblick ab,« fügte der Prokurist hinzu. »Man spricht
alles mögliche. Die Ursache soll auf die Weinstube an der ›Grünen
Schanze‹ zurückzuführen sein, in der sich beide Herren für eines der
Mädchen interessierten.«

Jürgen wurde unruhig.

»Schon gut, Armin,« sagte er, um jedes weitere Wort abzuschneiden.
»Bei solchen Vorfällen wird in der Stadt viel geklatscht.«

Armin schaute betroffen zu Jürgen auf. Warum wies der Freund ihn so
schroff zurück? Lagen noch tiefere Gründe vor? Sein Blick überflog
beide Brüder. Merkwürdig, die Freude des Wiedersehens schien bei
Jürgen in eine stetig wachsende Unruhe übergegangen zu sein, die ihm
bei diesem noch nie aufgefallen war. Zu feinfühlend aber, um nach
der Ursache zu forschen, gab er einen Vorwand an und ging in sein
Arbeitszimmer.

»Jürgen!« rief Wolf sofort aus, als sich die Tür hinter Armin
geschlossen hatte, »mein erster Weg war zu dir! Jetzt aber will ich
hinauf, ich muß Herta und -- Ilse begrüßen. Das eine kann ich dir
sagen, es war gut, daß du mich fortschicktest. Während der Zeit konnte
ich mich prüfen, ob mein Herz Ilse wirklich gehört. Heute gestehe ich
dir offen: ich habe sie mehr denn je lieb, und ich kann den Augenblick
nicht erwarten, sie wiederzusehen!«

Es zuckte gewaltig in den Gesichtszügen des sonst so eisenfesten
Kaufmannes, als er entgegnete:

»Wolf, mein lieber Wolf! Wir wollen zusammen zu Herta gehen!« Der Ton
seiner Stimme mußte diesem aufgefallen sein. Er sah plötzlich scharf
auf den Bruder hin.

»Jürgen, du sprichst so eigenartig zu mir! Ist etwas vorgefallen? Sage
es mir, ehe ich hinaufgehe.«

Jürgen vermochte aber nicht weiter zu sprechen. Er hatte bereits die
Tür geöffnet. Die beiden Brüder stiegen die Treppen nach dem ersten
Stockwerk empor. Bei jeder Stufe, die Jürgen betrat, zögerte sein Fuß.
Es war immer, als ob er Wolf etwas sagen wolle, und doch preßte es ihm
die Kehle zusammen. Er konnte es nicht. Nur in seinem Innern wurde das
Wehgefühl stärker, daß seinem Bruder, den er von Herzen liebte, eine
so schwere Eröffnung bevorstand.

Herta hatte schon erfahren, daß Wolf zurückgekehrt war. Sie erwartete
ihn auf dem oberen Korridor.

»Wölfchen! Gott sei Dank, daß du wieder bei uns bist!« rief sie ihm
entgegen und faßte seine beiden Hände, »ich habe dir schnell ein paar
Brötchen zurechtgemacht, und dein Glas Portwein findest du auch vor.«

Als sie dann in das Speisezimmer eintraten, schlang sie plötzlich
den Arm um seinen Hals und küßte ihn auf beide Wangen. »Wie gut du
aussiehst, Wölfchen!« sagte sie. »Nun setz dich aber und iß in aller
Ruhe.«

Jürgen legte Wolf, der vor einem der hohen Lehnstühle stand, seine
Hand leicht auf die Schulter, damit er sich niederlassen solle. Dieser
sah sich unruhig um.

»Ich freue mich herzlich, wieder bei euch zu sein,« sprach er hastig,
»aber seid mir nicht böse, ich muß -- zu Ilse! Wo ist sie, Herta?«

»In Nordhausen, Wolf!« gab Jürgen anstatt Herta zur Antwort.

»In Nordhausen? Was ist denn geschehen? Ihr habt mir doch versprochen,
sie bei euch zu behalten! Jürgen -- Herta -- habt ihr euch mit ihr
erzürnt? Ist sie freiwillig fortgegangen?«

Seine Fragen überstürzten sich.

»Nichts von alledem,« erwiderte jetzt Herta. »Ich bitte dich noch
einmal, Wolf, nimm zuerst etwas zu dir. Wir werden dann in Ruhe alles
erzählen.«

»Nein, nein! Ich kann keinen Bissen essen!« faßte sich Wolf an die
Stirn. »Das Schönste, das ich mir bei meiner Rückkehr ausmalte, war --
Ilse in die Arme schließen zu können. Und nun --?«

Die beiden Geschwister kämpften mit sich, und keins von ihnen
vermochte das erste Wort herauszubringen, um Wolf die schlimme
Botschaft mitzuteilen.

»Es war sehr unrecht von mir, daß ich Ilses Wunsch erfüllte!« rief er
aus. »Hätte ich nur in voller Offenheit gehandelt, dann konnte ich
mit ihr in Briefwechsel bleiben. -- Sagt mir nur endlich: was ist
geschehen? Haben die Eltern sie zurückgerufen?«

»Nein, Wölfchen! Sie ist schon seit Wochen fort! Wir mußten es dir
verschweigen, damit du nicht unruhig wurdest,« antwortete seine
Schwester.

»Schon seit Wochen!« fuhr Wolf auf. »Ihr habt mir in euren Briefen
doch noch Grüße von ihr bestellt,« und seine blauen Augen richteten
sich drohend auf Herta. »Du -- die Wahrheit selbst! Warum machst du
solche Ausflüchte?«

»Es mußte sein, Wolf! Ich habe es nicht gern getan! Es ist aber um
deiner selbst willen geschehen!«

»Um meinetwillen? Jetzt weiß ich, daß etwas vorgefallen ist. Also
heraus damit! Euer Zögern peinigt mich.«

»Ilse ging aus eigenem Antriebe fort,« erwiderte Herta. »Sie glaubte
erkrankt zu sein und wollte deshalb schnell nach Hause.«

»Sie hat dir aber Nachricht gegeben, Herta, wie es ihr jetzt geht?«

»Nein, Wolf!« entgegnete Herta aufrichtig, »ich habe keine Zeile aus
Nordhausen erhalten.«

»Unmöglich!« rief Wolf erregt aus. »Seit Wochen keine Zeile? Ihr
verbergt mir etwas! -- Ich fühle es! Krankheit kann nicht der Grund
sein, warum sie fortgegangen ist. Erkrankt reist man ohne Not nicht
eine solche Strecke!«

»Es nützt nichts, Herta,« fiel jetzt Jürgen ein, »ich will es Wolf
sagen. Ilse ist abgereist, weil sie von uns fort -- mußte! Es hing
dies mit Alfred Smiders zusammen.«

»Wie? -- Alfred Smiders!« Wolf wurde dunkelrot im Gesicht. »Ich habe
es oft gefürchtet! Er sah sie vom ersten Augenblick so sonderbar an,
und ihr habt sie nicht vor ihm beschützt!«

Er war in solche Erregung geraten, daß er nicht mehr stehen bleiben
konnte, sondern im Zimmer hin und her lief.

»Herta, du vertratest die Stelle der Mutter an ihr! Du hast doch über
sie gewacht! Ist es denn so schlimm, daß ihr mir nicht anvertrauen
könnt, was vorliegt?«

»Komm, Wolf,« sagte Jürgen traurig, »wir wollen in mein Schreibzimmer
gehen. Die Plüddekamps haben dort alle ernsten Sachen überdacht und
sich stets einen neuen festen Boden geschaffen. Wir beide müssen über
Ilse Hergenbach sprechen.«




                                XXII.


Schwere Tage kamen über das Plüddekampsche Haus. Wolf war unter
der Wucht der auf ihn hereindrängenden Tatsachen gänzlich
zusammengesunken. Seine Liebe und Sehnsucht nach Ilse war durch die
wochenlange Abwesenheit so gewaltig geworden, daß er die nackte
Wahrheit, die ihm Jürgen eröffnete, nicht zu ertragen vermochte. Eine
Zeitlang ging er wie geistesabwesend einher. Er konnte seine Gedanken
von dem Geschehnis nicht ablenken und vermied es, sich mit Herta und
Jürgen in ein Gespräch einzulassen.

Tagsüber hielt er sich meistens im Garten auf, pflückte dort Blumen
und zerblätterte sie. Wenn der alte Jochen Hindorf ihm in den Weg
kam, gab er kaum dessen Gruß zurück. Durch seinen Verrat hatten die
Geschwister alles erfahren. Warum hatte er Ilse nicht mitgenommen?
Dann wäre sie für ihn gerettet gewesen. Zuweilen wollte er alles nicht
glauben und versuchte, es sich auszureden. Die Wucht der Gedanken aber
brach danach doppelt stark auf ihn herein.

Eines Tages kam ein Brief aus Nordhausen für Herta an, den ihm
der Briefträger zufällig übergab. Er war von Ilses Mutter. In der
Aufregung, etwas über sie zu erfahren, wartete er nicht, bis er die
Schwester fand, sondern riß das Schreiben auf. Seine Augen überflogen
die Zeilen, dann ballte er mit der Hand das Papier zusammen.

»Sie ist nicht dort!« rief er die Treppe hinaufeilend seiner Schwester
zu. »Ilse ist nicht in Nordhausen! Ihr habt mir doch gesagt, sie sei
bei ihren Eltern! Ich mag nicht ausdenken, wo sie sein kann! Das Blut
tobt in mir! Es zermalmt mir das Gehirn! Ich will Smiders suchen, ich
muß ihn zur Rechenschaft ziehen! Der Bube soll seine Strafe erhalten!«
--

Von dieser Stunde an war Wolf fieberhaft bemüht, etwas über Smiders'
Verbleib zu erfahren. Der Staatsanwalt, der die Anklage gegen den
Reeder erhoben und hinter ihm einen Steckbrief erlassen hatte, fand
keinen willigeren Helfer, als Wolf Plüddekamp. Dieser sah nur noch ein
Ziel vor sich: Smiders aufzufinden.

Er unterstützte die Bemühungen der Kriminalbeamten. Jeder Schritt,
den der Reeder noch in Stettin gemacht, wurde verfolgt. Man konnte
nachweisen, welche Summen er schnell eingezogen und wo er sich bis
zum Abend des Fluchttages aufgehalten hatte, dann aber war jede Spur
verwischt. Ebenso forschte Wolf Ilse nach. Der Kutscher sah noch
deutlich, wie sie die Fahrkarte löste und in den Wartesaal ging. Von
hier ab lag alles weitere im Dunkel.

Tag für Tag blieb Wolf unermüdlich tätig, Klarheit in die Dinge zu
schaffen. Es hatte sich bei ihm zur fanatischen Idee ausgebildet, daß
Smiders Ilse bewogen, mit ihm zu fliehen. Der sonst so lebensfrohe
junge Mann war vollständig verwandelt. Ein verbissener, ingrimmiger
Zug lag in seinem Gesicht. Mit wilder Glut wühlte es täglich in seinem
Herzen: »Ilse ist für dich verloren, -- Smiders aber erwürge ich mit
eigener Hand!«

In dieser fortgesetzten Aufregung untergruben sich seine Körperkräfte.
Das Ausbleiben von Resultaten ließ eine derartige Nervenüberspannung
entstehen, daß er zusammenbrach. Ein heftiges Nervenfieber warf ihn
aufs Krankenlager hin. Herta pflegte ihn mit Aufopferung.

Im Hause Plüddekamp wurde es unheimlich still. Niemand wagte fest
aufzutreten, aus Furcht, den Schwerleidenden zu stören. In wilden
Fieberphantasien wälzte sich Wolf auf seinem Lager. Die Ausbrüche von
Sehnsucht nach Ilse waren für Herta kaum zu ertragen. Als nach Wochen
noch keine Besserung eintrat und sie selbst von der Pflege derartig
angegriffen wurde, daß ihre Kräfte nachließen, sollte Wolf bereits in
eine Anstalt überführt werden. --

Die Kunde von seiner schweren Erkrankung war auch nach Wershagen
gedrungen. Lieschen Wichers schrieb mehrmals an Herta. Da diese nicht
gleich antworten konnte, kam sie selbst. Das liebenswürdige, heitere
Geschöpf brach in Tränen aus, als es von dem schweren Leiden Wolfs
erfuhr, und offenbarte dabei ihre ganze tiefe Liebe zu ihm.

»Lassen Sie mich ihn pflegen,« bat Lieschen die Geschwister, »ich
stehe an Ihrer Seite, um ihn für das Leben zu erhalten.« Sie mußten
einwilligen, daß das junge Mädchen im Plüddekampschen Hause blieb.

Lieschen waltete wie ein guter, freundlicher Geist in der
Krankenstube. Wolf erkannte sie zuweilen, und ein Lächeln glitt dann
über seine schlaff gewordenen Züge. Sobald aber das hohe Fieber
auftrat, schien sein Denken vollständig umnachtet zu sein.

Die Geschwister zogen Lieschen vollständig in ihr Vertrauen; sie
vernahm so vieles aus seinen wirren Reden, da mußte eine Aufklärung
stattfinden.

Endlich kam die Krisis.

Es waren Stunden der reinsten Verzweiflung, in denen alle verharrten.
Die gute Natur Wolfs siegte. Nach einem tagelangen, wenig
unterbrochenen tiefen Schlaf kam langsam die Genesung. Das Fieber
hörte auf. Nun galt es, die alten Erinnerungen in ihm durch eine
andere Umgebung zu verdrängen. Nur dadurch konnte sein Gemüt zur Ruhe
gelangen und sein Körper genesen.

Lieschen Wichers bat flehentlich, ihn mit nach Wershagen nehmen zu
dürfen. Was konnte den Geschwistern lieber sein, als den Bruder in der
herrlichen gesunden Luft von Wershagen, der freundlichen Landschaft,
dem gemütlichen Heim des Oberamtmanns zu wissen! Dort konnte er sich
von dem schweren körperlichen Leiden wie der starken Erschütterung
seines Innern am besten erholen.

Während seiner Krankheit liefen von vielen Seiten täglich Anfragen
ein. Es zeigte sich recht, welche Freundschaft er sich überall
erworben hatte. Graf Thadden-Bützenbrück war gekommen, um sich nach
Wolf zu erkundigen. Der Berleburger Schloßherr fehlte natürlich nicht
und so viele andere.

Die Übersiedlung nach Wershagen ging vor sich. Lieschen Wichers, die
von der Pflege etwas bleich geworden, saß strahlend an der Seite
Wolfs, als sie auf dem Gut eintrafen. Zusammengefallen und kraftlos
wurde er aus dem Wagen gehoben, nur in seinen Augen lag trotz des
matten Schimmers eine Hoffnung auf baldige Genesung. --

Jürgen Plüddekamp war in der letzten Zeit recht gealtert. Starke
Falten hatten sich auf seiner Stirn eingegraben. Das wochenlange
Schweben seines Bruders zwischen Leben und Tod rüttelte gewaltig an
diesem eisernen Mann. Sobald die Hoffnung in ihm zurückkehrte, daß
Wolf den Geschwistern erhalten blieb, belebte sich sein Blick wieder,
und er sah zuversichtlicher aus. Jetzt mußte sich noch alles zum Guten
wenden. Warum nur war Ilse Hergenbach in die glückliche Harmonie des
Plüddekampschen Hauses eingedrungen? Die Geschwister selbst trugen
die Schuld daran. Sie durften kein fremdes Wesen bei sich aufnehmen.
So war es ein Jahrhundert lang gehalten worden. Der Durchbruch dieser
alten Überlieferung beschwor die Gefahr herauf.

Während Jürgen Plüddekamp über die eingegangene Korrespondenz gebeugt
saß und an den Rand der Briefe Bemerkungen schrieb, läutete plötzlich
der neben ihm befindliche Telephonapparat. Er nahm den Hörer in die
Hand.

»Hallo! Hier Jürgen Plüddekamp!«

»Hier Charles Martens! Ich möchte dich heute sprechen, Jürgen!«

»Du bist mir jederzeit willkommen, Charles! Hast du irgend etwas
Wichtiges? Es handelt sich wohl um Smiders?«

»Ja und nein, Jürgen! Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«

Jürgen arbeitete ruhig weiter. Prokurist Armin kam herein und legte
Abschlüsse vor, die unterzeichnet werden mußten.

»Wird Berleburg in diesem Jahre viel liefern können?« fragte Jürgen
und sah zu seinem Prokuristen auf.

»Das Berleburgsche Glück hat sich bewahrheitet,« erwiderte Armin.
»Er läßt bereits auf dem Felde dreschen. Die landwirtschaftliche
Genossenschaft seines Bezirks hat eine große fahrbare
Dampfdreschmaschine angeschafft, die überallhin verliehen wird.
Dadurch läßt sich die Lieferung des ersten Roggens sehr beschleunigen.«

»Seine Schuld wird wohl herunterkommen, Armin?«

»Der Baron hofft sogar auf einen vollständigen Ausgleich seines
Kontos bei uns, Plüddekamp! Es soll sogar noch eine Badereise für ihn
übrigbleiben. Er will dabei, wie seit Jahren, nach einer reichen Frau
suchen.«

»Bei ihm wird der Anschluß wohl verpaßt sein, Armin, und Berleburg
einst dem Schicksal der Aufteilung nicht entgehen. Schade um diese
alten Besitzungen! Sie fallen eine nach der anderen den Anforderungen
der Neuzeit zum Opfer.«

»Uns erschwert es nur das Geschäft,« warf der Prokurist ein. »In
großen Posten kaufen wir viel günstiger, als wenn wir uns im
Kleinbetrieb verzetteln müssen.«

»Die Aufkäufer wollen immer mehr Prozente haben,« erwiderte Jürgen.
»Was bleibt schließlich noch für uns übrig! Ich sehe manchmal mit
Bitterkeit in die Zukunft. Würden wir nicht in früheren Jahren so groß
geworden sein, heute gehörte es zur Unmöglichkeit!«

»Leider!« stimmte Armin ihm bei. »Wie bei den Gütern, so wird auch
im alten ehrenwerten Kaufmannsstand manche Bresche geschlagen. Der
Weltbetrieb läuft zu rasch vorwärts und überhastet sich.«

In diesem Augenblick wurden sie durch die Anmeldung von Konsul Martens
unterbrochen, der auch gleich darauf eintrat. Armin verließ das
Zimmer, und die beiden Freunde waren allein.

»Setz dich auf Wolfs Platz, Charles,« bat Jürgen, »was bringst du uns?«

»Wie geht es ihm vor allen Dingen?« fragte Konsul Martens dazwischen.

»Von Tag zu Tag langsam besser, Charles! Der Aufenthalt in Wershagen
scheint ihm gut zu bekommen. Er ist schon ein paarmal im Park gewesen.
Wichers und seine Tochter sind wahrhaft liebe Menschen, bei denen man
in dem Gedanken wieder erstarken kann, daß Treue und Aufopferung noch
nicht ganz aus der Welt geschwunden sind.«

Konsul Martens nickte mit dem Kopf.

»Auf der anderen Seite breitet sich Lug und Trug in immer
größerem Maße aus. Mit der wachsenden Menschenzahl nimmt auch die
Schlechtigkeit erschreckend überhand. Hier ist wieder ein Beispiel
davon.«

Er zog einen Brief aus seiner Tasche und setzte sich das Augenglas auf.

»Ich komme deshalb heute zu dir, Jürgen. Dieses Schreiben an mich
kommt aus Amsterdam und ist -- von Ilse Hergenbach.«

»Ilse Hergenbach!« fuhr Jürgen auf. »Nenne mir nicht den Namen,
Charles! Sie kostet uns beinahe den Bruder.«

»Trotzdem mußt du mich anhören, Jürgen! Da du mich als besten Freund
der Familie in alles einweihtest, bin ich auch verpflichtet, dir von
diesem Schreiben Kenntnis zu geben. Ich will vorausschicken: mag das
junge Mädchen auch gefehlt haben, das Los, das sie jetzt betroffen
hat, ist erbarmungsvoll!«

»Wieso?« unterbrach ihn Jürgen in barschem Ton. »Wer bei Nacht und
Nebel davonläuft, kann es nicht anders erwarten!«

»Sie ist vor Monaten mit Smiders nach Amsterdam gefahren. Er ging dann
bald auf und davon und hat sie dem Elend überlassen. Wahrscheinlich
fürchtete er, daß seine Spur entdeckt werden würde. Der Schrei einer
Verzweifelten ist heute an mich gelangt. Sie will nicht weiter sinken,
und doch steht ihr das Furchtbarste bevor.«

Jürgen, der sonst so gelassene und ruhige Geschäftsmann, stand
plötzlich auf und schritt erregt im Zimmer hin und her.

»Was ist zu tun, Charles?« blieb er einen Augenblick stehen.

»Dies wollte ich mit dir besprechen, Jürgen! Ich halte es für richtig,
wenn jemand sofort nach Amsterdam fährt und sie abholt, ehe sie in
einen Abgrund versinkt. Ich kam hierher, um dich darum zu bitten.«

»Charles! Was fällt dir ein! Ich soll nach Amsterdam fahren?«

»Allerdings!« erwiderte der Konsul ruhig, »du bist der einzige, der
dafür geeignet ist. Irgend einen Fremden können wir nicht einweihen.
Mir selbst traue ich, offen gestanden, die Erledigung dieser
Angelegenheit nicht recht zu. Du bist allein der geeignete Mann dafür.«

»So? Es wird immer schöner!« rief Jürgen aufgeregt. »Dafür, daß sie
mir Frieden und Ruhe im Hause zerstörte, soll ich auch noch nach
Amsterdam fahren, um sie vor weiterer Schmach zu behüten!«

»Ja,« sprach Martens bestimmt, »du wirst es tun, Jürgen! Ich bitte
dich bei unserer Freundschaft darum. Man soll eine Frau, die noch
einen Funken von guter Gesinnung in sich hat, in einer fremden Stadt
nicht dem Menschenpöbel überlassen. Hast du nicht auch das Bewußtsein?«

Einen Augenblick hindurch bäumte sich der ganze Stolz Jürgens gegen
diese Zumutung auf. Seine Augen sandten förmliche Blitze, als er jetzt
ausrief:

»Sage es einem anderen, Charles, aber nicht mir! Ich bin dabei der
Letzte, der berufen ist, zu helfen!«

»Nein, Jürgen,« entgegnete der Konsul energisch, »du bist der Erste
dazu! Ich will jetzt nicht weiter in dich dringen. Überlege es dir
eine Stunde! Um zwei Uhr geht der Schnellzug, du kannst in Tag und
Nacht dort sein. Brauchst auch niemand etwas davon wissen zu lassen.
Bei euch sind ja geschäftliche Reisen an der Tagesordnung. Wolf ist
nicht hier, und Herta wird nicht erfahren, was du tust. Hier ist der
Brief, -- die Adresse von Ilse Hergenbach steht darin.«

Jürgen kämpfte noch mit sich. Die Adern an seiner Stirn waren stark
angeschwollen, ein Zeichen der inneren Erregung. Als Martens darauf
fortgehen wollte, hielt er ihn zurück.

»Warte, Charles,« sagte er kurz, »es fällt schwer, mich selbst zu
überwinden. Doch hier ist meine Hand, -- ich fahre nach Amsterdam!«

Konsul Martens zeigte ein feines Lächeln.

»Ich war davon überzeugt, Jürgen, du konntest nicht anders handeln! An
den Kosten darf ich mich doch beteiligen?«

»Nein, Charles, das darfst du nicht! Was ich will -- tue ich auch
ganz!«

Prokurist Armin trat herein. Er hielt ein Zeitungsblatt in der Hand.

»Sie haben Alfred Smiders gefaßt, Plüddekamp,« rief er befriedigt
aus, »hier, lesen Sie das Telegramm. Er ist bei seiner Ankunft in Rio
de Janeiro von einem Angestellten des deutschen Konsuls erkannt und
verhaftet worden. Seine Auslieferung steht bevor.«

»Ich gönne es dem Burschen,« fiel Jürgen ein, »die wohlverdiente
Strafe muß ihn treffen.«

»Solche Verhandlungen wirbeln nur Staub auf, säen Mißtrauen und
verderben das gute Geschäft,« meinte Konsul Martens.

»Mir tut der alte Vater leid. Besser für ihn, der Sohn wäre tot, als
daß er jetzt vor den Richter gezogen wird.«

»Er wird das Urteil nicht mehr erfahren,« erwiderte der Bankier. »Du
hast ja beigesteuert, daß wir ihn im Johanniterhospital unterbringen
konnten. Seine letzten Tage stehen bevor.«

Konsul Martens war schon an der Tür, als er sich noch einmal umwandte.

»Der ›Friedrich Barbarossa‹ ist glücklich aus dem Dock heraus! Ist ein
schmuckes Schiff geworden. Die Werft rechnet stark darauf, daß du ihn
chartern wirst! Vielleicht kauft ihn auch die neue Reederei, die die
Dampferlinien von Smiders & Sohn übernommen hat. Kneis aus Hamburg
soll dahinter stecken und sich mit großem Kapital beteiligt haben.
Sicher tritt er auch an dich heran. Dabei kannst du ein paar Worte für
unsern Dampfer mit einfließen lassen.«

»Wird geschehen, Martens! Für ein solides Geschäft bin ich stets zu
haben. Kneis kann vorzügliche Referenzen aufweisen und versteht als
alter Überseer sein Handwerk.«

»Lebe wohl, Jürgen! Gib mir Nachricht, wenn du zurück bist. Wir wollen
dann die Sache weiter besprechen.«

Dieser war in seinem Zimmer allein; er sah eine geraume Zeit vor sich
in das Leere.

»Menschen und Schicksale,« murmelte er dann, »ich hätte wahrhaftig nie
geglaubt, daß ich Ilse Hergenbach im Leben noch einmal wiedersehen
müßte.«




                                XXIII.


Herta war erstaunt, als Jürgen ihr mitteilte, daß er auf einige Zeit
ins Ausland verreisen wollte.

»So plötzlich?« fragte sie.

»Du kennst doch unser Geschäft, Herta. Solange Wolf ausfällt, muß
ich jeden Augenblick reisefertig sein. Armin hat bereits die nötigen
Instruktionen.« Damit war er gegangen.

Am nächsten Abend traf er in Amsterdam auf dem Bahnhof ein und
ging direkt nach dem nahegelegenen Viktoriahotel. Von hier aus
konnte er leicht überall hingelangen. Das interessante Leben in den
Gesellschaftsräumen des bekannten Hotels regte ihn unwillkürlich
an. Viele fremde Nationen waren vertreten. Ein Gewirr von mehreren
Sprachen drang an sein Ohr. So mancher Roman spielte sich hier täglich
ab. Er selbst sollte jetzt das Ende eines solchen erleben.

Er faßte den Entschluß, Ilse Hergenbach bereits am frühen Morgen
aufzusuchen, ohne daß er ihr vorher eine Mitteilung davon machte. Als
kluger Geschäftsmann wollte er sich überzeugen, wie weit die Wahrheit
ihrer Worte zutraf.

Er hatte sich vorgenommen, die Angelegenheit als einen Geschäftsfall
aufzufassen. Während er aber in dem geräuschvollen Treiben des Saales
saß und die volle Lebenslust froher Menschen ihn umbrandete, entstand
ein seltsames Gefühl in ihm -- wie er Ilse Hergenbach morgen auffinden
würde. Mußte er sie mit einem anderen Maßstab messen, wie sonst
Durchschnittsgeschöpfe? Er entsann sich seiner eigenen Worte, die er
zu Herta gesprochen: »Ein Kind der Jetztzeit! Das vorige Jahrhundert
klebt ihm nicht mehr an! Es weiß nichts mehr von ihm, als daß damals
rückständige Menschen lebten!«

War er nicht selbst solch ein rückständiger Mensch? Hatte nicht die
heraufkommende Zeit gewaltsam an ihm gerüttelt? Er fühlte, wie die
jetzt herrschende Auffassung eine ganz andere wurde. Sprach man nicht
allerorten von der Gleichberechtigung der Frauen? Die Frau strebte aus
ihrer Einengung gewaltsam heraus, sie wollte die persönliche Freiheit
des Mannes erreichen. Würde sie nicht mit dem erlangten Recht auch in
alle Fehler des Mannes verfallen?

Ilse Hergenbach hatte zu ihm von der Gleichberechtigung der Frau
gesprochen. Das Ergebnis lag nun vor. Was Herta mit ihrem hohen
ernsten Sittlichkeitsgefühl erreichte, daran war Ilse bei dem ersten
Schritt aus dem Elternhaus und in die Freiheit gescheitert. --

Jürgen erfreute sich eines gesunden Schlafes und hatte eine ruhige
Nacht verbracht. Sein Leben lag wie immer im Gleichgewicht.

In aller Frühe bestellte er eine Autodroschke und gab Straße und
Nummer an, wohin er fahren wollte. Der Chauffeur sah den stattlichen,
fremden Herrn erstaunt an, als dieser einen armseligen Bezirk angab.

Das Auto hielt vor einer riesigen düsteren Mietskaserne. Schon das
ganze Äußere des Hauses deutete darauf hin, daß hier die Armut ihre
Stätte aufgeschlagen hatte. In diesem Haus mit den vielen kleinen
Wohnungen lebten zusammengedrängt Hunderte von Menschen.

Jürgen erstieg die Treppen bis zum obersten Stockwerk. Ein häßlicher
Geruch drang ihm überall entgegen; schmutzige, seit Jahrzehnten nicht
mehr im Anstrich erneuerte Wände starrten ihn an. Endlich hatte er die
Wohnung erreicht. Er las: Friedrich Kern. Der Name eines deutschen
eingewanderten Arbeiters, bei dem sich Ilse Hergenbach aufhalten
sollte.

Ein Klingelzug war nicht vorhanden, -- er klopfte. Nach einer ganzen
Weile wurde erst die Tür geöffnet. Eine ärmlich aussehende ältere
Frau kam heraus und schaute verwundert auf den elegant gekleideten
Herrn hin, der zu so früher Stunde hier erschien.

»Ist Fräulein Hergenbach zugegen?«

»Sie meinen die Ilse! Ich werde sie gleich rufen.«

»Unterlassen Sie es bitte!« fiel Jürgen ein. »Ich will sie in ihrem
Zimmer aufsuchen.«

Die Frau zeigte ein mattes Lächeln.

»Die Ilse hat kein Zimmer, Herr! Die hilft mir beim Kochen und der
groben Arbeit und schläft in der Küche.«

Jürgen Plüddekamp wurde von dieser Antwort stark berührt. Er hatte
noch bis zu diesem Augenblick nicht geglaubt, in welch grauenvoller
Lage sich Ilse Hergenbach befand, nun überzeugte er sich davon.

»Ich gehe zu ihr,« schob er die vor ihm Stehende beiseite. Er schritt
hastig in den kleinen dunklen Korridor hinein, von dem drei Türen
abgingen.

»Rechts wohnt ein Genosse von meinem Mann, dann kommt unsere Kammer,
und diese Tür links ist die Küche,« erklärte die nachfolgende Frau.

Jürgen Plüddekamp faßte nach dem Türdrücker und trat dann ein. Ein
düsterer, von Rauch geschwärzter kleiner Raum, dessen schmales Fenster
nach dem Hof hinausführte, lag vor ihm. Ein alter Kochherd, weniges
Küchengerät und eine schmale eiserne Bettstelle befanden sich darin.
Ilse reinigte das Geschirr in einer Blechwanne. Sie hörte den starken
Männertritt und wandte sich rasch um. Vielleicht glaubte sie, daß der
Arbeiter zurückkehre; im gleichen Augenblick aber erkannte sie Jürgen
Plüddekamp.

Sie unterdrückte einen Schrei. Ihre Gestalt begann zu schwanken, so
daß sie sich mit einer Hand schwer gegen die Wand stützen mußte, um
nicht zusammenzubrechen.

»Sie kommen -- zu mir, Herr Plüddekamp!« brachte sie tonlos über die
Lippen, -- »das ist -- entsetzlich!«

»Lassen wir alles Unnötige, Fräulein Hergenbach,« erwiderte Jürgen
kurz. »Ich bin hier, um Sie aus einer unwürdigen Lage zu befreien!
Sind Sie den Leuten noch etwas schuldig? Bitte sagen Sie es mir! Ihre
Sachen mag die Frau hinunterschaffen. Sie folgen mir sofort!«

»Nein, nein!« stieß sie heftig aus. »Lassen Sie mich in meinem
Unglück! Von Ihnen kann und will ich keine Hilfe annehmen.«

»Das ist Torheit, Fräulein Hergenbach!« fiel er scharf ein. »In einem
solchen Augenblick dürfen Sie keiner falschen Empfindung Raum geben.«

Sie sah erschreckend bleich aus. Tiefe Furchen lagerten sich um den
kleinen Mund. Die Augen lagen glanzlos in ihren Höhlen. Ihre Kleidung
war ordentlich gehalten, aber vollständig abgetragen. Ihren schmalen
Händen sah man die grobe Arbeit an, die sie zu verrichten hatten.

Jürgen wandte sich an die Arbeiterfrau, die nach einer kurzen
Rücksprache den Raum verließ.

»Gehen Sie jetzt mit mir,« trat Jürgen auf Ilse zu. »Sie haben an
Konsul Martens geschrieben, um wieder in geordnete Verhältnisse zu
kommen. Er verständigte sich mit mir. Ich bin sofort hierhergeeilt, --
zögern Sie nun nicht länger --«

Sie hielt ihm abwehrend beide Hände entgegen.

»Ich kann es nicht!« flammte es plötzlich in ihr auf. »Jedem anderen
würde ich folgen -- Ihnen aber nicht! -- Hätte ich Sie doch nie
gesehen! Daraus entstanden meine Vergehungen --«

»Denken Sie ruhiger, Fräulein Hergenbach,« unterbrach er sie ernst.
»Sie haben kein Recht, mir Vorwürfe entgegenzuschleudern!«

Ilses Augen blickten ihn wild an.

»Recht, -- Herr Plüddekamp? Nein! -- Kennt Liebe aber etwas anderes
als ein Naturgesetz, -- und wenn dies verhöhnt wird --« Sie wandte
sich ab und suchte ihr Schluchzen zu verbergen. »Ich ertrage mein Los
nicht länger -- jetzt bleibt mir nur -- die Amstel!«

»Das wäre ein leichtes Mittel -- um Torheit auszulöschen. Wem der
innere Halt fehlt -- der greift gern danach -- aber Kraft zeigen,
-- sich aufrichten, -- ein Leben neu aufbauen -- wenn die Hand dazu
geboten wird --.«

»Halten Sie ein!« schrie sie gequält auf. »Wie könnte ich mich wieder
hineinfinden --«

»Sie werden es -- Sie müssen es! Sie haben die Pflicht, Ihren
Charakter zu stählen -- es ist nicht so schwer -- als es Ihnen
erscheinen mag.«

Sie hörte zu weinen auf. Was waren dies für Worte? Durfte sie wirklich
noch hoffen, konnte sie sich selbst überwinden?

Er merkte sofort den Eindruck, den sie erhalten, und suchte diesen
rasch auszunutzen.

»Vor allen Dingen kommen Sie hier fort. Sie sollen sich dann in Ruhe
mit mir aussprechen, -- wir werden Ihre Zukunft überlegen, -- schenken
Sie mir endlich doch Vertrauen!«

Es kämpfte noch eine geraume Zeit gewaltig in ihr, -- dann rang sie
sich aber zu einem plötzlichen Entschluß durch.

»Ein Felsen kann nicht härter sein, als Sie zu mir waren, Herr
Plüddekamp, ich zerbrach daran! Nun wollen Sie mich wieder
aufrichten, -- ich fühle Ihren kalten Stolz, -- aber auch das
Stark-Ehrenhafte in Ihnen, -- und will den Haß im mir niederdrücken,
-- der mich ins Elend brachte. -- Ich -- folge Ihnen.«

Frau Kern brachte die Sachen Ilses. Sie wurden in eine kleine
Handtasche getan. Jürgen gab der Frau ein Goldstück. Dann schritt Ilse
vor ihm die Treppe hinunter und stieg mit in das Auto ein.

»Wir fahren zuerst nach einem Magazin. Sie müssen entsprechend
gekleidet sein, ehe Sie das Hotel betreten.«

Sie wollte dagegen aufbegehren. Ein Blick aus den großen, grauen Augen
traf ihn, der zu fragen schien: »Was denkst du von mir?!« Jürgen mußte
ihn verstanden haben.

»Seien Sie beruhigt, Fräulein Hergenbach! Ich traf Sie heute lieber
in dieser elenden Behausung an, als elegant gekleidet in bequem
möblierter Wohnung!«

Sie holte tief Atem und erwiderte dann:

»Sie handeln ohne Eigennutz an mir, Herr Plüddekamp! Ich füge mich
Ihren Anordnungen.«

Obwohl sich Jürgen mit weiblicher Ausstattung nie befaßt hatte, sprach
er doch ganz gewandt über diese Dinge. Kurz darauf hielten sie vor
einem großen Modemagazin. Er mußte dort einige Zeit geduldig warten,
damit sie sich eine neue Kleidung auswählen konnte. Als sie dann vor
ihn trat, war sie eine ganz andere geworden. Nach deutschem Muster,
einfach aber geschmackvoll angezogen, machte sie mit ihrer schlanken
Gestalt wieder einen angenehmen Eindruck. Nur in ihren bleichen Zügen
war noch das Elend der letzten Zeit zu erkennen. Jürgen sah sie
prüfend an.

»So,« sagte er darauf kurz, »jetzt können wir in das Hotel fahren.«

In den vornehmen Restaurationsräumen des Hotels stand das zweite
Frühstück bereit. Jürgen forderte Ilse auf, daran teilzunehmen.

Wie seltsam sich doch ihr Geschick gestaltete? Hätte nicht alles
anders sein können? Jetzt saß sie ihm an dem kleinen gedeckten Tisch
gegenüber, und es wurden ihnen die ausgewähltesten Speisen aufgetragen.

»So schön wie auf einer Hochzeitsreise,« dachte sie. Wohin aber hatte
sie das Schicksal geführt! -- Der ungeheure Unterschied von gestern
und heute drang zu gewaltig auf sie ein. Sie berührte kaum die Speisen.

»Essen Sie doch, Fräulein Hergenbach, Sie werden wohl in der letzten
Zeit keine genügende Kost gehabt haben!«

Sie versuchte ein leises Lächeln.

»Gewiß, Herr Plüddekamp, ich habe manchen Tag sogar gehungert. Der
Arbeiter Kern nahm mich auf, als ich in den Straßen umherirrte und aus
Schwäche von einer Ohnmacht befallen wurde. Ich vermochte mich niemand
in meiner Not anzuvertrauen; auch jetzt gab ich die Hoffnung auf, daß
Konsul Martens mir helfen würde. -- Heute drang alles so unerwartet
auf mich ein, daß ich kaum daran glauben mag. Ich sitze hier wie in
einem schönen Traum. Aus dem düsteren Raum heraus -- in diesen Glanz
der Welt hinein! -- Der Gegensatz ist zu schroff. Lassen Sie mir Zeit,
daß ich mich wiederfinde!«

»Das sollen Sie, Fräulein Hergenbach! Ich bin kein Unmensch und will,
daß Sie sich Ihre Stellung in der Welt zurückerobern. Noch können Sie
es.«

Sie richtete ihr Auge fragend auf ihn. In dem Blick war nicht mehr
das Überwältigen der Sinne des Mannes geboten, etwas Demütiges,
Unterordnendes lag in ihm. Jürgen erkannte daraus, daß sie eine
furchtbare Lehre empfangen hatte, die sie läuterte. Schade, daß manche
Menschen erst irren müssen, um dann auf den rechten Weg zu gelangen.

»Trinken Sie doch ein Glas Wein!« forderte er sie auf. Sie ließ aber
das Glas unberührt, das er ihr reichte.

»Ich bin es nicht gewohnt, Herr Plüddekamp. Der Alkohol würde mir zu
Kopf steigen.«

Er nahm ein auf dem Tisch stehendes größeres Glas, goß Wasser hinein
und vermischte dies mit dem Wein.

»So kann es Ihnen nicht schaden!«

»Es schmerzt mich, Herr Plüddekamp, daß Sie jetzt gütig zu mir sind.
Ihre Schroffheit war mir verständlicher.«

»Warum? Mir hat Mitleid nie ferngelegen,« erwiderte er kurz. »Es ist
jetzt meine Pflicht, daß es es Ihnen zuteil wird.«

Das Frühstück war vorüber. Jürgen wandte sich zu Ilse.

»Ehe Sie Ihr Zimmer aufsuchen, Fräulein Hergenbach, wollen wir ein
Programm entwerfen. In einem der kleinen Konferenzzimmer sind wir
ungestört. Ich muß meine Zigarre dabei rauchen.«

Es standen nur ein Tisch mit grüner Tuchplatte, ein paar hochlehnige
Stühle und einige Klubsessel in dem kleinen Raum, den sie nun
betraten. Jürgen ließ sich bequem nieder, langte eine kräftige Importe
heraus, die er nach jeder Mahlzeit rauchte, schnitt behutsam die
Spitze ab und brannte sie an. Ilse nahm auf einem Stuhl Platz.

»Hier sind wir besser aufgehoben, als vor Stunden in der Küche,
Fräulein Hergenbach. Sie können sich offen aussprechen. Es wird
niemand etwas davon erfahren. Ich bin nicht neugierig, muß aber klar
sehen, damit ich handeln kann.« Er reichte ihr freundschaftlich seine
Hand, in die sie die ihre zögernd legte. Er drückte diese kräftig.
»So, -- unser Pakt ist geschlossen -- nun reden Sie!«

Ilse atmete tief.

»Es wird mir schwer, die Worte zu finden, um Ihnen das Erlebte zu
schildern, Herr Plüddekamp.«

»Na, -- ohne Worte geht es schon nicht ab, Fräulein Hergenbach! Sie
liebten früher in solchem Falle -- stumm zu bleiben. Diesen Zug Ihres
Charakters haben Sie wahrscheinlich fallen lassen.«

Ihr Gesicht überflog eine schnelle Röte.

»Ich möchte reden -- und kann es nicht, Herr Plüddekamp! Sie würden
mich doch nicht verstehen! Ich erniedrige mich nur noch mehr, als es
schon geschah.«

»Unsinn! Es fällt kein Mensch so tief, daß er nicht wieder aufsteht.
Übrigens -- es macht mir besondere Freude, Sie -- die Moderne --
wieder auf die gute alte verstoßene Bahn zu heben --.« Er ließ
wohlgefällig sein breites Lachen ertönen.

Ilse fühlte die Herzensgüte, die sich unter den derben Worten Jürgens
offenbarte; dadurch kam ein sicheres Gefühl über sie. Wie ein
gewaltiger, lange zurückgedämmter Strom drang es jetzt hervor:

»Ja, -- Sie sollen es hören, Herr Plüddekamp, und dann mögen Sie mich
richten! -- Ich wurde hinausgesandt, ohne mich selbst zu kennen.
Meinen Eltern und Geschwistern glaubte ich nicht, -- warum sollte ich
auch anders geartet sein? Es lag aber ein wilder Drang in mir, den
ich den Blicken fremder Menschen verschließen mußte. Ich blieb stumm,
wenn ich am liebsten hinausgeschrien hätte: ›Laßt mich ausleben!‹ --
In der Pension erfuhr ich nur Überflüssiges, -- was einfache Mädchen
belastet. Eine Sucht nach der Schönheit im Leben, -- künstlerische
Neigungen wurden in mir erweckt, -- ich konnte stundenlang in den
Galerien die Bilder betrachten.«

»Die meisten Mädchen waren aus der Großstadt und mir in allem voraus.
Sie schürten mich täglich an -- die Kraft der Frau den Männern
gegenüber zu erproben -- Siegerin zu werden. Was war dies? Ich
verstand es nicht!«

»Kurz darauf kam ich in Ihr Haus. Der Ernst, der darin waltete,
erdrückte mich anfangs, -- ich sah mißmutig in eine andere Welt
hinein. Bald fühlte ich aber die siegreiche Macht der Frau. Sie
haschten alle nach mir. Ihr Bruder Wolf voran --«

»Leider,« warf Jürgen ein.

»Nur einer nicht --«

»Lassen Sie diesen einen beiseite, Fräulein Hergenbach. -- Es ist
kein Verdienst, -- nur eine Verstandeseigenschaft, die heute vielen
verkehrt erscheint.«

»Nein, es muß heraus, Herr Plüddekamp!« fuhr sie in leidenschaftlichem
Ton fort, und auf ihren Wangen entstanden scharf umrissene rote
Kreise. »Ich haßte Sie, und um mich zu rächen, gab ich Wolf mein Wort.
Ich wußte, daß Sie dies nicht wollten und ich Sie nicht tiefer treffen
konnte. Es war schlecht gehandelt --«

»Allerdings! Sie haben Wolf bis an den Rand des Todes gebracht,« fiel
er bitter ein.

Sie stand zitternd auf.

»Wolf -- Ihren Bruder -- unmöglich!«

»Es ist jetzt noch kaum genesen -- von Ihnen allerdings geheilt.«

»Wie soll ich dies verstehen, -- er hat mich betrogen, -- die blonde
Person in der Weinkneipe, -- in die mich Smiders lockte, -- stand ihm
näher --«

»Smiders fing Sie durch eine lächerliche Komödie. Er benutzte die
weibliche Eitelkeit. -- Sie sollen jetzt von mir die Wahrheit hören
--«

Wort für Wort drang auf Ilse ein. Sie sah ihn starr an, -- jeder
Blutstropfen ihres Gesichts wich zurück.

»Mein Gott -- Herr Plüddekamp,« stöhnte sie auf, »was kann ich tun, um
Wolfs Verzeihung zu erlangen!«

»Nichts, Fräulein Hergenbach,« erwiderte er ernst, »als daß Sie nie
mehr vor ihn hintreten. -- Er hat Ruhe und Frieden wiedergefunden.« --
--

Sie hörte von diesem Augenblick geduldig an, was er ihr vorschlug.

»Ich werde Sie nach Nordhausen in Ihr Elternhaus zurückbringen. Herta
war gezwungen, auf einen Brief Ihrer Mutter zu antworten, daß Sie uns
verlassen hatten. Trotzdem können Sie ruhig sein, -- ich spreche für
Sie. --«




                                XXIV.


Wolf blieb wochenlang in Wershagen. Er sah die Halme gelb werden
und die Ähren reifen. Die Ernte ging vorüber. Der Weizen und Roggen
füllte die Scheunen. Das frische Korn breitete sich nach und nach zu
mächtigen Haufen in den Speichern aus.

Wolf Plüddekamp war in dem einfachen, ruhigen Landleben an Körper und
Seele wieder gesundet. Er ritt täglich mit Oberamtmann Wichers auf die
Felder hinaus, und die launige Art des Landwirtes wirkte wohltuend
auf sein Gemüt ein. An den Abenden spielte er mit Lieschen vierhändig
Klavier. Die blauen Augen des jungen Mädchens schauten froh und
schelmisch drein, als wollten sie sagen: »Bin ich nicht ein lustiger
Kamerad?« Wenn sich Wolf auch noch nicht ausgesprochen hatte, Lieschen
wußte genau, daß mit seiner Krankheit alle törichte Leidenschaft in
ihm geschwunden war. Sie hatte sich den zukünftigen Gatten durch
Liebe und Aufopferung erkämpft. Was zwischen ihnen lag, war kein
wildes Empfinden, das sie gewaltsam zusammenband, sondern die milde,
wohltuende Flamme einer reinen Neigung, die am häuslichen Herd wärmend
und beglückend ausdauert.

Wolf Plüddekamp wollte nach Stettin zurück. Er nahm keinen Abschied
von Wershagen; ein kräftiger Händedruck, den er Oberamtmann Wichers
und Lieschen gab, offenbarte die Tiefe seines Gefühls. Der Händedruck
sprach aus: »Wir sind einig fürs Leben!«

       *       *       *       *       *

Im alten Kaufherrnhause herrschte ungewohntes Leben und Treiben. Die
freudige Erregung ging von Jürgen Plüddekamp selbst aus. Schon am
frühen Morgen rief er seinen Freund und Prokuristen Armin herein.

»Die Kontore werden heute nachmittag geschlossen. Die jungen Leute
sollen den schönen Herbsttag benutzen und einen Ausflug machen. Sie
vertreten mich dabei, Armin! Ich will mich meinem Bruder widmen
und die Freude empfinden, daß er uns Geschwistern nach der langen,
schweren Krankheit gesund wieder geschenkt wurde.« --

Jochen war damit beschäftigt, eine mächtige Girlande über dem
Treppenaufgang anzubringen.

»Heute kommt mein Wolf,« schmunzelte er vor sich hin, »es wird auch
man Zeit. Das alte Haus schläft sonst noch ganz ein. Er pfeift doch
manchmal eins!«

Kurz vor Beginn der Mittagszeit traf Wolf Plüddekamp ein. Jürgen stand
vor dem Toreingang. Als sein Bruder aus dem Wagen sprang, sagte ihm
ein einziger Blick, daß dieser im Vollbesitz seiner Kraft wiederkam.

Der alte Hüne, Jochen Hindorf, hatte mit abgezogener Kappe neben
seiner Girlande Aufstellung genommen. Wolf gab ihm einen tüchtigen
Schlag auf die Schulter.

»Ich danke dir, Alter,« sagte er, ihm die Hand reichend, »und morgen
komm zu mir, dann sollst du deinen Dänen haben, der dir wohl schon
lange gefehlt hat.«

»Es muß ja nicht sein, Herr Wolf,« lachte Jochen über das ganze
Gesicht. »Die größte Freude habe ich, daß Sie wieder vergnügt sein
können.«

Die Geschwister zogen sich nach dem Mittagessen in die gemütliche Ecke
des Speisezimmers zurück.

»Ihr waret mit euren Briefen recht karg,« meinte Wolf lachend. »Es kam
mir auch ganz erwünscht. Ich mochte nichts mehr von dem Vergangenen
hören und selbst keine Feder zum Schreiben ansetzen. Dafür lief ich
den ganzen Tag in Feld und Wald herum. Du siehst, Jürgen, welche
starke Einwirkung die Natur auf mich ausübte. Ich habe die Empfindung,
daß ein ganz neues Leben in mir erwacht ist.«

»Du verspürst also keine Lust, Wölfchen, auf deinen Kontorsitz
zurückzukehren?«

»Offen gestanden, nein, Jürgen! Ich habe großes Gefallen an der
Tätigkeit eines Landwirtes gefunden, daß ich diese gern ausüben
möchte.«

Herta lächelte fein.

»Natürlich unter Mitwirkung einer hübschen kleinen Frau, Wölfchen!«

»Ja, Herta, du hast das Richtige getroffen! Als ich heute von
Wershagen fortfuhr, um euch im alten Plüddekampschen Hause
aufzusuchen, hatte ich dabei im stillen die Empfindung, bald aufs Land
zurückzukehren. Ich will mir ein eigenes Nest bauen, und Wichers hilft
mir dazu. Jürgen und du, ihr werdet noch lange unter Aufrechterhaltung
alten Herkommens eure Pflicht hier erfüllen. Mich aber soll nichts
mehr daran erinnern -- was einmal war. Ich habe Lieschen Wichers und
Wershagen herzlich lieb gewonnen.«

Jürgen blickte seinen Bruder ernst, aber mit größtem Wohlwollen an.

»Ich habe deinen Entschluß geahnt, und er wird für dich der richtige
sein. Das alte Haus vereint uns noch einmal -- dann werden wir dich
freigeben müssen. Das Leben verlangt das Schaffen von neuen Werten.
Wir wollen es hier und dort redlich tun. In deinen Söhnen wird uns
eine neue Generation erstehen. Land und Stadt sollen sich ergänzen,
dann kann ein kerniges Geschlecht neue Erfolge zeitigen.«

Herta hatte diesen Worten still zugehört. Sie seufzte tief auf und
setzte dann leise hinzu:

»Wenn ich euch Männer so sprechen höre, ist es mir wie ein vergessenes
Klingen und Singen einstiger Jahre. -- Ein Zeichen, daß ich dem wahren
Glück des Lebens aus dem Wege gegangen bin.«

                            [Illustration]





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHWISTER PLÜDDEKAMP ***


    

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