Lebensbilder : Novellensammlung

By Ida Barber

The Project Gutenberg eBook of Lebensbilder, by Ida Barber

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Title: Lebensbilder
       Novellensammlung

Author: Ida Barber

Release Date: May 16, 2023 [eBook #70775]

Language: German

Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
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                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1882 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
  verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
  fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

  Anführungszeichen innerhalb wörtlicher Rede werden im Original
  uneinheitlich gehandhabt. Teils werden doppelte, teils sogar
  vierfache Anführungszeichen verwendet. In der vorliegenden Ausgabe
  wurden diese vereinheitlicht und werden nun, ähnlich den heutigen
  Rechtschreibregeln, als einfache Anführungszeichen dargestellt.

  Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch deren Umschreibungen
  (Ae, Oe, Ue) wiedergegeben.

  Der Übersichtlichkeit halber wurde das Inhaltsverzeichnis vom
  Bearbeiter an den Anfang des Texts verschoben.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere
  Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

        fett:     =Gleichheitszeichen=
        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua:  ~Tilden~

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                             Lebensbilder.

                            [Illustration]

                           Novellensammlung.

                                  von

                              Ida Barber.


                            [Illustration]


                              Wien 1882.

                         Verlag von E. Czaki.

                        IX., Maximilianplatz 3.




Widmung.


Als vor kaum einem Jahre edle, für das Allgemeinwohl thätige Männer und
Frauen daran gingen, in Wien die erste Wärmestube zu eröffnen, da ahnte
der größte Theil des Publicums noch nicht, wie sehr vielen Tausenden
diese That reiner Menschenliebe in Stunden der Noth zu Gute kommen
sollte. Wir sahen sie seitdem schaarenweise, zitternd und frierend,
entkräftet und arbeitsunfähig die Locale aufsuchen, in denen sie die
erstarrten Glieder beleben, sich an einem warmen Getränk laben konnten.
-- Hunger und Kälte sind gar schlimme Bundesgenossen, die manchen sonst
thätigen, rechtlich denkenden Mann, dem das Dasein ehedem lieb war, zu
dem verzweifelten Entschluß brachten, diesem Leben ein Ende zu machen.

Wer kann sich, wenn ihm nicht Gelegenheit wird, das Elend der unteren,
arbeitslosen Volksmassen kennen zu lernen, einen Begriff von jenen
Zuständen machen, die leider Gottes allda existiren?

Die Noth trifft Diejenigen am schlimmsten, die gerne arbeiten wollen
und kaum Erwerb finden. Betteln können sie nicht gehen, frieren und
hungern mögen sie auch nicht. Wohin sollen sie in der Verzweiflung ihre
Schritte lenken?

Siehe, da öffnet sich ihnen, den Armen, die sich schon von Gott und
aller Welt verlassen wähnen, gastlich eine Pforte; sie treten ein,
belebende Wärme dringt ihnen entgegen, gütige, wohlwollende Menschen
heißen sie willkommen, laben und stärken sie, geben ihnen Vertrauen und
Hoffnungsfreudigkeit wieder.

Diese Idee, sich der Armen, der Hungernden und Frierenden anzunehmen,
ihnen ein Heim zu gründen, in dem sie, wenn auch nur zeitweise, ihr
Elend vergessen, ist der Unterstützung aller Gutgesinnten werth.

Ich sehe es als heilige Pflicht an, diese Idee zu fördern, in ihrem
Dienste thätig zu sein.

Ist es sonst eine in der Schriftstellerwelt ziemlich allgemein gültige
Sitte, ein Werk einer hochstehenden Persönlichkeit zu widmen, so widme
ich vorliegendes Schriftchen einer humanitären Idee, die mir das,
was die Bestgesinnten unserer Zeit erstreben, theilweise in sich zu
verkörpern scheint.

Der Reinertrag dieses Bändchens ist zum Besten der Wärmestuben bestimmt.

Die Erzählungen sind zumeist dem wirklichen Leben entnommen; möchten
sie Denen, die mit der Noth dieses Lebens zu kämpfen haben, zum Segen
gereichen.

  +Wien+, im December 1881.

                                                       =Ida Barber.=




Inhalt.


                                                   Seite

  Weihnachtsschäfchen. Skizze nach dem Leben           5

  Ein improvisirtes Verlobungsfest. Humoreske         16

  Aus dem Leben eines Gründers                        51

  Glaubenskämpfe                                      74

  Thurmwächters Rundschau in der Sylvesternacht      149

  Eine verunglückte Speculation                      155




[Illustration]




Weihnachtsschäfchen.

Skizze nach dem Leben.


Es war an einem jener eisig kalten, sternenhellen Winterabende, als
ein ärmlich gekleidetes, ungefähr sechsjähriges Mädchen zitternd und
frierend an einem Eckhause der Königsstraße in Berlin lehnte und, ach
wie oft vergeblich, seine kleinen Schäfchen den Passanten zum Kauf
anbot.

„Kaufen Sie, lieber Herr,“ bat sie, „die Mutter ist krank und hat heute
noch nichts gegessen!“

Niemand schien ihre Worte zu beachten.

War es ja heute Heiliger Abend; Jeder hatte mit sich selbst, seinen
Einkäufen und Geschenken so viel zu thun, wie sollte man da auf die
ärmliche Kleine Acht haben können!

Bald kam auch ein Schutzmann, der sie zum Weitergehen antrieb,
da er sie sonst arretiren müsse. Unter Thränen nahm das Kind die
schön aufgebauten Schäfchen in einen Korb und wanderte weiter, die
Kurfürstenbrücke entlang; -- sie sah sich um, ob ihr der Polizist
folge; Gottlob, nein; er hatte Kehrt gemacht; noch einmal wagte sie es,
an einer Stufe der Brücke Halt machend, ihre Schäfchen auszupacken
und sie den Vorübergehenden anzubieten; zwei Silbergroschen hatte sie
eingenommen und doch war sie schon seit 2 Uhr vom Hause fort. „Wenn ich
sie alle verkauft hätte,“ seufzte sie, „könnte ich der Mutter einen
Christstollen kaufen! Ach, wie würde sie sich freuen!“ Und in der
Vorstellung dieser Freude begann sie wieder mit neuem Muthe, wenngleich
mit halbheiserer Stimme:

„Kauft Schäfchen! Kauft Schäfchen!“ -- Sie hielt die erstarrten Hände
an den Mund, um sie mit ihrem Hauch zu erwärmen; sie trappelte mit den
kleinen Beinchen, als wollte sie den Boden zerstampfen -- bald ward
es ihr unmöglich, ihren zarten, dürftig bekleideten Körper gegen die
rauhe Winterluft zu schützen; da kam auch noch ein eisiger Nordwind,
der ihre kleine Heerde, die sie so zierlich auf einem Brettchen postirt
hatte, vor sich her fegte. Laut weinend sank sie zusammen und rief mit
gefalteten Händen: „O Gott, nun sind wir ganz arm!“

„Beruhige Dich, Kleine!“ hörte sie in ihrem Herzeleid die volltönende
Stimme eines Mannes, der eifrig bemüht war, ihr einige der hier und
dort zerstreut auf dem Pflaster liegenden Schäfchen einzusammeln; „wie
viele hattest Du denn?“

„Zwölf Stück, Herr!“ rief die Kleine unter Schluchzen.

„Und was kostet ein solches Stück?“

„Drei Pfennige!“ entgegnete das Kind, ihre thränenumflorten Augen zu
dem Manne aufschlagend, der so freundlich mit ihr sprach.

Dieser blickte sie theilnehmend und aufmerksam an und stand eine Weile
vor ihr, ohne ein Wort zu sprechen.

„Wie heißest Du?“ fragte er endlich.

„Anna Masson!“ erwiderte die Kleine zaghaft.

„Hast Du Eltern?“

„Eine Mutter, Herr!“ entgegnete das Kind.

Der Fremde wurde immer aufmerksamer. „Ganz seine Augen, seine Stirn!“
sagte er halblaut vor sich hin. „Wo wohnt Deine Mutter?“ fuhr er dann
theilnehmend fort. -- Sie nannte ein Haus in der Linienstraße.

„Willst Du mich zu Deiner Mutter führen?“ fragte der Fremde, nachdem er
sie noch eine Weile aufmerksam betrachtete.

„O, Herr, ich mag ohne Geld nicht zu Hause kommen!“ entgegnete Anna,
der nun wieder die ganze Schwere des erlittenen Verlustes auf die Seele
fiel; „die Mutter ist so krank und --“

„Hier hast Du Geld!“ unterbrach sie der Fremde, ihr einen blanken
Thaler in die Hand drückend, „doch nun komm!“

Anna aber stand wie festgewurzelt. Ein Strom Freudenthränen entquoll
ihren Augen und während sie mit der einen Hand nach ihrem Körbchen
griff, legte sie die andere in die dargebotene Rechte ihres
Wohlthäters, der sie eilig mit sich fortführte. Bald schien er
einzusehen, daß die Kleine zu schwach sei, ihm zu folgen; er nahm
einen Fiaker und hob das zitternde Kind hinein. „Du wirst Hunger
haben?“ fragte er, sich plötzlich besinnend. „Seit wann hast Du nichts
gegessen?“

„Seit heute Morgen, Herr!“ entgegnete das Kind verlegen.

Eiligst stieg er wieder aus und machte an einer Pfefferkuchenbude
verschiedene Einkäufe. Mit einer großen Tüte beladen, kam er an den
Wagen zurück. Wie hüpfte der Kleinen das Herz! Ja, es war wirklich
Weihnacht; sie fühlte, daß ein Band der Liebe alle Menschen umschlang,
denn auch ihr, dem armen, verlassenen Menschenkinde dachte man eine
Freude zu machen.

Noch nie war sie so schnell die vier Stiegen zu ihrem Dachkämmerchen
hinaufgeeilt. „Herzmütterchen!“ rief sie, die Tüte und das blanke
Silberstück hoch empor haltend, „sieh, was ich Dir mitbringe. Und
draußen ist ein feiner Herr, der Dich sprechen will,“ fuhr sie fort,
indem sie eine bleiche, junge Frau, die auf elendem Lager ausgestreckt
lag, in ihre Arme nahm und herzte und küßte.

Der Fremde war schon eingetreten und erklärte der Kranken mit kurzen
Worten, wie er Anna getroffen, daß eine auffallende Aehnlichkeit
mit seinem verstorbenen Bruder ihn veranlaßt, ihr sein Interesse zu
schenken und er ihr dankbar sein würde, wenn sie das Kind dann und wann
in sein Haus schicken wolle; seine alte Mutter könne den Verlust des
geliebten Sohnes noch nicht verschmerzen und würde sicher durch den
Anblick der Kleinen, die ihm so ähnle, angenehm berührt werden.

Plötzlich schwieg er; wie festgebannt hing sein Auge an einem Bild,
das in elegantem Rahmen auf dem Nähtisch der Kranken stand. Lange sah
er sie prüfend, sprachlos an. „Sie kannten ihn?“ rief er, plötzlich
ihre magere Hand ergreifend und mit ängstlicher Miene in ihren Blicken
lesend. „Er war der Freund meiner Seele!“ entgegnete sie leuchtenden
Auges; „seit ich ihn verloren, weiß ich nicht mehr, daß ich lebe!“

„Und Anna?“ fragte der Fremde gespannt.

„Ist seine Tochter!“ entgegnete die Kranke; „sie ist das einzige Band,
das mich noch an das Leben fesselt, sonst --“

„Regen Sie sich nicht auf!“ bat der Fremde, da er sah, wie eine kaum
niederzukämpfende Rührung sich der Kranken bemächtigte; und ihr lange
in die noch immer schönen, wenngleich gramdurchfurchten Züge schauend,
fügte er mit bangem Seufzer hinzu: „O Gott, was müssen Sie gelitten
haben!“ Dann nahm er die kleine Anna in seine Arme, drückte einen
herzlichen Kuß auf das blonde Lockenköpfchen und sagte, während Thränen
auf Thränen ihm über die Wangen liefen: „Gott sei gelobt! Endlich werde
ich Ruhe finden!“

Die Kranke sah ihn sprachlos an. Eine fieberhafte Aufregung bemächtigte
sich ihrer, je länger sie ihn anblickte; als er dann innig ihre beiden
Hände ergriff und sagte: „Schwägerin, können Sie uns verzeihen!“ da
sank sie mit lautem Aufschrei in ihre Kissen zurück und lag lange wie
leblos da. Endlich that sie die müden Augen wieder auf: „Habe ich
geträumt?“ fragte sie wirr um sich blickend; doch als sie den hohen
stattlichen Mann, der jetzt seinen eleganten Zobelpelz abgelegt hatte,
vor sich sah -- da verfinsterte sich wieder ihre Stirne, Bild auf Bild
trat vor ihre Seele und auf jedes fiel der Schatten dieses Unseligen,
den sie als den Feind ihres Lebens, ihres Glückes betrachtet.

Sie gedachte ihrer Brautzeit mit Adolf von Salmen, dessen Liebe sie,
die arme Lehrerstochter, so unendlich reich und glücklich gemacht
hatte, dann der Weigerungen seiner Familie, sie anzuerkennen, der
steten Kränkungen, die sie erfahren, -- ihrer heimlich geschlossenen
Ehe -- des plötzlichen Todes des geliebten Mannes! -- Sie begrub ihr
Gesicht in beiden Händen und weinte bitterlich.

„Wollen Sie mich hören?“ fragte Ernst von Salmen im warmen Tone; „ich
habe Ihnen noch die Botschaft eines Sterbenden zu überbringen und suche
Sie seit sechs Jahren vergeblich allüberall!“

Die Kranke richtete sich empor: „Von ihm?“ fragte sie, indem eine
brennende Röthe das zarte Gesicht überflog.

„So hören Sie!“ begann Ernst von Salmen und eine Centnerlast schien mit
jedem Worte von seinem Herzen zu weichen.

„Da ich vor sechs Jahren die Reise nach Wiesbaden mit Adolf unternahm,
war er elend und fast aufgegeben; er hielt sich noch für gesund und
glaubte, daß sein Husten nur ein anhaltender Catarrh sei, von dem er
in Wiesbaden geheilt zu werden hoffte. Als ich eines Abends von einer
Reunion zu Hause kam, hörte ich zu meinem Entsetzen, daß er einen
Blutsturz gehabt; — ich fand einen Sterbenden! ‚Gut, daß Du kommst!‘
rief er mit stockender Stimme; ‚ich habe — Dir — Wichtiges — mit‘
— ein abermaliger Blutstrom entquoll seinen Lippen. Als er zu sich
gekommen: ‚Helene ist meine — Frau — sorge — — für sie!‘ Kaum hatte
er diese Worte ausgehaucht, so war auch sein Leben entwichen! Und wie
habe ich Sie gesucht — um den letzten Willen des geliebten Todten
zu erfüllen! Sie waren verschwunden!“ O, weinen Sie nicht! bat er, da
er sah, wie die arme Frau in ein convulsivisches Schluchzen verfiel.
„Sehen Sie, es giebt eine Vorsehung, die meine Schritte durch diesen
Engel“ — er zog die Kleine herzlich an sich — „zu Ihnen geleitet!
Lassen Sie uns jetzt gut machen, was wir Ihnen damals wehe gethan! Wir
kannten Sie nicht! Sie wissen, daß Adolf dem Willen des verstorbenen
Vaters gemäß seine Cousine Alma heiraten sollte — daher unsere
Weigerung! Adolf’s Liebe zu Ihnen war stärker als der Respect, den er
dem Verewigten schuldete — er heiratete Sie ohne unser Wissen, wie
ich nach seinem Tode aus seinen Briefschaften ersah. Meine arme Mutter
machte sich die heftigsten Vorwürfe! Sie hatte den innigsten Wunsch,
ihres unvergeßlichen Sohnes geliebtes Kind an ihr Herz zu drücken —
Sie waren indeß mit dem Kinde verschollen!“

„Als ich die Nachricht von Adolf’s Tode erhielt,“ entgegnete Helene
unter Schluchzen, „verfiel ich in ein heftiges Nervenfieber. Meine
Tante Ida nahm mich zu sich, pflegte mich, und als ich genas, verblieb
ich den Sommer hindurch auf ihrem Landgute. Im Herbste trat ich eine
Stelle als Erzieherin an -- die Tante Anna hatte meine Kleine -- von
der ich mich, ach, wie schwer trennte, bei sich behalten! Mit Absicht
habe ich jede Nachforschung unmöglich gemacht; ich wollte nach meines
Adolf Tode kein Almosen von einer Familie, die mich einst -- weil ich
arm war -- für unwürdig gehalten, in ihren Kreis einzutreten. Mein
Stolz hat sich empfindlich gerächt. Nach einem Jahr starb die gute
Tante -- ich mußte meine Stellung aufgeben und das Kind zu mir nehmen.
Fünf Jahre habe ich mein Leben als Privatlehrerin gefristet -- o Gott,
welch’ ein Leben! Was nützten mir meine Kenntnisse -- ich konnte sie
nicht verwerthen! Kaum verdiente ich, was wir zum Essen brauchten. Seit
einem Jahre bin ich krank. Alles, was mir lieb und theuer war, ist
in’s Leihhaus gewandert -- mit blutendem Herzen trennte ich mich von
meinen Kleinodien, die mir Adolf in jenen sonnenhellen Tagen des Glücks
geschenkt!“

„Genug!“ unterbrach sie Ernst von Salmen, da er sah, wie von Neuem
ein Thränenstrom ihren Augen entquoll. „Ich danke Gott, daß er meine
Schritte endlich zu Ihnen geleitet! Ich weiß, Sie sind keine Unwürdige
-- meine Mutter wird Sie und die gute Anna mit Freuden aufnehmen! Ich
kann ihr keine schönere Weihnachtsfreude bereiten, als wenn ich ihr
sage: Ich habe sie gefunden!“ „Können Sie mich begleiten?“ fragte er
nach einer Weile. -- Die Kranke schüttelte das Haupt. -- „So führe ich
meine Mutter noch heute zu Ihnen,“ entgegnete Ernst von Salmen, „aber
das Kind, die liebe, süße Anna müssen Sie mir gleich mitgeben.“

Anna holte ihr verschossenes Wollkleidchen aus dem Schrank, die
Kranke frisirte, während ihre Thränen reichlich floßen, das blonde
Lockenköpfchen und begleitete sie mit ihren besten Segenswünschen, als
der Onkel sie, wie er sagte, in ihre neue Heimat führte.

Kaum eine Stunde hernach kam ein gallonirter Diener mit einem
großen Korbe in die ärmliche Stube. Er packte unzählige Pakete aus:
Weinflaschen, Kuchen, Fleischspeisen, Kleidungsstücke -- der kleine
Tisch schien unter der Last zusammenzubrechen.

Bald nachdem er gegangen, trat, auf einen Stock gestützt, eine alte
Dame mit silberweißen Locken in das Zimmer: „Laßt mich allein!“ bat sie
die draußen Stehenden; dann wankte sie hin an das Bett der Kranken,
nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte sie lange und innig: „Meine
Tochter!“ rief sie endlich, „kannst Du mir verzeihen? Willst Du mir
gestatten, all das Unrecht gut zu machen, das --“

„Ich bin eine Sterbende,“ unterbrach Helene; „meine Tage sind gezählt;
mir kann man wenig noch helfen, aber meine Anna lege ich Ihnen an’s
Herz, seien Sie ihr --“

„Regen Sie sich nicht auf!“ unterbrach Ernst von Salmen, der jetzt mit
Anna an der Hand eintrat; „Anna ist das Vermächtniß meines verstorbenen
Bruders -- damit ist Alles gesagt. Doch was können wir jetzt für Sie
thun?“ -- Helene schwieg.

„Sie kommen zu uns, Helene!“ bat die alte Dame; „mein Wagen wartet; wir
packen Sie in Betten, daß kein Lüftchen Ihnen nahe kommt!“

Traurig schüttelte die junge Frau das Haupt. -- „Ich würde Ihnen nur
eine Last sein!“

„Gönnen Sie mir die süße Beruhigung, Sie in meiner Nähe zu haben!“ bat
die alte Dame. „Wie habe ich Sie doch so lange und leider vergeblich
gesucht, nachdem ich wußte, was Sie meinem Sohn gewesen.“

Da Helene fühlte, wie aufrichtig es Frau von Salmen meinte, gab sie
bald ihren Bitten nach. --

Welch’ ein Weihnachtsabend! Im Salon der Räthin Salmen waren die
Kronleuchter angezündet, ein herrlich geschmückter Tannenbaum prangte
in der Mitte und hinein in dieses Meer des Lichtes trug man in ihren
Kissen die Kranke, die daheim kaum ein ärmliches Talglicht auf ihrem
Tisch hatte. -- Es gibt Freudengefühle, die jeder Beschreibung spotten!

       *       *       *       *       *

Zehn Jahre sind nach jenem glücklichen Abend vergangen. Wieder
ist es Weihnachten; wieder strahlen die Kerzen und Kronen in dem
hochgewölbten, prächtig geschmückten Saale. Man erwartet glänzende
Gesellschaft. -- Helene von Salmen trifft mit bewunderungswerther
Umsicht alle Vorkehrungen, sie empfängt die herzlichsten Glückwünsche
der nach und nach Erscheinenden -- ein Feuer reinsten Glücks strahlt
aus ihren immer noch schönen Augen.

Man feiert heute das Verlobungsfest ihrer Anna mit dem Finanzrath
Ernst von Salmen! Aus dem zärtlichen Onkel ist ein feuriger Liebhaber
geworden, der kein anderes Glück kennt, als die „kleine Anna“ sein
zu nennen. Anna ist zu einer herrlichen Mädchenknospe erblüht, deren
körperliche und geistige Schönheit Jeden bezaubert. Doch wo weilt sie?
Der Saal ist schon mit Gästen gefüllt. -- Man frägt nach dem Brautpaar.

Endlich öffnet sich die Thür -- Ernst von Salmen führt das bezaubernd
schöne Mädchen in den Salon. Wie glüht es vor Freude und Leben! „Wir
haben uns zu lange aufgehalten!“ bittet er um Entschuldigung, „aber
Anna konnte sich von ihren Armen nicht trennen! Das gab ein Danksagen,
eine Thränenfluth, eine Freude!“

„Ich habe meinen Armen ihren Weihnachtsbaum angezündet!“ erklärte Anna,
„und nun, da ich Andere beglückt, will ich mich des eigenen Glückes
freuen!“ Mit herzgewinnendem Lächeln nahm sie die Glückwünsche der
Versammelten entgegen -- es war als ob eine Wonne-Atmosphäre das ganze
Haus durchströmte.

Niemand schien glücklicher, als Ernst von Salmen; mit bewundernden
Blicken hing er an der anmuthigen, jugendfrischen Erscheinung, die dem
geliebten Onkel heute zugesagt hatte, ihm für’s Leben anzugehören.
Endlich führte er sie, nachdem Anna mit Allen freundliche Worte
ausgetauscht, unter den reich geschmückten Weihnachtsbaum.

„Such’ Dir Dein Theil, Herz!“ sagte er. Sogleich fiel ihr Blick auf
ein weißes, ungefähr handgroßes Schäfchen, das mitten unter Blumen
versteckt schien. -- Tausend Erinnerungen durchwogten ihre Brust --
durch einen Druck sprang ein Deckel auf, -- welch’ ein Meer des Lichtes
strahlte ihr da entgegen! Ein herrlicher Brillantschmuck, wie sie ihn
schöner nie gesehen! „Mutter, schau her!“ rief sie mit freudig erregter
Stimme; dann sank sie ihrem Verlobten an die Brust und schien in der
Gluth der Erinnerungen, Hoffnungen und seligen Gefühle, die auf sie
einstürmten, zu vergessen, daß es nach diesem Augenblick noch eine
Zukunft gebe, die ihr in goldenen Farben entgegen lachte. -- Zwei
Weihnachtsabende waren von Bestimmung für ihr Leben geworden -- beide
erhellt durch die Liebe eines edlen, gemüthreichen Mannes, dem sie
heute ihr Lebensgeschick einte.

[Illustration]




[Illustration]




Ein improvisirtes Verlobungsfest.

Humoreske.


Vor einem der belebtesten Cafés der Ringstraße sahen wir einen älteren,
behäbig aussehenden Herrn seinen Mocca schlürfen, dann eifrig die
Zeitungen durchstöbern, auch wohl die Passanten mustern. Auf hundert
Schritt Entfernung glaubte man zu erkennen, daß er ein Ausländer sei,
und doch ist Leopold Buchler ein gutes Wiener Kind, das noch in seinen
alten Tagen von der Sehnsucht heimwärts getrieben wurde und die weite
Reise unternommen, um seine Tage da zu beschließen, wo er sie begonnen,
in seiner geliebten trauten Kaiserstadt, nach der es ihn, als er seine
Geschäfte in Calcutta abgewickelt, wie mit Zauberbanden zurückzog. Da
ist er nun heute nach zwanzigjähriger Abwesenheit zurückgekehrt, Alles
ist ihm so fremd und neu, er hat noch keinen seiner alten Bekannten
aufgesucht, doch späht er eifrig aus, ob ihm nicht ein günstiger
Zufall den Einen oder den Andern entgegen führen würde. Wohl ist
vielleicht Mancher, mit dem er sich einst gut Freund nannte, schon an
ihm vorbeispaziert, doch vermochte er ihn nicht zu erkennen; in seiner
Vorstellung sind sie Alle noch „flotte Bursche“, die da jetzt mit
weißen oder ganz haarlosen Köpfen, in gebückter Haltung, sorgenvoll,
gedankenschwer einhergehen; zwanzig Jahre sind in unserer leichtlebigen
Welt, die die Menschen schneller altern, ihnen keine Zeit zur Ruhe
und Erholung läßt, ein Zeitraum, der aus lebensfrischen Menschen müde
Greise macht.

Leopold Buchler erkannte Niemanden, auch nicht den jetzt sinnend vor
ihm stehen bleibenden breitschultrigen Mann, der dann einige Schritte
vorwärts ging, sich alsbald umwandte und ihm dann derb einen Schlag auf
die Schulter versetzte.

„Grüß Dich Gott, alter Freund!“ rief jener, der jetzt seiner Sache
sicher zu sein schien; „was führt Dich wieder heim in unsere liebe
Vaterstadt?“

„Roderich!“ rief Buchler jetzt, beide Arme ausbreitend und den
Jugendfreund herzlich umarmend; „Dich, Dich habe ich nicht erkannt!“

„Dafür ich Dich auf den ersten Blick!“ rief jener, auf dessen
gefurchtem, eingefallenem Gesicht jetzt Freude und Glück strahlte; „Du
hast Dich aber auch prächtig conservirt!“ fuhr er, am Tische Platz
nehmend, fort, „man sieht es Dir an, daß Du nur die Lichtseiten des
Lebens kennen gelernt --“

„O Freund,“ unterbrach Buchler, „auch die Schattenseiten sind mir nicht
verborgen geblieben!“

„Ich weiß,“ entgegnete Professor Detmold; „Du hast Deine gute Frau in
der Blüthe der Jahre verloren. Wir sprachen gar oft von ihr und meine
Anna weinte wie ein Kind, als die Nachricht von ihrem Tode einlief.“

„Sie war eine seltene Frau!“ sagte Buchler, eine Thräne im Auge
zerdrückend; „Jahre sind darüber hingegangen, ehe ich --“

„Das kann ich Dir nachfühlen“, unterbrach ihn der Freund; „auch ich
habe, seitdem ich meine Anna verloren, keine rechten Freuden genossen.“

„Anna todt!“ sagte Buchler mit aufrichtigem Mitgefühl. „Wann hat Dich
das Unglück getroffen?“

„Vor fünf Jahren!“ entgegnete Detmold, den Blick zur Erde gewendet.

„Und hast Du nie daran gedacht, Deinem Witwerstand ein Ende zu machen?“
forschte Buchler.

Der Andere sah ihn groß und fragend an. Ein stummer Vorwurf schwebte
auf seinen Lippen, doch er vermochte ihm in seinem Schmerz nicht Worte
zu leihen. „Wer wäre würdig genug gewesen, den Platz einzunehmen, den
Anna inne gehabt!“ sagte er nach einer Pause. Beide Männer schwiegen;
Buchler wollte offenbar etwas entgegnen, doch er besann sich und, auf
ein anderes Thema übergehend, suchte er den Freund zu erheitern; er
erzählte ihm, wie er vor einem halben Jahre sein Geschäft verkauft,
wie dann die Sehnsucht nach der Heimat in ihm mächtig geworden und
er beschlossen, alle Verbindungen abzubrechen und sobald als möglich
westwärts zu steuern; so sei er denn vor drei Monaten von Calcutta
abgereist und nach mancherlei Unterbrechungen, Aufenthalt in Italien,
der Schweiz und dem Salzkammergute gestern glücklich in seinem lieben
Wien angelangt.

„Und Du denkst Dich hier dauernd niederzulassen?“ forschte der Freund.

„Ich suche soeben eine hübsche Stadtwohnung, von vier bis fünf Zimmern,
die ich mir mit allem Comfort herzurichten gedenke!“

„Siehst Du, alter Knabe!“ rief Detmold hocherfreut, „das ist die
gescheiteste Idee Deines Lebens! -- Doch was willst Du mit einer so
großen Wohnung?“ fuhr er nach einer Pause fort.

„Nun, nun,“ erwiderte jener sichtlich verlegen, „man mag doch nicht
immer allein bleiben und dann erwarte ich“ -- er hielt inne, da ihm
ein Geständniß, das ihm schwer auf den Lippen schwebte, nicht so recht
herunter wollte.

Doch Detmold schien dies kaum zu bemerken. „Hast auch Recht,“ nahm
er das Wort, „daß Du Dir, nachdem Du auf eine gesegnete Thätigkeit
zurückblicken kannst, das Leben angenehm machen willst! ~A propos!~“
begann er nach kurzer Pause, während er mit Behagen seinen Mocca
schlürfte, „da fällt mir ein, daß die Sectionsräthin Sturm in ihrem
neu erbauten Hause am Ring eine prächtige Wohnung zu vergeben hat; sie
bewohnt das Parterre, im zweiten Stock wohnt ein Börsianer, der erste
Stock ist noch frei. Du kommst da gleich zu einem sehr angenehmen,
geselligen Verkehr, die Räthin ist eine charmante, sehr gastfreie
und unterhaltende Dame, die Töchter sind gebildete, überaus reizende
Mädchen, in deren Umgang Du sicher --“

„Aber bester Freund, Du willst mir doch nicht gar eine Partie
aufschwatzen?“

„Das will ich nicht, bei Gott!“ entgegnete Detmold ernsthaft; „weiß ich
ja, daß Du Deine Marie nie vergessen wirst, und wenn schon die Räthin
nach einem reichen Freier für ihre älteste Tochter ausspäht, lag mir
eine solche Combination fern. Mich leitete nur der Gedanke, Dir, der
Du hier fremd bist, ein gastliches Haus zu eröffnen --“

„Ich verstehe,“ unterbrach ihn Buchler, „und bin Dir dankbar für Deine
Fürsorge. Wollen wir mit einander die Wohnung anschauen?“

„Du hast heute ganz über mich zu verfügen, alter Freund!“ entgegnete
Detmold.

Gar bald standen die beiden Männer vor einem großen stattlichen Hause.

„Frau Räthin zu sprechen?“ fragte Detmold den Portier.

„Die Gnädige muß jeden Augenblick zurückkehren!“ entgegnete Jean.

„So nehmen wir einstweilen die Wohnung in Augenschein!“ sagte Detmold,
die Treppe hinaufgehend. Kaum hatten die beiden Männer die Runde durch
die mit allem Comfort eingerichteten Räume gemacht, als man unten einen
Wagen vorfahren hörte.

„Unsere Frau Wirthin!“ sagte Detmold, der an’s Fenster getreten war,
„willst Du mit ihr sprechen?“

Doch ehe dieser noch zu einem Entschluß kommen konnte, stand schon ein
Diener vor ihnen, der die Herren bat, in den Salon der Frau Räthin
hinunter zu kommen.

„Bist Du hier Hausfreund?“ neckte Buchler; „Madame ist ja sehr
pressirt, Dich zu empfangen?“

„Oder richtiger, ihre Wohnung zu vermiethen! Der Portier hat ihr
vermuthlich gesagt, daß ich mit einem Fremden hinaufgegangen.“

„Mein lieber, werther Professor, wie lange haben wir Sie nicht
gesehen!“ erscholl es, als sie noch kaum den Salon betreten, aus dem
Munde einer kleinen, runden Frau, der Detmold alsbald seinen Freund
Buchler aus Calcutta mit dem Zusatze: „Millionär außer Dienst!“
vorstellte.

Die Räthin machte eine augenscheinlich tiefere Verbeugung, als sie
eigentlich beabsichtigt, der „Millionär“ schien ihr gewaltig zu
imponiren. Mit überaus gewinnender Liebenswürdigkeit lud sie ihn
ein, neben sich auf dem Divan Platz zu nehmen und hatte gar bald mit
der klugen Frauen eigenen Unterhaltungsgabe erkundet, was sie wissen
wollte. Buchler war enorm reich, fünfundvierzig Jahre, wollte sich
hier niederlassen, eine Wohnung mit allem Comfort einrichten, das
Leben genießen! Er war noch ein hübscher, ansehnlicher Mann, mit dem
selbst ein achtzehnjähriges Mädchen, so meinte sie, hätte glücklich
sein können. Gar schnell war in dem Köpfchen der klugen Frau ein Plan
gereift; ihre Camilla war 24 Jahre alt, aus der Verbindung mit dem
mittel- und stellunglosen Doctor Richard könnte nichts werden, der
Millionär, den ihr der Zufall in’s Haus geschneit hatte, mußte mit
allen Mitteln der Coquetterie und Liebenswürdigkeit derart gefesselt
werden, daß er, mochte er Heiratspläne haben, oder nicht, um Camilla
werben mußte.

Dem arglosen Buchler sagte die sympathische unterhaltende Dame sehr
zu; er fragte kaum nach dem Preis der Wohnung und erklärte, daß,
obgleich er gern noch ein Fremdenzimmer eingerichtet hätte, er doch der
angenehmen Geselligkeit wegen, die ihm Madame in Aussicht gestellt, auf
eine größere Wohnung verzichten und diese miethen werde. Die Räthin
war überselig; das war ihr in ihrer jahrelangen Praxis als Hausherrin
noch nicht vorgekommen, ein Miether, der nicht einmal nach dem Preise
fragte!

„Er muß ein Nabob sein!“ sagte sie, nachdem die Herren gegangen, zu
ihren Töchtern, die im Nebenzimmer die Unterhaltung mit angehört
hatten, „wir können uns Professor Detmold zu aufrichtigstem Danke
verpflichtet halten, daß er uns diese Bekanntschaft vermittelt.“ „Beste
Mama,“ entgegnete Camilla, ein hübsches blondlockiges Mädchen, dem
Freude und Lebenslust aus den Augen schauten, „wenn Du doch nur den
alten, langweiligen Professor --“

„Thörin,“ unterbrach sie die jetzt völlig metamorphosirte Mutter,
deren Blick ernst und finster geworden war, „Du könntest leicht Frau
Professor sein, wenn Du es verstanden hättest, Deine Vorzüge zur
Geltung zu bringen.“

„Soll ich dies vielleicht, da ich es bei Detmold unterließ, bei dem
indischen Nabob versuchen?“ fragte Camilla schelmisch lächelnd.

Die Räthin schien den Spott nicht herauszuhören. „Gut, daß Du endlich
einmal zur Vernunft kommst, Mädchen,“ sagte sie, dicht zu ihr heran
rückend. „Ich will Dir all’ Deine bisherigen Unklugheiten verzeihen,
wenn Du mir in diesem Punkte zu folgen versprichst!“

„Also, was soll ich thun, Mütterchen, um Deine Zufriedenheit zu
erwerben?“ fragte Camilla, sich zum Ernste zwingend. „~Mon Dieu~,“
entgegnet die Räthin nach Worten suchend, „soll ich denn einem Mädchen
von vierundzwanzig Jahren Vorschriften geben, wie sie sich benehmen
soll, um ihre Zukunft zu sichern? Mr. Buchler wird unser Hausgenosse
sein, wir werden selbstverständlich Gelegenheit haben, ihn öfter zu
sehen, ihm bei seiner Einrichtung und Wirthschaftsführung an die Hand
zu gehen, Du wirst Dich ihm als praktische Haustochter unentbehrlich
machen, unser Freund Detmold ist sein Intimus, selbstverständlich wird
das ‚Motto‘ gelten: ‚~Les amis de mes amis sont aussi mes amis‘!~“

„Und weiter nichts als ~amis~?“ spottete das übermüthige Mädchen. „Gut,
Mama, auf diesen Vorschlag will ich eingehen; ich werde den alten
indischen Nabob mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln zu umstricken
suchen, verspreche Dir, ihm sogar, und wenn er uns täglich besuchen
sollte, etwas vorzulesen, vorzusingen, vorzuspielen, vorzuweinen --“

„Du bist und bleibst eine Närrin!“ unterbrach sie die Räthin unwillig.
„Doch ich erkläre Dir fest und entschieden, Camilla, daß, wenn Du all’
meine Pläne consequent kreuzen wirst, ich Dr. Richard von heute an den
Verkehr in unserem Hause untersage.“

Das schöne Mädchen wurde nachdenklich.

„Aber Mutterlieb“, begann sie, ihre Arme um den Hals der kleinen Frau
schlingend, „was hat Dir denn Adalmar gethan? Ist er nicht der beste
Gesellschafter, der aufrichtigste Freund?“

„Und die aussichtsloseste Partie, die Du nur anstreben kannst!“
entgegnete die Mutter.

„Strebe ich denn eine Partie an?“ fragte Camilla verwundert.

„Das ist ja eben Dein strafbarer Leichtsinn, daß Du es nicht thust!
Ein Mädchen in Deinen Jahren, ohne Vermögen, ohne Versorgung, hat die
Pflicht --“

„Aber Pardon, beste Mama, sich doch nicht etwa einem alten, abgelebten
Manne als Krankenpflegerin zu opfern?“

„Du kannst mich mit Deinen albernen Ansichten bis zur Verzweiflung
bringen!“ entgegnete die Räthin mit dem Fuße stampfend; man sah
jetzt, wie die noch eben im Verkehr mit den beiden Herren so äußerst
einnehmende Frau bitterbös sein konnte, so daß sich ihre Züge bis zur
Unkenntlichkeit entstellten. Schmollend verließ sie das Zimmer. Kaum
war die Thür hinter ihr in’s Schloß gefallen, als Camilla ein Bild aus
ihrem Notizbuch hervor nahm, und es, indem ihre Augen sich mit Thränen
füllten, herzlich küßte. „Mein Adalmar, Dein auf ewig!“ flüsterte sie,
„und wenn zehn indische Nabobs mir ihre Schätze zu Füßen legen wollten!“


II.

Leopold Buchler hatte seine herrlich eingerichtete Wohnung im ersten
Stock bezogen; die Räthin war ihm in besonderer Liebenswürdigkeit bei
der Beschaffung der Einrichtung hilfreich gewesen, sie hatte Tapezierer
und Decorateure bei ihren Arbeiten überwacht, eine Haushälterin
engagirt, Dienstboten aufgenommen -- Buchler wußte in der That nicht,
wie er der ihm vollständig fremden Dame ihre Freundlichkeit danken
sollte. Madame war klug genug, bis jetzt nichts von ihren Töchtern
hören zu lassen, Camilla hielt sich, so oft der „Nabob“, anders
titulirte sie ihn nicht, bei ihnen vorsprach, consequent verborgen.
Doch nun gab es zur Einweihung der neuen Wohnung ein Fest, bei
dem selbstverständlich die Räthin die Honneurs machte und „sammt
Familie“ eingeladen war. Buchler war in der That überrascht, die noch
jugendliche Frau mit drei jungen Damen erscheinen zu sehen, die für
ihre Schwestern hätten gelten können. In chevaleresker Weise machte
er den jungen Damen, aber nicht minder der Mutter Complimente, und
fast stieg schon in der noch immer feschen, lebenslustigen Frau die
Idee auf: „Wie, wenn er Dich meint?“ Sie war vierundvierzig Jahre,
konnte aber noch gut für sechsunddreißig gelten; einst eine berühmte
Schönheit, waren ihre Züge immer noch angenehm, ihre Figur litt zwar
durch die zunehmende Körperfülle, doch verstand sie so prächtig
Toilette zu machen, daß Jedermann noch die schöne Räthin Sturm von
ehemals sah.

Nur einen Augenblick konnte sie jenem Gedanken nachhängen, das
Muttergefühl war stärker als der Wunsch für ihr persönliches Glück.
Camilla glänzend verheiratet zu sehen, war ihr Hauptziel. Geschickt
wußte sie Buchler in eine Unterhaltung mit Camilla zu verflechten und
schien sichtlich erfreut, die Tochter so gesprächig und liebenswürdig
zu finden, wie sie sie lange nicht gesehen.

Auch Camilla hatte ihren Plan; war die Mutter berechnend, so glaubte
die Tochter noch berechnender sein zu sollen. Ja, sie wollte sich die
Gunst des reichen Buchler, dessen Neffe, wie sie wußte, Professor
Wenzel in Prag war, gewinnen. Wenn dieser ihrem angebeteten Adalmar
zu einer Stellung an der Prager Universität verhalf, konnte selbst
die ehrgeizige Mutter, die durchaus für sie eine „glänzende Partie“
anstrebte, nichts gegen ihre Verbindung einzuwenden haben.

Diesem Plane gemäß war Camilla von ausnehmender Freundlichkeit
gegen Buchler, sie wußte ihm mit schalkhaftem Ernst dies und jenes
pikante Histörchen zu erzählen, dann wieder ihn selbst zum Reden zu
veranlassen, und da sie gar bald gewahrte, daß er mit Vorliebe von
seinen fernen Besitzungen, seinem früheren Geschäft, der Seereise etc.
sprach, war sie bald die aufmerksamste Zuhörerin, der zuliebe er die
ganze, ihn umgebende Gesellschaft zu vergessen schien.

Die Räthin strahlte vor Wonne und Glück; nie hatte sie geglaubt,
daß Camilla denn doch noch Raison annehmen und auf ihre Pläne
eingehen werde. Man setzte sich zur Tafel; Buchler, der ursprünglich
beabsichtigt hatte, die Räthin zu Tisch zu führen, fühlte sich derart
von dem Reiz, den das junge Mädchen auf ihn ausübte, bestrickt, daß er
an ihrer Seite blieb und auch, nachdem die Tafel aufgehoben war, stetig
um sie bemüht blieb. Bald holte er Noten herbei, um sie zum Singen
zu veranlassen, bald Kupferstich-Sammlungen, die sie, wie er meinte,
interessiren müßten. Im Grunde interessirte sie nur, daß sie im Laufe
der mehrstündigen Unterhaltung herausgebracht, Professor Wenzel sei
ein sehr zugänglicher, liebenswürdiger Mann, dessen Besuch er, sobald
die Hörsäle geschlossen, erwarte. Sie selbst nahm Buchler, als man
sich trennte, das Versprechen ab, recht oft ihr Gast sein zu wollen,
und um in ihrem ~bon-homme~ nicht etwa Hoffnungen zu nähren, die sie
nicht zu erfüllen gewillt war, theilte sie ihm ganz im Vertrauen und
unter dem Siegel des strengsten Geheimnisses mit, daß sie ihn mit einem
hochbegabten jungen Manne, einem enthusiastischen Verehrer seines
Neffen bekannt machen wolle, der, so sehr er ihr gefalle, das Unglück
habe, der Mama zu mißfallen, da er stellenlos sei.

Buchler schien sich sichtlich durch das ihm geschenkte Vertrauen geehrt
zu fühlen und gestand sich gar bald, daß er lange kein Mädchen gesehen,
das bei eminentem Geist und gediegener Unterhaltungsgabe so viel
Wahrheit und Natürlichkeit besäße.

Als er wenige Tage hernach in der Wohnung der Räthin einen Besuch
machte, fand er Dr. Adalmar Richard anwesend, der ihm, zum nicht
geringen Erstaunen der Räthin, mit herzgewinnender Freundlichkeit
entgegen kam. „Ahnt Adalmar in ihm keinen Nebenbuhler?“ fragte sie
sich. Thut der doch sonst, wenn er irgendwo einen Rivalen wittert, als
wollte er ihn vergiften.

Buchler seinerseits betrachtete mit sichtlichem Wohlgefallen den
schönen jungen Mann, dessen edle hohe Gestalt, dessen geistfunkelndes
Auge Jedem imponiren mußten. Mit Freuden nahm er Dr. Richard’s
Vorschlag, ihn auf seinen Ausflügen in der Umgegend zu begleiten, an,
lud auch die Räthin und Camilla zu denselben ein, da, wie er ziemlich
unbeholfen sagte, „die Equipage ja nun doch einmal täglich gemiethet
sei“.

Einem Andern würde die Räthin eine derartige taktlose Einladung nie
verziehen haben, doch in diesem speciellen Falle schien die sonst in
Etiquettefragen ungemein subtile Dame keine Verletzung des guten Tones
zu finden; war ihr auch die Gesellschaft Adalmar’s ziemlich lästig, so
hoffte sie doch, diesen bald in geschickter Weise beseitigen zu können,
und dann galt ja auch die Gelegenheit, täglich des Nabob elegante
Equipage zur Verfügung zu haben, sich an seiner Seite zeigen zu können,
nicht wenig.

Die gute Frau legte sich gar manche Strapaze auf, sie war auf
Promenaden, Landpartien, in Theatern und Concerten stets die
vorsorglichste Garde-Dame und stellte es, wenn gute Freundinnen auf ein
intimes Verhältniß hindeuteten, kaum in Abrede, daß Mr. Buchler ihr ein
erwünschter Schwiegersohn sei.

Dr. Richard war einige Wochen hernach, wie es hieß, nach seiner Heimat
abgereist, in Wirklichkeit aber nach Prag, wo er sich auf Anrathen
und Empfehlung Buchler’s an Professor Wenzel wenden sollte, um dessen
Protection zu gewinnen. Täglich sandte er Briefe an Camilla, doch da
die Räthin energisch gegen einen Briefwechsel protestirt hatte, machte
der gutmüthige Buchler den Mittler und erntete für jedes Briefchen,
das er Camilla heimlich zusteckte, tausend Dank. Diese Heimlichkeiten
entgingen dem sorglichen Auge der Räthin nicht, doch lag ihr Alles
ferner, als sie zu stören; sie war sogar unvorsichtig genug, ihrer
Busenfreundin mitzutheilen, daß Buchler sterbensverliebt sei und
Camilla täglich Correspondenzen sende, so liebeglühend, so feurig, daß
sie sicher seiner Erklärung entgegensehen könne.

Buchler sprach jetzt auch öfter von einem Feste, das er demnächst zu
geben beabsichtige, von lieben Verwandten, die zu demselben eintreffen
sollten. Niemand fragte, wer diese Verwandten wären, Professor
Detmold, der täglich im Hause verkehrte, hatte wohl gelegentlich von
einer Nichte gesprochen, die bei Innsbruck auf einem Gute lebe, --
vermuthete man, daß diese oder eine andere Verwandte kommen werde?
Da man den zu erwartenden Besuch nicht kannte, interessirte man sich
nicht für ihn. Gerne ließ sich die Räthin vom Professor Detmold von
Buchler’s verstorbener Gattin unterhalten. Er schilderte sie als
eine eminent schöne, geistbegabte Frau, der Buchler von ganzer Seele
zugethan war. „Sonderbar,“ sagte die Räthin, „daß Buchler nie an eine
Wiederverheiratung gedacht hat!“

„Das wundert mich durchaus nicht!“ entgegnete der Professor; „wer
einmal wahr und rein geliebt hat, bleibt dieser Liebe getreu!“

Die Räthin lächelte im Stillen; sie glaubte in Buchler’s
Herzensangelegenheiten besser unterrichtet zu sein.

Die Beiden hatten nicht bemerkt, daß gleich bei Beginn ihres Gespräches
die Portiere leicht gehoben worden, doch eben so schnell wieder fiel.
Buchler, der gerade seinen Namen nennen hörte, war zurückgetreten. „Der
gute Professor wird es Dir nicht verzeihen können,“ dachte er, „wenn er
denn doch über kurz oder lang die große Neuigkeit erfahren muß.“ Leise
ging er wieder hinaus und traf im Vorzimmer Camilla, der er ein eben
erhaltenes Briefchen zusteckte. Sie dankte ihm herzlich und verschwand
sogleich im anstoßenden Gemach. Die Räthin hatte die Thür gehen hören,
ja, sie glaubte sogar Buchler’s Tritt erkannt zu haben. Eilig war sie
hinausgegangen und kam noch zu rechter Zeit, um zu sehen, wie Camilla
einen Brief freudestrahlend aus Buchler’s Hand in Empfang nahm.

Wiederum lächelte sie und dachte still für sich: „Was doch so ein
Professor ungeachtet seiner Gelehrsamkeit stockdumm ist!“ Buchler
eilte die Stiegen hinauf; die Haushälterin erwartete ihn schon an der
Thür, um ihn zu fragen, ob er heute zum Frühstück Rinderfilet oder
Kalbsbraten, Roth- oder Weißwein, Compot oder Salat wünsche.

„Liebe, beste Frau Lorenz,“ sagte er, sie um die Taille fassend,
„fragen Sie mich nicht, ich weiß ja, was Sie mir vorsetzen, ist gut und
schmackhaft.“

Frau Lorenz schien überglücklich ob dieses Compliments und tänzelte wie
ein Backfischchen hinaus, um für den gnädigen Herrn Alles herzurichten.

„Alte Närrin!“ sagte Buchler ihr nachsehend, „ich glaube gar, sie hat
sich heute geschminkt!“

„Jean,“ rief er dem eintretenden Diener, „recherchire doch mal, ob die
Lorenz nicht gar Schminktöpfchen und derlei Kleckserei gebraucht; es
schien mir heut ganz“ --

„O, gnädiger Herr,“ unterbrach Jean lachend, „ich selbst habe sie ihr
holen müssen und könnte Ihnen noch Manches erzählen, was sie anstellt,
um Ihnen zu gefallen.“

„Nun was denn?“ fragte Buchler augenscheinlich belustigt.

„Früh vor dem Kaffee trinkt sie beispielsweise drei rohe Eier -- das
gibt klaren Teint, sagt sie, dann läßt sie sich kalt abreiben und
frägt jedesmal hernach das Stubenmädchen: ‚Sehe ich jetzt frisch aus?‘
Dann geht es an’s Schnüren und Schminken, ich glaube sie braucht zwei
Stunden, bis sie mit ihrer Toilette fertig wird.“

„Aber, mein Gott,“ unterbrach Buchler, „für wen putzt sie sich denn,
die alte Schachtel?“

Jean lächelte verschmitzt. „Sie glaubt,“ entgegnete er, „der gnädige
Herr würden sie“ --

Plötzlich schien ihm die Zunge wie gelähmt; das verhängnißvolle Wort
wollte nicht über seine Lippen.

„Was würde ich?“

Jean blieb stumm.

„Aha,“ lachte Buchler hell auf; „ich bin ja für Euch -- schon gut,
schon gut,“ unterbrach er sich plötzlich und bedeutete Jean, das
Zimmer zu verlassen. „Spaßhaft!“ sagte er dann; „hat mir der gute
Detmold überall den Ruf eines reichen Witwers gemacht und noch heut
habe ich nicht das Herz, ihm seinen guten Glauben zu nehmen!“ „Doch,“
fuhr er nach einigem Nachdenken fort, „weshalb auch? Die Sache ist
amüsant! Meine liebenswürdige Wirthin glaubte, ich sei ein Prätendent
auf Camilla’s Hand, die gute Lorenz hegt und pflegt mich wie ein
neugebornes Kind, putzt sich für mich, schminkt sich, träumt wohl
gar von mir -- wahrlich, die alten Junggesellen sind gar nicht so
bedauernswerth, wie ich stets geglaubt!“

Soeben öffnete die holde Hausfee die Thür und brachte auf einem
silbernen Cabaret so viel herrlich duftende Speisen, daß man auch, ohne
Appetit zu haben, sich zum Essen veranlaßt gefühlt hätte.

„Oho, meine gute Lorenz,“ sagte Buchler, „weshalb lassen Sie Jean nicht
serviren?“

„Ich bringe es dem gnädigen Herrn lieber selbst!“ entgegnete die
Angeredete, verschämt lächelnd.

„Sie denken, es schmeckt mir besser, wenn --“

„Wie gut der gnädige Herr meine Gedanken errathen können!“ unterbrach
die Haushälterin.

Schon hatte sie Alles appetitlich aufgestellt und schickte sich eben
an, einen Stuhl zu nehmen und sich dem Hausherrn gegenüber zu placiren.

„Warum, liebe Lorenz, halten Sie sich in so angemessener Entfernung?“
fragte Buchler gutmüthig lächelnd; „wollen Sie nicht bei mir auf dem
Divan --“

„O bitte, gnädiger Herr,“ unterbrach sie erröthend, „das würde sich
nicht schicken; muß unser Einer nicht auch auf Ehre und Reputation
halten?“

Indem glättete sie die weiße, reich mit Stickereien besetzte Schürze,
zog den Brustlatz gerade und lächelte so stillvergnügt in sich hinein,
als hätte sie einen Haupttreffer gemacht.

„Wie alt sind Sie eigentlich, meine liebe Frau Lorenz?“ fragte
Buchler, nachdem er sich reichlich bedient. Die Angeredete wurde über
und über roth. „Achtundzwanzig!“ sagte sie, verschämt die Augen
niederschlagend. Buchler lachte hell auf. „Achtundzwanzig? Da haben Sie
sich ja prächtig conservirt! Ich hätte Sie höchstens für zweiundzwanzig
gehalten!“

Das war denn doch zu stark! Ungläubig schaute ihn die
Achtundzwanzigjährige, die bei sich selbst recht gut wußte, daß sie
nahezu vierzig Lenze hinter sich habe, an, doch Buchler hatte sein
Gesicht in so ernste Falten gelegt, daß sie in der That glaubte, sie
habe sich mittelst der in letzter Zeit angewandten Schönheitsmittel
derart verjüngt, daß man sie noch zu den Jugendlichen zählen könne.
Diese Annahme steigerte ihre gute Laune; Buchler schien sich prächtig
zu amüsiren, indem er mit Kennerblick beobachtete, wie sein keineswegs
feines Compliment die Lebensgeister der alten leichtgläubigen Coquette
erregte.

„Haben Sie mir, meine liebe Lorenz, gute Anschaffungen in Speis und
Keller gemacht?“ fragte er nach einigem Nachdenken. „Wir werden da
nächstens ein Verlobungsfest zu feiern haben, zu dem es --“

„Ein Verlobungsfest?“ unterbrach ihn die Lorenz, an allen Gliedern
bebend.

„Ja, ein Verlobungsfest, meine Liebe, und Sie sind die Erste, die
in das große Geheimniß, das Sie aber gehörig respectiren müssen,
eingeweiht ist. Niemand im Hause darf eine Ahnung davon haben; ich
beabsichtige eine große Ueberraschung und hoffe, daß, wenn schon
gewisse Leute sehr verwundert sein werden, doch Alles nach Wunsch gehen
und zwei Menschen dauernd --“

„O, Sie sind so gut, wie sie klug sind!“ unterbrach ihn Frau Lorenz,
seine Hände ergreifend. „Ja, es ist besser, Alles bis dahin discret
zu halten, sich nicht zu verrathen! Ich verstehe Sie vollkommen und
theile Ihre Ansicht.“ Dabei schaute sie ihn mit ihren ehemals gewiß
schönen, funkelnden Augen so überselig an, daß Buchler, dem dann doch
ein klein wenig um seine Herzensruhe bangte, es für das Beste hielt,
schnell aufzustehen und sich zu entfernen. --

„Wie rücksichtsvoll und edel er ist!“ sagte Frau Lorenz überglücklich,
indem Freudenthränen über ihre Wangen flossen. „Er fühlt sich nicht
standhaft genug, mit mir allein zu bleiben, und entfernt sich lieber,
um mich nicht zu compromittiren!“

Mit der noch eben schneeweißen Schürze trocknete sie die
rothgeschminkten Wangen und, das Unheil bemerkend, das ihre
Thränendrüsen angerichtet, eilte auch sie schnell in ihr Gemach, um
durch Schmink- und Puderbüchsen ihrem, wie sie meinte, bezaubernden
Gesichte seinen früheren Glanz zurückzugeben.


III.

Doctor Richard hatte bei Professor Wenzel die freundlichste Aufnahme
gefunden. Wenzel war dem reichen Onkel, der ihn während seiner ganzen
Studienzeit und auch noch hernach, als er schon die Examina hinter
sich hatte, unterstützte, zu größtem Danke verpflichtet und sichtlich
erfreut, eine Gelegenheit zu haben, diesen Dank abzustatten. Eine
Professur an der Prager Universität war zu vergeben, doch war dies
Sache des Unterrichtsministers, dem sich Dr. Richard, versehen mit
Empfehlungsschreiben und eingeführt durch die denkbar günstigsten
Protectionen, demnächst vorstellen sollte. Professor Wenzel galt als
ein unparteiischer, streng rechtlicher Mann, dessen Empfehlung ein
großer Werth beigelegt wurde. Gar bald stand es außer allem Zweifel,
daß Dr. Richard demnächst als außerordentlicher Professor angestellt
sein würde. Ueberglücklich meldete er dies dem guten Buchler, der
sich ganz in die Rolle seines Beschützers hineingelebt hatte. Camilla
wußte nicht, wie und wodurch sie dem kreuzbraven Mann, der, obgleich
er ein Fremder war, ihnen ein so lebhaftes Interesse entgegenbrachte,
danken sollte. Sobald sie ihn sah, leuchtete ihr Gesicht, sie eilte auf
ihn zu und drückte ihm mit Herzlichkeit die Hand; sie hatte so viele
kleine Aufmerksamkeiten für ihn, daß die Räthin, die sonst Camilla’s
Zurückhaltung den Herren gegenüber stets getadelt hatte, fast zu
glauben begann, Camilla liebe ihn wirklich. -- Wenn sie dann mit ihr
von der glänzenden Zukunft sprach, lächelte das junge Mädchen still
vergnügt in sich hinein und sagte wohl manchmal: „Mütterchen, Du ahnst
gar nicht, wie und warum ich unsern braven Buchler so lieb habe!“

„Ja aber, warum macht ihr denn nicht endlich Anstalt?“ fragte die sehr
praktische Frau; „sein Haus ist eingerichtet, Deine Aussteuer ist
längst fertig, ich weiß wirklich nicht, worauf ihr wartet.“

„Ein Geheimniß, Mütterchen,“ flüsterte Camilla überglücklich.

„Aber, beste Tochter, wer wird vor der eigenen Mutter Geheimnisse
haben!“

„Ein klein wenig will ich Dir verrathen, aber Du darfst, nach dem, was
ich Dir mitgetheilt habe, nicht weiter fragen!“

„Du machst mich wirklich neugierig.“

Camilla rückte ihren Sessel ganz dicht an den der Mutter und flüsterte
ihr in’s Ohr: „Buchler strebt einen Titel an! Er hat schon die
einleitenden Schritte gethan!“

„Ah so!“ rief die Räthin erleichtert; „nun wird mir Alles klar! Aber
was für einen Titel kann er denn --“

„Lieb’ Mütterchen, nicht weiter fragen!“ unterbrach sie Camilla, „das
wäre gegen die Verabredung!“

„Du meinst einen Orden, mein Kind!“ entgegnete wiederum die Räthin,
die ihren Scharfsinn vergeblich anstrengte, zu erdenken, welchen Titel
ein Mann in Buchler’s Stellung erhalten könne. Doch Camilla hielt
consequent den Finger auf den Mund gelegt und antwortete nichts weiter.

„Nun, die Sache ist spaßhaft,“ sagte die Räthin nach einer Weile,
„nicht minder spaßhaft, wie das, was mir Buchler gestern über die
Lorenz mitgetheilt.“

„Und was denn?“

„Denk’ Dir, diese alte Hexe bildet sich ein, er werde sie heiraten, und
sie wendet alle möglichen Schönheitsmittel an, ihm zu gefallen.“

Camilla lachte laut auf. „Das ist in der That sonderbar! Ich vermuthete
wohl, daß irgend Jemand seinem Herzen nahe stehe und weiß sogar, daß
er, um Professor Detmold, der seine erste Gattin wie eine Heilige
verehrt, zu schonen, nie davon sprach, doch -- die Lorenz, die sollte
doch längst über die Zeit, in der man Heiratsprojecte hegt, hinüber
sein!“

„An ihr hat meine Camilla keine Concurrentin,“ sagte die Räthin, die
anmuthige Gestalt des jungen Mädchens mit den Augen verschlingend.

„Darüber kannst Du beruhigt sein, Mütterchen,“ entgegnete Camilla
sichtlich belustigt; „Derjenige, der mich liebt, kennt keine Madame
Lorenz!“

Wochen waren wiederum vergangen, Dr. Richard war zurückgekehrt und
glaubte seine Professur so gut wie gesichert. Mit warmen Worten dankte
er dem guten Buchler für seine Empfehlung, doch dieser wies jede
Anerkennung zurück.

„Macht mir ja selbst die größte Freude,“ sagte er, „wenn ich Andern
nützlich sein kann. Habe da nämlich,“ fuhr er nach einigem Besinnen
fort, „einen verteufelt schönen Plan, an dessen Ausführung ich schon
lange arbeite. -- Denken Sie, Ihr Decret in vier Wochen haben zu
können?“

„Wenn ich überhaupt der Glückliche bin, auf den die Wahl fällt, schon
in vierzehn Tagen!“

„~Very well!~ Da versprechen Sie mir, Ihr Geheimniß so lange zu wahren,
bis --“

„Doch Camilla darf erfahren,“ unterbrach Dr. Richard, „daß ich --“

„Camilla, ja, wenn sie schweigen und sich beherrschen kann. Ich
erwarte nämlich heute in vier Wochen lieben Besuch, dem zu Ehren ich
ein hübsches Familienfest arrangiren möchte. Ich habe die Räthin und
auch Frau Lorenz schon für das Arrangement desselben interessirt und
durchblicken lassen, daß man ein Verlobungsfest feiern wird. Beide
gehen mit riesigem Eifer in’s Zeug, denn sonderbarerweise glauben sich
Beide bei der Verlobung interessirt.“

„Meine Schwiegermama ~in spe~ wird doch nicht gar auf ihre alten
Tage --“

„Ihre Braut war zartfühlend genug, Sie nicht von den Plänen ihrer
Mutter in Kenntniß zu setzen,“ unterbrach Buchler; „die vorsorgliche
Frau glaubte nämlich eine Verbindung ihrer Tochter mit --“

„O, ich errathe!“ rief Dr. Richard, indem er sich entfärbte und fast
ohnmächtig in den Stuhl sank; doch bald sich fassend, fuhr er fort:
„Und wie soll ich Ihnen nun doppelt, nein zehnfach danken, verehrter
Freund, daß Sie, der Sie ja, wie ich weiß, Camilla so überaus schätzen,
mir zuliebe Verzicht leisteten!“

„Machen Sie mich nicht zum Helden!“ entgegnete Buchler still lächelnd;
„wer weiß, wenn --“ er hielt inne.

„Wenn Camilla Ihnen nicht kluger Weise gebeichtet hätte, daß sie mich
liebt?“ forschte Dr. Richard.

„Nein, mein Freund, es spielt da noch ein anderes ‚Wenn‘, das bis in
vier Wochen mein Geheimniß bleibt; -- doch vertrauen Sie mir, Ihre
Camilla wird die Ihrige, so wenig auch heute unsere gute Räthin daran
denkt! Hat sie erst einmal die Einladungen zur Verlobung ausgesendet,
die Arrangements getroffen und sieht sie, daß der alte Buchler so ein
unverbesserlicher Hausnarr ist, der stets seine Extra-Possen im Kopf
hat, so wird sie schon hernach --“

„Aber sie wird all’ ihren Bekannten sagen, daß Camilla ihre Verlobung
mit Ihnen feiern wird?“ unterbrach Dr. Richard, die Stirne finster
runzelnd.

„Halten Sie mich für einen solchen Schwachkopf, daß ich, wenn ich etwas
in Scene setze, die Pointen vergesse. Ihre liebe Schwiegermama muß mir
das Wort geben, Niemandem zu sagen, mit wem sich Camilla verlobt; es
soll ihr und vielen Anderen eine Ueberraschung sein.“

Und in der That. Woche auf Woche verging, die sehnlichst erwartete
Ernennung war eingetroffen, die beiden Liebenden hätten es zwar gern
hinaus gejubelt in alle Lüfte, doch sie schwiegen eben so gern, da der
gute Papa Buchler, wie sie ihn nun nannten, es so wollte. „Kinder,“
sagte er, zwei Tage vor dem längst besprochenen Feste, „heute begleitet
Ihr mich zu der Bahn. Um 6 Uhr treffen meine Gäste aus Innsbruck ein!“

„Aber Sie wissen ja, bester Freund,“ entgegnete Dr. Richard, „daß
Camilla nach dem neuesten Verdict der gestrengen Mama sich nicht mit
mir zeigen darf!“

„So fahre ich mit Fräulein Camilla zur Bahn und wir treffen Sie
draußen, Herr Professor,“ sagte Buchler, das letzte Wort so stark
accentuirend, als thäte er sich selbst auf die neu verliehene Würde
etwas zugute.

„Wollen Sie uns heute auch noch nicht sagen,“ forschte Camilla, „wen
Sie erwarten?“

„Nun, meinethalben, wenn Sie mir versprechen, Freund Detmold nichts zu
verrathen!“

Beide gelobten Schweigen und so begann Buchler, während sein Auge in
Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, strahlte: „Bald drei Monate
sind es, daß ich mit meiner Frau in Triest landete --“

„Mit Ihrer Frau?“ unterbrachen Beide wie aus Einem Munde.

„Mit meiner Frau!“ bestätigte Buchler schmunzelnd. „Der gute Detmold
hat mich hier in den Ruf eines trauernden, womöglich gar eines
heiratslustigen Witwers gebracht, und da mich die Sache zuerst
amüsirte, ich hernach, da ich sah, mit welcher Pietät er das Andenken
an meine verstorbene Gattin bewahrte, sein zart besaitetes Gemüth durch
die Mittheilung, daß ich seit zwei Jahren wieder vermält sei, zu
verletzen fürchtete, störte ich die vorgefaßte Meinung nicht, um so
weniger, da ich mich in jeder Hinsicht gut dadurch befand. Ihre Mama,
liebe Camilla, wußte mir das Haus sehr angenehm zu machen, Detmold
blieb mir ein treuer Freund und ~last, not least~ selbst meine gute
Frau Lorenz hegte und pflegte mich, daß ich mich durchaus bei meiner
Witwerschaft wohl fühlte. Vielleicht hätte ich schon eher den Schleier
gelüftet, denn gar oft drückte es mir das Herz ab, daß ich zu Niemandem
von meiner braven Gattin sprechen konnte, doch da kam Euer Liebesroman
dazwischen, den ich mir nun einmal, ein närrischer Kauz, wie ich es
bin, vorgenommen, zum definitiven Abschluß zu bringen. Consequent mußte
ich also meine Rolle durchführen, sonst hätte ich morgen nicht das
Vergnügen, Euer Verlobungsfest feiern zu können!“

„Sie guter, edler Mensch,“ riefen Beide, ihm zärtlich die Hände
drückend.

„Doch nun,“ begann Camilla mit feinem Tact, „nun plaudern Sie uns von
Ihrer Gattin, die ich wie eine Schwester lieb haben will!“

„Auch sie sehnt sich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Camilla, und zählt
die Stunden bis --“

„Aber, verzeihen Sie meine Frage,“ unterbrach das junge Mädchen,
„wie konnten Sie, ein so gemüthvoller, häuslicher Mann, es über sich
gewinnen, drei Monate von einer sicher sehr liebenswürdigen Gattin
getrennt zu sein?“

„Meiner Anna,“ entgegnete Buchler, „war schon in Calcutta eine Cur
in Franzensbad verordnet worden; von Triest aus fuhren wir direct
dorthin und nachdem meine Gattin einen geeigneten Kreis von Bekannten
gefunden, beschloß ich, nach Wien zu reisen, um das Haus inzwischen so
einzurichten, daß, wenn sie einträfe, Alles geordnet sei, in längstens
vier Wochen hoffte ich, meine Gattin hier zu sehen, da will es der
böse oder der glückliche Zufall, ich weiß es selber nicht, daß sie
in Franzensbad eine Nichte trifft, die sie einladet, die Nachcur auf
ihrem Gute bei Innsbruck zu halten. Der Aufenthalt in Franzensbad wurde
auf sechs Wochen ausgedehnt, die Nachcur sollte nur vierzehn Tage in
Anspruch nehmen, doch da erwartet man im Hause der Nichte einen kleinen
Weltbürger und meine gute Anna kann selbstverständlich die Verwandte
in dieser hoffnungsvollen Zeit nicht allein lassen; nun, Gottlob, ist
aber Alles überstanden und -- wenngleich ich mich in der Zeit meines
Strohwitwerthums recht wohl befunden, zähle ich doch die Minuten, bis
ich endlich meine Gattin in ihr Heim einführen kann!“

„Was nun die Mama sagen wird!“ rief Camilla nachdenklich; „ich glaube
gar, sie bekommt einen ihrer Nervenzufälle!“

„Von denen sie der ‚Professor‘ heilen wird,“ entgegnete Buchler
zuversichtlich. „Und nun, Herr Professor,“ fuhr er fort, „eilen Sie
voran, ich folge in einer halben Stunde mit Fräulein Camilla.“

„Ob ich nicht doch besser thäte,“ begann diese, „die Mama
vorzubereiten?“

„Sie würden mir meine ganze Freude verderben!“ entgegnete Buchler.
„Die Mama kommt noch sehr gelinde mit einem kleinen Schreck für das in
meinen Augen sehr strafbare Vergehen davon, daß sie des lieben Mammons
willen ein junges, in echter Liebe für einen edlen, kenntnißreichen
Mann entflammtes Mädchens einem abgelebten müden Manne zuführen wollte,
den ihr Kind nicht lieben, ja kaum achten kann, wenn er herzlos genug
ist, ihre Jugend an sein Alter zu ketten.“

„Verurtheilen Sie die Mama nicht!“ bat Camilla; „sie hat den Ernst des
Lebens kennen gelernt und nach ihren Begriffen denkt sie am besten für
mich zu sorgen, wenn --“

„Auch dem alten Detmold wollte sie Sie vermälen,“ unterbrach Buchler
unwillig; „er ist mein Freund, doch ein eingefleischter Sonderling,
daß ich nicht verstehen kann, wie eine sonst so praktische Frau, wie
Ihre Mama, da so ganz unpraktisch verfahren kann, wo es gilt, das Glück
ihres Kindes zu begründen!“

„Und Frau Lorenz?“ fragte Camilla nach einigem Nachdenken, „wird sie
schweigen?“

„Glauben Sie nicht, daß meine Anna mir zuliebe ein wenig Comödie
spielen kann? Niemand im Hause wird ahnen, daß sie meine Gattin ist;
sie gilt für meine Nichte, bewohnt das Zimmer neben dem meinigen, zu
dem Frau Lorenz schon in gutgemeinter Vorsorglichkeit den unlängst
abhanden gekommenen Schlüssel hat anfertigen lassen; o glauben Sie,
liebe Camilla, wir werden unsere Rollen trefflich durchführen und das
Verlobungsfest noch lange in gutem Andenken behalten.“

„Wie habe ich es mir verdient, daß Sie sich meiner so warm annehmen?“
fragte Camilla, eine Thräne in ihren schönen Augen zerdrückend.

„Keine Reflexionen, Püppchen!“ sagte Buchler, ihr die Wangen
streichelnd; „jetzt eilen Sie zu Mama und bitten sie um die
Erlaubniß --“

„Madame Buchler feierlichst einzuholen!“ unterbrach Camilla, muthwillig
lächelnd.

„Bei Verlust meiner Freundschaft, keinen Verrath!“ sagte Buchler,
mit dem Finger drohend. Doch schon war das junge Mädchen die Stiegen
hinuntergesprungen und sandte bald hernach die Nachricht, daß Herr
Buchler sie abholen könnte.

Im Salon empfing ihn die Räthin, die heute gegen ihre Gewohnheit ein
ziemlich böses Gesicht machte. „Bester Freund,“ sagte sie, ihre Worte
abwägend, „meine Camilla nimmt sich jetzt oft das Recht, ohne meine
oder der Schwestern Begleitung in Ihre Wohnung zu gehen, sie verlangt
sogar jetzt meine Einwilligung, allein mit Ihnen eine Spazierfahrt
machen zu dürfen. Sie werden begreifen,“ fuhr sie nach einer Pause
fort, „daß ihr Ruf --“

„Aber meine beste Räthin,“ unterbrach sie Buchler, ihr gutmüthig die
Hand auf die Schulter legend, „gedulden Sie sich nur noch zwei Tage
und Alles wird sich klären! Glauben Sie mir, Camilla’s Ehre ist mir so
heilig wie meine eigene und ich möchte um Alles in der Welt nicht --“

„Ich verstehe,“ unterbrach ihn die Räthin, durch seinen Hinweis
sichtlich befriedigt, „ich weiß sie ja auch in Ihrer Gesellschaft
gut aufgehoben und will nicht gleich einer bösen Schwiegermutter ein
Störenfried sein --“

„O, dazu wird es nie kommen!“ entgegnete Buchler, verschmitzt lächelnd;
doch die Räthin verstand ihn nicht und da Camilla freudestrahlend jetzt
eben eintrat, sagte sie gut gelaunt: „Nun Kind, da mir unser Freund
Buchler mittheilt, daß sich in den nächsten Tagen etwas vorbereitet,
will ich Dir die Erlaubniß, mitzufahren, nicht versagen. --“

„Wie, Sie haben geplaudert?“ fragte Camilla erröthend.

„Nein, meine liebe Camilla,“ sagte Buchler, der schon fürchtete, daß
das junge Mädchen, ihrem Drange nach Mittheilungen folgend, seinen
ganzen wohldurchdachten Feldzugsplan stören werde; „bei mir heißt es
nicht: Weß das Herz voll ist --“

„Nun, nun,“ drohte die Räthin mit dem Finger, „der Mund geht doch
manchmal über, wenn er es auch nicht eingestehen will!“

Doch schon hatte Buchler, um sich auf keine Discussion einzulassen,
Camilla’s Arm in den seinen gelegt und war mit ihr, höflich grüßend,
hinausgeeilt.

Zufrieden lächelnd, blickte ihr die Räthin nach, wie sie in die
elegante Equipage einstieg, und murmelte still vor sich hin: „Ist sie
nicht ein rechtes Glückskind?“


IV.

Die Gesellschaftszimmer in der Buchler’schen Wohnung waren glänzend
erleuchtet. Der Hausherr hatte all’ seine Bekannten und Freunde
eingeladen, Frau Räthin Sturm die ihrigen; auch Camilla’s Freundinnen
waren zahlreich vertreten, sie selbst erschien an der Seite ihrer
Mutter in herrlichem Schmuck; eine rosa Seidenrobe, reich mit Rosen und
Maiglöckchen garnirt, umgab die anmuthige Erscheinung; für Jeden hatte
sie ein bezauberndes Lächeln, für Buchler einen herzlichen Händedruck;
leise flüsterte sie ihm etwas in’s Ohr, worauf er in’s anstoßende
Zimmer hindeutete. Der Räthin Blick folgte seiner Handbewegung, doch
kaum glaubte sie sich halten zu können, als sie dort Dr. Richard,
dem sie schon seit vier Wochen jeden Verkehr mit Camilla untersagte,
stehen sah und gewahrte, wie er der Tochter soeben eine Kußhand sandte.

„Aber, bester Buchler,“ sagte sie, sich fassend, „wie konnten Sie Dr.
Richard einladen?“

„Das wird Ihnen, verehrte Räthin, meine liebe, kleine Frau sogleich
erzählen!“

Dies sagend, nahm er die vermeintliche Nichte, eine blühend hübsche
Frau von ungefähr fünfunddreißig Jahren, an der Hand und sie der Räthin
zuführend, fuhr er lebhaft fort: „Erlauben Sie, daß ich Ihnen zunächst
meine Frau --“

„O, machen Sie keinen Scherz, spielen Sie keine Comödie!“ unterbrach
ihn unwillig die Räthin.

„Mein Mann hat sich in der That einen kleinen Scherz erlaubt,“ nahm
Frau Anna das Wort, „um --“

„Ihr Mann? Ihr Mann?“ unterbrach dunkelroth vor Zorn die Räthin.

„Herr Buchler, haben Sie es gewagt, meine Tochter in Verruf zu bringen,
so --“

Sie ballte, aller Etiquette vergessend, drohend die schönen Händchen,
die Worte versagten ihr, doch beherrschte sie sich, um Niemandem ahnen
zu lassen, daß sie vor Wuth und Weh hätte aufschreien mögen.

Frau Anna, die offenbar Mitleid mit der dupirten Frau hatte, nahm
ihren Arm und führte sie mit den Worten: „Ich werde Ihnen über Alles
Aufklärung geben!“ in’s Nebenzimmer.

„Ah, Herr Professor!“ sagte sie, als sie anscheinend unvermuthet da den
Dr. Richard gewahrte, „macht Ihre neue Würde Sie so stolz, daß Sie sich
ganz von der Gesellschaft zurückziehen?“

Die Räthin horchte überrascht auf und Frau Anna, bemerkend, daß sie
Ihren Zweck erreicht, fügte zu ihr gewendet hinzu: „Herr Professor
Richard denkt in acht Tagen seine neue Stellung in Prag anzutreten!“

„Was höre ich?“ rief die Räthin, die mit einem Blick die Situation
erkannt und beschlossen hatte, aus ihr den bestmöglichen Nutzen zu
ziehen, „Sie sind zum Professor ernannt und lassen uns davon nichts
wissen?“ fragte sie halb vorwurfsvoll, halb beleidigt.

„Sie vergessen, Frau Räthin,“ sagte der junge Mann würdevoll, „daß Sie
mir seit Kurzem den Verkehr in Ihrem Hause untersagt haben und daß --“

„Aber mein bester Professor,“ unterbrach ihn die Räthin, ihr
liebenswürdigstes Lächeln auf ihre Wangen zaubernd, „was ist eine
Mutter nicht verpflichtet zu thun, wo es gilt, Ruf und Zukunft ihres
Kindes zu wahren?“

„So würden Sie,“ sagte der junge Mann, die dargebotene Hand ergreifend,
„dem Professor gestatten, was Sie dem stellenlosen Aspiranten
versagten?“

Die arme Frau schien einen harten Kampf mit sich zu kämpfen, doch nur
einen Augenblick. Die Gäste waren geladen, die Verlobung Camilla’s
inscenirt, Buchler war bereits verheiratet -- was blieb ihr übrig, als
gute Miene zum bösen Spiel zu machen?

„Mein sehnlichster Wunsch ist,“ sagte sie mit Würde, „meine Camilla
glücklich zu sehen; wenn Sie ihr, woran ich jetzt nicht zweifle, eine
gesicherte Zukunft bieten können --“

„Das kann er,“ unterbrach jetzt Buchler, der hinter der Portiere Alles
gehört; „ich übernehme die Garantie, daß unser Freund in zwei Jahren
ordentlicher Professor ist, und bis dahin reichen, wie ich sicher weiß,
seine --“

„Meine Camilla,“ unterbrach die Räthin selbstbewußt, „ist ja auch nicht
mittellos, und wenn sie Sie gern hat, so --“

„Fräulein Camilla, Fräulein Camilla!“ rief jetzt Buchler in den Saal
hinein, „kommen S’ mal schnell her und sagen S’ mal, ob Sie den da gern
haben?“

Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden war mit einem Male auf das kleine
Cabinet gerichtet, auf das Camilla jetzt schnell zueilte.

„Ob ich ihn gern habe?“ rief sie, in Adalmar’s geöffnete Arme eilend
und seine leidenschaftlichen Küsse herzlich erwidernd. Die Räthin
zerdrückte ein Paar Thränen, man wußte nicht ob vor Rührung oder Wuth,
sich so mystificirt zu sehen, Buchler umarmte seine Frau und stellte
sie jetzt in aller Form den Anwesenden als die Herrin des Hauses
vor. Professor Detmold ging still bei Seite und murmelte sich etwas
von Treulosigkeit und Undankbarkeit in den grauen Bart, Frau Lorenz,
die heute die denkbar schönsten Schmachtlöckchen gedreht und ihre
großblumige Seidenrobe angelegt hatte, bekam plötzlich einen Weinkrampf
und mußte auf ihr Zimmer geführt werden, doch all das hinderte nicht
das Glück des jungen Paares, das jetzt herzlichst von allen Seiten
beglückwünscht wurde.

„Nein, diese Ueberraschung!“ hieß es allerseits, „wir waren auf
ganz etwas Anders gefaßt!“ „Ich weiß, ich weiß,“ sagte die Räthin
halblaut, „doch konnten Sie im Ernst denken, daß ich Camilla’s Jugend-
und Lebenslust den Launen eines alten, abgelebten Mannes opfern
würde? Zudem,“ setzte sie stolz hinzu, „wußten wir ja längst, daß er
verheiratet sei; wie hätte ich sonst meiner Tochter gestattet, so intim
mit ihm zu verkehren!“

„Sehen Sie, gute Räthin,“ sagte eine alte Klatschschwester, „wie man
Sie da ungerecht beschuldigt hat! Jedermann glaubte, man wußte selbst
nicht, wer das Gerücht ausgesprengt, Camilla sei die Braut des --“

„Ha, ha, ha,“ lachte die Räthin anscheinend belustigt, „meine Tochter
ist seit zwei Jahren mit Professor Richard versprochen, und wenn ich
mir selbst hie und da eine kleine Mystification erlaubt, so geschah es
nur, weil mich das Gerede belustigte, das sich, seitdem Herr Buchler zu
uns gezogen, überall entsponnen.“

„Sind Sie mir böse?“ fragte der Hausherr die Räthin, als er eben
erspäht hatte, wie sie allein in einer Fensternische stand.

„Ich schätze Sie zu hoch,“ entgegnete die kluge Frau, „um etwas an
Ihrer Handlungsweise tadeln zu können, bin ich doch sicher, daß Adalmar
nur Ihnen seine Berufung --“

„Pardon, wenn ich Sie unterbreche, Adalmar ist ein so kenntnißreicher
talentirter junger Mann, daß, wie mir Professor Wenzel schreibt, er
auch ohne jegliche Protection reussirt hätte!“

„Darüber habe ich nun so meine eigenen Gedanken!“ sagte mit abwehrender
Bewegung die kleine Frau, „doch wie dem auch sei -- Adalmar ist heute
in einer Stellung, daß ich ihm gern meine Tochter zur Frau gebe, und
Sie, Sie haben uns eine so herrliche, liebenswürdige Dame als Ihre
Gattin vorgestellt, daß ich Sie nur bitten kann, unsere früheren
freundschaftlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten.“

„An Ihnen ist ein Diplomat verloren gegangen, liebe Räthin,“ sagte
Buchler, der wohl erkannte, wie schwer es der Räthin wurde, gegen ihn
in dieser Weise liebenswürdig zu sein, „aber auch meine Anna ist
eine Diplomatin, und daß ich es Ihnen nur offen gestehe, sie ist die
eigentliche Urheberin des ganzen Planes; als ich ihr mittheilte, wie
sehr mich Ihre Camilla interessirt, wie sie unglücklich liebt und von
dem Manne ihrer Wahl getrennt werden soll, da war sie es, die mir die
Idee eingab, den jungen Leuten hilfreich zu sein, und, schrieb sie
damals, wenn Du meine volle Anerkennung erringen willst, so manövrirst
Du so, daß das Fest, das Du bei meinem Eintreffen geben willst,
gleicher Zeit Camilla’s Verlobungsfest ist.“

„Nicht der gewandteste Regisseur,“ entgegnete die Räthin, „hätte das
Stück besser in Scene setzen können -- nur, lieber Herr Buchler, einen
kleinen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen: Warum haben Sie mich
nicht ein bischen hinter die Coulissen gucken lassen?“

„Ich habe strengstes Amtsgeheimniß gelobt!“ entgegnete Buchler,
„und war für den Erfolg des Stückes meinem in Innsbruck weilenden
Oberregisseur verantwortlich.“ Er schaute sich im Saal um, um seinen
Oberregisseur zu suchen, doch dieser schien verschwunden. „Wo ist meine
Anna?“ fragte er Professor Richard, „ich sah sie zuletzt mit Ihnen
sprechen?“

„Man hat sie eben zu Frau Lorenz gerufen, die sie in wichtiger
Angelegenheit zu sprechen verlangte!“

Eilig durchschritt Buchler mehrere Räume und war endlich am Zimmer der
Haushälterin, deren Schluchzen er schon von fern hörte, angelangt.

„Sagen Sie mir, Sie selbst,“ bat sie mit geschlungenen Händen seine
Gattin, „ob es denn wahr ist, wahr sein kann, daß Sie -- Sie seine
Nichte -- nun mit einem Male seine Gattin sein sollen?“

„Und was kann Sie denn dabei, meine liebe Frau Lorenz, in eine solche
Aufregung versetzen?“

„Ach mein Gott, mein Gott!“ rief die arme Frau, „unser Einer hat doch
auch ein Herz, und der gnädige Herr war stets so gut mit mir, und dann
sprach er von einem Verlobungsfest, ich solle mich nur recht schön
machen, damit er Ehre einlegen könne, er wolle mich zuvor schon all
seinen Verwandten vorstellen, und dann kamen Sie, gnädige Frau, und er
sagte: Siehst Du, liebe Nichte, das ist meine liebe Lorenz, die so brav
für mich gesorgt hat, daß --“ Thränen erstickten ihre Stimme.

„Nun ja, meine liebe Lorenz,“ sagte der Hausherr jetzt hervortretend,
„haben Sie bisher brav für mich gesorgt, so will ich auch ferner
brav für Sie sorgen; daß indeß Ihr liebebedürftiges Herz meiner Frau
Concurrenz machen wollte, geht doch nicht! Wenn Sie mir sagen wollen,
auf wen Ihre schönen, schwarzen Augen sonst einen Eindruck gemacht --“

„Jetzt führen Sie nun schon wieder so gottlose Reden!“ unterbrach
ihn unwillig Frau Lorenz; „da haben Sie mir so lange von meinen
schönen, schwarzen Augen gesprochen, bis ich dumm genug war, daran
zu glauben, daß, daß --“ sie schluchzte wiederum so heftig, daß Frau
Anna jetzt ihrem Gatten ernstliche Vorwürfe machte, ein, wie sie in
gut angenommenem Ernst sagte, so frevles Spiel mit den heiligsten
Empfindungen des Frauenherzens getrieben zu haben.

Frau Anna schien sich prächtig auf das Gardinenpredigen zu verstehen,
so prächtig, daß selbst der grollenden Schönen, die Alles für baare
Münze nahm, es nun genug des grausamen Ernstes schien und sie selbst
der von sittlicher Entrüstung erfüllten Gattin in’s Wort fiel und
um Schonung für Denjenigen bat, dem sie ungeachtet der bitteren
Enttäuschung doch nicht ernstlich gram sein konnte.

Die beiden Gatten kehrten, nachdem die Lorenz sich endlich in ihr
Unglück zu finden schien, in den Salon zurück wo man eben im Begriffe
war, zu Tisch zu gehen.

Das glückliche Brautpaar saß obenan, die Räthin nahm ihm zur rechten,
das Buchler’sche Ehepaar zur linken Seite Platz. Professor Detmold war
verschwunden. Man toastirte, aß, trank und war in heiterster Stimmung.
Professor Richard war die Hauptperson des Abends; man beglückwünschte
ihn nicht nur zu der schönen Braut, die ihm ja, wie Alle nun trotz
aller gegentheiligen Annahmen sehr wohl wußten, längst verlobt war,
mehr noch zu der so schnell erlangten Professur, die seine Zukunft zu
einer so glänzenden gestaltete. Die Frau Professorin ~in spe~ leuchtete
vor Wonne und Seligkeit, und als die Champagnerkorke knallten und
Alles in Lust und heiterer Laune aufjubelte, umarmte sie die auf ihr
dereinstiges Familienglück toastirende Mrs. Buchler, und als deren
Gatte nun auch sein Theil begehrte, sich als den eigentlichen Anstifter
des heutigen Festes gerirend, da hatte auch er einen herzlichen Kuß
weg, ehe er recht wußte, wie ihm geschah.

Dem so sonderbar improvisirten Verlobungsfeste folgte einige Monate
hernach ein von der Räthin ganz nach strengstem Hofceremoniell
inscenirtes Hochzeitsfest.

„Mein Schwiegersohn, der Herr Professor!“ war bei ihr stehende
Redensart geworden; er war jetzt der vorzüglichste, tüchtigste,
strebsamste Mensch, und so oft sie Camilla an seiner Seite sah,
intonirte sie die schon ehedem angewandte Redensart: „Ist sie nicht ein
rechtes Glückskind?“

[Illustration]




[Illustration]




Aus dem Leben eines Gründers.


Ich war im Theater. Eben war der Vorhang gefallen, das Publikum
klatschte enthusiastisch Beifall. Frau von Straß hatte in Laube’s „Böse
Zungen“ ihren zündenden Monolog gehalten und wurde durch mehrmaligen
Hervorruf geehrt.

Noch ganz unter dem Einflusse des herrlich gemalten Zeitbildes, das
da vor unsern Augen entrollt worden, bemerkte ich nicht, wie der
Logendiener an mich herantrat; erst als er ein versiegeltes Briefchen
mir dicht vor die Augen hielt, wandte ich mich um.

„Ein Kellner aus dem ~Hôtel de Russie~ wartet auf Bescheid!“ sagte
er mir.

Ich erbrach das Schreiben. Es waren die Schriftzüge meines
Jugendfreundes Berg, doch zitternd und flüchtig. Er schrieb:

„Eile zu mir; meine Stunden sind gezählt; ich habe Dir wichtige
Mittheilungen zu machen!“

Ich griff nach Hut und Stock und folgte dem draußen harrenden Diener.

Aufregende Vermuthungen durchzuckten mein Hirn; wie kommt Berg hierher?
fragte ich mich; hat er wieder eine verunglückte Speculation, einen
Kampf mit der Regierung? Doch schon war ich vor dem Hotel angelangt.

„Sie werden erwartet, eilen Sie!“ sagte mir am Eingang Professor Sonn;
„ich komme soeben von Ihrem Freunde, er ist hoffnungslos.“

Ich flog die Treppe hinan, schon hatte der Diener die Thür geöffnet;
ein halblautes, unterdrücktes Stöhnen drang an mein Ohr. Ich schlug
die Portieren zum Seitenzimmer zurück und blickte in das matte, halb
gebrochene Auge des einst so lebensfreudigen, thatendürstenden Mannes.

Wohl mit einer gewaltigen Schmerzensregung kämpfend, hatte er mich
nicht erblickt; ich stand vernichtet; ich hörte mein Herz klopfen und
hatte nicht den Muth, eine Frage an den Kranken zu richten, fürchtend,
er könne am Ton meiner Stimme meine Gemüthsaufregung und seine
Hoffnungslosigkeit erkennen.

Jetzt erhob er den Blick. „Bist Du’s endlich!“ sagte er, mir die matte
Hand entgegenstreckend, „o wie freue ich mich, Dich noch einmal zu
sehen; seit heute Mittag sende ich schon Boten aus, die Dich weder im
Geschäft, noch an der ~Table d’hôte~, noch --“

Er konnte nicht vollenden; angstvoll griff er nach der Herzgegend, als
ob da ein Krampf wüthe, der ihn zu ersticken drohte. -- Er rang nach
Luft; die Hände auf die Brust pressend, röchelte er mit gewaltiger
Kraftanstrengung; es sollten Worte sein, doch verstand ich sie nicht zu
deuten. „Dort! Nimm!“ brachte er endlich mühsam heraus, mit dem Finger
auf ein aufgeschlagenes Buch deutend. Der Krampf schien sich zu legen,
er sank ohnmächtig in die Kissen. „Lies!“ hauchte er mit matter Stimme,
nachdem er eine Weile geruht. Ich durchblätterte das Buch, es war von
seiner Hand geschrieben. „Meine Schicksale!“ begann er mit sichtbarer
Anstrengung. „Ich gehe als ein Nichts aus der Welt und weiß doch, daß
ich dieser Welt eine übermenschliche Thatkraft geweiht habe. Ich habe
Gutes gewollt,“ setzte er nach einer Weile hinzu, „meine Mittel waren
edel; ich hatte die Anerkennung von Fürst und Volk -- --“

Ein wiederholter Krampfanfall, dann, nach einigen Minuten qualvollen
Ringens ein heftiger Blutsturz -- Berg lag als Leiche in meinen Armen.

Ich war versteinert; den Kopf des todten Freundes in meinen Händen
haltend, saß ich regungslos da; ich fühlte nichts, ich dachte nichts,
eine gänzliche Starrheit lähmte mir die Glieder.

„Mein Theodor!“ rang es sich endlich schmerzerfüllt aus meiner Brust
empor; ich drückte einen langen Kuß auf die eisig kalte Stirn und
weinte bitterlich.

Die Thräne hat eine erlösende Kraft; so selten sie im Auge des Mannes
ist, so schwer muß das Schicksal sein, das sie aus ihrem finstern
Verließ an’s Licht ruft. Je mehr der Thränen mir in den nun schon
silbergrauen Bart rannen, desto mehr Bilder und Erinnerungen, die sich
an das Leben des Entschlafenen knüpften, tauchten vor meinem geistigen
Auge auf.

Wir hatten die Schulzeit gemeinsam zurückgelegt, hatten als Studenten
gezecht und gepaukt, uns gemeinsam in unserer Sturm- und Drangperiode
die weitesten Ziele gesteckt und sie zu erreichen geglaubt, im
Mannesalter redlich gerungen um die höchsten Güter der Menschheit, um
Familienglück und Völkerwohl, und nun --

Wieder überlief es mich eiskalt. Ich legte das Haupt des müden Kämpfers
zurück in die Kissen, säuberte meine Kleider und griff nach dem
Vermächtniß des Jugendfreundes. Er schrieb:

  Mein Karl!

Ich habe heute nach sechsmonatlicher Untersuchungshaft das Gefängniß
verlassen; der Arzt erklärt mir, daß ich mich rüsten möge, in die große
Armee einzutreten; vielleicht gibt mir der Herr der Heerschaaren, ehe
er mich als treuen Recruten mit obligatem Eide verpflichtet, noch Zeit
und Kraft, Einiges zu erzählen, das Klarheit und Wahrheit in ein viel
angefeindetes, oft absichtlich verkanntes, oft schnöde beurtheiltes
Leben bringen wird. Ich fühle mich zwar unendlich schwach; der Mangel
jeden Comforts, die ungesunde Luft im Gefängnißraum, schlechte Kost
haben den ohnehin verwöhnten und kranken, der besten Pflege bedürftigen
Körper zum Siechthum gebracht.

Was liegt daran? -- Ich hatte meine Mission erfüllt, oder zu erfüllen
geglaubt; nicht Eigennutz, Du weißt es, war die Triebfeder meines
Handelns. Millionen flossen durch meine Hände, für mich blieb nur,
was ich als anständiger Privatmann nöthig hatte. Fürsten und Herzoge
verkehrten bei mir, ich blieb wer ich war, der einfache Industrielle,
der als solcher stolz auf seine Verdienste war und Adelsdiplom und
Orden von sich wies.

Als Du vor zwei Jahren in B. mein Gast warst, stand ich im Zenith
meiner Thätigkeit. Von da ging es rasend bergab; ich verlor, was ich
mühsam erworben, Geld läßt sich zwar verschmerzen, es kommt auch
wieder, aber, was mich tiefer drückte, meine redlichen, nur auf das
Gemeinwohl gerichteten Bestrebungen wurden verdächtigt; wo ich, um
wohlzuthun, Geld mit vollen Händen ausstreute, da hieß es: eitele
Prahlerei. Ich konnte nun einmal nicht einsehen, daß Tausende darben
sollten, damit Einer genieße. Du weißt, ich ließ damals, als der Prinz
X. sich bei mir ansagte und in Folge dessen schon Einladungen an die
~haute finance~ und Adelsgesellschaft ergangen waren, plötzlich
unter dem Vorwande, meine Frau sei erkrankt, absagen; man hatte mir die
Berechnung des Festes auf dreitausend Thaler gemacht; diese Ausgabe,
angesichts der allgemeinen Arbeitslosigkeit und grimmigen Kälte, die
Tausende armer Menschen vor Frost umkommen ließ, schien mir zu groß
für die Freuden einer Ballnacht. Ich legte eine gleiche Summe dazu
und gab Auftrag Holz an die Armen der Residenz vertheilen; die mir
entstehenden kleinen häuslichen Zwistigkeiten meiner Frau, die sich auf
den glänzenden Ball piquirt hatte, ließen mich diesmal kalt; mir war
es im Herzen so herrlich warm, dachte ich daran, wie die Eisblumen an
den Fenstern der Armen vor der belebenden Gluth des Ofens schwanden,
die steifen Glieder sich wieder bewegen lernten, und Tausende, ohne zu
wissen, wer ihnen wohlgethan, des Wohlthäters dankend gedachten.

Ja, Karl, dieser leidige Idealismus trieb mich mancher „Thorheit“, wie
es die Leute nennen, in die Arme. Warum hat auch der Mensch ein Herz,
das Theil nimmt an den Leiden und Freuden seiner Mitmenschen? -- Und
doch könnte ich heute von Neuem mein Leben beginnen, ich würde von
Neuem so anfangen. Es gibt Irrungen, die so süß sind, daß man viel
Bitteres in den Kauf nehmen und doch sagen kann: „Das Leben ist werth,
gelebt zu werden!“

Zwei unheilvolle Jahre trennen uns. Höre also! Ich hatte damals den
Adel refüsirt; Du weißt, ich verachte Alles, was äußerlich ist.
Innerlich fühlte ich mich jedem Adeligen mindestens vollkommen
ebenbürtig, wozu der Tand also? Das konnte man mir bei Hofe nicht
verzeihen. Der Kronprinz hatte mir zuvor seinen Besuch anzeigen lassen,
angeblich wollte er meine Gemäldegalerie in Augenschein nehmen, er
kam hernach nicht; meine finanziellen Unternehmungen wurden in den
der Regierung ergebenen Blättern einer strengen Kritik unterzogen;
man konnte mich nicht direct angreifen, doch man unterminirte das
feindliche Terrain. Meine Freunde, o ja, ich hatte deren, machten mich
aufmerksam, jener bedeutsamen Großmacht, „öffentliche Meinung“ genannt,
mehr Beachtung zu schenken. Ich, im Vollgefühle dessen, was ich zur
Hebung des Volkswohls gethan, zuckte verächtlich die Achseln. Hätte
ich, durch den Tausende und abermals Tausende an allen Grenzen des
Vaterlandes Arbeit und Fortkommen gefunden, erst um die Gunst Einzelner
buhlen sollen, damit ich richtig beurtheilt würde? Ich verachtete das
elende Zeitungsgeschwätz, ignorirte die Weitschweifigkeit, mit der
einzelne Volksredner, die nach Popularität rangen, meine Unternehmungen
mit der Leuchte ihres beschränkten Unterthanenverstandes kritisirten.
Doch so sehr ich mich selbst überzeugt hielt, nur das Rechte und Gute
zu wollen, es kam bald eine Zeit, da ich selbst meine Nächsten nicht
davon überzeugen konnte. Meine Gattin zeigte sich, je mehr die Wogen
der allgemeinen Unbill mich umdrängten, um so kälter und gefühlloser;
sie hielt mich heute für einen waghalsigen Speculanten, morgen für
einen hirnlosen Phantasten, kurz, wenngleich ich ein verständnißvolles
Eingehen auf meine Intentionen nie bei ihr gekannt habe, so hätte
ich doch gern nach des Tages Arbeit und Anfeindungen ein herzliches
Entgegenkommen von ihr gewünscht; sie war kalt und rücksichtslos. Ich
war der arme, reiche Mann, der Tausenden ein Heim bereiten konnte und
selbst keines besaß. Ella konnte mir nicht verzeihen, daß ich die Gunst
des Hofes verscherzt; als künftige Freifrau hätte sie sich vielbeneidet
gesehen! Ihrer Phantasie war alles Bürgerliche bereits entfremdet;
das Tafelservice, die Livreen für die Dienerschaft, Alles war schon
mit Kronen und Wappen bestellt worden, und da begeht der „tölpelhafte
Bourgeois“ die Lächerlichkeit, die Auszeichnung von sich zu weisen! Es
war auch zu tölpelhaft!

Eines Morgens warte ich vergeblich, Madame beim Kaffee erscheinen zu
sehen; ich habe schon diverse Zeitungen durchblättert, hier und dort
das Damoklesschwert über meinen waghalsigen Unternehmungen hängen sehen
-- man hatte in Volksversammlungen gewarnt, sich an Emissionen, die
meinen Namen tragen, zu betheiligen -- doch das Alles sollte mir meinen
Morgenimbiß nicht stören; ich gehe, um nicht länger zu warten, in
Madames Boudoir, sie zu bitten, den Kaffee mit mir zu nehmen, da finde
ich statt ihrer ein Billet und die Zofe sagt mir, die gnädige Frau sei
diesen Morgen 7 Uhr verreist. Ich öffne das Billet.

„Mein Herr! Sie können nicht verlangen, nachdem ich nun jahrelang ihr
abenteuerliches Leben getheilt, daß ich demselben ferner meine Jugend
und Lebensfreude opfere. Ich lebe um zu genießen, zu glänzen; Ihre
philisterhaften Marotten müssen Sie in’s Unglück stürzen; ich mag es
nicht theilen. Baron L. bietet mir Herz und Hand; willigen Sie in die
Scheidung, ich bitte Sie darum; mein Platz ist nicht an Ihrer Seite.
Ich habe kein Verständniß für Ihre Bestrebungen. Sie nicht für die
meinigen. Lassen Sie uns gute Freunde bleiben!

  Ella.“

Das war mehr, als ich erwarten konnte. Ella war damals, als ich sie im
Hause des Dr. Werther, der sie zur Bühne vorbereiten sollte, kennen
lernte, ein armes, adeliges Fräulein; wohl hatte ich sie dem Hang
zur Bühne abspenstig gemacht, die komödienhaften Anwandlungen ließen
sich jedoch nicht betäuben. Ihre Schönheit, ihre Liebenswürdigkeit
fesselten mich; sie hatte eine gute Komödie mit mir gespielt, denn
kaum war sie meine Gattin, so war ich nur noch gut genug, Schenkungen
auf ihren Namen eintragen zu lassen. Daß ich Rechte auf ihre Treue,
ihre Hingebung habe, erschien ihr lächerlich; bei so gewagten
Unternehmungen, wie ich sie führe, wiederholte sie mir oft, sei es
meine Pflicht, ihre Zukunft sicher zu stellen. Das that ich in der
besten Absicht. Am Tage, als sie mich verließ, hatte sie wohl ein
Vermögen von sechzigtausend Thalern.

Ich stand wie vernichtet. Eine so raffinirte Betrügerin jahrelang an
meiner Seite geduldet, ihr meinen Namen gegeben zu haben, das empörte
mich. Meinem Herzen war Ella nie das, was ich erwartet. Sie war arm
und hilflos, als ich mich ihrer annahm; ich glaubte ihre Seele zu mir
empor zu ziehen, sie der meinigen zu vermälen. Nach all der Last der
Tagesgeschäfte sehnte ich mich nach einem hingebenden, treuen Weibe,
ich fand eine gefallsüchtige, von Anbetern umgebene Coquette. Doch das
wird Dir damals schon nicht entgangen sein. Was aber angesichts dieses
Briefes thun? Auf keinen Fall einwilligen! tönte es in mir.

Ich antwortete: „Madame! Sie halten mich für einen einfältigen Narren.
Sie irren! Ich fordere Sie auf, unverzüglich zurückzukehren; meine
Achtung haben Sie verscherzt, ein öffentlicher Scandal würde Sie
entehren.“ Ich sandte diesen Brief in die Wohnung des Baron L.

Madame kam nicht; statt ihrer ein Brief mit Drohungen niedrigster Art.
Wolle ich ihr nicht die Freiheit geben, so werde sie Enthüllungen an
maßgebender Stelle machen, die mich vernichten müßten; die Documente
seien in ihren Händen.

Ich hatte in der That in letzter Zeit bemerkt, daß sie unter
meinen Privatpapieren herumgestöbert; ich wußte auch, daß ein
Brief des Herzogs U., in dem er mir seine Betheiligung an der
neuen Eisenbahnstrecke nach W. zusagt, falls ich seinen Namen mit
zwanzigtausend Thalern kaufen wolle, abhanden gekommen sei. Hatte
sie ihn? fragte ich mich. Und wenn selbst! Was konnte jener Brief
beweisen? Weder daß ich ein ähnliches Anerbieten gefordert habe, noch
darauf eingegangen sei. Es war nichts Neues, daß man Namen hoher
Persönlichkeiten an die Spitze neuer Unternehmungen stellte, um diese
dadurch besser zu accreditiren. Meine Unternehmungen waren durchwegs
gesund und auf streng rechtlicher Basis erbaut; ich hatte derartige
Kunstgriffe nicht nöthig, konnte also der Verdächtigung ruhig in’s Auge
sehen. Doch wie schmerzte es mich, daß diese Verdächtigung gerade von
meinem Weibe ausging! Wer hoch steht, ist allen Blicken ausgesetzt, hat
Neider und Feinde; das sollte ich jetzt Schlag auf Schlag erfahren.
Die ~mise-en-scène~ war gut ausgedacht. Sie verschmähe es, den
schwindelhaft erworbenen Reichthum des Parvenüs zu theilen, die Ehre
ihres unbefleckten Stammbaumes auf’s Spiel zu setzen, dann die einem
befreundeten Anwalt, der gleicherzeit Parlamentsmitglied ist, geschickt
in die Hände gespielten Verdachtsmotive von unlauteren Speculationen,
dazu die Gährung in der öffentlichen Meinung, die bei jedem
Geschäftsabschluß gleich eine Gründung auf trügerischem Untergrunde
wähnte, kurz -- was ich noch vor einem Monat für unmöglich gehalten,
geschah. -- Das Vertrauen zu meinen Unternehmungen war erschüttert;
hier Verdächtigung, dort öffentlicher Angriff, ja, jener Freund Ella’s
wagte selbst im Parlamente einen beziehentlich sehr deutlichen Speech
loszulassen -- ich fühlte, wie mir der Boden unter den Füßen wankte.
Mehrere Zeichnungen wurden gleich an der Börse zurückgezogen, unsere
Eisenbahnpapiere sanken von Tag zu Tag, da -- ~pour comble de malheur~,
kam von Wien her jene Unglückskatastrophe, die das öffentliche
Vertrauen vollständig lahm legte -- der Krach. Vierzehn Selbstmörder
in Einer Woche dort an der schönen blauen Donau! Sie Alle fuhren einst
auf Gummirädern, hatten ihre Logen in der Oper, hatten die Elite-Bälle
besucht und -- nun? Was hielt mich noch am Leben, nachdem ich
Häuslichkeit, Vertrauen, Glück und Frieden verloren? Das Bewußtsein,
recht gehandelt zu haben, mich nicht mit jenen Glücksrittern in eine
Kategorie stellen zu dürfen, die feige untersanken, als die Wogen über
ihren Köpfen zusammenstürzten. Durch Sturm und Brandung wollte ich mir
einen Weg bahnen und zeigen, daß meine Unternehmungen lebenskräftig
seien und sich behaupten müssen. Das Geld der Armen, der Schweiß des
Bürgers, schrie man, klebe an jenen Gründungen, der Fluch der Mit- und
Nachwelt werde sie begleiten.

Weißt Du, was schlaflose Nächte sind? Ich lernte ihre Qualen damals
kennen. -- Den Kopf voll großartiger Pläne, die Hunderte beglücken
mußten, sah ich meine Thätigkeit lahm gelegt, das Begonnene in Schutt
sinken. Wenn dann mein Hirn die dünne Schale zu zersprengen drohte,
griff ich voll unsäglichen Wehes nach dem Herzen; o Du weißt es, Karl;
ich hätte einst die ganze Welt mit meinen Plänen beglücken mögen, mein
Herz fühlte den Pulsschlag der Menschheit und wollte sich ihm einen;
heute glich es einem ausgebrannten Krater. Und doch wußte ich, daß ich
noch leben müsse; Tausende hatten ihr Hab und Gut in meinen Gründungen
angelegt, für sie hatte ich als Anwalt aufzutreten und meine ganze
Kraft einzusetzen, trotz der gesunkenen Course das Ansehen und die
Achtung vor meinen Unternehmungen herzustellen. Ja, das hieß gegen den
Strom schwimmen!

Drüben, im Lager meiner Feinde, stand jenes Weib, das, da sie meine
Unnachgiebigkeit erkannt, nun Pfeil auf Pfeil gegen mich abschoß.
Mein Comptoirchef war mit dem Tage, da sie mein Haus verließ, aus dem
Geschäfte entlassen; ich wußte, daß er ihr wichtige Papiere überliefert
hatte; auch er war nur ein williges Werkzeug in den Händen Derer, die
auf meinen Ruin lossteuerten.

O, was ist Dankbarkeit, Pflichtgefühl! Leonhard kam vor Jahren zu mir
elend, dürftig; er war seit Monaten ohne Stellung und hatte eine arme
kranke Mutter, die auf seine Hilfe angewiesen war. Ich hatte zwar
keine Vacanz, doch mochte ich ihn nicht fortschicken. Hundertfünfzig
Leute arbeiteten auf meinem Bureau, da konnte auch er noch Verwendung
finden. Ich gab ihm einen Vorschuß von dreißig Thalern und stellte ihn
mit fünfhundert Thalern Gehalt an. Er erwies sich brauchbar und hatte
nach Jahresfrist tausend Thaler. Ich liebe Rührscenen nicht, aber noch
heute wird mir das Auge feucht, gedenke ich jener Stunde, da seine alte
Mutter im Gefühl überschwänglichen Dankes zu mir in’s Zimmer wankte,
mir die Hände küssen wollte, mich den Wohlthäter ihres Lebens nannte
und Gott weiß, was noch.

Ich glaubte mir in Leonhard einen Menschen heranbilden zu können, der
mich verstände und in meinen Intentionen handeln sollte. Ich stellte
ihn pecuniär gut, denn er mußte repräsentiren, sollte er Einfluß haben.

Aus der elenden Dachkammer war er mit seiner Mutter in eine glänzende
Etage in der Behrenstraße gezogen; er hatte reichliche Tantièmen und
so oft ich ihm Zulage machte, versicherte er mir seine unbegrenzte
Dankbarkeit. Ich wähnte der Begründer seines Glückes zu sein und
ich muß es im Gefühl einer gewissen Selbstüberhebung gestehen, es
schmeichelte mir, „Glück ausstreuen“ zu können; noch mehr aber galt
mir vielleicht das Bewußtsein, mir einen Menschen durch die Bande der
Dankbarkeit zu ewiger Treue verpflichtet zu haben.

Ja, wo blieb die Treue? Meinen Widersachern theilte er meine geheimen
Verbindungen und Correspondenzen mit, um sich für den plötzlichen
Abschied zu rächen; man sondirte und wußte durch Bestechungen Zeugen
gegen mich aufzustellen, die zu jeder Aussage bereit waren. Ich mußte
verkaufen, mit Schaden verkaufen, um mich behaupten zu können. Ein
langwieriger Proceß entspann sich; ich wollte mein eigener Anwalt
sein, und in der Aufregung der gegen mich geschleuderten Anklagen
vernachlässigte ich mein Geschäft. Fall folgte auf Fall; ich hatte den
klaren Blick, das persönliche Vertrauen verloren; das Chaos brach über
mir zusammen. Häuser kamen zur Subhastation, angefangene Bauten konnten
nicht vollendet werden, mehrere Eisenbahnlinien, zu denen schon die
Concession erlangt war, sanken im Cours, Alles sank -- nur der Proceß
wuchs riesengroß über meinem Haupte zusammen.

Ich hustete schon während des ganzen Sommers; innere und äußere
Aufregungen hatten Körper und Seele erschüttert. Der Arzt wünschte, daß
ich den Winter in einem milden Klima zubrächte; das hätte einer Flucht
ähnlich gesehen. Nein, ich wollte das Wrack aus dem Sturm retten; der
Steuermann muß bei seinem Schiffe bleiben. --

Ich warf Blut aus, mein Aussehen war in wenigen Wochen ein auffallend
anderes; dennoch fand ich keine Zeit, an mich zu denken.

Da kam die Untersuchungshaft; man fürchtete, ich werde flüchtig werden,
man wollte sich meiner Person vergewissern.

Der Polizeichef S., der sonst ein gerngesehener Gast bei unseren
Soireen war, hatte das traurige Amt, mich abzuführen. Er ließ es mich
einen Tag zuvor wissen; ich hätte entfliehen können; ich verachtete
es. Meine Freunde drangen in mich, sie beschworen mich bei meiner
zerrütteten Gesundheit; umsonst, ich blieb fest. Welchen Werth hatte
das Leben noch für mich? Meine Schuldlosigkeit mußte und sollte zu Tage
kommen, und wenn dann für mich die ewige Nacht kam, so war mir wohl. --

Polizeirath S. fuhr gegen 7 Uhr bei mir vor; ich folgte ihm. Als wir
das Opernhaus passirten, stieg eben eine fein gekleidete Dame, auf den
Arm des Baron L. gestützt, aus einer eleganten Equipage. Ich kannte
sie. Drinnen spielte man eben das Vorspiel zu Wagners „Meistersingern“.
Es war die Erstlingsvorstellung; sie durfte nicht fehlen.

Wir fuhren an der Börse vorbei; ein Schauer packte mich; dann weiter
der Vorstadt zu; ich kannte dort manches Haus, in dem gute Menschen
wohnten, denen ich in meinen glücklichen Tagen Stütze und Trost
gewesen, die mich als ihren Erretter aus Noth und Elend verehrten; mir
wurde wärmer um’s Herz -- ich wußte doch, daß ich nicht umsonst gelebt
habe. -- Nun eine lange Reise an die Grenze des Landes.

Freund, wer wie ich gereist, in eleganten Schlafcoupés mit Diener und
Freund, dem wird es im engen Polizeiwagen unbequem. Die Nacht war kalt;
der Husten peinigte mich, ich wollte mich ausstrecken, wollte ruhen,
doch nein, die Nothwendigkeit machte mir es klar -- ich reiste als
Gefangener.

Endlich schloß ein wohlthätiger Schlaf die matten Augen. Ich träumte.
Da sah ich sie strotzend von Brillanten am Arme des Baron L. im Foyer
des Opernhauses auf und ab promeniren; die jungen Offiziere setzten die
Lorgnons auf, um sie besser zu fixiren, die alten Roués drückten ihr
freundschaftlich die Hand -- Madame war interessant geworden, sie war
~à la mode~. -- Die Frau des Gründers mochte sie nicht sein, sie war
die Maitresse des Barons. Da plötzlich fuhr ich wild auf. Noch war sie
nach allen Gesetzen meine Gattin; konnte ich sie nicht zwingen, zu mir
zurückzukehren?

Doch wer war ich? Ein Gefangener! Der Plan war sehr schlau, teuflisch
schlau in Scene gesetzt.

Nein, rief es in mir, und wenn sie jetzt fußfällig meine Verzeihung
erflehen wollte, ich konnte ihr nicht vergeben, sie nie wieder
an meiner Seite sehen. Ein Weib ohne Herz ist der Teufel in
Menschengestalt; hatte ich sie bis jetzt nur verachtet, so begann ich
sie zu hassen. In einem Anfall von Wuth beneidete ich die Barbaren,
die, ohne sich Convenienzen und Formeln fügen zu müssen, dreinschlagen
und in dem Augenblick der Wuth auch ihre Rache austoben lassen können.
Ja, rächen wollte ich mich an jenem feigen Gesindel, das einst an den
Rädern meines Glückswagens gezogen, mich verwöhnt, umschmeichelt,
hofirt hatte, und das nun, da der Glückswagen ein elender Karren
geworden, mich in Elend und Verzweiflung umkommen läßt.

Ich war also in der entfernten Grenzstadt D., wo ich während meiner
Untersuchungshaft bleiben sollte, angelangt. Ein Zimmer ohne jeglichen
Comfort wurde mir angewiesen. Der Diener meines Hauswarts hatte bei mir
eine behaglichere Einrichtung. Ein Sopha, dessen Sitz schon mehr einem
wattirten Brette glich, ein Spiegel, einen Fuß hoch und dito breit,
zwei wackelige Stühle, ein elendes Bett, ein dreibeiniger Tisch aus
Methusalem’s Zeiten, das war mein Mobilar.

Ihr habt oft über den Luxus in meinem Hause gespöttelt; wahrlich, er
war mir nicht Bedürfniß, nicht einmal sympathisch. Ella liebte ihn und
schaffte wohl Manches an, das eben sonst nur Fürstlichkeiten erlaubt
zu sein pflegt; ich hatte nichts dagegen; „man muß die Industrie
unterstützen“, sagte ich mir; wenn jeder Reiche das Geld im Geldkasten
verschließen wollte, wie sollten Handel und Gewerbe blühen? ~L’argent
veut circuler!~

Aber welcher Abstand von jenem „Zuviel“ bis zu dieser Dürftigkeit!

Gleich in der ersten Nacht hatte ich einen Hustenanfall, wie +ich+ ihn
vorher nicht gekannt. Die Brust preßte sich mir zusammen; ich rang nach
Athem, glaubte mich dem Ersticken nahe. In meiner Angst riß ich die
Fenster auf, ich rief nach Hilfe -- keine Menschenseele antwortete.
Unten hörte ich das Gekläff des Wachthundes; ~voilà tout~. Seit langen
Jahren empfand ich zum ersten Male, was es heißt: „Allein sein!“

Der Anfall ging vorüber, doch wünschte ich am folgenden Tage einen
Arzt. Dieser, ein Doctor Streit, musterte mich, als ich ihm meinen
Namen nannte, mit eigenem Blick; im Laufe des Gesprächs sagte er mir,
daß auch er Papiere der Nordbahn gekauft und nun die Hälfte beim Umsatz
verloren habe. Es klang wie eine Art Vorwurf, ja, an seiner gänzlichen
Theilnahmslosigkeit sah ich, daß er es fast für Pflicht hielt, den
Mann, der ihm Schaden verursacht, dafür büßen zu lassen. Medicamente
seien nicht nöthig, sagte er, einen Wärter oder Diener, den ich
wünschte, hielt er für überflüssig; ein leichter Hustenanfall führe
nicht gleich zum Erstickungstod. Leider war es so.

Du weißt, mit welcher Umständlichkeit man bei uns Processe führt! O,
es war zum Verzweifeln! Da saß ich nun in meinen vier Pfählen voll des
unersättlichen Thaten-, ja Rachedurstes und konnte Nichts thun, als
abwarten. Fehlt bei finanziellen Unternehmungen die leitende Hand, so
ist oft Alles verloren; ohne Selbstüberhebung wußte ich, daß ich die
Seele jener Schöpfungen war, die ich angeregt. -- Störe den Pulsschlag
des Herzens und es steht still, der Organismus ist todt; vernichte die
treibende Kraft, die Triebfeder eines jeden größeren Werkes, es steht
still. Ja, Alles stand still, nur ich rannte wie wüthend gegen die
Mauern meiner Zelle, als wollte ich mein Gehirn zersprengen.

Ella ließ mich durch ihren Anwalt mit der Scheidungsklage peinigen;
sie drohte mit weiterer Denunciation, falls ich sie nicht frei gäbe.
Ich schäumte vor Wuth ob solcher Verworfenheit. Das Weib, das einst
schmeichelnd in meinen Armen geruht, deren Wunsch mir Befehl war, der
ich mein geheimstes Denken und Wünschen anvertraut, sie konnte so
gesunken sein?

Noch eben mit diesen Ideen beschäftigt, hörte ich, wie an der Thür
meines Zimmernachbars gepocht wurde. Er war ein Kaufmann aus der
Provinz, der des betrügerischen Bankerotts angeklagt war. Ich hörte,
wie er die Thür öffnete. -- Ein Freudenschrei, ein langer, inniger
Kuß. Ich wußte genug. Beschämt, wie ein Bettler wandte ich mich von
jener Thür, an der ich soeben gelauscht. Drüben eine Scene innigsten
Familienglücks, hier die Qualen der Einsamkeit. Zu mir kam keine
theilnehmende, tröstende Gattin bis in die Kerkerzelle; ich war
verlassen, elend. Nie habe ich die ganze Schwere meines Geschicks so
furchtbar empfunden wie in jener Stunde.

Was ist aller Reichthum der Welt im Vergleich mit einer Menschenseele,
die uns gehört, die uns treu bleibt in Nacht und Elend, die uns
umfangen hält und wenn eine ganze Welt in Waffen entgegensteht. O
Karl, ich breitete meine Arme aus, als müsse ich ein Wesen umfassen,
an dessen Herzen ich mich ausweinen konnte; die Arme fielen schwer und
matt hernieder, ich war allein.

Drüben ging endlich die Thür. „Habe tausend Dank, Du Gute,“ hörte ich
meinen Nachbar sagen, „Du hast mich heut glücklicher gemacht, wie je
in den glücklichsten Tagen.“ Sie hielten sich wohl noch lange umfangen;
endlich vernahm ich: „Lebe wohl, es muß geschieden sein!“ Die Frau
ging einige Schritte der Treppe zu, doch nochmals und nochmals kehrte
sie zurück; endlich kam der Aufseher und bemerkte, daß die Stunde
abgelaufen sei. Ja wohl, dem Glücklichen schlägt keine Stunde!

„Grüß mir die Kinder!“ rief er ihr nach. Die Thür schloß sich. Die
Kinder! Welche Welt der Empfindungen durchwogte meinen Busen. Für wen
hatte ich mich gemüht? Jahrelang war es der innigste Wunsch meines
Herzens, ein trautes Kinderauge mir zulächeln zu sehen; ich glaubte das
Schicksal, das mir diesen heißesten Wunsch unerfüllt ließ, versöhnen
zu müssen, indem ich für die Kinder der Armen Gold mit vollen Händen
ausstreute. Hunderte erhielten durch mich Kleidung, Unterricht,
Versorgung -- unser Haus blieb kinderlos.

Heute danke ich meinem Schöpfer, daß es so gekommen. Was wäre aus den
Kindern einer solchen Mutter geworden? Man sagt, es liege im Blut,
daß sich ein Mensch gerade so und nicht anders entwickeln müsse.
Ich glaube es. Weder persönliche Einsicht, noch Erziehung, noch die
treffendsten Vernunftgründe können einen Menschen von der abschüssigen
Bahn abbringen, wenn ihn eine innewohnende Kraft zwingt; es giebt ewige
Naturgesetze, gegen die kein Kampf zum Sieg verhilft.

An mir fühlte ich, daß meine physischen Kräfte diesen Gesetzen
verfallen waren. Ich war nicht mehr ich selbst. Es ist schauerlich,
den Tod langsam, tappend, doch sicher heranschleichen zu sehen.
Ja, ich sehe ihm in’s Auge, doch ohne Grauen. Die Beweise meiner
Schuldlosigkeit häufen sich, alle Verdachtsgründe sind beseitigt,
meine Freilassung muß in den nächsten Tagen erfolgen. Der unbefleckte
Name ist gewahrt, und ein erfahrungs- und thatenreiches Leben, in dem
ich viel genützt, liegt hinter mir. Ich wandere nicht nach B. zurück;
ich habe Ordre gegeben, Alles zu realisiren und mit dem Erlös die
Forderungen zu decken. Zu Dir, mein Jugendfreund, will ich kommen;
ich bedarf des Freundes. Vielleicht, wenn ich einige Zeit unter
guten Menschen geweilt und Körper und Geist gekräftigt ist, kann ich
mich wieder den Geschäften widmen; doch ich fürchte fast, daß dies
eine trügerische Hoffnung ist. Eine Mission jedoch habe ich noch zu
erfüllen; jene sechzigtausend Thaler, die mir Ella mit teuflischer
Schlauheit abgeschwindelt, sollen ihr, da sie mich böswillig verlassen,
abgenommen und zur Deckung --

Hier endete die Mittheilung.

Ich brauchte lange Zeit, mich zu sammeln; mit hastigen Schritten ging
ich auf und ab; ein Diener, in der Vermuthung, ich wünsche etwas,
trat ein. Von ihm hörte ich, daß Berg gestern hier eingetroffen war,
er hatte nach meiner Wohnung gefragt, um mich zu besuchen; sein
Zustand hinderte ihn jedoch am Ausgehen. Er sandte heute früh nach dem
Arzte und hatte mir gegen Mittag ein Paar Zeilen nach meiner Wohnung
geschickt; da ich jedoch gleich von der Börse in’s Comptoir und von da
in’s Theater ging, konnte ich sie nicht erhalten. Nachdem ihm der Arzt
erklärt, daß sein Zustand das Schlimmste befürchten ließe, hatte er
nochmals nach mir gesendet; der Bote mußte mich von einem Schauspiel zu
einem Trauerspiel holen. -- Ich blieb die Nacht bei dem Entschlafenen,
eine schauerlich lange Nacht.

„Das ist das Ende eines aufregenden, thatenreichen Lebens!“ sagte ich
mir. Bilder buntester Art stiegen vor meinem Geiste auf, Zeitfragen,
auf die ich keine Antwort wußte.

Ist es nicht besser, im Dunkel der Mittelmäßigkeit dahin zu vegetiren,
ohne Schaffensdrang und Streben, als seine besten Kräfte an Probleme
zu setzen, die, falls sie wirklich erreicht werden, Neid, Mißgunst und
das ganze Heer der niedrigen Leidenschaften gleich einer wilden Meute
fessellos auf unser Leben einstürmen lassen?

Berg hatte sich kraft seines riesengroßen Fleißes und bedeutender
Begabung emporgearbeitet zu oft beneideter Höhe; er war ein Fürst im
Reich der Armen, ja, ich wußte es, sie küßten den Saum seines Kleides,
sie verehrten ihn mit innigster Dankbarkeit. Und die Reichen und die
Vornehmen, auch sie hatten um seine Gunst gebuhlt und jenes Weib,
es hatte sich gesonnt im Glanze seines Reichthums. -- Ha, als ich
ihrer gedachte, ballte ich die Hände krampfhaft; hätte ich sie da vor
mir gehabt, ich glaube, ich hätte sie züchtigen können. Doch einen
Trumpf wollte ich noch ausspielen, sie durfte nicht die reiche Witwe
des zu Grunde gerichteten Mannes bleiben; war sein Vermögen, wie sie
ihn denuncirt hatte, schwindelhaft erworben, so sollte sie auch zur
Herausgabe der schwindelhaft erworbenen sechzigtausend Thaler gezwungen
werden! In der Hoffnung, meinen Freund zu rächen, fand ich die Kraft,
das mir obliegende traurige Amt, ihn der allumfangenden Mutter Erde zu
übergeben, auszuführen.

Es war ein stilles Begräbniß. -- Er war ja ein ruinirter Mann; er hatte
nicht Weib, nicht Kind, wer sollte ihm folgen? Meine heißen Thränen
rollten auf sein Grab hernieder, der Prediger sprach ein kurzes Gebet;
-- ein müder Pilger war zur letzten Ruhe bestattet worden. -- Noch
vor Jahresfrist, da er ein Palais in der Residenz sein eigen nannte,
wäre seinem Leichenwagen ein unabsehbarer Conduct gefolgt; Palmen und
Kränze, umflorte Equipagen und in ihnen traurig scheinende Menschen
hätten zu seinem Leichengang gehört; heute hatte ihn nur ein Freund
hinausgeleitet, doch Einer, der seinen Werth voll und ganz erkannt.

Oeffentliche Blätter brachten bald die Nachricht von seinem Tode. Ein
mir bekannter Reporter wußte geschickt die Bemerkung einzustreuen,
daß ein Testament, nach welchem die seiner in Scheidung lebenden
Gattin geschenkten Gelder zur Deckung der Außenstände verwendet werden
sollen, existire, daß ein Freund des Verstorbenen, der ihm zuletzt
nahe gewesen, das Testament in Händen habe. Das wirkte mit wahrem
Knalleffect. -- Wer jener Freund sei, konnte den Betheiligten nicht
zweifelhaft sein; sie wußten, Berg sei in D. gestorben, und daß ich
jener Bevollmächtigte sei, mußte ihnen einleuchten.

Einige Tage nach jener Veröffentlichung erschien bei mir der Advocat
des Baron L. Er interpellirte mich, ob an jener Zeitungsnotiz etwas
Wahres sei und ob ich ihm Schriftstücke zeigen könne.

Ich durchschaute die Absicht und gewann dadurch den Muth zu
einer beinahe straffälligen Unwahrheit. Baron L. hatte nicht die
gefallsüchtige Frau, sondern ihr Geld gemeint. Dieses schien ihm
angefochten -- wer weiß, sagte ich mir, ob er sie nicht verläßt, wenn
er sie enterbt weiß, und dann hätte sie den Lohn ihres ruchlosen
Gebahrens. -- Ich theilte dem Advocaten mit, daß Berg mich auf seinem
Todtenbette zum Mitwisser aller ihrer Intriguen gemacht, daß er es
„schwarz auf Weiß“ hinterlassen, daß das ihr geschenkte Vermögen zur
Deckung seiner Gläubiger verwendet werden solle; Einsicht in die
Papiere könne ich ihm jetzt nicht geben, da diese schon an maßgebender
Stelle abgeliefert seien.

Ich galt als Ehrenmann; der Advocat, obwohl er keine Einsicht in die
Papiere erhalten, schenkte meinen Worten Glauben; er kehrte nach der
Residenz zurück und theilte dem Baron mit, daß, da ein Testament
existire, das jene Schenkung ungültig mache, und außerdem in Folge
unmotivirter Trennung eine Enterbung denkbar, es das Rathsamste sei,
Frau Berg von einem Processe zurückzuhalten, für dessen Durchführung
wenig Aussicht sei.

Mein Reporter arbeitete nun weiter; er sprach von Enthüllungen,
von Legaten, kurz, es wurde kaum bezweifelt, daß ein vollständig
rechtskräftiges Testament existire. -- Wie leichtgläubig ist doch die
Menge! Hätte das Fragment, das ich in Händen hatte, irgend welche
Rechtsgiltigkeit gehabt? Ich hätte günstigsten Falls eine moralische
Pression ausüben können! Doch ich ließ der Sache ihren Lauf; die
Nemesis sollte ihres Amtes allein walten.

Eben machte ich Anstalt, zur Börse zu gehen, als mein Freund athemlos
zu mir hereinstürzte.

„Was haben Sie da angestiftet, Freund?“ rief er mir zu, „Sie haben
Fatum gespielt und können möglicher Weise zur Rechenschaft gezogen
werden.“

„Was ist denn vorgefallen?“ fragte ich beunruhigt.

„Eben bekomme ich die Nachricht von Lieutenant Solm, daß Frau Berg,
die angebliche Braut des Baron L., in dessen Zimmer todt vorgefunden
worden; man spricht von einem Selbstmord, schreibt er mir. In ihren
krampfhaft verschlungenen Händen fand man einen Brief des Baron L.,
der einige Tage zuvor verreist war; er schrieb ihr in demselben, daß
seine derangirten Verhältnisse eine Heirat nicht gestatten; er habe
Ehrenschulden, die ihn, da nun auch das ihr angeblich gehörige Vermögen
confiscirt sei, wie er aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, zur
Auswanderung zwingen; er gehe nach Californien und bitte sie, keine
Nachforschungen anzustellen.“

Ich blieb noch lange sprachlos, nachdem mein Freund geendet. „Das war
eine schnelle Justiz!“ sagte ich endlich. „Kein irdischer Richter hätte
so scharf und so gerecht strafen können.“ Die Worte des Dichters:

    Das Leben ist der Güter Höchstes nicht,
    Der Uebel größtes aber ist die Schuld

traten urplötzlich vor meine Seele. -- Die Schuld war gesühnt, doch ein
energievoller, in weitesten Kreisen hochgeachteter Mann war durch die
Ränke und Treulosigkeit eines Weibes dem Ruine entgegengeführt
worden. --

[Illustration]




[Illustration]




Glaubenskämpfe.


I.

Nachdenkend, den Kopf in die Hand gestützt, saß Susanne am Fenster.
Sie war ein schönes, 18jähriges Mädchen, aus deren feurigen Augen
Begeisterung, doch auch finstere Schwermuth sprachen. Die hohe, schöne
Stirn war in tiefe Falten gelegt, ein convulsivisches Zucken umschwebte
die Mundwinkel.

„O, wer giebt mir Klarheit, wohin ich mich wenden soll?“ rang es sich
endlich aus dem bedrängten Herzen empor. „Ist die Religion, die unseren
Vätern vor Jahrtausenden heilig war, noch berechtigt, in unserer Zeit
gelten zu wollen? Kann ich denn noch beten, wie jene gebetet? Ist es
nicht Entweihung der heiligsten Gefühle --“

Sie wurde unterbrochen; eine alte Frau, die nach Sitte der frommen
Jüdinnen einen tiefen Scheitel trug, der das eigene Haupthaar verbarg,
trat ein.

„Susi, mein Kind“, begann sie, „Du bringst noch Gram und Schande
über Deine alten Eltern! Sprich, warum warst Du heute wieder bei dem
deutschen Prediger und doch weißt Du, daß Dein Vater ein guter Jud ist
und treu dem großen Gott?“

„Mutter!“ rang es sich qualvoll aus Susi’s Brust, „Mutter, fragt mich
nicht. Ihr seid glücklich in dem Glauben Euerer Väter, ich möchte Euch
meine Zweifel nicht mittheilen, Ihr könntet mich nicht heilen; lasset
mich den Kampf mit meinem religiösen Bewußtsein allein auskämpfen;
glaubt mir, ich werde nicht schlechter, wenn ich die Gedanken über Gott
und Ewigkeit, die ich nicht bannen kann, klar zu erforschen suche, sie
mit dem, was Andere darüber gedacht, vergleiche. -- Ich will Euch eine
gute Tochter sein, doch --“

„Wie kannst Du mir eine gute Tochter sein, wo Du Gott, dem Allgütigen,
ein abtrünniges Kind bist!“ sprach die alte Frau unwillig.

„Das bin ich nicht, Mutter!“ entgegnete Susi flammenden Auges; „ich
will Gott und allem Guten und Edlen nur um so näher kommen, indem
ich die todten Buchstaben, die unsere Weisen vor Jahrtausenden
niedergeschrieben, nach dem Geiste unserer Zeit deute. Sieh, wir
opfern keine Schlachtopfer mehr in unseren Tempeln und doch heißt es
in unseren Gebetbüchern: ‚Gott, nimm unser Opfer gnädig an!‘ Da muß
ich mir klar werden, was wir denn jetzt dem höchsten Wesen zum Opfer
bringen; unsere Begierden, unsere Neigungen, falls sie nicht mit den
Gesetzen der Moral und Menschlichkeit im Einklang sind, unsere Wünsche,
falls sie Anderer Wohl beeinträchtigen --“

„So denke ich nicht und so bete ich nicht!“ unterbrach die alte Frau
abwehrend. „Ich bete, was da geschrieben steht und indem ich die
Worte leise vor mich hersage, fühle ich, wie der Geist Gottes zu mir
herniedersteigt und ich werde froh und neu belebt; so hat meine Mutter
gebetet, ja ich sehe noch die Großmutter, Gott habe sie selig, so vor
mir stehen; sie alle sind glücklich und hochbetagt gestorben und Du,
mein armes Kind, machst Dich elend und krank, daß Du klüger sein willst
als Alle, die nun in Frieden bei Gott dem Allmächtigen sind.“

Susi blickte starr vor sich hin; sie wollte die alte Frau, die sie ja
ohnehin nicht verstehen konnte, nicht aufregen, doch wer konnte ihr
mitgetheilt haben, daß sie heute zur Predigt in der freien Gemeinde
gewesen?

Dunkle Zornesröthe überzog ihre Stirn. Ja, er war es, Jakob Stern, der
arme reiche Mann, der noch immer in dem Wahne befangen war, er könne
ein Mädchen wie Susi mit seinem Gelde erkaufen. Da, als sie um die Ecke
bog, sah sie ihn in eleganter Equipage daherrollen; sie fühlte, wie
sein Blick ihr folgte, bis sie das Erbauungshaus betreten, indeß ahnte
sie nicht, daß er sich zum Denuncianten erniedrigen würde.

„Jakob Stern war bei Dir?“ fragte Susi, indem sie die Mutter forschend
anblickte.

„Vor einer Stunde,“ entgegnete diese. „Susi, er hat seinen Antrag
erneuert. Bedenke wohl, ehe Du Dich jetzt in Heftigkeit äußerst,“ fügte
sie hinzu, da sie der Tochter lebhaften Einspruch voraussah, „was es
heißt, eine solche Partie auszuschlagen! Dein Vater hat keine Mitgift
für Dich, Du bist an Wohlleben gewöhnt; was wird aus Dir werden, wenn
wir alten Leute abgerufen werden?“

„So werde ich arbeiten, um mir eine Selbstständigkeit zu sichern,
Mutter! Besser arbeiten und frei sein, als auf goldenen Polstern ruhen
und Geist und Seele in Fesseln schlagen!“ entgegnete Susi mit edlem
Freimuth; „doch,“ setzte sie sanfter hinzu, „meine guten Eltern sind ja
noch rüstig und werden mir noch lange erhalten bleiben.“ --

„Und selbst dann, Susi,“ entgegnete die Mutter, „ist ihr erster
Wunsch, Dich versorgt zu sehen. Du bist so gescheidt, wie kannst Du
nicht einsehen, daß Du ein Glück ausschlägst, um das Dich alle Deine
Freundinnen beneiden!“

„Gute Mutter,“ entgegnete Susi mit schwerem Seufzer, „lass’ es Dir ein
für allemal gesagt sein, eine Verbindung mit Jakob Stern ist für mich
kein Glück; er ist stumpf, zelotisch fromm, eingebildet, eitel; wie
kann ich einen solchen Menschen achten, wie werde ich auch nur eine
Stunde im Umgange mit ihm froh sein können?“

„Das findet sich, Susi, er ist gut von Herzen; er wird Dich auf
Händen tragen und Du wirst wie Hunderte und Tausende Andere Deine
Schwärmereien vergessen und eine brave Frau werden, die ihr Haus
beglückt und nach allen Seiten Segen ausstreut.“

„Mutter, meine gute Mutter,“ rief Susi, in Thränen ausbrechend und
der alten Frau um den Hals fallend; „o könntest Du mich verstehen!
Du willst doch Dein Kind nur glücklich machen, wie kannst Du ihm ein
so schweres Opfer zumuthen! Denke zurück, Mutter, an die Tage Deiner
eigenen Jugend! Wie es Dein Stolz und Glück, Deines Herzens höchste
Seligkeit war, einem frommen -- angesehenen Manne Deine Zukunft zu
einen, so ist es Deines armen Kindes einzigster Wunsch, nur dem Manne
anzugehören, der es versteht -- der mit erleuchtetem Blick und warmem
Herzen an den Bestrebungen unserer großen Zeit Theil nimmt, für
alles Große, Edle und Gute begeistert einsteht, der im Ringen nach
den höchsten Zielen, im Erforschen der heiligsten Wahrheiten seinen
Lebenszweck erkennt!“

„Arme Susi,“ entgegnete die Mutter thränenden Auges, „wo willst Du den
Mann finden!“

„O, ich kenne ihn!“ rief Susi, sich selbst vergessend, „ich habe ihn
heute gehört und der Ton seiner Stimme vibrirt noch jetzt in meinem
Herzen!“ -- Plötzlich hielt sie inne, das Gesicht mit beiden Händen
bedeckend, als sie die Erstarrung sah, die sich der Mutter bemächtigt
hatte; wehe, sie hatte zu viel gesagt! In einem Augenblick der Erregung
war ihr ihres Herzens tiefstes Geheimniß entschlüpft. -- Fassungslos
stand sie der alten Frau gegenüber.

„Er, er!“ -- rief die Mutter endlich in herzerschütterndem Schmerze;
sie rang stumm und verzweifelnd die Hände, doch endlich schien sie
in ihrem tiefen Weh Worte zu finden: „Und ihn, den Getauften, den
Meschumed, den Goi, kannst Du achten? Was ist dem Manne heilig, der
die Religion seiner Väter abgeschworen? Um sich dereinst vielleicht
Herr Rath nennen zu lassen, hat er seinen Glauben aufgegeben! Ja,
noch schlechter, jetzt sucht er mit Scheinreden, als ob man wirklich
nicht mehr an den allmächtigen Gott glauben könne, Andere zu gleicher
Schlechtthat zu bewegen und wenn es nach ihm geht, soll jeder fromme
Jud --“

„Halt ein, Mutter,“ unterbrach Susi entschieden. „Berthold Caspari ist
nicht des Titels wegen seinem Glauben untreu geworden, noch sucht er
irgend Jemanden durch seine Vorträge demselben zu entfremden! Jeder
denkende Mensch, ob Jud oder Christ, hört sie mit gleichem Interesse
und fühlt sich gehoben und beseligt, dem feurigen Redner lauschen zu
können. Nur das höchst Sittliche ist ihm heilig, nur das Streben nach
Veredlung ist ihm Religion, jede gute That ein Gebet, das gleich Opfern
zu Gott emporsteigt --“

„Genug,“ rief die alte Frau mit zitternder Stimme, „versündige Dich
nicht an Allem, was uns heilig ist! Er ist kein Prophet und kein
Gottgesandter -- und was er sagt, das fühle ich, obschon ich es nicht
verstehe, ist Lug und Trug und wohl angethan, arme, verblendete
Menschenkinder wie Du, zu verführen! Ja, er ist schön,“ fuhr die alte
Frau, zu sich sprechend, fort, „seine Augen zünden wie Feuer, das
blasse Gesicht, der lange, schwarze Bart, die hohe Gestalt, all’ das
vermag wohl Eindruck auf ein 18jähriges Mädchen zu machen! Doch, Susi,“
fuhr sie fast flehend fort, „Du solltest doch wissen, was Du Deinen
Eltern, die im Glauben ihrer Väter ergraut sind, schuldig bist.“

Susi rang nach Luft, ihr war, als müsse sie ersticken.

Die Mutter, diesen Augenblick der Schwäche benützend, fuhr fort: „Ich
seh’, Kind, Du hast selbst schwer an Deinem Unglücke zu tragen; ja,
es wird Dir noch schwerer werden, je mehr Du Dich von Gott und seinen
Geboten entfernst; deshalb versprich mir heute am Tage vor dem großen
Versöhnungsfeste, daß Du ihn nicht wieder sehen willst, daß Du ein
gutes Kind und die Freude Deiner alten Eltern bleibst.“

Sie öffnete ihre Arme und schluchzend warf sich die Tochter, als ob sie
das Verlangte gelobe, an der Mutter Brust. „Ich will mit Ehren in’s
Grab steigen,“ sagte diese, „und Gott, der Allgütige, wird auch Dir
helfen, daß Du wieder rein und ohne Fehl im Herzen vor ihn hintreten
kannst!“ Frau Cahen trocknete ihre Augen, küßte der Tochter Stirn und
verließ bewegt das Gemach!

„O, was habe ich gelobt!“ rief Susi in heller Verzweiflung, als die
Mutter die Thür geschlossen. „Sein Wort war der Sonnenstrahl, der mein
armes Dasein belebte! Wie werde ich leben können, ohne ihn zu hören! O
Mutter, ist das Liebe, daß Du mir durch ein willenlos gethanes Gelöbniß
die einzige Freude raubst, die mir in all’ diesen Zweifeln bleibt! Wie
konnte die sonst so wahrheitsliebende, gerechte Mutter,“ fuhr sie nach
einer Weile schmerzlichen Sinnens fort, „gerade diesen besten, edelsten
aller Männer so verurtheilen! O, welche bestrickende Macht übt doch der
religiöse Fanatismus!“ Ein schwerer, dem tiefsten Herzen entstammender
Seufzer begleitete diese Worte.

Je mehr Susi über sich nachdachte, desto mehr lebte sie sich in die
Idee hinein, daß sie, wolle sie den Eltern folgen, ein Martyrium für
ihren Glauben auf sich nehme. In diesem Wahne fand sie den Muth, ihren
Gram zu bekämpfen und im Laufe des Tages mit Ruhe und innerer Fassung
der Mutter in den Vorbereitungen zum morgigen Festtage an die Hand zu
gehen. Sie begleitete die Eltern Abends in den Tempel und war tief
innerlich bewegt, als der Vater heute auch sie, wie sonst stets die
Mutter, in seine Arme schloß, indem er den Wunsch aussprach: „Mögest
Du Gutes am großen Tage der Verheißung für Dich ausbitten.“ An der
Erregung, mit der der alte Mann diese Worte sprach, ahnte sie, daß er
Alles wisse. Er vertraute ihr und betrübte sie durch keinen Vorwurf.
Dies erschütterte sie tiefer als alle Strafpredigten. Am Eingange zum
Tempel, nachdem er sich von der Mutter verabschiedet, wandte er sich
noch einmal zu ihr: „Susi, bete zu Gott und er wird Dir beistehen!“
sprach er, während eine Thräne ihm in’s Auge trat.

Ja, Susi betete; die heiligen Gesänge, der Vortrag des Predigers
erschütterten tief das ohnehin zerknirschte Herz. Doch sonderbar!
Je mehr sie sich in sich selbst versenkte, desto klarer wurde ihr,
daß sie keine Sünderin sei. Sie hatte sich nicht vom göttlichen
Worte entfernen, dasselbe vielmehr nur um so tiefer und wahrer
erfassen wollen. Ihre Beziehung zu Berthold Caspari, dem Bruder ihrer
Jugendfreundin, war keine sträfliche Neigung, sondern eine gleichem
Streben und Erkennen zugewandte, begeisterungsvolle Hingabe an das
Erforschen jener ewigen Wahrheiten, die zu allen Zeiten denkende
Menschen interessirt haben. Gebet auf Gebet wurde hergesagt; sie
beobachtete verschleierten Blickes die Gemeinde. Wie Wenige verstanden,
was sie da im hebräischen Texte sprachen. Man neigte sich rechts und
links, klopfte sich in die Brust, betheuerte gesündigt, gelästert,
veruntreut zu haben und erflehte die Verzeihung des Ewigen. Susi schloß
die Lippen gerade, als der Vorbeter zu jenem heiligsten aller Gebete
ansetzte: „Oschamno, wir haben gesündigt“, betete er vor und die
Gemeinde andächtig nach; nein, sie konnte sich keiner Sünde zeihen!
„Oder,“ dämmerte es in ihren Gedanken, „war das Sünde, daß sie ihr
heiligstes Streben und ihre begeisterungsreichsten Stunden, die sie
im Austausch mit jenem denkenden Freunde verlebt, zum Opfer bringen
wollte?“ Sie konnte den Gedanken nicht ausdenken; der weihevolle
Gesang von jenen Hunderten von Gläubigen, die ihr Herz hier vor Gott
ausschütteten, betäubte ihr Sinnen und Denken; sie fühlte sich schwach
jener unsichtbaren Macht gegenüber, die sich in den Herzen der Frommen
ihre Altäre errichtet und auch sie jetzt mit unsichtbarer Macht zu
umgarnen schien.


II.

Dr. Berthold Caspari hatte soeben seine Bureaustunden beendigt. Er
war mit einem Proceß beschäftigt, der sein ganzes Denken unausgesetzt
beanspruchte. Mit wahrer Sehnsucht erwartete er die Erholungsstunde,
in der er im nahen Wäldchen einen Spaziergang zu machen pflegte. Dort
traf er zumeist Mutter und Schwester und auch deren Freundin Susi. Susi
war heute nicht da und der Schwester Blick verschleiert. „Marie, Du
scheinst betrübt,“ sagte Berthold nach herzlicher Begrüßung.

„O, ich bin es auch in tiefster Seele,“ sprach die Schwester, ein
anmuthiges, junges Mädchen mit blondem Lockenköpfchen und schwärmerisch
blickenden Augen. „Lies, was mir Susi schreibt!“ Damit überreichte
sie ihm den Brief, den sie unlängst erhalten. Ueber Berthold’s klare
Stirne zogen finstere Wolken; fast schien es, als zittere seine Hand.
Da stand: „Herzensfreundin! Deine Susi ist tief unglücklich und möchte
gerne zu Dir eilen und sich an Deinem treuen Herzen ausweinen; Ihr seid
die einzigen Menschen, die mich verstehen, deren Umgang mich beglückte;
nie werde ich die heilig schönen Stunden vergessen, in denen uns Dein
Bruder von den hohen Idealen der Menschheit sprach, Stunden, in denen
ich mich gehoben und beglückt fühlte, besser zu werden glaubte und die
edelsten Vorsätze für die Zukunft faßte. -- Du kennst den Geist des
Fanatismus, der in unserem Hause herrscht; meine guten Eltern können
leider nicht verstehen, daß man über religiöse Dinge denken könne und
doch gut und sittlich brav bleiben. Sie fürchten meinen Uebertritt zur
‚freien Gemeinde‘ und sehen mich damit für Zeit und Ewigkeit verloren.
Um mich zu retten, protegiren Sie die Bewerbungen jenes Jacob Stern,
von dem ich Dir schon neulich sprach. -- Meine Mutter hat mir gestern,
ich möchte sagen ein Gelöbniß erpreßt -- und ich weiß, Du fühlst es mir
nach, theure Marie, was es mich kostete -- ich muß demnach den Verkehr
mit meinen theuersten, besten Freunden aufgeben. Habt Ihr Alle, Deine
gute Mutter, Dein Bruder, Du, meine liebe, treue Seele, tausend Dank
für das, was Ihr mir gewesen! Das Andenken an Euch wird stets in mir in
begeisterter Weise fortleben und mich zu allem Guten und Edlen anregen.
Lebt Alle tausendmal wohl! Die Ruhe der Meinigen ist mir heilig; ich
erkaufe sie mit schweren Opfern. Susi Cahen.“

Berthold gab den Brief zurück und sprach kein Wort. Stumm ging er
eine Weile voran, Mutter und Schwester wechselten einen Blick des
Einverständnisses, in dem sich unsägliche Trauer aussprach. Als er sich
endlich umwandte, war sein Gesicht erdfahl.

„Ihr promenirt wohl heute allein?“ sprach er, Beiden herzlich die Hand
reichend.

„Geh’ nicht fort,“ bat die Mutter; „sprich Dich aus, Berthold; wir
verstehen Dich!“

„Das höchste Glück und auch der tiefste Schmerz wollen allein getragen
sein!“ entgegnete Berthold. Damit war er im nächsten Seitenwege
verschwunden.

„Du hättest ihm den Brief nicht geben sollen!“ sagte die Mutter
vorwurfsvoll.

„O, ich konnte es nicht über die Lippen bringen, daß wir sie verlieren
müssen!“ entgegnete Marie.

„Berthold sagte mir oft,“ fuhr die Mutter mit tiefem Seufzer fort, „daß
er erst dann mit rechter Begeisterung zur Gemeinde sprechen könne,
wenn er in ihre leuchtenden Augen geblickt, aus denen ihm das reinste
Feuer, das innigste Verständniß entgegenleuchte. Als sie sich neulich
verspätet hatte, sah ich, wie sein Blick unstet umherschweifte, wie er
gar nicht in den rechten Redefluß kommen konnte, aber plötzlich, als
sie eintrat, belebten sich seine Augen und die Worte perlten nur so
über seine Lippen!“

Berthold war unterdeß zu Hause angelangt; er sagte dem alten Diener,
daß er ungestört sein wolle, und verschloß sich in sein Zimmer.

„Diese holde Blume jenem Einfaltspinsel opfern!“ rief er in höchster
Entrüstung. „Nein, ich darf es nicht zugeben, gerade jetzt nicht, da
ich weiß, was ich ihr bin; es wäre Feigheit, es wäre ein Mord an einer
edlen strebenden Seele, die den Samen des reinsten Menschenthums in
sich zur freudigsten Blüthe erstehen läßt. Auf dem Boden der finsteren
Orthodoxie würde sie untergehen, in der Sonne der freien Wissenschaft“
-- Er brach plötzlich ab und schlug sich mit geballter Hand vor
die Stirn. „O, warum bin ich herausgetreten aus dem Bannkreis der
angestammten Religion! Hätte ich nicht auch so meiner Ueberzeugung
leben können?“ setzte er im Tone schmerzlichster Selbstanklage hinzu.
„Jetzt habe ich mir selbst den Weg versperrt! Die Liebe zur Wahrheit
zwingt mich, der Liebe des Herzens zu entsagen! Dem Getauften, dem
Abtrünnigen wird Bernhard Cahen nie seine Tochter geben.“

Schwer sank ihm das Haupt, das er sonst so stolz empor trug, auf die
Brust.

Wie lange er so dagesessen? Die Sonne war niedergegangen, das
Morgenroth dämmerte schon, der unglückliche Denker saß noch immer mit
halbgeschlossenen Augen an derselben Stelle. Gedanken über Gott, Zeit
und Ewigkeit, Menschenglück und Menschenleid, Pflicht und Neigung,
Beruf und freie Wahl waren in seinem Innern vorübergegangen, ohne den
Sturm beschwichtigen zu können, der in ihm wühlte. Als er sich endlich
erhob, sah er stier um sich; es war ihm, als habe er die Eruption
eines feuerspeienden Berges erlebt; das Feuer seines Innern schien
ausgebrannt; er suchte nach der Lava und den Schlacken, der Asche
und den noch glimmenden Erdstücken -- selbst diese fehlten, nur ein
nagender Schmerz war ihm geblieben, der das Herz zu zersprengen
drohte. --

Die Erbauungsstunde der freien Gemeinde wurde am nächsten Sonntage
von einem Vertreter abgehalten; Dr. Caspari hatte, so hieß es, in
Angelegenheiten seines Amtes eine Reise antreten müssen. -- Man
vermißte ungern den feurigen, gewandten Redner, der einem inneren
Drange, Gutes zu wirken, sich an der Aufklärung des Volkes zu
betheiligen, folgend, in allen Bildungsvereinen des Ortes lebhaft
mitwirkte. Der freien Gemeinde besonders war durch seine Thätigkeit ein
lebhafterer Aufschwung gesichert. Einst hatte er in Stellvertretung des
angestellten Redners einen Vortrag gehalten, der so zündete, daß er den
von allen Seiten an ihn gerichteten Bitten nachgebend, sich entschloß,
allwöchentlich eine wissenschaftlich religiöse Besprechung in der
Gemeinde zu halten, zu der bald Juden und Christen ohne Unterschied
des Standes mit lebhaftestem Interesse eilten. Berthold hatte somit,
ohne es zu wollen, eine öffentliche Stellung errungen; noch gehörte er
damals dem Judenthume an, doch da er die Satzungen der alten Religion
öffentlich desavouirte, hielt er es für seine Pflicht, um nicht in
Conflicte zu gerathen, seinen Austritt aus der jüdischen Gemeinde zu
erklären.

Die allgemeine Ansicht ging dahin, Caspari habe, um Carrière zu
machen, seinen Glauben aufgegeben, und als ihm bald hernach durch das
Ableben seines Vorgesetzten, zu dem er jahrelang in freundschaftlicher
Beziehung gestanden, dessen bedeutende Advocatur zufiel, war kaum ein
Zweifel darüber, daß nur Eigennutz und Gewinnsucht die Motive gewesen,
denen er nachgegeben, als er zum Christenthume übertrat. Justizrath
Dorn, so sagte man sich, hätte keinem Juden seine ausgedehnte Praxis
übertragen; Caspari, das war nur eine Stimme, habe dieselbe mit dem
Austritt aus seiner Religion erkauft.

Die Welt ist so leicht geneigt, nach dem Scheine zu urtheilen; edlere
Beweggründe, innere zwingende Nothwendigkeiten gelten vor ihrem Forum
wirklich herzlich wenig; sage man nur den Leuten, es habe Jemand aus
innerer Ueberzeugung diesen oder jenen Schritt gethan, wie selten
wird man Glauben finden! Wie viel eher, wenn es heißt: Gewinnsucht,
Brodneid, Ehrgeiz hätten ihn dazu veranlaßt!

Dr. Caspari hatte eine einträgliche Praxis und galt in den betheiligten
Kreisen als gute Partie. Der Idealist legte wenig Werth auf seinen
Gewinn, nur das Bewußtsein beglückte ihn, nicht wie so viele seiner
Collegen eine reiche Frau erheiraten zu müssen, um sich durch deren
Geld eine Unabhängigkeit zu sichern. Oft in stillen Träumereien hatte
er den Tag als den schönsten seines Lebens gepriesen und herbeigesehnt,
an dem er sie, die er nur ihrer selbst willen liebte, deren Geist und
Seele sich ihm schon längst, das sah er an ihren leuchtenden Blicken,
vermählt hatte, in seine Arme schließen und als seine verständige,
geliebte Gefährtin in sein Heim einführen könne.

„Die Ideale sind zerronnen, die einst das trunkene Herz geschwellt,“
hat wohl Mancher mit dem Dichter ausgerufen, und Jeder glaubte nun mit
einer allen Anderen vor ihm unbekannten Bitterkeit den Leidensbecher
leeren zu müssen.

Dr. Caspari hoffte, eine Entfernung würde in seinem und namentlich auch
in Susi’s Interesse geboten sein; es war unvermeidlich, sich nicht
tagtäglich zu treffen, und obgleich die Beiden sich nie ausgesprochen,
wußten sie doch, was sie einander waren, und daß seit mehr als zwei
Jahren ihr Denken und Fühlen in innigster Beziehung stand. Es war eben
jenes „Lied ohne Worte“, jenes hohe heilige Lied, das auf Engelsflügeln
in die Seelen einzieht, sie magnetisch eint und weihevoll stimmt, daß
sie den Geist der ewigen Liebe in sich fühlen und durch ihn geläutert
und erhoben werden, das die Beiden ohne Worte vernommen und verstanden.

Im fernen Seebade, im Anblick des unendlichen Meeres, das auch wie sein
wildbewegtes Herz auf- und abfluthete, ohne sich beruhigen zu können,
hoffte er Vergessen zu finden.

Eine Stunde vor seiner Abreise hatte er noch an Susi geschrieben, doch
er schloß den sechs Seiten langen Brief ein, ohne ihn abzusenden.
Nachdem er das Schreiben noch einmal überlesen, fühlte er, daß er
ihr durch dasselbe den Kampf nur erschwere. Nein, es war besser, sie
handelte nach eigenem Ermessen; ihr Glück war ihm zu heilig, als
daß er irgendwie in dasselbe hätte eingreifen wollen. „Vielleicht,“
sagte er sich -- „findet sie Trost in dem Wahne, eine gute Tochter zu
sein und ihre Kindespflichten erfüllt zu haben. Auch ich,“ setzte er
gedankenvoll hinzu, „möchte es nicht auf mich nehmen, den Lebensabend
der braven alten Leute getrübt zu haben, indem ich mein Glück auf den
Trümmern des ihrigen gründe.“


III.

Niemandem konnte die Abreise Berthold’s gelegener sein als dem reichen
Banquier Jacob Stern. Es war bei ihm zur fixen Idee geworden, er müsse
die schöne Susi sein eigen nennen, gelte es Spionage, List, ja selbst
Verleumdung. Mit lebhaftem Interesse horchte er auf, als ihm kurz nach
Caspari’s Abreise ein Geschäftsfreund von der Börse erzählte, er habe
Frau und Tochter nach Ostende begleitet und sei eigentlich unruhig, die
Frauen dort allein gelassen zu haben, da Dr. Caspari, der im selben
Hause mit Ihnen wohne, der Tochter zu viel Aufmerksamkeit schenke und
es nicht in seinem Sinne liege, sie dort eine Liaison anknüpfen zu
lassen. Stern wußte sehr wohl, wohin Banquier Eden zielte; er war zu
klug, um sich in dieser Weise zur Eifersucht reizen zu lassen, zudem
mißfiel ihm Fräulein Eden und gern hätte er Dr. Caspari das Glück
gegönnt, von ihr begünstigt zu werden; doch die Mittheilung ließ sich
verwerthen; sie sollte ihm gute Früchte tragen.

Die Commissionsräthin Blum, Stern’s Schwester, hatte für den folgenden
Abend ein Soupée veranstaltet und zu demselben auch die Cahen’sche
Familie geladen. Obgleich Susi bat und flehte, zu Hause bleiben zu
dürfen, bestand doch die Mutter darauf, man müsse der Einladung Folge
leisten; der Vater wünsche es, da ihm der geschäftliche Einfluß Blum’s
gerade jetzt von großem Nutzen sei. -- Susi erschien im einfach weißen
Cachemirkleide, doch wandten sich bald Aller Blicke ihr zu, da sie,
von Banquier Stern geführt, in den Saal trat. Ihre auffallende Blässe
wich einer flammenden Röthe, als er ihr beim Eintritte den Arm reichte;
wohl bemerkte er diesen Wechsel, doch hielt er ihn für ein günstiges
Zeichen. So sehr sich Susi bemühte, in den Kreis der Damen zu gelangen,
wich doch ihr Begleiter nicht von ihrer Seite. Bald hatte er sie in
eine Unterhaltung mit Eden verwickelt, ihn geschickt auf Dr. Caspari zu
sprechen gebracht. Eden wagte sogar heute noch hinzuzusetzen, daß seine
Frau ihm geschrieben, es errege Aufsehen, daß Dr. Caspari so viel in
Gesellschaft ihrer Lucie sei, doch hoffe sie, die Tochter werde genug
Tact haben, um unangenehme Freier abzuweisen.

Susi glaubte, der Boden unter ihren Füßen beginne zu wanken, doch faßte
sie sich; als aber Eden gar hinzusetzte, man habe ihm Dr. Caspari schon
vor einigen Wochen, als Lucie noch hier weilte, für seine Tochter
angetragen, es sei ihm nur zu viel, die schwere klingende Mitgift von
50.000 Gulden einem unerfahrenen Advocaten zu geben -- Caspari sei
sicher nachgereist, um dort die Angelegenheit zu betreiben, da schien
eine Saite in ihrem Herzen zu springen, die ohnehin scharf genug
gespannt war. Sie biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten, und ging
unter dem Vorwande heftiges Nasenbluten zu haben, in’s Nebenzimmer.
Erschöpft sank sie hier auf ein Canapé. Ihr Gefühl war zu stark
erregt, als daß der Verstand unbefangen hätte urtheilen können. Sie
kannte Lucie Eden, jene eingebildete, oberflächliche Erscheinung;
ihretwegen -- sollte Berthold eine Reise unternommen haben! Sie konnte
es nicht glauben! Und doch! fragte sie sich. Warum war die Reise so
geheim gehalten worden? Sie hatte Marie Caspari bis zu jenem Tage stets
gesehen; warum hatte ihr diese keine Mittheilung gemacht? Susi’s klares
Denken verwirrte sich, ihr Kopf brannte; wohl wiederholte sie sich
trotz aller Erregung, daß Lucie keine Frau nach Berthold’s Wahl sein
könne; wie hatte er selbst stets das eitle Haschen nach Mode-Effecten,
wie es in Lucie verkörpert war, getadelt, doch sie hielt sich wieder so
und so viele Beispiele vor, in denen Männer von ähnlicher Bedeutung und
geistigem Werthe hoffärtige Puppen zu Frauen genommen, die sie weder
verstehen, noch für irgend welches Ideal begeistern konnten.

„Es ist der Lauf der Welt!“ sagte sie endlich mit tiefem Seufzer, aber
kopfschüttelnd setzte sie hinzu: „Daß auch er“ --

Die Thüre wurde leise geöffnet. Jacob Stern kam, um sich zu erkundigen,
ob das Nasenbluten gestillt sei. Susi bejahte, doch gab sie vor, einen
so heftigen Kopfschmerz zu haben, daß sie nach Hause fahren müsse. Er
reichte ihr ein Riechflacon, erlaubte sich sogar, ihre Stirn mit dem
Inhalt zu befeuchten, doch, wie von der Tarantel gestochen, schnellte
Susi hoch, als diese Hand sie berührte. Stern ging die Mutter zu rufen,
ließ seine Equipage anspannen und begleitete selbst die Damen heim.
Wohl hörte Susi, wie die Mutter ihn beim Aussteigen bat, seinen Besuch
bald zu wiederholen -- ihr war jetzt Alles gleich -- sie fühlte eine
Leere in ihrem Herzen, als ob weder Schmerz, noch Freude je da gewohnt
hätten.

Nach einer schlaflos durchwachten Nacht stand sie früh auf, um einen
Morgenspaziergang zu machen. Unwillkürlich lenkte sie ihre Schritte
nach jenem Park, in dem sie so oft an seiner Seite gewandelt. Marie
hatte dort allmorgentlich Molken getrunken, der Bruder sie fast stets
begleitet, und auch Susi war, so oft es ihre Zeit gestattete, von der
Gesellschaft gewesen. Mit stillem Seufzer gedachte sie jener schönen
Morgenspaziergänge voll Poesie und Waldesduft! O, wie hatte sie sonst
ihre Schritte beeilt, wenn sie der beiden Geschwister ansichtig wurde!
Heute schlich sie gebeugt und matt dahin. Doch Halt! Kam dort nicht
Marie des Weges herauf? Ja, sie war es! Ich muß sie sprechen! rief es
in ihr. Sie wird mir die Wahrheit sagen! -- Bald lagen die Freundinnen
in stummer Umarmung Brust an Brust. „Wie konntest Du Deiner Mutter
solch ein Versprechen geben?“ fragte endlich Marie. „Du weißt, was wir
Alle dadurch verlieren.“

„Ihr Alle?“ fragte Susi ungläubig. „Doch sage mir,“ setzte sie eifrig
hinzu, „zu welchem Zwecke ist Dein Bruder in Ostende? Man spricht
hier --“

„O, laß Dich das Gerede der Leute nichts kümmern, Susi --“ unterbrach
die Freundin ahnungslos; „Du weißt, die Menschen wollen immer Alles
deuten und mischen sich oft mit wahrer Unverschämtheit in die
geheimsten Angelegenheiten.“

Susi blieb stumm; „Also doch! Aber warum sprachet Ihr nie von dieser
Reise?“ fragte sie, sich fassend.

„Der Entschluß muß Berthold sehr plötzlich gekommen sein; ich glaubte
zu wissen, was den Entschluß in ihm hervorrief -- doch, gute Susi --“
fügte sie theilnehmend hinzu -- „laß mich Dir das Herz nicht schwer
machen! Ich verstehe und billige Deine Handlungsweise und erkläre mir
dadurch die seinige. Glaube mir -- es ist besser so, er mußte fort!“

So klar und unzweideutig Marie sprach, so legte doch Susi jedem ihrer
Worte eine andere Beziehung unter. „Es ist gut, daß unsere Wegen sich
trennen!“ sagte sie schmerzhaft.

„Aber, daß ich dadurch die treueste, beste Freundin verliere!“
entgegnete Marie klagend.

„Meine Stelle ist in Deinem Herzen zu ersetzen, doch“ -- sie vollendete
nicht. „Leb wohl, Marie,“ fügte sie schnell hinzu und ging eiligen
Schrittes davon.

„Sie schluchzte!“ sagte Marie; „soll ich ihr nacheilen?“ Doch schon war
Susi in einen Seitenweg eingebogen, Marie sah noch, wie sie schnell
einen Fiaker bestieg und davon fuhr.

„Also doch!“ rief Susi in wildestem Schmerze. „Aus ihrem Munde mußte
mir die Bestätigung des Unglaublichen werden. Er mußte fort! Es ist
besser so!“ Das waren ihre Worte. -- „Was kann da gut, was besser
sein?“ sprach sie in sich gekehrt. „Berthold Caspari kann nie ein
Verständniß für Luciens Lebensansichten gewinnen, sie nie seine reich
angelegte Natur, seine edle Denkweise verstehen.“ Kopfschüttelnd setzte
sie hinzu: „Wie konnte er sich vom edlen Mammon blenden lassen! Er ist
so bedürfnißlos für sich, verachtet alles äußere Gepränge, selbst der
Comfort des Lebens ist ihm nur Last! --“

Der Wagen hielt vor der großen Eiche, einem einsamen entfernten
Orte. Lucie stieg aus; sie athmete erleichtert auf. Hier war sie
allein. Sie ließ sich auf eine Bank nieder und starrte dumpf vor
sich hin. „Ach, wenn ich nur weinen könnte!“ rief sie endlich
verzweiflungsvoll. „Welche Wohlthat liegt noch in dem herben Schmerze,
am Grabe des Geliebten niederknieen, es mit Blumen schmücken, sich
seinem unsterblichen Herzen vereint fühlen zu können! Aber allein,
unverstanden, verschmäht zurückbleiben zu müssen, wo man so begeistert
liebte, sich im Höchsten und Edelsten Eines glaubte! Ihn, in den Armen
einer --“

Sie vollendete nicht. Mit wildem Aufschrei sank sie zusammen und
jetzt endlich löste sich der wilde Schmerz in erleichternde Thränen.
Sie dachte nichts, sie fühlte nichts -- sie wußte nur, daß sie
unbeschreiblich elend war. Als sie endlich aufstand, war es ihr, als
habe sie eine schwere Krankheit überstanden.

Drüben leuchtete die Sonne so golden; in ihrem Herzen war es tief
schwarze Nacht. Ein leiser Wind bewegte die hohe Eiche; sie stand fest,
noch fiel keines ihrer Blätter zu Boden, während die umherstehenden
Linden und Erlen massenhaft gelbes Laub zur Erde sandten.

„So fest wie die Eiche!“ rief es in ihr, „keine Schwäche! Wie oft hat
er Dir von Standhaftigkeit im Leiden, von --,“ sie hielt inne.

„Er und wieder er!“ rief sie, sich selbst anklagend. „Bin ich denn ein
so elend schwaches Weib, daß ich gar keine Herrschaft über mich habe?“
setzte sie in heftiger Selbstanklage hinzu.

Plötzlich stand sie auf. Sie schien größer, kräftiger geworden,
obgleich ihrem Gesichte jede Farbe fehlte. „Ich will und muß ihn
vergessen,“ sagte sie energisch. Festen Schrittes ging sie heim.
Wer hätte ihrem noch eben so geknickten Gemüthe diese plötzlich
durchbrechende Energie zugetraut! -- Ich will! +Dieses+ mächtige
Zauberwort gab ihr Kraft, sich, ihr Glück und ihre Zukunftsträume zu
vergessen.

Sie hatte einen einstündigen Marsch gemacht, als sie wieder am
Elternhause anlangte. Die Susi, die jetzt das stattliche mit einem
Garten umgebene Haus betrat, war nicht mehr das stolze, für alles
Edle und Hohe mit Begeisterung erfüllte Mädchen, in dessen Herzen
eine ideale Leidenschaft geglüht; die Flamme war jäh erloschen; die
demuthsvolle Tochter kehrte zurück, die sich bemühen wollte, all ihr
Glück in der Erfüllung ihrer Kindespflichten zu finden.


IV.

Der Getreidehändler Cahen gehörte zu den geachtetsten Leuten der Stadt;
er hatte einst ein bedeutendes Vermögen besessen, das er theilweise
durch ungünstige Speculationen in den letzten Kriegsjahren, theilweise
beim Krach verloren. Er hatte sein Geschäft bedeutend verkleinert und
lebte hauptsächlich noch von den Revenuen eines Gutes, das ihm seit
zwanzig Jahren gehörte. Jetzt waren ihm Hypotheken in der Höhe von
20.000 Gulden gekündigt; der alte Mann plagte sich mit schweren Sorgen;
konnte er das Geld nicht aufbringen, so wurde das Gut subhastirt --
seine Hypothek war die vierte, sie mußte, da der Preis des Bodens
gesunken war, ausfallen -- er war ein ruinirter Mann.

Susi sah des Vaters sorgenbeschattete Stirn und seufzte: „O, Vater,
wenn ich nur Rath wüßte!“ sagte sie; „ich gäb’ mein Herzblut hin, um
Euch helfen zu können!“

„Du kannst es, Susi!“ entgegnete der alte Mann, dessen matter Blick
sich erhellte. „Ein gutes Wort von Dir und ich bin gerettet.“

„Ich verstehe!“ sagte Susi, hoch erröthend. „Ich hörte neulich die
Unterredung, die Stern mit der Mutter gehabt! Glaubt mir, ich mache ihn
und mich unglücklich!“

„Und was wirst Du haben, wenn wir in Noth und Elend sind und ich auf
meine alten Tage von der Unterstützung der Menschen leben muß?“ fragte
Cahen mit bitterem Vorwurfe.

„O, Vater, so weit wird es nicht kommen! Ist Stern ein edler Mann, so
wird er Euch den Vorschuß bedingungslos geben! Ihr dürft Eure Tochter
nicht verkaufen, und ich -- ich kann nicht all mein Lebtag an einer
einzigen großen Lüge --“

„Was Lüge?“ unterbrach sie der alte Mann unwillig. „Stern weiß, daß
Du nicht für ihn schwärmst; die Mutter hat offen mit ihm gesprochen;
er ist trotzdem bei seinem Antrag geblieben; wirst Du seine Frau, so
erwartet er von Dir keine zärtliche Liebe -- doch Susi -- dessen sei
gewiß, sie kommt von selbst -- wenn Du das glückliche Bewußtsein hast:
dieser edle Mann hat mich als armes Mädchen zu einer Frau von Rang und
Stand gemacht, er hat meinen Eltern, die ohne ihn ruinirt wären, wieder
zum Wohlstand verholfen, daß sie ihre alten Tage nicht zu vertrauern
brauchen; Susi, ich kenne Dein gutes Herz! Du wirst ihm dankbar sein
und wirst ihn lieben und zu ihm als unsern Erretter aus Schand und
Elend aufblicken! Glaub’ mir, mein Kind. Wenn er auch keine schönen
Redensarten wie Andere im Munde führt und auch nicht die Art hat,
jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen -- er hat ein gut jüdisch Herz und
wird seine Frau hoch und in Ehren halten, wie seinen theuersten Schatz.“

„Vater, wenn Du mir als religiöser Mann sagst, daß es denn kein
Verbrechen ist, ohne Liebe in die Ehe zu treten, -- dann -- o lass’ mir
zwei Tage Bedenkzeit -- ich will als gehorsame Tochter thun, was ich --
vermag.“

Der alte Mann küßte seine Tochter auf die Stirn. „Möge Gott, der
Allgütige, Dein Herz zum Guten lenken, mein Kind!“ sagte er der sich
abwendenden Tochter.

„Zwei Tage sollen die Entscheidung meines Lebens geben!“ seufzte diese,
in ihrem Zimmer angelangt. „O Gott!“

Erschöpft von innerer Aufregung, warf sie sich auf’s Sopha. Sie suchte
nach einem Gegenstande, ihre Gedanken abzulenken, zu beruhigen.
Der eben eintretende Diener legte die Morgenzeitung auf den Tisch.
Mechanisch griff sie darnach. Sie überflog mehrere Seiten. „Ostende!“
rief sie endlich erregt. Sie sprang auf und zitterte heftig. Erschöpft
sank sie in den nebenstehenden Sessel.

„Ja, nun glaub’ ich Alles!“ rief sie in wildem Schmerzensschrei.
Ohnmächtig, einer Leiche gleich, lag sie da.

Die Mutter war herbeigeeilt, man brachte Riechfläschchen, versuchte
Einreibungen, endlich schlug Susi die Augen auf. Starr blickte sie um
sich, als suche sie Jemand.

„Es ist überwunden!“ sagte sie endlich. „Vater, es bedarf der zwei Tage
nicht! Ich habe mich entschlossen!“

„Einen solchen Entschluß kann ich nicht --“

„O, Vater, keine Bedenken!“ sagte Susi, deren Kräfte jetzt
zurückkehrten; „es ist in diesem Augenblicke mein freier,
selbstgefaßter Entschluß.“

Wieder fiel ihr Auge, während sie sprach, auf das Zeitungsblatt; der
Vater folgte diesem Blick; eine Ahnung dämmerte in ihm auf. Schnell
überflog er es: Ostende. Er las halblaut. In unserer Badegesellschaft
machte die Heldenthat eines jungen Rechtsanwalts aus S. viel von
sich reden. Mit eigener Lebensgefahr hat er gestern eine wegen ihrer
Schönheit und Eleganz viel Aufsehen erregende junge Dame, Frl. E.,
zu der er schon längere Zeit in intimster Beziehung stehen soll, dem
sichern Tode entrissen. Frl. E. wagte sich zu weit vor, wurde von einer
Welle gehoben und weiter geschleudert und wäre unrettbar verloren
gewesen, wenn nicht Dr. C., der am Strande promenirte (wahrscheinlich
den Bewegungen der Angebeteten folgend), augenblicklich in die Fluthen
gesprungen wäre. Schon glaubte man Beide verloren, da -- o Wundermacht
der Liebe -- taucht der kühne Schwimmer, die Geliebte fest im Arm
haltend, empor. Er gewinnt die nächste Cabine, wird als Lebensretter
von der staunenden Zuschauermenge enthusiastisch begrüßt, von der
Mutter des jungen Mädchens herzlich umarmt und geküßt; auch Frl. E.
schlägt bald die Augen auf, sie reicht ihm beide Hände -- eine Scene
stummen Glückes, die jeder Beschreibung spottet.

Cahen legte das Blatt nieder; eine ziemlich lange Pause. Er verstand
den Entschluß der Tochter und wußte jetzt, daß er ein freiwilliger war,
den er um so unbedingter annehmen durfte.

Wohl hätte sich Susi als verständiges, vorurtheilsloses Mädchen sagen
können, wie pikante Sensationsnachrichten fabricirt werden, doch -- sie
war zu erregt, um klar urtheilen zu können; sie glaubte, was sie las
und Niemand in ihrer Umgebung war offen genug, sie darauf aufmerksam
machen zu wollen, daß, wenn schon die Lebensrettung eines verunglückten
Mädchens ganz dem selbstlosen Opfermuth Berthold’s entsprach, jene
Ausschmückung nur ein erdachtes Beiwerk sei, damit -- sich die Notiz
gut lese! Armes, geknicktes Mädchenherz! Noch blutet die offene Wunde
-- Du darfst nicht einmal dem lindernden Balsam, den die Zeit sonst zu
bieten pflegt, vertrauen -- schon reichst Du die Hand dem drängenden,
reichen Freier, die Hand ohne das Herz! Wohl hast Du es ihm gesagt,
doch ahntest Du nicht, was es heißt, einem ungeliebten Manne angehören!
-- Er hat ein Recht auf Deine Treue, Dein Vertrauen. Kannst Du Dich
hingeben, treu und vertrauungsvoll demjenigen, für den keine Ader in
Deinem Herzen schlägt? Kann der Verstand Dein Gemüth so leiten, daß es
ihm willenlos folgt? --

Eine Ehe mit echtem Einklang der Herzen gleicht dem Sphärengesang, der
sich über Wolken und aller Erden Himmel emporschwingt zu Gott, in den
der Engel Chöre begeistert einstimmen -- eine Ehe ohne Uebereinstimmung
der Seelen bleibt ein einziger Mißton, der bald schriller, bald
tiefer vibrirend, keine Harmonie entstehen läßt und sich endlich in
unheimlichen Dissonanzen auflösen muß. --

Jacob Stern erhielt am folgenden Morgen ein Billet, in dem ihm Cahen
andeutete, daß er seinen Besuch Mittag erwarte, und es ihm zur hohen
Freude gereiche, ihm die Zusage Susi’s versprechen zu können.

Punkt 12 Uhr fuhr Stern in seiner Equipage vor. Er sah überglücklich
aus, umarmte den alten Mann, der ihm auf dem Corridor entgegen kam, und
zeigte ihm eiligst einen Brillantenring, den er soeben für Susi gekauft.

„Ist unter Brüdern 2000 Gulden werth!“ sagte er mit stolzem
Selbstbewußtsein.

Frau Cahen empfing ihn herzlichst, Susi jedoch ließ auf sich warten.

„Haben Sie im gestrigen Blatte gelesen, daß Lucie Eden verunglückt
ist?“ fragte er, eine peinliche Pause unterbrechend. Ohne die Antwort
abzuwarten, fügte er hinzu: „Ich wußte es schon Tags zuvor; mein
Freund, der Journalist S., der augenblicklich in Ostende weilt,
telegraphirte es mir.“

„Er hat vermuthlich auch jene Nachricht der hiesigen Zeitung gesandt?“
fragte Cahen mit mißtrauischem Blick.

Doch eben trat Susi, bleich und fast zitternd, herein und schnitt damit
jede Antwort ab.

Stern ging ihr entgegen; sie legte ihre Hand in die seinige; eine
peinliche Pause, in der Niemand das rechte Wort fand. Stern sprach
von Theater, Concerten, vom letzten Wettrennen -- Susi antwortete
zerstreut. Die Eltern gingen hinaus und nun endlich faßte sich Stern
ein Herz, seinen Antrag zu machen. Die Mutter horchte lange an der
Thür; sie vernahm nichts Zusammenhängendes; wohl hörte sie, wie Susi
eindringlich sprach, sie hörte auch Stern’s Entgegnungen, man dürfe
das Leben nicht zu ernst nehmen, man müsse sich glücklich im Besitze
schätzen und dergleichen. Da endlich öffnete sich die Thür und Susi,
bleicher als zuvor, kam ihnen auf Stern’s Arm gestützt entgegen. --
Der herrliche Brillant funkelte schon an ihrem Finger, doch auch eine
Thräne, glänzender als dieser, in ihrem Auge. Schnell trocknete sie
sie ab, als der Vater segnend seine Hände über sie ausbreitete: „Gebe
Euch Gott seinen Segen!“ sagte er in hebräischer Sprache. Die Mutter
drückte die Tochter an ihr Herz und flüsterte unter Thränen: Tausend
Dank, meine gute Tochter. Da erhellten sich Susi’s verschleierte
Blicke; sie wußte, wem sie das Opfer gebracht; jetzt schien es ihr
weniger groß; mit aufrichtiger Herzlichkeit wandte sie sich an ihren
Verlobten: „Ja, ich will mich bemühen, Dir zu vergelten, was Du den
Eltern gethan.“


V.

Dr. Caspari war der gefeierte Held der Badegesellschaft in Ostende. Er
war hierher gekommen, um Ruhe und Vergessenheit zu finden, und blieb
nach jenem Rettungsact nicht einen Augenblick Herr seiner selbst. Man
beglückwünschte ihn wegen der edlen That, wegen der reichen Braut,
denn Niemand zweifelte daran, daß die Beiden längst in intimster
Beziehung gestanden, obschon man leicht hätte ergründen können, daß
ein nichtsnutziger Reporter die Parole ausgegeben. Berthold dachte
zuerst daran, das Gerücht zu widerrufen, doch war er zu sehr mit sich
beschäftigt, um einer oberflächlichen Plauderei im Kreise der Badegäste
Werth beizulegen, auch war er weit entfernt, zu ahnen, daß jenes Gerede
sich bis nach seiner Vaterstadt verpflanzen werde. Er wollte ohnehin
in der nächsten Woche abreisen, da er die erhoffte Ruhe nicht finden
konnte. Schon waren seine Sachen am bestimmtem Tage gepackt, er hatte
nur noch einen Weg zur Post, um einen Brief von der Mutter in Empfang
zu nehmen, und wollte dann die Rückfahrt antreten.

Wie gebannt stand er, als er das Schreiben überflogen.

  „Mein theurer Sohn!

  Du klagst, daß es Dir nicht gelingen will, daran zu glauben, daß
  Du Susi aufgeben müssest. Es schmerzt mich tief, wenn ich Dich von
  einer Seelenkrankheit reden höre -- vielleicht kann ich Dir die beste
  Medicin gegen dieselbe geben. Die, die Du nicht vergessen zu können
  glaubst, hat Dich bereits vergessen und ist die Braut des Banquiers
  Jacob Stern. Gestern wurde die Verlobung proclamirt. Ich weiß,
  theurer Sohn, die Nachricht thut Deinem edlen Herzen bitter wehe und
  Deiner Mutter ist es eine harte Aufgabe, sie Dir zu senden, doch ich
  weiß auch, sie wird Dir zur Genesung verhelfen. -- Ich frage mich
  selbst oft: ‚Wie konnten wir uns Alle so in Susi täuschen?‘ Doch,
  ich will Dir das ohnehin gepreßte Herz nicht noch mehr beschweren
  u. s. w. --“

Berthold stand wie vernichtet. Da unten wogte und brauste das Meer; es
war todtenstill gegen die Sturmfluth in seinem Inneren.

„Arme, arme Susi!“ rief er endlich voll unendlichen Schmerzes; „Du
warst eine der edelsten Blumen Deines Geschlechtes, zu allem Hohen
befähigt, Du sollst an der Seite dieses Menschen verdorren!“

„Ha!“ rief er endlich, sich mit geballten Fäusten die Stirn schlagend,
„warum war ich Feigling genug, ohne Erklärung von ihr zu gehen! Ja,
ich fühle es, ich habe diese Seele auf meinem Gewissen! Ich hätte sie
retten können, sie und -- mich!“ Erschöpft setzte er sich auf einer
Düne nieder und begrub den Kopf in beiden Händen. Unten promenirte die
lustige Badegesellschaft.

„Dr. Caspari dort?“ fragte eine Dame, mit dem Finger nach ihm weisend.

„Er scheint ja ganz in Schmerz zerflossen!“ entgegnete Dr. Berg, der
Badearzt.

„Es sieht auch traurig um Frl. E. aus. Ich glaube kaum, daß sie den
heutigen Tag überlebt!“

„Der arme, junge Mann!“ entgegnete eine andere Dame, „trotz seiner
Selbstaufopferung soll er nun doch auf die Geliebte verzichten müssen!“

„Ich bewundere nur, daß man sie so selten zusammen sah!“ erwiderte Dr.
Berg.

„Die Sache sollte noch geheim bleiben!“ sagte die Alles wissende Frau
Z., die Chronik des Bades, mit Wichtigkeit. „Ich weiß es von Frau Eden
selbst, daß Dr. Caspari mehrmals um Lucie angehalten und ihr nun, da er
keine entscheidende Antwort vom Papa erhalten, hierher nachgereist sei.“

So erging man sich in allerhand halb projectirten, halb für
gewiß ausgegebenen Reden, während der einsame Mann da oben bald
in wildem Schmerze zu vergehen schien, bald an seiner eigenen
Zurechnungsfähigkeit zweifelte.

An die Abreise mochte er heute nicht denken. Die Rückkehr in die sonst
so geliebte Vaterstadt war ihm verhaßt. -- Er mußte ihr und auch ihm,
dem sie nun für’s ganze Leben angehören sollte, täglich begegnen, da
man sich in den gleichen Gesellschaftskreisen bewegte. Ja, er mußte ihr
wohl noch gar gratuliren, sobald er sie sah; -- war er doch wohl unter
allen Menschen Derjenige, der ihr das denkbar höchste Glück wünschte.

„Nein,“ rief er, aus seinen Träumereien erwachend; „nur keine Heuchelei
aus Etiquette. Ich muß sie meiden mein Lebtag, sie und Alle,“ setzte er
mit schwerem Seufzer hinzu.

Nach einigen Tagen fühlte sich Dr. Caspari so weit gekräftigt, daß er
die Rückreise antreten konnte. Als ein müder, gebrochener Mann kehrte
er in die Heimat zurück.

Er wurde von Bekannten mit Fragen nach Lucie Eden bestürmt; jetzt
erst fiel ihm ein, daß er, ohne Abschied von der Familie zu nehmen,
abgereist sei. Er sagte dies offen, man brachte es mit der Trauer, die
sein ganzes Wesen erfüllte, mit jener Zeitungsnachricht in Verbindung,
und bald stand die Thatsache fest, Dr. Caspari sei trotz seiner
heldenmüthigen Aufopferung abgewiesen worden. Man sah ihn wenig im
Kreise seiner Bekannten, und wo er sich zeigte, war er schweigsam und
in sich gekehrt. Bald legte man dieser auffallenden Veränderung des
sonst als überaus liebenswürdig und geistreich gerühmten Mannes eine
andere Version bei. Lucie Eden war nach acht Tagen in Folge einer
eingetretenen Gehirnentzündung gestorben. Man drückte ihm mitleidig und
theilnehmend die Hand und schien seinen Schmerz zu ehren.

Berthold war in demselben zu sehr befangen, um den stillen Beweisen von
Theilnahme, die ihm wurden, die rechte Deutung zu geben. Er erfüllte
seine Berufsgeschäfte mit peinlicher Gewissenhaftigkeit und war im
Uebrigen für die Welt abgestorben.

So hatte er auch Susi nicht wiedergesehen; die Hochzeit sollte schon in
einigen Wochen stattfinden; das junge Paar wollte den Winter in Italien
zubringen. Das klang Alles ungemein beneidenswerth, doch wer zählt
die Thränen, die die arme, reiche Braut in einsamen Stunden weinte!
Noch mehr als des eigenen Unglücks, dem sie wissentlich entgegen ging,
schmerzte es sie, zu hören, wie Dr. Caspari seit Lucie Eden’s Tode ein
gebrochener Mann sei.

„Also, hat er sie wirklich geliebt?“ fragte sie sich kopfschüttelnd. --
Als sie sich noch sagen durfte, daß Dr. Caspari sie, das arme Mädchen,
aufgegeben, um eine Geldheirat zu machen, fand sie in dieser Gewißheit
einen, wenngleich traurigen Trost.

Berthold’s Trauer, die von ihr wie von Allen mißdeutet wurde,
schien ihr auch diese so liebe Gewißheit zu nehmen; Susi kam sich
unsäglich elend und unglücklich vor. Die überreichen Geschenke, die
glänzende Ausstattung ihrer neuen Wohnung vermochten ihr keine andere
Sinnesrichtung zu geben. Schon seit Wochen arbeiteten Handwerker und
Künstler in der neuen Villa, die Stern dem verschuldeten Grafen Hotz
abgekauft; die Möbel waren aus Paris bestellt -- nichts sollte gespart
werden, um das neue Heim so elegant als möglich zu gestalten. Wohl
sagte sich Susi, daß es Alles zu werden versprach, nur kein Heim für
Diejenige, die sich nach Ruhe und Einfachheit sehnte.

Zwar begegnete sie ihrem Verlobten herzlich und vertrauungsvoll, doch
dem Auge und Gefühl Derjenigen, die Susi’s angeborene Leutseligkeit
kannten, blieb das Gezwungene ihres Benehmens nicht verborgen. Sie sah
blaß und leidend aus; die Mutter meinte, der stete Gesellschaftstroubel
strenge sie an, eine Einladung jage die andere; der Bräutigam mochte,
obgleich Susi häufig bat, keine refüsiren; er war so stolz, seine Braut
überall bewundert und gefeiert zu sehen!

Der Hochzeitstag nahte heran. Auf Susi’s ausdrücklichen Wunsch war
jede Festlichkeit vermieden. Nach der Trauung waren die Familie und
die nächsten Freunde zu einem Mahle versammelt, nach welchem die
Neuvermählten ihre Hochzeitsreise antraten. Susi’s Eltern fürchteten
die Abschiedsstunde, die junge Frau blieb auffallend ruhig; nicht eine
Thräne netzte ihr Auge. Wußte sie, daß sie den Eltern ein größeres
Opfer brachte, als diese ein Recht hatten, von ihr zu fordern? War
dadurch Dankbarkeit und kindliche Liebe, die sie sonst ihren Eltern in
so reichem Maße zollte, gelöscht?

Der junge Ehemann schien in Allem befriedigt, es dämmerte kaum in ihm
die Idee, daß Susi bei ihrem ehedem leidenschaftlichen Naturell, ihrer
glühenden Begeisterung für Alles, was sie mit ihrem Herzen erfaßte,
in diesem Stadium eine Andere hätte sein müssen. Er kannte ja auch
Susi’s Denken und Fühlen zu wenig, bemühte sich auch kaum, in dasselbe
einzudringen; er war beglückt, daß sie seine Geschenke annehme, seine
Plaudereien über Börsenoperationen, Course, Wettrennen, Theater etc.
mit Geduld anhörte und sich neben ihm öffentlich und in Gesellschaften
zeigte. Sah er alle Augen mit Bewunderung auf sie gerichtet, so war er
zufrieden und meinte, er hätte keine bessere Wahl treffen können.

So sah Susi den schönsten Theil Süddeutschlands, die Schweiz und
Italien.

In ihrem kühnsten Traume hätte sie kaum gewagt, sich das Glück
auszumalen, in diesen Wunderhallen der Natur und Kunst je wandeln zu
dürfen. Wo war heute der Schwung, die ideale Begeisterung, mit der sie
sich sonst dem einfachsten Naturgenusse hingegeben?

Ja ehedem, da flossen ihr die Worte wie Perlen von den Lippen, blickte
das Auge von einer Anhöhe hinunter in das blühende Thal, in schattige
Gründe. Die Poesie des Herzens fand ihren Ausdruck in blühender,
ergreifender Redeweise. Heute saß sie gedankenvoll, den Kopf in die
Hand gestützt, und schaute hinaus in die ungleich schönere Natur des
Südens, doch -- Alles ließ sie kalt; sie sah, doch nichts kam ihr zum
Bewußtsein; das Auge empfing all die Reize, ohne sie in den Spiegel der
Seele zurückzustrahlen.

„Du hast Heimweh, Kind!“ pflegte dann ihr Gatte zu sagen, wenn er sie
schwermüthig und interesselos an den herrlichsten Wunderwerken der
Natur und Kunst vorüberschreiten sah.

„Ich werde mich bemühen, heiter zu sein!“ beruhigte sie ihn, und Stern
glaubte die beste, fügsamste Gattin zu besitzen, die seine Wünsche,
noch ehe sie ausgesprochen waren, zu erfüllen suchte.


VI.

Das junge Ehepaar war nach einer zweimonatlichen Reise glücklich
heimgekehrt. Stern’s Mutter, eine im religiösen Vorurtheile alt
gewordene Frau, hatte ihrem Sohne seit drei Jahren den Haushalt
geführt. Sie war damals, als er sich etablirte, nach der Hauptstadt
übersiedelt, hatte ihren Haushalt in Bromberg aufgegeben und so war es
Jacob Stern’s begründeter Wunsch, die Mutter auch in seinem neuen Heim
bei sich zu sehen. Die junge Frau ging gern darauf ein, fühlte jedoch
nur zu bald, daß sie in Frau Nanette keine günstige Beurtheilerin fand.

Diese hatte Jacob’s Wahl nie billigen können; war es doch ihr Wunsch,
daß ihr Sohn eine von jenen Geldprinzessinnen, die ihm wiederholt
angetragen wurden, wähle. Zudem war Susi nicht in ihrer Weise fromm;
wiederholt machte sie der jungen Frau Vorstellungen, wie eine gute
jüdische Hausfrau ihren Haushalt zu führen habe; Susi hatte ihr endlich
offen erklärt, daß sie die veralteten Ceremonien nicht befolgen könne,
da sie gewohnt sei, Nichts zu thun, das sie nicht auch mit ihrem
Gefühl als heilig erfassen könne. Nun zeigte sich Frau Nanette als --
Schwiegermutter.

Sie klagte und jammerte, welch’ ein Unglück über sie und ihren Sohn
gekommen, daß er solch eine Frau, die nichts von Gott und seinen
Geboten wissen wolle, in’s Haus genommen; sie betonte bei jedem
Gespräch, welch’ ein Glück Susi gemacht, daß sie so in Wohlstand und
Reichthum gekommen sei, daß ohne ihres Sohnes Großmuth die Familie
Cahen heute ganz mittellos wäre, und so sehr sich Susi auch, um
keinen offenen Zwist aufkommen zu lassen, bemühte, solche Redensarten
entweder nicht zu hören oder nicht zu beachten, so konnte sie doch
nicht hindern, daß gar bald eine tiefe Verstimmung einriß, die um
so fühlbarer wurde, je mehr sie bemüht war, heiter und glücklich zu
erscheinen.

Die alte Frau kannte bald weiter nichts als Vorwürfe und
Verdächtigungen; sie suchte ihrem Sohne die Meinung beizubringen, Susi
besuche Concerte und Theater, um Aufsehen zu erregen, sie lasse dem
Haushalte der Eltern namhafte Summen zufließen, sie kümmere sich nicht
um ihre Dienerschaft, die sehr Vieles veruntreue, und obgleich Jacob
Stern lange diesen Einflüsterungen Stand hielt, vermochten sie doch
nach und nach seine Zuneigung zu seiner Gattin zu erschüttern.

Wahre, innige Liebe hatte sie ja ohnehin nicht zusammengeführt; es war
nur der Wunsch, sie zu besitzen; jetzt, da dieser Wunsch befriedigt
war, schien Stern’s Leidenschaft gekühlt.

„Du solltest der Mutter wirklich mit mehr Herzlichkeit begegnen!“ sagte
er einst im Tone des Vorwurfs zu seiner Gattin.

„Und ich möchte Dich bitten, Deiner Mutter Vorstellungen zu machen,
daß sie ihre kränkenden Reden, die noch tiefer verletzen, als sie
vielleicht denkt, unterlasse!“

„Du erbitterst die Mutter durch Dein hochmüthiges Wesen!“

„Ich, hochmüthig?“ fragte Susi erstaunt. „Ich antworte nicht, wenn mich
Deine Mutter mit spitzen Redensarten quält, doch nicht aus Hochmuth,
sondern um weitere beleidigende Worte zu verhindern.“

„Ich höre nichts als Klagen, wie unglücklich sich die Mutter fühlt,“
entgegnete Stern. „Sie war sonst stets so froh und heiter; ich kann
Dir den Vorwurf nicht ersparen, daß Du doch nicht den rechten Ton
anschlägst, ihr Herz zu gewinnen.“

In Susi’s Natur lag es nicht, unangenehme Wortgefechte fortzuführen.
Sie ging verstimmt in ihr Zimmer und war während des Tages für
Niemanden zu sprechen. Am Abend hatten sich einige Herren ansagen
lassen, Susi ließ sich entschuldigen, da sie unwohl sei. Dr. Zelt,
einer der zuerst Gekommenen, bedauerte, die junge Frau nicht anwesend
zu treffen.

„Gestehen Sie nur, daß Sie mir eigentlich Ihr Glück verdanken!“ sagte
er, als er mit Stern an dem Spieltisch Platz genommen.

„Mein Glück?“ sagte Stern mit einem Seufzer.

Keiner von Beiden bemerkte, daß die Portière leise gehoben worden; Frau
Susi war im Begriff, trotz ihrer Absage einzutreten, doch, den Seufzer
ihres Mannes hörend, stand sie still und ließ den Vorhang fallen.

„Seien Sie aufrichtig,“ fuhr Dr. Zelt fort, „habe ich nicht den armen
Caspari auf meinem Gewissen. Er trauert noch heute um Susi Cahen und
diese wäre ohne jene geschickt hier eingeschmuggelte Zeitungsnotiz nie
Ihr Weib geworden.“

„Ich bedauere aufrichtig, Zelt, daß ich Sie damals dazu veranlaßte!“
entgegnete Stern, sich mit der Hand die Stirn glättend. „Ein altes
Sprichwort sagt: ‚Gezwungene Liebe thut Gott leid‘!“ setzte er
nachdenkend hinzu.

„Ach, Ihr Beide habt gewiß heute Euer Schmollstündchen!“ sagte Dr. Zelt
lachend. „Wollte ich Ihnen morgen erzählen, Stern, was Sie da heute für
grämliche Aeußerungen gethan, Sie würden mich zum Lügner stempeln.“

„Keineswegs!“ sagte Stern entschieden. „Ich habe mir Susi’s Jawort
durch eine Intrigue erschlichen, und wenn Sie, mein guter Doctor, der
Sie dabei eine Hauptrolle spielten, noch Dank dafür verlangen, so --“

„Ich habe ja nichts gethan, als Ihnen zu Liebe die Nachricht zu
verbreiten gesucht, Caspari sei mit Lucie Eden heimlich verlobt, er
sei ihr nachgereist und dann kam uns noch der famose Rettungsact und
die Zeitungsnotiz zu Hilfe!“ unterbrach Dr. Zelt.

„Hätten Sie diese lieber damals nicht gebracht!“ setzte Stern
gedankenvoll hinzu. „Am Tage darauf hatte ich Susi’s Jawort, und,
daß ich es Ihnen, dem langjährigen Freunde, gestehe, -- ich fürchte,
es bringt mir kein Glück. -- Meine Mutter ist seit dem Tage unserer
Rückkehr niedergeschlagen und stimmt durchaus nicht mit meiner Frau
überein. Susi gibt sich keine Mühe, die Liebe der alten, herzensguten
Frau zu erwerben und -- ich sage mir -- erfährt sie gar, und ich
fürchte es täglich, da sie die früheren Beziehungen zu Marie Caspari
wieder aufgenommen, daß der Liebesgeschichte mit Lucie Eden nie etwas
Wahres zu Grunde gelegen, ja daß sie von uns in die Welt gesetzt wurde
-- es ist für immer mit uns aus.“

„Sie hätten auch die Annäherung an Frln. Caspari verhüten können!“
meinte Dr. Zelt. „Auch mir wäre eine Entschleierung des Sachverhalts
sehr fatal.“

Keiner von Beiden bemerkte den leisen Aufschrei, der von der Portière
hervordrang. Die Zofe kam bald mit der Meldung, die gnädige Frau sei
ohnmächtig an der Thüre ihres Zimmers gefunden worden; sie hatte
sich eben angekleidet, um in das Gesellschaftszimmer zu kommen. Der
herbeigerufene Arzt constatirte einen Anfall von Schwäche; er wollte
in einer Stunde wieder vorsprechen. Als er zum zweitenmale kam,
fand er Susi in heftigem Fieber. Es befremdete ihn, Stern noch im
Gesellschaftszimmer zu finden; er ließ ihn rufen und empfahl größte
Schonung, da die gelindeste Aufregung bei dem Zustande gefährlich
werden könnte.

Kopfschüttelnd verließ Dr. Senter das Haus. „Ist das das Glück der
Reichen?“ sagte er gedankenvoll. „Die junge reizende Frau in diesem
Zustande der Pflege der Zofe überlassen und der Mann mit nichtsnutzigen
Cameraden am Spieltische! O armer Freund!“ setzte er hinzu, an Berthold
Caspari denkend, „wie glücklich wäret ihr Beiden geworden, wenn Dich
der leidige Mammon nicht geblendet hätte.“

Susi wußte, daß Dr. Senter ein Freund dessen sei, dem sie, ohne
es zu ahnen, so bitteres Leid zugefügt. Ihr einziger Wunsch war,
Klarheit in ihrem Denken zu behalten, um Dr. Senter in’s Vertrauen
ziehen zu können. Sie fühlte, daß ihre Sinne sich in den heftigen
Fieberphantasien verwirrten. „O Gott, nimm mich nicht fort von dieser
Erde,“ jammerte sie, „ehe ich ihn, den edelsten, besten Menschen, mir
versöhnt habe!“ Doch immer wilder tanzten die bunten Gestalten vor
ihren Augen, ihr Kopf glühte, sie sprach von Himmel und Hölle, von
Verbrechen, die sie nie sühnen könne, dann zogen wieder freundlichere
Bilder in ihrem Sinne vorüber; sie lebte in einem kleinen Gartenhause
mit der trauten Freundin; er, der Geliebte, kam, sie flog an seinen
Hals, er küßte sie -- er sprach so schön, so bezaubernd, doch plötzlich
wich das milde Lächeln, das soeben ihre Züge verklärt hatte, einer
schrecklichen Verzerrung; die Schwiegermutter war gekommen, sie den
Armen des Geliebten zu entreißen, sie heimzuführen in das goldene
Gefängniß, dem sie glücklich entronnen.

Was dachten die Umstehenden bei diesen Fieberphantasien? Stern
entfernte jede fremde Person; er wollte mit der Mutter allein die Nacht
über wachen.

Mit Morgenanbruch erschien der Arzt. „Ein Nervenfieber!“ sagte er kurz.
„Es scheint eine heftige Aufregung vorangegangen?“ setzte er fragend
hinzu.

Stern wurde bleich. Jetzt wohl ahnte er, daß Susi vielleicht seine
Unterhaltung mit Dr. Zelt belauscht haben konnte; er wähnte sie oben
in ihren Zimmern und sie war, vermuthlich, um ihn zu überraschen, doch
heruntergekommen und willen- und ahnungslos Zeugin der Unterredung mit
dem Freunde geworden.

Er hatte seine Ehe unglücklich genannt, von erzwungener Liebe, von der
erfundenen Zeitungsnachricht gesprochen; welch’ schauerliche Klarheit
mußte dadurch der ahnungslosen Frau geworden sein?

Susi’s Zustand war in hohem Grade besorgnißerregend. Sie fühlte in
lichten Augenblicken, daß ihre Kräfte abnahmen, und bat die Mutter,
falls sie nicht am Leben bleibe, Berthold Caspari an Dr. Zelt zu
verweisen, der ihm eine Erklärung nicht verweigern werde, daß ihm ihr
Andenken heilig bleibe.

„Du wirst leben, mein gutes Kind!“ beruhigte dann die Mutter; „Du wirst
noch glücklich werden und an Deine Krankheit wie an einen bösen Traum
zurückdenken!“

Susi schüttelte traurig das Haupt. Gern hätte sie sich ausgesprochen,
nur hatte der Arzt jede Aufregung untersagt. Ihr Gatte war jetzt
theilnehmend und herzlich, doch athmete sie jedesmal erleichtert auf,
wenn er das Zimmer verlassen; oft wollte sie die Bitte aussprechen,
man möge ihn nicht vorlassen, aber wie sollte sie dieselbe motiviren?
Sie sehnte sich, Marie Caspari zu sprechen, doch der Arzt hatte jeden
Besuch verboten. So war Susi wochenlang von jedem Verkehr abgesperrt,
allein mit den quälendsten Gedanken, schwach und hilflos, denn die
Reconvalescenz ging langsam von Statten. Sie saß in der That, wie sie
es oft in ihren Fieberphantasien genannt, in einem goldenen Gefängniß!
Ihr Gemal hatte, als sie das Bett verlassen durfte, Tag und Nacht
an einem Gartenpavillon arbeiten lassen, der in dem geräumigen, an
das Wohnhaus grenzenden Park eiligst errichtet werden sollte. Nach
acht Tagen war er fertig, mit allem denkbaren Luxus und Comfort
ausgestattet. Der Arzt hatte endlich den ersten Spaziergang erlaubt.
Nur widerstrebend nahm Susi den Arm ihres Gatten, da sie sich zu
schwach fühlte, um allein gehen zu können. „Du wirst Dich noch mit mir
aussöhnen, Susi,“ sagte er bedeutungsvoll.

„Glaubst Du wirklich, daß mich jener verschwenderische Luxus erfreut?“
fragte Susi, als sie das goldgezierte Dach des Pavillons sah.

„Du wirst liebe Freunde dort treffen, Susi, wirst sie täglich sehen und
in ihrem Umgang gesunden!“ sagte Stern.

„Ach, mein Herz hat kein Gefühl mehr für die Freundschaft!“ hauchte sie
schmerzlich; „Du weißt, jeder Verkehr ist mir lästig, falls Besuch dort
ist, komm’ laß uns umkehren!“

„Fühlst Du Dich stark genug, Susi, eine unverhoffte Freude zu kosten?“
fragte Stern.

„Ah, ich ahne, Du hast gewiß Marie Caspari geladen!“ sagte Susi
leuchtenden Auges.

„Sie und noch Jemanden, Susi, an dem ich großes Unrecht begangen!“
entgegnete ihr Gatte.

„Das, das hättest Du gethan?“ rief Susi hochbeglückt. „O, dann sei Dir
Alles verziehen!“ setzte sie schnell hinzu. „Ja, ich fühle mich stark
und neubelebt;“ sie legte ihren Arm fest und innig in den seinen; es
war ihm, als führte er nicht mehr die kranke, schmachtende Susi,
sondern ein glückliches, freudestrahlendes Weib.

Jetzt hatten sie die Vorhalle des Pavillons erreicht; es war das
erstemal, daß Susi ihren Gatten aus eigenem Antriebe küßte. Sie schloß
ihn innig in ihre Arme und hauchte hochbeglückt: „Tausend, tausend
Dank, daß Du in dieser Weise Alles gut machen willst!“

Die Flügelthüren öffneten sich; ein bleicher, hoher Mann mit
eingefallenem Gesicht, das von schwarzem Vollbart umrahmt war, stand
vor ihr. Sie reichten einander stumm die Hand, doch Marie fiel der
Freundin zärtlich um den Hals und weinte Thränen reinsten Glücks.

Susi ließ sich erschöpft auf einen Sessel nieder.

„Es ist doch gut, daß Du mich vorbereitet hast“, sagte sie zu ihrem
Gatten; „ich glaube, die Freude hätte mich getödtet.“

„Es war mein specieller Wunsch!“ sagte Caspari endlich; „Sie sind noch
Reconvalescentin und bedürfen der Schonung.“

„O, nun nicht mehr!“ rief Susi hochaufathmend; „in dieser Luft, unter
so guten, treuen Menschen bin ich plötzlich gesund und stark worden.
Doch verzeih’,“ wandte sie sich an ihren Gatten, „ich wollte Dich nicht
kränken! Auch Du bist gut, das fühle ich heute erst recht deutlich;
aber die geistige Atmosphäre --“

„Nun will ich doch einmal nachsehen, wie die Parforce-Cur bekommen!“
unterbrach der plötzlich eintretende Dr. Senter.

„Ah, Sie sind ein guter Menschenkenner!“ sagte Susi, ihm herzlich die
Hand reichend.

„Ja, Ihr wäret ja alle drei für Gott und Ewigkeit verlorene Menschen
gewesen,“ entgegnete Dr. Senter, „wenn ich als Arzt nicht die passende
Medicin gefunden hätte! Frau Susi gemüthsleidend, weil sie eine
Horcherin gespielt (setzte er mit dem Finger drohend hinzu), Dr.
Caspari verzweifelt, weil er in falscher Großmuth auf die Geliebte
verzichtet, und nun gar mein herzensbraver Stern, der fast tiefsinnig
werden will, daß er sich vor einem Jahre in verliebter Laune -- eine --
wie soll ich sagen -- eine Zeitungsspeculation erlaubte.“ Ueber Stern’s
Gesicht flog ein tiefer Schatten.

„Susi,“ sagte er bittend zu seiner Frau, „der beste aller Menschen hat
mir verziehen, sag’ auch Du --“

„Du hast Dein Unrecht in einer Weise ausgeglichen,“ unterbrach Susi,
ihm herzlich die Hand reichend, „die Dir meine vollkommene Hochachtung
sichert. Ich bin Dein angetrautes Weib und will Dir jetzt ewig treu
und dankbar sein, da Du mir die Freunde, an denen mein Leben hing,
zurückgegeben. Ohne sie, das sagte ich mir oft in meiner Krankheit,
wäre mir das Leben eine unsagbare Last gewesen, der ich hätte erliegen
müssen.“

Dr. Caspari war noch keines Wortes mächtig. Endlich dicht vor Susi
hintretend, sagte er mit bewegter Stimme: „Und Sie, Susi, in deren
Herzen jedes Gefühl des meinigen ein volltönendes Echo fand, Sie
konnten wirklich glauben, daß eine Geldheirath --“

„Herr Philosoph!“ unterbrach Dr. Senter, „solche Discussionen
vertagen Sie gefälligst auf einige Wochen später; Frau Stern ist noch
Reconvalescentin, ich fürchte, wir haben ihr schon zu viel zugemuthet.“

„Nein, guter Doctor,“ sagte Susi, ihm herzlich beide Hände
entgegenstreckend, „ich wäre nie gesund und froh geworden, wenn
sich nicht Alles so gefügt hätte. Eine Frau kann ihren Gatten eines
Fehltrittes zeihen, doch sie kann ihm verzeihen, wenn sie weiß, daß er
Edelmuth genug besitzt, denselben gut zu machen. Ich weiß,“ sagte sie,
sich an Stern wendend, „es ist Dir nicht leicht worden, unserem Freunde
einzugestehen, wie Du ihn --“

„Hintergangen,“ ergänzte Stern, als Susi zauderte, das Wort
auszusprechen. „Ja,“ fügte er hinzu, „es war der schwerste Gang meines
Lebens; ich bekannte ihm Alles und wäre gerne bereit gewesen, ihm
ein Leben, das mir, da ihm die Selbstachtung fehlte, lästig war, zur
Verfügung zu stellen. Ehe ich den Gang zu ihm antrat, waren meine
Pistolen geladen.“

„Aber er, der beste der Menschen,“ fuhr Stern mit einer an ihm sonst
ungekannten Begeisterung fort, „er reichte mir, nachdem er lange
nachgedacht, gerührt die Hand. ‚Ich danke Ihnen, daß Sie mir den
Glauben an die Menschheit wiedergegeben!‘ sagte er unter Thränen; wie
Alles gekommen und kommen mußte, ist eine Fügung des Himmels, doch, daß
Sie den schweren Kampf, sich selbst zu besiegen, durchgeführt und jetzt
reumüthig Ihre Schuld eingestehen, um wieder als freier Mann aufathmen
zu können, beweist mir, daß Susi sich nicht, wie Sie behaupten, einem
Unwürdigen vermählt hat. Ich war ehedem der Freund, der Bruder, der
Lehrer und Berather Ihrer Gattin!“ setzte er nach einer Weile stillen
Nachdenkens hinzu; „setzen Sie mich wieder in meine alten Rechte ein!
Wir stehen Alle auf der Stufe einer Sittlichkeit, daß Niemand von uns
bei einem noch so trauten Verkehr etwas gefährdete!“

„Das war Ihrer würdig gedacht!“ entgegnete die junge Frau. „Ja, bleiben
Sie unser Aller Freund und verzeihen Sie meinem Gatten und auch --
meinen Eltern,“ setzte sie schmerzlich bewegt hinzu, „daß Ihnen so
tiefes Herzeleid bereitet worden!“

„Ich klage Niemanden an als mich selbst!“ entgegnete Dr. Caspari tief
bewegt. „Ein Jeder ist seines Glückes Schmied und wer zu rechter Zeit
und mit rechter Energie in die Schicksalsräder eingreift, gestaltet
sich sein Leben glücklich. Ich war ein Träumer, wo ich hätte handeln
sollen --“

„Quäle Dich nicht mit Selbstanklagen!“ unterbrach Marie. „Ich bin so
froh und glücklich, daß wir unsere Susi wieder haben, daß ich gar nicht
zurückdenken mag, daß wir Sie verloren glaubten.“

„Du gute Seele!“ sagte Susi, die Freundin herzlich umarmend. „O, wie
ist die Welt so schön, wenn wir uns von lauter guten Menschen umgeben
wissen!“ setzte sie unter Thränen lächelnd hinzu.


VII.

Im Stern’schen Hause war Lust und Freude. Die junge Frau erblühte nach
überstandener Krankheit schöner, als sie je gewesen. Allgemein war man
über ihren Zauber und ihre Liebenswürdigkeit erfreut. Täglich holte sie
ihren Gatten von der Börse ab, Abends Punkt 7 Uhr wartete ihr Wagen vor
dem Comptoir, sie schien die Zeit nicht erwarten zu können, daß sie
zusammen waren. Stern wußte erst jetzt, was er an seiner Frau besitze.
War sie bisher kalt und ablehnend gewesen, so schien sie jetzt
die übersprudelnde Herzlichkeit, und selbst die alte Mutter machte
Anstalt, sich mit ihr auszusöhnen. Wer hätte auch ihrem herzgewinnenden
Liebreiz widerstehen können! Leben und Glück waren in die fast leblose
Hülle zurückgekehrt, und das Glück, das sie selbst verschönte, wirkte
beglückend auf ihre Umgebung.

Zum ersten Male wieder seit fast einem Jahre sprach Dr. Caspari in
der Freien Gemeinde. Ungern hatte man auf den Redner, dessen Worte so
mächtig zu zünden pflegten, verzichtet, er war indeß nicht zu bewegen
gewesen, seine Thätigkeit wieder aufzunehmen.

„Ich habe mich selbst verloren!“ sagte er damals zu einem Freunde,
der ihn bat, wieder einmal öffentlich zu sprechen. „Als ich noch
den vollen Glauben an die Menschheit hatte, da konnte ich vor Euch
hintreten und, begeistert wie ich selbst für alles Gute war, Euch auch
mit fortzureißen suchen. -- Heute bin ich ein todter Mensch!“ hatte er
hinzugefügt, „ich könnte Euch doch zu nichts nützen!“

Auch dieser todte Mensch war wieder auferstanden zu neuem thatkräftigen
Leben. Allgemein war nur Eine Stimme: „So wüßte Niemand zu sprechen!“
Alles in seiner Rede war durchgeistigt, belebt von jenem Feuer innerer
Wärme, die mächtiger zündete als je. Der Saal der Freien Gemeinde war
Kopf an Kopf gedrängt voll; die Vorsäle und Zugänge waren überfüllt;
schon eine Stunde vor Beginn waren alle Plätze besetzt. Zwei Stühle
blieben stets in der vordersten Reihe reservirt; eine schöne, junge
Frau, auf den Arm ihres Gatten gestützt, pflegte kurz vor Beginn zu
kommen. Beide folgten, nur ab und zu Blicke des Einverständnisses
wechselnd, dem Vortrage mit gespanntester Aufmerksamkeit. Sie
waren die Ersten, denen Dr. Caspari, nachdem er geendet, die Hand
reichte, obgleich sich begeistert Hunderte an ihn hinandrängten. Von
ihm begleitet, traten sie den Heimweg an; es war eine auserwählte
Gesellschaft, die sich dann allsonntäglich im Stern’schen Salon einte,
Menschen, die sich nicht begnügten, des Lebens Güter nur durchzukosten,
um von Genuß zu Genuß zu eilen, sondern denkende, für alles Hohe
begeisterte, alles Gute thatkräftig unterstützende Menschen. Dr.
Caspari war die Seele des Ganzen, doch sein begeistertster Anhänger
war Jacob Stern geworden. In diesem sonst stets für oberflächlich und
eitel gehaltenen Menschen war eine Wandlung vorgegangen, die ihn kaum
wieder erkennen ließ! War sein Gang sonst gebückt und schlodderig,
so athmete jetzt jede Bewegung Selbstbewußtsein und Muth, das Auge
leuchtete, sein Wort klang überzeugend und herzlich. Die früher von ihm
beliebte leichtfertige Gesellschaft war nach und nach aus seinem Hause
geschwunden; er konnte sich heute selbst nicht eingestehen, wie er Jene
einst seine Freunde genannt. Sein Glück schien keine Grenzen zu kennen,
als ihm, ein Jahr nach Susi’s Genesung, ein Sohn geboren wurde.

Abermals war es ein Zeitungsblatt, das Susi in nicht geringe, doch
diesmal freudige Aufregung versetzte. Zum ersten Male seit ihrer
Niederkunft hatte ihr Gatte heute eine Zeitung auf den Tisch gelegt.
Hastig griff sie danach; sie blätterte vor und rückwärts, bis ihr Auge
starr an einer Stelle haften blieb. Dann faßte sie nach dem Herzen,
doch nicht wie damals schmerzerfüllt, sondern überglücklich und
leuchtenden Auges reichte sie ihrem Gatten die Hand: „Das macht Deinem
guten Herze Ehre!“ sagte sie tief gerührt. „Doch warum theiltest Du mir
nicht mit --“

„Hatte ich Dir nicht durch ein Zeitungsblatt Schmerz bereitet,“
sagte Stern bewegt, „so war ich Dir an selber Stelle einen Ausgleich
schuldig.“

Susi zerdrückte eine Thräne in ihren Augen; sie blickte auf ihr Kind,
ihren kleinen Berthold und sagte: „Möge alles Gute, das Du thust, ihm
zum Segen gereichen!“

„Und Dir zu Freude!“ sagte er, sie zärtlich küssend.

Jene Zeitungsnotiz lautete: „Der hiesige Banquier St. hat, seinem
anerkannten Wohlthätigkeitssinne folgend, aus Anlaß eines freudigen
Familienereignisses, dem hiesigen Armenvereine 10.000 Gulden
überwiesen, deren Zinsen zur Pflege armer Wöchnerinnen verwendet werden
sollen.“

Wieder und wieder las Susi diese wenigen Zeilen: „Sie athmen die Poesie
eines gottgeweihten Herzens!“ sagte sie bewegt.

„Und doch wird es von so Vielen, selbst von der eigenen Mutter für
gottlos gehalten!“ entgegnete Stern mit tiefem Seufzer.

„Guter Mann,“ entgegnete Susi; „Deine Mutter genügt ihrem religiösen
Pflichtgefühl, wenn sie betet und die Gebote der Bibel befolgt, wir,
wenn wir helfen und den Samen des Guten ausstreuen, wo wir können;
unser Söhnchen wird wiederum einst unser Thun vielleicht belächeln;
jede Generation hat ihre Ideale, und wer wahr und aufrichtig strebt,
gut zu sein, verdient, daß man ihn anerkenne.“

Susi’s Mutter trat mit strahlendem Gesichte ein.

„Ich habe mir keine Zeit genommen, mich recht anzukleiden!“ rief
sie überglücklich. „Bist Du es denn wirklich?“ fragte sie ihren
Schwiegersohn, „von dem heute die ganze Stadt spricht!“

Stern war fast verlegen; er hatte nur beabsichtigt, der geliebten Frau
eine Freude, keineswegs sich zum Mittelpunkt des Stadtgespräches zu
machen.

„Nur schade,“ setzte die Mutter nach einer Weile hinzu, „warum hast Du
es nicht für jüdische Arme an die jüdische Gemeinde gewiesen?“

„Da hättest Du schwerlich in meinem Sinne gehandelt!“ sagte Susi
entschieden. „Wenn Jemand in Noth ist, so frage ich ihn nicht, zu
welcher Religion er sich bekennt.“

„Hast Du aber schon gesehen, daß Christen für jüdische Arme testiren?“
fragte die Mutter fast beleidigt.

„Um so mehr ist es Pflicht, liebe Mutter,“ entgegnete Stern, „daß wir
zeigen: Wer helfen will, helfe den Bedürftigen, gleichgiltig ob Jud,
oder Christ, ob Muselmann.“

„Das sind nun wieder Eure freireligiösen Ansichten,“ sagte Frau Cahen;
„nun, ich bin eine alte Frau und kann und mag sie nicht verstehen, aber
das weiß ich, Gott lohnt das Gute bis in’s dritte und vierte Glied und
er wird es Euch an Eurem Kinde lohnen, was Ihr Gutes gethan.“


VIII.

Der Mutter Prophezeiung schien in Erfüllung zu gehen; der kleine
Berthold wurde ein ausnehmend schönes, kräftiges Kind; die junge Mutter
fühlte all die Süßigkeiten, ihrem Kinde Alles sein zu können, sein
erstes Lächeln zu belauschen, seinen Schlaf zu bewachen, es selbst an
ihrer Brust zu nähren. Die Kinderstube war ihre Welt. Zwar war eine
Wärterin angenommen, doch ließ Susi das Kind nicht von den Händen.

„Du gehst zu weit in Deiner Gewissenhaftigkeit!“ sagte ihr Gatte oft.

„Wie will ich von bezahlten Leuten das verlangen, das ich selbst nicht
leiste?“ entgegnete ihm Susi.

An ihrer Hand machte das Kind die ersten Gehversuche, und -- welche
Freude durchzuckte das Mutterherz -- als Berthold ein Jahr alt war,
ging er bereits dem Vater einige Schritte entgegen! Dieser fing ihn
hochbeglückt in seinen Armen auf, drückte ihn an sein Herz, doch trotz
aller Freude schien die Wolke, die schon einige Zeit auf seiner Stirn
lagerte, nicht zu vergehen.

Susi war so sehr mit ihrem Kinde beschäftigt, daß sie dieselbe nicht
bemerkt hatte. Da sie seit der Geburt des Kleinen fast abgeschlossen
von allen größeren Gesellschaften lebte, war ihr auch nicht zu
Ohren gekommen, was man sich draußen erzählte. Sie hörte wohl von
einer Geschäftskrisis, von schlechten Zeiten, doch legte sie dieser
landläufigen Klage, die selbst in den günstigen Jahren beliebt ist,
wenig Werth bei; sie wußte, daß ihr Mann in Eisenbahn-Papieren hoch
speculirt habe, doch er hatte ja eine so sichere, glückliche Hand, daß
noch keine Ahnung in ihr aufstieg, sein Vermögen könne gefährdet sein.

Stern hatte sich oft gesagt, es sei Pflicht, der Frau Einblick in die
Vermögensverhältnisse zu gestatten, er hatte auch oft mit Darlegungen
begonnen, doch Susi, die jedesmal glaubte, er beabsichtige nur, ihr
eine Idee seines Reichthums zu geben, schnitt kurz ab und sagte,
daß sie ja doch von Geschäftsoperationen nichts verstehe und es ihr
vollständig gleichgiltig sei, ob ihr Vermögen in Türkenloosen oder
amerikanischen Papieren oder Eisenbahn-Actien angelegt sei.

„Wenn ich aber einmal ungünstig speculire?“ hatte Stern wie zufällig
gefragt.

„Du gehst so sicher zu Werke, daß dies kaum eintreten kann!“ antwortete
Susi.

Ihr Gatte wollte der in vollem Vertrauen Lebenden keine Besorgnisse
einpflanzen, die ihrem arglosen Gemüthe so fern lagen; auch hoffte er
noch die Katastrophe abzuwenden.

Das Welthaus Strousfeld war nahe daran, seine Zahlungen einzustellen;
Stern war mit seinem ganzen Vermögen bei demselben betheiligt. Er hielt
es unausbleiblich, daß auch er folgen würde. „Dies muß abgewendet
werden, um jeden Preis!“ sagte er sich. Noch war die Angelegenheit
nicht officiell. Stern bot seinen ganzen Einfluß auf und im Verlauf
von acht Tagen gelang ihm das Unglaubliche. Man konnte öffentlich
die in Privatkreisen schon vielfach besprochene Zahlungseinstellung
Strousfelds Lügen strafen, da die vorkommenden Anweisungsgelder Heller
bei Pfennig bezahlt wurden.

Doch wie war dies möglich geworden?

Haben jene Moralisten Recht, die die Börsenwelt die Welt des Scheines,
des Betruges, der Illusionen nennen? Wohl konnte man sich in jener
Gründerzeit, die mit dem überall in schwerem Unglück hereinbrechenden
„Krach“ endete, fragen: „Was ist Reichthum?“ Imaginär war der
Besitz, war die Verrechnung. Papiere wurden geschaffen, verwerthet,
entwerthet; Consortien, Gesellschaften, Banken gegründet, die, da
ihre Directoren mit allem erdenkbaren Pomp auftraten, die feinsten
Hotels mit einer zahllosen, gallonirten Dienerschaft bewohnten, auf
Gummirädern dahingallopirten, eines Ansehens und Vertrauens bei der
großen Menge genossen, das uns heute, da der Schleier gefallen, an
dem gesunden Sinn, der richtigen Urtheilsgabe der in’s Schlepptau
genommenen Bevölkerung zweifeln läßt; ein kleiner Bruchtheil hielt
sich der Strömung fern, theils aus Mißtrauen, theils aus angeborenem
Rechtlichkeitsgefühl; sie ahnten, daß jenen ewigen Naturgesetzen
zufolge, welche nur eine Vermehrung des Besitzes nach rechtlicher
Arbeit eintreten lassen, die Ueberspeculation sich rächen müsse. Es
war so bequem zu „zeichnen“, nur zu zeichnen, wie der technische
Ausdruck hieß, und dafür gleich den Gewinn einzuheimsen. So leicht wie
man „verdiente“ (wenn dies eben ein Verdienen war), gab man auch aus;
der Börsianer hatte eine stets offene Hand; was galt ihm der Preis
einer Waare? Der armselige Krämer oder Waarenhändler rechnete seinen
Nutzen nach Pfennigen, er denjenigen einer einzigen „Zeichnung“, nach
Tausenden.

Eine einflußreiche, gut accreditirte Person konnte in jener Gründerzeit
mit leeren Händen Schätze gewinnen. So war es auch nichts Seltenes, daß
sogar fürstliche Personen sich an die Spitze der Börsen-Unternehmungen
stellten. Stern wußte seinen Einfluß bei dem verschuldeten Grafen
Nesh geschickt zu benutzen. Der Graf stand an der Spitze jenes
Consortiums, das eine neue Anleihe für eine Zweigbahn ausschrieb; weder
Strousfeld’s, noch sein Name hatten genügende Anziehungskraft, die
Grafenkrone adelte das Unternehmen. Zwar wußte man in aristokratischen
Kreisen, wie es nun mit Graf Nesh stehe, doch das Gros war geblendet
durch den altadeligen Stamm, man traute und Tausende und Abertausende
flossen zusammen; es hieß, das Geld sollte zum Bau einer Zweigbahn,
von deren Prosperität man sich überzeugt hatte, verwendet werden
-- in Wirklichkeit wurden mit den einlaufenden Capitalien alte
Verpflichtungen berichtigt. Die Interessenten warteten auf eine
Verständigung -- vergebens.

Wozu war die Anleihe verwendet worden?

Man munkelte allerhand, und Stern, der die rechte Hand Strousfeld’s
war, er, den man als Freund und ~chargé d’affaire~ des Grafen Nesh
kannte, wurde vielfach verdächtigt, bedeutende Summen zu anderen, als
den gezeichneten Zwecken verwendet zu haben.

Der Begriff von Ehre und Rechtlichkeit ist in gewissen Kreisen gar zu
dehnbar, zu elastisch; Stern hatte ein weites Gewissen, dennoch drückte
ihn die Verantwortlichkeit. Was heute Geheimniß der Betheiligten war,
mußte doch über kurz oder lang entschleiert werden. Kommt Zeit, kommt
Rath! tröstete er sich; augenblicklich war die Krisis überwunden;
einige gute Speculationen und die eingelaufenen Summen konnten
zurückgezogen und ihrer eigentlichen Bestimmung nach verwendet werden.
Er hoffte es, wenngleich in schlaflosen Nächten das Gespenst der
Sorge aus den Falten des blauseidenen Himmelbettes gar grinsend und
unheimlich hervorlugte, Ruhe und Glück verscheuchend.

Der arme, reiche Mann! Was hatte er von seinen Hunderttausenden? Sorge,
Aufregung, Qual ohne Ende. Der ärmste Bettler legt sein müdes Haupt
zur Erde nieder und findet erquickende Ruhe; seit Wochen floh ihn der
Schlaf, unstet irrten seine Gedanken in die Zukunft; die erhoffte
günstige Wendung in den Börsenmanövern trat nicht ein; der kommende
Ultimo erforderte neue Opfer. Strousfeld war außer Stande, auch nur
einen Theil der Gelder auszuzahlen. Stern sah ein, daß er ein gewagtes
Spiel gespielt, wohl konnte man das ungläubige Publikum noch für einige
Zeit dupiren, doch -- es mußte etwas geschehen, denn auch Graf Nesh
fing an zu drängen, daß er seinen „guten Namen“ retten müsse. Welch’
schweren Stand hatte Stern! Was er gethan, konnte er vor sich selbst
nicht verantworten; keine Hoffnung, die Angelegenheit zu ordnen! Die
fremden Capitalien waren nicht herauszuziehen, sie schienen ihrem
Bestimmungszweck verloren. -- Von Tag zu Tag sanken die Course. Ein
sogenannter „heller Kopf“ berief eine Versammlung der Actionäre ein
und entrollte ein Bild, das eben nicht vertrauenerweckend war. „Wir
sind die Geprellten!“ hieß es, „doch wir wollen der Sache auf den Grund
gehen; entweder die Bahn, für die wir gezeichnet und gezahlt, wird
noch im Laufe dieses Monats in Angriff genommen, oder wir beantragen
gerichtliche Untersuchung.“

Jetzt mußte Stern handeln; er sagte sich, daß „Zeit gewonnen, Alles
gewonnen“ heiße. Unerschrocken berief auch er jetzt unter der Aegide
des Grafen Nesh eine Versammlung der Betheiligten ein. In glänzender,
überzeugender Rede suchte er die gegen das Consortium laut gewordenen
Verdächtigungen zu widerlegen; wohl sei man nicht vorschnell mit dem
Ankauf der Bahnstrecken vorgegangen, da eine günstige Conjunctur
abzuwarten, auch der Erfolg einer Zweigbahn erst nach Vollendung der
Hauptbahn zu erwarten sei, letztere könne jedoch erst in einigen
Monaten dem Betriebe übergeben werden. Die eingezahlten Gelder seien
einstweilen sicher in einem der ersten Bankhäuser angelegt; auch Graf
Nesh und andere Koryphäen des Consortiums traten dafür ein, daß das
Unternehmen den besten Händen anvertraut und eine baldige Durchführung
auf solider Grundlage zu erwarten sei.

Man „glaubte“ und die Versammlung ging beruhigt auseinander. -- Doch
nun hieß es energisch vorgehen. Weshalb hatte Stern die eingezahlten
Gelder dem Hause Strousfeld zugeführt? Es galt, eine damals
unabwendbare Zahlungsstockung zu verhüten und somit Zeit zu gewinnen,
sein bei Strousfeld engagirtes Vermögen herauszuziehen. Stern selbst
hatte an Actien 50,000 Thaler gezeichnet; die Gesammt-Zeichnung
betrug 800,000 Thaler. Wohl hatte er den Fall des Strousfeld’schen
Hauses hingehalten, seine Gelder theilweise herausgezogen, doch --
ein sinkendes Schiff ist schwer zu retten. Unmöglich, jetzt noch das
Steuer richtig zu lenken! Das hatte Stern allerdings nicht voraussehen
können; mit Sicherheit hoffte er bei steigender Conjunctur nach einigen
Monaten seine Gelder mit guten Zinsen vom Hause Strousfeld erheben zu
können; wie so manch ähnliches Manöver war in Börsenkreisen abgespielt
und ohne Schaden der Betheiligten zu Ende geführt worden! Es galt für
Stern, sein Vermögen, die Ruhe und Ehre der Seinigen zu retten; welche
Speculation war um diesen Preis zu gewagt?

Noch vor zwei Jahren, ehe Stern die Bekanntschaft Caspari’s gemacht,
hätte er keinen Fehler in seiner Handlungsweise erkannt, doch jetzt
war er nicht mehr er selbst, der berechnende Kaufmann, dem der
Naturalismus, die Sucht nach Gewinn, über Alles geht -- er hatte sich
berauscht an dem sprudelnden Nectar einer edlen Weltauffassung, hatte
aus dem Born des reinen Menschenthums ideale Begeisterung getrunken und
-- der Dualismus nagte an seiner Natur und schien sie zu ertödten; der
Idealist verurtheilte, was der Materialist geboten hielt; aus Liebe
zu den Seinen hatte er sich einer verbrecherischen Handlung schuldig
gemacht, um sein Vermögen zu retten, so viele Andere um das Ihrige
gebracht. Die von ihm gezeichneten 50,000 Thaler waren nur fingirt,
doch hatten sie Andere zur Nachzeichnung ermuntert; der Betrug konnte
ihm nachgewiesen werden. O, Qual der schlaflosen Nächte, in denen er
sich das Hirn zermarterte, wie er Ehre und Vermögen und Glück der
Seinen, das ihm noch unlängst so fest begründet schien, retten könne.
Noch war keine Aussicht auf Eröffnung der Bahnstrecke, und selbst wenn
diese erfolgte -- man weiß ja, daß das erste Jahr ein Versuchsjahr sein
muß und keinen Gewinn abwirft.

Zehnmal schon hatte er sich vorgenommen, sich dem Freunde zu vertrauen
-- doch konnte er ihm, dem reinen, hochherzigen Manne seine unlautere
Geschäftsgebahrung mittheilen?

Caspari hätte ihn kaum verstanden; er würde ihn eher für irrsinnig
erklärt haben, ehe er solche Schurkerei geglaubt hätte.

Wie beneidete er Susi um ihre Arglosigkeit. Ja, das Kind war ein Glück
für sie, denn hätte sie ihm nicht so ganz ihr Sinnen und Trachten
geweiht, die kluge Frau würde längst die Aenderung in ihres Gatten
Wesen bemerkt haben.

In der Stadt munkelte man schon viel, daß es mit Stern’s
Finanzoperationen schlecht stehe; die „guten Freunde“ zogen sich
zurück; Frau Commercienrath Beche, die sonst nie ohne herzlichen
Händedruck an Susi vorüberging, wich ihr schon mehrmals, wenn sie
einander auf der Promenade begegneten, aus; Frau von Lorm pflegte
sonst, wenn sie die junge Frau sah, stets ihren Wagen halten zu
lassen und sie zu bitten, in demselben Platz zu nehmen; -- sonderbar!
war die sonst so scharfsehende Dame kurzsichtig geworden? Doch Susi
war so sehr mit ihrem reichen Innenleben und der Sorge für ihr Kind
beschäftigt, daß, wenngleich ihr diese Vorfälle nicht entgingen, sie
ihnen doch weiter keine Bedeutung beilegte. Ihr Gatte schien zwar öfter
auffallend zerstreut, doch war ihr dies nichts Neues; wußte sie doch,
daß seine weitverzweigten Geschäfte, sowie das große Personale, das ihm
unterstand, sein Denken sehr in Anspruch nahmen.

Mehrere Monate nach der Katastrophe stand man im Strousfeld’schen
Geschäft vor derselben Krisis. Die vom Consortium gezeichneten Summen
waren nur theilweise eingezahlt worden; es hatte sich unter Stern’s
eigenen Leuten ein Verräther gefunden, der das ganze Manöver aufdeckte.
Eine gerichtliche Commission wurde zur Prüfung der Sachlage eingesetzt;
Stern hielt seine Position für unhaltbar; nicht nur hatte er die
gezeichneten 50,000 Thaler nicht eingezahlt, er hatte im Laufe jener
Zeit beinahe das Doppelte aus dem Strousfeld’schen Geschäft an sich
zu bringen gewußt, obgleich andere Gläubiger, die frühere Forderungen
hatten, zurückgewiesen worden waren.

Vergebens zermarterte er sein Hirn, wie er einen Ausweg finden könne,
um wenigstens seinen ehrlichen Namen zu retten. Die Bücher waren mit
Beschlag belegt und wurden seine unerbittlichen Ankläger. Jeder Laie
konnte aus Ihnen ersehen, daß ein großer Theil des vom Consortium
geleisteten Vorschusses in Stern’s Casse geflossen.

Wie beneidete er den ärmsten Commis in seinem Geschäfte, der, sein
spärliches Einkommen richtig eintheilend, sorgenfrei, ohne Reue, ohne
Furcht leben durfte.

O, hätte ihm nur ein Mensch rathen können, was jetzt zu thun sei.

Schon sah er die Gerichtsdiener kommen, sein Eigenthum pfänden, ihn
selbst fortführen, fort von Weib und Kind -- von der alternden Mutter,
deren größter Stolz er war, und die es nicht überleben würde, ihn als
Verbrecher angeklagt zu sehen.

Verbrecher! er schauderte zusammen. Ja, das war er in den Augen der
Welt, und dadurch waren auch sein Weib, sein Kind geschändet!

Doch wie? Ein rettender Gedanke flog durch die fieberhafte Stirn; noch
kann er als ehrlicher Mann sterben, noch ist keine Anklage erhoben; es
gibt Mittel. -- Geisterbleich saß er da und stierte in die Ferne. Noch
einmal trat das Leben mit all’ seinen Verlockungen vor seine Seele,
er umarmte in Gedanken das geliebte Weib, er küßte unter strömenden
Thränen das Bild des kleinen Berthold, das er bei sich führte. -- „Ja,
Euch zu Liebe muß es sein!“ rief er endlich in wilder Verzweiflung.
„Der Freund wird Euch schützen, daß Ihr nie das Schreckliche erfahrt,
Ihr sollt mich beweinen, als einen geliebten Todten, den die Erde, --
nicht als einen Verbrecher, den das Zuchthaus birgt.“

Als Stern endlich aufstand, schien er um zehn Jahre gealtert. Er
ging auf sein Schreibpult zu, nahm ein Paket Streichhölzer, deren
Schwefelenden er in eine eigens bereitete Lösung steckte.

„Meine einzige Rettung!“ sagte er seufzend; er griff zur Feder und
schrieb lange, lange; den Brief übergab er selbst der Post; als er
zurückkehrte stand er sinnend an der Thür des Kinderzimmers. Sie sang
so rührend schön: „Bleib’ brav und gut, mein herzig Kind!“ Nein,
er hatte kein Recht, ihre holde Ruhe zu stören. „Wer weiß auch,“
sagte er sich, „ob mir die Kraft bleibt, den Entschluß auszuführen,
nachdem ich sie noch einmal gesehen!“ Festen Schrittes ging er in
sein Arbeitszimmer, das er sorgfältig verschloß; dort stand der
todtbringende Trank.

„Besser leiblich als moralisch todt!“ sagte er sich und trank muthig
den Becher zur Neige! --


IX.

In der fünften Stunde erhielt Dr. Caspari einen Brief von Stern’s Hand.
„Gewiß eine Einladung zu heute Abend!“ sagte er erfreut, doch starr und
bleich wurden seine Züge, als er den Brief durchflogen:

„Du einzig wahrer Freund! Ich muß in Deine Hände ein schauerliches
Vermächtniß legen; beklage mich und erfülle meinen letzten Willen;
stehe meiner Susi, meinem Kinde zur Seite, wenn ich nicht mehr bin.
Du als Advocat hast Einblick in die Strousfeld’schen Acten; meine
Gebahrung erscheint strafbarer als sie ist; hätte jener Elende nicht
mein Geschäftsgeheimniß verrathen, ich hätte Alles zum Guten wenden
können; jetzt ist es leider unmöglich. Trachte, daß Susi mit dem Kinde
die Residenz meidet; der Arzt hat ihr ohnehin ein Seebad verordnet;
sie wird mich betrauern und mein Andenken ehren; dies gibt mir die
Kraft, den schrecklichen Entschluß auszuführen. Dr. Senter wird einen
Herzschlag als Todesursache constatiren. Die Untersuchung kann sich
noch Wochen hinziehen; inzwischen richte es ein, daß Susi nach Misdroy
übersiedelt; falls Gerüchte auftauchen, hoffe ich, kommen sie ihr dort
nicht zu Ohren; Deine und Mariens Gesellschaft wird ihr bester Schutz
sein.

Nun noch die eine Bitte an Dein Freundesherz! Verurtheile mich nicht!
Du wirst es Feigheit und moralische Schwäche nennen, was mir gerade als
echte Mannesthat geboten scheint, ich meide schweren Herzens ein Leben,
das ich jetzt erst durch edle Menschen lieben und verstehen gelernt
habe; ich muß es meiden, da ich als Ehrloser nicht weiter in ihrer
Gemeinschaft leben darf. -- Sich selbst verbannen, ist ein schweres
Loos!

Ich lege das Schicksal der Meinen, meine Vertheidigung bei Gericht in
die Hände des besten Menschen und bitte ihn, mir zu verzeihen, daß ich
sein reines Gewissen in Mitwissenschaft der schrecklichen That ziehe,
die ich ausführen mußt’ -- aus Liebe zu den Meinen! Jacob Stern.“

Dr. Caspari hatte kaum den Brief gelesen, als er nach Hut und Stock
griff und eiligst davonlief. Unterwegs traf er einen Fiaker, in den
er sich, an allen Gliedern bebend, warf. „Ich zahle dreifache Taxe,
nur eilen Sie!“ er nannte Stern’s Wohnung. Der Fiaker flog, doch
schneckengleich für Caspari’s Ungeduld. Vielleicht konnte er ihn noch
retten, der Brief war eine Stunde zuvor aufgegeben. -- Endlich hielt
der Wagen. Angsterfüllt stieg Caspari die teppichbelegten Stufen
hinan; er warf einen Blick in’s Comptoir, dort war er nicht; er eilte
in sein Privatzimmer; zitternd öffnete er. -- Das Schreckliche war
bereits geschehen; dort lehnte der Freund mit verzerrtem Gesicht; die
Todeszuckungen waren noch wahrnehmbar! er mußte furchtbar gelitten
haben.

Caspari brach erschüttert zusammen; eine Fluth von Gedanken und
Empfindungen überkam ihn, die ihn unfähig zum Handeln machte. -- Wie
lange er hier gesessen? Es dämmerte schon, da hörte er einen Wagen
vorfahren; eine schlanke Frauengestalt hüpfte leichten Fußes heraus;
sie schien so glücklich, so lebensvoll! Jetzt half sie der Wärterin
mit dem Kinde, sie nahm es nun selbst in ihren Arm, um es dem Papa
hinaufzutragen. Schnell verriegelte Caspari die Thür, jetzt durfte
sie nicht eintreten; er wollte erst selbst gefaßt sein, um die Arme
vorbereiten, sich selbst in die ihm zugemuthete Lüge hineinfinden zu
können.

Er sandte einen Diener zu Dr. Senter. Derselbe kam bald. Die Männer
hatten sich verständigt. -- Der Procurist erschien, Briefe zur
Unterschrift vorzulegen -- das Geheimniß mußte gewahrt werden. Es hieß,
Jacob Stern sei an einem Herzschlag soeben verschieden. --

Susi saß am Clavier und spielte eben -- es war die Zeit, in der ihr
Gatte bei ihr einzutreten pflegte -- die von ihm so geliebte Arie aus
Aïda. Die Thür öffnete sich, es trat Jemand hinter ihre Lehne, sie
reichte ihm, während sie weiter spielte, den Mund zum Kusse, doch
erschreckt fuhr sie auf, der, den sie eingetreten wähnte, war nicht ihr
Gatte, sondern Dr. Caspari, leichenbleich, mit verstörten Augen.

„Ich glaubte,“ stotterte Susi -- „doch was ist Ihnen? Sie sind
angegriffen“ --

„Ich habe soeben einen Freund verloren, und kann es noch nicht glauben,
daß dem so ist!“ sagte Caspari schmerzlich erregt.

Susi drängte ihn ahnungslos auf einen Sessel und läutete, um ihren Mann
rufen zu lassen. Der Diener, dem sie den Auftrag gab, stand sprachlos.

„Gnädige Frau, wissen noch gar nicht,“ stammelte der Alte -- doch
Caspari hatte sich gefaßt und drängte ihn zur Thür hinaus.

„Susi,“ begann er, ihre Hände in den seinigen haltend, „zeigen Sie
sich als die muthige, seltene Frau, als die ich Sie stets verehrt! Die
Vorsehung hat Schweres über Sie verhängt, doch Sie haben Kraft, selbst
das Schreckliche mit Fassung zu ertragen -- Ihr Gatte“ --

„Um Gottes Willen, was ist mit ihm?“ schrie Susi in halber Verzweiflung.

„Ein Herzschlag hat soeben sein Leben geendet!“ hauchte Caspari tonlos.

Susi war zusammengesunken; das Leben schien auch aus ihrem Körper
entwichen; doch plötzlich flammte sie auf: „O, das ist ja nicht
möglich! Heut’ Mittag war er noch gesund und frisch“ --

Der Arzt trat ein und hielt sie zurück, wie sie eben das Zimmer
verlassen wollte.

„Lassen Sie mich zu ihm!“ rief sie abwehrend.

„Kein Anblick für Sie! meine Gnädige,“ sagte er bestimmend. „Fassen Sie
sich!“

Susi stand entsetzt; ihre Kraft war gebrochen. Machtlos ließ sie sich
von Caspari auf ein Sopha führen; sie stierte die Männer an, als
kenne sie sie nicht, doch bald eilte sie an die Wiege des schlafenden
Kindes, stürmisch preßte sie es an ihre Brust und weinte bittere,
leidenschaftliche Thränen.

„Eine Waise!“ jammerte sie in wildem Schmerze. „O, Du armes,
unschuldiges Kind, was hast Du verschuldet, daß Dir der Vater“ --

„Lassen Sie mich ihm Vater sein,“ sagte Caspari, ihr das Kind
entwindend, da er fürchtete, sie möchte es in ihrem wilden Schmerze
zerdrücken.

Susi sah ihn groß und fragend an; dann schüttelte sie wehmüthig das
Haupt und blickt lange gedankenvoll vor sich hin. Man erzählte ihr, wie
Alles gekommen, sie schien nichts zu hören. Wieder bat sie, man soll
sie zu ihm lassen -- der Arzt fürchtete eine zu heftige Erschütterung.

Die Kunde, daß Stern am Herzschlag gestorben, hatte sich wie ein
Lauffeuer verbreitet.

Condolenten kamen und gingen. -- Susi ließ Niemand vor. Was ihr noch
vor einigen Jahren als eine Erlösung erschienen, war ihr jetzt ein
unüberwindbares Unglück.

Ein großes unabsehbares Gefolge geleitete den Todten nach dem
Friedhofe. Susi hatte gewünscht, Dr. Caspari soll in der Wohnung eine
Leichenrede halten. Sie ahnte nicht, weshalb er es ablehnte. „Ich
kann nicht!“ hatte er in einem Tone gesagt, der keine nochmalige
Bitte aufkommen ließ. Der Prediger rühmte den Wohlthätigkeitssinn des
Entschlafenen, seine unermüdliche Willenskraft, die nun so plötzlich
gelähmt sei; er nannte ihn ein schaffendes Genie, durch dessen geniale
Pläne Tausende in den entferntesten Landestheilen Arbeit, und damit
Wohlstand und Bildung gewonnen. Susi hörte Nichts. Erst als man die
Leiche aus dem Hain von Palmen, der in dem schwarz drapirten Saale
gebildet war, hinaustrug, that sie einen gellenden Schrei und sank
ohnmächtig zusammen. -- --

Dr. Caspari hatte ihr in kluger Berechnung den Wunsch eingegeben,
nach dem elterlichen Hause zu übersiedeln; er meinte, sie würde dort
nicht durch Alles und Jedes an den Todten erinnert werden, der Umgang
mit der Mutter werde sie beruhigen. So sah Susi nicht, was sich nach
wenig Wochen in ihrem glänzend eingerichteten Hause abspielte. Die
Comptoirs waren geschlossen, die Möbel unter gerichtliches Siegel
gelegt, das Personal entlassen. Sie empfing Niemand, als Dr. Caspari,
dessen Schwester und Mutter, so hörte sie auch nicht, was man sich in
der Stadt bei der nun erfolgten Zahlungs-Einstellung ihres verstorbenen
Gatten erzählte; sogar in den Zeitungen tauchten die Muthmaßungen
auf, ob denn der Tod ein natürlicher gewesen, doch dem Einfluß des
Dr. Caspari, an dessen reinem Charakter Niemand zweifelte und der
sich öffentlich einen Freund des Verstorbenen nannte, gelang es, alle
Gerüchte zum Schweigen zu bringen. Susi wurde selbstverständlich an
jeder Zeitungslectüre verhindert, doch als die Hinweise in derselben zu
häufig wurden, hielt es Dr. Caspari für geboten, der ohnehin leidenden
Frau eine Badereise vom Arzte dictiren zu lassen. Marie begleitete die
Freundin, und war wohl instruirt, wie sie Alles von ihr fern halten
müsse, was sie beunruhigen könnte.

Vor ihrer Abreise hatte Susi noch einmal das Grab ihres Gatten
besucht; hier erst empfand sie, wie nie im Leben, was er ihr und
ihren Eltern gewesen, wie sich sein Denken und Empfinden geläutert,
wie unaussprechlich unglücklich sie war, den Mann, der erst jetzt der
Vertraute ihres Herzens geworden, gerade jetzt verlieren zu müssen.


X.

Wie jedes Ereigniß, das weitere Folgen nach sich zieht, wurde auch
der Fall des Stern’schen Hauses eine Zeit lang eifrig besprochen.
Wäre Stern am Leben gewesen, so hätte unbedingt ein Einschreiten der
Staatsanwaltschaft erfolgen müssen, so indeß beruhigten sich die
Gläubiger, als der Anwalt Dr. Caspari erklärte, die Witwe verzichte zu
Gunsten der Gläubiger auf Hab und Gut, selbst die ihr notariell nach
der Verheiratung mit Stern zugeschriebene Summe von 20.000 Thalern,
sowie die ein Jahr später erfolgte Schenkung eines in gleichem Werthe
stehenden Landgutes solle der Masse zugute kommen, um einen Ausgleich
zu ermöglichen.

Susi’s Eltern waren keineswegs im Einklang mit dieser im eigentlichen
Sinne des Wortes willkürlichen Verfügung Caspari’s; Cahen, von seinem
Standpunkt als Kaufmann, meinte, Susi dürfe, ohne sich Gewissensskrupel
zu machen, die ihr persönlich gemachten Schenkungen zurückhalten, sie
sei es sogar sich, ihrem Kinde und ihrer Zukunft schuldig. Dr. Caspari
versicherte, keinen Schritt zur Regelung der Sache mehr thun zu wollen,
wenn man es ihm nicht überlasse, ganz nach bestem Ermessen zu handeln;
nur durch vollständiges Verzichtleisten auf jedes ihr zustehende Recht
könnte Susi die Gläubiger von feindlichen Schritten abhalten; zudem
sei er überzeugt, daß, falls die junge Frau je einen Einblick in die
Verhältnisse gewänne, sie keinen Augenblick zögern würde, so, wie er
für sie disponirt, zu handeln, daß man jedoch, und stände eine dreifach
so große Summe auf dem Spiele, ihr den Schmerz ersparen müsse, das
Schreckliche mit Klarheit zu erkennen. Cahen sah endlich ein, daß er
sich fügen müsse; er kannte seiner Tochter Grundsätze; zudem sprach
das Vatergefühl, daß man dem geliebten Kinde jeden ferneren Schmerz
ersparen müsse, zu mächtig in ihm.

„Sie können, ohne daß Susi eine Ahnung von der Sachlage hat, ein
Jahresgeld für sie aussetzen!“ hatte Caspari bestimmt gesagt. „Ich
weiß, wie sich Ihr Geschäft gehoben; Susi ist Ihr einziges Kind, und
was ihr nach Jahren zugute kommen soll -- theilen Sie es schon heute
mit ihr, daß nicht der Fluch unrechtmäßigen Besitzes auf Ihnen und
Ihrer Tochter Namen laste.“

Cahen war es, als ob er ein großes Opfer brächte, doch welcher Ausweg
blieb ihm? Er wußte, daß Caspari sich zurückziehen würde, falls er
ihm nicht willfahre, und nur durch das muthige Auftreten dieses in
weitesten Kreisen hochgeschätzten Mannes war Unehre und Schande von dem
Namen seines Schwiegersohnes fern gehalten worden.

Indeß Eltern und Freunde für sie Zeiten schwerer Sorgen und Kämpfe
durchmachten, saß die trauernde Witwe ahnungslos in ihrem fernen
Häuschen am Meer und glaubte schon das schwerste Unglück erfahren zu
haben. Noch wähnte sie sich im Besitz von Macht und Reichthum, den
Namen des Verstorbenen unangetastet; wohl ihr, daß sie nicht wußte, wie
Alles in den zwei Monaten, seit jenem Unglückstage so anders geworden.

Der Sommer neigte seinem Ende zu. Susi dachte an die Heimreise; es
galt, die junge Frau jetzt vorzubereiten, daß ihr Heim, ihr schloßartig
eingerichtetes Haus, nicht mehr ihr eigen sei, das Geschäft ihres
Gatten sich aufgelöst habe. Dr. Caspari war der Einzige, der dies
in schonender Weise und mit richtigem Tact zu thun im Stande war.
Er sollte die Freundin und die Schwester heimgeleiten. Einige Tage
vor seiner Abreise wurde Frau Cahen bedenklich krank; die Sorgen
und Aufregung hatten die ohnehin alternde Frau tief erschüttert;
so bedenklich der Fall an und für sich, so erleichterte er doch
dem Freunde das traurige Amt, Susi in die vollständig geänderten
Verhältnisse einzuführen. Nicht die Witwe kehrte in das Haus des
verstorbenen Gatten zurück, die Tochter eilte an’s Krankenbett der
geliebten Mutter und dachte tage- und wochenlang nicht daran, dasselbe
zu verlassen. -- Frau Cahen war einem heftigen Nervenfieber zum Opfer
gefallen; noch ehe sie die Augen schloß, nahm sie Susi das Versprechen
ab, den Vater nicht zu verlassen. „Mein Kind, bleib’ im Elternhaus!“
hatte sie bittend gesagt. „Du mußt jetzt für Deinen Vater leben; verlaß
ihn nicht!“

Was Susi der sterbenden Mutter versprach, war ihr heilig. Sie bat
jetzt den Freund selbst, das große, elegante Haus zu veräußern. Arme
Frau! Sie ahnte nicht, daß der neue Besitzer bereits im Begriff war,
es renoviren zu lassen. Dr. Caspari hatte ihr gesagt, daß er im Verein
mit ihrem Vater gewissenhaft alle Geldangelegenheiten ordnen werde und
Susi’s Sinn war zu wenig auf pecuniäre Dinge gerichtet, um, da sie
ihr Vermögen den zuverlässigsten Händen anvertraut wußte, irgend eine
Auskunft zu begehren. Sie lebte abgeschnitten von allem Verkehr nur den
Ihrigen, fühlte sich auch in der steten Fürsorge, die ihre Freunde für
sie hatten, durchaus nicht vereinsamt, obgleich Alle die sie mieden,
die bisher ihre Gesellschaften frequentirt, sich in ihren Salons an
Wein und Champagner gütlich gethan. Sie hatte ihr Kind, und somit
erschloß sich ihr eine neue Welt des Glückes, der reinsten Freuden,
die nach und nach die Falten, die Gram und Kummer ihrer jugendlichen
Stirne eingefurcht, glätteten. Der kleine Berthold gedieh, gleich
kräftig an Körper und Geist. Wer je die Freude gekannt, das erste
Denken des geliebten Kindes zu belauschen, zu beobachten, wie sich
seine Wahrnehmungen schärfen, wie es erkennen, urtheilen, vergleichen
lernt, kann wohl ermessen, daß der vereinsamten Frau noch manche Blumen
blühten, die ihrem Leben Reiz und Werth verliehen. „Ja, wenn er nur
das Alles mit erlebt hätte!“ seufzte sie; „und sie, die gute Mutter!“
fügte sie thränenden Auges hinzu. Doch der kleine Wildfang ließ
keine Verstimmung aufkommen; er herzte und küßte die Thränen aus dem
Mutterauge hinweg, als sei er sich der Aufgabe bewußt, der betrübten
Frau jetzt Alles sein zu müssen.

Der Jahrestag von ihres Gatten Tode nahte heran; sie glaubte im Sinne
des Verstorbenen zu handeln, wenn sie aus dem vermeintlich großen
Vermögen eine Summe zu wohlthätigen Zwecken abzweige. Dr. Caspari kam
nicht wenig in Verlegenheit, als sie ihm ihre Absicht kund that.

Durfte er ihr sagen: „Du, die Du Dich reich und unabhängig wähnst und
Anderen nach deinem reichen Herzen reiche Unterstützungen zufließen
lassen willst, bist selbst auf Unterstützung angewiesen, bist arm und
hilflos und weil Du es bist, komme, theile mit mir, was ich habe!
Vergönne es mir, Dir des Lebens Annehmlichkeiten zu bieten, für Dich zu
leben -- Dein zu sein.“

O wie oft hatte dieser Wunsch in den letzten Monaten ihm auf der
Zunge geschwebt -- doch er ehrte ihre Treue und mochte in dem Jahr,
das sie dem Verschiedenen widmete, keine Rechte auszuüben versuchen,
die ihm dieser ja in seinem letzten Willen selbst eingeräumt. -- Und
Susi! hatte sie ihm nicht gehört, ehe sie Stern ihm -- doch weg mit
jenen Gedanken, die das Andenken dessen, den er hernach seinen Freund
genannt, verunehrten. Ja, Susi mußte die Seine werden, doch das wußte
er, sie würde nur einwilligen, so lange sie sich reich und unabhängig
wähnte -- nie, falls sie denken müßte, ihm mit ihrem Kinde eine Last zu
sein. Deshalb mußte sie in ihrem Glauben, eine vermögende Frau zu sein,
erhalten bleiben, deshalb mußte der sonst so wahrheitsgetreue Mann
sich zu einer Unwahrheit herbeilassen. Als Susi wiederholt auf ihre
Absicht zurückkam, versprach er Gelder flüssig zu machen, um womöglich
in kürzester Zeit eine Vorlage liefern zu können. Diese kürzeste Zeit
mußte genützt werden, so gern er noch, um Susi’s Schmerz und das
Andenken an den Verblichenen sich ganz beruhigen zu lassen, seinen
Antrag hinausgeschoben hätte.

Zum wievielten Male hatte Susi heute in dankbarer Anerkennung gesagt:
„Was wäre aus mir geworden, wenn ich Euch nicht in der herben
Leidenszeit zur Seite gehabt hätte! Nie werde ich Euch danken können,
was Ihr an mir gethan!“

Caspari hatte der Schwester einen Wink gegeben, sich zu entfernen.

„Susi!“ begann er, mit Innigkeit ihre Hände ergreifend, „Susi, Sie
können es! Denken Sie,“ fuhr er leidenschaftlich fort, „was wir uns,
ohne es uns je gestanden zu haben, vor Ihrer Verheiratung waren! Lassen
Sie uns die Spanne Zeit, die dazwischen liegt, aus dem Buche unseres
Lebens streichen und ein neues Leben innigster Gemeinschaft beginnen!
Glauben Sie mir, Susi, es hat mich die härtesten Seelenkämpfe gekostet,
ehe ich mich dazu überreden konnte, Ihr Freund, nur Ihr Freund sein zu
wollen. Mit der unterdrückten Gluth des Liebenden war ich nach außen
der kühle, besonnene Freund, -- ich wußte, was ich Ihnen und Ihrem
Gatten schuldig war! Doch glauben Sie meinem Ehrenworte, er selbst hat
mir einst in ernster Stunde das Recht auf Sie zurückgegeben, falls er
nicht mehr sein wird. Susi, machen Sie dieser Tödtung der heiligsten
Gefühle, zu der ich mich zwingen muß -- ein Ende -- werden Sie endlich
die Meine!“

Die junge Frau hatte ihm mit steigender Röthe zugehört. War das der
ruhige, besonnene Freund, der weise Berather, der da mit leuchtenden
Augen, aus denen das heißeste Verlangen sprach, vor ihr saß, der ihr
jetzt zu Füßen gesunken war, ihre Hände mit glühenden Küssen bedeckte.
Magnetisch durchzuckte es ihr ganzes Wesen, vergebens sammelte sie
ihre Kräfte, ihm zu widerstehen, -- willenlos lag sie in seinen Armen,
eine höhere Macht, der sie mit dem Aufgebot ihrer physischen und
geistigen Kräfte lange genug entgegengearbeitet, um äußerlich ruhig zu
erscheinen, läßt sie unterliegen, die Macht der lang unterdrückten,
jetzt siegreich erwachenden Liebe.

Sie sprach kein Wort, sie schluchzte wie ein Kind, das sich aus dem
Elternhaus verlaufen und nun durch eine gütige Hand wieder in die Arme
der Liebe zurückgeführt wird.

„Und Du sagtest, daß er Dir ein Recht auf meinen Besitz gegeben?“
fragte sie endlich nach langer stummer Umarmung.

„In einer Stunde, die ihm die ernsteste seines Lebens war!“ entgegnete
Caspari.

„So nimm mich denn hin!“ rief sie, sich innig an seine Brust
schmiegend; „Du weißt es ja, daß ich längst Dir gehört, ehe ein
unseliges Mißverständniß mich dem Verstorbenen zuführte; doch ich habe
ihn achten und lieben lernen und werde sein Andenken, selbst wenn eine
alte Liebe in ihre geheiligten Rechte tritt, stets in Ehren halten!“
-- Sie war zu glücklich, um die Wolke zu sehen, die Caspari’s klare
Stirn überzog; doch wie ein Schatten flog sie vorüber, als sein Blick
das geliebte Weib traf, das blühender und schöner als je, nach langen
Kämpfen nun endlich sein eigen geworden.


XI.

In der Stadt S. erregte es nicht wenig Aufsehen, als die Verlobung des
Rechtsanwalts Berthold Caspari mit der Witwe des bankerotten Jacob
Stern bekannt wurde. Er, dem die schönsten und reichsten jungen Mädchen
angetragen worden, wählte eine mittellose Frau, deren Mann allerhand
unlautere Sachen nachgesagt wurden, an dessen ehrenhaftem Tode man
sogar zweifelte. Es war wieder einmal einer jener Fälle, den man sich
nicht erklären konnte und der namentlich von den Müttern heiratsfähiger
Töchter in’s Unglaubliche travestirt wurde. Man sprach schon von einem
Verhältniß zu Lebzeiten Stern’s, von Susi’s wohlbedachten Plänen,
ihrer Coquetterie, von Caspari’s Leichtsinn, in eine solche Falle
gegangen zu sein und ahnte nicht, daß die beiden Menschen, um deren
Schicksal man sich so sehr kümmerte, den Traum ihres Glückes so rein
und ganz genossen, daß nicht einmal die in aller Munde ventilirte
Vermögensfrage bisher zur Sprache kam. Der alte Cahen hatte sich,
obgleich die Vereinigung mit Caspari, dem getauften Juden, seiner
religiösen Anschauung durchaus zuwider war, dennoch endlich gefügt und
dem glücklichen Paare seinen Segen gegeben; selbst in dem Herzen des
alten, in religiösen Vorurtheilen grau gewordenen Mannes dämmerte eine
Ahnung, daß es ein Glück gebe, das über den religiösen Bekenntnissen,
frei und unabhängig von denselben die Menschenseele belebe; ja es wurde
in ihm zur Gewißheit, daß jene höchste, vornehmste Glückseligkeit, wie
er sie in seinen Kindern verkörpert fand, sich nur in sittlich guten,
reinen Menschen, denen Reichthum mehr Werth als Befolgung ceremonieller
Gebräuche habe, verwirklichen lasse. Caspari’s Benehmen noch zu Stern’s
Lebzeiten, seine edle Handlungsweise nach dessen Tode an der sonst der
Verachtung preisgegebenen Tochter, hatten ihm imponirt.

„Mehr hätte kein Jude thun können!“ hatte er ihm als höchste
Anerkennung gesagt.

Obgleich er der Tochter gern den Schmerz erspart hätte, Klarheit in
ihrer Vermögenslage zu haben, hielt er es doch für seine Pflicht, da
Susi mehrmals davon gesprochen, ihrem Kinde eine Summe festzusetzen,
auf die traurige Vergangenheit hinzuweisen.

Caspari fand seine Verlobte einst in Thränen, als er nach den
Bureaustunden, wie gewöhnlich, bei ihr vorsprach.

„Das, das hättest Du für mich gethan!“ rief sie in überströmender
Glückseligkeit unter heißen Thränen lächelnd. „O, jetzt weiß ich erst,
daß ich mich nie, nie, und setzte ich mein ganzes Leben zum Opfer ein,
Deiner Liebe würdig machen kann, Du edler, guter Mann.“

„Du übertreibst, Susi!“ sagte er ruhig, nachdem er erkannte, was Susi
so in Extase gebracht. „Hättest Du nicht gleichfalls, wenn es in Deiner
Macht gelegen, Alles gethan, um einen Schmerz, eine Enttäuschung von
mir abzuwenden?“

„Aber Du bindest Deine Zukunft an die einer mittellosen Frau, die
Dir noch die Sorge für ihr Kind aufbürdet!“ entgegnete sie halb
vorwurfsvoll.

„Susi!“ entgegnete er fast unwillig, „bedarf es zwischen uns darüber
einer Auseinandersetzung, daß das wahre Glück nicht an irdischen
Besitz gebunden sei? Hast Du es nicht selbst an Dir erfahren, wie
sehr der Besitz abstumpft, wie leicht sich das Auge an Gold und Glanz
gewöhnt, ohne seinen Werth richtig zu schätzen, während das Herz, das
Gemüth täglich neu und dankbar den innern Reichthum würdigt? Und wer,“
setzte er begeistert hinzu, „brächte mir, wenn ich denn schon mal
egoistisch handeln will, mehr Garantien für inneres Glück in mein neu
zu gründendes Heim, als die jahrelang erprobte Freundin meiner Jugend?“

„O, wie martert mich der Gedanke,“ entgegnete Susi, „daß ich, wie
ich jetzt die Sachlage erkenne, dennoch nicht die Deine werden darf!
Dein nur der Wahrheit und dem Recht geweihtes Leben darf nicht
durch die Vereinigung mit einer Frau, an deren Namen ein Makel der
Unehrenhaftigkeit haftet, befleckt werden --“

„Halt ein, Du übertreibst!“ rief Caspari, ihre Rede energisch
abschneidend; „es war gefehlt von Deinem Vater, Dir Alles zu enthüllen,
doch was man auch dem Verschiedenen nachsage, Dein Name steht rein und
unangetastet --“

„Und habe ich nicht geholfen, jenes Geld, an dem der Fluch von
Tausenden lastete, in Ueppigkeit vergeuden? Kann man mich nicht für
die Mitwisserin seiner Pläne halten?“ entgegnete Susi in heller
Verzweiflung.

„Wer Dich kennt,“ beruhigte Caspari, „weiß Dich keiner unlauteren
Handlung fähig. Es ist ein Unrecht der Männer, ihren Frauen keinerlei
Einblick in ihre finanziellen Verhältnisse gewähren zu wollen; sie
würden sich manche Sorge und Verantwortung erleichtern, wenn sie in der
Frau die treue, verständige Beratherin erkennen wollten; doch glaube
mir Susi -- hier, wo die Speculation in’s Ungeheuerliche ging, hatte
selbst der Mann keinen Einblick, wie sich die Verhältnisse gestalten
konnten. Die Hunderttausende, die heute verloren galten, konnten in
wenigen Tagen durch eine glückliche Speculation zurückerobert sein.
Es war der Fluch, der auf dem leichterworbenen, durch Börsengeschäfte
errungenen Gelde lastete, daß, wie es mühlos die Cassen füllte, zu
Verschwendung und Luxus Veranlassung gab, es ohne Segen zu stiften,
gleich Fluth und Ebbe wieder in dem Meer der endlosen Speculation
verschwand.“

„Wehe denen, die in jener Zeit maßloser Ueberschätzung ihres irdischen
Besitzes den Sinn für Werthschätzung jener höheren Güter verloren,
die des Lebens eigentlichen Inhalt ausmachen. Du, meine Susi,“ setzte
er mit lebhafter Empfindung hinzu, „kamst als Opfer unglücklicher
Intriguen in jene Welt des falschen Seins; doch unter allen möglichen
Verlockungen zu Verschwendung und Scheinleben hast Du Dir den Sinn
für das Ideal reinen Menschenthums rein erhalten und veredelnd und
beglückend, einer leuchtenden Sonne gleich in jenen Kreisen gewirkt,
die dem Glanz höheren Lichtes sonst abhold zu sein pflegen; und darum,
Susi, bist Du mein geblieben und ich muß Dich festhalten -- muß es,
Susi, aus Egoismus -- denn ich trage den Zwang, den ich mir Jahrelang
auferlegte, nicht länger. --“

„Mögest Du nie diese Stunde bereuen,“ hauchte Susi leise, „in der Du
meinen Entschluß, den ich -- ja ich gestehe es Dir, mit dem Glücke
meines Lebens bezahlt hätte -- wankend machst! In wenigen Tagen soll
unsere Verbindung stattfinden; ich bitte Dich, laß uns jedes äußere
Gepränge vermeiden! -- Es hat sich mir seit gestern ein Abgrund
schauerlicher Wahrheiten aufgethan -- daß ich denen nicht in’s Auge
sehen mag, die sie längst kannten und mich vielleicht schwer und falsch
verurtheilten! --“

„Glaube das nicht, Susi!“ entgegnete Caspari beschwichtigend; „Deine
näheren Bekannten wußten, daß Marie und ich Dich absichtlich von jedem
Verkehr fernhielten; Du warst durch uns verurtheilt ein Traumleben zu
führen und darfst nicht aus demselben erwachen, um unglücklich, sondern
im eigentlichsten Sinne des Wortes glücklich zu werden, und daß Du es
werdest, dies, geliebtes Weib, soll meines Lebens heiligste Aufgabe
sein. --“

Eine weihevolle, heiligschöne Stunde folgte dieser Auseinandersetzung.
Wie, ach leider so selten hatten sich über dem Grabe einer unseligen
Vergangenheit und menschlicher Vorurtheile zwei Menschen die Hand zum
gemeinschaftlichen Bunde gereicht, die sich dessen bewußt waren, was
es heißt „eine Ehe vor Gott“ führen. -- Kein Priester hatte ihren Bund
gesegnet, und doch war sie rein und geheiligt durch das Streben nach
des Lebens unvergänglichen Gütern.

Das Casparische Haus wurde bald der Mittelpunkt jedes geistigen Lebens.
Schwester Marie ist die Gattin eines angesehenen Advocaten; es ist
rührend, die beiden Frauen in blühender Kinder Mitte als das Bild
echten Familienglücks zu betrachten.

Vielfach taucht von Bekannten die Frage auf, wie sie denn in religiöser
Beziehung ihre Kinder zu erziehen gedenken? „Zu sittlich guten
Menschen,“ antwortet dann Caspari und selbst der alte Cahen, der in dem
Glücke seiner Kinder auflebt, sagt: „Er wird es schon verstehen! Wir
sind alle Gottes Kinder, wenn wir die Gebote der Pflicht und des Rechts
befolgen.“

[Illustration]




[Illustration]




Thurmwächters Rundschau in der Sylvesternacht.


Wie war es doch dem alten Benda heut beängstigend in seinem behaglich
eingerichteten Wohnzimmer! Es ist ihm, als sollte er ersticken, so
dick und unrein schien die Luft. -- Der Stundenzeiger schleicht so
langsam vorwärts, als wollte das alte Jahr gar kein Ende nehmen! Noch
eine halbe Stunde, und auch dieses wäre abgelaufen, wie die fünfzig
anderen, die er schon hinter sich hatte, aber diese kurze Spanne Zeit
will ihm zur Ewigkeit werden. Was Wunder! War er ja heut allein mit
sich und seinen Gedanken, während ehedem seine treue Gattin ihm half,
Sorgen und Langeweile zu verscheuchen. Zum ersten Male seit 20 Jahren
verbrachte er diesen Abend allein; es litt ihn nicht mehr in der engen
Stube; seinen Pelz umnehmend, eilte er hinauf auf die Thurmgallerie;
hier athmete er erleichtert auf; war er ihr ja so vielleicht näher,
der theuren Verschiedenen, die, so meinte er, sicher da oben einen
Ehrenplatz haben müsse. Wie um sich selbst Trost zuzusprechen, hielt
er Umschau in den ihm bekannten Häusern, die da vor ihm lagen; --
zwar glitzte und flimmerte es überall von Lichtern und Lampenschein,
doch ihn blendete dieser Glanz nicht -- er ahnte, daß gar oft Kummer
und Sorge da Einzug gehalten, wo hell die Kerzen strahlten, daß manch
glänzendes Elend hinter jenen hohen Spiegelscheiben und den seidenen
Gardinen wohnte, daß das kommende Jahr nicht ihn allein mit Bangigkeit
und Schauern erfüllte. Wohl wußte er auch, wo Glück und Freude heut
ihre Stätten aufgeschlagen -- man kennt einander ja in einer kleinen
Stadt ziemlich genau -- doch wer wollte angesichts der Wechselfälle
des Lebens dafür bürgen, daß mit Schluß des eben beginnenden Jahres
dieselben lebensfrohen Gesichter einander noch ebenso lebensfroh
zulächeln würden?

Dumpf und schwer ertönen die ersten Glockenschläge; unwillkürlich
zuckt der doch sonst an diese Töne gewöhnte Alte zusammen. Jetzt setzt
das Uhrwerk mit hellen Schlägen ein; eins, zwei, drei -- bis zwölf.
Er zählt sie alle halblaut mit, dann, als der letzte Ton verstummt,
schaut er wie betäubt um sich. Da steht er allein, hoch oben über
dem Häusermeer -- weit droben in undenkbarer Ferne schimmern die
ewigen Sterne -- ihm zur Seite, um ihn, neben ihm kein fühlendes,
theilnehmendes Wesen. „Allein!“ murmelt er, während Thräne auf Thräne
in den grauen Bart rollt -- bald aber faßt er sich; er will hinunter in
seine einsame Klause, doch da ergreift ihn wieder jenes erschütternde
Weh, dem er nicht zu widerstehen vermag. Er bleibt. Licht auf Licht
verlöscht drüben in den Häuserreihen, auch das Rufen und Lärmen in den
Straßen hört allgemach auf. Muntere Tanzweisen klingen wohl noch von da
und dort an sein Ohr, fast möchte er die Glücklichen beneiden, die sich
bei ihren Klängen in glücklichem Selbstvergessen wiegen und das Heute
genießen, ohne an das Morgen zu denken.

Dort am Ende der Straße, in des Rechnungsrathes Stromen Hause scheint
es besonders lustig herzugehen. Man feiert das Verlobungsfest der
einzigen Tochter mit dem Premier-Lieutenant von Zewitz. Der Herr Rath
hält auf Standesehre; er hat es nun doch durchgesetzt, daß seine Anna
ihr Verhältniß zu dem Maler Angelo gelöst. -- Wohl war er ein schöner,
die Leute sagen sogar, ein geistreicher Mann, und Anna Stromen soll ihn
unaussprechlich gern gehabt haben, dennoch -- der Alte hält plötzlich
in seinem Gedankengang inne. Wer geht da vor dem Zewitz’schen Hause
erregt auf und ab? Er erkennt ihn genau an seinem breitkrämpigen
Malerhut, der stolzen Haltung. Sollte er sie nicht vergessen haben?
Einsam steht auch Jener dort in stiller Nacht -- unwillkürlich
vergleicht der Alte sein Loos mit dem jenes jungen Mannes; welcher ist
wohl der Bedauernswerthere?

Und gegenüber vom Zewitz’schen Hause wohnt des Malers Studiengenosse,
der reiche Gotthelf Andrée. Er hat ein blühendes Weib, ein glänzendes
Geschäft, Achtung und Anerkennung von allen Seiten. Kann es wahr sein,
was man sich erzählt? Auch ihn soll die in seiner Familie wüthende,
unheilvolle Krankheit, die den Geist in Fesseln schlägt, vor einigen
Tagen befallen haben; man hat ihn in eine Anstalt bringen müssen; der
Arzt scheint an seiner Wiedergenesung zu zweifeln. -- Den alten Benda
schaudert es; er fühlt an seinen kahlen Schädel und murmelt: „Gottlob,
wenn nur noch da Alles stimmt!“ Schon will er hinabsteigen, da fesselt
ihn der Laut einer wunderlieblichen Mädchenstimme, die in reinsten
Tönen jenes herrliche Lied: „O lieb, so lang Du lieben kannst, o
lieb, so lang Du lieben magst“ wiedergiebt. Er kennt diese Stimme. Sie
kommt dort unten aus dem Schulhause, in dem heute Freude und Jubel
herrscht. Lisette, die treffliche Sängerin, ist vor wenig Stunden zu
Besuch bei den Eltern heimgekehrt. Ein Jahr lang haben die guten Alten
ihr Lieblingskind nicht gesehen; sie hat vorigen Jänner eine Stelle
als Erzieherin in einer gräflichen Familie angenommen; heute kam sie
unerwartet -- er schaute gerade durch’s Fenster, wie sie aus ihrem
Reisekorb für die Mutter den neuen Wintermantel, für den Vater den
prächtigen Pelz hervorholte -- das war eine Freude, eine Seligkeit,
und doch weinten sie Alle -- ja Mama Traugott fiel sogar ihrer
Lisette unter heftigem Schluchzen um den Hals und schien sich kaum
beruhigen zu können; die unerwartete Freude hatte die alte Frau ganz
verändert. Jetzt saßen sie nun so überglücklich beisammen -- es war
unserem Thurmwart als sollte er hinunter eilen und um Einlaß bitten,
daß er auch Theil an ihrem Glücke nehmen dürfe. -- Oeffnete sich da
nicht gerade die Thür des Schulhauses? Er kannte Jenen, der eben das
friedliche Heim verläßt, nur zu gut. Josef Berndt ist sein Name; er war
einst Gemeinderath und Inhaber aller erdenklicher Ehrenämter gewesen.
Sein Geschäft war allgemein geachtet und warf ihm jährlich Tausende
mehr ab, als er für sein luxuriös eingerichtetes Haus brauchte; damals
kannte Berndt die Lehrerfamilie nicht. -- Dann kam der „Krach“ -- Josef
Berndt war mit einem Schlage ein armer Mann geworden; er wollte dem
Schicksal die Stirn bieten, sich dennoch obenauf behaupten; doch durch
welche Mittel? Man wußte es leider überall. Sein eigener Neffe klagte
ihn der Wechselfälschung an; er, der als Ehrenmann so hoch gestanden,
wurde gefänglich eingezogen, all seiner Ehrenämter entkleidet, und
als er seine Strafe verbüßte, fand er heimkehrend sein Haus leer; die
Gattin hatte die Scheidungsklage eingereicht und war zu ihren Eltern
zurückgekehrt. -- Auch die ehemaligen guten Freunde zogen sich zurück;
Lehrer Traugott, der ehedem nie in Beziehung zu ihm gestanden, war
der einzige, der dem Unglücklichen als Mensch nahe trat, ihn wieder
aufzurichten suchte, ihm in seinem Hause ein Ausruhen nach des Tages
Last und Mühen bot. -- Dort unten in der Herrengasse bewohnt Frau
Berndt jetzt ein prächtiges Haus; sie lebt in Glanz und Ueberfluß; die
böse Welt raunt sich allerhand in’s Ohr, wer die Kosten des Haushalts
tragen mag. Unseren Thurmwart kümmert’s nicht; er ist ruhiger in
sich geworden, nachdem er Umschau gehalten, denn er hat gesehen, daß
es hüben und drüben und da und dort mehr Leid als Freud giebt, daß
das neue Jahr gar Manchem ein ernstes Gesicht zeigt, daß die Sorge
allüberall hin Eingang findet, in die Prachtsäle der Reichen, wie in
die Hütten der Armuth, daß es aber auch reine Freuden giebt, die die
Seele zu Gott erheben, und daß, solange der Mensch athmet, die Hoffnung
nie schwinden dürfe, daß noch Alles gut werde. Erleichtert steigt er
die Stiege hinab und begiebt sich zur Ruhe.

Der Engel des Friedens und der Glückseligkeit, den er drüben im
einfachen Schulhause gesehen, scheint auch bei ihm Einkehr zu halten.
Wunderbar warm wird es ihm um’s Herz, wenn er denkt, wie morgen Früh
die Glückwünsche seiner Lieben eintreffen werden; der älteste Sohn
Franz ist Disponent eines großen Pariser Hauses -- seine Toni ist an
einen braven Handwerker in der Hauptstadt verheiratet, der nur das
eine Glück kennt, für sein geliebtes Weib und seine Kinder zu sorgen.
Ja, die Kinder, die süßen Kleinen! ruft er wehmuthsvoll und möchte fast
die Arme öffnen, sie an sein Herz zu drücken. Er weiß jetzt, daß er
nicht allein ist, sind sie gleich nicht bei ihm, so ist er ihnen doch
vereint -- giebt es ja ein Gefühl, das Zeit und Raum aufhebt. Gar bald
umgaukeln wundersüße Träume des alten Mannes Hirn. Er sieht demnächst
seinen Franz heimkehren, ihm die liebliche Braut zuführen -- auch die
Toni kommt mit ihren Blondköpfchen -- dann ist wieder Jubel und Leben
wie ehedem im stillen Stübchen. -- Seine noch vor einer Stunde so
vergrämten Züge umgiebt ein weihevoller Ernst; es ist ihm als ob ihm
eine innere Stimme zuflüsterte:

Denke nicht dessen, was du verloren, sondern dessen was dir bleibt!

[Illustration]




[Illustration]




Eine verunglückte Speculation.


Rentier Fels hatte sich seit einigen Monaten in dem Städtchen Auenthal
niedergelassen; er war das Muster eines guten Bürgers, wohlthätig,
gemeinnützig und trotz seines anscheinenden Reichthums leutselig
und gesprächig selbst mit dem Niedrigsten. Sein Haus war eines der
schönsten in den neuen Anlagen, mit allem Comfort ausgestattet, doch,
wenn gute Bekannte die Annehmlichkeiten desselben priesen, pflegte er
stets mit tiefem Seufzer zu antworten: „Ja, wenn sie nur nicht fehlte!“
Er erzählte dann gern, und das Herz schien ihm dabei auf die Zunge
zu treten, von seiner vor Jahresfrist gestorbenen Gattin, wie er mit
ihr so glücklich gelebt, wie er ihren Verlust fast nicht zu ertragen
geglaubt habe, und auch schließlich -- um sich nicht ganz dem Schmerz
hinzugeben, -- einen Wohnungswechsel vorgenommen, hoffend, die neue
Umgebung werde ihm sein Leid vergessen machen. Ein Witwer in guten
Verhältnissen pflegt für speculative Mütter heiratsfähiger Töchter ein
beachtenswerther Fund zu sein.

Die Frau Müllerin hatte drei Töchter, die sich zwar nicht durch
persönliche, wohl aber durch finanzielle Liebenswürdigkeit
auszeichneten. Marie, die ältere, hatte von dem Großvater ein
bedeutendes Gut, außerdem von ihrem Vater gleichtheilig mit den anderen
Schwestern ein Vermögen von 20.000 fl. geerbt. Zwar schielte sie
etwas, auch wollten böse Zungen meinen, daß sie nur durch Kunstmittel
den schiefen Rücken verdecke, dennoch galt Marie für eine gute Partie
und, als ihr Vetter Gerstner, der mit Fels befreundet war, diesem
einst halb scherzend, halb ernst sagte: „Freund, Sie sollten sich
wieder verheiraten, um auf andere Gedanken zu kommen -- ich wüßte auch
gleich eine Frau für Sie!“ da hatte Fels, als gelte es einen guten
Gedanken festzuhalten, erfreut gesagt: „Wenn mich so ein Mädchen wie
Ihre Cousine Marie wollte, wahrlich, ich glaube, wieder glücklich
werden zu können! Das ist ein Mädchen voll Biederkeit und Kern, die
muß einmal die bravste Hausfrau werden!“ setzte er schmunzelnd hinzu.
Mehr bedurfte es nicht, daß Gerstner noch am selben Abend den Bescheid
von der Frau Müllerin brachte, Fels möge sie des anderen Tages in der
Mittagsstunde besuchen und dürfe sich des besten Empfanges gewärtig
halten.

Acht Tage hernach war Müllers Marie die verlobte Braut des reichen
Fels. Glücklicher, als die Beiden, denen zu Ehren nun Festlichkeiten
aller Art gegeben wurden, war vielleicht Vetter Gerstner, denn
zweifelsohne hätte er, dem Wunsche seiner Eltern folgend, Marie
heiraten müssen, wenn es ihm nicht geglückt wäre, das zwar reiche aber
ungeliebte Mädchen einem anderen Freier zuzuführen. Die Müllerin hatte
Gerstner, ehe sie ihr Jawort gab, mit Erkundigungen über Fels betraut,
die nach des Neffen Aussage äußerst günstig eingegangen waren.
Gerstner hatte theils aus Leichtsinn, theils in dem Bewußtsein, selbst
wenn unvortheilhafte Nachrichten einliefen, diese der Tante nicht
mitzutheilen, jede Recherche über Fels’ Vergangenheit unterlassen; er
glaubte sich auch keine Gewissensbisse machen zu dürfen, man sah ja,
Fels war ein reicher Mann voll Herzensgüte und Biedersinn, ein Mädchen
wie Marie müßte sich nach seinem Dafürhalten glücklich schätzen, von
ihm gewählt zu werden.

Fels wünschte die Hochzeitsfeier so einfach wie möglich zu begehen
und da man Rücksicht auf seine früheren Verhältnisse nehmen zu müssen
glaubte, sah auch Niemand von der Familie der Braut etwas Sonderbares
darin, daß Fels keinen seiner ehemaligen Verwandten oder Bekannten zur
Hochzeitsfeier eingeladen. Diese fand zwei Monate nach dem Verlöbniß
statt; Fels machte mit seiner jungen Frau eine Hochzeitsreise, auf
welcher sie auch die Hauptstadt berührten. Marie, die schüchterne
Kleinstädterin, fühlte sich befangen, da sie nun vielen ehemaligen
Freunden ihres Gatten gegenübertrat. Eines Abends waren sie in
Gesellschaft eines früheren Geschäftsfreundes, der eine fixe Idee zu
haben schien, nämlich die, Menschen, mit denen er es gut meinte, in
eine Lebensversicherung einzukaufen. Fels spöttelte zuerst über des
Freundes Manie, ließ sich jedoch bald durch dessen hinreißende Suada
überzeugen, daß es eigentlich Pflicht jedes bedächtigen Menschen sei,
seine Zukunft sicher zu stellen, und da Marie derselben Ansicht war,
beschloß man eine Polizze auf gegenseitige Versicherung in Summa von
10.000 fl. zu nehmen. Marie lachte und scherzte, als ihr Fels sagte,
welche Beruhigung es ihm gewähre, sie dermal einst, wenn er nicht mehr
sei, jene Summe bei der Versicherungsgesellschaft erheben zu sehen;
vor ihr lag die Welt so rosig, daß es ihr fast eine Entweihung ihrer
glücklichen Stimme schien, jetzt sich mit Todesgedanken befassen zu
wollen.

Die Polizze wurde einige Tage hernach unterzeichnet. Fels bat seine
junge Frau, Niemandem von diesem Act Mittheilung zu machen, die Leute
seien voll Neid und Mißgunst, sie möchten ihnen nicht gönnen, daß sie
in wohlbedächtigter Weise nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für
die Zukunft gesorgt. Marie war ein gefügiges Werkzeug ihres Gatten. Er
wünschte es nicht und nicht einmal ihre Mutter erhielt Mittheilung.

Marie hatte auch alle Ursache, wie die „guten“ und selbst die
bösen Freunde meinten, glücklich zu sein und den Wünschen ihres
Gatten Rechnung zu tragen. Welch herrliches Leben führte sie nach
den Meinungen Aller. Sie hatte ihr Abonnement im Theater, sie gab
Gesellschaften, machte Reisen, erschien stets in gewählter Toilette --
Nichts war Fels zu theuer, ihr eine Freude zu bereiten.

Das erste Grün des Frühlings rief in Fels eine unbezwingliche Reiselust
hervor; er wollte die Schweiz sehen und selbstverständlich mußte ihn
Marie begleiten. Mit welchen Hoffnungen trat sie die Reise an! Es war
stets ihr sehnlichster Wunsch gewesen, ein Gebirgsland zu sehen; trotz
ihres vielen Geldes hatte es die Mutter nie über sich gewinnen können,
diesem Zweck eine Summe Geldes zu widmen.

Marie hatte schlaflose Nächte, so sehr regten sie die Vorstellungen
von dem, was sich ihr darbieten werde, auf. Obgleich sonst eine
nüchterne, prosaische Natur, erging sie sich in Schwärmereien, wie
herrlich der Sonnenaufgang auf einem Berge, wie wunderbar die Aussicht
von demselben über blühende Wiesen und Felder, wie rein die Luft, wie
beglückend der Umgang mit anderen Menschen sein müsse. Ihre Schwestern
hatten Recht, als sie beim Abschied sagten: Marie ist in dem einen
Jahr ihrer Ehe um zehn Jahre jünger geworden; so lebhaft und glücklich
hatte sie zuvor Niemand gekannt. Die Mutter, eine sonst sentimentale
Frau, der bei jeder Trennung Thränen der Rührung in die Augen zu treten
pflegten, vergaß sogar diesmal das übliche „Glückliche Reise!“ Weshalb
ihr noch eine glückliche Reise wünschen, da sie im Widerschein des
Glückes und der erfüllten Hoffnung strahlte.

Marie schrieb fast täglich; die Briefe machten die Runde unter allen
Bekannten, denn der Müllerin war es keine geringe Genugthuung, ihre
Marie, der man schon Glück und Zukunft, zum Mindesten eine gute
Verheiratung wegen der ihr mangelnden äußeren Vorzüge abgesprochen, nun
in guten Verhältnissen und an der Seite eines braven Mannes zu sehen,
dessen Lebensaufgabe es zu sein schien, sie glücklich zu machen.

Plötzlich jedoch blieben die Briefe aus; schon war eine ganze Woche
vergangen, ohne daß irgend welche Nachricht eingetroffen; das wirkte
namentlich beunruhigend auf die Mutter; sie ließ ihren Neffen rufen, um
ihn zu beauftragen, nach Innsbruck zu depeschiren, von wo der letzte
Brief angelangt war. Gleich bei Gerstners Eintreten fiel ihr dessen
verstörtes Aussehen auf. „Paul, Du hast irgend welche unheilvolle
Nachricht!“ rief sie mit der der Mutter eigenen Divinationsgabe.
Gerstner gestand, er habe heute eine Nachricht von Fels erhalten, daß
Marie unterwegs bedenklich erkrankt sei.

„Aber warum theilt er es mir nicht mit!“ rief die Müllerin, Schlimmeres
ahnend. „O Paul, ich bitte Dich, sage mir die Wahrheit, was weißt Du
von Marie? Zeig’ mir den Brief!“

„Unmöglich!“ rief Paul verwirrt. „Er ist nicht für Sie geschrieben, Sie
würden --“

„Um des Himmels Willen!“ jammerte die Müllerin; „mit meiner Marie ist
ein Unglück passirt! Rede, Paul! Ich kann Alles eher ertragen, als
diese quälende Ungewißheit, die mich nun schon acht Tage martert.“

„Fast glaube ich selbst,“ sagte Paul nach einigem Ueberlegen, „daß es
richtiger ist, die volle Wahrheit zu sagen. Fels schreibt mir,“ fuhr er
nach einer Pause fort, „daß Marie beim Bergsteigen ausgeglitten ist und
sich erheblich beschädigt hat!“

„Wo ist sie, die Arme, daß ich zu ihr eile?“ rief die geängstigte
Mutter.

„Man hat sie nach Innsbruck zurückgebracht, doch fürchte ich, können
Sie ihr nicht helfen!“ setzte Paul zögernd hinzu.

„Eine Mutter soll ihrem Kinde nicht helfen können!“ rief die Müllerin,
der das Schreckliche nicht in den Sinn wollte. „Paul, Du mußt mich
begleiten, sicher ist Gefahr im Verzuge, sonst hätte mir Marie
geschrieben! Wir reisen mit dem nächsten Zuge ab!“

„Aber beste Tante, vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß Sie dort
Nichts mehr nützen können --“

„Nichts mehr?“ rief die Müllerin in wildem Aufschrei. „So ist
Marie -- --“

Die arme Frau sank ohnmächtig zusammen.

Als sie wieder erwachte, saß sie stumm, fast leblos da; die beiden
anderen Töchter Anna und Elise weinten schmerzlich, ihr wollte keine
erlösende Thräne das Auge netzen.

„Gib mir den Brief!“ sagte sie endlich mit gebrochener Stimme. Kaum
hatte sie ihn erfaßt, als er wiederum ihren Händen entfiel. „Anna lies
Du!“ sprach sie, in Thränen ausbrechend. Anna begann nach einigem
Zögern: „Bester Vetter! Ein schweres Unglück hat uns Alle betroffen:
ich finde erst heute die Kraft, Dir Mittheilung zu machen, denn ich
war, seitdem mir Marie für immer genommen, fast meiner Sinne nicht
mächtig. Theile das Schreckliche den Ihrigen so schonend wie möglich
mit; ich vermag es nicht! Noch sehe ich sie mir voran die Anhöhe
erklimmen, leicht und glücklich, wie ein Vogel, der seine Schwingen
entfaltet, da plötzlich höre ich einen Angstruf, ich eile ihr nach,
sehe wie sie sich angsterfüllt an einen Strauch klammert, den sie beim
Fall in die Tiefe gepackt, der Strauch gibt nach und wie sich die
Wurzeln dem Boden entwinden, fehlt auch ihr der letzte Anhalt, ich
muß, ohne ihr helfen zu können, mit ansehen, wie mein geliebtes Weib
hinunter in die tiefe Schlucht stürzt; noch ein markerschütternder
Schrei -- ich wußte Alles. Man trug mich leblos in meine Wohnung
und kaum eine Stunde hernach die Unglückliche, die man unten in der
Thalschlucht mit zerschlagenem Schädel und gräßlich zerschundenem Leibe
aufgefunden.“

Anna konnte vor Schluchzen nicht fortfahren.

„Arme, arme Marie!“ jammerte die Mutter; „so früh und so schrecklich
mußtest Du enden!“ Schweren Schrittes ging sie in ihre Stube und schloß
die Thür hinter sich; sie wollte mit ihrem Schmerze allein sein.

In dem Städtchen rief der Trauerfall die lebhafteste Theilnahme wach
und als der trauernde Witwer eine Woche hernach völlig gebrochen
zurückkehrte, war Jeder erschüttert ob seines tiefen Schmerzes. Er
wollte Niemand sehen, seine besten Freunde wurden nicht vorgelassen;
die Müllerin besuchte er, sie mußte ja, wie er oft sagte, seinen
Schmerz verstehen. Fels sah in der That um Jahre älter aus; sein Blick
war eingesunken, sein Gang schlaff; nichts schien ihm Interesse zu
erregen. Er wollte Haus und Anwesen verkaufen, um nicht durch Alles an
die schmerzlich betrauerte Todte erinnert zu werden.

Wohin er gehen wollte? er wußte es selbst nicht; vielleicht hoffte
er durch Reisen von seinem tiefen Weh abgelenkt zu werden. Bald fand
sich ein Käufer für das schöne Haus; Fels stellte ihn der Müllerin vor
und bemerkte so nebensächlich, daß Herr Eckart auch das Gut, das er
bisher für Marie verwaltet, übernehmen werde. Die alte Frau stutzte.
So peinlich ihr jetzt, wenige Monate nach der Tochter Tode eine
Auseinandersetzung bezüglich der Hinterlassenschaft war, so sagte sie
doch unverholen: „Das Gut, denke ich, fällt an die Familie zurück.“
„Wir sprechen gelegentlich davon!“ hatte Fels entgegnet und begann dann
unter Seufzen und Weheklagen seines Verlustes wiederum zu gedenken.

Obgleich die Müllerin eine keineswegs besonders scharfsinnige Frau
war, ließ ihr doch jene Aeußerung keine Ruhe; sie sandte des andern
Tages ihren Neffen Paul zum Schwiegersohn, damit er sondire, welche
Bewandtniß es mit der Uebergabe des Gutes habe.

Fels verhielt sich zuerst ablehnend, es sei ihm widerwärtig, jetzt
schon von Erbtheil und dergleichen zu sprechen, doch als Paul ihm ohne
Hehl sagte, daß in kinderloser Ehe das Vermögen der Frau an die Familie
zurückfalle, zog er schweigend ein Testament aus der Tasche, das Marie
in Gegenwart eines Notars unterzeichnet hatte, nach welchem ihr Gatte
dereinst ihr alleiniger Erbe sein sollte.

Paul blieb sprachlos; ehe es Fels ahnte, erhob er seinen Blick vom
Papier und schaute in die Augen des ihm gegenüber Sitzenden, die eher
Bosheit, List und Tücke als jenen so würdevoll zur Schau getragenen
Schmerz ausdrückten. Dieser eine Moment hatte genügt, ihn einen Blick
in die Seele des Mannes werfen zu lassen, der, obschon er im nächsten
Augenblick wieder sein Gesicht mit jenem Schmerzesausdruck überkrustet
hatte, ihm jeder Schandthat fähig schien.

„Was hat Marie bewogen ein derartiges Testament zu unterschreiben?“
fragte er kurz.

Ohne durch den herben Ton beleidigt zu sein, entgegnete Fels:
„Dasselbe, was mich bewogen, sie nach meinem Ableben zu meiner
Universalerbin zu ernennen.“

„Sie mögen wohl gewußt haben, wen Gevatter Tod zuerst abrufen werde?“
erwiderte Paul, doch hielt er plötzlich inne, als er sah, welchen
Eindruck seine Worte auf Fels machten; bleich, einer Bildsäule
gleich, saß er da und starrte ihn an. Da Paul diese Wandlung nur dem
heftig sich erneuernden Schmerz zuschreiben konnte, brach er das
Gespräch ab und that dem Unglücklichen innerlich Abbitte, daß er
jener Vermögensregulirung wegen so unzart kaum geschlossene Wunden
aufgerissen. Der Tante gab er die Auskunft, daß man den schwer
gebeugten Mann jetzt mit jener Angelegenheit verschonen müsse;
zwar existire ein Testament, demzufolge der überlebende Ehegatte
Universalerbe sei, doch hoffe er, daß Fels jenes alte Familienerbtheil
nicht in fremde Hände übergehen lassen werde.

Wenn schon die Müllerin im höchsten Grade unangenehm von jenem
Testamente überrascht worden war, von dem ihr ihre sonst stets Alles
vertrauende Tochter nie Etwas mitgetheilt, so war sie doch noch zu sehr
von ihrem Schmerz befangen, um einen klaren Gedanken fassen zu können.

Nicht wenig erstaunt war die harmlose Frau, da sich eines Tages
ein Versicherungsbeamter der Allemannia melden ließ, der von seiner
Gesellschaft beauftragt zu sein vorgab, über die Todesart ihrer Tochter
Erkundigungen einzuziehen.

Als die Müllerin ihr Befremden äußerte, wieso die Direction irgend
ein Interesse an dem sie betroffenen Unglücksfall habe, erwiderte
der Beamte lakonisch: „Weil die Direction dem überlebenden Gatten
zehntausend Gulden zu zahlen hat.“

Die arme Frau brach zusammen; wie ein Blitzstrahl durchzuckte es
ihr gramumwebtes Herz, hier könne ein Verbrechen vorliegen. Dort
das Testament, hier die Versicherung, die schreckliche Todesart, --
Alles ließ sie vermuthen, daß -- doch sie wagte das Schreckliche
nicht einmal zu denken. Der Beamte kam ihrer Vermuthung zu Hilfe,
indem er ihr mittheilte, daß Fels seine beiden ersten Frauen, die bei
anderen Gesellschaften auch hoch versichert waren, gleichfalls durch
plötzlichen Todesfall verloren. Wie Schuppen fiel es der unglücklichen
Mutter von den Augen. „Zwei Frauen hat er schon gehabt?“ rief sie
verwundert. „Als er die erste heiratete,“ entgegnete der Beamte, „war
er noch Schuhmacher; nach ihrem Tode nannte er sich Rentier, ging bald
wieder auf Freiersfüßen,“ er hielt inne, denn er sah, daß die Arme
besinnungslos in einen Sessel gesunken war. Als sie wieder zu sich
kam, war ihr erstes Wort, man möge Fels rufen. Dieser, Nichts ahnend,
kam sogleich aus seiner nur wenige Schritte entfernten Villa herüber,
da das Mädchen ihm von dem Unwohlsein ihrer Herrin sagte.

„Elender, feiger Mörder!“ herrschte sie ihn in mächtig hervorbrechendem
Groll an; „warum hast du mein Kind umgebracht?“

Darauf war Fels nicht vorbereitet; geisterbleich, keines Wortes
mächtig, stand er da, ein Sünder der, ohne zu beichten seine Schandthat
eingesteht, als sein stierer Blick den Fremden gewahrte, brach er
kraftlos zusammen; noch ehe Beweise seiner Schuld vorlagen, hatte ihn
sein Gewissen verrathen.

„Im Namen des Gesetzes verhafte ich Sie!“ sagte der Assecuranz-Beamte.

„Wessen klagte man mich an?“ entgegnete Fels, dem jetzt seine
Geistesgegenwart zurückgekommen.

„Drei Frauen elendiglich aus der Welt geschafft zu haben, um sie zu
beerben!“ sagte der Beamte kurz.

„Sie sind mir Beweise für diese schändliche Anklage schuldig!“
entgegnete Fels jetzt mit frecher Stimme.

„Die Beweise wird Ihnen der Staatsanwalt geben!“ antwortete Jener,
„jetzt haben sie zu folgen.“

Vergeblich wollte Fels an seine Verwandten appelliren -- Alle wiesen
ihn mit Entrüstung von sich.

„Ich folge Ihnen!“ sagte er endlich, „doch nur, um mich von einer
schändlichen Verleumdung zu reinigen!“

Die Müllerin ließ zunächst ihren Neffen rufen, der, da sie selbst zu
schwach war, die Reise nach Innsbruck machen sollte, um Näheres über
die Todesart der schmerzlich beweinten Tochter zu erfahren. Paul machte
sich die heftigsten Vorwürfe zu leichtfertig gehandelt zu haben,
da es galt, Erkundigungen einzuziehen, ehe das Verlöbniß zu Stande
kam: er sah bleich und verstört aus, als fühle er, daß er indirect
die Schuld an dem Unglück trug, das seine Familie betroffen. Bei
gewissenhafter Nachforschung hätte er sicher Kunde von dem Vorleben des
Mannes erhalten können und dann wäre es wohl nie zu einer Annäherung
gekommen. Marie war das beklagenswerthe Opfer seines Leichtsinnes und
-- wenngleich er sie nie geliebt, war seine Trauer jetzt eine so tiefe,
unlöschbare, daß die Umgebung sicher darin zu sein glaubte, er habe
der Verstorbenen ein wärmeres Gefühl entgegengebracht, als sie selbst
vielleicht geahnt.

Da er am Grabe der viel Beweinten dort auf jenem einsamen Friedhof
der kleinen Bergstadt niederkniete, schluchzte er wie ein Kind; ein
Geistlicher des Ortes, der ihn begleitete, hatte Mühe ihn zu beruhigen;
er theilte ihm mit, wie ihm selbst die seltene Fassung, die der Gatte
der Verstorbenen bewahrte, aufgefallen sei; wahrscheinlich habe er
es nicht für nöthig erachtet, seine Heuchlerkunst vor einfachen
Naturmenschen zur Schau zu tragen.

Die Leiche wurde ausgegraben, doch konnten die zu einem Concilium
geladenen Aerzte nicht feststellen, ob der Sturz in die Tiefe
gewaltsam oder zufällig bewirkt worden. Der Körper war an allen Seiten
zerschunden. Knochen und Gelenke gebrochen, der Tod mußte noch während
des Sturzes erfolgt sein.

Paul beschloß, die nun einmal in ihrer Ruhe gestörte Leiche mit
heimzuführen, um der unglücklichen Mutter wenigstens den einen Trost zu
gönnen, ihre Tochter auf dem Gottesacker besuchen zu können.

Fels war noch immer in Gewahrsam und leugnete standhaft; er wußte ja
am besten, daß seine dunkle That keinen Zeugen hatte. Paul kam gerade
an dem Tage zurück, da er wiederum in Freiheit gesetzt werden sollte.
Als der Ortsrichter indeß hörte, daß Paul die Leiche mitführe, änderte
er seine Bestimmung. Er ließ bitten, den Sarg in’s Gerichtszimmer
zu überführen und nachdem dies geschehen, nahm er Fels noch einmal
streng in’s Verhör; Fels blieb dabei seine Unschuld zu betheuern; da
plötzlich öffnete der Richter die Thür nach dem Gerichtssaal, des
Gefangenen Blicke fielen auf den geöffneten Sarg, in dem die gemordete
Frau lag. „Marie, du hast mich verrathen!“ rief er zusammensinkend. Die
Gefängnißwärter trugen ihn in seine Zelle zurück; jeder Blutstropfen
schien aus seinem Körper gewichen.

Den Gerichten war es nun ein Leichtes, erfolgreiche Nachforschungen
über die Todesart der beiden anderen Frauen anzustellen.

Fels war vor fünf Jahren als armer Schuhmacher nach Renddorf gekommen,
wo er die Tochter einer vermögenden Witwe heiratete.

Er kaufte sie vier Wochen nach der Hochzeit mit 1000 fl. in eine
Lebensversicherung ein -- sechs Monate nachher stürzte die junge Frau
die Kellertreppe hinunter und langte todt unten an.

In Folge des Lärmens und Schreiens des trostlosen Ehemannes kamen die
Hausgenossen zusammen -- alle Wiederbelebungsversuche waren erfolglos.
Fels war so erschüttert, daß er kurze Zeit nach der Beerdigung der Frau
sein Geschäft aufgab und nach Saalfeld übersiedelte. Hier machte er
nach Jahresfrist die Bekanntschaft der Witwe Kore, einer vermögenden,
doch älteren Frau. Die Vermälung wurde in aller Stille gefeiert und als
Frau Kore nach drei Monaten am Herzschlage starb, wußten ihre nächsten
Bekannten noch nicht, daß sie inzwischen Frau Fels geworden. Wohl aber
wußte die Versicherungsgesellschaft, daß sie dem trauernden Witwer 5000
fl. zu zahlen hatte.

Wenngleich jedes Mal eine andere Gesellschaft betheiligt war, wurde
die Sache doch ruchbar. Die Direction der Allemannia erhielt eine
Zuschrift, man möge doch recherchiren, welcher Todesart Fels frühere
Gattinnen gestorben seien, die bei den namhaft gemachten Versicherungen
durch den früheren Schuhmacher, jetzigen Rentier Fels eingekauft waren.

Obschon kein Beweis vorlag, daß Fels ein Mörder, so verurtheilten ihn
doch die Geschworenen nach allen Indicien und seinen eigenen Worten
beim Anblick der Leiche seines dritten Opfers zum Tode.

Die Entrüstung im Städtchen ob der schändlichen That war eine
allgemeine.

Jetzt freilich wollten einige Hellseher dies und das in des Gerichteten
Benehmen auf niedere Abkunft und gemeine Gesinnung deuten, doch war
die Thatsache nicht wegzuleugnen, daß derjenige, der heute als Mörder
von Allen verachtet wurde, noch unlängst einer der geachtetsten Männer
des Städtchens gewesen. -- Zu allgemeinem Erstaunen hatte der Fürst
das eingereichte Gnadengesuch berücksichtigt und die Todesstrafe in
lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt. Von dem Correctionshause
aus, das an einer Anhöhe lag, konnte Fels hinab auf seine mit allem
Comfort ausgestattete Villa schauen, die die Müllerin als Erbin ihrer
Tochter in Besitz nahm.

Im wunderbaren Wechsel der Ereignisse wurde schon nach wenigen Monaten
dort ein Hochzeitsfest gefeiert. Der Verstorbenen zweite Schwester
Anna, ein durch Anmuth und Schönheit ausgezeichnetes Mädchen, hatte
Vetter Paul, gerührt von seiner aufrichtigsten Trauer um die Verewigte,
die Hand gereicht. Wenngleich er nun als Schwiegersohn der Müllerin
von ganzem Herzen bemüht war, die gebeugte Mutter zu trösten --
er vermochte es -- da Selbstanklagen und Vorwürfe ihn ungeachtet
der glücklichen Wendung seines Geschickes darniederhielten, nicht.
Allgemein wunderte man sich, daß die ungleich liebenswürdigere Anna in
ihm das Andenken an Marie nicht verlöschen konnte.

Fels starb schon nach einigen Jahren in der Gefangenschaft; sein
frevelhaft erworbenes Gut hatte ihm keinen Segen gebracht und oft hat
er, wie seine Mitgefangenen berichteten, die Zeiten zurückgewünscht,
da er noch mit ruhigem Gewissen und frohem Sinn als armer
Schuhmachergeselle von Werkstatt zu Werkstatt wanderte und Abends nach
gethaner Arbeit das müde Haupt zu friedlichem Schlafe niederlegen
konnte. An einer Ecke der Kirchhofsmauer ruht der arme, reiche Mann,
ein Ausgestoßener, dessen Grab Jeder meidet, der die Geschichte des
Unglücklichen kennt.

[Illustration]




               Druck von J. C. Fischer & Comp. in Wien.

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LEBENSBILDER ***

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
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computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™'s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
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Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation's website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without
widespread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
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While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
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ways including checks, online payments and credit card donations. To
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Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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freely shared with anyone. For forty years, he produced and
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