Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten

By Jean Paul

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Title: Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten

Author: Jean Paul

Illustrator: Karl Thylmann

Release Date: January 12, 2009 [eBook #27775]
[Most recently updated: March 19, 2021]

Language: German


Produced by: Norbert H. Langkau, Itay Perl, Jana Srna and the Online Distributed Proofreading Team

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DES FELDPREDIGERS SCHMELZLE REISE ***




  [ Anmerkungen zur Transkription:

    Im Original gesperrt gedruckter Text wurde mit = markiert.
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    Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
    lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
    der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.

    Die »fortgehenden Noten« (siehe die Vorrede des Verfassers, Punkt 2)
    wurden an ihren ursprünglichen Stellen im Text belassen. Um sie vom
    Haupttext abzusetzen und damit die Lesbarkeit zu erhöhen, wurden sie
    vier Zeichen eingerückt.
  ]




                    [Illustration: Attila Schmelzle]




                                  Des
                        Feldpredigers Schmelzle
                            Reise nach Flätz
                        mit fortgehenden Noten;
                                  von
                               Jean Paul.



                                Leipzig
                           Kurt Wolff Verlag
                                 1917.



                            Mit acht Kupfern
                                  von
                             Karl Thylmann


                               2. Abdruck




Vorrede des Verfassers.


Ich glaube, mit drei Worten ist sie gemacht, so wie der Mensch und seine
Buße aus ebenso vielen Teilen.

1) Das erste Wort ist über den Zirkelbrief des Feldpredigers Schmelzle
zu sagen, worin er seinen Freunden seine Reise nach der Hauptstadt
Flätz beschreibt, nachdem er in einer Einleitung einige Beweise und
Versicherungen seines Mutes vorausgeschickt. Eigentlich ist selber die
Reise nur dazu bestimmt, seine vom Gerüchte angefochtene Herzhaftigkeit
durch lauter Tatsachen zu bewähren, die er darin erzählt. Ob es nicht
inzwischen feine Nasen von Lesern geben dürfte, welche aus einigen
darunter gerade umgekehrt schließen, seine Brust sei nicht überall
bombenfest, wenigstens auf der linken Seite, darüber lass' ich mein
Urteil schweben.

Übrigens bitte ich die Kunstkenner sowie ihren Nachtrab, die
Kunstrichter, diese Reise, für deren Kunstgehalt ich als Herausgeber
verantwortlich werde, bloß für ein Porträt (im französischen Sinne),
für ein Charakterstück zu halten. Es ist ein will- oder unwillkürliches
Luststück, bei dem ich so oft gelacht, daß ich mir für die Zukunft
ähnliche Charaktergemälde zu machen vorgesetzt. -- Wann könnte indes ein
solches Luststückchen schicklicher der Welt ausgestellt und beschert
werden, als eben in Zeiten, wo schweres Geld und leichtes Gelächter
fast ausgeklungen haben, zumal da wir jetzt wie Türken bloß mit Beuteln
rechnen und zahlen (der Inhalt ist heraus) und mit Herzbeuteln (der
Inhalt ist darin)? --

Verächtlich würde mir's vorkommen, wenn irgendein roher Tintenknecht
rügend und öffentlich anfragte, auf welchen Wegen ich zu diesem
Selbst-Kabinetts-Stücke Schmelzles gekommen sei. Ich weiß sie gut und
sage sie nicht. Dieses fremde Luststück, wofür ich allerdings (mein
Verleger bezeugt's) den Ehrensold selber beziehe, überkam ich so
rechtlich, daß ich unbeschreiblich ruhig erwarte, was der Feldprediger
gegen die Herausgabe sagt, falls er nicht schweigt. Mein Gewissen bürgt
mir, daß ich wenigstens auf ehrlicheren Wegen zu diesem Besitztume
gekommen, als die sind, auf denen Gelehrte mit den Ohren stehlen, welche
als geistige Hörsaalshausdiebe und Kathederschnapphähne und Kreuzer die
erbeuteten Vorlesungen in den Buchdruckereien ausschiffen, um sie im
Lande als eigene Erzeugnisse zu verhandeln. Noch hab' ich wenig mehr in
meinem Leben gestohlen, als jugendlich zuweilen -- Blicke.

2) Das zweite Wort soll die auffallende, mit einem Notensouterrain
durchbrochene Gestalt des Werkleins entschuldigen. Sie gefällt mir
selber nicht. Die Welt schlage auf und schaue hinein und entscheide
ebenfalls. Aber folgender Zufall zog diese durch das ganze Buch
streichende Teilungslinie: ich hatte meine eigenen Gedanken (oder
Digressionen), womit ich die des Feldpredigers nicht stören durfte, und
die bloß als Noten hinter der Linie fechten konnten, aus Bequemlichkeit
in ein besonderes Manuskript zusammengeschrieben, und jede Note
ordentlich, wie man sieht, mit ihrer Nummer versehen, die sich bloß auf
die Seitenzahl des fremden Hauptmanuskripts bezog; ich hatte aber bei
dem Kopieren des letzteren vergessen, in den Text selber die
entsprechende einzuschreiben. Daher werfe niemand, sowenig als ich,
einen Stein auf den guten Setzer, daß dieser -- vielleicht in der
Meinung, es gehöre zu meiner Manier, worin ich etwas suchte -- die Noten
geradeso, wie sie ohne Rangordnung der Zahlen untereinander standen,
unter den Text hinsetzte, jedoch durch ein sehr lobenswürdiges
künstliches Ausrechnen wenigstens dafür sorgte, daß unter jede Textseite
etwas von solchem glänzenden Notenniederschlag käme. -- -- Nun, die
Sache ist einmal geschehen, ja verewigt, nämlich gedruckt. Am Ende
sollte ich mich eigentlich darüber erfreuen. In der Tat -- und hätt'
ich jahrelang darauf gesonnen (wie ich's bisher seit zwanzigen getan),
um für meine Digressionskometenkerne neue Lichthülsen, wenn nicht
Zugsonnen, für meine Episoden neue Epopöen zu erdenken: schwerlich
hätt' ich für solche Sünden einen besseren und geräumigeren Sündenbalg
erfunden, als hier Zufall und Setzer fertig gemacht darreichen. Ich habe
nur zu beklagen, daß die Sache gedruckt worden, eh' ich Gebrauch davon
machen können. Himmel! welche fernsten Anspielungen (hätt' ich's vor
dem Drucke gewußt) wären nicht in jeder Textseite und Notennummer zu
verstecken gewesen, und welche scheinbare Unangemessenheit in die
wirkliche Gemessenheit und ins Notenuntere der Karten; wie empfindlich
und boshaft wäre nicht die Höhe und auf die Seite herauszuhauen gewesen,
aus den sicheren Kasematten und Miniergängen unten, und welche _laesio
ultradimidium_ (Verletzung über die Hälfte des Textes) wäre nicht mit
satirischen Verletzungen zu erfüllen und zu ergänzen gewesen!

Aber das Schicksal wollte mir nicht so gut; ich sollte von diesem
goldenen Handwerksboden für Satiren erst etwas erfahren drei Tage vor
der Vorrede.

Vielleicht aber holt die Schreibwelt -- bei dem Flämmchen dieses Zufalls
-- eine wichtigere Ausbeute, einen größeren unterirdischen Schatz
herauf, als leider ich gehoben; denn nun ist dem Schriftsteller ein Weg
gezeigt, in einem Marmorbande ganz verschiedene Werke zu geben, auf
einem Blatte zugleich für zwei Geschlechter, ohne deren Vermischung, ja
für fünf Fakultäten zugleich, ohne deren Grenzverrückung, zu schreiben,
indem er, statt ein ekles, gärendes Allerlei für niemand zu brauen, bloß
dahin arbeitet, daß er Notenlinien oder Demarkationslinien zieht und so
auf dem nämlichen fünfstöckigen Blatte die unähnlichsten Köpfe behauset
und bewirtet. Vielleicht läse dann mancher ein Buch zum vierten Male,
bloß, weil er jedesmal nur ein Viertel gelesen.

Wenigstens den Wert hat dieses Werk, daß es ein Werkchen ist, und klein
genug; so daß es, hoff' ich, jeder Leser fast schon im Buchladen schnell
durchlaufen und auslesen kann, ohne es, wie ein dickes, erst deshalb
kaufen zu müssen. -- Und warum soll denn überhaupt auf der Körperwelt
etwas anderes groß sein, als nur das, was nicht zu ihr gehört, die
Geisterwelt? --

                         =Baireuth=,
               im Heu- und Friedensmonat 1807.

                                 =Jean Paul Fr. Richter.=


[Illustration: Der Blitzschirm ist nämlich ganz der Reimarus'sche]




Zirkelbrief des vermutlichen katechetischen Professors =Attila
Schmelzle= an seine Freunde, eine Ferienreise nach Flätz enthaltend,
samt einer Einleitung, sein Davonlaufen und seinen Mut als voriger
Feldprediger betreffend.


Nichts ist wohl lächerlicher, meine werten Freunde, als wenn man
einen Mann für einen Hasen ausgibt, der vielleicht gerade mit den
entgegengesetzten Fehlern eines Löwen kämpft, wiewohl nun auch der
afrikanische Leu seit Sparrmanns Reise als ein Feigling zirkuliert.
Ich bin indes in diesem Falle, Freunde, wovon ich später reden werde,
ehe ich meine

    [103] Gute Fürsten bekommen leicht gute Untertanen (nicht so leicht
    diese jene); so wie Adam im Stande der Unschuld die Herrschaft über
    die Tiere hatte, die alle zahm waren und blieben, bis sie bloß mit
    ihm verwilderten und fielen.

Reise beschreibe. Ihr freilich wißt alle, daß ich gerade umgekehrt den
Mut und den Waghals (ist er nur sonst kein Grobian) vergöttere, zum
Beispiel meinen Schwager, den Dragoner, der wohl nie in seinem Leben
einen Menschen allein ausgeprügelt; sondern immer einen ganzen geselligen
Zirkel zugleich. Wie furchtbar war nicht meine Phantasie schon in der
Kindheit, wo ich, wenn der Pfarrer die stumme Kirche in einem fort
anredete, mir oft den Gedanken: »wie, wenn du jetzt geradezu aus dem
Kirchenstuhle hinauf schrieest: ich bin auch da, Herr Pfarrer!« so
glühend ausmalte, daß ich vor Grausen hinaus mußte! -- So etwas wie
Rugendas' Schlachtstücke -- entsetzliches Mordgetümmel -- Seetreffen und
Landstürme bei Toulon -- auffliegende Flotten -- und in der Kindheit
Prager Schlachten auf Klavieren -- und kurz, jede Karte von einem
reichen Kriegsschauplatz; dies sind vielleicht zu sehr meine
Liebhabereien und ich lese -- und kaufe nichts lieber; es könnte

    [5] Denn ein guter Arzt rettet, wenn nicht immer von der Krankheit,
    doch von einem schlechten Arzt.

mich oft zu manchem versuchen, hielt mich nicht meine Lage aufrecht.
Soll indes rechter Mut etwas Höheres sein, als bloßes Denken und Wollen:
so genehmigt ihr es am ersten, Werteste, wenn auch der meinige einst
dadurch in tätige Worte ausbrechen will, daß ich meinen künftigen
Katecheten, so gut es in Vorlesungen möglich, zu christlichen Heroen
stähle. -- Es ist bekannt, daß ich immer, wenigstens zehn Acker weit,
von jedem Ufer voll Badegäste und Wasserschwimmer fern spazieren gehe,
um für mein Leben zu sorgen, bloß weil ich voraussehe, daß ich, falls
einer davon ertrinken wollte, ohne weiteres (denn das Herz überflügelt
den Kopf) ihm, dem Narren, rettend nachspringen würde, in irgendeine
bodenlose Tiefe hinein, wo wir beide ersöffen. -- Und wenn das Träumen
der Widerschein des Wachens ist, so frag' ich euch, Treue, erinnert ihr
euch nicht mehr, daß ich euch Träume von mir erzählt habe, deren sich
kein Cäsar, Alexander und

    [100] Die Bücher liegen voll Phönixasche eines tausendjährigen
    Reichs und Paradieses; aber der Krieg weht und viel Asche verstäubt.

Luther schämen darf? Hab' ich nicht -- um nur an einige zu erinnern --
Rom gestürmt und mich mit dem Papste und dem Elefantenorden des
Kardinalkollegiums zugleich duelliert? Bin ich nicht zu Pferde, worauf
ich als Revuezuschauer gesessen, in ein _bataillon quarré_ eingebrochen
und habe in Aachen die Perücke Karls des Großen, wofür die Stadt
jährlich zehn Rtlr. Frisiergeld zahlt, und darauf in Halberstadt von
Gleim Friedrichs Hut erobert, und beide aufeinander aufgesetzt und habe
mich doch noch umgekehrt, nachdem ich vorher auf einem erstürmten Walle
die Kanone gegen den Kanonier selber umgekehrt? -- habe ich nicht mich
beschneiden und doch als Jude mich zählen lassen, und mit Schinken
bewirten, wiewohl's Affenschinken am Orinoko waren (nach Humboldt)? Und
tausend dergleichen; denn zum Beispiel den Flätzer Konsistorialpräsidenten
hab' ich aus dem Schloßfenster geworfen -- Knall- oder Allarmfidibus von

    [102] Lieber politischer und religiöser Inquisitor! Die Turiner
    Lichtchen leuchten ja erst recht, wenn du sie zerbrichst, und zünden
    dann sogar.

Heinrich Backofen in Gotha, das Dutzend zu 6 Gr., und jeder wie eine
Kanone knallschlagend, hab' ich so ruhig angehört, daß die Fidibus mich
nicht einmal aufweckten -- und mehr.

Doch genug! Es ist Zeit, mit wenigem die Verleumdung meines
Feldpredigeramtes, die leider auch in Flätz umläuft, bloß dadurch, wie
ein Cäsar den Alexander zu zerstäuben, daß ich sie berühre. Es sei daran
wahr was wolle, es ist immer wenig oder gar nichts. Euer großer Minister
und General in Flätz -- vielleicht der größte überall -- denn es gibt
nicht viele Schabacker -- konnte allerdings wie jeder große Mann gegen
mich eingenommen werden, doch nicht mit dem Geschütz der Wahrheit; denn
letzteres stell' ich euch hierher, ihr Herzen, und drückt ihr's nur zu
meinem Besten ab! Es laufen nämlich im Flätzischen unsinnige Gerüchte
um, daß ich aus bedeutenden Schlachten Reißaus genommen

    [86] So wahr! In der Jugend liebt und genießt man unähnliche Freunde
    fast mehr, als im Alter die ähnlichsten.

(so pöbelhaft spricht man), und daß nachher, als man Feldprediger
zu Dank- und Siegespredigten gesucht, nichts zu haben gewesen. Das
Lächerliche davon erhellt wohl am besten, wenn ich sage, daß ich in gar
keinem Treffen gewesen bin, sondern mehrere Stunden vor demselben mich
so viele Meilen rückwärts dahin gezogen habe, wo mich unsere Leute,
sobald sie geschlagen worden, notwendig treffen mußten. Zu keiner Zeit,
ist der Rückzug wohl so gut -- ein guter aber wird für das Meisterstück
der Kriegskunst gehalten -- und mit solcher Ordnung, Stärke und Sicherheit
zu machen, als eben vor dem Treffen, wo man ja nicht geschlagen ist.

Ich könnte zwar als hoffentlicher Professor der Katechetik zu solchen
Verumfeiungen meines Mutes still sitzen und lächeln -- denn schmied' ich
meine künftigen Katecheten durch sokratisches Fragen zum Weiterfragen
zu: so hab' ich sie zu Helden gehärtet, da nichts gegen sie zu Felde
zieht als Kinder -- Katecheten

    [128] In der Liebe gibt's Sommerferien; aber in der Ehe gibt's auch
    Winterferien, hoff' ich.

dürfen ohnehin Feuer fürchten, nur Licht nicht, da in unseren Tagen wie
in London die Fenster eingeworfen werden, wenn sie nicht erleuchtet
sind, anstatt daß es sonst den Völkern mit dem Lichte ging wie den
Hunden mit dem Wasser, die, wenn man ihnen lange keins gibt, endlich die
Scheu vor dem Wasser bekommen -- und überhaupt säuselt für Katecheten
jeder Park lieblicher und wohlriechender als ein schwefelhafter
Artilleriepark, und der Kriegsfuß, worauf die Zeit gesetzt wird, ist
ihnen der wahre teuflische Pferdefuß der Menschheit. -- --

Aber ich denke anders -- ordentlich als wäre der Patengeist des
Taufnamen Attila mehr, als sich's gehört, in mich gefahren, ist

    [143] Die Weiber haben wöchentlich wenigstens einen aktiven und
    passiven =Neids=tag, den heiligen, den Sonntag; -- nur die höhern
    Stände haben mehr Sonn- als Werkeltage, so wie man in großen Städten
    seinen Sonntag schon Freitags mit einem Türken feiern kann, Sonnabends
    mit einem Juden, Sonntags mit sich selbst. Weiber gleichen köstlichen
    Arbeiten aus Elfenbein, nichts ist weißer und glätter und nichts wird
    leichter gelb.

mir daran gelegen, immer nur meinen Mut zu beweisen, was ich denn hier
wieder mit einigen Zeilen tun will, teuerste Freunde! Ich könnte diese
Beweise schon durch bloße Schlüsse und gelehrte Zitate führen. Zum
Beispiel wenn Galen bemerkt, daß Tiere mit großen Hinterbacken
schüchtern sind: so brauch' ich bloß mich umzuwenden und dem Feinde nur
den Rücken -- und was darunter ist -- zu zeigen, wenn er sehen soll,
daß es mir nicht an Tapferkeit fehlt, sondern an Fleisch. -- Wenn nach
bekannten Erfahrungen Fleischspeisen herzhaft machen: so kann ich
dartun, daß ich hierin keinem Offizier nachstehe, welcher bei seinem
Speisewirt große Bratenrechnungen nicht nur machen, sondern auch
unsaldiert bestehen läßt, um zu jeder Stunde, sogar bei seinem Feinde
selber (dem Wirte), ein offenes Dokument zu haben, daß er das Seinige
(und Fremdes dazu) gegessen, und gemeines Fleisch auf den Kriegsfuß
gesetzt,

    [34] Nur die kleinen Tapeten- und Hintertüren sind die Gnadentüren;
    das große Tor ist die Ungnadentüre, die Flügeltüren sind halbe
    Januspforten.

lebend nicht, wie ein anderer, von Tapferkeit, sondern für Tapferkeit.
Ebensowenig hab' ich je als Feldprediger hinter irgendeinem Offizier
unter dem Regimente zurückstehen wollen, der ein Löwe ist und mithin
jeden Raub angreift, nur daß er, wie dieser König der Tiere, das Feuer
fürchtet -- oder der, wie König Jakob von England, welcher davonlaufend
vor nackten Degen, desto kühner vor ganz Europa dem stürmenden Luther
mit Buch und Feder entgegenschritt, gleichfalls bei ähnlicher
Idiosynkrasie sowohl mündlich als schriftlich mit jedem Kriegsheer
anbindet. Hier entsinn' ich mich vergnügt eines wackeren Sous-Lieutenants,
der mir beichtete -- wiewohl er mir noch das Beichtgeld schuldig ist,
sowie, noch besser, seinen Wirtinnen das Sündengeld -- welcher in
Rücksicht der Herzhaftigkeit vielleicht etwas von jenem indischen Hunde
hatte, den Alexander geschenkt bekommen

    [21] Schiller und Klopstock sind poetische Spiegel vor dem
    Sonnengotte; die Spiegel werfen so blendend die Sonne zurück, daß
    man in ihnen die Gemälde der Welt nicht gespiegelt sehen kann.

als einen Hundsalexander. Der Makedonier ließ zur Probe auf den
Wunderhund andere Helden- oder Wappentiere anlaufen -- erstlich einen
Hirschen -- aber der Hund ruhte; -- dann eine Sau -- er ruhte; -- sogar
einen Bären -- er ruhte: jetzt wollt' ihn Alexander verurteilen, als
man endlich einen Löwen einließ; da stand der Hund auf und zerriß den
Löwen. Ebenso der Sous-Lieutenant. Ein Duellant, ein Auswärtsfeind, ein
Franzose ist ihm nur Hirsch und Sau und Bär, und er bleibt liegen; aber
nun komme und klopfe an sein ältester, stärkster Feind, sein Gläubiger,
und fordere ihm für verjährte Freuden jetziges Schmerzensgeld ab, und
wollt' ihm so Vergangenheit und Zukunft zugleich abrauben: der Leutnant
fährt auf und wirft den Gläubiger die Treppe hinab. Leider steh' ich
auch erst bei der Sau und werde natürlich verkannt.

_Quo_ -- sagt Livius XII. 5. mit Recht --

    [72] Den Halbgelehrten betet der Viertelsgelehrte an -- diesen der
    Sechzehnteilsgelehrte -- und so fort; -- aber nicht den Ganzgelehrten
    der Halbgelehrte.

_quo timoris minus est, eo minus ferme periculi est_, oder zu deutsch
-- je weniger man Furcht hat, desto weniger Gefahr ist fast dabei; ich
kehre den Satz ebenso richtig um, je weniger Gefahr, desto kleiner die
Furcht, ja es kann Lagen geben, wo man ganz und gar von Furcht nichts
weiß -- worunter meine gehört. Um desto verhaßter muß mir jede Afterrede
über Hasenherzigkeit erscheinen.

Ich schicke meiner Ferienreise noch einige Tatsachen voraus, welche
beweisen, wie leicht Vorsicht -- das heißt wenn ein Mensch nicht dem
dummen Hamster gleichen will, der sich sogar gegen einen Mann zu Pferde
auflehnt -- für Feigheit gelte. Ich wünschte übrigens nur, ich könnte
ebenso glücklich einen ganz anderen Vorwurf, den eines Waghalses,
ablehnen, wiewohl ich doch im folgenden gute Fakta beizubringen gedenke,
die ihn entkräften.

    [35] _Bien écouter c'est presque répondre_ sagt Marivaux mit Recht
    von geselligen Zirkeln; ich dehn' es aber auch auf runde Sessions-
    und Kabinettstische aus, wo man referiert und der Fürst zuhört.

Was hilft der Heldenarm ohne ein Heldenauge? Jener wächst leicht stärker
und nerviger, dieses aber schleift sich nicht so bald wie Gläser
schärfer. Indes aber, die Verdienste der Vorsicht fallen weniger ins
Auge (ja mehr ins Lächerliche) als die des Mutes. Wer mich zum Beispiel
bei ganz heiterem Himmel mit einem wachstuchenen Regenschirm gehen
sieht: dem komm' ich wahrscheinlich so lange lächerlich vor, als er
nicht weiß, daß ich ihn als Blitzschirm führe, um nicht von einem
Wetterstrahl aus blauem Himmel (wovon in der mittleren Geschichte mehr
als ein Beispiel steht) getroffen zu werden. Der Blitzschirm ist nämlich
ganz der Reimarussche; ich trage auf einem langen Spazierstocke das
wachstuchene Sturmdach, von dessen Giebel sich eine Goldtresse als
Ableitungskette niederzieht, die durch einen Schlüssel, den sie auf dem
Fußsteig nachschleift, jeden möglichen

    [17] Das Bette der Ehren sollte man doch, da oft ganze Regimenter
    darauf liegen, und die letzte Ölung und vorletzte Ehre empfangen von
    Zeit zu Zeit weichfüllen, ausklopfen und sömmern.

Blitz leicht über die ganze Erdfläche ableitet und verteilt. Mit diesem
Paradonner (_paratonnerre portatif_) in der Hand will ich mich wochenlang
ohne die geringste Gefahr unter dem blauen Himmel herumtreiben. Indes
deckt diese Taucherglocke noch gegen etwas anderes -- gegen Kugeln. Denn
wer gibt mir im Herbste schwarz auf weiß, daß kein versteckter Narr von
Jäger irgendwo, wenn ich die Natur genieße und durchstreife, seine
Kugelbüchse in einem Winkel von 45 Grad so abdrückt, daß sie im
Herunterfallen bloß auf meinem Scheitel aufzuschlagen braucht, damit
es so gut ist, als würd' ich seitwärts ins Gehirn geschossen?

Es ist ohnehin schlimm genug, daß wir nichts gegen den Mond haben, uns
zu wehren -- der uns gegenwärtig beschießt mit Gestein, wie ein halber
türkischer; denn dieser elende,

    [112] Gewisse Weltweiber benutzen in gewissen Fällen ihre körperliche
    Ohnmacht, wie Mohammed seine =fallende= Sucht -- auch ist jene diese
    -- bloß um Offenbarungen, Himmel, Eingebungen, Heiligkeit und
    Proselyten zu erhalten.

kleine Erdtrabant und Läufer und _valet de Fantaisie_ glaubt in diesen
rebellierenden Zeiten auch anfangen zu müssen, seiner großen Landesmutter
etwas zuzuschleudern aus der Davidshirtentasche. Wahrhaftig, jetzt kann
ja ein junger Katechet von Gefühl nachts mit geraden Gliedern in den
Mondschein hinauswandeln, um manches zu empfinden oder zu bedenken,
und kann (mitten im Gefühl erwirft ihn der absurde Satellit) als
zerquetschter Brei wieder nach Hause gehen. -- -- Bei Gott! überall
Klingenproben des Muts! Hat man mühsam Donnerkeile eingeschmolzen und
Kometenschwänze anglisiert: so führt der Feind neues Geschütz im Mond
auf oder sonst wo im Blau!

Noch eine Geschichte sei genug, um zu beweisen, wie lächerlich gerade
die ernsthafteste

    [120] Mancher wird ein freier Diogenes, nicht wenn er in dem Fasse,
    sondern wenn dieses in ihm wohnt; und die gewaltige Hebkraft des
    =Flaschenzugs= in der Mechanik spürt er fast von einem Flaschenzuge
    anderer Art beim Flaschenkeller wiederholt und gut bewährt.

Vorsicht bei allem inneren Mute oft außen dem Pöbel erscheint. Reiter
kennen die Gefahren auf einem durchgehenden Pferde längst. Mein Unstern
wollte, daß ich in Wien auf ein Mietspferd zu sitzen kam, das zwar ein
schöner Honigschimmel war, aber alt und hartmäulig wie der Satan, so daß
die Bestie in der nächsten Gasse mit mir durchging und zwar -- leider
bloß im Schritte. Kein Halten, kein Lenken schlug an; ich tat endlich
auf dem Selbststreitroß Notschuß nach Notschuß und schrie: »Haltet auf,
ihr Leute, um Gottes Willen aufgehalten, mein Gaul geht durch!« Aber da
die einfältigen Menschen das Pferd so langsam gehen sahen wie den
Reichshofratsprozeß und den ordinären Postwagen: so konnten sie sich
durchaus nicht in die Sache finden, bis ich in heftigster Bewegung wie
besessen schrie: »Haltet doch auf, ihr Pinsel und Pensel, seht ihr denn
nicht, daß ich die Mähre nicht mehr halten kann?« Jetzt kam

    [2] Die Kultur machte ganze Länder, z. B. Deutschland, Gallien usw.
    physisch wärmer, aber geistig kälter.

den Faulpelzen ein hartmäuliges, schrittlings ausziehendes Pferd
lächerlich vor. -- Halb Wien bekam ich dadurch wie einen Bartsternschwanz
hinter meinem Roßschweif und Zopf nach. -- Fürst Kaunitz, sonst der beste
Reiter des Jahrhunderts (des vorigen), hielt an, um mir zu folgen. --
Ich selber saß und schwamm als aufrechtes Treibeis auf dem Honigschimmel,
der in einem fort Schritt für Stritt durchging. -- Ein vieleckiger,
rockschößiger Briefträger gab rechts und links seine Briefe in den
Stockwerken ab und kam mir stets mit satirischen Gesichtszügen wieder
nach, weil der Schimmel zu langsam auszog. -- Der Schwanzschleuderer
(bekanntlich der Mann, der mit einer zweispännigen Wassertonne

    [99] Gleichwohl hab' ich bei allem meinen Grimm über Nachdruck doch
    nie den Ankauf eines Privilegiums gegen Nachdruck für etwas anderes
    oder schlechteres gehalten als für die Abgabe, die bisher alle
    christlichen Seemächte an die barbarischen Staaten erlegten, damit
    sie nicht beraubt wurden. Nur Frankreich hat eben der Ähnlichkeit
    wegen sowohl das Nachdrucks-Privilegium als die barbarische Abgabe
    abgeschafft.

über die Straßen fährt und sie mit einem drei Ellen langen Schlauch aus
einem blechernen Trichter benetzt) fuhr ungemein bequem den Hinterbacken
meines Pferdes nach und feuchtete während seiner Pflicht jene und mich
selber kühlend an, ob ich gleich kalten Schweiß genug hatte, um keines
frischeren zu bedürfen. -- Ich geriet auf meinem höllischen, trojanischen
Pferd (nur war ich selber das untergehende Troja, das ritt) nach
Matzleinsdorf (einer Wiener Vorstadt), oder waren's für meine gepeinigten
Sinne ganz andere Gassen. -- Endlich mußte ich abends spät nach dem
Reträteschuß des Praters im letzteren zu meinem Abscheu und gegen alle
Polizeigesetze auf dem gesetzlosen Honigschimmel noch herumreiten, und
ich hätte vielleicht gar auf ihm übernachtet, wenn nicht mein Schwager,
der Dragoner, mich gesehen und noch fest auf dem durchgegangenen Gaule
gefunden hätte. Er machte keine Umstände -- fing das Vieh

    [1] Je mehr Schwäche, je mehr Lüge; die Kraft geht gerade; jede
    Kanonenkugel, die Höhlen oder Gruben hat, geht krumm.

-- tat die lustige Frage: warum ich nicht voltigiert hätte, ob er gleich
recht gut weiß, daß dazu ein hölzerner Gaul gehört, der steht -- und
holte mich herab -- und so kamen alle berittenen Wesen unberitten und
unbeschädigt nach Hause.

Aber nun endlich einmal an meine Reise!




Reise nach Flätz.


Ihr wißt, Freunde, daß ich die Reise nach Flätz gerade unter den Ferien
machen mußte, nicht nur, weil Viehmarkt und folglich der Minister und
General von Schabacker da war, sondern vornehmlich, weil er (wie ich von
geheimer Hand sicher hatte) jährlich den 23. Juli am Abend vor dem
Markttage um fünf Uhr

    [32] Unser Zeitalter -- von einigen papiernes genannt, als sei es
    aus Lumpen eines besser Bekleideten gemacht -- bessert sich schon
    halb, da es die Lumpen jetzt mehr zu Scharpien als zu Papieren
    zerzupft, wiewohl oder weil der Lumpenhacker (oder auch der
    Holländer) eben nicht ausruht; indes, wenn gelehrte Köpfe sich in
    Bücher verwandeln, so können sich auch gekrönte in Staatspapiere
    verwandeln und ummünzen; -- in Norwegen hat man nach dem Allg.

soviel Gaudium und Gnade sich ausließ, daß er die meisten Menschen
weniger anschnauzte als anhörte und -- erhörte. Die Gaudiumsursache
vertrau ich ungern dem Papier. Kurz, ich konnte ihm meine Bittschrift,
mich als unschuldig vertriebener Feldprediger durch eine katechetische
Professur zu entschädigen und zu besolden in keiner besseren Jahres- und
Tageszeit überreichen, als abends um fünf Uhr Hundstagsanfang. Ich
setzte mein Bittschreiben in drei Tagen auf. Da ich weder Konzepte, noch
Abschriften desselben schonte und zählte: so war ich bald so weit, daß
ich das relativ Beste ganz vollendet vor mir hatte, als ich erschrocken
bemerkte, daß ich darin über dreißig Gedankenstriche in Gedanken
hingeschrieben

    Anzeiger sogar Häuser von Papier, und in manchen guten deutschen
    Staaten -- hält das Kammerkollegium (das Justizkollegium ohnehin)
    seine eigenen Papiermühlen, um Düten genug für das Mehl seiner
    Windmühlen zu haben. Ich wünschte aber, unsere Kollegien nähmen sich
    jene Glasschneiderei in Madrid zum Muster, in welcher (nach
    Baumgärtner) zwar neunzehn Schreiber angestellt waren, aber doch
    auch eilf Arbeiter.

hatte. Leider schießen diese Stacheln heutzutage wie aus Wespensteißen,
unwillkürlich aus gebildeten Federn hervor. Ich warf es zwar lange
in mir hin und her, ob ein Privatgelehrter sich einem Minister mit
Gedankenstrichen nähern dürfe -- so sehr auch dieses ebene Unterstreichen
der Gedanken, diese wagerechten Taktstriche poetischer Tonstücke und
diese Treppenstricke oder Achillessehnen philosophischer Sehstücke jetzt
ebenso allgemein als nötig sind -- allein ich mußte doch am Ende (da
Ausschaben Standespersonen beleidigt) das beste Probstück wieder
umschreiben und mich wieder eine halbe Stunde am Namen Attila Schmelzle
quälen, weil ich immer

    [39] Epiktet rät an zu reisen, weil die alten Bekanntschaften uns
    durch Scham und Einfluß vom Übergange zur hohen Tugend abhalten --
    so wie man etwa seine Provinzialmundart schamhaft lieber außer Lands
    ablegt und dann völlig geläutert zu seinen Landsleuten zurückkommt;
    noch jetzt befolgen Leute von Stand und Tugend diesen Rat, obwohl
    umgekehrt, und reisen, weil die alten Bekanntschaften sie durch
    Scham zu sehr von neuen Sünden abschrecken.

[Illustration: ... es tue ihm bloss sanft / sagt' er / wie eine gute
Frostsalbe ...]

glaube, diesen sowie die Briefadresse, die beiden Kardinalgegenden und
Punkte der Briefe, nie leserlich genug zu schreiben.




Erste Station, von Neusattel nach Vierstädten.


Der 22. Juli, oder Mittwochs nachmittag um fünf Uhr, war von der
Postkarte der ordentlichen fahrenden Post selber zu meiner Abreise
unwiderruflich anberaumt. Ich hatte also etwa einen halben Tag Zeit,
mein Haus zu bestellen, welchem jetzt zwei Nächte und drittehalb Tage
hindurch meine Brust als Brustwehr, der Verhack mit meinem Ich abgehen
sollte. Sogar mein gutes Weib Bergelchen, wie ich meine Teutoberga
nenne, reiste mir unaufhaltsam den 24. oder Freitags darauf nach, um den
Jahrmarkt zu beschauen und zu benutzen; ja sie wollte schon sogleich mit
mir ausreisen, die treue Gattin. Ich versammelte daher meine kleine
Bedientenstube

    [2] Ein Soldat huldigt und gehorcht in seinem Fürsten zugleich
    seinem Fürsten und seinem Generalissimus; der Zivilist bloß seinem
    Fürsten.

und publizierte ihr die Hausgesetze und Reichsabschiede, die sie nach
meinem Abschiede den Tag und die Nacht erstlich vor der Abreise meiner
Frau und zweitens nach derselben auf das pünktlichste zu befolgen hatten,
und alles, was ihnen besonders bei Feuersbrünsten, Diebeseinbrüchen,
Donnerwettern und Durchmärschen vorzukehren oblag. Meiner Frau übergab
ich ein Sachregister des Besten in unserem kleinen Registerschiffe, was
sie, im Falle es in Rauch aufginge, zu retten hätte. -- Ich befahl ihr,
in stürmischer Nacht (dem eigentlichen Diebswetter) unsere Windharfe ans
Fenster zu stellen, damit jeder schlechte Strauchdieb sich einbildete,
ich phantasierte harmonisch und wachte; desgleichen den Kettenhund am
Tage ins Zimmer zu nehmen, damit er ausschliefe, um nachts munterer zu
sein. Ich riet ferner, auf jeden Brennpunkt der Glasscheiben im Stalle,
ja auf jedes hingestellte Glas Wasser ihr Auge zu haben, da ich ihr
schon öfter die Beispiele erzählt, daß

    [29] Und wieviel ist nicht in der Jurisprudenz Jurisimprudenz,
    ausgenommen bei Unrechtsgelehrten.

durch solche zufällige Brenngläser die Sonne ganze Häuser in Brand
gesteckt. -- Auch gab ich ihr die Morgenstunde, wo sie Freitags ab- und
mir nachreisen sollte, sowie die Haustafeln schärfer an, die sie vorher
dem Gesinde einzuschärfen hätte. Meine liebe, kerngesunde, blühende
Honigwöchnerin Berga antwortete ihrem Flitterwöchner, wie es schien,
sehr ernsthaft: »Geh nur Alterchen, es soll alles ganz scharmant
geschehen. -- Wärest du nur erst voraus, so könnte man doch nach! Das
währt ja aber Ewigkeiten.« -- Ihr Bruder, mein Schwager, der Dragoner,
für den ich aus Gefälligkeit das Passagiergeld trug, um auf dem
Postkissen einen an sich tapferen Degen und Hauinsfeld, sozusagen als
körperlichen und geistigen Verwandten und Spillmagen vor mir zu haben,
dieser zog über meine Verordnungen (was ich leicht dem Hage- und
Kriegsstolzen vergab) sein braunes Gesicht

    [39] »=Die größere Hälfte=« ist ein so meßwidriger Ausdruck, daß ihn
    kein Meßkünstler anders als von der Ehe, ja sogar nur von der
    seinigen gebrauchen könnte.

ansehnlich ins Spöttische und sagte zuletzt: »Schwester, an deiner
Stelle täte ich, was mir beliebte; und dann guckte ich nach, was er auf
seinem Reglementszettel hätte haben wollen.« -- »O,« versetzte ich,
»Unglück kann sich wie ein Skorpion in jede Ecke verkriechen; ich möchte
sagen, wir sind den Kindern gleich, die am schön bemalten Kästchen
schnell den Schieber aufreißen und -- heraus fährt eine Maus, die hackt«
-- »Maus, Maus, Raus, Raus!«, versetzte er auf- und niedertrabend. »Herr
Schwager, aber es ist fünf Uhr; und Sie werden schon finden, wenn Sie
wiederkommen, daß alles so aussieht wie heute, die Hunde wie die Hunde,
und meine Schwester wie eine hübsche Frau: _allons donc!_« -- Er war
eigentlich schuld, daß ich aus Besorgnis seines Mißdeutens nicht vorher
eine Art von Testament gemacht.

Ich packte noch entgegengesetzte Arzneien, sowohl temperierende als
erhitzende, gegen

    [45] Die jetzigen Schriftsteller zucken die Achseln am meisten über
    die, auf deren Achseln sie stehen; und erheben die am meisten, die
    an ihnen hinaufkriechen.

zwei Möglichkeiten ein -- ferner meine alten Schienen gegen Arm- und
Beinbrüche bei Wagenumstürzen -- und (aus Vorsicht) noch einmal so
viel Geldwechsel, als ich eigentlich nötig hatte. Nur wünschte ich
dabei wegen der Mißlichkeit des Aufbewahrens, ich wär' ein Affe mit
Backentaschen, oder ein Beuteltier, damit ich in mehr sichere und
empfindungsvolle Taschen und Beutel solche Lebenspreziosen verschanzte.
Rasieren lasse ich mich sonst stets vor Abreisen aus Mißtrauen gegen
fremde, mordsüchtige Bartputzer; aber diesmal behielt ich den Bart bei,
weil er doch unterwegs, auch geschoren, so reich wieder getrieben hätte,
daß mit ihm vor keinem Minister wäre zu erscheinen gewesen.

Ich warf mich heftig ans Kraftherz meiner Berga an und riß mich noch
heftiger ab, aber sie schien über unsere erste Ehetrennung weniger in
Jammer als in Jubel zu sein,

    [14] Manche Dichter geraten unter dem Malen schlechter Charaktere
    oft so ins Nachahmen derselben hinein, wie Kinder, wenn sie so
    träumen, wirklich ihr Wasser lassen.

viel weniger bestürzt als seelenvergnügt, bloß weil sie auf das Scheiden
nicht halb so sehr als auf das Wiedersehen und Nachreisen, und die
Jahrmarktsschau ihr Augenmerk hatte; doch warf und hing sie sich an
meinen etwas dünnen und langen Hals und Körper fast schmerzhaft als
eine zu fleischige, derbe Last und sagte: »Fege nur frisch davon, mein
scharmanter Attel (Attila) -- und mache dir unterwegs keine Gedanken,
du aparter Mensch! -- Haben wir denn zu klagen? Einen oder ein paar
Püffe halten wir mit Gottes Hilfe schon aus, solange mein Vater kein
Bettelmann ist. -- Und dir aber, Franz,« fuhr sie gegen ihren Bruder
ordentlich zornig fort, »bind' ich meinen Attel auf die Seele, du weißt
recht gut, du wüste Fliege, was ich tue, wenn du ein Narr bist und ihn
wo im Stiche lässest.« Ich verzieh ihr hier manches Gutgemeinte;

    [103] Die Großen sorgen vielleicht so emsig für ihre Nachkommen wie
    die Ameisen; sind die Eier gelegt, so fliegen die männlichen und
    weiblichen Ameisen davon und vertrauen sie den treuen
    =Arbeitsameisen= an.

und euch, Freunden, ist ihr Reichtum und ihre Freigebigkeit auch nichts
Neues.

Gerührt sagt' ich: »Nun, Berga, gibt's ein Wiedersehen für uns, so
ist's gewiß entweder im Himmel oder in Flätz; und ich hoffe zu Gott,
das letztere.« -- Stracks ging's rüstig davon. Ich sah mich durch das
Kutschenrückfenster um nach meinem guten Städtchen Neusattel; und es kam
mir gerührt vor, als richte sich dessen Sturmspitze ordentlich als ein
Epitaphium über meinem Leben oder meinem vielleicht tot zurückreisenden
Leichnam in die Höhe: -- »wie wird alles sein,« dacht' ich, »wenn du nun
endlich nach zwei oder drei Tagen wiederkommst?« Jetzt sah ich mein
Bergelchen uns aus dem Mansardenfenster nachschauen; ich legte mich
weit aus dem Kutschenschlage hinaus, und ihr Falkenauge erkannte sofort
meinen Kopf; Küsse über Küsse warf sie mir mit beiden Händen herab, dem
ins Tal rollenden Wagen nach. »Du

    [10] Und liefert das Leben von unsern idealen Hoffnungen und
    Vorsätzen etwas anderes als eine prosaische, unmetrische, ungereimte
    Übersetzung?

herziges Weib,« dacht' ich, »wie machst du deine niedrige Geburt durch
die geistige Wiedergeburt vergeßlich, ja merkwürdig!«

Freilich, das Postkutschengelag' und Picknick wollte mir weniger
schmecken; lauter verdächtiges, unbekanntes Gesindel, welches (wie
gewöhnlich die Märkte tun) der Flätzer durch seine Witterung einlockte.
Ungern werd' ich Unbekannten ein Bekannter; aber mein Schwager,
der Dragoner, war wie immer schon mit allem, mit Himmel und Hölle
herausgeplatzt. Neben mir saß eine höchstwahrscheinliche Hure. -- Auf
ihrem Schoße ein Zwerg, der sich auf dem Jahrmarkte wollte sehen lassen.
-- Mir gegenüber blickte ein Kammerjäger mich an -- und unten im Tale
stieg noch ein blinder Passagier mit einem roten Mantel ein. Mir gefiel
gar niemand, ausgenommen mein Schwager. Ob nicht die Hure meine
Bekanntschaft zu einer

    [78] Die Weiber halten alles Weißzeug weiß, =nur= kein Buch, ob
    sie gleich vielleicht manchen polemischen Folianten, eh' er in die
    Papiermühle gekommen, als Brauthemde am Leibe mögen getragen haben.
    Die Männer kehren es nur um.

eidlichen Angabe benützen, ob nicht Spitzbuben unter den Passagieren
mich und meine Eigenheiten und Zufälle studieren würden, um auf der
Tortur mich in ihre Bande zu flechten -- dafür konnte sich mir niemand
verpfänden. An fremden Orten schau ich schon ungern -- und aus Vorsicht
-- an irgendein Kerkergitter lange empor, weil ein schlechter Kerl
dahinter sitzen kann, der eilig herunterschreit aus bloßer Bosheit:
»Drunten steht mein Spießkamerad, der Schmelzle!« -- oder auch weil ein
vernagelter Scherge sich denken kann, ich suchte meinen Konföderierten
oben zu entsetzen. Aus einer wenig davon verschiedenen Vorsicht dreh'
ich mich daher niemals um, wenn ein Star mir nachruft: Dieb!

Was den Zwerg selber anlangt, so konnt' er meinetwegen mitfahren, wohin
er wollte; aber er glaubte ein besonderes Frohleben in

    [7] Der geharnischte deutsche Reichskörper konnte sich darum schwer
    bewegen, weshalb die Käfer nicht fliegen können, deren =Flügel=
    recht gut durch =Flügeldecken= -- und zwar durch zusammengewachsene
    -- verschanzt sind.

uns zu bringen, wenn er uns verhieße, daß sein Pollux und Amtsbruder,
ein seltener Riese, der ebenfalls der Messe zur Anschau zuzog, gegen
Mitternacht uns unfehlbar mit seinem Elefantenschritte nachkommen und
sich einsetzen oder hinten aufstellen würde. Beide Narren beziehen
nämlich gemeinschaftlich die Messen als gegenseitige Meßhelfer zu
entgegengesetzten Größen; der Zwerg ist das erhabene Vergrößerungsglas
des Riesen, der Riese das hohle Verkleinerungsglas des Zwergs. Niemand
bezeugte große Freude an der Aussicht der Nachkunft des Maßkopisten des
Zwergs, ausgenommen mein Schwager, der (ist das Wortspiel erlaubt) wie
eine Uhr bloß zum Schlagen gemacht zu sein glaubt, und mir wirklich
sagte: »Könn' er einmal oben in der ewigen Seligkeit keine Seele
zuweilen wamsen

    [8] Mit Staatseinrichtungen ist's wie mit Kunststraßen; auf einer
    ganz neuen, unbefahrenen, wo jeder Wagen am Straßenbau mitarbeiten
    und zerklopfen hilft, man wird ebenso gestoßen und geworfen, als auf
    einer ganz alten, ausgefahrenen voll Löcher. Was ist also hier zu
    tun? Man fahre fort.

und koram nehmen, so fahr' er lieber in die Hölle, wo gewiß des Guten
und der Händel eher zu viel sein werden.« -- Der Kammerjäger im
Postwagen hatte, außerdem schon, daß uns niemand sehr einnimmt, der
bloß vom Vergiften lebt, wie dieser Freund Hain der Ratten und die
Mäuseparze, und daß ein solcher Kerl, was noch schlimmer, sogleich ein
Mehrer des Ungezieferreiches zu werden droht, sobald er nicht dessen
Minderer sein darf -- dieser hatte überhaupt soviel Fatales an sich,
zuerst den Stechblick wie eines Stiletts -- dann das hagere, scharfe
Knochengesicht in Verbindung mit seinem Vorrechnen seines ansehnlichen
Giftsortiments -- dann (denn ich haßte ihn immer heißer) seine geheime
Stille, sein geheimes Lächeln, als seh' er in irgendeiner Schlupfecke
eine Maus, ähnlich einem Menschen. -- Wahrlich, mir, der ich sonst ganz
anderen Leuten stehe, kam endlich sein Rachen als eine Hundsgrotte vor,
seine

    [3] Vor Gericht werden oft ermordete Geburten für totgeborene
    ausgegeben, in Antikritiken totgeborene für ermordete.

Backenknochen als Untiefen und Klippen, sein heißer Atem als
Kalzinierofen und die schwarzhaarige Brust als Welk- und Darrofen -- --

Ich hatte mich auch -- glaub' ich -- nicht viel versehen; denn bald
darauf fing er an, der Gesellschaft, worin ein Zwerg und ein Mädchen
war, ganz kalt zu berichten, er habe schon zehn Leiber mit dem Dolch
nicht ohne Lust durchstoßen -- habe gemächlich ein Dutzend Menschenarme
abgehauen, vier Köpfe langsam gespalten, zwei Herzen ausgerissen und
mehr dergleichen -- und keiner davon, sonst Leute von Mut, hab' ihm im
geringsten widerstanden -- »aber warum?« setzt' er giftig hinzu, und
nahm den Hut vom häßlichen Glatzkopf -- »ich bin unverwundbar. -- Wer
von der Gesellschaft will, lege auf meiner Glatze soviel Feuer an, als
er will, ich lass' es ausbrennen.«

Mein Schwager, der Dragoner, setzte sogleich einen brennenden
Tabaksschwamm auf

    [101] Nicht nur die Rhodier hießen von ihrem Koloß Kolosser, sondern
    auch unzählige Deutsche heißen von Luther Lutheraner.

den Schädel, aber der Jäger stand es so ruhig aus, als wär' es ein
kalter Brand, und er und der Dragoner sahen einander wartend an, und
jeder lächelte sehr närrisch -- es tue ihm bloß sanft, sagt' er, wie
eine gute Frostsalbe, denn dies sei überhaupt die Winterseite an seinem
Leibe. Hier griff mein Schwager ein wenig auf dem nackten Schädel umher
und rief verwundert: er fühle sich so kalt an wie eine Kniescheibe. Nun
hob der Kerl auf einmal nach einigen Vorrüstungen zu unserem Entsetzen
den Viertelsschädel ab und hielt ihn uns hin, sagend, er habe ihn einem
Mörder abgesägt, als ihm zufällig der eigene eingeschlagen gewesen; und
erklärte nun, daß man

    [88] Bis hierher hab' ich immer die Streitschriften der jetzigen
    philosophischen und ästhetischen idealen Streitflegel, worin
    allerdings einige Schimpfworte und Trug- und Lugschlüsse vorkommen,
    mehr von der schönen Seite genommen, indem ich sie bloß als eine
    Nachahmung des klassischen Altertums, und zwar der Ringer desselben
    angesehen, welche (nach Schöttchen) ihren Leib mit =Kot= bestrichen,
    um nicht gefaßt zu werden, und ihre Hände mit =Staub= anfüllten, um
    den fremden zu fassen.

das erzählte Durchstechen und Armabhauen mehr als Scherz zu nehmen habe,
indem er's lediglich getan als Famulus auf dem anatomischen Theater. --
Inzwischen wollte der Scherztreiber doch keinem von uns sehr schmecken und
zu Hals, so daß ich, als er den Kapselkopf, den Repräsentationsschädel,
wieder aufsetzte, schweigend dachte: diese Mistbeetglocke hat gewiß nur
den Ort, nicht die Giftzwiebel verändert, die sie zudeckt.

Am Ende wurde mir's überhaupt verdächtig, daß er, sowie sämtliche
Gesellschaft (auch der blinde Passagier), gerade demselben Flätz
zuschifften, wohin ich selber gedachte; besonderes Glück brauchte ich
mir davon nicht zu versprechen; und mir wäre in der Tat das Umkehren so
lieb gewesen als das Fortfahren, hätt' ich nicht lieber der Zukunft
getrotzt.

Ich komme endlich auch auf den rot gemantelten blinden Passagier,
wahrscheinlich

    [103] Oder sind alle Moscheen, Episkopalkirchen, Pagoden,
    Filialkirchen, Stiftshütten und Panthea etwas anderes als der
    Heidenvorhof zum unsichtbaren Tempel und zu dessen Allerheiligsten?

ein _Emigré_ oder ein _Refugié_ (denn er spricht das deutsche nicht
schlechter als das Französische), entweder namens Jean Pierre oder Jean
Paul ungefähr, oder ganz namenlos. Sein roter Mantel wäre mir ungeachtet
dieser Farbenverschmelzung mit dem Scharfrichter -- der in vielen
Gegenden trefflich Angstmann heißt -- an sich herzlich gleichgültig
geblieben, wäre nicht der besondere Umstand eingetreten, daß er mir
schon fünfmal in fünf Städten (im großen Berlin, im kleinen Hof, Koburg,
Meiningen und Baireuth) wider alle Wahrscheinlichkeit aufgestoßen, wobei
er mich jedesmal bedeutend genug angesehen, und dann seines Weges
gegangen. Ob er mir feindlich nachsetzt oder nicht, weiß ich nicht; nur
ist auf alle Fälle der Phantasie kein Objekt erfreulich, das mit
Observationskorps oder aus

    [40] Das Volk ist nur im Erzählen, nicht im Räsonieren weitläufig;
    der Gelehrte ist nur in jenem, nicht in diesem kurz; eben weil das
    Volk seine Gründe nur als Empfindungen so wie die Gegenwart bloß
    anschauet, der Gelehrte hingegen beide mehr nur denkt.

Schießscharten vielleicht mit Flinten hält und zielt, die es jahrelang
bewegt, ohne daß man weiß, in welchem es abdrückt. -- Noch anstößiger
wurde mir der Rotmantel dadurch, daß er auffallend seine weiche
Seelenmilde pries; dies schien beinah' auf Ausholen oder Sichermachen
zu deuten. Ich erwiderte: »Mein Herr, ich komme eben, wie hier mein
Schwager, vom Schlachtfeld her (die letzte Affäre war bei Pimpelstadt),
und stimme vielleicht deshalb zu stark für Markkraft, Bruststurm,
Stoßglut, und es mag für manchen, der eine brausende Wasserhose,
eigentlich Landhose von Herz hat, gut sein, wenn seine geistliche Lage
(ich bin darin) ihn mehr mildert als wildert. Indes gehört jeder Milde
ihr eisernes Schrankengitter. Fällt mich irgendein unbesonnener Hund
bedeutend an, so tret' ich ihn freilich im ersten Zorn entzwei, und
nachher hinter

    [9] Die Ägypter nahmen bei einem Landesunglück dadurch am Gott
    Typhon, dem sie es zuschrieben, Rache, daß sie seine Lieblinge von
    Felsen stürzten, die Esel. Ähnlicherweise haben sich in der
    Geschichte auch Staaten anderer Religion gerächt.

mir treibt's mein guter Schwager vielleicht noch zweimal weiter, denn
er ist der Mann dazu. Vielleicht ist's Eigenliebe, aber ich beklag's
(gesteh' ich) noch heute, daß ich als Knabe einmal einem anderen Knaben
drei erhaltene Ohrfeigen nicht derb zurückgereicht, und mir ist oft,
als müßt' ich sie seinen Enkeln nachzahlen. Wahrlich, wenn ich auch
nur einen Jungen vor den schwachen Kräften eines ähnlichen Jungen
feig entlaufen sehe, so kann ich das Laufen nicht lassen und will ihn
ordentlich durch einen Machtschlag erretten.« Der Passagier lächelte
indes nicht zum besten. Er gab sich zwar für einen Legationsrat aus und
schien Fuchs genug zu sein, aber ein tollgewordener Fuchs beißt mich am
Ende so wasserscheu als ein toller Wolf. Übrigens fuhr ich unbekümmert
mit meinem

    [70] In die Philosophie verhülle sich die Dichtkunst nur so, wie
    in diese sich jene; Philosophie aber in poetischer Prosa gleicht
    jenen Trinkgläsern in Schenken, welche mit bunten Bilderschnörkeln
    umzogen, zugleich im Genusse des Getränks und des Bildwerks, die oft
    widrig sich decken, stören.

Anpreisen des Mutes fort, nur daß ich absichtlich statt des lächerlichen
Bramarbasierens, welches gerade den Feigen recht verrät, fest, still,
klar sprach. »Ich bin«, sagt' ich, »bloß für Montaignes Rat: man trage
nur Furcht vor der Furcht.«

»Ich würde,« versetzte der Legationsrat unnütz spitzfindig, »wieder
fürchten, daß ich mich nicht genug vor der Furcht fürchtete, sondern zu
feig bliebe.«

»Auch dieser Furcht«, erwidert' ich kalt, »steck' ich Grenzen. Ein Mann
kann zum Beispiel nicht im geringsten Gespenster glauben und fürchten;
gleichwohl kann er nachts sich in Todesschweiß baden, und zwar bloß vor
Angst, wie sehr er sich entsetzen würde (besonders mit welchen Nachwehen
von Schlagflüssen,

    [158] Der Staat sollte öfter die Maul- und Kindertrommeln der
    Dichter nicht mit Regiments- und Feuertrommeln verwechseln; wieder
    umgekehrt sollte der Bürger manche fürstliche Trommelsucht nur für
    eine Krankheit nehmen, worin der Patient bloß durch die unter die
    Haut eingedrungene Luft sehr aufgeschwollen ist.

fallenden Suchten und so weiter), falls nichts als bloß seine so
lebhafte Phantasie irgendein Fieber und Vexierbild vor ihn in die Lüfte
hineinhinge.« -- -- »Man sollte daher«, fiel mein Schwager, wider
Gewohnheit moralisierend, ein, »das so arme Schaf von Mann auch gar mit
keinem Geisterspuk foppen, der Hase kann ja auf der Stelle auf dem
Platze bleiben.«

Ein lautes Gewitter, das dem Postwagen nachfuhr, veränderte den Diskurs.
Ihr, Freunde, erratet wohl alle -- da ihr mich nicht als einen Mann ohne
alle Physik kennen lernen -- meine Maßregeln gegen Gewitter:

    [89] In großen Städten lebt der Fremde die ersten Tage nach seiner
    Ankunft bloß von seinem Gelde im Gasthofe, erst darauf in den
    Häusern seiner Freunde umsonst; langt man hingegen auf der Erde an,
    wie z. B. ich, so wird man gerade die ersten Jahre hindurch höflich
    freigehalten, in den andern und längern aber -- denn man bleibt oft
    sechzig Jahre -- muß man wahrhaftig (ich habe die Dokumente in
    Händen) jeden Tropfen und Bissen bezahlen, als wäre man im großen
    Gasthofe zur Erde, was noch dazu wahr ist.

ich setze mich nämlich auf einen Sessel mitten in der Stube (oft bleib'
ich bei bedenklichem Gewölk ganze Nächte auf ihm), und decke mich durch
mein Reinigen von allen Leitern, Ringen, Schnallen und so weiter und
durch mein Absitzen von allen Blitzabsprüngen immer so, daß ich
kaltblütig die Sphärenmusik der Donnerpauke vernehme. -- Diese Vorsicht
hat mir nie geschadet, da ich ja dato noch lebe; und ich wünsche mir
noch heute Glück, daß ich einmal aus der Stadtkirche, ob ich gleich tags
vorher gebeichtet hatte, ohne weiteres und ohne vorher das Abendmahl zu
nehmen, ins Gebeinhaus hinausgelaufen, weil ein schweres Gewitter (was
wirklich in die Kirchhofslinde einschlug) darüber stand; -- ich kam auch
sogleich nach der Entladung der Wolke aus dem Gebeinhaus in die Kirche
zurück und war so glücklich, noch hinter dem

    [112] Ich sage aber nein. Der Mensch stelle sich so wie seinen Hut
    -- wenn er sich und diesen nicht gerade gebraucht -- beide, um sie
    zu schonen, so lange auf den =Kopf=, bis er wieder getragen wird.

[Illustration: und floh dann mit vollen Segeln auf geradewohl und
geradeaus den Kürzesten Weg hindurch ...]

Henker (als dem letzten) zu kommen und das Liebesmahl zu genießen.

So denk' ich für meine Person; aber leider, im vollen Postwagen traf ich
Menschen, denen Physik wahre Narretei ist. Denn als die Gewitter sich
fürchterlich über unsern Kutschenhimmel versammelten und prasselnde
Feuerklumpen, als wären's Johanniswürmchen, im Himmel umherspielten; und
als ich endlich ersuchen mußte, das schwitzende Postkonklave möchte nur
wenigstens Uhren, Ringe, Gelder und dergleichen zusammenwerfen, etwa in
die Wagentaschen, damit kein Mensch einen Leiter am Leibe hätte: so
tat's nicht nur keiner, sondern mein eigener Schwager, der Dragoner,
stieg gar mit gezogenem nackten Degen auf den Bock hinaus und schwur, er
leite ab. Ich weiß nicht, war der desperate Mensch ein gescheiter oder
keiner; kurz, unsere Lage

    [10] Die Weltepochen feiern -- wie die spanischen Könige --
    Regierungsantritt, Volljährigkeit, Vermählung -- gern mit
    Scheiterhaufen (Autodafés, Tressenausbrennungen der Weisen oder auch
    der Irrgläubigen).

war fürchterlich, und jeder konnte ein gelieferter Mann sein. Zuletzt
bekam ich gar einen halben Zank mit zweien von der rohen Menschenfracht
der Kutsche, dem Vergifter und der Hure, weil sie fragend fast
zu verstehen gaben, ich hätte vielleicht bei dem angepriesenen
Preziosenpicknick nicht die ehrlichsten Anschläge gehabt. So etwas
verwundet die Ehre mit Gewalt, und in mir donnerte es nun stärker als
oben; dennoch mußt' ich den ganzen nötigen Erbitterungswortwechsel so
leise und langsam als möglich führen und haderte sanft, damit nicht am
Ende eine ganz in Harnisch gebrachte Kutsche in Hitze und Schweiß
geriete, und in unsere Mitte so den nahen Donnerkeil auf Ausdünstungen
durch den Kutschenhimmel herabfahren

    [144] Der Rezensent gebraucht seine Feder eigentlich nicht zum
    Schreiben, sondern er weckt mit deren Brandgeruch Ohnmächtige auf,
    kitzelt mit ihr den Schlund des Plagarius zum Wiedergeben, und
    stochert mit ihr seine Zähne aus. Er ist der einzige im ganzen
    gelehrten Lexikon, der sich nie ausschreiben und ausschöpfen kann,
    er mag ein Jahrhundert oder ein Jahrtausend vor dem Tintenfasse
    sitzen. Denn

ließe. Zuletzt setzt' ich der Gesellschaft das ganze elektrische Kapitel
deutlich, aber leise und langsam -- ich wollte nicht ausdampfen --
auseinander und suchte besonders von der Furcht abzuschrecken. Denn, in
der Tat, vor Furcht konnte jeden der Schlag -- ja ein doppelter, mit dem
elektrischen ein apoplektischer -- treffen, da aus Erxleben und Reimarus
genug bewiesen ist, daß starkes Fürchten durch Dünsten den Strahl
zulockt; ich stellte daher in ordentlicher Angst vor meiner und fremder
Furcht den Passagieren vor, daß sie jetzt durchaus bei unserer schwülen
Menge, bei dem die Blitze spießenden Degen auf dem Kutschbock, und bei
dem Überhang der Wetterwolke, und selber bei so vielen Ausdünstungen
anfangender Furcht, kurz, bei

    indes der Gelehrte, der Philosoph und der Dichter das neue Buch nur
    aus neuem Stoff und Zuwachs schaffen, legt der Rezensent bloß sein
    altes Maß von Einsicht und Geschmack an tausend neue Werke an,
    und sein altes Licht bricht sich an der vorbeiziehenden, stets
    verschieden geschliffenen Gläserwelt, die er beleuchtet, in neue
    Farben.

so augenscheinlicher Gefahr nichts fürchten dürften, wollten sie nicht
samt und sonders erschlagen sein. »O, Gott,« rief ich, »nur Mut! Keine
Furcht! Nicht einmal Furcht vor der Furcht! -- Wollen wir denn als
zusammengetriebene Hasen hier seßhaft, von unserem Herrgott erschossen
sein? -- Fürchte sich meinetwegen jeder, wenn er aus der Kutsche heraus
ist, nach Belieben an anderen Orten, wo weniger zu besorgen ist, nur
aber nicht hier.«

Ich kann nicht entscheiden -- da unter Millionen kaum ein Mensch an der
Gewitterwolke stirbt, aber vielleicht Millionen an Schnee- und Regenwolken
und dünnen Nebeln -- ob meine Kutschenpredigt auf Menschenrettungspreise
Anspruch zu machen hatte, als wir sämtlich unbeschädigt, einem Regenbogen
entgegen, in das Städtchen Vierstädten einfuhren, wo ein Posthalter in
der einzigen Gasse wohnte, die der Ort hatte.

    [107] Deutschland ist ein langes, erhabenes Gebirge -- unter dem
    Meer.

[Illustration: Aus der hohen Posthauspforte trat / tief sich bückend /
der Riese heraus]




Zweite Station, von Vierstädten nach Niederschöna.


Der Posthalter war ein grober Patron und ein Schläger; eine Gattung von
Menschen, die ich unaussprechlich hasse, weil meine Phantasie mir immer
vorspiegelt, ich könnte vielleicht aus Zufall oder Widerwillen ihnen ein
recht höhnisches und impertinentes Gesicht schneiden, und mir solche
Gesellen auf den Hals hetzen, und darauf spür' ich schon Ziehen von
Mienen. Zum Glück konnt' ich diesmal (gesetzt, ich hätte ein Fehlgesicht
geschnitten) mich mit meinem Schwager, dem Dragoner, bewaffnen, für
dessen Riesenmacht dergleichen ein Leckerbissen ist. Denn er kann zum
Beispiel vor keinem Wirtshause, worin eine Schlägerei laut wird,
vorbeigehen, ohne hineinzutreten und sogleich unter der Türe zu
schreien: »Macht Friede, ihr Hunde!« darauf unter

    [18] Unter Selbststillen versteht man nicht, wie beim
    tatzensaugenden Bären, daß man sich selber an die eigene Brust lege,
    sondern daß man andere nicht durch andere säugen lasse: so aber
    sollte auch das Wort Selbstliebe im Gebrauche sein.

seinem Schein von Friedensdeputation nimmt er ohne Verzug, als wär' es
eine amerikanische Friedenspfeife, das nächste Stuhlbein in die Hand und
deckt damit das schlagende Personal hinüber und herüber zu, oder er
nähert die harten Köpfe der Parteien (er schlägt sich zu keiner)
einander mit Gewalt, indem er in jede Hand einen am Hinterkopfe faßt;
dann ist der Kauz im Himmel.

Ich für meine Person vermeide diskrepante Zirkel mehr, als daß ich sie
aufsuche, sowie auch jeden toten oder totgemachten Menschen; -- der
vorsichtige Mann sieht leicht voraus, was davon zu holen ist, entweder
verdrießliches und mißliches Zeugschaftgeben, oder oft gar (wenn die
Umstände sich verschwören) peinliches Nachfragen über Mitschuld.

    [97] Daher schließ' ich, daß Schmelzle gut predigt, schon aus seinen
    vielen Kenntnissen und Wortspielen. Die theologische Welt auf
    Kathedern, noch mehr die auf Kanzeln, verdient das Lob, daß sie
    gleichsam der Lichtsammler oder Lichtfang oder Lichtmagnet der
    besten Strahlen und Entdeckungen ist, die aus andern Wissenschaften
    ausgehen, besonders derer aus der Philosophie und Dichtkunst:

In Vierstädten stieß mir nichts von Wichtigkeit auf als -- zu meinem
Grausen -- ein Hund ohne Schwanz, der durch die Stadt oder Gasse lief.
Ich zeigte erbittert im ersten Feuer den Passagieren den Hund und legte
ihnen die Frage vor, ob sie denn eine medizinische Polizei für trefflich
bestellt ansähen, welche, wie die Vierstädter es zuließe, daß Hunde
öffentlich herumsprängen, denen der Schwanz fehlte. »An was«, sagt' ich,
»halt' ich mich denn, wenn dieser weggeschnitten, und mir jede solche
Bestie entgegenrennen, und ich weder aus dem eingezogenen noch
aufgerichteten Schwanze, da der ganze weggehackt ist, einen Schluß
ziehen kann, ob das Vieh toll ist oder nicht. So wird der gescheiteste

    sie selber entdeckt eigentlich nichts als eben die passiven
    Diebsinseln, wo sie ihre Gewürze abholt. So findet man in Predigten,
    z. B. in Marezolls Kanzelstücken einen reichen Fund fremder
    Erfindungen; und überhaupt gibt's wenige Entdeckungen in der
    Philosophie und Moral, welche ein Jahrfünft oder Jahrzehnt später,
    nachdem sie ihren Schöpfer berühmt gemacht, nicht den Nachschöpfer
    in der theologischen Welt -- diese Erbin ihrer

Mann wütig und gebissen und scheitert bloß aus Mangel eines
Schweifkompasses.« Der nachkommende blinde Passagier (er ließ sich
jetzt als sehender einschreiben, Gott weiß zu welchen Endzwecken) spann
vor mir meinen eigenen Satz, dem er zugehört, fast bis ins Komische aus,
und erregte zuletzt in mir den Verdacht, er mache durch eine, aber sehr
starke Schmeichelnachahmung meines Sprechstils Jagd auf mich. »Der
Hundeschwanz«, sagt' er, »ist wohl für uns Alarmstange und Irrenanstalt,
damit man in keine komme, gleichsam die äußeren Vorposten der Wut -- man
schneide den Kometen den Schwanz, den Bassen den Roßschweif, den Krebsen
den ihrigen (denn ausgestreckter bedeutet krepierte) ab: so ist man

    Magd, der Philosophie -- noch zehnmal größer und reicher gemacht
    hätten, sobald er nur Kanzelwasser genug zum Einflößen der fremden
    Bissen (_boli_) aufgegossen hatte. Aber hier möcht' ich gern auf
    einen Unterschied der meisten lutherischen Prediger von den Mönchen
    zeigen, der nicht ganz zum Nachteil der ersteren ausschlägt. Der
    Mönch darf (_C. Q. X. de stat. monach._) nichts Eigenes haben, bei
    Strafe unehrlichen Begräbnisses, und jedes

in den gefährlichen Angelegenheiten des Lebens ohne Leitseil, ohne
Avertisseur, ohne Hand in _margine_ -- und man kommt um, ohne vorher zu
wissen wie.«

Übrigens lief diese Station ohne Zank und Not vorüber. Alles schlief
gegen zehn Uhr ein, sogar der Postillion, außer ich. Ich stellte mich
zwar schlafend, um zu beobachten, wer sich etwa aus guten Gründen nur
schlafend stelle; aber alles schnarchte fort, der Mond warf seine
verklärenden Strahlen nur auf herabgesunkene Augenlider.

Herrlich konnt' ich jetzt Lavaters Rat befolgen, an Schlafende
vorzüglich die physiognomische Elle anzusetzen, weil der Schlaf wie der
Tod die echte Form gröber ausprägt.

    Eigentum wird ihm als Kirchenraub angerechnet. Mich dünkt aber, der
    lutherische Kanzelredner demütigt und entäußert sich weit mehr, wenn
    er auch, im höheren Geistigen, wo er noch schön und frei zu wählen
    hat -- da über das Eigentum des körperlichen ohnehin in seinem Namen
    das Kammerkollegium das Armutsgelübde ablegt -- kurz, wenn er, was
    Gedanken anlangt, gar nichts Eigenes hat und haben will.

Andere Schläfer außerhalb der Postkutsche würd' ich mit gedachter Elle
weniger auszumessen raten, immer in einiger Besorgnis bleibend, daß etwa
ein Kerl, der sich nur schlafend stellte, sogleich, als ich nahe genug
stände, wie im Traume aufspränge, und dem physiognomischen Meßkünstler
in die eigene Gesichtsbildung einen so hinterlistigen Fauststreich
versetzte, daß sie in keinem physiognomischen Fragmente, weil sie selber
eines geworden, mehr florieren könnte, weder in punktierter Manier, noch
in geschabter. Und kann denn nicht der ehrlichste Schläfer von der Welt,
eben während ihr über dessen physiognomische Leichenöffnung her seid,
losschlagen, von der Ehre in einem Prügeltraume angehetzt, und euch
vielleicht mit wenigen Handgriffen und Fußtritten in einen viel ewigeren
Schlaf einwiegen, als der gewesen, woraus er aufgefahren?

In meinem sogenannten silhouettierenden

    [71] Der Jüngling ist aus Willkür sonderbar und freuet sich; der
    Mann ist's unabsichtlich und gezwungen und ärgert sich.

Schattenspiele kommt der Gesichterinhalt der schlafenden Postkutsche
selber vor; erst darin werde ich euch breit belegen, warum mir der
Giftträger mit der Mordkuppel teuflisch erschienen -- der Zwerg
altkindisch -- die Hure matt- und schlafffrech -- mein Schwager
ruhiggesättigt von Rache oder von Essen -- der Legationsrat Jean Pierre
aber, Gott weiß warum, als ein halber Engel, wiewohl er sich denken
läßt, der halbe Engel, da nur der schöne Körper, nicht die andere im
Schlaf vergangene Hälfte, die Seele, vor mir wirkte.

Beinahe vergäß' ich's, daß ich doch in meinem Dörfchen, während beide
Schwäger, der Dragoner und der Postillion, tranken, eine kleine Furcht
glücklich bestanden, weil das Schicksal zweimal auf meiner Seite
gewesen. Ich sah unweit eines Jagdschlosses neben einem schönen
Baumklumpen eine weiße Tafel mit schwarzer Inschrift schimmern. Dies
ließ mich hoffen, daß mich dort ein kleines Sargkunstwerk, ein
Ehrenpfahl, irgendein

    [198] Der Pöchel und das Vieh schwindeln auf keinem Abgrundsabhang,
    aber wohl der Mensch.

Treff-, Zier- und Spießdank für einen Toten erwarte. Auf einem
unbetretenen blumigen Gewinde lang' ich vor dem Schwarz auf Weiß an
und lese im Mondschein mit Entsetzen: »Jedermann wird hier vor dem
Selbstschuß gewarnt!« So stand ich also vielleicht einen Fußzehennagel
breit von dem Büchsenhahn, womit ich, wenn ich die Ferse rückte, mich
selber als einen verblüfften Stocknarren und Ladstock in die andere
Welt, unter die Seligen hineinschoß. Ich suchte vor allen Dingen mich
mit den Fußnägeln in den Boden wie einzubeißen und einzufressen -- weil
ich wenigstens so lange am holden Leben bleiben konnte, als ich mich
fest pflöckte neben der daliegenden Atroposschere und Henkersbühne; --
darauf wünscht' ich mich zu entsinnen, auf welchen Steigen der Teufel
mich unerschossen herbeigeführt. Aber vor Angst hatt' ich alles
ausgeschwitzt und wußte gar nichts, -- im nahen Höllendorf war kein

    [11] Das goldene Kalb der Selbstsucht wächst bald zum glühenden
    Phalarisochsen, der seinen Vater und Anbeter einäschert.

Hund zu ersehen und zu erschreien, der mich etwa aus dem Wasser hätte
holen können, und die beiden Schwäger soffen selig. Indes, ich faßte Mut
und Entschluß -- schrieb auf einem Pergamentblatte meinen letzten Willen
sowie meine zufällige Sterbart nieder, und meinen Todesdank ans
Bergelchen -- und flog dann mit vollen Segeln auf Geratewohl und
geradeaus den kürzesten Weg hindurch, unter der Voraussetzung, mich bei
jedem Schritte niederzuschießen und mir so mit eigener Hand auf mein
noch langes Lebenslicht den _Bonsoir_ oder Lichttöter zu setzen. Aber
ohne Schuß kam ich an. In der Schenke lachte freilich mehr als ein Narr
über mich, weil, was nur ein Narr wissen konnte, die Warnungstafel schon
seit zehn Jahren ohne Schüsse dageblieben, wie oft diese ohne jene.

    [103] Das männliche Schmarotzergewächs an den weiblichen Rosen und
    Lilien muß (wenn ich dessen Schmeicheln recht fasse) wahrscheinlich
    bei den Schönen die Sitte der Italiener und Spanier voraussetzen,
    welche jede Kostbarkeit dem zum Geschenk anbieten, der solche sehr
    lobt.

So aber steht's, ihr Freunde, mit unserer Jagdpolizei, die gegen alles
warnt, nur nicht gegen Warnungstafeln.

Übrigens hatt' ich auf der ganzen Station leichte Händel mit dem
Postillion, weil er nicht von Viertelstunde zu Viertelstunde halten
wollte, wenn ich ausstieg, um zu ...... Leider sind freilich von
Postknechten keine Urinpropheten zu erwarten, da so selten Gelehrte aus
Hallers großer Physiologie es wissen, daß Aufschieben der gedachten
Sache teuflisches Steingut niederschlägt und zuletzt den Inhaber selber,
weil diese Steingrube seltener der Blasenschneider als der Tod mit einem
Grabe schließt. Hätten Postknechte gelesen, daß Tycho de Brahe wie eine
Bombe am Zerspringen starb: sie hielten lieber an; sie fänden bei
solchen, mir so unerwarteten Kenntnissen es vernünftig, daß ein Mann

    [199] Aber wenige gegenwärtige Staaten, glaub' ich, köpfen unter
    dem Vorwande, zu trepanieren -- oder heften (in einer gesuchtern
    Allegorie) die Lippen zusammen unter dem Vorwand, deren Hasenscharten
    zuzunähen.

seinen Leichenstein zwar einmal auf sich, aber nicht in sich tragen
will. Bin ich denn nicht sogar in Weimar oft aus den längsten
Abschiedsauftritten Schillers mit Tränen in den Augen hinausgelaufen,
bloß um (während seine Minerva mich im ganzen erweichte) nicht von deren
Medusenkopf auf der Brust partiell versteinert zu werden? Und kam ich
nicht ins weinende Komödienhaus zurück und viel munterer in die
allgemeine Rührung ein, weil ich dann nichts mehr zu erleichtern
brauchte als mein Herz?

Sehr im Finstern kamen wir in Niederschöna an.




Dritte Station, von Niederschöna nach Flätz.


Als ich am Posthause, mit den Augen auf meinen Mantelsack geheftet, in
Gedanken dastehe: schmettert und schnaubt ein Vieh von Nachtwächter mir
so nahe und unversehens

    [12] Die Einzelwesen haben Lehrjahre, die Staaten Lehrjahrhunderte;
    -- aber sind beide freigesprochen, so sind doch wieder Lehrstunden
    und Sonntagsschulen nachzuholen.

mit seiner Nachttuba ins Ohr, daß ich ordentlich zurückspringe, ich,
den schon jede heftig-schnelle Anrede verdrießt. Gibt's denn keine
medizinische Polizei gegen solche geblasene Stundenlärmfidibus und
-Lärmkanonen, durch welche doch keine knallenden entbehrlich werden?
Eigentlich sollte niemand mit dem Nachtwächterhorne investieret werden
als ein vernünftiger Mann, der sich schon einen Bruch geblasen oder
gehoben hätte und der imstande wäre, seinen Stundenvers so leise
abzusingen, daß man gar nichts hörte.

Was ich längst erwartet und der Zwerg vorausgesagt, traf jetzt ein: aus
der hohen Posthauspforte trat tief sich bückend der Riese heraus und hob
im Freien eine unvernünftig große Statur und dito Kopf mit der
ellenhohen

    [67] Gastfreiheitswirt, willst du deinen Gast erforschen? Begleite
    ihn zu einem andern Wirte und höre zu! -- Ebenso: willst du deine
    Geliebte in einer Stunde besser kennen lernen als in einem Monat
    Zusammenlebens? Sieh ihr eine Stunde lang unter Freundinnen und
    Feindinnen (wenn dies kein Pleonasmus ist) zu!

Mütze und Feder empor; mein Schwager ihm zur Seite schien nur sein
vierzehnjähriger Sohn zu sein, und der Zwerg gar sein auf zwei Beinen
aufwartendes Schoßhündchen. »Lieber Freund,« sagte mein neckender
Schwager, der ihn an mich und die Postkutsche geleitete, »steig' Er
ruhig ein, wir machen Ihm sämtlich gern Platz. Kremp' Er sich nur recht
zusammen, und leg' Er den Kopf aufs Knie; so geht's.« Der unnütze Necker
hätte so gern den fast einfältigen Giganten -- dem er's bald abgemerkt,
daß dessen Gehirn kein schlauer Gast, sondern die negative Größe seines
Rumpfes war -- unter uns im bangen Postschrank und Notstall vor sich
gesehen zu einem Giespuckel eingeknüllt und krumm geschlossen. »Giht
doch nit! Giht gar nit!« sagte der Riese, als er hineinsah. »Der Herr
Soldat wissen vielleicht nicht,« versetzte der Zwerg, »wie groß ein
Riese ist; und Er denken, weil

    [80] Im Sommer des Lebens graben und statten die Menschen Eisgruben
    so gut als möglich aus, um sich doch für ihren Winter etwas
    aufzuheben, was fortkühlt.

ich hineingehe. -- Aber das ist ein anderes Loch. -- Ich will überall
hineinpassen, man sage mir nur wo.« --

Kurz, es war kein Ausweg für den Postmeister und den Riesen, als daß
sich dieser hinten auf das Passagierwarenlager stellte und setzte, sich
als eine Tränenweide herüberbeugend über den ganzen Kutschkasten. Mich
selber konnte ein solcher Rückenwind und Rückhalt nicht außerordentlich
ergötzen; und ich traue (hoff' ich) jedem von euch, ihr Freunde, zu, daß
er hinter einem Rückendekret so gut und so hell wie ich überschlagen
hätte, was ein Kerl und Riese hinter ihm, ein Nachfahrer in allerlei
Sinne, etwa Mordendes, probieren könne, es sei nun, daß er durch das
Rückenfenster des Wagens einbräche und angreife oder sich überhaupt mit
Titanenmacht oben über den Kutschenhimmel hermache. Indessen fing der
oben mit gekreuzten

    [28] Es ist mir unmöglich, sogleich auf der Stelle unter dem
    Wasserästen-Wald von Anspielungen in meinen Werken -- sogar diese
    ist wieder ein Ast -- herauszubringen und darauf zu fallen, ob ich
    je

Armen auf dem Kasten liegende Elefant -- der aber von seinem Gleichnis
mehr die drückende Masse als das fliegende Geisteslicht zu haben schien
-- bald zu schlafen und zu schnarchen an; ein Elefant, wovon (wie ich
immer froher einsah) mein Schwager, der Dragoner, leicht der Kornak und
Bändiger sein konnte, ja schon gewesen war.

Da jetzt mehr als eine Person schlafen wollte, aber (mit Recht) ich
hingegen wachen: so bot ich gern meinen Fahrehrensitz, den Vordersitz
(auch um manchen Neid der Passagiere zu tilgen), solchen Personen an,
die auf ihm ein wenig schlummern wollten. Der Legationsmann ergriff das
Anerbieten und den Lehnpolster mit Hast und entschlief an der Rücklehne
des Titans hinter ihm. Etwas unbegreiflich blieb mir dergleichen
Postschlaf von einem diplomatischen _Chargé d'affaires_. Ein Mann, der
so mitten unter einer blutfremden,

    die sämtlichen Höfe oder Höhen die (Bouguersche) Schneelinie Europas
    genannt habe oder nicht, ich wünschte aber Belehrung darüber, um es
    im widrigen Falle etwa noch zu tun.

oft blutdürstigen Genossenschaft entschläft, kann ja, wenn er im
Schlummer und Wagen spricht (denkt nur alle an den sächsischen Minister
vor dem Siebenjährigen Kriege!) hundert Geheimnisse, tausend Schandtaten
herausstoßen, die er kaum verübt hat. Sollte nicht jedem Minister,
Gesandten oder anderen Mann von Ehre oder Stand ordentlich grausen vor
Tollwerden oder hitzigen Fiebern, da ihm kein Mensch dafür steht, daß er
nicht darin mit den größten Skandalen herausfährt, wovon vielleicht die
Hälfte Lügen sind?

Endlich, nach der langen Juliusnacht, kamen wir Passagiere samt der
Aurora vor Flätz an. Ich sah scharf und weich nach den Turmspitzen; ich
glaube, daß jeder Mensch, der in einer Stadt etwas Entscheidendes zu
suchen

    [36] Und so wünscht' ich überall der erste zu sein, besonders im
    Betteln; der erste Kriegsgefangene, der erste Krüppel, der erste
    Abgebrannte (ähnlich dem, der die erste Feuerspritze anführt)
    erbeutet die Hauptsumme und das Herz; der Nachkömmling spricht die
    Pflicht nur an; und endlich geht es mit dem melodischen Mancando des
    Mitleids soweit

hat, und dem sie entweder ein Richtplatz seiner Hoffnungen oder deren
Ankerplatz, entweder Schlacht- oder Zuckerfeld wird, sein Auge am ersten
und längsten auf die Türme der Stadt als auf die Zeigefinger und
Züngelchen seiner Zukunftswage heftet; gleichsam architektonische Berge,
welche wie die natürlichen die Thronen unserer Zukunft sind. Als ich
mich damit zu dichterisch gegen Jean Pierre herausließ, so antwortete er
geschmacklos genug: »Die Türme solcher Städte sind ja die Alpenspitzen,
worauf wir den Alpenkäse unserer Zukunft suchen und melken.« Mochte der
Legations-Peter mit diesem Stile mich lächerlich machen oder nur sich?
-- Entscheidet!

»Hier ist der Ort, die Stadt,« sagt' ich heimlich zu mir, »wo heute viel
und über

    herunter, daß der letzte -- wenn der vorletzte wenigstens noch
    mit einem reichen »Gotthelf« beschwert abzieht -- nichts von der
    mildtätigen Hand mehr erhält als deren Faust. Wie nun im Betteln der
    erste, so möcht' ich im Geben der letzte sein; einer löscht den
    andern aus, besonders der letzte den ersten; so aber ist die Welt
    bestellt.

Zukünfte entschieden wird, wo du diesen Abend um fünf Uhr deine
Bittschrift und halb dich selber übergibst; -- geh' es doch gut! geh' es
herrlich! Werde Flätz, dieser Waffenplatz deiner kleinen Bestrebungen,
zugleich die Baustelle von Lust- und Luftschlössern zweier Herzen, des
deinigen und des weiblichen!«

Im Gasthofe zum Tiger stieg ich ab.




Erster Tag in Flätz.


Kein Mensch wird sich anfangs in meiner Tigerhotelslage stark
enthusiasmieren über die nächsten Aussichten. Ich, als der einzige mir
bekannte Mensch, besonders von der Seite der Liebe (vom abgehenden
Dragoner nachher!), sah aus den Fenstern des mit Marktgästen sich
vollstopfenden Gasthofes heraus und auf das Nachströmen des Marktheeres


    [136] Übersteigt ihr eure Zeit zu hoch, so geht es euren Ohren (von
    seiten der Fama) nicht viel besser, als sinkt ihr unter solche zu
    tief, wirklich ganz ähnlicherweise spürte =Charles= oben in der
    Luftkugel, und =Halley= unten in der Taucherglocke gleichen
    besonderen Schmerz in den Ohren.

hernieder und konnte sehr bald bedenken, daß eigentlich niemand als Gott
und die Spitzbuben und Mörder genau wußten, wieviel von beiden letzteren
darunter mit einschwämmen, um vielleicht die unschuldigsten Marktgäste
teils zu enthülsen, teils zu enthalsen. Meine Lage hatte etwas gegen
sich -- mein Schwager hatte, weil er alles blind herausschlägt, es
fallen lassen, daß ich im Tiger abstiege -- (o Gott, wann lernen solche
Menschen geheimnisreich bleiben und auch den elendesten Bettel des
Lebens unter Deckmänteln und Schleiern bloß deshalb zu tragen, weil so
oft eine lausige Maus einen Eis- und Golgathaberg gebiert als ein Berg
eine Maus?). Sämtliches Postgesindel saß sämtlich im Tiger ab -- die
Hure -- der Kammerjäger -- Jean Pierre -- der Riese, der schon am
Stadttore ausstieg und den Großkopf des

    [25] In der Jugend sieht man eben wie ein operierter Blindgeborener
    -- und was tut auch der Geburtshelfer oder die Geburtshelferin
    anders als operieren -- die Ferne für die Nähe an, den Sternenhimmel
    für greifbares Stubengeräte, die Gemälde für Gegenstände,

Zwergs als eigenen Kopf durch Mantelbemäntelung über die Straßen trug,
damit er um einen halben Zwerg gratis riesenhafter erschiene, als er
eigentlich für Geld zu sehen war. -- --

Es kam nun auf jeden ausgestiegenen Passagier an, ob er zum Tiger, dem
Wappentiere des Gasthofs, den Prototypus machen, und welches Lamm er
dann fressen, aussaugen, abrupfen wollte. Auch mein Schwager verließ
mich, um einem Roßtäuscher nachzuziehen, behielt aber für seine
Schwester sein Zimmer neben meinem; dies sollte, wie es schien,
Aufmerksamkeit für sie verraten. Ich blieb einsam meiner Tatkraft
überlassen.

Gleichwohl dacht' ich unter so vielen Spitzbuben, die mich umzingelten,
wenn nicht gar belagerten, warm an eine ferne, redliche Seele, an meine
Berga in Neusattel, ein Mark- und Kraftherz, das vielleicht manchem

    und die ganze Welt sitzt dem Jüngling auf der Nase, bis ihn, wie den
    Blinden, mehrmaliges Auf- und Zubinden endlich Schein und Ferne
    schätzen lehrt.

[Illustration: ... so gab ich dem Feld- und Bartscheerer einen so
plötzlichen Stoss auf den Nabel ..]

schwachen Ehebündner mehr Schutz gewähren, als verdanken würde.
»Erscheine nur morgen mittags recht bald, Berga,« sagte mein Herz, »und
womöglich noch vormittags, damit ich dein Jahrmarktsparadies um so viele
Stunden länger ausdehne, als du um frühere anlangst!«

Ein Geistlicher läuft mitten im Weltsturm leicht in einen Freihafen
ein, in die Kirche; die Kirchenmauer ist seine Schießhausmauer und
Fortifikation; und dahinter sitzen gleichergestimmte und friedlichere
Seelen beisammen als auf dem Marktplatz -- kurz, ich ging in die
Hofkirche. Inzwischen wurde ich in meiner Liederandacht ein wenig
verrückt durch einen Heiducken, der einem wohlgekleideten, jungen Herrn
mir gegenüber die Doppellorgnette von der Nase abriß, weil in Flätz
sowie in Dresden

    [125] Am Ende muß man noch aus Angst und Not der wärmste Weltbürger
    werden, den ich kenne; so sehr schießen die Schiffe als
    Weberschiffchen hin und her und weben Weltteile und Inseln
    aneinander. Denn es falle heute das politische Wetterglas in
    Südamerika; so haben wir morgen in Europa Gewitter und Sturm.

Gläser, die verkleinern und nähern, gegen den Hof verstoßen; ich hatte
zwar selber eins aufgesetzt, aber es vergrößerte. Ich konnte mich
unmöglich dahin bringen, die Brille abzunehmen, und ich werde hier,
fürcht' ich, wieder als Starrkopf und Waghals aussehen; bloß dies hielt
ich für schicklich, in einem fort mit ihr ins Gesangbuch zu blicken und
nicht einmal, da der Hof einrauschte, aufzuschauen, um Winke zu geben,
daß sie erhaben geschliffen. -- Die Predigt übrigens war gut, wenn auch
nicht immer fein bedacht für eine Hofkirche; denn sie mahnte von
unzähligen Lastern ab, zu deren Widerspielen, den Tugenden, ein anderer
Prediger zu leicht hätte ermahnen können! Unter dem ganzen Gottesdienste
trachtete ich, wahre, tiefe Ehrerbietung

    [19] Leichter, hat man bemerkt, ersteigt man einen Berg, wenn
    man rückwärts hinaufgeht. Dies ließe sich vielleicht auch auf
    Staatshöhen anwenden, wenn man ihnen immer nur das Glied wiese,
    womit man sich darauf setzt, und das Gesicht gegen das Volk unten
    gerichtet hielte, indes man in einem fort sich entfernte und höbe.

an den Tag zu legen, sowohl gegen Gott als gegen meinen erhabenen
Landesherrn. Zur letzteren Ehrerbietung hatte ich noch meinen
Privatgrund; ich wollte solche nämlich recht öffentlich und stark mit
erhabenen Schriftpunzen auf meinem Gesicht ausprägen, um irgendeinen
eingefleischten Schadenfroh am Hofe Lügen zu strafen, der etwa meine
neuliche Widerlegung von Linguets Lob auf Nero und meine deutsche freie
Satire auf diesen wahren Tyrannen selber, die ich ins Flätzische
Wochenblatt eingeschickt, möchte zu einem heimlichen Charaktergemälde
meines Fürsten umzudrehen beliebt haben. Leider kann man jetzt kaum auf
den höllischen Teufel selber eine Stachelschrift abfassen, ohne daß
irgendein menschlicher sie auf einen Engel appliziert.

Als endlich der Hof aus der Kirche in den

    [26] Wenige deutsche Gelehrte sind nicht originell, wenn man anders
    (wenigstens aller Länder Sprachgebrauch ist) jedem Originalität
    zusprechen darf, der bloß seine eignen Gedanken auftischt und keine
    fremden. Denn da zwischen ihrem Gedächtnis, wo das Gelesene oder
    Fremde wohnt, und zwischen

Wagen stieg, hielt ich mich in solcher Entfernung, daß mein Gesicht
unmöglich wäre zu sehen gewesen, falls ich etwa in der Nähe kein
ehrerbietiges, sondern ein zu stolzes gezogen hätte. Gott weiß, wer mir
allein jene tollkecken Phantasien und Gelüste eingeknetet hat, die
vielleicht einem Helden Schabacker mehr anständen als einem Feldprediger
unter ihm. Ich kann hier nicht umhin, eine der frechsten, euch, meinen
Freunden, zu vertrauen, würfe sie auch anfangs ein zu grelles Licht auf
mich. Es war bei meiner Ordination zum Feldprediger, als ich zum
heiligen Abendmahle ging am ersten Ostertag. Während ich nun so dastand,
weich bewegt vor dem Altargeländer mit der ganzen Männergemeinde -- ja,
ich vielleicht stärker gerührt, als einer darunter, weil ich als ein in
den Krieg Ziehender

    ihrer Phantasie oder Erzeugungskraft, wo das Geschriebene und Eigene
    entsteht, ein hinlänglicher Zwischenraum und die Grenzsteine so
    gewissenhaft und fest gesetzet sind, daß nichts Fremde ins Eigne und
    umgekehrt herüber kann, so daß sie wirklich hundert Werke lesen
    können, ohne den Erdgeschmack

mich ja halb als einen Sterbenden betrachten durfte, der nun wie ein zu
Henkender die letzte Seelenmahlzeit empfängt -- so warf in mir, mitten
in die Rührung von Orgel und Sang, etwas -- sei es nun der erste
Osterfeiertag gewesen, der mich auf das sogenannte alte christliche
Ostergelächter brachte, oder der bloße Abstich teuflischer Lagen gegen
die gerührtesten -- kurz, etwas in mir (weswegen ich seitdem jeden
Einfältigeren in Schutz nehme, der sonst dergleichen dem Teufel
anschrieb!) -- dies Etwas warf die Frage in mir auf: »gäb' es denn etwas
Höllischeres, als wenn du mitten im Empfange des heiligen Abendmahls
verrucht und spöttisch zu lachen anfingest?« Sogleich rang ich mich mit
diesem Höllenhund von Einfall herum -- versäumte die stärksten
Rührungen,

    des eignen einzubüßen oder dasselbe sonst zu ändern: so ist, glaub'
    ich, ihre Eigenheit bewährt; und ihre geistigen Nahrungsmittel, ihre
    Plinsen, Laibe, Krapfen, Kaviare und Suppenkugeln werden nicht, wie
    nach Büffon die körperlichen, zu organischen Kügelchen der
    Erzeugung, sondern erscheinen rein

um nur den Hund im Gesichte zu behalten, und abzutreiben -- kam aber von
ihm abgemattet und begleitet vor dem Altarschemel mit der jammervollen
Gewißheit an, daß ich nun in kurzem ohne weiteres zu lachen anfangen
würde, ich möchte innen weinen und stöhnen, wie ich wollte. Als daher
ich und ein sehr würdiger alter Bürgermeister uns miteinander vor dem
langen Geistlichen verbeugten und letzterer mir (vielleicht kam er mir
auf dem niedrigen Kniepolster zu lang vor) die Oblate in den klemmen
Mund steckte: so spürt' ich schon, daß an den Mundwinkeln alle
Lachmuskeln sardonisch zu ziehen anfingen, die auch nicht lange an der
unschuldigen Gesichtshaut arbeiteten, als schon ein wirkliches Lächeln
darauf erschien -- und als wir uns gar zum zweiten Male verneigten, so
grinste

    und unverändert wieder. Oft denk' ich mir solche Gelehrte als
    lebendige, aber tausendmal künstlichere Entriche von Vaukansons
    Kunstente aus Holz. Denn in der Tat sind sie nicht weniger künstlich
    zusammengefugt als diese, welche frißt und den Fraß hinten
    wiederzugeben scheint -- zarte Nachspiele

ich wie ein Affe. Mein Nebenmann, der Bürgermeister, redete ganz mit
Recht, als wir hinter den Altar umgingen, mich leise an: »Um Gottes
willen, sind Sie ein ordinierter Prediger oder ein Pritschenmeister? --
Lacht denn der lebendige Gottseibeiuns aus Ihnen?« -- »Ach, Gott! wer
denn sonst?« sagt' ich; erst nachher bracht' ich meine Andacht
ernsthafter zu Ende.

Aus der Kirche -- (ich komme wieder in die Flätzer) -- ging ich in den
Gasthof zum Tiger und aß an der Wirtstafel, weil ich nie menschenscheu
bin. Vor dem zweiten Gerichte reichte mir der Kellner einen leeren
Teller, worauf ich zu meinem Erstaunen einen französischen Vers mit der
Gabel eingekratzt erblickte, der nichts Geringeres enthielt als ein
Pasquill auf den Kommandanten von

    der Ente, welche unter dem Schein, die Kost in Blut und Saft
    verwandelt zu haben, bloß einen, vom Künstler im Hinterleibe
    trefflich vorgerüsteten Auswurf, der mit Speise und Verdauung gar
    nicht zusammenhängt, illusorisch in die Welt setzt und drückt.

Flätz. Ohne Umstände bot ich den Teller der Tischgesellschaft hin und
sagte, ich hätte das pasquillantische Geschirr, wie sie sähen, eben
bekommen, und bäte sie zu bezeugen, daß der Handel mich nichts angehe.
Ein Offizier wechselte sogleich mit mir Teller. Bei dem fünften Gericht
durft' ich mich über die chemisch-medizinischen Unkenntnisse der
Tischgesellschaft verwundern, indem ein Hase, aus welchem ein Herr
mehrere Schrotkörner, das heißt also ein mit Arsenik versetztes und
durch den warmen Essig nun aufgelöstes Blei, öffentlich herausgezogen
und vorgezeigt hatte, von den Zuschauern (mich ausgenommen) lustig
fortgespeist wurde.

Unter den Tischgesprächen faßte mich eins gewaltig bei meiner schwachen
Seite, bei meiner Ehre. Es wurde nämlich der Gerichtsgebrauch der
Residenz erzählt, daß ein unzüchtiges Mädchen jeden, wen eine Dirne dazu
wähle, in den Vater ihres Wurms verkehren

    [15] Nach Ähnlichkeit der schön polierten englischen Einlegmesser
    gibt's auch Einlegkriegsschwerter, oder -- mit andern Worten --
    Friedensschlüsse.

könne bloß durch ihr Eidwort. »Schrecklich!« sagt' ich, und mir stand
das Haar zu Berg. -- »Auf diese Weise kann sich ja der erste beste
Hausvater mit Frau und Kindern, oder ein Geistlicher, der im Tiger
logiert, von der ersten schlimmsten Aufwärterin, die er oder die ihn
leider abends zufällig kennen lernen, um Ehre und Unschuld gebracht
sehen?« Ein ältlicher Offizier fragte: »Soll denn aber das Mädchen sich
lieber zum Teufel schwören?« Welche Logik! -- »Oder gesetzt,« fuhr ich
ohne Antwort fort, »ein Mann reist mit jenem Wiener Schlossergesellen,
der nachher Mutter wurde und mit einem Söhnchen niederkam, oder mit
irgendeinem verkleideten Ritter d'Eon, mit dem er häufig übernachtet;
und der Schlossergeselle oder der Ritter dürfen dann ihre Beilager
beeidigen: so kann ja kein zarter Mann zuletzt mehr mit einem anderen
reiten und fahren, weil er nicht weiß, wann dieser die Stiefel auszieht
und die Weiberschuhe an, und ihn dann zum Vater schwört und sich zum
Teufel?«

Aber einige von der Tischgesellschaft vergriffen sich in meinem
Kanzelfeuer so sehr, daß sie schafsmäßig zu glauben andeuteten: ich
selber sei in diesem Punkt nicht richtig, sondern lax. Beim Himmel! ich
wußte da nicht mehr, was ich fraß und sprach. Zum Glücke wurde mir
gegenüber eben die Lüge irgendeiner französischen Niederlage ausgesagt;
da ich nun an den Straßenecken die französische und deutsche
Proklamation angesehen, welche jeden, der Kriegsberichte -- nämlich
nachteilige -- anhört, ohne sie anzuzeigen, vor das Kriegsgericht
bestellt: so konnt' ich als ein Mann, der sich nie gern vergessen will,
wohl nichts Klügeres tun, als davongehen mit leeren Ohren und nur dem
Wirte rapportieren warum.

Es war keine unrechte Zeit, denn absichtlich um viereinhalb Uhr wollt'
ich mir den Bart scheren lassen, um gegen fünf so recht mit einem vom
Balbiermesserglättzahn geleckten Kinn, wie glattes Velinpapier, ohne
Wurzelstöcke vom Kinnhaare (Barthaare ist Pleonasmus) auf- und
vorzutreten. Vorher goß ich, wie Pitt vor Parlamentssitzungen, verdammt
viel Pontak mit wahrem Ekel in meinen Magen hinunter gegen jede
Heillehre und Sperrordnung desselben, nicht sowohl um den leichten,
fremden Bartputzer zu bestehen, als den Ministergeneral Schabacker, mit
welchem ich eines und das andere Feuerwort zu wechseln vorhatte.

Es kam der gewöhnliche Fremdenbalbier des Hotels, hatte aber sogleich in
seinem viellinigen ausgezackten Gesichte mehr von einem endlich toll
werdenden, als von einem weiser werdenden Manne an sich. Tolle nun hass'
ich unglaublich und bin daher in kein Tollhaus zu bringen, weil da der
erste beste Wütige mich mit Riesenfäusten erschnappt, wenn er mag, und
weil ich überhaupt der Ansteckung wegen nicht weiß, ob ich wieder mit
dem Verstande herauskomme, den ich hineintrage. -- Gewöhnlich sitz' ich
(bin ich eingeseift) dergestalt auf dem Stuhle, daß ich, beide Hände
(den Blick spann' ich scharf gegen das balbierende Gesicht) auf den
Schenkeln, dem Zwerchfell des Balbiers gegenüber schlagfertig liegen
habe, um ihn bei der kleinsten zweideutigen Bewegung wie wütig
umzustoßen.

Ich weiß kaum recht, wie es zuging, aber indes ich mich ins
närrisch-gewundene Gesicht des Bartputzers vertiefe und da er eben das
lang' gewetzte Schlachtmesser etwas vorschnell gegen meine entblößte
Gurgel führte: so gab ich dem Feld- und Bartscherer einen so plötzlichen
Stoß auf den Nabel, daß der Mann sich im Fallen bald selber
selbstmörderisch die Gurgel abgeschnitten hätte. Mir blieb freilich
nichts davon als Gutmachungen und eine gegen meine sonstigen Grundsätze
umgebundene geschwollene Kravatte als Deckmantel dessen, was unbeschoren
geblieben.

Jetzt brach ich denn endlich zum General auf und trank die Pontaksreste
noch unter der Schwelle aus. Ich hoffe, in mir lagen Pläne fertig,
richtig zu antworten, ja zu fragen. Das Bittschreiben hatt' ich in der
Tasche und in der rechten Hand. In der linken hatt' ich dessen Duplikat.
Mein Feuer half mir leicht über alle ministeriellen lebendigen Zäune
hinüber, und ich befand bald mich unverhofft im Vorzimmer unter seinen
vornehmsten Lakaien, die, soviel ich merkte, nichts verpassen sollten.
Ich überreichte dem Ansehnlichsten meine papierne Bitte mit der
mündlichen, sie seinerseits zu überreichen. Er nahm sie, aber
unverbindlich. Ich wartete tief in die Stunde sechs Uhr hinein
vergeblich, worin allein dem frohen Generale manches vorzutragen ist.
Endlich erseh' ich einen Stief- oder Duzbruder des vorigen Lakaien und
wiederhole mein Gesuch; dieser rennt umsonst umher, um Bruder oder
Schreiben zu suchen -- nichts war zu finden: -- wie glücklich war ich,
daß ich das Duplikat der Bittschrift mitten im Pontak vor dem Rasieren
mir wieder abgeschrieben, und also -- bloß aus dem Grundsatz, daß man
immer ein zweites hölzernes Bein im Mantelsack eingepackt haben müsse,
wenn man ein erstes am Leibe habe -- und aus der Furcht, daß, wenn mir
das Urschreiben auf dem Wege

    [13] _Omnibus una salus sanctis, sed gloria dispar_; das heißt --
    schreiben sonst die Gottesgelehrten -- nach Paulus haben wir im
    Himmel alle dieselbe Seligkeit, aber verschiedene Ruhmstufen. Schon
    auf der Erde finden wir im Himmel der Schriftstellerwelt

vom Tiger zu Schabacker verloren ginge, meine ganze Reise und Hoffnung
zu Wasser müßte werden -- dies, sag' ich, war gut, daß ich das
Repetierwerk des Urschreibens eingesteckt hatte, und folglich in jedem
Falle etwas, und zwar ein detto, einzuhändigen vermochte. Ich händigte
dasselbe ein.

Leider nur war schon sechs Uhr vorbei. Der Lakei aber blieb nicht lange
aus, sondern brachte mir bald -- ich möchte sagen den Predigttext dieses
Zirkelbriefes -- die fast rohe Antwort (die ihr, Freunde, aber aus
Achtung für mich und Schabacker geheim zu halten habt): falls ich der
Attila Schmelzle beim Schabackerschen Regiment wäre, so möcht' ich mich
nur mit meinem Hasenpanier wieder zum Teufel scheren, wie ich bei
Pimpelstadt getan. Ein anderer wäre auf dem Platze geblieben; ich aber
ging ganz derb davon und

    ein Vorbild davon. Nämlich die Seligkeit der von der Kritik
    seliggesprochenen Autoren der genialen, der guten, der
    mittelmäßigen, der geistesarmen, ist bei allen die nämliche, sie
    machen sämtlich im ganzen fast einerlei Kameralglück, denselben

versetzte dem Kerl: »Ich schere mich auch willig zum Teufel, und schere
mich den Teufel darum.« Unterwegs untersucht' ich mich selber, ob nicht
etwa der Pontak aus mir gesprochen -- wiewohl schon die Untersuchung
widerspricht, da kein Pontak untersucht; -- aber ich fand, daß nur ich,
mein Herz, vielleicht mein Mut etwas gesprochen: und wozu denn überhaupt
Kleinmut, da das Vermögen meiner guten Frau mich ja besser besoldet als
zehn katechetische Professuren, und da sie alle Ecken meines Buches des
Lebens mit so viel goldenen Beschlägen versieht, daß ich es, ohne es
abzunützen, immer aufschlagen kann? -- Schwangere mögen bei Schrecken an
den Hintern greifen, um das Muttermal des Versehens dorthin zu verstecken;
ich griff bei dem Mute ans Herz und sagte: »Schlage dich nur tapfer durch,
wer auch dabei geschlagen

    schwachen Profit. Aber Himmel, was hingegen Nachruhmsstaffeln
    anlangt, wie tief wird nicht -- ungeachtet des nämlichen Honorars
    und Absatzes -- schon bei Lebzeiten ein sogenannter Duns unter ein
    Genie hinabgestellt! -- Wird nicht oft ein

werde!« Ich fühlte mich ganz erhoben und erhitzt -- ich dachte mir
Republiken, wo ich als Held nach Hause kommen könnte -- ich sehnte mich
in jene heroischen Griechenzeiten hinein, wo ein Held vom andern Prügel
gern einsteckte und sagte: schlage nur, aber höre mich! und aus unseren
feigen heraus, wo man kaum Schimpfworte aushält, geschweige mehr -- ich
malte mir es aus, wie ich mich fühlen würde, wenn ich in glücklichere
Umgebungen Afterthronen umwürfe und vor ganzen Völkern auf Großtaten wie
auf Tempelstufen unsterblich aufstiege und in gigantischen Zeiten ganz
andere und größere Männer zu übermannen und zu übertreffen fände als
jetzt den Milbenpöbel um mich her und höchstens den einen und den
anderen Vulcanello. Ich dachte -- und machte mich immer wilder und ich
selber berauschte mich

    geistesarmer Autor in einer Messe vergessen, indes ein geistreicher
    oder gar ein genialer durch fünfzig Messen durchblüht und so erst
    sein 25 jähriges Jubiläum feiert, bevor er spät vergessen untergeht
    und im deutschen Ruhmtempel eingesenkt wird, der

(also kein Pontaksrausch, der bekanntlich mehr durch als ohne Trinken
wächst), und gestikulierte öffentlich -- als ich mich fragte: »Willst
du ein bloßer Staatsschoßhund werden -- ein Hunds-Hund -- ein _pium
desiderium_ eines _impii desiderii_ -- ein Ex-Ex -- ein Nichts-Nichts?
-- -- O Sackerment!« Darüber stieß ich mir aber meinen Hut in den
Marktkot. Da ich ihn aufhob und säuberte, sah ich überall, wie
verschossen er war, und entschloß mich sogleich, einen neuen zu kaufen
und anfangs selber zu tragen in der Hand.

Ich vollzog's und erhandelte einen vom feinsten Kaliber. Sonderbar,
durch diesen Hut, als wär's ein Magisterhut, wurde in der Ziegengasse
ordentlich mein Kopf geprüft und examiniert. Da nämlich der General
Schabacker darin daherfuhr, und ich (wie sich wohl von selber versteht)
mich nicht durch

    die bekannte Eigenheit der Kirche des Ordens der Padri Lucchesi in
    Neapel nachahmt, welche bekanntlich (nach Volkmann) unter ihrem
    Dache eine Begräbnisstätte, aber kein Denkmal darauf verstatten.

gemeine Grobheit, sondern durch Höflichkeit rächen wollte: so bekam ich
eine der kitzlichsten Aufgaben zu lösen vor. Schwenkt' ich nämlich bloß
den feinen Filz, den ich schon in der Hand trug, behielt aber den
verschossenen auf dem Kopfe: so konnt' ich einem Grobian von Haus aus
ähnlich sehen, der nichts abzieht; zog ich hingegen den alten vom Kopfe
und hofierte damit: so spielten zwei Filze auf einmal (ich mochte nun
den anderen mitbewegen oder nicht) die Sache ins Lächerliche. Nun,
stimmt doch ab, ihr Freunde, eh' ihr weiter leset, wie man sich hier
herauszuziehen hätte, ohne den Kopf zu verlieren!.... Ich glaube
vielleicht dadurch, daß man bloß den Hut verliert; kurz und gut, ich
ließ eben geradezu den Putzhut aus der Hand in den Kot fallen, um mich
in den Stand zu setzen, den Sudelhut einsam abzunehmen und mit nötiger
Höflichkeit zu schwenken ohne einen Anstrich von Lächerlichkeit.

Im Tiger ließ ich -- um etwas schließen zu lassen -- den brillantierten
Fein-Fein-Fein-Filz

[Illustration: ... und betete laut: Dir übergeb' ich mich ganz / Du
allein sorgtest ja bisher für mich schwachen Knecht]

früher ausbürsten als den Kotsassen- oder Schartekenhut.

Nun ging ich, meine wichtige Vergangenheit in der Adjustier- und
Probierwage tragend, feurig auf und nieder. Der Pontak mußte -- ich weiß
wohl, daß es hinieden nur unechten gibt -- ein noch unechterer gewesen
sein; so sehr jagte er meine Phantasie in ein Feuer nach dem anderen.
Ich sah jetzt in ein weites, glänzendes Leben hinein, wo ich ohne Amt
lebte, bloß von Geld; und das ich gleichsam mit den delphischen Höhlen
und Zenonischen Gängen und Musenbergen aller der Wissenschaften übersäet
sah, die ich ruhig treiben konnte. Besonders konnte ich mich mehr auf
Preisschriften bei Akademien legen, deren (nämlich der Schriften) sich
kein Urheber jemals zu schämen braucht, weil eine ganze krönende
Akademie in jedem Falle für den Koronanden steht und errötet. Schießt
auch der Preiswerber neben der Krone vorbei, so bleibt er doch stets
unbekannter und anonymer (da man seine Devise nicht entsiegelt) als ein
anderer Autor, der zwar namenlos ein Langohr von Buch ediert, den aber
doch bald ein literarisches Eselbegräbnis (_sepultura asinina_)
öffentlich vor der halben Welt einsenkt.

Nur etwas dauerte mich voraus, das Leid meiner Berga, welcher ich morgen,
der lieben Müdegereisten, die Ankunft und die abgekürzte Marktschau mit
meiner abschlägigen Nachricht versalzen mußte. Sie wollte so gern in
Neusattel -- und wer verübelt's einer reichen Pächterstochter -- etwas
vorstellen und manche Honoratiorin ausstechen. -- Jeder Mensch verlangt
sein Paradeplätzchen und eine frühere lebendigere Ehre, als die letzte
Ehre. -- Besonders will eine so gute Niedriggeborene, sich vielleicht
mehr ihres metallischen als ihres geistigen Schatzes und Tilgungsfonds
bewußt, doch bei Ehrengelagen Meisterin von irgendeinem Stuhl oder
Stühlchen sein und über die erste beste dumme Gans _loci_ hinaufsitzen.

Dazu sind nun Ehemänner so unentbehrlich. Ich nahm mir daher vor, mir
und folglich ihr einen der besten Titel, womit die Höfe in Deutschland
(gleichsam wie in einem Auerbachshof in Leipzig) vom Adel und Halbadel
an bis zum Rate herunter in einem fort feilstehen, anzukaufen und dieser
geadelten Seele durch meinen Viertelsadel einen solchen Achtelsadel
zuzuspielen, daß (hoff' ich) manche gemeine nebenbuhlerische Neusattlerin
vom Neide halb geborsten sagen und rufen soll: »Ei du dummes Pächtersding!
Seht doch, wie das schwänzelt und wedelt! Es denkt nicht daran, was es
mit ihm wäre, wenn es keinen Geldsack und keinen Hofrat hätte; --« Denn
letzteres nämlich müßt' ich etwa vorher geworden sein.

Aber ich sehnte mich in der kalten Einsamkeit meines Zimmers und im
Feuer meiner Erinnerungen unbeschreiblich nach dem Bergelchen -- ich und
mein Herz waren müde vom fremden treibenden Tage -- niemand um mich her
sagte mir ein gutes Wort, das er nicht in die Wirtsrechnung zu bringen
verhoffte. -- Freunde, ich schmachtete nach der Freundin, deren Herz
gern das Blut zum Balsam für ein zweites vergießt -- ich verfluchte
meine überklugen Maßregeln, daß ich nicht, um die Gute sogleich mit mir
zu nehmen, lieber das dumme Hauswesen allen Spitzbuben und Feuerschäden
preisgegeben. -- Im Auf- und Abgehen ward es mir immer leichter, alles
zu werden, jeder Kammerrat, Akzisrat, anderer Rat, und wie sie nur
befahl, wenn sie ankäme.

»Mach dir nur einen guten Tag in der Stadt!« sagte Bergelchen diese
ganze Woche hindurch. Aber wie ist einer ohne sie zu machen? Unsere
Trauertränen trocknen auch Freunde ab und begleiten sie mit eigenen;
aber unsere Freudentränen finden wir am leichtesten in den Augen unserer
Frauen wieder. -- Verzeiht, Freunde, diese Libationen meiner Rührung --
ich zeig' euch nur mein Herz und meine Berga. -- Bedarf ich eines
Ablaßkrämers, so nehmt den Pontakskrämer dazu.

    [79] Schwache und verschobene Köpfe verschieben und verändern sich
    am wenigsten wieder, und ihr innerer Mensch kleidet sich sparsam um;
    ebenso mausern Kapaune sich nie.




Erste Nacht in Flätz.


Gleichwohl nahm mir der Wein die Besonnenheit nicht, vor dem Bettegehen
unter das Bett zu sehen, ob jemand darunter lauere, zum Beispiel die
Hure, der Zwerg oder der Legationsrat, ferner den Schlüssel unter den
Türdrücker (die beste Sperrordnung unter allen) zu schieben, dann zum
Überflusse meine Nachtschraube an die Türe einzubohren und endlich davor
noch die Sessel übereinander zu bauen und Beinkleider und Schuhe
anzubehalten, weil ich durchaus nichts besorgen wollte.

Ich hatte aber noch andere Sachen des Nachtwandels wegen abzutun. Mir
war's überhaupt von jeher unbegreiflich, wie so viele Menschen zu Bette
gehen und darin gesetzt liegen können, ohne zu bedenken, daß sie
vielleicht im ersten Schlafe sich aufmachen

    [89] Die Alten heilten sich im Zeitenunglück mit Philosophie oder
    mit Christentum; die Neueren aber z. B. in der Schreckenszeit
    griffen zur Wollust, wie etwa der verwundete Büffel sich zur Kur
    und zum Verband im Schlamme wälzt.

als Nachtwandler und auf Dächer hinauskriechen und irgendwo erwachen, wo
sie den Hals brechen und den Rest. Ja, es wäre mir schon Gefahr genug,
wenn ein unbescholtener Mann, ein Feldprediger, im eigenen Bette
einschliefe und etwa auf den Seidenpolstern im Schlafgemache der
vornehmsten Dame in der Stadt aufwachte, von der er vielleicht sein
Glück erwartet. Bin ich zu Hause, so wag' ich wenig mit Schlaf; -- weil
ich, da meine rechte Fußzehe jede Nacht mit einem drei Ellen langen
Wickelbande (ich nenn' es scherzend unser eheliches Band) an die linke
Hand meiner Frau angeschlungen wird, die Gewißheit habe, daß ich, falls
ich aus dem Bettarrest herausginge, mit dem Sperrstrick sie wecken und
ich folglich von ihr, als meinem lebendigen Zaun, an der Nachtschnur
wieder ins Bett würde zurückgezogen werden. Im Gasthof aber konnt' ich
nichts tun, als mich einige Male an den Bettfuß schnüren, um nicht zu
wandern; obgleich alsdann einbrechende Spitzbuben neue Not mitbringen
konnten. Ach, so gefährlich ist alles Schlafen, daß leider jeder, der
nicht auf dem Rücken wie ein Leichnam daliegt, besorgen muß, mit dem
Ganzen schlafe auch ein oder das andere Gliedmaß, ein Fuß, ein Arm ein;
und dann kann das entschlummerte Glied -- da es in der medizinischen
Geschichte gar nicht daran an Exempeln fehlt -- am Morgen zum Amputieren
gereift daliegen. Deshalb lass' ich mich häufig wecken, damit nichts
einschläft.

Als ich an den Bettpfosten gut angebunden und endlich unter die
Bettdecke gekommen war, wurde ich wegen meines Pontaks Feuertaufe aufs
neue bedenklich und furchtsam vor meinen zu erwartenden Kraft- und
Sturmträumen -- welche leider nachher auch nichts Besseres wurden als
Helden- und Potentatentaten, Festungsstürme, Felsenwürfe; -- noch aber
seh' ich wenig diesen Punkt ärztlich beherzigt.

    [108] Verwundert las ich, der Gruß im Gotthardstal sei: _Allegro!_
    -- Denn nie wurd' ich in Wetzlar, in Regensburg oder Wien anders
    gegrüßt als: _Andante di molto!_ -- zuweilen jedoch: _Allegro, ma
    non troppo!_ -- Ja, alte Generale grüßten sich

Medizinalräte und ihre Kunden strecken sich alle ruhig in ihren Betten
aus, ohne daß nur einer von ihnen befürchtet oder untersucht, ob ihm ein
wütiger Zorn (zumal wenn er schnell darauf kalt säuft im Traum), oder
ein herzzerreißender Harm, was er alles in den Träumen erleben kann, am
Leben schade oder nicht. Wär' ich, ich bekenn' es, eine Frau und mithin
weiblich-furchtsam zumal in guter Hoffnung, ich würd' in letzter über
die Frucht meines Schoßes in Verzweiflung sein, wenn ich schliefe und
folglich im Traum alle die von medizinischen Polizeien verbotenen
Ungeheuer, wilden Bestien, Mißgeburten und dergleichen zu Gesicht
bekäme, wovon eine ausreicht (sobald die bestätigte Lehre des Versehens
wahr bleibt), daß ich Kreißende mit einem elenden Kinde niederkäme, das
ganz aussähe wie ein Hase und voll Hasenscharten dazu, oder das eine
Löwenmähne

    oft: _Poco vivace._ -- Ich erkläre mir es daher, daß der Deutsche,
    wenn alle Völker, die Füße und Schuhe zu ihren Maßen nehmen, lieber
    mit Sessions-Steißen und Hosen abmißt.

hinten hätte oder Teufelsklauen an den Händen, oder was sonst noch
Mißgeburten an sich haben. Vielleicht wurden manche Mißgeburten von
solchem Versehen in Träumen gezeugt.

Nachts kurz vor zwölf Uhr erwacht' ich aus einem schweren Traum, um eine
für meine Phantasie zu geisterhafte Geistergeschichte zu erleben. Mein
Schwager, der sie mir eingebrockt, verdient für seine ungesalzene
Kocherei, daß ich ihn euch als den Braumeister des schalen Gebräues ohne
Schonen nenne. Wäre Argwohn mit Unerschrockenheit verträglicher, so
hätte ich vielleicht schon aus seinem Sittenspruche über dergleichen
unterwegs sowie aus dem Fortbehalten seines Nebenzimmers, an dessen
Mitteltüre mein Lager stand, leicht alles geschlossen. Mir war nämlich,
als würd' ich angeblasen von einem kalten Geisteratem, den ich auf keine
Weise

    [181] Gott sei Dank, daß wir nirgends ewig leben als in der Hölle
    oder im Himmel; auf der Erde würden sonst wahre Spitzbuben aus uns,
    und die Welt ein Haus von Unheilbaren, aus Mangel der

aus den entfernten und versperrten Fenstern herzuleiten vermochte; --
worin ich's denn auch traf, denn der Schwager hatt' ihn aus einem
Blasebalg durchs Schlüsselloch eingeschickt. Alles Kalte bringt in der
Nacht auf Todes- oder Geisterkälte. Ich ermannte mich aber und harrte --
nun fing gar das Deckbette an, sich in Bewegung zu setzen -- ich zog es
an mich -- es wollte wieder weiter -- behend' setz' ich mich plötzlich
im Bette auf und rufe: »Was ist das?« -- Keine Antwort, überall Stille
im Gasthof -- das ganze Zimmer voll Mondschein --. Jetzt hob sich mein
Zugpflaster, das Deckbett, gar empor und luftete mich, wobei mir war
wie einem, von dem man ein Pflaster schnell abhebt. Nun tat ich den
Rittersprung aus dem Teufelstorus und zersprengte springend mein
Nachtwandlersleitseil. »Wo ist der dumme Menschennarr,« rief ich, »der
die erhabene unsichtbare

    Kurschmiede (der Scharfrichter) und der ableitenden Haarseile (am
    Galgen) und der Ekel- und Eisenkuren (auf Richtstätten). So daß wir
    also wirklich unsre sittliche Riesenkraft gerade so auf der Schuld

Geisterwelt nachäfft, die ihm ja auf der Stelle erscheinen kann?« --
Aber an, über, unter dem Bette war nichts zu hören und zu sehen. Ich
schaute zum Fenster hinaus; überall geisterhaftes Mondlicht und
Straßenstille, und nichts bewegte sich, als (wahrscheinlich vom Winde)
auf dem fernen Galberg ein Neugehenkter.

Jeder andere hätt' es so gut für Selbsttäuschung gehalten als ich; daher
wickelte ich mich wieder in mein passives _lit de justice_ und Luftbette
ein, darin erwartend, inwiefern ich an Erschrecken erkalten sollte oder
nicht.

Nach einigen Minuten fing das Deckbette, der teuflische Faustsmantel,
sein Fliegen und Schiffsziehen (ich allein war der Verurteilte) wieder
an, der Abwechslung wegen hob auch wieder der unsichtbare Bettaufhelfer
empor. Verfluchte Stunde! -- Ich möchte wissen, ob es im ganzen
gebildeten Europa einen gebildeten

    der Natur, die wir zu bezahlen haben, beruhend, finden, als die
    Politiker (z. B. der Verfasser des neuen Leviathans) die Übermacht
    der Engländer, auf deren Nationalschuld gestützt, erweisen.

oder ungebildeten Menschen gäbe, der bei so etwas nicht auf
Geisterteufeleien verfallen wäre; -- ich verfiel darauf, unter der (sich
selber) fahrenden Habe des Deckbettes, und dachte, Berga sei Todes
verfahren und fasse nun noch geistig mein Bette. Dennoch konnt' ich
sie nicht anreden, sowenig als den Teufel, der hier einspielen konnte,
sondern ich wandte mich bloß an Gott und betete laut: »Dir übergeb' ich
mich ganz, du allein sorgtest ja bisher für mich schwachen Knecht -- und
ich schwöre, daß ich anders werde.« -- Ein Versprechen, das dennoch von
mir soll gehalten werden, so sehr auch alles nur dummer Lug und Trug
gewesen ist.

Mein Gebet verfing nichts bei dem unchristlichen Dragoner, der mich
einmal im Zuggarn des Deckbetts gefangen hielt -- unbekümmert, ob er ein
Gastbett zum Parade-

    [63] Die, welche vom Völkerlichte Gefahren befürchten, gleichen
    denen, die besorgen, der Blitz schlag' ins Haus, weil es Fenster
    hat; da er doch nie durch diese, sondern durch deren Beeinflussung
    fährt oder an der Rauchwolke des Schornsteins herab.

[Illustration: Ich pfiff frisch ein gas Konisches Liedchen
darunterhinein ...]

und Totenbette mache oder nicht. -- Er spann meine Nerven wie Golddraht
durch engere Löcher hindurch immer dünner bis zum Verschwenden und
Verschwinden, denn das Bette marschierte endlich gar herab bis an die
Mitteltüre. --

Jetzt war es Zeit, ohne Umstände erhaben zu werden und mich um nichts
mehr hienieden zu scheren, sondern mich dem Tode schlicht zu widmen:
»Rafft mich nur weg,« rief ich und schlug unbedenklich drei Kreuze,
»macht mich nur schnell nieder, ihr Geister; ich sterbe doch unschuldiger
als tausend Tyrannen und Gottesleugner, denen ihr leider weniger erscheint
als mir Unbeflecktem.« Hier vernahm ich eine Art von Lachen, entweder
auf der Gasse oder im Nebenzimmer; vor diesem warmen Menschenton blüht'
ich plötzlich wie vor einem Frühling an allen Spitzen wieder auf. Ich
verschmähte gänzlich die weggehaspelte

    [76] Die ökonomische predigende Poesie glaubt wahrscheinlich, ein
    chirurgischer Steinschneider sei ein artistischer; und eine Kanzel
    oder ein Sinai sei ein Musenberg.

Decke, die jetzt von der Türe nicht mehr weg konnte; ich legte mich
unbedeckt, doch warm und schwitzend genug, bald in den Schlaf. Übrigens
schäm' ich mich nicht im geringsten vor allen aufgeklärten Hauptstädten
-- und ständen sie vor mir --, daß ich durch meinen Teufelsglauben und
meine Teufelsanrede einige Ähnlichkeit mit dem größten deutschen Löwen
bekommen, mit Luther.




Zweiter Tag in Flätz.


Am Frühmorgen spürt' ich mich aufgeweckt durch das bekannte Zudeckbett;
es hatte sich wie ein Inkube auf mich gesetzt; ich gaffte auf; in einem
Winkel saß still ein rotes, rundes, kernhaftes, aufgeputztes Mädchen wie
eine volle Tulpe von Lebensfrische aufgebläht und leise flatternd mit
bunten Bändern gleichsam

    [415] Nach Smith ist die Arbeit der allgemeine Maßstab des kameralen
    Werts. Dies haben aber, wenigstens in bezug auf geistigen und
    poetischen Wert, die Deutschen noch früher eingesehen und meines
    Wissens stets den gelehrten Dichter über den genialen und das
    schwere Buch der Arbeit über das flatternde voll Spiel gesetzt.

als mit Blättern. »Wer ist dort, wie kommt man herein?« rief ich
halbblind. -- »Ich habe dich nur leise zugedeckt, und du solltest erst
ausschlafen,« sagte Bergelchen, »ich bin die ganze Nacht gegangen, damit
ich recht früh käme; sieh nur her!« Sie zeigte mir ihre Stiefel, das
einzige Reisestück (die Achillesferse), das sie vor dem Tore, als sie in
der Mauser der Toilette war, nicht hatte abstreifen können. -- »Brach,«
fragt' ich, über ihre um sechs Stunden beschleunigte Nachkunft um so
mehr bestürzt, da ich es die ganze Nacht und selber jetzt über ihr
unbegreifliches Hereinkommen gewesen, »brach etwa frischer Jammer über
uns aus und ein, Brand, Mord, Raub?« -- Sie versetzte: »Der Ratz«, sie
wollte sagen die Ratte, »ist gestern verreckt, dem du so lange
nachgestellt; weiter passierte eben nichts.« -- »Und auch alles ist
richtig nach meinem Ordnungszettel zu Hause besorgt?« fragt' ich.
»Jawohl,« versetzte

    [4] Der Heuchler kehret die alte Methode, wonach man mit einem nur
    an einer Schneidenseite vergifteten Messer die Frucht zerschnitt und
    die damit

sie, »ich hab' ihn aber gar nicht gelesen, er ist mir weggekommen, du
hast ihn wohl mit eingepackt.« --

Indes, ich verzieh alles der blühenden, kecken Ritterin oder Fußgängerin.
-- Ihr Auge, dann ihr Herz brachte mir ja frisches, kühles Morgenwehen
mit Morgenrot in meine schwülen Vorstunden. Auch mußt' ich ja ohnehin
nachher der freundlichen, ins Leben hineinhoffenden und hineinliebenden
Seele den verdienten Himmel des heutigen Tages mit der trüben Nachricht
der fehlgeschlagenen Professur verfinstern. Daher vergab und verschob
ich möglichst. Ich fragte, wie sie hereingekommen, da noch das ganze
spanische Reiterwerk von Sesseln an der Türe feststehe. Sie lachte, sich
dabei nach Dorfsitte bückend, stark und sagte: sie hätte es vorgestern
mit ihrem Bruder verabredet, daß er sie durch seine Stube, da sie meine
Sperrvorrichtung kennte, in meines einließe, damit sie mich heimlich

    geätzte Hälfte dem Opfer hinreichte und die gesunde zweite selber
    aß, so uneigennützig gegen sich selber um, daß er gerade die gute
    moralische Hälfte

wecken könnte. Jetzt fuhr der Dragoner laut lachend ins Zimmer und
sagte: »Wie geschlafen, Herr Schwager?«

Aber auf diese Weise war mir freilich die halbe Gespenstergeschichte
wie von einem Biester und Hennings aufgelöst und aufgedeckt; und ich
durchschaute sogleich des Dragoners ganzen Gespensterplan, den er
ausgeführt. Etwas bitter sagte ich ihm meine Vermutung und der Schwester
meine Geschichte. Aber er log und lachte, ja er versuchte, noch frech
genug, mir am hellen Morgen Geister zum zweiten Male weiszumachen und
aufzuhalsen. Ich versetzte kalt, an mir find' er hierin sehr den
unrechten Mann; gesetzt auch, ich wäre einem Luther, Hobbes, Brutus
ähnlicher, die sämtlich Geister gesehen und gefürchtet. Er erwiderte
-- und riß die Tatsachen aus ihrer Motivierung: -- er sage ja weiter
nichts, als daß er nachts irgendeinen armen Sünder ganz erbärmlich habe


    und Seite dem andern zeigt und gibt und nur sich die giftige
    vorbehält. Himmel, wie schlecht erscheint einem solchen Manne
    gegenüber der Teufel!

krächzen und lamentieren hören; und daraus habe er geschlossen, es sei
eine arme, desperate Nachtmütze von Mann, der ein Gespenst zusetze.
Endlich gingen auch seiner Schwester die Augen über die gemeine Rolle
auf, die er mit mir zu spielen vorgehabt; sie fuhr ihn derb an, schob
ihn mit zwei Händen aus meiner und seiner Türe schnell hinaus und rief
nach: »Warte, du Schadenfroh, ich gedenk' dir's!« Darauf kehrte sie
schnell sich um und fiel mir um den Hals und dabei am falschen Ort ins
Lachen und sagte: »Der dumme Junge! Aber ich konnte das Lachen nicht
mehr verbeißen; und der Narr soll doch nichts merken. Vergib dem Pinsel,
du als ein gelehrter Mann, seine Eselei.«

Ich fragte sie, ob sie auf ihrer Nachreise auf keine Geisterwelt
gestoßen sei -- wiewohl ich wußte, daß ihr Tiere, ein Wasser, ein halber
Abgrund nichts sind; -- »nein, aber vor den geputzten Stadtleuten«,
sagte sie, »habe ich mich am Morgen gescheut«. O wie lieb' ich diese
weichen Harmonikasbebungen weiblicher Furcht!

Endlich mußt' ich den Koloquintenapfel anbeißen oder anschneiden und ihr
die Hälfte davon zureichen, nämlich die Nachricht der Fehlbitte um die
Professur. Da ich aber das freudige Herz mit der vollständigen rohen
Wahrheit verschonen und einer schweren Fracht etwas abschneiden mußte,
die sich besser Männerschultern aufpackt, so begann ich: »Bergelchen,
die Professorssache geht einen anderen, aber an sich guten Gang -- der
General, nach welchem ich den Teufel und seine Großmutter frage, legt es
auf einen Generalsturm an -- und den soll er haben, so gewiß, als ich
die Nachtmütze aufhabe.« -- »So bist du also noch nichts geworden?«
fragte sie. »Vorderhand zwar nicht!« versetzt' ich. »Aber doch bis
Sonnabend abend?« sagte sie. »Das nicht,« sagt' ich. »Nun, so bin ich
hart geschlagen, und ich möchte zum Fenster hinausspringen,« sagte sie
und drehte das Rosen- und Morgengesicht

    [66] Wenn die Bemerkung des Verfassers der Glossen richtig ist, daß
    die Postmeister in den größern Ländern zugleich auch die gröbern
    sind: so hat Napoleon, der viele kleine Länder zu einem großen

weg, um die feuchten Augen darin mir nicht zuzukehren, und schwieg sehr
lange. Dann fing sie mit schmerzhaft zitternder Stimme an: »Du großer
Heiland, stehe mir am Sonntag in Neusattel bei, wenn mich die
hochtrabenden, vornehmen Weiber in der Kirche sehen und ich blutrot
werde aus Scham!«

Jetzt sprang ich im Mitjammer aus dem Bette vor die liebe Seele hin, der
die hellen Zähren über die schönblühenden Wangen flossen und rief: »Du
treues Herz, zermartre mich doch nicht so ganz! Gott soll mich strafen,
wenn ich nicht noch in den Hundstagen alles werde, was du nur willst.
-- Sprich, willst du Bergrätin werden, oder Baurätin, oder Hofrätin,
Kriegsrätin, Kammerrätin, Kommerzienrätin, Legationsrätin, oder des
Henkers- und Teufelsrätin: ich bin dabei und werd' es und such' an.
Morgen schick' ich reitende Boten nach Hessen und Sachsen,

    korinthischen Erze zusammenschmolz und brannte, die Postmeister und
    Posthalter, z. B. im höflichen Sachsen, gewiß nicht noch höflicher
    gemacht, sondern sie eher aus der Komplimentierschule
    herausgeschickt.

nach Preußen und Reußen, nach Friesland und Katzenellenbogen und begehre
Patente. Ja, ich treib's weiter als einer und werde zugleich alles,
Flachsenfinger Hofrat, Scheerauer Akzisrat, Haar-Haarer Baurat,
Pestitzer Kammerrat (denn wir haben das Geld), und stelle dann allein
und eigenhändig mit einem einzigen _Podex_ und _Corpus_ eine ganze
Ratssitzung von auserlesenen Räten vor -- und stehe als eine ganze
Ehrenlegion und ein Ehrengelag, bloß auf zwei Beinen da -- dergleichen
hat noch kein Mensch getan.«

»O! Nun, du bist ja engelgut!« sagte sie und frohere Zähren rollten,
»du sollst mir selber raten, was die vornehmsten Räte sind, damit wir's
werden.« -- »Nein,« fuhr ich befeuert fort, »dabei bleib' ich nicht
einmal; mir ist's nicht genug, daß du dich ordentlich bei der Kaplänin
kannst als Baurätin melden lassen, bei der Stadtpredigerin als
Legationsrätin,

    Was sie indes an Höflichkeit verloren, gewinnen sie vielleicht an
    Briefporto wieder, da ich mir nicht denken kann, daß der Kardinal
    _Pretettore del S. Imperio_, dessen Briefe bekanntlich

bei der regierenden Bürgermeisterin als Hofrätin, bei der
Chausseeeinnehmerin als Kommerzienrätin, oder wie du wo willst.« --
»Ach du mein gar zu gutes Attelchen!« sagte sie. »Sondern,« fuhr ich
fort, »ich werde auch korrespondierendes Mitglied verschiedener besten
gelehrten Gesellschaften in verschiedenen besten Hauptstädten (worunter
ich bloß zu wählen habe), und zwar kein gemeines wirkliches Mitglied,
sondern ein ganzes Ehrenmitglied; und dann streck' ich wieder dich als
ein auf mir Ehrenmitglied wachsendes Ehrenmitglied aus.«

Verzeiht, Freunde, diesen Breiumschlag oder Täuschungsbalsam für eine
verwundete Brust, deren Blut zu rein und köstlich ist, als daß man es
nicht mit allen möglichen Stillungsmitteln aus Spinnweben ins schöne
Herz zurückzuschließen trachten sollte.

Jetzt kamen schöne, schönste Stunden. Ich hatte die Zeit besiegt, wie
mich Berga; selten

    sonst alle postfrei durch das heilige römische Reich gelaufen, nicht
    jetzt alles frankieren sollte was er etwa zu melden hat.

beseligt, so wie ich, ein Sieger, zugleich die überwindende und die
überwundene Partei. Berga holte ihren alten Himmel zurück und zog die
staubigen Stiefel aus und blumige Schuhe an. Köstlicher Morgentrunk! Wie
berauscht ein liebendes Herz! Ich spürte ordentlich (ist die niedere
Redeblume erlaubt) ein Doppelbier von Mut in mir, seitdem ich ein Wesen
mehr um mich zu beschirmen hatte. Überhaupt werd' ich -- was der
treffliche General nicht ganz zu wissen scheint -- nicht wie andere
Mutige mutiger, sondern am stärksten durch Hasen, weil an mir das
schlechte Beispiel sich zum Widerspiel umdreht. Kleine Pinselstriche
mögen hier Mann und Frau mehr abschatten als verschatten! Als der nette
Kellner mit der grünseidenen Schürze

    [67] Einzelne Seelen, ja Staatskörper gleichen organischen Körpern;
    man zieht aus ihnen die innere Luft heraus, so erquetscht sie der
    Dunstkreis; pumpt man unter der Glocke die äußere widerstehende
    hinweg, so schwellen sie von innerer über und zerplatzen. Demnach
    behalte jeder Staat inneren und äußeren Widerstand zugleich.

Morgenbrezeln heraufbrachte -- weil ich gesagt hatte: »Johann, zwei
Portionen!« -- so sagte sie zu ihm: er verbände sie sehr damit, und hieß
ihn Herr Johann.

Bergelchen -- mehr in Marktflecken als Hauptstädten aufgewachsen -- wurde
ordentlich bestürzt über die Kaffeebretter, Waschtische, Papiertapeten,
Wandleuchter, alabasterne Schreibzeuge mit ägyptischen Sinnbildern und
über den vergoldeten Klingeldrahtsknopf, den ja jeder abdrehen und
einstecken konnte. Daher hatte sie nicht den Mut, durch den Saal voll
Kronleuchter zu gehen, bloß weil ein pfeifender, vornehmer Federhut
darin auf- und abspazierte. Ja, ihrem armen Herzen wurde ordentlich die
Brust zur Schnürbrust, wenn sie zum Fenster hinaus auf so viele geputzte
und fahrende Städter guckte (ich pfiff frisch ein gaskonisches Liedchen
darunter hinein) -- und wenn sie daran dachte,

    [19] Mehr als ein Schriftsteller hat es hinter Hermes nachversucht,
    das Beispiel der Gattinnen und Ärzte, welche einem Trunkenbold das
    Lieblingsgetränk auf immer durch einen eingeschwärzten, krepierten
    Frosch

wie sie nachher samt mir mitten durch dieses blendende Vorzimmergewühl
brechen müßte. Hier verfangen Schlüsse noch weniger als Beispiele. Ich
wollte mein Bergelchen durch einige meiner nächtlichen Traumgigantesken
heben -- z. B. durch die, daß ich auf einem Walfisch reitend mit einer
Dreizacksgabel drei Adler gespießet und gespeiset, und durch dergleichen;
aber ich machte keinen Effekt, vielleicht, weil ich eben dadurch dem
furchtsamen Frauenherzen das Schlachtfeld näher als den Sieger, den
Abgrund näher als den Springer darüber vor das Auge geschoben.

Jetzt wurde mir ein Pack Zeitungen gebracht, voll lauter kräftigster
Siege. Obgleich diese nur auf der einen Seite vorfallen und auf der
anderen ebenso viele Niederlagen vorkommen: so verquicken doch jene sich
mehr mit meinen Blute als diese, und flößen mir -- wie sonst Schillers
Räuber -- eine wunderbare

    oder durch Brechweinstein zu verleiden wußten, nachzuahmen und auf
    ähnliche Weise dem heißhungrigen Romanenleser den Roman durch
    häufige in denselben eingebrockte Predigten, Moralien und

Neigung ein, irgend jemand auf der Stelle zu dreschen und zu fegen.
Unglücklicherweise für den Kellner hatte dieser sich eben wie ein Herr
dreimalige Klingelorder zum Marsche geben lassen, bevor er sich mobil
und herauf gemacht. »Herr,« -- fing ich an, den Kopf voll Schlachtfelder
und den Arm voll Triebe ihn abzuklopfen, und Berga fürchtete alles, da
ich das ihr bekannte Zorn- und Alarmzeichen gab, nämlich die Mütze
hinten am Hinterkopfe in die Höhe stieß -- »ist das Manier gegen Gäste?
Warum kommt Er nicht prompt? Komm' Er mir nicht wieder so und geh' Er,
Freund!« -- Ungeachtet sein Rückzug mein Sieg war, so kanonierte ich
doch noch auf der Wahlstatt lebhaft fort und feuerte desto lauter (er
sollt' es hören), je mehr Treppen er hinuntergeflogen. Bergelchen -- die
sich ganz entsetzte über mein Ergrimmen, zumal in einem ganz fremden
Hause

    Langweilen (dergleichen sollte krepierte Frösche vorstellen)
    dermaßen zu versalzen und zu verekeln, daß er dann nach keinem
    Romane mehr griffe. -- -- Aber der Ekel verfing wenig; und Hermesen
    selber

und über einen vornehmen Putzbengel mit Seidenschurz -- suchte alle ihre
sanften Worte hervor gegen wilde einer Kriegsgurgel und gab mir Gefahren
zu bedenken. »Gefahren«, versetzt' ich, »wünscht' ich ja eben, nur
gibt's keine für den Mann, stets wird er ihnen entweder obsiegen oder
entspringen, entweder die Stirn bieten oder den Rücken.«

Ich konnte kaum aufhören mich zu erbittern, so süß war mir's, und so
sehr fühlt' ich mich vom Zornfeuer erfrischt und in der Brust wie von
einem Geierfelle lind geheizt. Es gehört auch allerdings unter die
unerkannten Wohltaten -- worüber man sonst predigte, daß man nie mehr in
seinem Himmel und _monplaisir_ (ein Lustschloß) ist, als so recht im
Toben und Grimm.

Und wurde der ganze Vormittagsmorgen mit Beschauen und Behandeln
verbracht; und zwar am längsten in der breiten Gasse unseres

    glückt es am wenigsten, eher noch seinen Nachfolgern, bei denen der
    Wein sich weniger im Geschmacke von dem Brechwein unterschied, den
    sie dazu gegossen.

Hotels. Berga sollte sich erst ins Marktgedränge einschießen; sie
sollte erst einsehen, daß sie mehr »nach der Modi«, mit ihr zu reden,
aufgeschmückt sei, als hundert andere ihres Ungleichen. Aber bald vergaß
sie über den Haushalt den Aufputz und auf dem Töpfermarkte den
Nachttisch.

Nach dem Mittagsessen (auf unserem Zimmer) kamen wir aus dem Fegfeuer
des Meßgetümmels, wo Berga an jeder Bude etwas zu bestellen und ihrer
Nachtreterin etwas aufzuladen hatte, endlich im Himmel an, in der
sogenannten Hundewirtschaft, wie das beste Flätzer Wirts- und Lusthaus
außer der Stadt sich nennt, wo Messenszeiten Hunderte einkehren, um
Tausende vorbeigehen zu sehen. Schon unterwegs wuchs meinem Weibchen
als meinem Ellenbogenefeu dermaßen der Mut, daß sie unter dem Tore,
wo ich mich, da nach der bekannten militärischen Prozeßordnung nicht
nahe an der Schildwache vorübergegangen werden darf, deshalb auf die
entgegengesetzte Seite hinwarf, ruhig dicht am Schieß- und Stechgewehr
der Torwache vorüberstrich. Draußen konnt' ich ihr den umketteten,
vergitterten, riesenhaften, schon außen mit Treppen aufsteigenden
Schabackerpalast mit Fingern zeigen, worin ich gestern gehaust und
(vielleicht) gestürmt; »lieber den Riesen möcht' ich begucken,« sagte
sie, »und den Zwergen; zu was sind wir denn mit ihnen unter einem Dach?«

Im Lusthause selber fanden wir hinlängliche Lust, umrungen von blühenden
Gesichtern und Auen. Da setzt' ich mich heimlich in einem fort über
Schabackers Refus mit Erfolg hinweg und machte mir überhaupt bis gegen
Mitternacht einen guten Tag; ich hatt' ihn verdient, Berga noch mehr.
Gleichwohl sollt' ich noch nachts um ein Uhr eine Windmühle zu berennen
bekommen, die freilich mit etwas längeren, stärkeren und mehreren Armen
schlägt als ein Riese, wofür Don Quixote eine solche Mühle gern angesehen
hätte. Ich

    [8] In großen Sälen wird der wahre Ofen in einen zierlichen
    Scheinofen entlarvt; so ist es schicklich und zierlich, daß sich die
    jungfräuliche =Liebe= immer in eine schöne, jungfräuliche
    Freundschaft verberge.

lasse nämlich auf dem Marktplatz aus Gründen, die sich leichter denken
als sagen, Bergelchen um einige zwanzig vorausgehen, und begebe mich aus
gedachten Gründen ohne Arg hinter eine versteckte Bude, die wohl die
Silberhütte und der Silberschrank eines rohen Krämers sein mochte, und
verweile davor natürlich nach Umständen: -- sieh, kommt dahergerudert
mit Spieß und Speer der Budenwächter und münzt und prägt mich so
unversehens und unbesehen zu einem Schnapphahn und Raubfisch seiner
Budengassen aus, obgleich der schwache Kopf nichts weiter sieht, als daß
ich in einer Ecke stehe und nichts weniger tue als -- nehmen. Ein
Ehrgefühl ohne Tallus ist für solche Angriffe niemals abgestumpft. Nur
aber, wie war einem Manne, der nichts im Kopfe hat -- höchstens jetzt
Bier statt Hirn -- in der Nachmitternacht Licht zu geben? --

Ich verhehle mein Wagmittel nicht; ich griff zum Fuchsschwanz, ich
spiegelte ihm nämlich vor, ich hätte einen sogenannten Hieb, und wüßte
in der Betrunkenheit mich schlecht zu finden und zu halten -- ich
spielte daher alles nach, was mir aus diesem Fache zu Gesicht gekommen,
schwankte hin und her, setzte die Füße tanzmeisterlich auswärts, geriet
in Zickzacke hinein bei allem Aussegeln nach gerader Linie, ja ich stieß
meinen guten Kopf (vielleicht einen der hellsten und leersten der Nacht)
als einen vollen gegen wahre Pfosten. --

Gleichwohl sah der Budenvogt, der vielleicht öfter betrunken gewesen als
ich, und die Zeichen besser kannte, oder der es gar selber in dieser
Stunde war, die ganze Verstellung für bloßes Blendwerk an und schrie
entsetzlich. »Halt, Strauchdieb, du hast keinen Haarbeutel, du Windbeutel
bist ja noch weniger besoffen als ich! -- Wir kennen uns wohl länger.
Steh! Ich komm dir nach.

    [12] Die Völker lassen -- als Widerspiele der Ströme, die in der
    Ebene und Ruhe am meisten das Unreine niederschlagen -- gerade nur
    im stärksten Bewegen das Schlechte fallen, und sie werden desto
    schmutziger, je länger sie in trägen, platten Flächen
    weiterschleichen.

Willst du im Markt deine Diebesfinger haben? -- Steh, Hund, oder ich
forciere dich!«

Man sieht hier seinen ganzen Zustand; ich entsprang zickzackig zwischen
den Buden diesem rohen Trunkenbolde so eilig, als ich konnte; dennoch
humpelte er mir nach. Aber meine Teutoberga, die einiges gehört, rannte
zurück, faßte den betrunkenen Marktportier beim Kragen und sagte, obwohl
(nach Dorfweise) zuschreiend: »Dummer Mann, schlaf' Er seinen Rausch
aus, oder ich zeig's Ihm! Weiß Er denn, wen Er vor sich hat? Meinen
Mann, den Feldprediger Schmelzle unter dem Herrn General und Minister
von Schabacker bei Pimpelstadt, Er Narr! Pfui, schäm' Er sich, Kerl!«
Der Wächter brummte: »Nichts für ungut!« und taumelte davon. »O du
Löwin,« sagt' ich im Liebesrausch, »warum bist du in keiner Todesgefahr,
damit ich dir nur den Löwen zeige als Gemahl?«

So gelangten wir beide liebend nach Hause;

    [23] Wenn die Natur das alte große Erdenrund, den Erdenlaib von
    neuem durchknetet, um unter diesem Pastetendeckel neue Gefüllsel und
    Zwerge hineinzubacken;

und ich hätte vielleicht zum schönen Tage noch den Nachsommer einer
herrlichen Nachmitternacht erlebt, hätte mich nicht der Teufel über
Lichtenbergs neunten Band, und zwar auf die 206. Seite geführt, wo
dieses steht: »Es wäre doch möglich, daß einmal unsere Chemiker auf ein
Mittel gerieten, unsere Luft plötzlich zu zersetzen, durch eine Art von
Ferment. So könnte die Welt untergehen.« Ach, ja, wahrlich! Da die
Erdkugel in der größeren Luftkugel eingekapselt steckt: so erfinde bloß
ein chemischer Spitzbube auf irgendeiner fernsten Spitzbubeninsel oder
in Neuholland, ein Zersetzmittel für die Luft, dem ähnlich, was etwa ein
Feuerfunke für einen Pulverkarren ist: in wenig Stunden packt mich und
uns in Flätz der ungeheure, herschnaubende Weltsturm bei der Gurgel,
mein Atemholen und dergleichen ist in Erstickluft vorbei, und alles
überhaupt vorbei. --

Indes verbarg ich der treuen Seele jeden

    so gibt sie meistens wie eine backende Mutter ihrem Töchterchen zum
    Scherze etwas weniges Pastetenteig davon (ein paar tausend
    Quadratmeilen

Todesnachtgedanken, da sie mich doch entweder nur schmerzlich
nachempfunden oder gar lustig ausgelacht hätte. Ich befahl bloß, daß sie
am Morgen (des Sonnabends) für die zurückkehrende Landkutsche fertig und
gestiefelt dastände, sollt' ich anders ihren Wünschen gemäß an die
Überschwängerung mit Räten, die ihr so am Herzen lag, früh genug kommen.
Sie war so freudig meiner Meinung, daß sie gern den Jahrmarkt aufgab.
Auch ruht' ich ruhig, mit der Fußzehe an ihre Finger geknüpft, die ganze
Nacht hindurch.

Der Dragoner nahm und zupfte mich am Morgen heimlich beim Ohre und sagte
mir in dasselbe hinein, er habe ein lustiges Meßgeschenk für seine
Schwester vor und reite deshalb auf seinem gestern vom Roßtäuscher
eingetauschten Rappen etwas früh voraus. Ich bot ihm meinen Vordank.

Am Morgen lief jeder lustig vom Stapel,

    solchen Teigs sind genug für ein Kind) irgendeiner Dichter-, oder
    Weisen-, oder Heldenseele ab, damit das kleine Ding doch auch etwas
    auszuformen und aufzustellen habe neben der Mutter.

ausgenommen ich; denn ich behielt noch immer, auch vor dem besten
Morgenrote das nächtliche Teufelsferment und Zersetzmittel, meiner
Gehirnkugel sowohl als der Erdkugel, gärend im Kopf; ein Beweis, daß die
Nacht mich und meine Furcht gar nichts hatte übertreiben lassen. Der mir
verdrießliche blinde Passagier setzte sich auch wieder ein und sah mich
wie gewöhnlich an, doch ohne Effekt, denn diesmal, wo ich Weltumwälzungen,
nicht bloß die meinigen, im Kopfe hatte, war mir der Passagier mehr ein
Spaß und Spuk; da niemand unter Fußabsägen das Herzgespann verspürt,
oder unter dem Summen der Kanonen sich gegen das der Wespen wehrt,
ebenso konnte mir ein Passagier mit allen Brandbriefen, die etwa sein
verdächtiges Gesicht in meine noch späte Zukunft wirft, bloß lächerlich
zu einer Zeit vorkommen, wo ich bedachte, das »Ferment« könne

    Bekommen dann die Geschwister etwas von dem Gebäcke des
    Schwesterchens, so klopfen sie alle in die Hände und rufen:
    »Mutter, kannst du auch so backen wie Viktoriechen?«

ja mitten auf meinem Wege von Flätz nach Neusattel von irgendeinem
Amerikas, Europas Manne, der ganz unschuldig versucht und zersetzt,
zufällig erfunden und losgelassen werden. Die Frage, ja Preisfrage
wäre aber nun, inwiefern es seit Lichtenbergs Drohung nicht etwa
welt- und selbstmörderisch aussieht, wenn aufgeklärte Potentaten
scheidekünstlerischer Völker es nicht ihren Scheidekünstlern, die so
leicht Leib von Seele scheiden und Erde mit Himmel gatten, auferlegen,
keine andere chemische Versuche zu machen, als die schon gemachten,
die doch bisher den Staaten weit mehr genützt als geschadet.

Leider blieb ich in diesen jüngsten Tag des Ferments mit allen Sinnen
versunken, ohne auf der ganzen Rückreise nach Neusattel mehr zu erleben
und zu bemerken, als daß ich daselbst ankam, wo ich zugleich wieder den
blinden Passagier seines Weges gehen sah.

Nur mein Bergelchen schaute ich in einem fort unterwegs an, teils um sie
noch solange zu sehen, als Leben und Augen dauern, teils um auch bei
kleinster Gefahr derselben, es sei nun eine große oder gar ein ganzes
hereinstürzendes Goldau und verzehrendes Weltgericht, wenn nicht für
sie, doch an ihr zu sterben, und so, verknüpft mit ihr, ein geplagtes
und plagendes Leben hinzuwerfen, worin ihr ohnehin nicht die Hälfte
meiner Wünsche für sie erfüllt worden.

So wäre denn meine Reise an sich vollendet -- gekrönt mit einigen
Historiolen -- vielleicht künftig noch belohnter durch euch, ihr Freunde
um Flätz herum, wenn ihr darin etwa einige gutgeschliffene Jätemesser
finden solltet, womit ihr leichter das Lügenunkraut ausreutet, das mich
bis jetzt dem wackeren Schabacker verbauet. -- Nur sitzt mir noch das
verfluchte Ferment im Kopfe. Lebt denn wohl, solange es noch Atmosphären
einzuatmen gibt. Ich wollt', ich hätte mir das Ferment aus dem Kopfe
geschlagen.

                                                 Euer
                                                   Attila Schmelzle.

NS. Mein Schwager hat seine Sache gut gemacht und Berga tanzt. Künftig
das Nähere! -- --




                             Gedruckt bei
                           Poeschel & Trepte
                              in Leipzig




[ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
steht.

Taufnamen Attilla mehr, als sich's gehört, in mich gefahren, ist
Taufnamen Attila mehr, als sich's gehört, in mich gefahren, ist

    [112] Gewisse Welt weiberbenutzen in gewissen Fällen ihre körperliche
    [112] Gewisse Weltweiber benutzen in gewissen Fällen ihre körperliche

Malzleinsdorf (einer Wiener Vorstadt), oder waren's für meine gepeinigten
Matzleinsdorf (einer Wiener Vorstadt), oder waren's für meine gepeinigten

sagen, mir sind den Kindern gleich, die am schön bemalten Kästchen
sagen, wir sind den Kindern gleich, die am schön bemalten Kästchen

Freilich, das Postkutschen gelag' und Picknick wollte mir weniger
Freilich, das Postkutschengelag' und Picknick wollte mir weniger

sich einsetzen ober hinten aufstellen würde. Beide Narren beziehen
sich einsetzen oder hinten aufstellen würde. Beide Narren beziehen

erklärte nun, das man
erklärte nun, daß man

    zu schonen, so lange auf den =Kopf=, bis wieder getragen wird.
    zu schonen, so lange auf den =Kopf=, bis er wieder getragen wird.

Menge, bei dem die Blitze spießenden Degen auf dem Kutschbock, unb bei
Menge, bei dem die Blitze spießenden Degen auf dem Kutschbock, und bei

    Eigentum wird ihm als Kirchenraub angerechent. Mich dünkt aber, der
    Eigentum wird ihm als Kirchenraub angerechnet. Mich dünkt aber, der

logiert, von der ersten schimmsten Aufwärterin, die er oder die ihn
logiert, von der ersten schlimmsten Aufwärterin, die er oder die ihn

Helden und Potentatentaten, Festungsstürme, Felsenwürfe; -- noch aber
Helden- und Potentatentaten, Festungsstürme, Felsenwürfe; -- noch aber

Sonnabend abend?« sagte sie. »Das nicht, sagt' ich. »Nun, so bin ich
Sonnabend abend?« sagte sie. »Das nicht,« sagt' ich. »Nun, so bin ich

Gleichwohl sollt' ich noch nachts um ein Uhr eine Winmühle zu berennen
Gleichwohl sollt' ich noch nachts um ein Uhr eine Windmühle zu berennen
]




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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation's website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without
widespread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
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While we cannot and do not solicit contributions from states where we
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International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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freely shared with anyone. For forty years, he produced and
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